F. C. Laukhards , Magisters der Philosophie, und jezt Lehrers der aͤltern und neuern Sprachen auf der Universitaͤt zu Halle, Leben und Schicksale, von ihm selbst beschrieben . Dritter Theil , welcher dessen Begebenheiten, Erfahrungen und Bemerkungen waͤhrend des Feldzugs gegen Frankreich von Anfang bis zur Blokade von Landau enthaͤlt. Nebst dem Bildnisse des Verfassers . Leipzig , in Commission bey Gerhard Fleischer dem Juͤngern. 1796 . F. C. Laukhards , Magisters der Philosophie, und jezt Lehrers der ältern und neuern Sprachen auf der Universitat zu Halle, Begebenheiten , Erfahrungen und Bemerkungen waͤhrend des Feldzugs gegen Frankreich . Erster Theil von Anfang desselben bis zur Blokade von Landau. Nebst dem Bildnisse des Verfassers . Leipzig , in Commission bey Gerhard Fleischer dem Juͤngern. 1796 . An den Leser . D a ich den unseligen Feldzug des Herzogs von Braunschweig gegen die Franzosen in den Jahren 1792 und 93 mitgemacht, und hernach vom Monat September 1793 bis in den Februar 1795 mich in Frankreich herumgetrieben habe, so kann sich der Leser schon vorstellen, daß ich ihm in der Fortsetzung meiner Lebensgeschichte Manches liefere, das ihn eben sowohl unterhal- ten, als uͤber gar Vieles belehren kann. Schon dieses, und dann der Gedanke, daß der Theil des Publikums, welcher meine Jugendstreiche, akademische Possen und andere Schwindeleyen nicht ohne Vergnuͤgen gelesen hat, auch das mit Interesse und Nutzen lesen werde, was einer allgemeinen und hoͤhern Aufmerksamkeit werth ist, mußte mich bestimmen, meine Lebensge- schichte fortzusetzen. Freilich werden Manche es ungern sehen, auch wohl gar uͤber mich zuͤrnen, daß ich bey der Erzaͤhlung meiner und anderer Begebenheiten, ihrer namentlich gedacht, und vielleicht einiges von ihnen erzaͤhlt oder uͤber sie bemerkt habe, das sie freilich gern ganz unberuͤhrt wissen moͤgten. Aber wozu dieß in einem Zeitpunkte, wo die Begebenheiten zuviel Interesse haben, um sich nicht selbst zu verrathen und zu charakterisiren! Und wenn selbst die Staatsschriften von England, Frankreich und Deutschland die Fehler ihrer Verfassung und Verwaltung gegenseitig haar- scharf durchgehen, und die Handhaber derselben, sie moͤgen auf dem Throne oder im Felde wirken, zur oͤffentlichen Pruͤfung oft nicht zum ruͤhmlich- sten aufstellen — wie wir dieß entweder in jenen Staatsschriften selbst, oder auszugsweise in un- sern Zeitungen und Journalen: im Moniteur, im political Magazin, im Londner Chronikel, in Girtanners und Posselts Annalen, in Archenholzens Minerva, in der neuesten Geschichte der Staaten und der Menschheit, in der Klio, in den Beytraͤgen zur Geschichte der franzoͤsischen Revolution und anderwaͤrts fin- den —: so waͤre es thoͤrig, einem einzelnen Re- ferenten das verargen zu wollen, was der gan- zen Welt schon vor Augen liegt, aber nicht im- mer unpartheyisch, und oft sehr mangelhaft. Ueberdieß sind die Begebenheiten, welche ich er- zaͤhle, groͤßtentheils alle so beschaffen, daß nicht das geringste falsche Licht auf die Personen fal- len kann, die ich genannt habe; und wenn ich die Emigranten und einige Andere ausnehme, deren ich eben nicht im Besten gedenke, so bin ich uͤberzeugt, daß alle andere, Große und Min- dergroße, es mir durchaus nicht verargen koͤn- nen, daß ich mein Publikum mit dem, was sie thaten, bekannt zu machen suche. Kein Mensch hat mehr Ursache, recht zu thun, und die Regeln der Bravheit genauer zu befolgen, als der, welcher irgend eine Rolle auf dem Kriegstheater zu spielen hat: denn da wird alles, von Freund und Feind, auf die verschie- denste Art erklaͤrt, und der groͤßte Held bringt nur mit Muͤhe seinen ehrlichen Namen aus dem Fel- de. Im gegenwaͤrtigen Kriege ist diese Wahr- heit sehr sichtbar geworden; und Maͤnner, de- ren Muth, Gerechtigkeitsliebe und militaͤrische Talente noch im Fruͤhling 1792, gleichsam als ausgemacht angenommen, und allgemein aner- kannt waren, erschienen schon in selbigem Jahre, nach der ungluͤcklichen Expedition nach Cham- pagne, in einem sehr zweydeutigen Lichte, und alles, was sie hernach im Felde noch thun konn- ten, war nicht im Stande, sie von Vorwuͤrfen zu retten, welche der Ehre solcher Maͤnner aͤußerst nachtheilig seyn mußten. Man sage nicht, daß das einmal erworbene Ansehen dieser Verunglimpften hinlaͤnglich sey, den Folgen nachheriger schiefer Urtheile vorzu- beugen: denn gegen Urtheile hilft kein Ansehen, welches ohnehin wechselt, wie das, worauf es beruht; und die Nachwelt urtheilt allemal — nach schon gefaͤllten Urtheilen; aber nach Urthei- len von Sachkundigen und Unpartheyischen. Denn welcher Vernuͤnftige wird den Trajanus fuͤr das halten, wofuͤr ihn Plinius in seinem Panegyrikus ausgiebt, oder Karl, den Sechs- ten, so nehmen, wie ihn die praͤkonisirende Bio- graphie des Hn. von Schirach aufstellt? Wahr- heit entscheidet am Ende immer; und so nuͤtzet unverdientes Lob eben so wenig, als unverdien- ter Tadel schadet. Der selbststaͤndige, billige Mann bleibt also um beyde unbekuͤmmert, und erwartet sein Recht von der sichtenden Nachwelt. Ich glaube, Buͤcher von der Art, wie die Fortsetzung meiner Biographie ist, sind besonders schicklich, unbefangne Leser in den Stand zu setzen, richtig und ohne Gefahr, zu irren, uͤber manche Vorfaͤlle des Krieges gegen die Franzosen sich zu unterrichten, und viele Personen, welche daran Antheil hatten, nach Verdienst zu wuͤrdigen. Ich habe kein Interesse, jemanden zu loben, oder zu tadeln. Ich lebe zwar noch im Preu- ßischen: allein keine Seele, die in diesen Staaten einiges Gewicht haͤtte, wird von mir, wegen Wohlthaten, geliebt, oder wegen Beleidigungen, gehasset. Ich stehe nicht in der geringsten Verbin- dung, und kann in einer einzigen Viertelstunde allen meinen Verhaͤltnissen mit den Preußen ein Ende machen. Ich habe also zu Lob und Tadel noch weniger Ursache, als der ehrliche Tacitus hatte, welcher ( Hist. L I. C. II. ) bekennen mußte, daß zwar Galba, Otho und Vitellius ihm weder Gu- tes noch Boͤses erwiesen haͤtten ( nec beneficio nec injuria sibi cognitos ), daß er aber unter Vespasianus, Titus und Domitianus immer in Staatswuͤrden und Aemtern hoͤher gestiegen sey. Aber, sezt er hinzu, da ich einmal aufrichtig zu seyn versprochen habe, so muß ich jeden ohne Vorliebe, und ohne Haß nennen. Ich finde zwar, daß man sogar in oͤffentli- chen Schriften aussprengt: der Kronprinz von Preußen lasse mich einen Gehalt genießen, als eine Belohnung fuͤr meine Mission Unter andern geschieht dieß im II. B. des Fran - zoͤsischen Freyheitskriegs , S. 25. : allein man sprengt gar vieles aus! Freilich wenn es wahr waͤre, dann haͤtte das Publikum ein Recht bey mir vorauszusetzen, daß ich von diesem Prin- zen, und von der Armee, bey welcher er eine Zeitlang ein Kommando gefuͤhrt hat, vielleicht anders sprechen moͤgte, als ich nach meiner Ueberzeugung haͤtte sollen. Aber ich erklaͤre hie- mit ganz unbefangen, daß ich nicht die geringste Pension genieße, und daß ich auch ganz und gar keine Hoffnung habe, jemals von seiner Hoheit im geringsten unterstuͤzt zu werden: — vielleicht versperrte ich mir durch eigne Schuld den Weg dazu. Aber ob ich gleich noch immer uͤberzeugt bin, daß ich nach der Aufopferung dessen, was ich hatte, indem ich mich blos um dem Kronprinzen zu dienen, und mich seiner Gnade zu empfehlen, in die Gefahr begab, mein Leben auf eine schimpf- liche Art zu verlieren, allerdings auf einige Unterstuͤtzung zu hoffen das Recht hatte, so kann ich doch diesem vortrefflichen Herrn die Schuld nicht beymessen, daß ich ohne die versprochne Huͤlfe von seiner Seite bleibe, und dadurch ge- noͤthiget bin, Maͤnnern laͤstig zu seyn, welche blos Menschengefuͤhl veranlaßt, mich in allen Stuͤcken nach ihrem Vermoͤgen zu unterstuͤtzen. Es giebt zwischen einem Fuͤrsten, wie der Prinz von Preußen ist, und einem armen Teufel, wie ich bin, eine zu große Kluft: er kann sich nicht so tief herablassen, um meine Lage kennen zu lernen, und ich kann mich bis zu ihm nicht erhe- ben, um ihn daruͤber zu belehren. Ich habe mich also uͤber alle wirkliche und moͤgliche Verhaͤltnisse hinausgesezt, und gerade so erzaͤhlt, wie ich die Sachen selbst erfahren habe, und hoffe, daß meine Leser hiernach von allen meinen Nachrichten urtheilen werden. Vielleicht macht man mir den Vorwurf, daß ich uͤberhaupt eine gewisse Neigung fuͤr das Sy- stem der Neufranken blicken lasse, und zaͤhlt mich vielleicht auch zu jenen, welche bey den politischen Kanngießern unsers Vaterlandes unter dem ver- haßten Namen der Jakobiner oder Patrioten be- kannt sind. Ich gestehe ganz offen und ohne alle Furcht, daß ich durch meine Erfahrungen gelernt habe, von dem System der franzoͤsischen Republik bes- ser und richtiger zu urtheilen, als mancher poli- tische Journalist, der aus Eigennutz, Haß oder Schreibsucht, blos raͤsonniren und schimpfen will. Ich habe von den Franzosen in ihrem eignen Lande keine Ungerechtigkeit erlitten; und ob ich gleich schon in Landau als Emissaͤr der Preußen verdaͤchtig war, und hernach in Dijon und be- sonders in Macon beynahe voͤllig uͤberfuͤhrt wurde, das Werkzeug eines verraͤtherischen Anschlags gegen die Republik gewesen zu seyn, so wurde es mir doch nicht schwer gemacht, mich gewisser- maßen zu rechtfertigen, und wurde, wo nicht fuͤr voͤllig schuldlos erklaͤrt, doch sofern losgesprochen, daß ich meine Freyheit wieder erhielt. Das Verfahren der Franzosen gegen mich war also edel, und unedel waͤre es nun von mir, wenn ich von ihren Anstalten gegen meine Ueber- zeugung schiefe Urtheile auftischen und Luͤgen ein- mischen wollte, um die ohnehin schon so verkannte und verhaßte Nation noch verhaßter zu machen. Und so viel von den oͤffentlichen Nachrichten, welche ich in meinem Werkchen liefere. Was die Geschichte meiner eignen Angelegenheiten be- trifft, so hoffe ich, daß meine Leser keine Lange- weile daran haben werden. Meine Lage bestimmte mich, so zu handeln, wie ich handelte, und der billige Leser wird sich nicht wundern, wenn Lauk- hard, der seit 1775 in staͤtem Wirrwarr des Uni- versitaͤten- und Soldatenlebens gewesen ist, nicht handeln konnte, wie er wuͤrde gehandelt haben, wenn ihm das Gluͤck eines ruhigen Lebens zu Theil geworden waͤre. Es giebt Lagen in der Welt, die man troz alles guten Willens wenig aͤndern, und noch weniger verbessern kann; und von dieser Art ist die meinige: das fuͤhle, das er- fahre ich alle Tage. Wozu waͤre nun mein Be- streben, meine Gesinnungen zu verlaͤugnen, und eine Maske vorzunehmen, die mich unkenntlich machte? Außer diesem dritten Theile wird naͤchstens noch einer erscheinen, welcher meine Begeben- heiten in Frankreich, meinen Aufenthalt bey den Schwaben, und meine Ruͤckkehr nach Halle enthalten wird. Daß dieser Theil der vorzuͤg- lichste in Ruͤcksicht der Geschichte, und der Laͤn- der- und Voͤlkerkunde seyn wird, versteht sich von selbst; und wenn das Publikum bisher meine Biographie mit einiger Theilnahme gelesen hat; so hoffe ich, daß der Schluß derselben keines Le- sers Erwartung taͤuschen wird. Mit den Herren Recensenten habe ich ganz und gar nichts zu schaffen. Die Herren sind ja Kunstrichter, oder wenigstens wollen sie es seyn: ich aber schreibe weder nach der Kunst noch fuͤr die Kunst: also —. Wollen sie sich aber dem ohnerachtet mit mir zu thun machen, je nun, in Gottes Namen! Meinen Freunden und Bekannten, deren ich viele habe, und worunter gewiß viele recht- schaffne Maͤnner sind, empfehle ich meine Bio- graphie im besten. Sie koͤnnen versichert seyn, daß sie dadurch, daß sie den Absatz derselben be- foͤrdern helfen, mir einen wesentlichen Dienst er- weisen. Geschrieben zu Halle, den 29ten September, 1796. Erstes Kapitel. Begebenheiten waͤhrend des Marsches von Halle bis Coblenz. A m Ende des zweiten Bandes meiner Lebens- beschreibung habe ich meinen Lesern berich- tet, daß ich eben damals, als ich jenen Band en- digte, bestimmt war, mit dem Thaddenschen Re- giment, worunter ich zu der Zeit noch diente, und mit den uͤbrigen Preußischen Truppen den beruͤhm- ten und beruͤchtigten Feldzug gegen die Neufranken mit zu machen: was ich nun seit jener Zeit, oder seit dem Fruͤhlinge des Jahres 1792 bis auf meine Zuruͤckkunft nach Halle im Herbst 1795, merkwuͤr- diges mitgemacht und erfahren habe, soll den In- halt der Fortsetzung meiner Lebensgeschichte aus- machen. Es war wirklich schade, daß ich auf dem endlich mit Ernst angetretenen Wege zu einer regelmaͤßi- Dritter Theil. A gern und konsequentern Lebensart, worauf mich rechtschaffene Freunde und eigenes Nachdenken uͤber meine dissol te Lage gefuͤhrt hatten, durch den Feld- zug aufgehalten und allen Verfuͤhrungen zu einem wuͤsten Leben, das mit Feldzuͤgen allemal verknuͤpft ist, wieder preis gegeben wurde. So wollte es aber das Schicksal; und wenn meine Leser dem ohnge- achtet sehen, daß ich — ich will nicht sagen, besser — doch nicht schlimmer geworden bin, als ich zu der Zeit war, da ich Halle verließ: so muͤssen sie, wenn sie billig seyn wollen, doch schließen, daß ich noch nicht ganz verdorben, oder aller und jeder moralischen Empfindung und Besinnung unfaͤhig gewesen sey. Niemand ist dem Eigenlobe mehr Feind, als ich: ich fuͤhle zu sehr meine eigene Unwuͤrdigkeit, und weiß, wie viel ich von der Achtung Anderer durch meine ehemalige Lebensart habe verlieren muͤssen: ja, ich sehe das Bestreben, diese Achtung mir wie- der ganz zu erwerben, beynahe als einen Versuch an, das Unmoͤgliche moͤglich zu machen. Ich habe daher alle Hofnung dazu auch laͤngst aufgegeben. Aber, und nicht erst von heute an, habe ich noch immer den festen Vorsatz, mein Betragen so einzurichten, daß es keinen veranlasse, mich als einen Menschen zu verschreien, der die oͤffentlichen Sitten beleidige, und schwache Menschenkinder durch ein boͤses Bey- spiel zu boͤsen Handlungen verleite. Wie weit ich dieses geleistet habe, und fernerhin zu leisten im Stande seyn werde, moͤgen meine Leser aus dieser Fortsetzung selbst abnehmen. Mein Individuum ist indeß immer das gering- ste, was dieses Werkchen dem Publikum interessant machen soll. Ich war Zuschauer und Mitakteur, obgleich einer der geringsten, wenn gleich nicht ge- rade der kurzsichtigsten, auf einem Theater, worauf eine der merkwuͤrdigsten Tragikomoͤdien unsers Jahr- tausends aufgefuͤhrt worden ist. Freylich haben Andre da auch mitzugesehn; aber da jeder seine eigene Art zu sehen und zu bemerken hat, so will ich das, was ich gesehen, und wie ich es ge- sehen habe, Ihnen, meine braven Leser, nun herer- zaͤhlen; und ich hoffe, oder vielmehr, ich weiß es gewiß, daß Ihnen meine Erzaͤhlung, durch reellen Unterricht und durch reichen Stoff zum Vergleichen und Nachdenken, alle Muͤhe hinlaͤnglich ersetzen soll, die Sie Sich nehmen werden, mein Buch durchzu- lesen, oder — wenn ich nicht aus Duͤnkel spreche — durchzudenken. Mein Abschied aus Halle hat mir sehr wehe ge- than: ich trennte mich zwar nicht, wie die mei- sten Soldaten, von einer Frau, oder, was noch weher thun soll, von einem Maͤdchen; aber ich ver- ließ Freunde, welche es wahrlich gut mit mir meyn- ten, und die ihre Freundschaft mir so oft und so thaͤtig bewiesen hatten. Wer den Werth der Freund- schaft nur leise fuͤhlt, und von einem wahren Freunde je geschieden ist, der kann sich vorstellen, mit wel- chen bittern Empfindungen ich Halle verlassen habe. Ich hatte mich mit allem Noͤthigen, in sofern ein Tornister es fassen kann, hinlaͤnglich versehen; und durch die Bemuͤhungen des Herrn Bispink , dessen große Verdienste um mein moralisches und oͤkonomisches Wesen schon zum Theil aus dem zwey- ten Bande dieses Werkchens bekannt sind, war meine Boͤrse in gutem Stande. Den lezten Abend — es war den 13ten Jun. 1792 — brachte ich in Gesellschaft einiger andern Bekannten noch recht vergnuͤgt bey Hn. Bispink zu: uͤber die Kirschsuppe, die mir damals, als mein Leibessen, Madame Bispink vorsezte, haben her- nach unsere Koͤnigliche Prinzen, denen ich davon er- zaͤhlte, mehrmals mit mir gespaßt. Morgens den 14ten Junius zog unser Regi- ment von Halle aus. Es schwebten allerley Em- pfindungen auf den Gesichtern der Soldaten: die wenigsten zogen freudig davon, doch ließen nur we- nige Thraͤnen erblicken; und die, welche ja nasse Au- gen sehen ließen, wurden von ihren Nachbarn be- straft, die es fuͤr unanstaͤndig halten wollten, daß der Soldat — weine. Viele, gar viele Soldaten ha- ben aber Weiber: denn bey den Preußen ist es nicht, wie bey den Oestreichern, wo der Soldat sehr schwer zum Heurathen gelangt; Bey der jetzigen Neufraͤnkischen Armee giebt es auch wenig Verehligte; aber nicht, als ob es dem republikanischen Sol- daten verboten sey, zu heurathen, sondern weil man nur Le- dige, als andere, ausgehoben, und die Verheuratheten zu Hause gelassen hat. und wenn gleich, aus bekannten Ursachen, die meisten verehligten Sol- daten ohne Erben bleiben: so haben doch auch man- che, besonders die vom Lande, Kinder, und da haͤlt es denn hart, sich von ihnen zu trennen. Wer keine Frau oder Kinder hat, hat doch eine Lieb- schaft, sollte sie auch von der untersten Gattung und aus der Klasse derer seyn, die, nebst den Soldaten unsrer Fuͤrsten, ein neuer launiger Schriftsteller zu den allerverdientesten Staͤnden rechnet. In den Beytraͤgen zur Geschichte der franzoͤsi - schen Revolution , ist (Stuck 3. Seite 572) ein artiger biblisch-politisch-ekklesiastisch-oͤkonomischer Beweis zu finden: daß die Toͤchter der Freude, oder nach biblischem Ausdruck die Huren, außer dem edlen Soldatenstande, den verdienstlichsten Stand ausmachen. Auch von solchen Liebschaften trennt man sich nicht gerne. Lauter Ursachen, warum unsre Soldaten mit schwe- rem Herzen ihre Garnison verließen. Vor dem Thore kam Hr. Bispink noch ein- mal zu mir, und brachte eine Flasche Wein mit, welche wir ausleerten, oder vielmehr, welche ich in seiner Begleitung leerte, und darauf endlich von diesem treuen Freunde mit allen Empfindungen schied, deren ich damals im Tumulte faͤhig war. Unser erste Marsch war kurz, doch waren wir, als wir ins Quartier kamen, durchaus vom Regen naß, vergaßen aber dieses kleinen Ungemachs bald, da die saͤchsischen Bauern uns nach ihrem Vermoͤgen gut bewirtheten. Am andern Tage hatte ich schon einen Wort- wechsel mit einem saͤchsischen Kandidaten der Theo- logie. Dieser sollte eine halbe Stunde von unserm Quartier fuͤr den dasigen Hr. Pfarrer auf den Sonn- tag predigen. Unterwegs war ihm der Durst ange- kommen und so kehrte er in eine Schenke ein, wor- in ich mich gerade auch befand. Ich sah ihm so- gleich am Aeußern an, daß er ein Kandidat des h. Predigtamts war, und ließ mich mit ihm in ein Gespraͤch ein. Er sagte mir, daß er nun schon uͤber sechszehn Jahre Kandidat sey, weil er kein Geld habe, um bey dem Konsistorium um Freunde zu werben, wo, wie beynahe uͤberall, Geld das Haupt- verdienst ausmache, u. s. w. Ich merkte, daß es in Sachsen gehen mag, wie in der lieben Pfalz, und daß man durch Geld sich auch hier, wie aller Orten, den Weg in den Schaf- stall des Herrn oͤffnen muͤsse. Beyher erzaͤhlte mir der Herr Kandidat, der auch zugleich Magister der Philosophie war, worauf er sich aber nicht viel einzubilden schien, daß die Herren Prediger in Sachsen gewaltig kommode Herren waͤren, welche immer fuͤr sich von Kandidaten predigen ließen, und selbst auf ihrem Loderstuhle ruhig sitzen blieben, und ihre Einkuͤnfte bey einem Glase Bier oder Wein, und einer Pfeife Tobak verzehrten. Ich finde dieses indeß recht gut; denn waͤren die Herren nicht so kommode: so wuͤrde mancher Kan- didat gar manchesmal schmale Bissen essen muͤssen, so aber wird er stattlich traktirt: und einige gute Mahlzeiten sind doch immer werth, daß man da- fuͤr eine halbe Stunde — salbadere. Als wir den dritten Morgen fruͤh das Quartier verlassen wollten, hatte ich meine Uhr auf dem Stroh liegen lassen. Meine Kameraden und ich suchten danach, und einer derselben, Namens Schrader, dem ich sonst manchen Gefallen erzeigt hatte, fand sie, gab sie aber erst wieder heraus, als ich ver- sprochen hatte, dem Finder ein gutes Biergeld zu reichen. Das war allemal ein sehr schlechtes Stuͤck- chen von einem Kameraden! In Weimar hatte ich mein Logis bey einem Seiler, dessen Vetter, ein Pastor vom Lande, in die Stadt gekommen war, den Preußen mit zu zu- sehen. Er speisete mit uns zu Mittage, und da er an mir, wie natuͤrlich, nichts anders vermuthete, als einen Soldaten von gemeinem Schlage: so fuhr er mit einem erbaulichen Sermon uͤber die Kraft des Gebetes, bey den Gefahren des Krieges, etwas feierlich heraus. Ich hoͤrte zwar anfangs gelassen zu, konnte mich aber endlich, als er zu theologisch- plump ausfiel, nicht laͤnger halten, und stellte das Gebet — in der gewoͤhnlichen Form — als eine im- pertinente, unsinnige Vorschrift auf, die man sich er- dreistete, der Gottheit vorzuwinseln oder haarklein vorzumalen: darauf griff ich das an, was man, meiner Meynung nach, sehr irrig Vorsehung Gottes zu nennen pflegt. — Der Hr. Pastor stuzte ge- waltig, und verlohr gar die Sprache, als ich ei- nige Wort-Unterschiede vorbrachte, auf die er wohl schwerlich je studiert hatte. Auf dem ganzen Marsche bis Gießen habe ich weiter nichts erfahren, das des Erwaͤhnens werth waͤre: wir wurden aller Orten, wohin wir kamen, sehr gut aufgenommen und behandelt. Bey Wal- tershausen, einem Gothaischen Staͤdtchen, sahe ich die muntern und raschen Zoͤglinge des Hn. Salz - mann , und sprach mit einigen ihrer Lehrer, vor- zuͤglich mit meinem Freund, Hn. Guͤnther , den ich ehedem auf Universitaͤten gekannt hatte. In Eisenach machte ich eine sehr ange e Bekanntschaft mit Hn. Rath Wolff , der mich dem Hn. Generalsuperintendent Schneider vorfuͤhr- te. In der Person dieses wuͤrdigen Mannes fand ich einen Geistlichen, der einen wirklich, so lange man bey ihm ist, die abscheuliche Seite seines Stan- des vergessen macht. Ich habe wenig Maͤnner kennen gelernt, die mit Herrn Schneider zu vergleichen waͤren. Seine Gelehrsamkeit ist be- kannt, und von seinem rechtschaffenen Betragen zeugt die allgemeine Hochachtung und Liebe der Eisenacher. Ich vermuthete, daß er, weil Herder ihm vorgezogen war, eben kein Freund von Herdern seyn koͤnnte: ich lenkte also das Gespraͤch absicht- lich auf diesen Mann, und wurde gar angenehm uͤberrascht, als ich Hn. Schneider mit Enthu- siasmus von den großen Verdiensten Herders reden hoͤrte. Nach Hn. Schneiders Zeugniß, worin freylich das ganze aufgeklaͤrtere Publikum einstimmt, ist Herder die Zierde unsers Vater- landes, der hellste Kopf, der groͤßte Kenner des Guten und Schoͤnen, der lebhafteste deutsche Stilist und der waͤrmste Verfechter des Wahren, Guten und Schoͤnen. Weimar kann stolz seyn, in ihm einen der ersten Maͤnner unsrer Nation zu besitzen. — Wie gesagt, das, was Hr. Schneider von Herdern sagte, hat mich uͤberrascht; denn ich wußte, daß beyde einmahl in Wahl-Kollision ge- kommen waren: um desto mehr aber mußte ich den Mann schaͤtzen, der des andern Verdienste so un- partheiisch wuͤrdigte. Uebrigens wird Hr. Schnei- ber gar wohl zufrieden seyn, daß er nicht die Wei- marsche, sondern die Eisenachsche Superintenden- ten-Stelle erhalten hat. Denn diese ist eintraͤg- licher und bequemer; und der Superintendent zu Eisenach kann in seiner Didces weit ungehinderter und freyer handeln, als der zu Weimar. In Hersfeld, einer Hessischen Stadt an der Ful- da, kam es zwischen einigen von unsern Soldaten und einigen Buͤrgern im Wirthshause zum Stern zu Haͤndeln, welche beynahe in Schlaͤgerey aus- artete. Die Buͤrger saßen am Tische, tranken ihr Bier, und besprachen sich uͤber die Zeitgeschichte. Sie aͤußerten ihr Misvergnuͤgen uͤber das Verfah- ren ihres Herrn Landgrafen, der nun abermals seine Landeskinder, als Soldaten, zum Behufe des Fran- zosenkriegs verhandelte, und fuͤr den Landbau und an- dere Gewerbe weiter nichts zuruͤckließe, als Kin- der, Weiber, Kruͤppel und Greise. Das fuͤhrte sie immer weiter, und da kamen sie darauf, daß man uͤberhaupt nicht Ursache haͤtte, die Franzosen anzugreifen: diese haͤtten ja recht u. s. w. Unsre Soldaten, die freylich damals noch nicht so dachten, wie jezt, legten sich drein, und behaupteten gerade- zu, daß die Franzosen Spitzbuben, schlechte Kerls u. d. gl. seyen, daß man sie vertilgen muͤsse; und wer ihnen das Wort rede, sey gleichfalls ein schlech- ter Kerl, ein Patriot. Dabey schlugen sie — sie hatten alle eine Schnurre — mit den Saͤbeln auf den Tisch, daß die Splitter davon fuhren. Aber die Hessen, die vor Soldaten sich eben nicht fuͤrch- ten, verbaten sich das Schimpfen; und als unsere Leute dennoch fortmachten, und sogar einige Kruͤge und Glaͤser zerschmissen, griffen die Buͤrger zu, und es wuͤrde eine derbe Pruͤgeley gesezt haben, wenn nicht ein Offizier dazu gekommen waͤre, und den Friedensstifter gemacht haͤtte. Es wundert mich daher sehr, daß ein Goͤchhausen in Eisenach, in seiner abgeschmackten Sudeley von Wanderungen, so viel Aufhebens macht von der Anhaͤnglichkeit der Hessen an ihrem Landgrafen, und von der Billigung, womit sie alles guthei- ßen sollen, was er unternehme, u. s. w. um sich vom Gegen- theile zu uberzeugen, darf man nur das erste beste Wirths- haus in Hessenland besuchen. Satyren oder Ironien von Goͤch- hausens Art — wen treffen die am schimpflichsten? Ein edler Mann verabscheuet die Hohl- und Krummwege des - en. — In Nordeck wohnt der Kammerherr von Rhau auf einem Schlosse, das einen hohen Berg bekroͤnt, und eine ganz vortrefliche Aussicht hat. Ich besuchte ihn, und bessern Rheinwein, als ich hier trank, habe ich seitdem nicht wieder getrunken. Es war Niersteiner von 1748. Gute Gaben aus den Haͤnden guter Menschen erquicken doppelt. Wir waren noch eine gute Stunde von Gießen, als schon Studenten und Buͤrger uns haufenweise entgegen zogen. Ohne Ruhm zu melden, muß ich sa- gen, daß ich an diesem Entgegenzuge vielen Antheil hatte: denn die guten Leute waren begierig, den Laukhard wieder einmal zu sehen, der ehedem eine so eklatante Rolle in Gießen gespielt hatte. — Sie entdeckten mich bald, und nun war ich wie umringt. Ich konnte kaum vorwaͤrts: von allen Seiten ertoͤnte: Da ist Laukhard! da ist Laukhard! — Unsre ganze Kompagnie kam in Unordnung; denn alles stuͤrzte hinein, um den alten Laukhard recht zu begaffen. Jeder hatte etwas anzubiethen, und wenn ich haͤtte wollen, wie sie: so waͤre Laukhard wieder à la Gielsen geworden. Unter den Neugierigen befand sich auch Hr. Chaste !, Lehrer der franzoͤsischen Sprache zu Gießen: er begleitete mich eine gute Strecke. Er war immer mein Freund gewesen, und glaubte, nichts boͤses zu thun, wenn er die alte Freundschaft wieder erneuerte. Koch , der seltsame Mann, fand dieses, wie ich erst vor kurzem auf meiner Ruͤckkehr nach Halle erfahren habe, sehr unrecht, und tadelte den Hn. Chastel in bittern Vorwuͤrfen: daß er einen so gottlosen Kerl, als Laukhard sey, habe begleiten koͤnnen: und seit dieser Zeit ist Koch dem ehrlichen Lektor nicht wieder gut geworden. Wohl ihm, daß, seit der jetzigen Regierung, Kochs Ansehn sehr gesunken ist, und daß Hr. von Ga - tzert ganz anders denkt und handelt, als — Koch . Wir maschirten gerade durch Gießen, und ka- men auf die naͤchsten Doͤrfer zu liegen, wo wir den folgenden Tag Rasttag hatten. Nachmittags kamen viele, wenigstens uͤber drey- ßig Studenten zu mir ins Quartier, brachten Wein und Eßwaaren mit, und wir machten uns nach Herzenslust einen frohen Tag. Ich mußte Ihnen versprechen, sie den folgenden Morgen in Gießen zu besuchen, und hielt Wort, da ich immer gern einen Ort wiedersehe, der mir ehedem so viel ange- nehme und unangenehme Stunden gemacht hat. Ich gieng also den andern Tag fruͤhe hinein, und fand, daß das gute Gießen nichts mehr und nichts weniger war, als — Gießen. Die Straßen waren noch eben so schlecht gepflastert, eben so schmutzig, als ehedem; und die Buͤrger und Buͤrgerinnen, samt den jungen Burschen und Maͤdchen, saßen noch, wie sonst, in den Bier- und Branteweinsschenken: kurz, Alles war noch beym Alten. Ich erkundigte mich nach der Beschaffenheit der Universitaͤt; konnte aber nichts erbauliches heraus- bringen. Die Universitaͤt hatte an Studenten sehr abgenommen, aber an Professoren gewonnen, we- nigstens der Zahl nach, wie in Halle, Leipzig, Jena und anderwaͤrts. Der Komment der Bursche hatte zwar jenes alte Rohe nicht mehr, wie ich es im ersten Theile dieses Werkchens beschrieben habe; er war aber doch eben auch nicht besser geworden: denn ehedem lebten die Herren Gießer wild, jezt leben sie — kindisch. Kinderey ist aber doch immer eben so schlimm, als Wildfaͤngerey. Meine Lebensbeschreibung war in Gießen flei- ßig gelesen worden. Da man voraussezte, daß ich sie zu seiner Zeit fortsetzen wuͤrde, so entdeckte man mir Anekdoten und skandaloͤse Histoͤrchen die Menge, und bat mich, dieselben dereinst mit anzubringen. Aber warum sollte ich mein Buch von neuem zum Repertorium der Gießer Skandale machen? Es sind, wie die Folge zeigen wird, ganz andere und weit wichtigere Berichte uͤbrig. Dann liegt ja auch dem lieben Publikum nicht viel daran, wenn es weiß, was die unbedeutende Frau Gemahlin dieses oder jenes unbedeutenden Herrn zur Beruͤhmtma- chung ihres Mannes beytrug! Verzeihen Sie mir also meine Herren zu Gießen, daß ich von alle dem, was sie mir so reichhaltig mittheilten, keinen Ge- brauch mache! Von den Professoren besuchte ich nur die Herren Koͤster und Roos : ich fand sie gegen mich noch immer so gut gesinnt, wie es Maͤnnern ansteht, die ihre Bekannten nicht nach der Kleidung beurtheilen. Mit Vergnuͤgen hoͤrte ich, daß die liebe Theo- logie an dem Doktor Bechtold fuͤr Gießen — denn außer Gießen ist Herr Bechtold wenig be- kannt — eine Stuͤtze verlohren haͤtte. So war es zwar schon 1787, wie ich im I. B. S. 83 erzaͤhlt habe. Aber seit dieser Zeit hat Hr. Bechtold sich noch mehr bekehrt, und 1793 gieng er schon so weit, daß er ganz frey erklaͤrte: alle Geheimnisse, Sakra- mente, und alle sogenannten uͤbernatuͤrlichen An- stalten Gottes zum Heile der Menschen seyen Pro- dukte der Unwissenheit, Furcht, Herrschs cht, oder der idealisirenden Phantasie; — die Bibel sey ein Buch, das die moralischen Einsichten der Men- schen durchaus nicht bestimmen koͤnne: in den Fa- beln des Aesopus und in Ovidius Verwandlungen fin- de man mehr Menschenverstand, und bessere mora- lische Maximen, als in den meisten Gleichnißreden Jesu: dieser sey zwar ein großer Lehrer fuͤr seine gleichzeitigen Juden gewesen; aber auch ein großer Schwaͤrmer u. d. gl. — So weit ist selbst Bahrdt , als er in Gießen haußte, nicht gegangen; und doch wurde Bahrdt damals verfolgt, und Hr. Bech - told bleibt im ruhigen Besitze seiner Aemter als Superintendent und als Professor. So sehr aͤndern sich Menschen und Zeiten! Auf meiner Ruͤckreise im October 1795 sprach ich bey dem Pfarrer Diefenbach in Reiskirchen ein: es ist der Vater meines Freundes, dessen ich im I. B. S. 112 gedacht habe. Dieser Mann, welcher noch ganz fest an Doctor Benners Notitia salutis haͤngt, erzaͤhlte mir die Fehden, welche er mit Bechtold schon gehabt haͤtte, und beklagte es sehr, daß ein Mann, der sonst ein Mann nach dem Herzen Gottes gewesen waͤre, und die Abhandlung: Calvinianorum Deus a sana ratione abhorrens ge- schrieben habe, nun ein voͤlliger Socinianer, wenn nicht gar noch was aͤrgeres geworden sey. Die skandaloͤse Chronik machte sich damals auch recht lustig uͤber einen Geistlichen zu Gießen, wel- cher bey einem Leichenbegaͤngnisse besoffen auf die Kanzel gestiegen war. Ich mag den Ehrenmann nicht nennen: in Gießen wissen aber die kleinen Kinder das Histoͤrchen. So sehr der sogenannte Komment auch abge- nommen hatte, so gab es doch noch Orden in Gie- ßen: sogar der Orden der Amicisten war noch da, hatte aber nicht mehr als drey Anhaͤnger, wovon der eine Senior, der andere Subsenior und der dritte Sekretaͤr war. Als wir aus Champagne zuruͤck waren, und im November 1793 bey Koblenz kan- tonnirten, schrieb der Hr. Landgraf von Darmstadt an den Hn. General von Thadden : er habe meine Historie gelesen, und daraus ersehen, daß ich viele Wissenschaft um daß Gießer Ordenswesen haben muͤßte; der Hr. General moͤchte mich daher uͤber einen und den andern Punkt befragen lassen, u. s. w. Dieses ließ Hr. v. Thadden durch unsern Auditeur denn thun, und ich benachrichtete den Fuͤrsten, so wie es meine Pflicht mit sich brachte, von dem Verfall und der Beschaffenheit der ganzen Gießer Universitaͤt, und fuͤgte einige unmaßgebli- che Vorschlaͤge zu ihrer Verbesserung hinzu. Da- hin gehoͤrte vorzuͤglich die Entfernung der Quodam- modariorum der Pandedistaxen und der Quacksalber, und die Anstellung braver geschickter Maͤnner zu Lehrern. Ich nahm mir auch die Freyheit, Sr. Durch- laucht manchen Vorschlag zur Ausrottung der Or- den anzugeben. Aber ohne Zweifel hat man mei- nen Plan unausfuͤhrbar gefunden, und ihn als ein pium desiderium hingelegt: denn noch im Herbste 1795 waren die Orden in Gießen, und die Quodam- modarii dozirten noch nach wie vor. Was diese sind, steht im I. B. S. 81. Mein Hauptmann, Hr. von Mandelsloh , war, wegen eines Anfalls von Fieber, in Nordeck zuruͤckgeblieben; und als er einige Tage nachher uns durch Gießen folgte, klagte bey ihm der Muͤller im Einhorn: daß ich ihn in meinen Beytraͤgen zu D. Bahrdts Lebensgeschichte einen groben, impertinen- ten Kerl genannt haͤtte. Er brachte aber die Klage in einem so groben Tone vor, daß Hr. von Man- delsloh ihm geradezu erklaͤrte: „Wenn Laukhard Sie einen groben Kerl genannt hat, so hat er nicht Dritter Theil. B geirrt: ich sah selten einen Menschen von groͤßerer Impertinenz, wie Sie.“ Da war denn der grobe Muͤller abgewiesen, nach dem Spruͤchelchen: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zuruͤck. Von Gießen bis Koblenz hatten wir gute Quar- tiere und leichte Maͤrsche. Bey Limburg an der Lahn sahe ich das erstemal Emigranten: sie waren praͤchtig bekleidet, auch stattlich beritten, und nann- ten sich la gendarmerie françoi e oder royale . Diese Gendarmerie bestand groͤßtentheils aus Edelleuten, und viele von ihnen trugen das croix de saint Louis. Zweytes Kapitel. Koblenz . Manifest . W ir kamen den 9ten Jul. 1793 in Koblenz an, und hier hoͤrte die Art von Subsistenz auf, welche wir bis dahin genossen hatten: denn bishiehin waren wir von Buͤrger und Bauer ernaͤhrt wor- den, und hatten kein Kommisbrod erhalten; jetzt aber erhielten wir dieses, und mußten fuͤr unsre Subsistenz von nun an selbst sorgen. Ich und noch drey Mann wurden in ein Haus einquartirt, worin weder Tisch, noch Stuhl, noch Bank zu sehen war. Der Hausherr war gestorben, und dessen Erben wohnten weit von Koblenz. Es war also unmoͤglich, da zu bleiben, zumal da auch weder Stroh noch Holz verhanden war. Ich lief also zum Hauptmann, und dieser wirkte uns, frey- lich mit Muͤhe (denn die Herren zu Koblenz auf der Billetstube waren gar ungeschliffene, massive Herren) einen Zettel aus, nach welchem wir in ein Benediktiner Nonnenkloster verlegt wurden. Hier war es nun ganz ertraͤglich; und nachdem ich mir durch mein bissel Latein die Gunst des Hn. Wolff , als des Oekonomen des Klosters, erworben hatte, reichte er mir vom aͤchten Moselwein mehr als ich verlangte, wenn er ihn gleich den Uebrigen sehr sparsam mittheilte. Pecu hauriat undam, sagte er; aber doctus vina: oder Vinum da Docto; Laico de flumine cocto — ganz nach der Kirchen- Oekonomie der katholischen Geistlichkeit, bey wel- cher pecus und laicus dem doctus und clericus gegen- uͤber steht. — Hr. Wolff war Priester, aber nicht der Beicht- vater des Klosters, welcher, wie ich merkte, ein herrschsuͤchtiger, stolzer Pfaffe war. Von den Wissenschaften hielt Hr. Wolff wenig, und außer seinem Brevier und Meßbuch vergriff er sich an kei- nem weiter. Vanitas vanitatum praeter amare Deum et bonum haultum vini bibere — war so sein Symbolum; und seine ganze Lebensart stimmte damit uͤberein. Die Franzosen haßte er von gan- zem Herzen, sowohl die Patrioten, weil sie der h. Kirche sich widersezten, als die Emigrierten, weil sie ein Wirthshaus, dem Kloster gegen uͤber, in ein Bordel verwandelt hatten. Ein Offizier unseres Regiments, Hr. Graf von Einsiedel , der auch in diesem Barbara- oder Baͤr- belkloster logirte, wuͤnschte meine Biographie zu lesen, und ich, um ihm zu willfahren, suchte dieselbe bey dem Buchhaͤndler in Koblenz: denn es ist nur Einer da. Der Buchhaͤndler, welcher nicht ein- mal ein Verzeichniß von seinem Buͤchervorrathe fuͤhrte, sagte mir kurzum: daß er dergleichen Schrif- ten gar nicht fuͤhren duͤrfte, selbst auch nicht fuͤhren moͤchte. Das seyen alles gottlose, gefaͤhrliche Buͤ- cher, besonders die von den Protestanten, oder wie er nach der damaligen Koblenzer Art sagte, von den Un- katholischen. Was von diesen komme, sey gar nicht rathsam, unter die Leute zu bringen: die Welt sey ohnehin pfiffig und arg genug! u. s. w. — Der Mensch raͤsonnirte beynahe, wie die Herren Verfasser der Censur-Edikte! Ich ließ ihn, und er- staunte uͤber den Vorrath von den Buͤchern des Pater Cochem , Aloysius Mertz und solcher mehr. Da unsere Leute nicht so viel Geld hatten, als die franzoͤsischen Emigranten, von welchen ich bald reden werde, so konnten sie nicht so viel ver- schleudern, als diese; und wir waren daher bey den eigennuͤtzigen Koblenzern gar niedrig angeschrie- ben. Die Leute sagten uns unverholen: Wir waͤren schrofe, garstige Preußen, und haͤtten die franzoͤsische Eleganz ganz und gar nicht. — Ein Kaufmann, in dessen Laden ich mich uͤber die schlechte Beschaffenheit seines Tobaks beschwerte, sagte mir gerade heraus: die Emigranten rauchten beynahe gar nicht; sonst wuͤrden die Koblenzer fuͤr guten Tobak gewiß gesorgt haben: dieser da — sey fuͤr die deutschen Voͤlker vollkommen gut: die haͤtten ohnehin nicht viel wegzuwerfen, und koͤnnten den theuren Tobak nicht bezahlen. Ich hatte mich uͤber diese und andere Imperti- nenzen der Koblenzer eines Tages sehr geaͤrgert, als ich bey meiner Zuhausekunft alle Ursache fand, meine muntere Laune zuruͤck zurufen. Der Her- zog Friedrich von Braunschweig , jezt re- gierender Fuͤrst zu Oels, den ich schon im ersten Bande als einen der ersten Menschen beschrieben habe, und den jederman dafuͤr anerkennt, hatte fuͤr gut gefunden, mir auf einen lateinischen Brief gleichfalls lateinisch zu antworten. Diesen Brief fand ich in meinem Quartier, und war uͤber die edlen Gesinnungen dieses ehrwuͤrdigen Fuͤrsten bey- nahe außer mir. Es ist wirklich uͤberaus angenehm, wenn man erfaͤhrt, daß noch große Maͤnner sich unsrer erinnern: man versoͤhnt sich dann wieder mit den Menschen, und ist uͤber den Schwaͤchling, der uns zu verachten meynt, nicht weiter boͤse, ja, wir duͤnken uns alsdann viel zu gut, als daß wir ihn auch nur mit Verachtung bestrafen sollten. Dieß war jezt mein Fall. Der Herzog versicherte mich nebenher: daß man mir den ganzen Feldzug hindurch, auf seine Veranstaltung, doppelte Loͤh- nung reichen wuͤrde; und diese habe ich auch bis zu meinem Uebergang nach Frankreich im Herbste 1793 richtig gezogen. Hier ließ nun auch der Herzog von Braun - schweig , als Generalissimus der vereinigten Ar- meen, jenes Manifest an die Bewohner Frank- reichs ausgehen, welches so viel Laͤrmen weit und breit erregt, den Politikern so reichen und mannig- faltigen Stoff zum Raͤsonniren und Deraͤsonniren geliefert hat, und eine der Hauptursachen geworden ist an dem Verfall des Koͤnigthums in Frankreich, an dem Ungluͤcke der Preußischen Armee, und an dem Tode des ungluͤcklichen Louis Capet und seiner Familie. — Ich enthalte mich aller An- merkungen uͤber diese Schrift: denn ich bin kein Politiker, kein Aristokrat, kein Demokrat. Doch muß ich dem Leser ein Gespraͤch mittheilen, welches ich lange Zeit hernach mit einem Buͤrger in Landau Namens Brion , gefuͤhrt habe. Es enthaͤlt den Hauptgrund von der Entwickelung und Concentri- rung der National-Energie der Neufranken. „Haben sie hier, fragte ich diesen einsichtigen Mann, das Manifest des Herzogs von Braun- schweig damals auch angenommen und gelesen?“ Brion : Allerdings! Man hat es hier zwar nicht annehmen wollen, als es ankam: Einige wollten es gar oͤffentlich verbrennen lassen, wie hier und da schon geschehen war; Das ist, wie ich auf meiner Wanderung durch Frankreich er- fuhr, in Metz und auch in Strasburg geschehen: im in- nern Frankreich hat man daruͤber gelacht. aber alle gutge- sinnten Patrioten, welche der Sache tiefer auf den Grund sahen, waren dafuͤr, daß das Manifest an- genommen und sogar oͤffentlich angeschlagen wer- den sollte. Ich : Und dazu konnten gutgesinnte Patrioten rathen? Brion : Allerdings: nicht um unsern Respekt gegen den Herrn Herzog zu beweisen: denn der hat uns nichts zu befehlen, sondern wegen der Fol- gen, die dieses Manifest bey unsern Leuten unfehl- bar haben mußte. Ich : Eben wegen der Folgen, duͤnkt mich, war es wohl nicht rathsam, das Ding oͤffentlich bekannt zu machen. Ich bitte meine Leser, zu bedenken, daß ich zu der Zeit, als diese Unterredung vorfiel, in den Haͤnden der Franzosen war, folglich den preußischen Ton nicht fuͤhren durfte. Wie, wenn die Leute erschrocken waͤren, und sich vor den angedrohten Strafen ge- fuͤrchtet hatten, und dann zum Kreuz gekrochen waͤren? Brion : So kann doch auch nur ein Preußi- scher Korporal raͤsonniren! Eine Nation, wie un- sere, sollte sich vor den Drohungen eines kleinen Reichsfuͤrsten, der nebenher General uͤber eine maͤßige Armee Preußen und Oestreicher war, fuͤrch- ten und nachgeben? Wenn so feige die Franzosen haͤtten seyn koͤnnen, so verdienten sie wahrlich, von einem Tyrannen tyrannisirt zu werden, der Beth- bruͤder, Verschnittene und Huren zu Vollziehern seiner Befehle machte. Ich glaube nicht, daß der Herzog, der doch auch Menschenverstand haben wird, dieses selbst je erwartet habe. Diese Folge konnte man also durchaus nicht voraussetzen, aber wohl andere und wichtigere. Ich : Und die waͤren? Brion : Nicht wahr, Freund, wenn einer, der Ihnen nicht eine Bohne zu befehlen hat, Befehle mit Gewalt aufdringen will, Was thun Sie? Ich : Ich gehorche nicht. Brion : Werden sie nicht auch uͤber die Im- pertinenz des Befehlers erboßen, und alles aufbie- then, um seiner Usurpation zu trotzen? Zwang erbittert die Schwaͤrmer immer, aber bekehrt sie nie: sagt Sekretaͤr Wurm in Kabale und Liebe von Schiller . Warum große Herren auf einige Wahrheiten der Natur nicht mehr Ruͤcksicht nehmen moͤgen! Uebertriebne Kunst faͤllt doch durch und wird veraͤchtlich, oder empoͤrt. Ich : Nicht anders! Brion : Nun, so mußten alle Franzosen das auch thun uͤber die Impertinenz und die Usurpa- tion eines fremden Generals, der viel zu schwach, und noch weit von ihren Graͤnzen war; und ihrer ganzen Nation in einem so gebietherischen Tone Gesetze vorschrieb, als wenn er wirklich mit seinen Soldaten zu Halberstadt, oder mit seinen Leibeig- nen zu thun gehabt haͤtte. Ist das nicht an dem? Ich : Ja wohl — aber — Brion : Ich verstehe schon, wohin das Aber zielt: doch davon nachher. Unsere Ehre, wie un- ser Recht, war durch dieses widersinnige und zweck- widrige Manifest vor der ganzen Welt compromit- tirt. Mußte nun nicht der feste Vorsatz bey jedem braven Ehr- und Rechtliebenden Franzosen rege wer- den, der Großsprecherey des Herzogs und der dar- auf folgenden Gewaltthaͤtigkeit aufs thaͤtigste zu widerstehen? Legte also nicht selbst das Herzogliche Manifest den haltbarsten Grund zu dem thaͤtlichen Widerstande, den er vom 20ten September 1792 an, immer empfunden hat? Ich : Also war es ja wohl eben so unpolitisch, als unmoralisch, so ein Manifest an Frankreich er- gehen zu lassen! Brion : Das versteht sich von selbst, wenn naͤmlich sonst, wie ich vermuthe, kein geheimer Grund das Manifest bewirkt hat. Denn waͤre der Herzog ohne alles Manifest, unter der bloßen Erklaͤrung, daß er die unterbrochene Ruhe in Frank- reich mit Huͤlfe aller Ruheliebenden Franzosen, wiederherstellen wollte, zu uns gekommen: so haͤtte man denken koͤnnen, daß aus seiner Unternehmung doch noch etwas Gutes fuͤr den armen bedraͤngten Buͤrger und Landmann entspringen duͤrfte. Aber so erklaͤrte er geradehin, daß er kein Gesetz wolle gelten lassen, als den unbedingten Willen Ludwigs des Sechszehnten; und da konnte wohl ein Distelkopf einsehen, daß man uns alsdann wieder unter das also und allgemein verhaßte Joch des Hofes, des Adels, der Pfaffen, der Finanziers und alles andern Lumpengesindels gewaltsam zuruͤckpreschen wuͤrde: und da haͤtte man sollen ruhig sitzen, oder gar noch huͤlfreiche Hand mit anlegen? Ich : Wohl nicht — aber — Brion : Jezt ein Wort auf Ihr Aber . Nicht wahr, Sie wollen sagen, daß der Herzog auf den Anhang des Koͤnigs und des Adels gerechnet, und so gehofft habe, es werde ihm alles zurennen, sobald er sich ihnen nur naͤhere. Aber wenn er dieses wirk- lich gedacht hat, so war er von der innern Be- schaffenheit Frankreichs und von dem regen und allgemeinen Willen des groͤßten Theils der Nation sehr schlecht unterrichtet. Niemand war mit der Neuerung unzufrieden, als der Hof, der Adel, die Pfaffen und die Finanziers: alle andere Franzosen, der Soldat, der Bauer, der Buͤrger, der Hand- werker und selbst der Kaufmann groͤßtentheils wuͤnschten die Revolution, und sahen in derselben die wohlthaͤtigste Anstalt fuͤr sich und fuͤr ihr Va- terland. Was ist aber der ganze Adel — Ich : der Adel ist die Stuͤtze des Staats! Brion : Der Adel Stuͤtze des Staats? dann muͤßte wohl auch ein Professor, der keine Kollegia ließt, Stuͤtze der Universitaͤt seyn! Nein, nur der einsichtige und fleißige Buͤrger ist dem Staate nuͤtz- lich, und folglich dessen Stuͤtze. Einsichtig und nuͤtzlich sind aber die Herren Adliche selten. Die meisten von ihnen leben bloß von dem Erwerb der arbeitenden Klasse, und tragen zum gemeinen Be- sten großentheils nicht einer Bohne werth bey. Ohne sie also kann der Staat recht gut bestehen; aber nicht ohne den Buͤrger und Bauer; ja, was diese verdienen, verzehren jene, und machen obendrein noch Schulden. Und wenn die gemeine Klasse der Nationen nur erst ihr Vorurtheil, ich meyne die blinde Ehrfurcht fuͤr Pfaffen und Adel, ablegt: dann kann sich der Pfaffe und der Edelmann nicht mehr stuͤtzen: er faͤllt von selbst: er kann hoͤchstens emigriren, kabaliren und Spektakel machen; aber thaͤtig sich und Andern helfen — kann er nicht. Der Herzog konnte also nur hoffen, daß der kleinste Theil der Nation auf seine Seite treten wuͤrde: den maͤch- tigern Theil behielt er immer wider sich. Also war es immer sehr unklug, auch unter dieser Vor- aussetzung, ein Manifest nach Frankreich zu schicken, zumal ein solches. — So Buͤrger Brion in Landau. Einige von uns sprachen schon damals in Koblenz nicht anders. Viele fanden den Ton darin zu derbe, und die Aeu- ßerungen des Verfassers zu voreilig. Uebrigens ist noch nicht ausgemacht, wer der ei- gentliche Verfasser davon sey. Der Ton und die Denkungsart des Calonne ist mehr als zu sicht- bar darin. Was fuͤr Meynungen uͤber die Entste- hung und die Absicht dieser beruͤchtigten Schrift, noch zu meiner Zeit, in Frankreich kursirten, werde ich an Ort und Stelle anbringen. Der Gang der Zeit wird noch mehr daruͤber aufhellen. Bis dahin bleibt es auf Rechnung des Herzogs von Braun- schweig. Ein Fuͤrst von so viel Einsicht und Ruh- me haͤtte nie einwilligen koͤnnen, daß etwas unter seinem Namen, vor aller Welt, diplomatisch kur- sire, das er nicht von Wort zu Wort gepruͤft und ge- billigt haͤtte. Drittes Kapitel. Franzoͤsische Emigranten . I n Koblenz bin ich mit einer großen Menge von den ausgewanderten Franzosen so genau bekannt ge- worden, daß ich mich nicht enthalten kann, ihnen ein eigenes Kapitel zu widmen: dieses schaͤndliche und schreckliche Ungeziefer kann noch immer nicht ge- nug an den Pranger gestellt werden. Diejenigen Deutschen, welche diesen Auswurf der Menschheit, zur Zeit ihres Sardanapalischen Hochlebens, nicht gesehen haben, koͤnnen sich ihre damalige Impertinenz leicht vorstellen, wenn sie nur die betrachten, mit der ein Ludwig der Acht- zehnte, samt Consorten, durch wiederholte unsin- nige Manifeste und Proclamationen, dem gesunden Menschenverstande jetzt noch immer troz biethen, auch nachdem alle Hoffnung fuͤr sie verschwunden, und sie selbst aufs aͤußerste gedemuͤthigt und ver- aͤchtlich geworden sind. Noch jezt sind diese cy- devant abgeschmackte Großsprecher, voll Dunkel und dummer Rachsucht. Wie tief muß diesen elenden Hof-Insekten der alte diplomatische Hofschlamm ankleben, und wie verpestet muß die Luft ehedem um sie gewesen seyn, da sie es jezt noch immer ist! Die haͤrtesten Stoͤße des Schicksals haben ihre adlichen Halbseelen noch nicht zur vernuͤnftigen Besinnung bringen koͤnnen: und so wandern sie, wie verdammte Scheusale, zur exemplarischen Belehrung fuͤr alle die, welche auf Vorrechte des Standes gestuͤtzet, die Rechte der Menschheit ihrer usurpirten Convenienz auf- opfern, und alles wie Sklav behandeln moͤgten, was nicht zum Hof, zum Adel oder zur Soͤldne- rey gehoͤret. Vielleicht meynen einige meiner Leser, daß man doch nun der Emigrirten schonen muͤsse, da sie, von der ganzen Welt verlassen, die Strafe ihrer rachsuͤchtigen oder leichtglaͤubigen Entweichung aus ihrem Vaterlande nur gar zu sehr fuͤhlen; und aus diesem Grunde verdenkt es mir vielleicht Mancher, daß ich die aͤrgerliche, empoͤrende Beschreibung ih- res Betragens vom Jahr 1792 jezt noch aufstelle. Auch ist der Grund, daß man den Gestuͤrzten nicht noch mehr niederdruͤcken muͤsse, stark genug, je- den, der Gefuͤhl hat, von der Verfolgung eines Elenden abzuhalten. Allein, so wahr und ehrwuͤrdig das alles fuͤr jeden Ungluͤcklichen im allgemeinen ist, ja, auch fuͤr manchen Emigrirten im besondern, so wahr ist es auch, daß die Haͤupter der Emigrirten, und deren erster, thaͤtiger Anhang durchaus es nicht ver- dienen, unter dieser menschenfreundlichen Bemer- kung mitbegriffen zu werden. Ich muß mich naͤ- her daruͤber erklaͤren, um den Vorwurf abzulehnen, daß ich Gefallen an dem Ungluͤcke Anderer finde. Ich will mich gar nicht auf die Verbrechen ein- lassen, welche die ausgewanderten Herren und Pfaffen in Frankreich vorher begangen, und da- durch sich sowohl an ihrer Nation, als an dem ganzen Menschengeschlechte versuͤndiget haben. Diese Verbrechen habe ich waͤhrend meines Aufent- halts in Frankreich von 1793 bis 1795 mehr als zu viel erfahren, und beschreibe sie in den Be - gebenheiten des Marquis von Vilen - çon dereinst ausfuͤhrlich. Ich frage nur: Ob ein Haufen zuͤgelloser, despotischer Menschen befugt war, sich den einhellig-reclamirten und viudicirten Vor- rechten, der rechtmaͤßigen Gewalt und den gemein- nuͤtzigen Anordnungen einer gerade durch sie aufge- wiegelten Nation nicht nur rebellisch zu widersetzen, sondern auch dann noch Anspruch auf das Mitleid und den Beistand anderer Menschen zu machen, nachdem sie alles versucht haben, und nach Moͤg- lichkeit noch versuchen, ihr bedraͤngtes Vaterland der schrecklichen Verwuͤstung preis zu geben, alle Maͤchte gegen dasselbe aufzuhetzen, und so Land und Leute weit und breit den verheerenden Folgen eines der entsetzlichsten Kriege bloszustellen: und das Alles, um nur ihre usurpirten und zum Ruin der Nation misbrauchten Vorrechte wieder zu et- ten, und dann den alten Despotismus, mit Ein- stimmung aller Despotielustigen, so zu befestigen und zu verallgemeinen, daß Menschenrecht bloß ein leeres Wort, und Fuͤrstenwille die einzige Richt- schnur unseres Frohnlebens forthin uͤberall gewor- den waͤre? Man bedenke dieß reiflich, und uͤber- sehe die Folgen nicht, welche die von den Emi- grirten betriebene gewaltsame Unterdruͤckung der Franzoͤsischen National-Reform, fuͤr alle uͤbrigen Voͤlker gewiß auch gehabt haͤtte; und sey alsdann denen noch hold, welche diese Unterdruͤckung haupt- saͤchlich zu bewirken strebten. Ueberdieß berechne man den schrecklichen Scha- den und das unzaͤhlige, mannigfaltige Elend, wel- ches die Sittenlosigkeit, die Luͤgen und die Auf- hetzerey der Emigrirten weit und breit gestiftet ha- ben, und frage sich selbst, was eine Bande werth sey, welche das Ungluͤck von Europa, vorzuͤglich von Deutschland, am meisten geschaffen hat? Man muͤßte, duͤnkt mich, weder Mensch, noch Deut- scher seyn, wenn man ein Gesindel beguͤnstigen wollte, welches das Alles verschuldet hat, und ne- benher doch noch mit Verachtung auf uns Deutsche herabblickt, als auf plumpe, unbeholfene Men- schen, welche nicht fuͤr gut fanden, in Masse auf- zustehen, um uns fuͤr die Vindicirung ihrer adli- schen und pfaͤffischen Vorrechte die Haͤlse brechen zu lassen, und am Ende zum schuldigen Dank in ein Joch hinein zu kriechen, wie ein Calonne, Artois und Condé es fuͤr die ganze Welt angemessen ge- funden haͤtten. — Die Fuͤrsten — das will, das muß ich noch sagen — welche diese cy-devant noch jezt aufneh- men und beguͤnstigen, moͤgen immer auf ihrer Hut seyn: denn bey der geringsten unruhigen Begeben- heit wuͤrden diese unstaͤten, herrschsuͤchtigen Geister Parthey nehmen, und das Arge aͤrger machen hel- fen. Auch moͤgen sie es nicht uͤbersehen oder uͤber- hoͤren, mit welcher Verachtung man jezt von Fuͤr- sten spricht, welche den Emigrirten Vorschub gelei- stet, und dadurch Frankreichs Unwillen gegen Deutschland so gereizt haben, daß Deutschland in Jahrhunderten es nicht vergessen wird: daß die Unklugheit vieler seiner Fuͤrsten all das Ach und Wehe mitverschuldet hat, das ganz Deutschland noch lange fuͤhlen wird. Dritter Theil. C Und welcher einsichtige Unterthan koͤnnte Ach- tung und Zutrauen zu einem Fuͤrsten hegen, der Leute beguͤnstiget oder gar um sich hat, deren ge- kraͤnkter Stolz und Egoismus gegen alles, was Volk heißt, ewig Rache kochen und darum auch nicht aufhoͤren wird, die hoͤhern Staͤnde gegen die untern aufzuhetzen! — Aspekten von dieser Art entzweyen immer mehr, heben alles Zutrauen, und lassen fuͤr die Zukunft nicht viel Gutes erwarten. Der Koͤnig in Preußen hat vollends keine Ur- sache, diesen Auswurf der Menschheit zu hegen oder zu schuͤtzen: sie hassen ihn alle, und sprechen mit der bittersten Verachtung von ihm, seitdem der Separatfriede zwischen den Neufranken und ihm geschlossen ist. Sie prophezeihen — wie Schrif- ten von ihnen ausweisen — dem Hause Preußen noch obendrein, nach ihrer tollen Emigranten-Po- litik, viel Uebel und Niederlagen, welche es der- einst von Oestreich zu befuͤrchten haben soll. Nach dieser Abschweifung erlaubte man mir jezt, die gewesenen Franzoͤsischen Herren so zu beschreiben, wie ich sie gefunden habe. Unser General hatte zwar verbieten lassen, mit den Emigranten zu sprechen, oder uns sonst mit ihnen einzulassen: er glaubte naͤmlich, diese gesetz- losen Herren moͤchten durch ihr Geld unsre Leute zur Desertion auffodern, und sie unter ihr Corps, welches Einige damals schon die franzoͤsische Spiz- buben-Armee nannten, verleiten. Das hatten die Herren auch schon gethan, und manchen, sogar von den trierischen Soldaten, zu sich herangekirrt. Ich gieng aber doch schon den ersten Tag in ein Weinhaus, wo Franzosen ihr Wesen trieben, und ließ mich mit ihnen in ein Gespraͤch ein. Aber ab- geschmaktere Großsprecher habe ich mein Tage nicht gefunden, und ich kann es noch immer nicht spitz kriegen, wie irgend ein Deutscher fuͤr solche Franzosen einige Achtung hat haben koͤnnen! Diese elenden Menschen verachteten uns Deutsche mit unsrer Sprache und unsern Sitten aͤrger, als irgend ein Tuͤrk die Christen verachtet. Im Wirthshause machte die Haustochter beym Aufwarten ein Verse- hen; und — facrèe garce d'allemande (verfluchter deutscher Nickel) Chien d'allemand, bête d'alle- mand, con de garce d'allemande waren die Eh- rentitel, die diese facrès bougres d'émigrés uns Deutschen anhaͤngten. Unsre Sprache verstanden sie nicht, und mogten sie auch nicht lernen: sie nannten sie jargon de cheval, de cochons — Pferde- und Schweinesprache, u. s. f. Ich sagte einmal bey Gelegenheit einer schoͤnen Tobaksdose, daß ich nicht Geschmack genug haͤtte, um von dem darauf gemalten Portraͤt zu urtheilen. Que dites-vous, Mr. erwiederte ein Emigrant, c'est assez que de favoir le françois pour avoir le gout juste: un homme qui sait notre langue ne peut jamais manquer d'esprit. Das war doch ein sehr anmaßliches Kompliment! Und doch waren die Deutschen herablassend ge- nug, diesen Emigranten zu hofiren und sie zu un- terstuͤtzen. Daruͤber habe ich mich oft recht innig geaͤrgert, und aͤrgere mich noch, wenn ich bedenke, wie geringschaͤtzig uns die Koblenzer, die Trierer und selbst die Luxemburger gegen die Emigranten- Kanaille behandelten. Ich bediene mich hier frei- lich nicht sehr edler Ausdruͤcke: aber wie das Ori- ginal, so dessen Copie! Die Emigranten hatten damals Geld noch voll- auf, und folglich das Mittel, sich alles zu ver- schaffen, was sie geluͤstete. Aber sie habens auch toll genug verschleudert! Die kostbarsten Speisen und der edelste Wein, der bey ihren Bacchanalen den den Fußboden herabfloß, waren fuͤr sie nicht kost- bar und edel genug. Fuͤr einen welschen Hahn zahlten sie fuͤnf große Thaler ohne Bedenken. Mancher Kuͤchenzettel, nicht eben eines Prinzen, oder Grafen, sondern manches simpeln Markis oder Edelmanns, kostete oft vier, fuͤnf und mehr Carolins. Die Leute schienen es ganz darauf an- zulegen, brav Geld zu zersplittern: sie zahlten ge- rade hin, was man verlangte. Ich sagte einmal zu einem, daß er etwas zu theuer bezahle: le François ne rabat pas (der Franzose zieht nichts ab) erwiederte er, und gab sein Geld. Das schoͤne Rockenbrod, welches in Koblenz geba- cken wird, wollte den edlen Herren nicht behagen: sie aßen daher lauter Weitzenbrod, und nur dessen Rinde: die Krume kneteten sie in Kuͤgelchen und benutzten sie zu Neckwuͤrfen bey Tische. Andere warfen die Krume geradezu aus dem Fenster. Dieses Benehmen hat jedoch selbst die Koblenzer geaͤrgert; und ich dachte mehrmals: Exiget ah dignas ultrix Rhamnusia poenas! Oder: Nur Geduld! es wird schon eine Zeit kommen, wo ihr weder Krume noch Rinde haben werdet. Das ist auch bald hernach eingetroffen: denn schon auf der Retirade, im October 1792, haben die saubern Herren mehr Noth gelitten, als wir Preußen, wenn gleich auch wir rohen Weitzen da- mals abbruͤhten und aßen vor lauter Hunger, wie man dereinst sehen wird. Die Emigranten waren alle — lustige Bruͤder und Windbeutel von der ersten Klasse. Den gan- zen Tag schaͤkerten sie auf der Straße herum, sangen, huͤpften und tanzten, daß es eine Lust war, anzusehn. Sie giengen alle praͤchtig gekleidet, und trugen schreckliche Saͤbel. Die Saͤbel wur- den groͤßtentheils in Koblenz verfertiget, und so hatten die dasigen Schwerdfeger Arbeit und Ver- dienst genug. Daß Leute von dieser Art mir nicht gefielen, nicht gefallen konnten, ist fuͤr sich klar. Ich nannte sie, wie ich sie fand, die Pest fuͤr unser Vaterland — in jeder Ruͤcksicht, physisch, politisch und moralisch. Man widersprach mir, berief sich auf die Ausge- wanderten unter Ludwig, dem Vierzehnten, und schloß von den Vortheilen durch diese auf Vortheile durch jene. Ich versezte, daß es mit jenen ge- ruͤhmten Vortheilen nur so und so stuͤnde; daß, deutsch zu sprechen, auch jene Emigration fuͤr un- ser Vaterland in mancher Ruͤcksicht eher schaͤdlich als nuͤtzlich gewesen sey, und dieß wohl noch sey. Allein auch zugegeben, aber noch lange nicht als Wahrheit eingeraͤumt, daß jene Hugenotten , welche nach dem Widerruf des Ediktes von Nantes nach Deutschland gewandert sind, fuͤr Deutschland wirklich nuͤtzlich gewesen seyen, so waͤren doch jene Emigranten mit den jetzigen im geringsten nicht zu vergleichen. Jene wanderten aus, weil sie muß - ten , weil ihr Gewissen sie druͤckte, und sie Sankt Cal- vins Lehre mit der des heiligen Vaters zu Rom nicht vertauschen wollten. Daß sie dieß gerade darum haͤtten thun muͤssen, um der Lehre des St. Calvins nachzukommen, suchte vorzeiten darzuthun Uebrigens — fuͤgte ich hin- zu — waren es doch meist ehrliche, kunstvolle, betrieb- same, stille Leute, deren Sitten die Sitten unsrer Vor- fahren nicht so sehr verderbten, als die der jetzigen — unsere. Ich trete den ehemaligen Hugenotten nicht zu nahe, denn es ist wirklich an dem, wie Geschichtkundige wissen, daß man seit dem unseligen Widerrufe des Nanteser Edikts eine Epoche in der Geschichte der Sitten mancher deutscher Provinzen machen kann. Frivolitat, Luxus und Ausschweifungen aller Art kamen mit vielen von den damals ausgewanderten Franzosen nach Deutschland: und da, wohin ihr Fuß nicht gekommen ist, sind die Sitten noch weit deutscher, einfacher, biederer und liebenswuͤrdiger, als dort wo die Re igi s ihre franzoͤsischen Kuͤnste, Gewandheit, Moden, Grillen und Possen mithinbrach- ten. Oestreich, Bayern, Schwaben, Westphalen und andere Laͤnder sind freylich durch die fremden Sittenlehrer nicht viel feiner geworden, aber in Bayern z. B. ist vielleicht auf einem Dorfe mehr achter Biedersinn und altdeutsche Tugend, als in mancher andern vor Feinheit strozenden Provinz: es ist naͤm- lich nicht alles Gold, was glaͤnzt. — Denn lassen sie uns, fuhr ich fort, die Her- ren einmal recht anschauen: und wir werden bekennen muͤssen, daß sie uns weiter nicht nuͤtzen, als daß sie unsere Kaufleute, Gastwirthe, Huren u. dgl. reicher machen, aber auch alles Uebrige verpesten und zu Grunde richten, was nur ihr Hauch beruͤhrt. Als ich dieses und mehr anderes gesagt hatte, leg- ten sich endlich mehrere von den Anwesenden in unser Gespraͤch, und da wurden denn allerley skan- daloͤse Histoͤrchen uͤber die Herren Emigrirten auf- getischt. Ich erspare sie bis zu den Begebenheiten des Marki von Vilcuçon. das beruͤchtigte Avis aux réfugiés, welches man dem be- ruͤhmten Baylr zugeschrieben hat. Es ist uͤberhaupt keine laͤppischere Kreatur auf Gottes Erdboden, als ein franzoͤsischer Emigrant dieser Zeit. Stolz und aufgeblasen, wie der Frosch in der Fabel, verachtet er alles, was nicht so wie er, Franzos und von Adel ist. Die Preußischen Offiziere hatten gar nicht Ursache, den Emigranten gewogen zu seyn: denn diese haben sehr oft erklaͤrt, daß der preußische Adel, wie uͤberhaupt der deutsche Adel eine noblesse de rotare sey; eine noblesse bâ- taide ; daß ein preußischer Offizier fût il Colonel, noch lange nicht assez noble waͤre, pour étre Mous- quetaire dans la maison du roi Die sogenannten Mousquetaires waren ehedem alle von Adel. Jetzt hat dieser Popanz ein Ende. u. s. w. So sprachen die Emigranten von unsern Offizieren, und doch buhlten diese um ihre Freundschaft, und waren stolz auf die Ehre, mit solchen Messieurs um- zugehen. Ueberhaupt haͤtten unsre Deutsche sich schaͤmen sollen, daß sie den franzoͤsischen Windbeu- teln so nachliefen, und wohl gar glaubten, daß sie von einer naͤhern Verbindung mit ihnen Ehre haͤtten. Dieses Gesindel verachtete ja uns, unsre Sprache und unsre Sitten, und wir haͤtten sie ehren sollen? — Ich habe mich allemal geschaͤmt, wenn ich sah, wie manch sonst braver, ehrwuͤrdiger deutscher Mann diesen veraͤchtlichen Possenkindern hofirte, und sich alle Muͤhe gab, ihre Geberden u. d. gl. affenmaͤ- ßig nachzumachen. Die Franzosen — ich rede hier nur von den emigrirten — verdienen unsern ganzen Abscheu, unsere ganze Verachtung, und koͤnnen nicht einmal auf die Achtung einer Gassennymphe, ge- schweige auf die eines einsichtigen braven Mannes Anspruch machen. Unter den Emigrirten gab es jedoch einige, wel- che sich mit ihrem Emigriren uͤbereilt hatten, und gern zuruͤck gewesen waͤren, wenn es ohne Gefahr und mit Ehren haͤtte geschehen koͤnnen. Dahin ge- hoͤrte in Koblenz besonders der ehemalige franzoͤsi- sche Gesandte, Graf von Vergennes , welcher die heimlichen Anstalten zu seiner Ruͤckkehr nach Frankreich endlich bloß darum aufgab, weil man ihm seine Privilegien weigerte. Ich habe den Be- dienten dieses Grafen oft gesprochen, und einen Mann an ihm gefunden, welcher von den neufraͤn- kischen Angelegenheiten weit richtiger urtheilte, als alle Haͤupter und Unterstuͤtzer der Emigrirten. Unter andern vernuͤnftigen Aeußerungen dieses Mannes war auch diese, daß nicht alle Ausgewan- derte willig und frey ihr Vaterland verlassen haͤtten. Stellen Sie sich, sagte er, an die Stelle des Edel- manns oder des Geistlichen, und fragen Sie sich selbst, was sie unter aͤhnlichen Umstaͤnden haͤtten thun koͤn- nen oder thun wollen? Die Prinzen, ein Conde , ein Artois , ein Monsieur fodern den Adel auf, auszuwandern, um die armée contrerévolutionnaire formiren zu helfen. Sie sprechen von einem Ein- verstaͤndniß des Hofes mit den Hauptmaͤchten Eu- ropens, und schildern die Wiederherstellung der al- ten Verfassung, durch deren Huͤlfe, wie gewiß. Sie erklaͤren alle, welche sich weigern, hieran Theil zu nehmen, als infam, als Verraͤther an dem Throne, und bedrohen sie mit den schrecklichsten Strafen. Was soll der Adliche nun thun, zumal der im Dienste des Hofes? Bleibt er zuruͤck, und gelingt das, was ihm als so leicht ausfuͤhrbar geschildert wird: so wird er ein Opfer der Rache, wird, als ein Feind des Mo- narchen, entweder gefaͤnglich eingezogen, seines Standes, seines Postens und seiner Guͤter siska- lisch beraubt, oder uͤber die Graͤnze gejagt; und er, wie seine Familie, ist beschimpft, arm und dem Schicksale preisgegeben. Dies Verhaͤltniß hat wirklich sehr viel Adliche angetrieben, ihr Vaterland zu verlassen, und zwar solche, welche sonst immer bereit gewesen waͤren, zu bleiben, und auf die Vor- rechte ihrer Geburt Verzicht zu thun. „Mit den Geistlichen, fuhr er fort, hatte es eben diese Bewandniß. Ein Geistlicher, der im Lande bleiben wollte, mußte der Nation den Eid der Treue ablegen. Aber schon dieser Eid machte, daß er von den rechtglaͤubigen Katholiken, deren es anfaͤnglich noch immer sehr viele gab, als ein widerrechtlicher, unregelmaͤßiger Priester angese- hen wurde, dessen geistliche Verrichtungen man als gotteslaͤsterliche Handlungen betrachtet, und sie selbst als Gottesschaͤnder gemieden und, je nachdem unser Staats-Looß gefallen waͤre, exemplarisch be- straft haͤtte. Zwar gab es bey uns, wie in Ita- lien, Portugal und Spanien, sehr viel Scheinka- tholiken; und ich selbst war nur dem Namen nach katholisch: meine Voreltern waren naͤmlich refor- mirt, musten aber zum katholischen Glauben uͤberge- hen, um ihre politische Existenz nicht zu verlieren: indessen blieb die reformirte Lehre in unsrer Fami- lie: wir haßten die Katholiken, und gingen doch in ihre Messe. So haben es viele Familien der Hugenotten gemacht. Daß er recht hatte, habe ich 1794 zu Frankreich haͤu- fig erfahren. Wozu also Religionszwang! — Ich wuͤrde jezt, da in Frankreich jeder seine Religion nach Gefallen haben kann, mich, wie viele Andere oͤffentlich als Refor- mirt erklaͤrt haben, wenn mich Voltaire nicht bekehrt haͤtte. Nun aber ist mir alles gleich viel: Pabst, Doktor Luther, Calvin, alles ist mir eins! Ich glaube weder dem einen noch dem andern: sie alle treiben Hoͤkerey mit Fratzen, und die Pfaffen aller Religionen sind immer Pfaffen.“ „Lassen wir jetzt, unterbrach ich ihn, die Pfaf- fen Pfaffen seyn: ich bin nur begierig auf die Folge Ihrer Bemerkung“. „Ich sagte, daß, wenn unsre emigrirten Pfaf- fen im Lande geblieben waͤren, man sie — wegen ih- res Eides auf die neue Constitution — als irregu- laͤre, meineidige und gottlose Pfaffen betrachtet haͤtte: und nun denken Sie deren Schicksal bey ei- nem Verfall der Constitution, oder auch nur bey ei- ner Herstellung der alten Hierarchie in Frankreich! Es wuͤrde ihnen auf jeden Fall klaͤglich ergangen seyn. Nein, mein Herr, wenn ja jemand mit Recht Frankreich verlassen hat: so waren es die Pfaffen, welche sich auf ihre Pfafferey ernaͤhren mußten. Die, welche den Nationaleid geschworen haben, um unangefochten in ihrem Vaterlande blei- ben zu koͤnnen, sind dennoch immer in Gefahr, und werden vielleicht noch von ihren eignen Patrioten abgesezt. Gegen das Ende des Jahres 1793 ist diese Prophezeihung eingetroffen “ „Nun sehen Sie — fuhr er fort — daß nicht alle Edelleute, auch nicht alle Priester, ohne Noth und ans bloßem Haß gegen die Constitution, oder aus Stolz auf ihre Praͤrogativen, oder aus Leicht- sinn fortgelaufen sind. Viele haben wirklich Ursa- che dazu gehabt, und unter diesen verdienen meh- rere unser Mitleid.