Ekkehard. Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert von Joseph Victor Scheffel, Verfasser des „ Trompeter von Säckingen .“ Frankfurt a. M. Verlag von Meidinger Sohn \& Cie. 1855. Druck von August Osterrieth in Frankfurt a. M. Deutsche Bibliothek. Sammlung auserlesener Original-Romane . Unter Mitwirkung von Ludwig Bechstein, Adolf Glaßbrenner, F. G. Kühne, F. Kürnberger, Hermann Kurz, Hermann Marggraff, Theodor Mügge, Wolfgang Müller, Otto Müller, Robert Prutz, Otto Roquette, Leopold Schefer, J. V. Scheffel, Georg Schirges, Lud. Storch, E. Willkomm u. a. m. Siebenter Band . Ekkehard. Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert von J. V. Scheffel, Verfasser des „ Trompeter von Säckingen .“ Frankfurt a. M. Verlag von Meidinger Sohn \& C ie. 1855. Druck von Aug. Osterrieth in Frankfurt a. M. Vorwort. D ies Buch ward verfaßt in dem guten Glauben, daß es weder der Geschichtschreibung noch der Poesie etwas schaden kann, wenn sie innige Freundschaft mit einander schließen und sich zu gemeinsamer Arbeit vereinen. Seit Jahrzehnten ist die Hinterlassenschaft unserer Vorfahren Gegenstand allseitiger Forschung; ein Schwarm fröhlicher Maul- würfe hat den Boden des Mittelalters nach allen Richtungen durchwühlt und in fleißiger Bergmannsarbeit eine solche Masse alten Stoffes zu Tage gefördert, daß die Sammelnden oft selbst davor erstaunten: eine ganze, schöne, in sich abgeschlossene Literatur, eine Fülle von Denkmalen bildender Kunst, ein organisch in sich aufgebautes politisches und sociales Leben liegt ausgebreitet vor unsern Augen. Und doch ist es all der guten auf diese Bestre- bungen gerichteten Kraft kaum gelungen, die Freude am geschicht- lichen Verständniß auch in weitere Kreise zu tragen; die zahl- losen Bände stehen ruhig auf den Brettern unserer Bibliotheken, da und dort hat sich schon wieder gedeihliches Spinnweb angesetzt und der Staub, der mitleidlos Alles bedeckende, ist auch nicht ausgeblieben, so daß der Gedanke nicht zu den undenkbaren ge- hört, die ganze altdeutsche Herrlichkeit, kaum erst ans Tageslicht D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 30 zurückbeschworen, möchte eines Morgens, wenn der Hahn kräht, wieder versunken sein in Schutt und Moder der Vergessenheit, gleich jenem gespenstigen Kloster am See, von dem nur ein leise klingendes Glöcklein tief unter den Wellen dunkle Kunde gibt. Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, in wiefern der Grund dieser Erscheinung dem Treiben und der Methode unserer Gelehrsamkeit beizumessen. Das Sammeln alterthümlichen Stoffes kann wie das Sam- meln von Goldkörnern zu einer Leidenschaft werden, die zusam- menträgt und zusammenscharrt, eben um zusammen zu scharren, und ganz vergißt, daß das gewonnene Metall auch gereinigt, umgeschmolzen und verwerthet werden soll. Denn was wird sonst erreicht? Ein ewiges Befangenbleiben im Rohmaterial, eine Gleich- werthschätzung des Unbedeutenden wie des Bedeutenden, eine Scheu vor irgend einem fertigen Abschließen, weil ja da oder dort noch ein Fetzen beigebracht werden könnte, der neuen Auf- schluß gibt, und im Ganzen — eine Literatur von Gelehrten für Gelehrte, an der die Mehrzahl der Nation theilnahmlos vor- übergeht und mit einem Blick zum blauen Himmel ihrem Schöpfer dankt, daß sie nichts davon zu lesen braucht. Der Schreiber dieses Buches ist in sonnigen Jugendtagen einstmals mit etlichen Freunden durch die römische Campagna gestrichen. Da stießen sie auf Reste eines alten Grabmals, und unter Schutt und Trümmern lag auch, von graugrünem Acanthus überrankt, ein Haufe auseinandergerissener Mosaiksteine, die ehe- dem in stattlichem Bild und Ornamentenwerk des Grabes Fuß- boden geschmückt. Es erhub sich ein lebhaft Gespräch darüber, was all die zerstreuten gewürfelten Steinchen in ihrem Zusam- menhang dargestellt haben mochten. Einer, der ein Archäolog war, hob die einzelnen Stücke gegen's Licht und prüfte, ob weißer, ob schwarzer Marmor, ein Anderer, der sich mit Geschichtforschung plagte, sprach gelehrt über Grabdenkmale der Alten, — derweil war ein Dritter schweigsam auf dem Backsteingemäuer gesessen, der zog sein Skizzenbuch und zeichnete ein stolzes Viergespann mit schnaubenden Rossen und Wettkämpfern und viel schöne jo- nische Ornamentik darum; er hatte in einer Ecke des Fußbodens einen unscheinbaren Rest des alten Bildes erschaut, Pferdefüße und eines Wagenrades Fragmente, da stand das Ganze klar vor seiner Seele und er warf's mit kecken Strichen hin, derweil die andern in Worten kramten ... Bei jener Gelegenheit war einiger Aufschluß zu gewinnen über die Frage, wie mit Erfolg an der geschichtlichen Wieder- belebung der Vergangenheit zu arbeiten sei. Gewißlich nur dann, wenn einer schöpferisch wiederherstel- lenden Phantasie ihre Rechte nicht verkümmert werden, wenn der, der die alten Gebeine ausgräbt, sie zugleich auch mit dem Athemzug einer lebendigen Seele anhaucht, auf daß sie sich er- heben und kräftigen Schrittes als auferweckte Todte einher wandeln. In diesem Sinn nun kann der historische Roman das sein, was in blühender Jugendzeit der Völker die epische Dichtung, ein Stück nationaler Geschichte in der Auffassung des Künstlers, der im gegebenen Raume eine Reihe Gestalten scharfgezeichnet und farbenhell vorüberführt, also daß im Leben und Ringen und Leiden der Einzelnen zugleich der Inhalt des Zeitraums sich wie zum Spiegelbild zusammenfaßt. Auf der Grundlage historischer Studien das Schöne und Darstellbare einer Epoche umspannend, darf der Roman auch wohl verlangen, als ebenbürtiger Bruder der Geschichte anerkannt zu werden, und wer ihn achselzuckend als das Werk willkürlicher und fälschender Laune zurückweisen wollte, der mag sich dabei getrösten, daß die Geschichte, wie sie bei uns geschrieben zu wer- den pflegt, eben auch nur eine herkömmliche Zusammenschmiedung von Wahrem und Falschem ist, der nur zu viel Schwerfälligkeit anklebt, als daß sie es, wie die Dichtung, wagen darf, ihre Lücken spielend auszufüllen. Wenn nicht alle Zeichen trügen, so ist unsere Zeit in einem eigenthümlichen Läuterungsproceß begriffen. In allen Gebieten schlägt die Erkenntniß durch, wie unsäg- lich unser Denken und Empfinden unter der Herrschaft der Ab- straction und der Phrase geschädigt worden; da und dort Rü- stung zur Umkehr aus dem Abgezogenen, Blassen, Begrifflichen zum Concreten, Farbigen, Sinnlichen, statt müßiger Selbstbe- schauung des Geistes Beziehung auf Leben und Gegenwart, statt Formeln und Schablonen naturgeschichtliche Analyse, statt der Kritik schöpferische Production, und unsere Enkel erleben vielleicht noch die Stunde, wo man von manchem Koloß seit- heriger Wissenschaft mit der gleichen lächelnden Ehrfurcht spricht, wie von den Resten eines vorsündfluthlichen Riesengethieres, und wo man ohne Gefahr, als Barbar verschrieen zu werden, be- haupten darf, in einem Steinkrug alten Weines ruhe nicht we- niger Vernunft als in mancher umfangreichen Leistung formaler Weisheit. Zur Herstellung fröhlicher unbefangener von Poesie verklärter Anschauung der Dinge möchte nun auch die vorliegende Arbeit einen Beitrag geben, und zwar a u s dem Gebiet unserer deutschen Vergangenheit. Unter dem unzähligen Werthvollen, was die großen Folian- ten der von Pertz herausgegebenen „Monumenta Germaniae“ bergen, glänzen gleich einer Perlenschnur die sanctgallischen Klostergeschichten, die der Mönch Ratpert begonnen und Ekkehard der Jüngere (oder zur Unterscheidung von drei gleichnamigen Mitgliedern des Klosters der Vierte benannt) bis an's Ende des zehnten Jahrhunderts fortgeführt hat. Wer sich durch die unerquicklichen und vielfältig dürren Jahrbücher anderer Klöster mühsam durchgearbeitet hat, mag mit Behagen und innerem Wohlgefallen an jenen Aufzeichnungen verweilen. Da ist trotz mannigfacher Befangenheit und Unbehilflichkeit eine Fülle an- muthiger aus der Ueberlieferung älterer Zeitgenossen und den Berichten von Augenzeugen geschöpfter Erzählungen, Personen und Zustände mit groben aber deutlichen Strichen gezeichnet, viel unbewußte Poesie, treuherzige brave Welt- und Lebensansicht, naive Frische, die dem Niedergeschriebenen überall das Gepräge der Aechtheit verleiht, selbst dann, wenn Personen und Zeiträume etwas leichtsinnig durcheinander gewürfelt worden und ein handgreif- licher Anachronismus dem Erzähler gar keinen Schmerz verursacht. Ohne es aber zu beabsichtigen, führen jene Schilderungen zugleich über die Schranken der Klostermauern hinaus und ent- rollen das Leben und Treiben, Bildung und Sitte des damaligen allemannischen Landes mit der Treue eines nach der Natur ge- malten Bildes. Es war damals eine vergnügliche und einen Jeden, der ringende, unvollendete aber gesunde Kraft geleckter Fertigkeit vorzieht, anmuthende Zeit im südwestlichen Deutschland. Anfänge von Kirche und Staat bei namhafter aber gemüthreicher Rohheit der bürgerlichen Gesellschaft, — der aller spätern Entwickelung so gefährliche Geist des Feudalwesens noch harmlos im ersten Ent- falten, kein geschraubtes übermüthiges und geistig schwächliches Ritterthum, keine üppige unwissende Geistlichkeit, wohl aber ehr- liche grobe Gesellen, deren socialer Verkehr zwar oftmals in einem sehr ausgedehnten System von Verbal- und Realinjurien bestand, die aber in rauher Hülle einen tüchtigen, für alles Edle empfänglichen Kern bargen, — Gelehrte, die Morgens den Ari- stoteles verdeutschen und Abends zur Erholung auf die Wolfs- jagd ziehen, vornehme Frauen, die für das Studium der Classi- ker begeistert sind, Bauern, in deren Erinnerung das Heiden- thum ihrer Vorväter ungetilgt neben dem neuen Glauben fort- lebt, — überall naive starke Zustände, denen man ohne rationalisti- schen Ingrimm selbst ihren Glauben an Teufel und Dämonen- spuck zu Gute halten darf. Dabei zwar politische Zerklüftung und Gleichgiltigkeit gegen das Reich, dessen Schwerpunkt sich nach Sachsen übertragen hatte, aber tapferer Mannesmuth im Unglück, der selbst die Mönche in den Klosterzellen stählt, das Psalterbuch mit dem Schwert zu vertauschen und gegen die ungarische Verwüstung zu Feld zu rücken, — trotz reichlicher Gele- genheit zur Verwilderung eine dem Studium der Alten mit Begeisterung zugewandte Wissenschaft, die in den zahlreich besuchten Klosterschulen eifrige Jünger fand und in ihren humanen Strebungen an die besten Zeiten des sechszehnten Jahrhunderts erinnert, leises Emporblühen der bildenden Künste, vereinzeltes Aufblitzen bedeutender Geister, vom Wust der Gelehrsamkeit unerstickte Freude an der Dichtung, fröhliche Pflege nationaler Stoffe, wenn auch meist in fremdländischem Gewand. Kein Wunder, daß es dem Verfasser dieses Buches, als er bei Gelegenheit anderer Studien über die Anfänge des Mittel- alters mit dieser Epoche vertraut wurde, erging wie einem Manne, der nach langer Wanderung durch unwirthsames Land auf eine Herberge stößt, die wohnsam und gut bestellt in Küche und Keller mit liebreizender Aussicht vor den Fenstern Alles bietet, was sein Herz begehrt. Er begann, sich häuslich drin einzurichten und durch mannig- faltige Ausflüge in verwandtes Gebiet sich möglichst vollständig in Land und Leute einzuleben. Den Poeten aber ereilt ein eignes Schicksal, wenn er sich mit der Vergangenheit genauer bekannt macht. Wo Andere, denen die Natur gelehrtes Scheidewasser in die Adern gemischt, viel allgemeine Sätze und lehrreiche Betrach- tungen als Preis der Arbeit herausätzen, wachsen ihm Gestalten empor, erst von wallendem Nebel umflossen, dann klar und durchsichtig, und sie schauen ihn ringend an und umtanzen ihn in mitternächtigen Stunden und sprechen: Verdicht' uns! So kam es auch hier. Aus den naiven lateinischen Zeilen jener Klostergeschichten hob und baute es sich empor, wie Thurm und Mauern des Gotteshauses Sanct Gallen, viel altersgraue ehrwürdige Häupter wandelten in den Kreuzgängen auf und ab hinter den alten Handschriften saßen die, die sie einst geschrieben, die Klosterschüler tummelten sich im Hofe, Horasang ertönte aus dem Chor und des Wächters Hornruf vom Thurme. Vor allen Anderen aber trat leuchtend hervor jene hohe gestrenge Frau, die sich den jugendschönen Lehrer aus des heiligen Gallus Kloster- frieden entführte, um auf ihrem Basaltfelsen am Bodensee classi- schen Dichtern eine Stätte sinniger Pflege zu bereiten; die schlichte Erzählung der Klosterchronik von jenem dem Virgil gewidmeten Stillleben, ist selbst wieder ein Stück Poesie, so schön und ächt, als sie irgend unter Menschen zu finden. Wer aber von solchen Erscheinungen heimgesucht wird, dem bleibt nichts übrig, als sie zu beschwören und zu bannen. Und in den alten Geschichten hatte ich nicht umsonst gelesen, auf welche Art Notker der Stammler einst ähnlichen Visionen zu Leibe ging: er griff einen knorrigen Haselstock und hieb tapfer auf die Dämonen ein, bis sie ihm die schönsten Lieder offenbarten. Ekkehardi IV. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Mon. II. 98. Darum griff auch ich zu meinem Handgewaffen, der Stahl- feder, und sagte eines Morgens den Folianten, den Quellen der Gestaltenseherei, Valet, und zog hinaus auf den Boden, den einst die Herzogin Hadwig und ihre Zeitgenossen beschritten; und saß in der ehrwürdigen Bücherei des heiligen Gallus und fuhr in schaukelndem Kahn über den Bodensee und nistete mich bei der alten Linde am Abhang des Hohentwiel ein, wo jetzt ein treff- licher schwäbischer Schultheiß die Trümmer der alten Feste be- hütet, und stieg schließlich auch zu den luftigen Alpenhöhen des Säntis, wo das Wildkirchlein keck wie ein Adlerhorst herunter- schaut auf die grünen Appenzeller Thäler. Dort in den Revieren des schwäbischen Meeres, die Seele erfüllt von dem Walten er- loschener Geschlechter, das Herz erquickt von warmem Sonnen- schein und würziger Bergluft, hab' ich diese Erzählung entworfen und zum größten Theil niedergeschrieben. Daß nicht viel darin gesagt ist, was sich nicht auf gewissen- hafte culturgeschichtliche Studien stützt, darf wohl behauptet wer- den, wenn auch Personen und Jahrzahlen, vielleicht Jahrzehnte mitunter ein weniges in einander verschoben wurden. Der Dich- ter darf sich, der innern Oeconomie seines Werkes zu lieb, Manches erlauben, was dem strengen Historiker als Sünde an- zurechnen wäre. Sagt doch selbst der unübertroffene Geschicht- schreiber Macaulay: Gern will ich den Vorwurf tragen, die würdige Höhe der Geschichte nicht eingehalten zu haben, wenn es mir nur gelingt, den Engländern des neunzehnten Jahrhun- derts ein treues Gemälde des Lebens ihrer Vorfahren vor- zuführen. Dem Wunsche sachverständiger Freunde entsprechend, sind in Anmerkungen einige Zeugnisse und Nachweise der Quellen an- geführt, zur Beruhigung derer, die sonst nur Fabel und müßige Erfindung in dem Dargestellten zu wittern geneigt sein könnten. Wer aber auch ohne solche Nachweise Vertrauen auf eine gewisse 30* Aechtheit des Inhalts setzt, der wird ersucht, sich in die Noten nicht weiter zu vertiefen, sie sind Nebensache und wären über- flüssig, wenn das Ganze nicht als Roman in die Welt ginge, der die Vermuthung leichtsinnigen Spiels mit den Thatsachen wider sich zu haben pflegt. Den Vorwürfen der Kritik wird mit Gemüthsruhe entgegen- gesehen. „Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert?“ wer- den sie rufen, „wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ Und steht's nicht im neusten Handbuch der Nationalliteratur, im Capitel vom vaterländischen Roman gedruckt zu lesen: „Fragen wir, welche Zeiten vorzugsweise geeignet sein dürften, in der deutschen Geschichte das Locale mit dem Nationalinteresse zu versöhnen, so werden wir wohl zunächst das eigentliche Mittel- alter ausschließen müssen. Selbst die Hohenstaufenzeit läßt sich nur noch lyrisch anwenden, ihre Zeichnung fällt immer düssel- dorfisch aus.“ Auf all die Einwände und Bedenken derer, die ein scharfes Benagen harmlosem Genießen vorziehen und den deutschen Geist mit vollen Segeln in ein alexandrinisches oder byzantinisches Zeitalter hineinzurudern sich abmühen, hat bereits eine literarische Dame des zehnten Jahrhunderts, die ehrwürdige Nonne Hroswitha von Gandersheim im fröhlichen Selbstgefühl eigenen Schaffens die richtige Antwort gegeben. Sie sagt in der Vorrede zu ihren an- muthigen Komödien: Si enim alicui placet mea devotio, gaudebo. Si autem pro mei abiectione vel pro viciosi sermonis rusticitate nulli placet: memet ipsam tamen juvat quod feci . Zu deutsch: „Wofern nun jemand an mei- ner bescheidenen Arbeit Wohlgefallen findet, so wird mir dies sehr angenehm sein; sollte sie aber wegen der Verleugnung mei- ner selbst oder der Rauheit eines unvollkommenen Styls nie- manden gefallen, so hab' ich doch selber meine Freude an dem was ich geschaffen!“ Heidelberg , im Februar 1855. Erstes Kapitel . Hadwig, Herzogin von Schwaben. E s war vor beinahe tausend Jahren. Die Welt wußte weder von Pulver noch von Buchdruckerkunst. Ueber dem Hegau lag ein trüber bleischwerer Himmel, doch war von der Finsterniß, die bekanntlich über dem ganzen Mittelalter lastete, im Einzelnen Nichts wahrzunehmen. Vom Bodensee her wogten die Nebel über's Ries und verdeckten Land und Leute. Auch der Thurm vom jungen Gotteshaus Radolf's-Zelle war eingehüllt, aber das Früh- glöcklein war lustig durch Dunst und Dampf erklungen, wie das Wort eines verständigen Mannes durch verfinsternden Nebel der Thoren. Es ist ein schönes Stück deutscher Erde, was dort zwischen Schwarz- wald und schwäbischem Meer sich aufthut. Wer's mit einem falschen Gleichniß nicht allzu genau nimmt, mag sich der Worte des Dichters erinnern: Das Land der Alemannen mit seiner Berge Schnee, Mit seinem blauen Auge, dem klaren Bodensee; Mit seinen gelben Haaren, dem Aehrenschmuck der Auen, Recht wie ein deutsches Antlitz ist solches Land zu schauen. — wiewohl die Fortführung dieses Bildes Veranlassung werden könnte, die Hegauer Berge als die Nasen in diesem Antlitz zu preisen. Düster ragte die Kuppe des hohen Twiel mit ihren Klingstein- zacken in die Lüfte. Als Denksteine stürmischer Vorgeschichte unsrer alten Mutter Erde stehen jene schroffen malerischen Bergkegel in der Niederung, die einst gleich dem jetzigen Becken des Sees von wogen- D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 1 der Fluth überströmt war. Für Fische und Wassermöven mag's ein denkwürdiger Tag gewesen sein, da es in den Tiefen brauste und zischte, und die basaltischen Massen glühend durch der Erdrinde Spal- ten sich ihren Weg über die Wasserspiegel bahnten. Aber das ist schon lange her. Es ist Gras gewachsen über die Leiden derer, die bei jener Umwälzung mitleidlos vernichtet wurden; nur die Berge stehen noch immer, ohne Zusammenhang mit ihren Nachbarn, einsam und trotzig wie Alle, die mit feurigem Kern im Herzen die Schranken des Vor- handenen durchbrechen, und ihr Gestein klingt, als säße noch ein Ge- dächtniß an die fröhliche Jugendzeit drin, da sie zuerst der Pracht der Schöpfung entgegen gejubelt. Zur Zeit, da unsere Geschichte anhebt, trug der hohe Twiel schon Thurm und Mauern, eine feste Burg. Dort hatte Herr Burkhard gehaust, der Herzog in Schwaben. Er war ein fester Degen gewesen und hatte manchen Kriegszug gethan; die Feinde des Kaisers waren auch die seinen, und damit gab es immer Arbeit: wenn's in Welsch- land ruhig war, fingen oben die Normänner an, und wenn die ge- worfen waren, kam etwann der Ungar geritten, oder es war einmal ein Bischof übermüthig oder ein Grafe widerspänstig; — so war Herr Burkhard zeitlebens mehr im Sattel als im Lehnstuhl gesessen. Dem- gemäß ist erklärlich, daß er sich keinen sanften Leumund geschaffen. In Schwaben sprachen sie, er habe die Herrschaft geführt, so zu sagen als ein Zwingherr, und im fernen Sachsen schrieben die Mönche in ihre Chroniken, er sei ein kaum zu ertragender Kriegsmann ge- wesen. Bevor Herr Burkhard zu seinen Vätern versammelt ward, hatte er sich noch ein Ehgemahl erlesen. Das war die junge Frau Had- wig, Tochter des Herzogs in Baiern. Aber in das Abendroth eines Lebens, das zur Neige geht, mag der Morgenstern nicht freudig schei- nen. Das hat seinen natürlichen Grund. Darum hatte Frau Had- wig den alten Herzog in Schwaben genommen, ihrem Vater zu Ge- fallen, hatte ihn auch gehegt und gepflegt, wie es einem grauen Haupt zukam, aber wie der Alte zu sterben ging, hat ihr der Kummer das Herz nicht gebrochen. Da begrub sie ihn in der Gruft seiner Väter, und ließ ihm von grauem Sandstein ein Grabmal setzen, und stiftete eine ewige Lampe über das Grab; kam auch noch etliche Male zum Beten herunter, aber nicht allzuoft. Dann saß Frau Hadwig allein auf der Burg Hohentwiel; es waren ihr die Erbgüter des Hauses und mannigfalt Befugniß, im Land zu schalten und walten verblieben, sowie die Schutzvoigtei über das Hoch- stift Constanz und die Klöster um den See, und hatte ihr der Kaiser gebrieft und gesiegelt zugesagt, daß sie als Reichsverweserin in Schwa- ben gebieten solle, so lang der Wittwenstuhl unverrückt bleibe. Die junge Wittib war von adeligem Gemüth und nicht gewöhnlicher Schönheit. Aber die Nase brach unvermerkt kurz und stumpflich im Antlitz ab, und der holdselige Mund war ein weniges aufgeworfen, und das Kinn sprang mit kühner Form vor, also, daß das anmuthige Grüblein, so den Frauen so minnig ansteht, bei ihr nicht zu finden war. Und wessen Antlitz also geschaffen, der trägt bei scharfem Geist ein rauhes Herz im Busen und sein Wesen neigt zur Strenge. Darum flößte auch die Herzogin Manchem ihres Landes trotz der lichten Röthe ihrer Wangen einen sonderbaren Schreck ein. An jenem nebligen Tag stand Frau Hadwig im Closet ihrer Burg und schaute in die Ferne hinaus. Sie trug ein stahlgrau Unterkleid, das in leichten Wellen über die gestickten Sandalen wallte, drüber schmiegte sich eine bis zum Knie reichende schwarze Tunica; im Gür- tel, der die Hüften umschloß, glänzte ein kostbarer Beryll. Ein gold- fadengestricktes Netz hielt das kastanienbraune Haar umfangen, doch unverwehrt umspielten sorgsam gewundene Locken die lichte Stirn. Auf dem Marmortischlein am Fenster stund ein phantastisch ge- formtes dunkelgrün gebeiztes Metallgefäß, drin brannte ein fremdlän- disch Räucherwerk, und wirbelte seine duftig weißen Wölklein zur Decke des Gemachs. Die Wände waren mit buntfarbigen gewirkten Tep- pichen umhangen. Es gibt Tage, wo der Mensch mit Jeglichem unzufrieden ist, und wenn er in Mittelpunkt des Paradiesgartens gesetzt würde, es wär' ihm auch nicht recht. Da fliegen die Gedanken mißmuthig von dem zu jenem, und wissen nicht wo sie anhalten sollen, — aus jedem Winkel grinst ein Fratzengesicht herfür, und wenn Einer ein fein Gehör hat, so mag er auch der Kobolde Gelächter vernehmen. Man sagt dort- lands, der schiefe Verlauf solcher Tage rühre gewöhnlich davon her, 1* daß man frühmorgens mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett ge- sprungen sei, was bestimmtem Naturgesetz zuwider. Die Herzogin hatte heut ihren Tag. Sie wollte zum Fenster hinausschauen, da blies ihr ein feiner Luftzug den Nebel in's An- gesicht; das war ihr nicht recht. Sie hub einen zürnenden Husten an. Wenn Sonnenschein weit über's Land geglänzt hätte, sie würde auch an ihm Etwas ausgesetzt haben. Der Kämmerer Spazzo war eingetreten und stand ehrerbietig am Eingang. Er warf einen wohlgefälligen Blick auf seine Gewandung, als wär' er sicher, seiner Gebieterin Augen heut auf sich zu lenken, denn er hatte ein gestickt Hemde von Glanzleinwand angelegt, und ein saphirfarbiges Oberkleid mit purpurnen Säumen, Alles nach neustem Schnitt; erst gestern war des Bischofs Schneider von Constanz damit herübergekommen. Der Wolfshund dessen von Fridingen hatte zwei Lämmer der Burgheerde zerrissen, da gedachte Herr Spazzo pünktlichen Vortrag zu erstatten und Frau Hadwig's fürstliches Gutachten einzuholen, ob er in friedlichem Austrag sich mit dem Herrn des Schädigers vergleichen, oder am nächsten Gaugericht Wehrgeld und Buße einklagen solle. Er hub seinen Spruch an. Aber eh' und bevor er zu Ende gekommen, sah er, daß ihm die Fürstin ein Zeichen machte, dessen Bedeutung einem verständigen Mann nicht fremd bleiben konnte. Sie fuhr mit dem Zeigefinger der Rechten erst nach der Stirn, dann wies sie mit gleichem Finger nach der Thür. Da merkte der Käm- merer, daß es seinem eigenen Witz anheimgestellt sei, nicht nur den Bescheid wegen der Lämmer zu finden, sondern auch sich mit mög- lichster Beschleunigung zu entfernen. Er verbeugte sich und ging. Mit heller Stimme rief Frau Hadwig jetzt: Praxedis! — Und wie's nicht alsogleich die Stufen zum Saal heraufhuschte, rief sie noch einmal schärfer: Praxedis! Es dauerte nicht lange, so schwebte die Gerufene in's Closet herein. Praxedis war der Herzogin in Schwaben Kammerfrau, von grie- chischer Nation, ein lebend Angedenken, daß einst des byzantiner Kaisers Basilius Sohn um Hadwig's Hand geworben. Der hatte das des Gesangs und weiblicher Kunstfertigkeit erfahrene Kind sammt vielen Kleinodien und Schätzen der deutschen Herzogstochter geschenkt und als Gegengabe einen Korb erbeutet. Man konnte damals Menschen ver- schenken, auch kaufen. Freiheit war nicht Jedem zu eigen. Aber eine Unfreiheit, wie sie das Griechenkind auf der schwäbischen Herzogsburg zu tragen hatte, war nicht drückend. Praxedis war ein blasses feingezeichnetes Köpfchen, aus dem zwei große dunkle Augen unsäglich wehmüthig und lustig zugleich in die Welt vorschauten. Das Haar trug sie in Flechten um die Stirn ge- schlungen; sie war schön. Praxedis, wo ist der Staar? sprach Frau Hadwig. Ich werd' ihn bringen, sagte die Griechin. Und sie ging und brachte den schwarzen Gesellen, der saß breit und frech in seinem Käfig, als wenn sein Dasein im Weltganzen eine klaffende Lücke aus- zufüllen hätte. Der Staar hatte bei Hadwig's Hochzeit sein Glück gemacht. Ein alter Fiedelmann und Gaukler hatte ihm unter lang- wieriger Mühsal einen lateinischen Hochzeitgruß eingetrichtert; das gab einen großen Jubel, wie beim Festschmaus der Käfig auf den Tisch gestellt ward und der Vogel seinen Spruch sprach: Es ist ein neuer Stern am Schwabenhimmel aufgegangen, der Stern heißt Hadwig, Heil ihm! und so weiters. Der Staar war aber tiefer gebildet. Er konnte außer dem ge- reimten Klingklang auch das Vaterunser hersagen. Der Staar war auch hartnäckig und konnte seine Grillen haben, so gut wie eine Her- zogin in Schwaben. Heute mußte dieser eine Erinnerung an alte Zeit durch den Sinn geflogen sein, der Staar sollte den Hochzeitspruch sagen. Der Staar aber hatte seinen frommen Tag. Und wie ihn Praxedis in's Gemach trug, rief er feierlich: Amen! und wie Frau Hadwig ihm ein Stück Honigkuchen in Käfig reichte und schmeichelnd fragte: Wie war's mit dem Stern am schwäbischen Himmel, Freund Staar? da sprach er langsam: Führe uns nicht in Versuchung! Wie sie aber zu Ergän- zung seines Gedächtnisses ihm zuflüsterte: der Stern heißt Hadwig, Heil ihm! — da fuhr der Staar in seiner Melodie fort und into- nirte würdig: Erlöse uns von dem Uebel! Fürwahr das fehlt noch, daß auch die Vögel heutigen Tages unverschämt werden, rief Frau Hadwig, Burgkatze, wo steckst du? und sie lockte die schwarze Katze herbei, der war der Staar schon lang ein Dorn im Auge, mit funkelnden Augen kam sie ge- schlichen. Frau Hadwig erschloß den Käfig und überantwortete ihr den Vo- gel, der Staar aber, dem schon die scharfen Krallen das Gefieder zausten und etliche Schwungfedern geknickt hatten, ersah noch ein Gelegenheitlein und entwischte durch einen Spalt am Fenster. Bald war er verschwunden, ein schwarzer Punkt im Nebel. Eigentlich, sprach Frau Hadwig, hätt' ich ihn auch im Käfig be- halten können. Praxedis, was meinst du? Meine Herrin hat bei Allem Recht was sie thut, erwiederte diese. Praxedis, fuhr Frau Hadwig fort, hol mir meinen Schmuck. Mich gelustet, eine goldene Armspange anzulegen. Da ging Praxedis, die immerwillige, und brachte der Herzogin Schmuckkästchen. Das war von getriebenem Silber, mit starken un- fertigen Strichen waren etliche Gestalten darin angebracht in erhabener Arbeit, der Heiland als guter Hirt, und Petrus mit dem Schlüssel, und Paulus mit dem Schwert, sammt allerhand Blattwerk und reich verschlungener Zierrath, als wenn es früher zu Aufbewahrung von Reliquien gedient hätte. Es war durch Herrn Burkhard eingebracht worden, doch sprach er nie gern davon, denn er kam zu selber Zeit von einer Fehde heimgeritten, darin er einen burgundischen Bischof schwer überrannt und niedergeworfen hatte. Wie die Herzogin das Kästchen aufschlug, gleißten und glänzten die Kleinodien mannigfalt auf dem rothen Sammtfutter. Bei solchen Denkzeichen der Erinnerung kommen allerhand alte Geschichten heran- geschwirrt. Auch das Bildniß des griechischen Prinzen Constantin lag dort, zierlich, geleckt und sonder Geist vom byzantiner Meister auf Goldgrund gemalt. Praxedis, sprach Frau Hadwig, wie wär's geworden, wenn ich deinem spitznasigen, gelbwangigen Prinzen die Hand gereicht hätte? Meine Herrin, war Praxedis Antwort, es wäre sicher gut geworden. Ei, fuhr Frau Hadwig fort, erzähl' mir Etwas von deiner lang- weiligen Heimath, ich möchte mir gern vorstellen, was ich für einen Einzug in Constantinopolis gehalten hätte. O Fürstin, sprach Praxedis, meine Heimath ist schön — weh- müthig ließ sie ihr dunkles Aug' in die neblige Ferne gleiten — und solch trüber Himmel wenigstens wär' Euch am Ufer des Marmor- meers für immer erspart. Auch Ihr hättet den Schrei des Staunens nicht unterdrückt, wenn wir auf stolzer Galeere daher gefahren wären: an den sieben Thürmen vorbei, da heben sich zuerst die glänzenden Massen, Paläste, Kuppeln, Gotteshäuser, Alles im blendend weißen Marmor aus den Brüchen der Insel Prokonnesos, groß und stolz steigt die Lilie des Meeres aus dem blauen Grund auf, dort ein dunkler Wald von Cypressen, hier die riesige Wölbung der hagia Sophia, auf und ab das weite Vorgebirg des goldenen Horns; gen- über am asiatischen Gestade grüßt eine zweite Stadt, und als blau- goldener Gürtel schlingt sich das schiffbelastete Meer um den Zauber — o Herrin, auch im Traum vermag ich hier im schwäbischen Land den Glanz jenes Anblicks nicht wieder zu schauen. Und dann, wenn die Sonne niedergestiegen und über flimmernden Meereswellen die schnelle Nacht aufgeht, der Königsbraut zu Ehren Alles im blaufahlen Glanz griechischen Feuers, — jetzt fahren wir in Hafen ein, die große Kette, die ihn sonst absperrt, löst sich dem Brautschiff, Fackeln sprühen am Ufer, dort steht des Kaisers Leibwache, die Wa- räger mit ihren zweischneidigen Streitäxten, und die blauäugigen Nor- männer, dort der Patriarch mit zahllosen Priestern, überall Musik und Jubelruf, und der Königssohn im Schmucke der Jugend empfängt die Verlobte, nach dem Palast von Blacharnae wallt der Festzug ... Und all diese Herrlichkeit habe ich versäumt, spottete Frau Had- wig. Praxedis, dein Bild ist nicht vollständig. Und schon des andern Tages kommt der Patriarch und ertheilt der abendländischen Christin einen scharfen Glaubensunterricht, was von all den Ketzereien zu hal- ten, die auf eurem verstandesdürren Erdreich aufsprießen wie Stech- apfel und Bilsenkraut, — und was von den Bildern der Mönche und dem Concilschluß zu Chalcedon und Nicaea; dann kommt die Großhof- meisterin und lehrt die Gesetze der Sitte und Bewegung: so die Stirn gefaltet und so die Schleppe getragen, diesen Fußfall vor dem Kaiser und jene Umarmung der Frau Schwiegermutter, und diese Höflichkeit gegen jenen Günstling, und jene gigantische Redensart gegen dieses Unthier: Eure Gravität, Eure Eminenz, Eure erhabene und wunder- bare Größe! — was am Menschen Lebenslust und Kraft heißt, wird abgetödtet, und der Herr Gemahl gibt sich auch als gefirnißtes Püpp- chen zu erkennen, eines Tages steht der Feind vor den Thoren, oder der Thronfolger ist den Blauen und Grünen des Circus nicht genehm, der Aufstand tobt durch die Straßen, und die deutsche Herzogstochter wird geblendet in's Kloster gesteckt ... Was frommt's ihr dann, daß ihre Kinder schon in der Wiege mit dem Titel Alleredelster be- grüßt wurden? Praxedis, ich weiß warum ich nicht nach Constanti- nopolis ging. Der Kaiser ist der Herr der Welt, sprach die Griechin; was der Wille seiner Ewigkeit ordnet, ist wohlgethan: so hat man mich ge- lehrt. Hast du auch schon drüber nachgedacht, daß es dem Menschen ein kostbar Gut ist, sein eigner Herr zu sein? Nein, sprach Praxedis. Das angeregte Gespräch behagte der Herzogin. Was hat denn, fuhr sie fort, Euer byzantiner Maler für einen Bescheid heimgebracht, da er mein Conterfei fertigen sollte? Die Griechin schien die Frage überhört zu haben. Sie hatte sich erhoben und stand am Fenster. Praxedis, sprach Frau Hadwig scharf, antworte! Da lächelte die Gefragte mild und sagte: Das ist schon eine lange Zeit her, aber Herr Michael Thallelaios hat wenig Gutes von Euch gesprochen. Die schönsten Farben habe er bereit gehalten, so erzählt' er uns; und die feinsten Goldblättchen, Ihr seied ein reizend Kind gewesen, wie man Euch zum Gemaltwerden vor ihn führte, und es hab' ihn feierlich angemuthet, als sollt er seine ganze Kunst zusammen- nehmen, wie damals als er die Mutter Gottes für's Athoskloster malte. Aber die Prinzessin Hadwig hätten geruht, die Augen zu ver- drehen, und wie er eine bescheidene Einwendung erhoben, hätten Eure Gnaden die Zunge gewiesen und beide Hände mit gestreckten Fingern an die Nase gehalten, und in anmuthig gebrochenem Griechisch gesagt, das sei die rechte Stellung. Der Herr Hofmaler nahm Veranlassung, Vieles über den Mangel an Bildung in deutschen Landen dran zu knüpfen, und hat einen hohen Schwur gethan, daß er zeitlebens dort kein Fräulein mehr malen wolle. Und der Kaiser Basilius hat auf den Bericht hin grimmig in Bart gebrummt ... Laß Seine Majestät brummen, sprach die Herzogin. Und flehe zum Himmel, daß er jeder Andern die Geduld verleihen möge, die mir da- mals ausging. Ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, einen Affen zu sehen, aber Allem zufolge, was glaubwürdige Männer erzählen, reicht Herrn Michael's Ahnentafel zu jenen Mitgliedern der Schöpfung hinauf. Sie hatte inzwischen die Armspange angelegt, es waren zwei in- einander verstrickte Schlangen, die sich küßen, jede trug ein Krönlein auf dem Haupt. Da ihr unter dem vielen Geschmucke jetzt ein schwerer silberner Pfeil unter die Hände gerathen war, so mußte auch er seinen Aufenthalt im Gefängniß des Schreins mit anderem Platze vertauschen. Er ward durch die Maschen des goldfadigen Haarnetzes gezogen. Als wolle sie des Schmuckes Wirkung prüfen, ging Frau Hadwig mit großen Schritten durch's Gemach. Ihr Gang war herausfordernd. Aber der Saal war leer; selbst die Burgkatze war von dannen ge- schlichen. Spiegel waren keine an den Wänden. Der Zustand wohn- licher Einrichtung überhaupt ließ damals Manches zu wünschen übrig. Praxedis Gedanken waren noch bei der vorigen Geschichte. Gnä- dige Gebieterin, sprach sie, er hat mich doch gedauert. Wer? Der Kaisers Sohn. Ihr seid ihm im Traum erschienen, sagte er, und all sein Glück hab' er von Euch erhofft. Er hat auch geweint ... Laß die Todten ruhen, sprach Frau Hadwig ärgerlich. Nimm lieber die Laute und sing mir das griechische Liedlein: Constantin, du armer Knabe, Constantin, und laß das Weinen! Sie ist zersprungen, war die Antwort, und alle Saiten zu Grund gerichtet, seit die Frau Herzogin geruhten, sie ... Sie dem Graf Boso von Burgund an Kopf zu werfen, ergänzte Hadwig. Dem ist nicht zu viel geschehen, 's war gar nicht nothwen- dig, daß er uneingeladen zur Leichenfeier Herrn Burkhard's kam und mir Trost zusprechen wollte, als war' er ein Heiliger. Laß die Laute flicken. Sag' mir indeß, du griechische Goldblume, warum hab' ich heut den festlichen Schmuck angelegt? Gott ist allwissend, sprach die Griechin, ich weiß es nicht. Sie schwieg. Frau Hadwig schwieg auch. Da trat eine jener schwülen inhaltsvollen Pausen ein, wie sie der Selbsterkenntniß vorangehen. Endlich sprach die Herzogin: Ich weiß es auch nicht! Sie schlug mißmuthig die Augen nieder: Ich glaube es geschah aus langer Weile. Der Gipfel unseres Hohentwiel ist aber auch ein gar zu betrübtes Nest — zumal für eine Wittib. Praxedis, weißt du ein Mittel gegen die lange Weile? Ich hab' einmal von einem weisen Prediger gehört, sprach Praxe- dis, es gäb' mannigfalte Mittel dawider: Schlafen, Trinken, Reisen — das beste sei Fasten und Beten. Da stützte Frau Hadwig ihr Haupt auf die lilienweiße Hand, sah die dienstbereite Griechin scharf an und sprach: Morgen reisen wir! Zweites Kapitel . Die Jünger des heiligen Gallus. Des andern Tages fuhr die Herzogin sammt Praxedis und großer Gefolgschaft im lichten Schein des Frühmorgens über den Bodensee. Der See war prächtig blau, die Wimpel flaggten lustig, und war viel Kurzweil auf dem Schiff. Wer sollt' auch traurig sein, wenn er über die krystallklare Wasserfläche dahin schwebt, die baumumsäumten Gestade mit Mauern und Thürmen ziehen in buntem Wechsel an ihm vorbei, fern dämmern die schneeigen Firnen und der Widerschein des weißen Segels verzittert im Spiele der Wellen? Keines wußte, wo das Ziel der Fahrt. Sie waren's aber so gewohnt. Wie sie an der Bucht von Rorschach anfuhren, hieß die Her- zogin einlenken. Zum Ufer steuerte das Schiff, über's schwanke Brett stieg sie an's Land. Und der Wasserzoller kam herbei, der dort den Welschlandfahrern das Durchgangsgeld abnahm, und der Weibel des Markts und Wer immer am jungen Hafenplatz seßhaft war, sie riefen der Landesherrin ein rauhes: Heil Herro! Heil Liebo! zu und schwangen mächtige Tannenzweige. Grüßend schritt sie durch die Reihen und gebot ihrem Kämmerer, etliche Silbermünzen auszuwerfen, aber es galt kein langes Verweilen. Schon standen die Rosse bereit, die waren zur Nachtzeit insgeheim vorausgeschickt worden; wie Alle im Sattel saßen, sprach Frau Hadwig: Zum heiligen Gallus! Da schau- ten sich die Dienstleute verwundert an: Was soll uns die Wallfahrt? Zum Antworten war's nicht Zeit, schon ging's im Trab das hügelige Stück Landes hinauf, dem Gotteshaus entgegen. Sanct Benedict und seine Schüler haben die bauliche Anlage ihrer Klöster wohl verstanden. Land ab, Land auf, so irgendwo eine An- siedelung steht, die gleich einer Festung einen ganzen Strich beherrscht, als Schlüssel zu einem Thal, als Mittelpunkt sich kreuzender Heer- straßen, als Hort des feinsten Weinwuchses: so mag der Vorüberwan- dernde bis auf weitere Widerlegung die Vermuthung aussprechen, daß sothanes Gotteshaus dem Orden Benedicti zugehöre oder vielmehr zu- gehört habe, denn heutigen Tages sind die Klöster seltener und die Wirthshäuser häufiger, was mit steigender Bildung zusammenhängt. Auch der irische Gallus hatte einen löblichen Platz erwählt, da er, nach Waldluft gierig, in helvetischer Einöde sich festsetzte; ein hoch- gelegenes Thal, durch dunkle Bergrücken von den milderen Gestaden des See's gesondert, steinige Waldbäche brausen vorüber, und die riesigen Wände des Alpsteins, dessen Spitzen mit ewigem Schnee um- hüllt im Gewölke verschwinden, erheben sich als schirmende Mauer zur Seite. Es war ein sonderbarer Zug, der jene Glaubensboten von Albion und Erin auf's germanische Festland führte. Genau besehen ist's ihnen kaum zu allzu hohem Verdienst anzurechnen. „Die Gewohnheit in die Fremde zu ziehen, ist den Briten so in die Natur gewachsen, daß sie nicht anders können“; schrieb schon in Karl des Großen Tagen ein unbefangener schwäbischer Mann. Sie kamen, als Vorfahren der heutigen Touristen, man kannte sie schon von Weitem am fremdartig zugeschnittenen Felleisen. Und ein Mancher blieb haften und ging nimmer heim, wiewohl die ehrsamen Landesbewohner ihn für sehr un- nöthig halten mochten. Aber die größere Zähigkeit, das Erbtheil bri- tischen Wesens, lebensgewandte Kunst sich einzurichten und beim Volk die mystische Ehrfurcht vor dem Fremden gab ihren Strebungen im Dienst der Kirche Bestand. Andere Zeiten, andere Lieder! Heute bauen die Enkel jener Hei- ligen den Schweizern für gutes eidgenössisches Geld die Eisenbahn. Aus der schmucklosen Zelle an der Steinach, wo der irische Ein- siedel seine Abenteuer mit Dornen, Bären und gespenstigen Wasser- weibern bestand, war ein umfangreich Kloster emporgewachsen. Statt- lich ragte der achteckige Thurm der Kirche aus den schindelgedeckten Dächern der Wohngebäude, Schulhäuser, Kornspeicher, Kellerei und Scheunen waren daran gebaut, auch ein klappernd Mühlrad ließ sich hören, denn aller Bedarf zum Lebensunterhalt muß in des Klosters nächster Nähe bereitet werden, auf daß es den Mönchen nicht noth- wendig falle, in die Ferne zu schweifen, was ihrem Seelenheil un- diensam. Eine feste Ringmauer mit Thurm und Thor umschloß das Ganze, minder des Zierraths, als der Sicherheit halber, maßen man- cher Gewaltige im Land das Gebot: laß dich nicht gelüsten deines Nachbars Gut! dazumal nicht allzustrenge einhielt. Es war Mittagszeit vorüber, schweigende Ruhe lag über dem Thal. Des heiligen Benedict Regel ordnet für diese Stunde, daß ein Jeder sich still auf seinem Lager halte, und wiewohl von der gliederlösen- den Gluth italischer Mittagssonne, die Menschen und Thier in des Schlummers Arme treibt, diesseits der Alpen wenig zu verspüren, folgten sie im Kloster doch pflichtgemäß dem Gebot. Nur der Wächter auf dem Thorthurm stand, wie immer, treulich und aufrecht im mückendurchsummten Stüblein. Der Wächter hieß Romeias und hielt gute Wacht. Da hörte er durch den nahen Tannwald ein Roßgetrabe; er spitzte sein Ohr nach der Richtung. Acht oder zehn Berittene! sprach er nach prüfendem Lauschen; er ließ das Fallgatter vom Thor herniederrasseln, zog das Brücklein was über den Wassergraben führte auf, und langte sein Horn vom Nagel. Und weil sich einiges Spinnweb drin festgesetzt hatte, reinigte er dasselbe. Jetzt kamen die Vordersten des Zuges am Waldessaum zum Vorschein. Da fuhr Romeias mit der Rechten über die Stirn, und that einen sonderbarlichen Blick hinunter. Das Endergebniß seines Blicks war eine Wort: Weibervölker!? — er sprach's halb fragend, halb als Ausruf, und lag weder Freudigkeit noch Auferbauung in seinem Worte. Er griff sein Horn und blies dreimal hinein. Es war ein ungefüger stiermäßiger Ton, den er hervor lockte, und war dem Horn- blasen deutlich zu entnehmen, daß weder Musen noch Grazien die Wiege des Romeias zu Villingen im Schwarzwald umstanden hatten. Wenn Einer im Wald sich umgeschaut hat, so hat er sicher schon das Getrieb eines Ameisenhaufens angesehen. Da ist Alles wohlge- ordnet und geht seinen gemeinsamen Gang und freut sich der Ruhe in der Bewegung: itzt fährst du mit deinem Stab darein und scheu- chest die Vordersten: da bricht Verwirrung aus, Rennen und wim- melnder Zusammenlauf — Alles hat der eine Stoß verstört. Also und nicht anders fuhr der Stoß aus Romeias Horn aufjagend in's stille Kloster. Da füllten sich die Fenster am Saal der Klosterschulen mit neu- gierigen jungen Gesichtern, manch lieblicher Traum in einsamer Zelle entschwebte, ohne seinen Schluß zu finden, manch tiefsinnige Medita- tion halbwachender Denker desgleichen; der böse Sindolt, der in dieser Stunde auf seinem Schragen des Ovidius verboten Büchlein von der Kunst zu lieben zu ergründen pflegte, rollte eiligst die pergamentnen Blätter zusammen und barg sie im schützenden Versteck seines Stroh- sacks. Der Abt Cralo sprang aus seinem Lehnstuhl und reckte seine Arme der Decke des Gemachs entgegen, ein schlaftrunkener Mann; auf schwerem Steintisch stund ein prachtvoll silbern Wasserbecken, darein tauchte er den Zeigefinger und netzte die Augen, des Schlummers Rest zu vertreiben. Dann hinkte er zum offenen Söller seines Erkers und schaute hinab. Und er ward betrüblich überrascht, als wär' ihm eine Wallnuß auf's Haupt gefallen: heiliger Benedict, sei mir gnädig, meine Base, die Herzogin! Sofort schürzte er seine Kutte, strich den schmalen Büschel Haare zurecht, der ihm inmitten des kahlen Scheitels noch stattlich empor- wuchs gleich einer Fichte im öden Sandfeld; hing das güldene Kettlein mit dem Klostersigill um, nahm seinen Abtsstab von Apfel- baumholz, d'ran der reichverzierte Elfenbeingriff erglänzte, und stieg in Hof hernieder. Wird's bald? rief einer der Berittenen draußen. Da gebot er dem Wächter, daß er die Angekommenen nach ihrem Begehr frage. Romeias that's. Jetzt ward draußen in's Horn gestoßen, der Kämmerer Spazzo ritt als Herold an's Thor und rief mit tiefer Stimme: Die Herzogin und Verweserin des Reichs in Schwabenland entbeut dem heiligen Gallus ihren Gruß. Schaffet Einlaß! Der Abt seufzte leise auf. Er stieg auf Romeias Warte; an seinen Stab gelehnt gab er denen vor dem Thor den Segen und sprach: Im Namen des heiligen Gallus dankt der Unwürdigste seiner Jünger für den erlauchten Gruß. Aber sein Kloster ist keine Arche, drin jegliche Gattung von Lebendigem, Reines und Unreines, Männ- lein und Weiblein Eingang findet. Darum — ob auch das Herz von Betrübniß erfüllt wird, ist Einlaß schaffen ein unmöglich Ding. Der Abt muß am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen über die seiner Hut vertrauten Seelen. Die Nähe einer Frau, und wär' sie auch die erlauchteste im Lande, und der hinfällige Scherz der Kinder dieser Welt wär' allzu große Versuchung für die, so zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten müssen. Beschweret das Ge- wissen des Hirten nicht, der um seine Lämmer Sorge trägt. Cano- nische Satzung sperrt das Thor. Die gnädige Herzogin wird in Trogen oder Rorschach des Klosters Villa zu ihrer Verfügung finden ... Frau Hadwig saß schon lange ungeduldig im Sattel; jetzt schlug sie mit der Reitgerte ihren weißen Zelter, daß er sich mäßig bäumte, und rief lachenden Mundes: Spart die Umschweife, Vetter Cralo, ich will das Kloster sehen! Wehmüthig hub der Abt an: Wehe dem, durch welchen Aergerniß in die Welt kommt. Ihm wäre heilsamer, daß an seinem Hals ein Mühlstein ... Aber seine Warnung kam nicht zu Ende. Frau Hadwig änderte den Ton ihrer Stimme: Herr Abt, die Herzogin in Schwaben muß das Kloster sehen! sprach sie scharf. Da ward es dem Schwergeprüften klar, daß weiterer Widerspruch kaum möglich ohne große Gefahr für des Gotteshauses Zukunft. Noch sträubte sich sein Gewissen. Wenn Einer in zweifelhafter Lage aus sich selber keine Auskunft zu schöpfen weiß, ist's dem schwanken Gemüth wohlthätig, Andere zu gutem Rath beizuziehen, das nimmt die Verantwortung und deckt den Rücken. Darum rief Herr Cralo jetzt hinunter: Da Ihr hartnäckig darauf besteht, muß ich's der Rathsversammlung der Brüder vortragen. Bis dahin geduldet Euch! Er schritt zurück über den Hof, im Herzen den stillen Wunsch, daß eine Sündfluth vom Himmel die Heerstraße zerstören möge, die so leichtlich unberufenen Besuch herbeiführe. Sein hinkender Gang war eilig und aufgeregt, und es ist nicht zu verwundern, daß berichtet wird, er sei in selber Zeit in dem Klostergang auf- und abgeflattert wie ein Schwälblein vor dem Gewitter. Fünfmal erklang jetzt das Glöcklein von des heiligen Othmar Kapelle neben der Hauptkirche, und rief die Brüder zum Kapitelsaal. Und der einsame Kreuzgang belebte sich mit einherwandelnden Gestal- ten; genüber vom sechseckigen Ausbau, wo unter säulengetragenen Rundbogen der Springquell anmuthig in die metallene Schaale nie- derplätscherte, war der Ort der Versammlung, eine einfache graue Halle; auf erhöhtem Ziegelsteinboden hob sich des Abts Marmorstuhl, dran zwei rohe Löwenköpfe ausgehauen, Stufen führten hinauf. Ver- gnüglich streift das Auge von dort an den dunkeln Pfeilern und Säu- len vorüber in's Grün des Gärtleins im innern Hofe; Rosen und Malven blühten drin empor; die Natur sucht gütig auch die heim, die sich ihr abgekehrt. In scharfem Gegensatz der Farbe hoben sich die weißen Kutten und dunkelfarbigen Oberkleider vom Steingrau der Wände; lautlos traten die Berufenen ein, flüchtig Nicken des Hauptes war der gegen- seitige Gruß; wärmender Sonnenstrahl fiel durch's schmale Fenster auf ihre Reihen. Es waren erprobte Männer, ein heiliger und Gott wohlgefälliger Senat. Der mit dem schmächtigen Körper und dem scharfen von Fasten und Nachtwachen geblaßten Antlitz, war Notker der Stammler; ein wehmüthig Zucken spielte um seine Lippen, lange Uebung der Askesis hatte seinen Geist der Gegenwart entrückt. Früher hatt' er gar schöne Singweisen erdacht, jetzt war er verdüstert und ging in der Stille der Nacht den Dämonen nach, mit ihnen zu kämpfen; in der Krypta des heiligen Gallus hatte er jüngst den Teufel erreicht und so darnieder- geschlagen, daß er mit lautem Auwehschrei in einen Winkel sich barg; und seine Neider sagten, auch sein schwermüthiges Lied media vita sei unheimlichen Ursprungs und vom bösen Feind geoffenbart als Löse- geld, da er ihn in seiner Zelle siegreich zusammengetreten unter star- kem Fuße festhielt. Aber neben ihm lächelte ein gutmüthig ehrenfest Gesicht aus eis- grauem Bart herfür; der starke Tutilo war's, der saß am liebsten vor der Schnitzbank und schnitzte die wunderfeinen Bildwerke in Elfen- bein, noch gibt das Diptychon mit Maria's Himmelfahrt und dem Bären des heiligen Gallus Zeugniß von seiner Kunst. Aber wenn ihm der Rücken sich krümmen wollte von der Arbeit Last, zog er sin- gend hinab auf die Wolfsjagd oder suchte einen ehrlichen Faustkampf zur Erholung, er focht lieber mit bösen Menschen als mit nächtlichem Spuck und sagte oft im Vertrauen zu seinem Freund Notker: Wer so Manchem in Christenheit und Heidenschaft ein blaues Denkzeichen ver- abreicht, wie ich, kann der Dämonomachia entbehren. Auch Ratpert kam herzu, der lang erprobte Lehrer der Schule, der immer unwillig auffuhr, wenn ihn das Kapitelglöcklein von seinen Geschichtsbüchern abrief. In vornehmer Haltung trug er das Haupt; er und die beiden Andern waren ein Herz und eine Seele, ein drei- blättriger Klosterklee, so verschieden auch ihr Wesen. Weil er un- ter den letzten in Saal trat, kam Ratpert neben seinen Widersacher zu stehen, den bösen Sindolt, der that, als sähe er ihn nicht und flüsterte seinem Nachbar Etwas zu, der war ein klein Männlein mit einem Gesicht wie eine Spitzmaus und kniff den Mund zusammen, denn Sindolt hatte ihm so eben zugeraunt, im großen Wörterbuch des Bischof Salomo sei zu der Glosse: „Rabulista bedeutet Einen der über jeglich Ding der Welt disputiren will,“ von unbekannter Hand zugeschrieben worden: „wie Radolt, unser Denkmann.“ Aus dem Dunkel im Saalesgrund ragte Sintram hervor, der un- ermüdliche Schönschreiber, dessen Schriftzüge die ganze cisalpinische Welt bewunderte; die größten von Sanct Gallus Jüngern an Maaß der Körpers waren die Schotten, die am Eingang ihren Stand nahmen, Fortegian und Failan, Dubslan und Brendan und wie sie Alle hießen, eine untrennbare Landsmannschaft, aber mißvergnügt über Zurücksetzung; auch der rothbärtige Dubduin stand dabei, der trotz der schweren eiser- nen Bußkette nicht zum Probst gewählt ward und zur Strafe für seine beißenden Schmähverse auf die deutschen Mitbrüder drei Jahre lang den dürren Pfirsichbaum im Klostergarten begießen mußte. Und Notker der Arzt stund unter den Versammelten, der erst jüngst des Abts hinkendem Fuß die große Heilkur verordnet hatte mit Einreibung von Fischgehirn und Umschlag einer frisch abgezogenen Wolfshaut, auf daß die Wärme des Pelzes die gekrümmten Sehnen gerad biege; sie hießen ihn das Pfefferkorn ob seiner Strenge in Handhabung der Klosterzucht; — und Wolo, der keine Frau an- sehen konnte und keine reifen Aepfel, und Engelbert der Einrichter des Thiergartens, und Gerhard der Prediger und Folkard der Maler: Wer kennt sie Alle, die löblichen Meister, bei deren Aufzählung schon das nächstfolgende Klostergeschlecht wehmüthig bekannte, daß solche Män- ner von Tag zu Tag seltener würden? Jetzo bestieg der Abt seinen ragenden Steinsitz und sie rathschlag- ten, was zu thun. Der Fall war schwierig. Ratpert trat auf und wies aus den Aufzeichnungen vergangener Zeit nach, auf welche Art einst dem großen Kaiser Karl ermöglicht worden, in des Klosters In- neres zu kommen. Damals, sprach er, ward angenommen, er sei ein Ordensbruder, so lang er in unsern Räumen weile, und Alle thaten als ob sie ihn nicht kennten; kein Wort ward gesprochen von kaiserlicher Würde und Kriegsthaten oder demüthiger Huldigung, er mußte einherwandeln wie ein Anderer auch, und daß er deß nicht be- leidigt war, ist der Schutzbrief, den er beim Abzug über die Mauern hereinwarf, Zeuge. Aber damit war das große Bedenken, daß jetzt eine Frau Einlaß begehrte, nicht gelöst. Die strengeren Brüder murrten und Notker das Pfefferkorn sprach: Sie ist die Wittib jenes Landverwüsters und Kloster- schädigers, der den kostbarsten Kelch bei uns als Kriegssteuer erhob und höhnend dazu sagte: Gott ißt nicht und trinkt nicht, was nutzen ihm die güldenen Gefäße? Laßt ihr das Thor geschlossen! Das war jedoch dem Abt nicht recht. Er suchte einen Ausweg. Die Berathung ward stürmisch, sie sprachen hin und her. Der Bruder D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 2 Wolo, da er hörte, daß von einer Frau die Rede, schlich leis von dan- nen und schloß sich in seine Zelle. Da hob sich unter den Jüngeren Einer und erbat das Wort. Sprechet, Bruder Ekkehard, rief der Abt. Und das wogende Gemurmel verstummte; alle hörten den Ekke- hard gern. Er war jung an Jahren, von schöner Gestalt, und fesselte Jeden der ihn schaute durch sittige Anmuth; dabei weise und beredt, von klugverständigem Rath und ein scharfer Gelehrter. An der Kloster- schule lehrte er den Virgilius, und wiewohl in der Ordensregel ge- schrieben stand: zum Pörtner soll ein weiser Greis erwählt werden, dem gesetztes Alter das Irrlichteliren unmöglich macht, damit die An- kommenden mit gutem Bescheid empfangen seien, so waren die Brüder eins, daß er die erforderlichen Eigenschaften besitze und hatten ihm auch das Pörtneramt übertragen. Ein kaum sichtbares Lächeln war über seinen Lippen gelegen, die- weil die Alten sich stritten. Jetzt erhob er seine Stimme und sprach: Die Herzogin in Schwaben ist des Klosters Schirmvogt und gilt in solcher Eigenschaft als wie ein Mann. Und wenn in unserer Satzung streng geboten ist, daß kein Weib den Fuß über des Klosters Schwelle setze: man kann sie ja darüber tragen. Da heiterten sich die Stirnen der Alten, als wäre Jedem ein Stein vom Herzen gefallen, beifällig nickten die Capuzen, auch der Abt war des verständigen Wortes nicht unbewegt und sprach: Fürwahr, oftmals offenbart der Herr einem Jüngeren das Dien- lichste, Bruder Ekkehard, Ihr seid sanft wie die Taube aber klug wie die Schlange, so sollt Ihr des eigenen Raths Vollstrecker sein. Wir geben Euch Dispens. Dem Pörtner schoß das Blut in die Wangen, er verbeugte sich seinen Gehorsam anzudeuten. Und der Herzogin weibliche Begleitung? frug der Abt weiter. Da wurde der Convent eins, daß für diese auch die freimüthigste Gesetzesauslegung keine Möglichkeit des Eintritts eröffne. Der böse Sindolt aber sprach: Die mögen indessen zu den Klausnerinnen auf den Irenhügel gehen, wenn des heiligen Gallus Heerde von einer Landplage heimgesucht wird, soll die fromme Wiborad auch ein Theil daran leiden. Der Abt pflog noch eine lange flüsternde Verhandlung mit Gerold dem Schaffner, wegen des Vesperimbisses; dann stieg er von seinem Steinsitz und zog mit der Brüder Schaar den Gästen entgegen. Die waren draußen schon dreimal um des Klosters Umfriedung herumge- ritten und hatten sich mit Glimpf und Scherz des Wartens Ungeduld vertrieben. In der Tonweise: justus germinavit kamen itzt die eintönigen schweren Klänge des Loblieds auf den heiligen Benedictus aus dem Klosterhof zu den Wartenden gezogen, das schwere Thor knarrte auf, heraus schritt der Abt, paarweise langsamen Ganges der Zug der Brüder, die beiden Reihen erwiederten sich die Strophen des Hymnus. Dann gab der Abt ein Zeichen, daß der Gesang verstumme. Wie geht's Euch, Vetter Cralo, rief die Herzogin leichtfertig vom Roß, hab' Euch lange nicht gesehen. Hinket Ihr noch? Cralo aber sprach ernst: Es ist besser der Hirt hinke als die Heerde. Vernehmet des Klosters Beschluß. Und er eröffnete die Bedingung, die sie auf den Eintritt gesetzt. Da sprach Frau Hadwig lächelnd: So lang ich den Scepter führe in Schwabenland, ist mir ein solcher Vorschlag nicht gemacht worden. Aber Eures Ordens Vorschrift soll von uns kein Leides geschehen, welchem der Brüder habt Ihr's zugewiesen, die Landesherrin über die Schwelle zu tragen? Sie ließ ihr funkelnd Auge über die geistliche Heerschaar streifen. Wie sie auf Notker des Stammlers unheimlich Schwärmerantlitz traf, flüsterte sie leise der Griechin zu: Möglich, daß wir gleich wieder umkehren! Da sprach der Abt: Das ist des Pörtners Amt, dort steht er. Frau Hadwig wandte den Blick in der Richtung, die des Abts Zeigefinger wies, gesenkten Hauptes stund Ekkehard, sie erschaute die sinnige Gestalt im rothwangigen Schimmer der Jugend, es war ein langer Blick, mit dem sie über die gedankenbewegten Züge und das wallende gelbliche Haupthaar und die breite Tonsur streifte. Wir kehren nicht um! nickte sie zu ihrer Begleiterin, und bevor der kurzhalsige Kämmerer, der meistentheils den guten Willen und das Zuspätkommen hatte, vom Gaul herab und ihrem Schimmel ge- naht war, sprang sie anmuthig aus dem Bügel, trat auf den Pört- ner zu und sprach: — So thut was Eures Amtes! 2* Ekkehard hatte sich auf eine Anrede besonnen und gedachte mit Anwendung tadellosen Lateins die sonderbare Freiheit zu rechtfertigen, aber wie sie stolz und gebietend vor ihm stand, versagte ihm die Stimme und die Rede blieb, wo sie entstanden — in seinen Gedanken. Aber er war unverzagten Muthes und umfaßte mit starkem Arm die Her- zogin, die schmiegte sich vergnüglich an ihren Träger, und lehnte den rechten Arm auf seine Schulter. Fröhlich schritt er unter seiner Bürde über die Schwelle, die kein Frauenfuß berühren durfte, der Abt ihm zur Seite, Kämmerer und Dienstmannen folgten, hoch schwangen die dienenden Knaben ihre Weihrauchfässer, und die Mönche wandelten in gedoppelter Reihe, wie sie gekommen, hinterdrein, die letzten Strophen ihres Loblieds singend. Es war ein wundersam Bild, wie es vor und nachmals in des Klosters Geschichte nicht wieder vorkam, und ließen sich von Freunden unnützer Worte an den Mönch, der die Herzogin trug, ersprieß- liche Bemerkungen anknüpfen über das Verhältniß der Kirche zum Staat in damaligen Zeiten und dessen Aenderung in der Gegen- wart ... Die Naturverständigen sagen, daß durch Annäherung belebender Körper unsichtbar wirkende Kräfte thätig werden, ausströmen, in ein- ander übergehen und seltsamliche Beziehungen herstellen. Das mochte sich auch an der Herzogin und dem Pörtner bewähren; dieweil sie sich in seinen Armen wiegte, gedachte sie leise: „Fürwahr, noch Keinem hat Sanct Benedicts Capuze anmuthiger gesessen, als diesem“, und wie er im kühlen Klostergang seine Bürde mit schüchternem Anstand ab- setzte, fiel ihm Nichts auf, als daß ihm die Strecke vom Thor bis hierher noch niemals so kurz vorgekommen. Ich bin Euch wohl schwer gefallen? sprach die Herzogin. Hohe Herrin, Ihr mögt kecklich sagen, wie da geschrieben steht: mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht, war seine Erwie- derung. Ich hätte nicht gedacht, sprach sie darauf, daß Ihr die Worte der Schrift zu einer Schmeichelrede anwendet. Wie heißet Ihr? Er antwortete: Sie nennen mich Ekkehard. Ekkehard, ich danke Euch! sagte die Herzogin mit anmuthvoller Handbewegung. Er trat zurück an ein Bogenfenster im Kreuzgang und schaute hinaus in's Gärtlein. War's ein Zufall, daß ihm jetzt der heilige Christophorus vor die Gedanken trat? Dem däuchte seine Bürde auch leicht, da er anhub, das fremde Kindlein auf starker Schulter über den Strom zu tragen, aber schwer und schwerer senkte sich die Last auf seinen Nacken und preßte ihn hinab in die brausende Fluth, tief, tief, daß sein Muth sich neigen wollt zu verzweifeln ... Der Abt hatte einen köstlichen Henkelkrug bringen lassen, damit ging er selber zum Springquell, füllte ihn und trat vor die Herzogin: der Abt soll den Fremden das Wasser darbringen, ihre Hand zu netzen, sprach er, und sich sammt der ganzen Brüderschaft auch zur Fußwaschung — Wir danken, fiel ihm Frau Hadwig in die Rede. Sie sprach's mit entschiedenem Ton. Indeß hatten zwei der Brüder eine Truhe herabgeholt, sie stand geöffnet im Gang. Drein griff itzt der Abt, zog eine funkelneue Kutte herfür, und sprach: So ernenne ich denn unseres Klosters erlauchten Schirmvogt zum Mitglied und zugeschrie- benen Bruder, und schmück' ihn dessen zum Zeugniß mit des Ordens Gewandung. Frau Hadwig fügte sich. Leicht bog sie das Knie, da sie die Kutte aus seinen Händen empfing, sie warf das ungewohnte Klei- dungsstück um, es stand ihr gut, faltig war's und weit, wie die Regel besagt: Der Abt soll ein scharfes Auge haben, daß die Gewän- der nicht zu kurz seien für ihre Träger, sondern wohlgemessen. Reizend sah das lichte Frauenantlitz aus der dunkeln Capuze. Für euch gilt das Gleiche! rief nun der Abt zu der Herzogin Gefolge. Da hatte der böse Sindolt seine Freude dran, Herrn Spazzo einzukleiden. Und wißt Ihr auch, raunte er ihm in's Ohr, was die Kutte für Euch zu bedeuten hat? — Daß Ihr die Gelüste der Welt abschwöret und einen mäßigen, armen und keuschen Wandel gelobet für immerdar! Herr Spazzo war schon mit dem rechten Arm in das faltige Ordensgewand gefahren, schnell zog er ihn wieder zurück: Halt an, zürnte er, da muß ich Einsprache thun! Sindolt schlug ein Gelächter auf, da merkte der Kämmerer, es sei so ernst nicht gemeint und sprach: Bruder, Ihr seid ein Schalk. Bald prangten auch die Gefolgsmänner im Schmuck des Ordens- kleides, manchem der neuerschaffenen Mönche hing der lange Bart ordnungswidrig bis an Gürtel, und das sittige Niederschlagen des Blicks gelang noch nicht ganz nach Vorschrift. Der Abt geleitete seine Gäste zuerst zur Kirche. Drittes Kapitel . Wiborada Reclusa . Einer von denen, die am wenigsten sich des unerwarteten Besuches ergötzten, war Romeias der Wächter am Thor. Er wußte ungefähr, was ihm bevorstand, aber nicht Alles. Während der Abt die Her- zogin empfing, kam Gerold der Schaffner zu ihm und sprach: Ro- meias, rüstet Euch auszuziehen! Ihr sollt auf den nächsten Maierhöfen ansagen, daß sie noch heut vor Abend die schuldigen Hühner zu Ausschmückung der Mahlzeit schicken und sollt einen guten Bissen Wildpret beschaffen. Deß war Romeias zufrieden. Es fügte sich nicht zum ersten Male, daß er das Gasthuhn zu heischen ging, und die Maier und Kellerer auf den Höfen duckten sich des Romeias Worten, denn er hatte eine kräftige Sprache zum Anbefehlen. Des Waidwerks aber freute er sich zu jeder Zeit. Darum nahm Romeias seinen Jagdspieß, hing die Armbrust über und wollte gehen ein Rudel Hunde zu lösen. Gerold der Schaffner aber zupfte ihn am Gewand und sagte: Romeias, noch Etwas! Ihr sollet auch der Herzogin Frauenzimmer, denen der Ein- tritt verwehrt ist, hinauf in's Schwarzathal führen, und der frommen Wiborad vorstellen, daß sie bei ihr Kurzweil finden bis der Abend kommt. Und sollet fein artig sein, Romeias, es ist eine Griechin da- bei mit gar dunkeln Augen ... Da legten sich drei tiefe Falten über Romeias Stirn, und er stieß den Jagdspieß auf den Boden, daß es klirrte: Weibervölker be- gleiten?! rief er, — dazu ist der Wächter am Thor des heiligen Gallus nicht nutz! Gerold aber nickte ihm bedeutungsvoll zu und sprach: Ihr müßt's versuchen, Romeias. Ist's nicht schon zugetroffen, daß Wächter, die ihren Auftrag getreulich erfüllten, des Abends einen großen Steinkrug Klosterwein in ihrem Stüblein vorfanden? Halloh, Romeias! Des Mißmuthigen Antlitz heiterte sich. Und er ging hinab in Hof und löste die Hunde; der Spürhund und der Leithund sprangen an ihm hinauf, auch das Biberhündlein kläffte vergnüglich und wollte mit ausziehen, aber verächtlich jagte er's heim, der Fischteich und seine Insassen gingen den Waidmann nichts an. Von seinen Rüden umbellt, schritt er vor's Thor. Praxedis und die andern dienenden Frauen der Herzogin waren von den Pferden gestiegen und saßen auf einem Rain im Sonnen- schein und hatten viel mit einand zu schwatzen von Mönchen und Kutten und Bärten und sonderbaren Launen ihrer Herrschaft. Da trat Ro- meias vor sie hin und sprach: Vorwärts! Praxedis musterte den wilden Jägersmann und war sich nicht klar, was sie aus ihm machen sollte; mit schnippischer Stimme fragte sie: Wohin, guter Freund? Romeias aber hob seinen Spieß und deutete nach einem nahen Hügel hinter dem Walde und sagte Nichts. Da sprach Praxedis: Sind die Worte bei Euch in Sanct Gallen so theuer zu kaufen, daß Ihr keinen andern Bescheid gebt? Die Dienerinnen lachten. Da sprach Romeias ernst: Möcht' euch doch allzusammt ein Donnerwetter sieben Klafter tief in Erdboden hinein verschlagen! Praxedis erwiederte: Wir danken Euch, guter Freund! Hiemit war die schickliche Einleitung zu einem Gespräch gefunden. Romeias eröffnete seinen Auftrag, die Frauen folgten ihm willig. Und allmälig fand der Wächter, daß es nicht der härteste Dienst sei, solche Gäste zu geleiten, und wie die Griechin ihn des Näheren über Wächterei und Jagdhantirung befragte, ward seine Zunge gelöst, und er erzählte von Bären und Wildschweinen, daß es eine Freude war, und erzählte sogar sein großes Jagdstück von dem furchtbaren Eber, dem er einst den Speer in die Seite geworfen und ihn doch nicht zu erlegen vermocht, denn er hatte Füße einer Wagenlast an Maße gleich, und Borsten, so hoch wie die Tannen des Forstes, und Zähne zwölf Ellen lang — und ward zusehends artiger, denn wie die Griechin einmal ihren Schritt hemmte, um einer Drossel Schlag zu belauschen, hielt auch Romeias geduldig an, wiewohl ihm sonst ein Singvogel ein viel zu erbärmlich Stück Wild war, als daß er ihn großen Aufmerkens gewürdigt. Und wie Praxedis sich nach einem schönen Goldkäfer bückte, der im röthlichen Moos herum kletterte, wollte ihr Romeias dienstwillig den Käfer mit schwerbesohltem Fuß zur Hand schieben, und daß er ihn bei solcher Gelegenheit zertrat, war nicht seine Absicht. Sie stiegen einen düstern Bergpfad hinauf; über zerklüftete Nagel- fluhfelsen rann die Schwarza zu Thale. An jenem Abhang war einst der heilige Gall in die Dornen gefallen und hatte zum Begleiter, der ihn aufrichten wollte, gesprochen: Laß mich liegen, hier soll meine Ruhe sein und mein Haus für alle Zeit! Sie waren nicht lang bergan geklommen, da kamen sie an einen freien tannwaldumsäumten Platz. An schirmende Felswand ange- lehnt stand dort eine schlichte Capelle in Form eines Kreuzes. Nah dabei war ein viereckig Häuslein gemauert, das mit der Rückseite auch an den Fels anstieß; nur eine einzige niedere Fensteröffnung, mit einem Holzladen verschließbar, war dran zu schauen; nirgends eine Thüre oder anderweiter Eingang, und war nicht abzusehen, wie ein Mensch in solch Gebäu Einlaß finden mochte, wofern er nicht durch eine Lucke im Dach von Seiten der Felswand sich hinabließ. Genüber stund ein gleiches Gelaß, so ebenfalls nur ein einzig Fensterlein hatte. Es war häufiger Brauch dazumal, daß solche, die Neigung zum Mönchsleben verspürten und die sich, wie der heilige Benedict sagt, stark genug fühlten, den Kampf mit dem Teufel ohne Beihilfe from- mer Genossenschaft auf eigene Faust zu bestehen, sich in solch einen Gaden einmauern ließen. Man hieß sie Reclausi, Eingeschlossene, Klausner, und war ihre Nutzbarkeit und Lebensabsicht der der Säulen- heiligen in Aegyptenland zu vergleichen; scharfer Winterswind und Schneefall macht freilich diesseits der Alpen die Absperrung in frischer Luft unmöglich, das Anachoretengelüst war nicht minder stark. In den vier engen Wänden hier auf dem Irenhügel hauste nun die Schwester Wiborad, eine vielgepriesene Klausnerin ihrer Zeit. Sie stammte aus Klingnau im Aargau und war eine stolze, spröde Jungfrau gewesen, in mancher Kunst bewandert, und hatte von ihrem Bruder Hitto alle Psalmen lateinisch beten gelernt und war ehedem nicht abgeneigt, einem Mann sein Leben zu versüßen, wenn sie den Rechten finden möchte, aber die Blüthe aargauischer Landes- kraft fand keine Gnade vor ihren Augen und sie that eine Wallfahrt gen Rom. Und dort muß ihr unstet Gemüth durchschüttert worden sein, keiner der Zeitgenossen hat erfahren wie; — drei Tage lang rannte ihr Bruder Hitto das Forum auf und nieder, und durch die Hallen des Colosseum und unter Constantin's Triumphbogen durch bis zum vierstirnigen Janus an der Tiber unten und suchte seine Schwester und fand sie nicht; am Morgen des vierten Tags kam sie zum salarischen Thor herein und trug ihr Haupt hoch und ihre Augen leuchtend und sprach, es sei Alles Nichts auf der Welt, so lang nicht dem heiligen Martinus die Ehr erwiesen werde, die seinem Verdienst gebühre. Wie sie aber zurückkehrte in die Heimath, verschrieb sie ihr Hab und Gut der Bischofskirche zu Constanz, mit dem Bedingniß, daß die geistlichen Herren jeweils am eilften des Herbstmonates dem heiligen Martin ein besonder Fest halten sollten; sie selber trat in ein eng Häuslein, wo die Klausnerin Zilia sich seßhaft gemacht, und führte ein klösterlich Leben. Und wie es ihr dort nimmer zuträglich war, verzog sie sich in's Thal des heiligen Gallus; der Bischof selbst gab ihr das Geleit und that ihr den schwarzen Schleier um und führte sie an der Hand in die Zelle am Irenhügel und sprach den Segen darüber; mit der Mauerkelle that er den ersten Schlag auf die Steine, mit denen der Eingang vermauert ward und drückte viermal sein Sigill auf das Blei, damit sie die Fugen lötheten, und schied sie von der Welt, und die Mönche sangen dazu, als würd' Einer begraben, dumpf und traurig. Die Leute ringsum aber hielten die Klausnerin hoch in Ehren: sie sei eine hartgeschmiedete Meisterin, sagten sie, und an manchem Sonntag stund Haupt an Haupt auf dem Wiesenplan und Wiborad stund an ihrem Fensterlein und predigte ihnen, und andere Frauen siedelten sich in die Nähe und suchten bei ihr Anleitung zur Tugend. Wir sind an Ort und Stelle, sprach Romeias. Da blickte Praxedis mit ihren Begleiterinnen um. Kein menschlich Wesen war zu erschauen; verspätete Schmetterlinge und Käfer summten im Sonnenschein und die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborad's Zelle war der Fensterladen angelehnt, so daß nur ein schmaler Streif Sonnen- licht hineinfallen konnte. Dumpfes, langsam und halb durch die Nase gesungenes Psalmodiren tönte durch die Einsamkeit. Romeias klopfte mit seinem Jagdspieß an den Fensterladen, der blieb, wie er war, angelehnt; das Psalmodiren tönte fort. Da sprach der Wächter: Wir müssen sie anderweitig herausklopfen! Romeias war ein Mann von ungeschliffener Lebensart, sonst hätte er nicht gethan, was er jetzt that. Er begann ein Lied zu singen, womit er oftmals die Klosterschüler ergötzte, wenn sie in seine Thurmstube entwischten, ihn am Bart zu zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu spielen. Es war eine jener Cantilenen, wie deren, seit daß es eine deutsche Zunge gibt, auf freier Heerstraße, an Wegscheiden und Waldecken und draus auf weiter Heide schon manches gute Tausend in Wind gesungen und wieder ver- weht worden, und lautete also: Ich weiß einen Stamm im Eichenschlag, Der steht im grünsten Laube, Dort lockt und lacht den ganzen Tag Eine schöne wilde Taube. Ich weiß einen Fels, draus schillt und schallt Nur Krächzen und Geheule, Dort haust fahlgrau und mißgestalt Eine heis're Schleiereule. Des Jägers Horn bringt süßen Klang, Des Jägers Pfeil Verderben: Die Taube grüß ich mit Gesang, Die Eul' muß mir ersterben! Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen Feldstein in Wiborad's Laden geworfen. Alsbald erschien eine Ge- stalt an der viereckigen Fensteröffnung, auf hagerem Halse hob sich ein blasses, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindselige Richtung aufwärts gegen die Nase genommen; von dunklem Schleier vermummt, beugte sie sich weit aus dem Fensterlein, die Augen glänz- ten unheimlich. Schon wieder, Satanas? rief sie. Da trat Romeias vor und sprach mit gemüthlichem Ausdruck: Der böse Feind weiß keine so schönen Lieder wie Romeias, der Kloster- wächter. Beruhigt Euch, Schwester Wiborad, ich bring ein paar feine Jungfräulein, die Herren im Kloster lassen sie Euch zu annehmlicher Unterhaltung empfohlen sein. Hebet Euch weg, ihr Truggestalten! rief die Klausnerin. Wir kennen die Schlingen, die der Versucher legt. Weichet, weichet! Praxedis aber näherte sich der Zelle und neigte sich sittig vor der dürren Bewohnerin: sie komme nicht aus der Hölle, sondern vom hohen Twiel herüber, setzte sie ihr auseinand. Ein wenig falsch konnte das Griechenkind auch sein, denn wiewohl ihre Kenntniß von der Klause im Schwarzathal sich erst von heute herschrieb, fügte sie doch bei, sie hätten von dem auferbaulichen Wandel der Schwester Wiborad schon so viel vernommen, daß sie die erste Gelegenheit genutzt, bei ihr anzusprechen. Da schien es, als wollten sich einige Runzeln auf Wiborad's Stirn glätten. Reich mir deine Hand, Fremde! sprach sie und reckte ihren Arm zum Fensterlein hinaus. Die Kutte streifte sich ein We- niges zurück, da war er in seiner ganzen fleischlosen Magerkeit dem Sonnenschein ausgesetzt. Praxedis reichte ihr die Rechte. Wie der junge, lebenswarme Pulsschlag der weißen Hand an der Klausnerin dürre Finger anschlug, ward sie langsam von der Griechin Menschlichkeit überzeugt. Romeias merkte die Wendung zum Besseren, er wälzte etliche Felsstücke unter das Fenster der Zelle. In zwei Stunden hol' ich Euch wieder ab; behüt' Gott, Ihr Jungfräulein! sprach er. Und er- schreckt nicht, wenn sie in Verzuckung kommt, flüsterte er der Griechin zu. Hiemit pfiff Romeias seinen Hunden und schritt in's Waldesdickigt. Er legte auch etwa dreißig Schritte ohne Hinderniß zurück, aber dann drehte er sein struppig Haupt und wandte den ganzen Menschen um; auf den Spieß gestemmt, schaute er unverrückt nach dem Platz vor der Klause, als hätt' er Etwas verloren. Hatte aber Nichts zurückgelassen. Praxedis lächelte und warf dem gröbsten aller Wächter eine Kuß- hand zu. Da machte Romeias Kehrt, wollte seinen Spieß schultern, ließ ihn fallen, hob ihn auf, stolperte, erholte sich wieder und ver- schwand in gutem Trab jenseits der moosverwachsenen Stämme. O Kind der Welt, das in Finsterniß wandelt, schalt die Klaus- nerin herab, was soll die Bewegung deiner Hand? Ein Scherz ... sprach Praxedis unbefangen. Eine Sünde! rief Wiborad mit rauher Stimme. Praxedis erschrack. O Teufelswerk und Verblendung! fuhr jene predigend fort. Da lasset Ihr Eure Augen listig herumstreifen, bis sie dem Manne als wie ein Blitz in's Herz fahren, und werft ihm eine Kußhand zu, als wenn das Nichts wäre. Ist das Nichts, wenn Einer rückwärts schaut, der vorwärts schauen sollte? Wer die Hand an Pflug zu legen hat und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes! Ein Scherz?! O reichet mir Ysop, Euch zu entsündigen und Schnee, Euch rein zu waschen. Daran hab' ich nicht gedacht, sprach Praxedis erröthend. Ihr denkt noch an Vieles nicht, sprach Wiborad. Sie schaute Praxedis mit einem musternden Blick von oben bis unten an. Ihr denkt auch nicht, daß Ihr heute ein grüngelb Gewand traget und daß solch herausfordernde Farbe weltabgewandten Augen ein Gräuel ist, und daß Ihr den Gürtel so lose und nachlässig drum geschlungen habet, als wäret Ihr eine landfahrende Tänzerin. Wachet und betet! Die Klausnerin verschwand eine Weile, dann kehrte sie zurück und reichte einen grobgedrehten Strick heraus. Du dauerst mich, arme Lachtaube, sprach sie. Reiß ab die seidegestickte Umwindung und em- pfah' hier den Gürtel der Entsagung aus Wiborad's Händen; der soll dir eine Mahnung sein, daß du unnützem Schwatzen und Thun den Abschied gebest. Kommt aber wieder eine Versuchung eitlen Her- zens über dich, Wächtern Kußhände zuzuwerfen, so wende dein Haupt gen Sonnenaufgang und singe den Psalm: Herr, zu meinem Beistand eile herbei! — und will auch dann der Friede nicht bei dir einkehren, so brenn ein Wachslicht an und halt den Zeigfinger über die Flamme, so wirst du sicher sein zur Stunde. Das Feuer heilt das Feuer. Praxedis schlug die Augen nieder. Eure Worte sind bitter, sprach sie. Bitter! rief die Klausnerin, gelobt sei der Herr, daß auf meinen Lippen kein süßer Schmack wohnt. Der Mund der Heiligen muß bitter sein. Da Pachomius in der Wüste saß, trat der Engel des Herrn zu ihm und brach die Blätter des Lorbeerbaumes und schrieb Worte des Gebetes drauf und gab sie dem Pachomius und sprach: Verschling die Blätter; sie werden schmecken in deinem Mund wie Galle, aber dein Herz wird erfüllt werden vom Ueberschwall wahrer Weisheit. Und Pachomius nahm die Blätter und aß sie und von Stund an blieb sein Mund bitter, sein Herz aber füllte sich mit Süße und er pries den Herrn. Praxedis schwieg. Es blieb eine Zeit lang still. Die andern Frauen der Herzogin waren nicht mehr zu sehen. Wie die Klausnerin ihren Gürtel herausreichte, hatten sie einand mit dem Ellbogen ange- stoßen und waren leise um das Häuslein geschlichen. Sie pflückten einen großen Strauß Heidekraut und Herbstblumen im Walde und kicherten dazu. Wollen wir auch solch einen Gürtel umlegen? sprach die Eine. Wenn die Sonne schwarz aufgeht, sprach die Andre. Praxedis hatte den Strick in's Gras gelegt. Ich will Euch Eures Gürtels nicht berauben, sprach sie jetzt schüchtern zum Fenster der Zelle hinauf. O harmlos Gemüth, sprach Wiborad, der Gürtel, den wir tragen, ist kein Kinderspiel, wie der, den ich dir reichte; der Gürtel Wiborad's ist ein eiserner Reif mit stumpfen Stacheln und klirrt wie eine Kette und schneidet ein; — deine Augen erschauerten seines Anblicks Praxedis schaute nach dem Wald, als wolle sie spähen, ob Ro- meias nicht bald zurückkehre. Die Klausnerin mochte bemerken, daß es ihrem Gast nicht allzu behaglich war, sie reichte ein Brett aus ihrem Fensterlein, drauf war ein halb Dutzend rothgrüner Aepfel gelegt. Wird dir die Zeit lang, Tochter der Welt? sprach sie. Greif zu, wenn die Worte des Heils dich nicht sättigen. Backwerk und Süßig- keit hab' ich nicht, aber auch diese Aepfel gefallen dem Herrn wohl, sie sind die Speise der Armen. Die Griechin wußte, was der Anstand erheischt. Aber es waren Holzäpfel. Wie sie den ersten zur Hälfte verzehrt, verzog sich ihr anmuthiger Mund und unfreiwillige Thränen perlten in den Augen. Wie schmecken sie, rief die Klausnerin. Da that Praxedis, als ob des Apfels Rest zufällig ihrer Hand entfalle: wenn der Schöpfer Allen solche Herbigkeit anerschaffen, so hätte Eva nimmermehr vom Apfel gekostet, sprach sie mit sauersüßem Lächeln. Wiborad war beleidigt. Gut! erwiederte sie, daß du der Eva Angedenken nicht erlöschen lässest. Die hat denselben Geschmack ge- habt wie du, drum ist auch die Sünde in die Welt gekommen. Die Griechin blickte nach dem Himmel. Aber nicht aus Rührung. Ein Falke kreiste einsam über Wiborad's Zelle. O könnt' ich mit dir über den Bodensee fliegen, dachte sie. Dann wiegte sie schalkhaft ihr Haupt. Wie muß ich's anfangen, fragte sie, daß ich vollkommen werde, wie Ihr? Der Welt gründlich entsagen, antwortete Wiborad, ist eine Gnade von oben; der Mensch kann sich's nicht geben. Fasten, Quellwasser trinken, das Fleisch abtödten, Psalmen beten, das all sind nur Vor- bereitungen. Das Wichtigste ist ein guter Schutzheiliger. Wir Frauen sind ein zerbrechlich Volk, aber eindringlich Gebet ruft die Streiter Gottes an unsere Seite, die helfen. Schau her an's kleine Fenster, da steht er oft in nächtlicher Stille, der Erlesene meiner Gedanken, der tapfere Bischof Martinus, und hält Schild und Lanze wider die anstürmenden Teufel; ein blauer Strahlenkranz geht von seinem Haupte aus, es zuckt durch's Dunkel wie Wetterleuchten, wenn er naht und grunzend entfliehn die Dämonen. Und wenn der Kampf geendet, dann pflegt er gar traulichen Zwiespruch; ich klag ihm, was das Herz bedrängt, all die Noth, die ich mit den Nachbarinnen habe und alles Leid, das mir die Klosterleute zufügen, und der Heilige nickt und schüttelt die wallenden Locken und nimmt Alles mit sich himmelauf - wärts und theilt es seinem Freund, dem Erzengel Michael, mit, der hat jeden Montag die Wache am Thron Gott Vaters, so kommt's an den rechten Ort und Wiborad, die Letzte der Letzten im Dienst des Hochthronenden, ist nicht vergessen ... Da will ich den heiligen Martinus auch zu meinem Schutzpatron erwählen, sprach Praxedis. Aber darauf hatte Wiborad's Lobspruch nicht gezielt. Sie warf einen verächtlich eifersüchtigen Blick auf die rothen Wangen der Griechin: Der Herr verzeih Euch Eure Anmaßung, sprach sie mit gefalteten Händen; — glaubt Ihr, das ist mit einem leichtfertigen Wort und mit einem glatten Gesichte gethan? Unerhört! Viel lange Jahre hab' ich gerungen und die Falten der Askesis wie Narben auf der Stirn getragen und war noch nicht von ihm begna- digt, daß er mir nur einen Blick zuwarf. Es ist ein fürnehmer Hei- liger und ein tapferer Kriegsmann vor dem Herrn, der schaut nur auf erprobte Streiterinnen. Er wird mein Gebet nicht gröblich abweisen, warf Praxedis ein. Ihr sollt aber nicht zu ihm beten, rief Wiborad zornig, Ihr dürft nicht zu ihm beten. Was hat er mit Euch zu schaffen? für Eures- gleichen sind andere Schutzheilige. Ich will Euch einen sagen. Nehmt Ihr den frommen Vater Pachomius zum Patron. Den kenn ich nicht, sagte Praxedis. Schlimm genug, so lern ihn itzt kennen. Der war ein ehrwür- diger Einsiedel in der thebaischen Wüste, aß Wurzeln und Heuschrecken und war so fromm, daß er schon bei Lebzeiten die Harmonie der Sphären und Planeten erklingen hörte, und sprach oft: Wenn alle Menschen das hören könnten, was meine Ohren zu hören gewürdigt sind, sie ließen Haus und Hof, und wer den rechten Schuh angezogen, ließe den linken und liefe in Orient. In Alexandria aber war eine Maid, die hieß Tha ï s, und Niemand wußte, was unendlicher an ihr, die Schönheit oder der Leichtsinn. Da sprach Pachomius: ein solche ist dem ganzen Land Aegypten eine Plage, und machte sich auf, schnitt seinen Bart, salbte sich und bestieg sein Crocodill, das er durch Kraft des Gebets dienstbar gemacht; das trug ihn auf schuppigem Rücken den Nil hinab, und er ging zu ihr, als wär' er ein Liebhaber. Seinen großen Palmstock hatte er auch mitgenommen und erschütterte das Herz der Sünderin dermaßen, daß sie ihre Seidengewande verbrannte und ihren Schmuck dazu und dem Pachomius folgte wie ein Zicklein dem Hirten. Und er schloß sie in ein Felsengrab ein, daran ließ er nur ein klein Fenster und unterwies sie im Gebet, und nach fünf Jahren war der Tha ï s Läuterung zu Ende und vier Engel trugen ihre Seele gerettet gen Himmel. Aber Praxedis war nicht sehr auferbaut. Der alte Wüstenvater mit seinem struppigen Bart und den bittern Lippen ist ihr nicht vor- nehm genug: da soll ich mit ihm vorlieb nehmen, dachte sie. Sie wagte nicht, es auszusprechen. Jetzt tönte die Vesperglocke vom Kloster durch den Tannenwald herauf. Da trat die Klausnerin vom Fenster ab und schloß ihren Laden. Dumpfes Psalmbeten ward drinnen hörbar, untermischt mit einem Geräusch wie von niederfallenden Streichen. Sie geißelte sich. Inzwischen hatte Romeias im fernen Gehölz das Gejaid begonnen und warf seinen Spieß; aber er hatte einen Eichstrunk für ein Rehlein angesehen. Zürnend zog er sein Geschoß aus dem widerstrebenden Holz, — es war das erstemal in seinem Leben, daß ihm solches vorkam. Vor Wiborad's Klause war's lange still. Dann tönte ihre Stimme wieder, aber wie verwandelt, mit klangvoller Leidenschaft: Steig hernieder, heiliger Martinus, tapferer Kriegstribun, du meine Tröst- einsamkeit, Stern im Dunkel der Zeit! steig hernieder, meine Seele ist gerüstet, dich zu erschauen, meine Augen dürsten nach dir. Und wieder war's still auf dem Plan — da schreckte Praxedis zusammen. Ein dumpfer Schrei klang in der Zelle auf. Sie sprang an's Fenster und schaute hinein: die Klausnerin war in die Knie ge- sunken, die Arme hoch erhoben, ihr Auge gläsern starrend. Neben ihr lag die Geißel, das Werkzeug der Buße. Um Gotteswillen! rief Praxedis, was ist Euch! Wiborad fuhr empor und preßte der Griechin Hand krampfhaft. Menschenkind, sprach sie mit gebrochenem Ton, die du Wiborad's Schmerzen zu sehen gewürdigt bist, klopf an deine Brust, es ist ein Zeichen geschehen. Ausgeblieben ist der Erwählte meiner Gedanken, er zürnt, daß sein Name von unheiligen Lippen entweiht ward, aber der heilige Gallus ist dem Aug' meiner Seele erschienen, er, der noch niemals Einkehr hier genommen — und sein Antlitz war das eines Dulders und sein Gewand zerrissen und brandig. Seinem Kloster droht ein Unheil. Wir müssen eine Fürbitte thun, daß seine Jünger nicht straucheln auf dem Pfad der Gerechten. Sie beugte sich aus dem schmalen Fenster und rief zur nachbar- lichen Klause hinüber: Schwester Wendelgard! Da schob sich drüben das Lädlein zurück, ein ältlich Antlitz er- schien, das war die brave Frau Wendelgard, die dort um ihren Ehge- mahl trauerte, der vom letzten Heereszug nimmer heimgekommen. Schwester Wendelgard, sprach Wiborad, laß uns dreimal singen den Psalm: Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Huld. Aber die Schwester Wendelgard hatte just mit träumender Sehn- sucht ihres Eheherrn gedacht; sie wußte in festem Gottvertrauen, daß er dereinst noch heimkehren werde aus der Hunnen Landen, und hätte am liebsten jetzt schon die Pforte ihrer Klause eingetreten, hinauszu- schreiten in die wehende Luft, ihm entgegen. Es ist nicht die Stunde des Psallirens, rief sie hinüber. Desto lieblicher klingt freiwillige Andacht zum Himmel empor, sprach Wiborad. Und sie intonirte mit rauher Stimme den Psalm. Aber die Antwort blieb aus. Was stimmst du nicht in David's Schallgesang? Ich mag nicht, war Wendelgard's einfache Antwort. Es war ihr in langjährigem Klausnerthum allmälig schwül geworden. Viel tausend Psalmen hatte sie auf Wiborad's Geheiß gesungen, daß der heilige Martinus ihren Ehegespons heraushaue aus der Feinde Gewalt, aber die Sonne ging auf, die Sonne ging nieder — noch immer blieb er aus. Und die hagere Nachbarin mit ihren Phantasmen war ihr verleidet. Wiborad aber wandte ihre Augen unverrückt dem Himmel zu, gleich Einem, der am hellen Tag einen Cometen zu entdecken gedenkt: O Gefäß voll Ungehorsam und Bosheit, rief sie, ich will für dich beten, daß die bösen Geister von dir gebannet werden. Dein Aug' ist blind, dein Sinn ist wirr. Doch ruhig antwortete die Gescholtene: Richtet nicht, auf daß auch Ihr nicht gerichtet werdet. Mein Aug' ist noch so scharf wie vor Jahresfrist, da es Euch in mondumglänzter Nacht erschauen konnte, wie Ihr aus dem Fenster der Clause stieget und hinausgewandelt seid, Gott weiß wohin, — und mein Sinn erwägt noch wohl, ob Psalmen- gesang aus solchem Munde ein Wunder zu wirken im Stande. Da verzog sich Wiborad's bleiches Antlitz, als ob sie auf einen Kieselstein gebissen hätte. Weh dir, Teufelgeblendete! schrie sie, ein Schwall scheltender Rede entströmte ihren Lippen; die Nachbarin blieb keine Antwort schuldig, schneller und schneller kam Wort auf Wort geflogen, verschlang sich, verwirrte sich; von den Felswänden klang un- harmonischer Widerhall drein und schreckte ein Käuzleinpaar auf, das dort in den Spalten horstete und scharf krächzend von dannen flat- terte ... am Portal des Münsters zu Worms, da die Königinnen einander schalten, ging's sänftlicher zu, als jetzo. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 3 Mit stummem Erstaunen horchte Praxedis dem Lärm; gern wäre sie beschwichtigend dazwischen getreten, aber Sanftes taugt nicht, um Schneidiges zu trennen. Da tönte vergnüglicher Schall des Hifthorns vom Walde her und kläffendes Rüdengebell; langsam kam des Romeias hohe Gestalt ge- schritten. Das zweitemal, da er den Spieß geworfen, war's kein Baumstrunk, sondern ein stattlicher Zehnender; der Hirsch hing ihm auf dem Rücken, sechs lebende Hasen, die der Klostermaier von Tablatt in Schlingen gefangen, trug er gefestigt am Gürtel. Und wie der Waidmann die Klausnerinnen erschaute, freute sich sein Herz; kein Wörtlein sprach er, wohl aber löste er der lebenden Häslein zwei i h rer Bande, einen in der Rechten, einen in der Linken schwingend, warf er sie so sicher durch die engen Klausfenster der Streitenden, daß Wiborad, vom weichen Fell electrisch am Haupte be- rührt, mit lautem Aufschrei zurückfuhr. Der braven Wendelgard hatte sich in währender Hitze des Zwiespruchs der schwarze Habit gelöst, der Hase fuhr ihr so plötzlich zwischen Hals und Kaputze und verfing sich in der Gewandung und suchte einen Ausweg und wußte nicht wohin, daß auch sie ein jäher Schreck überfiel. Da stellten Beide die Schel- tung ein, die Fensterläden schlossen sich, ruhig ward's auf dem Hügel. Wir wollen heim, sprach Romeias zur Griechin, es will Abend werden. Praxedis war weder vom Gezänk noch von Romeias Friede- stiftung so auferbaut, daß sie länger zu bleiben gewünscht hätte. Ihre Begleiterinnen hatten bereits auf eigene Faust den Rückzug angetreten. Die Hasen gelten bei Euch nicht viel, sprach sie zum Wächter, daß Ihr sie so grob in die Welt hinauswerfet. Nicht viel, lachte Romeias, doch wär' das Geschenk eines Dankes werth. Zu selber Zeit hob sich die Dachlucke an Wiborad's Zelle, die hagere Gestalt ward zur Hälfte sichtbar, ein mäßiger Feldstein flog über Romeias Haupt hin, er traf ihn nicht. Das war der Dank für den Hasen. Man ersieht daraus, daß die Formen geselligen Verkehrs mannig- fach von den heutigen verschieden waren. Praxedis sprach ihr Befremden aus. So Etwas kommt alle paar Wochen einmal vor, erwiederte Ro- meias. Mäßiger Geifer und Zorn schafft alten Einsiedlerinnen neue Lebenskraft; es ist ein gut Werk, zu Erregung desselben beizutragen. Aber sie ist eine Heilige, sagte Praxedis scheu. Da brummte Romeias in Bart. Sie soll froh sein, sprach er, wenn sie's ist. Ich will ihr das Fell ihrer Heiligkeit nicht abziehen. Aber seit ich in Konstanz meiner Mutter Schwester besucht, hab' ich Allerhand erfahren, was mir nicht grün aussieht. Es ist dort noch nicht vergessen, wie sie vor des Bischofs Gericht sich verantworten mußte wegen Dem und Jenem, was mich Nichts angeht, und die Konstanzer Kaufleute erzählen, ohne daß man sie fragt, wie ihnen die Klausnerinnen am Münster das Almosengeld, das fromme Pilgrimme zutrugen, gegen Wucherzins ausgeliehen. Was kann ich dafür, daß mir schon in Knabenzeit im Steinbruch ein seltsam großer Kiesel in die Hände kam? Wie ich den aufgehämmert, saß eine Kröte drin und machte verwunderte Augen. Seitdem weiß ich, was eine Klaus- nerin ist. Schnipp, schnapp — trari, trara! Romeias geleitete seine neue Freundin zur Pforte des außer Klosterbann gelegenen Hauses, das zu ihrer Herbergung bestimmt war. Dort standen die Dienerinnen, der Strauß Waldblumen, den sie ge- pflückt, lag auf dem Steintisch am Eingang. Wir müssen Abschied nehmen, sagte der Wächter. Lebt wohl, sprach Praxedis. Da ging er. Nach dreißig Schritten schaute er scharf zurück. Aber zweimal geht die Sonne an einem Tag nicht auf, am wenigsten für einen Wächter am Klosterthor. Es ward ihm keine Kußhand mehr zugeworfen. Praxedis war in's Haus gegangen. Da wandelte Romeias langsam zurück, griff, ohne anzufragen, den Blumenstrauß vom Steintisch und zog ab. Den Hirsch und die vier Hasen lieferte er der Klosterküche. Dann bezog er seine Wächterstube, nagelte den Strauß an die Wand und malte mit Kohle ein Herz dazu, das hatte zwei Augen und einen langen Strich als Nase und einen Querstrich als Mund. Der Klosterschüler Burkard kam herauf, mit ihm zu spielen. Den faßte er mit gewaltiger Hand, reichte ihm die Kohle, stellte ihn vor die Wand und sprach: Schreib' den Namen drunter! 3* Was für einen Namen? frug der Knabe. Ihren! sprach Romeias. Was weiß ich von ihr und ihrem Namen, sagte der Klosterschüler verdrießlich. Da sieht man's wieder, brummte Romeias, wozu das Studiren gut ist! Sitzt der Bub' jeden Tag acht Stunden hinter seinen Esels- häuten und weiß nicht einmal, wie ein fremdes Frauenzimmer heißt! ... Viertes Kapitel . Im Kloster. Frau Hadwig hatte inzwischen am Grab des heiligen Gallus ihre Andacht verrichtet. Dann gedachte der Abt, ihr einen Gang im schat- tigen Klostergarten vorzuschlagen; aber sie bat, ihr zuvörderst den Kirchenschatz zu zeigen. Der Frauen Gemüth, wie hoch es auch ge- naturt sein mag, erfreut sich allzeit an Schmuck, Zierrath und präch- tiger Gewandung. Da wollte der Abt mit einiger Ausrede ihren Sinn ablenken, vermeinend, sie seien nur ein arm Klösterlein und seine Base werde auf ihren Fahrten im Reich und am Kaiserhof schon Preiswürdigeres erschaut haben: es half ihm nicht. Sie traten in die Sacristei. Er ließ die gebräunten Schränke öffnen, da war viel zu bewun- dern an purpurnen Meßgewändern, an Priesterkleidern mit Stickerei und gewirkten Darstellungen aus heiliger Geschichte. War auch Man- ches drauf abgebildet, was noch nahe an römisches Heidenthum an- streifte, zum Beispiel die Hochzeit des Mercurius mit der Philologie. Hernach wurden die Truhen aufgeschlossen, da glänzte es vom Schein edler Metalle, silberne Ampeln gleißten herfür, und Kronen, Streifen getriebenen Goldes zu Einfassung der Evangelienbücher und der Altarverzierung; Mönche des Klosters hatten sie, um's Knie gebunden, aus welschen Landen über unsichere Alpenpfade sicher einge- bracht, — köstliche Gefäße in seltsamsten Formen, Leuchter in Del- phinengestalt, säulengetragene Schaalen, Leuchthürmen gleich, Weih- rauchbehälter und viel Anderes — ein reicher Schatz. Auch ein Kelch von Bernstein war dabei, der schimmerte lieblich, so man ihn an's Licht hielt; am Rand war ein Stück ausgebrochen. Als mein Vorgänger Hartmuth am Sterben lag, sprach der Abt, ward's gepulvert und ihm mit Wein und Honig eingegeben, das Fieber zu stillen. Mitten im Bernstein saß ein Mücklein, so fein erhalten, als wär's erst neulich hereingeflogen, und hat sich dies Insect, wie es in vorge- schichtlichen Zeiten vergnüglich auf seinem Grashalm saß und vom zähflüssigen Erdharz überströmt ward, auch nicht träumen lassen, daß es in solcher Weise auf die Nachwelt übergehen werde. Auf derlei stummes Zeugniß wirkender Naturkraft ward aber da- mals kein aufmerkend Auge gerichtet; wenigstens war der Kämmerer Spazzo, der ebenfalls mit Sorgfalt Alles musterte, mit andern Dingen beschäftigt. Er dachte, um wie viel ergötzlicher es sein möcht', mit diesen frommen Männern in Fehde zu liegen, und statt als Gastfreund einzureiten, Platz und Schatz mit stürmender Hand zu nehmen. Und weil er schon manchen Umschlag vornehmer Freundschaft erlebt, berei- tete er sein Gemüth auf diese Möglichkeit, faßte den Eingang der Sacristei genau in's Aug' und murmelte: Also vom Chor die erste Pforte zur Rechten! Der Abt mochte auch der Ansicht sein, daß lang fortgesetzter An- blick von Gold und Silber Hunger nach Besitz errege; er ließ die letzte Truhe, welche der Kostbarkeiten vorzüglichste barg, nicht mehr erschließen und drängte, daß sie in's Freie kamen. Sie lenkten ihre Schritte zum Klostergarten. Der war weitschich- tig angelegt und trug an Kraut und Gemüse viel nach Bedarf der Küche; zudem auch nützliches Arzneigewächs und heilbringende Wurzeln. Beim Baumgarten war ein großer Raum abgetheilt für wild Ge- thier und Gevögel, wie solches theils in den nahen Alpen hauste, theils als Geschenk fremder Gäste dem Garten verehrt war. Da erfreute sich Frau Hadwig am ungeschlachten Wesen der Bären: in närrischen Sprüngen kletterten sie am Baum ihres Zwingers auf und nieder; daneben erging sich ein kurznasiger Affe, der mit einer Meerkatze zusammen an einer Kette durch's Leben tollte, — zwei Ge- schöpfe, von denen ein Dichter damaliger Zeit sagt, daß weder das eine noch das andere eine Spur nutzbringender Anlage als Berech- tigungsgrund seines Vorhandenseins aufzuweisen vermöge. Ein alter Steinbock stund in seines Raumes Enge, der Sohn der Hochalpe senkte sein Haupt, still und geduckt; seit er die schneidige Luft der Gletscher entbehren mußte, war er blind geworden, denn nicht Jedweder gedeiht in den Niederungen der Menschen. In anderem Behältniß waren dickhäutige Dachse angebaut; der böse Sindolt lachte, wie sie vorüberkamen: Sei gegrüßt, du kleines, niederträchtig Gethier, sprach er, du erlesen Wildpret der Klosterknechte! Wieder anderswo pfiff es durchdringend. Ein Rudel Murmelthiere lief den Ritzen zwischen den künstlich geschichteten Felsen zu. Frau Hadwig hatte solch kurzweilig Geschöpf noch nicht erschaut. Da erklärte ihr der Abt deren Lebensart: Die schlafen mehr als jede andere Kreatur, sprach er; auch wenn sie wachen, mögen sie ohne Phantasiren nicht sein, und so der Winter herzustreicht, lesen sie allenthalb Halm und Heu zusammen, und Eines von ihnen legt sich auf den Rücken, richtet die vier Füße ob sich, die Andern legen auf es Alles, so sie zusammengeraspelt haben, nehmen es danach beim Schweif und ziehen's wie einen geladenen Frachtwagen zu ihrer Höhle. Da sprach Sindolt zum dicken Kämmerer Spazzo: Wie schade, daß Ihr keine Bergmaus geworden, das wär' eine anmuthige Ver- richtung für Euch! Wie der Abt sich abgewendet, hub der böse Sindolt eine neue Art der Erklärung an: Das ist unser Tutilo, sprach er und deutete auf einen Bären, der so eben seinen Nebenbär rücklings zu Boden gewor- fen, — das der blinde Thieto! er deutete auf den Steinbock; eben wollte er auch seinem Abte die Ehre einer nicht schmeichelhaften Ver- gleichung erweisen, da fiel ihm die Herzogin in die Rede: Wenn Ihr Alles zu vergleichen wisset, habt Ihr auch für mich ein Sinnbild? Sindolt ward verlegen. Zu gutem Glück stand bei den Kranichen und Reihern ein schmucker Silberfasan und wiegte sein perlgrau glän- zend Gefieder im Sonnenschein. Dort! sprach Sindolt. Aber die Herzogin wandte sich zu Ekkehard, der träumerisch in das Gewimmel der Thierwelt schaute: Einverstanden? frug sie. Er fuhr auf: O Herrin! sprach er mit weicher Stimme, wer ist so ver- messen, unter dem, was da kreucht und fleugt, ein Sinnbild für Euch zu suchen? Wenn Wir's aber verlangen ... Dann weiß ich nur einen Vogel, sprach Ekkehard, wir haben ihn nicht und Niemand hat ihn; in klaren Mitternächten fliegt er hoch zu unsern Häupten und streift mit den Schwingen den Himmel. Der Vogel heißt Caradrion; wenn seine Fittige sich zur Erde senken, soll ein siecher Mann genesen: da kehret sich der Vogel zu dem Manne und thut seinen Schnabel über des Mannes Mund, nimmt des Man- nes Unkraft an sich und fährt auf zur Sonne und läutert sich im ewigen Licht: da ist der Mann gerettet. Der Abt kam wieder herbei und unterbrach weitere Sinnreden. Auf einem Apfelbaum saß ein dienender Bruder, pflückte die Aepfel und sammelte sie in Körbe. Wie sich die Herzogin zum Schatten der Bäume wandte, wollte er herniedersteigen, aber sie winkte ihm, zu bleiben. Jetzt ertönte es wie Gesang zarter Knabenstimmen in des Gartens Niederung: die Zöglinge der innern Klosterschule kamen heran, der Herzogin ihre Huldigung zu bringen; blutjunge Bürschlein, trugen sie bereits die Kutte und Mancher hatte die Tonsur auf's eilfjährige Haupt geschoren. Wie sie aber in Procession daher zogen, die roth- backigen Aebtlein der Zukunft, geführt von ihren Lehrern, den Blick zur Erde niedergeschlagen, und wie sie so ernst und langsam ihre Sequenzen sangen: da flog ein leiser Spott über Frau Hadwig's Antlitz, mit starkem Fuß stieß sie den nahestehenden Korb um, daß die Aepfel lustig unter den Zug der Schüler rollten und an ihren Ka- puzen emporsprangen. Aber unbeirrt zogen sie ihres Weges; nur der Kleinsten Einer wollte sich bücken nach der lockenden Frucht, doch streng hielt ihn sein Nebenmännlein am Gürtel. Wohlgefällig sah der Abt die Haltung des jungen Volkes und sprach: Disciplin unterscheidet den Menschen vom Thier! und wenn Ihr der Hesperiden Aepfel unter sie werfen wolltet, sie blieben fest. Frau Hadwig war gerührt. Sind all Eure Schüler so gut ge- zogen? frug sie. So Ihr Euch überzeugen wollt, sprach der Abt, die Großen in der äußern Schule wissen nicht minder, was Zucht und Gehorsam ist. Die Herzogin nickte. Da führte sie der Abt zur äußern Kloster- schule, wo zumeist vornehmer Laien Söhne und Diejenigen erzogen wurden, die sich weltgeistlichem Stand widmen wollten. Sie traten in die Klasse der Aeltesten ein. Auf der Lehrkanzel stand Ratpert der Vielgelehrte und unterwies seine Jugend im Ver- ständniß von Aristoteles Logica. Geduckt saßen die Schüler über ihren Pergamenten, kaum wandten sich die Häupter nach den Eingetretenen. Der Lehrmeister gedachte Ehre einzulegen: Notker Labeo! rief er. Der war die Perle seiner Schüler, die Hoffnung der Wissenschaft; auf schmächtigem Körper ein mächtiges Haupt, dran eine gewaltige Unterlippe kritisch in die Welt hervorragte, das Wahrzeichen strenger Ausdauer auf den steinigen Pfaden des Forschens und Ursache seines Uebernamens. Der wird brav, flüsterte der Abt, die ganze Welt sei ein Buch, hat er schon im zwölften Jahr gesagt, und die Klöster die classischen Stellen drin. Der Aufgerufene ließ seine klugen Aeuglein über den griechischen Text hingleiten und übersetzte mit gewichtigem Ernst den stagyritischen Tiefsinn: ...„Findest du an einem Holze oder Steine einen als Linie lau- fenden Strich, der ist der eben liegenden Theile gemeine March. Spaltet sich an dem Striche der Stein oder das Holz entzwei, so sehen wir strichweise zwei Durchschnitte an dem sichtbaren Spalte, die vorher nur ein Strich und Linie waren. Und über dies sehen wir zwo neue Oberflächen, die also breit sind, als dick der Körper war, da man vor die neue Oberfläche nicht sah. Darum erhellet, daß dieser Körper vorhin zusammenhängend war. “ Aber wie dieser Begriff des Zusammenhängenden glücklich heraus- geklaubt war, streckten etliche der jungen Logiker die Köpfe zusammen und flüsterten, und flüsterten lauter, — selbst der Klosterschüler He- pidan, der, unbeirrt von Notker's trefflicher Verdeutschung, seine ganze Mühe aufwandte, einen Teufel mit doppeltem Flügelpaar und Ringel- schwanz in die Bank einzuschneiden, stellte seine Arbeit ein ... itzt wandte der Lehrmeister sich an den Folgenden: wie wird aber die Oberfläche eine gemeine March? Da las der seinen griechischen Text, aber die Bewegung in den Schulbänken ward stärker, es summte und brummte wie ferne Sturmglocken, zur Uebersetzung kam's nicht mehr, plötzlich stürmten die Zöglinge Ratpert's lärmend vor, sie stürmten auf die Herzogin ein, rissen sie von des Abts und ihres Kämmerers Seite: gefangen! gefangen! schrie die holde Jugend und begann sich mit den Schulbänken zu verschanzen: gefangen! wir haben die Herzogin in Schwaben gefangen. Was soll ihr Lösegeld sein? Frau Hadwig hatte sich schon in mancherlei Lebenslagen befunden. Daß sie als Gefangene unter Schulknaben fallen könne, war ihr noch nicht zu Sinn gekommen. Weil die Sache neu war, hatte sie Reiz für sie; sie fügte sich. Ratpert der Lehrmeister holte aus seinem Holzverschlag eine mäch- tige Ruthe hervor, schwang sie dräuend zur Umkehr und rief, ein zweiter Neptunus, die virgilischen Verse in's Getümmel: „So weit hat das Vertrauen auf euer Geschlecht euch verleitet? Himmel und Erde sogar, ohn' alles Geheiß von mir selber Wagt ihr zu mischen, ihr Winde, und solchen Tumult zu erheben?! Quos ego!!“ Erneuter Hallohruf war die Antwort. Schon war der Saal durch Schulbänke und Schemel abgesperrt. Herr Spazzo überlegte den Ge- danken eines Sturms und kräftiger Faustschläge an die Haupträdels- führer. Der Abt war sprachlos, die Keckheit war ihm lähmend in die Glieder gefahren. Die hohe Gefangene stand am andern Ende des Hörsaals in einer Fensternische, umringt von ihren fünfzehnjährigen Entführern. Was soll das Alles, ihr schlimmen Knaben? frug sie lächelnd. Da trat Einer der Aufrührer vor, beugte sein Knie und sprach demüthig: Wer als Fremder kommt, ist sonder Schutz und Friede, und friedlose Leute hält man gefangen, bis sie sich der Unfreiheit lösen. Lernt ihr das auch aus euren griechischen Büchern? Nein, Herrin, das ist deutscher Brauch. So will ich mich denn auslösen, lachte Frau Hadwig, erfaßte den rothwangigen Logiker und zog ihn zu sich heran, ihn zu küssen; der aber riß sich von ihr los, sprang in den Kreis der lärmenden Ge- nossen und rief: Die Münze kennen wir nicht! Was heischet ihr denn für ein Lösegeld? fragte die Herzogin. Sie war der Ungeduld nahe. Der Bischof Salomo von Konstanz war auch unser Gefangener, sprach der Schüler, der hat uns drei weitere Vacanztage erwirkt im Jahr und eine Recreation an Fleisch und Brod, und hat's in seinem Testament gebrieft und angewiesen. O nimmersatte Jugend! sprach Frau Hadwig, so muß ich's zum mindesten dem Bischof gleich thun. Habt ihr schon Felchen aus dem Bodensee verspeist? Nein! riefen die Jungen. So sollt ihr jährlich sechs Felchen zum Angedenken an mich er- halten. Der Fisch ist gut für junge Schnäbel. Gebt Ihr's mit Brief und Siegel? Wenn's sein muß! Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr! rief's von allen Seiten, Heil, sie ist frei! Die Schulbänke wurden in Ord- nung gestellt, der Ausgang gelichtet, springend und jubelnd geleiteten sie die Gefangene zurück. Im Hintergrund flogen die Pergament- blätter der Logica als Freudenzeichen in die Höhe, selbst Notker Labeo's Mundwinkel neigten sich zu einem gröblichen Lachen und Frau Hadwig sprach: Sie waren recht huldvoll, die jungen Herren; wollet die Ruthe wieder in Verschlag thun, Herr Professor! An ein Weitererklären des Aristoteles war heut nicht mehr zu denken. Ob die Ausgelassenheit der Schüler nicht in nahem Zusam- menhang mit ihrem Studium der Logik stand? Der Ernst ist oft- mals ein gar zu dürrer blattloser hohler Stamm, sonst hätt' die Thorheit nicht Raum, ihn üppig grün zu umranken ... Wie die Herzogin mit dem Abt den Hörsaal verlassen, sprach dieser: Es übrigt noch, Euch des Klosters Bücherei zu zeigen, die Arzneikammer lernbegieriger Seelen, das Zeughaus für die Waffen des Wissens. Aber Frau Hadwig war ermüdet, sie dankte. Ich muß mein Wort halten, sprach sie, und die Schenkung an Eure Schulknaben urkundlich machen. Wollet die Handfeste aufsetzen lassen, daß wir sie mit Unterschrift und Sigill versehen. Herr Cralo führte seinen Gast nach seinen Gemächern. Den Kreuzgang entlang wandelnd, kamen sie an einem Gelaß vorüber, deß Thüre war offen. An kahler Wand stand eine niedere Säule, von der in halber Mannshöhe eine Kette niederhing. Ueber dem Portal war in verblaßten Farben eine Gestalt gemalt, sie hielt in magern Fingern eine Ruthe. Wen der Herr lieb hat, den züchtigt Er; Er stäupet einen Jeglichen, den er zum Sohne annimmt (Hebr. XII. 6), war in großen Buchstaben darunter geschrieben. Frau Hadwig warf dem Abt einen fragenden Blick zu. Die Geißelkammer! sprach er. Ist keiner der Brüder zur Zeit einer Strafe verfallen, fragte sie, es möcht' ein lehrreich Beispiel sein ... Da zuckte der böse Sindolt mit dem rechten Fuß, als wär' er in einen Dorn getreten, reckte sein Ohr rückwärts, wie wenn von dort eine Stimme ihm riefe, sprach: ich komme sogleich, und enteilte in's Dunkel des Ganges. Er wußte warum. Notker der Stammler hatte nach jähriger Arbeit die Abschreibung eines Psalterbuches vollendet und es mit zierlich feinen Federzeich- nungen geziert; das hatte der neidige Sindolt nächtlicher Weile zer- schnitten und die Weinkanne drüber geschüttet. Drob war er zu drei- maliger Geißelstrafe verdammt, der letzten Vollzug stand noch aus: er kannte das Oertlein und die Bußwerkzeuge, die ihrem Rang nach an der Wand hingen, vom neunfältigen „Scorpion“ herab bis zur einfachen „Wespe“. Der Abt drängte, daß sie vorüber kamen. Seine Prunkgemächer waren mit Blumen geschmückt. Frau Hadwig warf sich in den ein- fachen Lehnstuhl, auszuruhen vom Wechsel des Erschauten. Sie hatte in wenig Stunden Viel erlebt. Es war noch eine halbe Stunde zum Abendimbiß. Wer zu dieser Frist einen Rundgang durch des Klosters Zellen gemacht, der hätte sich überzeugen mögen, wie kein einziger Bewohner des Stiftes unberührt vom Eindruck des vornehmen Besuchs geblieben. Auch die weltabgeschiedensten Gemüther fühlen, daß einer Frau Hul- digung gebührt. Dem grauen Tutilo war's beim Empfang schwer auf's Herz ge- fallen, daß der linke Aermel seiner Kutte mit einem Loch geschmückt war; sonst wär's wohl bis zum nächsten hohen Festtag ungeflickt ge- blieben, aber itzt galt kein Verzug; mit Nadel und Zwirn gewaffnet saß er auf dem Schragen und besserte den Schaden. Und weil er gerade im Zug war, legte er auch seinen Sandalen eine neue Sohle an und festigte sie mit Nägeln. Er summte eine Melodei, daß die Arbeit besser gedieh. Ratold das Denkmännlein ging mit gerunzelter Stirn auf seiner Zelle auf und nieder, vermeinend es werde sich eine Gelegenheit er- geben, in frei ersonnener Rede des hohen Gastes Ruhm zu preisen. Den Eindruck unmittelbaren Ergusses zu erhöhen, studirte er sie vor- her. Er wollte des Tacitus Spruch von den Germanen zu Grund legen: „sie glauben auch, daß den Frauen etwas Heiliges und Zu- kunftvoraussehendes inwohne, darum verschmähen sie niemals ihren Rath und fügen sich ihren Bescheiden.“ Es war dies fast das Ein- zige, was er aus Hörensagen von den Frauen wußte, aber er zwinkte mit den Eichhörnleinsaugen und war sicher, von dort unter etlichen bissigen Ausfällen auf seine Mitbrüder einen Uebergang zum Lob der Herzogin zu finden. Leider blieb die Gelegenheit zu Anbringung einer Rede aus, weil er sie nicht zu finden verstand. In anderer Zelle saßen der Brüder sechs unter dem riesigen Elfenbeinkamm, der an eiserner Kette von der Decke herabhing, — Abt Hartmuths nützliche Stiftung — die vorgeschriebenen Gebete murmelnd erwies Einer dem Andern den Dienst sorglicher Glättung des Haupthaares. Ward auch manch überwachsene Tonsur in jener Zeit zu strahlendem Glanze erneut. In der Küche aber ward unter Gerold des Schaffners Leitung eine Thätigkeit entwickelt, die Nichts zu wünschen übrig ließ. Jetzo läutete das Glöcklein, dessen Ton auch von den frömmsten Brüdern noch Keiner unwillig gehört, der Ruf zur Abendmahlzeit. Abt Cralo geleitete die Herzogin ins Refectorium. Sieben Säulen theilten den luftigen Saal hälftig ab, an vierzehn Tischen standen, wie Heerschaaren der streitenden Kirche, des Klosters Mitglieder, Prie- ster und Diakonen; sie erwiesen dem hohen Gast keine sonderliche Aufmerksamkeit. Das Amt des Vorlesers vor dem Imbiß stund in dieser Woche bei Ekkehard dem Pörtner. Der Herzogin zu Ehren hatte er den vier und vierzigsten Psalm erkoren; er trat auf und sprach einlei- tend: „Herr öffne meine Lippen auf daß mein Mund dein Lob ver- künde,“ und Alle sprachen's ihm murmelnd nach, als Segen zu seiner Lesung. Nun erhub er seine Stimme und begann den Psalm, den die Schrift selber einen lieblichen Gesang nennet: Es quillet mein Herz eine schöne Rede, ich will reden mein Ge- dicht dem Könige, meine Zunge sei der Griffel des Geschwindschreibers. Der schönste bist du von den Söhnen des Menschen, Anmuth ist gegossen über deine Lippen, denn Gott hat dich gesegnet ewig. Gürte um die Hüfte dein Schwert, du Held, deinen Ruhm und deinen Schmuck. Und geschmückt zeuch aus, ein Hort der Wahrheit, Milde und des Rechts. Ja, Wunder wird zeigen deine Rechte! Deine Pfeile seien ge- schärft, Völker sollen unter dir stürzen, die im Herzen Feinde des Königs sind. Dein Thron vor Gott steht immer und ewig, ein gerechter Scepter ist der Scepter deines Reichs. Du liebest das Recht und hassest das Unrecht, drum hat dich Gott dein Gott gesalbt mit dem Oel der Freude, mehr denn alle Genossen, Myrrhen, Aloe und Cassia duften all deine Kleider, aus elfenbeiner- nen Pallästen erfreuen Saiten dich ... Die Herzogin schien die Huldigung zu verstehen; als wenn sie selber mit den Worten des Psalms angeredet wäre, hefteten sich ihre Augen auf Ekkehard. Aber auch dem Abt war's nicht entgangen, da gab er ein Zeichen abzubrechen und der Psalm blieb unbeendet, als sich männiglich zu Tisch setzte. Das aber konnte Herr Cralo nicht hindern, daß Frau Hadwig dem emsigen Vorleser befahl, an ihrer Seite Platz zu nehmen; es war zwar der Rangstufung folgend der Sitz zu ihrer Linken dem alten Decan Gozbert zugedacht, aber dem war's schon lang zu Muthe als käm' er auf glühende Kohlen zu sitzen, denn er hatte mit Frau Hadwig's seligem Gemahl dereinst einen gröblichen Wortwechsel ge- pflogen, wie der dem Klosterschatz das unfreiwillige Kriegsanlehen auflegte, und war von damals auch der Herzogin giftig gestimmt, — kaum merkte er die Absicht, so drückte er sich vergnüglich seitwärts und schob den Pörtner auf den Decanssitz. Neben Ekkehard kam der Herzogin Kämmerer Spazzo zu sitzen, dem zur Seite der Mönch Sindolt. Die Mahlzeit begann. Der Küchenmeister, wohl wissend wie bei Ankunft fremder Gäste Erweiterung der schmalen Klosterkost gestattet sei, hatte es nicht beim üblichen Muß mit Hülsenfrüchten bewen- den lassen. Auch der strenge Küchenzettel des seligen Abt Hartmuth ward nicht eingehalten. Wohl erschien zuerst ein dampfender Hirsebrei, auf daß, wer ge- wissenhaft bei der Regel bleiben wolle, sich daran ersättige; aber Schüssel auf Schüssel folgte, bei mächtigem Hirschziemer fehlte der Bärenschinken nicht, sogar der Biber vom obern Fischteich hatte sein Leben lassen müssen; Fasanen, Rebhühner, Turteltauben und des Vogelheerds kleinere Ausbeute folgten, der Fische aber eine unendliche Auswahl, so daß schließlich ein jeglich Gethier, watendes, fliegendes, schwimmendes und kriechendes, auf der Klostertafel seine Vertretung fand. Und Mancher der Brüder kämpfte damals einen schweren Kampf in seines Gemüthes Tiefe; selbst Gozbert, der alte Decan ... des Hirsebreis war er gesättigt und hatte mit mächtigem Stirnrunzeln des Hirsches Braten und des Bären Schinken weggeschoben als wär's eine Versuchung des bösen Feindes: aber wie auch ein schön bräunlich gebraten Birkhuhn in seine Nähe gestellt ward, da schlug der Braten- duft träumerisch an seine Nase, mit dem Duft hielten die Geschichten seiner Jugend bei ihm Rückkehr: wie er selber vor vierzig Jahren dem Waidwerk oblag und in frühem Morgennebel dem Auerhahn balzend nachstellte, und die Geschichte von des Försters Töchterlein, die ihm damals begegnet, nnd ... zweimal noch kämpfte er des Arms Bewegung zurück, das drittemal hielt's nimmer, des Birkhuhns Hälfte lag vor ihm und ward in Eile verzehrt. Der Kämmerer Spazzo hatte Beifall nickend der Schüsseln man- nigfache Zahl erscheinen sehen, ein großer Rheinlank, der Fische besten einer, war schier unter seinen Händen verschwunden, fragend schaute er sich nach einigem Getränk um, da zog Sindolt, sein Nach- bar, ein steinern Krüglein herbei, schenkte ihm den metallenen Becher voll, stieß mit ihm an und sprach: des Klosterweins Auslese! Herr Spazzo gedachte einen mächtigen Zug zu thun, aber es schüttelte ihn wie Fieberfrost und den Becher absetzend sagte er: da möchte der Teufel Klosterbruder sein! Der böse Sindolt hatte ihm ein saures Apfelweinlein mit dem Saft von Brombeeren gemischt vorgesetzt. Wie aber Herr Spazzo ihm schier mit einem Faustschlag gelohnt hätte, holte er, ihn zu sänftigen, des dunkelrothen Valtelliners einen Henkelkrug. Der Valtelliner ist ein wackerer Wein, in dem schon der Kaiser Augustus seinen Schmerz über die Varusschlacht niedergetrun- ken; und allmälig versöhnte sich Herr Spazzo, trank auch auf das Wohlergehen des Bischofs von Chur, dem das Kloster diesen Wein verdankte, ohne daß er ihm sonst näher bekannt war, seinen Becher leer und Sindolt that wacker Bescheid. Was sagt Euer Patron zu solchem Trinken? fragte der Kämmerer. Sanct Benedict war ein weiser Mann, sprach Sindolt. Darum schrieb er in sein Gesetz: Wiewohl zu lesen steht, daß der Wein überhaupt kein Trunk für Mönche sei, so mag dies doch heutigen Tages keinem Einzigen mehr mit Ueberzeugung eingeredet werden. Darum, und schwächlicheren Gemüthes Hinfälligkeit erwägend, ordnen wir dem Einzelnen eine halbe Maas für den Tag zu. Keiner aber soll trinken bis zur Sättigkeit, denn der Wein macht auch den Weise- sten abtrünnig vom Pfade der Weisheit ... Gut! sprach Spazzo und trank seinen Becher aus. Wißt Ihr aber auch, frug Sindolt, was den Brüdern zu thun vorgeschrieben steht, in deren Gegend wenig oder gar kein Rebensaft gedeihen mag? Die sollen Gott loben und preisen und nicht murren. Auch gut! sprach Spazzo und trank wiederholt seinen Becher aus. Der Abt suchte inzwischen seine fürnehme Base nach Kräften zu unterhalten. Er fing an, Herrn Burkhart's trefflichen Eigenschaften einen Nachruf zu halten. Aber Frau Hadwig's Antworten waren karg und einsilbig. Da merkte der Abt, daß Alles seine Zeit habe, namentlich die Liebe einer Wittib zum verstorbenen Ehemann. Er wandte das Gespräch und fragte, wie ihr des Klosters Schulen gefallen. Mich dauert das junge Völklein, sprach die Herzogin, daß es in jungen Tagen so Vieles erlernen muß. Ist das nicht wie eine Last, die Ihr ihnen aufbürdet, an der sie zeitlebens keuchend schleppen müssen? Erlaubet, edle Base, erwiederte der Abt, daß ich Euch als Freund und Blutsverwandter gemahne, weniger in Tag hinein zu reden. Das Studium der Wissenschaft ist dem jungen Menschen kein lästiger Zwang, es ist wie Erdbeeren, je mehr er genießt, desto größer der Hunger. Was hat aber die heidnische Kunst Logica mit der Gottesgelahrt- heit zu schaffen? frug Frau Hadwig. Die wird in rechten Händen zur Waffe, die Kirche Gottes zu schützen, sprach der Abt. Mit ihren Künsten haben der Ketzer viele die Gläubigen angefochten, jetzt fechten wir mit gleichem Rüstzeug wider sie und glaubet mir, ein sauber Griechisch oder Latein ist eine feinere Waffe als unsere einheimische Sprache, die sich auch in des Gewandtesten Hand nur wie eine Keule schwingt. Ei, sprach die Herzogin, müssen Wir noch bei Euch lernen, was fein sei? Ich habe seither gelebt ohne Latein zu sprechen, Herr Vetter. Es möcht' Euch nicht schaden, wenn Ihr's noch lerntet, sprach der Abt. Und wenn die ersten Wohlklänge der Latinität Euer Gehör erquickt haben, werdet Ihr zugeben, daß unsere Muttersprache ein junger Bär ist, der nicht stehen und gehen lernt, wenn ihn nicht classische Zunge beleckt. Zudem lehrt alter Römer Mund Weis- heit, fraget einmal den Mann zu Eurer Linken. Ist's wahr? wandte sich Frau Hadwig an Ekkehard, der schwei- gend dem Zwiesprach gelauscht hatte. Es wäre wahr, hohe Herrin! sprach er mit Feuer, so es Euch von Nöthen wäre, Weisheit zu lernen. Frau Hadwig drohte mit dem Finger: Habt Ihr selber denn Er- quickung aus den alten Pergamenten geschöpft? Erquickung und Glück! sprach Ekkehard, und seine Augen leuch- teten. Glaubet mir, Herrin, es thut in allen Lebenslagen wohl, sich bei den Classikern Raths zu erholen; lehrt uns nicht Cicero auf den verschlungenen Pfaden weltlicher Klugheit den rechten Steg wandeln? schöpfen wir nicht aus Sallust und Livius Anweisung zu Mannes- muth und Stärke, aus Virgil's Gesängen die Ahnung unvergänglicher Schönheit? Die Schrift ist uns Leitstern des Glaubens, die Alten aber leuchten zu uns herüber wie das Spätroth einer Sonne, die auch nach ihrem Niedergang noch mit erquickendem Widerschein in des Menschen Gemüth strahlt ... Ekkehard sprach mit Bewegung. Die Herzogin hatte seit dem Tag als der alte Herzog Burkhard um ihre Hand anhielt, keinen Menschen mehr gesehen, der für Etwas begeistert war. Sie trug einen hohen Geist in sich, der sich leicht auch Fremdartigem zu- wandte. Griechisch hatte sie in jungen Tagen der byzantinischen Wer- bung wegen schnell gelernt. Latein flößte ihr eine Art Ehrfurcht ein, weil es ihr fremd war. Unbekanntes imponirt, Erkenntniß führt auf den wahren Werth, der meist geringer ist als der geahnte. Mit dem Namen Virgilius war auch der Begriff des Zauberhaften verbunden ... In jener Stunde stieg in Hadwig's Herz der Entschluß auf, La- teinisch zu lernen. Zeit dazu hatte sie. Wie sie ihren Nachbar Ekkehard noch einmal angeschaut hatte, wußte sie auch, wer ihr Lehrer sein sollte ... Der stattliche Nachtisch, auf dem Pfirsiche, Melonen und trockene Feigen geprangt hatten, war verzehrt. Lebhaftes Gespräch an den andern Tischen deutete auf nicht unfleißiges Kreisen des Weinkrugs. Auch nach der Mahlzeit, — so wollte es des Ordens Regel — war zur Erbauung der Gemüther ein Abschnitt aus der Schrift oder dem Leben heiliger Väter zu verlesen. Ekkehard hatte am Tag zuvor das Leben des heiligen Benedictus begonnen, das einst Papst Gregorius abgefaßt. Die Brüder rückten die Tische zusammen, der Weinkrug stand unbewegt und es ward still in der Runde. Ekkehard fuhr mit dem zweiten Kapitel fort: „Eines Tages aber, dieweil er allein war, nahte ihm der Ver- sucher. Denn ein schwarzer kleiner Vogel, der gemeiniglich Krähe geheißen ist, begann um sein Haupt zu flattern und setzte ihm so unablässig zu, daß ihn der heilige Mann mit der Hand hätte ergrei- fen mögen, so er ihn fangen gewollt. „Er aber schlug das Zeichen des Kreuzes, da wich der Vogel. „Wie aber derselbe Vogel verschwunden war, folgte eine so große Versuchung des Fleisches, wie sie der heilige Mann noch niemalen erprobt. Denn vor langer Zeit hatte er eine gewisse Frau erschauet. Diese stellte ihm der böse Feind jetzo vor die Augen des Geistes und entzündete das Herz des Knechtes Gottes durch jene Gestalt mit solchem D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 4 Feuer, daß eine verzehrende Liebe in ihm zu glühen begann und er von Lust und Sehnsucht bewältigt, seinen Einsiedelstand jäh zu ver- lassen gedachte. „Da warf plötzlich des Himmels Gnade einen Schein auf ihn, daß er zu sich selber rückkehrte. Und er sah ihm zur Seite ein dicht Gebüsch von Brennesseln und Dörnern stehen, zog sein Gewand aus und warf sich nackt in die Stacheln des Gedörns und den Brand der Nesseln, bis daß er am ganzen Körper verwundet von dannen ging. „Also löschete er des Geistes Wunde durch die Wunden der Haut und siegte ob der Sünde ...