Der Nachsommer. Zweiter Band. Der Nachsommer. Eine Erzählung von Adalbert Stifter. Zweiter Band. Pesth, Verlag von Gustav Heckenast. 1857. 1. Die Erweiterung. I ch ging an den Ort, wo ich meine Arbeiten abgebrochen hatte. Die Leute, welche von meiner Ab¬ sicht wieder zu kommen unterrichtet waren, hatten mich schon lange erwartet. Der alte Kaspar, welcher mein treuester Begleiter auf meinen Gebirgswan¬ derungen war, und meistens in einem Ledersacke die wenigen Lebensmittel trug, welche wir für einen Tag brauchten, hatte schon mehrere Male in dem Ahorn¬ wirthshause um mich gefragt, und war gewöhnlich, wie mir die Wirthin sagte, ehe er eintrat, ein wenig auf der Gasse stehen geblieben, und hatte auf die vie¬ len Fenster, welche von der hölzernen Zimmerung des Hauses auf die Ahorne hinausschauten, empor ge¬ blickt, um zu sehen, ob nicht aus einem derselben mein Stifter , Nachsommer. II . 1 Haupt hervor rage. Jezt saß er wieder bei mir an dem langen Fichtentische unter den grünen Bäumen, und die andern, denen er Bothschaft gethan hatte, fanden sich ein. Ich war sehr erfreut, und es rührte mein Herz, als ich sah, daß diese Leute mit Vergnü¬ gen mein Wiederkommen ansahen, und sich schon auf die Fortsezung der Arbeit freuten. Ich ging sehr rüstig daran, gleichsam als ob mich mein Gewissen drängte, das, was ich durch die län¬ gere Abwesenheit versäumt hatte, einzubringen. Ich arbeitete fleißiger und thätiger als in allen früheren Zeiten, wir durchforschten die Bergwände längs ihrer Einlagerungen in die Thalsohlen und in ihren ver¬ schiedenen Höhepunkten, die uns zugänglich waren, oder die wir uns durch unsere Hämmer und Meißel zugänglich machten. Wir gingen die Thäler entlang, und spähten nach Spuren ihrer Zusammensezungen, und wir begleiteten die Wasser, die in den Tiefen gingen, und untersuchten die Gebilde, welche von ihnen aus entlegenen Stellen hergetragen und immer weiter und weiter geschoben wurden. Der Haupt¬ sammelplaz für uns blieb das Ahornhaus, und wenn wir auch oft länger von demselben abwesend waren, und in anderen Gebirgswirthshäusern oder bei Holz¬ knechten oder auf einer Alpe oder gar im Freien über¬ nachteten, so kamen wir in Zwischenräumen doch im¬ mer wieder in das Ahornhaus zurück, wir wurden dort als Eingebürgerte betrachtet, meine Leute fanden ihre Schlafstellen im Heu, ich hatte mein beständiges wohleingerichtetes Zimmer, und hatte ein Gelaß, in welches ich meine gesammelten Gegenstände konnte bringen lassen. Oft, wenn ich von dem Arbeiten ermüdet war, oder wenn ich glaubte, in dem Einsammeln meiner Gegenstände genug gethan zu haben, saß ich auf der Spize eines Felsens, und schaute sehnsüchtig in die Landschaftsgebilde, welche mich umgaben, oder blickte in einen der Seen nieder, wie sie unser Gebirge mehrere hat, oder betrachtete die dunkle Tiefe einer Schlucht, oder suchte mir in den Moränen eines Glet¬ schers einen Steinblock aus, und saß in der Einsam¬ keit, und schaute auf die blau oder grüne oder schil¬ lernde Farbe des Eises. Wenn ich wieder thalwärts kam, und unter meinen Leuten war, die sich zusam¬ menfanden, war es mir, als sei mir alles wieder kla¬ rer und natürlicher. Von einem Jägersmanne, welcher aber mehr ein Herumstreicher war, als daß er an einem Plaze durch 1 * lange Zeit als ein mit dem Bezirke und mit dem Wildstande vertrauter Jäger gedient hätte, ließ ich mir eine Zither über die Gebirge herüber bringen. Er kannte, eben weil er nirgends lange blieb, und an allen Orten schon gedient hatte, das ganze Gebirge genau, und wußte, wo die besten und schönsten Zi¬ thern gemacht würden. Er konnte dies darum auch am besten beurtheilen, weil er der fertigste und be¬ rühmteste Zitherspieler war, den es im Gebirge gab. Er brachte mir eine sehr schöne Zither, deren Grifbrett von rabenschwarzem Holze war, in welchem sich aus Perlenmutter und Elfenbein eingelegte Verzierungen befanden, und auf welchem die Stege von reinem glänzenden Silber gemacht waren. Die Bretter, sagte mein Bothe, könnten von keiner singreicheren Tanne sein; sie ist von dem Meister gesucht und in guten Zeichen und Jahren eingebracht worden. Die Füßlein der Zither waren elfenbeinerne Kugeln. Und in der That, wenn der Jägersmann auf ihr spielte, so meinte ich nie einen süßeren Ton auf einem menschlichen Ge¬ räthe gehört zu haben. Selbst was Mathilde und Natalie in dem Rosenhause gespielt hatten, war nicht so gewesen; ich hatte weit und breit nichts gehört, was an die Handhabung der Zither durch diesen Jägersmann erinnerte. Ich ließ ihn gerne in mei¬ ner Gegenwart auf meiner Zither spielen, weil ihm keine so klang wie diese, und weil er sagte, sie müsse eingespielt werden. Er wurde mein Lehrer im Zitherspiele, und ich nahm mir vor, da ich sah, daß er meine Zither allen anderen vorzog, ihm, wenn ich Ursache hätte mit unseren Lehrstunden zufrieden zu sein, eine gleiche zu kaufen. Er hatte nehmlich erzählt, daß der Meister mehrere aus dem gleichen Holze wie die meinige und in gleicher Art gefertigt habe. Da sie nun ziemlich theuer gewesen war, so schloß ich, daß der Meister die Gleichen nicht so schnell werde verkaufen können, und daß noch eine werde übrig sein, wenn ich meinem Lehrer zu dem gewöhnlichen Lohne, den ich ihm in Geld zugedacht habe, noch die¬ ses Geschenk würde hinzufügen wollen. Ich begann in demselben Sommer auch, mir eine Sammlung von Marmoren anzulegen. Die Stücke, die ich gelegentlich fand oder die ich mir erwarb, wur¬ den zu kleinen Körpern geschliffen, gleichsam dicken Tafeln, die auf ihren Flächen die Art des Marmors zeigten. Wenn ich größere Stücke fand, so bestimmte ich sie außer dem, daß ich die gleiche Art in Tafeln in die Sammlung that, zu allerlei Gegenständen, zu kleinen Dingen des Gebrauches auf Schreibtischen Schreinen Waschtischen oder zu Theilen von Geräthen oder zu Geräthen selbst. Ich hoffte meinem Vater und meiner Mutter eine große Freude zu machen, wenn ich nach und nach als Nebengewinn meiner Arbeiten eine Zierde in ihr Haus oder gar in den Garten brächte; denn ich sann auch darauf, aus einem Blocke, wenn ich einen fände, der groß genug wäre, ein Wasserbecken machen zu lassen. Im Lauterthale fand ich einmal Roland, den Bru¬ der Eustachs. Er hatte in einer alten Kirche gezeich¬ net, und war jezt damit beschäftigt im Gasthause des Lauterthales diese Zeichnungen und einige andere, welche er in der Nähe entworfen hatte, mehr in das Reine zu bringen. Es befand sich nehmlich nicht weit von Lauterthal ein einsamer Hof oder eigentlich mehr ein festes steinernes schloßartiges Haus, welches ein¬ mal einer Familie gehört hatte, die durch Handel mit Gebirgserzeugnissen und durch immer ausgedehnteren Verkehr in viele Gegenden der Erde wohlhabend und durch Entartung ihrer Nachkommen durch den Leicht¬ sinn derselben und durch Verschwendung wieder arm geworden war. Einer dieses Geschlechtes hatte das große steinerne Haus gebaut. Es gehörte jezt einem fremden Herrn aus der Stadt, welcher es seiner Lage und seiner Seltenheiten willen gekauft hatte, und es zuweilen besuchte. In dem Hause waren schöne Bau¬ werke schöne Steinarbeiten und schöne Arbeiten aus Holz theils in Zimmerdecken Thüren und Fußböden theils in Geräthen. Die Holzarbeit mußte einmal im Gebirge viel blühender gewesen sein als jezt. Von diesen Gegenständen durfte nichts aus dem Hause gebracht werden, auch wurde von ihnen nichts ver¬ kauft. Roland hatte die Erlaubniß erhalten zu zeich¬ nen, was ihm als zeichnungswürdig erscheinen würde. Dieses Zweckes halber hielt er sich im Lauterthal¬ wirthshause auf. Ich besuchte mit ihm öfter das Haus, und wir geriethen in mannigfache Gespräche, namentlich wenn wir Abends, nachdem wir beide un¬ ser Tagewerk gethan hatten, an dem Wirthstische in der großen Stube zusammen kamen. Ich fand in ihm einen sehr feurigen Mann von starken Entschlüssen und von heftigem Begehren, sei es, daß ein Gegen¬ stand der Kunst sein Herz erfüllte, oder daß er sonst etwas in den Bereich seines Wesens zu ziehen strebte. Er verließ diese Stätte früher als ich. Ehe mich meine Geschäfte aus der Gegend führ¬ ten, fand ich noch etwas, das mich meines Vaters willen sehr freute. Kaspar hatte öfters meinen und Rolands Gesprächen zugehört und mitunter sogar in die Zeichnungen geblickt. Einmal sagte er mir, daß, wenn ich an alten Dingen so ein Vergnügen hätte, er mir etwas zeigen könne, das sehr alt und sehr merk¬ würdig wäre. Es gehöre einem Holzknechte, der ein Haus einen Garten und ein kleines Feldwesen habe, das von seinem Weibe und seinen heranwachsenden Kindern besorgt werde. Wir gingen einmal auf meine Anregung in das Haus hinauf, das jenseits eines Waldarmes mitten in einer trockenen Wiese nicht weit von kleinen Feldern und hart an einem großen verein¬ zelten Steinblocke lag, wie sie sich losgerissen oft im Innern von fruchtbaren Gründen befinden. Das alte Werk, welches ich hier traf, war die Vertäfelung von zwei Fensterpfeilern ungefähr halbmanneshoch. Es war offenbar der Rest einer viel größeren Vertäfelung, welche in der angegebenen Höhe auf dem Fußboden längs der ganzen Wände eines Zimmers herum ge¬ laufen war. Hier bestanden nur mehr die Verkleidun¬ gen von zwei Fensterpfeilern; aber sie waren vollkom¬ men ganz. Halberhabne Gestalten von Engeln und Knaben mit Laubwerk umgeben standen auf einem Sockel, und trugen zarte Simse. Der Besizer des Häuschens hatte die zwei Verkleidungen in seiner Prunkstube so aufgestellt, daß sie mit der unverzierten Höhlung gegen die Stube schauten. In diese Höh¬ lung hatte er geschnizte und bemalte Heiligenbilder aus neuerer Zeit gestellt. Vermuthlich war das Werk einmal in dem steinernen Hause gewesen, und war dort weggekommen, da etwa Nachfolger Veränderun¬ gen machten, und Gegenstände verschleuderten. Der Besizer des Wiesenhauses sagte uns, daß sein Gro߬ vater die Dinge in einer Versteigerung der Hager¬ mühle gekauft habe, die wegen Verschwendung des Müllers war eingeleitet worden. Meine Nachfragen um die Ergänzungen zu diesen Verkleidungen waren vergeblich, und durch Vermittlung Kaspars erkaufte ich von dem Besizer die übergebliebenen Reste. Ich ließ Kisten machen, legte die gefugten Theile ausein¬ ander, packte sie selber ein, und sendete sie unterdessen in das Ahornhaus zu meinen anderen Dingen. Ich blieb wirklich in jenem Herbste sehr lange im Gebirge. Es lag nicht nur der Schnee schon auf den Bergen, sondern er deckte auch bereits das ganze Land, und man fuhr schon in Schlitten statt in Wägen, als ich von dem Ahornhause Abschied nahm. Ich hatte alle meine Sachen gepackt, und hatte sie voraus ge¬ sendet, weil ich im künftigen Jahre nicht mehr in die¬ sem freundlichen Hause sondern irgend wo anders meinen Aufenthalt würde aufschlagen müssen. Ich sagte allen meinen Leuten Lebewohl, und ging auf der glattgefrorenen Bahn neben dem rauschenden Flusse, der schon Stücke Ufereis ansezte, in die ebne¬ ren Länder hinaus. Mein Weg führte mich in seinem Verlaufe auf Anhöhen dahin, von welchen ich im Norden die Gegend des Rosenhauses, und im Süden die des Sternenhofes erblicken konnte. In dem wei¬ ßen Gewande, welches sich über die Gefilde breitete, und welches von den dunkeln Bändern der Wälder geschnitten war, konnte ich kaum die Hügelgestaltun¬ gen erkennen, innerhalb welcher das Haus meines Freundes liegen mußte, noch weniger konnte ich die Umgebungen des Sternenhofes unterscheiden, da ich nie im Winter in dieser Gegend gewesen war. Das aber wußte ich mit Gewißheit, in welcher Richtung das Haus liegen müsse, an dem im vergangenen Sommer so viele Rosen geblüht haben, und in wel¬ cher das Schloß, hinter dem die alten Linden standen, und die Quelle floß, an der die weibliche Gestalt aus weißem Marmor Wache hielt. Die wohlthuen¬ den Fäden, die mich nach beiden Richtungen zogen, wurden von dem stärkeren Bande aufgehoben, das mich zu den lieben theuren Meinigen führte. Als ich das flache Land erreicht hatte, und an dem Orte eingetroffen war, in welchem mich meine Kisten erwarten sollten, übergab ich dieselben, die ich unver¬ lezt vorfand, meinem Frächter zur Beförderung an den Strom, und empfahl sie ihm, besonders die mit den Alterthümern auf das Angelegentlichste. Am an¬ deren Tage reiste ich in einem Wagen nach. Am Strome ließ ich die Kisten sorgfältig in ein Schiff bringen, und fuhr am nächsten Morgen mit dem nehmlichen Schiffe meiner Vaterstadt zu. Ich langte glücklich dort an, ließ meine Habselig¬ keiten in unser Haus schaffen, packte zuerst die Kiste mit den Alterthümern aus, und war beruhigt, als die Holzschnizereien unversehrt daraus hervor gingen. Die Freude meines Vaters war außerordentlich, die Mutter freute sich des Vaters willen, und die Schwe¬ ster, deren glänzende Augen bald auf mich bald auf den Vater schauten, zeigte, daß sie mit mir zufrieden sei. Dieses ließ mir manches vergessen, das beinahe wie eine Sorge in meinem Herzen war. Ich befand mich wieder bei meinen Angehörigen, die mit allen Kräften ihrer Seele an meinem Wohle Antheil nah¬ men, und dies erfüllte mich mit Ruhe und einer süßen Empfindung, die mir in der lezten Zeit beinahe fremd geworden war. Ich sah am anderen Tage, als ich in das Speise¬ zimmer ging, den Vater, wie er vor den Verkleidun¬ gen stand, und sie betrachtete. Bald neigte er sich näher zu ihnen, bald kniete er nieder, und befühlte manches mit der Hand, oder untersuchte es genauer mit den Augen. Mir klopfte das Herz vor Freude, und die weißen Haare, welche unter den dunkeln im¬ mer häufiger auf seinem Haupte zum Vorschein ka¬ men, erschienen mir doppelt ehrwürdig, und die leichte Falte der Sorge auf seiner Stirne, die in der Arbeit für uns auf diesem Size seiner Gedanken entstanden war, während ich meiner Freude nachgehen und die Welt und die Menschen genießen konnte, und wäh¬ rend meine Schwester wie eine prachtvolle Rose er¬ blühen durfte, erfüllte mich beinahe mit einer Andacht. Die Mutter kam dazu, er zeigte ihr manches, er er¬ klärte ihr die Stellungen der Gestalten die Führung und die Schwingung der Stengel und der Blätter und die Eintheilung des Ganzen. Die Mutter ver¬ stand diese Dinge durch die langjährige Übung viel besser als ich, und ich sah jezt, daß ich dem Vater etwas weit Schöneres gebracht habe, als ich wußte. Ich nahm mir vor, im nächsten Frühlinge viel ge¬ nauer nach den zu diesen Verkleidungen noch gehören¬ den Theilen zu forschen; ich hatte früher nur im All¬ gemeinen gefragt‚ jezt wollte ich aber auf das Sorg¬ fältigste in der ganzen Gegend suchen. Nachdem wir noch eine Weile über das Werk geredet hatten, führte mich die Mutter durch alle meine Zimmer, und zeigte mir, was man während meiner Abwesenheit gethan habe, um mir den Winteraufenthalt recht angenehm zu machen. Die Schwester kam dazu, und da die Mutter fortgegangen war, schlang sie beide Arme um meinen Hals, küßte mich, und sagte, daß ich so gut sei, und daß sie mich nach Vater und Mutter unter allen Dingen, die auf der Welt sein können, am mei¬ sten und am außerordentlichsten liebe. Mir wären bei dieser Rede bald die Thränen in die Augen getreten. Als ich später in meinem Zimmer allein auf und ab ging, wollte mir mein Herz immer sagen: „jezt ist alles gut, jezt ist alles gut.“ Ich kaufte mir am andern Tage eine spanische Sprachlehre, welche mir ein Freund, der sich seit meh¬ reren Jahren mit diesen Dingen abgegeben hatte, an¬ rieth. Ich begann neben meinen anderen Arbeiten vorerst für mich in diesem Buche zu lernen, mir vor¬ behaltend, später, wenn ich es für nöthig halten sollte, auch einen Lehrer im Spanischen zu nehmen. Auch fuhr ich nicht nur fort, in den Schauspielen Shakespeares zu lesen, sondern ich wendete die Zeit, die mir von meinen Arbeiten übrig blieb, auch der Lesung anderer dichterischer Werke zu. Ich suchte die Schriften der alten Griechen und Römer wieder her¬ vor, von denen ich schon Bruchstücke während meiner Studienjahre als Pflichterfüllung hatte lesen müssen. Damals waren mir die Gestaltungen dieser Völker, die ich mit ruhigen und kühlen Kräften hatte erfassen können, sehr angenehm gewesen, deßhalb nahm ich jezt die Bücher dieser Art wieder vor. Meine Zither gereichte der Schwester zur Freude. Ich spielte ihr die Dinge vor, die ich bereits auf die¬ sen Saiten hervorzubringen im Stande war, ich zeigte ihr die Anfangsgründe, und als für uns beide in die¬ ser Übung auch ein Meister aus der Stadt in das Haus kam, lieh ich ihr die Zither, und versprach ihr, eine eben so schöne und gute oder eine noch schönere und bessere für sie aus dem Gebirge zu schicken, wenn sie zu bekommen wäre. Ich erzählte ihr, daß der Mann, der mir in dem Gebirge Unterricht im Zither¬ spiele gebe, bei weitem schöner, wenn auch nicht so gekünstelt spiele als der Meister in der Stadt. Ich sagte, ich wolle in dem Gebirge sehr fleißig lernen, und ihr, wenn ich wieder komme, Unterricht in dem ertheilen, was ich unterdessen in mein Eigenthum verwandelt hätte. Unter diesen Beschäftigungen und unter andern Dingen, welche schon frühere Winter eingeleitet hat¬ ten, ging die kältere Jahreszeit dahin. Als die Früh¬ lingslüfte wehten und die Erde abzutrocknen begann, trat ich meine Sommerwanderung wieder an. Ich wählte doch abermals das Ahornhaus zu meinem Aufenthalte, wenn ich auch wußte, daß ich oft weit von ihm weggehen und lange von ihm würde entfernt bleiben müssen. Es war mir schon zur Gewohnheit geworden, und es war mir lieb und angenehm in ihm. Das erste, was ich vornahm, war, daß ich Both¬ schaft nach meinem Zitherspieljägersmanne aussandte. Da er überall zu finden ist, kam er sehr bald, und wir verabredeten, wie wir unsere Übungen im Zither¬ spiele fortsezen würden. Gleichzeitig begann ich die Forschungen nach jenen Theilen der Wandverkleidun¬ gen, welche zu den meinem Vater überbrachten Pfei¬ lerverkleidungen als Ergänzung gehörten. Ich forschte in dem Hause nach, in welchem Roland im vergan¬ genen Sommer gezeichnet hatte, ich forschte bei dem Holzknechte, von welchem mir die Pfeilerverkleidun¬ gen waren verkauft worden, ich dehnte meine For¬ schungen in alle Theile der umliegenden Gegend aus, gab besonders Männern Aufträge, welche oft in die abgelegensten Winkel von Häusern und anderen Ge¬ bäuden kommen, wie zum Beispiele Zimmerleuten Maurern, daß sie mir sogleich Nachricht gäben, wenn sie etwas aus Holz geschniztes entdeckten, ich reiste selber an manche Stellen, um nachzusehen: allein es fand sich nichts mehr vor. Als beinahe nicht zu be¬ zweifeln stellte sich heraus, daß die von mir gekauften Verkleidungen einmal zu dem steinernen Hause der ausgestorbenen Gebirgskaufherren gehört haben, in welchem sie die Unterwand eines ganzen Saales um¬ geben haben mochten. Bei einer einmal vorgenom¬ menen sogenannten Verschönerung späterer verschwen¬ derisch gewordener Nachkommen hat man sie wahr¬ scheinlich weg gethan, und sie fremden Händen über¬ lassen, die sie in abwechselnden Besiz brachten. Die Pfeilerverkleidungen, welche gleichsam Nischen bilde¬ ten, in die man Heiligenbilder thun konnte, sind übrig geblieben, die anderen geraden Theile sind ver¬ kommen, oder sogar muthwillig zerschlagen oder ver¬ brannt worden. Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes ging ich auch mit meinem Jägersmanne von dem Ahornhause über das Echergebirge in das Echerthal, wo der Meister wohnte, von dem der Jäger die Zither für mich gekauft hatte, und von dem ich auch eine für meine Schwester kaufen wollte. Dieser Mann verfer¬ tigte Zithern für das ganze umliegende Gebirge und zur Versendung. Er hatte noch zwei mit der meinigen glanz gleiche. Ich wählte eine davon, da in der Ar¬ beit und in dem Tone gar keine Verschiedenheit wahr¬ genommen werden konnte. Der Meister sagte, er habe lange keine so guten Zithern gemacht, und werde lange keine solchen mehr machen. Sie seien alle drei von gleichem Holze, er habe es mit vieler Mühe ge¬ sucht und mit vielen Schwierigkeiten gefunden. Er werde vielleicht auch nie mehr ein solches finden. Auch werde er kaum mehr so kostbare Zithern machen, da seine entfernten Abnehmer nur oberflächliche Waare verlangten, und auch die Gebirgsleute, die wohl die Güte verstehen, doch nicht gerne theure Zithern kauften. Stifter , Nachsommer. II . 2 Von dem Zitherspiele, welches mein Jäger mit mir übte, schrieb ich mir so viel auf, als ich konnte, um es der Schwester zum Einlernen und zum Spie¬ len zu bringen. Gegen die Zeit der Rosenblüthe ging ich in den Asperhof, und fand die zwei Zimmer schon für mich hergerichtet, welche ich im vorigen Sommer bewohnt hatte. Am ersten Tage erzählte mir schon der Gärtner Simon, der von seinem Gewächshause zu mir herüber gekommen war, daß der Cereus peruvianus in dem Asperhofe sei. Der Herr habe ihn von dem Inghofe gekauft, und da ich gewiß Ursache dieser Erwerbung sei, so müsse er mir seinen Dank dafür abstatten. Ich hatte allerdings mit meinem Gastfreunde über den Cereus geredet, wie ich es dem Gärtner versprochen hatte; aber ich wußte nicht, wie viel Antheil ich an dem Kaufe hätte, und sagte daher, daß ich den Dank nur mit Zurückhaltung annehmen könne. Ich mußte dem Gärtner in das Cactushaus folgen, um den Ce¬ reus anzusehen. Die Pflanze war in freien Grund gestellt, man hatte für sie einen eigenen Aufbau gleich¬ sam ein Thürmchen von doppeltem Glas auf dem Cactushause errichtet, und hatte durch Stüzen oder durch Lenkung der Sonnenstrahlen auf gewisse Stel¬ len des Gewächses Anstalten getroffen, daß der Ce¬ reus, der sich an der Decke des Gewächshauses im Inghofe hatte krümmen müssen, wieder gerade wach¬ sen könne. Ich hätte nicht gedacht, daß diese Pflanze so groß sei, und daß sie sich so schön darstellen würde. Weil mein Vater an alterthümlichen Dingen eine so große Freude hatte, weil ihn die Verkleidungen so sehr erfreut hatten, welche ich ihm im vergangenen Herbste gebracht hatte, so that ich an meinen Gast¬ freund, da ich eine Weile in seinem Hause gewesen war, eine Bitte. Ich hatte die Bitte schon länger auf dem Herzen gehabt, that sie aber erst jezt, da man gar so gut und freundlich mit mir in dem Rosenhause war. Ich ersuchte nehmlich meinen Gastfreund, daß er erlaube, daß ich einige seiner alten Geräthe zeich¬ nen und malen dürfe, um meinem Vater die Abbilder zu bringen, die ihm eine deutlichere Vorstellung geben würden, als es meine Beschreibungen zu thun im Stande wären. Er gab die Einwilligung sehr gerne, und sagte: „Wenn ihr eurem Vater ein Vergnügen bereiten wol¬ let, so zeichnet und malet, wie ihr wollt, ich habe nicht nur nichts dagegen, sondern werde auch Sorge 2 * tragen, daß in den Zimmern, die ihr benüzen wollt, gleich alles zu eurer Bequemlichkeit hergerichtet werde. Sollte euch Eustach an die Hand gehen können, so wird er es gewiß sehr gerne thun.“ Am folgenden Tage war in dem Zimmer, in wel¬ chem sich der große Kleiderschrein befand, mit dem ich anfangen wollte, eine Staffelei aufgestellt und neben ihr ein Zeichnungstisch, ob ich mich des einen oder des andern bedienen wollte. Der Schrein war von seiner Stelle weg in ein besseres Licht gerückt, und alle Fenster bis auf eines waren mit ihren Vor¬ hängen bedeckt, damit eine einheitliche Beleuchtung auf den Gegenstand geleitet würde, der gezeichnet werden sollte. Eustach hatte alle seine Farbstoffe zu meiner Verfügung gestellt, wenn etwa die von mir mitgebrachten irgendwo eine Lücke haben sollten. Das zeigte sich sogleich klar, daß die Zeichnungen jeden¬ falls mit Farben gemacht werden müßten, weil sonst gar keine Vorstellung von den Gegenständen hätte er¬ zeugt werden können, die aus verschiedenfarbigem Holze zusammengestellt waren. Ich ging sogleich an die Arbeit. Mein Gast¬ freund hatte auch für meine Ruhe gesorgt. So oft ich zeichnete, durfte niemand in das Zimmer kommen, in dem ich war, und so lange sich überhaupt meine Geräthschaften in demselben befanden, durfte es zu keinem andern Gebrauche verwendet werden. Um desto mehr glaubte ich meine Arbeit beschleunigen zu müssen. Es waren indessen Mathilde und Natalie in dem Asperhofe angekommen, und sie lebten dort, wie sie im vorigen Jahre gelebt hatten. Ich zeichnete fleißig fort. Niemand stellte das Verlangen, meine Arbeit zu sehen, Eustach hatte ich gebeten, daß ich ihn zuweilen um Rath fragen dürfe, was er bereitwillig zugestanden hatte. Ich führte ihn daher zu Zeiten in das Zimmer; und er gab mir mit vieler Sachkenntniß an, was hie und da zu verbessern wäre. Nur Gustav ließ Neugierde nach der Zeich¬ nung blicken; nicht daß ihm geradezu eine Äußerung in dieser Hinsicht entfallen wäre; aber da er sich so an mich angeschlossen hatte, und da sein Wesen sehr offen und klar war, so erschien es nicht schwer, den Wunsch, den er hegte, zu erkennen. Ich lud ihn da¬ her ein, mich in dem Zimmer zu besuchen, wenn ich zeichnete, und ich richtete es so ein, daß meine Zeich¬ nungszeit in seine freien Stunden fiel. Er kam fleißig, sah mir zu, fragte um allerlei, und gerieth endlich darauf, auch ein solches Gemälde versuchen zu wol¬ len. Da mein Gastfreund nichts dawider hatte, so überließ ich ihm meine Farben zur Benüzung, und er begann auf einem Tische neben mir sein Geschäft, in¬ dem er den nehmlichen Schrein abbildete wie ich. Im Zeichnen war er sehr unterrichtet, Eustach war sein Lehrmeister; dieser hatte aber bisher noch immer nicht zugegeben, daß sein Zögling den Gebrauch der Far¬ ben anfange, weil er von dem Grundsaze ausging, daß zuvor eine sehr sichere und behende Zeichnung vor¬ handen sein müsse. Die Spielerei aber mit dem Schreine — denn es war nichts weiter als eine Spie¬ lerei — ließ er als eine Ausnahme geschehen. Ich wurde in Kurzem mit der ersten Arbeit fertig. Das Bild sah in den genau und gewissenhaft nachge¬ ahmten Farben fast noch lieblicher und reizender aus als der Gegenstand selber, da alles ins Kleinere und Feinere zusammengerückt war. Da ich die Zeichnung vollendet hatte, legte ich sie meinem Gastfreunde und Mathilde vor. Sie billig¬ ten dieselbe, und schlugen einige kleine Änderungen vor. Da ich die Nothwendigkeit derselben einsah, nahm ich sie sogleich vor. Hierauf wurde von ihnen so wie von Eustach die Abbildung für fertig erklärt. Nach dem Kleiderschreine nahm ich den Schreib¬ tisch mit den Delphinen vor. Weil ich durch die erste Zeichnung schon einige Fertigkeit erlangt hatte, so ging es bei der zweiten schneller, und alles gerieth mit mehr Leichtigkeit und Schwung. Ich war fertig geworden, und legte auch diese Abbildung Mathilden meinem Gastfreunde und Eustach vor. Gustav hatte in der Zeit auch seine Zeichnung des großen Schreines vollendet, und brachte sie herbei. Er wurde ein wenig ausgelacht, und andererseits wurden ihm auch Dinge angegeben, die er noch zu verändern, und hinein zu machen hätte. Auch bei mir wurden Verbesserungen vorgeschlagen. Als wir beide mit unsern Ausfeilungen fertig waren, wurden in dem Zimmer, in welchem wir gezeichnet hatten, die Geräthe wieder an ihren Plaz gerückt, und die Staffelei und unsere Malergeräthschaften wur¬ den daraus entfernt. Ich hatte mir in diesem Zim¬ mer nur die zwei Gegenstände abzubilden vorge¬ nommen. Hierauf versuchte ich noch einige kleinere Gegen¬ stände. Unterdessen waren manche Leute zum Besuche in das Rosenhaus gekommen, wir selber hatten auch einige Nachbarn aufgesucht, hatten Spaziergänge ge¬ macht, und an mehreren Abenden saßen wir im Gar¬ ten oder vor den Rosen oder unter dem großen Kirsch¬ baume und es wurde von verschiedenen Dingen ge¬ sprochen. Eustach sagte mir einmal, da ich von den Ge¬ räthen in dem Sternenhofe redete, und die Äußerung machte, daß meinen Vater Abbildungen von ihnen sehr freuen würden, es könne keinen Schwierigkeiten unterliegen, daß ich in dem Sternenhofe ebenso zeichnen dürfe wie in dem Asperhause. Ich ging auf die Sache nicht ein, da ich nicht den Muth hatte, mit Mathilde darüber zu sprechen. Am andern Tage zeigte mir Eustach die Einwilligung an, und Mathilde lud mich auf das Freundlichste ein, und sagte, daß mir in ihrem Hause jede Bequemlichkeit zu Gebote stehen würde. Ich dankte sehr freundlich für die Güte, und nach meh¬ reren Tagen fuhr ich mit den Pferden meines Gast¬ freundes in den Sternenhof, während Mathilde und Natalie noch in dem Rosenhause blieben. Im Sternenhofe fand ich zu meiner Überraschung schon alles zu meinem Empfange vorbereitet. Da Bilder in dem Schlosse waren, hatte man auch meh¬ rere Staffeleien, welche man mir zur Auswahl in das große Zimmer gestellt hatte, in welchem die alter¬ thümlichen Geräthe standen. Auch ein Zeichnungs¬ tisch mit allem Erforderlichen war in das Zimmer ge¬ schafft worden. Ich wählte unter den Staffeleien eine, und ließ die übrigen wieder an ihre gewöhnlichen Orte bringen. Den Zeichnungstisch behielt ich zur Bequem¬ lichkeit neben der Staffelei bei mir. Es war nun zum Malen beinahe alles so eingerichtet wie im Asper¬ hofe. Auch durfte ich mir die Geräthe, die ich zu zeichnen vorhatte, in das Licht rücken lassen, wie ich wollte. Zum Wohnen und Schlafen hatte man mir das nehmliche Zimmer hergerichtet, in welchem ich bei meinem ersten Besuche gewesen war. Zum Speisen wurde mir der Saal, in dem ich arbeitete, oder mein Wohnzimmer frei gestellt. Ich wählte das Lezte. Ich betrachtete mir vorerst die Geräthe, und wählte diejenigen aus, die ich abbilden wollte. Hier¬ auf ging ich an die Arbeit. Ich malte sehr fleißig, um die Unordnung, welche meine Arbeiten nothwen¬ dig in dem Hause machen mußten, so kurz als mög¬ lich dauern zu lassen. Ich blieb daher den ganzen Tag in dem Saale, nur des Abends, wenn es dämmerte, oder Morgens, ehe die Sonne aufging, begab ich mich in das Freie oder in den Garten, um einen Gang in der erquickenden Luft zu machen, oder gelegentlich auch stille stehend oder auf einer Ruhebank sizend die weite Gegend um mich herum zu betrachten. Oft, wenn ich die Pinsel gereinigt und all das unter Tags gebrauchte Malergeräthe geordnet und an seinen Plaz gelegt hatte, saß ich unter den alten hohen Linden im Garten, und dachte nach, bis das späte Abenroth durch die Blätter derselben herein fiel, und die Schat¬ ten auf dem Sandboden so tief geworden waren, daß man die kleinen Gegenstände, die auf diesem Boden lagen, nicht mehr sehen konnte. Noch öfter aber war ich auf dem Plaze hinter der Epheuwand, von wel¬ chem aus das Schloß in die großen Eichen einge¬ rahmt zu erblicken war, und neben und hinter dem Schlosse sich die Gegend und die Berge zeigten. Es war die Stille des Landes, wenn der heitere Spät¬ himmel sich über das Schloß hinzog, wenn die Spizen von dessen Dachfähnchen glänzten, sich in Ruhe das Grün herum lagerte, und das Blau der Berge immer sanfter wurde. Zuweilen in besonders heißen Tagen ging ich auch in die Grotte, in welcher die Marmor¬ nimphe war, freute mich der Kühle, die da herrschte, sah das gleiche Rinnen des Wassers und sah den glei¬ chen Marmor, auf dem nur zuweilen ein Lichtchen zuckte, wenn sich ein später Strahl in dem Wasser fing, und auf die Gestalt geworfen wurde. In dem Schlosse war es sehr einsam, die Diener waren in ihren abgelegenen Zimmern, ganze Reihen von Fenstern waren durch herabgelassene Vorhänge bedeckt, und zu dem Hofbrunnen ging selten eine Ge¬ stalt, um Wasser zu holen, daher er zwischen den großen Ahornen eintönig fortrauschte. Diese Stille machte, daß ich desto mehr der Bewohnerinnen dachte, die jezt abwesend waren, daß ich meinte, ihre Spuren entdecken zu können, und daß ich dachte, ihren Gestal¬ ten irgendwo begegnen zu müssen. Besser war es, wenn ich in die Landschaft hinausging. Dort lebten die Klänge der Arbeit, dort sah ich heitere Menschen, die sich beschäftigten und regsame Thiere, die ihnen halfen. Es war eine Art von Verwalter in dem Schlosse, der den Auftrag haben mußte, für mich zu sorgen, wenigstens that er alles, was er zu meiner Bequem¬ lichkeit für nöthig erachtete. Er fragte oft nach mei¬ nen Wünschen, ließ mehr Speisen und Getränke auf meinen Tisch stellen, als nöthig war, sorgte stets für frisches Wasser, Kerzen und andere Dinge, ließ eine Menge Bücher, die er aus der Büchersammlung des Schlosses genommen haben mochte, in mein Zimmer bringen, und meinte zuweilen, daß es die Höflichkeit erfordere, daß er mehrere Minuten mit mir spreche. Ich machte so wenig als möglich Gebrauch von allen für mich in diesem Schlosse eingeleiteten Anstalten, und ging nicht einmal in die Meierei, in welcher es sehr lebhaft war, um durch meine Gegenwart oder durch mein Zuschauen nicht jemanden in seiner Arbeit zu beirren. Als ich mit den ausgewählten Gegenständen fer¬ tig war, hörte ich nicht auf; denn aus ihnen ent¬ wickelten sich wieder andere Arbeiten, was seinen Grund darin hatte, daß ein Gegenstand den andern verlangte, was wieder daher rührte, daß die Geräthe dieses Zimmers und der Nebengemächer ein Ganzes bil¬ deten, welches man nicht zerstückt denken konnte. Was mir aber zu statten kam, war die große Übung, die ich nach und nach erlangte, so daß ich endlich in einem Tage mehr vor mich brachte, als sonst in dreien. Eustach kam einmal herüber, mich zu besuchen. Ich sah darin ein Zeichen, daß man mir Gelegenheit geben wollte, mich seines Rathes zu bedienen. Ich that dieses auch, freute mich der Worte, die er sprach, und folgte den Ansichten, die er entwickelte. Er er¬ zählte mir auch, daß Mathilde und Natalie noch lange in dem Asperhofe zu bleiben gedächten. Da, wie ich wußte, ihr Besuch in dem vorigen Sommer im Ro¬ senhause viel kürzer gewesen war, so verfiel ich auf den Gedanken, ob sie nicht etwa gerade darum heuer län¬ ger in demselben verweilten, um mir Muße zu mei¬ nen Arbeiten in dem Sternenhofe zu geben. Ob es nun so sei oder nicht, wußte ich nicht, es konnte aber so sein, und darum beschloß ich, mein Malen abzu¬ kürzen. Endlich mußte ich doch einmal schließen, da ich doch nicht alle Gegenstände abbilden konnte. Ich sagte Eustach die Zeit, in der ich fertig sein würde. Er blieb zwei Tage in dem Schlosse, vermaß man¬ ches, untersuchte einiges in manchen Zimmern, und kehrte dann wieder in das Rosenhaus zurück. Ehe ich ganz fertig war, kamen alle vom Asper¬ hofe herüber, und blieben einige Tage. Auch Eustach kam wieder mit. Ich legte vor, was ich gemacht hatte, und es geschah das Nehmliche, was in dem Rosen¬ hause geschehen war. Man billigte im Allgemeinen die Arbeit, und stellte hie und da etwas aus, was zu verbessern wäre. Ich hatte schon zu der Abbildung der Geräthe im Asperhofe Öhlfarben angewendet, weil ich in Behandlung derselben nach und nach eine größere Fertigkeit erlangt hatte als in der der Wasserfarben, und weil die Wirkung eine viel größere war. Die Geräthe des Sternenhofes hatte ich nun auch mit Öhl¬ farben abgebildet, und diese Abbildungen waren viel gelungener als die im Rosenhause. Ich erkannte die Vorschläge, welche mir gemacht worden waren, an, und bemerkte mir sie zur Ausführung. Eustach ging von dem Sternenhofe wieder in das Rosenhaus zurück; mein Gastfreund Mathilde Na¬ talie und Gustav machten eine kleine Reise. Auch mein Bleiben war nicht mehr lange in dem Schlosse. Ich machte noch fertig, was fertig zu ma¬ chen war, ich verbesserte, was zu verbessern vorge¬ schlagen worden war, und was mir selber noch in der Zeit als verbessrungswürdig einfiel, und wartete dann ab, bis alles gut getrocknet wäre, um es einpacken und für den Vater in Bereitschaft halten zu können. Da dies geschehen war, dankte ich dem Verwalter sehr verbindlich für alle seine Aufmerksamkeit, gab den Mädchen, die für mich zu thun gehabt hatten, Ge¬ schenke, welche ich mir zu diesem Zwecke schon früher angeschafft hatte, und bestieg den Wagen, den mir der Verwalter zu meiner Zurückfahrt in das Rosen¬ haus zur Verfügung gestellt hatte. Als ich in dem Rosenhause ankam, traf ich mei¬ nen Gastfreund und seine Gesellschaft von der Reise schon zurückgekehrt an. Ich blieb noch mehrere Tage bei ihnen, nahm dann Abschied, und begab mich in das Ahornhaus zu meinen Arbeiten zurück. Ich suchte diese Arbeiten rasch zu betreiben; aber alles war jezt anders, und nahm eine andere Färbung in meinem Herzen an. Als ich in dem Frühling die Hauptstadt verlassen hatte, und dem langsam über einen Berg empor fah¬ renden Wagen folgte, war ich einmal bei einem Hau¬ fen von Geschiebe stehen geblieben, das man aus einem Flußbette genommen, und an der Straße auf¬ geschüttet hatte, und hatte das Ding gleichsam mit Ehrfurcht betrachtet. Ich erkannte in den rothen weißen grauen schwarzgelben und gesprenkelten Stei¬ nen, welche lauter plattgerundete Gestalten hatten, die Bothen von unserem Gebirge, ich erkannte jeden aus seiner Felsenstadt, von der er sich losgetrennt hatte, und von der er ausgesendet worden war. Hier lag er unter Kameraden, deren Geburtsstätte oft viele Meilen von der seinigen entfernt ist, alle waren sie an Gestalt gleich geworden, und alle harrten, daß sie zerschlagen und zu der Straße verwendet würden. Besonders kamen mir die Gedanken, wozu dann alles da sei, wie es entstanden sei, wie es zusammen¬ hänge, und wie es zu unserem Herzen spreche. Einmal gelangte ich zu dem See hinunter, und betrachtete an dem sonnigen Nachmittage die That¬ sache, daß die Schönheit der absteigenden Berge mei¬ stens gegen einen Seespiegel am größten ist. Kömmt das aus Zufall, haben die abstürzenden dem See zu¬ eilenden Wässer die Berge so schön gefurcht gehöhlt geschnitten geklüftet, oder entspringt unsere Empfin¬ dung von dem Gegensaze des Wassers und der Berge, wie nehmlich das erste eine weiche glatte feine Fläche bildet, die durch die rauhen absteigenden Riffe Rinnen und Streifen geschnitten wird, während unterhalb nichts zu sehen ist, und so das Räthsel vermehrt wird? Ich dachte bei dieser Gelegenheit: wenn das Wasser durchsichtiger wäre, zwar nicht so durchsichtig wie die Luft, doch beinahe so; dann müßte man das ganze innere Becken sehen, nicht so klar wie in der Luft son¬ dern in einem grünlichen feuchten Schleier. Das müßte sehr schön sein. Ich blieb in Folge dieses Ge¬ dankens länger an dem See, miethete mich in einem Gasthofe ein, und machte mehrere Messungen der Tiefe des Wassers an verschiedenen Stellen, deren Entfernung vom Ufer ich mittelst einer Meßschnur be¬ zeichnete. Ich dachte, auf diese Weise könnte man annähernd die Gestalt des Seebeckens ergründen, könnte es zeichnen, und könnte das innere Becken von dem äußeren durch eine sanftere grünlichere Farbe un¬ terscheiden. Ich beschloß, bei einer ferneren Gelegen¬ heit die Messungen fortzusezen. Diese Bestrebungen brachten mich auf die Be¬ trachtung der Seltsamkeiten unserer Erdgestaltungen. In dem Seegrunde sah ich ein Thal, in dessen Sohle, die sich bei andern Thälern mit dem vieltausendfachen Pflanzenreichthume und den niedergestürzten Gebirgs¬ theilen füllt, und so einen schönen Wechsel von Pflan¬ zen und Gestein darstellt, kein Pflanzengrund sich ent¬ wickelt, sondern das Gerölle sich sachte mehrt, der Boden sich hebt, und die ursprünglichen Klüftungen ausfüllt. Dazu kommen die Stücke, die unmittelbar von den Wänden in den See stürzen, dazu kommen die Hügel, die außer der gewöhnlichen Ordnung von bedeutenden Hochwassern in den See geschoben, und von dem nachträglichen Wellenschlage wieder abge¬ flacht werden. In Jahrtausenden und Jahrtausenden füllt sich das Becken immer mehr, bis einmal, mögen hundert oder noch mehr Jahrtausende vergangen sein, Stifter , Nachsommer. II . 3 kein See mehr ist, auf der ungeheuren Dicke der Ge¬ röllschichten der menschliche Fuß wandelt, Pflanzen grünen, und selbst Bäume stehen. So kannte ich manche Stellen, die einst Seegrund gewesen waren. Der Fluß, der Vater des Sees, hatte sich in seinem Weiterlaufe tiefer gewühlt, er hatte den Seespiegel niederer gelegt, der Seegrund hatte sich gehoben, bis nichts mehr war als ein Thal, an dem jezt die Ufer als grüne Wälle in langen Strecken stehen, mit kräftigen Kräutern blühenden Büschen und mancher lachenden Wohnung von Menschen prangen, wäh¬ rend das, was einmal ein mächtiges Wasser gebildet hatte, jezt als ein schmales Bändlein in glänzenden Schlangenlinien durch die Landschaft geht. Ich betrachtete vom See aus die Schichtungen der Felsen. Was bei Kristallen der Blätterdurchgang ist, das zeigt sich hier in großen Zügen. An manchen Stellen ist die Neigung diese, an manchen ist sie eine andere. Sind diese ungeheuern Blätter einst gestürzt worden, sind sie erhoben worden, werden sie noch im¬ mer erhoben? Ich zeichnete manche Lagerungen in ihren schönen Verhältnissen und in ihren Neigungen gegen die wagrechte Fläche. Wenn ich so die Blätter durchging, und die Gestaltungen ansah war es mir wie eine unbekannte Geschichte, die ich nicht enträth¬ seln konnte, und zu der es doch Anhaltspunkte geben mußte, um die Ahnungen in Nahrung zu sezen. Wenn ich die Stücke unbelebter Körper, die ich für meine Schreine sammelte, ansah, so fiel mir auf, daß hier diese Körper liegen, dort andere, daß unge¬ heure Mengen desselben Stoffes zu großen Gebirgen aufgethürmt sind, und daß wieder in kleinen Abstän¬ den kleine Lagerungen mit einander wechseln. Woher sind sie gekommen, wie haben sie sich gehäuft? Liegen sie nach einem Geseze, und wie ist dieses geworden? Oft sind Theile eines größern Körpers in Menge oder einzeln an Stellen, wo der Körper selber nicht ist, wo sie nicht sein sollen, wo sie Fremdlinge sind. Wie sind sie an den Plaz gekommen? Wie ist überhaupt an einer Stelle gerade dieser Stoff entstanden und nicht ein anderer? Woher ist die Berggestalt im Großen ge¬ kommen? Ist sie noch in ihrer Reinheit da, oder hat sie Veränderungen erlitten, und erleidet sie dieselben noch immer? Wie ist die Gestalt der Erde selber ge¬ worden, wie hat sich ihr Antliz gefurcht, sind die Lücken groß, sind sie klein? Wenn ich auf meinen Marmor kam — wie be¬ wunderungswürdig ist der Marmor! Wo sind denn 3 * die Thiere hin, deren Spuren wir ahnungsvoll in diesen Gebilden sehen? Seit welcher Zeit sind die Riesenschnecken verschwunden, deren Andenken uns hier überliefert wird? Ein Andenken, das in ferne Zeiten zurück geht, die niemand gemessen hat, die vielleicht niemand gesehen hat, und die länger gedauert haben, als der Ruhm irgend eines Sterblichen. Eine Thatsache fiel mir auf. Ich fand todte Wäl¬ der, gleichsam Gebeinhäuser von Wäldern, nur daß die Gebeine hier nicht in eine Halle gesammelt wa¬ ren, sondern noch aufrecht auf ihrem Boden standen. Weiße abgeschälte todte Bäume in großer Zahl, so daß vermuthet werden mußte, daß an dieser Stelle ein Wald gestanden sei. Die Bäume waren Fichten oder Lärchen oder Tannen. Jezt konnte an der Stelle ein Baum gar nicht mehr wachsen, es sind nur Kriechhölzer um die abgestorbenen Stämme, und auch diese selten. Meistens bedeckt Gerölle den Boden oder größere mit gelbem Moose überdeckte Steine. Ist diese Thatsache eine vereinzelte nur durch vereinzelte Ortsursachen her¬ vorgebracht? Hängt sie mit der großen Weltbildung zusammen? Sind die Berge gestiegen, und haben sie ihren Wälderschmuck in höhere todbringende Lüfte ge¬ hoben? Oder hat sich der Boden geändert, oder wa¬ ren die Gletscherverhältnisse andere? Das Eis aber reichte einst tiefer: wie ist das alles geworden? Wird sich vieles, wird sich alles noch einmal ganz ändern? In welch schneller Folge geht es? Wenn durch das Wirken des Himmels und seiner Gewässer das Gebirge beständig zerbröckelt wird, wenn die Trüm¬ mer herabfallen, wenn sie weiter zerklüftet werden, und der Strom sie endlich als Sand und Geschiebe in die Niederungen hinausführt, wie weit wird das kommen? Hat es schon lange gedauert? Unerme߬ liche Schichten von Geschieben in ebenen Ländern be¬ jahen es. Wird es noch lange dauern? So lange Luft Licht Wärme und Wasser dieselben bleiben, so lange es Höhen gibt, so lange wird es dauern. Wer¬ den die Gebirge also einstens verschwunden sein? Wer¬ den nur flache unbedeutende Höhen und Hügel die Ebenen unterbrechen, und werden selbst diese ausein¬ ander gewaschen werden? Wird dann die Wärme in den feuchten Niederungen oder in tiefen heißen Schluch¬ ten verschwinden, so wie die kalte Luft in Höhen auf die Erde ohne Einfluß sein wird, so daß alle Glieder in unsern Ländern von demselben lauen Stoffe umflossen sind, und sich die Verhältnisse aller Gewächse ändern? Oder dauert die Thätigkeit, durch welche die Berge gehoben wurden, noch heute fort, daß sie durch innere Kraft an Höhe ersezen oder übertreffen, was sie von Außen her verlieren? Hört die Hebungskraft einmal auf? Ist nach Jahrmillionen die Erde weiter abge¬ kühlt, ist ihre Rinde dicker, so daß der heiße Fluß in ihrem Innern seine Kristalle nicht mehr durch sie em¬ por zu treiben vermag? Oder legt er langsam und unmerklich stets die Ränder dieser Rinde auseinander, wenn er durch sie seine Geschiebe hinan hebt? Wenn die Erde Wärme ausstrahlt, und immer mehr erkal¬ tet, wird sie nicht kleiner? Sind dann die Umdre¬ hungsgeschwindigkeiten ihrer Kreise nicht geringer? Ändert das nicht die Passate? Werden Winde Wol¬ ken Regen nicht anders? Wie viele Millionen Jahre müssen verfließen, bis ein menschliches Werkzeug die Änderung messen kann? Solche Fragen stimmten mich ernst und feierlich, und es war, als wäre in mein Wesen ein inhaltreiche¬ res Leben gekommen. Wenn ich gleich weniger sam¬ melte und zusammentrug als früher, so war es doch, als würde ich in meinem Innern bei weitem mehr ge¬ fördert als in vergangenen Zeiten. Wenn eine Geschichte des Nachdenkens und For¬ schens werth ist, so ist es die Geschichte der Erde, die ahnungsreichste, die reizendste, die es gibt, eine Ge¬ schichte, in welcher die der Menschen nur ein Ein¬ schiebsel ist, und wer weiß es, welch ein kleines, da sie von anderen Geschichten vielleicht höherer Wesen abgelöset werden kann. Die Quellen zu der Ge¬ schichte der Erde bewahrt sie selber wie in einem Schriftengewölbe in ihrem Innern auf, Quellen, die vielleicht in Millionen Urkunden niedergelegt sind, und bei denen es nur darauf ankömmt, daß wir sie lesen lernen, und sie durch Eifer und Rechthaberei nicht verfälschen. Wer wird diese Geschichte einmal klar vor Augen haben? Wird eine solche Zeit kommen, oder wird sie nur der immer ganz wissen, der sie von Ewigkeit her gewußt hat? Von solchen Fragen flüchtete ich zu den Dichtern. Wenn ich von langen Wanderungen in das Ahorn¬ haus zurück kam, oder wenn ich ferne von dem Ahorn¬ hause in irgend einem Stübchen eines Alpengebäudes wohnte, so las ich in den Werken eines Mannes, der nicht Fragen löste, sondern Gedanken und Gefühle gab, die wie eine Lösung in holder Umhüllung wa¬ ren, und wie ein Glück aussahen. Ich hatte manigfal¬ tige solcher Männer. Unter den Büchern waren auch solche, in denen Schwulst enthalten war. Sie gaben die Natur in und außer dem Menschen nicht so, wie sie ist, sondern sie suchten sie schöner zu machen, und suchten besondere Wirkungen hervorzubringen. Ich wendete mich von ihnen ab. Wem das nicht heilig ist, was ist, wie wird der besseres erschaffen können, als was Gott erschaffen hat? In der Naturwissen¬ schaft war ich gewohnt geworden, auf die Merkmale der Dinge zu achten, diese Merkmale zu lieben, und die Wesenheit der Dinge zu verehren. Bei den Dich¬ tern des Schwulstes fand ich gar keine Merkmale, und es erschien mir endlich lächerlich, wenn einer schaffen wollte, der nichts gelernt hat. Die Männer gefielen mir, welche die Dinge und die Begebenheiten mit klaren Augen angeschaut hat¬ ten, und sie in einem sicheren Maße in dem Rahmen ihrer eigenen inneren Größe vorführten. Andere ga¬ ben Gefühle in schöner Sittenkraft, die tief auf mich wirkten. Es ist unglaublich, welche Gewalt Worte üben können; ich liebte die Worte, und liebte die Männer, und sehnte mich oft nach einer unbestimm¬ ten unbekannten glücklichen Zukunft hinaus. Die Alten, die ich einst zu verstehen geglaubt hatte, kamen mir doch jezt anders vor als früher. Es schien mir, als wären sie natürlicher wahrer einfacher und größer als die Männer der neuen Zeit, und als lasse sie der Ernst ihres Wesens und die Achtung vor sich selbst nicht zu den Überschreitungen gelangen, welche spätere Zeiten für schön hielten. Ich trug Ho¬ meros Äschilos Sophokles Thukidides fast auf allen Wanderungen mit mir. Um sie zu verstehen, nahm ich alle griechischen Sprachwerke, die mir empfohlen waren, vor, und lernte in ihnen. Am förderlichsten im Verstehen war aber das Lesen selber. Bei den Al¬ ten nahm ich Geschichtschreiber gerne unter Dichter, sie schienen mir dort einander näher zu stehen als bei den Neuen. Da gerieth ich auch auf das Malen. Die Ge¬ birge standen im Reize und im Ganzen vor mir, wie ich sie früher nie gesehen hatte. Sie waren meinen Forschungen stets Theile gewesen. Sie waren jezt Bilder so wie früher blos Gegenstände. In die Bil¬ der konnte man sich versenken, weil sie eine Tiefe hat¬ ten, die Gegenstände lagen stets ausgebreitet zur Be¬ trachtung da. So wie ich früher Gegenstände der Natur für wissenschaftliche Zwecke gezeichnet hatte, wie ich bei diesen Zeichnungen zur Anwendung von Farben gekommen war, wie ich ja vor Kurzem erst Geräthe gezeichnet und gemalt hatte: so versuchte ich jezt auch, den ganzen Blick, in dem ein Hinterein¬ anderstehendes im Dufte Schwebendes vom Himmel sich Abhebendes enthalten war, auf Papier oder Lein¬ wand zu zeichnen und mit Öhlfarben zu malen. Das sah ich sogleich, daß es weit schwerer war als meine frü¬ heren Bestrebungen, weil es sich hier darum handelte, ein Räumliches, das sich nicht in gegebenen Abmessun¬ gen und mit seinen Naturfarben sondern gleichsam als die Seele eines Ganzen darstellte, zu erfassen, wäh¬ rend ich früher nur einen Gegenstand mit bekannten Linienverhältnissen und seiner ihm eigenthümlichen Farbe in die Mappe zu übertragen hatte. Die ersten Versuche mißlangen gänzlich. Dieses schreckte mich aber nicht ab, sondern eiferte mich vielmehr noch im¬ mer stärker an. Ich versuchte wieder und immer wie¬ der. Endlich vertilgte ich die Versuche nicht mehr, wie ich früher gethan hatte, sondern bewahrte sie zur Ver¬ gleichung auf. Diese Vergleichung zeigte mir nach und nach, daß sich die Versuche besserten, und die Zeichnung leichter und natürlicher wurde. Es war ein gewaltiger Reiz für das Herz, das Unnennbare, was in den Dingen vor mir lag, zu ergreifen, und je mehr ich nach dem Ergreifen strebte, desto schöner wurde auch dieses Unnennbare vor mir selbst. Ich blieb so lange in dem Gebirge, als es nur möglich war, und als die zunehmende Kälte einen Aufenthalt im Freien nicht ganz und gar verboth. Im spätesten Herbste ging ich noch einmal zu mei¬ nem Gastfreunde in das Rosenhaus. Es war zur Zeit, da in dem Gebirge schon manigfaltige Schnee¬ lasten auf den Höhen lagen, und das flache Land sich schon jedes Schmuckes entäußert hatte. Der Garten meines Freundes war kahl, die Bienenhütte war in Stroh eingehüllt, in den laublosen Zweigen schrillte nur noch manche vereinzelte Kohlmeise oder ein Win¬ tervogel, und über ihnen zogen in dem grauen Him¬ mel die grauen Dreiecke der Gänse nach dem Süden. Wir saßen in den langen Abenden bei dem Feuer des Kamins, arbeiteten unter Tags an der Einhüllung und Einwinterung der Gegenstände, die es bedurf¬ ten, oder machten an manchem Nachmittage einen Spaziergang, wenn der regsame Nebel die Hügel und die Thäler und die Ebenen umwandelte. Ich zeigte meinem Gastfreunde meine Versuche im landschaftlichen Malen, weil ich es gewissermaßen für eine Falschheit gehalten hätte, ihm nichts von der Veränderung zu sagen, die in mir vorgegangen war. Ich scheute mich sehr, die Versuche vorzulegen, ich that es aber doch, und zwar zu einer Zeit, da auch Eustach zugegen war. Als Einleitung erklärte ich, wie ich nach und nach dazu gekommen wäre, diese Dinge zu machen. „Es geht allen so, welche die Gebirge öfter be¬ suchen, und welche Einbildungskraft und einiges Ge¬ schick in den Händen haben,“ sagte mein Gastfreund, „ihr braucht euch deßhalb nicht beinahe zu entschuldi¬ gen, es war zu erwarten, daß ihr nicht blos bei eurem Sammeln von Steinen und Versteinerungen bleiben werdet, es ist so in der Natur, und es ist so gut.“ Die Entwürfe wurden mit viel mehr Ernst und Genauigkeit durchgenommen, als sie verdienten. Da sowohl mein Gastfreund als auch Eustach jedes Blatt öfter betrachtet hatten, sprachen sie mit mir darüber. Ihr Urtheil ging einstimmig darauf hinaus, daß mir das Naturwissenschaftliche viel besser gelungen sei als das Künstlerische. Die Steine, die sich in den Vor¬ dergründen befänden, die Pflanzen, die um sie herum wüchsen, ein Stück alten Holzes, das da läge, Theile von Gerölle, die gegen vorwärts säßen, selbst die Gewässer, die sich unmittelbar unter dem Blicke be¬ fänden, hätte ich mit Treue und mit den ihnen eigen¬ thümlichen Merkmalen ausgedrückt. Die Fernen die großen Flächen der Schatten und der Lichter an gan¬ zen Bergkörpern und das Zurückgehen und Hinaus¬ weichen des Himmelsgewölbes seien mir nicht gelun¬ gen. Man zeigte mir, daß ich nicht nur in den Far¬ ben viel zu bestimmt gewesen wäre, daß ich gemalt hätte, was nur mein Bewußtsein an entfernten Stel¬ len gesagt nicht mein Auge, sondern daß ich auch die Hintergründe zu groß gezeichnet hätte, sie wären mei¬ nen Augen groß erschienen, und das hätte ich durch das Hinaufrücken der Linien angeben wollen. Aber durch beides, durch Deutlichkeit der Malerei und durch die Vergrößerung der Fernen hätte ich die letzteren näher gerückt, und ihnen das Großartige benommen, das sie in der Wirklichkeit besäßen. Eustach rieth mir, eine Glastafel mit Canadabalsam zu überziehen, wo¬ durch sie etwas rauher würde, so daß Farben auf ihr haften, ohne daß sie die Durchsichtigkeit verlöre, und durch diese Tafel Fernen mit den an sie grenzen¬ den näheren Gegenständen mittelst eines Pinsels zu zeichnen, und ich würde sehen, wie klein sich die grö߬ ten und ausgedehntesten entfernten Berge darstellten, und wie groß das zunächstliegende Kleine würde. Dieses Verfahren aber empfehle er nur, damit man zur Überzeugung der Verhältnisse komme, und einen Maßstab gewinne, nicht aber, daß man dadurch künst¬ lerische Aufnahmen von Landschaften mache, weil durch einen solchen Vorgang die künstlerische Freiheit und Leichtigkeit verloren würde, welche in Bezug auf Dar¬ stellung das Wesen und das Herz der Kunst sei. Das Auge soll nur geübt und unterrichtet werden, die Seele müsse schaffen, das Auge soll ihr dienen. In Hinsicht der Farbgebung der Fernen rieth er mir, dort, wo ich einen Zweifel hätte, ob ich etwas sähe oder nur wisse, es lie¬ ber nicht anzugeben, und überhaupt in der Farbe lieber unbestimmter als bestimmter zu sein, weil dadurch die Gegenstände an Großartigkeit gewinnen. Sie werden durch die Unbestimmtheit ferner und durch dieses allein größer. Durch Linien des Zeichnenstiftes auf dem kleinen Papiere oder der kleinen Leinwand könne man nichts groß machen. Durch Verdeutlichung werden die Körper näher gerückt und verkleinert. Wenn über¬ haupt ein Fehler gegen die Genauigkeit gemacht werden müsse — und kein Mensch könne Dinge namentlich Landschaften in ihrer völligen Wesenheit geben — so sei es besser, die Gegenstände großartiger und über¬ sichtlicher zu geben, als in zu viele einzelne Merkmale zerstreut. Das erste sei das Künstlerischere und Wirk¬ samere. Ich sah sehr gut ein, was sie sagten, und wußte auch, woher die Fehler kämen, von denen sie redeten. Ich hatte bisher alle Gegenstände in Hinblick auf meine Wissenschaft gezeichnet, und in dieser waren Merkmale die Hauptsache. Diese mußten in der Zeich¬ nung ausgedrückt sein, und gerade die am schärfsten, durch welche sich die Gegenstände von verwandten unterschieden. Selbst bei meinem Zeichnen von An¬ gesichtern hatte ich deren Linien ihr Körperliches ihre Licht- und Schattenvertheilung unmittelbar vor mir. Daher war mein Auge geübt, selbst bei fernen Gegen¬ ständen das, was sie wirklich an sich hatten, zu sehen, wenn es auch noch so undeutlich war, und da¬ für auf das, was ihnen durch Luft Licht und Dünste gegeben wurde, weniger zu achten, ja diese Dinge als Hindernisse der Beobachtung eher weg zu denken, als zum Gegenstande der Aufmerksamkeit zu machen. Durch das Urtheil meiner Freunde wurde mir der Verstand plözlich geöffnet, daß ich das, was mir bis¬ her immer als wesenlos erschienen war, betrachten und kennen lernen müsse. Durch Luft Licht Dünste Wolken durch nahe stehende andere Körper gewin¬ nen die Gegenstände ein anderes Aussehen, dieses müsse ich ergründen, und die veranlassenden Dinge müsse ich, wenn es mir möglich wäre, so sehr zum Gegenstande meiner Wissenschaft machen, wie ich frü¬ her die unmittelbar in die Augen springenden Merk¬ male gemacht hatte. Auf diese Weise dürfte es zu erreichen sein, daß die Darstellung von Körpern ge¬ länge, die in einem Mittel und in einer Umgebung von anderen Körpern schwimmen. Ich sagte das mei¬ nen Freunden, und sie billigten meinen Entschluß. Wenn der Nebel oder überhaupt die trübe Jahreszeit einen Blick in die Ferne gestattete, wurde das, was mit Worten gesagt wurde, auch an wirklichen Bei¬ spielen erörtert, und wir sprachen über die Art und Weise, wie sich die entfernten Gebirge oder Theile von ihnen oder näher gehende von der Hauptkette sich ablösende Gründe darstellten. Es ist unglaublich, wie sehr ich in jenem kurzen Herbstaufenthalte unterrichtet wurde. Ich sprach mit meinem Gastfreunde auch von den Dichtern, welche ich las, und erzählte ihm von dem großen Eindrucke, welchen ihre Worte auf mich mach¬ ten. Wir gingen bei Gelegenheit einmal in sein Bü¬ cherzimmer, er führte mich vor die Schreine, in wel¬ chen die Dichter standen, und zeigte mir, was er in dieser Hinsicht besaß. Er sagte auch, ich möchte wäh¬ rend des Aufenthaltes in seinem Hause von den Bü¬ chern Gebrauch machen, wie ich wollte; ich könnte sie im Lesezimmer benüzen oder auch in meine Wohnung mit hinübernehmen. Es waren Werke in den ältesten Sprachen da, von Indien bis nach Griechenland und Italien, es waren Werke der neueren Zeiten da und auch der neuesten. Am zahlreichsten waren natürlich die der Deutschen. „Ich habe diese Bücher gesammelt,“ sagte er, „nicht, als ob ich sie alle verstände; denn von manchen ist mir die Sprache vollkommen fremd; aber ich habe im Verlaufe meines Lebens gelernt, daß die Dichter, wenn sie es im rechten Sinne sind, zu den größten Wohlthätern der Menschheit zu rechnen sind. Sie sind die Priester des Schönen, und vermitteln als solche bei dem steten Wechsel der Ansichten über Welt über Menschenbestimmung über Menschenschicksal und selbst über göttliche Dinge das ewig Dauernde in uns und das allzeit Beglückende. Sie geben es uns im Gewande des Reizes, der nicht altert, der sich einfach hinstellt, und nicht richten und verurtheilen will. Und wenn auch alle Künste dieses Göttliche in der holden Gestalt bringen, so sind sie an einen Stoff gebunden, der diese Gestalt vermitteln muß: die Musik an den Stifter , Nachsommer. II . 