“ — So dieser fachkundige Mann. Auf die Frage, warum man denn uͤberhaupt emigrirt sey, erhielt ich groͤßtentheils von allen de- nen, die ich darum befragte, nur Achselzucken zur Antwort; und wenn ich denn so meine Anmerkungen machte, und bewies: daß es doch weit leichter ge- wesen seyn wuͤrde, eine Gegenrevolution alsdann zu bewirken, wenn die Herren Prinzen, mit ihrem Anhange in Frankreich geblieben waͤren, gab man mir meistens Recht. Aus allen Gespraͤchen aber sah ich, daß die, freilich mit der politischen Lage von Europa sehr unbekannten franzoͤsischen Prinzen, fest darauf gerechnet hatten, daß alle Koͤnige und alle Maͤchte von ganz Europa zusammen grei- fen, und ihnen alle Huͤlfe leisten wuͤrden. Da nun dieses sofort nicht geschah, so schimpften sie und die uͤbrigen Emigrirten auch nicht schlecht auf die Hoͤfe unsrer Großen, und schrieben hernach all und jedes Ungluͤck, das die Verbuͤndeten erlitten, dieser Saumseligkeit zur Last. — Auch hatten die Herren Prinzen auf eine weit staͤrkere Emigration gehofft, und beyher sogar geglaubt, daß die stehende Armee in Frankreich sich auf ihre Seite schlagen wuͤrde, und was der Dinge mehr sind, worauf ein Prinz rechnet, der wohl den Ton des Hofes, aber nicht den der Nation kennt, und dann die Welt, wie die Menschen darin, als sein Eigenthum be- trachtet. — Viertes Kapitel. Noch von den Emigranten. S chon ehe ich von Halle gieng, hatte ich mir von den Emigranten, so wie von der ganzen damaligen Lage der Dinge einen Begriff gemacht, welchen ich bis auf diese Stunde noch keinen Augenblick Ursache gehabt habe, zu veraͤndern. Die Emigranten ha- be ich gleich Anfangs — jedoch wie sichs von selbst versteht, mit Ausnahmen — fuͤr Schufte und Erz- luͤgner gehalten, und habe sie von Grund der Seele gehaßt und verachtet, weil ich uͤberzeugt bin, daß sie die Hauptursache des jetzigen Krieges, und des vielen unbeschreiblichen Ungluͤcks in Deutschland geworden sind. Daß sie schon lange die Blutegel gewesen wa- ren, welche ihren Landsleuten, den Einwohnern von Frankreich, das Blut aussaugten, und eine ihren Regenten, auch dem allerschwaͤchsten, ich meyne, einem Ludwig dem Funfzehnten, so treu und bis zum Enthusiasmus ergebene Nation end- lich in Harnisch jagten, und folglich die Revolu- tion gewaltsam herbeyzogen — ist klar am Tage und bedarf keines Beweises: das gestehen sogar die Herren Girtanner und Consorten, und dann muß es doch wohl so seyn. Die schaͤndlichen Menschen Artois , Condé , Provence , Lamballe , Po - lignac und hundert andre traten die Nation so lan- ge mit Fuͤßen, bis diese endlich das fuͤrchterliche Joch abschuͤttelte, und bis das Gebaͤude des Despotis- mus uͤber diese Unmenschen selbst zusammenstuͤrzte. Nun rennten diese elenden Menschen aus ihrem Lande und posaunten in der ganzen Welt herum aus: Frankreichs Verfassung sey zu Grunde gerich- tet: in Frankreich herrsche Anarchie; und wenn nicht alle Monarchen hier haͤlfen Einhalt thun: so staͤnde ihnen das Naͤmliche bevor. — Sie fanden hin und wieder Gehoͤr, und durch ihre scheuslichen Luͤgen und verdrehte Nachrichten zogen sie mehrere Großen in ihre Parthey, bis endlich ihr Zweck er- reicht war, das ist, bis sie einen Krieg angezettelt hatten, welcher fuͤr ihr Vaterland und fuͤr ganz Europa so schrecklich geworden ist. Als ich in Koblenz war, fragte ich mehrmals nach den Angelegenheiten Ludwigs XVI. und der Regierung von Frankreich, bekam aber nirgends befriedigende Antwort. Hier ist mein Gespraͤch mit Hn. Gronard von Caen! Ich : Aber Herr Gronard, da Sie zugeben, daß die Bedruͤckung des Volks in Ihrem Lande die naͤchste Ursache der Rebellion gewesen ist: so sagen Sie mir doch: sah denn der Koͤnig das Ungewitter nicht vorher? Grouard : Niemals! Ich : Aber man hats ihm doch immer und derb genug vorhergesagt. Er : Und doch hat er es nimmer begreifen koͤnnen! Der hergebrachte Herrscherstolz, von Hoͤf- lingen unterstuͤzt, haͤlt dergleichen fuͤr unmoͤglich. Und dann ist der Koͤnig ein recht guter Mann, aber er ist, wie alle Burbonnischen Prinzen Er hatte recht: alle Burbonnischen Prinzen, selbst Heinrich IV. troz seiner Pan airisten, waren schwache Koͤpfe. Man lese Eloge historique de l'Abbé Mably. — schwach. Ich : Aber ein schwacher Koͤnig, wohl verstan- den ein Koͤnig , nicht ein Mensch , der schwach ist, ist allemal ein — schlechter Koͤnig. Er : (Zuckt die Achseln.) Wahr, Freund! Der Koͤnig hat seine großen Fehler: aber er ist wahrlich nicht Schuld an den Unordnungen: er haͤngt zu sehr von — seiner Gemahlin ab. Ich : So? Er haͤngt von seiner Gemahlin ab? Und von wem haͤngt denn die ab? Er : Von der Spielsucht, vom Stolz, von der Sucht, sich Kreaturen zu machen, und vom Wie- ner Hofe. — Ich : Weiß man denn in Frankreich, daß Ma- dam Antoinette vom Wiener Hofe regiert wird? Er : Leider zu gut! Auch sind selbst unsre Prinzen, besonders Condé, daruͤber laͤngst aͤrger- lich gewesen; allein sie durften dem Unwesen nicht steuren. Ich : Warum denn nicht? Was konnte Ihnen der Wiener Hof schaden oder nuͤtzen? Er : Mehr, als Sie sich vorstellen. Sehn Sie, es ist nicht von vorgestern, daß man eine Revolution in Frankreich befuͤrchtete. Brach diese aus, so mußte man einen Hinterhalt haben; und wer in ganz Europa war wohl besser im Stande, diesen Hinterhalt zu leisten, als eben Oestreich? Also war es, denk ich, immer klug, einer Person nachzugeben, welche das Haus Oestreich in das Interesse der franzoͤsischen Herren ziehen, und dar- in erhalten konnte. Es ist auch gelungen: Oest- reich hat unsre Hof-Parthey zuerst ergriffen. Ich : Ja wohl; aber zu seinem eignen Scha- den, und zum Verderben des koͤniglichen Hauses in Frankreich, wie die Zeit lehren wird. Dritter Theil. D Er : Herr, reden Sie doch nicht so! Verbun- den mit Preußen und Oestreich werden wir bald mit de e bellen fertig seyn. Ich : Das wird sich weisen! — Ein andrer Emigrant hatte uns zugehoͤrt, und fiel ein: „Ja ja, mein Herr, Monsieur Grouard hat Recht. Sie duͤrfen ja nicht glauben, daß die elenden Wichter in Frankreich ( ces marauts de Fran- ce ) uns was anhaben werden! Ich : Sie geben ihren Landsleuten schoͤne Titel! Emigrant : Ei, was Landsleute! Schurken sind es, eingemachte Baͤrenhaͤuter ( gueux fieffés ) elendes Gesindel ( canaille ); und wer wollte da sagen, das seyen Landsleute von Maͤnnern unsers Gleichen! — Der saubre Herr ließ sich noch weiter mit der frechsten Ausgelassenheit uͤber gar viele schon da- mals beruͤhmte Maͤnner in der Nationalversamm- lung aus, wie ein Troßbube: besonders bekam der gewesene Herzog von Orl é ans , damals Egalit é , seine derben Hiebe. In Absicht dieses freylich erz- abscheulichen, elenden Menschen, waren die Emi- granten an skandaloͤsen Histoͤrchen und Schimpf- woͤrtern ganz unerschoͤpflich. Von der Koͤnigin habe ich keinen Emigranten gut sprechen hoͤren: uͤberhaupt meynten sie, schick- ten sich die oͤstreichischen Maͤdchen ( Filles d'Autriche ) nicht auf den franzoͤsischen Thron: und sie fuͤhrten dabey das Beyspiel der Anna von Oestreich , Ludwigs XIII. Gemalin an. Das Buͤchlein: Vie privée de la Reine de France und die Mémoire de M. Lamotte de Valois hatten auch einige gelesen, und gestanden gern, daß das meiste darin wahr sey; doch aber sollen auch viele Unrichtigkeiten mit un- tergelaufen seyn. Von einem Vie privée de Marie Antoniette, femme du dernier — Paris in 12. (3 Theile) rede ich weiter unten. Dadurch nun, daß die Emigranten die allerluͤ- genhaftesten Vorstellungen von der Lage ihres Va- terlandes verbreiteten, sind sie eigentlich die rechten Stifter, die rechte fax und tuba des fuͤrchterlichen Krieges und aller seiner graͤuelvollen Folgen ge- worden. Man hat ihnen, leider, auf die unverant- wortlichste Art geglaubt; und die abgeschmackten Zeitungsschreiber, besonders der zu Wien, Bayreuth, Neuwied und Leipzig, haben die Luͤgen des elenden franzoͤsischen Hofgesindels nachposaunt, und dadurch unserm leichtglaͤubigen deutschen Publikum eine Brille aufgesetzt, die jezt viele Provinzen in tiefer Trauer verwuͤnschen. Aber ich mag mich nicht laͤnger bey einer Sache aufhalten, welche, leider, mehr als zu bekannt ist. Von dem traurigen Sittenverderben, welches die Emigrirten in Deutschland gestiftet haben, bin ich auch Zeuge geworden. „Hier in Koblenz, sagte ein ehrlicher alter Trierischer Unteroffizier, giebts vom zwoͤlften Jahre an keine Jungfer mehr: die verfluchten Franzosen haben hier weit und breit alles so zusammen gekirrt, daß es Suͤnde und Schande ist.“ Das befand sich auch in der That so: alle Maͤd- chen und alle noch etwas brauchbaren Weiber, selbst viele alte Betschwestern nicht ausgenommen, wa- ren vor lauter Liebeley unausstehlich. Gerade gegen dem Kloster uͤber, wo ich im Quartier lag, war ein Weinhaus, dessen drey Toͤchter die Franzosen haufenweise an sich zogen. Ich gieng eines Tages auch mit einem Emigrirten hinein. Il y a la trois couplets, sagte er, a peux re- freins. Das ist eine sehr feine Unflaͤterey, welche nur in dem Munde eines schluͤpfrigen Franzosen witzig klingt. Als wir hinkamen, saßen die drey Haus- nymphen den Franzosen auf dem Schooße, und hoͤrten ihren unsauberen Reden mit dem groͤßten Vergnuͤgen zu. Bald hernach fanden sich noch mehr Dirnen ein, und es gieng da wenigstens so arg her, als in der Talgfabrike oder in der Tran- pulle zu Berlin wohl nimmer: man gieng ab mit den Menschern, und kam mit ihnen zuruͤck, mir nichts, dir nichts. — Mein Begleiter, der ohne Zweifel glaubte, daß ich kein Geld haͤtte, um eine Buhldirne fuͤr ihr Verdienst zu begnuͤgen, erbot sich, dreißig sous fuͤr mich zu zahlen: denn mehr, meynte er, wuͤrde eine solche Mamsell von einem pauvre prussien doch nicht verlangen. Der Ausdruck: pauvre prussien, wuͤrde mich im Munde eines Emigrirten sehr geaͤrgert haben, aber wegen seiner Gutmuͤthig- keit lachte ich daruͤber, und nahm das Anerbieten nicht an. Der General unseres Regiments ließ alle Sol- daten vor dem Umgang mit den Koblenzer Mam- sellen ernstlich warnen: er wußte wohl, daß sie von den ausgewanderten Franzosen samt und son- ders mit einem Geschenke begabt waren, welches er bey seinen Leuten nicht gerne haͤufig gesehen haͤtte. Indessen half doch die Warnung nicht gar viel; denn ich habe nachher bemerkt, daß viele mit der fran- zoͤsischen Krankheit aus Koblenz gezogen sind: manche sind hernach auch in den Lazarethen daran gestorben. Diese Erfahrung hat aber manchen Ehe- mann tolerant gemacht. Denn nach der Zuruͤck- kunft nach Halle fanden ihrer mehrere ihre Fami- lie ohne ihr Zuthun vermehrt; druͤckten aber wegen des Aehnlichen in Coblenz und anderwaͤrts ein Auge zu, und behielten ihr Hauskreuz in Geduld. In Coblenz muß die Patrouille die praktisiren- den Verliebten, welche sie in den Winkeln der Straßen antrift, anhalten, und auf die Haupt- wache abfuͤhren. Die Geistlichen sind davon aus- genommen, fuͤr welche — unter diesen Umstaͤnden — eine Wache ein gar zu profaner Aufenthalt seyn wuͤrde. (Man denke!) Anfaͤnglich, wie man mir gesagt hat, wurden auch viele Franzosen mit ihren feilen Liebchen dahin abgefuͤhrt, und troz ihres Fut- terns, Protestirens und Geldbietens bis an den Tag dort gehalten, und dann an die Polizey gemeldet. Da aber diese fuͤr gut fand, es mit den franzoͤsi- schen Herren nicht gar strenge zu nehmen: so wur- den die Koblenzer Soldaten bald gewitzigt, ließen sich bezahlen, und die Winkel-Mosjehs treiben, was sie wollten; ja endlich wurden sie gar selbst ihre Spediteurs, und hatten an ihrer Caserne, fuͤr einige Batzen, Waare von der Art nach Belieben. Die Maͤdchen zu Coblenz reichten nicht hin fuͤr die Emigranten, und fuͤr die daselbst hernach haͤu- fig durchziehenden deutschen Voͤlker: es kam daher von weit und breit viel Gesindel dorthin zusammen, und theilte mit den Koblenzerinnen ihre verdienstliche Arbeit. Anfaͤnglich giengen die lockern Thierchen schlecht gekleidet, warfen sich aber, durch die Frei- gebigkeit der Franzosen, bald ins Zeug, und er- hoͤheten hernach auch, wie billig, den Preis ihrer Reize, welche zwar an innerer Konsistenz durch den starken Gebrauch sehr verloren hatten, doch aber immer mit bessern Lappen ausstaffirt wurden. So wie in Koblenz hatten es die Emigrirten an allen Orten gemacht, wohin sie nur gekommen wa- ren. Der ganze Rheinstrohm von Basel bis Koͤlln ist von diesem Auswurf des Menschengeschlechts vergiftet und verpestet, und die Spuren der graͤu- lichen Zerruͤttung in den Sitten werden in jenen un- gluͤcklichen Gegenden noch lange erschrecken. Es ergiebt sich daher von selbst, daß alle Landesherren, welche franzoͤsische Emigranten in ihren Laͤndern be- guͤnstigten, sich an ihren Unterthanen schaͤndlich und jaͤmmerlich versuͤndigt haben. Freylich ist es hart, Fluͤchtlingen einen Zufluchtsort zu versagen: aber wenn das hart ist, so ist es im Gegentheil abscheu- lich, ein Gesindel einnisten zu lassen, welche das bissel gute deutsche Sitten vollends zu Grunde rich- tete, und die infame Krankheit, welche man schon in den Rheingegenden Emigranten - Galante - rie nennt, allgemein machte und allen Staͤnden mittheilte. Haͤtte auch jeder ausgewanderte Fran- zose ganze Kasten voll Gold mit nach Deutschland gebracht, so waͤre das doch lange kein Ersatz fuͤr das Elend, worin sie unsre deutschen Weiber und Maͤdchen, und durch diese einen so großen Theil unsrer luͤsternen Jugend gestuͤrzt haben. Man gehe nur an den Rhein und frage: und ich weiß, daß man uͤber die Antwort erstaunen und erschrecken wird. Schon allein in Koblenz fand man uͤber 700 infizirte Weibspersonen, als man ihnen nach- her unentgeldliche Heilung anboth. Fuͤnftes Kapitel. Noch einmal von den Emigranten. D ie Emigranten waren alle gewaltige Windbeutel und fuͤhrten einen Ton, wie ein Faͤhndrich von vor- gestern, doch mit dem Unterschiede, daß der Herr Faͤhndrich oft auch noch etwas Baurenflegeley mit seinem Junkerstolz verbindet, die wenigstens bey den Franzosen nicht ist, wie ich ihnen zum Ruhme nachsagen muß. Allein vom Stolz und von der Bengeley der jungen Faͤhndriche — werde ich wei- ter unten Gelegenheit zu sprechen haben: fuͤr jetzt habe ich mit den Emigranten zu thun. Also diese waren starke Windbeutel, prunkten und prahlten mit Sternen und Ordenskreuzen, oft unterschobnen, und spielten den Groshans laͤcherlich — unbeschreiblich. Wenn man sie reden hoͤrte, haͤtte man glauben sollen, sie haͤtten alle Reichthuͤ- mer der Welt, und waͤren aus den groͤßten und vornehmsten Familien in Frankreich. Mein Vetter der Duc, meine Base die Duchesse, mein Onkel der Comte, mein Schwager der Marquis u. s. w. lie- ßen die Leutchen jedesmal einfließen, wenn ein Fremder, auch nur ein sehr geringer z. B. ein Kerl, wie ich, ihre Gelage besuchte. Sie hatten es recht gern, wenn man sich nach ihrer Familie, und nach ihren sonstigen Verhaͤltnissen erkundigte: dann er- gossen sie sich mit thrasonischer Beredsamkeit uͤber ihre und ihrer Vorfahren Heldenthaten: vergaßen denn auch die nicht, welche aus ihrem Stamme ehedem Bischoͤfe, Praͤlaten und Aebte gewesen wa- ren. Ich habe oft lachen muͤssen, wenn mir emigrirte Kaufleute erzaͤhlten, wie ihr Geschlecht ehedem sehr noble Das Wort noble bedeutet jetzt in der republikanischen Spra- che so viel als liederlich, veraͤchtlich u. s. w. Von dieser merk- wuͤrdigen Veraͤnderung der Wortbedeutungen in Frankreich rede ich an einem andern Orte weitlaͤufiger. gewesen, hernach aber durch den großen Aufwand derer von ihnen, welche im Militaͤrstande gedient haͤtten, zur Armuth herabgesunken, und die Familie dadurch endlich genoͤthigt worden sey, sich der Kaufmannschaft zu widmen, nur um Mittel zu fin- den, dem Hause seinen alten Glanz ( son prémier lu- stre ) wieder herzustellen. So stolz waren selbst ver- loffene Kraͤmer aus Frankreich! Was mag wohl ein Kerl werth seyn, der hauptsaͤchlich arbeitet, um erst reich zu werden, und dann — als Edelmann wieder paradieren zu koͤnnen! — Aber, leider, be- deutete adelich und geehrt in Frankreich sonst gleichviel, wenn gleich das eine das andere mei- stentheils wirklich aufhob. Dank sey es der deut- schen Aufklaͤrung, daß adelich bey uns einen ganz anderen Begriff zu bezeichnen anfaͤngt! Man lese den vierten Band von Friedrich Brack , und erbaue sich zur Herzstaͤrkung aller — Edlen! Mit dem Manifeste des Herzogs von Braun- schweig waren die Herren gar nicht zufrieden: sie wa- ren hier uͤbersehen, die sich Goͤtter der Erde duͤnkten. — Daß die Patrioten in Frankreich bald gestuͤrzt wer- den wuͤrden, war bey ihnen wie gewiß. Nun fuͤrch- teten sie, indem das Manifest nichts ausdruͤckliches von der Wiederherstellung des Adels enthielt, sie moͤgten an ihren cy devant Privilegien, Vorzuͤgen, Aemtern, Pensionen u. d. gl. verlieren, und wur- den dem Herzog deswegen gram. Der Aerger dar- uͤber vermochte so viel, daß auch in ihrem Namen sie ein Manifest nach Frankreich schickten, welches wie der Augenschein lehrt, ohne Zweifel von einem stolzen Edelmann und einem herrschsuͤchtigen Pfaf- fen zusammengestoppelt ist. Ich habe niemals ei- nen Aufsaz gelesen, welcher so viel edelmaͤnnische, pertinente Poltronerie, und so viel tollen, pfaf- fischen Aberwitz enthalten haͤtte, als dieß Mani- fest der Emigrirten. Der Wisch verdient keine naͤ- here Erwaͤhnung. Der Henker hat das Ding hier und da in Frankreich verbrannt. Der Koͤnig von Sardinien heißt darin der Nestor der Koͤnige! — Guter Nestor von Pylos, must du dich noch mit dem Viktor Amadeus von Sardinien vergleichen lassen! Gorani kannte ihn besser. Er schildert ihn in seinen Nachrichten von Italien. Aber freilich geht es dem guten Viktor Amadeus, wie dem Nestor: quaerit ab omni Quisquis adelt socio, cur haec in tempora duret. Iuvenalis Sat. X. Obgleich die Emigrirten alle schrecklich bra- marbasirten, und ganz impertinent enthusiastisch fuͤr ihren Koͤnig, ihren Adel, und ihre Pfafferey spra- chen, so merkte man doch bald, daß manche gute Patrioten unter ihnen herumschlichen. Wie konnte dieses auch anders seyn! Es war ja so leicht, die Gaͤnge der Emigranten auszuspaͤhen, und die Na- tional-Versammlung oder vielmehr in derselben jene, welche eigentlich die Stuͤtzen der Nation wa- ren, daruͤber zu belehren. Dieser Gedanke mußte schon den einen und den andern von den Patrioten anreizen, sich unter die wahren Emigranten zu mischen, und durch Ausspaͤhung ihrer donquischotti- schen Anstalten dem Vaterlande zu nuͤtzen. Zu Koblenz gaben die eigentlichen Emigrirten einige von diesen an, unter andern den Grafen von Vinaisal , Ritter der koͤniglichen Orden und Co - lonel bey der Maison du roi; sodann den Marquis von Pontbruiant , Major-géneral. Mein Hauptmann war gerade damals, als man sie ein- zog, auf der Hauptwache, und ich mußte hin, um mit diesen Herren zu reden, und den Dolmetscher vorzustellen. Der Graf war ein alter Wolluͤstling, und daher schien er mir gleich eben kein starker Pa- triot zu seyn: der Marquis war ein junger feuriger Mann, der mir als hoͤchst verschmizt vorkam. Um ihn auf die Probe zu stellen, — nicht zu verra- then — fing ich an, Emigrantenmaͤßig aufzuschnei- den, und die großen Thaten anzufuͤhren, welche wir, vereint mit den Emigrirten, gegen die Pa- trioten verrichten wollten. Der Marquis machte zu meinem Geschwaͤtze eine Mine, die mir mehr sagte, als Worte je konnten; und seine ganze Ant- wort war: daß man wohl mehr Schwierigkeiten finden wuͤrde, als man glaubte. Von Mirabeau sagte er: er ist zwar unser Feind, doch immer ein großer Kopf. Diese Sprache, im Munde eines Emigranten, zeigte mir den Maun ; und gerne haͤtte ich ihm meine Gedanken mitgetheilt, aber die Furcht vor den — Juden, wie Bahrdt zu sagen pflegte, hielt mich zuruͤck. — Beyde Herren sind hernach nebst andern entlassen; aber auch Beyde haben sich nach ihrem Vaterlande zuruͤckbegeben: das hoͤrten wir bey Verdun . Als der Herzog von Braunschweig inne ward, was er leicht voraus haͤtte sehen koͤnnen, daß sich unter den Aristokraten Patrioten aufhielten, befahl er: Niemanden in Coblenz ein- oder auszulassen, ohne einen Paß entweder vom franzoͤsischen Kom- mandeur oder von dem Preußischen General Cour- biere. Allein dieses half wenig: denn Paͤsse wa- ren bald nachgemacht. Man griff daher zu andern Mitteln, und ließ alle in Coblenz befindliche Emi- granten namentlich aufschreiben. Ich habe dieses Geschaͤft einige Male mitverrichtet. Die Emigran- ten gaben zwar, weil es einmal so seyn mußte, ihre und ihrer Weiber und Toͤchter Namen an: allein sie wurden uͤber dieses Aufschreiben, als et- was, das sie erniedrige, sehr erboßt. Bey dieser Gelegenheit habe ich bemerkt, daß manche Franzoͤsische Schoͤnen mehr Einsicht ver- riethen, als mancher deutsche Offizier — Lebens- art. Ein Graf naͤmlich — dessen Namen ich ver- gessen bin — logirte gerade gegen einem Hause uͤber, worin einige Offiziere unseres Regiments ihr Quartier hatten. Diese Offiziere vigilirten, wie man in Halle spricht, oder nach einem andern Dialekt, glimmerten von fruͤh bis auf den Abend nach den beyden sehr schoͤnen Toͤchtern dieses Gra- fen. Als ich nun, meinem Auftrage gemaͤß, die Namen dieser Familie verzeichnet hatte, fragte die eine Dame: „wer sind denn die Herren dort druͤ- ben im Fenster?“ Ich . Das sind Offiziere von unserm Regi- ment. Dame . Das muͤssen Leute seyn, die nicht zu leben wissen. Den ganzen Tag liegen sie im Fenster und gucken nach uns. Ich . Ohne Zweifel, meine Damen, um Ihre Schoͤnheit zu bewundern. Dame . So? Ists denn vielleicht in Deutsch- land Mode, daß man nach dem Frauenzimmer mit Lorgnetten hinblickt, dann unter sich lacht, und allerley poͤbelhafte Geberden macht, als wenn man, wer weiß, was laͤcherliches oder auffallen- des gesehen haͤtte? Nein wahrlich, das ist grob und sehr schlechte Lebensart. Graf . Meine Tochter, wenn es dir nicht ansteht, von den Offizieren begafft zu werden, so bleib vom Fenster weg. Dame . Nein, Papa, den Herren zum Troz will ich und die Schwester uns hinstellen, und uns stundenlang begaffen lassen. Die Leute werden vielleicht doch dadurch sehen, daß wir sie fuͤr Ge- e halten. Ich . Madame Das Wort Mademoiselle war ganz verbannt, und nur noch in der Anrede an Maͤdchen Mode. Jedes Frauenzim- mer, das nur ein wenig mehr war, als eine Kammerjungfer, hieß Madame – versteht sich bey d Em n. In Frankreich ist Mademoiselle ohnehin jezt Ko bande: denn alles heißt jezt dort Bu ger oder Bu gerin. , thun Sie das nicht: die Herren denken sonst gar, Sie und Ihre Schwester seyen in sie verliebt. Dame . (lachend) Ah, les bêtes, les bêtes! (Sie stellt sich wirklich mit ihrer Schwester ans Fenster, lacht, und laͤßt sich von den Offizieren nach Herzenslust begaffen. Die Offiziere nehmen das fuͤr ein Zeichen der Gewogenheit, und spren- gen nun uͤberall aus: die franzoͤsischen Maͤdel mit den niedlichen Gesichtchen seyen verliebte — Luder- chen.) Offiziere sollten doch so poͤbelhaft weder handeln, noch sprechen. Das Aufzeichnen der Namen war auch frucht- los: also befahl der Herzog, daß sich alle Emi- granten, ihre Kranken allein ausgenommen Unter den Emigranten waren sehr viele durch und durch — venerisch. , sofort aus Coblenz und allen Orten, wo Preußen waͤren, wegbegeben sollten. Einen aͤhnlichen Be- fehl gab auch der Kurfuͤrst von Trier; aber der Be- fehl von diesem haͤtte ohne den des Herzogs wenig gefruchtet. Der Befehl des Kurfuͤrsten war gedruckt, und aͤrgerte die Herren um so mehr, da er, aller Orten angeschlagen, all- gemein zu lesen war. Dieß brachte einige von ihnen so sehr in Harnisch, daß sie geradesweges auf das Rathhaus liefen, und daselbst so viel Aufhebens daruͤber machten, daß man — aus Furcht vor ihnen — den Befehl endlich abriß. Ohne die ernstliche Dazwischenkunft des Herzogs haͤtten sie also ihr unwesen in Koblenz gewiß noch weiter getrieben. Der ernstliche Befehl des Herzogs machte gleichfalls viel Bewegung unter den Emigranten; aber vergebens. Selbst die Herren Coblenzer woll- ten es hoͤchst unbillig finden, daß man so viel brave, um das Trierland (durch ihre Verschwen- dungen) so wohlverdiente Leute fortjagen wollte. Die Emigranten schwuren hoch und theuer, daß es hoͤchst schimpflich sey, von den Preußen vertrieben zu werden, aber jezt muͤsse man sich in die Zeit schicken. Sie schienen sogar zu glauben, daß es eigentlich auf sie haͤtte ankommen sollen, ob deut- sche Truppen uͤberhaupt, also ob auch wir Preu- ßen, in Koblenz seyn duͤrften oder nicht. Dieser Wahn plagte sie, weil ihnen der Kurfuͤrst von Trier, als der Herr Vetter von ihren Prinzen, so- wohl in Civil- als Militaͤrsachen alle Gewalt uͤber- lassen und bestaͤtigt hatte. Sie waren eben darum in ihrer uͤbertriebnen Impertinenz anfaͤnglich soweit gegangen, daß sie sogar foderten: der Herzog solle den Rapport jeden Tag an ihre Prinzen einschicken, wie wenn der Herzog von Braunschweig Subalterngeneral des Artois oder des Pro - vence gewesen waͤre. Nach langem Zaudern also — denn der Befehl des Herzogs wurde nicht straks befolgt — zogen die Emigranten endlich aus Koblenz. Es waren ihrer mehrere tausend. Der Abzug geschahe des Nachts, weil sie sich schaͤmten, am hellen Tage eine Stadt zu verlassen, wo sie so lange den Mei- ster gespielt hatten. Ihnen folgte vieles Lumpen- gesindel, besonders weiblichen Geschlechts, aus Koblenz nach. Sie nahmen ihren Weg nach Neu- wied, Limburg, Bingen und sonst wohin, wo vor- her schon alles von ihnen vergiftet worden war, und nun noch weit mehr vergiftet wurde. Man haͤtte denken sollen, die Koblenzer wuͤrden nach dem Abzuge der Franzosen hoͤflicher gegen uns geworden seyn: aber sie blieben grob, ja sie wurden noch groͤber; denn sie sahen uns als die Ursache von der Entfernung von Lenten an, die zwar ihre Wei- ber und Toͤchter mit der venerischen Krankheit nach allen Graden angesteckt, aber zur Schadloshaltung doch brav Geld in die Stadt und in die umliegende Gegend geschleppt hatten. Dritter Theil. E Die Geschichte der Emigranten muß ich leider in der Folge noch mehrmals beruͤhren: und darum mags fuͤr dießmal hier davon genug seyn. Ich sage nur noch: Wehe allen denen, welche ihren Aufent- halt in Deutschlamd beguͤnstigten! — Sechstes Kapitel. Begebenheiten in Koblenz und im Lager bey Koblenz. I ch — denn mein theures Individuum lasse ich niemals aus den Augen: was waͤre das auch fuͤr eine Biographie von mir selbst, wenn ich nicht im- mer auf dem Theater bliebe, oder doch hoͤchstens nur dann und wann hinter die Kulissen traͤte? — Also ich befand mich in Koblenz ganz gut, und da ich meinem Hauptmann und andern Offizieren als Dol- metscher diente, sobald man mit Franzosen zu thun hatte, so war ich von allen Diensten frey, und konnte meine Zeit nach Wohlgefallen anwenden. Meistens saß ich bey Emigranten im Weinhause oder bey einem gewissen Preußischen Feldjaͤger, welcher ein ganz heller Kopf und braver Mann war. Eines Tages erlebte ich in Koblenz eine uner- wartete Schnurre. Ich kam fruͤh aus meinem Quartier und wollte aus einem Laden an der Mosel- bruͤcke Tobak holen. Eine Frau von wenigstens 40 Jahren lag am Fenster und rief mir zu: Wo- hin Mosjeh? Ich : Tobak holen, Madam! Sie : Ei, und das so eilig? Ich : Allerdings, ich habe kein Korn mehr. Sie : Kommen Sie doch ein wenig herein! Ich thats, um zu sehen, was Madame wollte: und da gieng unser Gespraͤch folgender Gestalt fort. Sie : Haben Sie denn keinen Schatz zu Koblenz? Ich : Bewahre mich der Himmel vor den Koblen- zer Schaͤtzen: die Menscher sind ja alle venerisch! Sie : Das ist auch wahr: aber es giebt doch noch welche, die nicht so sind: das koͤnnen Sie mir glauben. Ich : Ja wohl: aber wer noch nicht ganz und gar des Teufels ist, haͤngt sich nicht an einen Soldaten. Sie : Warum denn nicht? — Ich selbst bin keine Feindinn von den Herren Preußen. Ich stuzte, schaute der Dame ins Gesicht, und bemerkte, daß sie beynahe keine Zaͤhne mehr hatte; folglich physisch eben so haͤßlich war, als moralisch: ich griff also nach der Thuͤre, und wollte fort, er- hielt aber nicht eher die Erlaubniß dazu, bis ich ihr versprochen hatte, noch denselben Tag zu ihr zuruͤck zu kommen. Ich hielt indeß mein Wort nicht, erzaͤhlte aber diesen Vorfall einem Burschen von unserer Kompagnie, der gleich nachher hingegan- gen war, sie aufzusuchen, um die Stelle bey ihr einzunehmen, welche sie mir zugedacht hatte. Der Bursche hat sich, wie er mir eingestand, recht gut dabey befunden. So arg war die Delikatesse der Koblenzer Damen abgestumpft! — Ueberhaupt war es sehr leicht, bey den dortigen Damen und Mamsellen anzukommen: durch die Zuͤgellosigkeit der Emigranten selbst zuͤgellos ge- macht, trieben sie ihre Frechheit und Unverschaͤmt- heit ins Wilde. Eine Kaufmannstochter — ich meyne hier das pockige Maͤdchen neben dem Bar- barakloster — sagte ganz oͤffentlich, daß sie ihre Jungferschaft fuͤr 6 Carolins, oder 39 Thlr. an einen Franzosen verkauft haͤtte: andere gestanden eben so frey heraus, daß sie so und so viele Lieb- haber unter den Emigrirten zugleich gehabt haͤt- ten. Nein, so verdorben waren die deutschen Maͤd- chen sonst nie! — Doch genug davon! Nach ohngefaͤhr zwoͤlf Tagen ruͤckten wir in ein Lager, eine Stunde von Koblenz, wo der Koͤ- nig seine Armee musterte. Bey dieser Musterung aͤußerten die groben franzoͤsischen Prinzen, daß diese Parade fuͤr Deutsche schon ganz gut sey. — Ich wundre mich, daß der Herzog von Braunschweig , gegen welchen der Graf von Provence so gesprochen hat, diesem Poltron nicht auf der Stelle eine derbe Ruͤckantwort gegeben hat: aber er strafte ihn nur mit Verachtung. Man sieht indeß, wie hoch diese Leutchen sich und ihre Horde taxirten! Und doch waren eben sie es mit, um derer willen wir uns zur Schlachtbank anschick- ten! Ueber den geringen Aufwand, den der Herzog machte, raͤsonnirten die Emigranten auch nicht we- nig. Sie meynten, er muͤsse ein sehr armer Teu- fel von Fuͤrsten seyn, daß er nicht mehr aufgehen ließe. Aber so urtheilten Menschen, denen weise Sparsamkeit ganz fremde war, und die ihr Lob und ihre Groͤße in der unsinnigsten Verschwendung suchten. Der Marketender unsers Bataillons war ein Jude, der aber gar nicht anstand, am Schabes Geld einzunehmen, Speck zu verhandeln, und was der sieben Sachen mehr sind, die das Mosai- sche Gesetz den Juden untersagt. Seine Toleranz gieng gar so weit, daß er nichts dawider hatte, wenn seine junge Ehehaͤlfte fuͤr sechs Batzen auch einen Christen ihrer Reize genießen ließ. Dieser Jude aus Neuwied hat uns indeß jaͤmmerlich ge- prellt; und zum Dank dafuͤr wurde ein Lied auf ihn anfaͤnglich schriftlich herumgetragen, hernach aber zu Frankfurt gedruckt, und ihm zum Schimpf oft vorgesungen. Folgende Stelle zeugt von dessen Gehalt: Weil er (der Jude) uns also Menscher haͤlt, So denkt der Spitzbub eben, Wir muͤßten ihm auch unser Geld Fuͤr schofle Waare geben. Sein Bier entsetzlich sauer ist, Sein Branntwein schmeckt, wie Pfuhl vom Mist, Sein Wein ist wahrer Essig. u. s. w. Ueberhaupt war man dießmal bey der Preußi- schen Armee fuͤr gute Marketen derey gar zu wenig besorgt. Bey den Neufranken habe ich nachher diesen Punkt weit besser gefunden: da hat man ordentlich angestellte Marketender; und ihr Ge- schaͤft (die Vivanderie ) ist ein Gegenstand der Sorge des Kommissaͤrs. Die Waaren sind alle taxirt, und niemand darf hoͤher verkaufen, als der gesezte Preis ist. Man sorgt dort auch fuͤr die Herbeyschaffung aller benoͤthigten Waaren. Aber bey den Preußen bekuͤmmerte sich dießmal keine Seele darum, ob ein Marketender da war, und wie er seine Sachen trieb. Da wurde denn der arme Soldat geschunden, und geprellt zum Erbar- men. An dem schurkischen Patron von Neuwied haben wir die Probe mehr als zuviel gehabt. Bey unsrer jaͤmmerlichen Retirade aus Champagne ist der Erzbetruͤger von den Franzosen zwar ertappt, und rein ausgepluͤndert worden: allein dieß half der Prellerey im Ganzen nicht ab. Ich sagte dem Schuft einmal so meine Mey- nung, daß er das Bier fuͤr 12 Kreuzer verkaufte, und gab ihm die Titel, welche er verdiente. Da lief er hin zum Hn. von Mandelsloh , meinem Hauptmann, fand aber kein Gehoͤr, weil dieser brave Mann recht wohl wußte, daß der Jude ein abgefeimter Schurke war. Also uͤberlief er gar den Obristen von Hunt , welcher mir denn befehlen ließ, den schuftigen Juden ferner nicht mehr Schuft zu heißen. Aber wie konnte ich wider die Wahr- heit! Im Lager bey Koblenz besuchte mich auch Hr. Prediger Schellenberg aus Neuwied, Verfas- ser einiger philologischer und paͤdagogischer Schrif- ten, und ein wuͤrdiger Schuͤler des braven Herrn Professors Wolff zu Halle. Ich habr einige recht vergnuͤgte Stunden in Gesellschaft dieses ehr- lichen Freundes zugebracht. Hr. Schellenberg hatte ganz andre Gedanken von der franzoͤsischen Revo- lution, als sein Landsmann, der Neuwieder Zei- tungsschreiber, ein rechtes Pendant von dem Herrn von Schirach und von Aloysius Hofmann zu Wieu. Siehe Kleinigkeiten aus der Brieftasche Peter Roberts S. 210 u. 239 wie auch Beschreibung der Universitaͤt zu Schildau Bisher war das Wetter ziemlich gut gewesen, nun aber fieng es an, immer zu regnen, und das hat beynahe nicht nachgelassen, bis zum Winter- quartier. An unserm Preußischen Gelde haben wir den ganzen Krieg hindurch viel verloren. Wir wurden in Behmen und Sechsern bezahlt, und litten an den leztern immer. Der Behm galt z. B. im Trie- rischen 3½ Kreuzer trierisch; der gemeine Mann hatte daher 35 Kreuzer; an Sechsern aber nur 32 Kreuzer, denn der Sechser galt dort nur 2 Kreuzer. Das ganze oder große Geld allein war ohne Ver- lust; aber wer gab es uns! Die Herren Regiments- quartiermeister haben die Sechser und Behmen im- nach Kantischer Lehrart verfasset, und allen Leibnizianern zum Troze herausgegeben von M. Franz Caspar Cr pus, Historiarum professor et lib orum Censor zu Schilda, worin von Herrn von Schirach und Aloysius Hofmann, als ehemaligen Stockmeistern zu Schilda, viel Nachricht vor- koͤmmt. — Der Neuwieder Zeitungsschreiber, nebst dem dortigen Postmeister, den im rtinenten Einfall gehabt haben, an den Praͤsidenten des National-Convents eine Schachtel mit einem Strick nach Paris zu schicken, und ihn aufzufodern, sich daran zu hangen, bevor die — damals — anruͤckenden Oestreicher und Preußen Paris unterjochten. — Daß dieser Einfall einem Henkersgesellen allerdings aͤhnlich sieht, sieht man gleich ein, aber auch, daß er sehr erbittern mußte, und daß es folglich weit deutsch-patriotischer, oder uͤberhaupt kluͤger gewesen waͤre, ihn nicht auszufuͤhren. Wer weiß, ob dieser Einfall nicht noch vorigen Herbst auf das harte Schicksal der Neuwieder einigen Einfluß gehabt hat. Bubenstreiche von der Art sollten zur Zeit d Krieges durch- aus nicht gestattet werden. mer durch Juden und andre Helfershelfer fleißig einwechseln lassen, und dabey ansehnlich gewon- nen. Man hat das Unwesen wohl bemerkt, aber nicht gesteuert. Als daher im folgenden Winter bey Frankfurt am Mayn einem gewissen Herren Quartiermeister eine sehr ansehnliche Summe ge- stohlen ward, sagte selbst ein General: „er kann das schon verschmerzen: hat er uns doch, wer weiß um wie viel, besch—en!“ Frauenzimmer kamen sehr haͤufig aus Koblenz, und besuchten ihre Bekanntschaften im Lager: vor- nehmere die Offiziere und gemeine die Soldaten. Da ist es denn manchmal hergegangen, wie es konnte. Einstens kam auch ein Koblenzer Kanonikus zum Herrn Major von Wernsdorff , welcher mich kommen ließ, um da bey einem Glase Wein mit dem Hn. Kanonikus latein zu reden. Dieser Hr. Kanonikus war ein wahrer Bon-vivant, der blos fuͤr seinen Bauch sorgte, und auch nicht das geringste auf Wissenschaften oder Litteratur hielt. Si semel habemus praebendas, sagte er, tunc non magis cogitamus de libri: quid enim bonum Cano- nico est, studere? sumus semel provisi, et studia sinimus pendere in elavo. Sehr erbaulich! Doch wußte der Herr Kanonikus, daß Doktor Bahrdt ein Erzketzer und Atheist gewesen sey, und machte große Augen, als ich ihm sagte, daß Bahrdt, nach meiner Meynung, noch zu orthodox und zu glaͤubig gewesen waͤre. Als ich ihm dieß beweisen wollte, verbath er alles Disputiren, unter dem Vorwande: daß er einmal den festen Vorsaz gefaßt habe, niemals, unter keinerley Umstaͤnden, uͤber Religionssachen zu streiten. Bravo fuͤr alle Esel in den Kirchen-Muͤhlen! — Er hatte einen Be- kannten in Paris, an welchen er mir einen Brief mitgeben wollte; aber der Brief ist nicht geschrie- ben worden: es war auch schon so recht: denn in Paris haͤtte ich ihn doch nicht abgeben koͤnnen. Was und wohin die vielen Blinden damals nicht alles dachten! Von dem beruͤhmten und beruͤchtigten Eulo - gius Schneider erzaͤhlte er allerhand skandaloͤse Anekdoten, die aber beym rechten Lichte betrachtet, nichts weniger als skandaloͤs waren. Doch ich wußte recht gut, wie und wofuͤr ich die Erzaͤhlun- gen eines Koblenzer dickbaͤuchigen Kanonikus von einem Ketzer und Apostaten zu nehmen hatte Was ich uͤber Eulogius Schneider in Strasburg sonst erfahren habe, wo er 1794 guillotinirt wurde, erzaͤhle ich in der Folge. Das Volk im Trierlande ist uͤberhaupt kein Volk, bey welchem ich leben moͤchte. Das ganze Land ist katholisch, und zwar recht jesuitisch-katholisch; daher alle Ketzerey — folglich auch alle Vernunft und Wahrheit, als die erste und aͤrgste — darin wie Gift verhaßt ist, und der Protestant gilt dort we- niger, als der Jude. Der Kurfuͤrst hat zwar einige Anstalten zur Verbesserung des Schulwesens tref- fen lassen; aber die Buͤcher des Martin von Cochem und dessen gleichen sind noch immer die Hauptquel- len, woraus der Trierer seine Weisheit sammelt. Daher sind die Trierer abscheulich aberglaͤubig, rennen in alle Messen und fuͤrchten sich schrecklich vor Gespenstern, Kobolden und Hexen. Beyher sind sie alle grob und massiv im hoͤchsten Grade, und haben auch eine ihren derben Sitten ganz ange- meßne Sprache. Eich seyn, mer ben, dan hoscht, eich hun, ehr san, se gihn Ich bin, wir sind, du hast, ich habe, ihr saget, sie gehen. u. d. gl. ist recht Trie- risch. Ich habe sogar Leute von Erziehung, und vornehme Frauenzimmer so sprechen hoͤren. Derley grober Dialekt verstellt aber gewiß den schoͤnen Mund einer Fraͤulein von Sparr , und einer Mamsell Vola . Sie sollten sich doch eine feinere Sprache angewoͤhnen — rathe ich ohnmaßgeblich. Ich hatte im Lager bey Luxemburg ein Lied — so nach meiner Art — auf die Trierer und das Trierland gesudelt, welches die Soldaten auswen- dig lernten, und auf dem Marsche hersangen. Ein gewisser Soldat, Schneider, hatte das Ding, das wirklich ein elendes Ding war, abgeschrieben, und seiner Frau nach Halle geschickt. Diese hatte es da einer Papierkraͤmerin uͤbergeben, und diese hatte es dort drucken-lassen, aber so schnitzerhaft, daß man es kaum verstehen konnte. Ich erschrack sehr, als ich das Ding gedruckt sah, und mußte nachher sogar bey einer Warnung hoͤren, daß selbst der Kurfuͤrst von Trier sich in Gegenwart unsers Koͤniges dar- uͤber beschwert habe. So kann ein elender Sudel, von gewinnsuͤchtigen Blaͤtter-Troͤdlern benutzt, Gelegenheit zu unangenehmen Auftritten geben! In Frankfurt am Mayn hat man es in die uͤber allen Glauben elende Sammlung sogenannter preußischer Kriegslieder aufgenommen. Ich schaͤ- me mich noch, daß ich mich zur Baͤnkelsaͤngerey, wie Hr. Bispink diese meine Sudeley nachher ganz recht benannte, herabgelassen habe, da ich gar keine Anlage zum Versmachen in mir bemerke. Siebentes Kapitel. Marsch von Koblenz nach Trier . U nser Weg von Koblenz nach Trier war sehr be- schwerlich: wir mußten uͤber Berg und Thaͤler, deren einige von unglaublicher Hoͤhe und Tiefe sind. Die Sonnenhitze hat uns auf diesem Marsche recht gemartert, aber desto angenehmer waren uns die vielen Roͤhrbrunnen, mit dem schoͤnsten Wasser, an dem dortigen Chauss é e . Ich habe mich dann und wann nach den Ge- sinnungen der Trierer in Ruͤcksicht der franzoͤsischen Haͤndel erkundiget, und jedesmal gefunden, daß sie alles billigten, was die Franzosen zu ihrer Selbsthuͤlfe vornahmen, und blos das tadelten, was in Absicht der Pfafferey geschehen war. So hatten doch die Leute, troz der großen Finsterniß, die ihre Augen benebelt hielt, eingesehn, daß der Unterthan mit Recht verlangen koͤnne, nicht lebendig geschunden zu werden. Eben dieser Mey- nung waren sogar Geistliche. Auf diesem Marsche besuchten mich einige von meinen alten akademischen Freunden: ich war wirk- lich, wie im Himmel, als ich die lieben Bruͤder, den Hn. Amtsrath Heusner von Thronecken und den Hn. Pfarrer und Rektor Pfaͤnder von Trar- bach wieder um mich hatte. Letzterer war ehedem in Halle unter dem Beynamen Till Eulenspie - gel bekannt, zu der Zeit naͤmlich, wo jeder Stu- dent einen Beynamen hatte, ohne dadurch beschimpft zu seyn. Wir erinnerten uns beym Moselwein an unsre Wanderschaft im Lande der Philister, und erfreuten uns gar sehr uͤber so manchen alten Auf- tritt. Die Schwester des Hn. Amtsraths, ein schoͤnes bluͤhendes Maͤdchen, machte starken Ein- druck auf einen unsrer Offiziere; und dieser pflegte nachher noch oft, mit allem verliebten Enthusias- mus, von ihr zu sprechen. Von diesen Herren hoͤrte ich beyher, daß meine mir ehedem so liebe Therese gestorben waͤre. Diese Nachricht war, wie ich unten melden werde, zwar falsch, aber das konnte ich damals nicht wis- sen, und dachte mir also das gute Maͤdchen im Grabe, und war viele Tage niedergeschlagen und traurig: denn ich machte mir den Vorwurf, daß der Grund ihres fruͤhen Todes vielleicht zum Theil in meinem Betragen gegen sie gelegen sey. In Trier trafen wir wieder viele Emigranten an, die nun aber auch bald fort mußten. Trier war von diesem Gesindel eben so, wie Koblenz vergiftet. Daß ich uͤber diese Leute nicht zu viel gesagt habe, moͤgen meine Leser nach Stellen beurtheilen, welche ich aus einer Apologie fuͤr die Stadt Koblenz und das Trierische Land nachher bemerkt habe, um meine Privatbehauptung durch ein oͤffentliches Dokument hier mitzubestaͤtigen. Die Apologie war dem Nationalkonvente von einem Buͤrger in Koblenz zugeschrieben, und enthaͤlt, wie man gleich sehen wird, noch manch andern wichti- gen Aufschluß. „ Koblenz — heißt es darin — hat den er - sten Zunder zum Kriege gegeben. Es war der Sammelplatz der Koͤnigsfreunde und der Aristokra- ten: Monsieur und Graf Artois hatten hier ihr Hoflager aufgeschlagen. Hier war die Zusam- menkunft der ausgewanderten Adlichen, die nur zusammentraten, um Frankreichs alte Regierungs- form wieder herzustellen, und die muthigen Ver- theidiger der Revolution zur Strafe zu ziehen.“ — Kaum war es bekannt, daß Monsieur und Graf Artois in Koblenz eingetroffen waͤren, so stroͤhmten die Ausgewanderten aus allen Gegenden in unglaublicher Menge dahin: Nur wenige Wo- chen, und ihre Anzahl belief sich auf mehrere Tau- sende. — Nur wenige Monathe, und kaum ein Dachstuͤbchen war mehr in Koblenz zu haben.“ Von nun an war selbst unser Fuͤrst kaum mehr Herr in seinem eignen Lande, er mußte sich ge- wissermaßen leidend verhalten, so lange diese un- gebetenen Gaͤste ihr Unwesen nicht zu weit trieben. Allein war wohl zu erwarten, daß dieser Fall lange ausbleiben wuͤrde?“ „Buͤrger und Volksrepraͤsentanten, ihr kennet ja am besten den Charakter dieser elenden Hoch- verraͤther ihres Vaterlandes — diese Wuͤstlinge ohne Erziehung, ohne alles sittliche Gefuͤhl, ohne Menschengefuͤhl — diesen Auskehricht der Mensch- heit, dem jede Tugend laͤcherlich, und der Tugend- hafte und Rechtschaffene ein Dummkopf ist — der nur das glaͤnzende Laster als das erste Idol anbe- tet — dessen Sinn und Streben einzig auf Be- friedigung seiner unbaͤndigen und abscheulichen Lei- denschaften, auf Tyrannisirung und Unterdruͤckung seines Mitbuͤrgers gerichtet ist — dem die unna- tuͤrlichsten Ausschweifungen, die graͤßlichsten Bu- benstuͤcke nur Spielwerk sind!... Ihr kennet die Prinzen , die durch ihre unsittliche Lebensart, ihre Verschwendungssucht und Schlemmerey sich selbst zu den verworfensten Geschoͤpfen herabsetzen, und wegen ihres Hanges zum Despotismus vom Fluch der Menschheit gedruͤckt werden. Ihr wis- set, daß ihre Verachtung des ungeadelten aber nuͤtzlichen Buͤrgers, ihr dummdreister Stolz, der mit dem gaͤnzlichen Mangel reeller und solider Kennt- nisse, den man uͤberall an ihnen wahrnahm, den seltsamsten Kontrast machte — daß ihre Vorliebe zu Ausschweifungen jeder Art, ihre empoͤrende Immoralitaͤt, die alle ihre Handlungen bezeichnete, ihr Ingrimm und Blutdurst gegen die sogenannten Patrioten — daß, mit einem Worte, dieß alles zusammen genommen, sie in den Augen eines jeden unbefangenen, rechtschaffenen und Sittlichkeit-lie- benden Mannes zu den vollkommensten Taugenicht- sen brandmarkte.“ „So war das allgemeine Urtheil der Einwoh- ner von Koblenz und des Erzstifts uͤber den groͤßten Theil der Ausgewanderten: Wie haͤtte ihr Betra- gen gegen dieselben anders, als kalt, abgebrochen und zuruͤckhaltend seyn koͤnnen?“ Allgemeine? Freylich aller derer, welche Tugend hoͤher schaͤ- tzen als Gold, oder welche als Stube , Speisewirthe, Weinschenker, Geldwechsler, Wucherer, Kaufleute, Balbierer, Haarkraͤuseler, Putzmacherinnen, Schuster, Schneider, Kuppler, Lustdirnen u. d. gl. von den Emigrirten nichts zu erwarten hatten. Bey welchen das Gegentheil von diesem eintraf, die urtheilten und betrugen sich anders, und zwar nach dem Grundsatz von Virus post numos. Wir haben es erfah- ren. Doch die franzoͤsische Nation denkt jezt wohl weniger an Koblenz noch, als an Pilnitz und Wien, oder an ein voll- guͤltiges, klingendes Suͤhnopfer von daher. — „Zur Wiedervergeltung wurden wir dem Kur- fuͤrsten als Erzpatrioten geschildert und so lange verleumdet und verschrieen, bis es ihnen gelang, Dritter Theil. F denselben gegen seine eignen Unterthanen, insbeson- dere aber gegen die Einwohner von Koblenz, mis- trauisch zu machen.“ „Dieses Mistrauen, das man tagtaͤglich mehr und mehr anzufachen nicht unterlassen hatte, stieg bis zum hoͤchsten Grade, als endlich die Staͤnde des Landes der Stimmung des Volkes beytraten.“ „Schon vorher hatten sie dem Kurfuͤrsten ihren allgemeinen Entschluß vorgelegt: daß keine Aus- gewanderte anders, als nach den Gesetzen der streng- sten Neutralitaͤt im Erzstifte geduldet werden moͤg- ten.... Sobald sie nachher wahrnahmen, daß der Hof in Behandlung der Ausgewanderten allzu- nachsichtig verfahre, und die Vorschriften einer unverfaͤnglichen Neutralitaͤt nicht genau und fest beobachte — baten sie in einer zweckmaͤßigen Vor- stellung den Kurfuͤrsten von neuem aufs dringend- ste: „von dem Wege der strengsten Neutralitaͤt, „als dem einzigen Mittel, die guten Gesinnungen „und das friedfertige Benehmen der maͤchtigen „franzoͤsischen Nation gegen das unmaͤchtige und „wehrlose Erzstift fuͤr die Zukunft zu sichern, nicht „im mindesten abzuweichen, noch weniger zu ge- „statten, daß von den Prinzen und ihren Anhaͤn- „gern einige Maasregeln ergriffen oder ausgefuͤhrt „werden moͤgten, welche von der Franzoͤsischen „Nation zu feindseligen Vorkehrungen ausgedeutet „werden koͤnnten.“ „Und welchen Erfolg hatten sowohl diese als die vielen nachfolgenden Vorstellungen, deren jede, so wie die Gefahr des Landes stieg, immer frey- muͤthiger, dringender und flehender entworfen und uͤbergeben wurde?“ „ Clemens (der Kurfuͤrst von Trier) gehoͤrt nicht in jene Klasse der Regenten, die mit eindrin- gendem Blicke das Ganze einer Sache, mit ihren Verkettungen, ihren nahen und entfernten Ver- haͤltnissen, ihren natuͤrlichen, wahrscheinlichen und moͤglichen Folgen durchschauen, und diesemnach die zweckmaͤßigsten Maaßregeln selbst ergreifen. — Clemens legte die Sache seinem damaligen Mi- nisterio vor; und die Hauptperson, die an der Spitze desselben stand, war — im Solde der Prin- zen, war ihr erster Anhaͤnger.“ „Ach, waͤre unser Kurfuͤrst durch kluge, ein- sichtsvolle, seines Vertrauens wuͤrdige Maͤnner geleitet worden; — ganz Europa wuͤrde ihm viel- leicht Ruhe und Gluͤck zu danken haben! Jener Krieg, einzig in seiner Art, wogegen die verderb- lichsten und moͤrderischten Kriege des Alterthums und der neuern Zeiten, als Knabenspiele anzusehen sind, wuͤrde vielleicht im Keime erstickt worden seyn.“ „Aber der nichtswuͤrdigste, der verworfenste aller Menschen, der feilste Sklave des Lasters und der Wollust, fand Gelegenheit, sich des Vertrauens des Kurfuͤrsten in so hohem Grade und so ausschlie- ßend zu bemaͤchtigen, daß er schnell von Stufe zu Stufe stieg und endlich den oͤbersten Posten eines geheimen Staats- und Kabinetsministers erhielt.“ „Von nun an hatte die Wohlfahrt des Trie- rischen Landes den Todesstoß empfangen; von nun an wurde unser — Fuͤrst auf alle Art unter al- len nur moͤglichen Larven aufs schaͤndlichste betro- gen; von nun an darbte das verwaiste Verdienst; beklagte der wahre Patriot das Schicksal seines Vaterlands!“ „Und wer ist dieser Schaͤndliche?“ „ Duminique ist sein Name!“ „Dieser elende Wicht, dessen ganzes Verdienst in einem geschmeidigen Ruͤcken und in einer gelaͤu- figen Zunge besteht, sollte die Geißel des Trierischen Landes, sollte die Geißel von ganz Europa wer- den!“ „Was konnte fuͤr einen ehemaligen Edelknaben erwuͤnschter seyn, als die Ankunft der Prinzen? Was konnte diesen kriechenden Wurm mehr kitzeln, als ihnen tagtaͤglich beym Aufstehen die Cour zu ma- chen? Tagtaͤglich unter ihrem glaͤnzenden Gefolge einherzutreten? sich zu sonnen im Nimbus ihrer Herrlichkeit? mit Theil zu nehmen an ihren schwel- gerischen Gastmalen und Festen?“ „So was ist schon allein fuͤr eine Sklavenseele das non plus ultra des menschlichen Gluͤcks. Aber welche blendende, welche bezaubernde Aussicht both ihm zugleich die Zukunft dar, wenn es ihm ge- lingen sollte, sich in das Vertrauen der Prinzen einzustehlen, und ihre Gunst in so hohem Grade zu fesseln, daß er zur Ausfuͤhrung ihrer chimaͤri- schen Entwuͤrfe als Mitwerkzeug gebraucht wuͤrde!“ „Seine Parthie war auf der Stelle genommen. Von erster Jugend auf, zu der Kunst angefuͤhrt, sich ja der Gnade seines Fuͤrsten auf alle nur moͤg- liche Weise zu versichern — es ja nie an sklavischen Verbeugungen, kriechenden Ehrfurchtsbezeugungen und uͤbertriebnen Schmeicheleyen fehlen zu lassen — vor allem die schwache Seite des Fuͤrsten aus- zuspaͤhen; seine Gesinnungen, Neigungen, Launen und Leidenschaften zu studiren, um ihnen zu lieb- kosen — und nun endlich zu einem vollkommnen Hoͤfling gereift, was war leichter fuͤr einen Du - minique , als die Prinzen, besonders den Artois , der als die Seele des in der Geburt begriffnen Riesen- werks der Gegenrevolution anzusehen war, in kur- zem ganz fuͤr sich einzunehmen, ganz zu gewinnen, besonders, da es sein Posten mit sich brachte dessen taͤglicher Gesellschafter zu seyn; und da — um ja die Hauptsache nicht zu vergessen — ihre Charaktere, ihre Gesinnungen, ihre ganze Denk- und Lebensart aufs harmonischte zusammenstimm- ten?“ „ Duminique erschwang sich ohne Muͤhe zum Guͤnstling des Artois . — Er sicherte den Prin- zen vor allem einen bequemen Aufenthalt, eine reichlich besezte Tafel, und die damals nicht un- ansehnliche Kasse des Kurfuͤrsten zu ihrer Disposi- tion. Er spiegelte dem Leztern vor, daß die bruͤ- tende Gegenrevolution unmoͤglich mislingen koͤnnte — daß in kurzem die Nationalversammlung aus- einander gesprengt, und der Koͤnig und die koͤnig- liche Familie in ihre ehemaligen Rechte wieder ein- gesezt seyn wuͤrde — machte ihn taub gegen die Stimme, die Wuͤnsche und die Besorgnisse des Volks; taub gegen die angehaͤuften Vorstellungen, Bitten und Beschwoͤrungen der Landstaͤnde.“ „Hiebey blieb Duminique nicht stehen. Wurde die Gegenrevolution ausgefuͤhrt, welches unuͤbersehbare Gluͤck bluͤhte dem Lieblinge des Artois ! Hatte er nicht Hoffnung, der erste Minister Frankreichs zu werden? Und er sollte nicht alle Kraͤfte anwenden, nicht alle Triebe und Raͤderwerke anspannen, um dieses große Werk in Gang zu bringen? Er sollte nicht Himmel und Hoͤlle aufbiethen, um es zu vollenden?“ „Da war auch nicht ein Faͤserchen in seinem ganzen konfiscirten Koͤrper, das nur in irgend eini- ger Verbindung mit seinem waͤssrigen Gehirne stand, das nicht aufstrozte und sich anstrengte — um das Hirngespinnst der Gegenrevolution aufzustutzen, und die Ausfuͤhrung derselben nicht nur als moͤg- lich, sondern als leicht den ersten Maͤchten Deutsch- lands vorzuschildern.“ „Er war's, der in Verbindung mit dem Prin- zen von Nassau , und dem beruͤchtigten Calonne , zum Vortheile der Prinzen, an allen Hoͤfen Eu- ropa's Subsidiengelder auszumitteln suchte, um ihre Anhaͤnger aufnehmen, besolden und bewaffnen zu koͤnnen. Er war's, der im Namen und als Bevollmaͤchtigter der Prinzen, die Hoͤfe von Ber - lin , Wien und Petersburg bereiste, da- selbst geheime Unterhandlungen eroͤffnete, alle nur moͤglichen Ueberredungskuͤnste und Versprechungen anwandte, um diese Hoͤfe fuͤr die Sache der Prin - zen zu gewinnen, und zu einer gemeinsamen Be- waffnung gegen Frankreich zu vermoͤgen. — „Mit einem Worte: dieser Schandbube war's, der zuerst die unselige Fackel zu dem Holzstoße trug, der ganz Europa in lichte, alles verheerende Flammen setzen sollte: — dieser Schandbube, der vielleicht in diesem Augenblicke in allen Wolluͤsten sich waͤlzt, und in den Armen seiner Lustdirnen schwelgt — indeß der irregefuͤhrte, betrogene Cle - mens seine Lagerstaͤtte mit blutigen Thraͤnen nezt, mit blutigen Thraͤnen zu dem hoͤchsten Wesen um das Ende der angehaͤuften Leiden seiner ehemaligen Unterthanen flehet!“ — „Buͤrger und Volksrepraͤsentanten, jezt spre- chet unser Urtheil! Erwaͤget, daß wir, als un- maͤchtige und huͤlflose Opfer, mit Gewalt ins Ver- derben geschleppt wurden — da wir durch die Raͤnke, Kabalen und Machinationen eines treu- losen, verabscheuungswuͤrdigen Ministers in den Abgrund des Verderbens gestuͤrzt worden sind — da durch diesen Abschaum aller Schurken die Wohl- fahrt des Landes von Grund aus zertruͤmmert, und alle Huͤlfsquellen, um sich endlich nach langen Jahren erholen und die ungeheuren Schulden, wo- mit das Land belastet ist, tilgen zu koͤnnen, ver- trocknet sind: — entscheidet Buͤrger und Volks- repraͤsentanten, welches Loos verdienen wir?“ — Das Loos der Selbstherrschung — antwortet der Widerhall aus Gallien — um durch kurzsichtige, schwache Fuͤrsten, und deren verschmizte Minister nicht dereinst wieder huͤlflos ins Verderben gestuͤrzt und dann gleichguͤltig verlassen zu werden. Mieth- linge sind und bleiben Miethlinge; und die Vor- mundschaft hoͤrt auf, sobald der Bevormuͤndete majorenn ist, ja, majoremier, als sein Vormundt, und doch dieser, wie dessen Sachwalter, es wa- gen, ganz nach systematischem Fuͤrsten-Egoismus zu des Muͤndels Untergang zu handeln. Dieß war der Fall im Erzstifte Trier. Die Staͤnde hier, von Clemens und Duminique nicht erhoͤrt, wendeten sich an das Reichskammer- gericht, um ein Mandatum de abducendo milite Gallico gegen ihren Landesherrn auszuwirken. Sie schritten hier zur zweyten Instanz aus Noth, und waren dazu, nach der Reichsverfassung, be- rechtiget, indem diese den Unterthanen erlaubt, von den Austraͤgen der Fuͤrsten, troz ihres Privile- giums de non appellando, sich an die Reichsge- richte um Huͤlfe wider sie zu wenden. Was that nun Duminique ! Man denke! Gerade damals, 1790, stand Leopold II. auf der Kaiserwahl; und da diese Wahl schon lange gedient hat, das Recht der Wahlherren uͤber das Recht des Gewaͤhlten und dessen Untergebene kapi- tulationsmaͤßig hinauszusetzen: so trug Kurtrier darauf an, daß das kurfuͤrstliche Collegium dem kaiserlichen Wahlkandidaten es zur Wahlbedingung machen moͤgte, Rekurse von der eben erwaͤhnten Art abzuweisen. Das Collegium ließ sich bereit finden, und schon hieß es im 6ten § des 19ten Art. der Leopoldischen Wahlkapitulation: „Wenn auch Landstaͤnde und Unterthanen wider ihre Obrigkeiten in Privatsachen, welche die landesfuͤrstliche Kam- mer betreffen, Klage fuͤhren: so sollen und wollen wir (Kaiser) diese bey ihren ordentlichen Landesge- richten entscheiden lassen, und ( NB! ) den Reichs- gerichten nicht gestatten, uͤber solche Klagen, in lezter Instanz, wenn privilegia de non appellando vorhanden sind, — zu urtheilen.“ Diesem nach sollte also der Landesherr und des- sen Gerichte, in Sachen der Landesstaͤnde und der Unterthanen gegen ihn, — Beklagter und Richter zugleich seyn. Der Weg zum Rechte waͤre dem- nach gesperrt gewesen: denn welches Landesgericht haͤtte es wagen duͤrfen oder moͤgen, einem Landes- herrn, in dessen Hand ihr Schicksal steht, Recht abzusprechen? Die Landesherren haͤtten folglich das Recht erhalten, den Sultan ungehindert zu spielen, und den Fiskal zu machen fuͤr ihre Kam- mer nach Belieben, und doch von Rechtswegen. Der Zustand dieser Laͤnder waͤre dadurch rechtlos, und Selbsthuͤlfe ihr erstes Beduͤrfniß geworden. Dann aber gute Nacht Landfriede, und es lebe das Faͤustrecht! — Wohl indessen uns, daß Deutschland in dem Reichs-Kammergerichte noch Maͤnner zaͤhlt, welche konstitutionsmaͤßiger und konsequenter denken, als ein Duminique und seines Gleichen. „Ich muß gestehen — erklaͤrte einer dieses Areopags gen Kurtrior — daß ich nicht begreife, wie man heutzutage auf dem Rechte, in eigner Sache Rich- ter zu seyn, und keinem Oberrichter davon Rechen- schaft geben zu wollen, bestehen kann, und da- durch dem deutschen Buͤrger sein edelstes Kleinod, gegen seinen Landesherrn, in jedem Falle, bey ei- nem Oberrichter Huͤlfe finden zu koͤnnen, so offen- bar entziehen will. Hieraus koͤnnen gerade in un- sern Zeiten am allerersten und haͤufigsten Unruhen entstehen.“ So dieser Edle! Ehrwuͤrdiger wird er, wenn man das weiter liest, was Schmelzer in der Ausgabe der erwaͤhnten Wahlkapitulation S. 153 ausfuͤhrlicher davon anfuͤhrt. Aber nun weißt Du, lieber Deutscher, welcher Hof und welcher Mann es war, der uns den Fran- zosenkrieg hauptsaͤchlich zuzog: und dieß ist histo- risch- und politisch-wichtig; — Du siehst, daß ich den Emigrirten nicht zu nahe trat; — Und was mancher Fuͤrs. oder Minister hinter dem Vor- hange, zum groͤßten Nachtheile ganzer Voͤlker zu- weilen durchsetze oder vorhabe — daruͤber seufze und bedaure die Blindheit der Menschen und Un- menschen! Die Geschichte aller Zeiten und Voͤlker — meynt Schloͤzer — ist ja eine Leidensgeschichte der von den verworfensten, oft stupidesten Boͤse- wichtern am Narrenseil herumgefuͤhrten Nationen. Der Forscher dieser Graͤuelthaten laͤuft ja Gefahr, daß ihm daruͤber die ganze Menschheit veraͤchtlich werde. Denn wer begreift es, daß sich Millionen Menschen von einzelnen Wuͤtrichen haben schlach- ten, von einzelnen Raͤubern haben pluͤndern lassen! Die Feigheit dieser Elenden ist ja noch raͤthselhaf- ter, als die Unmenschlichkeit ihrer Tyrannen. S allgem. Staatsrecht S. 103. — So wahr ist es naͤmlich, wenn der Dichter aus- ruft: Unselig Mittelding von Engel und von Vieh, Du hast Vernunft, o Mensch, und brauchst sie den- noch nie! Verzeihung fuͤr diese Episode! Eine Stunde von Trier wurde unser Lager auf- geschlagen nahe an der Mosel, da, wo die Saar in diesen Fluß einfaͤllt. In ganz Deutschland, so weit ich wenigstens darin herum gewesen bin, giebt es wohl keine schoͤnere Gegend, als da, wo hier unser Lager stand; aber leider machte die ent- setzliche Hitze, daß wir den Anblick der schoͤnen Natur beynahe gar nicht genießen konnten. Ich erinnere mich nicht, von der Sonne jemals mehr gebrannt worden zu seyn, als damals; und wenn wir noch gutes Wasser gehabt haͤtten, so haͤtten wir die Leiden der Hitze mindern koͤnnen. Aber da wurde alles Wasser zum Kochen und Trinken aus der Mosel geholt, und dieses war bis zum Eckel schlammig und unrein. Das Wasser dieses Flusses ist an sich schon ein schlechtes, garstiges Wasser, und wurde durch das staͤte Pferdeschwem- men, das Baden und Waschen darin, noch mehr verdorben. Man denke sich ein Wasser, worauf der Pferdemist uͤberall herumschwimmt; worin die Soldaten haufenweise sich baden, und wo deren Weiber und Menscher die schmutzigen Hemden aus- waschen. Solches Wasser kann niemand ohne großen Eckel trinken: und eben in dieser Sauferey vermehrt durch jene entsetzliche Hitze, liegt wohl die erste Ursache von der fuͤrchterlichen Ruhr, wel- che so viele Menschen in der preußischen Armee weggerafft hat. In Trier bin ich einige Male gewesen, und habe mich nach dem Zustande der dasigen Univer- sitaͤt erkundigt, sie aber in einer sehr traurigen Lage angetroffen. Ehemals studierten hier Viele aus den oͤstreichischen Niederlanden, aber seit der Verordnung Kaiser Josephs II, nach welcher alle Landeskinder kaiserliche Akademieen besuchen muͤs- sen, leidet Trier gar sehr. Der Ton der Trieri- schen Studenten hat von dem gewoͤhnlichen Univer- sitaͤten-Ton nicht das Mindeste: die Leute beneh- men sich wie kopfhaͤngerische Klosterschuͤler. Ich habe mit einigen dieser Herren gesprochen, aber alles, was sie sagten, machte mir keine vortheil- hafte Idee von der antiquissima Trevirensi. Da ich nach dem beruͤhmten Hn. von Hontheim fragte, wußten zwar einige so halb und halb den Namen Febronius, aber was Febronius eigentlich gelehrt habe, das wußten die guten Leutchen nicht. Doch welcher Prophet gilt in seinem Vaterlande! Und so konnte auch der große Febronius die kirchliche Aufklaͤrung seiner Landsleute wenig befoͤrdern. Wenn aber die Trierer durch den jetzigen Zeitton nicht gescheuter geworden sind, dann ist an ihnen Hopfen und Malz verlohren. Indeß ich denke doch, sie werden jezt nicht mehr so pfaffisch und unwis- send seyn, als 1792. Zum Beweise, daß das Trierland ein Haupt- pfaffenland sonst war, will ich nur anfuͤhren, daß in einem Bezirke von einer einzigen Stunde drey sehr reiche Benediktiner Abteyen liegen. Diese wa- ren den Cuͤstinianern eine sehr willkommne Beute. Im Lager bey Trier erhielt ich ein Liebesbrief- chen von einem Nymphchen aus Koblenz, mit der ich so zum Spaß und Zeitvertreib dort geschaͤckert hatte, und die hernach wohl zehnmal zu mir ins Lager kam, und mir mit ihrer zudringlichen Zaͤrt- lichkeit sehr laͤstig ward. Das Maͤdchen muß nicht gewußt haben, wohin es sich sonst wenden sollte. Daß ich ihre Schreiberey ohne Antwort liegen ließe, versteht sich von selbst. Fuͤr unsre Seelen sorgte man in diesem Lager auch. Wir hatten naͤmlich lange keinen Gottes- dienst gehabt, und die Herren Feldprediger der meisten Regimenter hatten eben nicht sehr darauf gedrungen. Aber nun sollten auch unsre Seelen einmal wieder erquickt werden: und so mußten die Feldprediger an einem Sonnabend eine Predigt hal- ten, wobey man das Lied: Was Gott thut, das ist wohl gethan — absang. Es war gegen Abend an einem hoͤchst schwuͤlen Tage, und dieß machte, daß alle Soldaten alle Donnerwetter zusammen- fluchten, daß man sie um der sakkermentschen Pre- digt willen Ich muß in der Fortsetzung, wenn ich naͤmlich auf meinen Aufenthalt in Frankreich komme, eine noch derbere Sprache nachsprechen: also wird man mir auch diesen Ausdruck, den ich aus dem Munde der Soldaten anfuͤhre, zu gute hal- ten. gezwungen haͤtte, sich anzuziehen, und da in der groͤßten Hitze eine Stunde lang hin- zustehen. Die Predigten handelten von der Er- gebung in den goͤttlichen Willen, und man merkte es bald, daß ihre Komposition in die Hundstage fiel. — Das war aber auch der erste und der lezte Gottesdienst fuͤr diesen Feldzug. An Singsang hat es uns auch nicht gefehlt: denn Hr. Dost , ein Antiquar aus Halle, fiel auf den Gedanken, der Armee mit Gesangbuͤchern reli- gioͤsen Inhalts, und mit Kriegsliedern, wie auch mit einer hoͤchst undeutschen Uebersetzung des braun- schweigischen Manifestes nachzuziehen. Die Ge- sangbuͤcher habe ich nicht gesehen, wohl aber die in allem Betracht elenden Kriegslieder, welche er obendrein fuͤr die Arbeit unsers Feldpredigers La - fontaine ausgab, um den Wischen nur Kurs zu schaffen. Bey Luxemburg kaufte er sich gar einen Esel, lud diesem seinen Singsang auf, und zog so mit nach la Lune und von da wieder zuruͤck, und schlief oft, wie er selbst erzaͤhlt hat, mit seinem Brodtgefaͤhrten in den franzoͤsischen Schwein aͤl- len. Zu Koblenz verkaufte er nachher sein lastbares Thier, ward krank, und kehrte um nach Halle, mit dem festen Vorsatz, niemals wieder als geistlicher Makulaturtroͤdler einer Armee nachzuziehen. Jezt ist er akademischer Liquermeister zu Halle. Ich habe oft lachen muͤssen uͤber die Geruͤchte, die man immer ausposaunte und gern fuͤr baare Wahrheit gelten ließ. Bey Trier hoͤrten wir der- gleichen viele; und wenn ich mich dann, wie man spricht, an den Laden legte, und den Ungrund oder die Unmoͤglichkeit solcher Sagerey aufdeckte: so hieß es gleich: ich sey ein Patriot. Aber ich freue mich in gewisser Ruͤcksicht noch, daß ich mich gleich von allem Anfang in Absicht des Ganges dieses trau- rigen Krieges nicht geirrt habe: einen Vorbeweis dazu findet man schon im II. B. S. 393 unten in der Anmerkung. Ich schloß damals und nachher immer nach Gruͤnden, welche mir meine geringe Kenntniß der Geschichte an die Hand gab, und so mußte ich wohl richtig schließen: denn in der Po- litik, wie in der Natur, bringen aͤhnliche Ursachen auch aͤhnliche Wirkungen hervor; und die Men- schen im 14ten, 16ten und 18ten Jahrhunderte sind sich im Grunde gleich: man setze sie also in gleiche Lagen, und ihre Handlungen werden auch gleich seyn. Achtes Kapitel. Emigranten-Heer. Luxemburg. Briefe. Spionen. Pluͤnderung. D ie Emigranten hatten ihr Heldenheer nun auch zusammengestoppelt, und vereinigten sich mit uns bey Trier. Wie stark sie wirklich gewesen sind, hat man nie mit Gewißheit sagen koͤnnen: wenig- stens haben sie sich immer staͤrker angegeben, als sie Dritter Theil. G in der That waren. Sie selbst haben die Menge ihrer Leute wohl nie recht gewußt wegen des ewigen Ab- und Zulaufens. Schon bey Trier rissen ihre Soldaten haufenweise aus, und das nach Frank- reich, wo man sie damals noch ohne weiteres auf- nahm: nachher haben sie noch weit mehr verlohren: endlich nach dem Ruͤckzuge aus Champagne verliefen sie sich beynahe ganz so, daß sie im Fruͤh- linge 1793 wieder so zu sagen von neuem errichtet werden mußten. Gegen die Mitte des Augustes brachen wir von Trier auf und lagerten uns nach einigen schweren Maͤrschen bey dem Dorfe Montfort , welches wegen verschiedner daherum vorgefallner merk- wuͤrdiger Bataillen bekannt ist. Ich hatte hier Gelegenheit, die nahgelegene Stadt und Festung Luxembourg zu besehen. Das Volk in dieser Gegend schien mit der oͤst- reichischen Regierung eben nicht sonderlich zufrieden zu seyn, und hasset seine nahen Nachbaren, die Franzosen weit weniger, als die Trierer: sonst aber sind die Leute noch sehr aberglaͤubisch, grob und ungeschliffen. Das Land an sich ist uͤbrigens vor- treflich und mit allem versehen, was man zur Un- terhaltung des Lebens bedarf: unsere Lebensart ward daher jezt auch etwas besser und wohlfeiler, als bisher. — Die venerische Krankheit war hier sehr im Gange. Sonderbar, daß man in katholischen Ge- genden der Liebe weit zuͤgelloser froͤhnet, als in protestantischen. Aber die Natur will ihr Recht haben, und koͤmmt sie erst zur Reife, dann holt sie das unbaͤndig nach, was vorher, als sie noch un- reif war, die Kloster-Ascetik zwar zuruͤckhielt, aber nicht unterdruͤckte. Dieß gilt auch fuͤr asce- tische Protestanten. Naturam furca expellas, tamen usque recurret. Bisher hatte man immer gehofft, das Mani- fest des Herzogs von Braunschweig wuͤrde eine gute Wirkung auf die Franzosen haben, und uns der Muͤhe uͤberheben, in ihr Land selbst einzudrin- gen. Dieses war so zu sagen, die allgemeine Er- wartung fast aller Offiziere und Soldaten: denn diese alle waren schon jezt des Krieges muͤde. Aber wie sehr sehen sich die guten Leute in ihrer Erwartung betrogen, als sie von der maͤchtigen Veraͤnderung hoͤrten, welche am 10ten August in Paris vorgefallen war! Die Begebenheit dieses fuͤr Frankreichs und seines Koͤniges Schicksal so merkwuͤrdigen Tages zerstoͤrte alle ihre Erwar- tungen; und nun hieß es: „Jezt ist kein Mittel: wir muͤssen geradesweges nach Paris! die verfluch- ten Hunde, die Patrioten, muͤssen aufgehaͤngt und geraͤdert werden.