“ Frau Hadwig war von dieser Vorlesung nicht erbaut; sie ließ ihre Augen gelangweilt im Saal die Runde machen. Der Kämmerer Spazzo, — däuchte auch ihm die Wahl des Kapitels unpassend oder war ihm der Valtelliner zu Häupten gestiegen? — schlug unversehens dem Vorleser das Buch zu, daß der holzbeschlagene Deckel klappte, hob ihm seinen Pocal entgegen und sprach: soll leben der heilige Benedict! und wie ihn Ekkehard vorwurfsvoll ansah, stimmte schon die jüngere Mannschaft der Klosterbrüder lärmend ein, sie hielten den Trinkspruch für Ernst; da und dort ward das Loblied auf den heili- gen Mann intonirt, diesmal als fröhlicher Zechgesang und lauter Jubel klang durch den Saal. Dieweil aber Abt Cralo bedenklich umschaute und Herr Spazzo immer noch beschäftigt war, mit den jungen Clerikern auf das Wohl ihres Schutzpatrons zu trinken, neigte sich Frau Hadwig zu Ekkehard und frug ihn mit nicht allzulauter Stimme: Würdet Ihr mich das Lateinische lehren, junger Verehrer des Alterthums, wenn ich's lernen wollte? Da klang es in Ekkehard's Herz wie ein Widerhall des Gelesenen: „wirf dich in die Nesseln und Dornen und sag Nein!“ er aber sprach: Befehlet, ich gehorche! Die Herzogin schaute den jungen Mönch noch einmal mit einem sonderbar flüchtigen Blicke an, wandte sich dann zum Abt und sprach über gleichgiltige Dinge. Die Klosterbrüder zeigten noch kein Verlangen, des Tages günstige Gelegenheit unbenutzt verstreichen zu lassen. In des Abts Augen mochte ein gnädig milder Schein leuchten, und der Kellermeister schob auch keinen Riegel für, wenn sie mit leeren Krügen die Stufen hinab stiegen. Am vierten Tisch begann der alte Tutilo gemüthlich zu wer- den und erzählte seine unvermeidliche Geschichte mit den zwei Räu- bern; immer lauter klang seine starke Stimme durch den Saal: „der Eine also zur Flucht sich gewendet — ich ihm nach mit meinem Eichpfahl — er Spieß und Schild weg zu Boden, — ich ihn am Hals gefaßt — den weggeworfenen Spieß in seine Faust gedrückt: Du Schlingel von einem Räuber, zu was bist auf der Welt? Fechten sollst mit mir!...“ Aber sie hatten's schon allzu oft hören müssen, wie er dann dem Kampfgenöthigten den Schädel eingeschlagen, und zupften und nöthig- ten an ihm, sie wollten ein schönes Lied anstimmen; wie er endlich mit dem Haupte nickte, stürmten Etliche hinaus: bald kamen sie wieder mit Instrumenten. Der brachte eine Laute, Jener ein Geiglein, worauf nur eine Saite gespannt, ein Anderer eine Art Hackbrett mit einge- schlagenen Metallstiften, zu deren Anschlag ein Stimmschlüssel dienlich war, wiederum ein Anderer eine kleine zehnsaitige Harfe, Psalter hießen sie das seltsam geformte Instrument und sahen in seiner drei- eckigen Gestalt ein Symbol der Dreieinigkeit. Und sie reichten ihm seinen dunkeln Tactstab von Ebenholz. Da erhob sich lächelnd der graue Künstler und gab ihnen das Zeichen zu einer Musica, die er selbst in jungen Tagen aufgesetzet; mit Freudig- keit hörten's die Andern. Nur Gerold dem Schaffner ward's mit dem Aufklingen der Melodien melancholisch zu Gemüthe, er überzählte die abgetragenen Schüsseln und die geleerten Steinkrüge, und wie ein Text zur Singweise flog's ihm durch den Sinn: Wie Viel hat dieser Tag verschlungen an Klostergeld und Gut? Leise schlug er mit sandalenbeschwertem Fuße den Tact, bis der letzte Ton verklang. Zu unterst am Tische saß ein stiller Gast mit blaßgelbem Ange- sicht und schwarzkrausem Gelock; er war aus Welschland und hatte von des Klosters Gütern im Lombardischen die Saumthiere mit Ka- stanien und Oel herübergeleitet. In wehmüthigem Schweigen ließ er die Fluth der Töne über sich erbrausen. Nun, Meister Johannes, sprach Folkard der Maler zu ihm, ist die welsche Feinfühligkeit jetzt zufrieden gestellt? Den Kaiser Julianus 4* muthete einst unserer Vorväter Gesang an wie das Geschrei wilder Vögel, aber seither haben wir's gelernt. Klingt's Euch nicht lieblicher als Sang der Schwanen? Lieblicher — als Sang der Schwanen — — wiederholte der Fremde wie im Traum. Dann erhob er sich und schlich leise von dannen. Es hat's Keiner im Kloster zu lesen bekommen, was er in jener Nacht noch in's Tagebuch seiner Reise eintrug: Diese Männer diesseits der Alpen, schrieb er, wenn sie auch den Donner ihrer Stimmen hoch gen Himmel erdröhnen lassen, können sich doch nimmer zur Süße einer gehobenen Modulation erschwingen. Wahrhaft barbarisch ist die Rauheit solch abgetrunkener Kehlen; wenn sie durch Beugung und Wiederaufrichtung des Tons einen sanf- ten Gesang zu ermöglichen suchen, schauert die Natur und es klingt wie das Fahren eines Wagens, der in Winterszeit über gefrorenes Pflaster dahin knarrt ... Herr Spazzo gedachte, was löblich begonnen, auch löblich zu enden, er schlich sich fort über den Hof in das Gebäude wo Praxedis und die Dienerinnen waren und sprach: ihr sollet zur Herzogin kommen, und zwar gleich — sie lachten erst ob seiner Kutte, folgten ihm aber zum Saal, und war Keiner der sie von der Schwelle zurückhielt. Und wie die Mägdlein an des Refectoriums Eingang sichtbar wurden, entstand ein Gemurmel und ein Kopfwenden im Saal, als sollte jetzo ein Tanzen und Springen anheben, wie es diese Wände noch nicht erschaut. Herr Cralo der Abt aber wandte sich an die Herzogin und sprach: Frau Base?! — und sprach's mit so duldender Wehmuth, daß sie aus ihren Gedanken auffuhr. Und sie sah auf einmal ihren Käm- merer und sich selber in der Mönchskutte mit andern Augen an, denn zuvor, und schaute die Reihen trinkender Männer, den entferntesten verdeckte der Capuze vorstehender Rand das Antlitz, daß es aussah, als werde der Wein in leeren Gewandes Abgrund geschüttet, und die Musik klang ihr gellend in die Ohren, als würde hier ein Mummen- schanz gefeiert, der schon allzulang gedauert ... Da sprach sie: Es ist Zeit schlafen zu gehen! und ging mit ihrem Gefolg nach dem Schulhaus hinüber, wo ihr Nachtlager sein sollte. Wiß't Ihr auch, was des Tanzens Lohn gewesen wär'? frug Sin- dolt einen der Mönche, der ob dieser Wendung der Dinge höchlich be- trübt schien. Der schaute ihn starr an. Da machte ihm Sindolt eine unverkennbare Geberde, die hieß: „Geißelung!“ Fünftes Kapitel . Ekkehard's Auszug . Früh Morgens darauf saß die Herzogin sammt ihren Leuten im Sattel, heimzureiten, und der Abt hatte keine Einwendung erhoben, da sie sich jegliche Abschiedsfeierlichkeit verbat. Darum lag das Kloster in stiller Ruhe, als drüben schon die Rosse wieherten, nur Herr Cralo kam pflichtschuldig herüber. Er wußte was die Sitte gebot. Zwei Brüder begleiteten ihn. Der Eine trug einen schmucken Becher von Krystall mit silberge- triebenem Fuß und Aufsatz geschmückt, und saß manches gute Stück- lein Onyx und Smaragd in der silbernen Umfassung; der Andre trug ein Krüglein mit Wein. Und der Abt schöpfte ein Weniges in den Becher, wünschte seiner erlauchten Base einen gesegneten Tag und bat, mit ihm des Abschieds Minne zu trinken und den Becher zu freund- lichem Angedenken zu behalten. Für den Fall, daß das Geschenk nicht genügend befunden werden sollte, hatte er noch ein seltsam Schaustück im Rückhalt, das war sil- bern zwar, doch unansehnlicher Gestalt und täuschend einem schlichten Brode gleichgeformt, innen aber gefüllt mit güldenen Byzantinern bis zum Rande; — vorerst ließ der Abt Nichts davon vermerken und trug's sorglich verborgen in der Kutte. Frau Hadwig nahm den dargebotenen Becher, that als wenn sie daran nippte, gab ihn aber wieder zurück und sprach: Erlaubet, theurer Vetter, was soll der Frau das Trinkgefäß? Ich heische ein anderweit Gastgeschenk. Habet Ihr nicht gestern von Quellen der Weisheit gesprochen? Ihr sollet mir aus des Klosters Bücherei einen Virgilius ver- ehren! Immer zu Scherz geneigt, sagte Herr Cralo, der eine gewichtigere Forderung erwartet hatte: Was soll Euch der Virgilius, so Ihr der Sprache nicht kundig seid? Es versteht sich, daß Ihr mir den Lehrer dazu gebet, sprach die Herzogin ernst. Da schüttelte der Abt bedenklich das Haupt: Seit wann werden die Jünger des heiligen Gall als Gastgeschenke vergeben? Sie aber sprach: Ihr werdet mich verstanden haben. Der blonde Pörtner wird mein Lehrer sein, und heut am dritten Tage längstens wird der Virgilius und er sich bei mir einstellen! Gedenket, daß des Klosters Streit um die Güter im Rheinthal und die Bestätigung sei- ner Freiheiten in Schwaben in meiner Hand ruhet, und daß ich nicht abgeneigt, auch auf dem twieler Felsen den Jüngern Sanct Benedicts ein Klösterlein herzurichten ... Lebet wohl, Herr Vetter! Da winkte Herr Cralo betrübt dem dienenden Bruder: Traget den Kelch in die Schatzkammer zurück. Frau Hadwig reichte ihm anmuthig die Rechte, die Rosse stampften, Herr Spazzo schwang den Hut — in leichtem Trab ritt der Zug aus des Klosters Bann heimwärts. Von des Wächters Thurmstube ward ein mächtiger Strauß in die Abreitenden geworfen, dran allein an Sonnenblumen die Hälfte eines Dutzends prangte, der Astern nicht zu gedenken, aber Niemand fing ihn auf und der Rosse Huf brauste drüben hin ... Im trockenen Graben vor dem Thor hatten sich die Schüler der innern Klosterschule versteckt: „Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr!... und sie soll die Felchen bald schicken! Heil!“ klang ihr Ruf gellend in der Scheidenden Ohr. Wem für ein ungezogen Benehmen drei Feiertage und die besten Seefische bewilligt sind, der hat gut schreien, sprach Herr Spazzo. Langsam ging der Abt in's Kloster zurück; er ließ Ekkehard den Pförtner zu sich rufen und sprach zu ihm: Es ist eine Fügung über Euch ergangen. Ihr sollet der Herzogin Hadwig einen Virgilius über- bringen und ihr Lehrer werden. „Die alten Lieder d a s Maro mögen mit lieblichem Sang die sky- thischen Sitten besänften“, heißt's im Sidonius. Es ist nicht Euer Wunsch ... Ekkehard schlug die Augen nieder, seine Wangen rötheten sich — Aber den Mächtigen der Erde dürfen wir keinen Anstoß geben. Morgen reiset Ihr ab. Ich verliere Euch ungern; Ihr waret der brävsten und würdigsten Einer. Der heilige Gallus wird Euch den Dienst gedenken, den Ihr seinem Stift leistet. Vergeßt auch nicht, aus dem Virgilius das Titelblatt weg zu schneiden mit der Verwünschung gegen den, der das Buch dem Kloster verschleppt ... Was des Menschen Herzenswunsch ist, dazu läßt er sich gern befehligen. Des Gehorsams Gelübde, sprach Ekkehard, heißt mich des Vorge- setzten Willen sonder Zagen und Aufschub, sonder Lauheit und Mur- ren vollziehen. Er beugte sein Knie vor dem Abte. Dann ging er nach seiner Zelle. Es war ihm als hätte er ge- träumt. Seit gestern war ihm fast zu Vieles begegnet. Es geht noch Andern ebenso: lang einförmig schleicht das Leben, — wenn des Schicksals Wendungen kommen, folgt Schlag auf Schlag. Er rüstete sich zur Reise. „Was du begonnen, laß unvollendet zurück, zieh ab deine Hand vom Geschäft darin sie thätig war, zeuch aus im Schritt des Gehorsames“, es war ihm kaum Noth, sich diesen Satz seiner Re- gel vorzuhalten. Auf seiner Zelle lagen die Pergamente des Psalmenbuchs, das Folkard mit Meisterhand geschrieben und mit seinen Bildwerken verziert hatte. Ekkehard war beauftragt, mit der werthvollen Goldfarbe, die der Abt jüngst von venetianischen Handelsleuten erkauft hatte, die An- fangsbuchstaben auszumalen, und den Figuren durch leisen Goldstrich an Krone, Scepter, Schwert und Mantelsaum die letzte Vollendung zu geben. Er nahm Pergamente und Farben und trug's seinem Gefährten hinüber, daß der statt seiner die letzte Hand an's Begonnene lege; Folkard war gerade daran, ein neues Bild zu entwerfen, wie David vor der Bundeslade tanzt und Laute spielt, — er schaute nicht auf. Schweigend verließ Ekkehard seine Künstlerstube. Er wandte sich zur Bibliothek, den Virgil auszulesen. Wie er droben stand im hochgewölbten Saal, einsam unter den schweigenden Pergamenten, da kam ein Gefühl der Wehmuth über ihn; auch das Leblose stellt sich bei Abschied und Wiedersehen vor den Menschen als trüg's eine Seele in sich und nähme Antheil an dem was ihn bewegt. Die Bücher waren seine besten Freunde. Er kannte sie Alle, und wußte, wer sie geschrieben; — manche der Schriftzüge erinnerten an einen vom Tode schon entführten Gefährten ... Was wird das neue Leben bescheeren, das von morgen für mich anhebt? Eine Thräne stand ihm im Auge. Itzt fiel sein Blick auf das kleine in metallene Decke gebundene Glossarium, in dem einst der heilige Gallus, der am Bodensee üblichen Landessprache unkundig, sich vom Pfarrherrn zu Arbon die nothwendigsten Worte hatte verdeutschen lassen. Da gedachte Ekkehard, wie des Klosters Stifter mit so wenig Ausrüstung und Hilfe dereinst ausgezogen, ein fremder Mann unter die Heiden, und wie sein Gott und sein unverzagt Herz in Noth und Fährlichkeit ihn immerdar frisch gehalten ... sein Muth stärkte sich, er küßte das Büchlein, nahm den Virgil aus dem Schrein und wandte sich, zu gehen. „Wer dies Buch wegträgt, den sollen tausend Peitschenhiebe treffen und Lähmung und Aussatz dazu!“ stand auf dem ersten Blatte. Er schnitt's weg. Noch einmal schaute er um, als wollten ihm von Brett und Kasten die Bücher einen Gruß zuwinken. Da hub sich ein Knistern an der Wand, der große Bauriß, den der Architect Gerung einst auf drei Schuh langer Thierhaut zu des Abt Hartmuth neuem Klosterbau an- gefertigt hatte, löste sich von dem festhaltenden Nagel und stürzte nieder, daß eine Staubwolke draus emporstieg. Ekkehard machte sich keine Gedanken drüber. Wie er den Gang des obern Stockwerks entlang schritt, kam er an einem offenen Gemach vorüber. Das war der Winkel der Alten. Der blinde Thieto saß drin, einst des Klosters Abt, bis schwinden- des Augenlicht ihn abzudanken nöthigte. Ein Fenster war geöffnet, daß der Greis sich der sonnenwarmen Luft erfreue. Bei ihm hatte Ekkehard manche Stunde in traulichem Gespräch verbracht. Der Blinde kannte ihn am Schritt und rief ihn zu sich. Wohin? frug er. Hinunter, — und morgen fort, in's Weite. Gebt mir Eure Hand, ich komme auf den hohen Twiel. Schlimm, sprach der Blinde, sehr schlimm! Warum, Vater Thieto? Frauendienst ist ein schlimm Ding für den, der gerecht bleiben will, Hofdienst noch schlimmer — was ist Frauen- und Hofdienst zugleich? Es ist mein Schicksal, sprach Ekkehard. Sanct Gallus behüte und schirme Euch, sagte Thieto. Ich will für Euch beten. Gebt mir meinen Stab. Ekkehard wollte ihm seinen Arm bieten, den lehnte er ab; er erhob sich und schritt zu einer Nische in der Wand, dort stund ein schmuck- los Fläschlein. Er nahm's herab und gab's ihm: 'S ist Wasser aus dem Jordan, das ich selber einst geschöpft. Wenn Euch der Staub der Welt überflogen hat und Eure Augen trüb werden wollen, so läutert Euch damit. Meinen hilft's nicht mehr. Fahret wohl! Am Abend desselben Tages ging Ekkehard auf den Berg, an den sich das Kloster anlehnt. Seit langer Zeit war das sein Lieblings- gang. In den Fischweihern, die dort zu Spendung klösterlicher Fasten- speise künstlich angelegt sind, spiegelten sich die Tannen; ein leiser Luftzug kräuselte die Wellen, die Fische tummelten sich. Lächelnd ging er vorüber: Wann werd' ich wohl wieder einen von euch verzehren? Im Tannwald oben auf dem Freudenberg war's feierlich still. Da hielt er an. Ein weites Rundbild that sich auf. Zu Füßen lag das Kloster mit all seinen Gebäuden und Ring- mauern; hier sprang der wohlbekannte Springquell im Hofe, dort blühten die Herbstblumen im Garten — dort in langer Reihe die Fenster der Klosterzellen, er kannte jedwede und sah auch die seinige: „Behüt dich Gott, stilles Gelaß!“ Der Ort, wo Tage strebsamer Jugend verlebt wurden, wirkt wie Magnetstein auf's Herz; es braucht so wenig, um angezogen zu sein, nur der ist arm, dem das große Treiben der Welt nicht Zeit ver- gönnt, sich örtlich und geistig an einem stillen Platz nieder zu lassen. Ekkehard hob sein Auge. Hoch aus der Ferne, wie reiche Zukunft, glänzte des Bodensee's Spiegel herüber, in verschwommenen Duft war die Linie des anderseitigen Ufers und seiner Höhenzüge gehüllt, nur da und dort haftete ein heller Schein und ein Widerschein im Wasser, die Niederlassungen der Menschen andeutend. „Aber was will das Dunkel in meinem Rücken?“ Er schaute sich um, rückwärts hinter den tannigen Vorbergen reckte der Säntis seine Zacken und Hörner empor, auf den verwitterten Felswänden hüpfte warmer Sonnenstrahl unstät im Kampf mit dem Gewölke und strahlte vorüberfliehend auf die Massen alten Schnees, die in den Schluchten neuem Winter entgegenharrten ... Ueber dem Kamor stand eine dunkle Wolke, sie dehnte und streckte sich, bald war die Sonne verdeckt, grau und matt wurden die Bergspitzen gefärbt, es schickte sich an, zu wetterleuchten ... Soll mir das ein Zeichen sein? sprach Ekkehard, ich verstehe es nicht. Mein Weg geht nicht zum Säntis. Nachdenkend schritt er den Berg hinunter. In der Nacht betete er am Grabe des heiligen Gallus. Früh- morgens nahm er Abschied. Der Virgilius und Thieto's Fläschlein waren in die Reisetasche verpackt, sein übrig Gepäck kurz beisammen. Wem selbst nicht der Körper, die Wünsche und Begierden zu eigener Verfügung stehen dürfen, soll auch weder an fahrender Habe noch an liegendem Gut ein eigen Besitzthum ausüben. Der Abt schenkte ihm zwei Goldschillinge und etliche Silberdenare als Zehr- und Nothpfennig. Mit einem Kornschiff des Klosters fuhr er über den See, — die Segel von günstigem Wind, die Brust von Muth und Wanderlust geschwellt. Mittag war's, da rückte das Castell von Konstanz und Dom und Mauerzinnen immer deutlicher vor den Augen der Schifffahrer auf. Wohlgemuth sprang Ekkehard an's Land. In Konstanz hätt' er sich verweilen, im Hof des Bischofs Gast- freundschaft ansprechen mögen. Er that's nicht. Der Ort war ihm zuwider, zuwider von Grund seines Herzens; nicht wegen seiner Lage oder etwaiger Mißgestalt, denn an Schönheit wetteifert er kühnlich mit jeglicher Stadt am See, sondern wegen der Erinnerung an einen Mann, dem er gram. Das war der Bischof Salomo, sie hatten ihn kürzlich mit großem Prunk im Münster begraben. Ekkehard war ein schlichter, gerader frommer Mensch. Im Dienst der Kirche stolz und hochfahrend wer- den, schien ihm Unrecht, ihn mit weltlichen Kniffen und Ränken ver- binden, verwerflich, — trotz aller Herzensverworfenheit ein weitbe- rühmter Mann bleiben: sonderbar. Solcher Art aber war des Bischof Salomo Treiben gewesen. Ekkehard erinnerte sich noch wohl aus den Erzählungen älterer Genossen, mit welcher Zudringlichkeit sich der junge Edelmann in das Kloster eingeschlichen, den Späher gemacht, sich beim Kaiser als unentbehrlichen Mann darzustellen gewußt, bis die Inful eines Abts von Sanct Gallen mit der Mitra eines Bischofs von Konstanz auf seinem Haupte vereinigt war. Und vom großen Schicksal der Kammerboten sangen die Kinder auf den Straßen. Die hatte der ränkespinnende Prälat gereizt und gekränkt, bis sie in der Fehde Recht suchten und ihn fingen: aber wiewohl Herrn Erchanger's Gemahlin Berchta ihn in der Gefangen- schaft hegte und pflegte wie ihren Herrn, und den Friedenskuß von ihm erbat und aus einer Schüssel mit ihm aß, war sein Gemüth der Rache nicht gesättigt, bis daß des Kaisers Gericht zu Adingen seinen rauhen Feinden die Häupter vor die Füße gelegt. Und die Tochter, die dem frommen Mann aus lustiger Studenten- zeit erwachsen, war itzt noch Abtissin am Münster zu Zürich. All das wußte Ekkehard; in der Kirche, wo der Mann begraben lag, mocht' er nicht beten. Es mag ungerecht sein, den Haß, der den Menschen gebührt, auf das Stück Land überzutragen, wo sie gelebt und gestorben, aber es ist erklärlich. Er schüttelte den Konstanzer Staub von den Füßen und wanderte zum Thor hinaus; dem sich kaum dem See entwindenden jungen Rhein blieb er zur Linken. Von mächtiger Haselstaude schnitt er sich einen festen Wanderstab: „wie die Ruthe Aaron's, da sie im Tempel Gottes aufgrünte, sein Geschlecht schied von den abtrünnigen Juden, so möge dieser Stab, geweiht mit der Fülle göttlicher Gnade, mir ein Hort sein wider die Ungerechten am Wege,“ sprach er mit den Worten eines alten Stock- segens. Vergnügt schlug ihm das Herz, wie er einsam fürbaß zog. Wie hoffnungsgrün und beseligt ist der Mensch, der in jungen Tagen auf unbekannten Pfaden unbekannter Zukunft entgegen zieht, — die weite Welt vor sich, der Himmel blau und das Herz frisch, als müßt' sein Wanderstab überall, wo er ihn ins Erdreich einstößt, Laub und Blüthen treiben und das Glück als goldnen Apfel in seinen Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wirst einstmals müden Fußes im Staub der Heerstraße einher schleichen, und dein Stab ist ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk und die Kinder zeigen mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo ist der goldene Apfel? ... Ekkehard war in der That vergnügt. Wanderlieder zu singen, war für einen Mann geistlichen Standes nicht üblich, aber der Gesang Davids, den er jetzt anstimmte: „Jehova ist mein Herr, mir mangelt Nichts. Auf grünen Triften läßt er mich lagern, zu stillen Gewässern führt er mich“ — mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdienstes verzeichnet worden sein, in das die Engel der Jugend fahrender Schü- ler und wandernder Gesellen Lieder einzutragen pflegen. Durch Wiesen und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn sein Pfad. Lang und niedrig streckte sich im See eine Insel, die Reiche- nau; Thurm und Mauern des Klosters spiegelten sich im ruhigen Ge- wässer; Rebhügel, Matten und Obstgärten wiesen dem Auge den Fleiß der Bewohner. Vor zweihundert Jahren war die Au noch wüst und leer gestan- den, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und bösen Schlan- gen. Der austrafische Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden Bischof Pirminius hinüber, der sprach einen schweren Segen über das Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen aus, die Tausendfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Scorpione, Lurche und was sonst kreucht in geordneten Säulen mit, Kröten und Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten sie nicht bestehen, zum Gestade, wo später die Burg Schopfeln gebaut ward, wälzte sich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seefluth — und der Fisch weitum hat damals einen guten Tag gehabt ... Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanzstätte klöster- licher Zucht von gutem Klang in deutschen Landen. Reichenau, grünendes Eiland, wie bist du vor Andern gesegnet, Reich an Schätzen des Wissens und heiligem Sinn der Bewohner, Reich an des Obstbaums Frucht und schwellender Traube des Weinbergs: Immerdar blüht es auf dir, und spiegelt im See sich die Lilie, Weithin schallet dein Ruhm bis in's neblige Land der Britannen. hatte schon in Ludwig des Deutschen Tagen der gelahrte Mönch Er- menrich gesungen, da ihn auf seiner Abtei Ellwangen Heimweh nach den schimmernden Fluthen des Bodensee beschlich. Ekkehard beschloß dieser Nebenbuhlerin seines Klosters einen Be- such abzustatten. Am weißsandigen Gestad von Ermatingen stand ein Fischer im Kahn und schöpfte das Wasser aus. Da deutete Ekkehard mit seinem Stab nach dem Eiland: Führt mich hinüber, guter Freund! Mönchshabit verlieh damals jeder Aufforderung Nachdruck. Der Fischer aber schüttelte verdrossen das Haupt: Ich fahre Keinen mehr von euch, seit ihr mich am letzten Ruggericht um einen Schilling ge- büßt ... Warum haben sie Euch gebüßt? Wegen dem Kreuzmann! Wer ist der Kreuzmann? Der Allmann. Auch der ist mir unbekannt, sprach Ekkehard, wie sieht er aus? Aus Erz ist er gegossen, brummte der Fischer, von zweier Span- nen Höhe, und hält drei Seerosen in der Hand. Der stund im alten Weidenbaum zu Allmannsdorf, und 's war gut, daß er dort stund, aber seit dem letzten Ruggericht haben sie ihn aus dem Baum gehauen und in's Kloster verschleppt. Jetzt steht er auf des welschen Bischofs Grab in Niederzell, was soll er dort? Todten Heiligen Fische fangen helfen?! ... Da merkte Ekkehard, daß des Fischers Christenglaube noch nicht felsenfest stand und mochte sich erklären, warum das eherne Götzenbild ihm die Schillingsbuße eingetragen — er hatte ihm ein Zicklein nächt- lich als Opfer geschlachtet, damit seine Fischzüge mit Felchen, Forellen und Braxmannen gesegnet würden, und die Rugmänner hatten nach kaiserlicher Verordnung solch heidnisch Rückerinnern geahndet. Seid vernünftig, alter Freund, sprach Ekkehard und vergesset den Allmann. Ich will Euch ein gut Theil Eures Schillings geben, so Ihr mich übersetzet. Was ich rede, sprach der Alte, soll sich nicht drehen lassen wie ein Ring am Finger. Ich fahre Keinen von euch. Mein Bub kann's thun, wenn er will. Er pfiff durch die Finger, da kam sein Bub, ein hochstämmiger Ferge, der führte Ekkehard hinüber. Wie sie das Schifflein angelegt, ging Ekkehard dem Kloster zu, das zwischen Obstbäumen und Rebhügeln versteckt in Mitten des Ei- landes aufgebaut steht. Es war die Zeit des Spätherbstes, Alt und Jung auf der Insel mit der Weinlese beschäftigt, da und dort hob sich die Capuze eines dienenden Bruders dunkel vom rothgelben Reb- laub ab. Auf der Hochwarte standen die Väter der Insel trupp- weise beisammen und ergötzten sich am Getrieb der traubensammelnden Leute; sie hatten unter Umtragung eines mächtigen Marmorgefäßes, das für einen Krug von der cananäischen Hochzeit galt, die Einseg- nung des neuen Weines abgehalten. Fröhlicher Zuruf und fernes Jauchzen klang aus den Rebbergen. Unbemerkt kam Ekkehard zum Kloster, auf wenig Schritte war er ihm genaht, da erst ragte der schwerfällige Thurm mit seinen Vor- hallen, deren Rundbogen abwechselnd mit grauen und rothen Sand- steinquadern geschmückt sind, vor ihm auf. Im Klosterhof Alles stumm und still. Ein großer Hund wedelte am fremden Gast hinauf ohne Laut zu geben, er bellte keine Kutte an; die Einwohner allesammt hatte der linde Herbsttag hinausgelockt. Da trat Ekkehard in die gewölbte Fremdenstube am Eingang. Auch des Pförtners Gelaß neben an war leer. Offene Fässer stan- den ausgepflanzt, manche schon mit süßem Moste gefüllt. Hinter ihnen war ein steinern Bänklein an der Wand; Ekkehard war frisch aus- geschritten und die Seeluft hatte ihm zehrend ums Haupt geweht, da kam ein Zug des Schlummers mächtig über ihn, er lehnte den Wanderstab an den Arm, streckte sich ein weniges und nickte ein. Derweil zog sich's mit langsamem Schritt in die kühle Stube, das war der ehrenwerthe Bruder Rudimann, des Klosters Kellermei- ster. Er trug ein steinern Krüglein in der Rechten und ging seines Amtes nach, Mostprobe zu halten. Das Lächeln eines mit der Welt und sich versöhnten Mannes lag auf seinen Lippen und sein Bauch war fröhlich gediehen wie das Hauswesen des Fleißigen, einen weißen Schurz hatte er drüber geschlungen, gewichtiger Schlüsselbund klap- perte an seiner linken Seite. „Zum Kellermeister soll erwählt werden ein weiser Mann von reifen Sitten, nüchtern und nicht vieler Speise gierig, kein Zänker und kein Schelter, kein Träger und kein Vergeuder, sondern ein Got- tesfürchtiger, der der gesammten Bruderschaft sei als wie ein Va- ter“ — und soweit es des Fleisches Schwäche hienieden möglich macht, war Rudimann bemüht, sothane Kellermeisterseigenschaften in sich zu vereinen. Dabei aber trug er das herbe Amt eines Straf- vollziehers, und wenn Einer der Brüder der Geißelung sich schuldig gemacht, band er ihn an die Säule und konnte sich Keiner über die Milde seines Armes beklagen. Daß er außerdem mit boshaftiger Zunge dann und wann boshaftige Gedanken aussprach und den Abt mit Verdächtigung der Mitbrüder zu unterhalten wußte, wie das Eichhörnlein Ratatöskr der Edda, das auf und abrennt an der Esche Yggdrasil und des Adlers zürnende Worte im Wipfel hernie- derträgt zu Nidhöggr dem Drachen in der Tiefe: das war nicht seines Amtes, das that er aus freien Stücken. Heute aber schaute er gar vergnüglich drein, deß trug die Güte der Weinlese Schuld. Und er tauchte sein Krüglein in ein offenes Faß, hielt's gegen das Fenster und schlürfte bedächtig den unklaren Stoff. Des schlafenden Gastes nahm er nicht wahr. Auch dieser ist süß, sprach er, und kommt doch vom mitternächti- gen Abhang der Hügel. Gelobt sei der Herr, der vom Nothstand seiner Knechte auf dieser Au eine billige Einsicht nahm und nach so viel magern Jahren ein fettes schuf, und frei von Säure. Inzwischen ging draußen Kerhildis die Obermagd vorüber, sie trug eine traubengefüllte Butte zur Kelter. Kerhildis, sprach der Kellermeister leise, getreuste aller Mägde, nimm mein Krüglein und füll' es mit dem Neuen vom Wartberg, der drüben an der Kelter steht, auf daß ich ihn mit diesem vergleiche. Kerhildis die Obermagd stellte ihre Last ab und ging und kam und stand vor Rudimann, reichte ihm das Krüglein, schaute schalk- haft an ihm hinauf, denn er überragte sie um eines Kopfes Länge, und sprach: Wohl bekomm's! Rudimann that einen langen frommen vergleichenden Zug, so daß ihm der Neue auf den Lippen schmelzen mochte wie Schnee in der Märzensonne; alle miteinander werden süß und gut, sprach er, und seine Augen hoben sich gerührt, und daß sie an der Obermagd strah- lendem Antlitz haften blieben, daran trug der Kellermeister kaum Schuld, denn diese hätte sich inzwischen auch zurückziehen können. Da fuhr er mit Salbung fort: So ich aber Euch anschaue, Kerhildis, so wird mein Herz doppelt froh, denn auch Ihr gedeihet wie der Klosterwein in diesem Herbst und Eure Bäcklein sind roth wie Granatäpfel, die des Pflückenden harren. Preiset mit mir des Jahrgangs Güte, getreuste aller Mägde! Und der Kellermeister schlang seinen Arm um der schwarzbraunen Ober- magd Hüfte, die wehrte sich dessen nicht groß — was liegt an einem Kuß im Herbste? — und sie wußte daß Rudimann ein Mann von reifen Sit- ten war und Alles mäßig that, wie es einem Kellermeister geziemt. Da fuhr der Schläfer auf der Steinbank aus seinem Schlummer. Ein eigenthümlich Geräusch, das von nichts Anderem herrühren kann als von einem wohlaufgesetzten verständigen Kuß, schlug an sein Ohr, er schaute zwischen den Fässern durch, da sah er des Kellermeisters Gewandung und ein Paar fliegende Zöpfe, die nicht zu diesem Habit gehörten ... er richtete sich auf, ein ungestümer Zorn kam über ihn, denn Ekkehard war jung und eifrig und in Sanct-Gallen war strenge Sitte, und es hatte ihm noch nie als möglich vorgeschwebt, daß ein Mann im Ordenskleid ein Weib küssen möge. Sein wuchtiger Haselstock ruhte ihm noch im Arm; itzt sprang er vor und schlug dem Kellermeister einen wohlgefügen Streich, der zog sich von der rechten Schulter nach der linken Hüfte und saß fest und gut wie ein auf Bestellung gelieferter Rock — und bevor sich Jener der ersten Ueberraschung erholt, folgte ein zweiter und dritter von gleichem Schrot ... er ließ sein steinern Geschirr fallen, daß es am Pflaster zerschellte; Kerhildis entfloh. Beim Krug von der Hochzeit zu Cana! rief Rudimann, was ist das? und wandte sich gegen den Angreifer. Jetzt erst schauten sich die Beiden von Angesicht zu Angesicht. Ein Gastgeschenk ist's, sprach Ekkehard ingrimmig, das der heilige Gall dem heiligen Pirmin sendet! und er erhub seinen Stab von Neuem. Dacht' ich's doch, schalt der Kellermeister, sanct gallische Holz- äpfel! Man kennt Euch an den Früchten: Boden hart, Glaube roh, Leute grob! Wartet des Gegengeschenks. Er sah nach etwas Greifbarem um, ein namhafter Besen stand in der Ecke, mit dem waffnete er sich und gedachte auf den Störer seines Friedens einzudringen ... Da rief's gebietend von der Pforte her: Halt! Friede mit Euch! und eine zweite Stimme frug mit fremder Betonung: Was ist hier für ein Holofernes aus dem Boden gewachsen? Es war der Abt Wazmann, der mit seinem Freund Simon Bardo, dem ehemaligen Protospathar des griechischen Kaisers von der Einsegnung der Weinlese zurückkehrte. Das Geräusch des Streits unterbrach eine gelehrte Auseinandersetzung des Griechen über die Belagerung der Stadt Hai durch Josua und die strategischen Fehler des Königs von Hai, da er mit seinem Heer auszog wider die Wüste. Der alte Griechenfeldherr, der die Heimath verlassen, um im byzanti- nischen Ruhestand nicht an Mattigkeit der Seele zu ersterben, lag in seinen Musestunden im deutschen Kloster eifrig dem Studium der Tactik ob; sie hießen ihn scherzweise den Hauptmann von Capernaum, wiewohl er das Ordenskleid genommen. Gebt dem Streite Raum, sprach Simon Bardo, der mit Be- dauern den Zweikampf unterbrochen sah, zum Abte: ich hab' heut' im Traume ein Sprühen von Feuerfunken erschaut, das deutet Schläge ... Der Abt aber, in dessen Augen die Eigenmacht Jüngerer ein Gräuel war, gebot Ruhe und ließ den Streitfall zur Schlichtung vortragen. Da hub Rudimann an zu erzählen was geschehen und verschwieg Nichts. Leichtes Vergehen, murmelte der Abt; Hauptstück sechs und vier- zig: von dem was bei der Arbeit, beim Gärtnern oder Fischfang, in Küche oder Keller gesündigt wird — allemannisches Gesetz: von dem was mit Mägden geschieht ... der Gegner spreche! Da trug auch Ekkehard vor, wie er die Sache angeschaut und in gerechtem Zorn dreingefahren. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 5 Verwickelt! murmelte der Abt, Hauptstück siebenzig: kein Bruder nehme sich heraus den Mitbruder sonder Ermächtigung des Abts zu schlagen, Hauptstück zwei und siebenzig: von demjenigen Eifer, der einem Mönch wohl ansteht und zum ewigen Leben führt ... Wie viel Jahre zählt Ihr? Drei und zwanzig! Da sprach der Abt ernsthaft: Der Streit ist aus. Ihr, Bruder Kellermeister, habt Eure Streiche als wohlverdient Entgelt Eurer Zer- streutheit aufzunehmen; — Euch, Fremdling des heiligen Gallus, vermöchte ich füglich anzuweisen, Eures Weges weiter zu ziehen, denn es steht geschrieben: Wenn ein fremder Mönch aus anderweiten Pro- vinzen ankommt, soll er zufrieden sein mit dem was er im Kloster vorfindet, sich nur einen demüthigen Tadel erlauben und sich in keiner Weise überflüssig machen. In Erwägung Eurer Jugend und unta- deligen Beweggrundes aber mögt Ihr zur Sühnung am Hauptaltar unserer Kirche eine einstündige Abendandacht verrichten: dann seid als Gastfreund willkommen! Dem Abte erging es mit seinem Schiedsspruch wie manchem ge- rechten Richter. Keiner der Betheiligten war zufrieden; sie gehorch- ten, aber unversöhnt. Wie Ekkehard in der Kirche sein Sühngebet that, mochten ihm allerlei Gedanken durch die Sinne ziehen vom guten Herzen, vom rechtzeitigen Eifer und von andrer Leute Urtheil drüber. Es war eine der ersten Lehren, die er im Zusammenstoß mit Menschen erlitt. Durch eine Seitenpforte ging er ins Kloster zurück. Was Kerhildis die Obermagd an jenem Abend den dienstbaren Frauen im Nähsaal zu Oberzell erzählte, allwo sie beim flackernden Scheine des Kienspahns ein Dutzend neue Mönchsgewänder zu ferti- gen hatten, war mit so beleidigenden Ausfällen gegen die Jünger des heiligen Gallus untermischt, daß es besser verschwiegen bleibt ... Sechstes Kapitel . Moengal. Um dieselbe Zeit, da Ekkehard in der Klosterkirche der Insel eine unfreiwillige Andacht abhielt, war Frau Hadwig auf dem Söller von Hohentwiel gestanden uud hatte lange hinausgeschaut — aber nicht nach der untergehenden Sonne. Die ging ihr im Rücken, hinter den dunkeln Bergen des Schwarzwaldes zur Ruhe. Frau Hadwig aber schaute erwartungsvoll nach dem Untersee und nach dem Pfad, der von seinem Ausgang sich dem hohentwieler Fels entgegen zog. Die Aussicht schien ihr nicht zu genügen, wie's dunkel ward, ging sie unwillig zurück, ließ ihren Kämmerer rufen und verhandelte lang mit ihm ... Am frühen Morgen des andern Tages stund Ekkehard gerüstet zu weiterer Fahrt an der Schwelle des Klosters. Der Abt war auch schon wach und machte einen Frühgang im Gärtlein. Der Richter- ernst des gestrigen Tages lag nicht mehr auf seiner Stirne. Ekkehard sagte ihm Valet. Da raunte ihm der Abt lächelnd in's Ohr: Seli- ger, der du eine solche Schülerin die Grammatik lehren darfst! Das schnitt in Ekkehard's Herz. Eine alte Geschichte stieg in seiner Erin- nerung auf, — auch in den Klostermauern gab's böse Zungen und überlieferte Stücklein, die vom Einen zum Andern die Runde machten. Ihr gedenket wohl der Zeit, heiliger Herr, sprach er höhnisch, da Ihr die Nonne Clotildis in der Dialectik unterrichtet. Damit ging er hinab zu seinem Schiffe. Der Abt hätte lieber ein Büchslein mit Pfeffer zum Frühmahl eingenommen als diese Er- innerung. Glückliche Reise! rief er dem Scheidenden nach. Von dieser Zeit hatte Ekkehard es mit den Reichenauer Kloster- leuten verdorben. Er ließ sich's nicht kümmern, und fuhr mit seinem Ermatinger Fergen den Untersee hinab. 5* Träumerisch schaute er aus seinem Schifflein hinaus in's Weite. Im durchsichtigen Duft des Morgens wogte der See, zur Linken ho- ben sich die schlanken Thürmchen von Egino's Clause Niederzell, — dort streckt das Eiland seine letzten Spitzen in's Gewässer hinaus, eine steinerne Pfalz schaute aus den Weidenbüschen vor — aber Ekkehard's Blick haftete auf der Ferne, der er zusteuerte; groß, stolz, in steiler kecker Linie trat ein felsiger Bergrücken aus dem Gehügel des Ufers vor, gleich dem Gedanken eines Geistesgewaltigen der wuchtig und thatenschwer flache Umgebung überragt, die Frühsonne warf helle Streiflichter auf Felskanten und Gemäuer. Fern zur Rechten hoben sich etliche niedere Kuppen von gleicher Form, bescheiden, als wären sie Feldwachen, die der Große ausgesendet. Der Hohentwiel! sprach der Fährmann zu Ekkehard. Der hatte das Ziel seiner Fahrt in früheren Tagen noch niemals erschaut, aber es brauchte des Schiffers Wort nicht, um's ihm zu sagen. So mußte der Berg sein, den sie zu ihrem Sitze erkoren. Eine ernste Stimmung kam über Ekkehard. Züge des Gebirges, weite Flächen, Wasser und Himmel, große Landschaft wirkt jederzeit Ernst im Gemüth, nur des Menschen Getrieb ruft ein Lächeln auf des Beschauers Lippe. Er ge- dachte des Apostel Johannes, wie der einst der Felseninsel Patmos entgegengefahren, und wie ihm dort eine Offenbarung aufgegangen ... Der Fährmann steuerte rüstig vorwärts. Schon waren sie dem Ufervorsprung, der die Zelle Radolf's und die wenig umliegenden Be- hausungen trägt, nahe. Da trieb ein seltsam Schifflein im See, roh, ein hohler Baumstamm, aber ganz verdeckt und überbaut mit grünem Gezweig und Schilfrohr, und war kein Ruderer zu erschauen, der es lenkte. Der Wind schaukelte es dem Geröhricht am Gestade ent- gegen. Ekkehard hieß seinen Fergen das absonderliche Fahrzeug anhalten. Da stieß derselbe mit seiner Ruderstange in die grüne Verhüllung. Pest und Aussatz euch in's Gebein! fluchte es mit tiefer Stimme aus der Höhlung hervor, oleum et operam perdidi, Hopfen und Malz ist verloren. Wildgans und Kriekente sind des Teufels! Ein Zug Wasservögel, der mit heiserem Geschnatter in der Nähe aufstieg und landeinwärts flog, bestätigte des Fluchenden Ausspruch. Im Buschwerk des Schiffleins aber knisterte es und hob sich auf, ein wettergebräuntes runzeldurchfurchtes Antlitz schaute herüber, um den Leib schmiegte sich ein verblichen geistlich Kleid, das, an den Knieen mit unsicherem Messerschnitt gekürzt, zerzaust herabhing; im Gürtel stack ein Köcher statt des Rosenkranzes, die gespannte Armbrust lag auf des Schiffleins Vordertheil. Pest und Aussatz — wollte des Fahrzeugs Insasse nochmals an- heben, da schaute er Ekkehard's Tonsur und Benedictinergewand und änderte den Ton: Hoiho! salve confrater! Bei'm Bart des heiligen Patrik von Armagh, so mich Euer Fürwitz noch eine Viertelstunde länger ungehindert gelassen, könnt' ich Euch zu einem waidlichen Bissen Seewildpret einladen. Mit Bewegung schaute er den in die Ferne streichenden Wildenten nach. Ekkehard aber hob lächelnd den Zeigefinger: ne clericus vena- tioni incumbat! Kein Geweihter des Herrn soll der Jagd pflegen. Stubenweisheit, rief der Andre, gilt nicht bei uns am Untersee. Seid Ihr etwann gesendet, beim Leutpriester zu Radolfszelle Kirchen- schau zu halten? Bei'm Leutpriester zu Radolfszelle? frug Ekkehard. Steht hier der Bruder Marcellus vor mir? Er that einen Seitenblick auf des Waidmanns rechten Arm, an dem sich die Kutte zurückgestreift hatte; in rauhen Linien war ein von einer Schlange umwundenes Heiland- bild eingeätzt und stund mit punktirten Buchstaben drüber Christus vindex. Bruder Marcellus? lachte der Gefragte und strich mit der Hand über die Stirn, fuimus Troes, willkommen in Moengals Revier! Er stieg aus seinem hohlen Baum in Ekkehard's Schiff hinüber: Der heilige Gallus soll leben! sprach er und küßte ihn auf Wange und Stirn, lasset uns an's Land fahren, Ihr seid mein Gast, wenn auch ohne Wildenten. Euch hab' ich mir anders vorgestellt, sprach Ekkehard. Das war kein Wunder. Nichts gibt ein falscher Bild von Menschen, als nach ihnen an denselben Ort kommen, wo sie einstens gewirkt, vereinzelte Reste ihrer Thätigkeit sehen, und aus dem Gerede der Zurückgebliebenen sich eine Vorstellung des Weggegangenen schaffen. Tiefstes und Eigenstes bleibt Dritten meist unbeachtet, auch wenn's offen zu Tag liegt, in der Ueberlieferung schwindet's ganz. Als Ekkehard ins Kloster trat, war der Bruder Marcellus schon nach der verlassenen Zelle Radolf's als Pfarrherr abgegangen. Etliche zierlich geschriebene Urkunden, Cicero's Buch von den Pflichten, und ein lateinischer Pris- cianus mit irischer Schrift zwischen den Zeilen erhielten sein Andenken. Viel verehrt lebte sein Name noch an der innern Klosterschule, er war der tüchtigsten Lehrer einer gewesen, tadellos sein Wandel. Seither war er in Sanct Gallen verschollen. Darum hatte sich Ekkehard statt des Waidmanns im See einen ernsten, hagern, blassen Gelehrten erwartet. Das Gestad von Radolf's Zelle war erreicht; eine dünne, nur auf einer Seite geprägte Silbermünze stellte den Fährmann zufrieden. Sie gingen ans Land. Wenig Häuser und schmucklose Fischerhütten standen um das Grabkirchlein, das Radolf's Gebeine birgt. Wir sind an Moengals Pfarrhaus, sprach der Alte, tretet ein. Ihr werdet hoffentlich dem Bischof zu Konstanz keinen Bericht von meinem Hauswesen erstatten, wie jener Decan von Rheinau, der behauptete, er habe bei mir Krüge und Trinkhörner von einer jedem Zeitalter verhaßten Größe erschauen müssen. Sie traten in eine holzgetäfelte Halle. Hirschgeweih und Auer- ochsenhörner hingen über dem Eingang, Jagdspieße, Leimruthen, Fisch- garne lehnten in malerischer Unordnung an den Wänden, an das umgestürzte Fäßlein im Winkel schmiegte sich der Würfelbecher: wäre es nicht des Leutpriesters Behausung gewesen, so hätte füglich auch der Förster des kaiserlichen Bannwaldes hier wohnen können. In Kurzem stund ein Krug säuerlichen Weines auf dem Eichentisch, auch Brod und Butter lieferte die Vorrathskammer. Dann kam der Leut- priester aus der Küche zurück, hielt sein Gewand wie eine gefüllte Schürze und schüttete einen Platzregen von geräucherten Gangfischen vor seinen Gast. Heu quod anseres fugasti, antvogelosque et horotumblum! Weh, daß du mir die Wildgänse verscheucht, und die Enten sammt der Rohrdommel! sprach er, aber wenn Einer nur die Wahl zwischen Gangfisch und gar Nichts hat, greift er immer noch zum erstern. Glieder derselben Genossenschaft sind schnell befreundet. Ein leb- haft Gespräch erhob sich beim Imbiß. Aber der Alte hatte mehr zu fragen als Ekkehard beantworten konnte; von so Manchem seiner alten Mitbrüder war Nichts mehr zu berichten, als daß sein Sarg eingemauert stand bei dem der Andern und ein Kreuz an der Wand und ein Eintrag im Todtenbuch die einzige Spur, daß er gelebt; — die Geschichten und Späßlein und Klosterfehden, wie sie vor dreißig Jahren erzählt wurden, waren durch Neue ersetzt und was seit damals geschehen, ließ ihn gleichgiltig. Nur wie Ekkehard ihm von Zweck und Ziel seiner Fahrt sprach, rief er: Hoiho, Confrater, was habt Ihr wider die Jagd gesprochen und ziehet ja selber auf Edelwild aus. Aber Ekkehard lenkte ab. Habt Ihr noch nie Heimweh nach des Klosters Stille und Wissenschaft verspürt? frug er. Da flammte des Leutpriestres Aug': Ward Catilina von Heimweh nach den Holzbänken des römischen Senats geplagt, nachdem von ihm gesagt war: excessit, evasit, erupit? Junges Blut versteht das nicht. Fleischtöpfe Aegyptens?! ille terrarum mihi praeter omnes ... sprach der Hund zum Stall, in dem er sieben Jahre gelegen. Ich versteh Euch allerdings nicht, sprach Ekkehard. Was schuf Euch solche Aenderung der Sinnesart? Er warf einen Seitenblick auf das Jagdgeräth. Die Zeit, gab der Leutpriester zurück, und klopfte seinen Gang- fisch auf dem Eichentisch mürb, — die Zeit und wachsende Erkenntniß. Das braucht Ihr aber Eurem Abte nicht zu berichten. Bin auch einmal ein Bursch gewesen wie Ihr, Irland zieht fromme Leute, sie wissen's hier zu Lande. Eheu, wie war ich untadligen Gemüthes, wie ich mit Oheim Marcus von der Wallfahrt gen Rom zurückkam. Hättet den jungen Moengal sehen sollen, die ganze Welt war ihm keinen Gründling werth, aber Psalliren, Vigilien singen, geistliche Uebungen halten: das war mein Labsal. Da ritten wir in Gallus Kloster ein — einem heiligen Landsmann zu Ehren macht ein braver Irländer schon ein paar Meilen um, — ich aber bin ganz dort hängen geblieben. Kleider, Bücher, Gold und Wissen, der ganze Mensch ward des Klosters, und der irische Moengal ward Marcellus geheißen und warf seines Oheims silberne und goldene Pfennige zum Fenster hinaus, daß die Brücke abgebrochen sei, die zur Welt zurückführt. Waren schöne Jahre, sag' ich Euch, hab' gewacht und gebetet und studirt nach Herzenslust. Aber viel Sitzen ist schädlich dem Menschen und viel Wissen macht überflüssige Arbeit. Manchen Abend hab ich gegrübelt wie ein Bohr- wurm, und disputirt wie eine Elster, Nichts war unergründlich: wo das Haupt Johannis des Täufers begraben liege, und in welcher Sprache die Schlange zu Adam gesprochen — Alles klar erörtert, nur daran war ich nicht zu denken gerathen, daß der Mensch auch Knochen und Fleisch und Blut mit sich in die Welt bekommen. Hoiho, Confrater, da kamen böse Stunden, mögen sie Euch erspart bleiben, der Kopf ward schwer, die Hände unruhig, am Schreibtisch kein Bleiben, in der Kirche kein Knieen — fort! hieß es, nur fort und hinaus! Dem alten Thieto sagt ich dereinst, ich habe eine Ent- deckung gemacht. Was für eine? Daß es jenseits unserer Mauern frische Luft gebe ... Da versagten sie mir den Ausgang, aber manche Nacht bin ich heimlich auf den Glockenthurm gestiegen und hab hinausgeschaut und die Fledermäuse beneidet, die in Tannenwald hinüber flogen ... Confrater, dagegen hilft kein Fasten und kein Beten, was im Menschen steckt, muß heraus. Der vorige Abt hat billige Einsicht genommen und mich auf Jahresfrist hierher geschickt, aber der Bruder Marcellus kam nimmer heim. Wie ich hier im Schweiß meines Angesichtes den Tannbaum fällte und den Nachen zimmerte und den Strichvogel aus den Lüften herunterholte, da ist mir ein Licht aufgegangen, was gesund sein heißt — Fischfang und Waidwerk beizen die unnützen Mücken aus dem Kopf — so stehe ich seit dreißig Jahren der Zelle Radolfi vor, rusticitate quadam imbutus, einer gewissen Verbauerung ausgesetzt, was verficht's? Ich bin gleich der Kropfgans in der Wüste, gleich der Eule die in Trümmern nistet, sagt der Psalmist, aber frisch und stark, und der alte Moengal gedenkt sobald noch nicht ein stummer Mann zu werden und weiß, daß er wenigstens vor einem Unglück sicher sein darf ... Was meint Ihr für ein Unglück? frug Ekkehard. Daß ihm Sanct Petrus dereinst den himmlischen Thorschlüssel vor die Stirn schlägt und spricht: hinaus mit dir, der du unnütz und eitel Philosophie getrieben! Ekkehard ließ sich auf Moengal's Herzensergießungen nicht näher ein. Ihr habet wohl rauhen Dienst in Sorge der Seelen, sprach er, verstockte Herzen, Heidenthum und Ketzerei .. 'S geht an, sprach der Alte, im Mund der Bischöfe und kaiser- lichen Räthe, in den Capitularien und Synodalbeschlüssen nimmt sich's haarsträubend aus, wenn sie den heidnischen Irrwahn abzeichnen und mit Strafsatzung bedräuen. 'S ist eben alter Glaube hierlands, im Baum und Fluß und auf luftiger Bergeshöhe der Gottheit nachzu- spüren. Jeder auf der Welt muß seine Apokalypsis haben, die He- gauer suchen sie draußen .. es läßt sich auch Etwas dabei denken, wenn der Mensch frühmorgens im Schilfe steht und die Sonne über ihm aufgeht ... Deßhalb kommen sie am Tage des Herrn doch zu mir, und singen die Messe mit, und wenn der Sendbote ihnen nicht so manchen Straf- schilling aus dem Sack zwickte, würden sie noch fröhlicher sich zum Evangelium wenden. — Stoßt an, Confrater, die frische Luft ... Erlaubt, sprach Ekkehard mit feiner Wendung, daß ich das Wohl Marcellus des Lehrers an der Klosterschule, des Verfassers der irischen Uebersetzung des Priscianus trinke. Mir auch recht, lachte Moengal. Was aber die irische Uebersetzung betrifft, die möchte einen Haken haben. In Ekkehard war das Verlangen groß, seinen hohen Twiel zu erreichen. Kurz vor dem Ziele weiter Fahrt hat noch selten Einer lange Rast gehalten. Der Berg steht fest in der Erden, sprach zwar Moengal, der entfleucht Euch nimmer. Aber Moengal's Wein und seine Lehre von der frischen Luft hatten für den, der einer Herzogin entgegen sollte, wenig Verstrickendes. Er brach auf. Ich geh' mit Euch bis an des Pfarrsprengels Grenze, sagte der Leutpriester, heute dürft Ihr mir noch zur Seite gehen, trotz meines verblichenen Gewandes; wenn Ihr auf dem Berg droben festsitzet, dann werdet Ihr meinen, die Verklärung sei über Euch gekommen, und werdet ein vornehmer Herr werden, und wenn Ihr dereinst an Frau Hadwig's Seite gen Radolf's Zelle geritten kommet, und der alte Moengal steht an der Schwelle, so wird ihm eine gnädige Hand- bewegung als Almosen zugeworfen — der Welt Lauf! Wenn der Heuerling groß geworden, heißt er Felchen und frißt die Kleinen seines Geschlechts. Das sollt Ihr nicht sagen, sprach Ekkehard, und küßte den irischen Mitbruder. Da gingen sie zusammen, und der Leutpriester nahm seine Leim- ruthen mit, im Rückweg den Vögeln des Waldes Nachstellung zu be- reiten. Es war ein langer Weg durch den Tannenwald, lang und still. Wie sich das Gehölz lichtete, da stand in dunkler Masse der hohe Twiel und warf ihnen seinen Schatten entgegen. Moengal aber schaute mit scharfem Aug' den Waldpfad entlang durch die Lichtung der Tannen. Es streicht was durchs Revier, sprach er. Sie waren wieder etliche Schritte gegangen, da griff Moengal seinen Gefährten am Arm, stellte ihn, deutete vorwärts und sprach: Das sind keine Wildenten noch Thiere des Waldes! Es kam ein Ton herüber, als wenn fernab ein Roß gewiehert .. Moengal sprang seitwärts, schlich sich ein gut Stück im jungen Gehölz vorwärts, legte sich auf den Boden und spähte. Waidmanns Thorheit, sprach Ekkehard und wartete seiner. Jetzt kam er zurück. Bruder, sprach er, liegt der heilige Gall in Fehde mit einem der Gewaltigen dieses Landes? Nein. Habt Ihr Einen beleidigt? Nein. Sonderbar, sprach der Alte, es kommen drei Gewaffnete geritten. Es werden Boten der Herzogin sein, mich zu empfangen, sprach Ekkehard mit stolzem Lächeln. Hoiho! brummte Moengal, fehlgeschossen! Das ist nicht herzog- licher Dienstmannen Kleid, der Helm ist sonder Abzeichen. Und im grauen Mantel reitet kein Twieler! Er hemmte seinen Schritt. Vorwärts! sprach Ekkehard. Weß Herz ohne Schuld, den geleiten die Engel des Herrn. Im Hegau nicht immer! war des Alten Antwort. Es war keine Gelegenheit zu weiterem Zwiegespräch, Hufschlag tönte, der Boden klirrte, drei Reitersmänner kamen gesprengt, den Helm ge- schlossen, das Schwert gezogen .. Folgt mir, rief der Leutpriester, maturate fugam! Er warf seine Leimruthen zu Boden und wollte Ekkehard mit zur Seite ziehen. Der aber wandte sich nicht. Da sprang Moengal allein ins Busch- werk hinüber, die Dornen zogen ihm zu den alten Rissen ins morsche Gewand etliche neue, er wand sich los, mit den Sprüngen eines Eich- horns setzte er ins Dickicht. Er kannte die Schliche. Er ist's! rief der Vorderste der Reiter, da sprangen die Andern von den Rossen, stolz sah ihnen Ekkehard entgegen: Was wollet Ihr? — keine Antwort; er griff zum Crucifix, das ihm im Gürtel hing: im Namen des Gekreuzigten!.. wollte er anheben, aber schon war er zu Boden geworfen, unsanfte Fäuste hielten ihn, ein Strick ward um seine Hände geschlungen, bald lagen sie geknebelt auf dem Rücken — eine weiße Binde umschloß seine Augen knapp und fest, daß es dunkel um ihn ward — „Vorwärts!“ — die Ueberraschung des Augenblicks beugte ihm die Kniee, unsicher schritt er, da hoben sie ihn und trugen ihn ein Stück weit. Am Beginn des Waldes stunden vier Männer mit einer Sänfte, in die warfen sie den Betroffenen und weiter gings durch die Ebene, am steten Hufschlag zur Seite merkte Ekkehard, daß die Reiter ihren Fang geleiteten. Derweil Moengal durch den Wald floh, hüpften die Meisen so zutraulich auf den Zweigen und heller Drosselschlag umtönte ihn, da vergaß er der Gefahr und sein Herz kränkte sich, daß er die Leimruthen fahren gelassen. Wie er aber auch noch die Wachtel ihr: Quakkara! Quakkara rufen hörte, klang ihm das geradezu herausfordernd und er wandte seinen Schritt zum Platze des Ueberfalls. Es war still dort als wäre Nichts geschehen. In der Ferne sah er die Kriegsleute abziehen. Die Helme glänzten. Es werden aber Viele, so die Ersten waren, die Letzten sein, sprach er kopfschüttelnd und las seine Leimruthen zusammen. Zu einer Fürstin Saal gedachte er zu gehen und das Gefängniß nimmt ihn auf. Heiliger Gallus, bitt für uns! Weiter zerbrach sich Moengal den Kopf nicht. Derlei Vergewal- tigung war häufig wie Schlüsselblumen im Frühling. Es schwamm einmal ein Fisch klaftertief unten im Bodensee, der konnt sich's gar nicht erklären, was den Cormoran zu ihm hinab- führte, der schwarze Tauchervogel hatte ihn schon im Schnabel und flog mit ihm hoch durch die Lüfte weg: noch war's ihm unbegreiflich. So lag Ekkehard in der Sänfte, ein gebundener Mann; je mehr er über seines Geschickes Wendung nachsann, desto weniger mocht' er's fassen. Dräuend stieg der Gedanke in ihm auf, es möchte wohl Einer im Hegau sitzen, ein Freund oder Blutsverwandter der Kammerboten, und jetzt am unschuldigen Jünger des heiligen Gallus Rache nehmen, denn Salomo, der Ursächer ihres schmählichen Todes, war zugleich Abt jenes Klosters gewesen. Für den Fall mochte sich Ekkehard auf das Schlimmste bereit halten, er wußte, wie Manchen priesterlichen Standes nicht die Tonsur, nicht geistlich Gewand vor dem Ausstechen der Augen oder Abhauen der Hände geschützt, wenn's um Rache ging. Er gedachte an's Sterben. Mit seinem Gewissen war er versöhnt, der Tod trug ihm kein Schreckniß zu, aber tief im Herzen klang doch eine leise Frage: Warum nicht erst in Jahresfrist, nachdem mein Fuß den Twiel betrat? — Jetzt gingen die Träger der Sänfte langsamen Schrittes, es mochte einen Berg hinangehn. Auf welches der Felsennester dieses Landes schleppen sie mich? Ein halb Stündlein mochten sie aufwärts gestiegen sein, da schlug der Huftritt der Reiter rasselnd und hohl auf, wie wenn sie über eine hölzerne Brücke ritten. Noch blieb's still, kein Wächterruf, — die Entscheidung konnte nimmer fern sein. Da kam ein starkes Vertrauen über Ekkehard, die Worte des Psalm traten vor ihn: „Gott ist unsere Zuflucht und Stärke, als Hilfe in Nöthen mäch- tig erfunden. Darum fürchten wir Nichts, ob auch die Erde wechselte und die Berge wankten im Herzen des Meers. Mögen brausen die Gewässer, die Berge beben bei seinem Ungestüm. Jehovah ist mit uns, unsere Zuflucht der Gott Jacobs, Sela ..“ Ueber eine zweite Brücke ging's. Ein Thor ward aufgethan, die Sänfte stand. Da huben sie ihren Gefangenen herfür, sein Fuß be- rührte den Boden, es war Gras — ein Flüstern schlug an sein Ohr als wär viel Volk in der Nähe versammelt, der Strick um seine Hände ward gelöst. Nehmt Euch die Binde von den Augen! sprach einer seiner Begleiter, er that's — Herz jauchze nicht! er stand im Schloß- hof von Hohentwiel .. Fröhlich rauschte es im Geäst der alten Linde, ein zeltartig Getüch war darein gespannt, Kränze von Eppich und Weinlaub hingen hernieder, der Burg Insassen standen gedrängt herum, auf steinerner Bank saß die Herzogin, der purpurdunkle Fürstenmantel wallte von den Schultern, mildes Lächeln umspielte die herben Züge — itzt erhob sich die herrliche Gestalt, sie schritt Ekkehard entgegen: Will- kommen in Hadwig's Burgfrieden! Er wußte kaum wie ihm geschah und wollte in's Knie sinken, huldreich hob sie ihn empor und winkte dem Kämmerer Spazzo, der warf seinen grauen Reitermantel ab, ging auf Ekkehard zu und umarmte ihn wie einen alten Freund: Im Namen unserer Gebieterin, empfahet den Friedenskuß! Flüchtig zuckte in Ekkehard der Gedanke: soll hier ein Spiel mit mir gespielt werden? aber die Herzogin rief scherzend: Ihr seid mit gleicher Münze bezahlt. Habt Ihr vor drei Tagen die Herzogin in Schwaben nicht anders als getragen über des heiligen Gallus Schwelle kommen lassen, so war's billig, daß auch sie den Mann von Sanct Gallen in ihr Schloß tragen ließ. Und Herr Spazzo schüttelte ihm nochmals die Hand und sprach: Nichts für ungut, es war strenger Befehl so! — Er hatte erst den Ueberfall befehligt und wirkte itzt zum herzlichen Empfang, beides mit gleich unveränderter gewichtiger Miene, denn ein Kämmerer muß ge- wandt sein und auch das Widersprechende in Form zu bringen wissen. Ekkehard lächelte: Für einen Scherz, sagte er, habt Ihr's recht ernsthaft ausgeführt. Er gedachte dabei insbesondere, wie ihm Einer der Reitersmänner, da sie ihn in die Sänfte warfen, mit erzbeschla- genem Lanzenschaft einen schweren Stoß in die Seite versetzt. Das stand freilich nicht in der Herzogin Befehl, aber der Reitknecht war schon unter Luitfried des Kammerboten Neffen dabei gewesen, wie sie den Bischof Salomo einstmals niederwarfen, und hatte sich von dazu- mal die irrige Meinung eingeprägt, bei Niederwerfung geistlicher Herren gehöre ein fester Faustschlag, Stoß oder Fußtritt unumgänglich zum Landbrauch. Jetzt führte Frau Hadwig ihren Gast an der Hand durch den Schloßhof, und wies ihm ihre luftige Behausung und die stolze Fern- sicht nach Bodensee und Alpenkuppen, und der Burg Leute baten um seinen Segen — auch die Reitknechte kamen und die Träger der Sänfte, und er segnete sie Alle. Dann geleitete ihn die Herzogin bis an den Eingang. Ein Bad war ihm zurecht gemacht und frische Gewandung bereitet; sie hieß ihn sich pflegen und ausruhen und Ekkehard war fröhlich und guter Dinge nach leicht erstandener Gefahr ... In der Nacht, die jenem Tage folgte, trug sich's im Kloster Sanct Gallen zu, daß Romeias der Wächter ohn' allen Anlaß von seiner Matte auffuhr und grimmig in sein Horn stieß, so daß die Hunde im Klosterhof anschlugen und Alles wach wurde und zusammen- lief — und war doch weit und breit Niemand, der Einlaß begehrte. Der Abt schrieb's auf Rechnung böser Geister, ließ aber zugleich des Romeias Vespertrunk sechs Tage lang auf die Hälfte herabsetzen, — eine Maßregel, die jedoch auf Voraussetzung eines gänzlich unrichtigen Grundes beruhte. Siebentes Kapitel . Virgilius auf dem hohen Twiel. Wenn Einer seine Uebersiedelung an neuen Wohnsitz glücklich be- werkstelligt hat, dann ist's ein anmuthig und reizend Geschäft, sich wohnlich einzurichten. Ist auch gar nicht so gleichgiltig, in was Stube und Umgebung Einer haust, und wessen Fenster auf die Heerstraße zielen, wo die Lastwagen fahren und die Steine geklopft werden, bei dem halten sicherlich mehr graue und verstäubte als buntfarbige Gedanken Einkehr. Darüber hatte sich nun Ekkehard keine Sorgen zu machen, denn die Herzogsburg auf dem Twiel lag luftig und hoch und einsam, — aber ganz zufrieden war er auch nicht, als ihm Frau Hadwig Tags nach seiner Ankunft seinen Wohnsitz anwies. Es war ein groß luftig Gemach mit säulendurchtheiltem Rund- bogenfenster, aber an demselben Gang gelegen, an den auch der Her- zogin Saal und Zimmer stießen. Der Eindruck, den Einer aus ab- geschiedener Klosterzelle mitnimmt, läßt sich nicht über Nacht ver- wischen. Und Ekkehard gedachte, wie er oftmals möge von seiner Betrachtung abgezogen werden, wenn geharnischter Fußtritt und Sporen- klang oder leises Huschen dienender Mägde an seiner Thür vorüber- streife oder wenn er sie selber, die Herrin der Burg, möge einher gehen hören — unbefangen wandte er sich an Frau Hadwig: Ich hab ein Anliegen, hohe Frau! Redet, sagte sie mild. Möchtet Ihr mir nicht zu fothanem Gelaß ein fern gelegen Stüb- lein zu weisen, — und wenn's unterm Dach oder in einem der Wart- thürme wäre. Der Wissenschaft wie des Gebetes Pflege heischt ein- same Stille, Ihr kennet ja des Klosters Brauch. Da legte sich eine leise Falte über Frau Hadwig's Stirn, eine Wolke war's nicht, aber ein Wölklein. Ihr sehnet Euch danach, oft- mals allein zu sein, frug sie spöttisch. Warum seid Ihr nicht in Sanct Gallen geblieben? Ekkehard neigte sich und schwieg. Halt an, rief Frau Hadwig, es soll Euch geholfen werden. Seht Euch das Gelaß an, in dem Vincentius, unser Capellan, bis an sein selig End gehaust hat, der hat auch so einen Raubvogelgeschmack ge- habt und war lieber der höchste auf Twiel als der bequemste. Praxe- dis, hol' den großen Schlüsselbund und geleite unsern Gast. Praxedis that nach dem Gebot. Das Gemach des seligen Capel- lans war hoch oben im viereckigen Hauptthurm der Burg, langsam stieg sie mit Ekkehard die finstere Wendeltreppe hinauf, der Schlüssel knarrte schwer im lang nicht gedrehten Schloß. Sie traten ein. Da sah's gut aus. Wo ein gelehrter Mann gehaust, braucht's ein Stück Zeit, um seine Spuren zu verwischen. Es war ein mäßiger Geviertraum, weiße Wände, wenig Hausrath, Staub und Spinnweb allenthalb; auf dem Eichentisch stand ein Büchslein mit Schreibsaft, längst war's einge- trocknet, im Winkel ein Krug, drin vielleicht einst Wein gefunkelt, auf einem Brett der Wandnische glänzten einige Bücher, aufgeschlagene Pergamentrollen lagen dabei, aber, o Leidwesen! der Sturm hatte das Fensterlein zerschlagen, der Paß in Vincentius Stube war seit seinem Tod für Sonne und Regen, Mücken und Vögel frei geworden; eine Schaar Tauben war eingezogen, in ungestörter Besitzergreifung hatten sie sich zwischen der Bücherweisheit angesiedelt, auf den Briefen des heiligen Paulus und auf Julius Caesar's gallischem Krieg nisteten sie und schauten verwundert den Eingetretenen entgegen. Der Thür gegenüber war mit Kohle ein Sprüchlein an die Wand geschrieben: „Martha, Martha, du machst dir um Vielerlei Sorge und Unruh!“ las Ekkehard; soll das des Verstorbenen letzter Wille sein? frug er seine liebliche Wegweiserin. Praxedis lachte: 'S war gar ein behaglicher Herr, sprach sie, der Herr Vincentius selig. Ruhe ist mehr werth als ein Talent Silbers, hat er oft gesagt. Die Frau Herzogin aber hat ihm arg zugesetzt, immer gefragt und was Anderes gefragt: heut von den Sternen am Himmel, morgen von Arzneikraut und Heilmitteln, übermorgen aus der heiligen Schrift und Ueberlieferung der Kirche — wozu habt Ihr studirt, wenn Ihr keinen Bescheid wisset? dräute sie, und Herr Vin- centius hat einen schweren Stand gehabt — Praxedis deutete schalkhaft mit dem Zeigefinger nach der Stirn — Mitten im Land Asia, hat er meistens erwiedert, liegt ein schwarzer Marmelstein, wer den aufhebt, der weiß Alles und braucht nicht mehr zu fragen ... Er war aus Baiernland, der Herr Vincentius, den Bibelspruch hat er wohl zu seinem Trost hingeschrieben. Pflegt die Herzogin so Viel zu fragen? sprach Ekkehard zerstreut. Ihr werdet's wahrnehmen, sagte Praxedis. Ekkehard musterte die zurückgebliebenen Bücher. Es thut mir leid um die Tauben, die werden abziehen müssen. Warum? Sie haben das ganze erste Buch des gallischen Kriegs verdorben und der Brief an die Corinther ist mit untilgbaren Flecken belastet .. Ist das ein großer Schaden? frug Praxedis. Ein sehr großer! O ihr arme böse Tauben, scherzte die Griechin, kommt her zu mir, eh' der fromme Mann euch hinausjagt unter die Häher und Falken. Und sie lockte den Vögeln, die unbefangen in der Büchernische verblieben waren, und wie sie nicht kamen, warf sie einen weißen Woll- knäul auf den Tisch, da flog der Tauber herüber, vermeinend es sei eine neue Taube angekommen, und ging dem Knäul mit gemessenen Schritten entgegen, zwei vor und einen zurück, und verbeugte sich und grüßte mit langgezogenem Gurren. Praxedis aber nahm den Knäuel an sich, da flog ihr der Vogel auf den Kopf. Da hub sie leise an, eine griechische Singweise zu summen; es war das Lied des alten, ewig jungen Sängers von Tejos: Ποϑεν, φιλη πελεια Ποϑεν ποϑεν πετασαι; u. s. w. Ei sieh, du holdes Täubchen, Wo kommst du hergeflogen? Woher die Salbendüfte, Die du, die Luft durchwandelnd, Aushauchst und niederträufelst? Wer bist du? was beliebt dir? Ekkehard horchte hoch auf und warf einen schier erschrockenen Blick von dem Codex, den er durchblätterte, herüber; wäre sein Aug' für natürliche Anmuth geübter gewesen, so hätt' es wohl länger auf der Griechin haften dürfen. Der Tauber war ihr auf die Hand gehüpft, sie hielt ihn mit gebogenem Arm in die Höhe — Anacreon's alter Landsmann, der dereinst den parischen Marmorblock zur Venus von Knidos umschuf, hätte das Bild dauernd seinem Gedächtniß eingeprägt. Was singt Ihr? fragte Ekkehard. Das klingt ja wie fremde Sprache. Warum soll's nicht so klingen? Griechisch?! Warum soll ich nicht griechisch singen? gab ihm Praxedis schnip- pisch zurück. Bei der Leier des Homerus, sprach Ekkehard verwundert, wo in aller Welt habt Ihr das erlernet, unserer Gelehrsamkeit höchstes Ziel? Zu Hause!.. sagte Praxedis gelassen und ließ die Taube zurück- fliegen. Da schaute Ekkehard noch einmal in scheuer Hochachtung herüber. Bei Aristoteles und Plato war's ihm seither kaum eingefallen, daß D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 6 auch zur Zeit noch lebende Menschen griechischer Zunge auf der Welt seien. Wie eine Ahnung zog's durch seinen Sinn, daß hier Etwas verkörpert vor ihm stehe, das ihm trotz aller geistlichen und weltlichen Weisheit fremd, unerreichbar ... Ich glaubte als Lehrer gen Twiel zu kommen, sprach er weh- müthig, und finde meine Meister. Wollt Ihr von Eurer Muttersprache mir nicht auch dann und wann ein Körnlein zuwenden? Wenn Ihr die Tauben nicht aus der Stube verjagt, sprach Pra- xedis. Ihr könnt ja ein Drahtgitterlein vor die Nische ziehen, wenn sie Euch ums Haupt fliegen wollen. Um eines reinen Griechisch willen .... wollte Ekkehard erwiedern, aber die Thüre der engen Klause war aufgegangen. — Was wird hier von Tauben und reinem Griechisch verhandelt? klang Frau Hadwig's scharfe Stimme. Braucht man so viel Zeit, um diese vier Wände anzuschauen? Nun, Herr Ekkehard, taugt Euch die Höhle? Er nickte bejahend. Dann soll sie gesäubert und in Stand gesetzt werden, fuhr Frau Hadwig fort. Auf, Praxedis, die Hände gerührt und vor Allem das Taubenvolk verjagt! Ekkehard wollte es wagen, ein Wort für die Tauben einzulegen. Ei so, sprach Frau Hadwig, Ihr wünschet allein zu sein und Tauben zu hegen. Soll man Euch nicht auch eine Laute an die Wand hängen, und Rosenblätter in Wein streuen? Gut, wir wollen sie nicht verjagen; aber heute Abend sollen sie gebraten unsern Tisch zieren. Praxedis that als habe sie Nichts gehört. Wie war's mit dem reinen Griechisch? frug nun die Herzogin. Unbefangen erzählte ihr Ekkehard, um was er die Griechin ange- gangen, da zogen die Stirnfalten wieder bei Frau Hadwig auf: Wenn Ihr so wißbegierig seid, so mögt Ihr mich fragen, sagte sie, auch mir ist die Sprache geläufig. Ekkehard sprach Nichts dagegen. In ihrer Rede lag meistens eine Schärfe, die das Wort der Er- wiederung im Munde abschnitt. — Die Herzogin war streng und genau in Allem. Schon in den ersten Tagen nach Ekkehard's Ankunft entwarf sie einen Plan, in welcher Art sie zu Erlernung der lateinischen Sprache vorschreiten wolle. Da fanden sie es am besten, eine Stunde des Tages der löb- lichen Grammatik zu bestimmen, eine zweite der Lesung des Virgilius. Auf letztere freute sich Ekkehard sehr, er gedachte sich zusammen zu fassen und mit Aufbietung von Wissen, Schärfe und Feinheit der Herzogin die Pfade des Verständnisses zu ebnen. Es ist doch kein unnütz Werk, sprach er, was die alten Poeten gethan; wie mühsam wäre es eine Sprache zu erlernen, wenn sie uns nur im Wörterbuch überliefert wäre, wie die Getreidekörner in einem Sack, und wir die Mühe hätten, Mehl daraus zu mahlen und Brod daraus zu backen ... Der Poet aber stellt Alles wohlgefügt an seinen Platz, da ist sein ersonnener Plan und Inhalt und die Form klingt lieblich drein wie Saitenspiel; woran wir uns sonst die Zähne auszubeißen hätten, das schlürfen wir aus Dichters Hand wie Honigseim und es schmeckt süße. Das Herbe der Grammatik zu lindern, wußte Ekkehard keinen Ausweg. Für jeden Tag schrieb er der Herzogin die Aufgabe auf ein Pergamentblatt, sie war des Lernens begierig und wenn die Früh- sonne über dem Bodensee aufstieg und ihre ersten Strahlen auf den hohen Twiel warf, stund sie schon in des Fensters Wölbung und lernte was ihr vorgeschrieben war, leise und laut, bis zu Ekkehard's Saal klang einst ihr einförmig Hersagen: amo,amas, amat, amamus... Praxedis aber hatte schwere Stunden. Sich zur Anregung, aber ihr zu nicht geringer Langeweile, befahl ihr Frau Hadwig jeweils das gleiche Stück Grammatik zu lernen. Kaum Schülerin, freute es sie, mit dem was sie erlernt ihre Dienerin zu meistern, und nie war sie zufriedener, als wenn Praxedis ein Hauptwort für ein Beiwort ansah, oder ein unregelmäßig Zeitwort regelmäßig abwandelte. Des Abends kam die Herzogin hinüber in Ekkehard's Gemach. Da mußte Alles bereit sein zur Lesung des Virgil, Praxedis kam mit ihr, und da in Vincentius nachgelassenen Büchern ein lateinisch Wör- terbuch nicht vorhanden war, ward sie mit Anfertigung eines solchen beauftragt, denn sie hatte in jungen Tagen des Schreibens Kunst erlernt. Frau Hadwig war dessen minder erfahren: Wozu wären die geistlichen Männer, sprach sie, wenn ein jeder die Kunst verstünde, die ihrem Stand zukommt? schmieden sollen die Schmiede, fechten die 6* Krieger und schreiben die Schreiber, und soll kein Durcheinander ent- stehen. Doch hatte Frau Hadwig sich wohlgeübt, ihren Namenszug in künstlich verschlungenen großen Buchstaben den siegelbehangenen Urkunden als Herrin des Landes beizufügen. Praxedis zertheilte eine Pergamentrolle in kleine Blätter, zog auf jedes Blatt zwei Striche, also daß drei Abtheilungen geschaffen wurden, um nach Ekkehard's Vortrag jedes lateinische Wort einzutragen, daneben das deutsche, in die dritte Reihe das entsprechende griechisch. Letzteres war der Herzogin Anordnung, ihm zu beweisen, daß die Frauen auch ohne seine Beihülfe schon löbliche Kenntniß erworben. So begann der Unterricht. Die Thüre von Ekkehard's Gemach nach dem Gang hin hatte Pra- xedis weit aufgesperrt. Er ging hin und wollte sie zulehnen, die Herzogin aber hielt ihn zurück: Kennet Ihr die Welt noch nicht? Ekkehard wußte nicht, was das heißen solle. Jetzt las er ihnen das erste Buch von Virgilius Heldendichtung. Aeneas der Troer hub sich vor ihren Augen, wie ihn siebenjährige Irrfahrt umhergeschleudert auf dem Tyrrhener Meer und wie es so unsäglicher Mühsal gekostet, des römischen Volkes Gründer zu werden. Es kam der Zorn der Juno, wie sie an Aeolus bittweise sich wendet, und dem Gebietiger von Wind und Sturm die schönste ihrer Nym- phen verspricht, wenn er der Troer Schiffe verderben wolle — Ge- witter, Sturm, Schiffbruch, Zerschellen der Kiele, ringsum schwimmen umher sparsam in unendlicher Meeresfluth Waffen des Kriegs und Gebälk und Troischer Prunk durch die Brandung. Und der Wogen Gemurr dringt zu Neptunus hinunter, tief in Grund, er kommt empor gestiegen und schaut die Verwirrung, des Aeolus Winde jagt er mit Schimpf und Schande nach Hause, wie der Aufruhr beim Wort des verdienten Mannes legt sich das Toben der Wässer, an Libyens Küste landet der Schiffe Rest ... Soweit hatte Ekkehard gelesen und erklärt. Seine Stimme war voll und tönend und klang ein wohlthuend Gefühl inneren Verständ- nisses durch. Es war spät geworden, die Lampe flackerte, da hob Frau Hadwig den Vortrag auf. Wie gefällt meiner Herrin des heidnischen Poeten Erzählung? frug Ekkehard. Ich will's Euch morgen sagen, sprach sie. Sie hätte es auch schon heute sagen können, denn fest und bestimmt stand der Eindruck des Gelesenen ihrem Gemüthe eingeprägt, sie that's aber nicht, um ihn nicht zu kränken. Lasset Euch was Gutes träumen, rief sie dem Weggehenden nach. Ekkehard aber ging noch hinauf in des Vincentius Thurmstube. Die war sauber hergerichtet, die letzte Spur vom Nisten der Tauben getilgt; er wollte sich sammeln zu stiller Betrachtung, wie ehmals im Kloster, aber sein Haupt war heiß, vor seiner Seele stand die hohe Gestalt der Herzogin, und wenn er sie recht in's Auge faßte, so schaute auch Praxedis schwarzäugig Köpflein über ihrer Herrin Schul- tern zu ihm herüber — was aus All dem noch werden soll? Er trat an's Fenster, eine kühle Herbstluft wehte ihm entgegen, ein dunk- ler, eherner unendlicher Himmel spannte sich über das schweigende Land, die Sterne funkelten, nah, fern, licht, matt; so groß hatte er das Himmelsgewölbe noch niemals erschaut — auf Bergesgipfeln än- dert sich das Maaß der Dinge — lang stand er so, da ward's ihm unheimlich, als wollten ihn die Gestirne hinaufziehen zu sich, als sollt' er leicht und geflügelt der Stube entschweben ... er schloß das Fenster, bekreuzte sich und ging schlafen. Des andern Tages kam Frau Hadwig mit Praxedis, der Gram- matik zu pflegen. Sie hatte Wörter gelernt und Declinationen und wußte ihre Aufgabe. Aber sie schien zerstreut. Habt Ihr Etwas geträumt? frug sie den Lehrer, wie die Stunde abgelaufen war. Nein. Gestern auch nicht? Nein. Ist Schade. Es soll eine Vorbedeutung in dem liegen, was Einer in den ersten Tagen am neuen Wohnort träumt ... Höret, fuhr sie nach einer Pause fort, seid Ihr nicht ein recht ungeschickter Mensch? Ich? fuhr Ekkehard betroffen auf. Ihr geht mit Dichtern um, warum habt Ihr nicht e i nen anmu- thigen Traum ersonnen und mir erzählt; Dichtung ist so viel wie Traum, es hätt' mir Freude gemacht. Ihr befehlet, sprach Ekkehard, so Ihr mich wieder fraget, will ich einen Traum erzählen, auch wenn ich ihn nicht geträumt habe. Solcherlei Gespräch war für Ekkehard neu, unklar. Ihr habt mir Eure Ansicht vom Virgilius gestern vorenthalten, sprach er. Ja so, sprach Frau Hadwig. Höret, wenn ich Herrin im Römer- land gewesen, ich weiß nicht, ob ich nicht die Gesänge verbrannt und den Mann für immer schweigen geheißen hätte ... Ekkehard fuhr sie starr verwundert an. Es ist mein Ernst! fuhr sie fort. Wißt Ihr, warum? — weil er die Götter seines Landes schlecht macht. Ich hab' gute Acht gehabt, wie Ihr der Juno Reden gestern vortruget. Des Herrn aller Götter Ehfrau — und trägt eine Wunde im Gemüth, daß ein troischer Hirtenknab' sie nicht für die Schönste erklärt, und ist nicht im Stande, aus eigener Macht einen Sturm zu befehlen, daß die paar Schifflein zertrümmert werden, und muß den Aeolus durch Antragung einer Nymphe verführen .... und Neptun will Herrscher der Meere sein und läßt sich von fremdem Gewind Sturm und Wetter in sein Reich blasen und merkt's erst, wie es fast vorbei ist — was ist All' das für ein Wesen? Als Herzogin sag' ich Euch, in dem Reich, dessen Götter gescholten werden, möcht' ich den Scepter nicht führen. Ekkehard schien um eine Antwort verlegen. Was das Alterthum an Schriftwerk überliefert, stand ihm da als ein Festes, Unerschütter- liches, wie altes Gebirg; er war zufrieden, sich in Bedeutung und Verständniß einzuarbeiten, — nun solche Zweifel! Erlaubet, Herrin, sprach er, wir haben noch nicht weit gelesen, es steht zu hoffen, daß Euch die Menschen der Aene ϊ s besser gefallen. Wollet auch bedenken, daß zur Zeit, wo Augustus der Kaiser seine Unterthanen aufzeichnen ließ, das Licht der Welt zu Bethlehem zu leuchten anhub; es geht die Sage, daß auch auf Virgilius ein Strahl davon gefallen, da mochten ihm die alten Götter nicht mehr groß sein .... Frau Hadwig hatte gesprochen nach dem ersten Eindruck. Mit dem Lehrer streiten mochte sie nicht. Praxedis, sprach sie scherzend, was ist deine Meinung? Mein Denken geht nicht so hoch, sprach die Griechin. Mir kam Alles so natürlich vor, drum war mir's lieb. Und am besten hat mir gefallen, wie die Frau Juno ihrer Nymphe den Aeolus zum Ehegemahl verschafft; wenn er auch ein wenig alt ist, so ist er doch ein König der Winde, und sie ist gewißlich gut bei ihm versorgt gewesen ... Gewiß! — sprach Frau Hadwig und winkte ihr, zu schweigen. Nun wissen wir doch auch, wie Kammerfrauen den Virgilius lesen. Ekkehard war durch der Herzogin Widerspruch zu größerem Eifer gereizt. Mit Begeisterung las er am Abend des Weiteren, wie der fromme Aeneas auf Erspähung des lybischen Landes auszog und ihm seine Mutter Venus entgegentritt, in Gewand und Waffen einer Sparterjungfrau, den leichten Bogen um die Schulter, den wallenden Busen kaum in des aufgeschürzten Gewandes Knüpfung verborgen — und wie sie des Sohnes Schritt der tyrischen Fürstin entgegenlenkt. Und weiter las er, wie Aeneas zu spät die göttliche Mutter erkannte — vergebens ruft er ihr nach, sie aber hüllt ihn in Nebel, daß er uner- kannt zur neuen Stadt gelange ... wo die Tyrerin zu Juno's Ehren den mächtigen Tempel gründet, steht er und schaut, von Künstlerhand gemalt, die Schlachten vor Troia; am leeren Abbild vergangener Kampfarbeit weidet sich seine Seele. Jetzt naht sie selber, Dido, die Herrin des Landes, antreibend das Werk und die künftige Herrschaft. Und an der Pforte der Göttin, bedeckt vom Gewölbe des Tempels, Saß sie, mit Waffen umschaart, auf des Throns hochragendem Sessel, Urtheil sprach sie den Männern und Recht, und die Mühen der Arbeit Theilte sie Jeglichem gleich nach Billigkeit ... Leset mir das nochmals, sprach die Herzogin. Ekkehard wieder- holte es. Steht's so geschrieben? frug sie. Ich hätte nichts eingewendet, wenn Ihr's selber so eingeschaltet hättet. Glaubt' ich doch schier ein Abbild eigener Herrschaftführung zu hören ... Mit den Menschen Eures Dichter's bin ich wohl zufrieden. Es wird wohl leichter sein, sie abzuzeichnen, als die Götter, sprach Ekkehard. Es gibt so viel Menschen auf der Welt ... Sie winkte ihm, fortzufahren. Da las er, wie des Aeneas Ge- fährten herankamen, der Königin gastlichen Schutz anflehend, und wie sie ihres Führers Ruhm künden, der, von der Wolke verhüllt, nahe stand. Und Dido öffnet ihre Stadt den Hilfesuchenden, und der Wunsch steigt in ihr auf: Wäre doch selbst der König, vom selbigen Sturme gedränget, euer Aeneas allhier! also daß sehnendes Verlangen den Helden treibt, die Wolke zu durchbrechen ... Doch wie Ekkehard begonnen hatte: Kaum war solches gesagt, als schuell des umwallenden Nebels Hülle zerreißt .... da kam ein schwerer Tritt den Gang herauf: Herr Spazzo der Käm- merer trat ein, er wollte die neuen Studien seiner Gebieterin beaugen- scheinigen — bei'm Wein mochte er auch gesessen haben: sein Aug' war starr, der Gruß erstarb ihm auf den Lippen. Es war nicht seine Schuld. Schon in der Frühe hatte er ein Brennen und Zucken in der Nase verspürt, und das bedeutet sonder Widerrede einen trunkenen Abend. Bleibet stehen! rief die Herzogin, und Ihr, Ekkehard, leset weiter. Er las, ernst, mit Ausdruck: Siehe, da stand Aeneas und strahlt in der Helle des Tages, Hehr an Schulter und Haupt, wie ein Gott, denn die himmlische Mutter Hatt' anmuthige Locken dem Sohn und blühender Jugend Purpurlicht und heitere Würd' in die Augen geathmet: So wie das Elfenbein durch Kunst sich verschönet, wie Silber Prangt und parischer Stein in des röthlichen Goldes Umrandung. Drauf zur Königin wandt' er das Wort und Allen ein Wunder Redet er plötzlich und sprach: Hier schauet mich, welchen Ihr suchet, Mich den Troer Aeneas, gerettet aus lybischer Woge. Herr Spazzo stand verwirrt. Um Praxedis Lippen schwebte ein verhaltenes Kichern. Wenn Euch der Weg wieder herführt, rief die Herzogin, so wählet eine schicklichere Stelle zum Eintritt, daß wir nicht versucht werden, zu glauben, Ihr seid Aeneas der Troer, gerettet aus lybischer Woge. Herr Spazzo trat seinen Rückzug an: Aeneas der Troer! mur- melte er im Gang; hat wieder einmal ein rheinfränkischer Landfahrer sich einen erlogenen Stammbaum gemacht? Troja?! — umwallender Nebel?... Aeneas der Troer, wir werden eine Lanze brechen, wenn wir uns treffen! Mord und Brand! Achtes Kapitel . Audifax. In jener Zeit lebte auf dem Hohentwiel ein Knabe, der hieß Au- difax. Er war eigener Leute Kind, Vater und Mutter waren ihm weggestorben, da war er wild aufgewachsen, und die Leute hatten sein nicht viel Acht, er gehörte zur Burg wie die Hauswurz, die auf dem Dach wächst, und der Epheu, der sich um die Mauern schlingt. Man hatte ihm aber die Ziegen zu hüten angewiesen. Die trieb er auch getreulich hinaus und herein, und war schweigsam und scheu. Er hatte ein blaß Gesicht und kurzgeschnitten blondes Haupthaar, denn nur der Freigeborene durfte sich mit wallenden Locken schmücken. Im Frühjahr, wenn neuer Schuß und Trieb in Baum und Strauch waltete, saß Audifax vergnüglich draußen und schnitt Sackpfeifen aus dem jungen Holz und blies darauf; es war ein einsam schwermüthi- ges Getön, und Frau Hadwig war einmal schier eines Mittags Länge oben auf dem Söller gestanden, und hatte ihm gelauscht, vielleicht daß ihre Stimmung der Melodie der Sackpfeife entsprach — und wie Audifax des Abends seine Ziegen eintrieb, sprach sie zu ihm: heische dir eine Gnade. Da bat er um ein Glöcklein für eine seiner Ziegen, die hieß Schwarzfuß. Der Schwarzfuß bekam das Glöcklein, seither war in Audifax Leben Nichts von Belang vorgefallen. Aber er ward zu- sehends scheuer, im letzten Frühjahr hatte er auch sein Pfeifenblasen eingestellt. Jetzt war ein sonniger Spätherbsttag, da trieb er seine Ziegen an den felsigen Hang des Berges und saß auf einem Steinblock und schaute hinaus in's Land; hinter dunkelm Tannenwald leuchtete der Bo d ensee, vorn war Alles herbstlich gefärbt — dürres rothes Laub trieb im Winde. Audifax aber saß und weinte bitterlich. Damals hütete, was an Gänsen und Enten zum Hofe der Burg gehörte, ein Mägdlein, deß Name war Hadumoth, die war einer alten Magd Tochter und hatte ihren Vater nie gesehen. Es war Hadu- moth ein braves Kind, rothwangig, blauäugig, und ließ das Haar in zwei Zöpfe geflochten vom Haupt herunterfallen. Ihre Gänse hielt sie in Zucht und guter Ordnung, sie reckten Manchem den langen Hals entgegen und schnatterten wie thörichte Weiber, aber der Hirtin trotzte keine, wenn sie ihren Stab schwang, gingen sie züchtig und sitt- sam einher und enthielten sich jeglichen Lärmens. Oft weideten sie vermischt zwischen den Ziegen des Audifax, denn Hadumoth hatte den kurzgeschorenen Ziegenhirten nicht ungern und saß oft bei ihm und schaute mit ihm in die blaue Luft hinaus — und die Thiere merkten, wie ihre Hüter zusammen standen, da hielten auch sie Freundschaft miteinand. Jetzt trieb Hadumoth ihre Gänse auf die Berghalde her- unter, und da sie der Ziegen Glöcklein drüben läuten hörte, sah sie sich nach dem Hirten um. Und sie erschaute ihn, wie er weinte, und ging hinüber, setzte sich zu ihm und sprach: Audifax, warum weinst du? Der gab keine Antwort. Da legte Hadumoth ihren Arm um seine Schulter, wendete sein lockenloses Haupt zu sich herüber und sprach betrübt: Audifax, wenn du weinst, so will ich mit dir weinen. Audifax aber suchte seine Thränen zu trockenen: Du brauchst nicht zu weinen, sagte er, ich muß. Es ist Etwas in mir, daß ich wei- nen muß. Was ist in dir, daß du weinen mußt? frug sie. Da nahm er einen der Steine, wie sie von den twieler Felswänden abgelöst da- lagen, und warf ihn auf die anderen Steine. Der Stein war dünn und gab einen Klang. Hast du's gehört? Ich hab's gehört, sagte Hadumoth, es klingt wie immer. Hast du den Klang auch verstanden? Nein. Ich aber versteh ihn, und darum muß ich weinen, sprach Audifax. Es ist schon viele Wochen her, da bin ich drüben gesessen auf dem Felsen im Thale, da ist's zuerst in mich gezogen, ich kann nicht sagen wie, aber es muß aus der Tiefe gekommen sein, jetzt ist mir's oft, als wär' Aug und Ohr anders geworden, und in den Händen flim- merts wie fliegende Funken; wenn ich über's Feld geh', so hör' ich's unter meinen Füßen rieseln, als flösse ein Quell unten, wenn ich am Fels steh', so sehe ich durch's Gestein, da ziehen viel Arme und Adern hinunter, und drunten hämmert's und pocht's, das müssen die Zwerge sein, von denen der Großvater erzählt hat, und von ganz unten leuchtet ein glührother Schein empor ... Hadumoth, ich muß einen großen Schatz finden, und weil ich ihn nicht finden kann, drum weine ich. Hadumoth schlug ein Kreuz. Dir ist was angethan worden, sprach sie. Du hast nach Sonnenuntergang auf dem Boden geschlafen, da hat Einer der Unterirdischen Macht über dich bekommen ... Wart', ich weiß dir was besseres als Weinen. Sie sprang den Berg hinauf, in Kurzem kam sie wieder herab und hatte ein Töpflein mit Wasser und ein Stücklein Seife, das ihr Praxedis einst geschenkt, und etliche Strohhalme. Und sie schlug einen hellen Schaum auf, nahm sich einen Halm, gab dem Audifax einen und sprach: Laß uns mit Seifenblasen spielen, wie ehedem. Weißt du noch, wie wir beisammen saßen und um die Wette geblasen haben, und zuletzt konnten wir's so schön, daß sie groß und farbig über's Thal flogen und glänzten wie ein Regenbogen, und 's war schier zum weinen, wenn sie platzten ... Audifax hatte schweigend den Strohhalm genommen, duftig wie Thautropfen hing der Seifenschaum am Ende, er hielt ihn in die Luft hinaus, die Sonne glänzte drauf. Weißt du auch, Audifax, fuhr die Hirtin fort, was du einmal ge- sagt hast, wie wir unsern Schaum verblasen hatten und es war Abend und Nacht worden, und die Sterne zogen am Himmel auf? Das sind auch Seifenblasen, hast du gesagt, der liebe Gott sitzt auf einem hohen Berge, der bläst sie und kann's besser als wir ... Das weiß ich nicht mehr, sprach Audifax. Er neigte sein Haupt zur Brust herab und fing wiederum an zu weinen. Wie muß ich's anfangen, daß ich den Schatz gewinne? klagte er. Sei gescheidt, sprach Hadumoth, was wolltest du auch mit dem Schatz beginnen wenn er gewonnen ist? Dann kauf ich mich frei, sprach er gelassen, und dich auch, und der Frau Herzogin kauf ich ihr Herzogthum ab, und den ganzen Berg mit Allem was drauf steht, und dir laß ich eine güldene Krone machen und jeder Ziege ein gülden Glöcklein und mir eine Sackpfeife von Ebenholz und lauterem Golde ... Von lauterem Golde — scherzte Hadumoth, weißt du denn, wie Gold aussieht? Da deutete Audifax mit dem Finger nach dem Mund: Kannst du schweigen? Sie nickte bejahend. Gib mir die Hand drauf. Sie gab ihm die Hand. So will ich dir zeigen wie Gold aussieht, sprach der Hirtenknabe, griff in seine Busentasche und zog ein Stücklein her- vor, rund wie eine mässige Münze, aber gewölbt wie eine Schaale, und waren etliche unverständliche verwischte Zeichen darauf, es gleißte und glänzte, und war wirklich Gold. Hadumoth wog das Stück auf dem Zeigefinger. Das hab' ich auf dem Feld gefunden, weit da drüben, sprach Au- difax, nach dem Gewitter. Wenn der Regenbogen mit seinem Far- benglanz sich zu uns niederwölbt, dann kommen zwei Engel, wo seine Enden sich auf die Erde senken, halten sie ihm ein gülden Schüsselein unter, daß er nicht auf dem verregneten rauhen Boden aufstehen muß — und wenn er ausgeglänzt hat, dann lassen sie die Schüsselein im Feld stehen, zweimal dürfen sie's nicht brauchen, das würde der Re- genbogen übel nehmen ... Hadumoth begann an den Beruf ihres Gespielen zum Schatzfinden zu glauben. Audifax, sprach sie, und gab ihm das Regenbogenschüsse- lein zurück, das frommt dir Alles nichts. Wer einen Schatz finden will, muß den Zauber wissen — in der Tiefe unten wird Alles gut gehütet, sie gebens nicht los, wenn sie nicht niedergezwungen werden. Ja, der Zauber, sagte Audifax mit thränendem Aug' — wer ihn wüßte ... Hast du den heiligen Mann schon gesehen? frug Hadumoth. Nein. Seit vier Tagen ist der heilige Mann in der Burg, der weiß allen Zauber. Ein großes Buch hat er mitgebracht, das liest er unserer Herzogin vor, da steht Alles drin geschrieben, wie man die in der Luft zwingt, und die in der Erde, und die im Wasser und Feuer, die lange Friderun hat's den Knechten heimlich erzählt, die Herzogin hab' ihn verschrieben, daß das Herzogthum fester werde und größer, und daß sie jung und schön bleibe und ewig zu leben komme ... Ich will zum heiligen Mann gehen, sprach Audifax. Sie werden dich schlagen, warnte Hadumoth. Sie werden mich nicht schlagen, sagte er, ich weiß Etwas, das biet ich ihm, wenn er mir den Zauber weist ... Es war Abend worden. Die Kinder standen von ihrem Steinsitz auf — Ziegen und Gänse wurden zusammengerufen, wohlgeordnet wie eine Heerschaar zogen sie den Burgweg hinauf und rückten in ihren Ställen ein. — Desselben Abends las Ekkehard der Herzogin den Schluß des ersten Buchs der Aene ï de, den Herr Spazzo Tags zuvor unterbrochen: wie die Sidonierin Dido erstaunt bei des Helden Anblick ihn und die Seinen unter ihr gastlich Dach einladet, und beifällig nickte Frau Hadwig zu Dido's Worten: Mich auch hat ein gleiches Geschick durch mancherlei Trübsal Umgeschüttelt und endlich im Land hier ruhen geheißen; Fremd nicht blieb ich dem Kummer und lernt Unglücklichen beisteh'n. Jetzt sendet Aeneas den Achates zu den Schiffen, daß er's dem Sohn Ascanius ansage, denn ganz auf Ascanius ruht die zärtliche Sorge des Vaters. Frau Venus aber bewegt neue List im Busen, in Didos Herz soll der Liebe Flamme entzündet werden, da entrückt sie den Ascanius weit in den Hain Idalia und wandelt den Gott der Liebe in Ascanius Gestalt, die Flügel legt er ab, an Schritt und Gang ihm gleich, stellt er sich mit den Troern in Carthago's Königs- burg und eilt zur Königin hin — mit den Augen an ihm, mit der Seele Haftet sie, oft auch im Schooß erwärmt ihn Dido und weiß nicht Welch ein Gott ihr genaht, der Elenden! Er, sich erinnernd Dein, acidalische Mutter, vertilgt das Sichäus Gedächtniß Allgemach und mit lebender Glut zu gewinnen versucht er Ihr längst kühleres Herz, und der Seel' entwöhnete Regung. Haltet ein, sprach Frau Hadwig. Das ist wieder recht schwach ausgesonnen. Schwach? frug Ekkehard. Was braucht's den Gott Amor selber, sprach sie. Könnt' es sich nicht ereignen, daß auch ohne Trug und List und sein Einschreiten des ersten Gemahls Gedächtniß in einer Wittib Herzen zurückgedrängt würde? Wenn der Gott selber das Unheil anstiftet, sprach Ekkehard, so ist Frau Dido entschuldigt und so zu sagen gerechtfertigt — das hat wohl der Dichter andeuten wollen ... Ekkehard mochte glauben, er habe eine feine Bemerkung gemacht. Frau Hadwig aber stand auf: Das ist etwas Anderes, sprach sie spitzig, sie bedarf also einer Entschuldigung. An das habe ich nicht gedacht. Gut Nacht! Stolz ging sie durch den Saal, vorwurfsvoll rauschte ihr langes Gewand. Sonderbar, dachte Ekkehard, mit Frauen den theuern Virgilius lesen, hat Schwierigkeit. Weiter gingen seine Gedanken nicht ... Andern Tages schritt er durch den Burghof, da trat Audifax der Hirtenknabe zu ihm, hob das Ende seines Gewandes, küßte es, und sah fragend an ihm hinauf. Was hast du? frug Ekkehard. Ich möcht' den Zauber haben, sprach Audifax schüchtern. Was für einen Zauber? Den Schatz zu heben in der Tiefe. Den möcht' ich auch haben, sprach Ekkehard lachend. O, Ihr habt ihn, heiliger Mann, sprach der Knabe. Habet Ihr nicht das große Buch, aus dem Ihr unserer Herrin des Abends vorleset? Ekkehard schaute ihn scharf an, er ward mißtrauisch, und gedachte der Art, wie er auf den hohen Twiel eingeführt worden. Hat dirs Jemand eingegeben, fragte er, daß du so zu mir redest? Ja! Wer? Da fing Audifax an zu zu weinen: Hadumoth! sprach er. Ekke- hard verstand ihn nicht: Wer ist Hadumoth? Die Ganshirtin, sprach der Knabe schluchzend. Du redest Thorheit, geh' deiner Wege ... Aber Audifax ging nicht. Ihr sollt mir's nicht umsonst geben, sagte er, ich will Euch was Schönes zeigen. Es müssen viel Schätze im Berg sein, ich weiß einen, der ist aber nicht der rechte. Ich möcht' den rechten finden. Ekkehard ward aufmerksam: Zeig' mir was du weißt? Audifax deutete bergabwärts. Da ging Ekkehard mit ihm zum Burghof hinaus und die Stufen des Burgwegs hinunter; auf des Berges Rückseite, wo der Blick zu des hohen Stoffeln tannigem Haupt hinüberstreift und zum hohen Höwen, bog Audifax vom Weg ab, sie gingen durchs Gebüsch, kahl in verwittertem Grau strebte die Felswand vor ihnen zur Himmels- bläue empor. Audifax bog einen Strauch zurück und riß das Moos auf; in dem grauen Klingstein, der des Berges Kern ist, ward eine gelbe Ader sichtbar; in eines Fingers Breite zog sie durch's Gestein. — Audifax löste ein Stück ab, versteinten Tropfen gleich saß der einge- sprengte Stoff in der Spalte, strahlend, rundlich, goldgelb, und in weißröthlicher Druse hafteten Opalkrystalle. Prüfend sah Ekkehard auf das abgelöste Stück. Der Stein war ihm fremd. Edelstein war's nicht; die gelehrten Männer haben ihn später Natrolith getauft. Seht Ihr, daß ich Etwas weiß, sprach Audifax. Was soll ich damit? fragte Ekkehard. Das wißt Ihr besser als ich, Ihr könnt's schleifen lassen und Eure großen Bücher damit verzieren — gebt Ihr mir jetzt den Zauber? Ekkehard mußte des Knaben lachen. Du sollst Bergknappe werden, sprach er und wollte gehen. Aber Audifax hielt ihn am Gewand. Ihr müßt mich jetzt aus Eurem Buch lehren! Was? Den stärksten Spruch .. Eine Anwandlung des Scherzes kam über Ekkehard's ernstes Antlitz. Komm mit mir, sprach er, du sollst ihn haben, den stärksten Spruch. Frohlockend ging Audifax mit ihm. Da sagte ihm Ekkehard lachend den virgilianischen Vers: Auri sacra fames, quid non mortalia cogis pectora? Graulicher Hunger nach Golde, wozu nicht zwingst du der Menschen nimmersattes Gemüth? und mit eiserner Geduld sagte Audifax die fremden Worte her, bis er sie sprachrichtig dem Gedächtniß eingeprägt. Schreibt mir's auf, daß ich's auf dem Leib tragen kann, bat er ihn. Ekkehard gedachte den Scherz vollständig zu machen, und schrieb ihm die Worte auf einen dünnen Pergamentstreif, der Knabe barg's in seiner Brusttasche; hoch schlug sein Herz, wiederum küßte er Ekke- hard's Gewand — in Sprüngen, wie sie die kletterfroheste Ziege nicht machte, sprang er aus dem Hofe. Bei diesem Kinde gilt Virgilius mehr als bei der Herzogin, dachte Ekkehard. Des Mittags saß Audifax wieder auf seinem Steinblock. Aber es perlten keine Thränen mehr in seinen scheuen Augen; seit langem zum erstenmal war die alte Sackpfeife wieder mit ihm auf die Ziegen- hut ausgezogen, der Wind trug die Klänge ins Thal hinab. Ver- gnügt kam seine Freundin Hadumoth zu ihm herüber: Wollen wir wieder Seifenblasen machen? frug sie ihn. Ich mache keine Seifenblasen mehr! sprach Audifax und blies auf seiner Pfeife weiter. Dann stieg er auf, sah sich sorgsam um, zog Hadumoth zu sich — sein Auge glänzte seltsam: Ich bin beim hei- ligen Mann gewesen, raunte er ihr ins Ohr, heut Nacht heben wir den Schatz. Du gehst mit. Hadumoth versprach's ihm. Der dienenden Leute Nachtessen in der Gesindestube war zu Ende; gleichzeitig stunden sie alle von ihren Bänken auf und stellten sich in die Reihe; zu unterst waren Audifax und Hadumoth gesessen, die junge Hirtin sprach den grobkörnigen Menschen das Gebet vor, sie zitterte heut mit der Stimme ... Eh der Tisch abgeräumt war, huschte es wie zwei Schatten zu dem noch unverschlossenen Burgthor hinaus, es waren die zwei Kinder, Audifax ging voran. Die Nacht wird kalt sein, hatte er zu Hadu- moth gesagt und ihr ein langhaariges Ziegenfell umgeworfen. Da wo der Berg jäh nach Süden hin abfällt, war ein alter Erdwall ge- zogen, dort machte Audifax Halt — sie waren vor dem Herbstwind geschützt. Er streckte seinen Arm in gerader Richtung aus: Ich meine, hier soll's sein! sprach er. Wir müssen noch lang warten, bis Mitternacht. Hadumoth sprach nichts. Die Beiden setzten sich dicht neben einander. Der Mond war aufgegangen, sein Licht zitterte durch halb- durchsichtiges Gewölk. Auf der Burg oben waren etliche Fenster hell, sie saßen wieder über dem Virgilius droben .. am Berg war's still, selten strich der Schleiereule heiserer Ruf herüber. Nach langer Frist fragte Hadumoth schüchtern: Wie wird's werden, Audifax? Ich weiß nicht, war die Antwort. Es wird Einer herkommen und wird ihn herbringen, oder die Erde thut sich auf und wir steigen hinunter, oder .. Sei still, sprach Hadumoth, ich fürcht' mich. Und wieder war eine gute Frist vergangen, Hadumoth hatte ihr Haupt an Audifax Brust gelehnt und war eingeschlummert, er aber rieb sich den Schlaf aus den Augen, dann schüttelte er seine Gefährtin: Hadumoth, sprach er, die Nacht ist lang, erzähl' mir was. Mir ist was Böses eingefallen, sprach sie. Es war einmal ein Mann, der ging pflügen um's Morgenroth, da pflügte er den Gold- zwerg aus der Furche, der stand vor ihm und grinste ihn freundlich an und sprach: Nimm mich mit! Wer uns nicht sucht, dem gehören wir, wer uns sucht, den erwürgen wir ... Audifax, ich fürcht' mich. Gib mir deine Hand, sagte Audifax, daß du muthig bleibest. Die Lichter auf der Burg waren erloschen. Dumpfer Hornruf des Wächters auf dem Thurm kündete Mitternacht. Da kniete Audifax nieder, und Hadumoth kniete neben ihn, er hatte seinen Holzschuh vom rechten Fuß gezogen, daß er mit nackter Sohle auf dem dunkeln Erd- reich aufstand, den Pergamentstreifen hielt er in der Hand und mit fester Stimme sprach er die Worte, deren Sinn ihm fremd: Auri sacra fames, quid non mortalia cogis pectora? .. er hatte sie wohl behalten. Und auf den Knien blieben die Beiden und harrten dessen, was da kommen sollte .. Aber es kam kein Zwerg und kein Riese und die Erde that sich auch nicht auf; die Gestirne glänzten zu ihren Häupten kalt und fern, kühl wehte die Nachtluft ... Doch über einen Glauben so fest und tief, wie den der beiden Kinder, soll Niemand lachen, auch wenn damit keine Berge versetzt und keine Schätze gefunden werden. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 7 Jetzt hub sich ein unsicheres Leuchten am Himmelsgewölb, eine Sternschnuppe kam geflogen, ein flimmernder Glanzstreif zeichnete ihre Bahn, viel andere folgten nach — es kommt von oben, flüsterte Au- difax und preßte krampfhaft das Hirtenkind an sich, auri sacra fames .. rief er noch einmal in die Nacht hinaus, strahlend kreuzten sich die Meteore, das erste erlosch, das zweite erlosch — es war wieder ruhig am Himmel wie zuvor ... Lang und scharf sah sich Audifax um. Dann stand er betrübt auf: es ist Nichts, sagte er mit zitternder Stimme, sie sind in See gefallen. Sie gönnen uns Nichts. Wir werden Hirten bleiben. Hast du des heiligen Mannes Spruch auch recht gesagt? fragte ihn Hadumoth. Wie er ihn mich lehrte. Dann hat er dich nicht den rechten gelehrt. Er wird den Schatz selber heben. Vielleicht hat er ein Netz dorthin gelegt, wo die Sterne fielen .. Das glaub' ich nicht, sprach Audifax. Sein Antlitz ist mild und gut und seine Lippen sprechen kein Falsch. Hadumoth sann nach. Vielleicht weiß er den rechten Spruch nicht? Warum? Weil er den rechten Gott nicht hat. Er hat den neuen Gott. Die alten Götter waren auch stark. Audifax hielt seiner Gefährtin den Finger an die Lippen. Schweig! sprach er. Ich fürchte mich nicht mehr, sagte Hadumoth. Ich weiß noch eine Andere, die versteht sich auch auf Sprüche. Wen? Hadumoth deutete hinüber, wo aus lang gestrecktem Tannensaum ein dunkler Bergkegel steil aufstieg. Die Waldfrau! antwortete sie. Die Waldfrau? sprach Audifax erschrocken. Die, die das große Gewitter gemacht, wo die Schlossen so groß wie Taubeneier in's Feld einschlugen, und die den Centgrafen von Hilzingen gefressen hat, daß er nimmer heimkam? Eben darum. Wir wollen sie fragen. Die Burg ist uns doch verschlossen und die Nacht kalt. Das Hirtenmägdlein war keck und muthig geworden. Das Mitleid um Audifax war groß in ihr; sie hätte ihm so gern zu seiner Wünsche Erfüllung verholfen. Komm! sprach sie lebhaft, wenn dir's bange wird im Wald, so blas auf deiner Pfeife. Die Vögel antworten. Es geht dem Morgen entgegen. Audifax erhob keinen Einwand mehr. Da gingen sie mit einand durch's dichte Gehölz nordwärts, es war ein dunkler Tannenwald, sie kannten den Pfad. Niemand war des Weges. Nur ein alter Fuchs stand lauernd auf einem Rain, aber er war vom Erscheinen der beiden Kinder so wenig befriedigt, als diese von den schnell verflogenen Sternschnuppen. Auch bei Füchsen kommt oft Etwas ganz Anderes, als sie wünschen und erwarten. Darum zog er seinen Schweif ein, und schlug sich seitwärts. Sie waren eine Stunde weit gegangen, da stunden sie vor dem Fels Hohenkrähen. Zwischen Bäumen versteckt stund ein steinern Häuslein; sie hielten. Der Hund wird Laut geben! sprach Hadumoth. Aber kein Hund rührte sich. Sie traten näher, die Thür stand offen. Die Waldfrau ist fort! sprachen sie. Aber auf dem Fels Hohen- krähen brannte ein verglimmend Feuerlein. Dunkle Gestalten regten sich. Da schlichen die Kinder den Felspfad hinauf. Schon stand ein heller Luftstreif hinter den Bergen am Bodensee. Es ging steil in die Höhe. Oben, wo das Feuer glimmte, war ein Felsenvorsprung. Eine breitgipflige Eiche breitete ihre dunklen Aeste aus. Da duckten sich Audifax und Hadumoth hinter einen Stein und schauten hinüber. Es war ein Thier geschlachtet worden, ein Haupt, wie das eines Pferdes war an den Eichstamm genagelt, Spieße standen über dem Feuer, Knochen lagen umher. In einem Gefäß war Blut. Um einen zugehauenen Felsblock saßen viel Männer, ein Kessel mit Bier stand auf dem Stein, sie schöpften daraus mit steinernen Krügen. An der Eiche kauerte ein Weib. Sie war nicht so liebreizend, wie jene allemannische Jungfrau Bissula, die dem römischen Staats- mann Ausonius einst trotz seiner sechzig Jahre das Herz berückte, daß er idyllendichtend auf seiner Präfecturkanzlei einherschritt und sang: „sie ist von Augen himmelblau, und golden das röthliche Haar, ein Barbarenkind hoch über allen Puppen Latiums, wer sie malen will, 7* muß Rosen und Lilien mischen.