4 Ton und Klang, die Malerei an die Linien und die Farbe, die Bildnerkunst an den Stein das Metall und dergleichen, die Baukunst an die großen Massen irdischer Bestandtheile, sie müssen mehr oder minder mit diesem Stoffe ringen; nur die Dichtkunst hat bei¬ nahe gar keinen Stoff mehr, ihr Stoff ist der Ge¬ danke in seiner weitesten Bedeutung, das Wort ist nicht der Stoff, es ist nur der Träger des Gedankens, wie etwa die Luft den Klang an unser Ohr führt. Die Dichtkunst ist daher die reinste und höchste unter den Künsten. Da ich nun meine, daß es so ist, wie ich sage, so habe ich die Männer, welche die Stimme der Zeiten als große in der Kunst des Dichtens be¬ zeichnete, hier zusammengestellt. Ich habe Dichter in fremden Sprachen, die ich nicht verstand, dazu ge¬ than, wenn ich nur wußte, daß sie in der Geschichte ihres Volkes vorzüglich genannt werden, und wenn ich von einem Fachmanne das Zeugniß hatte, daß ich in dem Buche den Dichter besize, den ich meine. Sie mögen unverstanden hier stehen, oder es mag wohl einer oder der andere in diesen Saal kommen, der manchen versteht und liest. Ich habe wohl auch solche Bücher hieher gestellt, die mir gefallen, das Urtheil der Zeit mag anders lauten oder erst festzustellen sein. In diesen Büchern habe ich viel Glück gefunden und in dem Alter fast noch mehr als in der Jugend. Wenn auch die Jugend die Worte aus einem goldenen Munde mit einem Sturme und mit Entzücken aufnimmt, wenn sie auch dieselben mit einer Art Schwärmerei und mit Sehnsucht in dem Busen trägt, so ist es doch fast stets mehr die Wärme des eigenen Gefühles, die sie empfin¬ det, als daß sie die fremde Weisheit und Größe in ein besonnenes betrachtendes abwägendes Herz auf¬ nehmen könnte. Ihr seid selber jung, und die Tiefe und Innigkeit der Dichtung mag euch fördern, und euer Herz jedem künftigen Großen öffnen, wie die reine Dichtkunst das immer an der Jugend thut; aber ihr werdet selber einmal sehen, um wie viel milder und klarer die verglühende Sonne des Alters in die Größe eines fremden Geistes leuchtet als die feurige Morgensonne der Jugend, die alles mit ihrem Glanze färbt, so wie es eine Thatsache ist, daß die innige wahre und treue Liebe der alternden Gattin fester und dauernder beglückt als die lodernde Leidenschaft der jungen schönen schimmernden Braut. Die Jugend sieht in der Dichtung die eigene Unbegrenztheit und Unendlichkeit der Zukunft, diese verhüllt die Mängel und ersezt das Abgängige. Sie dichtet in das Kunst¬ 4 * werk, was im eignen Herzen lebt. Daher kömmt die Erscheinung, daß Werke von bedeutend verschiedener Geltung die Jugend auf gleiche Art entzücken können, und daß Erzeugnisse höchster Größe, wenn sie keine Wiederspieglung der Jugendblüthe sind, nicht erfaßt werden können. In dem Alter werden selbst solche Glanzstellen der Jugend, die schon sehr ferne liegen, wie etwa die Sehnsucht der ersten Liebe mit ihrer Dunkelheit und Grenzenlosigkeit, oder wie die holde und berauschende Seligkeit der Gegenliebe, oder die Träume künftiger Thaten und künftiger Größe, der Blick in ein unendliches erst kommendes Leben oder wie das erste Stammeln in irgend einer Kunst von dem Greise in dem sanften Spiegel seiner Erinnerung beglückender aufgefaßt als von dem Jünglinge, der sie in dem Brausen seines Lebens überhört, und an der grauen Wimper mag manche beseligendere und mit¬ unter schmerzlichere Thräne hängen als der feurige Funke, der in überwältigender Empfindung aus dem Auge des Jünglings springt, und keine Spur hinter¬ läßt. Ich lese jezt selten mehr die größten Geister im Zusammenhange — mit kleineren thue ich es wohl, weil sie in einzelnen Stellen minder bedeutend sind — aber ich lese immer in ihnen, und werde wohl bis zu meinem Lebensende in ihnen lesen. Sie begleiten mich mit ihren Gedanken wie mit großen Erquickungen durch den Rest meines Lebens, und werden mir wohl, wie ich ahne, an der dunkeln Pforte Kränze aufhän¬ gen, als wären sie von meinen eigenen Rosen gefloch¬ ten. Deßhalb gebe ich auch kein Buch aus dem Hause, weil ich nicht weiß, ob ich es nicht in nächster Zeit selber brauchen werde. Im Hause stehen sie jedem, der davon Gebrauch machen will, zu Gebothe. Nur für Gustav wird eine Auswahl getroffen, weil er noch zu jung ist, und nicht alles sondern kann. Er würde hier zwar nichts gänzlich Schlechtes finden; aber nicht alles Gute würde er verstehen, und dann wäre die daran gewendete Zeit verloren; oder er könnte es mißverstehen, und dann wäre der Erfolg ein unrich¬ tiger. Das Schlechte, das sich Dichtkunst nennt, ist der Jugend sehr gefährlich. In der Wissenschaft zeigt es sich viel leichter auf. In der Mathematik liegt es in der Darstellung, da solche Werke wohl kaum vor¬ kommen dürften, in denen sogar der Stoff fehlerhaft wäre, in der Naturwissenschaft liegt es in der Dar¬ stellung wie im Stoffe, in welch lezterem es sich in der Gestalt gewagter Behauptungen ausspricht; nur in der sogenannten Weisheitslehre kann es verborgener sein gleichwie in der Dichtkunst, weil manche Weis¬ heitslehre wie Dichtkunst zusammen gestellt ist, und wirkt: aber in den Werken der eigentlichen Dicht¬ kunst versteckt es sich vor dem blühenden Gemüthe des Jünglings, dieser breitet seine Blüthen und seine Begierden darüber, und saugt das Gift in sich. Ein klarer Verstand, der sich von Kindheit an eben zur Klarheit hingeübt hat, und ein gutes reines Herz sind Schuzwehren vor Schlechtigkeit und Sittenlosigkeit von Dichtungen, weil der klare Verstand den hohlen Schwulst von sich abweist, und das reine Herz die Unsittlichkeit ablehnt. Aber beides geschieht nur gegen die Entschiedenheit des Schlechten. Wo es in Reize verhüllt ist und mit Reinem gemischt, dort ist es am bedenklichsten, und da müssen Rathgeber und väter¬ liche Freunde zu Hilfe stehen, daß sie theils aufklären theils von vornherein die Annäherung des Übels aufhalten. Gegen die Schlechtigkeit in der Darstel¬ lung oder gegen die lange Weile braucht man kein Mittel als sie selber. Ihr seid zwar noch jung; aber ihr seid nicht so jung zu dem Lesen von Dichtern ge¬ kommen, wie die meisten unserer Jünglinge, und ihr habt so viel in Wissenschaften gelernt, daß ich glaube, daß man euch alle Dichter in die Hände geben kann, ohne Gefahr zu befürchten, selbst bei solchen, die in ihrem Amte sehr zweifelhaft sind. Euer Geist wird sich wohl heraus finden und gerade dadurch noch mehr klären. Da ich von der Weisheitslehre sprach, welche man in unserem deutschen Lande noch immer als Weisheits¬ liebe mit dem griechischen Worte Philosophie bezeich¬ net, muß ich euch sagen, was ihr wohl vielleicht schon aus anderen Reden von mir gemerkt haben mögt, daß ich nicht gar sehr viel auf sie halte, wenn sie in ihrem eigenen und eigenthümlichen Gewande auftrit. Ich habe alte und neue Werke derselben mit gutem Willen durchgenommen; aber ich habe mich zu viel mit der Natur abgegeben, als daß ich auf ledigliche Abhand¬ lungen ohne gegebener Grundlage viel Gewicht legen könnte, ja sie sind mir sogar widerwärtig. Vielleicht reden wir noch ein anderes Mal von dem Gegen¬ stande. Wenn ich je einige Weisheit gelernt habe, so habe ich sie nicht aus den eigentlichsten Weisheits¬ büchern am wenigsten aus den neuen — jezt lese ich gar keine mehr — gelernt; sondern ich habe sie aus Dichtern genommen oder aus der Geschichte, die mir am Ende wie die gegenständlichste Dichtung vor¬ kömmt.“ Als ich meinen Gastfreund so reden hörte, erin¬ nerte ich mich, daß ich ihn in der That viel lesen ge¬ sehen habe. Oft war er mit einem Buche unter einem schattigen Baume gesessen oder in rauherer Jahreszeit auf einer sonnigen Bank, oft hatte er sich mit einem auf einen Spaziergang begeben, er ist sehr häufig in dem Lesezimmer gewesen, und er trug Bücher in seine Arbeitsstube. Als wir die lezte Fahrt in den Sternen¬ hof gemacht hatten, hatte er Bücher mitgenommen, und ich glaube von Gustav gehört zu haben, daß er auf jede Reise Bücher einpacke. Ich ging bei meinem jezigen Aufenthalte in dem Rosenhause sehr oft in das Bücherzimmer, und wie ich früher vor den Schränken gestanden war, die die Werke der Naturwissenschaften enthielten, und wie ich damals manches Buch in das Lesezimmer mitgenom¬ men hatte, so stand ich jezt vor den Schreinen mit den Dichtern, sah viele einzelne der vorhandenen Bücher an, trug manches in das Lesezimmer oder mit Bewil¬ ligung meines Gastfreundes in meine Stube, und schrieb mir die Aufschrift von manchem in mein Ge¬ denkbuch, um es mir, wenn ich nach Hause gekommen wäre, zu kaufen. Gegen das Ende meines Aufenthaltes, da noch einige sonnige Tage kamen, zeichnete und malte ich auch mehrere Stücke der schönen getäfelten Fußböden, die in diesem Hause anzutreffen waren. Ich that dies, um dem Vater von allen Dingen, welche ich gesehen hatte, einiger Maßen Abbildungen bringen zu können. Als es schon bald zu meiner Abreise kam, sagte mein Gastfreund, er hätte noch etwas mit mir zu reden, und er sprach: „Weil euch euere Natur selber zum Theile aus dem Kreise herausgezogen hat, den ihr um euch gesteckt habt, weil ihr zu euren früheren Bestrebungen noch den Einblick in die Dichtungen gesellt habt, so wie ja schon das Landschaftsmalen als ein Übergang in das Kunstfach ein Schritt aus eurem Kreise war, so erlaubet mir, daß ich als Freund, der euch wohl will, ein Wort zu euch rede. Ihr solltet zu eurem Wesen eine breitere Grundlage legen. Wenn die Kräfte des allgemeinen Lebens zu¬ gleich in allen oder vielen Richtungen thätig sind, so wird der Mensch, eben weil alle Kräfte wirksam sind, weit eher befriedigt und erfüllt, als wenn eine Kraft nach einer einzigen Richtung hinzielt. Das Wesen wird dann im Ganzen leichter gerundet und gefestet. Das Streben in einer Richtung legt dem Geiste eine Binde an, verhindert ihn, das Nebenliegende zu sehen, und führt ihn in das Abenteuerliche. Später, wenn der Grund gelegt ist, muß der Mann sich wie¬ der dem Einzigen zuwenden, wenn er irgendwie etwas Bedeutendes leisten soll. Er wird dann nicht mehr in das Einseitige verfallen. In der Jugend muß man sich allseitig üben, um als Mann gerade dann für das Einzelne tauglich zu sein. Ich sage nicht, daß man sich in das Tiefste des Lebens in allen Richtun¬ gen versenken müsse, wie zum Beispiele in allen Wissenschaften, wie ihr ja selber einmal angefangen habt, das wäre überwältigend oder tödtend, ohne da¬ bei möglich zu sein; sondern daß man das Leben, wie es uns überall umgibt, aufsuche, daß man seine Er¬ scheinungen auf sich wirken lasse, damit sie Spuren einprägen, unmerklich und unbewußt, ohne daß man diese Erscheinungen der Wissenschaft unterwerfe. Darin, meine ich, besteht das natürliche Wissen des Geistes zum Unterschiede von der absichtlichen Pflege desselben. Er wird nach und nach gerecht für die Vorkommnisse des Lebens. Ihr habt, scheint es mir zu jung einen einzelnen Zweig erfaßt, unterbrecht ihn ein wenig, ihr werdet ihn dann freier und großartiger wieder aufnehmen. Schaut auch die unbedeutenden ja nichtigen Erscheinungen des Lebens an. Geht in die Stadt, sucht euch deren Vorkommniße zurecht zu legen, kommt dann zu uns auf das Land, lebt einmal eine Weile müßig bei uns, das heißt, thut, was euch der Augenblick und die Neigung eingibt, wir wollen dieses Haus und den Garten genießen, wollen den Nachbar Ingheim besuchen, wollen auch zu anderen entfernteren Nachbarn gehen, und die Dinge an uns vorüber fließen lassen, wie sie fließen.“ Ich dankte ihm für seine Bemerkungen, sagte, daß ich selber so etwas Ähnliches in mir empfinde, daß ich wohl etwas unbeholfen gegen das Leben sei, daß meine Eltern und wohlmeinenden Freunde wohl Nachsicht mit mir haben müssen, und daß ich für jeden Wink dankbar sei. Besonders freue mich die Ein¬ ladung in sein Haus, und ich werde ihr mit vieler Freude Folge leisten. Als die Zeit meiner Abreise herangekommen war, packte ich die Zeichnungen und alles, was ich in dem Rosenhause hatte, ein, nahm den herzlichsten Abschied von dem alten Manne Gustav Eustach Roland, der gekommen war, verabschiedete mich von allen Be¬ wohnern des Hauses Gartens und Meierhofes, und reisete zu meinen Angehörigen in die Hauptstadt zurück. Das Erste, was ich dort nach dem innigsten und aufrichtigsten Bewillkommen sah, war, daß mein Vater das theils gläserne theils hölzerne Häuschen, in welchem die alten Waffen hingen, um welches sich der Epheu rankte, und welches im Grunde den äußer¬ sten Ansaz oder gleichsam einen Erker des rechten Flügels des Hauses gegen den Garten bildete, in dem vergangenen Sommer hatte umbauen lassen. Er hatte es bedeutend vergrößert aber die Leisten Spangen und Rahmen, in denen das Glas befestigt war, hatte er in der früheren Art gelassen, nur waren sie dem Stoffe nach neu gemacht, und mit schönen Verzierungen und Schnizereien versehen. Die Simse des Daches waren nach mittelalterlicher Weise ver¬ fertigt, schön geschnizt und verziert. Der Epheu war wieder an Leisten empor geleitet worden, und blickte an manchen Stellen durch das Glas herein. Die Fenster waren nicht mehr nach Außen und Innen zu öffnen wie früher sondern zum Verschieben. Die größte Veränderung aber war die, daß der Vater hatte zwei Säulen aufführen lassen, während früher die beiden Wände, welche nach Außen geschaut hat¬ ten, aus Glas verfertigt gewesen waren. Diese zwei Pfeiler hatten genau die Abmessungen, daß die zwei Verkleidungen, welche ich ihm in dem vorigen Herbste gebracht hatte, auf dieselben paßten. Die Verkleidun¬ gen waren aber noch nicht auf ihnen, weil das Mauerwerk zuerst austrocknen mußte, daß das Holz an demselben keinen Schaden nehmen konnte. Der Vater hatte mir nur den ganzen Plan und die Vor¬ richtungen zu seiner Ausführung gesagt. So wie es mich einerseits freute, daß der Vater das Holzkunst¬ werk so schäzte, daß er eigens zu dem Zwecke es an¬ bringen zu können das Häuschen hatte umbauen las¬ sen, so war es mir andererseits erst recht schmerzlich, daß ich die Ergänzungen zu den Verkleidungen nicht aufzufinden im Stande gewesen war. Ich sagte dem Vater von meinen Bemühungen und von meinem Leidwesen wegen des schlechten Erfolges. Er und die Mutter trösteten mich, und sagten, es sei alles auch in der vorhandenen Gestalt recht schön, was ver¬ schwunden ist, und nicht mehr erlangt werden kann, müsse man nicht eigensinnig anstreben, sondern sich an dem, was eine gute Gunst uns noch erhalten habe, freuen. Das Häuschen werde eine Erinnerung sein, und so oft man sich in demselben, wenn es vollkom¬ men in den Stand gesezt sein würde, befinden werde, werde einem die Zeit vorschweben, in welcher das Holzwerk gemacht worden sei, und die, in welcher ein lieber Sohn es zur Freude des Vaters aus dem Ge¬ birge gebracht habe. Ich mußte mich wohl obgleich ungern beruhigen. Es erschien mir jezt erst recht schön, wenn die Verklei¬ dungen am ganzen Innern des Häuschens herum liefen, und über ihnen einerseits die Pfeiler und an¬ dererseits die Fenster schimmerten. Nach einigen Tagen, in welchen die ersten Be¬ sprechungen geführt wurden, die nach einer Reise eines Familiengliedes im Schooße einer Familie im¬ mer vorfallen, wenn auch die Reise eine jährlich wie¬ derkommende ist, legte ich dem Vater, da unterdessen auch meine Koffer und Kisten angekommen waren, die Abbildungen vor, welche ich von den Geräthen und Fußböden im Rosenhause und im Sternenhofe gemacht hatte. Ich war auf die Wirkung sehr neugierig. Ich hatte einen Sonntag abgewartet, an welchem er Zeit hatte, und an welchem er gerne nach dem Mittagessen eine geraume Weile in dem Kreise seiner Familie zu¬ brachte. Ich legte die Blätter vor ihm auf einem Tische auseinander. Er schien mir bei ihrem Anblick — ich kann sagen — betroffen. Er sah die Blätter genau an, nahm jedes mehrere Male in die Hand, und sagte längere Zeit kein Wort. Endlich ging seine Empfin¬ dung in eine unverholene Freude über. Er sagte, ich wisse gar nicht, was ich gemacht hätte, ich wisse gar nicht, welchen Werth diese Dinge hätten, ich hätte in früherer Zeit die Schönheit und Zusammenstimmigkeit dieser Dinge mit Worten gar nicht so in das rechte Licht gestellt, wie es sich jezt in Farbe und Zeichnung, wenn auch beides mangelhaft wäre, beurkunde. Im ersten Augenblicke hielt der Vater die Geräthe, welche ich in dem Sternenhofe abgebildet hatte, für wirklich alte; als ich ihn aber auf die thatsächlichen Verhält¬ nisse derselben aufmerksam machte, sagte er, das müsse ein außerordentlicher Mensch sein, der diese Entwürfe gemacht habe, er müsse nicht nur mit der alten Bauart und Zusammenstellung der Geräthe sehr vertraut sein, sondern er müsse auch ein ungewöhn¬ liches Schönheitsgefühl haben, um aus der Menge der überlieferten Gestalten das zu wählen, was er gewählt habe. Und die Zusammenreihung der Ge¬ räthe sei so aus einem Guße, als wären sie einstens zu einem Zwecke und in einer Zeit verfertigt worden. Auch die wirklich alten Geräthe im Rosenhause seien von einer Schönheit, wie er sie nie gesehen habe, ob¬ gleich ihm die vorzüglichsten und berühmtesten Samm¬ lungen der Stadt und mancher Schlösser bekannt wären. Zwei so auserlesene Stücke wie den großen Kleiderschrein und den Schreibschrein mit den Del¬ phinen dürfte man kaum irgendwo finden. Sie wären werth, in einem kaiserlichen Gemache zu stehen. Ich erzählte ihm, um den Mann der die Entwürfe für den Sternenhof gemacht hatte, näher zu bezeich¬ nen, daß ich viele Bauzeichnungen und Zeichnungen von anderen Dingen in dem Rosenhause gesehen habe, welche weit höhere Gegenstände darstellen, und auch mit einer ungleich größeren Vollendung ausgeführt seien, als ich bei meinen Abbildungen anzubringen im Stande gewesen wäre. Diese Arbeiten seien bei dem Manne Vorbildungen gewesen, damit er die Ent¬ würfe hätte machen können, die er gemacht habe. Er schien auf meine Worte nicht zu achten, son¬ dern legte irgend ein Blatt hin, nahm ein anderes auf, und betrachtete es. „So weit ich aus den Abbildungen urtheilen kann,“ sagte er, „sind die alterthümlichen Gegen¬ stände, welche du mir da veranschaulicht hast, nicht nur an sich sehr vortrefflich, sondern sie sind auch höchst wahrscheinlich, wie Farbe und Zeichnung dar¬ thut, sehr zweckmäßig wieder hergestellt. Meine Habseligkeiten sinken dagegen zu Unbedeutenheiten herab, und ich sehe aus diesen Blättern, wie man die Sache anfassen muß, wenn man die Zeit die Kennt¬ nisse und die Mittel dazu hat.“ Mich freute es jezt recht sehr, daß ich auf den Gedanken gekommen war, dem Vater diese Dinge nachzubilden, um ihm eine Vorstellung von ihnen zu geben, mich freute sein Antheil, den er an ihnen nahm, und die Freude, die er darüber hatte. „Es sind nun zwei Wege, die zu gehen sind,“ meinte die Mutter, „entweder kannst du dir nach die¬ sen Gemälden die Dinge, die sie darstellen, machen lassen, um dich immerwährend daran zu ergözen, oder du kannst in den Asperhof und Sternenhof reisen, und sie in Wirklichkeit sehen, um eine Freude zu haben, so lange du sie siehst, und in der Erinnerung dich zu laben, wenn du wieder weggereist bist.“ Der Vater antwortete: „Die Geräthe, die hier gezeichnet sind, nachmachen zu lassen, ist eine Unzu¬ kömmlichkeit; denn erstens müßte hiezu die Einwil¬ ligung des Eigenthümers erlangt werden, und wenn sie auch erlangt worden wäre, so hätten zweitens die nachgebildeten Gegenstände in meinen Augen nicht den Werth, den sie haben sollten, weil sie doch nur, wie die Maler sagen, Copien wären. Es böthe sich Stifter , Nachsommer. II . 5 auch noch der Gedanke, mit Einwilligung des Eigen¬ thümers nach diesen Abbildungen neue Zusammen¬ stellungen entwerfen, und in Wirklichkeit ausführen zu lassen; allein das verlangt eine so große Geschick¬ lichkeit, welche ich nicht nur mir nicht zutraue, sondern welche ich auch an den Arbeitern in ähnlichen Dingen, die ich in unserer Stadt kenne, nicht aufzufinden hoffe. Und zulezt wären die verfertigten Gegenstände doch noch immer nichts mehr als halbe Copien. Das Verfertigen geht also nicht. Was deinen zweiten Weg anbelangt, Mutter, so werde ich ihn gewiß gehen. Ich habe mir schon früher bei den Erzählun¬ gen von diesen Dingen vorgenommen, die Reise zu ihnen zu machen; jezt aber, da ich die Abbildungen sehe, werde ich die Reise nicht nur um so gewisser sondern auch in viel näherer Zeit machen, als es wohl sonst hätte geschehen können.“ „Das wird recht schön sein,“ riefen wir fast alle aus einem Munde. Die Mutter sagte: „Du solltest gleich die Zeit be¬ stimmen, und solltest gleich mit deinem Sohne verab¬ reden, daß er dich in derselben zu dem alten Manne in das Rosenhaus führe, welcher dich schon auch in den Sternenhof geleiten würde.“ „Nun so dränget nur nicht,“ erwiederte er, „es wird geschehen, das ist genug; binden, wißt ihr, kann sich ein Mann nicht, der von seinem Geschäfte ab¬ hängt, und nicht wissen kann, welche Umstände ein¬ zutreten vermögen, die von ihm Zeit und Handlun¬ gen fordern.“ Die Mutter kannte ihn zu gut, um weiter in ihn zu dringen, er würde bei seinem ausgesprochenen Saze geblieben sein. Sie beruhigte sich mit dem Er¬ langten. Sowohl sie als die Schwester dankten mir, daß ich dem Vater die Bilder gebracht hatte, die ihm ein solches Vergnügen bereiteten. „Die Fußböden müssen auch vortrefflich sein,“ rief er aus. „Sie sind viel schöner als die ungefähre Malerei andeuten kann,“ erwiederte ich, „mein Pinsel kann noch immer nicht den Glanz und die Zartheit und das Seidenartige der Holzfasern ausdrücken, was man alles dort so liebt, daß nur mit Filzschuhen auf diesen Böden gegangen werden darf.“ „Das kann ich mir denken,“ antwortete er, „das kann ich mir denken.“ Hierauf mußte ich ihm alle Hölzer nennen, die 5 * hier mit Farben angegeben waren, und aus denen die abgebildeten Gegenstände bestanden. Die meisten kannte er ohnehin, was mich freute, weil es der Be¬ weis war, daß ich die Farben nicht unsachgemäß an¬ gewendet habe. Die er nicht kannte, nannte ich ihm. Ich wußte sie fast alle ganz genau anzugeben. Er verwunderte sich wieder und immer auf's Neue, und suchte sich die Gegenstände recht lebhaft vorzustellen. Die Mutter und Schwester fragten mich, ob ich recht lange zu dieser Arbeit gebraucht hätte, und ob ich nicht dabei beklommen gewesen wäre. Ich antwortete, daß ich des Zweckes willen sehr fleißig gewesen sei, daß es anfänglich langsam gegan¬ gen sei, daß ich aber nach und nach Übung erlangt hätte, und daß ich dann weit schneller vorwärts ge¬ kommen sei, als ich selber geahnt habe. Und was die Beklemmung anbelangt, so hätte ich sie freilich im Anfange gehabt; aber da die Dinge einmal auf mich gewirkt hätten, da ich in Eifer gerathen wäre, da sich hie und da ein Gelingen eingestellt hätte, namentlich da mir durch die Entschiedenheit der Erscheinung mancher Holzgattung die Farbe gleichsam von selber in die Hand gegeben worden wäre; so hätte sich bald die Unbefangenheit eingefunden, und nach und nach sich die Lust hinzu gesellt. Nach diesen Worten zeigte mir der Vater auch manchen Fehler, den ich in den Arbeiten gemacht hätte, und sezte mir auseinander, wie ich selbe, falls ich wieder ähnliche Dinge entwerfen sollte, vermeiden könnte. Da er Gemälde hatte, da er sich seit Jahren mit denselben beschäftigt hatte, so durfte ihm wohl ein Urtheil in dieser Hinsicht zugewachsen sein, und ich erkannte das, was er sagte, als vollkommen rich¬ tig an, und glaubte mich aber auch befähigt zu füh¬ len, es in Zukunft besser zu machen. Nach den Fehlern ging der Vater auch auf die Vorzüge der Arbeit über, und sagte, daß er nach den Zeichnungen von Köpfen, die ich vor einiger Zeit ge¬ macht hätte, zu schließen, von mir nicht erwartet hätte, daß ich etwas so Sachgemäßes in Öhlfarben würde ausführen können. Dieser Sonntagsnachmittag war eine sehr liebe, angenehme Zeit. Die Freundlichkeit der Schwester, die sie beson¬ ders an diesem Nachmittage an den Tag legte, war mir ein schönerer Lohn, als wenn ein Kenner gesagt hätte, daß meine Blätter ausgezeichnet seien, das Lob der Mutter, daß ich auf den Vater und das väterliche Haus gedacht habe, und aus Liebe zu beiden, um Freude zu bereiten, eine beschwerliche Arbeit unter¬ nommen habe, erregte mir die angenehmsten Gefühle, und da auch der Vater mit einigen gewählten Worten seinen Dank aussprach, und sagte, daß er dieses Zart¬ gefühl nicht vergessen werde, konnte ich nur mit großer Gewalt die Thränen bemeistern. Ich gab ihm alle Blätter als Eigenthum, und er reihte sie seiner Sammlung von Merkwürdig¬ keiten ein. An, nächsten Tage packte ich die Zithern aus, legte beide der Schwester vor, und ließ ihr die Wahl, ob sie die meinige oder die neuangekaufte als für sie gehörig annehmen wolle. Sie wählte die neue und freute sich darüber sehr. Ich zeigte ihr auch die Stücke, welche ich mir nach dem Spiele meines Ge¬ birgslehrmeisters geschrieben hatte, und ließ sie ihr in ihrem Zimmer, daß sie sie abschreiben lassen könne, und daß sie ihre Übungen darnach begönne. Ich ver¬ sprach ihr, in diesem Winter ihr Lehrer in dieser Kunst zu sein. Nach einiger Zeit brachte ich auch meine Male¬ reien von Gebirgslandschaften zum Vorscheine. Ich hatte bis dahin immer nicht den Muth dazu gehabt; aber endlich machte mir mein Gewissen zu bittere Vorwürfe, daß ich gegen meine Angehörigen Heim¬ lichkeiten habe. Ich zeigte meinem Vater die Blätter auch an einem Sonntagsnachmittage. Ich blickte ihm erstaunt in das Angesicht, als er dieselben gesehen hatte, und das Nehmliche sagte, was mein Gast¬ freund im Rosenhause und was Eustach gesagt hat¬ ten. Bei diesen lezten beiden hatte es mich nicht ge¬ wundert, da ich sie für Kenner hielt, und da sie Ge¬ birgsbewohner waren. Der Vater aber, der zwar Bilder besaß, war ein Kaufherr, und war nie lange in dem Gebirge gewesen. Es erhöhte dies meine Ehr¬ furcht gegen ihn noch mehr. Er zeigte mir, wo ich unwahr gewesen war, und sezte mir auseinander, wie es hätte sein sollen, was ich augenblicklich begrif. Das, was er lobte, und richtig fand, gefiel mir selber nachher doppelt so wohl. Klotilden mußte ich die Blätter noch einmal und allein in ihrem Zimmer zeigen. Sie verlangte, daß ich ihr beinahe alles erkläre. Sie war nie in höherem oder im Urgebirge gewesen, sie wollte sehen, wie diese Dinge beschaffen seien, und sie reizten ihre Aufmerk¬ samkeit sehr. Obgleich meine Malereien keine Kunst¬ werke waren, wie ich jezt immer mehr einsah, so hat¬ ten sie doch einen Vorzug, den ich erst später recht er¬ kannte, und der darin bestand, daß ich nicht wie ein Künstler nach Abrundung noch zusammenstimmender Wirkung oder Anwendung von Schulregeln rang, sondern mich ohne vorgefaßter Einübung den Dingen hingab, und sie so darzustellen suchte, wie ich sie sah. Dadurch gewannen sie, was sie auch an Schmelz und Einheit verloren, an Naturwahrheit in einzelnen Stücken, und gaben dem Nichtkenner und dem, der nie die Gebirge gesehen hatte, eine bessere Vorstellung als schöne und künstlerisch vollendete Gemälde, wenn sie nicht die vollendetsten waren, die dann freilich auch die Wahrheit im höchsten Maße trugen. Aus diesem Grunde sagte mir Klotilde durch eine Art unbewußter Ahnung, sie wisse jezt, wie die Berge aussehen, was sie aus vielen und guten Bildern nicht gewußt hätte. Sie äußerte auch den Wunsch, einmal die hohen Berge selber sehen zu können, und meinte, wenn der Vater die Reise in das Rosenhaus und in den Ster¬ nenhof mache, und bei dieser Gelegenheit auch die Gebirge besuche, werde sie ihn bitten, sie mitreisen zu lassen. Ich erzählte ihr nun recht viel von den Ber¬ gen, beschrieb ihr ihre Herrlichkeit und Größe, machte sie mit manchen Eigenthümlichkeiten derselben bekannt, und sezte ihr meine verschiedenen Reisen in denselben und meine Bestrebungen ausführlicher als sonst aus¬ einander. Ich hatte nie so viel von den Gebirgen mit ihr geredet. Nach diesen Worten verlangte sie auch, daß ich sie unterrichte, eben solche Abbildungen ver¬ fertigen zu können, wie sie hier vor ihr liegen. Sie wolle sich Farben und alle andere dazu nothwendigen Geräthschaften verschaffen. Da sie ohnehin ziemlich gut zeichnen konnte, so war die Sache nicht so schwierig, als sie beim ersten Anscheine ausgesehen hatte. Ich versprach ihr meinen Beistand, wenn die Eltern ein¬ willigen würden. Wir fragten nach einiger Zeit die Eltern. Sie hatten im Ganzen nichts dagegen, nur die Mutter verlangte ausdrücklich, daß diese Arbeiten nur Neben¬ dinge sein sollen, Dinge zum Vergnügen, nicht Haupt¬ beschäftigungen; denn die Hauptpflicht des Weibes sei ihr Haus, diese Dinge können zwar auch recht wohl in das Haus gehören; aber einseitig oder gar mit Leidenschaft betrieben, untergraben sie eher das Haus, als sie es bauen helfen. Klotilde aber sei schon so alt, daß sie sich ihrem künftigen Berufe zu¬ wenden müsse. Wir begriffen das alles und versprachen, nichts in's Übermaß gehen lassen zu wollen. Es wurden alle Erforderniße angeschafft, und wir begannen in gegönnten Zeiten die Arbeit. Auch spanisch wollte die Schwester von mir ler¬ nen. Ich betrieb es fort, und da ich ihr voraus war, wurde ich auch hierin ihr Lehrer, was die Mutter mit derselben Einschränkung wie das Landschaftsmalen gelten ließ. Es waren also in unserem Hause für die¬ ses Jahr mehr Beschäftigungen für mich vorhanden, als in anderen Zeiten. Es war mir in jenem Herbste besonders wunder¬ bar, daß weder Vater noch Mutter genauer nach mei¬ nem Gastfreunde fragten. Sie mußten entweder nach meinen Erzählungen ein entschiedenes Vertrauen in ihn sezen, oder sie wollten durch zu vieles Einmischen die Unbefangenheit meiner Handlungen nicht stören. Bei allen häuslichen Bestrebungen fing ich bei dem herannahenden Winter doch ein etwas anderes Leben an, als ich es bisher geführt hatte, und zwar ein etwas manigfaltigeres. Ich hatte in vergangener Zeit nur solche Stadtkreise besucht, in welche meine Eltern geladen worden waren, oder in welche ich durch Freunde, die ich gewann, gezogen wurde. Diese Kreise bestanden größtentheils aus Leuten von ähn¬ lichem Stande mit dem meines Vaters. Ich spürte Neigung in mir, nun auch Sitten und Gebräuche so wie Ansichten und Meinungen solcher Menschen ken¬ nen zu lernen, die sich auf glänzenderen Lebenswegen befanden. Der Zufall gab bald hier bald da Ge¬ legenheit dazu, und theils suchte ich auch Gelegen¬ heiten. Es geschah, daß ich Bekanntschaften machte, und mitunter auch fortsezen konnte. Ich lernte Leute von höherem Adel kennen, lernte sehen, wie sie sich bewegen, wie sie sich gegenseitig behandeln, und wie sie sich gegen solche, die nicht ihres Standes sind, be¬ nehmen. Es lebte eine alte edle verwittwete Fürstin in un¬ serer Stadt, deren zu früh verstorbener Gemahl den Oberbefehl in den lezten großen Kriegen geführt hatte. Sie war häufig mit ihm im Felde gewesen, und hatte da die Verhältnisse von Kriegsheeren und ihren Be¬ wegungen kennen gelernt, sie war in den größten Städten Europas gewesen, und hatte die Bekannt¬ schaft von Menschen gemacht, in deren Händen die ganzen Zustände des Welttheiles lagen, sie hatte das gelesen, was die hervorragendsten Männer und Frauen in Dichtungen in betrachtenden Werken und zum Theile in Wissenschaften, die ihr zugänglich waren, geschrie¬ ben haben, und sie hatte alles Schöne genossen, was die Künste hervorbringen. Einstens war sie in den höheren Kreisen eine der außerordentlichsten Schön¬ heiten gewesen, und noch jezt konnte man sich kaum etwas Lieblicheres denken als die freundlichen klugen und innigen Züge dieses Angesichtes. Ein Mann, der sich viel mit Gemälden und ihrer Beur¬ theilung abgab, und oft in die Nähe der Fürstin kam, sagte einmal, daß nur Rembrand im Stande gewesen wäre, die feinen Töne und die kunstgemäßen Über¬ gänge ihres Angesichtes zu malen. Sie hatte jezt eine Wohnung an der Ostgrenze der innern Stadt, damit die Morgensonne ihre Zimmer füllte, und da¬ mit sie den freien Blick über das frische Grün und auf die entfernten Vorstädte hätte. Blühende Söhne in hohen kriegerischen Würden besuchten die alte ehrwür¬ dige Mutter hier, so oft ihr Dienst ihre Anwesenheit in der Stadt gestattete, und so oft während dieser Anwesenheit ein Augenblick es erlaubte. Schöne Enkel und Enkelinnen gingen bei ihr aus und ein, und eine zahlreiche Verwandtschaft wurde bald in die¬ sen bald in jenen Mitgliedern in ihren Zimmern ge¬ sehen. Aber geistige Erholung oder Anstrengung — wie man den Ausdruck nehmen will — war ihr ein Bedürfniß geblieben. Sie wollte nicht blos das wissen, was jezt noch auf den geistigen Gebiethen hervor gebracht wurde, und in dieser Beziehung, wenn irgend ein Werk Ruhm erlangte und Aufsehen machte, suchte sie auch an dessen Pforte zu klopfen, und zu sehen, ob sie eintreten könnte; sondern sie nahm oft auch ein Buch von solchen Personen in die Hand, die in ihre Jugendzeit gefallen, und dort be¬ deutsam gewesen waren, sie ging das Werk durch, und erforschte, ob sie auch jezt noch die zahlreichen mit Rothstift gemachten Zeichen und Anmerkungen wieder in derselben Art machen, oder ob sie andere an ihre Stelle sezen würde; ja sie nahm Werke der älte¬ sten Vergangenheit vor, die jezt die Leute, außer sie wären Gelehrte nur in dem Munde führen, nicht lesen; sie wollte doch sehen, was sie enthielten, und wenn sie ihr gefielen, wurden sie nach manchen Zwi¬ schenzeiten wieder hervorgeholt. Von dem, was in den Verhältnissen der Staaten und Völker vorging, wollte sie beständig unterrichtet sein. Sie empfing daher von manchen ihrer Verwandten und Bekannten Briefe, und die vorzüglichsten Zeitungsblätter mußten auf ihren Tisch kommen. Weil aber, ohwohl ihre Augen noch nicht so schwach waren, das viele Lesen, das sie sich hatte auflegen müssen, bei ihrem Alter doch hätte beschwerlich werden können, hatte sie eine Vorleserin, welche einen Theil und zwar den größten des Lesestoffes auf sich nahm, und ihr vortrug. Diese Vorleserin war aber keine bloße Vorleserin, sondern vielmehr eine Gesellschafterin der Fürstin, die mit ihr über das Gelesene sprach, und die eine solche Bildung besaß, daß sie dem Geiste der alten Frau Nahrung zu geben vermochte, so wie sie von diesem Geiste auch Nahrung empfing. Nach dem Urtheile von Männern, die über solche Dinge sprechen können, war die Gesell¬ schafterin von außerordentlicher Begabung, sie war im Stande jedes Große in sich aufzunehmen, und wieder zu geben, so wie ihre eigenen Hervorbringun¬ gen, zu denen sie sich zuweilen verleiten ließ, zu den Beachtenswerthesten der Zeit gehörten. Sie blieb immer um die Fürstin, auch wenn diese im Sommer auf ein Landgut, das in einem entfernten Theile des Reiches lag, und ihr Lieblingsaufenthalt war, ging, oder wenn sie sich auf Reisen befand, oder eine Zeit an einer schönen Stelle unsers Gebirges weilte, wie sie gerne that. An manchen Abenden zu der Zeit, da sie in der Stadt war, sammelte die Fürstin einen kleinen Kreis um sich, in welchem entweder etwas vorgelesen wurde, oder in welchem man über wissenschaftliche oder gesel¬ lige oder Staatsdinge oder Dinge der Kunst sprach. Die Kreise waren regelmäßig an gleichen Tagen der Woche, sie waren in der Stadt bekannt, wurden sehr hoch geachtet oder verspottet, wie eben der Beurthei¬ lende war, wurden gesucht, und bestanden zuweilen aus sehr bedeutenden Personen. In diese Kreise hatte ich Zutritt erlangt. Die Fürstin hatte mich einige Male getroffen, es war einmal von meiner Wissenschaft die Rede gewesen, sie war sehr neugierig, was man denn von der Geschichte der Erdbildung wisse, und aus welchen Umständen man seine Schlüsse ziehe, und sie hatte mich in ihre Nähe gezogen. Ich hörte auf¬ merksam zu, wenn ich an den bestimmten Abenden in ihrem Gesellschaftszimmer war, sprach selber wenig, und meistens nur, wenn ich dazu aufgefordert wurde. Die Fürstin saß in schwarzem oder aschgrauem Sei¬ denkleide — lichtere trug sie nie — in ihrem Polster¬ stuhle, und hatte einen Schemel unter ihren Füßen. Die Lampe trug gegen ihre Seite hin einen grünen Schirm, und goß ihr Licht in die Gegend der Vor¬ leserin oder des Vorlesers, wenn eben gelesen wurde. Die Andern saßen nach ihrer Bequemlichkeit herum. Meistens bildete sich von selber eine Art Kreis. Man hörte in tiefer Stille dem Vorlesen zu, und nahm an den Gesprächen, die nach dem Lesen folgten, oder die, wenn gar keine Vorlesung war, den ganzen Abend erfüllten, den eifrigsten Antheil. Die Fürstin konnte ihnen den lebhaftesten und tiefsten Fortgang geben. Es schien, daß das, was die vorzüglichsten Män¬ ner in ihrer Gegenwart sprachen, von ihr angeregt wurde, und daß ihre größte Gabe darin bestand, das, was in anderen war, hervor zu rufen. Sie saß dabei mit ihrer äußerst zierlichen Gestalt auf die anmuthigste Weise in ihrem Stuhle, und bewegte noch als hochbe¬ tagte Frau die Gesellschaft mit ihrer lieblichen Schön¬ heit. Zuweilen, wenn sich ihr Inneres erregte, stand sie auf, hielt sich an ihrem Stuhle, und erklärte, und sprach zu den Anwesenden mit ihrer klaren zarten wohllautenden Stimme. Ich lernte verschiedene Menschen in den Zimmern der Fürstin kennen. Zuweilen war es ein hervor¬ ragender Künstler, den man dort sprechen hörte, zuweilen ein Staatsmann, der mit den wichtigsten Angelegenheiten unseres Landes betraut war, oder es war sonst eine bedeutende Persönlichkeit der Gesellschaft oder es waren die Säulen und die Führer unseres tapferen Heeres. Ich hörte bei der Fürstin Aus¬ sprüche, die ich mir merken wollte, die ich mir auf¬ schrieb, und die mir ein unveräußerliches Eigenthum bleiben sollten. Ich gestehe es, daß ich nie ohne eine gewisse Beklemmung in das Zimmer mit den blaube¬ malten Wänden und den dunkelblauen Geräthen und den einigen Bildern, worunter mich besonders das anzog, welches ihren Landsiz darstellte, trat, und ich gestehe es, daß ich nie das Zimmer ohne Ruhe und Befriedigung verließ. Ich empfand, daß jene Abende für mich von großer Bedeutung, daß sie eine Zukunft seien. Außer den besonders hervorragenden Menschen lernte ich bei der Fürstin auch noch andere Personen, des höheren Adels unseres Reiches kennen, kam man¬ ches Mal mit den Kreisen desselben in Berührung, und sah seine Art seine Lebensweise und seine Sitten. Neben diesen Abtheilungen der menschlichen Ge¬ sellschaft kam ich auch mit anderen zusammen. Es war in der Stadt ein öffentlicher Ort, welcher haupt¬ sächlich von Künstlern aller Art besucht wurde, welche sich dort besprachen, Erfrischungen zu sich nahmen, Zeitungen lasen, oder sich mit körperlichen Spielen Stifter , Nachsommer. II . 6 ergözten. Diesen Ort besuchte ich gerne. Da war der eine oder der andere Schauspieler von der Hof¬ bühne oder von der Oper, da war ein Maler, dessen Namen damals hoch gepriesen wurde, da waren Ton¬ künstler, so wohl ausübende als dichtende, da waren Bildhauer und Baumeister, vorzüglich aber waren es Schriftsteller und Dichter, und es befanden sich darunter auch Vorstände und Mitarbeiter an Zei¬ tungsanstalten. Von anderen Personen waren hö¬ here Staatsdiener Bürger Kaufleute und überhaupt solche vorhanden, die einen Antheil an Kunst und Wissenschaft und an einem dahin abzielenden Umgange nahmen. Wenn auch eigentlich nur eine ungezwun¬ gene Heiterkeit herrschte, wenn auch nur Spiele zu körperlicher Bewegung und daneben das Schachspiel vorzuherrschen schienen, so waren doch auch Gespräche, und wie es bei solchen Männern zu erwarten war, Gespräche sehr lebhafter Natur im Gange, und waren doch im Grunde die Hauptsache. Da konnte man in leichten Worten den tiefen Geist des Einen sehen, oder den ruhigen, der alles zersezt, und in seine Bestandtheile auflöst, oder den lebhaften, der darüber weggeht, oder den leichtfertigen, der alles verlacht, oder den, dessen Sitten selbst ein wenig bedenklich waren. Oft war es nur ein Wort ein Wiz, der den Grund geben konnte, um Schlüsse zu bauen. Troz meiner Schüch¬ ternheit, die mich ferne hielt, gerieth ich doch in Ge¬ spräche, und lernte den einen und andern Mann von denen kennen, die sich hier einfanden. Selbst das äußere Benehmen und Gebahren von Männern, die sonst solche Geltung haben, schien mir nicht gleich¬ giltig. Ich besuchte in jenem Winter auch gerne Orte, an welchen sich viele Menschen zu ihren Vergnügun¬ gen versammeln, um die Art ihrer Erscheinung ihr Wesen und ihr Verhalten als eines Ganzen sehen zu können. Vorzüglich ging ich dahin, wo das eigent¬ liche Volk, wie man es jezt häufig zum Gegensaze der sogenannten Gebildeten nennt, zusammen kömmt. Die man gebildet nennt, sind fast überall gleich; das Volk aber ist ursprünglich, wie ich es bei meinen Wan¬ derungen schon kennen lernte, und hat seine zugearte¬ ten Bräuche und Sitten. Ich ging in die guten Darstellungen von Musik¬ stücken, ich fuhr im Besuche des Hoftheaters fort, ging jezt auch in die Oper, und besuchte manche öffentliche wissenschaftliche Vorträge dann Kunst- und Büchersammlungen hauptsächlich aber zur Vervoll¬ 6 * kommnung meiner eigenen künftigen Arbeiten die Sammlungen von Gemälden. Den Umgang mit meinem neuen Freunde dem Sohne des Juwelenhändlers sezte ich fort. Wir be¬ gannen endlich in der That einen eigenen Unterrichts¬ gang über Edelsteine und Perlen. Zwei Tage in der Woche waren festgesezt, an denen ich zu einer bestimm¬ ten für ihn verfügbaren Stunde kam, und so lange blieb, als es eben seine Zeit gestattete. Er führte mich zuerst in die Kenntniß aller jener Mineralien ein, welche man Edelsteine nennt, und vorzüglich zu Schmuck benüzt. Eben so zeigte er mir alle Gattun¬ gen von Perlen. Hierauf unterrichtete er mich in dem Verfahren, die Juwelen zu erkennen und von falschen zu unterscheiden. Später erst ging er auf die Merk¬ male der schönen und der minder schönen über. Bei diesem Unterrichte kamen mir meine Kenntnisse in den Naturwissenschaften sehr zu statten, ja ich war sogar im Stande durch Angaben aus meinem Fache die Kenntnisse meines Freundes zu erweitern, besonders was das Verhalten der Edelsteine zum Lichtdurchgang zur doppelten Brechung und zu der sogenannten Polarisation des Lichtes anbelangt. Ich hatte aber noch immer nicht den Muth, über die gebräuchliche Fassung der Edelsteine mit ihm zu sprechen, und meine Gedanken hierüber ihm mitzutheilen. Unter diesen Dingen ging neben meinen eigent¬ lichen Arbeiten der Unterricht, den ich meiner Schwester gab, regelmäßig fort. In der Malerei hatte sie noch viel größere Schwierigkeiten als ich, weil sie einestheils weniger geübt war, und weil sie anderntheils die Urbilder nicht gesehen sondern nur fehlerhafte Abbilder vor sich hatte. Im Zitherspiel ging es weit besser. Ich wurde heuer ein wirksamerer Lehrer, als ich es in dem vergangenen Jahre gewesen war, und konnte nach dem, was ich gelernt hatte, überhaupt ein besserer Lehrer für sie sein, als einer in der Stadt zu finden gewesen wäre, obwohl diese Schwierigkeiten überwanden, deren Besiegung mir und Klotilden eine Unmöglichkeit gewesen wäre. Nach meinen Ansichten, die ich in den Bergen gelernt hatte, kam es aber darauf nicht an. Wir lernten endlich wechselweise von einander, und brachten manche freu¬ dige und empfindungsreiche Stunde an der Zither zu. Ich mußte zulezt Klotilden auch im Spanischen unterrichten. Da ich immer einige Schritte vor ihr voraus war, so konnte ich allerdings einen Lehrer für sie wenigstens in den Anfangsgründen vorstellen. Wie es im weiteren Verlaufe zu machen wäre, würde sich zeigen. Wir lebten uns in ein wechselseitiges Thätig¬ keitsleben hinein. So verging der Winter, und ich blieb damals bis ziemlich tief in das Frühjahr hinein bei den Mei¬ nigen in der Stadt. 2. Die Annäherung. Obwohl fast den ganzen Winter hindurch davon die Rede gewesen war, daß mich der Vater in dem nächsten Frühlinge in das Gebirge begleiten werde, und daß er bei dieser Gelegenheit den Mann im Ro¬ senhause besuchen wolle, um dessen Seltenheiten und Kostbarkeiten zu sehen, so hatte er doch, als der Frühling gekommen war, nicht Zeit, sich von seinen Geschäften zu trennen, und ich mußte wie in allen früheren Jahren meine Reise allein antreten. Als ich zu meinem Gastfreunde gekommen war, war das Erste, daß ich ihm von den Wandverkleidun¬ gen erzählte. Ich hatte früher ihrer nicht erwähnt, weil ich sie doch nicht für so wichtig gehalten hatte. Ich erzählte ihm, daß ich sie in dem Lauterthale ge¬ funden und gekauft habe, und daß sie aus Schnizar¬ beit von Gestalten und Verzierungen beständen. Der Vater, dem ich sie gebracht, habe eine große Freude darüber gehabt, habe sie nicht nur mit großem Ver¬ gnügen empfangen, sondern habe auch einen Theil eines Nebenbaues unseres Hauses umgebaut, um die Verkleidungen geschickt anbringen zu können. Dieses leztere habe mir erst gezeigt, wie werth der Vater diese Dinge halte, und dies habe mich bestimmt, noch ge¬ nauer nachzuforschen, ob ich denn die Ergänzungen zu dem Getäfel nicht aufzufinden vermöge; denn das, was der Vater habe, seien nur Bruchstücke, und zwar zwei Pfeilerverkleidungen, das übrige fehle. Ich habe wohl schon Nachforschungen in der besten Art, wie ich glaube, angestellt; aber ich wolle sie doch noch fortsezen, und versuchen, ob ich nicht noch neue Mittel und Wege auffinden könne, zu meinem Ziele, wenn es noch vorhanden sei, zu gelangen, oder die größtmögliche Gewißheit zu erhalten, daß das Gesuchte nicht mehr bestehe. Ich beschrieb meinem Gastfreunde, so gut ich es aus der Erinnerung konnte, die Vertäflungen, und machte ihn mit dem Fundorte und den Nebenumständen bekannt. Ich verhehlte ihm nicht, daß ich das darum thue, daß er mir einen Rath geben möge, wie ich etwa weiter vorzugehen habe. Es handle sich um einen Gegenstand, der meinem Vater nahe gehe. Nicht vorzüglich, weil diese Dinge schön seien, ob¬ wohl dies auch ein Antrieb für sich sein könnte, son¬ dern hauptsächlich darum suche ich darnach zu for¬ schen, weil sie dem Vater Freude machen. Je älter er werde, desto mehr schließe er sich in einem engen Raume ab, sein Geschäftszimmer und sein Haus wer¬ den nach und nach seine ganze Welt, und da seien es vorzüglich Werke der bildenden Kunst und die Bü¬ cher, mit denen er sich beschäftige, und die Wirkung, welche diese Dinge auf ihn machen, wachse mit den Jahren. Er habe sich von dem Schnizwerke in den ersten Tagen kaum trennen können, er habe es in al¬ len Theilen genau betrachtet, und sei zulezt so mit demselben bekannt geworden, als wäre er bei dessen Verfertigung zugegen gewesen. Darum wolle ich so vorgehen, daß ich mich nicht in die Lage seze, mir einen Vorwurf machen zu müssen, daß ich in meinen Nachforschungen etwas versäumt habe. Bisher seien sie freilich fruchtlos gewesen. Mein Gastfreund fragte mich noch um einige Theile des Werkes und seines Auffindens, die ich ihm nicht dargestellt hatte, oder die ihm dunkel geblie¬ ben waren, und ließ sich die Örtlichkeiten des Auffin¬ dens noch einmal auf das Umständlichste beschreiben. Hierauf sagte er mir, ich möge an meinen Vater un¬ gesäumt einen Brief senden, und ihn bitten die ge¬ nauen Ausmaße des Schnizwerkes nach Außen und nach Innen zu nehmen, und mir zu schicken. Ich be¬ grif augenblicklich die Zweckmäßigkeit der Maßregel, und schämte mich, daß sie mir selber nicht früher ein¬ gefallen war. Er selber wolle vorläufig an Roland schreiben, und ihm dann, wenn sie eingelangt wären, die Ausmaße schicken. Auch wolle er seine Geschäfts¬ führer in jener Gegend beauftragen, sich um die Sache zu bemühen. Wenn das Gesuchte zu finden ist, so dürfte Roland der geeignetste Mithelfer sein, und die anderen Männer, die er noch auffordern werde, hät¬ ten sich schon in den verschiedensten Gelegenheiten sehr erprobt. Ich dankte meinem Gastfreunde auf das Verbind¬ lichste für seine Gefälligkeit, und versprach, in nichts säumig zu sein. Am nächsten Morgen trug ein Bothe meinen Brief an den Vater und die Briefe meines Gastfreun¬ des an Roland und andere Männer auf die nächste Post. Mein Gastfreund mußte bis in die tiefe Nacht geschrieben haben; denn es war ein ganzes Päckchen von Briefen. Mich rührte diese Güte außerordent¬ lich; denn ich wußte nicht, wie ich sie verdient hatte. Daß ich in der ersten Zeit meines Aufenthaltes in dem Rosenhause gleich an alle Orte ging, die mir lieb waren, begreift sich. In dem Zeichnungszimmer Eustachs fand ich den Musiktisch fertig. Es war seit seiner Vollendung erst eine kurze Zeit verflossen, deßhalb stand er noch an dieser Stelle. Ich hatte nicht geahnt, daß das Werk, das ich bei Beginn seiner Wiederherstellung gesehen hatte, sich so darstellen würde, wenn es fertig wäre. Ich hatte Bilder Bauwerke Zeichnungen und derglei¬ chen in jüngster Zeit in großer Menge gesehen und selber ähnliche Dinge verfertigt, ich konnte mir daher in solchen Sachen ein kleines Urtheil zutrauen; aber, wenn ich nicht gewußt hätte, daß der Rahmen und das Gestelle des Tisches neu gemacht worden sei, so hätte ich es nie erkannt, so sehr paßte beides im Baue in der ganzen Art und selbst in der Farbe des Holzes zu der Platte. Das ganze Werk stand rein glänzend und klar vor den Augen. Die Farben der verschiedenen Hölzer an den Verzierungen am Laub¬ werke am Obste und an den Geräthen trat unter der Macht des Harzes kräftig und scharf hervor. Selbst die Mißverhältnisse der Größen in den verschiedenen eingelegten Geräthen, zum Beispiele zwischen der Flöte der Geige der Trommel, welche mir bei meinem ersten Besuche in dem Schreinerhause Anstoß gegeben hatten, erschienen mir jezt als naiv, und hatten et¬ was Anziehendes für mich, welches mir die Tisch¬ platte lieber machte, als wenn sie ganz fehlerfrei oder etwa nach neuen Kunstbegriffen gemacht gewesen wäre. Ich fragte Eustach, wohin der Tisch zu stehen kommen würde. Er konnte es mir nicht sagen. Es sei darüber nichts eröffnet worden, ob er in dem Hause bleiben, oder ob er irgend wohin versendet werden würde. Jezt bleibe er hier stehen, damit alle Nachtrocknungen in jener allmählichen Stufenfolge vor sich gehen können, wie sie bei jedem neuverfertig¬ ten Geräthe eintreten müssen, daß es nicht Schaden leide. Die meisten der neuverfertigten oder wieder¬ hergestellten Werke seien zu diesem Zwecke in dem Zeichnungszimmer stehen geblieben, wenn sie anders dort Plaz hatten. Ich betrachtete den Tisch noch eine Weile, und ging dann zu andern Gegenständen über. Auch die Gärtnerleute besuchte ich, die Leute des Meierhofes, die Gartenarbeiter, die Dienstleute des Hauses und einige Nachbaren, zu denen wir früher öfter gekommen waren, und die ich näher kennen ge¬ lernt hatte. Obwohl ich nach dem Rathe und der Einladung meines Gastfreundes entschlossen war, heuer meine Berufsarbeit, wenigstens jenes Berufes, den ich mir selber aufgelegt hatte, ruhen zu lassen, sondern einen Theil des Sommers in dem Rosenhause zu verleben, und mich meiner Laune und dem Augenblicke hinzu¬ geben: hatte ich doch nicht den Willen, gar nichts zu thun, was mir die größte Qual gewesen wäre, son¬ dern mich bei meinen Handlungen von meinem Ver¬ gnügen und der Gelegenheit leiten zu lassen. Mein Gastfreund hatte mir die nehmlichen zwei Zimmer eingeräumt, welche ich bisher stets inne gehabt hatte, und freute sich, daß ich seinen Rath befolgen, und einmal auch anderswohin sehen wolle als immer ein¬ seitig auf meine Arbeiten, und daß ich einmal zu einem allgemeineren Bewußtsein kommen wolle, als zu dem ich mich bisher gebannt hätte. Ich hatte viele Bücher und Schriften mitgebracht, hatte alle Werk¬ zeuge zur Öhlmalerei bei mir, und hatte doch aus Vor¬ sicht auch einige Vorrichtungen zu Vermessungen und dergleichen eingepackt. Wenn man von dem Rosenhause über den Hü¬ gel, auf dem der große Kirschbaum steht, nordwärts geht, so kömmt man in die Wiese, durch welche der Bach fließt, an dem mein Gastfreund jene Erlenge¬ wächse zieht, welche ihm das schöne Holz liefern, das er neben anderen Hölzern zu seinen Schreinerarbeiten verwendet. Wir waren öfter zu diesem Bache gekom¬ men, und seinen Ufern entlang gegangen. Er floß aus einem Gehölze hervor, in welchem mein Gast¬ freund einige Wasserwerke hatte aufführen lassen, um die Wiese vor Überschwemmungen zu sichern, und die Verwilderung des Baches zu verhindern. Im Innern des Gehölzes befindet sich ein ziemlich großer Teich, eigentlich ein kleiner See, da er nicht mit Kunst an¬ gelegt sondern größtentheils von selber entstanden war. Nur Geringes hatte man hinzu gefügt, um nicht Versumpfungen an seinen Rändern und Über¬ fluthungen bei seinem Ausflusse entstehen zu lassen. Das Wasser dieses Waldbeckens ist so klar, daß man in ziemlicher Tiefe noch alle die bunten Steine sehen kann, welche auf dem Grunde liegen. Nur schienen sie grünlich blau gefärbt, wie es bei allen Wässern der Fall ist, die aus unsern Kalkalpen oder in deren Nähe fließen. Rings um dieses Wasser ist das Ge¬ zweige so dicht, daß man keinen Stein und kaum einen Uferrand sehen kann, sondern die Zweige aus dem Wasser zu ragen scheinen. Die Bäume, die da stehen, sind eines Theils Nadelholz, das mit seinem Ernste sich in die Heiterkeit mischt, die auf den Ästen Blät¬ tern und Wipfeln der Laubbäume ruht, die den vor¬ herrschenden Theil bilden. Vorzugsweise ist die Erle der Ahorn die Buche die Birke und die Esche vorhan¬ den. Zwischen den Stämmen ist reichliches Wucher¬ gestrippe. Der Bach in der Erlenwiese meines Gast¬ freundes verdankt dem See sein Dasein; aber da dieser aus Quellzuflüssen lebt, so ist der ausflie¬ ßende Bach oft so trocken, daß man, ohne sich die Sohle zu nezen, über seine hervorragenden Steine gehen kann. Wo er aus dem See geht, ist eine kleine Hütte erbaut, die den Hauptzweck hat, daß die, welche in dem See sich baden wollen, in ihr sich entkleiden können. Der Seegrund geht mit seinen schönen Kie¬ seln so sachte in die Tiefe, daß man ziemlich weit vor¬ wärts gehen, und das wallende Wasser genießen kann, ohne den Grund zu verlieren. Auch zum Ler¬ nen des Schwimmens ist dieser Theil sehr geeignet, weil man an allen Stellen Grund findet, und sich unbefangener den Übungen hingeben kann. Weiter draußen beginnt das Gebiet derer, die ihrer Arme und ihrer Bewegungen schon vollständig Herr sind. Gustav ging an Sommertagen fast jeden zweiten Tag mit Eustach oder mit jemand anderm oder zuweilen auch mit meinem Gastfreunde zu dem See hinaus, um in demselben zu schwimmen. Diese Thätigkeit, so wie die andern Körperbewegungen und Übungen, die für ihn in dem Rosenhause angeordnet waren, schie¬ nen ihm viele Freude zu machen. Mein Gastfreund hielt auf körperliche Übungen sehr viel, da sie zur Entwicklung und Gesundheit unumgänglich nothwen¬ dig seien. Er lobte diese Übungen sehr an den Grie¬ chen und Römern, welche beiden Völker er auf eine hervorragende Weise ehrte. Das liege auf der Hand, pflegte er zu sagen, daß, so wie die Krankheit des Körpers den Geist zu etwas anderem mache, als er in der Gesundheit des Körpers ist, ein kräftiger und in hohem Maße entwickelter Körper die Grundlage zu allem dem abgebe, was tüchtig und herzhaft heißt. Bei den alten Römern ist ein großer Theil ihrer Er¬ folge in der Geschichte und ihres früheren Glückes in der Pflege und Entwicklung ihres Körpers zu suchen. Ihr Glück dauerte auch nur so lange, als die ver¬ nünftige Pflege ihrer Leibesübungen dauerte. In neuen Schulen vernachlässige man diese Pflege zu sehr, die bei uns um so nothwendiger wäre, als sich durch das Zusammengehäuftsein in dunstigen und heißen Stuben ohnehin Übel erzeugen, die dem Auf¬ enthalte in freier Luft fremd sind. Darum werden auch die Geisteskräfte von Schülern der neuen Zeit nicht entwickelt, wie sie sollten, und wie sie es bei Kindern, die in Wald und Feldern schweifen, freilich auf Kosten ihres höheren Wesens wirklich sind. Da¬ her stamme ein Theil der Schalheit und Trägheit unserer Zeiten. Ich ging mit Gustav jezt, da ich viele Muße hatte, sehr fleißig zu dem Wäldchen, und da ich in der Kunst des Schwimmens eine große Fertig¬ keit hatte, so sah er an mir ein Vorbild, dem er nach¬ streben konnte, und lernte Gelenkigkeit und Ausdauer mehr, als er es ohne mich gekonnt hätte. Überhaupt gewann Gustav eine immer größere Neigung zu mir. Es mochte, wie ich mir schon früher gedacht hatte, zuerst der Umstand eingewirkt haben, daß ich ihm an Alter nicht so sehr ferne stand. Dazu mochte sich gesellt haben, daß ich, der ich eigentlich sehr einsam und abgeschlossen erzogen worden war, viel tiefer in spätere Jahre hinein die Merkmale der Kindheit bewahrt haben mochte als andere Leute, die Stifter , Nachsommer. II . 7 gleichen Alters mit mir waren, und zulezt konnte jezt auch das wirken, daß ich bei meiner Geschäftlosigkeit viel mehr Berührungspunkte mit ihm fand, als es bei meinen früheren Anwesenheiten in dem Rosen¬ hause der Fall gewesen war. Ich schrieb nun auf dem Asperhofe mehr Briefe als sonst, ich las in Dichtern, betrachtete alles um mich herum, schweifte oft weit in die Gegend hinaus; aber diese Lebensweise wurde mir bald beschwerlich, und ich suchte etwas hervor, was mich tiefer beschäf¬ tigte. Die Dichter als das Edelste, was mir jezt be¬ gegnete, riefen wieder das Malen hervor. Ich rich¬ tete meine Zeichnungsgeräthe und meine Vorrichtun¬ gen zur Malerei in den Stand, und begann wieder meine Übungen im Malen der Landschaft. Ich malte je nach der Laune bald ein Stück Himmel bald eine Wolke bald einen Baum oder Gruppen von Bäu¬ men entfernte Berge Getreidehügel und dergleichen. Auch schloß ich menschliche Gestalten nicht aus, und versuchte Theile derselben. Ich versuchte das Antliz des Gärtners Simon und das seiner Gattin auf die Lein¬ wand zu bringen. Die beiden Leute hatten eine große Freude über das Ding, und ich gab ihnen die Bilder in ihre Stube, nachdem ich vorher nette Rahmen dazu bestellt, und in der Zeit, bis sie eintrafen, mir Abbilder von den Köpfen für meine eigene Mappe gemacht hatte. Ich malte die Hände oder Büsten verschiedener Leute, die sich in dem Rosenhause oder in dem Meier¬ hofe befanden. Meinen Gastfreund oder Eustach oder Gustav zu bitten, daß sie mir als Gegenstand meiner Kunstbestrebungen dienen sollten, hatte ich nicht den Muth, weil die Erfolge noch gar zu unbedeutend waren. Gustav nahm unter allen den größten Antheil an diesen Dingen. So wie er im vorigen Jahre Geräthe mit mir gemalt hatte, versuchte er es heuer auch mit den Landschaften. Sein Ziehvater und sein Zeich¬ nungslehrer hatten nichts dagegen, da nur freie Stun¬ den zu diesen Beschäftigungen verwendet wurden, da seine Körperübungen nicht darunter zu leiden hatten, und da sich dadurch das Band zwischen mir und ihm noch mehr befestigte, was mein Gastfreund nicht un¬ gern zu sehen schien, da doch zulezt der Jüngling nie¬ manden hatte, an wen er das Gefühl der Freund¬ schaft leiten sollte, das in seinen Jahren so gerne er¬ wacht, und das sich in sanftem Zuge an einen Gegen¬ stand richtet. Da unter seiner Hand ein Baum ein Stein ein Berg ein Wässerchen in lieblichen Farben 7 * hervorging, hatte er eine unaussprechliche Freude. Bei Eustach hatte er nur größtentheils Bau- und Ge¬ räthezeichnungen gesehen, und Roland hatte auch nur Ähnliches von seinen Reisen zurück gebracht. Was von Landschaften in der Gemäldesammlung seines Ziehvaters hing, auf denen er wohl grüne Bäume weiße Wolken blaue Berge beobachten konnte, hatte er nie um seine Entstehung angeschaut, sondern die Dinge waren da, wie auch andere Dinge da sind, das Haus der Getreidehügel der Berg der ferne Kirchthurm, und er hatte nicht daran gedacht, daß auch er solche Gegenstände hervorzubringen vermöchte. Er redete auf Spaziergängen davon, wie dieser Baum sich baue, wie jener Berg sich runde, und er erzählte mir, daß ihm oft von dem Zeichnen lebhaft träume. Man ließ den Jüngling auch auf größere Entfer¬ nungen von dem Rosenhause mit mir gehen. Seine Arbeiten wurden dabei so eingerichtet, daß, wenn sie auch unterbrochen werden mußten, ein wesentlicher Schaden sich nicht einstellen konnte. Dafür gewann er an Gesundheit und körperlicher Abhärtung bedeu¬ tend. Wir waren nicht selten mehrere Tage abwe¬ send und Gustav vergnügte es sehr, wenn wir Abends nach unserem leichten Mahle in einem Gasthause in unser Zimmer gingen, wenn er durch die Fenster auf eine fremde Landschaft hinausschauen konnte, wenn er sein Ränzlein und seine Reisesachen auf dem Tische zurecht richten, und dann die ermüdeten Glieder auf dem Gastbette ausstrecken durfte. Wir bestiegen hohe Berge, wir gingen an Felswänden hin, wir begleite¬ ten den Lauf rauschender Bäche, und schifften über Seen. Er wurde stark, und das zeigte sich sichtbar, wenn wir von einer Gebirgswanderung — denn fast immer gingen wir in das Gebirge — zurückkehrten, wenn seine Wangen gebräunt waren, als wollten sie beinahe schwarz werden, wenn seine Locken die dunkle Stirne beschatteten, und die großen Augen lebhaft aus dem Angesichte hervor leuchteten. Ich weiß nicht, welcher innre Zug von Neigung mich zu dem Jüng¬ linge hinwendete, der in seinem Geiste zulezt doch nur ein Knabe war, den ich über die einfachsten Dinge täglicher Erfahrung belehren mußte, namentlich, wenn es Wanderungsangelegenheiten waren, und der mir in seiner Seele nichts biethen konnte, wodurch ich er¬ weitert und gehoben werden mußte, es müßte nur das Bild der vollkommensten Güte und Reinheit ge¬ wesen sein, das ich täglich mehr an ihm sehen lieben und verehren lernte. Ich ging auch einige Male zu dem Lautersee. Ich hatte im vorigen Jahre angefangen, seine Tiefe an verschiedenen Stellen zu messen, um ein Bild darzu¬ stellen, in welchem sich die Berge, die den See um¬ standen, sichtbar auch unter der Wasserfläche fortsez¬ ten, und nur durch einen tieferen Ton gedämpft wa¬ ren. Der Reiz, der diese Aufnahme herbei geführt hatte, stellte sich wieder ein, und ich sezte die Messun¬ gen nach einem Plane fort, um die Thalsohle des Sees immer richtiger zu ergründen, und das Bild einer größeren Sicherstellung entgegen zu führen. Gustav begleitete mich mehrere Male, und arbeitete mit den Männern, die ich gedungen hatte, das Schif zu lenken, die Schnüre auszuwerfen, die Kloben zu richten, an denen sich die Senkgewichte abwickelten, oder andere Dinge zu thun, die sich als nothwendig erwiesen. Besondere Freude machte es mir, daß ich nach und nach die Feinheiten des menschlichen Angesichtes immer besser behandeln lernte, besonders, was mir früher so schwer war, wenn der leichte Duft der Farbe über die Wangen schöner Mädchen ging, die sich sanft rundeten, schier keine Abwechslung zeigten, und doch so mannigfaltig waren. Mir waren die Versuche am angenehmsten, das Liebliche Sittige Schelmische, das sich an manchen jungen Land- oder Gebirgsmädchen darstellte, auf der Leinwand nachzuahmen. Eines Abends, da Blize fast um den ganzen Ge¬ sichtskreis leuchteten, und ich von dem Garten gegen das Haus ging, fand ich die Thür, welche zu dem Gange des Amonitenmarmors zu der breiten Mar¬ mortreppe und zu dem Marmorsaale führte, offen stehen. Ein Arbeiter, der in der Nähe war, sagte mir, daß wahrscheinlich der Herr durch die Thür hinein gegangen sei, daß er sich vermuthlich in dem steinernen Saale befinden werde, in welchen er gerne gehe, wenn Gewitter am Himmel ständen, und daß die Thür vielleicht offen geblieben sei, damit Gustav, wenn er käme, auch hinaufgehen könnte. Ich blickte in den Marmorgang, sah hinter der Schwelle mehrere Paare von Filzschuhen stehen, und beschloß, auch in den steinernen Saal hinauf zu gehen, um meinen Gastfreund aufzusuchen. Ich legte ein Paar von pas¬ senden Filzschuhen an, und ging den Gang des Amo¬ nitenmarmors entlang. Ich kam zu der Marmor¬ treppe, und stieg langsam auf ihr empor. Es war heute kein Tuchstreifen über sie gelegt, sie stand in ihrem ganzen feinen Glanze da, und erhellte sich noch mehr, wenn ein Bliz durch den Himmel ging, und von der Glasbedachung, die über der Treppe war, hereingeleitet wurde. So gelangte ich bis in die Mitte der Treppe, wo in einer Unterbrechung und Erweiterung gleichsam wie in einer Halle nicht weit von der Wand die Bildsäule von weißem Marmor steht. Es war noch so licht, daß man alle Gegen¬ stände in klaren Linien und deutlichen Schatten sehen konnte. Ich blickte auf die Bildsäule, und sie kam mir heute ganz anders vor. Die Mädchengestalt stand in so schöner Bildung, wie sie ein Künstler ersinnen, wie sie sich eine Einbildungskraft vorstel¬ len, oder wie sie ein sehr tiefes Herz ahnen kann, auf dem niedern Sockel vor mir, welcher eher eine Stufe schien, auf die sie gestiegen war, um herum¬ blicken zu können. Ich vermochte nun nicht weiter zu gehen, und richtete meine Augen genauer auf die Gestalt. Sie schien mir von heidnischer Bildung zu sein. Das Haupt stand auf dem Nacken, als blühete es auf demselben. Dieser war ein wenig aber kaum merklich vorwärts gebogen, und auf ihm lag das eigenthümliche Licht, das nur der Marmor hat, und das das dicke Glas des Treppendaches hereinsendete. Der Bau der Haare, welcher leicht geordnet gegen den Nacken niederging, schnitt diesen mit einem flüchtigen Schatten, der das Licht noch lieblicher machte. Die Stirne war rein, und es ist begreiflich, daß man nur aus Marmor so etwas machen kann. Ich habe nicht gewußt, daß eine menschliche Stirne so schön ist. Sie schien mir unschuldvoll zu sein, und doch der Siz von erhabenen Gedanken. Unter diesem Throne war die klare Wange ruhig und ernst, dann der Mund, so feingebildet, als sollte er verständige Worte sagen, oder schöne Lieder singen, und als sollte er doch so gütig sein. Das Ganze schloß das Kinn wie ein ruhi¬ ges Maß. Daß sich die Gestalt nicht regte, schien blos in dem strengen bedeutungsvollen Himmel zu liegen, der mit den fernen stehenden Gewittern über das Glas¬ dach gespannt war, und zur Betrachtung einlud. Edle Schatten wie schöne Hauche hoben den sanften Glanz der Brust, und dann waren Gewänder bis an die Knöchel hinunter. Ich dachte an Nausikae, wie sie an der Pforte des goldenen Saales stand, und zu Odys¬ seus die Worte sagte: „Fremdling, wenn du in dein Land kömmst, so gedenke meiner.