“ — Das war nun schon so ge- wiß, wie Amen in der Kirche: mir aber fielen dabey immer die Nuͤrnberger ein, welche wie man sagt, niemanden haͤngen, den sie nicht erst haben. — Hier erhielt ich auch Briefe aus Halle, wovon der eine mich sehr erfreute, der andre aber auch desto mehr aͤrgerte. Herr Bispink hatte mir naͤmlich auf einen Brief, den ich von Koblenz aus an ihn schickte, geantwortet, und das Schreiben dieses edlen Freundes hatte eben den Stempel von redlicher Gesinnung, von welcher alle seine Handlun- gen gegen mich voll waren, und noch voll sind. Es hat mir, so wie jeder Brief, den ich von ihm bekommen habe, einen recht guten Tag und recht frohe Stunden gemacht, und dieß noch aus dem Grunde, daß Hr. Bispink so gern mit mir ein- stimmte, wenn ich die Lage der Dinge und den Krieg gegen die Neufranken mit etwas andern Au- gen ansah, als man ihn damals anzusehen gewoͤhnt war. Der andre Brief war von einem Hallischen Buͤrger. Es geschah mir aber recht, daß ich auch einen solchen erhielt. Ich hatte lange vor meiner Abreise aus Halle in einer gewissen Kneipe S. Band II. S. 90. in Ge- sellschaft des mehrmals erwaͤhnten Bartolini Bekanntschaft gemacht, und manchmal mit Jungfer Rieckchen, der Tochter im Hause, ge- schaͤkert. Bey meinem Abzuge mußte ich dem Maͤdchen versprechen, dann und wann aus dem Felde an sie zu schreiben; und das that ich aus dem Koblenzer Lager. Indessen aber hatte sich ein gewisser Buͤrger aus Halle auch in derselben Kneipe zuweilen eingefunden; und die guten Leute moch- ten glauben, das sey so ein Stuͤck von Freyer fuͤr ihre Tochter. Als nun mein Brief ankam, und der Vater diese Correspondenz inne ward, schrieb er mir in einem zwar nicht groben, aber doch etwas der- ben Tone, und verbot mir, ferner an seine Tochter zu schreiben, damit meine Briefe ihr an ihrem Gluͤcke nicht hinderlich werden moͤgten. Ich aͤrgerte mich anfangs ein wenig, nachher aber ließ ich es gut seyn. Allein nach unserm Ruͤckzuge aus Cham- pangne schrieb mir Jungfer Rieckchen selbst, ent- schuldigte die Grobheit ihres Vaters, und versi- cherte mich, ich weiß nicht wessen. Nun zog ich so unter der Hand einige Erkundigung ein, und siehe da, ich erfuhr, daß der praͤtendirte Herr Freyer abgegangen war, wie die Katze vom Taubenschlag, und daß ich jezt gut genug seyn sollte, meinen al- ten Platz in Jungfer Rieckchens Gunst wieder einzunehmen. Das Ding gefiel mir nicht sehr: ich antwortete also nicht, und der ganze Kohl hatte ein Ende. Hier bey Luxemburg wurde ein Spion aufge- knuͤpft: man sagte die Franzosen haͤtten ihn abge- schickt, um unser Lager auszuspaͤhen. Ich habe uͤber die Spionen und deren Bestra- fung so meine ganz eignen Gedanken, und es koͤmmt mir vor, als wenn das Gesetz, welches die Spio- nen so geradeweg zum Strange verdammt, sehr ungerecht sey. Denn wenn man einen General, der sich aller Kriegsliste bedient, deßwegen nicht fuͤr unehrlich, und ihn noch weniger fuͤr strangfaͤhig erklaͤrt, weil er durch List dem Feinde zu schaden trachtet: warum soll man einen armen Teufel auf- knuͤpfen, der sich zur heimlichen Entdeckung der Absichten des Feindes bereden oder gebrauchen laͤßt? Man muß alles nur so einrichten, daß kein Spion uns durch Entdeckung dessen, was er sieht oder hoͤrt, schaden koͤnne: und dann hat die Spionerie keine boͤse Folgen. Da gefaͤllt mir der franzoͤsische General Moncey , welcher die Neufranken in die- sem Kriege gegen die Spanier anfuͤhrte, besser. Als diesem 2 spanische Spionen vorgefuͤhrt wurden, sagte der edle Mann zu ihnen: „Hoͤrt ihr Leute, ich koͤnnte, wenn ich nach der gemeinen Art mit euch verfahren wollte, euch alle beyde gleich haͤngen lassen; aber ich verachte einen Spion zu sehr, als daß ich den- ken sollte, aus seiner Hinrichtung Vortheil zu zie- hen. Geht hin zu eurem General und sagt ihm, ich sey 32000 Mann stark, und erwartete blos noch Verstaͤrkung; sobald ich die wuͤrde erhalten haben, wuͤrde ich ihn angreifen, schlagen, und dann Na- varra erobern. Das sind meine Anschlaͤge, welche euer General ohne Zweifel durch euch hat erfahren wollen. Nun koͤnnt ihr sie ihm berichten, und ihm noch sagen, daß wenn er kuͤnftig etwas von meinen Absichten wissen wolle, er sich nur an mich wen- den duͤrfe: ich wolle ihm allemal richtige Nachricht geben. Jezt packt euch!“ — Ich glaube, daß der brave Moncey Recht hatte, wenigstens handelte er edel, und es waͤre Schade, wenn diese edle Handlung vergessen wuͤrde. Es war freylich nur ein franzoͤsischer General; aber der Herzog von Braunschweig hat, wie ich zu seiner Zeit erzaͤhlen werde, eine aͤhnliche edle Handlung ausgeuͤbt. Von Luxemburg bis auf die franzoͤsische Graͤnze hatten wir noch zwey Maͤrsche, die aber gut ge- messen waren. Wir pluͤnderten unterwegs die Erb- sen- und Kartoffel-Aecker, ob diese gleich noch im Kaiserlichen lagen, und ruͤckten am 19ten August 1792 uͤber die Graͤnzen in Waͤlschlotharingen ein. Daß man uns den Tag vor unserm Einmarsche in Frankreich es noch erlaubte, die in der Naͤhe des Lagers befindlichen Aecker der oͤstreichischen Un- terthanen, wenn gleich ihr Landesherr mit uns verbuͤndet war, auszupluͤndern, war mir eine seltsame Erscheinung. Um den Grund davon - zufinden, legte ich mich auf Erkundigung, und hoͤrte: daß die Bewohner jener Gegend Neufraͤn- kisch gesinnet seyen, ob sie gleich Unterthanen des Kaisers waͤren; und da waͤre es schon recht, daß man sie etwas zuͤchtige und die Folgen des Krieges mitempfinden lasse. Die Angabe dieses Grundes schien mir damals nur so ersonnen; aber in der Folge habe ich gefunden, daß sie nur gar zu ge- gruͤndet war. Auch die Unterthanen in diesen Ge- genden litten vielen willkuͤhrlichen Druck, wie bey- nahe alle auf den Graͤnzen Frankreichs. Es war also natuͤrlich, daß das Entgegenstreben dieses Lan- des sich zunaͤchst auf alle die Graͤnznachbarn ver- breitete, welche den Grund des allgemeinen Auf- standes in Frankreich durch eigne Erfahrung in ihrem Lande kennen gelernt hatten. Es konnte demnach nicht anders seyn, als daß man auch aͤhn- liche Wirkung da finden mußte, wo aͤhnliche Ur- sache vorausgegangen war. — Und wer steht uns da r, daß dieß nicht noch weiter greifen wird! Den Krieg der Neufraͤnkischen Waffen kann man beendigen, aber nicht den Krieg ihres Systems. Dieß hat so viel unversoͤhnliche Verbuͤndete, als es Despotisch-Bedruͤckte giebt, und helle warme Menschenfreunde, zumal in Laͤndern von Fuͤrsten, welche es behaglicher finden, den Schlendrian des Orientalischen und Longobardischen Despotismus unbekuͤmmert fortzusetzen, ohne die fuͤr ihr eignes Interesse so wichtige Wahrheit einzusehen: Daß kein Fuͤrst groß, maͤchtig, gluͤcklich und sicher seyn kann, wenn er nicht vernuͤnftige Voͤlker gerecht regiert. Man erwaͤge die XLVIII te Seite der Vorrede zu der Sammlung erbaulicher Gedichte fuͤr alle die, welchen es Ernst ist, das Wohl ihrer Unterthanen, Unter- gebnen und Mitmenschen nicht nach dem wankenden Tiger- und Fuchs-Gesetze des Staͤrkern oder Listigern zu untergraben, sondern nach dem ewigfesten und ewigheiligen Gesetze der Gerechtigkeit und der Menschenliebe vaterlich und bruͤderlich zu foͤrdern, und dadurch Zutrauen, Ruhe und Menschenwohl, sowohl von Seiten der Obern als der Unterthanen, in Friede und Einigkeit gemeinschaftlich zu begruͤnden und zu erhalten. – Altona, 1796. Neuntes Kapitel. Einfall in Frankreich. Anfang alles Elendes. D er 19te August war der Tag, an welchem wir in Frankreich einruͤckten: und diesen Tag werde ich nicht vergessen, so lange mir die Augen aufstehen. Als wir fruͤhe aus unserm Lager aufbrachen, war das Wetter gelinde und gut; aber nach einem Marsche von zwey Meilen mußten wir Halt ma- chen, um die Kavallerie und Artillerie vorzulassen; und waͤhrend dieses Halts fieng es an, jaͤmmerlich zu regnen. Der Regen war kalt und durchdrin- gend, so daß wir alle rack und steif wurden. End- lich brachen wir wieder auf, und postirten uns naͤchst einem Dorfe, das Brehain la ville hieß, eine gute Meile von der deutschen Graͤnze. Der Regen waͤhrte ununterbrochen fort, und weil die Packpferde weit zuruͤckgeblieben waren, indem sie wegen des gewaltig schlimmen Weges nicht voran konnten, so mußten wir unter freyem Himmel aushalten und uns bis auf die Haut durch- naͤssen lassen. Da haͤtte man das Fluchen der Offiziere und Soldaten hoͤren sollen! Endlich wurde befohlen, daß man einstweilen fuͤr die Pferde furaschiren und aus den naͤchsten Doͤrfern Holz und Stroh holen sollte. Das Getraide stand noch meistens im Felde, weil dieses Jahr wegen des anhaltenden Regens die Ernte spaͤter, als gewoͤhnlich, gefallen war. Das Furaschiren gieng so recht nach Feindes Art: man schnitt ab, riß aus und zertrat alles Getreide weit und breit, und machte eine Gegend, worauf acht bis zehn Doͤrfer ihre Nahrung auf ein ganzes Jahr ziehen sollten, in weniger als einer Stunde zur Wuͤsteney. In den Doͤrfern gieng es noch abscheulicher her. Das unserm Regimente zunaͤchst liegende war das genannte Brehain la ville, ein schoͤnes, großes Dorf, worin ehedem ein sogenannter Bailli du roi seine Residenz gehabt hatte. Um durch Laufen mich in Waͤrme zu setzen, lief ich mit vielen andern auch nach diesem Dorfe, wo wir Stroh und Holz holen sollten. Ehe aber diese Dinge genommen wurden, durchsuchten die meisten erst die Haͤuser, und was sie da anstaͤndiges vorfanden, nahmen sie mit, als Leinwand, Kleider, Lebensmittel und andere Sachen, welche der Soldat entweder selbst brauchen, oder doch an die Marketender verkaufen kann. Was dazu nicht diente, wurde zerschlagen oder sonst verdorben. So habe ich selbst gesehen, daß Soldaten vom Regimente Woldeck in eben diesem Dorfe ganze Service von Porcellan im Pfarrhofe und anderwaͤrts zerschmissen: alles Toͤ- pferzeug hatte dasselbe Schicksal. Aufgebracht uͤber diese Barbarey, stellte ich einen dieser Leute zur Rede: warum er einer armen Frau, troz ihres bit- tern Weinens und Haͤnderingens, das Geschirr zer- schmissen und ihre Fenster eingeschlagen habe? Aber der unbesonnene, wuͤste Kerl gab mir zur Antwort: was Sakkerment, soll man denn hier schonen? Sinds nicht verfluchte Patrioten? Die Kerls sind ja eigentlich Schuld, daß wir so viel ausstehen muͤssen! Und damit giengs mit dem Ruiniren im- mer vorwaͤrts. Ich schwieg und dachte so mein Eignes uͤber das Wort: Patriot in dem Munde eines — Soldaten. — Die Maͤnner aus diesen Doͤrfern hatten sich alle wegbegeben, und blos ihre Weiber zuruͤckgelassen, vielleicht, weil sie glaubten, daß diese den ein- dringenden Feind eher besaͤnftigen koͤnnten. Aber der rohe Soldat hat eben nicht viel Achtung fuͤr das schoͤne Geschlecht uͤberhaupt, zumal bey Feind- seligkeiten, und es giebt wuͤste Teufel unter diesen Leuten, welche einem Frauenzimmer allen Drang anthun koͤnnen, die aber vor jedem Mannsgesicht aus Feigheit gleich zum Kreuze kriechen. Ich habe davon einmal eine Probe gesehen bey Homburg an der Hoͤhe, in einem Dorfe. Es kam hier naͤmlich ein Offizier vom Regiment Hohenlohe in ein Haus, worein ich getreten war, um Wasser zu trinken. Mit dem groͤßten Ungestuͤm foderte er Butter oder Kaͤse, und als ihn das Maͤdchen versicherte, daß sie weder das eine, noch das andere haͤtte, ward er grob, und sagte: Euer Haus sollte man Euch anstecken, ihr verfluchtes Patrioten-Grob! u. s. w. — Dieß hoͤrte des Maͤdchens Bruder vor der Thuͤre, trat hinein und schaute dem Hn. Leutnant ins Gesicht: „Herr, was raͤsonnirt Er da von Pa- trioten-Grob? Den Augenblick zur Thuͤr hinaus, oder ich schwuppe ihn hier herum, wie einen Tanz- baͤr!“ Dieß sagte er, und der Hr. Leutnant schob ab, und sagte kein Wort. Mich hatte er nicht be- merkt, denn ich saß hinterm Ofen. Dieß im Vor- beygehen! Unsere Leute hatten auf den Doͤrfern die Schaf- huͤrden und Schweinstaͤlle geoͤfnet; und so sah man auf den Feldern viele Schaafe und Schweine herum laufen. Diese wurden, wie leicht zu denken steht, haufenweise aufgefangen und nach dem Lager ge- schleppt. Ich muß gestehen, daß ich mich auch unter den Haufen der Raͤuber mischte, und ein Schaaf, nach meinem Zelte brachte: ich dachte, wenn du's nicht nimmst, so nimmt es ein anderer oder es verlaͤuft sich: und dieser Grund bestimmte mich, an der allgemeinen Pluͤnderey Theil zu neh- men. Der rechte Eigenthuͤmer, dachte ich ferner, ge- winnt doch nichts, wenn auch ich sein Eigenthum nicht beruͤhre; ja, ich werde alsdann noch oben- drein fuͤr einen Pinsel gehalten, der seinen Vortheil nicht zu benutzen wisse. Kurz, alle Imputabilitaͤt des Pluͤnderns gehoͤrt, wie mich duͤnkt, fuͤr die Aufseher uͤber die Disciplin und den Lebensunterhalt: diese haben zunaͤchst alles zu verantworten. Das Haͤmmel- und Schweinefleisch wurde ge- kocht, oder an den Saͤbel gesteckt, und so in der Flamme gebraten, und hernach ohne Brod und ohne Salz verzehrt; denn das Brod war uns auch aus- gegangen; und zwar hier zum erstenmal fuͤhlten wir Brodmangel, der uns nach dieser Zeit noch oft betroffen und bitter gequaͤlt hat, wie die Folge dieser Erzaͤhlung ausweisen wird. Das Dorf Brehain la ville , und alle andre in dessen Naͤhe, sahen bald aus, wie Raͤu- berhoͤlen; selbst das Dorf nicht ausgenommen, worin unser Koͤnig logirte. Endlich, als es bald dunkel war, kamen die Zelter an, worin wir uns durchnaß und uͤberaus besudelt niederlegten, und auf dem nassen Boden und Stroh eine garstige Nacht hinbrachten. Die Bursche, welche auf der Wache waren, gingen des Nachts von ihrem Posten in die Doͤrfer auf Beute. Das abscheuliche kaͤltende Wetter und das schlechte nasse Lager hatten die Folge, daß schon am andern Tage gar viele Soldaten zuruͤck in die Spitaͤler gebracht werden mußten, weil sie das Fieber hatten, und nicht mehr mitmarschieren konnten. Ob unsre Vorgesezten das Rauben und Pluͤn- dern nicht verboten, und diesem Unwesen nicht Ein- halt gethan haben? Allerdings haben das viele gethan, aber nicht alle, und die, welche es noch thaten — je nun, die sahen nicht alles, oder sie wollten nicht alles sehen. Es hieß: „wir sind ja einmal in Feindes Landen: wer etwas erwischen kann, dem ists nicht groß zu verargen, zumal beym Mangel. Ueberdieß ist's ja ein Wetter zum Kre- piren: wer kann da uͤber den Soldaten zuͤrnen, wenn er boͤser Laune wird!“ u. s. w. Die armen Leute in den Doͤrfern, welche sich nun ihres Auskommens auf lange Zeit beraubt sahen, schlugen die Haͤnde zusammen und jammerten er- baͤrmlich: aber unsre Leute ließen sich von dem Angstgeschrey der Elenden nicht ruͤhren, und lachten ihnen ins Gesicht, oder schalten sie Patrioten und Spizbuben. Ein Offizier von dem Regimente Romberg, hatte es sogar gern gesehen, daß sein Calefactor So heißen die Preußischen Offizierbediente. einem franzoͤsischen Bauer dessen Pferd genommen hatte. Es gefiel ihm, und er nahm es gegen ein kleines Gratial zu den seinen. Er glaubte, das Pferd gehoͤre auch zu den Kriegsgeraͤthschaften; und da nun befohlen sey, daß man den franzoͤsischen Landleuten und uͤberhaupt allen dortigen Einwoh- nern alle Munition nehmen sollte, so meynte er, koͤnnte er ja auch das Pferd mit dazu rechnen, und es — behalten. Aber der Herzog von Braun- schweig ließ den Syllogismus des Hn. Leutnants nicht gelten, und zwang ihn, nicht nur das Pferd dem Bauer zuruͤck zu geben, sondern er ließ ihn noch obendrein in die Wache stecken. Doch wurde die Logik mancher Herren dadurch nicht viel geaͤndert: denn in der Folge haben Einige noch gar manches Pferd auf diese Art sich zugeeignet. Wegen des Pluͤnderns hoͤrte ich noch am naͤm- lichen Tage zwey Offiziere — es war ein Kapitaͤn und ein Major — dieß mit einander reden: Major: Aber, bey Gott, es ist doch eine Schande, daß gleich am ersten Tage unsers Einmarsches solche Graͤuel veruͤbt werden! Kapitaͤn : O verzeihen sie, Hr. Obristwacht- meister, das ist eben unser Hauptvortheil, daß dieses gleich geschieht. Major : Nun, lassen sie hoͤren, wie und warum! Kapitaͤn : Sehn sie, das geht heute vor, und zwar etwas stark, ich gestehe es: aber nun macht das auch einen rechten Laͤrm in ganz Frankreich. Jeder spricht: so machens die Preußen! So pluͤn- dern die Preußen! So schlagen die Preußen den Leuten das Leder voll! Major : Das ist eben das Schlimme, daß man nun so in ganz Frankreich herumschreyen wird! Das wird uns warlich wenig Ehre machen. Kapitaͤn : Ey was Ehre! Es schreckt doch die Patrioten ab. Sie werden denken: Machen's die Preußen schon am ersten Tage so: was werden sie noch thun, wenn sie weiter kommen? Da wer- den die Spitzbuben desto eher zum Kreuze kriechen. Major : Meynen Sie? Nein, mein Lieber, es wird die Nation erbittern, und selbst die wider uns aufbringen, die es bisher noch gut mit uns gemeynt haben. Und wirklich, das heißt doch nicht Wort halten! Kapitaͤn : Wie so, Hr. Obristwachtmeister? Major : Hat nicht der Herzog im neulichen Manifeste den Franzosen versprochen, daß er als Freund kommen, und blos die Herstellung der innern Ruhe zum Zweck haben wollte? Das heißt aber schoͤn als Freund kommen, wenn man die Doͤrfer auspluͤndert, die Felder abmaͤhet, und Leu- ten, die uns nichts gethan haben, das Fell aus- gerbt! Pfuy, Pfuy! Kapitaͤn : Das ist aber doch Kriegsmanier! Major : Der Teufel hole diese Kriegsmanier! Ich sage und bleibe dabey: das heutige Benehmen unsrer Truppen und ihr verdammtes Marodiren wird uns mehr schaden, als wenn wir eine Schlacht verloren haͤtten. Kapitaͤn : Herr Obristwachtmeister, inner- halb drey Wochen ist die ganze Patrioterey am Ende: Dritter Theil. H in drey Wochen ist Frankreich ruhig, und wir haben Friede. Wollen Sie wetten? Ich biethe 10 Louis- d'Or. Major : Topp: wenn in drey Wochen Friede ist, so haben Sie gewonnen! Der Hauptmann schlug ein, und — zahlte hernach bey Luxemburg auf dem Ruͤckzuge — zehn Louis d'Or. Der Herzog erfuhr die Pluͤndereyen nicht so bald, als er sie gleich aufs schaͤrfste untersagen ließ. Allein was halfs! Anfangs folgte man; aber her- nach, besonders auf dem Ruͤckzuge, gings, troz man- cher exemplarischer Bestrafung, oft sehr arg. Sogar Weiber ließen sich beygehen, in die Doͤr- fer zu laufen und da zu marodiren. Wir hatten naͤm- lich einige solcher Kreaturen — denn Kreaturen sind es immer, und zwar von der allerverworfen- sten Classe, welche sich entschließen, einer Armee nachzurennen: wer ihrem Unwesen nur je zusah, weis gleich, warum. — Also solche Kreaturen, groͤß- tentheils unverehlichte Menscher, welche sich an Soldaten gehenkt hatten und so mitzogen, maro- dirten derb, und dieß schon in den Trierischen und Luxemburgischen Doͤrfern und Feldern. Da be- fahl denn der Herzog, daß sie kuͤnftighin jedesmal von den Profosen der Regimenter gefuͤhrt werden sollten. Ein Preußischer Profos ist aber eine gar traurige Personnage. Der Kaiserliche Profos ist ein ange- sehener Mann, welchen die Soldaten und Offiziere ihren Herr-Vater heißen. Ich habe einige von diesen kennen lernen, und besonders an dem Hn. Vater des Regiments Terzi , welches im Winter 1795 in Freyburg stand, einen sehr artigen feinen Mann gefunden, der etwas studirt, und den Kopf auf dem rechten Fleck sitzen hatte. So ein Profos hat auch gutes Traktament, und artige Kleidung. Hingegen ein Preußischer — ist gewoͤhnlich ein alter Invalide, der schlechten Sold erhaͤlt, und eine aus- gezeichnete Uniform traͤgt, grau mit gruͤner Gar- nitur; auch keinen Steckenjungen hat, der die Ge- fangnen schließe, oder die Stecken und Ruthen schneide u. dgl. das muß der preußische Profos alles selbst thun. Daher ist er auch bey jedem Sol- daten verachtet und verspottet; keiner trinkt mit ihm, und er darf sich nicht unterstehen, in ein Wirths- haus, oder in eine Marketenderhuͤtte zu kommen, wo Soldaten sind: sogar die Packknechte wollen den Profos nicht um sich leiden. So warf einst unser Packknecht Rohkohl unsern Profos bey Landau aus der Bierbude, mit dem Zusatz: der Kerl will sich unter honette Leute mischen! — Wenn man endlich weiß, daß auch die Packknechte von den Soldaten verachtet, und bey jeder Gelegenheit mis- handelt werden, so kann man sich so ziemlich den Begriff machen, was der arme Profos bey den Preußen gelten muͤsse. Die Weiber, oder vielmehr die Menscher der Armee wollten nun schlechterdings das Kommando der Profose nicht anerkennen, und widersezten sich ihnen aufs thaͤtigste: kurz, sie betrugen sich so, daß man genoͤthigt war, das Kommando uͤber sie einem Unteroffizier aufzutragen. Aber auch diese Anstalt ging bald wieder ein, und die Nickel marodirten wieder, wo und wie sie wollten. Ich sehe in Halle jezt noch oͤfters eine von diesen Kreaturen, welche ehedem als ein rechter Teufelsbesen alle Loͤcher und Hurenkeller durchkro- chen ist. Diese hing sich beym Ausmarsche nach Frankreich an einen Soldaten, und verdiente sich durch ihre Industrie, welche sie besonders im Ma- rodiren bewies, so viel, daß sie jezt eine vollstaͤndige Wirthschaft besizt, und einen ihrer Galane hat heu- rathen koͤnnen. Daß ich diesem abgefeimten Nickel nicht zu viel thue, will ich nur durch einen Vorfall erhaͤrten, wobey ich Zeuge war. Ich befand mich mit einem sehr braven Offizier ohnweit Grand - pre in einem Dorfe, wo ich dieses Mensch einem armen Maͤdchen von 10-12 Jahren die Schuͤrze und das Mieder mit Gewalt ausziehen sah. Ich wollte abwehren, aber die Niedertraͤchtige hatte Unterstuͤtzung von einigen Soldaten des Regiments von Woldek: ich rief daher den Offizier, welcher diese Natter mit derben Hieben zwang, dem Maͤd- chen, das jaͤmmerlich schrie, seine Sachen zuruͤckzu- geben. Wie hier, so hat diese Verschmizte ihr raͤube- risches Handwerk fast uͤberall getrieben, nebst jenen andern, welches sich denken laͤßt: und so kostet es ihr noch keinen Heller, wenn sie diesen oder jenen Nebengalan mit Zeug zu Kleidungsstuͤcken und dergleichen versieht, oder nichts an sich spahrt, um wenigstens durch Kleider, Gang und Koketten- mine noch etwas zu gelten. So also trieben es unsere Soldaten, so auch deren Weiber und Menscher! Auftritte von dieser Art waren daher nicht selten, und ich werde nicht ermangeln, sie in der Folge gehoͤrigen Orts anzu- bringen, und dieß, damit man wisse, daß die Deutschen in Frankreich das erst thaten, was die aufgebrachten Franzosen nachher in Deutschland dafuͤr wieder thaten. Haͤtten die meisten unserer deutschen Zeitungsschreiber, Journalisten und Al- manachsschmierer das Betragen der Neufranken nach dem gleichartigen Betragen der Deutschen etwas kaͤlter gewuͤrdiget und sie anfaͤnglich nicht immer wie blinde Kanibalen zu tief herabge- sezt: so haͤtten die meisten unsrer deutschen Fuͤr- sten, wie ihre Minister, wohl etwas heller drein gesehn, und haͤtten dann es gewiß nie so weit kom- men lassen, daß sie, meist fluͤchtig, und nach dem Ruin ihrer Laͤnder, endlich sich genoͤthigt sehen, unter jeder, auch noch so nachtheiligen oder schimpf- lichen Bedingung, in aller fuͤrstlichen Herablassung und Bloͤße, um Frieden gleichsam zu betteln bey denen, welche sie vorhin, wer weis wie tief, ver- achteten. Und das waren denn die Fruͤchte von der verteutschten Deutschheit! — „ Ich bedaure, daß selbst einer meiner Freunde, Hr. Braun , Pfarrer zu Oppenheim, in einem ziemlich dicken Buche, unter dem Titel: Das Betragen der Franzosen in der Rheini - schen Pfalz — die Neufranken aufs haͤßlichste geschildert hat. Ich will gern glauben, daß Hr. Braun , dessen Wahrheitsliebe und Ehrlichkeit mir bekannt ist, seine Nachrichten von glaubwuͤr- digen Maͤnnern erhalten, und keine Erdichtungen eingemischt hat: dennoch blickt eine gewisse Ani- mositaͤt gegen die Frankreicher, wie er die Franzo- sen, nach Girtanner , nennt, aller Orten durch. Hr. Pastor Braun hatte, wie mancher andere Prediger, auf Vorschrift der Regierung, den Bauren-Aufstand mitge- prediget. Er fand es daher, als die Neufranken die Pfalz occupirten, nicht heilsam, in Oppenheim zu bleiben, und fluͤch- tete uͤbereilt nach Hanau. Hier war seine Lage kuͤmmerlich, also nicht die heiterste; und in dieser Lage schrieb er das vor- hin erwaͤhnte Buch, nebst jenen Briefen uͤber die Frankrei- Das aber wuͤrde nicht geschehen seyn, wenn Hr. Braun auch das vorhergegangene Benehmen der Deutschen gegen die Frankreicher genauer gewußt oder gewuͤrdiget haͤtte. Da wuͤrde er nach dem Spruch des Horatius gesehen haben, wie Illiacos intra muros peccatur et extra, und dann haͤtte er gewiß minder streng von Leuten geschrieben, welche von den Deutschen ja erst auf mehr als eine Art arg gekraͤnkt waren. Ich hasse zwar die franzoͤsischen Raͤuber und ihre Barbareien in der Pfalz so sehr, als Hr. Braun : denn ich bin ja selbst ein Pfaͤlzer: aber die Invasion und die Raͤubereien der Deutschen in Lotharingen und in Champagne kann ich auch nicht loben. Man muß jedem sein Recht wiederfahren lassen, dem Deut- schen und dem Franzosen, und das darum, damit wir selbst billiger und toleranter werden, und uns so gegenseitig desto eher wieder aussoͤhnen. Wenn ich also dann und wann auf Hn. Brauns Buch Ruͤcksicht nehme, so wird der brave Mann dieß mir nicht verargen: denn es geschieht gewiß nicht cher, welche Girtanner in seinen politischen Annalen und in den Revolutions-Charakteren geliefert hat. Ließt man — damit ich das nebenher erinnere — hier die Vorrede, so sieht man, daß Girtanner recht gut wußte, wie ein historischer Schriftsteller seiner Art zu verfahren habe: ließt man aber seine Produkte in diesem Fache selbst, so sieht man, daß der Koburgische Herr Hofrath die Hofmanier nicht unter der Wuͤrde eines — Schweizers fand. aus Geringschaͤtzung seiner Absicht oder seiner Arbeit, sondern blos, um den uͤbertriebnen, gehaͤs- sigen Eindruck etwas zu mildern, welchen sein aufgestelltes Gemaͤlde bey allen nicht recht unter- richteten Lesern vielleicht gemacht hat. Zehntes Kapitel. Besitznehmung von Longwy . A m 20ten August hatten wir schoͤnes Wetter: allein wir wurden doch erst gegen Abend voͤllig trocken, weil wir den Tag vorher gar zu naß ge- worden waren. Der Herzog befahl, erst Brod herbey zuschaf- fen, ehe das Lager aufgebrochen werden sollte; und dieses hinderte uns, fruͤh aufzubrechen. Als wir das Lager geraͤumt hatten, lag alles voll Schafshaͤute und Kaldaunen von Schafen und Schweinen, welche den Tag vorher geschlachtet waren; eben so verhielt es sich mit den Federn von den geraubten Huͤnern und Gaͤnsen. An eben diesem Tage forderte der Herzog von Braunschweig mit einer nicht starken Avantgarde die Festung Longwy auf. Dieses Staͤdtchen ist sehr artig gebaut, und hat treffliche große Haͤuser und einige schoͤne oͤffentliche Gebaͤude. Die Be- festigungswerke sind von dem beruͤhmten Vauban . Longwy ist betraͤchtlicher als Verdun , ob es gleich viel kleiner ist. Bey der ersten Auffoderung weigerte sich der Kommandant, das Staͤdtchen aufzugeben; als aber das grobe Feuren hinzukam, da drang die Buͤrger- schaft auf die Uebergabe, damit das Oertchen nicht ganz zerschossen werden moͤgte: und so kam diese Festung in die Haͤnde der Preußen. Longwy haͤtte sich zu der Zeit ohnehin schwerlich so lange halten koͤnnen, bis Entsatz gekommen waͤre. Die Ueber- gabe dieses Platzes, und der Festung Verdun ha- ben indeß eigentlich viel Ungluͤck uͤber die deutschen Armeen verhaͤngt: denn waͤren die Franzosen hier nur standhafter geblieben, und haͤtten sie uns mehr dabey beschaͤftiget, so waͤren wir nicht so weit vor- gedrungen, und haͤtten wenigstens bessere Anstalten fuͤr unsre Erhaltung getroffen. Wir hatten unser Lager an einem schoͤnen Ge- hoͤlze, aber innerhalb 8 Tagen war das ganze Holz zusammengehauen, und verbrannt. Es hatte ehe- mals zu einer Abtey gehoͤrt. In die umliegenden Doͤrfer wurden zwar Sal- vegarden gelegt: dieses aber hinderte nicht, daß auch sie nicht rein ausgepluͤndert wurden. Die Felder wurden obendrein weit und breit furaschirt. Das Wetter war die ganze Zeit uͤber, als wir bey Longwy standen, schlecht: es regnete ohne Un- terlaß; und der Boden, welcher in Lotharingen oh- nehin uͤberall steif und leimigt ist, war beinahe ganz ungangbar: er hing sich an, wohin man nur trat. Die Lebensmittel waren hier sehr theuer, und das Brod, welches die franzoͤsischen Bauern uns zu- schleppten, muste fast mit Geld aufgewogen wer- den. Dem wuͤrdigen Herrn von Hunt , Obristen un- sers Regiments, muß ich es hier nachruͤhmen, daß er bey uns gute Mannszucht hielt in Ruͤcksicht auf das Furaschiren. Es wurde uns schlechterdings nicht gestattet, die Felder auszupluͤndern, oder in den Doͤrfern auf Beute auszugehen. Der Herr Major von Wedel trug das Seinige auch redlich bey, den armen Landleuten Schonung zu verschaf- fen: Beyde hatten mehrere gutdenkende Offiziere dabey zu Gehuͤlfen. Andre Regimenter nahmen das Ding doch so genau nicht; und die Felder sind den- noch geleert worden, obgleich ein und das andre Regiment keine Kartoffel, Moͤhre u. d. gl. beruͤh- ren durfte. Unser Hauptmangel war an gutem Wasser. In diesen Gegenden ist das Wasser uͤberhaupt schlecht; und die elende Kost mit dem Mangel an gutem Getraͤnke verbunden, dann das traurige Wetter, nebst der anhaltenden Kaͤlte, vermehrten die Krankheiten ohne Aufhoͤren: tagtaͤglich brachte man von unsern Kameraden mehrere ins Lazareth nach Longwy, von welchen aber nur wenige zuruͤck gekommen sind. Die Emigrirten hatten unter andern uns vorge- schwazt, daß die Franzosen vor lauter politischem Trubel den Ackerbau fast gar nicht mehr betrieben. — Daß aber dieses eine offenbare Luͤge war, habe ich selbst bald gesehen, wie alle unsre Leute. Das ganze Land in Lotharingen, und in dem kleinen Laͤndchen Clermontois, ja sogar in dem armen un- fruchtbaren Champagne zeigte das Gegentheil: Der Ackerbau bluͤhte hier sichtbar; die Gaͤrten wa- ren gut angelegt, und die Doͤrfer verriethen den Fleiß und den Wohlstand ihrer Bewohner. Ich habe mich mit Lotharingern mehrmals un- terhalten, und mit Vergnuͤgen vernommen: daß sie durch die Revolution von jeder Seite durchaus gewonnen haͤtten. Die schrecklichen Abgaben, sag- ten sie, waͤren nicht mehr; jezt koͤnnten sie auch an sich denken, bauen, Andern aushelfen, ihres Le- bens, wie ihrer Arbeit froh werden, einen Noth- pfennig ersparen; die vielen Accisen haͤtten aufge- hoͤrt; das grobe Wild verwuͤstete ihre Fruchtfelder nicht weiter: kurz, sie fuͤhlten jezt, daß sie Men- schen waͤren, und nicht mehr Sklaven des Edel- manns und der Priester. etc. etc. Man muß, duͤnkt mich, bey einer Revolution nicht die vornehmen Kasten der Staͤdter, noch weni- ger, die Kaufleute, Juden, Wucherer, besoldete Gelehrte, und Dienstleute, am allerwenigsten dieje- nigen fragen, welche blos vom alten Systeme, von den Vorurtheilen, dem Aberglauben und von dem Luxus der Nation sich zu naͤhren vorher gewohnt waren. Diese Leute sind alle nicht in der Lage, ei- nen richtigen Begriff von der Staatsaͤnderung an- zugeben: denn sie haben dabey verlohren, und ihr Verlust hindert sie, den Gewinn des Ganzen gehoͤ- rig zu wuͤrdigen. Man frage den Landmann, den Handwerker, der noͤthige Sachen macht; kurz, die erwerbende Klasse, nicht die verzehrende, nicht den Hoͤfling, den Priester, den Friseur oder das Mode- maͤdchen: und man wird von der Revolution rich- tiger urtheilen lernen. Dabey aber denke man ja bestaͤndig, daß man eine Revolution vor Augen ha- be, und daß bey einer Revolution, besonders wenn sie von allen Seiten her durch in- und auslaͤndische Angriffe bestuͤrmt wird, gar viel Abscheuliches und Grausendes vorfallen muͤsse . Dieß nebenher! Die Lotharinger sind im Ganzen groͤber, als die andern Franzosen, daher fuͤhren diese auch aller- hand Spruͤchwoͤrter von den Lotharingern. Doch sind die Leute gutmuͤthig. Ehemals war dieses Volk gar sehr orthodox oder jesuitisch-katholisch, und trieb alle Art von Aberglauben. Als wir aber dahin kamen, war ihre Einsicht ganz anders, und die Leute betrachteten das Pfaffenhandwerk eben nicht mehr, als eine unter dem unmittelbaren Schutz des heiligen Geistes stehende Innung. In Longwy sah ich ein Leichenbegaͤngniß, wo- bey der Sarg von sechs Frauenzimmern in drunter- her gezogenen Tuͤchern, ohngefaͤhr einen Schuh hoch uͤber der Erde getragen wurde. Ich erkundigte mich uͤber diese seltne Bestattung und erfuhr, daß die Leiche eine Jungfer Was wir Deutsche Jungfer deißen, neunen die Franzosen fille, Tochter, Maͤdchen. Eine e ge tliche Jungfer nennen sie vierge, oder pucelle . Aber selten bedienen sie sich die- ses Ausdrucks. Die sogenannte Mutter Gottes hieß sonst la vierge, per eminentiam, und die Jéanne d'Are hieß die Pucelle per eminentiam. sey: diese wuͤrde nur von Jungfern getragen, wie Weiber von Weibern, Maͤnner von Maͤnnern und ledige Mannsleute von ledigen Burschen: das sey so ihre Gewohnheit, und die naͤchsten Verwandten und Bekannten des Ver- storbenen verrichteten diesen traurigen Dienst. Ich sah auch, daß die schoͤnen Traͤgerinnen wirklich weinten. Mein Hauptmann schickte mich einigemal nach Longwy, um allerhand fuͤr ihn einzukaufen. Ich benuzte diese Gelegenheit, mich auch hier nach der neuen Lage der Dinge in Frankreich zu erkundigen, und hoͤrte, sobald die Leute vertraut wurden, mehr, als ich erwartete. — Das Hans des gewesenen Kommandanten von Longwy und das Gemeinhaus ( Maison Commune ) wurden zu Lazarethen einge- richtet, sahen aber schon bald nachher aus, wie die Moͤrdergruben. Ich weis nicht, wer anders, als das alte bar- barische Vorurtheil, seinem Feinde alles moͤgliche Boͤse zuzufuͤgen, und die uͤbertriebene Furcht, die- ses vom Feinde bewerkstelligt zu sehen, das Geruͤcht von Vergiften, auch waͤhrend dieses Krieges, ver- breitet haben mag. Mehr als einmal habe ich es bey uns aͤußern hoͤren, und sah sehr viele sich aͤngst- lich danach richten. Daß es bey dem Eindringen der Franzosen in unsere Gegenden vielleicht von ihren kurzsichtigen deutschen Anhaͤngern auch bey ihnen in Gang gebracht sey, laͤßt sich denken; und man hoͤrte es, als sie in die Pfalz eindrangen. Bey uns wenigstens war es hier gang und gaͤbe, und viele unserer Leute waren sehr auf ihrer Hut, wenn ihnen ein Franzose etwas Gekochtes anbot: denn vor den ungekochten franzoͤsischen Kuͤhen, Scha- fen, Schweinen, Gaͤnsen, Huͤnern und Feldfruͤch- ten hat sich keiner gefuͤrchtet: jeder hat sie zurechte gemacht, und hernach mit dem besten Appetit ver- zehrt. Eines Tages nahm mich, als Dolmetscher, Hr. von Soyazinsky , unser Oberleutnant, mit nach einem Dorfe, wo er die Schutzwache machen sollte. Wir traten in ein Haus, wo sich der Haus- herr zwar anfangs verlaͤugnen ließ, hernach aber erschien, als ich die Frau im Namen des Leut- nants versicherte, daß er sich nicht zu fuͤrchten haͤtte, und daß wir ihn nicht im geringsten kraͤnken, viel- mehr uͤberall schuͤtzen wuͤrden. Unser gutes Be- nehmen erwarb uns endlich Zutrauen, und der Wirth, nebst seiner Frau, welche in mich, als ihren Vermittler, viel Vertrauen setzten, reichten mir Brodsuppe und Speck. Ich both meinen hungri- gen Kameraden davon an, aber sie dankten, weil sie fuͤrchteten, die Speisen moͤgten vergiftet seyn: sie riethen mir sogar, ja nicht davon zu kosten, denn es sey den Patrioten auf keinen Fall zu trauen. Aber ich aß unbekuͤmmert, und als die Leute her- nach sahen, daß mir wohl blieb, so verzehrten sie, was ich uͤbrig gelassen hatte. — Man hat sogar von Vergiften der Brunnen radotirt; aber wer koͤnnte das veranstalten! Kein mineralisches Gift, auch in noch so großer Quantitaͤt in einen Brun- nen geworfen, kann, wie ich gehoͤrt habe, das Wasser inficiren; und wie viel Pflanzengift muͤßte man haben, um einen Brunnen voll Wasser schaͤdlich zu machen! Gift, in einen Brunnen ge- worfen, soll vielmehr das Wasser verbessern. — Freilich, wenn man vorzeiten an die Juden wollte, gab man ihnen das Brunnenvergiften Schuld. Aber was that man vorzeiten nicht alles! Die franzoͤsischen Magazine zu Longwy waren recht gut versehen: da sie nun in die Haͤnde der Preußen fielen, so ließ der Herzog uns einigemal Tobak, Brantewein, gesalznes Fleisch, Speck u. dgl. daraus reichen. Aber, leider, wurde der Wille dieses vortrefflichen Mannes nur halb aus- gefuͤhrt: denn manches, was zum Austheilen mit- bestimmt war, wurde an die Marketender verkauft, und zwar von Herren, welche die Aufsicht uͤber die Magazine fuͤhren sollten. Die Marketender ver- kauften alles uns armen Teufeln hernach wieder fuͤr schwere Muͤnze. Noch mehr habe ich mich geaͤrgert, als ich sehen mußte, daß Struͤmpfe, welche der Herzog auch unter die Soldaten vertheilt wissen wollte, theils in den Haͤnden der Offiziere blieben, theils nach Luxemburg an Kaufleute verhandelt wurden. Das war doch auf jeden Fall unanstaͤndig; und ich wundre mich sehr, daß es nicht zu den Ohren des Herzogs gekommen ist, der in solchen Faͤllen kei- nen Spaß zu verstehen pflegt. Alle Offiziere, welche davon hoͤrten, haben die Koͤpfe geschuͤttelt mit einem: pfuy Teufel! Unsre Herren Hauptleute fanden um diese Zeit auch ein Mittel, sich Milch zum Kaffee zu verschaffen, welche wegen der haͤufig geschlachteten Kuͤhe nun selten und theuer war. Sie schafften Ziegen dazu an. Diese Thierchen fraßen Heu, Stroh u. dgl.; und sehr viele sind mit nach Deutsch- land gekommen. Vielleicht dankt mancher Offizier der Ziegenmilch sein Leben. Mein Hauptmann hatte deren zwey, welche er erst im Winterquar- tiere zu Nied verkaufte, weil er nun keinen wei- tern Gebrauch davon machen konnte. Eilftes Kapitel. Einnahme von Verdun . W ir brachen nach einem ohngefaͤhr zehntaͤgigen Aufenthalte aus dem Lager bey Longwy auf, und marschierten queerfeld ein auf Verdun zu. Der Boden war sehr feiste, hing an, und wir sahen aus, wer weis wie! Schon bey Luxemburg hatte die Preußische Reinlichkeit ein Ende: jeder puzte sich, Dritter Theil. I wie er fuͤr gut fand, und niemand sagte was, wenn auch einer einhertrat, wie es ging. Unterwegs hier sah ich die ehemals beruͤhmte Abtey Chatillon, welche die Nation damals schon verkauft und die Guͤter dazu, die gar betraͤchtlich waren, unter die Nachbarn vertheilt hatte. Die Abtey selbst nebst der Kirche wurde schon zusam- mengerissen und aus den Steinen und dem Bau- holze wurden Haͤuser und Scheunen erbaut. Unsre Maͤrsche von Longwy nach Verdun wa- ren sehr stark, das Wetter war heiß und daher sind sogar einige Soldaten hier liegen geblieben, und ge- storben. Eine Stunde von Verdun sah ich einen Auftritt, der mich gar nicht erbaute. Ein Offizier, der ar- gen Durst haben mogte, foderte von einem Weibe, welches zur Thuͤre heraus sah, Wasser zum Trin- ken. Das Weib hatte keins, und sagte das mit Bedauren. Verfluchte Hexe, schrie der Offizier, hole dich der Teufel, mit allen Patrioten; und schlug ihr mit seinem Stock ins Gesicht, daß das Blut heraus sprang. — Im naͤmlichen Dorfe verging sich auch ein Unteroffizier, von unsrer Kompagnie, Namens Wernike, an einem Maͤdchen durch Ohr- feigen, weil es ihm nicht schnell genug Wasser her- ausbrachte. — Maͤnner sah man in diesen Doͤr- fern beynahe gar nicht. Der Herzog ließ, nachdem wir unser Lager vor Verdun aufgeschlagen hatten, auch diese Stadt so- fort zur Uebergabe auffodern: allein hier wuͤrde er weit mehr Widerstand gefunden haben, als bey Longwy, wenn anders der brave Beaurepaire nach seinen patriotischen Empfindungen haͤtte handeln koͤnnen. Beaurepaire erklaͤrte gleich anfangs: Er koͤnne mit dem Herzog sich nicht einlassen, noch weniger die Stadt uͤbergeben; denn eine Festung sey das Eigenthum nicht derjenigen Buͤrger allein, welche sie bewohnten, sondern der ganzen Nation, und duͤrfe daher blos im Falle der hoͤchsten Noth dem Feinde uͤbergeben werden. Nach dieser deutlichen Erklaͤrung ließ der Her- zog auf einem Weinberge, gerade der Citadelle ge- genuͤber, Schanzen aufwerfen, und die Stadt be- schießen. Dieses hatte die Folge, daß einiger Brand entstand; und nun foderten die Buͤrger, oder vielmehr der Buͤrgerausschuß, daß Beaurepaire die Stadt durchaus oͤffnen sollte. Als Beaurepaire sah, daß fuͤr ihn nichts mehr zu thun sey, erklaͤrte er, daß wenigstens er frey sterben wolle, und erschoß sich in Beyseyn mehrerer Buͤrger und Offiziere. Diese heldenmuͤthige Aufopferung des braven Commendanten brachte die Verduͤner nicht zur Be- sinnung; und so wurde die Stadt von dem nachher auch emigrirten Nyont, den Preußen uͤbergeben. Es gab unter unsern Offizieren Einige, welche meynten, daß man Beaurepaire's Koͤrper auf den Schindanger werfen muͤsse: aber zur Ehre aller uͤbri- gen muß ich sagen, daß alle edeldenkende unter ih- nen laut bekannten, daß der Tod dieses wirklich großen Mannes, auf welchen man anwenden kann, was Lucanus von Cato sagt: Victrix caussa Diis placuit, sed victa Catoni, Mitleid, Bewundrung, und, im aͤhnlichen Falle, Nachahmung verdiente. — Beaurepaire wur- de demnach ganz ehrlich begraben, und ist hernach zu Paris auf dem Nationaltheater apotheosirt wor- den. Also wurde Verdun von den Preußen besezt, und die franzoͤsische Garnison, welche, wie die zu Longwy, groͤßtentheils aus damals noch ungeuͤb- ten Nationalgarden bestand, erhielt freyen Abzug. Herr von Mandelsloh , mein Hauptmann, schickte mich gleich am folgenden Tage nach Ver- dun, und ich begab mich recht gern dahin, weil ich begierig war, diese alte, beruͤhmte Stadt naͤher kennen zu lernen. Verdun liegt an der Maas, welche dadurch fließt, und war ehemals des deutschen Reiches. Aber Heinrich II , jener erzorthodoxe katholische Koͤnig, welcher sich mit den Protestanten in Deutschland verbunden hatte, ob er gleich die Pro- testanten in Frankreich verfolgte, riß Metz, Toul und Verdun, die drey besten Staͤdte im damaligen Lotharingen, von Deutschland ab, und behielt sie nachher im Friedensschluß. Carl V. hat sich uͤber keinen seiner Ungluͤcksfaͤlle mehr geaͤrgert, als uͤber die Trennung dieser drey Bisthuͤmer vom Reiche. In den Hugenotten-Kriegen ist Verdun von den Ketzern belagert, und — nach einer alten Sage — von der heiligen Jungfrau sichtbarlich beschuͤzt wor- den. Seitdem hat aber die heilige Jungfrau ent- weder ihre Wunderkraft verlohren, oder sie ist selbst eine Ketzerin geworden: denn die Franzosen ma- chens mit ihr und ihrer ganzen heiligen Sippschaft doch wahrlich aͤrger, als es die Ketzer, selbst die Manichaͤer und die beruͤchtigten Ikonoklasten oder Bilderstuͤrmer, nimmermehr gemacht haben. Aber so ist es! Wenn die Sonne der Vernunft hoͤher heraufsteigt, sinken die Nebel einer verpfafften Phantasie; und die Producte von dieser verschwin- den, sobald der Glaube an sie laͤcherlich wird. Nur Geduld: die Zeit giebt alles! Die Festungswerke von Verdun sind eben nicht sehr betraͤchtlich: deswegen hat man Longwy und Thionville, nach unserm Heimgehen, mehr befe- stiget, aber Verdun liegen lassen, weil es von ei- nigen Bergen kommandirt wird, von welchen her es leicht zu beschießen ist. Die Stadt selbst hat mir sehr, und ihre Ein- wohner noch mehr gefallen. Es waren gute offene Leute. Ich machte einst, beym Zuruͤckgehen, vor dem Thore Bekanntschaft mit einer gewissen Ju- liette Jally, der Tochter eines Rothgießers, und diese bath mich, wenn ich wieder in die Stadt kaͤ- me, sie zu besuchen. Ich that dieses gleich den folgenden Tag, und hatte ein rechtes Fest. Jally, ein lebhafter muntrer Mann, wußte es seiner Toch- ter noch Dank, daß sie mich hingebeten hatte. Mamsell Juliette war ebenfalls munter, aber mit allem Anstand. Ueberhaupt waren die Frauenzim- mer in Verdun gesittete Geschoͤpfe, jedoch ohne Ziererey oder aͤngstliche Mumen-Etikette. Aus- nahmen giebt es uͤberall, also auch hier. Verdun stand ehedem in Kirchensachen unter dem Erzbischofe von Trier. Koͤnig Heinrich hatte zwar die vorhin erwaͤhnten Bisthuͤmer der weltlichen Juris- diktion des deutschen Reichs entrissen, aber sie doch unter der geistlichen Bormaͤßigkeit der deutschen Erzbischoͤfe gelassen, z. B. Strasburg unter Mainz, Verdun, Metz und Toul unter Trier, und Cam- bray unter Mecheln. Aber bey der Revolution er- klaͤrten die Franzosen, daß ihre Bischoͤfe ferner nicht mehr unter Erzbischoͤfen, am wenigsten unter aus- laͤndischen, stehen sollten; und da erklaͤrte denn auch der Hr. Kurfuͤrst zu Trier, daß er die konsti- tutionellen Bischoͤfe in Frankreich nicht fuͤr recht- maͤßige Seelenhirten halten koͤnnte: denn die ehe- maligen, nach den Gesetzen des geistlichen Rechts ordinirten Herren waren meistens ausgewandert. Die Franzosen kehrten sich aber so wenig hieran, als an die Bulle des Papstes von 1792, wodurch er alle konstitutionellen Bischoͤfe fuͤr unrechtmaͤßig- und apostatisch erklaͤrte. Die neuen Bischoͤfe wur- den eingesezt, und verwalteten ihr Amt nach der Vorschrift der Nation. Es sind von diesen Bi- schoͤfen mehrere Hirtenbriefe herausgekommen, von welchen ich selbst einige gelesen habe. Sie betrafen die Einrichtung und Verbesserung des Schulunter- richts, und waren durchaus der Wichtigkeit dieses Gegenstandes angemessen. Theologische Fratzen, wie man diese anderwaͤrts, selbst bey Protestanten, in neuern Religionsverfuͤgungen noch antrifft, wa- ren schon damals in Frankreich veraͤchtlich. Auf- helfen will man da die Menschen und veredeln, nicht noch mehr herabsetzen und verhunzen. Geistliche gad es zu der Zeit in Frankreich noch aller Orten, aber keine Moͤnche und keine Nonnen mehr. Die vielen Kloͤster in Verdun waren zer- stoͤhrt, und bey der Raͤumung derselben ist, wie man mir erzaͤhlt hat, und wie ich ganz gern glaube, großer Unfug getrieben worden. Man hat hier und da die heiligen Bilder zerschmissen und sogar der geweihten Hostien nicht geschont. Unser Koͤnig erlaubte den ausgewanderten oder vertriebenen Moͤnchen, ihre Kloͤster wieder zu be- ziehen; aber sie bezohen sie nicht, wahrscheinlich, weil sie befuͤrchteten, sie moͤgten abermals ver- jagt werden, und dann das Lezte aͤrger finden, als das Erste. Von dem Zustande der Religion und den Schick- salen der Pfafferey in Frankreich spreche ich wei- terhin ausfuͤhrlich, und lasse hier diese Dinge ruhen. Wir fanden auch in Verdun recht gut versehene Magazine an Heu, Stroh, Mehl, Wein, Speck, Brandtewein, Erbsen, Kaͤse u. s. w.; ferner vielen Vorrath an Kleidungsstuͤcken und Pferdegeschirr. Von diesen Vorraͤthen haben unsere Leute sich man- ches zugeeignet, besonders von den Lebensmitteln. Diese wurden unter die Soldaten vertheilt, und von dem hier vorgefundnen Mehle haben wir lange Kommißbrod gegessen. Aber dieses Kommißbrod, welches aus geschrotenem Waizen gebacken ward, wollte unsern Leuten nicht recht behagen: es staͤnde nicht so gut wider, sagten sie, als das deutsche; und dann schmecke es zu weichlich. Da ich sehr oft, beynahe taͤglich, nach Verdun geschickt wurde, so hatte ich Gelegenheit, auch fuͤr mich manches aus dem Magazine mitzunehmen. Oft habe ich meine Zeltbursche mit Schnapps und Wein versehen, und einmal habe ich sogar einen schoͤnen neuen Offiziermantel mitgebracht: Ich ließ ihn einem Leutnant fuͤr 14 Thaler, obgleich die goldne Tresse darauf allein mehr werth war. Ich dachte, nimmst du ihn nicht, so nimmt ihn ein An- derer; und nach dieser Regel bestimmte ich damals manche individuelle Handlung. Es ist uͤberhaupt — um noch einmal davon zu spre- chen — im Kriege eine ganz eigne Sache um das Mein und Dein. Wenn man gewiß wuͤßte, daß der wahre Eigenthuͤmer eines Dinges im Besitze des- selben bleiben wuͤrde, wenn man ihm dasselbe ließe, so waͤre es oft ein Schuftstreich, es wegzunehmen. Aber da man gewiß voraussetzen kann, daß es doch Andern zu Theil wird, wenn wir es liegen lassen, so daͤchte ich, verliert die Handlung viel von ihrer Haͤßlichkeit. Und das ist im Kriege sehr oft der Fall. Ich weiß zwar, daß die Herren Moralisten dieß nicht werden gelten lassen: aber es kaͤme auf eine Probe an, was selbst sie thun wuͤrden, wenn sie sich im Falle der Soldaten befaͤnden! Wer indeß uͤber eine Handlung urtheilen will, muß sich in die Lage des Handelnden versetzen: und wenn er das nicht kann, so wird er immer raͤsonniren, wie der Blinde von der Farbe. Nach dem Buͤcherwesen erkundigte ich mich in Verdun, wie in Longwy, und hoͤrte fast nichts weiter schaͤtzen, als die Nationalblaͤtter, nebst Ma - bly , Voltaire , Rousseau und andern, wel- che gegen den Despotismus und die Pfafferey ge- schrieben haben. Auf die eifrigen Vertheidiger der Freiheit hat man hier auch stark Jagd gemacht, und unter an- dern den Praͤsidenten des Distrikts von Varenne , einem kleinen, etwan vier Stunden von Verdun ge- legnen Staͤdtchen, gefaͤnglich hingesezt. Das Ver- brechen dieses wuͤrdigen Mannes bestand meist darin, daß er sein Vermoͤgen hingab, um einige Anstalten durchzusetzen, fuͤr welche er ehemals in Paris gestimmt hatte. Der Herzog ließ ihn an- faͤnglich sehr hart an, aber George , so hieß der Praͤsident, benahm sich so edel und freymuͤthig, daß der Herzog selbst endlich schwieg. Die Emi- granten haͤtten ihn gern zernichtet, und gaben ihm Schuld, daß er an der Arretirung ihres fluͤchtigen Koͤniges zu Varennes Theil gehabt habe: aber die Preußen schuͤzten den George, und er wurde bald darauf ausgewechselt. Die gefangnen Franzosen saßen auf der Ci- tadelle, wo man sehr leicht mit ihnen sprechen konnte. Ich benuzte diese Gelegenheit, und fand, daß die Leute den Muth noch gar nicht verlohren hatten. Les ennemis se retireront, et nous voilà libres, riefen sie und pfiffen eins dazu. Der Verfasser der Briefe eines Preußischen Augenzeugen, welcher eben so, wie ich, den Feldzug des Herzogs von Braunschweig mitgemacht hat, erwaͤhnet im ersten Packt einer sehr schoͤnen Kauf- mannsfrau in Verdun. Diese Dame habe ich auch mehrmals gesehen, welches sehr leicht war, da sie gewoͤhnlich am Fenster paradirte. Sie war, wie mich duͤnkt, und wie sie auch vielen andern vorge- kommen ist, eine vollendete Schoͤnheit, aber auch eine tuͤchtige Kokette. Anfangs flatterten unsere jungen Offizierchen um sie herum, aber bald fan- den sich recht große junge Herren — ich sage, junge Herren — bey der Madame ein, und die Offizierchen fuhren ab. — Wie herablassend Ma- dame gewesen sey — weis ich nicht, sie hatte aber recht viel Preußisches Gold. Ihr Mann hat als Kaufmann das Ding so genau nicht genommen. Andre Frauenzimmer in Verdun waren auch nicht unerbittlich, ob ich gleich ihnen uͤberhaupt zur Ehre nachsagen muß, daß unter ihnen viele Sittsamkeit herrschte. Zwoͤlftes Kapitel. Das sogenannte Drecklager . I m Lager bey Verdun hatten wir noch immer so halb und halb zu leben, aber von nun an litten wir auch Elend und Mangel, bis wir auf die deutsche Graͤnze zuruͤckkamen. Unser Erzspizbube von Jude war endlich dem Hn. Major von Wedel als ein in- famer Betruͤger bekannt geworden; und dieser brave Offizier jagte ihn denn vom Bataillon, und nahm einen andern Juden an, welcher uns bey Verdun die vierzehn Tage uͤber, die wir ohngefaͤhr da stehen blieben, besser versah, und nicht so arg betrog, als der erwaͤhnte. Wir brachen von Verdun mitten im Regen auf, und marschierten den ersten ganzen Tag im Regen fort. Unser Brod hatten wir groͤßtentheils im La- ger liegen lassen, weil wir ohnehin genug belastet waren, und durch den abscheulichsten Koth waten musten. Den zweyten Tag kamen wir der franzoͤsischen Armee, oder vielmehr einem Korps derselben nahe. Wir marschirten zwar den ganzen Tag, aber so jaͤmmerlich, daß wir jedesmal eine halbe Stunde vorwaͤrts machten, und hernach wieder eine Stunde, auch wohl laͤnger, im Kothe herum stille lagen, wie die Schweine. Ich wurde, so wenig mich sonst Strapatzen niederbeugen, auf diesem elenden Marsche so unmuthig, daß ich meine Lage verwuͤnschte, und gewiß, waͤre ich nicht so erschoͤpft gewesen, zu den Franzosen uͤbergangen waͤre, so sehr ich die Desertion sonst auch hasse. Endlich erreichten wir ein Dorf, l' Entr é e ge- nannt, worin der Koͤnig sein Hauptquartier nahm, und wobey wir unser Lager aufschlagen sollten. Aber unsre Packpferde waren aus Furcht vor den Fran- zosen zuruͤckgeblieben, und wir mußten nun da un- ter dem freyen Himmel liegen bleiben bis Nachts zwoͤlf Uhr. Wir machten freilich Feuer an und holten dazu aus dem Dorfe l' Entr é e heraus, was wir in der finstern Nacht von Holz finden konnten — Stuͤhle, Baͤnke, Tische und anderes Geraͤthe. Aber diese Feuer, so hoͤllenmaͤßig sie auch aussahen, waren doch nicht hinlaͤnglich, uns gegen den fuͤrch- terlichen Wind, und den abscheulichen Regen zu sichern. Dieser Regen fing sogleich an, als wir die Zelter aufgerichtet, und uns auf die blanke Erde — denn Stroh konnten wir in der Nacht doch nicht holen — hineingelegt hatten, und er wurde so heftig, daß das Wasser von allen Seiten in die Zelter eindrang und uns alle durchnezte. Niemand konnte liegen bleiben, noch weniger schlafen: man sezte sich also auf die Tornister und Patrontaschen, und je- der fluchte auf sein Schicksal. Man denke uns in dieser Gruppe! Sogar hoͤrte man die graͤßlichsten Laͤsterungen auf Gott, und sein Regenwetter. Es ist Strafe Gottes, sagten die Vernuͤnftigern: Gott hat keinen Gefallen an unserm Kriege! Er will nicht, daß wir sein Werk in Frankreich stoͤhren sollen: die Revolution ist sein Werk, die Patrioten thun seinen Willen, und die Emigranten sind Spizbuben: es hole sie alle der Teufel! — Unsre Munition an Pulver wurde selbige Nacht groͤßtentheils naß, und zum Schießen unbrauchbar. Einige warfen auch schon bey ihrem Ausmarsche aus diesem Lager ihre Patronen weg, und ließen sich hernach bey der Retirade, als wir sogar mehrere Pulverwagen verbrannten, andere geben. Endlich ward es Tag, und die Soldaten kro- chen aus ihren Zeltern, wie die Saͤue aus ihren Staͤllen, sahen auch aus, wie diese Thiere, wenn sie aus Staͤllen kommen, welche in sechs Wochen nicht gereinigt sind. Der Koth, worin man sofort patschen mußte, wenn man aus den Zeltern heraus trat, lief gleich in die Schuhe: denn er war duͤnn und tief, woruͤber denn einige Soldaten dumpf brummten, andre laut fluchten, alle aber darin uͤbereinkamen, daß dieses abscheuliche Lager sofort Drecklager heißen sollte. Nun wurde befohlen, oder vielmehr angesagt, daß Stroh sollte gelangt werden. Stroh holen hieß aber damals, den ungedroschnen Weizen — Roggen waͤchst in Champagne nicht, wenig- stens hab ich keinen gesehn: in Lotharingen war Rog- gen anzutreffen — Also man holte den ungedrosch- nen Waizen aus den Scheunen, warf ihn, wer weis, wie hoch, ins Zelt, und legte sich dann auf ihn hin. Dieses konnte um so viel leichter geschehen, da einem jeden erlaubt war, so viel Stroh d. i. Waizen zu nehmen, als er gerade wollte, oder konnte. Da nun auch die Kavalleristen ihre Furasche aus den Scheunen der Bauren holten; auch die Pack- und andre Pferde daraus versehen wurden, so kann man leicht denken, daß in den Doͤrfern, in deren Naͤhe unser Lager stand, nichts uͤbrig blieb, als Jammer und Leere. In l' Entr é e war nach drey Stunden keine Waizengarbe mehr anzutreffen. Und das gieng eben so in den uͤbrigen Doͤrfern. Daß alle Haͤuser obendrein rein ausgepluͤndert wurden, versteht sich von selbst. Ich haͤtte bey diesem Stroh- oder Garbenholen beynahe den Hals zerbrochen: denn ich fiel in einer Scheune von einem hohen Geruͤste, jedoch ohne Schaden. — Das Schicksal hat mich noch immer so ziemlich geschont, wie man in der Folge einige auffallende Beispiele davon sehen wird, aber viel- leicht, um mich noch einmal weit haͤrter mitzuneh- men. Indeß mori nolo, sagt ein Philosoph, ed me mortuum esse, nihil curo; und der Mann hatte wohl recht. Warum sollte ich es denn fuͤr ein Gluͤck halten, daß ich in l' Entr é e den Hals nicht brach — in Landau oder Mâcon nicht guillotinirt wurde, oder daß mich der Franzose in Lyon — wie die Folge lehren wird — nicht niederstach? Ich sehe das noch nicht recht ein: aber so viel ist gewiß, daß wenn einer von diesen Faͤllen mich weggerafft haͤtte, ich nachher mancher truͤben und kummervollen Stunde uͤberhoben geblieben waͤre. — Ich habe in diesem Sumpflager oͤfters an einen Vorfall gedacht, der mir in Gießen schon sechs- zehn Jahre vorher begegnet war. Ich hatte naͤm- lich einst den armen Eulerkapper mitperirt, und war auf dem Ruͤcksprung, weil Eulerkapper mich verfolgte, in eine Mistgrube gefallen, und ab- scheulich besudelt. Damals lachte ich recht sehr uͤber meinen komischen Zufall, und ruͤhmte mich desselben hernach mehrmals. Jezt aber war ich mismuthig, da man mich zwang, in Champagne im Kothe herum zu patschen! — Die Bauren in l' Entr é e hatten ihre Kirche abgetragen, und neues Holz zur Erbauung einer andern herbeygeschafft. Dieses neue Holz, samt dem alten holte man ins Lager und verbrannte es, mit unter auch Kanzel und Orgelgeschniz, Kruzi- fixe u. dgl. Dabey wurde nun brav gelacht und Spaß getrieben, und noch jezt sprechen die Solda- ten vom franzoͤsischen Kirchenholz im Drecklager. Die Lebensmittel waren hier entsezlich rar und theuer: ich zwar fuͤr meine Person litt von hier an — die beyden Naͤchte bey der Kanonade nur aus- genommen — bis nach Grandpr é zuruͤck, keinen eigentlichen Mangel, bey weitem naͤmlich den nicht, welchen andre Soldaten ertragen mußten. Ich hatte bey der Kompagnie einen guten Freund an dem Furierschuͤtzen Lutze , welchen ich seit lan- ger Zeit als einen ehrlichen Mann kannte. Er ist noch in diesem Kriege durch einen klugen Streich von den Soldaten losgekommen, und hat Recht gehabt: man hatte ihn auch durch Pfiffe dazu gebracht. Die- ser gab mir, als die Lebensmittel seltner wurden, den Anschlag, mich zu ihm ins Zelt zu legen, weil er als Furierschuͤtze doch immer eher im Stande sey, etwas herbeyzuschaffen, als die andern. Ich that das, und Lutze hat mich, so lange ich bey ihm im Zelte war, oder vielmehr, so oft er da war — denn auf der unseligen Retirade mußte er Dritter Theil. K oft fuͤnf bis sechs Tage abwesend seyn — immer mit allerley Lebensmitteln und andern Sachen, als Tobak u. dgl. versehen, und selten sich dafuͤr zahlen lassen; wenigstens gab er allemal das umsonst her, was er umsonst bekommen hatte. Ich halte es fuͤr Pflicht, dem ehrlichen Lutze diese Freundschaft nachzuruͤhmen, und ihm dafuͤr hier oͤffentlich zu danken. Schade nur, daß ich manch braven Manne nur blos woͤrtlich danken muß, dem ich sonst nichts vergelten kann; und daß Andre, fuͤr die ich gern alles gethan, ja mein Leben gewagt haͤtte, nichts mehr fuͤr mich thun. — Aber so geht es gemeiniglich, und ich kenne die Menschen zu gut, als daß ich mich daruͤber weiter wundern sollte. — Der Mangel an Lebensmitteln konnte auch durch die wirklich große Menge von Kuͤhen, welche man den Landleuten dortherum genommen und der Armee nachgetrieben hatte, nicht sehr erleichtert werden. Was war auch ein halb Pfund elendes, altes Kuhfleisch fuͤr den Soldaten, der kaum in drey Tagen fuͤr einen Tag Brod hatte? Da mußte er ja doch hungern! — Zudem wurde das beste Vieh von den angesezten Treibern an die Bauren, welche von weitem herbeyschlichen, ver- kauft. Ich kenne einen gewissen Treiber dieser Art, vom Regiment Thadden , Namens H— von R — — — bey Kalbe, einen sonst kreuzdummen Esel, welcher sich durch diesen Handel ein artig Suͤmmchen erworben hat. Der schon mehrmals genannte fatale Jude hat auf diese Art auch Vieh- handel getrieben. Das beste Fleisch, wie auch al- les Schwein- und Hammelfleisch war uͤbrigens fuͤr die Offiziere und ihre Bediente: davon bekam der Soldat nichts. Ich kann nicht begreifen, wie man damals ein so absurdes Geruͤcht, als das war, was man von der Annaͤherung des armen Ludwigs XVI. aus- sprengte, fuͤr wahr halten konnte: und doch war es lange Zeit, schon von Verdun her, allgemein, und wurde sogar von den Offizieren geglaubt, die großen ausgenommen, welche recht gut wußten, daß Lud - wig Capet zu Paris, seit seiner Flucht, in ei- ner schrecklichen Sklaven-Lage gehalten wurde. Ich widersprach solchen Geruͤchten immer, gab sie hoͤchstens fuͤr erdichtet zu unserm Troste aus, und wendete alle meine Beredsamkeit an, meine Kameraden, auch unsre Offiziere, welche sich gern mit mir abgaben, von der augenscheinlichen Absurditaͤt solcher Geschwaͤtze zu uͤberzeugen. Aber statt meinen Gruͤnden Gehoͤr zu geben, nannten mich Viele einen Patrioten oder Jakobiner, und meynten, daß ich bald sehen wuͤrde, wie die Fran- zosen sich trollen sollten. Doch fand ich auch da- mals schon mehrere, sogar unter den gemeinen Sol- daten, welche nichts Gutes mehr erwarteten, und mehr Ungluͤck als Gluͤck prophezeihten. Bisher waren wir in der Waͤsche noch ziemlich rein geblieben: aber nun, da sich nicht mehr wa- schen ließ, da sogar das Leinenzeug im Tornister vermoderte, fanden sich auch sehr unangenehme Thierchen, diese schreckliche Plage des Soldaten im Felde, bey uns unertraͤglich ein. Selbst die Offi- ziere konnten ihnen nicht mehr entgehen, und lern- ten nun auch erst recht das volle Elend des Kriegs erkennen. Aber nichts nahm unsere Leute aͤrger mit, als der Durchfall, der allgemeine Durchfall, und dann die darauf folgende fuͤrchterliche Ruhr. Delikate Leser wuͤrde es aufbringen, und ihren Eckel rege machen, wenn ich uͤber diesen Gegenstand alles sa- gen wollte. Aber fuͤr delikate Leser ist dieser Theil meiner Schrift nicht, sondern fuͤr Maͤnner, deren Absicht es ist, das Elend unsrer Feldzuͤge gegen die Neufranken in seiner wahren Gestalt kennen zu lernen: und diese suchen nur Wahrheit, auch ekel- hafte Wahrheit, wenn sie nur Resultate daraus ziehen koͤnnen. Also — die Abtritte, wenn sie gleich taͤglich frisch gemacht wurden, sahen jeden Morgen so moͤrderisch aus, daß es jedem uͤbel und elend werden mußte, der nur hinblickte: alles war voll Blut und Eiter, und einigemal sah man so- gar Ungluͤckliche darin umgekommen. — Eben so lagen viele blutige Exkremente im Lager herum von denen, welche aus nahem Drange nicht an den entfernten Abtritt hatten kommen koͤnnen. Ich bin versichert, daß nicht drey Achtel der ganzen Armee von dem fuͤrchterlichen Uebel der Ruhr damals frey waren, als wir das Sumpfla- ger verließen. Die Leute sahen alle aus, wie Lei- chen, und hatten kaum Kraͤfte, sich fortzuschleppen; und doch klagten nur wenige uͤber Krankheit — aus Furcht vor den Lazarethen, oder vor jenen Mord- loͤchern, worin man die Erkrankten schleppte, und worin so viele — viele um ihr trauriges Leben noch trauriger gekommen sind. Es wurden also nur die dahin gebracht, welche gar nicht mehr fort konnten; und deren war eine sehr große Menge. Dreyzehntes Kapitel. Unser Marsch nach den Hoͤhen von La Lune oder Balmy . A us dem Sumpflager hatten wir ohngefaͤhr noch 16 Stunden nach La Lune, wobey die bekannte Kanonade vorfiel, jene naͤmlich, welche das Ziel unsrer Hel- denthaten in Frankreich gewesen ist: denn nach die- ser Zeit bis auf unsern Separat-Frieden ist gegen die Franzosen auf franzoͤsischen Boden von uns beynahe nichts mehr gethan worden; und was die Kaiserlichen darauf thaten, ist eben auch nicht weit her. Wir machten diesen Weg, troz unsrer ausge- maͤrkelten Koͤrper, in wenig Tagen, und hatten immer mit Mangel zu kaͤmpfen, weil der Feind uns hier in der Naͤhe war, und kein Marketender uns zu folgen sich getraute. Einige Weiber und Men- scher zogen zwar mit, aber die hatten leider selbst nichts, konnten also auch nichts verkaufen. Am 19ten September mußten wir Nachmittags noch spaͤt aufbrechen, und vorwaͤrts marschiren bis Nachts um 9 Uhr; und hernach brachten wir ohne Zelter, und beynahe ohne Infanteriewachen die Nacht unter offnem Himmel zu. Auf dem Wege dahin sagte ein Offizier zum an- dern: „Hoͤre Bruder, Morgen giebts was! die Franzosen werden angegriffen; und wenn sie nur stehen, so sind sie Morgen Abend alle in un- srer Gewalt.“ Sch — auch! — fing ein Soldat aus dem Trupp an — seht ihr nur zu, daß sie Euch nicht kriegen; Sie — kriegt ihr gewiß nicht! — Darauf fing der Offizier an zu fluchen, und wollte mit Gewalt wissen, wer so gesprochen haͤtte, um ihn zu bestrafen; da aber Niemand die- sen verrieth, so schwur er bey seiner hohen Ehre , und daß ihn der Teufel in tausend Fetzen zerreißen sollte, wenn Morgen die Spizbuben nicht alle ent- weder todt oder gefangen waͤren! Der Wind braußte diese Nacht fuͤrchterlich, und es war gewaltig kalt. Waldung war dort in der Naͤhe nicht: wir liefen also schaarenweise in die Doͤrfer, und hohlten, was wir vorfanden, Stuͤhle, Tische, Bettstellen, Faͤsser, Thuͤren, Wagen, Karren; kurz, wir schleppten, was von Holz uns in die Haͤnde fiel, ins Lager, und machten Feuer wie in der Hoͤlle. In den Doͤrfern selbst wurde Feuer in die Bauerhoͤfe getragen, und man zuͤndete mit Strohfackeln in den Scheunen und Staͤllen herum. Was von Vieh noch uͤbrig war, wurde mitge- schleppt, und im Lager in Toͤpfen und Kesseln, die man gleichfalls in den Doͤrfern gelangt hatte, ge- kocht und verzehrt. Unter allen zeichneten sich die Soldaten vom Regimente Romberg als brave Beutemacher und Koͤche aus. Einer unsrer Offiziere, der Hr. Major von Massow , wollte dem graͤulichen Pluͤndern und Anzuͤnden steuren, aber seine Bemuͤhungen waren fruchtlos: man stellte ihm vor, daß eben jezt, den Tag vor einem wahrscheinlichen Angriffe auf den Feind, ein scharfes Verfahren wider die Beute- macher am unrechten Orte seyn wuͤrde. So dachten alle: denn ich sahe die Generale selbst ganz ruhig am Feuer sitzen, und den Solda- ten, als sie ihre geraubten Huͤner u. s. w. zurecht machten, zusehen, ohne ein Wort daruͤber zu sagen. In solchen Tagen kann man ihnen das auch gar nicht zumuthen, ob ich gleich uͤberzeugt bin, daß die wenigsten von ihnen diese Graͤuel billigten. Mehrere Doͤrfer sind in dieser garstigen Nacht durch den Brand sehr beschaͤdiget worden, und eins derselben stand noch in vollen Flammen, als wir den andern Morgen um 9 Uhr vorbeymaschierten. Vorfaͤlle von dieser Art, welche unserm Mili- taͤr eben keine Ehre machen, berichte ich sehr un- gern: aber ich muß einmal schreiben, was ich gese- hen habe; und dann sollen meine Berichte auch zum Einschaͤrfen des wichtigen Satzes dienen: daß man von Menschen nicht mehr erwarten muͤsse, als sie nach ihrer Lage leisten koͤnnen; daß man folglich bil- lige Urtheile faͤllen muͤsse von Freund und von Feind; daß man also auch jene Nachrichten, welche Herr Girtanner , Herr Pastor Braun und andre uͤber die Franzosen so reichlich in Deutschland ver- breitet haben, wuͤrdigen muͤsse, wie sie nur gewuͤr- diget werden koͤnnen nach der Natur einer Armee, welche in allerley Umstaͤnde geraͤtht, und daher al- lerley thun muß, was freilich mit den Regeln der Moral, und den Gesetzen nicht uͤbereinstimmt. Doch davon weiter unten in einem eignen Kapitel, indem diese Sache gar sehr wichtig ist. Sobald der Tag anbrach, wurde abmarschiert. Es hatte erst geschienen, als wenn das Wetter sich halten wuͤrde, aber gegen 7 Uhr fing es heftig an zu regnen, und wir wurden bis auf die Haut naß. Dennoch ging der Zug weiter bis gegen die Hoͤhen von Dampierre, worauf Dumouriez sich postirt hatte; und hier fiel die bekannte Kanonade vor, von welcher, glaube ich, Nachricht genug gege- ben ist. Warum wir bey dieser Kanonade keinen Vortheil erhielten, ist handgreiflich. Der Feind hatte mehr Volk, mehr und besseres Geschuͤtz und eine weit bes- sere Stellung als wir: besonders machte eine Bat- terie an einer Windmuͤhle, wenn diese gleich von unserm Geschuͤtz und auffliegenden Pulverkarren zusammen geschmissen wurde, es voͤllig unmoͤglich, den Feind mit Infanterie anzugreifen. Der Verfasser der Briefe eines Preußischen Augenzeugen uͤber diesen Feldzug, sagt im zweyten Packt, S.88 und 89 etwas von todtblassen Ge- sichtern an Haupt- und Unterleuten waͤhrend dieser Kanonade; vom Buͤcken vor Kanonenkugeln, und dergleichen: und dieses hat der Recensent dieser Briefe in dem Magazin der neuesten Kriegsbege- benheiten ( I. B. S. 267.) sehr uͤbel aufgenommen, und versichert bey seiner Ehre Daraus sieht man schon, daß der Recensent ein Offizier ist. Aber nicht alles, was auf Ehre versichert wird, ist darum wahr. Man denke an die hohen Versicherungen der ausge- wanderten franzoͤsischen Prinzen, Generale, Edelleute, Prie- ster u. dgl.! — : daß Er (auf seinem Posten) weder Buͤcken noch Blaͤsse, sondern alten aͤchten Preußischen Muth gefunden habe. „Alle Soldaten, sezt er hinzu, waren lustig, und freuten sich sogar, den so lange verfolgten (?) Feind endlich einmal in Schlachtordnung aufmar- schirt zu sehen. Alles avancirte mit frohem Muthe und der festen Ueberzeugung, den Feind zu schla- gen, und alles murrte, da Halt kommandirt wurde. Auch den Tag, als die Armee auf die Hoͤhen neben Valmy anmarschirte, erwartete und wuͤnschte Offizier und Soldat mit Vergnuͤgen eine Bataille, und alles war misvergnuͤgt, da man, ohne etwas unternommen zu haben, ein Lager be- zog. — Es wuͤrde ewige Schande uͤber Preußische Truppen bringen, wenn es auch nur halb wahr seyn koͤnnte, was der Verfasser davon aufgezeich- net hat.