“ Das Weib auf dem Hohen- krähen war alt und struppig. Die Männer schauten nach ihr. Zusehends hellte sich der Himmel im Osten. In die Nebel über dem See kam Bewegung. Jetzt warf die Sonne ihre ersten Strahlen vergüldend über die Berge, bald stieg der feurige Ball empor, da sprang das Weib auf, die Männer erhoben sich schweigend; sie schwang einen Strauß von Mistel und Tannreis, tauchte ihn in das Gefäß mit Blut, sprengte dreimal der Sonne ent- gegen, dreimal über die Männer, dann goß sie des Gefäßes Inhalt in das Wurzelwerk der Eiche. Die Männer hatten ihre Krüge ergriffen, sie rieben sie in einför- miger Weise dreimal auf dem geglätteten Fels, daß ein summendes Getön entstand, hoben sie gleichzeitig der Sonne entgegen und tranken aus; in gleichem Tacte setzte Jeder den Krug nieder, es klang wie ein einziger Schlag. Dann warf ein Jeglicher seinen Mantel um, schweigend zogen sie den Fels hinab. Es war die Nacht des ersten November. Wie es still geworden auf dem Platz, wollten die Kinder vor- treten zur Waldfrau. Audifax hatte sein Streiflein Pergament zur Hand genommen — aber das Weib riß einen Feuerbrand aus der Asche und schritt ihnen drohend entgegen. Da flohen sie in Hast den Berg hinunter. Neuntes Kapitel . Die Waldfrau. Audifax und Hadumoth waren in die Burg von Twiel zurückge- kehrt. Ihres nächtlichen Ausbleibens war nicht geachtet worden. Sie schwiegen von den Begegnissen jener Nacht. Auch unter sich. Audifax hatte viel nachzudenken. In seiner Ziegen Hut war er säumig. Eine seiner Untergebenen verlief sich, nach den platten Hügeln hin, die den Lauf des dem Bo- densee entströmenden Rheines umsäumen. Da ging er, sie zu suchen; einen Tag blieb er aus, dann kehrte er mit der Entronnenen zurück. Hadumoth freute sich des Erfolges, der ihrem Gefährten Schläge ersparte. Der Winter kam mälig heran, die Thiere blieben im Stall. Eines Tages saßen die Kinder am Kaminfeuer in der Knechtstube. Sie waren allein. Du denkst noch immer an Schatz und Spruch? sagte Hadumoth. Da zog sie Audifax geheimnißvoll zu sich: Der heilige Mann hat doch den rechten Gott! sprach er. Warum? frug Hadumoth. Er ging in seine Kammer hinüber; im Stroh seines Lagers hatte er allerhand Gestein untergebracht, er griff einen heraus und brachte ihn herüber: Schau an! sprach er. Es war ein glimmeriger grauer Schieferstein, er umschloß die Reste eines Fisches, in zartem Umriß waren Haupt, Flossen und Gräthen dem Schiefer eingedrückt. Den hab' ich drüben am Schiener Berg mitgenommen, da ich die Ziege suchen ging. Der muß von der Fluth sein, von der der Vater Vin- centius einmal gepredigt hat, und die Fluth hat der Herr Himmels und der Erde über die Welt gehen lassen, da er den Noah das große Schiff bauen hieß, davon weiß die Waldfrau nichts. Hadumoth wurde nachdenklich: Dann ist die Waldfrau Schuld, daß uns die Sterne nicht in Schooß gefallen sind, wir wollen sie beim heiligen Mann verklagen. Da gingen die Beiden zu Ekkehard und berichteten ihm, was in jener Nacht auf dem Hohenkrähen vorgegangen. Er hörte sie freund- lich an. Des Abends erzählte er's der Herzogin. Frau Hadwig lächelte. Sie haben einen seltsamen Geschmack, meine treuen Unterthanen, sprach sie. Ueberall sind ihnen schmucke Kirchen gebaut, sanft und eindringlich wird das Wort Gottes verkündet, stattlicher Gesang, große Feste, Bitt- gänge mit Kreuz und Fahnen durch wogendes Kornfeld und Flur, — und doch ist's nicht genug. Da müssen sie noch in kalter Nacht auf ihren Berggipfeln sitzen, und wissen selber nicht, was sie dort treiben, außer daß Bier getrunken wird. Wir kennen das. Was haltet Ihr von der Sache, frommer Ekkehard? Aberglaube! sprach der Gefragte, den der böse Feind noch immer in abtrünnige Gemüther säet. Ich hab' in unsern Büchern gelesen von den Werken der Heiden, wie sie im Dunkel der Wälder, an ein- samen Wegscheiden und Quellen und selbst an den dunkeln Gräbern der Todten ihre zaubrischen Listen treiben. Sie sind keine Heiden mehr, sagte Frau Hadwig. Ein Jeder ist getauft und seinem Pfarrherrn zugewiesen. Aber es lebt noch ein Stück alte Erinnerung in ihnen, die ist sinnlos geworden und zieht sich doch durch ihr Denken und Thun, gleich dem Rhein, wenn er in Winterszeit tief unter des Bodensee's Eisdecke geräuschlos weiter fließt. Was wollt Ihr mit ihnen beginnen? Vertilgen! sprach Ekkehard. Wer seinen Christenglauben bricht und dem Gelübde seiner Taufe untreu wird, soll fahren in die ewige Verdammniß. Halt an, junger Eiferer, sagte Frau Hadwig; meinen hegauer Mannen sollt Ihr darum das Haupt noch nicht abschlagen, daß sie die erste Nacht des Herbstmonats lieber auf dem kalten hohen Krähen sitzen als auf ihrem Strohlager schlafen. Sie thun doch was sie müssen, und schon im Heerbann des großen Kaiser Karl haben sie dereinst gegen die heidnischen Sachsen gefochten, als wär' ein Jeder zum erlesenen Rüstzeug der Kirche geweiht. Mit dem Teufel, rief Ekkehard hochfahrend, ist kein Friede. Wollet Ihr lau im Glauben sein, Herrin? Im Regieren einer Landschaft, sprach sie mit leisem Spott, lernt sich Manches, das in Euren Büchern nicht steht. Wißt Ihr auch, daß der Schwache wirksamer durch seine Schwäche geschlagen wird, als durch die Schneide des Schwerts? Wie der heilige Gallus einst in die Trümmer von Bregenz drüben einzog, da lag der heiligen Aurelia Altar zerstört, drei eherne Götzenbilder stunden aufgerichtet; um den großen Bierkessel, der niemals fehlen darf, so oft man hierlands in alter Weise fromm sein will, saßen sie und tranken. Der heilige Gall hat Keinem ein Leides gethan, aber ihre Bilder hat er in Stücke geschlagen und hinausgeschleudert, daß sie zischend einfuhren in's grüne Gewoge des Sees, und in ihren Bierkessel hat er ein Loch gehaucht und das Evangelium gepredigt an derselben Stelle; es fiel kein Feuer vom Himmel ihn zu verzehren, sie aber sahen, daß ihre Sache Nichts war und bekehrten sich. Verständig sein heißt nicht lau im Glau- ben sein ... Das war damals ... begann Ekkehard. Und itzt — fiel ihm Frau Hadwig in's Wort, itzt steht die Kirche aufgerichtet vom Rhein bis an's nördliche Meer, stärker als die Ca- stelle der Römer zieht sich eine Kette von Klöstern durch's Land, Festungen des Glaubens; bis in die Wildnisse des Schwarzwalds ist längst das Wort christlicher Bekenner gedrungen, was wollt Ihr mit den Nachzüglern vergangener Zeiten so schweren Kampf fechten? So belohnet sie denn, sprach Ekkehard bitter. Belohnen? sagte die Herzogin. Zwischen Entweder und Oder führt noch manches Sträßlein. Wir müssen einschreiten gegen den nächtlichen Unfug. Warum? Kein Reich mag gut bestehen bei zweierlei Glauben, das führt die Gemüther gegen einand in Schlachtordnung und ist unnöthig, so lange draußen Feinde genug lauern. Des Landes Gesetz hat ihnen das thörige Wesen untersagt, sie sollen merken, daß unser Gebot und Verbot nicht in Wind gesprochen ist. Ekkehard schien von dieser Weisheit nicht befriedigt. Ein Zug von Mißmuth flog über sein Antlitz. Höret, fuhr die Herzogin fort, was ist Eure Meinung von der Zauberei überhaupt? Die Zauberei, sprach Ekkehard mit Ernst und schwerem Athemzug, der auf den Vorsatz einer längeren Rede zu deuten schien, ist eine verdammliche Kunst, wodurch der Mensch sich die Dämonen, die allent- halb in der Natur walten und nisten, dienstbar macht. Auch im Un- lebendigen ruht Lebendiges verborgen, wir hören es nicht und sehen es nicht, aber verführend weht es an unbewachtes Gemüth, mehr zu erfahren und mehr zu wirken, als ein treuer Knecht Gottes erfahren und wirken kann — das ist das alte Blendwerk der Schlange und der Mächte der Finsterniß; wer sich ihnen zu eigen macht, kann ein Stück von ihrer Gewalt erlangen, aber er herrscht über die Teufel durch deren Obersten und verfällt ihm wenn seine Zeit aus ist. Darum ist die Zauberei so alt wie die Sünde und statt daß der eine wahre Glaube sei auf der Welt und die eine Mildigkeit der Werke, anzu- beten den dreieinigen Gott, gehen noch Weissager umher und Traumdeuter und Traumscheider und Liedersetzer und Räthsellöser, vor Allem aber sind unter den Töchtern Eva's die Anhängerinnen solcher Künste zu suchen .. Ihr werdet artig, unterbrach ihn Frau Hadwig — Denn der Frauen Gemüth, fuhr Ekkehard fort, ist allzeit neugie- riger Erforschung und Ausübung verbotener Dinge zugewendet. Wenn wir mit Lesung des Virgilius fortschreiten, werdet Ihr den Ausbund der Zauberei in Gestalt des Weibes Circe ang e deutet sehen, die auf unzugänglichem Vorgebirg singend haust, lieblich duftender Spahn von Cederholz erleuchtet die dunkeln Gemächer, mit fleißigem Weberschifflein webt sie viel zartes Gezeug, aber draußen im Hof tönt seufzendes Knurren von Löwen und Wölfen und der Schweine Gegrunz, die sie alle aus Menschen durch zaubrischen Trank in der Thiere Gestalt verwandelt ... Ihr sprechet ja wie ein Buch, sagte die Herzogin spitz. Ihr sollet Eure Wissenschaft von der Zauberei weiter bilden. Reitet denn auf den hohen Krähen hinüber und untersuchet, ob die Waldfrau eine Circe, und regieret in unserem Namen, wir sind neugierig, was Eure Weisheit ordnet. Es ist nicht meine Wissenschaft, erwiederte er ausweichend, wie man die Völker regiert und die Dinge der Welt gebietend schlichtet. Das findet sich, sprach Frau Hadwig, es hat noch selten Einen in Verlegenheit gebracht, am wenigsten einen Sohn der Kirche. Ekkehard fügte sich. Der Auftrag war ihm ein Beweis von Ver- trauen. Andern Morgens ritt er nach dem hohen Krähen. Den Audifax nahm er mit, daß er ihm den Weg zeige. Glückliche Reise, Herr Reichskanzler! rief ihm eine lachende Stimme nach. Es war Praxedis. Bald kamen sie vor der Waldfrau Behausung. Auf einem Vor- sprung in halber Höhe des steilen Felsens stand ihre steinerne Hütte, mächtige Eich- und Buchstämme breiteten ihre Aeste drüber und ver- deckten den ragenden Gipfel des hohen Krähen. Drei wie Stufen geschichtete Klingsteinplatten führten in's Innere. Es war eine hohe dunkle Stube. Viel getrocknete Waldkräuter lagen aufgehäuft, wür- ziger Geruch entströmte ihnen; drei weißgebleichte Pferdsschädel grinsten gespenstig von den Pfeilern der Wand herab, ein riesig Hirsch- geweih hing dabei. In den hölzernen Thürpfosten war ein verschlun- genes Doppeldreieck geschnitten. Ein zahmer Waldspecht hüpfte in der Stube umher, ein Rabe, dem die Schwingen gekürzt, war sein Genosse. Die Inwohnerin saß am glimmenden Feuer des Heerdes und nähte an einem Gewand. Ein hoher behauener halb verwitterter Stein stand ihr zur Seite. Von Zeit zu Zeit bückte sie sich zum Heerde und hielt ihre magere Hand über die Kohlen; Novemberkälte lag auf Berg und Wald. Die Zweige einer alten Buche neigten sich schier zum Fenster herein, ein leiser Windeshauch bewegte sie, das Laub war herbstgelb und morsch und zitterte und brach ab, etliche welke Blätter wirbelten in die Stube. Und die Waldfrau war einsam und alt und mochte frieren: Da liegt ihr nun verachtet und welk und todt, sprach sie zu den Blät- tern, und ich gleiche euch. Ein fremdartiger Zug umflog ihr runzlig Antlitz. Sie dachte vergangener Zeiten, da auch sie jung und früh- lingsgrün gewesen und einen Liebsten gehabt — aber den hatte sein Schicksal weit hinausgetrieben aus dem heimischen Tannwald, raubende Nordmänner, die einst mit Sengen und Brennen den Rhein herauf fuhren, hatten ihn und viel andere Heerbannleute gefangen mitge- schleppt und er war bei ihnen geblieben über Jahresfrist und hatte den Seemannsdienst gelernt und war wild und trotzig geworden in der Strandluft des Meeres, und wie sie ihn wieder frei gaben, trug er die Nordseesehnsucht mit sich in schwäbischen Wald, — die Gesichter der Heimath gefielen ihm nimmer wieder, die der Mönche und Priester am wenigsten, und das Unglück fügte es, daß er in zornigem Auf- brausen einen wandernden Mönch erschlug, der ihn gescholten, da war seines Bleibens nicht fürder. Der Waldfrau Gedanken hafteten heut immerdar auf jener letzten Stunde, die ihn von ihr geschieden. Da hatten ihn die Gerichtsmänner vor seine Hütte im Weiterdinger Wald geführt, sechshundert Schillinge sollte er als Wehrgeld für den Erschlagenen zahlen und wies ihnen statt dessen Haus und Hofmark zu und schwur mit zwölf Eideshelfern, daß er Nichts unter und Nichts ober der Erde mehr zu eigen habe. Drauf ging er in sein Haus, sammelte eine Hand voll Erde, stand auf die Schwelle und warf mit der Linken die Erde über seine Schultern auf seines Vaters Bruder, als Zeichen, daß seine Schuld auf diesen seinen einzigen Blutsverwandten übergehen solle, er aber griff einen Stab und sprang im leinenen Hemde ohne Gürtel und Schuhe über den Zaun seines Hofes, das Recht der chrene chruda schrieb's so vor, und damit war er seiner Heimath ledig und ging in Wälder und Wüsten — ein landflüchtiger Mann, und ging wieder in's Dänenland zu seinen Nordmännern und kam nimmer zurück. Nur eine dunkle Kunde sagte, er sei mit ihnen nach Island hinüber- gefahren, wo die tapfern Seefahrer, die ihren Nacken nicht beugen wollten vor neuem Glauben und neuer Herrschaft, sich ein kaltes Asyl gegründet. Das war schon lange, lange her, aber der Waldfrau war es als sähe sie ihren Friduhelm noch, wie er in's Waldesdunkel sprang; sie hatte damals in's Weiterdinger Kirchlein einen Kranz von Eisenkraut gehängt und viel Thränen vergossen .. kein Anderer hatte sein Bild aus ihrer Seele verdrängt. Die traurige Jahreszeit gemahnte sie an ein altes Nordmännerlied, das er sie einst gelehrt; das summte sie jetzt vor sich hin: Der Abend kommt und die Herbstluft weht, Reifkälte spinnt um die Tannen, O Kreuz und Buch und Mönchsgebet — Wir müssen Alle von dannen. Die Heimath wird dämmernd und dunkel und alt, Trüb rinnen die heiligen Quellen: Du götterumschwebter, du grünender Wald, Schon blitzt die Axt dich zu fällen! Und wir ziehen stumm, ein geschlagen Heer Erloschen sind unsere Sterne — O Island, du eisiger Fels im Meer, Steig auf aus mächtiger Ferne. Steig auf und empfah unser reisig Geschlecht — Auf geschnäbelten Schiffen kommen Die alten Götter, das alte Recht, Die alten Nordmänner geschwommen. Wo der Feuerberg loht, Glutasche fällt, Sturmwogen die Ufer umschäumen: Auf dir, du trotziges Ende der Welt, Die Winternacht woll'n wir verträumen! Ekkehard war indeß draußen abgestiegen und hatte sein Roß an eine Tanne gebunden. Jetzt trat er über die Schwelle; scheu ging Audifax hinter ihm drein. Die Waldfrau warf das Gewand über den Stein, faltete die Hände in ihren Schoß und sah starr dem ein- tretenden Mann im Mönchsgewand entgegen. Sie stand nicht auf. Gelobt sei Jesus Christ! sprach Ekkehard als Gruß und Ablenkung etwaigen Zaubers. Unwillkürlich schlug er den Daumen der Rechten ein und schloß die Hand, er fürchtete das böse Auge und seine Ge- walt; Audifax hatte ihm erzählt, die Leute sagten von ihr, daß sie mit einem Blick ein ganzes Grasfeld dürre zu machen vermöge. Sie antwortete nicht auf den Gruß. Was schafft Ihr Gutes? hub Ekkehard das Gespräch an. Einen Rock bessern, sprach die Alte, er ist schadhaft geworden. Ihr sucht auch Kräuter? Such' auch Kräuter. Seid Ihr ein Kräutermann? Dort liegen viele: Habichtskraut und Schneckenklee, Bocksbart und Mäuseohr, auch dürrer Waldmeister, so Ihr begehrt. Ich bin kein Kräutermann, sprach Ekkehard. Was macht Ihr mit den Kräutern. Braucht Ihr zu fragen, wozu Kräuter gut sind? sprach die Alte, Euer Einer weiß das auch. Es stünd' schlimm um kranke Menschen und krankes Thier, und schlimm um Abwehr nächtiger Unholde und Stillung liebender Sehnsucht, wenn keine Kräuter wären. Und Ihr seid getauft? fuhr Ekkehard ungeduldig fort. Sie werden mich auch getauft haben ... Und wenn Ihr getauft seid, rief er mit erhobener Stimme, und dem Teufel versagt habt und allen seinen Werken und allen seinen Gezierden, was soll das? Er deutete mit seinem Stab nach den Pferdeschädeln an der Wand und stieß einen heftig an, daß er herunter- fiel und in Stücke brach: die weißen Zähne rollten auf dem Fuß- boden umher. Der Schädel eines Rosses, antwortete die Alte gelassen, den Ihr jetzt zertrümmert habt. Es war ein junges Thier, Ihr könnt's am Gebiß noch sehen. Und der Rosse Fleisch schmeckt Euch? frug Ekkehard. Es ist kein unrein Thier, sagte die Waldfrau, und sein Genuß nicht verboten. Weib! rief Ekkehard und trat hart vor sie hin, — du treibst Zauberkunst und Hexenwerk! Da stand die Alte auf. Ihre Stirn runzelte sich, unheimlich glänzten die grauen Augen. Ihr tragt ein geistlich Gewand, sprach sie, Ihr möget mir das sagen. Gegen Euch hat eine alte Waldfrau kein Recht. Es heißt sonst, das sei ein groß Scheltwort, was Ihr mir in's Antlitz geworfen, und das Landrecht büßt den Schelter ... Audifax war indeß scheu an der Thür gestanden. Da kam der Waldfrau Rabe auf ihn zugehüpft, so daß er sich fürchtete; er lief zu Ekkehard hin. Am Heerde sah er den behauenen Stein. An einem Stein herumzuspüren, hätte ihn auch die Furcht vor zwanzig Raben nicht abgehalten. Er hob das Gewand, das drüber gebreitet war. Verwitterte Gestalten kamen zum Vorschein. Ekkehard lenkte seinen Blick darauf. Es war ein römischer Altar. Cohorten, die fern aus üppigem asischem Standlager des allmächtigen Kriegsherrn Gebot an den un- wirthlichen Bodensee versetzt, mochten ihn einst in diesen Höhen auf- gestellt haben — ein Jüngling in fliegendem Mantel und phrygischer Mütze kniete auf einem niedergeworfenen Stier: der persische Lichtgott Mithras, an den der sinkende Römerglaube neue Hoffnung anknüpfte, als das Andere abgenutzt war. Eine Inschrift war nicht sichtbar. Lang schaute ihn Ekkehard an, sein Aug' hatte außer der güldenen Vespasianusmünze, die Untergebene des Klosters einst im Torfmoos bei Rapperswyl gefunden, und etlichen geschnittenen Steinen im Kirchenschatz noch kein Bildwerk des Alter- thums erschaut, aber er ahnte an Form und Bildung den stummen Zeugen einer vergangenen Welt. Woher der Stein? frug er. Ich bin genug gefragt, sagte die Waldfrau trotzig, schafft Euch selber Antwort. ... Der Stein hätte auch Mancherlei antworten können, wenn Steine Zungen hätten. Es haftet ein gut Stück Geschichte an solch verwittertem Gebild. Was lehrt es? Daß der Menschen Geschlechter kommen und zergehen wie die Blätter, die der Frühling bringt und der Herbst verweht, und daß ihr Denken und Thun nur eine Spanne weit reicht; dann kommen Andere und reden in andern Zungen und schaffen in andern Formen; Heiliges wird geächtet, Geächtetes heilig, neue Götter steigen auf den Thron: wohl ihnen, wenn er nicht über allzuviel Opfern sich aufrichtet ... Ekkehard deutete das Dasein des Römersteins in der Waldfrau Hütte anders. Den Mann auf dem Stier betet Ihr an, rief er heftig. Die Waldfrau griff einen Stab, der am Heerde stand, nahm ein Messer und schnitt zwei Kerbschnitte hinein: Die zweite Beschimpfung, die Ihr mir anthut! sprach sie dumpf. Was haben wir mit dem Stein- bild zu schaffen? So redet, sagte der Mönch, wie kommt der Stein in Eure Hütte. Weil er unss gedauert hat, sagte die Waldfrau. Das mögt Ihr nicht verstehen, die Ihr das Haupt kahl geschoren traget. Der Stein ist draus gestanden auf dem Felsvorsprung, es war ein zugerichteter Platz und wird Mancher in alten Tagen dort gekniet haben, aber itzt hat sich Keiner mehr um ihn gekümmert, die Leute des Waldes haben Holzäpfel drauf gedörrt und Späne drauf gespalten, wie's kam, und des Regens Unbill hat die Bilder verwaschen. Der Stein dauert mich, hat meine Mutter gesagt, er war einmal was Heiliges; aber die Knochen Derer, die den Mann drauf gekannt und verehrt haben und den Stein, sind längst weiß gebleicht, — es wird ihn frieren den Mann mit dem fliegenden Mantel. Da haben wir ihn ausgehoben und an Heerd gestellt: er hat uns noch kein Leid's gebracht. — Wir wissen, wie es den alten Göttern zu Muth ist, unsere gelten auch nicht mehr. Laßt Ihr dem Stein seine Ruhe! Eure Götter? fuhr Ekkehard in seinem Fragen fort — wer sind Eure Götter? Das müßt Ihr wissen, sprach die Alte. Ihr habt sie vertrieben und in See gebannt: in der Fluthen Tiefe liegt Alles begraben, der Hort alter Zeit und die alten Götter, wir sehen sie nicht mehr und wissen nur noch die Plätze, wo unsere Väter sie verehrt, eh' der Franke kam und die Männer in den Kutten. Aber wenn der Wind die Wipfel des Eichbaums droben schüttelt, dann kommt's wie Stimmen durch die Lüfte, das ist ihr Klagen — und in gefeiten Nächten rauscht brauset es und der Wald leuchtet, Schlangen winden sich an den Stämmen empor, da jagt's über die Berge wie ein Zug verzweifelter Geister, die nach der alten Heimath schauen ... Ekkehard bekreuzte sich. Ich sag's wie ich's weiß, sprach die Alte. Ich will den Heiland nicht beleidigen; aber er ist als ein Fremder in's Land gekommen, Ihr dienet ihm in fremder Sprache, die verstehen wir nicht. Wenn er auf unserem Grund und Boden erwachsen wäre, dann könnten wir zu ihm reden und wären seine treuesten Diener, und es stünd' besser um's alemannische Wesen. Weib! rief Ekkehard zürnend, wir werden Euch verbrennen lassen ... Wenn's in Euren Büchern steht, war die Antwort, daß das Holz des Waldes aufwächst, um alte Frauen zu verbrennen: ich hab' genug gelebt. Der Blitz hat neulich Einkehr bei der Waldfrau genommen — fuhr sie fort und deutete auf einen schwärzlichen Streif an der Wand — der Blitz hat die Waldfrau verschont. Sie kauerte am Heerd nieder und blieb starr und unbeweglich sitzen. Die glühenden Kohlen warfen ein scharfes Streiflicht auf die runzligen Züge. Es ist gut! sprach Ekkehard. Er verließ die Stube. Audifax war froh, als er wieder blauen Himmel über sich sah. Dort sind sie gesessen! sprach er und deutete den Berg hinauf. Ich werd's ansehen, sprach Ekkehard. Du gehst zum hohen Twiel zurück und bestellst zwei Knechte her mit Hacke und Beil, und Otfried, den Diacon von Singen, er soll eine Stola mitbringen und sein Meßbuch. Audifax sprang davon. Ekkehard stieg auf den hohen Krähen. In der Burg zu Hohentwiel war indeß die Herzogin an der Mittagstafel gesessen. Sie hatte oft unstet herumgeschaut, als wenn ihr Etwas fehle. Die Mahlzeit war kurz. Wie Frau Hadwig mit Praxedis allein war, hub sie an: Wie gefällt dir unser neuer Lehrer, Praxedis? Die Griechin lächelte. Rede! sprach die Herzogin gebietend. Ich hab' in Constantinopolis schon manchen Schulmeister gesehen, sprach Praxedis wegwerfend. Frau Hadwig drohte mit dem Finger: Ich werd' dich aus meinen Augen verbannen ob so unehrerbietiger Rede. Was hast du über Schulmeister zu lästern? Verzeihet, sprach Praxedis, es ist nicht schlimm gemeint. Aber wenn ich so einen Mann der Bücher sehe, wie der ernstahft einher- schreitet und einen Anlauf nimmt, um aus seinen Schriften das her- auszugraben, von dem wir ungefähr auch ahnen, daß es kommen muß, und wie er mit seinen Pergamenten zusammengewachsen ist, als wär's ihm angethan worden, und seine Augen nur für die Buchstaben einen Blick haben und kaum für die Menschen, die um ihn sind: so steht mir das Lachen nahe. Wenn ich nicht weiß ob Mitleid am rechten Platze, so lach' ich. Des Mitleids wird er auch nicht bedürfen, er versteht ja mehr als ich. Ein Lehrer muß ernst sein, sagte die Herzogin, das gehört dazu wie der Schnee zu unsern Alpen. Ernst, ja wohl! erwiederte die Griechin, in diesem Land, wo der Schnee die Berggipfel deckt, muß Alles ernst sein. Wär' ich doch ge- lehrt wie Herr Ekkehard, um Euch zu sagen, was ich meine. Ich meine, man sollte auch im Scherz lernen können, spielend, ohne den Schweißtropfen der Anstrengung auf der Stirn — was schön ist, muß gefallen und wahr zugleich sein. Ich meine, das Wissen ist wie Honig, Verschiedene können ihn holen, der Schmetterling summt um den Blumenkelch und findet ihn auch, doch so ein deutscher weiser Mann kommt mir vor wie ein Bär, der schwerfällig in den Bienen- stock hineingreift und die Tatzen leckt — ich hab' an Bären keinen Gefallen. Du bist ein leichtsinnig Mägdlein, sprach Frau Hadwig und un- lustig des Lernens. Wie gefällt dir denn Ekkehard sonst — ich meine er sei schön? Praxedis sah zu ihrer Gebieterin hinüber: Ich hab' noch keinen Mönch drum angeschaut, ob er schön sei. Warum? Ich hab's für unnöthig gehalten. Du gibst heute sonderbare Antworten, sprach Frau Hadwig und erhob sich. Sie trat an's Fenster und blickte nordwärts. Jenseits der dunklen Tannenwälder schaute in plumper Steile der Fels von Hohenkrähen zu ihr herüber. Der Hirtenbub war vorhin da, er hat Leute hinüber bestellt, sprach Praxedis. Der Nachmittag ist mild und sonnig geworden, sagte die Herzogin, laß die Pferde rüsten, wir wollen hinüber reiten und sehen was sie treiben. Oder — ich hab' vergessen, daß du dich über die Mühsal beklagt im Sattel zu sitzen, da wir vom heiligen Gallus heimkehrten: ich werd' alleine ausreiten .. Ekkehard hatte sich auf dem Hohenkrähen den Schauplatz des nächt- lichen Gelages betrachtet. Wenig Spuren waren übrig. Das Erdreich um den Eichbaum war röthlich angefeuchtet. Reste von Kohlen und Asche deuteten auf den Feuerplatz. In den Aesten der Eiche sah er mit Befremden da und dort kleine Wachsbilder von menschlichen Glied- maßen versteckt hangen, Füße und Hände, Abbilder von Pferden und Kühen, — Gelöbnisse für Heilung von Krankheit an Menschen und Thier, die der bäuerliche Aberglaube damals noch am altersgeweihten Baume lieber löste als in der Kirche des Thales. Zwei Männer mit Haugeräthe kamen heran. Wir sind bestellt, sprachen sie. Vom Hohentwiel? fragte Ekkehard. — Wir arbeiten der Herrschaft, unser Sitz ist drüben am Hohenhöwen, wo der Rauch der Kohlenmeiler aufsteigt. Gut, sagte Ekkehard, ihr sollt mir die Eiche hier fällen. Die Männer sahen ihn verlegen an. Vorwärts, rief er, und sputet euch! Bis die Nacht anbricht, muß sie umgehauen liegen. Da gingen die Zwei mit ihren Beilen zu der Eiche hin. Mit offenem Munde standen sie vor dem stolzen Baum. Einer ließ sein Beil zur Erde fallen. Kommt dir der Platz nicht bekannt vor, Chomuli? frug er seinen Nebenmann. Warum bekannt, Woveli? Der Holzhacker deutete nach Sonnenaufgang, setzte die geballte Rechte an den Mund, hob sie als wenn er trinke und sprach: Darum, Chomuli. Da sah der Andere nach Ekkehard hinunter und zwinkte mit dem Aug': Wir wissen von Nichts; Woveli! Aber Er wird's wissen, Chomuli, sprach der Erste. Abwarten, Woveli, sagte der Andre. Es ist Sünd' und Schade, fuhr sein Gefährte fort, um den Eich- baum, schon an die zweihundert Jahr steht er, und hat manch lustig flackernd Mai- und Herbstfeuer erlebt. Ich bring's schier nicht über's Herz, Chomuli. Sei kein Thor, tröstete der Andere und that den ersten Hieb, wir müssen dran: Je schärfer wir dem Baum in's Fleisch hauen, desto weniger glaubt's der in der Kutte dort, daß wir selber in nächtlicher Andacht unter seinen Wipfeln saßen. Und der Strafschilling?! ... Klug muß der Mensch sein, Woveli! Das leuchtete dem Ersten ein. Klug muß der Mensch sein, Cho- muli! sprach er und hieb auf den Baum seiner Verehrung. Zehn Tage vorher hatte er ein Wachsbild dran gehängt, daß ihm seine braune Kuh vom Fieber genese. — Die Späne flogen, in dumpfem Tact trachten die einschlagenden Hiebe der Beiden. Der Diacon von Singen war auch herübergekommen mit Meßbuch und Stola. Ekkehard winkte ihm, daß er mit eintrete zur Waldfrau. Die saß noch starr an ihrem Heerde. Ein scharfer Windzug erhob sich, da die Beiden durch die geöffnete Thür eintraten, und verlöschte ihr Feuer. Waldfrau, rief Ekkehard gebietend, bestellt Euer Haus und schnüret Euren Bündel, Ihr müsset fort. Die Alte griff nach ihrem Stab und schnitt den dritten Kerbschnitt ein. Wer beschimpft mich zum Drittenmal, sprach sie dumpf und will mich aus meiner Mutter Hause werfen, wie einen herrenlosen Hund? Im Namen der Herzogin in Schwaben, fuhr Ekkehard feierlich fort, spreche ich über Euch wegen Hegung heidnischen Aberglaubens und nächt- lichen Götzendienstes die Verweisung aus Haus und Hof und Gau und Land aus. Euer Stuhl sei gesetzt vor die Thür Eurer Hütte, ziehen sollt Ihr unstet, soweit der Himmel blau ist, soweit Christen die Kirche besuchen, so weit der Falke fliegt am Frühlingstag, wenn der Wind unter bei- den Flügeln ihn dahin treibt. Kein gastlich Thor soll sich Euch öffnen, kein Feuer am Heerd brenne für Euch, kein Wasser des Quells rausche für Euch, bis daß Ihr Eures Frevels Euch abgethan und Euren Frieden gefestet mit dem dreieinigen Gott, dem Richter der Lebenden und Todten. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 8 Die Waldfrau hatte ihm ohne große Erregung zugehört. Ein gesalbter Mann wird dir dreimal Schimpf anthun unter deinem eige- nen Dach, murmelte sie, deß sollt du ein Zeichen in den Stab schnei- den und mit selbem Stab sollst du ausziehen gen Niedergang, denn sie werden dir nicht lassen wo du dein Haupt niederlegest. O Mut- ter, meine Mutter! Sie raffte ihren Plunder in ein Bündel zusammen, griff den Stab und rüstete sich zu gehen. Den Diacon von Singen kam eine Rührung an. Rufet Gott durch seine Diener um Verzeihung an, sprach er, und thut eine christliche Pönitenz, daß Ihr in Gnade gesund werdet. Dafür ist die Waldfrau zu alt, sagte sie, und lockte ihren Specht, der flog ihr um die Schulter und der Rabe hüpfte ängstlich hinter ihr drein, schon war die Thür aufgerissen, noch einen Blick auf Wand und Heerd und Kräuter und Pferdsschädel — sie stieß den Stab auf die Schwelle, daß die Steinplatten erdröhnten: seid verflucht, ihr Hunde! klang's vernehmlich den Zurückbleibenden, sie wandte sich mit ihren Vögeln dem Walde zu, und verschwand. Und wir ziehen stumm, ein geschlagen Heer, Erloschen sind unsere Sterne — O Island, eisiger Fels im Meer, Steig' auf aus nächtiger Ferne! tönte leis murmelnder Gesang durch die entlaubten Stämme herüber. Ekkehard aber ließ sich vom Diacon die Stola umhängen und das Meßbuch vortragen, er hielt einen Umgang durch Stube und Kam- mer, die Wände weihte er mit dem Zeichen des Kreuzes, auf daß das Getriebe böser Geister gebannt sei für immer, dann sprach er unter Gebeten den großen Exorcismus über die Stätte. Das fromme Werk hatte lang gedauert. Dem Diacon stand der Angstschweiß auf der Stirn als er Ekkehard die Stola wieder abnahm, er hatte so große Worte noch nie gehört. Jetzt tönte Pferdegetrab durch den Wald. Es war die Herzogin, von einem einzigen Diener geleitet. Ekke- hard ging ihr entgegen; der Diacon von Singen trat seinen Heimweg an. Ihr seid lange ausgeblieben, rief die Herzogin gnädig, ich muß wohl selber sehen, was Ihr geschlichtet und gerichtet. Die zwei Holzhauer hatten indeß ihre Arbeit beendigt, und schlichen auf des Berges Rückseite von dannen; sie fürchteten die Herzogin. Ekkehard erzählte ihr der Waldfrau Wesen und Haushalt, und wie er sie ausgetrieben. Ihr seid streng, sprach Frau Hadwig. Ich glaubte mild zu sein, erwiederte Ekkehard. Wir genehmigen was Ihr geordnet, sprach die Herzogin. Was fanget Ihr mit dem verlassenen Hause an? Sie warf einen flüchtigen Blick auf das steinerne Gemäuer. Die Kraft böser Geister ist gebannt und beschworen, sagte Ekke- hard. Ich will es zu einer Capelle der heiligen Hadwig weihen. Die Herzogin sah ihn wohlwollend an: Wie kommt Ihr auf den Gedanken? Es ist mir so beigefallen ... Die Eiche hab' ich umhauen lassen. Wir wollen den Platz besichtigen, sprach sie. Ich denke, wir wer- den auch das Umhauen der Eiche genehmigen. Sie stieg mit Ekkehard den steinigen Pfad hinauf, der auf den Gipfel des hohen Krähen führt. Oben lag die Eiche gefällt, schier sperrten ihre mächtigen Aeste den Platz. Eine Felsplatte, wenig Schritte im Umfang, ist der Gipfel des seltsam geformten Berges. Sie stan- den oben. Steil senkten sich die Felswände unter ihren Füßen ab- wärts; es war eine schier schwindelnde Höhe, kein Stein oder Baum zum Anlehnen; in die blaue Luft hinaus ragten die zwei Gestalten, der Möch im dunklen Gewand, die Herzogin, den hellen farbigen Mantel faltig umgschlagen. Schweigend standen sie beisammen. Ein gewaltiger Anblick that sich vor ihren Augen auf. Tief unten streckte sich die Ebene, in Schlangenlinie zog das Flüßlein Aach durch die wiesengrüne Fläche, Dächer und Giebel der Häuser im Thal waren winzig fern, wie Punkte auf einer Landkarte; drüben reckte sich der bekannte Gipfel des Hohentwiel dunkel empor, ein stolzer Mittel- grund; blaue platte Bergrücken erhoben sich mauergleich hinter dem Gewaltigen, ein Damm, der den Rhein auf seiner Flucht aus dem See dem Beschauer verdeckt. Glänzend trat der Untersee mit der In- sel Reichenau hervor, und leise wie hingehaucht zeichneten sich ferne riesige Berggestalten im dünnen Gewölk, sie wurden deutlich und deut- 8* licher, lichter Glanz säumte die Kanten ihrer Höhen, die Sonne neigte zum Untergang ... schmelzend, duftig flimmerte die Landschaft ... Frau Hadwig war bewegt. Ein Stück großer, weiter Natur sagte ihrem großen Herzen zu. Die Gefühle aber ruhen nahe beiein- ander. Ein zarter Hauch zog durch ihr Denken; ihre Blicke wandten sich von den schneeigen Häuptern der Alpen auf Ekkehard. Er will der heiligen Hadwig eine Capelle weihen! so klang es immer und immer wieder in ihr. Sie trat einen Schritt vor, als fürchte sie den Schwindel, lehnte den rechten Arm auf Ekkehard's Schulter und stützte sich fest auf ihn. Ihr Auge flammte auf die kurze Entfernung in das seine hinüber. Was denkt mein Freund? sprach sie mit weicher Stimme. Ekkehard stand zerstreut. Er fuhr auf. Ich bin nie auf solcher Höhe gestanden, sprach er, bei dem An- blick mußt' ich der Schrift gedenken: „Hernach führte ihn der Teufel auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Pracht, und sprach zu ihm: Dies Alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Er aber antwortete und sprach: Weg von mir, Satan! denn es steht geschrieben: Du sollst den Herrn deinen Gott anbeten und ihm allein dienen.“ Starr trat die Herzogin zurück. Das Feuer ihres Auges wan- delte sich, als hätte sie den Mönch hinabstoßen mögen in den Ab-grund. Ekkehard! rief sie, Ihr seid ein Kind — oder ein Thor! Sie wandte sich und stieg schnellen, unmuthigen Ganges hinunter. Sie ritt allein zur Feste Twiel zurück, sausend, im Galopp; kaum mochte der Diener folgen. Ekkehard wußte nicht, wie ihm geschehen. Er fuhr mit der Hand über die Augen, als lägen Schuppen davor. Wie er in stiller Nacht auf seiner hohentwieler Thurmstube saß und den Tag überdachte, flammte ein ferner Feuerschein herüber. Er schaute hinaus. Aus den Tannen am hohen Krähen schlug die feu- rige Lohe. Die Waldfrau hatte der künftigen Capelle zur heiligen Hadwig ihren letzten Besuch erstattet. Zehntes Kapitel . Weihnachten. Der Abend auf dem hohen Krähen klang noch etliche Tage in der Herzogin Gemüth fort. Mißtöne werden schwer vergeben, zumal von dem der sie selber angeschlagen. Darum saß Frau Hadwig einige Tage verstimmt in ihrem Saal. Grammatik und Virgilius ruhten. Sie scherzte mit Praxedis über die Schulmeister in Constantinopel angelegentlicher denn früher. Ekkehard fragte an, ob er zu Fort- setzung des Unterrichtes sich einstellen solle. Ich habe Zahnweh, sprach die Herzogin. Die rauhe Spätherbstluft werde Schuld daran sein, meinte er bedauernd. Er fragte jeden Tag etliche male nach seiner Gebieterin Befinden. Das rührte die Herzogin wieder. Woher kommt's sprach sie einmal zu Praxedis, daß Einer mehr werth sein kann als er selber aus sich zu machen weiß? Vom Mangel an Grazie, sagte die Griechin. In andern Län- dern hab' ich das Umgekehrte wahrgenommen, aber hier sind die Menschen zu träge, mit jedem Schritt, mit jeder Handbewegung, mit jedem Wort auszusprechen: das bin ich. Sie denken's lieber und meinen, es müßte dann die ganze Welt auf ihrer Stirn lesen, was dahinter webt und strebt. Wir sind doch sonst so fleißig, sprach Frau Hadwig wohlgefällig. Die Büffel schaffen auch den ganzen Tag, hätte Praxedis schier erwiedert, aber in diesem Falle begnügte sie sich damit, es gedacht zu haben. Ekkehard war unbefangen. Es fiel ihm nicht ein, daß er der Herzogin ungeeignet geantwortet. Er hatte wirklich an das Gleichniß der Schrift gedacht, und übersehen, daß es dem leisen Ausdruck einer Zuneigung gegenüber nicht zweckmäßig ist, die Schrift anzuführen. Er verehrte die Herzogin, aber mehr als den verkörperten Begriff der Hoheit, denn als Frau. Daß Hohes Anbetung fordert, war ihm nicht eingefallen, noch weniger daß auch die höchste Erscheinung oft mit einfacher Liebe zufrieden ist. Frau Hadwig's üble Laune nahm er wahr. Er begnügte sich, seine Wahrnehmung in den allgemeinen Satz niederzulegen, daß der Umgang mit einer Herzogin schwieriger sei als der mit Ordensbrüdern nach der Regel des heiligen Benedict. Aus Vincentius nachgelassenen Büchern studirte er die Briefe des Apostel Paulus. Herr Spazzo ging in jener Zeit hochmüthiger an ihm vor- über denn früher. Frau Hadwig fand, daß es besser sei, in's frühere Geleis rück- zukehren. Es war doch ein mächtiger Anblick, sprach sie eines Tages zu Ekkehard, wie wir vom hohen Krähen nach den Schneegebirgen schauten. Kennt Ihr aber das hohentwieler Wetterzeichen? Wenn die Alpen recht klar und nah am Himmel sich abzeichnen, schlägt die Witterung um. Es sind wirklich schlechte Tage darauf gefolgt. Wir wollen wieder Virgilius lesen. Da holte Ekkehard vergnügt seinen schweren metallbeschlagenen Virgilius und sie setzten die Studien fort. Er erklärte den Frauen der Aeneide zweites Buch, den Fall der hohen Troja, das hölzerne Pferd und Sinon's List und Laocoon's bittres Verderben, den nächt- lichen Kampf, Cassandra's Geschick und Priamus' Tod, die Flucht mit dem greisen Anchises. Mit sichtbarer Theilnahme lauschte Frau Hadwig der spannenden Erzählung. Nur mit dem Verschwinden von Aeneas' Ehegemahlin Kreusa war sie nicht ganz zufrieden. Das braucht er vor der Kö- nigin Dido nicht so breit zu erzählen, sprach sie, die Lebende hat sicher nicht gern gehört, daß er der Entschwundenen so lange nachge- laufen. Verloren ist verloren. Indessen zog der Winter mit scharfem Schritt heran. der Him- mel blieb trüb und bleigrau, die Ferne verhüllt; erst zogen die Berg- gipfel rings die weiße Schneedecke um, dann folgte Feld und Thal dem Beispiel. Junge Eiszapfen prüften das Gebälke unter dem Dach, ob sie sich für etliche Monate ungestört dran niederlassen möchten; die alte Linde im Schloßhof hatte längst wie ein fürsichtiger Haus- vater, der die abgetragenen Gewandungen dem Hebräer überläßt, ihre welken Blätter dem Spiel der Winde hingeschüttelt — es war ein großer Bündel, sie zerzausten ihn in alle Lüfte. In ihre Aeste kamen krächzend die Raben aus den nahen Wäldern geflogen, spähend ob nicht aus der Burg Küche dann und wann ein Knöchlein für sie ab- falle. Einmal kam einer mit den schwarzen Brüdern, dessen Flug war schwierig, die Schwungfedern verstümmelt — da ging Ekkehard über den Schloßhof, der Rabe aber flog schreiend auf und suchte das Weite, er hatte den Mönchshabit schon früher gesehen und war ihm nicht hold. Des Winters Nächte sind lang und dunkel. Dann und wann blitzt ein Nordlicht auf. Aber leuchtender als alles Nordlicht steht jene Nacht in der Menschen Gemüth, da die Engel niederstiegen zu den Hirten auf der Feldwacht und ihnen den Gruß brachten: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden Allen, die eines guten Willens sind.“ Auf dem hohen Twiel rüsteten sie zur Feier der Weihnacht durch freundliches Geschenk. Das Jahr ist lang und zählt der Tage viel, in denen man sich Freundliches erweisen kann, aber der Deutschen Sinnesart will auch dafür einen Tag vorgeschrieben haben, darum ist bei ihnen vor anderem Volk die Sitte der Bescheerung eingeführt. Das gute Herz hat sein besonder Landrecht. In jener Zeit hatte Frau Hadwig die Grammatica schier bei Seite gelegt; es wurde im Frauensaal viel genäht und gestickt, Knäuel von Goldfaden und schwarzer Seide lagen umher, und wie Ekkehard einsmals unvermerkt eintrat, sprang Praxedis vor ihn hin und wies ihm die Thür, Frau Hadwig aber verbarg ein angefangen Werk der Nadel in einem Körblein. Da ward Ekkehard aufmerksam und zog nicht ohne Grund den Schluß, es werde etwas zum Geschenk für ihn hergerichtet. Darum sann er darauf, dasselbe zu erwiedern und Alles aufzubieten, was ihm an Wissen uad Kunstfertigkeit zu Gebot stand; er schickte seinem Freund und Lehrer Folkard in Sanct Gallen Bericht, daß ihm der zusende Pergament und Farben und Pinsel und köstliche Tinte. Jener that's. Ekkehard aber saß manches Stündlein der Nacht in seiner Thurmstube und besann sich auf ein lateinisches Reimwerk, das er der Herzogin widmen wollte — und sollten ihr darin etliche feine Huldi- gungen dargebracht werden. Es ging aber nicht so leicht. Einmal hatte er begonnen und wollte in kurzem Zug von Er- schaffung der Welt bis auf Antritt des Herzogthums in Schwaben- land durch Frau Hadwig gelangen, aber es hatte ein paar hundert Hexameter gekostet, da war er noch nicht beim König David ange- langt und das Werk hätte wohl erst Weihnachten über drei Jahre fertig werden können. Ein anderesmal wollte er alle Frauen auf- zählen, die durch Kraft oder Liebreiz in der Völker Geschichte einge- griffen, von der Königin Semiramis an mit Erwähnung der amazo- nischen Jungfrauen, der heldenmüthigen Judith und der melodischen Sängerin Sappho, aber zu seinem Leidwesen fand er, daß bis sein Griffel zu Frau Hadwig sich durchgearbeitet hätte, er unmöglich noch etwas Neues zu deren Lob und Preis vorzubringen vermöchte. Da ging er sehr betrübt und niedergeschlagen umher. Habt Ihr eine Spinne verschluckt, Perle aller Professoren? frug ihn Praxedis einmal, wie sie dem Verstörten begegnete. Ihr habt gut scherzen, sprach Ekkehard traurig, — und unter dem Siegel der Verschwiegenheit klagte er ihr seine Noth. Praxedis mußte lachen: Bei den sechs und dreißigtausend Bänden der Bibliothek zu Con- stantinopolis! sagte sie, — Ihr wollet ja ganze Wälder umhauen, wo es nur ein paar Blümlein zum Strauß erfordert. Macht's ein- fach, ungelehrt, lieblich — wie es Euer geliebter Virgilius ausge- dacht hätte! — Sie sprang davon. Ekkehard setzte sich wieder auf seine Stube. Wie Virgil? dachte er. Aber in der ganzen Aeneide war kein Beispiel für solchen Fall vorgezeichnet. Er las etliche Gesänge. Dann saß er träumerisch da. Da kam ihm ein guter Gedanke. Ich hab's! rief er, der theure Sänger selber soll die Huldigung darbringen! Er schrieb das Ge- dicht nieder, als wenn Virgilius ihm in seiner Thurmeinsamkeit er- schienen wäre, freudig darüber, daß in deutschen Landen seine Ge- sänge fortlebten, der hohen Frau dankend, die sein pflege. In wenig Minuten war's fertig. Das Gedicht wollte Ekkehard mit einer schönen Malerei verziert zu Pergament bringen. Er sann ein Bild aus: die Herzogin mit Krone und Scepter auf hohem Throne sitzend, ihr kommt Virgilius im weißen Gewand, den Lorbeer in den Locken, entgegen und neigt das Haupt; an der Rechten aber führt er den Ekkehard, der beschei- den wie der Schüler mit dem Lehrer einherschreitet, ebenfalls tief sich verneigend. In der strengen Weise des trefflichen Folkard entwarf er die Zeichnung. Er erinnerte sich an ein Bild im Psalterbuch, wie der junge David vor den König Abimelech tritt. So ordnete er die Gestalten; die Herzogin zeichnete er zwei Fingerbreit höher als Vir- gilius und der Ekkehard des Entwurfs war hinwiederum ein beträcht- liches kleiner als der heidnische Poet; — anfangende Kunst, der es an anderem Mittel des Ausdrucks gebricht, spricht Rang und Größe äußerlich aus. Den Virgilius bracht' er leidlich zuwege. Sie hatten sich in Sanct Gallen bei ihren Malereien stets an Ueberlieferung alten Bil- derwerks gehalten und für Gewandung, Faltenwurf und Bezeichnung der Gestalt einen gleichmäßig sich wiederholenden Zug angenommen. Ebenso gelang es ihm mit seinem eigenen Abbild, sofern er wenig- stens eine Figur im Mönchshabit, kenntlich durch eine Tonsur, herstellte. Aber ein verzweifelt Problema war ihm die richtige Darstellung einer königlichen Frauengestalt, denn in die klösterliche Kunst hatte noch kein Abbild einer Frau, selbst nicht das der Gottesmutter Maria Einlaß erhalten. David und Abimelech, die er so gut im Zug hatte, halfen ihm Nichts, bei ihnen brach der Königsmantel schon hoch über dem Knie ab und er wußte nicht, wie den Faltenwurf tiefer herabsenken. Da lagerte sich wiederum Kümmerniß auf seine Stirn. Nun? fragte Praxedis eines Tages. Das Lied ist fertig, sprach Ekkehard. Itzt fehlt mir was Anderes. Was fehlt denn? Ich sollte wissen, sprach er wehmüthig, in welcher Weise sich der Frauen Gewand um den zarten Leib schmiegt. Ihr sprecht ja ganz abscheulich, erlesenes Gefäß der Tugend, schalt ihn Praxedis. Ekkehard aber erklärte ihr seinen Kummer deut- licher. Da machte die Griechin eine Handbewegung, als wolle sie die Augenlieder in die Höhe ziehen: Macht die Augen auf, sagte sie, und seht Euch das Leben an. Der Rath war einfach, und doch neu für Einen, der seine ganze Kunst auf einsamer Stube erlernt. Ekke- hard schaute seine Rathgeberin lang und abmessend an. Es frommt mir nichts, sprach er, Ihr tragt keinen Königsmantel. Da erbarmte sich die Griechin des zweifelerfüllten Künstlers. Wartet, sagte sie, die Frau Herzogin ist drunten im Garten, ich will ihren Staatsmantel umlegen, da kann Euch geholfen werden. Sie huschte fort; in wenig Minuten war sie wieder da, der schwere Pur- purmantel mit goldener Verbrämung hing ihr nachlässig um die Schultern. In gemessenem Schritt ging sie durch das Gemach, ein eherner Leuchter stand auf dem Tisch, sie nahm ihn wie einen Scepter, das Haupt auf die Schulter zurückgeworfen trat sie vor den Mönch. Der hatte seine Feder ergriffen und ein Stücklein Pergament. Wendet Euch ein wenig gegen das Licht, sprach er, und begann emsig seine Striche zu ziehen. Jedesmal aber wenn er nach seinem anmuthigen Vorbild schaute, warf ihm dies einen blitzenden Blick zu. Er zeichnete langsamer. Praxedis schaute nach dem Fenster: Und da unsere Nebenbuhlerin im Reich, sprach sie mit künstlich erhobener Stimme, bereits den Burg- hof verläßt und uns zu überfallen droht, so befehlen wir Euch bei Strafe der Enthauptung, Eure Zeichnung in eines Augenblicks Frist zu vollenden. Ich danke Euch, sprach Ekkehard, und legte die Feder nieder. Praxedis trat zu ihm und beugte sich vor, in sein Blatt zu sehen. Schändlicher Verrath, sprach sie, das Bild hat ja keinen Kopf. Ich brauche nur den Faltenwurf, sagte Ekkehard. Ihr habt Euer Glück versäumt, scherzte Praxedis im früheren Ton; das Antlitz treu abgebildet und wer weiß ob wir in fürstlicher Gnade Euch nicht zum Patriarchen von Constantinopel ernannt hätten. Es wurden Schritte hörbar. Schnell riß Praxedis den Mantel von den Schultern, daß er auf den Arm niedersank. Schon stand die Herzogin vor den Beiden. Wollt Ihr wieder Griechisch lernen? sprach sie vorwurfsvoll zu Ekkehard. Ich hab' ihm den edeln Sardonyx an meiner Herrin Mantel Agraffe gezeigt; es ist so ein feingeschnittener Kopf, sagte Praxedis, Herr Ekkehard versteht sich auf's Alterhum. Er hat das Antlitz recht gelobt ... Auch Audifax traf seine Vorbereitungen für Weihnachten. Seine Hoffnung auf Schätze war sehr geschwunden. Er hielt sich jetzt an das wirklich Vorhandene. Darum stieg er oft nächtlich in's Thal hinunter an's Ufer der Aach, die mit trägem Lauf dem See entgegen schleicht. Beim morschen Steg stand ein hohler Weidenbaum. Dort lauerte Audifax manches Stündlein, den erhobenen Rebstecken nach des Baumes Oeffnung gerichtet. Er stellte einem Fischotter nach. Aber keinem Denker ist die Erforschung der letzten Gründe alles Seins so schwierig geworden, wie dem Hirtenknaben seine Otterjagd. Denn aus dem hohlen Ufer zogen sich noch allerhand Ausgänge in den Fluß, die der Otter wußte, Audifax nicht. Und wenn Audifax oft vor Kälte zitternd sprach: itzt muß er kommen! so kam weit stromaufwärts ein Gebrause hergetönt, das war sein Freund, der dort die Schnauze über's Wasser streckte und Athem holte; und wenn Audifax leise dem Ton nachschlich, hatte sich der Otter inzwischen auf den Rücken gelegt und ließ sich gemächlich stromab treiben ... In der hohentwieler Küche war Leben und Bewegung, wie im Zelt des Feldherrn am Vorabend der Schlacht. Frau Hadwig selbst stand unter den dienenden Mägden, sie trug keinen Herzogsmantel, wohl aber einen weißen Schurz, theilte Mehl und Honig aus und ordnete die Backung der Lebkuchen an. Praxedis mischte Ingwer, Pfeffer und Zimmt zur Würze des Teigs. Was nehmen wir für eine Form? frug sie. Das Viereck mit den Schlangen? Das große Herz ist schöner, sprach Frau Hadwig. Da wurden die Weihnachtlebkuchen in der Herzform gebacken, den schönsten spickte Frau Hadwig eigenhändig mit Mandeln und Cardamomen. Eines Morgens kam Audifax ganz erfroren in die Küche, und suchte sich ein Plätzlein am Heerdfeuer; seine Lippen zitterten wie in Fieberschauer, aber er war wohlgemuth und freudig. Rüste dich, Büblein, sprach Praxedis zu ihm, du mußt heut Nachmittag hinüber in den Wald und ein Tännlein hauen. Das ist nicht meines Amtes, sagte Audifax stolz, ich will's aber thun, wenn Ihr mir auch einen Gefallen thut. Was befiehlt der Herr Ziegenhirt? fragte Praxedis. Audifax sprang hinaus, dann kam er wieder und hielt einen dunkelbraunen Balg siegesfroh in die Höhe, das kurze glatte Haar glänzte daran, dicht und weich war's anzufühlen. Woher das Rauchwerk? fragte Praxedis. Selbst gefangen, sprach Audifax und sah wohlgefällig auf seine Beute. Ihr sollt eine Pelzhaube für die Hadumoth daraus machen. Die Griechin war ihm wohlgesinnt und versprach Erfüllung der Bitte. Der Weihnachtsbaum war gefällt; sie schmückten ihn mit Aepfeln und Lichtlein, die Herzogin richtete Alles im großen Saal. Ein Mann von Stein am Rhein kam herüber, und brachte einen Korb, der mit Leinwand zugenäht war. Es sei von Sanct Gallen, sprach er, für Herrn Ekkehard. Frau Hadwig ließ den Korb ungeöffnet zu den andern Gaben stellen. Der heilige Abend war gekommen. Die gesammten Insassen der Burg versammelten sich in festlichem Gewand, zwischen Herrschaft und Gesind sollte heut keine Trennung sein. Ekkehard las ihnen das Evangelium von des Heilands Geburt, dann gingen sie paarweise in den großen Saal hinüber, da flammte heller Lichtglanz und festlich leuchtete der dunkle Tannenbaum — als die letzten traten Audifax und Hadumoth ein, ein Blättlein Goldschaum vom Vergolden der Nüsse lag an der Schwelle, Audifax bückte sich darnach, es zerging ihm unter den Fingern. Das ist dem Christkind von den Flügeln abgefallen, sprach Hadumoth leise zu ihm. Auf großen Tischen lagen die Geschenke für die dienenden Leute, ein Stück Leinwand oder gewoben Tuch und einiges Gebäck; sie freuten sich des nicht allzeit so milden Sinnes der Gebieterin. Bei Hadumoth's Antheil lag richtig die Pelzhaube. Sie weinte, als Praxedis ihr freundlich den Geber verrieth. Ich hab' Nichts für dich, sagte sie zu Audifax. Es ist statt der Goldkrone, sprach der. Knechte und Mägde dankten der Herzogin und gingen in die Gesindestube hinunter. Frau Hadwig nahm Ekkehard bei der Hand und führte ihn an ein Tischlein. Das ist für Euch, sprach sie. Beim mandelgespickten Leb- kuchenherz und dem Korb lag ein schmuckes priesterliches Sammtbarett und eine prächtige Stola, Grund und Fransen waren von Goldfaden, dunkle Punkte waren mit schwarzer Seide drein gestickt, einige mit Perlen ausgeziert, sie war eines Bischofs werth. Laßt sehen, wie Ihr Euch ausnehmt, sprach Praxedis. Trotz der kirchlichen Bestimmung setzte sie ihm das Barett auf und warf ihm die Stola um. Ekkehard schlug die Augen nieder. Meisterhaft! rief sie, Ihr dürft Euch bedanken. Er aber legte scheu die geweihten Gaben wieder ab, aus seinem weiten Gewand zog er die Pergamentrolle und reichte sie schüchtern der Herzogin dar. Frau Hadwig hielt sie unentfaltet. Erst den Korb öffnen! das Beste — sprach sie freundlich auf das Pergament deutend, soll zuletzt kommen. Da schnitten sie den Korb auf; in Heu begraben und durch des Winters Kälte wohl erhalten lag ein mächtiger Auerhahn drin, Ekke- hard hob ihn in die Höhe, mit ausgebreiteten Flügeln reichte er über eines Mannes Länge. Ein Brieflein war bei dem stattlichen Stück Federwild. Vorlesen! sprach die Herzogin neugierig. Ekkehard öffnete das unkenntliche Sigill und las: „Dem ehrwürdigen Bruder Ekkehard auf dem hohen Twiel durch Burkart den Klosterschüler Romeias der Wächter am Thor. „Wenn es zwei wären, so wäre Einer für Euch. Da es aber auf Zwei nicht geglückt hat, so ist der Eine nicht für Euch und Eurer kommt nach. Gesendet wird er an Euch wegen Unwissenheit des Namens. Sie war aber mit der Frau Herzogin damals im Kloster und trug ein Gewand von Farbe eines Grünspechts, den Zopf um die Stirn geflochten. „Derselben den Vogel. Wegen fortwährender Gedenkung dessen der ihn geschossen, an stattgefundene Begleitung zu den Klausnerinnen. Er muß aber stark eingebeizt und mürb gebraten werden, weil sonst zähe; bei Zuzug von Gästen soll sie das weiße Fleisch am Rückgrat selber verzehren, da dies das beste, und das braune von harzigem Geschmack. „Dazu Glück und Segen. Euch, ehrwürdiger Bruder, auch. Wenn auf Euerer Burg ein Wächter, Thurmwart oder Forstwart zu wenig, so empfehlet der Herzogin den Romeias, dem wegen Verspottung durch den Schaffner und Verklagung durch den Drachen Wiborad Verän- derung des Dienstes wünschenswerth. Uebung im Thordienst, Einlaß und Hinauswerfung fremden Besuchs betreffend, kann bezeugt werden. Ebenso was Jagd angeht. Und er schaut jetzt schon nach dem hohen Twiel als zöge ihn ein Seil dorthin. — Langes Leben Euch und der Frau Herzogin. Lebet wohl.“ Fröhlich Lachen schloß die Vorlesung. Praxedis aber war roth geworden. Das ist ein schlechter Dank von Euch, sprach sie bissig zu Ekkehard, daß Ihr Briefe in anderer Leute Namen schreibt und mich beleidiget. Haltet ein, sprach er, warum soll der Brief nicht ächt sein? Es wär' nicht der erste, den ein Mönch gefälscht, war Praxedis' gereizte Antwort. Was braucht Ihr Euch über den groben Jägers- mann lustig zu machen? Er war gar nicht so übel. Praxedis, sei vernünftig, sprach die Herzogin. Schau dir den Auerhahn an, der ist nicht im Hegau geschossen, und Ekkehard führt eine andere Feder. Wollen wir den Bittsteller auf unser Schloß versetzen? Das verbitt' ich mir, rief Praxedis eifrig. Es soll Niemand meinen, daß ... Gut, sprach Frau Hadwig mit Schweigen gebietendem Ton. Sie rollte Ekkehard's Pergament auf. Die Malerei am Anfang war leid- lich gelungen, Zweifel über deren Bedeutung beseitigte die Darüber- schreibung der Namen Hadwigis, Virgilius, Ekkehard. Eine kühne Initiale mit verschlungenem goldenem Geäste eröffnete die Schrift. Die Herzogin war höchlich erfreut. Ekkehard hatte seither über den Besitz solcher Kunst Nichts verlauten lassen. Praxedis schaute nach dem purpurnen Mantel, den die gemalte Herzogin trug, und lächelte, als wüßte sie was Besonderes. Frau Hadwig winkte, daß Ekkehard sein Geschriebenes vorlese und erkläre. Er las. Verdeutscht lautet's also: In nächt'ger Stille saß ich jüngst allein Und ziffert' an den Schriften alter Zeit, Da flammte hell ein geisterhafter Schein In mein Gemach. 'S war nicht des Mondes Licht, — Und vor mich trat ein leuchtend Menschenbild, Unsterblich Lächeln schwebt' um seinen Mund, In dunkler Fülle wallte das Gelock, Als Diadem trug er den Lorbeerkranz. Hindeutend auf das aufgeschlagne Buch, Sprach er zu mir: Sei guten Muths, mein Freund, Ich bin kein Geist, der deinen Frieden stört, Ich bringe dir nur Gruß und Segenswunsch. Was todter Buchstab dort dir noch erzählt, Das schrieb ich selbst mit warmem Herzblut einst: Der Troer Waffen, des Aeneas Fahrt, Der Götter Zorn, der stolzen Rom Beginn. Schon ein Jahrtausend schier ist abgerollt, Der Sänger starb, es starb sein ganzes Volk. Still ist mein Grab. Nur selten dringt ein Klang Zu mir herab, von froher Winzer Fest, Vom Wogenschlag am nahen Cap Misen. Doch jüngst hat mich der Nordwind aufgestört, Er brachte Kunde, daß in fremden Gau'n Man des Aeneas Schicksal wieder liest, Daß eine Fürstin, stolz und hochgemuth Des Landes Sprache als ein neu Gewand Um meine Worte gnädig schmiegen heißt. Wir glaubten einst, am Fuß der Alpen sei Nur Sumpf des Rheins und ein barbarisch Volk; Jetzt hat die Heimath selber uns vergessen Und bei den Fremden leben neu wir auf. Deß Euch zu danken bin ich heute hier: Das höchste Kleinod, was dem Sänger wird, Ist Anerkennung einer hohen Frau. Heil deiner Herrin, der das selt'ne Gut Der Stärke und der Weisheit ward bescheert, Die gleich Minerva in der Götter Reih'n, In Erz gerüstet eine Kriegerin, Der Friedenskünste Hort und Schutz zugleich. Noch lange Jahre mög' ihr Scepter walten, Es blüh' um sie ein stark und sittig Volk. Und kommt Euch einst ein fremd Getön gerauscht, Wie Heldenlied und fernes Saitenspiel, Dann denket mein, es grüßt Italia Euch, Es grüßt Virgil den Fels von Hohentwiel. Er sprach's und winkte freundlich und verschwand. Ich aber schrieb noch in derselben Nacht Was er gesprochen. Meiner Herrin sei's Als Festgeschenk itzt schüchtern dargebracht Von ihrem treuen Dienstmann Ekkehard. Eine kurze Pause erhob sich, als er die Lesung seines Gedichts beendet. Dann trat die Herzogin auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Ekkehard, ich danke Euch! sprach sie; es waren dieselben Worte, die sie einst im Klosterhof zu Sanct Gallen zu ihm gespro- chen, aber der Ton war noch milder wie damals, und der Blick war strahlend und ihr Lächeln wundersam, wie das zaubervoller Feyen, von dem die Sage geht, ein Schneeregen blühender Rosen müsse drauf folgen. Sie wandte sich dann zu Praxedis: und dich sollte ich verurthei- len, itzt einen abbittenden Fußfall zu thun, die du jüngst so gering- schätzend von den gelehrten geistlichen Männern gesprochen. Aber die Griechin blickte schelmisch drein, wohl wissend, daß ohne ihren weisen Rath und Beistand der scheue Mönch sich kaum zu seiner Dichtung erschwungen. In aller Zukunft, sprach sie, werde ich seinem Verdienste die ge- bührende Achtung zollen. Auch einen Kranz will ich ihm flechten, so Ihr gebietet. Als Ekkehard hinaufgegangen war in seine Thurmstube und die stille Mitternacht herannahte, saßen die Frauen noch bei einand. Und die Griechin brachte eine Schaale mit Wasser und etliche Stücklein Blei und einen metallenen Löffel. Das Bleigießen vom vorigen Jahr ist gut eingetroffen, sprach sie, wir mochten's uns damals kaum er- klären, welch eine sonderbare Form das geschmolzene Stück im Wasser annahm, aber ich meine itzt mehr und mehr, es habe einer Mönchs- kapuze geglichen, und die ist unserer Burg geworden. Die Herzogin war nachdenkend. Sie lauschte, ob Ekkehard nicht etwa durch den Gang zurückkehre. Es ist doch nur eitel Spielerei, sprach sie ... Wenn es meiner Herrin nicht gefällt, sagte die Griechin, so mag sie unsern Lehrer beauftragen, uns mit Besserem zu erfreuen; sein Virgilius ist freilich ein zuverlässiger Orakel der Zukunft, als unser Blei, wenn er in geweihter Nacht mit Segensspruch und Gebet auf- geschlagen wird. Ich wäre fast neugierig, welch ein Stück seiner Dich- tung uns die Geschicke des nächsten Jahrs offenbaren würde ... Schweig, sagte die Herzogin. Er hat neulich so streng über Zau- berei gesprochen, er würde uns auslachen ... Dann werden wir beim Alten bleiben müssen, sprach Praxedis und hielt den Löffel mit dem Blei über das Licht der Lampe. Das Blei schmolz und bewegte sich zitternd, da stund sie auf, murmelte etliche unverständliche Worte und goß es herab. Zischend sprühte das flüssige Metall in die Wasserschaale. Frau Hadwig wandte ihren Blick in scheinbarer Gleichgiltigkeit. Praxedis hielt die Schaale an's Lampenlicht: statt in seltsame Schlacken zu splittern, war das Blei zusammenhängend geblieben, ein länglich zugespitzter Tropfen. Matt glänzte es in Frau Hadwig's Hand. Das ist wiederum ein Räthsel, bis die Lösung kommt, scherzte Praxedis. Die Zukunft sieht ja für diesesmal fast aus wie ein Tannenzapfen. Wie eine Thräne! sprach die Herzogin ernst und stützte ihr Haupt auf die Rechte. Lauter Lärm im Erdgeschoß der Burg unterbrach das weitere Prüfen der Vorbedeutung; Gekicher und Aufschrei der dienenden Mägde, rauhes Gebrumm männlicher Stimmen, schriller Lautenklang: so tönte es verworren den Gang herauf; ehrerbietig und schutzflehend hielt der fliehende Schwarm der Dienerinnen an des Saales Schwelle, die lange Friderun unterdrückte mühsam ein lautes Schelten, die junge Hadumoth weinte — tappend kam eine Gestalt hinter ihnen drein, schwerfälligen zweibeinigen Schritts, in rauhe Bärenhaut gehüllt, eine bemalte hölzerne Maske mit namhafter Schnauze vor dem Antlitz, sie brummte und murrte wie ein hungriger Braun, der auf Beute ausgeht, und that dann und wann einen ungefügen Griff in die Laute, D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 9 die an rothem Band über die zottigen Schultern gehängt war — aber wie des Weihnachtsaals Thüre sich aufthat und der Herzogin Gewand entgegenrauschte, machte der nächtliche Spuk Kehrt und polterte lang- sam durch den dröhnenden Gang zurück. Die alte Schaffnerin ergriff das Wort und trug ihrer Gebieterin vor, daß sie fröhlich unten gesessen und sich der Weihnachtgaben er- freut, da sei das Ungethüm eingebrochen und habe erst zum eigenen Lautenspiel einen feinen Tanz aufgeführt, hernach aber die Lichter ausgeblasen und die erschrockenen Maiden mit Kuß und Umarmung bedroht, und sei so wild und unersättlich geworden, daß es sie Alle zur Flucht genöthigt; dem rauhen Lachen des Bären aber sei mit Grund zu entnehmen, daß unter der Wildschur Herr Spazzo der Kämmerer verborgen stecke, der nach einem scharfen Weintrunk hiemit sein Weih- nachtvergnügen beschlossen. Frau Hadwig beruhigte den Unwillen ihres Gesindes und hieß sie schlafen gehen. Vom Hofe aber tönte noch einmal verwunderter Auf- ruf; Alle standen in einer Gruppe beisammen und schauten unverrückt auf den Thurm, denn der schreckhafte Bär war hinaufgestiegen, und erging sich jetzo auf den Zinnen der Warte und reckte sein struppiges Haupt nach den Sternen, als wolle er seinem Namensgenossen droben, dem großen Bären, einen Gruß hinüberwinken in's Unermeßliche. Die dunkle Vermummung hob sich in deutlichem Umriß vom fah- len glanzerhellten Himmelsgrunde, gespenstig klang ihr Brummen in die schweigende Nacht; doch Keinem der Sterblichen ward kund, was die leuchtenden Gestirne dem weinschweren Haupte Herrn Spazzo des Kämmerers geoffenbart ... Um dieselbe Mitternachtstunde kniete Ekkehard vor dem Altar der Burgcapelle und sang leise die Hymnen der Christmette, wie es die Uebung der Kirche vorschrieb. Elftes Kapitel . Der Alte in der Heidenhöhle. Der Rest des Winters ging auf dem hohen Twiel einförmig, darum schnell vorüber. Sie beteten und arbeiteten, lasen Virgil und studirten Grammatik, wie es die Zeit brachte. Frau Hadwig stellte keine ver- fänglichen Fragen mehr. In der Faschingszeit kamen die benachbarten Großen, der Herzogin ihren Besuch abzustatten, die von der Nellenburg und von Veringen, der alte Graf im Argengau mit seinen Töchtern, die sieben Welfen von Ravensburg überm See und manch Anderer. Da wurde viel geschmaust und noch mehr getrunken. Dann ward's wieder einsam oben. Der März kam heran, schwere Stürme sausten über's Land, in der ersten klaren Sternennacht stand ein Komet am Himmel, und der Storch, der auf der Burg Dachfirst wohlgemuth hauste, war acht Tage nach seiner Rückkunft wieder von dannen geflogen: die Leute schüttelten den Kopf. Dann trieb ein Schäfer von Engen seine Heerde am Berg vorüber, der erzählte, daß er dem Heerwurm begegnet: das bedeutet Krieg. Unheimliche Stimmung lagerte sich über die Gemüther. Drohendes Erdbeben wird auch in weiter Entfernung vorausgespürt, hier Aus- bleiben einer Quelle, dort scheuer Vogelflug: ebenso ahnt sich Gefahr des Krieges. Herr Spazzo, der im Februar tapfer hinter den Weinkrügen tur- niert hatte, ging jetzo tiefsinnig umher. Ihr sollt mir einen Dienst erweisen, sprach er eines Abends zu Ekkehard. Ich hab' im Traum einen todten Fisch gesehen, der auf dem Rücken schwamm. Ich will mein Testament machen. Die Welt ist alt geworden und steht nur noch auf einem Bein, das wird nächstens auch zusammen knacken. 9* Gut Nacht Firnewein! Zum tausendjährigen Reich ist's ohnedem nicht mehr weit; es ist lustig gelebt worden, vielleicht werden die letzten Jahre doppelt gerechnet. Weiter kann's die Menschheit auch nicht mehr bringen. Die Bil- dung ist so weit gediehen, daß auf dem einen Schloß Hohentwiel mehr als ein halb Dutzend Bücher aufgehäuft liegen, und wenn Einer blutrünstig geschlagen wird, so läuft er zum Gaugericht und klagt's ein, statt seinem Schädiger Haus und Hof über'm Kopf zusammen zu brennen. Da hört die Welt von selber auf. Wer soll Euer Erbe sein, wenn Alle zu Grunde gehn? hatte ihn Ekkehard gefragt. Ein Mann von Augsburg kam nach der Reichenau, der brachte schlimme Kundschaft. Der Bischof Ulrich hatte dem Kloster ein kost- bar Heilthum zugesagt, den rechten Vorderarm des heiligen Theopon- tus, reich in Silber und Edelstein gefaßt. Das Land sei unsicher, ließ er vermelden, er traue sich nicht das Geschenk zu senden. Der Abt wies den Mann nach dem hohen Twiel, der Herzogin Bericht zu erstatten. Was bringt Ihr Gutes? frug sie ihn. Nicht viel, möchte lieber was mitnehmen: den schwäbischen Heer- bann, Roß und Reiter, so viel ihrer Schild und Speer an der Wand hängen haben. Sie sind wieder auf dem Weg zwischen Donau und Rhein ... Wer? Die alten Feinde von drüben herüber; die kleinen, mit den tief- liegenden Augen und den stumpfen Nasen. Es wird wieder viel roh Fleisch unter dem Sattel mürb geritten werden, dieses Jahr. Er zog ein seltsam geformtes kleines Hufeisen mit hohem Absatz aus dem Gewand: Kennt Ihr das Wahrzeichen? „Kleiner Huf und kleines Roß, krummer Säbel, spitz Geschoß — blitzeschnell und sattel- fest: schirm uns Herr vor dieser Pest!“ Die Hunnen?! fragte die Herzogin betroffen. So Ihr sie lieber die Ungrer heißen wollt oder die Hungrer, ist mir's auch recht, sprach der Bote. Der Bischof Pilgrim hat's von Passau nach Freising melden lassen, von dort kam uns die Mähr'. Ueber die Donau sind sie schon geschwommen, wie die Heuschrecken fallen sie auf's deutsche Land, geschwinde wie geflügelte Teufel sind sie auch, eher fängst du den Wind auf der Ebene und den Vogel in der Luft, heißt's bei uns von früher her. Daß Koller und Dampf ihre kleinen Rosse heimsuchte!.. Mich dauert nur meiner Schwester Kind, die schöne Bertha in Passau ... Es ist nicht möglich! sagte Frau Hadwig. Haben sie schon ver- gessen, wie ihnen die Kammerboten Erchanger und Berchtold den Be- scheid gaben: Wir haben Eisen und Schwerter und fünf Finger in der Faust? In der Schlacht am Inn ward's ihnen deutlich auf die Köpfe geschrieben .. Eben darum, sprach der Mann. Wer tüchtig geschlagen worden, kommt gern wieder, um das zweitemal selber zu schlagen. Itzt sind andere Zeiten. Den Kammerboten hat man zum Dank für ihre Tapfer- keit später das Haupt vor die Füße gelegt, wer wird sich noch voran stellen? Auch wir wissen den Weg, auf dem unsere Vorgänger gegen den Feind geritten sind, sprach die Herzogin stolz. Sie entließ den Mann von Augsburg mit einem Geschenk. Dann berief sie Ekkehard zu sich. Virgilius wird eine Zeit lang in Ruhe kommen, sprach sie zu ihm, und theilte ihm die Nachricht von der Hunnen Gefahr mit. Die Lage der Dinge war nicht erfreulich. Die Großen des Reichs hatten in langen Fehden verlernt zu ge- meinsamem Handeln einzustehn; der Kaiser, aus sächsischem Stamm und den Schwaben nicht sonderlich hold, schlug sich fern von den deut- schen Grenzen in Italien herum, die Straße nach dem Bodensee stund den fremden Gästen offen. An ihrem Namen haftete der Schreck. Seit Jahren schwärmten ihre Haufen wie Irrlichter durch das zer- rüttete Reich, das Karl der Große unfähigen Nachfolgern hinterlassen, von den Ufern der Nordsee, wo die Trümmerstätte von Bremen Zeug- niß ihres Einfalls gab, bis hinab an die Südspitze Calabriens, wo der Landeingeborene ihnen Mann für Mann ein Lösegeld für seinen Kopf zahlen mußte, zeichnete Brand und Plünderung ihre Spur ... Wenn der fromme Bischof Ulrich keine Gespenster gesehen hat, sprach die Herzogin, so kommen sie auch zu uns, was ist zu thun? In Kampf ziehen? Auch Tapferkeit ist Thorheit, wenn der Feind übermächtig. Durch Tribut und Goldzins Friede kaufen, und sie auf der Nachbarn Grenzen hetzen? Andere haben's gethan; wir haben von Ehr' und Unehr' andere Meinung. Uns auf dem Twiel verschanzen und das Land preisgeben? Es sind unsere Unterthanen, denen wir herzoglichen Schutz gelobt. Rathet! Mein Wissen ist auf solchen Fall nicht gerüstet, sprach Ekkehard betrübt. Die Herzogin war aufgeregt. O Schulmeister, rief sie vorwurfs- voll, warum hat Euch der Himmel nicht zum Kriegsmann werden lassen? es wäre Vieles besser! Da wollte Ekkehard verletzt von dannen gehen. Das Wort war ihm in's Herz gefahren, wie ein Pfeil, und setzte sich tief darin fest. Es lag ein Stück Wahrheit in dem Vorwurf, darum schmerzte er. Ekkehard! rief ihm Frau Hadwig nach, Ihr sollt nicht gehen. Ihr sollt mit Eurem Wissen der Heimath dienen; und was Ihr noch nicht wißt, sollt Ihr lernen. Ich will Euch zu Einem schicken, der weiß Bescheid in solchen Dingen, wenn er noch lebt. Wollt Ihr meinen Auftrag bestellen? Ekkehard hatte sich umgewandt. Ich war noch nie säumig, meiner Herrin zu dienen, sprach er. Ihr dürft aber nicht erschrecken, wenn er Euch spröd' und rauh anläßt, er hat viel Unbill erfahren von früheren Geschlechtern, die heutigen kennen ihn nicht mehr. Dürft auch nicht erschrecken, wenn er Euch gar alt und fett erscheint. Er hatte aufmerksam zugehört: Ich verstehe Euch nicht ganz ... Thut nichts, sprach die Herzogin. Ihr sollt morgen nach dem Sipplinger Hof hinüber, drüben am Ueberlinger See, wo die Fels- wand sich steil in die Fluth herabsenkt, ist aus alten Zeiten allerhand Gelaß zu menschlicher Wohnung in den Stein gehauen. Wenn Ihr den Rauch eines Heerdfeuers aus dem Berg aufsteigen sehet, so geht hinauf. Dort findet Ihr, den ich meine, redet mit ihm von wegen der Hunnen ... Zu wem sendet mich meine Herrin? fragte Ekkehard gespannt. Zum Alten in der Heidenhöhle, sagte Frau Hadwig. Man weiß hierlands keinen andern Namen von ihm. Aber halt! fuhr sie fort, ich muß Euch auch das Wort mitgeben für den Fall, daß er den Einlaß weigert. Sie ging zu ihrem Schrank und stöberte unter Schmuck und Ge- räthschaften; dann brachte sie e i n Schiefertäflein, drauf standen etliche Buchstaben gekritzelt: das sollt Ihr zu ihm sagen, und einen Gruß von mir. Ekkehard las. Es waren die zwei unverständlichen lateinischen Worte: neque enim! sonst nichts. Das hat keinen Sinn, sprach er. Thut nichts, sagte Frau Hadwig, der Alte weiß, was es ihm bedeutet ... Bevor der Hahn den Morgen anrief, war Ekkehard schon durch's Thor von Hohentwiel ausgeritten. Kühle Frühluft wehte ihm um's Antlitz; er hüllte sich tief in die Capuze. „Warum hat Euch der Him- mel nicht zum Kriegsmann werden lassen? es wäre Vieles besser!“ Das Wort der Herzogin ging mit ihm, wie sein Schatten. Es war ihm ein Sporn zu muthigen Entschlüssen. Wenn die Gefahr kommt, dachte er, soll sie den Schulmeister nicht hinter seinen Büchern sehen! Sein Roß trabte gut. In wenigen Stunden ritt er über die waldigen Höhen, die den Untersee von dem See von Ueberlingen trennen. Am herzoglichen Maierhof Sernatingen grüßte ihn die blaue Fluth des Sees, er ließ sein Roß dem Maier und schritt den Pfad voran, der hart am Ufer hinführt. An einem Vorsprung hielt er eine Weile, gefesselt von der weiten Umschau. Der Blick flog unbegrenzt über die Wasserfläche bis zu den rhätischen Alpen, die, eine krystallklare Mauer, sich als Ende der Landschaft himmelan thürmen. Wo die Sandsteinfelsen senkrecht aus dem See emporstiegen, lenkte sich der Pfad aufwärts. Stufen im Fels erleichterten den Schritt, gehauene Fensteröffnungen mit dunkeln Schatten in der Tiefe die Lichte der Felswand unterbrechend, wiesen ihm den Ort, dran einst in Zeiten römischer Herrschaft unbekannte Männer sich in Weise der Ka- takomben ein Höhlenasyl eingegraben. Das Aufsteigen war beschwerlich. Jetzt trat er auf einen ebenen Geviertraum, wenig Schritte im Umfang, von jungem Gras bewach- sen. Vor ihm öffnete sich ein mannshoher Eingang in den Felsen, aber ein riesiger schwarzer Hund sprang bellend hervor, zwei Schritte vor Ekkehard hielt er, zu Sprung und Biß bereit, seine Augen starr auf den Mönch gerichtet; der durfte keinen Schritt vorwärts machen, so fuhr ihm der Hund an Hals. Die Stellung war nicht neidens- werth, Rückzug unmöglich, Waffen trug Ekkehard nicht. So blieb er seinem Gegner gegenüber eine Weile starr stehen; da schaute aus der Fensteröffnung zur Seite eines Mannes Angesicht: ein Graukopf war's mit stechenden Augen und röthlichem Bart. Gebietet dem Thier Ruhe! rief Ekkehard. Dauerte nicht lange, so erschien der Graukopf unter dem Eingang. Er war mit einem Spieß gewaffnet. Rückwärts, Mummolin! rief er. Ungern gehorchte das große Thier. Erst wie ihm der Graue den Spieß zeigte, zog sich's knurrend zurück. Man sollt' Euch den Hund erschlagen, und neun Schuh hoch über Euer Thor hängen bis er verfaulte und stückweis auf Euch herunter- fiele, sprach Ekkehard zürnend, schier hat er mich in's Wasser ge- stürzt. Er sah sich um, in senkrechter Tiefe rauschte der See zu sei- nen Füßen. In den Heidenhöhlen gilt kein Landrecht! gab der Graue trotzig zurück. Bei uns heißt's: zwei Mannslängen vom Leib oder wir schlagen Euch den Schädel ein. Ekkehard wollte vorwärts gehen. Halt an! fuhr der Mann unterm Eingang fort und hielt den Spieß vor, so schnell geht's nicht. Wohin des Wegs? Zum Alten in der Heidenhöhle, sprach Ekkehard. Zum Alten in der Heidenhöhle? schalt der Andere; habt Ihr kein ehrerbietiger Wort für ihren Inwohner, gelbschnäbliger Kuttenträger? Ich weiß nicht anders, sagte Ekkehard betroffen. Mein Gruß heißt neque enim! Das lautet besser, sprach der Graue treuherzig, und reichte ihm die Hand. Woher des Wegs? Vom hohen Twiel. Ich soll Euch ... Halt an. Ich bin nicht, den Ihr suchet, bin nur sein Dienstmann Rauching. Ich werd' Euch anmelden. Angesichts der starren Felswände und des schwarzen Hundes war diese Förmlichkeit befremdend. Ekkehard stand harrend, es dauerte eine gute Weile, schier als wenn Vorbereitungen zum Empfang getroffen würden. Dann erschien Rauching wieder: Wollet eintreten. Sie gingen den dunkeln Gang entlang, dann weitete sich der Höhlenraum, ein Gemach war von Menschenhänden in den Fels gehauen, hoch, stattlich, in spitzbogiger Wölbung; ein rohes Gesimse zog sich um die Wände, die Fensteröffnungen weit und luftig; wie von einer Rahme umfaßt glänzte ein Stück blauer See und gegenüberliegendes Wald- gebirge herein, eine flimmernde Schichte Sonnenlicht drang durch sie in des Gemaches Dunkel. Spuren von Steinbänken waren da und dort sichtbar, nah beim Fenster stund ein hoher steinerner Lehnstuhl, ähn- lich dem eines Bischofs in alten Kirchen, eine Gestalt saß drin. Es war ein fremdartig Menschenbild, mächtigen Umfangs, schwer saß das schwere Haupt zwischen den Schultern, Runzeln durchfurchten Stirn und Wangen, spärlich weißes Haupthaar lockte sich um den Scheitel, schier zahnlos der Mund: der Mann mußte steinalt sein. Ein Man- tel von unkenntlicher Farbe hing um des Greisen Schulter, die Rück- seite, die des Stuhles Lehne verdeckte, mochte stark Fadenschein tragen, in Saum und Faltenwurf saßen Spuren vergangener Flickung. Seine Füße waren mit rauhem Stiefelwerk bekleidet, ein alter Hut mit verstäubtem Fuchspelz verbrämt lag zur Seite. Eine Nische der Felsvertiefung trug ein Schachzabelbrett mit elfenbeingeschnittenen Figuren, es war eine Parthie zu Ende gespielt worden, noch stand der König matt gesetzt durch einen Thurm und zwei Läufer ... Wer kommt zu den Vergessenen? fragte der Greis mit dünner Stimme. Da neigte sich Ekkehard vor ihm und nannte seinen Namen und wer ihn gesandt. Ihr habt ein böses Losungswort mit Euch gebracht. Erzählen die Leute draußen noch vom Luitward von Vercelli? Dessen Seele Gott verdammen möge, fiel Rauching ergänzend ein. Ich habe nichts von ihm gehört, sprach Ekkehard. Sag's ihm, Rauching, wer der Luitward war, 's wär' Schade, wenn sein Gedächtniß ausstürbe bei den Menschen. Der größte Schurke, den je ein Sonnenstrahl beschienen, war Rauching's Antwort. Sag' ihm auch, was neque enim heißt. „Es gibt keinen Dank auf dieser Welt und von eines Kaiser Freunden ist auch der beste ein Verräther!“ Auch der Beste ein Verräther, sprach der Alte in Gedanken. Sein Blick fiel auf das nahstehende Schachbrett. Ja wohl! murmelte er leise, matt gesetzt, durch Läufer und Ueberläufer matt gesetzt ... er ballte die Faust, als wolle er aufspringen, dann seufzte er laut und fuhr mit der welken Hand nach der Stirn und stützte sein schweres Haupt auf. Das Kopfweh! sprach er .. das verfluchte Kopfweh! Mummolin! rief Rauching. Mit großen Sätzen kam der schwarze Hund vom Eingang her gesprungen; wie er den Alten mit aufgestülptem Haupt gewahrte, trat er schmeichelnd heran und leckte ihm die Stirn. Es ist gut, sprach der Greis nach einer Weile und richtete sich wieder auf. Seid Ihr krank? fragte Ekkehard theilnehmend. Krank? sprach der Alte — 's mag eine Krankheit sein. Mich sucht's schon so lang heim, daß mir's wie ein alter Bekannter erscheint. Habt Ihr auch schon Kopfweh gehabt? Ich rathe Euch, zieht niemals zu Felde, wenn euch Kopfweh plagt und schließt keinen Frieden, es kann ein Reich kosten, das Kopfweh .. Soll Euch kein Arzt .. wollte Ekkehard fragen. Der Aerzte Weisheit ist erschöpft. Sie haben's gut mit mir gemeint. Er wies auf seine Stirn; zwei alte Narben kreuzten sich darauf. Schaut her! und wenn sie Euch das verordnen wollen, müßt's nicht anwenden! An den Füßen bin ich aufgehangen worden in jungen Tagen, dann die Einschnitte in Kopf — ein Stück Blut und ein Stück Verstand haben sie mir genommen: nichts geholfen. In Cremona — Zedekias hat der hebräische Weise geheißen — haben sie die Sterne gefragt und mich in dämmernder Mitternacht unter einen Maulbeerbaum gestellt; 's war ein langer Spruch, mit dem sie das Kopfweh in den Baum hinein verfluchten: nichts geholfen! In deutschen Landen gepulverte Krebsaugen verordnet, gemischt mit etlichem Staub von des heiligen Marcus Grab und einen Trunk Seewein drauf: Auch nichts. Jetzt bin ich's gewöhnt. Das Aergste leckt des Mummolin rauhe Zunge hinweg. Komm her, braver Mumolin, der mich noch nicht verrathen hat .. Er schwieg athemschöpfend und streichelte den Hund. Meine Botschaft ... hub Ekkehard an. Der Greis aber winkte ihm: Geduldet Euch, nüchtern ist nicht gut reden. Ihr werdet hungrig sein. Nichts ist niederträchtiger und hei- liger als der Hunger! hat jener Decan gesagt, da sein Gastfreund von sechs Forellen fünf aß und ihm die kleinste zurückließ. Wer mit der Welt draußen zu thun gehabt, vergißt den Spruch nicht. Rauching, richt' unser Mahl. Der ging hinüber in ein anstoßend Felsengemach, das war zur Küche hergerichtet; in etlichen Nischen stunden seine Vorräthe: bald wirbelte aus dem Höhlenschornstein eine weiße Rauchwolke dem blauen Himmel entgegen, und das Werk des Kochens war beendet. Eine Steinplatte mußte als Tisch gelten. Als des Mahles Krone prangte ein Hecht, aber der Hecht war alt und trug Moos auf dem Haupt, sein Fleisch schmeckte zäh wie Leder. Auch einen Krug röthlichen Weines brachte Rauching herbei, aber der wuchs auf den Sipplinger Hügeln und die erfreuen sich noch heute des Leumunds, daß ihr Wein der sauern sauerster am ganzen See. Rauching wartete auf und saß nicht zu ihnen nieder. Was bringt Ihr mir? frug der Alte, wie die schmale Mahlzeit beendet. Schlimme Botschaft; die Hunnen sind in's Land gebrochen, bald treten ihre Hufen die schwäbische Erde. Recht! sprach der Greis, das gehört euch. Sind die Nordmänner auch wieder auf der Fahrt? Ihr sprechet sonderbar, sagte Ekkehard. Des Alten Aug' ward glänzender. Und wenn euch die Feinde wie Schwämme aus der Erde wachsen, ihr habt's verdient, ihr und eure Herren. Rauching, füll' dein Glas, die Hunnen kommen .. neque enim! Nun soll euch die Suppe schmecken, die eure Herren gesalzen haben. Ein großes stolzes Reich ist aufgerichtet gestanden, vom Ebro bis an die Raab und bis hinauf an die dänische Mark, keine Rattmaus hät' einschleichen dürfen, ohne daß treue Wächter sie gefangen, so hat's der große Kaiser Karl .. Den Gott segnen möge, fiel Rauching ein. .. gefestigt hingestellt; die Stämme, die dem Römer einst zusammen den Garaus gemacht, ein Ganzes, wie sich's gehört, damals hat der Hunn scheu hinter seinem Landhag an der Donau gelauert, 's war kein Wetter für ihn, und wie sie sich rühren wollten ist von ihrer hölzernen Lagerstadt tief in Pannonien drin kein Spahn mehr übrig geblieben, so hat die fränkische Landwehr drein gewettert .. aber die Großen in der Heimath hat's gedrückt, daß nicht ein Jeder der Herr der Welt sein kann; da hat's innerhalb des eigenen Zauns pro- birt sein müssen — Aufruhr, Empörung und Reichsverrath, das schmeckt besser, den Letzten von Karl's Stamme, der des Weltreichs Zügel führte, haben sie abgesetzt — das Symbolum der Reichseinheit ist ein Bettelmann worden und muß ungeschmelzte Wassersuppen essen — nun, und eure Herren, denen der Bastard Arnulf und ihr eigener Uebermuth lieber war, haben die Hunnen auf dem Nacken, und die alten Zeiten kommen wieder, wie sie schon der König Etzel malen ließ. Kennt Ihr das Bild im Mailänder Pallast? Dort war der römische Kaiser gemalt, wie er auf seinem Thron saß und die scythischen Fürsten ihm zu Füßen lagen; da kam der König Etzel des Wegs geritten und sah die Malerei lang an und lachte und sprach: Ganz recht; nur eine kleine Aenderung! Und er ließ dem Mann auf dem Thron sein eigen Antlitz geben, und die vor ihm knieten und die Säcke voll Zinsgold vor seinem Thron aus- leerten, waren die römischen Cäsaren ... Das Bild ist heut noch zu schauen ... Ihr denkt an alte Geschichten, sprach Ekkehard. Alte Geschichten! rief der Greis: Für mich hat's seit vierzig Jahren nichts Neues gegeben als Noth und Elend. Alte Geschichten! 's ist gut, wer sie noch weiß, daß er sehen kann, wie der Väter Sünden ge- rächt werden an Kind und Kindeskind. Wißt Ihr, warum der große Karl das einemal in seinem Leben geweint hat? So lang ich lebe, sind's Narrenpossen, sprach er, da sie ihm der nordmännischen See- räuber Ankunft meldeten, aber mich dauern meine Enkel! Noch haben wir einen Kaiser und ein Reich, warf Ekkehard ein. Habt ihr noch einen? sprach der Greis und trank seinen Schluck sauern Sipplinger, und schüttelte sich: Ich wünsch' ihm Glück. Die Ecksteine sind gesplittert, das Gebäu ist morsch. Mit übermüthigen Herren kann kein Reich bestehen; die gehorchen sollen, herrschen, und der herrschen soll, muß schmeicheln statt gebieten. Ich hab' von Einem gehört, dem haben seine getreuen Unterthanen den Tribut in Kiesel- steinen statt in Silber geschickt, und der Kopf des Grafen, der ihn heischen sollte, lag dabei im Sack. Wer hat's gerächt?... Der Kaiser, sprach Ekkehard, zieht in Welschland zu Felde und erwirbt großen Ruhm. O Welschland, Welschland! fuhr der Alte fort, das wird noch ein schlimmer Pfahl im deutschen Fleische werden. Jenes einemal hat sich der große Karl ... Den Gott segnen möge, fiel Rauching ein. ... einen blauen Dunst vormachen lassen. 's war ein schlimmer Tag, wie sie ihm in Rom die Krone aufsetzten, und hat Keiner ge- lacht, wie der auf Petri Stuhl. Der hat uns nöthig gehabt — aber was haben wir mit Welschland zu schaffen? Schaut hinaus: ist die Gebirgsmauer dort für Nichts himmelan gebaut? Das jenseits gehört denen in Byzantium, und von Rechtswegen; griechische List wird dort eher fertig als deutsche Kraft; aber die Nachfolgenden haben nichts zu thun, als des großen Karl Irrthum ewig zu machen. Was er Vernünftiges gewiesen, haben sie mit Füßen getreten, in Ost und Nord war vollauf zu thun, aber nach Welschland muß gerannt wer- den, als säß in den Bergen hinter Rom der große Magnetstein. Ich hab' oft drüber nachgedacht, was uns in die falsche Bahn gewiesen; — wenn's nicht der Teufel ist, kann's nur der gute Wein sein. Ekkehard war betrübt geworden ob des Alten Reden. Der schien es zu merken. Laßt Euch nicht anfechten, was ein Begrabener sagt, sprach er zu ihm, wir in der Heidenhöhle machen's nicht anders, aber die Wahrheit hat schon manchesmal in Höhlen gehaust, wenn draußen der Unsinn mit großen Schritten durch's Land ging. Ein Begrabener? sprach Ekkehard fragend. Deßhalb könnt Ihr doch mit ihm anstoßen, sprach der Alte scher- zend. 's war nöthig, daß ich vor der Welt gestorben bin, das Kopf- weh und die Schurken haben mich in Unehren gebracht. Braucht mich darum nicht so anzusehen, Mönchlein. Setzt Euch her auf die Stein- bank, ich will Euch eine schöne Geschichte erzählen — Ihr könnt ein Lied zur Laute darüber machen ... Es war einmal ein Kaiser, der hatte wenig frohe Tage, denn sein Reich war groß und er selber war dick und stark und das Kopf- weh plagte ihn seit daß er auf dem Thron saß. Darum nahm er sich einen Erzkanzler, der war ein feiner Kopf und konnte mehr den- ken als sein Herr, denn er war dünn und hager wie eine Stange und hatte kein Kopfweh. Und der Kaiser hatte ihn aus dunkler Herkunft emporgehoben, denn er war eines Hufschmieds Sohn, und erwies ihm Gutes und that Alles was er ihm rieth; und schloß sogar einen elen- digen Frieden mit den Nordmännern: denn der Kanzler sagte ihm, das sei unbedeutend, er habe wichtigere Geschäfte, als sich um ein paar Seeräuber zu kümmern. Der Kanzler ging nämlich in selber Zeit zu des Kaisers Ehgemahlin, und berückte ihr schwaches Herz, und ver- trieb ihr die Zeit mit Saitenspiel und ließ nebenbei der edeln Ale- mannen Töchter entführen und verschwor sich mit seines Kaisers Wider- sachern. Und wie dieser endlich einen Reichstag ausschrieb, um der Noth zu steuern, stund sein hagerer Kanzler dort unter den ersten, die wider ihn sprachen; mit neque enim begann er seine Rede und be- wies, sie müßten ihn absetzen, und sprach so giftig und schlangenklug gegen den Nordmännerfrieden, den er selber geschlossen, daß sie Alle von ihrem rechtmäßigen Herren abfielen wie welke Blätter wenn der Herbstwind die Wipfel schüttelt. Und sie schrieen, die Zeit der Dicken sei vorbei und setzten ihn ab, mit dreifacher Krone auf dem Haupt war der Kaiser in Tribur eingeritten, wie er von dannen zog, nannte er nicht Mehres sein als was er auf dem Leib trug und saß zu Mainz vor des Bischofs Pfalz und war froh, da sie ihm eine Suppe zum Schiebfenster herausreichten. Der brave Kanzler hat Luitward von Vercelli geheißen — Gott lohn' ihm seine Treue nach Verdienst, und der Kaiserin Richardis auch und Allen zusamm! Wie sie aber im Schwabenland sich des Verstoßenen erbarmten, und ihm ein nothdürftig Gütlein schenkten, sein Leben zu fristen, und wie sie dran dachten, mit Heeresmacht für sein gekränktes Recht zu streiten, da sandte der Luitward auch noch Mörder wider ihn. 's war eine schöne Nacht im Neidinger Hofe, der Sturm brach die Aeste im Forst und die Fensterladen klapperten, der abgesetzte Kaiser konnte vor Kopfweh nicht schlafen und war auf's Dach gestiegen, daß ihm der Sturm Kühlung zublase: da brachen sie ein und fahten auf ihn: 's ist ein anmuthig Gefühl, sag' ich Euch, mit schwerem Haupt auf kaltem Dach sitzen und zuhören, wie sie drunten bedauern, Einen nicht stranguliren und an Ziehbrunnen aufknüpfen zu können ... Wer das erlebt hat, der thut am besten er stirbt. Und der dicke Meginhart zu Neidingen war grad zu rechter Zeit vom Baum herab zu Tod gefallen, daß man ihn auf den Schragen legen konnt' und im Land verkünden, der abgesetzte Kaiser sei Todes ver- blichen. Es soll ein schöner Leichenzug gewesen sein, wie sie ihn in die Reichenau trugen, der Himmel that sich auf, ein Lichtstrahl fiel auf die Bahre und sie haben eine rührende Leichenrede gehalten da sie ihn einsenkten rechts vom Altar: „daß er seiner Würden entblößt und seines Reiches beraubt ward, war eine Fügung des Himmels, ihm zur Läu- terung und Probe, und da er's geduldig trug, steht zu hoffen, daß ihn der Herr mit der Krone des ewigen Lebens für die belohnt, die er hienieden verloren ..“ so predigten sie in der Klosterkirche und wußten nicht, daß in derselben Stunde der, den sie zu begraben mein- ten, mit Sack und Pack und einem Fluch auf die Welt in der Ein- samkeit der Heidenhöhlen einzog ... Der Greis lachte: Hier ist's sicher und ruhig, um an alte Ge- schichten zu denken; stoßt an: die Todten sollen leben! Und der Luit- ward ist doch betrogen; wenn sein Kaiser auch einen alten Hut trägt, statt güldenem Reif, und Sipplinger trinkt statt goldigem Rheinwein, so lebt er doch noch: dieweil die Hageren und ihr ganzes Geschlecht vom Tode gerafft sind. Und die Sterne werden ihr Recht behalten, in denen bei seiner Geburt gelesen ward, daß er im Tosen der Reiter- schlacht aus der falschen Welt abscheiden werde. Die Hunnen kom- men .. komm' bald auch, du fröhlich Ende! Ekkehard hatte mit Spannung zugehört. Herr! wie wunderbar sind deine Wege, rief er. Er wollte vor ihm niederknieen und seine Hand küssen, der Alte litt's nicht: das gilt Alles nichts mehr! nehmt Euch ein Beispiel .. Deutschland hat Euch und Eurem Stamm große Unbill ange- than .. wollte Ekkehard trösten. Deutschland! sprach der Alte, ich bin ihm nicht gram, mög' es gedeihen und blühen, von keinem Feind bedräut, und einen Herrscher finden, der's zu Ehren bringt und kein Kopfweh hat, wenn die Nord- männer wieder kommen, und keinen Kanzler, der Luitward von Ver- celli heißt. Nur die, die seine Kleider unter sich getheilt und das Loos um sein Gewand geworfen — Möge der Himmel strafen mit Feuer und schwefligem Regen, sprach Rauching im Hintergrund. Welchen Bescheid bring' ich meiner Herrin von Euch, fragte Ekke- hard, nachdem er seinen Becher geleert. Von wegen der Hunnen? sagte der Greis. Ich glaube das ist einfach. Sagt Eurer Herzogin, sie soll in Wald gehen und sehen, wie es der Igel macht, wenn ihm ein Feind zu nahe kommt. Er rollt sich auf wie eine Kugel und starrt in Stacheln, wer nach ihm greift, sticht sich. Das Schwabenland hat Lanzen genug. Macht's ebenso! Euch Mönchen kann's auch nichts schaden, wenn ihr den Spieß tragt. Und wenn Eure Herrin noch mehr wissen will, so sagt ihr den Spruch, der in der Heidenhöhle gilt; Rauching, wie heißt er? Zwei Mannslängen vom Leib oder wir schlagen euch die Schädel entzwei! ergänzte der Gefragte. Und wenn von Frieden die Rede ist, so sagt ihr, der Alte in der Heidenhöhle hätt' ein mal einen schlechten geschlossen, er thät's nicht wieder, trotzdem ihn sein Kopfweh noch plagt wie damals; er woll' itzt lieber selber seinen Gaul satteln, wenn die Schlachtdrommeten blasen — lest eine Messe für ihn, wenn Ihr seinen letzten Ritt überlebt. Der Alte hatte gesprochen mit seltsamer Lebendigkeit. Plötzlich stockte die Stimme, sein Athem ward kurz, fast stöhnend, er neigte sein Haupt: es kommt wieder! sprach er. Rauching der Dienstmanne sprang ihm bei, und brachte einen Trunk Wassers. Die Beklemmung ließ nicht ab. Wir müssen das Mittel anwenden! sprach Rauching. Er wälzte aus der Höhlentiefe einen schweren Steinblock vor, von eines Mannes Höhe, der trug Spuren von Bildhauerwerk; sie hatten ihn in der Höhle als unerklärtes Denkmal früherer Bewohner vorgefunden. Er stellte ihn aufrecht an die Felswand; es war, als sei eines Menschen Haupt dran angedeutet und eine Bischofsmitra. Und Rauching griff einen gewaltigen knorrigen Stock und gab dem Alten einen zu Handen und begann auf das Steinbild einzudreschen und sprach einen Spruch dazu, langsam und ernst wie eine Litanei: Luitward von Vercelli! Reichsverräther, Ehebrecher, neque enim! Nonnenräuber, Macht- erschleicher, neque enim! .. Dicht fielen die Streiche, da legte sich ein Lächeln um des Alten welke Züge, er erhob sich und schlug mit matten Armen ebenfalls drauf: Es steht geschrieben, ein Bischof muß tadellos sein, sprach er in Rauching's Ton, — das für den Nordmänner-Frieden! das für der Kaiserin Richardis Verführung, neque enim! Das für den Reichstag zu Tribur, das für Arnulf's Kaiserwahl! neque enim!! Die Höhle wiederhallte vom dumpfen Klang; fest stand das Stein- bild im Hagel der Schläge, dem Alten ward's leicht und leichter, er hieb sich warm am alten Haß, der ihm seit Jahren ein dürftig Le- ben fristete. Ekkehard verstand den Hergang nicht ganz. Es ward ihm un- heimlich. Er empfahl sich und ging. Habt wohl schöne Kurzweil gefunden beim alten Narren droben, sprach der Maier von Sernatingen zu ihm, da er sein Roß gesattelt vorführte: vermeint er immer noch, er hab' eine Krone verspielt und ein Reich? Ha ha! Ekkehard ritt von dannen. Im Buchwald sproßte das junge Grün des nahenden Frühlings. Ein jugendlicher Mönch aus der Reichenau ging desselben Weges. Keck, wie Waffenklirren, tönte sein Sang durch die Waldeinsamkeit: „O tapfre junge Landeskraft, nun halt' dich brav! Mit Wächterruf und Feldgeschrei verscheuch' den Schlaf, Und mach' die Rund zu jeder Stund um Thor und Thurm! Der Feind ist klug und schleicht mit Trug heran zum Sturm. Von Wall und Zinnen schalle laut dein Halt werda! Das Echo wiederhalle: eia vigila!! “ Es war das Lied, das die Nachtwachen zu Mutina in Welschland sangen, da der Hunnen Heer vor der Bischofsstadt lag. Der Mönch D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 10 hatte selber vor drei Jahren dort Schildwache gestanden am Thor des heiligen Geminianus und kannte das Zischen der hunnischen Pfeile: wenn die Ahnung neuen Kampfes durch die Luft zieht, fallen Einem die alten Lieder wieder ein. — Zwölftes Kapitel . Der Hunnen Heranzug. Der Alte hat Recht, sprach Frau Hadwig, als ihr Ekkehard Be- richt von seiner Sendung Erfolg erstattete. Wenn der Feind droht, rüsten; wenn er angreift, auf's Haupt schlagen, das ist so einfach, daß man eigentlich Keinen drum zu fragen braucht. Ich glaube das viele Bedenken und Erwägen hat der böse Feind als Unkraut auf die deutsche Erde gestreut. Wer schwankt ist dem Fallen nah, und wer's zu fein machen will, der gräbt sich selbst sein Grab: Wir rüsten! Die bewegte und bald gefährliche Lage schuf der Herzogin eine freudige Stimmung: so ist die Forelle wohlgemuth im rauschenden Gießbach, der über Fels und Trümmer schäumt, im stillen Wasser verkommt sie. Und Beispiel fester Entschlossenheit Oben ist nie ver- geblich. Da trafen sie ihre Vorbereitung zum Empfang des Feindes. Vom Thurm des hohen Twiel wehte die Kriegsfahne weit in's Land hinaus; durch Wald und Feld, bis an die fernsten in den Thalgründen versteckten Meierhöfe klang das Heerhorn, die Mannen aufzubieten; nur Armuth befreite von Kriegspflicht. Wer mehr als zwei Mansen Land sein eigen nannte, ward befehligt, beim ersten Ruf in Wehr und Waffen sich zu stellen. Der Hohentwiel sollte der Sammelplatz sein, ihn hatte die Natur dazu gefestet. Boten durch- flogen das Hegau. Das Land hub an sich zu rühren; hinten im Tannwald standen die Köhler beisammen, den schweren Schürhacken schwang Einer über'm Haupt wie zum Einhauen: es thut sich! sprach er, ich geh' auch mit! An die Thüren der Pfarrherrn, der Alten und Bresthaften ward geklopft; wer nicht ausziehen kann, soll beten; an alle Ufer des Sees ging die Kunde, auch hinüber nach Sanct Gallen. Auf die friedliche Insel Reichenau ging Ekkehard; die Herzogin gebot's. Der Gang wär' ihm sauer gefallen, hätt' es sich um An- deres gehandelt. Er brachte dem gesammten Kloster die Einladung auf den hohen Twiel für die Zeit der Gefahr. Dort war schon Alles in Bewegung. Beim Springbrunnen im Klostergarten ergingen sich die Brüder; es war ein linder Frühlings- tag; aber Keiner dachte ernsthaft dran, sich des blauen Himmels zu freuen; sie sprachen von den bösen Zeiten und rathschlagten; es wollt' ihnen schwer einleuchten, daß sie aus ihren stillen Mauern ausziehen sollten. Der heilige Marcus, hatte Einer gesagt, wird seine Schutzbefoh- lenen schirmen und den Feind mit Blindheit schlagen, daß er vorbei- reitet, oder das Grundgewelle des Bodensees aufschäumen lassen, daß es ihn verschlinge wie das rothe Meer die Aegypter. Aber der alte Simon Bardo sprach: Die Rechnung ist nicht ganz sicher, und wenn ein Platz nicht sonst mit Thurm und Mauern um- wallt ist, bleibt Abziehen räthlicher. Wo aber noch eines Schillings Werth zu finden ist, da reitet kein Hunne vorbei; legt einem Todten ein Goldstück auf's Grab, so wächst ihm noch die Hand aus der Erde und greift danach. Heiliger Pirminius! klagte der Bruder Gärtner, wer soll den Kraut- und Gemüsgarten bestellen, wenn wir fort müssen? Und die Hühner? sprach ein Anderer, dessen theuerste Kurzweil in Pflege des Hühnerhofes bestund, haben wir die drei Dutzend welsche Hahnen für den Feind ankaufen müssen? Wenn man ihnen einen eindringlichen Brief schriebe, meinte ein Dritter; sie werden doch keine solche Unmenschen sein, Gott und seine Heiligen zu kränken. Simon Bardo lächelte: Werd' ein Lämmerhirt, sprach er mitlei- dig, und trink' einen Absud vom Kraut Camomilla, der du den Hunnen eindringliche Briefe schreiben willst. O daß ich meinen alten 10* Oberfeuerwerker Kedrenos mit über die Alpen gebracht! Da wollten wir ein Licht wider den Feind ausgehen lassen, schärfer als der milde Mondschein über dem Krautgärtlein, der dem seligen Abt Walafrid so weiche Erinnerungen an seine Freundin in der Seele wach rief. Dort an der Landzunge ein paar Schiffe versenkt, hier am Hafenplatz deßgleichen, — und mit den langen Brandröhren den Uferplatz be- strichen: hei, wie würden sie auseinanderstieben, wenn's durch die Luft flöge wie ein feuriger Drache und seinen Naphtabrandregen aus- sprühte! Aber was weiß euer Einer von griechischem Feuer?! O Kedrenos, Feuerwerker Kedrenos! Ekkehard war in's Kloster eingetreten. Er fragte nach dem Abt. Ein dienender Bruder wies ihm dessen Gemächer. Er war nicht drinnen und auch anderwärts nicht zu finden. Er wird in der Rüstkammer sein, sprach ein Mönch im Vor- übergehen zu ihnen. Da führte der dienende Bruder Ekkehard in die Rüstkammer; sie war auf dem hohen Klosterspeicher, viel Harnisch und Gewaffen lag droben aufgehäuft, mit denen das Kloster seine Kriegsleute zum Heerbann ausstattete. Abt Wazmann stand drin, eine Staubwolke verhüllte ihn dem Blick der Eintretenden, er hatte die Rüstungen von den Wänden ab- nehmen lassen und gemustert. Staub und Rost waren Zeuge, daß sie lang Ruhe gehabt. Beim Mustern hatte der Abt schon an sich selber gedacht; sein Obergewand lag ausgezogen vor ihm, der blonde Klosterschüler hatte ihm einen Ringelpanzer umgeworfen, er reckte seine Arme, ob er ihm fest und bequemlich sitze. Tretet näher! rief er Ekkehard zu, andere Zeiten, anderer Empfang! Ekkehard theilte ihm der Herzogin Aufforderung mit. Ich hätt' selber auf dem hohen Twiel drum nachgesucht, wenn Ihr nicht gekommen wäret, sprach der Abt. Er hatte ein langes Schwert ergriffen und schlug einen Lufthieb, daß Ekkehard etliche Schritte zurückwich; dem scharfen Pfeifen der Luft war zu entnehmen, daß es nicht der erste, den er in seinem Leben führte. 's wird Ernst, sprach er. Zu Altdorf im Schussenthal sind sie schon eingekehrt; bald wird sich die Flamme von Lindau im See spiegeln. Wollt Ihr Euch auch einen Harnisch auslesen? Der mit dem Wehrgehenk dort fängt Stich und Hieb so gut wie das feinste Nothhemd, das je eine Jungfrau spann. Ekkehard dankte. Der Abt stieg mit ihm aus der Rüstkammer hinunter. Der Ringelpanzer behagte ihm, er warf die braune Capuze drüber um; so trat er in den Garten unter die zagenden Brüder wie ein Riese des Herrn: Der heilige Marcus ist heute Nacht vor mein Lager getreten, rief der Abt; nach dem hohen Twiel hat er gedeutet: dorthin wollen meine Gebeine, daß keines Heiden Hand sie entweihe. Auf und rüstet euch! In Gebet und Gottvertrauen hat seither eure Seele den Kampf mit dem bösen Feind gekämpft, jetzt sollen eure Fäuste weisen, daß ihr Kämpfer seid. Denn die da kommen, sind Söhne der Teufel; Alrau- nen und Dämonen in asischer Wüste haben sie erzeugt; Teufelswerk ist ihr Treiben, zur Hölle werden sie zurückfahren, wenn ihre Zeit um! Da ward auch dem Sorglosesten der Brüder deutlich, daß eine Gefahr im Anzug. Beifällig Murmeln ging durch die Reihen, sie waren von Pflege der Wissenschaft noch nicht so weich gemacht, daß ihnen ein Kriegszug nicht als löbliche Abwechslung erschienen wäre. An einen Apfelbaum gelehnt stand Rudimann der Kellermeister, bedenkliche Falten auf der Stirn. Ekkehard ersah ihn, schritt auf ihn zu und wollte ihn umarmen, als Zeichen, daß gemeinsame Noth alten Zwist ausebne. Rudimann aber winkte ihm ab: Ich weiß was Ihr wollet! — Aus dem Saum seiner Kutte zog er einen groben härenen Faden, warf ihn auf Erde und trat darauf: So lang ein hunnisch Roß die deutsche Erde stampft, sprach er, soll alle Feindschaft aus meinem Herzen gerissen sein wie dieser Faden aus meinem Gewand; überleben wir den Streit, so mag's wieder eingefädelt werden, wie sich's geziemt! Er wandte sich und schritt nach seinem Keller zu wichtiger Arbeit. In Reih und Glied lagen dort den hochgewölbten Raum entlang die Stückfässer als wie in Schlachtordnung, und keines klang hohl, so man anklopfte. Rudimann hatte etliche Maurer bestellt; jetzt ließ er einen Vorplatz, wo sonst Kraut und Frucht bewahrt lag, herrichten, als wär' das der Klosterkeller; zwei Fäßlein und ein Faß pflanzten sie drin auf. Findet der Feind gar nichts vor, so schöpft er Verdacht, also hatte der Kellermeister bei sich überlegt, — und wenn die Sipplinger Auslese, die ich Preis gebe, ihre Schuldigkeit thut, wird manch ein hunnischer Mann ein bös Weiterreiten haben. Schon hatten die Werkleute die Quadersteine gerichtet zu Ver- mauerung der inneren Kellerthür, — noch einmal ging Rudimann hinein; aus einem verwitterten Faß zapfte er sein Krüglein und leerte es wehmüthig; dann faltete er die Hände wie zum Gebet: Behüt' dich Gott, rother Meersburger!! sprach er. Eine Thräne stund in seinen Augen ... Rühriges Treiben ging allenthalben durch's Kloster. In der Rüst- kammer wurden die Waffen vertheilt, es waren viel Häupter und wenig Helme, der Vorrath reichte nicht. Auch war viel Lederwerk zerfressen, und mußte erst geflickt werden. In der Schutzkammer ließ der Abt die Kostbarkeiten und Heil- thümer verpacken: viel schwere Truhen wurden gefüllt, das güldne Kreuz mit dem heiligen Blut, die weiße Marmorurne, aus der einst die Hochzeitgäste in Cana den Wein schöpften, Reliquiensärge, Abts- stab, Monstranz — Alles ward sorglich eingethan und auf die Schiffe verbracht. Sie schleppten auch den schweren, durchsichtig grünen Sma- ragd bei, achtundzwanzig Pfund wog er. Den mögt ihr zurücklassen, sprach der Abt. Das Gastgeschenk des großen Kaiser Karl? des Münsters seltenstes Kleinod, wie keines mehr in den Tiefen der Gebirge verborgen ruht? fragte der dienende Bruder. Ich weiß einen Glaser in Venetia, der kann einen neuen machen, wenn diesen die Hunnen fortschleppen, erwiederte leichthin der Abt. Sie stellten das Juwel in Schrank zurück. Noch war's nicht Abend worden, da stund Alles zum Abzug be- reit. Der Abt hieß die Brüder im Hofe zusammentreten, sämmtliche erschienen bis auf Einen. Wo ist Heribald? frug er. Heribald war ein frommer Bruder, dessen Wesen schon Manchem den Ernst auf der Stirn in Heiterkeit verwandelte. In jungen Tagen hatte ihn die Amme einmal auf's Steinpflaster fallen lassen, davon war ihm ein gelinder Blödsinn zurückgeblieben, eine „Kopf- sinnirung“, aber er war guten Herzens und hatte an Gottes schöner Welt seine Freude so gut wie ein Geistesgewaltiger. Da gingen sie den Heribald zu suchen. Er war auf seiner Zelle. Die gelbgraue Klosterkatze schien ihm ein Leides zugefügt zu haben, er hatte ihr den Strick, der sein Ge- wand zusammenhalten sollte, um den Leib geschnürt und sie an einen Nagel an seines Gemaches Decke aufgehängt; in die leere Luft herab hing das alte Thier, das schrie und miaute betrüblich, er aber schau- kelte es sänftlich hin und her, und sprach lateinisch mit ihm. Vorwärts, Heribald! riefen die Genossen, wir müssen die Insel verlassen. Fliehe wer will! sprach der Blödsinnige, Heribald flieht nicht mit. Sei brav, Heribald, und folg' uns; der Abt hat's anbefohlen. Da zog Heribald seinen Schuh aus und hielt ihn den Brüdern entgegen: Der Schuh ist schon im vorigen Jahr zerrissen, sprach er, da ist Heribald zum Camerarius gegangen, gib mir mein jährlich Leder, hat Heribald gesagt, daß ich mir ein neu Paar Schuhe aufer- tige, da hat der Camerarius gesagt, tritt du deine Schuhe nicht krumm, so werden sie nicht reißen, und hat das Leder geweigert, und wie Heri- bald den Camerarius beim Abt verklagt, hat ihm der gesagt: Ein Narr wie du kann barfuß laufen! Jetzt hat Heribald kein ordentlich Fußwerk, und mit zerrissenem geht er nicht unter fremde Leute ... Solchen Gründen war keine stichhaltige Widerlegung entgegenzu- setzen. Da umschlangen ihn die Brüder mit starkem Arm, ihn hinab- zutragen; im Gang aber riß er sich los, und floh mit Windeseile hinab in die Kirche und die Treppen hinauf, die auf den Kirchthurm führten. Zu oberst setzte er sich fest, und zog das hölzerne Stieglein empor; es war ihm nimmer beizukommen. Sie erstatteten dem Abte Bericht. Lasset ihn zurück, sprach der Abt, über Kinder und Thoren wacht ein besonderer Schutzengel. Zwei große Lädinen lagen am Ufer, die Abziehenden aufzunehmen: wohlgerüstete Schiffe mit Ruder und Segelbaum. In kleinen Käh- nen hatten sich des Klosters dienende Leute und was sonst noch auf der Reichenau hauste, mit Hab und Gut eingeschifft; es war ein wirres Durcheinander. Ein Nachen voll von Mägden und befehligt von Kerhildis der Obermagd war bereits abgefahren; sie wußten selber nicht wohin, — aber die Furcht war diesmal größer als die Neugier, die Schnurbärte fremder Reitersmänner zu sehen. Jetzt zogen die Klosterbrüder heran; es war ein seltsamer Anblick: die meisten in Wehr und Waffen. Litanei betend Andere, den Sarg des heiligen Marcus tragend, der Abt mit Ekkehard und den Zög- lingen der Klosterschule — betrübt schauten sie noch einmal nach der langjährigen Heimath, dann stiegen sie zu Schiffe. Wie sie aber in den See ausfuhren, huben alle Glocken an zu tönen, der blödsinnige Heribald läutete ihnen den Abschiedsgruß; dann erschien er auf den Zinnen des Münsterthurmes: dominus vobiscum! rief er mit starker Stimme herab und in gewohnter Weise antwortete da und dort Einer: et cum spiritu tuo! Ein scharfer Luftzug kräuselte die Wellen des Sees. Erst vor Kurzem war er aufgefroren, noch schwammen viel schwere Eisblöcke drin herum und die Schiffe hatten große Mühe sich durchzuarbeiten. Geduckt saßen die Mönche, die den Sarg des heiligen Marcus hüteten, etlichemal schlug die Woge zu ihnen herein, aber aufgerichtet und keck stand Abt Wazmann's hohe Gestalt, die Capuze flatterte im Winde. Der Herr geht vor uns her, sprach er, wie er in der Feuersäule vor dem Volk Israel ging; er ist mit uns auf der Flucht, er wird mit uns sein auf fröhlicher Rückkehr! .. In heller Mondnacht stieg der Reichenauer Mönche Schaar den Berg von Hohentwiel hinauf. Für Unterkunft war gesorgt. In der Burg Kirchlein stellten sie den Sarg ihres Heiligen ab; sechs der Brüder wurden zu Wacht und Gebet bei ihm befehligt. Der Hofraum ward in den nächsten Tagen zum fröhlichen Heer- lager. An aufgebotenen Dienstmannen lagen schon etliche hundert oben, der Reichenauer Zuzug brachte einen Zuwachs von neunzig streit- baren Männern. Emsig ward geschafft an Allem, was des baldigen Kampfes Nothdurft heischte. Schon eh' die Sonne aufstieg, weckte der Schmiede Gehämmer die Schläfer. Pfeile und Lanzenspitzen wurden gefertigt; beim Brunnen im Hofe stund der große Schleifstein, d'ran wetzten sie die rostigen Klingen. Der alte Korbmacher von Weiter- dingen war auch herauf geholt worden, der saß mit seinen Buben unter der Linde, die langen zu Schilden zugeschnittenen Bretter über- sponnen sie mit starkem Flechtwerk von Weidengezweig, dann ward ein gegerbtes Fell darüber genagelt: der Schild war fertig. Am lustigen Feuer saßen Andere und goßen Blei in die Formen zu spitzem Wurfgeschoß für die Schleuder, — eschene Knittel und Keulen wurden in den Flammen gehärtet: wenn der an eines Heiden Schädel anklopft, sprach Rudimann und schwang den Prügel, so wird ihm aufgethan! Wer früher schon im Heerbann gedient, sammelte sich um Simon Bardo den griechischen Feldhauptmann. Zu Euch nach Deutschland muß Einer gehen, wenn er seine greisen Tage in Ruhe verleben will, hatte er scherzend zur Herzogin gesagt. Der Waffenlärm aber stärkte sein Gemüth wie alter Rheinwein und richtete ihn auf; mit scharfer Sorge ließ er die Unerfahrenen sich in den Waffen üben, des Burg- hofs Pflaster wiederhallte vom schweren Schritt der Mönche, die in geschlossenen Reihen des Speerangriffs unterwiesen wurden. Wände könnt' man mit euch einrennen, sprach der Alte beifallnickend, wenn ihr einmal warm geworden seid. Wer von den Jüngern eines sichern Auges und beweglicher Knochen sich erfreute, ward den Pfeilschützen zugetheilt. Fleißig übten sie sich. Heller Jubel klang einmal von des Hofes anderem Ende zu den Speerträgern herüber: das lose Volk hatte einen Strohmann ange- fertigt, eine Krone von Eulenfedern im Haupt, eine sechsfältige Peitsche in der Hand, einen rothen Lappen in Herzform auf der Brust, war er ihre Zielscheibe. Der Hunnen König Etzel, riefen die Schützen, wer trifft ihn in's Herz? Spottet nur, sprach Frau Hadwig, die vom Balcon herab zuschaute; hat ihn auch in schlimmer Brautnacht der Schlag danieder gestreckt, so geht sein Geist fort und fort mächtig durch die Welt; die nach uns kommen, werden noch an ihm zu beschwören haben. Wenn sie nur auch so scharf auf ihn schießen, wie die da unten! sagte Praxedis, — und Hallohruf klang vom Hofe herauf, der Stroh- mann wankte und fiel, ein Pfeil hatte das Herz getroffen. Ekkehard kam in den Saal herauf. Er war wacker mit marschirt, sein Antlitz glühte, der ungewohnte Helm hatte einen rothen Streif auf der Stirn zurückgelassen. In der Erregung des Tages vergaß er seine Lanze draußen abzustellen. Mit Wohlgefallen sah Frau Hadwig auf ihn; es war nicht mehr der zage Lehrer der Grammatik .. Er neigte sich vor seiner Gebieterin: die Reichenauer Mitbrüder im Herrn, sprach er, lassen melden, daß sich Durst in ihren Reihen eingestellt. Frau Hadwig lachte. Laßt eine Tonne kühlen Bieres im Hof aufstellen; bis die Hunnen wieder heimgejagt sind, soll unser Keller- meister keine Klage über Verschwinden seiner Fässer führen. Sie deutete auf das stürmische Treiben im Burghof: Das Leben bringt doch mannigfachere Bilder als alle Poeten, sprach sie zu Ekkehard; — auf solchen Wandel der Dinge wart Ihr nicht vorbereitet? Aber Ekkehard ließ seinem theuern Virgilius nicht zu nahe treten. Erlaubet, sprach er auf seinen Speer gelehnt, es steht Alles wort- getreu in der Aeneis vorgezeichnet, als wenn es nichts Neues unter der Sonne geben sollt! Würdet Ihr nicht glauben, Virgilius sei hier auf dem Söller gestanden und habe hinabgeschaut in's Getümmel, wie er vom Beginn des Krieges in Latium sang: „Dort wird gehöhlt dem Haupte der Schirm — dort flechten sie wölbend Weidener Schilde Verband — dort ziehn sie den ehernen Harnisch, Dort hellblinkende Schienen aus zähem Silber gehämmert. Sichel und Schaar wird jetzo entehrt, und die Liebe des Pfluges Weicht — um schmiedet die Esse verrostete Klingen der Väter. Hornruf schmettert durchs Land und es geht die kriegrische Losung.“ Das paßt freilich gut, sprach Frau Hadwig. Könnt Ihr auch den Gang des Streites aus Eurem Heldenbuche vorhersagen? wollte sie noch fragen, aber in Zeiten des Durcheinander ist nicht gut über Dichtungen sprechen. Der Schaffner war eingetreten: Das Fleisch sei aufgezehrt bis auf den letzten Bissen, lautete sein Bericht, ob er zwei Ochsen schlachten dürfe ... Nach wenig Tagen war Simon Bardo's Mannschaft so geschult, daß er sie der Herzogin zur Musterung vorführen konnte. Es war auch Zeit, daß sie ihre Zeit nutzten; schon waren sie die verflossene Nacht aufgestört worden, eine helle Röthe stand am Himmel fern über'm See, wie eine feurige Wolke hielt sich das Brandzeichen etliche Stunden lang, es mochte weit in Helvetien drüben sein. Die Mönche stritten mit einand; es sei eine Erscheinung am Himmel, sagten die Einen, ein feuriger Stern zur Warnung der Christenheit. Es brennt im Rheinthal, sprachen Andere; ein Bruder der mit feinerer Nase begabt war, behauptete sogar den Brandgeruch zu spüren. Erst lang nach Mitternacht erlosch die Röthe. Auf des Berges südlichem Abhang war eine mäßig weite Halde, die ersten Frühlingsblumen blühten drauf, in den Thalmulden lag noch alter Schnee; das sollte der Platz der Musterung sein. Hoch zu Rosse saß Frau Hadwig, bei ihr hielten wohlgerüstet etliche Edel- knechte, die zum Aufgebot gestoßen waren, der von Randegg, der vom Hoewen und der dürre Fridinger; der Reichenauer Abt saß stolz auf seinem Zelter, ein wohlberittener Mann Gottes; Herr Spazzo, der Kämmerer, bemühte sich, es ihm in Haltung und Bewegung gleich zu thun, denn sein Gebahren war vornehm und ritterlich. Auch Ekkehard sollte die Herzogin begleiten, es war ihm ein Roß vorge- führt worden; allein er hatte es abgelehnt, daß kein Neid entstünde unter den Mönchen. Jetzt that sich das äußere Burgthor knarrend auf, und die Schaa- ren zogen herab. Voraus die Bogen- und Armbrustschützen; lustige Klänge erschallten, ernsten Antlitzes schritt Audifax als Sackpfeifer mit den Hornisten, in geschlossenem Zug ging's vorbei. Dann ließ Simon Bardo ein Signal blasen, da lösten sie ihre Glieder und schwärmten aus wie ein wilder Wespenschwarm und hielten Busch und Hecken besetzt. Dann kam die Cohorte der Mönche, festen Schrittes, in Helm und Harnisch, die Kutte drüber, den Schild auf dem Rücken, den Spieß gefällt: eine sturmgewaltige Schaar; hoch flatterte ihr Fähn- lein, ein rothes Kreuz im weißen Feld. Pünktlich marschirten sie, als wär' es seit Jahren ihr Handwerk — bei starken Menschen ist auch die geistige Zucht gute Vorübung zum Kriegerstand. Nur Einer am linken Flügel vermochte nicht Schritt zu halten, seine Lanze ragte uneben aus der geraden Reihe der andern: 's ist nicht seine Schuld, sprach Abt Wazmann zur Herzogin, er hat in Zeit von sechs Wochen ein ganz Meßbuch abgeschrieben, da flog ihm der Schreibkrampf in die Finger. Ekkehard schritt auf dem rechten Flügel; wie sie an der Herzogin vorüber kamen, traf ihn ein Blick aus den leuchtenden Augen, der kaum der ganzen Schaar gegolten. In drei Haufen folgten die Dienstmannen und aufgebotenen Heer- bannleute; mächtige Stierhörner wurden geblasen, seltsam Rüstzeug kam zum Vorschein, manch ein Waffenstück war schon in den Feld- zügen des großen Kaiser Karl eingeweiht worden, Mancher aber trug auch einen mächtigen Knittel und sonst nichts. Herr Spazzo hatte indeß scharfen Auges in das Thal hinunter geschaut. 's ist gut, daß wir gerade beisammen sind, ich glaub 's gibt Arbeit! sprach er und deutete hinüber in die Tiefe, wo die Dä- cher des Weilers Hilzingen hinter hügeligen Gründen aufstiegen. Ein dunkler Streif zog sich heran ... Da hieß Herr Simon Bardo seine Heerschaar halten und spähte nach der Richtung: Das sind keine Hunnen, sie kommen unberitten. Zu größerer Fürsicht aber hieß er seine Bogenschützen den Abhang des Berges besetzen. Aber wie der fremde Zug näher rückte, ward auch in ihren Reihen des heiligen Benedict Ordensgewand sichtbar, ein gülden Kreuz ragte als Standarte aus den Lanzen, Kyrie eleison! klang ihre Litanei den Berg herauf ... Meine Brüder! rief Ekkehard; da lösten sich die Glieder der Reichenauer Cohorte, sie rannten den Berg hinunter mit stürmischem Jubelschrei — wie sie aneinander waren überall freudiges Umarmen: Wiedersehen in Stunde der Gefahr ringt dem Herzen ein fröhlicher Jauchzen ab denn sonst. Arm in Arm mit den Reichenauern stiegen die fremden Gäste den Berg empor, ihren Abt Cralo an der Spitze; auf schwerfälligem Ochsenwagen in der Nachhut führten sie den blinden Thieto mit. Gott zum Gruß, erlauchte Frau Base, sprach Abt Cralo und neigte sich vor ihr; wer hätt' vor eines halben Jahres Frist gedacht, daß ich mit dem gesammten Kloster Euren Besuch erwiedern würde? Aber der Gott Israels spricht: ausziehen laß mein Volk, auf daß es mir getreu bleibe! Frau Hadwig reichte ihm bewegt vom Rosse herab die Hand. Zeiten der Prüfung! sprach sie. Seid willkommen! Verstärkt durch die neuen Ankömmlinge zog die hohentwieler Heer- schaar in der Burg schirmende Mauern zurück. Praxedis war in den Hof heruntergestiegen. Bei der Linde stand sie und schaute auf die einziehenden Männer; schon waren die von Sanct Gallen alle im Hofraum versammelt, unverwandt schaute sie nach dem Thor, als müsse noch Einer nachkommen; doch der, den ihr Blick suchte, war nicht unter denen, die da kamen. In der Burg ging es an ein Einrichten und Unterbringen der Gäste. Der Raum war spärlich gemessen. Im runden Hauptthurm war eine luftige Halle, dort wurde mit aufgeschüttetem Stroh für nothdürftig Nachtlager gesorgt. Wenn das so fortgeht, hatte der Schaffner gebrummt, der bald nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf stand, so haben wir bald die ganze Pfaffheit Europa's auf unserem Fels beisammen. Küche und Keller gaben, was sie hatten. Unten saßen Mönche und Kriegsleute bei lärmender Mahlzeit. Frau Hadwig hatte die beiden Aebte und wer von edeln Gästen sich bei ihr eingefunden, in ihrem Saale vereinigt; es war viel zu be- sprechen und zu berathen, ein Summen und Schwirren von Frag und Antwort. Da erzählte Abt Cralo die Geschicke seines Klosters. Diesmal, sprach er, ist uns die Gefahr schier über's Haupt ge- wachsen. Kaum ward von den Hunnen gesprochen, so tönte der Boden schon vom Hufe ihrer Rosse. Itzt galt's. Die Klosterschule hab' ich in die feste Verschanzung von Wasserburg geschickt, Aristoteles und Cicero werden eine Zeitlang Staub ansetzen, die Jungen mögen Fische im Bodensee fangen, wenn's nicht noch schärfere Arbeit gibt, die alten Professoren sind zu rechter Zeit mit ihnen über's Wasser. Wir aber hatten uns ein festes Castell als Unterschlupf hergerichtet; wo die Sitterbach durch tannbewaldet enges Thal schäumt, war ein trefflich Plätzlein, waldabgeschieden, als wenn keine heidnische Spürnase den Pfad jemals finden sollt', dort bauten wir ein festes Haus mit Thurm und Mauer und weihten es der heiligen Dreieinigkeit — mög' sie ihm fürder ihren Schutz leihen! Noch war's nicht unter Dach und Fach, da kamen schon die Boten vom See: flieht, die Hunnen sind da! und vom Rheinthal kamen andere: flieht! war die Losung, der Himmel roth von Brand und Wachtfeuer, die Luft erfüllt vom Wehgeschrei flüchtender Leute und Knarren enteilenden Fuhrwerks. Da zogen wir aus. Gold und Kleinodien, Sanct Gallus' und Sanct Othmar's Sarg und Gebein, der ganze Schatz ward noch sicher geborgen, die Bücher haben die Jungen nach der Wasserburg mitgenommen — aber an Essen und Trinken ward nicht viel gedacht, nur schmaler Mundvorrath war in die Waldburg geschafft; eiligst flohen wir dorthin. Erst unterwegs merkten die Brüder, daß wir Thieto den Blinden im Winkel der Alten vergessen, aber keiner ging mehr zurück, der Boden brannte unter den Füßen. So lagen wir etliche Tage still im tannversteckten Thurm, oftmals nächtlich sprangen wir zu den Waffen, als stünde der Feind vor dem Thor, aber es war nur der Sitter Rauschen oder des Windes Strich in den Tannenwipfeln. Einmal aber rief's mit heller Stimme um Einlaß. Verscheucht und todtmüd kam Burkard der Klosterschüler; aus Freundschaft zu Romeias dem Wächter am Thor war er zurückgeblieben, wir hatten deß nicht wahrgenommen. Er brachte schlimme Kunde; vom Schreck, den er erlebt, waren etliche Haare auf dem jungen Haupte übernacht grau geworden. Abt Cralo's Stimme wollte zittern. Er hielt an und trank einen Schluck Weines. Der Herr sei allen christgläubigen Abgestorbenen gnädig, fuhr er bewegt fort, sein Licht leuchte ihnen, er lasse sie ruhen in Frieden! Amen! sprachen die Tischgenossen. Wen meint Ihr? fragte die Herzogin. Praxedis war aufgestan- den, sie trat hinter ihrer Gebieterin Lehnstuhl, lauschend hing ihr Blick an des Erzählers Lippen. Erst wenn einer todt ist, merken die Zurückgebliebenen, was er werth war, sprach Cralo, und nahm den Faden wieder auf: Romeias, der trefflichste aller Wächter, war nicht mit uns ausgezogen. Will meinen Posten halten bis zum Schluß, hatte er gesagt; des Klosters Zugänge verschloß er, schaffte in sichern Versteck was wegzuschaffen war, und machte die Runde um die Mauern, Burkard der Kloster- schüler mit ihm; dann hielt er gewaffnet Wacht in seiner Thurmstube. Da kam der helle Haufe hunnischer Reiter vor die Mauern geritten, vorsichtig schwärmend; Romeias that die üblichen Hornstöße, dann sprang er nach der Ringmauer anderem Ende und stieß abermals in's Horn, als wär' Alles wohl gehütet und besetzt: jetzt ist's Zeit zum Abzug! sprach er zum Schüler. Einen alten welken Strauß hatte er an Eisenhut gesteckt, erzählte Burkard, da gingen die zwei zum blin- den Thieto hinüber, der wollte den Winkel der Alten nimmer ver- lassen, sie aber setzten ihn auf zwei Speere und trugen ihn fort — zum hinteren Pförtlein hinaus, das Schwarzathal aufwärts fliehend. Schon waren die Hunnen von den Rossen gestiegen und kletterten über die Mauern; wie sich Nichts regte schwärmten sie ein wie die Mücken auf den Honigtropfen, aber Romeias ging gelassenen Schrit- tes mit seiner greisen Bürde bergan. Niemand soll vom Kloster- wächter sagen, daß er struppigen Heidenhunden zu lieb einen Trab angeschlagen — so sprach er seinem jungen Freunde Muth zu. Aber bald waren ihm die Hunnen auf der Fährte, wild Geschrei erscholl durch die Thalschlucht, — wieder ein Stück weit, da pfiffen die ersten Pfeile. So kamen sie bis an den Felsen der Klausnerinnen. Dort aber staunte selbst Romeias. Als wär' nichts geschehen, tönte ihnen Wi- borad's dumpfes Psalmodiren entgegen. In himmlischer Erscheinung war ihr Noth und Tod geoffenbart worden, selbst der fromme Ge- wissensrath Waldramm vermochte ihren Sinn nicht zur Flucht zu wen- den. Meine Zelle ist das Schlachtfeld, wo ich gegen der Menschheit alten Feind gestritten, ein Streiter Gottes deckt's mit seinem Leibe, so sprach sie und verharrte in der Wildniß, als Alles entwich. Die Waldburg war nimmer zu erreichen, da suchte Romeias das abgelegenste Häuslein aus. Auf den Fels tretend ließ er den blinden Thieto sorglich durch's Dach hinab, er küßte den Greisen eh' er sich von ihm wandte — dann hieß er den Klosterschüler sich auf die Flucht machen: es könnt' mir was Menschliches zustoßen, sag' denen in der Waldburg, daß sie nach dem Blinden sehen. Vergeblich flehte Burkard zu ihm und citirte den Nisus und Euryalus, die auch vor der Ueber- macht volskischer Reiter in nächtiges Waldesdunkel geflohen. Ich müßt' zu schnell laufen, sprach Romeias, Erhitzung ist ungesund und schafft Brustschmerzen, ich muß ein Wörtlein mit den Söhnen des Teufels reden. Er ging an Wiborad's Zelle und klopfte an Laden: reich' mir die Hand, alter Drache, rief er hinein, wir wollen Friede machen! und Wiborad streckte ihm ihre verwelkte Rechte hinaus ... dann wälzte Romeias etliche Felsblöcke an des steilen Pfades Ausgang, so daß der Zutritt von der Schwarzaschlucht gesperrt war, nahm den Schild vom Rücken und richtete die Speere; mit wehendem Haupthaar stand er in der Umwallung und blies noch einmal auf dem großen Wächterhorn, erst zürnend und kampfschnaubend, dann weich und sänftlich, bis ein Pfeil in des Hornes Krümmung hineingellte. Ein Regen von Ge- schossen überdeckte ihn, und spickte seinen Schild, er schüttelte sie ab; da und dort klomm einer der Hunnen auf die Nagelfluhfelsen, ihm beizukommen, Romeias Speerwurf holte sie herunter, — der Angriff mehrte sich, wild toste der Kampf, aber unverzagt sang Wiborad ihren Psalm: Vertilge sie im Grimm, o Herr, vertilge sie, daß sie nicht mehr sind, damit man erkenne, daß Gott über Israel herrsche bis an die Grenzen der Erde, Sela ... Soweit hatte Burkard des Kampfes Verlauf mit angeschaut, dann wandte er sich zur Flucht. Da wurden wir in der Waldburg sehr betrübt, und schickten noch in der Nacht eine Schaar aus, nach dem blinden Thieto zu schauen. Es war still auf dem Hügel der Klausne- rinnen wie sie heranschlichen; der Mond leuchtete auf die Körper er- schlagener Hunnen, da fanden die Brüder ... Ein lautes Schluchzen unterbrach den Erzähler. Praxedis hielt sich mühsam an der Herzogin Lehnstuhl und weinte bitterlich. ... Da fanden sie, fuhr der Abt fort, des Romeias verstümmelten Leichnam; sein Haupt hatten die Feinde abgehauen und mitgeschleppt, er lag auf seinem Schild, den welken Strauß, seine Helmzier, krampf- haft geballt in der Rechten. Gott hab' ihn selig: weß Leib mit Treuen ein Ende nimmt, ein solcher dem Himmelreich geziemt! An Wiborads Laden klopften sie vergeblich, die Ziegel am Dach ihrer Klause waren zertrümmert, da stieg Einer auf's Dach und schaute hinab, vor dem kleinen Altar der Zelle lag die Klausnerin in ihrem Blut, drei Schwert- hiebe klafften auf dem Scheitel, der Herr hat sie gewürdigt, unter den Streichen der Heiden des Martyriums Krone zu erringen. Die Anwesenden schwiegen bewegt. Auch Frau Hadwig war gerührt. Ich hab' Euch der Seligen Schleier mitgebracht, sprach Cralo, geweiht vom Blut ihrer Wunden, Ihr mögt ihn in der Kapelle der Burg aufhängen. Nur Thieto der Blinde war unverletzt geblieben: unentdeckt vom Feind, schlummerte er in der Klause am Fels. Ich hab' geträumt, es sei ein ewiger Friede über die Welt gekommen, sprach er zu den Brüdern, wie sie ihn weckten. Aber im abgelegenen Sitterthal blieb's nimmer lang still; die Hunnen fanden den Weg zu uns: das war ein Schwärmen und Pfeifen und Grunzen, wie's der Tannwald noch nie gehört. Unsere Mauern waren fest und unser Muth stark, doch hungrige Männer werden des Belagertseins unlustig; vorgestern war unser Vorrath aufgezehrt, wie es dunkelte, sahen wir die Rauchsäule aufsteigen vom Brand un- seres Klosters; da brachen wir nächtlicher Weile durch den Feind, der Herr war mit uns und bahnte den Weg, unsere Schwerter halfen auch dazu: so sind wir zu Euch gekommen ... Der Abt neigte sich gegen Frau Hadwig — ... heimathlos und verwaist, wie Vögel, in deren Nest der Blitz geschlagen, und bringen Euch nichts mit, als die Kunde, daß der Hunne, den Gott vernichten möge, uns auf den Fersen nachfolgt ... Je eher er kommt, je besser! sprach der Reichenauer Abt trotzig und hob seinen Becher. Sieg den tapfern Waffen der Streiter Gottes! sprach die Herzogin und stieß mit ihnen an. Und Rache für den braven Romeias! sagte Praxedis leise mit Thränen im Aug', wie der dürre Fridinger sein Glas an das ihrige klingen ließ. Es war spät geworden. Wilder Gesang und Kriegslärm erschallte noch im untern Saal. Der junge Bruder, der von Mutina in Welschland nach der Reichenau gekommen war, hatte sein Wächterlied wieder angestimmt. Die Gelegenheit zu ernster That sollte nicht lange mehr auf sich warten lassen. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 11 Dreizehntes Kapitel . Heribald und seine Gäste. Auf der Insel Reichenau war's still und öde, nachdem des Klo- sters Insassen abgezogen. Der blödsinnige Heribald war Herr und Meister des Eilands. Er gefiel sich in seiner Einsamkeit. Stunden- lang saß er am Seeufer und warf flache Kieselsteine über die Wellen, daß sie drauf tanzten. Wenn sie gleich anfangs untersanken, schalt er sie. Mit den Hühnern im Hof pflog er manchen Zwiespruch; er füt- terte sie pünktlich: wenn ihr brav seid, sprach er einmal, und wenn die Brüder nicht heimkommen, so wird euch Heribald eine Predigt halten. Im Kloster trieb er allerhand Kurzweil — an einem Tag der Einsamkeit lassen sich gar mancherlei nützliche Gedanken aushecken — der Camerarius hatte ihn geärgert, daß er ihm sein Leder zum Schuh- werk geweigert, da ging Heribald auf des Camerarius Zelle, seinen großen steinernen Wasserkrug schlug er in Trümmer, die drei Blumen- töpfe deßgleichen und trennte den Strohsack auf des Camerarius Nacht- lager entzwei und füllte ihn mit den Scherben. Dann versuchte er, wie sich darauf liege: der harte Inhalt war scharf zu verspüren — da lächelte er zufrieden und ging in des Abt Wazmann Gemächer. Auch dem Abte war er gram, dieweil er ihm manche Züchtigung zu verdanken hatte, aber es war Alles wohl aufgeräumt und in Ver- schluß gethan, da blieb ihm nichts übrig als dem gepolsterten Lehn- stuhl einen Fuß abzuschlagen. Er fügte ihn wieder künstlich an, als wäre nichts geschehen: Das wird anmuthig mit ihm zusammenbrechen wenn er heimkommt und sich bequemlich niederlassen will. Den Leib sollst du züchtigen, sagt der heilige Benedict. Aber Heribald hat den Stuhlfuß nicht abgeschlagen, das haben die Hunnen gethan ... Gebet, Andacht und Psalmensingen verrichtete er wie des Ordens Regel gebot. Die sieben Tageszeiten hielt der Einsame ängstlich ein, als möcht' er gestraft werden ob deren Versäumniß, auch zur Vigilie stieg er nach Mitternacht hinunter in die Klosterkirche. Zur Zeit als seine Mitbrüder auf der Herzogsburg mit den Sanct Gallischen zechten, stand Heribald im Chor; unheimlich Grauen der Nacht lag über der Halle, düster flackerte die ewige Lampe: er aber stimmte unverdrossen und mit heller Stimme den Eingangsvers an: Herr, neige dich zu meinem Beistand! Herr, eile heran zu meiner Hilfe! und sang den dritten Psalm, den einst David gesungen, da er floh vor Absalon seinem Sohn. Wie er an die Stelle kam, wo der Uebung des Psallirens gemäß die Antiphonie ertönen sollte, hielt er nach alter Gewohnheit an und wartete des Gegengesangs, aber es blieb ruhig und stumm, da fuhr er mit der Hand nach der Stirn: Ja so, sprach der Blödsinnige, sie sind fort und Heribald ist allein ... Jetzt wollte er auch noch den vierundneunzigsten Psalm singen, wie es die Vorschrift nächtlichen Horadienstes erheischte, da erlosch die ewige Lampe, eine Fledermaus war drüber hingestreift. Draußen Regen und Sturm. Schwere Tropfen fielen auf das Dach der Kirche und schlugen an die Fenster, da ward's ihm unheimlich zu Muth: Heiliger Benedict, rief er, nimm ein gnädig Einsehen, daß Heribald nicht Schuld ist, wenn die Antiphonie ungesungen blieb. Er schritt in der Dunkel- heit aus dem Chor; ein schriller Wind pfiff durch ein Fensterlein der Crypta unter dem Hochaltar, ein heulender Ton kam herauf. Wie Heribald vorwärts ging faßte ein Luftzug sein Gewand: Bist du wie- der da, höllischer Versucher? rief er, muß wieder gefochten sein? Unverzagt schritt er zum Altar und faßte ein hölzern Kreuz, das der Abt nicht hatte wegnehmen lassen: Im Namen der Dreieinigkeit, komm heran, Larve des Satans, Heribald erwartet dich! Festen Muthes stand er an des Altares Stufen, der Wind heulte fort, der Teufel blieb aus ... Er hat noch genug vom letzten mal! sprach der Blöd- sinnige lächelnd. Vor Jahresfrist war ihm der böse Feind erschienen in Gestalt eines großen Hofhundes, und hatte ihn angebellt, aber Heribald hatte ihn bestanden mit einer Stange und ihm mit so tapfern Hieben zugesetzt, daß die Stange zerbrochen war .. Da rief Heribald noch eine Auslese beleidigender Reden nach der Richtung hin, wo der Luftzug stöhnte; wie sich aber nichts nahte, ihn anzufechten, stellte er das Kreuz wieder auf den Altar, beugte sein 11* Knie und ging, Kyrie eleison murmelnd, in seine Zelle zurück. Bis in helleu Morgen hinein schlief er dort den Schlaf des Gerechten. Die Sonne stund hoch am Himmel, da wandelte Heribald ver- gnüglich vor dem Kloster auf und nieder. Seit daß er sich von den Schulbänken weg der Vacanz hatte erfreuen mögen, war ihm wenig Gelegenheit zum Ausruhen mehr geworden. Ruhe ist der Seele größte Feindin! hatte Sanct Benedict gesagt und darum seinen Schülern streng vorgeschrieben, die Stunden des Tages, die nicht der Andacht galten, mit Arbeit der Hände auszufüllen. Heribald war keiner Kunst oder Handwerksgriffe kundig, darum hatten sie ihn zum Holzspalten und ähnlich nutzbringender Thätigkeit angehalten — jetzt aber schritt er, die Arme gekreuzt, an den aufgebeugten Scheitern vorüber und schaute lächelnd nach einem Klosterfenster hinauf: So komm doch her- unter, Vater Rudimann! rief er, und halte den Heribald zum Holz- hauen an! Du hast ja so trefflich Aufsicht gehalten über die Brüder, und den Heribald so oft einen unnützen Knecht Gottes gescholten, wenn er den Wolken nachschaute statt die Axt zu führen, warum thust du nicht was deines Amtes? Kein Echo gab dem Blödsinnigen Antwort; da zog er von den Scheitern der untersten einige heraus, rasselnd stürzte die hochgeschich- tete Beuge zusammen: fallet nur, fuhr er im Selbstgespräch fort, Heribald macht Feiertag heut und setzt nichts wieder auf. Der Abt ist durchgegangen, die Brüder sind durchgegangen, es geschieht ihnen Recht, wenn Alles zusammenstürzt. Nach solch' löblicher Verrichtung wandte sich Heribald zum Kloster- garten. Eine anderweite Erwägung beschäftigte seinen Geist: er ge- dachte ein paar liebliche Stöcke Salates zu seinem Mittagsmahl zu schneiden und sie feiner zuzubereiten, als in Anwesenheit des Pater Küchenmeister je geschehen wäre. Lockend malte er sich die Arbeit aus, wie er das Oelkrüglein sonder Schonung angreifen und der größten Zwiebeln einige mitleidslos zerschneiden wollte: da wirbelte drüben am weißsandigen Ufer eine Staubwolke auf, Gestalten von Roß und Reitern wurden sichtbar ... Seid ihr schon da? sprach der Mönch und schlug ein Kreuz, seine Lippen bewegten sich zu einem hastigen Gebete; aber bald lag die gewohnte Miene zufriedenen Lächelns wieder auf seinem Antlitz. Fremden Wanderern und Pilgersmännern soll am Thor des Gottes- hauses ein christlicher Bescheid ertheilt werden, murmelte er, — ich werde sie erwarten. Ein neuer Einfall flog itzt durch sein Gemüth; er fuhr mit der Hand über die Stirn: Bin ich nicht in der Klosterschule über den Geschichten des Alterthums gesessen und hab' gehört, wie die römischen Senatoren der senonischen Gallier Einbruch erwartet? Den Mantel umgeschlagen, den Elfenbeinscepter in der Faust saßen die Greise in ihren Stühlen, unbewegten Auges wie eherne Götzenbilder: der latei- nische Lehrer soll uns nicht umsonst vorgepredigt haben, das sei ein würdiger Empfang gewesen! Heribald kann's auch! .. Gelinder Blödsinn ist dann und wann eine neidenswerthe Mitgift für's Leben: was Andere schwarz schauen, scheint ihm blau oder grün, zickzackig ist sein Pfad, aber von den Schlangen, die im Gras lauern, merkt er nichts und über den Abgrund, in den der weise Mann regelrichtig hineinstürzt, stolpert er hinüber sonder Ahnung der Gefahr .. Ein curulischer Stuhl war zur Zeit im Kloster nicht vorhanden. Heribald schob einen mächtigen Eichstamm an die Pforte die in Hof führte. Zu was Zweck und Nutzen haben wir die weltliche Ge- schichte gelernt, so wir keinen guten Rath draus schöpfen? murmelte er, setzte sich gelassen auf seinen Block und wartete der Dinge die da kommen sollten. Drüben am nahen Seeufer hielt ein Trupp Reiter; die Zügel in Arm geschlungen, den Pfeil auf der Bogensehne waren sie spähend herangesprengt, der hunnischen Heerschaar Vortrab. Wie kein Hinter- halt aus dem weidenumbuschten Ufer vorbrach, hielten sie die Rosse eine Weile an zum Verschnaufen; der Pfeil ward in Köcher gelegt, der krumme Säbel mit den Zähnen gefaßt, die Sporen eingepreßt — so ging's in den See. Hurtig arbeiteten sich die Rosse durch die blauen Wogen, — itzt war der Vorderste am Land und sprang vom Gaul und schüttelte sich dreimal wie ein Pudel, der vom kühlen Bad zurück kommt; mit schneidigem Hurrahruf zogen sie in der schweigenden Reichenau ein. Wie in Stein gehauen saß Heribald und schaute unverzagt den seltsamen Gestalten entgegen. Nachdenken über vollendete menschliche Schönheit hatte ihm noch keine schlaflose Nacht verursacht, aber was jetzt auf ihn zukam, däuchte ihn so häßlich, daß er ein langgedehntes: Erbarme dich unser, o Herr! nach deiner Barmherzigkeit Größe! nicht zu unterdrücken vermochte. In den Sattel gebückt saßen die fremden Gäste, aus Thierfellen das Gewand, hager dürr und klein die Gestalt, viereckig der Schädel, das Haar steif struppig herabhängend; gelb glänzte das unfertige Gesicht als wär' es mit Talg gesalbt; — der Vordersten Einer hatte durch freiwilligen Einschnitt seinen aufgeworfenen Mund um ein Erkleckliches nach den Ohren hin verlängert; verdächtig schauten sie aus den kleinen tiefliegenden Augen in die Welt hinaus. Ebenso gut könnt' man statt eines Hunnen einen Lehmklumpen halb viereckig in den Händen formen, Etwas wie eine Nase d'ran aufstülpen und das Kinn einschlagen, dachte Heribald: da standen sie vor ihm. Er verstand ihre zischende Sprache nicht und lächelte ruhig als ging' ihn die ganze Bande nichts an. Sie starrten eine Zeit lang verwundert auf den närrischen Gesellen, wie die Männer kritischen Handwerks auf einen neuen Poeten, von dem ihnen noch nicht klar, in welchem Schubfach vorräthiger Urtheile sie ihn unterbringen sollen. Itzt erschaute Einer die kahlgeschorene Stelle auf Heribald's Haupt und deutete mit dem krummen Säbel d'rauf hin, sie erhoben ein grinsendes Gelächter, Einer griff nach Bogen und Pfeil und legte auf den Mönch an, da ging Heribald's Geduld aus, ein Anflug germa- nischen Stolzes gegenüber solchem Gesindel kam über ihn: bei der Tonsur des heiligen Benedict, rief er aufspringend, die Krone meines Hauptes soll kein Heidenhund lästern! er fiel dem Vordersten in die Zügel, riß ihm den krummen Säbel von der Seite, kampfbereit wollte er sich aufpflanzen ... aber schneller denn der Blitz hatte ihm der Hunnen Einer eine starke Schlinge über's Haupt geworfen und riß ihn nieder; sie stürzten über ihn her, knebelten seine Hände auf den Rücken: schon waren todtbringende Waffen geschwungen — da hub sich ein fernes Gesumm und Getöse wie von einer mächtig heranrückenden Schaar, das zog die Reiter von dem Blödsinnigen ab, sie warfen ihn als wie einen Sack gebunden zu seinem Eichstamm und jagten im Galopp zum Seeufer zurück. Der ganze Troß des hunnischen Heerhaufens war drüben angelangt; die vom Vortrab gaben durch gellend Pfeifen ein Zeichen hinüber, daß Alles sicher; sie erspähten an der Insel schilfbewachsenem Ende eine Furth, schier trocknen Fußes zu durchreiten, den Pfad wiesen sie ihren Gesellen. Itzt kam's herüber gebraust wie das wilde Heer, viel hundert Reitersmänner. An Augsburg's Wällen und des Bischofs Gebet waren ihre vereinten Waffen zerstiebt, itzt durchzogen sie hordenweis das Land. An Gestalt, Antlitz und Art zu Pferd zu sitzen, glich Einer dem Andern — bei rohen Nationen sind die Gesichtszüge Aller wie aus einem Guß, da es der Einzelnen Beruf, in der Masse aufzugehen, nicht von ihr sich abzuheben. Da glänzten zwischen den Obstbäumen und Gartenfeldern der Insel, wo sonst der Mönch Brevier betend gewandelt, zum erstenmal des Hunnenheeres fremde Waffen, schlangengleich wand sich der reisige Zug über den schmalen Pfad vom Festland herüber, ein wildes Klingen wie Cymbalschlag und Geigenton zog mit ihnen, es klang schrill und scharf wie Essig, denn der Hunnen Ohr war groß aber nicht fein- fühlig, und zur Musika wurden nur die verwendet, die des Reiter- diensts untüchtig. Hoch über dem Heerhaufen wallte die Fahne mit der grünen Katze im rothen Feld, bei ihr ritten etliche der Anführer, Ellak's und Hor- nebog's hervorragende Gestalten. Ellak mit scharfer unhunnischer Nase, eine Circassierin war seine Mutter gewesen, ihr dankte er das blasse, schier denkerartige Antlitz und den durchbohrenden Blick; er war der leitende Verstand des Hau- fens; daß die alte Welt umgepflügt werden müsse mit Feuer und Schwert, und daß es besser Pflüger, als Dung zu sein, seine Lebens- überzeugung. Hornebog schmal und schmächtig, das schwarze Haupt- haar auf beiden Seiten des Angesichts zu zwei großen einsamen Locken zusammengedreht, drüber einen glänzenden Helm mit weithin starrenden Adlerflügeln, hunnischer Reiterskunst ein Vorbild; ihm war der Sattel Heimath, Zelt und Pallast, er schoß den Vogel im Flug und trennte mit krummem Säbel ein Haupt vom Rumpf im Vorbeisprengen. Im Halfter wiegte sich ruhig die sechsfältige geknutete Peitsche, ein sinnig Symbol befehlshabender Gewalt. Ueber der Rosse Rücken hatten die Hauptmänner köstlich gewirkte Decken hangen, auch Meßgewänder, ein lebendig Zeugniß, daß sie schon anderwärts Klosterbesuch abgestattet. In etlichen Wägen wurde die Kriegsbeute mit geführt; großer Troß schloß den Zug. Auf maulthiergezogenem Gefährt bei den kupfernen Feldkesseln und anderweitem Küchengeräth saß ein alt runzlig Weib. Sie hielt die Hand über die Augen und schaute gegen die Sonne, dort ragten die Bergkegel des Hegau herüber, sie kannte ihre Kuppen ... das Weib war die Waldfrau. Ausgetrieben von Ekkehard war sie in die Fremde gezogen, Rache der Gedanke, mit dem sie des Morgens vom Schlafe erwachte und des Abends sich niederlegte, so kam sie unstät wandernd vor Augsburg, am Fuß des Berges, drauf einst die Schwabengöttin Zisa ihren Holztempel gehabt, brannten der Hun- nen Lagerfeuer: sie fand sich zu ihnen. Auf stattlichem Rappen ritt bei der Waldfrau ein Mägdlein, kurz aufgeschürzt, in kecker Fülle gesunden Reiterlebens, unter stumpfem Näslein ein verführerisch Lippenpaar, die Augen funkelnd, das Haar zu einer wallenden Flechte geschlungen, die von rothem Band durch- woben in der Luft flatterte, wie Wimpel eines Meerschiffs. Ueber das lose Mieder hing Bogen und Köcher, so tummelte sie ihr Thier, eine hunnische Artemis. Das war Erica das Heideblümlein, sie war nicht hunnischen Stammes, in den Steppen Pannoniens hatten die Reiter sie als ein verlassen Kind aufgelesen, und sie war mitgezogen und groß geworden ohne zu wissen warum: wen sie gern hatte den streichelte sie, wer ihr mißfiel den biß sie in Arm. Botund der alte Hunnenwachtmeister hatte sie geliebt, Irkund der junge schlug den Botund wegen des Heideblümleins tod, aber wie Irkund sich ihrer Liebe erfreuen wollt', kam Zobolsu und that ihm mit spitzer Lanze denselben Dienst, den Irkund dem Botund ohne sein Ansuchen erwiesen — so waren Erica's Schicksale mannigfalt, neue Wege, neue Länder, neue Liebe, aber sie war dem Reitertrupp zugewachsen, als wär' sie sein guter Geist und stund in abergläubischer Verehrung — so lang die Heideblume bei uns blüht, besiegen wir die Welt, sprachen die Hunnen, vorwärts! Bei der Klosterpforte lag indeß Heribald der Geknebelte. Seine Betrachtungen waren traurig, eine große Stechfliege summte um sein Haupt, mit auf den Rücken gebundenen Händen vermochte er nicht ihr zu wehren: Heribald hat sich würdig betragen, dachte er, wie ein alter Römer ist er da gesessen, den Feind zu empfangen, jetzt liegt er geknebelt auf dem Pflaster und die Fliege sitzt ungescheut auf seiner Nase: das ist der Lohn für das Würdige! Heribald wird zeitlebens nimmer würdig sein! Unter Stachelschweinen ist Würde ein gar über- flüssig Ding! Wie ein Waldbach bei gehobener Schleuße wälzte sich jetzt der Hunnenzug in den Klosterhof. Da ward's dem guten Heribald nimmer ganz geheuer: O Came- rarius, fuhr er in seinen Betrachtungen fort — und weigerst du mir das nächstemal außer dem Schuhleder auch noch Hemd und Kutte, so flieh' ich doch, ein nackter Mann, von dannen. Die vom Vortrab traten zu Ellak und meldeten, wie sie den ein- samen Mönch getroffen. Er winkte ihn beizubringen, da lösten sie ihm den Strick, stellten ihn aufrecht in den Hof, und deuteten durch Faustschläge die Richtung nach dem Anführer. Langsam schritt der Unglückliche vorwärts, er stieß ein unwillig Murren aus. Ein unsäglich spöttischer Zug flog über des Hunnenführers Lippen, wie er vor ihm stand; lässig ließ er die Zügel über des Rosses Hals hangen und wandte sich rückwärts: Schau' doch wie ein Vertreter deutscher Kunst und Wissenschaft aussieht! rief er zu Erica hinüber. — Auf mehrfachen Raubzügen hatte Ellak nothdürftig des deutschen Landes Sprache erlernt. Wo sind die Bewohner der Insel? fragte er gebieterisch. Heribald deutete nach dem fernen Hegau. Gewaffnet? fragte Ellak weiter. Die Diener Gottes sind stets gewaffnet, der Herr ist ihnen Schild und Schwert. Gut gesagt! lachte der Hunne: Warum bist du zurückgeblieben? Heribald ward verlegen. Den wahren Grund von wegen seiner zerrissenen Schuhe anzugeben, gestattete ihm sein Ehrgefühl nicht. Heribald ist fürwitzig, sprach er, Heribald wollte schauen, wie die Söhne der Teufel aussehen .. Ellak theilte seinen Gefährten des Mönchs höfliche Worte mit. Ein wiehernd Gelächter erscholl. Ihr braucht nicht zu lachen, rief Heribald verdrießlich, wir wissen recht wohl, wer ihr seid, der Abt Wazmann hat's uns gesagt. Ich werd' dich todt schlagen lassen, sprach Ellak gleichgültig. Das wird mir recht geschehen! sprach Heribald, warum bin ich nicht durchgegangen! Ellak musterte den störrischen Gesellen mit prüfendem Blick, da fiel ihm ein anderer Gedanke bei. Er winkte dem Bannerträger, daß er näher trete. Der kam und schwang die Fahne mit der grünen Katze. Die war einst dem Hunnenkönig Etzel in seiner Jugend er- schienen: träumerisch saß er in seines Oheim Rugilas Zelt, er war schwermüthig und überlegte sich, ob er nicht ein Christ werden und Gott und der Wissenschaft dienen solle, da kam die Katze. Unter Rugilas Kleinodien hatte sie den goldenen Reichsapfel vorgeholt, ein Beutestück von Byzanz, sie hielt ihn in den Krallen und spielte damit und rollte ihn hin und her. Und eine Stimme sprach in Etzel: du sollst kein Mönch werden, du sollst mit der Erdkugel dein Spiel treiben wie dieses Thier! und er merkte, daß ihm der Hunnengott Kutka erschienen war, ging hin, schwang sein Schwert nach den vier Welt- theilen, ließ seine Fingernägel wachsen und wurde, was er werden sollte, Attila, König der Hunnen, die Geisel Gottes!.. Knie nieder, elender Mönch, rief Ellak vom Roß herunter, der hier gemalt steht auf dem Banner, den sollst du anbeten. Aber festgewurzelt stand Heribald. Ich kenne ihn nicht, sprach er mit dumpfem Lachen. Der Hunnen Gott! rief der Anführer zürnend. Auf die Knie, Kuttenträger! oder ... er deutete auf sein krummes Schwert. Heribald lachte abermals und fuhr mit dem Zeigefinger nach der Stirn: Da kennt Ihr Heribald schlecht, sagte er, wenn Ihr glaubt, daß er sich das aufbinden lasse. Es steht geschrieben: als Gott Him- mel und Erde erschaffen und Finsterniß über den Abgründen lag, da sprach er: es werde Licht! Wenn Gott eine Katze wäre, hätt' er nicht gesagt: es werde Licht. Heribald kniet nicht!... Ein hunnischer Reiter trat unbemerkt bei, zupfte den Mönch am Gewand und raunte ihm leise, aber auf gut schwäbisch in's Ohr: Landsmann, ich thät' knieen an deiner Stell', es sind gar lebensgefährliche Leut. Der Warner hieß eigentlich Snewelin und war von Ellwangen im Rießgau, seiner Geburt nach ein fester Schwabe, aber im Lauf der Zeiten ein Hunne geworden und stand sich ganz gut dabei. Und er sprach's mit etwas windigem Ton in der Stimme, denn es fehlten ihm vier Vorderzähne und auch der Backenzähne etliche, und das war eigentlich die Ursache, daß er unter den Hunnen zu finden. In jungen Tagen nämlich, da er noch als friedlicher Fuhrmann des heimathlichen Salvatorklösterleins sein Dasein fristete, war er mit einer Ladung schillernden Neckar- weines unter guter Bedeckung und kaiserlichem Schutz nordwärts geschickt worden, auf den großen Markt zu Magdeburg. Dorthin kamen die Priester der heidnischen Pommern und Wenden, ihren Opferwein zu kaufen, und er machte ein gut Geschäft, da er seine Ladung an den weißbärtigen Oberpriester des dreiköpfigen Gottes Triglaff für den großen Tempel bei Stettin losschlug. Aber dann blieb er mit dem weißbärtigen Heiden bei der Weinprobe sitzen, und dem schmeckte der schwäbische Nectar, und er kam in die Begeisterung und hub an, ihm die Herrlichkeit seiner Heimath zu preisen, und sagte bei ihnen zwischen Spree und Oder fange eigentlich die Welt erst an, und wollte ihn bekehren zum Dienste Triglaff des Dreiköpfigen und des schwarzweißen Sonnengottes Radegast und der Radomysl, der Göttin der lieblichen Gedanken — da ward's dem Mann von Ellwangen zu bunt: Ihr seid ja ein scheußlicher wendischer Windmüller! rief er, und warf den Zechtisch um und fuhr an ihn, gleichwie der junge Recke Siegfried, da er den langbärtigen wilden Gezwerg Alberich anlief, und ward hand- gemein mit ihm und riß ihm mit starkem Ruck seines Graubarts Hälfte aus. Jener aber rief Triglaff den Dreiköpfigen an und schlug ihm mit eisenbeschlagenem Opferstab einen Streich auf die Kinnlade, der die Zier seiner Zähne für immer zerstörte. Und ehe der zahnlose schwäbische Fuhrmann sich wieder erholte, war sein weißbärtiger Wider- sacher von dannen gefahren, und er konnte sich nimmer an ihm rächen; aber wie er zu Magdeburgs Thor hinausging, ballte er seine Faust nordwärts und sprach: Wir kommen auch wieder zusammen! In der Heimath lachten sie ihn wegen seiner Zahnlücke noch gröblich aus, da ging er im hellen Verdruß unter die Hunnen, und gedachte, wenn die einmal gen Norden ritten, mit dem dreiköpfigen Triglaff und Allem was ihm diente, eine furchtbare Rechnung abzumachen ... Heribald hörte nicht auf den seltsamen Reitersmann. Die Wald- frau war von ihrem Wagen heruntergesprungen und trat vor Ellak; grinsend schaute sie nach dem Mönch: Ich hab' nach den Sternen ge- schaut, rief sie, von kahlgeschorenen Männern droht uns Unheil. Ihr sollt zur Abwendung diesen Elenden an des Klosters Pforte aufhän- gen lassen, mit dem Gesicht nach dem Gebirg gewendet! Knüpft ihn auf! riefen Viele im Haufen, die der Waldfrau Ge- berden verstanden. Ellak hatte sich wieder zu Erica hinüber gewendet: Dies Unge- heuer hat auch Grundsätze, sprach er höhnisch; es gilt seinen Tod und er weigert das Knie zu beugen. Lassen wir ihn aufknüpfen, Blume der Heide? Heribald's Leben hing an schwachen Fäden. Er sah rings die un- heimlichen Gesichter, sein blöder Muth begann zu schwinden, das Weinen stand ihm nah, aber ein richtiger Zug liegt auch im Thörigsten zur Stunde der Gefahr — wie ein Stern glänzte ihm der Heideblume rothwangig Antlitz herüber, da sprang er mit angstvollen Schritten durch's Getümmel zu Erica. Vor ihr kam's ihm nicht schwer zu knien, ihr Liebreiz schuf ihm Vertrauen, mit ausgestreckten Armen flehte er um Schutz. Seht, seht, rief die Heideblume, der Mann der Insel ist nicht so thörig als er ausschaut. Er kniet lieber vor Erica als vor der grünrothen Fahne. Sie sah gnädig auf den Mitleidswerthen, sprang vom Roß, und streichelte ihn wie ein halbwild Thier. Fürcht' dich nicht, sprach sie, du sollst am Leben bleiben, alter Schwarzrock! und Heribald las aus ihren Augen, daß ihre Versicherung ernst war. Er deutete nach der Waldfrau, die ihm am Meisten bang gemacht; Erica schüttelte das Haupt: Die darf dir nichts thun! Da sprang Heribald wohlgemuth an die Mauer, Frührosen blüthen dort und Flieder, schnell riß er etlich Gezweig ab und reichte es der hunnischen Maid. Schal- lender Jubel hob sich im Klosterhof: der Heideblume Heil! riefen sie und klirrten mit den Waffen. Schrei mit! raunte der Mann von Ellwangen dem Geretteten zu — itzt hub auch Heribald seine Stimme und rief ein heiseres Heil! Thränen standen ihm im Aug'. Die Hunnen sattelten ab. Wie die Meute der Hunde am Abend der Jagd des Augenblicks harrt, wo der ausgeweidete Hirsch ihnen als Beute vorgeworfen wird, hier zerrt Einer am haltenden Strick, dort bellt ein Anderer laut vor Ungeduld: so standen sie vor dem Kloster. Jetzt gab Ellak das Zeichen, daß die Plünderung beginnen möge. In wildem Ungestüm stürmten sie durcheinand, die Gänge entlang, die Stufen hinauf, in die Kirche hinein. Verworren Geschrei erscholl von vermeintlichem Fund und getäuschter Hoffnung; die Zellen der Brüder wurden durchsucht, nur spärlicher Haushalt war drinnen. Zeig' uns die Schatzkammer! sprachen sie zu Heribald. Der that's gern, er wußte, daß das Kostbarste geflüchtet war. Nur versilberte Leuchter und der große Smaragd von Glasfluß waren noch vorhanden. Schlecht Kloster! rief Einer, Bettelvolk! und trat mit gewappnetem Fuß auf den unechten Edelstein, daß ein mächtiger Sprung hinein- klirrte. Den Heribald lohnten sie mit Faustschlägen, daß er betrübt hinweg schlich. Im Kreuzgang kam ihm der Hunne Snewelin entgegen: Lands- mann, rief er, ich bin ein alter Weinfuhrmann, sagt an, wo ist Euer Keller? Heribald führte ihn hinab, vergnüglich lachte er, da er den Haupteingang vermauert sah, und nickte dem frisch aufgetragenen Kalk vertraulich zu, als wisse er sein Geheimniß. Der Mann von Ellwan- gen prüfte nicht lang, er schnitt die Siegel von dem einen Faß, stach den Hahnen drein und schöpfte seinen Helm voll. Es war ein langer, langer Zug, den er that. O Hahnenkamm und Heidenheim! sprach er, sich schüttelnd wie ein Fieberkranker, von wegen dem Getränk hätt' ich nicht unter die Hunnen zu gehen brauchen! — Er hieß die Gefährten die Fässer hinaufschleppen, aber besorgt trat Heribald vor und zupfte einen der Plünderer am Gewand: Erlaube, guter Mann, sprach er mit wehmüthigem Ausdruck, was soll ich denn trinken, wenn Ihr wie- der abgezogen seid?! Lachend erklärte Snewelin des Mönchs Besorgniß den Andern. Der Narr muß auch was haben! sprachen sie und legten ihm das kleinste von den drei Fässern unangetastet zurück; er aber ward ge- rührt ob solcher Rücksicht und schüttelte ihnen die Hände. Droben im Hofe hub sich ein wilder Lärm; etliche hatten die Kirche durchsucht, auch eine Grabplatte aufgehoben, da schaute ein verwitterter Schädel aus dunkler Kutte zu ihnen empor: das schreckte selbst die Hunnen zurück. Zwei von den Gesellen stiegen auf den Kirchthurm, dessen Spitze nach herkömmlichem Brauch ein vergoldeter Wetterhahn zierte. Mochten sie ihn für den Schutzgott des Klosters oder für äch- tes Gold halten: sie kletterten auf das Thurmdach, verwegen saßen die zwei Gestalten oben und stachen mit ihren Lanzen nach dem Hahn ... da faßte sie plötzlicher Schwindel, den gehobenen Arm ließ Einer sinken — ein Schwanken — ein Schrei, er stürzte herab, der Andre ihm nach, gebrochenen Genickes lagen sie im Klosterhof. Schlimm Vorzeichen! sprach Ellak für sich. Die Hunnen schrieen auf; doch nach wenig Augenblicken war der Unfall wieder vergessen, das Schwert hatte schon so Manchen von seiner Genossen Seite ge- rafft, was war an zwei mehr oder weniger gelegen? Sie trugen die Leichname in Klostergarten. Aus den Holzstäm- men, die Heribald in der Frühe umgeworfen, ward ein Scheiterhaufe geschichtet; aus des Klosters Bücherei waren die übrig gebliebenen Codices in Hof heruntergeworfen worden, die brachten sie als nütz- lichen Brandstoff herbei und füllten damit die Lücken am Holzstoße. Ellak und Hornebog schritten durch die Reihen. Eingeklemmt zwischen den Scheitern, schaute eine sauber geschriebene Handschrift be- trüblich herfür, die goldenen Initialen glänzten an den umgeknickten Blättern. Da zog Hornebog sein krummes Schwert und stach das Pergament heraus: auf der Spitze der Klinge hielt er's seinen Ge- fährten entgegen. Zu was die Hacken und Hühnerfüße, Herr Bruder? sprach er. Ellak nahm das gespießte Buch und blätterte drin: er war auch des Lateinischen kundig. Abendländische Weisheit! sprach er. Einer Namens Bo ë thius hat's geschrieben; es stehen schöne Sachen drin vom Trost der Philosophie. Philo — sophie, Herr Bruder, sprach Hornebog, was ist das für ein Trost? Ein schönes Weib ist's nicht, auch kein gebranntes Wasser, war Ellak's Antwort. Es ist auf hunnisch schwer zu beschreiben ... wenn Einer nicht weiß, warum er auf der Welt ist, und sich auf den Kopf stellt, um's zu erfahren, das ist ungefähr, was die im Abendland Philosophie heißen. Den, der sich damit getröstet in seinem Wasser- thurm zu Pavia, haben sie deßwegen doch dereinst mit Keulen todt geschlagen .. Mög's ihm wohl bekommen, sprach Hornebog. Wer den Säbel in der Faust und das Roß zwischen den Schenkeln hat, weiß auch warum er auf der Welt ist. Und wenn wir's nicht besser wüßten, wie diejenigen, die solche Hacken auf Eselshaut klexen, so wären sie an der Donau uns auf den Fersen und wir tränkten unsere Rosse nicht aus dem schwäbischen Meer. Wißt Ihr auch, daß es ein Glück ist, daß solches Zeug angefertigt wird? fuhr Ellak fort und warf den Bo ë thius auf den Scheiter- haufen zurück. Warum? fragte Hornebog. Weil die Hand, die die Rohrfeder führt, nimmer taugt einen Schwerthieb zu thun, der in's Fleisch geht, und ist der Unsinn, den der einzelne Kopf ausheckt, einmal gebucht, so verbrennen sich noch hundert Andere das Hirn dran. Hundert Strohköpfe mehr, macht hundert Reiter weniger: das ist dann unser Vortheil, wenn wir über die Grenze brechen. So lang sie im Abendland Bücher schreiben und Synoden halten, mögen meine Kinder ruhig ihr Zeltlager vorwärts rücken! so hat's schon der große Etzel seinen Enkeln hinterlassen. Gelobt sei der große Etzel! sprach Hornebog ehrerbietig. Da rief eine Stimme: Lasset die Todten ruhen! Tändelnden Schrittes kam Erica zu den Beiden. Sie hatte die Klosterbeute ge- mustert, eine Altardecke aus rothem Seidenzeug fand Gnade vor ih- ren Augen, sie trug sie wie einen Mantel umgeschlagen, die Enden leicht über die Schulter geworfen. Wie gefall' ich euch? sprach sie und wandte ihr Haupt selbst- gefällig. Die Heideblume braucht keinen Schmuck schwäbischer Götzendiener, um zu gefallen, sprach Ellak finster. Da sprang sie an ihm hinauf, streichelte sein straffes schwarzes Haar und rief: Vorwärts, das Mahl ist gerichtet! Sie schritten zum Hofe. Den ganzen Heuvorrath des Klosters hatten die Hunnen umhergestreut und lagerten drauf, des Mahles ge- wärtig. Mit gekreuzten Armen stand Heribald und schaute zu ihnen nieder: Die Teufelsbrut kann nicht einmal sitzen, wie's einem Christen- menschen ziemt, wenn er sein täglich Brod verzehrt, — so dachte er, doch sprach er's nicht aus. Erfahrung häufiger Schläge lehrt Schweig- samkeit. Leg' dich nieder, Schwarzrock, du darfst mitessen, rief Erica und machte ihm ein Zeichen daß er der Andern Beispiel folge. Er schaute nach dem Mann von Ellwangen, der lag mit verschränkten Beinen, als hätt' er's nie anders gelernt — da machte Heribald einen Versuch, aber bald stund er wieder auf, das Liegen däuchte ihm allzu unwürdig. Er holte sich im Kloster einen Stuhl und setzte sich zu ihnen. Ein Ochse war am Spieß gebraten. Was sonst der Klosterküche Vorrath bot ward gereicht; sie fielen hungrig drüber her. Mit kurzem Säbel ward das Fleisch herunter gehauen, die Finger der Hand ver- traten bei den Schmausenden die Stelle von Messer und Gabel. Auf- recht stund das große Weinfaß im Hofe, ein Jeder schöpfte draus so viel ihm beliebte, da und dort kam ein kunstgeformter Kelch als Trinkgefäß zum Vorschein. Auch dem Heribald brachten sie Weines die Hülle und Fülle, wie er aber stillvergnügt dran nippte, flog ihm ein halb genagter Knochen an Kopf — er schaute schmerzlich auf, aber er schaute, daß noch Manchen der Schmausenden ein gleiches Schicksal ereilte; sich mit den Knochen werfen, war hunnischer Brauch an Statt eines Nachtisches. Weinwarm begannen sie drauf ein ungefüges Singen. Zwei der jüngern Reitersmänner trugen ein altes Lied zum Preis des König Etzel vor; es hieß drin, daß er nicht nur mit dem Schwerte, sondern auch durch Liebreiz ein Sieger gewesen allenthalb und kam eine höh- nische Strophe über eines römischen Kaisers Schwester, die ihm Hand und Herz aus verliebter Ferne entgegentrug, ohne daß er's annahm. Wie Eulenschrei und Unkenruf klang der Chorus; dann traten Etliche auf Heribald zu und machten ihm deutlich, daß auch von ihm ein Gesang verlangt werde. Er wollte sich weigern, es half nichts. Da stimmte er ernst und mit schier weinender Stimme den Antiphon zu Ehren des heiligen Kreuzes an, der da beginnt: sanctifica nos! Staunend horchten die Trunkenen den langen ganzen Tönen des alten Kirchensangs, wie eine Stimme aus der Wüste klang die fremde Weise. Zürnend hörte es auch die Waldfrau beim kupfernen Kessel, mit ihrem Messer schlich sie herüber, faßte Heribald's Haupthaar und wollte ihm das Gelock verschneiden — der höchste Schimpf der eines Geistlichen durch die Tonsur geweihtem Haupte widerfahren konnte. Aber Heribald stieß sie zurück und sang unverdrossen weiter: das gefiel den Versammelten, sie jauchzten auf, Zimbal und Geige fielen ein, itzt kam Erica auf den Mönch zu, der einförmige Sang war ihr langweilig geworden, mit schalkhaftem Mitleid faßte sie ihn, nach Sang kommt Tanz, rief sie und riß ihn in den Wirbel betäubenden Reigentanzes. Heribald wußte nicht, wie ihm geschah. Der Hei- deblume Busen wogte ihm entgegen: „ob Heribald tanzt oder nicht, es ist nur ein kleiner Ring in der großen Kette des Gräuls“ — da schwang er seine sandalenschweren Füße wacker mit, die Kutte wir- belte um ihn her, fest und fester preßte er die hunnische Maid, wer weiß was noch geschehen wäre ... mit gerötheten Wangen hielt sie endlich an, gab dem Blödsinnigen einen leichten Schlag in's Antlitz und sprang zu den Heerführern, die ernst in den tobenden Schwarm schauten. Der Jubel ging zu Ende, der Wein war verraucht, da gebot Ellak die Todten zu verbrennen. In eines Augenblicks Schnelle saß der Schwarm zu Rosse, in Reih und Glied ritten sie zum Scheiter- haufen. Vom Aeltesten der Hunnen wurden der Todten Pferde er- stochen und zu ihrer Herren Leichen gelegt; einen schauerlichen Weihe- spruch rief der greise Hunn' über die Versammelten, dann schwang er den Feuerbrand und entzündete den Holzstoß — Bo ë thius' Trost der Philosophie, Tannenscheiter, Handschriften und Leichname wetteiferten in prasselndem Aufflammen, eine mächtige Rauchsäule stieg gegen Himmel. Mit Ringkampf, Waffenspiel und Wettrennen ward der Todten Gedächtniß gefeiert. Die Sonne neigte sich zum Untergehen. Die Hunnenschaar verblieb die Nacht im Kloster. — — Es war am Donnerstag vor Ostern, als dies auf der Insel Reichenau sich zutrug. Die Kunde vom Ueberfall kam schnell in die Fischerhütten um Radolf's Zelle. Wie Moengal der Leutpriester den Frühgottesdienst hielt, zählte er seiner andächtigen Zuhörer noch sechs in der Kirche, des Nachmittags waren's drei, ihn mit eingerechnet. Zürnend saß er in der Wohnstube, drin er einst Ekkehard freund- lich bewirthet. Da stieg die Rauchwolke vom hunnischen Todtenbrand auf, er trat an's Fenster ... Es qualmte als wenn das ganze Klo- ster in Flammen stünde, brandiger Geruch kam über den See. Hi- hahoi!! rief Moengal, iam proximus ardet Ucalegon! schon D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 12 brennt es beim Nachbar Ucalegon! So muß auch ich mein Haus be- stellen. Heraus itzt, alte Cambutta!! Die Cambutta war keine dienende Magd, sondern ein nach irischer Weise zugeschnittener Keulenstock, Moengals liebstes Handgewaffen. Er verpackte Meßkelch und Ciborium in die rehfellene Jagdtasche; weiter war an Gold und Geld nichts vorräthig. Dann versammelte er seine Jagdhunde, den zur Reiherbeize geübten Habicht und die zwei Falken; was seine Vorrathkammer an Fleisch und Fischen bot, warf er ihnen vor: Freßt euch satt, Kinder! daß nichts für die gottver- fluchten Landplagen übrig bleibt! Das Faß im Keller schlug er entzwei, daß der funkelnde Wein herausströmte: nicht einen Tropfen Seeweins sollen die Teufel in Moengal's Pfarrhaus zu schlucken bekommen! Nur den Essig im Krug ließ er unversehrt stehen. Ueber die krystallhelle Butter in der Holztonne schüttete er eine Schicht Asche. Angelhacken und Jagdgeräth vergrub er, dann schlug er die Fenster ein und streute die spitzen Glasscherben sorglich durch die Gemächer, andere steckte er zwischen die Spalten der Dielen, — die Spitze nach oben — Alles den Hunnen zu Ehren. Habicht und Falken ließ er hinausfliegen: Lebt wohl, rief er, und haltet euch gut in der Nähe, bald gibt's todte Heiden zu benagen! So war das Haus bestellt. Die Tasche umgeworfen, eine lederne hibernische Feldflasche drüber, zwei Spieße in der Faust, die Keule Cambutta auf den Rücken geschnallt: so schritt Moengal der Alte aus seinem langjährigen Pfarrsitz, ein rechtschaffener Streiter des Herrn. Ein Stück Weges hatte er zurückgelegt: der Himmel war verdüstert von Brand und Rauch. Halt an! sprach er, ich hab' Etwas vergessen! Er ging wieder zurück: Einen Gruß zum Empfang ist das gelb- gesichtige Gesindel doch werth! Ein Stück Röthel zog er aus seiner Tasche und schrieb damit in irischer Schrift ein paar Worte auf die graue Sandsteinplatte über dem Portal des Pfarrhofs. Gewitterregen hat sie später verwaschen und Niemand hat sie entziffert, aber sicher war's ein inhaltschwerer Spruch, den Moengal der Alte in irischen Runen zurückließ. — Er schlug einen scharfen Schritt an und wandte sich dem hohen Twiel zu. Vierzehntes Kapitel . Die Hunnenschlacht. Charfreitagmorgen war angebrochen. Des Erlösers Todestag ward heute auf dem hohen Twiel nicht in der stillen Weise begangen, wie es der Kirche Vorschrift heischte. Des alten Moengal Ankunft hatte alle Zweifel gelöst, ob der Feind herannahe; noch in später Nacht hatten sie Kriegsrath gehalten und waren eins geworden, den Hunnen entgegen zu rücken und sie in offenem Feldstreit zu bestehen. Trüb ging die Sonne auf, bald war sie wieder verhüllt. Sturm- wind zog über's Land und jagte das Gewölk, daß es sich über den fernen Bodensee niedersenkte, als wenn Wasser und Luft eins werden wollten. Dann und wann schlug ein Sonnenstrahl durch; es war des Frühlings noch unentschiedener Kampf mit des Winters Gewalten. Die Männer hatten sich vom Lager erhoben und rüsteten zu des ernsten Tages Arbeit. In seiner Thurmstube ging Ekkehard schweigsam auf und nieder, die Hände zum Gebet gefaltet. Ein ehrenvoller Auftrag war ihm geworden. Er sollte zum versammelten Kriegsvolke die Predigt hal- ten, bevor man auszöge zum Streit: da betete er um Stärke und muthigen Flug der Gedanken, daß sein Wort werde zum glühenden Funken, der in Aller Herz die Flamme der Streitlust entfache. Plötzlich that sich die Thüre seines Gemaches auf. Herein trat die Herzogin ohne Praxedis' Begleitung; einen faltigen Mantel hatte sie über das Morgengewand umgeworfen, als Schutz gegen die Kühle der Frühstunde, vielleicht auch daß sie den fremden Gästen unerkannt sein wollte, wie sie zum Thurme schritt. Ein leicht Erröthen über- flog sie, wie sie allein ihrem jungen Lehrer gegenüber stand. Ihr zieht heute mit in den Kampf? fragte sie. Ich ziehe mit, sprach Ekkehard. 12* Ich würd' Euch verachten, müßt' ich eine andere Antwort hören, sprach die hohe Frau, — und Ihr habt wohl vorausgesehen, daß es nicht nothwendig, Urlaub von mir zu solchem Gang zu erbitten. Auch an's Abschiednehmen denkt Ihr nicht? fuhr sie mit leis vorwurfs- vollem Ton fort. Ekkehard stand verlegen. Es ziehen fürnehmere und bessere Män- ner heute aus Eurer Burg, sagte er; die Aebte und die Edeln wer- den um Euch sein, wie konnt' ich an besondern Abschied denken, auch wenn es ... seine Stimme stockte. Die Herzogin schaute ihn an. Beide schwiegen. Ich bring' Euch etwas, das Euch im Kampfe dienlich sein soll, sprach sie nach einer Weile. Sie trug unter ihrem Mantel ein kost- bar Schwert in reichem Wehrgehäng, ein milchweißer Achatstein er- glänzte am Griff. Es ist das Schwert Herrn Burkard's, meines seligen Gemahls. Von allen Waffenstücken hielt er das am höchsten. Mit der Klinge lassen sich Felsen spalten, sie splittert nicht, hat er oft gesagt. Ihr sollt ihm Ehre machen! Sie reichte ihm die Waffe dar. Ekkehard nahm sie schweigend hin. Schon trug er den Harnisch unter der Kutte, itzt schnallte er das Wehrgehäng um und fuhr mit der Rechten nach dem Schwert- griff, als stünd' ihm bereits der Feind gegenüber. Und noch Etwas, sprach Frau Hadwig. An seidener Schnur trug sie ein goldgefaßt Kleinod um den Hals, das zog sie aus ihrem Busen; es war ein Krystall, der einen un- scheinbaren Splitter barg. Wenn mein Gebet nicht ausreicht, so mög' Euch die Reliquie Schutz verleihen. Es ist ein Splitter vom heiligen Kreuz, das die Kaiserin Helena einst aufgefunden. Wo auch immer dies Heiligthum sein wird, da wird Friede sich einstellen und Mehrung des Anwesens und Gesundheit der Luft, so stand im Schreiben, mit dem der griechische Patriarch die Echtheit beglaubigte. Mög' es auch im Krieg Segen spenden! Sie neigte sich, dem Mönch das Kleinod umzuhängen. Er beugte sein Knie; längst hing's um seinen Hals, er kniete noch. Sie streifte leicht mit der Hand über sein lockig Haar, ein Zug von Milde und Wehmuth lag über ihrem strengen Antlitz — Ekkehard hatte vor dem Namen des heiligen Kreuzes sein Knie gebeugt, itzt war's ihm als müsse er sich ein zweitesmal niederwerfen, niederwerfen vor ihr, die so huldvoll seiner gedachte. Aufkeimende Neigung braucht Zeit sich über sich selbst klar zu werden und in Dingen der Liebe hatte er nicht rechnen und abzählen gelernt, wie in den Versmaßen des Vir- gilius, sonst hätte er sich sagen mögen, daß wer ihn aus des Klosters Stille zu sich gezogen, wer an jenem Abend auf Hohenkrähen, wer am Morgen der Schlacht so vor ihm stand, wie Frau Hadwig, itzt wohl ein Wort aus der Tiefe des Herzens, vielleicht mehr als ein Wort von ihm erwarten mochte. Seine Gedanken jagten sich, alle Pulse schlugen. Wenn früher etwas wie Liebe sich in ihm geregt, so war die Ehrfurcht vor seiner Gebieterin herangetreten, es zurückjagend wie der Sturm, der dem scheu zum Dachfenster herausschauenden Kind den Laden vor der Nase zuwirft. An die Ehrfurcht dachte er jetzt nicht, eher daran, wie er die Herzogin einst mit keckem Arm durch den Klosterhof getragen. Auch an sein Mönchsgelübde dachte er nimmer, es regte sich in ihm, als sollt' er ihr in die Arme fliegen und sie jauchzend an's Herz pressen — Herrn Burkard's Schwert brannte ihm an der Seite. Wirf ab die Scheu, dem Kühnen gehört die Welt! War's nicht so in Frau Hadwig's Augen zu lesen? Er stand auf, stark, groß, frei — so hatte sie ihn noch nie ge- sehen ... Aber es war nur eine Secunde, noch war kein Laut vom Sturm des Herzens über die Lippen geflohen, da fiel sein Blick auf das dunkle Kreuz von Ebenholz, das Vincentius einst in seiner Thurm- stube aufgehängt: „es ist der Tag des Herrn und du sollst heute reden vor dem Volk!“ — die Erinnerung an seine Pflicht schlug Alles nieder ... Es kam einmal ein Frost am Sommermorgen und Halm und Blatt und Blüthen wurden schwarz, bevor die Sonne drüber aufging ... Zag wie ehedem ergriff er Frau Hadwig's Hand. Wie soll ich meiner Herrin danken? sprach er mit gebrochener Stimme. Sie schaute ihn durchbohrend an. Der weiche Zug war vom Antlitz entflogen, die alte Strenge lagerte wieder auf der Stirn, als wolle sie antworten: wenn Ihr's nicht wißt, ich werd's Euch nicht verkünden — aber sie schwieg. Noch hielt Ekkehard ihre Rechte gefaßt. Sie zog sie zurück. Seid fromm und tapfer! sprach sie aus dem Gemache schreitend. Es klang wie Hohn .. Kaum länger, als Einer braucht um das Vaterunser zu beten, war die Herzogin bei Ekkehard gewesen, aber es war mehr geschehen als er ahnen mochte. Er schritt wieder in der Thurmstube auf und ab; „du sollst dich selbst verläugnen und dem Herrn nachfolgen:“ so war's in Benedict's Regel in der Zahl der guten Werke mit aufgezählt — er wollte schier stolz sein auf den Sieg, den er über sich errungen, aber Frau Hadwig war gekränkt die Stufen der Wendeltreppe hinabgestiegen, und wo ein hochfahrend Gemüth sich verschmäht glaubt, da sind böse Tage im Anzug. Es war die siebente Stunde des Morgens, da hielten sie im Hof von Hohentwiel den Gottesdienst vor dem Auszug. Unter der Linde war der Altar aufgeschlagen, die geflüchteten Heiligthümer standen drauf zum Trost der Gläubigen. Der Hof erfüllte sich mit Gewaff- neten, Mann an Mann standen die Rotten der Streiter, wie Simon Bardo sie abgetheilt. Wie dumpf Gewitterrollen tönte der Gesang der Mönche zum Eingang. Der Abt der Reichenau, das schwarze Pallium mit weißem Kreuz übergeworfen, celebrirte das Hochamt. Hernach trat Ekkehard auf die Stufen des Altars; bewegt gleitete sein Auge über die Häupter der Versammelten, noch einmal zog's ihm durch die Erinnerung, wie er vor kurzer Frist im einsamen Gemach der Herzogin gegenüber gestanden — dann las er das Evangelium von Leiden und Tod des Erlösers. Mälig ward seine Stimme klar und hell, er küßte das Buch und gab's dem Diacon, daß er's zurück- lege auf das seidene Kissen; sein Blick flog gen Himmel — dann hub er die Predigt an. Lautlos horchte die Menge. Schier tausend Jahre sind vorüber, rief er, seit der Sohn Gottes sein Haupt am Kreuzesstamm neigte und sprach: es ist vollbracht! Aber wir haben der Erlösung keine Stätte bereitet in unsern Ge- müthern, in Sünden sind wir gewandelt und die Aergernisse, die wir gaben in unserer Herzenshärtigkeit, haben gen Himmel geschrieen. Darum ist eine Zeit der Trübsal emporgewachsen, blanke Schwerter blitzen wider uns, heidnische Ungeheuer sind in christliches Land eingefallen. Aber statt zürnend zu fragen: wie groß ist des Herren Langmuth, daß er solchen Scheusalen die liebreizende Heimatherde Preis gibt? — klopfe ein Jeglicher an die Brust und spreche: um unserer Verderbniß willen sind sie gesendet. Und wollet ihr von ihnen erlöset sein, so gedenket an des Heiland's tapfern Tod. Fasset den Griff eurer Schwerter, so wie er einst das Kreuz faßte und hinaustrug zur Schä- delstätte, schauet auf und suchet auch ihr euer Golgatha!!.. Er deutete nach den Ufern des Sees hinüber. Dann strömte seine Rede in Worten des Trosts und der Verheißung, stark wie der Schrei des Löwen im Gebirge: Die Zeiten erfüllen sich, von denen geschrieben steht: Und wenn die tausend Jahre zu Ende geh'n, wird Satan aus seinem Kerker losgelassen werden, und ausgeh'n zu verführen die Völker in den äußersten Gegenden der Erde — den Gog und den Magog, und sie zum Streite versammeln. Ihre Zahl ist wie des Meeres Sand; sie ziehen über die weite Erde daher, umringen das Lager der Streiter Gottes und die geliebte Stadt. Aber Feuer fährt aus dem Himmel nieder und verzehrt sie, und der Teufel ihr Verführer wird in den Schwefelsee geworfen, wo auch das Thier und der Lügenprophet ist, und sie werden gequält werden Tag und Nacht bis in die ewige Ewigkeit. Und was der Seher auf Patmos ahnend geoffenbart, das ist uns Bürgschaft und Gewähr des Sieges, so wir sündegeläutert ausziehen zum Kampf. Lasset sie anstürmen auf ihren schnellen Rossen, was verficht's? Zu Söhnen der Hölle hat sie der Herr gestempelt, darum ist ihr Antlitz nur die Fratze von eines Menschen Antlitz, die Ernte unserer Felder können sie niedertreten und die Altäre unserer Kirchen schänden, aber den Arm gottesmuthiger Männer können sie nicht bestehen. Seid eingedenk also, daß wir Schwaben allezeit vorfechten müssen, wo um des Reiches Noth gestritten wird; wenn es in andern Zeiten ein Gräuel vor dem Herren wäre, an seinem Feiertag den Harnisch umzuschnallen, — heute segnet er unsere Waffen, und sendet seine Heiligen zum Beistand und streitet selber mit uns, er der Herr der Heerschaaren, der den Blitz vom Himmel schmetternd niederfahren heißt und die klaffenden Abgründe der Tiefe aufthut, wenn die Stunde der Erfüllung gekommen. Mit erlesenen Beispielen ruhmreicher Kämpfe feuerte dann Ekke- hard seine Zuhörer an, und manche Faust preßte den Speer und mancher Fuß hob sich ungeduldig zum Abzug, wie er von Josua's Heerzug sprach, der unter des Herren Schirm ein und dreißig Könige schlug, in der Landmark jenseits des Jordan, — und von Gideon, der beim Schall der Posaunen in's Lager der Midianiter brach und sie jagte bis Bethseda und Tebbath — uud vom Ausfall der Männer von Bethulia, die nach Judith's ruhmreicher That die Assyrer schlugen mit der Schärfe des Schwerts. Zum Schluß aber rief er, was Judas der Maccabäer zu seinem Volk gerufen, da sie bei Emaus ihr Lager schlugen wider des Antiochus Heer: Umgürtet euch d'rum und seid tapfere Männer und seid bereit gegen den Morgen früh wider die Völker zu streiten, die heranziehen unser Heiligthum auszutilgen, denn es ist uns besser, im Streit umzukommen, als das Elend sehen an unserm Heiligthum — Amen! Eines Augenblickes Länge blieb's still, wie er geendet; dann hob sich ein Klirren und Klingen, sie schlugen Schwert und Schild aneinand, hoben die Speere hoch und schwenkten die Feldzeichen — alte Sitte freudiger Zustimmung. Amen! scholl es tönend durch die Reihen, dann neigten sie die Kniee, das Hochamt ging zu Ende; schauerlich klangen die hölzernen Klappern statt des üblichen Glockentones zur Feier. Wer sich noch nicht in österlicher Andacht mit dem Leib des Herrn gestärkt, trat vor zum Altar, ihn zu empfangen. Da rief's vom Thurm: Waffen! Waffen! Feindio! — Vom See kommt's schwarz herangezogen, Roß und Reiter, Feindio! — itzt war kein Halt mehr und keine Ruhe, sie stürmten nach dem Thor, wie vom Geist getrieben; kaum mochte Abt Wazmann den Segen ertheilen. So stürmt in unsern Tagen der wendische Fischer aus der Sonn- tagskirche die am rügianischen Dünengestad sein Geistlicher hält, zur Zeit wo des Härings Heersäulen im Anzug sind: Der Fisch kommt! ruft die Schildwache am sandweißen Ufer, da wogt's und rennt's nach den Barken, verlassen steht der Prediger und schaut in's Getüm- mel, da schneidet auch er der Andacht Faden ab und greift seine Netze und eilt zum Schifflein, die Schuppenträger zu bekriegen ... Schlachtfroh rückten sie aus dem Hofe, in jedem Herzen jene Mark und Fibern schwellende Spannung, daß es einem großen Augen- blick entgegengehe. Und waren der Mönche von Sanct Gallen vier- undsechzig, derer von Reichenau neunzig und an Heerbannleuten mehr denn fünfhundert. Beim Feldzeichen der Sanct Gallischen Brüder schritt Ekkehard; es war ein florverhüllt Crucifix mit schwarzen Wim- peln, da des Klosters Banner zurückgeblieben. Auf dem Söller der Burg stand die Herzogin und ließ ein weißes Tuch in die Lüfte wehen. Ekkehard wandte sich nach ihr, aber ihr Blick mied den seinen und der Abschiedsgruß galt nicht ihm. An's untere Burgthor hatten dienende Brüder den Sarg mit des heiligen Marcus Gebein getragen: Wer immer vorüberschritt, berührte ihn mit Schwert und Lanzenspitze, dann ging's schweren Tritts den Burgweg hinab. In der weiten Ebene, die sich nach dem See hinstreckt, ordnete Simon Bardo die Schaaren seiner Streiter. Hei! wie wohlig war's dem alten Feldhauptmann, daß statt der Kutte wieder der gewohnte Panzer sich um die narbenbedeckte Brust schmiegte. In fremdartig geformter spitz zugehender Stahlkappe kam er geritten, sein breiter edelsteingeschmückter Gürtel und der güldene Knauf des Schwertes zeigten den ehemaligen Heerführer. Ihr leset die Alten der Grammatica halber, hatte er zu den Aebten gesagt, die hoch zu Roß bei ihm hielten, ich hab' mein Handwerk von ihnen gelernt. Mit Frontinus und Vegetius guten Rathschlägen läßt sich noch heutigen Tages was ausrichten. Für den Anfang soll's heut mit der Schlachtordnung der römischen Legionen erprobt sein, dabei läßt sich am besten abwarten, wie sich der Feind zu erkennen gibt. Wir können dann noch immer thun wie wir wollen, die Sache geht nicht in einer halben Stunde zu End'. Er hieß die leichte Mannschaft der Bogenschützen und Schleuderer vorausrücken; sie sollten den Waldsaum besetzen, vom Tannendickigt gegen Reiterangriff geschützt. Zielt nieder! sprach er, wenn ihr auch statt des Mannes das Roß trefft, 's ist immer Etwas! Beim Klang der Weidhörner schwärmte die Schaar vorwärts, noch war kein Feind zu sehen. Die Männer des Aufgebots ordnete er in zwei Heersäulen; dicht- geschlossen, den Speer gefällt und langsam rückten sie vor, von der vordern Säule zur zweiten ein Abstand weniger Schritte. Der von Randegg und der dürre Fridinger führten sie. Die Mönche hieß er zu einem Haufen zusammentreten und stellte sie in die Rückhut. Warum das? fragte der Abt Wazmann; er kränkte sich, daß ihnen nicht die Ehre des vordersten Angriffs zugetheilt ward. Da lächelte der Kriegserfahrene: Das sind meine Triarier, sprach er; nicht, weil altgediente Soldaten, wohl aber weil sie um Rückkehr in's warme Nest streiten. Von Haus und Hof und Bett verjagt sein, macht die Hiebe am schwersten und die Stiche am tiefsten. Habt keine Sorge, die Wucht des Streites kommt noch früh genug an die Mannschaft des heiligen Benedictus! Die Hunnen hatten bei Tagesgrauen das Reichenauer Kloster ge- räumt. Die Vorräthe waren aufgezehrt, der Wein getrunken, die Kirche geplündert: ihr Tagewerk war gethan. Auf Heribald's Stirn ward manche Runzel glatt, wie der letzte Reiter dem Thor entritt. Er warf ihnen ein Goldstück nach, das ihm der Mann von Ellwangen im Vertrauen zugesteckt. Landsmann, hatte Snewelin zu ihm gesagt, wenn du hörst daß mir ein Unglück zugestoßen ist, so laß ein Dutzend Messen für meine arme Seel' lesen. Ich hab's immer gut gemeint mit euch und euerm Wesen, und daß ich unter die Heiden gerathen bin, geschah mir ich weiß selber nicht wie. Der Ellwanger Boden ist leider zu rauh, als daß Heilige drauf erwachsen können. Aber Heribald wollte nichts von ihm wissen. Im Garten schau- felte er Knochen und Asche der Verbrannten und ihrer Rosse zusam- men und streute sie in See, während die Hunnen noch drüben einher- zogen. Kein Staub von einem Heiden soll auf der Insel bleiben, sprach er. Dann ging er in Klosterhof und schaute sich tiefsinnig den Platz an, wo er gestern zum Tanz gezwungen wurde. Der Hunnen Ritt ging durch den dunkeln Tannwald dem Hohen- twiel entgegen. Aber wie sie sorglos dahin trabten, prallte da und dort ein Roß auf; Pfeile und Schleuderkugeln, von unsichtbaren Schützen geschossen, fuhren in den Schwarm. Der Vortrab wollte stutzig werden. Was kümmert euch der Mückenstich? rief Ellak und spornte sein Roß, vorwärts, die Ebene ist das Feld der Reiterschlacht! Ein Dutzend seiner Leute hieß er mit dem Troß zurückbleiben, zum Geplänkel mit denen im Wald. Die Erde dröhnte vom Hufschlag der vorwärts sausenden Horde; im Blachfeld breitete sich der Schwarm und sprengte mit Geheul auf den anrückenden Heerbann. Weit voraus ritt Ellak mit dem hunnischen Bannerträger, der schwenkte die grünrothe Fahne über ihm, er aber hob sich hoch im Sattel und that einen wilden Schrei und schoß den ersten Pfeilschuß ab, auf daß der Kampf nach altem Brauch eröffnet sei. Es begann das Morden der Feldschlacht. Aber wenig frommte es den schwäbischen Kriegern, daß sie unerschüt- tert Stand hielten, ein starrender Lanzenwald: war der Reiter An- griff abgeprallt, so kam aus der Ferne ein Pfeilregen geschwirrt; halb aufgerichtet im Bügel stunden die Hunnen trotz Rossestrab, den Zaum über des Gauls Nacken geworfen zielten sie, der Schuß traf. Andere schwärmten von der Seite ein — weh dem Gefallenen, den seine Brüder nicht in die Mitte nahmen. Da gedachten die Leichtbewaffneten vom Walde den Hunnen in Rücken zu brechen. Hörnerruf rief sie zur Sammlung, sie rückten vor — aber mit eines Gedankens Schnelle waren die feindlichen Rosse gewendet, Pfeilregen prasselte in die Anrückenden, sie stutzten, Wenige schritten weiter, auch sie wurden geworfen, nur Audifax mar- schirte vorwärts, die Pfeile zischten um ihn, er schaute nicht auf und nicht zurück, er blies die Sackpfeife zum Angriff, wie es seines Amtes war: so kam er mitten in's Gewühl der feindlichen Reiter. Da stockte sein Blasen — im Vorübersprengen hatte ihm Einer die Schlinge um den Hals geworfen und riß ihn an sich; widerstrebend schaute Audifax um, kein Einziger seines Häufleins war hinter ihm zu erspähen — o Hadumoth! rief er betrübt. Den Reiter jammerte des muthigen blonden Knaben, statt ihm das Haupt zu spalten, hob er ihn zu sich auf's Roß und jagte mit ihm zurück. Von einem Hügel gedeckt, hielt der hunnische Troß. Hoch aufgerichtet stund die Waldfrau auf ihrem Wagen und spähte hinaus in die wogende Schlacht, sie hatte die ersten Verwundeten gepflegt und kräftige Heil- sprüche gesungen über das rinnende Blut. Ich bring' Euch Einen, der kann die Feldkessel fegen! rief der hunnische Reiter und warf den Hirtenknaben vom Roß hinüber, daß er der Alten vor die Füße flog in den strohumflochtenen Korb des Wagens. Willkommen, du giftiges Krötlein, rief sie grimmig, du sollst den Lohn empfahen dafür, daß du den Kuttenmann auf meinen Fels ge- wiesen! Sie hatte ihn erkannt, zerrte ihn an der Schlinge zu sich und band ihn an des Wagens Gestell. Audifax schwieg. Aber bittere Thränen perlten im Auge, er weinte, nicht ob seiner Gefangenschaft, er weinte ob abermals getäuschter Hoff- nung. O Hadumoth! seufzte er abermals. — Verwichene Mitternacht war er bei der jungen Hirtin gesessen, versteckt am glimmenden Heerd- feuer: Du sollst fest werden, hatte Hadumoth gesagt, gefeyt gegen Hieb und Stich! Sie hatte eine braune Schlange zerkocht und ihm mit dem Fette Stirn und Schulter und Brust bestrichen: Morgen Abend erwart ich dich hier am selben Plätzlein, du kommst mir heil zurück. Kein Eisen ist wider Schlangenfett! Und Audifax hatte ihr die Hand gegeben und war so wohlgemuth mit seiner Sackpfeife ausgerückt in den Kampf — und jetzt!.. Noch wogte der Feldstreit draußen im Thalgrund. Schier wankten die schwäbischen Reihen, ermüdet des ungewohnten Fechtens. Bedenklich schaute Simon Bardo drüber hin und schüttelte das Haupt: Die schönste Stragetie, brummte er, ist vergeudet an diese Centauren, — das sprengt ab und zu und schießt aus der Ferne, als wär' meine dreifache Schlachtordnung für nichts da; es thäte wahrhaft Noth, daß man des Kaiser Leo Buch über die Tactik ein eigen Kapitel vom Hunnenangriff zufügte! Er ritt zu den Mönchen und schied sie wieder in zwei Heerhaufen; die von Sanct Gallen sollten zur Rechten, die Reichenauer zur Linken des Heerbanntreffens vorrücken, dann schwenken, daß der Feind, den Wald im Rücken, in weitem Halbkreis eingeschlossen sei. So wir sie nicht einklemmen, halten sie nicht Stand, rief er und schwang sein breites Schlachtschwert; auf und drauf denn! Wildes Feuer leuchtete aus Aller Augen. Marschbereit standen die Reihen. Jetzt warf sich noch ein Jeglicher in's Knie, griff eine Scholle vom Boden auf und streute sie rückwärts über sein Haupt, daß es geweiht und gefeit sei durch die vaterländische Erde, — dann ging's in Kampf. Die von Sanct Gallen stimmten den frommen Schlachtgesang media vita an. Notker der Stammler war dereinst durch die Schluchten beim heimischen Martistobel gestiegen, sie wölbten einen Brückenbogen herüber, über schwindelnder Tiefe schwebten die Bauleute, da stand es als Bild vor seiner Seele, wie zu unserem Leben jeden Augenblickes des Todes Abgrund aufgähnt, und er dichtete das Lied. Jetzt galt's als Zaubersang, Schirm eigenen Lebens, Untergang dem Feinde. Dumpf klang's von den anrückenden Männern in die Hunnen- schlacht: Ach, unser Leben ist nur halbes Leben! Des Todes Boten ständig uns umschweben. Wen mögen wir als Helfer uns erfleh'n, Als dich, o Herr! den Richter der Vergeh'n? Heiliger Gott! und vom andern Flügel sangen die Reichenauer Mönche entgegen: Dein harrten unsre Väter schon mit Sehnen, Und du erlöstest sie von ihren Thränen, Zu dir hinauf erging ihr Schrei'n und Rufen, Du warfst sie nicht von deines Thrones Stufen. Starker Gott! und von rechts und links klang's zusammen — schon tönte Schwert- hieb und dumpfer Fall Getroffener dazwischen: Verlaß uns nicht, wenn Unkraft uns befallen, Wenn unser Muth entfleucht, sei Stab uns Allen: O gib uns nicht dem bittern Tod zum Raube, Barmherz'ger Gott, du unser Hort und Glaube! Heiliger Gott, heiliger starker Gott! Heiliger barmherziger Gott, erbarme dich unser! So standen sie im Handgemeng. Staunig hatten die Hunnen die herannahenden dunkeln Schaaren erschaut, Geheul und der zischende teuflische Ruf: hui! hui! war ihre Antwort auf die media vita , auch Ellak theilte seine Reiter zum Angriff und ringsum tobte der Kampf. Drein gespornte Rosse durchbrachen das schwache Häuflein derer von Sanct Gallen, grimmes einzelnes Streiten begann, es rang die Kraft mit der Schnelle, germanische Ungelenkheit mit hunnischer List. Da trank die Hegauer Erde manch' frommen Mannes Blut. Tutilo der Starke lag erschlagen, er hatte eines Hunnen Roß unterlaufen, den Reiter an den Füßen heruntergerissen und schwang den Krumm- gesichtigen durch die Lüfte, ihm das Haupt an einem Feldstein zer- schmetternd — aber ein Pfeil flog dem greisen Künstler durch die Schläfe, wie Siegsgesang himmlischer Heerschaaren ertönte es durch's wunde Gehirn, dann sank er auf den erschlagenen Feind. Sindolt der Böse sühnte mit der Wunde auf der Brust manch schlimme Tücke, die er sonst an den Gefährten geübt; Nichts frommte es dem Schotten Dubslan, daß er sich dem heiligen Minwaloius vergelübdet, barfuß gen Rom zu wallfahren, wenn er ihn heut beschütze — durchschossen trugen sie ihn aus dem Getümmel. Wie's von Hieben auf die Helme prasselte, gleich Hagelschlag auf lockres Schieferdach, da zog Moengal der Alte die Kapuze über's Haupt, daß er nicht zur Rechten schaue und nicht zur Linken, sein Speer war verworfen: heraus jetzt, alte Cambutta! rief er ingrimmig und schnallte die Keule los, die über den Rücken gefestigt ihn beglei- tet, und stand im Gewühl wie ein Drescher in der Tenne. Lang schon war ein Reiter um ihn geschwärmt, kyrie eleison! sang der Alte und schlug des Rosses Schädel entzwei, mit gleichen Füßen sprang der Reiter zur Erde, ein leichter Hieb von krummem Säbel streifte Moengal's Arm. Hoiho! schrie er auf, im Lenzmonat ist gut Ader- lassen, sieh dich für, Aerztlein! und er that einen Keulenschlag, als woll' er seinen Gegner klaftertief in die Erde hineinschlagen. Der Hunnenkämpe bog dem Hieb aus, da fiel der Helm — ein rothbackig Gesicht schaute zu dem Keulenschwinger hinüber, wallendes Haupthaar quoll drüber vor, von rothem Band durchflochten; eh' er einen zweiten Hieb führte, sprang's an Moengal hinauf wie eine Tigerkatze, das junge Gesichtlein hob sich vor dem seinen, als sollt' ihm in alten Tagen noch eines Kusses Gelegenheit bescheert sein — da fuhr ein Biß in seine Wange, scharf und gut, er umfaßte den Angreifer — das war wie weibliche Hüften. Weiche von mir, Unhold, rief er, hat die Hölle auch Teufelinnen ausgespieen? da saß ein zweiter Biß auf der linken Wange, gestörtes Gleichmaß herzustellen. Er fuhr zu- rück, sie lachte ihn an, ein ledig Roß sprang vorüber — eh' Moengal der Alte die Keule wiederum gehoben, saß Erica im Sattel und ritt davon wie ein Traum der Nacht, wenn der Hahn kräht ... Beim Heerbann im Mitteltreffen focht Herr Spazzo der Käm- merer als Führer einer Rotte. Das langsame Vorrücken hatte ihm behagt, wie der Kampf aber gar kein Ende nehmen wollt' und Alles in einand verbissen war wie Meute und Edelwild auf der Hetzjagd, da ward's ihm schier zu viel. Eine idyllische Stimmung kam über ihn mitten unter Tod und Todesnoth. Erst wie ihm Einer im Vor- beireiten den Helm als Beutestück abriß, ward er aufgerüttelt aus sei- ner Betrachtung, und wie derselbe, den Versuch erneuernd, ihm auch noch den Mantel wegzerren wollte, rief er unwillig: Ist's noch nicht genug, du Scharfschütz des Teufels? und that einen Stich nach ihm, daß des Hunnen Schenkel von der langen Schwertklinge an sein Roß angeheftet ward. Jetzt gedachte er, ihm der Todesstoß zu geben, doch wie er sein Antlitz schaute, war es also häßlich, daß er beschloß, ihn als lebendige Erinnerung des Tages seiner Gebieterin mitzubringen. Da machte er den wunden Mann zum Gefangenen; er hieß Cappan und schmiegte seinen Hals unter Herrn Spazzo's Arm, als Zeichen der Unterwerfung und grinste mit den weißen Zähnen wie ihm sein Leben geschenkt ward. Gegen die Brüder der Reichenau führte Hornebog seinen Schwarm. Dort hielt der Tod reiche Ernte. Des Klosters Mauern glänzten fern aus dem See herüber zu den Streitern, wie eine Mahnung zu wuchtigem Dreinschlag, und der Hunnen Mancher, der in Schwertes Bereich kam, merkte, daß er auf schwäbischem Boden stund, wo der Streiche gediegenste wild wachsen, wie die Erdbeeren im Wald. Doch auch in der Brüder Reihen ward's lichter: da ruhte Quirinus der Schreiber für immer vom Schreibkrampf, der die Lanze in seiner Rech- ten zittern gemacht, da sank Wiprecht der Sternkundige und Kerimold der Meister im Forellenfang, und Wittigowo der Bauverständige — wer kennt sie Alle, die Namenlosen, die freudigen Todes starben? Nur Einem gedieh ein hunnischer Pfeil zum Heile; das war der Bruder Pilgeram. Zu Cöln am Rhein war er geboren, und hatte seinen Wissensdurst und einen mächtigen Kropf auf Pirmins Eiland getragen, der frömmsten und gelahrtesten Mönche Einer, doch wuchs sein Kropf und über Aristoteles Ethik war er tiefsinnig geworden, daß Heribald oft mitleidig zu ihm gesagt: Pilgeram, du dauerst mich! Jetzt durchschnitt ihm ein Pfeil des Halses Ueberhang: Fahr' wohl, Freund meiner Jugend! rief er und sank; doch war's keine schwere Wunde und wie er wieder erwachte war's leicht am Hals und leicht im Kopf, und seinen Aristoteles schlug er zeitlebens nimmer auf. Um das sanctgallische Feldzeichen war ein erlesen Häuflein ge- schaart. Noch flatterten die schwarzen Wimpel vom Bild des Gekreu- zigten, aber der Kampf war hart. Mit Wort und That feuerte Ekke- hard die Genossen an, Widerpart zu halten; es war Ellak selber, der gegen sie anritt. Leichen erschlagener Männer und Rosse lagen in wildem Durcheinander; wer überlebte, hatte seine Schuldigkeit gethan, und wo Alle brav, ragt keine Einzelthat besonderen Ruhm erheischend aus dem Geschehenen herfür. Herrn Burkard's Schwert hatte in Ekke- hard's Händen neue Bluttaufe errungen, doch vergeblich war er auf Ellak den Heerführer eingedrungen, nur wenig Hiebe wechselten sie, da trennte das Wogen der Schlacht die Streitenden. Schon wankte das hochgehaltene Kreuz, von unablässigen Geschossen umschwirrt — da ging durch die Reihen ein Schrei des Staunens: vom Hügel, der den Thurm von Hohenfridingen trägt, kamen zwei Reiter gesprengt, fremd an Gestalt und Rüstung. Schwerfällig und mächtigen Umfangs saß der Eine zu Roß, von veralteter Form war Schild und Harnisch, doch verblichene Vergüldung zeigte den vornehmen Kriegsmann. Ein goldner Reif schlang sich um den Helm, vom rothen Busch umwallt. Der Mantel flog im Wind; den Speer eingelegt ritt er einher, ein Bild aus alten Zeiten, wie der König Saul in Folkard's Psalmen- buch, da er ausreitet wider David. Sorgsam ihm zur Seite ritt der Andere, zu Schirm und Deckung bereit, als getreuer Dienstmann. Der Erzengel Michael! rief's in der christlichen Heerschaar und sie faßten zu neuer Kraft sich zusammen; die Sonne leuchtete auf des fremden Reitersmannes Gewaffen wie Verheißung des Siegs — itzt waren die zwei im Getümmel, als wollte der Goldgerüstete einen Gegner suchen. Der blieb ihm nicht aus. Wie ihn des Hunnen- führers scharfes Auge erschaut, war auch schon sein Roß ihm entgegen gewandt, des fremden Rittersmanns Speer fuhr an ihm vorüber, schon hub Ellak das Schwert zu tödlichem Hieb. Doch der Dienstmann warf sich dazwischen, sein breites Schlachtschwert erreichte nur des Hunnen Roß, da beugte er sein Haupt vor und fing den Schlag, der dem Gebieter galt; in Hals getroffen ging der treue Schildknappe in Tod. In klirrendem Fall rasselte Ellak's Pferd zu Boden, doch eh' der Schall verhallt war, stund der Hunne wieder aufrecht, der unbekannte Kämpe schwang den Streitkolben, ihn zu zerschmettern, Ellak, den linken Fuß auf den erschlagenen Renner gestemmt, preßte ihm mit nerviger Faust den Arm zurück und strebte ihn vom Gaul zu reißen: Mann an Mann hub sich ein Ringen der beiden Gewaltigen, daß die Kämpfer ringsum die Schlachtarbeit einstellend hinüberschauten. Jetzt hatte Ellak in listiger Wendung das kurze Halbschwert gegriffen, das ihm nach hunnischem Brauch zur Rechten hing, aber wie er zu neuem Stoß ausholte, senkte sich schwer und langsam seines Gegners Streitkolben auf sein Haupt — noch führte die Faust des Getroffe- nen den Stoß, dann fuhr sie zur Stirn, Blut überströmte sie, auf sein Streitroß taumelte der Hunnenführer nieder und verhauchte un- willig sein Leben. Hie Schwert des Herrn und Sanct Michael! scholl's brausend itzt von Mönch und Heerbannleuten, zu letztem verzweifeltem Angriff drangen sie vor, noch war der Goldgerüstete der vorderste im Treffen. Des Anführers Fall schuf den Hunnen panischen Schreck, rückwärts wandten sie sich, rückwärts in toller Flucht. Schon hatte die Waldfrau des Feldstreits Ausgang erspäht, die Rosse standen geschirrt, sie warf einen zornmüthigen Blick auf die an- rückenden Mönche und ihren heimathlichen Fels, und scharfen Trabes fuhr sie dem Rheine zu, der Troß ihr nach — zum Rhein! war die Losung der fliehenden Reiter; zuletzt und ungern kehrte Hornebog mit den Seinen der Schlacht und dem hohen Twiel den Rücken. Auf Wiedersehen über's Jahr! rief er höhnend zu den reichenauer Männern. Der Sieg war errungen. Doch der, den sie als Erzengel wähn- ten vom Himmel niedergestiegen auf's hegauische Blachfeld, neigte sein schweres Haupt auf des Streitrosses Rücken, Zügel und Kolben ent- sanken den Händen, war's des Hunnen letzter Stoß, war's Erstickung in Hitze des Kampfes — sie huben ihn als einen Todten vom Roß. Sein Visir war gelüftet, ein freudig Lächeln schwebte um das runzel- D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 13 gefurchte mächtige greise Haupt ... von dieser Stunde hatte des Alten aus der Heidenhöhle Kopfweh ein End. Er hatte in ehrlichem Rei- terstod die Schuld vergangener Zeiten gesühnt, das schuf ihm ein fröhlich Sterben. Ein schwarzer Hund lief suchend über die Walstatt, bis er des Alten Leichnam gefunden, und leckte ihm wehmüthig heulend die Stirn, und Ekkehard stand dabei, die Thräne im Aug', und sprach das Gebet um's Heil seiner Seele ... Mit Tannenreis am Helm zogen die Sieger auf ihre Bergfeste zurück. Der Mönche zwölf ließen sie unten im Thal, Todtenwache auf der Walstatt zu halten; und waren im Streit gefallen der Hun- nen einhundertundachtzig, des schwäbischen Heerbanns sechsundneunzig, derer von der Reichenau achtzehn, derer von Sanct Gallen zwanzig, der Alte und Rauching sein Dienstmann. Mit verbundener Wange schritt Moengal über's Feld, auf seine Keule wie auf einen Wanderstab sich stützend. Er beschaute die Erschlagenen. Hast du keinen Hunnen drunter getroffen, der eigentlich eine Hunnin ist? fragte er einen der wachehaltenden Brüder. Nein! war der Bescheid. Dann kann ich heimgehen! sprach Moengal. Fünfzehntes Kapitel . Hadumoth. Die Nacht ging zu Ende. Lang und bang war sie für die ge- wesen, denen der Walstatt Hut anvertraut worden. Unheimlich Grauen lag über Erde und Menschen. Der Herr sei ihrer Seele gnädig! so tönte leiser Ruf des Wächters durch die Stille des Ge- fildes. Und erlöse sie von des Fegfeuers Pein, Amen! antwortete es vom Waldessaum, wo die Gefährten um's Wachfeuer kauerten. Schwere Schatten der Nacht deckten die Erschlagenen, als wolle der Himmel mitleidig verhüllen, was der Menschen Hände da unten geschafft. Dann jagten die Wolken von dannen, als wären sie selber von Grauen getrieben über den Anblick unter ihnen — andere folgten, auch sie zogen fort, Gestalt und Formen wechselnd, verlierend, in neue über- gehend ... Alles ist unstet, nur im Tod ewige eherne Ruhe. Die auf dem Blachfeld lagen still, Freund und Feind, wie das Wogen des Streits sie gebettet. Eine Gestalt sah der Wächter über die Walstatt huschen, wie die eines Kindes. Sie beugte sich nieder und ging weiter und beugte sich abermals und wandelte auf und ab, aber es grauste ihm sie an- zurufen. Er stand wie gebannt. Es wird der Engel sein, der die Stirn der Todten zeichnet mit dem Buchstaben, auf daß man sie er- kenne wann der Geist dereinst ihr Gebein anbläst, daß sie wieder leben und auf den Füßen stehen und ein Heer sind wie ehedem; so dachte er nach dem Bild des Propheten, bekreuzte sich und schwieg. Die Gestalt verschwand aus seinen Augen. Der Morgen graute, da kamen viel Männer vom Heerbann, die Mönche abzulösen. Die Herzogin sandte sie. Herr Simon Bardo war zwar nicht einverstanden. Sieg ist nur halber Sieg, so er nicht benutzt wird, wir müssen den Fliehenden nachrücken bis der letzte von ihnen getilgt ist, hatte er gesagt. Aber die Mönche drangen auf Rückkehr, der Ostertage wegen, und die Andern sprachen: bis wir die mit ihren schnellen Rossen einholen, mögen wir weit ziehen, sie sind gekommen, wir haben sie gehauen, kommen sie wieder, sind neue Hiebe vorräthig — die Arbeit von gestern ist ihrer Ruhe werth. Da ward beschlossen, die Todten zu begraben vor Anbruch des Osterfestes. Die Männer trugen Karst und Spaten und schaufelten zwei große Gräber. Es war eine verlassene Kiesgrube seitwärts im Feld, die weiteten sie aus zu geräumigem Ruheplatz. Dorthin trugen sie der Hunnen Leichname. Waffen und Rüstung wurden abgethan und gesammelt, viel Traglasten von Beutestücken. Und sie warfen die Todten in die Grube, sonder Rücksicht wie sie gebracht wurden — es war ein wild verschlungener Knäuel von Gliedmaßen, Roß und Menschen durcheinander verstrickt, ein Gewühl wie beim Höllensturz der abtrünnigen Engel. Die Tiefe füllte sich. Einer der Schaufeln- 13* den kam und brachte ein einzeln Haupt; grimmig schaute es drein, mit zerspellter Stirn. Es wird auch zu den Heiden gehören und mag seinen Rumpf suchen! rief er und schleuderte es zu den Leichen. Wie das ganze Feld abgesucht und kein hunnischer Mann mehr zu finden war, scharrten sie die Grube zu; es war ein Begräbniß ohne Sang und Klang — nur etliche Flüche tönten als Nachruf hinab und Raben und Raubvögel krächzten heißer drein; die in den Felsspalten des hohen Krähen nisteten, waren herübergeflogen, und die im Tannwald horsteten, auch Moengal's Habicht war dabei, sie wollten Einsprache erheben, daß die Beerdigung sie verkürze. Dumpf dröhnten die Erdschollen und Kieselgesteine in das weite Grab. Dann kam der Diacon von Singen mit dem Kessel geweihten Wassers, den Geviertraum schritt er auf und nieder und besprengte ihn zur Ban- nung der Dämonen und Niederhaltung der fremden Todten in der fremden Erde. Ein verwittert Felsstück war vor Zeiten vom hohentwieler Berg abgelöst zu Thal gestürzt, das wälzten sie aufs Hunnengrab, dann wandten sie sich schauernd von der Stätte und richteten das zweite Grab. Das sollte die gebliebenen Söhne des Landes empfangen. Für die Erschlagenen geistlichen Standes war die Klosterkirche auf Reichenau zum Ruheplatz bestimmt. Zur selben Stunde, in der gestrigen Tages der Kampf begonnen, stieg ein düsterer Zug vom hohen Twiel hernieder. Es waren die Männer so die Schlacht geschlagen. In derselben Ordnung rückten sie an, aber ihr Schritt war langsam und ihre Banner trauerfarben. Auf den Zinnen der Burg war die schwarze Fahne aufgezogen. Auch die Herzogin ritt mit hernieder, streng und ernst kleidete sie der dunkle Mantel. Die todten Mönche trugen sie auf Bahren herzu und stell- ten sie zu Seiten des großen Grabes ab, auf daß auch sie Theil nähmen an der letzten Ehre der Kampfgenossen. Wie die Litanei verklungen, trat der Abt Wazmann an's offene Grab, er rief den sechs und neunzig die blaß und still drin geschichtet lagen, den letzten Gruß und Dank der Ueberlebenden hinab: Ihr Gedächtniß sei ge- segnet und ihr Gebein grüne an seinem Ort! Ihr Name bleibe in Ewigkeit und die Ehre der heiligen Männer komme auf ihre Kinder! so sprach er mit den Worten des Predigers, dann that er den ersten Erdwurf hinunter, die Herzogin nach ihm, dann die Anderen, der Reihe nach. Drauf feierliche Stille. Vom Grab der Brüder hinweg wollten die, so gestern vereint gestritten, aus einander gehen; manch hartes Antlitz ward gerührt, Kuß und Handschlag gewechselt, dann zogen zuerst die von der reichen Au nach ihrem Kloster. Die Bahren ihrer Todten wurden mit ihnen getragen, Brüder mit brennenden Kerzen schritten psalmsingend zur Seite, auch des Alten aus der Hei- denhöhle kampfmüden Leichnam führten sie mit sich, gesenkten Hauptes ging das Streitroß des ungekannten Kriegsmannes, mit schwarzem Tuch umhangen, im Zug — es war ein düstrer Anblick, wie das Todtengeleite mälig in's Waldesdunkel einbog. Dann nahmen die vom Heerbann Abschied von der Herzogin. Der dürre Fridinger, den Arm in der Binde, führte eine Schaar landab- wärts, nur der von Randegg mit etlichen Leuten sollte als Besatzung des hohen Twiel zurückbleiben. Bewegt schaute Frau Hadwig den Abziehenden nach. Dann ritt sie langsam über's Schlachtfeld. Sie war gestern auf dem Thurm der Burg gestanden und gespannten Auges dem Toben des Kampfes gefolgt. Itzt mußte ihr Herr Spazzo noch Vieles erklären. Dem kam's auf etliche Uebertreibungen nicht an, aber sie war's zufrieden. Mit Ekkehard sprach sie nicht. .. Wie auch sie heimgeritten, war's wieder still und öde auf dem Plan, als wär' Nichts geschehen. Nur hufzerstampftes Gras, feucht röthliche Erde und die zwei großen Gräber gaben Zeugniß von der Ernte, die der Tod hier gehalten. Hat nicht lange gedauert, so ist das Blut aufgetrocknet und das Gras neu gewachsen, über die Hügel der Todten hat sich Moos gesponnen und Gestrüpp, Vögel und Wind haben Samenkorn hingetragen und Busch und Bäume sind üppig aufgesprießt — wo Todte liegen gedeiht der Pflanzen Wuchs. — Aber unverwischt lebt die Kunde von der Hunnenschlacht in den nach- geborenen Geschlechtern, den „Heidenbuck“ heißt der Mann im Hegau den Hügel, den der Felsblock als Grabplatte deckt und in der Nacht vom Charfreitag geht Keiner dort durch's Thal. Da gehört Erde und Luft den Todten; sie steigen aus dem alten Grab, hier schwärmen die kleinen Rosse wieder, dort rücken im Keil die Streiter zu Fuß an und der Harnisch blitzt unter verwittertem Mönchsgewand, Waffengelärm und wilder Kampfruf weht durch den Sturm, tosend schwingt sich die Geisterschlacht durch die Lüfte: da kommt plötzlich von der Insel im See Einer drein gesaust im güldenen Harnisch auf schwarzem Roß, der jagt sie hinunter in kühle Ruhe — noch will sich der Hunnenführer gegen ihn wehren und schwingt zürnend sein krummes Schwert, da fährt ihm der Streithammer auf's Haupt, auch er muß hinab ... und Alles ist still wie zuvor, nur der Birke junges Laub zittert im Winde .... Ostersonntag ging trüb und ernst vorbei. Des Abends saß Frau Hadwig im Saal mit Ekkehard, Herrn Spazzo dem Kämmerer und dem von Randegg. Es ist zu denken was sie sprachen. Die große Geschichte der letzten Tage klang in aller Reden wieder gleich dem Schall am Lurleifelsen: hat er an der einen Wand ausgehallt, so hebt sich ein dumpfes Rollen an der benachbarten und in ferner Schlucht wiederholt sich's und will nirgend ein Ende nehmen. Der Abt von der Reichenau hatte einen Boten geschickt, zu ver- melden, wie sie das Kloster in mäßiger Verwüstung, doch vom Feuer unzerstört angetroffen, mit geweihtem Wasser und Umtragung der heiligen Gebeine die hunnischen Spuren getilgt, die Beisetzung ihrer Todten abgehalten. Und der zurückgebliebene Bruder? fragte die Herzogin. An dem hat Gott der Herr erwiesen, daß seine Allmacht inmitten von Krieg und Feindesschwert auch einfältiger Gemüther nicht vergißt. An der Schwelle stand er bei unserer Rückkunft, als wär' ihm Nichts begegnet. Wie haben dir die Hunnen gefallen? rief ihm Einer zu. Da sprach er mit dem wohlbekannten Lächeln: Eia, sehr gut haben sie mir gefallen. Niemals hab' ich vergnügtere Leute gesehen, und Speise und Trank messen sie ganz menschenfreundlich zu — der Pater Kellermeister hat zeitlebens meinen Durst Durst sein lassen, die gaben mir Wein die Hülle und Fülle — und wenn sie mich auch mit Faustschlag und Backenstreich geschädigt, so haben sie's mit dem Wein wieder gut gemacht — und das thät' Keiner von euch. Nur die Disciplin fehlt ihnen, und sich still verhalten in der Kirche haben sie auch nicht ganz gelernt ... Er wisse noch Manches zum Preis der fremden Gäste, hat Heribald weiter gesprochen, aber nur im Beicht- stuhl werd' er's offenbaren ... Frau Hadwig war noch nicht zur Heiterkeit gestimmt. Gnädig entließ sie den Boten. Sie gab ihm das geringelte Panzerhemd und den Schild des erschlagenen Hunnenführers mit, auf daß es in der Klosterkirche aufgehängt werde als ewiges Wahrzeichen. Das Schieds- richteramt bei Vertheilung der Beute war ihr zugewiesen. Herr Spazzo, dessen Zunge seither nicht müßig war, seine Kriegs- thaten zu rühmen — und die Zahl der von ihm Erschlagenen wuchs mit jeder neuen Erzählung gleich einer Lawine — sprach würdig: Ich habe auch noch ein Beutestück einzuliefern, es ist meiner gnädigen Herrin bestimmt. Er schritt hinab zu den untern Kammern, dort lag Cappan sein Gefangener auf dem Stroh, seine Wunde war verbunden und nicht gefährlich. Steh' auf, Sohn des Teufels! rief Herr Spazzo und gab ihm einen unsanften Stoß. Der Hunn' erhob sich und schnitt ein zweifelhaft Gesicht, er schätzte seine Lebensdauer auf keine allzulange Zeit mehr; an einem Krückenstock hinkte er durch die Stube. Vor- wärts! deutete ihm Herr Spazzo und führte ihn hinauf. Er mar- schirte in Saal ein. Halt! rief Herr Spazzo. Da stand der Unglück- liche still und ließ verwundert seine Augen Umschau halten. Theilnehmend besah Frau Hadwig das fremde Menschenkind. Auch Praxedis war herbei gekommen: Schön ist Euer Beutestück nicht, hatte sie zu Herrn Spazzo gesagt, aber merkwürdig. Die Herzogin faltete ihre Hände: — und vor dieser Nation hat das deutsche Land gezit- tert! sprach sie. Die Menge schuf den Schreck und ihr Zusammenhalten, sagte der von Randegg, sie werden nimmer wieder kommen. Seid Ihr deß so gewiß? sagte sie spitzig. Der Hunn' verstand nicht viel vom Gespräch. Sein wunder Fuß schmerzte, er wagte nicht sich nieder zu lassen. Praxedis sprach ihn griechisch an, er schwieg scheu und schüttelte sein Haupt. Sie begann durch Zeichen und Winke ein Verständniß anzuknüpfen — er ließ sich nicht drauf ein. Erlaubet, sprach sie zur Herzogin, ich weiß doch ein Mittel ihm ein Lebenszeichen abzugewinnen, in Constantinopel hab' ich davon erzählen gehört. Sie huschte aus dem Saal und erschien wieder einen Becher tragend, spöttisch kredenzte sie den dem stummen Gefangenen. Es war ein stark Wasser, gebrannt aus Kirschen und Steinobst; der selige Burgcaplan Vincentius hatte manch solches Essenzlein bereitet. Da verklärte sich des Hunnen Antlitz, die stumpfe Nase sog den Duft ein, er leerte den Becher, als ob er's für einen Friedenstrunk ansehe, die Arme über die Brust gekreuzt warf er sich vor Praxedis nieder und küßte ihren Schuh. Sie gab ihm ein Zeichen, daß die Huldigung der Herzogin gebühre, da wollte er auch dort seinen Dank wiederholen, Frau Hadwig aber wich zurück und winkte dem Kämmerer, daß er seinen Mann abführe. Ihr habt närrische Einfälle, sprach sie zu Herrn Spazzo, wie er zurückkehrte, — doch war's artig, daß Ihr in währendem Streite meiner gedachtet. Ekkehard saß währenddem stumm am Fenster und schaute ins Land hinaus. Herrn Spazzo's Art verdroß ihn. Auch Praxedis hatte ihm weh gethan. Uns zu demüthigen, dachte er, hat der Herr die Kinder der Wüste herübergesandt, — eine Mahnung zu lernen und in sich zu gehen und auf den Trümmern des Vergänglichen dem sich zuzu- wenden, was mit dem Hauch des Ewigen gefeit ist; — noch liegt die Erde frisch auf dem Grab der Gefallenen, und schon treibt das Völk- lein wieder seine Spässe, als wär' alles nur Schaum und Traum gewesen ... Praxedis war zu ihm herangetreten. Warum habt Ihr uns nicht auch ein Angedenken aus der Schlacht mitgebracht, Professor? sprach sie leicht. Es soll eine sonderbare hunnische Amazone drin herum- getobt haben, so Ihr die gefangen, hätten wir jetzt ein Pärlein. Ekkehard hat an Höheres zu denken, als an hunnische Frauen, sprach die Herzogin in bitterm Ton, und er weiß zu schweigen, wie Einer, der ein Gelübde gethan. Was brauchen wir zu erfahren, wie es ihm in der Schlacht erging? Die schneidige Rede kränkte den Ernsten. — Scherz zu unrechter Zeit wirkt wie Essig auf Honigseim. Er ging schweigend hinaus, holte Herrn Burkard's Schwert, entblößte es seiner Scheide und warf's unwillig auf den Tisch vor Frau Hadwig. Frischrothe Flecken glänzten feucht auf der braven Klinge und junge Scharten waren in Rand gehauen. Ob der Schulmeister müßig ging, sprach er, mag der da bezeugen! ich hab' meine Zunge nicht zum Herold meiner That ernannt. Die Herzogin war betroffen. Sie trug noch einen Mißmuth auf dem Herzen, es zuckte und drängte, ihm zürnend Luft zu schaffen — aber das Schwert Herrn Burkard's weckte mannigfache Gedanken, sie hielt den Groll an sich und reichte Ekkehard die Hand. Ich wollt' Euch nicht kränken, sprach sie. Die Milde der Stimme klang ihm vorwurfsvoll, er zögerte die dargebotene Rechte zu ergreifen. Schier hätt' er um Verzeihung ge- beten für seine Rauheit, aber das Wort stockte ihm; — da ging die Thüre des Saales auf, es ward ihm alles Weitere erspart. Hadumoth, das Hirtenkind, trat ein. Schüchtern stand sie am Eingang, übernächtig und verweint das Antlitz; sie getraute sich nicht zu reden. Was hast du, arm Kind? rief Frau Hadwig. Komm näher! Da ging die Hirtin vorwärts. Sie küßte der Herzogin Hand. Dann ersah sie Ekkehard, dessen geistlich Gewand ihr Scheu einflößte, sie nahte sich auch ihm, seine Hand zu küssen, sie wollte reden, Schluch- zen hemmte die Stimme. Fürcht' dich nicht, sprach die Herzogin tröstend. Da fand sie Worte. Ich kann die Gänse nimmer hüten, sprach sie, ich muß fortgehen. Du sollst mir ein Goldstück schenken, so groß du eines hast. Wenn ich wieder heimkomm, will ich zeitlebens dafür schaffen. Ich kann nichts dafür, daß ich fort muß. Warum willst du fort, Kind? fragte die Herzogin, haben sie dir was Leides gethan? Er ist nicht mehr heimgekommen. Es sind viele nicht mehr heimgekommen; darum mußt du nicht fort. Die draußen blieben, sind bei Gott im Himmel und sind in einem schönen lustigen Garten und wohlauf und haben's besser denn wir. Aber das Hirtenkind schüttelte sein junges Haupt. Audifax ist nicht bei Gott, sprach's, er ist bei den Hunnen. Ich hab' nach ihm geschaut drunten im Feld, er war nicht bei den todten Männern, und des Kohlenbrenners Bub von Hohenstoffeln, der auch mit den Schützen zog, hat's gesehen wie ihn Einer fing .. Ich muß ihn dort holen, es läßt mir keine Ruh' mehr. Wo willst ihn holen? Das weiß ich nicht. Ich will gehn wo die Andern hingeritten sind, die Welt ist groß, am Ende find' ich ihn doch, das weiß ich. Das Goldstück, das du mir schenken sollst, will ich den Hunnen geben und sagen: Laßt mir den Audifax frei, und wenn ich ihn hab', kom- men wir beide heim. Frau Hadwig hatte ihr Wohlgefallen am Außerordentlichen. Von diesem Kind mögen wir Alle lernen! sprach sie, hob die scheue Hadu- moth zu sich empor und küßte sie auf die Stirn. Mit dir ist Gott, darum sind deine Gedanken groß und kühn und du weißt nicht darum. Wer hat ein Goldstück von euch bei der Hand? Der von Randegg nestelte eines herfür. 's war ein großer Gold- thaler, und war der Kaiser Karl darauf geprägt, mit einem grimmen Antlitz und groß offenen Schlitzaugen, und auf der Rückseite war ein gekrönt Frauenbild zu schauen und eine Schrift. 's ist mein letzter! sprach der Randegger lachend zu Praxedis. Die Herzogin gab ihn dem Kind: Zeuch aus im Herren, es ist eine Fügung! Es ward ihnen feierlich zu Muthe und Ekkehard legte seine Hände auf Hadumoth's Haupt wie zum Segen. Ich dank' Euch! sprach sie und wollte gehen. Noch einmal wandte sie sich um: Wenn sie mir aber den Audifax für das eine Goldstück nicht herausgeben? Dann schenk ich dir ein zweites, sagte die Herzogin. Da ging das Kind zuversichtlich von dannen. Und Hadumoth zog in die unbekannte Welt hinaus, das Goldstück in's Mieder eingenäht, die Hirtentasche mit Brod gefüllt; — den Stab hatte ihr Audifax einst aus dunkelgrüner Stechpalme geschnitzt. Ob Weg und Steg ihr unbekannt, ob Speise und Obdach zweifelhaft, darum hatte sie nicht Zeit sich zu kümmern. Die Hunnen sind gegen Sonnenuntergang gezogen und haben ihn mitgenommen, das war ihr einzig Denken, der Lauf des Rheins und der Sonne Untergang ihr Wegweiser, Audifax ihr Ziel. Mälig ward ihr die Gegend fremd. Ferner und schmäler glänzte der Bodensee vor ihrem Blick, neue Bergrücken schoben sich vor und verdeckten ihr die gewohnten stolzen Formen des heimathlichen Felsens: da schaute sie etliche male zurück. Noch einmal luegte die Kuppe des hohen Twiel mit Thurm und Mauer und Zinnen zu ihr herüber, von blauem Duft umzogen, dann schwand sie. Ein unbekanntes Thal that sich auf, weite schwarze Tannwälder zogen sich drüber hin, niedere Hütten mit tief herabhangenden Strohdächern lagen versteckt im Waldes- dunkel — unverzagt ging Hadumoth weiter und winkte den hegauer Bergen den letzten Gruß zu. Wie die Sonne jenseits der Wälder zur Ruhe gegangen war, hielt sie eine Weile: Jetzt läuten sie zu Hause den Abendsegen, sprach sie, ich will beten. Und sie kniete in der Bergeinsamkeit und betete, erst für Audifax, dann für die Herzogin, dann für sich — und Alles war still ringsum. Sie hörte nur ihr eigen pochend Herz. Wie wird's meinen Gänsen ergehen? dachte sie beim Aufstehen; jetzt ist die Stunde sie einzutreiben. Dann trat wieder Audifax vor ihre Seele, an dessen Seite sie so oft von der Weide zu Berg gefah- ren, und sie ging schneller. In den Maierhöfen im Thal rührte sich Niemand. Nur vor ei- ner Strohdachhütte saß ein altes Weib. Du sollst mich heut' Nacht bei dir behalten, Großmutter, sprach Hadumoth zutraulich. Die gab ihr keine Antwort, doch ein Zeichen daß sie bleiben könne. Sie war taub, und alleine zurückgeblieben, die Männer fort in's höhere Gebirg, der Hunnen wegen. Aber vor Tagesgrauen war Hadumoth wieder unterweges. Und sie ging durch lange, lange Wälder, drin wollte es kein Ende nehmen mit Tannen und war das erste lautlose Weben des Frühlings im Walde, die ersten Blumen streckten ihre Häupter aus dem Moos her- für, die ersten Käfer flogen leise summend drüber, und ein Harzgeruch kräftig und anmuthend zog wehend herum als wär' er ein Weihrauch, den die Tannen der Sonne hinaufschickten zum Dank für Alles, was sie zu ihren Füßen luftig hervorgetrieben. Der Hirtin gefiel's nicht. Hier ist's zu schön, sprach sie, hier kön- nen die Hunnen nicht sein. Sie lenkte ihren Schritt vom Gebirg abwärts und kam auf einen Platz da war der Wald licht, und weite Umschau. Tief unten in der Ferne floß der Rhein gekrümmt gleich einer Schlange, eingeklemmt zwischen doppelter Strömung trug eine Insel viel stattliche Mauern wie von Kirche und Kloster, der Hirtin scharfes Aug' sah daß das Mauerwerk geschwärzt und fleckig war und kein Dach mehr trug. Eine blaue Rauchwolke stand unbeweglich drüber. Wie ist's hier geheißen? fragte sie einen Mann, der aus dem Walde kam. Schwarzwald! sagte der Mann. Und drüben? Rheinau. Die Hunnen sind drüben gewesen? Vorgestern. Wo jetzt? Der Mann hatte sich auf seinen Stab gestemmt und schaute das Kind scharf an. Er deutete rheinabwärts. Warum? fragte er. Ich will zu ihnen. — Er hob seinen Stab und ging seines Weges weiter. Heiliger Fintan, bitt' für uns! murmelte er im Fortgeh'n. Und wiederum schritt Hadumoth unverdrossen weiter. Sie hatte von der Höhe erschaut, daß der Rhein in großem Bogen vorwärts strömte; da ging sie queer über das Gebirg, den Hunnen einen Vor- sprung abzugewinnen, und war zwei Tage unterwegs, die Nacht im Walde auf Moos gebettet und schier keinem Menschen begegnet. Aber viel wilde Thalschluchten traf sie und rinnend Gewässer und alte Stämme, die der Sturmwind gefällt; am Platze, wo sie sonst ihre Wipfel hoch gen Himmel gereckt, faulten sie und leuchteten grauweiß unheimlich im Dunkel. Sie ließ den Muth nicht. Das Gebirg ward minder steil und flachte sich zu einer Hochebene ab, da strich oft rauher Luftzug drüber und Schnee lag in den Thalmulden: sie ging weiter. Das letzte Stück Brod war verzehrt, da kam sie auf einen Berg- rücken und sah wieder den Rhein in der Ferne. Itzt wollte sie dem entgegen; aber wie ein Riß im Erdreich that sich eine enge Kluft diesseits des Berges auf, ein Waldstrom schäumte in der Tiefe. Junger Schuß von Stauden und Brombeer und dornigem Gestrüpp hielt den Abhang dicht besetzt; sie bahnte sich einen Weg durch. Es kostete Mühe und Schweiß, die Sonne stand hoch am Himmel, die Dornen rissen am Gewand. Wenn der Fuß unwillig still stehen wollte, sprach sie: Audifax! und hob ihn vorwärts. Jetzt war sie unten, zu Füßen dunkler Felswände. Das Wild- wasser hatte sich Bahn durch sie gebrochen und stürzte in klarem Fall drüber weg; die verwitterten Steine glänzten im Wasserduft, röthliches Moos hatte sich dran fest genistet wie eine Vergoldung; die Fluth leckte hinauf und brauste wechselnd drüber hin, bis sie wenig Schritte davon in tiefgrün durchsichtigem Becken still hielt und ausruhte, wie ein müder Mann, der sich und seines Lebens Tollheiten klar beschauen will. Ueppige Pflanzen mit großen Blättern sprießten auf; der Wasserschaum funkelte in farbigen Thautropfen drin. Blaugeflügelte Libellen flogen auf und ab, als wären sie die Geister verstorbener Elfen. Träumerisch hallte das einsame Stürzen des Bachs in's Herz des hungernden Kindes. Mit dem Bach sollte sie weiter gehen, hinab zum Rhein. Alles war verwachsen, wie wenn nie ein Mensch seinen Fuß hieher getragen ... da lachte ein trocken grünes Plätzlein zu Ha- dumoth herüber, sie legte sich nieder. Es rauschte so kühl und lang, es rauschte sie in Schlummer. Den rechten Arm ausgestreckt, daß das Haupt drauf ruhte, lag sie da, Lächeln auf dem müden Antlitz. Sie träumte. Von wem? — Die blauen Wasserjungfern haben Nichts verplaudert ... Ein leichter Wasserguß aus hohler Hand scheuchte sie aus ihrem Traum. Wie sie langsam die Augen aufschlug, stund ein Mann vor ihr mit langem Bart, in grobzwilchenem Tschoben, die Füße nackt bis über's Knie. Angelruthen, Netz und ein hölzern Legel, drin blau- getupfte Forellen schwammen, lagen im Grase bei ihm. Er hatte die Schläferin lang betrachtet. Zweifelhaft, ob sie ein Menschenkind, ging er, Wasser zu schöpfen und weckte sie. Wo bin ich? fragte Hadumoth sonder Furcht. Am Wieladinger Strahl! sprach der Fischer. Das Wasser ist die Murg und hat gute Forellen und geht in Rhein. Wie kommst aber du auf den Wald, Mägdlein? bist vom Himmel heruntergefallen? Ich komm' weither; bei uns sind die Berge anders und wachsen einzeln und steil aus der Ebene auf und steht ein Jeder für sich, — und die Forellen schwimmen im See und sind größer: Hegau heißen's die Leute. Der Fischer schüttelte das Haupt. Das muß weit weg sein, sprach er. Wohin jetzt? Wo die Hunnen sind, sagte Hadumoth und erzählte ihm treuherzig, warum sie ausgezogen und wen sie suche. Da schüttelte der Fischer sein Haupt noch stärker denn zuvor. Beim Leben meiner Mutter! sprach er, das ist ein böser Gang! Aber Ha- dumoth faltete die Hände und sagte: Fischer, du mußt mir den Weg zeigen, wo sie sind. Da ward der Bärtige weich. Wenn's sein muß, brummte er, gar fern sind sie nicht. Komm mit! Er packte sein Fischgeräth zusammen und ging mit der Hirtin dem Laufe des Waldbachs entlang. Wenn Baum und Busch zu dicht die Ufer sperrten oder Felsblöcke aufgethürmt lagen, hub er das Mägdlein auf den Arm und schritt durch's schäumende Wasser. Dann ließen sie die Thalschlucht zur Rechten. Sie standen auf einem der Vorberge, die sich zum Rhein hinuntersenken. Schau hin, Kind, sprach er und deutete über den Rhein hinüber, wo ein flach abgeschnittener Gebirgs- zug sich streckte: dort geht's in's Frickthal hinein, zum Bötzberg hin. Dort steht ihr Lager geschlagen. Gestern ist das Laufenburger Castell ausgeflammt worden ... Aber weiter sollen uns die Mordbrenner nimmer traben, fuhr er grimmig fort. Sie gingen noch eine Weile, da hielt Hadumoth's Geleitsmann an einem felsigen Vorsprung. Warte! sprach er zu ihr. Er schleppte etliche Stämme dürres Tannenholz zusammen und schichtete sie auf, Reisig und Kienspähne reichlich dazwischen, doch ließ er's unangezün- det. Das Gleiche that er an anderen Plätzen. Hadumoth sah ihm zu; sie wußte nicht, warum er's that. Dann stiegen sie zu den Ufern des Rheins hinunter. Ist's dein Ernst mit den Hunnen? frug er noch einmal. Ja! sprach Hadumoth. Da löste er einen im Gebüsch verborgenen Kahn und fuhr sie über. Am andern Ufer war's waldig; er ging ein Stück einwärts und schaute sorgfältig um. Auch dort lag ein Holzstoß ge- schichtet und Kienfackeln dabei, von grünen Zweigen verdeckt. Er nickte zufrieden und kam zu Hadumoth: Weiter geh' ich nicht mit, dort ist Frickthal und Hunnenlager. Mach', daß sie deinen Buben heraus- geben, eher heut als morgen, 's könnt' sonst zu spät werden. Behüet dich Gott, du bist ein tapfer Kind. Ich dank' dir, sprach Hadumoth und drückte seine schwielige Hand. Warum gehst du nicht mit? Ich komm' später! sagte der Fischer mit bedeutsamem Ton und stieg in seinen Kahn. Am Eingang zum Thal war der Hunnen Lager geschlagen, wenig Gezelte und etliche große Hütten aus Buschwerk und Stroh. In Blockhäusern von Tannstämmen die Pferde. Es lehnte sich im Rücken an einen Berg, nach vorn war ein Graben gezogen als Schutzwehr, und mit Verhack, Pfählen und dazwischen geworfenen Felsblöcken, nach Art des hunnischen Landhags gesperrt. Bis weit hinaus ritten die Vorposten auf und nieder: halb war es das Bedürfniß der Ruhe nach Ritt und Kampf, halb ein Anschlag auf's Kloster des heiligen Fridolin drüben, was sie dort festhielt. Ein Theil der Mannschaft baute Schiffe und Flöße am Rhein. In seinem Zelt lag Hornebog, der Führer seit Ellak's Fall. Decken und Polster waren aufgethürmt, er freute sich keiner Ruhe. Erica die Heideblume saß bei ihm und spielte mit einem güldenen Kleinod, das sie an seidener Schnur um den Hals trug. Ich weiß nicht, sagte Hornebog zu ihr, es ist sehr ungemüthlich worden. Die Kahlgeschorenen am See haben zu wüthend drein ge- schlagen. Wir müssen sachter thun. Hier trau' ich auch nicht; 's ist mir zu ruhig, und Ruhe geht vor dem Sturm. Mit dir ist's auch nichts mehr, seit sie den Ellak erschlagen. Solltest mich jetzt lieben wie ihn als er der Erste war — und bist wie ein ausgebrannt Kohlenfeuer. Erica schnellte das Kleinod an seiner Schnur weit von sich, daß es tönend an die Brust zurückprallte, und summte was Hunnisches vor sich hin. Da trat ein wachehaltender Kriegsmann in's Zelt, Hadumoth die Hirtin mit ihm und Snewelin von Ellwangen als Dollmetsch. Das Kind war in's Lager gekommen, durch Vorposten und Wacheruf un- verzagt durchschreitend, bis sie's festhielten. Snewelin trug Hadumoth's Begehr um den gefangenen Knaben vor; er war mitleidig und weich gestimmt als wär' er noch in der Heimath und begehe den Ascher- mittwoch, denn er hatte heut' sämmtliche Unthaten im Lauf seines Hunnenlebens überrechnet, die ausgebrannten Klöster begannen ihm schwer auf dem Gewissen zu lasten. Sag' ihm auch, daß ich ein Lösegeld zahlen kann, sprach Hadu- moth und trennte des Mieders Naht auf, drin der Goldthaler war. Sie reichte ihn dem Anführer dar. Der lachte. Auch die Heideblume lachte. Verrücktes Land! sprach Hornebog. Die Männer scheeren das Haupt, und die Kinder thun was Kriegern geziemte. Wären uns die Gewaffneten vom See nachgezogen statt dieses Mägdleins, es hätt' uns in Verlegenheit bringen mögen. Er sah das Kind mißtrauisch an. Wenn sie zu spähen käme ...! rief er. Aber Erica fuhr dazwischen und streichelte Hadumoth's Stirn. Du sollt bei mir bleiben, sagte sie, ich brauch' was zum Spielen seit mein schwarzer Rapp todt und mein Ellak todt ... Schafft mir das Gezeug hinaus, rief Hornebog unmuthig. Sind wir am Rhein um mit Hirtenkindern zu spielen?! Da merkte Erica, daß beim Anführer ein Ungewitter im Anzug war; sie nahm das Mägdlein bei der Hand und ging mit ihr. Wo das Lager sich an den Berg hinstreckte, war zwischen aufge- häuften Steinplatten die Feldküche errichtet. Dort schaltete die Wald- frau. Audifax kniete bei'm größten der Kessel und blies das Feuer an, die Abendsuppe brodelte drin. Jetzt sprang er auf und that einen Schrei. Er hatte seine Gefährtin erschaut. Aber die Waldfrau reckte ihr Haupt hinter dem andern Kessel vor, das war mehr als ein Halt- ruf. Er stand unbeweglich, griff nach einem geschälten Ast und rührte die Suppe wie's ihm vorgeschrieben war; — ein Bild stummen Jam- mers, er war blaß und hager geworden, die Augen trüb von Thränen, die Niemanden gerührt. Daß Ihr mir den Kindern nichts zu leide thut, alte Meerkatze! rief Erica der Waldfrau zu. Da ging Hadumoth hinüber. Der Hirtenknabe ließ seinen kunst- losen Löffel fallen, und reichte ihr die Hand stumm und still, aber aus den tiefdunkeln Augen blitzte es zu ihr hinüber wie eine große Geschichte von Gefangenschaft, Duldung und schweifendem Wunsch des Befreitseins. Hadumoth stand unbeweglich vor ihm; sie hatte sich viel Rührendes gedacht vom Augenblick des Wiedersehens; das Alles schwand — die größte Freude jubelt schweigend ihr Lied himmelan. Gib mir eine Schüssel von deiner Suppe, Audifax, sprach sie, mich hungert! Die Waldfrau ließ es geschehen, daß er ihr eine hölzerne Schüssel aus dem Feldkessel füllte. Das hungrige Kind stärkte sich dran und ward guten Muthes und erschrack nicht über die wilden Gesichter der hunnischen Reiter, die da kamen ihre Abendsuppe zu schöpfen. Nach- her setzte sie sich dicht zu Audifax hin. Er war stumm und zurück- haltend, erst wie es dunkel ward und seine Dräuerin von dannen ging, lösten sich die Fesseln seiner Zunge. O, ich weiß viel, Hadu- moth! sagte er leise, und sah sich scheu um — ich weiß den Hunnen- schatz! Die Waldfrau hat ihn in Verwahrung, zwei Truhen stehen unter ihrem Lager im Zweighaus; ich hab' selber hineingeschaut, es glänzt drin von Spangen und Vorhängkleinodien und güldenem Ge- schirr. Auch ein silbern Huhn mit Küchlein und Eiern ist dabei, das hat Einer im Lombardenland mitgenommen, und viel Prächtiges sonst ... ich hab's theuer gebüßt, den Schatz zu sehen ... Er lüftete seinen ledernen Schlapphut. Sein rechtes Ohr war halb abgeschnitten. ... Die Waldfrau kam heim eh' ich die Truhe zuschlagen konnte. Das sei dein Lohn, sprach sie, und zuckte die Scheere wider mein Ohr. 's hat weh gethan, Hadumoth. Aber ich zahl's ihr heim! Ich helf' dir! sprach die Gefährtin. Lange noch plauderten die Beiden; der Schlummer floh die Augen der Glücklichen. Der Lärm des Lagers schwieg. Dämmernde Schat- ten waren über das Thal gebreitet. Da sprach Hadumoth: Ich muß immer und immer denken, es sei jene Nacht, wo die Sterne fielen. Audifax seufzte. Ich gewinn' meinen Schatz doch noch, sprach er; ich weiß es. Und wieder saßen sie eine Weile, da schreckte Audifax zusammen, Hadumoth spürte das Zittern seiner Hand. — Ueber dem Rheine, auf dunkelm Berggipfel flammte ein Feuerzeichen auf, es war wie eine Fackel, die ein Mann in kreisendem Bogen schwingt und in die Lüfte hinausschleudert. Jetzt ist's erloschen! sprach Audifax leis. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 14 Aber dort! sagte Hadumoth erschrocken, und wies rückwärts. Von des Bötzbergs Höhe schlug eine Lohe empor und kreiste feu- rig und sprühte in Funken. Es war dasselbe Zeichen. Und drüben auf dem Schwarzwald hub sich an dem Platze, wo die Fackel ge- schwungen worden, eine hohe Flamme himmelan und leuchtete durch die sternlose Nacht. Von der Wache im Thal draußen scholl ein gel- lender Pfiff. Im Lager regte sich's. Die Waldfrau kam herein. Was träumst du noch, Bub'! rief sie drohend, schirr unser Gespann und rüste das Saumroß! Schweigend gehorchte Audifax. Der Wagen stand geschirrt, das Saumroß an Pfahl gebunden; vorsichtig schlich die Alte heran und hing ihm zwei Körbe um und trug zwei Truhen herzu, die packte sie in die Körbe und that Heu drüber. Sie spähte lauernd hinaus. Es war wieder still. Der Frickthaler Wein schaffte den Hunnen einen festen Schlaf. Es ist nichts! brummte die Waldfrau, wir können die Gäule wie- der zur Ruhe bringen. Da fuhr sie auf, wie geblendet. Der Berg über dem Lager war lebendig geworden, es blitzte und sprühte von viel hundert Fackeln und Feuerbränden und donnerte mit wüthen- dem Schlachtruf dazwischen, — vom Rhein her wälzten sich dunkle Massen, auf allen Gipfeln flammte es gen Himmel. — Heraus, ihr Schläfer!... es war zu spät — schon flog der helle Brand in's Hunnenlager, — klagend Gewieher der Rosse tönte auf — der große Stall stand in Flammen — dunkle Gestalten brechen ein, fackelglanz- beschienen kommt heute der Tod; — das ist der alte Irminger, Herr im Frickgau, der ihn bringt, er der starke Vater sechs starker Söhne, der wie Mathathias mit seinen Maccabäern das Elend seines Volkes nicht länger erschauen wollte; — und von ihnen geführt die Männer von Hornussen und Herznach und die aus dem Aarthal und von Brugg und Badens heißen Quellen und weit von der Giselaflueh her. In sicherm Waldversteck waren sie gelegen, bis auf dem Eggberg drüben die Fackel schwirrte, das war des Schwarzwalds nachbarliche Hilfe — da ging's vorwärts zum Sturm. Graunvoll tönte der Ueberfallenen Schrei in den Sturmruf. Blutigen Hauptes sprengte Snewelin vorüber, ein wohlgeschleuderter Pechbrand haftete in seiner Gewandung und flackerte weiter, daß er aussah wie ein feurig Gespenst: Die Welt geht unter! rief er, das tausendjährige Reich bricht an, Herr, sei meiner armen Seele gnädig! Verloren, Alles verloren! sprach die Waldfrau vor sich hin und fuhr mit der Hand über die Stirn. Dann band sie das Saumroß los, um es auch noch vor ihren Wagen zu schirren. Im Dunkel stand Audifax, er biß die Zähne zusammen, um nicht jubelnd hin- auszujauchzen in das Geheul des nächtlichen Ueberfalls; zitternder Widerschein des Feuers spielte um sein Antlitz; es kochte in ihm. Eine Weile schaute er starr in's Rennen und Wogen und Kämpfen der dunkeln Männer — jetzt weiß ich's! sprach er leise zu Hadumoth; er hatte einen Feldstein aufgerafft, katzenschnell sprang er an der Waldfrau hinauf und schlug sie nieder, das Saumroß riß er weg und hob mit Mannesstärke die knieende Hadumoth hinauf: Halt dich fest am Sattelknopf! — er sprang auf's Roß und griff die Zügel, das fühlte die ungewohnten Reiter, scheu von Brand und Glanz sprengte es davon in die Nacht ... Audifax wankte nicht, sein Herz pochte in lautem Schlag, er schloß die Augen vor dem qualmenden Rauch — über Erschlagene gings und durch's Gewühl streitender Männer ... itzt tobte der Schlachtlärm entfernter, das Roß schlug langsameren Schritt an, dem Rheine entgegen trug es die Kinder — sie waren gerettet. Und sie ritten die lange bange Nacht durch, und schauten nicht um. Audifax hielt schweigsam die Zügel, es war ihm oft als wär' Alles ein Traum gewesen; er legte die Linke auf Hadumoth's Haupt und klopfte an die Truhe im Hängkorb, es gab einen Klang von Metall, da erst wußte er wieder, daß er nicht geträumt. Und das Roß war brav und trug seine Last willig, über Feld und Heide ging der Weg und durch finstere Wälder, immer dem strömenden Rhein entgegen. Wie sie lang und weit geritten waren, da kam ein kühler Luft- zug, daß sie zusammenschauerten: das war des Morgens Vorbote. Hadumoth schlug die Augen auf. Wo sind wir? fragte sie. Ich weiß es nicht, sagte Audifax. Jetzt hörten sie ein Rauschen und Tosen wie fernen Donner, aber es war nicht von einem Gewitter; der Himmel hellte sich, die Stern- lein verblaßten und schwanden. Der Donner ward lauter und näher, 14* sie ritten an einem Castell vorüber, das sah stattlich in die Ge- wässer herunter, dann bog ihr Pfad um einen Bergrücken, da kam der Rhein in breiter Strömung daher und stürzte mit Hall und Schall und sprühendem Geschäume über dunkles zernagtes Gefels; per- lender Wasserstaub stäubte herüber und Alles stand in feuchtem Duft ... das Roß hielt an, als wolle es den gewaltigen Anblick bedachtsam in sich aufnehmen; Audifax sprang herab, hob die müde Hadumoth herunter, stellte die Hängkörbe zur Erde und ließ das brave Thier grasen. Und die Kinder standen vor dem Fall des Stromes, Hadumoth hielt ihres Gefährten Rechte in ihrer Linken, lang und lautlos schau- ten sie hinein. Und die Sonne warf ihre ersten Strahlen über die stürzende Fluth, die fing sie auf und fügte sie zu farbigem Regen- bogen zusammen und spielte mit dem schillernden Licht ... Audifax aber ging jetzt zu den Körben, nahm eine Truhe herfür und schlug sie auf — es war eitel Gold und Geschmeide drin — der Schatz, der langersehnte, war gehoben und war sein eigen, nicht durch Zauberformel und nächtige Beschwörung, eigen durch kräftig Rühren der Hände und Dreinschlagen und Nutzung des günstigen Augenblicks. Er schaute in den güldenen Flimmer: es überraschte ihn nicht, er wußte ja seit Monden, daß ihm solches beschieden war ... Von jeglicher Art der güldenen Stücke las er eines aus, von Ge- fäßen eines, von Ringen einen, von Münzen und Armspangen eine, und trug sie vor an's Ufer. Hadumoth, sprach er, hier muß Gott sein, sein Regenbogen schwebt über dem Wasser. Ich will ihm ein Dankopfer bringen! Er trat vor auf einen Felsblock am Rande des Stromes und schleuderte mit starkem Arm das Gefäß in die brausende Rheinfluth, und den Ring und die Münze und die Spange — dann kniete er auf die Erde und Hadumoth kniete zu ihm und sie beteten eine lange Zeit und dankten Gott ... Sechzehntes Kapitel . Cappan wird verheirathet. Wenn das Gewitter vorüber ist, kommen die Bäche trüb und erdfarbig daher geflossen. So folgt auf landerschütternde Bewegung meist eine Zeit kleiner verdrießlicher Geschäfte, bis das alte Geleise allent- halb wieder hergestellt worden. Auch Frau Hadwig mußte das erfahren. Es war viel zu richten und schlichten nach Vertreibung der Hunnen. Sie unterzog sich dem gerne, ihr beweglicher Geist und die Freude am eigenen Eingreifen erleichterten die Sorgen des Regierens. Wittwen und Waisen der gefallenen Heerbannmänner kamen, und wem der rothe Hahn auf's Dach der Hütte geflogen, und wem die junge Saat von Rosseshuf zerstampft war: es ward Hilfe geschafft, so viel möglich! Boten an den Kaiser gingen ab mit Bericht über das Geschehene und Vorschlag künftiger Abwehr, der Burg Befestigung, wo sie sich mangelhaft erwiesen, ward gebessert, die Waffenbeute be- messen und vertheilt, die Stiftung einer Capelle auf dem Grabhügel der christlichen Kriegsmänner beschlossen. Mit Reichenau und Sanct Gallen war viel Verhandlung; geist- liche Freunde vergessen niemals Rechnung zu stellen für erwiesenen Dienst. Sie wußten eindringlich zu jammern und wehklagen über die Schädigung der Gotteshäuser und unerschwingliche Einbuße an Hab und Gut: daß eine Schenkung von Grund und Boden den be- drängten Gottesmännern sehr erwünscht käme, ward der Herzogin täg- lich in's Gehör geträufelt. Fern im Rheinthal, wo der Berg von Breisach mit seinen dunkel ausgebrannten Felsrücken der Strömung sich entgegenstemmt, war der Herzogin das Hofgut Saspach. Auf vulkanischem Boden gedeiht die Rebe, — das hätte den frommen Brüdern auf der Aue wohl getaugt; schon um den Unterschied des rheinischen Weines von dem am See erproben zu können, außerdem als geringer Ersatz für tapferes Streiten und die nöthigen Seelen- messen um die Gebliebenen. Und wie sich Frau Hadwig eines Tages dem Vorschlag es abzu- treten, nicht ganz abgeneigt erwiesen, kam schon des andern mit dem frühsten der Subprior geritten und bracht ein großes Pergament, drauf stund die ganze Formel der Schenkung und klang recht stattlich, wie Alles dem heiligen Pirminius solle zugewiesen sein, Haus und Hof und aller Zubehör, gerodet Land und ungerodet, Wald und Wein- berg, Weide und Wieswuchs und der Lauf der Gewässer sammt Mühlenbetrieb und Fischfang, und was von eigenen Leuten männlichen und weiblichen Geschlechtes auf den Huben seßhaft .. und fehlte auch die übliche Verwünschung nicht: „So sich Einer vermessen sollt', hieß es, die Schenkung anzuzweifeln oder gar dem Kloster zu entziehen, über den sei Anathema Maranatha gesprochen, der Zorn des All- mächtigen und aller heiligen Engel treffe ihn, mit Aussatz werde er geschlagen wie Na ë man der Syrer, mit Gicht und Tod wie Ananias und Sapphira, und ein Pfund Goldes zahle er zur Sühne des Fre- vels dem Fiscus.