“ Der eine Arm war gesenkt, und hielt in den Fingern ein kleines Stäb¬ chen, der andere war in der Gewandung zum Theile verhüllt, die er ein wenig emporhob. Das Kleid war eher eine schön geschlungene Hülle als ein nach einem gebräuchlichen Schnitte Verfertigtes. Es erzählte von der reinen geschlossenen Gestalt, und war so stofflich treu, daß man meinte, man könne es falten, und in einen Schrein verpacken. Die einfache Wand des grauen Amonitenmarmors hob die weiße Gestalt noch schär¬ fer ab, und stellte sie freier. Wenn ein Bliz geschah, floß ein rosenrothes Licht an ihr hernieder, und dann war wieder die frühere Farbe da. Mir dünkte es gut, daß man diese Gestalt nicht in ein Zimmer ge¬ stellt hatte, in welchem Fenster sind, durch die all¬ tägliche Gegenstände herein schauen, und durch die verworrene Lichter einströmen, sondern daß man sie in einen Raum gethan hat, der ihr allein gehört, der sein Licht von oben bekömmt, und sie mit einer dämmerigen Helle wie mit einem Tempel umfängt. Auch durfte der Raum nicht einer des täglichen Ge¬ brauchs sein, und es war sehr geeignet, daß die Wände rings herum mit einem kostbaren Steine be¬ kleidet sind. Ich hatte eine Empfindung, als ob ich bei einem lebenden schweigenden Wesen stände, und hatte fast einen Schauer, als ob sich das Mädchen in jedem Augenblicke regen würde. Ich blickte die Ge¬ stalt an, und sah mehrere Male die röthlichen Blize und die graulich weiße Farbe auf ihr wechseln. Da ich lange geschaut hatte, ging ich weiter. Wenn es möglich wäre, mit Filzschuhen noch leichter aufzutre¬ ten, als es ohnehin stets geschehen muß, so hätte ich es gethan. Ich ging mit dem lautlosen Tritte langsam über die glänzenden Stufen des Marmors bis zu dem steinernen Saale hinan. Seine Thür war halb geöff¬ net. Ich trat hinein. Mein Gastfreund war wirklich in demselben. Er ging in leichten Schuhen mit Sohlen, die noch wei¬ cher als Filz waren, auf dem geglätteten Pflaster auf und nieder. Da er mich kommen sah, ging er auf mich zu, und blieb vor mir stehen. „Ich habe die Thür zu dem Marmorgange offen gesehen,“ sagte ich, „man hat mir berichtet, daß ihr hier oben sein könntet, und da bin ich herauf gegan¬ gen, euch zu suchen.“ „Daran habt ihr recht gethan,“ erwiederte er. „Warum habt ihr mir denn nicht gesagt,“ sprach ich weiter, „daß die Bildsäule, welche auf eurer Mar¬ mortreppe steht, so schön ist?“ „Wer hat es euch denn jezt gesagt?“ fragte er. „Ich habe es selber gesehen,“ antwortete ich. „Nun dann werdet ihr es um so sicherer wissen und mit desto größerer Festigkeit glauben,“ erwiederte er, „als wenn euch jemand eine Behauptung darüber gesagt hätte.“ „Ich habe nehmlich den Glauben, daß das Bild¬ werk sehr schön sei,“ antwortete ich mich verbessernd. „Ich theile mit euch den Glauben, daß das Werk von großer Bedeutung sei,“ sagte er. „Und warum habt ihr denn nie zu mir darüber gesprochen?“ fragte ich. „Weil ich dachte, daß ihr es nach einer bestimm¬ ten Zeit selber betrachten und für schön erachten wer¬ det,“ antwortete er. „Wenn ihr mir es früher gesagt hättet, so hätte ich es früher gewußt,“ erwiederte ich. „Jemanden sagen, daß etwas schön sei,“ antwor¬ tete er, „heißt nicht immer, jemanden den Besiz der Schönheit geben. Er kann in vielen Fällen blos glauben. Gewiß aber verkümmert man dadurch dem¬ jenigen das Besizen des Schönen, der ohnehin aus eigenem Antriebe darauf gekommen wäre. Dies sezte ich bei euch voraus, und darum wartete ich sehr gerne auf euch.“ „Aber was müßt ihr denn die Zeit her über mich gedacht haben, daß ich diese Bildsäule sehen konnte, und über sie geschwiegen habe?“ fragte ich. „Ich habe gedacht, daß ihr wahrhaftig seid,“ sagte er, „und ich habe euch höher geachtet als die, welche ohne Überzeugung von dem Werke reden, oder als die, welche es darum loben, weil sie hören, daß es von andern gelobt wird.“ „Und wo habt ihr denn das herrliche Bildwerk hergenommen?“ fragte ich. „Es stammt aus dem alten Griechenlande,“ ant¬ wortete er, „und seine Geschichte ist sonderbar. Es stand viele Jahre in einer Bretterbude bei Cumä in Italien. Sein unterer Theil war mit Holz ver¬ baut, weil man den Plaz, an dem es stand, und der theils offen theils gedeckt war, zu häufigem Ballschla¬ gen verwendete, und die Bälle nicht selten in die Bude der Gestalt flogen. Deßhalb legte man von der Brust abwärts einen dachartigen Schuz an, der die Bälle geschickt herab rollen machte, und über den sich die Gestalt wie eine Büste darstellte. Es waren in dem Raume theils an den Bretterbauten theils an Mauerstücken, aus denen er bestand, noch andere Ge¬ stalten angebracht, ein kleiner Herkules mehrere Köpfe und ein alterthümlicher Stier von etwa drei Fuß Höhe; denn der Plaz wurde auch zu Tänzen benüzt, und war an den Stellen, die keine Wand hatten, mit Schlinggewächsen und Trauben begrenzt, an andern war er offen, und blickte über Mirten Lorber Eichen auf die blauen Berge und den heiteren Himmel dieses Landes hinaus. Gedeckt waren nur Theile des Rau¬ mes, besonders dort, wo die Gestalten standen. Diese hatten Dächer über sich wie die niedlichen Täfelchen, welche italienische Mädchen auf dem Kopfe tragen. Im Übrigen war die Bedeckung das Gezelt des Him¬ mels. Mich brachte ein günstiger Zufall nach Cumä und zu diesem Ballplaze, auf dem sich eben junges Volk belustigte. Gegen Abend, da sie nach Hause ge¬ gangen waren, besichtigte ich das Mauerwerk, wel¬ ches aus Resten alter Kunstbauten bestand, und die Gestalten, welche sämmtlich aus Gips waren, wie sie in Italien so häufig alten edlen Kunstwerken nach¬ gebildet werden. Den Herkules kannte ich insbeson¬ dere sehr gut, nur war er hier viel kleiner gebildet. Die Büste des Mädchens — für eine solche hielt ich die Gestalt — war mir unbekannt; allein sie gefiel mir sehr. Da ich mich über die reizende Lage dieses Pläzchens aussprach, sagte die Besizerin, eine wahr¬ haftige altrömische Sibille, es werde hier in Kurzem noch viel schöner werden. Ihr Sohn, der sich durch Handel Geld erworben, werde den Plaz in einen Saal mit Säulen verwandeln, es werden Tische herum stehen, und es werden vornehme Fremde kom¬ men, sich hier zu ergözen. Die Gestalten müssen weg, weil sie ungleich seien, und weil Menschen und Thiere unter einander stehen, ihr Sohn habe schon die schön¬ sten Gipsarbeiten bestellt, die alle gleich groß wären. Sie führte mich zu dem Mädchen, und zeigte mir durch eine Spalte der Bretter, daß dasselbe in ganzer Gestalt da stehe, und also die andern Dinge weit überrage. Man habe darum an dem oberen Rande der Balken, mit denen die Gestalt umbaut ist, einen hölzernen bemalten Sockel angebracht, von dem der Oberleib wie eine Büste herab schaue. Dadurch sei die Sache wieder zu den anderen gestimmt wor¬ den. Ich fragte, wann ihr Sohn hieherkomme, und wann das Umbauen beginnen würde. Da sie mir das gesagt hatte, entfernte ich mich. Zur Zeit des mir von der Alten angegebenen Beginnes des Umbaues fand ich mich auf dem Plaze wieder ein. Ich traf den Sohn der Wittwe — eine solche war sie — hier an, und der Bau hatte schon begonnen. Die alten reizen¬ den Mauerstücke waren zum Theile abgetragen, und ihre Stoffe waren geschichtet, um zu dem neuen Baue verwendet zu werden. Die Schlinggewächse und Re¬ ben waren ausgerottet, die Gesträuche vor dem Plaze vernichtet, und man ebnete ihre Stelle, um dort Ra¬ sen anzulegen. Auf der Südseite baute man schon die Sockelmauern, auf welche die Säulen von Ziegeln zu stehen kommen sollten. Die Gestalt des Mädchens, von der man die Balkenverhüllung weggenommen hatte, lag in einer Hütte, welche größtentheils Bau¬ geräthe enthielt. Neben ihr lagen der Herkules der Stier und die Köpfe, die, wie ich jezt sah, alte Rö¬ mer darstellten. Mir gefiel nun auch die früher nicht gesehene übrige Gestalt des Mädchens, die nicht we¬ sentlich verlezt war, außerordentlich, und ich erhan¬ delte sie, da die Dinge zum Zwecke des Verkaufes in der Bretterhütte lagen. Aber der Verkäufer sagte, er gebe von der Sammlung nichts einzeln weg, und ich mußte den Stier den Herkules und die Köpfe mit kaufen. Der Kaufschilling war nicht geringe, da mein Gegenmann die Schönheit der Gestalt recht gut kannte und sie geltend machte; aber ich fügte mich. Ich ließ Kisten machen, um die Dinge fortzuschaffen. Den Stier den Herkules und die Köpfe verkaufte ich in Italien um ein Geringes, die Mädchengestalt sendete ich wohlverpackt, daß der Gips nicht leide, an meinen damaligen Aufenthaltsort; ich kann euch den Namen jezt nicht nennen, es war ein kleines Städtchen an dem Gebirge. Mir fiel schon damals auf, daß das Fahrgeld für die Gestalt sehr hoch sei, und daß man sich über ihr Gewicht beklagt habe; allein ich hielt es für italienische List, um von mir dem Fremden etwas mehr heraus zu pressen. Als ich aber nach Deutsch¬ land zurückgekehrt war, und als eines Tages die Gipsgestalt, für deren gute Verpackung und Über¬ bringung ich durch mir wohlbekannte Versendungs¬ vermittler gesorgt hatte, in dem Asperhofe ankam, überzeugte ich mich selber von dem ungemeinen Ge¬ wichte der Last. Da der Bretterverschlag, in welchem sich die Gestalt befand, nicht so schwer sein konnte, so entstand in mir und Eustach, der damals schon in dem Asperhofe war, der Gedanke, die Gestalt möchte etwa naß geworden sein, und durch die Nässe gelitten haben. Wir ließen das Standbild in die hölzerne Hütte schaffen, welche ich theils zu seinem Empfange theils zur Reinigung von den vielen Schmuzflecken, die es an seinem früheren Standorte erhalten hatte, vor dem Eingange in den Garten hatte aufbauen lassen. Da es dort von den Brettern und von allen seinen andern Stifter , Nachsommer. II . 8 Hüllen befreit worden war, sahen wir, daß sich un¬ sere Furcht nicht bestätigte. Die Gestalt war so trocken, wie Gips nur überhaupt zu sein vermag. Wir sezten nach und nach die Vorrichtungen in Gebrauch, durch die wir die Gestalt in die Nähe der Glaswand der Hütte auf eine drehbare Scheibe stellen konnten, um sie nach Bequemlichkeit betrachten und reinigen zu können. Da sie auf der Scheibe stand, und wir uns von der Sicherheit ihres Standes überzeugt hatten, gingen wir zu ihrer Betrachtung über. Eustach war über ihre Schönheit entzückt, und machte mich auf manches aufmerksam, was mir auf dem Tanz- und Ballplaze bei Cumä und später in der Bauhütte ent¬ gangen war. Freilich stand die Gestalt jezt viel vor¬ theilhafter, da durch die reinen Scheiben der Glas¬ wand das klare Licht auf sie fiel, und alle Schwin¬ gungen und Schwellungen der Gestaltung deutlich machte. Da wir die Überzeugung gewonnen hatten, daß ein edles Werk in das Haus gekommen sei, be¬ schlossen wir, sofort zu dessen Reinigung zu schreiten. Wir nahmen uns vor, dort, wo der Schmuz nur locker auf der Oberfläche liege, und dem reinen Was¬ ser und dem Pinsel weiche, auch nur Wasser und den Pinsel anzuwenden. Leichtes Übertünchen und sanftes Glätten würde die lezte Nachhülfe geben. Für tiefer gehende Verunreinigung wurde die Anwendung des Messers und der Feile beschlossen; nur sollte die äußerste Vorsicht beobachtet und lieber eine kleine Verunreinigung gelassen werden, als daß eine sicht¬ bare Umgestaltung des Stoffes vorgenommen würde. Eustach machte in meiner Gegenwart Versuche, und ich billigte sein Verfahren. Es wurde nun sogleich ans Werk geschritten, und die Arbeit in der nächsten Zeit fortgesezt. Eines Tages kam Eustach zu mir herauf und sagte, er müsse mich auf einen sonderbaren Umstand aufmerksam machen. Er sei auf dem Schul¬ terblatte mit dem feinen Messer auf einen Stoff gesto¬ ßen, der nicht das Taube des Gipses habe, sondern das Messer gleiten mache, und etwas wie die Ahnung eines Klanges merken lasse. Wenn die Sache nicht zu unwahrscheinlich wäre, würde er sagen, daß der Stoff Marmor sei. Ich ging mit ihm in die Bretter¬ hütte hinab. Er zeigte mir die Stelle. Es war ein Plaz, mit dem die Gestalt häufig, wenn sie gelegt wurde, auf den Boden kam, und der daher durch die¬ sen Umstand und zum Theile durch Versendungen, denen die Gestalt ausgesezt gewesen sein mochte, mehr abgenüzt war als andere. Ich ließ das Messer auf 8* dieser Stelle gleiten, ich ließ es an ihr erklingen, und auch ich hatte das Gefühl, daß es Marmor sei, was ich eben behandle. Weil der Plaz, an dem die Ver¬ suche gemacht wurden, doch zu augenfällig war, um weiter gehen zu können, und ihn etwa zu verunstal¬ ten, so beschlossen wir an einem unscheinbareren einen neuen Versuch zu machen. In der Ferse des linken Fußes fehlte ein kleines Stückchen, dort mußte jeden¬ falls Gips eingesezt werden, dort beschlossen wir zu forschen. Wir drehten die Gestalt mit ihrer Scheibe in eine Lage, in welcher das helle Licht auf die Lücke an der Ferse fiel. Es zeigte sich, daß neben der klei¬ nen Vertiefung noch ein Stückchen Gips ledig sei, und bei der leisesten Berührung herab fallen müsse. Wir sezten das Messer an, das Stück sprang weg, und es zeigte sich auf dem Grunde, der blos wurde, ein Stoff, der nicht Gips war. Das Auge sagte, es sei Marmor. Ich holte ein Vergrößerungsglas, wir leiteten durch Spiegel ein schimmerndes Licht auf die Stelle, ich schaute durch das Glas auf sie, und mir funkelten die feinen Kristalle des weißen Marmors entgegen. Eustach sah ebenfalls durch die Linse, wir versuchten an dem Plaze noch andere Mittel, und es stellte sich fest, daß die untersuchte Fläche Marmor sei. Nun begannen wir, um das Unglaubliche völlig zu beweisen, oder unsere Meinung zu widerlegen, auch an andern Stellen Untersuchungen. Wir fingen an Stellen an, welche ohnehin ein wenig schadhaft wa¬ ren, und gingen nach und nach zu anderen über. Wir beobachteten zulezt gar nicht mehr so genau die Vor¬ sichten, die wir uns am Anfange auferlegt hatten, und kamen zu dem Ergebnisse, daß an zahlreichen Stellen unter dem Gipse der Gestalt weißer Marmor sei. Der Schluß war nun erklärlich, daß an allen Stellen, auch den nicht untersuchten, der Gips über Marmor liege. Das große Gewicht der Gestalt war nicht der lezte Grund unserer Vermuthung. Durch welchen Zufall oder durch welch seltsames Beginnen die Marmorgestalt mit Gips könne überzogen worden sein, war uns unerklärlich. Am wahrscheinlichsten däuchte uns, daß es einmal irgend ein Besizer gethan habe, damit ein fremder Feind, der etwa seine Wohn¬ stadt und ihre Kunstwerke bedrohte, die Gestalt als aus werthlosem Stoffe bestehend nicht mit sich fort nehme. Weil nun doch der Feind die Gestalt genom¬ men habe, oder weil ein anderer hindernder Umstand eingetreten sei, habe die Decke nicht mehr weggenom¬ men werden können, und der edle Kern habe undenk¬ bar lange Jahre in der schlechten Hülle stecken müssen. Wir fingen nun auf dem Wirbel des Hauptes an, den Gips nach und nach zu beseitigen. Theils und zwar im Roheren geschah es mit dem Messer, theils und zwar gegen das Ende wurden Pinsel und das auflösende Mittel des Wassers angewendet. Wir rückten so von dem Haupte über die Gestalt hinunter, und alles und jedes war Marmor. Durch den Gips war der Marmor vor den Unbilden folgender Zeiten geschüzt worden, daß er nicht das trübe Wasser der Erde oder sonstige Unreinigkeiten einsaugen mußte, und er war reiner, als ich je Marmore aus der alten Zeit gesehen habe, ja er war so weiß, als sei die Ge¬ stalt vor nicht gar langer Zeit erst gemacht worden. Da aller Gips beseitigt war, wurde die Oberfläche, welche doch durch die feinsten zurückgebliebenen Theile des Überzuges rauh war, durch weiche wollene Tücher so lange geglättet, bis sich der glänzende Marmor zeigte, und durch Licht und Schatten die feinste und zartest empfundene Schwingung sichtbar wurde. Jezt war die Gestalt erst noch viel schöner, als sie sich in Gips dargestellt hatte, und Eustach und ich waren von Bewunderung ergriffen. Daß sie nicht aus neuer Zeit stamme, sondern dem alten Volke der Griechen angehöre, erkannten wir bald. Ich hatte so viele und darunter die als die schönsten gepriesenen Bildwerke der alten Heidenzeit gesehen, und vermochte daher zwischen ihren und den Arbeiten des Mittelalters oder der neuen Zeit zu vergleichen. Ich hatte alle Abbil¬ dungen, welche von den Bildwerken der alten Zeit zu bekommen waren, in den Asperhof gebracht, so daß ich neuerdings Vergleichungen anstellen konnte, und daß auch Eustach, welcher nicht so viel in Wirklichkeit gesehen hatte, ein Urtheil zu gewinnen vermochte. Nur nach sehr langen und sehr genauen Untersuchun¬ gen gaben wir uns mit Festigkeit dem Gedanken hin, daß das Standbild aus der alten Griechenzeit her¬ rühre. Wir lernten bei diesen Untersuchungen, zu de¬ ren größerer Sicherstellung wir sogar Reisen unter¬ nahmen, die Merkmale der alten und neuen Bild¬ werke so weit kennen, daß wir die Überzeugung ge¬ wannen, die besten Werke beider Zeiten gleich bei der ersten Betrachtung von einander unterscheiden zu kön¬ nen. Das Schlechte ist freilich schwerer in Hinsicht seiner Zeit zu ermitteln. Merkwürdig ist es, daß völ¬ lig Werthloses aus der alten Zeit gar nicht auf uns gekommen ist. Entweder ist es nicht entstanden, oder eine kunstbegeisterte Zeit hat es sogleich beseitigt. Wir haben in jener Untersuchungszeit viel über alte Kunst gelernt. Von wem und aus welchem Zeitabschnitte aber unser Standbild herrühre, konnten wir nicht er¬ mitteln. Das war jedoch gewiß, daß es nicht der stren¬ gen Zeit angehöre, und von der späteren weicheren stamme. Ehe ich aber das Bild aus der Hütte, in welcher es stand, entfernte, ja ehe ich an den Plaz dachte, auf welchen ich es stellen wollte, mußte etwas anderes geschehen. Ich reiste nach Italien, und suchte bei Cumä den Verkäufer meines Standbildes auf. Er war mit den Umänderungen seines Plazes bei¬ nahe fertig. Dieser war jezt eine Halle neuer Art, in welcher einige Menschen süßen rothen Wein tranken, in welcher neue Gipsbilder standen, um welche grüner Rasen war, und aus welcher man eine schöne Aus¬ sicht hatte. Ich erzählte ihm von der Entdeckung, welche ich gemacht hatte, und sagte, er möge nun nach derselben den Preis des Bildes bestimmen. Er könnte es zu diesem Zwecke selber in Deutschland besehen oder es besehen lassen. Er fand beides nicht für nöthig, sondern forderte sogleich eine ansehnliche Summe, die den Werth eines solchen Gegenstandes, deren Preise in den verschiedenen Zeiten sehr wechseln, darstellen mochte. Ich war damals schon in den Besiz meiner größeren Habe gekommen, die mir durch eine Erb¬ schaft zugefallen war, und zeigte mich bereit, die Summe zu erlegen, nur möchte ich mich über das Herkommen des Standbildes noch näher unterrichten, und mir die Gewißheit über das Recht verschaffen, das mein Vormann bei so veränderter Sachlage über das Bild habe. Meine Forschungen führten zu nichts weiter, als daß das Bild seit vielen Menschenaltern schon in dem Besize der Familie sei, von welcher ich es habe, daß einmal Überreste eines alten Gebäudes hier gewesen wären, daß man das Gebäude nach und nach abgebrochen habe, daß man aus Wasserbecken niederen Säulengittern und andern Dingen von weißem Steine Kalk gebrannt, und daß man aus den Resten des Gebäudes und mit dem Kalke Häuser in den Umgebungen gebaut habe. Es seien mehrere Standbilder bei den Trümmern gewesen und seien verkauft worden. Für das weiße Mädchen mit dem Stabe in der Hand habe man einmal einen Mantel aus Holz gemacht, darüber ist ein Streit in Hinsicht der Zahlung entstanden, und die Schrift, welche den Großvater des jezigen Besizers zur Zahlung verur¬ theilte, ist mir in dem Amte zur Einsicht und beglau¬ bigten Abschrift gewiesen worden. Nachdem ich mir noch einen Kaufvertrag über das Marmorbild von einem Notar hatte verfassen lassen, und mich mit einer gefertigten Abschrift versehen hatte, erlegte ich die ge¬ forderte Summe, und reiste wieder nach Hause. Hier wurde berathen, wohin das nun mit allem Rechte mein genannte Standbild kommen sollte. Es war nicht schwer, die Stelle auszufinden. Ich hatte auf der Marmortreppe schon einen Absaz errichtet, der einerseits die Treppe unterbrechen und ihr dadurch Zierlichkeit verleihen, und andrerseits dazu dienen sollte, daß einmal ein Standbild auf ihm stehe, und der Treppe den größten Schmuck verleihe. Nachdem wir uns durch Messungen überzeugt hatten, daß die Gestalt für den Plaz nicht zu hoch sei, wurde der kleine Sockel verfertigt, auf dem sie jezt steht, es wurde eine Vorrichtung gebaut, sie auf den Plaz zu bringen, und sie wurde auf ihn gebracht. Wir stan¬ den nun oft vor der Gestalt, und betrachteten sie. Die Wirkung wurde statt schwächer immer größer und nachhaltiger, und unter allen Kunstgegenständen, die ich habe, ist mir dieser der liebste. Das ist der hohe Werth der Kunstdenkmale der alten heitern Griechen¬ welt, nicht blos der Denkmale der bildenden Kunst, die wir noch haben, sondern auch der der Dichtung, daß sie in ihrer Einfachheit und Reinheit das Gemüth erfüllen, und es, wenn die Lebensjahre des Menschen nach und nach fließen, nicht verlassen, sondern es mit Ruhe und Größe noch mehr erweitern, und mit Un¬ scheinbarkeit und Gesezmäßigkeit zu immer größerer Bewunderung hinreißen. Dagegen ist in der Neuzeit oft ein unruhiges Ringen nach Wirkung, das die Seele nicht gefangen nimmt, sondern als ein Unwah¬ res von sich stößt. Es sind manche Männer gekom¬ men, das Standbild zu betrachten, manche Freunde und Kenner der alten Kunst, und der Erfolg ist fast immer derselbe gewesen, ein Ernst der Anerkennung und der Würdigung. Wir, Eustach und ich, sind in den Dingen der alten Kunst sehr hiedurch vorgeschritten, und beide sind wir von der alten Kunst erst recht zur Erkenntniß der mittelalterlichen gekommen. Wenn wir die unnachahmliche Reinheit Klarheit Manig¬ faltigkeit und Durchbildung der alten Gestaltungen betrachtet hatten, und zu denen des Mittelalters gin¬ gen, bei welchen große Fehler in diesen Beziehungen walten, so sahen wir hier ein Inneres, ein Gemüth voll Ungeziertheit voll Glauben und voll Innigkeit, das uns fast im Stammeln so rührt, wie uns jenes dort im vollendeten Ausdrucke erhebt. Über die Zeit der Entstehung unseres Standbildes können wir auch jezt noch nichts Festes behaupten, auch nicht, ob es mit anderen aus dem Volke von Standbildern, das in Hellas stand, nach Rom gekommen ist, oder ob es unter den Römern von einem Griechen gefertigt wor¬ den ist, wie man es in jener Römerzeit, da griechische Kunst mit nicht hinlänglichem Verständnisse über Ita¬ lien ausgebreitet wurde, in den Siz eines Römers gebracht hat, und wie es auf ein ganz anderes ent¬ ferntes Geschlecht übergegangen ist.“ Er schwieg nach diesen Worten, und ich sah den Mann an. Wir waren, während er sprach, in dem Saale auf und nieder gegangen. Ich begrif, warum er diesen Saal bei Abendgewittern aufsucht. Durch die hellen Fenster schaut der ganze südliche Himmel herein, und auch Theile des westlichen und des öst¬ lichen sind zu erblicken. Die ganze Kette der hiesigen Alpen kann am Rande des Gesichtskreises gesehen werden. Wenn nun ein Gewitter in jenem Raume entsteht — und am schönsten sind Gewitterwände oder Gewitterberge, wenn sie sich über fernhinziehende Ge¬ birge lagern, oder längs des Kammes derselben dahin gehen — so kann er dasselbe frei betrachten, und es breitet sich vor ihm aus. Zu dem Ernste der Wolken¬ Wände gesellt sich der Ernst der Wände von Marmor, und daß in dem Saale gar keine Geräthe sind, ver¬ mehrt noch die Einsamkeit und Größe. Wenn nun vollends schon eine schwache Abenddämmerung einge¬ treten ist, so zeigt die Oberfläche des Marmors den Widerschein der Blize, und während wir so auf und nieder gingen, war einige Male der reine kalte Mar¬ mor wie in eine Glut getaucht, und nur die hölzernen Thüren standen dunkel in dem Feuer, oder zeigten ihre düstere Fügung. Ich fragte meinen Gastfreund, ob er das Mar¬ morstandbild schon lange besize. „Die Zahl der Jahre ist nicht sehr groß,“ antwor¬ tete er, „ich kann sie euch aber nicht genau angeben, weil ich sie nicht in meinem Gedächtnisse behalten habe. Ich werde in meinen Büchern nachsehen, und werde euch morgen sagen, wie lange das Bild in meinem Hause steht.“ „Ihr werdet wohl erlauben,“ sagte ich, „daß ich die Gestalt öfter ansehen darf, und daß ich mir nach und nach einpräge und immer klarer mache, warum sie denn so schön ist, und welches die Merkmale sind, die auf uns eine solche Wirkung machen.“ „Ihr dürft sie besehen, so oft ihr wollt,“ antwor¬ tete er, „den Schlüssel zu der Thür des Marmorgan¬ ges gebe ich euch sehr gerne, oder ihr könnt auch von dem Gange der Gastzimmer über die Marmortreppe hinabgehen, nur müßt ihr sorgen, daß ihr immer Filz¬ schuhe in Bereitschaft habt, sie anzuziehen. Ich freue mich jezt, daß ich den Marmorgang und die Treppe so habe machen lassen, wie sie gemacht sind. Ich habe damals schon immer daran gedacht, daß auf die Treppe ein Bild von weißem Marmor wird gestellt werden, daß dann am besten das Licht von oben darauf herabfällt, und daß die umgebenden Wände so wie der Boden eine dunklere sanfte Farbe haben müssen. Das reine Weiß — in der lichten Dämmerung der Treppe erscheint es fast als ganz rein — steht sehr deutlich von der umgebenden tieferen Farbe ab. Was aber die Merkmale anbelangt, an denen ihr die Schön¬ heit erkennen wollt, so werdet ihr keine finden. Das ist eben das Wesen der besten Werke der alten Kunst, und ich glaube, das ist das Wesen der höchsten Kunst überhaupt, daß man keine einzelnen Theile oder ein¬ zelne Absichten findet, von denen man sagen kann, das ist das schönste, sondern das Ganze ist schön, von dem Ganzen möchte man sagen, es ist das schönste; die Theile sind blos natürlich. Darin liegt auch die große Gewalt, die solche Kunstwerke auf den eben¬ mäßig gebildeten Geist ausüben, eine Gewalt, die in ihrer Wirkung bei einem Menschen, wenn er altert, nicht abnimmt, sondern wächst, und darum ist es für den in der Kunst Gebildeten so wie für den völlig Unbefangenen, wenn sein Gemüth nur überhaupt dem Reize zugänglich ist, so leicht, solche Kunstwerke zu erkennen. Ich erinnere mich eines Beispieles für diese meine Behauptung, welches sehr merkwürdig ist. Ich war einmal in einem Saale von alten Stand¬ bildern, in welchem sich ein aus weißem Marmor ver¬ fertigter auf seinem Size zurückgesunkener und schla¬ fender Jüngling befand. Es kamen Landleute in den Saal, deren Tracht schließen ließ, daß sie in einem sehr entfernten Theile des Landes wohnten. Sie hatten lange Röcke, und auf ihren Schnallenschuhen lag der Staub einer vielleicht erst heute Morgen voll¬ brachten Wanderung. Als sie in die Nähe des Jüng¬ lings kamen, gingen sie behutsam auf den Spizen ihrer Schuhe vollends hinzu. Eine so unmittelbare und tiefe Anerkennung ist wohl selten einem Meister zu Theil geworden. Wer aber in einer bestimmten Rich¬ tung befangen ist, und nur die Schönheit, die in ihr liegt, zu fassen und zu genießen versteht, oder wer sich in einzelne Reize, die die neuen Werke bringen, hin¬ eingelebt hat, für den ist es sehr schwer, solche Werke des Alterthums zu verstehen, sie erscheinen ihm mei¬ stens leer und langweilig. Ihr waret eigentlich auch in diesem Falle. Wenn gleich nicht von der neuen nur bestimmte Seiten gebenden Kunst gefangen, habt ihr doch Abbildungen von gewissen Gegenständen, besonders denen eurer wissenschaftlichen Bestrebungen zu sehr und zu lange in einer Richtung gemacht, als daß euer Auge sich nicht daran gewöhnt euer Gemüth sich nicht dazu hingeneigt hätte, und ungefüger ge¬ worden wäre, etwas anderes mit gleicher Liebe auf¬ zunehmen, das in einer anderen Richtung lag, oder vielmehr, das sich in keiner oder in allen Richtungen befand. Ich habe gar nie gezweifelt, daß ihr zu die¬ ser Allgemeinheit gelangen werdet, weil schöne Kräfte in euch sind, die noch auf keinen Afterweg geleitet sind, und nach Erfüllung streben; aber ich habe nicht gedacht, daß dies so bald geschehen werde, da ihr noch zu kraftvoll in dem auf seiner Stufe höchst lo¬ benswerthen Streben nach dem Einzelnen begriffen waret. Ich habe geglaubt, irgend ein großes allge¬ meines menschliches Gefühl, das euch ergreifen würde, würde euch auf den Standpunkt führen, auf dem ich euch jezt sehe.“ Ich konnte eine geraume Zeit auf diese lezte Rede meines Gastfreundes nichts antworten. Wir gingen schweigend in dem Saale auf und nieder, und es war um so stiller, als unsere mit weichen Sohlen bekleide¬ ten Füße nicht das geringste Geräusch auf dem glän¬ zenden Fußboden machten. Blize zuckten zuweilen in den Spiegelflächen um und unter uns, der Donner rollte gleichsam bei den offenen Fenstern herein, und die Wolken bauten sich in Gebirgen oder in Trüm¬ mern oder in luftigen Länderstrecken durch den weiten Raum auf, den die Fenster des Saales beherrschten. Ich sagte endlich, daß ich mich jezt erinnere, wie mein Vater oft geäußert habe, daß in schönen Kunst¬ werken Ruhe in Bewegung sein müsse. „Es ist ein gewöhnlicher Kunstausdruck,“ entgeg¬ nete mein Gastfreund, „allein es thäte es auch ohne ihn. Man versteht gewöhnlich unter Bewegung Be¬ wegbarkeit. Bewegung kann die bildende Kunst, von der wir hier eigentlich reden, gar nicht darstellen. Da die Kunst in der Regel lebende Wesen Menschen Thiere Pflanzen — und selbst die Landschaft troz der starrenden Berge ist mit ihren beweglichen Wolken Stifter , Nachsommer. II . 9 und ihrem Pflanzenschmucke dem Künstler ein Ath¬ mendes; denn sonst wird sie ihm ein Erstarrendes — darstellt, so muß sie diese Gegenstände so darstellen, daß es dem Beschauer erscheint, sie könnten sich im nächsten Augenblicke bewegen. Ich will hier wieder aus dem Alterthume ein Beispiel anführen. Alle Stoffe, mit welchen Menschen sich bekleiden, nehmen nach der Art der Bewegungen, denen sich verschiedene Menschen gerne hingeben, verschiedene Gestaltungen an. Ein Freund von mir erkannte einen alten wohl¬ bekannten und trefflichen Schauspieler einmal bei einer Gelegenheit, bei welcher er nur ein Stück des Rockes des Schauspielers sehen konnte. Wenn nun die Gestaltungen der Stoffe, die sich meistens in Fal¬ ten kund geben, nach der Wirklichkeit nachgebildet werden, nicht nach willkürlichen Zurechtlegungen, die man nach herkömmlichen Schönheitsgesezen an der Gliederpuppe macht, so liegt in diesen nachgebildeten Gestaltungen zuerst eine bestimmte Eigenthümlichkeit und Einzelheit, die den Gegenstand sinnlich hinstellt, und dann drückt die Gestaltung nicht blos den Zu¬ stand aus, in dem sie gegenwärtig ist, sondern sie weist auch auf den zurück, der unmittelbar vorher war, und von dem sich die Gebilde noch leise vorfin¬ den, und sie läßt zugleich den nächstkünftigen ahnen, zu dem die Bildungen neigen. Dies ist es, was bei Gewandungen ganz vorzüglich für das beschauende Auge den Begriff der Bewegung gibt und mithin der Lebendigkeit. Dies ist es, da die Alten so gerne nach der Natur arbeiteten, was sie dort, wo sie Gewänder anbringen, so meisterhaft handhaben, daß der Spruch entstanden ist, sie stellten nicht nur dar, was ist, son¬ dern auch, was zunächst war, und sein wird. Darum bilden sie in der Gewandung nicht blos die Haupt¬ theile sondern auch die entsprechenden Unterabthei¬ lungen, und dies mit einer solchen Zartheit und Ge¬ nauigkeit, daß man auf den Stoff des Werkes ver¬ gißt und nur den Stoff der Gewandung sieht, und ihn zusammenlegen und in der Hand ballen zu können vermeint. Solcher Bildung gegenüber legen manche Neuen sogenannte edle Falten zurecht, bilden sie im Erze oder Marmor nach, vermeiden hiebei in sorg¬ lichem Maße zu große Einzelheiten, um nicht unruhig zu werden, und erzielen hiebei, daß man allerdings große edle Massen von Faltungen sieht, daß aber in der Falte der Stoff des Werkes nicht des Gewandes herrscht, daß man die marmorne die erzene Falte sieht, daß das Gemüth erkältet wird, und daß man meint, 9 * der Mann, der damit angethan ist, könne nicht gehen, weil ihn die erzene Falte hindere. Wie es mit dem Gewande ist, ist es auch mit dem Leibe, der das Gewand der Seele ist, und die Seele allein kann ja nur der Gegenstand sein, welchen der Künstler durch das Bild und Gleichniß des Leibes darstellt. Hier auch ließen sich die Alten von der Natur leiten, und wenn sie Sünden begingen, die das Auge des natur¬ forschenden Zergliederers strenge genommen tadeln müßte, so begingen sie keine, die das nicht so stofflich blickende Auge der Kunst zu verdammen gezwungen wäre. Dafür zeigt die Schwingung der Gliederflä¬ chen in ihren Theilen und Unterabtheilungen eine solche Ausbildung und Durchführung, daß die Zu¬ stände von jezt und von unmittelbar vorher und nach¬ her sichtbar werden, daß die Glieder wie ich vorher von der Gewandung sagte die Vorstellung der Be¬ weglichkeit geben, und daß sie leben. Wie bei den Gewändern bilden manche Neue auch die Glieder ins Größere Allgemeinere weniger Ausgeführte, um nicht krampfig zu werden, und dann gerathen die Muskeln gerne wie glatte spröde unbiegsame Glaskörper, und die Gestalt kann sich nicht rühren. Das Gesagte mag ungefähr den Begriff von dem geben, was man in der Kunst unter Bewegung versteht. Was man unter Ruhe begreift, das mag wohl zuerst darin bestehen, daß jeder Gegenstand, den die bildende Kunst dar¬ stellt, genau betrachtet, in Ruhe ist. Der laufende Wagen das rennende Pferd der stürzende Wasser¬ fall die jagende Wolke selbst der zuckende Bliz sind in der Abbildung ein Starres Bleibendes, und der Künstler kann nur durch die früher von mir ange¬ deuteten Mittel die Bewegung als Bewegbarkeit als Täuschung des Auges darstellen, wodurch er zugleich seinen Gegenstand über die Gränzen des unmittelbar Dargestellten hinaushebt, und ihm eine ungleich grö¬ ßere Bedeutung gibt. Aber die dargestellte Bewegung darf nicht zu gewaltsam sein, sonst helfen die Mittel nicht, der Künstler scheitert und wird lächerlich. Zum Beispiele Pferde, die von einem Felsen durch die Luft hinabstürzen, dürfen nicht in der Luft fallend gemalt werden — wenigstens dürfte dies leichter eine den Ver¬ stand befriedigende Zeichnung als ein das ganze Kunst¬ vermögen entzückendes Bild werden. Darum darf der in seinen Gestalten sich stets erneuende Wasserfall mit weit geringerer Gefahr dargestellt werden als eine Flüssigkeit, die aus einem Gefäße gegossen wird, wo¬ bei die Einbildungskraft sich mit dem Gedanken quält, daß das Gefäß nicht leer wird. Der in hohen Lüften auf seinen Schwingen ruhende Geier ist im Bilde erha¬ ben, der dicht vor unsern Augen auf seine Beute stür¬ zende kann sehr mißlich werden. Der an Bergen empor¬ steigende Nebel ist lieblich, der von einer abgefeuerten Kanone aufsteigende Rauch verlezt uns durch sein im¬ merwährendes Bleiben. Es ist begreiflich, daß die Grenzen zwischen dem Darstellbaren in der Bewegung nicht fest zu bestimmen sind, und daß größere Bega¬ bungen viel weiter hierin gehen dürfen als kleinere. So sah ich schon sehr oft gemalte fahrende Wägen. Die Pferde sind gewöhnlich ihrer Fußstellung nach im schönsten Laufe begriffen, während die Speichen der Wagenräder klar und sichtbar in völliger Ruhe starren. Der größere Künstler wird uns den Nebel der sausen¬ den Speichen darstellen, und manches Andere zu¬ thun und zusammenstellen, daß wir den Wagen wirk¬ lich fahren sehen. Außer dem hier gegebenen Begriffe von stofflicher Ruhe mag wohl unter Ruhe weit öfter die künstlerische zu verstehen sein, die ein Kunstwerk, sei es Bild Dichtung oder Musik nie entbehren kann, ohne aufzuhören, ein Kunstwerk zu sein. Es ist diese Ruhe jene allseitige Übereinstimmung aller Theile zu einem Ganzen, erzeugt durch jene Besonnenheit, die in höchster kunstliebender Begeisterung nie fehlen darf, durch jenes Schweben über dem Kunstwerke und das ordnende Überschauen desselben, wie stark auch Em¬ pfindungen oder Thaten in demselben stürmen mö¬ gen, die das Kunstschaffen des Menschen dem Schaf¬ fen Gottes ähnlich macht, und Maß und Ordnung blicken läßt, die uns so entzücken. Bewegung regt an, Ruhe erfüllt, und so entsteht jener Abschluß in der Seele, den wir Schönheit nennen. Es ist nicht zu zweifeln, daß sich Andere vielleicht Anderes bei diesen Worten denken, daß dieses Andere gut oder besser als das Meinige sein kann — gewöhnlich geht es mit solchen Gangwörtern so, daß jeder seinen eigenen Sinn hinein legt. Das Beste ist, daß die schaffende Kraft in der Regel nicht nach solchen auf¬ gestellten Säzen wirkt, sondern das Rechte trifft, weil sie die Kraft ist, und es desto sicherer trifft, je mehr sie sich auf ihrem eigenthümlichen Wege naturgemäß ausbildet. Für das Verständniß der Kunst, für solche, welche ihre Werke beschauen, und sich darüber bespre¬ chen, sind Auslegungen derselben Einkleidung ihres Wesens in Worte eine sehr nüzliche Sache, nur muß man die Worte nicht zum Hauptgegenstande machen und auf einen Sinn, den man ihnen beilegt, nicht so bestehen, daß man alles verdammt, was nicht nach diesem Sinne ist. Sonst müßte man ja den größten und einzigen Künstler am meisten tadeln, Gott, der so unzählige Gestaltungen erschaffen hat, und dessen Werke ja wirklich von Menschen untergeordneten Gei¬ stes getadelt werden, die meinen, sie hätten es anders gemacht.“ Bei diesen Worten kam Gustav in den Saal. Die Dämmerung hatte schon stark zugenommen, es reg¬ nete aber noch immer nicht. „Dieser steht noch auf demselben Stande, auf welchem ihr früher gestanden seid,“ sagte mein Gast¬ freund auf Gustav weisend, der auf ihn zuging. „Wie meinst du das, Vater?“ fragte der Knabe. „Wir redeten von Kunst,“ antwortete mein Gast¬ freund, „und da behaupte ich, daß du noch nicht in der Lage bist, Kunstwerke so erkennen und beurtheilen zu können wie unser Gast hier.“ „Wohl, das behaupte ich selber,“ sagte Gustav, „er ist darum auch theilweise mein Lehrer, und wenn er in der Erkenntniß der Kunst dir und Eustach und der Mutter nachstrebt, so werde ich meines Theils ihm wieder nachstreben.“ „Das ist gut,“ sagte mein Gastfreund, „aber das ist es nicht so ganz, wovon wir sprachen, allein es thut nichts zur Sache, und gehört auch nicht zur We¬ senheit.“ Mit diesen Worten, gleichsam um ferneren Fra¬ gen vorzubeugen, trat er an ein Fenster, und wir mit ihm. Wir betrachteten eine Weile die Erscheinung vor uns, die über dem immer dunkler werdenden Gefilde immer großartiger wurde, und gingen dann, da der Abend beinahe in Finsterniß übergehen wollte, und die Stunde des Abendessens gekommen war, über die Marmortreppe in das Speisezimmer hinunter. Das Gewitter war in der Nacht ausgebrochen, hatte einen Theil derselben mit Donnern und einen Theil mit bloßem Regen erfüllt, und machte dann einem sehr schönen und heiteren Morgen Plaz. Das Erste, was ich an diesem Tage that, war, daß ich zu dem marmornen Standbilde ging. Ich hatte es gestern, da wir über die Treppe hinabstiegen, nicht mehr deutlich und nur von einem Blize ober¬ flächlich beleuchtet gesehen. Die Finsterniß war auf der Treppe schon zu groß gewesen. Heute stand es in der ruhigen und klaren Helle des Tages, welche das Glasdach auf die Treppe sendete, schmucklos und einfach da. Ich hatte nicht gedacht, daß das Bild so groß sei. Ich stellte mich ihm gegenüber, und betrach¬ tete es lange. Mein Gastfreund hatte Recht, ich konnte keine eigentliche einzelne Schönheit entdecken, was wir im neuen Sinne Schönheit heißen, und ich erinnerte mich auf der Treppe sogar, daß ich oft von einem Buche oder von einem Schauspiele ja von einem Bilde sagen gehört hatte, es sei voller Schön¬ heiten, und dem Standbilde gegenüber fiel mir ein, wie unrecht entweder ein solcher Spruch sei, oder, wenn er berechtigt ist, wie arm ein Werk sei, das nur Schönheiten hat, selbst dann, wenn es voll von ihnen ist, und das nicht selber eine Schönheit ist; denn ein großes Werk, das sah ich jezt ein, hat keine Schön¬ heiten, und um so weniger, je einheitlicher und ein¬ ziger es ist. Ich gerieth sogar auf den Gedanken und auf die Erfahrung, die ich mir nie klar gemacht hatte, daß, wenn man sagt, dieser Mann diese Frau habe eine schöne Stimme schöne Augen einen schönen Mund, eben damit zugleich gesagt ist, das andere sei nicht so schön; denn sonst würde man nicht Einzelnes herausheben. Was bei einem lebenden Menschen gilt, dachte ich, gilt bei einem Kunstwerke nicht, bei welchem alle Theile gleich schön sein müssen, so daß keiner auffällt, sonst ist es eben als Kunstwerk nicht rein, und ist im strengsten Sinne genommen, keines. Dessenohngeachtet, daß ich, oder vielmehr eben da¬ rum, weil ich keine einzelnen Schönheiten an dem Standbilde zu entdecken vermochte, machte es, wie ich mir jezt ganz klar bewußt war, wieder einen außer¬ ordentlichen Eindruck auf mich. Der Eindruck war aber nicht einer, wie ich ihn öfter vor schönen Sachen hatte, ja selbst vor Dichtungen, sondern er war, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, allgemeiner geheimer unenträthselbarer, er wirkte eindringlicher und gewal¬ tiger; aber seine Ursache lag auch in höheren Fernen, und mir wurde begreiflich, ein welch hohes Ding die Schönheit sei, wie schwerer sie zu erfassen und zu bringen sei, als einzelne Dinge, die die Menschen er¬ freuen, und wie sie in dem großen Gemüthe liege, und von da auf die Mitmenschen hinausgehe, um Großes zu stiften und zu erzeugen. Ich empfand, daß ich in diesen Tagen in mir um vieles weiter gerückt werde. In der nächsten Zeit sprach ich auch mit Eustach über das Standbild. Er war sehr erfreut darüber, daß ich es als so schön erkannte, und sagte, daß er sich schon lange darnach gesehnt habe, mit mir über dieses Werk zu sprechen; allein es sei unmöglich gewe¬ sen, da ich selber nie davon geredet habe, und eine Zwiesprache nur dann ersprießlich werde, wenn man beiderseitig von einem Gegenstande durchdrungen sei. Wir betrachteten nun miteinander das Bildwerk, und machten uns wechselseitig auf Dinge aufmerksam, die wir an demselben zu erkennen glaubten. Beson¬ ders war es Eustach, der über das Marmorbild, so sehr es sich in seiner Einfachheit und seiner täglich sich vor mir immer staunenswerther entwickelnden Natür¬ lichkeit jeder Einzelverhandlung zu entziehen schien, doch über sein Entstehen über die Art seiner Verhält¬ nisse über seine Gesezmäßigkeit und über das Geheim¬ niß seiner Wirkung sachkundig zu sprechen wußte. Ich hörte begierig zu, und empfand, daß es wahr sei, was er sprach, obgleich ich ihn nicht immer so genau verstand wie meinen Gastfreund, da er nicht so klar und einfach zu sprechen wußte wie dieser. Ich schritt in der Erkenntniß des Bildes vor, und es war mir, als ob es nach seinen Worten immer näher an mich heran gerückt würde. Er suchte viele Zeichnungen hervor, auf denen sich Abbildungen von Standbildern oder andern geschniz¬ ten oder auf anderem Wege hervorgebrachten Gestal¬ ten des Mittelalters befanden. Wir verglichen diese Gestalten mit der aus dem Griechenthume stammen¬ den. Auch wirkliche Gestaltungen von kleinen Engeln Heiligen oder anderen Personen, die sich in dem Ro¬ senhause oder in der Nähe befanden, suchte er zur Vergleichung herbei zu bringen. Es zeigte sich hier für meine Augen, daß das wahr sei, was mein Gast¬ freund über griechische und mittelalterliche Kunst ge¬ sagt hatte. Es war mir wie ein jugendlicher und doch männlich gereifter Sinn voll Maß und Beson¬ nenheit so wie voll herrlicher Sinnfälligkeit, der aus dem Griechenwerke sprach. In den mittelalterlichen Gebilden war es mir ein liebes einfaches argloses Gemüth, das gläubig und innig nach Mitteln grif, sich auszusprechen, der Mittel nicht völlig Herr wurde, dies nicht wußte, und doch Wirkungen hervorbrachte, die noch jezt ihre Macht auf uns äußern, und uns mit Staunen erfüllen. Es ist die Seele, die da spricht, und in ihrer Reinheit und in ihrem Ernste uns mit Bewunderung, erfüllt, während spätere Zeiten, von denen Eustach zahlreiche Abbildungen von Bildwerken vorlegte, troz ihrer Einsicht ihrer Aufgeklärtheit und ihrer Kenntniß der Kunstmittel nur frostige Gestalten in unwahren Flattergewändern und übertriebenen Geberden hervorbrachten, die keine Glut und keine Innigkeit haben, weil sie der Künstler nicht hatte, und die nicht einmal irgend eine Seele zeigen, weil der Künstler nicht mit der Seele arbeitete, sondern mit irgend einer Überlegung nach eben herrschenden Gestaltungsansichten, weßhalb er das, was ihm an Gefühl abging, durch Unruhe und Heftigkeit des Werkes zu ersezen suchte. Was die Sinnfälligkeit an¬ langt, so schien mir das Mittelalter nicht nach Voll¬ endung in derselben gestrebt zu haben. Neben einem Haupte, das in seiner Einfachheit und Gegenständ¬ lichkeit trefflich und tadellos war, befinden sich wieder Bildungen und Gliederungen, die beinahe unmög¬ lich sind. Der Künstler sah dies nicht; denn er fand den Zustand seines Gemüthes in dem Ausdrucke sei¬ nes Werkes, mehr hatte er nicht beabsichtiget, und nach Verschmelzung des Sinnenthumes strebte er nicht, weil es ihm, wenigstens in seiner Kunstthätigkeit, ferne lag, und er einen Mangel nicht empfand. Da¬ rum stellt sich auch bei uns die Wirkung der Inner¬ lichkeit ein, obgleich wir unähnlich dem schaffenden Künstler des Mittelalters die sinnlichen Mängel des Werkes empfinden. Dies spricht um so mehr für die Trefflichkeit der damaligen Arbeiten. Es waren recht schöne Tage, die ich mit Eustach in diesen Verglei¬ chungen und diesen Bestrebungen hinbrachte. Ich wurde auch wieder auf die Gemälde alter und längstvergangener Zeiten zurückgeführt. Ich hatte in meiner frühesten Jugend eine Abneigung vor alten Gemälden gehabt. Ich glaubte, daß in ihnen eine Dunkelheit und Düsterheit herrsche, die dem fröhlichen Reize der Farben, wie er in den neuen Bildern sich vorstellt, und wie ich ihn auch in der Natur zu sehen meinte, entgegen und weit untergeordnet sei. Diese Meinung hatte ich zwar fahren gelassen, als ich selber zu mahlen begonnen, und nach und nach gesehen hatte, daß die Dinge der Natur und selber das mensch¬ liche Angesicht die heftigen Farben nicht haben, die sich in dem Farbekasten befinden, daß aber dafür die Natur eine Kraft des Lichtes und des Schattens besize, die wenigstens ich durch alle meine Farben nicht darzustellen vermochte. Deßohngeachtet war mir die Erkenntniß dessen, was die Malerkunst in früheren Zeiten hervorgebracht hatte, nicht in dem Maße auf¬ gegangen, als es der Sache nach nothwendig gewesen wäre. Wenn ich gleich im Einzelnen vorgeschritten war, und manches in alten Bildern als sehr schön er¬ kannt hatte, so war ich doch fort und fort zu sehr in meinen Bestrebungen auf dem Gebiethe der Natur be¬ fangen, als daß ich auf andere Gebilde als die der Natur mit kräftiger Innerlichkeit geachtet hätte. Da¬ rum erschienen mir Pflanzen Faltern Bäume Steine Wässer selbst das menschliche Angesicht als Gegen¬ stände, die würdig wären, von der Malerkunst nach¬ gebildet zu werden; aber alte Bilder erschienen mir nicht als Nachbildungen sondern gewissermaßen als kostbare Gegenstände, die da sind, und auf denen sich Dinge befinden, die man gewohnt ist als auf Ge¬ mälden befindliche zu sehen. Diese Richtung hatte für mich den Nuzen, daß ich bei meinen Versuchen, Gegenstände der Natur zu malen, nicht in die Nach¬ ahmung irgend eines Meisters verfiel, sondern daß meine Arbeiten mit all ihrer Fehlerhaftigkeit etwas sehr Gegenständliches und Naturwahres hatten; aber es erwuchs mir auch der Nachtheil daraus, daß ich nie aus alten Meistern lernte, wie dieser oder jener die Farben und Linien behandelt habe, und daß ich mir alles selber mühevoll erfinden mußte, und in Vielem gar zu einem Ziele nicht gelangte. Obwohl ich später der Betrachtung mittelalterlicher Gemälde mich mehr zuwandte, und sogar im Winter viele Zeit in Gemäldesammlungen unserer Stadt zubrachte, so war doch mein früherer Zustand noch mehr oder we¬ niger unbewußt vorherrschend, und die Kunst des Pinsels fand von mir nicht die Hingabe, die sie ver¬ dient hätte. Als ich jezt mit Eustach die Zeichnungen mittelalterlicher bildender Kunst durchging, als ich mit ihm ein mir wie ein neues Wunder aufgegange¬ nes Werk des alten Griechenthums betrachtete, als ich dieses Werk mit den minder alten unserer Vorfah¬ ren verglich, und die Unterschiede und Beziehungen einsehen lernte: da fing ich auch an, die Gemälde meines Gastfreundes anders zu betrachten, als ich bisher sie und andere Gemälde betrachtet hatte. Ich ging nicht nur oft in sein Bilderzimmer, und verweilte lange Zeit in demselben, sondern ich ließ mir auch das Verzeichniß der Bilder geben, um nach und nach die Meister kennen zu lernen, die er versammelt hatte, ich bath, daß mir erlaubt werde, mir das eine oder andere Bild, wie ich es eben wünschte, auf die Staf¬ felei stellen zu dürfen, um es so kennen zu lernen, wie mich ein innerer Drang trieb, und ich brachte oft mehrere Tage in Untersuchung eines einzigen Bildes zu. Welch ein neues Reich öffnete sich vor meinen Blicken! Wie die Dichter mir eine Welt der Seele aufschlossen, so lag hier wieder eine Welt, es war Stifter , Nachsommer. II . 10 wieder eine Welt der Seele, wieder dieselbe Welt der hochgehenden Seele der Dichtkunst; aber mit wie ganz anderen Mitteln war sie hier erstrebt und er¬ reicht. Welche Kraft welche Anmuth welche Fülle welche Zartheit, und wie war dem Schöpfer eine ähn¬ liche eine gleiche aber menschliche Schöpfung nachge¬ schaffen. Ich lernte die Beziehungen der alten Ma¬ lerei — mein Freund hatte fast lauter alte Bilder — zu der Natur kennen. Ich lernte einsehen, daß die alten Meister die Natur getreuer und liebvoller nach¬ ahmten als die neuen, ja daß sie im Erlernen der Züge der Natur eine unsägliche Ausdauer und Ge¬ duld hatten, vielleicht mehr, als ich empfand, daß ich selber hätte, und vielleicht mehr, als mancher Kunstjünger der Gegenwart haben mag. Ich konnte nicht aburtheilen, da ich zu wenige Werke der Gegen¬ wart kannte und so betrachtet hatte, als ich jezt ältere Bilder betrachtete; aber es schien mir ein größeres Eingehen in das Wesen der Natur kaum möglich. Ich begrif nicht, wie ich das so lange nicht in dem Maße hatte sehen können, als ich es hätte sehen sol¬ len. Wenn aber auch die Alten, wie ich hier mit ihnen umging, sich der Wirklichkeit sehr beflißen, und sich ihr sehr hingaben, so ging das doch nicht so weit, als ich bei der Abbildung meiner naturwissenschaft¬ lichen Gegenstände geschritten war, von denen ich alle Einzelheiten, so weit es nur immer möglich gewesen war, zu geben gesucht hatte. Dies wäre, wie ich ein¬ sah, der Kunst hinderlich gewesen, und statt einen ruhigen Gesammteindruck zu erzielen, wäre sie in lau¬ ter Einzelheiten zerfallen. Die Meister, welche mein Gastfreund in seiner Sammlung besaß, verstanden es, das Einzelne der Natur in großen Zügen zu fassen, und mit einfachen Mitteln — oft mit einem einzigen Pinselstriche — darzustellen, so daß man die kleinsten Merkmale zu erblicken wähnte, bei näherer Betrach¬ tung aber sah, daß sie nur der Erfolg einer großen und allgemeinen Behandlung waren. Diese große Behandlung sicherte ihnen aber auch Wirkungen im Großen, die dem entgehen, welcher die kleinsten Glie¬ derungen in ihren kleinsten Theilen bildet. Ich sah erst jezt, welche schöne Gestalten aus dem menschlichen Geschlechte auf der Malerleinwand lebten, wie edel ihre Glieder sind, wie manigfaltig — strahlend kräf¬ tig geistvoll milde — ihr Antliz, wie adelig ihre Ge¬ wänder, und wäre es eine Bettlerjacke, und wie tref¬ fend die Umgebung. Ich sah, daß die Farbe der An¬ gesichter und anderer Theile das leuchtende Licht 10 * menschlicher Gestaltungen ist, nicht der Farbestoff, mit dem der Unkundige seinen Gebilden ein widriges Roth und Weiß gibt, daß die Schatten so tief gehen, wie sie die Natur zeigt, und daß die Umgebung eine noch größere Tiefe hat, wodurch jene Kraft erzielt wird, die sich der nähert, welche die Schöpfung durch wirklichen Sonnenschein gibt, den niemand malen kann, weil man den Pinsel nicht in Licht zu tauchen vermag, eine Kraft, die ich jezt an den alten Bildern so bewunderte. Von der außermenschlichen Natur sah ich leuchtende Wolken klare Himmelsgebilde ra¬ gende reiche Bäume gedehnte Ebenen starrende Felsen ferne Berge helle dahinfließende Bäche spiegelnde Seen und grüne Weiden, ich sah ernste Bauwerke und ich sah das sogenannte stille Leben in Pflanzen Blumen Früchten in Thieren und Thierchen. Ich be¬ wunderte das Geschick und den Geist, womit alles zurechtgelegt und hervorgebracht ist. Ich erkannte, wie unsere Vorfahren Landschaften und Thiere mal¬ ten. Ich erstaunte über den zarten Schmelz, womit einer mittelst Überfarben seinen Gebilden eine Durch¬ sichtigkeit gab, oder über die Stärke, womit ein an¬ derer undurchsichtige Farben hinstellte, daß sie einen Berg bildeten, der das Licht fängt und spiegelt, und es so zwingt, das Bild mit zu malen, zu dem ein Licht in dem Farbenkasten nicht war. Ich erkannte, wie der eine in durchsichtigen Farben untermalte, und auf diese seine festen körperigen Farben aufsezte, oder wie ein anderer Farbe auf Farbe mit breitem Pinsel hinstellt, und mit ihm die Übergänge vermittelt, und mit ihm die Zeichnung umreißt. Daß alte Bilder dü¬ sterer sind, erschien mir einleuchtend, da das Öhl die Farben nachdunkeln macht, und der Firniß eine dunkle bräunliche Farbe erhält. Beides haben umsichtige Meister mehr als voreilige zu vermeiden gewußt, und mein Gastfreund hatte Bilder, die in schöner Pracht und Farbenherrlichkeit leuchteten, obwohl auch bei ihnen die Würde bewahrt blieb, daß sie mehr die Kraft des Tones als auffallende oder etwa gar un¬ wahre Farben brachten. Da ich schon viel mit Farben beschäftigt gewesen war, so verweilte ich oft lange bei einem Bilde, um zu ergründen, wie es gemalt ist, und auf welche Weise die Stoffe behandelt worden sind. In dem Rosenzimmerchen Mathildens, wohin mich mein Gastfreund führte, um auch dort die Bil¬ der zu sehen, hingen vier kleine Gemälde, davon zwei von Tizian waren, eines von Dominichino und eines von Guido Reni. Sie waren an Größe fast gleich und hatten gleiche Rahmen. Sie waren die schönsten, die mein Gastfreund besaß. Je mehr man sie be¬ trachtete, desto mehr fesselten sie die Seele. Ich bath ihn fast zu oft, mir diese vier Bildchen zu zeigen, und er ermüdete nicht, mir immer die Frauengemächer auf¬ zuschließen, mich in das Zimmerchen zu führen, mich die Bilder betrachten zu lassen, und mit mir darüber zu sprechen. Er nahm sie öfter herab, und stellte sie auf dem Tische oder auf einem Sessel so auf, daß sie in dem besten Lichte standen. Ich brachte merkwürdige Tage in jener Zeit in dem Rosenhause meines Freun¬ des zu. Mein Wesen war in einer hohen in einer edlen und veredelnden Stimmung. Ich fragte ihn einmal, woher er denn die Bilder erhalten habe. „Sie sind recht nach und nach in das Haus ge¬ kommen, wie es der Sammelfleiß und mitunter auch der Zufall gefügt hat,“ antwortete er. „Ich habe von einem Oheime mehrere geerbt; sie waren aber nicht die besten, wie ich sie jezt habe, ich verkaufte einen Theil davon, um mir andere wenn auch wenigere aber bessere zu kaufen. Ich habe euch schon einmal gesagt, daß ich in Italien gewesen bin. Ich habe drei Reisen in dieses Land gemacht. Da hat sich manches gefunden. Ich habe stets nach Bildern gesucht, habe Manches gekauft, Manches wieder verkauft, Neues gekauft, und so war ein fortlaufender Wechsel, bis es so wurde, wie es jezt ist. Nun aber verkaufe oder ver¬ tausche ich nichts mehr, selbst wenn mir etwas Außer¬ ordentliches vorkäme, das ich nicht ohne Weggabe eines Früheren erkaufen könnte. Mit dem Alter wird man so anhänglich an das Gewohnte, daß man es nicht missen kann, wenn es auch verbraucht zu werden beginnt und verschossen und verschollen ist. Ich lege alte Kleider nicht gerne ab, und wenn ich eines der Bilder, die mich nun so lange umgeben, aus dem Hause lassen müßte, so würde ich einem großen Schmerze nicht entgehen. Sie mögen nun bleiben, wie sie sind, und wo sie sind, bis ich scheide. Selbst der Gedanke, daß ein Nachfolger die Bilder so lasse und sie ehre, wie sie hier sind, hat für mich etwas sehr Angenehmes, obwohl er thöricht ist, und ich ihm aus dem Wege gehe; denn darin besteht das Leben der Welt, daß ein Streben und Erringen und darum ein Wandel ist, welcher Wandel auch hier eintreten wird. Ich habe auch längere Zeit schon nichts mehr gekauft, außer einer recht lieben kleinen Landschaft von Ruysdael, die neben der Thür im Bilderzimmer hängt, und die ihr so gerne anschaut. Ich würde nur etwas sehr Werthvolles kaufen, in so ferne es meine Kräfte zuließen. Ich habe oft Jahre lang auf ein Bild war¬ ten müssen, das mir sehr gefiel, und das ich zu haben wünschte, entweder, weil der Besizer eigensinnig war, und, obwohl er das Bild weggeben wollte, doch Be¬ dingungen an die Hingabe knüpfte, die nicht zu erfül¬ len waren, oder weil er sich von dem Bilde nicht tren¬ nen wollte, obgleich er es mißhandelte und zu Grunde gehen ließ. Zuweilen mußte ich schlechtere Bilder kaufen, die durch Farbenreiz oder andere Eigenschaf¬ ten das Auge ansprachen, um einen Vorrath zum Tausche zu haben. Es gibt nehmlich Leute, welche Freude an Bildern haben, welche ältere bedeutende Bilder nicht weggeben, wenn sie solche besizen, sie aber doch nicht erkennen und sie durch schlechte Be¬ handlung Schaden leiden lassen. Sie ziehen ein Ge¬ mälde vor, welches sie besser verstehen, welches ihnen mehr gefällt, wenn es auch im Werthe minder ist, und sind zu einem Tausche bereit. Dieser macht ihnen Freude, und wenn ich ihnen darlegte, daß ihr Ge¬ mälde einen höheren Werth habe als das meinige, und wenn ich diesen Werth nach genauer Schäzung durch Geld ausglich, so war das Vergnügen noch größer; denn sie zweifelten doch immer, ob ich Recht habe, und das alte Bild nicht aus Vorliebe über¬ schäze, da ihnen ja ihre Augen sagten, daß der Un¬ terschied nicht so groß sei. Auf diese Weise bekam ich manches Angenehme, ohne meinem Billigkeitsgefühle nahe treten zu müssen, was bei Bildergeschäften so leicht der Fall wird. Die heilige Maria mit dem Kinde, welche euch so wohl gefällt, und welche ich beinahe eine Zierde meiner Sammlung nennen möchte, hat mir Roland auf dem Dachboden eines Hauses gefunden. Er war dorthin mit dem Eigenthümer ge¬ stiegen, um altes Eisenwerk, darunter sich mittelalter¬ liche Sporen und eine Klinge befanden, zu kaufen. Das Bild war ohne Blindrahmen, und war nicht etwa zusammengerollt, sondern wie ein Tuch zusam¬ mengelegt, und lag im Staube, Roland konnte nicht genau erkennen, ob es einen Werth habe, und kaufte es dem Manne um ein Geringes ab. Ein Soldat hatte es einmal aus Italien geschickt. Er hatte es als bloße Packleinwand benüzt, und hatte Wäsche und alte Kleider in dasselbe gethan, die ihm zu Hause ausgebessert werden sollten. Darum hatte das Bild Brüche, wo nehmlich die Leinwand zusammengelegt gewesen war, an welchen Brüchen sich keine Farbe zeigte, da sie durch die Gewalt des Umbiegens weg¬ gesprungen war. Auch hatte man, da wahrscheinlich die Fläche zum Zwecke einer Umhüllung zu groß ge¬ wesen war, Streifen von ihr weggeschnitten. Man sah die Schnitte noch ganz deutlich, während die an¬ deren Ränder sehr alt waren, und noch die Spuren von den Nägeln zeigten, mit denen sie einst an den Blindrahmen befestigt gewesen waren. Auch war, durch die Mißhandlungen der Zeiten herbeigeführt, an andern Stellen als an denen der Brüche, die Farbe verschwunden, so daß man nicht nur den Grund des Gemäldes sondern hie und da auch die lediglichen nack¬ ten Fäden der alten Leinwand sehen konnte. So kam das Bild auf dem Asperhofe an. Wir breiteten es zu¬ erst auseinander, wuschen es mit reinem Wasser, und mußten dann, um es als Fläche zu erhalten und es betrachten zu können, Gewichte auf seine vier Ecken legen. So lag es auf dem Fußboden des Zimmers vor uns. Wir erkannten, daß es das Werk eines ita¬ lienischen Malers sei, wir erkannten auch, daß es aus älterer Zeit stamme; aber von welchem Künstler es herrühre, oder auch nur aus welcher Zeit es sei, war nach dem Zustande, in welchem die Malerei sich be¬ fand, durchaus nicht zu bestimmen. Theile, welche ganz waren, ließen indessen ahnen, daß das Gemälde einen nicht zu geringen Werth haben dürfte. Wir gingen nun daran, ein Brett zu verfertigen, auf wel¬ ches das Bild geklebt werden könnte. Wir bereiten solche Bretter gewöhnlich aus Eichenholz, das aus zwei übereinanderliegenden Stücken, deren Fasern auf einander senkrecht sind, und einem Roste besteht, da¬ mit dem sogenannten Werfen oder Verbiegen des Holzes vorgebeugt werde. Als das Brett fertig und die Verkittung an demselben vollkommen ausgetrock¬ net war, wurde das Gemälde auf dasselbe aufgezo¬ gen. Wir hatten dort, wo die Ränder des Bildes weggeschnitten waren, die Holzfläche größer gemacht, und die neu entstandenen Stellen mit passender Lein¬ wand gut ausgeklebt, um dem Gemälde annähernd wieder eine Gestalt geben zu können, die es ursprüng¬ lich gehabt haben mochte, und in der es sich den Augen wohlgefällig zeigte. Hierauf wurde daran ge¬ gangen, das Bild von dem alten hie und da noch vorfindlichen Firnisse und von dem Schmuze, den es hatte, zu reinigen. Der Firniß war durch die ge¬ wöhnlichen Mittel leicht wegzubringen, nicht so leicht aber der durch Jahrhunderte veraltete Schmuz, ohne daß man in Gefahr kam, auch die Farben zu beschä¬ digen. Das gereinigte auf der Staffelei stehende Ge¬ mälde wies uns nun eine viel größere Schönheit, als es uns nach der ersten oberflächlichen Waschung ge¬ zeigt hatte; aber es war durch die vielen Sprünge Risse und nackten Stellen noch so verunstaltet, daß eine genaue Würdigung auch jezt nicht möglich war, selbst wenn wir bedeutend größere Erfahrungen ge¬ habt hätten, als wir hatten. Roland und Eustach schritten zur Ausbesserung. Kein