“ Wie aber, wenn es wirklich ganz wahr ist? Oder soll darum etwas nicht wahr seyn, weil es mit der lieben Ehre nicht so recht besteht? Dann ließe sich unser ganze Feldzug nach Champagne rein wegdemonstriren, und gar viel Anderes, was doch weltkundig wahr ist. Der Ehrenritterliche Recensent wird demnach einsehen: daß Zuvielbe- weisen mit Recht Nichtsbeweisen heißt. Ueber- dieß ist Wahrheit doch auch gut Ding, welcher man nicht zu nahe treten muß, wenn sie Zeugen zu Tau- senden hat; und wenn die arge Welt auf das Ver- tuschen und erkuͤnsteltes Selbstlob wenig noch achtet. Also, was das Erblassen und das Buͤcken be- trift, so versichere ich den Herrn gegenseitig — zur Ehre der Wahrheit: daß ich auf meinem Stand- punkte eben das gesehn und bemerkt habe, was der Verfasser der Briefe daruͤber erzaͤhlt hat. Ich kann ihm namentlich die Offiziere nennen, die ihren Trupp zum Buͤcken sogar ermahnten. Ob das Regiment Weimar eben dieß gethan habe, weiß ich nicht; aber Peltier sagt es in seinem Dernier tableau de Paris. Man sehe den II. B. des angefuͤhrten Magazins S. 85. — Wenn keine sich nirgends gebuͤckt haͤtten; woher dann diese Nachricht? Und wer koͤnnte Offiziere und Andere tadeln, die nach dem Gesetze der Sparsamkeit, Klugheit und wahren vernuͤnftigen Tapferkeit, wie auch nach dem na- tuͤrlichen Selbsterhaltungstriebe, ausweichbaren Gefahren ausweichen, um Sich sich, den Ihrigen und dem Staate, der doch die Menschen zum Sol- datwerden, und was zu deren Unterhalte und Be- waffnung gehoͤrt, hergeben muß, zu erhalten? Dieß zu thun, denk' ich, ist Pflicht; und es gethan haben, koͤnnte also uͤber Preußische Truppen ewige Schande nur dann bringen, wenn die Ehre der Preußen es mit sich braͤchte, nicht nach weiser zweck- maͤßiger Tapferkeit, sondern nach unweiser Toll- kuͤhnheit jeder, auch ausweichbaren, Gefahr sich preis zu geben. Menschen sind doch keine Fuͤrsten-Nie- ten? — Fuͤr das Erblassen spricht schon unsre vorherge- gangene elende Lage, die allein hinreichend gewesen waͤre, auch dem tapfersten und geuͤbtesten Soldaten, zu dessen Wollen doch auch das Koͤnnen hinzu- kommen muß, den Muth zu laͤhmen, und ihn, wenn auch nicht zur Verzweiflung, doch zum Ver- zagen und Erblassen zu stimmen, zumal im Ange- sichte einer tosenden feindlichen Kanonade. Unsere Leute waren ja meistens schon krank; alle waren ermattet und bis auf die Haut durchnaͤsset; der groͤßte Theil hatte seit dem Mittage des vorigen Tages nichts gegessen; weit uͤber die Haͤlfte — denn aus dem siebenjaͤhrigen Kriege zaͤhlen wir nicht viel brauchbare Soldaten mehr — trat hier zum ersten Male vor feindliche Kanonen: ist es nun uͤberhaupt glaublich, daß solche Leute unter solchen Umstaͤnden sich des nahen Feindes freuen, mit fro- hem Muthe gegen ihn avanciren, und uͤber ein kommandirtes Halt murren werden? Das wird sich schwerlich jemand einbilden, der da weiß, wel- chen Eindruck neue und große Gefahren auf unge- wohnte und sonst schon leidende Gemuͤther machen. — Auf dem Anmarsche gegen den Feind wurden erst die Gewehre geladen, welche vorher immer ku- gelleer geblieben waren: und waͤhrend dieses La- dens konnte man die Todtenblaͤsse auf den meisten Gesichtern nicht der Soldaten allein, sondern auch der Offiziere, deutlich bemerken. Die Aengstlich- keit gieng so weit, daß, wer Spielkarten bey sich hatte, sie wegwarf, aus Furcht, der liebe Gott moͤgte nun ihn strafen wegen eines so gottlosen Ge- raͤthes, als eine Spielkarte ist. etc. etc. etc. Wenn vielleicht der Herr Recensent, als geuͤbter Offizier, muthig war: so gereicht ihm das zur Ehre, ob es gleich nicht sehr ruͤhmlich ist, den Muth Anderer auf Kosten der Wahrheit laut zu ruͤhmen, um seinen eignen so nebenher mitzuruͤhmen. Recensent will nicht einmal zugeben, daß der Verfasser der Briefe Soldat war: er will ihn nur mit zu der Equipage der Armee gerechnet wissen: und das soll man jedem seiner gefaͤllten Urtheile an- sehen!! — Sehr hoͤflich von einem Offiziere; aber auch sehr natuͤrlich fuͤr einen Offizier, vielleicht vom Regimente Romberg , der es dann frey- lich unverdaulich finden mußte, daß der Verfasser der Briefe die Leute dieses Regiments nicht zum erbaulichsten anfuͤhrte, und gar von Bauchphiloso- phen unter demselben etwas fallen ließ. Aber wer kann wider die Wahrheit, zumal, wenn Tausende als Zeugen fuͤr sie da sind! Soll man aber gefaͤllten Urtheilen es ansehn koͤnnen, ob jemand wirklich Soldat sey, oder ob er zur Equipage der Armee gehoͤre: so koͤnnte Re- censent selbst Gefahr laufen, vielleicht auch zur Equipage mitgerechnet zu werden. Denn was und wie qualifizirt dazu, er uͤber den Feldzug von 1792 urtheile, lehrt der Augenschein im II. B. S. 68 u. ff. Ich will einiges zur Probe anfuͤhren. Nach S. 73 im II. B. der ersten Ausgabe, „ha- ben die franzoͤsischen Prinzen den Operationsplan (fuͤr den ersten Feldzug) entworfen, und der Her- zog von Braunschweig hat bloß die Ausfuͤhrung versucht. — Wenn er gleich selbst uͤberzeugt war, nicht nach Paris zu kommen, so mußte er doch im- mer das Gegentheil laut behaupten, so lange der entworfene Plan durchgesezt werden sollte.“ — Also war der Herzog der exequirende General der franzoͤsischen Prinzen! Also wollte er bloß die Ausfuͤhrung von etwas versuchen, das Andere ent- worfen, er aber weder gebilliget, noch fuͤr moͤglich gehalten hat — naͤmlich nach Paris zu kommen! Also machte er den militaͤrischen Marktschreyer und Renomisten! Quot verba, tot absurda! Recensent giebt auf diese Art dem Kupferstiche ja noch Ge- wicht, worauf die franzoͤsischen Prinzen, Generale und Bischoͤfe, mit Laternen in der Hand, dem Preu- ßischen Heere vorleuchten; das Heer schon bis uͤber die Knoͤchel im Sumpfe wanket, mit Manifesten, Ludwigskreuzen und Rosenkraͤnzen auf dem Ruͤcken, und welchem der Anfuͤhrer mit verbundenen Augen und gezucktem Degen nachreitet, mit den Worten vor dem Munde: Marsch , nach Paris ! „Was die Manifeste anbelangt, heißt es S. 75, so braucht man den großen Mann nur zu kennen, um zu wissen, daß er seinen Namen unterschrieb, und sie verlachte, sich ihrer aber als ein Mittel be- diente, um zu wirken, weil 40000 Stimmen sag- ten auf diese Art muͤsse gewirkt werden, und so wuͤrde die Wirkung ihren Zweck nicht verfehlen.“ — Also handelte der große Mann hier wieder nach der Auctoritaͤt Anderer und nach Mehrheit, vergaß daruͤber reifliche Selbstpruͤfung und Erforschung durch Emissaire u. dgl. und bediente sich eines Mittels auf fremde Rechnung, das er auf eigne verlachte. Schade um die Profanierung des hoch- beruͤhmten Namens! — „Der Zweck der Kanonade, faͤhrt unser Herr S. 87 fort, war, der Franzoͤsischen Armee sich ein- mal gegen uͤber zu zeigen, um zu sehen, in wie ferne die Aussage der Emigrirten: daß der groͤßte Theil (der franzoͤsischen Armee) uͤbergehen wuͤrde, wahr sey oder nicht. — Um diesem Zeigen mehr Nachdruck zu geben, stellte der Herzog ihr allent- halben Truppen entgegen. — (S. 88.) So blieb man dem Feinde gegen uͤber stehen, und hoffte ver- gebens auf den Uebergang der Franzoͤsischen Trup- pen. Der Glaube der Emigrirten daran war so stark, daß einige aus dem Gefolge des Koͤnigs nur noͤthig zu haben waͤhnten, sich zu zeigen, und des- halb auf der Chaussee vorritten, und mit ihren weißen Tuͤchern winkten... (S. 89.) Allein — keine Seele kam! Die entscheidende Begebenheit also, die mit so vieler Gewißheit von den Emigrir- ten vorher verkuͤndet ward, worauf der ganze Plan der Campagne und alle bisherigen Schritte calculirt waren, war gescheitert, und so der ganze Feldzug mit einem Male — zu Wasser geworden.“ — Ewige Schande uͤber das Vercalculiren nach dem Calcul unsers Recensenten! Hatten denn die Fran- zosen in Landau, als sie den Trompeter, welchen Fuͤrst von Hohenlohe im Vorbeygehen an sie ab- schickte, erschossen, nicht schon handgreiflich genug bewiesen, daß die Emigrirten — Erzluͤgner wa- ren? Der franzoͤsische Freyheitskrieg an dem Oberrhein, der Saar und der Mosel — I. B. S. 13. Dieß Werkchen verdient vor vielen aͤhnlichen den Vorzug. — Nein der Verfasser der Briefe — cal- culirte wahrlich weit richtiger, und der ganze Er- folg hat seinem Calcul entsprochen. Bey der Equi- page gab es also einen, der unbefangener und rich- tiger vorhersah und urtheilte, als Mancher an der Spitze. Aesopus und Plautus waren indeß auch keine Centurionen, und sagten doch manch wahres und brauchbares Wort, auch noch fuͤr un- sere Zeiten. — Und waͤre der Hr. Recensent ein Julius Caͤsar, so haͤtte er dennoch sehr geirrt, daß er dem Glauben an die Behauptung und den Dritter Theil. L Plan der Exprinzen und ihres Anhangs mehr zu- schreibt, als unsere Ehre und eine gesunde und ehr- liche Politik es je haͤtten erlauben koͤnnen — oder er muͤßte recht auffallend haben zeigen wollen: daß der Glaube im Politischen eben so wenig selig ma- che, als im Theologischen, und daß eben diejenigen, die man im Herrscherduͤnkel fuͤr die ersten Stuͤtzen des Staates haͤlt, oft gerade die lezten sind, und, wenn sie ihn gleich am meisten untergraben, doch am wenigsten recht kennen. — „Haͤtten, sagt ein geuͤbter Seher unsrer Zei- ten Genius der Zeit , 1795. Jun, S. 25 , , die Fuͤrsten, Minister und Raͤthe, welche die neuern Begebenheiten Europas herbeigezogen haben, weniger ihren Einsichten getrauet, weniger ihren Leidenschaften und Vorurtheilen Gehoͤr gege- ben, und dagegen mehr die Geschichte, mehr die Menschen, und insonderheit mehr die Werke des unsterblichen Friedrichs studiert: so wuͤrden sie nicht sagen duͤrfen: sie haͤtten nicht voraussehen koͤnnen, was in der Folge geschehen ist. Daß sie es vor- aussehen konnten, ist unlaͤugbar, da es voraus- gesehen ist. Vorwuͤrfe deshalb helfen freilich nichts mehr, da geschehene Dinge sich nicht aͤndern lassen; aber die Fehler zu bemerken, ist sehr heilsam, um Regenten zu uͤberzeugen, welchen Irrthuͤmern sie ausgesezt sind, wenn sie ihre Minister allein hoͤ- ren. So wahr ist die Bemerkung eines vernuͤnfti- gen Mannes: Daß in unsern Zeiten die groͤßte Weisheit nicht in den Kabinettern gewesen ist, und daß Buͤcher-Gelehrte den Lauf der Dinge besser be- urtheilt und richtiger vorausgesehen haben, als — die handelnden Staatsmaͤnner.“ „Bis dahin, faͤhrt Recensent S. 89 fort, und meynt bis zur Kanonade, hatte die Politik den Krieg allein gefuͤhrt; jezt erst trat die Kriegskunst wieder in ihre Rechte. — S. 90. Durch jene Spekulation war die Armee in der traurigsten Lage. — S. 91. Ich habe keine Worte fuͤr das Ge- maͤlde unseres Ruͤckzuges! In dieser schrecklichen Lage konnte nicht die Frage seyn: Wie heraus- kommen? — sondern alles kam nur auf das Her - auskommen selbst an. — S. 92. Es blieb nur das uͤbrig, den Feind selbst zu gewinnen. Daher entstanden jene Unterhandlungen, die der Welt soviel Kopfbrechens gemacht haben. — Der Herzog hatte durch eine Unterredung die franzoͤsi- schen Generale so fuͤr sich eingenommen, daß sie fest glaubten, wir wuͤrden die Oestreicher verlas- sen, und ihre Parthey ergreifen: und in dieser Hoffnung gingen sie einen stillschweigenden Waffen- stillstand mit den Preußen ein, wofuͤr ihnen die Zuruͤckgabe von Verdun versprochen ward. In diesem Waffenstillstand waren jedoch die Oestreicher und Emigrirten nicht mitbegriffen; und als der Ruͤckzug geschah, suchten die Franzosen selbige allenthalben, um sie anzugreifen und zu Grunde zu richten. Diese aber brachen immer einen Tag fruͤher auf, und so wurden sie von der Preußischen Armee masquirt. — S. 93. Alles, außer der Raͤumung von Verdun und Longwy, beruhte indeß nur auf muͤndlichen Vertraͤgen: und so wie man uͤber die Graͤnze war, nahm man die Masque ab, und die Feindseligkeiten fingen wieder an.“ — So also trieben es die Preußen? Ihre Kriegs- kunst, wie ihre Politik behaͤlfe sich also mit Mas- ken? Ein muͤndlicher Vertrag waͤre ihnen nicht eben so heilig, als ein schriftlicher? — Dann haͤtten ja diejenigen so groß Unrecht nicht, die das punica fides mit der borussica jezt vertauschen wollen! — Doch genug, um den Lesern selbst es zu uͤber- lassen, weit von beyden sie bey der Equipage der Armee suchen wuͤrden, den Verfasser der Briefe , oder den Recensenten derselben in dem Magazin ? Der Verfasser der Briefe ist seiner Wahrheit und Wahrhaftigkeit, sowohl in historischer als politi- scher Ruͤcksicht, auch bey der Nachwelt sicher ge- nug, um keiner weitern Rechtfertigung vor seinen Zeitgenossen gegen einen hofierenden Recensen noch zu beduͤrfen. Sein Hauptverdienst ist, daß er den Geist des Krieges und dessen naͤchster Theil- nehmer unter Soldaten, Buͤrger und Bauer ge- treu schildert, und alles, was hierauf Bezug hat, und soweit sein Bemerkungskreis reichte, offenher- zig vorerzaͤhlt, dann aber den Standpunkt und die Grundsaͤtze mit edler Freymuͤthigkeit angiebt, nach welchen man das Erzaͤhlte bald a priori, bald a posteriori, entweder einzeln oder im Zusammen- hange, nach Ursache und Wirkung, oder nach Grund und Folge selbst uͤbersehen kann. Das Hi- storische diente ihm also zum Vehikel des Politi- schen; und dadurch unterhielt und belehrte er den gemeinen Leser, wie den hoͤhern. — Ob der Recensent, wie die Hn. Mitverfasser des Magazins, sich dieses Verdienstes auch ruͤh- men koͤnnen, das moͤgen Andere entscheiden. Doch haben sie das Verdienst vor ihm voraus, daß sie mehr, als er, das Taktische des Feldzuges be- merkten, und also mehr fuͤr den Soldaten, aber auch weniger, als er, fuͤr den Weltbuͤrger schrie- ben. Ganz in seiner Manier ist indeß der zweyte Aufsatz im III. Bande S. 19 Naͤmlich der Krieg der Griechen gegen die Perser, in Ver- gleich mit dem jetzigen der Alliirten gegen Frankreich. — Dieß war ein Wort ganz fuͤr den Macht- und Schwach- unserer Zeit! — , der auch in kos- mopolitischer Ruͤcksicht allein mehr werth ist, als die ganze Haͤlfte aller uͤbrigen. Indeß einem jeden das Seine; und was ich von beyden hier nebenher bemerkte, sey salvo meliori bemerkt. Beyde inter- essiren mich nur in sofern, als sie, wie ich, eine Sache behandeln, auf deren wahre und richtige Darstellung es fuͤr die Zukunft, in praktischer Ruͤck- sicht, viel ankommt. Uebrigens moͤgen beyde sich selbst weiter wuͤrdigen und vertheidigen: ich kehre zu meiner Geschichte zuruͤck, und hoffe wegen die- ses Nebensprunges um so eher Nachsicht, da er zu- gleich eine ganz eigne Ansicht des Feldzuges von 1792 dem Leser eroͤffnet. — Unsern Koͤnig sah ich hier in Begleitung einiger Generale, mitten unter den feindlichen Kugeln hin- reiten, und freute mich eben so sehr uͤber das herr- liche Beyspiel, welches dieser muthvolle Monarch seinen Soldaten gab, als ich mich uͤber folgendes aͤußerst dummes und abgeschmacktes Gespraͤch zweyer alter Unteroffiziere aͤrgerte. Ich will sie A und B nennen: A. Siehst du den Alten In Sachsen und anderwaͤrts spricht man vom Regenten mit komplimentvollern Ausdrucken: da sagt man: der gnaͤdigste Kurfuͤrst, Ihre Durchlaucht der Landgraf, Ihre Erzbischoͤfliche Gnaden u. s. w. Hingegen der Preuße sagt schlechtweg: der Alte und legt auf diese Benennung doch mehr, als der Sachse, der Hesse und der Maynzer auf seine prunkvollen Titulaturen. dort? B. Seh'n wohl: schau, wie die Kugeln ihm um den Kopf fliegen! A. Wenn er nur nicht getroffen wird! B. Narre, denkst du denn, daß er das koͤnne? A. Warum nicht? Wenn ihm eine Kugel an den Kopf faͤhrt, ist er weg. B. Ah, warum nicht gar! Eine eiserne Ku- gel trifft den Koͤnig nicht. A. Und wie das? B. Schau, Bruder, das will ich dir sagen: ich bin ein alter Soldat, und hab den siebenjaͤhri- gen Krieg mitgemacht; du kannst mir also glauben, daß ich's verstehe. Ein gekroͤntes Haupt wird von keinem Bley oder Eisen getroffen: das faͤllt weg, und wenn der Koͤnig gerade unter die Batterie dort ritte! A. Aber es sind doch schon, wie man so hoͤrt, Koͤnige vom Feinde erschossen worden. B. Ja, wohl Bruder, aber das waren auch andre Kugeln; es waren Kugeln von Silber! Und siehst du, Bruder, wenn die Franzosen unsern Al- ten treffen wollen, so muͤssen sie silberne Kartaͤtschen einladen, und dann wird er bald weg seyn. A. Wenn das so ist, dann hat der Alte gut dahin reiten! B. Freilich wohl! Zudem haben die Koͤnige von Preußen das Privilegium, daß ihnen weder Hieb noch Schuß schaden kann. Deßwegen hat der alte Fritz im siebenjaͤhrigen Krieg oft ganze Haͤnde voll Bleykugeln aus seinen Ficken geholt, und die Kanonenkugeln mit dem Hut aufgefangen. A. Hoͤre Bruder, du kannst Recht haben! Drum gehn die Koͤnige in Preußen wohl auch nur noch allein ins Feld: sie wuͤrden aber wohl huͤbsch zu Hause bleiben, wenn sie sich vorm Todtschießen fuͤrchten muͤsten. Dann wuͤrden sie's machen, wie der Kaiser, der Koͤnig in Spanien und die andern Koͤnige. Die bleiben alle huͤbsch zu Hause, und lassen ihre Leute fuͤr sich todt, krum oder lahm schießen. — Durch solche absurde aberglaͤubige Ideen entkraͤf- tet ein solcher Maͤhrchentroͤdler ein Beispiel von Tapferkeit, welches der Koͤnig seinem Heere giebt, und das fuͤr sich ganz unwiderstehlich wirken wuͤrde. Vierzehntes Kapitel. Begebenheiten nach der Kanonade bey Valmy. E s ist hier der Ort nicht, zu beweisen, daß der da- malige franzoͤsische General Dumouriez weder uns noch seiner Nation ganz gewogen war. Daruͤber mag der Leser in andern Buͤchern Auskunft suchen. Dumouriez haͤtte uns noch am Tage der Kanonade viel schaden koͤnnen, wenn er gewollt haͤtte: das ist eine Wahrheit, welche unsre eignen Befehlsha- ber gerne eingestanden, und die auch aus der Natur unsrer Lage deutlich genug erhellet. Nach einem wechselseitigen Feuer von ohnge- faͤhr vier Stunden wurde abmarschiert, und wir zogen uns auf verschiedne Huͤgel, welche wir be- sezten. Der Koͤnig nahm sein Quartier auf dem Vorwerke La Lune, welches vorher einem Emigrir- ten gehoͤrt hatte, damals aber schon an Bauren verkauft war. Unser Verlust an Todten und Blessirten belief sich auf 166 Mann: freilich ein ganz geringer Ver- lust bey einer vierstuͤndigen Kanonade, aber alle- mal groß genug, bey einer Kanonade, welche nach dem Zeugniß aller verstaͤndigen Kriegsmaͤnner, ganz ohne alle Hoffnung eines Sieges oder reellen Vor- theils, unternommen war. Diesen Verlust wird der vorhin zurechtgewiesene Recensent unmoͤglich laͤugnen koͤnnen; und nun moͤgte ich wissen, wie er ihn mit der von ihm angegebnen Absicht der Ka- nonade reimen wolle. Schon die Kanonade selbst widerspricht ihr: denn welcher Kluge schießt auf Leute, auf deren Heruͤberkunft er wartet? — Die Verwundeten wurden auf ein Vorwerk ge- bracht, wo sie wegen der elenden Pflege schon mei- stens in der ersten Nacht unter den heftigsten Qua- len hinsturben. Gar wenige von allen bey La Lune verwundeten Soldaten sind mit dem Leben, und kein einziger ist mit geraden Gliedern davon gekom- men. Das ist freilich schrecklich, aber daran war auch meistens unsre medizinische Anstalt Schuld, welche bey keiner Armee elender seyn kann, als sie damals bey unsrer war. Das machte aber, weil man steif und fest geglaubt hatte, die Franzosen wuͤrden uns keinen Finger entzwey schießen. Man hatte sich aber verrechnet, und das garstig! — Ich werde in einem eignen Kapitel von den Graͤu- eln der medizinischen Pflege unsrer braven Krieger in diesem Feldzuge reden, unpartheiisch zwar, aber doch so, wie ich diese Graͤuel selbst gesehen habe. Es war entsetzlich kalt den Abend nach der Ka- nonade: der Wind ging scharf, und mit Regen vermischt — und wir musten da unter freiem Him- mel stehen, bis den andern Tag gegen Abend, aus Furcht, Dumouriez moͤgte sich seines Vortheils bedienen, und uns angreifen. Zum Feuermachen fehlte es an Holz, also lief man in die hinten liegen- den Doͤrfer, und holte da, was man von Holz vor- fand, hieb die Baͤume im Felde nieder, und machte große Feuer. Unser Bataillon war so gluͤcklich, einige Wagen Brennholz zu erbeuten, welche fuͤr die franzoͤsische Armee bestimmt waren. Der Hunger quaͤlte uns alle: denn unser Brod war schon lange verzehrt; und wenn man so unter freiem Himmel in Kaͤlte und Naͤsse kampiren muß, hat man immer mehr Appetit, als in der warmen Stube. Eben so fehlte es uns an Wasser: die Naͤhe des Feindes ließ es nicht zu, es herbey zu holen, und so litten wir auch gewaltigen Durst. Einige Bursche, welche mehr Herz hatten, als andre, gin- gen aber doch hin und holten welches, das sie her- nach theuer genug verkauften. Einmal wurde ein solcher Trupp Wasserholer von einer feindlichen Patrouille aufgefangen, entging ihr aber wieder, weil die Finsterniß sie beguͤnstigte. Gegen Tag sorgte der Himmel selbst fuͤr Was- ser: denn es regnete gewaltig, und die Graͤben fuͤllten sich. Da aber haͤtte man die durchnaͤßten, hungrigen und schmutzigen Soldaten hinrennen und trinken, oder vielmehr saufen sehen sollen! Als es Tag wurde, verbreitete sich Angst und Schrecken in der ganzen Armee von neuem: jeder- man vermuthete, daß nun abermals ein neuer Angriff auf die Franzosen wuͤrde gemacht werden. Ich fuͤr mein Theil glaubte das nicht, und war in dieser Ruͤcksicht ruhig, ob ich es gleich nicht fuͤr un- moͤglich hielt, daß der Feind uns angreifen koͤnnte: und dann versprach ich uns nichts weniger, als ei- nen gluͤcklichen Ausgang der Sache. Aber die Herren Franzosen postirten sich blos vortheilhafter und verschanzten sich nur noch besser, als den Tag vorher. Jezt lief, wer laufen konnte und wollte, in die Doͤrfer, und holte Holz d. i. Thuͤren, Wagen, Faͤsser, Leitern, Breter, Tische, Stuͤhle, kurz, was man an Holzwerk finden und fortbringen konnte. Die Baͤume, besonders die schoͤnen Pappeln an den Wegen — denn Champagne hat nur wenig Obst- baͤume — wurden weit und breit niedergehauen, um durch hinlaͤngliche Feuer einem zahlreichen Volke, das in Wind und Wetter unter freiem Him- mel stand, und noch immer einen Angriff befuͤrch- tete, hinlaͤngliche Waͤrme zu verschaffen. Gegen Abend zuͤndeten die Oestreicher ein Doͤrfchen an, nachdem sie dasselbe erst voͤllig gepluͤndert hatten. Das arme Doͤrfchen brannte bald ganz und gar nieder, weil der Wind unaufhoͤrlich braußte. Dieser Tag war zwar unser Brodtag, aber wir hofften vergeblich auf Speise: unsre Brodwagen waren aus Furcht vor den Franzosen zuruͤckgeblie- ben, und kamen erst spaͤt am Abend. Der Hunger quaͤlte uns jedoch nicht so sehr, als die immerwaͤh- rende Furcht uns aͤngstigte, der Feind moͤgte uns angreifen. Ich suchte auf alle Art meinen Kame- raden diese Furcht zu benehmen, und nicht ohne Er- folg; und nachdem sie mit der Zeit sahen, daß ich Recht hatte, hielten sie mich von nun an fuͤr einen Propheten, und fragten mich in Zukunft uͤber alle Vorfaͤlle, welche sie befuͤrchteten oder wuͤnschten. Gegen Abend stießen die Oestreicher zu uns. Man hatte, ich weis nicht, warum? ausgesprengt, daß ihre verspaͤtete Ankunft eigentlich Schuld an unserm schlechten Erfolg bey der Kanonade gewesen sey: So raͤsonnirten sogar viele Offiziere: aber jezt weis man das anders. Gegen sechs Uhr schlugen wir endlich unsre Zelter auf, erhielten Brod, und ruheten nun von den großen Strapatzen aus. Ich habe niemals erquickender geschlafen, als diese Nacht. Lutze ver- sorgte unser Zelt am andern Tage mit guten V - tualien, und so waren wir in unserm Zelte, waͤh- rend die meisten andern weiter nichts hatten als ihr Bissel Kommißbrod, auf einige Tage geborgen. Ich muß es nochmals wiederholen, daß ich dem braven Lutze manche Saͤtigung verdankte, wo die uͤbrigen, sogar die Offiziere, hungern musten. Am dritten Tage nach der Kanonade aͤnderten wir die Stellung unsers Lagers. Als der Brodtag wieder kam, war kein Brod da. Man gab vor, die Wagen koͤnnten nicht vor- waͤrts wegen des entsetzlichen Kothes; und da wir den Weg, welchen die Wagen von Grandpr é e kommen mußten, sehr wohl kannten, so beruhigten sich die Leute. Die wahre Ursache aber war, daß die Franzosen viele Wagen weggenommen hatten, und die andern sich nun nicht getrauten, vorwaͤrts zu fahren, und also liegen blieben. Man hatte zwar in den umliegenden Doͤrfern alles ausge- pluͤndert, und daselbst allerley Eßwaaren noch vor- gefunden: allein das war doch fuͤr eine solche Menge wie nichts! Wenige hatten etwas erhascht, und die meisten hatten gar nichts. Es wurde daher bey der Parole — man denke doch an die Fuͤrsorge! — befohlen, Waizen zu dreschen, ihn bis zum Zerplatzen zu sieden mit Butter und Speck zu schmaͤlzen, und dann zu essen. Das war nun so ein Stuͤck von Parole- befehl, deren es in der Art mehrere gab — ein ausfuͤhrlicher Befehl! Waizen war zwar noch in den Doͤrfern, aber wo sollte man den dreschen? Der Koth war Knie- tief, und darin drischt sichs gar uͤbel! Und woher sollte man Speck, Butter und Salz nehmen, wel- ches alles in der ganzen Armee nicht zu haben war? Kein Marketender war da, sogar der Jude war bey Grandprée zuruͤckgeblieben: wer also sollte uns da das Noͤthige zum Schmaͤlzen besorgen? — Einige sotten jedoch Waizenkoͤrner und aßen sie ohne Salz und Schmalz vor lauter Hunger hinein. Optimum ciborum condimentum fames! Es gab zwar dort herum auf einigen Aeckern noch Kartoffeln, welche man auch holte und kochte: aber leider war dieses eine gar zu geringe Huͤlfe! die Aecker waren gar bald leer, und zudem waren die Kartoffeln von der Art derer, die man in Deutsch- land dem Viehe giebt: sie vermehrten auch noch die damals alles zerstoͤrende Ruhr. Selbst im koͤniglichen Hauptquartiere zu Hans war Mangel uͤber Mangel: auch da war kein Brod, und an Leckerspeisen war vollends gar nicht zu den- ken. Dieser Mangel ward indeß dem franzoͤsischen Generale bekannt, welcher dann frisches Obst und andre Dinge ins Hauptquartier schickte, um we- nigstens den Koͤnig von Preußen, seinen Feind, und dessen hohe Generalitaͤt vor Hunger zu sichern. Dieser Zug von Edelmuth vermehrte bey unsern Soldaten die gute Idee, welche sie seit der Kano- nade von den Franzosen schon hatten. Von nun an hoͤrte man auch fast allgemein auf, sie Spiz- buben, Racker, dumme Jungen u. dgl. zu schelten. Man hatte auch von allen Orten her so viel Vieh zusammen getrieben, als man nur konnte, und da er- hielt denn freylich der Soldat auch Fleisch, aber mageres elendes statt des Brods: und Brod muß der Soldat haben, wenn er nicht hungern, oder an Nebenspeisen nicht erkranken soll. Als am 27ten endlich das Brod ankam — der 25te und 26te war ausgefallen — so befahl der Koͤnig, daß die Kompagnien dereinst, aber doch bald, die ausgefallnen Brodtage den Soldaten bezahlen sollten, oder vielmehr, er versprach, sie selbst zu bezahlen. Aber diese Zahlung blieb aus! Ohne Zweifel hat der gutmuͤthige Monarch, der das Elend seiner Soldaten, welche uͤber 59 Stunden ohne alle Speise seyn mußten, wohl selbst fuͤhlte, diesen armen Leuten einen kleinen Ersatz an Gelde fuͤr diesen Hunger bestimmt: Aber wo das Geld blieb — ist eine andre Frage. Ohne Muͤhe sieht man ein, daß ein solcher Betrug leicht zu begehen war: aber eben so leicht sieht man ein, daß ein Betrug von der Art unter allen Schurkereien die allerschaͤndlichste, obgleich nicht die ungewoͤhn- lichste ist. Am allerlaͤcherlichsten war der Parolebefehl wegen der Kreide. In Champagne giebt es ihrer viel, und nachdem man auf einem Huͤgel, recht schoͤne entdeckt hatte, mußten Leute hin, sie auszugraben, und nun wurde befohlen, daß man diese Kreide unter die Soldaten vertheilen sollte, mit dem Zusatz: Se. Majestaͤt, der Koͤnig, schenke diese Kreide den Soldaten! In Champagne, dort bey Hans, war freylich der Ort, wo man Hosen und Westen mit Kreide weißen sollte! Ja, wenn der Herr Jesus da gewesen waͤre, und aus Kreide haͤtte Brod machen wollen! — Funfzehntes Kapitel. Fortsetzung des vorigen . D er Herzog von Braunschweig machte gleich ei- nige Zeit nach der Kanonade einen Waffenstillstand mit dem General der Franzosen, Kraft dessen alle Hostilitaͤten vor der Hand unterbleiben sollten. Unsre Vorposten fanden waͤhrend dieser Zeit aller Orten Zettel, welche die franzoͤsischen Pa- Dritter Theil. M trouillen ausstreuten, um unsre Leute zur Desertion aufzumuntern. Ich werde hier mit des Lesers Er- laubniß einen solchen Zettel in deutscher Sprache — sie waren deutsch und franzoͤsisch — mittheilen, und das vorzuͤglich deswegen, weil ich in der Folge ein Mehreres von der Lage der deutschen De- serteurs in Frankreich erwaͤhnen muß. Ich schreibe zwar nicht gerne ab, weil das das Ansehen hat, als wollte man mit fremden Sachen die Bogen fuͤllen, aus Mangel an eignen: aber dann und wann ists doch auch noͤthig, daß man schon gedruckte Dinge nochmals hersetze. Die Zettel hatten folgenden Inhalt: An die Oestreichischen und Preußischen Soldaten. Kameraden, Eure Offiziere hintergehen euch immer, erzaͤh- len euch nichts als Unwahrheiten von dem Kriege, welchen wir wider den Kaiser und den Koͤnig von Preußen fuͤhren. Vernehmet hiemit die wahre Ursache desselben! Es sind nunmehro drey Jahre verflossen, seit- dem die Franken, muͤde ihres Elendes und der un- aufhoͤrlichen Drangsale, welche der Adel und die Hofschranzen sie fuͤhlen ließen, und entschlossen, sich zu raͤchen, die Waffen ergriffen, und feyerlich erklaͤrt haben: daß sie keinen Adelstand mehr dul- den wollen, und daß sie, weil alle Menschen Bruͤ- der und Kinder der naͤmlichen Mutter sind, alle gleich seyn, und die Freyheit haben wollen, sich nach ihrem Gutduͤnken zu regieren. Sie haben ihre Regierungsverfassung veraͤndert und ihrem Koͤnig die Macht benommen, ihnen Boͤses zu thun. Zu gleicher Zeit hat man in allen Kantons des franzoͤsischen Reichs Maͤnner ernannt, deren Be- stimmung es ist, ihnen gute Gesetze zu machen. Diese Buͤrger haben sich versammelt und erklaͤrt, daß die Franzosen frey sind, daß sie alle gleich sind, daß ein jeder nach seinem Verdienste und sei- nen Talenten zu allen Aemtern und Ehrenstellen, sowohl in der Armee, als in der Kirche und den Gerichtshoͤfen gelangen koͤnne: Sie haben die Fel- der von aller Knechtschaft freygesprochen: Sie ha- ben alle Auflagen, welche die Armuth druͤcken, aufgehoben: Sie haben die Kriegszucht angenehm gemacht, den Sold der Soldaten erhoͤht, und den Kriegsdienst mit Vergnuͤgen und Ehre verbunden: Sie haben, mit einem Worte, so viel Gutes ge- stiftet, als ihnen moͤglich war. Alle Franzosen, nur die Edelleute ausgenommen, waren mit dieser Veraͤnderung zufrieden. Diese Edelleute sind aus dem Reiche gegangen, und haben sich bisher in den benachbarten Laͤndern aufgehalten. Sie haben alles gethan, was sie konnten, um die auslaͤndi- schen Fuͤrsten zu Feinden der Franzosen und ihres Vaterlands zu machen. Der Koͤnig von Frank- reich, welcher den Adel liebt, und unzufrieden ist, einen Theil seiner Macht verlohren zu haben, kei- ne Taxen mehr auflegen und die Soldaten nicht mehr schlagen lassen zu koͤnnen, hat gleich alles Moͤgliche gethan, die uͤbrigen Koͤnige zu vermoͤgen, uns den Krieg anzukuͤndigen. Der Kaiser und der Koͤnig von Preußen haben die Waffen wider uns ergriffen, und wollen uns schlagen, um den Adel wieder herzustellen, und den Koͤnig wieder in den Stand zu setzen, alles zu thun, was er will. Sie sind besorgt, daß ihre Voͤlker es eben so, wie die Franzosen machen, und gleich ihnen, Freiheit und Gleichheit verlangen moͤgen. Sie sollen uns in- dessen nicht hindern, andre Nationen an unserm Gluͤcke Theil nehmen zu lassen. Wir sind Nie- manden feind. Die Franzosen sind Bruͤder aller derer, welche frey seyn wollen, wie sie. Es haͤngt von euch ab, uns nachzuahmen, und das ist es, wozu wir euch einladen. Unsere Nationalversammlung, die aus recht- schaffenen Maͤnnern besteht, welche wir ernannt haben, unsere Gesetze zu machen, will, daß alle oͤstreichische und preußische Soldaten, welche ihren Dienst verlassen, und nach Frankreich kommen, so lange sie leben, einen Gehalt von 100 Livres ge- nießen, welcher sich bis auf 500 Livres vermehren kann. So, wie einige derselben sterben, sollen die uͤbrigen dabey gewinnen; und im Fall einer verhei- rathet ist, soll die Wittwe nach seinem Tode den Gehalt genießen. Sehet, Kameraden, wie wir die Soldaten behandeln, welche zu uns kommen, um unsre Frey- heit zu vertheidigen, und sich derselben mit uns zu erfreuen. Kommt also hin nach Frankreich, ins Land der Gleichheit und der Freude. Verlaßt die Edelleute und die Koͤnige, fuͤr welche ihr, wie eine Heerde Schafe, zur Schlachtbank geht, und kommt zu uns, euren Bruͤdern, ein Gluͤck zu su- chen, welches der Menschen wuͤrdig ist! Wir schwoͤ- ren es euch, daß wir euch hernach helfen wollen, eure Weiber, eure Kinder, eure Bruͤder, eure Schwestern aus der Sklaverey zu retten, und ihr sollt mit uns den Ruhm theilen, allen Voͤlkern von Europa die Freiheit zu schenken.“ Diese Zettel, ob sie gleich im Lager und in der ganzen Armee stark zirkelten, machten doch nur schwa- chen Eindruck, und verleiteten nicht viel Soldaten zur Desertion: wenigstens sind von unserm Regi- mente kaum 30 Mann in Frankreich vermißt wor- den. Das kam aber aus der ganz natuͤrlichen Ur- sache, weil jederman glaubte, der Friede sey im Werke, und darum denn hoffte, bald wieder zu Hause bey den Seinigen zu seyn. Haͤtten die guten Leute damals schon wissen sollen, daß sie erst noch einige Jahre herumziehen muͤßten, so will ich das Leben verwetten, das Drittel der Armee waͤre bey Hans ausgerissen. Man sah dieß im Jahre 1793 bey der Retirade, im Herbst! Doch davon zu sei- ner Zeit! Das Wetter war die ganze Zeit uͤber, die wir bey Hans im Lager standen, abscheulich: es regnete ohne Unterlaß, und dabey war es sehr kalt. Alle Tage mußte frisches Stroh, oder vielmehr ungedroschner Waizen aus den Doͤrfern geholt werden, wodurch denn alle Doͤrfer im Umkreise weit und breit leer wurden. Das Wasser lief immer in die Zelter, und machte das Lagerstroh zu Mist: Also fri- sches! — Sollte nach Wasser oder Holz gegangen, oder das elende Kommißfleisch gekocht werden, so zankte man sich erst eine halbe Stunde in den Zeltern her- um, wer gehen sollte? an wen die Reihe waͤre? denn das Wasser sowohl, als das Holz muste eine gute halbe Stunde vom Lager gelangt werden; und bis dorthin muste man bis an die Knie im Kothe kneten. Feuer zum Kochen war sehr schwer anzu- machen, weil man, nach geschloßnem Waffenstill- stande, kein duͤrres Holz aus den Doͤrfern mehr nehmen durfte, folglich mit gruͤnem Weiden- und Pappelholz sich behelfen muste. Dieser Umstand machte, daß, als das Brod ankam, die Bursche in zwey Tagen gar kein Kochfeuer machen wollten. Die Preußische Reinlichkeit hatte zwar schon laͤngst aufgehoͤrt: aber bey Hans haͤtte man die Herren Preußen, die sonst so gepuzten Preußen, Offiziere und Soldaten, schauen sollen! Die weis- sen Westen und Hosen waren uͤber und uͤber voll Schmutz, und noch obendrein vom Rauche gelb und rusig: die Kamaschen starrten von Koth, die Schi waren groͤßtentheils zerfezt, so daß man- che sie mit Weiden zusammen binden mußten: die Roͤcke zeigten allerley Farben von weissem, gelbem und rothem Lehm, die Huͤte hatten keine Form mehr, und hingen herab, wie die Nachtmuͤtzen; endlich die graͤßlichen Baͤrte — denn wer dachte da ans Rasiren! — gaben den Burschen das leidige An- sehen wilder Maͤnner. Kurz, wenn die Hottentotten zu Felde ziehen, so muͤssen ihre Soldaten reinlicher aussehn, als damals wir. Die Gewehre waren voll Rost, und wuͤrden gewiß versagt haben, wenn man haͤtte schießen wollen. Der Herzog von Braunschweig hatte indessen immer Unterhandlungen mit dem General Dumou- riez, wobey Hr. von Mannstein als Geschaͤfts- traͤger gebraucht wurde. Als ich von diesen Unter- handlungen hoͤrte, machte ich einmal in Beyseyn einiger Offiziere Bemerkungen daruͤber, und sagte auf die Aeußerung eines gewissen Hr. Leutnants: „Daß der General Dumouriez um Schonung baͤte“ ganz hitzig, daß die Reihe, um Schonung zu bit- ten, jezt an uns waͤre — daß unser Karren so tief im Kothe staͤcke, daß wir Muͤhe haben wuͤr- den, ihn nur halbweg mit Ehren heraus zu ziehen u. s. w. Der Offizier hinterbrachte diese und andre meiner Aeußerungen meinem Hauptmann, und dieser brave Offizier warnte mich nur unter vier Augen vor aͤhnlichen — Aeußerungen. Er wollte, sagte er, mit mir zwar nicht disputiren, ob ich Recht oder Unrecht haͤtte; aber gesezt auch, ich haͤtte Recht, so waͤre doch hier der Ort nicht, so zu spre- chen, da ohnehin die Leute schwierig und desperat waͤren. Meines Hauptmanns Rede war sehr vernuͤnf- tig: aber es geht einem doch auch hart ein, eine Wahrheit, eine interessante Wahrheit, die uns zu- naͤchst angeht, bey sich zu verbergen, und Lum- pereien mit anzuhoͤren, uͤber die man nicht lachen kann, weil sie unser Gefuͤhl empoͤren, um so mehr, da das Uebel, das aus diesen Lumpereien ent- springt, uns selbst niederbeugt. Wenn einer z. B. uͤber 20 Jahre Hn. Schirachs politisches Journal oder die Neuwieder Zeitungssudelei u. dgl. nach- liest — wenn naͤmlich diese und aͤhnliche Wische nicht alle sammt und sonders dann laͤngst verlacht und vergessen sind — so wird er freilich uͤber die große Dummheit und Unverschaͤmtheit dieser Skri- bler lachen: aber jezt, wer bedenkt, daß diese Schreier zum allgemeinen Elende so vieler Laͤnder und Menschen, und zum physischen und morali- schen Verderben unsers lieben Vaterlandes auch ihr verfluchtes Schaͤrflein beygetragen, und geblendete Gruͤzkoͤpfe noch mehr verblendet haben, der kann die Wische von Neuwied, die des Hn. Schirach und von Goͤchhausen nicht ohne Eckel und Abscheu in die Hand nehmen. Ich bedaure daher auch je- den ehrlichen Mann, der diese Schmiralien lesen muß, und gestehe gern, daß ich lieber Pater Ko - chems Legende, Oswalds Unterhaltungen und den Kaiser Oktavianus lesen wollte, als die politi- schen Siebensachen eines Schirach, Goͤchhausen, Reichards in Gotha, und anderer ihres Gelichters. Ich habe dringende Wahrheiten nie ganz in Petto halten koͤnnen, und da ich immer nicht gleich- gesinnte Menschen um mich hatte, so wurde ich bald als ein Patriot, bald als ein Jakobiner, dann als Demokrat, und wer weis, was noch alles, ausgeschrieen. Aber geschadet hat mir mein freies Gerede niemals: denn im Preußischen Heere sind Maͤnner genug, die auch wissen, wo Barthel Most holt; und bey diesen, und durch diese, war ich im- mer sicher. Es ist ganz gewiß, daß der Herzog von Braun- schweig, nothgedrungen, den ersten Vorschlag zum Waffenstillstand gethan hat. Dumouriez nahm diesen Vorschlag aus Gefaͤlligkeit gegen uns an, und hatte, wie mich duͤnkt, hinlaͤngliche Ursache dazu. Er konnte naͤmlich hoffen, daß der Koͤnig von Preußen Friede mit den Franzosen machen wuͤrde, und so hatte die Republik — denn Frank- reich war damals schon eine — einen maͤchtigen Feind vom Halse. In dieser Absicht schickte er eine Erklaͤrung ins Preußische Lager, worin er mit den besten Gruͤnden und starker maͤnnlicher Bered- samkeit die Vortheile darlegte, den Preußen aus dem Frieden mit Frankreich ziehen koͤnnte. Ob man aber Dumouriez 's Gruͤnde fuͤr guͤltig ansah, oder nicht, kann ich nicht sagen: genug, der Her- zog schickte, ohne auf des franzoͤsischen Generals Vorstellungen zu achten, demselben am 28ten September abermals ein Manifest, welches zwar den gebieterischen Ton des Koblenzer Aufsatzes nicht fuͤhrte, doch aber noch immer die Herstellung Lud- wigs XVI. und des erblichen Koͤnigthums erwaͤhnte. Und diesem Manifeste, welches zu gar nichts nuͤtzen konnte, ist denn auch der tragische Ruͤckzug der Deutschen, der Einfall des Cuͤstine in die dießseitigen Rheinlaͤnder und das daraus entstandene Elend so vieler Tausenden von Menschen zuzurech- nen! Es ist unbegreiflich, wie ein Fuͤrst, ein so hell- sehender Fuͤrst, als der Herzog von Braunschweig ist, es uͤbersah, daß er mit einem Feinde zu thun hatte, den er mit Gewalt nicht mehr zwingen konnte: und daß Er, troz unsrer jaͤmmerlichen Lage, es den- noch wagte, diesem Feinde eine abermalige Kriegs- erklaͤrung zuzuschicken! — Ich mag diesen Punkt, dessen Resultate von selbst in die Augen fallen, nicht weiter verfolgen, glaube aber immer, daß dieses Manifest dem weisen Fuͤrsten neuerdings extor- quirt ist. — Dumouriez indeß nahm das Manifest auf, wie er mußte. Er erklaͤrte in einem Briefe an den General Mannstein : daß nun aller Waffen- stillstand aufgehoben sey, und daß die Feindselig- keiten ihren Anfang wieder nehmen muͤßten. Der General Mannstein , ein kluger, erfahrner Mann, fuͤhlte schon im Voraus die traurigen Folgen einer abermaligen Feindseligkeit, und suchte daher den General der Franzosen auf jede glimpfliche Art zu besaͤnftigen: allein Dumouriez blieb unerbittlich, bis endlich der Hr. Graf von Kalkreuth nach seiner ihm ganz eignen Klugheit durch seine uͤber- zeugende und gewandte Beredsamkeit bey Duͤ - mouriez und den uͤbrigen fraͤnkischen Heerfuͤh- rern so viel bewirkte, daß man die Preußen — ab- ziehen ließ. Es stand wahrlich bey den franzoͤsischen Gene- ralen, ob sie die Preußen abziehen lassen, oder ob sie dieselben gefangen nehmen wollten. Warum sie das lezte nicht thaten, oder wenigstens den Ruͤckzug nicht noch mehr erschwerten, ist mir ein Raͤthsel, welches aber zu seiner Zeit vielleicht noch geloͤßt werden duͤrfte. Hr. Graf von Kalkreuth koͤnnte den besten Schluͤssel dazu hergeben. Nie- mals aber ist die Preußische Armee und ihr guter Koͤnig in groͤßerer Gefahr gewesen; als am 29ten September, 1792. Sechszehntes Kapitel. Jaͤmmerlicher Abzug aus Frankreich . A m 29ten September, also an eben dem Tage — man merke das Dringende! — wo der Herr Graf von Kalkreuth mit Dumouriez Traktaten ge- macht hatte, brach unsre Armee schon auf, und ruͤckte zuruͤck, oder vielmehr sie aͤnderte nur ihre Po- sition ruͤckwaͤrts, und am 30ten gings wirklich — zuruͤck. Das Wetter war Anfangs recht gut, naͤmlich vom 29ten an: allein am dritten October fiel wieder das Regenwetter ein, und nahm kein Ende, so lange wir noch in Frankreich uns schleppten. Man hatte in der ganzen Armee ausgesprengt: der Friede mit Frankreich sey gewiß, und die Fran- zosen haͤtten sich gegeben d. i. den alten Despotis- mus wieder angenommen; wir haͤtten also in Frank- reich nichts weiter zu schaffen, und waͤren darum jezt auf dem Wege nach Hause. — Mir kam das Ding gleich spanisch vor, weil ich nicht begreifen konnte, wie eine Nation, welche einen 10ten August und einen 2ten, 3ten und 4ten September mit Schrecken gehabt und gefoͤrdert hatte, sich haͤtte geben koͤnnen, zumal da die Armee, welche sie hatte demuͤthigen wollen, damals selbst gedemuͤ- thiget, und ihr also nicht mehr fuͤrchterlich war, auch es nicht mehr werden konnte. Ich theilte meine Bedenklichkeiten einigen Maͤnnern im Regi- mente mit, welche auch Selbstdenken gelernt hat- ten, und diese gaben mir, nachdem ich ihnen alle meine Gruͤnde vorgelegt hatte, Recht. Besonders erinnere ich mich der guten und geraden Einsicht des Herrn Leutnants von Drygalsky , der schon, ehe wir aus dem Lager bey Hans aufbrachen, einen Einfall der Franzosen in Deutschland mit mir gleichsam als gewiß vermuthete. Es wurde uns zwar stark widersprochen, aber, leider; bald er- fuhr man, daß wir uns nicht geirrt hatten. Ueber- haupt muß man bemerken, daß der Preußische Offizier sich es erlaubt, uͤber dergleichen oͤffent- liche Gegenstaͤnde selbst frey zu denken, und sich nicht scheut, seine Gedanken auch zu sagen, gesezt auch, er vermuthe eben nicht viel Gutes. Der Oestreicher ist hierin anders gesinnt: der glaubt steif und fest, sein gnaͤdigster Kaiser muͤsse halter gewinnen: der sey halter unuͤberwindlich ! — Und so was macht sicher und lehrt nicht raffiniren! Den vierten Oktober war ein ganz abscheulicher Marsch. Wir waren schon sehr fruͤhe aufgebrochen, aber der jaͤmmerliche Weg hinderte das Geschuͤtz, vorwaͤrts zu kommen: also mußten wir den gan- zen Tag, bis in die spaͤte Nacht unterwegs bleiben, und uns von dem unaufhoͤrlichen kalten Regen bis auf die Haut netzen lassen. Spaͤt in der Nacht, ohngefaͤhr nach zehn Uhr, kamen wir auf dem Platze bey Besancy an, wo wir unser Lager schlagen sollten, oder vielmehr, es kam nur ein großer Theil unsrer Armee dort an: denn gar sehr viele waren zuruͤck geblieben, theils weil sie nicht mehr fortkonn- ten, theils auch, weil sie sich in der stockfinstern Nacht verirrt hatten. Hier sah ich ein graͤßliches Schauspiel. Der Packknecht des Hn. Leutnants von Baschwitz war vor Mattigkeit in einen Weinberg gekrochen, und dort eingeschlafen. Ein Offizier vom Regimente Woldeck ritt eben auch da durch, und sein Pferd trat dem armen Kerl auf die Brust, daß ihm das Blut zum Munde herausquoll. Wahrscheinlich hatte der Offizier diesen Unfall nicht bemerket. Der Packknecht wurde unter unaufhoͤrlichem Jammern eine Strecke vorwaͤrts getragen, um ihm Huͤlfe zu schaffen; aber vergebens: es fehlte an Wagen, worauf man Kranke haͤtte legen koͤnnen. Man sezte ihn also ab, und ließ ihn ohnweit dem Wege liegen, wo er wahrscheinlich gestorben ist; wenig- stens hat man ihn nicht mehr gesehen. Ein anderes Ungluͤck traf auf demselben Marsche einen Artilleristen, dem beyde Beine durch das Umwerfen einer Kanone zerschmettert wurden: auch dieser ist im Kothe liegen blieben, und gestorben. — Den Tag nach diesem scheußlichen Marsche war Ruhetag: man mußte naͤmlich Halt machen, um den zuruͤckgebliebnen Leuten Zeit zu lassen, sich wie- der zu sammeln. Hier sah man das erste Mal Viele ohne Gewehr und Patrontasche ankommen. Die armen Leute hatten schon vollauf Muͤhe, nur ihren Koͤrper fortzuschleppen, warfen also die Waffen weg, unter deren Last sie sonst haͤtten erliegen muͤs- sen. Einige schmissen sogar ihre Tornister fort. Der Koͤnig selbst hat auf diesem jaͤmmerlichen Ruͤck- zuge allen Soldaten, die er durch Hunger, Kaͤlte, Regen und Ruhr abgemattet, und wie Skelette gestaltet, einzeln unterwegs autraf, den Rath ge- geben, ihr Gewehr wegzuwerfen, mit dem Zusatz: er wollte ihnen schon wieder andere schaffen. Eben dieses riethen den abgematteten Kriegern alle Ge- nerale und Offiziere, in deren Busen noch Mensch- lichkeit rege war. An diesem Ruhetage nahm Hr. von Man - delsloh mich mit in das Dorf Besancy , um einigen Vorrath aufzusuchen, der jezt aͤußerst selten geworden war. Ich war hier so gluͤcklich, das Haus eines ehrlichen Bauers, durch des Hn. von Mandelsloh nachdruͤckliches Verwenden, gegen die Anfaͤlle der Soldaten vom Regimente Woldeck vor der Pluͤnderung, und dessen Scheune vor dem Furaschiren zu schuͤtzen; und dieses versuͤßte mir nachher die Beschwerlichkeit des aͤußerst kothigen Weges, wenn ich so gieng und dachte an das: homo homini lupus. — Der Soldat im Lager ist gewoͤhnlich lebhaft und munter: er singt, und treibt sonst allerley, um die Zeit hinzubringen, und das Laͤstige sich zu vergessen. Aber in den Laͤgern, welche wir, be- sonders auf dem Ruͤckzuge aus Frankreich, auf- schlugen, herrschte Todtenstille: kein lautes Wort hoͤrte man, wenn nicht hie und da einer fluchte, oder mit seinem Kameraden zankte. Freundlicher Zuspruch war ganz außer Mode. — Von da marschirten wir einige Tage hinter ein- ander, oder vielmehr wir wateten durch Wasser und Koth bis auf den 9ten October. — Wegen der gewaltigen Wege und des beynahe immer anhal- tenden Regens konnte man nur ganz kleine Maͤrsche von 3, 4 hoͤchstens 5 Stunden machen, und doch brach man jedesmal mit dem Tage, oft auch noch vor Tage auf, und marschirte bis zur sinkenden Nacht. Kamen wir dann endlich an den Ort, wo das Lager seyn sollte, so wurden die Zelter auf- gestellt, freylich nicht so, wie bey der Revuͤe zu Magdeburg oder zu Berlin, sondern, wie man nur konnte. Oft legten sich die Soldaten aus mehrern Zelten zusammen in Eins, und ließen die andern unaufgeschlagen im Kothe liegen. Waren die Zelter aufgeschlagen, so giengs in die Doͤrfer nach Stroh und Holz, und nach Futter fuͤr die Pferde: beyher wurde mitgenommen, was noch da war, und die entflohnen Einwohner nicht vergraben oder versteckt hatten. Alle Doͤrfer, bey denen die Armee gestanden hatte, wurden wuͤst und oͤde. Fand man in den Gaͤrten noch Gemuͤse, so mach- Dritter Theil. N ten die hungernden Soldaten sie sich zu Nutze und kochten sie zum Kommißfleisch. In diesen Gegen- den giebt es starke Bienenzucht: aber die Bienen- stoͤcke, welche in den Doͤrfern, die wir passirten, an- zutreffen waren, wurden alle verdorben und beraubt. Manche Soldaten wurden dabey oft so von den Bienen zerstochen, daß sie ganz unkenntliche Larven hatten. Der Anblick dieser im Gesicht und an den Haͤnden dickgeschwollner Bienenstuͤrmer hat Manche lachen gemacht. Das Elend wurde taͤglich groͤßer: die Wege wur- den immer schlechter, und die Mannschaft, wie die Pferde, matter und kraͤnker. Von Hans an bis nach Luxembourg war der Marsch der Preußen mit todten Pferden wie angefuͤllt: alle fuͤnf Schritte lag so ein Thier, entweder schon todt oder doch dem Tode nahe. Manche hatte man auch, weil sie gar nicht mehr ziehen konnten, laufen lassen und sie dem Hungertode preis gegeben. Vielleicht ha- ben nach unserm Abzuge die Bauren sie aufgefan- gen oder aus Mitleid getoͤdtet. Es war wirklich ein schrecklicher Anblick, so viel armes Vieh daherum liegen zu sehen, das zum Theil noch lebte, und uͤber deren Koͤrper Wagen, andre Pferde und Men- schen quatschten. Aber fuͤr Pferde durfte man damals kein Mitleid haben: man konnte es nicht 'mal fuͤr Menschen! — Die Kranken — mir schaudert noch die Haut, wenn ich an das Uebermaaß alles des Elends denke, welches unsre armen Kranken auf dieser verfluchten Retirade uͤberstehen mußten! — Die Kranken also mehrten sich jeden Tag, so, daß endlich kaum Fuhren genug zu haben waren, sie wegzubringen. Das Uebel, welches unser Heer so schrecklich zer- stoͤrte, war, wie wir wissen, besonders die Ruhr: es lagen aber auch sehr viele an Gicht und andern arthri- tischen Zufaͤllen. Die Ruhr mehrte sich durch den Nothgenuß des unreifen Obstes und Weins. Unsre Laͤger sahen bey unserm Aufbruch auch hier noch immer aus, wie Begraͤbnißstaͤtten, oder wie Spitalhoͤfe. Die eckelhaften blutigen Exkre- mente machten einen scheußlichen, und die da und dort liegenden Kranken und mit dem Tode erbaͤrm- lich Ringenden einen schrecklichen Anblick. Jeden Tag hatte ich den deutlichsten Beweis fuͤr meinen alten Satz: daß der Mensch — nach unsrer jetzi - gen buͤrgerlichen Einrichtung — eigentlich wie bestimmt sey, lasterhaft und ungluͤcklich zu werden, und daß wenigstens gewisse Vorschriften der Mo- ralphilosophie sich jezt oft nicht anwenden lassen, folglich jezt nichts weniger, als allgemein sind. Was Rousseau in dieser Ruͤcksicht, den Kuͤnsten und Wis- senschaften zur Last gelegt hat, ist bekannt: aber die Englaͤnde- rin, M. Wollstone c raft , sah tiefer und . Die Wie viel lasterhafte Menschen und wie viel Elende und Ungluͤckliche hat der jetzige Krieg gegen die Franzosen nicht schon gemacht! Und doch ist der Krieg selbst, laut aller Buͤcher uͤber theologische und philosophische Moral, von Hugo Grotins bis auf Goͤchhausens hochadliche Schriften, kein Laster fuͤr sich, ja, er muß wohl noch eine edle Hand- lung seyn nach den hohen und vielen Lobspruͤchen, die wir in unsern Dedikationen, Gedichten und Predigten auf die Helden antreffen. Die Laster und das Elend, welches der Krieg mit sich bringt, sind freylich Accidenze, wie die Herren Jerusa - lem , Herder , Iselin und andre große Maͤnner sprechen. Aber es sind doch Accidenze, welche aus dem Wesen des Kriegs selbst fließen, folglich davon unzertrennlich sind. Da nun der Krieg nicht nur nicht unerlaubt, sondern sogar in gewissen vo llen Pflicht ist (nach Grotins und Paf - fendorf ): so muß man oft aus Pflicht etwas un- ternehmen, wovon Elend und Laster unzertrennlich Gedanken und Aeußerungen dieses philosophischen Weibes verdienen in mehr als einer Ruͤcksicht die Beachtung aller Maͤnner, wel- chen Menschempohl warm am Herzen liegt. Man findet sie in der Rettung der Rechte des Weibes , mit Be- merkungen uͤber politische und moralische Gegenstaͤnde, — Aus dem Engl. mit Anmerkungen von Salzmann . Man sehe nur die ersten Kapitel des I. Bandes durch, um selbst zu sehen, ob ich zuviel sage. sind, ja, wodurch beyde vermehrt und da, wo sie noch nicht sind, nothwendig erzeugt werden. Folg- lich hat die Natur, oder das, was sonst diese gegen- waͤrtige Einrichtung der Dinge gemacht hat, sehr uͤbel fuͤr das menschliche Geschlecht gesorgt, indem sie uns Pflichten auferlegt, deren Erfuͤllung Elend und Laster verbreitet, und uns zur Erfuͤllung andrer Pflichten, und zum Genuß der gemeinschaftlichen Guͤter unfaͤhig macht. — Das sind freylich abscheu- liche Wahrheiten, aber es sind doch Wahrheiten, welche sich leider bey der Betrachtung solcher ab- scheulicher Gegenstaͤnde, wie der Krieg ist, von selbst aufdringen. Ich will sie nicht weiter ausfuͤhren, und wuͤnsche alle meinen Lesern, daß sie durch eigne Erfahrung nie davon moͤgen uͤberzeugt werden. Um die Wichtigkeit dieses Wunsches, nach der ganzen Abscheu- lichkeit des Krieges, naͤher kennen zu lernen, lese man den II. B. des goldnen Romans: Tra s imor , S. 157 u. ff.: dann den Aufsatz uͤber den Krieg im II. Th. der Briefe uͤber die wichtigsten Gegenstaͤnde der Menschheit , S. 147 ff. Wen hier nicht schaudert und dieß nicht antreibt, mit ganzer Seele in meinen Wunsch einzustimmen, ist mehr als Unmensch. Kants philosophischer Entwurf zum ewigen Frie- den waͤre freilich das beste Praͤservativ dawider: aber dieser philosophische Erloͤser der Welt prediget jezt noch in der Wuͤste. — Die Todten, welche im Lager gestorben waren, sind dort liegen blieben, und man uͤberließ ihr Begraͤbniß den Franzosen, welche allemal uͤber die Stellen uns nachzogen, wo unsre Laͤger gestanden waren. Diese, ob sie gleich als Franzosen unsre Feinde haͤtten seyn sollen, hatten doch als gutmuͤ- thige Menschen, Mitleid mit unserm Elende, und bedaurten die armen Ungluͤcklichen, die so jaͤmmer- lich um ihr Leben kommen mußten. Als ich im J. 1794 im Sommer, auf Robespierre 's Be- fehl, zu Mâcon im Gefaͤngniß saß, sprach ich mit einem Chasseur, welcher zur Zeit unsrer Reti- rade bey der Armee des Generals Duͤmouriez gewesen, und unsrer Armee mitnachgezogen war. Dieser versicherte mich, und ich konnte es gar leicht glauben, daß sie mehrmals Halbtodte angetroffen haͤtten, zuruͤckgelassen von den Preußen in ihren Laͤgern. — Daß man wirklich Todte unbegraben liegen ließ, entschuldiget unsere damalige Lage: daß man aber auch unvermoͤgende lebendige Menschen dahinliegen ließ, war doch schrecklich und grausam! Der Koͤnig hat von dieser Barbarey gewiß nichts gewußt, vielleicht wußten es nicht einmal die hohen Generale: aber einzelne Offiziere haͤtten es wissen muͤssen, und diese haͤtte man zu schwerer Verant- wortung ziehen sollen. Doch — wo kein Klaͤger ist, da ist auch kein Richter; und wer verklagt gern seinen Hauptmann? — Daß indeß dieser Anblick den Franzosen gedient hat, sich in ihrem Abscheu gegen alles, was Monarch und Monarchie heißt, noch mehr zu befestigen, laͤßt sich denken, und der Chasseur erzaͤhlte mir sehr viel davon. Auf den Wagen, worauf die Kranken transpor- tirt wurden, fehlte es an aller Bequemlichkeit: die armen Leute wurden drauf geworfen, wenn sie sich nicht selbst noch helfen konnten, wie man die Kaͤlber auf die Karren wirft, und damit war es dann gut. Niemand bekuͤmmerte sich, ob so ein Kranker etwas unter dem Leibe oder dem Kopfe hatte, ob er bedeckt war, oder nicht: denn die, welche sich um dergleichen haͤtten bekuͤmmern sollen, wa- ren meistens selbst krank, und hatten kaum Kraͤfte genug, sich fortzuschleppen. Starb einer unterwegs, so warf man ihn von dem Wagen auf die Seite, und ließ ihn unbegraben liegen. Oft warf man noch Lebende mit herunter, die dann aufs jaͤmmer- lichste im Schlamme verrecken mußten Verrecken ist freilich ein sehr unedles Wort: es passet aber vollkommen, die Todesart unsrer Bruder auf dem Ruͤckzuge aus Frankreich zu bezeichnen. Quid sumus! — . Meine Leser muͤssen hier nicht an Uebertreibung denken: ich wuͤrde, wenn ich auch noch abscheulicher schil- derte, doch lange nicht genug sagen. Man sehe auch noch: Geschichte der Deutschen in Frank- reich, von Naue , B. II. S. 191. . Auf allen Doͤrfern blieben Kranke zuruͤck, die denn meistentheils aus Mangel an Pflege und Nahrung jaͤmmerlich umkamen. Siebzehntes Kapitel. Fortsetzung des vorigen . D en 8ten Oktober mußte der Befehl gegeben wer- den, die Doͤrfer in der Gegend auszupluͤndern. Viele unsrer Leute glaubten, das sey die Folge ei- nes geringen Angriffs der Franzosen auf die Oest- reicher, und meynten, daß man auf diese Art je- nes Unrecht (man denke doch!) durch Pluͤnderung der armen Bauren raͤchen wollte. Allein dieser Gedanke war falsch: denn blos der große Mangel an Nahrung fuͤr Menschen und Vieh, und beson- ders fuͤr das Hauptquartier, noͤthigte den Herzog von Braunschweig, diesen sonst menschenfreundlich denkenden Fuͤrsten, die Auspluͤnderung von etwa neun Doͤrfern zu befehlen, welche auch durch meh- rere Bataillons Jufauterie und Husaren ausge- fuͤhrt wurde. Der Herzog hatte zwar befohlen, daß man strenge Mannszucht halten, und beym Pluͤndern niemand beleidigen sollte. Aber man bedenke, ob ein solcher Befehl wohl, als zur rechten Zeit gege- ben, angesehen werden koͤnne? Einem Soldaten, welcher pluͤndern soll, welcher in Feindes Landen zu seyn glaubt, welcher seit zwey Monaten alles Elend ausgestanden hat, und darum vor lauter Erbitterung grollsinnig einherschleicht, dem will man befehlen, beym Pluͤndern menschlich zu seyn? Aber die Herren waren es auch nicht im gering- sten: die Pferde, Ochsen, Schweine, Huͤner, Gaͤnse, kurz, alles, was man nur von Vieh fin- den konnte, sogar Hunde, trieb man zusammen. Dann nahm man aus den Doͤrfern, was nur noch zu nehmen war, besonders den ungedroschnen Wai- zen fuͤr die Pferde, und pruͤgelten die Bauren nud die Weiber, welche nicht noch entflohen waren, gar jaͤmmerlich. Es waren aber zn der Zeit wenige noch entflohen, weil sie glaubten, Preußen und ihre Nation habe einen friedlichen Traktat abge- schlossen, und erstere zoͤgen als ihre Freunde jezt zuruͤck. Man hat fuͤr gewiß versichert, daß bey dieser Pluͤnderung mehrere Bauren todtgeschlagen oder todtgehauen seyen; und ich mag dieses gar nicht in Zweifel ziehen: ich weis, wie sehr unser Volk litt, und wie sehr es eben darum gegen die Franzosen, die ein großer Theil noch immer als die Urheber alles ihres Ungluͤcks ansah, aufge- bracht war. Alle Furage; alles Gemuͤse u. s. w. wurde am Hauptquartier zu Conconvoix in Empfang genom- men. Daruͤber entstand ein graͤuliches Murren, besonders unter den Husaren, welche nun nichts fuͤr ihre Pferde zu fuͤttern hatten: dieses Murren aber legte sich, als man ihnen versprach, sie den andern Tag abermals pluͤndern zu lassen. Es war wirklich sonderbar anzusehen, wenn ein Bauer, dem sein Pferd oder seine Ochsen, Kuͤhe u. s. w. genommen waren, ins Lager kam, und sich beschwerte. Man befahl ihm, das ent- wendete Stuͤck Vieh aufzusuchen, fuͤhrte ihn aber nicht dahin, wo er es haͤtte treffen koͤnnen; und traf er es von ungefaͤhr, so schwur gleich ein Hu- sar oder sonst jemand Stein und Bein zusammen, daß sich der Bauer irrte, und dann mußte dieser abfahren, auch wohl, wenn er sich nicht gleich fuͤgte, noch eine Tracht Hiebe mit nach Hause nehmen. Doch muß ich dem Herzog und dem Ge- neral Kalkreuth nachruͤhmen, daß sie entwen- detes Vieh einigemal wirklich haben zuruͤckgeben lassen. Am 9ten Oktober wurde also abermals gepluͤn- dert oder, wie man es nannte, furaschiert. — Mir ist nicht selten der Gedanke eingefallen, daß, wenn die Franzosen das dortige flache Land auf fuͤnf Meilen im Umkreise zerstoͤrt und die Doͤrfer abgebrannt haͤtten, die Preußische Armee in die aͤußerste Hungersnoth gerathen waͤre. — Um diese Zeit fing man auch an, die Munitions- wagen zu verbrennen und die Kanonen einzugra- ben. Viele unsrer Offiziere haben, vor uͤbertrieb- ner Ehrbegierde, dieses zwar nirgends gern einge- standen, und ich habe selbst einige dreust behaupten hoͤren, daß die Preußen niemals Kanonen einge- graben haͤtten, und daß es Laͤsterung sey, ihnen dergleichen Schuld zu geben. Aber dieser Einrede ungeachtet, muß ich hier bekennen, und jeder Au- genzeuge wird es mit mir bekennen, daß diese Sage ihre Richtigkeit hat. Eben in der Gegend von Conconvoix wurde eine Haubitze versenkt und hernach mit todten Koͤrpern uͤberdeckt, damit das Grab der Haubitze fuͤr ein Grab menschlicher Leich- name angesehen, und von den Franzosen nicht un- tersucht werden moͤgte. In der Folge sind aber, um einer Pest vorzubeugen, von den Franzosen alle Leichen der Preußen in tiefe Loͤcher vergraben worden; und da haben sie denn alles eingegrabne Geschuͤtz entdeckt und zu ihrem Gebrauch umge- gossen. Die meisten Soldaten leerten auch ihre Patron- taschen aus, und warfen die Patronen weg; und dieses war ihnen um so weniger zu verdenken, da schon alles Pulver durch die anhaltende Naͤsse ganz verdorben, und unwirksam geworden war. Ich selbst habe meine Munition weggeworfen, und bin bis Monthabaner ohne alle Munition gegangen. Am 10ten kamen wir bey Lauremont ins Lager, aber man konnte hier kein Stroh bekom- men, uns drauf zu legen: die Doͤrfer waren schon vorher durch die Kavallerie von allem Stroh be- raubt worden. Wir mußten daher auf der bloßen nassen Erde in den Zeltern herum liegen; und da es noch obendrein die Nacht stark regnete, und das Wasser auch hier wieder in unsre Zelter eindrang, so brachten wir abermals eine ganz abscheuliche Nacht hier zu. Die Maͤrsche an den folgenden Tagen waren alle gleich abscheulich: die Pferde stuͤrzten schreck- lich zusammen, und konnten das Geschuͤtz nicht mehr fortbringen. Da man aber dasselbe nicht alle vergraben wollte, so mußten die Kavalleristen ihre Pferde dazu hergeben. Dieß geschah, und die Reuter, welche hatten absitzen muͤssen, warfen nun ihre Gewehre auch weg: und so sah man Ka- rabiner, Pistolen, Saͤttel und Kuͤraßiersaͤbel haͤu- fig im Kothe herumliegen. Am 13ten Oktober war ein noch schrecklicherer Marsch. Wir konnten kaum in einer Stunde 200 Schritte vorwaͤrts kommen: so ganz abscheulich war der Weg, und so sehr hielt uns die Artiller ie und Bagage auf. Als wir bis auf den Abend ge- gangen, oder vielmehr gekrochen waren, erreich- ten wir endlich die Stelle, wo wir lagern sollten. Aber kaum hatten wir abgelegt, als wir sofort Order bekamen, vorwaͤrts zu marschiren. Der kaiserliche General Hohenlohe hatte seinen Ab- marsch von Stenay verfruͤht, und dadurch unsre rechte Flanke entbloͤßt. Man marschirte fort bis des Nachts um eilf Uhr, oder vielmehr, die Leute tappten herum in der stockfinstern Nacht, bis man endlich in einem Hochwalde Halt machte. Hier standen wir nun bis den 17ten ohne Zelter, weil die Bagage un- moͤglich hatte vorwaͤrts koͤnnen. Kaum waren einige elende Zelter fuͤr den Koͤnig und die Prinzen aufzubringen. Es regnete diese ganze Zeit uͤber erbaͤrmlich, und unsre Armee befand sich in den klaͤglichsten Umstaͤnden. Die hohen Eichbaͤume wurden abgesaͤgt, gespalten und verbrannt. Die Feuer waren zwar auch hier hoͤllisch groß, doch aber kaum hinlaͤnglich, uns zu erwaͤrmen. Ich entsinne mich nicht, jemals in einer elendern Lage gewesen zu seyn. Wir fanden auf den Feldern einige Kartoffeln, welche denen, die sie fanden, zur Nahrung dien- ten. Aus den Doͤrfern wurden auch noch einige Lebensmittel herbeygeschafft: auch schlachtete man das noch vorhandene Vieh, und theilte das Fleisch unter die Soldaten. Es wurde waͤhrend unsers Stillstands im Walde alles angewandt, das Geschuͤtz und die Wagen fortzubringen: man ließ noch mehr Kavalleristen ab- sitzen, und ihre Pferde vor die Kanonen spannen. Ein Korporal kam hier ganz krumm nach dem koͤniglichen Zelte, und sah wegen seiner Ruhr aus, wie ein Gerippe. Der Koͤnig stand da, und sah mit mitleidig-gebeugtem Blick dem uͤbergroßen Elende seines Volkes zu. Als er den Unteroffizier erblickte, sagte er zu ihm: Wie gehts, Alter? Unteroffizier . Wie Sie sehen, Ihre Ma- jestaͤt, schlecht! Koͤnig . Ja wohl, schlecht! daß Gott er- barm! (lange Pause) Die Spitzbuben! Unteroff . Ja wohl, die Spitzbuben, die Patrioten! Koͤnig . Ey was, Patrioten! Die Emigran- ten, das sind die Spitzbuben, die mich und euch ins Elend stuͤrzen. Aber ich wills ihnen schon ge- denken! So sah also der gutmuͤthige Koͤnig jezt besser ein, wer ihn misleitet hatte. Er hatte das naͤm- liche schon dem Monsieur (dem Grafen von Provence ) und dem General Clairfait zu Hause gesagt. Ihr habt, waren seine Worte, mich alle beyde hintergangen: dießmal will ich euch noch aus der Noth helfen, worin ihr stecket, aber ihr sollt an mich denken. angefuͤhrten Buche, S. . Diese Gesinnung des Koͤnigs, welche nur zu gut gegruͤndet war, — ward nun auch die der gan- zen Armee, und jeder Preuße haßte alle Emigrir- ten mit dem groͤßten Recht von der Welt. Ihren luͤgenhaften und herrschsuͤchtigen Vorstellungen hatten wir all unser Elend urspruͤnglich zu dan- ken. — Verdnn wurde indessen am 14ten Oktober dem General Kellermann von uns wieder uͤber- geben. Ob die Franzosen die dabey gemachten Bedingnisse gehalten haben, ist eine Frage, die Hr. von Beulwitz in dem Magazin der neuesten Kriegsbegebenheiten in Ruͤcksicht der Kranken ver- neinet. Ich halte die Nachrichten dieses braven Offiziers, den ich selbst kenne, und dessen Recht- schaffenheit ich eben so sehr, als seine Kenntnisse schaͤtze, fuͤr wichtig, und eben daher will ich in ei- nem der folgenden Kapitel meine Bemerkungen dar- uͤber anbringen. Den 17ten October brachen wir aus dem Walde von Chatillon — einer ehemals schoͤnen, jezt aber gaͤnzlich zerstoͤrten Abtey — auf, und mar- schirten vorwaͤrts auf Longwy zu. Auch dieser Marsch war, wie alle vorhergehende und folgende, abscheulich. Das Gewehr, welches unsre Kavalleristen wegge- worfen hatten, machten sich an diesem Tage die zusam- mengerotteten Bauren zu Nutze, fielen unsern Nach- trab an, schossen einen Husaren todt, und nahmen an- dere noch gefangen. Die Bauren wollten sich wegen ihrer ausgepluͤnderten Doͤrfer, und wegen ihres geraubten Viehes raͤchen. Ces mâtins de prussiens, riefen sie, payeront de leurs têtes nos vache et nos oignons; und damit schossen sie los. Die Arriere- garde der Preußen kam dadurch in große Unordnung. So sehr war unser Muth und Ansehn gesunken, daß elende Lotharinger Bauren uns angreifen und zerstreuen konnten. Aber die franzoͤsischen Husaren befreyten unsre Gefangne aus den Haͤnden ihrer Bauren, und schickten sie uns zuruͤck. — Dieser Umstand ist zwar an sich geringfuͤgig, er dient aber doch, die traurige Lage zu beweisen, worin sich da- mals unsere Armee befand. Haͤtten die Franzosen uns damals ernstlich angegriffen, als wir im Walde bey Charillon standen, ich glaube, wir waͤren verlohren gewesen. Daß aber selbst die Franzosen unsere damalige Lage genau gekannt haben, erhellet aus Folgendem. Eine Hessische Patrouille wurde von einer Franzoͤ- sischen attakirt. Die Hessen wehrten sich verzwei- felt, doch wurde ihr Offizier, Hr. Leutnant von Lindau , gefangen. Der General Dillon schickte diesen Braven an den Landgrafen zuruͤck, mit einem Schreiben, welches ich, seiner Merkwuͤrdigkeit we- gen, hier einruͤcke: „Ich habe die Ehre, Sr. Durchlaucht, dem Landgrafen von Hessen-Cassel, den Leutnant Lin- dau zuruͤckzuschicken. Aus dem Zeugniß, das ich diesem Offizier habe geben lassen, werden Sie ersehen koͤnnen, daß die allezeit große, allezeit großmuͤthige franzoͤsische Nation eine schoͤne That zu schaͤtzen weis, und auch an ihren Feinden Tapferkeit hoch- schaͤzt. Ich ergreife diese Gelegenheit, Sr. Durch- laucht einige Gedanken vorzulegen, welche Ver- nunft und Menschenliebe eingeben. Sie koͤnnen nicht in Abrede seyn, daß eine ganze zusammenge- nommene Nation das Recht habe, sich diejenige Regierungsform, die sie fuͤr rathsam haͤlt, zu geben, und daß folglich kein Privatwille, den Willen der Nation hemmen koͤnne. Die freye und auf ewig ganz unabhaͤngige franzoͤsische Nation, hat ihre Rechte wieder an sich genommen, und ihre Regie- rungsform abaͤndern wollen: das ist in wenig Wor- ten der Inbegriff desjenigen, was in Frankreich vor- geht. Sr. Durchlaucht von Hessen-Cassel haben Dritter Theil. O auch ein Corps Truppen nach Frankreich gefuͤhrt. Als Fuͤrst opfern Sie ihre Unterthanen fuͤr eine Sache auf, die Sie nichts angeht, und als Krieger muͤssen Sie die Lage einsehen, worin Sie sich izt befinden. Sie ist gefaͤhrlich fuͤr sie: Sie sind umringt: ich rathe Ihnen, Morgen fruͤh den Ruͤckweg nach ihrem Lande anzutreten, und das franzoͤsische Gebiet zu raͤumen. Ich will Ihnen die Mittel verschaffen, sicher an den franzoͤsischen Armeen vorbeyzukommen, die sich verschiedner Posten, wo Sie durch muͤssen, bemaͤchtiget hat. Dieser Antrag ist freymuͤthig: ich verlange eine kategorische und foͤrmliche Ant- wort. Die franzoͤsische Republik entschuldigt ei- nen Irrthum: Sie weis aber auch einen Einbruch in ihr Gebiet und die Pluͤnderung desselben, ohne Erbarmen zu raͤchen. Dillon N. S. Ich sende Ihnen diesen Brief durch mei- nen Generaladjutanten Gobert , der auf Ihre Antwort warten wird. Ihre Beschleunigung ist dringend nothwendig: ich bin im Begriff, zu mar- schiren.