“ Der Herr Abt hat seiner gnädigen Herrin die Mühe sparen wol- len, den Schenkbrief selbst aufzusetzen, — sprach der Subprior, es ist freier Raum gelassen, Namen und Grenzen des Gutes einzutragen, die Unterschriften der Parteien und Zeugen beizufügen, die Sigille dranzuhängen. Wisset Ihr Euch bei allen Geschäften so zu sputen? erwiederte Frau Hadwig. Ich werd' mir Euer Pergament bei Gelegenheit ansehen. Es wäre dem Abte ein liebsam und erwünscht Ding, so ich ihm heute schon die Schrift von Euch gezeichnet und gesiegelt zurückbringen könnte. Es ist wegen der Ordnung im Klosterarchiv, hat er gesagt. Frau Hadwig schaute den Mann von oben herab an. Sagt Euerm Abt, sprach sie, daß ich eben die Rechnung stellen lasse, um wie viel der Brüder Einlagerung auf dem hohen Twiel mich an Küche und Keller geschädigt. Sagt ihm außerdem, daß wir unsere eigenen Schreibverständigen haben so es uns zu Sinne kommt, Hofgüter am Rhein zu verschenken, und daß... Es lagen ihr noch etliche bittere Worte auf der Zunge. Der Subprior fiel beschwichtigend ein und gedachte eine Reihe von Fällen aufzuzählen, wo erleuchtete Herren und Fürsten deßgleichen gethan, — wie die Könige in Francien drüben dem heiligen Martinus von Tours reichlichst den Schaden ersetzt, den er durch der Normänner Plünde- rung erlitten, und wie erklecklich durch solche Schenkung dem Heil der Seele Vorschub geleistet sei, denn wie das Feuer durch's Wasser gelöscht werde, so die Sünde durch's Allmosen ... Die Herzogin wandte ihm den Rücken und ließ ihn sammt seinen unerzählten Beispielen im Saale stehen. Zu viel Eifer ist vom Uebel! murmelte der Mönch; langsam gefahren, sicher gefahren! Da wandte sich Frau Hadwig noch einmal. Es war eine unbeschreibliche Hand- bewegung, mit der sie sprach: Wollet Ihr mich verlassen, so gehet auch gleich und ganz! Er trat seinen Rückzug an. Den Abt zu ärgern, übersandte sie noch desselben Tages dem greisen Simon Bardo für glückliche Lenkung der Schlacht eine gül- dene Kette. Ein Mann, mit dessen Schicksal sich die Herzogin gern beschäftigte, war der gefangene Hunne Cappan. Der hatte anfangs böse Tage durchlebt; es war ihm noch nicht klar, warum man ihn am Leben gelassen, er lief scheu umher, wie Einer, der kein Recht auf sich selber mehr hat und wenn er auf seinem Strohlager schlummerte, kamen schöne Träume über ihn: da sah er weite blumige Gefilde, aus denen wuchsen Galgen ohne Zahl wie Disteln in die Höhe und an jedem hing einer seiner Landsleute, und am höchsten hing er selber, und fand's ganz in der Ordnung, daß er dran hing, denn das war das Loos Kriegsgefangener in selben Tagen. Es ward aber keiner für ihn errichtet. Noch etliche Zeit schaute er mißtrauisch auf die Linde im Burghof, die hatte einen stattlichen kahlen Ast und es däuchte ihm oftmals, als winke ihm der Ast herauf und sage: Hei! wie taug- test du, mich zu schmücken! Allmälig fand er jedoch, daß die Linde ein schöner schattiger Baum sei, und ward zutraulicher. Sein durchstochener Fuß heilte, er trieb sich in Hof und Küche herum und schaute mit stumpfer Verwunderung in das Getrieb deutschen Hauswesens. Er vermeinte zwar auf hun- nisch, eines Mannes Heimath solle der Rücken des Rosses sein und für Weib und Kind genüge ein fellumhangener Wagen, aber wenn's regnete oder die Abendkühle kam, schien ihm das Heerdfeuer und die vier Wände nicht zu verachten, ein Trunk Wein besser als Stuten- milch und ein wollener Wamms weicher als ein Wolfspelz. So schwand die Sehnsucht des Fliehens; vor Heimweh war er geschützt, weil ihm ein Vaterland fremd. In Hof und Garten schaltete dazumal eine Maid, die hieß Fri- derun und war hoch wie ein Gebäu von mehreren Stockwerken, drauf ein spitzes Dach sitzt, denn ihr Haupt hatte die Gestalt einer Birne, und glänzte nicht mehr im Schimmer erster Jugend; wenn der breite Mund sich zu Wort oder Gelächter aufthat, ragte ein Stockzahn her- für, als Markstein gesetzten Alters. Die bösen Zungen raunten sich zu, sie sei einst Herrn Spazzo's Freundin gewesen, aber das war schon lange her; seit Jahren war ihre Huld einem Knecht zugewandt, den hatten in den Reihen des Heerbannes die Hunnen erschossen — itzt stand ihr Herz verwaist. Große Menschen sind gutmüthig und leiden nicht unter den Ver- heerungen allzu scharfen Denkens. Da lenkte sie ihre Augen auf den Hunnen, der sich einsam im Schloßhof umtrieb, und ihr Ge- müth blieb mitleidig an ihm haften, wie der funkelnde Thautropfen am Fliegenschwamm. Sie suchte ihn heranzubilden zu den Künsten, die ihr selber geläufig, und wenn sie im Garten gejätet und gehackt, geschah es, daß sie ihre Hacke dem Cappan übergab; der that, wie er's von seiner Meisterin gesehen. Auch im Abschneiden von Bohnen und Kräutern folgte er ihrem Beispiel, — und nach wenig Tagen, wenn Wasser vom Brunnen beigeschafft werden sollte, brauchte die schlanke Friderun nur auf den hölzernen Kübel zu deuten, so hatte ihn Cappan auf's Haupt gehoben und schritt damit zum plätschernden Brunnen im Hofe. Nur in der Küche ward am gelehrigen Schüler keine Freude erlebt, denn wie ihm einsmal ein Stück Wildpret zugewiesen war, daß er's mit hölzernem Schlegel mürb schlage, kamen alte Erinnerungen über ihn und er zehrte ein Stück davon roh auf, sammt Zwiebeln und Lauch, die zu des Bratens Würze bereit standen. Ich glaub' mein Gefangener gefällt dir, rief ihr Herr Spazzo eines Morgens zu, als der Hunn' fleißig mit Holzspalten beschäftigt war. Dunkelroth färbten sich die Wangen der hohen Gestalt. Sie schlug die Augen nieder. — Wenn der Bursch deutsch reden könnt' und kein verdammter Heidenmensch wär' ... fuhr Herr Spazzo fort. Die Schlanke schwieg verschämt. Ich weiß, daß du ein Glück verdienst, Friderun ... sprach Herr Spazzo weiter. Da löste sich Friderun's Zunge: Von wegen des deutsch Redens .. sagte sie mit fortwährend gesenktem Blick, auf die Sprache käm' mir's gar nicht an. Und wenn er ein Heide ist, so braucht er ja keiner zu bleiben. Aber ... Was aber? Er kann nicht sitzen beim Essen wie ein vernünftiger Mensch. Er liegt immer den langen Weg auf dem Boden, wenn's ihm schmecken soll. Das wird ihm ein Ehegespons wie du sattsam austreiben. Habt ihr euch schon verständigt? Friderun schwieg abermals. Plötzlich lief sie davon wie ein ge- hetztes Wild, die Holzschuhe klapperten auf dem Steinpflaster des Hofes. Da ging Herr Spazzo zum holzspaltenden Cappan, schlug ihm auf die Schulter, daß er aufschaute, deutete mit gehobenem Zeige- finger auf die Fliehende, nickte mit dem Haupt fragend und blickte ihn scharf an. Der Hunn' aber fuhr mit dem rechten Arm auf die Brust, neigte sich, that dann einen mächtigen Satz in die Höhe, daß er sich um sich selber herum drehte, wie der Erdball um seine Achse, und verzog seinen Mund zu fröhlichem Grinsen. Da wußte Herr Spazzo, wie es mit Beider Gemüth beschaffen war. Friderun hatte des Hunnen Luftsprung nicht erschaut. Zweifel lasteten noch auf ihrer Seele, darum erging sie sich vor dem Burgthor; sie hatte eine Wiesenblume gepflückt und zupfte die weißen Blumenblättlein, eines nach dem andern: er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich. Wie sie alle ein Spiel der Winde geworden bis auf's Letzte, hörte ihr Gemurmel auf; sie sah den kahlen Blumen- rest mit dem einen kleinen weißen Blättlein verklärt an und nickte wohlgefällig lächelnd darauf nieder. Spazzo der Kämmerer aber trug die Sache seines Gefangenen der Herzogin vor. Geschäftigen Geistes gedachte sie sogleich dessen Schicksal zu gestalten. Der Hunn' hatte im Garten Proben einer löblichen Kunst abgelegt; er wußte dem treulos unterirdischen Wühlen der Maulwürfe Einhalt zu thun — mit einge- bogenen Weidenruthen, dran er eine Schlinge festigte, hatte er manchem der schwarzen Gesellen ein unerwünscht Lebensend' bereitet, aufgeschnellt baumelten sie im gleichen Augenblick zu Sonnenlicht, Galgen und Tod empor. Auch flocht er aus Draht treffliche Fallen der Mäuse und zeigte sich in Allem, was niedere und niederste Jagd angeht, wohlerfahren. Wir weisen ihm etliche Huben Landes drüben am Stofflerberge zu, sprach Frau Hadwig. Als Frohn- und Felddienst soll er dafür den Krieg gegen alles saatverderbende Gethier führen, soweit unser Twing und Bann reicht. Und wenn die lange Friderun Gefallen an ihm hat, mag sie ihn nehmen; es wird schwerlich schon eine andere aus den Jungfrauen unseres Landes ein Aug' auf ihn geworfen haben. Sie gab Ekkehard die Weisung den Gefangenen vorzubereiten, daß er seines Heidenthums ledig in die christliche Gemeinschaft aufge- nommen werden möge. Der schüttelte zwar bedenklich das Haupt, aber Frau Hadwig sprach: Der Wille muß für das gut sein, was an der Einsicht abgeht; den Unterricht möget ihr kurz halten, so viel als den Sachsen, die der große Karl in die Weser treiben ließ, wird ihm auch deutlich werden. Ekkehard that wie ihm geheißen und seine Lehre fiel auf gutes Erdreich. Cappan hatte auf seinen Heerzügen manch ein deutsches Wort aufgelesen, und hatte wie all seine Landsleute einen eigenen Sinn zu errathen, was Anderer Absicht, auch wenn die Sprache nicht ganz verstanden ward. Zeichen und Bild ergänzte Vieles; wenn Ekkehard vor ihm saß, das metallbeschlagene Evangelienbuch mit den goldge- malten Buchstaben aufgeschlagen, und gen Himmel deutete, so wußte der Hunn', wovon die Rede, das Abbild des Teufels verstand er und gab in Geberden kund, daß der zu verabscheuen sei, vor dem Zeichen des Kreuzes warf er sich, wie er von Andern gesehen, in die Kniee. So gedieh der Unterricht. Wie Cappan seinerseits sich auszudrücken vermochte, stellte sich freilich heraus, daß seine Vergangenheit eine sehr schlimme. Er nickte bejahend auf die Frage, ob er Wohlgefallen an der Zerstörung von Kirchen und Klöstern gehabt, und an den ausgereckten Fingern war abzuzählen, daß er mehr denn einmal bei solchem Frevel mitgewirkt. Unter Zeichen aufrichtiger Reue aber that er zu wissen, daß er in jüngern Tagen zu Heilung von schlimmem Wundfieber ein Stück vom Herzen eines erschlagenen Clerikers aufgezehrt; zur Sühne lernte er jetzt desto emsiger die offene Schuld aussprechen, wenn ein Wort fehlte, half ihm Friderun, und bald konnte Ekkehard erklären, daß er mit ihm zufrieden, wenn auch nicht Alles in seinem Gemüth Eingang gefunden, was der Kirchenvater Augustinus in seinem Buch von Unterweisung der im Glauben Rohen verlangt. Da ordneten sie einen Tag zu gleichzeitigem Vollzug von Taufe und Hochzeit. Nach der Herzogin Geheiß sollten ihm drei Taufpathen gegeben sein, einer vom Kloster Reichenau, einer von Sanct Gallen und einer vom Heerbann, zum Gedächtniß an die Schlacht drin sie ihn gefangen. Die Reichenauer sandten Rudimann den Kellermeister; für den Heerbann trat Herr Spazzo ein. Und weil die Pathen sich nicht einigen konnten, welch einen neuen Namen der Täufling führen sollte, ob Pirmin zu Ehren der Reichenau, oder Gallus, brachten sie es vor die Herzogin zum Austrag, die sprach: heißet ihn Paulus, denn auch er ist schnaubend von Wuth und Mord gegen die Jünger des Herrn in's Land gezogen, bis daß ihm die Schuppen von den Augen fielen. Es war ein Sonnabend, da führten sie den Cappan, der während des ganzen Tages gefastet, zur Capelle der Burg und verbrachten ab- wechselnd die Nacht mit ihm im Gebete. Der Hunn' war ergeben und fromm, und trug sich mit ernsten Gedanken, und vermeinte der Geist seiner Mutter sei ihm erschienen, in Lämmerfelle gehüllt, und hab' ihm zugerufen: Dein Bogen ist zerbrochen, duck dich, arm Reiterlein: Die dich vom Roß gestochen, soll'n deine Herren sein! In stiller Sonntagsfrühe aber, als noch perlender Thau die Halme netzte, und kaum ein erstes Lerchlein sich zum reinen Morgenhimmel aufschwang, wallte eine kleine Schaar mit Kreuz und Fahne den Burg- weg hinab — diesmal kein Trauerzug. Ekkehard voraus im violetten Priestergewand, inmitten seiner Pa- then der Hunne, so schritten sie durch den üppigen Wieswuchs an's Ufer des Flüßleins Aach. Dort pflanzten sie das Kreuz in weißen Sandboden und traten im Halbkreis um den, der heute zum letzten- mal Cappan heißen sollte; hell klang ihre Litanei durch die Morgen- stille zu Gott auf, daß er gnädig herabschaue zu dem, der jetzt seinen Nacken vor ihm beuge und sich nach Befreiung sehne vom Joch des Heidenthums und der Sünde. Dann hießen sie den Täufling sich entkleiden bis auf die Umgür- tung der Lenden. Er kniete im Ufersand, Ekkehard sprach die Be- schwörung im Namen dessen, den Engel und Erzengel fürchten, vor dem Himmel und Erde erzittern, und die Abgründe sich aufthun, auf daß der böse Geist die letzte Gewalt über ihn verliere, dann hauchte er ihn dreimal an, reichte geweihtes Salz seinem Munde, als Sinn- bild neuer Weisheit und neuen Denkens, und salbte ihm Stirn und Brust mit heiligem Oele. Der Täufling war wie erschüttert und wagte kaum zu athmen, so schlug ihm die Wucht der Feier in's Ge- müth. Wie ihm drauf Ekkehard die Formel der Abschwörung vor- sprach: Versagst du dem Teufel und allen seinen Werken und allen seinen Gezierden? antwortete er mit heller Stimme: Ich versag' ihm! und sprach, so gut er's vermochte, die Worte des Bekenntnisses nach, drauf tauchte ihn Ekkehard in die kühle Fluth des Flüßleins, die Taufe war ausgesprochen, der neue Paulus stieg aus dem Gewässer ... einen wehmüthigen Blick warf er nach dem frischen Grabhügel der sich drüben am Waldessaum thürmte, dann zogen ihn die Taufpathen herauf und hüllten den Zitternden in ein blendend linnen Gewand. Vergnüg- lich stand er unter seinen neuen Brüdern. Ekkehard hielt eine An- sprache nach den Worten der Schrift: Der ist selig, welcher sein Ge- wand treu behütet, damit er nicht nackend gehe, und mahnte ihn, daß er von nun an das makellose Linnen trage als Gewand der Wie- dergeburt in Rechtschaffenheit und Güte, wie es die Taufe ihm ver- liehen, — und legte ihm die Hände auf. Mit schallendem Lobsang führten sie den Neubekehrten zur Burg zurück. In der gewölbten Fensternische eines Gemachs im Erdgeschoß saß indessen Friderun die Lange. Praxedis huschte auf und ab, wie ein unstetes Irrlicht; sie hatte sich's von der Herzogin erbeten, die unge- schlachte Braut zu ihrem Ehrentag zu schmücken. Schon waren die Haare eingeflochten in rothe Stränge von Garn, der unendlich falten- reiche Schurz wallte bis zu den hochabsätzigen Schuhen, drüber prangte der dunkle Schappelgürtel mit feiner güldfadenen Einfassung — nur wer die Braut erstreitet, darf ihn lösen — jetzt griff Praxedis die glitzernde glasperlenbehängte Krone voll farbiger Steine und Flittergold: Heilige Mutter Gottes von Byzanzium! rief sie, muß das auch noch aufgesteckt werden? Wenn du mit dem Kopfschmuck einherschreitest, Friderun, werden sie in der Ferne glauben, es sei ein Festungsthurm lebendig worden und wandle zur Trauung. Es muß sein! sprach Friderun. Warum muß es sein? fragte die Griechin. Ich hab' daheim manch schmucke Braut gesehen, die trug den Myrthenkranz oder den silber- grünen Olivenzweig in den Locken, und es war gut so. Freilich in euren harzigen, rußigen, schwärzlichen Tannenwäldern wächst nicht Myrthe und nicht Olive, aber Epheu wär' auch schön, Friderun? Die drehte sich zürnend im Stuhl. Lieber ledig bleiben, sprach sie, als mit Blatt und Gras im Haar zur Kirche gehn. Das mögt Ihr hergelaufenem Volk rathen, aber wenn ein Hegauer Kind Hochzeit macht, muß die Schappelkrone sein Haupt schmücken, das gilt von je her, seit der Rhein durch den Bodensee rinnt und die Berge stehen. Wir Schwaben sind all' ein königlich Geschlecht, hat mein Vater immer gesagt. Euer Wille geschehe, sprach Praxedis, und heftete ihr die Flitter- krone auf. Die große Braut erhob sich, aber Falten lagerten über ihrer Stirn wie ein Schatten eilenden Gewölks, der sein vorübergehend Dunkel auf die sonnbeglänzte Ebene wirft. Willst du jetzt schon weinen, fragte die Griechin, auf daß dir in der Ehe die Thränen gespart werden? Friderun machte ein ernst Gesicht und der unholde Mund zog sich betrübt in die Länge, daß Praxedis Müh' hatte, nicht zu lachen. Mir ist so bang, sprach die Braut des Hunnen. Was soll dir bang machen, zukünftige Nebenbuhlerin der Tannen am Stofflerberg? Ich fürcht', die Burschen des Gau's thun mir einen Spuck an, daß ich den Fremden heirathe. Wie der Klostermaier vom Schlangen- hof die alte Wittfrau vom bregenzer Wald heimgeführt hat, sind sie ihm in der Hochzeitnacht vor's Haus gezogen und haben mit Stier- hörnern und Kupferkesseln und großen Meermuscheln eine Höllen- musik gemacht, wie wenn ein Hagelwetter weg zu drommeten wär'; und wie der Rielasinger Müller am ersten Tag seines Ehestands vor's Haus trat, stand ein Maienbaum gepflanzt, der war kahl und dürr, und statt Blumen hing ein Strohwisch dran und ein zerlumpt grüngelb Schürzlein. Sei gescheidt! tröstete Praxedis. Aber Friderun jammerte weiter: Und wenn sie mir's machen, wie des Bannförsters Wittib, da sie den Jägersknaben nahm? Der haben sie Nachts das Strohdach entzwei geschnitten oben auf dem Hausfirst, halb zur Rechten, halb zur Linken ist's heruntergerollt, der blaue Himmel hat in ihr Hochzeitbett geleuchtet ohne daß sie wußten warum, und die Krähen sind ihnen zu Häupten geflogen. Praxedis lachte. Du wirst doch ein gut Gewissen haben, Fride- run? sprach sie bedeutsam. Aber der stand das Weinen näher. Und wer weiß, sprach sie ausweichend, was mein Cappan ... Paulus, verbesserte Praxedis. ... in jungen Tagen für Streiche gemacht. Gestern Nacht hat mir geträumt, er habe mich fest in seinen Armen gehalten, da sei ein hunnisch Weib gekommen, gelb von Gesicht und schwarz von Haar, und hab' ihn weggerissen. Mein gehört er! drohte sie, und wie ich ihn nicht lassen wollte, ward sie zur Schlange und ringelte sich fest an ihm auf ... Laß die Schlangen und Hunnenweiber, unterbrach sie Praxedis; und mach' dich fertig, sie kommen schon den Berg herauf ... Vergiß den Rosmarinzweig nicht und das weiße Tuch! Hell glänzte draußen im Burghof des Cappan weißes Festgewand. Da gab Friderun den trüben Gedanken Valet und schritt hinaus; die Ehrenmägde empfingen sie im Hof, der Neugetaufte lachte ihr fröh- lich entgegen, das Glöcklein der Burgcapelle läutete, es ging zur Hochzeit. Die Trauung war beendet, mit strahlendem Antlitz verließ das neue Ehepaar die Burg. Friderun's ganze Sippschaft war er- schienen, stämmige Leute, die an Höhe des Wuchses der Braut nicht nachstanden; sie saßen als Maier und Bauern auf den nachbarlichen Höfen; itzt zogen sie nach dem Gütlein am Fuß des hohen Stoffeln, das erste Feuer zur Einweihung des neuen Heerdes anzuzünden und das Hochzeitfest zu feiern. Voraus im Zug wurde auf bekränztem Wagen der Brautschatz geführt; da fehlte die große Bettstatt von Tan- nenbrettern nicht, Rosen und Trudenfüße als Abwehr von Alp und Wichtelmännern und andern nächtlichen Unholden waren drauf gemalt; — an Kisten und Kasten folgte ein mannigfacher Hausrath. Die Ehrenmägde trugen die Kunkel mit angelegtem Flachs und den schön gezierten Brautbesen von weißen Reisern, einfache Sinn- bilder von Fleiß und Ordnung für's künftige Hauswesen. An Jauchzen und Jubelruf ließen es die Geleitsmänner nicht fehlen; dem Cappan aber war's zu Sinn, als hätten die Fluthen der Taufe in früher Morgenstund alle Erinnerung weggespült, daß er je streifend und schweifend ein Roß getummelt, er schritt ehrsam und bürgerlich mit Schwägern und Schwiegern, als wär' er von Jugend ein Frohn- vogt oder Schultheiß im Hegau gewesen. Noch war der Lärm der bergab Ziehenden nicht verklungen, da traten zwei schmucke Bursche vor die Herzogin und ihre klösterlichen Gäste, des Schaffners auf der kaiserlichen Burg Bodmann Söhne und Friderun's Ge- vattern. Sie kamen als Hochzeitbitter, jeder eine gelbe Schlüsselblume hinter's Ohr gesteckt und einen Strauß am zwilchenen Gewand. Verlegen blieben sie unter des Saales Eingang stehen, die Her- zogin winkte, da traten sie etliche Schritte vor, dann noch etliche, und scharrten eine Verbeugung und sprachen den altherkömmlichen Ladspruch zum Ehrentag ihrer Base, und baten ihnen hinüberzufolgen über Weg und Steg, über Gassen und Straßen, Brück und Wasser zum Hoch- zeithaus; dort werd' man auftragen ein Kraut und Brod, wie selbes geschaffen der allmächtige Gott, ein Faß werd' rinnen und Geigen drein klingen, ein Tanzen und Springen, Jubiliren und Singen. Wir bitten Euch, laßt zwei schlechte Boten sein für einen guten, ge- lobt sei Jesus Christ! so schloß ihr Spruch, und ohne den Bescheid zu erwarten, scharrten sie die zweite Verbeugung und enteilten. Erweisen wir unserm jüngsten christlichen Unterthan die Ehre des Besuchs? fragte Frau Hadwig heiter. Die Gäste wußten, daß auf Fragen, die sie so freundlich stellte, keine Verneinung zieme. Da ritten sie des Nachmittags hinüber. Auch Rudimann der Abgesandte von Pirminius Kloster ritt mit, er hielt sich schweigsam und lauernd, seine Rechnung mit Ekkehard war noch nicht abgemacht. Der stoffler Berg ragt stolz und lustig mit seinen drei Basalt- kuppen, von dunkelm Tannwald umsäumt, in's Land hinaus. Die Burgen, deren Trümmer itzt sein Rücken trägt, waren noch nicht ge- baut, nur auf dem höchsten stand ein verlassener Thurm. Auf dem zweiten Bergvorsprung aber war ein bescheiden Häuslein im Wald- versteck — des neuen Ehpaars Sitz. Als Zins und Zeichen, daß der Einziehende der Herzogin Mann, war ihm gesetzt, alljährlich fünf- zig Maulwurfsfelle einzuliefern und auf Sanct Gallus Festtag einen lebenden Zaunkönig. Auf grüner Waldwiese hatte die Hochzeitsippe ihr Lager aufge- schlagen; in großen Kesseln ward gesotten und gebraten, wem keine Platte oder Teller zu Theil ward, der schmauste von tannenem Brett, wo die Gabel fehlte, ward zweizinkige Haselstaude zu deren Rang erhoben. Cappan war mühsam zu Tisch gesessen und hielt sich aufrecht an seiner Ehfrau Seite; aber in des Gemüthes Tiefe bewegte er den Gedanken, ob er nicht nach etlichen Tagen die Gewohnheit des Liegens zur Mahlzeit wieder zum alten Recht erheben wolle. In den langen Zwischenräumen von einem Gericht zum andern — der Schmaus begann mit der Mittagstunde und sollte zum Sonnen- untergang noch nicht beendet sein — schuf der Hunne seinen vom Sitzen gequälten Gliedmaßen durch Tanzen Luft. Von bäuerlicher Musica empfangen kam die Herzogin angeritten. Sie schaute vom Roß herab auf die Fröhlichen, da zeigte ihr der neue Paulus seine wilde Kunst. Die Musica genügte ihm nicht, er pfiff und jauchzte sich selber den Tact; sein langes Ehgemahl drehte er in labyrinthischer Verschlingung, ein wandelnder Thurm und eine Katze des Waldes, so tanzte die Langsame mit dem Behenden, bald beisammen, bald fliehend, bald Brust gegen Brust, bald Rücken gegen Rücken — dann stieß er seine Tänzerin von sich, die Holzschuhe im Schweben zusammenklirrend, that er sieben wirbelnde Luftsprünge, einen höher als den andern, zum Beschluß ließ er sich vor Frau Hadwig in's Knie fallen und beugte sein Haupt zur Erde als wollt' er den Staub küssen, den ihres Rosses Huf berührt. Es sollte sein Dank sein. Die Hegauer Vettern aber schöpften ein Beispiel löblicher Anre- gung aus dem ungewohnten Tanz. Es mag sein, daß Mancher später sich nähere Unterweisung drin erbat, denn aus fernem Mittelalter klingt noch die Sage herüber von den „sieben Sprüng“ oder dem „hun- nischen Hupfauf“, der als Abwechslung vom einförmigen Drehen des Schwäbischen und als Krone der Feste seit jenen Tagen dort land- üblich ward. Wo ist Ekkehard? fragte die Herzogin, nachdem sie, vom Zelter gestiegen, die Reihen ihrer Leute durchwandelt hatte. Praxedis deu- tete hinüber nach einem schattigen Rain. Eine riesige Tanne wiegte ihre schwarzgrünen Wipfel, ihr zu Füßen im verschlungenen Wurzel- werk saß der Mönch. Lauter Jubel und Menschengewühl preßte ihm beklemmend die Brust, er wußte nicht weßhalb — er hatte sich seitab gewandt und schaute hinaus über die waldigen Rücken in die Alpenferne. Es war einer jener duftigen Abende, wie sie hernachmals Herr Burkart von Hohenvels auf seinem riesigen Thurm über'm See be- lauscht hat, „da die Luft mit Sonnenfeuer getempert und gemischet.“ Die Ferne schwamm in leisem Glanz. Wer einmal hinausgeschaut von jenen stillen Berggipfeln, wenn bei blauem Himmel die Sonne glutstrahlend zur Rüste geht, purpurne Schatten die Tiefen der Thäler füllen und flüssiges Gold den Schnee der Alpen umsäumt, dem muß noch spät im Nebeldunst seiner vier Wände die Erinnerung tönen und klingen, lieblich wie ein Sang in den schmelzenden Lauten des Südens. Ekkehard aber saß ernst, das Haupt gestützt in der Rechten. Er ist nicht mehr wie früher, sagte Frau Hadwig zur Griechin. Er ist nicht mehr wie früher! sprach Praxedis gedankenlos ihr nach. Sie hatte auf die hegauischen Weiber zu schauen und ihren Festschmuck, und überlegte an diesen hohen Miedern und faßartig ge- steiften Röcken und der unnennbaren Haltung beim Tanz, ob der Genius guten Geschmackes händeringend für immer dies Land ver- lassen oder ob sein Fuß es noch gar nie betreten habe. Frau Hadwig trat vor Ekkehard. Er fuhr auf seinem Moossitz empor, als wär' ihm ein Geist erschienen. Einsam und fern von den Fröhlichen? frug sie. Was treibet Ihr? Ich denke drüber nach, wo das Glück sei, sprach Ekkehard. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 15 Das Glück? sprach Frau Hadwig, das Glück kommt von ohnge- fähr wohl über neunzig Stunden her, heißt's im Sprichwort. Fehlt's Euch? Es wäre möglich, sprach der Mönch und schaute in's Moos hin- ab. Erneute Musik und Jauchzen der Tanzenden tönte herüber. Die dort das Erdreich stampfen, fuhr er fort, und mit den Füßen auszusprechen wissen was ihnen das Herz bewegt, sind glücklich; es gehört wohl wenig dazu, um's zu sein, vor Allem — er deutete nach den schimmernden Häuptern der Alpen — keine Fernsicht auf Höhen, die unser Fuß niemals erreichen darf. Ich versteh' Euch nicht, sagte die Herzogin trocken. Ihr Herz dachte anders als ihre Zunge. Wie geht es Eurem Virgilius, sprach sie, die Rede ablenkend; es hat sich wohl Staub und Spinnweb über ihn gesetzt in der Noth der vergangenen Tage? In meinem Herzen ist er wohl geborgen, sprach Ekkehard; wenn das Pergament auch modert. Erst vorhin sind mir seine Verse zum Lob des Landbau's durch die Gedanken gezogen: dort das waldum- schattete Häuslein, am Bergeshang der Felder schwarzfettes Erdreich, ein neu vermählt Paar mit Hacke und Pflug, der Mutter Erde den Unterhalt abzwingend — neidig mußt ich des Virgilius Bild vor mir sehen „— ein truglos gleitendes Leben, Reich an mancherlei Gut. Und Muße bei räumigen Feldern, Grotten und lebende Teich', ein Kühlung athmendes Tempe, Rindergebrüll und unter dem Baum sanft winkender Schlummer.“ Ihr wißt sinnig zu erklären, sprach Frau Hadwig. Des Cappan Lehenspflicht, ringsum den Maulwurf zu fahen und die nagende Feldmaus, hat Euer Neid wohl übersehen. Und die Winterfreuden! wenn der Schnee mauergleich bis an das Strohdach sich thürmt, daß der helle Tag sich verlegen umschaut, durch welchen Spalt er ins Haus schlüpfen soll .. Auch in solche Noth wüßte ich mich zu finden, sprach Ekkehard. Virgilius weiß es auch: „Mancher verbleibet dann lang beim späten Geflimmer des Feuers Wach im Winter und schnitzt sich Fackeln mit schneidendem Eisen Während sein Weib mit Gesang sich der Arbeit Weile verkürzend Rasch des Geweb's Aufzug durchschießt mit sausendem Kamme.“ Sein Weib? sprach die Herzogin boshaft. Wenn er aber kein Weib hat? — Drüben erscholl ein brausend Jubelgelächter. Sie hatten den hunnischen Vetter auf ein Brett gesetzt und trugen ihn erhoben, wie einst den Heerführer auf dem Schild bei der Königswahl, über die Wiese. Er that etliche Freudensprünge über ihren Häuptern. — und kein Weib haben darf? sprach Ekkehard zerstreut. Seine Stirn glühte. Er deckte sie mit der Rechten. Wohin er schaute schmerzte ihn das Aug. Dort das Gewirre des Hochzeitjubels — hier die Herzogin, fern die leuchtenden Gebirge: es war ihm unendlich weh, aber seine Lippen blieben geschlossen. Sei stark und still! sprach er zu sich selber. Er war in Wahrheit nicht mehr wie früher. Der stille Bücher- friede der Mönchsklause war von ihm gewichen, Kampf und Hun- nennoth hatten sein Denken geweitet, der Herzogin Zeichen von Huld sein Herz entzweit. Im Gang des Tages, im Traum der Nacht ver- folgte ihn das Bild, wie sie ihm Reliquie und Schwert des Gatten umgehangen, und in bösen Stunden zogen Vorwürfe nebelgleich durch seine Seele, daß er's so schweigend hingenommen. Frau Hadwig ahnte nicht, was in ihm kochte; sie dachte gleichgiltiger von ihm, seit ver- meintlich Nichtverstehen ihres Zuvorkommens sie gedemüthigt; aber wenn sie ihn wieder sah, Kummer auf der hohen Stirn und fragende Schwermuth im Aug', so erneute sich das alte Spiel. Wenn Ihr solche Freude am Landbau habt, sprach sie leicht, ich wüßt Euch Rath. Der Abt von Reichenau hat mich geärgert. Die Perle meiner Hofgüter mir abschwatzen wollen, als wär's eine Brodkrumme, die man vom Tisch schüttelt ohne umzuschauen! — Es rauschte im Gebüsch, sie nahmen es nicht wahr. Ein dunkler Schimmer zog sich durch die Blätter — war's ein Fuchs, oder eines Mönchs Gewand? Ich will Euch als Verwalter drauf setzen, fuhr Frau Hadwig fort, da habt Ihr all' die Herrlichkeit vollauf, deren Anblick Euch heute schwermüthig macht, und noch mehr. Mein Saspach liegt fröhlich am Rhein, der alte Kaiserstuhl rühmt sich der Ehre, daß er zuerst in all unsern Landen die Weinrebe trug, — und sind ehrliche Leute dort, wenn sie auch eine unfeine Sprache sprechen. 15* Ekkehard sah vor sich nieder. Ich kann's Euch auch ausmalen, ohne daß ich zu schildern weiß, wie Virgilius. Denkt Euch, es ist Herbst — Ihr habt ein gesund Leben geführt, mit der Sonne heraus, mit den Hühnern zu Bett — jetzt kommt die Weinlese, von allen Bergrücken steigen Knechte und Mägde zu Euch hernieder, den Hängkorb gefüllt mit Trauben, Ihr steht am Thor . . Es rauschte wieder im Gebüsch. .. und denket darüber nach wie der Wein wird und besinnt Euch auf wessen Wohl Ihr ihn trinken wollt, der Vogesenwald schaut so licht und blau zu Euch herüber wie hier die Hörner der Alpen, da kommt's mit Roß und Wagen vom alten Breisach her, die Heerstraße stäubt, Ihr hebet das Haupt, nun, Meister Ekkehard, wer wird ange- zogen kommen? Der Gefragte war kaum der Schilderung gefolgt. Wer? sagte er scheu. Wer anders als Eure Gebieterin, die sich ihr herzoglich Recht nicht vergeben wird zu prüfen, wie ihre Diener schalten. Und dann? fragte er weiter. Dann? dann werd' ich Erkundigungen einziehen, wie Meister Ekkehard seiner Pflicht oblag, und sie werden Alle sagen: er ist brav und ernst und wenn er nicht so viel denken und sinnen und in seinen Per- gamenten lesen wollte, wär' er uns noch lieber ... Und dann? fragte er noch einmal. Sein Ton war seltsam. Dann werd' ich sprechen mit den Worten der Schrift: Wohl du guter und getreuer Knecht! du warst treu über Weniges, ich will dich über Vieles setzen. Zeuch ein zum Freudenmahl deines Herrn. Ekkehard stand gleich einem Betäubten. Er hob seinen Arm, er ließ ihn wieder sinken, eine Thräne zitterte in seinem Aug'. Er war sehr unglücklich. .. Zu selber Zeit schritt ein Mann vorsichtig aus dem Gebüsch heraus. Wie er wieder Wiesengrund unter den Füßen fühlte, ließ er die gehobene Kutte nieder fallen. Er schaute bedeutsam auf die Beiden zurück und nickte mit dem Haupte, wie Einer der eine Entdeckung gemacht. Er war auch nicht hingegangen um Veilchen zu pflücken. Das Hochzeitfest war in stufenweiser Entwicklung bis dahin ge- diehen, wo Chaos einzubrechen droht. Der Meth wirkte in den Ge- müthern. Einer hing sein Obergewand an einen Baumast und fühlte unwiderstehliche Neigung, Alles zu zertrümmern, ein Anderer hingegen strebte Alles zu umarmen, ein Dritter, der vor zehn Jahren manchen Kuß von Friderun's Wangen gepflückt zu haben sich erinnerte, saß trübsinnig am Tisch und hatte Viel getrunken und sah den Ameisen zu, die ihm zu Füßen wimmelten und sprach: Kling, klang gloria! Keine ist was nutz ... Die jungen Leute, die in der Frühe so verschämt als Hochzeitbitter bei der Herzogin waren, führten mit ihrem hunnischen Anverwandten ein germanisches Schalksspiel aus: sie hatten ein großes linnenes Laken aus einer der Hochzeittruhen gerissen, den Cappan drauf, an den vier Ecken hielten sie's starr und schleuderten den Unseligen von der prallen Decke empor, daß er in die blauen Lüfte hinauf- wirbelte wie eine Lerche. Er hielt's für den landesüblichen Aus- druck verwandtschaftlicher Hochachtung und schwang sich gewandt auf und nieder. Da plötzlich that die lange Friderun einen lauten Schrei. Alle Köpfe wandten sich, schier ließen die Vettern den Aufgeschnellten hinab in's kühle Erdreich sausen, ein Freudenjubel brach aus, ungeheuer und dröhnend, daß es schien, als wollten selber die verwitterten Basalt- felsen im Tannenwald verwundert umschauen, und die hatten in Sturm und Wetter schon manch tüchtigen Lärm gehört. Audifax und Hadumoth kamen auf ihrer Flucht aus hunnischer Hand des Wegs gezogen. Audifax führte den Gaul mit der Schatztruhe am Zügel, glückselig gingen die Kinder neben einand, sie hatten heut zum ersten- mal den Gipfel des hohen Twiel wieder erschaut und mit frohem Aufjauchzen begrüßt. Erzähl' ihnen nicht Alles! flüsterte Audifax seiner Gefährtin zu und flocht dichtes Weidengezweig um die Körbe. Schon war die lange Friderun herbeigesprungen und trug die Hadu- moth halb auf den Armen weg: „Grüß Gott, verloren Söhnlein! Trink Sackpfeifer, trink Sturmläufer!“ rief's aus Aller Mund dem Audifax zu — sie wußten von des Jungen Gefangenschaft und reichten ihm die großen Steinkrüge zum Willkomm. Die Kinder hatten unterwegs beredet, wie sie der Herzogin zu Haus entgegen treten wollten. Wir müssen ihr schön danken, hatte die Hirtin gesagt, und ich muß ihr den Goldthaler zurückgeben ich hab' den Audifax umsonst bekommen, werd' ich ihr sagen. Nein, hatte Audifax erwiedert, wir legen vom Hunnengold noch die zwei größten Münzen darauf und bringen ihr die dar: sie möcht' uns gnädig bleiben wie bisher, das sei unser Dank und die Buße in Herzogsschatz, daß ich die Waldfrau erschlagen. Sie hatten das Gold schon gerüstet. Jetzt sahen sie die Herzogin bei Ekkehard unter der Tanne stehen. Der tobende Lärm der Mannen unterbrach das landwirthschaftliche Gespräch der Beiden. Praxedis kam gesprungen und kündete die wunderbare Mähr. Jetzt kamen die jungen Flüchtlinge selber, sie führten sich. Vor Frau Hadwig knieten sie nieder. Hadumoth hielt ihren Thaler empor, Audifax zwei große güldene Schaumünzen; er wollte sprechen, die Worte blieben aus ... Da wandte sich Frau Hadwig mit stolzer Anmuth zu den Umstehenden: Die Narrethei meiner zwei jungen Unterthanen schafft mir Ge- legenheit, ihnen meine Gnade zu beweisen. Seid dessen Zeugen! Sie brach einen Haselzweig vom Strauch, that einen Schritt vor, schüttelte dem Hirtenknaben und seiner Gefährtin die Münzen aus der Hand, daß sie weit hinüberflogen ins Gras, und berührte beider Scheitel mit dem Zweig: Stehet auf, sprach sie, keine Scheere soll von heut an euer Haupthaar mehr kürzen, als der Burg Hohentwiel eigene Leute seid ihr geknieet, als freigesprochene und freie erhebt euch und behaltet einand so lieb in der Freiheit wie ehbevor! Es waren die Formen der Freilassung nach salischem Recht. Schon der Kaiser Lotharius hatte seiner alten Magd Doda den gül- denen Denar aus der Hand und damit das Joch der Sclaverei vom Nacken geschüttelt. Audifax aber war fränkischer Abstammung, darum hatte sich Frau Hadwig nicht nach ihrem alemannischen Landrecht gerichtet. Die Beiden standen auf. Sie begriffen, was vorgegangen. Dem Hirtenknaben wollte es schwarz vor den Augen werden, der Traum seiner Jugend, Freiheit, Goldschatz ... Alles Wahrheit geworden, dauernde Wahrheit für jetzt und immerwährendes Immer! ... Er sah Ekkehard's ernstes Antlitz und warf sich mit Hadumoth vor ihm nieder: Vater Ekkehard, rief er, wir danken auch Euch, daß Ihr's wohl mit uns gemeint! Wie Schade, daß es schon zu spät worden, rief Praxedis herüber, Ihr könntet gleich noch ein Paar mit dem Band der Ehe zusammen schmieden oder wenigstens feierlich verloben, die taugen so gut zu einand, wie die Zwei da drüben. Ekkehard ließ sein blaues Aug' lange auf den Beiden ruhen. Er legte ihnen die Hand auf und machte das Zeichen des Kreuzes über sie. Wo ist das Glück? sprach er leise vor sich hin. — — In später Nacht ritt Rudimann der Kellermeister in sein Kloster zurück. Die Furth war trocken, er konnte zu Roß hinüber. Von des Abts Zelle glänzte noch ein Lichtschimmer in See nieder. Er klopfte bei ihm an, öffnete die Thür' halb und sprach: Meine Ohren haben heute mehr hören müssen, als ihnen lieb war. Mit dem Hofgut zu Saspach am Rheine wird's nichts! Sie setzt das Milchgesicht von Sanct Gallen drauf ... Varium et mutabile semper femina! Wankelmüthig und ver- änderlich stets ist das Weib! murmelte der Abt, ohne sich umzu- schauen. Gute Nacht! Siebzehntes Kapitel . Gunzo wider Ekkehard. In den Zeiten, da all das seither Erzählte an den Ufern des Bodensee's sich zugetragen, saß fern in belgischen Landen im Kloster des heiligen Amandus sur l'Elnon ein Mönch in seiner Zelle: Tagaus, tagein, wenn die Pflicht der Klosterregel ihn freiließ, saß er dort wie festgebannt; Wintersturm war gekommen, die Flüsse zuge- froren, Schnee soweit das Auge reichte — er hatte dessen keine Acht; der Frühling trieb den Winter aus — es kümmerte ihn nicht; die Brüder plauderten von Krieg und schlimmer Botschaft aus dem be- freundeten Land am Rhein — er hatte kein Ohr für sie. Auf seiner Zelle lag Stuhl und Schragen mit Pergamenten überdeckt, des Klo- sters ganze Bücherei war zu ihm herabgewandert, er las und las und las, als wollt' er den letzten Grund der Dinge ergründen; — zur Rechten die Psalmen und heiligen Schriften, zur Linken die Reste heidnischer Weisheit, Alles ward durchwühlt; dann und wann machte ein höhnisch Lächeln dem Ernst seiner Studien Platz, und er schrieb sich auf schmale Streifen Pergamentes hastig etliche Zeilen heraus. Waren es Goldkörner und Edelsteine, die er auf seiner Bergmanns- arbeit aus den Schachten alten Wissens grub? Nein. Was mag dem Bruder Gunzo widerfahren sein? sprachen seine Genossen, ehedem ist seine Zunge gegangen wie ein Mühlrad und die Bücher haben Ruhe vor ihm gehabt: sie können mir doch nur bieten, was ich längst weiß, hat er sich oft gerühmt — und jetzt? Jetzt knarrt und scharrt seine Feder, daß bis im vorderen Kreuzgang der Wiederhall ihres Kratzens gehört wird. Gedenkt er des Kaisers Proto- Notar und Erzkanzler zu werden? sucht er den Stein der Weisen oder schreibt er seine italische Reise? Aber der Bruder Gunzo blieb an seinem Werk. Unverdrossen trank er seinen Wasserkrug leer und las seine Classiker, — die ersten Gewitter kamen und mahnten, daß der Sommer mit seiner Schwüle vor der Thür stehe; er ließ donnern und blitzen und saß fest wie zuvor. Den Schlummer der Nacht brach er zuweilen und sprang auf zu seinem Tintenfaß, als hätt' er im Traum Gedanken erhascht; oft waren sie wieder verschwunden, bevor ihm das Niederschreiben gelang, aber sein Sinn war fest auf's Ziel gerichtet. Kommen wird einstens der Tag ... mit der homerischen Verheißung sich tröstend, schlich er auf sein Lager zurück. Gunzo war im kräftigen Mannesalter, eine mäßig große gedrun- gene Gestalt, wohlbeleibt; wenn er des Morgens vor seinem fein ge- schliffenen Metallspiegel stund und mehr als nothwendig die Augen auf dem eigenen Abbild haften ließ, strich er oft seinen röthlichen Bart, als woll' er zu Fehde und fährlichem Streithandel ausreiten. Fränkisch Blut mit gallischem vermischt rollte in seinen Adern: das schuf ihm ein Stück von jener Beweglichkeit und Immerlebendig- keit, die dem Germanen reinen Stammes abgeht. Darum hatte er auch in währender Schreibarbeit mehr Federn zerbissen und Schnipfel zerzaust und Selbstgespräche geführt, als ein Genosse in deutschem Kloster in gleicher Frist gethan hätte. Aber er hielt seines Fleisches natürliche Unruhe nieder und zwang seine Füße mannhaft, unter dem bücherschweren Tisch Stand zu halten. Es war ein linder Sommerabend; wiederum war seine Feder wie ein Irrlicht über das geduldige Pergamen gehüpft, es knisterte vom Ziehen der Buchstaben — da hub sie an langsamer zu gehen, — itzt eine Pause, dann noch einige Züge — und einen gewaltigen Schnirkel zog er über den unbeschriebenen übrigen Raum, daß die Tinte unfrei- willig einen Schwarm von Flecken gleich schwarzen Sternbildern drüber schwirrte. Er hatte das Wort Finis! geschrieben; mit lang gedehntem Athemzug erhob er sich vom Stuhl gleich einem Mann, dem ein Centnerstein vom Herzen gefallen, er überschaute, was schwarz auf weiß vor ihm lag: Gelobt sei der heilige Amandus! rief er feierlich, wir sind gerächt! Er hatte in diesem erhebenden Augenblick — eine Schmähschrift vollendet, eine Schmähschrift, zugeeignet der ehrwürdigen Bruderschaft auf der Reichenau, gerichtet gegen — Ekkehard den Pörtner zu Sanct Gallen. Als der blonde Erklärer des Virgilius Abschied nahm von seinem Kloster und zur Herzogin übersiedelte, konnte es ihm unmöglich zu Sinne kommen — und hätt' er sein Gedächtniß auch umgeschüttelt bis in die verborgensten Falten, daß ein Mann auf der Welt sei, dessen Dichten und Trachten darauf ausging, an ihm Rache zu neh- men, denn er war harmlos und sanft und that keiner Mücke ein Leides. Und doch war es so; denn zwischen Himmel und Erde und im Gemüth eines Schriftgelehrten geh'n viele Dinge vor, davon sich der Verstand der Verständigen nichts träumen läßt. Die Geschichte hat ihre Launen im Erhalten wie im Zerstören. Die deutschen Lieder und Heldensagen, die durch des großen Kaiser Karl Fürsorge aufgezeichnet standen, mußten im Schutte der Zeiten untergehen, Gunzo's Werk, das noch keinem der Wenigen, die es ge- lesen, Freude bereitet, ist auf die Nachwelt gekommen. Mag denn der ungeheuerliche Anlaß, der des welschen Gelehrten Rache aufrief, mit seinen eigenen Worten erzählt sein: „Schon lange, — also schreibt er seinen reichenauer Freunden, — betrieb es der verehrungswerthe theure König Otto bei den Fürsten Italiens, daß er mich in seine Reiche herüber berufe. Da ich aber Keinem so unterthan, noch auch so niedrigen Standes war, daß man mich hätte zwingen mögen, wandte er sich an mich mit bittender An- zeige, also daß er mein Versprechen als Unterpfand des Kommens empfing. So geschah es auch, als er Welschland verließ, daß ich ihm folgte. Und ich folgte ihm, gedenkend, daß mein Kommen Keinem zum Schaden, Vielen zu Nutzen gereichen möge, denn wozu treibt uns nicht die Liebe und der Wunsch, den Mitbrüdern genehm zu sein? Und ich zog meines Weges, nicht wie ein Britanne gespickt mit den Geschossen des Tadels, sondern im Dienste der Liebe und Wissenschaft. „Ueber steiles Joch der Gebirge und abschüssige Schluchten und Thäler kam ich endlich vor des heiligen Gallus Kloster an, und zwar so erschöpft, daß die vom eisigen Hauch der Bergluft erstarrten Hände den Dienst versagten und fremde Hilfleistung mich vom Saumthier heben mußte. „Des Ankommenden Hoffnung war friedlich Ausruhen am Ort klösterlicher Niederlassung. Auch sah ich dort häufiges Neigen der Häupter, sittig geordnete Capuzen, sanftes Einherschreiten und seltenen Gebrauch der Rede, also daß ich keines Unheils gewärtig stund, nur daß des Juvenalis Spruch gegen die falschen Philosophen: „Spärlich ist ihnen das Wort, — doch Bosheit steckt in dem Schweigen,“ heimlich an meinem Gemüth nagen wollte. Und wer sollte glauben, daß jenem Heiden vorahnende Kenntniß von kuttentragender Verkehrt- heit inwohnte? „Doch freute ich mich harmlos meines Lebens, erwartend, ob nicht unter dem spärlichen Gemurmel der Brüder etliche Funken philosophi- scher Strebungen aufblitzen möchten. Es blitzte aber nichts auf, sie rüsteten am Rüstzeug der Hinterlist. „Unter Anderen war auch ein junger Schülerknab' anwesend und ein Aelterer, der — — je nun! er war wie er war; sie hießen ihn einen braven Lehrer des Klosters, wiewohl er mir in die Welt zu schauen schien mit den Augen einer Turteltaube. Von diesem schmach- tend blickenden Gelehrten habe ich nunmehr zu reden. Höret seine That. Ab und zugehend, machte er den Schüler zum Gefährten eines tückischen Anschlages. „Nacht war's, es nahte die Zeit des sorgenstillenden Schlummers, Wohlgesättigt des Mahls, zollten wir Bacchus sein Recht — da verführte mich ein ungünstig Geschick, daß ich im Hin- und Herreden lateinischen Tischgespräches eines Verstoßes im Gebrauch eines Casus schuldig ward, und einen Accusativus setzte, wo ein Ablativus sich geziemt hätte . „Nun ward offenbar, in welcher Art Künsten jener vielberühmte Lehrer den ganzen Tag seinen Schüler unterwiesen. „Solch Ver- brechen wider Sprache und Grammatik verdiene die Schulgeißel!“ also spottete das benannte Studentlein mich den Erprobten und kramte bei diesem Anlaß ein höhnisches Spottgedicht aus, das ihm eben jener Lehrer eingeblasen, also daß ein rauhes cisalpinisches Gelächter über den fremden Gastfreund durch's Refectorium erschallte. „Wem aber ist unbekannt, welcher Beschaffenheit die Verse über- müthig gewordener Mönche sind? Was weiß ein solcher von der in- neren Haushaltung eines Gedichtes, wo ein Stück Purpur an's andere zu setzen ist, auf daß es glänze und gleiße? was von der Würde der Dichtkunst? — er spitzt die Lippen und spuckt ein Poem aus, gleich dem Lucilius den Horazius brandmarkt, daß er oftmals auf einem Fuße stehend, zweihundert Verse dictirte und mehr noch, bevor ein Stündlein abgelaufen. Ermesset nun, ehrwürdige Brüder, welch' ein Maß von Unrecht man mir angethan, und was der für ein Mensch sein muß, der seinem Nebenmenschen den Irrthum eines Ablativus vorhält!“ Der Mensch, der in harmlosem Scherz diesen Frevel begangen, war Ekkehard; wenig Wochen bevor ihn seines Schicksals Wendung auf den hohen Twiel rief, geschah die Unthat. Mit des folgenden Morgens Frühroth war das Tischgespräch mit dem übermüthigen Welschen vergessen, aber in der Brust dessen, den sie des falschen Accusativus überwiesen, saß ein Groll so herb und nagend, wie der ob der Waffen Achills, der einst den Telamonier Aias in sein Schwert gejagt und noch bei den Schatten der Unterwelt seitab zürnen ließ; er zog aus dem Thal, das die Sitter durchströmt, nordwärts, er sah Bodensee und Rhein, — und dachte des Accusativus; er ritt in den altersgrauen Thoren von Köln ein und ritt hinüber auf belgische Erde, der falsche Accusativus ritt hinter ihm auf dem Bug seines Rosses wie ein Alp; die Klostermauern des heiligen Amandus thaten ihm ihren Frieden auf: im Psalmsingen der Frühmette, in der Litanei der Vesperandacht stieg der Accusativus vor ihm auf und heischte sein Sühnopfer. Von allen unfrohen Lebenstagen prägen sich die am tiefsten der Seele ein, wo durch eigen Verschulden eine Beschämung veranlaßt ward; statt mit sich selber drüber zu grollen, wird allen, die unfrei- willige Zeugen waren, eine bittere Verstimmung zugewendet, das liebe Menschenherz gesteht sich so schwer, so schwer die eigene Schwäche, und Manchem, der ruhig an Kampf und Todschlag zurückdenkt, schießt alles Blut zu Haupte beim Gedanken an ein thörigt Wort, das ihm an einer Stelle entfuhr, wo er gern mit einem verständigen geglänzt. Darum nahm Gunzo seine Rache an Ekkehard. Und er führte eine scharfe tapfere Feder und hatte vieler Monde Frist auf sein Werk verwandt, daß es in seiner Art ein Meisterstück ward, eine schwarze Suppe von viel hundert gelahrten Brocken, reichlich gewürzt mit Pfeffer und Wermuth und all den Bitterkeiten, die den Streitschriften geist- licher Herren vor denen Anderer so lieblichen Schmack verleihen. Und ging ein wohlthuender Zug von Grobheit durch's Ganze, also daß dem Leser zu Muthe werden kann, als höre er, wie in naher Scheune ein Mensch mit Flegeln der Drescher gedroschen werde — was von der feinen Art neuerer Zeit, wo das Gift in vergüldeten Pillen gereicht wird und die Streiter den Hut voreinand abziehen, eh' sie anheben sich die Rippen einzuschlagen, rühmlich absticht. Es waren aber zwei Theile, der erste dem Ekkehard zum Nachweis, daß nur ein roher und unwissender Mensch sich an Verwechslung eines Casus stoßen könne, der zweite, der Welt zur Ueberzeugung, daß der Verfasser Gunzo der gelahrteste, weiseste und frömmste der Zeit- genossen. Und darum hatte er im Schweiß seines Angesichtes die Classiker gelesen und die heiligen Schriften, daß er alle Stellen verzeichnen möge, in denen gleichfalls dichterische Laune oder Nachlässigkeit einen fälschlichen Accusativus gebraucht. Brachte auch der Beispiele aus Virgilius zwei, aus Homer eines, aus Terentius eines, aus Priscianus eines, ferner aus Persius eines, wo ein Vocativ statt eines Nominativ, und aus Sallustius eines, wo ein Ablativ statt des Genitiv gesetzt ward — deßgleichen aus den Büchern Moses und den Psalmen. „Und wenn solches sogar in den Reihen heiliger Schriften zu finden, wer ist so ruchlos, daß er solche Weise des Sprechens zu tadeln wage oder zu verändern? Mit Falschheit also glaubt des heiligen Gallus Mönchlein, daß mir die Kunst der Grammatik fern, mag meine Zunge auch dann und wann gehemmt sein durch die Gewohnheit meiner hei- mischen Sprache, die der lateinischen nur verwandt ist. Verstöße aber kommen vor durch Nachlässigkeit und menschliche Unvollendetheit im Allgemeinen, wie Priscianus sehr richtig sagt: „ich glaube nicht, daß von menschlichen Erfindungen etwas nach allen Theilen Vollendetes erfunden werden möge.“ Auch hat schon Horatius Nachlässigkeiten der Schreibart und Sprache bei bedeutenderen Männern entschuldigt: „zu- weilen schlummert auch der gute Homer.“ Und Aristoteles sagt in sei- nem Buch über die hermeneia: Alles was unsere Zunge ausspricht, ist nur ein Ausdruck für das, was unserer Seele eingeprägt ist. Der Begriff einer Sache aber ist früher vorhanden als der Ausdruck, und somit die Sache höher zu schätzen denn das Wort. Wo aber der Sinn dunkel, sollst du ihm mit Geduld und erläuterndem Verstand behilflich sein, die wahre Meinung zu ermitteln.“ Folgte sodann ein Schwall classischer Beispiele von ungeschicktem und nachlässigem Ausdruck des Gedankens, deren Reihe mit dem Spruch des Apostels schließt, der sich selber ungeschickt im Reden, aber nicht ungeschickt an Wissen genannt. „Betrachtet man hienach das Benehmen meines sanct gallischen Widersachers, so möchte man glauben, er sei einmal in den Garten eines weisen Mannes eingebrochen und habe vom Mistbeet einen Ret- tig gestohlen, der ihm den Magen verdorben und Galle angesetzt. Hüte darum jeder sein Gärtlein vor solchen Gesellen. Schlechte Ge- spräche verderben gute Sitten. „Möglich auch, daß er durchaus nicht anders sich benehmen konnte. Er hat wohl den ganzen Tag in den Schlupfwinkeln seiner Kutte nachgesucht, womit er den Gastfreund bewirthen möge, aber weil er nichts Anderes als verborgene List und Bosheit drin vorfand, setzte er eben davon ein Pröbchen vor. Schlechte Menschen haben schlechte Schätze. „Mit solchem Wesen stimmt denn sein äußeres Erscheinen, das wir sorgsam zu mustern nicht unterließen. Sein Antlitz trug einen fahlen Glanz wie schlechtes Metall, das zur Fälschung des ächten dient, seine Haare gekräuselt, die Capuze feiner und sauberer denn nöthig, die Schuhe leicht — auf daß alle Anzeichen vorhanden, die dem heiligen Hieronymus Aergerniß gaben, da er schrieb: Leider sind auch in mei- nem Sprengel etliche Cleriker, deren Sorge darauf gerichtet ist, ob ihre Kleider herrlich düften, die Nägel ihrer Finger glänzen, das krause Haupthaar mit Balsam gesalbt und gesänftigt sei und der gestickte Schuh knapp am Füßlein sitze. Ein solcher Aufzug geziemt sich aber kaum für einen Stutzer und Bräutigam, geschweige für einen Ge- weihten des Herrn. „Weiter hab' ich erwogen, ob nicht auch der Laut seines eigenen Namens mit seiner Handlungsweise übereinstimme. Und wie? Ekk- hard oder Akhar hieß der Mann, als wäre ihm schon bei der Taufe der Name eines Uebelthäters vorahnungsvoll aufgeprägt worden. Denn wer kennt nicht jenen Akhar, der aus der Beute von Jericho einen purpurnen Mantel entwendet und zweihundert Beutel Silbers sammt einer güldenen Ruthe, also daß ihn Josua hinausführen ließ in ein abgelegen Thal und ganz Israel steinigte ihn und Alles was er hatte ward mit Feuer verbrannt? Solchen Vorgängers hat sich der Akhar von Sanct Gallen würdig erzeigt, dieweil, wer die Gebote einer höf- lichen Lebensart verachtet, so übel thut, als ein Dieb: er veruntreut das Gold wahrer Weisheit. „Wäre es erlaubt, an die Seelenwanderung des Pythagoras zu glauben, so stünde außer allem Zweifel, daß die Seele jenes hebräischen Akhar in diesen Ekkhard gefahren, und sie wäre ernsthaft darob zu bedauern, denn besser den Körper eines Fuchses zum Aufenthalt er- wählen, als den eines hinterlistigen Mönches. All dies sei übrigens ohne Haß gesagt; mein Haß geht nur auf die dem Manne anklebende Schlechtigkeit, also nur auf ein Accidens, nicht auf die Substanz selbst, in der wir ja, nach den Worten der Schrift, ein Ebenbild der Gottheit anzuerkennen haben. „Merket nun, so fuhr Gunzo in seines Buches zweitem Theile fort, wie unsinnig mein Feind gegen Nutz und Frommen der Wissen- schaft gehandelt. Mehr als hundert geschriebene Bände führte ich bei meiner Reise über die Alpen mit mir, Waffen des Friedens, darunter des Marcianus blumenreiche Unterweisung in den sieben freien Kün- sten, des Plato unergründliche Tiefe im Timäus, des Aristoteles zu unsern Zeiten kaum aufgehellte dunkle Weisheit im Buch von der hermeneia, und Cicero's rednerische Würde in der Topik. Wie ernst und fruchtbringend hätte die Unterhaltung gedeihen mögen, wenn sie mich über solche Schätze befragt! Wie konnte ich glauben, daß sie mich, dem Gott so Vieles verliehen, ob der Verwechslung eines Casus durchhecheln würden, mich, der den Donat und Priscian von innen und außen kennt! Es mag freilich jener Aufgeblasene wähnen, daß er die ganze Grammatika in seiner Capuze mit sich trage — theure Mitbrüder! kaum ihren Rücken hat er von Ferne erschaut und wollte er eilen, einen Blick ihres hehren Angesichts zu erhaschen, er würde über den eigenen täppischen Fuß stolpernd zu Boden sinken. Die Grammatik ist ein hohes Weib, anders erscheint sie Holzhackern, an- ders einem Aristoteles. „Soll ich euch aber von der Schwester der Grammatik, von der Dialectik reden, die jener griechische Meister die Amme seines Geistes genannt? O edle Kunst, die den Thoren in ihren Schlingen fängt, dem Weisen aber zeigt wie er die Schlinge meide; die uns die ver- borgenen Fäden aufdeckt, durch welche das Sein mit dem Nichtsein verknüpft ist! Freilich davon weiß jener Kuttenträger nichts, — nichts von jener subtilen Feinheit, die mit neunzehn Gattungen von Schlüssen Alles zu erledigen versteht, was je gedacht und was denkbar. Gott ist gütig, er entzieht ihm solches Wissen, weil er's doch nur zu Lug und Trug nützen würde ...“ In solcher Weise wies der gelahrte Welsche seine Ueberlegenheit in allen freien Künsten nach; der Rhetorik und ihren Herrlichkeiten war ein Abschnitt gewidmet, worin wieder stark von Solchen die Rede, denen die Göttin Minerva einmal von Weitem im Traum erschienen, und von Thoren, die da glauben Kürze des Ausdrucks sei Zeichen von Weisheit. Dann aber ging's auf Arithmetik, Geometrie und Astronomie, mit Einschaltung tiefsinniger Abhandlungen über die Frage, ob die Himmelskörper mit Seele, Vernunft und Anspruch auf Un- sterblichkeit begabt, und ferner ob damals, als Josua geboten: Bewege dich nicht, Sonne, gegen Gabaon, noch du Mond gegen das Thal Aialon, gleichzeitig auch den andern fünf Planeten Stillstand auferlegt worden oder ob diese ihren Kreislauf fortsetzen durften. Gründliche Prüfung dieses Problems gab dann Anlaß, auf die Harmonie der Sphären und damit auf die Musik, als letzte der sieben Künste, einzugehen, und so konnte das Schifflein der Rache auf wo- gendem Schwall der Gewässer endlich dem Ziele entgegen steuern. „Wozu nun hab' ich All dies angeführt? frug er zum Schlusse. „Nicht um die Elemente der freien Künste darzuthun, sondern um die Thorheit eines Unwissenden bloß zu legen, der da vorzog gram- matischen Schnitzern nachzujagen, statt wahre Wissenschaft von seinem Gastfreund zu erlauschen. Wenn ihm auch innerlich die Kunst für ewig versagt ist, hätt' er sich doch von außen einen Widerschein von mir erwerben können. Aber ihn blähte allzugroßer Uebermuth, daß er vorzog, unter den Seinigen für einen Weisen zu gelten, gleich dem Frosche, der in seinem Sumpf zweifelsohne glaubt, daß er an Größe den Stier übertreffe. Ach, niemals ist der Mitleidwerthe auf freien Höhen des Wissens gestanden und hat die Stimme Gottes zu sich reden gehört: in der Wildniß ist er geboren, unter blödem Murmeln aufgewachsen und seine Seele bewahrt die Sitte der Thiere des Wal- des; in thätigem Leben der Welt wollte er nicht beharren, zu inner- licher Beschaulichkeit ist er verdorben, der Feind des Menschengeschlechts hat ihm sein Zeichen aufgebrannt. Gern würde ich euch ermahnen, ihm die Hilfe heilender Arzenei angedeihen zu lassen, aber ich fürchte, ich fürchte, seine Krankheit ist zu tief eingewurzelt. „Und auf verhärtetes Fell wirkt selber die Nießwurz vergeblich,“ sagt Persius. „Möget ihr nun, ehrwürdige Brüder, aus Allem was ich mittheile, ersehen, ob ich ein solcher bin, der die Behandlung und das Gelächter jenes Thoren verdient hat. Euerem Urtheil stell' ich ihn und mich anheim: im Urtheil der Gerechten schwindet der Thor in sein verdien- tes Nichts. Finis! “ ... Gelobt sei der heilige Amandus! sprach Gunzo nochmals, als das letzte Wort seines Werkes geschrieben vor ihm stand. Die alte Schlange hätte sicherlich ihre Freude an ihm gehabt, wenn sie ihn in seiner Gottähnlichkeit hätte belauschen können, da er den letzten Punkt anfügte. „Und Gott sah Alles was er gemacht hatte. Und es war sehr gut.“ Und Gunzo? — Er that deßgleichen. Dann schritt er zu seinem Metallspiegel, und beschaute sich lange, als wär' es ihm von äußerster Wichtigkeit, das Antlitz dessen kennen zu lernen, der den Ekkehard von Sanct Gallen vernichtet. Er ver- neigte sich achtungsvoll vor seinem Spiegelbild. Die Glocke im Refectorium hatte längst zur Abendmahlzeit ge- rufen, Psalm und Tischgebet waren gebetet, schon saßen die Brüder beim sanften Hirsebrei, da erst trat Gunzo in den Saal. Sein Antlitz strahlte. Der Decan deutete ihm schweigend vom gewohnten Platz hinüber in Winkel, denn wer allzuoft versäumte sich rechtzeitig einzu- finden, der ward zur Buße von der Speisenden Gemeinschaft gesondert und sein Wein den Armen verabreicht. Aber ohne Murren setzte sich Gunzo hinüber und trank sein belgisch Brunnenwasser, sein Büch- lein lag ja vollendet oben, das tröstete. Nach aufgehobenem Mahl zog er seiner Freunde einige zu sich auf die Zelle, geheimnißvoll als gält' es verborgenen Schatz zu heben, er las ihnen das Werk vor. Des heiligen Gallus Kloster mit seinen Büchern, Schulen, Gottes- gelehrten, war in damaliger Christenheit viel zu gut beleumdet, als daß die Jünger des heiligen Amandus nicht mit leiser Freude das Zischen von Gunzo's Geschossen vernommen. Tüchtigkeit und vor- ragender Wandel beleidigt die Welt oft noch tiefer, als Frevel und Sünde. Darum nickten sie beifällig mit den grauen Häuptern, wie Gunzo die Kernstellen vortrug. Es wär' schon lang an der Zeit gewesen, den Bären im Helvetier- land einen Tanz aufzuspielen, sprach der Eine, Uebermuth mit Grob- heit gepaart, verdient keine andere Musik. Gunzo las weiter. Bene, optime, aristotelicissime! murmelten die Versammelten als er geendet. Vergnügte Mahlzeit, Bruder Ak- har! sprach ein Anderer, belgisch Gewürz zum helvetischen Käse der Alpen! Der Bruder Küchenmeister umarmte den Gunzo und weinte vor Rührung: So gelehrt und so tief und so schön sei noch nichts aus den Mauern des heiligen Amandus in die Welt hinausgegangen. Nur ein Einziger der Brüder stund unbeweglich an der Mauer. Nun? fragte Gunzo. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 16 Wo bleibt die Liebe? sprach der Bruder leise, dann schwieg er. Gunzo fühlte den Vorwurf. Du hast Recht, Hucbald! sprach er, es soll geholfen werden. Die Liebe gebeut für unsere Feinde zu beten. Ich werd' noch ein Gebet für den armen Thoren an Schluß der Schrift setzen, das wird sich versöhnlich ausnehmen und weiche Gemüther bestechen. Wie? Der Bruder schwieg. Es war spät in der Nacht geworden. Sie gingen auf den Zehen aus der Zelle. Gunzo wollte den, der von der Liebe gesprochen, zurückhalten, es war ihm an seinem Urtheil gelegen, aber der wandte sich und folgte den Andern. Matthäus dreiundzwanzig, fünfundzwanzig! sprach er vor sich hin, wie sein Fuß die Schwelle überschritten. Niemand hörte ihn. Aber Gunzo den Vielgelehrten floh der Schlummer, wieder und wieder las er die Blätter seines Fleißes, er wußte bald, an welchem Fleck jedes einzelne Wort stand und doch kamen seine Augen nicht los von den bekannten Zügen. Dann griff er zur Feder: Einen fröm- mern Schluß! sprach er — sei es denn! Er besann sich, dann durch- maß er die Stube mit bedachtsamem Schritt. Es sollen künstliche Hexameter werden; wer hat je würdiger eine Beleidigung vergelten sehen? Jetzt setzte er sich hin und schrieb. Ein Gebet für seinen Feind wollte er schreiben. Aber wider seine Natur kann Niemand. Da las er seine Blätter noch einmal durch — sie waren allzu gelungen. Dann schrieb er den Nachtrag. Der Hahn krähte in's Morgengrau, da war auch dieser vollendet; prasselnder Mönchsverse zwei Dutzend und ein halbes. Daß seine Gedanken vom Gebet für den Gegner auf ihn selbst und den Ruhm seiner Arbeit zu reden kamen, ist bei einem Mann von Selbstgefühl ein natürlicher Uebergang. Mit Salbung schrieb er die fünf letzten Zeilen: Zeuch nun hinaus in die Welt, mein Büchlein, und triffst du auf Leute, Die mit hämischem Zahn mein glorreich Leben benagen, Diesen zerschmettre das Haupt und wirf sie besiegt in den Staub hin, Bis dein Verfasser dereinst zur verheißenen Seligkeit eingeht, Die dem Manne gebührt, der sein Talent nicht verscharrt hat. Das Pergament war rauh und sträubte sich, er mußte die Rohr- feder breit aufdrücken, daß es die Buchstaben annahm. Anderen Tages verpackte Gunzo seine geharnischte Epistel in eine Kapsel von Blech, und diese in einen leinenen Umschlag. Ein Dienst- mann des Klosters, der seinen Bruder erschlagen, hatte das Gelübde gethan, zu den Gräbern von zwölf Heiligen zu wallen, den rechten Arm an die rechte Hüfte gekettet, und dort zu beten, bis ihm ein himmlisch Gnadenzeichen werde. Er pilgerte rheinaufwärts. Dem hing Gunzo die Kapsel um; nach wenig Wochen ward sie richtig und unversehrt an der Klosterpforte der Reichenau dem Pörtner einge- händigt. Gunzo kannte seine Leute dort. Darum hatte er ihnen die Schrift gewidmet. Der alte Moengal hatte dazumal auch Geschäfte im Kloster. Im Gaststüblein saß der belgische Pilgersmann, sie hatten ihm ein Fisch- süpplein gereicht, mühsam arbeitete er sich dran ab, seine Ketten klirrten, wenn er den Arm hob. Geh' du wieder heim, Mordbüßer, sprach Moengal zu ihm, und heirath' die Wittib des Erschlagenen, das wird eine bessere Sühne sein, als mit klirrendem Eisen einen Narrengang durch die weite Welt thun. Der Pilger schüttelte schweigend das Haupt, als dächte er, das schüfe ihm noch schwerere Ketten als die der Schmied geschmiedet. Moengal ließ sich beim Abt melden. Er ist im Lesen vertieft, hieß es. Doch ließ man ihn eintreten. Setzt Euch, Leutpriester, sprach der Abt gnädig, Ihr seid ein Freund von Gebeiztem und Gesalzenem — ich hab' was für Euch. Er las ihm die frisch angekommene Schrift Gunzo's vor. Der Alte horchte; seine Augenbrauen zogen sich in die Höhe, die Nasen- flügel traten weit und weiter auf. Den Abt schüttelte ein Lachen, wie er an die Schilderung von Ekkehard's krausem Haar und feinem Schuhwerk kam. Moengal saß ernst, es zogen drei Falten auf der Stirn auf wie Wolken vor dem Gewitter. Nun? sprach der Abt, dem Bürschlein wird der Hochmuth aus der Kutte geklopft! Sublim! ganz sublim! Und eine Fülle von Wissenschaft, das trifft. Darauf gibt's gar keine Antwort. Doch! sprach der Leutpriester finster. Welche? fragte der Abt gespannt. 16* Moengal machte eine schlimme Geberde. Einen Stechpalmstock von der Hecke schneiden, rief er, oder eine brave Hasel, und rheinab- wärts ziehen, bis zwischen dem schwäbischen Holz und des welschen Schreibers Rücken nur noch eine Armslänge Entfernung ist! Dann aber ... er schloß seine Rede sinnbildlich. Ihr seid grob, Leutpriester, sprach der Abt, und habet keinen Sinn für Gelehrsamkeit. So Etwas kann freilich nur ein eleganter Geist schreiben. Respect! Hoiho! fing Moengal der Alte an, er war fuchswild geworden, Gelehrsamkeit? Aufgeblasene Lippen und dabei ein boshaftig Herz sind als wie ein irden Gefäß mit Silberschaum überzogen, spricht Salomo. Gelehrsamkeit? So gelehrt ist mein Pfarrwald auch, mit seinen Hagebuchen, der schreit auch hinaus, wie man in ihn hinein- geschrieen, und ist wenigstens ein lieblich Echo. Wir kennen die bel- gischen Pfauen! kommen anderwärts auch vor. Die Federn sind gestohlen, und was sie selber krähen, trotz Rad und Schweif und Regenbogen am Steiß, ist heiser und bleibt heiser, da hilft kein Hals- kragenblähen. Vor meiner großen Gesundkur hab' ich auch geglaubt, es sei gesungen statt gekrächzt, wenn Einer mit Grammatik und Dialectik die Backen aufblies, — aber jetzt: Gut Nacht Marcianus Capella! heißt's bei uns in Radolf's Zelle! Ihr werdet wohl bald an Euren Heimweg denken müssen, sprach der Abt, es zieht schon ganz schwarz über Konstanz hin. Da merkte der Leutpriester, daß er mit seinen Ansichten von Ge- sundsein und von der Wissenschaft nicht an rechten Mann gerathen war. Er empfahl sich. Hätt'st auch in deinem Kloster Benchor auf der grünen Insel bleiben können, irischer Hartknochen! dachte der Abt Wazmann und entließ ihn sehr kühl. Rudimann! rief er dann in den dunkeln Gang hinaus. Der Ge- rufene erschien. Ihr gedenket noch der Weinlese, redete ihn der Abt an, und des Streiches, den Euch ein gewisses Milchgesicht geschlagen, dem eine phantasiereiche Herzogin itzt gewisse Grundstücke zuwenden will ... Ich gedenke des Streichs, sprach Rudimann verschämt schmunzelnd wie eine Jungfrau, die nach dem Geliebten gefragt wird. Den Streich hat Einer zurückgegeben, saftig und scharf, Ihr kön- net zufrieden sein. Lest. Er reichte ihm des Gunzo Pergamentblätter. Mit Erlaubniß! sprach Rudimann, und trat an's Fenster. Er hatte schon manchen braven Wein gekostet, der Pater Kellermeister, seit daß er sein Amt führte, aber selbst damals als ihm der Bischof von Cremona etliche Krüge dunkelbraun schäumenden Asti übersendet, hatte sein Antlitz nicht so röthlich froh gestrahlt, wie jetzo. Es ist doch eine herrliche Gottesgabe um ein gründlich Wissen und einen schönen Styl, sagte er. Das Ekkehardlein ist fertig. Es kann sich nimmer an freier Luft sehen lassen. Noch nicht ganz, sagte der Abt, aber was nicht ist, kann werden. Der gelehrte Bruder Gunzo hilft uns dazu. Seine Epistel darf nicht ungelesen vermodern, lasset etliche Abschriften nehmen, lieber sechs als drei. Der junge Herr muß von Hohentwiel weggebissen werden. Ich liebe die jungen Schnäbel nicht, die feiner singen wollen als die Alten. Schnee auf die Tonsur! das soll ihm gut thun. Wir werden unse- rem Mitbruder in Sanct Gallen ein Brieflein schicken, daß er ihm die Rückkehr anbefehle. Wie steht's mit seinem Sündenregister? Rudimann hob bedächtig die linke Hand auf und begann mit den Fingern zu zählen. Soll ich's hersagen? Zum ersten: in währender Weinlese den Frieden unseres Klosters gestört, indem er ... Halt, sprach der Abt, das ist abgethan. Alles was vor der Hunnenschlacht geschehen und anhängig worden, sei erledigt, ab und zur Ruhe! so haben's einst die Burgunder in ihr Gesetz geschrie- ben, das soll auch bei uns noch gelten. Dann ohne Fingerzählung, sagte der Kellermeister. Des heiligen Gallus Pörtner ist, seit er sein Kloster ließ, dem Hochmuth und der Anmaßung unterthan worden, ohne Gruß der Lippen geht er an Brüdern vorüber, deren Alter und Verstand seine Reverenz fordern, er hat sich herausgenommen, am heiligen Tag, da wir die Hunnen schlugen, die Heerpredigt zu halten, wiewohl ein so wichtig Amt der Rede einem der hochwürdigen Aebte zugestanden wäre; hat sich ferner herausgenommen, einen heidnischen Gefangenen zu taufen, wiewohl die Taufe vorgenommen werden soll vom ordentlichen Pfarrer des Bezirks und nicht von einem, der an die Pforte des heiligen Gallus gehört. Was aber aus stetiger Berührung des vorlauten Jünglings mit seiner neuen Gebieterin noch werden mag, weiß nur der, der Herz und Nieren prüft! Bereits hat man bei der Hochzeit jenes getauften Heiden wahrgenommen, wie er sich der einsamen Unterredung mit jener Herrin in Israel nicht entzieht, und etlichemale geseufzt hat gleich einem angeschossenen Dammhirsch. Auch hat man mit Betrüb- niß gesehen, wie eine unstet irrlichtelnde griechische Jungfrau, genannt Praxedis, um ihn her ihr Wesen treibt; was die Herrin unverdorben läßt, mag die Dienerin einreißen, von der nicht einmal sicher ist, ob sie eines orthodoxen Glaubens sich erfreue. Ein leichtfertig Weib aber ist bitterer denn der Tod, sie ist ein Strick der Jäger, ihr Herz ein Netz, ihre Hände sind Bande, nur wer Gott gefällt, mag ihr entrinnen. Es stund Rudimann, dem Beschützer der Obermagd Kerhildis, wohl an, daß er die Worte des Predigers so getreulich im Herzen trug. Genug, sprach der Abt. Hauptstück neun und zwanzig: von der Rückberufung auswärts Weilender. Es wird durchschlagen. Mir ahnt und schwant, bald wird die wetterwendische Herrin droben um ihren Felsen herumflattern wie eine alte Schwalbe, der ihr Junges aus dem Nest gefallen, — Ade Herzkäfer! ... und Saspach wird des Klosters! Amen! murmelte Rudimann. Achtzehntes Kapitel . Herrn Spazzo des Kämmerers Gesandtschaft. An einem kühlen Sommermorgen schritt Ekkehard den Burgweg entlang in die wehende Frühluft hinaus. Eine schlaflose Nacht lag hinter ihm; er war auf seiner Stube auf und niedergeschritten, die Herzogin hatte wilde Gedanken in ihm aufgejagt. In seinem Kopf summte und schwirrte es, als streiche ein Flug Wildenten drin herum. Er mied Frau Hadwig's Anblick und sehnte sich doch in jeder Minute da er fern, in ihre Nähe. Die alte frohe Unbefangenheit war ver- flogen, sein Wesen zerstreut und fahrig geworden; jene Zeit, die noch keinem Sterblichen erspart ward, die der brave Gottfried von Straß- burg hernachmals ein „stätes Leid bei stätiglicher Seligkeit“ geheißen, brach über ihn herein. Vor sinkender Nacht hatte ein Gewitter getobt. Er hatte sein Fensterlein geöffnet und sich der Blitze erfreut, wenn sie das Dunkel durchzuckten, daß ein greller Schein die Ufer des Sees hell heraushob, und hatte gelacht, wenn's wieder finster ward und der Donner schüt- ternd über die Berggipfel rollte. Jetzt war sonniger Morgen. Auf dem Gras perlten thauige Tropfen, zwischen drein im Schatten auch dann und wann ein unge- schmolzenes Eiskorn. Schweigend lag Berg und Thal, aber die ge- bräunte Frucht der Felder ließ ihre Halme geknickt zu Boden hangen, Hagelschlag hatte in der hochstrebenden Ernte gewüthet. Aus den Felsen des Berges rieselten trübfarbige Bächlein thalabwärts. Noch regte sich's nicht auf der Flur: es war kaum nach dem ersten Hahnenschrei. Nur fern über das Hügelland, das im Rücken des hohen Twiel sich wellenförmig ausdehnt, kam ein Mann geschritten. Das war der Hunn Cappan. Er trug Weidengerten und allerhand Schlingen und ging an seine Arbeit den Feldmäusen nachzustellen. Fröhlich pfiff er auf einem Lindenblatt, — das Bild eines glücklichen Neuvermählten, ihm war in der langen Friderun Armen ein neues Leben aufgegangen. Wie geht's? fragte ihn Ekkehard mild, als er an ihm vorüber- schritt und ihn demüthig grüßte. Der Hunn deutete in die blaue Luft hinauf: wie im Himmel! sagte er und drehte sich vergnügt auf seinem Holzschuh. Ekkehard wandte sich. Noch lang tönte des Scheer- mausfängers Pfeifen durch die Morgenstille, er aber schritt zum Ab- hang der Felsen. Dort lag ein verwitterter Stein; ein Fliederbusch wölbte sich drüber mit üppig weißen Blüthen. Ekkehard setzte sich. Lang schaute er in die Ferne, dann zog er ein von zierlicher Decke umfaßtes Büchlein aus seiner Kutte und hub an zu lesen. Es war kein Brevier und kein Psalterium. Das hohe Lied Salomonis! hieß die Ueberschrift; das war kein gut Buch für ihn. Sie hatten ihn zwar einstens gelehrt, der lilienduftige Sang gelte dem brünstigen Sehnen nach der Kirche, der wahren Braut der Seele; er hatte es auch in jungen Tagen studirt, unangefochten von den Gazellenaugen und taubenweichen Wangen und palmbaumschlanken Hüften der Sula- mitin; jetzt las er's mit anderem Sinne. Ein süßes Träumen um- fing ihn. „Wer ist die, welche hervortritt wie die aufgehende Morgenröthe, schön wie der Mond, erwählet wie die Sonne und schrecklich wie eine wohlgeordnete Schlachtordnung?“ Er schaute hinauf zu den Zinnen des hohen Twiel, die im Frühroth glänzten, und wußte die Antwort. Und wieder las er: „Ich schlafe, aber mein Herz wachet. Da ist die Stimme meines Geliebten, der anklopfet: thue mir auf, meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, denn meine Stirn ist voll Thaues und meine Haarlocken voll perlender Tropfen.“ Ein Luft- zug schüttelte ihm die weißen Fliederblüthen auf's Büchlein, Ekkehard schüttelte sie nicht ab, er neigte sein Haupt und saß regungslos ... Unterdeß hatte Cappan wohlgemuth sein Tagewerk begonnen. Es war ein Grundstück drunten in der Ebene an der Grenze des hohen- twieler Bannes; dort hatten die Feldmäuse ihr Heerlager aufgeschlagen, die Hamster schleppten ganze Wintervorräthe des guten Korns in ihren Backentaschen von dannen und die Maulwürfe zogen ihre Schachte in den kiesigen Boden. Dahin war Cappan beordert. Wie ein Staats- mann in aufruhrdurchwühlter Provinz sollte er ein geordnet Verhältniß herstellen und das Land säubern vom Gesindel. Die Fluthen des Gewitters hatten die verborgenen Gänge aufgespült; leise grub er nach und schlug manch eine Feldmaus im Frührothscheine tod, ehe sie sich dessen versah, dann stellte er sorgsam seine Schlingen und Weiden- ruthen, an andere Orte streute er ein giftig Lockspeislein, das er aus Aaronswurz und Einbeer zusammen gekocht, und pfiff fröhlich zu seinem Mordwerk und ahnte nicht, was für schwere Wolken sich über seinem Haupte zusammenzogen. Das Grundstück, wo er handthierte, stieß an Reichenauer Feldmark. Wo der alte Eichwald seine Wipfel reckte, ragten etliche Strohdächer ins Waldesgrün hinein: das war der Schlangenhof. Der gehörte dem Kloster zu mit viel Huben Ackerland und Waldes; eine fromme Wittfrau hatte ihn dem heiligen Pirminius zum Heil ihrer Seele vergabt. Jetzt saß ein Klostermaier drauf, ein wilder Mann mit knorrigem Schädel und harten Gedanken drin; er hatte viel Knechte und Mägde und Roß und Zugvieh und gedieh wohl, denn die kupfer- braunen Schlangen, die in Stall und Hof nisteten, pflegte er recht- schaffen und ließ die Milchschüssel in der Stallecke nie leer werden, also daß sie ganz zahm und fröhlich in dem Stroh herum spielten und Niemanden ein Leides thaten. Die Schlangen sind des Hofes Segen, sprach der Alte oftmals, das ist bei uns Bauern anders als an des Kaisers Hof. Seit zwei Tagen aber hatte der Klostermaier keine gute Stunde mehr gehabt. Die schweren Gewitter schufen ihm Sorge für Frucht und Feld. Als ihrer drei sonder Schaden vorübergegangen waren, ließ er anspannen und einen Sack vormjährigen Roggen aufladen, und fuhr hinüber zum Diacon am Singener Kirchlein. Der lachte auf seinem Stockzahn wie des Klostermaiers Gespann aus dem Walde vorgefahren kam, er kannte seinen Kunden. Seine Pfründe war mager, aber aus der Menschen Thorheit fiel ihm immer noch ein hinlängliches ab, daß er seine Wassersuppen schmelzen konnte. Der Klostermaier hatte seinen Kornsack bei ihm abgeladen und gesagt: Meister Otfried, Ihr habt Euer Sach brav gemacht und von meinen Aeckern das Wetter ordentlich weggebetet. Vergeßt mich nicht, wenn's wiederum zu donnern kommt! Und der Diaconus hatte ihm geantwortet: Ich denk, Ihr habt mich gesehen, wie ich unter dem Kirchenthürlein stand, nach dem Schlangenhof gewendet, und aus dem Weihbrunn drei Kreuze gegen das Wetter gespritzt hab, und den Spruch von den heiligen drei Nä- geln dazu, der hat Schauer und Hagel landabwärts gejagt. Euer Roggen könnt' ein gut Brod geben, Klostermaier, wenn noch ein Stümplein Gerstenkorn dazu gefügt wäre. Da war der Klostermaier wieder heimgefahren, und gedachte just ein Säcklein mit Gerste zu richten, als verdiente Zulage für seinen Anwalt beim Himmel: aber schon wieder thürmte sich ein giftschwarz Gewölk auf, und wie es tiefdunkel über dem Eichwald stand, kam ein weißgrau Wölklein heraufgezüngelt, das hatte fünf Zacken, wie Finger einer Hand, und schwoll an, und schoß Blitze, und war ein Hagelwetter, fährlicher als alles frühere. Der Klostermaier war zu- versichtlich unter seiner Einfahrt gestanden, „der von Singen sprengt mir's wieder weg“, hatte er gedacht; aber, wie die schweren Eisge- schosse in sein Kornfeld einschlugen und die Aehren umsanken wie pfeilerschossene Jugend im Feldstreit, und Alles geknickt lag, da schlug er mit geballter Faust auf den Eichentisch: verflucht sei der Lügner in Singen! In heller Verzweiflung wollt' er jetzt ein althegauisches Haus- mittel anwenden, nachdem des Diacon Zauber fruchtlos: er riß ein paar Eichenzweige vom nächsten Stamm und zupfte das Laub zu einer Streu zusammen, das that er in sein altehrwürdiges Hochzeit- gewand und hing's an die mächtige Hauseiche. Aber die Hagelkörner schlugen fort und fort in die Kornernte, trotz Hochzeitrock und Eich- blattstreu. Wie fest gebannt schaute der Klostermaier auf den im Regen schwebenden Bündel, ob sich der Wind draus erhebe, der den Regen verjagt: der Schönwetterwind blieb aus. Da zogen sich seine Augbrauen grimmig zusammen, er biß sich die Lippen und schritt in seine Stube. Die Knechte wichen ihm auf zehen Schritte aus, sie wußten, was es hieß, wenn ihr Meister die Lippen biß. Schier zu- sammengebrochen warf er sich an eichenen Tisch, und sprach lang kein Wort. Dann that er einen fürchterlichen Fluch. Wenn der Kloster- maier fluchte, war's schon besser. Der Großknecht kam schüchtern her- bei und stellte sich ihm gegenüber; er war ein riesiger Sohn Enaks, aber vor seinem Meister stand er blöd wie ein Kind. Wenn ich die Hexe wüßte! sprach der Maier, die Wetterhexe, die Wolkentrude! die sollte ihren Rock nicht umsonst über den Schlangen- hof ausgeschüttelt haben ... Daß ihr die Zunge im Mund verdorre! Braucht's eine Hexe zu sein? sagte der Großknecht. Seit das Waldweib am Krähen drüben landflüchtig worden, läßt sich keine mehr gespüren. Schweig! schalt der Klostermaier grimmig, bis du gefragt bist. Der Knecht blieb stehen, er wußte, daß es noch an ihn kommen werde. Sie schwiegen eine Zeit. Dann fuhr ihn der Alte an: Was weißt? Ich weiß, was ich weiß, sagte der Knecht pfiffig. Sie schwiegen wiederum eine Weile. Der Klostermaier hatte zum Fenster hinausgeschaut, die Ernte war vernichtet. Er wandte sich. Sag's! rief er. Habt Ihr die Wetterwolke gesehen, sprach der Knecht, wie sie über's Dunkel hingefahren ist? Was war's? Das Nebelschiff war's! Es hat Einer unser Korn den Nebelschiffern verhandelt ... Der Klostermaier schlug ein Kreuz, als woll' er ihm die weitere Rede wehren. Ich kenn's von meiner Großmutter her, fuhr der Knecht fort. Die hat's im Elsaß drüben oft erzählen hören, wenn das Wetter über den Odilienberg sauste. Aus dem Land Magonia kommt's hergesegelt, das Nebelschiff, weiß über die schwarzen Wolken, Fasolt und Mermuth sitzen drinnen, die hageln die Körner aus den Halmen, wenn ihnen der Wetterzauberer Macht drüber gegeben, und heben unser Getreide in's Luftschiff hinauf und fahren wieder heim nach Magonia und zahlen einen guten Lohn. Das Nebelschiff rufen trägt mehr ein als Messe lesen; uns aber bleiben die Hülsen. Der Klostermaier ward nachdenklich. Dann griff er den Knecht am Kragen und schüttelte ihn. Wer? rief er heftig. Der Knecht aber legte den Finger auf den Mund. Es war späte Nacht geworden. In der gleichen Frühstunde, da Cappan dem Ekkehard begegnet war, ging der Klostermaier mit dem Großknecht über die Felder, den Schaden zu beschauen. Sie sprachen kein Wort. Der Schaden war groß. Aber das Land jenseits war minder verheert, als ob die Eichen des Waldes eine Grenzscheide für Einschlag des Hagels gezogen. Auf dem nahen Grundstück trieb Cappan seine Arbeit. Er hatte das Stellen der Fallen beendet, und gedachte eine Weile zu ruhen. Er zog aus dem Gürtel ein Stück schwarz Brod und eine Speckseite, die glänzte weich und weiß, wie frischgefallener Schnee und war so schön, daß er mit Rührung seiner neuen Ehfrau gedenken mußte, die ihm solche Atzung zugesteckt. Und er dachte an Allerlei, was sich seit der Hochzeit zwischen ihm und ihr zugetragen, und schaute sehnsüchtig zu den Lerchen empor, als sollten sie hinüberfliegen zur Kuppe des hohen Stoffeln und ihm Haus und Ehbett grüßen, und es ward ihm so wohl zu Muth, daß er wieder einen mächtigen Luftsprung that. Weil sein schlankes Ehgemahl nicht anwesend, gedachte er sich jetzt des lan- gen Weges zur Erde zu legen, um seinen Imbiß zu verzehren, denn daheim hatte er sich immer noch zum Sitzen bequemen müssen, so sauer es ihm auch ward. Da schoß ihm durch den Sinn, daß ihm Friderun zu besserem Segen bei seiner Handthierung einen Spruch gelehrt, das Ungeziefer zu beschwören, und ihm streng auf's Herz ge- legt, solchen Spruch nicht zu versäumen. Sein Frühmahl hätt' ihm nimmer geschmeckt, bevor er dem Be- fehl gehorchet. An des Feldes Grenze war ein Stein, drein ein Halbmond ge- hauen, Frau Hadwig's Herrschaftszeichen. Er trat vor, zog seinen Holzschuh vom rechten Fuß, trat barfüßig auf den Grenzstein und hob die Arme nach dem Wald hin. Der Klostermaier und sein Knecht gingen zwischen den Eichen; sie blieben stehen, er sah sie nicht und sprach den Spruch wie Friderun ihn gelehrt: Aius, sanctus, cardia car- diani! Maus und Mäusin, Talp und Talpin, Hamster und Frau Hamsterin, lasset das Feld, wie es bestellt; fahrt in die Welt! Fahret hinunter, hinüber in's Moor, Fieber und Gicht laß Euch nimmer her- vor! Afrias, aestrias, palamiasit! Der Klostermaier und Großknecht hatten hinter den Eichen der Beschwörung gelauscht; jetzt schlichen sie näher. Afrias, aestrias, palamiasit! sprach Cappan zum zweitenmal, da fuhr ihm ein Schlag in's Genick, daß er zu Boden stürzte, seltsame Laute klangen an des Ueberraschten Ohr, vier Fäuste arbeiteten sich müd auf seinem Rücken, wie Flegel der Drescher in der Scheune. Gesteh's, Kornmörder! rief der Klostermaier dem Hunnen zu, der nicht wußte, wie ihm geschah, was hat dir der Schlangenhof für Leids gethan, Wettermacher, Mausverhetzer, Teufelsbraten? Cappan hatte keine Antwort, ihm schwindelte. Das erzürnte den Alten noch mehr. Schau ihm in's Aug'! rief er dem Knecht zu, ob's trieft und ob's dich verkehrt abspiegelt, den Kopf nach unten. — Der Knecht that wie geheißen. Aber er war ehrlich: im Aug' sitzt's nicht, sprach er. So lupf ihm den Arm! Er riß dem Daniedergeschlagenen das Obergewand ab und prüfte den Arm: Wer mit bösen Geistern Verbindung pflog, war irgendwo am Leib gezeichnet. Aber sie fanden kein Fehl an dem Mitleids- werthen, nur etliche altvernarbte Wunden. Da wären sie schier wie- der zu seinen Gunsten gestimmt worden; die Menschen waren dazumal, wie ein Geschichtschreiber sagt, in ihren Leidenschaften nach Art der Wilden, auffahrend und jäh veränderlich. Aber des Knechts Blick fiel von ohngefähr auf's Erdreich, da kroch ein großer Hornschröter des Weges; violschwarz glänzten die Flügeldecken und die röthlichen Hörner standen ihm stolz, wie ein Geweih. Er hatte sich des Cappan Mißhandlung angeschaut und wollte jetzt feldeinwärts, denn er fand kein Wohlgefallen dran. Der Knecht aber fuhr erschrocken zurück. Der Donnergugi! rief er. Der Donnerkäfer! rief de s Klostermaier deßgleichen. Jetzt war Cappan verloren. Daß er mit dem Käfer das Wetter gemacht, litt keinen Zweifel mehr, Hornschröter zieht Blitz und Hagel nieder. Mach Reu und Leid, Heidenhund! sprach der Maier, und griff nach seinem Messer. Es fiel ihm Etwas ein: Auf dem Grab seiner Brüder soll er's büßen, sprach er weiter. Er hat das Wetter be- schworen, die Hunnenschlacht zu rächen, Art läßt nicht von Art. Der Knecht hatte indeß den Hornschröter zwischen zwei platten Feldkieseln zermalmt, und grub die Steine in Boden. Jetzt schlepp- ten sie den Cappan vorwärts über's Blachfeld, und schleppten ihn zum hunnischen Grabhügel und schnürten ihm mit Weidenruthen Hand und Fuß zusammen; dann sprang der Knecht zum Schlangenhof hinüber und rief seine Mitknechte. Wild und mordlustig kamen sie heran, etliche davon hatten auf Cappan's Hochzeit getanzt, das stand nicht im Weg, daß sie jetzt zu seiner Steinigung auszogen. Cappan fing an nachzudenken. Was ihm zur Last gelegt ward, begriff er nicht, wohl aber, daß Gefahr da. Darum that er einen Schrei, der klang gell und durchdringend durch die Luft, wie der Schrei eines wunden Rosses in der Todesstunde; davon ward Ekkehard aus seinen Träumen unter dem Fliederbaum aufgejagt, er kannte die Stimme seines Täuflings und schaute hinunter. Ein zweitesmal klang Cappan's Schrei auf, da vergaß Ekkehard sein hohes Lied und eilte die Berghalde hinab. Er kam zu rechter Zeit. Sie hatten den Cappan an das Fels- stück gelehnt, das den Hügel deckte und standen im Halbkreis dabei. Der Klostermaier that kund, wie er ihn auf handhafter That des Wettermachens betroffen, und fragte herum, da sprachen sie ihn schul- dig gesteinigt zu werden. In die unheimliche Versammlung sprang Ekkehard. Die Män- ner geistlichen Standes waren dazumal minder verblendet, als etliche hundert Jahre später, wo Tausende unter gleich begründeter Anschuldi- gung auf dem Scheiterhaufen verenden mußten und der Staat sein „von Rechtswegen“ drunter setzte und die Kirche ihren Segen dazu gab. Und Ekkehard, so sehr er sonst an zauberische Kunst glaubte, hatte selber einstmals im Kloster des frommen Bischof Agobard Schrift ge- gen unsinnige Volksmeinung von Hagel und Wetter abgeschrieben; zürnender Unwille schuf ihm Beredsamkeit. Was thut ihr Unsinnige, die ihr richten wollet wo euch zu beten geziemt, daß ihr nicht selber möget gerichtet werden! Hat der Mann gefrevelt, so wartet bis zum Neumond, wenn der Leutpriester von Radolfszell das Sendgericht hält, dort mögen ihn die sieben Eid- männer verbotener Kunst zeihen, wie es des Kaisers und der Kirche Vorschrift! Aber die Männer vom Schlangenhof trauten ihm nicht. Ein drohend Murren erhob sich. Da gedachte Ekkehard in den wilden Gemüthern eine andere Saite anzuklingen. Und glaubt ihr wirklich, ihr, die Söhne des Landes der Heiligen, der Gott wohlgefälligen schwäbischen Erde, daß ein so arm hergelau- fener Hunnenmensch Macht haben könnte, unsere Wolken zu be- schwören? Glaubt ihr, daß die Wolken ihm gehorchen? daß nicht vielmehr ein guter Hegauer Blitz ihm das Haupt zerschmettert hätte zur Strafe des Frevels, daß ein fremder Mann ihn angerufen? Wenig fehlte, so hätte dieser Grund den heimathstolzen Gemüthern eingeleuchtet. Aber der Klostermaier rief: Der Donnerkäfer! der Donnerkäfer! wir haben ihn mit eigenen Augen zu seinen Füßen kriechen sehen! Da erscholl es von Neuem: Steiniget ihn! Ein Feld- stein flog herüber und schlug den Armen blutrünstig. Da warf sich Ekkehard unverzagt über seinen Täufling und schirmte ihn mit seinem eigenen Leib. Das wirkte. Die Männer vom Schlangenhof schauten einander an; allmälig wurden sie stumm, dann machte Einer im Kreise Kehrt und ging feld- einwärts, Andere folgten, zuletzt stand der Klostermaier allein: Ihr haltet's mit dem Landverderber! rief er zürnend, aber Ekkehard ant- wortete nicht, da ließ auch er den erhobenen Stein zur Erde sinken und ging brummend von dannen. Cappan war übel zugerichtet. Auf einem Rücken, den alleman- nische Bauernfäuste durchgearbeitet, wächst Jahre lang kein Gras. Der Steinwurf hatte eine Wunde in Kopf geschlagen, die blutete stark. Ekkehard wusch ihm das Haupt mit Regenwasser und machte das Zeichen des Kreuzes drüber, das rinnende Blut zu stillen, dann verband er ihn nothdürftig. Er gedachte ans Evangelium vom barm- herzigen Samaritaner. Der wunde Mann schaute dankbar aus den gekniffenen Augen zu ihm empor. Langsam führte ihn Ekkehard zur Burg hinauf, er mußte ihm zureden bis er's wagte sich auf seinen Arm zu stützen. Auch der Fuß mit der Narbe aus der Hunnenschlacht that ihm weh; stöhnend hinkte er bergaufwärts. Auf dem hohen Twiel gab's großen Lärm wie sie ankamen. Alle waren dem Hunnen gut. Die Herzogin kam in Hof herunter, sie nickte Ekkehard freundlich zu ob seiner Barmherzigkeit. Der Kloster- leute Frevel an ihrem Unterthan versetzte sie in zürnende Aufregung. Das soll nicht vergessen sein, sprach sie; sei getrost, Mausfänger! sie sollen dir ein Wehrgeld zahlen für den wunden Schädel, das einer Aussteuer gleich kommt. Und für den gestörten Herzogsfrieden setzen wir ihnen die höchste Buße, zehn Pfund Silbers soll nicht genug sein. Die Klosterleute werden frech wie ihre Herren. Am wildesten war Herr Spazzo der Kämmerer. Hab' ich darum mein Schwert von seinem Haupt zurückgezuckt, schalt er, wie er mit zerstochenem Schenkel vor mir lag, daß ihm's die Lümmel vom Schlangenhof mit Feldsteinen pflastern sollen? Und wenn er auch unser Feind war, jetzt ist er getauft und ich bin sein Pathe und hab' für seiner Seele und seines Leibes Heil Sorge zu tragen. Sei vergnügt, Pathenkind! rief er ihm zu und klirrte mit seinem Schwert auf dem Steinboden, wenn deine Schramme geflickt ist, begleit' ich dich zum ersten Spaziergang, da wollen wir mit dem Klostermaier rechnen, Hagel und Wetter, rechnen wollen wir, daß ihm die Spähne vom Kopf fliegen! Mit den Maiern kann's so nicht mehr fortgehen! Die Burschen führen Schild und Waffen wie Edelleute, richten statt ziemender Bauernjagd Hunde auf Wildschweine und Bären und blasen auf ihren Waidhörnern, als wären sie die Könige der Welt. Wo Einer den Kopf am höchsten trägt, ist's ein Maier, man mag drauf wetten! Wo ist der Frevel geschehen? fragte die Herzogin. Sie haben ihn von der Feldmark, wo der Halbmond ausgehauen steht, bis an den hunnischen Grabhügel geschleppt, sagte Ekkehard. Also mitten auf unserem Grund und Boden, zürnte Frau Hadwig, das ist zu viel! Herr Spazzo, Ihr werdet reiten! Wir werden reiten! sprach der Kämmerer grimmig. Und vom Abt auf der Reichenau noch heute Wehrgeld und Fried- bruchbuße und volle Genugthuung verlangen. Unsern landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen! .. durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen! wiederholte Herr Spazzo noch grimmer denn zuvor. Selten war ihm ein annehmlicherer Auftrag geworden. Er strich seinen Bart. Wir werden reiten, Herr Abt! sprach er und ging hinauf, sich zu rüsten. Aber sein grünsammtnes Unterwamms und seinen goldverbrämten Kämmerermantel ließ er geruhig im Kasten hangen; er suchte ein abgetragen grau Jagdgewand aus und legte die großen Beinschienen an, mit denen er in die Schlacht geritten, und die größten Sporen dran und probirte etlichemal einen festen Tritt. Auf den Eisenhut aber steckte er der wallendsten Federn drei und that sein Schlacht- schwert um. So kam er in Burghof herunter. Schaut mich einmal an, holdselige Jungfrau Praxedis, sprach er zu dieser, was mach' ich heut' für ein Gesicht? Er hatte den Eisen- hut auf's linke Ohr gerückt und sein Haupt hochfahrend über die rechte Schulter gedreht. Sehr ein unverschämtes, Herr Kämmerer, war der Griechin Antwort. Dann ist's recht! sprach Herr Spazzo und schwang sich auf den Gaul. Er ritt aus dem Burgthor, daß die Funken stoben, mit dem erfreulichen Gefühl, daß heute Unverschämtheit Pflicht sei. Unterweges übte er sich. Das Wetter hatte eine Tanne nieder- geworfen; im Wurzelwerk haftete noch das vom Sturz mit aufgerissene Erdreich. Die schweren Aeste sperrten den Pfad. Aus dem Weg, geistlicher Holzklotz! rief Herr Spazzo der Tanne zu. Wie die sich nicht rührte, zog er sein Schwert. Vorwärts, Falada! spornte er die Mähre und setzte in kühnem Satze über den Baum. Im Drübersprengen that er einen Schwerthieb in's Geäst, daß die Zweige herumflogen. Nach weniger denn anderthalb Stunden war er schon vor der Klosterpforte. Der schmale Streif Landes, der bei niederem Wasser- stand des Sees das Ufer mit der Insel verbindet, war frei von Ueberschwemmung und gestattete das Hinüberreiten. Ein dienender Bruder that ihm auf. Es war um Mittagszeit. Der blödsinnige Heribald kam neugierig aus dem Klostergarten her- gelaufen, zu schauen wer der fremde Reiter. Er drängte sich nah an's Roß, wie Herr Spazzo absprang. Der Hofhund tobte an seiner Kette mit Gebell dem Rappen des Kämmerers entgegen, daß er sich auf- bäumte. Schier hätte Herr Spazzo Schaden genommen. Wie er mit beiden Füßen auf die Erde gesprungen war, griff er seine Schwert- scheide und hieb dem Heribald flach über den Rücken. Es ist nicht für Euch! rief er und strich seinen Bart, es ist für den Hofhund. Gebt's weiter! Heribald stand betroffen und griff nach seiner Schulter. Heiliger Pirmin! jammerte er. Es gibt heute keinen heiligen Pirmin! sprach Herr Spazzo ent- schieden. Da lachte Heribald, als wenn er seinen Mann kennte. Eia, gnä- diger Herr, die Hunnen sind auch bei uns gewesen, und war Niemand da, als Heribald, sie zu empfangen, aber so gottlos haben sie nicht mit ihm gesprochen. Die Hunnen sind keine herzoglichen Kämmerer! sprach Herr Spazzo m it Stolz. In Heribald's blödsinnigem Gehirn begann der Gedanke aufzu- dämmern, die Hunnen seien nicht die schlimmsten Gäste auf deutscher Erde. Er schwieg und ging in Garten. Dort riß er ein paar Salbeiblätter ab und rieb seinen Rücken. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 17 Herr Spazzo schritt über den Klosterhof zum Thor, das durch den Kreuzgang in's Innere führte. Er trat fest auf. Die Glocke zum Mittagsmahl läutete. Einer der Brüder kam schnellen Ganges über den Hof. Herr Spazzo faßte ihn am dunkeln Gewand. Rufet mir den Abt herunter! sprach er. Der Mönch sah ihn verwundert an und that einen Seitenblick auf des Kämmerers abge- tragen Jagdhabit. Es ist die Stunde der Mahlzeit, sprach er. Wenn ihr geladen seid, was ich aber ... er schaute wiederum etwas spöttisch auf Spazzo's Jagdrock; der Schluß ward ihm erspart, der Kämmerer würdigte den hungrigen Bruder eines gediegenen Faustschlages, daß er taumelnd von der Schwelle in den Hof hinausflog, wie ein wohlgeschleuderter Feder- ball. Die Mittagssonne schien auf des Gefallenen Tonsur. Dem Abt war bereits gemeldet worden, welch einen Frevel der Klostermaier sich an der Herzogin Mann erlaubt. Jetzt vernahm er den Tumult im Klosterhof. Wie er an sein Fenster trat, erschaute er just den frommen Bruder Yvo faustschlagbefördert in Hof hinaus- fliegen. Glücklich, wer der Dinge geheimste Ursachen erkannt hat, singt Virgilius. Abt Wazmann erkannte sie, er hatte aus dem Dunkel des Kreuzgangs Herrn Spazzo's Helmzier drohend herübernicken gesehen. Ruft mir den Abt herunter! rief's zum zweitenmal vom Hofe herauf, daß die Scheiben der Zellenfenster klirrten. Unterdessen ward die Reichenauer Mittagssuppe kalt; die im Refectorium Versammelten griffen endlich zu, ohne des Abts zu warten. Der Abt Wazmann hatte Rudimann den Kellermeister zu sich entboten. Das Alles, sprach er, hat uns der Grünspecht von Sanct Gallen wieder angezettelt. O Gunzo, Gunzo! Keiner soll seinem Nächsten ein Leid wünschen, aber doch überdenkt mein Gemüth die Frage, ob unsere Hofbauern, das riesige Geschlecht vor dem Herrn, nicht wohlgethan hätten, dem Gleisner Ekkehard die Steine an Kopf zu werfen, die sie dem hunnischen Hexenmeister bestimmt ... Ein Mönch trat scheu in des Abts Gemach. Ihr sollt herunterkommen, sagte er leise, es ist Einer drunten und tobt und griesgramt wie ein Gewaltiger. Da wandte sich der Abt zu Rudimann dem Kellermeister und sprach: Es muß schlecht Wetter sein bei der Herzogin; ich kenne den Kämmerer, der ist ein sicher Wetterzeichen. Wenn seine Herrin ihren stolzen Mund zur Heiterkeit zuspitzt, so lacht er mit dem ganzen Ge- sicht, und wenn Wolken über ihre Stirn ziehen, so geht bei ihm ein volles Donnerwetter los .. .. und schlägt ein, ergänzte Rudimann. Schwere Tritte klirrten durch den Gang. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren, sprach der Abt. Macht Euch schnell auf den Weg, Kellermeister, reitet hinüber und drückt der Her- zogin unser Bedauern aus; nehmt ein paar Silberlinge aus der Klostertruhe mit als Schmerzensgeld für den Zerschlagenen, und saget, daß man für seine Genesung beten wolle. Vorwärts, Ihr seid ja sein Pathe und ein kluger Mann. Es wird schwer halten, sprach Rudimann. Sie wird recht gif- tig sein. Bringt ihr ein Geschenk mit, sprach der Abt. Kinder und Frauen lassen sich gern die Augen blenden. Was für eines? wollte Rudimann fragen, da ward die Thür auf- gerissen. Herr Spazzo trat ein. Sein Gesicht lag in den richtigen Falten. Beim Leben meiner Herzogin!! rief er, hat der Abt dieses Ratten- nestes heute Blei in seine Ohren gegossen, oder ist ihm Gichtbruch in die Füße gefahren? Was kommet Ihr nicht, Euern Besuch zu empfangen? Wir sind überrascht, sprach der Abt, laßt Euch willkommen heißen. Er hob den rechten Zeigefinger, ihm den Segen zu ertheilen. Brauch' keinen Willkomm! gab ihm Herr Spazzo zurück. Der Teufel ist heute Schutzpatron des Tages. Wir sind gekränkt! schwer gekränkt! Wir heischen Buße: zweihundert Pfund Silbers zum min- desten. Heraus damit!! Mord und Weltbrand! den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen! Wir sind Gesandter. Er klirrte mit den Sporen auf dem Fußboden. Verzeihet, sprach der Abt, wir haben am grauen Jagdrock die Tracht des Gesandten nicht zu erkennen vermocht. Beim kameelhärenen Kleid des Täufers Johannes brauste Herr Spazzo auf, und wenn ich im Hemd angeritten käme, so wär' die 17* Gewandung noch stolz genug, um vor euch schwarze Kutten als Herold zu treten. Er setzte seinen Helm auf. Die Federn nickten: Zahlet, damit ich weiters kann. Es ist schlechte Luft hier, schlecht, sehr schlecht ... Erlaubet, sagte der Abt, im Zorn lassen wir keinen Gast von der Insel reiten. Ihr seid scharf, weil Ihr noch nichts gegessen habt. Lasset Euch ein Klostermahl nicht gereuen. Nachher von Geschäften. Daß Einer für seine Grobheit freundlich zum Mittagsmahl einge- laden wird, machte dem Kämmerer einigen Eindruck. Er nahm seinen Helm wieder ab. Den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen! sprach er noch einmal, aber der Abt deutete hinüber: da sah man die offene Klosterküche, der blonde Küchenjunge drehte den Spieß am Feuer und schnalzte mit der Zunge, denn ein lieblicher Bratenduft war in seiner Nase aufgestiegen — ahnungsvoll standen etliche verdeckte Schüsseln im Hintergrund, — ein Mönch wandelte mit riesigem Steinkrug vom Keller her durch den Hof. Das Bild war allzu lockend. Da vergaß Herr Spazzo die amtlichen Stirnfalten und nahm die Einladung an. Bei der dritten Schüssel strömten seine Grobheiten spärlicher. Wie der rothe Meersburger im Pocal glänzte, versiegten sie ganz. Der rothe Meersburger war gut. — Unterdeß ritt Rudimann der Kellermeister aus dem Kloster. Der Fischer von Ermatingen hatte einen riesigen Lachs gefangen, frisch und prächtig lag er im kühlen Keller verwahrt, den hatte Rudimann erlesen als Geschenk zur Beschwichtigung der Herzogin. Auf dem Schreibzimmer des Klosters hatte er auch noch zu schaffen, bevor er ausritt. Ein Laienbruder mußte ihn begleiten, das in Stroh ver- packte Seeungethüm quer über sein Maulthier gelegt. Herr Spazzo war hochmüthig herübergeritten, demüthig ritt Rudimann hinüber. Er sprach leise und schüchtern, wie er nach der Herzogin fragte. Sie ist im Garten, hieß es. Und mein frommer Mitbruder Ekkehard? frug der Kellermeister. Der hat den wunden Cappan in seine Hütte am Hohenstoffeln ge- leitet und pflegt ihn, er kommt vor Nacht nicht heim. Das thut mir leid, sprach Rudimann. Höhnisch verzog er seine Lippen. Er ließ den Lachs auspacken und auf die Granitplatte des Tisches im Hofe legen; die Linde warf ihren Schatten drüber, die Schuppen des Seegewaltigen glänzten, es war als ob sein kühles Auge noch Leben hätte und schmerzlich stumm vom Berggipfel nach den blauen Wogen drüben schaute. Der Fisch war über eines Mannes Länge; Praxedis hatte einen hellen Schrei gethan, wie die Strohhülle von ihm genommen ward. Er kommt vor Nacht nicht heim! mur- melte Rudimann, und brach einen starken Lindenzweig und sperrte mit eingeschobenem Holze dem Lachs den Rachen, daß er weit aufge- rissen hinausgähnte. Mit grünem Lindenblatt verzierte er das Fisch- maul, dann griff er in seinen Busen, dort trug er die Pergament- blätter von Gunzo's Schmähschrift, er rollte sie säuberlich zusammen und schob sie in den offenen Rachen. Neugierig sah ihm Praxedis zu: das war ihr noch nicht vorgekommen. Jetzt nahte die Herzogin. Demüthig ging ihr Rudimann entgegen, er bat um Nachsicht für die Klosterleute, es thue dem Abt leid, er sprach mit Anerkennung von dem Verwundeten, mit Zweifel vom Wetterzauber, mit Erfolg im Ganzen. Und mög' Euch ein unwürdig Geschenk wenigstens den guten Willen des Euch stets getreuen Gottes- hauses beweisen, schloß er und trat zurück, daß der Lachs in seiner vollen Pracht sichtbar wurde. Die Herzogin lächelte halb versöhnt. Jetzt sah sie das Pergament dem Rachen entragen. Und das? sprach sie fragend. Das Neueste der Literatur!... sprach Rudimann. Er neigte sich mit Anstand, ging zu seinem Saumthier und beeilte sich des Heimritts. — Der rothe Meersburger war gut. Und Herr Spazzo nahm's nicht als eine leichte Sache, beim Wein zu sitzen, er dauerte aus vor den Krügen wie ein Städtebelagerer und saß festgegossen auf seiner Bank und trank als ein Mann, der sprudelnd Aufschäumen den Knaben überläßt, ernst aber viel. Der Rothe ist die verständigste Einrichtung im ganzen Kloster, habt Ihr noch mehr im Keller? hatte er den Abt gefragt, wie der erste Krug leer war. Es sollte eine Höflichkeit sein, ein Zeichen der Versöhnung, daß er weiter trank. Da kam der zweite Krug. Unbeschadet der landesherrlichen Rechte! sprach er grimm, wie er mit dem Abt anstieß. Unbeschadet! antwortete der mit einem Sei- tenblick. Es war die fünfte Abendstunde, da schallte ein Glöcklein durch's Kloster. Verzeihet, sprach der Abt, wir müssen zur Vesper, wollet Ihr mit? Ich werd' Euch lieber erwarten, entgegnete Herr Spazzo und schaute in den dunkeln Hals des Steinkrugs. Es wogte drin noch sattsamer Bedarf für eine Stunde. Da ließ er die Mönche ihren Vespersang halten und trank einsam weiter. Wieder war eine Stunde abgelaufen, da besann er sich, weßhalb er eigentlich in's Kloster herüber geritten. Es fiel ihm nimmer deut- lich ein. Jetzt kam der Abt zu ihm zurück. Wie habt Ihr Euch unterhalten? fragte er. Gut! sprach Herr Spazzo. Der Krug war leer. Ich weiß nicht ... begann der Abt. Doch! sprach Herr Spazzo und nickte mit dem Haupt. Da kam der dritte Krug. Inzwischen kehrte Rudimann von seinem Ausritt heim, die Abend- sonne neigte sich zum Untergehen, der Himmel färbte sich glühend, purpurne Streiflichter fielen durch's schmale Fenster auf die Zechenden. Wie Herr Spazzo wieder mit dem Abte anstieß, glänzte der Roth- wein wie feurig Gold im Pocal und er sah einen Schein der Ver- klärung um des Abts Haupt flimmern. Er besann sich. Beim Le- ben Hadwig's, sprach er feierlich, wer seid Ihr? Der Abt verstand ihn nicht. Was habt Ihr gesagt? fragte er. Da kannte Herr Spazzo die Stimme wieder. Ja so! rief er und schlug mit der Faust auf den Tisch, den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen! Gewiß nicht! sagte der Abt. Da fühlte der Kämmerer einen fliegenden Stich in der Stirn den kannte er wohl und pflegte ihn den „Wecker“ zu heißen. Der Wecker kam nur, wenn er beim Weine saß; wenn er durch's Haupt brauste, so war's ein Signal, daß in Frist einer halben Stunde die Zunge gelähmt sei und das Wort versage. Kam der Wecker zum zweitenmal, so drohte die Lähmung den Füßen. Da erhob er sich. Die Freude sollen die Kutten nicht erleben, dachte er, daß vor ihrem Klosterwein eines herzoglichen Dienstmannes Zunge stille steht! Er stand fest auf den Füßen. Halt an, sprach der Abt, des Abschieds Minne! Da kam der vierte Krug. Herr Spazzo war zwar aufgestanden, aber zwischen Aufstehen und Fortgehen kann sich noch Vieles zutragen. Er trank wieder. Wie er seinen Pocal absetzen wollte, stellte er ihn bedächtig in die blaue Luft hinein, daß er auf die Steinplatten des Fußbodens fiel und zerschellte. Da ward Herr Spazzo grimmig. Ver- schiedenes rauchte und rauschte ihm durch den Sinn. Wo habt Ihr ihn? fuhr er den Abt an. Wen? Den Klostermaier! Gebt ihn heraus, den groben Bauer, der mein Taufpathenkind hat umbringen wollen! Er ging drohend auf den Abt los. Nur einen einzigen Fehltritt that er. Der sitzt auf dem Schlangenhofe, sprach der Abt lächelnd. Er sei Euch ausgeliefert. Ihr müßt aber selber ausziehen und ihn holen. Mord und Weltbrand! wir werden ihn holen, polterte Herr Spazzo und schlug an's Schwert, indem er nach der Thüre schritt. Aus dem Bett werden wir ihn greifen, den Bärenhäuter, und wenn er gegriffen ist, beim Tornister des heiligen Gallus! wenn er ... dann ... sag' ich Euch ... Die Rede kam nimmer zum Schluß. Die Sprache stand ihm still wie die Sonne in der Amorrhiter Schlacht, da Josua ihr gebot. Er griff nach des Abtes Becher und trank ihn leer. Die Sprache kam nicht wieder. Ein süßes Lächeln lagerte sich auf des Kämmerers Lippen. Er schritt auf den Abt zu und um- armte ihn. Freund und Bruder! vielgeliebter alter Steinkrug! wie wär's, wenn ich Euch ein Aug' ausstäche? wollte er mit kämpfender Zunge zu ihm sagen; es gelang ihm nimmer, verständlich zu sein. Er preßte den Abt fest und trat ihm dabei mit dem bespornten Stiefel auf den Fuß. Abt Wazmann hatte bereits den Gedanken überlegt, ob er dem Erschöpften ein Nachtlager wolle anweisen, die Umarmung und der Schmerz seiner Zehen änderte ihm den Sinn, er sorgte, daß des Käm- merers Rückzug beginne. Im Klosterhof ward sein Roß gesattelt. Der blödsinnige Heribald schlich sich draußen herum, er hatte ein groß Stück Zunder in der Küche geholt und gedachte dasselbe brennend des Kämmerers Roß in die Nüstern zu legen, daß es ihn räche für den flachen Hieb. Jetzt kam Herr Spazzo heraus, er hatte die Reste seiner Würde zusammen- gerafft. Ein Diener mit einer Fackel leuchtete. Der Abt hatte ihm an der obern Pforte Valet gewinkt. Herr Spazzo stieg auf seinen treuen Rappen Falada, ebenso schnell gleitete er auf der rechten Seite wieder herab. Heribald sprang bei, ihn aufzufangen, der Kämmerer fiel ihm in die Arme, des Mönchs Bart streifte stechend seine Stirn. Bist du auch da, Elbentrötsch! weiser König Salomo! lallte Herr Spazzo, sei mein Freund! Er küßte ihn, da hob ihn Heribald auf's Roß und warf seinen Zunder weg und trat darauf. Eia, gnä- diger Herr, rief er ihm zu, kommet recht wohl nach Hause! Ihr seid anders bei uns eingeritten wie die Hunnen, darum reitet Ihr aber auch anders von dannen, wie sie, und sie haben sich doch auch auf's Weintrinken verstanden. Herr Spazzo drückte den Eisenhut auf's Haupt, fest griff er die Zügel; es preßte ihm noch etwas das Herz, er kämpfte mit der lahm- gewordenen Zunge. Itzt kam ein Stück verlorener Kraft wieder, er hob sich im Sattel, die Stimme gehorchte. Und den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen! rief er, daß es durch die stille Nacht des Klosterhofs dröhnte. Zu derselben Zeit berichtete Rudimann dem Abt über den Erfolg seiner Sendung zur Herzogin. Herr Spazzo ritt ab. Dem Diener, der mit der Fackel leuchtete, hatte er einen güldenen Fingerring zugeworfen. Darum ging der Fackelträger noch weit mit ihm bis zum schmalen Pfad, der über den See führte. Bald war er am jenseitigen Ufer. Kühl wehte die Nachtluft um das heiße Haupt des Reiters. Er lachte vor sich hin. Die Zügel hielt er gepreßt in der Rechten. Der Mond schien auf den Weg. Dunkel Gewölk ballte sich fern um die Häupter der helvetischen Berge. Jetzt ritt Herr Spazzo in den Tannwald ein. Laut und gemessen schallte des Kukuks Stimme durch die Stille. Herr Spazzo lachte. War's fröhliche Erinnerung oder sehnende Hoffnung der Zukunft, die sein Lächeln so süß machte? Er hielt sein Roß an. Wann soll die Hochzeit sein? rief er zum Baum hinüber, drauf der Rufer saß. Er zählte die Rufe, aber der Kukuk war heute unermüdlich. Schon hatte Herr Spazzo zwölf gezählt, da begann seine Geduld auf die Neige zu gehen. Schweig, schlechter Gauch! rief er. Da tönte des Kukuks Ruf zum dreizehnten Male. Der Jahre fünfundvierzig haben wir schon, und dreizehn macht achtundfünfzig, sprach Herr Spazzo zornig. Das gäb' späten Brautstand. Der Kukuk rief zum vierzehnten. Ein anderer war vom Rufen wach geworden und ließ itzt auch seine Stimme erklingen, ein dritter stimmte ein, das hallte und schallte neckisch um den trunkenen Käm- merer herum und war nicht mehr zu zählen. Da ging ihm die Geduld gänzlich aus. Lügner seid ihr, und Ehebrecher, und Bäckerknechte alle zusammen! schalt er die Vögel, scheert euch zum Teufel. Er spornte sein Roß zum Trab. Der Wald schloß sich dichter. Jetzt zogen die Wolken herauf, schwer und dunkel, sie zogen gegen den Mond. Es ward stockfinster; geisterhaft ragten die Tannen, Alles lag schwarz und still. Gerne hätte Herr Spazzo itzt noch den Kukuk gehört, der nächtliche Ruhestörer war fortgeflogen — da ward's dem Heimreitenden unheimlich; eine ungestalte Wolke kam gegen den Mond geschlichen und hüllte ihn ganz ein, da fiel Herrn Spazzo ein, was ihm die Amme in erster Jugend erzählt, wie der böse Wolf Hati und Managarm der Mondhund dem leuchtenden Gestirn nachjagen, er sah wieder auf, da sah er den Wolf und den Mondhund deutlich am Himmel; itzt hielten sie den armen Tröster der Nacht im Rachen .. Herr Spazzo schauderte. Er zog sein Schwert. Vince luna! Siege, o Mond! schrie er mit heller Stimme und rasselte mit Schwert und Beinschienen, vince luna, vince luna! Sein Geschrei war laut und sein ehern Gerassel scharf, aber die Wolkenungethüme ließen den Mond nicht, nur des Kämmerers Roß ward scheu und sprengte sausend mit ihm durch die Waldesnacht. Wie Herr Spazzo des andern Morgens erwachte, lag er am Fuß des hunnischen Grabhügels. Auf der Wiese sah er seinen Reiters- mantel liegen, sein schwarzes Rößlein Falada erging sich fern am Waldessaum, der Sattel hing unten am Bauch, die Zügel waren zerrissen; es fraß die jungen Wiesenblumen. Langsam wandte der schlafmüde Mann sein Haupt und schaute sich gähnend um. Der Klosterthurm der Reichenau spiegelte sich so ruhig und fern im See, als wenn nichts geschehen wäre. Er aber riß einen Büschel Gras aus und hielt die thauigen Halme an die Stirn. Vince luna! sprach er mit bittersüßem Lächeln. Er hatte schwer Kopfweh. Neunzehntes Kapitel . Burkard der Klosterschüler . Rudimann der Kellermeister war kein falscher Rechner. Eine Rolle Pergament in einem Lachsrachen muß Neugier erregen. Während Herr Spazzo den Reichenauer Klosterwein getrunken, war seine Ge- bieterin mit Praxedis im stillen Closet an Entzifferung der Gunzo'schen Schrift gesessen; die Schülerinnen Ekkehard's hatten des Lateinischen genug gelernt, um die Hauptsachen zu verstehen; was grammatisch unklar blieb, erriethen sie, was nicht zu errathen war, setzten sie nach eigenem Gutdünken zusammen. Praxedis war empört: Ist denn die Nation der Gelehrten überall wie in Byzanzium? sprach sie. Erst die Mücke zum Elephanten ge- macht und dann einen Feldzug gegen das selbstgeschaffene Ungethüm begonnen! Das Reichenauer Geschenk schmeckt essigsauer. — Sie verzog den lieblichen Mund wie damals, da sie Wiborad's Holzäpfel kosten mußte. Frau Hadwig war sonderbar bewegt. Ein unheimlich Gefühl sagte ihr, daß in Gunzo's Blättern ein Geist sein Wesen treibe, der nicht vom Guten, aber sie gönnte Ekkehard die Demüthigung. Ich glaube, er hat die Zurechtweisung verdient, sprach sie. Da sprang Praxedis auf: Unser braver Lehrer verdient manche Zurechtweisung, rief sie, aber das sollte unsere Sache sein. Wenn wir ihm seine blöde Schwerfälligkeit wegschulmeistern, thun wir ein gutes Werk. Aber wenn Einer mit dem Balken im Aug' dem An- dern den Splitter vorwirft, das ist zu arg. Die bösen Mönche haben das nur angebracht, um ihn anzuschwärzen. Darf ich's zum Fenster hinauswerfen, gnädige Herrin? Wir haben Euch weder um Ekkehard's Erziehung noch um Wer- fung eines Gastgeschenks zum Fenster hinaus ersucht, sprach die Her- zogin bitter. Praxedis schwieg. Die Herzogin konnte sich von der eleganten Schmähschrift lange nicht trennen. Ihre Gedanken waren dem blonden Mönch nicht mehr zugewendet wie damals, als er sie über den Hof des heimischen Klo- sters trug. Im Augenblick überschwänglichen Gefühls nicht verstan- den werden, ist gleich der Verschmähung, der Stachel weicht nicht wieder. Wenn sie ihn jetzt erschaute, pochte das Herz nicht in hö- herem Schlag; oft war's Mitleid, was ihre Blicke ihm noch zuführte, aber nicht jenes süße Mitleid, aus dem die Liebe aufsprießt wie aus kühlem Grunde die Lilie — es barg einen bösen Keim von Gering- schätzung in sich. Durch Gunzo's Schmähschrift ward auch das Wissen, das die Frauen seither hoch an ihm gehalten, in Staub gezogen, was blieb noch Gutes? Das stille Weben und Träumen seiner Seele verstand die Herzogin nicht, zarte Scheu ist in Anderer Augen Thorheit. Daß er in der Frühe ausgegangen, das hohe Lied zu lesen, war zu spät; er hätte das im vorigen Herbst thun sollen ... Der Abend dunkelte. Ist Ekkehard heimgekehrt? fragte die Herzogin. Nein, sprach Praxedis, Herr Spazzo auch nicht. Dann nimm den Leuchter, befahl Frau Hadwig, und trage die Pergamentblätter auf Ekkehard's Thurmstube. Er darf nicht unun- terrichtet bleiben von seiner Mitbrüder Werken. Die Griechin gehorchte, aber unfroh. In der Thurmstube droben war schwüle Hitze. Ungeordnet lagen Bücher und Geräthschaften um- her; auf dem Eichentisch war das Evangelium des Matthäus aufge- schlagen: „Am Geburtsfest des Herodes aber tanzte der Herodias Tochter vor der Gesellschaft, und sie gefiel dem Herodes, daß er ihr mit einem Eidschwur verhieß zu geben um was sie bitten wollte, und sie sprach: Gib mir auf einer Schüssel den Kopf Johannes des Täufers!..“ Die priesterliche Stola, Ekkehard's Weihnachtgeschenk von der Herzogin, lag daneben, die goldgewirkten Fransen hingen über das Fläschlein mit Jordanwasser, das ihm der alte Thieto einst mitgegeben. Da schob Praxedis Alles zurück und legte Gunzo's Epistel auf den Tisch; es that ihr leid, wie sie Alles geordnet. Beim Fortgehen wandte sie sich, that das Fenster auf, riß ein Zweiglein von dem üppig am Thurm sich emporschlingenden Epheugerank und warf's drüber hin. Ekkehard war spät heimgekommen. Er hatte den wunden Cappan gepflegt; noch größere Arbeit war es ihm, des Hunnen langes Ehge- mahl zu trösten. Nachdem das erste Wehgeheul verstummt und ihre Thränen getrocknet, war bis nach Sonnenuntergang ihre Rede nur ein einziger großer Fluch auf den Klostermaier, und wenn sie ihren starken Arm gen Himmel hob und von Augauskratzen und Bilsen- kraut in die Ohren gießen und Zähneeinschlagen sprach, und ihre brau- nen Zöpfe wildbedrohlich im Winde flatterten, so bedurfte es ein- dringlichen Zuspruchs, sie zu beruhigen. Doch war's gelungen. In der Stille der Nacht las Ekkehard die Blätter, die ihm die Griechin in seine Stube gelegt. Seine Hand spielte mit einer wilden Rose, die er heimgehend im Tannwald gepflückt, während sein Auge die geharnischten Angriffe des welschen Gelehrten aufnahm. Woher mag es kommen, dachte er und sog den Duft der Blume ein, daß so Vieles der Tinte Entsprossenes seinen Ursprung nicht ver- läugnen kann? Alle Tinte kommt vom Gallapfel und aller Gall- apfel von bösem Wespenstich ... Mit heiterem Antlitz legte er schließlich die gelben Pergament- blätter weg: Eine gute Arbeit — eine recht fleißige gute Arbeit — o der Wiedehopf ist auch eine wichtige Person unter dem fliegenden Gethier. Aber die Nachtigall hat kein Ohr für seinen Gesang ... Er schlief ausgezeichnet gut nach seiner Lesung. Wie er des andern Morgens von der Burgcapelle zurückschritt über den Hof, traf er auf Praxedis. Wie geht's Euch, Hunnentäufer? sprach sie leicht, ich bin ernstlich um Euch besorgt. Es hat mir geträumt, ein großer brauner Meer- krebs sei den Rhein herauf geschwommen und aus dem Rhein in Bodensee, und vom Bodensee sei er auf unsere Burg gekrochen, und hätt' schneidige Scheeren, und hätt' Euch drein geklemmt und scharf in's Fleisch geschnitten. Der Seekrebs heißt Gunzo. Habt Ihr noch viel so gute Freunde? Ekkehard lächelte. Ich mißfalle manchem Mann, der mir auch nicht gefallen kann, sprach er. Wer an rußige Kessel anstößt, kann leichtlich schwarz werden. Scheint Euch aber ganz gleichgiltig zu sein — sprach Praxedis. Ihr solltet Euch schon heut' auf eine Antwort besinnen. Siedet den Krebs roth ab, dann beißt er nimmer. Die Antwort, erwiederte Ekkehard, hat ein Anderer für mich ge- geben. Wer zu seinem Bruder spricht Rakka! wird des hohen Rathes schuldig sein, und wer sagt: du Narr! wird des höllischen Feuers schuldig sein. Ihr seid recht fromm und mild, sagte Praxedis, aber sehet zu, wie weit Ihr damit in der Welt kommet. Wer sich seiner Haut nicht wehret, dem wird sie abgezogen. Auch den schlechten Feind sollt Ihr nicht gering anschlagen: sieben Wespen zusammen stechen ein Roß todt. Die Griechin hatte recht. Stumme Verachtung unwürdigen An- greifers gilt allzuleicht für Schwäche. Aber es war Ekkehard's Na- tur so. Praxedis trat einen Schritt auf ihn zu, daß er betroffen zurück- wich. Soll ich Euch noch einen guten Rath geben, Ehrwürdigster? sprach sie. Er nickte schweigend. Ihr schreitet wieder viel zu ernst einher; es möchte Einer glauben, Ihr wollet mit Sonne und Mond Kegel schieben wenn Ihr des We- ges kommt. 