Ding kann schwie¬ riger sein, und durch keins sind Gemälde so sehr ent¬ stellt und entwerthet worden. Ich glaube, wir haben einen nicht unrichtigen Weg eingeschlagen. Eine ur¬ sprüngliche Farbe durfte gar nicht bedeckt werden. Zum Glücke hatte das Bild gar nie eine Ausbesserung oder sogenannte Übermalung erhalten, so daß entwe¬ der nur die ursprüngliche Farbe vorhanden war oder gar keine. In die farbentblößten Stellen wurde die Farbe, welche die umgrenzenden Ränder zeigten, gleichsam wie ein Stift eingesezt, bis die Grube er¬ füllt war. Wir nahmen die Farben so trocken als möglich und so dicht gerieben, als es der Laufer auf dem Steine, ohne stecken zu bleiben, zuwege bringen konnte. Wenn sich aber doch wieder nach dem Trock¬ nen eine Vertiefung zeigte, wurde dieselbe neuerdings mit der nehmlichen Farbe ausgefüllt, und so fortge¬ fahren, bis eine Höhlung nicht mehr entstand. Er¬ höhungen, die blieben, wurden mit einem feinen Messer gleichgeschliffen. Auch über unausrottbaren Schmuz wurde die Farbe seiner Umgebung gelegt. Wenn die Farbe nach längerer Zeit durch das Öhl, das sie enthielt, und durch andere Ursachen, die viel¬ leicht noch mitwirken, nachgedunkelt war, und sich in dem Gemälde als Fleck zeigte, wurde mit äußerst trockener Farbe und mit der Spize eines feinen Pin¬ sels die Stelle so lange gleichsam ausgepunktet, bis sie sich von der Umgebung durchaus nicht mehr un¬ terschied. Dieses Verfahren wurde zuweilen mehrere Male wiederholt. Zulezt konnte man mit freien Augen die Pläze, an welchen sich neue Farben befanden, gar nicht mehr erkennen. Nur das Vergrößerungsglas zeigte noch die Ausbesserungen. Wir brachten Jahre mit diesem Verfahren zu, besonders da Zwischenzeiten waren, die mit andern Arbeiten ausgefüllt werden mußten, und da unser Vorgehen selber Zwischenzeiten bedingte, in denen die Farben auszutrocknen hatten, oder in denen man ihnen Zeit geben mußte, die Ver¬ änderungen zu zeigen, die nothwendig bei ihnen ein¬ treten müssen. Dafür aber war an dem vollendeten Gemälde nicht zu merken, daß es nicht in allen Thei¬ len ein altes sei, es hatte die feinen Sprünge alter Bilder und hatte alle die Reinheit und Klarheit des Pinsels, der es ursprünglich geschaffen hatte. Wenn man alte Bilder bei Ausbesserungen übermalt und dadurch stimmt, so ist nicht selten ein Überzug über die feinen Linien, welche die Zeit in alte Bilder sprengt, und dieser Überzug zeigt nicht nur, daß das Bild aus¬ gebessert worden ist, sondern er stellt auch einen fei¬ nen Schleier dar, der über die Farben gebreitet ist, und sie trüb und undurchsichtig macht. Solche Bilder geben oft einen düstern unerfreulichen und schwer¬ lastenden Eindruck. Es werden viele unser Thun in Herstellung alter Bilder unbedeutend und unerheblich nennen, besonders da es so viele Zeit und so viele Anstalten erforderte; uns aber machte es eine große und eine innige Freude. Ihr werdet es gewiß nicht tadeln, da ihr einen so großen Antheil an den Her¬ vorbringungen der Kunst zu nehmen beginnt. Wenn nach und nach die Gestalt eines alten Meisters vor uns aufstand, so war es nicht blos das Gefühl eines Erschaffens, das uns beseelte, sondern das noch viel höhere eines Wiederbelebens eines Dinges, das sonst verloren gewesen wäre, und das wir selber nicht hät¬ ten erschaffen können. Als schon bereits einige Theile des Bildes fertig waren, zeigte es sich, daß die Far¬ ben reiner und glänzender seien, als wir gedacht hat¬ ten, und daß das Bild einen vorzüglicheren Werth habe, als Anfangs unsere Vermuthung war. So lange die vielen Sprünge und farblosen Stellen und so lange die unreinen Flecke, die wir nicht hatten be¬ seitigen können, auf dem Gemälde waren, übten sie auch auf das Nichtzerstörte und sogar auf das sehr wohl Erhaltene einen Einfluß aus, und ließen es im Ganzen mißfärbiger erscheinen, als es war. Nachdem aber in einer ziemlich großen Fläche die widerstreiten¬ den Stellen mit den entsprechenden Farben zugedeckt waren, und die neue Farbe die alte, statt ihr zu wi¬ dersprechen, unterstüzte, so kam eine Reinheit ein Schmelz eine Durchsichtigkeit und sogar ein Feuer zu Stande, daß wir in Erstaunen geriethen; denn bei starkbeschädigten Bildern kann man die Folgerichtig¬ keit der Übergänge nicht beurtheilen, bis man sie nicht vollendet vor sich hat. Freilich mochte der besondere Farbenfluß sich noch höher darstellen, da er von den unverbesserten und widerwärtigen Stellen umgeben und gehoben wurde; aber das war schon vorauszu¬ sehen, daß, wenn das ganze Bild fertig sein würde, seine Stimmung einen entschieden künstlerischen Ein¬ druck machen müsse. Ich hatte während der Arbeit viele Mühe darauf verwendet, die ganze Geschichte und die Herkunft des Bildes zu erforschen; allein ich kam zu keinem Ergebnisse. Der Soldat, der die Lein¬ wand aus Italien geschickt hatte, war längst gestor¬ ben, und es lebte überhaupt niemand mehr, der in näherer Beziehung zu dem Ereignisse gestanden wäre; denn dasselbe hatte sich weit früher zugetragen, als ich gedacht hatte. Der Großvater des lezten Besizers des Bildes hatte öfter erzählt, daß er sagen gehört habe, daß ein aus dem Hause gebürtiger Soldat ein¬ mal seine Strümpfe und Hemden in ein Muttergot¬ tesbild eingewickelt aus Welschland nach Hause ge¬ schickt habe. Die Wahrheit der Erzählung bestättigte sich dadurch, daß man noch das alte zerstörte Ma¬ rienbild auf dem Dachboden des Hauses fand. Ich konnte auch nicht ergründen, welche Gelegenheit es gewesen sei, die jenen deutschen Soldaten nach Welsch¬ land geführt hatte. Von dem, herauszufinden, aus welcher Gegend Italiens das Bild gekommen sei, konnte nun vollends gar keine Rede mehr sein. Als nach langer Zeit nach vieler Mühe und mancher Un¬ terbrechung das Gemälde in einem schönen alterthüm¬ lich gearbeiteten Goldrahmen fertig vor uns stand, war es eine Art Fest für uns. Roland war herbei ge¬ rufen worden, da er gegen den Schluß des Werkes eine Reise angetreten, und die Vollendung seinem Bruder überlassen hatte. Mehrere Nachbaren waren geladen worden, ja ein Freund und Kenner alter Kunst, dem ich die Sache gemeldet hatte, war sogar von ziemlich weiter Entfernung herzugekommen, um die Wiederherstellung zu sehen, und andere, wenn sie auch nicht geladen waren, hatten sich eingefunden, da sie durch Zufall Kenntniß von der Begebenheit er¬ halten hatten, und wußten, daß sie auf dem Asper¬ hofe nicht unwillkommen sein würden. Es ist nicht wahr, was man öfter sagt, daß eine schöne Frau ohne Schmuck schöner sei als in demselben: und eben so ist es nicht wahr, daß ein Gemälde zu seiner Geltung nicht des Rahmens bedürfe. Ich hatte zu unserem Marienbilde einen Rahmen nach Zeichnungen aus mittelalterlichen Gegenständen bestellt, und hatte des¬ sen Ausführung gelegentlich, wenn mich ein Geschäft oder mein Wille in die Stadt brachte, überwacht. Er war weit eher auf dem Asperhofe angekommen, als das Bild fertig war, und mußte die Zeit über in seiner Kiste verpackt harren. Wir versuchten auch Stifter , Nachsommer. II. 11 nicht ein einziges Mal das Bild in ihn zu fügen, ehe es fertig war, um den Eindruck nicht zu schwächen. Bei neuen Bildern zeigt freilich der Rahmen erst, daß noch manches hinzuzufügen und zu ändern ist, und vieles muß an solchen Bildern erst gemacht wer¬ den, wenn man sie bereits in einem Rahmen gesehen hat. Bei alten Bildern, die wiederhergestellt werden, ist das anders, besonders, wenn sie auf unsere Weise hergestellt werden. Da gibt das Vorhandene den Weg der Herstellung an, man kann nicht anders malen, als man malt, und die Tiefe das Feuer und der Glanz der Farben ist daher durch das bereits auf der Lein¬ wand Befindliche bedingt. Wie dann das Bild in einem Rahmen aussehen werde, liegt nicht in der Willkühr des Wiederherstellers, und wenn es in dem Rahmen trefflich oder minder gut steht, so ist das Sache des ursprünglichen Meisters, dessen Werk man nicht ändern darf. Als unsere Maria, welche noch nicht einmal einen Firniß erhalten hatte, aus den alter¬ thümlichen Gestalten des Rahmens, die sehr paßten, heraussah, so war es ein wunderbarer Anblick, und erst jezt sahen wir, welche Lieblichkeit und Kraft der alte Meister in seinem Bilde dargelegt hatte. Ob¬ wohl der Rahmen erhabene Arbeit in Blumen Ver¬ zierungen und sogar in Theilen der menschlichen Ge¬ stalt enthielt, und auf demselben Glanzlichter von star¬ ker Wirkung angebracht waren, so erschien das Bild doch nicht unruhig, ja es beherrschte den Rahmen, und machte seinen Reichthum zu einer anmuthigen Man¬ nigfaltigkeit, während es selber durch seine Gewalt sich geltend machte, und in den erhebenden Farben von würdigem Schmucke umgeben thronte. Ein leiser Ruf entschlüpfte den Lippen aller Anwesenden, und ich freute mich, daß ich mich nicht getäuscht hatte, als ich auf die Macht des Bildes rechnend einen so reichen Rahmen für dasselbe bestellt hatte. Wir stan¬ den lange davor, und betrachteten die Schönheit der Farbengebung an den entblößten Theilen so wie die der Gewandung und der Gründe, was im Vereine mit der Einfachheit und Hoheit der Linienführung und mit der maßvollen Anordnung der Flächen ein so würdevolles und heiliges Ganzes bildete, daß man sich eines tiefen Ernstes nicht erwehren konnte, der wie wahrhaftige Andacht war. Erst später fingen wir zu sprechen an, beredeten dieses und jenes, und ka¬ men, wie es natürlich war, dahin, Vermuthungen über den Meister zu wagen. Es wurde Guido Reni genannt, es wurde Tizian genannt, es wurde die 11 * Rafaelische Schule genannt. Für alles hatte man Gründe, und der Schluß war, wie er es auch noch heute ist, daß man nicht wußte, von wem das Bild sei. Roland war außerordentlich vergnügt, daß er die Sache in ihrer Entstellung schon geahnt, und durch den Kauf eine so zweckmäßige Handlung ausgeführt habe. Damals war er noch außerordentlich jung, er war bei Weitem nicht so eingeübt wie jezt, und war daher seiner Handlung nicht ganz sicher. Eustach sah man es an, daß ihm, wie der Volksausdruck sagt, das Herz vor Freude lache. Eine freundliche Bewir¬ thung meiner Gäste war damals das Ende des Ta¬ ges. Wir suchten in der folgenden Zeit eine Stelle, an welcher das Bild am vortheilhaftesten aufgehängt werden könnte. Roland erhielt eine Belohnung in einem Werke, das er sich schon längst gewünscht hatte, und Eustach, das sah ich wohl, fand seine schönste Befriedigung darin, daß er näher in unsere Kunst¬ kreise gezogen wurde. Dem Manne, von welchem das Bild in seinem verstümmelten Zustande gekauft worden war, gab ich noch eine Summe, mit welcher er weit über seine Erwartung abgefunden war; denn das Bild hätte er doch nie herstellen lassen können, er wäre auch auf den Gedanken nicht gekommen, und ohne Roland wäre das Bild nicht verkauft worden, bis es immer mehr verfallen, und einmal vernichtet worden wäre. Oft stand ich in späteren Zeiten noch davor, und hatte manche Freude in Betrachtung des Werkes. Ich sah das Angesicht und die Hände der Mutter an, und sah das theils nackte theils durch schöne Tücher schicklich verhüllte Kind. Ein dem Lande Italien so häufig zukommendes Zeichen ist es, daß das Kind nicht in den Armen der Mutter gehal¬ ten wird, sondern daß es mit schönem Hinneigen zu derselben und von ihr leicht und sanft umfaßt auf einem erhöhten Gegenstande vor ihr steht. Der Künst¬ ler hat dadurch nicht nur Gelegenheit gefunden, den Körper des Kindes in einer weit schöneren Stellung zu malen, als wenn er von der Mutter an ihren Bu¬ sen gehalten gewesen wäre, sondern er hat noch den weit höheren Vortheil erreicht, das göttliche Kind in seiner Kraft und in seiner Freiheit zu zeigen, was die Wirkung hat, als ehrten wir gleichsam schon die Macht, mit welcher es einstens handeln wird. Daß südliche Völker den Heiland als Kind in so großer sinnlicher Schönheit malen, hat mich immer entzückt, und wenn auf meinem Bilde das heilige Kind eher wie ein kräftiger wunderschöner Leib des Südens aus¬ sieht, so beirrt mich das nicht, sehen doch die Jesus¬ kinder und die Johanneskinder des herrlichen Rafael auch so aus, und die Wirkung ist doch eine so gewal¬ tige. Daß die Mutter, deren Mund so schön ist, die Augen gegen Himmel wendet, sagt mir nicht ganz zu. Die Wirkung, scheint mir, ist hierin ein wenig überbothen, und der Künstler legt in eine Handlung, die er seine Gestalt vor uns vornehmen läßt, eine Bedeutung, von der er nicht machen kann, daß wir sie in der bloßen Gestalt sehen. Wer durch einfachere Mittel wirkt, wirkt besser. Wenn er die Heiligkeit und Hoheit statt in die erhobenen Augen in die bloße Gestalt hätte legen können, wobei die Augen einfach vor sich hinblickten, so hätte er besser gethan. Rafael läßt seine Madonnen ruhig und ernst blicken, und sie werden Himmelsköniginnen, während so manche andere nur bethende Mädchen sind. Aus diesem möchte ich auch schließen, daß das Bild nicht aus der Rafaelschen Schule ist, so sehr die herrliche Gestalt des Kindes daran erinnert. Das Bild hängt nicht mehr dort, wo es Anfangs war. Wir haben alle Bilder mehrere Male umgehängt, und es ge¬ währt eine eigene Freude, zu versuchen, ob in einer andern Anordnung die Wirkung des Ganzen nicht eine bessere sei. Auch darüber haben wir ernste Be¬ rathungen und vielerlei Versuche angestellt, welche Farbe wir den Wänden geben sollen, daß sich die Bilder am besten von ihnen abheben. Wir blieben dann bei dem röthlichen Braun stehen, das ihr jezt noch in dem Gemäldezimmer findet. Ich lasse nun nichts mehr ändern. Die jezige Lage der Bilder ist mir zu einer Gewohnheit und ist mir lieb geworden, und ich möchte ohne übeln Eindruck die Sache nicht anders sehen. Sie ist mir eine Freude und eine Blume meines Alters geworden. Die Erwerbung der Bilder, die, wie ihr schon aus meinen früheren Worten schlie¬ ßen könnt, nicht immer so leicht war, wie die der hei¬ ligen Maria, stellt eine eigene Linie in dem Gange meines Lebens dar, und diese Linie ist mit vielem versehen, was mir theils einen freudigen theils einen trüben Rückblick gewährt. Wir sind in manche Ver¬ hältnisse gerathen, haben manche Menschen kennen gelernt, und haben manche Zeit mit Wiederherstel¬ lung der Bilder mit Verwindung von Täuschungen mit Hineinleben in Schönheiten zugebracht, wir ha¬ ben auch manche zu Zeichnungen und Entwürfen von Rahmen verwendet; denn alle Gemälde haben wir nach und nach in neue von uns entworfene Rah¬ men gethan, und so stehen nun die Werke um mich wie alte hochverehrungswürdige Freunde, die es täg¬ lich mehr werden, und die eine Annehmlichkeit und eine Wonne für meine noch übrigen Tage sind.“ Daß ich durch die Erzählung meines Gastfreun¬ des der Sammlung seiner Bilder noch mehr zugewen¬ det wurde, begreift sich. Ich lenkte meine Aufmerksamkeit nun auch auf die Kupferstiche meines Gastfreundes. Da dieselben nicht unter Glas und Rahmen waren, sondern sich in großen Laden des Tisches im Lesezimmer befanden, so konnte man sie weit bequemer betrachten als die Gemälde. Ich nahm mir zuerst die Mappen nach einander heraus, und sah alle Kupferstiche der Reihe nach an. Dann aber ging ich an eine mehr geordnete Betrachtung. So wie mein Gastfreund nicht Bücher aus dem Hause gab, wohl aber einem Gaste in sein Zimmer die verlangten bringen ließ, so that er es auch mit den Kupferstichen, nur gab er immer gleich eine ganze Mappe in ein Zimmer nicht aber leicht einzelne Blätter. Er that dies der Erhaltung und Schonung willen. Weil ich nun nicht viele Stun¬ den im Lesezimmer ununterbrochen mit Ansehen von Kupferstichen zubringen mochte, so ließ mir mein Gastfreund die einzelnen Mappen nach und nach in meine Wohnung bringen, und ich konnte die in ihnen enthaltenen Werke mit Muße betrachten, konnte diese Beschäftigung auch durch Anderes unter¬ brechen, und konnte, wenn ich die Mappe durch eine beliebige Zeit in meiner Wohnung gehabt hatte, die¬ selbe durch eine andere ersezen. Später, da ich alle Mappen genau durchsucht hatte, wobei ich mir die¬ jenigen Werke aufzeichnete, die mir ganz besonders gefielen oder die von meinem Gastfreunde und Eustach als vorzüglich bezeichnet waren, schlug ich mir bei Gelegenheit nur die eine oder die andere auf, um das eine oder andere mir sehr liebe Werk des Grabstichels zu besehen. Ich merkte mir in meinem Gedenkbuche auch diejenigen an, welche ich mir gleichfalls kaufen wollte, wenn es solche waren, die man noch im Han¬ del bekommen konnte. Ich lernte bei diesen Untersu¬ chungen die Art und Weise des Vortrags verschiede¬ ner Meister und verschiedener Zeiten kennen, und endlich auch würdigen, und ich fand wieder, wie es bei den Gemälden der Fall ist, daß mit geringen Aus¬ nahmen auch diese Kunst eine schönere Vergangenheit gehabt habe, als sie eine Gegenwart habe, ja bei den Kupferstichen konnte ich dies noch genauer kennen lernen als bei Gemälden, da mein Freund alte und neue Kupferstiche hatte, während in seinem Bilder¬ zimmer nur sehr wenige neue Bilder hingen, die Ver¬ gleichung also schwieriger war, und ich mich auf die neuen Bilder weniger erinnerte, welche ich in der Stadt gesehen hatte, und welche ich auch mit anderen Augen mochte angeschaut haben. Ich lernte die Fein¬ heiten die Großartigkeit die Schönheit die Ruhe in der Behandlung immer mehr kennen und würdigen, und beschloß, da mir Kupferstiche weit leichter zu er¬ werben waren als Gemälde, vorläufig damit zu be¬ ginnen, mir Blätter, die ich für trefflich hielt, zu kaufen, und eine Sammlung anzubahnen. Es war eine ziem¬ liche Zeit hingegangen, die ich mit Betrachtung und Einprägung der Kupferstiche und Gemälde verbrachte. Eustach war häufig bei mir, wir sprachen über die Dinge, und ich lernte täglich höher von diesem Manne denken. Ich kam während dieser Zeit auch öfter in das Schreinerhaus und andere Werkstätten, und sah zu, was da verfertiget werde. Bei diesen Veranlassungen fiel es mir auf, daß mein Gastfreund noch nicht begonnen hatte, aus dem in Wahrheit gewiß außerordentlich schönen Marmor, den ich ihm gebracht hatte, dessen Schönheit ich ganz gewiß zu beurtheilen verstand, und der ihm selber viele Freude gemacht zu haben schien, etwas verferti¬ gen zu lassen. Ich konnte auch den Marmor in dem Rosenhause gar nicht auffinden. Er war in dem Vor¬ rathshause gelegen, wo sich auch öfter Steine von mir befunden hatten. Jezt war er nicht mehr dort. War er, um nicht Verlezungen zu erfahren, in einen anderen sichereren Ort gebracht worden, oder hatte man ihn doch irgendwohin gesendet, wo an ihm ge¬ arbeitet wurde? Das Lezte war nicht denkbar, da mein Gastfreund alle Dinge aus Holz und Stein in seinem Hause arbeiten ließ, wozu auch nicht nur die Vorrichtungen und Werkzeuge vorhanden waren, son¬ dern wohin auch zu jeder Zeit die etwa noch man¬ gelnden Arbeitskräfte gezogen werden können. Ich machte eines Tages eine Reise in das Lauter¬ thal, und hielt mich einige Zeit in demselben auf. Es war nicht, um meine gewöhnliche Beschäftigung dort vorzunehmen, sondern um nach den Arbeiten mit meinem Marmor zu sehen. In der Nähe des Ahorn¬ gasthauses — etwa zwei Wegestunden von demselben entfernt — befand sich die Anstalt, in welcher Marmor gesägt und geschliffen wurde, und in welcher man ver¬ schiedene Dinge aus Marmor verfertigte. Der Ort hieß das Rothmoor, weßhalb, konnte ich nicht ergründen; denn es war überall Gestein und rauschendes Wasser, und von einem Moore war auf Meilen in der Länge und Breite nichts zu finden; aber der Ort hieß so. Es befanden sich dort mehrere Stücke Marmor von mir, damit aus denselben etwas für den Vater ge¬ macht würde. Das größte Stück war fast rosenroth, und es sollte daraus ein Wasserbecken für den Garten werden. Das Becken aber hatte ich selber entworfen. Aus großer Vorliebe für Gewächse hatte ich seine Ge¬ stalt aus dem Gewächsreiche genommen. Es war ein Blatt, welches dem der Einbeere sehr ähnlich war, in welchem die glänzende dunkelschwarze Kugel liegt. Ich hatte das Blatt nach einem wirklichen aus Wachs gebildet, nur die Auszackung machte ich geringer und die Tiefe größer. Das Wachsblatt wurde von einem Arbeiter, der des Gestaltens sehr kundig war, in Gips bedeutend größer nachgebildet, und nach dem Gipsblatte sollte das Marmorbecken gearbeitet wer¬ den. In der Tiefe desselben sollte wie bei dem Ein¬ beerenblatte die Kugel liegen, und aus einem Stiele, der sich über das Blatt erhebt, soll das Wasser in einem feinen Strahle in das Blatt springen. Das Blatt selber sollte von Rosenmarmor der Stamm und Stengel von einem anderen dunkleren sein. Ich be¬ strebte mich in dem Rothmoore nachzusehen, wie weit die Arbeit gediehen sei, und versuchte durch Bespre¬ chungen für größere Leichtigkeit und Reinheit einzu¬ wirken. Aus anderem Marmor sollten andere Dinge verfertigt werden. Zuerst das Pflaster um die Ein¬ beere herum. Das Blatt sollte sein Wasser auf die¬ ses Pflaster hinabgießen, dasselbe sollte auf seiner Ebene eine sanfte Rinne bilden, um das Wasser wei¬ ter zu leiten. Die Farbe des Pflasters sollte blaß gelb¬ lich sein. Ich hatte eine erklekliche Anzahl Stücke hiezu zusammengebracht. Für eine Laube in dem Gar¬ ten hatte ich die Platte eines Tischchens beabsichtigt. Sonst waren noch kleine Tragsteine ein paar Simse und Briefbeschwerer im Werke. Die Sachen waren in Arbeit. Als Daraufgabe war ein Nest, in welchem zwei Eier lagen, deren Marmor fast täuschend die Farbe von Kibizeiern hatte. Ich war mit den Arbeiten, so weit sie jezt gediehen waren, sehr zufrieden. Der Stein zu dem Becken war nicht nur in seine allgemeine Gestalt geschnitten wor¬ den, sondern das Blatt war in rohen Umrissen fertig, so daß zur feineren Ausfeilung und zur Glättung ge¬ schritten werden konnte. Es arbeiteten zwei Menschen ausschließlich an diesem Gegenstande. Mit dem Gipsvorbilde ließ ich noch einige Veränderungen vor¬ nehmen. Es war mir nicht leicht genug, und zeigte mir nicht hinlänglich das Weiche des Pflanzenlebens. Ich ging in die Berge, suchte Pflanzen der Einbeere, und brachte sie sammt ihrer Erde in Töpfen zurück, damit sie nicht zu schnell welkten, und uns länger als Muster dienen könnten. An diesen Pflanzen suchte ich zu zeigen, was an dem Vorbilde noch fehle. Ich er¬ klärte, wo ein Blatttheil sich sanfter legen ein Rand sich weicher krümmen müsse, damit endlich das Stein¬ bild, wenn es fertig wäre, nicht den Eindruck hervor¬ bringe, als ob es gemacht worden, sondern den, als ob es gewachsen wäre. Da ich mich bemühte, die Sache ohne Verlezung des Mannes, welcher das Gipsvorbild verfertiget hatte, darzulegen, und sie eher in das Gewand einer Berathung einzukleiden, so ging man auf meine Ansichten sehr gerne ein, und da die ersten Versuche gelangen, und das Becken durch die größere Ähnlichkeit, die es mit dem Blatte er¬ langte, auch sichtbar an Schönheit gewann, so ging man mit Eifer an die Fortsezung, suchte sich den Pflanzenmerkmalen immer mehr zu nähern, und er¬ lebte die Freude, daß endlich das Werk in ungemein edlerer Vollendung dastand als früher. Selbst für künftige Arbeiten hatte man durch dieses Verfahren einen Anhaltspunkt gewonnen, und Hoffnungen ge¬ schöpft, sich in schönere und heiterere Kreise zu schwin¬ gen. Der Werkmeister sprach unverhohlen mit mir über die Sache. Früher hatte man nach hergebrachten Gestalten und Zeichnungen Gegenstände verfertigt, dieselben versandt, und Preise dafür erhalten, die solchen Waaren gewöhnlich zukommen, so daß die Anstalt bestehen konnte, aber einer gehäbigen und wohlhabenden Blüthe doch nicht theilhaftig war. Daß man sich an Pflanzen als Vorbilder wenden könne, war ihnen nicht eingefallen. Jezt richtete man den Blick auf sie, und fand, daß alle Berge voll von Din¬ gen ständen, die ihnen Fingerzeige geben könnten, wie sie ihre Werke zu verfertigen und zu veredeln hätten. Ich blieb so lange da, bis das Gipsblatt voll¬ kommen fertig war, und bis ich mich darüber beruhigt hatte, welche Werkzeuge zum Messen angewendet würden, damit die Gestalt des Vorbildes mit allen ihren Verhältnissen in die Nachbildung übergehen könnte. Nachdem ich noch die Bitte um Beschleunigung der Arbeit angebracht hatte, damit ich sie so bald als möglich in den Garten des Vaters bringen könnte, und nachdem ich versprochen hatte, in diesem Som¬ mer noch einen Besuch in der Anstalt zu machen, trat ich den Rückweg in das Rosenhaus wieder an. Ich bestieg auf meiner Wanderung, die ich in den Bergen zu Fuße machte, das Eiskar, sezte mich auf einen Steinblock, und sah beinahe den ganzen Nach¬ mittag in tiefem Sinnen auf die Landschaften, die vor mir ausgebreitet waren, hinaus. In dem Rosenhause beschäftigte ich mich wieder mit Betrachtung der Bilder. Ich nahm sogar ein Vergrößerungsglas, und sah die Gemälde an, wie denn die verschiedenen alten Meister gemalt haben, ob der eine einen stumpfen starren Pinsel genommen habe, der andere einen langen weichen, ob sie mit breitem oder spizigem gearbeitet, ob sie viel untermalt haben, oder gleich mit den schweren undurchsichtigen Farben darauf gegangen seien, ob sie in kleinen Flä¬ chen fertig gemacht, oder das Große vorerst angelegt, und es in allen Theilen nach und nach der Vollen¬ dung zugeführt hätten. Mein Gastfreund war in diesen Dingen sehr er¬ fahren, und stand mir bei. Von den Dichtern nahm ich jezt Calderon vor. Ich konnte ihn bereits in dem Spanischen lesen, und vertiefte mich mit großem Eifer in seinen Geist. Wir besuchten mehrere Male den Inghof. Es wurde dort Musik gemacht, es wurde gespielt, wir besuchten die schönsten Theile der Umgebung, oder besahen, was der Garten oder der Meierhof oder das Haus Vorzügliches aufzuweisen hatte. Zur Zeit der Rosenblüthe kam Mathilde und Na¬ talie auf den Asperhof. Wir wußten den Tag der Ankunft, und erwarteten sie. Als sie ausgestiegen waren, als Mathilde und mein Gastfreund sich be¬ grüßt hatten, als einige Worte von den Lippen der Mutter zu Gustav gesprochen worden waren, wendete sie sich zu mir, und sprach mit den freundlichsten Mie¬ nen und mit dem liebevollsten Blick ihrer Augen die Freude aus, mich hier zu finden, zu wissen, daß ich mich schon ziemlich lange bei ihrem Freunde und ihrem Sohne aufgehalten habe, und zu hoffen, daß ich die ganze schöne Jahreszeit auf dem Asperhofe zu¬ bringen werde. Ich erwiederte, daß ich heuer beschlossen habe, Stifter , Nachsommer. II . 12 den ganzen Sommer über blos für mein Vergnügen zu leben, und daß ich es mit großem Danke anerken¬ nen müsse, daß mir erlaubt sei, auf diesem Size ver¬ weilen zu dürfen, der das Herz den Verstand und das ganze Wesen eines jungen Mannes so zu bilden ge¬ eignet sei. Natalie stand vor mir, da dieses gesprochen wor¬ den war. Sie erschien mir in diesem Jahre vollkom¬ mener geworden, und war so außerordentlich schön, wie ich nie in meinem ganzen Leben ein weibliches Wesen gesehen habe. Sie sagte kein Wort zu mir, sondern sah mich nur an. Ich war nicht im Stande, etwas aufzufin¬ den, was ich zur Bewillkommung hätte sagen kön¬ nen. Ich verbeugte mich stumm, und sie erwiederte diese Verbeugung durch eine gleiche. Hierauf gingen wir in das Haus. Die Tage verflossen wie die in den vergangenen Jahren. Nur eine einzige Ausnahme trat ein. Man begann nach und nach von den Bildern zu sprechen, man sprach von der Marmorgestalt, welche auf der schönen Treppe des Hauses stand, man ging öfter in das Bilderzimmer, und besah Verschiedenes, und man verweilte manche Augenblicke in der dämmerigen Helle der Treppe, auf welche von oben die sanfte Fluth des Lichtes hernieder sank, und vergnügte sich an bei Herrlichkeit der dort befindlichen Gestalt und der Pracht ihrer Gliederung. Ich erkannte, daß Ma¬ thilde in der Beurtheilung der Kunst erfahren sei, und daß sie dieselbe mit warmem Herzen liebe. Auch an Natalien sah ich, daß sie in Kunstdingen nicht fremd sei, und daß sie in ihrer Neigung etwas gelten. Ich machte also jezt die Erfahrung, daß man in frühe¬ rer Zeit, da ich mein Augenmerk noch weniger auf Gemälde und ähnliche Kunstwerke gerichtet hatte, und dieselben einen tiefen Plaz in meinem Innern noch nicht einnahmen, mich geschont habe, daß man nicht eingegangen sei, in meiner Gegenwart von den in dem Hause befindlichen Kunstwerken zu sprechen, um mich nicht in einen Kreis zu nöthigen, der in jenem Augenblicke noch beinahe außerhalb meiner Seelenkräfte lag. Mir kam jezt auch zu Sinne, daß in gleicher Weise mein Vater nie zu mir auf eigenen Antrieb von seinen Bildern gesprochen habe, und daß er sich nur in so weit über dieselben eingelassen, als ich selber darauf zu sprechen kam, und um dieses oder jenes fragte. Sie haben also sämmtlich einen Gegen¬ stand vermieden, der in mir noch nicht geläufig war, 12 * und von dem sie erwarteten, daß ich vielleicht mein Gemüth zu ihm hinwenden würde. Mich erfüllte diese Betrachtung einigermaßen mit Scham, und ich erschien mir gegenüber all den Personen, die nun durch meine Vorstellung gingen, als ungefüg und unbehilflich; aber da sie immer so gut und liebreich gegen mich gewesen waren, so schloß ich aus diesem Umstande, daß sie nicht nachtheilig über mich geur¬ theilt, und daß sie meinen Antheil an dem, was ihnen bereits theuer war, als sicher bevorstehend betrachtet haben. Dieser Gedanke beruhigte mich eines Theiles wieder. Besonders aber gereichte es mir zur Ge¬ nugthuung, daß sie mit einer Art von Freude in die Gespräche eingingen, die sich jezt über bildende Kunst entspannen, daß also das nicht unsachgemäß sein mußte, was ich in dieser Richtung jezt äußerte, und daß es ihnen angenehm war, mit mir auf einer Le¬ bensrichtung zusammen zu treffen, welche für sie Wichtigkeit hatte. Eines Tages, da die Blüthe der Rosen schon bei¬ nahe zu Ende war, wurde ich unfreiwillig der Zeuge einiger Worte, welche Mathilde an meinen Gast¬ freund richtete, und welche offenbar nur für diesen allein bestimmt waren. Ich zeichnete in einer Stube des Erdgeschosses ein Fenstergitter. Das Erdgeschoß des Hauses hatte lauter eiserne Fenstergitter. Diese waren aber nicht jene großstäbigen Gitter, wie man sie an vielen Häusern und auch an Gefängnissen an¬ bringt, sondern sie waren sanft geschweift, und hatten oben und unten eine flache Wölbung, die mitten gleichsam wie in einen Schlußstein in eine schöne Rose zusammenlief. Diese Rose war von vorzüglich leichter Arbeit, und war ihrem Vorbilde treuer, als ich irgendwo in Eisen gesehen hatte. Außerdem war das ganze Gitter in zierlicher Art zusammengestellt, und die Stäbe hatten nebst der Schlußrose noch manche andere bedeutsame Verzierungen. Es war fast gegen Abend, als ich mich in einer Stube des Erdgeschosses, deren Fenster auf die Rosen hinaus¬ gingen, befand, um mir vorläufig die ganze Gestalt des Gitters, die außen zu sehr von den Rosen ver¬ deckt war, zu entwerfen. Die einzelnen Verzierungen, deren Hauptentwicklung nach außen ging, wollte ich mir später einmal von dorther zeichnen. Da ich in meine Arbeit vertieft war, dunkelte es vor dem Fenster, wie wenn die Laubblätter vor demselben von einem Schatten bedeckt würden. Da ich genauer hinsah, er¬ kannte ich, daß jemand vor dem Fenster stehe, den ich aber der dichten Ranken willen nicht erkennen konnte. In diesem Augenblicke ertönte durch das ge¬ öffnete Fenster klar und deutlich Mathildens Stimme, die sagte: „Wie diese Rosen abgeblüht sind, so ist unser Glück abgeblüht.“ Ihr antwortete die Stimme meines Gastfreun¬ des, welche sagte: „Es ist nicht abgeblüht, es hat nur eine andere Gestalt.“ Ich stand auf, entfernte mich von dem Fenster und ging in die Mitte des Zimmers, um von dem weiteren Verlaufe des Gespräches nicht mehr zu ver¬ nehmen. Da ich ferner überlegt hatte, daß es nicht geziemend sei, wenn mein Gastfreund und Mathilde später erführen, daß ich zu der Zeit, als sie ein Ge¬ spräch vor dem Fenster geführt hatten, in der Stube gewesen sei, der jenes Fenster angehörte, so entfernte ich mich auch aus derselben, und ging in den Gar¬ ten. Da ich nach einer Zeit meinen Gastfreund Ma¬ thilden Natalie und Gustav gegen den großen Kirsch¬ baum zugehen sah, begab ich mich wieder in die Stube, und holte mir meine Zeichnungsgeräthe, die ich dort liegen gelassen hatte; denn der Abend war mittlerweile so dunkel geworden, daß ich zum Weiter¬ zeichnen nicht mehr sehen konnte. Als die Rosenblüthe gänzlich vorüber war, be¬ schlossen wir, uns auch eine Zeit in dem Sternenhofe aufzuhalten. Da wir den Hügel zu ihm hinan fuhren, sah ich, daß Gerüste an dem Mauerwerke aufge¬ schlagen waren, und als wir uns genähert hatten, erkannte ich, daß die Arbeiter, die sich auf den Ge¬ rüsten befanden, damit beschäftigt waren, die Tünche von den breiten Steinen, welche an die Oberfläche der Mauern gingen, abzunehmen, und die Steine zu reinigen. Man hatte vorher an einem abgelegenen Theile des Hauses einen Versuch gemacht, welcher sich bewährte, und welcher darthat, daß das Haus ohne Tünche viel schöner aussehen werde. In dem Sternenhofe wurde ich so freundlich be¬ handelt, wie in der früheren Zeit, ja wenn ich mei¬ nem Gefühle trauen durfte, und wenn man so feine Unterscheidungen machen darf, noch freundlicher als früher. Mathilde zeigte mir selber alles, von dem sie glaubte, daß es mir von einigem Werthe sein könnte, und erklärte mir bei diesem Vorgange alles, von dem sie glaubte, daß es einer Erklärung bedürfen könnte. Während dieses meines Aufenthaltes erfuhr ich auch, daß Mathilde das Schloß von einem vornehmen Manne gekauft hatte, der selten auf demselben gewe¬ sen war, und es ziemlich vernachlässigt hatte. Vor ihm war es im Besize einer Verwandten gewesen, deren Großvater es gekauft hatte. In der Zeit vorher war ein häufiger Wechsel der Eigenthümer gewesen, und das Gut war sehr herab gekommen. Mathilde fing damit an, daß sie die zum Schlosse gehörigen Unterthanen, welche Zehnte und Gaben in dasselbe zu entrichten hatten, gegen ein vereinbartes Entgelt für alle Zeiten von ihren Pflichten entband, und sie zu unbeschränkten Eigenthümern auf ihrem Grunde machte. Das zweite, was sie that, bestand darin, daß sie die Liegenschaften des Schlosses selber zu bewirth¬ schaften begann, daß sie einen geschlossenen Haus¬ stand von Gesinde und ihrer eigenen Familie begrün¬ dete, und mit diesem Hausstande lebte. Sie richtete den Meierhof zurecht, und brachte mit Hilfe thätiger Leute, die sie aufnahm, die Felder die Wiesen und Wälder in einen besseren Stand. Die schönen Zeilen von Obstbäumen, welche durch die Fluren liefen, und die mir bei meinem ersten Aufenthalte schon so sehr ge¬ fallen hatten, waren von ihr selber gepflanzt, und wenn sie gute selbst ziemlich erwachsene Obstbäume irgendwo erhalten konnte, so scheute sie nicht die Zeit und den Aufwand, sie bringen und auf ihren Grund sezen zu lassen. Da die Nachbarn dieses Verfahren allmäh¬ lich nachahmten, so erhielt die Gegend das eigen¬ thümliche und wohlgefällige Ansehen, das sie von den umliegenden Ländereien unterschied. Die Gemälde, welche sich in den Wohnzimmern Mathildens und Nataliens befanden, hatten nach meiner Meinung im Ganzen genommen zwar nicht den Werth wie die im Asperhofe, aber es waren manche darunter, welche mir nach meinen jezigen An¬ sichten mit der größten Meisterschaft gemacht schienen. Ich sagte die Sache meinem Gastfreunde, er bestät¬ tigte sie, und zeigte mir Gemälde von Tizian Guido Reni Paul Veronese Van Dyk und Holbein. Unbe¬ deutende oder gar schlechte Bilder, wie ich sie, so weit mir jezt dieses meine Rückerinnerung plözlich und wie¬ derholt vor Augen brachte, in manchen Sammlungen, die mir in früheren Jahren zugänglich gewesen waren, gesehen hatte, befanden sich weder in der Wohnung Mathildens noch in dem Asperhofe. Wir sprachen auch hier so wie in dem Rosenhause von den Gemälden und es gehörte zu den schönsten Augenblicken, wenn ein Bild auf die Staffelei gethan worden war, wenn man die Fenster, die ein störendes Licht hätten senden können, verhüllt hatte, wenn das Bild in die rechte Helle gerückt worden war, und wenn wir uns nun davor befanden. Mathilde und mein Gastfreund saßen ge¬ wöhnlich, Eustach und ich standen, neben uns Na¬ talie, und nicht selten auch Gustav, welcher bei sol¬ chen Gelegenheiten sehr bescheiden und aufmerksam war. Öfter sprach hauptsächlich mein Gastfreund von dem Bilde öfter aber auch Eustach, wozu Mathilde ihre Worte oder einfachen Meinungen gesellte. Man wiederholte vielleicht oft gesagte Worte, man zeigte sich Manches, das man schon oft gesehen hatte, und machte sich auf Dinge aufmerksam, die man ohnehin kannte. So wiederholte man den Genuß, und ver¬ lebte sich in das Kunstwerk. Ich sprach sehr selten mit, höchstens fragte ich, und ließ mir etwas erklä¬ ren. Natalie stand daneben, und redete niemals ein Wort. Zur Nimphe des Brunnens, die unter der Eppich¬ wand im Garten war, ging ich auch öfter. Früher hatte ich den wunderschönen Marmor bewundert, de߬ gleichen mir nicht vorgekommen war; jezt erschien mir auch die Gestalt als ein sehr schönes Gebilde. Ich verglich sie mit der auf der Treppe im Hause mei¬ nes Gastfreundes stehenden. Wenn auch jenes an Hoheit Würde und Ernst weit den Vorzug in meinen Augen hatte, so war dieses doch auch für mich sehr anmuthig weich und klar, es hatte eine beschwichti¬ gende Ruhe, wie die Göttin eines Quells sollte, und hatte doch wieder jenes Reine und, ich möchte sagen, Fremde, das ein Gemälde nicht hat, das aber der Marmor so gerne zeigt. Ich wurde mir dieser Em¬ pfindung des Fremden jezt klarer bewußt, und ich er¬ fuhr auch, daß sie mich schon in früherer Zeit ergriffen hatte, wenn ich mich Marmorbildwerken gegenüber befand. Es wirkte bei dieser Gestalt noch ein Beson¬ deres mit, was in meiner Beschäftigung der Erdfor¬ schung seinen Grund hat, nehmlich, daß der Marmor gar so schön und fast fleckenlos war. Er gehörte zu jener Gattung, die an den Rändern durchscheinend ist, de¬ ren Weiße beinahe funkelt, und uns verleitet zu mei¬ nen, man sähe die zarten Kristalle wie Eisnadeln oder wie Zuckerkörner schimmern. Diese Reinheit hatte für mich an der Gestalt etwas Erhabenes. Nur dort, wo das Wasser aus dem Kruge floß, den die Gestalt um¬ schlungen hielt, war ein grünlicher Schein in dem Marmor, und der Staffel, auf dem der am tiefsten herabgehende Fuß ruhte, war ebenfalls grün und von unten durch die herauf dringende Feuchtigkeit ein wenig verunreinigt. Der Marmor an dem Bilde mei¬ nes Freundes war wohl trefflich, es mochte wahr¬ scheinlich parischer sein; aber er hatte schon eini¬ germaßen die Farbe alten Marmors, während die Nimphe wie neu war, als wäre der Marmor aus Carara. Ich dachte mir wohl auch, und meine Freunde bestättigten es, daß das Bildwerk neueren Ursprunges sei; aber wie bei dem meines Gastfreundes wußte man auch hier den Meister nicht. Ich saß sehr gerne in der Grotte bei dem Bild¬ werke. Es war da ein Siz von weißem Marmor in einer Vertiefung, die sich seitwärts von der Nimphe in das Bauwerk zurück zog, und von der aus man die Gestalt sehr gut betrachten konnte. Es war ein sanf¬ tes Dämmern auf dem Marmor, und im Dämmern war es wieder, als leuchtete der Marmor. Man konnte hier auch das leise Rinnen des Wassers aus dem Kruge das Kräuseln desselben in dem Becken das Hinabträufeln auf den Boden und das gelegent¬ liche Blizen auf demselben sehen. Zur Wohnung hatte man mir dieselbe Räumlich¬ keit gegeben, die ich in den ersten zwei Malen inne hatte, da ich in diesem Schlosse war. Man hatte sie mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet, auf die man nur immer denken konnte, und deren ich zum größten Theile nicht bedurfte; denn ich war in meinem Reise¬ leben gewohnt geworden, in den äußeren Dingen auf das Einfachste vorzugehen. Da wir von dem Sternenhofe Abschied nahmen, sagte mir Mathilde auf die liebe freundliche Weise Lebewohl, mit der sie mich empfangen hatte. Wir besuchten auf unserer Rückreise mehrere Land¬ wirthe, welche in der Gegend einen großen Ruf ge¬ nossen, und besahen, was sie auf ihren Gütern ein¬ geführt hatten, und was sie zum Wohle des Landes auszubreiten wünschten. Mein Gastfreund nahm Rebstecklinge Abtheilungen von Samen und Abbil¬ dungen von neuen Vorrichtungen mit nach Hause. Ehe ich die Rückreise zu den Meinigen antrat, ging ich noch einmal in das Rothmoor, um zu sehen, wie weit die Arbeiten aus meinem Marmor gediehen wären. Von den kleineren Dingen waren manche fer¬ tig. Das Wasserbecken und die größeren Arbeiten mußten in das nächste Jahr hinüber genommen wer¬ den. Ich billigte diese Anordnung; denn es war mir lieber, daß die Sache gut gemacht würde, als daß sie bald fertig wäre. Das Vollendete packte ich ein, um es mit nach Hause zu nehmen. In dem Rosenhause fand ich bei meiner Zurück¬ kunft einen Brief von Roland, der über die Ergeb¬ nisse der Nachforschungen nach den Ergänzungen zu den Pfeilerverkleidungen meines Vaters sprach. Es war keine Hoffnung vorhanden, die Ergänzungen zu finden. Im ganzen Gebirge war nichts, was mit den beschriebenen Verkleidungen Ähnlichkeit hatte, über¬ haupt sind da keine Verkleidungen und Vertäflungen vorhanden gewesen, wohin Roland seit Jahren seine Wanderungen angestellt hatte, sie müßten denn sehr verborgen sein, wornach man ein Auffinden so dem Zufalle anheim geben müsse, wie das durch Zufall entdeckt worden sei, was ich meinem Vater gebracht hätte. In Hinsicht der Vertäflungen aber, um welche es sich hier handle, sei beinahe Gewißheit vorhanden, daß sie zerstört worden seien. Die Ausmaße, welche ihm über die in den Händen meines Vaters befind¬ lichen Werke zugesendet worden seien, passen genau auf ein Gemach im Steinhause des Lauterthales, wo¬ her gleich Anfangs der Ursprung der Dinge vermu¬ thet worden sei, und welches Gemach jezt öde steht. Es habe zwei Pfeiler, an denen die noch vorhandenen Verkleidungen gewesen sein müssen. Die Zwischen¬ arbeiten sind eben so zerstört worden, wie vieles, was sich in jenem steinernen Schlößchen befunden habe; denn sonst müßten sie sich entweder in dem Gebäude oder in der Gegend vorfinden, was beides nicht der Fall ist, oder sie müßten sehr im Verborgenen sein, da doch sonst die Nachforschungen, welche nun schon durch zwei Jahre angestellt und bekannt geworden seien, die Leute veranlaßt haben dürften, die Sachen zum Verkaufe um einen guten Kaufschilling zu brin¬ gen. Man müsse also seine Gedanken dahin richten, daß nichts zu finden sei, und wenn doch noch etwas gefunden würde, so müsse man es als eine unver¬ hoffte Gunst ansehen. Mein Gastfreund und ich sag¬ ten, daß wir ungefähr auf dieses Ergebniß gefaßt ge¬ wesen seien. Als der Herbst ziemlich vorgeschritten war, begab ich mich auf die Rückreise in meine Heimath. Es war ein sehr heiterer Sonntagsmorgen, den ich zu meiner Ankunft auserwählt hatte, weil ich wußte, daß an diesem Tage der Vater zu Hause sein würde, und ich daher den Nachmittag in dem vollen Kreise der Mei¬ nigen zubringen konnte. Ich war nicht wie gewöhn¬ lich auf einem Schiffe gekommen, sondern ich hatte meine Wanderung längs des ganzen Gebirges gegen Sonnenaufgang unternommen, und war dann mitter¬ nachtwärts mit einem Wagen in unsere Stadt gefah¬ ren. Den Vater traf ich sehr heiter an, er schien gleichsam um mehrere Jahre jünger geworden zu sein. Die Augen glänzten in seinem Angesichte, als wäre ihm eine sehr große Freude widerfahren. Auch die anderen sahen sehr vergnügt und fröhlich aus. Nach dem Mittagessen führte er mich in das glä¬ serne Häuschen, und zeigte mir, daß sich die Verklei¬ dungen bereits auf den Pfeilern befänden. Es war ein bewunderungswürdiger Anblick, ich hätte nie ge¬ dacht, daß sich die Schnizerei so gut darstellen würde. Sie war vollkommen gereinigt und schwach mit Fir¬ niß überzogen worden. „Siehst du,“ sagte der Vater, „wie sich alles schön gestaltet hat. Die Holzverkleidung fügt sich, als wäre sie für diese Pfeiler gemacht worden. Es ist fast auch so der Fall; wenn nicht die Holzverkleidung für die Pfeiler gemacht worden ist, so sind doch die Pfei¬ ler für die Holzverkleidung gemacht worden. Was aber von weit größerer Bedeutung ist, besteht darin, daß das Holzkunstwerk in das ganze Häuschen so paßt, als wäre sie ursprünglich für dasselbe bestimmt gewesen — und dies freut mich am meisten. Ich kann mich daher auch nicht so betrüben wie du, daß die anderen Theile der Verkleidungen nicht aufzufin¬ den gewesen sind. Ich müßte ja das ganze Häuschen wieder umbauen, wenn die Ergänzungen zum Vor¬ scheine gekommen wären; denn schwerlich würden sie hieher passen, und zu verstümmeln oder zu vergrößern würden sie ihrer Natur nach nicht sein. Wir wollen daher das Vorhandene genießen, und kömmt durch ein Wunder die Ergänzung zum Vorscheine, so wird sich schon zeigen, was zu thun sei. Du siehst, wir haben uns viele Mühe gegeben, die Lücken auszufül¬ len, und alles in einen natürlichen Zusammenhang zu bringen. So war es auch. Über den Verkleidungen befanden sich an den Pfeilern Spiegel eingesezt, deren Rahmen die Verzierungen der Verkleidung fortsezten, und zu den Verzierungen der Fensterstäbe und Fensterkreuze hinüber leiteten. Unter den Fenstern waren Simse und Vertäflungen so angebracht, daß sie eine ruhigere Fläche zwischen den Schnizwerken abgaben. Ich sprach gegen meinen Vater meine Bewunderung aus, daß man der Sache eine solche Gestalt zu geben ge¬ wußt habe. „Es ist uns aber auch ein sehr tüchtiger Lehrmei¬ ster beigestanden,“ erwiederte er, „und wir waren in Stifter , Nachsommer. II . 13 der Lage, nach seinem Rathe noch Manches in unse¬ rem begonnenen Werke abzuändern; denn sonst wäre es nicht so geworden, wie es geworden ist. Seze dich zu uns, daß ich es dir erzähle.“ Er saß mit der Mutter auf einer Bank, die aus feinen Rohrstäben geflochten war, die Schwester und ich nahmen ihnen gegenüber auf Sesseln Plaz. „Dein Gastfreund,“ fing er an, „hat uns ausge¬ funden, und hat, als du zwei Wochen fort warest, seine Bauzeichnungen und die Zeichnungen vieler an¬ derer Gegenstände hieher gesendet, daß ich sie ansehe. Er hat mir auch den Antrag gemacht, daß ich manche, die mir besonders gefielen, zu meinem Gebrauche nachzeichnen lassen dürfe, nur möchte ich ihm die Blätter vorher alle senden, und die bezeichnen, deren Nachbildung ich wünschte, er würde sie mir dann ge¬ legentlich zu diesem Gebrauche zustellen. Ich lehnte diese Erlaubniß ab, nur Einzelnes von Verzierungen oder Stäben ließ ich flüchtig heraus zeichnen, in so fern ich erkannte, daß es mir bei meinen nächsten An¬ ordnungen würde dienlich sein. Den größten Nuzen aber schöpften wir — mein Arbeiter und ich — aus der Anschauung des Ganzen überhaupt. Wir lernten hier neue Dinge kennen, wir sahen, daß es Schöneres gibt, als wir selber haben, so daß wir den Plan und die Ausführung zu den Arbeiten in dem Häus¬ chen hier viel besser machten, als wir sonst beides ge¬ macht haben würden. Die Zeichnungen von den Bauwerken Geräthen und anderen Dingen, welche mir dein Gastfreund gesandt hat, sind so schön, daß es vielleicht wenige gleiche gibt. Ich habe wohl in jüngeren Jahren bei meinen Reisen und Wan¬ derungen sehr schöne und hie und da schönere Bau¬ werke gesehen; aber Zeichnungen von Bauwerken habe ich nie so vollendet klar und rein gesehen. Ich hatte eine große Freude bei dem Anschauen dieser Dinge, und wer in dem Besize einer so trefflichen Sammlung der schönsten zahlreichen und dabei so manigfaltigen Gegenstände ist, der kann niemals mehr bei seinen Anordnungen in das Unbedeutende Leere und Nichtige verfallen, ja er muß bei gehöri¬ ger Benüzung, und wenn sein Geist die Dinge in sich aufzunehmen versteht, nur das Hohe und Reine her¬ vorbringen. Das ist eine seltne Gunst des Schick¬ sales, wenn ein Mann die Muße Mittel und Mitar¬ beiter hat, solche Werke anlegen zu können. Es ge¬ hörte zu meinen schönsten Augenblicken, in diesen Sammlungen blättern zu dürfen, und mich in die 13 * Anschauung dessen, was mich besonders ansprach, zu vertiefen. Vielleicht gönnt es doch noch ein¬ mal eine spätere Gunst, von dem Anerbiethen die¬ ses Mannes Gebrauch machen zu können, und hie und da etwas zu Stande zu bringen, was nicht ganz ein unwerther Zuwachs zu meinen lezten Tagen ist. Also gefällt dir das, was wir zu unseren Verkleidun¬ gen hatten hinzu machen lassen?“ „Vater, sehr,“ erwiederte ich; „aber ich habe jezt andere Dinge zu reden; ich kann mich von meinem Erstaunen nicht erholen, daß mein Gastfreund seine Zeichnungen hieher gesendet hat, die er so liebt, die er gewiß nicht weniger liebt als seine Bücher, von denen er doch keines aus seinem Hause gibt. Ich habe eine so große Freude über dieses Ereigniß, daß ich nicht Worte finde, sie nur halb auszudrücken. Vater, mein Gefühl hat in jüngster Zeit einen solchen Aufschwung genommen, daß ich die Sache selber nicht begreife, ich muß mit dir darüber reden, ich habe sehr viele Dinge mit dir zu reden. Und meinem Gastfreunde muß ich auf das Wärmste und Heißeste danken, sobald ich ihn sehe, er hat mir durch die Sen¬ dung der Zeichnungen an dich die höchste Gunst er¬ zeigt, die er mir nur zu erzeigen im Stande war.“ „Dann muß ich dich bitten, mit mir zu gehen, und noch etwas anzuschauen,“ sagte mein Vater. Er führte mich in sein Alterthumszimmer. Die Mutter und die Schwester gingen mit. An einem Pfeiler, der mit einem langen alter¬ thümlich gefaßten Spiegel geschmückt war, stand der Tisch mit den Musikgeräthen, den ich im Rosenhause in der Wiederherstellung befindlich und zu Anfang dieses Sommers bereits vollendet gesehen hatte. Ich konnte vor Verwunderung kein Wort sagen. Der Vater, der mein Gefühl verstand, sagte: „Der Tisch ist mein Eigenthum. Er ist mir in diesem Sommer gesendet worden, und es war die Bitte bei¬ gefügt, ich möge ihn unter meinen andern Dingen als Erinnerung an einen Mann aufstellen, dessen größte Freude es wäre, einem Andern, der seine Nei¬ gung gleichen Dingen zuwende wie er, ein Vergnügen zu machen.“ „Da muß ich nun augenblicklich zu meinem Freunde reisen,“ rief ich. „Den Dank habe ich ihm wohl schon ausgedrückt,“ sagte der Vater; „aber wenn du hingehen, und es mit dem eigenen Munde thun willst, so freut es mich um desto mehr.“ Die Schwester hüpfte oder sprang beinahe in dem Zimmer herum, und rief: „ich habe es mir gedacht, daß er so handeln wird, ich habe es mir gedacht. O der Freude, o der Freude! Wirst du bald abreisen?“ „Morgen mit dem frühesten Tagesanbruch,“ er¬ wiederte ich, „heute müssen noch Pferde bestellt wer¬ den.“ „Es ist eine späte Jahreszeit und du bist kaum gekommen, mein Sohn,“ sagte die Mutter; „aber ich halte dich nicht ab. Der Tisch und noch mehr die Gesinnung des Mannes, der ihn sendete, haben auf deinen Vater wie ein Glück gewirkt. Das müssen vortreffliche Menschen sein.“ „Sie haben ihres Gleichen nicht auf Erden,“ rief ich. Ohne zu säumen schickte ich den Knecht auf die Post, um mir auf den nächsten Morgen um vier Uhr zwei Pferde zu bestellen. Dann sprachen wir noch von dem Tische. Der Vater breitete sich über seine Eigenschaften aus, er erklärte uns dieses und jenes, und sezte mir dann in einer längeren Beweisführung auseinander, warum er gerade auf diesem Plaze stehen müsse, auf dem er stehe. Ohne von den Ge¬ mälden des Vaters etwas zu sagen, auf welche ich mich sehr gefreut hatte, und von denen ich mit dem Vater hatte reden wollen, und ohne auf meinen dies¬ jährigen Sommeraufenthalt näher einzugehen, ließ ich den Rest des Tages verfließen, und erwartete mit Ungeduld den Morgen. Nur gelegentliche Fragen des Vaters beantwortete ich, und hörte zu, wenn er wie¬ der von dem sprach, was in diesem Sommer ein Ereigniß für ihn gewesen war. Vor dem Schlafen¬ gehen nahmen wir Abschied, und ich begab mich auf meine Zimmer. Um drei Uhr des Morgens war ein leichter Leder¬ koffer gepackt, und eine halbe Stunde später stand ich in guten Reisekleidern da. In dem Speisezimmer, in welchem noch ein Frühstück für mich bereit stand, er¬ wartete mich die Mutter und die Schwester. Der Vater, sagten sie, schlummere noch sehr sanft. Das Frühmahl war eingenommen, die Pferde standen vor dem Hausthore, die Mutter verabschiedete sich von mir, die Schwester begleitete mich zu dem Wagen, küßte mich dort auf das Innigste und Freudigste, ich stieg ein, und der Wagen fuhr in der noch überall dicht herrschenden Finsterniß davon. Ich war nie mit eigenen Postpferden gefahren, weil ich die Auslage für Verschwendung hielt. Jezt that ich es, mir ging die Reise noch immer nicht schnell genug, und auf jeder Post, wo ich neue Pferde und einen neuen Wagen erhielt, däuchte mir der Aufenthalt zu lange. Ich hatte den Vater um den Brief nicht gefragt, der mit den Zeichnungen oder mit dem Tische gekom¬ men war, auch hatte ich mich nicht um die Art erkun¬ digt, wie diese Dinge eingelangt seien. Der Vater hatte ebenfalls nichts davon erwähnt. Ich beschloß, meinem Vorhaben treu zu bleiben, und hierüber eine Frage nicht zu stellen. Nach einer nur durch das nothwendige Essen von mir unterbrochenen Fahrt bei Tag und Nacht kam ich gegen den Mittag des zweiten Tages in dem Rosen¬ hause an. Ich hielt vor dem Gitter, gab einem Knechte, der gar nicht erstaunt war, weil er an mein Gehen und Kommen in diesem Hause gewohnt sein mochte, meinen Koffer, sendete Wagen und Pferde auf die lezte Post, in die sie gehörten, zurück, ging in das Haus, und fragte nach meinem Freunde. Er sei in seinem Arbeitszimmer, sagte man mir. Ich ließ mich melden, und wurde hinaufgewiesen. Er kam mir lächelnd entgegen, als ich eintrat. Ich sagte, er scheine zu wissen, weßhalb ich komme. „Ich glaube es mir denken zu können,“ antwor¬ tete er. „Dann werdet ihr euch nicht wundern,“ sagte ich, „daß ich in diesem Jahre, für welches ich schon Ab¬ schied genommen habe, mittelst einer sehr eiligen Reise noch einmal in euer Haus komme. Ihr habt meinem Vater eine doppelte Freude erwiesen, ihr habt zu mir nichts gesagt, mein Vater hat mir auch nichts ge¬ schrieben, wahrscheinlich, um den Eindruck, wenn ich die Sache selber sähe, größer zu machen: ich müßte ein sehr unrechtlicher Mensch sein, wenn ich nicht käme, und für den Jubel, der in mein Herz kam, nicht dankte. Ich weiß nicht, wodurch ich es denn verdient habe, daß ihr das gethan habt, was ihr thatet; ich weiß nicht, wie ihr denn mit meinem Va¬ ter zusammenhänget, daß ihr ihm ein so kostbares Geschenk macht, und daß ihr mit den Zeichnungen so in Liebe an ihn dachtet. Ich danke euch tausendmal und auf das Herzlichste dafür. Ich habe euch für alles Freundliche, was mir in eurem Hause zu Theil geworden ist, in meinem Herzen gedankt, ich habe euch auch mit Worten gedankt. Dieses aber ist das Liebste, was mir von euch gekommen ist, und ich biethe euch den heißesten Dank dafür an, der sich am besten aussprechen würde, wenn es mir nur auch ein¬ mal gegönnt wäre, für euch etwas thun zu können.“ „Das dürfte sich vielleicht auch einmal fügen,“ antwortete er, „das Beste aber, was der Mensch für einen andern thun kann, ist doch immer das, was er für ihn ist. Das Angenehmste an der Sache ist mir, daß ich mich nicht getäuscht habe, und daß euer Vater an den Sendungen Freude hatte, und daß die Freude des Vaters auch euch Freude machte. Im Übrigen ist ja alles sehr einfach und natürlich. Ihr habt mir von den alterthümlichen Dingen erzählt, welche euer Va¬ ter besizt, und welche ihm Vergnügen machen, ihr habt von seinen Bildern gesprochen, ihr habt ihm Schnizwerke gebracht, für welche er eigens einen kleinen Erker seines Hauses umbauen ließ, ihr habt euch große Mühe gegeben, die Ergänzungen zu den Schnizereien zu finden, habt sogar meinen Rath hiebei eingeholt, und es war euch unangenehm, befürchten zu müssen, daß ihr das Gesuchte troz alles Strebens nicht finden würdet. Da dachte ich, daß ich vielleicht mit einem meiner Gegenstände eurem Vater ein Ver¬ gnügen machen könnte, besprach mich mit Eustach, und sandte den Tisch. Das Übersenden der Zeichnun¬ gen war auch ganz folgerichtig. Ihr habt im vorigen Jahre mit vieler Mühe hier und im Sternenhofe Ab¬ bildungen von Geräthen gemacht, um eurem Vater nur im Allgemeinen eine Vorstellung von dem zu ge¬ ben, was hier ist. Wie nahe lag es also, ihm Zeich¬ nungen zu schicken, in denen noch weit Mehr weit Umfassenderes und weit Edleres enthalten ist, obgleich sie nur die Sammlung eines einzelnen Menschen sind, und weit hinter dem zurückstehen, was an Prachtwer¬ ken hie und da besteht. Wir haben vielerlei an alten Geräthen hier, wir können etwas entbehren, haben schon Manches weggegeben, und geben gerne etwas einem Manne, der damit Freude hat und der es zu pflegen und zu achten versteht.“ „Es würde mir sehr viel Schmerz machen,“ sagte ich, „wenn ihr nur im Entferntesten denken könntet, daß ich mit meinen Handlungen auf ein solches Er¬ gebniß habe hinzielen können.“ „Das habe ich nie geglaubt, mein junger Freund,“ antwortete er, „sonst hätte ich die Sachen gar nicht geschickt. Aber es ist die zwölfte Stunde nahe. Gehet mit mir in das Speisezimmer. Wir wußten zwar von eurer Ankunft nichts; aber es wird sich schon etwas vorfinden, daß ihr nicht Hunger leiden müsset, und daß auch wir nicht einen Abbruch leiden.“ Mit diesen Worten gingen wir in das Speise¬ zimmer. Nach dem Essen wurde ich von Gustav in meine Wohnung geleitet, die immer in reinlichem Stande gehalten wurde, und die jezt von einem schwachen Feuer wohlthätig erwärmt war. Mir that eine Ruhe etwas noth, und die mäßige Wärme erquickte meine Glieder. Im Laufe des Nachmittages sagte mein Gast¬ freund zu mir: „Es ist nie ein so schöner Spätherbst gewesen als heuer, meine Witterungsbücher weisen keinen solchen seit meinem Hiersein aus, und es sind alle Anzeichen vorhanden, daß dieser Zustand noch mehrere Tage dauern wird. Nirgends aber sind solche klare Spätherbsttage schöner als in unseren nördlichen Hochlanden. Während nicht selten in der Tiefe Mor¬ gennebel liegen, ja der Strom täglich in seinem Thale Morgens den Nebelstreifen führt, schaut auf die Häupter des Hochlandes der wolkenlose Himmel herab, und geht über sie eine reine Sonne auf, die sie auch den ganzen Tag hindurch nicht verläßt. Darum ist es auch in dieser Jahreszeit in den Hoch¬ landen verhältnißmäßig warm, und während die rauhen Nebel in der Tiefgegend schon die Blätter von den Obstbäumen gestreift haben, prangt oben noch mancher Birkenwald mancher Schlehenstrauch manches Buchengehege mit seinem goldenen und ro¬ then Schmucke. Nachmittags ist dann gewöhnlich auch die Aussicht über das ganze Tiefland deutlicher als je zu irgend einer Zeit im Sommer. Wir haben daher beschlossen, heuer noch eine Reise in das Hoch¬ land zu machen, wie ich es in früherer Zeit schon in manchen Jahren gethan habe. Die Entfernungen sind dort nicht so groß, und sollten sich die Vorboten melden, daß das Wetter sich zur Änderung anschicke, so können wir jederzeit den Heimweg antreten, und ohne viel Ungemach den Asperhof wieder erreichen. Morgen wird Mathilde und Natalie eintreffen, sie fahren mit uns, auch Eustach begleitet uns. Wolltet ihr nicht auch den Weg mit uns machen, und einige Tage der lieblichen Spätzeit mit uns genießen? Kömmt dann Schnee oder Regen, wenn wir wieder in meinem Hause angelangt sind, so werdet ihr wohl auf dem Postwagen eure Heimreise machen können, und das Wetter wird euch nicht viel anhaben.“ „Es kann mir nie viel anhaben,“ entgegnete ich, „weil ich gegen seine Einflüsse abgehärtet bin, auch könnte mir in dem Gefühle, welches ich gegen euch habe, keine größere Annehmlichkeit begegnen, als einige Zeit in eurer Gesellschaft zu reisen; aber zu Hause wissen sie nichts davon, und erwarten mich wahrscheinlich schon bald.“ „Ihr könntet sie ja in einem Briefe verständigen,“ sagte er. „Das kann ich thun,“ erwiederte ich. „Wenn ich auch gleich nach meiner Ankunft nach einer viele Monate dauernden Abwesenheit wieder fortgereist bin, wenn sie mich auch schon in den nächsten Tagen erwarten, so werden sie doch einsehen, daß ein länge¬ rer Aufenthalt in der Gesellschaft eines Mannes, zu welchem ich in einer Angelegenheit wie die zwischen uns vorgefallene gereist bin, nur in der Natur der Sache gegründet ist. Sie würden es weit übler neh¬ men, wenn ich unter den bestehenden Verhältnissen nach Hause käme, als wenn ich noch eine Weile bei euch bleibe.“ „Ich habe euch meine Frage und mein Anerbiethen gestellt,“ antwortete mein Gastfreund, „handelt nach eurem besten Ermessen. Was ihr thut, wird wohl das Rechte sein.“ „Ich schreibe sogleich den Brief.“ „Gut, und ich werde ihn sofort auf die Post senden.“ Ich ging in meine Zimmer, und schrieb einen Brief an den Vater. Es war wohl das Rechte, was ich that. Wie schwer würden es mir Vater Mutter und Schwester verziehen haben, wenn ich mich nicht mit Freude an einen Mann zu einer kurzen Reise an¬ geschlossen hätte, der so an unserm Hause gehandelt hat. Als ich mit dem Briefe fertig war, trug ich ihn hinab, und der Knecht, der gewöhnlich zu allen Bo¬ thengängen verwendet wurde, wartete schon auf ihn, um nebst anderen Aufträgen ihn an den Ort zu brin¬ gen, in welchem er auf die Post kommen sollte. Am anderen Tage, schon im Verlaufe des Vor¬ mittages, kamen Mathilde und Natalie. Es schien, daß allen die Ursache, weßhalb ich, nachdem ich schon Abschied genommen hatte, wieder in das Ro¬ senhaus gekommen war, Freude machte. Sie sahen mich freundlicher an. Selbst Natalie, die mich so ge¬ mieden hatte, war anders. Ich glaubte einige Male, wenn ich abgewendet war, ihren Blick auf mich ge¬ richtet zu wissen, den sie aber sogleich, wenn ich hin¬ sah, weg wendete. Gustav schloß sich mit ganzem Herzen an mich an, und hatte darüber kein Hehl. Ich wußte schon, daß er mir immer seine Neigung in großem Maße zugewendet habe, und ich erwiederte sie aus dem Grunde meiner Seele. Nachmittags wurden die Vorbereitungen zur Reise gemacht, und am anderen Morgen noch vor Aufgang der Sonne fuhren wir ab. Mit Mathilde fuhren Natalie und ein Dienstmädchen, mit meinem Gast¬ freunde fuhren Eustach Gustav und ich. Mit Roland sollten wir irgend wo im Lande zusammen tref¬ fen, er sollte eine Strecke mit uns reisen, und für diesen Fall war es dann bestimmt, daß Gustav in dem Wagen der Mutter untergebracht werden mußte. Die eigenthümliche Art des Hochlandes erzeugte einen eigenthümlichen Plan des Reisens. Wir hatten nehm¬ lich beschlossen, über manchen steilen und länger dauernden Berg hinan zu gehen, eben so über man¬ chen hinab. Dies sollte die ganze Gesellschaft zuwei¬ len zusammen bringen zuweilen trennen. Man konnte auf diese Art Manches gemeinschaftlich genießen, Manches vereinzelt, sich aber in Kürze davon Mit¬ theilungen machen. Ehe noch die Sonne den höchsten Punkt ihres Bogens erklommen hatte, waren wir bereits die Dachung empor gekommen, welche das niedrere Land von dem Hochlande trennt, und fuhren nun in das eigentliche Ziel unserer Reise hinein. Mein Gastfreund hatte Recht. In dem milden sanften Schimmer der Nachmittagsonne, die hier fast wärmer schien als in den Ebenen und Thälern des Tieflandes, fuhren wir einem lieblichen Schauplaze entgegen. Selbst untergeordnete Umstände vereinig¬ ten sich, die Reise angenehm zu machen. Die sandi¬ gen Straßen des Oberlandes, welche auch sehr gut gebaut waren, zeigten sich ohne staubig zu sein sehr trocken, was von den Wegen in der Tiefe nicht gesagt werden konnte, die theils durch die täglichen Mor¬ gennebel getränkt theils ihres schweren Bodens hal¬ ber schon in langen Strecken feucht kühl und schmuzig waren. So rollten wir bequem dahin, alles war klar durchsichtig und ruhig. Nataliens gelber Reisestroh¬ hut tauchte vor uns auf oder verschwand, so wie ihr Wagen einen leichten Wall hinan ging oder jenseits desselben hinab fuhr. Die Sonne stand an dem wol¬ kenlosen Himmel, aber schon tief gegen Süden, gleich¬ sam als wollte sie für dieses Jahr Abschied nehmen. Die lezte Kraft ihrer Strahlen glänzte noch um man¬ ches Gestein und um die bunten Farben des Gestrip¬ Stifter , Nachsommer. Il . 