“ Dieses Schreiben beweiset hinlaͤnglich, daß Dillon die uͤble Lage der deutschen Voͤlker genau kannte. Das Schreiben war aber in einem Tone abgefaßt, welcher einem Fuͤrsten, wie der Hr. Landgraf von Hessen ist, unmoͤglich gefallen koͤnnte. Nachdem also dessen Inhalt durch einen Zufall bekannt geworden war, so wurde auf Be - fehl des Landgrafen ausgesprengt: es sey er- dichtet, oder doch wenigstens nicht in die Haͤnde Sr. Durchlaucht gekommen, noch weniger aber habe er es beantwortet. — General Dillon erfuhr dieses, und ließ nun unter seiner Buͤrg- schaft das Schreiben, nebst der Antwort, welche auf Befehl des Hn. Landgrafen darauf gegeben, und freylich eines auf seine Fuͤrsten-Ehre hoͤchst eifersuͤchtigen Mannes wuͤrdig war, durch den Druck und durch Zuschreiben an Preußische Gene- rale bekannt machen. Ich uͤberlasse es meinen Lesern, die hieher ge- hoͤrigen Anmerkungen selbst zu machen — einmal uͤber unsre damalige Lage, dann uͤber den offnen und edlen Republikaner-Sinn, und endlich uͤber die di- plomatischen Kunstgriffe des Duͤnkels, der Macht und des Schlendrians. Achtzehntes Kapitel. Fortsetzung. Ankunft auf deutschen Boden. E s war schon, ehe wir die Standquartiere verlie- ßen, befohlen worden, daß man besonders fuͤr gutes Schuhwerk der Soldaten sorgen, und hinlaͤnglich dazu mitnehmen sollte, um die abgehenden gleich wieder ersetzen zu koͤnnen. Aber unsre Herren hatten so fuͤr sich auskalkulirt, daß der ganze Krieg wohl nur ein Vierteljahr dauern koͤnnte, und waren eben darum auch in Befolgung dieses Befehls sehr nach- laͤßig gewesen. Die Folgen der Fahrlaͤßigkeit in einem so aͤußerst wichtigen Punkte zeigten sich bald. In der ganzen Armee fingen die Schuhe, bey dem scheußlichen Ruͤckzuge aus Champagne , auf einmal so an zu reißen, daß beynahe kein einziger Soldat gutes Schuhwerk noch hatte. Sogar die Offiziere trugen zerrißne Stiefeln, und die armen Packknechte gingen vollends gar barfuß. Es war schaͤndlich anzusehen, wie die Preußen da ohne Schuhe durch den Koth zerrten und ihre Fuͤße an den spitzigen Steinen blutruͤnstig aufris- sen. Viele hatten ihre zerrißnen Schuhe auf die Gewehre gehaͤngt, andere trugen sie in , manche hatten Lappen und Heu um die Fuͤße ge- wickelt, um sie vor den kleinen scharfen Steinen zu sichern. Freilich wurde befohlen, daß alle Soldaten, welche das Schuhmacher-Handwerk verstuͤnden, und deren es bey allen Regimentern giebt, arbei- ten, und die zerrißnen Schuhe wieder ausbessern sollten. Aber da war was auszubessern! Es fehlte ja bey den meisten an Leder, Hanf und Pech! Ueberdieß denke man sich einen Schuster, der im Schlamme und in der Kaͤlte arbeiten soll! Unser Hauptmann gab zwar sein eignes Zelt fuͤr die Schuh- macher her, und ließ sie darunter arbeiten, nur damit sie Platz haben sollten; und doch fehlten in unsrer Kompagnie die Schuhe eben so sehr als in andern. Der Feldwebel Gruneberg hatte im- mer seine wahre Noth, wenn er die Wache kom- mandiren sollte: von vier Mann hatten allemal drey keine Schuhe, und konnten doch barfuß nicht aufziehen! Marschiren durfte man wohl barfuß, aber nicht barfuß auf die Wache ziehen! Der schlechte Zustand des Schuhwesens machte mehr scharfe meuterische Reden bey der Armee rege; als selbst der Hunger. Die Soldaten klagten laut; und brachen in Aeußerungen aus, welche zu jeder andern Zeit waͤren bestraft worden; aber auf einem Ruͤckzuge, wie unser Ruͤckzug aus Frankreich war mußten unsre Offiziere schon schweigen, und die Leute murren und schimpfen lassen nach Belieben. Bey der oͤstreichschen Armee war es eben nicht besser: da hatten die meisten auch keine Schuhe, und liefen barfuß. Auch die Herren Emigrirten mußten barfuß mit hermpatschen, eben jene große Herren, welchen kurz vorher die Koblenzer, Worm- ser, Bingner und andere Schuster die Schuhe nicht leicht und niedlich genug machen konnten! Wie die Schuhe, so war auch die ganze uͤbrige Montur: ein Haufen herumziehender Zigeuner sieht eben so reinlich und so ganz aus, als damals wir Preußen. Man besang uns sogar in einem Schimpfliede. Ich habe oft in deutschen Buͤchern gelesen, daß die franzoͤsischen Volontaͤrs oder Sanscuͤlotten, elend seyen gekleidet gewesen: das ist sehr wahr: aber kein Deutscher haͤtte uͤber den schlechten Auf- zug der fraͤnkischen Volontaͤrs spotten sollen, da die Herren Preußen ja auch zigeunermaͤßig genug aus Frankreich zogen, und die Herren Oestreicher und Messieurs les Emigrés nicht minder. Hierin waren wir ihnen einst ja gleich; aber wann in ih- ren Thaten? Und Thaten machen den Mann; nicht die Kleidung. Doch es ist Zeit, meine Erzaͤhlung fortzusetzen. Also — Nachdem wir den 18ten gerastet hatten d. i. stille gelegen waren, weil alle unsre Wagen im Kothe waren stecken blieben, so brachen wir am 19ten wieder auf, und schleppten uns noch zwey gute Stunden ins Lager dicht bey Longwy. Man hatte die schlechten Zelter weggeworfen, und Brod- und Bagagewagen zuruͤckgelassen; und doch wa- ren kaum so viel Pferde da, als erfodert wurden, die wenigen Wagen weiter zu bringen, die uns noch uͤbrig waren. Der Flecken Longuion war von den Kaiserlichen, so wie alle andre Oerter ihres Durchmarsches in selbiger Gegend, aufs abscheulichste gepluͤndert worden. Auch hatten einige unwuͤrdige Menschen dieser stolzen Armee, die aber ihren Stolz mehr durch Aufschneiderey und Haͤrte gegen Wehrlose, als durch Siege uͤber den bewaffneten Feind zu naͤh- ren gewohnt ist, sich an den Einwohnern vergrif- fen, und sie aufs schaͤndlichste mishandelt. Sie hatten auch Feuer angelegt, und selbst die Eisen- huͤtten zu Longuion in Brand gesteckt. Ich muß es nochmals erinnern, was nicht zu oft erinnert werden kann, daß man die von den deutschen, besonders von den oͤstreichischen, und nachher von den englischen Truppen, und die von dem Auswurf aller Nationen, von der Armee der Emigrirten, begangnen Graͤuel vor Augen haben muͤsse, wenn man von dem Betragen der Franzo- sen in der Pfalz und anderwaͤrts ein richtiges Ur- theil faͤllen will. Und doch ist an diesem richtigen Urtheil fuͤr jezt, wie fuͤr die Zukunft, uͤberall sehr viel gelegen, sowohl in Ruͤcksicht auf den National- duͤnkel, als in Ruͤcksicht auf die Moralitaͤt nach dieser oder jener Regierungsform. Bey Longuion war die Passage weit abscheu- licher noch, als alle abscheuliche Passagen, welche wir bisher gehabt hatten. Der Koth ging bis an die Knie, und hin und wieder mußte man durch Wiesen gehen, welche wie ein See unter Wasser standen. Todte Pferde und todte Menschen lagen in Menge unten an einem Berge, uͤber welchen der Marsch gieng: denn da hatte man die ganz Todten und die halb Todten von den Wagen herabgewor- fen, um diese zu erleichtern. Es wurden hier abermals viele Wagen verbrannt, weil man sie durch den Morast nicht bringen konnte. Gegen Nacht kamen wir endlich muͤde und hungrig bey Longwy an. Ich hatte hier so meine eignen Betrachtungen, welche ich meinen Kame- den mittheilte. Heute, sagte ich, ist der 19te Oktober: am 23ten September haben wir Longwy in Besitz genommen, und hofften damals so leicht, wie Longwy, ganz Frankreich zu erobern: und schon jezt muͤssen wir Longwy zuruͤckgeben, und haben Spott und Schande und unersezlichen Scha- den von unserm Einmarsch in Frankreich! So sehr hat sich unser Stolz und Manifesten-Anspruch in acht Wochen demuͤthigen muͤssen! Ich bedaure hie- bey keinen mehr, als unsern gutmuͤthigen Koͤnig wegen der vielen Opfer, die er an Geld, Men- schen und Vieh den Emigrirten gebracht hat, nicht nur ohne Nutzen fuͤr jezt, sondern auch mit, wer weis, wie noch langem Verlust fuͤr die Zukunft. Ach, Preußens Ehre geht mir nahe, und vielleicht zittern wir bald vor denen, die sonst vor uns zit- terten!! So sprach ich damals, und bald hieß es im ganzen Regiment: Laukhard ist ein Patriot, ein Franzose! Und doch hat — die Folge wird es zeigen — es wohl schwerlich jemand mit den Preu- ßen besser und ehrlicher gemeynt, als Laukhard. Es geht aber uͤberhaupt so! die Leidenschaften der Menschen wollen geschmeichelt seyn, sonst ist es nicht recht. Wer einem Kranken sagt, daß er sterben werde, daß er gefaͤhrlich danieder liege, macht sich den Kranken und dessen Freunde zu Fein- den. Selbst Locke , der große Locke ward boͤse uͤber seinen Arzt, als er ihm sagte, daß er nicht 24 Stunden mehr leben wuͤrde. Es kann wahr seyn, sagte der Philosoph; aber mir haͤtte er es doch nicht sagen sollen. Ueberhaupt Sollen wir freudig horchen und willig gehorchen, so mußt du Schmeicheln! Sprichst du zum Adel, zu Fuͤrsten, zu Koͤnigen: allen Mußt du Geschichten erzaͤhlen, worin als wirklich er- scheinet, Was sie wuͤnschen! Horen I. B. S. 3. Freilich was sie wuͤnschen! denn gerade dieses glau- ben sie am ersten, und sind dadurch am leichtesten zu beruͤcken. Dieß lehrt die neuere Geschichte, leider, bis zu Thraͤnen. Die Emigrirten, ganz in die empfohlne Hofkunst eingeweiht, stellten den großen Herren die Eroberung und Unterdruͤckung Frankreichs so leicht, und so bald thunlich vor, daß es ihnen gelang, den gutmuͤthigen Koͤnig von Preu- ßen und den Kaiser in den schrecklichen Krieg zu verwickeln, der eben jenes Elend uͤber Deutschland brachte, welches ehemals ein aͤhnlicher Krieg des Darius und Xerxes uͤber Persien und uͤber- haupt uͤber ganz Asien gebracht hat. Man kann leicht darthun, daß die Eroberung von Persien durch Alexander den Großen eine Folge der Unternehmungen der alten Persischen Tyrannen ge- gen die Freyheit der Griechen war: und so wissen unsre Herren gar nicht, was sie wollen, wenn sie drauf bestehen, Frankreich einen Koͤnig jezt wieder aufzudringen. Das freye Griechenland wuͤrde Persien niemals erobert haben; aber ein Griechi- scher Koͤnig konnte dieses thun, und that es. Wird einst Frankreich einen Alexander haben, so ist Deutschland seine Eroberung! Dieß merke man sich in Wien und in Regensburg. Man wird daher, nach so vielen harten Erfah- rungen, doch endlich einmal klug werden, und ein- sehen, daß die aristokratisirenden politischen Kann- gießer, die nach Emigrantenart alles, Groß und Klein, gegen Frankreich aufhezen, die aͤrgsten Feinde der Großen, und ihrer Unterthanen waren, und noch sind, und daß die braven Maͤnner, welche den Großen und dem Publikum die Augen oͤffnen wollten, allerdings als ihre ersten und wahren Freunde einer Buͤrgerkrone werth sind. Es koͤmmt hiebey nichts an auf gehaͤssige Namen von Patrio- ten, Demokraten, Jakobinern u. dgl.: es koͤmmt nur auf Wahrheit an, und diese Wahrheit — wer sagte sie? Ein Schirach, ein Girtanner, ein Goͤch- hausen, ein Jung, ein Reichard in Gotha; oder —? Doch ich will nur weiter erzaͤhlen! Am 20ten war Ruhetag, und wir erhielten aus dem Magazin von Longwy Fleisch, Wein, Brannt- wein und Zwieback. Das war denn wieder zum erstenmal gehoͤrig gegessen, und gelabt! Hier wurden auch die Soldaten wieder munter: denn nun hieß es: noch einen Marsch, und wir sind aus Frankreich! Die guten Leute bildeten sich ein, daß, wenn sie nur aus Frankreich waͤren, alles Elend gleich ein Ende haben wuͤrde, und bedach- ten nicht, daß der Same zu unbeschreiblichem Un- gluͤck, welches in der Folge auf unser liebes Va- terland fallen mußte, schon ausgestreut war, und schon Keime gewonnen hatte. Mein Hauptmann schickte mich nach Longwy , um einiges fuͤr ihn bey einem Tischer machen zu lassen. Ich suchte in dem dort angelegten Preu- ßischen Lazarethe einen meiner Freunde, fand ihn aber nicht, aber das Lazareth hatte ich Gelegen- heit genauer zu beobachten. Ich werde in einem eig- nen Kapitel von dem unbeschreiblichen Elende reden, das in den Preußischen Lazarethen damals herrschte, und laße also hier weg, was ich in der Moͤrder- grube zu Longwy gesehn habe. Der Tischer war ein gescheider Mann, und sprach von den Angelegenheitn der Zeit recht artig und bescheiden; aber sein Schwager, ein Gerber, welchem die Preußen sein Leder genommen und nicht bezahlt hatten, raͤsonnirte bitter und schalt auf die Preußen derb, noch derber aber auf die Oest- reicher. Ich remonstrirte dem Menschenkinde, daß es unklug sey auf die Preußen zu schimpfen, da sie noch Longwy in Besiz haͤtten. Wie, er- widerte er, was haben die Preußen in Besitz? Aus Gnade und Barmherzigkeit lassen wir sie hier durch, und da duͤrfen sie sich nicht dick machen! Ich will den sehen, der einem Franzosen ein Haar kruͤmmen sollte: der wuͤrde schoͤn ankommen, waͤr es auch Ener Braunschweig selbst. Es ist nicht mehr, wie's vor sechs Wochen war.“ Ich merkte, daß der Mann Recht hatte, und zuckte die Achseln. Sontags den 21ten October verließen wir das Lager bey Longwy , und marschirten aus dem franzoͤsischen Gebiete ab. Ehe ich dieses Kapitel schließe, will ich den Leser noch auf eine Bemerkung aufmerksam machen und die die ist: daß gerade zu der Zeit, als die ver- buͤndete Armee ihre Operationen gegen Frankreich betrieb, die franzoͤsische Nation ihre monarchische Staatsform in eine republikanische veraͤnderte, und daß eben diese Veraͤnderung im Manifeste des Herzogs von Braunschweig, und in dem Anfall der deutschen Armee auf Frankreich, ihren Grund gehabt hat; daß folglich eben die Mittel, welche dienen sollten, dem Koͤnige, Ludwig XVI. seine alte despotische Gewalt wieder zu erringen, gerade diese Gewalt zernichtet, und den Grund zur nach- herigen Hinrichtung dieses Fuͤrsten gelegt haben. Hieraus folgt nun unwidersprechlich, daß eben der Krieg der fremden Potentaten gegen Frankreich die Freyheit dieses Reichs gegruͤndet hat, daß folg- lich diese Freyheit so lange bestehen muß, als der Krieg waͤhret: denn im Kriege liegt ja ihre Ent- stehung, oder der zureichende Grund ihres ersten Daseyns. Da nun, wie aus der Geschichte aller Zeiten erhellt, die Freiheit im Kriege ( - , wie Plutarchus sagt) alle- mal Enthusiasmus ist, Enthusiasmus aber ent- weder erst mit seinen Helden zu Grunde geht, wie dort mit Leonidas und seinen braven Bruͤdern bey Thermopylaͤ, oder seinen Feind muthig besiegt, wie im Miltiades bey Marathon: so ist es nicht nur eine gefaͤhrliche Sache, den Krieg mit einem freygewordenen Volke fortzusetzen, wie die Bege- benheiten von 1792, 93, 94, 95 und 96, nebst der Geschichte der Griechen, Schweizer, Niederlaͤn- der und Nordamerikaner beweisen, sondern es ist auch selbst fuͤr das Interesse der Koͤnige eine hoͤchst- absurde, zweckwidrige Sache: denn eben dadurch, daß man das freye Volk bekriegt, macht man es aufmerksamer, einiger, muthiger, trotziger, folg- lich tapferer, kraͤftiger, selbststaͤndiger, und zum Widerstande faͤhiger — die andern Folgen nicht einmal mitzuzaͤhlen, wie da sind, daß die Herren Potentaten sich vergebens erschoͤpfen, sich der Be- schimpung und Verachtung preisgeben, dadurch selbst bey ihren Unterthanen immer mehr an Ansehn verlieren, laͤcherlich werden, ja, nach und nach bey ihnen den Gedanken und den Muth erregen, es der bekriegten aber freyen Nation nachzumachen, und sich von der oft beschimpfenden und widersin- nigen Vormundschaft eines Menschen zu befreyen, der wohl leicht selbst mehr als sie eines Vormunds zuweilen noch beduͤrfte. u. dgl. Frankreich hat das alles klar und maͤchtig be- wiesen, wenn gleich einige politische Queerseher haben ihres Gleichen weis machen wollen: daß Belladonna und die Guillotine die franzoͤsischen Soldaten habe die Gefahren verachten und den Feind uͤberall tapfer angreifen machen. Aber wehe uͤber das Hirn dieser armseligen politischen Schlu- cker! Tyranney soll tapfer machen!! — Braver Moncey , und du ehrwuͤrdiger Dampier , edler Beaurepaire , und all ihr wuͤrdigen Vertheidiger eures Vaterlandes gegen so viel Feinde, — Ihr, deren Blut fuͤr das hohe Kleinod der Freyheit versprizt ist, Ihr also habt euer Leben aufgeopfert aus Furcht vor der Guillotine? Das koͤnnen nur die Philo- sophen, die Hoͤflinge und die Minister zu Schilda glauben! Aber ein Mensch, der Menschenverstand hat, und nur etwas historische Kenntnisse besizt, hat hier andre Gedanken: er denkt, daß Druck und Drang von inkompetenten oder despotischen Richtern noth- wendig Freyheitssinn erzeugt; daß Krieg diesen Freyheitssinn vermehrt, und bis zum Enthusias- mus erhebt, und daß dann eine freye Nation we- nigstens so lange frey seyn muß , als der Krieg waͤhrt, oder als sie noch befuͤrchten kann, daß man ihr die Freyheit rauben wolle.“ Dieses ist eine goldne Wahrheit, die allen wahren Weisen laͤngst eingeleuchtet hat, und endlich auch noch denen in England einleuchten wird, von welchen Cicero weißagt, wenn er spricht: Eventus stu torum ma- gister. Man hat das ja schon gesehen! Was hoffte man nicht alles im Jul, 1792! Man hoffte, daß Frankreich sich sofort geben d. i. den Koͤnig als suveraͤn wieder anerkennen wuͤrde. Man ruͤckte deswegen so schlecht vorbereitet an. Allein je naͤher die Gefahr fuͤr Frankreich erschien, desto mehr hob sich jener Freyheitssinn, der den Republi- kanern allein eigen ist. Die graͤßlichsten Blut- scenen machten den Anfang. Man denke an den 10ten August! Die Alliirten erobern Longwy und Verdun, und siehe da in Paris den Auftritt vom 2ten September! Endlich erklaͤrt sich, die Nation fuͤr frey, und setzt ihren Koͤnig gaͤnzlich ab, und das gerade damals, als man zu einem ent- scheidend seyn sollenden Treffen Anstalt machte. Ergo hat ja der Krieg selbst, und zwar der Krieg allein, den Gedanken der Nation rege gemacht: „wir wollen frey seyn, und fuͤr unsre Freyheit leben oder sterben!“ — Neunzehntes Kapitel. Anmerkungen uͤber eine Relation des Hn. Hauptmanns von Beulwitz. A ls die Festung Verdun den Franzosen wieder uͤbergeben wurde, so blieb noch ein preußisches Lazareth daselbst zuruͤck, und Herr von Beulwitz, damals von dem Schenkischen Bataillon, erhielt das Kommando uͤber dieses Spital. Was er da hat ausstehen muͤssen, hat er ganz artig beschrieben und unter dem Titel: „Mein Aufenthalt in Verdun im Herbste 1792: ein kleiner Beytrag zur Dar- stellung des damaligen franzoͤsischen Nationalkarak- ters“ in dem Magazin der neusten Kriegsbegeben- heiten (B. III S. 226-277 und B. IV. S. 241 -312.) aufgestellt. Hr. von Beulwitz hat in Verdun viel er- fahren, aber daß er die uͤble Behandlung, welche ihm von dem dortigen aufgebrachten Jan Hagel widerfahren ist, benuzt, um den damaligen fran- Dritter Theil. P zoͤsischen Nationalkarakter danach zu schildern, daran thut er wirklich zuviel. Ich muß mich naͤher er- klaͤren. Die Preußen hatten bey ihrem Aufenthalte in Verdun zwar keine groben Exzesse in der Stadt veruͤbt, aber auf dem Lande, in den Weinbergen, Gaͤrten und Feldern hatten sie sich etwas sehr un- saͤuberlich benommen, und hier und da recht deutliche Spuren ihrer Beutemacherey hinter- lassen. Dieses und dann auch das, was in der Stadt schon vorgieng, machte die Preußen eben nicht sehr beliebt. Es ist auch uͤberhaupt der Na- tur der Sache gemaͤß, daß man den Feind unsers Volkes nicht liebt, zumal wenn er allerley unter- nimmt, woraus man sehen kann, daß er unberufen den Herrn spielen und Gesetze geben will. Ver- dun war ganz passiv gewesen vor der Ankunft der Preußen. Das System des Mirabeau hatte ruhigen Eingang gefunden, und man hatte gar nicht noͤthig gehabt, jemanden pour la loi, wie man sagte, einzustecken, oder gar hinzurichten, wie in Metz und an andern Orten. Nachdem aber der Koͤnig von Preußen Verdun weg hatte, so zerstoͤrte er zwar die Einrichtung nicht voͤllig, aber er gab doch so viel Befehle aus eigner Macht, daß man wohl sahe, er wolle einstweilen Ludwigs XVI. Stelle einnehmen. Es war vieles vorgefallen, womit die Buͤrgerschaft eben nicht sehr zufrieden seyn konnte. Man hatte in Verdun einige Buͤrger eingesteckt, und sie mit Stockschlaͤgen regalirt, weil sie die weiße Kokarde nicht hatten tragen wollen, und gesagt hatten: qu'il n'étoit pas encore, soir pour tous les jour! — Schon genug, um in Verdun nicht gut Preußisch seyn zu koͤnnen! Außer diesem muß man nicht vergessen, daß Verdun wegen der schnellen Uebergabe durch Nyont an die Preußen, gar uͤbel bey dem Konvente ange- schrieben war, und daß nun gleichsam das Interesse der Buͤrger es erfoderte, durch Haͤrte gegen den Feind ihren Patriotismus zu beweisen. Diesen Umstand fuͤhrt Hr. von Beulwitz selbst an, und er verdient es. Man weiß ja, daß gleich nach dem Ausmarsche der Preußen aus Frankreich das Sy- stem schaͤrfer ward und daß die Guillotine gleich mehr zu thun bekam. Es war damals zwar noch kein Robespierrischer Rigorismus, doch aber konnte es schon jemanden zu schaffen machen, wenn man ihn wegen eines Einverstaͤndnisses mit dem Feinde der Republik anklagte oder in Verdacht hatte. Daher geschah es denn, daß der Poͤbel in Verdun die zuruͤckgebliebenen Preußen beleidigte, und daß Maͤnner, welche haͤtten helfen und schuͤtzen sollen, dazu stillschwiegen, aus Furcht, als Aristokraten und Beguͤnstiger der Feinde angesehen zu werden. Hr. von Beulwitz ist groͤßtentheils vom Poͤbel und von den Sanscuͤlottes beleidigt wor- den: aber der Poͤbel ist aller Orten Poͤbel, zu Ber- lin und zu Frankfurt am Mayn, wie zu Verdun und zu Paris. Man denke nur, wie der Jan Hagel zu Frankfurt die Klubbisten von Maynz behandelt hat! Also wegen des Poͤbels waͤren wir aufs Reine. Hr. von Beulwitz sagt am angefuͤhrten Orte S. 229: die Einwohner von Verdun haͤtten sich erdreistet , noch bey Anwesenheit der Preußi- schen Truppen, die Nationalkokarden aufzustecken. Aber das war doch wohl keine Beleidigung fuͤr die Preußen! Diese musten ja Verdun der franzoͤsischen Konstitution wieder uͤberlassen, und folglich hatten die Einwohner auch das Recht, die Kokarden wie- der zu tragen, woran man den Anhaͤnger der Kon- stitution erkennt, und dieß gleich, sobald die Herr- schaft der Konstitution wieder eintrat. Er klagt sehr uͤber den Maire der Stadt, Ci- toyen Câret Fils. Ich glaube gern, daß Caret nicht allzuhoͤflich gegen ihn gewesen ist: aber sein Betragen hatte in dem Betragen der Preußen gegen ihn seinen hinlaͤnglichen Grund. Caret war sehr uͤbel behan- delt worden: man hatte ihm sogar mit 50 Stock- schlaͤgen gedroht, wenn er nicht denjenigen herbey- schaffen wuͤrde, welcher einige Tage nach der Ein- nahme einen Preußischen Offizier des Abends auf der Straße erschossen hatte. Man denke sich deut- sche Feinde und einen franzoͤsischen Maire, und urtheile dann, was dieser Mann waͤhrend der An- wesenheit der Preußen habe ausstehen muͤssen, und wie sehr Widerwillen und Rachsucht in ihm muͤsse gekocht haben! Ich will gern glauben, daß die preußischen Kranken und besonders Hr. von Beulwitz , von den durchmarschierenden Volontaͤrs und andern Truppen oft sind angetastet worden. Aber ist das wohl ein Wunder? Die Leute waren damals alle hoͤchst aufgebracht; und dann muß ich gestehen, daß das Andenken an das Coblenzer Manifest, und der Anblick der Doͤrfer und der Staͤdte, wodurch diese Leute eben gekommen waren, und welche die Deutschen kurz vorher ruinirt hatten, sehr unvor- theilhaft fuͤr die Preußen auf sie wirken mußte. Die Sache ist klar, und bedarf keiner weitern Er- oͤrterung. Ueber die Desertion kann ich mich nicht wun- dern, vielmehr wundere ich mich, daß nicht noch weit mehr Preußen desertirt sind. Ihre dama- lige Lage war eben nicht sehr erbaulich, und da sie diese durchs Weglaufen verbessern konnten, so ist das eben nicht unnatuͤrlich. Den Witz des General Lingueville findet Hr. von Beulwitz beleidigend. Lingueville hatte zu ihm gesagt: es schiene ihm, daß das nicht mehr die alten Preußen waͤren, welche sich ehedem so be- ruͤhmt gemacht haͤtten. Der Aide de camp erwie- derte: „O ja, mein General, es sind wohl noch die alten Preußen, aber es sind nicht mehr die al- ten Franzosen! Lingueville's Rede ist nicht belei- digend, und die Antwort des Adjutanten enthaͤlt ja ein wahres Lob auf die Preußen! Sollte das Hr. von Beulwitz nicht gefuͤhlt haben? Die 13 Emigrirte, welche im Spital zu Ver- dun gefunden wurden, verlohren hernach ihr Leben (nach S. 249) auf der Guillotine. Da man die- ses leicht vermuthen konnte, indem man die schar- fen Gesetze der franzoͤsischen Nation gegen die Emi- grirten kannte, so haͤtte man diese armen Teufel fortschaffen sollen, und sie dadurch dem Tode ent- ziehen. Es sind gar viel Emigrirte durch die Nach- laͤßigkeit der deutschen Truppen den Franzosen in die Haͤnde gefallen, und haben als Hochverraͤther an ihrer Nation ihr Ende auf dem Blutgeruͤste ge- funden. Dem General Dupuch laͤßt Hr. von Beul- witz alle Gerechtigkeit wiederfahren, wird aber boͤse, daß der Kommissaͤr Chuppi , der Sohn eines Schusters (wie wenn der Sohn eines Schu- sters nicht eben so gut, wenn nach neuerer Erfah- rung nicht noch besser, eine militaͤrische Stelle be- kleiden koͤnnte, als ein Herr von !) dem General zugeordnet worden ist. Wenn ich nicht sehr irre, so ist Dupuch schon 1793 hingerichtet worden, we- gen Verraͤtherey: da war es denn doch sehr rath- sam, ihm einen Mann zuzuordnen, welcher, wie Hr. von Beulwitz selbst gesteht, voller Eifer fuͤr die entstehende Republik gluͤhte. Die Guillotine nennt auch Hr. von Beul - witz S. 255 die Mutter der franzoͤsischen Repu- blik. O sancta —! Er erzaͤhlt, daß wenigstens 15 Minuten waͤren erfodert worden zu den Vorbe- reitungen zum Kopfabschlagen. Ich habe nachher gewiß weit mehr guillotiniren sehen, als Hr. von Beulwitz : aber so viel Zeit kostete das Anbin- den etc. nie: das Haar wird auch nicht immer ab- geschnitten. Das Beil soll auch den Kopf niemals haben ganz abgeschlagen: der mußte nachher noch mit einem Messer abgekrazt werden. Vielleicht war das in Verdun so; aber die Koͤpfe, die ich in Lyon und anderwaͤrts habe abschlagen sehen, fuhren schnell genug in den Kasten, und brauchten nicht erst mit Messern abgemetzelt zu werden. Daß auch damals die Sanscuͤlottes nicht so ganz ohne alle Disciplin waren, beweiset die Genug- thuung, welche Hr. von Beulwitz wegen einer Beleidigung erhielt, die er S. 259 ff. beschreibt. So erhielte er auch seine gestohlnen Pferde wieder, und die Diebe wurden hinlaͤnglich bestraft. Nicht so immer bey uns! Ueberhaupt ist der ganze sonst schaͤtzbare, und schoͤn geschriebne Aufsatz des Hn. von Beulwitz nichts weniger als ein Beytrag zur Darstellung des damaligen Nationalkarakters der Franzosen. Diesen Nationalkarakter darf man in einer Stadt nicht suchen, welche erst seit einigen Tagen vom Feinde geraͤumt ist, und worin ein feindlicher Offi- zier auf Kommando zuruͤck bleibt. Haͤtte Hr. von Beulwitz sich die Muͤhe genommen, die Gesin- nungen der Buͤrger fuͤr ihre eigne Sache zu unter- suchen, so wuͤrde er uns vielleicht einen fruchtba- rern und vollstaͤndigern Beytrag haben liefern koͤn- nen, als jezt, da er gerade nur das Betragen der Franzosen gegen ihn und seine Leute schildert. Das ist sonnenklar, und daher halten die gruͤnd- lichen und bescheidnen Bemerkungen eines gefan- genen preußischen Offiziers aus Dijon, welche Hr. von Beulwitz zu widerlegen zwar unter- nimmt, aber nicht widerlegt, noch immer ihren Werth. Kurz, haͤtten wir die Franzosen humaner und sanfter behandelt, haͤtten wir ihre Felder nicht verheert, ihre Doͤrfer nicht verwuͤstet und ihre Leute nicht mishaudelt, so wuͤrde wahrscheinlich auch Hr. von Beulwitz ein besseres Schicksal in Verdun gehabt haben. Uebrigens bekenne ich, daß ich diese wenigen Anmerkungen uͤber den Aufsatz des Hn. Haupt- manns blos deswegen gemacht habe, um ihm zu beweisen, daß ich ihn fuͤr das halte, was er ist, fuͤr einen braven, rechtschaffnen und getreuen Offi- zier, der eben so liebenswuͤrdig wegen seines vor- trefflichen Herzens, als schaͤtzbar wegen seiner Talente und Kenntnisse ist. Selbst sein Aufsatz ist seiner wuͤrdig, gereicht aber der franzoͤsischen Na- tion mehr zur Ehre als zur Schande, und beweißt, daß der Hauptmann ein billiger und — einige Ti- raden ausgenommen — auch ein unpartheiischer Richter ist, ganz von einem andern Karakter, als der elende Hr. von Schirach und alle andern Skri- bler und Sudler von der politischen Apokalypse und Hermandade. Noch eine kleine Nutzanwendung aus dem Vor- hergehenden fuͤr Soldaten und ihre Befehlshaber moͤgte hier nicht am unrechten Orte stehen. Naͤm- lich: 1) Im Gluͤcke seinen Feind nie zu mishandeln, um im Ungluͤcke von ihm das wieder zu erwarten, was im Gluͤcke wir ihm leisteten: denn das Heute mir, Morgen dir, ist das Stichblatt aller mensch- lichen Dinge, zumal der politischen; und — wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zuruͤck. 2) Aufhetzerey gegen den Feind durch Mani- feste, Predigten, Zeitungen, Gedichte, Schim- pferey u. dgl. bezahlt der Feind mit gleicher Muͤn- ze, und beyde Theile erschweren sich dadurch die Erreichung dessen, warum sie kriegen — den Frie- den. 3) Alle Garnison- und Feldpredigten sollten durchaus militaͤrisch-praktisch seyn, und das Hauptthema der christlichen Moral nach Vernunft und Erfahrung einschaͤrfen, um zur Zeit des Krie- ges den Menschen und die Menschlichkeit uͤber den Nationalen und die Politik nie zu uͤbersehen. Man gewinnt hiedurch auf der einen Seite das doppelt, was man auf der andern vielleicht nur im Scheine verliert. Denn Zahn um Zahn, auch außer Reih' und Glied, erbittert, und der Erbitterte denkt nicht daran: daß man Andern das thun und nicht thun solle, was man von ihnen in der Art sich wieder wuͤnscht. Die Rheingegenden, zumal Frankfurt — doch, die weitere Entwicklung ist ja hand- greiflich! — Zwanzigstes Kapitel. Ankunft auf deutschem Boden. Lager bey Luxemburg. U nsre Armee kam den 21ten Oktober auf deutschen Boden zuruͤck, aber auch hier hatte das Elend und die Noth noch kein Ende. Wir lagerten uns in den Koth, und zwar ohne Lagerstroh, und doch sollten wir hier auf Ordre stehen bleiben! Am ersten Ruhetage, den 22ten, desertirten einige Soldaten vom Regiment Woldeck . Man setzte ihnen nach, weil man ihre Spur wußte, aber die Nachsetzenden mogten sich wohl etwas zu weit verlaufen haben, und uͤber die Graͤnze gekommen seyn. Genug, sie stießen auf eine franzoͤsische Patrouille, welche sie angriff und gefangen nahm. Einer von ihnen kam dabey ums Leben, und die andern wurden nach Longwy, welches den folgen- den Tag gaͤnzlich geraͤumt wurde, uͤberbracht, aber bald zuruͤckgeschickt, jedoch mit dem Vermel- den des franzoͤsischen Generals: daß man kuͤnftig, wenn wieder so ein anomalisches Verfolgen der Deserteurs statt haben sollte, die Nachsetzer nicht als Preußen, sondern als Stoͤhrer der allgemeinen Sicherheit und Ruhe ansehen, und als solche be- handeln wuͤrde. Das war freilich derbe, und dient als Wink uͤber die Qualitaͤt unseres Ruͤckzugs. — Unser Lager stand dicht an einem Dorfe, wo- hin wir giengen, um uns Kartoffeln, Birnen und andere Lebensmittel einzukaufen: denn im Lager war noch immer Mangel an allem, sogar an Brod. Der Pfarrer des Dorfes hatte besonders gute Bir- nen, die er selbst ausgab, und das Geld dafuͤr einnahm. Ich gieng hin, konnte aber wegen der Menge nicht zum Herrn gelangen. Als mir nun die Zeit lang ward, rief ich ihm auf latein zu, er moͤgte mir doch auch Obst geben fuͤr Geld und gute Worte. Mein Latein that treffliche Dienste: denn Seine Hochwuͤrden gaben mir nicht nur Birnen und Kartoffeln genug und ohne Geld, sondern speisten mich noch obendrein mit Speck und Weißbrod, und traͤnkten mich mit Wein. Das war ein herrlicher Tag fuͤr mich, desgleichen ich seit langer Zeit nicht gehabt hatte! Der geistliche Herr sprach viel mit mir, auch uͤber die Religion, und meynte, die Franzosen muͤßten allerdings zu Grunde gehen, da sie keine rechten Priester mehr haͤtten, und ein Land ohne kanonisch geweihte Priester nicht bestehen koͤnnte. Navita de ventis! — Auch in diesem Lager war das Wetter abscheu- lich, denn es regnete beynahe noch immer ohne Un- terlaß: aber der Gedanke, daß wir doch wieder auf deutschem Boden waͤren, versuͤßte den Meißten alles Elend, und stellte ihre Munterkeit einigermaßen wieder her. Man hoͤrte wieder frohere Gespraͤche, und die armen Teufel von Soldaten freuten sich, daß sie bald wieder in ihre Heimat kehren wuͤrden. Mir schien diese Hoffnung schlecht gegruͤndet, ob es mir gleich nicht ganz unglaublich vorkam, daß der Koͤnig von Preußen mit den Franzosen habe Frieden machen koͤnnen. Ihre Nachsicht mit uns auf unserm Ruͤckmarsche schien mir dieß zu bestaͤti- gen. Man wollte damals sogar die Artikel dieses geheimen Friedens wissen, aber es ging hier wie aller Orten: die politischen Kanngießer wissen alles, nur das nicht, was die Hauptsache ist, und — sehen vor lauter Baͤumen den Wald nicht. Den 24ten kamen wir bey Luxemburg an, wo wir bis den 29ten stehen blieben. Hier erholten wir uns wenigstens wieder mit Essen und Trinken, obgleich das Wetter auch hier schrecklich und ab- scheulich war. Wir waren indeß an das schlimme Wetter schon gewoͤhnt, und da wir hier in diesem Lager hinlaͤnglich zu essen haben konnten und hatten, so waren wir wenigstens wieder munterer als vorher. Die Luxemburger brachten uns allerley Viktua- lien, auch Branntwein und Wein ins Lager, und ich hatte Gelegenheit, einigemal in diese schoͤne Stadt zu wandern, und mir daselbst einen guten Tag zu machen. Bisher hatten die Soldaten wenig kaufen koͤnnen, weil nichts zu kaufen da war, und so konnten sie ihre Loͤhnung aufsparen, und hatten daher alle Geld mehr als gewoͤhnlich. Aber im Lager bey Luxemburg war das Geld bald alle; indeß man hatte Ersatz dafuͤr. Es ist eine herrliche Sache, wenn man sich nach ausgestandner großer Noth und Mangel endlich einmal wieder saͤtigen und pflegen kann! In diesem Lager wurde nun auch die Nachricht allgemein bekannt, daß der General Cuͤstine in Deutschland eingefallen waͤre, und Maynz erobert haͤtte. Daraus schlossen nun die Verstaͤndigern, daß der Krieg noch kein Ende haben wuͤrde; und unser ganzes Volk wurde mit Schreck und Entsetzen er- fuͤllt: die Fortsetzung des Krieges, besonders ei- nes Krieges gegen die Franzosen, war in den Au- gen der kluͤgern Preußen nun das hoͤchste Uebel. Ehe ich weiter gehe, moͤgte ich hier fragen: ob es nicht rathsamer gewesen waͤre, wenn die Preußen damals die Niederlande besezt, und diese gegen Duͤmouriez thaͤtiger beschuͤzt haͤtten, als her- nach die Kaiserlichen es konnten? Das deutsche Reich war zwar von Cuͤstine angegriffen, aber der Einfall, den man von Duͤmouriez zum Vor- aus sehen konnte, war, wegen der Naͤhe an Frank- reich, wichtiger, als die Gefahr, welche Deutschland bedrohte. Doch hier ist der Ort nicht, diese Sache politisch und militaͤrisch zu untersuchen! Mir koͤmmt es aber noch immer so vor, daß wenn es damals schon entschieden war, den Kriegsplan gegen Frank- reich noch fortzusetzen, man die Niederlande besser haͤtte beschuͤtzen muͤssen. In Luxemburg hatte ich eines Tages einen Zank mit einem Kaiserlichen Unteroffizier, einem recht argen, politischen Kanngießer, welcher gradezu im Weinhause behauptete: die Preußen haͤtten falsch gespielt. Unser Streit erhizte sich so, daß wir bald handgemein geworden waͤren — wenn ich gleich recht gut wußte, daß unsere Leute eben das von den Oestreichern behaupteten. — Schon damals also waren die Gemuͤther der Oestreicher und der Preu- ßen, durch gegenseitige Beschuldigung und Verdacht, von einander entfernt, und diese Animositaͤt hat sich hernach immer noch vermehrt. Die Vermuthung einsichtiger Maͤnner, daß eine Allianz zwischen dem Hause Oestreich und Preußen nicht Bestand haben koͤnnte, bestaͤtigte sich also schon damals mehr als zu sehr. Fuͤr meine Person hatte ich indeß hier ziemlich gute Zeit: denn ich hatte Geld, und konnte mir das Noͤthige einkaufen. Mein rechtschaffener Bis - pink hatte mir durch einen Soldaten-Boten auch Waͤsche geschickt, und so war ich im Stande, mich hier zu reinigen, und wenigstens sauberer zu kleiden, als so mancher Andere, der vor Schmutz und Un- geziefer sta rr te. Am 29ten October brach endlich unsre Armee von Luxemburg auf. Es war eben wieder ein ab- scheulicher Tag, kalt und naß, wie wir so viele schon gehabt hatten. Die Zelter ließ man groͤßten- theils liegen, weil sie ganz unbrauchbar geworden waren, und was man davon noch mitnahm, muste man doch hernach bald wegwerfen, weil alles ver- morscht war. Die Zeltstangen wurden alle nebst den Kaͤmpirpfaͤhlen und anderm Geraͤthe rein ver- brannt; auch manche Kessel u. dgl. wurden weg- geworfen. Der Weg von Luxemburg bis Trier war so elend, als irgend einer in Frankreich gewesen war. Un- terwegs lagen wir zwar in den Doͤrfern und durften uns nicht mehr in Schlamm und Wasser auf dem freyen Felde herumsudeln: aber da wir immer gar zu dicke gelegt wurden, so fehlte alle Bequemlich- keit. Anch konnte man, da jene Doͤrfer von allem Vorrath entbloͤßt waren, nur selten einmal Kartoffeln bekommen. In Trier langte unser Regiment erst Nachmittags um vier Uhr an: es war aber nicht moͤglich, fuͤr alle Soldaten Quartiere in dieser Stadt aufzubrin- gen: es draͤngte sich hier gar zu viel Volk zusam- men. Alle Kompagnien waren in dem traurigsten Zustande, und erst am folgenden Tage sammelten sie sich gehoͤrig: sehr viele Bursche waren wegen ihres elenden Schuhwerks zuruͤckgeblieben, und andre konnten wegen des Durchfalls, und andrer Krankheiten sich nur mit Muͤhe voranschleppen. Ich selbst kam erst den andern Tag Nachmittags zur Kompagnie. Ich hatte ohngefaͤhr drey Maͤrsche ohne Schuhe barfuß gehen muͤssen, und so waren meine Fuͤße verdorben, und sehr aufgeschwollen. Ich machte daher auf einem kaiserlichen Dorfe Quartier bey einer alten Witwe, deren Tochter mich sehr gut verpflegte. Die Alte konnte nicht mehr fort, die guten Leute verlangten fuͤr alles nicht mehr, als 4 Behm é n. Sie wuͤrden mir auch diese lassen, sagten sie, wenn sie nicht Oehl in Trier holen muͤßten Die ise sollte da im Oestreichischen herum alles vertheuern: und so halfen sich die armen Leute auch hier durch Contrebandiren im Anslande. Die guten Leute! Meine Fuͤße wurden immer schlimmer, und ich mußte mich von Trier bis Binningen, einem ohn- weit Koblenz gelegnen Badischen Staͤdtchen, mit fahren lassen. Der ganze Ruͤckmarsch durchs Trier- land war eben so elend und noch elender, als unser Dritter Theil. Q. Hinmarsch gewesen war. Sogar gesellte sich jezt noch der Spott der Einwohner zu dem Elende, welches uns druͤckte. Es ist wirklich eine penible Sache fuͤr einen Soldaten, in einem Trupp zu seyn, der besiegt, oder mit einer langen Nase, vom Feinde zuruͤckkommt: er muß sogar vom Janhagel Spott einstecken; und der Janhagel im Trierlande wußte seine Grobheiten so satyrisch und so beißend einzurichten, daß er dem Jan Hagel in unsern flie- genden Blaͤttern nichts nachgab. Vinningen ist ein schoͤner Flecken an der Mosel, wo der beste Moselwein waͤchst. Der Ort ist ganz lutherisch; und eben deswegen sind die Einwohner, weil alles rundum mit Katholiken besezt ist, in einer uͤblen Lage. Sie muͤssen immer in ihrem Neste konzentrirt bleiben: niemand heurathet ihre Maͤdel, und niemand zieht zu ihnen: deswegen ist auch das ganze Vinningen eitel Schwager, Schwaͤ- gerinn, Schwiegervater und Schwiegermutter. Ich dachte, wir wuͤrden hier Rasttag halten, da aber der Abmarsch gleich auf den andern Tag be- fohlen wurde, ich indeß noch nicht gehen konnte, so mußte ich mich zu den Kranken und Maroden gesellen, welche die Menge in mehrern Schiffen nach Nenwied gefahren wurden. Hier wollte ich meinen Freund, den Hn. Magister Schellenberg , besuchen, er war aber verreiset. Ich traf hier einen Aventurier aus meiner Ge- gend an, den Sohn des verstorbenen Amtmanns Rupp von Jugenheim ohnweit Mainz. Dieser Mensch lief schon mehrere Jahre in ganz Deutsch- land herum, gab sich allerhand Namen und Wuͤrden, und betrog und prellte, wo er nur konnte. Seine Prellereien betrafen nicht allein Gastwirthe und Kauf- leute; sondern auch vornehme Maͤnner, sogar Fuͤr- sten. Auf meiner lezten Ruͤckreise nach Halle er- fuhr ich, daß er endlich wegen eines großen Betru- ges, wobey große Maͤnner kompromittirt waren, eingesteckt sey. Damals war Herr Rupp , als kurpfaͤlzischer Regierungsrath in Neuwied, und zehrte auf gute Rechnung. Von Neuwied ging ich uͤber Koblenz allein nach Faltern immer zu Fuße, wenn gleich jaͤmmerlich, weil die Kranken von hier aus keinen Wagen weiter hatten, und ich mich nicht dazu verstehen wollte, mich in die Moͤrdergrube zu Koblenz, das ist, ins Lazareth, zu legen. Ein und zwanzigstes Kapitel. Beschreibung der Feldlazarethe . D ie unendlichen Krankheiten, besonders die Ruh- ren, welche unser ungluͤckliches Militaͤr auf diesem unseligen Feldzuge befielen, machten die Anlegung vieler Feldlazarethe noͤthig. Zu Grandpré , Verdun , Longwy , Chatillon , Luxemburg , Trier , Coblenz , Wesel , Neuwied , Usin - gen , Frankfurt am Mayn, Hoͤchst , Hom - burg , Friedberg , Giessen und noch an viel mehr Orten waren preußische Feldlazarethe, welche alle mit Kranken vollgestopft waren. Ich habe mehrere dieser Moͤrdergruben selbst beobachtet, und was ich da gesehen habe, will ich dem Leser ehrlich mittheilen, jedoch mit dem Bedinge, daß der zu delikate Leser dieses Kapitel uͤberschlage. Ich hoͤrte, daß mein Freund, der Unteroffizier Koggel , zu Longwy im Lazarethe krank laͤge: ich wollte ihn also besuchen, und ging hin und hinein, ohne von der Schildwache angehalten oder nur uͤber etwas befragt zu werden. Dieses ließ mich gleich anfangs nicht viel Ordnung im Lazarethe selbst er- warten. Aber wie entsezte ich mich, als ich gleich beym Eingange alles von Exkrementen blank sah, und nicht einmal ein Fleckchen finden konnte, um unbesudelt hinzutreten. Der gemeine Abtritt reichte fuͤr so viele ruhrhaften Kranken unmoͤglich zu, auch fehlte es den meisten an Kraͤften, ihn zu erreichen, und Nachtstuͤhle sah ich beynahe gar nicht. Die Ungluͤcklichen schlichen also nur bis vor die Stube, und machten dann alles hin, wo und wie sie konnten. Es ist abscheulich, daß ich sagen muß, daß ich so- gar todte Koͤrper in diesem Unflate liegen sah. Ich schluͤpfte schnell durch ins erste beste Zim- mer, aber da draͤngte sich mir auch sogleich ein solch abscheulicher mephytischer Gestank entgegen, daß ich haͤtte moͤgen in Ohnmacht sinken. Es war der Duft viel aͤrger, als wenn man ein Privet aus- raͤumt, oder uͤber einen vollen Schindanger des Sommers geht. An Raͤuchern dachte man gar nicht; auch wurden die Fenster niemals geoͤffnet, und wo hie und da eine Scheibe fehlte, da stopfte man die Oeffnung mit Stroh und Lumpen zu. Das Lager der Kranken war dem Vorigen ganz angemessen: die meisten lagen auf bloßem Stroh, wenige auf Strohsaͤcken, und viele lagen gar auf dem harten Boden. An Decken und andere zur Reinlichkeit dienliche Dinge war vollends nicht zu denken. Die armen Leute mußten sich mit ihren elenden kurzen Lumpen zudecken, und da diese ganz voll Ungeziefer waren, so wurden sie von die- sem beynahe lebendig gefressen. Ich stund da, und wußte nicht, was ich vor Mitleid und Aerger sagen sollte. Ich fragte end- lich nach der Krankenpflege, erfuhr aber, daß hier außer ein bissel Kommißbrod nichts vorfalle. An Arzney fehlte es beynahe ganz! Ich wollte, wie man weiß, den Unteroffizier Koggel sehen, aber weder Feldscheer noch Kran- kenwaͤrter konnte mir sagen, in welchem Zimmer ich ihn treffen koͤnnte. So sehr fehlte es an aller besondern Aufsicht! Sogar hoͤrte ich einen sagen: „Wen hier der Teufel holt (er wollte sagen: wer hier stirbt), ist geliefert: kein Guckuck fraͤgt wei- ter nach ihm.“ Daß dieß im Ganzen wahr war, lehrt folgende Anekdote. In der Gegend von Mans ld erfaͤhrt eine Mutter mehrerer Kinder, ihr Mann sey im Lazarethe verstorben. Nicht mehr im Stande, ihre Kinder allein zu ernahren, klagt sie ihre Noth einem Gevatter und Betreundeten ihres Verstorbenen. Dieser durch Mitleid geruͤhrt, und aus Freundschaft gegen den als todt Ersa ollnen, erbietet sich, sie zu heurathen, und dann mit ihr fuͤr ihre Kinder zu sorgen. Man schreibt um den Todtenschein, erhaͤlt ihn, und die Heurath geht vor sich. Ueber Jahr und Tag steht die Mutter an der Waschwanne, hoͤrt Yochen an der Thur, geht hin, und — Gott, mit welcher Bestuͤrzung! — erblickt ihren als todtbescheinigten Mann an einer Kruͤcke als Kruppel. Bist du's? — Ist's dein Geist? — Er war's — hoͤrt, was vorgegangen war, lobt den braven, mitleidigen Gevatter, la n voll Voll Eckel und Abscheu gieng ich fort, und ver- wuͤnschte das Schicksal der Krieger, welche bey einer eintretenden Krankheit oder Verwundung in solche Mordloͤcher gesteckt, und so schlecht verpflegt werden, daß sie ihr Achtgroschen-Leben elender aufgeben muͤssen, als das elendeste Vieh. Aber bald bedachte ich, daß dort in Longwy vielleicht die Noth selbst eine solche elende Lage der armen Leute noͤthig machte. Ich wußte, daß der Koͤnig Befehl gegeben hatte, die Kranken gut zu behandeln, und fuͤr ihre Wiederherstellung, und wenn es des Monats 1000 Thaler mehr kosten sollte, gehoͤrig zu sorgen. Ich beschloß daher, mehrere Feldlazarethe zu untersuchen, um ein rich- tiges Urtheil daruͤber faͤllen zu koͤnnen. Ich that dieß schon in Trier; aber da sah ich noch mehr Graͤuel! Die Lazarethe waren eben so schmutzig, die Pflege eben so elend, und die Lager- staͤtten eben so abscheulich, als in Longwy. Außer- Arbeit zu sich rufen, umarmt ihn mit Thraͤnen und lan- ger stummer Ruͤhrung, koͤmmt endlich zu Worten, dankt ihm wegen des guten, christlichen Werkes an seiner Frau und Kin- dern, wuͤnscht ihm Gluͤck zu dem Besitz seines guten Weibes, thut Verzicht auf sie, und bittet: man wolle ihn als Kruͤp- pel, sein Leben bey ihnen hinbringen und ihnen in ihren Hausarbeiten nach Vermoͤgen helfen lassen. — Herzlich gern! — Und so leben diese Guten in Fried und Einigkeit jezt beysammen. Ich weiß der Beyspiele von dieser Art mehrere: und nun denke man! — nein, man fuͤhle! dem mußten noch vom 30ten bis zum 31ten Okto- ber mehr als 280 Kranke in Trier unter freyem Himmel auf der Gasse liegen bleiben: in den Hospi- taͤlern war fuͤr sie kein Platz mehr, und niemand wollte sie in die Haͤuser aufnehmen, weil es allge- mein hieß: die Preußen haͤtten die Pest. Es kre- pirten, ja, es krepirten diese Nacht mehr als 30 auf der Gasse. Seht Menschen, soviel gelten Eu- res Gleichen im Kriege! — Die andern Lazarethe, die ich weiter sah, wa- ren alle von dieser Art. — Woher koͤmmt aber die- ses schreckliche Uebel, wodurch der Koͤnig, oder vielmehr der Staat, so viel Leute verliert? Denn in diesem Feldzuge sind sehr wenig Preußen vor dem Feinde geblieben, aber mehrere Tausend sind in den Hospitaͤlern verreckt, deren meiste man ge- wiß haͤtte retten koͤnnen, wenn man ihnen gehoͤrige Pflege haͤtte koͤnnen oder wollen angedeihen lassen? Der Hauptfehler der Preußischen Lazarethe ist, wie mich duͤnkt, in der Anlage selbst zu suchen. Die Aufseher sind lauter Leute vom Militaͤr, ohne angemeßne Erfahrung und Kenntnisse, und meist lauter solche, die sich da bereichern wollen. Ihre Besoldung ist schlecht, und doch kommen sie, wenn sie auch nicht lange darin sind, und blutarm hin- einkamen, allemal mit vollem Beutel heraus. Es muß also an der Subsistenz der Kranken defrandirt und die ganze Einrichtung so konfus und unordent- lich gemacht oder gefuͤhrt werden, daß man die Defraudation nicht so leicht entdecken kann. Bey dergleichen Einrichtungen pflegt alles zu- sammenzuhaͤngen, und fuͤr den gemeinschaftlichen Vortheil gemeinschaftliche Sache zu machen. Sel- ten findet sich ein Mann von Rechtschaffenheit, der seinen Einfluß zur Verbesserung thaͤtig machen moͤgte; und wenn er sich findet, so wird er bald unterdruͤckt. Hr. von Soyacziusky , Leutnant bey unserm Regimente, wollte einige gute Anstal- ten in Frankfurt fuͤr das Lazareth durchsetzen, aber er hatte so viel Verdruß dabey, daß seine ohnehin schwache Gesundheit noch mehr dadurch litt, und er bald verstarb. Er besuchte uns einst bey Maynz. „Nun, Herr Leutnant, fragte ich ihn, wie schlaͤgt Ihnen das Lazareth zu?“ „Ach, war die Antwort, die Fickfackereien, die ich da sehen muß, und nicht hindern kann, bringen mich noch um!“ Dem Koͤnige wird freilich genug angerechnet; aber fuͤr die Kranken wird das wenigste verwendet. Ich habe gesehen, daß Feloscheere und Kranken- waͤrter den Wein fortsoffen, der fuͤr die Kranken bestimmt war, und die guten Essenzen selbst ver- schluckten. Zwey Menscher in Koblenz, welche den Feldscheerern zur Liebschaft dienten, verkauf- ten den Reis aus dem Hospital, und die Kranken muͤßten hungern. Zu Frankfurt am Mayn kaufte man Reis, Graupen, gedoͤrrtes Obst u. dgl. im Spital sehr wohlfeil. So war es auch in Gießen. Um nun den Betrug nicht so sehr sichtbar zu ma- chen, geht alles mysterioͤs und unordentlich in den Lazarethen zu. Die Krankenwaͤrter sind Soldaten, welche bey den Kompagnieen nicht mehr fortkoͤnnen, alte steife Kruͤppel, die sich zum Krankenwaͤrter schicken, wie das fuͤnfte Rad am Wagen. Diese, deren theil- nehmender Menschensinn durch den militaͤrischen Korporalssinn abgestumpft ist, lassen den armen Kranken eine Pflege angedeihen, daß es eine Schande ist. Daß sie sich mit den Feldscheerern und den andern Meistern, die in den Lazarethen etwas anzuordnen haben, allemal einverstehen, versteht sich von selbst! denn auf die geringste Vor- stellung des Feldscheers oder eines andern Vorge- sezten, wuͤrde der Herr Krankenwaͤrter weggejagt. Ein Oberkrankenwaͤrter, wie ich sie in den franzoͤ- sischen Hospitaͤlern zu Dijon und anderwaͤrts ge- funden habe, ist gar nicht da. Fuͤr Reinlichkeit, dieses erste Hauptstuͤck der Krankenpflege, worauf mehr ankommt, als selbst auf die medizinische Verpflegung, wird so wenig gesorgt, daß ich Kranke weiß, denen die Hemder an dem Leibe verfault, und sie selbst von den Laͤu- sen dergestalt zugerichtet worden sind, daß sie tiefe Loͤcher am Leibe hatten. Freilich sollen die Kran- kenwaͤrter entweder selbst waschen, oder waschen lassen, aber das geschieht nicht. Ferner sehen die Stuben aus, wie die Spelunken; und der mephy- sische Gestank verpestet die Luft aufs abscheulichste. Wer in eine solche Krankenstube hereintritt, ver- liehrt den Appetit zum Essen wenigstens auf einen Tag. Die Feldscheere, oder wie man sie seit einigen Jah- ren nennen soll, die Chirurge, sind meistens Leute, welche gar wenig von ihrem Handwerke inne haben, und daher das Elend in den Spitaͤlern durch ihre Unwissenheit und Unerfahrenheit noch vergroͤßern. Fuͤr die Besetzung der Regimenter durch Oberchi- rurgen ist ziemlich gut gesorgt, ob es gleich auch da Leute giebt, welche nicht viel mehr wissen, als jeder gemeine Bartkratzer. Die Generalchir ugi sind Maͤnner von Einsicht und Verdienst; aber die gemeinen oder Kompagniechirurgen sind gr theils elende Stuͤmpfer, die bey ihren Lehrherrn nicht mehr gelernt haben, als rasiren und aderlas- sen, beydes elend genug noch obendrein. Wer freilich sein Brod sonst verdienen kann, und nicht fuͤr das kindische Vergnuͤgen ist, in Uniform ein- herzuschreiten, und ein Spießding an seiner Pfu- scherseite her schleppen, wird sich huͤten, ? den geringen Gehalt, den so ein Mensch zieht, den beschwerlichen Feldscheerdienst bey einer Kom- pagnie zu uͤbernehmen. Herr Thede hat dieser Leute Elend und Unwissenheit lebhaft genug geschil- dert; und dieser Schilderung wird jeder gern bey- stimmen, der unsre Herren nur ein wenig naͤher kennen lernt. Bey unserm Regimente zeichnete sich besonders einer durch Unwissenheit, Grobheit, Naschhafrig- keit, Unreinlichkeit und Faulheit aus. Man war von dem großen Elende dieses Freundes unterrich- tet, und doch blieb er vor wie nach, was er war! — In die Feldlazarethe nimmt man zwar dann und wann die geschicktesten, welche man noch bey den Regimentern findet, aber eben dadurch ent- bloͤßet man die Regimenter ihrer brauchbarsten Wundaͤrzte. Was kann aber Einer von dieser Art allein ausrichten, sobald ihm alle uͤbrigen Mit- offizianten entgegen sind, oder entgegen handeln! Ob man aber gleich, der Regel nach, nur brauch- bare Aerzte in die Feldlazarethe nehmen sollte, so geht doch hier auch sehr vieles nach Gunst, und so werden sehr viel elende, unwissende, traurige Wichte angestellt. Die Oberchirurgi, welche die Aufsicht uͤber die Lazarethe fuͤhren, koͤnnen theils jeden Kranken nicht selbst untersuchen und behandeln, wegen der Menge, theils sind sie dazu zu kommode oder zu delikat. Sie schauen daher nur dann und wann, und zwar nur so obenhin, in die Krankenstuben, lassen sich vom Feldscheer, sehr oft auch nur von dem Kranken- waͤrter referiren, verordnen dann so was hin im All- gemeinen, werfen — um sich respectabel zu machen — mit einigen fehlerhaften lateinischen Woͤrtern und Phrasen umher, uͤberlassen hierauf alles den Unterchirurgen, und gehen — in Offiziersgesell- schaften, l'Hombre zu spielen, oder sich sonst zu vergnuͤgen. Mir sind ganz schaͤndliche Beyspiele bekannt geworden, wie selbst Oberchirurgi die medizinische Pflege deswegen vernachlaͤßigten, weil sie das Geld, das fuͤr Arzney, Essig, Wein u. dgl. be- stimmt war, an die Offiziere, die in den Lazarethen als Inspektoren angestellt waren, verspielt hatten, und folglich diese Sachen nicht mehr kaufen konnten. Die Offiziere haͤtten freilich nach ihrer Pflicht darauf inquiriren, und den Chirurgus zur Herbeyschaffung der Arzney anhalten sollen: aber eben sie hatten ja das Geld gewonnen, welches sie, im Fall das Ding zur Sprache gekommen waͤre, haͤtten herausgeben muͤßen: sie schwiegen also, und die armen Leute waren geprellt. Zwey und zwanzigstes Kapitel. Noch uͤber das Elend in den Feldlazarethen . M eine Leser muͤssen es zu gute halten, daß ich von den preußischen Feldlazarethen etwas mehr an- bringe, als man sonst in dieser Biographie erwar- tet haͤtte. Ich bin Soldat gewesen, und habe das Elend mit angesehen, welches meine Bruͤder in diesen scheußlichen Mordkluͤften ertragen muß- ten. Ich moͤgte also gerne, so viel als in meinen Kraͤften steht, zur Verbesserung dieses abscheulichen und schrecklichen Unwesens beytragen. Vielleicht liest e wan ein Mann von Gutsinn und Einfluß meine Schrift, und lernt daraus diese Gattung menschliches Elendes naͤher kennen, und hilft es viel- leicht bey einem kuͤnftigen Feldzuge lindern. Viel- leicht lesen einige, die dereinst uͤber Lazarethe die Aufsicht fuͤhren oder in denselben als Feldscheere oder Krankenwaͤrter dienen sollen, dieses Buch und lernen sich schaͤmen, und ihre Schuldigkeit, welche nirgends heiliger seyn kann, als hier, besser beobach- ten. Und wenn dieses seyn sollte, so haͤtte ich fuͤr leidende und von den Ihrigen verlaßne Menschen mehr Nutzen gestiftet, als mancher Postillen- schmierer, oder Geister- und Dogmen-Kraͤmer. So ungeschickt die preußischen Feldscheerer ge- woͤhnlich zu seyn pflegen, so wenige sind noch oben- drein in den Spitaͤlern angestellt: zwey, drey sol- cher aͤskulapischen Buͤffel sollen eine Anzahl von 200, 300 und mehrerer schwerkranker Personen pflegen, wie dieses in dem jetzigen Kriege gar oft der Fall war. Ich kam einst nach Bingen am Rhein ins dortige Hospital, um die bey der Belagerung von Maynz Blessirten und Krankgewordenen aufzuneh- men. Auch hier lief mir die Galle gar aͤrgerlich uͤber. Da lagen Leute, die schon seit vier und mehr Tagen hieher gebracht, und noch nicht verbunden waren. Dem einen war der Arm, dem andern der Fuß entzwey geschossen, u. s. w. und die Leute jammerten, daß einem die Brust vor Theilnahme beklommen rd. Aber die Herren Feldscheere und die buͤbischen Krankenwaͤrter sprachen den armen Leu- ten nur mit Fluͤchen und Verwuͤnschungen zu. Kann ich was dafuͤr, hoͤrte ich einen Feldscheer fragen, daß Ihr blessirt seyd? Ich wollte daß dem Teu- fel die Kugel in den A — gefahren waͤre, so haͤtte ich jezt keine Scheererey mit Euch. Ich will Euch schon verbinden; aber warten muͤßt Ihr! Sak- kerment, ich habe mehr zu thun! — Und damit ging der Bube zur Thuͤr hinaus. Ich sagte zum Kran- kenwaͤrter Muͤller , vom Hallischen Regimente: das sey doch abscheulich: ob denn das so geschehen duͤrfte? Er antwortete mir: die Feldscheere waͤren nun ein- mal nicht anders, besonders dieser; der sitze den ganzen Tag im Wirthshause zum wilden Mann und trinke. Ich gleich hin, und fand den un- menschlichen Firlefanz wirklich bey einer Flasche Wein. Ich sezte mich ihm gegenuͤber, und redete ihn an. Herr Chirurgus, sagte ich, wie koͤnnen Sie aber die armen Leute so unverbunden liegen lassen? die Kerls jammern einen ja in der Seele! Er . Hab heute schon Sechse verbunden; will auch einen Augenblick Ruhe haben! Ich . Aber wenn ihre Kranken so schrecklich leiden, und obendrein den kalten Brand befuͤrchten muͤssen: so muͤßten sie, denk ich, bis sie ihnen Huͤlfe geschafft haben, gar nicht an Ruhe denken! Er . So? Wer nicht warten will, mag hin- laufen! Ich . Ja, wenn das die armen Leute koͤnnten, dann wollt' ich's Ihnen verdenken, wenn sie nicht laͤngst aus dem Mordloche gelaufen waͤren! Er . Mordloch? Herr, das ist zuviel gesprochen! Wenn ich das dem Offizier sage, kommt der Herr in Arrest: versteht mich der Herr? Ich . O ja, ich verstehe den Herrn, und sehe wohl, daß der Herr eben so boͤsartig als unwissend ist: versteht mich der Herr auch? Er . Tausend Sakkerment: ich glaube gar, der Herr will mich tuschiren! Weiß der Herr, wer ich bin? Ich . O ja, ich weiß und sehe, daß der Herr weiter nichts ist, als ein gefuͤhlloser Bartkratzer. Wenn uns die Franzosen unsre Feldscheere vorgeschla- gen haͤtten, um unsere Truppen durch sie zu ruini- ren, so haͤtten sie uns keine angemeßnere geben koͤnnen, als der Herr ist. Er . (aufstehend) Nun, ins drey — — Na- men, der Hacke will ich schon einen Stiehl machen, oder mein Name soll nicht ehrlich seyn! Ich gehe hin, und sags dem Offizier: der soll mir schon Sa- tisfaktion schaffen! Er gieng wirklich, aber dabey blieb es auch. Ich indeß blieb ruhig: denn ich traute keinem Offi- zier zu, daß er dem Unmenschen Recht haͤtte geben sollen. — Nun, was fuͤhlen meine Leser? Doch erst noch weiter! Da man in Verpflegung der Lazarethkranken schon ohnehin sehr oͤkonomisch zu Werke geht, und da noch obendrein jeder von dieser Subsistenz das Seine ziehen will, so kann man leicht denken, daß die Diaͤt der armen Kranken sehr schlecht seyn muß. Dritter Theil. R An zweckmaͤßige Einrichtung der Speisen wird gar nicht gedacht, noch weniger an deren zweckmaͤßige Vertheilung. Etwas elende Bruͤhe, Bruͤhe groͤß- tentheils, die kaum ein Windspiel fressen moͤgte, ist die Suppe, worin dann und wann ein bissel Graupen, Mehl, Gruͤtze oder Brod gethan wird. Die Krankenwaͤrter wissen alles schon so einzurichten, daß nicht Ein Auge Fett darauf zu sehen ist, und daß die Bruͤhe aussieht und schmeckt, wie die elen- deste Gauche. Das Fleisch in den Lazarethen ist schon das elen- deste, das man finden kann, und nicht selten stinkt es schon und hat Maden gezogen. Dieses elende Luder wird nun auf die elendeste Art zurecht ge- macht, ganz unsauber in die Kessel geworfen, und oft kaum halb gar gekocht. Eben so steht es mit dem Zugemuͤse: und was fuͤr Zugemuͤse? Ein we- nig Reis und Gerste, nebenbey auch Ruͤben, Kar- toffeln, Linsen, Erbsen, Bohnen u. dgl. fuͤr tod- kranke Menschen! — „Wer in den Lazarethen nichts zuzusetzen hat, muß drin krepiren“ ist ein so b ek annter Satz bey der preußischen Armee, daß jeder Soldat entweder durch eigne Erfahrung, oder doch durch die Erfahrung vieler Anderer davon uͤberzeugt ist, und an dessen Wahrheit im geringsten nicht zweifelt. Das mag aber doch eine treffliche Einrichtung seyn, wo der kranke Feldsoldat Geld haben muß, um im Lazarethe, wo seine Gesundheit, die er fuͤr seinen Herrn zugesezt hat, hergestellt werden soll, nicht Hungers zu krepi- ren! — Ich kenne Feldscheere, welche sich Geld ge- ben ließen, damit sie dem gebenden Kranken die noͤthige Huͤlfe leisten moͤgten, und welche den, der nichts geben konnte, liegen und krepiren ließen. Aufsicht uͤber die Kranken selbst fehlt eben so, wie die uͤber die Feldscheere und Krankenwaͤrter. Sie koͤnnen beynahe thun, was sie wollen. Daher saufen sie denn Branntwein, fressen Haͤringe und was sie sonst haben koͤnnen, und machen durch diese uͤble Diaͤt die wenige Huͤlfleistung an sich noch vol- lends vergeblich. Von den vorfallenden Diebereyen in den Laza- rethen mag ich gar nicht reden. Genug, wer et- was hineinbringt, muß wohl darauf Acht haben, daß es ihm nicht von den Krankenwaͤrtern oder von den andern Kranken gemauset wird. So sehen die Feldlazarethe der Preußen aus: aber die der Oestreicher sind um kein Haar besser! Auch da herrscht der naͤmliche Geist, die naͤmliche Unordnung, der naͤmliche Mangel. — Und hier- aus laͤßt sich nun erklaͤren, warum so viele Men- schen in den Hospitaͤlern so elend umkommen, und warum die Armeen durch diese Mordloͤcher so schreck- lich leiden! Ich bin weit entfernt, den Monarchen und de- ren Generalitaͤt Mangel an Fuͤrsorge fuͤr die armen Kranken Schuld zu geben. Ich kenne die Befehle, wenigstens des Koͤnigs von Preußen, in dieser Hinsicht, und weiß, daß dieser gutmuͤthige Fuͤrst nichts vaͤterlicher wuͤnscht, als Huͤlfe fuͤr Leidende. Die Schuld faͤllt auf die allein, oder gewiß vor- zuͤglich, welchen der Koͤnig die Sorge fuͤr die Hospi- taͤler in vollem Zutra u en aufgetragen hat: Wie schaͤndlich aber wird dieses Zutrauen misbraucht! Der Koͤnig kann die Lazarethe unmoͤglich selbst nachsehen, und muß sich auf Andre verlassen — und diese Andere —? Hier ist eine Thatsache, welche viel Licht uͤber diesen Umstand verbreiten kann. In Gießen war ein Hospital fuͤr die Preußen angelegt, in welchem es eben so kauderwaͤlsch zu- gieng, als in den uͤbrigen anderwaͤrts. Dem Hn. Professor Muͤller wurde aufgetragen, eine Nach- richt von dem Zustande dieses Hospitals dem Publi- kum vorzulegen. Herr Muͤller , ein sonst gelehr- ter Mann und gluͤcklicher Arzt, ließ sich, Gott weiß, von wem, die Augen blenden, und verfer- tigte eine Nachricht, worin er, gegen seine eigene bessere Einsicht — denn er muͤßte ja sonst blind ge- wesen seyn! — die Einrichtung des Gießer Hospi- tals lobte, und demselben Vorzuͤge zuschrieb, welche nie irgend ein preußisches Hospital gehabt hat. Herr Muͤller mag mir diese Kritik nicht uͤbel nehmen! Ich verehre seine Kenntnisse, und schaͤtze sein Herz; aber eben diesen Kenntnissen und diesem guten Herzen haͤtte er die Schande nicht zufuͤgen muͤssen, eine Relation auszustellen, die nichts we- niger als wahr war, und die ihn bey jedem Besser- unterrichteten damals sehr zweydeutig erscheinen ließ. Es haͤtte ihn doch befremden muͤssen, daß man ihm zumuthete, als Professor der Arzneykunde ein Zeugniß uͤber eine Anstalt auszustellen, die er schon tadeln mußte als Mann mit nur gesunden Augen! Und doch lobte er sie als Professor der Me- dicin, folglich als Mann in seinem Fache; kom- promittirte sich aber dadurch nicht wenig, und schadete mehr als tausend und uͤbertausend Ungluͤck- lichen. Dieses wird Hr. Muͤller jezt vielleicht selbst einsehen. Denn wenn zum Beyspiel der Koͤnig durch einen Zufall, der freilich selten, aber doch nicht ganz unmoͤglich gewesen seyn mag, von der heillosen Zucht in den Lazarethen gehoͤrt haͤtte, so haͤtte es ja geschehen koͤnnen, daß er gewisse Leute zur Verantwortung ziehen ließ. Diese gewissen Leute konnten aber das Testimonium eines Hn. Muͤllers , Professors der Medicin zu Gießen, vorzeigen; der Monarch konnte dem Relator glau- ben und so war ein Hauptweg, dem Unwesen zu steuren, abermals versperrt. — Und wenn auch der Fall nicht eintratt, aber jemand sonst willens war, das Oberkriegskollegium auf die Maͤngel der Lazarethe merksam zu machen: so mußte er als kluger Mann es unterlassen, weil er voraussehen konnte, daß Muͤllers Zeugniß gegen alle Be- schwerden deckte, und gleichsam der Schutzbrief aller Theilnehmer war und blieb, es ungehindert forthin zu treiben, wie vorher. — Wenn Hr. Muͤl - ler das alles bedenkt, so geht er vielleicht in sich, und bekennt, daß er damals, wer weiß aus wel- chen Ursachen, eine ungegruͤndete Nachricht von unsern Lazarethen gegeben und sich dadurch am menschlichen Geschlecht groͤblich versuͤndiget habe. Sed Medici non possunt diccre verum, sagt Juvenalis , und dabey wird es auch in diesem Falle leider wohl bleiben! Wenn aber einige Aerzte die Wahrheit nicht gern bekennen, so bekennt sie ein Anderer, wenn gleich in einer andern Ruͤcksicht; und so einen finden wir an dem Verfasser der Schilderung der jetzigen Reichsarmee , nach ihrer wahren Gestalt. Nebst Wi r ken uͤber Deutschlands kuͤnftiges Schicksal. bey Peter Hammer, 1796. Auch dieser klagt sehr uͤber das Elend in den Lazarethen auch bey den Reichstruppen. Man fuͤrchtet sich bey diesen, schreibt er S. 186 ff., vor den Spitaͤlern eben so sehr, wie bey den Preu- ßen und Oestreichern, und das aus demselben Grunde, weil man denkt, daß ein Mensch, der in so ein Kurirloch geschleppt wird, allemal auch, bey einer sonst unbedeutenden Krankheit, Gefahr laufe, nimmermehr wieder herauszukommen. „Es ist doch schrecklich, fuͤgt er hinzu, daß man fuͤr das Leben und die Gesundheit der Menschen so we- nig Sorge traͤgt, und vornehmlich solcher Men- schen, die man so noͤthig hat im Kriege! Aber der Soldat ist bey uns, und sogar von seinen eignen Vorgesezten meist uͤberall zu sehr verachtet, als daß man im Ernste fuͤr ihn und seine Erhaltung sorgen sollte.“ „Die Schuld davon liegt einmal an sehr vielen Soldaten selbst, und dann an unserer hergebrachten, militaͤrischen Verfassung. Was nirgends taugen will, laͤuft zu den Soldaten, oder wird ihnen zur Zuͤch- tigung uͤbergeben. Bey der Reichsarmee , die keine bestimmten Cantons u. dgl. hat, wie die Sachsen und Preußen. — Selten bessern sich diese Leute, ja, sie werden durch den Umgang mit noch Mehreren ihres Gleichen gewoͤhnlich aͤrger, besonders im Felde, wo ihnen, um die Ueberlaͤuferey durch Strenge nicht zu foͤrdern, manches uͤbersehen wird, was man in der Garnison streng ahnden wuͤrde. Sie betragen sich also oft nicht wie Menschen, son- dern wie unvernuͤnftiges, wildes Vieh, treten ihre Menschenwuͤrde mit Fuͤßen, und erregen bey ihren Vorgesetzten sehr oft den Wunsch, ihrer mit guter Manier je eher je lieber los zu werden.“ „Faͤllt nun einer von diesen in eine Krankheit, oder wird er verwundet, und dann dem Lazarethe zur Kur uͤbergeben: wie kann so ein Mensch bey jeman- den den Wunsch rege machen, ihn wieder zu seiner Gesundheit zu verhelfen, oder ihn zu heilen? Wer weiß, wie sehr lange schon er seinen Vorgesezten oder den Chirurgen zur Last gewesen ist, um ihm das ewige Leben nicht laͤngst zu wuͤnschen! Diese also haͤtten die schlechte Behandlung, die ihnen in den Lazarethen widerfaͤhrt, großentheils selbst verschul- det, und faͤnden dann, daß es geht, wie mans treibt — zur Warnung fuͤr sich auf die Zukunft, und zum Beyspiel fuͤr Andere auf immer.“ „Eine andere Ursache der schlechten Behandlung der Soldaten in den Lazarethen liegt in unsrer her- gebrachten militaͤrischen Verfassung. Unsere mei- sten Soldaten sind wie passive Maschinen, Soͤld- ner, oder auf altdeutsch, Landknechte, bestimmt, um nach den Winken ihrer Fuͤrsten Laͤnder zu er- obern oder Andern erobern zu helfen, oder zur Er- ringung irgend einer Donquixotiade von Helden- schaft Leib und Leben aufzuopfern. Sie sind also großentheils Menschen, welche dumm oder nieder- traͤchtig genug sind, auf ihre persoͤnliche Subsistenz Verzicht zu thun, und sich gegen einen Blutsold als ein sachliches Werkzeug zu verdingen, die Rechte anderer Voͤlker willkuͤhrlich zu verletzen und dadurch den Despotismus mitzuverbreiten, oder auf den Thron zu heben, oder in ihrem eignen Vaterlande ihn fernerhin zu sichern. „O lebte Tacitus noch, und saͤhe jezt eine Deutsche Armee, vor der Rom sonst zitterte, — er wuͤrde ausrufen: Schande fuͤr Deutschland! Das sind keine Teutonen mehr: — Die fech- ten um Sold, nicht mehr fuͤr Freyheit und Vaterland!“ — Man sehe Leben und Thaten des Freyherrn Quin - etius Heymeran von Flaming II. Th. S. 261. Berlin bey Voß. — „Bey der Verdingung der Truppen ei- nes Staats (oder eines Fursten) an einen andern, gegen einen nicht gemeinschaftlichen Feind (z. B. der Hessen, Braunschwei- ger und Hannoveraner gegen Nordamerika u. s. w.) werden die Unterthanen als nach Belieben zu handhabende Sachen gebraucht und verbraucht (und nicht behandelt als selbststaͤndige Personen nach unveraͤußerlichen Rechten.)“ — So Kane im philos . Entwurf zum ewigen Frieden , S. 8 Ein Mensch aber, der auf seine Menschenrechte, Wuͤrde, Pflicht und Bestimmung Verzicht thut, der nicht wie der jetzige Franzose, als aktiver Vaterlaͤnder, bloß zu den Waffen greift, um seine Nation und deren Rechte gegen jeden ungerechten Machtanfall zu vertheidi- gen, — der wirft sich in den Koth: und wer kann ihn achten?“ „Hiezu koͤmmt, daß die Oberleute den Mann, der stirbt, oder als Kruͤppel verabschiedet und aufs Herumbetteln fortgeschickt wird, nicht zu ersetzen verbunden sind, und also sich wenig oder gar nicht darum bekuͤmmern, wenn ein Soldat, nach dem schoͤnen und gewoͤhnlichen Ausdruck vieler Herren Offiziere, verreckt, krepirt, vom Teufel geholt wird; oder als ein unversorgter Kruͤppel zur Schande des Herrn und des Korps, dem er ge- dient hat, im Lande herumfaͤhrt, bettelt oder stiehlt und in allen Schenken uͤber seinen Dienst flucht, und auf seine ehemaligen Vorgesezte derbe los- zieht.