's ist heißer Sommer jetzt, die Capuze macht Euch schwül. Lasset Euch ein linnen Gewand beschaffen, und meinetwegen auch den Schloßbrunnen über's Haupt rieseln, aber seid fröhlich und guter Dinge. Die Herrin möchte sonst recht gleichgiltig für Euch werden. Ekkehard wollte ihr die Hand reichen; es däuchte ihm zuweilen, als sei Praxedis sein guter Engel. Da kam langsamen Hufschlages Herr Spazzo in Burghof eingeritten. Sein Haupt senkte sich dem Sattelknopf entgegen, bleiernes Lächeln war über das müde Antlitz gegossen, halb schlief er. Euer Gesicht hat sich namhaft verändert seit gestern, rief ihm Praxedis zu. Warum fliegen keine Funken mehr unter Falada's Huf? Er schaute mit stieren Augen zu ihr herab. Es flimmerte vor seinem Blick. Bringt Ihr auch ein erklecklich Schmerzensgeld mit, Herr Käm- merer? fragte Praxedis. Schmerzensgeld? für wen? sagte Herr Spazzo stumpf. Für den armen Cappan! Ich glaube, Ihr habt eine Hand voll Mohnkörner gegessen, daß Ihr nimmer wisset warum Ihr ausgeritten ... Mohnkörner, sprach Herr Spazzo mit dem gleichen Ausdruck, Mohn- körner? Nein. Aber Meersburger, rothen Meersburger, ungefü- gigen hundertschlündig zu trinkenden rothen Meersburger! ja! Er stieg schwerfällig vom Roß und zog sich in seine Gemächer zurück. Der Bericht über seiner Sendung Erfolg blieb unerstattet. Praxedis schaute dem Kämmerer nach, sie begriff den Grund seiner bleischweren Gemüthsstimmung nicht ganz. Habt Ihr noch nie davon erzählen gehört, daß einem gesetzten Manne Gras, Blumen und Klee und aller Kräuter Meisterschaft, die Würze und aller Steine Kraft, der Wald und alle Vögelein — nicht so zur Erquickung frommen als ein alter Wein? sprach Ekkehard zur Ergänzung. Aber schon der jüdische Prophetenknabe sprach zum König Darius, da die Kriegsleute und Amtmänner aus Morgenland um den Thron standen und stritten, wer der stärkste sei: der Wein ist der stärkste, der überwältigt die Männer die ihn trinken und führt ihr Gemüthe in Irrthum. Praxedis hatte sich weggewendet und stand an den Zinnen der Mauerbrüstung. Sehet einmal hinunter, Sonne der Wissenschaft, sprach sie zu Ekke- hard, was kommt dort für ein sauber geistlich Männlein gewandelt? Ekkehard beugte sich über die Mauer und schaute an der senkrecht aufstrebenden Felswand hinab. Zwischen den Stauden am Burgweg wandelte ein braunlockiger Knabe, er trug ein Mönchsröcklein, das bis an die Knöchel reichte, Sandalen am nackten Fuß, einen ledernen Ranzen auf dem Rücken, den eisenbeschlagenen Wanderstab in der Hand. Ekkehard kannte ihn noch nicht. Nach einer Weile stand er am Burgthor. Er hielt die Hand vor die Augen und schaute in das weite schöne Land hinaus. Dann trat er in Hof und ging gemessenen Schrittes auf Ekkehard zu. Es war Burkard der Klosterschüler, Ekkehard's Schwestersohn, der von Constanz herüberkam, seinem jungen Oheim einen Ferienbesuch abzustatten. Er machte ein feierlich Gesicht und sprach den Begrüßungsspruch, als hätte er ihn auswendig gelernt. Ekkehard küßte den wohlerzogenen Schüler, der in den fünfzehn Jahren seines Lebens noch keinen einzigen dummen Streich be- gangen. Burkard richtete Grüße von Sanct Gallen aus, und brachte eine Epistel Meister Ratpert's, der sich behufs vergleichender Studien von Ekkehard Auskunft erbat, in welcherlei Fassung und Wortlaut er gewisse schwierige Stellen im Virgilius zu übersetzen pflege. Heil, Gedeihen und Fortschritt in der Erkenntniß! lautete des Briefes Abschiedsgruß. Ekkehard begann ein langes Fragen nach seinen dortigen Brüdern. Aber Praxedis fiel ihm in die Rede. Lasset doch den frommen jungen Mann ausruhen. Trockene Zunge erzählt nicht gern. Komm mit mir, Männlein, du sollst uns ein lieberer Besuch sein, als der böse Rudimann von Reichenau. Vater Rudimann? sprach der Knabe, den kenne ich auch. Woher? fragte Ekkehard. Er ist vor wenig Tagen bei uns gewesen und hat dem Abt ein großes Schreiben überbracht, und eine Schrift; es soll Vieles über Euch drin stehen, liebwerther Ohm, und nicht lauter Schönes. Hört! sprach Praxedis. ... und wie er Abschied genommen, ist er nur bis zur Kirche ge- gangen; dort hat er gebetet bis daß es dunkel war. Er muß aber alle Gänge und Schliche im Kloster kennen, wie die Glocke die Schlaf- stunde angeläutet, ist er heimlich und auf den Zehen in's große Dor- mitorium geschlichen um zu lauschen, was die Brüder vor Einschlafen über Euch und über das, was in seiner Schrift stand, zusammen sprechen würden. Die Nachtkerze hat trüb geflackert, daß er im Ver- borgenen niedersitzen konnte. Aber um Mitternacht ist der Vater Notker Pfefferkorn gekommen, der hat die Runde gemacht, nachzuschauen, ob Jeder seinen Gürtel fest um's Gewand geschlungen, und ob kein Messer oder schädlich Gewaffen im Schlafgemach sei. Der hat den Fremden hervorgezogen aus seinem Versteck, und die Brüder sind aufgewacht, und die große Abtslaterne ist angezündet worden, mit Stecken und Stangen und der siebenfältigen Geißel aus der Geißelkammer sind sie herbeigesprungen und war ein großer Lärm und Geschrei, trotzdem daß der Decan und die Alten abwinkten. Notker Pfefferkorn selber war hoch ergrimmt: Der Teufel geht lauernd umher und sucht wen er verschlinge, rief er, wir haben den Teufel, züchtiget ihn! Vater Rudimann aber ist noch recht höhnisch gewesen: ich gestehe, treffliche Jünglinge, hat er gesagt, wenn ich wüßte wo der Zimmer- mann einen Weg offen gelassen, so würde ich auf Händen und Füßen von dannen gehen; nun aber, da ich gern oder ungern euch in die Hände fiel, so gedenket, daß ihr euerem Gastfreund keine Schande an- thuet. Da wurden sie alle wild und schleppten ihn in die Geißel- kammer; nur auf den Knien konnt' er sich losbitten, und als endlich der Abt sprach: Wir wollen das Füchslein heimspringen lassen in seinen Bau, hat er sich höflich bedankt. Ich bin gestern einem Fuhrwerk mit zwei großen Weinfässern vor- beigekommen: der Kellermeister der Reichenau schicke das dem heiligen Gallus für freundschaftliche Aufnahme, hat der Fuhrmann zu mir gesagt ... Davon hat Herr Rudimann nichts gemunkelt, wie er gestern bei uns war, sprach Praxedis. Für die Geschichte verdienst du ein Stück Kuchen, Goldsohn, du erzählst ja, wie ein Jubelgreis. O, sprach der Klosterschüler halb beleidigt, es heißt nichts. Aber ich werde ein Gedicht darüber machen, des Wolfs Einbruch im Schaf- stall und Strafe, — ich hab's schon halb im Kopf, das muß schön werden. Du machst auch Gedichte, junger Neffe? sprach Ekkehard heiter. Das wär' kein guter Klosterschüler, gab der Junge zur Antwort, der vierzehn Jahre alt würde und keine Gedichte machen könnte. Mei- nen Lobgesang auf den Erzengel Michael in doppelt gereimten Hexa- metern hab' ich dem Abte vorlesen dürfen; er hat meine Verse eine glänzende Perlenschnur geheißen. Und meine sapphische Ode zu Ehren der frommen Wiborad ist auch recht schön, soll ich sie vortragen? Um Gotteswillen! sprach Praxedis, glaubst du, man fällt bei uns nur zum Burgthor herein und trägt gleich Oden vor? Wart' erst dein Stück Kuchen ab. Sie sprang zur Küche und ließ den gelehrten Neffen Ekkehard's im Gespräch mit seinem Oheim unter der Linde zurück. Der plau- derte denn ein Namhaftes von Trivium und Quadruvium; weil gerade der Fels von Hohentwiel im Morgenlicht einen feingezeichneten Schatten über das flache Land warf, erging sich der Klosterschüler in einer weitläufigeren Disputation über den Grund des Schattens, als welchen er mit Sicherheit einen dem Licht entgegenstehenden Körper bezeichnete und alle andere Definitionen in ihrer Nichtigkeit nachwies. Wie ein Springquell entströmte dem jugendlichen Munde die Fluth der Wissenschaft. Auch in der Astronomie war er bewandert; das Lob Zoroaster's von Bactrien und des Königs Ptolemäus von Aegyp- tenland mußte der Oheim geduldig anhören, über Form und Verwen- dung des Astrolabiums ward ihm scharf auf den Zahn gefühlt; auch begann der braungelockte Schwestersohn auseinander zu setzen, wie faselnd die Meinung derer sei, die da glauben, daß auf der Rück- seite des Erdglobus das ehrenwerthe Geschlecht der Antipoden hause — vor fünf Tagen hatte er all' die schönen Sachen gelernt: aber schließlich erging es dem Oheim wie dem tapfern Kaiser Otto, da der weltweise Bischof Gerbert von Rheims und Otrich der Dom- schulmeister von Magdeburg vor ihm und viel hundert gelahrten Aebten und Scholastern ihren Wettkampf über Eintheilung und Grund der theoretischen Philosophie abhielten — er gähnte. Jetzt kam Praxedis mit einem herrlichen Kirschkuchen und einem Körbchen Früchte, das gab den Gedanken des fünfzehnjährigen Welt- weisen eine Wendung zum Natürlicheren; als wohlerzogener Knabe sprach er erst den Hymnus vor dem Essen, wie er in der Kloster- D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 18 schule üblich, dann vertiefte er sich ganz in des Kuchens Aufzehrung und überließ die Frage von den Antipoden einer späteren Zukunft .. Praxedis wandte sich zu Ekkehard: Die Herzogin läßt Euch kund thun, sprach sie mit verstelltem Ernst, daß sie gesonnen, zum Studium des Virgilius zurückzukehren; sie ist begierig zu vernehmen, wie der Königin Dido Geschicke sich weiter abspinnen. Heute Abend beginnen wir; Ihr sollt ein freundlich Gesicht dazu machen, fuhr sie leiseren Tones fort, es ist eine zarte Aufmerksamkeit, Euch zu beweisen, daß trotz der Schriften gewisser Herren das Vertrauen auf Euere Wissen- schaft nicht geschwunden. Es war so. Ekkehard aber erschrack. Wieder in der alten Weise mit den zwei Frauen zusammen sein: schon der Gedanke that ihm weh. Er konnte noch immer nicht vergessen, daß einst ein Charfrei- tagmorgen gewesen. Da schlug er seinen Neffen auf die Schulter, daß der zusammen- fuhr. Du kommst hier nicht in die Ferien zum Fischfangen und Vogelstellen, Burkard! sprach er, heute Nachmittag lesen wir Virgil mit der gnädigen Herzogin, du wirst dabei sein. Er gedachte den Knaben als schirmende Abwehr zwischen die Her- zogin und seine Gedanken zu stellen. Wohl! sprach Burkard mit kirschrothblauen Lippen, Virgilius ist mir lieber als Jagen und Reiten, und ich werd' die Frau Herzogin bitten, mir von ihrem Griechischen Etwas zu lehren. Nach jenem Besuch, wo sie Euch mit fortgenommen, haben die Klosterschüler oft- mals gesagt, sie wisse mehr griechisch als alle ehrwürdigen Väter des Klosters zusammen, sie habe es durch Zauberei erlernt. Und wenn ich auch im Griechischen der Erste bin ... Dann kann dir's nicht fehlen, daß du in fünf Jahren Abt und in zwanzig Jahren heiliger Vater zu Rom wirst, sprach Praxedis spottend. Einstweilen fließt dort der Burgbrunnen, das Blau deiner Lippen zu tilgen ... Um die vierte Abendstunde harrte Ekkehard im säulengetragenen Gemach seiner Gebieterin, die Lesung der Aeneide wieder aufzunehmen. Ueber ein halb Jahr war abgelaufen, daß Virgilius Ruhe gehabt. Ekkehard war beklommen, er hatte die Fenster weit aufgethan. Wohl- thuende Kühle des Abends strömte herein. Der Klosterschüler blätterte in der lateinischen Handschrift. Wenn die Herzogin mit dir spricht, sei fein artig, sprach Ekkehard. Er aber antwortete mit Selbstgefühl: Mit einer so vornehmen Frau red' ich nur in Versen. Sie soll sich überzeugen, daß ein Zög- ling der inneren Schule vor ihr steht. Jetzt trat die Herzogin ein, gefolgt von Praxedis. Sie grüßte mit leichtem Kopfnicken. Ohne daß sie Ekkehard's hoffnungsvollen Neffen zu bemerken schien, ließ sie sich im schnitzwerkverzierten Lehn- stuhl nieder. Burkard hatte sich zierlich verneigt und stand am Ende des Tisches. Ekkehard schlug den Virgilius auf. Da fragte die Herzogin gleich- giltigen Tones: Was soll der Knab'? Ein demüthiger Zuhörer, sprach Ekkehard, dem die Sehnsucht, das Griechische zu erlernen, Muth gibt, so erlauchter Lehrerin sich zu nahen. Er wird glücklich sein, wenn er von Eueren Lippen ... Aber bevor Ekkehard seine Rede geendet, war Burkard vor die Herzogin getreten, befangen und keck zugleich sprach er mit niederge- schlagenen Augen und genauer Betonung des Silbenmaßes: Esse velim Graecus, cum vix sim, dom'na, Latinus Der ich kaum ein Lateiner bin, ein Grieche möcht' ich werden. . Es war ein tadelloser Hexameter. Frau Hadwig hörte ihm halb erstaunt zu. Ein braunlockiger Knabe, der einen Hexameter sprach, war in allemannischen Landen etwas Ungewohntes. Und er hatte ihr zu Ehren die Dactylen und Spondäen aus dem Stegreif ersonnen. Darum ergötzte sie sich an dem jungen Verseschmied. Laß dich einmal näher beschauen, sprach sie und zog ihn zu sich. Er gefiel ihr; es war ein lieblich Knabenantlitz, durchsichtig Roth auf den Wangen, so fein und zart, daß das blaue Geäder in leichtem Umriß drunter zu erschauen war, üppig wallten die Locken um die Stirn, eine kecke Adlernase ragte über den gelehrten jungen Lippen wie ein Hohn auf das, was unter ihr gesprochen werde, in die Luft. Da schlang Frau Hadwig ihren Arm um den Knaben, hob ihn empor und küßte ihn auf Lippe und Wange und that schier kindisch mit ihm; dann schob sie den gepolsterten Schemel hart an ihre Seite, und setzte 18* ihn drauf: Einstweilen sollst du von meinen Lippen etwas Anderes pflücken als griechisch, sprach sie scherzend und küßte ihn noch einmal, — jetzt sei aber so brav wie vorhin und sag' schnell noch ein paar leicht- hingleitende Verse. Sie strich ihm die Locken zurück. Der Klosterschüler war erröthet, aber seine Metrik kam durch einer Herzogin Kuß nicht aus der Fassung. Ekkehard war an's Fenster getreten und schaute nach den Alpen, Burkard aber sprach ohne sich zu besinnen: Non possum prorsus dignos componere versus, Nam nimis expavi duce me libante suavi. Ich finde keinen Vers mehr, es stockt der Rede Fluß, Zu tief h at mich erschreckt der Herrin süßer Kuß. Es waren wiederum zwei tadellose Hexameter. Die Herzogin lachte laut auf: Du hast sicher schon das Licht der Welt mit lateinischem Vers begrüßt; das klingt und strömt ja als wäre Virgil aus dem Grabe gestiegen. Warum erschrickst du denn, wenn ich dich küsse? Weil Ihr so vornehm und stolz und schön seid, sprach der Knabe. Sei zufrieden, entgegnete die Herzogin, wer mit frisch glühendem Kuß auf den Lippen so regelrechte Verse aus dem Aermel schüttelt, dem hat der Schreck nicht tief in's Herz geschlagen. Sie stellte ihn sich gegenüber. Warum begehrst du so eifrig, das Griechische zu erlernen? Sie sagen, wenn Einer Griechisch versteht, kann er so gescheidt werden, daß er das Gras wachsen hört, war des Klosterschülers Ant- wort. Seit mein älterer Mitschüler Notker mit der großen Lippe sich gerühmt hat, er wolle dereinst den ganzen Aristoteles auswendig ler- nen und verdeutschen, läßt mir's keine Ruhe mehr. Da lachte Frau Hadwig: Vorwärts denn! Weißt du den Anti- phon: Ihr Meere und Flüsse, lobet den Herren! Ja, erwiederte Burkard. So sprich mir nach: Thalassi ke potami, eulogite ton kyrion! Der Knabe sprach's nach. Jetzt sing' es! Er sang es. Ekkehard schaute vorwurfsvoll auf die Gruppe herüber. Die Her- zogin verstand den Blick. So, nun hast du bereits sechs Worte gelernt, sprach sie zu Burkard. Wenn du wieder in Hexametern drum bittest, soll dir ein Mehreres verabreicht sein. Setz' dich jetzo mir zu Füßen und hör' andächtig zu. Wir werden Virgilius lesen. Da begann Ekkehard mit der Aeneide viertem Gesang, und las die Sorgen der Dido, wie immerdar der Gedanke an den edeln tro- janer Gast sie umschwebt und fest im innersten Busen sein Antlitz haftet und Wort. Und sie klagt ihr Leid der Schwester: Wenn's nicht fest in der Seele und unabänderlich stünde, Keinem woll' ich hinfort durch ehliches Band mich gesellen, Seit mit dem Erstgeliebten mir Freud' und Hoffnung dahinstarb, Wenn nicht verhaßt Brautkammer und Hochzeitfackel mir wäre: Dieser einen Versuchung vielleicht noch könnt' ich erliegen. Anna, ich will es gestehn: nachdem mein armer Sichäus Sank, der Gemahl, und troffen in Bruderblut die Penaten, Hat er allein mir gewendet den Sinn und die wankende Seele Mir bewegt, ich erkenne die Spur vormaliger Flammen. ... Aber Frau Hadwig war wenig ergötzt von den Schmerzen der carthagischen Königswittwe. Sie warf sich in ihrem Lehnstuhl zurück und schaute zur Decke empor. Sie fand keine Beziehungen mehr zwischen sich und der Frauengestalt des Dichters. Haltet an! rief sie dem Vorlesenden zu, man merkt wieder, daß ein Mann das geschrieben. Er will die Frau demüthigen. Alles falsch. Wer wird sich so in einen fremden Gast vernarren? Das mag Virgilius verantworten, sprach Ekkehard. Die Geschichte wird's ihm so überliefert haben. Dann lebt jetzt ein stärker Frauengeschlecht, sagte die Herzogin und winkte ihm weiterzulesen. Sie war fast beleidigt von Virgilius Schil- derung, vielleicht daß sie sich selber didonischer Anwandlungen erinnerte. Es war nicht immer gewesen wie heute. Und er las, wie Anna der Schwester zusprach, nicht vergeblich wider gefällige Liebe zu streiten, wie an der Götter Altären Friede und Heil durch Opfer erfleht wird, dieweil die geschmeidige Flamme fortzehrt im Mark und die alte Wunde nicht vernarbt. Und wieder will die Bethörte von den Kämpfen um Ilium vernehmen und hängt am Mund des Erzählers — Wenn sie darauf sich getrennt und ihr Licht die erdunkelnde Luna Jetzo gesenkt und zum Schlaf die sinkenden Sterne ermahnen Trauert sie einsam im leeren Gemach — auf's verlassene Lager Wirft sie sich, jenen entfernt den Entferneten hört sie und schaut sie. Oft den Ascanius auch, von des Vaters Bilde bezaubert, Hält sie im Schooß um zu täuschen die unaussprechliche Liebe. Ein leises Kichern unterbrach die Vorlesung. Der Klosterschüler war aufmerksam zu der Herzogin Füßen gesessen, schier angeschmiegt an ihr wallend Gewand, jetzt hatte er gekämpft ein aufsteigend Lachen zu unterdrücken, es mißlang, er platzte heraus und hielt die Hände vergeblich vor's Antlitz, sich zu decken. Was gibt's, junger Versemacher? sprach Frau Hadwig. Ich habe denken müssen, sprach der Junge verlegen, wenn meine hohe Herrin die Königin Dido wäre, so wär' ich vorhin der Ascanius gewesen, da Ihr mich zu herzen und küssen geruhtet. Die Herzogin schaute scharf auf den Knaben herab. Will man ungezogen werden? Kein Wunder — schalt sie mit einem Fingerzeig auf seine Locken, die junge Altklugheit trägt ja schon graue Haare auf dem Scheitel. ... Das ist von der Nacht, da sie den Romeias erschlugen, wollte der Klosterschüler sagen. Das ist vom Fürwitz, der thörigte Dinge redet, wo er schweigen sollte, fuhr die Herzogin drein. Steh auf, Schülerlein! Burkard erhob sich vom Schemel und stand erröthend vor ihr. So, sprach sie, jetzt geh zu der Jungfrau Praxedis und melde ihr, es müßten dir zur Strafe alle grauen Haare abgeschnitten werden, und bitte schön, daß sie dir's thue. Das wird gut sein für unzeitig Lachen. Dem Knaben standen die hellen Thränen in den Augen. Er wagte keine Widerrede. Er ging zu Praxedis hin, die hegte Theil- nahme für ihn, seit sie gehört, daß er des Romeias Gefährte bei sei- nem letzten Gang gewesen: Ich thu' dir nicht weh, kleiner Heiliger, flüsterte sie ihm zu und zog ihn zu sich. Das junge Haupt in ihren Schooß gebeugt, mußte er vor ihr knien, da griff sie eine mächtige Scheere aus ihrem strohgeflochtenen Nähkorb und vollzog die Strafe. Betrüblich klang erst des Klosterschülers Schluchzen, — wer sein Haupthaar von fremder Hand berühren ließ, galt eigentlich für schwer beschimpft — aber Praxedis weiche Hand fuhr ihm streichelnd über die Wangen, nachdem sie das Gelock zerzaust hatte, da ward ihm bei aller Strafe so seltsam zu Muth, daß sein Mund lächelnd die letzte niederrollende Thräne auffing. Ekkehard sah eine Weile stumm vor sich hin. Das Spiel leicht- fertiger Anmuth macht den Traurigen trauriger. Er war verletzt, daß die Herzogin so sein Lesen unterbrochen. Aus ihren Augen las er keinen Trost: sie spielt mit dir, wie sie mit dem Knaben spielt, dachte er und schlug seinen Virgilius zu und erhob sich. Ihr habt Recht, sprach er zu Frau Hadwig, es ist Alles falsch. Dido sollte lachen und Aeneas sollte hingehen und sich in's Schwert stürzen, dann wäre es richtig. Sie blickte unstet auf. Was habt Ihr? fragte sie. Ich kann nicht weiter lesen, erwiederte er. Die Herzogin war aufgestanden. Wenn Ihr nicht mehr lesen möget, sprach sie mit scheinbar ge- langweiltem Ausdruck, es gibt noch mannigfache Mittel und Wege, uns Kurzweil zu schaffen. Wie wär' es, wenn ich Euch aufgäbe, uns etwas Anmuthiges zu erzählen, — Ihr möget dabei auslesen, was Euch gefällt, es gibt so viel Liebreizendes und Gewaltiges noch außer Euerem Virgil. Oder gehet hin und dichtet selber Etwas. Euch drückt irgend eine Last, Ihr mögt nicht erklären, Ihr mögt nicht auf's Land gehen, Alles thut Euern Augen weh, Eurem Geist fehlt eine große Aufgabe, wir wollen sie Euch setzen. Was sollt' ich dichten? erwiederte Ekkehard. Ist's nicht schon Glück genug, das Echo eines Meisters wie Virgilius zu sein? Er sah mit umflortem Auge auf die Herzogin. Ich wüßte nur Elegieen zu singen, sehr traurige. Sonst nichts? sprach Frau Hadwig vorwurfsvoll. Haben unsere Vorfahren keine Kriegszüge gethan und ihr Heerhorn mit Sturmschall durch die Welt erklingen lassen und Schlachten geschlagen, so viel werth wie die des Landfahrers Aeneas? Glaubt Ihr, der große Kaiser Karl hätte die uralten Lieder der Völker sammeln und singen lassen, wenn nur leeres Stroh darin steckte? Müßt Ihr zu Allem Eure lateinischen Bücher haben? Ich weiß nichts, wiederholte Ekkehard. Ihr sollt aber etwas wissen, sagte die Herzogin. Es stünde doch zu verwundern, wenn nur wir Hausgenossen der Burg einen Abend zusammensäßen, und von den alten Geschichten und Sagen plauderten, ob da nicht mehr zusammenkäme, als in der ganzen Aeneide steht? Des Kaiser Karl frommer Sohn hat freilich vom alten Heldensang nichts mehr wissen wollen und lieber schnarren- dem Psalmodiren sein Ohr geliehen und ist an Leib und Seele ver- kümmert gestorben, aber uns Allen haften von Kindesbeinen noch jene Geschichten an. Erzählet uns eine solche, Meister Ekkehard, dann erlassen wir Euch den Virgil sammt der liebesiechen Königin Dido. Aber Ekkehard's Gedanken flogen weit anderwärts. Er schüttelte sein Haupt wie ein Träumender. Ich sehe, Ihr brauchet Anstoß, sprach die Herzogin. Es soll Euch von Allen ein gut Beispiel gegeben werden. Praxedis halt' dich be- reit, und künde es dem Kämmerer Spazzo an, wir wollen uns mor- gen an Erzählung alter Sagen erfreuen. Ein Jedes sei gerüstet. Sie griff den Virgilius und warf ihn feierlich unter den Tisch, als Zeichen, daß eine neue Aera beginne. Ihr Gedanke war gut und anregend. Nur dem Klosterschüler, der während der Herzogin Rede sein Haupt in Praxedis Schooß hatte ruhen lassen, war es nicht ganz deutlich. Wann darf ich weiter Griechisch lernen, gnädige Herrin? sagte er. Thalassi ke potami .,. Wenn die grauen Haare wieder gewachsen sind, sprach sie heiter und küßte ihn wiederum. Ekkehard ging mit großen Schritten aus dem Saal. Zwanzigstes Kapitel . Von deutscher Heldensage. Auf dem Gipfel des hohen Twiel innerhalb der Burgmauern war ein zierlich Gärtlein angelegt; ein steiler Felsvorsprung von Mauer- werk eingefaßt umschloß den mäßigen Raum. Es war ein feiner Platz als wie eine Hochwacht, denn steil abwärts sprang der Fels, also daß man über die Brüstung gelehnt einen Stein mochte hinab- schleudern in's tiefe Thal, und wer sich am Ausspähen erfreute, der mochte Umschau halten über Berg und Fläche und See und Alpen- gipfel, keine Schranke hemmte den Blick. Im Eckwinkel des Gärtleins ließ ein alter Ahorn vergnüglich seine Wipfel im Winde rauschen, schon war das beflügelte Samen- korn reif und gebräunt und wirbelte auf die schwarze Blumenerde hernieder; — eine Leiter war an den grüngrauen Stamm gelehnt, zu Füßen stand Praxedis und hielt die Enden eines schweren langen Zeltgetüchs, in den Aesten aber saß Burkard der Klosterschüler mit Nagel und Hammer und suchte das Tuch festzunageln. Achtung! rief Praxedis, ich glaube du schauest dem Storch nach, der dem Kirchthurm von Radolf's Zelle entgegen fliegt. Paß auf, du Ehrenpreis aller lateinischen Schüler, und schlag' mir den Nagel nicht neben den Ast. Praxedis hatte das Tuch mit der Linken empor gehalten, jetzt ließ es der Klosterschüler fahren, da zog sich's gewichtig herab, riß von dem lässig eingeschlagenen Nagel, und sank schwerfällig, so daß die Griechin schier ganz drein begraben ward. Warte, Pfuscher! schalt Praxedis, wie sie sich aus der groben Umhüllung vorgewickelt, ich werd' einmal nachsehen, ob es keine grauen Haare mehr abzuschneiden gibt. Kaum war das letzte Wort gesprochen, so ward der Klosterschüler auf der Leiter sichtbar, er kletterte die Sprossen bis zur Hälfte nieder, dann sprang er mit gleichen Füßen auf das Tuch und stand vor Praxedis. Setzt Euch, sprach er, ich will mich gern wieder strafen lassen. Ich hab' heut Nacht geträumt, Ihr hättet mir alle Haare ausge- rauft und ich wär' mit einem Kahlkopf in die Schule gekommen und es hätt' mich gar nicht gereut. Praxedis schlug ihm leicht auf das Haupt. Werd' nicht zu üppig in den Ferien, Männlein, sonst wird dein Rücken ein Tanzboden für die Ruthe, wenn du wieder im Kloster bist. Aber der Klosterschüler dachte nicht an den kühlen Schatten seiner Hörsäle. Er stund unbeweglich vor Praxedis. Nun? sprach sie, was gibt's noch? Was begehrt man? Einen Kuß! antwortete der Zögling der freien Künste. Hört mir den Zaunkönig an! scherzte Praxedis. Was hat Eure Weisheit für Gründe zu solchem Begehr? Die Frau Herzogin hat's auch gethan, sagte Burkard, und Ihr habt mich schon über ein Dutzendmal aufgefordert, ich soll Euch die Geschichte erzählen, wie ich mit meinem alten Freund Romeias vor den Hunnen geflohen und wie er als ein tapferer Held gestritten hat. Das erzähl' ich Euch aber nur um einen Kuß. Höre, sprach die Griechin mit ernst verzogener Miene, ich muß dir etwas sehr Merkwürdiges mittheilen. Was? frug der Knabe hastig. Du bist der thörichtste Schlingel, der je seinen Fuß über eine Klosterschulschwelle gesetzt! sprach sie, verstrickte ihn schnell in ihre weißen Arme und küßte ihn derb auf die Nase. Wohl bekomm's! rief eine tiefe Baßstimme von der Gartenpforte her, wie sie den Knaben schalkhaft von sich stieß. Es war Herr Spazzo. Schönen Dank! sprach Praxedis unbetrübt. Ihr kommt gerade recht, Herr Kämmerer, um bei Aufrichtung des Zelttuchs zu helfen. Mit dem thörichten Knaben bring' ich's heut nicht mehr zu Stand. So scheint es! sprach Herr Spazzo mit einem dreischneidigen Blick auf den Klosterschüler. Der hatte Angst vor des Kämmerers grimm gestrichenem Schnurrbart und drehte sich einem Rosengebüsch zu. Astronomie und Metrik, Aristoteles in der Ursprache und rothe Frauenlippen schwebten in tanzendem Durcheinander durch das fünf- zehnjährige Gemüth. Gibt's keine besseren Leute zu küssen im hohentwieler Burgfrieden, Jungfräulein? fragte Herr Spazzo. Wenn man je eine Sehnsucht hätte, war Praxedis' Antwort, so sind die besseren Leute ausgeritten und fahren in Nacht und Nebel herum und kommen erst am hellen Tag in einem Aussehen wieder heim, daß man meinen könnt', sie hätten Irrlichter einfangen wollen. Da hatte Herr Spazzo seinen Theil. Er hatte aber ein Gelübde gethan, von seinem nächtlichen Ritt sammt Kukuksruf und vince luna kein Wörtlein zu verplaudern. Wozu soll ich Euch helfen? fragte er demüthig. Eine Laube herrichten! sprach Praxedis. In abendlicher Som- merkühle will die Herzogin hier Hof halten — es sollen Geschichten erzählt werden, alte Geschichten, Herr Kämmerer, je wunderbarer desto besser! Unsere Herrin hat das Lateinische satt bekommen, sie will was Anderes, Ungeschriebenes, Einheimisches ... Ihr müßt auch Euer Scherflein beitragen. Gott sei meiner Seele gnädig! sprach Herr Spazzo, wenn unter einer Frauen Herrschaftführung nicht Alles wunderbar herging, so möcht' man sich noch verwundern. Gibt's keine fahrenden Singer und Saitenspieler mehr, die um einen Helm voll Weines und eine Hirschkeule die Kehle heiser singen von derlei Mähren? Da steigen wir hoch im Werth! Landflüchtige, Possenreißer, Barden und derlei müßige Gesellschaft soll man mit Ruthen aushauen, und wenn sie drum klagen, sei ihnen der Schatten eines Mannes an der Wand verabreicht als Entgelt. Ich dank' für die Ehre. Ihr werdet thun, was befohlen wird, als getreuer Dienstmann, der noch Rechenschaft schuldig ist über gewisse Geschäftsführungen beim klösterlichen Weinkrug, sprach Praxedis. Es ist doch lustiger als La- tein buchstabiren. Habt Ihr keine Lust, den gelehrten Herrn Ekke- hard auszustechen? Der Wink leuchtete dem Kämmerer ziemlich ein. Gebt mir den Tuchzipfel, sprach er, daß wir das Zeltdach spannen. Er stieg zum Ahorn auf und festigte die Enden im Geäst. Gegenüber waren hohe Stangen eingeschlagen, von blauer Bohnenblüthe umrankt, dahin trug Praxedis das Getüch an seinen andern Enden; in Kurzem hing die schattige Decke über den luftigen Raum, die grauweiße Leinwand schimmerte anmuthig zum Gelbgrün der Blätter und Ranken, es war eine lustige Gartenfrische. Der Vesperwein möchte sich anmuthig hier trinken lassen, sagte Herr Spazzo halb betrübt über das, was bevorstand. Praxedis aber ordnete Tisch und Sitze; der Herzogin Polsterstuhl mit dem durch- brochenen Schnitzwerk lehnte sich an den Stamm des Ahorns, niedrige Schemel für die Andern, ihre Laute holte sie herunter und legte sie auf den Tisch, Burkard aber mußte einen großen Blumenstrauß bin- den, der ward vor den Herzogssitz gestellt. Dann band die Griechin einen rothen Seidenfaden um den Baumstamm, zog ihn bis zur Bohnenhecke hinüber und von dort zur Mauer, so daß nur ein schmaler Durchgang freiblieb. So! sprach sie vergnügt, jetzt ist unser Plauder- saal umgrenzt und umfriedet wie König Laurins Rosengarten, die Mauern sind wohlfeil herzustellen. Die Herzogin freute sich ihres Einfalls, und schmückte sich mit einer gewissen Absicht. Es war noch früh am Abend, da stieg sie zur Laube hinab. Blendend rauschte die stolze Erscheinung einher, sie hatte ein weites Gewand umgethan, Saum und Aermel mit schim- merndem Gold durchstickt, ein stahlgrauer mantelartiger Ueberwurf wallte bis zum Boden herab, von edelsteinbesetzten Agraffen gehalten; über's Haupt trug sie ein schleierartig Gewebe, licht und durchsichtig, von güldenem Stirnband anschmiegend zusammengefaltet. Sie griff eine Rose aus Burkard's Strauß und heftete sie zwischen Band und Schleier. Der Klosterschüler, der schon nahe daran war, Klassiker und freie Künste zu vergessen, hatte sich die Gnade erbeten, der Herzogin Schleppe zu tragen und ihr zu Ehren ein Paar abenteuerliche Schnabelschuhe, an beiden Seiten mit Ohren versehen, angelegt, und machte sich verschiedene Gedanken über das Glück, einer solchen Gebieterin als frommer Edelknabe zu dienen. Praxedis und Herr Spazzo traten mit ein. Die Herzogin schaute sich flüchtig um: Ist Meister Ekkehard, zu dessen Belehrung wir den Abend geordnet, unsichtbar? Er war nicht erschienen. Mein Oheim muß krank sein, sprach Burkard. Er ist gestern Abend mit großen Schritten in seiner Thurmstube auf und niederge- gangen, und wie ich ihm die Sternbilder vor dem Fenster erklären wollt', den Bär und Orion und den mattschimmernden Fleck der Ple- jaden, hat er mir keine Antwort gegeben. Dann hat er sich ange- kleidet auf's Lager geworfen und im Schlaf gesprochen. Was hat er gesprochen? fragte die Herzogin. Meine Taube, hat er gesagt, die du in den Spalten der Felsen dich verbirgst und den Ritzen des Gesteines, zeig' mir dein Angesicht, laß deine Stimme klingen in meine Ohren, denn die Stimme ist süß, und dein Angesicht schön, und ein andermal hat er gesagt: Warum küßest du den Knaben vor meinen Augen? was hoff' ich und säum' noch in lybischen Landen? Da schaut's gut aus, flüsterte Herr Spazzo der Griechin zu, habt Ihr das auf dem Gewissen? Die Herzogin aber sprach zu Burkard: Du wirst selber geträumt haben. Spring' hinauf und such' deinen Ohm, daß er heruntersteige, wo wir seiner warten. Sie ließ sich anmuthig auf dem thronartigen Sitz nieder. Da kam Ekkehard mit dem Klosterschüler in den Garten. Er sah blaß aus; sein Blick war unstet und trüb. Er neigte sich stumm und setzte sich an des Tisches entgegengesetzt Ende. Burkard wollte seinen Schemel zu Füßen der Herzogin rücken wie gestern, da sie Virgil lasen, aber Ekkehard stund auf und zog ihn an der Hand zu sich herüber. Hierher! sprach er. Die Herzogin ließ ihn gewähren. Sie schaute in die Runde. Wir haben gestern behauptet, sprach sie, daß wir in unsern deutschen Sagen und Geschichten so viel schöne Gelegenheit zu Kurzweil besitzen als weiland die Römer in ihrem Heldenlied vom Aeneas. Und sicher weiß ein Jedes von uns Etwas von schneller Helden Fechten und fester Burgen Brechen, von treuer Liebsten Scheidung und reicher Könige Zergängniß; des Menschen Herz ist mannigfach geartet, was der Eine seitab liegen läßt, muthet den Andern an. Darum haben wir die heutige Tagfahrt geordnet, daß von Jedem unserer Getreuen, wie das Loos entscheidet, ein anmuthig Stück erzählt werde, und behalten uns vor, dem liebreizendsten einen Preis auszusetzen. Siegt Einer von Euch Männern, so mög' er das uralte Trinkhorn gewinnen, das aus König Dagoberts Zeiten her dro- ben im großen Saal hängt; siegt meine treue Praxedis, so wird ein Schmuckstück ihrer harren. Halmzug bestimme den Anfang! Praxedis hatte vier Grashalme von verschiedener Länge geordnet und reichte sie der Herzogin. Soll ich für den jungen Verskünstler auch ein Hälmlein beifügen? fragte sie. Aber Burkard sprach mit weinerlicher Stimme: Ich bitt' Euch, verschonet mich. Denn wenn meine Lehrer in Sanct Gallen erfahren möchten, daß ich mich wiederum an unnützen Mähren ergötzt, so würd' ich gestraft wie damals, als wir auf Ro- meias Wächterstube die Geschichte vom alten Hildebrand und seinem Sohn Hadubrand aufführten. Der Wächter hat immer seine Freude dran gehabt und hat uns selber die hölzernen Rosse geschnitzt und die langen dreieckigen Schilde; ich bin der Sohn Hadubrand gewesen und mein Mitschüler Notker machte den alten Hildebrand, weil er eine so große Unterlippe hat, wie ein alter Mann. Und wir sind auf einand eingeritten, daß eine Staubwolke zu des Romeias Fenster hinauswir- belte; just hatte Notker den Armring losgelöst und mir als Gabe gereicht, wie das Lied es vorschreibt, und ich sprach zu ihm: Du scheinst mir, alter Heune, doch allzuschlau; lockest mich mit deinen Worten, willst mich mit deinem Speere werfen; bist du so zum Alter gekommen, daß du immer trogest? Mir kündeten Seefahrende westlich über den Wendelsee: hinweg nahm ihn der Krieg, todt ist Hildebrand, Heribrand's Erzeugter! — Da kam Herr Ratolt unser Lehrer der Rhetorica heraufgeschlichen und fuhr mit seiner großen Ruthe so grimmig zwischen uns, daß Roß und Schild und Schwert den Händen entfielen: den Romeias schalt er einen altväterischen Bärenhäuter, der uns von nützlichem Studium ab- lenke, und mein Kamerad Notker und ich sind drei Tage bei Wasser und Brod eingesperrt gesessen und haben zur Strafe für's Hildebrand- spiel jeder hundertundfünfzig lateinische Hexameter zu Ehren des hei- ligen Othmar anfertigen müssen ... Die Herzogin lächelte. Da sei Gott für, daß wir dich wiederum zu solcher Sünde verleiten, sprach sie. Sie faßte die Halme in der Rechten zusammen und reichte sie an- muthig den Andern zum Ziehen. Ekkehard's Augen hafteten unver- rückt auf der Rose am Stirnband, wie er vor sie trat. Sie mußte ihn zweimal auffordern bis er zog. Mord und Brand und Weltende! wollte Herr Spazzo heraus- fahren; er hatte den kürzesten Halm gegriffen. Aber er wußte, daß keine Ausrede ihn loswinden könne, und schaute betrüblich über die steile Felswand hinunter in's Thal, als ob sich von dort ein Ausweg aufthun müsse. Praxedis hatte die Laute gestimmt und spielte ein Präludium, das klang lieblich zum Rauschen der alten Ahornwipfel. Unser Herr Kämmerer hat keine Strafen zu fürchten wie der Klosterzögling, wenn er uns etwas Schönes bringt, sprach die Her- zogin. Nun denn! Da neigte sich Herr Spazzo vorwärts, stellte sein Schwert mit dem breiten Griff vor sich, so daß er seine Arme drauf stemmen konnte, strich seinen Bart und hub an: Wiewohl ich an alten Geschichten keine absonderliche Freude ge- wonnen und es lieber höre, wenn zwei Schwerter aufeinander klirren oder ein Hahnen in's volle Faß geschlagen wird, so hab' ich doch ein- mal eine schöne Mähr aufgelesen. Mußte dereinst in jungen Tagen in's Welschland hinunter reiten, da ging mein Weg durch's Tirol und über den Brennerberg, und war ein rauher steiniger Saumpfad, der über Kluft und Gefelse zog, also, daß mein Roß ein Hufeisen ein- büßte. Und war Abend worden, so kam ich an ein Dörflein, heißt Gothensaß oder Gloggensachsen, so aus den Zeiten Herrn Dietrich's von Bern dort inmitten alter Lerchenwälder wie im Versteck steht. An Rücken des Berges gelehnt war zu äußerst ein burgartig Haus, davor lagen viel Eisenschlacken und sprühte ein Feuer drinnen und ward stark gehämmert. Da rief ich den Schmied herfür, daß er mein Roß beschlage, und wie sich Niemand rührte, that ich einen Lanzenstoß nach der Thür, daß sie sperrweit auffuhr, und that dazu einen starken Fluch mit Mord und Brand und allem Bösen: so stund plötzlich ein Mann vor mir mit zottigem Haar und schwarzem Schurzfell, und war ich sein kaum ansichtig, so war auch schon meine Lanze niederge- schlagen, daß sie zersplitterte wie sprödes Glas und eine Eisenstange über meinem Haupt geschwungen, und an des Mannes nackten Armen sprangen Sehnen herfür, als könnt' er einen Ambos sechzehn Klafter tief in die Erde hineinschmettern. Da vermeinte ich, unter solchen Umständen möcht' ein höflich Wort nicht vom Uebel sein, und sprach daher: Ich wollt' Euch nur um die Gewogenheit ersuchen, daß Ihr mein Roß beschlaget. Drauf stieß der Schmied seine Stange in den Erdboden und sprach: Das lautet an- ders und schafft Euch Rath. Aber Grobheit gilt nichts in Weland's Schmiede, das mögt Ihr in Eurer Heimath weiter sagen. Er beschlug mein Roß und ich sah, daß er ein ehrenwerther Schmied war und ward ihm gut befreundet, und ließ das Rößlein in seinem Stall stehen und blieb bei ihm in der Nachtherberge. Und wir tranken scharf bis in die Nacht hinein, der Wein hieß Terlaner und er schenkte ihn aus einem Schlauche. In währendem Trinken befrug ich den rußigen Gastfreund um Gelegenheit und Namen seiner Schmiede. Da lachte er hell auf und erzählte die Geschichte vom Schmied Weland . Fein war sie nicht, aber schön. Herr Spazzo hielt eine Weile an und warf einen Blick auf den Tisch, wie Einer, der sich nach einem Trunk Weines umschaut, trockene Lippen zu feuchten. Aber es war keiner zur Hand und man verstand den Blick nicht. Da fuhr er fort: Woher der Weland gekommen, sprach der Mann von Gothenfaß damals zu mir, ist hierlands nicht bekannt. Sie sagen, in nordischen Meeren, im Land Schonen sei der Riese Vade sein Vater gewesen, seine Großmutter aber eine Meerfrau, die kam aus der Tiefe wie er geboren ward, und saß eine lange Nacht auf der Klippe und harfte: jung Weland muß ein Schmied werden! Da brachte Vade den Jungen zu Mimer dem Schmiedungsverständigen, der hauste im dunklen Tann zwanzig Meilen hinter Toledo und lehrte ihn viel mannigfache Kunst. Wie er aber sein erst Schwert geschmiedet hieß ihn Mimer selber weiter ziehen, auf daß er die letzte Meisterschaft bei den Zwergen erringe. Und Weland ging zu den Zwergen und gewann viel Ruhm. Da brachen die Riesen in's Zwergenland, daß Weland weichen mußte, und blieb ihm nichts als sein breites Schwert Mimung, das schnallte er über den Rücken und kam in's Land Tirol. Zwischen Eisack, Etsch und Inn aber saß dazumal der König Elberich, der nahm den Weland freundlich auf, und wies ihm die Waldschmiede zu am Brenner, und Eisen und Erz und was sonst in des Gebirges Adern verborgen ruht, sollte all' des Weland sein. Und dem Weland ward's wohl und fröhlich um's Herz in den tiroler Bergen; die Wildwasser rauschten zu ihm heran und trieben das Radwerk, der Sturm blies ihm das Heerdfeuer an und die Sterne sprachen: wir müssen uns anstrengen, sonst glänzen die Funken, die Weland schlägt, heller denn wir. So gedieh Weland's Arbeit wohl. Schildesrand und Schwert, Messer und Pocal und was an Kleinod eines Königs Hofburg ziert, wirkte der Sinnige und war kein Schmied, so weit die Sonne auf Alpenschnee glänzt, sich mit Weland zu messen. Elberich aber hatte viel böse Feinde, die einten sich und setzten den einäugigen Amilias zu ihrem Führer und brachen in's Land ein. Und Elberich trug großes Herzeleid und sprach: Wer mir des Amilias Haupt brächte, mein einzig Töchterlein sollt ihn dafür küssen als Ehgemahl! Da löschte Weland sein Schmiedfeuer, schnallte sein breites Schwert Mi- mung um und zog aus gegen Elberich's Widersacher. Und das Schwert war brav und schlug dem Amilias das Haupt ab, daß aller Feind über Joch und Klausen heimlief. Weland aber brachte seinem König das Haupt. Da sprach der zürnend: Was ich von meiner Tochter angelobet, das hat der Wind verweht; ein Schmied kann nicht mein Sohn sein, deß würden meine Hände rußig, wenn er den Gruß mir bieten wollt'. Aber als Lohn sollst du drei Goldpfennige haben, dafür kann ein Mann turnieren und stechen, reigen und tanzen, zieren und pflanzen und eine Dirne sich kaufen am Markt. Weland warf ihm die drei Goldpfennige vor die Füße, daß sie unter den Thron rollten, und sprach: Behüt' Euch Gott, auf Nimmerwiedersehen! und wandte sich aus dem Lande zu gehn. Der König aber wollte den Schmied nicht missen, darum ließ er ihn niederwerfen und die Sehnen am Fuß durchschneiden, daß er hinkend ward und ungemuth, und des Fliehens vergessen mußt'. Und Weland schleppte sich traurig in die Waldschmiede heim und zündete sein Feuer wieder an, aber er pfiff und sang nimmer, wenn er mit schwerem Hammer das Eisen schlug und sein Gemüth ward ingrimmig. Da kam einsmals des Königs Sohn, der war ein roth- wangiger Knab' und war allein in den Wald gezogen und sprach: D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 19 Weland ich will dir zuschauen. Da sprach der Schmied tückisch: stell' dich an Ambos, so schaust du Alles am besten, — und zog die glühe Eisenstange aus den Flammen und stieß sie dem Königsknaben durch's Herz. Sein Gebein bleichte er und goß um die Knochen viel Erz und Silber, daß sie zu Säulen der Leuchter wurden, um den Schädel aber fügte er einen Goldrand, da ward der Schädel zum Becher. All' dies aber sandte Weland dem Elberich und wie die Boten geritten kamen, und nach dem Knaben fragten, sprach er: Ich sah ihn nimmer, er ist zu Wald gerannt. Zu selber Zeit erging sich des Königs Tochter in ihrem Garten, die war so schön, daß sich die Lilien vor ihr neigten. Am Zeigefinger trug sie einen Ring von Gold, gestaltet wie eine Schlange und ein Carfunkel blitzte im Schlangenhaupt, den hatte Elberich selbst eingefügt und hielt den Ring theurer als ein Königreich und schenkte ihn seiner Tochter nur, weil sie in ihrer Schöne ihm über Alles lieb war. Die- weil sie aber eine Rose pflückte, sprang der Ring von der Jungfrau Finger und hüpfte mit hellem Schein über das Gestein und zerbrach; und der Carfunkel fiel aus der güldenen Fassung, daß die Maid die Hände rang und bitterlich wehklagte und sich nicht traute heimzugehen, denn sie fürchtete ihres Vaters Zorn. Da sprachen die dienenden Frauen: Geh' heimlich zum Schmied Weland, der weiß Rath dafür. So trat die Königstochter in Weland's Schmiede und klagte ihre Noth. Der nahm den Ring und fügte ihn zusammen und schmolz Gold und Erz und der Carfunkel blitzte wieder im Schlangenhaupt. Aber Weland's Stirn war tief gefurcht, und wie die Jungfrau ihm freundlich zulachte und gehen wollt', da sprach er: Hei! wie kommst du mir geschlichen! und warf die feste Thür in's Schloß und legte Riegel vor und griff die Königstochter mit starker Hand und trug sie in die Kammer, wo Moos und Farren- kraut geschichtet lag. Und wie sie von dannen ging, weinte sie und raufte ihr seidenweich Haar ... Ein Geräusch unterbrach Herrn Spazzo. Praxedis hatte zur Her- zogin aufgeschaut, ob sie nicht etwa erröthend aufspringen und Herrn Spazzo den Mund schließen solle; doch aus dem strengen Antlitz war nichts zu lesen. Darum trommelte sie ungeduldig mit den Fingern auf ihrer Laute. .. und es war eine Gewaltthat geschehen, fuhr Herr Spazzo unbe- irrt fort. Da hub Weland ein Singen und Jodeln an, wie die Waldschmiede es nimmer gehört, seit ihm die Sehnen zerschnitten worden. Dann ließ er Schwerter und Schilde unvollendet und schmie- dete Tag und Nacht und schmiedete zwei große Flügel, und war kaum fertig, so kam Elberich mit Heeresmacht den Brenner herabgeritten. Da band sich Weland die Flügel an und hing sein Schwert Mimung um, und trat auf die Zinne, daß die Leute riefen: Sehet, der We- land ist ein Vogel worden! Er aber rief mit starker Stimme vom Thurm: Behüt' Euch Gott, König Elberich! Ihr werdet des Schmiedes gedenken. Den Sohn hat er erschlagen, die Tochter trägt ein Kind von ihm, Ade, ich laß sie grüßen! rief's und seine ehernen Flügel hoben sich und rauschten wie Sturmwind und er fuhr durch die Lüfte. Der König griff seinen Bogen und alle Ritter spannten in grimmer Eil'; wie ein Heer flie- gender Drachen schossen die Pfeile ihm nach, doch Weland hob die Schwingen, kein Eisen traf ihn nicht, und flog heim nach Schonen auf seines Vaters Schloß und ward nicht mehr gesehen. Und Elberich hat seiner Tochter den Gruß nicht ausgerichtet. Sie aber genaß noch in demselben Jahrgang eines Knaben, der hieß Wittich und ward ein starker Held wie sein Vater. Das ist die Mähr' von Weland Ende! Herr Spazzo lehnte sich zurück und that einen langen behaglichen Athemzug. Ein zweitesmal werden sie mich in Ruhe lassen, dachte er. Der Eindruck des Erzählten war verschieden. Die Herzogin sprach sich lobend aus, des Schmiedes Rache muthete sie an, Praxedis schalt, es sei eine rechte Grobschmiedsgeschichte, man sollte dem Kämmerer ver- bieten sich noch vor Frauen sehen zu lassen. Ekkehard sprach: Ich weiß nicht, mir ist als hätt' ich Aehnliches gehört, aber da hieß der König Nidung und die Schmiedwerkstätte stand am Caucasus. Da rief der Kämmerer zürnend: Wenn Euch der Caucasus vor- nehmer ist wie Gloggensachsen, so mögt Ihr's dorthin verlegen; ich weiß noch recht wohl, wie mir mein tiroler Freund den Ort genau gewiesen. Ueber der Kammerthür war eine geknickte Rose von Erz geschmiedet und auf dem Thurm ein eiserner Adlerflügel, und stand eingegraben: hie flog der Schmied von dannen. Dann und wann 19* kommen Leute hinabgewallfahrtet und beten und glauben der Weland sei ein großer Heiliger gewesen. Lasset sehen, wer Herrn Spazzo den Preis jetzt streitig machen soll, sprach die Herzogin und mischte die Loose. Sie zogen. Der kleinste Halm blieb in Praxedis Hand. Die that weder verlegen, noch bat sie um Nachsicht; sie fuhr mit der weißen Hand über die dunkeln Haarflechten und begann: Mir haben zwar die Ammen keine Wiegenlieder von alten Recken gesungen und in Waldschmieden bin ich, Gott sei es gedankt, niemalen eingekehrt, aber selbst in Constantinopel geht die Rede von solcherlei Abentheuer. Und wie ich am Kaiserhof unterwiesen ward in allen Künsten, die dienenden Maiden wohl anstehen, da war eine alte Schlüsselverwahrerin die hieß Glycerium, die sprach oft zu uns: Höret, Mägdlein, so ihr je einer Prinzessin dienet, und ihr Herz ist in heimlicher Minne entbrannt, und sie kann den nicht sehen, den sie begehrt, so müsset ihr schlau sein und bedachtsam wie die Kammerfrau Herlindis, da der König Rother um des Kaiser Constantinus Tochter geworben. Und wenn wir im Frauensaal bei- sammen saßen, da ward gewispert und geflüstert, bis Glycerium die Alte erzählte vom König Rother . Vor alten Zeiten saß in der Meerburg am Bosporus der Kaiser Constantinus, der hatte eine wunderbar schöne Tochter und die Leute sprachen von ihr, sie sei strahlend wie der Abendstern und leuchte unter allen Maiden wie der Goldfaden in der Seiden. Da kam eines Tages ein Schiff gefahren, draus stiegen zwölf edle Grafen und zwölf Ritter, und ritten in Constantinus Hof ein, und einer ritt voran der hieß Lupolt. Und alles Volk der Hauptstadt staunte über sie, denn Mäntel und Gewande waren schwer von Edelstein und Jachanten be- setzt und an den Sätteln der Rosse klang's von goldenen Schellen. Das waren die Boten des König Rother von Wikingland, und Lupolt sprang vom Roß und sprach zum Kaiser: Uns schickt unser König, geheißen Rother, der ist der schönste Mann, der je vom Weibe kam, ihm dienen die besten Helden und an seinem Hof ist Ball und Schall und Federspiel soviel das Herz begehrt. Er aber ist unbeweibt und sein Herz steht einsam: Ihr solltet ihm Eure Tochter geben! Constantinus aber war ein zornmüthiger Herr; grimm warf er seinen Reichsapfel zu Boden und sprach: Um meine Tochter hat noch Keiner geworben, der nicht den Kopf verloren, was bringt ihr mir solchen Schimpf über das Meer? Ihr seid Alle ge- fangen! Und ließ sie in einen Kerker werfen, da schien weder Sonne noch Mond drein und bekamen nur Wasser sich zu laben und weinten sehr. Wie die Kunde zum König Rother kam, da ward ihm sein Herz sehr traurig und er saß auf einem Stein und sprach zu Niemand. Dann faßte er den Entschluß, in Reckenweise über Meer zu fahren, um seinen getreuen Sendboten beizuspringen. Und er war verwarnt vor den Griechen, daß man dort die Wahrheit übergülden müsse, so man Etwas beschaffen wolle, darum hieß er seine Recken eidlich ange- loben, daß sie alle vorgäben, er heiße nicht Rother sondern Dieterich und sei landflüchtig vor dem König Rother und gehre Hilfe bei dem Griechenkaiser. Also fuhren sie über Meer. Und Rother nahm seine Harfe an Schiffes Bord, denn bevor seine zwölf Gesandten die Anker gelichtet, war er mit der Harfe an Strand gekommen und hatte drei Singweisen gegriffen das sollte ihnen ein Angedenken sein: und kommet ihr je in Noth und höret die Weisen erklingen, so ist Rother helfend euch nah! Es war ein Ostertag und der Kaiser Constantin war nach dem Hippodrom ausgeritten, da hielt Rother seinen Einzug. Und alle Bürgersleute von Constantinopel liefen zusammen; das war noch nie erschaut, denn Rother brachte auch seine Riesen mit sich: der erste hieß Asprian und trug eine Stahlstange die war vierundzwanzig Ellen lang, der zweite hieß Widolt und war so wildwüthig, daß sie ihn in Ketten mitführen mußten, der dritte hieß Abendroth. Und viel tapfere Degen kamen mit Rother geritten, und zwölf Wagen mit Schätzen fuhren an, und war solche Pracht, daß die Kai- serin sprach: O weh wie dumm sind wir gewesen, daß wir unsere Tochter dem König Rother versagten; was muß der für ein Mann sein, der solche Helden vertreibt über die Meere! König Rother trug einen güldenen Harnisch und einen purpurnen Waffenrock und zwei Reihen schöner Ringe am Arm, und beugte sein Knie vor dem Griechenkaiser und sprach: Mich Fürsten Dieterich hat ein König in Acht gethan, der heißt Rother, nun ist Alles, was ich gearbeitet, zu meinem Schaden. Ich biet' Euch meine Dienste an. Da lud Constantinus die Helden alle zum Hippodromushof und hielt sie in hohen Ehren und hieß sie zu Tisch sitzen. Es lief aber da ein zahmer Löwe herum, der gewohnt war den Knechten das Brot wegzufressen. Der kam auch an Asprians Teller, ihn aufzulecken. Da griff Asprian den Löwen an der Mähne und warf ihn an des Saales Wand, daß er zerbrach. Und die Kämmerer sprachen zu einand: wer nicht an die Wand fliegen will, lasse dieses Mannes Teller unberührt. König Rother aber theilte den Griechen viel schöne Geschenke aus; jedem, der ihn auf der Herberge besuchte, hieß er einen Mantel ver- ehren oder ein Stück Gewaffen. Es kam auch ein landflüchtiger Grafe daher, dem schenkte er tausend Mark Silber und nahm ihn in Dienst, also daß viel hundert Ritter in sein Gefolge traten. So war in Aller Munde des vermeinten Dietrich's Preis und unter den Frauen hob sich ein Wispern und Raunen, es war keine Kemenate, daß die Wände nicht Herrn Dietrich rühmen hörten. Da sprach die goldlockige Kaiserstochter zu Herlindis ihrer Kammer- frau: O weh mir! wie soll ich es anfangen, daß ich desselben Herren ansichtig werde, den sie Alle preisen? Herlindis aber entgegnete: Nun bitte deinen Vater, daß er ein Freudenfest gebe am Hofe und den Helden dazu lade, so magst du ihn am besten ersehen. Die Kaisertochter that nach Herlindis Rath und Constantinus nickte ihr zu und entbot seine Herzoge und Grafen zum Hippodro- mushofe und die fremden Helden dazu. All' die Geladenen kamen, da hob sich ein unsäglich Gedränge um den, den sie Dieterich nannten, und wie die Kaisertochter mit ihren hundert Frauen eintrat, geziert mit güldener Krone und gold- und cyclatgesticktem Mantel, brach gerade ein ungefüger Lärm aus: Asprian den Riesen hatte ein Käm- merer auf seiner Bank rücken geheißen, daß andere Leute auch Platz bekämen, da schlug Asprian dem Kämmerer einen Ohrschlag, daß ihm der Kopf entzwei brach und es gab ein bös Durcheinander, so daß Dieterich Ruhe stiften mußt'. Darum konnte die Kaisertochter des Helden nicht ansichtig werden und hätte ihn doch so gern gesehen. Da sprach sie daheime wieder zu Herlindis: O weh mir, nun hege ich Tag und Nacht Sorgen und habe keine Ruh', bis meine Augen den tugendsamen Mann erschaut. Der möcht' einen schönen Boten- lohn verdienen, der mir den Helden zur Kammer führen wollt'. Herlindis aber lachte und sprach: Den Botengang will ich in Treuen thun, ich geh' zu seiner Herberg. Und die Vielschlaue legte ihr zierlichstes Gewand an und ging zu dem Herren Dietrich. Der empfing sie frömmiglich und sie setzte sich viel nahe zu ihm und sprach ihm in's Ohr: Meine Herrin, des Kaisers Tochter, entbeut dir viel holde Minne; sie ist der Freundschaft zu dir unterthan, du sollst dich aufmachen und hingehen zu ihr. Aber Dietrich sprach: Frau, du sündigest dich. Ich bin in andern Tagen zu mancher Kemenate gegangen, da es wohl sein mocht', was spottest du itzt des heimatlosen Mannes? An des Kaisers Hofe ist edler Herzoge und Fürsten eine große Zahl: nie gedachte deine Frau der Rede. Und als Herlindis ihm inniglich zuredete, sagte Herr Dietrich: Hier sind der Merker so viele; wer seine Ehr' behalten will, muß wohlgezogen thun; Constantinus möcht' mir das Reich verbieten. Darum wär' es mißhellig, so ich deine Frau sehen wollte. Vermelde ihr das; so sehr ich ihr zu dienen gehre. Herlindis wollte von dannen gehen, da hieß der König seine Gold- schmiede zwei Schuhe gießen von Silber und zwei von Golde, und schenkte ihr von jedem Paar einen, dazu einen Mantel und zwölf güldene Spangen, denn er war artigen Gemüthes und wußte, daß man einer Fürstin Kammerfrau, die in Sachen der Minne Botengang thut, wohl ehren soll. .. Praxedis hielt eine Weile an, denn Herr Spazzo, der seit eini- ger Zeit mit seines Schwertes Scheide viel großnasige Gesichter in Sand gezeichnet, hatte ein vernehmlich Räuspern erhoben. Da er aber keine weitere Einsprache that, fuhr sie fort: ..Und Herlindis sprang fröhlich heim und sprach zu Hause zu ihrer Herrin: Hart und fleißig pflegt der gute Held seiner Ehren, ihm ist des Kaisers Huld zu lieb. Aber schauet her, wie er mir Liebes that; die Schuhe, den Mantel, die zwölf Spangen: o wohl mir, daß ich zu ihm kam! Ich mag wohl auf der weiten Erden keinen schöneren Ritter erschauen. Gott verzeih mir, daß ich ihn an- gaffete, als wär' er ein Engel. O weh mir! sprach die Kaisertochter, soll ich denn nimmermehr selig sein? So sollst du mir zum mindesten die Schuhe geben, die dir des edeln Degens Huld verlieh, ich füll' sie dir mit Golde. Da ward der Kauf geschlossen: sie zog den güldenen Schuh an und nahm auch den silbernen, doch der ging an denselben Fuß. O weh mir! klagte die Holde, es ward ein Mißgriff gethan, ich bring ihn nimmer an, du mußt wiederum gehen und Herrn Dietrich bitten, daß er dir den andern gebe und selber komme. Das wird die Lästerer freuen, lachte Herlindis. Was thut's? Ich gehe — und sie hob ihr Gewand schier bis an's Knie und schritt, als hätte sie fraulichen Ganges vergessen, über den regenfeuchten Hof zu Dietrich. Und der werthe Held wußte wohl, warum sie kam, er that aber, als sähe er's nicht. Herlindis sprach zu ihm: Ich muß noch mehr Botengänge thun, es ist ein Mißgriff geschehen: itzt heißt dich meine Herrin mahnen, daß du den andern Schuh gebest und sie ge- sehest selber. Hei, wie thät ich's gerne, sprach er, aber des Kaisers Kämmerer werden mich melden. O nie! sagte Herlindis, die tummeln sich im Hof und schießen den Speerschaft, nimm du zwei Diener und heb' dich leis mir nach, bei Schall und Kampfspiel misset dich Keiner. Jetzt wollte die Getreue von dannen gehen. Doch der Held sprach: Ich will erst nach den Schuhen fragen. Da rief Asprian draußen: was liegt an einem alten Schuh? Viel tausend haben wir geschmiedet, die trägt das Ingesind; ich will den rechten suchen. Und er brachte ihn, und Dietrich schenkte der Kammerfrau wiederum einen Mantel und zwölf Spangen. Da ging sie voraus und kündete ihrer Herrin die erwünschte Mähre. Herr Dietrich aber hieß im Hippodromoshofe einen großen Schall anheben und hieß die Riesen ausgehen; da fuhr Widolt mit der Stange heraus und geberdete sich schreckentlich, und Asprian schlug einen Purzelbaum in die blaue Luft und Abendroth warf einen un- gefügen Stein von viel hundert Pfunden und ersprang ihn zwölf Klafter weit, so daß keiner der Merker Herrn Dietrich wahrnehmen mochte. Der ging züchtiglich über den Hof. Am Fenster erschaute ihn die harrende Kaisertochter, da schlug ihr Herz und die Kemenate ward ihm aufgethan und sie sprach zu ihm: Willkomm', edler Herr! wie seh' ich Euch gerne. Nun sollt Ihr mir die schönen Schuhe selber anziehen. Mit Freuden! sprach der Held und setzte sich zu ihren Füßen, und sein Gebahren war gar schön und sie stellte ihren Fuß auf sein Knie, der Fuß war zierlich und die Schuhe paßten wohl, da fügte sie Herr Dietrich ihr an. Nun sage mir, vieledle Jungfrau, begann drauf der Listige, dich hat sicher schon gebeten manch ein Mann, du sollest zu seinem Willen stahn, welcher unter Allen hat dir am besten gefallen? Da sprach des Kaisers Tochter ernsthaft: Herr! auf die Seele mein, so wahr ich getaufet bin, so man alle Recken der Welt zu- sammenstehen hieße, es möchte Keiner werth sein, dein Genosse zu heißen. Du bist der Tugend ein auserwählter Mann, — und doch, so die Wahl bei mir stünde, so nähme ich einen Helden, deß muß ich denken mit jedem neuen Tag; seine Boten hat er ausgeschickt, um mich zu werben, die liegen itzt in tiefem Kerker. Er heißet Rother und sitzt über dem Meer' — wird mir der nicht, so bleib' ich eine Maid immerdar. Eia, sprach Dietrich, willst du den Rother minnen, den schaff' ich dir zur Stelle. Wir haben als Freunde fröhlich gelebt, er war mir gnädig und gut, wenngleich er dann mich Landes vertrieb. Da sprach die Kaisertochter: Höre, wie kann dir der Mann lieb sein, wenn er dich vertrieben? Ich merke wohl, du bist ein Bote, her- gesandt von König Rother, nun sprich und verhehle mir Nichts: was du mir heut' auch sagest, ist wohl bei mir vertaget bis an den jüngsten Tag. Da that der Held einen festen Blick nach ihr und sagte: Nun stell' ich alle meine Dinge Gottes Gnade und der deinen anheim. Wohl denn! es stehen deine Füße in König Rother's Schooß! Hart erschrack die Vielholde; den Fuß zuckte sie auf und klagte: O weh mir! nun war ich so ungezogen, mich trog der Uebermuth, daß ich den Fuß gesetzt auf deinen Schooß. Hat dich Gott hergesen- det, das wär' mir innig lieb. Doch wie mag ich dir getrauen? So du die Wahrheit probtest, noch heute wollt' ich mit dir meines Vaters Reich räumen; es lebet kein Mann, den ich nähme, so du König Rother wärest genannt — aber vorerst bleibt's wohl ungethan. Wie soll ich's besser proben, erwiederte der König, als durch meine Freunde im Kerker? So die mich erschauen könnten, dir würde bald kund, daß ich wahr geredet. So will ich meinen Vater bereden, daß er sie heraus lasse, sprach des Kaisers Tochter. Aber wer wird Bürge sein, daß sie nicht entrinnen? Ich will sie über mich nehmen, sprach er. Da küßte des Kaisers Tochter den Helden und er schied mit Ehren aus ihrer Kemenaten und ging auf seine Herberge und war ihm gar wonniglich zu Muthe. Als aber der Morgen graute, nahm die Jung- frau einen Stab und schlüpfte in ein schwarz Trauergewand und legte einen Pilgerkragen über die Achsel, als wolle sie aus dem Land ab- scheiden und sah bleich und betrübt drein und ging zum Kaiser Con- stantinus hinüber, klopfte an seine Thüre und sprach listig zu ihm: Mein lieber Herr Vater, nun muß ich bei lebendem Leib in's Ver- derben. Mir ist gar elend, wer tröstet meine Seele? Im Traum treten die eingekerkerten Boten des König Rother vor mich und sind abgezehrt und elend und lassen mir keine Ruhe; ich muß fort, daß sie mich nimmer quälen, es sei denn, Ihr lasset mich die Armen mit Speisung, Wein und Bad erquicken. Gebet sie heraus, wenn auch nur auf drei Tage. Da antwortete der Kaiser: Das will ich dulden, so du mir einen Bürgen stellest, daß sie am dritten Tag wieder niedersteigen zum Kerker. Dieweil man nun zu Tische ging im Kaisersaal, kam auch der vermeinte Herr Dieterich mit seinen Mannen, und als die Mahlzeit vollendet und man die Hände wusch, ging die Jungfrau um die Tische, als wolle sie unter den reichen Herzogen und Herrn den Bürgen su- chen, und sprach zu Dieterich: Nun gedenke, daß du mir aus der Noth helfest und nimm die Boten auf dein Leben. Er aber sprach: Ich bürge dir, du allerschönste Maid. Und er gab dem Kaiser sein Haupt zum Pfand, und der Kaiser schickte seine Mannen mit ihm, daß sie den Kerker öffneten. Drin lagen die Gesandten elend und in Unkräften; als man die Kerkerthüren einbrach, schien der helle Tag in's Verließ, der blendete die Armen, denn sie waren sein nicht mehr gewohnt. Da nahmen sie die zwölf Grafen und ließen sie aus dem Kerker gehen; jedwedem folgte sein Rittersmann, und das Gehen fiel ihnen sauer. Voran schritt Lupolt ihr Führer, der hatte ein zerrissen Schürzlein um die Lenden geschlungen und sein Bart war lang und struppig, der Leib aber zerschunden. Herr Dietrich stund traurig und wandte sich zur Seite, daß sie ihn nicht erkennten und hielt mit Gewalt die Thränen an, denn noch niemals war ihm das Leid so nah gestanden. Er hieß sie zur Herberge führen und pflegen und die Grafen sprachen: Wer war der, der seitab stand? der will uns sicher wohl. Und sie lachten in Freud und Leid zugleich, aber kannten ihn nicht. Anderen Tages nun lud die Kaiserstochter die Vielgeprüften zu Hofe, und schenkte ihnen gute funkelnde Gewänder und ließ sie in die warme Badstube setzen und einen Tisch richten sie zu atzen. Wie nun die Herren saßen und ihres Leids ein Theil vergaßen, nahm Dieterich seine Harfe und schlich hinter den Umhang und ließ die Saiten er- klingen: er griff die Singweise, die er einst gegriffen am Meeresstrand. Lupolt hatte den Becher erhoben, da entsank er seiner Hand, daß er den Wein niedergoß auf den Tisch, und Einer, der das Brod schnitt, ließ sein Messer fallen und Alle horchten staunend: voller und heller erklang ihres Königs Singweise, da sprang Lupolt über den Tisch und alle Grafen und Ritter ihm nach, als wär' ein Hauch alter Kraft plötzlich über sie gekommen, und sie rissen den Umhang nieder und küßten den Harfner und knieten vor ihm und des Jubels war kein Ende. Da wußte die Jungfrau, daß er treu und wahrhaft der König Rother von Wikingland war, und that einen lauten Freudenruf, daß Constantinus, ihr Vater, herzugelaufen kam — er mochte wollen oder nicht, so mußte er sie zusammengeben, und die Gesandten stiegen nimmermehr in ihren Kerker und Rother hieß nimmermehr Dieterich und küßte seine Braut und fuhr mit ihr heim über's Meer und war ein glückseliger Mann und hielt sie hoch in Ehren und wenn sie in Minne beisammen saßen, sprachen sie: Gelobt sei Gott und Mannes- muth und kluger Kammerfrauen List! Das ist die Mähr vom König Rother! ... Praxedis hatte lang erzählt. Wir sind wohl zufrieden, sprach die Herzogin, und ob der Schmied Weland den Preis davon tragen wird, scheint uns nach König Ro- ther's Geschichte ein weniges zweifelhaft. Herr Spazzo ward drob nicht böse. Die Kammerfrauen in Con- stantinopel scheinen die Feinheit mit Löffeln gegessen zu haben, sprach er. Aber sollt' ich auch besiegt sein, der Letzte hat noch nicht gesungen. Er sah auf Ekkehard hinüber. Aber der saß wie ein Traumbild in sich versunken. Er hatte vom König Rother wenig vernommen, der Herzogin Stirnband mit der Rose war das Ziel seiner Augen gewesen, dieweil Praxedis erzählte. .. Uebrigens glaub ich die Geschichte kaum, fuhr Herr Spazzo fort. Vor Jahren bin ich im Bischofshof zu Constanz drüben beim Wein gesessen, da kam ein griechischer Reliquienverkäufer, der hieß Daniel und hatte viel heilige Leiber und Kirchenschmuck und künstlich Geräthe bei sich. Dabei war auch ein alterthümlich Schwert mit edelsteinbesetzter Scheide, das wollt' er mir aufschwatzen und sprach, es sei das Schwert des König Rother, und wären die güldenen Thaler bei mir nicht ebenso dünn gesäet gewesen, wie die Haare auf des Griechen Scheitel, ich hätt' es gekauft. Der Mann erzählte, mit dem Schwert hab' Herr Rother mit dem König Ymelot von Babylon ge- stritten um des Kaisers Tochter, aber von goldenen Schuhen und Kammerfrauen und Harfenspiel hat er nichts gewußt. Es wird noch Vieles auf der Welt wahr sein, ohne daß Ihr Kenntniß davon habt, sprach Praxedis leicht. Der Abend dunkelte. Mit gelbem Schein war der Mond aufge- stiegen, würziger Duft durchströmte die Lüfte, im Gebüsch und am Felshang flimmerte es von Leuchtkäfern, die sich anschickten auszu- fliegen. Ein Diener kam herab und brachte Windlichter; von ölge- tränktem Linnen wie von einer Laterne umfangen brannten die Kerzen. Es war lind und lieblich im Garten. Der Klosterschüler saß vergnügt auf seinem Schemel und hielt die Hände gefaltet wie in Andacht. Was meint unser junger Gast? fragte die Herzogin. Ich wollte mein schönstes lateinisches Buch geben, sprach er, wenn ich es hätte mit ansehen können, wie der Riese Asprian den Löwen an die Wand warf. Du mußt ein Recke werden und selber auf Riesen und Drachen ausziehen, scherzte die Herzogin. Aber das leuchtete ihm nicht ein: Wir bekommen mit dem Teufel zu streiten, sagte er, das ist mehr. Frau Hadwig war noch nicht gestimmt, aufzubrechen. Sie knickte ein Zweiglein vom Ahorn in zwei ungleiche Stücke und trat zu Ekke- hard. Der fuhr verwirrt auf. Nun, sprach die Herzogin, ziehet! Ihr oder ich. Ihr oder ich! sprach Ekkehard stumpf. Er zog das kürzere Ende. Es gleitete ihm aus der Hand; er ließ sich wieder auf seinen Sitz nieder und schwieg. Ekkehard! sprach die Herzogin scharf. Er schaute auf. Ihr sollet erzählen. Ich soll erzählen! murmelte er und fuhr mit der Rechten über die Stirn. Sie war heiß; es stürmte drin. Ja wohl, — erzählen! Wer spielt mir die Laute dazu? Er stand auf und sah in die Mondnacht hinaus. Verwundert schauten die Anderen sein Gebahren. Er aber hub mit klangloser Stimme an: Es ist eine kurze Geschichte. Es war einmal ein Licht, das leuch- tete hell und leuchtete von einem Berg hernieder und leuchtete in Regenbogenfarben und trug eine Rose im Stirnband ... Eine Rose im Stirnband?! brummte Herr Spazzo kopfschüttelnd. .. Und es war einmal ein dunkler Nachtfalter, fuhr Ekkehard in gleichem Ton fort, der flog zum Berg hinauf und flog um das Licht, und wußte daß er verbrennen müsse wenn er hineinfliege, und flog doch hinein, und das Licht verbrannte den Nachtfalter, da ward er zur Asche und vergaß des Fliegens. Amen! Frau Hadwig sprang unwillig auf. Ist das Eure ganze Geschichte? fragte sie. Meine ganze Geschichte! sprach er mit unveränderter Stimme. Es ist Zeit, daß wir hinaufgehen, sagte Frau Hadwig stolz. Die Nachtluft schafft Fieber. Sie schritt mit verächtlichem Blick an Ekkehard vorüber. Burkard trug ihr die Schleppe. Ekkehard stand unbeweglich. Der Kämmerer Spazzo klopfte ihm auf die Schulter: Der Nachtfalter war ein dum- mer Teufel, Herr Caplan! sprach er mitleidig. Ein Windstoß kam und blies die Lichter aus. Er war ein Mönch! sprach Ekkehard gleichgiltig, schlafet wohl! — Einundzwanzigstes Kapitel . Verstoßung und Flucht. Ekkehard war noch lang in der Gartenlaube gesessen, dann war er hinausgerannt in die Nacht. Er wußte nicht wohin der Gang gehen sollte. Des Morgens fand er sich auf dem Fels Hohenkrähen, der ragte in stiller Einsamkeit seit der Waldfrau Abzug. Die Trüm- mer des ausgebrannten Hauses lagen verwirrt über einander; wo einst die Wohnstube, stand noch der Römerstein mit dem Mithras, Farrenkraut und Riedgras war darüber gerankt, eine Blindschleiche lief züngelnd an dem wettergedunkelten Götterbild hinauf. Ekkehard fuhr in hellem Hohn zusammen: Die Capelle der heili- gen Hadwig! rief er und schlug sich mit der Faust an die Brust, so muß sie sein! Er stieß den Römerstein um und stieg auf die Fels- kuppe; dort warf er sich nieder und preßte die Stirn in's kühle Erd- reich, das einst Frau Hadwig's Fuß berührt. Lange blieb er dort; als die Sonne in der Mittagshöhe herunterbrannte, lag er noch oben und — schlief. Vor Abend kam er auf den hohen Twiel zurück, heiß, verstört, unsicheren Ganges. Grashalme hafteten wirr in dem härenen Geweb seiner Kutte. Die Leute der Burg wichen scheu vor ihm zurück, wie vor Einem dem des Unglücks Finger ein Zeichen auf die Stirn ge- schrieben. Sonst pflegten sie ihm entgegen zu gehen und baten um seinen Segen. Die Herzogin hatte sein Fortsein wahrgenommen, aber nicht nach ihm gefragt. Er ging iu seine Thurmstube hinauf; er griff ein Per- gament als ob er lesen wolle. Es war Gunzo's Schrift wider ihn. „Gern würde ich Euch ermahnen, ihm die Hilfe heilender Arzneien angedeihen zu lassen, aber ich fürchte seine Krankheit ist zu tief ein- gewurzelt,“ las er drin. Er lachte. Die gewölbte Decke gab einen Wiederhall, da sprang er auf, als wollt' er erspähen, wer gelacht. Dann trat er an's Fenster und schaute in die Tiefe; es ging weit, weit hinab. Ein Schwindel wollte ihn fassen, da wich er zurück. Des alten Thieto Fläschlein stand bei den Büchern, das machte ihn wehmüthig. Er gedachte des Blinden. Frauendienst ist ein schlimm Ding für den, der gerecht bleiben will, hatte der einst zu ihm ge- sprochen, wie er Abschied nahm. Er riß das Siegel von dem Fläschlein und goß sich das Jordan- wasser über's Haupt und netzte die Augen. Es war zu spät. Auch die Fluth heiliger Ströme löscht die Gluth des Herzens nicht; nur dem, der sich hinunterstürzt, um nimmer aufzutauchen ... Doch kam ein Anflug von Ruhe über ihn. Ich will beten! sprach er, es ist eine Versuchung. Er warf sich auf die Knie, aber bald war's ihm als schwirrten die Tauben um sein Haupt, wie damals als er zuerst die Thurmstube betrat, aber sie hatten itzt grinsende Gesichter und einen höhnischen Zug um die Schnäbel. Er stand auf und ging langsam die Wendeltreppe hinunter zur Burgcapelle. Der Altar drunten war Zeuge frommer Andacht an manchem guten Tag. In der Capelle war's wie ehedem, dunkel und still. Sechs schwere Säulen mit würfelförmigem laubwerkverziertem Knauf trugen die niedere Wölbung; ein feiner Streif Tageslicht fiel durch's schmale Fenster herein. Die Tiefe der Nische, wo der Altar stund, war schwach erleuchtet; nur der Goldgrund um das Mosaikbild des Erlösers glänzte in mattem Flimmern. Griechische Künstler hatten die Formen ihrer Kirchenausschmückung einst auf den deutschen Fels getragen: in weißem wallendem Gewand, goldrothen Schein um's Haupt, hob sich des Heilands hagere Gestalt, die Finger der Rechten segnend ausgestreckt. Ekkehard neigte sich vor den Stufen des Altars; seine Stirn ruhte auf den Steinplatten — so blieb er, in sich versunken. „Der du die Leiden der Welt auf dich genommen, laß ausgehn einen Strahl der Gnade auf mich Unwürdigen!“ Er hob den Blick und schaute starr hinauf, als müsse das ernste Gebild aus der Wand niedersteigen und ihm die Hand reichen. „Ich liege vor dir, wie Petrus vom See- sturm umbraust, die Wellen tragen mich nicht, Herr, rette mich! Rette mich wie jenen, da du über die Sturmfluth wandelnd ihm die Hand gereicht und gesprochen: Kleingläubiger, warum zweifelst du?“ Aber es geschah kein Zeichen. Ekkehard's Denken war zerrüttet. Es rauschte durch die Capelle wie Frauengewand. Er hörte Nichts. Frau Hadwig war heruntergestiegen, eine seltsame Anwandlung trieb sie. Seit sie dem Mönch gram geworden, stand das Bild ihres alten seligen Ehgemahls öfter vor ihrer Seele, denn ehedem. Na- türlich. Wenn sich dieser niederlegt, muß sich Jener heben. Das neuerliche Lesen im Virgilius hatte auch dazu beigetragen; es war so mannigfach vom Gedächtniß an Sichäus die Rede. Morgen neute sich der Todestag Herrn Burkard's. In der Capelle lag der alte Herzog mit Schild und Lanze begraben. Eine rohe Platte deckte sein Grab, seitwärts vom Altar. Matt brannte die ewige Lampe drüber. Ein Sarkophag aus grauem Sandstein stand dabei, unförmliche kleine Halbsäulen mit jonisch gewundenem Knauf waren an den Ecken angefügt; sie ruhten auf fratzenhaften Thierge- stalten. Den Steinsarg hatte Frau Hadwig einst für sich selber an- fertigen lassen. Jeweils an des Herzogs Gedächtnißtag ließ sie ihn mit Korn und Früchten gefüllt hinauftragen und vertheilte seinen Inhalt den Armen — die Mittel zum Leben aus der Ruhstatt der Todten: es war ein frommer Brauch so. Sie wollte heute an ihres Gatten Grab beten. Des Ortes Halb- dunkel deckte den knieenden Ekkehard. Sie sah ihn nicht. Da schreckte sie auf aus ihrer Andacht. Halblaut, aber schneidig schlug ein Lachen an ihr Ohr, sie kannte die Stimme. Ekkehard hatte sich erhoben, er sprach itzt die Worte des Psalms: „Beschirme mich, o Herr, unter dem Schatten deiner Flügel, beschirme mich vor dem Antlitz der Gottlosen, die mich plagen. Meine Feinde haben meine Seele umgeben; ihr Herz ist mir verschlossen, ihr Mund hat Hoch- muth geredet.“ Er sprach's mit bösem Tone. Das war kein Beten mehr. Frau Hadwig neigte sich zum Sarkophag. Sie hätte gern einen zweiten drauf gethürmt, daß er sie verberge vor Ekkehard's Blick. Sie wünschte kein Alleinsein mehr. Ihr Herz schlug ruhig. Er ging zur Pforte. Da plötzlich wandte er sich; die ewige Lampe schwebte leise über Frau Hadwig's Haupt hin und her, das schwebende Dämmerlicht hatte sein Aug' getroffen ... mit einem Sprung, mächtiger als der, den der heilige Bernhard in späteren Tagen durch den Dom zu Speier that, da ihm das Marienbild gewinkt, stand er vor der Her- zogin. Er schaute sie lang und durchbohrend an. Sie erhob sich vom Boden, mit der Rechten den Rand des Steinsarges fassend stand sie ihm gegenüber, an seidener Schnur wiegte sich die ewige Lampe über ihrem Haupt. Glückselig sind die Todten, man betet für sie! brach Ekkehard das Schweigen. Frau Hadwig erwiederte nichts. Betet Ihr auch für mich wenn ich todt bin? fuhr er fort. O, Ihr sollt nicht für mich beten! ... einen Pocal laßt Euch aus meinem Schädel machen, und wenn Ihr wieder einen Pörtner holt aus dem Kloster des heiligen Gallus, so müßt Ihr ihm den Willkommtrunk draus reichen — ich laß ihn grüßen! Dürft auch selber Eure Lippen dran setzen, er springt nicht. Aber das Stirnband müßt Ihr dabei um's Haupt tragen, und die Rose drin ... Ekkehard! sprach die Herzogin, — Ihr frevelt! Er fuhr mit der Rechten an die Stirn: O! sprach er wehmüthig — o ja! ... der Rhein frevelt auch: sie haben ihm mit riesigen Fel- sen den Lauf verbaut, aber er hat sie durchnagt, und braust drüber weg in Schaum und Sturz und Vernichtung, Glück auf du freier Jugendmuth! ... Und Gott frevelt auch, denn er hat den Rhein wer- den lassen, und den hohen Twiel und die Herzogin von Schwaben und die Tonsur auf meinem Haupt. Der Herzogin begann es zu grausen. Solchen Ausbruch zurück- gepreßten Gefühles hatte sie nicht erwartet. Aber es war zu spät. Sie blieb gleichgiltig. Ihr seid krank! sprach sie. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 20 Krank? sprach er — es ist nur eine Vergeltung. Vor Jahr und Tag am Pfingstfest, da es noch keinen hohen Twiel für mich gab, hab' ich beim festlichen Umgang aus unserer Klosterkirche den Sarg des heiligen Gallus getragen, da hat sich ein Weib vor mir niedergewor- fen: steh' auf! hab' ich ihr zugerufen, aber sie blieb liegen im Staub, schreit über mich, Priester, mit deinem Heilthum, daß ich gesunde! sprach sie, und mein Fuß ging über sie hinweg. Sie hat am Herzweh gelitten, die Frau. Jetzt ist's umgekehrt ... Thränen unterbrachen seine Stimme. Er konnte nicht weiter spre- chen. Er warf sich zu Frau Hadwig's Füßen und umschlang den Saum ihres Gewandes. Der ganze Mensch zitterte. Frau Hadwig wurde mild; mild gegen ihren Willen, als zucke es vom Saum des Gewandes zu ihr herauf von unsäglichem Herzeleid. Steht auf, sprach sie, und denkt an Anderes. Ihr seid uns noch eine Geschichte schuldig. Verwindet's! Da lachte Ekkehard in seinen Thränen. Eine Geschichte, rief er — o, eine Geschichte! Aber nicht erzählen ... kommt, laßt sie uns thun, die Geschichte! Droben von des Thurmes Zinnen schaut sich's so weit in die Lande und so tief hinunter, so süß und tief und lockend, was hat die Herzogsburg uns zu halten? Keiner braucht mehr zu zählen, als drei, der hinunter will ... und wir schweben und gleiten in Tod, dann bin ich kein Mönch mehr und darf den Arm schlingen um Euch — Er schlug mit der Faust auf Herrn Burkard's Grab — und der da unten schläft, soll mir's nicht wehren! Wenn er kommt, der Alte: ich laß' Euch nicht, und wir schweben wieder zum Thurm empor und sitzen wo wir saßen, und lesen den Virgil zu Ende, und Ihr müßt die Rose im Stirnband tragen, als wär' nichts geschehen ... Dem Herzog schließen wir's Thor zu und über alle böse Zungen lachen wir, und die Menschen sprechen dann, wenn sie am Winterofen sitzen: das ist eine schöne Geschichte vom treuen Ekkehard, der hat den Kaiser Ermanrich erschlagen, da er die Harlungen aufhing, und dann ist er mit seinem weißen Stab vor Frau Venus Berg gesessen, viel hundert Jahr, und hat gemeint, er wolle bis zum jüngsten Tag die Leute warnen, die zum Berg wallen; aber hernachmals ist's ihm lang- weilig worden und er ging durch und ward ein Mönch in Sanct Gallen und fiel sich zu Tode, und jetzt sitzt er bei einer blassen Frau und liest Virgil, und es klingt mitternächtig durch's Hegau: den un- säglichen Schmerz zu erneuen gebeutst du o Königin mir! und sie muß ihn küssen ob sie will oder nicht — der Tod holt nach was das Le- ben versäumt! Er hatte gesprochen mit irrem Blick. Jetzt brach er zusammen in leisem Weinen. Frau Hadwig war unbewegt gestanden, es war als ob ein Flimmer von Mitleid ihr kaltes Aug' durchleuchte, sie beugte sich nieder. Ekkehard! sprach sie, Ihr sollt nicht vom Tod sprechen. Das ist Wahnsinn. Wir leben, Ihr und ich ... Er bewegte sich nicht. Da legte sich ihre Hand leicht über das fieberheiße Haupt. Es strömte und fluthete durch sein Gehirn. Er sprang auf. Ihr habt Recht! rief er, wir leben. Ihr und ich! Tanzende Nacht legte sich um seinen Blick; er that einen Schritt vor, seine Arme schlangen sich um das stolze Frauenbild, wüthend preßte er sie an sich, sein Kuß flammte auf ihre Lippen, ungehört verklang der Widerspruch. Er hob sie hoch gegen den Altar, als wäre sie ein Weihgeschenk, das er darbringen wollte: Was hältst du die goldglänzenden Finger so ruhig und segnest uns nicht? rief er zum düster ernsten Mosaikbild hinauf ... Die Herzogin war zusammengeschrocken wie ein wundes Reh; — ein Augenblick, da ballte und bäumte sich Alles in ihr von gekränktem Stolz; sie stieß den Rasenden mit starker Hand vor die Stirn und entstrickte sich seinem Arm. Noch hielt er ihre Hüfte umschlungen, da that sich die Pforte der Kirche auf; ein greller Strahl Tageslicht drang in's Düster — sie waren nicht mehr allein. Rudimann der Kellermeister von Reichenau trat über die Schwelle, Gestalten erschienen im Grunde des Burghofs. Die Herzogin war entfärbt in Scham und Zorn, eine Flechte ihres dunkeln Haupthaars wallte aufgelöst über den Nacken. Entschuldiget, sprach der Mann von Reichenau mit grinsend höf- lichem Ausdruck, meine Augen haben nichts geschaut! 20* Da rang Frau Hadwig sich von Ekkehard los. Doch — und doch — und doch! einen Wahnsinnigen habt Ihr geschaut, der sich und Gott vergessen ... Es wär' mir leid um Eure Augen, ich müßte sie ausstechen lassen, wenn sie nichts erschaut ... Es war eine unsäglich kalte Hoheit, mit der sie's dem Betroffenen entgegen rief. Da erklärte sich Rudimann den seltsamen Vorgang. Ich habe vergessen, sprach er mit Hohn, daß dort Einer von denen steht, auf die weise Männer das Wort des heiligen Hieronymus ge- zogen, ihr Gebahren ziemt sich mehr für einen Stutzer und Bräutigam denn für einen Geweihten des Herrn. Ekkehard stand an eine Säule gelehnt, die Arme in die Luft er- hoben wie Odysseus, da er den Schatten seiner Mutter umfahen wollte; Rudimann's Wort riß ihn aus dem Fiebertraum. Wer tritt zwischen mich und sie? rief er drohend. Aber Rudimann klopfte ihm mit un- verschämter Vertraulichkeit auf die Schulter: Beruhigt Euch, guter Freund, wir haben nur ein Brieflein an Euch abzugeben, der heilige Gallus kann seinen weisesten Schüler nicht länger draußen lassen in der wankenden schwankenden Welt, Ihr seid heimgerufen! — Vergeßt den Stock nicht, mit dem Ihr die Mitbrüder mißhandelt, die im Herbst gern einen Kuß pflücken, keuscher Sittenrichter! flüsterte er ihm in's Ohr. Ekkehard trat zurück. Sehnsucht, Wuth der Trennung, glühend Verlangen und daraufgegossener Hohn stürmten in ihm; er rannte auf Frau Hadwig, aber schon füllte sich die Capelle. Der Abt von Rei- chenau war selber gekommen, die Freude von Ekkehard's Heimrufung zu erleben; es wird schwer halten, daß wir ihn los bekommen, hatte er zum Kellermeister gesagt. Es ward leicht. Mönche und Gefolgs- leute traten mit ein. Sacrilegium! rief ihnen Rudimann entgegen, er hat vor dem Altar die buhlerische Hand zu seiner Gebieterin erhoben! Da schäumte Ekkehard auf. Des Herzens heiligst Geheimniß von frecher Rohheit entweiht, eine Perle vor die Schweine geworfen. .. er riß die ewige Lampe herunter, wie eine Schleuder schwang er das eherne Gefäß; das Licht darin erlosch — ein dumpfer Schrei hallte auf, der Kellermeister lag blutigen Hauptes auf den Steinplatten, die Lampe klirrte neben ihm .. Ringen, Zerren, wilde Verwirrung ... es ging mit Ekkehard zu Ende. Sie hatten ihn überwältigt; den Gürtel der Kutte rissen sie ihm ab und banden ihn. Da stand er, die jugendschöne Gestalt, jetzt ein Bild des Jammers, dem flügellahmen Adler gleich. Einen matten, traurigen, fragenden Blick ließ er zur Herzogin hinübergleiten .. die wandte sich ab. Thut was Eures Amtes ist, sprach sie zum Abt und schritt durch die Reihen. Eine Rauchwolke zog ihr entgegen. Lärm und Jubel schallte vor dem Burgthor, ein Feuer brannte draußen, von harzigen Tannen- scheitern geschichtet. Das Ingesinde der Burg tanzte darum und warf Blumen drein, eben hatte Audifax die Genossin seines Schicksals ju- belnd in Arm gefaßt und war mit ihr durch die hochaufschlagende Flamme gesprungen. Was soll der Rauch? sprach Frau Hadwig zur herbeigeeilten Praxedis. Sonnenwende! antwortete die Griechin. Es war ein trüber verstimmter Abend. Die Herzogin hatte sich in ihr Closet verschlossen und ließ Niemand vor sich, Ekkehard war von den Leuten des Abts in ein Verließ geschleppt worden, in dem- selben Thurm, in dessen luftigem Stockwerk sein Stübchen eingerichtet stund, war ein feuchter finsterer Gewahrsam, Trümmer alter Grab- steine, bei früherem Umbau der Burgkapelle dorthin verbracht, lagen unheimlich umher. Man hatte ihm einen Bund Stroh hineingeworfen. Ein Mönch saß vor dem Eingang und hielt Wache. Burkard, der Klosterschüler, lief auf und nieder, und rang klagend die Hände, er konnte seines Ohms Geschick nicht fassen. Die Leute der Burg steckten die Köpfe zusammen und wisperten und führten thörichte Reden, als ob die hundertzüngige Fama auf dem Giebel des Burgdachs gesessen und ihre Lügen ausgestreut hätte: Er hat die Herrin ermorden wollen, sprach der Eine; er hat des Teufels Künste getrieben mit seinem großen Buch, sprach ein Anderer, heut ist Sanct Johannistag, da hat der Teufel keine Macht und konnte ihm nicht aus der Klemme helfen. Am Brunnen im Burghof stand Rudimann der Kellermeister und ließ das klare Wasser über sein Haupt strömen; Ekkehard hatte ihm eine scharfe Schramme gehauen, zäh und unwillig rieselte sein Blut in den fremden Quell. Praxedis kam herunter, blaß und trüb; sie war die einzige Seele, die ein aufrichtig Mitleid um den Gefangenen trug. Wie sie den Kellermeister ersah, ging sie in Garten, riß eine blaue Kornblume mit der Wurzel aus und brachte sie ihm: Nehmet, sprach sie, und haltet sie mit der Rechten bis sie drin erwarmt, das stillet Euer Blut. Oder soll ich ein Linnen zum Verband bringen? Er schüttelte das Haupt. Es wird von selber aufhören, wenn's Zeit ist, sagte er, es ist nicht mein erster Aderlaß. Behaltet Eure Kornblumen für Euch! Aber Praxedis gedachte den Feind Ekkehard's milde zu stimmen. Sie holte Leinwand. Da ließ er sich verbinden. Er sprach keinen Dank. Laßt Ihr den Ekkehard heut nimmer frei? fragte sie. Heut? sprach Rudimann höhnisch. Drängt es Euch, einen Kranz zu winden für den Bannerträger des Antichrist, den Vorspann am Wagen des Satan, den Ihr da oben gehegt und geheckt, als wär' er der herzliebe Sohn Benjamin? Heut? fraget einmal nach Monatfrist drüben an. Er deutete nach den helvetischen Bergen. Praxedis erschrak. Was wollet Ihr mit ihm anfangen? Was Recht ist, sprach Rudimann mit finsterm Blicke. Buhlerei, Gewaltthat, Ungehorsam, Hochmuth, Kirchenschändung, Lästerung Got- tes: es gibt der Namen nicht genug für seine Frevel, aber Mittel zur Sühnung, Gott sei es gedankt, gibt es! Er fuhr mit dem Arm aus wie zu einem Streich. .. ja wohl, Mittel zur Sühnung, wonnesame Jungfrau! Wir werden ihm einen Denkzettel auf's Fell schreiben. Habt Mitleid, sprach Praxedis, er ist ein kranker Mann. Gerade deßwegen heilen wir ihn. Wenn er erst an die Säule gebunden den Rücken krümmt und ein halb Dutzend Ruthen drauf zerschlagen sind, das treibt Grillen und Teufelswerk aus dem Kopf ... Um Gotteswillen! jammerte die Griechin. Beruhigt Euch, es kommt noch besser. Ein entlaufen Schaaf ge- hört in seinen Stall geliefert, dort sind gute Hirten, die besorgen das Weitere: Schaafschur, Jungfräulein, Schaafschur! Dort schneiden sie ihm die Haare ab, das schafft dem Haupte Kühlung, und wenn Ihr einmal in Jahresfrist zum heiligen Gallus wallfahren wollet, so wird Sonn- und Feiertags Einer mit bloßen Füßen vor der Kirchenthür stehen und sein Kopf wird kahl sein wie ein Stoppelfeld und das Bußgewand wird ihn zierlich kleiden. Was meint Ihr? Die Heiden- wirthschaft mit dem Virgilius hat ein Ende. Er ist unschuldig, sagte Praxedis. O, sprach der Kellermeister spöttisch, der Unschuld krümmen wir kein Haar. Er braucht sie nur durch's Gottesurtheil zu beweisen; wenn er mit heilem Arm den goldenen Ring aus dem Kessel mit siedendem Wasser herausfängt, gibt ihm unser Abt selber den Segen und ich werd' sagen, es war nur Nebelbild und Teufelsspuck, daß meine Augen in der Capelle seine Heiligkeit den Bruder Ekkehard sahen, wie er Eure Herrin umfangen hielt. Praxedis weinte. Lieber ehrwürdiger Herr Kellermeister ... sprach sie bittend. Er senkte einen schiefen Blick auf sie, der blieb an der Griechin Busen haften. So ist es! sagte er mit gekniffenen Lippen. Ich wollte übrigens eine Fürbitte beim Abt einlegen, wenn ... Wenn? fragte Praxedis gespannt. Wenn Ihr heut Abend geruhen wolltet, Eure Kammer nicht zu verschließen, daß ich Euch Bericht bringen kann vom Erfolg. Er zog wie spielend die großen Falten seiner Kutte zusammen, daß die geschnürten Hüften hervortraten, und nahm eine selbst- gefällige erwartende Haltung an. Praxedis trat zurück. Ihr Fuß stampfte die blaue Kornblume, die am Boden lag. Ihr seid ein schlechter Mensch, Herr Kellermeister! sprach sie, und drehte ihm den Rücken. Rudimann verstand sich auf Gesichter. Aus dem Zucken von Praxedis Augenlid und den drei bitterbösen Stirn- falten ward ihm klar, daß ihre Kammer für alle Kellermeister der Christenheit jetzt und immerdar verschlossen bleibe. Sie ging. Habt Ihr noch etwas zu befehlen? sprach sie im Fortgehen. Ja wohl, griechisches Insect, antwortete er mit kühlem Ton, einen Krug Essig, wenn es gefällig ist. Ich will meine Ruthen drin ein- weichen, es schreibt sich dann besser und vernarbt schwerer. Ich habe noch keinen Erklärer des Virgilius ausgehauen: der verdient schon eine besondere Ehre. Unter der Linde saß Burkard der Klosterschüler und schluchzte noch immer. Praxedis küßte ihn im Vorbeigehen. Es geschah dem Kellermeister zu leid. Sie ging hinauf zur Herzogin und gedachte einen Fußfall zu thun und für Ekkehard zu bitten. Aber das Closet blieb verschlossen. Frau Hadwig war tief erzürnt; wenn die Mönche der Reichenau nicht dazu gekommen, hätte sie Ekkehard's Kühnheit verzeihen mögen, sie selber hatte ja den Keim zu Allem gelegt was jetzt aufgewachsen war — aber jetzt war Aergerniß gegeben, das heischte Strafe. Scheu vor bösen Zungen hat schon manch' Ding gewendet. Der Abt hatte ihr das Schreiben von Sanct Gallen zustellen lassen. Benedict's Regel, so stand geschrieben, verlange nicht nur den äußeren Schein mönchischen Lebens, sondern ein Mönchthum mit Leib und Seele: Ekkehard sei heim gerufen. Aus Gunzo's Schrift war Etliches wider ihn angeführt. Es war ihr gleichgiltig. Was ihm in den Händen seiner Gegner bevorstehe, wußte sie. Sie war entschlossen, Nichts für ihn zu thun. Praxedis klopfte zum zweitenmal an. Es ward nicht aufgethan. O du armer Nachtfalter! sprach sie traurig. Ekkehard lag in seiner Kerkerhaft wie Einer, der einen wirren Traum geträumt hat. Vier kahle Wände waren um ihn, von oben ein schwacher Lichtschimmer. Oft zitterte er noch, als schüttle ihn Frost. Allmälig legte sich ein wehmüthig Lächeln der Entsagung um die Lippen; es blieb sich nicht gleich — mitunter ballte er die Faust in heftiger Zorneserregung. Es ist mit des Menschen Gemüth wie mit dem Meere. Hat der Sturm auch ausgetobt, so wogt und brandet es noch lange stärker als sonst und untereinsmal schäumt wieder ein nachzügelnder Wellen- sturz gewaltig auf und jagt die Möwen vom Fels. Aber Ekkehard's Herz war noch nicht gebrochen. Dafür war es zu jung. Er begann die Lage zu überdenken. Die Aussicht in die Zukunft war sehr unerquicklich: er kannte seines Ordens Regel und geistlichen Brauch und kannte die Männer der Reichenau, daß sie seine Feinde waren. Mit großen Schritten durchmaß er den engen Raum: Allmächti- ger Gott, den wir anrufen dürfen in der Heimsuchung, wie soll das enden? Er schloß die Augen und warf sich auf sein Lager. Wirre Bilder zogen an seiner Seele vorbei. Und er schaute mit dem inneren Gesichte des Geistes, wie sie ihn in der Morgenfrühe hinausschleppten; auf hohem Steinstuhl saß der Abt und hielt seinen Hakenstab, als Zeichen, daß Gericht sei, und sie lasen eine lange Anklage vor ... Alles in demselben Burghof, in dem er einst jubelnden Herzens aus der Sänfte gesprungen, in dem er am düstern Charfreitag die Predigt wider die Hunnen gehalten, — und die Männer des Gerichts fletschten die Zähne wider ihn. Was werd' ich thun? dachte er weiter. Die Hand auf's Herz, den Blick zum Himmel, werd' ich rufen: Ekkehard ist ohne Schuld! Aber die Richter sprechen: probe es! Der große Kupferkessel wird vorgeschleppt, das Feuer unter ihm angezündet, hoch wallt und zischt das Wasser, der Abt zieht den güldenen Ring vom Finger, sie strei- fen ihm den Aermel der Kutte zurück, Bußpsalmen tönen dumpf da- zwischen: „Ich beschwöre dich, Creatur des Wassers, daß der Teufel weiche aus dir und du dem Herrn dienest zu Offenbarung der Wahr- heit, gleich dem Feuerofen des Königs von Babylon, da er die drei Jünglinge hineinwerfen ließ!“ Also bespricht der Abt die kochende Fluth, und „tauch' ein den Arm und suche den Ring!“ befiehlt er dem Angeklagten ... Gerechter Gott, wie wird dein Urtheil sprechen? Wilde Zweifel nagten an Ekkehard's Gemüth. Er glaubte an sich und sein gutes Recht; minder fest an die schaurigen Mittel in denen Priesterwitz und Gesetzgebung den Wahrspruch der Gottheit zu finden meinten. Auf der Bücherei seines heimischen Klosters lag ein Büchlein, das die Aufschrift trug: „Gegen die ordnungswidrige Meinung derer, die da glauben, daß durch Feuer oder Wasser oder Zweikampf die Wahrheit göttlichen Gerichtes geoffenbart werde.“ Das Büchlein hatte er einst gelesen und wohl behalten; es war der Nachweis, daß bei all diesen, uraltem Heidenthum entstammenden Proben, wie später der treffliche Gottfried von Straßburg es benamste: „der heilig Christ windschaffen wie ein Aermel ist.“ Und wenn kein Wunder geschieht?? Sein Denken neigte sich zu kleinmüthiger Zagniß. Verbrannten Armes und schuldig gesprochen, den Staupenschlag erleiden müssen .. und sie steht oben auf dem Söller und schaut drauf hernieder, als geschähe es einem wildfremden Mann: Herr des Himmels und der Erde, sende deine Blitze! Aber die Hoffnung leuchtet auch dem Elendesten noch. Da ward's ihm wieder, als töne in all den Jammer ein gelles Halt! sie stürzt herunter in fliegendem Gelock und rauschendem Herzogsmantel und treibt die Peiniger auseinander wie der Heiland die Wucherer im Tempel, und reicht ihm Hand und Lippen zum Kuß der Versöh- nung ... lang und schön und glühend malte er sich's aus, ein Hauch von Trost kam über ihn, er sprach mit den Worten des Pre- digers: Im Ofen werden die Geschirre des Töpfers bewährt und ge- rechte Menschen in Anfechtung der Trübsal: Wir wollen un- beirrt erwarten, was da kommt. Er hörte ein Geräusch im Gemach vor seinem Kerker. Ein Stein- krug ward aufgesetzt. Ihr sollt tapfer trinken! sprach eine Stimme zum wachhaltenden Klosterbruder, in Sanct Johannis Nacht gehen allerhand Ueberirdische durch die Luft und streichen an unserer Burg vorbei, macht daß Ihr Muth behaltet; es steht noch ein zweiter Krug bereit. Es war Praxedis, die den Wein brachte. Ekkehard verstand nicht, was sie wollte. Auch sie ist falsch, dachte er. Gott behüte mich! Er schloß seine Augen zum Schlummer. Nach einer guten Weile ward er aufgeweckt. Dem Klosterbruder draußen mußte der Wein ge- schmeckt haben, er sang ein Lied zum Preis der vier Goldschmiede, die in Rom einst die Fertigung heidnischer Götzenbilder geweigert und das Martyrium erlitten, und schlug mit dem sandalenbeschwerten Fuß den Tact auf die Steinplatten. Ekkehard hörte, daß dem Mann ein zweiter Krug gebracht ward. Sein Gesang ward laut und stürmisch. Dann hielt er ein Selbstgespräch, worin viel von Welschland und guten Bissen und der heiligen Agnese vor den Mauern die Rede war. Dann verstummte er. Sein Schnarchen tönte vernehmlich durch die Steinwände zum Gefangenen herüber. Die Burg lag still. Es ging auf Mitternacht. Ekkehard ruhte in leisem Halbschlummer, da war's ihm als würde der Riegel sachte zurückgeschoben: er blieb auf seinem Lager. Eine Gestalt trat ein, eine weiche Hand fuhr über des Schlummernden Stirn. Er sprang auf. Still! flüsterte die Eingetretene. Wie Alles zu schlafen ging hatte Praxedis gewacht. Der schlechte Kellermeister soll die Freude nicht haben, unsern schwermüthigen Leh- rer zu züchtigen, das war ihr Denken. Frauenlist findet Mittel und Wege zu dem, was sie ausgesonnen. Den grauen Mantel umgeschla- gen, schlich sie herunter, es brauchte keiner besonderen Täuschungen. Der Klosterbruder schlief als wie ein Gerechter. Hätte er nicht ge- schlafen, so hätte ihn die Griechin durch einen Spuck scheu gemacht, so war ihr Plan. Ihr müßt fliehen! sprach sie zu Ekkehard. Sie drohen Euch das Schlimmste. Ich weiß es! sagte der Ueberraschte wehmüthig. Auf denn! Er schüttelte das Haupt: Ich will dulden, sprach er. Seid kein Narr! flüsterte Praxedis. Erst habt Ihr Euer Haus auf den schimmernden Regenbogen gezimmert, und nun es zusammen- gefallen, wollt Ihr Euch auch noch mißhandeln lassen? Als wenn die ein Recht hätten Euch zu geißeln und fortzuschleppen! und wollt ihnen die Freude machen Eure Erniedrigung zu sehen .. 's wär' freilich ein schönes Schauspiel, man würde es Euch gönnen! Einen braven Mann sieht man nicht alle Tage hinrichten, hat einmal in Constantinopel Einer zu mir gesagt, wie ich fragte, warum er so springe. Wohin soll ich mich wenden? fragte Ekkehard. Nach der Reichenau nicht, und nach Euerem Kloster auch nicht, sagte Praxedis. Es gibt noch manchen Unterschlupf auf der Welt. Sie war ungeduldig worden, ergriff Ekkehard's Hand und zog ihn mit sich. Vorwärts! raunte sie ihm zu. Er ließ sich von ihr führen. Sie schlichen am schlafenden Wächter vorüber. Jetzt standen sie im Burghof. Der Brunnen plätscherte hell. Ekkehard beugte sich über's Rohr und trank einen langen Schluck des kühlen Wassers. Alles vorbei! sprach er. Jetzt bergab! Es war eine stürmische Nacht. Den Thorweg könnt Ihr nicht hinunter, die Brücke ist aufgezogen, sprach Praxedis, aber zwischen den Felsen an der Morgenseite ist's möglich, unser Hirtenknab' hat den Weg auch schon versucht. Sie gingen in das Gärtlein. Ein Windstoß fuhr rauschend durch die Wipfel des Ahorn. Ekkehard wußte kaum, wie ihm geschah; er schwang sich auf die Brustwehr, steil und zackig senkten sich die Kling- steinfelsen in die Tiefe, dunkler Abgrund gähnte zu ihm herauf, am düstern Himmel jagten sich die Wolken, es waren unheimliche plumpe Massen, fratzenhaft als wenn zwei Bären einen geflügelten Drachen verfolgten ... dann verschwammen die Gebilde ineinander, der Wind peitschte sie zu dem matt in der Ferne schimmernden Bodensee. In dunklem Umriß lag die Landschaft. Gesegnet sei Euer Weg! sprach Praxedis. Ekkehard saß starr auf der niedern Mauerzinne, er zog seine Hand nicht von der der Griechin, wehmüthiger Dank durchwogte sein aus- gestürmt Herz. Da schmiegte sich ihre Wange an die seine, auf seinen Lippen zitterte ein Kuß, eine Thräne perlte drauf nieder. Sanft wand sich Praxedis von ihm. Vergesset nicht, sprach sie, daß Ihr noch eine Geschichte schuldig seid. Mög' Euch Gott bald wieder zu diesem Gartenplatz geleiten, daß wir sie aus Eurem Munde vernehmen. Jetzt ließ sich Ekkehard nieder; noch einmal winkte er mit der Hand, dann schwand er aus ihren Augen. Die Stille der Nacht unterbrach ein Dröhnen und Klingen am Gefelse, die Griechin schaute hinab: eine Felsplatte hatte sich losgelöst und stürzte schmetternd zu Thal, eine zweite folgte langsameren Falles, oben auf der zweiten saß Ekkehard und lenkte sie wie ein Reiter sein Roß, so ging's den schiefen Berghang hinunter in's Dunkel der Nacht ... Fahr wohl! Sie bekreuzte sich und ging zurück, lächelnd in aller Betrübniß. Der Klosterbruder schlief noch immer. Im Vorbeigehen sah Praxedis den Aschenkorb im Hofe stehen, den griff sie, schlich in Ekkehard's Verließ und schüttete ihn in Mitten des Gemaches aus, als wäre das Alles, was von des Gefangenen sterblichem Theil übrig geblieben. Warum schnarchest du so stark, Hochachtbarer? sprach sie und enteilte. Zweiundzwanzigstes Kapitel . Auf dem Wildkirchlein. Jetzund, vieltheurer Leser, umgürte deine Lenden, greif' zum Wanderstab und fahr' mit uns zu Berge. Aus den Niederungen des Bodensees zieht unsere Geschichte in's helvetische Alpenland hinüber: dort ragt der hohe Säntis vergnüglich in die Himmelsbläue, wenn er just nicht vorzieht, die Nebelkappe um's Haupt zu hüllen, und schaut lächelnd in die Tiefen, wo der Menschen Städte zu eines Ameisenhaufens Größe zusammenschrumpfen; und um ihn steht eine Landsgemeinde stolzer Gesellen versammelt, von gleichem Schrot und Korn, die recken ihre kahlen Scheitel einander entgegen und blasen sich Nebelwolken zu, ein Rauschen und Sausen zieht durch ihre Schlüfte und was sie über menschliches Dichten und Treiben sich zu- flüstern, klang vor tausend Jahren schon ziemlich verächtlich und hat sich seither nicht um Vieles gebessert. Ohngefähr zehn Tage nachdem die Mönche der Reichenau im hohen- twieler Burgthurm an Stelle eines Gefangenen ein Häufchen Asche vorgefunden und viel Verhandlung gepflogen hatten, ob ihn in böser Mitternacht der Teufel bewältigt und zu Asche verbrannt, oder ob er entwichen sei, schritt ein Mann längs dem weißgrünschäumenden Sitterbach über sprießende Matten und Felsgestein bergaufwärts. Er trug einen Mantel aus Wolfsfell über ein mönchisch Gewand, eine lederne Tasche umgeschlagen, in der Rechten einen Speer. Oft- mals stieß er die eherne Spitze in's Erdreich und stemmte sich am Schaft, die Waffe als Bergstock nutzend. Rings um ihn stille tiefe Einsamkeit. Langgestreckte Nebelstreifen lagen über dem wilden Thal, wo die Sitter dem Seealpsee entspringt, aber hoch drüber weg schauten grimmige Steinwände, von spärlichem Grün umsäumt, himmelan. Die Berghalden wo jetzt in schindel- umhüllten Hütten ein fröhlich Hirtenvolk zahlreich nistet, waren da- mals zumeist öde und spärlich bewohnt; nur fern in der Niederung des Thal's stund die Zelle des Abts von Sanct Gallen und wenig Behausungen dabei. Nach der blutigen Feldschlacht bei Zülpich war eine kleine Schaar freiheitsliebender alemannischer Männer, die dem Franken ihren Nacken zu beugen nimmer erlernen mochten, in diese Einöde gezogen; in zerstreuten Ansiedelungen saßen ihre Nach- kommen und trieben in Sommerszeit ihre Heerden zur Alp, kräftig verständige Bergbewohner, die unangetastet vom Lärm der Welt ein einfach freies Leben genossen und den folgenden Geschlechtern ver- erbten. Steiler und rauher ward der Pfad, den der Mann einschlug. Jetzt stund er unter senkrecht aufstarrender Felswand; ein schwerer Wassertropfen war aus dem Kalkgestein auf sein Haupt niedergetrauft, da schaute er prüfend empor ob der grauenhafte Ueberhang noch an- halte mit dem Einsturz, bis er vorüber. Aber Felswände vermögen länger im schiefen Zustand zu verharren als das was Menschenhände bauen; es stürzte nichts herab als ein zweiter Tropfen. Mit der Linken am Gestein sich anlehnend schritt der Mann vor- wärts. Immer schmäler ward der Steig, der schwarze Abgrund zur Seite rückte näher, schwindelnde Tiefe gähnte herauf ... jetzt schwand auch die letzte Spur eines Pfades. Zwei mächtige Fichtenstämme waren als Brücke über den Abgrund gelegt. Es muß sein! sprach der Mann und schritt unverzagt drüber. Er athmete hoch auf, wie er drüben wieder Boden unter den Füßen verspürte, und machte Halt, um sich den grausigen Platz zu betrachten. Es war ein schmaler Fels- vorsprung, über und unter ihm senkrechte gelbgraue Steinwand, in der Tiefe kaum sichtbar, ein Silberstreif im Grün des Thales, der Waldbach Sitter, und scheu versteckt im Tannendunkel der meerfarbige Spiegel des Seealpsee. Genüber, gepanzert und gewappnet die Schaar der Bergesriesen — die Feder will zu fröhlichem Sang auf- jodeln, da sie ihre Namen schreiben soll: der langgestreckte räthselvolle Kamor, die gewaltigen Mauern der Boghartenfirst und Sigels Alp und Maarwiese, auf deren Zinnen wie Moos auf den Dächern wür- ziger Graswuchs grünt, dann der Hüter des Seegeheimnisses, der „alte Mann“ mit runzelgefurchter Steinstirn und weißumschneitem Haupt: des hohen Säntis Kanzler und Busenfreund. Ihr Berge des Herrn, benedeiet den Herrn! sprach der Wanders- mann, ergriffen von der Wucht des Eindrucks. Viel hundert Berg- schwalben flatterten aus den Spalten des Gesteins. Ihr Flug soll gute Vorbedeutung sein. Er that etliche Schritte vorwärts. Da war die Felswand mächtig zerklüftet, eine doppelte Höhle that sich auf, aus rohem Schaft zusam- mengefügt stand ein schmucklos Kreuz dabei, Tannenstämme an der einen Höhlenwand zum Blockhaus geschichtet und nach Art der damals üblichen Kriegsgerüste oder Belagerungsthürme mit zusammengefügtem Flechtwerk überdacht, deuteten auf menschliches Anwesen. Kein Laut unterbrach die Stille. Der Fremde kniete vor dem Kreuz nieder und betete lang. Es war Ekkehard, — der Ort wo er betete, das Wildkirchlein. Unversehrt war er auf seinem Bergrutsch, als ihn Praxedis befreit, in die Tiefe gefahren; der andere Morgen fand ihn erschöpft beim alten Moengal in Radolfzelle. „Ach, daß ich in der Wüste ein Hütt- lein der Wandersleute haben könnte, so wollte ich mein Volk verlassen und mich von ihnen absondern, denn sie sind Lügner und treulos all- zusammen“ sprach er mit den Worten des Propheten, nachdem er dem Leutpriester sein Leid geklagt. Da wies ihm der Alte den Säntis. Hast Recht, sprach Moengal. Der heilige Gallus hat's ebenso gemacht. „In der Einsamkeit will ich verharren und auf den warten, der meine Seele gesund machen soll“: er wär' vielleicht kein Heiliger geworden, wenn er anders gesagt und gethan hätte. Verbeiß deinen Schmerz. Wenn der Adler siech wird und seine Augen dunkeln und seine Federn zergehen wollen, steigt er himmelan, so weit ihn seine Schwingen tragen. Sonnennähe verjüngt. Thue deßgleichen. Ich weiß dir ein gut Plätzlein zum Gesunden. Er beschrieb ihm den Weg. Du wirst Einen droben finden, fuhr er fort, der seit zwanzig Jahren nicht mehr viel von der Welt gesehen hat, er heißt Gott- schalk. Grüß ihn von mir; so Gott will sind seine Sünden vergeben. Der Leutpriester verschwieg aber, um welcher Sünden willen sein ehemaliger Freund dort Buße that. Den hatte in theuern Zeiten das Kloster einst in's Welschland gesendet, Korn einzukaufen, da kam er gen Verona und ward gut aufgenommen vom streitsüchtigen Bischof Ratherius, und that seine Andacht in der ehrwürdigen Cathedralkirche. Dort lag unverschlossen im güldenen Sarg der Leib der heiligen Ana- stasia, und die Kirche war leer und den Gottschalk verführte der Teufel, daß er nach Deutschland wollte ein Angedenken mitbringen, da nahm er von der Heiligen Leib so viel er unter seiner Kutte mit- schleppen konnte: einen Arm und einen Fuß und etliche Wirbel- knochen, und fuhr heimlich von dannen. Aber seine Ruhe war verloren von jener Stunde, in Wachen und Traum stand die Heilige vor ihm, sie ging an der Krücke verstümmelt und zerrissen und for- derte ihren Arm zurück und ihren Fuß — über Schluchten und Alpen- pässe folgte sie ihm, an der Schwelle des heimischen Klosters trat sie ihm dräuend entgegen: da warf er halb wahnsinnig die Reliquienbeute von sich und floh auf die Höhen beim Säntis, den Lebensrest büßend zu verbringen, und schuf sich dort seine Klause. Zwei Tage hatte der alte Moengal seinen jungen Freund beher- bergt, dann schaffte er ihn nächtlich über den See. Geh' mir nicht in's Kloster zurück, sprach er beim Auseinandergehen, daß dich das dumme Gerede nicht umbringt. Spott schadet mehr als Strafe. Es gehört dir ein Denkzettel, aber die frische Luft soll dir ihn bringen, die hat ein Recht dazu, die Andern nicht. Speer und Wolfspelz schenkte er ihm zum Abschied. Scheu und heimlich zog Ekkehard von dannen. Es war eine bittere Empfindung, da er nächtlich an seinem noch halb in Trüm- mern liegenden Kloster vorüberschlich; etliche Lichter glänzten zu ihm herüber, er beflügelte seinen Schritt. Auch an der Abtszelle im Ge- birgsland zog er ohne Ankehr vorbei, er wollte von des Klosters Leuten nicht erkannt sein. ... Jetzt war sein Gebet beendigt. Er schaute erwartungsvoll nach dem Höhleneingang, ob Gottschalk der Einsiedel nicht heraustrete und den neuen Ankömmling begrüße. Es regte sich Nichts, die Höhle stund leer. Sancta Anastasia, ignosce raptori! Heilige Anastasia, verzeihe deinem Räuber! war mit eingetrocknetem Kräutersaft an die lichte Felswand angeschrieben. Ein steingehauener Trog fing das herab- tropfende Felswasser; es lief über den Rand herab. Er trat in die Kammer. Etliche thönerne Schüsseln standen bei einer Steinplatte, die als Heerd gedient haben mochte. Ein grobgar- niges Fischnetz lag in der Ecke, Hammer, Spaten, ein verrostet Beil dabei, auch viel zugeschnittene Kienspäne. Auf tannenen Scheitern war eine Streu geschüttelt, von Moder und Gewürm zerfressen. Zwei Ratten sprangen, vom Eintretenden verscheucht, in eine Spalte des Bodens. Gottschalk! rief Ekkehard durch die hohle Hand. Dann that er einen Schrei, wie er unter Leuten im Gebirg als Anruf üblich ist. Aber Niemand erschien. Nähere Umschau zeigte, daß der Einsiedel nicht erst seit heute die Klause verlassen. In einem Krug war Milch zur Kruste eingetrocknet. Da trat Ekkehard betrübt wieder auf den schmalen Streif Erdreich, der zwischen Höhle und Abgrund das Stehen ermöglichte. Sein Blick wandte sich zur Linken. In weiter Ferne blaute ein Stück Bodensee über den Bergrücken. Die Pracht der Gebirgswelt vermochte nicht ein Gefühl von unendlichem Weh zu bannen. Einsam und gott- verlassen stand er auf der jachen Höhe. Er reckte sein Ohr, als müsse er eines Menschen Stimme erlauschen. Aber nur das einförmig leise Rauschen des Windes durch die Tannen der Tiefe tönte herauf. Seine Augen wurden feucht. Es war spät geworden. Wohin?... Ein starker Hunger zerstreute seine Gedanken. Er trug noch für drei Tage Speise bei sich. Da setzte er sich vor die Höhle und verzehrte unter Thränen seinen Abend- imbiß. Sein Berg warf lange blaue Schatten auf die Wände gen- über, nur die steinernen Gipfel glühten noch im Sonnenlicht. So lang das Kreuz am Felsen steht, werd' ich nie ganz verlassen sein! sprach er. Er trug etliches Gras vom Abhang zusammen, und richtete sich ein Lager auf die Stelle des vermoderten. Kühle Nacht- luft zog herauf. Da hüllte er sich in Moengals geschenkten Mantel und legte sich nieder. Der Schlaf ist ein gutes Heilmittel für die D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 21 Leiden der Jugend. Er kam auch über Ekkehard, trotz Herzeleid und einsamer Felswildniß. Die erste Dämmerung des Morgens zog über dem Haupte des Kamor auf, nur der Tagstern schien noch in schöner Farbe, da fuhr Ekkehard aus dem Schlummer. Es war ihm als hab' er ein lustig scharfes Hirtenjauchzen gehört. Dann glänzte im tiefen dunkeln Grund der Höhle ein Licht auf. Er glaubte zu träumen, als läg' er noch im Kerker, und Praxedis nahe befreiend. Aber das Licht kam näher, Fackelglanz brennenden Kienspans; eine hochgeschürzte Maid trug die einfache Leuchte. Er sprang auf. Unerschrocken stand sie vor ihm und sprach: Gott willkommen! Es war ein keck halbwildes Wesen von gelblicher Hautfarbe und sprühenden Augen, aus den Flechten des dunkelschwarzen Haares glänzte eine schwere silberne Nadel in Form eines Löffels, der geflochtene Korb auf dem Rücken und der Alpstock in der Rechten bezeichnete die Be- wohnerin der Berge. Heiliger Gallus beschirme mich vor neuer Versuchung! dachte Ekkehard, aber sie rief vergnügt: Gott willkommen noch einmal! Der Vater wird recht froh sein, daß wir einen neuen Bergbruder haben. Man merkt's an der wenigen Milch der Kühe, sagt er immer, daß der alte Gottschalk todt ist. Es klang nicht wie die Stimme eines weiblichen Dämon. Ekkehard war noch schlaftrunken. Er gähnte. Vergelt's Gott! sprach die Maid. Warum vergelt's Gott? fragte er. Weil Ihr mich soeben nicht verschluckt habt! lachte sie und eh' er weiter fragen konnte, woher und wohin, sprang sie mit dem Kienspan zurück und verschwand in der Höhle. Bald kam sie wieder. Ein graubärtiger Senn, in eine Decke von Lämmerfell gehüllt, folgte ihr. Der Vater will's nicht glauben! rief sie Ekkehard entgegen. Bedächtig schaute der Hirt auf den fremden Gast. Er war ein rauher Mann, der einst in grüner Jugendzeit beim altherkömmlichen Kraftspiel des Steinstoßens den hundertpfündigen Feldstein wohl über zwanzig Schritte weit von sich geschleudert, ohne einen Fuß zu ver- rücken; sein gebräuntes Antlitz und seine sehnigen nackten Arme waren itzt noch Denkzeichen alter ungeschwächter Kraft. Ihr wollt unser Bergbruder sein? sprach er gutmüthig zu Ekke- hard, und reichte ihm die Hand, Recht so! Ekkehard war verlegen ob der wilden Erscheinung. Ich gedachte den Bruder Gottschalk zu besuchen, erwiederte er. Beim Strahl! da kommt Ihr zu spät, sprach der Senn. Der hat sich verfallen im vorigen Herbst, es war eine böse Geschichte. Schaut auf! — er wies ihm eine Felswand in die Tiefe, — auf jenen Hang ist er in's Laubsammeln gegangen, ich hab' ihm selber geholfen: da fuhr er auf einmal empor, als hätt' ihn eine Schlange gebissen, gegenüber auf den hohen Kasten hat er gedeutet, heilige Anastasia, rief er, du bist wieder ganz und stehst auf beiden Füßen und winkst mit beiden Armen!... auf und davon ist er gesprungen, als wär' zwischen dem Fels unten und dem hohen Kasten drüben kein Thal und kein Abgrund, mit kyrie eleison! ging's in die gräuliche Tiefe — Gott hab ihn selig! Aber erst im heurigen Frühjahr haben wir den Leichnam gefunden, zerklemmt in den Felsen, und die Läm- mergeier waren drüber und haben einen Arm und ein Bein vertragen, kein Mensch weiß wohin ... Mach' ihm keine Angst! sprach die Maid und stieß den Sennen an. Deßwegen mögt Ihr Euch doch bei uns festsetzen, sprach der Senn. Ihr bekommt, was wir dem Gottschalk gaben, Milch und Käs und drei Ziegen in Stall, die mögen grasen wo sie wollen. Im Nothfall mögt Ihr auch mehr heischen, wir hier oben sind keine Geizkrägen und Mußmehlspalter. Ihr predigt uns dafür an den Sonntagen und sprecht den Segen über Alm und Weiden, daß Wetter und Bergsturz kein Verderb bringen, und läutet die Tagszeit. Ekkehard sah zweifelhaft in den starren Höhlenraum. Es that ihm wunderwohl, Menschen in der Nähe zu wissen, aber räthselhaft war's woher sie kamen. Sind eure Almen in des Berges Tiefe? fragte er lächelnd. Er weiß nicht wo die Ebenalp steht! sprach das Hirtenkind mit- leidig. Ich will's Euch zeigen! Ihr Kienspan brannte noch. Sie wandte sich dem Innern der Höhle zu, die Männer folgten ihr. Da ging's durch enge dunkle Wölbung in's Innere des Berges, niedergestürztes Gestein sperrte den Pfad, oft mußten sie gebückt wei- 21* ter kriechen. Scharfe röthliche Streiflichter zuckten auf den Kanten der Wände, — dann fiel fahler Schimmer des Tages herein. Es ging in die Höhe, dort öffnete sich ein Ausgang. Die Hirtin stieß ihren Span an die seltsam geformten Tropfsteingebilde, die von der Decke niederhingen, daß er erlosch ... noch etliche Schritte, und sie stunden auf weiter herrlicher Alp. Würziger Duft von Alpenpflanzen umströmte sie, da blühte Manns- treu und Knabenkraut und blauer Eisenhut, der prächtige Alpen- schmetterling Apollo mit dem rothleuchtenden Auge auf den Flügeln wiegte sich über den Blumenkelchen — nach enger Höhlennacht er- quickte ein weites unendliches Rundbild den Blick. Noch lag der Frühnebel in den Thälern, schwer, unbeweglich, zu- sammengeballt, als hätte überall ein gewaltiges Meer geströmt