14 pes an dem Gesteine. Die Felder waren abgeerntet und umgepflügt, sie lagen kahl den Hügeln und Hän¬ gen entlang, nur die grünen Tafeln der Wintersaaten leuchteten hervor. Die Hausthiere des Sommer¬ zwanges entledigt, der sie auf einen kleinen Weidefleck gebannt hatte, gingen auf den Wiesen, um das nach¬ sprossende Gras zu genießen, oder gar auf den Saat¬ feldern umher. Die Wäldchen, die die unzähligen Hügel krönten, glänzten noch in dieser späten Zeit des Jahres entweder goldgelb in dem unverlorenen Schmuck des Laubes oder röthlich oder es zogen sich bunte Streifen durch das dunkle bergan klimmende Grün der Föhren empor. Und über allem dem war doch ein blauer sanfter Hauch, der es milderte, und ihm einen lieben Reiz gab. Besonders gegen die Thalrinnen oder Tiefen zu war die blaue Farbe zart und schön. Aus diesem Dufte heraus leuchteten hie und da ent¬ fernte Kirchthürme oder schimmerten einzelne weiße Punkte von Häusern. Das Tiefland war von den Morgennebeln befreit, es lag sammt dem Hochge¬ birge, das es gegen Süden begrenzte, überall sichtbar da, und säumte weithinstreichend das abgeschlossene Hügelgelände, auf dem wir fuhren, wie eine entfernte duftige schweigende Fabel. Von Menschentreiben darin war kaum etwas zu sehen, nicht die Begren¬ zungen der Felder geschweige eine Wohnung, nur das blizende Band des Stromes war hie und da durch das Blau gezogen. Es war unsäglich, wie mir alles gefiel, es gefiel mir bei weitem mehr, als früher, da ich das erste Mal dieses Land mit meinem Gastfreunde genauer besah. Ich tauchte meine ganze Seele in den holden Spätduft, der alles um¬ schleierte, ich senkte sie in die tiefen Einschnitte, an denen wir gelegentlich hin fuhren, und übergab sie mit tiefem innerem Abschlusse der Ruhe und Stille, die um uns waltete. Als wir einmal einen langen Berg empor klom¬ men, dessen Weg einerseits an kleinen Felsstücken Gestrippe und Wiesen dahinging, andererseits aber den Blick in eine Schlucht und jenseits derselben auf Berge Wiesen Felder und entfernte Waldbänder ge¬ währte, als dir Wägen voran gingen, und die ganze Gesellschaft langsam folgte, vielfach stehen bleibend und sich besprechend, gerieth ich neben Natalien, die mich, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten, fragte, ob ich noch das Spanische betreibe. Ich antwortete ihr, daß ich es erst seit Kurzem zu lernen begonnen habe, daß ich aber seit der Zeit im¬ 14 * mer darin fortgefahren sei, und daß ich zulezt mich an Calderon gewagt habe. Sie sagte, von ihrer Mutter sei ihr das Spanische empfohlen worden. Es gefalle ihr, sie werde nicht davon ablassen, so weit nehmlich ihre Kräfte darin ausreichen, und sie finde in dem Inhalte der spani¬ schen Schriften besonders in der Einsamkeit der Ro¬ manzen in den Pfaden der Maulthiertreiber und in den Schluchten und Bergen eine Ähnlichkeit mit dem Lande, in dem wir reisen. Darum gefalle ihr das Spanische, weil ihr dieses Land hier so gefalle. Sie würde am liebsten, wenn es auf sie ankäme, in diesen Bergen wohnen. „Mir gefällt auch dieses Land,“ erwiederte ich, „es gefällt mir mehr, als ich je gedacht hätte. Da ich zum ersten Male hier war, übte es auf mich schier keinen Reiz aus, ja mit seinem raschen Wechsel und doch mit der großen Ähnlichkeit aller Gründe stieß es mich eher ab, als es mich anzog. Da ich mit unserem Gastfreunde später einmal einen größeren Theil be¬ reiste, war es ganz anders, ich fand mich zu dieser Weitsicht und Beschränktheit zu dieser Enge und Gro߬ artigkeit zu dieser Einfachheit und Manigfaltigkeit hingeneigt. Ich fühlte mich bewegt, obwohl ich an ganz andere Gestalten gewohnt war, und sie liebte, nehmlich an die des Hochgebirges. Heute aber ge¬ fällt mir alles, was uns umgibt, es gefällt mir so, daß ich es kaum zu sagen im Stande bin.“ „Seht, das geht immer so,“ erwiederte sie. „Als ich mit meinem Vater zum ersten Male hier war, frei¬ lich befand ich mich noch in den Kinderjahren, war mir das unaufhörliche Auf- und Abfahren so unan¬ genehm, daß ich mich auf das Äußerste wieder in un¬ sere Stadt und in deren Ebenen zurück sehnte. Nach langer Zeit fuhr ich mit der Mutter durch diese Ge¬ genden und später wiederholt in derselben Gesellschaft wie heute, außer euch, und jedes Mal wurde mir das Land und seine Gestaltungen ja selbst seine Bewohner lieber. Auch das ist eigenthümlich und angenehm, daß man Wagenreisen und Fußreisen verbinden kann. Wenn man, wie wir jezt thun, die Wägen verläßt, und einen langen Berg hinan geht, oder ihn hinab geht, wird einem das Land bekannter, als wenn man immer in dem Wagen bleibt. Es tritt näher an uns. Die Gesträuche an dem Wege, die Steinmauern, die sie hier so gerne um die Felder legen, ein Birken¬ wäldchen mit den kleinsten Dingen, die unter seinen Stämmen wachsen, die Wiesen, die sich in eine Schlucht hinab ziehen, und die Baumwipfel, welche aus der Schlucht herauf sehen, hat man unmittelbar vor Augen. In Ebenen eilt man schnell vorbei. Hier ist gerade so eine Schlucht, wie ich sprach.“ Wir blieben ein Weilchen stehen, und sahen in die Schlucht hinab. Beide sprachen wir gar nichts. Endlich fragte ich sie, woher sie denn wisse, daß ich die spanische Sprache lerne. „Unser Gastfreund hat es uns gesagt,“ erwiederte sie, „er hat uns auch gesagt, daß ihr Calderon leset.“ Nach diesen Worten gingen wir weiter. Die an¬ dere Gesellschaft, welche vor uns gewesen war, blieb im Gespräche stehen, und wir erreichten sie. Die Ge¬ spräche wurden allgemeiner, und betrafen meistens die Gegenstände, welche man eben entweder in näch¬ ster Nähe oder in großer Entfernung sah. Weil nach Untergang der Sonne gleich große Kühle eintrat, und unsere Reise nicht den Zweck hatte, große Strecken zurück zu legen, sondern das zu genießen, was die Zeit und der Weg bothen, so wurde, als die Sonne hinter den Waldsäumen hinab sank, Halt gemacht, und die Nachtherberge bezogen. Die Eintheilung war schon so gemacht worden, daß wir zu dieser Zeit in einem größeren Orte eintrafen. Wir gingen noch ins Freie. Wie schnell war in Kur¬ zem der Schauplaz geändert. Die belebende und fär¬ bende Sonne war verschwunden, alles stand einfär¬ biger da, die Kühle der Luft ließ sich empfinden, in der Tiefe der Wiesengründe zogen sich sehr bald Nebelfäden hin, das ferne Hochgebirge stand scharf in der klaren Luft, während das Tiefland verschwamm und Schleier wurde. Der Westhimmel war über den dunkeln Wäldern hellgelb, manche Rauchsäule stieg aus einer Wohnung gegen ihn auf, und bald auch glänzte hie und da ein Stern, die feine Mondes¬ sichel wurde über den Zacken des westlichen Waldes sichtbar, um in sie zu sinken. Wir gingen nun in ein Zimmer, das für uns ge¬ heizt worden war, verzehrten dort unser Abendessen, blieben noch eine Zeit in Gesprächen sizen, und bega¬ ben uns dann in unsere Schlafgemächer. Am andern Tage war ein klarer Reif über Wiesen und Felder. Die Nebelfäden unserer Umgebung wa¬ ren verschwunden, alles lag scharf und funkelnd da, nur das Tiefland war ein einziger wogender Nebel, jenseits dessen das Hochgebirge deutlich mit seinen frischen und sonnigen Schneefeldern dastand. Kurz nach Aufgang der Sonne fuhren wir fort, und bald waren ihre milden Strahlen zu spüren. Wir empfanden sie, der Reif schmolz weg, und in Kurzem zeigte sich uns die Gegend wieder wie gestern. Wir besuchten eine Kirche, in welcher mein Gast¬ freund Ausbesserungen an alten Schnizereien machen ließ. Es war aber gerade jezt nicht viel zu sehen. Ein Theil der Gegenstände war in das Rosenhaus abgegangen, ein anderer war abgebrochen, und lag zum Einpacken bereit. Die Kirche war klein und sehr alt. Sie war in den ersten Anfängen der gothischen Kunst gebaut. Ihre Abbildung befand sich unter den Bauzeichnungen Eustachs. Als wir alles besehen hatten, fuhren wir wieder weiter. Nachmittags gesellte sich Roland zu uns. Er hatte uns in einem Gasthause erwartet, in welchem unsere Pferde Futter bekamen. Ich konnte, da wir uns eine Weile in dem Hause aufhielten, und später bei einer andern Gelegenheit, da wir eine Strecke zu Fuß gingen, wieder bemerken, daß seine Blicke zuweilen auf Natalien hafteten. Er hatte Zeichnungen in einem Buche, das er bei sich trug, und er hatte Bemerkungen und Vorschläge in sein Gedenkbuch geschrieben. Er theilte von beiden Einiges mit, soweit es die Reise gestattete, und ver¬ sprach Abends, wenn wir in der Herberge angelangt sein würden, noch Mehreres vorzulegen. Am nächsten Tage Nachmittags kamen wir nach Kerberg, und besahen die Kirche und den schönen geschnizten Hochaltar. Mir gefiel er jezt viel besser, als da ich ihn in Gesellschaft meines Gastfreundes und Eustachs zum ersten Male gesehen hatte. Ich begrif nicht, wie ich damals mit so wenig Antheil vor diesem außerordentlichen Werke hatte stehen können; denn außerordentlich erschien es mir troz seiner Feh¬ ler, die, wie ich wohl sah, in jedem Werke altdeut¬ scher Kunst zu finden sein würden, die ich aber in dem Bildnerwerke, das auf der Treppe meines Freun¬ des stand, nicht fand. Wir blieben lange in der Kirche, und ich wäre gerne noch länger geblieben. Vor der Ruhe dem Ernste der Würde und der Kind¬ lichkeit dieses Werkes kam eine Ehrfurcht ja fast ein Schauer in mein Herz, und die Einfachheit der An¬ lage bei dem großen Reichthume des Einzelnen be¬ ruhigte das Auge und das Gemüth. Wir sprachen über das Werk, und aus dem Gespräche erkannte ich jezt recht deutlich, daß früher auch vor diesem Werke die zwei Männer auf meine Unkenntniß Rücksicht ge¬ nommen hatten, und ich dankte es ihnen in meinem Herzen. Ich nahm mir vor, einmal von dieser Schniz¬ arbeit ein genaues Abbild zu machen, und es meinem Vater zu bringen. Ich äußerte mich, wie schön wie groß einmal die Kunst gewirkt habe, und wie dies jezt anders gewor¬ den scheine. „Es sind in der Kunst viele Anfänge gemacht worden,“ sagte mein Gastfreund. „Wenn man die Werke betrachtet, die uns aus sehr alten Zeiten über¬ liefert worden sind, aus den Zeiten der egiptischen Reiche des assirischen medischen persischen der Reiche Indiens Kleinasiens Griechenlands Roms — vieles wird noch erst in unsern Zeiten aus der Erde zu Tage gefördert, vieles harrt noch der zukünftigen Enthül¬ lung, wer weiß, ob nicht sogar auch Amerika Schä¬ zenswerthes verbirgt — wenn man diese Werke be¬ trachtet, und wenn man die besten Schriften liest, die über die Entwicklung der Kunst geschrieben worden sind: so sieht man, daß die Menschen in der Erschaf¬ fung einer Schöpfung, die der des göttlichen Schö¬ pfers ähnlich sein soll, — und das ist ja die Kunst, sie nimmt Theile, größere oder kleinere der Schöpfung und ahmt sie nach — immer in Anfängen geblieben sind, sie sind gewissermaßen Kinder, die nachäffen. Wer hat noch erst nur einen Grashalm so treu ge¬ macht, wie sie auf der Wiese zu Millionen wachsen, wer hat einen Stein eine Wolke ein Wasser ein Ge¬ birge die gelenkige Schönheit der Thiere die Pracht der menschlichen Glieder nachgebildet, daß sie nicht hinter den Urbildern wie schattenhafte Wesen stehen, und wer hat erst die Unendlichkeit des Geistes darzu¬ stellen gewußt, die schon in der Endlichkeit einzelner Dinge liegt, in einem Sturme, im Gewitter, in der Fruchtbarkeit der Erde mit ihren Winden Wolkenzü¬ gen, in dem Erdballe selber, und dann in der Unend¬ lichkeit des Alls? Oder wer hat nur diesen Geist zu fassen gewußt? Einige Völker sind sinniger und inni¬ ger geworden, andere haben ins Größere und Weitere gearbeitet, wieder andere haben den Umriß mit keu¬ scher und reiner Seele aufgenommen, und andere sind schlicht und einfältig gewesen. Nicht ein Einzelnes von diesen ist die Kunst, alles zusammen ist die Kunst, was da gewesen ist, und was noch kommen wird. Wir gleichen den Kindern auch darin, daß, wenn sie ein Haus eine Kirche einen Berg aus Erde nur ent¬ fernt ähnlich ausgeführt haben, sie eine größere Freude darüber empfinden, als wenn sie das um Unvergleich¬ liches schönere Haus die schönere Kirche oder den schöneren Berg selbst ansehen. Wir haben ein inni¬ geres und süßeres Gefühl in unserem Wesen, wenn wir eine durch Kunst gebildete Landschaft Blumen oder einen Menschen sehen, als wenn diese Gegen¬ stände in Wirklichkeit vor uns sind. Was die Kinder bewundern, ist der Geist eines Kindes, der doch so viel in der Nachahmung hervorgebracht hat, und was wir in der Kunst bewundern, ist, daß der Geist eines Menschen, uns gleichsam sinnlich greifbar ein Gegen¬ stand unserer Liebe und Verehrung, wenn auch feh¬ lerhaft doch dem etwas nachgeschaffen hat, den wir in unserer Vernunft zu fassen streben, den wir nicht in den beschränkten Kreis unserer Liebe ziehen können, und vor dem die Schauer der Anbethung und Demü¬ thigung in Anbetracht seiner Majestät immer größer werden, je näher wir ihn erkennen. Darum ist die Kunst ein Zweig der Religion, und darum hat sie ihre schönsten Tage bei allen Völkern im Dienste der Religion zugebracht. Wie weit sie es in dem Nach¬ schaffen bringen kann, vermag niemand zu wissen. Wenn schöne Anfänge da gewesen sind, wie zum Beispiele im Griechenthume, wenn sie wieder zurück gesunken sind, so kann man nicht sagen, die Kunst sei zu Grunde gegangen; andere Anfänge werden wieder kommen, sie werden ganz anderes bilden, wenn ihnen gleich allen das Nehmliche zu Grunde liegt und liegen wird, das Göttliche; und niemand kann sagen, was in zehntausend in hunderttausend Jahren in Millio¬ nen von Jahren oder in hunderten von Billionen von Jahren sein wird, da niemand den Plan des Schö¬ pfers mit dem menschlichen Geschlechte auf der Erde kennt. Darum ist auch in der Kunst nichts ganz unschön, so lange es noch ein Kunstwerk ist, das heißt, so lange es das Göttliche nicht verneint, son¬ dern es auszudrücken strebt, und darum ist auch nichts in ihr ohne Möglichkeit der Übertreffung schön, weil es dann schon das Göttliche selber wäre nicht ein Versuch des menschlichen Ausdruckes desselben. Aus dem nehmlichen Grunde sind nicht alle Werke aus den schönsten Zeiten gleich schön und nicht alle aus den verkommensten oder rohesten gleich häßlich. Was wäre denn die Kunst, wenn die Erhebung zu dem Göttlichen so leicht wäre, wie groß oder klein auch die Stufe der Erhebung sei, daß sie vielen ohne in¬ nere Größe und ohne Sammlung dieser Größe bis zum sichtlichen Zeichen gelänge? Das Göttliche müßte nicht so groß sein, und die Kunst würde uns nicht so entzücken. Darum ist auch die Kunst so groß, weil es noch unzählige Erhebungen zum Göttlichen gibt, ohne daß sie den Kunstausdruck finden, Ergebung Pflichttreue das Gebet Reinheit des Wandels, woran wir uns auch erfreuen, ja woran die Freude den höchsten Gipfel erreichen kann, ohne daß sie doch Kunstgefühl wird. Sie kann etwas Höheres sein, sie wird als Höchstes dem Unendlichen gegenüber so¬ gar Anbethung, und ist daher ernster und strenger als das Kunstgefühl, hat aber nicht das Holde des Rei¬ zes desselben. Daher ist die Kunst nur möglich in einer gewissen Beschränkung, in der die Annäherung zu dem Göttlichen von dem Banne der Sinne um¬ ringt ist, und gerade ihren Ausdruck in den Sin¬ nen findet. Darum hat nur der Mensch allein die Kunst, und wird sie haben, so lange er ist, wie sehr die Äußerungen derselben auch wechseln mögen. Es wäre des höchsten Wunsches würdig, wenn nach Ab¬ schluß des Menschlichen ein Geist die gesammte Kunst des menschlichen Geschlechtes von ihrem Entstehen bis zu ihrem Vergehen zusammenfassen und über¬ schauen dürfte.“ Mathilde antwortete hierauf mit Lächeln: „Das wäre ja im Großen, was du jezt im Kleinen thust, und es dürfte hiezu eine ewige Zeit und ein unend¬ licher Raum nöthig sein.“ „Wer weiß, wie es mit diesen Dingen ist,“ er¬ wiederte mein Gastfreund, „und es wird hier wie überall gut sein: Ergebung Vertrauen Warten.“ Eustach öffnete die Mappe, in welcher er die Zeichnung des Altares und die Zeichnungen von Theilen der Kirche von der Kirche selber und von Ge¬ genständen hatte, die sich in der Kirche befanden. Wir verglichen die Zeichnung mit dem Altare, es wurde Manches bemerkt, Manches gelobt, Man¬ ches zur Verbesserung der Zeichnung vorgeschlagen. Wir betrachteten auch die Kirche, wir betrachteten Theile derselben, wir besahen Grabmäler, und unter ihnen auch den großen rothen Stein, auf welchem der Mann mit der hohen schönen Stirne abgebildet ist, der die Kirche und den Altar gegründet hatte. Wir blieben an diesem Tage in Kerberg. Wir stiegen auf den Berg, auf welchem das alte Schloß lag, und sahen das Schloß und den in dem tiefsten herbstlichen Zustande stehenden Garten an. Wir gin¬ gen auf den Stellen, auf welchen die alten mächtigen und reichen Leute gegangen waren, die einst hier ge¬ wohnt hatten, und auch der Mann, als dessen That die Kirche in dem Thale steht. „Was alle diese Menschen gethan haben,“ sagte mein Gastfreund, „wäre zum Theile in den Papieren und Pergamenten enthalten, die in den Schlössern und Häusern dieses Landes und mitunter auch in entfernten Städten liegen. Einige wissen einen Theil dieser Thaten, die meisten sind damit völlig unbe¬ kannt, und diejenigen, welche auf den Spuren herum gehen, die ihre Vorfahren getreten haben, wissen oft nicht wer diese gewesen sind. Es wäre nicht unziem¬ lich, wenn durch Öffnung der Briefgewölbe in al¬ len Ländern auch Einzelgeschichten von Familien und Gegenden verfaßt würden, die unser Herz oft näher berühren und uns greiflicher sind als die großen Ge¬ schichten der großen Reiche. Man betritt wohl die¬ sen Weg, aber vielleicht nicht ausreichend und nicht in der rechten Art. Von Kerberg aus wendeten wir uns am folgen¬ den Tage den höher gelegenen Theilen des Landes zu, das dichter und ausgebreiteter bewaldet war als die bisher befahrenen Gegenden, und von dem uns durch das Dämmer des Vormittages die breiten und weithinziehenden Bergesrücken mit Nadeldunkel und Buchenroth entgegen sahen. Mein Gastfreund hatte Recht gehabt. Ein Tag wurde immer schöner als der andere. Nicht der ge¬ ringste Nebel war auf der Erde, auf welcher wir rei¬ seten, nicht das geringste Wölkchen am Himmel, der sich über uns spannte. Die Sonne begleitete uns freundlich an jedem Tage, und wenn sie schied, schien sie zu versprechen, morgen wieder so freundlich zu erscheinen. Roland blieb drei Tage bei uns, dann verließ er uns, nachdem er vorher noch Zeichnungen und andere Papiere in den Wagen meines Gastfreundes gepackt hatte. Er wollte noch bis zum Eintritte des schlechten Wetters in dem Lande bleiben, und dann in das Ro¬ senhaus zurückkehren. Alles war recht lieb und freundlich auf dieser Reise, die Gespräche waren traulich und angenehm, und jedes Ding, eine kleine alte Kirche, in der einst Gläubige gebethet, eine Mauertrümmer auf einem Berge, wo einst mächtige und gebiethende Menschen gehaust hatten, ein Baum auf einer Anhöhe, der allein stand, ein Häuschen an dem Wege, auf das Stifter , Nachsommer. II . 15 die Sonne schien, alles gewann einen eigenthümlichen sanften Reiz und eine Bedeutung. Am achten Tage wandten wir unsere Wägen wie¬ der gegen Süden, und am neunten Abends trafen wir in dem Asperhofe ein. Ehe ich mich zu meiner Heimreise rüstete, sah ich noch einmal Manches der herrlichen Bilder meines Gastfreundes, drückte manches Außerordentliche der Bücher in meine Seele, sah die geliebten Angesichter der Menschen, die mich umgaben, und sah manchen Blick der Landschaft, die sich zu tiefem Ersterben rü¬ stete. Mein Herz war gehoben und geschwellt, und es war, als breitete sich in meinem Geiste die Frage aus, ob nun ein solches Vorgehen, ob die Kunst die Dichtung die Wissenschaft das Leben umschreibe und vollende, oder ob es noch ein Ferneres gäbe, das es umschließe, und es mit weit größerem Glück erfülle. 3. Der Einblick. Ich fuhr bei sehr schlechtem Wetter, welches mit Wind Regen und Schnee nach den hellen und sonni¬ gen Tagen, die wir in den Hochlanden zugebracht hatten, gefolgt war, von dem Rosenhause ab. Die Pferde meines Gastfreundes brachten mich auf die erste Post, wo schon ein Plaz für mich in dem in der Richtung nach meiner Heimath gehenden Postwagen bestellt war. Mathilde und Natalie waren zwei Tage vor mir abgereist, da sich schon die Zeichen an dem Himmel zeigten, daß die milden Tage für dieses Jahr zu Ende gehen würden. Roland war von seiner Wan¬ derung in dem Asperhofe eingetroffen. Alles hatte auf stürmische Änderung in dem Luftraume hingedeu¬ tet. Ich weiß nicht, warum ich so lange geblieben war. Es erschien mir auch einerlei, ob das Wetter 15 * übel sei oder nicht. Ich war von meinen Wanderun¬ gen her an jedes Wetter gewohnt, um so mehr konnte mir dasselbe gleichgültig sein, wenn ich in einem vollkommen geschüzten Wagen saß, und auf einer wohlgebauten Hauptstraße dahin rollte. Am dritten Tage Mittags nach meiner Abreise von dem Rosenhause traf ich bei den Meinigen ein. Die zweite Ankunft in diesem Jahre. Sie hatten aus meinem Briefe die Verspätung meiner Ankunft entnommen, den Grund vollständig gebilligt, und wären, wie ich ganz richtig vorausge¬ sehen hatte, unwillig auf mich geworden, wenn ich anders gehandelt hätte. Ich erzählte nun alles, was sich nach meiner schnellen Abreise von Hause begeben hatte. Da bei meiner ersten Ankunft gleich die eine Ursache zur Wiederabreise vorgekommen war, so konnte ich auch jezt erst nach und nach erzählen, was sich im vergangenen Sommer mit mir zugetragen habe. Der Vater kam sehr häufig auf die Zeichnungen zu¬ rück, die ihm mein Gastfreund gesendet hatte, und aus seinen Reden war zu entnehmen, wie sehr er die Geschicklichkeit des Mannes anerkannte, der die Zeich¬ nungen gemacht hatte, und wie hoch in seiner Ach¬ tung der stehe, auf dessen Veranlassung sie entstanden waren. Er führte mich neuerdings zu dem Musik¬ geräthtische, zeigte mir noch einmal, warum er ihn gerade an diesen Plaz gestellt habe, und fragte mich wieder, ob ich mit der Wahl des Ortes einverstanden sei. Mich wunderte Anfangs die Frage, da er sonst nicht gewohnt war, mich in solchen Dingen zu Rathe zu ziehen. Nach meiner Ansicht war der Tisch in dem Alterthumszimmer an dem Fensterpfeiler in passender Umgebung sehr gut gestellt, und zeigte seine Eigen¬ schaften in dem besten Lichte. Ich wiederholte daher meine vollkommene Billigung des Plazes, die ich schon vor meiner Abreise ausgesprochen hatte. Später aber sah ich wohl recht deutlich, daß es nur die Freude an diesem Stücke war, was den Vater zur Wieder¬ holung der Frage über die Zweckmäßigkeit des Plazes und zum wiederholten Zurückkommen zu dem Tische veranlaßt hatte. Das freudige Wesen, welches ich bei meiner ersten Ankunft in seiner ganzen Gestalt ausgedrückt gesehen zu haben glaubte, erschien mir jezt auch noch über ihn verbreitet. Selbst die Mutter und die Schwester schienen mir vergnügter zu sein als in andern Zeiten — ja mir war es, als liebten mich alle mehr als sonst, so gut so freundlich so hin¬ gebend waren sie. Wie sehr dieses Gefühl, von den Seinen geliebt zu sein, das Herz beseligt, ist mit Wor¬ ten nicht auszusprechen. Ich erzählte meinem Vater von dem Marmor¬ bilde, welches auf der Treppe im Hause meines Gast¬ freundes steht, und suchte ihm eine Beschreibung von diesem Kunstwerke zu machen. Er sah mich sehr auf¬ merksam an, ja mir war es einige Male, als sähe er mich gewissermaßen betroffen an. Er fragte um man¬ ches, und veranlaßte mich neuerdings von dem Bil¬ derwerke zu sprechen. Es schien ihn sehr angelegent¬ lich zu berühren. Ich erzählte ihm dann auch von der Brunnengestalt in dem Sternenhofe, verglich sie mit der Treppengestalt im Rosenhause, suchte den Unter¬ schied hervorzuheben, und suchte für die Treppenge¬ stalt weit den Vorzug zu gewinnen, obgleich sie der älteren Zeit angehöre, und die andere etwa erst im vergangenen Jahrhunderte verfertigt worden sei, und obgleich diese fast blendend reinen Marmor habe, die andere aber einen, dem man das hohe Alter schon ansehe. Er fragte auch hier noch um Vergleichungs¬ punkte, und ich sah, daß er die Sache ergrif, und Einsicht von ihr hatte. Ich erzählte ihm dann auch von den Gemälden meines Gastfreundes, ich nannte ihm die Meister, von denen Werke vorhanden wären, und bemühte mich, Beschreibungen von den Bildern zu geben, welche mich am meisten in Anspruch genom¬ men hätten. Er that auch in dieser Hinsicht zahlreiche Fragen, und machte, daß ich mich über den Gegen¬ stand weiter ausbreitete, als ich wohl ursprünglich im Sinne hatte. Am zweiten Tage nach meiner Ankunft, da wir wieder von diesen Dingen gesprochen hatten, nahm er mich bei der Hand, und führte mich in sein Bil¬ derzimmer. Ich war absichtlich seit meiner Ankunft nicht in demselben gewesen, und hatte mir dessen Be¬ such auf eine ruhigere Zeit aufgehoben. Ich hatte die zwei Tage in Gesprächen mit meinen Eltern hinge¬ bracht, zum Theile hatte ich sie auch benüzt, die Dinge, welche ich ihnen und der Schwester gebracht hatte, zu übergeben. Darunter waren auch die kleineren Marmorgegenstände, welche im Rothmoore fertig ge¬ worden waren. Der Rest der Zeit war mit Auspacken Einräumen und mit einigen Ankunftsbesuchen aus¬ gefüllt worden. Da wir in das Zimmer getreten wa¬ ren, und die Mitte desselben erreicht hatten, ließ er meine Hand fahren, sagte aber nichts. Ich war im größten Erstaunen. Die Bilder, welche vorhanden waren, und deren Zahl geringe war, weit geringer als bei meinem Gastfreunde ja selbst im Sternenhofe, erschienen mir als außerordentlich schön, als ganz vollendete zusammenstimmende Meisterwerke, wie sie, wenn ich dem ersten Eindrucke trauen durfte, bei mei¬ nem Gastfreunde in dieser gleich hohen und zusammen gehörigen Schönheit nicht vorhanden waren. Es be¬ fand sich, wie ich bald entdeckte, kein Bild der neueren oder neuesten Zeit darunter, sämmtlich gehörten sie der älteren Zeit an, wenigstens, wie ich wahrzuneh¬ men glaubte, dem sechzehnten Jahrhunderte. Ein ganz tiefes eigenthümliches Gefühl kam in meine Seele. Das ist die große und nicht zu beschreibende Liebe des Vaters. Diese kostbaren Dinge besaß er, an diesen Dingen hing sein Herz, sein Sohn war vorüber gegangen, ohne sie zu beachten, und der Va¬ ter entzog dem Sohne doch kein Theilchen der Zunei¬ gung, er opferte sich ihm, er opferte ihm fast sein Leben, er sorgte für ihn, und suchte ihm nicht ein¬ mal zu beweisen, wie schön die Sachen wären. Ich erfuhr, wie sehr ich auch hier geschont worden war. „Das sind ja herrliche Bilder,“ rief ich in Rüh¬ rung aus. „Ich glaube, daß sie nicht unbedeutend sind,“ er¬ wiederte er mit einer durch Bewegung ergriffenen Stimme. Dann gingen wir näher, um sie zu betrachten. Es waren in der That lauter alte Gemälde, keines von besonders großen Abmessungen keines von kunst¬ widriger Kleinheit. Ich that die Bemerkung, daß er keine neuen Bilder habe. „Es hat sich so gefügt,“ sagte er, „ich habe schon einige der hier befindlichen Stücke von deinem Gro߬ vater, der auch ein Freund von solchen Dingen war, geerbt, und anderes habe ich gelegentlich erworben. Die mittelalterliche Kunst steht wohl höher als die neue. In ihr ist ein größerer Reichthum schöner Werke vorhanden als in der neuen, es ist daher leich¬ ter möglich, ein fehlerfreies altes Bild zu erwerben als ein neues. Wer Bilder unserer Zeiten liebt, gibt solche, die an Schönheit keinen Tadel verdienen, nicht zum Kaufe, sie sind daher nicht leicht zu erhalten. Bilder, die von Anfängern oder von solchen herrüh¬ ren, die schwach in der Kunst sind, stehen leicht und an vielen Orten theils von den Künstlern theils von Händlern, wie es auch in früheren Zeiten gewesen sein wird, zum Kaufen. Zu diesen konnte ich nie eine Neigung fassen, daher ist es gekommen, daß ich lauter alte Bilder besize. Es war ein kräftiges und gewal¬ tiges Geschlecht, das damals wirkte. Dann kam eine schwächliche und entartetere Zeit. Sie meinte es bes¬ ser zu machen, wenn sie die Gestalten reicher und ver¬ blasener bildete, wenn sie heftiger in der Farbe und weniger tief im Schatten würde. Sie lernte das Alte nach und nach mißachten, daher ließ sie dasselbe verfallen, ja die mit der Unkenntniß eintretende Rohheit zerstörte Manches, besonders wenn wilde und verworrene Zeitläufe eintraten. Man wendete dann wieder um, und achtete allgemeiner wieder das Alte — von allen Seiten mißachtet war es nie¬ mals. — Man suchte sogar nachzuahmen, nicht blos in der Malerkunst sondern auch und zwar noch mehr in der Baukunst; man konnte aber das Vorbild weder in der Grundeinheit noch in der Ausführung errei¬ chen, so gut und treu die neuen Einzelnheiten auch gewesen sein mochten. Es ist langsam besser gewor¬ den, was sich eben in dem Zeichen kund that, daß man alte Bauwerke wieder schäzte — ich selber weiß noch eine Zeit, in welcher Reisende und Schriftstel¬ ler, die man für gelehrt und spruchberechtigt achtete, die gothische Bauweise für barbarisch und veraltet er¬ klärten — daß man alte Bilder hervor zog ja alte Geräthe sammelte, und in dem Schnitte der Kleider alte Gebilde und Wendungen theilweise einführte. Möge man auf diesem Wege zum Besseren fortfahren, und nicht blos das Alte wieder zu einer Mode ma¬ chen, die den Geist nicht kennt, sondern nur die Ver¬ änderung liebt. Du kannst es noch erleben, wenn wieder eine Höhe eintritt; denn ein Schwellen von Tiefe in Höhe und ein Sinken aus der Höhe in die Tiefe war immer vorhanden. Wenn die Erkenntniß des Alterthums, nicht blos des unsern sondern des noch schönern des Griechenthums, wie es sich jezt auszusprechen scheint, immer fortschreitet und nicht ermattet, so werden wir auch dahin kommen, daß wir eigene Werke werden ersinnen können, in denen die ernste Schönheitsmuse steht, nicht Leidenschaft oder Absicht oder ein äußerlicher Reiz oder ledigliche plan¬ lose Heftigkeit, Werke, die nicht nachgeahmt sind, oder in denen nur ein älterer Stil ausgedrückt ist. Wenn wir dahin gekommen sind, dann dürften wir wohl auch gesellschaftlich auf einer Stufe stehen, daß nicht blos Theile unseres Volkes nach Außen mächtig sind sondern das ganze Volk, und daß es dann mit seinem Leben gelassen kräftig auf das Leben anderer Völker wirkt. Ich denke immer, die sind glücklich, die die Lerchen dieses Frühlings singen hören; aber diese werden den Zustand nicht so empfinden wie der, der andere gesehen hat, so wie der Unschuldige seine Un¬ schuld nicht empfindet, der rechtliche Mann seine Rechtschaffenheit nicht hoch anschlägt, und verdorbene Zeiten ihre Verdorbenheit nicht kennen.“ Ich dachte, da mein Vater so sprach, an meinen Gastfreund, der ähnlich fühlt, und sich ähnlich aus¬ spricht. Aber es ist ja kein Wunder, daß Männer, die ein ähnliches Streben haben, also auch ähnlichen Geist besizen, auf ähnliche Gedanken kommen, beson¬ ders, wenn sie an Alter nicht zu verschieden sind. Wir betrachteten nun das Einzelne. Mein Vater hatte Bilder von Tizian Guido Reni Paul Veronese Annibale Caracci Dominichino Sal¬ vator Rosa Nikolaus Poussin Claude Lorrain Al¬ brecht Dürer den beiden Holbein Lucas Cranach Van Dyk Rembrand Ostade Potter van der Neer Wou¬ vermann und Jakob Ruisdael. Wir gingen von dem einen zu dem andern, betrachteten ein jedes, thaten manches Bild auf die Staffelei, und redeten über ein jedes. Mein Herz war voll Freude. Es erschien mir jezt immer deutlicher, was ich beim ersten Anblicke nur vermuthet hatte, daß die Bilder in dem Gemälde¬ zimmer meines Vaters lauter vorzügliche seien, und daß sie noch dazu an Werth so sehr zusammen stimm¬ ten, daß das Ganze eben den Eindruck eines Außeror¬ dentlichen machte. Ich hatte schon so viel Urtheil ge¬ wonnen, daß ich dachte, nicht gar zu weit mehr in die Irre gerathen zu können. Ich äußerte mich in dieser Beziehung gegen meinen Vater, und er ver¬ sicherte in der That, daß er glaube, daß er nicht nur gute Meister besize, sondern auch von diesen Meistern nach seiner Erfahrung, die er sich in vielen Jahren in vielen Gemäldesammlungen und im Lesen vieler Werke über Kunst erworben habe, bessere von ihren Arbeiten. Ich gab mich den Bildern immer inniger hin, und konnte mich von manchem kaum trennen. Das Köpfchen von einem jungen Mädchen, das ich mir einmal zu einem Zeichnungsmuster genommen hatte, stammte von Hans Holbein dem jüngern her. Es war so zart so lieb, daß es jezt auch wieder einen Zauber auf mich ausübte, wie es wohl auch damals ausgeübt haben mußte; denn sonst hätte ich es ja nicht zum Vorbilde genommen. Kaum waren hier Mittel zu entdecken, mit denen der Künstler gewirkt hatte. Eine so einfache so natürliche Färbung mit wenig Glanz und Vortreten der Farben, so gering scheinende harmlose Linien, und doch eine solche Lieb¬ lichkeit Reinheit Bescheidenheit, daß man kaum weg¬ gehen konnte. Die blonden Haare, die sich von der Stirn gegen hinten zogen, waren fast mit keinem Aufwande gemacht, und doch konnte es kaum etwas schöneres geben als diese blonden Locken. Der Vater erlaubte, daß ich mir das Bild zweimal auf die Staf¬ felei stellen durfte. Als wir mit dem Anschauen der Bilder fertig wa¬ ren, zog der Vater eine flache Lade aus einem Kasten in dem Alterthumszimmer, stellte die Lade auf einen Tisch in der Nähe des Fensters, und lud mich ein hinzu zu gehen, und seine geschnittenen Steine anzu¬ sehen. Ich that es. Hier war meine Verwunderung fast noch größer als bei den Bildern. Ich fand auf den Steinen die Gestalten wieder, wie die eine war, welche auf der Treppe des Hauses meines Gastfreundes stand. „Das sind lauter antike Bildungen,“ sagte mein Vater. Es waren verschiedene Steine von verschiedenem Werthe und verschiedener Größe. Edelsteine, die durch ihren Stoff einen hohen Werth nach unsern heutigen Begriffen haben wie Saphire Rubine waren nicht dabei; doch aber mindere, die wohl als Schmuck getragen werden können, und, wie ich mich jezt deut¬ lich erinnerte, von unserer Mutter auch bei Gelegen¬ heiten getragen wurden. Es war ein Onix da, auf welchem eine Gruppe in der gewöhnlichen halb erha¬ benen Arbeit geschnitten war. Ein Mann saß in einem alterthümlichen Stuhle. Er hatte nur geringe Be¬ kleidung. Seine Arme ruhten sehr schlicht an seiner Seite, und sein feines Angesicht war nur ein wenig gehoben. Er war noch ein sehr junger Mann. Frauen Mädchen Jünglinge standen seitwärts in leichterer Arbeit und weniger kräftig hervorgehoben, eine Göt¬ tin hielt einen Kranz oberhalb des Hauptes des sizen¬ den Mannes. Mein Vater sagte, das sei sein bester wie größter Stein und der sizende Mann dürfte Au¬ gustus sein. Wenigstens stimme sein Halbangesicht, wie es auf dem Steine sei, mit jenen Halbangesich¬ tern Augustus zusammen, die man auf den gut erhal¬ tenen Münzen dieses Mannes sehe. Die Gestalt die Gliederung die Haltung dieses Mannes, die Gestal¬ ten der Mädchen Frauen und Jünglinge ihre Beklei¬ dung ihre Stellungen in Ruhe und Einfachheit, die deutliche und naturgemäße Ausführung der kleinen Theile in den Gliedern und Gewändern machten auf mich wieder jene ernste tiefe fremde zauberartige Wir¬ kung, welche die Gestalt auf der Treppe in dem Hause meines Gastfreundes in mir hervorgebracht hatte, da ich im vergangenen Sommer während des Gewitters zu ihr empor gestiegen war. Auf den andern Steinen befanden sich Männer in Helmen, entweder schöne junge Angesichter oder alte mit ehrwürdigen Bärten. Solche, die in mittleren Mannesjahren standen, wa¬ ren gar nicht vorhanden. Auch Frauenköpfe waren auf einigen Steinen zu sehen. Auf mehreren zeigten sich ganze Gestalten, ein Hermes mit den Flügeln an den Füßen, ein schreitender Jüngling oder einer, der mit dem Arme zum Wurfe mit einem Steine ausholt. Diese Gestalten waren so genau und richtig, daß sie das Vergrößerungsglas ertrugen. Steine mit andern Dingen als menschliche Gestalten hatte mein Vater gar nicht. Ich erinnerte mich, daß ich irgendwo — des Ortes konnte ich mich nicht mehr entsinnen — Käfer auf Steine geschnitten gesehen hatte. „Ich habe die Steine mit menschlichen Gestalten vorgezogen,“ sagte mein Vater, als ich in dieser Hin¬ sicht eine Bemerkung machte, „weil sie mir doch das¬ jenige schienen, was zu dem Menschen in der nächsten Beziehung steht. Ich bin nicht reich genug, eine große Sammlung von geschnittenen Steinen anlegen zu können, in welcher alle Gattungen enthalten sind, so fern man überhaupt Gelegenheit hat, sie zu kau¬ fen, und weil ich das nicht konnte, so habe ich mich lediglich auf menschliche Gestalten beschränkt, und unter diesen wieder auf jene, deren Erwerb mir ohne Einfluß auf mein Hauswesen möglich war; denn es gibt da Kunstwerke in diesem Fache, welche ein gan¬ zes Vermögen in Anspruch nehmen, von dessen Rente manche kleine Familie, deren Ansprüche nicht zu be¬ deutend sind, leben könnte.“ Die Männer in den Helmen trugen diese Kopf¬ bedeckung in der gewöhnlichen Art, wie man sie auf den alten Münzen sieht, und wie ich sie schon auf Abbildungen von Kunstwerken in halberhabener Ar¬ beit gesehen habe, die sich auf griechischen oder römi¬ schen Bauten befanden. Die einfache Art, den Helm zu tragen, wenn er auch eine noch so kostbare Arbeit ist, habe ich an Abbildungen aus späteren Zeiten na¬ mentlich aus dem Mittelalter nicht mehr gefunden. Die Angesichter hatten Züge, die etwas Fremdes wie¬ sen, das jezt nicht mehr vorkömmt, und auf eine ent¬ legene Zeit zurückdeutet. Die Züge waren meistens Stifter , Nachsommer, II . 16 einfach, ja sogar oft unbegreiflich einfach, und doch waren sie schön, schöner und menschlich richtiger — so schien es mir wenigstens — als sie jezt vorkommen. Die Stirnen die Nasen die Lippen waren strenger ungekünstelter, und schienen der Ursprünglichkeit der menschlichen Gestalt näher. Dies war selbst bei den Abbildungen der Greise der Fall, und sogar da, wo man vermuthen durfte, das abgebildete Haupt sei das Bildniß eines Menschen, der wirklich gelebt hat. Es konnte diese Gestaltung nicht Eingebung des Künst¬ lers sein, da offenbar die Steine verschiedenen Zeiten und verschiedenen Meistern angehörten; sie mußte also Eigenthum jener Vergangenheit gewesen sein. Die Köpfe der Frauen waren auch schön, oft überra¬ schend schön; sie hatten aber auch etwas Eigenthüm¬ liches, das sich von unsern gewohnten Vorstellungen entfernte, sei es in der Art, das Haupthaar aufzu¬ stecken, und es zu tragen, sei es, wie sich Stirne und Nase zeigten, sei es im Nacken im Halse im Beginne der Brust oder der Arme, wenn diese Theile noch auf dem Bilde waren, sei es in dem uns fernliegenden Ganzen. Allgemein aber waren diese Köpfe kräftiger, und erinnerten mehr an die Männlichkeit als die un¬ serer heutigen Frauen. Sie erschienen dadurch reizen¬ der und ehrfurchterweckender. Die Ausführung dieser Abbildungen zeigte sich so rein so entwickelt und folge¬ richtig, daß man nirgends, auch nicht im Kleinsten, versucht wurde, zu denken, daß etwas fehle, ja daß man im Gegentheile die Gebilde wie Naturnothwen¬ digkeiten ansah, und daß einem in der Erinnerung an spätere Werke war, diese seien kindliche Anfänge und Versuche. Die Künstler haben also große und ein¬ fache Schönheitsbegriffe gehabt, sie haben sich diese aus der Schönheit ihrer Umgebung genommen, und diese Schönheit der Umgebung durch ihre Schön¬ heitsbegriffe wieder verschönert. So sehr mir die Bilder des Vaters gefielen, so sehr mir die Bilder meines Gastfreundes gefallen hatten, so sehr wurde ich, wie ich durch die Marmorgestalt meines Gast¬ freundes ernster und höher gestimmt worden war als durch seine Bilder, auch durch die geschnittnen Steine meines Vaters ernster und höher gestimmt als durch seine Bilder. Er mußte das fühlen. Er sagte nach einer Weile, da wir die Steine angeschaut hat¬ ten, da ich mich in dieselben vertieft, und manchen mehrere Male in meine Hände genommen hatte: „Das, was die Griechen in der Bildnerei geschaffen haben, ist das Schönste, welches auf der Welt be¬ 16 * steht, nichts kann ihm in andern Künsten und in späteren Zeiten an Einfachheit Größe und Richtigkeit an die Seite gesezt werden, es wäre denn in der Musik, in der wir in der That einzelne Sazstücke und vielleicht ganze Werke haben, die der antiken Schlicht¬ heit und Größe verglichen werden können. Das ha¬ ben aber Menschen hervorgebracht, deren Lebensbil¬ dung auch einfach und antik gewesen ist, ich will nur Bach Händel Haidn Mozart nennen. Es ist sehr schade, daß von der griechischen Malerei nichts übrig geblieben ist als Theile von dem, was in dieser Kunst immer als ein untergeordneter Zweig betrach¬ tet worden ist, von der Wandmalerei und Gebäude¬ verzierung. Da die griechische Dichtkunst das Höchste ist, was in dieser Kunstabtheilung besteht, da ihre Baukunst als Muster einfacher Schönheit besonders für die Gestaltungen ihres Landes gilt, da ihre Ge¬ schichtschreiber und Redner kaum ihres Gleichen ha¬ ben, so ist anzunehmen, daß ihre Malerei auch diesen Dingen gleichgeartet gewesen sein müsse. Sie spre¬ chen in Schriften, die bis auf unsere Tage gekommen sind, von ihren Bauwerken von ihrer Weltweisheit Geschichtschreibung Dichtkunst und Bildnerkunst nicht höher als von ihrer Malerei, ja nicht selten scheint es, als zögen sie diese noch vor, also muß auch sie vom höchsten Belange gewesen sein; denn es ist nicht anzunehmen, daß Schriftsteller, die doch endlich der Ausdruck wenn auch der gehobene ihrer Zeit und ihres Volkes sind, so feine Kenntnisse und so feines Gefühl in andern Künsten gehabt haben, und für Fehler der Malerei blind gewesen wären. Wahrscheinlich wür¬ den wir uns an Strenge und Rundung in ihrer Ma¬ lerei ergözen und sie bewundern, wie wir es mit ihren Bildsäulen thun. Ob wir an ihnen für unsere Ma¬ lerei etwas lernen könnten, weiß ich nicht, so wie ich nicht weiß, wie viel es ist, was wir an ihrer Bild¬ hauerei gelernt haben. Diese Steine sind durch viele Jahre mein Vergnügen gewesen. Oft in trüben Stunden, wenn Sorgen und Zweifel das Leben sei¬ nes Duftes beraubten, und es dürr vor mich hinzu¬ breiten schienen, bin ich zu dieser Sammlung gegan¬ gen, habe diese Gestalten angeschaut, bin in eine an¬ dere Zeit und in eine andere Welt versezt worden, und bin ein anderer Mensch geworden.“ Ich sah meinen Vater an. Hatte ich früher schon oft Gelegenheit gehabt, ihn hoch zu achten, und hatte ich zu verschiedenen Zeiten entdeckt, daß er bedeutendere Eigenschaften besize, als ich geahnt hatte, so war ich doch nie in der Lage, ihn beurtheilen zu können, wie ich ihn jezt beurtheilte. In Geschäfte der eintönigsten Art gezwungen, oder vielleicht selber und freiwillig in diese Geschäfte gegangen — denn er führte sie mit einer Ordnung mit einer Rechtlich¬ keit mit einer Ausdauer mit einer Anhänglichkeit an sie, daß man staunen mußte — hatte er, der unschein¬ bar seinen bürgerlichen Obliegenheiten nachkam, und von dem viele nur glauben mochten, daß er in seinem Hause einige Spielereien von alten Geräthen Bildern und Büchern habe, vielleicht einen tieferen und ein¬ sameren Kreis um sich gezogen, als ich jezt noch er¬ kennen konnte, und hatte ohne Anspruch an diesem Kreise fort gebaut. Ich empfand Ehrfurcht vor ihm, und fragte ihn, ob er die Schriftsteller, von denen er spreche, griechisch gelesen habe. „Wie könnte ich sie denn anders gelesen haben, und noch lesen, wenn ich sie lieben soll,“ antwortete er, „die alte vorchristliche Welt hat so ganz andere Vorstellungen als die unsere, die Völkerwanderung hat so sehr einen Abschnitt in der Geschichte gemacht, daß die Werke der vorher gewesenen Völker gar nicht übersezt werden können, weil unsere Sprachen in ihrem Körper und in ihrem Geiste auf die alten Vor¬ stellungen nicht passen. Im Lesen in ihrer Sprache und in ihren Dichtungen und Geschichten wird man nach und nach einer von ihnen, und lernt ihre Art beurtheilen, was man sonst nie mehr kann. In un¬ sern Schulen lernen wir ja römisch und griechisch, und wenn man in der Zeit nach der Schule noch et¬ was nachhilft, und fleißig in den alten Schriften liest, so fügt sich die Sache ohne Mühe, und gelingt leichter, als man etwa das Französische Italienische oder Englische lernt, wie es ja jezt die meisten Leute thun.“ „Du hast ja aber auch diese Sprachen gelernt,“ sagte ich. „Wie sie auch andere lernen,“ antwortete er, „und wie es mein Stand foderte.“ „Ich habe es bis heute nicht gewußt, daß du in den alten Sprachen Bücher liesest,“ sagte ich, „und was noch mehr ist, daß du dich in die Dichtkunst in die Geschichte und Weltweisheit der Völker, deren Schriften du liesest, vertiefest. Du weißt, daß wir uns nie anmaßten, die Bücher zu untersuchen, in de¬ nen du liesest.“ „Es war keine Ursache vorhanden, dir zu erzäh¬ len, was ich lese,“ antwortete er, „ich dachte, es wird sich schon geben. Deine Mutter wußte es wohl.“ Die Hochachtung für den Vater, der ohne Auf¬ heben mehr war, als der Sohn geahnt hatte, und der geduldig auf den Sohn gewartet hatte, ob er auf dem Wege zu ihm stoßen werde, war nicht die einzige Frucht dieses Tages. Ich empfand recht wohl, daß der Vater auch mich höher achtete, und daß er eine große Freude habe, daß der Sohn nun auch in Kunst¬ dingen sich ihm nähere. Daß wir in einigen wissen¬ schaftlichen Sachen zusammen trafen, wußte ich wohl, da wir über Gegenstände der Geschichte der Dichtun¬ gen und über andere in jüngster Zeit manchmal ge¬ sprochen hatten, ich wußte aber nie, in wie ferne und auf welchen Wegen der Vater zu diesen Dingen ge¬ kommen war. Heute hatte ich einen größern Einblick gethan, und ich wußte nun auch gar nicht, welch eine geregelte wissenschaftliche Bildung der Vater aus sei¬ nen früheren Jahren hinter sich habe, und ob es nicht etwa gar aus dieser wissenschaftlichen Bildung herzu¬ schreiben sei, daß er mich gerade meinen Weg habe gehen lassen, der mir selber zuweilen abenteuerlich vorgekommen war. Ich mußte jezt doppelt wünschen, daß mein Vater einmal mit meinem Gastfreunde zu¬ sammen käme, um mit ihm über ähnliche Gegenstände zu sprechen, wie er heute zu mir gesprochen hatte. Ich konnte doch nicht hinreichend eingehen, und wußte auch nicht, in wie ferne er in seinen Urtheilen über altgriechische Bildnerkunst Dichtkunst Malerei und über die neuere Musik Recht habe. Allein der Vater arbeitete so ruhig in seinem Berufsgeschäfte weiter, er war in alle Einzelheiten desselben so vertieft, und sorgte für den regelmäßigen Fortgang desselben, daß es nicht leicht zu erwarten war, daß er sich zu einer Reise entschließen würde. Gegen das Ende unseres Gespräches kam auch die Mutter und Klotilde herein. Das Angesicht der Mutter wurde sehr heiter, als sie uns bei den Stei¬ nen stehen sah, als sie sah, daß der Vater sie mir zeigte und erklärte, und als sie auch erkennen mochte, daß in dem Wesen des Vaters eine Freude sei, und daß die Annäherung, die sie geahnt habe, wirklich eingetreten sei. Wir gingen noch einige Male bald in das Bil¬ derzimmer bald in das Alterthumszimmer, in welchem noch immer die Lade mit den Steinen auf dem Tische stand, und redeten über Verschiedenes. „Diese Kunstwerke,“ sagte der Vater, da er die Steine wieder verschlossen hatte, und da wir uns aus diesem Zimmer entfernten, „könnt ihr in euren Besiz bringen. Wenn ihr Sinn und tiefe Liebe für diesel¬ ben habet, so werdet ihr sie nach unserem Tode in einer von mir gemachten und, wie ich glaube, gerech¬ ten Theilung empfangen. Sterbe ich vor eurer Mut¬ ter, so bleiben sie als Denkmal unseres friedlichen Hauses in der Lage, in der sie jezt sind, und sie wer¬ den euch erst eingehändigt, wenn mir auch die Mutter gefolgt ist. Will Klotilde dir ihren Antheil abtreten, so ist die Summe schon bestimmt, welche du ihr dafür geben mußt, und so auch umgekehrt. Ist bei beiden nach unserm Absterben eine solche Liebe zu diesen Bil¬ dern und Steinen nicht vorhanden, daß ihr sie un¬ zersplittert bewahret, so ist schon bestimmt, daß auf eure hierin eingeholte Erklärung dieselben gegen ein Entgelt, das nicht unbillig ist, an einen Ort über¬ gehen, an welchem sie beisammen bleiben. Ich glaube aber wohl, daß diese Neigung in unserm Hause fort¬ dauern werde.“ Wir antworteten auf diese Rede nichts, weil sie einen Gegenstand berührte, der, wie entfernt wir ihn uns auch denken mußten, doch schmerzlich auf uns einwirkte. Ich verlegte mich nach dieser gemachten Erfah¬ rung mit noch größerem Eifer auf die Kenntniß der Werke der bildenden Kunst. Ich lernte mich in die Bilder des Vaters bis in die kleinsten Einzelheiten hinein, und war zu diesem Zwecke sehr oft und zu¬ weilen lange in dem Bilderzimmer, ich besuchte alle größeren zugänglichen Sammlungen, und suchte deren Bilder zu ergründen, ich besah alle Bildnerwerke, die in unserer Stadt einen Ruf hatten, und strebte nach einer genauen Kenntniß ihrer Beschaffenheiten, ich las endlich namhafte Werke über die Kunst, und verglich meine Gedanken und Gefühle mit den in den Büchern gefundenen. Ich sprach viel mit meinem Vater über diese Gegenstände, wir näherten uns immer mehr, meine Empfindungen wurden stets inniger, und ich versenkte meine Seele in sie. Unsern Erzdom bewun¬ derte ich jezt in einem höheren Maße als in allen früheren Zeiten, und ich stand manche Stunde vor seinem ungeheuren Baue. Selbst die Gebilde der Ma¬ thematik, wenn ich wieder zu Zeiten etwas in ihr zu thun hatte, erschienen mir zuweilen schön und zierlich, was mir namentlich bei einigen französischen Mathe¬ matikern geschah. Das Malen schöner Köpfe sezte ich fort, und eben so wurde das Zeichnen und Malen von Landschaften, welches ich im vorigen Jahre mit der Schwester begonnen hatte, nicht bei Seite gesezt. Ich nahm mit ihr die Zeichnungen vor, welche sie im vergangenen Sommer während meiner Abwesenheit gemacht hatte, und so wie ich von meinem Gastfreunde von Eustach und von dem Vater über die Fehler be¬ lehrt worden war, die sich in meinen Landschaftsver¬ suchen befanden, so belehrte ich Klotilden wieder über die ihrigen. Seit ich Mathilden kannte, besonders aber jezt, nachdem ich öfter in ihrer Gesellschaft gewesen war, und im Spätherbste die Reise mit ihr und den andern in das Hochland gemacht hatte, war ich auch auf die Angesichter ältlicher und alter Frauen aufmerksam ge¬ worden. Man thut sehr Unrecht, und ich bin mir be¬ wußt, daß ich es auch gethan habe, und gewiß han¬ deln andere Leute in ihrer Jugend ebenfalls so, wenn man die Angesichter von Frauen und Mädchen, so¬ bald sie ein gewisses Alter erreicht haben, sofort be¬ seitigt, und sie für etwas hält, das die Betrachtung nicht mehr lohnt. Ich fing jezt zu denken an, daß es anders sei. Die große Schönheit und Jugend reißt unsere Aufmerksamkeit hin, und erregt ein tiefstes Ge¬ fallen; warum sollten wir aber mit dem Geiste nicht auch ein Angesicht betrachten, über welches Jahre hin¬ gegangen sind? Liegt nicht eine Geschichte darin, oft eine unbekannte voll Schmerzen oder Schönheit, die ihren Widerschein auf die Züge gießt, daß wir sie mit Rührung lesen oder ahnen? Die Jugend weist auf die Zukunft hin, das Alter erzählt von einer Vergan¬ genheit. Hat diese kein Recht auf unsern Antheil? Als ich Mathilden das erste Mal sah, fiel mir das Bild der verblühenden Rose ein, welches mein Gastfreund von ihr gebraucht hatte, es fiel mir ein, weil ich es so treffend fand; und später oft, wenn ich Mathilden betrachtete, gesellte sich das Bild wieder zu meinen Gedanken, es erregten sich neue, und es erzeugte sich eine ganze Folge davon. Ich hatte mir einmal gedacht, daß Mathilde aussehe, wie ein Bild der Ver¬ gebung, und später dachte ich es mir öfter. Ihr An¬ gesicht mußte sehr schön gewesen sein, vielleicht gar so schön wie jezt Nataliens, nun ist es ganz anders; aber es spricht leise von einer Vergangenheit, daß wir meinen, wir müßten sie vernehmen können, und wir vernähmen sie auch gerne, weil sie uns so an¬ ziehend scheint. Sie muß manche Neigungen gehabt haben, sie muß manche Freuden erlebt und manches Gut verloren haben, sie hat Schmerzen und Kummer ertragen; aber sie hat alles Gott geopfert, und hat gesucht, mit sich in das Gleiche zu kommen, sie ist mit den Menschen gut gewesen, und jezt ist sie in tie¬ fem Glücke mit manchem unerfüllten Wunsche, und mit mancher kleinern und größern Sorge, die sie sin¬ nen macht. Als ich einen Mann sagen gehört hatte, daß die Fürstin, in deren Abendgesellschaften ich zu¬ weilen sein durfte, so schöne Töne in dem Angesichte habe, daß sie nur Rembrand zu malen im Stande wäre, wurde ich nicht blos auf die Fürstin noch mehr aufmerksam, die in ihrem hohen Alter noch so schön war, sondern ich betrachtete auch Mathilden wieder genauer, und lernte die Schönheit, wenn schon manche Jahre über sie gegangen sind, besser kennen. Ich fing nun an, Männer und Frauen, die in höherem Alter sind, zu betrachten, und sie um die Bedeutung ihrer Züge zu erforschen. Dabei fielen mir die Greisenköpfe auf den Steinen meines Vaters ein. Ich betrachtete die Steine öfter, da mir der Zugang zu denselben erlaubt war, und verglich die Köpfe, die sich auf ihnen befanden, mit denjenigen, die mir in dem jezt lebenden Geschlechte aufstießen. Beide Arten waren wirklich nicht mit einander vergleichbar, und es zeigten sich in ihnen die Verschiedenheiten mensch¬ licher Geschlechter. Das Antliz der Fürstin erschien mir nun um vieles schöner als in der früheren Zeit, daß ich aber nicht auf den Wunsch gerieth, es ma¬ len zu wollen, also noch weniger dem Wunsche einen Ausdruck gab, begreift sich. In den Angesich¬ tern der Manchen, welche ich jezt eifriger betrachtete, fand ich freilich oft etwas, das mir nicht gefiel, sei es Neid sei es irgend eine Begierlichkeit sei es bloße Abgelebtheit oder Geistlosigkeit, sei es etwas ande¬ res, ich stellte bei solchen Gelegenheiten meine Be¬ trachtung bald ein, und hegte nicht den Wunsch, das Gesehene zu malen. Seit ich Gustav besser kennen gelernt hatte, und näher mit ihm befreundet worden war, betrachtete ich auch gerne Köpfe von Jünglin¬ gen, ob sie nicht Gegenstände zum Malen abgäben. Wenn gleich sein Angesicht ebenfalls nicht jenen schö¬ nen und einfachen Angesichtern auf den Steinen mei¬ nes Vaters glich, die besonders edel und merkwür¬ dig aus den Helmen heraus sahen, so war es ihnen doch näher als alle andern, welche ich jezt zu er¬ blicken Gelegenheit hatte, und war überhaupt so schön wie es selten einen Kopf eines Knaben geben wird, der eben in das Jünglingsalter übertritt. Wenn der Ausdruck der Mienen der Jünglinge unserer Stadt sehr oft darauf hinwies, daß ihr Geist verzogen wor¬ den sein mag, wenn sie etwas Weichliches oder etwas zu sehr Herausforderndes oder etwas hatten, das schon über ihre Jahre hinausging, ohne doch Kraft zu zeigen: so war Gustavs Antliz so kräftig, daß es vor Gesundheit zu schwellen schien, es war so ein¬ fach, daß es gleichsam keinen Wunsch keine Sorge kein Leiden keine Bewegung aussprach, und doch war es wieder so weich und gütig, daß man, wenn der feurige Blick nicht gewesen wäre, in das Angesicht eines Mädchens zu blicken geglaubt haben würde. Ich zeichnete und malte meine Köpfe jezt anders als noch kurz vorher. Wenn ich früher, vorzüglich bei Beginne dieser meiner Beschäftigung, nur auf Rich¬ tigkeit der äußeren Linien sah, so weit ich dieselbe darzustellen vermochte, und wenn ich nur die Farben annäherungsweise zu erringen im Stande war, so glaubte ich, mein Ziel erreicht zu haben: jezt sah ich aber aus den Ausdruck, gleichsam, wenn ich das Wort gebrauchen darf, auf die Seele, welche durch die Li¬ nien und die Farben dargestellt wird. Seit ich die Marmorgestalt in dem Hause meines Gastfreundes so lieben gelernt hatte, und in die Bilder mich ver¬ tiefte, welche ich in dem Rosenhause getroffen hatte, und in dem Hause meines Vaters vorfand, war alles anders als früher, ich suchte und haschte nach irgend einem Innern, nach irgend etwas, das weit außer dem Bereiche von Linien und Farben lag, das größer war als diese Dinge, und doch durch sie darzustellen sein mußte. Einen Kopf so zu zeichnen oder gar zu malen, wie ich jezt wollte, war viel schwerer, als wie ich früher anstrebte, es war ohne einen Vergleich zu¬ zulassen, schwerer; aber es war nicht zu umgehen, wenn man überhaupt die Sache machen wollte, es war dichten, wenn ein Dichtungswerk geliefert sein sollte. Ich stellte meine Aufgabe kleiner, ich suchte die Züge auf einem bescheidenen Raume zu entwerfen, und begnügte mich mit den Andeutungen in Zeich¬ nung und Farben, wenn nur ein Inneres zu sprechen begann, ohne daß ich darauf beharrte, daß aus dem Begonnenen ein ausgeführtes Bild werden sollte, was nicht selten, wenn ich es versuchte, das Innere wieder vertilgte, und das Gemälde seelenlos machte. Mein Vater wurde der Richter, und war jezt ein stren¬ ger, während er früher alles einfach hatte gelten las¬ sen, was ich unternahm. Er pflegte zu sagen, das, was ich jezt vor Augen habe, sei das Künstlerische, mein Früheres sei ein Vergnügen gewesen. Ich nahm Stifter , Nachsommer. II . 17 häufig, wenn ich nicht in das Reine kommen konnte, zu den Bildern meine Zuflucht, und suchte zu ergrün¬ den, wie es dieser und jener gemacht habe, um zu dem Ausdrucke zu gelangen, den er darstellte. Mein Vater sagte, das sei der geschichtliche Weg der Kunst, man könne ihn verfolgen, wenn man große Bilder¬ sammlungen besuche, und wenn die Werke ohne große Lücken da sind, um sie vergleichen zu können. Das sei auch außer der genauesten Betrachtung der Natur und der Liebe zu ihr der Weg, auf dem die Kunst wachse, und auf dem sie bei den verschiedenen An¬ fängen, die sie in verschiedenen Zeiten und Räumen gehabt habe, gewachsen ist, bis sie wieder versank oder zerstört wurde, um wieder zu beginnen, und zu versuchen, ob sie steigen könne. Wo der bare Hochmuth auftritt, der alles Gewesene verwirft, und aus sich schaffen will, dort ist es mit der Kunst wie auch mit andern Dingen in dieser Welt aus, und man wirft sich in das bloße Leere. Außer dem Zeichnungsunterrichte sezte ich mit der Schwester auch die Übungen in der spanischen Sprache und im Zitherspiele fort. Sie war ohnehin von Kindheit an geneigt gewesen, alles, was ich that, ein wenig nachzuahmen, und ich hatte immer die Lust gehabt, ihr Führer zu werden. Dies blieb jezt zum Theile auch so fort. Der Unterricht, welchen mir mein Freund der Sohn des Juwelenhändlers in der Edelsteinkunde gegeben hatte, wurde wieder aufgenommen und fort¬ gesezt. Da wir auch außerdem in manchen Stunden einen freundlichen Umgang mit einander pflegten, so nahm ich mir eines Tages, obwohl es mir stets schwer wird, jemanden über seinen ihm eigenthümlichen Be¬ ruf etwas zu sagen, doch den Muth, ihn meine Ge¬ danken über die Fassung der Edelsteine wissen zu las¬ sen, wie ich nehmlich glaube, daß es nicht richtig sei, wenn die Edelsteine von der Fassung erdrückt würden; daß ich es aber auch für nicht richtig halte, wenn sie keine andere Fassung hätten, als die sie brauchten, um an dem Kleidungsstücke mit dem Halt, den sie benö¬ thigen, befestigt werden zu können; und daß daher der Mittelweg sich darbiethe, daß die Schönheit des Steines durch die Schönheit der Gestaltgebung ver¬ größert werde, wodurch es sich möglich mache, daß der an sich so kostbare Stoff das Kostbarste würde, nehm¬ lich ein Kunstwerk. Ich wies hiebei auf die Gestal¬ tungen hin, welche die Kunst des Mittelalters hege, 17 * und aus denen geschöpft und weiter fortgeschritten werden könne. „Du hast im Grunde vollkommen Recht,“ erwie¬ derte mein Freund, „wir fühlen das alle mehr oder minder klar, außer denen, welchen alles gleichgültig und unwesentlich ist, was nicht unmittelbar zum Er¬ werbe führt; darum sind auch allerlei Versuche ge¬ macht worden, und werden noch gemacht, die Fassung zu vergeistigen. Sie gelingen in so ferne mehr oder weniger, je nachdem es größere oder kleinere Künstler sind, welche die Entwürfe machen. Hierin liegt aber eine mehrfache Schwierigkeit. Zuerst sind die, welche in Juwelen und Perlen arbeiten, sehr selten Künst¬ ler, sie können es nicht leicht werden, weil die Vorbe¬ reitung dazu zu viel Zeit und Kräfte in Anspruch nehmen würde; werden sie es aber, so bleiben sie gleich Künstler, verfertigen Kunstwerke, und arbeiten nicht in Edelsteinen, was ihrem Geiste und ihrem Einkommen abträglich wäre. Müssen nun Künstler um Entwürfe angegangen werden, so biethet sich zweitens der Übelstand, daß der Künstler die Juwe¬ len zu wenig kennt, und die Fassung daher zu we¬ nig auf ihre Natur berechnen kann, wozu sich noch gesellt, daß die großen Künstler schwer zugänglich sind, Entwürfe für Edelsteinfassungen auszuarbeiten, es müßte denn dies eine besondere Liebhaberei sein; und wenn sie es thun, so kömmt die Fassung sehr theuer. Deßhalb muß man zu geringeren Künstlern seine Zuflucht nehmen, welche dann auch wieder ge¬ ringere Entwürfe liefern. Wir haben die Sache in unserer Handelsstube ganz im Klaren. Wir versu¬ chen auch von Zeit zu Zeit ein wirkliches Kunstwerk in Perlen und edlen Steinen darzustellen, und war¬ ten, ob ein Kenner komme, und es übernehme; denn der Leute, welche Edelsteine brauchen, sind viel mehr, als welche Kunstdinge suchen. Solche Werke in gro¬ ßer Zahl ausführen zu lassen hindert uns der Man¬ gel an zahlreichen trefflichen Entwürfen und der Mangel an Käufern, da der Juwelenverkauf doch endlich unser Erwerb ist. Da unsere gewöhnlichen Kunden aber doch so viel Geschmack haben, daß sie eine unedle Fassung beleidigen würde, so wählen wir den natürlichsten Weg, die Fassung im Stoffe edel und in der Gestalt auf das Einfachste zu machen, so daß die Schönheit der Steine oder der Perlen allein es ist, was herrscht, und der Anker, an dem es haftet, sich verbirgt. Was deinen Gedanken von mit¬ telalterlichen Gestaltungen anbelangt, so ist er nicht neu; man hat schon solche versucht, und der Freiherr von Risach hat bei uns nach beigebrachten Zeichnun¬ gen Dinge ähnlicher Art verfertigen lassen.