“ — Was der angefuͤhrte scharfsinnige Verfasser, fuͤr eine gewisse Klasse von Lesern, vielleicht zuviel oder zu wenig angiebt, wird man dereinst in einer klei- Schrift uͤber die wahre Wuͤrdigung des Soldaten und des Soldatenstandes durch eine genauere Bestimmung berichtiget finden: ich fand aber dem ohngeachtet fuͤr gut, seine Mey- nung uͤber die Ursache der schlechten Behandlung der Soldaten in den Lazarethen hier mit seinen eig- nen Worten ganz anzufuͤhren, um auf die Quellen dieses großen Uebels diejenigen von jeder Seite mehr merken zu machen, deren Pflicht oder Wunsch es mit sich bringt, diese Quellen fuͤr die Zukunft entweder zu reinigen oder zu verstopfen. Findet man in des Verfassers Meynung Einiges, was auf diese oder jene Art hiezu dienen kann: so war es der Muͤhe werth, sie hier mitaufzustellen, und ich bin der Nachsicht sachkundiger Leser ohne Weiteres wohl gewiß; irre ich aber in dem einen oder andern: so veranlaßte ich wenigstens eine genauere und aus- gebreitetere Pruͤfung einer Sache, an deren richti- ger Behandlung dem Fuͤrsten als Fuͤrsten eben so viel liegen muß, wie seinen Unterthanen als Men- schen. Jezt finde ich nur noch noͤthig, noch eine Erin- nerung zu dem vorigen hinzuzufuͤgen, und diese be- steht darin: daß man jede Sache, die man nach Belieben und ohne vielen Aufwand leicht und bald haben kann, eben darum meist gleichguͤltig behan- delt „Wenn die Fuͤrsten spielen, ich meyne, Krieg fuͤhren, sagt ir- gendwo Friedrich der Zweite, so sind die Menschen ihre Niethen; und wenn diese zu Hunderttausenden verloren gehen, so werden weder die Menschen, noch die Fuͤrsten kluͤger. Sie spie- len immer von neuem; und von neuem fehlts me an Niethen.“ — So machte Friedrich d. G. als Philosoph selbst auf ein Menschenspiel aufmerksam, das er, als Koͤnig , nicht min- der tapfer mitspielte!“ — Schilderung der Reichs - armee , S. 195. — „Allein das Menschengeschlecht, sagt Kant im III. Th. der Lebenslaͤufe nach aufstei - gender Linie , S. 432, sucht alles auf dem unrechten Wege, und das kommt, weil es nicht zusammenhaͤlt: da es nicht Gott (dem Urheber der Moral) treu ist, wie kann es Menschen den Urhebern der Politik treu seyn? Gott hat alles dabey ge- than und den Menschen den Trieb der Geselligkeit so gar tief ins Herz gelegt; allein noch stoßen sie sich von einander. Wie sehr in weitem Felde liegt nicht alles, und wie nahe koͤnnt' es lie- gen, wenn Gottes Wille geschaͤhe!“ — Wohl denn uns, wenn der Wille einiger Menschen es dereinst nicht mehr hindert, daß alle . Und dieß scheint mir eine von den Haupt- ursachen mit zu seyn, warum man sich die Gesund- heit der Soldaten, zumal der fernerhin fuͤr ihren Beruf unbrauchbaren; so wenig ernstlich angelegen seyn laͤßt. Ob man aber hieran politisch und mo- ralisch recht thue, moͤgen die entscheiden, welche wissen, wie sehr viel bey jedem Militaͤr darauf an- komme, die unbrauchbargewordenen Krieger staͤts so zu behandeln, daß die noch brauchbaren an ihnen nicht lernen, sich fein klug zu schonen, und alles das zu meiden, wodurch sie eben so ungluͤcklich wer- den koͤnnen, als ihre abgenuzten traurigen Vor- bilder. Drey und zwanzigstes Kapitel. Faltern , Monthabauer , Limburg u. s. w. I n Faltern hatte ich ein gutes Quartier, aber eine sehr schlimme Nacht. Ich lag mit einem Scharf- schuͤtzen, Namens Seydling , bey einem bra- ven Schloͤsser, der uns mit gutem Essen und Wein Menschen Gottes Willen thun! — Man erwaͤge die Note auf der XXI. S. in der Vorrede zu der Sammlung erbau - licher Gedichte u. s. w. labte, und dann ein gutes Bette besteigen ließ. Der Schuͤtze hatte die Ruhr im hoͤchsten Grade, wollte aber, weil er die abscheulichen Feldlazarethe kannte, in keins derselben. Des Nachts kam ihm das Stuhlgehen an: da er aber ein sehr aberglaͤu- biger Mensch war, so fuͤrchtete er sich vor Gespen- stern, und getraute sich nicht, die Treppe herab in den Hof allein zu gehen. Er weckte mich also, und bat, daß ich ihn doch begleiten moͤgte. Ich that es, wiewohl etwas unwillig, uͤber seine kindische Furcht. Kaum aber waren wir wieder im Bette, als mein Seydling von neuem noͤthig fand, auf den Hof zu gehen: ich schlug ihm die Begleitung ab, und schalt seine pinselige Furcht, die einem Soldaten gar uͤbel anstehe. Aber der gute Kerl machte lieber seine Nothdurft in die Kammer, wor- in wir lagen, als daß er hinab gegangen waͤre. Zur Strafe fuͤr diese Unart ließ ich ihn lange nicht wieder ins Bette, und drohte ihm, ihn zu verkla- gen, wenn er am folgenden Morgen nicht gleich alles wieder rein machte. Er versprachs und hielt Wort. Fruͤh um halb Sechse wurde schon Marsch ge- schlagen: denn es war Befehl zum Aufbruch ge- kommen: die Franzosen hatten unsre Leute aus Limburg gejagt, und man befuͤrchtete, sie moͤgten weiter herunter dringen. In Limburg waren zwar mehrere Preußen geblieben, aber sie hatten doch auch gezeigt, daß sie sich nicht ungerochen uͤber- fallen lassen. In Frankreich haͤtte so ein Ueberfall boͤse Folgen haben koͤnnen, aber in Deutschland war er nicht so gefaͤhrlich. Die Husaren waren an dem Ueberfalle Schuld gewesen, weil sie nicht hin- laͤnglich patrouillirt hatten: aber auch diese ver- theidigten sich nachher brav. Die Franzosen legten den Limburgern eine kleine Brandschatzung auf, und zogen ab. Unser Regiment marschirte den 10ten Novem- ber nach Monthabauer, einem ganz mit Pfaffen und Kloͤstern angefuͤllten trierischen Staͤdtchen; ich aber konnte wegen meiner Fuͤße nicht nachkommen, mußte daher in einem Dorfe, Neuhaͤusel, uͤber Nacht bleiben, und mir da ganz allein bey einem armen Grobschmidt Quartier machen. Der Grob- schmidt und seine Frau waren brave Leute, die mir viel Gutes thaten und mich wegen meiner sehr an- geschwollnen Fuͤße herzlich und theilnehmend be- daurten. Den folgenden Tag schlich ich nach Montha- bauer, wo man mich noch gar nicht vermißt hatte: so sehr war man noch der Unordnung gewohnt. Hier trug man sich damals mit einer schaͤnd- lichen Geschichte. Ein Emigrant hatte sich laͤngst vorher mit einem Maͤdchen aus der Stadt, von guter Herkunft, bekannt und beliebt gemacht. Die Vertraulichkeit gieng so weit, daß das Maͤdchen endlich schwanger ward. Der Emigrant — ein franzoͤsischer Graf — war unterdessen mit seinen Spießgesellen mit nach Champagne gezogen; und so war die Gute der Schande und der Verzweif- lung uͤberlassen. Schon vor uns war er aber mit den uͤbrigen Emigrirten nach Koblenz zuruͤckgekom- men, wo er wahrscheinlich auch huͤbsche Bekannt- schaften mag gehabt haben. Als das Maͤdchen seine Ruͤckkehr dahin erfuhr, machte sie sich auf, und erinnerte ihn an sein Versprechen, sie zu heu- rathen. Aber der Niedertraͤchtige hatte dazu jezt keine Ohren, jagte sie fort, und verfolgte sie noch mit Schimpfreden. Die Ungluͤckliche getraute sich nun ihren Eltern und Bekannten nicht mehr unter die Augen zu kommen, und begab sich nach An- dernach zu ihrer Mutter Schwester. Diese nahm sie aber nicht auf, sondern drohete ihr noch oben- drein, sie einstecken zu lassen, wenn sie sich unter- stehen wuͤrde, noch eine Stunde in Andernach zu bleiben: sie sey eine Vettel, welche die Familie beschimpfe u. s. w. Nun gerieth das arme Maͤd- chen in Verzweiflung, und ersaͤufte sich im Rhein. Man fand ihren Koͤrper einige Tage hernach weit unter Andernach: sie war seit sechs Monaten schwanger. — Diese und aͤhnliche Begebenheiten haben nicht wenig beygetragen, die schon damals so verhaßten Emigranten noch verhaßter zu machen. Als wir den folgenden Tag von Monthabauer weg und naͤher nach Koblenz zu ruͤckten, wurden die Schuhe aller Regimenter nachgesehen von eini- gen vom Koͤnige dazu bestimmten Majoren, welche allen Obersten, Majoren und Hauptleuten erklaͤren mußten, daß Se. Majestaͤt durchaus verlangten, daß den Leuten gute Schuhe gegeben werden soll- ten, welches nun eher geschehen koͤnnte, als vor kurzem. Aber auch dieser gewiß ernstlich und gut- gemeynte Befehl ist doch auch nur zum Theil be- folgt worden: denn so lange ich wenigstens bey der Armee gewesen bin, hat man fuͤr Schuhe und Montirung nicht so gesorgt, als man haͤtte sollen und koͤnnen: und daß auch dieses waͤhrend der fol- genden Feldzuͤge nicht geschehen sey, habe ich nach- her von Andern erfahren. Die Regimenter wurden sehr aus einander ge- zogen, und in die Gegenden an der Lahne in Kan- tonnirung gelegt. Das Dorf, worin unsre Kom- pagnie lag, hieß Edelborn . Weit und breit habe ich nichts roheres und aberglaͤubigers ange- troffen, als die gemeinen trierischen Bauren, und doch liebten sie ihren Erzbischof nicht, und waren der neufraͤnkischen Revolution gar gewogen. — Da wir hier eine Zeitlang blieben, so konnten die, welche Freunde der Reinlichkeit waren, ihre Sa- chen wieder in guten Stand setzen. Bey Ems wurde der Lahnpaß stark besezt, weil man da einen Ueberfall von Seiten der Franzosen befuͤrchtete. Cuͤstine hatte indessen, zur Schadloshaltung seiner Nation, nicht nur jenseits des Rheins ge- hauset; er hatte auch Frankfurt weggenommen, die Saline bey Friedberg zu Nauheim gepluͤndert, und dem Fuͤrsten von Weilburg starke Kontribution aufgelegt: aber die Bauren und Buͤrger waren uͤber- all verschont worden, und eben diese Schonung machte, daß diese Leute die Franzosen eben nicht fuͤr gar zu schlimm hielten. Damit aber der Fort- gang der fraͤnkischen Waffen nicht noch weiter um sich reißen moͤgte, beschloß unser Koͤnig, sobald es moͤglich seyn wuͤrde, die Gaͤste uͤber den Rhein zu- ruͤck zu treiben, und ihnen die besezten Plaͤtze wie- der wegzunehmen. Aber unsere Leute waren zu muͤde, zu sehr abgemattet; man mußte also Halt machen, und sie ruhen lassen; auch mußte frische Munition herbeygeschafft werden: denn die, welche wir mitgenommen hatten, war, wie ich mehrmals gesagt habe, voͤllig verdorben. Endlich am 25ten November brachen wir auf und zogen nach der Lahn zu auf der Frankfurter Straße. Die Wege waren hier zwar gut, das Dritter Theil. S Wetter aber kalt und die Luft rauh und voll Schnee. Auf diesem Marsche haben wir abermals sehr viel ausgestanden, und nicht wenig Noth gelitten an Le- bensmitteln. Es sollte aber einmal vorwaͤrts ge- hen; und so gestattete man uns nicht einmal einen Rasttag. Den 29ten kamen wir vor Homburg an der Hoͤhe, mußten aber, weil alles sich dahin zusam- men gedraͤngt hatte, die Nacht unter freyem Him- mel zubringen. Es war sehr kalt und windig, und Holz fehlte: man gieng daher in die nahen Doͤrfer, holte heraus, was von Holz da war, und machte starke Feuer. Eins dieser Doͤrfer, welches mit franzoͤsischen Kolonisten besezt ist, und dem Land- graf von Hessen-Homburg gehoͤrt, wurde bey die- ser Gelegenheit sehr uͤbel mitgenommen. Am 30ten November erhielt unser Regiment in Homburg Quartier, und ich bey dem Schulmeister der franzoͤsischen Kolonie. Dieser Mann war, wie beynahe alle franzoͤsischen Kolonisten, aus angeerb- tem Widerwillen gegen den ehemaligen franzoͤsischen Thron, ganz enthusiastisch fuͤr die neue Verfassung Frankreichs eingenommen. Als er merkte, daß ich derselben auch nicht abgeneigt war, so hatte ich seine ganze Gunst. Fruͤh am andern Tage kam ein Bekannter des Schulmeisters, ein Schuster, der mich mit zum Fruͤhstuͤck nahm, und mir ver- sprach, daß er mich, wenn ich Lust haͤtte, ins Land der Freyheit zu treten, sicher und unentgeld- lich nach Frankfart bringen wollte, von woher ich gar leicht uͤber den Rhein, und wohin es mir be- liebte, weiter kommen koͤnnte. Ich weiß wahrlich nicht recht zu sagen, warum ich dieses gewiß gut gemeynte Anerbieten damals nicht annahn: ich glaube, daß ich es noch angenommen haͤtte, wenn wir laͤnger in Homburg geblieben waͤren: denn da- mals war ich des ganzen Soldatenlebens wegen der Soldaten-Graͤuel recht herzlich muͤde. Allein noch in selbiger Nacht um 10 Uhr wurde Marsch befohlen, und wir brachen wirklich nach Frankfurt auf. Vier und zwanzigstes Kapitel. Einnahme von Frankfurt am Mayn. Folgen davon. D er Herzog eroberte am 2ten December die Stadt Frankfurt am Mayn. Ich habe dieser Wiederero- berung nicht mitbeygewohnt; ich uͤberlasse es also meinen Lesern, die davon noch nicht aͤcht unterrich- tet seyn moͤgen, anderwaͤrts selbst Auskunft daruͤber einzuholen. Einer Bemerkung kann ich mich je- doch hier nicht enthalten. Cuͤstine , dessen sonderbares Benehmen man durch van Heldens Briefe in Girtanners poli- tischen Annalen ziemlich kennen lernt, hat dem Nationalkonvente zu Paris eine falsche, meist un- gegruͤndete Nachricht von dem Betragen der Frank- furter Buͤrger gemacht, indem er sie beschuldigte, daß sie, waͤhrend der Wiedereroberung, drey Ba- taillons Franzosen mit gewissen, dazu besonders gemachten Messern ermordet haͤtten. Das that Cuͤstine , um sein Versehen der Frankfurter Buͤr- gerschaft zuzuschieben. Aber obgleich der Bericht des Cuͤstine hier und da falsch ist, ja, obgleich van Helden und einige seiner Offiziere, durch ihren Unwillen uͤber Cuͤstine , und die Lage ihrer Gefangenschaft, vielleicht auch durch ihre Unwissen- heit in diesem Punkte bestimmt, Cuͤstinen wider- sprachen, und die Frankfurter zu rechtfertigen schie- nen: so ist doch auch gewiß, daß der Bericht, wel- chen die Frankfurter zu ihrer Vertheidigung an den Konvent nachschickten, auch nicht ganz richtig ist, und es sind, wie mir selbst Frankfurter Augenzeugen erzaͤhlt haben, und ich erst noch vor kurzem auf dem Weidenhofe zu Frankfurt hoͤrte, viele Barba- reyen selbst von Buͤrgern, folglich nicht allein von Handwerksburschen, gegen die Franzosen veruͤbt wor- den. Auch habe ich von der damaligen Frankfur- ter Besatzung Einige in Frankreich gesprochen, welche eben dieses versicherten: und so laͤßt sich die Furcht erklaͤren, in welcher die Frankfurter seit jener Zeit vor einem neuen Besuche der Republikaner schwebten, wie auch die starke Kontribution, welche diese nachher eintrieben. Hieraus mag denn jeder Nichtsoldat lernen, daß es zur Zeit des Krieges sehr klug ist, den Feind nie zu insultiren oder zu reizen, weder durch Handlungen, noch durch Worte, geschrieben oder gesprochen. Unser Bataillon wurde nur gebraucht, um die Franzosen bey Eschersheim wegzutreiben, wo sie noch um zwey Uhr Nachmittags Stand hielten. Bey dieser Aktion haben wir einen Kanonier und vier Mann eingebuͤßt. Die Franzosen ließen uns das Dorf bald uͤber: denn ein panischer Schrecken schien sie ergriffen zu haben. Nun war Frankfurt wieder im Besitz der Deut- schen, und unser Regiment ruͤckte Abends um 10 Uhr in Vibel, wo wir 14 Tage stehen blieben. Frankfurt war, so lange die Franzosen darin waren, von diesen wenig oder gar nicht gekraͤnkt worden; und wenn Cuͤstine , zur Entschaͤdigung fuͤr unsere Invasion nach Frankreich, nicht eine so starke Contribution gefodert haͤtte, so wuͤrde die Stadt noch Vortheile von seiner Gegen-Invasion gehabt haben. Aber dennoch war gleich nach der Wie- dereinnahme auf einmal alles wieder deutsch, was vorher franzoͤsisch in Frankfurt gewesen war! Sogar die Markoͤrs auf den dortigen Kaffeehaͤusern ma kir- ten auf deutsch; die Mamsellen hießen Jungfern, ohne es jedoch immer zu seyn; aus Toilette ward Putztisch, aus Pique Schipp , aus Coͤttr Herz und aus Carreaux Eckstein u. s. w. Dieses laͤp- pische Zeug sollte, wie viel Anderes von eben der Art, Beweis des deutschen Patriotismus seyn, und die Frankfurter trieben es, bis sie endlich selbst Preußische Offiziere franzoͤsisch sprechen hoͤren, wo sie sich denn schaͤmten, und die Jungfer wieder in Mamsell umtauften u. s. w. Die Frankfurter Zeitungen, besonders die Reichs- Ober-Postamts-Zeitung — denn in dem Einen Frankfurt kommen mehrere heraus — waren waͤh- rend des Aufenthalts der Franzosen in Frankfurt ganz auf ihrer Seite, und nahmen alles dienstwil- lig auf, was Cuͤstine , van Helden , und an- dre dem Publikum mittheilen wollten. Es stehen daher auch selbst von Cuͤstine und Boͤhmer viele grelle Aufsaͤtze in diesen Zeitungen, besonders das beruͤchtigte Proklama an den Landgrafen von Hessen-Kassel, worin er aufs gehaͤssigste benannt und angegriffen wird. Die Herren Zeitungsschrei- ber waren aber keineswegs von den Franzosen ge- zwungen worden, so oder so zu schreiben; Cuͤstine hatte ihnen vielmehr ausdruͤcklich sagen lassen: daß, wenn man seine Aufsaͤtze nicht fuͤr wahr hielte, oder sonst Anstand naͤhme, sie einzuruͤcken, man sie im- merhin hinlegen koͤnnte. Sobald aber die Preußen Frankfurt inne hatten, lautete das Ding aus einem andern Tone: die Zeitungsschreiber erklaͤrten ein- hellig in ihren ersten Blaͤttern, daß sie von den Franzosen gezwungen, und aus Furcht vor der Guillotine ( ohe! ) eins und's andre gegen ihre Ueber- zeugung und gegen ihren deutschen Patriotismus — gerade als wenn ein deutscher Zeitungsschreiber deutschen Patriotismus haben koͤnnte! — in ihre oͤffentlichen Blaͤtter aufgenommen haͤtten, welches den Neufranken zu favorisiren schiene: nun aber, da diese Tyranney aufhoͤrte, wuͤrden sie sich auch als wahre deutsche Patrioten zeigen u. s. w. Wer aber die Zeitungsschreiber nur von Ferne kennt, der weiß gar wohl, daß dieses saubere Volk sammt und sonders allemal den angestimmten Ton nachstimmt, und daß es ihnen um nichts weniger zu thun ist, als um Wahrheit und Publizitaͤt. Wenn aber uͤbrigens die Verbreitung der groͤbsten und gefaͤhrlichsten Luͤgen zu Gunsten der deutschen Armeen, und schaamloses, haͤmisches Herabsetzen der feindlichen — Beweise des deutschen Patriotis- mus sind, so muß ich den Frankfurter Zeitungs- schreibern das Lob zugestehen, daß sie große Patrio- ten sind. Ich befand mich indessen ganz ertraͤglich im Flecken Vilbel, gieng einigemal nach Frankfurt, meine Verwandten und Freunde dort zu besuchen, und genoß bey diesen Gelegenheiten allemal ein Vergnuͤgen, welches mir seit meines Abschiedes aus Halle ganz unbekannt geworden war. Mit meinem Wirthe in Vilbel hatte ich manches Ge- spraͤch, politischen Inhalts, erfuhr aber kein Wort zum Nachtheil der Franzosen: uͤberhaupt wurde damals das Betragen derselben allgemein geruͤhmt. Sie giengen mit den Landleuten friedlich um, fluch- ten und schalten nicht, foderten nichts umsonst, und zahlten alles mit baarem Gelde. Freilich haͤtten sie die Herren, die Pfaffen, Edelleute und Fuͤrsten mitgenommen; aber die meisten Bauren und Buͤr- ger waren Vielen von eben diesen Herren schon lange nicht gut, und freuten sich, daß auch sie einmal gezuͤchtiget wuͤrden. Cuͤstine hatte auf der beruͤhmten Salzsiederey Nauheim eine sehr große Menge Salz vorgefun- den, und beschlossen, es zu verkaufen, um durch dessen Ertrag die franzoͤsische Republik dafuͤr in etwas zu entschaͤdigen, daß der Landgraf von Hes- sen, dem eben dieses Salzwerk gehoͤrt, in Frank- reich miteingefallen war, und sich in die Angele- genheiten einer Nation mischte, die ihn eben so wenig angiengen, als die National-Reform in Po- len. Cuͤstine traf also die Verfuͤgung, daß nur Hessische Unterthanen das Salz gegen einen Schein von ihren Schulzen, daß sie wirklich Hessen waͤ- ren, fuͤr die Haͤlfte des gewoͤhnlichen Preises er- hielten. Ich habe keinen Bauer dieses Benehmen Cuͤstine's je tadeln hoͤren, aber in kleinern und groͤßern Schriften nannte man es — Salzdiebe - rey ! Sonderbar aber, daß die Vaͤter aller dieser Schriften nachher nicht auch ein Woͤrtchen fallen ließen von Landdieberey, und an Sachsens Schick- sal im siebenjaͤhrigen Kriege gar nicht mehr dach- ten, noch weniger an die hergebrachte Verfahrungs- art aller Kriegfuͤhrenden Maͤchte, nach welcher sie sich berechtigt duͤnken, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Gleich nach der Einnahme von Frankfurt ließ der Prinz von Hohenlohe die Gebirgsfestung Koͤ- nigstein angreifen: das Staͤdtchen unten am Fuße litt gar sehr bey dem Bombardement, aber die Fe- stung selbst nichts: diese mußte erst lange nachher durch Hunger zur Uebergabe gezwungen werden. Nirgends hatte man die Franzosen besser und freudiger aufgenommen, als in den Maynzischen Dorfschaften am Mayn. Man muß naͤmlich wis- sen, daß die dortigen Leute gewaltig steif noch paͤpsteln, dabey aber von der wahren Beschaffen- heit der Neufraͤnkischen Haͤndel gar nicht unterrich- tet waren. Sie glaubten daher, die jetzigen Fran- zosen wuͤrden das Spiel bey ihnen wieder spielen, was die ehemaligen dort herum spielten, wenn sie Krieg im Reiche fuͤhrten, d. i. alle Ketzer zur Roͤ- mischen Religion zwingen. Also sahen sie im Geiste schon das ganze Darmstaͤdter, Weilburger und Anderer Land, an welches sie graͤnzen, zum wah- ren Glauben durch die Franzosen gezwungen. Als aber die garstigen Leute bey ihrer Dahinkunft sich um nichts weniger bekuͤmmerten, als um die ver- schiedenen Abstiche im An- und Ausputzen der Ge- hirn-Idole: so sah man veraͤchtlich von ihnen weg, haßte sie, und dieß um so mehr, je greller ihnen ihre Pfaffen den Graͤuel der Neufraͤnkischen Ein- richtung beschrieben und verdammten. Der Pastor von Wickert , einem Dorfe zwey Stunden von Maynz, hatte sich hierin vorzuͤglich ausgezeichnet. Er hatte in der christlichen Lehre unter andern auch die große Wahrheit abgehandelt, daß man ohne Beichte nicht selig werden koͤnne, daß aber die Beichte bey einem ordentlich geweihten Priester geschehen muͤsse, weil, wer bey einem apostatischen oder gar unrecht geweihten beichte, ein Sakrilegium begienge, und dann, wenn er stuͤrbe, geradezu zur Hoͤlle hinabfuͤhre, und ewig verdammt wuͤrde. Nachdem er diese wichtige Wahrheit ausfuͤhrlich bewiesen hatte, so fragte er die Kinder also, und dieß (man bewundere seine Tau- ben-Einfalt und Schlangen-Klugheit!) in Gegen- wart einiger Franzosen: Pastor . Sage mir mein Sohn, haben denn die jetzigen Franzosen ordentliche Priester? Junge . Das weiß ich nicht. Pastor . Nein, mein Kind, die haben sie nicht: denn ihre Priester sind nicht von rechten Bi- schoͤfen geweiht, folglich sind sie Beliaskinder und keine Priester. Was sind also ihre Sakramente? Junge . Gotteslaͤsterung und Gottesschaͤn- dung. Pastor . Schoͤn, mein Kind! Wenn also ein Franzos seinem Priester beichtet, was begeht er? Junge . Eine Todtsuͤnde. Pastor . Recht so! Wenn nun so ein Franzos stirbt, wo faͤhrt er hin? Junge . Zum Teufel in die Hoͤlle. Pastor . Wofuͤr sind denn die Franzosen zu halten? Junge . Fuͤr boͤse Christen, fuͤr Ketzer. Pastor . Ja, wollte Gott, daß sie nichts aͤrgers, als boͤse Christen, als Ketzer waͤren! Sie sind noch viel mehr: Sie sind verruchte, exkom- municirte und uͤberteufelte Teufel, die sich an der heiligen Kirche versuͤndigt, das Evangelium ver- laͤngnet, die Sakramente geschaͤndet, die Heiligen gelaͤstert und sogar die Mutter Gottes verspottet haben. Aber sie werden ihren Lohn schon bekom- men: der Herr wird sie ausrotten, wie die Rotte Core u. s. w. Einige franzoͤsische Soldaten, Deutsche von Geburt, hatten diese Possen mitangehoͤrt, und sie ihren Kameraden wieder erzaͤhlt. Diese wurden uͤber des Pfaffen unbesonnene Frechheit rasend, lie- fen hin ins Pfarrhaus, und wuͤrden den geistlichen Herrn da gleich hergenommen haben, wenn dieser nicht gleich nach der Kirche zu einem aͤchtgeweihten Saufbruder nach Wallau gegangen waͤre. Sie paßten ihm daher im Felde auf, und stellten ihn, als er zuruͤckkam, zur Rede. Der Herr Pastor, von Wein erhizt, ward aber grob, und erklaͤrte, daß er von dem, was er an heiliger Staͤtte lehrte, keiner gottlosen Rotte, wie sie und alle Franzosen waͤren, Rechenschaft zu geben haͤtte. Die Unglaͤu- bigen ergriffen ihn indeß, und wackelten ihn, troz seiner uͤberseligen Rechtglaͤubigkeit, wacker herum. Da aber nur wenige Franzosen damals in Wickert lagen, so wurden die Thaͤter bald entdeckt, und von ihrem Offizier mit Prison bestraft. Wahr- scheinlich wollte der Offizier einen Bauernaufstand verhindern: denn diese sind, um in solchen Faͤllen still zu sitzen, von den Privilegien ihrer Pfaffen zu gut unterrichtet; und die Pfaffen ermangeln noch weniger, den loͤblichen Satz des Kirchenrechts: si quis suadente diabolo percusserit clericum, und wie es weiter heißt, zu ihrem Vortheil fein huͤbsch zu erklaͤren. Fuͤnf und zwanzigstes Kapitel. Die Winterquartiere oder Quasiwinterquartiere. D ie Preußischen Truppen wurden dort in der ganzen Gegend am Mayn und am Gebuͤrge in die Winterquartiere verlegt. Unser Regiment bezog Hoͤchst, Nied und Griesheim: unsre Kompagnie lag in Nied ganz allein mit den Beckerknechten, und ich hatte meine Wohnung bey einem recht bra- ven Manne, dem Fischer Rhein . Dieser Mann war protestantisch, und konnte gar kein Ende finden, wenn er von den Bedruͤckungen anfing, womit man im Maynzischen die Protestanten verfolgt haͤtte. Es geht, wie ich merkte, in diesem Laͤndchen eben so arg zu, wie in der Pfalz oder auch wohl noch aͤrger. Jeder schlechte Kerl, der nur katholisch ist, gelangt dort zu Aemtern und Ehren, und kein Protestant, und waͤre er noch so ehrlich und noch so geschickt, wird je befoͤrdert. Ich wunderte mich sehr uͤber dieses Unwesen, und erwiederte: daß ja doch der Kurfuͤrst, selbst in Maynz, Protestanten angestellt habe. Aber Rhein stach mir den Staar: „Man wollte, sagte er, to- lerant scheinen ; daher hat man Einige, aber doch nur solche Protestanten angestellt, welche Aufsehen gemacht hatten und das gerade nur in Maynz.“ An allen andern Orten, fuͤgte er hinzu, sey und bleibe der Katholik im Alleinbesitz aller Gunst und aller Rechte, und der Protestant habe immer das Nachsehen. Das moͤgte, fuhr Rhein fort, noch hingehen: daß man aber allemal dem Katholiken Recht giebt, wenn er gleich handgreiflich Unrecht hat, und daß der Protestant beym sonnenklarsten Rechte dennoch allemal verlieren muß, das ist ab- scheulich. Rhein hat mir mehrere Faͤlle dieser Art mitgetheilt, welche ich indeß hier uͤbergehe. Derglei- chen Dinge aber beweisen hinlaͤnglich, daß man sich eben nicht sehr wundern muͤsse, wenn die Fran- zosen in der Pfalz und im Maynzerlande bey den Protestanten mehr Eingang gefunden haben, als bey den Katholiken: denn wer ist wohl gern wegen seiner Meynungen, Religion u. dgl. in seiner buͤr- gerlichen Existenz zuruͤckgesezt und geneckt? Diesen Umstand belieben doch die ja in Acht zu nehmen, welche, aus der groͤßern Anhaͤnglich- keit der dortigen Protestanten an die Franzosen, haben folgern wollen: der Protestantismus an sich fuͤhre zum Aufruhr, wenigstens mehr als der Katholicismus. Dieß heißt Ursache und Wir- kung verwechseln, und jemanden das Brandloͤschen uͤbelnehmen, dessen Haus wir erst selbst in Brand steckten! Doch hieruͤber dereinst ausfuͤhrlicher in einer andern Schrift; oder man vergleiche Frank- furt und Maynz in dieser Ruͤcksicht vor der Hand so, wie es in der Vorrede zu der mehrmals er- waͤhnten Sammlung erbaulicher Gedichte — S. LXXXV geschehen ist. Und dann: was war Frankreich? — Daß Ein Theil der Katholiken am Rhein dem alten Staatssysteme damals treuer blieb, machte weniger ihr Kirchensystem, als die vielen, reichlich und bequem naͤhrenden Praͤbenden, oder Faulthiers- stellen, deren heilige Fruͤchte sie entweder selbst schon zogen, oder fuͤr ihre Bruͤder, Vetter u. dgl. zum Troste ganzer Familien erwarteten. Man sah dieß ja aus den Hauptgruͤnden mit, welche man oͤffentlich an den Tag gab, um die Leute da herum von dem Franzosen-Systeme abzuhalten. Schafft ihr, hieß es darin, euren Kurfuͤrsten, das hohe Domkapitel, den Adel, die Kloͤster u. dgl. ab: was soll, was kann aus all den Tausenden werden, welche von denselben Brod, Ehre und Be- dienung haben? Wie wenn die alle alles das, womit sie so herrisch groß thun, nicht erst selbst von uns hatten! — sagte mir einst ein katho- lischer Kaufmann, der sich uͤber den Trubel des Rheinischen Na- tional-Convents mit mir unterhielt. „Was aus all den Tausenden werden soll? fuhr er fort: je nun, was aus den uͤbrigen wird, die ohne Praͤbenden, Bedienungen und Hofbrod ihr Auskommen im Schweiße ihres Angesichts verdienen. Fuͤr diese kann man unbesorgt seyn: aber nicht so fuͤr das Auskommen der einigen Hunderte, die ihr Herrenwesen auf Kosten des Schwei- ßes von mehreren Tausenden treiben! — Doch, wie gesagt, davon zu einer andern Zeit! Am 6ten Jaͤnner 1793 schlugen die Preußen die Franzosen bey Hochheim, und von dieser Zeit an wurde Hochheim von unsern Truppen besezt. Die gefangnen Franzosen wurden mit Trommeln und Pfeifen durch die Doͤrfer und Staͤdte bis nach Frankfurt gebracht; und dem Jan Hagel stand es aller Orten frey, diese Gefangnen mit Schreyen und Schimpfen zu insultiren. Die Frankfurter, eine aͤußerst neugierige und faselhafte Nation, zogen ih- nen zu mehrern Tausenden entgegen, und beglei- teten sie mit unbaͤndigem Geschrey und Jubel bis in die Stadt. Einige schmissen sogar mit Steinen und Koth auf sie. Das Geruͤcht von der Mishandlung dieser und meist aller nachherigen franzoͤsischen Kriegsgefangnen ist nicht nur bis zu ihrer Armee, sondern auch bis zu allen Departements, die Ich war selbigen Tag ge- rade in Frankfurt bey meinem Freunde, dem Herrn Dambmann, und aͤrgerte mich recht sehr uͤber den Unfug, den der vornehme und geringere Frankfur- ter Poͤbel an den Kriegsgefangnen begieng. — Hr. Dambmann , Hr. Hofrath Stiehl , Hr. Prediger Sussenbeth und mein Vetter, der Kaufmann Dietsch , erwiesen mir damals sehr viele Freundschaft, und dieses machte, daß ich Frankfurt den Winter uͤber von Nied aus fleißig besucht habe. Dank noch einmal den guten Seelen! In Nied lernte ich zwey schnurrige Menschen kennen, den katholischen Schulmeister, und einen Schneider, der zugleich Branntweinbrenner war. Der erste war ehedem Husar gewesen, hatte nach- her fromme Gedanken bekommen, und war Einsied- ler geworden. Als aber der Kurfuͤrst alle Einsie- deleyen aufhob, gieng auch seine Klause zu Ende. Seine Landsleute die Nieder-Bauren, nahmen ihn zum Schulmeister an, er behielt aber troz des Be- fehls des Vikariats seinen Habit oder die Kutte bey. Der andre war protestantischer Religion und ein guter Freund des Schulmeisters, und beyde arbei- ich nachher besucht habe, gedrungen. Die Wirkung davon laͤßt sich denken und mich duͤnkt, man hat sie erfahren, und er- faͤhrt sie noch. Aber wahrlich, die Franzosen sind gutmuͤthig und groß; und dieß wird die Nachwelt gerechter erkennen, als viele von uns. Dritter Theil. T teten schon lange gemeinschaftlich an der Vereinigung der Protestanten und Katholiken. Sie sitzen daher, wenn sie sonst nichts zu thun haben, beysammen, untersuchen die Unterscheidungslehren beyder Kir- chen, und schließen bey jeder: „Man koͤnne sie ohne Schaden fahren lassen, und muͤsse dieses thun, um der Kirche ihre Einigkeit wieder zu verschaf- fen.“ — Ich habe einigemal ihren Disputationen bey- gewohnt und bemerkt, daß sie allemal damit en- digten, daß das Korpus der Lehren, so wie diese jezt waͤren, schlechterdings nicht die Lehre der wah- ren oder der katholischen Kirche seyn koͤnnte: diese sey allgemein, das heißt, habe lauter solche Lehren, welche von jederman ohne Unterschied angenom- men, und nur von Narren oder Boͤsewichtern ver- worfen werden koͤnnten. Dieß sey so die Religion des ehrlichen Mannes, und darin faͤnde sich kein Papst, keine Transsubstantiation, keine Beichte, keine Messe u. dgl. das seyen lanter Zusaͤtze, die niemand baͤnden, gesezt auch, sie seyen wahr: denn es koͤnne in der Theologie manches wahr seyn, das doch bey weitem nicht zur Religion gehoͤrte. — Die Leute raͤsonnirten so unrecht nicht, aber daran thaten sie unrecht, daß sie die Katholiken mit den Protestanten vereinigen wollten. Da sie mit diesem Vereinigungsplane schon lange um- giengen, so mußten sie nothwendig den Pfaffen, sowohl der Katholiken als der Protestanten, oft vor den Kopf stoßen, und daher hatte besonders der gute Schulmeister Haͤndel mit den geistlichen Her- ren zu Hoͤchst. Als die Franzosen dahin kamen, waren beyde recht froh, und dachten, nun sey es Zeit, ihren Plan auszufuͤhren. Sie warfen sich also oͤffentlich zu Aposteln der christlichen Freyheit auf, und wollten wenigstens in ihrem Zirkel Eine Heerde unter Einen Hirten zuwegebringen. Aber die baldige Retirade der Franzosen machte ihrem Apostolat ein Ende; sie hofften aber dennoch immer daß noch in Zukunft etwas zu machen seyn duͤrfte. Ich war anfaͤnglich bey beyden gut gelitten, weil ich auf die Franzosen nicht schimpfte, und auch, wie sie, alle theologische Kazbalgereien fuͤr Lumpen- dinge erklaͤrte. Als ich aber anfing, uͤberhaupt unvortheilhaft von ihrer heiligen Grille zu sprechen, so sank ich bey ihnen sehr, und sie wurden viel zuruͤckhaltender. Das war mir auch nicht sehr unangenehm: denn nun durfte ich ihre langen Predigten von der Religionsvereinigung, und der Katholisation der Christenheit nicht mehr so anhoͤren, als zuvor. Das Regiment von Thadden hatte noch immer bessere Winterquartiere, als die meisten andern. Zu Wickert , Wallau , Delkenheim , Mos - bach , Wisbaden und an allen Orten von Hochheim bis nach Hoͤchst war alles so stark uͤber- legt, daß in einem Hause oft 20, 30 und mehrere Mann Quartier hatten. Unser Dienst war indeß sehr geringe, wenn man die laͤstigen Commandos, die nach Hochheim gegeben wurden, und die ich selbst viermal mitgemacht habe, davon ausnimmt. Bey diesen Umstaͤnden erholten sich unsre Soldaten auch nach und nach und gelangten wieder zu ihrer ehemaligen Munterkeit. Die Buͤrger zu Halle, durch Privatbriefe, welche in unzaͤhlbarer Menge, wegen der Postfreyheit, dahin geschrieben wurden, von dem Elende und dem Mangel der Soldaten unterrichtet, ließen sich durch eine Gutmuͤthigkeit von besonderer Art — be- wegen, dem Regimente von Thadden , welches schon seit 1665, also schon uͤber 122 Jahre, in ihrer Stadt in Garnison gelegen hatte, ein Praͤsent von Branntwein, Speck und Tobak zu schicken. Der Wille an sich war gut und loͤblich; nicht so das Werk: denn der Branntwein war verdorben, weil er in unreine Gefaͤße gefuͤllt war, und der Tobak war scheußlich: der Speck aber war zu genießen. Besser haͤtten die Hallenser immer gethan, wenn sie den Soldaten das zusammengebrachte Geld ge- schickt haͤtten. Wenigstens waͤren dann weder sie, noch wir geprellt worden; und an Fuhrlohn haͤtte man vieles erspart. Ein lustiger Bruder machte auf dieses Geschenk ein Gedicht in Knittelversen, welches sogar gedruckt wurde. Es war aber ein sehr massives Ding, wel- ches unter der Aufschrift: Danksagung der Soldaten vom Thaddischen Regiment an die hallischen Philister — lauter Sar- kasmen auf die Hallenser enthielt. Ich wuͤrde mich schaͤmen, hier auch nur eine Strophe davon anzu- fuͤhren. Es kam bald nach Halle, und erregte, als etwas ganz Unerwartetes, nicht wenig Auf- sehen. Ein gewisser Mann in Halle verfiel auf mich, und gab meine Wenigkeit in einer Klage an unsern General geradezu als Verfasser an. Ich weiß nicht, was den guten Mann berechtigt haben mag, sich als Sprecher fuͤr Halle aufzuwerfen! — Allein da man bey den Soldaten eben nicht gewohnt ist, einer solchen Sache wegen, Untersuchung an- zustellen, so wurde die Klage hingelegt, und blieb ohne alle Ruͤcksicht. Die Hallenser haben es indeß recht gut gemeynt, und dieser guten Meynung we- gen gebuͤhrt ihnen aller Dank der Soldaten, und auch der meinige: denn auch ich habe Antheil an ihren Gaben gehabt. Ich erklaͤre ihnen daher, daß ich das Pasquill — denn das ist es allemal — nicht gemacht habe, und das mag ihnen genug seyn. Erst auch in Vilbel konnte ich wieder einmal an meinen redlichen Bispink schreiben. Seit unsers Einmarsches in Frankreich war mir auch diese, mir sonst so angenehme, Beschaͤftigung, ihm und einigen andern erprobten Freunden, welche sich aber jezt leider auf sehr wenige beschraͤnken, von meinen Umstaͤnden Nachricht zu geben, gaͤnzlich vergangen. Hr. Bispink antwortete mir bald wie- der, schickte mir auch wieder Geld, Kleidungs- stuͤcke und Waͤsche. Ich habe seit dieser Epoche bis auf meinen Uebergang nach Frankreich sehr oft an diesen Braven geschrieben, und hatte keine an- genehmere Beschaͤftigung, als seine Briefe zu le- sen, und einige fuͤr ihn aufzusetzen. Er unterhielt mich mit Nachrichten uͤber die gelehrte Welt, theilte mir manche Gedanken- und Trostreiche Stelle aus aͤltern und neuern Schriftstellern mit, und ließ es an guten und bruͤderlichen Winken selten erman- geln. Sechs und zwanzigstes Kapitel. Fortsetzung des vorigen . D ie Luͤgen uͤber unsre und der Franzosen Lage wurden so allgemein bey uns, daß man alle Tage widersprechende Nachrichten hoͤrte, welche von kurzsichtigen muͤßigen Koͤpfen erfunden, und von andern eben so verschraubten Maͤhrchenbruͤtern ver- breitet, und geglaubt wurden. Ich widersezte mich immer, so viel an mir war, diesen elenden Erdich- tungen, und suchte meinen Bekannten nach meiner Einsicht, wahrere und gruͤndlichere Vorstellungen von den verschiednen Verhaͤltnissen beyzubringen, welche ich damals zwischen uns und den Franzosen bemerkte. Da ich bey diesen Gelegenheiten man- ches Wort zu Gunsten der Neufranken, ihrer Kon- stitution und des Muthes ihrer Soldaten fallen ließ, so wurde ich auch jezt wieder allgemein Patriot ge- nannt, und fuͤr einen Anhaͤnger der Franzosen aus- geschrieen. Aber, wie ich schon oben sagte, meine Vorgesezten, besonders der Hr. Major von Wedel und der Hr. Hauptmann von Mandelsloh wa- ren einsichtige, brave Maͤnner, welche selbst ein- sahen, daß unsre Lage so gut eben nicht, und die der Franzosen bey weitem nicht so schlimm war, als man sie in den Zeitungen ausschrie. Sie ermahn- ten mich daher, nur behutsamer im Reden zu seyn, und jedesmal zu untersuchen, mit wem ich zu schaf- fen haͤtte. Dieser Rath war klug, und ich habe ihn auch meistens befolgt; aber dann und wann riß mich das Feuer der Dispuͤte, und meine Ueberzeu- gung dennoch so hin, daß ich sogar in Wirthshaͤu- sern oͤffentlich die Parthey der Franzosen nahm: doch habe ich meiner Freymuͤthigkeit wegen bey den Preußen eben keine unangenehme Folgen empfun- den. Die preußischen Offiziere, ich wiederhole es, haben uͤberhaupt mehr Einsicht und Freymuͤthigkeit, als die der anderen Truppen. Ich kenne deren viele, und besonders habe ich den jungen Grafen von Herzberg auf diesem Feldzuge kennen lernen, welcher damals (1792) noch Generaladjutant bey dem Regiment von Schoͤnfeld war. Es giebt wohl wenig junge Maͤnner, welche mit so vieler Einsicht und wirklich gelehrten Kenntnissen, einen so liebenswuͤrdigen Karakter verbinden, als dieser. Er ist ein großer Kenner der Geschichte in ihrem ganzen Umfange, aus welcher er sehr treffende praktische Schluͤsse auf die neuen Begebenheiten zu ziehen weiß. Mit innigstem Vergnuͤgen hoͤrte ich ihn die ehemaligen republikanischen Vorfaͤlle in Griechenland, Rom, der Schweiz, Holland und Amerika mit den neuen Auftritten der fraͤnkischen Revolution vergleichen, diese vollstaͤndig aus jenen erklaͤren, und richtige Prognostika fuͤr die Zukunft aufstellen. Außer der Geschichte und der Mathe- mathik, welche sein Lieblingsstudium ist, hat sich der Herr Graf auch in den alten und neuen Spra- chen und in der schoͤnen Litteratur umgesehen; aber sein edler Karakter, sein aͤußerst humanes, libe- rales Wesen und seine Theilnahme an allen Schick- salen seiner Bruͤder macht, daß man in ihm — nicht den geschickten Offizier, sondern den wuͤrdigen guten Menschen sieht, liebt und verehrt. In Ge- sellschaft und im Gespraͤche mit diesem biedern deut- schen Manne vergaß ich mehr als einmal auf den beschwerlichsten Maͤrschen von Koblenz nach Frank- furt, daß es mir uͤbel gieng. Unter anderm Troß, welcher, um etwas zu verdienen, der Armee nachgezogen war, befand sich auch eine Bande Marionettenspieler, welche dort herum den hohen und niedern Poͤbel mit Fra- tzen amuͤsirte. Das Meisterstuͤck dieser Bande, deren Director der Sohn des ehemaligen Maynzi- schen Hofraths Schott war, war eine Farce, betitelt: der betrogne Cuͤstinus (Cuͤstine). In diesem Dinge beging Cuͤstine mit seinem Be- dienten, dem Hanswurst, allerhand Graͤuel! Da sah man Morden, Brennen, Sengen, Nothzuͤch- ten, schwangern Weibern den Bauch aufschneiden u. s. f. Hierauf erschien ihm ein Engel, und er- mahnte ihn, Buße zu thun, und den Rosenkranz zu beten: Cuͤstine aber laͤßt den Engel zur Thuͤre hinausschmeißen: eben dieses wiederfaͤhrt dem Tode. Endlich kommt der Teufel , macht burr, burr, und zerreißt den Cuͤstine in tausend Fetzen. Dieses elende Zeug, und mehreres von derselben Art, dessen Gegenstand aber allemal die Franzosen wa- ren, wurde in Frankfurt, Hoͤchst, Roͤdelheim und an andern Orten haͤufig gespielt, und von Herren und Damen, von Mamsellen und Huren beklatscht und belacht, bis endlich einige Herren Generale, worunter auch Hr. von Thadden war, das Unanstaͤndige dieser oͤffentlichen Beschimpfung eines feindlichen Generals und seiner Nation fuͤhl- ten, und den Spaß verboten. Die Marionetten- spieler ließen nun den Cuͤstinus, und legten sich aufs Zotenreißen, welches ihnen nicht minder ein- brachte. Seitdem wir Koblenz und Verdun verlassen, zum erstenmal verlassen hatten, hatten unsre Leute, so wie unsre Offiziere, sich um das liebe Frauen- zimmer wenig bekuͤmmern koͤnnen, aber jezt, nach- dem sie sich nach und nach erholt hatten, regte sich auch das Geschlechts-Beduͤrfniß wieder bey ihnen, und dazu fanden sie in und um Frankfurt Nahrung genug. Dem Hochweisen Magistrate dieser Reichs- stadt muß man es zwar nachruͤhmen, daß er die Hurerey unter dem Schutz der Gesetze nicht so er- laubt, wie z. B. Berlin, wo noch 1792 eine Ver- ordnung, die Lohnhuren betreffend, herauskam: aber demohnerachtet hat es in Frankfurt an feilen Schwestern niemals gefehlt. Seit der Emigran- tenzeit war auch dort in der ganzen Gegend das Sittenverderben sehr eingerisseu und das Frauen- zimmer, welches ohnehin in den Rheingegenden fuͤrchterlich verliebt ist, hatte nun alle Schaam und Scheu abgelegt, und war fuͤr jeden. Frankfurt war besonders der Sammelplatz feiler Menscher von hohem Kaliber und niedrer Ordnung, wie man sie haben wollte, von sechs Kreuzern an bis zu sechs Thalern Rheinisch. Auf den Doͤrfern liefen auch Nymphchen dieser Art in Menge herum, welche meist aus dem Darmstaͤdtischen hinkamen: selbst Baurenweiber und Baurenmaͤdel machten sich kein groß Gewissen daraus, einem luͤsternen Kerl aus der Noth zu helfen. Aus diesem liederlichen Wesen entstanden nun haͤufige veuerische Krankheiten, welche bisher lange unbekannt bey uns gewesen waren, und gaben den Feldscheeren, welche sich seither nur mit der Ruhr und dem Durchfall beschaͤftiget hatten, neue Arbeit. Bey keinem Stande ist das Spruͤchwort: ein ander Staͤdtchen, ein ander Maͤdchen, mehr wahr, als bey den Soldaten: wo nnr 100 Mann vier Tage liegen, giebt es gewiß schon 25 Soldaten- schaͤtzchen, freilich lauter leichte, verdorbne Waare, aber doch auch mitunter solche, welche wohl auf etwas Besseres, als auf einen Kerl in der Uniform, haͤtten Anspruch machen koͤnnen. In den Rhein- gegenden hatten die Emigranten, und nach ihnen die Patrioten, das schoͤne Geschlecht schon vorbe- reitet und zugestuzt, und so war es unsern Leuten gar leicht, Liebschaft anzuzetteln, wo sie nur woll- ten. Die Herren Hauptleute sehen dergleichen un- gern: denn es hindert gewoͤhnlich die Desertion, wenn es auch nicht dieselbe gleich zuweilen befoͤr- dert, indem Bursche und Liebchen mit einander ab- fahren. Bey den Preußen ist das indeß der Fall nicht so oft, wie bey den Oestreichern: denn bey diesen haͤlt das Heurathen haͤrter. Daher laufen auch weit mehr Oestreicher mit ihren Liebchen von dannen, als Preußen. In den Ordonanzhaͤusern kann man den Beweis davon augenscheinlich finden. Aber warum sollte der Soldat sich nicht auch einen Zeitvertreib mit dem Frauenzimmer ma- chen, da er große Herren es nicht besser machen sieht, sogar ganz große Herren! In Frankfurt laufen noch auf die Stunde Histoͤrchen von allerley Art herum, worunter auch einige nicht sehr erbau- liche sind, besonders die von einer gewissen reichen und schoͤnen Mamsell, welche aus bloßer Eitelkeit — denn weder Liebe noch Eigennutz konnte sie be- wogen haben, die traurigen Reste einer ruͤstigen Konstitution zu genießen — also aus bloßer Eitel- keit einem jungen, reichen und schoͤnen Liebhaber, mit dem sie versprochen war, und von dem sie aufs zaͤrtlichste geliebt wurde, Hoͤrner aufsezte. Ob man alle Frauenzimmer durch Wollust verfuͤhren koͤnne, weiß ich nicht: daß aber alle der Eitelkeit und dem Eigennutz weichen, davon belehrt uns, au- ßer der alten und neuen Geschichte, die taͤgliche Erfahrung. — Daß die verliebten Spaͤße unsern Herren die Beutel derb geleert haben, versteht sich von selbst. Den Schoͤnen zu gefallen, mußten Baͤlle gegeben und andre Lustigkeiten angestellt werden; und da- mals durfte kein Hr. Offizier, wie zu Halle, mit 12 gl. zu Balle kommen: das Ding kostete un- gleich mehr. Wer uͤberhaupt dort herum brilliren wollte, mußte schwer Geld haben. Die Herren Regimentsquartiermeister muͤssen oͤfters den Offizieren aushelfen, wenn die Kasse leer ist. Der koͤnigliche Befehl will freylich, daß sie keinem Offizier etwas vorausgeben, und wenn sie es thun, sie sich hernach nicht an den Gehalt des Offiziers halten sollen. Dennoch koͤnnen die Herren Regimentsquartiermeister ihren Regiments- Offizieren allemal, ohne Gefahr angefuͤhrt zu wer- den, Geld vorstrecken. Freylich muͤssen sie ihre Leute kennen: denn mancher Offizier wuͤrde sich des koͤniglichen Privilegiums bedienen, einige Wo- chen in Arrest gehen, und den Quartiermeister prel- len. Aber ein ehrliebender Offizier thut so was nicht, und der Quartiermeister ist seiner Zahlung wegen in Sicherheit. Da aber doch die Sache immer gefotzwidrig ist, so wissen die Herren sich auc h gegen die Gefahr der Verantwortung dadurch zu sichern, daß sie sehr starken Abzug machen, so oft sie Geld verschießen: denn eigentliche Interesse moͤgen sie doch nicht fodern. Ein Offizier wurde von Hn. Ruff zu Hoͤchst zu einem Ball nach Frankfurt eingeladen. Der Offizier hatte nicht so viel Geld, als hiezu erfo- dert wurde, er schickte also seinen Bedienten zum Regimentsquartiermeister, welcher zwey Stunden davon war. Er hatte ihm eine Quittung auf 20 Thaler mitgegeben, und der Bediente brachte ihm 3 Fridrichsd'Or, oder damals 17 Thlr. 6 gl. Ich war eben in der Schnallenfabrike, wo Hr. Ruff Factor ist, als der Bediente zuruͤckkam. „Nun das geht noch, sagte der Offizier, heute zieht mir der Quartiermeister doch nur 2 Thlr. 18 gl. an 20 ab: neulich hat er mir, hols der Teufel, 4 Thlr. an 20 abgezogen.“ Es versteht sich, daß durch diese Oekonomie die oͤkonomischen Umstaͤnde mancher Offiziere sich merk- lich verschlimmern, die der Quartiermeister sich aber sehr bessern. Wenn daher leztere einmal eine Schlappe bekommen, so bedaurt sie keine Seele. — Da ich in jener Gegend vorzeiten sehr bekannt gewesen war, so kamen viele Leute zu mir, und unter diesen manche, welche blos die Neugierde an- trieb, einen Menschen zu sehen, welcher bisher die Rolle eines Aventuͤriers gespielt hatte, und diese Rolle vielleicht noch laͤnger und bedeutender in Zu- kunft spielen wuͤrde. Daß mir diese Besuche alle- mal hoͤchst unangenehm waren, wissen die, welche mich kennen. Von meinen neuen Bekanntschaften, die ich waͤhrend meines Aufenthalts zu Ried machte, war mir keine lieber, als die mit Hn. Ruff , Factor der beruͤhmten Schnallenfabrik zu Hoͤchst: ein junger einsichtsvoller Mann, der mir sehr viel angenehme Stunden gemacht hat. Er hat mir auch einen Vorschlag gethan, der vielleicht zu mei- nem Gluͤck haͤtte ausschlagen koͤnnen, aber ich traute meinen Kraͤften zu wenig, als daß ich ihm haͤtte folgen moͤgen. Dem Herrn Amtmann Keil von Roͤdelheim, dem Hn. R. Rath Buff , dem Bruder der durch den Tod des armen Werthers so beruͤhmten Lotte Madam Charlotte Wilhelmine Kaͤstner , gebohrne Buff in Wetzlar. und dem Hn. Jung , Pfarrer zu Praun- heim, danke ich hier nochmals oͤffentlich fuͤr die Freundschaft, die sie mir, ihrem alten Universitaͤts- kumpan, erwiesen haben. Ich hatte sie in Gießen und Halle sehr genau gekannt, und freue mich, daß es ihnen wohl geht. Wer besonders eine Frau hat, wie Hr. Keil , kann sich Gluͤck wuͤnschen. Sieben und zwanzigstes Kapitel. Fortsetzung des vorigen . D ie Hinrichtung des armen Ludwigs XVI ver- breitete, sobald sie bekannt wurde, und das wurde sie sehr bald, in der ganzen Armee anfaͤnglich Schreck und Unwillen gegen ein Volk, welches so- gar seinen Koͤnig haͤtte hinrichten koͤnnen. Nun, hieß es, kann es den Franzosen nicht mehr gut ge- hen, nun muß Gottes Zorn und Rache sie verfol- gen: man wird das bald genug sehen! — In allen Gesellschaften, in allen Wirthshaͤusern und Schen- ken wurde von nichts gesprochen, als von der ab- scheulichen Hinrichtung des armen Koͤnigs von Frankreich. Aber jemehr man von dieser unge- woͤhnten Trauerscene sprach, jemehr man das Grau- sende derselben ruminirte, desto mehr verschwand das Graͤßliche derselben, und die ruhige Untersu- chung daruͤber folgte auf die Deklamationen. Viele meynten, die Franzosen muͤßten doch wohl Ursache gehabt haben, so was vorzunehmen: es muͤßten doch auch gescheide und gewissenhafte Leute in Paris seyn. — Waͤhrend dieser Epoche war ich einst im Schwan, einem Gasthofe zu Hoͤchst, mit Herrn Ruff . Das Gespraͤch kam von Ludwig XVI. auf die je hinge- richteten Koͤnige. Ich sprach, daß ihrer nur drey bekannt waͤren, welche durch das Gesetz seyen hin- gerichtet worden: Agis von Lacedaͤmon, Carl I. von Großbritannien und Ludwig XVI von Frank- reich. Tausend Monarchen seyen zwar ermordet worden nach dem bekannten Spruch des Juve - nalis : Ad generum Cereris sine caede et sanguine pauci Descendunt reges, et sicca morte tyranni; Sat. X. Dritter Theil. U mir sey aber doch kein Exempel von gesetzlich hingerichteten Koͤnigen weiter bekannt, als von den drey angegebnen. Was den Lacedaͤmonier be- langt, fuhr ich fort, so war der ein Unterthan der Gesetze, und folglich auch der Poͤnalverordnungen. Seine Hinrichtung war zwar hoͤchst ungerecht, denn Agis war unschuldig, aber es war doch keine Frage in jener Republik: ob man den Vorsteher derselben, welchem man sehr uneigentlich den Namen Koͤnig gab, hinrichten koͤnnte, sobald er nach den Gesetzen des Todes schuldig waͤre erkannt worden. Zu Lacedaͤmon wurde Agis durch ein altes Gesetz verurtheilt, und nicht durch eine Ver- ordnung, welche erst bey einer Volksrevolution waͤre gemacht worden. Koͤnig Carl I. in England, wurde zwar un- ter gerichtlicher Form getoͤdtet, aber die, welche sich uͤber ihn zu sprechen erkuͤhnten, waren nicht die englische Nation: es waren die Anhaͤnger des Cromwels , und seiner Parthey. Die Nation hatte diese Faction nicht als eine Vertreterinn ihrer Rechte aufgestellt, folglich konnte dieselbe auch nicht das Todesurtheil uͤber Carl I. sprechen; ihr Spruch war folglich ungerecht; und so schul- dig dieser Prinz auch seyn mogte, so war seine Ermordung eine grausame Ungerechtigkeit, und ein schroͤcklicher Eingriff in die Rechte des englischen Volkes. Aber mit Ludwig XVI, fuhr ich weiter fort, scheint mir das Ding ein ganz anderes Be- wandniß zu haben. Der Nationalkonvent oder die Nationalversammlung vertrat wirklich die ganze Nation, und hatte folglich das Recht, Gesetze zu machen, ohne jemand, selbst den Koͤnig nicht ausgenommen, um Rath zu fragen. Dieses Ge- setz, daß das Volk, durch die Nationalversamm- lung repraͤsentirt, eine Aenderung in der Regie- rungsform machen koͤnnte, hatte selbst der Koͤnig angenommen und sanktionirt. Von nun an war also die Suveraͤnitaͤt des Koͤnigs aufgehoben d. i. er wurde dem Gesetz, oder allen aus dem Rechte der Natur und der Menschheit hergeleiteten und herzuleitenden unmittelbaren Regeln des oͤffent- lichen Guvernements unterworfen. Ludwig XVI. war also damals, was eigent- lich jeder wahre Koͤnig nur seyn sollte, gesetzlicher Verwalter der Nationalkraft nach dem National- willen, oder nach den Gesetzen, welche die Nation selbst entworfen und gutgeheißen hatte. Verwal- tete er nun sein Ober-Staatsamt nach dem allge- meinen Staatswillen, so that er seine Pflicht, und war des Gehorsams, der Ehre und seiner Besol- dung bey der franzoͤsischen Nation sicher und werth: denn erfuͤllte er den National-Contrakt und war das, was er nach demselben der Nation zu seyn, feyerlich geschworen hatte. Handelte er aber dawider, besoldete er nach der Civilliste, wie man ihn beschuldiget, die rebellischen Emigrirten, und war er mit den Feinden der Nation gegen die Na- tion sogar einverstanden: — so war er der erste, der den National-Contract brach, der sich selbst sei- ner Vorzuͤge nach demselben, verlustig machte, der als der aͤrgste Meineidige und Hochverraͤther an der Nation dieser fuͤr seine gesetzwidrige Hand- lungen verantwortlich blieb; der also den Natio- nal-Repraͤsentanten es zur Pflicht machte, ihn vor ihr Gericht zu ziehen, die Nation vor ihm zu sichern, seine Handlungen zu untersuchen und seine Vergehungen, nach dem Nationalwillen, zu be- strafen. Ich weiß zwar recht wohl, sezte ich hinzu, daß 1789 ein Gesetz in Frankreich gemacht ist, nach welchem der Koͤnig unverletzbar seyn sollte: allein dieses Gesetz koͤnnte allemal, wie jedes andere, ge- aͤndert und abgeschafft werden, sobald die Nation, als die eigentliche und rechtmaͤßige Gesetzgeberin, einsah, daß es dem oͤffentlichen oder allgemeinen Wohl zuwider war. Hieraus ergiebt sich nun von selbst, daß Ludwig XVI. vor das Gericht des Nationalkonvents gehoͤrte, und die einzige Frage waͤre noch aufzuloͤsen: ob er wirklich Staatsver- brechen begangen habe, welche den Tod verdienten, um auch seine Hinrichtung vollkommen zu recht- fertigen. Ich will dem armen Ludwig keine Ver- brechen Schuld geben, denn ich habe die Akten seines Prozesses nicht gelesen Man wolle es nicht aus der Acht lassen, daß ich dieß im Winter 1793 vortrug: folglich von dem noch nicht Gebrauch machen konnte, was ich nachher in Frankreich uͤber Ludwig XVI. erfuhr. : aber behaupten muß ich, daß der Konvent das forum competens war, wovon er gerichtet werden mußte; und da dieser die Nation vertrat: so wissen die, welche von einer Appellation an das Volk reden, nicht recht, was sie wollen. Ueberhaupt: ob ein Volk seinen Souverain rich- ten koͤnne, fuͤgte ich zum Schluß hinzu, scheint sogar zu den despotischen Zeiten der roͤmischen Kai- ser kein Problem gewesen zu seyn. Der roͤmische Senat, oder die Repraͤsentanten des roͤmischen Volkes erklaͤrten den Claudius Nero fuͤr einen Feind des Vaterlands und bestimmten ihn zum Tode. Nero entgieng der gesetzlichen Hinrichtung durch eine Entleibung. Man sehe den Suero - ius uͤber Nero . Vespasianus , Nero's Nachfolger, billigte dieses Verfahren des roͤmischen Senats, welches sein Sohn Domitianus bey- nahe selbst erfahren haͤtte. Die Deutschen haben Karl , den Dicken , abgesezt, und kein Kluger hat es misbilliget. Die Daͤnen foderten von ihrem Christiern dem Zweyten Rechenschaft, und sezten ihn ab. — Kurz, die Geschichte, wie der gesunde Menschenverstand lehrt, daß bey jeder wohl und rechtmaͤßig eingerichteten Menschenregierung der Regent seinen Untergebnen verantwortlich blei- ben muß, indem es wider die Pflicht eines jeden und aller seyn wuͤrde, sich unbedingt und wider das natuͤrliche Recht zur Freyheit jemanden zur will- kuͤhrlichen Behandlung ohne alle Ruͤcksprache zu unterwerfen So sprach ich damals, und daß ich recht gesprochen habe, lehrt jezt auch der Antimachiavel , oder uͤber die Graͤnzen des buͤrgerlichen Gehorsams , von Pro- fessor Jakob , (Halle in der Renaerschen Buchhandlung, zweyte Aufl. 1796.) nebst dessen Auszug aus Sidneys Be - trachtungen uͤber die Regierungsformen — (Erfurt, bey Bollmer, 1795.) . Ich ließ mich damals noch weitlaͤufiger uͤber diese wichtige und zu der Zeit sehr interessante Materie aus. Ein Offizier von der Kavallerie, ein Ritt- meister, saß in einiger Entfernung von mir und schien eben auf meine Reden nicht sehr zu merken. Einige Tage hernach kam ein Reuter und bat mich, zu seinem Herrn nach Roͤdelheim zu kommen. Hier fand ich meinen Rittmeister, den ich nicht nennen will, um ihn nicht in den Verdacht der Jakobinerey zu bringen, nebst noch einigen andern Offizieren. Diesen Herren mußte ich mein ganzes System, so wie ich mir es damals geformt hatte, weitlaͤufig bey einem Glase Rheinwein erklaͤren. Sie schie- nen mit meiner Behauptung und Auseinandersetzung zufrieden, nur warnten sie mich, behutsam damit zu seyn: denn von preußischer Seite, meynten sie, muͤsse man sich wenigstens noch immer stellen, als wenn man schrecklich boͤse auf die Buben waͤre, welche ihren Koͤnig hingerichtet haͤtten u. s. w. — Unsere Armee hatte, wie ich schon gesagt habe, an allem entsetzlichen Verlust gelitten, besonders an Mannschaft. Der Verfasser der Briefe uͤber unsern Feldzug berechnet den Verlust eines einzigen Regiments (Packt 4. S. 136 ff.) und giebt ihn vom 14ten Jul 1792 bis den 1 ten Maͤrz 1793 auf 369 Todte an. Dieses Regiment hatte aber, wie ich weiß, unter allen beynahe noch am wenigsten gelitten. Geht man nun die ganze preußische Ar- mee gegen die Neufranken durch, so kann man sich ohngefaͤhr einen Begriff von dem ungeheuren Ver- luste machen, welchen diese Armee innerhalb zehn Monaten gelitten hat. Man mußte daher schlechterdings die Regimen- ter wieder suchen vollzaͤhlig zu machen, und dazu wurden die jungen Leute von den Depots genom- men. Diese Depots sind, so zu sagen, die Pflanz- schulen der Regimenter, und dienen zugleich zum Unterbringen der Soldaten, welche nicht mehr die- nen koͤnnen. Diese Einrichtung war vor der Re- gierung des jetzigen Koͤnigs unbekannt, und hat so- wohl ihre Vortheile, als ihre Nachtheile. Die Depots reichten nicht hin, den Regimen- tern alle abgegangne Mannschaft zu verschaffen, doch aber ersezten sie den Abgang ziemlich. Bey- her ist es aber auch unbeschreiblich, welch schlech- tes Zeug von den Depots zu den Regimentern ge- schickt wurde. Daß man im Kriege annimmt, was man haben kann, ist eine alte bekannte Sache. Diese Leute werden dann bey den Depots gar nicht so gezogen, wie es eigentlich der Dienst erfodert: sie exerziren schlecht, und sind an Disciplin wenig gewoͤhnt. Kommen sie nun zu den Regimentern, so wollen sie das Depotswesen fortsetzen, und da man das nicht zugeben kann und sie schaͤrfer haͤlt, so reissen sie aus, und laufen dahin. Recht eifrig sorgte unser Koͤnig fuͤr anstaͤndige Kleidung des Heeres, und fuͤr Wiederanschaffung aller verdorbiter und zu Grunde gegangner Geraͤth- schafren. Auch wurden die Pferde wieder ersezt, welche theils auf dem Feldzuge geblieben, theils den Winter uͤber so zahlreich nachkrepirt waren. Schade war es fuͤr unsere Leute, daß die neue Montur gerade erst den Tag vor dem Abmarsch ausgegeben wurde: denn die alte konnte man doch nicht mitnehmen, und zum vortheilhaften Anbrin- gen war keine Zeit mehr: man mußte sie also an die Juden verkaufen, wie man nur konnte. Als unsre Leute wieder gekleidet, und mit ihrem Zubehoͤr hinlaͤnglich versehen waren, so schien es, daß sie wieder neuen Muth bekommen hatten. Nun sind wir gekleidet, hieß es, jezt koͤnnen wir die Franzosen nur wieder angreifen. Aber die Kluͤgern unter uns meynten, daß die neuen Roͤcke auch wie- der alt werden wuͤrden, und daß man die Gewehre wohl abermals von sich werfen koͤnnte. Das Ende eben des Jahres 1793 hat diese traurige Weißagung wahr gemacht. Man vergebe mir, wenn ich hier der Regen- deckel erwaͤhne! Man hat bey der Armee Maschi- nen von Leder, womit man die Schloͤsser an den Gewehren bey schlechtem Wetter bedecken, und doch schießen kann. Sie sind eine Erfindung eines preußischen Offiziers, womit sich dieser bey dem verstorbenen Koͤnige sehr beliebt gemacht haben soll. Aber diese Maschinen haben so viel Unbequemes, daß man sich derselben bisher noch nicht bedient hat, auch wahrscheinlich niemals bedienen wird; und doch mußten dieses Jahr uͤberall neue gegeben wer- den, weil die alten alle zerbrochen oder verlohren waren. Das hat sehr viel Geld gekostet und doch — nichts geholfen. Der Bursche, welcher der- gleichen unnuͤtzes Geraͤthe mit herumschleppen muß, ist nur geplagt, und es waͤre, selbst nach dem Ge- staͤndniß aller Offiziere, besser, diese Dinge gar nicht mehr zu haben. Ich muß meine Leser um Verzeihung bitten, daß ich von unsern Winterquartieren so viel und doch so wenig vollstaͤndig erzaͤhlt habe: Ich weiß das alles recht gut selbst: weiß, was ich ausließ, weis auch, was ich noch mehr haͤtte auslassen koͤn- nen. Da ich aber kein Zeitungsschreiber bin, so liegt mir die Pflicht der Vollstaͤndigkeit nicht ob, und als mein eigner Memorist habe ich die Wahl, welche Begebenheit ich der Erzaͤhlung werth halte, und welche nicht. Es ist hier gar vieles relativ. — Ich hatte diesen Winter uͤber keine Noth gelit- ten: einmal hatte ich durch die Großmuth des Her- zogs Friedrich von Braunschweig doppeltes Traktament, und dann hatte Hr. Bispink mich reichlich mit Gelde versehen, wobey er, weil die Post in Halle kein baares Geld zur Armee annahm, eben so viel Muͤhe, als Kosten gehabt hat. Der Leser wird noch in der Folge sehen, daß ich auf der ganzen Erde niemandes Schuldner mehr bin, als dieses rechtschaffnen Mannes. Mein bester Zeitvertreib diesen Winter uͤber, in der immer gut geheizten Stube meines Wirthes, war Lesen und Schreiben: lezteres bestand in aller- hand Aufsaͤtzen, welche ich an meinen rechtschaff- nen Bispink schickte, und welche er unter den Materialien seiner eignen Lebensgeschichte, nebst den Bahrdtianis , unter der Ueberschrift: Laucar- diana noch aufhebt. Es ist eine herzerquickende Sache, etwas aufs Papier zu setzen, was ein uns theurer abwesender Freund lesen wird; und ein noch groͤßeres Vergnuͤgen ist es, es dereinst, nach uͤberstandenen tausend Gefahren, selbst wieder zu lesen. — Fuͤr meine Leserey sorgte Hr. Factor Ruff : er gab mir Buͤcher, so gut er sie hatte — und er hatte recht gute —. Auch borgte er fuͤr mich einige, welche er nicht hatte, z. B. David Hume 's Geschichte von England . Die- ses kostbare Werk habe ich den Winter uͤber fleißig gelesen, und nicht wenig gescheides daraus gelernet. Darf ich hier eine Anmerkung machen, Leser, uͤber das Lernen aus der Geschichte? Man arbeitet heut zu Tage an historischen Sy- stemen, und unter andern an einem, welches von dem Gedanken ausgeht: daß das Menschenge- schlecht immer und immer in seiner Kultur und Verbesserung vorwaͤrts schreite, u. s. w. Die- ses hat besonders der franzoͤsische Buͤrger Coudor - cet zu behaupten und zu beweisen gesucht, und nach Kants Idee unter den Deutschen zu gleicher Zeit Hr. Poͤlitz . Herzerhebend sind freylich solche Ver- suche immer; aber wohl leicht auch mehr idealisch, als historisch wahr. Durch sie wird die Geschichte weiter nichts als eine Darstellung des minder kultivirten Menschen- geschlechts; und je weiter man in derselben zuruͤck- geht, desto gothischer erscheint dieses. Es findet folglich keine andre Vergleichung der aͤltern Zeiten mit den neuern Statt, als die, welche sich von dem Geringern zum Groͤßern machen laͤßt. Es fallen folglich alle analogischen Schluͤsse weg, welche man von den alten Begebenheiten auf das machen kann, was unter unsern Augen vorgeht: denn wir sind mehr kultivirt, als man sonst war, haben mehr Gewandheit der Kraͤfte u. s. w. Allein eben die analogischen Schluͤsse von alten Begebenheiten auf neuere sind die Philosophie der Geschichte, die wahre aͤchte historische Weisheit, und ohne sie ist die Ge- schichte ein bloßer Zeitvertreib, und dient dem Ken- ner blos zu kritischen Untersuchungen. Dieses scheint mir aus dem System des Condorcet und des Hn. Poͤlitz zu folgen: es macht die Geschichte und ihr genaueres Studium uͤberfluͤßig, und zwingt den Geschichtsschreiber, nur fuͤr das Vergnuͤgen sei- ner Leser zu sorgen. Kurz, die Begebenheiten wer- den einer allgemeinen Idee nachgemodelt, und er- halten eine waͤchserne Nase. — Die Geschichte beweiset uͤberdieß den ewigen Zirkel der Dinge. Kultur und Barbarey folgen aufeinander wechselsweise, zum Beweise des gro- ßen Satzes: daß nichts neues geschehe unter der Sonne! Daher ist sie auch die ergiebigste Quelle aller moralischen und politischen Bemerkungen, und der rechte magische Spiegel, woraus der den- kende Kopf weissagen kann fuͤr die Zukunft. Doch wo gerathe ich hin! Ich will meine Begebenheiten erzaͤhlen, und schweife in Behauptungen aus, die mir die Ungnade der Herren Recensenten, welche sich nun einmal fuͤr gedachte Systeme erklaͤrt haben, nothwendig zuziehen muͤssen. Acht und zwanzigstes Kapitel. Unser Zug uͤber den Rhein . D en 21ten Maͤrz brachen wir endlich auf, und marschirten abwaͤrts, um den Rhein bey Caub zu passiren. In Wisbaden, wo wir Rasttag hielten, lernte ich den Hn. R. Rath Neidhardt kennen, einen trefflichen Mann, und gelehrten Philologen, welcher sich mehr mit der griechischen und roͤmi- schen Litteratur, als mit der Juristerey abgiebt, und doch im Rufe eines großen Rechtsgelehrten steht, weil er die kauderwaͤlschen Gesetze des dort noch immer geltenden justinianischen Gesetzbuchs oder Gesetzkompilation, nach Vernunft und Billig- keit anzuwenden weiß. Dieser brave Mann hat mir einen recht guten Tag gemacht. Von Wisbaden bis Caub muß man eine Strecke von Hessenland durchwandern, wo auch das Elend des Landmannes allen Glauben uͤbersteigt, und wo die Leute an nichts genug haben, als — an Holz. Hr. von Goͤchhausen weiß in seinen Wanderungen Meine Wanderungen durch die Rhein- und Mayngegenden im Februar, 1794. S. 57. ff. und sonst hin und wieder, gar vieles von der Liebe der Hessen gegen ihren Landgrafen aufzutischen: Aber das ist mit der gnaͤdigen Erlaubniß des Herrn Exleutnants auch nicht von ferne wahr. Die Hessen dort, wo ich war, klagten einhellig alle uͤber Bedruͤckungen und insbesondere uͤber das uͤbertriebne Soldaten- wesen; und wenn man je in einem Lande uͤber den Landesfuͤrsten frey raͤsonniren kann, ohne von Buͤr- ger oder Bauer beeintraͤchtigt zu werden — Ein hessischer Amtmann handelt freylich nach dem: manus manum fricat! — so ist es in Hessenland. Hr. von Goͤchhausen haben wahrscheinlich den hessischen Buͤrger S. 62., der vielleicht ein Jaͤ- gerbursche war, in einer Kneipe angetroffen, und ihm, damit er Dero gnaͤdiges aristokratisches Queer- gewaͤsche geduldig anhoͤren moͤgte, tuͤchtig mit Schnapps aufwichsen lassen. Da hat denn der schlaue Bursch gemerkt, was bey Seiner Gnaden saß, und hat, wie billig, in den Ton miteingestimmt, den Seine Gnaden angaben. Ich muß aber die Ehre haben, zu sagen, daß noch im vorigen Jahre, nach dem Frieden der Hessen mit den Franzosen, ein ge- wisser Mann durch Hessen reißte, und in einer Schenke ohnweit Hersfeld einkehrte, wo er einige Kruͤge Bier geben ließ, welche er mit zwey Buͤr- ger aus Hessenland trank, und dabey einen ganz demokratischen und obendrein noch sarkastischen Ton absichtlich anstimmte. Den Augenblick stimmten beyde Hessen ein, und hielten ihrem Landgrafen solche Elogen, bey denen dem Hn. Exleutnant die Ohren, auf Ehre, gegellt haͤtten. Wenn ich bald wieder durch Hessen reise, will ich des Hn. von Goͤchhausens Wanderungen mitnehmen, und dann giebts in den hessischen Gasthoͤfen gewiß was zu lachen u. s. w. Caub ist eine alte rostige Stadt, und gehoͤrt dem Kurfuͤrsten von Pfalzbaiern. Sie ist beruͤhmt wegen ihrer Schiefergruben und besonders wegen des dortigen guten Weinwuchses. Die Einwohner zu Caub sind aber grobe, ungeschliffene Menschen, sprechen eine Sprache, aͤrger als die Hundsruͤcker, und hassen einander gar maͤchtig wegen der Ver- schiedenheit ihres Glaubens. Die Preußen, welche bey Lutheranern einquartiert waren, hatten es gut: diejenigen aber, welche bey Katholiken lagen, wurden von diesen als Ketzer angesehen und schlecht behandelt. Es giebt aber unter den Weibsleuten zu Caub , wie uͤberhaupt dort in den gebuͤrgigen Gegenden, ganz artige Gesichter. Bey Bacharach war eine Schiffbruͤcke uͤber den Rhein geschlagen, die wir passirten. Eine an- dere war bey St. Goar , aber wegen der Franzosen konnten wir diese zum Uebergehen nicht benutzen. Auch haͤtten sie uns bey Bacharach den Weg ver- sperren koͤnnen, wenn sie aufmerksam genug gewe- sen waͤren. Aber unser Gluͤck wollte, daß sie in den Gebuͤrgen die Paͤsse nicht besezten, durch welche unser Zug nothwendig gehen mußte: und so kamen wir binnen einigen Tagen gluͤcklich auf die Hoͤhen jenseits des Rheins. Bacharach ist eben, wie Caub , eine uralte schmutzige Stadt, und eben so beruͤhmt wegen ih- res vortrefflichen Rheinweins. Gleich neben der Stadt stand vorzeiten die Residenz der alten Pfalz- grafen am Rhein, und eine Strecke unten, mitten im Fluß, steht auf einer Insel ein Wachtthurm, welcher den Namen, die Pfalz , noch fuͤhrt, und sonst der Wittwensitz der Pfalzgraͤfinnen war. Der verstorbene Heidelberger Rektor Andreaͤ hat eine lesenswuͤrdige Abhandlung, Baccararum palatinum geschrieben, worin der Liebhaber der Alterthuͤmer und der Naturgeschichte manches zu seinem Unter- richte und Vergnuͤgen finden kann. Ich kann mir es noch nicht recht erklaͤren, war- um die Franzosen uns so ganz ungehindert uͤber den Rhein gehen, und bis Kreuznach und Strom- berg vorruͤcken ließen. Es war wohl blos Sorglo- sigkeit ihrer Anfuͤhrer, und gar zu großes Zutrauen des Generals Neuwinger auf seine Schanze bey Kreuznach und auf die Postirungen bey Stromberg und Bingen. Bey Stromberg und Bingen kostete es den Preußen wenig Muͤhe, die Franzosen weg- zujagen: ein panischer Schreck hatte sie einmal be- fallen. Der Leutnant Govin vom Bataillon Schenk , jezt Wedel , den ich von Halle aus persoͤnlich kannte, verlohr ohnweit Stromberg sein Leben. Er haͤtte sich durch die Flucht oder durch Ergebung an die Franzosen retten koͤnnen, aber er wehrte sich, bis er der Uebermacht erlag. Selbst der Feind hat von diesem jungen Helden mit Achtung und Be- wunderung gesprochen. Ich erzaͤhlte lange hernach die bewiesene Tapferkeit dieses Offiziers in Gegen- Dritter Theil. X wart eines franzoͤsischen Hauptmanns in Lion, und der sagte: Une belle mort, vraiment! mais plus belle encore, s'il, avoit peri pour une meilleure cause, oder: Wahrlich, das war ein schoͤner Tod; aber er wuͤrde schoͤner seyn, wenn der Offizier fuͤr eine bessere Sache gestorben waͤre — gerade wie es von dem Tode des Catiliana heißt: pulcherrima equidem morte, si pro patria occubuisset: Doch dieses ohne Vergleich! Catiliana war ein Feind seines Va- terlandes; Govin ein getreuer Verfechter der Ehre seines Koͤnigs! Bey Kreuznach an der Nahe oder Nohe wichen die Franzosen bald, so sehr sich auch Neuwinger bemuͤhte, sie zum Stehen zu bringen. Er selbst wurde gar sehr und gefaͤhrlich mit Saͤbelhieben verwundet, und fiel so in unsre Haͤnde. Unsre Husaren konnten dieses Generals Tapferkeit und un- erschrocknen Muth nicht genug ruͤhmen, meynten aber doch, wenn er ein Franzose gewesen waͤre, so haͤtte er wohl so brav nicht gethan, aber ein Deutscher, das waͤre eine andre Sache! Die guten Husaren lernten aber noch vor dem Ende der dießjaͤhrigen Kampagne auch die Franzosen kennen! Neuwinger wurde nach Stromberg gebracht, und daselbst sogar wider seinen Willen verbunden und recht gut besorgt. Unser Koͤnig, der jede Tu- gend schaͤzt, er finde sie an Freund oder Feind, be- fahl, daß man den braven Neuwinger , das waren seine eignen Worte, eben so behandeln sollte, als wenn Er es waͤre. — Cuͤstine hat diesen Mann hernach zu Paris angeschwaͤrzt, und beson- ders den Verlust der Kreuznacher Schanze ihm zuge- schoben; aber selbst der Konvent hat Neuwin - gern das Verdienst um ihr Vaterland eingeraͤumt. Unser Regiment hatte den 28ten Maͤrz in Strom- berg Ruhetag. Stromberg ist eine alte, unansehn- liche Stadt, worin man a n ellem Tage den Hals brechen kann: so bergig, klippig und uneben ist alles. Das dabey stehende alte Schloß, woselbst sich die Franzosen postirt hatten, war ehedem der Siz des Fust von Stromberg , welchen mein Landsmann, der Hofgerichts-Rath Meier , durch ein treffliches Schauspiel unsterblicher gemacht hat, als eine gewisse historische Sudeley den braven Her- mann Riedesel je machen kann. Doch zum Schreiben dicker Baͤnde gehoͤrt oft weit weniger Genie, als zu Einer Scene in einem guten Drama. Waͤhrend unsers Aufenthalts in Stromberg haͤtte ich meinen Bruder sprechen koͤnnen, welcher nur eine halbe Stunde davon, zu Seyffersbach, Pfarrer ist. Aber wenn meine Leser wissen, was ich von meinem Verhaͤltnisse gegen ihn im andern Bande dieses Werkchens gesagt habe, so koͤnnen sie die Ursache leicht errathen, warum ich weder zu ihm ging, noch ihm von meiner Naͤhe Nachricht geben ließ. Ich zweifle nicht, daß man mir dieses inoffizioͤse Benehmen vergebeu wird. Die von einem panischen Schrecken ergriffnen Franzosen fluͤchteten sich von Kreuznach nach Al- zey zu: bey Wendelsheim, eben dem Orte, wo ich gebohren bin, holten unsre Husaren sie ein, und jagten sie weiter. Es liegen dort herum viele Franzosen, aber auch mehr als ein Preuße be- graben. Ich uͤbergehe alle Vorfaͤlle, wodurch wir Mei- ster des ganzen Rheinstroms in so kurzer Zeit ge- worden sind: sie sind hinlaͤnglich beschrieben, und in allen Zeitungen so sehr ausposaunt worden, daß selbst Preußen, die dem ganzen Kazenjagen beygewohnt hatten, laͤchelten, wenn man Kleinigkeiten z. B. die Bagatelle bey Odernheim, den winzigen Anfall auf dem Rindertanz ohnweit Steinbockenheim, das Plackern bey Flonheim u. dgl. fuͤr große signalisirte Viktorien ausgab. Man muß aus dergleichen Dingen nicht viel Aufhebens machen, weil sie es nicht verdienen, indem sie nichts entscheiden, und doch immer Menschen kosten. Die Franzosen zogen sich in aller Eile zuruͤck, und warfen auch noch mitunter ihre Gewehre und anderes Geraͤthe weg. Sie waren schlecht ange- fuͤhrt, hatten keinen Plan Die Beweise davon findet man in Duͤmouriez 's Leben, und dann noch viel anderes zum Aufschluß uͤber das Misgluͤck der Franzosen in ihrem ersten Feldzuge am Rhein. und konnten auf alle Faͤlle — nichts verlieren. Blieb ihnen nur Maynz, oder konnten sie es dereinst entsetzen, so mußten die Preußen alle wieder uͤber den Rhein, und die Fran- zosen waren wieder Meister des Stroms und des ganzen Landes. Unser Regiment, welches zu keiner eigentlichen Attake gekommen war, ob es gleich, wie die an- dern alle, dem Feinde mitnachrennen mußte, kam den 30ten Maͤrz nach Framersheim, wo wir uͤber Nacht blieben. In diesem Orte ist mein Vetter Laukhard Pfarrer, eben der, welcher ehedem mit Doctor Bahrdt zu Heidesheim in Verbindung ge- standen war. Ich war recht froh, diesen ehrlichen Mann, der sich immer als mein Freund bewiesen hatte, wieder zu umarmen. Er lebt recht gluͤcklich mit einer schoͤnen, ehrwuͤrdigen und vernuͤnftigen Frau, welche den Beyfall aller unsrer Compagnie- Offiziere, besonders meines Hauptmanns, des Hn. von Mandelsloh , in allen Ehren erhalten hat. Sie strafte mich im Scherze, daß ich in meinen Bey- traͤgen zu D. Bahrdts Lebensbeschreibung ihren Vater, den Superintendenten von Duͤrkheim, Bahrts Vorfahr, Lucerner genannt haͤtte, da doch sein Name Luerne gewesen waͤre. Als ich ihr aber sagte, daran sey nicht ich, sondern der Kor- rektor Schuld, so gab sie sich zufrieden. Sie be- wirthete meinen Hauptmann, dessen Compagnie- Offiziere und mich sehr vornehm und koͤstlich. In Framersheim hatte ich ehedem mehrmals ge- predigt, und da ich fixweg perorirte, was ich in einem alten oder neuen Kanzeltroͤster auswendig ge- lernt hatte, dabey auch stattlich auf die Kanzel schlug, und nicht aus dem Buche ablas, so hatte ich mich bey den Leuten dort in nicht uͤblen Credit gesezt. Als sie nun hoͤrten, daß ich bey den Preußen sey, und in ihrem Orte Quartier habe, kamen sie hau- fenweise zu mir, begaften mich, und wunderten sich hoͤchlich: „daß ein so grausam, so abscheulich und eutsetzlich gelehrter Mensch koͤnnte Soldat seyn!