und wäre im Augenblick, da es zu sprühendem Schaum aufwogte, ver- steinert worden; aber klar und scharf schnitten die Häupter der Berge ihren Umriß in das tiefe Blau der Himmelsdecke, wie riesige Inseln dem Schooß des Nebelmeers entsteigend. Auch der Bodensee war umnebelt, in leisem Duft thürmten sich die Reihen der fernen Gebirge an rhätischer Landmark mit ihren zackigen Felshörnern übereinand. Friedlich tönte weidender Heerden Geläut von den Halden herauf. In Ekkehard's Gemüth klang es wie ein stolz demüthiges Morgengebet. Ihr bleibet bei uns, sprach der alte Senn, ich seh' Euch's an den Augen an. Ich bin ein landfremder Mann, erwiederte Ekkehard traurig, mich hat der Abt nicht gesendet. Das gilt gleich, rief der Alte. Wenn's uns recht ist und dem Säntis dort droben, so hat Niemand was drein zu reden. Des Abts Twing und Bann reicht nicht in unsere Höhen, wir zahlen ihm den Heerdenzins, wenn seine Vögte am Milchprüfungstag zur Schau unserer Sennthümer heraufkommen, weil's alter Brauch ist, aber sonst: Sein' Grund und Boden pflanz ich nicht, nach seiner Pfeife tanz ich nicht, heißt's hier zu Lande. Schaut her! — er wies Ekkehard eine graue Bergspitze, die aus langgestreckten Eisfeldern einsam aufragte — das ist der hohe Säntis, der ist Herr in den Bergen, vor dem schwenken wir den Hut, sonst vor Niemand. Dort zur Rechten ist der blaue Schnee; da war früher Alm und Weide und saß ein übermüthiger Mann drauf, der war ein Riese und ihm wuchsen die Heerden und der Stolz, daß er sprach: ich will König sein über Alles, was mein Auge umfaßt! Aber in des Säntis Tiefen hub sich ein Donnern und Beben und der Fels- grund regte sich und Eisströme rannen hervor und deckten den Riesen sammt Hütte und Stall und Vieh und Alm, und vom blauen Schnee weht's jetzt noch frierend herunter, — ein Denkzeichen, daß neben dem Alten der Berge Keiner zur Herrschaft berufen! Der Hirt schuf Ekkehard Vertrauen. Trotzige Kraft und gutes Herz strömte in seinen Worten. Sein Kind hatte einen Strauß Alpenrosen gepflückt und reichte sie Ekkehard dar. Wie heißt du, fragte er. Benedicta, sprach sie. Das ist ein guter Name, sagte Ekkehard und steckte die Alpen- rosen in den Gürtel seiner Kutte; ich bleibe bei euch! Da schüttelte ihm der alte Senne die Rechte, daß sie in ihren Grundfesten erbebte, dann griff er das Alphorn, das er an rohhäu- tigem Riemen auf der Schulter trug, und blies ein seltsam klingendes Zeichen. Aus Höhen und Tiefen klang's antwortend herüber, die benachbarten Sennen kamen herbei, starke, wilde Hirten, und standen zu dem Alten, den sie in der Frühlingszeit, seiner Tüchtigkeit halber, zum Alpmeister und Aufseher über die Bergweiden der Ebenalp erwählt. Wir haben einen Bergbruder überkommen, sprach er, es wird Keiner von euch dawider schelten und tosen? Und sie erhoben Alle die Hände als Zeichen der Zustimmung und gingen auf Ekkehard zu und hießen ihn willkommen, und er ward ge- rührt und machte das Zeichen des Kreuzes über sie. So ward Ekkehard Einsiedel auf dem Wildkirchlein und wußte eigentlich selber nicht wie. Der Senn von der Ebenalp hielt Wort und half ihm, sich einzurichten und stellte ihm drei Ziegen ein und wies ihm den Pfad zwischen Kluft und Spalt zum Seealpsee hinun- ter, wo die großen Forellen schwimmen, und schindelte ihm die Lücken zu, die tropfend Gewässer und Unbill des Wetters in das Dach von Gottschalk's Blockhaus geschlagen. Mälig gewöhnte sich Ekkehard an die Enge des Raumes vor seiner Behausung, und wie der nächste Sonntag kam, trug er das hölzerne Kreuz in's Innere der vorderen Höhle, wand einen Kranz Blumen drum, zog die Glocke, die aus Gottschalk's Zeiten am Eingang hing — (sie trug das Zeichen Tan- cho's, des tückischen Glockengießers von Sanct Gallen) und als seine Sennen mit Buben und Mägdlein beisammen waren, hielt er der kleinen Gemeinde eine Predigt über das Evangelium von der Verklä- rung und sprach darüber, daß ein jeder Mensch, der mit rechtem Sinn zu Bergeshöhen steige, ein verkläreter werde. Und wenn auch Moses und Elias nicht zu uns herabtreten, rief er, so haben wir den Säntis und den Kamor bei uns stehen, das sind auch Männer eines alten Bundes und es ist gut bei ihnen sein! Seine Worte waren groß und keck und er wunderte sich, daß sie ihm so entströmten, denn es war schier ketzerisch und er hatte in kei- nem Kirchenvater solch Gleichniß gelesen. Aber den Sennen war's recht und den Bergen auch und Niemand that Einsprache. Des Mittags kam Benedicta das Hirtenkind; ein silbern Kettlein schmückte das Sonntagsmieder, das wie ein Panzer die Brust um- schloß. Sie brachte einen saubern eschenholzenen Milchkübel, drauf war in kunstlosen Linien eine Kuh geschnitzt. Den schickt Euch der Vater, sagte sie, darum daß Ihr so auferbaulich geprediget und von den Bergen Gutes gesprochen — und wenn Euch Einer was Leides thun will, sollt Ihr wissen, wo die Ebenalp steht. Sie warf etliche Handvoll Haselnüsse aus ihrer Schurztasche in das Milchgefäß: die hab' ich für Euch gepflückt, sagte sie, und ich weiß noch mehr, wenn sie Euch schmecken. Bevor sich Ekkehard bedanken konnte, war sie in der Höhlentiefe verschwunden. Schwarzbraun sind die Haselnüss' Und schwarzbraun bin auch ich, Und wenn mich Einer lieben will, So muß er sein wie ich, tönte verklingend ihr schalkhafter Gesang durch die Klause. Ekkehard lächelte wehmüthig. Aber ganz war der Sturm in seinem Herzen noch nicht geschwich- tigt; es hallte und tönte in ihm nach wie der Donner des Alpen- gewitters, der an ferner Bergwand zu neuem Dröhnen sich zu- sammenrafft. Eine riesige Felsplatte war bei der Höhle niedergestürzt, schmel- zendes Schneewasser hatte sie im Frühling losgenagt, sie sah aus wie die Decke eines Grabmals. Dort saß er oft, er nannte sie still- schweigend das Grab seiner Liebe; oft kam's ihm vor, als ruhe die Herzogin und er selber in kühlem Schlaf der Todten darunter, und er saß drauf und schaute über die tannumsäumten grünen Rücken nach dem Bodensee hinüber und träumte. Es war ihm nicht gut, daß er den See von seiner Klause erschauen konnte, wunde Rückerinnerung durchschmerzte sein Inneres. Oft wollt' er zornig aufbrausen, oft bog er sich abendlich um die Ecke seines Felsens in der Richtung des Untersee's und hauchte Grüße hinaus. Wem galten sie? Der Traum der Nacht war wirr und bewegt. Er sah sich wieder in der Burgkapelle und die ewige Lampe schwebte über der Herzogin Haupt wie damals, und wie er auf seine Gebieterin zustürzen wollte, hatte sie das Antlitz der Waldfrau und lachte ihm höhnisch in's Ge- sicht; und wenn er frühmorgens von seinem Streulager aufsprang, hörte er sein eigen Herz pochen und das Wort Frau Hadwig's: O Schulmeister, warum bist du kein Kriegsmann worden? verfolgte ihn, bis die Sonne hoch am Himmel stand oder der Anblick Benedicta's es verscheuchte. Oft warf er sich in's kurze schwellende Gras am Abhang und überdachte die letzten Monate; in läuternder Schärfe der Alpenluft prägten sich Gestalten und Ereignisse klar vor seinem Denken, es pei- nigte ihn das Gefühl, daß er sich zag und scheu und thöricht benom- men und nicht einmal die Aufgabe gelöst, eine Geschichte zu erzählen, wie Herr Spazzo und Praxedis. Ekkehard, du bist lächerlich gewor- den, sprach er höhnisch leise zu sich selber und vermeinte dabei, er müsse an den Felswänden sein Gehirn anrennen. Melancholisch Gemüth zehrt lang an erlittener Beschädigung, und vergißt in seinem Brüten, daß tadelhafte That nur durch nachfolgende bessere im Gemüth der Menschen verwischt wird. Darum war Ekkehard noch nicht reif für die klärenden Wonnen der Einsamkeit. Der haftende Eindruck vergangenen Leids that eine seltsame Wirkung; wenn er in seiner Höhlenstille saß, glaubte er Stimmen zu hören, die spottend mit ihm plauderten von thörichten Hoffnungen und den Täuschungen der Welt, Flug und Ruf der Vögel klang ihm wie kreischender Schrei der Dämonen und sein Gebet half nicht dawider. Wenn Schauer der Wildniß den Geist erfüllt, täuscht sich Ohr und Auge und glaubt die alten Sagen, daß Alles von Mitte der Luft bis hernieder und die Erde selber, da wo sie unbauhaft, erfüllt sei vom Reigentanz ewig lebender Geister. Es war eine weiche würzige Spätsommernacht, er wollte sich auf sein einfach Lager werfen, da schien der Mond in scharfem Glanz die Höhle an, zwei weiße Wolken zogen langsam einander nach, er hörte wie sie zu einander sprachen und die eine Wolke war Frau Hadwig, die andere Praxedis. Ich will doch sehen wie die Ruhestatt eines flüchtigen Thoren aussieht, sprach die vordere weiße Wolke und streifte eilend über die Scheitel der wagrechten Wände und stand gegenüber der Höhle über dem Kamor, dann senkte sie sich nieder zu den Tannen, die thalab in unzähligen Reihen standen: Er ist's! rief die Wolke, greifet den Frevler! und die Tannen wurden lauter Mönche, tausend und abertausend und wurden lebendig und zogen wimmelnd aus und begannen die Abhänge des Wildkirchlein zu ersteigen, psalmend und ruthenschwingend — da sprang Ekkehard schauernd auf und griff sei- nen Speer — itzt war's als wenn Irrlichter aus der Höhlentiefe vorhüpften: hinaus aus den Alpen! rief's hinter ihm — alle Adern fieberten, da rannte er fort über den schmalen Steg an den dräuenden Felsüberhängen, hinaus in die Nacht wie ein Verzweifelter. Noch stand die zweite Wolke beim Mond: ich kann dir nicht helfen, sprach sie mit Praxedis Stimme, ich weiß den Weg nicht ... Er rannte bergab, das Leben war ihm eine Qual, und doch tastete er am abspringenden Boden und stemmte den Speer ein, um nicht hinabzustürzen und den herankletternden Spuckgestalten in die Hände zu fallen. Der nächtliche Rutsch den Hohentwiel hinab war ein Kinderspiel gegen dieses Klimmen; über schwindelnden Abgrund, der Gefahr un- wissend, kam er zur Tiefe. Die Ziegen stürzen dort in zerschmetter- tem Fall zu Thale, wenn sie die Augen von Gras und Berghang weg zur halsbrechenden Schlucht wenden. Jetzt stand er unten; da lag geheimnißvoll lockend der grüne See- alpsee, vom Mondlicht umzittert. Von den verfaulten Stämmen am Ufer ging ein gespenstig Scheinen. Es ward trüb vor Ekkehard's Blick: Nimm du mich auf! rief er, mein Herz will Ruhe! Er rannte hinein in die stille glatte Fluth, — aber der Boden wich nicht unter ihm, wohlthätig kühlend drang ihm des Bergsees Frische durch Mark und Bein. Schon stund er bis an die Brust im Wasser, da hemmte er sei- nen Schritt. Wirr schaute er auf: die weißen Wolken waren ver- schwunden, vom Mond in Duft zerlöst, traurig prächtig funkelte Stern an Stern ihm zu Häupten. In kühn phantastischer Linie schwang die Möglisalp ihren bis zur höchsten Höhe grasumwachsenen Gipfel mondaufwärts; ihr zur Linken ruhig und ernst das durchfurchte Haupt des alten Mann, zur Rechten, aus gedoppeltem Eisfeld sich emporthürmend die graue Pyramide des Säntis, Zacken und Felshörner ringsum wie furchtbare Schrecken der Nacht. Da knieete Ekkehard auf den Steinboden des Sees, daß ihm die Fluth über dem Haupt zusammenschlug, dann tauchte er wieder auf und stund unbeweglich, die Arme hoch erhoben wie ein Beter. Der Mond ging über dem Säntis unter, bläulicher Schimmer leuchtete auf dem alten Schnee der Gletscher, da zuckte ein stechender Schmerz durch Ekkehard's Gehirn, die Berge um ihn tanzten und schwankten, sausendes Getön strömte durch die Wälder, aufschäumte der See, viel tausend werdende Frösche in schwarzer Kaulquappengestalt wimmelten in den Wogen ... Aber in thauiger Schöne stieg die Ge- stalt eines Weibes empor und entschwebte bis zum Gipfel der Möglisalp, dort saß sie im sammtweichen Grün und strich das Wasser aus dem langen triefenden Haar und flocht sich einen Kranz aus Alpenblumen, in den Schluchten hob sich ein Krachen, der Säntis reckte sich auf, der alte Mann zur Rechten nicht minder, Gestalten himmelstürmenden Ursprungs tobten sie gegen einand, der Säntis griff seine Wände und schleuderte sie hinüber und der alte Mann riß sich sein Haupt ab und warf's auf die Säntispyramide — itzt stund der Säntis zur Rechten und der alte Mann floh vor ihm zur Linken, aber die Jungfrau des Sees saß in lächelnder Ruhe auf ihrer Alpe und spottete der steinernen Zweikämpfer und rang ihr felsgelbes Gelock, draus entströmte perlender Wasserfall und strömte stärker und strömte wilder und wirbelte die Maid mit den feuchten Augen rauschend hinab in den See — da schwichtigte sich das Toben der Berge, der Alt- mann griff sein weggeworfenes Haupt und setzte es auf und wandelte schmerztraurig jodelnd zurück zur Kluft in die er gehörte, und der Säntis stund wieder am alten Platz und seine Schneefelder leuchteten wie vordem. ... Als Ekkehard des andern Tages erwachte, lag er in seiner Höhle, von fiebrigem Frost durchschüttelt — in den Knieen todtmüde Zerbrochenheit. Die Sonne stand in der Mittagshöhe. Benedicta huschte draußen vorbei und sah ihn zitternd daliegen, den Wolfspelz umgeschlagen. Die Kutte hing triefend und wasser- schwer über einem Felsstück. Wenn Ihr wieder Forellen im Seealpsee fangen wollt, Bergbruder, sprach sie, so laßt mich's wissen, daß ich Euch führe. Der Handbub, der Euch vor Sonnenaufgang begegnete, hat gesagt, Ihr seid den Berg herauf gewankt wie ein Nachtwandler. Sie ging und läutete die Mittagglocke für ihn. Dreiundzwanzigstes Kapitel . Auf der Ebenalp. Sechs Tage lang war Ekkehard krank gelegen. Die Sennen pflegten ihn, ein Trank aus blauem Enzian gekocht, schwichtigte das Fieber. Die Alpenluft that das ihre. Eine starke Erschütterung war ihm nothwendig gewesen, um an Körper und Geist das gestörte Gleich- gewicht herzustellen. Jetzt war's in Ordnung. Er hörte keine Stim- men und sah keine Phantasmen mehr. Lindes Gefühl von Ruhe und aufsprossender Gesundheit durchströmte ihn; es war jener Zustand sanfter Unkraft, der schwermüthigen genesenden Menschen so wohl an- steht. Sein Denken war ernst, aber nimmer bitter. Ich hab' von den Bergen was gelernt, sprach er zu sich selber, Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreichste Maid vor uns sitzt, der Mensch muß von Stein werden, wie der Säntis und kühlenden Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht soll wissen wie es drinnen kocht und glüht, das ist besser. Und mälig ward ihm die Trübsal der letzten Vergangenheit in mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und Alles was auf dem hohen Twiel geschehen, es that ihm nimmer weh. Und das ist das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß sie nicht nur sich selber als ein mächtig wirkend Bild vor den Beschauenden stellt, sondern den Geist überhaupt ausweitend anregt und fernliegende verschwundene Zeit im Gedächtniß wieder heraufbeschwört. Ekkehard hatte lange nimmer auf die Tage seiner Jugend rückgeschaut, jetzt flüchtete sich sein Denken am liebsten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre in der Klosterschule zu Lorsch am Rheine verbracht; damals ahnte er nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Gluth verborgen glimmt, die alten Pergamente waren seine Welt. Aber eine Gestalt stand ihm von damals fest in's Herz geschrieben, das war der Bruder Conrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre älteren, hatte Ekkehard die erste Neigung junger Freundschaft geheftet; ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewachsen über die Tage von Lorsch, jetzt tauchten sie strahlend vor der Betrachtung auf, gleich dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgensonne ihre Strahlen drauf geworfen. Es ist mit des Menschen Geist wie mit der Rinde der alten Erde; auf den Anschwemmungen der Kindheit thürmen sich in stürmischer Hebung neue Schichten auf, Fels und Grath und hohe Bergwand, die bis in Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, darauf sie ruht, ist mit Trümmern überschüttet und vergessen, — aber wie die starren Gipfel der Alpen oft sehnsüchtig zu Thale schauen und sich heimweh- bewältigt hinabstürzen in die Tiefe, der sie entstiegen, so fährt die Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die sie unbeachtet beim tauben Gestein zurückließ. Jetzt flog Ekkehard's Denken oftmals zu seinem treuen Gespan, er stund wieder mit ihm unter der rundbogigen säulengetragenen Vor- halle, er betete mit ihm an den alten Königsgräbern und am Stein- sarg des blinden Herzog Thassilo, er wandelte mit ihm durch die schat- tigen Gänge des Klostergartens und lauschte seinen Worten, — und was Conrad damals gesprochen, war hehr und gut, denn er schaute mit dem Aug' eines Dichters in die Welt und es war als müßten Blumen am Weg aufsprießen und die Vögel lustig begleitend drein schmettern, wenn sein Mund sich aufthat zu honigsüßer Rede. Schau auf, Kind Gottes! hatte Conrad einmal zum jungen Freund gesagt, da sie von der Warte des Gartens hinabschauten in's Land, dort wo die weißen Sanddünen aus dem Feld aufragen, ist ehmals Fluß gewesen und Strömung des Neckar: so geht die Spur vergan- gener Menschengeschichten durch die Felder der Nachkommen und es ist schön, wenn sie deß Acht haben. Und hier am Rhein ist heiliger Boden, es wäre Zeit, daß wir das sammeln was drauf gewachsen, eh' uns das leidige Trivium und Quadruvium den Sinn dafür abtödtet. Und an fröhlichen Vacanztagen war Conrad mit ihm in Oden- wald gewandert, da rieselte im grünen Birkenthal versteckt eine Quelle, draus tranken sie und Conrad sprach: Neige dein Haupt, hier ist der Todtenhain und Hagen's Buche und Siegfried's Bronn, hier ward dem besten aller Recken vom grimmen Hagen der Speer in Rücken gerannt, daß die Blumen allenthalb von rothem Blut erthauten, dort auf dem Sedelhof hat Chriemhildis um den Erschlagenen getrauert, bis des Hunnenkönigs Boten kamen, um die junge Wittib zu wer- ben — und er erzählte ihm all die alten Mären von der Königsburg zu Worms und vom Nibelungen Schatz und von Chriemhildis' Rache, und seine Augen sprühten: Schlag ein! rief er dem jungen Freunde zu, wenn wir Männer sind und des Sanges geübt, wollen wir ein Denkmal setzen den Geschichten am Rhein; es gährt und braust schon in mir wie ein gewaltig Lied von Heldentapferkeit und Noth und Rache und Tod, und die Kunst des hörnen Siegfried, sich zu festen und zu feyen, weiß ich, wenn's auch keine Drachen mehr zu erschlagen und kein Blut mehr abzukochen gibt: wer mit heiligem Sinn die Waldluft schlürft und die Stirn mit dem Morgenthaue netzt, dem geht das gleiche Verständniß auf, er hört was die Vögel von den Zweigen singen und was der Sturmwind von alten Mären kündet und wird stark und fest, und wenn er das Herz am rechten Fleck hat, schreibt er's nieder zu Nutz und Frommen der Anderen. Ekkehard aber hatte schier furchtsam den fröhlich Uebermüthigen angeschaut und gesagt: Mir wird schier schwindlich, wenn ich dir zu- höre, wie du ein anderer Homerus zu werden gedenkst. Und Conrad sprach lächelnd: Eine Ilias soll Keiner singen nach Homerus, aber das Lied der Nibelungen ist noch nicht gesungen und mein Arm ist grün und mein Muth ist stark und wer weiß was die Folge der Zeiten bringt! Und ein andermal gingen sie am Gestade des Rheines und die Sonne spiegelte sich über den Bergen des Wasgauwaldes herunter in den Wellen, da sprach Conrad: Für dich wüßt' ich auch einen Gang, der ist einfach und nicht allzuherb, und paßt zu deinem Gemüth, denn du horchst lieber dem Schalle des Jagdhorns als dem Rollen des Donners. Schau auf! so wie heute hat einst die Zinne von Worms herübergeglänzt, da der Held Waltari von Aquitanien aus der Hunnen- gefangenschaft fliehend in's Frankenland ritt; hier hat ihn der Ferg' übergefahren sammt seiner Liebsten und seinem Goldschatz, nach dem Walde ist er geritten, der dort blaudunkel ragt, das gab am Wa- sichenstein ein hartes Fechten und Funkensprühen von Helm und Schilden, da ihm die Wormser nachrückten, aber die Lieb und ein gut Gewissen hat den Waltari stark gemacht, daß er sie Alle bestand, den König Gunther und Hagen selbst den Grimmen. Und er hatte ihm die Sage weitläufig erzählt; um große Riesen- bäume treibt allerhand wilder Schoß, sprach er, so ist auch um die Nibelungensage ringsum viel ander Buschwerk aufgesprießt, aus dem sich Etwas zuschneiden läßt, wenn Einer Freude dran hat: Sing' du den Waltari! Aber Ekkehard ließ damals Kiesel über die Rheinfluth tanzen und verstand seinen Freund nur halb; er war ein frommer Schüler und sein Sinn auf's Nächste gerichtet. Die Zeit trennte die Beiden, und Conrad mußte die Klosterschule fliehen, weil er einst gesagt, des Ari- stoteles Logika sei eitel leeres Stroh, und war in die weite Welt ge- gangen, Niemand wußte wohin, und Ekkehard kam nach Sanct Gallen und hatte fort und fort studirt und war ein verständiger junger Mann geworden, den sie zum Professor tauglich fanden, und dachte an den Alzeyer Conrad oft schier mit einem vornehmen Mitleid. Aber ein triebkräftig Samenkorn kann in des Menschen Herz lange verborgen ruhen und geht zuletzt doch auf, wie der Waizen aus den Mumiensärgen Aegyptenland's. Daß Ekkehard jetzo freudig jener Erinnerungen pflegte, war ein Zeichen, daß er seither auch ein Anderer geworden. Und es war gut so. Die Launen der Herzogin und Praxedis unbefangene Grazie hatten sein blödes, schwerfällig gründliches Wesen geläutert, die große Zeit, die er durchlebt, das Sausen der Hunnen- schlacht hatten Schwung in seine Gesinnung getragen und ihn das Getrieb kleinen Ehrgeizes verachten gelehrt, jetzt trug er einen großen Schmerz in sich, der ausgetobt sein mußte — so war der Kloster- gelehrte trotz Kutte und Tonsur in der glücklichen Umwandlung zum Dichter begriffen und schritt einher gleich der Schlange, die sich aus der alten Umhäutung losgerungen und nur der Gelegenheit wartet, ihre ganze Hülle wie einen abgetragenen Rock an der Hecke abzustreifen. Täglich und stündlich, wenn er die allezeit schönen Gipfel seiner Berge anschaute und die reine Luft mit vollen Zügen einsog, kam es ihm mehr als ein Räthsel vor, daß er seines Lebens Glück erst im Er- klären und Deuten vergilbter Schriften gesucht, und hernachmals an einer stolzen Frau schier den Verstand eingebüßt; laß stürzen, Herz, sprach er, was nicht mehr stehen mag, und bau' dir eine neue Welt, bau' sie dir tief innen, luftig, stolz und weit, strömen und verrinnen laß die alte Zeit! Er ging wieder vergnügt in seiner Klause umher, eines Abends hatte er die Vesperzeit geläutet, da kam der Senn von der Ebenalp; er trug etwas sorgsam in einem Tuch. Gott grüß, Bergbruder! sprach er, es hat Euch ordentlich geschüttelt, hab' heut' was für Euch auf- gelesen zur Nachkur, aber Eure Backen sind roth und Eure Augen fröhlich, da ist's nimmer nöthig. Er öffnete sein Tuch, es war ein wimmelnder Ameisenhaufen, alt und jung, sammt trockenen Fichtennadeln; er schüttelte das fleißige Völklein die Felswand hinunter. Ihr hättet sonst heute Nacht drauf schlafen müssen, sprach er lachend, das beizt die letzte Spur von Fieber hinweg. Es ist vorbei, sprach Ekkehard, ich dank' Euch für die Medicin. Aber macht Euch warm ein, sagte der Senn, es streicht eine schwarze Wolke über den Brülltobel her und die Kröten schleichen aus den Steinritzen vor, das Wetter will umschlagen. Am andern Morgen glänzten alle Gipfel in frischem blendendem Weiß. Es war ein starker Schnee gefallen. Aber für Winters An- fang war's noch viel zu früh. Die Sonne stieg lustig drüber auf und peinigte den Schnee mit ihren Strahlen, daß es ihn schier gereute ge- fallen zu sein. Wie Ekkehard Abends beim Kienspanlicht saß, schlug ein Krachen und Dröhnen an sein Ohr als wollten die Berge ein- stürzen. Er fuhr zusammen und legte die Hand an die Stirn, ob das Fieber nicht wieder komme. Aber es war kein Spuck kranker Einbildung. Dumpfer Widerhall wälzte sich genüber durch die Schluchten der Sigelsalp und Maarwiese, dann klang's wie ein Zusammenbrechen mächtiger Baumstämme und schütternder Fall — und verklang. Aber ein leis klagendes Brummen tönte die ganze Nacht durch vom Thal herauf. Ekkehard schlief nicht. Seit er am Seealpsee herumgeirrt, traute er sich nimmer. In aller Frühe ging er zur Ebenalp hinauf. Bene- dicta stand vor der Sennhütte und warf ihm einen Schneeball in die Kutte. Der Senn lachte, als er ihn ob des nächtlichen Lärms befragte. Die Musik werdet Ihr noch oft hören, sprach er, es ist eine La- wine zu Thal gestürzt. Und das Brummen? Wird Euer eigen Schnarchen gewesen sein. Ich hab' nicht geschlafen, sagte Ekkehard. Da gingen sie mit ihm hinunter und horchten. Er war ein fernes Stöhnen im Schnee. Sonderbar, sprach der Senn, es ist was Lebendiges verschüttet. Wenn der Pater Lucius von Quaradaves noch lebte — sagte Benedicta, der hat so eine sanfte Bärenstimme gehabt. Schweig, du wilde Hummel! drohte ihr Vater. Sie holten Schau- fel und Bergstock, der Alte nahm sein Handbeil mit, so stiegen sie mit Ekkehard den Spuren der Lawine nach. Die war von der Fels- wand zum Aescher herabgefahren, über Grund und Steingerölle und hatte die niedrigen Fichtenstämme geknickt wie Strohhalme, drei mäch- tige Blöcke, die gleich Schildwachen in's Thal hinabschauen, hemmten den Sturz, dort hatte sich der wandernde Schnee zürnend aufgebäumt, weniges war auch über diese Schranke weggesaust, der Kern, zerbröckelt von der Wucht des Anpralls, lag in trümmerhafter Masse gethürmt. Der Senn legte sein Ohr an die Schneedecke, dann trat er etliche Schritte hinein, stieß den Bergstock ein und rief: Hier graben wir! Und sie gruben eine gute Weile, und gruben einen Schacht, also, daß sie tief drinnen standen und über ihren Häuptern die Schnee- mauer sich erhub, und bliesen oftmals in die Hände bei der kalten Arbeit. Da jodelte der Senn hell auf und Ekkehard that einen Schrei — ein schwarzer Fleck kam zum Vorschein, der Senn sprang zum Beil, noch etliche Schaufelstöße, da hob sich's in zottiger Schwerfällig- keit und richtete sich brummend auf und reckte seine Vordertatzen weit empor gen Himmel, wie Einer, der sich schweren Schlaf aus den Gliedern bannen will, und stieg langsam zu dem Fels und setzte sich drauf. Es war eine mächtige Bärin, die auf nächtlichem Gang zu den Forellen des Seealpsees sammt ihrem Ehgemal dort überschüttet wor- den. Aber der Bär rührte sich nimmer, der war an ihrer Seite er- stickt und lag in kühlem Todesschlaf, einen trotzigen Zug um die Schnauze, als wär' er mit einem Fluch auf allzufrühen Schneefall vom süßen Dasein geschieden. Der Senn wollte mit seinem Beil wider die Bärin ausziehen, aber Ekkehard hielt ihn zurück und sprach: lasset ihr das Leben, wir haben genug an dem da! und sie zogen ihn herfür und mochten ihn kaum selbander von der Stelle bringen. Die Bärin saß auf ihrem Stein und schaute betrübt herunter und brummte und warf einen feuchten Blick auf Ekkehard, als habe sie ihn verstanden. Dann stieg sie hernieder, aber nicht wie zum Angriff; die Männer banden Fich- tengezweig zu einer Schlinge zusammen, die Beute fortzuschleifen, sie traten zurück, Beil und Speer geschwungen, die Bärenwittib aber beugte sich über den todten Ehegespons und biß ihm das rechte Ohr ab und fraß es auf zu ewigem Angedenken an glückliches Ehemals, dann wandte sie sich gegen Ekkehard, auf den Hinterfüßen einherwandelnd. Er erschrack, als drohe ihm eine Umarmung, da schlug er ein Kreuz und sprach den Bärensegen des heiligen Gallus wider sie:„Zeuch aus und weiche von unserem Thal, du Ungethüm des Waldes, Berg und Alpen- schlucht seien dein Revier, uns aber lass' in Ruh und die Heerden der Alm.“ Und die Bärin war still gestanden, im Aug einen bitter wehmüthigen Blick, als wäre sie gekränkt ob der Verschmähung ihres Ge- fühls, sie ließ die Tatzen zur Erde sinken, drehte dem Bannenden den Rücken und schritt auf allen Vieren von dannen. Noch zweimal hatte sie umgeschaut, ehe sie aus dem Blick der Bergbewohner verschwand. So ein Thier hat zwölf Männer Verstand und sieht dem Men- schen an den Augen an, was er will, sprach der Senn, sonst würd' ich sagen: Ihr seid ein heiliger Mann, daß Euch die Völkerschaften der Wildniß gehorchen. Er wiegte die Tatzen des Todten prüfend im Arm: Juhuhu, das wird ein Festschmaus. Die verzehren wir am nächsten Sonntag, Bergbruder, und ein Salätlein von Alpenkräutern dazu. Das Fleisch gibt Wintervorrath für uns zweibeide, um's Fell losen wir. Wie sie das Opfer der Lawine zum Wildkirchlein empor schleiften, sang Benedicta: Und wer Schneeglöcklein graben will, Und hat das Glück dabei, Der gräbt wohl einen Bären aus Und gräbt auch ihrer zwei. Der Schnee war nur ein luftiger Flutterschnee gewesen und war in Bälde wieder zerschmolzen, Spätsommer zog noch einmal mit herzwärmender Kraft in den Bergen ein, ein stiller Sonntagfriede lag über dem Hochland. Ekkehard hatte des Mittags mit dem Senn und seiner Tochter die Bärentatzen verzehrt, eine lecker kräftige Speise, rauh aber stark, wie die Altvorderen selber; dann war er hinaufgestiegen auf den Gipfel der Ebenalp und hatte sich in's duftende Gras geworfen und schaute behaglich in die Himmelsbläue, von wohligem Hauch der Gesundheit erquickt. Um ihn weideten Benedicta's Ziegen; schier war's zu hören, wie das Alpengras zwischen den Zähnen der Kauenden sich bog und zerbrach. Unstetes Gewölk zog an den Bergwänden herum, — auf weißer Kalksteinplatte, dem Säntis zugewendet, saß Benedicta; sie D.B. VII. Scheffel, Ekkehard. 22 blies auf der Schwegelpfeife. Einfach, melodisch wie ein Klang aus ferner Jugendzeit tönte die Weise, mit zwei hölzernen Milchlöffeln in der Linken schlug sie den Tact dazu. Sie war Meisterin in dieser Kunst, und ihr Vater pflegte oftmals mit Bedauern zu sagen: es ist Schade, sie verdiente Benedictus zu heißen, sie hätt' wahrlich einen tollen Handbuben gegeben. Wenn die Tonweise rhytmisch zu Ende ging, that sie einen schar- fen Jodelruf zur benachbarten Alp, dann schallte von dort sanftkräf- tiges Blasen des Alphorns herüber, ihr Liebster, der Senn auf der Klus, stand unter dem zwergichten Fichtenbaum und blies den Kuh- reigen — jenen seltsamen Naturlaut, der keiner Melodei ver- gleichbar erst dumpfes Geräusch scheint, als säße eine Hummel oder ein Käfer im Horn eingesperrt und suche summend den Ausweg, der aber mälig und mälig das große Lied von Sehnsucht, Liebe und Heimweh in alle Gänge des Menschenherzens hinein drommetet, daß es aufjubelt oder zerbricht. Ich glaube, Euch ist wieder ganz wohl, Bergbruder, rief Bene- dicta zu Ekkehard herauf, daß Ihr Euch so vergnügt auf den Rücken strecket. Gefällt's Euch? Ja, sprach Ekkehard, pfeif' weiter. Er konnte sich nicht satt schauen an all der Pracht. Zur Linken stund in schweigender Größe der Säntis mit seiner Sippe, — er kannte schon all die einzelnen Häupter bei ihren Namen und hieß sie seine lieben Nachbarn; vor ihm breitete sich ein Gewimmel niedrigerer Berge und Hügel aus, grünes üppiges Mattenland und dunkle Wäl- der, ein Stück Rheinthal glänzte herauf, von den Höhen des Arl- bergs und fernen rhätischen Alpen umsäumt, — ein dunstiger Streif Nebel deutete das Becken des Bodensees an, das er umhüllte — Alles war weit und groß und schön. Wer das Geheimniß erlauscht hat, das auf luftiger Berghöhe waltet, und des Menschen Herz weitet und dehnt und himmelanhebt in freiem Schwung der Gedanken, den faßt ein lächelnd Mitleid, wenn er derer gedenkt, die drunten in der Tiefe Ziegel und Sand zum Bau neuer babylonischer Thürme beischleppen, und er stimmt ein in jenes rechtschaffene Jauchzen, von dem die Hirten sagen, daß es vor Gott gelte wie ein Vaterunser. Die Sonne stund über dem Kronberg und neigte sich zum Un- tergang, und sprühte ein glühgolden Feuer an Himmel und schoß lustig ihre Strahlen in den Nebel über dem Bodensee. Itzt riß die weiße Umhüllung, in leiser ahnungsvoller Bläue lag der Untersee vor Ekkehard's Blick; sein Auge schärfte sich am Glanz des Abends, er sah einen verschwimmenden dunkeln Punkt, das war die Reichenau, er sah einen Berg, kaum hob er sich am Himmelsgrund, aber er kannte ihn — es war der hohe Twiel. Und der Kuhreigen tönte in's Heerdengeläut und wärmer und wärmer färbte sich Alles auf der Alp, goldbraungrün leuchteten die Matten, leiser Abglanz der Röthe warf sich auf die grauen Kalk- steinwände des Kamor, da hub sich auch in Ekkehard's Seele ein Leuchten und Glänzen, — die Gedanken flogen hinüber in's ferne Hegau und weiter, es war ihm als säße er wieder bei Frau Hadwig auf dem Hohenstoffeln wie damals als sie des Hunnen Cappan Hoch- zeit feierten, als käme Audifax mit Hadumoth aus der Hunnennoth heimgeritten, als säh' er das Glück in Gestalt jener Zwei verkörpert, und aus dem Schutt vergangener Zeit tauchte auf, was der sinnige Conrad von Alzey ihm dereinst von Waltari und Hiltgunde erzählt, mit Sang und Klang zog der Geist der Dichtung bei ihm ein, er sprang auf und that einen Satz in die Luft, daß der Säntis seine Freude an ihm haben mochte: im Bild der Dichtung soll das arme Herz sich dessen freuen, was ihm das Leben nimmer bieten kann, an Reckenkampf und Minnelohn, — ich will das Lied vom Waltari von Aquitanien singen! rief er der scheidenden Sonne zu und es war ihm als stünde drüben in der Gemsenlucke zwischen Sigelsalp und Maar- wies glanzumwallt der Freund seiner Jugend, der Meister Conrad, und winke ihm mild lächelnd herüber und spreche: Thu's! Und Ekkehard ging fröhlich an's Werk. Was bei uns geschieht, muß recht geschehen oder gar nicht, sonst lachen uns die Berge aus — so hatte der Senn eines Tages zu ihm gesprochen und er hatte beifällig dazu genickt. Der Handbub ward in's Thal geschickt, Eier und Honig zu holen, da bat ihn Ekkehard für einen Tag bei seinem Meister frei und gab ihm einen Brief nach Sanct Gallen an seinen Neffen. Er schrieb ihn in damals üblicher dort wohlbekannter Stabrunenschrift, damit ihn kein Unberufener lese. Darin aber stand: 22* „Dem Klosterschüler Burkard Heil und Segen. „Der du ein Augenzeuge von deines Oheims Leid gewesen, wisse zu schweigen. Und wo er weilet, frage nicht — Gottes Hand reicht weit. Du hast im Procopius gelesen vom Vandalenkönig Gelimer; da er im numidischen Gebirg eingeschlossen saß und sein Elend groß war, heischte er von den Belagerern eine Harfe, seinen Schmerz zu versingen. Gedenke dabei deines Ohms und wolle dem Ueberbringer eine eurer kleinen Harfen mitgeben und etliche Bogen reinen Perga- mentes sammt Farbe und Rohrfeder, denn mein Herz ist wohlgemu- thet zu singen in der Einsamkeit. Verbrenne das Blatt. Die Gnade Gottes sei mit dir! Leb' wohl!“ Mußt schlau und fürsichtig sein als wenn du eines Adlers Nest beschleichen wolltest, um die Jungen auszuheben, sprach Ekkehard zum Handbuben. Erkunde den Klosterschüler, der mit dem Wächter Ro- meias war, da die Hunnen kamen: dem entbiete den Brief. Sonst soll Niemand drum wissen. Der Handbub legte den Zeigefinger auf die Lippen: Bei uns wird nichts verplaudert! sprach er, Bergluft macht still. Nach zwei Tagen kam er wieder bergan gestiegen. Er packte den Inhalt seines Tragkorbes vor Ekkehard's Höhle aus. Eine kleine Harfe war unter grünen Eichzweigen verborgen, dreieckig, der Gestalt des griechischen Delta nachgebildet, mit zehn Saiten besaitet, Farbe und Schreibgeräth dabei und viel Blätter saubern weichen Perga- mentes, sorgsam waren die Linien drein punctirt, daß die Buchstaben gerade und eben drauf zu stehen kämen. Aber der Handbub sah finster und trotzig drein. Hast's brav gemacht, sagte Ekkehard. Ein zweitesmal laß ich mich nicht mehr dort hinunterschicken, murrte der Bub und ballte die junge Faust. Warum? Weil dort keine Luft geht für unser Eins. Im Stüblein der Wandersleut' hab' ich mir den Schüler erkundet, und hab' den Auf- trag bestellt. Hernach aber wollt' ich erschauen, was das für eine heilige junge Zunft sei, die dort in Kutten zur Schule geht; und bin in Klostergarten gegangen, dort haben die jungen Herren mit Wür- feln gespielt und Wein getrunken, es war ein Ergötzungstag. Da hab' ich zugesehen, und wie sie Steine nach dem Ziel warfen und das Stockspiel trieben, hab' ich laut auflachen müssen, weil Alles schwach und spottmäßig war. Und sie wollten wissen, warum ich lache, da hab' ich einen Stein gegriffen und hab' ihn zwanzig Schritt weiter geworfen als der beste von ihnen, und hab' gesagt: was seid ihr für Wachholderdrosseln? wollt ein rechtschaffen Spiel spielen und habt lange Kutten an, euch kann ich ja nicht einmal zum Hosenlupf ausfordern oder zu einem gehörigen Schwingen: euer Sach' ist Nichts! Da sind sie mit Stöcken auf mich los, aber den Nächsten hab' ich gegriffen und durch die Lüfte geworfen, daß er in's Gras flog wie ein flügellahmer Bergrabe; und sie erhoben ein groß Geschrei und sagten, ich sei ein grober Bergbub, ihre Stärke sei Wissenschaft und Geist. Da hab' ich wissen wollen, was der Geist sei und sie spra- chen: trink' Wein, dann schreiben wir dir's auf den Rücken! Und der Klosterwein war gut, ein paar Krüge hab' ich ihnen weggetrunken, dann haben sie mir Etwas auf den Rücken geschrieben, ich weiß nim- mer wie's zuging, aber andern Morgens hab' ich nur einen schweren Kopf gehabt und weiß von ihrem Geist im Kloster so wenig denn vorher. Der Handbub streifte sein rauhes Flachshemd zurück und wies Ekkehard seinen Rücken. Der trug in großem Lapidarstyl mit schwar- zer Wagensalbe aufgetragen die Inschrift: Abbatiscellani, homines pagani vani et insani, turgidi villani. Die bei des Abtes Zellen Sind heidnische Gesellen, Grobe ungescheidte Hochmüth'ge Bauersleute. Es war ein Klosterwitz. Ekkehard mußte lachen. Laß dich's nicht verdrießen, sprach er, und denke, daß du selber Schuld bist, weil du zu tief in Weinkrug geschaut. Der Handbub war nicht beruhigt. Meine schwarzen Ziegen sind mir lieber als all' die Herrlein, sprach er und knüpfte sein Hemd wieder zu. Aber wenn mir so ein Hasenfuß, so ein Lappi auf die Ebenalp kommt, dem schreib' ich mit ungebrannter Asche ein Wahr- zeichen auf die Haut, daß er zeitlebens dran denken soll, und wenn's ihm nicht recht ist, kann er den Bergtobel hinabsausen, wie ein Schnee- sturz im Frühling. Brummend ging der Bub von dannen. Ekkehard aber nahm die Harfe und setzte sich unter das Kreuz vor die Höhle und griff eine fröhliche Tagweise; er hatte lange nimmer die Saiten gerührt, es that ihm wundersam wohl, der mächtigen Ein- samkeit gegenüber in leisen Tönen auszusprechen, was ihm im Herzen lebte, und die Musika war ein guter Verbündeter dem Werke der Dichtung, das Waltarilied, das erst wie ferner Nebel ihm vorgeschwebt, verdichtete sich und nahm Gestaltung an und zog in lebendurchathmeten Bildern an ihm vorüber; er schloß die Augen um besser zu sehen: da sah er die Hunnen anreiten, ein reisig fröhlich Reitervolk und minder abscheulich als die, gegen die er selber vor wenig Monaten in der Feldschlacht gestanden, und sie nahmen die Königskinder in Franken und Aquitanien als Geiseln mit und jung Hiltgund, die Wonne von Burgund — und wie er stärker die Saiten anschlug, da erschaute er auch den König Etzel, der war ein leidlich Menschenbild, zu Glimpf und Becherfreuden wohl aufgelegt, — und die Königskinder wuchsen an der Hunnen Hofburg auf und wie sie groß geworden, kam ein stilles Heimathsehnen über sie, und sie gedachten, daß sie von Alters einand verlobt — jetzt hub sich ein Klingen und Drommeten, die Hunnen saßen beim Bankett und König Etzel trank den großen Humpen und Alle folgten seinem Vorbild, Schlummer trunkener Männer tönte durch die Hallen — jetzt sah er, wie im Mondschein der junge Aquitaner Held das Streitroß waffnete, und Hildegunde kam und brachte den hunnischen Goldschatz, er hub sie in Sattel — hei! wie prächtig entritten sie der Gefangenschaft ... Und fern und ferner wogte es noch wie Fährlichkeit und Flucht und Fahrt über den Rhein und schwerer Kampf mit dem habsüchtigen König Gunther: in großen markigen Zügen stund die Geschichte vor ihm, die er in schlichtem Heldengesang zu verherrlichen gedachte. Noch in derselbigen Nacht blieb Ekkehard beim Kienspanlicht sitzen und begann sein Werk, und eine Freude kam über ihn, wie die Gestalten unter seiner Hand Leben annahmen, eine ehrliche große Freude, denn in fröhlicher Arbeit der Dichtung erhebt sich der Mensch zur That des Schöpfers, der eine Welt aus dem Nichts hervorgerufen. Der nächste Tag fand ihn vergnüglich über den ersten Abentheuern, er konnte sich selber nicht Rechenschaft geben, nach welchem Gesetz er die Fäden seines Gedichtes in einander wob, — es ist auch nicht nöthig von Allem das Warum und Weil zu wissen: der Wind wehet, wo er will, und du hörest sein Getöse, aber du weißt nicht woher er kommt und wohin er geht; so verhält es sich auch mit Jedem, der im Geiste geboren ist — sagt das Evangelium Johannis. Und wenn es zwischenein wieder dunkelte vor den Augen des Geistes und Zagheit ihn beschlich — denn er war ängstlich von Natur und vermeinte noch manchmal, es sei kaum möglich Etwas zu Stand zu bringen ohne Hilfe von Büchern und gelahrtem Vorbild — dann wandelte er auf dem schmalen Fußsteig draußen auf und nieder und ließ den Blick auf den Riesenwänden seiner Berge haften, die gaben ihm Trost und Maß und er gedachte: bei Allem was ich sing' und dichte, will ich mich fragen, ob's dem Säntis und Kamor drüben recht ist. Und damit war er auf der rechten Spur: wer von der alten Mutter Natur seine Offenbarung schöpft, dessen Dichtung ist wahr und ächt, wenn auch die Leinweber und Steinklopfer und hochver- ständigen Strohspalter in den Tiefen drunten sie zehntausendmal für Hirngespinnst verschreien. Etliche Tage vergingen in emsigem Schaffen. In lateinischen Vers des Virgilius goß er die Gestalten der Sage, die Pfade deutscher Muttersprache däuchten ihm noch zu rauh und zu wenig geebnet für den gleichmäßig schreitenden Gang des Heldenliedes. Mehr und mehr bevölkerte sich seine Einsamkeit; er gedachte in ununterbrochenem An- lauf Tag und Nacht fort zu arbeiten, aber der leibliche Mensch hat auch sein Recht. Darum sprach er: Wer arbeitet soll sein Tagwerk richten nach der Sonne, und wenn die Schatten des Abends auf die nachbarlichen Höhen fielen, brach er ab, griff seine Harfe und klomm durch die Höhlenwildniß zur Ebenalp hinauf. Der Platz, wo der erste Gedanke des Sangs in ihm aufgestiegen, war ihm vor Allen theuer. Benedicta freute sich, wie er zuerst mit der Harfe kam. Ich versteh' Euch, Bergbruder, sagte sie, weil Ihr keine Liebste haben dürfet, habt Ihr Euch die Harfe eingethan, und sprechet zu der, was Euch das Herz schwellt. Aber umsonst sollt Ihr kein Spielmann geworden sein. Sie pfiff durch die Finger, und that einen schönen Lockruf zu der niedern Hütte auf der Klus hinüber, da kam ihr Liebster der Senn, das Alphorn umgehangen, ein frisches junges Blut, im rechten Ohr trug er den schweren silbernen Ring, des Sennen Ehrenzeichen, die Schlange, die an silbernem Kettlein den schwanken Milchlöffel hält, und um die Lenden glänzte der breite Gürtel, drauf in getriebenem Metall ein kuhähnlich Ungethüm zu schauen war; scheu neugierig stund er vor Ekkehard, aber Benedicta sprach: Jetzt spielet uns einen Tanz auf, Bergbruder; wir haben uns schon lang geärgert, daß wir's nicht selber können, aber wenn er das Alphorn bläst, kann er mich nicht zugleich fassen und lustig umschwingen, und wenn ich die Schwegel- pfeife tönen lasse, hab' ich auch keinen Arm frei. Und Ekkehard erquickte sich an der gesunden Fröhlichkeit der Kinder vom Berg und griff wacker in die Saiten, und sie tanzten im weichen Gras der Matten bis der Mond in gelber Schöne sich über die Maar- wiese hob, den grüßten sie mit Jauchzen und Zauren und tanzten weiter in vergnüglichem Wechselgesang. Und das Eis kam gewachsen Bis zur Alpe daher, Wie schad' um das Mägd'lein Wenn's eingefroren wär'! summte Benedicta's Tänzer in den leichthinschwebenden Reigen; Und der Föhn hat geblasen Kein Hüttlein mehr steht — Wie Schad' um den Buben Wenn's auch ihn hätt' verweht! sang sie antwortend in gleicher Tonart. Und wie sie müde vor dem angehenden Dichter ausruhten, sprach Benedicta: Ihr sollt auch Euern Lohn überkommen, herzlieber Harfeniste. Es geht ein alt Gerede auf unsern Bergen, daß alle hundert Jahr' auf kahlem Hang eine wundersame blaue Blume blühe, und wer die Blume hat, dem steht plötzlich Ein- und Ausgang des Berges offen, drinnen glänzt es mit hellem Schein und die Schätze der Tiefe heben sich zu ihm herauf, davon mag er greifen so viel sein Herz begehrt und seinen Hut bis zum Rande füllen. Wenn ich die Blume finde, bring' ich sie Euch, dann werdet Ihr ein steinreicher Mann, ich kann sie doch nicht brauchen — sie schlang ihren Arm um den jungen Senn — ich hab' den Schatz schon gefunden. Aber Ekkehard sprach: Ich kann sie auch nicht brauchen! Er hatte Recht. Wem die Kunst zu eigen ward, der hat die ächte blaue Blume: wo für Andere Stein und Fels sich aufthürmt, thut sich ihm das weite Reich des Schönen auf, dort liegen Schätze, die kein Rost verzehrt, und er ist reicher als die Wechsler und Mäkler und Goldgewaltigen der Welt, wenn auch in seiner Tasche oftmals der Pfennig mit dem Heller betrüblich Hochzeit feiert. Ja, was fangen wir dann mit der Wunderblume an? sprach Benedicta. Gib sie den Ziegen zu fressen oder dem großen Stierkalb, lachte der Senn, denen ist auch was zu gönnen. Und wiederum hoben sie die Füße zum Tanz und schwangen sich im Mondschein, bis Benedicta's Vater heraufgestiegen kam. Der hatte nach vollbrachtem Tagewerk den seither von der Sonne gebleichten Schädel des Bären über die niedere Thür seiner Sennhütte gena- gelt und ihm mit einem Tropfstein den Rachen aufgesperrt, daß Ziegen und Kühe scheu vor der neuen Wandverzierung davon liefen. Ihr gumpet und ruguset ja, daß der Säntis zu wanken und schüttern anhebt, rief der alte Alpmeister schon von weitem, was ist das für ein Gelärme? Gutmüthig scheltend trieb er sie in die Hütte. Das Waltarilied schritt rasch vorwärts. Wenn das Herz erfüllt ist von Sang und Klang, hat die Hand sich zu sputen, dem Flug der Gedanken nachzukommen. Eines Mittags wollte Ekkehard seinen schmalen Felssteig entlang wandeln: Da kam ihm ein sonderbarer Gast entgegen. Es war die Bärin, die er aus dem Schnee gegraben, langsam stieg sie den Pfad herauf, sie trug Etwas in der Schnauze. Er sprang zur Höhle zurück und griff seinen Speer, aber die Bärin kam nicht als Feind, achtungs- voll machte sie Halt am Höhleneingang und legte auf die vorsprin- gende Felskante ein fettes Murmelthier, das sie beim Spielen im sonnigen Gras erschnappt. War's ein Geschenk für die Lebensrettung, war's Ausdruck anderweiter Anwandlungen, wer weiß es? Ekkehard hatte freilich mitgeholfen, die sterblichen Reste des Ehgemahls der Verwittibten zu verzehren; — ob dadurch ein Stück Neigung auf ihn übergelenkt werden konnte? — wir kennen die Gesetze der Wahlver- wandtschaft zu wenig. Die Bärin setzte sich schüchtern vor der Höhle nieder und schaute unbeweglich hinein. Da ward Ekkehard gerührt, er schob ihr, immer den Speer in der Faust, ein hölzern Schüsselein mit Honig in die Nähe, aber sie schüttelte gekränkt das Haupt, der Blick aus ihren kleinen Augen, denen das Augenlid fehlte, war traurig erheiternd, so daß Ekkehard seine Harfe von der Wand holte und anfing den Reigen zu spielen, den sich Benedicta von ihm erbeten. Das labte der Verlassenen Gemüth, sie erhob sich und ging aufrecht in rhytmischer Grazie, bald vorwärts bald zurück, und Ekkehard spielte schneller und stürmischer, aber da blickte sie verschämt zur Erde; zu tanzen gestattete ihr dreißigjähriges Bärengewissen nimmer, sie streckte sich wieder wie zuvor vor der Höhle, als wollte sie das Lob verdienen, das der Verfasser des Hymnus zu Ehren des heiligen Gall einst den Bären gezollt, da er sie Thiere von bewundernswerther Bescheidenheit nannte. Wir passen zu einand, rief Ekkehard, du hast dein Liebstes im Schnee verloren, ich im Sturm, — ich will dir noch Eines harfen. Er spielte eine wehmüthige Weise, deß war sie wohl zufrieden und brummte beifällig; er aber immer seiner Dichtung gedenkend, sprach: Ich hab' mich heut' eine lange Zeit auf den Namen besonnen für die Hunnenkönigin, in deren Obhut jung Hiltgund zu stehen kam, itzt weiß ich ihn: sie soll Ospirin heißen, die „göttliche Bärin!“ Verstehst du mich? Die Bärin sah ihn an als wäre sie einverstanden, da griff Ekke- hard seine Pergamentblätter und fügte den Namen ein. Das Be- dürfniß, einer lebenden Seele die Schöpfung seines Geistes mitzutheilen, war schon lange rege in ihm: hier in der ungeheuern Bergwelt, dachte er, mag auch eine Bärin die Stelle einnehmen, zu der sonst ein ge- lehrtes Haupt erforderlich wäre, und er trat an sein Blockhaus und auf den Speer gestemmt las er der Bärin die Anfänge des Waltari- lieds, und las mit lauter Stimme und begeistert, und sie lauschte mit löblicher Ausdauer. Da las er denn weiter und weiter, wie die Wormser Recken dem Waltari verfolgend im Wasgauwald nachritten, und an seiner Fels- burg mit ihm stritten — noch horchte sie geduldig, aber wie des Einzelkampfes gar kein Ende ward, wie Ekkefried von Sachsen erschlagen in's Gras sank zu seiner Vorgänger Leichen und Hadwart und Pata- vrid des Hagen Schwestersohn das Loos der Genossen theilten, da erhub sich die Bärin langsam, als wäre selbst ihr des Mordens zu viel für ein lieblich Gedicht, und schritt würdigen Ganges thalab. Auf der Sigelsalp drüben in einsamer Felsritze stund ihre Behau- sung; dorthin entkletterte sie, sich zum Winterschlaf vorzubereiten. Das Heldenlied aber, das von allen sterblichen Wesen zuerst die Bärin auf der Sigelsalp vernommen, hat der Schreiber dieses Buches zur Kurzweil an langen Winterabenden in deutschen Reim gebracht, und wiewohl sich schon manch' anderer wackerer Verdeutscher derselben Aufgabe beflissen, so darf er's doch im Zusammenhang der Geschichte dem Leser nicht vorenthalten, auf daß er daraus ersehe, wie im zehnten Jahrhundert ebenso gut wie in der Folge der Zeiten der Geist der Dichtung sich im Gemüth erlesener Männer eine Stätte zu bereiten wußte. Vierundzwanzigstes Kapitel . Das Waltarilied. D as war der König Etzel im fröhlichen Hunnenreich Der ließ das Heerhorn blasen: „Ihr Mannen, rüstet euch! Wohlauf zu Roß, zu Felde, nach Franken geht der Zug, Wir machen zu Worms am Rheine uneingeladen Besuch!“ Der Frankenkönig Gibich saß dort auf hohem Thron, Sein Herze wollt sich freuen, ihm war geboren ein Sohn, Da kam unfrohe Kunde gerauscht an Gibich's Ohr: Es wälzt ein Schwarm von Feinden sich von der Donau vor, Es steht auf fränkischer Erde der Hunnen reisig Heer, Zahllos wie Stern' am Himmel, zahllos wie Sand am Meer. Da blaßten Gibich's Wangen. Die Seinen rief er bei Und pflog mit ihnen Rathes was zu beginnen sei. Da stimmten all die Mannen: Ein Bündniß nur uns frommt, Wir müssen Handschlag zollen dem Hunnen wenn er kommt; Wir müssen Geiseln stellen und zahlen den Königszins, Deß freuen wir noch immer uns größeren Gewinns Als daß, ungleiche Kämpfer, wir Land zugleich und Leben Und Weib und Kind und Alles dem Feind zu Handen geben. Des Königs Söhnlein Gunther war noch zu schwach und klein, Noch lag's an Mutterbrüsten, das mocht nicht Geisel sein; Doch war des Königs Vetter, Herr Hagen hochgemuth Von Trojer Heldenstamm ein adlich junges Blut. Sie richteten viel Schätze und fassen drauf den Schluß, Daß der als Pfand des Friedens zu Etzel ziehen muß. Z ur Zeit als dies geschah, da trug mit fester Hand Den Scepter König Herrich in der Burgunden Land. Ihm wuchs die einzige Tochter, benamst jung Hildegund, Die war der Mägdlein schönstes im weiten Reich Burgund. Die sollt als Erbin einst, dem Volk zu Nutz und Segen So Gott es fügen wollt, der alten Herrschaft pflegen. Derweil nun mit den Franken der Friede gefestigt war So rückt' auf Herrich's Grenzmark der Hunnen kampfliche Schaar. Voraus mit flinkem Zügel lenkt' König Etzel sein Roß, Ihm folgt' in gleichem Schritte der Heeresfürsten Troß. Von Rosseshuf zerstampft die Erde gab seufzenden Schall, Die zage Luft durchtönte Schildklirren als Wiederhall. Im Blachfeld funkelte ein eherner Lanzenwald Wie wenn die Frührothsonne auf thauige Wiesen strahlt, Und so ein Berg sich thürmte: er wurde überklommen, Die Saone und die Rhone: es wurde durchgeschwommen. Zu Chalons saß Fürst Herrich, da rief der Wächter vom Thurm: Ich seh von Staub eine Wolke, die Wolke kündet Sturm, Feind ist ins Land gebrochen, ihr Leute seht euch vor, Und Wem ein Haus zu eigen, der schließe Thür und Thor. Der Franken Unterwerfung, dem Fürsten war sie kund; Er rief die Lehenträger und sprach mit weisem Mund: Die Franken, Niemand zweifelt's, sind tapfre Kriegesleute, Doch mochte Keiner dort dem Hunnen stehn zum Streite, Und wenn die also thaten, da werden wir allein Dem Tode uns zu opfern, auch nicht die Narren sein. Ich hab ein einzig Kind nur, doch für das Vaterland Geb ich es hin, es werde des Friedens Unterpfand. Da gingen die Gesandten, barhäuptig, ohne Schwert Den Hunnen zu entbieten, was Herrich sie gelehrt. Höflich empfing sie Etzel, es war das so sein Brauch, Sprach: Mehr als Krieg taugt Bündniß, das sag ich selber auch, Auch ich bin Mann des Friedens, nur Wer sich meiner Macht Thörigt entgegenstemmt, dem wird der Garaus gemacht. Drum eures Königs Bitte gewähret Etzel gern. Da gingen die Gesandten, es kündend ihrem Herrn. Dem Thor entschritt Fürst Herrich, viel köstliches Gestein Bracht' er den Hunnen dar, dazu die Tochter sein — Der Friede ward beschworen, — fahr wohl, schön Hildegund! So zog in die Verbannung die Perle von Burgund. W ie dort Vertrag und Bündniß geordnet war zum Besten Entführte König Etzel sein reisig Volk gen Westen. Im Land der Aquitanen herrscht Alpher der strenge Mann, Dem wuchs ein Sohn Waltari im Jugendschmuck heran. Herrich und Alpher hatten sich manch einen Boten geschickt Und sich mit feierlichem Eidschwur einand verstrickt: Sobald die Zeit des Freiens dereinst sich stellet ein So sollen unsre Kinder ein fröhlich Brautpaar sein. Betrübt saß König Alpher itzt bei der Hunnen Noth: O weh mir daß ich Alter nicht finde Schwertes Tod — Ein schlechtes Beispiel gaben Burgund und Frankenland, Itzt muß ich Gleiches thun, und ist doch eine Schand'. Ich muß Gesandte schicken und Friede heischen und Bund, Und muß den eignen Sprossen als Geisel stellen zur Stund. So sprach der strenge Alpher, und also ward's gethan, Mit Gold belastet traten die Hunnen den Rückzug an, Sie führten Waltari und Hiltgund und Hagen in sichrer Hut Und grüßten wildfroh jauchzend die heimische Donaufluth. Nachdem nun König Etzel der Heimath sich erfreut, Pflegt er die fremden Kinde mit großer Biederkeit, Wie seine eignen Erben ließ er sie auferziehn, Die Jungfrau anempfahl er der Königin Ospirin. Die jungen Recken aber behielt er scharf im Auge, Daß Jeder zu des Krieges und Friedens Künsten tauge. Die wuchsen auch an Jahren und Weisheit wohl heran, Ihr Arm bezwang den stärksten, ihr Witz den witzigsten Mann. Derwegen liebt' der König die beiden Knaben sehr, Und schuf sie zu den Ersten in seiner Hunnen Heer. Es ward mit Gottes Beistand auch die gefangene Maid Der trutzigen Hunnenfürstin ein' wahre Augenweid, An Tugend reich und Züchten, so ward Hildgund zuletzt Als Schaffnerin dem Schatze der Hofburg vorgesetzt, Und wenig fehlte nur, so war sie in dem Reich Die höchste — was sie wünschte, erfüllt ward's allsogleich. D erweil starb König Gibich, ihm folgte Gunther sein Sohn, Der brach das Hunnenbündniß und weigert den Zins mit Hohn, Die Kunde kam geflogen zu Hagen in der Fern', Da nahm er nächtlich Reißaus und floh zu seinem Herrn. Am Tag da er verschwunden erfreute sich nur wenig Frau Ospirin und listig sprach sie zu Etzel dem König: O königliche Weisheit, habt Acht, habt scharfe Acht, Daß unsres Reiches Säule zu Fall nicht werde gebracht, Ich fürchte, auch Waltari der Hunnen bester Held Sucht wie der schlaue Hagen, sein Freund, das weite Feld. Ihr müßt ihn seßhaft machen durch süße Bande und Haft Ihr müßt mit solchen Worten bereden Waltari's Kraft: „Du trugst in unserm Dienste viel Müh und Fährlichkeit Drum merk' wie dein Gebieter huldvollen Dank dir beut, Der Hunnentöchter beste sollt du zum Weib erkiesen Und reich an Land und Ehren verdienter Ruh genießen. Und was du gehrst an Gute, umsonst nicht sei dein Bitten, Gewährt sei volles Maß dir, du hast es wohl erstritten.“ Das Wort gefiel dem König, es däucht' ihm fein und schlau, Es weiß in derlei Dingen das Weiseste stets die Frau. Der König jung Waltari mit solchem Rath empfing, Doch dessen Dichten auf ganz andre Dinge ging, Er merkte, daß ihm Etzel die Wege wollt verlegen, Drum kam dem Prüfenden ablenkend er entgegen: O Fürst, was ich gethan, ist großen Ruhmes ledig, Daß Ihr so hoch es anschlagt, ist huldvoll zwar und gnädig, Doch muß ein Weib ich wählen nach Eurem Machtgebot Werd' ich umstrickt von Sorge und süßer Minne Noth, Da muß ein Haus ich zimmern und muß den Acker bau'n, Ich kann des Herren Auge nur selten wiederschau'n. Und wer der Lieb' gekostet, dem fehlet Kraft und Stärke Mit Freuden obzuliegen dem edeln Kriegsgewerke. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 23 Nichts Süßeres auf Erden, als hold gewärtig und treu Dem Dienstherrn überall folgen, drum bitt ich laßt mich frei, So Ihr am späten Abend, so Ihr in Mitternächten Befehl schickt, bin ich willig, wo Ihr nur wollt, zu fechten. Mir soll im Schlachtenwetter nicht Sorg um Kind und Weib Die Blicke rückwärts wenden, und lähmen meinen Leib. Bei Eurem Leben fleh' ich, bei Eurem tapfern Land: Laßt mir die Hochzeitfackel, o König, ungebrannt. Da weichte Etzel's Herze, das Wort behagt' ihm sehr, Er sprach getrost: Waltari entfleucht mir nimmermehr. I nzwischen hatte sich ein fernes Volk empört, Da ward des Schwertes Schneide gen diesen Feind gekehrt, Da wurde jung Waltari zum Feldhauptmann gemacht, Und dauerte nicht lange, so schlugen sie die Schlacht. Vorwärts drang ihre Heerschaar als wie ein spitzer Keil, Es zitterten die Lüfte von wildem Schlachtgeheul. Hellauf klang die Drommete, die Speere flogen wild, Aufleuchtet's wie ein Blitzstrahl von manch gespalt'nem Schild, Und wie bei Nordsturms Saufen ein dichter Hagel fällt, So ward zahlloser Pfeilschwarm herüber hinüber geschnellt. Dann ging's zum Handgemeng, gezogen ward das Schwert, Da lag zerspellten Hauptes manch ein gewappnet Pferd, Da lag zerspellten Hauptes beim Schild manch fester Ritter. Hei, wie das Feld durchmähst du, Waltari, tapfrer Schnitter! Als stünd mit seiner Sense der Tod leibhaft im Streit So schauten ihn zag die Feinde bei seiner Blutarbeit. Zur Linken und zur Rechten, wohin er sich gewendet Hub sich ein jähes Flüchten, so ward der Kampf geendet, Dem Hunnenvolke war ruhmvoller Sieg bereitet Und von erschlagenem Feind manch preislich Stück erbeutet. Drauf ließ der Führer blasen zur Ruh vom Waffentanz, Er schmückte seine Schläfe mit grünem Eichlaubkranz, Und Fahnenträger und Mannschaft, sie thaten all' wie er, So zog im Siegesschmucke bekränzt nach Hause das Heer. Jedweder suchte froh des Hauses gastlich Dach, Zu König Etzel's Hofburg Waltari schritt gemach. S ieh da, wie eilig rannten die Diener aus dem Schloß Sie labten sich des Anblick's und hielten ihm das Roß; Derweil aus hohem Sattel Waltari niederstieg So frugen sie neugierig: Gewannen wir den Sieg? Er warf just für die Neugier ein mäßig Bröcklein hin, Und ging zum Königssaale, gar müd war ihm zu Sinn. Hiltgund traf er alleine, da küßt' er sie und sprach: Beschaff' mir einen Trunk, das war ein heißer Tag. 23* Da füllte sie den Becher, er trank den Firnewein Jach wie den Wassertropfen einsaugt der glühe Stein Dann schloß er in die seine der Jungfrau weiße Hand Beid' wußten daß von Alters verlobt sie seien einand. Erröthend stand und schwieg sie. Da sprach er zu der Maid: Schon lange tragen wir der Fremde herbes Leid Und sollten doch nach Rechten einander sein zu eigen: Ich hab das Wort gesprochen! nicht länger mag ich's schweigen. Die Jungfrau stand betrüblich, als wär's nur Spott und Hohn, Aufflammt ihr blaues Auge, sie sprach mit herbem Ton: Was heuchelt deine Zunge, was nie dein Herz begehrt? Viel besserer Verlobten hältst, Schlauer, du dich werth. Da blickte treu und minnig, da sprach der tapfre Mann: Fern sei was du gedenkest, o hör' mich huldvoll an: In meines Herzens Grunde haust weder Falsch noch Arg, Niemal ich mit dem Munde den wahren Sinn verbarg. Kein Späher weilt im Saale, nur wir Zwei beid' allein Ich wüßt ein süß Geheimniß, wollt'st du verschwiegen sein. Da stürzte ihm zu Füßen Hiltgund und weint' und sprach: Wohin du mich berufest, o Herr, ich folg dir nach. Er hob sie auf mild tröstend: Ich bin der Fremde müd, Ein süßes Heimathsehnen die Seele mir durchglüht, Doch ohne Hiltgund nimmer steht mir zur Flucht mein Sinn, So du zurücke bliebest, deß schöpft' ich Ungewinn. Da lacht' sie in die Thränen: O Herr, du sprichst mit Fug Das Wort das ich seit Jahren geheim im Busen trug, Gebiete denn die Flucht, mit dir will ich sie wagen Durch Noth und Fährlichkeit muß uns die Liebe tragen. Und weiter sprach Waltari doch flüsternd nur, nicht laut: Dieweil sie dir zu hüten den Hunnenschatz vertraut, So stell des Königs Helm mir und Waffenhemd zurück Und seinen Riemenpanzer, des Schmiedes Meisterstück. Dann fülle du zwei Schreine mit Spangen und Gold zu Hauf, Daß du sie kaum vom Boden zur Brust magst heben auf, Auch sollt du mir beschaffen vier Paare starker Schuh, — Der Weg wird lang — gleichviele richt' für dich selber zu; Darüber magst du weiter kostbar Gefäß verpacken, Beim Schmiede aber heische krummspitze Angelhacken, Du wirst auf unsern Fahrten erschauen deinen Gesellen Wegzehrung uns gewinnen mit Fischen und Vogelstellen. Dies all sei vorbereitet heut über sieben Tage Da sitzt mit seinen Mannen der König beim Gelage Und schlafen weinbewältigt sie All' in trunkner Ruh Glück auf! dann reiten wir dem Land im Westen zu! D ie Stunde kam des Schmauses. Mit Tüchern mannigfalt Verhänget war die Halle. Eintrat Herr Etzel bald, Er setzte auf den Thron sich, den Woll und Purpur deckt Auf hundert Polstern rings die Hunnen lagen gestreckt. Schier beugten sich die Tische den Speisen sonder Zahl Viel süßer Labtrank dampfte im güldenen Pokal Mit bunten Fähnlein waren die Schüsseln ausgeziert, So hub die Mahlzeit an — Waltari machte den Wirth. Und wie der Schmaus zu Ende, die Tische weggeräumt, Da sprach zu König Etzel Waltari ungesäumt: Nun, edler Herr und König, ertheilt uns Euren Segen, Daß Alle hier im Saale der Zechlust mögen pflegen. Der Humpen allergrößten reicht er ihm knieend dar, Darauf aus alten Mären manch Bild geschnitzet war. Da lacht' der greise Zecher: fürwahr Ihr meint es gut, Als wie ein Meer im Sturme entgegenschäumt mir die Fluth. Doch sonder Zagen stand er, ein Fels am wogenden Strand, Und lüpft' den Riesenhumpen und wiegt' ihn in der Hand, Und trank mit tapferm Zuge ihn bis zum Grunde leer Und macht' die Nagelprobe. Da floß kein Tropfen mehr. Itzt thut mir's nach, ihr Jungen! so rief der alte Held, Da war ein lobwerth Beispiel den Andern aufgestellt. Hurtig und hurtiger, dem Winde gleich dem schnellen Sah man den Saal durchrennen den Mundschenk sammt Gesellen. Sie nahmen die Pocale, sie füllten sie auf's Neu, Da hub sich in dem Saale ein scharfes Weinturney. Bald lallte manche Zunge, die sonst viel Ruhm gewann, Bald wankte in den Knieen manch heldenkühner Mann; Es kam die Mitternacht, noch zechten sie und sungen, Dann sanken sie zur Beute dem Schlafe, weinbezwungen. Und hätt' Waltari itzt die Burg in Brand gesteckt: Kein Mann war da so nüchtern, daß er ihn drob entdeckt. W altari rief Hiltgunden fürsichtig nun zu sich: Wohlauf bring das Geräthe, wohlauf und rüste dich! Dann führt er aus dem Stall sein Roß, der Löwe hieß es, Hufscharrend stand's und schäumend in seine Zügel biß es. Er wappnete mit Erze des Rosses Stirn und Seite Vom Bug hernieder hing er goldschwer die Schreine beide, Dazu ein Körbchen Speise — dann gab er die wallenden Zügel Der Jungfrau in die Hand und hob sie in den Bügel, Er selber saß zu Rosse, vom rothen Helmbusch umwallt Bepanzert und beschienet in riesiger Gestalt. Zur Linken hing gegürtet ein Schwert, zur Rechten auch Ein scharfer krummer Säbel nach hunnischem Gebrauch. Jetzt schwang er Schild und Lanze, es ritten auf einem Roß Waltari und Hiltgunde aus König Etzel's Schloß. Sie ritten aus dem Schlosse, sie ritten die ganze Nacht. Die Jungfrau lenkt' das Streitroß und hatt' der Schätze Acht Und sorgsam auch zu Handen hielt sie die Fischergerte Dieweil das viele Gewaffen Waltari schier beschwerte. Als nun die Morgensonne aufging mit lichtem Funkel, Entbogen sie der Heerstraß zu tiefem Waldesdunkel Und hätte Haß der Fremde und Heimweh nicht gedrängt, So hätte schier Hiltgunde das Roß nicht weiter gelenkt. Wo nur ein Lüftlein rauschte, wo ein Waldvogel sang, Wo schrill ein Baumast knarrte, da seufzete sie bang. So mieden sie der Menschen Behausung und Gehege Und suchten in bahnlosem Gebirg sich Weg und Stege. N och schwieg der Hunnen Hofburg. Es war schon hoch am Tag, Da wurde König Etzel von Allen der Erste wach. Er wiegt' in beiden Händen sein Haupt das nebelschwere Und schritt aus dem Gemach: Ruft mir Waltari here, Er theile als Genosse heut seines Königs Jammer, Er soll den Frühtrunk reichen mir in der Waffenkammer. Da rieben sich die Diener die Augen und liefen und sah'n Und suchten aller Orten, sie trafen ihn nicht an. Jetzund kam auch die Fürstin Frau Ospirin gehinkt: Wo säumt und träumt denn Hiltgund, daß sie kein Kleid mir bringt? Da flüsterten die Diener, da ward's der Königin klar, Daß Hiltgund mit Waltari nächtlich entflohen war. Da hub sie an: O Fluch dem Gastmahl und dreimal Fluch Dem Wein, der meine Hunnen so schwer darnieder schlug, Was ich den König warnte, liegt offen itzt zu Tag, Von unsres Reiches Stützen die stolzeste Säule brach! Der alte König Etzel von bösem Zorn entbrannt Zerriß den Purpurmantel und warf ihn an die Wand Und wie der Staub vom Sturme gewirbelt wird zu Hauf', So wirbelte ihm im Herzen ein Schwarm von Sorgen sich auf. Kein Wörtlein konnt er sprechen, zu mächtig war sein Grimm, Und Speise und Getränk stund unberührt vor ihm. Die Nacht kam angeflogen, noch fand er keine Ruh, Er lag auf seinem Pfühle und schloß kein Auge zu, Er warf sich bald zur Rechten, bald zu der Linken nieder Als hätt' ein Pfeil durchschossen die stolzen Heldenglieder, Dann saß er wieder aufrecht, der grambethörte Greis, Dann sprang er aus dem Lager, und lief herum im Kreis. So ward dem Hunnenkönig der süße Schlaf verleidet Derweil das Flüchtlingspaar schweigsam dem Land entreitet. Doch wie am andern Morgen aufstieg der lichte Tag Hieß er der Hunnen Aelteste zusammenkommen und sprach: Wer mir in Banden brächte Waltari den schlauen Fuchs Als wie vom Wald der Jäger den hinterlistigen Luchs Dem schüfe ich zur Stunde ein golddurchwirkt Gewand Und wollt mit Gold ihn decken von Haupt zu Fuß so sehr Daß ihm von Goldeshaufen der Weg gesperret wär'. Doch in den weiten Landen fand sich kein einz'ger Grafe, Kein Heerfürst oder Ritter, kein Knappe oder Sclave, Der sich vermaß, Waltari verfolgend nachzugehn Und mit des Schwertes Schneide dem Zürnenden zu stehn. Und was der König flehte, gesprochen war's in Wind, Die hohen Goldeshaufen — sie blieben unverdient. W altari ritt bei Nachtzeit weiter und weiter in Hast, Des Tags in dichtem Walde und Buschwerk hielt er Rast, Nah flogen ihm die Vögel, lieblich klang sein Gelock' Er fing sie mit Leimruthen und mit gespaltnem Stock, Und wo in krummem Laufe ein Strom vorüberfloß Eintaucht' er seine Angel und reiche Beute genoß. So kürzten sich die Tage mit Fischfang und Gejaid, Das schafft dem Hunger Stillung, dem Herzen Nüchternheit, Und auf der ganzen Fahrt hat nimmermehr begehrt Die Jungfrau zu umarmen der Recke ehrenwerth. Schon vierzehn Male war der Sonne Lauf vollendet Seit daß er sonder Abschied von Etzel sich gewendet, Da glänzt aus lichtem Waldsaum im Abenddämmerschein Ein Fluß zu ihm herüber — das war der Vater Rhein, Das war der Rhein, und jenseits an fernem Ufer stand Die Königsburg von Worms, Hauptstadt in Frankenland. Ein Schiffer kam gerudert auf breitgebautem Kahn, Die letzten Donaufische bot ihm Waltari an, Da fuhr ihn Jener über, er war zufrieden der Gabe, Und weiter flüchtend spornt Waltari das Roß zum Trabe. D er Fährmann andern Tages nach Worms gegangen war, Des Königs Leib- und Mundkoch bracht' er die Fische dar Der würzt' und salzte sie und setzte sie als Mahl Dem König Gunther vor; erstaunt sprach der im Saal: Seit daß ich herrsche in Franken, nie sah ich einen Fisch Von solcherlei Gestalt und Schmack auf meinem Tisch Der muß aus fremden Landen zu uns gekommen sein. Sag an, mein Koch, geschwinde, wer brachte den herein? Da wies der Koch den Fergen, der König rief ihn her, Genau verkündet' der dem Fragenden die Mähr: Ich saß am Rheinesstrande noch gestern Abend spat, Da kam ein fremder Mann geritten den Uferpfad, Als käm er just vom Kriege, so schaut' er trutzig wild, Er starrte ganz in Erze und führte Speer und Schild. Schwer mocht' die Wucht der Rüstung auf seinen Schultern lasten, Doch ritt er scharfen Schrittes und mochte nimmer rasten. Dem Mann folgt eine Maid, schön wie der Sonne Scheinen, Sie sitzt auf gleichem Gaul, schier streift ihr Fuß den seinen. Die lenket mit dem Zügel das riesig starke Roß, Von dessen Rücken hangen zwei Schreine mäßig groß. Doch wie aufbäumend es den Nacken schütteln wollte, Da hört' ich drin ein Klingen von Edelstein und Golde. Den Mann hab ich gefahren. Der gab mir solche Fische. Das Wort erlauschte Hagen. Er rief am Königstische: Freut euch mit mir, Genossen, die Sache wird klar und hell, Aus Hunnenland heimreitet Waltari mein Gesell. Er riefs, da schallte Jubel hellauf im hohen Saal, Doch übermüthigen Sinnes der König Gunther befahl: Freut euch mit mir viellieber, der ich dies durft' erleben: Den Schatz den einst mein Vater den Hunnen mußte geben, Den hat ein guter Gott zurück mir jetzt gebracht! — Sprach's, und gehobenen Fußes umstieß er den Zechtisch mit Macht Und hieß die Rosse satteln, und las aus seinem Volk Erprobter Mannen Zwölfe als starkes Heergefolg. Er wählt den Hagen auch, der bat vergeblich ihn, — Des alten Freunds gedenkend — zu ändern seinen Sinn. Doch Gunther polterte: Frisch vorwärts! drauf und drein! Hüllt eure Heldenknochen in Eisenrüstung ein, Schirmt mit dem Schuppenpanzer Rücken euch und Brust, Des Frankenschatzes Räuber zu jagen ist mein Gelust! Da rückte aus dem Thor die Schaar, die wohlbewehrte. Waltari, edel Wild — Feind ist auf deiner Fährte! W altari ritt indessen landeinwärts von dem Rhein, In einem schattig finstern Forste ritt er ein. Das war des Waidmanns Freude, der alte Wasichenwald, Wo zu der Hunde Bellen das Jagdhorn lustig schallt. Dort ragen dicht beisammen zwei Berge in die Luft, Es spaltet sich dazwischen anmuthig eine Schluft, Umwölbt von zackigen Felsen, umschlungen von Geäst Und grünem Strauch und Grase, ein rechtes Räubernest. Er schaut' den festen Platz. Hier, sprach er, laß uns rasten, Des süßen Schlafes mußt' ich schon allzulange fasten; Das war seit vierzehn Nächten, auf hartem Rosses Rücken, Ueber den Schild gelehnet, ein unerquicklich Nicken. Abthat er Wehr und Waffen und in der Jungfrau Schooß Lehnt' er sein müdes Haupt: Nun, theurer Fluchtgenoß, Hiltgund, halt sorgsam Wacht, und steigt vom Thal herauf Fahldunkle Staubeswolke, dann wecke leis mich auf Doch käm auch angeritten ein ganzes Heer von Recken So sollt' du doch, Vieltheure, nicht allzuschnell mich wecken. Ich traue deinen Augen. Die sind gar scharf und rein, Die schau'n weit in die Lande ... So schlief Waltari ein. I m Sand sah König Gunther die Spur von Hufestritt, Anspornend trieb den Renner er nun zu schnellerm Schritt. Herbei, rief er, ihr Mannen! noch heute fah'n wir ihn Sammt den gestohlenen Schätzen, er soll uns nicht entfliehn. Umsonst entgegnet Hagen: Das geht so glatt nicht ab; Manch einen tapfern Degen warf Jener in das Grab. Zu oft hab ich erschauet Waltari in Schlachtenwuth, Ich weiß er handhabt Lanze und Schwert nur allzugut. Doch nimmer ließ sich warnen der vielverstockte Mann: Im Glanz des Mittags ritten sie vor der Felsburg an. Vom Bergesgipfel schaute Hiltgund zum Thal hinab, Da hub sich Staubeswirbel und ferner Rossestrab, Sie strich mit leisem Finger des Schläfers braunes Haar: Wach auf, wach auf, Waltari, es naht uns eine Schaar. Der rieb sich aus den Augen des süßen Schlafes Rest Und griff nach seinen Waffen und rüstete sich fest Und durch die leeren Lüfte schwang er den Speer mit Macht, Das war ein lustig Vorspiel vor bitterernster Schlacht. Hiltgund wie sie von Weitem Lanzen blitzen sah, Warf klagend sich zu Boden: Nun sind die Hunnen da! Nun fleh' ich mein Gebieter, hau ab mein junges Haupt, Daß, so ich dein nicht werde, kein andrer Mann mich raubt! — Gebiete deiner Furcht, sprach mild der junge Recke, Fern sei daß schuldlos Blut die Klinge mir beflecke. Der in so manchen Nöthen ein starker Hort mir war, Wird mich auch heute stärken zu werfen diese Schaar. Nicht Hunnen sind die Feinde, es sind nur dumme Jungen Die hier im Lande wohnen, sind fränkische Nibelungen. Drauf deutet er mit Lachen nach einem Helm auf dem Plan: Das ist fürwahr der Hagen, mein alter Hunnencumpan. N un trat zum Höhleneingang der Held und sprach von dort Vor diesem Thore künd' ich nunmehr ein stolzes Wort: Kein Franke soll entrinnend sich rühmen seinem Weib Er hab' Waltari's Schätze gegriffen bei lebendem Leib, Und ..... doch die Sprache hemmt' er und kniete zum Gebete, Gott um Verzeihung flehend für solche Frevelrede. Dann hub er sich und schaute prüfend der Feinde Reih'n: Von allen diesen Kämpen fürcht' ich den Hagen allein, Der weiß viel böse Listen und kennt den Brauch des Streits, Doch außer ihm o Hiltgund thut Keiner uns ein Leids. Derweil Waltari dräuend Wacht hielt am Felsenthor, Sprach Hagen zu dem König: O Herr, noch seht Euch vor! Schickt einen Boten ihm, und friedlich sei's geschlichtet. Vielleicht daß Jener selber sich bittend an Euch richtet Und Euch den Schatz ausfolgt. Die Antwort zeige den Mann, Es ist noch immer Zeit, mit Waffen ihn zu fah'n. Da hieß der König ausziehn Herrn Gamelo von Metz, Der dort als Frankenrichter verwaltet das Gesetz. Der flog als wie die Windsbraut zu jung Waltari hin: Wer bist du, fremder Degen, sag' an, woher, wohin? Der Held ihm drauf erwiedert: Erst künde du die Mähr: Kommst du aus eignem Willen, schickt dich ein Andrer her? Stolz sprach Herr Gamelo: Mich hat hieher entsandt Als Herold König Gunther, der Herr in Frankenland. Waltari ihm entgegen: Fürwahr was ficht Euch an Zu späh'n und auszuforschen den fremden Wandersmann? Ich bin von Aquitanien Waltari hochgemuth, Als Geisel gab der Vater mich in der Hunnen Huth Dort mußt' ich seit verweilen. Itzt wandt' ich mich zu gehn, Ich will die süße Heimath, die Eltern wieder sehn. Da sprach der Bote trocken: Wohlan, so sei bereit Den Goldschrein mir zu liefern, dein Roß auch und die Maid Nur so du schnell dich sputest, dies Alles herzugeben Will dir mein Herr belassen die Glieder und das Leben. Da rief Waltari kecklich: Nie hört' ich größern Thoren! Wie kann dein König bieten was ich noch nicht verloren? Ist er ein Gott denn, daß er mich also will berücken? Noch trag ich nicht die Fäuste gefesselt auf dem Rücken, Noch duld' ich nicht, gewundet, des Kerkers Herzeleid — Doch billig ist mein Denken: Und läßt er von dem Streit, Goldrother Spangen hundert will ich ihm gern gewähren, Ich weiß als fremder Mann des Königs Name zu ehren. Der Bote ritt hinunter und brachte den Bescheid. Da sprach zum König Hagen: O nimm was er dir beut, Ich ahne Unheil sonst, mir hat verwichene Nacht Ein Traum um dich, Gebieter, viel schwere Sorg gebracht. Ich sah selband uns reiten und jagen im Geheg, Da trat ein großer Bäre dir hoher Herr in Weg; Das war ein hitzig Streiten, es hat das Thier zuletzt Das Bein dir bis zur Hüfte zerhauen und zerfetzt. Und wie gefällten Speeres ich beisprang dir im Strauß Riß er mir selbst ein Auge mit scharfem Zahne aus. Stolz schalt der König: Wahrlich, du bist des Vaters werth, Auch der focht mit der Zunge viellieber als mit dem Schwert! D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 24 Drob zog in Hagens Herzen ein bitter Zürnen ein: Wohlan, sprach er, so mögt Ihr des Kampfes denn Euch freu'n. Dort steht vor Euren Augen, deß Euch gelustet, der Mann, Ich will des Ausgangs harren und keine Beute ha'n. Sprach's und zum nahen Hügel lenkt er sein Roß in Ruh, Sprang ab, und sah gelassen, im Grase sitzend, zu. D er König Gunther winkte den Gamelo nun her: Zeuch aus und künde Jenem: den ganzen Schatz ich gehr, Und so er noch sich weigert, so bist du Manns genug, Daß du ihn kampflich angehst und niederwirfst mit Fug. Von Metz der Bischofstadt Herr Camelo zog ab, Fahl nickt' vom blauen Helme sein gelber Busch herab. Von fern schon rief er laut: Heda! mein Freund — heraus! Dem Frankenkönig liefre den ganzen Goldschatz aus! Waltari hört's und schwieg. Da ritt er näher bei: Den ganzen Goldschatz liefre! so rief er ihm auf's Neu. Dem riß jetzt die Geduld: Laß ab dein Schrei'n und Johlen, Hab ich dem König Gunther den Schatz etwann gestohlen, Hat er ein Darlehn mir gelieh'n habgier'gen Sinns, Daß er mir jetzo heischet so schnöden Wucherzins? Hab ich das Land geschädigt und Häuser weggebrannt, Daß ihr mir Buße fordert mit übermüth'ger Hand? Das muß ein schäbig Volk sein, das mir den Durchgang neidet, Und keinen fremden Mann auf seinem Boden leidet. Ich will um's Wegrecht markten: Zweihundert Spangen wohlan Biet' ich jetzt deinem König. Vernimm's und zeig's ihm an! Du sollst noch mehr uns bieten! rief Camelo in Wuth, Des Redens bin ich satt. Itzt gilt's dein Gut und Blut. Er deckte seinen Arm mit dem dreifältigen Schild Und raffte seinen Speer und schüttelte ihn wild, Und zielte genau und warf. Ihm bog Waltari aus, Er fuhr in grünen Rasen mit schneidigem Gesaus. Wohlan denn! rief Waltari, — es sei wie's Euch gefällt, Und seine dunkle Lanze schoß der junge Held. Die fuhr zur linken Seite durch den Schildesrand Und nagelt' an die Hüfte Camelo's rechte Hand, Und drang dem Gaul in Rücken — ausschlagend bäumt sich der Und hätt' ihn abgeschüttelt, doch fest hielt ihn der Speer. Indeß ließ Camelo den Schild zu Boden sinken, Und strebte sich des Speeres zu ledigen mit der Linken. Doch Jener stürtzt' heran und stemmt' den Fuß, und tief Stieß er ihm in den Leib das Schlachtschwert bis zum Griff. Zog's dann zusammt der Lanze aus der Todeswunde, — Da sanken Roß und Reiter wohl in derselben Stunde. 24* S o mußt' in's grüne Gras Herr Camelo dort beißen, Ihn sah sein Neffe Kimo, auch Scaramund geheißen. Ha! das traf mich! so rief er, zurück ihr Andern all', Jetzt sterb ich oder sühne des theuern Blutsfreunds Fall. Weinend sprang er hinauf, der Weg war hohl und enge, Daß ihm kein Andrer konnt' beistehn im Handgemenge. Er knirschte mit den Zähnen: Nicht will ich Schatz und Gut, Ich komme als ein Rächer für meines Oheims Blut. Zwei Speere schwang er hoch, am Helm die Mähne zittert; Doch fest stand dort Waltari und sagte unerschüttert: War ich des Kampfs Beginner, geb' ich mich gern verloren, Es soll mich noch zur Stunde dein Lanzenwurf durchbohren! Da warf in rascher Folge die Lanzen Scaramund, Die eine traf den Schild nur, die andre flog in Grund. Dann mit gezucktem Schwerte ritt er Waltari an, Doch bracht' er's nicht zuwege, die Stirn ihm durchzuschla'n. Der Hieb saß auf dem Helme, das dröhnte und das klang Und Feuerfunken sprühten den dunkeln Wald entlang. Jetzt fuhr ihm wie ein Blitz Waltari's Speer in Hals Und hob ihn aus dem Sattel, da fiel er dumpfen Falls. Nichts half ihm mehr die Bitte, sein Haupt hieb Jener ab, So sank bei seinem Ohme der Neffe früh in's Grab. V orwärts! rief König Gunther, und laßt ihm keinen Frieden Bis daß wir Schatz und Leben geraubt dem Kampfesmüden. Da kam als dritter Kämpe Werinhard gezogen, Des Speerwurfs ein Verächter trug er nur Pfeil und Bogen. Er richtet' auf Waltari von Ferne manch Geschoß, Gedeckt vom riesigen Schilde gab der sich nirgends bloß. Und eh' der Schütz ihm beikam, war schon sein Köcher leer, Deß zürnend stürmt er jetzo mit blankem Schwert einher: Und sind dir meine Pfeile zu luftig und zu leicht, Paß auf ob nicht mein Hieb dir vollgewichtig däucht! Schon lange wart' ich daß dem Kampf sein Recht geschehe, Waltari rief's entgegen, — und schleudert aus der Nähe Den Speer. Der traf das Roß. Hufschlagend bäumt sich's auf, Warf in den Staub den Reiter und stürzte oben drauf. Dem Fallenden entriß der Held sein Schwert in Hast, Löst' ihm den Helm — am blonden Gelock er stark ihn faßt': Zu spät kommt itzt dein Jammern, den Bitten bin ich taub! Und abgeschlagnen Hauptes lag Werinhard im Staub. D rei Leichen lagen schon. Des Streitens noch nicht müd, Entsandt' als vierten Kämpen Gunther den Ekkefrid. Der hatt' im Sachsenlande den Herzog einst erschlagen Und der Verbannung Leid am Frankenhof getragen. Der trabte stolz einher auf röthlichbraunem Schecken, Den kampfbereiten Mann that er erst spöttisch necken: Bist du gefestet, Unhold? trügst du durch Luft und Wind? Bist ein Waldteufel du? bist du ein Menschenkind? — Hohnlachend rief Waltari: Ich kenne solches Wälschen, Ihr seid das rechte Volk zum Trügen und zum Fälschen — Heran denn! deinen Sachsen sollt du erzählen bald, Was du dereinst für Teufel erschaut im Wasichenwald! Wir wollen es erproben, sprach Ekkefrid, und scharf Schwang er die Eisenlanze am Riemen, holt' aus und warf, Doch sie zerbrach am Schilde, der Schild war allzuhart, Zurück warf sie Waltari und lachte in den Bart: Schau' an, wie dir der Waldgeist heimgibt was du geschenkt, Sie mag wohl tiefer fahren, wenn meine Faust sie lenkt. Gespalten von dem Wurf des Schildes Stierhaut klafft', Der Rock zerriß — es fuhr tief in die Lunge der Schaft, Todwund sank Ekkefrid, ein Blutstrom sich ergoß, Als Beute nahm Waltari mit sich des Todten Roß. D er fünfte Kämpe war Hadwart. Er ließ zurück Den Speer und hofft allein vom scharfen Schwert sein Glück. Erst sprach er zu dem König: So ich den Sieg gewinne, Belaß des Feindes Schild mir, nach diesem steht mein Sinne. Zu Rosse drang er vor, doch seinen Pfad versperrten Die Leichen der Erschlagenen. Da sprang er zu der Erden. Deß lobt' Waltari ihn. Doch Hadwart rief und schalt: Du liegst wie eine Natter im Kreis zusammengeballt Und denkst, o schlaue Schlange, Pfeil und Geschoß zu meiden — Deß sollt von meiner Rechten du herbe Schläge leiden. Den schönbemalten Schild leg' ab itzt unverweilt! Als Kampfpreis ist er mir vom König zugetheilt, Er soll nicht Schaden nehmen, gar wohl gefällt er mir. Und wollt' sich's anders wenden, und unterläg' ich dir: Dort stehen die Genossen. Du fristest nicht dein Leben, Und wollt'st du auch als Vogel befiedert uns entschweben. Furchtlos sprach da Waltari: Den Schild, den laß ich nicht! Dem bin ich als ein Schuldner zu großem Dank verpflicht't. Der schirmte mich vor'm Feinde gar oft in heißen Tagen, Die Wunden die mir galten, ließ er sich willig schlagen; Du sollt noch heut erkennen, wie nützlich dieser mir, So ich den Schild nicht hätte, ich stünde nimmer hier. Drauf Hadwart: Unfreiwillig sollt du ihn balde missen Und Roß und Gold und Jungfrau in unsern Handen wissen. Noch einmal rath' ich dir: leg' ab, leg' ab die Last, Die du so weiten Weges bis heut getragen hast. Sprach's und vom Leder zog er. Das war ein Fechten schwer, Er kämpfte mit dem Schwerte, Waltari mit dem Speer, Im Wasichenwalde nimmer solche Blitze sprühten, Staunend sah'n die Franken auf den Nimmermüden. Das hat von Helm und Schilden geklungen und gegellt Wie wenn mit scharfem Beile ein Mann die Eiche fällt. Aufsprang der Wormser Kämpe, und schwang des Schwertes Schneide, Auf daß mit einem Hieb der Zweikampf sich entscheide. Waltari fing den Streich, und zwang ihm aus der Faust Die Klinge, daß sie weit seitab in's Buschwerk saust. Dahin floh Hadawart. Doch Alpher's Sohn der schnelle Ihm nach: Wo fleuchst du hin? da, nimm den Schild, Geselle! Sprach's und mit beiden Händen hob er den Speer und stach, Da ging der Kampf zu Ende. Der sank mit dumpfem Krach, Ihm setzte auf den Nacken den Fuß Waltari und dann Spießt' an den Boden er zusammt dem Schilde den Mann. A ls Sechster in den Kampf ging jetzo Patavrid, Des Hagen Schwestersohn. Wie den sein Oheim sieht Gedachte er mit Bitten zu wenden ihm den Sinn: Schau wie der Tod dich anlacht! laß ab, wo eilst du hin? Laß ab, laß ab o Neffe, dich täuscht dein Jugendmuth Zu zwingen den Waltari braucht's andre Kraft und Gluth. Des Zuspruchs ungerührt der Jüngling ging von hinnen, Sein einzig Trachten war, sich Ehre zu gewinnen. Bekümmert saß drum Hagen und seufzte tief und grollte: O nimmersatte Habgier, o schnöder Durst nach Golde, O schlänge doch die Hölle das güldne Erz in Rachen, Und gäb' es statt den Menschen zur Hut den alten Drachen! Niemand hat mehr genug. Sie schaffen und sie scharren Sich täglich mehr zusammen und sind doch arme Narren! Wie reitest in den Tod auch du mein Neffe so blind, Was soll ich deiner Mutter für Kunde bringen vom Kind? Und was dem jungen Weibe, das traurig deiner harrt, Dem noch zu schwachem Troste der erste Sproß nicht ward? Sprach's und die Thräne rollt' ihm langsam in Schooß hinab: Fahr' wohl auf lange! seufzt' er, fahr' wohl, du schöner Knab! Aus weiter Fern Waltari des Freundes Klage vernahm, Gerührt sprach er zum Kämpen, der itzt gestürmet kam: Steh' ab, mein tapfrer Junge, ich mag dir's redlich rathen, Aufspare deine Kraft zu anderweiten Thaten, Schau auf! hier liegt erschlagen manch ein gewalt'ger Held, Ich müßte Leides tragen, wenn du dich beigesellt. Was kümmert dich mein Sterben? rief Jener, steh' und ficht'! Zum Streit bin ich gekommen, zu losem Schwatzen nicht. Und mit dem Worte flog auch die knorrige Lanze einher, Zur Seite schlug Waltari sie mit dem eignen Speer; Von Wurfs Gewalt getragen und von des Windes Kraft, Flog bis zur Felsenhöhle zu Hiltgund's Füßen der Schaft. Aufschrie vor Furcht die Jungfrau; dann aus der Felsenspalte Lugt' sie fürsichtig, ob Waltari noch sich halte. Noch einmal warnte dieser den ungestümen Mann, Doch er, bedachtlos wüthend, stürmt' mit dem Schwerte an. Da schirmte sich Waltari und schwieg, doch mocht' sein Schweigen Dem Zähneknirschen des gehetzten Keulers gleichen. Zu mächtigem Schwertstreich holte Patavrid itzt aus Daß ihn des leeren Streiches Wucht zu Boden riß. Da duckte sich Waltari in's Knie und bog ihm aus Aufsprang der Held mit Macht. Da war der Sieg gewiß. Zwar wollt' zu neuem Fechten auch Patavrid sich heben, Umsonst. In den Bauch getroffen ließ er das süße Leben, Die Seele flog von dannen, es ward sein junger Leib Dem wilden Waldgethiere ein Fraß und Zeitvertreib. D es Todten Fall zu rächen kam Gerwig itzt gesprengt, Er sprengte über die Leichen die dort den Steg geengt! Derweil des Todten Haupt vom Rumpf Waltari fällt, Warf er die doppelschneidige Streitaxt nach dem Held, — Die war in jenen Zeiten der Franken liebst Gewaffen. — Schnell hob den Schild Waltari sich Deckung zu verschaffen, Rückspringend nach der Lanze an sich die theure riß er, Die blutige Schwertesklinge in's grüne Riedgras stieß er Und stellte sich dem Angriff. Da fiel kein unnütz Wort, So grimmig nach dem Kampfe lechzten die Beiden dort. Der focht den Freund zu rächen, der schirmte Leib und Leben, Viel schwere Hiebe wurden gehau'n und rückgegeben. Waltari's Speer war länger, doch tummelte sein Pferd Der Franke rings im Kreis, daß Jener müde werd'. Zuletzt ersah Waltari, daß er den Schild ihm hob, Durch Gerwig's Weichen itzt das grimme Eisen schnob. Hinsank er auf den Rücken, ein Schrei entfuhr dem Mund, Des Todes unfroh stampfte er den durchfurchten Grund. Auch diesem thät der Held das Haupt vom Rumpfe lösen, — Er war ein stolzer Graf im Wormser Gau gewesen. N un stutzten erst die Franken, und baten ihren Herrn Vom Streite abzustehn. Doch dem war Gunther fern, He! zürnte er, ihr tapfre, ihr vielerprobte Seelen Schafft euch das Unglück Furcht, anstatt zum Zorn zu stählen? Soll aus dem Wasichenwalde ich so mich werfen lassen, Und als geschlagner Mann durchziehn die Wormser Gassen? Erst wollt' ich jenen Fremden des Goldes sehn verlurstig, Jetzt dürft' ich seines Blutes. Und ihr, seid ihr nicht durstig? Den Tod sühnt nur der Tod. Blut heischet wieder Blut! Er sprach's, da wurden Alle entflammt zu neuem Muth. Als ging's zu lust'gem Spiele, zu Wettkampf und Turney'n, So wollte jetzt ein Jeder im Tod der Erste sein. Den Felspfad aufwärts ritten sie nacheinand im Trab, Indessen nahm Waltari den Helm vom Haupte ab, Und hing ihn an den Baum. Den würz'gen Waldesduft Sog er mit vollen Zügen und kühlt' sich an der Luft. Da rannt' auf schnellem Rosse Herr Randolf jach heran, Mit schwerer Eisenstange stürmt' er Waltari an Und hätt' ihn schier durchbohrt. Doch auf der Brust zum Glück Trug der ein schwer Geschmeide, Schmied Welands Meisterstück. Leicht faßte sich der Held und hielt den Schild bereit, Den Helm sich aufzusetzen hatt' er nimmer Zeit. Schon sauste Randolf's Klinge um Waltari's Ohren, Da wurden dem Barhäupt'gen zwei Locken abgeschoren. Doch unverwundet blieb er. Es fuhr der zweite Hieb So mächtig in den Schildrand, daß er drin stecken blieb. Dem Blitz gleich sprang Waltari zurück und wieder vor, Und riß ihn von dem Gaule, daß er das Schwert verlor Und presst' ihn auf den Boden, trat ihm die Brust mit Füßen: Jetzt sollt du für die Glatze mir mit dem Scheitel büssen Und dieses Stückleins nimmer prahlen deinem Weibe! Sprach's, und hieb den Kopf von des Besiegten Leibe. A ls Neunter in den Kampf sprang Helmnod vor in Eile, Er schleppte einen Dreizack an vielgewundnem Seile Das hielt zu seinem Rücken der Freunde kleiner Rest. Sie dachten, wenn die Hacken im Schilde säßen fest Das Seil dann anzuziehen mit so gewaltiger Macht Daß drob Waltari leicht zu Falle werd' gebracht. Den Arm reckt Helmnod aus und warf den Zack im Bogen: Paß auf, du kahler Mann! da kommt dein Tod geflogen! Stolz durch die Lüfte kam das Wurfgeschoß gesaust Als wie die Schlange zischend vom Baum herunter braust. Gespalten ward der Nagel am Schild. Er war getroffen Scharf zerrten an dem Seil die Franken schweißumtroffen, Im Waldgebirg erscholl ihr siegesfroher Schrei. Der König selbst gesellte den Ziehenden sich bei. Doch festgewurzelt stund als wie die Riesenesche, Des Lärmens unbekümmert Waltari in der Bresche, Er stund und wankte nicht. Da dachte dort der Schwarm Zum mind'sten ihm den Schild zu reißen von dem Arm. Von zwölf Gesellen so die letzten Viere kamen Zu ungestümem Streit. Der Sang nennt ihre Namen: Der Neunte war Herr Helmnod, Eleuther auch benannt, Der zehnte Mann war Trogus, von Straßburg hergesandt, Von Speier an dem Rhein Herr Tannast war der Eilfte Und König Gunther war an Hagens Statt der Zwölfte. Solch eiteln Streitens ward Waltari endlich wild. Barhäuptig war er schon. Itzt ließ er auch den Schild Und auf die Rüstung nur und seinen Speer vertrauend Sprang er in Feind, zuerst nach dem Eleuther hauend. Er spaltet' ihm den Helm und Haupt und Nacken zugleich Zerspaltet' auch die Brust mit einem einz'gen Streich. Dann stürmt' er auf den Trogus. Verwickelt in dem Seil Hing der, ihm brachte nimmer das Flüchten Glück und Heil, Sie hatten bei dem Seilzug sich abgethan der Waffen Vergebens sprang er itzt, sich diese zu erraffen Waltari holt' ihn ein: und tiefe Wunde schlug er In beide Waden ihm und seinen Schild wegtrug er Bevor ihn Trogus griff. — In Wuth ersah der Wunde Sich einen riesigen Feldstein. Den hob er von dem Grunde Und stemmte sich und warf ihn so sicher auf den Held, Daß er den eignen Schild in Mitten ihm zerschellt Im Grase kriechend Trogus sein Schwert dann wiederfand, Er nahm's und durch die Lüfte schwang er's mit starker Hand. Zwar konnt' er seine Mannheit nicht mehr durch Thaten weisen, Doch kündet Herz und Mund sattsam den Mann von Eisen. Und als die Todesgeister er noch nicht lachen sah, Rief er: O wär' ein Schild — o wär' ein Freund mir nah! Zufall, nicht Tapferkeit hat dir den Sieg bereitet, Noch hast zu meinem Schild das Schwert du nicht erbeutet. Bald komm ich! sprach Waltari und flog den Weg herab, Dem furchtlos Hauenden schlug er die Rechte ab; Schon sollt' ein zweiter Streich der Seele öffnen das Thor Zum ew'gen Abschied. Sieh, da sprang Herr Tannast vor. Der hatte gleich dem König die Waffen aufgenommen Und war den Freund zu schirmen mit seinem Schild gekommen. Unwillig wandte sich Waltari gegen ihn Mit tief durchhau'ner Schulter sank Herr Tannast dahin Und mit durchstochner Seite: Ich grüß dich tausendmal! Noch leise murmelt er's, dann war er todt und fahl. Verzweifelnd stieß nun Trogus viel bittre Schmähung aus. So stirb denn, rief Waltari, und meld' im Höllenhaus Wie du den Freunden warst ein Rächer und Vergelter! — Rief's — und mit güldner Kette erdrosselt er den Schelter. S o lagen die Genossen erschlagen allzumal Da seufzte laut der König und floh hinab in's Thal, Auf des bewehrten Rosses Rücken schwang er sich Und ritt zu Hagen hin und weinte bitterlich. Er strebt' ihn zu erweichen mit Bitten mannigfalt Und ihn zur Schlacht zu stacheln. Doch Jener sagte kalt: Zu kämpfen hindert mich der Ahnen schnöd Geschlecht, Mir lähmt ja kühles Blut den Arm zu dem Gefecht, Bleich ward ja schon mein Vater wenn er die Lanzen schaute, Und schwatzte feig derweil ihm vor der Feldschlacht graute — O König wie du also geprahlt vor den Genossen: Für immer in die Scheide hast du mein Schwert gestoßen! Von neuem ging der König den Grimmen flehend an: Laß ab von deinem Grolle — laß ab und sei ein Mann! Und schuf dir auch mein Schelten viel Zorn und Ungeduld, Ich will mit reicher Gabe wettschlagen meine Schuld. Zu viel des edeln Blutes ward heute schon vergossen, Magst du das Alles schauen so müßig und verdrossen? Fürwahr den Schimpf wird nimmer das Frankenland verwinden, Schon hör' ich unsre Feinde zischend die Mähr verkünden: „Es kam ein fremder Mann, man wußte nicht woher, Der tilgte ungestraft der Franken ganzes Heer.“ Noch wollte Hagen zaudern. Er saß und übersann Wie ihm Waltari einst in Treuen zugethan. Doch als sein Herr und König mit aufgehobnen Armen Kniefällig zu ihm bat, — da faßt' ihn ein Erbarmen, Da brach das Eis im Herzen, sein Antlitz färbt' sich roth — So er noch länger säumte, die Ehre litte Noth. Wohin du auch mich rufest — o Fürst, ich werde gehn, Was nimmer sonst geschah, die Treue heißt's geschehn! Doch wer war je so thöricht, daß er in's offne Grab So wie es hier aufgähnet, freiwillig sprang hinab? So lang Waltari dort die Felsburg innehält Zieht auch ein Heer vergebens wider ihn zu Feld Und wenn die Franken all, Fußvolk und Reiterei An jenem Platze stünden, es käm' ihm Keiner bei. Doch weil Beschämung dich und Schmerz danieder drücken, Ersinn' ich einen Weg, auf dem wird's besser glücken. Fürwahr, ich ginge nimmer, beschworene Treu zu brechen, Selbst nicht, — ich sag' es frank — des Neffen Tod zu rächen, Für dich nur, Herr und Fürst, will der Gefahr ich stehn! Drum auf und laß uns erst von dieser Wahlstatt gehn. Es mögen unsre Rosse dort auf der Warte weiden, Dann wähnt er uns gegangen — und wird von dannen reiten. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 25 So er die enge Burg verlassen, dann wohlan, Wir folgen ihm und greifen im offnen Feld ihn an. Dann magst nach Herzenslust und mehr selbst als dich freut, Du mit Waltari fechten; nicht schenkt er uns den Streit. Dem Könige gefiel des Hagen schlaues Wort, Er sänftigte ihn vollends mit einem Kuß sofort, Dann wichen beide und spähten sich sichern Hinterhalt, Die Rosse ließen sie frei grasen in dem Wald. G esunken war die Sonne. Einbrach die dunkle Nacht. Der müde Held Waltari stand prüfend und bedacht': Ob er in sichrer Felsburg schweigsam verweilen möge, Ob er durch öde Wildniß versuche neue Wege. Er scheute bloß den Hagen und ahnte böse List, Daß ihn der König dort umarmet und geküßt. Deß fürchte ich, so dacht' er, daß sie zur Stadt entreiten Und morgen früh den Kampf erneu'n mit frischen Leuten. Wofern sie nicht schon itzt im Hinterhalte lauern. — Auch schuf der wilde Wald ihm ein gelindes Schauern Als dräut' es d'rin ringsum von Dorn und wilden Thieren Daß er dort hilflos irrend die Jungfrau möcht' verlieren. Dies Alles wohlgeprüft und wohlerwogen sprach er: Wie es auch gehen mag, hier sei bis mor'n mein Lager, Daß nicht der König prahle, ich sei dem Diebe gleich Entflohn bei Nacht und Nebel aus dem Frankenreich. Er sprach's, und Dorn und Strauchwerk hieb er sich rings vom Hag Und schloß den engen Pfad mit stachlichem Verhack Mit bitterm Seufzen wandt' er sich zu den Leichen dann Jedwedem Rumpfe fügte sein Haupt er wieder an; Gen Sonnenaufgang warf er knieend sich zur Erde Und sprach das Sühngebet mit scharfentblößtem Schwerte: O Schöpfer dieser Welt, der Alles lenkt und richtet, Gen dessen hohen Willen sich Nichts hienieden schlichtet Hab' Dank daß heute ich mit deinem Schutz bezwungen Der ungerechten Feinde Geschoß und böse Zungen! O Herr, der du die Sünde austilgst mit starken Armen Doch nicht den Sünder selbst — dich fleh' ich um Erbarmen: Laß diese Todten hier zu deinem Reich eingeh'n Daß ich am Himmelssitze sie möge wiederseh'n. So betete Waltari. Dann trieb er allsogleich Der Todten Rosse ein, und band sie mit Gezweig. Noch sechse waren übrig. Zwei waren umgekommen. Drei hatte König Gunther mit auf die Flucht genommen. Dann löst' er seine Rüstung. Das war dem Hitzigen gut, Mit frohem Zuspruch schöpft' er der Jungfrau Trost und Muth 25* Mit Speise und mit Trank labt' er die müden Glieder Und auf den Schild gelagert warf er zum Schlaf sich nieder. Den ersten Schlummer sollte Hiltgunde ihm behüten, Denn allzusehr nach Ruhe gelüstet's den Vielmüden. Er selbst behielt sich vor die Wacht am frühen Morgen, Er wußt', da drohten ihm erneuten Kampfes Sorgen. Zu Haupt ihm sitzend wachte Hiltgund die Nacht entlang Und scheuchte von den Augen den Schlaf sich mit Gesang. Bald hub Waltari sich und brach des Schlummers Rest Und hieß die Jungfrau ruhen, und griff zum Speere fest Und wandelt' ab und auf. Bald schaut' er nach den Rossen Bald lauscht' er an dem Walle. So war die Nacht umflossen. D er Morgen dämmerte. Es fiel ein linder Thau. Auf Busch und Blatt und Halm hernieder in die Au. Zu der Erschlagnen Leichen schritt itzt Waltari hin, Die Waffen und den Schmuck zu rauben war sein Sinn. Die Panzer sammt den Helmen, die Spangen nahm er zur Hand, Und Schwert und Wehrgehenk. Doch ließ er das Gewand. Er nahm der Rosse viere und lastet' sie damit, Hiltgund auf's fünfte hob er, das sechste er selbst beschritt. Erst ritt er aus dem Walle, die Gegend zu erspäh'n, Und ließ die Falkenaugen sich rings im Kreis ergehn. Nach Wind und Lüften hielt er das Ohr gereckt und lauschte, Ob Nichts geschlichen käme, ob Nichts im Grase rauschte, Ob nicht von schwerem Zügel sich höb' ein fernes Tönen Oder von Rosseshuf die Erde möcht' erdröhnen. Doch rings lag Alles still. Die Rosse schwer beladen Trieb er itzt vor und sandte Hiltgund auf gleichen Pfaden Er selber führt' den Gaul der ihm den Goldschrein trug, Und schloß in Wehr und Waffen als Hüter den reisigen Zug. Sie hatten tausend Schritte etwann zurückgelegt, Da schaute Hiltgund um, sie war vor Furcht bewegt, Da schaute sie vom Hügel herab zwei Männer eilen Die ritten scharf des Weges und mochten nicht verweilen. Und zu Waltari rief die Jungfrau schreckensbleich: Das Ende kommt, o Herr! Zur Flucht itzt sputet Euch. Waltari wandte sich. Die Feinde nahm er wahr: Ich will in's Antlitz mir beschauen die Gefahr. Und winkt mir auch der Tod: viel besser ist's zu streiten, Als Hab und Guts verlustig einsam von dannen reiten. Du Hiltgund nimm die Zügel und treib' das Goldroß fort, Der dichte Hain dort drüben beut' sichern Zufluchtort. Ich will am Bergeshang mir einen Stand erkiesen Und harren wer da kommt, und ritterlich sie grüßen. D ie Jungfrau that sofort, wie sie Waltari hieß. Der machte unbefangen zurecht itzt Schild und Spieß Und ritt des Weges weiter als wie ein fremder Mann. Da schrie ihn schon von ferne der König Gunther an: Jetzt ist dein Unterschlupf benommen, grimmer Held! Aus dem du zähneweisend als wie ein Hund gebellt. Heraus in's offne Feld, dein warten neue Streiche, Noch steht zu proben ob das End' dem Anfang gleiche. Du weisest ja Ergebung und Flucht so schnöd' zurück, Laß sehn, ob du auch heute um Lohn gedungen das Glück! Verächtlich thät Waltari kein Wort dawider sagen, Als wär' er taub geworden. Er wandte sich an Hagen: O Hagen, alter Freund, sag' an was ist geschehn, Daß also umgewandelt ich dich muß wiedersehn? Der thränend einst beim Abschied in meinen Armen lag Verrennt gewaffnet mir den Weg an diesem Tag? Fürwahr ich dachte einst, käm' heimwärts ich gegangen, Du würdest grüßend mich mit offnem Arm umfangen, Und gastlich mich bewirthen und pflegen mich in Freuden Und reich beschenkt den Freund in's Heimathland geleiten. Ich zog auf fremden Wegen. Oft wollt' das Herz mir schlagen: O wär' ich bei den Franken, dort lebt mein Freund, der Hagen! Gedenkst du nimmermehr der alten Knabenspiele Wo wir einmüthig einst gestrebt nach gleichem Ziele? Nicht mehr der Freundschaft? O wenn ich dein Antlitz sah So däuchten mir die Eltern, die theure Heimath nah. Ich wahrte dir die Treue am Hof und vor dem Feind Laß ab drum von dem Frevel und sei mein alter Freund! Deß werd' ich hoch dich preisen, und bist du mir zu Willen Werd' ich mit rothem Golde den hohlen Schild dir füllen. Mit finsterm Blick und zürnend sah ihn Hagen an: Erst übest du Gewalt und schwatzest listig dann; Die Treu hast du gebrochen. Du wußtest mich zugegen, War dir an meinen Freunden, am Neffen nichts gelegen? Nicht magst du dich entschuld'gen, wenn ich auch ferne stand An Waffen und Gestalt war ich dir gut bekannt Und doch hat mir dein Schwert den zarten Sproß gemäht, Den theuren blonden Jungen. Da war die Freundschaft wett. Drum heisch' ich itzt von dir nicht Gold, nicht Bruderbund, Von deiner Hand verlang' ich den todten Neffen zur Stund! V on Rosses Rücken schwang sich Hagen nun zur Erde Da ließen auch Waltari und König Gunther die Pferde. Zum Fußkampf standen sie, zwei wider einen Mann. Die zweite Frühstund' war's, da hub das Streiten an. Erst brach den Frieden Hagen und warf mit Macht den Speer Der flog in hohem Bogen mit Zisch und Zasch daher. Waltari mochte nicht ausbeugen, doch er hielt In schräger Richtung ihm entgegen seinen Schild; Rückprallte das Geschoß als wie von Marmelstein Und wühlte bis an Nagel sich in den nahen Rain. Dann warf auch König Gunther den schweren Eschenschaft Er warf ihn kecken Muthes, doch nur mit schwacher Kraft Den Schildrand traf er nur, und konnt' ihn nicht zerreißen Waltari schüttelte. Da fiel das matte Eisen. Das war ein schlimmes Zeichen. Itzt griffen sie zum Schwerte, Doch grimmen Blicks Waltari sich mit der Lanze wehrte. Die Klingen waren kurz, sie reichten nicht an ihn Da fuhr ein schlimmer Plan dem König durch den Sinn. Sein abgeschossner Speer lag vor Waltaris Füßen, Den hätt' er heimlich gern zu sich zurückgerissen — Er winkte mit dem Aug', daß Hagen vorwärts dringe, Und stieß zurück zur Scheide die goldgeschmückte Klinge, Da ward die Rechte frei zum Diebsgriff — und den Schaft Hielt er schon festgepackt — und hätt' ihn auch errafft. Doch auf den Hagen stürmte Waltari plötzlich her Und trat mit starkem Fuß auf den gegriffnen Speer. Der Ueberraschung ward der König sehr erschrocken, Die Kniee wankten ihm, sein Athem wollte stocken, Schon war der Tod ihm nah. Doch sprang in schnellem Lauf Ihm schirmend Hagen bei. Da stund' er zitternd auf, Es ward der bittre Kampf itzt ungesäumt erneut, Fest stand Waltari noch, doch ungleich war der Streit — Er stand: so steht der Bär gejagt von wilder Hatze, Unwillig vor der Meute und droht mit scharfer Tatze, Und duckt das Haupt und knurrt. Weh dem der an ihn schwirrt: Er preßt ihn und umarmt ihn bis er sich nimmer rührt, Scheu flieht der Rüden Schaar mit heulendem Gebelle. — So fluthete die Schlacht schon auf der höchsten Welle, Dreifache Noth des Todes auf jeder Stirne stand: Die Wuth, die Last des Kampfes, und glüher Sonnenbrand. Gepreßten Herzens schaute bereits Waltari um Ob sich kein Ausweg öffne. Zu Hagen rief er drum: O Hagdorn grün im Laub, du magst sogern mich stechen Und mir die Heldenkraft mit schlauen Sprüngen brechen So schwerer Mühe satt will ich mit dir itzt ringen — Und bist du riesenstark, ich will dich näher bringen! Er sprach's und hochaufspringend warf er die Lanze keck Sie traf und riß ein Stück ihm von der Rüstung weg, Und streifte seine Haut, doch nur ein wenig, an, Dieweil gar starken Panzer sich Hagen umgethan. Waltari aber riß das Schwert aus seiner Scheide Und stürmt auf Gunther ein und schlug den Schild bei Seite — So wundersam gewalt'gen Schwertschlag that er behende, Daß er ihm Bein und Schenkel ganz von der Hüfte trennte. Halbtodt auf seinem Schilde lag König Gunther da, Selbst Hagen wurde blaß, wie solchen Schlag er sah. Hoch schwang Waltari itzt die blutgefleckte Klinge, Auf daß der wunde König den Todesstreich empfinge, Doch Hagen warf dem Hieb das eigne Haupt entgegen, Da sprühte von dem Helm hoch auf ein Funkenregen; Der Helm war hart geschmiedet. Drum brach das Schwert mit Klirren, Durch Luft und Busch und Gras zahllose Trümmer schwirren. Waltari, wie ihm so die Klinge war zersplittert, Fuhr unwirsch auf, es ward sein Herz von Zorn durchschüttert, Wegwarf verächtlich er den Griff — was sollt' er nützen, Ob er auch kunstgefüget von Golde mocht' erblitzen? Doch wie er unbedacht die Hand zum Wurf ausreckte, That Hagen einen Hieb, der sie zu Boden streckte. Da lag die tapfre Rechte, so furchtbar manchem Land, So siegespreisgeschmückt — nun blutend in dem Sand. Ob zwar ein linker Mann — Waltari war noch nicht Der Kunst des Fliehens kundig, starr blieb sein Angesicht, Er biß den Schmerz zusamm', und in den Schild einschob er Den blut'gen Stumpf, und schnell mit linker Faust erhob er Das krumme Halbschwert das er einst im Hunnenland Als Nothbehelf sich um die rechte Hüfte band. Das rächte ihn am Feind. Da ward dem grimmen Hagen Sein rechtes Auge ganz aus dem Gesicht geschlagen, Zersäbelt ward die Stirn — die Lippen aufgeschlissen, Dazu sechs Backenzähne ihm aus dem Mund gerissen. S o ward der Kampf geschlichtet — wohl durften beide ruh'n Laut mahnten Durst und Wunden, die Waffen abzuthun. Da schieden hochgemuth die Helden aus dem Streit An Kraft der Arme gleich und gleich an Tapferkeit. Wahrzeichen ließ Jedweder zurück von dem Gefechte, Hier lag des Königs Fuß — dort lag Waltaris Rechte, Dort zuckte Hagens Aug': So hob an jenem Platz Sich Jeder seinen Theil vom großen Hunnenschatz. Die beiden setzten sich. Der dritte lag am Grunde. Mit Blumen stillten sie den Blutstrom aus der Wunde. Hiltgund der zagen Maid laut rief Waltari dann, Die kam und legte guten Verband den Recken an. Waltari drauf befahl: Jetzt misch' uns einen Wein, Wir haben ihn verdienet, er soll uns heilsam sein. Es sei der erste Trunk dem Hagen zugebracht, Der war dem König treu und tapfer in der Schlacht. Dann reich' ihn mir, der ich das Schwerste hab' erlitten, Zuletzt mag Gunther trinken der lässig nur gestritten. Die Jungfrau folgt dem Winke, und bracht's dem Hagen dar, Da sprach der Held, wie sehr er von Durst gequält auch war: Waltari, deinem Herrn, sei erst der Trunk gereicht, Braver als ich und Alle hat der sich heut' erzeigt! Zwar müd, doch frischen Geists saß itzt beim Wein geeint Hagen der Dornige mit seinem alten Freund. Nach Lärm und Kampfgetös, Schildklang und schweren Hieben Zum Becher dort die Zwei viel Scherz und Kurzweil trieben. Zukünftig, sprach der Franke, magst du den Hirsch erjagen, O Freund! und von dem Fell den Lederhandschuh tragen, Und so du dir mit Wolle ausstopfest deine Rechte So meint noch mancher Mann, die Hand sei eine ächte. O weh, auch mußt fortan du, allem Brauch entgegen Um deine rechte Hüfte das breite Schlachtschwert legen, Und will Hiltgunde einst dir in die Arme sinken, So mußt du sie verkehrt umarmen mit der Linken, Und Alles was du thust, muß schief und linkisch sein .... Waltari ihm erwiedert': O Einaug, halte ein! Noch werd' ich manchen Hirsch als Linker niederstrecken, Doch dir wird nimmermehr des Ebers Braten schmecken. Schon seh' ich queren Auges dich mit den Dienern schelten Und tapfrer Helden Gruß mit scheelem Blick entgelten. Doch alter Treu gedenkend schöpf' ich dir guten Rath: Bist du der Heimath erst und deinem Heerd genaht, Dann laß von Mehl und Milch den Kindleinbrei dir kochen, Der schmeckt zahnlosem Mann und stärkt ihm seine Knochen. So ward der alte Treubund erneut mit Glimpf und Scherz, Dann trugen sie den König, dem schuf die Wunde Schmerz, Und hoben sänftlich ihn auf's Roß und ritten aus, Nach Worms die Franken zogen. Waltari ritt nach Haus. Dort ward mit hohen Ehren begrüßt der junge Held, Und bald ward auch Hiltgunde dem Treuen anvermählt. Nach seines Vaters Tod thät er der Herrschaft pflegen Und führte dreißig Jahr sein Volk mit Glück und Segen; Noch in manch schwerem Kampfe gewann er Sieg und Ruhm Doch stumpf ist meine Feder und billig schweig ich drum. Hochweiser Leser du, schenk meinem Werke Gnade. Wohl gleicht mein rauher Reim dem Sang nur der Cicade, Doch für das Höchste ist mein junger Sinn erglüht. Gelobt sei Jesus Christ! — So schließt Waltaris Lied. Fünfundzwanzigstes Kapitel . Ausklingen und Ende. „So schließt Waltari's Lied.“ — Er hat brav gesungen, unser Einsiedel Ekkehard, und sein Waltarilied ist ein ehrwürdig Denkmal deutschen Geistes, die erste große Dichtung aus dem Kreis heimischer Heldensage, die trotz verzehrendem Roste der Zeit unversehrt der Nach- welt erhalten ward. Freilich sind andere Töne darin angeschlagen, als in den goldverbrämten Büchlein, die der epigonische Poet ausheckt, — der Geist großer Heldenzeit weht drin, wild und fast schaurig, wie Rauschen des Sturmes im Eichwald, es klingt und sprüht von Schwerteshieb und zerspelltem Helm und Schildrand ein Erkleckliches und ist von minniglichem Flötenton so wenig zu verspüren, als von angegeistetem Schwatzen über Gott und die Welt und sonst noch Eini- ges: riesenhafter Kampf und riesenhafter Spaß, altes Reckenthum in seiner schlichtfürchterlichen Art, ehrliche, fromme, schweigende Liebe und ächter, dreinschlagender Haß, das waren Ekkehard's Bausteine; aber darum ist sein Werk auch gesund und gewaltig worden und steht am Eingang der altdeutschen Dichtung, groß und ehrenfest wie einer jener erzgewappneten Riesen, die die bildende Kunst späterer Zeiten als Thorhüter vor der Paläste Eingang zu stellen pflegt. Und wen die Herbigkeit alter, oft schier heidnischer Anschauung unlieblich anmuthen möchte, gleich einem rauhen Luftzug an den Dünen des Meers, draus der frackumhüllte Mensch Erkältung schöpft und ein Hüftlein, der möge bedenken, daß Einer das Lied sang, der selber in der Hunnenschlacht gefochten, und daß er's sang, die Locken umsaust vom Winde, der über die Schneefelder des Säntis gestrichen, viel hun- dert Klafter über den Niederungen des Thales, die Wolfshaut zum Mantel, den Felsblock der Höhle zum Schreibtisch, die Bärin zum Zuhörer. Es ist Schade, daß die neckenden Geister und Kobolde schon lange ihr frohsames Handwerk eingestellt haben, sonst möcht' es manch einem Schreibersmann unserer Tage nicht ungedeihlich sein, wenn ihn plötz- lich unsichtbare Hände vom Mahagonitisch hinwegtrügen auf die grünen Matten der Ebenalp; — dort droben, wo der alte Mann in seiner Berggewaltigkeit dem Poeten in's Concept schaut, wo die Abgründe gähnen, der Donner zwölffältig durch die Schluchten rollt, und der Lämmergeier in einsam stolzem Kreisen dem Regenbogen zufliegt, dort muß Einer etwas Großes, Kerniges, Bärenmäßiges singen oder reuig in die Kniee sinken wie der verlorene Sohn und vor der gewaltigen Natur bekennen, daß er gesündigt. — — Unsere Erzählung neigt sich zum Ende. Es wär' ihr vielleicht ein Gefallen geschehen, wenn Ekkehard jetzt nach Vollendung seines Sanges eines sänftlichen Todes verblichen wäre: das hätte einen gar rührenden Schluß gegeben, wie er oben vor seiner Höhle gesessen, den Blick nach dem Bodensee, die Harfe an Fels gelehnt, die Pergamentrolle in der Rechten, und das Herz wär' ihm gebrochen, und es hätt' sich ein schön Gleichniß daran geknüpft, wie der Sänger vom Lodern des Geistes in ihm aufgezehrt ward und dahin starb, gleich der Kerze, die zu Asche sich verzehrt, eben da sie Licht gewährt, — aber den Gefallen erwies Ekkehard seinem Ange- denken bei der Nachwelt nicht. Aechte Dichtung macht den Menschen frisch und gesund. Und Ekkehard's Wangen hatten sich in währender Arbeit strahlend geröthet, und es war ihm so wohl geworden, daß er oftmals den Arm aus- reckte als woll' er einen Wolf oder Bären mit einem Schlag der Faust niederschmettern. Wie aber sein Waltari durch Noth und Todes- wunden glücklich zu Ende geführt war, da jubelte er, daß die Tropf- steine in seiner Höhle verwundert einander zublinzen mochten, den Ziegen im Stall warf er eine doppelte Atzung an Futter zu, dem Handbuben aber übermachte er etliche Silberpfennige, daß er hinüber- steige als Botenknabe nach Sennwald im Rheinthal und einen Schlauch röthlichen Weines beschaffe. Es war damals wie jetzt: ist das Buch zu End' gebracht, der Schreiber einen Freudsprung macht. Darum saß er Abends auf der Ebenalp beim alten Senn und trank ihm tapfer zu und nahm ihm das Alphorn vom Nacken und trat auf ein Felsstück, und blies nach dem fernduftigen Hegauer Berg- gipfel hinüber, frohgewaltig, als woll' er die Herzogin herausblasen auf den Söller, und Praxedis dazu, und wolle sie mit Lachen begrüßen. Wenn ich wieder auf die Welt käme, sprach er zu seinem Freund dem Alpmeister, und hätte vom Himmel herniederzufallen und die Wahl wohin, ich glaube, ich ließ mich zum Wildkirchlein fallen, und nirgend anders hin. Ihr seid nicht der Erste, antwortete lachend der Alte, dem's bei uns wohl behagt hat. Wie der Bruder Gottschalk noch lebte, sind einmal fünf welsche Mönche heraufgekommen zum Besuch, die haben ein besseres Weinlein mitgebracht als das von Sennwald ist, und sind drei Tage oben geblieben und haben Sprünge gemacht, daß ihnen die Kutten zu Häupten flogen; erst wie es wieder bergab ging, haben sie das Antlitz in die gehörigen Falten gelegt, und einer hat noch eine lange Rede an unsere Heerden gehalten: Ihr guten Ziegen, seid ver- schwiegen, sprach er, der Abt von Novalese braucht nichts von unserer Geister Entrückung zu wissen. Aber stehet mir einmal Rede, Bergbruder, was habt Ihr in diesen letzten Tagen so geduckt in Eurer Höhle zu sitzen gehabt? Ich hab' Euch wohl gesehen, wie Ihr viel Hakenfüße und Runen auf Esels- haut gezeichnet, Ihr habt doch keinen bösen Zauber vor gegen unsere Heerden und Berge? Sonst ... er sah ihn drohend an. Ich hab' ein Lied aufgeschrieben, sprach Ekkehard. Der Senn schüttelte das Haupt. Das Schreiben! das Schreiben! brummte er. Mich geht's nichts an und der hohe Säntis wird so Gott will noch auf Enkel und Ur- enkel herabschauen, ohne daß sie wissen wie man Griffel und Feder handhabt, aber das Schreiben kann unmöglich vom Guten sein. Der Mensch soll aufrecht einhergehen, wenn er ein Ebenbild Gottes sein will, wer aber schreibt, muß sitzen und den Rücken biegen, ist das nicht das Gegentheil von dem was Gott angeordnet? Also muß es vom Teufel kommen. Seht Euch vor, Bergbruder! und wenn Ihr mir noch einmal geduckt in Eurer Höhle sitzen wollet wie ein Mur- melthier, und schreiben: beim Strahl! ich fahr Euch als Alpmeister dazwischen und reiß Euch Eure Blätter in Fetzen, daß sie der Wind verweht in die Tannenwipfel. Ordnung muß sein hier oben und ein- fach Wesen, wir leiden nichts Ausgespitztes! Ich will's nicht wieder thun, sagte Ekkehard lachend und reichte ihm die Hand. Der brave Alpmeister war am Sennwalder Rothwein warm geworden. Und bei Donner und Blitz, schalt er weiter, was soll das heißen, ein Lied aufschreiben? Narrenpossen! Schreibt's einmal auf, wenn Ihr könnt! Er hub einen Jodelgesang an in so unmodulirt gröblichen Natur- lauten, daß auch das geübteste Ohr einen mit Wort oder Schriftzug darzustellenden Ton vergeblich darin zu entdecken vermocht hätte. — — Zur selben Stunde saß zu Passau an der Donau im reblaub- umrankten Gartenstüblein der Bischofspfalz ein Mann in der Frische sprossenden Mannesalters vor einem steingehauenen Tisch. Ein un- nennbar feiner Zug lag um den von braunem Bart überdeckten Mund, üppige Locken wallten unter dem sammtnen Barett herfür, seine dunkeln Augen folgten dem Zuge der schreibenden Rechten. Zwei blonde Knaben stunden neugierig an der hölzernen Armlehne seines Stuhles, und schauten ihm über die Schulter ... es war schon manch ein Blatt beschrieben von Fahrten und Stürmen und Noth und tapferer Helden Tod — er schrieb jetzo am letzten. Und dauerte nicht lang, so that er die Feder weg und trank einen langen tiefen ernsten Schluck ungrischen Weines aus dem spitzen Pokal. Ist's jetzt fertig? sprach der eine Knabe. Es ist fertig! nickte der Schreibersmann, Alles fertig, wie es sich hub und wie es kam und wie es ein bitter Ende nahm. Er reichte ihm die Blätter, und jubelnd sprangen die Knaben zu ihrem Ohm dem Bischof Pilgerim und wiesen ihm die Schrift: Und du selber stehst auch drin, theurer Oheim, riefen sie, „der Bischof mit seiner Nichte ritt auf Passau an“ — zweimal stehst du drin und dreimal! Und Pilgerim der Bischof strich seinen weißen Bart und sprach: Ihr dürft euch freuen, liebe Neffen, daß euch der Conrad die Mähr gebrieft, und wenn der Donaustrom drei Tage und drei Nächte mit Gold fließen wollte, ihr möchtet nichts Kostbareres drin fischen, denn diesen Sang, das ist die größeste Geschichte, die auf der Welt je geschah. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 26 Der Schreibersmann aber stund mit verkläretem Antlitz unter dem Rebgerank und Geisblattgewinde des Gartens und schaute in die wel- ken rothen Blätter, die der Herbst von den Zweigen geschüttelt, und schaute hinab in die fluthende Donau, und im rechten Ohr hub sich ihm ein helles Klingen, denn zu derselbigen Zeit hatte Ekkehard auf luftiger Alpenhöhe eine hölzerne Schaale mit Wein gefüllt, und zum alten Senn gesprochen: Ich hab' einst einen guten Gesellen gehabt, einen bessern findet man in keines Herren Land, der hieß Conrad; und mit Frauenlieb und Weltruhm ist's nichts, aber der alten Freund- schaft bleib' ich zu Dank verpflicht't bis in Tod, Ihr sollt mit mir sein Wohl trinken, das ist Einer, der würde dem Säntis Freud' machen, wenn er hier wäre! Und der Senn hatte die Schaale geleert und gesagt: Bergbruder, ich glaub's Euch. Er soll leben! Darum erklang dem Mann in Passau sein Ohr; er aber wußte nicht warum. Und sein Ohr klang noch, da kam der Bischof Pilgerim einhergewandelt, und hinter ihm brachte der Stallmeister ein weiß Rößlein, das war altersschwach und schäbig, und wenn man ihm näher in's Gesicht schaute, war's auch am linken Aug' blind, und der Bi- schof nickte mit seiner spitzen Insul und sprach gnädiglich: Meister Conrad, was Ihr meinen Neffen zu Liebe geschrieben, sollt Ihr nicht umsonst geschrieben haben, mein erprobtes Streitroß sei Euer! Da zuckte der Meister Conrad wehmüthig lächelnd die feinen Lippen und dachte: Es geschieht mir schon Recht, warum bin ich ein Dichter worden! laut aber sprach er: Gott lohn's Euch, Herr Bischof, Ihr werdet mir wohl ein paar Tage Urlaub schenken zum Ausruhen von der Arbeit. Und er streichelte das alte weiße Rößlein, und schwang sich darauf ohne eine Antwort abzuwarten, und saß stolz und anmuthsvoll im Sattel und brachte sein demüthig Thier noch zu einem leidlichen Trab und ritt von dannen. Ich will meinen besten Stoßfalken gegen ein Paar Turteltauben verloren geben, sprach der ältere der Knaben, wenn er nicht wiederum nach Bechelaren reitet zur Markgrafsburg. Er hat immer gesagt: so gut ich meinen gnädigen Herrn den Bischof in's Lied hereinsetze, kann ich auch der Frau Markgräfin Gotelinde und ihrer schönen Tochter drin ein Denkmal aufrichten, die danken mir's doch am feinsten! Derweil war der Meister Conrad schon dem Thore der Bischofs- pfalz entritten; er schaute sehnsüchtig donauabwärts und hub an mit heller Stimme zu singen: Da sprach unverhohlen derselbe Fiedelmann: O Markgraf, reicher Markgraf, Gott hat an Euch gethan Nach allen seinen Gnaden, hat er Euch doch gegeben Ein Weib, ein so recht schönes, dazu ein wonniglich Leben. Und wär' ich nun ein König, fing er wieder an, Und sollte Kronen tragen, zum Weibe nähm' ich dann Eure schöne Tochter, die wünschte sich mein Muth, Sie ist so süß zu schauen, so minniglich ... aber bei diesen Worten wirbelte ihm eine Staubwolke entgegen, daß seine Augen unfreiwillig in Thränen standen und sein Gesang ver- stummte. Die Strophen waren aus dem Werke, wofür ihn der Bischof so eben gelohnt; das war ein Heldenbuch in deutscher Sprache und hieß: der Nibelungen Lied!... — Mälig ging's in Herbst hinein. Und wenn der auch abendlich ein glühender Roth an die Himmelswölbung malt als andere Jahres- zeit, so kommen doch kühle Lüfte in seinem Gefolg, daß, wer festgesie- delt auf den Alpen, sich anschickt, zu Thal zu fahren, und kein Wolfs- pelz vor fröstelndem Klappern der Zähne schützt. Frischer Schnee glänzte auf allen Kuppen und gedachte für dieses Jahr nimmer zu zergehen. Ekkehard hielt den Sennen die letzte Bergpredigt. Hernach streifte Benedicta an ihm vorbei. Jetzt ist's aus mit unserer Herrlichkeit da oben, sprach sie, morgen zieht Mensch und Thier in's Winterfutter. Wo geht Ihr hin, Bergbruder? Die Frage fiel ihm schwer auf's Herz. Ich bliebe am liebsten hier, sprach er. Benedicta lachte hell auf. Man merkt, sagte sie, daß Ihr noch keinen Winter oben versessen habt, sonst würd' es Euch nach keinem zweiten gelüsten. Ich möcht' Euch wohl sehen, eingeschneit im Bruderhäuslein, und die Kälte schleicht durch alle Ritzen, daß Ihr zittert wie ein Espenlaub, die Lawinen krachen rings umher und die Eiszapfen wachsen Euch in Mund her- ein ... Und wenn Ihr einmal zu Thal wollet und Etwas zu essen holen, da liegt der Schnee haushoch auf dem Pfad, ein Schritt — 26* und Ihr sinkt bis an's Knie ein, ein zweiter — traladibidibidib! so ragt nur noch die Kapuze hervor und man sieht von der schwarzen Kutte nicht mehr als von einer Fliege, die in die Milchsuppe gefallen ist ... Und dieses Jahr hat's gar so viel Spiegelmeisen gehabt, das gibt einen strengen Winter! Hu, wie freu' ich mich auf die langen Abende, da sitzen wir beim Kienspanlicht um den warmen Ofen, und spinnen Flachs, das Rädlein knurrt, das Feuer brummt, und wir er- zählen die schönsten Geschichten, und wer ein braver Bub ist, darf zuhören. Es ist Schad, daß Ihr kein Senn geworden seid, Bergbruder, ich würde Euch auch mitnehmen zur Stubeten. Es ist Schade, sprach Ekkehard. Folgenden Tages ging's in festlichem Zuge thalab. Der alte Senn hatte sein feinstes Linnen angethan und sah vergnügt drein wie ein Patriarch, die rundliche Lederkappe auf dem Haupt, den schönsten Melknapf über der linken Schulter, schritt er voraus, und sang den Kuhreihen jugendhell und tapfer, ihm folgten Benedicta's Ziegen, die Plänkler der großen Heerschaar, die Hirtin mit ihnen, die letzten Alpen- rosen mit schon vergilbten Blättern in's dunkle Gelock geflochten. Jetzt kam die schwarzgefleckte große Susanna, die Königin der Heerde, als Zeichen des Vorrangs die schwere Glocke um den Hals; ehrbar und stolz war ihr Gang und wenn eine der Nachfolgenden ihr vor- auszuschreiten wagte, so warf sie ihr einen verächtlichen Hornstoßdro- henden Blick zu, daß die Anmaßende erschrocken zurückwich. Schwer- fällig schritten die anderen bergab: Ade du schmackhaft Alpengras, du fröhlich Wiederkäuen! dachte manch ein fettgeworden Kühlein und knickte sich im Vorbeistreifen noch die letzten Blumen am Pfade. Der Stier trug den einfüßigen Melkstuhl zwischen den Hörnern, auf des Gewaltigen Rücken saß der Handbub verkehrt und hielt die ausgestreckten Finger beider Hände an seine nicht allzufein geformte Nase, und rief zu den Berggipfeln hinauf: Der Sommer ist gegangen und hat den Herbst gebracht, jetzt wünschen wir einand eine gute gute Nacht; ihr stille schneeige Herren lebt wohl itzt allerseit, ich wünsch' euch wohl zu schlafen die ganze Winterszeit! Ein Schlitten mit der Sennhütte Geschirr und Ausrüstung schloß den Zug. Und Sennen und Heerde und Ziegen verschwanden im Tannen- wald, verhallend tönte Hirtensang und Schellengeläut aus der Ferne, dann ward's still und einsam wie in jener Abendstunde, da Ekkehard zuerst vor dem Kreuz des Wildkirchleins gekniet war. Er trat in seine Klause. Es war ihm in seinem stillen Bergleben klar geworden, daß die Einsamkeit nur eine Schule für's Leben ist, nicht das Leben selbst, und daß werthlos verderben muß, wer in der grimmen Welt immerdar nur müßig in sich hineinschauen will. Es hilft nicht, sprach er, auch ich muß wieder zu Thale. Der Schnee weht zu kalt und ich bin zu jung, kann kein Einsiedel bleiben. Fahr' wohl, du hoher Säntis, der treu um mich gewacht, Fahr' wohl, du grüne Alpe, die mich gesund gemacht. Hab' Dank für deine Spenden, du heil'ge Einsamkeit, Vorbei der alte Kummer — vorbei das alte Leid. Geläutert ward das Herze, und Blumen wuchsen drin: Zu neuem Kampf gelustig steht nach der Welt mein Sinn. Der Jüngling lag in Träumen, dann kam die dunkle Nacht; In scharfer Luft der Berge ist jetzt der Mann erwacht! Er griff seine Reisetasche und legte seine wenige Habe drein. Sein Theuerstes, das Waltarilied, sorgsam umhüllt, that er oben drauf; ein Lächeln umspielte sein Antlitz, wie er noch etliche Gerätschaften umherstehen sah. Auf dem Felsrand stund die halbausgeschriebene Flasche mit Schreibsaft, die griff er und warf sie hinaus in die Tiefe, daß sie in glitzernde Splitter zerschmettert ward. Die dreieckige Harfe lehnte wehmüthig an der Rasenbank vor der Höhle: Du sollst zurück- bleiben und dem, der nach mir kommt, seine stillen Stunden versüßen, sprach er. Aber kling' ihm nicht matt und nicht süß, sonst mög' es aus den Tropfsteinen in deine Saiten träufen, daß sie einrosten und der Sturm von den Gletschern drüber fahren, daß sie bersten! Ich hab' ausgesungen. Er hängte die Harfe an einen Nagel. In währender Klausnerzeit hatte er sich einen starken Bogen geschnitzt, Köcher und Pfeile waren noch aus Gottschalks Nachlaß dro- ben, die nahm er jetzt als gut Gewaffen zur Hand, — gerüstet, im Wolfsmantel stund er vor der Klause und that noch einen langen, langen Blick nach der Stätte glücklicher Sommerfrische und hinüber zu den vieltheuern Gipfeln und hinunter, wo aus dem Tannendunkel der Seealpsee meergrün aufglänzte. Es war so schön wie immer. Der Mauerspecht, der die gleiche Bergritze zu seiner Behausung er- koren, flog ihm traulich auf die Schulter und pickte ihm mit häm- merndem Schnabel die Wangen, dann schwang er sein schwarzroth Gefieder hinauf in die blauen Lüfte, als woll' er dem hohen Säntis des Einsiedels Abzug vermelden. Aber Ekkehard stieß seinen Speer auf und wandelte den gewohn- ten schwindelnden Pfad hinunter. An der Felswand zum Aescher hielt er noch einmal und winkte hinauf zu seiner Siedelei und that einen Jodelruf, daß es am Kamor erklang und am hohen Kasten und rollender Wiederhall an der Maarwiese vorbei zog bis in die fernsten Winkel des Gebirges. Der kann's! sprach ein heimkehrender Hirt unten im Thal zu seinem Gefährten. Schier wie ein Geisbub! sagte der Andere als Ekkehard jenseits der Felswand verschwand. — — Der aufgehende Tag hatte schon etliche Mal seine Strah- len auf das Wildkirchlein geworfen, das traurig einem verlassenen Nest gleich in's Thal hinunterschaute. Der Bergbruder kam nimmer zurück. Am Bodensee rüstete man zur Weinlese. An einem milden Abend saß Frau Hadwig im Gärtlein ihrer Burg, die treue Praxedis zur Seite. Die Griechin hatte unerquickliche Zeiten. Ihre Gebieterin war verstimmt, mißzufrieden, unzugänglich. Auch heute wollte ein Gespräch nicht gelingen. Es war ein schlimmer Gedächtnißtag. Heute ist's ein Jahr, hub Praxedis scheinbar gleichgiltig an, daß wir über den Bodensee fuhren und beim heiligen Gallus ansprachen. Die Herzogin schwieg. — Es ist viel geschehen seitdem, wollte Praxe- dis beifügen — das Wort verhauchte auf den Lippen. Wißt Ihr auch, gnädige Herrin, was die Leute von Ekkehard sa- gen, fuhr sie nach geraumer Weile fort. Frau Hadwig schaute auf. Es zuckte um ihre Lippen. Was sagen die Leute? sprach sie gleichgiltig. Herr Spazzo hat neulich den Abt von Reichenau getroffen, er- zählte Praxedis, der sagte: Wisset Ihr auch etwas Neues? Den Alpen ist Heil widerfahren, das Joch des Säntis ertönt von Lyraklang und Dichtergezwitscher, ein neuer Homer hat sich droben eingenistet, und wenn er wüßte, in welchen Höhlen die Musen hausen, so könnt' er ihren Reigen anführen wie ein cynthischer Apollo. Und wie Herr Spazzo kopfschüttelnd erwiederte: was geht das mich an? da sprach der Abt: es ist Euer Ekkehard, aus der Klosterschule von Sanct Gallen hat's die Fama zu uns getragen. Herr Spazzo hat lachend dazu gesagt: wie kann der singen, der nicht einmal erzählen kann? Die Herzogin war aufgestanden. Schweig! sprach sie, ich will nichts davon wissen. Praxedis kannte das Zeichen ihrer Hand und ging be- trübt von dannen. Frau Hadwig's Herz aber dachte anders als ihre Zunge sprach. Sie trat an des Gärtleins Mauerwehr und schaute hinüber nach den helvetischen Bergen. Dämmerung war eingebrochen, schwerfällige lange stahlgraue Wolkenstreifen standen unbeweglich über dem Abendroth, wie darauf genagelt, das zitterte und flammte wehmüthig drunter vor. Im Rinnen und Zerrinnen des letzten Tagesstrahls ward auch ihr Denken weich. Ihr Auge blieb drüben auf dem Säntis haften, — es war ihr als hätte sie eine Erscheinung, als thäte sich der Himmel auf und seine Engel kämen durch die Lüfte gefahren und senkten sich hernieder zu jenen Höhen und brächten einen Mann getragen im wohlbekannten Mönchsgewand — und der Mann war blaß und tod und ein Lichtglanz, schön und lauter, umschwebte das luftige Geleit ... Aber Ekkehard war nicht gestorben. Ein zischender leiser Ton schreckte die Herzogin auf, ihr Auge streifte an dem Felsabhang vorüber, über den einst der Gefangene entronnen, eine dunkle Gestalt entschwand im Schatten, ein Pfeil kam über Frau Hadwig's Haupt geflogen und sank langsam zu ihren Füßen nieder. Sie hob das wundersame Geschoß auf. Nicht Feindeshand hatte es dem Bogen entschnellt, feine Blätter Pergamentes waren um den Schaft gewunden, die Spitze umhüllt mit einem Kränzlein von Wie- senblumen. Sie löste die Blätter und kannte die Schrift. Es war das Waltarilied. Auf dem ersten Blatt stund mit blaß- rothen Buchstaben geschrieben: Der Herzogin von Schwaben ein Abschiedsgruß ! und dabei stund der Spruch des Apostel Jacobus: Selig der Mann, der die Prüfung bestanden ! Da neigte die stolze Frau ihr Haupt und weinte bitterlich. — Hier endet unsere Geschichte. Ekkehard zog in die weite Welt, er hat den hohen Twiel nimmer gesehen. Auch sein Kloster Sanct Gallen nicht. Er hatte sich zwar überlegt, ob er nicht bußfertig wieder eintreten wolle, wie er von den Alpen niedersteigend den bekannten Mauern nahe gekommen war. Aber es fiel ihm ein Sprichwort seines alten Alpmeisters ein: wenn Einer lang Senn war, wird er nimmer gern Handbub, und er ging vorbei. Man hat später am Hofe der sächsischen Kaiser Viel von einem Ekkehard gehört, der ein stolzer trotziger in sich gekehrter Mann gewesen, bei frommem Gemüth von tiefer Verachtung der Welt be- seelt, aber lebensfrisch und gewandt, in jeglicher Kunst erfahren. Er war des Kaisers Kanzler, erzog dessen jugendlichen Sohn, sein Rath galt viel in des Reichs Geschäften. In Kurzem, schreibt ein Geschichtschreiber von ihm, erschien er ihnen als ein so Hervorragender, daß es durch Aller Mund ging, sein warte noch die höchste Würde der Kirche. Die Kaiserin Adelheid wandte ihm ihre volle Hochachtung zu. Er war auch einer der Hauptursächer, daß der übermüthige Dänen- könig Knut mit Heeresmacht überzogen ward. Es ist unbekannt, ob dies derselbe Ekkehard war, von dem unsere Geschichte erzählte. Andere haben auch behauptet, es seien Mehrere des Namens Ekke- hard im Kloster Sanct Gallen gewesen, und der den Waltari dich- tete, sei nicht der nämliche, der die Herzogin Hadwig des Lateins unterwies. Aber wer der Geschichte, die wir jetzt glücklich zu Ende geführt, aufmerksam folgte, weiß das besser. — Von den weiteren Schicksalen der Uebrigen, die unsere Erzählung in buntem Wechsel der Gestalten vor des Lesers Auge gestellt hat, ist wenig zu berichten. Die Herzogin Hadwig vermählte sich nicht wieder und erreichte in frommem Wittwenstand ein hohes Alter. Sie stiftete später ein be- scheidenes Kloster auf dem hohen Twiel und vergabte ihm ihre Güter in allemannischen Landen. Ueber Ekkehard durfte in ihrer Gegen- wart nie mehr gesprochen werden; aber das Waltarilied ward fleißig von ihr gelesen und war ihre stete Trösteinsamkeit; nach einer un- verbürgten Aussage der Mönche von Reichenau soll sie es sogar fast ganz auswendig gewußt haben. Praxedis diente ihrer Herrin noch etliche Jahre getreu, aber mälig und mälig stieg eine unbezwingliche Sehnsucht nach ihrer sonnigen farbenprächtigen Heimath in ihr auf, und sie behauptete, die schwä- bische Luft nimmer ertragen zu können. Reich beschenkt ward sie von der Herzogin verabschiedet; Herr Spazzo der Kämmerer gab ihr ein ritterlich ehrsam Geleite bis gen Venetia. Eine griechische Galeere trug die immer noch anmuthige Jungfrau von der Stadt des heiligen Marcus gen Byzanzium. Die Erzählungen, die sie dort machte vom Bodensee und den wilden treuen Barbarenseelen an seinen Ufern, wurden von sämmtlichen Kammerfrauen am griechischen Kaiserhof mit bedenklichem Kopfschütteln aufgenommen, als spräche sie von einem verzauberten Meer und einem Lande der Fabel. Moengal der Alte sorgte noch eine geraume Zeit für das See- lenheil seiner Pfarrkinder. Als die Hunnen wieder mit räuberischem Einfall drohten, beschäftigte er sich lange mit einem Plan zu ihrem Empfang. Er schlug vor, auf dem Blachfeld etliche hundert tiefe Fallgruben zu graben, sie mit Baumzweigen und Farrenkraut zu überdecken und hinter ihnen in Schlachtordnung den ansprengenden Feind zu erwarten, auf daß Roß und Reiter in jähem Sturze zu Schanden würden. Die schlimmen Gäste ließen sich aber nicht wieder im Hegau blicken und ersparten dem Leutpriester das Vergnügen, ihnen mit wuchtigen Keulenschlägen die Schädel zu zertrümmern. Ein sanfter Tod ereilte den alten Waidmann, als er gerade von einer wohlgelungenen Falkenjagd auszuruhen gedachte. Auf seinem Grab im Schatten der grauen Pfarrkirche wuchs eine Stechpalme, die ward so knorrig und groß, wie man früher keine gesehen, daß die Leute sagten, es müsse ein Ableger von ihres Pfarr- herrn braver Keule Cambutta sein. Audifax der Ziegenhirt lernte die Goldschmiedkunst und zog hin- über nach Konstanz an des Bischofs Sitz und schuf viel schöne Ar- beiten. Er führte die Gefährtin seines Abentheuers als angetrautes Ehgemahl heim, die Herzogin war der Taufpathe ihres ersten Söhnleins. Burkard der Klosterschüler ward ein gefeierter Abt des sanct gallischen Gotteshauses und verfertigte bei feierlichen Anlässen noch manches Dutzend gelehrter lateinischer Verse, mit denen jedoch, Dank der zerstörenden Unbill der Zeit, die Nachwelt verschont geblieben ist. ... Und Alle sind längst Staub und Asche, die Jahrhunderte sind in raschem Flug über die Stätten weggebraust, wo ihre Ge- schicke sich abspannen, und neue Geschichten haben die alten in Ver- gessenheit gebracht. Der hohe Twiel hat noch Vieles erleben müssen in Kriegs- und Friedensläuften; zu manch einem tapferen Reiterstücklein ward aus seinen Thoren geritten und manch ein gefangener Mann trauerte in seinen Gewölben, bis auch der stolzen Feste ihr Stündlein schlug und an einem schönen Maientag der Berg in seinem Innersten zusam- menschütterte und von Feindeshand gesprengt Thurm und Mauer in die Lüfte flog. Jetzo ist's still auf jenem Gipfel, die Ziegen weiden friedlich unter den riesigen Trümmerstücken, — aber über dem glänzenden Bodensee grüßt der Säntis aus blauer Ferne so anmuthig und groß herüber wie vor viel hundert Jahren, und es ist immer noch ein ver- gnüglich Geschäft, in's schwellende Gras gelagert eine Umschau zu halten über das weite Land. Und der dies Büchlein niedergeschrieben, ist selber manch einen guten Frühlingsabend droben gesessen, ein einsamer fremder Gast, und die Krähen und Dohlen flatterten höhnisch um ihn herum als wollten sie ihn verspotten, daß er so allein sei, und haben nicht ge- merkt, daß eine bunte und ehrenwerthe Gesellschaft um ihn versam- melt war, denn in den Trümmern des Gemäuers standen die Ge- stalten, die der Leser im Verlauf unserer Geschichte kennen gelernt, und erzählten ihm Alles, wie es sich zugetragen, haarscharf und ge- nau, und winkten ihm freundlich, daß er's aufzeichne und ihnen zu neuem Dasein verhelfe im Gedächtniß einer spätlebenden eisenbahn- durchsausten Gegenwart. Und wenn es ihm gelungen ist, auch dir, vieltheurer Leser, der du geduldig ausgehalten bis hieher, ein anschaulich Bild zu entwerfen von jener fernen abgeklungenen Zeit, so ist er für seine Mühe und einiges Kopfweh reichlich entschädigt. Gehab' dich wohl und bleib' ihm fürder gewogen! Anmerkungen . .. „Purchardus autem, dux Suevorum, Sueviam quasi tyrannice regens.“ Ekkehardi IV. casus S. Galli cap. 3. bei Pertz monumenta Germaniae historica II. 104. „hic cum esset bellator intolerabilis.“ Witukind lib. I. c. 27. .. „cum jam esset decrepitus.“ Ekkeh. casus S. Galli cap. 10. „Hadawiga, Henrici ducis filia, Suevorum post Purchar- dum vivum dux vidua, cum Duellio habitaret, femina admodum quidem pulchra, nimiae severitatis cum esset suis, longe late- que terris erat terribilis.“ Ekkeh. casus S. Galli cap. 10. bei Pertz II. 122. camisia clizana. pallium canum vel sapphirinum. Das Costüm der Vornehmen war mannigfacher Veränderung durch die Mode unterworfen. Zu Karl des Großen Zeiten trug man an den Füßen Schuhe, um die Beine hohe, camaschenartig zugeschnürte Binden, ein hemdartig linnenes Unterkleid und ein wollenes Oberkleid oder einen langen, von den Schultern bis zu den Absätzen reichenden Mantel, der durch Ausschnitt an den Seiten den Armen freie Bewegung ließ. Der lange Mantel wurde aber bald gegen einen kürzeren vertauscht, der sich indeß auch nicht als zweckmäßig bewährte. Vgl. des mona- chus San Gallensis gesta Karoli M. lib. I. c. 34. bei Pertz Mon. II. 747. Den Miniaturbildern sanctgallischer Handschriften, z. B. des psalterium aureum, ist mannigfacher Aufschluß über gleichzeitige Trachten zu entnehmen. Wehrgeld — nach mittelalterlichem Strafrecht, wonach fast alle Vergehen und Verbrechen mit Geld zu sühnen waren, ist ein dem Verletzten zu persönlicher Genugthuung; Buße (Wette, fredum ), ein zur Sühne des gestörten Friedens dem Volk, später dem Landesherrn zu entrichtendes Strafgeld. Die alten Volksrechte verzeichnen auch bei allen Gattungen von Thieren sorgfältig deren Wehrgeld, das im Fall von Tödtung oder Beschädigung der Eigenthümer zu erheben hatte. Wenn übrigens der Schaden mehr durch Zufall zugefügt wurde, lag kein Friedbruch vor, und es würde Herrn Spazzo sehr schwer gefallen sein, die Verurtheilung des für seinen Wolfshund verantwortlichen Herrn von Fridingen zu einer Buße durchzusetzen. Brautwerbungen zwischen dem byzantinischen Hofe und den deutschen Großen kamen in dieser Zeit wiederholt und wechselseitig vor. Oft wurden deutsche Bischöfe in solcher Mission nach Constan- tinopel gesendet, z. B. Bernward von Würzburg für Kaiser Otto III. , Werner von Straßburg für den Sohn Kaiser Conrad II. In einer Notiz des sanctgallischen liber benedictionum wird es sehr getadelt, daß die vornehme Männerwelt sich, mit Hintansetzung der deutschen Töchter, Frauen aus Italien und Griechenland holte. Die Vorliebe der deutschen Herren für byzantinische Damen begreift sich aber nach den Schilderungen derer, die Augenzeugen des neuen Tones und der liebenswürdigen Geselligkeit waren, welche durch Otto II. griechische Gemahlin Theophano an dem deutschen Kaiserhof eingeführt wurden. Sogar der ernsthafte Scholastiker Gerbert, nachmals Pabst Sylvester II. , sah sich veranlaßt, dem Zauber byzantinischer Frauensitte seine Aner- kennung auszusprechen. „Da mir diese gemüthlichen Gesichter, sagt er, diese socratischen Unterhaltungen entgegen kamen, vergaß ich allen Kummer und mich schmerzte nicht mehr der Gedanke meiner Aus- wanderung.“ Einheimische Vögel, künstlich abgerichtet, nahmen in den Salons jener Tage die Stelle ein, die heute den Papageien zukommt. Im Fragment VIII. des lateinischen Gedichts Ruodlieb wird sehr idyllisch erzählt von solch wundersam zahmen Staaren, die es verstehen, ihr Futter selbst zu verlangen und gelehrt sind: „Nostratim fari „ Pater “ et „ noster “ recitare Usque „ qui es in coelis “ lis, lis, lis triplicatis.“ s. Grimm und Schmeller, latein. Gedichte des X. u. XI. Jahrhun- derts, p. 174 u. 212. Haec quondam parvula, Constantino Graeco regi cum esset desponsata, per eunuchos ejus ad hoc missos literis gre- cis adprime est erudita, sed cum imaginem virginis pictor eunuchus domino mittendam uti simillime depingeret, sollicite eam inspiceret, ipsa nuptias exosa os divaricabat et oculos, sicque Gracco pervicaciter repudiato literis post latinis stu- dentem Purchart illam dux multipliciter dotatam duxit u. s. w. Ekkeh. casus S. Galli c. 10. bei Pertz, Monum. II. 123. ... ceu serpentes capitatae oscula quae sibi dant. Ruod- lieb, fragm. III. 335. Rorschach wird oftmals erwähnt als Durchgangspunkt für die nach Italien Reisenden. Das Gotteshaus Sanct Gallen übte, „von des Reichs wegen“, die Vogtey darüber. S. Oeffnung zu Rorschach v. 1469 bei Grimm, Weisthümer I. 233. Diplome sächsischer Kai- ser bestätigen den Aebten von Sanct Gallen das Markt-, Münz- und Zollrecht daselbst. S. Ildefons v. Arx Geschichte des Kantons Sanct Gallen I. 221. .. et clamativo illum cantu salutant: heil herro! heil liebo! et caetera. Ekkeh. casus S. Galli bei Pertz Mon. II. 87. „silvarum avidus.“ vita S. Galli. „de natione Scotorum, quibus consuetudo peregrinandi jam paene in naturam conversa.“ Walafrid Strabo in der vita S. Galli lib. II. cap. 47. bei Pertz Monum. II. 30. „Ascopam i. e. flasconem similis utri de coriis facta, sicut solent Scottones habere.“ Glosse einer sanctgall. Handschrift des neunten Jahrhunderts bei Hattemer, Denkmale des Mittelalters, Sanct Gallens altdeutsche Sprachschätze. Bd. I. 237. Und jetzt allerdings, rückblickend auf das wenige Gute, was die Nachwelt der Sorge wohlmeinender Vorfahren zu verdanken hat, mag man einstimmen in das Lob, das Herder s. Z. in seinem leider etwas hölzernen Poem „die Fremdlinge“ jenen frommen Wanders- männern ertheilt, „Die scotice mit altem Bardenfleiß Die Bücher schrieben und bewahreten.“ Regula S. Benedicti cap. 48. — Accepit solitus fratres post prandia somnus. Annales S. Gallenses majores bei Pertz Monum I. 81. .. in conclavi vase quodam argenteo mire figurato ad aquam inferendam utebatur. Ekkeh . IV. casus S. Galli cap. I. Pertz Mon. II. 88. Recalvaster est qui in anteriore parte capitis duo cal- vitia habet, medietate inter eos habente pilos, ut est Craloh abbas et Wikram. Glosse einer sanctgall. Handschrift zum Buch Leviticus, bei Hattemer Denkmale etc. I. 240. .. more hirundinis. erat senatus reipublicae nostrae tunc quidem sanctissi- mus. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 1. Pertz Mon. II. 80. enimvero hi tres, quamvis votis essent unicordes, na- tura tamen, ut fit, erant dissimiles. s. die rührende Schilderung der drei engverbundenen klösterlichen Freunde in Ekkeh. IV. casus S. Galli cap. 3. Pertz Monum. II. 94 u. ff., wo auch der böse Sindolt, ihr Widersacher, des Näheren gezeichnet ist. Ratpert ist auch der Verfasser des Lobgesangs auf den heiligen Gallus in deut- scher Sprache, von dessen Bedeutsamkeit die lateinische Uebertragung Zeugniß gibt, die wir noch besitzen. Hattemer Denkmale etc. I. 337. Das von Tutilo als Deckelplatten für eine Evangelienhandschrift geschnitzte Diptychon wird in der Sanctgallischen Stiftsbibliothek aufbewahrt. Man bevorzugte bei kirchlichem Schmuck das Elfenbein, da der Ele- fant, nach einem Ausdruck Notker Labeo's in seiner Psalmenüber- setzung für ein „keusches Vieh“ (chiûsche fiêo) galt. Hattemer Denk- male etc. II. 159. „Den ganzen Kreis des Wissens am Schluß des 9ten Jahr- hunderts vergegenwärtigt das in Sanct Gallen aus der Schule Iso's hervorgegangene, gemeiniglich nach dem Abtbischof Salomo III. von Konstanz genannte encyclopädische Wörterbuch (glossae Salomonis) in lateinischer Sprache. Es gibt zwar Manches aus dem Schatze der alten Lexicographen, namentlich aus Isidorus, wörtlich wieder, enthält aber doch auch viele Eigenthümlichkeiten zur Erläuterung da- maliger Weltansichten und Verhältnisse, und führt dabei die Mangel- haftigkeit der damaligen Kenntnisse und Begriffsbestimmungen vor Augen.“ Stälin württemberg. Geschichte Bd. I. p. 405. Die von Sindolt erwähnte Glosse lautet: Rabulum = thincman. qui sem- per vult ad unam quamque rem disputare. Sicut Ratolt facit. Es war nicht ungewöhnlich, daß die von ihrer Ordensregel so vielfach zum Schweigen veranlaßten Mönche einem verhaltenen Groll durch Einträge in die Handschriften und Bücher Luft machten. So ist auf dem letzten Blatt des Codex 176 ein großes Geschirr abgebildet, da- neben mehrere gröbliche Hexameter wider den Klostergeistlichen Grimvald geschrieben sind, z. B.: Grimvald, fällt es dir bei, aus diesem Kruge zu schöpfen: Möge sein Inhalt sofort sich in Säure des Essigs verwandeln Und ein unendlicher Husten sammt brennendem Durst dir bescheert sein. vgl. Hattemer Denkmale I. 412. Die Schmähverse des Schotten Dubduin sind mitgetheilt bei Ildefons v. Arx Berichtigungen und Zusätze zur Geschichte des Kantons Sanct Gallen, pag. 20. not. d. Ueber Sintram, den fleißigen Schreibekünstler, vgl. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 1. bei Pertz Monum. II. 89. Eine ganz ähnliche Kur mit Umschlag einer frischabgezogenen Wolfshaut und Einreibung des Gehirns eines indischen Fisches schlägt in dem seltsamen lateinischen Gedicht Ecbasis captivi v. 495 u. ff. der Fuchs dem kranken König Löwen zur Stillung des Fiebers vor. S. Grimm und Schmeller, latein. Gedichte des X. Jahrh. p. 259. .. mulieres ille et mala arborum naturali sibi quodam odio adeo execratus est, ut, ubi in itinere utrumvis inveniret, mansionem facere nollet. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 4. Pertz Mon. II. 104. s. I. v. Arx Berichtigungen und Zusätze etc. pag. 26. s. vita Wiboradae, auctore Hartmanno in den acta Sancto- rum. Mai. tom. I. p. 288. Et quoniam hic locum aptum puto de Ekkehardo. rem arduam aggredior, quoniam cum tales viri aut nulli aut rarissimi sint, discredi mihi vereor. Erat hic facie adeo decorus, ut inspicientes, sicut Josephus de Moyse scribit, gratia sui detineret. Statura procerus, forti assimilis, equaliter grossus, oculis fulgurosus; ut quidam ad Augustum ait: Quia fulmen oculorum tuorum ferre non possum. Sapientia et elo- quentia, maxime autem consiliis, nemini id temporis postponen- dus. In aetate florida gloriae, ut talis facturae vir, quam humilitate proximior, sed postea non ita; quia disciplina, cum qua nihil unquam participii superbia habuit, in ipso erat spec- taculo digna. Doctor prosper et asper. Nam cum apud S. Gallum ambas scolas suas teneret, nemo praeter exiles pusiones quicquam alteri nisi latine ausus est proloqui etc. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10. bei Pertz. Monum. II. 122. .. saepe juniori Dominus revelat quod melius est! Regula S. Benedicti c. 3. ... melius claudicare reges quam regna. Nemini unquam, ait, Benedicti cuculla decentius in- sederat! Ekkeh. casus S. Galli c. 10. „Sanct Gallen war wegen der genauen Beobachtung klöster- licher Ordnung und dem tugendhaften Lebenswandel seiner Glieder besonders gerühmt. Daher galt es für eine große Ehre, in die Zahl der Verbrüderten — fratres conscripti — aufgenommen zu werden, zumal da man so das Verdienst frommer Uebungen erwarb, ohne sie doch wirklich mitzumachen. Manche ließen sich deßwegen Vieles kosten. Das Verzeichniß der fratres conscripti ist noch vorhanden. Es stehen darin Kaiser, Könige von Deutschland, England, Frankreich, Prinzes- sinnen, Bischöfe und Grafen.“ I. v. Arx Geschichte des Kantons Sanct Gallen I. 181. „Vidi egomet comites aliosque potentes, loci quoque mi- lites festis diebus crucem nobiscum sequendo juvenes et senes quosdam ad cingulum barbatos monachicis roccis nobiscum quaqua ivimus, ingredi.“ Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 16. .. wil er zu nacht aber da buliben, so sol icklich schupposse, die in den hof hoeret, geben ein hun u. s. w. Grimm Weisthümer I. 1. .. canem seucem, quem „leithihunt“ vocant ... seucem, qui in ligamine vestigium tenet, quem „spurihunt“ dicunt ... Canem, quem „bibarhunt“ vocant, qui sub terra venatur. lex Baiuwarior. tit. 19 de canibus. s. auch lex Ala mannor. tit. 83 de canibus. „Der heber gât in˘lîtun er trégit sper in˘sîtun Sîn báld éllin ne lâzet in véllin. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 27 Imo sint fûoze fûoder mâze, imo sint búrste ébenhó fórste únde zéne sîne zvvélif élnîge.“ Dies ehrwürdig alte Volkslied, das anscheinend entweder aus des Romeias Jagdgeschichte entstand, oder von ihm seiner Jagdgeschichte zu Grunde gelegt ward, ist der Nachwelt erhalten durch die sanct- gallische (vielleicht Notker'sche) Abhandlung über die Rhetorik, allwo es als geeignetes Beispiel hyperbolischer Redeweise (nam plus dicitur fet minus intelligitur) aufgeführt wird. Vgl. Hattemer Denkmale etc. Bd. III. pag. 577. s. vita S. Galli bei Pertz Monum. II. 9. regula S. Benedicti cap. 1. In rauhen Zeiten sucht der Mensch seinem Gott auch in rauher Form zu dienen. Das Klausnerthum sagte damals weltabgewandten Ge- müthern zu, und Beispiele von solchen, die über zwanzig und dreißig Jahre lang solch eine freiwillig auferlegte Einzelhaft trugen, beweisen, daß das physische Leben durch einen starken, vom Glauben, etwas Verdienst- liches zu thun, beseelten Willen lang gefristet werden kann. In der Hand- schrift der sanctgallischen annales maiores ist ein Abbild des Priester Hartker erhalten, eine unterwürfige, krummgebeugte, demüthig kasteite Gestalt, in faltigem Mönchsgewand mit großer Tonsur und der Ueber- schrift Hartkerus reclusus. S. Pertz Monum. I. 72. Diesem ist im liber benedictionum folgender Nachruf gewidmet: Wer hat ein härteres Loos als Hartker der Klausner getragen, Der in beengender Haft sich dreißig der Jahre kasteite? Immerdar stand er gebückt, so niedrig war die Bedachung, Kissen des Kopfs war ein Stein. Auf diesem schlief und entschlief er Und in Kreuzesgestalt die gemagerten Arme entbreitend Wandt' er zum Himmel den Blick und befahl dem Herrn seine Seele. s. I. v. Arx Geschichte etc. I. 232. Ein namhafter Reclausus früherer Zeit war der heilige Fintan († 827), der das Kloster Rheinau unweit Schaffhausen gestiftet. Ganze Nächte hindurch hörte man ihn in seiner Zelle laut beten und in den fremden Lauten seiner irischen Heimathsprache die Versuchung des bösen Feindes beschwören. s. vita S. Findani confessoris bei Mone, Quellensammlung der badischen Landesgeschichte pag. 57. Ueber die Ceremonien beim Act der Einschließung vergl. Martène de antiq. ecclesiae ritib. II. 177. Wiborad ist ein altdeutscher Name und bedeutet „Rath der Weiber“. — Zwei Mönche des Klosters Sanct Gallen, Hartmann und Hepidan, haben die Lebensgeschichte dieser durch ihren tragischen Ausgang bedeutend gewordenen Klausnerin verfaßt. Sie sind in die acta Sanctor. der Bollandisten (Monat Mai, Bd. I. 284 u. ff.) aufgenommen. s. auch Pertz Monum. VI. 452. .. magistra praedurata .. Lucas IX. 62. .. „Castitatis, inquit, fili mi tibi cingulum per hoc lineum meum a Deo accipe. Continentiaeque cingulum per hoc lineum meum a Deo accipe, continentiaeque strophio ab hac deinceps die per Wiboradam tuam te praecinctum me- mento. Cave autem, ne ullis abhinc colloquiis vanis mulier- culis miscearis. Et si, ut facillime fit, aliquo carnis igne in- census fueris, loco in quo fueris, mutato, „„Deus in adiutorium meum intende. Domine ad adiuvandum me festina““ mox cantaveris. Sin autem sic pacem aliquo alio lapsu tuo vetante non habueris, titionem sive candelam ardentem quasi aliud aliquid agas querens, digitum vel leviter adure, eodem- que versu dicto securus eris.“ Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3. Pertz Mon. II. 107. .. et accepit angelus folia lauri et scripsit in eis verba orationis et dedit ea Pachumio dicens: manduca ea, et 27* erunt amara in ore tuo sicut fel, ventremque tuum implebunt obsecrationibus sapientiae, dabitur tibi forma orationis sanae doctrinae. Et accipiens Pachumius man- ducavit et factum est os ejus amarum, porro venter ejus dulcedine impletus est, et magnificavit Dominum valde.“ Vita Pachumii Sti. abbatis in der Handschrift 310 der Carls- ruher Hofbibliothek. de cilicio etiam, quo ipsa utebatur, cuius hodie asperi- tatem pro reliquiis id habentes horrescimus .. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3. Pertz Mon. II. 107. proferensque mala de silva acidissima, inhianti et de manibus ejus rapienti reliquerat. At illa vix unum dimidium ore et oculis contractis vorans, caetera projiciens: „Austera es, inquit, austera sunt et mala tua.“ Et cum esset literata: „Si omnia, inquit, mala factor talia creasset, nunquam Eva malum gustasset!“ „Bene, ait illa, Evam memorasti; enim- vero quomodo tu sic deliciarum avida erat, ideo in escula unius mali peccaverat.“ Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10. Pertz Mon. II. 119. Der Erzengel Michael war dem Mittelalter Gegenstand mannig- fachen Aberglaubens. Man glaubte, daß er die Wache am Throne Gott Vaters halte, ja sogar, daß er Montags vor ihm die Messe celebrire. Bischof Rather von Verona eifert in seiner Predigt de quadragesima heftig gegen diese rohen sinnlichen Vorstellungen: Vgl. Vogel, Ratherius v. Verona und das zehnte Jahrhundert. Bd. I. 293. Hroswitha von Gandersheim hat die Geschichte von der Thais und dem Anachoreten der Wüste in ihrer naiven lateinischen Comödie Paphnucius behandelt. s. Magnin, théatre de Hrotswitha, Paris 1845. pag. 280 u. ff. „Quid mihi et inanibus hujus seculi vanitatibus? Audio in coelis signa sonitusque campanarum ac dulcisonam ange- licae modulationis harmoniam: illuc ire desidero, his interesse delector.“ Vita Wiboradae auctore Hartmanno cap. 2. Frau Wendelgard's Sehnsucht nach dem gefangenen Ehge- mahl ward in anmuthiger Weise gestillt. Sie ging aus ihrer Klause jedes Jahr einmal nach Buchhorn, um des Grafen Ulrich Angedenken mit einer feierlichen Jahrzeit zu ehren. Wie sie einst nach derselben mit eigener Hand den Armen Almosen austheilte, stand Einer unter den Bettlern, zerrissen und entstellt, dem schenkte sie ein Kleid. Er aber ließ ihre Hand nimmer aus der seinen, zog sie zu sich und küßte sie vor allem Volk, strich sein Haar zurück und sprach: erkenne deinen Gemahl. Da Frau Wendelgard, unwillig über solchen Gewaltstreich eines Fremden, sich abwenden und ihn den Dienern zur Züchtigung überweisen wollte, wies er ihr eine alte Narbe, und wie aus langem Schlaf erwachend fuhr sie auf: O mein Gebieter, du aller Menschen mir der theuerste, sei gegrüßet, du mein Herr, sei gegrüßt, du immer süßer! und lag weinend in seinen Armen. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10. Pertz Mon. II. 120. .. pelle ejus simulatae sanctitatis detracta .. Hepidan. vita Wiboradae cap. II. .. quia nondum in se mortificaverit philargyriam, quae est omnium radix malorum u. s. w. Die Anklagen wegen deren sich Wiborad einst vor dem Bischof in Constanz zu verantworten hatte, sind ausführlich nachzulesen in Hepidan. vita Wibor. II. 11. ... grave pondus auri Veronensis, Geschenk des Bischof Petrus. Die Klostergeschichte ist reich an Aufzeichnungen der durch Fürsorge der Aebte oder die Huld fremder Gönner erworbenen Kostbarkeiten. s. Ekkeh. IV. casus S. Galli cap. 1. Pertz Mon. II. 81. .. magnum calicem ex electri miro opere. Casuum S. Galli contin. II. c. 7. bei Pertz II. 157. An den Heilkräften des Bernstein wurde nicht gezweifelt. Quod vero medeatur multis vitalium incommodis, medentium docuit disciplina. Sanctgall. Handschrift des X. Jahrhunderts bei Hattemer Denkmale etc. I. 414. Spicharium novum solis feris et belluis, avibusque domesticis et domesticatis juxta fratrum quod et ipsum jam fieri jussit magnificum, condi fecit. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 16. Simia nare brevi nate nuda murcaque cauda Voceque milvina, cute crisa catta marina In quibus ambabus nil cernitur utilitatis . Ruodlieb fragm. III. 131 u. ff. Diese Fabel von der Murmelthiere abenteuerlichem Fuhrwesen, die sich das Mittelalter mit großer Behaglichkeit erzählte und die z. B. noch Sebastian Münster in seine Cosmographey aufnahm (p. 498) hat ihren Ursprung in Plinius historia naturalis. .. „Ein vogil heizit Caradrius . in dem buoche deute- ronomio da ist gescriben daz man ihn ezzen nescule. Dannen zelet physiologus und chût daz er aller wiz si. Ein mist der von ihm faehrt, der ist ze den tunchelen Ougen vile gûet. Mit disem vogile mag man bechennen ob der sieche mann irsterben oder genesen scol. Ob er sterben scol, so cheret sich der charadrius von ihme. Ob er aber genesen scol, so cheret sich der vogil zuo dem manne und tuot sinen snabel uber des mannes munt und nimit des mannes unchraft an sich; sa fert er ûf zuo der sunnen unte liuterit sich da: So ist der mann genesen.“ Physiologus, ein Weisthum von Thieren und von Vögeln, mitgetheilt von Wackernagel Altdeutsches Lese- buch I. pag. 166. Es ist nicht bekannt, was für naturgeschichtliche Thatsachen zu dieser tiefsinnig schönen Sage vom Caradrius Veran- lassung gaben. In Sanct Gallen wurde sie von Verschiedenen ver- schieden erfaßt, denn während sich unter den Thiernamen, die dem Wörterbuch des heiligen Gallus vorausgesetzt sind, (s. Hattemer Denk- male etc. I. 9. 10. ) die bedeutsame Glosse findet: Cha-ra-drion: et ipsam non habemus, sed tamen dicitur et ipsam volare per medias noctes in sublimitate coeli, begnügen sich spätere Hand- schriften damit, das Wort caradrius geradezu mit lericha, Lerche, zu übersetzen, was auf ein Verschwinden der früher bekannten Sage zu deuten scheint. s. Hattemer Denkmale etc. I. 287. 318 u. a. .. longum est dicere quibus jocunditatibus dies exe- gerit et noctes, maxime in processione infantum, quibus poma in medio ecclesiae pavimento antesterni jubens, cum nec unum parvissimorum movere nec ad ea adtendere vidisset, miratus est disciplinam. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 1. Pertz Mon. II. 84. „Homo animal capax disciplinae.“ Hroswitha v. Gan- dersheim. Notker Labeo hat den Erwartungen, die der Abt auf ihn setzte, entsprochen. Er erwarb sich den Ruhm des gelehrtesten Man- nes seiner Zeit. „Er war, wie aus seinen Schriften erhellt, ein Gottesgelehrter, ein Musiker, ein Dichter, ein Astronom, ein Mathe- matiker; in der Bibel, in den Kirchenschriftstellern, Vätern und Klas- sikern wohl bewandert, der deutschen, lateinischen und griechischen Sprache mächtig.“ I. v. Arx, Geschichte v. St. Gallen I, 277. Seine noch vorhandenen deutschen Werke bilden den zweiten und dritten Band von Hattemer's Denkmalen des Mittelalters. Es sind insbesondere die Auslegungen der Psalmen, des Aristoteles, des Boethius, des Marcianus Capella und ein Aufsatz über die Tonkunst. Notker der Großlefzigte starb in hohem Greisenalter an der Pest. Vor seinem Tod legte er eine öffentliche Beichte ab, in der er u. A. seine Reue darüber aussprach, daß er einst in klösterlichem Habit einen Wolf erschlagen. Die Stelle ist aus Aristoteles Kategorien cap. 36. Notker's Uebersetzung s. bei Hattemer III. 401. Erat utique jus illorum, sicut adhuc hodie quidem est, quoniam exleges quidem sunt, ut hospites intrantes captant, captos, usque dum se redimant, teneant. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 1. Pertz Mon. II. 91. .. „enimvero si vixero,“ ait, „me redimam et talem indolem remunerabo.“ Collectisque quantocius ante januam scolarum fratrum primis, statuit pueris illis et eorum perpetuo posteris pro testamento singulis annis ludi sui tribus ab im- perio statutis diebus in eisdem scolarum aedibus carnibus vesci et de abbatis curte singulos tribus donari aescis cottidie et potibus. Quod cum ipse quidem annuatim praesens solvi ju- beret, postea ita solutum est usque ad Ungrorum, de quibus loco suo dicturi sumus, invasiones. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 1. Fehler wider die Ordensregel zogen die Strafe der Geißelung nach sich, der sich die Klostergeistlichen willig unterwarfen, wiewohl es eine knechtische Züchtigung war, und ein Freier, mit dieser Strafe belegt, nach den alten Volksrechten seine Freiheit verlor. Der Schul- dige ward an eine Säule gebunden und nach Ausziehung der Ober- kleider gegeißelt. Eine noch erhaltene Geißelkammer, ähnlich der hier beschriebenen, findet sich im würtembergischen Kloster Maulbronn. In den Klosterschulen bediente man sich der Ruthe. Daß die Bußwerk- zeuge von denen, die darunter zu leiden hatten, in gutmüthigem Humor mit eigenen Namen versehen wurden, beweist des Bischof Salomo Wörterbuch, wo die anguilla (Schlange oder Aal) von der scutica (Riemenpeitsche) unterschieden wird. Tacitus German. cap. 8. pectines eburnei ... In Kämmen trieb das Mittelalter Luxus. Bekannt ist der silbergefaßte steinverzierte Kamm der Longobardenköni- gin Theodelinde im Domschatz zu Monza, und der von Heinrich II. her- rührende Elfenbeinkamm in Bamberg. Die Sitte, die gewöhnlichsten und gleichgiltigsten Verrichtungen des täglichen Lebens mit einem Ge- bet einzuleiten, veranlaßte, daß man auch für Schneiden und Kämmen des Haupthaars, Zustutzen des Barts u. s. w. Gebetsformeln auf- stellte. Die Handschrift 395 der sanctgall. Bibliothek enthält deren eine Reihe, und da sich dieselbe mit einer benedictio ad omnia quæ volueris schließt, darf man sich billig nicht mehr wundern, auch die benedictio ad barbam comendam, ad capillos tondendos u. s. w. vorzufinden. regula S. Benedicti cap. 38 de hebdomadario lectore. Für diejenigen verehrten Leserinnen, die mit dem Althochdeutsch noch weniger vertraut sind, als der Verfasser dieser Anmerkungen, und die sich vielleicht dafür interessiren, wie dieser Psalm damals wirklich in Ekkehard's Mund und Sprechweise geklungen habe, sei hiemit die wenig Jahrzehnte spätere Verdeutschung Notker's als Probe mitgetheilt: Psalmus XLIV. Kuôt wort irrópfezta mîn herza. mîniu werch sago ih démo chúninge. mîn wort ist also stâte also diu scrift des spuôtigo scríbenten. Scône pist du fóre allen ménniscon. knada ist kebreîtet in dînen lefsen. fone diu ségenôta dih Got in˘ewa. Curte dîn swert umbe dîn dîeh: filo gewáltigo. mit dînem ménniscinen bilde und mit dînero gótelîchun scôni. Sih an únsih. unde frám spuotigo chum hára fone hímele unde rîcheso hier in dînero ecclesia. umbe warheît unde mámenti unde reht. Unde leîtet dih wúnderlicho dîn zésewa. dîne strâla sind wasse, hárto mahtige. Under dih sturzent die líute, in demo herzen des chuninges fiendo. din stuôl Got, unde dîn riche weret îemer. Kerta gerihtennis ist dînes rîches kerta u. s. w. s. Hattemer Denkmale etc. II. 156 u. ff. „Dieses Musessen war in Sanct Gallen so gewöhnlich, daß Kero das Wort cibi (Speisen) nicht besser als mit Mus, und das Wort coenare (speisen) nicht anders als mit Abendmusen zu über- setzen wußte.“ I. v. Arx Gesch. I. 178. regula S. Benedicti cap. 39 de mensura cibi. „Ilanch præcellat allemannicus et mala pellat.“ s. Hat- temer Denkmale etc. III. 599. (In der vorzugsweise als liber bene- dictionum bezeichneten Handschrift 393 ist eine so reiche Speisekarte von Fischen aufgezählt (Aeschen, Trischen, Lampreten u. s. w.), daß man sie mit dem Gefühl vollkommener Befriedigung in Betreff des Zustands der Klosterküche an den Fasttagen aus der Hand legt. Möchte sie durch vollständige Ausgabe größeren gastronomisch-philologischen Kreisen nicht länger vorenthalten bleiben.) Sueton. im Leben des Augustus c. 77. Uebrigens trank der Kaiser selbst an jenem traurigen Tag nicht mehr als einen sextarius (etwa 1 Schoppen). regula S. Benedicti c. 40 de mensura potus. Ob der Abt Recht gehabt, die deutsche Sprache, so wie sie damals gesprochen ward, also anzufechten, möge dahin gestellt sein. Sie hat sich seither von Grund aus umgestaltet, die Mehrzahl der kernigen, kräftigen, einem steten Verkehr mit der Natur entnommenen Worte, sowie die vollen tonreichen Formen sind verschwunden und ha- ben einer kühleren, gefirnißten und abgeschliffenen Redeweise Platz ge- macht. Uns aber, wenn wir des alten Notker ungefüg großartige deutsche Schriften lesen, weht es jedesmal daraus an wie ein Hauch würziger Bergluft und ächter, ehrwürdiger Poesie, die von keinem Spatzengezwitscher und von keinem Rabengekrächze durchschnarrt ist. Vita S. Benedicti abbatis a Gregorio Magno romano Pontifice conscripta cap. 2: de tentatione carnis superata. .. de voluntate ipsius ipsa cum eo pridie secreta con- dixerat. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10. Tutilo's Räubergeschichte s. Ekkehard IV. casus S. Galli cap. 3. bei Pertz Monum. II. 98. Ueber die damaligen Musikinstrumente und den Zustand sanct gallischer Musik gibt Notker Labeo's Aufsatz — s. Hattemer Denk- male etc. III, 586 u. ff. — wichtigen Aufschluß. Die hier gegebene Be- schreibung der Instrumente ist auf die bildlichen Darstellungen in Not- ker's Psalmenbuch (Handschrift 21 der sanctgall. Bibliothek) gestützt. Das eine Blatt der beiden Federzeichnungen, die den Eingang des Buches schmücken, stellt den König David vor, auf dem Throne sitzend und mit einem Plectron die siebensaitige Leier spielend. In den vier Ecken stehen vier Männer mit Violine, Zither, Hackbrett und Harfe. Bei der Aengstlichkeit, mit welcher diese übrigens fein gefühlten Ge- stalten ausgeführt sind, ist anzunehmen, daß der Künstler nichts er- funden, sondern sich an Vorhandenes gehalten hat. .. quae autem Tutilo dictaverat, singularis et agnos- cibilis melodiae sunt, quia per psalterium seu per rohtam, qua potentior ipse erat, neumata (i. e. vocum modulationes) inventa dulciora sunt. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3. „quid vero dies illa consumpserit, Dominus solus novit ..“ „cigneo canore dulcior sonus.“ „Alpina siquidem corpora vocum suarum tonitruis altisone perstrepentia susceptae modulationis dulcedinem proprie non resultant. Quia bibuli gutturis barbara feritas. dum inflexioni- bus et repercussionibus mitem nititur edere cantilenam, naturali quodam fragore quasi plaustra per gradus confuse sonantia ri- gidas voces iactat.“ Ein sanctgallischer Musikfreund, der dies ita- lische Kunsturtheil später doch zu lesen bekam, schrieb an den Rand: vide jactantiam romaniscam in teutones et gallos! d. h. „Siehe da wieder ein Stück romanischer Unverschämtheit gegen die Deutschen und Franzosen!“ s. Hattemer Denkmale etc. I. 420. Mit Geschenk, Kuß und Scheidetrank nehmen nach mittel- alterlicher Sitte Gastfreunde von einander Abschied. Diese Förmlich- keiten wurden streng eingehalten. Bischof Salomo von Constanz schenkt den zum Gastmahl geladenen Kammerboten kostbare Glasge- fäße, und wiewohl sie, Groll im Herzen tragend, die Gläser zu Boden fallen lassen, daß sie zerbrechen, küssen sie einand noch und trinken des Abschieds Minne. „Amoreque, ut moris est, osculato et epoto laetabundi discedunt.“ Ekk. IV. casus S. Galli c. 1. bei Pertz Mon. II, 84. s. auch Ruodlieb fragm. III. v. 221. Eine anmuth- volle Schilderung solcher Courtoisie gibt des Nibelungenlieds siebenund- zwanzigstes Abenteuer, da König Gunther mit seinen Mannen sich beim Markgrafen von Bechelaren beurlauben. Auch die Frauen verschmäh- ten nicht, sich mit minniglichem Kusse von ihren Gästen zu scheiden. Ein solches Schaustück ist ausführlich beschrieben im Ruodlieb fr. III. v. 309 u. ff. Einträge dieser Art auf dem Titelblatt, wie sie jetzt noch die Kinder herkömmlicherweise in ihre Schulbücher zu machen pflegen, kommen in damaligen Handschriften häufig vor. Dieses Psalmenbuch, der s. g. liber Sancti Galli aureus, ist jetzt noch ein Kleinod der sanctgallischen Bibliothek. Die in frischen Farben glänzenden Miniaturen sind in manchen Motiven noch vom nachwirkenden Geist der Antike erfüllt, gewandt, mit Verständniß von Gestalt und Faltenwurf und einer gewissen unbefangenen künstlerischen Sicherheit hingezeichnet und leicht colorirt. Die mit reichen Arabesken gezierten Initialen, und das die Bilder umrahmende architectonische Beiwerk gewähren mannigfache Einsicht in die baulichen Formen jener Zeit, deren monumentale Reste so selten geworden. — Auch Anfänge der Wandmalerei zum Schmuck der kirchlichen Gebäude kommen schon vor. Ein Abt Immo ließ in vielen an den Wänden der Münster- kirche angebrachten Gemälden die Lebensgeschichte des heil. Gallus darstellen; von einem spätern Abt Manegold wird berichtet, daß er ein Bild de materia genealogiae Christi und außerdem ein letztes Gericht in muro bonis coloribus herstellen ließ. s. casuum S. Galli II. continuatio c. 8. Pertz Mon. II. 161. Ild. v. Arx Geschichten des Kantons St. Gallen I. 237. Die Wandmalereien des Kloster Rei- chenau sind besungen von Burkhard bei Pertz Mon. VI. 629. Vocabularius Sancti Galli, dem Sprachforscher wichtig durch den Schatz althochdeutscher Wörter, noch erhalten und vielfach abge- druckt, z. B. bei Hattemer Denkmale etc. I. 11-14. Auch dieses werthvolle Denkmal aus der Zeit Kaiser Ludwig des Frommen wird noch von der sanctgallischen Bibliothek bewahrt. Vgl. Keller der Bauriß des Klosters Sanct Gallen. ... Thieto caminatam quandam „veterum seniorum an- gulum“ vocatam introiit. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 6. Pertz Mon. II. 112. Vgl. auch II. 135. Die Geschichten vom Bischof Salomo und seinem Hader mit den Kammerboten sind nachgerade ein weniges abgedroschen und abgesungen. Den offenbar mannigfach zur Sage gewordenen Thatbestand erzählt Ekkehard IV. casus S. Galli. cap. 1., zu einer Reihe Balladen zu- sammengeschmiedet hat ihn ein Sänger der schwäbischen Schule etc. digneris, domine, et hos benedicere fustes ... Benedictio ad capsellas et baculos ad iter agentes in der Handschrift 395. Ermenrici coenobitae augiensis tentamen etc. bei Pertz Mon. II. 32. Auch der Verfasser der größeren sanctgallischen Anna- len nennt die Reichenau einen hortus deliciarum. s. Pertz Mon. I. 79. Der Gegenstand religiöser Verehrung, der den Fischer von Er- matingen in Strafe brachte, scheint das Idol von Erz gewesen zu sein, das man für einen hercules allemannicus hielt und das nach Gallus Oeheims Bericht noch im XV. Jahrhundert auf dem Grab des Egino stand. Es stach dem vornehmen Alterthumsforscher Kaiser Max I. so in die Augen, daß er es, wie s. Z. den Neptunus vom Stadtthor zu Ettlingen (Bader das bad. Land und Volk I. 329) kurzerhand ent- führte und in Inspruck aufstellen ließ. Nach einer Notiz in G. Schwab's Bodensee II. 293 befand es sich ums Jahr 1764 in der churpfälzi- schen Alterthümerkammer. benedictio vini novi. Handschrift 395. ... erant autem dies vindemiae, quibus fratres ad obe- dientias (i. e. labores in agro) dimissi sunt per vineas. Ekkeh. casus S. Galli c. 3. Pertz Mon. II.97. Regula S. Benedicti cap. 31: de cellerario monasterii qualis sit. s. die Edda übersetzt von Simrock p. 14. ... at illa de camera egressa salutans conpatrem, hos- pitem illum dormire putans, optulit viro mustum, quo ille im- pigre hausto vaseque reddito mammam foeminae titillat assen- tientis. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3. .. hospes vero viso facinore exilit, illum scelestum inclamitans, comis apprehensum in terram dejicit, flagelloque quo ad equum usus est, adhuc in manu habito acriter homi- nem cecidit adjiciens: hoc, inquit, tibi Sanctus Gallus, S. Al- bani Frater, dedit.“ Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3. Pertz Mon. II. 97. dura viris et dura fide, durissima gleba! Notker. Protospathar: Befehlshaber der Leibwache. s. Gibbon Geschichte des röm. Weltreichs c. 53. .. aegre exspectatus. ..Fortunate, ait, qui tam pulcram discipulam docere habes grammaticam! Ad quod ille quasi caro assensu subridens, talia in aurem adversario reddit amico: Sicut et tu, Sancte Domini, Kotelindam monialem pulcram discipulam caram docuisti quidem dialecti- cam. Dictoque citius, cum ille nescio quid resibilare vellet, ab co divertens, equo ascenso indignanter abivit. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10. Pertz II. Die Ausübung des Waidwerks war eigentlich wider die geist- liche Disciplin. Eine Augsburger Synode von 952 (Pertz Monum. IV. 27) verbietet den Bischöfen und der Geistlichkeit überhaupt das Würfelspiel, die Jagdbelustigung und das Hunde- und Habichthalten zu diesem Behufe bei Strafe der Absetzung. Sticmata: pictura in corpore quales Scotti pingunt. Glosse einer sanctgall. Handschrift bei Hattemer Denkmale etc. I. 227 und 233. Die Sitte des Bemalens der Augenlider und des Tätto- wirens der Arme scheint den Scoten und Iren damals gefallen zu haben. Die also eingeätzten Bilder mögen von roher schier unver- ständlicher Häßlichkeit gewesen sein, wie dies aus den noch vorhandenen Miniaturen irischer Herkunft in den Handschriften geschlossen werden darf. Dieselben sind durch fremdartigen und — wenn das Wort noch erlaubt ist — keltisch unschönen Ausdruck, sowie durch gänzlich barba- rische Art der Darstellung sehr unvortheilhaft von den gleichaltrigen, von germanischer Hand gefertigten, verschieden. Der Christus am Kreuze mit seinem hufeisenförmigen arabeskenartigen Bart, und ver- zwicktem Munde, und die als Thiergestalten gezeichneten Evangelisten haben etwas Fetischartiges. „Das Silbergeld bestand lang in einem Bleche, das so dünn wie Laub, und nur auf einer Seite grob und tief gepräget war. (nummi bracteati). “ I. v. Arx Geschichten etc. I. 451. „Sie wollen lieber Jäger als Lehrer, lieber kühn als mild, lieber verschlagen als herzenseinfältig heißen ... Sie spielen Kreisel und meiden darum auch das Würfelspiel nicht. Sie gehen fleißig mit dem Spielbrett anstatt mit der Schrift, mit der Wurfscheibe anstatt mit dem Buch um. Sie wissen besser, was dich ein Fehlwurf kostet, als was die Heilswahrheit fordert, verbietet oder verheißt, besser was der Glückswurf bringt, als was sie Gott zu danken schuldig sind ... Sie lassen sich silberne Schaalen, Kannen von großer Kostbarkeit, Krüge (crateres) , ja Trinkhörner (conchas) von bedeutendem Gewicht und einer jedem Zeitalter verhaßten Größe machen. Sie bemalen ihre Weinkrüge und Schleifkannen, während die nahe Basilica von Ruß erfüllt ist.“ Vogel Ratherius von Verona und das zehnte Jahrhundert I. p. 44. Moengals Latein ist etwas verwildert. Wenn indeß selbst Bischöfe in der Hofsprache sich classischer Wendungen wie: sic omnes perriparii possunt bubus agricolantibus vetrenere (So kann jeder Bauer am Pfluge seinen Ochsen was vordröhnen) bedienten, und Geschichtschreiber dies in ihren Text aufnahmen (Monachus San Gall. gesta Karoli I. 19 bei Pertz Mon.II. 739), so darf dem Latein eines Leutpriesters Einiges zu gut gehalten werden. .. Moengal, postea a nostris Marcellus diminutive a Marco avunculo sic nominatus, hic erat in divinis et humanis eruditissimus \&c... Siehe die ganze Geschichte seines Besuchs und Ver- bleibens im Kloster bei Ekkeh. casus S. Galli c. 1. Pertz II.18. .. in campanarium S. Galli per gradus ad hoc quidem nobis paratos ascendere incipit, uti oculis, quia gressu non licuit, montes camposque circumspiciens, vel sic animo suo vago satisfaceret. Ekkeh. casus S. Galli c. 3. Pertz Mon. II. 99. Den Haken hatte sie. Kam vor Kurzem ein schriftgelehrter Sohn der grünen Erin in die Bücherei des heiligen Gall, sich seines frommen Vorfahren Werk genau zu besehen und abzuschreiben. Da reichten sie ihm den in schwarzen Sammt gebundenen Codex des Pris- cianus und er hub die Arbeit an; bald aber tönte ein verhaltenes Lachen zu den Bücherbewahrern im großen Saal, und wie sie herüberkamen, verdeutschte ihnen der Rector von Dublin die irischen Glossen zum Latein wie folgt: Gottlob es wird schon dunkel! Heiliger Patrik von Armagh, erlöse mich von der Schreiberei! O daß mir ein Glas alten Weines zur Seite stünde u. s. w. Das war Moengal's Uebersetzungswerk! Der Wachtelruf scheint den Ohren mittelalterlicher Waidmänner etwas anders geklungen zu haben, als heutzutag, denn das Wort quak- kara, womit der Mönch von Sanct Gallen (..„quakaras etiam et alia votatilia“ gesta Karoli I. 19 bei Pertz II. 739) anstatt des classischen coturnix die Wachtel selbst bezeichnet, soll offenbar den Eindruck des Wachtelschlags wiedergeben. Dieser brave Schriftsteller, in welchem die Nachwelt einen Mitbegründer des Jägerlateins zu verehren hat, mag übrigens den Wachteln und „dem andern Geflügel“ auf eigenen Waidmannszügen ebenso oft nachgezogen sein als irgend ein Autor späterer Tage. In Glossen sanctgallischer Handschriften wird indeß die Wachtel auch quasquila und quatala benannt. s. Hat- temer Denkmale etc. I. 246 u. a. Nicht ohne Grund. Herr Luitfried drang damals mit gezücktem Schwert unter Schmähreden auf den Bischof ein; nachdem ihn seine Oheime zurückgehalten und Rathes gepflogen, was mit dem Gefangenen beginnen, stimmte er dafür, ihm entweder die Augen auszustechen oder die rechte Hand abzuhauen. Auf dem Weg zur Thietpoldsburg zwang man den Kirchenfürsten, etlichen herbei gelaufenen Schweinehirten die Füße zu küssen u. s. w. .. paratur citissime lavacrum ut pulvere et lassitudinis tergeretur sudore. Ekk. IV. casus S. Galli c. 1. Pertz Mon. II. 86. Commoditas talentum valet! (alter geistlicher Spruch.) .. Duellium die condicto cum aegre expectatus veniret, ultra quam ipse vellet susceptum in conclave suo proximum, suum, ut ipsa ait, manu duxit magistrum. Ibi nocte et die cum familiari aliqua intrare solebat ad legendum pedissequa, foribus tamen semper apertis, ut, si quis etiam ausus quid esset, nihil quod diceret, sinistrum haberet. Illic quoque crebro ambos ministri et milites, principes etiam terrae, lectioni aut consiliis invenerunt agentes. Ekkeh. casus S. Galli cap. 10. bei Pertz Mon. II. 123. Siehe Grimm, deutsche Rechtsalterthümer, 1. Aufl. p. 339. S. Grimm, deutsche Mythologie, 3. Ausg. p. 695. .. vasque magnum, quod vulgo cupam vocant, quod viginti et sex modios amplius minusve capiebat, cerevisia ple- num in medio habebant positum.“ Vita S. Columbani. Ausonius Idyll. 7. Das alemannisch-schwäbische Heidenthum beruhte auf einem einfachen Cultus der Natur. „Sie verehren Bäume, Wasser- D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 28 ströme, Hügel und Bergschluchten. Pferden, Rindern und vielen an- dern Thieren schneiden sie das Haupt vom Rumpf und bringen sie diesen als Schlachtopfer dar,“ so schreibt der Grieche Agathias im sechsten Jahrhundert von den Alemannen im Gegensatz zu den christ- lichen Franken. „Betet keine Götzen an, weder an Felsen noch an Bäumen, weder an abgelegenen Orten noch an Quellen, auch nicht auf Kreuzwegen bringet eure Anbetung und eure Gelübde dar,“ pre- digt der heilige Pirminius, Stifter der Reichenau, zwei Jahrhunderte später. Wer da weiß, mit welcher Zähigkeit der Bauer in seiner Sitte die Ueberlieferung altersgrauer Vergangenheit bewahrt, und wie noch manche seiner heutigen Bräuche an die Opfer des Heidenthums gemahnen, den wird es nicht befremden, im zehnten Jahrhundert noch auf nächtliche biertrinkende Conventikel zu stoßen, die sich von denen zu des heiligen Columba Zeiten wenig oder gar nicht unterscheiden. Ob übrigens eine in ähnlichen Formen, wie die hier beschriebenen, sich bewegende Sitte des gemeinschaftlichen Trinkens auf den deutschen Hochschulen, die unter dem Namen „einen Salamander reiben“ be- kannt aber von Niemanden erklärt ist, nicht auch einen Anklang an altheidnische Trankopfer enthalte, bleibe dahin gestellt, wiewohl die Wissenschaft darüber einig ist, daß „durch die religiöse Bedeutung des Trinkens ein überraschender Zusammenhang in mehrere andere Ge- bräuche kommt“. Die Steinbrüche am s. g. Schienemer Berg wie die im be- nachbarten Oeningen sind später berühmt geworden durch ihre Petre- facten, insbesondere durch die seltenen Ueberreste von Vögeln. Be- kanntlich ward dort auch das Gebein eines riesenmäßigen Salaman- ders aufgegraben, in welchem der gelehrte Naturforscher Scheuchzer (1726) einen fossilen Menschen erkannte, bis daß Cuvier die wahre Organisation dieses „Zeugen der Sündfluth“ nachwies. Vgl. Bur- meister Geschichte der Schöpfung, 5te Aufl., p. 518. Vita Sancti Galli lib. I. bei Pertz, Monum. II. 7. Die Herzogin theilt hier dieselben Grundsätze zweckmäßiger Bekehrungspolitik, die der Pabst Gregor der Große seiner Zeit in einem Schreiben an den Abt Mellitus und den Erzbischof Augustinus von England ausgesprochen. „Saget dem Augustinus, heißt es dort, zu welcher Ueberzeugung ich nach langer Betrachtung über die Be- kehrung der Engländer gekommen bin: daß man nämlich die Götzen- kirchen bei jenem Volk ja nicht zerstören, sondern nur die Götzenbilder darin vernichten, das Gebäude mit Weihwasser besprengen, Altäre bauen und Reliquien hineinlegen soll. Denn sind jene Kirchen gut gebaut, so muß man sie vom Götzendienst zur wahren Gottesverehrung umschaffen, damit das Volk, wenn es seine Kirchen nicht verstören sieht, von Herzen seinen Irrglauben ablege, den wahren Gott erkenne und lieber an den Stätten, wo es gewöhnt war, sich versammle. Und weil die Leute bei ihren Götzenopfern viele Ochsen zu schlachten pflegen, so muß auch diese Sitte ihnen zu irgend einer christlichen Feierlichkeit umgewandelt werden. Sie sollen sich also am Tag der Kirchweihe oder am Gedächtnißtag der heiligen Martyrer, deren Re- liquien in ihren Kirchen niedergelegt werden, aus Baumzweigen Hüt- ten um die ehemaligen Götzenkirchen machen, den Festtag durch reli- giöse Gastmähler feiern, nicht mehr dem Teufel Thiere opfern, son- dern sie zum Lobe Gottes zur Speise schlachten, dadurch dem Geber aller Dinge für ihre Sättigung zu danken, damit sie, indem ihnen einige äußerliche Freuden bleiben, um so geneigter zu den innerlichen Freuden werden. Denn rohen Gemüthern auf einmal Alles abzu- schneiden, ist ohne Zweifel unmöglich, und weil auch derjenige, so auf die höchste Stufe steigen will, durch Tritt und Schritt, nicht aber durch Sprünge in die Höhe kommt.“ s. Mone Geschichte des Hei- denthums etc. II. 105. Das Aufnageln von Pferdeschädeln war uralte Gewohnheit deutscher Völker. Schon die römischen Legionen, die Caccina in die Einsamkeit des teutoburger Waldes führte, um den Gefallenen der Varusschlacht die letzte Ehre zu erweisen, erschracken, da von den Stämmen der Eichen die angenagelten Häupter geopferter Römer- pferde auf das bleichende Gebein gefallener Krieger und die Schlacht- altäre herabnickten. Tacitus Annal. I. 61. Den merkwürdigen Gebrauch, daß durch Werfung der „Chrene Chruda“ auf den nächsten zahlungsfähigen Verwandten dieser in das 28* durch Blutschuld verwirkte Wehrgeld des zahlungsunfähigen Thäters eintreten mußte, beschreibt die lex Salica (ed. Merckel) cap. 58. Der Name Chrene Chruda ist noch nicht hinlänglich erklärt. Man hat es mit „grünes Kraut“ oder nach Grimm Rechtsalterthümer p. 116 mit „reines Kraut“ zu übersetzen gesucht, indem die Räumung eines Landes oder die Uebertragung eines Grundstückes auf einen An- dern zu eigen oder zu Pfand durch Uebergabe einer mit Gras be- wachsenen Erdscholle, eines Stückes Wasen symbolisch angedeutet wurde. Aber nach der lex salica war das, was geworfen wurde, die aus den vier Ecken der Stube, wo doch kein Kraut wächst, zu- sammengeraffte Erde. s. Walter deutsche Rechtsgeschichte §. 443. Da übrigens dieser Gebrauch nur bei den Salfranken urkundlich nach- weisbar ist und auch dort schon frühe aufgehoben ward (lex Salica nov. 262, 263, 164) , so bleibt es ziemlich unklar, wie derselbe hier als ein im zehnten Jahrhundert in Alemannien geltender aufgeführt werden kann. Dem „bösen Auge“ der Hexen wurden viel üble Wirkungen zugetraut; es kann Säuglinge schwindsüchtig machen, Kleider in Stücke reißen, Schlangen tödten, Wölfe schrecken, Straußeneier ausbrüten, Aussatz erwecken etc. Als Schutz gegen solche „fascinirende“ Blicke pflegte man auch die Pfote des blinden Maulwurfs zu tragen. S. Grimm deutsche Mythologie p. 1053. .. si quis mulierem „stria“ clamaverit et non potuerit adprobare u. s. w. lex Salic. c. 64. „ Din got der ist ein junger tôr, ich will glouben an den alten.“ St. Oswald. Folchardi codex aureus (Handschrift der sanctgallischen Bibliothek) pag. 75. „Eine Geschichte der deutschen Kuchen und Semmeln ließe sich nicht ohne unerwartete Ausschlüsse zusammenstellen.“ Grimm deutsche Mythologie 3. Ausg. p. 56. Bist du nicht auch schon, verehrte Leserin, in stiller Einsamkeit der Nacht kartenschlagend oder bleigießend oder looswerfend damit beschäftigt gewesen, den künftigen Freier zu ergründen? All diese Mittel zu Errathung kommender Dinge sind Reste grauen Heiden- thums. — Auch des Kämmerer Spazzo Thurmgang scheint Aehnliches bezweckt zu haben. Es war nicht ungewöhnlich, daß man sich in der Neujahrsnacht auf das Hausdach setzte, schwertumgürtet, um die Zu- kunft zu erforschen. S. Grimm Mythol. p. 1070. .. Sacratos noctis venerabilis hymnos. Ueber die in jenem Zeitalter hervorragenden alemannischen Grafen und Herrengeschlechter s. Stälin Geschichte von Würtemberg I. 544 u. ff. Nova stella apparuit insolitae magnitudinis, aspectu fulgurans et oculos verberans, non sine terrore. Annales S. Gallenses majores bei Pertz Mon. I. 8. s. Berthold der Heerwurm, gebildet aus Larven der Thomas Trauermücke, Göttingen 1854. Der fromme Wahnglaube vom Hereinbrechen des jüngsten Tages und vom bevorstehenden Ende der Welt war in carolingischer und späterer Zeit ein sehr häufiger. Viele Vornehme und Geringere sahen sich dadurch, behufs der Sicherung ihres Seelenheils, zu Schen- kungen an die Kirche veranlaßt. Mundi terminum appropinquantem ruinis crebrescentibus jam certa signa manifestant, beginnt z. B. ein in Mone's Anzeiger 1838. p. 438 mitgetheilter Schen- kungsbrief. Seit Ausgang des 9ten Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 10ten gehörten die Einfälle der Ungarn in den deutschen Gauen zu den gewöhnlichen Landplagen; Nord und Süd wurden von ihnen heimgesucht. Die gleichzeitigen Geschichtschreiber nennen sie bald Avaren oder Agarener, bald Ungarn (wobei der Name in abentheuerlicher Etymologie vom Hunger abgeleitet wird, der sie aus den Steppen Pan- noniens vorwärts trieb .. innumerabilis eorum crevit exercitus et a fame quam patiebantur, Hungri vocati sunt. Epistola Re- migii bei Martène collect. I. 234), noch öfter aber Hunnen, wiewohl die Abstammung derselben von den Hunnen König Attila's keineswegs zu den erwiesenen Thatsachen gehört. Letztere alterthümliche Bezeich- nung ist in unserer Erzählung beibehalten. Umständlichere Schilderung dieses fremden Reitervolkes gibt schon Regino in seinem Chronicon ad ann. 889. (Pertz Mon. I. 600). Das Bild, das er von den grausamen, Alles zerstörenden, nie aus dem Sattel kommenden, von erschlagener Feinde Herzen sich nährenden Scheusalen entwirft, macht einen schauerlichen Eindruck und würde noch mehr zum Mitleid mit den von ihnen Heimgesuchten stimmen, wenn es nicht meist aus der Historie des Justinus lib. 41 c. 2 und 3 wörtlich abgeschrieben wäre, der die Seythen in dieser Weise charak- terisirt. Die mehrfachen Verheerungen der alemannischen Lande sind erwähnt in den alaman. Annalen bei Pertz Mon. I. 54, der einst von den Kammerboten und dem Argengaugraf Ulrich wider sie erfoch- tene Sieg am Inn in den annales S. Gallenses major. bei Pertz. Mon. I. 77. S. G. Schwab der Bodensee nebst dem Rheinthale, Theil II. p. 119. Diese Worte Ekkehard's enthalten einen Anklang an das den sanctgaller Mönchen wohlbekannte alemannische Landrecht, scheinen jedoch auf einer gewissen Verwechslung zu beruhen. In tit. 99. n o . 22 ( ed. Lindenbrog) findet sich nämlich folgende Bestimmung: „Wenn ein fremder Hund einen Mann getödtet hat, soll dessen Eigenthümer den Hinterbliebenen das halbe Wehrgeld auszahlen. Verlangt die Familie des Getödteten das ganze Wehrgeld, so muß ihr dies zwar gewährt werden, aber nur unter der Bedingung, daß alle Zugänge des Hauses bis auf einen abgeschlossen werden, daß sie allezeit durch dies eine Thor ein- und ausgehen, und daß über dieser Schwelle der fremde Hund in einer Höhe von 9 Fuß aufgehängt werde und aufgehängt bleibe, bis daß er ganz verfault und seine Knochen stückweis herabfallen. Würden die Bewohner des Hauses den todten Hund wegzuschaffen oder durch eine andere Thüre einzugehen versuchen, so sollen sie auch des bereits empfangenen halben Wehrgelds verlustig gehen und jeden weitern Anspruch verlieren.“ Dieser aus hohem Alterthum stammenden Verfügung liegt das Motiv zu Grund, den Verwandten, die den vom Eigenthümer des Thiers nicht verschul- deten Todesfall allzu geldgierig auszubeuten suchen, eine gewisse Schmach anzuhängen und sie dadurch abzuhalten, die äußerste, nach dem damaligen Strafgesetz allerdings formell zustehende Entschädigung zu beanspruchen. Aehnliches kennt das altnordische Recht. s. Grimm Rechtsalterthümer p.665. Die Heilkunde unserer Tage wendet diese und ähnliche Mittel nicht mehr an. Sie beruhten zum Theil auf der Ansicht, daß die Krankheiten dem Einfluß der Dämonen zuzuschreiben. Vieles übrigens, was in jener Zeit officiell verordnet wurde, findet sich im Kreis der s. g. sympathetischen Mittel noch vor, die in ununterbrochener Ueber- lieferung von den Bauersmännern, Schäfern und Schmieden, die heutzutag noch trotzig daran glauben, bis in fernes Heidenthum hinauf reichen. Daß eine ähnliche Kur, wie die zuletzt erwähnte, von gutem Erfolg begleitet war, meldet der fränkische Geschichtschreiber Gregor von Tours in seiner Schrift über die Wunder des heiligen Martinus aus eigener Erfahrung. „Im zweiten Monat nach seiner Ordination als Bischof erkrankte er an der Ruhr so heftig, daß man an seinem Leben verzweifelte. Da alle Arzneien fruchtlos geblieben waren, ließ er sich Staub vom Grabe des Heiligen bringen, nahm ihn in einem Trank um die dritte Tagesstunde und wurde davon auf der Stelle so geheilt, daß er um die sechste zur Mahlzeit ging.“ Löbell, Gregor von Tours und seine Zeit p. 277. Manches Interessante in Betreff ehemaliger Heilkunde würde wohl ein sachverständiger Arzt in dem tractatus insignis medicinalis der sanctgallischen Handschrift 105 vorfinden. .. nihil fame improbrius et sacrius! Wenigstens zählt noch G. Schwab in seinem Werk über den Bodensee unter „den Merkwürdigkeiten von Sipplingen“ sub Nro. 3 auf: „der Sipplinger Wein als der schlechteste am Bodensee.“ Neuer- dings indeß soll der dortige Rebensaft um ein bedeutendes besser ge- worden sein als sein Ruf. s. Einhardi vita Caroli M. c. 13. bei Pertz Mon. I. p. 449. s. Gibbon Geschichte des röm. Weltreichs cap. 35. „Scitis“ inquit, „o fideles mei, quid tantopere plora- verim? Non hoc, ait, timeo, quod isti nugae et nihili mihi aliquid nocere praevaleant; sed nimirum contristor, quod me vivente ausi sunt litus istud attingere, et maximo dolore tor- queor, quia praevideo, quanta mala posteris meis et eorum sunt facturi subjectis.“ Monachi San Gallens. gesta Caroli, II. 14 bei Pertz Mon. II. 757. Diese Auffassung der vielbesprochenen und folgenschweren Krönung Karl des Großen in Rom am Weihnachtsfest 800. zum Kaiser und Schirmherr der römischen Kirche entspricht der Ansicht, die die Zeitgenossen von der Sache hatten. Der Pabst, der dadurch das lästige Schutz- und Aufsichtsrecht seiner byzantinischen Oberherrn los- werden wollte, hatte seinen bestimmten Plan, wenn er auch die Trag- weite und Folgen des Ereignisses nicht im Auge hatte, Seitens des fränkischen Herrschers aber war die Annahme dieser Kaiserwürde ein Act der Usurpation den legitimeren Byzantinern gegenüber und es ist wohl zu erklären, warum die Berichterstatter erzählen, er würde an jenem Tage keinen Fuß über die Schwelle der Peterskirche gesetzt haben, wenn er des Pabstes Absichten hätte errathen können, s. den Monachus San Gallensis und Einhardi vita Caroli M. cap. 16 und 28. s. Hincmar von Rheims Annalen ad ann. 862. bei Pertz Monum. I. 458. s. Herrmann des Lahmen von Reichenau Chronik ad ann. 888 bei Pertz Mon. 5. 109. .. „vel, ut perturbatores reipublicae dignum est pati, usque ad cinerem concremati et in omnem ventum dispersi cum nominibus vel potius ignominia et memoria sua condem- nentur in secula!“ Erchanberti breviarium ad ann. 880. bei Pertz Monum. II. 330. Die Gestalt des Alten in der Heidenhöhle möchte historisch etwas anzuzweifeln sein. Alle Merkmale deuten auf Karl den Dicken, aber der war eigentlich längst gestorben, bevor die erste Stunde des zehnten Jahrhunderts schlug. Indeß, was die Geschichte trennt, fügt die Sage wieder zusammen, und wie sie einst dem ostgothischen Dietrich von Bern im Nibelungenlied eine Stellung verschaffte, auf die er, seinen historischen Präcedentien nach, gar keine nachzuweisenden An- sprüche hat, so gefällt es ihr, den letzten Träger des carolingischen Weltreichs an einen stillen Ort zu entrücken und ihm eine Gerech- tigkeit angedeihen zu lassen, die ihm die Mitlebenden versagten. Eines Gerüchtes, daß der alte Kaiser nicht gestorben, sondern von seinen Feinden strangulirt worden sei, erwähnt der Mönch von Vaast in seinen Jahrbüchern bei Pertz Mon. II. 203. Das Volk aber, das von ihm ein ganz ander Bild im Herzen trug, als der Haß der Parteien, die ihn mit entstellten Zügen der Nachwelt geschildert, und das in dem hereingebrochenen Jammer der nächsten Jahrzehnte keinen Grund fand, seine Absetzung als den Anbruch besserer Zeiten zu begrüßen, hielt in Alemannien an dem Glauben fest, daß er gar nicht gestorben sei und noch, wie früher und später manch ein anderer Held, in irgend einer Höhle verborgen sitze, um zu rechter Stunde wieder herauszu- treten und die Zügel seines Reiches zu Handen zu nehmen. Mehrere Aufstände in Alemannien gegen den durch Karl des Dicken Sturz empor gekommenen Kaiser gaben Zeugniß von dem Antheil, den man für seinen abgesetzten Vorfahr hegte. Auch die neuere Geschichtschreibung beginnt, die wahren Gründe der Absetzung und das seither dem dicken Kaiser zugefügte Unrecht einzusehen, und es wird zugegeben, daß die Machinationen des hohen Clerus, der damals mit der Einführung des pseudo-isidorischen Kirchen- rechts in Deutschland beschäftigt war und einen seinen herrschsüchtigen Bestrebungen willfährigen Kaiser bedurfte, „guten Theils“ an jener Absetzung schuld gewesen. S. Gfrörer Geschichte der ost- und west- fränkischen Carolinger II. 293. „Fortis juventus, virtus audax bellica, Vestra per muros audiantur carmina Et sit in armis alterna vigilia Ne fraus hostilis haec invadat moenia. Resultat Echo comes: Eja, vigila! Per muros eja dicat Echo vigila!“ Gefahr lehrt Verse machen! Der Gesang der Nachtwachen von Modena, dessen ganzen Text Muratori antiq. Ital. III. 709 mittheilt, wetteifert an Wärme und rhytmischem Schwung mit den Kriegs- liedern aller Zeiten. — Einen Bittgesang an den heiligen Geminianus um Schutz und Schirm wider die Hunnen in gleichem Metrum s. bei Muratori antiq. Ital. I. 22. Mit Aufrichtung der Fahne wurde das Volk aufgeboten und versammelt. Nach nordischem Brauch wurde im Fall feindlichen Ein- bruchs schnell ein Pfeil herumgeschickt, das Volk zu entbieten, herör, der Heerpfeil. S. Grimm Rechtsalterthümer 161. 162. Walafrid Strabo, Abt der Reichenau, ein gefeierter Dichter der carolingischen Epoche. Manche seiner lateinischen Poesien sind von einem zarten Hauch durchweht, der an die Elegiker des Alterthums erinnert. Es finden sich darunter eine Beschreibung seines Kloster- gartens, sowie eine Elegie an seine Freundin (ad amicam) , und hierauf scheint sich Simon Bardo's Aeußerung zu beziehen. Der An- fang der letztern ist allerdings sehr weich: „Wenn mildschimmernden Scheins der Mond den Aether durchleuchtet, Dann durch die wehende Nacht, o Freundin, schaue zum Himmel, Eingedenk, wie von dort die reine Leuchte herabglänzt Und mit demselbigen Strahl uns beide freundlich umschlinget, Die wir leiblich zwar fern, doch geistig in Liebe uns nah sind. Darf auch nimmer mein Auge in dem der Geliebten sich spiegeln, Bleibt uns der Mond doch als Pfand von still glückseligem Ehmals etc.“ Des Mehreren von ihm ist nachzulesen bei: Canisius Lect. ant. ed. Basnage, pars II. 183 u. ff. Das griechische Feuer, eine Mischung von Naphta, Schwefel und Pech, durch Wasser nicht zu löschen, leistete seine Dienste schon bei der Belagerung Constantinopels im Jahr 716 wider die Sara- cenen und rettete im Jahr 941 die Hauptstadt vor einer russischen Flotte, die unter Igor, Rurik's Sohn, die schon damals gangbare Prophezeihung zu verwirklichen drohte, daß die Russen „in den letzten Tagen Herren von Constantinopel werden würden“. Seine Verwen- dung wurde zu einer förmlichen Artilleriekunst ausgebildet, und von den griechischen Kaisern als ein wichtiges Staatsgeheimniß bewahrt. Die französischen Kreuzfahrer, die der heilige Ludwig in Orient führte, beschreiben mit aufrichtigem Entsetzen den Anblick der zerstörenden Geschosse. s. Joinville, histoire de St. Louis. Paris 1668. p. 39. .. ipse velut Domini gigans lorica indutus, cucullam superinduens et stolam ipsos eadem facere jubet: „Contra dia- bolum, ait, fratres mei, quam hactenus animis in Deo confisi pugnaverimus, ut nunc manibus ostendere valeamus, ab ipso petamus.“ Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3. Pertz II. 104. Jornandes de rebus geticis cap. 24. .. tollensque manu sua de pallio suo filum projecit in terram et dixit: „Ecce in testimonium perfectae remissionis filum de pallio meo projicio in terram, ut cunctis pateat quod pristina deinceps annulletur inimicitia.“ Vita S. Sturmi cap. 18 bei Pertz Mon. II. 374. Der erwähnte Smaragd befindet sich noch im Kirchenschatz der Pfarrkirche Mittelzell auf Reichenau. Er hat das Schicksal der berühmten Smaragdschüssel von Genua getheilt, die als sacro catino für das unschätzbare Palladium der Stadt galt und in den napoleo- nischen Kriegen als solches nach Paris abgeführt ward, allwo die Untersuchungscommission des französischen Instituts (1809) sie für einen gefärbten Glasfluß erkannte; — ein Mangel an Romantik, der die Zurückgabe des Beutestücks an die Genuesen „wesentlich erleichterte“. Es war sehr zweckmäßig, ein solches Schau- und Prachtstück im Kirchenschatz zu haben, um im Fall der Noth ein namhaftes Anlehen darauf aufnehmen zu können. Erat tunc inter nostrates frater quidam simplicissimus et fatuus, cujus dicta et facta saepe ridebantur, nomine Heri- baldus ... Ekkeh. casus S. Galli cap. 3. .. enimvero, ait ille, fugiat qui velit; ego quidem, quia corium meum ad calceos camerarius hoc anno non dedit nusquam fugiam!“ Ekkeh.1. c. Fabricantur spicula, piltris loricae fiunt, fundibula plec- tuntur, tabulis compactis et wannis scuta simulantur, sparrones et fustes acute focis praedurantur.“ Ekkeh. 1. c. Aeneis VII. 631 u. ff. .. „equitans vir dei.“ vita Liutger. bei Pertz Mon. I. 412. Ausführlich und sich gegenseitig ergänzend beschrieben bei Ekkehard. IV. casus S. Galli cap. 3. und den Biographen der heil. Wiborad (s. Not. 40) namentlich bei Hepidan. vita Wiboradae cap. VI. 24. (Acta sanctor. Mai. I. 305.) .. „locum enim, quem contra versutias antiqui hostis pugnatura elegi, Deo juvante spiritu redeunte ad eum qui dedit illum, etiam corpore tegam!“ Hepidan 1. c. p. 304. ... quasi canem audierat mussitantem ... et intellexit temptatorem: „Esne tu, inquit, iterum ibi? Quam bene tibi miser contigit nunc mussitanti et grunnienti post gloriosas voces illas, quas in coelis habueras?“ Ekkeh. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Mon. II. 98. Regula S. Benedicti cap. 53, de hospitibus suscipiendis. ... Augustaque diu obsessa, precibus Udalrici episcopi sanctissimi quidem inter omnes tunc temporis viri, repulsi ... Ekkeh. casus S. Galli cap. 3. s. Grimm deutsche Mythologie, p. 269. Schon unter Karl dem Großen bestand lebhafter Handelsver- kehr mit Slawen und Awaren (Capitulare v. 803 bei Pertz Mon. III. 133) und die nordischen Theile des Reichs verschafften sich die Produkte des Südens. Ermoldus Nigellus († 836) in seinen weinerlichen Gedichten nennt friesische Kaufleute als Ankäufer des elsassischen Wei- nes, den sie auf dem Rhein fortführten. Auch am mittleren Neckar waren dieselben wohl bekannt. s. Stälin wirtemberg. Geschichte I. 402. ... „In einer Kirchen war ein Abgott, Triglaff geheißen, und neben dem hingen viel Waffen und Harnisch, so sie im Kriege erwor- ben und dem Abgotte geschenket hatten, und güldene und silberne Be- cher, damit sie pflagen zu wicken und daraus zu weissagen und zu- khünfftige Dinck erfharen und daraus die Edelen pflagen zu hohen Festen zu trinken; auch große Urochßenhörner in silber gefaßt und Trom- meten zum Kriege, schwerter und dolche und ander köstlich Zeug und Geräthe, das hübsch und kunstreich von Arbeit und zu der Götzen geschmuck bescheeret war. ... Und der Götze Triglaff war von Golde und hatte drei Köpfe, davon er auch so genennet ist worden, denn triglafi auf wendisch heißen drei köpfe, damit sie haben bedeuten wollen, daß er ein Gott were über himmel, erde und helle. Den nahm Sant Otto mit sich wegk, und schickte ihn dem Pabst Honorio zu einem triumpff und zu einer Anzeigung der Pommern Bekehrung.“ Thomas Kantzow, Pomerania oder Ursprunck, Altheit und Geschicht der Völcker und Lande Pommern, Cassuben, Wenden, Stettin, Rhügen. (ed. Kose- garten ) pag. 107. .. fatuitatis monstrum ubi sentiunt, omnes illi risibiles parcunt. Ekkeh. casus S. Galli c. 3. .. nam cum quidam illorum ascia vibrata unum retina- culorum succideret, Heribaldus inter eos jam domestice ver- satus: Sine, inquit, vir bone, quid vis vero, ut nos, postquam abieritis, bibamus?“ Ekkeh. l. cit. s. Ekkehard's Erzählung bei Pertz Mon. II. 104. postquam vero mero incaluerant, horidissime diis suis omnes vociferabant. ..l. c. Das Lied mag sich auf Attila's Abenteuer mit der Prinzessin Honoria, Schwester des Kaiser Valentinian, beziehen, die aus Rache dafür, daß sie wegen unstandesgemäßer Neigung zu ihrem Kämmerer Eugenius in's Kloster gesteckt worden, den Barbaren- monarchen durch Uebersendung eines Ringes anflehte, sie als seine Verlobte und Gattin heimzuführen. s. Gibbon Geschichte des röm. Weltreichs cap. 35. .. et effusa laetitia saltant coram principibus. Ekkeh. IV. l. cit. Cambutta. scottica vox, baculum significans. Nach dem Tode des heiligen Columban wurde dem heiligen Gallus dessen Cam- butta als Andenken überbracht. s. vita Sancti Galli bei Pertz Mon. II. 14, und I. v. Arx Anmerkung. Man irrt wohl schwerlich, wenn man sich eine solche Cambutta weniger elegant denn keulenartig denkt, da schon vom gewöhnlichen Spazierstock der Zeitgenossen Karl des Großen eine wahrhaft schreckbare Beschreibung überliefert ist. ... baculus de arbore malo, nodis paribus admirabilis, rigidus et terri- bilis! Monachus San Gallensis I. 34, bei Pertz Mon. II. 747. ... „ubicunque autem hae reliquiae fuerint, illic pax et augmentum et lenitas aëris semper erit.“ Annales San Gallens. major. bei Pertz Mon. I. 71. Offenbarung Johannis 20, 7. Allgemein hielt man den Gog und Magog der Schrift in den Ungarn verkörpert und sah in ihnen die Vorläufer des Weltendes; die Frage wurde ernsthafter theologischer Prüfung unterzogen. s. Gibbon Geschichte des röm. Weltreichs. cap. 55. II. Die Ehre des ersten Angriffs im deutschen Reichsheer galt für ein von Altersher den Schwaben zustehendes Vorrecht. Nach dem Schwabenspiegel verleiht Karl der Große: swa man umbe des riches not striten sollte, da sulen die swabe vor allen sprachen striten. Landrecht §. 32. — Eine Reihe anderer Stellen aus Geschichtschrei- bern und Dichtern desselben Inhalts s. bei Stälin, wirtemberg. Ge- schichte I. 393. Waffen, Feindio! der alte clamor ad arma, Allarm, Waffen- schrei. s. Grimm Rechtsalterthümer p. 876. Gleiche Sprachbildung — Verstärkung des Substantivs durch einen angehängten Ausruf — liegt den Hilferufen Mordio! Feurio! u. s. w. zu Grund. „Ich selbst, sprach Attila vor Beginn der Schlacht in den catalaunischen Feldern zu seinen Kriegern, werde den ersten Wurfspieß schleudern und der Elende, der sich weigert, das Beispiel seines Fürsten nachzuahmen, ist unvermeidlichem Tode verfallen!“ s. Gibbon a. a. O. Kap. 35. (7). Noch im sechzehnten Jahrhundert bewahrten die deutschen Lands- knechte die Sitte, sich rücklings Erde über's Haupt zu streuen, ehe sie in's Wogen des Treffens rückten. So der tapfere Georg von Frunds- berg vor der Schlacht von Pavia. Wir können uns nicht enthalten, den einfach großartigen Text des Notkerischen Liedes media vita mitzutheilen, so wie ihn I. v. Arx seinen Geschichten des Kantons St. Gallen I. p. 95 einverleibt hat. „Media vita in morte sumus, quem quaerimus adjutorem, nisi te domine, qui pro peccatis nostris juste irasceris. V. In te speraverunt patres nostri, speraverunt et libe- rasti eos. R. Sancte deus. V. Ad te clamaverunt patres nostri, clamaverunt et non sunt confusi. R. Sancte fortis. V. Ne despicias nos in tempore senectutis, cum defecerit virtus nostra, ne derelinquas nos. R. Sancte et misericors Salvator, amarae morti ne tradas nos.“ Es fand so großen Anklang im Gemüth frommer Streiter, daß eine Synode zu Cöln sich gemüssigt sah anzuordnen, Niemand solle ohne seines Bischofs Erlaubniß gegen irgend einen Menschen das media vita singen. In das evangelische Kirchenlied ging es über durch Luther's Uebersetzung: „Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen etc.“ .. haud mora, bellum incipitur atque ex Christiano- rum parte, sancta mirabilisque vox „kyrie,“ ex eorum turpis et diabolica „hui, hui!“ frequenter auditur.“ Luitprand v. Cre- mona de reb. imp. et regum lib. II. cap. 9. Folchardi codex aureus (Bibliothek zu St. Gallen) p. 39. s. Bernhard Bader, Volkssagen aus dem Lande Baden. p. 34. Den merkwürdigen Landhag, mit dem die Ungarn zu Karl des Großen Zeit ihre Grenzen gesperrt hatten, beschreibt nach Erzäh- lung eines Augenzeugen der Mönch von Sanct Gallen, gesta Caroli lib. VI, cap. 1. bei Pertz Mon. II. 748. ... iam mitius agendum inter Teutones! nam et villani quidam praedocti ollas, prunas in proximo monte paratas habentes, tumultu audito faces accensas levabant, et, ut discretionem sociorum et hostium nossent, quasi perlus- trium fecerunt. Die anschauliche Darstellung dieses Ueberfalls des ungarischen Lagers im Frickthal durch Irminger den Alten mit seinen sechs Söhnen und ihrer Mannschaft gibt Ekkeh. IV. casus S.Galli cap. 3. bei Pertz Mon. II. 110. Im Schein der rings auf den Bergen flammenden Feuerzeichen stürmten ihre drei Heerhaufen in den sorglosen Feind. Wer nicht in keckem Schwimmen über den Rhein setzte, wurde erschlagen; die Beutestücke der Schlacht weihte Irminger dem Münster des heiligen Fridolin zu Seckingen. Eine auf dem rech- ten Rheinufer gelagerte ungrische Schaar zog sich auf die Nachricht dieser Niederlage in's Elsaß hinüber. „Mir wird so kühl im Harnisch,“ sprach der Fiedelmann, Drum glaub' ich, daß der Morgen ziehet schon heran, Ich spür' es an der Kühle, es wird wohl balde Tag ...“ Nibelungenlied, Avent. 31. ... „Es ist ein grausam Ding, anzusehen. Dieser Fall heißt zu unseren Zeiten „am Laufen“. Es wird dies Wasser, so es oben herabfällt, zu einem ganzen Schaum, es stäubt über sich gleichwie weißer Rauch. Da mag kein Schiff herabkommen anders es zerfiel zu Stucken. Es mögen auch keine Fisch die Höhe dieses Felsen übersteigen, wann sie schon so lange krumme Zehen hätten wie das Meerthier Rosmarus oder Mors genannt.“ Sebastian Münster, Kosmographey, s. v. Schaffhausen, pag. 561. „Sahspach, Hadewigae beneficii villa.“ s. Ekkeh. IV. ca- sus S. Galli c. 10 bei Pertz Mon. II. 135. Verfluchungen gegen etwaige Widersacher gehörten bei allen auf Vergabungen, Eigenthumsübertragungen, Stiftungen etc. bezüglichen Urkunden zum Kanzleistyl. Man war in den verschiedenen Formen von erfindungsreicher Mannigfaltigkeit. „Es fühle der Leib in den Jahren ihres Lebens den Vorschmack der unendlichen Höllenpein, wie Heliodor, welchen die Engel gestäubt, wie Antiochus, welchen die Wür- mer gefressen,“ heißt es z. B. im Stiftungsbrief des Klosters Peter- lingen. „Wer mit böswilligem Gemüth diese Schrift liest,“ wird anderswo gewünscht, „möge zur Stelle erblinden!“ S. Joh. v. Müller Geschichte der Schweiz I. 253. Eine Zeit, die sich so umfangreich auf's Segnen verstand, mußte nothwendig auch im Fluchen Erkleck- liches leisten. „... et multi illorum comprehensi sunt cum rege eorum nomine Pulszi et suspensi sunt in patibulis.“ Annales S. Gal- lenses major. ad ann. 955 bei Pertz Mon. I. 79. „Qui dubitans minime, huic illam nubere posse.“ Ruodlieb fr. XVI, v. 15. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 29 „Mich macht ein kleines Hälmchen froh, Es sagt, mir solle Gnade kommen; Ich maß dasselbe kleine Stroh Wie ich's bei Kindern wahrgenommen, Nun höret All und merkt ob sie es thu: Sie thut, thut's nicht, sie thut, thut's nicht, sie thut! Wie oft ich maß, stets war das Ende gut.“ Herr Walter von der Vogelweide (übersetzt bei Simrock deutsches Lesebuch 1854 pag. 208) . „... corda hominum quos capiunt, particulatim dividentes veluti pro remedio devorant.“ Regino Chronicon ad ann. 889 bei Pertz Mon. I. 600. ... Der ist sâlic der dri behûttet sîne gewate daz er nihet naccetne gange u. s. w. Predigt, mitgetheilt von I. von Arx aus einem Pergamentblatt des XI. Jahrhunderts und verbessert heraus- gegeben bei Hattemer Denkmale etc. I. 326. s. Grimm Rechtsalterthümer p. 723. s. v. „Dachabdeckung.“ „Ungar baptizatus uxorem duxit, filios genuit.“ Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3. Rüdiger Manesse's Sammlung I. 87. s. Grimm Rechtsalterthümer p. 726 s. v. „Prellen“. s. lex Ripuariorum cap. 57. Der auf solche Weise Frei- gelassene hieß homo denarialis. s. Ekkeh. IV. casus S. Galli cap. 10 bei Pertz Mon. II. 135. Wiewohl wir nicht hoffen, daß einer der Leser sich versucht fühle, Gunzo's pomphaftes Werk nachzuschlagen, sei doch der Ort an- gegeben, wo es zu finden. Es steht in der gelehrten Benedictiner Martène et Durand collectio veterum scriptor. et monumentor. Tom I. 294 als Epistola Gunzonis ad Augienses fratres; — ein geschichtlicher Beweis, daß auch vor Ehren Götze und Allen, die heutigen Tages auf den Pfaden gelehrter Injurie selbstgefällig lächelnd einherschreiten, tapfere Männer gelebt haben. Aehnliche Leistungen hat wohl Baronius im Auge gehabt, da er das zehnte Jahrhundert ein „ bleiernes “ nannte. Ein sachkundiges Urtheil charakterisirt den Styl einiger Zeit- und Gesinnungsgenossen von Gunzo als ein Latein, „dessen Grundfarbe durch die gehäuften klassischen Floskeln und Schnörkel nicht verdeckt wird, und in welchem sie nur fremde Gedanken zu wie- derholen wissen, wenn es ihnen überhaupt um Gedanken zu thun ist.“ s. Vogel Ratherius von Verona I. 161. Regula S. Benedicti cap. 43 de his qui ad mensam tarde occurrunt. Schon die Lebensbeschreibung des heiligen Gallus (lib. II. cap. 34 bei Pertz Mon. II. 29) erwähnt die Sitte, daß unvorsätz- liche Mörder mit schweren Ketten, die oft aus dem eigenen Mord- schwert geschmiedet wurden, oder mit eisernen Ringen um den Leib oder die Arme belastet, Wallfahrten thun mußten. s. auch Uhland's schönes Gedicht „der Waller“. lex Burgundionum tit. XVIII. 1. s. Vita S. Liobae bei Mabillon Acta Benedict. saec. 3. pars 2. 229. (ed. Venet. 1734.) .. plerosque autem vidimus et audivimus tanta de- mentia obrutos, tanta stultitia alienatos, ut credant et dicant, quandam esse regionem, quae dicatur Magonia, ex qua naves veniant in nubibus, in quibus fruges quae grandinibus decidunt et tempestatibus pereunt, vehantur in eandem regionem, ipsis videlicet nautis aëreis dantibus pretia tempestariis et accipientibus fru- 29* menta vel ceteras fruges. Agobard. contra insulsam vulgi opinionem de grandine et tonitruis, I. 146. (ed. Baluze.) Durch alle Völker geht der Glaube, daß im gebundenen feier- lich gefaßten Wort eine zauberische Kraft verborgen ruhe, die zu Segen und Fluch gedeihlich verwendet werden möge. Von dem räthselhaften römisch-sabinischen Zauber gegen Verrenkung, den schon der alte Cato (de re rustica 160) anführt, von den nordischen Runen, von den ächten ehrwürdigen Merseburger Heilsprüchen bis auf das unverständliche Kauderwelsch, mit dem heutiges Tags, wenn just kein Arzt oder an- zeigedrohender Ortsdiener in der Nähe ist, der ländliche Viehdoctor den suchtkranken Haushund oder das räudige Schaaf beschwört: überall derselbe Grundgedanke von der Macht rhytmisch gebundener Rede. Man traute eben ehedem der Poesie Größeres und Praktischeres zu, als jetzt. — Vieles an den Formeln ist sinnlos geworden, namentlich die geheimnißvollen Worte am Beginn und Ausgang. Sie haben einst ihre Bedeutung gehabt; imposanter wurden sie, wie manches Andere, wohl von der Zeit an, wo man sie nicht mehr verstand. Wie feierlich klingt das „daries, dardaries, astaries, Disunapiter!“ mit dem Cato's Verrenkungsspruch sich einleitet, wie räthselvoll das „alau, tahalau, fugau!“ in dem lateinischen Spruch, der die verirrten Klosterschweine segnend zurückbeschwören soll! (Sanctgallische Hand- schrift 111 bei Hattemer Denkmale etc. I. 410. ) s. überhaupt Grimm Mythologie Kap. 38. lex Alamannorum tit. 45 „de rixis, quae saepe fieri solent in populo.“ „dem Schröter, den es mit Donner und Feuer in Bezug setzt, mag das deutsche Volk besondere Ehre angethan haben.“ Grimm Mythologie (3te Ausg.) p. 657. s. auch pag. 167 über die Be- deutung dieses und anderer Käfer. Ueber die Einrichtung der Sendgerichte vgl. I. v. Arx Ge- schichten des Kantons St. Gallen I. 257. Maiores locum de quibus scriptum est, „ quia servi, si non timent, tument, “ scuta et arma polita gestare in- coeperant; tubas alio quam ceteri villani clanctu inflare di- dicerant, canes primo ad lepores, postremo etiam non ad lupos sed ad ursos et ad tuscos, ut quidam ait, minandos aluerant apros.“ Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3 bei Pertz Mon. II. 103. „ Per Hadewigae ait vitam! sic enim iurare so- lebat ... Ekkeh. IV. casus S. Galli cap. 10. „ich hoere ein sueze stimme in mînem houbet singen die hoere ich ungern klingen ..“ der Weinschwelg, v. 268 u. ff. Elpentrötsch, tölpentrötsch, trilpentrisch, hilpentritsch u. s. w., ein linkischer einfältiger Mensch, dem die Elbe (Elfen) Etwas ange- than haben. s. Grimm Mythol. 412. Der Kukuk ist bekannt als der Orakelverkünder im frühlings- grünen Walde. Viel merkwürdige Traditionen über ihn s. bei Grimm Mythologie 640 u. ff. Eine sehr alte Sage erzählt, er sei ein ver- wünschter Bäcker oder Müllerknecht, der armen Leuten von ihrem Teig gestohlen, und trage darum fahles mehlbestaubtes Gefieder. S. das Ausführliche über die abergläubischen Vorstellungen bei Verfinsterung des Mondes, die nach Tacitus Annal. I. 28 schon die Gemüther der aufrührerischen pannonischen Legionen beunruhigten, bei Grimm a. a. O. p. 668. — Es ist ein bemerkenswerther Zug der germanischen Vorzeit, daß sie sogar dem Mond in seinen ver- meinten Nöthen durch Geschrei abzuhelfen bestrebt war. dô huob er ûf unde tranc ein hundert slundigen trunc er sprach „daz machet mich junc. der Weinschwelg v. 197. .. Salutem et profectum in doctrina! Brief Meister Ruodpert's von St. Gallen bei Wackernagel altdeutsches Lesebuch p. 138. ... si fugae, inquit, copiam haberem, invenum optimi, profecto fugerem, nunc autem in vestris quia velim nolim sum manibus, mitius mecum quidem vos condecet agere. S. die ganze Schilderung von Rudimann's nächtlichem Einschleichen und Er- tappung bei Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10. Pertz II. 124. Die damaligen Studien erstreckten sich auch auf die Stern- kunde. In der sanctgall. Handschrift No. 18 p. 43 findet sich das Bild eines Mönches, der durch ein Fernrohr nach den Gestirnen schaut. Notker Labeo beschreibt ausführlich einen im Kloster aufge- stellten Himmelsglobus. Die astronomischen Schriften der Alten, z. B. Aratus, kannte und las man. Vgl. I. v. Arx Geschichten etc. I. 265. .. Antipodes nulla ratione credendi sunt, quia nec soli- ditas patitur, nec centrum terrae, sed neque hoc ulla historiae cognitione firmatum, sed hoc poetae quasi ratiocinando conjectant“ Wörterbuch des Bischof Salomo. Diese berühmte Disputation beschreibt ausführlich der frän- kische Mönch Richer im dritten Buch seiner Geschichten Kap. 65. Der Kaiser gab Befehl, das gelehrte Turnier einzustellen, denn „der Tag war darüber beinah zu Ende gegangen und die Zuhörer von den vielen und langen Reden ermüdet“. Die klösterliche Disciplin war bemüht, mit den mannigfach- sten Acten des gewöhnlichen Lebens ein Gebet oder einen Hymnus zu verbinden. Die sanctgallische Handschrift 134 enthält eine Samm- lung solcher Hymnen, z. B. Hymne beim ersten Hahnenruf (ad gal- licinium) , beim Fasten, vor und nach dem Imbiß, beim Anzünden der Nachtlampen u. s. w. Vgl. Hattemer Denkmale etc. I. 273 u. ff. .. Altera dein die . . magistrum lectura adiit. Et cum sedisset, ad quid puer ille venerit, ipso astante inter cetera quaesivit. „Propter Grecismum,“ ille ait .. domina mi! ut ab ore vestro aliquid raperet, alias sciolum vobis illum attuli. Puer autem ipse pulcher aspectu, metro cum esset paratissimus, sic intulit: Esse velim Graecus u. s. w. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10. bei Pertz Mon. II. 125. Grimm deutsche Rechtsalterthümer p. 702. s. v. Scheeren. s. Thegani vita Hludowici imp. I. 19. bei Pertz Mon. II. 594. .. spillüten und allen den, die gut für ere ne- ment und die sich ze aigen geben hant, den git man ains mannes schaten von der sunnen etc. Landrecht des Schwaben- spiegels. .. dabei ein schönes Gärtelein Darumb gehet ein seiden Faden. Laurins kleiner Rosengarten. „Was soll ich aber von ihren abentheuerlichen Schuhen sagen? Denn in dieser Hinsicht sind die Mönche so unvernünftig, daß ihnen der Nutzen einer Fußbekleidung großentheils entgeht. Sie lassen sich nämlich ihre Schuhe so eng machen, daß sie darin fast, wie in den Stock geschlossen, am Gehen gehindert sind. Auch setzen sie denselben vorne Schnäbel, an beiden Seiten aber Ohreu an und tragen große Sorge, daß sie sich genau dem Fuße anschließen; halten auch ihre Diener dazu an, daß sie mit besonderer Kunst den Schuhen einen spiegelhellen Glanz verleihen.“ Dritte Ereiferung des Primas auf der Synode zu Mont Notre-Dame bei Richer III. 39. Hildebrandslied v. 70. u. ff. — Noch Prätorius († 1680) in seiner Weltbeschreibung erwähnt „närrische Gaukelerszelte, wo der alte Hildebrand und solche Possen mit Docken gespielt werden, Puppen- Comödien genannt.“ Dieser fabelhafte Ahnherr aller Grobschmiede war seit Alters- her der deutschen Volksüberlieferung eine entschieden beliebte Gestalt. Bis in's vorige Jahrhundert trug ein Haus in Würzburg nach ihm den Namen „zum großen Schmied Wieland.“ Das alte deutsche Ge- dicht, welches ihn zum Helden erkor, ist uns nicht mehr erhalten, die nordische Sage aber hat ihm die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. S. Wilkina Sage Kap. 19 - 30, bei von der Hagen Altdeutsche und altnordische Heldensagen I. 56 u. ff. s. Steub, zur rhätischen Ethnographie p. 103 s. v. „Gossensaß“ und drei Sommer in Tirol p. 504. Welandus ab aliquibus Sanctus dictus ... Acta Sancto- rum. Mart. tom I. 364. s. Maßmann Gedichte des XVI. Jahrhunderts Band II. Das Heldengedicht, wie es hier theilweise nacherzählt ist, hat die Be- arbeitung, in der es vorliegt, erst im 12. Jahrhundert erhalten; der Inhalt aber ist entschieden alt und weist auf frühere Sagen zurück, die füglich zu Praxedis Zeit ihren Weg an griechischen Kaiserhof gefunden haben mochten. marmoreum sibi sarcophagum longe ante obitum jussit praeparari, ob incerti temporis momentum, quem duabus quo- tidie vicibus diversis alimentorum aliarumve rerum impensis summotenus implevit et victu carentibus hilariter distribuit. vita S. Rimberti c. 14 bei Pertz Mon. II. 771. .. moribus tamen illa suis severis et efferis sepe vi- rum exasperans domi interdum quam secum mansisse multo malle fecerat. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10 bei Pertz Mon. II. 123. s. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3 bei Pertz Monum. II. 108. Ekkehard verflicht hier sich und seinen Namen mit dem, was die Sage vom getreuen Eckhart erzählt. S. Grimm deutsche Helden- sage 144. 190 und deutsche Mythologie p. 887. „In unserer alten Sprache wird die festlichste Jahreszeit, wo die Sonne ihren Gipfel erlangt hat und nun wieder herabsinken muß, Sunnenwende (solstitium) genannt.“ Grimm deutsche Mythologie p. 583. Sie trifft mit dem St. Johannistag (24. Juni) zusammen; die altherkommlichen Oster- und Maifeuer wurden durch den Einfluß der Kirche auf diesen Tag verlegt. Man sprang durch die Flammen und trieb das Vieh durch, zu vermeintlicher Abwehr von Krankheit und Mißgeschick. Das Bestreben einiger Mönche, durch festes Schnüren des faltigen Gewandes eine elegante Taille zu gewinnen, veranlaßte auf der Synode zu Mont Notre-Dame (972) eine zornsprühende Ereife- rung des Primas. S. Richers Geschichte III. 37. Sirach 27, 6. Die Kirche der quattro coronati in Rom mit ihren alten Mosaikfußböden und Malereien aus dem 12. Jahrhundert ist bekannt. Ein Trunk Wassers war Zeichen der Entsagung. Grimm Rechtsalterthümer 190. Wer einmal in der letzten Stunde seines römischen Aufenthaltes zur rauschenden fontana Trevi geleitet wurde, um bei Sang und Klang den Scheidetrunk zu trinken, kennt diese Symbolik. Vgl. Zellweger Geschichte Appenzells. — Es ist eine inter- essante Aufgabe, die alemannische Sprache Appenzell's, die auch so, wie sie heutzutag gesprochen wird, noch mannigfache Anklänge an das Althochdeutsch aus Notker Labeo's Zeiten enthält, in ihren reichen dialectischen Formen und Wendungen zu verfolgen. Gründliche Anlei- tung hiezu gibt Titus Tobler appenzellischer Sprachschatz. Zürich 1837. Jeremias IX. 1. .. ecce elongavi fugiens et mansi in solitudine et ex- spectabam eum qui me salvum faceret.“ vita S. Galli bei Pertz Mon. II. 8. s. Physiologus, ein Weisthum von Thieren und Vögeln. „von des aran geslâhte.“ bei Wackernagel altdeutsches Lesebuch I. 165. .. quantum sub sua cuculla potuit portare .. „Es war etwa seit dem 8. Jahrhundert in Deutschland und Frankreich das Verlangen heimisch geworden, die Kirchen mit irdischen Ueberresten von Heiligen so reichlich als möglich und um jeden Preis zu versorgen. Dieses Verlangen hatte im zehnten Jahrhundert einen neuen Aufschwung genommen und erreichte seine höchste Glut in dem sächsischen Königshause. Otto der Große wußte keine größeren Schätze zu sammeln als Reliquien und brachte besonders für sein geliebtes Magdeburg einen großen Vorrath zusammen ... Da sich Kirchen und Gemeinden nur selten freiwillig zu Gunsten Anderer ihrer Reliquien entäußerten, so scheute man sich nicht vor dem Mittel des Zwangs und Raubes, und als das Vaterland der Heiligen, Italien, wo damals die Reliquien wenig geachtet wurden, sich den Deutschen wieder aufthat, da gehörte es zu den schönsten Aussichten der Letzteren, nun im reichen Maße und zwar um Geld oder durch List oder auch mit Gewalt ihr Verlangen erfüllen zu können. Dieser Sehnsucht scheint auch der heilige Metro zum Opfer gefallen zu sein. .. daß man aber, wenn man sich nicht eines ganzen Heiligenkörpers bemächtigen konnte, auch damit zufrieden war, daß man ein möglichst großes Stück hinwegbrachte, das hat Verona noch einmal erfahren müssen.“ u. s. w. Vogel, Ratherius von Verona und das zehnte Jahrhundert, I. 257. .. „sô der tágostérno in scônero fárewo skînet.“ Worte der Notkerischen Paraphrase des Marcianus Capella. „den 4. November 1853 Mittag 11 Uhr, ist der Eremit Anton Fäßler verunglückt und ist todtgefallen auf Pommen im Sail. Re- quiescat in pace. “ Eintrag im Fremdenbuch des Wildkirchlein. .. in visitatione lactis. Dantur de Coldaribus in Seealpe XXX. casei, meliores alpinis caseis. (Rotulus censuum sec. 13 in der sanctgallischen Handschrift 456) de Alpe Gamor tres partes lacticinii quae per duos dies a Vaccis ibidem compaetae fuerint, Portarie no- mine. — Citatio Abbatis cellana bei J. v. Arx Geschichten I. 314. S. auch Grimm Weisthümer I. 191 „die Rechte von Appenzell.“ Nec sua rura colo, nec sua jura volo! „Tosen“ an der Volksversammlung murmelnd rauschen. Wenn ein Vorschlag der Landesgemeinde sehr mißfällt, so toset's gewöhnlich. Tobler Appenz. Sprachschatz. p. 148. .. „dic illi nunc de me corde fideli Tantundem liebes, veniat quantum modo loubes Et volucrum wunna quot sint, tot dic sibi minna Graminis et florum quantum sit, dic et honorum.“ Ruodlieb fr. XVI. 11-15. .. „sélbun dia érda, dár si únbûhafte ist, hábent er- fúllet tero lánglîbon mâniginâ in walden, íoh in˘fórsten, ioh in-lóhen. in˘sêwen, in˘áhôn, in˘brúnnon.“ Notker's Paraphrase des Marcianus Capella lib. II. cap. 34 bei Hattemer Denkmale etc. III. 354. s. Grimm deutsche Mythologie p. 29. Auch der heilige Gallus ward von solchen Erscheinungen dämonischer Weibergestalten, nude ad litus stantes, quasi ad bal- neum ingredi volentes, turpitudinemque corporis sui ei mon- strantes, heimgesucht. vita S. Galli bei Pertz Mon. II. 9. „... In nomine Domini mei Jesu Christi, recede ab hac valle. Sint tibi montes et colles communes, nec tamen hic pecus laedas aut homines.“ Vita S. Galli bei Pertz Monum. II. 9. Die Bären waren in jener Zeit häufige Besucher der Appen- zeller Alpen und einige Plätze tragen noch jetzt den Namen zur Er- innerung an sie, z. B. Bärenbach, Bärenthal, Bärenalp. Seit die Touristen in jenen Revieren zahlreicher geworden, haben sie sich indeß gänzlich zurückgezogen. — Die Geschichtsquellen liefern, Bären be- treffend, eine so reiche Ausbeute, daß es einem fleißigen Mann nicht schwer fallen würde, sie in einer Abhandlung „über die Bedeutung und sociale Stellung der Bären im Mittelalter“ zu verwerthen. Wir erinnern an den Bären des heiligen Gallus, der ihm wie ein ge- treuer Diener Scheiterholz beitrug und Brod aus der Hand fraß, — an die kunstreichen Tanzbären, die im Ruodlieb Fr. III. 85 u. ff. besungen sind und mit ihrem aufrechten Eimertragen und Reihentanz im Verein mit singenden Spielweibern den Zuschauern ein Vergnügen geboten haben mögen, von dem man begreift, daß die Geistlichkeit in besondern Synodalbeschlüssen dawider eiferte. (Regino de eccles. disciplin. II. 213.) Die lex Alamannor. tit. 99, 12 schlägt das Wergeld eines zahmen Hausbären auf 6 solidi an — Alles Be- weise, daß man die Bären in Deutschland zu schätzen wußte, auch ehe ihr Stammverwandter aus den Pyrenäen zum Helden epischer Dichtung erhoben ward. Flutterschnee, ein „lockerer, leichter, nicht compacter Schnee.“ s. Tobler appenzell. Sprachschatz 196. „tubas alio quam ceteri villani clanctu inflare didice- rant. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3 bei Pertz Mon. II. 103. Ein ächter canonischer Kuhreigen ist übrigens trotz der Untersuchun- gen der Gelehrten nicht festgestellt und im Gebirge schwanken die Ansichten derer, die als geborene Sachverständige ein festes Urtheil haben sollten, so, daß die Einen behaupten, der Kuhreigen werde gar nie mit Worten begleitet, während Andere einen — jedenfalls alten und eigenthümlichen Text mit dem Refrain „Loba! loba!“ zu ge- ben wissen. Dem Verfasser wurde am Säntis auf die Frage nach dem Kuhreigen dadurch geantwortet, daß man das Alphorn vom Rücken nahm und ihn blies, ohne ein Wort dazu zu singen oder jodeln. Ekkehardus autem, notularum peritissimus, paene omnia haec eisdem notavit in tabula verbis etc. Ekk. IV. casus S. Galli c. 16. Pertz Mon. II. 140. Die sanctgallische Handschrift 270 gibt nähere Auskunft über die verschiedenen Arten von Geheim- schrift, deren man sich allgemein bediente. s. W. Grimm über deutsche Runen und Hattemer Denkmale etc. I 417 , wo auch als Beilage in Steindruck mehrere genaue Facsimile mitgetheilt sind. Es ist auf- fallend, wie eine gewisse Aehnlichkeit zwischen diesen Charakteren und denen etruskischer Inschriften stattfindet. Procop. bell. Vand. II. 6. Die noch ganz an antike Gymnastik erinnernden Ergötzungen der sanctgallischen Schuljugend, wozu u. A. auch Wettrennen, Ringen mit gesalbten Händen, Stockfechten etc. gehörte, beschreibt Notker Labeo in seinem lateinischen Vacanzlied, mitgetheilt von J. v. Arx Ge- schichten etc. I. 259. Ev. Joh. III. 8. „Die sehr in's Auge fallende innerrhodische Kleidungsart ist unzweifelhaft die alte des appenzellischen Volkes.“ Tobler app. Sprachschatz p. XXV. „Der Zaur ist ein einzelnes kurzes Gejauchze, das mit uhó oder u bu hu hui hui! bezeichnet werden kann.“ Tobler a. a. O. p. 453. Appenzellischer Landbrauch. Noch vor wenig Jahrzehnten war die große Hausthüre des Amtmann Tanner von Herisau voll der Köpfe von Gewild, wodurch das Volk ihm Liebe und Achtung erzeigen wollte. „ Gumpen, gompela = hüpfen, muthwillig springen. „ rugg û ßa (ru-jauchzen) = den Ruggüßler singen, ein landes- eigenthümliches Hirtenlied in holperigen Reimen, aber mit einer um so angenehmeren weicheren Weise, die zwischen den Worten aus dem Gaumen bisweilen üppig spielt und ergötzt.“ s. Tobler a. a. O. p. 233 und 373. „Panem Gallus bestiae mirandae dat modestiae , mox ut hunc voravit, in fugam festinavit“ u. s. w. Ratpert's Lobgesang auf St. Gallus in der lateinischen Uebersetzung Ekkehard's des Vierten bei Hattemer Denkmale etc. I. 342. „Eigenthümlich heißt Attila's Gemahlin „Ospirin“, was „göttliche Bärin“ bedeutet und in altdeutscher Form Anspirin lauten sollte. Der Name ist ächt, alt und auch sonst vorhanden.“ Grimm und Schmeller lat. Gedichte etc. p. 119 , wo auch eine Reihe anderer mehr auf sprachliche Gründe gestützter Conjecturen über die Aufnahme des Namens Ospirin in's Waltarilied nachzulesen ist. S. den Text des Waltharius bei Grimm und Schmeller, lateinische Gedichte des zehnten und elften Jahrhunderts, Göttingen 1838. p. 3 u. ff. Verdeutschungen von Anderen anders, Commentar und Anmerkungen bei San Marte, Walther von Aquitanien. Magdeburg 1853. „Libro completo saltat scriptor pede laeto!“ Randbe- merkung einer sanctgallischen Handschrift, mitgetheilt von J. v. Arx, Berichtigungen und Zusätze etc. p. 30. Es steht zu hoffen, daß die Hirngespinste einer zerstörungs- frohen Kritik, die sich wie am Homer so an den Nibelungen nicht eher erfreuen konnte, als bis sie in eine Anzahl von verschiedenen Sängern an verschiedenen Orten verfaßter Volkslieder auseinander ge- nagt waren, seit Holzmann's Untersuchungen über das Nibelungen- lied (Stuttgart 1854) als beseitigt angesehen werden dürfen. Der Streit, der noch immer wider den guten Meister Conrad geführt wird, beweist, daß auf diesem wie auf andern Gebieten das Einfachste am schwersten Eingang findet. .. „Insuper et alpes philosophantur, sub quibus jugum Sambutinum Rihpertus lyrico possidet sono, et si nosset antra musarum, esset et talis ut Cynthius Apollo.“ Aus einem Brief des Mönch Ermenrich von Reichenau, bei J. v. Arx a. a. O. p. 14. Assumptus est interea in aulam Ottonum patris et filii ... Ekkehardus, ut capellae semper immanens doctrinae adoles- centis regis nec non et summis dexter esset consiliis. Ibique in brevi tantus apparuit, ut in ore omnium esset, summum eum aliquem exspectare pontificatum. Nam et Adelheida re- gina illum, nunc sancta, per se diligebat. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10. bei Pertz II. 126. .. „barbarorum ferocia ac ferrea corda.“ Nithard, lib. I. 1. „Domnus Purchardus abbas, elegantissimum sanctae ec- clesiae speculum.“ Annales San Gallenses majores bei Pertz Mon. I. 83.