“ Mir leuchtete die Sache sehr ein, und ich konnte sie nicht weiter belegen. Ich betrachtete von nun an mit noch größerer Sorgfalt und Genauigkeit die Ar¬ beiten, welche mein Freund in den verschiedenen Werkstätten der Stadt machen ließ. Sie waren mei¬ stens sehr schön, ja ich glaube, schöner, als man sie irgendwo zu sehen gewohnt ist. Deßungeachtet mußte ich behaupten, daß, wenn nur überhaupt ein edlerer und höherer Sinn für Kunst vorhanden wäre, dieje¬ nigen Leute, welche große Summen für Schmuck ausgeben, dieselben Summen oder vielleicht noch größere dahin verwenden würden, daß sie gleich wirk¬ liche Kunstwerke in Juwelen bestellten. Dagegen er¬ wiederte mein Freund, daß, wie hoch der Kunstsinn auch stehe und wie weit er sich verbreite, doch die Zahl derer immer größer bleiben würde, welche blos Schmuck als Schmucksachen kaufe, als derer, welche Kunstwerke in Kleinodien entwerfen und aus¬ führen lassen, was er allerdings als die höchste Spize seines Berufes ansehen würde. Dazu komme noch, daß mancher, der Kunstsinn habe, von der Schönheit der Steine sich gefangen nehmen lasse, und zulezt nichts begehre als diese einzige Schönheit. In dem lezten Grunde hatte mein Freund ganz besonders Recht; denn je mehr ich selber die Steine betrachtete, je mehr ich mit ihnen umging, eine desto größere Macht übten sie auf mich, daß ich begrif, daß es Menschen gibt, welche blos eine Edelsteinsammlung ohne Fas¬ sung anlegen, und sich daran ergözen. Es liegt etwas Zauberhaftes in dem feinen sammtartigen Glanze der Farbe der Edelsteine. Ich zog die farbigen vor, und so sehr die Diamanten funkelten, so ergrif mich doch mehr das einfache reiche tiefe Glühen der farbigen. Meinen Beruf, den ich im Sommer bei Seite ge¬ sezt hatte, nahm ich wieder auf. Ich machte mir gleichsam Vorwürfe, daß ich ihn so verlassen und mich einem planlosen Leben hatte hingeben können. Ich that das, wozu der Winter gewöhnlich auser¬ sehen war, und sezte die Arbeiten der vorigen Zeiten fort. Das Regelmäßige der Beschäftigung übte bald seine sanfte Wirkung auf mich; denn was ich troz der freudigen Stimmung, in welcher ich aus meinen Er¬ ringungen in der Kunst und in der Wissenschaft war, doch Schmerzliches in mir hatte, das wich zurück, und mußte erblassen vor der festen ernsten strengen Beschäftigung, die der Tag foderte, und die ihn in seine Zeiten zerlegte. Ich besuchte auch, wie im vergangenen Winter, meine Kreise, dann Musik- und Kunstanstalten. Daß das alles vereinigt werden konnte, mußte eine genaue Zeiteintheilung gemacht werden, und ich mußte die Zeit richtig verwenden. Dazu war ich wohl von Kindheit an gewöhnt worden, ich stand sehr früh auf, und hatte Manches für den Tag schon an der Lampe fertig gemacht, wenn die allge¬ meine Frühstunde in unserm Hause heran rückte, und man sich zu dem Frühmahle versammelte. Dazu brauchte ich nicht viel Schlaf, und konnte manche Stunde von der beginnenden Nacht nehmen. Die Thätigkeit stärkte, und wenn ein Schwung und eine Erhebung in meinem Wesen war, so wurde der Schwung und die Erhebung durch die Thätigkeit noch klarer und fester. Einer meiner ersten Gänge war nach meiner Zu¬ rückkunft zu der Fürstin, um mich ihr vorzustellen. Sie war selber erst vor wenigen Tagen von ihrem Lieblingslandsize in die Stadt zurückgekehrt, und noch nicht recht heimisch. Sie empfing mich sehr freundlich wie immer, und fragte mich um meine Beschäftigun¬ gen während des Sommers. Ich konnte ihr nicht viel sagen, und erzählte ihr außer den Messungen, die ich am Lautersee vorgenommen hatte, von meinen Kunstbestrebungen meiner Kunstneigung und meiner Liebe zu den Dichtungen. Von den besonderen Ver¬ hältnissen zu meinem Gastfreunde erwähnte ich nur das Allgemeine, weil ich es für anmaßend gehalten hätte, einer alten würdigen Frau, deren Beziehungen ausgebreitet und inhaltsreich waren, unaufgefodert Einzelheiten von meinem Leben mitzutheilen. Sie ging auch nicht näher darauf ein, dafür verweilte sie desto eifriger bei der Kunst und bei den Dichtern. Sie fragte mich, was ich gelesen hätte, wie ich es aufgefaßt hätte, und was ich darüber dächte. Sie zeigte sich hiebei mit allen den Werken bekannt, welche ich ihr nannte, nur hatte sie das Griechische, von dem ich ihr erzählte, blos in der Übersezung gelesen. Sie ging im Allgemeinen auf die Gegenstände ein, und verweilte bei manchem Einzelnen ganz besonders. Unsere Ansichten trafen oft zusammen, oft gingen sie auch auseinander, und sie suchte ihre Meinung zu begründen, was mir zum mindesten immer manche neue Gesichtspunkte gab. In Bezug auf die Kunst verlangte sie, daß ich ihr einige Zeichnungen und Malereien zeigen möchte, deren Wahl ich selber vor¬ nehmen könne, wenn ich schon nicht alle vor ihre Augen bringen wollte. Ich sagte, daß alle wohl zu viel wären, namentlich, da ich in erster Zeit so viele blos naturwissenschaftliche Zeichnungen gemacht habe, und daß ich selber die Gränze nicht angeben könne, wo die naturwissenschaftlichen Zeichnungen in die künstlerisch angelegten übergingen. Ich würde aus allen Zeitabschnitten etwas auswählen, und es ihr bringen. Es wurde ein Tag bestimmt, an welchem ich zur Mittagszeit zu ihr kommen sollte. Ich kam an dem Tage, es war niemand als die Vorleserin zugegen, und es wurde der Befehl gegeben, niemanden vorzulassen; denn ihr allein hätte ich ja die Zeichnungen gebracht, nicht jedem fremden Auge, das dazu käme. Sie sah alle Blätter an, und billigte alle, besonders erregten naturwissenschaftliche Pflan¬ zenzeichnungen ihre Aufmerksamkeit, weil sie sich viel mit Pflanzenkunde beschäftigt hatte, noch jezt Antheil an dieser Wissenschaft nahm, und sie besonders bei ihren Landaufenthalten pflegte. Sie freute sich an der Genauigkeit der Abbildungen, und sagte mir ganz richtig, welche den Urbildern am meisten entsprächen. Nach diesen Pflanzenzeichnungen sagten ihr am mei¬ sten die der Köpfe zu. An den landschaftlichen Versu¬ chen mochte ihr die Einseitigkeit aufgefallen sein, da sie gewiß eine Kennerin landschaftlicher Bildungen war, weil sie sehr gerne im Sommer einige Wochen an irgend einer der schönsten Stellen unseres Landes verweilte. Sie äußerte sich aber in dieser Richtung nicht. Von den Köpfen sagte sie, daß man auf diese Weise eine ganze Sammlung merkwürdiger Menschen anlegen könnte. Ich erwiederte, darauf sei ich nicht ausgegangen, ich könnte auch nicht so leicht beurthei¬ len, wer ein merkwürdiger Mensch sei. Es habe mir nur, da ich lange Zeit Gegenstände der Natur gezeich¬ net hatte, eingeleuchtet, daß das menschliche Antliz der würdigste Gegenstand für Zeichnungen sei, und da habe ich die Versuche begonnen, es in solchen aus¬ zudrücken. Ich habe Anfangs dabei unwissend fast immer die Richtung von Naturzeichnungen verfolgt, bis sich mir etwas Höheres zeigte, dessen Darstellung darüber hinausgeht, das uns erst die Züge und Mie¬ nen recht menschlich macht, und dessen Vergegenwär¬ tigung ich nun anstrebe, in Ungewißheit, ob es ge¬ lingen werde oder nicht. Sie fragte auch nach denjenigen von meinen wissen¬ schaftlichen Bestrebungen, die ich im Zusammenhange aufgeschrieben habe, und ließ den Wunsch blicken, etwas Zusammengehöriges zu erfahren. Die Ge¬ schichte, wie unsere Erde entstanden sei, und wie sie sich bis auf die heutigen Tage entwickelt habe, müßte den größten Antheil erwecken. Ich entgegnete, daß wir nicht so weit seien, und daß ich am wenigsten zu denen gehöre, welche einen ergiebigen Stoff zu neuen Schlüssen geliefert haben, so sehr ich mich auch be¬ strebe, für mich, und wenn es angeht, auch für andere so viel zu fördern, als mir nur immer möglich ist. Wenn sie davon und auch von dem, was andere gethan haben, Mittheilungen zu empfangen wünsche, ohne sich eben in die vorhandenen wissenschaftlichen Werke ver¬ tiefen und den Gegenstand als eigenen Zweck vor¬ nehmen zu wollen, so werde sich wohl Zeit und Ge¬ legenheit finden. Sie zeigte sich zufrieden, und entließ mich mit jener Güte und Anmuth, die ihr so eigen war. Seit dieser Zeit verwandelte sich mein Verhältniß zu ihr in ein anderes. Da ich nun einmal unter Tags in ihrer Wohnung gewesen war, geschah dies öfter, entweder, wenn wir Werke oder Abbildungen anzu¬ schauen hatten, wozu das Licht der abendlichen Lam¬ pen nicht ausreichend gewesen wäre, oder wenn sie mich zu Gesprächen einladen ließ, die dann gewöhn¬ lich zwischen ihr ihrer Gesellschafterin und mir vor¬ fielen — selten geschah es, daß einer ihrer Söhne ge¬ legentlich anwesend war oder eine Enkelin oder jemand von ihren näheren Anverwandten — und bei denen meistens die Geschichte der Erde oder etwas in die Naturlehre Einschlägiges der Gegenstand war. Öfter machte ich auch selber einen kurzen Besuch, um mich um den Zustand ihrer Gesundheit zu erkundigen. Auch die Abende kamen in Bezug auf mich in eine andere Gestalt. Da wir einmal von Dichtungen ge¬ redet hatten, mit denen ich mich in der lezten Zeit be¬ schäftigte, und da gerade diese Dichtungen aus einer vergangenen Zeit stammten, die nichts mit den Ta¬ geserzeugnissen gemein hatte, da die Fürstin sich in ihren jezigen Jahren mit diesen Dingen nicht be¬ schäftigte, und die Zeit schon ziemlich weit hinter ihr lag, in der sie Kenntniß von solchen Werken ge¬ nommen hatte: so wurde beschlossen, wieder das eine oder das andere vorzunehmen, und es gemein¬ schaftlich zu genießen. Das geschah an Abenden, und ich mußte oft die Pflicht des Vorlesers überneh¬ men, besonders wenn die Gesellschaft nicht zahlreich war, was sich gerne an Abenden ereignete, in denen Dichtungen vorgenommen wurden. In diese Pflicht gerieth ich bei Gelegenheit der Vornahme einiger spanischen Romanzen. Die Fürstin die Gesellschaf¬ terin ich und noch ein Mann, welcher zugegen war, verstanden schlecht spanisch; doch war beschlossen worden, die Romanzen in spanischer Sprache zu lesen. Das Vorlesen wurde mir aufgetragen, und wie schlecht oder gut es ging, wir verstanden doch mit eingemischten Erklärungen und mit gelegentli¬ chen Gesprächen in unserer Muttersprache zulezt die Romanzen. Nach diesem Vorgange mußte ich nun auch öfter in deutscher Sprache vorlesen, und es ge¬ schah nicht selten, daß ich um meine Meinung über Theile des Gelesenen befragt wurde, und daß man eine Erklärung verlangte. Dies wurde um so mehr der Fall, als wir uns auch über Abtheilungen aus Cervantes und Calderon wagten. In andern Spra¬ chen besonders im Italienischen des Dante und Tasso las sehr gerne die Gesellschafterin der Fürstin. Das Alte aus dem Griechischen — es wurde nur die Ilias und Odysseus dann einiges aus Äschylos vor¬ genommen — mußte ich ganz allein in deutscher Über¬ sezung vorlesen Es wurde da auch sehr viel über das uralte gesellschaftliche Leben der Griechen über ihre häuslichen Einrichtungen über ihren Staat ihre Kunst und über die Gestalt und Beschaffenheit ihres Landes und ihrer Meere gesprochen. Ich wurde zu diesen Beschäftigungen in diesem Winter weit öfter zu der Fürstin eingeladen, als es früher der Fall gewesen war. Der Frühling und die Zeit, in welcher man wieder den Landaufenthalt zu suchen pflegt, kam uns zu früh, wir verabredeten noch, was wir in dem nächsten Winter vorzunehmen gedächten, und die Für¬ stin beurlaubte mich mit vieler und sehr gewinnender Freundlichkeit. Die Beschäftigungen im Kreise unserer Familie bestanden jezt in sehr häufigen Gesprächen zwischen dem Vater und mir über die Kunst und über Bü¬ cher. Er erzählte mir, wie er dazu gekommen wäre, Bilder lieb zu gewinnen, und sich Bilder zu sammeln. Er kam hiebei auf seine Jugend, und da er in einer freudigeren und erregteren Stimmung war, als sonst, so erzählte er mir ausführlich, wie er dieselbe verlebt habe. Er stellte mir dar, wie er sich die Mit¬ tel, um etwas lernen zu können, selber habe verschaf¬ fen müssen, und wie ihm sein älterer Bruder, der ein sehr begabter Mensch gewesen wäre, hierin zwar ein wenig aber in der That sehr wenig habe beistehen können, weil er sich selbst alles habe herbei schaffen müssen, und nur um wenige Jahre älter gewesen sei. Nach Anweisung vernünftiger Menschen habe er zu lesen begonnen, und manchen freien Tag in seiner Lehrzeit habe er in seiner Kammer bei den Büchern zugebracht. Er habe, da er frei wurde, und theils in unserer Stadt theils in den ersten Handelspläzen Europas Dienste that, die Bekanntschaft von Künst¬ lern gemacht, habe sie in ihren Arbeitsstuben besucht, habe über die Art zu malen sich Kenntnisse gesammelt, und sei mit diesen Kenntnissen in die berühmtesten Bildersammlungen der größten Städte gegangen. Hiebei sei es ihm widerfahren, daß er zweimal im Lernen habe von vorne anfangen müssen. So sei es ihm in Rom, wohin er sich von Triest aus bege¬ ben hatte, um dort ein halbes Jahr für sich selber zu leben, klar geworden, daß er gar nichts wisse. Er habe wieder unverdrossen angefangen, und von Rom schreibe sich seine Liebe für alte Bilder her. Sein Bruder habe den Weg durch die Staatsschulen ge¬ macht, und da er ihn sehr liebte, habe er von ihm auch die Liebe zu den alten Sprachen angenommen. In seinen Diensten habe er mehr freie Zeit gehabt, als da er noch lernte, und diese Zeit habe er zu seinen Lieblingsneigungen angewendet. Mit einem alten Abte, der die Verwaltung seines Klosters abgegeben hatte und seine würdevolle Muße, wie er sich aus¬ drückte, im Winter in unserer Stadt genoß, habe er alte Dichter und Geschichtschreiber gelesen. Der Abt sei ein großer Freund der alten Schriften gewesen, habe bei ihm Neigung zu diesen Dingen entdeckt, und sei ihm mit seinen Kenntnissen beigestanden. Er habe sehr oft im Zimmer des Abtes laut aus den sogenannten Classikern lesen müssen. Die Bekanntschaft desselben habe er bei seinem Dienstherrn in unserer Stadt ge¬ macht, in dessen Hause dem Abte, der einst Lehrer dieses Dienstherrn gewesen sei, jährlich ein oder zwei Male ein Fest gegeben wurde. Der Dienstherr, der lezte, bei dem sich mein Vater befunden, sei ein Ehren¬ mann gewesen, der seinen Leuten nicht nur Gelegen¬ heit verschafft habe, etwas lernen zu können, indem er sie zu den vorkommenden Reisen benüzte, auf denen sie Geschäftsfreunde Handelsverbindungen Verkehrs¬ wege und dergleichen kennen lernten, sondern der ihnen auch Zeit gönnte, selber, wenn sie nicht die Mittel zu großen Geschäftsanlagen besaßen, mit klei¬ nen Anfängen zu größeren Unternehmungen und zu endlicher Selbstständigkeit schreiten zu können. So Stifter , Nachsommer. II . 18 habe auch der Vater mit kleinen Ersparnissen begon¬ nen, habe sich ausgedehnt, und sei endlich, da die Anfänge unter den Flügeln seines Herrn geschehen seien, mit dessen Unterstüzung ein selbstständiger Kauf¬ mann geworden. Was er zu Vergnügungen hätte verwenden können, habe er bei Seite gelegt, und habe sich entweder ein Buch oder ein Kunstwerk ge¬ kauft, oder habe eine Reise zu seiner Belehrung gemacht. Da sich seine Verbindungen mehrten, und stets ergiebiger zu werden versprachen, habe er meine Mutter kennen gelernt, und ihre Hand gewonnen. Sie habe eine nicht unbeträchtliche Mitgift in das Haus gebracht, und so sei gemeinschaftlich der Grund gelegt worden, daß wir Kinder nun nicht nur frei und unabhängig bei unsern Eltern in ihrem eigenen Hause leben können, sondern auch für die Zukunft einen Nothpfennig zu erwarten hätten, und daß er selber sich mit Manchem habe umringen können, was ihm die sanfte Neigung seines Herzens gebothen habe, und was ihm als Erheiterung und nach der Liebe sei¬ ner Gattin und der Wohlgerathenheit seiner Kinder auch als Lohn seines Alters dienen werde. Der betagte Abt habe ihn als seinen lezten Schüler noch getraut, und sei bald darauf gestorben. Mit der jungen Frau habe er dreimal seine alten Eltern, welche ferne in einem waldigen Lande von einer wenig ergiebigen Feldwirthschaft lebten, besucht, sie seien dann kurz darauf eins nach dem andern gestorben. Sein edler Dienstherr habe uns noch aus der Taufe gehoben, sei dann von den Geschäften zurück getreten, habe bei seinem einzigen Kinde einer Tochter die an einen angesehenen Güterbesizer verheirathet war, gelebt, und sei bei ihr auch endlich gestorben. So haben sich alle Verhältnisse geändert. Das heimatliche Waldhaus mit der geringen Feldwirthschaft habe er und sein Bruder einer Schwester geschenkt, diese sei ohne Kinder gestorben, und da weder er noch der Bruder das Haus bewirthschaften konnten, so haben sie eingewilligt, daß es an einen entfernten Verwand¬ ten falle. Der Bruder sei während unserer Unmün¬ digkeit gestorben, eben so die Großeltern von müt¬ terlicher Seite, und endlich ein Großoheim von eben dieser Seite, der uns Kinder zu Erben ein¬ gesezt, und da die Mutter keine Geschwister gehabt habe, so seien wir nun allein, und so sei keine Ver¬ wandtschaft weder von väterlicher noch von mütterli¬ cher Seite übrig. Er habe die Liebe, welche ihm durch den Tod seiner Angehörigen, denen er, besonders dem 18 * Bruder, eine treue Erinnerung weihe, anheimgefallen sei, an die Mutter und uns übertragen, sein Haus sei nun sein Alles, und wir zwei, die Schwester und ich, sollten verbunden bleiben, und sollten in Nei¬ gung nicht von einander lassen, besonders wenn auch wir allein sein, und er und die Mutter im Kirchhofe schlummern würden. Diese Ermahnung zur Liebe war nicht nöthig; denn daß wir, die Schwester und ich, uns mehr lieben könnten, als wir thaten, schien uns nicht möglich, nur die Eltern liebten wir beide noch mehr, und wenn eine Anspielung darauf gemacht wurde, daß sie uns einst verlassen sollten, so betrübte uns das außeror¬ dentlich, und wohin wir die Liebe, die uns dann zurückfallen sollte, wenden würden, wußten wir sehr wohl, wir würden sie an gar nichts wenden, sie würde von selber über die Grabhügel hinaus gegen die ver¬ storbenen Eltern bis an unser Lebensende fortdauern. Die andern Vorkommnisse, die zwar auch in un¬ serer Familie aber nicht in ihr allein sondern zu¬ gleich in Gesellschaft von geladenen Menschen vorfie¬ len, waren mir nicht so angenehm als in frühe¬ ren Zeiten, ja sie waren mir eher widerwärtig und dünkten mir Zeitverlust. Sie bestanden beinahe gleichmäßig wie in früheren Jahren aus abendlichen Kreisen, in denen gesprochen wurde, oder aus Ge¬ sellschaften, in denen etwas Musik oder gar Tanz vorkam. An dem lezteren nahm ich gar keinen Theil, und die Schwester, welche, wie ich schon seit län¬ ger wahrnahm, schier alle meine Neigungen theilte, that es sehr wenig, und flüchtete an solchen Abenden sehr gerne zu mir. Ich hatte die Leute, darunter aber vorzüglich die jungen, welche bei solchen Gelegen¬ heiten zu uns kamen, schon genau kennen gelernt, und wenn ich in früherer Zeit eine Scheu, ja sogar eine gewisse Gattung von Ehrfurcht vor ihnen gehabt hatte, so war dies jezt nicht mehr der Fall; ich hatte durch Nachdenken und durch Erfahrungen im Um¬ gange mit andern Menschen einsehen gelernt, daß das, wovor ich besonders eine Scheu hatte, nehmlich ihre Sicherheit und Vornehmheit, nur ein Ding ist, welches man lernt, wenn man sehr viel in solchen Ge¬ sellschaften ist, wie sie bei uns waren, und wenn man in diesen Gesellschaften viel spricht, und in den Vor¬ dergrund tritt. Und daß dieses Ding nicht schwer zu erlernen ist, sah ich daraus, daß es solche inne hatten, deren Geisteskräfte hoch zu achten ich nicht veranlaßt war. Meine Erfahrungen an Menschen hatte ich aber nicht blos in hohen Ständen gemacht, sondern auch in niedern, und in diesen zwar nicht in der Stadt, sondern bei Gebirgsbewohnern und Landbebauern. In hohen Ständen sah ich junge Leute, namentlich bei der Fürstin war das der Fall, welche jenes Be¬ nehmen, das mir sonst so hoch über mir schien, nicht hatten, sondern sich einfach und wenig vortretend ga¬ ben, höflich und nicht linkisch waren, und an das Wort, das ich öfter in meiner Jugend gehört aber falsch verstanden hatte, „ein junger Mann von guter Erziehung“ erinnerten. In den untern Ständen habe ich manchen Mann kennen gelernt, der, wenn er vor solchen stand, die er für höher erachtete, als sich selbst, nicht die Mühe übernahm, auch höher in seinem Be¬ nehmen sein zu wollen, sondern der ruhig so sprach, wie er die Sache verstand, und ruhig die Rede an¬ hörte, die ihm ein Anderer erwiederte. Dieser Mann schien mir auch von höherer Erziehung als die, welche viele Arten des Benehmens wissen und ersichtlich machen. Ein gültiges Beispiel gab mein Gastfreund, der noch einfacher war als jene Männer, von denen ich sagte, daß ich sie bei der Fürstin gesehen habe, und dessen Rede und Thun so klare Achtung erzeugten. Selbst sein Anzug, der Anfangs auffiel, stimmte zu Allem. Auch Eustach, Gustav aber ganz gewiß, stan¬ den im entschiedenen Vorzuge vor meinen Gesell¬ schaftsleuten. Weil ich nun diese Menschen sehr gut kannte, und weil sie mir keine hohe Rücksichtnahme mehr einflößten, war es mir unersprießlich, mit ihnen zu sein, und es erschien mir, daß ich die Zeit besser würde benüzen können. Aber auch die Erfahrungen in dieser Hinsicht mochte mein Vater für nüzlich ge¬ halten haben. Ich machte sie nur an jungen Männern. Über Mädchen konnte ich ein Urtheil gar nicht sagen, weil ich sehr wenig mit ihnen sprach, und weil mich natürlich keine in meiner Zurückgezogenheit aufsuchen konnte. Bei älteren Leuten, Männern wie Frauen, kam mir oft jemand entgegen, dem ich Achtung zollen mußte; aber auch zu alten Leuten wie zu Mäd¬ chen konnte ich mich nicht drängen. Unter denen, wel¬ chen ich mehr zugethan war, stand der Sohn des Ju¬ welenhändlers oben an, ich war ihm wirklich in der eigentlichen Bedeutung ein Freund. Wir brachten außer unseren Kleinodienlehrstunden manche Zeit mit einander zu, wir besprachen verschiedene Dinge, und lasen auch mitunter kleine Abschnitte von Schriften mit einander, die wir gemeinschaftlich achteten. Seine Eltern waren sehr liebenswürdig und fein. Der junge Breporn war mir auch nicht unangenehm. Er sprach noch öfter von der schönen Tarona, und bedauerte sehr, daß sie auf weite Reisen gegangen, und da¬ her gar nicht in die Stadt gekommen sei, weßwegen er mir sie nie habe zeigen können. An den eigent¬ lichen Vergnügungen, die junge Männer unter sich anstellten, nahm ich nur ungemein selten Theil. Daß ich aber auch überhaupt viel weniger mit Män¬ nern meines Alters umging, und nicht, wie es bei vielen jungen Leuten in unserer Stadt der Gebrauch ist, Tage mit ihnen zubrachte, und dies öfter wieder¬ holte, rührte daher, daß ich viele Beschäftigungen hatte, und daß mir daher zu wenig Zeit übrig blieb, sie auf Anderes zu verwenden. Am liebsten war es mir, wenn ich mit meinen Angehörigen allein war. Ich ging nach dem Winter ziemlich spät im Früh¬ linge auf das Land. So erfreulich der lezte Som¬ mer für mich gewesen war, so sehr er mein Herz ge¬ hoben hatte, so war doch etwas Unliebes in dem Grunde meines Innern zurück geblieben, was nichts anders schien als das Bewußtsein, daß ich in meinem Berufe nicht weiter gearbeitet habe, und einer plan¬ losen Beschäftigung anheim gegeben gewesen sei. Ich wollte das nun einbringen, und den größten Theil des Sommers einer festen und angestrengten Thätig¬ keit weihen. Ich nahm alle Geräthe und Werke mit, welche ich zur Fortsezung meiner Arbeiten brauchte. Freie Stunden, die nach genauer Zeiteintheilung übrig blieben, wollte ich dann meinen Lieblingsdingen widmen. Ich kam in das Ahornwirthshaus, und bestellte mir dahin auch die Leute, die ich verwenden wollte, wenn sie sich nehmlich bereit erklärten, mir in ent¬ ferntere Theile der Gebirge zu folgen, wohin mich heuer meine Arbeiten führen würden. Der alte Kaspar wollte mit gehen, zwei andere auch, und so hatte ich genug. Ich erkundigte mich nach meinem Zitherspiel¬ lehrer, er war fort, und so gut wie verschollen. Kein Mensch wußte etwas von ihm. Ich ging in das Roth¬ moor, um nachzusehen, wie weit die Marmorarbeiten gediehen waren. Sie wurden heuer fertig, und ich konnte sie im Herbste nach Hause bringen lassen. Da das geschehen war, verließ ich für diesen Sommer das Ahornwirthshaus, in welchem ich nun so lange gewohnt hatte, um mich in die Bergabtheilung zu be¬ geben, die ich durchforschen wollte. Ich ging mit einem wehmüthigen Gefühle von dem Hause fort. An einer Stelle, wo das Gebirge weit verzweigt und wild verflochten aber deßohngeachtet bei Weitem nicht so schön war wie das, welches ich verlassen hatte, sezte ich mich wie in einem Mittelpunkte meiner Bestrebungen fest. Ich vermißte das heitere fenster¬ schimmernde Ahornhaus, ich vermißte das ganze Thal, in dem ich beinahe heimisch geworden war. In einem Hause, das an der Öffnung dreier Thäler lag und mir daher den geeignetesten Plaz abgab, miethete ich mich ein. Schwarzer Tannenwald sah auf meine Fenster, schritt an den Bächen, welche aus den drei Thälern kamen, neben feuchten Wiesen und andern offnen Stellen in die Thalgründe hinein, und zog sich auf die Berge. Die höheren Kuppen oder gar die Schnee¬ berge konnte man wegen der Enge des Thales über den finstern Tannen nicht sehen. Das mochte auch die Ursache sein, daß das Haus und die mehreren in den Waldlehnen zerstreuten und an den Bächen hin¬ gehenden Hütten die Tann hießen. Mauern mit grü¬ nem Moose bewachsen bildeten mein Haus, und grenz¬ ten an ein zerfallenes Gärtchen, in welchem wenig mehr als Schnittlauch wuchs. Auf der Gasse war der Boden schwarz, und dieselbe Schwärze zog sich in das Gras hinein; denn das Einzige, welches häufig an diesem Wirthshause ankam, und da hielt, da¬ mit sich Menschen und Thiere erquickten, waren Koh¬ lenfuhren. In dem ganzen bei näherer Besichtigung sich als ungeheuer zeigenden Waldgebiethe waren die Kohlenbrennereien zerstreut, und ganze Züge von den schwarzen Fuhrwerken und den schwarzen Fuhrmän¬ nern zogen die düstere Straße hinaus, um die Kohlen gegen die Ebenen zu bringen, von wo sie sogar bis in unsere Stadt befördert wurden. Nur ein einziges Zimmer mit kleinen Fenstern und eisernen Kreuzen daran konnte ich haben. In demselben war ein Tisch zwei Stühle ein Bett und eine bemalte Truhe, in die ich Kleider und andere Dinge legen konnte. Für meine größeren Kisten wurde mir ein Verschlag in einem Schoppen eingeräumt. Kaspar und die andern schliefen, wenn wir uns in dem Hause befanden, in der Scheuer im Heu. Ich ließ mein Gepäcke größten¬ theils in meinen Koffern, hing nur das Nöthige an Nägel, die in dem Zimmer waren, legte meine Schreib¬ geräthe meine wissenschaftlichen Bücher und meine Dichter auf den Tisch, füllte das Bettgestelle mit mei¬ nen von Hause mitgebrachten Bettstücken, stellte meine Bergstöcke in eine Ecke, und war eingerichtet. Die Sonne, welche am späten Vormittage bei einem Fen¬ ster meines Zimmers hereinkam, streifte am Nachmit¬ tage das andere, um bald die Spizen der Tannen zu vergolden und zu verschwinden. Ich war in manchen ähnlichen Herbergen schon gewesen, war daran ge¬ wöhnt, fügte mich, und wurde mit dem Wirthe der Wirthin und einer rührigen Tochter, einfachen gut¬ müthigen Leuten, die einen kleinen Gedankenkreis hatten, bald bekannt. Sonst kam noch manches Mal ein Gebirgsjäger ein seltener Wandersmann oder ein Hausirer in das Tannwirthshaus. Die größte Zahl der Gäste bestand außer den Kohlenführern in Holz¬ knechten, welche in den großen Wäldern zerstreut wa¬ ren, und welche gerne an Samstagen oder an Tagen vor großen Festen heraus kamen, um zu den Ihrigen zu gehen. Da verweilten sie denn nun nicht selten gerne ein wenig in dem Tannwirthshause, um sich ein Gutes zu thun. Die Hauptbeschäftigung aller Bewohner der Tann war die Holzarbeit und ihr Hauptreichthum waren Kühe und Ziegen, welche täg¬ lich in die Wälder gingen, und von welchen die jün¬ geren den ganzen Sommer hindurch auf der Höhe der Waldungen und der Holzschläge blieben. Von diesem Hause aus fingen wir nun an, un¬ sere Beschäftigungen zu betreiben. Durch die langen und weithingestreckten Waldungen ging unser Ham¬ mer, und die Leute trugen die Zeugen der verschiede¬ nen Bodenbeschaffenheiten, auf denen die ausgedehn¬ ten Waldbestände wuchsen, in der Gestalt der manig¬ faltigen Gesteine in die Tann. Wenn auch von unse¬ rem Gasthause aus die Felsenberge oder gar das Eis nicht zu erblicken waren, so waren sie darum nicht weniger vorhanden. Weil hier Alles großartiger war, da wir uns tiefer im Gebirge und näher seinem Urstocke befanden, so dehnten sich auch die Wälder in mächtigeren Anschwellungen aus, und wenn man durch eine Reihe von Stunden in dem dunkeln Schat¬ ten der feuchten Tannen und Fichten gegangen war, so wurden endlich ihre Reihen lichter, ihr Bestand minderte sich, erstorbene Stämme oder solche, die durch Unfälle zerstört worden waren, wurden häufiger, das trockene Gestein mehrte sich, und wenn nun freie Pläze mit kurzem Grase oder Sandgries oder Knieholz folgten, so sah man dämmerige Wände in riesigen Abmessungen vor den Augen stehen, und blizende Schneefelder waren in ihnen, oder zwischen ausein¬ anderschreitenden Felsen schaute ein ganz in Weiß ge¬ hüllter Berg hervor. Die Gesteinwelt folgte nun in noch größeren Ausdehnungen auf die Waldwelt. Uns führte unsere Absicht oft aus der Umschließung der Wälder in das Freie der Berge hinaus. Wenn die Bestandtheile eines ganzen Gesteinzuges ergründet waren, wenn alle Wässer, die der Gesteinzug in die Thäler sendet, untersucht waren, um jedes Geschiebe, das der Bach führt, zu betrachten und zu verzeichnen, wenn nun nichts Neues nach mehrfacher und genauer Untersuchung sich mehr ergab, so wurde versucht, sich des Zuges selbst zu bemächtigen, und seine Glieder, so weit es die Macht und Gewalt der Natur zuließ, zu begehen. In die wildesten und abgelegensten Gründe führte uns so unser Plan, auf die schroffsten Grate kamen wir, wo ein scheuer Geier oder irgend ein unbekanntes Ding vor uns aufflog, und ein ein¬ samer Holzarm hervor wuchs, den in Jahrhunder¬ ten kein menschliches Auge gesehen hatte; auf lichte Höhen gelangten wir, welche die ungeheure Wucht der Wälder, in denen unser Wirthshaus lag, und die angebauteren Gefilde draußen, in denen die Menschen wohnten, wie ein kleines Bild zu unsern Füßen leg¬ ten. Meine Leute wurden immer eifriger. Wie über¬ haupt der Mensch einen Trieb hat, die Natur zu be¬ siegen, und sich zu ihrem Herrn zu machen, was schon die Kinder durch kleines Bauen und Zusammenfügen noch mehr aber durch Zerstören zeigen, und was die Erwachsenen dadurch darthun, daß sie die Erde nicht nur zur nahrungsprossenden machen, wie der Dich¬ ter des Achilleus so oft sagt, sondern sie auch vielfach zu ihrem Vergnügen umgestalten, so sucht auch der Bergbewohner seine Berge, die er lieb hat, zu zäh¬ men, er sucht sie zu besteigen zu überwinden, und sucht selbst dort hinan zu klettern, wohin ihn ein wei¬ terer wichtigerer Zweck gar nicht treibt. Die Erzäh¬ lung solcher bestandener Züge bildet einen Theil der Würze des Lebens der Bergbewohner. Meine Leute waren in einer gesteigerten Freude und Empfindung, wenn wir mit dem Hammer und Meißel theils Stu¬ fen in die glatten Wände schlugen, theils Löcher machten, unsere vorräthigen Eisen eintrieben, auf solche Weise Leitern verfertigten, und auf einen Standort gelangten, auf den zu gelangen eine Un¬ möglichkeit schien. Wir kamen oft eine Reihe von Tagen nicht in unser Tannwirthshaus hinab. Ich suchte auch gerne auf die Gipfel hoher Berge zu gelangen, wenn mich selbst eben meine Beschäf¬ tigung nicht dahin führte. Ich stand auf dem Felsen, der das Eis und den Schnee überragte, an dessen Fuß sich der Firnschrund befand, den man hatte über¬ springen müssen, oder zu dessen Überwindung wir nicht selten Leitern verfertigten, und über das Eis trugen, ich stand auf der zuweilen ganz kleinen Fläche des lezten Steines, oberhalb dessen keiner mehr war, und sah auf das Gewimmel der Berge um mich und unter mir, die entweder noch höher mit den weißen Hörnern in den Himmel ragten, und mich besiegten, oder die meinen Stand in anderen Luftebenen fortsez¬ ten, oder die einschrumpften, und hinab sanken, und kleine Zeichnungen zeigten, ich sah die Thäler wie rauchige Falten durch die Gebilde ziehen und manchen See wie ein kleines Täfelchen unten stehen, ich sah die Länder wie eine schwache Mappe vor mir liegen, ich sah in die Gegend, wo gleichsam wie in einen staubigen Nebel getaucht die Stadt sein mußte, in der alle lebten, die mir theuer waren, Vater Mutter und Schwester, ich sah nach den Höhen, die von hier aus wie blauliche Lämmerwolken erschienen, auf denen das Asperhaus sein mußte und der Sternen¬ hof, wo mein lieber Gastfreund hauste, wo die gute klare Mathilde wohnte, wo Eustach war, wo der fröhliche feurige Gustav sich befand, und wo Nata¬ liens Augen blickten. Alles schwieg unter mir, als wäre die Welt ausgestorben, als wäre das, daß sich Alles von Leben rege und rühre, ein Traum ge¬ wesen. Nicht einmal ein Rauch war auf die Höhe hinauf zu sehen, und da wir zu solchen Besteigungen stets schöne Tage wählten, so war auch meistens der Himmel heiter und in der dunkelblauen Finsterniß hin eine endlosere Wüste, als er in der Tiefe und in den mit kleinen Gegenständen angefüllten Ländern erscheint. Wenn wir hinab stiegen, wenn Kaspar hinter uns die Eisen aus den Steinen zog, und in den Sack that, den er an einem Stricke um die Schultern hängen hatte, wenn wir nun die Leiter über den Firnschrund zurück¬ zogen, oder im Falle, daß wir keine Leiter gebraucht hatten, über den Spalt gesprungen waren, so zeigte sich in dem Ernste von Kaspars harten Zügen oder in den Angesichtern der andern, die uns begleiteten, eine gewisse Veränderung, so daß ich schloß, daß der Stand, auf dem wir gestanden waren, einen Eindruck auf sie gemacht haben mußte. Die Stunden oder Tage, die ich mir von meiner Arbeit abdingen konnte, weil ich Ruhe brauchte, oder das Wetter mich hinderte, wendete ich zur Entwer¬ fung leichter Landschaftsgebilde an, und die Tiefe der Nacht wurde, ehe sich die Augen schlossen, durch die großen Worte Eines, der schon längst gestorben war, und der sie uns in einem Buche hinterlassen hatte, er¬ Stifter , Nachsommer. II . 19 hellt, und wenn die Kerze ausgelöscht war, wurden die Worte in jenes Reich mit hinüber genommen, das uns so räthselhaft ist, und das einen Zustand vorbildet, der uns noch unergründlicher erscheint. Wie in der jüngstvergangenen Zeit konnte ich auch jezt nicht mehr mit der bloßen Sammlung des Stoffes meiner Wissenschaft mich begnügen, ich konnte nicht mehr das Vorgefundene blos einzeichnen, daß ein Bild entstehe, wie Alles über einander und neben einander gelagert ist — ich that dieses zwar jezt auch sehr genau — sondern ich mußte mich stets um die Ursachen fragen, warum etwas sei, und um die Art, wie es seinen Anfang genommen habe. Ich baute in diesen Gedanken fort, und schrieb, was durch meine Seele ging, auf. Vielleicht wird einmal in irgend einer Zukunft etwas daraus. Zur Zeit der Rosenblüthe machte ich einen Ab¬ schnitt in meinem Beginnen, ich wollte mir eine Un¬ terbrechung gönnen, und den Asperhof besuchen. Ich lohnte meine Leute ab, gab ihnen das Ver¬ sprechen, daß ich sie in Zukunft wieder verwenden werde, legte zu ihrem Lohne noch ein kleines Heim¬ reisegeld, und entließ sie. In dem Tannhause ver¬ packte ich Alles wohl, was mein Eigenthum war, be¬ richtigte das, was ich schuldig geworden, sagte, daß ich wieder kommen werde, daß man mir das Dagelassene unterdessen gut bewahren möge, und fuhr in einem einspännigen Gebirgswäglein durch den tiefen Weg, der von dem rauschenden Bache des Tannwirthshau¬ ses waldaufwärts führt, davon. Als ich die Heer¬ straße erreicht hatte, sendete ich meinen Fuhrmann zurück, und wählte für die weitere Fahrt einen Plaz im Postwagen. Die Strecke von der lezten Post zu meinem Freunde legte ich zu Fuße zurück. Für Nach¬ sendung meines Gepäckes trug ich Sorge. Ich war später gekommen, als ich eigentlich beab¬ sichtigt hatte. In der tiefen Abgeschiedenheit und in der hohen kühlen Lage der Tann hatte ich mich über das, was draußen geschah, getäuscht. In dem freie¬ ren Lande war ein warmer Frühling und ein sehr warmer Frühsommer gewesen, was ich in den Bergen nicht so genau hatte ermessen können. Darum blühten schon die Rosen mit freudiger Fülle in allen Gärten, an denen ich vorüber kam. In schöner Vollkommen¬ heit schauten die untadeligen Laubkronen meines Gast¬ freundes über das dunkle Dach des Hauses und stan¬ den an den beiden Flügeln des Gartengitters, als ich den Hügel hinan stieg. Die Fenstervorhänge, welche 19 * theils ein wenig geöffnet theils der Hize willen ge¬ schlossen waren, luden mich gastlich ein, und der Schmelz des Gesanges der Vögel und mancher lau¬ tere vereinzelte Ruf grüßte mich wie einen, der hier schon lange bekannt ist. Da ich die Einrichtung des Gitterthores kannte, drückte ich an der Vorrichtung, der Flügel öffnete sich, und ich trat in den Garten. Mein Gastfreund war bei den Bienen. Ich er¬ fuhr das von dem Gärtner, welcher der erste war, den ich zu sehen bekam. Er ordnete etwas an einem Geranienbeete in der Nähe des Einganges. Ich schlug den Weg zu den Bienen ein. Mein Gastfreund stand vor der Hütte, und erwartete das Erscheinen einer jungen Familie, die schwärmen wollte. Er sagte mir dieses, als ich hinzutrat, ihn zu begrüßen. Der Empfang war beinahe bewegt, wie zwischen einem Vater und einem Sohne, so sehr war meine Liebe zu ihm schon gewachsen, und eben so mochte auch er schon eine Zuneigung zu mir gewonnen haben. Da er doch wohl von seinem Vorhaben nicht weg¬ gehen konnte, sagte ich, ich wolle die andern auch be¬ grüßen, und er billigte es. Er hatte mir erzählt, daß Mathilde und Natalie in dem Asperhofe seien. Ich ging gegen das Haus. Gustav hatte es schon erfahren, daß ich da sei, er flog die Treppe herunter, und auf mich zu. Gruß, Gegengruß, Fragen, Ant¬ worten, Vorwürfe, daß ich so spät gekommen sei, und daß ich in dem Frühlinge doch nicht einige Tage be¬ nüzt habe, um in den Asperhof zu gehen. Er sagte, daß er mir sehr viel zu erzählen habe, daß er mir al¬ les erzählen wolle, und daß ich recht lange lange da bleiben müsse. Er führte mich nun zu seiner Mutter. Diese saß an einem Tische im Gebüsche, und las. Sie stand auf, da sie mich nahen sah, und ging mir entgegen. Sie reichte mir die Hand, die ich, wie es in unserer Stadt Sitte war, küssen wollte. Sie ließ es nicht zu. Ich hatte wohl schon früher bemerkt, daß sie nicht zu¬ gab, daß ihr die Hand geküßt werde; aber ich hatte in dem Augenblicke nicht daran gedacht. Sie sagte, daß ich ihr sehr willkommen sei, daß sie mich schon früher erwartet habe, und daß ich nun eine nicht zu kurze Zeit meinen hiesigen Freunden schenken müsse. Wir gingen unter diesen Worten wieder zu dem Tische zurück, auf den sie ihr Buch gelegt hatte, und sie hieß mich an ihm Plaz nehmen. Ich sezte mich auf einen der dastehenden Stühle. Gustav blieb neben uns stehen. Ihr Angesicht war so heiter und freundlich, daß ich meinte, es nie so gesehen zu haben. Oder es war wohl immer so, nur in meiner Erinnerung war es ein wenig zurück getreten. Wirklich, so oft ich Mathilden nach längerer Trennung sah, erschien sie mir, obwohl sie eine alternde Frau war, immer lieb¬ licher und immer anmuthiger. Zwischen den Fältchen des Alters und auf den Zügen, welche auf eine Reihe von Jahren wiesen, wohnte eine Schönheit, welche rührte, und Zutrauen erweckte. Und mehr als diese Schönheit war es, wie ich wohl jezt erkannte, da ich so viele Angesichter so genau betrachtet hatte, um sie nachzubilden, die Seele, welche gütig und abgeschlos¬ sen sich darstellte, und auf die Menschen, die ihr naheten, wirkte. Um die reine Stirne zog sich das Weiß der Haubenkrause, und ähnliche weiße Streifen waren um die feinen Hände. Auf dem Tische stand ein Blumentopf mit einer dunkeln fast veilchenblauen Rose. Sie lehnte sich in dem Rohrstuhle, auf dem sie saß, zurück, faltete die Hände auf ihrem Schooße, und sagte: „Wir werden in dem Sternenhofe ein kleines Fest feiern. Ihr wißt, daß wir begonnen ha¬ ben, die Tünche, womit die großen Steinflächen, die die Mauern unsers Hauses bekleiden, in frühe¬ ren Jahren überstrichen worden sind, wegzunehmen, weil unser Freund meinte, daß dieselbe das Haus entstelle, und daß es sich weit schöner zeigen würde, wenn sie weggenommen, und der bloße Stein sicht¬ bar wäre. Heuer ist nun die ganze vordere Fläche des Hauses fertig geworden, die Gerüste werden eben abgebrochen, und da werden, wenn die Spuren auch auf dem Boden vor dem Hause vertilgt sind, wenn der Sand geebnet ist, wenn der Rasen gereinigt und gewaschen ist, daß er keine Kalkflecke, sondern das reine Grün zeigt, wir alle hinausfahren, um die Sache zu betrachten und ein Urtheil abzugeben, ob das Haus den Gewinn gemacht habe, der sich uns versprochen hat. Es werden auch andere Menschen kommen, es werden wahrscheinlich sich einige Nach¬ barn einfinden, und da ihr zu unsern Freunden aus dem Asperhofe gehört, und da wir alle euer Urtheil in Anschlag bringen möchten, so seid ihr gebethen, auch dabei zu sein, und die Gesellschaft zu vermehren.“ „Mein Urtheil ist wohl sehr geringe,“ antwortete ich, „und wenn es nicht ganz verwerflich ist, und wenn ich mir einige Kenntnisse und eine bestimmte Empfin¬ dung des Schönen erworben habe, so danke ich alles dem Besizer dieses Hauses, der mich so gütig aufge¬ nommen, und manches in mir hervor gezogen hat, das wohl sonst nie zu irgend einer Bedeutung gekom¬ men wäre. Ich werde also kaum zur Feststellung der Sache auf dem Sternenhofe etwas beitragen können, und meine Ansicht wird gewiß die meines Gastfreun¬ des und Eustachs sein: aber da ihr mich so freundlich einladet, und da es mir eine Freude macht, in eurem Hause sein zu können, so nehme ich die Einladung gerne an, vorausgesezt, daß die Zeit nicht zu spät be¬ stimmt ist, da ich doch wohl noch in diesem Sommer in den Ort meiner jezigen Thätigkeit zurückkehren, und Einiges vor mich bringen möchte.“ „Die Zeit ist sehr nahe,“ erwiederte sie, „es ist ohnehin schon seit länger her gebräuchlich, daß nach der Rosenblüthe, zu welcher ich immer in diesem Hause eingeladen bin, unsere hiesigen Freunde auf eine Weile in den Sternenhof hinüber fahren. Das wird auch heuer so sein. Während hier die feinen Blätter dieser Blumen sich vollkommen entwickeln und endlich welken und abfallen, wird unser Hausverwalter in dem Sternenhofe Alles in Ordnung bringen, daß keine Verwirrung mehr zu sehr sichtbar ist, er wird uns hierüber einen Brief schreiben und wir werden den Tag der Zusammenkunft bestimmen. Von dem Urtheile, wenn irgend eines mit einem überwiegen¬ den Gewichte zu Stande kömmt, wird es abhän¬ gen, ob auch die Kosten zu der Reinigung der an¬ dern Theile des Hauses verwendet werden, oder ob der jezige Zustand, daß eine Seite von der Tünche befreit ist, die übrigen aber damit behaftet sind, der gewiß weniger schön ist, als wenn alles übertüncht geblieben wäre, fortbestehen, oder ob gar das Befreite wieder übertüncht werden solle. Daß ihr übrigens eure Ansichten geringe achtet, daran thut ihr Unrecht. Wenn in der Nähe unsers Freundes Einiges an euch früher zur Blüthe kam, so ist dies wohl sehr natür¬ lich; es ist ja Alles an uns Menschen so, daß es wieder von andern Menschen groß gezogen wird, und es ist das glückliche Vorrecht bedeutender Menschen, daß sie in andern auch das Bedeutende, das wohl sonst später zum Vorscheine gekommen wäre, früher ent¬ wickeln. Wie sicher in euch die Anlage zu dem Höheren und Größeren vorhanden war, zeigt schon die Wahl, mit der ihr aus eigenem Antriebe auf eine wissen¬ schaftliche Beschäftigung gekommen seid, die sonst un¬ sere jungen Leute in den Jahren, in denen ihr euch entschieden habt, nicht zu ergreifen pflegen, und daß euer Herz dem Schönen zugewendet war, geht daraus hervor, daß ihr schon bald begannet, die Gegenstände eurer Wissenschaft abzubilden, worauf der, dem der bildende Sinn mangelt, nicht so leicht verfällt, er macht sich eher schriftliche Verzeichnisse, und endlich habt ihr ja in Kurzem die Abbildung anderer Dinge menschlicher Köpfe Landschaften versucht, und habt euch auf die Dichter gewendet. Daß es aber auch nicht ein unglücklicher Tag war, an welchem ihr über diesen Hügel herauf ginget, zeigt sich in einer Thatsache: ihr liebt den Besizer dieses Hauses, und einen Menschen lieben können ist für den, der das Gefühl hat, ein großer Gewinn.“ Gustav hatte während dieser Rede die Mutter stets freundlich angesehen. Ich aber sagte: „Er ist ein ungewöhnlicher ein ganz außerordentlicher Mensch.“ Sie erwiederte auf diese Worte nichts, sondern schwieg eine Weile. Später fing sie wieder an: „Ich habe mir diese Rosenpflanze auf den Tisch gestellt, gewissermaßen als die Gesellschafterin meines Lesens — gefällt euch die Blume?“ „Sie gefällt mir sehr,“ antwortete ich, „wie mir überhaupt alle Rosen gefallen, die in diesem Hause gezogen werden.“ „Sie ist eine neue Art,“ sagte sie, „ich habe aus England einen Brief bekommen, in welchem eine Freundin mit Auszeichnung von einer Rose sprach, die sie in Kew gesehen habe, und deren Namen sie hinzu fügte. Da ich in dem Verzeichnisse unserer Ro¬ sen den Namen nicht fand, dachte ich, daß dies eine Art sein dürfte, welche unser Freund nicht hat. Ich schrieb an die Freundin, ob sie mir eine solche Rosen¬ pflanze verschaffen könne. Mit Hilfe eines Mannes, der uns beide kennt, erhielt sie die Pflanze, und in diesem Frühlinge wurde sie mir in einem Topfe sehr wohl und sinnreich verpackt aus England geschickt. Ich pflegte sie, und da die Blumen sich entwickeln wollten, brachte ich sie unserm Freunde. Die Rosen öffneten sich hier vollends, und wir sahen, — beson¬ ders er, der alle Merkmale genau kennt — daß diese Blume sich in der Sammlung dieses Hauses noch nicht befindet. Eustach bildete sie ab, daß wir sie festhalten, und ob die, welche in Zukunft kommen werden, ihr gleichen. Mein Freund schrieb nach Eng¬ land um Pfropfreiser für den nächsten Frühling, diese Pflanze bleibt indessen in dem Topfe, und wird hier besorgt werden.“ Während sie so sprach, regten sich die Zweige neben einem schmalen Pfade, der aus dem Gebüsche auf den Plaz führte, und Natalie trat auf dem Pfade hervor. Sie war erhizt, und trug einen Strauß von Feldblumen in der Hand. Sie mußte nicht gewußt haben, daß ein Fremder bei der Mutter sei; denn sie erschrak sehr, und mir schien, als ginge durch das Roth des erwärmten Angesichtes eine Blässe, die wieder mit einem noch stärkeren Roth wechselte. Ich war eben¬ falls beinahe erschrocken, und stand auf. Sie war an der Ecke des Gebüsches stehen geblie¬ ben, und ich sagte die Worte: „Mich freut es sehr, mein Fräulein, euch so wohl zu sehen.“ „Mich freut es auch, daß ihr wohl seid,“ erwie¬ derte sie. „Mein Kind, du bist sehr erhizt,“ sagte die Mut¬ ter, „du mußt weit gewesen sein, es kömmt schon die Mittagsstunde, und in derselben solltest du nicht so weit gehen. Seze dich ein wenig auf einen dieser Sessel, aber seze dich in die Sonne, damit du nicht zu schnell abkühlest.“ Natalie blieb noch ein ganz kleines Weilchen stehen, dann rückte sie folgsam einen von den herum¬ stehenden Sesseln so, daß er ganz von der Sonne beschienen wurde, und sezte sich auf ihn. Sie hatte den runden Hut mit dem nicht gar großen Schirme, wie ihn Mathilde und sie sehr gerne auf Spaziergän¬ gen in der Nähe des Rosenhauses und des Sternen¬ hofes trugen, als sie aus dem Gebüsche getreten war, in der Hand gehabt, jezt, da die Sonne auf ihren Scheitel schien, sezte sie ihn auf. Sie legte den Strauß von Feldblumen, den sie gebracht hatte, auf den Tisch, und fing an, die einzelnen Gewächse heraus zu suchen, und gleichsam zu einem neuen Strauße zu ordnen. „Wo bist du denn gewesen?“ fragte die Mutter. „Ich bin zu mehreren Rosenstellen in dem Gar¬ ten gegangen,“ antwortete Natalie, „ich bin zwischen den Gebüschen neben den Zwergobstbäumen und un¬ ter den großen Bäumen, dann zu dem Kirschbaume empor und von da in das Freie hinaus gegangen. Dort standen die Saaten und es blühten Blumen zwischen den Halmen und in dem Grase. Ich ging auf dem schmalen Wege zwischen den Getreiden fort, ich kam zur Felderrast, saß dort ein wenig, ging dann auf dem Getreidehügel auf mehreren Rainen ohne Weg zwischen den Feldern herum, pflückte diese Blumen, und ging dann wieder in den Garten zu¬ rück.“ „Und hast du dich denn lange auf dem Berge auf¬ gehalten, und hast du alle Zeit zu dem Aufsuchen und Pflücken dieser Blumen verwendet?“ fragte Ma¬ thilde. „Ich weiß nicht, wie lange ich mich auf dem Berge aufgehalten habe; aber ich meine, es wird nicht lange gewesen sein,“ antwortete Natalie, „ich habe nicht blos diese Blumen gepflückt, sondern auch auf die Gebirge geschaut, ich habe auf den Himmel gesehen, und auf die Gegend auf diesen Garten und auf dieses Haus geblickt.“ „Mein Kind,“ sagte Mathilde, „es ist kein Übel, wenn du in den Umgebungen dieses Hauses herum gehst; aber es ist nicht gut, wenn du in der heißen Sonne, die gegen Mittag zwar nicht am heißesten ist, aber immerhin schon heiß genug, auf dem Hügel herum gehst, welcher ihr ganz ausgesezt ist, welcher keinen Baum — außer bei der Felderrast — und kei¬ nen Strauch hat, der Schatten biethen könnte. Und du weißt auch nicht, wie lange du in der Hize ver¬ weilest, wenn du dich in das Herumsehen vertiefest, oder wenn du Blumen pflückest, und in dieser Be¬ schäftigung die Zeit nicht beachtest.“ „Ich habe mich in das Blumenpflücken nicht ver¬ tieft,“ erwiederte Natalie, „ich habe die Blumen nur so gelegentlich gelesen, wie sie mir in meinem Dahin¬ gehen aufstießen. Die Sonne thut mir nicht so weh, liebe Mutter, wie du meinst, ich empfinde mich in ihr sehr wohl und sehr frei, ich werde nicht müde, und die Wärme des Körpers stärkt mich eher, als daß sie mich drückt.“ „Du hast auch den Hut an dem Arme getragen,“ sagte die Mutter. „Ja das habe ich gethan,“ antwortete Natalie, „aber du weißt, daß ich dichte Haare habe, auf die¬ selben legt sich die Sonnenwärme wohlthätig, wohl¬ thätiger, als wenn ich den Hut auf dem Haupte trage, der so heiß macht, und die freie Luft geht ange¬ nehm, wenn man das Haupt entblößt hat, an der Stirne und an den Haaren dahin.“ Ich betrachtete Natalie, da sie so sprach. Ich er¬ kannte erst jezt, warum sie mir immer so merkwürdig gewesen ist, ich erkannte es, seit ich die geschnittenen Steine meines Vaters gesehen hatte. Mir erschien es, Natalie sehe einem der Angesichter ähnlich, welche ich auf den Steinen erblickt hatte, oder vielmehr in ihren Zügen war das Nehmliche, was in den Zügen auf den Angesichtern der geschnittenen Steine ist. Die Stirne die Nase der Mund die Augen die Wangen hatten genau etwas, was die Frauen dieser Steine hatten, das Freie das Hohe das Einfache das Zarte und doch das Kräftige, welches auf einen vollständig gebildeten Körper hinweist, aber auch auf einen eigen¬ thümlichen Willen und eine eigenthümliche Seele. Ich blickte auf Gustav, der noch immer neben dem Tische stand, ob ich auch an ihm etwas Ähnliches entdecken könnte. Er war noch nicht so entwickelt, daß sich an ihm schon das Wesen der Gestalt aussprechen konnte, die Züge waren noch zu rund und zu weich; aber es däuchte mir, daß er in wenigen Jahren so aussehen würde, wie die Jünglingsangesichter unter den Helmen auf den Steinen aussehen, und daß er dann Natalien noch mehr gleichen würde. Ich blickte auch Mathilden an; aber ihre Züge waren wieder in das Sanftere des Alters übergegangen; ich glaubte deßohngeachtet, vor nicht langer Zeit müßte auch sie ausgesehen haben wie die älteren Frauen auf den Steinen aussehen. Natalie stammte also gleichsam aus einem Geschlechte, das vergangen war, und das anders und selbstständiger war als das jezige. Ich sah lange auf die Gestalt, welche beim Sprechen bald die Augen zu uns aufschlug, bald sie wieder auf ihre Blumen nieder senkte. Daß ihr Haupt so antik erschien, wie der Vater mit einem altrömischen Beiworte von seinen Steinen sagte, mochte zum Theile auch daher kommen — wenigstens gewann ihre Erscheinung dadurch — daß es mit einem richtig gebildeten Halse aus einem ganz einfachen schmucklosen Kleide hervor sah. Keine überflüssige Zuthat von Stoffen und keine Kette oder sonst ein Schmuck umgab den Hals — dieses macht nur die blos anmuthigen Angesichter noch anmuthiger — sondern das Kleid mit einer nicht auf¬ fallenden Farbe und mit einem nicht auffallenden Schnitte schloß den reinen Hals, und ging an der übrigen Gestalt hernieder. Die Mutter sah Natalien freundlich an, da sie sprach, und sagte dann: „Der Jugend ist alles gut, der Jugend schlägt alles zum Gedeihen aus, sie wird wohl auch empfinden, was ihr noth thut, wie das Alter empfindet, was es bedarf — Ruhe und Stille — und unser Freund sagt ja auch, man soll der Na¬ tur ihr Wort reden lassen; darum magst du gehen, wie du fühlest, daß du es bedarfst, Natalie, du wirst kein Unrecht begehen, wie du es ja nie thust, du wirst keine Maßregel außer Acht lassen, die wir dir gesagt haben, und du wirst dich in deine Gedanken nicht so vertiefen, daß du deinen Körper vergäßest.“ Stifter , Nachsommer. II . 20 „Das werde ich nicht thun, Mutter,“ entgegnete Natalie, „aber lasse mich gehen, es ist ein Wunsch in mir, so zu verfahren. Ich werde ihn mäßigen, wie ich kann; ich thue es um deinetwillen, Mutter, daß du dich nicht beunruhigest. Ich möchte auf dem Fel¬ derhügel herum gehen, dann auch in dem Thale und in dem Walde, ich möchte auch in dem Lande gehen, und alles darin beschauen und betrachten. Und die Ruhe schließt dann so schön das Gemüth und den Willen ab.“ Daß Natalie doch durch das Wandeln in der hei¬ ßen Sonne unmittelbar vor der Mittagszeit sich er¬ hizt habe, zeigte ihr Angesicht. Dasselbe behielt die Röthe, welche es nach dem ersten Erblassen erhalten hatte, und verlor sie nur in geringem Maße, während sie an dem Tische saß, was doch eine geraume Zeit dauerte. Es blühte dieses Roth wie ein sanftes Licht auf ihren Wangen, und verschönerte sie gleichsam wie ein klarer Schimmer. Sie fuhr in ihrem Geschäfte mit den Blumen fort, sie legte eine nach der andern von dem größeren Strauße zu dem kleineren, bis der kleinere Strauß der größere wurde, der größere aber sich immer ver¬ kleinerte. Sie schied keine einzige Blume aus, sie warf nicht einmal einen Grashalm weg, der sich ein¬ gefunden hatte; es erschien also, daß sie weniger eine Auslese der Blumen machen als dem alten Strauße eine neue schönere Gestalt geben wollte. So war es auch; denn der alte Strauß war endlich verschwun¬ den, und der neue lag allein auf dem Tische. Mathilde hatte ihr Buch immer vor sich auf dem Tische liegen, und sah nicht wieder hinein. Sie frug mich um meinen lezten Aufenthalt und um meine lez¬ ten Arbeiten. Ich sezte ihr beides auseinander. Gustav hatte sich indessen auch auf einen Sessel ganz nahe an mir gesezt, und hörte aufmerksam zu. Als die Sonne im Mittage angekommen war, und nachgerade unsern ganzen Tisch erfüllt hatte, er¬ schien Arabella, um uns zum Mittagessen zu rufen. Ein Mann, der in dem Garten arbeitete, mußte den Blumentopf in das Haus tragen. Mathilde nahm das Buch und ein Arbeitskörbchen, das neben ihr auf dem Tische gestanden war, Natalie nahm ihren Blu¬ menstrauß, hing ihren Hut wieder an ihren Arm, und so gingen wir in das Haus. Die Frauen wandelten vor uns, Gustav und ich gingen hinter ihnen. Daß ich mich gegen meinen Gastfreund gegen 20 * Eustach gegen Gustav und selbst gegen die Leute des Hauses vertheidigen mußte, weil ich heuer so spät gekommen sei, nahm mich nicht Wunder, da ich im¬ mer so freundlich hier aufgenommen worden war, und da man sich beinahe daran gewöhnt hatte, daß ich alle Sommer in das Rosenhaus komme, wie ja auch mir diese Besuche zur Gewohnheit geworden waren. Mein Gastfreund und ich sprachen von den Din¬ gen, welche ich im Laufe des heurigen Sommers un¬ ternommen hatte, so wie er mir auch in den ersten Tagen alles zeigte, was in dem Rosenhause geschah, und was sich in meiner Abwesenheit verändert hatte. Ich sah, daß die Zeit der Rosenblüthe nicht so lange dauern werde, weil ich ja auch nicht zu ihrem ersten Anfange sondern etwas später gekommen war. Die Bilder gaben mir wieder eine süße Empfin¬ dung, und die hohe Gestalt auf der Treppe trat mir immer näher, seit ich die geschnittenen Steine gesehen hatte, und seit ich wußte, daß etwas unter den Leben¬ den wandle, das ähnlich sei. Ich ging mit Gustav oder allein öfter in der Gegend herum. Eines Nachmittages waren wir in dem Rosen¬ zimmer. Mathilde sprach recht freundlich von ver¬ schiedenen Gegenständen des Lebens, von den Er¬ scheinungen desselben, wie man sie aufnehmen müsse, und wie sie in dem Laufe der Jahre sich ablösen. Mein Gastfreund antwortete ihr. Bei dieser Gelegen¬ heit sah ich erst, wie zart und schön für das Zimmer gesorgt worden war; denn die vier an Größe wie an Rahmen gleichen Gemälde, die in demselben hingen, waren troz ihrer Kleinheit bei Weitem das Herrlichste und Außerordentlichste, was es an Gemälden im Rosenhause gab. Ich hatte mein Urtheil doch schon so weit gebildet, um bei dem großen Unterschiede, der da waltete, das einsehen zu können. Doch leitete ich auch meinen Gastfreund auf den Gegenstand, und er gab meine Wahrnehmung freilich in sehr bescheide¬ nen Ausdrücken, weil Mathilde zugegen war, zu. Wir besahen, nachdem das Gespräch eine Wendung genommen hatte, die Bilder, und machten uns auf das Zarte Liebliche und Hohe derselben aufmerksam. Besuche, wie gewöhnlich zur Rosenzeit, kamen auch heuer; aber ich mischte mich weniger als etwa in früheren Jahren unter die Leute. Natalie ging wirklich, wie ich jezt selber wahr¬ nahm, in diesem Sommer mehr als in vergangenen im Garten und in der Gegend herum, sie ging viel wei¬ ter, und ging auch öfter allein. Sie ging nicht blos bei dem großen Kirschbaume öfter in das Freie, und ging dort zwischen den Saaten herum, sondern sie ging auch geradewegs über den Hügel hinab zu der Straße, oder sie ging in den Meierhof oder längs der Hügel dahin, oder sie ging ein Stück auf dem Wege nach dem Inghofe. Wenn sie zurückgekehrt war, saß sie in ihrem Lehnstuhle, und blickte auf das, was vor ihr oder in ihrer Umgebung geschah. Eines Tages, da ich selber einen weiten Weg ge¬ macht hatte, und gegen Abend in das Rosenhaus zu¬ rück kehrte, sah ich, da ich von dem Erlenbache hinauf eine kürzere Richtung eingeschlagen hatte, auf bloßem Rasen zwischen den Feldern gegangen, auf der Höhe angekommen war, und nun gegen die Felderrast zu¬ ging, auf dem Bänklein, das unter der Esche dersel¬ ben steht, eine Gestalt sizen. Ich kümmerte mich nicht viel um sie, und ging meines Weges, welcher gerade auf den Baum zuführte, weiter. Ich konnte, wie nahe ich auch kam, die Gestalt nicht erkennen; denn sie hatte nicht nur den Rücken gegen mich gekehrt, sondern war auch durch den größten Theil des Baum¬ stammes gedeckt. Ihr Angesicht blickte nach Süden. Sie regte sich nicht, und wendete sich nicht. So kam ich fast dicht gegen sie heran. Sie mußte nun meinen Tritt im Grase oder mein Anstreifen an das Getreide gehört haben; denn sie erhob sich plözlich, wendete sich um, damit sie mich sähe, und ich stand vor Na¬ talien. Kaum zwei Schritte waren wir von einander entfernt. Das Bänklein stand zwischen uns. Der Baumstamm war jezt etwas seitwärts. Wir erschra¬ ken beide. Ich hatte nehmlich nicht — auch nicht im Entferntesten — daran gedacht, daß Natalie auf dem Bänklein sizen könne, und sie mußte erschrocken sein, weil sie plözlich Schritte hinter sich gehört hatte, wo doch kein Weg ging, und weil sie, da sie sich um¬ wendete, einen Mann vor sich stehen gesehen hatte. Ich mußte annehmen, daß sie nicht gleich erkannt habe, daß ich es sei. Ein Weilchen standen wir stumm einander gegen¬ über, dann sagte ich: „Seid ihr es, Fräulein, ich hatte nicht gedacht, daß ich euch unter dem Eschen¬ baume sizend finden würde.“ „Ich war ermüdet,“ antwortete sie, „und sezte mich auf die Bank, um zu ruhen. Auch dürfte es wohl an der Zeit später geworden sein, als man gewohnt ist, mich nach Hause kommen zu sehen.“ „Wenn ihr ermüdet seid,“ sagte ich, „so will ich nicht Ursache sein, daß ihr steht, ich bitte sezet euch, ich will, so schnell ich kann, durch die Felder und den Garten eilen, und euch Gustav herauf senden, daß er euch nach Hause begleite.“ „Das wird nicht nöthig sein,“ erwiederte sie, „es ist ja noch nicht Abend, und selbst wenn es Abend wäre, so droht wohl nirgends ringsherum eine Ge¬ fahr. Ich bin schon viel weiter allein gegangen, ich bin allein nach Hause zurückgekehrt, meine Mutter und unser Gastfreund haben deßhalb keine Besorg¬ nisse gehabt. Heute bin ich bis auf dem Raitbühel bei dem rothen Kreuze gewesen, und bin von dort zu der Bank hieher zurück gegangen.“ „Das ist ja fast über eine Stunde Weges,“ sagte ich. „Ich weiß nicht, wie lange ich gegangen bin,“ antwortete sie, „ich ging zwischen den Feldern hin, auf denen die ungeheure Menge des Getreides steht, ich ging an manchem Strauche hin, den der Rain enthält, ich ging an manchem Baume vorbei, der in dem Getreide steht, und kam zu dem rothen Kreuze, das aus den Saaten empor ragt.