“ Ein alt Muͤtterchen druͤckte mir herzlich die Hand, und sagte: „ach lieber Herre, was hat er mei'm Hans Kaschper aͤ erschrecklich huͤbsch Leichpredig ge- hall! Eich dank ehm noch tausendmol devor.“ Ich bin auch bey diesen guten Leuten recht vergnuͤgt gewesen. Neun und zwanzigstes Kapitel. Was vor der Belagerung von Maynz herging . D er Koͤnig hatte zu Alsheim am Alt-Rhein, ohn- weit Gundersblum, sein Quartier genommen, nach- dem sich der franzoͤsische General Houchard end- lich auch von Alzey wegretirirt hatte: denn nun hielt man sich vor den Franzosen ganz sicher. Al- lein es stand noch ein Haufen bey Oppenheim, wel- cher zu Cuͤstines Armee gehoͤrte, und in der Nacht vom 30 zum 31sten Maͤrz durchbrechen und eine An- zahl von Kostbarkeiten aus Maynz nach Landau bringen wollte. Als sie vollends erfuhren, daß der Koͤnig von Preußen sein nur schwach beseztes Haupt- quartier in Alsheim habe, so wurden sie voll Muth, und beschlossen, dasselbe anzugreifen, und den Koͤ- nig gefangen zu nehmen. Diese Absicht haͤtten sie auch erreichen koͤnnen, wenn nicht Merlin , der Repraͤsentant, dem General Blou das Kom- mando genommen haͤtte. Dadurch naͤmlich ent- stand Zwist unter den Nationalgarden und Linien- truppen, wie die franzoͤsischen Truppen damals und noch lange hernach hießen; und dieser Zwist verdarb den ganzen Plan. So stark die Franzosen anfaͤnglich auch marschiert waren, so laß wurden sie jezt und ließen sich auch noch zu einer Kanonade gegen eine in aller Eile bey Hangen-Wohlheim aufgeworfnen Batterie verleiten, und drangen nicht vor. Sie hatten aber auch nicht Raum, sich aus- zudehnen, und wichen sehr bald nach Maynz zuruͤck, ob sie gleich 8000 Mann stark gewesen seyn sollen, da gewiß noch keine 2000 Preußen, alles mitgerech- net, gegen sie da waren. Bey diesem gefaͤhrlichen Anfall bewies sich un- ser Koͤnig, wie sich ein Koͤnig beweisen muß, der Soldaten im Kriege anfuͤhrt. Bey der Nachricht, daß er uͤberfallen sey, erblaßte er zwar etwas, und sagte: Hm, hm, das ist doch des Teufels! Aber sogleich gab er Befehle zur Vertheidigung, und zwar so treffend, und anwendbar, daß seine Anstal- ten den erwuͤnschten Erfolg haben mußten. Das Regiment Wolfrath , oder die braunen Husaren haben sich bey dieser Gelegenheit besonders gut aus- gezeichnet: Die Franzosen aber haben auch nicht viel Verlust gehabt. Wir lagen indessen in guter Ruhe in den Doͤr- fern, und erfuhren erst den andern Tag, in wel- cher Gefahr unser Koͤnig gewesen war. „Gott, was waͤre das ein Ungluͤck gewesen, sagte ein Offizier ganz laut, wenn der Koͤnig waͤre gefangen worden!“ Ein alter Major erwiederte hierauf: „Wer weiß auch, Herr Leutnant, obs ein großes Ungluͤck gewesen waͤre! Waͤre der Koͤnig gefangen und nach Lan- dau gebracht worden, so haͤtte der Krieg in kurzem ein Ende. Wer weiß, ob die Fortdauer desselben nicht noch tausend Elend uͤber Deutschland und uͤber die ganze Welt bringt!“ Der gute Mann hatte nicht uͤbel gesprochen. Den 31ten bezogen wir Kantonnirungsquartiere, und unser Regiment kam in Oppenheim zu liegen. Oben auf dem Berge wurden von drey Regimen- tern die Zelter aufgeschlagen, aber nicht belegt: nur eine Wache blieb bey diesem Scheinlager. Man denkt leicht, daß ich sehr zufrieden war, nach Oppenheim zu kommen, wo ich mehrere Be- kannte, und Freunde hatte, besonders den Herrn Pfarrer Braun , den ich ehedem in Halle unter meine ganz speciellen Freunde zaͤhlen konnte. Der brave Mann kam unserm Regimente, blos um mich zu sprechen, bis beynahe Gundersblum entgegen, und bat mich aufs dringendste, gleich bey meinem Eintritt in seinen Wohnort ihn zu besuchen. Das konnte ich erst den andern Tag, aber das war denn auch ein Festtag fuͤr mich, wie ich dort deren meh- rere gehabt habe! Durch Pfarrer Brauu lernte ich auch den Herrn Inspektor Abbeg von Lam- pertsheim kennen. Wenn mehrere Maͤnner, wie diese beyde, in der Pfalz waͤren, ich soͤhnte mich, wie ich glaube, mit der reformirten Geistlichkeit dort am Rhein ganz wieder aus. Ich wuͤßte nicht, was ich darum gaͤbe, daß Pastor Braun das Betragen der Franzosen — Doch wir sind und blei- ben deswegen doch Freunde. Weil ich so nahe an meinem Geburtsorte war, wollte ich einmal dahin gehen und meine gute Mut- ter besuchen. Es war zwar aufs schaͤrfste verboten, jemand aus den Kantonuirungsquartieren heraus zu lassen weiter als eine halbe Stunde: allein mein Hauptmann wirkte mir die Erlaubniß, meine Mut- ter zu besuchen, bey dem General Wolfframs - dorf aus, und ich lief noch in der Nacht, so daß ich gegen zwey Uhr in Wendelsheim ankam. Ich hatte den Schulmeister Forcher herausgepocht, um von diesem zu erfahren, wo meine Mutter wohl wohnte. Diese ehrliche Haut und mein ehemali- ger Kumpan bey meinen Jugendstreichen war herz- lich froh, daß er mich wieder sah, und begleitete mich zu meiner Mutter. Die gute Alte konnte an- faͤnglich vor Thraͤnen nicht reden, als sie aber der Sprache wieder maͤchtig ward, bewies sie mir ihre Freude uͤber meinen Besuch durch tausend Manie- ren. Auch meine alte Tante lebte noch. Man er- stickte mich beynahe mit Fragen; und wenn ich alles haͤtte erzaͤhlen und erklaͤren sollen, was man wis- sen wollte, ich glaube, ich haͤtte 14 Tage bleiben muͤssen. Meine Mutter hatte meine Lebensgeschichte ge- lesen, und da war ihr denn besonders aufgefallen, daß ich da so oͤffentlich hingeschrieben haͤtte, daß mein Vater nach seinem Tode spuken ginge. Ich machte ihr begreiflich, daß die Schande dieses Maͤhrchens gar nicht auf den braven Vater fiele: denn dieser ginge eben so wenig spuken, als Sa- muel, Lazarus, der Juͤngling zu Nain, oder selbst Christus der Herr jemals nach ihrem Tode gespukt haͤtten: kein vernuͤnftiger glaube an Gespenster: die Schande falle vielmehr auf den Pfarrer Schoͤnfeld zu Wendelsheim, welcher aus Feind- schaft gegen seinen wuͤrdigen Vorfahr und aus Dummheit solche naͤrrische Spukerey ausgebruͤtet haͤtte. Hiermit schien die gute Frau sich zu beruhi- gen. Bey dieser Gelegenheit erkundigte ich mich auch nach unsern alten Dorfgespenstern, und hoͤrte zu meiner großen Erbauung, daß der Schlapp- ohr, der alte Schulz Hahn, das Muhkalb, der feurige Mann, der Sanktornus und alle andre Ge- spenster ihr Unwesen noch immer so gut trieben, als vorzeiten; ja, bey der Invasion der Franzosen sollte der Schlappohr sogar am hellen Tage sicht- bar gewesen seyn. So finster ist's noch in der Pfalz, selbst unter Protestanten! Meines Vaters Bibliothek, und alle seine Brief- schaften hatte mein Bruder sich zugeeignet, doch hatte er meiner Mutter versprechen muͤssen, im Fall ich dereinst das eine oder das andere davon haben wollte, er mir es verabfolgen lassen wuͤrde. Uebri- gens habe ich mich sehr gefreut, daß ich meine Alte in gutem Wohlstande und ohne alle Sorgen der Nahrung antraf. Gebe der Himmel, daß es ihr gut gehen mag, bis an ihr Ende! Meinen ehrlichen Stuber zu Flonheim habe ich auf dem Ruͤckwege besucht, und von seinen Toͤchtern, besonders von Mamsel Dortchen, ge- waltige Vorwuͤrfe hoͤren muͤssen, weil ich einmal geschrieben hatte, daß das Pfaͤlzer Frauenzimmer dem Weinsaufen stracks ergeben sey. Meine alte, damals schon 87jaͤhrige Tante beglei- tete mich wohl eine gute halbe Stunde, und weinte bittere Thraͤnen, als sie mich verließ: sie hat mich hernach in Alzey nochmals besucht. Ich vergebe herzlich gern der guten Tante, daß sie mich so schlecht erzogen hat: ihre Affenliebe gegen mich hat sie dazu verleitet. Mein Vater hatte ehedem dem Grafen Em - merich von Leiningen - Gundersblum 800 Gulden Rheinisch geliehen. Der Graf hatte sich hernach erschossen, und sein Herr Nachfolger, Graf Friedrich , wurde auf Betrieb seines Vet- ters, des Herrn Grafen, hernach Fuͤrsten von Lei - ningen - Dachsburg , der Regierung unfaͤhig erklaͤrt, und als ein Wahnsinniger eingesperrt. Unter den Verbrechen, deren man ihn beschuldigte, war besonders, daß er die heil. Jungfrau, im Wilden Mann zu Oppenheim, eine Hure genannt, und vom Kaiser veraͤchtlich gesprochen haͤtte. Die wahre Ursache der Regierungsunfaͤhigerklaͤrung aber war, daß Graf Friedrich eine Rheingraͤfin von Grumbach heurathen wollte, und der Herr Graf von Leiningen-Dachsburg dann Nachkommen und Verlust der Erbschaft befuͤrchtete. Daher wuste er die Sache so einzuleiten, besonders durch Vor- sprache seines Freundes, des Kurfuͤrsten von der Pfalz, daß der Graf eingesteckt wurde, und bald darauf, Gott weiß, an welcher Krankheit, oder an welchem Traͤnkchen im Gefaͤngniß starb. Mein Vater wendete sich schon damals an den neuen Regenten von Gundersblum, welcher als Erbe die Schulden des Grafen Emmerich haͤtte zahlen muͤssen: aber er erhielt kein Geld, weil Ruͤhl , eben der Ruͤhl, welcher die h. Salbungs- Flasche fuͤr die Koͤnige von Frankreich zu Rheims 1794 zerbrochen und sich 1795 zu Paris erschossen hat, ihm bedeutete, daß die beyden Grafschaften, Gundersblum und Heidesheim, noch im Proceß laͤ- gen, und sein Herr eher nichts bezahlen koͤnnte, bis er im rechtlichen Besitz derselben seyn wuͤrde. Endlich verlohr der Fuͤrst — denn er hatte sich be- fuͤrsten lassen — seinen Rechtshandel gegen die so- genannten Linanges d'Italie, welche nun Herren zu Gundersblum und Heidesheim wurden. Mein Va- ter foderte jezt von diesen sein Geld, und da ers nicht erhielt, verklagte er sie zu Wetzlar: aber in Wetzlar bleiben alle Processe haͤngen, wie bekannt ist. Meine Mutter sezte den Proceß, der ihr viel kostete, freilich fort, sie gewann aber nichts, das heißt, sie konnte die mandata sine clausula oder die Befehle ohne Kraft, nicht wirksam machen. Daher wen- dete sie sich nun durch mich an die Preußen und wuͤrde auch ohnfehlbar ihr Geld, welches sich nun seit 1760 mit den Interessen auf eine ziemliche Summe belaͤuft, erhalten haben, wenn die Preu- ßen jenseits des Rheins alles haͤtten ruhig machen koͤnnen. Aber so war auch auf diesem Wege fuͤr sie keine Huͤlfe. Indessen ist das Geld doch noch nicht verloren: denn bleiben die Gegenden jenseits des Rheins in den Haͤnden der braven Franzosen, wie es im- mer wahrscheinlicher wird, so muͤssen, nach dem Gesetz der Republik, alle Schulden der cy-devant- Herren richtig bezahlt werden, weil sie keine Guͤter durchaus nicht eher publiciren lassen, als bis alle darauf haftende Schulden bezahlt sind. Eine wahre Freude machte mir auch Hr. Si - mon , Pfarrer zu Dahlheim bey Oppenheim, durch seinen Besuch mit seiner schoͤnen braven Schwester. Dieses ist noch einer von den wenigen soliden Maͤn- nern in der Pfalz, welche das Herz haben, anders zu denken, als es in der Augspurgischen Konfession, oder im Katechismus steht. Ehedem war Simon einer meiner vertrautesten Freunde, und wuste um alle meine Historien, ohne sie jemals zu meinem Nachtheile zu benutzen. Ich habe ihn auch in Dahl- heim besucht, und recht selige Stunden bey ihm zugebracht. Eines Tages saß ich in einem Hause der Apo- theke gegen uͤber, als ein Mensch, den ich nach seinem Anzuge fuͤr einen Pfaffen hielt, heraus kam. Zwey gutgekleidete Maͤnner standen auf der Gasse, und einer davon fing an: „Seht doch da, wer ist das? B. Ei, kennen Sie den nicht! A. Nein: mein Seel', ich kenn' ihn nicht. B. Sonderbar! Der ist ja doch weit und breit bekannt genug: Das ist ja der Magister Weit - maul von Udenheim! A. Ist das der Magister Weitmaul, von dem Laukhard so viel schreibt? B. Freilich: aber Laukhard haͤtte von dem Ge- neralwindsack noch mehr sagen sollen: der Kerl haͤtt' es verdient. Es ist doch ein Generalwindbeutel und des heiligen roͤmischen Reichs Obermaͤhrchen- traͤger. — Die Herren gingen weiter, und un- terhielten sich wahrscheinlich noch von den Wind- beuteleien des Magisters Weitmaul. Wenn meine Leser sich aus dem ersten Theile dieses Werkchens noch erinnern, daß Wagner , Pfarrer zu Udenheim, ohnweit Maynz, sonst Ma- gister Weitmaul im ganzen Lande zubenahmt, mein Hauptantagonist ehedem war, so koͤnnen sie leicht denken, daß dieser kurze Dialog mich nicht wenig ergoͤzt habe. — In der Pfalz hat von mei- ner ganzen Geschichte nichts mehr gefallen, als das, was sich von und uͤber Magister Weitmaul darin befindet. So war er: und so sind einmal die — Pfaͤlzer! — Dreißigstes Kapitel. Klubbisten - Jagd jenseit des Rheins . D as Wort Klubbist , so fern ich es brauche, hat eine zweyfache Bedeutung. Ich merke dieses an, wegen der kuͤnftigen Vollstaͤndigkeit des deut- schen Woͤrterbuchs. Einmal im engern Verstande bedeutet es ein Mitglied irgend eines Klubbs d. i. einer zur Verbreitung der franzoͤsischen Grundsaͤtze von Freyheit und Gleichheit errichteten Volksgesell- schaft. Im weitern Sinne bezeichnet es jeden, der dem neufraͤnkischen Systeme hold ist, oder ein Vertheidiger irgend eines Menschenrechts. Im lezten Sinne hat also das Wort Klubbist mit den Woͤrtern Demokrat, Jacobiner, und andern aͤhn- lichen, beynahe gleiche Bedeutung. Wir lernten dieses Wort, das in England jedes Mitglied einer geschloßnen Gesellschaft ebenfalls anzeigt, erst am Rheine kennen, nachdem wir vom Maynzer Klubb naͤhere Nachricht einzogen. Wie verhaßt die Klubbisten bey den Preußen groͤßten- theils gewesen sind, laͤßt sich leicht denken. Dritter Theil. Y Ich bin uͤberzeugt, es wuͤrde unserm guten Koͤ- nige niemals eingefallen seyn, Jagd auf Klubbisten zu machen, wenn nicht uͤbelgesinnte, herrschsuͤch- tige, Rachekochende, haͤmische Menschen, deren es dort uͤber dem Rhein nur gar zu viele giebt, auf eine recht teuflische Art ihre Mitbuͤrger und Lands- leute denunziirt haͤtten. Man weiß, daß gleich nach Cuͤstine 's An- kunft in Maynz die ganze dortige Gegend — Kur- pfalz ausgenommen — durch den Repraͤsentant Merlin und seine Anhaͤnger, besonders durch Georg Forster , zur Theilnahme an einer neuen Verfassung entweder beredet oder gezwungen wurde. Man mußte, man mogte wollen oder nicht, zur Freyheitsfahne schwoͤren, Freyheitsbaͤume errichten, und sich bis dahin dem neuen Systeme gemaͤß or- ganisiren. Ich verabscheue diese praͤcipitirte Or- ganisation so sehr, als der aͤrgste Aristokrat, und weiß, daß eben diese viel Ungluͤck uͤber jene Laͤnder gebracht hat, und daß besonders Ge - org Forsters hitzige Afterpolitik vorzuͤglich Schuld am Verderben so Vieler gewesen ist. Die- ser sonderbare und uͤberreife Mann schien ordentlich zur Geisel der Maynzer und uͤberhaupt der Rhein- laͤnder gebohren zu seyn. Es gab unter den Klub- bisten in Maynz wirklich große Maͤnner, aber auch rasende! Die Vornehmen der leztern waren Ge - org Forster , Wilhelm Boͤhmer , Pape und noch einige, welche durch ihre Freyheitswuth, alles unter und uͤber kehrten, und dem ganzen Lan- de großes Elend zuzogen. Doch das alles gehoͤrt nicht hieher, und darum sey es verschoben. Man hatte dem Koͤnige den Wisch eines Mayn- zer Klubbisten gezeigt, mit der Ueberschrift: An Friedrich Wilhelm Hohenzollern. — Der guͤtige Monarch lachte daruͤber, und legte das unsinnige, kindische Geschwaͤtz ruhig auf den Tisch. Aber nach- her hat man dem Koͤnige staͤrker zugesezt, und auf alle Weise gesucht, ihn wider die Klubbisten aufzu- bringen. Von allen Seiten her kamen Libelle und Denunziationen, welche entweder an den Koͤnig selbst, oder an unsre Generale gerichtet waren. Die Herren Grafen, Fuͤrsten, Edelleute, Dom- pfaffen u. dgl. in der dortigen weiten Gegend er- mangelten nicht, seiner Majestaͤt vorzustellen, wie die infamen Kerls, die Klubbisten, die Rechte der Fuͤrsten zernichtet und allerhand demokratischen Unfug getrieben haͤtten. Sie foderten daher im Namen aller deutschen Fuͤrsten den Koͤnig auf, die beleidigte Hoheit zu raͤchen. Der Koͤnig, umgeben von rechtschaffnen, einsichtigen Maͤnnern, versi- cherte Anfangs, daß er sich mit dergleichen Untersu- chungen nicht befassen koͤnnte. Aber die Herren verlangten ja auch keine gesetzliche Untersu - chung , sondern faktische militaͤrische Pro - ceduren ! Sie steckten sich daher, nebst ihrem aristokrati- schen Anhange, hinter die preußischen Offiziere, ja, sogar hinter Unteroffiziere und Soldaten, und ließen die Demokraten oder die Klubbisten (denn das war ihnen alles eins) gegen alle Form Rechtens, nach welcher auch der aͤrgste Boͤsewicht erst gehoͤrt, und dann nach den Gesetzen gerichtet werden muß, militaͤrisch aͤngstigen und verfolgen. Wie barba- risch man hiebey verfahren sey, moͤgen einige Bey- spiele von der ersten Jagd auf die armen Klubbi- sten in der Pfalz lehren. Der Loͤwenwirth in Wendelsheim, Namens Brandenburger , wurde wegen seines Reich- thums und Ansehens damals zum Maire erwaͤhlt, als Georg Forster und seine Kommissarien dort herum Freyheitsbaͤume errichten ließen. Brandenburger beredete sich nun mit dem damali- gen Schulzen Hahn , und versprach, so viel es moͤglich seyn wuͤrde, fuͤr das Interesse des Grafen zu sorgen, weil man doch nicht wisse, was aus der Sache werden wuͤrde. Das war nicht sehr ja- kobinisch. Als aber am Charfreytage, den 29sten Maͤrz, die braunen Husaren dort ankamen, de- nunziirten einige Bauren, welche den Branden- burger schon lange haßten, bey dem Husaren-Leut- nant: der Leutnant aber, welcher mehr zu thun ha- ben mogte, befahl den Bauren, sich zum Teufel zu scheeren. Er ritt darauf nach Erbesbudesheim, und ließ einen Wachtmeister mit ohngefaͤhr zwoͤlf Mann im Dorfe, um zu patrouilliren. Die Schlin- gel von Bauren wendeten sich nun an den Wacht- meister und dieser — man denke doch! — erklaͤrte das Haus des Brandenburgers fuͤr pluͤnderungs- faͤhig, und nahm ihn selbst in Verhaft. Man fing wirklich an zu pluͤndern, aber nicht sowohl die Hu- saren, als vielmehr die Bauren, bis endlich ein redlicher Husar, der gerechter und menschlicher dachte, als sein Herr Schlingel von Wachtmeister, seinen Saͤbel zog, und bey hundert tausend Schock Teufel versicherte, daß er dem ersten, besten den Kopf spalten wuͤrde, der noch einen Fuß zum Pluͤndern ins Haus setzen wuͤrde. Wer war froher, als die Frau des Brandenburgers: — sie hat mir das alles selbst erzaͤhlt. — Sie druͤckte und kuͤßte den ehrwuͤrdigen Husaren, und bath ihn, ihren Mann doch zu befreyen, der schon nach Budesheim NB! von Bauren abgefuͤhrt war. Der Husar besann sich kurz, und bath den Wachtmeister, ihn nach Bu- desheim zu schicken, wohin eben doch eine Ordo- nanz rei z en muͤßte. Ungern, aber doch willigte der Wachtmeister ein, weil ihn seine Uebereilung schon reuete, und der Husar versprach, reinen Mund zu halten. Dieser ritt fluchs dahin. Kurz darauf kamen noch andere Husaren ins Dorf, und pluͤnderten den Keller des Brandenburgers noch mehr. Freilich konnten sie allein nicht viel Wein trinken, aber die Bauren halfen ihnen, und was nicht gesoffen wurde, trugen diese nach Hause, so daß Brandenburger an seinem Weinlager wenig- stens 200 Thaler Schaden gelitten hat. Man lese weiter, und erstaune! Brandenburger wurde nach Budesheim, eine halbe Stunde von Wendelsheim gebracht, und da als ein Erzjakobiner in die Haͤnde eines preu- ßischen Husarenoffiziers abgeliefert. Er war fast halb todt von den vielen Schlaͤgen und Stoͤßen, die ihm die Bauren unterwegs gegeben hatten: denn diese glaubten gewiß, daß er wenigstens ge- henkt werden muͤßte. Er beschwerte sich bey dem Offizier, welcher ihm mit zorniger Stimme ant- wortete: Halt's Maul, verfluchter Patriot, oder ich lasse dich gleich aufknuͤpfen! Weißt du Spiz- bube, daß ich dich kann in Stuͤcken zerhauen lassen, wenn ich will? Brandenburger schwieg. Offizier : Rede, Hunzfott! Glaubst du, Kanaille, daß ich dich kann haͤngen lassen, wenn ich will? Brandenburger : Herr Offizier, ich bin unschuldig. Lassen sie mich zum Koͤnig fuͤhren, — lassen Sie meine Sache untersuchen! Ich weiß, daß ich fuͤr unschuldig erklaͤrt werden muß ! Ich habe nichts gethan, das einer solchen barbarischen Behandlung wuͤrdig waͤre. Offizier : Der Kerl raͤsonnirt noch! Den soll ja das heilige Wetter erschlagen! Allons Unter- offiziere, Stoͤcker los! Die Unteroffiziere gehorchten, und fiengen an loszuschlagen, als gerade der ehrliche Husar, und der katholische Pfarrer des Ortes, Herr Hoff - mann , O koͤnnt' ich diesem Biedermanne eine Ehrensaͤule errichten! Ich habe seiner im ersten Theile, als eines Feindes des Aber- glaubens, gedacht: hier sehen wir ihn als edlen Menschen- retter! nebst dem erwaͤhnten Schulzen Hahn hereintraten. Der Pfarrer, durch die barbarische Pruͤgeley aufgebracht, trat mit entschloßnem Muthe den Offizier an, und sagte zu ihm: „Aber Herr Leutnant, was machen Sie da? Koͤnnen Sie es verantworten, daß Sie einen unschuldigen Mann zerpruͤgeln lassen? Offizier : Wer ist der Herr? Hoffmann : Ich bin der katholische Geistli- che von hier. Ich habe heute verschiedene preu- ßische hohe Offiziere bey mir zu Hause gehabt — das waren Maͤnner von Empfindung und Men- schenliebe. Offizier : Herr, was will Er aber hier? Hoffmann : Einen Unschuldigen retten, welcher — Offizier : (erboßt) Himmel tausend Saker- ment: ist der Spizbub' da nicht ein Klubbist, ein Patriot, ein verfluchter, verdammter, ein — ein —? (spukt aus.) Hoffmann : Herr Schulz, reden Sie! Welches Zeugniß geben Sie dem Brandenburger? Schulz Hahn : Herr Leutnant, ich bezeuge vor Gott, daß Brandenburger unschuldig ist: man hat ihn mit Gewalt zum Maire gemacht, und als Maire hat er nichts gethan, was dem Interesse un- sers Rheingrafen zuwider waͤre: mit einem Wort, ich und er waren einverstanden, bis die Sache auf einen oder andern Weg gehen wuͤrde. Offizier : (beschaͤmt) Unteroffiziers, geht nur! Hoffmann : Sehen Sie, Herr Leutnant, wie Sie Sich uͤbereilten! Wenn das der Koͤnig, oder nur ihr General wuͤßte! Sie, als Kriegsmann, sollten bloß im Fall der Noth die exekutive Gewalt unterstuͤtzen helfen, und handeln gegen die konsti- tituve Gerechtigkeit! Brandenburger ist kein Unter- gebner von Ihnen, und doch behandeln Sie ihn militaͤrisch exekutivisch! Brandenburger ist un- schuldig, und doch bestrafen Sie ihn ohne Verhoͤr und Vertheidigung! Heißt das nicht die aristokra- tische oder monarchische Anarchie mit der demokra- tischen vertauschen wollen? Das ist der Wille ih- res Monarchen gewiß nicht. Ihr Monarch ist guͤ- tig und gerecht: Sie aber, als der Diener seiner Macht, zeigen ihn als einen gekroͤnten Wuͤrg-En- gel, der Gewalt vor Recht ergangen wissen wolle. Als Mann von Delikatesse fuͤr die Ehre ihres Mo- narchen, sollten Sie vorsichtiger und gerechter ver- fahren, zumal in so politisch-kritischen Tagen, wo die Diener der Monarchen die Klugheit haben soll- ten, die an ihnen geruͤgten Fehler eher zu vermei- den als sie zu wiederholen. Was wuͤrde Ihr Koͤ- nig sagen, was uͤber Sie verfuͤgen, wenn die ganze Dorfschaft ihn mit einer Klage gegen Sie anginge und auf Genugthuung bestaͤnde? Doch es mag darum seyn: wir wollen nicht klagen; aber wir wuͤn- schen zu wissen: Ist Brandenburger jezt frey? Offizier : (unwillig immer auf- und abge- hend) Er kann in's Dreyteufels Namen sich an den Galgen scheeren! Hoffmann : Kommt Kinder! (zum Husaren) Komm alter braver Schnurrbart! Komm, trink ein Glaß Wein mit mir! Du bist ehrwuͤrdiger, mehr Mensch, als mancher General und Erzbischof! Man muß wissen, daß der ehrliche Hahn , sobald er erfahren hatte, daß Brandenburger nach Budesheim in Verhaft gebracht sey, dahin lief, und, weil er sich nicht traute, den Offizier allein anzu- gehen, den Pfarrer Hoffmann bath, sich des ar- men Unschuldigen anzunehmen. Dieser rechtschaffne Mann war auch sofort dazu erboͤtig. Unterwegs begegnete ihnen der alte Husar, welcher ihnen er- zaͤhlte, was in Wendelsheim vorgefallen war. Brandenburger kam zu Hause, und fand seinen Keller — ausgeleert. Er uͤberreichte nachher eine Bittschrift dem Grafen von Kalkreuth , worin er sich uͤber die barbarische Art beschwerte, womit man ihn und sein Haus behandelt hatte. Der Ad- jutant des Grafen gab ihm aber die troͤstende Ant- wort: „Es ist Krieg!“ In Flonheim wurde Diel , ebenfalls ein beguͤ- terter Gastwirth, als Klubbist angegeben, von den Preußen gepruͤgelt, beraubt, und seine huͤbsche Frau — auf die schaͤndlichste Art misbraucht. In Woͤllstein, einem schoͤnen großen Flecken, war die Untersuchung gegen die Klubbisten noch schaͤrfer. Dieser Flecken gehoͤrt theils dem Kurfuͤr- sten von Maynz, theils dem Fuͤrsten von Nassau- Saarbruͤcken. Viele von den Buͤrgern hatten, theils aus Unwissenheit, theils verleitet, theils, um groͤ- ßern Uebeln zu ent gehen, an der Klubbisterey Theil genommen, wurden nun angegeben, und von den Aristokraten und Preußen aufs schroͤcklichste mis- handelt. Einer wurde auf der Stelle mit Stock- schlaͤgen ermordet, und drey andere sturben einige Tage nach der Huronischen Behandlung. Aehnliche Auftritte gab es in der Rheingraf- schaft, im Weilburgischen, Speyrischen u. s. w. Die winzigen Monarchen in der Pfalz — den einzigen Fuͤrsten von Nassau - Weilburg aus- genommen — die Fuͤrsten von Leiningen, von Usingen, der Bischof von Speier, die Beamten des Kurfuͤrsten von Maynz, die Rheingrafen zu Greh- weiler und Grumbach, und noch viele solcher Sul- tane jenseits des Rheins machten nun, unter dem Schutz der Preußen, Jagd auf Klubbisten, verfolgten und draͤngten sie bis aufs Blut. Nur noch einige Beyspiele von den vielen, welche zu beschreiben waͤren — bis zum Entsetzen. Mein Freund, der redliche Pfarrer Leopold von Ungstein bey Duͤrkheim an der Haard, ein Mann, dessen heller Kopf schon daraus abzuneh- men ist, daß er, als lutherischer Pfarrer, das Herz gehabt hat, sein Maͤdchen zu heurathen, ob es gleich katholisch war, hatte bey dem Einfall des Cuͤstine in Deutschland, und der darauf erfolg- ten Revolution in der Pfalz, verschiedne Grund- saͤtze geaͤußert, welche Goͤchhausen und Compagnie fuͤr Jakobinismus oder Illuminaterey ausgeben. Er hatte seinen Bauren selbst auf der Kanzel gera- then, sich in die Zeit aus Klugheit zu schicken, und das sogenannte ferment démocratique zu lei- sten, um schon einen Fremden nicht mit Gewalt, zu ihrem groͤßern Nachtheil, zum Maire zu be- kommen, oder sich feindseligen Handlungen nicht laͤnger auszusetzen, oder gar von Haus und Hof vertrieben zu werden, u. dgl. So lange Cuͤstine jene Gegenden behauptete, ging es gut, und Leo - pold hatte keine Anfechtung; aber kaum waren die Preußen da, so foderte der Großinquisitor des Fuͤrstenthums Leiningen, Hr. Klevesahl , Su- perintendent zu Duͤrkheim, ehemals zu meiner Zeit Professor der Philosophie in Gießen, wo ihm die Studenten, wegen seiner großen Armselig- keit, den Beynamen Bararraphus gaben, der Nach- folger des Doctors Bahrdt , der aber gerade so neben Bahrdten unter den Superintendenten zu Duͤrkheim paradirt, wie ein Schirach neben Pos - selt oder ein Brumbey neben Schulz , ehedem in Gielsdorf. — Klevesahl, ein grober, aufgebla- sener, unwissender und katechismusmaͤßiger Pfaffe, von welchem ich noch einiges anfrischen werde, denn ich selbst habe das pecus campi in seinem Hause ge- sehen — also Meister Klevesahl, der Großinqui- sitor, foderte, daß nun der Jakobinismus des Pfarrers Leopold sollte untersucht werden. Leo - pold aus Furcht, verkannt und eingesteckt zu wer- den — denn der sanftmuͤthige Großinquisitor Kle- vesahl hatte hierauf angetragen — fluͤchtete nach Landau zu dem damaligen Kommendanten Gillot , welcher ihn aufnahm, und mit Paͤssen nach Stras- burg versah. Ehe er aber dorthin abging, erhielt er von seiner guten Frau ein Schreiben, daß sie mit dem Fuͤrsten geredet, und dieser ihr versprochen habe, ihren Mann wenigstens nicht einzustecken. Leopold kam nun zuruͤck, wurde aber suspendirt, und sein Proceß gieng an. Er mußte Kaution stel- len. Der Pfarrer Braun von Duͤrkheim erhielt den Auftrag, die geistlichen Verrichtungen in Ungstein ad interim zu uͤbernehmen. Leopold wendete sich an den Herzog von Braunschweig, und dieser menschenfreundliche Fuͤrst brachte es end- lich dahin, daß man ihn wieder einsezte. Der Proceß hat ihm aber mehrere tausend Gulden ge- kostet! Pfarrer Chelius von Ilbesheim war auch mit unter denen, welche sich zum Systeme der Neufranken gleich anfangs bekannt hatten. Er war selbst ein Vertrauter des Generals Wimpfen und Georg Forsters . Bey der Ankunft der Preußen packte er auf, und gieng nach Landau und von da nach Strasburg, wo er die Stelle eines Kriegskommissaͤrs uͤbernahm. Sein Haus wurde gepluͤndert und seine Frau, ein junges huͤbsches Weib, aufs aͤrgste mishandelt. Kaum ließ man ihr so viel, daß sie sich decken und nach Alzey fluͤch- ten konnte. Hier nahm sich Herr Walther , der Alzeyer reformirte Pfarrer, ihrer au, ließ sie bey sich wohnen und pflegte ihrer wie Bruder. Wahr- scheinlich ist sie nach der schimpflichen Retirade der Deutschen aus jenen Gegenden, wieder zu ihrem Mann gekommen, und wahrscheinlich haben die Franzosen sich gegen meinen Freund, den recht- schaffnen Walther , gut benommen wegen der Sorge fuͤr die Frau eines Mannes, der sein Gluͤck ihrem Systeme opferte. Pfarrer Heres von Bechtheim, ein Vertrau- ter Bahrdts, und der dortige Amtmann Susse - miehl , einer von den wenigen Juristen in der Pfalz, die das Hirn nicht erfroren haben, waren auch unter den Klubbisten: Sussemiehl hatte sogar die Lieferung fuͤr Cuͤstine uͤbernommen. Sie giengen beyde nach Frankreich, nahmen aber ihre Weiber mit. Was sie hinterlassen mußten, fiel den Pluͤnderern in die Haͤnde. Wer den Hirten hat, hat die Heerde, dieß ist die Maxime, deren Befolgung das Befremden mindert: warum auf dem Lande am Rhein gerade die ansehnlichsten Klubbisten Pfarrer waren, oder Amtleute und Wirthe. Daß aber protestantische Pfarrer, und uͤberhaupt Protestanten, wie oben beruͤhrt ist, am ersten und meisten demokratisirten, lag theils an dem tiefen Gefuͤhl, wie despotisch man sie immer und uͤberall behandelte, und dann an der groͤßern Gewandtheit und Klugheit, sich in Zeit, Ort und Personen zu schicken, welche Ge- wandtheit man um so mehr lernet, jemehr man ge- neckt, und je aͤrger einem das Auskommen er- schwert wird. Alle Graßfressende Thiere, wie Gaͤnse, Schafe und Kuͤhe, sind dumm und traͤge; aber der Fuchs ist schlau, weil er wacker raffiniren muß, um sein Federvieh ergiebig zu haschen. Wer von Groͤsus Schaͤtzen reichlich hat, dessen Einsicht und Gewandtheit steht der Einsicht und der Ge- wandtheit der aus Noth, wegen der uͤbrigen christ- lichversperrten Nahrungswege, herumschachernden Israeliten gemeinhin nach. Freilich, was gar keine Anlage hat, bleibt meist, was es ist; und daher schreibt sich das einzige Verdienst des Vege- tirens bey so vielen armseligen protestantischen Pfar- rern in der Pfalz auf ihren noch armseligern Pfar- ren, die nur einem Taugenichts oder Dummkopf schmecken koͤnnen. Die weitern Gruͤnde, warum auch manch sonst heller, braver Rheinlaͤnder demokratisirt hat, ent- haͤlt ein Stuͤck von dem Gespraͤche, welches ich mit Hn. Koͤster , Pfarrer zu Niederfaulheim, ei- nem Vetter von mir, dessen ich im I. Th. gedacht habe, fuͤhrte, als er mich waͤhrend der Blokade von Maynz besuchte. Was bewog sie denn, fragte ich ihn, den Neufraͤnkischen Grundsaͤtzen beyzu- treten? Koͤster : Nicht ihr Glanz, auch nicht ihre Neuheit, eben so wenig ihre Kuͤhnheit und Groͤße: aber, wenn es unsern Fuͤrsten erlaubt war, sich durch die Flucht zu retten: warum sollte es uns nicht erlaubt seyn, uns durch Klugheit zu ret- ten? Und blos Klugheit war es, daß ich und tau- send Andere uns lieber fuͤgten, als uns unnuͤtzer Weiser necken, oder gar ohne Sack und Pack fort- jagen ließen. Freilich, wenn wir, wie unsre Herren, Geld und Credit genug gehabt haͤtten, um nach ergriffner Flucht unser Brod und unsere Be- quemlichkeit uͤberall zu finden; und waͤren uns, wie ihnen, Land und Leute zu Gebot gestanden, um unsere Wohnungen und unsern gewoͤhnten Wohl- stand aus ihrem Beutel und Ertrag dereinst wieder herzustellen: o dann waͤre es fuͤr die Meisten Thor- heit gewesen, sich durch Flucht nicht eben so zu retten, wie sie. Aber hier, lieber Vetter, lag der Knoten, und Schande wars fuͤr die Klubbisten- Profose, daß sie auf diesen Knoten so wenig Ruͤck- sicht nahmen! Retten mußten wir uns einmal selbst, so gut es gieng: denn unsere Herren ließen uns im Stich, und hatten an unsern Schutz vorher bey- nahe gar nicht gedacht, so daß es einem maͤßigen Haufen Franzosen eine Kleinigkeit war, eine Haupt- reichsfestung, die Festung Maynz, nebst der an- graͤnzenden Gegend, ohne vielen Widerstand in Besitz zu nehmen. Wir waren wie eine res dere- licta, und die ist, wie die Juristen sagen, primo occupantis . Die Franzosen, als feindliche Erobe- rer, maßten sich, zum Ersatz fuͤr die Invasion in ihr Gebieth, des Heldenrechts an, hoben die Her- ren-Verfassung auf, und fuͤhrten eine neue, nach ihrer in Frankreich, ein: und nun hatten wir nur die Alternative: entweder als durch Eroberung in Besitz genommenes Volk uns unter der Gewalt und den Verfuͤgungen der neuen Besitzer zu fuͤgen Hierin hatte mein Vetter, nach dem, was so geschieht, wohl nicht Unrecht; und ein Westpreuße kann den Beweis dafuͤr a posteriori, der Zeit nach, wegen einer Parallele von der Fuͤgung der Unterthanen in Polen unter der neuemgefuͤhrten Verfassung fuͤr Sudpreußen nicht gut leugnen, oder er muͤßte denken, wie der Verfasser von der Untersuchung uͤber die Rechtmaͤßigkeit der Theilung Polens . (Warschau, 1795.) Denn die Franzosen hatten nach dem Kriegsrechte oder nach dem Rechte des Staͤrkern Recht, damals als Eroberer daß in den Rheingegenden zu thun, was Preußen nachher in Polen that; und wie Preußen mit Gewalt sich Ge- horsam in Suͤdpreußen erzwang, so erzwangen ihn sich die Franzosen in dem neuacquirirten Rheindepartement. Aber ge- , Dritter Theil. Z oder als standhafte Anhaͤnger der Herren-Verfas- sung uns als Rebellen zur Schanzarbeit abfuͤhren zu lassen, oder unser Vermoͤgen fuͤr die Republik konfiscirt werden zu sehen, und dann als Bettler auszuwandern. Haͤtte also Keiner sich fuͤgen sollen oder wollen: so waͤren alle beraubt und vertrieben worden; und was haͤtte einem Landesherrn an ei- nem verwuͤsteten und Menschenleeren oder verarm- ten Lande dann noch groß liegen koͤnnen! Fuͤgte man sich aber, und nahm man neueingefuͤhrte Stellen an: da blieb man bey dem Seinigen, ver- huͤtete Anarchie, beugte der Besetzung der oͤffent- lichen Stellen durch raubgierige Boͤsewichter oder Unkundige der Landessitten u. dgl. vor, hielt die oͤffentliche Ordnung, ungestoͤhrte Geschaͤftig- keit und den davon abhaͤngenden Wohlstand auf- recht: und Volk und Fuͤrst waren gerettet, wenn es den leztern gelang, ihr occupirtes Land zu via- diciren. rade die Preußen waren es, welche an den Klubbisten und an- dern neuorganisirten gehorsamen Unterthanen des Neufraͤnki- schen Rheindepartements eben den erzwungenen oder freiwillig geleisteten Gehorsam bestrafen halfen, den sie in Suͤdpreußen mit Gewalt noch erzwingen, und, wenn sie ihn erreicht sehen, gutheißen und loben. Wo ist hier politische Konsequenz! Was sagen hier die, welche vor lauter lieber Deutschheit, ihres poͤbelhaften und unsinnigen Schnatterns uͤber Frankreich kein E e finden koͤnnen! Sie koͤnnen — fuhr mein Vetter fort, den ich nicht unterbrach, weil alles, was er vortrug, sich hoͤren ließ, — mir sagen: Die Rheinlaͤnder hat- ten kein Recht, ihre pa ta publica aufzuheben, oder das Band zu loͤsen, wodurch sie an ihren Herren und dem Reiche gebunden waren: und hierin sollen Sie Recht haben, wenn Sie eine dauerhafte, unge- zwungene und freywillige Hebung oder Loͤsung die- ses Bandes, ohne hinlaͤngliche Ursache und gegen- seitige Einwilligung, meynen; aber nicht, wenn das Gegentheil auch nur des ersten Punktes, we- nigstens auf ein ad interim, statt hat. Und, lieber Vetter, wie konnte man fodern, daß wehrlose Un- terthanen das haͤtten hindern oder unwirksam ma- chen sollen, was ihre wehrhaften Herren selbst nicht konnten, oder wenigstens nicht thaten? Was ver- diente der Hirt, der erst Woͤlfe herbeylockte, oder sorglos sie herankommen ließe, dann davon liefe, und nachher es den Schafen verargen wollte, daß sie eine gute Seite mit den Woͤlfen gemacht und da- durch sich gerettet haͤtten, und nicht sich den Woͤlfen so und so lange widersezt haͤtten, bis sie von ihnen alle zerrissen oder zerstreut gewesen waͤren? Wer Anhaͤnglichkeit und Gehorsam von Unterthanen fo- dern will, muß sie vor der Lage huͤten, worin ih- nen beydes unmoͤglich wird; und straft er hernach dennoch, so verfaͤhrt er nach dem Harpiensystem, und ist mehr als Tyrann. Ich hoffe, lieber Vet- ter, Sie und Vernunft und Recht auf meiner Seite zu haben, und nun moͤgt' ich wohl wissen, wie unsere Herren ihre Regentenklugheit bey der Mit- und Nachwelt retten werden, oder jene des Ge- gentheils uͤberfuͤhren, welche das gewoͤhnlichlinki- sche Benehmen der Fuͤrsten, oder vielmehr ihrer Raͤthe und Minister, zumal in dieser Zeit, als Grunds genug anfuͤhren, warum man den Herren- stand ganz und gar abschaffen solle, um fuͤr seine Sicherheit auf alle Zeiten und auf alle Faͤlle selbst zu sorgen, und diese Sorge nicht denen zu uͤber- lassen, welche in Friedenszeiten den großen Herrn spielen und sich fuͤttern und hofiren lassen, zur Zeit der Gefahr aber davon laufen, ihre Unterthanen preisgeben, und sie hernach noch gar strafen, wenn sie sich, nach dem Rechte der Selbst- und Noth- huͤlfe, waͤhrend der Zeit ihrer Verlassenheit, hal- fen, so gut es ging! Ich : Als Pastor wissen Sie, was die Mieth- linge im Evangelio sagen wollen; und das sind die Herren mit dem Krummstabe beynahe immer: diese also moͤgten immerhin abfahren. Fuͤr die uͤbrigen aber ist eine vernuͤnftige Constitution, auf deren Exekution die Nation durch Volksstaͤnde aufmerk- sam mitwacht, noch ein Mittelweg. Pastor : Constitution? Du lieber Gott: wir hatten gar eine doppelte: eine des Landes und eine des Reiches; und doch — was halfen sie! Ich : Und eben, weil sie nichts halfen, beduͤr- fen wir einer wirksamern und angemeßnern; und diese, hoffe ich, wird die Zeit herbeyfuͤhren: nur Geduld! — Als ich ihn fragte: ob er nicht gehofft oder ge- fuͤrchtet haͤtte, daß wir oder jemand anders uͤber kurz oder lang das Land reinigen und alles auf den alten Fuß zuruͤckbringen wuͤrden, sagte er: das wohl, aber gewiß nicht auf lange. Sie kennen die Franzosen: ihr Enthusiasmus hat keine Graͤnzen, und ihr Enthusiasmus geht jezt auf Freyheit oder Tod. Sie wissen aus der Geschichte, daß ein Volk frey ist, sobald es frey seyn will. Und nun ein Volk, wie die Franzosen! Vetter, sie sind wie die Kie- sel: jemehr Schlaͤge, desto mehr Funken! Geben Sie Acht: sie laͤutern sich, concentriren sich, kom- men zuruͤck und stuͤrmen halb Europa! Genug, Koͤster , ein heller einsichtiger Mann, sah damals schon ein, daß die Franzosen wieder vordringen und alles zerstoͤren wuͤrden, was die Preußen und Oestreicher dort auch machen moͤgten. Er hatte sich aber in die Zeit geschickt. Weil er al- so gefuͤrchtet hatte, es moͤgten ihm wegen seiner Klubbisterey, denn so hieß, wie ich schon gesagt habe, aller Schein von Anhaͤnglichkeit am franzoͤ- sischem Systeme, Haͤndel gemacht werden, so ver- traute er sich dem General von Wolfframsdorf , erklaͤrte ihm alle Umstaͤnde, und dieser sonst eben gegen Klubbisten nicht gutgesinnte Offizier, sagte ihm: er moͤgte nur ruhig seyn, er habe ganz und gar nichts zu befuͤrchten. Ich weiß nicht, ob ich meine Behauptung, daß Hr. von Wolfframsdorf ein Feind der Klub- bisten gewesen sey, beweisen soll. Ein Beyspiel ist mir bekannt, welches ihm eben nicht viel Ehre macht. Hier ist es! Als der ungluͤckliche Kanonikus Winkelmann , gewesener Maire zu Worms, dessen traurige Ge- schichte hinlaͤnglich bekannt ist, durch Oppenheim gefuͤhrt wurde, so wurde er dem General Wolff - rammsdorff , welcher da das Kommando hatte, vorgestellt. Dieser fuhr den guten, wuͤrdigen Winkelmann , den jeder Vernuͤnftige bedaurte, wie rasend an, und bediente sich der niedrigsten Ausdruͤcke, sprach von verfluchten franzoͤsischen Pa- trioten, die gehenkt, geraͤdert u. s. w. werden muͤß- ten. Und doch hatte der Koͤnig dem ungluͤcklichen Winkelmann Schutz versprochen! Solche ei- genmaͤchtige, gesetzwidrige Auftritte sind empoͤrend, und reizen den Feind allemal noch mehr gegen uns selbst. Ich verstehe gar nicht, was fuͤr Ursache man gehabt haben mag, den Feind und dessen con- stituirten Anhang durch unedle Behandlungen sei- ner Gefangnen, durch niedriges Schimpfen und kleinliches Spotten, noch mehr aufzubringen! Die uͤblen Folgen von diesem Benehmen hat man leider auch bald empfunden. Mich wundert, daß mein guter Braun auch hierauf keine Ruͤcksicht genommen hat! Doch es ist Zeit, daß ich meine andere Erzaͤhlung fortsetze! Ein und dreyßigstes Kapitel. Belagerung der Festung Maynz . W enn ich dieses Kapitel so uͤberschreibe, so bin ich keinesweges gesonnen, eine vollstaͤndige Be- schreibung von der Belagerung dieser Festung zu lie- fern: das ist schon von Andern geschehen, freilich immer so oder so, und selten ausfuͤhrlich, und noch seltner zuverlaͤßig. Ich fuͤr mein Theil erzaͤhle hier, was mich betrifft; und uͤber die Begebenhei- ten selbst mache ich nur hie und da Anmerkungen, welche dem Leser, wie ich hoffe, nicht misfallen werden, wenn er sonst Einsicht und Kenntniß von militaͤrischen Operationen hat. Ich habe einmal einen ganz naͤrrischen Grund- satz, nach welchem ich uͤberall und in allen Stuͤcken zu Werke gehe. Ich glaube naͤmlich, daß jeder Mensch, dem die Natur Augen, Ohren und Nase gegeben hat, darum mit seinen Augen auch sehen, mit seinen Ohren auch hoͤren, und mit seiner Nase auch riechen muͤsse, und daß er fremder Sinne nicht noͤthig habe, wenn seine eignen noch in brauchbarem Stande sind. Gern rede ich mit Maͤnnern von Erfahrung und Kenntnissen, aber das ist auch alles: ich lasse mir von Keinem etwas aufbinden oder auf- dringen. Ich weiß, daß die groͤßten Feldherren von Agamemnon an bis auf den Herzog von Braunschweig und den Prinzen von Co - burg gewaltige Schnitzer begangen haben im Krie- ge, Schnitzer, woruͤber sich jezt der geringste Kor- poral wundert. Daher habe ich folgenden Grund- satz niemals als unumstoͤßlich annehmen koͤnnen: Was dieser oder jener große General that, das war recht gethan: Denn sonst muͤßte ich ja auch die Belagerung von Maynz fuͤr ein Meisterstuͤck halten; und das war sie doch wohl nicht! Was die Herren Philosophen betrift, die allein weise sind, wie sie meynen: so bin ich uͤberzeugt, daß Marcus Tullius recht hat, wenn er spricht: es sey nichts so abgeschmackt, das nicht dieser oder jener Philosoph behauptet habe. Und die Theologen! — Wahr und wahrhaftig, kaͤme Christus zuruͤck, er machte es den meisten von ih- nen, wie ehedem den Schriftgelehrten und Phari- saͤern; und sie, verwaͤrfe er ihre symbolischen Buͤ- cher, kreuzigten ihn ohne Erbarmen von neuem! Ich gehe demnach meinen Gang fuͤr mich — unbe- kuͤmmert um den gebahnten Gang Dieses oder Jenes, er heiße Held, Philosoph, Theolog, Sul- tan oder Papst. Ist mein Gang nicht der rechte Gang: je nun, so ist er wenigstens der Gang, den ich mir wohlbedaͤchtig waͤhlte, und dieß — weil Freyheit und Selbststaͤndigkeit das hoͤchste Gut auf der Welt sind, oder zu seyn scheinen. — Wir ruͤckten am 14ten April ins Lager vor Maynz, welches aber nur von weitem, jenseits des Rheins, uͤber eine starke Stunde, beynahe ge- gen zwey Stunden, eingeschlossen wurde. Es war an einem Sonntage; und der Poͤbel, groß und klein, aus der ganzen dortigen Gend kam heran, uns und unser Lager zu besehen. Unter diesen waren viele meiner Bekannten, welche sich bemuͤhten, mir ihre Anhaͤnglichkeit und Freundschaft zu beweisen. Lange standen wir ziemlich ruhig. Man machte zwar hie und da einige Schanzen zur Vertheidigung, hatte aber noch kein Geschuͤtz, um einiges von Er- folg gegen die Festung vorzunehmen. Das preußische Hauptquartier der Belagerung war in Marienborn, und Herr Graf von Kalk - reuth fuͤhrte das Oberkommando uͤber die ganze Belagerung. In Maynz kommandirte d'Oyr é , ein Mann von vielen militaͤrischen Kenntnissen und zweckmaͤßiger Thaͤtigkeit. Dieser Mann hat sich gegen das Ende des Jahres 1794, durch Hn. Bis - pinks Vermittelung, um mich selbst sehr verdient gemacht, wie ich in der Folge erzaͤhlen werde. Der Repraͤsentant Merlin von Thionville — denn es giebt noch einen von Douay — war nach Maynz geschickt worden, um da das Interesse der Franken- Republik zu besorgen. Dieser Merlin ist ein fataler Rabulist, welcher gern alles nach seinem Kopf geformt haͤtte, wenn nur d' Oyr é die Haͤnde dazu haͤtte bieten wollen. Er schien ganz gewaltig patriotisch gesinnt zu seyn, und war doch, wie es scheint, die Hauptursache, daß Maynz so bald erobert oder vielmehr uͤbergeben wurde. Die Maynzer-Besatzung war damals 18000 Mann stark. Dieses war wirklich fuͤr eine Aus- dehnung, wie damals die Maynzer Werke sie hat- ten, wozu noch Castel und die Petersaue, eine Rheininsel, und noch verschiedne andre Inseln zu der Zeit gehoͤrten, viel zu schwach. Cuͤstine hatte hier einen argen Fehler begangen, daß er sich mit seinem Korps, welches nach Germersheim zog nicht in Maynz warf. Den Deutschen war es uͤbri- gens zu verzeihen, daß sie im Anfang der Bela- gerung nur langsam zu Werke giengen: es fehlte ihnen an Allem — an Geschuͤtz und an Mann- schaft. Damals, als wir anruͤckten, war unsre Belagerungsarmee am linken Rheinufer hoͤchstens 16000 Mann stark. Freilich kamen hernach, aber ziemlich spaͤt erst, die Koͤnigl. Garden, mehrere Bataillons kaiserlicher Truppen, dann Darmstaͤd- ter und Pfaͤlzer dazu, wodurch denn 37000 Mann herauskamen. An Reuterey hatten wir wirklich zu wenig: das Reuterregiment des Herzogs von Weimar , die Saͤchsischen Dragoner und Husaren waren jen- seits des Rheins; und diese Kavallerie reichte, wie mich duͤnkt, nicht hin, besonders da die Saͤchsi- schen Husaren ihr Handwerk noch nicht recht ver- standen. Man nehme mir das nicht uͤbel, und die Herren werden jezt wohl selbst einsehen, daß sich Husaren nicht sofort aus Dragonern machen lassen, und daß zu einer aͤhnlichen Organisation etwas mehr noͤthig sey, als der Pelz und der Saͤbel. Deswegen hat man nachher noch Husaren von Wurmser hinzugenommen. Das Wetter war waͤhrend der ganzen Belage- rung groͤßtentheils gut und den Schanzarbeiten guͤnstig, welche denn auch stark betrieben wurden. Zu diesen Arbeiten brauchte man Soldaten und die Bauren aus der dortigen ganzen Gegend. Es ist, duͤnkt mich, fuͤr diesen Punkt im Kriegswesen noch sehr viel zu verbessern, und der Vorschlag Eines der Mitarbeiter an dem Magazin der neusten Kriegsbegebenheiten , ein stehendes Korps Arbeiter zu errichten, scheint mir nicht sehr Unrecht: denn sowohl die Soldaten, als die Bauren schicken sich zu solchen Arbeiten gar schlecht. Der Soldat arbeitet uͤberhaupt nicht gern. Wenn ich haͤtte arbeiten wollen, spricht er, waͤre ich nicht Soldat geworden. Und wahrlich, ein Graben, woran 150 Mann zwey volle Tage ar- beiten, kann in Einem gar fuͤglich durch 30 oder 40 ordentliche Schaffer fertig werden. Die Bauren sind bey militaͤrischen Werken eben- falls schlechte Arbeiter. Einmal sind die Leute im- mer gezwungen, und da schicken sie Kreti und Pleti, Kinder, Weiber, Maͤdchen, kurz alles, was nur gehen kann. Bey der Arbeit selbst wird entweder geflucht, oder gekackelt und wenig oder nichts aus- gefuͤhrt. Es scheint auch nicht sehr billig zu seyn, den armen Bauren, welche ohnehin ihre liebe Noth mit Lieferungen, Fuhren u. dgl. haben, auch noch die Last der Schanzarbeiten aufzulegen. Man be- denke, wie der arme Landmann bedraͤngt wird, wenn so ein Ungewitter in seiner Naͤhe schwebt, be- sonders die, welche auf 6, 8, 10 bis 12 Stunden von einer belagerten Festung zu Hause sind. Soll- ten sie aber demohngeachtet doch arbeiten, so sollte man den armen Leuten wenigstens Tagelohn geben. Ich habe bey Maynz und bey Landau arme Leute arbeiten sehen, welche in 24 Stunden nichts essen konnten, weil ihr Vorrath alle war, und sie keinen Kreuzer Geld hatten. Daß man die armen Bauren bey solchen Arbei- ten auch noch mishandelt, davon bin ich selbst Zeuge gewesen: dumme, unverstaͤndige Korporaͤle, und unmuͤndige Offiziere schlugen die armen Leute, daß es eine Schande war. Barbarisch ist es vollends, daß man Landleute da arbeiten laͤßt, wo Gefahr ist, verwundet oder erschossen zu werden. Gefaͤhrliche Arbeiten muͤssen blos dem Soldaten, der einmal fuͤr dergleichen ge- faͤhrliche Posten besoldet wird, uͤberlasset w : aber auch dieser muͤßte nebenher dafuͤr belohnt wer- den. Ueberhaupt aber scheint der erwaͤhnte Vorschlag zur Errichtung eines eignen militaͤrischen Arbeiter- korps vom groͤßten Nutzen, besonders bey Belage- rungen zu seyn. Daß wir, waͤhrend der ganzen Belagerung, sehr stark geplagt wurden, laͤßt sich denken. Tag fuͤr Tag beynahe im Dienste, und Nacht fuͤr Nacht fast in die Schanzen: das war reilich hart, aber wegen der uͤberall zu schwachen Belagerungsarmee nothwendig. Einstens — es war in der Nacht vom 8 — 9ten Junius — fiel es dem Prinzen Louis , Sohn des Prinzen Ferdinand von Preußen , ein, ei- nige Schanzen auf der Anhoͤhe oberhalb Zahlbach zu demoliren. Die Franzosen bedienten sich der- selben, die Gegend um Bretzenheim unsicher zu machen, fuͤhrten aber alle Abend ihre Kanonen her- aus. Dieses wußte der Prinz nicht, und ihm war es doch eigentlich darum zu thun, die Kanonen zu vernageln, oder wegzufuͤhren, und dann die Schan- zen zu zerstoͤren. Ich befand mich mit unter der Zahl der mitgenommenen Arbeiter. Wir griffen die Schanzen an, jagten die Besatzung, welche nichts weniger erwartete, als einen Anfall dieser Art, heraus, und machten dann alles der Erde gleich. Da wir sehr nahe unter den franzoͤsischen Kanonen waren, so schadeten uns diese wenig. Dieser Coup hat der militaͤrischen Geschicklichkeit und noch mehr dem Muthe des Prinzen Ehre ge- macht. Es war schon Tag, als wir abzogen, und wir wuͤrden uͤbel weggekommen seyn, wenn nicht erfahrne Offiziere, besonders der Herr Major von Griesheim , die schicklichsten Anstalten zur Re- tirade zu treffen gewußt haͤtte. Aber schon den andern Morgen um 9 Uhr bewiesen uns die flinken Franzosen, daß wir uns vergebens bemuͤht hatten: ihre Kanonen donnerten um diese Zeit schon wieder aus den frisch aufgeworfenen Schanzen. Zwey und dreyßigstes Kapitel. Fortsetzung des vorigen . U nter den vielen Besuchen, welche ich im Lager bey Maynz erhielt, war auch ein sehr unerwar- teter, naͤmlich der von meinem Bruder. Man stellt sich vor, daß unsre Zusammenkunft eben nicht herzlich war: man denke an das, was ich im zwey- ten Theil uͤber unsre bruͤderliche Liebe gesagt habe. Mein Bruder, um sich mit mir nicht vis-à-vis zu setzen, hatte noch einen Herrn und einige Frauen- zimmer mitgebracht, worunter auch seine Liebschaft war, mit welcher er sich, wie ich ihm nicht ver- denken kann, mehr abgab, als mit mir. Wir sprachen blos uͤber Angelegenheiten der Zeit, und vermieden alles, was uns auf unsre Familienange- legenheiten haͤtte leiten koͤnnen. Mein Bruder beschwerte sich unter andern sehr uͤber das barbarische Betragen des Obersten Sze - kuly in seiner Gegend, und auf dem Hundsruͤck. Er hatte meinen Bruder mit Hieben gedroht, hatte selbst die Bauren und andre Leute gepruͤgelt, und von nichts als von Patrioten radotirt. Dieser toll- kuͤhne Mann, dem man das Fleischerhandwerk sei- ner Vorfahren noch ansah, nahm, wo er konnte, beschenkte damit seine Leute, und fuͤhrte unter deren dadurch willigem Beystand Einiges aus, das ihm Ruf erwarb, schickte aber auch — Man denke sich den unruhigen und ruhmsuͤchtigen Renommisten zu Pferde! — den Zeitungsschreibern das selbst zu, was er durch ihre Luͤgentrompete uͤber seine Tha- ten und sich ausposaunt wissen wollte. Er erwarb sich also einigen Soldaten-Ruf; aber den Ruhm der Menschlichkeit erwarb er sich nicht. Ich kenne einen vornehmen preußischen Offizier, welcher keine große Thaten gethan hat, weil ihm die Gelegen- heit dazu abgieng, und weil da, wo er wirksam seyn sollte, die Ueberlegenheit des Feindes ihn hin- derte, etwas von Belang auszufuͤhren. Helden- thaten ruͤhmten also die Zeitungen an ihm nicht, aber alle Landleute und Staͤdter segnen ihn uͤberall, wo er mit seinen Leuten gewesen ist: und dieser Edle heißt — Thadden . Mein Bruder verließ mich nach einem Besuche von einer halben Stunde, und versprach, den fol- genden Tag wieder zu kommen. Ich hoffte nicht, ihn wieder zu sehen, und doch hielt er Wort: ich hatte aber die Anstalt getroffen, daß man in mei- nem Zelte sagen mußte, ich schliefe, und duͤrfte jezt nicht geweckt werden. Er mogte merken, daß dieses absichtlich gesagt wurde, und fuͤhrte sich ab. Nach dieser Zeit habe ich nichts mehr von ihm gehoͤrt. Auch meine gute Mutter, die mich bald hernach auch im Lager bey Maynz besuchte, er- waͤhnte seiner mit keinem Worte: Sie wußte unser Verhaͤltniß. — Es ist sehr traurig fuͤr mich, daß ich so isolirt in der Welt seyn muß! Doch Tu ne cede inalis, sed contra audentior ito! Ist gleich meine ganze Verwandtschaft, so zu sagen, fuͤr mich wie todt, so giebt es doch noch Maͤnner, die es schmerzt, wenn mir es uͤbel geht, und die sich mehr als bruͤderlich freuen wuͤrden, wenn wahres dauerhaftes Gluͤck fuͤr mich noch moͤg- lich waͤre. Das aber ist immer Trost fuͤr mich, und erleichtert mir die kummervollen Augenblicke, welche mir die Betrachtung meiner Schicksale und meiner verduͤsternden Verirrungen verursacht, und welche weit haͤufiger seyn wuͤrden, wenn ich nicht mit Fleiß, und so gut es gehen will, alle, leider, nichts fruchtende Betrachtungen entfernte, wodurch die Seele nur kraͤnker wird. Ich habe durch vieler- ley Zufaͤlle, die mich betroffen haben, und in sehr Dritter Theil. Aa verschiednen Lagen, doch so viel gelernt, daß der Mensch nimmermehr ganz ungluͤcklich ist, wenn er nur nicht selbst den Ursachen des ihn druͤcken- den Uebels nachspuͤhrt. Denn finden wir die Ur- sache davon in uns, so werden wir nothwendig mit uns selbst unzufrieden, und dann gute Nacht Ru- he auf geraume Zeit: finden wir sie an Andern, so fuͤllt sich unser Herz mit Zorn, Rachgierde und an- dern unangenehmen Gefuͤhlen, und wir sind eben- falls ungluͤcklich. Dieß ist eine von meinen Le- bens-Marimen , die freilich ihr Schiefes hat und etwas egoistisch ist; aber der Gerade geht ohne Kruͤcken, und nur der Beinbruͤchige bedarf ihrer, um durchzukommen, so gut es geht. Genug, fuͤr Patienten von meiner Art hatte jener wohl recht, welcher sagte: Ich hab mein' Sach auf Nichts gestellt; Drum kann mir's auch nicht fehlen. In der Folge mehr uͤber diesen Gegenstand. Die preußische, sonst so hochberuͤhmte, Genauig- keit im Dienste hat bey Maynz ein gewaltiges Ar- gument gegen sich bekommen durch den Ueberfall bey Marienborn. Die Sache ist bekannt; also nur einige Bemerkungen! Da das ganze Feld von Maynz bis an Marien- born voll hohes Getraides war, und da folglich Spionen, ohne bemerkt zu werden, ganz nahe her- anschleichen konnten, so haͤtte man sowohl am Tage als besonders bey der Nacht, vom Chaussee-Hause an bis nach Bretzenheim eine starke Wachtlinie zie- hen sollen, und daselbst fleißig patrouilliren. Aber freilich, man fuͤrchtete keinen Ausfall, und zog daher auch sogar ein Piket, welches gleich von An- fang der Blokade in die Kapelle zwischen Marien- born und Bretzenheim gestellt war, als unnoͤthig und uͤberfluͤßig ein. Jederman, der von diesem Ueberfall gehoͤrig unterrichtet ist, und nur einige taktische Kenntnisse hat, muß gestehen, daß dabey von unsrer Seite eine arge Nachlaͤßigkeit begangen ist, wenn man auch annimmt, daß man sich durch keine Art von Furcht von der Sicherheit abbringen ließ, worin man in Absicht der Franzosen und ih- rer Thaͤtigkeit stand. Denn Furcht und Wachsam- keit ist im Kriege, zumal bey einer Belagerung, die Mutter der Sicherheit fuͤr sich und seine Plane. Um diesen Fehler von uns abzuwaͤlzen, heißt es im I. B. des Magazius der neuesten Kriegsbe- gebenheiten S. 60: „Der kommandirende Gene- ral, Graf von Kalkreuth befahl, daß eine verhaͤltnißmaͤßige Anzahl Bauren in dieser Nacht vorangehen und das Getraide abmaͤhen sollten; den Kavallerie-Feldwachten wurde sogleich ange- deutet, diese Leute ohne Geraͤusch paß und repas- siren zu lassen, damit kein feindliches Feuer NB! auf sie gezogen wuͤrde. Die feindlichen Kolonnen (wel- che zum Ausfall bestimmt waren) wurden nun bey finstrer Nacht fuͤr diese Arbeiter gehalten, und so gelang es ihnen, unsere aͤußere Vorposten unentdeckt zu passiren.“ Jederman sieht, daß hier ein Galimathias geschrieben ist: Denn wenn Kalkreuth wollte, daß Bauren das Getraide abmaͤhen sollten: so hat er fuͤr diese Bauren gewiß auch eine militaͤrische Bedeckung verordnet: denn auch auf sie mußte Acht gegeben werden, damit keiner von ihnen, oder nicht jemand anders als Spion durch und in die Festung hereinschliche. Diese Bedeckung blieb dann gewiß in der Naͤhe der Bauren, und war al- so im Stande, heranschleichende feindliche Kolon- nen von ihnen zu unterscheiden, und auf den er- sten Anblick alles zu allarmiren. Ließ man aber die Bauren ohne alle Bedeckung hinziehen, so war das ein neuer Fehler, der den andern so wenig ent- schuldiget, daß er ihn vielmehr verdoppele. Die Vorposten sahen die Franzosen auch nicht fuͤr Bauren an, sondern fuͤr Soldaten, aber fuͤr Freunde, weil sie NB! das Feldgeschrey wußten, und es ordentlich angaben. Die Franzosen sind daher auch bis in Marienborn vorgedrungen, ohne daß man ihrer gewahr wurde; und wenn sie nur nicht so voreilig gewesen waͤren, so haͤtten sie , als man wohl denken moͤgte, ihr Vorhaben ausfuͤh- ren, und die Generale, Kalkreuth , Wolff - ramsdorf und Mannstein , nebst dem Prin- zen Louis , aufheben koͤnnen. Laßt uns doch lieber gestehen, daß wir auch Menschen waren, und hier einen recht derben militaͤrischen Schnitzer gemacht haben. Ich mag den aͤrgerlichen Vorfall nicht weiter analysiren. In allen Kriegen sind aͤhn- liche vorgefallen, und die groͤßten Helden aller Zeiten waren von solchen Fehlern nicht frey. Uebri- gens hat man die Wichtigkeit dieses Ueberfalls da- durch zu verringern gesucht, daß man unsern Ver- lust, der doch immer betraͤchtlich war, als ganz unbedeutend angab. Der bey diesem Vorgang von den Franzosen als Wegweiser gebrauchte Gerichtsschreiber Lutze von Oberolm wurde aufgefangen, und einige Tage nachher am Chausseehause aufgeknuͤpft. Er ging mit der groͤßten Gleichguͤltigkeit zum Tode, und schlng den Beystand des katholischen Pfarrers von Oberolm aus. Merlin hatte ihn mit Gewalt zum Wegweisen gezwungen, wie dieß nachher selbst mehrere Franzosen aussagten: und doch henkte man ihn als Spion ! — Die Franzosen in Maynz haͤtten sich in dieser Ruͤcksicht raͤchen koͤnnen, aber sie handelten menschlich. Sie hatten einen Main- zer Professor, der, wie ich meyne, Schaber hieß, als wirklichen Spion ertappt, und doch steck- ten sie ihn blos ein, um sich vor ihm, waͤhrend der Belagerung, zu sichern. Er saß uͤberdieß so leidlich, daß er, waͤhrend er saß, so ein Ding von Tagebuch uͤber die Mainzer Belagerung schrieb, und es nachher, nach der Uebergabe herausgab. Indeß wie die Henne, so das Ey — elend! Der arme Lutze hinterließ eine Frau mit fuͤnf Kin- dern. — Unsere militaͤrische Strenge hielt aber nicht uͤberall gleichen Schritt: denn als ein gewisser Leutnant auf dem rechten Rheinufer, wohin er auf die Maynspitze kommandirt war, das Ungluͤck hatte, daß die Franzosen ihn in einer Redoute uͤberfielen, und die Kanonen vernagelten, nachdem sie die Besatzung theils getoͤdtet, theils verjagt hatten, und als man diesen Ueberfall dem Leut- nant vorzuͤglich Schuld gab, weil man einsah, daß bey groͤßerer Wachsamkeit dergleichen so leicht nicht haͤtte geschehen koͤnnen — denn die Preußen merkten die Franzosen nicht eher, als bis diese schon voͤllig in der Schanze waren — so wurde er deswegen nur mit vier Wochen Arrest bestraft! — Eben dieser Herr Leutnant erhielt hernach, als er bey einer ganz unbedeutenden Gelegenheit seine un- bedeutende Schuldigkeit nicht ganz versaͤumte, den preußischen Orden pour le mérite, der freilich mul- titudine compotum laude frustratur, wie Livius uͤber die spolia opima sich ausdruͤckt. Weil ich doch hier von Orden rede, so will ich zugleich der Medaillons gedenken, welche bey Maynz anfingen ausgetheilt zu werden. Es wa- ren goldene und silberne Denkmuͤnzen, mit der Aufschrift: Verdienst um den Staat , und sollten jenen Unteroffizieren und Soldaten zu Theil werden, welche sich besonders auszeichnen wuͤrden. Die Oestreicher hatten schon seit dem Tuͤrkenkriege, wo Kaiser Joseph II. das Ding aufbrachte, der- gleichen Medaillen, aber mit vermehrtem Trakta- ment: allein bey den Preußen bleibt ein so bezier- ter Achtgroschen-Mann, wie einst ein Soldat sich daruͤber ausdruͤckte, immer ein Achtgroschen-Mann wie vorher: da soll blos die Ehre gelten, und das Verdienst belohnen. Ueberhaupt haben diese Medaillons wenig ge- nuzt, aber durch erregte Eifersucht und Uneinig- keit desto mehr geschadet. Es war dieses ganz na- tuͤrlich. Mancher oder vielmehr die meisten erhiel- ten die Medaillen aus Gunst; weil sie bey den Of- fizieren gut stunden, ihnen kalefakterten, u. dgl. wie der Majors-Bediente, der bald nachher doch zum Henker lief. Dieser Umstand brachte indeß so viel zu Wege, daß die bemedaillirten Bursche von den Uebrigen verachtet und gehaßt wurden. Man gab dem Dinge sogar allerhand unedle Bey- namen; und noch jezt in Halle mokiren sich sogar die Soldatenweiber daruͤber. So hoͤrte ich noch neulich eine zu ihrem Kinde auf dem Arme sagen, als gerade ein Bemedaillirter ihr voruͤber ging: „Sieh Frizchen, auch ein Kamerad mit einem Pfennig zur Semmel!