“ „Wenn ich sehr gut gehe,“ sagte ich, „so brauche ich von hier bis zu dem rothen Kreuze eine Stunde.“ „Ich habe, wie ich sagte, die Zeit nicht gezählt,“ entgegnete sie, „ich bin von hier zu dem Kreuze ge¬ gangen, und bin von dem Kreuze wieder hieher zu¬ rück gekehrt.“ Während dieser Worte war ich aus der ungefü¬ gen Stellung im Grase hinter dem Bänklein auf den freien Raum herüber getreten, der sich vor dem Baume ausbreitet, Natalie hatte eine leichte Bewegung ge¬ macht, und sich wieder auf das Bänkchen gesezt. „Nach einem solchen Gange bedürft ihr freilich der Ruhe,“ sprach ich. „Es ist auch nicht gerade deßwillen,“ antwortete sie, „weßhalb ich diese Bank suchte. So ermüdet ich bin, so könnte ich wohl noch recht gut den Weg durch die Felder und den Garten nach Hause, ja noch einen viel weiteren machen; aber es gesellte sich zu dem kör¬ perlichen Wunsche noch ein anderer.“ „Nun?“ „Auf diesem Plaze ist es schön, das Auge kann sich ergehen, ich bin bei meinen Gedanken, ich brauche diese Gedanken nicht zu unterbrechen, was ich doch thun muß, wenn ich zu den Meinigen zurück kehre.“ „Und darum ruhet ihr hier?“ „Darum ruhe ich hier.“ „Seid ihr von eurer Kindheit an gerne allein in den Feldern gegangen?“ „Ich erinnere mich des Wunsches nicht,“ antwor¬ tete sie, „wie es denn überhaupt einige Zeitabschnitte in meiner Kindheit gibt, an welche ich mich nicht genau erinnern kann, und da der Wunsch in meinem Gedächtnisse nicht gegenwärtig ist, so wird auch die Thatsache nicht gewesen sein, obwohl es wahr ist, daß ich als Kind lebhafte Bewegungen sehr geliebt habe.“ „Und jezt führt euch eure Neigung öfter in das Freie?“ fragte ich. „Ich gehe gerne herum, wo ich nicht beengt bin,“ antwortete sie, „ich gehe zwischen den Feldern und den wallenden Saaten, ich steige auf die sanften Hügel empor, ich wandere an den blätterreichen Bäumen vorüber, und gehe so fort, bis mich eine fremde Ge¬ gend ansieht, der Himmel über derselben gleichsam ein anderer ist, und andere Wolken hegt. Im Gehen sinne und denke ich dann. Der Himmel die Wolken darin das Getreide die Bäume die Gesträuche das Gras die Blumen stören mich nicht. Wenn ich recht ermüdet bin, und auf einem Bänklein wie hier oder auf einem Sessel in unserem Garten oder selbst auf einem Size in unserem Zimmer ausruhen kann, so denke ich, ich werde nun nicht wieder so weit gehen. — — Und wo seid denn ihr gewesen?“ fragte sie, nachdem sie sich unterbrochen und ein Weilchen ge¬ schwiegen hatte. „Ich bin nach dem Essen von dem Erlenbache zu dem Teiche hinauf gegangen,“ antwortete ich, „dann durch das Gehölze auf den Balkhügel empor, von dem man die Gegend von Landegg sieht, und den Thurm seiner Pfarrkirche erblicken kann. Von dem Balkhügel bin ich dann noch auf den Höhen fortge¬ gangen, bis ich zu den Rohrhäusern gekommen bin. Da ich dort schon zwei starke Wegstunden von dem Asperhofe entfernt war, schlug ich den Rückweg ein. Ich hatte im Hingehen viele Zeit verbraucht, weil ich häufig stehen geblieben war, und verschiedene Dinge angesehen hatte, deßhalb wählte ich nun einen kürzeren Rückgang. Ich ging auf Feldpfaden und manigfalti¬ gen Kirchenwegen durch die Felder, bis ich zwischen Dernhof und Ambach wieder zu dem Seewalde und zu dem Erlenbache herabkam. Von dort aus waren mir Raine bekannt, die am kürzesten auf die Felder¬ rast herüber führten. Obwohl auf ihnen kein Weg führt, ging ich doch auf ihrem Grase fort, und kam so gegen euch herzu.“ „Da müßt ihr ja recht müde sein,“ sagte sie, und machte eine Bewegung auf dem Bänklein, um mir Plaz neben sich zu verschaffen. Ich wußte nicht recht, wie ich thun sollte, sezte mich aber doch an ihrer Seite nieder. „Habt ihr etwa ein Buch mit euch genommen, um auf dieser Bank zu lesen,“ fragte ich, „oder habt ihr nicht Blumen gepflückt?“ „Ich habe kein Buch mitgenommen, und habe keine Blumen gepflückt,“ antwortete sie, „ich kann nicht lesen, wenn ich gehe, und kann auch nicht lesen, wenn ich im freien Felde auf einer Bank oder auf einem Steine size.“ Wirklich sah ich auch gar nichts neben ihr, sie hatte kein Körbchen oder sonst irgend etwas, das Frauen gerne mit sich zu tragen pflegen, um Gegen¬ stände hinein legen zu können; sie saß müßig auf dem Bänklein, und ihr Strohhut, den sie von dem Haupte genommen hatte, lag neben ihr in dem Grase. „Die Blumen pflücke ich,“ fuhr sie nach einem Weilchen fort, „wenn sie bei Gelegenheit an dem Wege stehen. Hier herum ist meistens der Mohn, der aber wenig zu Sträußen paßt, weil er gerne die Blätter fallen läßt, dann sind die Kornblumen die Wegnelken die Glocken und andere. Oft pflücke ich auch keine Blumen, wenn sie noch so reichlich vor mir stehen.“ Mir war es seltsam, daß ich mit Natalien allein unter der Esche der Felderrast size. Ihre Fußspizen ragten in den Staub der vor uns befindlichen offenen Stelle hinaus, und der Saum ihrer Kleider berührte denselben Staub. In der Krone der Esche rührte sich kein Blättchen; denn die Luft war still. Weit vor uns hinabgehend und weit zu unserer Rechten und Linken hin, so wie rückwärts war das grüne der Reife entgegen harrende Getreide. Aus dem Saume des¬ selben, der uns am nächsten war, sahen uns der rothe Mohn und die blauen Kornblumen an. Die Sonne ging dem Untergange zu, und der Himmel glänzte an der Stelle, gegen die sie ging, fast weißglühend über die Saatfelder herüber, keine Wolke war, und das Hochgebirge stand rein und scharf geschnitten an dem südlichen Himmel. „Und habt ihr bei dem rothen Kreuze auch ein wenig geruht?“ fragte ich nach einer Weile. „Bei dem rothen Kreuze habe ich nicht geruht,“ antwortete sie, „man kann dort nicht ruhen, es steht fast unter lauter Halmen des Getreides, ich lehnte mich mit einem Arme an seinen Stamm, und sah auf die Gegend hinaus, auf die Felder auf die Obstbäume und auf die Häuser der Menschen, dann wendete ich mich wieder um, und schlug den Rückweg zu diesem Bänklein ein.“ „Wenn heiterer Himmel ist, und die Sonne scheint, dann ist es in der Weite schön,“ sagte ich. „Es ist wohl schön,“ erwiederte sie, „die Berge gehen wie eine Kette mit silbernen Spizen dahin, die Wälder sind ausgebreitet, die Felder tragen den Se¬ gen für die Menschen, und unter all den Dingen liegt das Haus, in welchem die Mutter und der Bruder und der väterliche Freund sind; aber ich gehe auch an bewölkten Tagen auf den Hügel, oder an solchen, an denen man nichts deutlich sehen kann. Als Bestes bringt der Gang, daß man allein ist, ganz allein, sich selber hingegeben. Thut ihr bei euren Wanderungen nicht auch so, und wie erscheint denn euch die Welt, die ihr zu erforschen trachtet?“ „Es war zu verschiedenen Zeiten verschieden,“ antwortete ich; „einmal war die Welt so klar als schön, ich suchte Manches zu erkennen, zeichnete Man¬ ches, und schrieb mir Manches auf. Dann wurden alle Dinge schwieriger, die wissenschaftlichen Auf¬ gaben waren nicht so leicht zu lösen, sie verwickelten sich, und wiesen immer wieder auf neue Fragen hin. Dann kam eine andre Zeit; es war mir, als sei die Wissenschaft nicht mehr das Lezte, es liege nichts daran, ob man ein Einzelnes wisse oder nicht, die Welt erglänzte wie von einer innern Schönheit, die man auf ein Mal fassen soll, nicht zerstückt, ich be¬ wunderte sie, ich liebte sie, ich suchte sie an mich zu ziehen, und sehnte mich nach etwas Unbekanntem und Großem, das da sein müsse.“ Sie sagte nach diesen Worten eine Zeit hindurch nichts; dann aber fragte sie: „Und ihr werdet in die¬ sem Sommer noch einmal in euren Aufenthaltsort zurückkehren, den ihr euch jezt zu eurer Arbeit auser¬ koren habt?“ „Ich werde in denselben zurück kehren,“ antwor¬ tete ich. „Und den Winter bringt ihr bei euren lieben An¬ gehörigen zu?“ fragte sie weiter. „Ich werde ihn wie alle bisherigen in dem Hause meiner Eltern verleben,“ sagte ich. „Und seid ihr in dem Winter im Sternenhofe?“ fragte ich nach einiger Zeit. „Wir haben ihn früher zuweilen in der Stadt zu¬ gebracht,“ antwortete sie, „jezt sind wir schon einige Male in dem Sternenhofe geblieben, und zwei Mal haben wir eine Reise gemacht.“ „Habt ihr außer Klotilden keine andere Schwe¬ ster?“ fragte sie, nachdem wir wieder ein Weilchen geschwiegen hatten. „Ich habe keine andere,“ erwiederte ich, „wir sind nur zwei Kinder, und das Glück, einen Bruder zu besizen, habe ich gar nie kennen gelernt.“ „Und mir ist wieder das Glück eine Schwester zu haben nie zu Theil geworden,“ antwortete sie. Die Sonne war schon untergegangen, die Däm¬ merung trat ein, und wir waren immer sizen geblie¬ ben. Endlich stand sie auf, und langte nach ihrem Hute, der in dem Grase lag. Ich hob denselben auf, und reichte ihn ihr dar. Sie sezte ihn auf, und schickte sich zum Fortgehen an. Ich both ihr meinen Arm. Sie legte ihren Arm in den meinigen, aber so leicht, daß ich ihn kaum empfand. Wir schlugen nicht den Weg auf den Anhöhen hin zu dem Gartenpförtchen ein, das in der Nähe des Kirschbaumes ist, sondern wir gingen auf dem Pfade, der von der Felderrast zwischen dem Getreide abwärts läuft, gegen den Meierhof hinab. Wir sprachen nun gar nicht mehr. Ihr Kleid fühlte ich sich neben mir regen, ihren Tritt fühlte ich im Gehen. Ein Wässerlein, das unter Tags nicht zu vernehmen war, hörte man rauschen, und der Abendhimmel, der immer goldener wurde, flammte über uns und über den Hügeln der Getreide und um manchen Baum, der beinahe schwarz da stand. Wir gingen bis zu dem Meierhofe. Von demselben gingen wir über die Wiese, die zu dem Hause meines Gastfreundes führt, und schlugen den Pfad zu dem Gartenpförtchen ein, das in jener Rich¬ tung in der Gegend der Bienenhütte angebracht ist. Wir gingen durch das Pförtchen in den Garten, gin¬ gen an der Bienenhütte hin, gingen zwischen Blu¬ men die da standen, zwischen Gesträuch das den Weg säumte, und endlich unter Bäumen dahin, und kamen in das Haus. Wir gingen in den Speisesaal, in welchem die andern schon versammelt waren. Na¬ talie zog hier ihren Arm aus dem meinigen. Man fragte uns nicht, woher wir gekommen wären, und wie wir uns getroffen hätten. Man ging bald zu dem Abendessen, da die Zeit desselben schon heran gekom¬ men war. Während des Essens sprachen Natalie und ich fast nichts. Als wir uns im Speisesaale getrennt hatten, und Stifter , Nachsommer. II . 21 als jedes in sein Zimmer gegangen war, löschte ich die Lichter in dem meinigen sogleich aus, sezte mich in einen der gepolsterten Lehnstühle, und sah auf die Lichttafeln, welche der inzwischen heraufgekommene Mond auf die Fußböden meiner Zimmer legte. Ich ging sehr spät schlafen, las aber nicht mehr, wie ich es sonst in jeder Nacht gewohnt war, sondern blieb auf meinem Lager liegen, und konnte sehr lange den Schlummer nicht finden. In den Tagen, die auf jenen Abend folgten, schien es mir, als weiche mir Natalie aus. Die Zi¬ thern hörte ich wieder in ein paar Nächten, sie wur¬ den sehr gut gespielt, was ich jezt mehr empfinden und beurtheilen konnte als früher. Ich sprach aber nichts darüber, und noch weniger sagte ich etwas da¬ von, daß ich selber in diesem Spiele nicht mehr so unerfahren sei. Meine Zither hatte ich nie in das Rosenhaus mitgenommen. Endlich nahte die Zeit, in welcher man in den Sternenhof gehen sollte. Mathilde und Natalie reis¬ ten in Begleitung ihrer Dienerin früher dahin, um Vorkehrungen zu treffen und die Gäste zu empfangen. Wir sollten später folgen. In der Zeit zwischen der Abreise Mathildens und der unsrigen that mein Gastfreund eine Bitte an mich. Sie bestand darin, daß ich ihm in dem kommenden Winter eine genaue Zeichnung von den Vertäflungen anfertigen möchte, welche ich meinem Vater aus dem Lauterthale gebracht hatte, und welche von ihm in die Pfeiler des Glashäuschens eingesezt worden waren. Die Zeichnung möchte ich ihm dann im nächsten Sommer mitbringen. Ich fühlte mich sehr vergnügt darüber, daß ich dem Manne, zu welchem mich eine solche Neigung zog, und dem ich so viel verdankte, einen Dienst erweisen konnte, und versprach, daß ich die Zeichnung so genau und so gut machen werde, als es meine Kräfte gestatten. An einem der folgenden Tage fuhren mein Gast¬ freund Eustach Roland Gustav und ich in den Ster¬ nenhof ab. 21* 4. Das Fest. Ein Fest in dem Sinne, wie man das Wort ge¬ wöhnlich nimmt, war es nicht, was in dem Sternen¬ hofe vorkommen sollte, sondern es waren mehrere Menschen zu einem gemeinschaftlichen Besuche einge¬ laden worden, und diese Einladungen hatte man auch nicht eigens und feierlich sondern nur gelegentlich ge¬ macht. Übrigens stand es in Hinsicht des Sternen¬ hofes so wie des Asperhofes jedem Freunde und je¬ dem Bekannten frei, zu was immer für einer Zeit einen Besuch zu machen, und eine Weile zu bleiben. Als wir am zweiten Tage nach unserer Abreise von dem Asperhofe — wir hatten einen kleinen Um¬ weg gemacht — in dem Sternenhofe eintrafen, waren schon mehrere Menschen versammelt. Fremde Diener, zuweilen seltsam gekleidet, gingen, wie sich das alle¬ mal findet, wenn mehrere Familien zusammen kom¬ men, in der Nähe des Schlosses herum oder auf dem Wege zwischen dem Meierhofe und dem Schlosse hin und her. Man hatte einen Theil der Wägen und Pferde in dem Meierhofe untergebracht. Wir fuhren bei dem Thore hinein, und unser Wagen hielt im Hofe. Ich hatte schon, da wir den Hügel hinan fuh¬ ren, und uns dem Schlosse näherten, einen Blick auf dessen vorderste Mauer geworfen, an der jezt die bloßen Steine ohne Tünche sichtbar waren, und hatte mein Urtheil schnell gefaßt. Mir gefiel die neue Ge¬ stalt um Außerordentliches besser als die frühere, an welche ich jezt kaum zurück denken mochte. Meine Be¬ gleiter äußerten sich während des Hinzufahrens nicht, ich sagte natürlich auch nichts. Im Hofe näherten sich Diener, welche unser Gepäcke in Empfang nehmen und Wagen und Pferde unterbringen sollten. Der Hausverwalter führte uns die große Treppe hinan, und geleitete uns in das Gesellschaftszimmer. Das¬ selbe war eines von jenen Zimmern, die in einer Reihe fortlaufen, und mit den neuen im Asperhofe verfertigten Geräthen versehen sind. Die Thüren aller dieser Zimmer standen offen. Mathilde saß an einem Tische und eine ältliche Frau neben ihr. Mehrere an¬ dere Frauen und Mädchen so wie ältere und jüngere Männer saßen an verschiedenen Stellen umher. Auf dem unscheinbarsten Plaze saß Natalie. Mathilde so wie Natalie waren gekleidet, wie die Frauen und Mädchen von den besseren Ständen gekleidet zu sein pflegten; aber ich konnte doch nicht umhin, zu bemerken, daß ihre Kleider weit einfacher ge¬ macht und verziert waren als die der anderen Frauen, daß sie aber viel besser zusammen stimmten und ein edleres Gepräge trugen, als man dies sonst findet. Mir war, als sähe ich den Geist meines Gastfreun¬ des daraus hervorblicken, und wenn ich an höhere Kreise unserer Stadt, zu denen ich Zutritt hatte, dachte, so schien es mir auch, daß gerade dieser An¬ zug derjenige vornehme sei, nach welchem die andern strebten. Mathilde stand auf und verbeugte sich freund¬ lich gegen uns. Das thaten die andern auch, und wir thaten es gegen Mathilde und gegen die andern. Hierauf sezte man sich wieder, und der Hausverwal¬ ter und zwei Diener sorgten, daß wir Size bekamen. Ich sezte mich an eine Stelle, welche sehr wenig auf¬ fällig war. Die Sitte des gegenseitigen Vorstellens der Personen, wie sie fast überall vorkömmt, scheint in dem Rosenhause und in dem Sternenhofe nicht strenge gebräuchlich zu sein; denn ich wußte schon mehrere Fälle, in denen es unterblieben war; be¬ sonders wenn sich mehrere Menschen zusammen ge¬ funden hatten. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit unterblieb es auch. Man überließ es eher den Be¬ mühungen des Einzelnen, sich die Kenntniß über eine Person zu verschaffen, an der ihm gelegen war, oder man überließ es eher dem Zufalle, mit ein¬ ander bekannt zu werden, als daß man bei jedem neuen Ankömmlinge das Verzeichniß der Anwesenden gegen ihn wiederholt hätte. Zudem schienen sich hier die meisten Personen zu kennen. Mich wollte man wahrscheinlich aus dem Spiele lassen, weil ich nie, wenn fremde Menschen in den Asperhof gekommen waren, gefragt hatte, wer sie seien. Gustav benahm sich hier auch beinahe wie ein Fremder. Nachdem er sich gegen seine Mutter sehr artig verbeugt, in die allgemeine Verbeugung gegen die andern eingestimmt, und Natalien zugelächelt hatte, sezte er sich bescheiden auf einen abgelegenen Plaz, und hörte aufmerksam zu. Mein Gastfreund und Eustach so wie auch Ro¬ land waren in den gebräuchlichen Besuchkleidern, ich ebenfalls. Mir kamen diese Männer in ihren schwar¬ zen Kleidern fremder und fast geringer vor als in ihrem gewöhnlichen Hausanzuge. Mein Gastfreund war bald mit verschiedenen Anwesenden im Gespräche. Allgemein wurde von allgemeinen und gewöhnlichen Dingen geredet, und das Gespräch ging bald zwi¬ schen einzelnen bald zwischen mehreren Personen hin und wider. Ich sprach wenig und fast ausschlie߬ lich nur, wenn ich angeredet und gefragt wurde. Ich sah auf die Versammlung vor mir oder auf man¬ chen Einzelnen oder auf Natalien. Roland rückte ein¬ mal seinen Stuhl zu mir, und knüpfte ein Gespräch über Dinge an, die uns beiden nahe lagen. Wahr¬ scheinlich that er es, weil er sich eben so vereinsamt unter den Menschen empfand wie ich. Nachdem man den Nachmittagsthee, bei dem man eigentlich versammelt war, verzehrt, und sich schon zum größten Theile erhoben hatte, und in Gruppen zusammen getreten war, wurde der Vorschlag ge¬ macht, sich in den Garten zu begeben, und dort einen Spaziergang zu machen. Der Vorschlag fand Beifall. Mathilde erhob sich und mit ihr die älteren Frauen. Die jüngeren waren ohnehin schon gestanden. Ein schöner alter Herr, wahrscheinlich der Gatte der ält¬ lichen Frau, welche neben Mathilden gesessen war, both der Hausfrau den Arm, um sie über die Treppe hinab zu geleiten, dasselbe that mein Gastfreund mit der ältlichen Frau. Einige Paare entstanden noch auf diese Weise, das Andere ging gemischt. Ich blieb stehen, und ließ die Leute an mir vorüber gehen, um mich nicht vorzudrängen. Natalie ging mit einem schönen Mädchen an mir vorüber, und sprach mit demselben als sie an mir vorbei ging. Ich war mit Roland und Gustav der lezte, welcher über die Treppe hinab ging. Im Garten war es so, wie es bei einer größeren Anzahl von Gästen in ähnlichen Fällen immer zu sein pflegt. Man bewegte sich langsam vor¬ wärts, man blieb bald hier bald da stehen, betrachtete dieses oder jenes, besprach sich, ging wieder weiter, löste sich in Theile, und vereinigte sich wieder. Ich achtete auf alles, was gesprochen wurde, gar nicht. Natalie sah ich mit demselben Mädchen gehen, mit dem sie an mir in dem Gesellschaftszimmer vorüber gegangen war, dann gesellten sich noch ein paar hinzu. Ich sah sie mit ihrem lichtbraunen Seidenkleide zwi¬ schen andern hervorschimmern, dann sah ich sie wie¬ der nicht, dann sah ich sie abermals wieder. Ge¬ büsche deckten sie dann ganz. Die jungen Männer, welche ich in der Gesellschaft getroffen hatte, gingen bald mit dem älteren Theile bald mit dem jüngeren. Roland und Gustav gesellten sich zu mir, und wenn Gustav fragte, wie es dort aussehe, wo ich jezt gear¬ beitet habe, ob hohe Berge sind weite Thäler, und ob es so freundlich ist wie am Lautersee, und ob ich noch weiter vordringen wolle, und in welche Berge ich dann komme: so sprach Roland wieder von den Anwesenden, und nannte mir manchen, und erzählte mir von ihren Verhältnissen. Durch seine Reisen in dem Lande durch seinen Aufenthalt in Kirchen Kapel¬ len verfallenen Schlössern und an allen bedeutenderen Orten erfuhr er mehr als irgend ein anderer erfahren konnte, und durch sein lebhaftes Wesen und sein gu¬ tes Gedächtniß wurde er zur Erforschung angeleitet, und war im Stande, das Erforschte zu bewahren. Die ältliche Frau, welche wir bei unserem Eintritte in das Gesellschaftszimmer neben Mathilden sizen ge¬ sehen hatten, war die Besizerin eines großen Anwe¬ sens etwa eine halbe Tagereise von dem Sternenhofe entfernt. Ihr Name war Tillburg, wie auch ihr Schloß hieß. Sie hatte sich mit allen Annehmlichkei¬ ten und mit allem, was prächtig war, umringt. Ihre Gewächshäuser waren die schönsten im Lande, ihr Garten enthielt alles, was in der Zeit als vorzüglich auftauchte, und wurde von zwei Gärtnern und einem Obergärtner nebst vielen Gehilfen besorgt, ihre Zim¬ mer wiesen Geräthe und Stoffe von allen Hauptstäd¬ ten der Welt auf, und ihre Wägen waren das Be¬ quemste und Zierlichste, was man in dieser Art hatte. Gemälde Bücher Zeitschriften kleine Spielereien wa¬ ren in ihren Wohnzimmern zerstreut. Sie machte Besuche in der Umgegend, und empfing auch solche gerne. Im Winter ist sie selten in ihrem Schlosse und immer nur auf kurze Zeit, sie macht gerne Reisen, und hält sich besonders oft in südlichen Gegenden auf, von denen sie Merkwürdigkeiten zurückbringt. Sie war die einzige Tochter und Erbin ihrer Eltern, ein Bruder, den sie hatte, war in der zartesten Jugend gestorben. Der Mann mit dem freundlichen Ange¬ sichte, welcher Mathilden aus dem Saale geführt hatte, war ihr Gatte. Er war ebenfalls das einzige Kind reicher Eltern, die Verbindung hatte sich erge¬ ben, und so waren zwei große Vermögen in eins zu¬ sammen gekommen. Er theilte nicht gerade die Lieb¬ habereien seiner Gattin, war ihnen aber auch nicht entgegen. Er hatte keine Leidenschaften, war einfach, machte seiner Gattin, die er sehr liebte, gerne eine Freude, und fand in den Reisen derselben, auf denen er sie begleitete, halb sein eigenes Vergnügen halb eines, weil er das ihrige theilte. Er verwaltete aber von jeher die Besizungen sehr einsichtig. Die Till¬ burg stammt von ihm. Einer von den jungen Män¬ nern, die im Gesellschaftszimmer waren, der schlanke Mann mit den lebhaften dunkeln Augen ist der Sohn und zwar das einzige Kind dieser Eheleute, er ist gut erzogen worden, und man kann nicht wis¬ sen, ob von Tillburg her nicht zartere Beziehungen zu dem Sternenhofe gewünscht werden. Gustav machte bei diesen Worten eine leichte Sei¬ tenbewegung gegen Roland, sah ihn an, sagte aber nichts. Ich erinnerte mich der Tillburg, die ich sehr gut kannte aber nie betreten hatte. Ich war öfter in ihrer Nähe vorüber gekommen, und hatte die vier runden Thürme an ihren vier Ecken, denen man in der neue¬ ren Zeit eine lichte Farbe gegeben hatte, eine Tünche, wie man sie gerade jezt von dem Sternenhofe wieder weg haben will, nicht angenehm empfunden, wie sie sich so scharf von dem Grün der nahen Bäume und dem Blau der fernen Berge und des Himmels abho¬ ben, welchen lezteren sie beinahe finster machten. „Der kleinere Mann mit den weißen Haaren, der in der Nähe des mittleren Fensters gesessen und öfter aufgestanden war,“ fuhr Roland fort, „ist der Besizer von Haßberg. Sein Vater hatte die Besizung erst ge¬ kauft, und sie ursprünglich für einen jüngeren Sohn bestimmt, da der ältere das Stammgut Weißbach er¬ ben sollte; allein der jüngere Sohn und der Vater starben, und so hatte der ältere Weißbach und Ha߬ berg. Er übergab nach einiger Zeit seinem Sohne das Stammgut, und zog sich nach Haßberg zu¬ rück. Er ist einer jener Männer, die immer erfinden und bauen müssen. In Weißbach hat er schon meh¬ rere Bauten aufgeführt. In Haßberg richtete er eine Musterwirthschaft ein, er verbesserte die Felder und Wiesen, und friedigte sie mit schönen Hecken ein, er errichtete einen auserlesenen Viehstand, und führte in geschüzten Lagen den Hopfenbau ein, der sich unter seine Nachbarn verbreitete und eine Quelle des Wohl¬ standes eröffnete. Er dämmte dem Ritflusse Wiesen ab, er mauerte die Ufer des Mühlbaches heraus, er baute eine Flachsröstanstalt, baute neue Ställe Scheu¬ ern Trockenhäuser Brücken Stege Gartenhäuser, und ändert im Innern des Schlosses beständig um. Er ist im Laufe des ganzen Tages mit Nachschauen und Anordnen beschäftigt, zeichnet und entwirft in der Nacht, und wenn irgendwo im Lande über Führung einer Straße oder Anlegung eines Bewirthschaftungs¬ planes oder Errichtung eines Gebäudes Rath gepflo¬ gen wird, so wird er gerufen, und er macht bereitwil¬ lig die Reisen auf seine eigenen Kosten. Selbst bei der Regierung des Landes ist sein Wort nicht ohne Be¬ deutung. Die Frau mit dem aschgrauen Kleide ist seine Gattin und die zwei Mädchen, welche vor Kur¬ zem mit Natalie gegen die Eichen zugingen, sind seine Töchter. Frau und Töchter reden ihm zu, er solle sich mehr Ruhe gönnen, da er schon alt wird, er sagt immer: ‚Das ist das Lezte, was ich baue;‘ allein ich glaube, den lezten Plan zu einem Baue wird er auf seinem Todtenbette machen. Unser Freund hält in diesen Dingen große Stücke auf ihn.“ Da wir um die Ecke eines Gebüsches bogen, und gegen die Eichen, welche an der Eppichwand stehen, zugingen, sahen wir wieder eine Menschengruppe vor uns. Roland, der einmal im Zuge war, sagte: „Der Mann in dem feinen schwarzen Anzuge, vor dem seine Gattin in dem nelkenbraunen Seidenkleide geht, ist der Freiherr von Wachten, dessen Sohn hier eben¬ falls zugegen ist, ein Mann von mittelgroßer Gestalt, der im Gesellschaftszimmer so lange am Eckfenster gestanden war, ein junger Mann von vielen ange¬ nehmen Eigenschaften, der aber zu oft in den Ster¬ nenhof kömmt, als daß es sich durch bloßen Zufall erklären ließe. Der Freiherr verwaltet seine Besizun¬ gen gut, er hat keine besondere Vorliebe, hält alles und jedes in der ihm zugehörigen Ordnung, und wird immer reicher. Da er nur den einzigen Sohn und keine Tochter hat, so wird die künftige Gattin sei¬ nes Sohnes eine sehr ansehnliche und sehr reiche Frau. Die Familie lebt im Winter häufig in der Stadt. Die Güter liegen etwas zerstreut. Thondorf mit den schönen Wiesen und dem großen Waldgarten müßt ihr ja kennen.“ „Ich kenne es,“ antwortete ich. „Auf dem Randek hat er ein zerfallendes Schloß,“ fuhr Roland fort, „in welchem wunderschöne Thüren sind, die aus dem sechzehnten Jahrhunderte stammen dürften. Der Verwalter räth ihm, die Thüren nicht herzugeben, und so zerfallen sie nach und nach. Sie sind in unsern Zeichnungsbüchern enthalten, und würden Gemächer im Stile jener Zeit gebaut und eingerichtet sehr zieren. Sogar zu Tischen oder ande¬ ren Dingen, falls man sie als Thüren nicht verwen¬ den könnte, würden sie sehr brauchbar sein. Ich habe auch in der sehr zerfallenen Kapelle von Randek außer¬ ordentlich schöne Tragsteine gezeichnet. Meistens wohnt der Freiherr im Sommer in Wahlstein schon ziemlich tief in den Bergen, wo die Elm hervor¬ strömt.“ „Ich kenne den Siz,“ antwortete ich, „und kenne auch die Familie im Allgemeinen.“ „Der Mann mit den schneeweißen Haaren,“ sprach Roland weiter, „heißt Sandung, er veredelt die Schafzucht, und der eine von den zwei neben ihm gehenden Männern ist der Besizer des sogenannten Berghofes ein allgemein geachteter Mann und der andere ist der Oberamtmann von Landegg. Es fehlen noch die vom Inghof, dann sind mehrere Vertreter der hier herum wohnenden Leute vorhanden. Ich theile sie, wenn ich in meiner Liebhaberei im Lande herum reise, nach ihren Liebhabereien in Gruppen ein, und man könnte eine Landmappe so nach diesen Liebhabereien mit Farben zeichnen, wie ihr die Ge¬ birge mit Farben zeichnet, um das Vorkommen der verschiedenen Gesteine anzuzeigen.“ Da wir wieder eine Wendung machten, ganz nahe an der rechten Seite der Eppichwand, ging Ma¬ thilde mit der Frau von Tillburg auf einem Neben¬ wege gegen uns hervor. Sie blieb vor uns stehen, und sagte zu mir: „Ihr habt meiner Brunnennimphe nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, als ihr solltet; ihr zieht die Gestalt auf der Treppe unsers Freundes zu sehr vor. Sie verdient es wohl; allein ihr müßt doch die hiesige auch ein wenig genauer ansehen, und sie mir ein wenig schön heißen.“ „Ich habe sie schön geheißen,“ erwiederte ich, „und wenn meine ganz unbedeutende Meinung etwas gilt, so soll ihr die Anerkennung gewiß nicht entgehen.“ „Wir besuchen nun ohnehin alle die Grotte,“ ent¬ gegnete sie. Nach diesen Worten ging sie mit ihrer Begleiterin auf dem Hauptwege gegen die Eppichwand vor, wir folgten. Die anderen kamen in verschiedenen Rich¬ tungen herzu, und man ging zu der Marmorgestalt in der Brunnenhalle. Einige gingen hinein, andere blieben mehr am Eingange stehen, und man redete über die Gestalt. Diese ruhte indessen in ihrer Lage, und die Quelle rann sanft und stettig fort. Es waren nur allgemeine Dinge, welche über das Bildwerk gesprochen wurden. Mir kam es fremd vor, die gepuzten Menschen in den verschiedenfarbigen Kleidern vor dem reinen weißen Stifter , Nachsommer. II . 22 weichen Marmor stehen zu sehen. Roland und ich sprachen nichts. Man entfernte sich wieder von dem Marmor, ging langsam an der Eppichwand hin, und stieg die Stufen zu der Aussicht empor. Auf dieser verweilte man eine Zeit, und ging dann gegen die Linden zu¬ rück. Nach Betrachtung der Linden und des schönen Plazes unter ihnen begab sich der Zug wieder auf den Rückweg in das Schloß. Eustach hatte ich beinahe die ganze Zeit nicht gesehen. Zugleich mit uns kamen im Schlosse Wägen an, in denen die von Ingheim und noch einige Gäste saßen. Nachdem man sich bewillkommt hatte, und nachdem die Angekommenen sich von den überflüs¬ sigen Reisekleidern befreit hatten, theilte sich, wie es bei ähnlichen Gelegenheiten stets vorkömmt, die Gesellschaft in Gruppen, von denen einige vor dem Hause standen und plauderten, andere auf den Sand¬ wegen im Rasen herumgingen, wieder andere gegen den Meierhof wandelten. Als die Abendröthe hinter den Bäumen erschien, die in schönen Zeilen im We¬ sten des Schlosses die Felder säumten, und als ihr Glühen immer blässer wurde und dem Gelb des Spätabends Plaz machte, sammelten sich die Leute wieder. Die einen kehrten von ihrem Spaziergange die anderen von ihrem Gespräche die dritten von ihrer Betrachtung verschiedener Gegenstände zurück, und man begab sich in das Speisezimmer. In dem¬ selben begann nun ein Abend, wie sie auf dem Lande, wo man von dem Umgange mit Seinesgleichen viel ausgeschlossener ist, zu den vergnügtesten gehören. Ich habe diese Betrachtung, da ich im Sommer im¬ mer ferne von der Stadt war, öfter machen können. Da man Menschen, mit denen man gleiche Gesinnun¬ gen und gleiche Meinungen hat, auf dem Lande viel seltener sieht als in der Stadt, da man mit dem Raume nicht so kargen muß wie in der Stadt, wo jede Familie nur das mit vielen Kosten erschwingt, was sie für sich und nächste Angehörige braucht, da die Lebensmittel auf dem Lande gewöhnlich aus der ersten und unmittelbaren Quelle bei der Hand sind, auch strenge Anforderungen hierin nicht gemacht wer¬ den: so ist man auf dem Lande viel gastfreundlicher als in der Stadt, und Gelegenheiten, wo man sich in einem Zimmer und um einen Tisch versammelt, werden da viel fröhlicher ungezwungener und auch herzlicher begangen, weil man sich freut, sich wieder zu sehen, weil man um alles fragen will, was sich an 22 * den verschiedenen Stellen, woher die Ankömmlinge gekommen sind, zugetragen hat, weil man die eigenen Erlebnisse mittheilen, und weil man seine Ansichten austauschen will. Der Tisch war schon gedeckt, der Hausverwalter wies allen ihre Pläze an, die zur Vermeidung von dennoch möglichen Verwirrungen noch überdieß durch von seiner Hand geschriebene Zettel bezeichnet wa¬ ren, und man sezte sich. Der Mann hatte gesorgt, daß solche, die sich gut kannten, nahe zusammen ka¬ men. Deßohngeachtet schritt man mit der Freimüthig¬ keit des Landes und alter Bekannter dazu, die Zettel noch zu verwechseln, und sich gegen die Anordnungen des Mannes zusammen zu sezen. Von der Decke des Zimmers hing eine sanft brennende Lampe hernieder, und außer ihr wurde die Tafel noch durch vertheilte strahlende Kerzen erhellt. Mathilde nahm den Mit¬ telsiz ein, und richtete ihre Freundlichkeit und ihr ruhiges Wesen gegen alle, die in ihrem Bereiche wa¬ ren, und selbst gegen die entferntesten Pläze suchte sie ihre Aufmerksamkeit zu erstrecken. Die bekannteren und älteren Gäste saßen ihr zunächst, die jüngeren entfernter. Julie die Tochter Ingheims mit den hei¬ teren braunen Augen saß mir fast gegenüber, ihre Schwester die blauäugige Apollonia etwas weiter un¬ ten. Sie hatten sehr geschmackvolle Kleider an, das Geschmeide, das sie trugen, hätte, wie ich meinte, etwas weniger sein sollen. Neben beiden saßen die jungen Männer Tillburg und Wachten. Natalie saß zwischen Eustach und Roland. Ob es so angeordnet, ob es ihre eigene Wahl war, wußte ich nicht. Man trug ein einfaches Mahl auf, und fröhliche Gespräche belebten es. Man sprach von den Begebnissen der Gegend, man neckte sich mit kleinen Erlebnissen, man theilte sich Erfahrungen mit, die man in seinem Kreise gemacht hatte, man sprach von Büchern, die in der Gegend neu waren, und beurtheilte sie, man erzählte, was man im Bereiche seiner Liebhaberei Neues er¬ worben, was man für Reisen gemacht und was man für fernere vorhabe. Auch auf die Geschichte des Lan¬ des kam es, auf seine Verwaltung, auf Verbesserun¬ gen, die zu machen wären, und aus Schäze, die noch ungehoben liegen. Selbst Wissenschaft und Kunst war nicht ausgeschlossen. Mancher Scherz erheiterte die Anwesenden, und man schien sehr vergnügt, sich so in einen Kreis versammelt zu haben, wo sich Neues ergab, und wo man Altes wieder beleben konnte. Nach ein paar schnell vergangenen Stunden stand man auf, die Lichter zu dem Gange in die verschiede¬ nen Schlafgemächer wurden angezündet, und man begab sich allmählich zur Ruhe. Am andern Morgen nach dem Frühmahle, da die höher gestiegene Sonne die Gräser bereits getrocknet hatte, begab man sich in das Freie, um das Urtheil über die Arbeiten an der Vorderseite des Hauses zu fällen. Alle gingen mit. Selbst Dienerschaft stand seitwärts in der Nähe, als ob sie wüßte, was ge¬ schehe — und sie wußte es wohl auch — und als ob sie sich dabei betheiligen sollte. Man ging einige hun¬ dert Schritte von der Vorderseite des Hauses weg, wendete sich dann um, blieb im Grase stehen, und betrachtete die von der Tünche befreite Wand. Hier¬ auf umging man in einem weiten Bogen eine Ecke des Hauses, um auch eine Wand zu sehen, auf wel¬ cher sich noch die Tünche befand. Nachdem man bei¬ des wohl angeschaut hatte, nahm man einen Stand ein, der beide Ansichten gestattete. Nach und nach wurden Meinungen laut. Man fragte zuerst die älteren und ansehnlicheren Gäste. Diese gaben fast alle ihr Urtheil unbestimmt und mit Vorsicht ab. Beide Einrichtungen hätten ihr Gutes, an beiden wird etwas auszustellen sein, und es komme auf Geschmack und Vorliebe an. Da das Gespräch allgemeiner wurde, traten schon manche Meinungen abgeschlossener hervor. Einige sagten, es sei etwas Besonderes und nicht überall Vorkommendes, die nack¬ ten Steine aus einer Wand stehen zu lassen. Wenn die Kosten nicht zu scheuen sind, möge man es an dem ganzen Schlosse so machen, und man habe dann et¬ was sehr Eigenes. Andere meinten, es sei doch überall Sitte, die Wände selbst gegen Außen mit einer Tünche zu bekleiden, ein licht getünchtes Haus sei sehr freund¬ lich, darum hätten auch die Vorbesizer dieses Hauses so gethan, um sein Ansehen dem neuen Geschmacke näher zu bringen. Darauf sagten wieder andere, die Gedanken der Menschen seien wechselvoll, einmal habe man die großen viereckigen Steine, aus denen das Äußere dieser Wände bestehe, nackt hervor sehen lassen, später habe man sie überstrichen, jezt sei eine Zeit gekommen, wo man wieder auf das Alte zurück gehe, und es verehre, man könne also die Steine wie¬ der nackt legen. Mein Gastfreund vernahm die Mei¬ nungen, und antwortete in unbestimmten und nicht auf eine einzelne Ansicht gestellten Worten, da alles, was gesagt wurde, sich ungefähr in demselben Kreise bewegte. Mathilde sprach nur Unbedeutendes, und Eustach und Roland schwiegen ganz. Von der feuri¬ gen Natur des lezten wunderte es mich am meisten. Ich schloß aus dieser Thatsache, daß meine Freunde ihre Meinung entweder schon gefaßt hatten, oder daß sie dieselbe erst für sich fassen wollten. Diese eben ab¬ gehaltene Beschau erschien mir also als etwas Allge¬ meines Unwesentliches als eine nachbarliche Artigkeit als eine Gelegenheit, zusammen zu kommen, um sich gemeinschaftlich zu sehen und zu sprechen, wie man es bei andern Anlässen auch thut. Mir erschien die Bloslegung der Steine unbe¬ dingt als das Natürlichste. Wie ich wohl schon er¬ kennen gelernt hatte, ist bei Denkmälern — und je größer und würdiger sie sein sollen, um desto mehr ist dies der Fall — der Stoff nicht gleichgültig, und dann darf er aber nicht mit Fremdartigem vermengt werden. Ein Siegesbogen, selbst wenn er unter Dach steht, darf von Marmor sein, weniger schon von Zie¬ geln oder Holz, ganz und gar nicht von gegossenem Eisen oder festgeklebtem Papier. Eine Bildsäule kann von Marmor Metall oder Holz sein, weniger von groben Steinen, ganz und gar nicht von allerlei zu¬ sammengefügten Bestandtheilen. Unsere neuen Häu¬ ser, die nur bestimmt sind, Menschen aufzunehmen, um ihnen Obdach zu geben, haben nichts Denkmal¬ artiges, sei es ein Denkmal für den Glanz einer Fa¬ milie, sei es ein Denkmal der abgeschlossenen und wohlgenossenen Wohnlichkeit für irgend ein Ge¬ schlecht. Darum werden sie fachartig aus Ziegeln ge¬ baut, und mit einer Schicht überstrichen, wie man auch lackirtes Geräthe macht, oder künstliches Gestein malt. Schon die aus bloßem Holze zur Wohnung eines Geschlechtes in unsern Gebirgsländern (nicht zur Spielerei in Gärten) erbauten Häuser haben Denkmalartiges, noch mehr die Schlösser, die aus festen Steinen gefügt sind, die Thorbogen die Pfeiler die Brücken und noch mehr die aus Stein gebauten Kirchen. Daraus ergab sich mir von selber, daß die¬ jenigen, die dieses Schloß so bauten, daß die Außen¬ seiten der Wände fest gefügte viereckige unbestrichene Steine sind, Recht gehabt haben, und daß die, welche die Steine bestrichen, im Unrechte waren, und daß die, welche sie wieder blos legen, abermals im Rechte sind. Ich sah, daß man an sämmtlichen Steinen, weil sonst die Kalktünche nicht zu vertilgen gewesen wäre, die Oberfläche mit scharfen Hämmern erneuert hatte. Dies gab wohl den Steinen etwas, das ein lichteres Grau ist, als die alten Simse und Trag¬ steine hatten, die nicht getüncht waren; allein durch Zeit und Wetter werden sich auch die erneuerten Steinoberflächen wieder dunkler färben. Man ging, da man eine Weile gesprochen hatte, obwohl ein eigentliches Urtheil nicht gefällt worden war, wieder in das Haus zurück, und auch die Die¬ nerschaft, welche zugeschaut hatte, ging auseinander, gleichsam als ob die Sache jezt aus wäre. In dem Hause zerstreuten sich die Gäste, manche begaben sich in Zimmer, manche gingen in das Freie. Ich nahm in meinem Schlafgemache, wozu mir das nehmliche Zimmer, welches ich früher bewohnt hatte, angewiesen worden war, einen leichteren Hut, und einen bequemeren Rock, und ging dann auch in den Garten. Ich ging ganz allein in einem dunkeln Gange zwischen Gebüschen hin, und es war mir wohl, daß ich allein war. Ich schlug die abgelegenen wenig gangbaren und auch weniger im Stande ge¬ haltenen Wege ein, damit ich niemanden begegne, und damit sich niemand zu mir geselle. Es war auch wirklich kein Mensch in den Gängen, und ich sah nur kleine Vögel, welche ungescheut in ihnen liefen, und Futter von der Erde pickten. Ich umging den Linden¬ plaz, und kam hinter ihm aus dem Gebüsche heraus. Von da ging ich in einem großen Umwege der Eppich¬ wand zu, und hatte vor, in die Nimphengrotte zu tre¬ ten, wenn niemand in ihr wäre. Als ich schon nahe an der Grotte war, und schief in dieselbe blicken konnte, sah ich, daß Natalie auf dem Marmorbänk¬ lein size, welches sich seitwärts von der Nimphenge¬ stalt befand. Sie saß an dem innersten Ende des Bänkleins. Ihr blaßgraues Seidenkleid schimmerte aus der dunkeln Höhlung heraus. Einen Arm ließ sie an ihrer Gestalt ruhen, den andern hatte sie auf die Lehne des Bänkleins gestüzt, und barg die Stirn in ihrer Hand. Ich blieb stehen, und wußte nicht, was ich thun sollte. Daß ich nicht in die Grotte gehen wolle, war mir klar; allein die kleinste Wen¬ dung, die ich machte, konnte ein Geräusch erregen, und sie stören. Aber ohne daß ich ein Geräusch machte, sah sie auf, und sah mich stehen. Sie erhob sich, ging aus der Grotte, ging mit beeilten Schritten an der Eppichwand hin, und entfernte sich in das Ge¬ büsch. In Kurzem sah ich den Schimmer ihres Klei¬ des verschwinden. Eine ganz kleine Zeit blieb ich stehen, dann ging ich in die Grotte hinein. Ich sezte mich auf dieselbe Marmorbank, auf der sie gesessen war, und sah in das Rinnen des Wassers, sah auf die einsame Alabasterschale, die neben dem Becken stand, und sah auf den ruhigen glänzenden Mar¬ mor. Ich saß sehr lange. Da sich Stimmen näher¬ ten, und da ich vermuthen mußte, daß man die Brun¬ nengestalt besuchen würde, stand ich auf, ging aus der Grotte, ging in das Gebüsch, und begab mich auf denselben Wegen, auf denen ich gekommen war, in das Schloß zurück. Der Mittag vereinigte noch einmal alle Gäste bei dem Mahle. Mehrere von ihnen hatten beschlossen, gleich nach demselben fort zu fahren, um noch vor der Nacht ihre Heimath zu erreichen. Man brachte einen fröhlichen Trinkspruch aus auf die schöne Gestaltung des Schlosses und einen Dank für die herzliche Bewir¬ thung. Der Spruch wurde mit einem Wunsche für das Wohl der Gesellschaft und für baldiges Wieder¬ sehen erwiedert. Die heitere Sommersonne verklärte das Zimmer, und die Blumen des Gartens schmück¬ ten es. Nach dem Mahle fuhren mehrere der Gäste fort, und im Laufe des Nachmittages entfernten sich alle. Wir, die nach dem Asperhofe mußten, hatten beschlossen, morgen früh abzufahren. Bei dem Abendessen kam das Gespräch auf das Unternehmen an dem Hause. Ich sah, daß die Übrig¬ gebliebenen schon einig waren. Es sprach nun mein Gastfreund, es sprachen Eustach und Roland. Sie hatten alle meine Ansicht. Ich wurde aufgefordert, auch meine Meinung zu sagen. Ich sprach sie nach meiner innern Empfindung aus. Alle mochten sie wohl so erwartet haben. Über den Aufwand zur Deckung der künftigen Kosten sprach mein Gastfreund mit Mathilden besonders. Durch das Abschlagen der Steine mit scharfen Hämmern hatten sich die Ausla¬ gen größer gezeigt, als man Anfangs vermuthen konnte. Mein Gastfreund rieth daher, daß man die Arbeit auf längere Fristen ausdehnen solle, wodurch die Kosten weniger empfindlich würden, und, da doch das Schaffen des Schönen das Vergnügen bilde, dieses Vergnügen sich verlängere. Man billigte den Vorschlag, und freute sich auf das Wachsen des Ed¬ leren, und freute sich auf den Augenblick, wenn das Haus in einem würdigen Gewande da stehen würde, und man die Beruhigung hätte, es so dem künftigen Besizer übergeben zu können. Mit dem Anbruche des nächsten Tages fuhren mein Gastfreund Eustach Roland Gustav und ich auf dem Wege nach dem Rosenhause dahin. Als ich in Hinsicht der eben zugebrachten Tage etwas über das Landleben sagte, und die Annehm¬ lichkeiten desselben berührte, und als wir eine Zeit über diesen Gegenstand gesprochen hatten, sagte mein Gastfreund: „Das gesellschaftliche Leben in den Städten, wenn man es in dem Sinne nimmt, daß man immer mit fremden Personen zusammen ist, bei denen man entweder mit andern zum Besuche ist, oder die mit andern bei uns sind, ist nicht ersprießlich. Es ist das nehmliche Einerlei wie das Leben in Or¬ ten, die den großen Städten nahe sind. Man sehnt sich ein anderes Einerlei aufzusuchen; denn wohl ist jedes Leben und jede Äußerung einer Gegend ein Einerlei, und es gewährt einen Abschluß, von dem einen Einer¬ lei in ein anderes über zu gehen. Aber es gibt auch ein Einerlei, welches so erhaben ist, daß es als Fülle die ganze Seele ergreift, und als Einfachheit das All umschließt. Es sind erwählte Menschen, die zu diesem kommen, und es zur Fassung ihres Lebens machen können.“ „In der Weltgeschichte kömmt wohl Ähnliches vor,“ sagte ich. „In der Weltgeschichte kömmt es vor,“ antwortete er, „wo ein Mensch durch eine große That, die sein Leben erfüllt, diesem Leben eine einfache Gestalt geben kann, abgelöst von allem Kleinlichen — in der Wis¬ senschaft, wo ein großartiges Feld höchsten Erringens vor dem Menschen liegt — oder in der Klarheit und Ruhe der Lebensanschauungen, die endlich Alles auf einige ausgedehnte aber einfältige Grundlinien zurück führt. Jedoch sind auch hier Maße und Abstufungen wie in allen andern Dingen des Lebens.“ „Von den zwei Hauptzeiträumen, welche das menschliche Geschlecht betroffen haben,“ erwiederte ich, „von dem sogenannten antiken und dem heutigen dürfte wohl der griechisch-römische das Meiste von dem Gesagten aufzuweisen haben.“ „Wir wissen zulezt gar nicht, welche Zeiträume es in der Geschichte gegeben hat,“ antwortete er. „Die Griechen und Römer sind unserer Zeit am nächsten, wir sind aus ihnen hervor gegangen, und wissen von ihnen auch das Meiste. Wer weiß, wie viele Völker¬ abschnitte es gegeben hat, und wie viele unbekannte Geschichtsquellen noch verborgen sind. Wenn einmal ganze Reihen solcher Völkerzustände wie Griechen- und Römerthum vorliegen, dann läßt sich eher über unsere Frage etwas sagen. Oder sind etwa solche Reihen nur dagewesen und vergessen worden, und werden überhaupt die hintersten Stücke der Weltge¬ schichte vergessen, wenn sich vorne neue ansezen, und ihrer Entwicklung entgegen eilen? Wer wird dann nach zehntausend Jahren noch von Hellenen oder von uns reden? Ganz andere Vorstellungen werden kom¬ men, die Menschen werden ganz andere Worte haben, mit ihnen in ganz anderen Säzen reden, und wir würden sie gar nicht verstehen, wie wir nicht verstehen würden, wenn etwas zehntausend Jahre vor uns ge¬ sagt worden wäre, und uns vorläge, selbst wenn wir der Sprache mächtig wären. Was ist dann jeder Ruhm? Aber kehren wir zu unserem Gegenstande zu¬ rück, und sehen wir von Egiptern Assirern Indern Medern Hebräern Persern, von denen Kunde zu uns herüber gekommen ist, ab, und vergleichen wir uns nur allein mit der griechisch-römischen Welt, so dürfte in ihr wirklich mehr einfache Lebensgröße gelegen sein als in der unsern liegt. Ich verwundere mich oft, wenn ich in der Lage bin, zu entscheiden, welchen von beiden ich den Preis geben soll, Cäsars Thaten oder Cäsars Schriften, wie sehr ich im Schwanken begrif¬ fen bin, und wie wenig ich es weiß. Beides ist so klar so stark so unbeirrt, daß wir wenig deßgleichen haben dürften.“ „Jene alten Verhältnisse des Handelns und Den¬ kens waren aber, wie ich glaube, auch weniger ver¬ wickelt als die unsrigen,“ sagte ich. „Sie hatten einen nicht so ausgedehnten Schau¬ plaz, wie wir,“ erwiederte er, „obwohl auch der Plaz der Thaten zu Cäsars Zeit — Brittanien Gallien Italien Asien Afrika —, oder zu Alexanders Zeit — Griechenland und Orient — nicht ganz klein war. Ihre Verhältnisse nach Außen gestalteten sich daher leichter; aber im Innern dürften sie bei der großen Zahl der mithandelnden Personen, von denen die meisten Stimme und Gewalt in Staatsdingen hat¬ ten, nicht so leicht gewesen sein, und die Macht, diese Gemüther durch Wort Erscheinung und Hand¬ lung zu gewinnen und zu leiten, dürfte schwierig zu erwerben gewesen sein, und dürfte eben dem Wesen eines Mannes die feste Gestalt aufgedrückt haben, die wir so oft an ihm bewundern. Unsere Zeit ist eine ganz verschiedene. Sie ist auf den Zusammensturz jener gefolgt, und erscheint mir als eine Übergangszeit, nach welcher eine kommen wird, von der das grie¬ chische und römische Alterthum weit wird übertroffen werden. Wir arbeiten an einem besondern Gewichte der Weltuhr, das den Alten, deren Sinn vorzüglich Stifter , Nachsommer. II . 23 auf Staatsdinge auf das Recht und mitunter auf die Kunst ging, noch ziemlich unbekannt war, an den Naturwissenschaften. Wir können jezt noch nicht ahnen, was die Pflege dieses Gewichtes für einen Einfluß haben wird auf die Umgestaltung der Welt und des Lebens. Wir haben zum Theile die Säze dieser Wissenschaften noch als todtes Eigenthum in den Büchern oder Lehrzimmern, zum Theile haben wir sie erst auf die Gewerbe auf den Handel auf den Bau von Straßen und ähnlichen Dingen verwendet, wir stehen noch zu sehr in dem Brausen dieses An¬ fanges, um die Ergebnisse beurtheilen zu können, ja wir stehen erst ganz am Anfange des Anfanges. Wie wird es sein, wenn wir mit der Schnelligkeit des Blizes Nachrichten über die ganze Erde werden ver¬ breiten können, wenn wir selber mit großer Geschwin¬ digkeit und in kurzer Zeit an die verschiedensten Stel¬ len der Erde werden gelangen, und wenn wir mit gleicher Schnelligkeit große Lasten werden befördern können? Werden die Güter der Erde da nicht durch die Möglichkeit des leichten Austauschens gemeinsam werden, daß allen Alles zugänglich ist? Jezt kann sich eine kleine Landstadt und ihre Umgebung mit dem, was sie hat, was sie ist, und was sie weiß, ab¬ sperren: bald wird es aber nicht mehr so sein, sie wird in den allgemeinen Verkehr gerissen werden. Dann wird, um der Allberührung genügen zu kön¬ nen, das, was der Geringste wissen und können muß, um vieles größer sein als jezt. Die Staaten, die durch Entwicklung des Verstandes und durch Bil¬ dung sich dieses Wissen zuerst erwerben, werden an Reichthum an Macht und Glanz vorausschreiten, und die andern sogar in Frage stellen können. Welche Umgestaltungen wird aber erst auch der Geist in sei¬ nem ganzen Wesen erlangen? Diese Wirkung ist bei Weitem die wichtigste. Der Kampf in dieser Rich¬ tung wird sich fortkämpfen, er ist entstanden, weil neue menschliche Verhältnisse eintraten, das Brau¬ sen, von welchem ich sprach, wird noch stärker wer¬ den, wie lange es dauern wird, welche Übel ent¬ stehen werden, vermag ich nicht zu sagen; aber es wird eine Abklärung folgen, die Übermacht des Stof¬ fes wird vor dem Geiste, der endlich doch siegen wird, eine bloße Macht werden, die er gebraucht, und weil er einen neuen menschlichen Gewinn gemacht hat, wird eine Zeit der Größe kommen, die in der Geschichte noch nicht dagewesen ist. Ich glaube, daß so Stufen nach Stufen in Jahrtausenden erstiegen werden. Wie 23 * weit das geht, wie es werden wie es enden wird, vermag ein irdischer Verstand nicht zu ergründen. Nur das scheint mir sicher, andere Zeiten und andere Fassungen des Lebens werden kommen, wie sehr auch das, was dem Geiste und Körper des Menschen als lezter Grund inne wohnt, beharren mag.“ Wir gingen nun in manches Einzelne dieses Stof¬ fes ein, behandelten es im Fahren, und suchten die möglichen Folgen anzugeben. Besonders wurden Zweige der Naturwissenschaften genannt, welche vor¬ zugsweise vorgeschritten waren, und Einfluß zu ge¬ winnen schienen, wie die Chemie und andere. Roland war entschieden für Neuerung, wenn sie auch Alles umstürzte, mein Gastfreund und Eustach hegten den Wunsch, daß jenes Neue, welches bleiben soll, weil es gut ist — denn wie vieles Neue ist nicht gut — nur allgemach Plaz finden, und ohne zu große Störung sich einbürgern möchte. So ist der Übergang ein län¬ gerer aber er ist ein ruhigerer und seine Folgen sind dauernder. Nach dem Mittagsessen kam das Gespräch auf die Brunnennimphe im Sternenhofe, und mein Gast¬ freund erzählte mir, wie sie erworben worden war. Ein Mann, der entfernt mit Mathilden verwandt war, hatte zu seinem großen Vermögen noch Erb¬ schaften gemacht. Er verlegte sich auf Sammlungen. Er hatte Münzen, er hatte Siegel, er hatte keltische und römische Alterthümer, Musikgeräthe Tulpen und Georginen Bücher Gemälde und Bildsäulen. Er baute in seinem Garten an sein Haus, welches etwas erhöht stand, eine große Fläche, die er mit Steinen pflasterte, und von welcher künstliche steinerne Stufen in mehreren Richtungen nach dem Garten hinab gin¬ gen. Auf die Brüstungen dieser Fläche und auf die Einfassungen der Treppen wurden Bildsäulen gesezt. Es gehörte zu den größten Vergnügungen des Man¬ nes, auf der Fläche hin und her zu gehen. Das that er auch oft, wenn die heißeste Sonne am Himmel stand, und das Pflaster in die Sohlen brannte. Außerdem hatte er auch noch Bildsäulen auf den Trep¬ pen des Hauses und in den Zimmern. Die Nimphe, welche jezt Mathilde besizt, hatte er in einem Brun¬ nentempel im Garten. Er hatte sie von seinem Gro߬ oheime geerbt. Sie soll zu den Jugendzeiten dessel¬ ben von einem italienischen Bildhauer für einen Für¬ sten verfertigt worden sein, dessen schneller Tod¬ fall das Übergehen an ihre Bestimmung vereitelte. So kam sie nach mehreren Zufällen an den Gro߬ oheim, der Verbindungen mit dem Künstler hatte. Man sagt, diese Bildsäule sei der Anfang zu der Bildsäulenliebhaberei des Vetters Mathildens gewe¬ sen. Als dieser Mann starb, fand sich ein lezter Wille geschrieben vor, daß alle Kunstwerke an Kunstkenner oder Kunstliebhaber nicht aber an Händler verkauft werden, und daß das Geld dafür und die anderen Dinge, die er hinterlassen, und zwar leztere nach einem Schäzungswerthe unter seine entfernten Ver¬ wandten vertheilt werden sollten; denn Kinder oder nähere Verwandte hatte er nicht. Da nun die Nimphe weitaus das schönste Kunstwerk war, welches er be¬ saß, da Mathilde es immer bewundert hatte, da sie schon im Besize des Sternenhofes war, und in dem¬ selben schon schöne Gemälde untergebracht hatte: so war es ihr nicht schwer, sich als eine Kunstliebhaberin auszuweisen, und das Bildwerk anzukaufen. Man gönnte es ihr mehr als einem Fremden, weil auf diese Weise das Kunstwerk gewissermaßen in der Familie blieb, und sie überdieß auch mehr in die gemein¬ schaftliche Erbschaft zahlte, als ein Fremder gethan haben würde. Sie brachte das ihr so liebe Werk in den Sternenhof und stellte es dort in einem Saale auf. Erst lange darnach wurde durch Eustachs und meines Gastfreundes Bemühungen zwischen den Eichen, die schon standen, die Eppichwand und die Quellengrotte gebaut, und so der Gestalt ein würdiger und wirkungsvollerer Aufenthaltsort gegeben, da sie für den Saal doch immer zu groß und ihre Stellung und ihre Beschäftigung unpassend gewesen war. Den Krug, aus welchem das Wasser rann, hatte sie schon, das Becken und die Bank sind neu gemacht worden, die Alabasterschale hat Mathilde aus ihrem Besiz¬ thume dazu gegeben. Wir kamen am Abende im Rosenhause an. Am andern Tage bath ich meinen Gastfreund, er möge erlauben, daß ich eine Nachzeichnung von der Zeich¬ nung des Kerberger Altares, die er besize, mache, und diese Zeichnung meinem Vater zum Geschenke bringe. Er erlaubte es sehr gerne. Die Zeichnung war nach dem Vorschlage, welcher auf der Reise in das Hochland gemacht worden war, von Roland ver¬ bessert worden, und so wurde sie mir übergeben. Ich schloß mich in mein Zimmer ein, und arbei¬ tete mehrere Tage fleißig von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, bis ich mit der Zeichnung fertig war. Ich verpackte sie nun sehr wohl, und gab mei¬ nem Gastfreunde die Urzeichnung zurück. Nun hielt ich mich nicht mehr länger in dem As¬ perhofe auf, und eilte in die Tann. Ich stieg dort auf Berge, ich arbeitete sehr ange¬ strengt, ich spielte sehr viel auf meiner Zither, und las in meinen Büchern. Eines Tages gegen den Spätsommer hin hörte ich mit Allem auf. Ich packte meine Kisten, that die Werkzeuge und die Schriften, die sich auf meine Ar¬ beiten bezogen, in ihre Fächer und Koffer, entließ fast alle Leute, versah die Kisten mit Aufschriften, verord¬ nete ihre Versendung, und ging dann in das Lauter¬ thal. Dort nahm ich nur den alten Kaspar und von den jungen Männern einen, der mir besonders lieb geworden war, und beschloß, die Messung des Lau¬ tersees zu Ende zu bringen. Ich miethete mich in dem Seewirthshause ein, richtete alle Geräthe, welche mir zu meinem Vorhaben nöthig waren, zurecht, ließ diejenigen neu verfertigen, welche ich nicht hatte, und ging ans Werk. Ich ar¬ beitete recht fleißig. So lange das Licht des Tages leuchtete, waren wir auf dem Wasser. Nachts — außer einigen Stunden Schlafes — war ich an dem Papiere theils mit Rechnungen theils mit Schreiben theils sogar mit Zeichnen beschäftigt. Ich wiederholte einige Messungen, welche ich in früheren Zeiten vorgenom¬ men hatte, um mich von der Beständigkeit oder Wan¬ delbarkeit des Wasserstandes oder des Seegrundes zu überzeugen. Da ein durchaus gleicher Wasserstand nicht zu denken ist, so bezog ich meine Messungen auf einen mittleren Stand, und stellte immer die Frage, wie tief unter diesem Stande die bestimmten Stellen des Seegrundes liegen. Dieser mittlere Stand, der nach demjenigen genommen wurde, welcher in der meisten Zeit des Jahres herrscht, war in meiner Ab¬ bildung auch der Wasserspiegel. Ihn nahm ich bei den Nachmessungen zur Richtschnur. In größeren Ent¬ fernungen von dem Ufer hatte sich der Seegrund seit dem Beginne meiner Messungen nicht geändert, oder wenn er sich geändert hatte, war es so wenig, daß es durch unsere Meßwerkzeuge nicht wahrzunehmen war. An jenen Ufern oder in der Nähe derselben, wo große Tiefen herrschten, und steile ruhige Wände standen, an denen bei Regengüssen höchstens schmale Bänder oder seichte Wasserflächen niederrieseln, war ebenfalls keine Veränderung. Aber an seichten Stellen bei flache¬ ren Ufern, wo der Regen Gerölle und andere Dinge einführt, fanden sich schon Veränderungen vor. Am meisten aber waren die Wandlungen und am größten, wo eine Schlucht sich gegen das Wasser öffnete, aus welcher ein Bergbach hervorströmte, der, je nachdem er weiter her floß oder bei Güssen heftiger anschwoll, auch größere Berge von Gerölle in den See schob, und dort liegen ließ. Nach der Wiederholung dieser alten Messungen wurde zu neuen geschritten, die zur Vollendung der mir zum Ziele gesezten Kenntnisse nothwendig waren. Ebenso wurden die Zeichnungen der Gebilde, welche sich außerhalb des Wassers als Ufer befanden, fleißig fortgesezt. Zweimal wurde die Arbeit unterbrochen. Ich ging in das Rothmoor, um nachzusehen, wie weit die Dinge, die aus meinen Marmoren verfertigt werden sollten, gediehen wären, und wie gut sie ausgeführt würden. Die Fortschritte waren zu loben. Man sagte, — und ich selber sah die Möglichkeit ein — daß in diesem Sommer noch alles fertig werden würde. Aber in Hinsicht der Güte hatte ich Ausstellungen zu ma¬ chen. Ich ordnete mit Bitten Vorstellungen und Versprechen an, daß man das, was ich angab, so genau und so rein mache, wie ich es wollte. Wenn Regenzeit war, so daß die Wolken an den Bergen herum hingen, und weder diese noch die Ge¬ stalt des Sees richtig zu überblicken waren, so blieb ich zu Hause, und zeichnete und malte dasjenige in mein Hauptblatt, was ich im Freien auf viele Neben¬ blätter aufgenommen hatte. So rückte das Unterneh¬ men der Vollendung immer näher. Endlich waren die Arbeiten im Freien beendigt, und es erübrigte nur noch, die vielen Angaben, welche in meinen Papieren zerstreut waren, und welche ich bisher nicht hatte bewältigen können, in die Zeich¬ nung einzutragen, und die Gestalten, welche ich auf ein¬ zelnen Blättern hatte, theils mit der Hauptzeichnung wegen der Richtigkeit zu vergleichen, theils diese, wo es noththat, zu ergänzen. Auch Farben mußten auf verschiedene Stellen aufgetragen werden. Nach langer Arbeit und nach vielen Schwierig¬ keiten, die ich zur Erzielung einer großen Genauigkeit zu überwinden hatte, war das Werk eines Tages fer¬ tig, und der ganze Entwurf lag in schwermüthiger Düsterheit und in einer Schönheit vor meinen Augen, die ich selber nicht erwartet hatte. Ich betrachtete al¬ lein die Abbildung eine Weile, da niemand war, der das Anschauen mit mir getheilt hätte, rollte dann das Blatt auf eine Walze, verpackte es sehr gut in einen Koffer, nahm von dem See und von allen Bewoh¬ nern des Seewirthshauses Abschied, und begab mich auf den Weg in das Ahornhaus des Lauter thales. Dort siedelte ich mich an. Ich ging nun täglich in das Rothmoor, blieb den ganzen Tag dort, und kehrte Abends zurück, so daß ich in der Dämmerung im Ahornhause ankam. Ich sah im Rothmoore den Arbeiten an meinen Marmoren zu, dem Schneiden Feilen Reiben Schleifen und Glätten. Ich gab auch an, wie Manches zu behandeln sei, und wie es einer größeren Vollendung namentlich aber einer größern Genauigkeit entgegen geführt werden könnte. Das Wasserbecken meines Vaters wurde nach und nach fertig und die kleineren Dinge, welche gemacht werden sollten, waren ebenfalls vollendet. Die Sonne schien in die Bauhütte, und das Becken erglänzte recht rein und schön in derselben. Ich ließ von starken Bal¬ ken Behältnisse zimmern. In diese wurden die Theile des Beckens mit Winden Hebeln und Stricken ge¬ packt und zur Versendung bereitet. Die Wägen mu߬ ten eigens vorgerichtet werden, damit die Behältnisse an den Strom gebracht werden könnten. Diese Vor¬ richtung war endlich fertig. Das Aufladen wurde bewerkstelligt, und die Wägen gingen ab. Ich ging mit ihnen bis an den Strom, und verließ sie keinen Augenblick, um wo möglich jeden Unfall zu verhüten. Am Strome wurden die Behältnisse auf ein Schif ver¬ laden, und weiter befördert. Von dem Landungsplaze vor unserer Stadt wurden sie endlich wieder durch starke Wägen in unsern Garten gebracht. Es wurde nun daran geschritten, das Wasserwerk in diesem Herbste noch fertig zu machen. Der Vater hatte auf Briefe von mir und auf gesendete Maße den Dingen bereits vorarbeiten lassen. Es wurden nun noch mehrere Arbeiter gedungen und ein Wasserbau¬ kundiger genommen, welcher die Arbeiten zu leiten hatte. Ich war den ganzen Tag bei dem Werke zu¬ gegen, und half mit. Der Vater kargte sich ebenfalls alle mögliche Zeit ab, um zugegen sein und zuschauen zu können. Die Röhren wurden gelegt, die Steig¬ röhre verzapft, der Stengel über sie gebaut, mit den nöthigen Eisen gestärkt und verlöthet, und an dem¬ selben wurde das Blatt befestigt. Der Pfropfen, wel¬ cher den in das Blatt mündenden Stengel geschlossen gehalten hatte, wurde gelüftet, und der reine Strahl fiel auf die im Blatte liegende Einbeere hinunter, füllte das Becken, und glitt von demselben, als es gefüllt war, auf den sanften gelb marmornen Fußboden nie¬ der, und rieselte in dessen Rinne weiter. Die Farben stimmten sehr gut zusammen, das Dunkel des Sten¬ gels hob sich von dem Rosenroth des Blattes ab, und das Gelb des Fußbodens gab dem Rosenroth eine schönere Farbe und einen feineren Glanz. Es waren mehrere Gäste zur Eröffnung des Werkes geladen worden, und diese so wie Vater Mutter und Schwe¬ ster freuten sich des Gelingens. Der Vater reichte mir als Gegengeschenk sehr schön gebunden und auf den Deckeln mit halberhabener Arbeit versehen das Niebelungenlied. Ich dankte ihm sehr dafür. Es wurde beschlossen, für den Winter ein Bret¬ terhäuschen über das Wasserwerk machen zu lassen und dasselbe gut zu verwahren, daß keine Kälte ein¬ dringen könne. Für den Frühling wurden Pläne ent¬ worfen, wie man die Gartenumgebungen des Beckens einrichten solle, daß der ganze Anblick ein desto wür¬ digerer und schönerer sei. Man hoffte bis zum Ein¬ tritte der besseren Jahreszeit mit den Entwürfen im Reinen zu sein, und beginnen zu können. Ich übergab außer dem Becken auch die andern Marmorgegenstände, welche in dem Rothmoore waren verfertiget worden. Darunter befanden sich Säulen und Simse, welche an einer Stelle verwendet werden sollten, die am Ende des Gartens lag, eine Aussicht auf die Berge und auf die Umgebung both, und auf welcher der Vater etwas zu errichten vorhatte, das der Aussicht würdig wäre, und sie besser genießen lasse. Ich meinte, es dürfte eine schöne Fassung anzulegen sein, die den Plaz begrenzt, die breite Flächen hat, daß man sich auf dieselben lehnen, und Dinge auf sie legen könne, und an der sich Size befänden, auf wel¬ chen man ausruhen könne. Wenn in der Nähe dieser Fassung ein Tisch wäre, würde es noch besser sein. Außerdem hatte ich Schalen zu beliebigem Gebrauche gebracht, Ringe, die einen Vorhang fassen, Tisch¬ platten Pfeilerverzierungen Steine von verschiedener Farbe, die im Vierecke geschliffen waren, und die man der Reihe nach auf Papier oder Ähnliches legen konnte, und noch mehrere Dinge dieser Art. Dem Vater zeigte ich die Zeichnung von dem Ker¬ berger Altare, und sagte, daß ich sie eigens für ihn gemacht habe, und sie ihm hiemit übergebe. Er war sehr erfreut darüber, und dankte mir dafür. Der Al¬ tar war ihm zwar nicht neu, er hatte ihn in früherer Zeit, ehe er wieder hergestellt worden war, gesehen, und die Zeichnung des wiederhergestellten Altares war unter den von meinem Gastfreunde dem Vater im vorigen Jahre gesendeten Zeichnungen gewesen. Deßohngeachtet war es ihm sehr angenehm, die Zeich¬ nung zu besizen, und sie öfter und nach Muße betrach¬ ten zu können. Er machte mich auf mehrere Dinge aufmerksam, die er nach wiederholter Betrachtung ent¬ deckt hatte. Zuerst sah er, daß der Altar viel reicher und manigfaltiger sei, als da er ihn in noch unverbessertem Zustande vor vielen Jahren in Wirklichkeit gesehen hatte; dann machte er mich darauf aufmerksam, daß dieses Werk schon die Rundlinien habe, daß die Thürmchen durch gewundene Stäbe in Gestalten von Piramiden gebildet, und daß die menschlichen Gestalten schon sehr durchgearbeitet seien, was alles darauf hindeute, daß das Werk nicht mehr der Zeit der strengen gothischen Bauart angehöre, sondern derjenigen, wo diese Art sich schon zu verwandeln begonnen hatte. Auch zeigte er mir, daß Theile der Verzierungen im Laufe der Zeiten an andere Orte gestellt worden seien, als an die sie gehören, daß die Büsten sich nicht an dem rechten Plaze befinden, und daß menschliche Gestalten verloren gegangen sein müs¬ sen. Er holte Bücher aus seinem Bücherschreine her¬ bei, in denen Abbildungen waren, und aus denen er mir die Wahrheit dessen bewies, was er behauptete. Ich sagte ihm, daß mein Gastfreund und Eustach der nehmlichen Meinung sind, daß aber die Wieder¬ herstellungen, welche man an dem Altare gemacht hat, im strengen Wortverstande nicht Wiederher¬ stellungen gewesen seien, sondern daß man sich zuerst nur zum Zwecke gesezt habe, den Stoff zu erhalten, und weitere Umänderungen oder größere Ergänzungen einer ferneren Zeit aufzubewahren, wenn sich über¬ haupt die Mittel und Wege dazu fänden. Nur solche Ergänzungen sind gemacht worden, bei denen die Ge¬ stalt des Gegenstandes unzweifelhaft gegeben war. Die Bücher des Vaters machten mich auf die Sache, die sie behandelten, mehr aufmerksam, ich bath ihn, daß er sie mir in meine Wohnung leihe, und begann sie durchzugehen. Sie führten mich da¬ hin, daß ich die Baukunst und ihre Geschichte vom Anfange an genauer kennen zu lernen wünschte, und mir alle Bücher, die hiezu nöthig waren, nach dem Rathe meines Vaters und anderer ankaufte. Stifter , Nachsommer. II . 24 5. Der Bund. Der Winter verging wie gewöhnlich. Ich richtete meine mitgebrachten Dinge in Ordnung, und holte an Schreibgeschäften nach, was im Sommer wegen der Thätigkeit im Freien und der anderweitig ver¬ lorenen Zeit im Rückstände geblieben war. Der Um¬ gang mit den Meinigen in dem engsten Kreise des Hauses war mir das Liebste, er war mein größtes Vergnügen, er war meine höchste Freude. Der Vater bezeigte mir von Tag zu Tag mehr Achtung. Liebe konnte er mir nicht in größerem Maße bezeigen, denn diese hatte er mir immer höchstmöglich bewiesen; aber so wie er früher bei der zärtlichsten Sorgfalt für mein Wohl und bei der Herbeischaffung alles dessen, was zu meinem Unterhalte und meiner Ausbildung noth¬ wendig gewesen ist, mich meine Wege gehen ließ, im¬ mer freundlich und liebevoll war, und nicht begehrte, daß ich mich in andere Richtungen begebe, die ihm etwa bequemer sein mochten: so war er zwar dies jezt alles auch; aber er fragte mich doch häufiger um meine Bestrebungen, und ließ sich die Dinge, welche darauf Bezug hatten, auseinandersezen, er holte mei¬ nen Rath und meine Meinung in Angelegenheiten seiner Sammlungen oder in denen des Hauses ein, und handelte darnach, er sprach über Werke der Dich¬ ter der Geschichtschreiber der Kunst mit mir, und that dies öfter, als es in früheren Zeiten der Fall gewesen war. Er brachte in meiner Gesellschaft manche Zeit bei seinen Bildern bei seinen Büchern und bei seinen andern Dingen zu, und versammelte uns gerne in dem Glashäuschen, das eine erwärmte Luft durch¬ wehte, die sich traulich um die alten Waffen die alten Schnizwerke und die Pfeilerverkleidungen ergoß. Er sprach von verschiedenen Dingen, und schien sich wohl zu fühlen, den Abend in dem engsten Kreise seiner Familie zubringen zu können. Mir schien es, daß er zu der jezigen Zeit nicht nur früher aus seiner Schreib¬ stube nach Hause komme als sonst, sondern daß er sich auch mehr innerhalb der Mauern desselben aufhalte als in früheren Jahren. Die Mutter war sehr freu¬ 24 * dig über die Heiterkeit des Vaters, sie ging gerne in seine Pläne ein, und beförderte alles, was sie in ihrem Kreise zu der Erfüllung derselben thun konnte. Sie schien uns Kinder mehr zu lieben als in jeder vergan¬ genen Zeit. Klotilde wendete sich immer mehr und mehr zu mir, sie war gleichsam mein Bruder, ich war ihr Freund ihr Rathgeber ihr Gesellschafter. Sie schien gar keine andere Empfindung als für unser Haus zu haben. Wir sezten unsere Übungen im Spanischen im Zitherspielen im Zeichnen und Malen fort. Troz dieser Dinge war sie auch im Hauswesen eifrig, um der Mutter Folge zu leisten, und ihren Beifall zu ge¬ winnen. Wenn etwas in dieser Art, das eine größere Sorgfalt und Geschicklichkeit erheischte, besonders ge¬ lang, und dies erkannt wurde, so war ihre Befriedi¬ gung größer, als wenn sie bei einer ernsten und wich¬ tigen Bewerbung vor einer ansehnlichen Versammlung den Preis davon getragen hätte. In den Gesellschaften, die in kleineren oder größe¬ ren Kreisen nur seltener als in früheren Jahren in un¬ serem Hause statt fanden, wurden jezt auch mehr Ge¬ spräche geführt, als da wir auch jünger waren. Es wurden ernsthafte Dinge in Untersuchung gezogen, Angelegenheiten des Staates allgemeine öffentliche Unternehmungen oder Erscheinungen, die von sich reden machten. Man sprach auch von seinen Beschäf¬ tigungen von seinen Liebhabereien oder von dem ge¬ wöhnlichen Tagesstoffe, wie etwa das Theater ist, oder wie Begebenheiten sind, die sich in den nächsten Umgebungen zutragen. Im Übrigen wurde auch zu den bekannten Vergnügungen gegriffen, Musik Tanz Liedersingen. Manche jüngere Leute lernten sich da neu kennen, ältere sezten die früher bestandene Be¬ kanntschaft fort. Ich besuchte meine Freunde, besprach mich mit ihnen, und erzählte ihnen im Allgemeinen, womit ich mich eben beschäftige. Sie theilten mir aus dem Kreise ihrer Erlebnisse mit, und machten mich auf manche Persönlichkeiten aufmerksam. Ich sezte meine Malerei fort, ich betrieb die Edel¬ steinkunde, und besuchte manches Theater. Das Lesen der Bücher über Baukunst vergnügte mich sehr, und es eröffnete sich mir da ein neues Feld, das manches Ersprießliche und manche Förderung versprach. Die Abende bei der Fürstin erschienen mir immer wichtiger. Es hatte sich nach und nach eine Gesell¬ schaft zusammen gefunden, deren Mitglieder sich häu¬ fig und gerne in dem Zimmer der Fürstin versammel¬ ten. Es wurden die anziehendsten Stoffe verhandelt, und man schrak nicht zurück, wenn jemand die Fragen der allerneuesten Weltweisheit auf die Bahn brachte. Man legte sich die Dinge zurecht, wie man konnte, man kleidete die eigenthümliche Redeweise der soge¬ nannten Fachmänner in die gewöhnliche Sprache, und wendete den gewöhnlichen Verstand darauf an. Was durch diese Mittel und durch die der Gesellschaft her¬ ausgebracht werden konnte, das besaß man, und wenn es von der Gesellschaft als ein Gewinn betrachtet wurde, so behielt man es als einen Gewinn. Wenn aber nur Worte da zu sein schienen, von denen man eine greifbare Bedeutung nicht ermitteln konnte, so ließ man die Sache dahin gestellt sein, ohne ihr eine Folge zu geben, und ohne über sie aburtheilen zu wol¬ len. Die Dichter und das Spanische wurden lebhaft fortgesezt. Wenn sehr klare Tage waren, und eine heitere Sonne ein erhellendes Licht in den Zimmern vermit¬ telte, so war ich in dem Glashäuschen, und arbeitete an den Abbildungen der Pfeilerverkleidungen für mei¬ nen Gastfreund. Ich wollte sie so gut machen, als es mir nur möglich wäre, um dem Manne, dem ich so viel verdankte, und den ich so hoch achtete, Zufrie¬ denheit abzugewinnen, oder ihm gar etwa ein Ver¬ gnügen zu bereiten. Ich wollte zuerst Zeichnungen von den Verkleidungen entwerfen, und nach ihnen Bilder in Öhlfarben ausführen. Ich machte die Zeichnungen auf lichtbraunes Papier, tiefte die Schatten in Schwarz ab, erhöhte die Lichter in einem helleren Braun, und sezte die höchsten Glanzstellen mit Weiß auf. Als ich die Zeichnungen in dieser Art fertig hatte, und durch vielfache Vergleichungen und Abmessungen überzeugt war, daß sie in allen Verhältnissen richtig seien, sezte ich noch den Maßstab hinzu, nach dem sie ausgeführt waren. Ich schritt nun zur Verfertigung der Bilder. Sie wurden etwas kleiner als die Entwürfe gemacht, aber im genauen Verhältnisse zu denselben. Ich benuzte zum Malen immer die nehmlichen Vormittagsstunden, um die Glanzpunkte die Lichter und die Schatten in ihrer vollen Richtigkeit zu erfassen, und auch der Farbe im Allgemeinen ihre Treue geben zu können. Es zeigte sich mir da eine Erfahrung in den Farben wieder be¬ stätigt, die ich schon früher gemacht hatte. Auf die mit schwachem Firnisse überzogenen Holzschnizwerke nahmen die umgebenden Gegenstände einen solchen Einfluß, daß sich Schwerter Morgensterne dunkel¬ rothes Faltenwerk die Führung der Wände des Fu߬ bodens, die Fenstervorhänge und die Zimmerdecke in unbestimmten Ausdehnungen und unklaren Umrissen in ihnen spiegelten. Ich merkte bald, daß, wenn alle diese Dinge in die Farbe der Abbildungen aufgenom¬ men werden sollten, die dargestellten Gegenstände wohl an Reichthum und Reiz gewinnen, aber an Verständlichkeit verlieren würden, so lange man nicht das Zimmer mit allem, was es enthält, mit malt, und dadurch die Begründung aufzeigt. Da ich dies nicht konnte, und mein Zweck es auch nicht er¬ heischte, so entfernte ich alles Zufällige und stark Ein¬ wirkende aus dem Zimmer, und malte dann die Schni¬ zereien, wie sie sich sammt den übergebliebenen Ein¬ wirkungen mir zeigten, um einerseits wahr zu sein, und um andererseits, wenn ich jede Einwirkung der Umgebung weg ließe, nicht etwas geradezu Unmög¬ liches an ihre Stelle zu sezen und den Gegenstand seines Lebens zu berauben, weil er dadurch aus jeder Umgebung gerückt würde, keinen Plaz seines Daseins und also überhaupt kein Dasein hätte. Was die wirk¬ liche Ortsfarbe der Schnizereien sei, würde sich aus dem Ganzen schon ergeben, und müßte aus ihm er¬ kannt werden. Ich wendete bei der Arbeit sehr viele Mühe auf, und suchte sie so genau, als es meiner Kraft und meinen Kenntnissen möglich war, zu ver¬ richten. Ich erhöhte und vertiefte die Farben so lange, und suchte nach dem richtigen Tone und dem erforder¬ lichen Feuer so lange, bis das Bild neben die Gegen¬ stände gestellt aus der Ferne von ihnen nicht zu unter¬ scheiden war. Die Zeichnung des Bildes mußte richtig sein, weil sie vollkommen genau nach dem ursprünglichen Entwurfe gemacht worden war, den ich nach mathematischen Weisungen zusammen ge¬ stellt hatte. Als die Sache nach meiner Meinung fertig war, zeigte ich sie dem Vater, welcher sie auch mit Ausnahme von kleinen Anständen, die er erhob, billigte. Die Anstände beseitigte ich zu seiner Zufrie¬ denheit. Hierauf wurde alles in taugliche Fächer ge¬ bracht, und zur Verführung bereit gehalten. Es waren fast die Tage des Vorfrühlings heran¬ gekommen, ehe ich mit diesem Werke fertig war. Dies hatte seinen Grund auch vorzüglich darin, daß ich die späteren hellen Wintertage mehr als die früheren trü¬ ben hatte benuzen können. Im Frühlinge trat ich meine Reise wieder an. Ich machte zuerst einen Besuch bei meinem Gast¬ freunde, brachte ihm die Fächer, in denen die Abbil¬ dungen der Pfeilerverkleidungen enthalten waren, und händigte ihm sowohl den Entwurf als auch das Far¬ benbild der Schnizereien ein. Er berief Eustach in seine Stube, in welcher die Dinge ausgepackt wur¬ den, herüber. Beide sprachen sich sehr günstig über die Arbeit aus, und zwar günstiger als über jede frü¬ here, die ich ihnen vorgelegt hatte. Ich war darüber sehr erfreut. Eustach sagte, daß man sehr gut die Ortsfarben und die, welche durch fremde Einwirkun¬ gen entstanden waren, unterscheiden könne, und daß man aus den lezten die Beschaffenheit der Umgebun¬ gen zu ahnen vermöge. Sie stellten das Bild in die nöthige Entfernung und betrachteten es mit Gefallen. Besonders anerkennend sprach Eustach über die Rich¬ tigkeit und Brauchbarkeit des unfarbigen Entwurfes. Ich reiste nach dem kurzen Besuche in dem Rosen¬ hause in die Gegend der Tann, blieb auch dort nur kurz, und drang tiefer in das Gebirge ein, um eine Mittelstelle zu finden, von der aus ich meine neuen Arbeiten unternehmen könnte. Als ich eine solche ge¬ funden hatte, ging ich in das Lauterthal und dort in das Ahornwirthshaus, um meinen Kaspar und die andern, welche mir im vorigen Jahre geholfen hatten, auch für das heurige zu dingen. Als dies, wie ich glaube, zu gegenseitiger Zufriedenheit abgethan war, blieb ich noch einige Tage in dem Ahornhause, theils damit sich meine Leute zu der Abreise rüsten konnten, theils um das mir liebgewordene Haus das liebge¬ wordene Thal und die Umgebung wieder ein wenig zu genießen. Ich ging bei dieser Gelegenheit mehrere Male in das Rothmoor, um dort nachzusehen, was man eben für Gegenstände aus Marmor mache. Mir schien es, als wäre die Anstalt seit einem Jahre sehr gediehen. Ich besprach mich dort auch über Arbeiten, die für mich auszuführen wären, falls ich den hiezu nöthigen Marmor fände. Erkundigungen um auf Spuren der Ergänzungen der Pfeilerverkleidungen meines Vaters, die ich in dieser Gegend gekauft hatte, zu kommen, waren auch heuer wie in früherer Zeit fruchtlos. Ein Ereigniß trat in dem Lauterthale ein, das mich sehr erheiterte. Mein Zitherspiellehrer, der einige Zeit gleichsam verschollen war, war wieder da. Er zeigte viele Freude, mich zu sehen, und sagte, er wolle mir in das Kargrat folgen, welches jezt der Mittel¬ punkt meiner Arbeiten war, ein Dörfchen auf grasigen bäum- und buschlosen Anhöhen ganz nahe an dem ewigen Eise mit armen Bewohnern und einem viel¬ leicht noch ärmeren genügsamen Pfarrer. Er sagte, er wolle diejenigen Arbeiten, die ich ihm auftragen werde, gegen Lohn verrichten, und in freier Zeit wollen wir auf der Zither spielen. Er habe noch keinen Schü¬ ler gehabt, mit dem ihm die Übungen auf der Zither so viele Freude gemacht hätten. Ich beschloß, einen Versuch zu wagen, und wir wurden über die gegen¬ seitigen Bedingungen einig. Als alles in Bereitschaft war, gingen wir aus dem Ahornhause in das Kargrat ab. Ich ging mit den Leuten auf abgelegenen und schneller zum Ziele führenden Gebirgspfaden. Nur einmal hatten wir eine Strecke gebahnter Straße, auf welcher ich zwei leichte Wagen miethete. Im Kargrat fand ich ein kleines Zimmerchen. Für meine Leute wurde eine Scheune zurecht gerichtet, und zur Aufbewahrung mei¬ ner Gegenstände wurde aus Brettern ein ganz kleines Häuschen eigens erbaut. Wir waren nun in der Nähe der höchsten Höhen. In mein winziges Fenster sahen die drei Schneehäupter der Leiterköpfe, hinter denen die steile ziemlich schlanke blendend weiße Nadel der Karspize hervorragte, und neben denen die edelstein¬ glänzenden Bänke der Simmen oder des Simmieises sich dehnten. Um den sehr spizen Kirchthurm des Dörfchens wehte die scharfe fast harte Gebirgsluft, und senkte sich auf unsere Häupter und Angesichter nieder. Weit ab gegen die Tiefe zu lagen die anderen Berge und die dichter bewohnten und bevölkerten Länder. Über das Zitherspiel meines wiedergefundenen Lehrers war ich wirklich sehr erfreut. Ich hatte in der Zeit, während welcher ich ihn nicht gesehen hatte, schon beinahe vergessen, wie vortrefflich er spiele. Alles, was ich seit dem gehört hatte, erblaßte zur Unbedeutenheit gegen sein Spiel, von dem ich den Ausdruck „höchste Herrlichkeit“ gebrauchen muß. Er scheint von diesem seinem Musikgeräthe auch ergriffen und beherrscht zu sein; wenn er spielt, ist er ein ande¬ rer Mensch, und greift in seine und in die Tiefen anderer Menschen, und zwar in gute. Auf diesen Berghöhen war das schöne Spiel fast noch schöner noch rührender und einsamer. Wie uns im vorigen Jahre Wälder und Wände eingeschlossen hatten, und nur wenige Stellen uns freien Umblick verschafften, so waren wir heuer fast immer auf freien Höhen, und nur ausnahmsweise umschlossen uns Wände oder Wälder. Der häufigste Begleiter unserer Bestrebungen war das Eis. Als die Kalendertage sagten, daß die Rosenblüthe schon beinahe vorüber sein müsse, beschloß ich, meine Freunde zu besuchen. Ich ordnete im Kargrat alles für meine Abwesenheit und Wiederkunft an, und be¬ gab mich auf den Weg. Als ich in dem Asperhofe ankam, sagten mir der Gärtner und die Dienstleute, daß Mathilde Natalie mein Gastfreund Eustach Roland und Gustav in den Sternenhof fort seien. Die Rosen waren schon ver¬ blüht, und man hatte mich nicht mehr erwartet. Mein Gastfreund hatte gesagt, daß ich, weil ich ihm im Frühlinge mitgetheilt hatte, daß ich heuer ganz nahe an dem Simmieise wohnen werde, wahrscheinlich im Sommer von dorther den weiten Weg nicht werde haben machen wollen, und daß zu vermuthen sei, daß ich im Herbste meine Arbeit abkürzen, und auf eine Zeit bei meinen Freunden einsprechen werde. Sollte ich aber dennoch kommen, so hatten die Leute den Auftrag, zu sagen, daß man mich bitte, in den Sternenhof nach zu kommen. Ich miethete also des andern Tages auf der Post einen leichten Wagen, und schlug die Richtung nach dem Sternenhofe ein. Als ich in der Umgebung desselben angekommen war, sah ich an Zäunen und in Gärten noch manche Rose frisch blühen, obwohl im Asperhofe weder auf dem Gitter noch im Garten eine zu erblicken gewesen war, außer mancher welken und gerunzelten Blume, die man abzunehmen vergessen hatte. Auch auf der Anhöhe, die zu dem Schlosse empor leitete, waren an Rosenbüschen, die gelegentlich den Rasen säumten, weil man im Sternenhofe die Rosen nicht eigens pflegte, sondern sie nur wie gewöhnlich als schönen Gartenschmuck zog, noch Knospen, die ihres Auf¬ brechens harrten. Diese Thatsache mag daher kom¬ men, weil der Sternenhof näher an den Gebirgen und höher liegt als das Rosenhaus meines Freundes. In dem Hofe des Hauses nahmen die Leute mein Gepäck und die Pferde in Empfang, und wiesen mich die große Treppe hinan. Da ich gemeldet worden war, wurde ich in Mathildens Zimmer ge¬ führt, und fand sie in demselben allein. Sie ging mir fast bis zu der Thür entgegen, und empfing mich mit derselben offenen Herzlichkeit und Freundlichkeit, die ihr immer eigen war. Sie führte mich zu dem Tische, der an einem mit Blumen geschmückten Fenster stand, wo sie gerne saß, und wies mir ihr gegenüber einen Stuhl an dem Tische an. Als wir uns gesezt hatten, sagte sie: „Es freut mich sehr, daß ihr noch gekommen seid, wir haben geglaubt, daß ihr heuer den weiten Weg nicht machen würdet.“ „Wo man mich so freundlich aufnimmt,“ antwor¬ tete ich, „und wo man mich so gütig behandelt, dahin mache ich gerne einen Weg, ich mache ihn jedes Jahr, wenn er auch weit ist, und wenn ich auch meine Be¬ schäftigung unterbrechen muß.“ „Und jezt findet ihr mich und Natalien nur allein in diesem Hause“ erwiederte sie, „die Männer, da sie sahen, daß ihr nach dem Abblühen der Rosen noch nicht gekommen waret, meinten, ihr würdet im Sommer nun gar nicht mehr kommen, und haben eine kleine Reise angetreten, die auch Gustav mit¬ macht, weil er das Reisen so liebt. Sie besuchen eine kleine Kirche in einem abgelegenen Gebirgsthale, deren Zeichnung Roland gebracht hat. Die Kirche wurde in der Zeichnung sehr schön befunden, und zu ihr sind sie nun unter Rolands Führung auf dem Wege. Wo sie nach der Besichtigung derselben hinfahren werden, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß sie nur einige Tage ausbleiben, und in den Sternenhof zurück¬ kehren werden. Ihr müßt sie hier erwarten, sie werden eine Freude haben, euch zu sehen, und ich werde mich bemühen, alles Erforderliche einzuleiten, daß ihr indessen hier die beste Bequemlichkeit haben könnet.“ „Der Bequemlichkeit,“ erwiederte ich, „bin ich we¬ der gewohnt, noch schlage ich sie hoch an. Ich möchte nur nicht eine Störung in euer jeziges einsames Haus¬ wesen bringen. Das Höchste, was mir zu Theil wer¬ den kann, habe ich empfangen, eine freundliche Auf¬ nahme.“ „Wenn auch gewiß eine freundliche Aufnahme das Höchste ist, und wenn ihr auch eine Bequemlich¬ keit nicht begehret,“ antwortete sie, „so ist die Freund¬ lichkeit in den Mienen bei der Aufnahme eines Gastes nicht das Einzige, so schäzenswerth sie dort ist, son¬ dern sie muß sich auch in der That äußern, und es muß uns erlaubt sein, unsere Pflicht, die uns lieb ist, zu erfüllen, und dem Gaste eine so gute Wohnlichkeit zu bereiten, als es die Umstände erlauben, er mag sie nun benüzen oder nicht.“ „Was ihr für eine Pflicht haltet, will ich nicht bestreiten,“ antwortete ich, „ich will es nicht beirren, nur wünschen muß ich, daß es mit so wenig eigener Aufopferung als möglich verbunden ist.“ „Diese wird nicht groß sein,“ sagte sie, „aus einige Aufmerksamkeit in Hinsicht der Genauigkeit und Wil¬ Stifter , Nachsommer. II . 25 ligkeit der Leute kömmt es an, und diese müsset ihr mir schon erlauben.“ Sie zog mit diesen Worten an einer Glocken¬ schnur, und bedeutete den hereinkommenden Diener, daß er ihr den Hausverwalter rufe. Da dieser erschienen war, sagte sie ihm mit sehr einfachen und kurzen Worten, daß für einen längeren Aufenthalt für mich in dem Hause auf das Beste ge¬ sorgt werden möge. Als er sich entfernen wollte, trug sie ihm noch auf, vorerst dem Fräulein zu sagen, wer gekommen sei, sie würde es später auch selber melden, und zum Abendessen würden wir in dem Speisezimmer zusammen kommen. Der Hausverwalter entfernte sich, und Mathilde sagte, jezt wäre das Hauptsächlichste gethan, und es erübrige später nur noch, sich einen Bericht über die Mittel und die Art der Ausführung geben zu lassen. Wir gingen nun auf andere Gespräche über. Mathilde fragte mich um mein Befinden und um das Allgemeine meiner Beschäftigungen, denen ich mich in diesem Sommer hingegeben habe. Ich antwortete ihr, daß mein körperliches Befin¬ den immer gleich wohl geblieben sei. Man habe mich von Kindheit an zu einem einfachen Leben angeleitet, und dieses verbunden mit viel Aufenthalt im Freien habe mir eine dauernde und heitere Gesundheit ge¬ geben. Mein geistiges Befinden hänge von meinen Beschäftigungen ab. Ich suche dieselben nach meiner Einsicht zu regeln, und wenn sie geordnet und nach meiner Meinung mit Aussicht auf einen Erfolg vor sich gehen, so geben sie mir Ruhe und Haltung. Sie sind aber in den lezten Jahren, was meine Haupt¬ richtung anbelangt, fast immer dieselben geblieben, nur der Schauplaz habe sich geändert. Die Neben¬ richtungen sind freilich andere geworden, und dies werde wohl fortdauern, so lange das Leben daure. Hierauf fragte ich nach dem Wohlbefinden aller unserer Freunde. Mathilde antwortete, man könne hierüber sehr befriedigt sein. Mein Gastfreund fahre in seinem ein¬ fachen Leben fort, er bestrebe sich, daß sein kleiner Fleck Landes seine Schuldigkeit, die jedem Landbesize zum Zwecke des Bestehenden obliege, bestmöglich er¬ fülle, er thue seinen Nachbarn und andern Leuten viel Gutes, er thue es ohne Gepränge, und suche haupt¬ sächlich, daß es in ganzer Stille geschehe, er schmücke sich sein Leben mit der Kunst mit der Wissenschaft und mit andern Dingen, die halb in dieses Gebiet halb 25 * beinahe in das der Liebhabereien schlagen, und er suche endlich sein Dasein mit jener Ruhe der Anbethung der höchsten Macht zu erfüllen, die alles Bestehende ord¬ net. Was zulezt auch noch zum Glücke gehört, daß Wohlwollen der Menschen komme ihm von selber ent¬ gegen. Eustach und der ziemlich selbstständige Roland haben sich zum Theile an dieses Gewebe von Thätig¬ keiten angeschlossen, zum Theile folgen sie eigenen An¬ trieben und Verhältnissen. Gustav strebe erst auf der Leiter seiner Jugend empor, und sie glaube, er strebe nicht unrichtig. Wenn dieses sei, so werde dann die lezte Sprosse an jede Höhe dieses Lebens anzulegen sein, auf der ihm einmal zu wandeln bestimmt sein dürfte. Was endlich sie selber und Natalie betreffe, so sei das Leben der Frauen immer ein abhängiges und ergänzendes, und darin fühle es sich beruhigt und befestigt. Sie beide hätten den Halt von Ver¬ wandten und nahen Angehörigen, dem sie zur Festi¬ gung von Natur aus zugewiesen wären, verloren, sie leben unsicher auf ihrem Besizthume, sie müßten Manches aus sich schöpfen wie ein Mann, und ge¬ nießen der weiblichen Rechte nur in dem Widerscheine des Lebens ihrer Freunde, mit dem der Lauf der Jahre sie verbunden habe. Das sei die Lage, sie daure ihrer Natur nach so fort, und gehe ihrer Entwicklung ent¬ gegen. Mich hatte diese Darstellung Mathildens beinahe ernst gemacht. Die Stimmung milderte sich wieder, da wir auf die Erzählung von Dingen kamen, die sich in diesem Sommer zugetragen hatten. Mathilde be¬ richtete mir über die Rosenblüthe über die Besuche in derselben über ihr Leben auf dem Sternenhofe und über das Gedeihen alles dessen, was der Jahresernte entgegen sehe. Ich beschrieb ihr ein wenig meinen jezigen Aufenthaltsort, erklärte ihr, was ich anstrebe, und erzählte ihr, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln wir es auszuführen versuchen. Nachdem das Gespräch auf diese Art eine Zeit ge¬ dauert hatte, empfahl ich mich, und begab mich in mein Zimmer. Es war mir dieselbe Wohnung eingeräumt und hergerichtet worden, welche ich jedes Mal, so oft ich in dem Sternenhofe gewesen war, inne gehabt hatte. Ein Diener hatte mich von dem Vorzimmer Mathil¬ dens in dieselbe geführt. Sie hatte beinahe genau dasselbe Ansehen wie früher, wenn ich ein Bewohner dieses Hauses gewesen war. Sogar die Bücher, welche der Hausverwalter jedes Mal zu meiner Beschäftigung herbeigeschafft hatte, waren nicht vergessen worden. Nachdem ich mich eine Weile allein befunden hatte, trat dieser Hausverwalter herein, und fragte mich, ob alles in der Wohnung in gehöriger Ordnung sei, oder ob ich einen Wunsch habe. Als ich ihm die Versiche¬ rung gegeben hatte, daß alles über meine Bedürfnisse trefflich sei, und nachdem ich ihm für seine Mühe und Sorgfalt gedankt hatte, entfernte er sich wieder. Ich überließ mich eine Zeit der Ruhe, dann ging ich in den Räumen herum, sah bald bei dem einen bald bei dem andern Fenster auf die bekannten Gegen¬ stände auf die nahen Felder und auf die entfernten Gebirge hinaus, und kleidete mich dann zu dem Abend¬ essen anders an. Zu diesem Abendessen wurde ich bald, da ich spät am Tage in dem Schlosse angekommen war, gerufen. Ich begab mich in den Speisesaal, und fand dort bereits Mathilden und Natalien. Mathilde hatte sich anders angekleidet, als ich sie bei meiner Ankunft in ihrem Zimmer getroffen hatte. Von Natalien wußte ich dies nicht; aber da sie ein ähnliches Kleid anhatte, wie Mathilde, so vermuthete ich es, und mußte über¬ zeugt sein, daß man ihr meine Ankunft gemeldet habe. Wir begrüßten uns sehr einfach, und sezten uns zu dem Tische. Mir war es äußerst seltsam und befremdend, daß ich mit Mathilden und Natalien allein in ihrem Hause bei dem Abendtische size. Die Gespräche bewegten sich um gewöhnliche Dinge. Nach dem Speisen entfernte ich mich bald, um die Frauen nicht zu belästigen, und zog mich in meine Wohnung zurück. Dort beschäftigte ich mich eine Zeit mit Papieren und Büchern, die ich aus meinem Koffer hervorge¬ sucht hatte, gerieth dann in Sinnen und Denken, und begab mich endlich zur Ruhe. Der folgende Tag wurde zu einem einsamen Mor¬ genspaziergange benüzt, dann frühstückten wir mit einander, dann gingen wir in den Garten, dann be¬ schäftigte ich mich bei den Bildern in den Zimmern. Der Nachmittag wurde zu einem Gange in Theile des Meierhofes und auf die Felder verwendet, und der Abend war wie der vorhergegangene. Mit Natalien war ich, da sie jezt mit ihrer Mut¬ ter allein in dem Schlosse wohnte, beinahe fremder, als ich es sonst unter vielen Leuten gewesen war. Wir hatten an diesem Tage nicht viel mit ein¬ ander gesprochen und nur die allergewöhnlichsten Dinge. Der zweite Tag verging wie der erste. Ich hatte die Bilder wieder angesehen, ich war in den Zimmern mit den alterthümlichen Geräthen gewesen, und hatte den Gängen Gemächern und Abbildungen des oberen Stockwerkes einen Besuch gemacht. Am dritten Tage meines Aufenthaltes in dem Sternenhofe nachmittags, da ich eine Weile in die Zeilen des alten Homer geblickt hatte, wollte ich meine Wohnung, in der ich mich befand, verlassen, und in den Garten gehen. Ich legte die Worte Homers auf den Tisch, begab mich in das Vorzimmer, schloß die Thür meiner Wohnung hinter mir ab, und ging über die kleinere Treppe im hinteren Theile des Hauses in den Garten. Es war ein sehr schöner Tag, keine einzige Wolke stand an dem Himmel, die Sonne schien warm auf die Blumen, daher es stille von Arbeiten und selbst vom Gesange der Vögel war. Nur das einfache Scharren und leise Hämmern der Arbei¬ ter hörte ich, welche mit der Hinwegschaffung der Tünche des Hauses in der Nähe meines Ausganges auf Gerüsten beschäftigt waren. Ich ging neben Ge¬ büschen und verspäteten Blumen einem Schatten zu, welcher sich mir auf einem Sandwege both, der mit ziemlich hohen Hecken gesäumt war. Der Sandweg führte mich zu den Linden, und von diesen ging ich durch eine Überlaubung der Eppichwand zu. Ich ging an ihr entlang, und trat in die Grotte des Brunnens. Ich war von der linken Seite der Wand gekommen, von welcher man beim Herannahen den schöneren An¬ blick der Quellnimphe hat, dafür aber das Bänkchen nicht gewahr wird, welches in der Grotte der Nimphe gegenüber angebracht ist. Als ich eingetreten war, sah ich Natalien auf dem Bänklein sizen. Sie war sehr erschrocken, und stand auf. Ich war auch er¬ schrocken; dennoch sah ich in ihr Angesicht. In dem¬ selben war ein Schwanken zwischen Roth und Blaß, und ihre Augen waren auf mich gerichtet. Ich sagte: „Mein Fräulein, ihr werdet mir es glauben, wenn ich euch sage, daß ich von dem Laub¬ gange an der linken Seite dieser Wand gegen die Grotte gekommen bin, und euch nicht habe sehen kön¬ nen, sonst wäre ich nicht eingetreten, und hätte euch nicht gestört.“ Sie antwortete nichts, und sah mich noch im¬ mer an. Ich sagte wieder: „Da ich euch nun einmal beun¬ ruhigt habe, wenn auch gegen meinen Willen, so werdet ihr mir es wohl gütig verzeihen, und ich werde mich sogleich entfernen.“ „Ach nein, nein,“ sagte sie. Da ich schwankte, und die Bedeutung der Worte nicht erkannte, fragte ich: „Zürnet ihr mir, Natalie?“ „Nein, ich zürne euch nicht,“ antwortete sie, und richtete die Augen, die sie eben niedergeschlagen hatte, wieder auf mich. „Ihr seid auf diesen Plaz gegangen, um allein zu sein,“ sagte ich, „also muß ich euch verlassen.“ „Wenn ihr mich nicht aus Absicht meidet, so ist es nicht ein Müssen, daß ihr mich verlasset,“ antwortete sie. „Wenn es nicht eine Pflicht ist, euch zu verlassen,“ erwiederte ich, „so müßt ihr euren Plaz wieder ein¬ nehmen, von dem ich euch verscheucht habe. Thut es, Natalie, sezt euch auf eure frühere Stelle nieder.“ Sie ließ sich auf das Bänkchen nieder ganz vorn gegen den Ausgang, und stüzte sich auf die Marmor¬ lehne. Ich kam nun auf diese Weise zwischen sie und die Gestalt zu stehen. Da ich dieses für unschicklich hielt, so trat ich ein wenig gegen den Hintergrund. Allein jezt stand ich wieder aufrecht vor dem leeren Theile der Bank in der nicht sehr hohen Halle, und da mir auch dieses eher unziemend als ziemend erschien, so sezte ich mich auf den andern Theil der Bank, und sagte: „Liebt ihr wohl diesen Plaz mehr als andere?“ „Ich liebe ihn,“ antwortete sie, „weil er abge¬ schlossen ist, und weil die Gestalt schön ist. Liebt ihr ihn nicht auch?“ „Ich habe die Gestalt immer mehr lieben gelernt, je länger ich sie kannte,“ antwortete ich. „Ihr ginget früher öfter her?“ fragte sie. „Als ich durch die Güte eurer Mutter manche Ge¬ räthe in dem Sternenhofe zeichnete, und fast allein in demselben wohnte, habe ich oft diese Halle besucht,“ erwiederte ich. „Und später auch, wenn ich durch freundliche Einladung hieher kam, habe ich nie ver¬ säumt, an diese Stelle zu gehen.“ „Ich habe euch hier gesehen,“ sagte sie. „Die Anlage ist gemacht, daß sie das Gemüth und den Verstand erfüllet,“ antwortete ich, „die grüne Wand des Eppichs schließt ruhig ab, die zwei Eichen stehen wie Wächter, und das Weiß des Steins geht sanft von dem Dunkel der Blätter und des Gartens weg.“ „Es ist alles nach und nach entstanden, wie die Mutter erzählt,“ erwiederte sie, „der Eppich ist erzogen worden, die Wand vergrößert erweitert und bis an die Eichen geführt. Selbst in der Halle war es ein¬ mal anders. Die Bank war nicht da. Aber da der Marmor so oft betrachtet wurde, da die Menschen vor ihm standen, oder selbst in der Halle neben ihm, da die Mutter ebenfalls die Gestalt gerne betrachtete, und lange betrachtete: so ließ sie aus dem gleichen Stoffe, aus dem die Nimphe gearbeitet ist, diese Bank machen, und ließ dieselbe mit der kunstreichen vor¬ christlich ausgeführten Lehne versehen, damit sie einer¬ seits zu dem vorhandenen Werke stimme, und damit andererseits das Werk mit Ruhe und Erquickung an¬ gesehen werden könne. Mit der Zeit ist auch die Ala¬ basterschale hieher gekommen.“ „Die Menschen werden von solchen Werken ge¬ zogen,“ antwortete ich, „und die Lust des Schauens findet sich.“ „Ich habe diese Gestalt von meiner Kindheit an gesehen, und habe mich an sie gewöhnt,“ sagte sie, „haltet ihr nicht auch den bloßen Stein schon für sehr schön?“ „Ich halte ihn für ganz besonders schön,“ erwie¬ derte ich. „Mir ist immer, wenn ich ihn lange betrachte,“ sagte sie, „als hätte er eine sehr große Tiefe, als sollte man in ihn eindringen können, und als wäre er durch¬ sichtig, was er nicht ist. Er hält eine reine Fläche den Augen entgegen, die so zart ist, daß sie kaum Widerstand leistet, und in der man als Anhaltspunkte nur die vielen feinen Splitter funkeln sieht.“ „Der Stein ist auch durchsichtig,“ antwortete ich, „nur muß man eine dünne Schichte haben, durch die man sehen will. Dann scheint die Welt fast gold¬ artig, wenn man sie durch ihn ansieht. Wenn meh¬ rere Schichten übereinander liegen, so werden sie in ihrem Anblicke von Außen weiß, wie der Schnee, der auch aus lauter durchsichtigen kleinen Eisnadeln be¬ steht, weiß wird, wenn Millionen solcher Nadeln auf einander liegen.“ „So habe ich nicht unrecht empfunden,“ sagte sie. „Nein,“ erwiederte ich, „ihr habt recht geahnt.“ „Wenn die Edelsteine nicht nach dem geachtet wer¬ den, was sie kosten,“ sagte sie, „sondern nach dem, wie sie edel sind, so gehört der Marmor gewiß unter die Edelsteine.“ „Er gehört unter dieselben, er gehört gewißlich unter dieselben,“ erwiederte ich. „Wenn er auch als bloßer Stoff nicht so hoch im Preise steht, wie die gesuchten Steine, die nur in kleinen Stücken vorkom¬ men, so ist er doch so auserlesen und so wunderbar, daß er nicht bloß in der weißen sondern auch in jeder andern Farbe begehrt wird, daß man die verschieden¬ sten Dinge aus ihm macht, und daß das Höchste, was menschliche bildende Kunst darzustellen vermag, in der Reinheit des weißen Marmors ausgeführt wird.“ „Das ist es, was mich auch immer sehr ergriff, wenn ich hier saß, und betrachtete,“ sagte sie, „daß in dem harten Steine das Weiche und Runde der Ge¬ staltung ausgedrückt ist, und daß man zu der Dar¬ stellung des Schönsten in der Welt den Stoff nimmt, der keine Makel hat. Dies sehe ich sogar immer an der Gestalt auf der Treppe unsers Freundes, welche noch schöner und ehrfurchterweckender als dieses Bild¬ werk hier ist, wenn gleich ihr Stoff in der Länge der vielen Jahre, die er gedauert hat, verunreinigt wor¬ den war.“ „Es ist gewiß nicht ohne Bedeutung,“ entgegnete ich, „daß die Menschen in den edelsten und selbst hie und da ältesten Völkern zu diesem Stoffe griffen, wenn sie hohes Göttliches oder Menschliches bilden wollten, während sie Ausschmückungen in Laubwerk Simsen Säulen Thiergestalten und selbst untergeordnete Men¬ schen- und Götterbilder aus farbigem Marmor aus Sandstein aus Holz Thon Gold oder Silber verfer¬ tigten. Es wäre zugänglicherer behandelbarerer Stoff gewesen: Holz Erde weicher Stein manche Metalle: sie aber gruben weißen Marmor aus der Erde, und bildeten aus ihm. Aber auch die andern Edelsteine, aus denen man verschiedene Dinge macht, geschnittene Steine allerlei Gestalten Blumen- und Zierwerk, so wie endlich diejenigen, die man besonders Edelsteine nennt und zum Schmucke der menschlichen Gestalt und hoher Dinge anwendet, haben in ihrem Stoffe etwas, das anzieht, und den menschlichen Geist zu sich leitet, es ist nicht blos die Seltenheit oder das Schimmern, das sie werthvoll macht.“ „Habt ihr auch die Edelsteine kennen zu lernen gesucht?“ fragte sie. „Ein Freund hat mir vieles von ihnen gezeigt und erklärt,“ antwortete ich. „Sie sind freilich für die Menschen sehr merkwür¬ dig,“ sagte sie. „Es ist etwas Tiefes und Ergreifendes in ihnen,“ antwortete ich, „gleichsam ein Geist in ihrem Wesen, der zu uns spricht, wie zum Beispiele in der Ruhe des Smaragdes, dessen Schimmerpunkten kein Grün der Natur gleicht, es müßte nur auf Vogelgefiedern wie das des Colibri oder auf den Flügeldecken von Käfern sein — wie in der Fülle des Rubins, der mit dem rosensamtnen Lichtblicke gleichsam als der vor¬ nehmste unter den gefärbten Steinen zu uns aufsieht — wie in dem Räthsel des Opals, der unergründlich ist — und wie in der Kraft des Diamantes, der we¬ gen seines großen Lichtbrechungsvermögens in einer Schnelligkeit wie der Bliz den Wechsel des Feuers und der Farben gibt, den kaum die Schneesterne noch der Sprühregen des Wasserfalles haben. Alles, was den edlen Steinen nachgemacht wird, ist der Körper ohne diesen Geist, es ist der inhaltleere spröde harte Glanz statt der reichen Tiefe und Milde.“ „Ihr habt von der Perle nicht gesprochen.“ „Sie ist kein Edelstein, gesellt sich aber im Ge¬ brauche gerne zu ihm. In ihrem äußern Ansehen ist sie wohl das Bescheidenste; aber nichts schmückt mit dem so sanft umflorten Seidenglanze die menschliche Schönheit schöner als die Perle. Selbst an dem Kleide eines Mannes, wo sie etwas hält, wie die Schleife des Halstuches oder wie die Falte des Brustlinnens, dünkt sie mich das Würdigste und Ernsteste.“ „Und liebt ihr die Edelsteine als Schmuck?“ fragte sie. „Wenn die schönsten Steine ihrer Art ausgewählt werden,“ antwortete ich, „wenn sie in einer Fassung sind, welche richtigen Kunstgesezen entspricht, und wenn diese Fassung an der Stelle, wo sie ist, einen Zweck erfüllt, also nothwendig erscheint: dann ist wohl kein Schmuck des menschlichen Körpers feier¬ licher als der der Edelsteine.“ Wir schwiegen nach diesen Worten, und ich konnte Natalien jezt erst ein wenig betrachten. Sie hatte ein mattes hellgraues Seidenkleid an, wie sie es über¬ haupt gerne trug. Das Kleid reichte, wie es bei ihr immer der Fall war, bis zum Halse und bis zu den Knöcheln der Hand. Von Schmuck hatte sie gar nichts an sich, nicht das Geringste, während ihr Körper doch so stimmend zu Edelsteinen gewesen wäre. Ohrge¬ hänge, welche damals alle Frauen und Mädchen trugen, hatte weder Mathilde je, seit ich sie kannte, getragen, noch trug sie Natalie. In unserem Schweigen sahen wir gleichsam wie durch Verabredung gegen das rieselnde Wasser. Stifter , Nachsommer. II . 26 Endlich sagte sie: „Wir haben von dem Ange¬ nehmen dieses Ortes gesprochen, und sind von dem edlen Steine des Marmors auf die Edelsteine gekom¬ men; aber eines Dinges wäre noch Erwähnung zu thun, das diesen Ort ganz besonders auszeichnet.“ „Welches Dinges?“ „Des Wassers. Nicht blos, daß dieses Wasser vor vielen, die ich kenne, gut zur Erquickung gegen den Durst ist, so hat sein Spielen und sein Fließen gerade an dieser Stelle und durch diese Vorrichtungen etwas Besänftigendes und etwas Beachtungswerthes.“ „Ich fühle, wie ihr,“ antwortete ich, „und wie oft habe ich dem schönen Glänzen und dem schattenden Dunkel dieses lebendigen flüchtigen Körpers an dieser Stelle zugesehen, eines Körpers, der wie die Luft wohl viel bewunderungswürdiger wäre, als es die Menschen zu erkennen scheinen.“ „Ich halte auch das Wasser und die Luft für bewunderungswürdig,“ entgegnete sie, „die Menschen achten nur so wenig auf beides, weil sie überall von ihnen umgeben sind. Das Wasser erscheint mir als das bewegte Leben des Erdkörpers wie die Luft sein ungeheurer Odem ist.“ „Wie richtig sprecht ihr,“ sagte ich, „und es sind auch Menschen gewesen, die das Wasser sehr geachtet haben; wie hoch haben die Griechen ihr Meer ge¬ halten, und wie riesenhafte Werke haben die Römer aufgeführt, um sich das Labsal eines guten Wassers zuzuleiten. Sie haben freilich nur auf den Körper Rücksicht genommen, und haben nicht, wie die Grie¬ chen die Schönheit ihres Meeres betrachteten, die Schönheit des Wassers vor Augen gehabt; sondern sie haben sich nur dieses Kleinod der Gesundheit in bester Art verschaffen wollen. Und ist wohl etwas außer der Luft, das mit größerem Adel in unser Wesen eingeht als das Wasser? Soll nicht nur das reinste und edelste sich mit uns vereinigen? Sollte dies nicht gerade in den gesundheitverderbenden Städten sein, wo sie aber nur Vertiefungen machen, und das Was¬ ser trinken, das aus ihnen kömmt? Ich bin in den Bergen gewesen in Thälern in Ebenen in der großen Stadt, und habe in der Hize im Durste in der Be¬ wegung den kostbaren Kristall des Wassers und seine Unterschiede kennen gelernt. Wie erquickt der Quell in den Bergen und selbst in den Hügeln, vorzüglich wenn er am reinsten aus dem reinen Granit fließt, und Natalie, wie schön ist außerdem der Quell!“ Hatte nun Natalie schon früher einen Durst em¬ 26 * pfunden, und hatte derselbe ihr Gespräch auf das Wasser gelenkt, oder war durch das Gespräch ein leichter Durst in ihr hervorgerufen worden: sie stand nun auf, nahm die Alabasterschale in die Hand, ließ sie sich in dem sanften Strahle füllen, sezte sie an ihre schönen Lippen, trank einen Theil des Wassers, ließ das übrige in das tiefere Becken fließen, stellte die leere Schale an ihren Plaz, und sezte sich wieder zu mir auf die Bank. Mir war das Herz ein wenig gedrückt, und ich sagte: „Wenn wir beide das Schöne dieses Ortes be¬ trachtet, und wenn wir von ihm und von andern Din¬ gen, auf die er uns führte, gerne gesprochen haben, so ist doch etwas in ihm, was mir Schmerz erregt.“ „Was kann euch denn an diesem Orte Schmerz erregen?“ fragte sie. „Natalie,“ antwortete ich, „es ist jezt ein Jahr, daß ihr mich an dieser Halle absichtlich gemieden habt. Ihr saßet auf derselben Bank, auf welcher ihr jezt sizet, ich stand im Garten, ihr tratet heraus, und ginget von mir mit beeiligten Schritten in das Gebüsch.“ Sie wendete ihr Angesicht gegen mich, sah mich mit den dunkeln Augen an, und sagte: „Dessen er¬ innert ihr euch, und das macht euch Schmerz?“ „Es macht mir jezt im Rückblicke Schmerz, und hat ihn mir damals gemacht,“ antwortete ich. „Ihr habt mich ja aber auch gemieden,“ sagte sie. „Ich hielt mich ferne, um nicht den Schein zu haben, als dränge ich mich zu euch,“ entgegnete ich. „War ich euch denn von einer Bedeutung?“ frag¬ te sie. „Natalie,“ antwortete ich, „ich habe eine Schwe¬ ster, die ich im höchsten Maße liebe, ich habe viele Mädchen in unserer Stadt und in dem Lande kennen gelernt; aber keines selbst nicht meine Schwester achte ich so hoch wie euch, keines ist mir stets so gegenwär¬ tig, und erfüllt mein ganzes Wesen wie ihr.“ Bei diesen Worten traten die Thränen aus ihren Augen, und flossen über ihre Wangen herab. Ich erstaunte, ich blickte sie an, und sagte: „Wenn diese schönen Tropfen sprechen, Natalie sagen sie, daß ihr mir auch ein wenig gut seid?“ „Wie meinem Leben,“ antwortete sie. Ich erstaunte noch mehr, und sprach: „Wie kann es denn sein, ich habe es nicht geglaubt.“ „Ich habe es auch von euch nicht geglaubt,“ erwie¬ derte sie. „Ihr konntet es leicht wissen,“ sagte ich. „Ihr seid so gut, so rein, so einfach. So seid ihr vor mir ge¬ wandelt, ihr waret mir begreiflich wie das Blau des Himmels, und eure Seele erschien mir so tief, wie das Blau des Himmels tief ist. Ich habe euch mehrere Jahre gekannt, ihr waret stets bedeutend vor der herr¬ lichen Gestalt eurer Mutter und der eures ehrwür¬ digen Freundes, ihr waret heute, wie ihr gestern gewesen waret, und morgen wie heute, und so habe ich euch in meine Seele genommen zu denen, die ich dort liebe, zu Vater Mutter Schwester — nein, Na¬ talie, noch tiefer, tiefer —“ Sie sah mich bei diesen Worten sehr freundlich an, ihre Thränen flossen noch häufiger, und sie reichte mir ihre Hand herüber. Ich faßte die Hand, ich konnte nichts sagen, und blickte sie nur an. Nach mehreren Augenblicken ließ ich ihre Hand los, und sagte: „Natalie, es ist mir nicht begreiflich, wie ist es denn möglich, daß ihr mir gut seid, mir, der gar nichts ist, und nichts bedeutet?“ „Ihr wißt nicht, wer ihr seid,“ antwortete sie. „Es ist gekommen, wie es kommen mußte. Wir haben viele Zeit in der Stadt zugebracht, wir sind oft den ganzen Winter in derselben gewesen, wir haben Reisen gemacht, haben verschiedene Länder und Städte ge¬ sehen, wir sind in London Paris und Rom gewesen. Ich habe viele junge Männer kennen gelernt. Dar¬ unter sind wichtige und bedeutende gewesen. Ich habe gesehen, daß mancher Antheil an mir nahm; aber es hat mich eingeschüchtert, und wenn einer durch spre¬ chende Blicke oder durch andere Merkmale es mir näher legte, so entstand eine Angst in mir, und ich mußte mich nur noch ferner halten. Wir gingen wie¬ der in die Heimath zurück. Da kamet ihr eines Som¬ mers in den Asperhof, und ich sah euch. Ihr kamet im nächsten Sommer wieder. Ihr waret ohne An¬ spruch, ich sah, wie ihr die Dinge dieser Erde liebtet, wie ihr ihnen nach ginget, und wie ihr sie in eurer Wissenschaft hegtet — ich sah, wie ihr meine Mutter verehrtet, unsern Freund hochachtetet, den Knaben Gustav beinahe liebtet, von eurem Vater eurer Mut¬ ter und eurer Schwester nur mit Ehrerbiethung spra¬ chet, und da — — da —“ „Da, Natalie?“ „Da liebte ich euch, weil ihr so einfach so gut und doch so ernst seid.“ „Und ich liebte euch mehr, als ich je irgend ein Ding dieser Erde zu lieben vermochte.“ „Ich habe manchen Schmerz um euch empfunden, wenn ich in den Feldern herumging.“ „Ich habe es ja nicht gewußt, Natalie, und weil ich es nicht wußte, so mußte ich mein Inneres ver¬ bergen, und gegen jedermann schweigen, gegen den Vater gegen die Mutter gegen die Schwester, und so¬ gar gegen mich. Ich bin fortgefahren, das zu thun, was ich für meine Pflicht erachtete, ich bin in die Berge gegangen, habe mir ihre Zusammensezung aufgeschrieben, habe Gesteine gesammelt und Seen gemessen, ich bin auf den Rath eures Freundes einen Sommer beschäftigungslos in dem Asperhofe gewe¬ sen, bin dann wieder in die Wildniß gegangen und zu der Grenze des Eises emporgestiegen. Ich konnte nur eure Mutter euren Freund und euren Bruder immer wärmer lieben: aber, Natalie, wenn ich auf den Höhen der Berge war, habe ich euer Bild in dem heitern Himmel gesehen, der über mir ausgespannt war, wenn ich auf die festen starren Felsen blickte, so erblickte ich es auch in dem Dufte, der vor denselben webte, wenn ich auf die Länder der Menschen hinaus¬ schaute, so war es in der Stille, die über der Welt gelagert war, und wenn ich zu Hause in die Züge der Meinigen blickte, so schwebte es auch in denen.“ „Und nun hat sich alles recht gelöset.“ „Es hat sich wohl gelöset, meine liebe liebe Na¬ talie.“ „Mein theurer Freund!“ Wir reichten uns bei diesen Worten die Hände wieder, und saßen schweigend da. Wie hatte seit einigen Augenblicken alles sich um mich verändert, und wie hatten die Dinge eine Ge¬ stalt gewonnen, die ihnen sonst nicht eigen war. Na¬ taliens Augen, in welche ich schauen konnte, standen in einem Schimmer, wie ich sie nie, seit ich sie kenne, gesehen hatte. Das unermüdlich fließende Wasser die Alabasterschale der Marmor waren verjüngt; die wei¬ ßen Flimmer auf der Gestalt und die wunderbar im Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüssig¬ keit rann plätscherte oder pippte oder tönte im einzel¬ nen Falle anders; das sonnenglänzende Grün von draußen sah als ein neues freundlich herein, und selbst das Hämmern, mit welchem man die Tünche von den Mauern des Hauses herabschlug, tönte jezt als ein ganz verschiedenes in die Grotte von dem, das ich gehört hatte, als ich aus dem Hause gegangen war. Nach einer geraumen Weile sagte Natalie: „Und von dem Abende im Hoftheater habt ihr auch nie etwas gesprochen.“ „Von welchem Abende Natalie?“ „Als König Lear aufgeführt wurde.“ „Ihr seid doch nicht das Mädchen in der Loge gewesen?“ „Ich bin es gewesen.“ „Nein, ihr seid so blühend wie eine Rose, und jenes Mädchen war blaß wie eine weiße Lilie.“ „Es mußte mich der Schmerz entfärbt haben. Ich war kindisch, und es hat mir damals wohlgethan, in euren Augen allein unter allen denen, die die Loge umgaben, ein Mitgefühl mit meiner Empfindung zu lesen. Diese Empfindung wurde durch euer Mitge¬ fühl zwar noch stärker, so daß sie beinahe zu mächtig wurde; aber es war gut. Ich habe nie einer Vor¬ stellung beigewohnt, die so ergreifend gewesen wäre. Ich sah es als einen günstigen Zufall an, daß mir eure Augen, die bei dem Leiden des alten Königs übergeflossen waren, bei dem Fortgehen aus dem Schauspielhause so nahe kamen. Ich glaubte ihnen mit meinen Blicken dafür danken zu müssen, daß sie mir beigestimmt hatten, wo ich sonst vereinsamt ge¬ wesen wäre. Habt ihr das nicht erkannt?“ „Ich habe es erkannt, und habe gedacht, daß der Blick des Mädchens wohlwollend sei, und daß er ein Einverständniß über unsere gemeinschaftliche Empfin¬ dung bei der Vorstellung bedeuten könne.“ „Und ihr habt mich also nicht wieder erkannt?“ „Nein, Natalie.“ „Ich habe euch gleich erkannt, als ich euch in dem Asperhofe sah.“ „Es ist mir lieb, daß es eure Augen gewesen sind, die mir den Dank gesagt haben; der Dank ist tief in mein Gemüth gedrungen. Aber wie konnte es auch anders sein, da eure Augen das Liebste und Holdeste sind, was für mich die Erde hat.“ „Ich habe euch schon damals in meinem Herzen höher gestellt als die andern, obwohl ihr ein Fremder waret, und obwohl ich denken konnte, daß ihr mir in meinem ganzen Leben fremd bleiben werdet.“ „Natalie, was mir heute begegnet ist, bildet eine Wendung in meinem Leben, und ein so tiefes Ereig¬ niß, daß ich es kaum denken kann. Ich muß suchen, alles zurecht zu legen, und mich an den Gedanken der Zukunft zu gewöhnen.“ „Es ist ein Glück, das uns ohne Verdienst vom Himmel gefallen, weil es größer ist als jedes Ver¬ dienst.“ „Drum lasset uns es dankbar aufnehmen.“ „Und ewig bewahren.“ „Wie war es gut, Natalie, daß ich die Worte Homers, die ich heute nachmittag las, nicht in mein Herz aufnehmen konnte, daß ich das Buch weglegte, in den Garten ging, und daß das Schicksal meine Schritte zu dem Marmor des Brunnens lenkte.“ „Wenn unsere Wesen zu einander neigten, ob¬ gleich wir es nicht gegenseitig wußten, so würden sie sich doch zugeführt worden sein, wann und wo es immer geschehen wäre, das weiß ich nun mit Si¬ cherheit.“ „Aber sagt, warum habt ihr mich denn gemieden, Natalie?“ „Ich habe euch nicht gemieden, ich konnte mit euch nicht sprechen, wie es mir in meinem Innern war, und ich konnte auch nicht so sein, als ob ihr ein Fremder wäret. Doch war mir eure Gegenwart sehr lieb. Aber warum habt denn auch ihr euch ferne von mir gehalten?“ „Mir war wie euch. Da ihr so weit von mir waret, konnte ich mich nicht nahen. Eure Gegenwart verherrlichte mir alles, was uns umgab, aber das dunkle künftige Glück schien mir unerreichbar.“ „Nun ist doch erfüllet, was sich vorbereitete.“ „Ja es ist erfüllt.“ Nach einem kleinen Schweigen fuhr ich fort: „Ihr habt gesagt, Natalie, daß wir das Glück, das uns vom Himmel gefallen ist, ewig aufbewahren sollen. Wir sollen es auch ewig aufbewahren. Schließen wir den Bund, daß wir uns lieben wollen, so lange das Leben währt, und daß wir treu sein wollen, was auch immer komme, und was die Zukunft bringe, ob es uns aufbewahrt ist, daß wir in Vereinigung die Sonne und den Himmel genießen, oder ob jedes allein zu beiden emporblickt, und nur des andern mit Schmer¬ zen gedenken kann.“ „Ja, mein Freund, Liebe unveränderliche Liebe, so lange das Leben währt, und Treue, was auch die Zukunft von Gunst oder Ungunst bringen mag.“ „O Natalie, wie wallt mein Herz in Freude! Ich habe es nicht geahnt, daß es so entzückend ist, euch zu besizen, die mir unerreichbar schien.“ „Ich habe auch nicht gedacht, daß ihr euer Herz von den großen Dingen, denen ihr ergeben waret, wegkehren und mir zuwenden werdet.“ „O meine geliebte meine theure ewig mir gehö¬ rende Natalie!“ „Mein einziger mein unvergeßlicher Freund!“ Ich war von Empfindung überwältigt, ich zog sie näher an mich, und neigte mein Angesicht zu ihrem. Sie wendete ihr Haupt herüber, und gab mit Güte ihre schönen Lippen meinem Munde, um den Kuß zu empfangen, den ich both. „Ewig für dich allein,“ sagte ich. „Ewig für dich allein,“ sagte sie leise. Schon als ich die süßen Lippen an meinen fühlte, war mir, als sei ein Zittern in ihr, und als fließen ihre Thränen wieder. Da ich mein Haupt wegwendete, und in ihr An¬ gesicht schaute, sah ich die Thränen in ihren Augen. Ich fühlte die Tropfen auch in den meinen hervor¬ quellen, die ich nicht mehr zurückhalten konnte. Ich zog Natalien wieder näher an mich, legte ihr Angesicht an meine Brust, neigte meine Wange auf ihre schönen Haare, legte die eine Hand auf ihr Haupt, und hielt sie so sanft umfaßt, und an mein Herz gedrückt. Sie regte sich nicht, und ich fühlte ihr Weinen. Da diese Stellung sich wieder löste, da sie mir in das Angesicht schaute, drückte ich noch einmal einen heißen Kuß auf ihre Lippen, zum Zeichen der ewigen Vereinigung und der unbegrenzten Liebe. Sie schlang auch ihre Arme um meinen Hals, und erwiederte den Kuß zu gleichem Zeichen der Einheit und der Liebe. Mir war in diesem Augenblicke, daß Natalie nun meiner Treue und Güte hingegeben, daß sie ein Leben eins mit meinem Leben sei. Ich schwor mir, mit allem, was groß gut schön und stark in mir ist, zu streben, ihre Zukunft zu schmücken, und sie so glücklich zu machen, als es nur in meiner Macht ist, und erreicht werden kann. Wir saßen nun schweigend neben einander, wir konnten nicht sprechen, und drückten uns nur die Hände als Bestättigung des geschloßnen Bundes und des innigsten Verständnisses. Da eine Zeit vergangen war, sagte endlich Nata¬ lie: „Mein Freund, wir haben uns der Fortdauer und der Unaufhörlichkeit unserer Neigung versichert, und diese Neigung wird auch dauern; aber was nun geschehen, und wie sich alles Andere gestalten wird, das hängt von unsern Angehörigen ab, von meiner Mutter, und von euren Eltern.“ „Sie werden unser Glück mit Wohlwollen an¬ sehen.“ „Ich hoffe es auch; aber wenn ich das vollste Recht hätte, meine Handlungen selber zu bestimmen, so würde ich nie auch nicht ein Theilchen meines Lebens so einrichten, daß es meiner Mutter nicht gefiele; es wäre kein Glück für mich. Ich werde so handeln, so lange wir beisammen auf der Erde sind. Ihr thut wohl auch so?“ „Ich thue es; weil ich meine Eltern liebe, und weil mir eine Freude nur als solche gilt, wenn sie auch die ihre ist.“ „Und noch jemand muß gefragt werden.“ „Wer?“ „Unser edler Freund. Er ist so gut, so weise, so uneigennüzig. Er hat unserm Leben einen Halt ge¬ geben, als wir rathlos waren, er ist uns beigestan¬ den, als wir es bedurften, und jezt ist er der zweite Vater Gustavs geworden.“ „Ja, Natalie, er soll und muß gefragt werden; aber sprecht, wenn eins von diesen nein sagt?“ „Wenn eines nein sagt, und wir es nicht über¬ zeugen können, so wird es Recht haben, und wir werden uns dann lieben, so lange wir leben, wir werden einander treu sein in dieser und jener Welt; aber wir dürften uns dann nicht mehr sehen.“ „Wenn wir ihnen die Entscheidung über uns an¬ heim gegeben haben, so müßte es wohl so sein; aber es wird gewiß nicht gewiß nicht geschehen.“ „Ich glaube mit Zuversicht, daß es nicht geschehen wird.“ „Mein Vater wird sich freuen, wenn ich ihm sage, wie ihr seid, er wird euch lieben, wenn er euch sieht, die Mutter wird euch eine zweite Mutter sein, und Klotilde wird sich euch mit ganzer Seele zuwenden.“ „Ich verehre eure Eltern und liebe Klotilde schon so lange, als ich euch von ihnen reden und erzählen hörte. Mit meiner Mutter werde ich noch heute sprechen, ich könnte die Nacht nicht über das Ge¬ heimniß heraufgehen lassen. Wenn ihr zu euren El¬ tern reiset, sagt ihnen, was geschehen ist, und sendet bald Nachricht hieher.“ „Ja Natalie.“ „Geht ihr von hier wieder in die Berge?“ „Ich wollte es; nun aber hat sich Wichtigeres ereignet, und ich muß gleich zu meinen Eltern. Nur auf Kurzes will ich, so schnell es geht, in meinen jezigen Standort reisen, um die Arbeiten abzube¬ stellen, die Leute zu entlassen, und Alles in Ordnung zu bringen.“ „Das muß wohl so sein.“ Stifter , Nachsommer. II . 27 „Die Antwort meiner Eltern bringt dann nicht eine Nachricht, sondern ich selber.“ „Das ist noch erfreulicher. Mit unserm Freunde wird wohl hier geredet werden.“ „Natalie, dann habt ihr eine Schwester an Klo¬ tilden, und ich einen Bruder an Gustav.“ „Ihr habt ihn ja immer sehr geliebt. Alles ist so schön, daß es fast zu schön ist.“ Dann sprachen wir von der Zurückkunft der Män¬ ner, was sie sagen würden, und wie unser Gastfreund die schnelle Wendung der Dinge aufnehmen werde. Zulezt, als die Gemüther zu einer sanfteren Ruhe zurückgekehrt waren, erhoben wir uns, um in das Haus zu gehen. Ich both Natalien meinen Arm, den sie annahm. Ich führte sie der Eppichwand entlang, ich führte sie durch einen schönen Gang des Gartens, und wir gelangten dann in offnere freie Stellen, in denen wir eine Umsicht hatten. Als wir da eine Strecke vorwärts gekommen wa¬ ren, sahen wir Mathilden außerhalb des Gartens gegen den Maierhof gehen. Das Pförtchen, welches von dem Garten gegen den Maierhof führt, war in der Nähe, und stand offen. „Ich werde meiner Mutter folgen, und werde gleich jezt mit ihr sprechen,“ sagte Natalie. „Wenn ihr es für gut haltet, so thut es,“ erwie¬ derte ich. „Ja, ich thue es, mein Freund. Lebt wohl.“ „Lebt wohl.“ Sie zog ihren Arm aus dem meinigen, wir reichten uns die Hände, drückten sie uns, und Na¬ talie schlug den Weg zu dem Pförtchen ein. Ich sah ihr nach, sie blickte noch einmal gegen mich um, ging dann durch das Pförtchen, und das graue Seidenkleid verschwand unter den grünen Hecken des Grundes. Ich ging in das Haus, und begab mich in meine Wohnung. Da lag das Buch, in welchem die Worte Homers waren, die heute die Gewalt über mein Herz verloren hatten — es lag, wie ich es auf den Tisch gelegt hatte. Was war indessen geschehen. Die schönste Jungfrau dieser Erde hatte ich an mein Herz gedrückt. Aber was will das sagen? Das edelste wärmste herrlichste Gemüth ist mein, es ist mir in Liebe und Neigung zugethan. Wie habe ich das verdient, wie kann ich es verdienen?! Ich sezte mich nieder, und sah gegen die Ruhe der heitern Luft hinaus. Ich verließ an diesem Tage gar nicht mehr das Haus. Gegen Abend ging ich in den Gang, der im Norden des Hauses hinläuft, und sah auf den Garten hinaus. Auf einer freien Stelle, in welcher ein wei¬ ßer Pfad durch Wiesengrün hingeht, sah ich Mathil¬ den mit Natalien wandeln. Ich ging wieder in mein Zimmer zurück. Als es dunkelte, wurde ich zu dem Abendessen gerufen. Da Mathilde und Natalie in den Speisesaal ge¬ treten waren, lud mich Mathilde mit einem sanften Lächeln und mit der Freundlichkeit, die ihr immer eigen war, ein, an ihrer Seite Plaz zu nehmen. Ende des zweiten Bandes. Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.