“ In Frankreich gab man ehedem das Zeichen des langen Dienstes, und das war mit gewissen Vortheilen verknuͤpft. Ein solcher Ancien militaire — denn so hießen die mit dem Zeichen beehrten Sol- daten — durfte mit dem Stock nicht mehr geschla- gen werden, so sehr dieses damals auch noch bey den Franzosen grassirte. Aber bey den Preußen sah ich Einige, troz ihrem silbernen Medaillon, dennoch tuͤchtig durchpruͤgeln: sogar Unteroffiziere mit dem goldnen Pfennig erhielten nach Umstaͤnden ihre derben Fuchtel. Der Orden pour le mérite und das Medaillon sind demnach keinesweges Be- weis, daß der, welcher sie traͤgt, wirklich Ver- dienst besitze: sie zeigen blos an, daß er, wer weiß wodurch, die Gunst seiner Vorgesezten gehabt ha- be. Auch will Mancher von diesen durch den Schimmer seiner Untergebnen selbst gern mitschim- mern. Lange hatte unser Bataillon auf der linken Rheinseite gestanden; und ruͤckte den 17ten Jun auf die andre Seite ins Lager ohnweit Bischofs- heim, wo der damalige Oberste von Ruͤchel das Oberkommando hatte. Hier war unser Dienst weit schwerer und gefaͤhrlicher, als auf der linken Seite. Doch, ich wuͤrde wohl unrecht thun, wenn ich die Vorfaͤlle alle erzaͤhlen wollte, von welchen ich hier Augenzeuge gewesen bin. Leser vom kriegerischen Handwerk moͤgen das alles anderswo suchen; und die uͤbrigen werden sich mit dem begnuͤgen, was ich der allgemeinen Aufmerksamkeit werth halte. Eine vollstaͤndige, aber unpartheyische Beschrei- bung der Maynzer Belagerung haben wir ohnehin wohl schwerlich je zu erwarten. Ich sprach noch im verwichnen Sommer mit einem Ingenieur-Offizier der Oestreicher, und dieser Mann, welcher mir Kenner zu seyn schien, versicherte mich, daß auch aus der allergenauesten Angabe aller Operationen gegen Maynz wenig zu lernen, und noch weniger Ehre zu ernten sey: denn es seyen unzaͤhlige Fehler vorgefallen, welche bey andern Gelegenheiten sehr viel Ungluͤck uͤber die Belagerer haͤtten bringen koͤn- nen u. s. w. Ganz Unrecht schien mir der Inge- nieur nicht zu haben: denn wenn ich so uͤberlege, wie man gegen die Festung verfuhr, so duͤnkt mich selbst, daß man manche mislungne Versuche haͤtte ausfuͤhren koͤnnen, wenn man die Sache selbst nur besser eingeleitet haͤtte. Man wollte z. B. einmal ein tranchée eroͤffnen, woruͤber ein emigrirter Ingenieur die Aufsicht hatte. Man beorderte eine gewaltige Menge Arbeiter, und eine eben so starke Bedeckung, hatte aber so elende Anstalten zur Versammlung der Arbeiter ge- troffen, daß die kaiserliche Bedeckung die Preußi- sche fuͤr Franzosen in der finstern Nacht ansah, und auf sie feuerte. Die Preußen erwiederten das Feuer, und die Franzosen, dadurch aufmerksam gemacht, begruͤßten beyde mit Kartaͤtschen und kleinen Kugeln. Hiedurch ward die Verwirrung allgemein: die Arbeiter schmissen das Schanzzeug, und die Bursche die Gewehre weg; viele verloren Hut und Saͤbel, und alles lief, um sich zu retten. Fruͤh holten die Franzosen das deutsche Schanz- zeug, und die weggeworfnen Flinten und Patron- taschen. Dergleichen Dinge sind mehrmals vor- gefallen. Drey und dreyßigstes Kapitel. Noch uͤber die Maynzer Belagerung . W ir hatten unter andern schlimmen Posten auch die sogenannte Leimgrube, dicht an einer Rhein- insel, zu besetzen Diese Grube wurde von unsern Leuten bald die Mordgrube genannt, weil alle Ta- ge Mehrere daselbst erschossen wurden: denn auf der Insel, welche nur durch einen schmalen Kanal davon getrennt war, stunden die Franzosen, und sobald sich nur einer von uns uͤber den aufgeworf- nen Damm mit dem Kopfe erhob, schossen sie so gewiß, daß sie ihm allemal das Hirn zerschmet- terten. In diesem Mordloch liegen viele von den Unsrigen begraben: von unserm Bataillon allein buͤßten mehr als 30 Mann ihr Leben da ein. Die Franzosen waren, wie gesagt, nur durch einen schmalen Kanal von unserm Posten getrennt, und sonach konnte man gegenseitig alles hoͤren, was auf dieser oder jener Seite gesprochen wurde, wenn man nur vernehmlich sprach. Merkten nun die Deutschen, daß auch Deutsche unter den Franzosen waren, so gieng sofort das Geschimpfe an, wel- ches zuweilen viele Stunden immer im naͤmlichen Tone fortgieng, endlich bloß zum Spaße. Ich will fuͤr gewisse Leser einen solchen Schimpfdialog hier anfuͤhren, nur um zu zeigen, daß auch die kuͤhnsten Ideen ohne Wirkung bleiben, sobald sie familiaͤr werden, zumal Ideen vom Feinde. Preuße . Hoͤr du, sakkermentscher Patriot, wirst du bald die Schwerenoth kriegen? Franzose . Elender Tyrannenknecht, sag, wird dich dein Korporal bald lahm oder todtpruͤ- geln muͤssen? Pr . Du verfluchter Koͤnigsmoͤrder! Fr . Du niedertraͤchtiger Sklav! Pr . Ihr Spizbuben habt euren Koͤnig ermor- det, und dafuͤr muͤßt ihr alle zum Teufel fahren. Fr . Wenn ihr keine Hunzfoͤtter waͤret, so wuͤrdet ihr es allen Tyrannen eben so machen! Wenn ihr das thaͤtet, so waͤret ihr noch Menschen, so aber seyd ihr Tyrannensklaven, und verdient alle Pruͤgel, die ihr bekommt. Pr . Ihr habt noch alle eure Strafe vor euch. Die ganze Christenheit wird euch angreifen, und eure gottlose Thaten bestrafen. Fr . Laß sie doch kommen, die ganze Chri- stenheit mit dem ganzen Heer des Teufels und mit der Armee des Erzengels Michael: wir fuͤrchten uns nicht! Pr . Aber Maynz muͤßt ihr hergeben: das soll euch der Teufel nicht danken. Fr . Laß auch Maynz zum Teufel fahren: glaubt ihr denn, wir scheeren uns um so ein Ra- ckernest, wie Maynz ist? Da steckt noch alles voll Pfafferey und Adel. Aber so leicht sollt ihrs doch noch nicht kriegen. Pr . Wenn ihr nur euren Koͤnig nicht umge- bracht haͤttet — Fr . Kamerad, sey kein Narr! Es ist nun ein- mal so, und weils einmal so ist, daß wir keinen Koͤnig mehr haben, so wollen wir auch dafuͤr sor- gen, daß weder euer Koͤnig, noch der Kaiser, noch der Teufel uns einen wieder geben soll. Pr . Aber wo kein Koͤnig ist, da sind auch keine Soldaten — Fr . O du armer Kerl du, wie raͤsonnirst du so dumm! Ja freilich, solche Soldaten giebt es dann nicht, wie du und deines Gleichen. Ihr seyd Sklaven, leibeigne Knechte, die einen Tyran- nen uͤber sich haben muͤssen, der ihnen kaum halb satt zu essen giebt, und sie pruͤgeln, spiesruthen- laufen und krummschließen laͤßt, wenns ihm ein- faͤllt. Solche Soldaten sind wir nicht; wir sind freye Leute, republikanische Krieger. Pr . Das ist aber bey uns anders; wir haben einen Herrn, dem wir gehorchen muͤssen. Fr . Weil ihr gehorchen wollt. u. s. w. Solche Gespraͤche fielen oft zwischen unsern Leuten und den Deutschen unter den Franzosen vor, und man hatte seinen Spaß daran und lachte dar- uͤber. Aehnliche und noch derbere Ausdruͤcke uͤber Tyrannen und Tyrannensklaven u. dgl. haben uns unsre Zeitungsschreiber, Journalisten und andere Zeitschriftsteller in ihren Auszuͤgen aus den Volks- und Conventsverhandlungen der Franzosen, wie auch aus den Invectiven der englischen Oppositions- parthey aufgehoben: und was hats geschadet! Der Mensch, im Durchschnitt, ist eine passive Ge- wohnheitsmaschine, der endlich — so lange es ihm bey heiler Haut nur halbweg ertraͤglich geht — sich an Mordscenen und den Zeitungsberichten daruͤber gewoͤhnt, ohne davon nur noch menschlich geruͤhrt zu werden: warum denn nicht auch an Schimpfen und Brandmarken! Man muß die Menschen gar wenig kennen, wenn man glaubt, daß Schrift- steller auf sie bis zum Aufstand wirken koͤnnen: dieß ist nur der Erfolg von dem Harpiensystem der Fuͤr- sten oder ihrer Finanzminister. Eberhard und Tieftrunk haben recht, wenn sie sagen: Fuͤrsten seyd gerecht: und eure Throne stehen unerschuͤt- terlich! Wie gesagt, unsre Soldaten lachten uͤber die Invectiven der Franzosen, und reizten sie oft dazu, blos nur zum Spaß. Als endlich die oͤftere Wie- derholung das Interesse daran schwaͤchte, wurden sie gegenseitig sanfter, und nannten sich zulezt gar Kamerad oder Bruder. Sie machten oft sogar Kartel unter sich, versprachen, sich nicht zu schie- ßen, und traten sodann auf die Verschanzung, wo sie sich ganz freundschaftlich mit einander unter- hielten. Einmal hatte ein Soldat von unserm Regiment mit den Franzosen auf der Insel, auch auf die er- waͤhnte Art, Kartel gemacht. Waͤhrend desselben stellten wir den Weg durch das Wasser wieder her, der ganz unbrauchbar geworden war, und die Fran- zosen brachen ihr Wort nicht, sondern ließen uns unter ihren Augen den Weg ohne Hinderniß aus- bessern. Hr. von Ruͤchel versprach einmal einem Bur- schen einen Thaler, wenn er den Franzosen, nach Kostheim zu, den bloßen Hintern weisen wollte. Herr von Ruͤchel war damals von Wein etwas bescheniert. Der Bursche sagte ganz kalt: „Gern verdiente ich den Thaler: aber es schickt sich doch nicht, den Feind so zu behandeln.“ Herr von Ruͤchel , statt das zu fuͤhlen, suchte fluchs einen andern, welcher fuͤr den Thaler, den Hintern ent- bloͤßen, ihn den Franzosen hinweisen, und dazu rufen mußte: „Hier leckt mich im A—, ihr hunz- foͤttischen Patrioten! kommt her, leckt! — Von diesem unanstaͤndigen Verfahren hat man sogar in Frankreich gesprochen. Auch ist es richtig, daß man durch dergleichen mehr sich als den Feind be- schimpft. — Anekdoten von dieser und weit aͤrgerer Art wer- den wir gewiß bald aus Frankreich mehr als zuviel erhalten. Ich weiß, daß Franzosen bey der Rhein- armee sich ein eignes Geschaͤft daraus gemacht haben, sich allenthalben nach dem Betragen der Oestreicher und der Preußen zu erkundigen, und in ein eignes Buch das einzutragen, was zur Charakteristik von beyden dient. Ich habe ein Buch dieser Art in Haͤnden gehabt; und koͤmmt es heraus: wehe Manchem! Unter andern mislungenen Versuchen auf die Festung war auch die Errichtung gewisser schwim- mender Batterien, wozu, ich weiß nicht, welcher unerfahrne Mensch, den Anschlag gegeben hatte. Selbst unsre Offiziere erklaͤrten das ganze Unter- nehmen fuͤr ein unausfuͤhrliches Hirngespinst: allein einige Herren waren davon eingenommen ( embêtés wuͤrde ich auf franzoͤsisch sagen) und es mußte we- nigstens ins Werk gesezt werden. Aber leider, es gieng schief: das ganze Ding fuhr den Rhein hin- ab, und wurde von den Franzosen an der Bruͤcke aufgefangen. Sechs und siebzig Mann und meh- rere Offiziere wurden gefangen. Die Franzosen behandelten alle recht artig, nahmen ihnen nichts, als ihre Waffen, ließen aber den Offizieren die Degen, und nachdem sie alle gut bewirthet hatten, brachten sie dieselben den andern Tag wieder zu den Preußen. Ein Offizier von uns wollte, daß man die franzoͤsischen Soldaten, welche die gefangnen Preußen aus der Festung gebracht hatten, behal- ten und zu Kriegsgefangnen machen moͤgte: aber der brave General Kalkreuth widersezte sich die- sem undankbaren und aͤußerst unanstaͤndigen Vor- schlag. Ehe ich meine Erzaͤhlung von der Maynzer Be- lagerung schließe, muß ich noch etwas von der Huren- wirthschaft im Lager anfuͤhren. Daß dahin von allen Orten her feile Dirnen heranschlichen, ver- steht sich von selbst: das ist in den Standlagern nicht anders. Schon zur Zeit des dreyßigjaͤhrigen Krieges sagte jemand: Commoda germanis scortorum copia castris Praebet militibus gaudia clara piis. Pius und dumm galt dem Dichter damals, in Beziehung auf die Deutschen, fuͤr eins. Er macht ihnen Vorwuͤrfe, daß sie den damaligen Krieg gegen ihr eignes Interesse haͤtten fuͤh- ren helfen, und sagt, um ihr inkonsistentes und passives We- sen bildlich zu ruͤgen: Ducimur ut nervis alienis mobile lignum. Dritter Theil. Bb Eben so war es in diesem Kriege bey Maynz. Bey unserm Regimente gab es eine ordentliche Huren- wirthschaft, das heißt, ein ordentliches Bordelzelt, worin sich vier Dirnen aufhielten, welche, um doch einen Vorwand zu haben, Kaffee schenkten, und dann jedem zu Dienste waren. Sie hatten sich foͤrmlich taxirt, und Lieschen, die schoͤnste, galt 45 Kreuzer, Hannchen — — — 24 — Baͤrbelchen — — — 12 — Die alte Katherine — 8 — Ein Pfaffe aus der dortigen Gegend besuchte mich eines Tages, und da ich von seiner Orthodoxie uͤberzeugt war, so wollte ich doch auch eine Probe machen, ob er das donum continentiae haͤtte. Ich fuͤhrte ihn also ins Bordelzelt, und wir fingen an Von den Deutschen zu unsrer Zeit heißt es im III. St. des Neuen grauen Ungeheuers S. 129: „Hoher Sinn und Freyheit liegen nicht in unserm Charakter, wohl aber kleinliche Schmeicheley und niedrige Rachsucht. — Der Deutsche ist uͤberall veraͤchtlich geworden: der Franzose nennt ihn lourd Allemand, der Englaͤnder German dogg, der Russe Iwan Iwanowitsch, und der Italiaͤner hat eine laͤcherliche Ma r ke, die il Tedesco heißt. Warum? weil in allen diesen Laͤndern der Deutsche sich zu jedem Geschaͤfte brauchen ließ, wozu auch der unehrlichste Eingebohrne zuviel Ehre hatte. Alle Voͤlker haben etwas fuͤr die Freyheit ge- than, nur der Deutsche nicht: im Gegentheil, wo es auf Un- terdruͤckung ausging, waren deutsche Lohnknechte die Werk- zeuge — in Amerika, u. s. w. zu zechen. Nachdem sein Kopf nur etwas heroisch geworden war, ward schoͤn Lieschen seine einzige Unterhaltung: er schaͤkerte mit ihr auf die unan- staͤndigste Art in Beyseyn der Soldaten, welche sich uͤber den unverschaͤmten Pfaffen theils aͤrger- ten, theils freuten. Endlich ging er fort, und Lieschen folgte ihm — ins nahe Getraide. — Da hatt' ich denn neuen Zunder fuͤr meinen Haß gegen die gleisnerische Froͤmmigkeit aller orthodoxen Pfaffen, welche, wenn sie die Orthodoxie nicht erheucheln, meist durch die Bank eben so große Ignoranten, als Suͤnder sind, nur daß sie den Schein scheinheiliger vermeiden. Loripedem rectus derideat, aethiopem albus: Quis tulerit Gracchos de seditione querentes! Unser Oberste, der Herr von Hunt , machte endlich dem Skandal des Bordelzeltes ein Ende, und jagte die Menscher fort: sie zogen darauf zu den Saͤchsischen Dragonern, wo sie ihr Wesen weiter trieben. Bey den andern Regimentern wa- ren die Bordelzelte nicht minder. Ich war, damit ich doch auch wieder etwas von mir erzaͤhle, die ganze Zeit der Maynzer Belagerung uͤber munter und gesund, und freute mich meines Daseyns erst recht, als ich sah, daß unsere Leute die Franzosen von Tag zu Tag naͤher kennen und hoͤher achten lernten. Meine Zeit, die ich vom Dienste uͤbrig hatte, vertrieb ich mit Buͤcherlesen und in der Ge- sellschaft meiner Freunde, deren ich eine Legion in jener Gegend habe. Alle Tage hatte ich Zuspruch, aber nicht allemal war mir der Zuspruch erfreulich. Viele kamen nur aus Neugierde, um den Kerl zu sehen, welcher so mancherley Ebentheur bestanden hatte. Solche Menschen sind wirklich unertraͤglich, aber ich wußte auch allemal ihre Neugierde mit Sarkasmen abzuspeisen: mit Pfaffen sprach ich von der Pfafferey — nach meiner Art; mit Juristen kommendirte ich uͤber die Hure Jurisprudenz, und den Medizinern erklaͤrte ich das goldne Spruͤch- lein: Qui quondam medicus, nunc est vespillo Diaules; Quod vespillo facit, fecerat id medicus. Hiedurch scheuchte ich die Eulen von mir. Aber allemal war mir es herzlich lieb, wenn ich so ei- nen alten ehrlichen Bruder wieder zu sehen bekam, wie z. B. Herrn Stuber von Koͤnigsstetten. Das Schicksal dieses Mannes geht mir noch jezt sehr nahe. Seine Frau naͤmlich ward, wie er mir im Sommer 1795, als ich bey den Schwaben Korporal war, schrieb, wegen der Buͤbereyen und Bedruͤckungen der Kaiserlichen tiefsinnig. Das mag doch ein großes, großes Elend seyn! Leser, welche hier einige Bemerkungen uͤber die endlich erfolgte Uebergabe der Festung Maynz an die Preußen, — uͤber das Benehmen des Repraͤ- sentanten Merlin von Thionville und des Gene- rals d'Oyr é u. s. w. erwarten, koͤnnen sie finden in den Briefen eines preußischen Augenzeugen uͤber den Feldzug des Herzogs von Braunschweig gegen die Neufranken; und in diesen vorzuͤglich: denn was die andern Herren uͤber diesen Punkt gesagt haben, ist, so weit ich ihre Schreiberey bis jezt kenne, schief und partheiisch. Genug, Maynz wurde den 23ten Jul 1793 an die Deutschen uͤbergeben; aber, wahrlich, diese Uebergabe war nicht so sehr die Folge der Deut- schen Tapferkeit, oder der Noth der Franzosen; als vielmehr Folge gewisser geheimer Unterhand- lungen, bey denen Merlin vorzuͤglich interessirt war. Das Gesetz seiner Republik erlaubt erst dann die Uebergabe einer Festung, wenn es ihr an den Lebensmitteln mangelt, oder wenn der Feind eine brauchbare Bresche geschossen hat. Keins von bey- den war in Maynz der Fall, und doch ließ Mer - lin es fahren. Merlin hatte also offenbar ge- gen das Gesetz gesuͤndiget; und daher nachher seine Schwindeley und Luͤgen in seinen Berichten uͤber Maynzens Uebergabe; daher das Entfernthalten der militaͤrischen Geißeln, d' Oyr é , Duͤpont und anderer, wie auch der buͤrgerlichen Geißel, oder der Klubbisten, welchen leztern er den so feier- lich versprochnen Nationalschutz nicht einmal in der Kapitulation foͤrmlich bewirkt hatte, und dieß, um sich gegen ihre Beschwerden uͤber seine Unterschleife, geheime Unterhandlungen u. dgl. vor Robespierre zu sichern. Es wird bald die Zeit kommen, wo wir uͤber alles das naͤhern Aufschluß nach Belegen erhalten werden: ich weiß das gewiß, und gehe darum weiter. Man hatte unter den Preußen ausgesprengt, daß die Eroberung von Maynz die lezte That dieser Armee seyn sollte. Ich glaubte das nicht, und zog mir durch meine Remonstrationen, wie ge- woͤhnlich, allerley Vorwuͤrfe und Verdruß zu. Eben so viel Verdruß machten mir meine Kritiken uͤber eine gewisse poetische Sudeley, Preußische Bravourlieder oder Bravourgesaͤnge genannt: ich glaube, der Verfasser hieß Reichard. Dummeres Zeug kann man schwerlich je finden: das ganze Ding war eine jaͤmmerliche Dichterey von Schimpfwoͤrtern und Drohungen uͤber und an die Franzosen. Der Autor hatte mehrere Exemplare an unsre Offiziere geschickt, mit der Bitte, das Sudelzeug zur Aufmunterung und A zung des Muths gegen den Feind herum zu geben. Ich sahe dem elenden Wisch, der ohngefaͤhr das in Ver- sen war, was Goͤchhausens Wische in Prosa sind, bald, wie man spricht, auf den Magen, und kri- tisirte es derb. Da hieß es denn: „ja, so machts Laukhard!“ u. s. w. Aber zum guten Gluͤck, wie Laukhard es hier machte, machten es alle Kluge. Wie barbarisch man die Klubbisten behandelt habe, gleich nach unsrer Ankunft in die Rheinge- genden, davon sprach ich oben. Mich grauet noch immer bey jedem Andenken an diesen Adels- Pfaf- fen- und Soldaten-Robespierismus in Deutsch- land. Wer die Kannibalischen Graͤuelscenen, die dabey vorfielen, naͤher betrachten will, findet sie in den ersten Kapiteln der Ruͤckerinnerungen auf einer Reise durch einen Theil von Deutschland — in dem zweyten Stuͤck des Neuen grauen Ungeheuers , und in den Bittschriften im I. B. von den Annalen der leidenden Mensch - heit . — Daß es unter diesen Ungluͤcklichen Maͤnner gab, wie vorzeiten Griechenland und Rom sie zur allge- meinen Bewunderung aufstellte, und daß es ihnen nicht an Muth fehlte, ihre und aller Menschen Rechte ungescheut, auch vor einer Regierung, in deren grausender Gewalt sie waren, laut zu be- haupten, zeigen folgende Belege. Jede Regierung, welche die Gerechtigkeit gerecht verwaltet, darf die Publicitaͤt und folglich die Aushebung und Mitthei- I. An die Kurfuͤrstl. Maynzische Regierung in Erfurt. „Wahrheit gegen Freund und Feind!“ Schiller . Daß unsere, bey verschiedenen Gelegenheiten einer hohen Kommission gegen das Benehmen des Hn. Generals und hiesigen Festungskommandan- lung wichtiger Aktenstuͤcke nicht scheuen. Geschieht ihr zu- viel: wohlan das Publikum hat auch Augen und Ohren fuͤr sie. Auch der groͤßte Boͤsewicht steht unter dem Schutz der Ge- setze; und wer Recht und Unrecht nach Rachsucht und Laune behandelt, verdient keine Schonung. Dadurch hat der Un- recht-L ei dende, nach den Gesetzen des natuͤrlichen Rechts- und Billigkeitsgefuͤhls uns gleich auf seiner Seite. Smith be- weißt es in seiner Theorie der moralischen Empfindungen, und Home in seinen Grundsaͤtzen der Kritik. Warum steht man beym Behandeln der Menschen auch nach buͤrgerlichen Gesetzen, uͤberhaupt so wenig auf die natuͤrlichen! Dadurch verliehrt man auch bey der anscheinendgerechtesten Sache den Beyfall der B illigen, und emport: und eben dieß hat mir diese Belege verschafft. Daß sie durch keine gemeinen Haͤnde gegangen sind, geben die Umstaͤnde. Die Zeit wird mehr leh- ren. – Ulvian rieth nicht umsonst, lieber zehn Schuldige zu entschuldigen, als einen Un schuldigen zu verdammen: und was zuviel geschieht, ist uͤber die Schuld, und fallt dem Rich- ter anheim. Ueberhaupt frage ich mir: handelte die Main- zer und Trierische Regierung klug, daß sie in ihrer eignen Sa- che solche und soviel Bloͤßen gab, oder geben ließ, wie wir hier sie sehen? – Waͤre es nicht Pflicht fuͤr Recht und Wuͤrde gewesen – auch von allen nachtheiligen Folgen ei- ner aufgewiegelten Rachsucht die Gegengei ß eln abgesehn – durch das nachherige Benehmen gegen die Klubisten deren vor- herige Klagen und Sch gen uͤber die Justiz- verfassung und Verwaltung geistlichen vor dem na- ten, Freiherrn von Knorr , in Ansehung unserer Verwahrung vorgetragene Beschwerden so ganz un- untersucht, so ungeglaubt und ohne Wirkung seyn wuͤrden: konnten wir nicht denken, obschon es be- greiflich ist, daß Wir gegen einen hiesigen Hn. General kein Recht bekommen koͤnnen: wir wissen naͤmlich, daß bey dergleichen Faͤllen die Personen, nicht die Sache, in Anschlag genommen werden, weil es so herkoͤmmlich ist. — hen und fernen Publikum zu widerlegen? – Hat sie jezt die Wahrheit dieser Klagen nicht vielmehr oͤffentlich bestaͤtigt? Oder haben die geistlichen Gerichtsstellen ein kirchliches und uͤbernatuͤrliches Privilegium, der burgerlichen und natuͤrlichen Gerechtigkeit Hildebrandisch zu trotzen? Kurz, ich wuͤnschte, daß irgend ein sachkundiger Mainzer oder Trierer, zur Ehre der allgemeinen Gerechtigkeit, diese Fragen ehrlich, kalt und unpartheyisch pruͤfe und dadurch das Publikum in den Stand setze, selbst zu entscheiden, auf wessen Seite hier mehr Wahr- heit und Recht sey. Sonst sind wir befugt zu denken: wer schweigt, sagt, ja! und dann Ach und Wehe uͤber eine Ju- stiz, die am Pranger stehen bleibt! Dann fragte man noch, wie es kam, daß die Neufranken, troz ihres seltsamen Betra- gens, dennoch in dortiger Gegend soviel Anhang fanden, und vorzuͤglich unter den dortigen hellen Koͤpfen, die jede Unord- nung um so balder wegwuͤnschen mußten, je lebhafter, druͤ- ckender und entehrender sie sie fuhlten, sowohl fuͤr sich als fuͤr Andere, und dieß ohne Hoffnung des Besserwerdens auf dem Wege Rechtens. Herren, die das nun tadeln, belieben erst zu uͤberlegen: ob der mehr fehle, der den Grund zu einem Abfall und Aufstand despotisch le t, oder der durch die Folgen dieses Grundes wie im Strudel mitfortgerissen wird, und es fuͤr sich nicht heilsam oder gar unmoͤglich findet, gegen den Strohm an zu schwimmen? Wer sein Haus vor Brand sichern will, muß nicht selbst Feuerbraͤnde hineinwerfen, zumal bey vielem und ausgedoͤrrtem Holze nicht. Auch Bienen ha- ben ihre Stachel; und nun ergiebt sich die Anwendung von selbst. Wir sind auf die ungerechteste Art arretirt, auf eine unmenschliche Weise und zwar so mishandelt worden, wie es in Afrika und bei Ost- und West- Indiens Wilden zu geschehen pflegt. — Das Alles noch nicht genug! Entweder auf Geheiß oder doch gewiß mit vollem Vorwissen einer Maynzer Regie- rung mußten wir (26 Wochen lang) eine Kerker- Einsperrung auf Ehrenbreitstein ausstehen, die sonst Verbrechern erster Klasse, und in menschlichen Verfassungen nicht einmal zu Theil wird. Von einigen Einzelnen von uns wurde laut und mit ei- nem durch solche Grausamkeit empoͤrten Gefuͤhle, bestimmt gefodert, daß man uns den Prozeß ma- chen moͤchte, um eines Lebens los zu werden, wel- ches mit jedem Tage haͤrter, ja, ein erneuerter Tod war. — Aber keine Antwort, keine Abaͤnde- rung der schauderhaften Lage — das war die Folge. Es ist wahr, daß wir hier (in Erfurt) viel we- niger hart, als auf Ehrenbreitstein, gehalten wer- den; es ist aber auch wahr, daß erst hier wir legal erfuhren, daß wir unter der Rubrik von Franzoͤsischen Geißeln verwahrt werden sollten Erst den 1ten Nov. 1794. Von nun an erhielten sie taͤglich 6 Groschen, da sie vorhin NB! nach Abzug der Aufwartungs- und andern Kosten, taͤglich nur 1 Gr. 9 Pf. erhalten hatten. So schwer halt es, Gerechtigkeit und Menschlichkeit in Pfaf- fen-Staaten zu finden. Wie billig rief Friedrich der Wir wissen nicht, was fuͤr ein Reglement fuͤr die Be- handlung der Geißeln existire; aber das wissen wir, daß sie nicht als Verbrecher behandelt werden duͤrfen: wir wissen, was das Voͤlkerrecht hier festsetzet: wir fuͤhlen es leider zu sehr, daß man es uns hart ent- gelten macht, daß wir Grundsaͤtzen anhiengen, die man unsers Wissens mit Grundsaͤtzen noch nicht widerlegt hat – nur es uns entsetzlich hart fuͤhlen macht, daß Umstaͤnde, die Wir nicht herbey- lockten — Eroberungen, gemacht von einer Na- tion, die selbige bekannte und mit Gut und Blut vertheidigte — uns nicht nur zum Bekenntniß sol- cher Grundsaͤtze auffoderten, sondern uns selbst noͤthigten , zu deren Ausuͤbung zu schreiten, weil wir damals die Auswanderung nicht waͤhlen moch- ten, wenn gleich die Eroberer sie uns frei ließen. — Und warum ließ der Wiedereroberer uns nicht eben das Recht einer freien Auswanderung, das sonst in jeder Ruͤcksicht ein Naturrecht ist, und hier wegen des Reciproken noch viele Billigkeit haͤtte erhalten sollen. Daß wir gar kein Verbrechen begangen hatten, indem wir voͤllig gesetzlich und nach der Große ein Wehe uͤber sie aus! – Dahlberg , der edle Dahlberg haͤtte gern geholfen; aber es stand nicht bey ihm, Menschen- und Voͤlkerrecht zu ehren. Grundverfassung Frankreichs gehandelt hatten, das wußten wir; ja, wir wußten es, daß kein unpar- theiischer Rechtsgelehrter uns etwas zur Last legen wuͤrde, daß selbst mit Recht uns kein Hinderniß zu unserer etwan zu erfolgenden Auswanderung in den Weg gelegt werden konnte. Allein wir wußten auch, daß bey einer etwan erfolgenden Uebergabe der Festung Maynz die kalte, unpartheiische und rachlose Gerechtigkeit uns nicht zu Theil werden wuͤrde. Unter diesen Umstaͤnden wurden Geißeln von Maynz — Leute, die sich als Anhaͤnger der vorigen Herrschaft bekannten — nach Frankreich geschickt, die in allem Betracht, aber auch einzig nur fuͤr die Ungerechtigkeit, die man an uns begehen wuͤrde, haften muͤssen. Die Franken nahmen die von uns ergriffne, gerechte Maaßregel auf die Geißeln an, und haben so Sanction der Sache ge- geben. Dieses und das Grundgesetz ihrer Verfassung: daß die ganze Nation die Rechte und Sicher- heit eines jeden ihrer Buͤrger gegen auswaͤrtige Angriffe mit all der Macht vertheidigen werde, die die Nation in Haͤnden hat, laͤßt uns, die wir gesetzlich Buͤrger dieser Nation sind, ungezwei- felt hoffen, daß wir einst die gebuͤhrende Genug- thuung erhalten werden und muͤssen. — Es sind demnach weit hoͤhere Gruͤnde, als die Gegen- geißeln in Frankreich, die uns mit Muth beleben, um standhaft jeder Mißhandlung entgegen zu ste- hen. Es kommt freilich darauf an, ob die Nation die noͤthige Kraft in Haͤnden behalten wird; ihren gedachten Grundsaͤtzen den Na c hdruck zu geben. Sollte dieß nicht der Fall seyn: — was wohl m oͤg- lich, aber nicht sehr wahrscheinlich — so den wir ein Opfer unserer Grundsaͤtze w erd en Und hierin liegt eine Staͤrke, die uͤber Miß lungen weit erhebt! Es wuͤrde ungerechter Vorwurf und daher große Beleidigung seyn, wenn wir alles Zutrauen auf Ihre Gerechtigkeits- und Billigkeits-Liebe aufge- ben, und uns den Gedanken erlauben wollten; als wenn Sie den Ausgang d es Kriegs zur Norm ge- sezt haͤtten, wie wir jezt und kuͤnftig behandelt w e r- den sollen: nein, so spielt man nicht mit Gerech- tigkeit, wenn man uns gleich mehrmale n sagte: „wir moͤchten nur nicht vergessen, daß der Krieg noch nicht geendigt sey!“ wie wenn wir je auf die- sen Ausgang gepocht haͤtten — wie wenn Maͤu - ner keine Staͤrke anderswoher nehmen koͤnnten; als vom Ohngefaͤhr! Wir sind vielmehr sehr in die traurige Vermuthung versezt, und in dieser be- staͤrkt, daß der gegenwaͤrtige Krieg einem Duelle auf Tod und Leben gleiche, der, leider, vielleicht keine zeitliche Auseinandersetzung vermuthen laͤßt. — Die Hn. Kommissarien Strecker und von Piper sind Zeugen, wie sich obgedachter Hr. Gene- ral theils bei Gelegenheit des Abnehmens der Bret- ter von zwei Fenstern, theils bei einer andern Ge- legenheit benahm, damals naͤmlich, als diejeni- gen von uns, welche nach Vorschrift des Arztes Molken zur Kur tranken, um taͤgliche Bewegung zu diesem Behufe in freier Luft ansuchten: denn dieses Ansuchen, auch wiederhohlt, wurde abge- schlagen, und sogar gesagt: „Arrestanten gehoͤre keine Kur: wenn es auf ihn angekommen waͤre, so haͤtte er sie nicht erlaubt.“ — Die Hn. Kommis- sarien wissen es, wie unbillig, wie hart, wie un- gerecht, wie allein-machthaberisch sich der Hr. General bei der Klagsache Levers darstellte: diese Herren und wir alle wissen es, daß der Hr. General mehrmals sagte: „und ich thue es nicht! — Es geschieht nicht, weil — Ich nicht will!“ — Wir sind weit entfernt, Maaßregeln zu ta- deln oder laͤstig zu finden, die nicht nur zu unserer Verwahrhaltung, sondern auch dazu genommen werden, daß wir keine muͤndliche oder schriftliche Unterredung mit hiesigen Einwohnern oder andern Teutschen, ohne die gehoͤrige Einschraͤnkung und Aufsicht, haben duͤrfen, weil fuͤr den leztern Fall die Klugheit es raͤtht, uns nicht zu trauen und zu befuͤrchten, daß wir noch jezt, wie ehemals unter der Franken-Regierung, unsere Grundsaͤtze laut an Tag geben moͤchten. — So willig wir uns Befehlen und Einschraͤnkungen unterwerfen, die mit der Vernunft und den obigen Zwecken verein- barlich sind, so sehr fuͤhlen wir die Haͤrte und Un- gerechtigkeit solcher Einschraͤnkungen, die sichtbar- lich nur zu unserer Plage und Herabwuͤrdigung da sind. Das Physische unserer Lage ist in sehr vie- len Ruͤcksichten hart; und wenn auch Gemuͤthsstaͤrke alles uͤbertragen macht: so kann sie doch das Ge- fuͤhl der Leiden nicht unterdruͤcken, am wenigsten dann, wenn Willkuͤhr nur sprechen darf und ein Heer zweckloser Neckereien auf uns stuͤrmt, deren Ende und Zahl nicht abzusehen ist, weil Laune keine Graͤnzen hat. — Doch zur Sache! Bei unsrer Ankunft (auf den Petersberg bei Erfurt) wurde eine Separation in verschiedene Zim- mer und Lagerstaͤtten mit Einigen von uns gemacht, die nur ihren Grund in der ganz leidenschaftlichen Empfehlung des Ehrenbreitsteiner Komman- danten hatte. — Eben dieser Empfehlung hatten wir es zu danken, daß wir zu Hirschfeld , wo uns das hiesige Militaͤr von der Preußischen Es- korte uͤbernahm, ein Hundequartier erhielten, das wegen seiner Enge — denn kaum konnten wir auf- recht darin stehen, und nur krumm darin liegen — ein wahres Marter-Lager war, von außen mit Brettern und Wachen so verrammelt und besezt, als wenn wir Verbrecher von der verworfensten Klasse gewesen waͤren. Auch von daher kam es, daß der hiesige Hr. General eine schoͤne Quant i taͤt Ketten dem hiesigen Hn. Obristen von Taufen - berg nach Hirschfeld mitzunehmen befahl, mit dem Bedeuten, uns solche bei dem geringsten Anstand anlegen zu lassen. Sehr wahrscheinlich wuͤrden wir mit einer solchen Grausamkeit heimgeschickt wor- den seyn, wenn nicht der Preußische Obristleutnant, Hr. von Schwerin , dessen Andenken wir wegen seiner ungeheuchelten Menschenfreundlichkeit auf immer verehren werden, es nicht hintertrieben haͤtte, durch die Vorstellung: „daß wir Menschen , vernuͤnftigen Gehorsams gewohnt, aber unge- wohnt einer erniedrigenden Behandlung waͤren. Selbst dieser Herr von Schwerin rieth uns, daß im Fall wir Mißhandlungen zu ertragen haben soll- ten, wir uns geradezu an das Koͤnigliche Preußi - sche Gouvernement in Mainz wenden moͤchten: denn er wuͤßte, daß man uns von dort aus mit aller Schonung behandelt wissen wolle; und es sey gewiß, daß unser auf Ehrenbreitstein ausgestan- denes Elend unbekannt geblieben sey: sonst haͤtte man demselben abgeholfen: man moͤchte das nur nicht auf Rechnung des Koͤniglichen Preußischen Gouvernements schreiben. — Die sorgfaͤltige Verbretterung der Fenster bei der ungewoͤhnlichen Hoͤhe im dritten Stock dahier — bei uͤberall bis an den Abtritt ausgestellten Wachen; noch mehr das Verbot, welches zwei Monate und noch daruͤber dauerte, niemals nahe an einem Fen- ster zu stehen, oder auf Stuͤhle zu treten, um durch die geoͤffneten obern Fenster sehen zu koͤnnen; fer- ner das bestaͤndige und laͤstige Begleiten einer Schildwache auf den Abtritt, wo doch gerade vor demselben ein Posten steht, der alles beobachten kann: — was waren diese Reglements anders, als Ersinnungen, uns wehe zu thun! Doch, die bei unsrer Ankunft uns durch den Auditeur vorgele- sene Instruction — sie sey abgefaßt, von wem sie wolle — sagt es nur in andern Worten, daß wir alle die damals schon gegebnen Reglements als — Gnade — als Wohlthaten und Beguͤnstigungen an- sehen muͤßten, und man erwarte es von uns, daß wir durch gutes Betragen beweisen wuͤrden, daß wir diese Wohlthat zu schaͤtzen wuͤßten. Wir haben diese, wie noch mehr andere Ernie- drigungen gefuͤhlt und — sie gehoͤrig gewuͤrdigt. Nein, Gnade und Wohlthaten nehmen Maͤnner Dritter Theil. C c von unsrer Denkart nicht an: es muß ihnen alles wenigstens mit dem Namen von Recht gegeben werden: denn man versuche es wenigstens an uns Unterschriebene, ob wir aus Gnade leben wol- len. — Als wir uns aͤußerten: daß es dem groͤßten Theil von uns hart falle, das monatliche Aufwar- tegeld zu bezahlen: so eroͤffnete der Hr. General die Thuͤr, als wenn er fortgehen wollte, sprach aber an der Thuͤrschwelle stehend und halb zur Wache sich wendend: „ die Kleinigkeit muͤßt ihr bezahlen : auf Ehrenbreitstein habt ihr den Profos und Steckenjung auch zahlt (bezahlt)!“ — Freilich, sollten die gegenwaͤrti- gen Soldaten hoͤren und wissen, daß wir Leute waͤ- ren, die schon von Profos und Stockjungen be- dient worden! — Der Hr. Obrist von Ame - lungs aͤußerte bei Gelegenheit nach seiner Ma- nier — das heißt, in einem auffallenden, gebiete- rischen Ton —: daß wir, um das Barbiergeld zu sparen, die Baͤrte sollten wachsen lassen: das schicke sich ohnehin besser fuͤr Arrestanten, u. dgl. — Diese und noch einige folgende Vorgaͤnge . . . . zeigen klar: daß das hiesige Militaͤr in dem Wahne stehe, oder etwan die Weisung habe, uns zum Theil als Verbrecher zu behandeln. Un- ter diesen Umstaͤnden fodern wir, daß man mit ei- ner Inquisition vorschreite, ohne eben damit die Vorfrage einzuraͤumen: ob wir hier kompetende Richter anerkennen muͤssen. Da endlich die Bewegung in freier Luft und zugleich die Entbretterung eines Fensters in jedem Zimmer, und zwar lezteres unter der Bedingung gestattet wurde, daß saͤmtliche Geißeln fuͤr ihr Geld eiserne Stangen vor diese zwei Fenster machen ließen: so fing man an, nebst diesem Lebensgenuß uns noch den Zusammentritt aus beiden Zimmern zu zulassen und die laͤcherliche Begleitung nach dem Abtritt einzustellen. — Mehrere von uns beschaͤf- tigten sich mit Musik, und die gewoͤhnliche Abends- erholung war eine Art Konzert. Dieß dauerte fort, bis Lever seine Beschwerden wegen erlit- tener mehrerer Kraͤnkungen am 19ten vorigen Mo- nats uͤbergab. Eine hohe Regierung wird aus dem Inhalt dieser Beschwerden, und aus den beigefuͤg- ten Beweisen, die an die Kurfuͤrstliche Regierung in Mainz gestellt war, ersehen haben, daß Kraͤn- kungen von der Art nur von Leuten koͤnnen ertra- gen werden, die entweder des Hudelns gewohnt sind, oder denen Vertheidigung zum Verbrechen an- gerechnet wird, und die in dieser Hinsicht das Schweigen dem lauten, aber vergeblichen Anruf der Gerechtigkeit vorziehen. — Im Vorbeigehen wird hier erinnert, daß Lever auf vier Vorstel- lungen, worin er sich immer auf Schutz und An- wendung gesetzlicher Ordnung berief, noch keine Antwort erhalten hat. — Der Hr. General schickte den hiesigen Hn. Au- diteur, nebst mehrern Offizieren, um seinen An- stalten ein drohendes Gewicht zu geben, in die bey- den Zimmer, Num. I und 2, und ließ nach Ab- lesung der Leverschen Schrift umfragen: ob wir Antheil an Levers Schrift und Sache naͤhmen? Metternich sprach im Zimmer Num. I zuerst, und sagte: so sehr er auch zweifle, ob er unter die- sen Umstaͤnden und vom Hn. General — der nur die Verwahrung zu besorgen, aber keine Juris- diction uͤber uns auszuuͤben hatte, wie er vor eini- gen Wochen selbst erklaͤrte, als er dem Lever sechs Bogen von seinen Schriften und Auszuͤgen aus Tieftrunk , Ardinghello , Dahlberg u. a. konfisciren ließ — gefragt werden koͤnne: so trage er doch kein Bedenken, seine Meynung zu aͤußern, und erklaͤre: daß, wenn Lever seine angefuͤhrten Beschwerden beweise, er dessen An- suchen um Genugthuung unterstuͤtze. Uebrigens sey es unter Geißeln herkoͤmmlich, daß Unterneh- mungen, die einer allein, oder mehrere Einzelne in ihrer Sache machten, auch bloß auf Rechnung der Unternehmer geschrieben werden muͤßten. Der Meynung Metternichs traten die uͤbrigen mit ihren Unternehmungen bei. Es ward in wenig Ta- gen von dem Hn. General selbst Levern ange- deutet: daß er bei den naͤchsten zwei Spatziergaͤngen zu Hause bleiben, und stark bewacht werden sollte. Diese Ankuͤndigung des Hn. Generals geschah in einer Hitze, die ihn auch noch zu dem Befehle ver- leitete, den er auf der Stelle der Wache gab: „Ich sage euch, den Lever nur streng bewacht, wenn die andern spatzieren gehen, und in Zukunft nur rauhe Worte gegeben!“ Auch wurde dem Hn. Offizier von der Inspection angedeutet, bei der ge- ringsten lauten Aeußerung des einen oder des an- dern, denselben sogleich ins Stockhaus zu fuͤhren und kreuzweise schließen zu lassen!!! — Wir aͤußerten bald dem Inspections-Offizier, dem Hn. Faͤhndrich Buchholz : daß, im Fall Lever nicht mit den uͤbrigen zum Ausgang zuge- lassen wuͤrde, auch wir uͤbrige nicht ausgehen wuͤr- den. Das hatte die Folge, daß in 13 auf einan- der folgenden Tagen kein Ausgang gestattet wurde. — Die im Zimmer N. I. machten deshalb eine Vorstellung an den Hn. General, worin sie sich auf das an die fraͤnkischen Kommissarien ausgestellte Zeugniß beriefen, in dessen Gemaͤßheit der woͤ- chentliche Spatziergang wenigstens zweimal zuge- standen sey, und foderten den Hn. General auf, baldige Abhuͤlfe in diesem, wie noch in einigen andern Punkten, zu treffen, damit sie nicht genoͤ- thigt seyn moͤchten, ihre Klage lauter werden zu lassen. — Der Hr. General erklaͤrte: diese Schrift sey zwar sehr spitzfindig abgefaßt; doch habe sie viel Schein von Wahrheit und Gerechtigkeit!!! — Alle in diesem Zimmer, nur Metternich nicht, waren unterschrieben: lezterer wollte naͤmlich, man solle noch eine kurze Zeit warten, und dann nicht zu einem Palliativ, sondern zu einem Mittel grei- fen, welches auf gaͤnzliche Befriedigung oder gaͤnz- liche Unterdruͤckung unserer Foderungen gehe: denn es war damals schon alle vorhin gehabte Gemein- schaft in beiden Zimmern untersagt — Schildwa- chen mußten wieder auf den Abtritt begleiten — die in jedem Zimmer Verwahrten wurden allein zur Bewegung ausgefuͤhrt — die abendliche Unterhal- tung mit Musik war gestoͤhrt — der Gesang fran- zoͤsischer Lieder war untersagt... Rompel hatte auch in der Sache Levers , so wie uͤberhaupt ge- gen einige harte Verfuͤgungen zu laut und zu frei- muͤthig gesprochen; daher ihm auch die Separation mit zu Theil geworden seyn mag. Als am dritten Morgen nach der obigen uͤber- gebenen Vorstellung der Hr. Offizier ankuͤndigte, daß man sich bereit halten solle, nach etwan einer halben Stunde ausgehen zu koͤnnen, so Metternich : daß er nicht ausgehe, und so lange nicht ausgehen wuͤrde, bis vorerst gewisse Dinge ins Reine gebracht waͤren. Der Hr. Offizier, der uͤber diese Aeußerung vermuthlich Rapport gemacht hatte, kam in einer halben Stunde wieder, und sagte zu Metterich in dem einen, und zu Le - vern und Rompel in dem andern Zimmer: daß sie sich sogleich ankleiden sollten, um anders- wohin gebracht zu werden. Auf die Frage: wo- hin denn? antwortete derselbe: daß wir das schon erfahren wuͤrden: er habe keine Erlaubniß, es zu sagen. So wurden nun wir Drey in die untere Kaserne, in eben das Quartier gebracht, wo meh- rene von uns sich schon die Verwahrung neben zwei angeblichen Spionen gefallen lassen mußten: und eben hier sind wir noch. Wir haben hier nicht weniger, wohl mehr Ge- maͤchlichkeit, und ein gesunderes Quartier von zwei Zimmern, als oben im Klosterbau. Nur tra- fen wir beim Eintritt eine ziemliche Menge Floͤhe an, die wie Ameisen an uns herumkrochen, und noch jezt uns viel Ungemaͤchlichkeit verursachen. Die so auffallende, diktatorische Wegfuͤhrung von uns hat vermuthlich, mit noch einer Dosis Anstiftung nach dem bekannten Calumniare audacter: semper aliquid haeret, zu einem sehr allgemein gewordenen Gespraͤche in der Stadt Anlaß gegeben: daß Met - ternich und Boͤhmer vor der Hauptwache Stockschlaͤge bekommen haͤtten, und ein Dritter noch zu Spiezruthen verurtheilt waͤre, weil diese und noch andere haͤtten durchbrechen wollen. Was hieruͤber die Buͤrger und angesehene Maͤn- ner in der Stadt und in Hochheim gesprochen, und wie Einige derselben ihre Meynung gegen den Hn. General geaͤußert haben, wird noch zur Zeit ver- schwiegen. — Wir beklagten uns bei dem ersten Besuch des Hn. Commissarius von Piper uͤber die unbillige Separation, uͤber die Art, wie sie ge- schehen, und vorzuͤglich, daß die Willkuͤhr des Hn. Generals hier und zwar eigenmaͤchtig zu seiner an uns selbstgenommenen Satisfaction entschieden habe; daß diese Separation uns dem Publikum in ein gehaͤssiges Licht habe stellen muͤssen, und baten um eine rechtliche Untersuchung, worin uns ge- stattet werden moͤchte, eine faktische Darstellung unserer Kraͤnkungen zu uͤbergeben. Diese Darstellung waͤre nun hiermit gegeben; nur muͤssen wir noch bemerken, daß die strenge Aufsicht auf Druckschriften, die wir zur Lectuͤre oder zum Ankauf verlangen, und die doch als kaͤuf- liche oder gangbare Waare geduldet werden, nur fuͤr den Herrn, der die Censur daruͤber hat, ermuͤ- dend und sonst ganz ohne Zweck ist. Der einzige Fall, der eine vernuͤnftige Billigung dieser Vor- sicht denkbar macht, ist, wenn man glaubt, wir wuͤrden unsern Aufenthalt je wieder in einem Lande nehmen, wo Alleinherrschaft die Grundverfassung waͤre, und da moͤchten wir aus Buͤchern Grund- saͤtze entlehnen, die mit solchen Verfassungen un- vereinbarlich sind. Allein diese Voraussetzung ist wohl, wo nicht fuͤr Alle, doch fuͤr den bei weitem groͤßern Theil ganz ungegruͤndet: und die, welche koͤnnten hier bleiben wollen, wuͤrden die sogenann- ten verbothenen Schriften ohnehin wohl nicht lesen. Auch glauben wir, daß unsere neulich an den Hn. General uͤbergebne Denkschrift in Ansehung der uns gestatteten, aber wirklich laͤstigen Bewe- gung in der freien Luft, hier einen Platz verdiene: sie folgt also hier woͤrtlich. P. P. „Wir haben Ihnen schon einmal melden lassen, daß wir Unterschriebne durch einen Revers, worin einer fuͤr alle, und alle fuͤr einen zu haften verspra- chen, Sie sicher zu stellen, und uns von einem Zwange bei dem Spatziergange zu befreien gedach- ten, der uns mehr laͤstig, als die Erholung guͤn- stig seyn kann. Wir verbuͤrgen auf alles, was uns heilig ist, daß ein solcher Revers in Paris nicht nur angenommen, sondern eben die Kraft haben wuͤrde, welche das gegebne Ehrenwort der franzoͤ- schen Militaͤr-Geißeln hier in Erfurt hat. Entweder ist es Ernst, oder es soll dem Publi- kum nur so was gezeigt werden, was uns als ge- faͤhrliche Waghaͤlse darstellt, wenn man gewoͤhn- lich vier, auch zuweilen fuͤnf Posten ausstellt, wo noch der Korporal und der Offizier von der Inspe- ction zugleich gegenwaͤrtig sind, und dieß alles auf einem bis auf drei Ausgaͤnge an sich schon ganz gesperrten Platz, den Umfang der Festung noch unerwogen. Da kein Verdacht erdichtet werden kann, als habe einer von uns je einen Schritt zu seiner Be- freiung und Flucht gewagt, troz aller Auslegungen unserer Handlungen: so koͤnnen wir in keinem die- ser Faͤlle die Rolle uͤbernehmen, die man uns et- wan vor dem Publikum will spielen lassen. — — Da ferner der Platz der hiesigen Kaserne ein wahrer Kessel ist, ohne reine Luft, wenn kein Wind wehet; da er auf der einen Seite zum Aus- klopfen der Deckbetten, und folglich den Floͤhen gewidmet, auch mit Kindern angefuͤllt, und ohne Aussicht, also in keinem Fall geeignet ist, Erho- lung da zu haben: so muͤssen wir uns unter diesen Umstaͤnden alles weitere Ausgehen verbitten. Kann uns daher unter Ausstellung des obigen Reverses, und unter Begleitung eines Ober- oder Unteroffi- ziers nicht gestattet werden, auf der hiesigen Fe- stung uͤberall, wo sonst Leute gehen duͤrfen, auch die freye Luft durch einen sogenannten Spatzier- gang zu genießen: so werden wir nicht mehr wuͤn- schen, vor die Thuͤre gelassen zu werden. Dieses alles glauben wir aus dem Gesichts- punkte vorstellen zu duͤrfen, da unser Begehren sich in weit engern Schranken haͤlt, als man diese ei- gentlich gegen Geißeln zu beobachten pflegt. Wir hoffen nicht, daß man uns vorwerfen werde: Andere haͤtten mit eben dem und mit noch Wenigerm fuͤrlieb genommen, und naͤhmen noch damit fuͤrlieb: denn das Betragen Anderer kann fuͤr uns keine Regel werden. Petersberg d. 14ten Jul, 1794. Metternich , Rompel , Lever .“ Der Herr General ließ uns hierauf sagen: „daß die Gestattung unseres Gesuchs von ihm nicht „abhaͤnge; daß er unsere Vorstellung der hohen „Kommission vorlegen werde, und dieselbe dann „weiter nach Mainz geschickt werden muͤsse, um „daruͤber Verhaltungen abzuwarten.“ — Wir werden das wohl abwarten; wuͤnschen aber, daß die Mainzer Regierung, oder wer sonst unsere Sache verwaltet, einmal aus dem Irrthum komme, als koͤnne man sich gegen Gefangene, die nach ihrer Verfassung und Grundsaͤtzen wohl belei- diget, niemals aber deswegen straͤflich vor dem teutschen Richterstuhle werden koͤnnen, alles erlau- ben, in sofern man bei dem auch aufgereizten und nicht klar und unpartheiisch sehenden Publikum nur Recht erhaͤlt. Wir koͤnnen keinen andern Weg zur Ausglei- chung der vorhandenen Irrungen und zu einer er- traͤglichen Lage fuͤr uns angeben, als daß man uns erlaube, monatlich einen getreuen Rapport an das fraͤnkische pouvoir exécutif abzuschicken, worin wir getreu und wahr unsere Lage darstellen wollen, so daß eine hohe Kommission selbst die aͤchte Eigen- schaft des Rapports nicht verkennen wird. — Wenn von daher die Behandlung, die uns hier zu Theil wird, gebilliget, ja, wenn Winke von daher ge- geben werden sollten, daß man sie noch mehr schaͤr- fen moͤge: so werden wir uns dieser Nothwendig- keit ohne Murren unterwerfen. Wir sind so fest entschlossen, auf diesem Gesuch stehen zu bleiben, als wir umwankelbar sind, keinen Fuß auf franzoͤ- sischen Boden zu setzen, wenn es einmal zur Geißel- Auswechselung kommen sollte, bis wir hinlaͤngliche Genugthuung fuͤr alle ausgestandene Mißhandlun- gen und Ungerechtigkeiten werden erhalten haben. Feste Petersberg bei Erfurt, den 18ten Jul, 1794. Lever . Metternich . Rompel . An Hn. Coadjutor, Freyherrn von Dahlberg in Erfurt. Wenn wir Unterschriebene uns die Freyheit neh- men, Ew. — die anliegende, der hiesigen Regie- rung uͤbergebene Denk- und Beschwerde-Schrift zu uͤberreichen: so haben wir dabey den einzigen Zweck, die Sache zu Dero hohem Wissen gelangen zu lassen. Wenn die franzoͤs. Republik ihre Existenz be- hauptet: so ist nichts gewisser, als daß unsere in Teutschland erlittene Mißhandlungen einst zur Sprache und zur endlichen Genugthuung kommen werden: und in dieser Ruͤcksicht schein: es allerdings noͤthig, daß unsere Lage auch den respektiven hohen Stellen dahier foͤrdersamst bekannt werde. Wir sind weit entfernt, Hoch-Ihnen mit irgend einer Bitte beschwerlich zu fallen. Was auch Hochden- selben Menschen- und Gerechtigkeits-Liebe in der Sache etwan zu thun rathen mag: so wuͤnschen wir doch mit allem verschont zu werden, was nur einer einstweiligen Ausmittelung gleich sieht. Nichts kann unsern Zustand dahier dauerhaft ertraͤglich ma- chen, als die Gewaͤhrung des in der Anlage ge- machten Antrags. Wir sind u. s. w. Petersberg, den 18ten Jul, 1794. Lever . Metternich . Rompel . II. An die hohe Regierungs-Commission in Erfurt. Ich mache die Anfrage, ob ich auf meine Denkschrift vom 20ten, auf den Nachtrag vom 23ten und auf die Beweisschrift vom 25ten vorigen Monats Gerechtigkeit, in specie den anverlangten gesezlichen Schutz gegen die Drohungen, Mishand- lungen und Neckereyen des Hn. Generals von Knorr erhalten werde oder nicht? Im leztem Fall wird mir das Recht, an den Hn. Coadjutor und an das koͤnigl. Preußische Gouvernement in Maynz eine verschloßne Vorstellung abschicken zu duͤrfen, nicht versagt werden. Wird auch dieses nicht gestattet oder verhindert, so behalte ich mir die Gerechtigkeit und Billigkeit auf jene Zeit vor, wo, um grad aus durchdringen zu koͤnnen, mich keine kuͤnstliche Kluft von Schranken oder Schlag- baͤumen hindern wird; wo keine Einlaßzetteln, keine Denkschrift und Vorstellungen noͤthig seyn werden, um Menschen mit zwey Worten ihrer Pflichten zu erinnern: Seyd gerecht ! — Feste Petersberg bey Erfurt, den 11ten Jul, 1794. Lever , aus Worms. III. Churfuͤrstliche Mainzische Regierung! Schon im December vorigen Jahrs uͤbergab ich eine Denkschrift an die kurfuͤrstl. M. Regierung, worin ich, wenigstens fuͤr jezt, soviel von meinem sequestrirten Eigenthum verlangte, als ich zu den unnachlaͤßlichsten Beduͤrfnissen brauchte. Ich glaubte, Gruͤnde dargelegt zu haben, die nicht aus der Luft gegriffen waren. Ich hatte noch den gu- ten Glauben, daß Gesezlichkeit doch noch wohl be- stehen koͤnne, obschon das Verfahren gegen mich und andere bey unsrer Gefangennehmung zu Mainz, und nachher waͤhrend unsrer Gefangenschaft auf Ehrenbreitstein, Koͤnigstein und Erfurt mich uͤber- zeugen mußte, daß baare Rache uns bisher ver- folgte. Ich hatte es der Unterstuͤtzung meiner Mitge- faugnen zu danken, daß ich auf Ehrenbreitstein kein Opfer des Hungers und der Nacktheit gewor- den bin: es war kein geringes Stuͤck von Grau- samkeit, daß man meinem Geschwister aufs schaͤrf- ste untersagte, mich mit Geld zu unterstuͤtzen.... Soviel aber die Pflicht der Selbsterhaltung mir zu gebieten scheint, andere scheinbar erlaubte Versuche zu diesem Zwecke zu machen, als da ist — suppli- cando wegen einer Zulage einzukommen, so sehr wuͤrde das wider die naͤmliche Selbsterhaltung strei- ten: denn ein durch Herabwuͤrdigung erhaltenes Leben ist lange nicht von dem Werth, als der Tod, der der Entehrung trozt. Nicht ich kann und darf den Wahn bestaͤrken, als wenn es Menschen gezieme, um Gnade zu kriechen, und Menschenwuͤrde zum Fußschemel der Willkuͤhr zu entheiligen da, wo Rechte und Ge- setze entscheiden sollten. Das Betragen der Tau- sende und Millionen, die anders handeln, kann fuͤr mich kein geltendes Beyspiel seyn, da ich — dem Himmel sey's gedankt! — aus jenen Ver- haͤltnissen ausgetreten bin, und uun nach den Grundsaͤtzen der Menschenwuͤrde handeln muß.... Petersberg, den 27ten Jun, 1794. Metternich , Franzoͤs. Geißel. IIII. Churfuͤrstliche Hochpreisliche Regierung zu Erfurt! Endlich ist das schon lang gefaͤllte Strafurthel gegen Metternich vollzogen: er sizt bey Wasser und Brodt seit gestern Nachmittag fuͤnf Uhr auf drey Tage im Stockhause, zwar seit einigen Tagen un- paͤßlich, aber noch muthig genug, um dieses Un- gemach zu erdulden. Zur Ahndung des vorigen Aufsatzes, welchen die Mainzer Re- gierung, als zugellos und wider Ihre Wuͤrde, ihm issen zuruckgeben ließ. Und doch hatte eben diese Regierung sich im Dezember 1793 ungeahn et sagen lassen: „Daß an ihr der Ruf der deutschen Gerechtigkeit scheitere, weil sie bey den grausamsten Mißhandlungen der arretirten Geißeln, und bey mehrmaligem Anrufen mehrerer Mitglieder um Gerechtig - keit , sie schwiege und nichts entschiede, nichts linderte.“ — Auf Ehrenbreitstein schrieb Metternich : „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, und wenns der Tod ist! Ich trotze allen Grau- samkeiten, selbst dem Tode, wenn man Muth genug hat, die Haͤnde in dieser Absicht nach mir auszustrecken!“ — Lever schrieb: „Er koͤnne das Maximum der vorsichtigen Weisheit, womit auch deutsche Regierungen sich auszeichnen wollten, nicht ergruͤnden, und er wundre sich sehr, daß wenn die Klubbisten die großen Verbrecher waͤren, wie sie der Mainzer und andere Zeitungsschreiber dem Publikum beschrieben, sein Kopf noch auf seinem Rumpf stehe, und man mit der Inquisition nicht schleunigst vorfahre!“ — Die ihm angetragne Hundekost hat er nach seinen Grundsaͤtzen mit ge- buͤhrender Verachtung ausgeschlagen, weil sie die Menschheit schaͤndet, und den Karakter eines freyen Buͤrgers entehrt. Dritter Theil. Dd Noch vor wenig Jahren war man bey derglei- chen Strafen nicht so streng in Mainz. Selbst der Falschmuͤnzer Hazfeld — der Herr Vetter des Friedrich Carls — erhielt dort seine standesmaͤßige Verpflegung im Arrest: aber der fraͤnkische Staats- buͤrger soll in seinem engern Arrest nur Brodt und Wasser haben! Freilich ist dieser nur Mensch, und jener von hohem Adel! Da liegt der Hund begra- ben, sagt Wieland . — Waͤren unsere Pro-Memorien, Denk- und Schlußschriften vom 18ten, 21ten und 25ten Jun, vom 18ten Jul, vom 22ten und 27ten August, und vom 17ten und 22ten September l.J. nach Mainz, wie man vorgiebt, wirklich eingeschickt, und dort, wie die Gerechtigkeit es fodert, nach der Gerech- tigkeit gewuͤrdigt worden; so wuͤrden unsere neuere Beschwerden nicht erfolgt seyn, und dann auch nicht das Straf-Dekret. Es ist ein bekannter Rechtssatz, daß mein Gegner kein Richter in meiner Sache seyn kann, noch weniger die Erzfeinde der franzoͤsischen Re- publik, ich meyne die Mainzer Pfaffen. Gerech- tigkeit ist alles, was wir zu fodern berechtigt sind; und wo Recht ist, muß auf der andern Seite auch Pflicht seyn: das lehrte mich die Schule. — Ge- rechtigkeit ist alles, was wir zum leztenmal fodern. Den unter uns treffe die Rache der beleidigten Menschheit, der die Wuͤrde des Menschen vergißt, Zielt auf Mentß , den Verfasser des Buͤrgerfreund s zur Zeit der Custiniade, und auf Boͤhmer , der sich erklart hatte, in Deutschland bleiben zu wollen, der Collegen denun- z iirt und eine Untersuchungs-Commi s sion verlangt, aber nicht erhalten hatte. die beschwornen Grundsaͤtze der Freiheit in der Ge- fangenschaft verlaͤugnet, die menschliche Hoheit ent- heiliget und sich vor einem politischen Phantom ernie- driget, indem er das die Schoͤpfung entehrende Wort Gnade in seinen Mund aufnimmt und das er- bettelt, was jeder gerechte Regent nach den Ge- setzen im Wege Rechtens zu geben schuldig ist. Wir sind Weltbuͤrger, Republikaner, franzoͤ- sische Geißeln, nicht von jenen Viehmenschen, die ein deutscher Dichter besingt Ihr, die zum Viehmenschen entwuͤrdiget, Unmenschen, ihr trotzet noch jezt? Ihr K raft, wo ein Gedank' ertoͤnt, Und erzwingt fuͤhllosen Gehorsam? — Mit Waffen in den Kampf Fuͤr Freyheit und fuͤr Recht! Naht Buͤrger, naht; bebt Miethlingsschwarme, Entflieht, oder sterbt! und von denen man fuͤhllosen Gehorsam erzwingen kann. Dem Gesetz der Vernunft und dem allgemeinen Voͤlkerrecht, das auch die ungesittesten Voͤlker in Afrika zu ver- ehren anfangen, sind wir Gehorsam, aber nicht den Menschen schuldig. — Voß . Wo der Weg zur unpartheyischen Justiz ganz versperrt ist, da tritt das Recht der Selbsthuͤlfe und der Nothwehr ein: und das ist hier der Fall, der dem hellsehenden Publikum ausfuͤhrlich vorge- legt werden wird. — Ich erwarte alles und fuͤrchte nichts, bestehe aber ein fuͤr allemal auf mein Recht. — Petersberg d. 24sten Sept. 1794. Lever , franzoͤs. Buͤrger u. Geißel. Regierungsrath Streker nahm diese Unterschrift der Gei- ßeln in der Mitte des Monats Maͤrz noch uͤbel auf, und gab Levern seine Briefe an die neufraͤnkischen Volksrepraͤsentan- ten Merlin und Hausmann , nebst denen an Hn. Grafen von Kalkreuth mit dem Verweis zuruͤck: daß es Arrestan- ten nicht gebuͤhre, so zu schreiben. Als er einige Tage dar- auf die Atteste der Geißeln nach Frankreich foderte, fragte ihn Lever : Ob man sich fraͤnkische Geißeln unterschreiben duͤrfe? Ja, freylich, antwortete er, das sind Sie ja! — Da stand nun der inkonsequente Hofmann und Doctor der Rechte! V. An die Churmainzische Regierungs-Commission in Erfurt. Als ich, um mir durch mich selbst eine Unter- stuͤtzung zu verschaffen, ein Adagio oder Klagen der Klubisten zu Ehrenbreitstein nebst Variationen fuͤr die Floͤte verfertigte, wurde mir diese Arbeit von dem ehemaligen Commissarius, Hn. Regie- rungsrath Streker , in derben Ausdruͤcken ver- wiesen, und bedeutet: man habe solches nach Mainz eingeschickt. Ich habe dies mein Eigen- thum nie zuruͤck erhalten. Als Metternich in der naͤmlichen Absicht eine Abhandlung uͤber Holz-Ersparniß fuͤr Prof. Grens Journal der Physik bearbeitete, und sie der Commission uͤbergab, erhielt er sie mit der Er- klaͤrung zuruͤck: daß die Churfuͤrstl. Regierung in Mainz hierauf erklaͤrt habe, wie es Arrestanten nicht gebuͤhre, Abhandlungen zu schreiben und solche in Druck zu geben. Die hoͤchsten Gerichtsstellen in Preußen denken anders, den- ken menschlicher. Es ist weltkundig, daß D. Bahrdt waͤh- rend seiner einjaͤhrigen Gefangenschaft auf der Citadelle Magdeburg mit Erlaubniß der Regierung seine Lebens - und selbst seine Gefaͤngniß - Geschichte schrieb, wie auch, außer Alvaro und Ala Lama , das Wort , deutsch gesprochen mit dem Ritter von Zimmermann . Das alles war fuͤr Bahrdts Oekonomie und mehr zur Un- terhaltung als Belehrung, und doch goͤnnten die hoͤchsten Ge- richtsstellen in Preußen das eine dem Verfasser, und das andere dem Publikum, ohne die mindeste Beschraͤnkung der Publicitaͤt und der Presse. Und eine Churmainzische Regie- rung, die soviel von Patriotismus spricht, eine erzbischoͤfliche, die auch keine Spur von Christus-Sinn zu haben scheint, haͤlt eine aͤußerst gemeinnuͤtzige Abhandlung fuͤr eine Arbeit, die einem Arrestanten nicht gebuͤhre? — Gott behuͤte uns fuͤr solche Convenienz-Richter!!! Ein Mehreres, was hiehin ge- hoͤrt, findet man in der Vorrede zu der Sammlung er - baulicher Gedichte — S. 82. ff. Darf man fragen: welcher Lehrer des Men- schen- und Voͤlker-Rechts hat je behauptet, daß Geißeln — Arrestanten im eigentlichen Ver- stande seyen? Und warum werden wir Arrestan- ten genannt, wenn wir Wahrheit schreiben und Gerechtigkeit fodern, aber franzoͤsische Geißeln, wenn man ein Attestat von uns nothwendig hat, um es nach Paris schicken zu koͤnnen? Das ist ei- gentlich das Spiel, welches man nach dem einge- drungenen System von Convenienz mit uns seit ei- nem Jahr gespielt hat und noch ferner spielen will. Das ist das fuͤrchterliche Resultat jenes politischen Grundsatzes, welchen allgemein bekannte Manifeste in ganz Europa verkuͤndiget haben — Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Die Zahl der leztern besteht aber aus Millionen Menschen und wird — man merke dies wohl! — bei der mit Gewalt unterdruͤckten Wahrheit, und bey den fortdauern- den Leiden der Menschheit unermeßlich werden. Die Behauptung: Arrestanten oder Geißeln ge- gebuͤhre es nicht, ihr Schicksal durch ihre Talente selbst zu erleichtern — Abhandlungen zu schreiben — Wahrheiten durch die Publicitaͤt zu verbreiten — die Cultur der Nation und die Vervollkommnung der Wissenschaften zu befoͤrdern, ist gegen die Menschheit, gegen Vernunft und Recht, und be- gruͤndet sich nur in dem grand Rien der Politik zu Ende des 18ten Jahrhunderts. — Wo die Wahrheit freyen Lauf hat, da nehmen die Kenntnisse und Einsichten der Menschen taͤglich zu: wo sie aber als Monopol taxirt und verkauft wird, und wo nur gewisse hoͤchstprivilegiirte Leute die Wahrheit allein sagen duͤrfen, da sinken die Wissenschaften, die Menschheit ist gedruͤckt, und Aberglaube und Barbarey fangen wieder an, das Volk zu beherrschen und elend zu machen, aber zum Nachtheil der Fuͤrsten selbst, wie dies die Geschichte der Menschheit uͤberzeugend darthut. Der gute Fuͤrst hat nie Ursache, die Wahrheit zu scheuen, und je freiern Lauf er ihr laͤßt, desto sicherer weiß er sich, und zeigt, daß er Einsicht und guten Wil- len genug hat, das Wohl seiner Untergebnen zu schaͤtzen und zu foͤrdern. Aber der schlechte, der kurzsichtige! — etc. etc. In der mir mitgetheilten Abschrift stand hier am Rande: „Was an sich offenbar ist, und wenns noch so einleuchtend dargestellt wuͤrde, kann auf die gutmuͤthigsten Fuͤrsten, zumal wenn sie zu wenig selbststaͤndig sind, nicht wirken, sobald ein Anhang von herrschsuͤchtigen, heuchelnden, oder schwaͤrmen- Aufm Petersberg an Erfurt, im Sept. 1794. Lever , franzoͤs. Geißel aus Worms. Vier und dreyßigstes Kapitel. Marsch von Maynz nach dem Gebuͤrge . D en 27ten Jul, Nachmittags, brachen wir von Mainz auf, marschierten die Nacht durch, und kamen den andern Morgen, fruͤh um 8 Uhr, nach Alzey. Es war damals sehr heißes Wetter, und daher fand der General von Mannstein , wel- cher unsre Kolonne anfuͤhrte, fuͤr gut, uns des Nachts gehen und am Tage ruhen zu lassen. Es war nicht sehr dunkel und guter Weg, wie die Wege in der Pfalz uͤberhaupt sind; und so war diese Anstalt heilsam und loͤblich. In Alzey besuchte ich meinen Freund, den schon oben erwaͤhnten Pfarrer Walther , einen sehr lie- den Obscurations-Klubbisten ihnen den Gesichtspunkt verruͤckt, oder den Gesichtskreis vernebelt, um die Majestaͤt ihrer Phan- tasie der Majestaͤt des Staates ganz sachte, aber recht dichte anzuschmiegen, und nolens volens die eine durch die andere vor den Augen der ganzen vernuͤnftigen Welt schrecklich zu prostituiren. Hr. Zimmermann in Hannover, Hr. Gru - ner in Jena, Hr. Jung in Marburg, Hr. Reichard in Gotha und Hr. von Goͤchhausen in E nach wuͤrden uͤber die Beweggruͤnde dieser hochheiligen Majestaͤten in Cognito und Incognito, die beste Auskunft geben koͤnnen, wenn's der Muͤhe werth waͤre, sich um die Collegen und Raͤthe eines E , des Unaussprechlichen, auch nur einen Augen- blick zu bekuͤmmern.“ benswuͤrdigen Geistlichen. Als ich wieder in mein Quartier zum Juden kam, hoͤrte ich, daß ein Maͤdchen schon zweymal da gewesen waͤre, welches mich in den Ochsen haͤtte rufen sollen, wo ein Herr mit mir zu sprechen wuͤnschte. Ich lief hin, und fand in der obern Stube — meine mir ewig theure Therese ! Das edelmuͤthige Maͤdchen war allein; sie kam mir entgegen, und nahm mich bey der Hand. Ich konnte kein Wort herausbringen. Gott, sagte sie endlich, was habe ich Ihnen gethan, daß sie, in Ihrer Lebensgeschichte, mich und meine Schwachheit gegen Sie, der Welt so oͤffentlich be- kannt gemacht haben? Habe ich, hat meine Liebe das um Sie verdient? Ich : Sie sind ja nicht mit Namen genennt! Therese : Was thut mein Familien-Name zur Sache! Sie haͤtten mich jezt immer auch nen- nen koͤnnen: Jedermann weiß doch, wen Sie mit Theresen meynen! Ihr Buch ist hier in jedermans Haͤnden, und wohin ich komme, ließt man mir die Stellen uͤber mich daraus vor. Doch, was hilfts! ich habe Ihnen vergeben. Ich : Gute, edle Therese! Therese : Sie sind ungluͤcklich, aber wahr- lich nicht durch meine Schuld: wenn ich Sie haͤtte gluͤcklich machen koͤnnen: Sie waͤren es gewiß; aber ach, Sie haben Sich und mich auf immer ungluͤcklich gemacht! Nein, ich kann, ich will diesen Punkt nicht wei- ter beruͤhren: Er zerreißt! — Thereschen war immer noch, wie ehedem, im Jahr 1775, das gut- muͤthige, treuherzige, sanfte Maͤdchen. Ihr Ge- sicht war nicht viel veraͤndert, doch waren die Zuͤge auf demselben schwermuͤthiger, und die Farbe et- was blaͤsser. Sie wohnte damals noch in ihrem Geburtsorte. Ihr Vater, der redliche Amtmann, war laͤngst gestorben, und nach dessen Tode hatte sie manche Freier gehabt, wie ich von andern hoͤrte — Thereschen selbst ruͤhmte sich der Freiereyen nie- mals — hatte sie aber alle abgewiesen. Warum? Das weiß ich nicht. Genug von der Unvergeß- lichen! — Gegen Abend besuchte mich auch meine alte Tante, mit welcher ich aber nicht viel sprechen konnte, weil wir bald marschieren mußten. Im Wirthshause zu Alzey hoͤrte ich viele scan- daloͤse Histoͤrchen von dem geheimen Rath von Koch , sonst genannt der große Mogul , und von seinem Schwager, dem R. Rath Schlemmer . Solche Leute muß man in einem Lande anstellen, wie Koch und Schlemmer in Alzey, Schweikart in Kreuznach, Albertino in Bacharach, Fa - bel in Grehweiler, Vola in Flonheim, und wie das juristische Gesindel in der Pfalz, dort uͤberm Rhein, mehr heißt, wenn man Volksaufstand be- foͤrdern will. Dergleichen Schufte koͤnnen den Unterthanen alle Liebe zu ihrer Herrschaft und ihren Beamten fein huͤbsch beybringen. Die Leute in der Pfalz raͤsonnirten entsetzlich, und lobten bey- nahe oͤffentlich das Revolutionssystem der Franzo- sen. Daher sahen auch die Preußen alle Pfaͤlzer fuͤr Patrioten an; aber die guten Preußen wußten nicht, wo der Schuh die armen Pfaͤlzer druͤckte: und hienach haͤtten sie sich doch erkundigen sollen, ehe sie zugriffen, schlugen und pluͤnderten. — Gebe nur der Himmel, daß die Neufraͤnkische Ver- fassung auch auf die gute Pfalz einen guten Einfluß haben moͤge! Und wenn nur die Justizverwaltung besser, die Duldung gemeiner, und Tyranney der Minister, der Pfaffen und des Adels zerstoͤrt wird, so ist das reichlicher Ersatz fuͤr all das Ungluͤck und den Schaden, den die Franzosen zur Wieder- vergeltung — dem Lande zufuͤgten. Herr Pastor Braun ist hier gewiß meiner Meynung. Wir brachen, wie gesagt, auch hier des Abends auf und marschierten in der Nacht. Unser Batail- lon kam nach Kerzernheim, wo der Geistliche Herr mein Vetter ist. Sein Hauslehrer war ein Can- didat, zu Tuͤbingen im Kloster erzogen, der mich wegen der Ketzereyen in meiner Lebensgeschichte vornahm, und mir haarscharf beweisen wollte, daß nur die in der h. Schrift geoffenbarte Lehre die einzige wahre Religion ausmache. Als ich nun bey dem Worte Religion und h. Schrift das anmerkte, was jeder Kluge und Sachkundige dabey nicht uͤbersieht: so fuhr er schnell auf, und sagte mir recht barsch: „Herr, ich habe Sie sonst be- daurt, und habe Mitleid gehabt mit Ihren Schick- salen, aber jezt wuͤrde ich mich an Gott und an der gesunden Vernunft versuͤndigen, wenn ich noch ferner gut von Ihnen denken wollte. Sie verdie- nen Ihr Schicksal: (heftiger) Ja, wahrlich, Sie verdienen es, und ich goͤnne es Ihnen von Grund meiner Seele.“ Ich bedaurte den kuͤnftigen Leh- rer der christlichen Sanftmuth und Duldung, der, wie die meisten Pfaffen, den lieben Gott, und die gesunde Vernunft fuͤr einerley mit seinen Traͤumen, Phantasien und Einfaͤllen gehalten wissen wollte. Sonst schien mir der Herr Kandidat kein Feind des Frauenzimmers zu seyn, und fleißig mit der Mam- sell Tochter des Pfarrers zu — sympathisiren. Auf dem Marsch von Tiefenthal nach Forst, am 28ten Jul, hatte ich bei Neuleiningen das Un- gluͤck, in der stockfinstern Nacht, meinen rechten Fuß zu vertreten, und mußte daher auf einem Bauerkarren gefahren werden. Ein barmherziger Bruder von Deidesheim gab mir recht guten Spiri- tus, und in drey Tagen war mein Fuß wieder hergestellt. Diese Moͤnche stehen dort in der Ge- gend in sehr großem Ansehn, und sind mit Recht beliebt, wenn anders Moͤnche beliebt seyn sollen. Sie sind gut fundirt, und wenden ihr meistes Ein- kommen auf die Pflege der Kranken, die in ihr Spital ohne Ansehen, selbst der Religion, aufge- nommen werden, nur nicht die Venerischen, wahr- scheinlich, weil diese Krankheit den Herren unbe- kannt oder ein Graͤuel ist. Forst ist ein sehr schoͤnes Dorf, wo ein Wein waͤchst, der selbst dem Niersteiner oder Hochheimer nicht viel nachgiebt, wenigstens ist er der beste in der ganzen dortigen Gegend. Von Forst aus be- suchte ich meine Freunde in Duͤrkheim an der Haart, den Hn. R. Rath Laukhard , den Hn. Pfarrer Braun und mehrere. Ich sah auch da den vor- hinerwaͤhnten Superintendenten Klevesahl , der sich so weit herabließ, daß er mich armen preußi- schen Musketier eines Gespraͤches wuͤrdigte. Er war noch wie ehedem in Gießen, wohlgemaͤstet, stolz, grob, unwissend und intolerant. Ich sprach mit ihm in Beyseyn des Marchese Lucchesini , so wie man mit einem Pfaffen von Klevesahls Art spre- chen muß: und der Hr. Marchese sagte mir hernach, daß er sich uͤber meine Freymuͤthigkeit gefreut habe. Der absurde Wicht sprach unter andern von seinem Vorfahr, dem D. Bahrdt und schimpfte: ich nahm, wie natuͤrlich, Bahrdts Parthey, ruͤhmte seine guten Seiten und seine Verdienste; und mo- kirte mich sofort uͤber die Dummkoͤpfe, die Into- leranz, Unwissenheit und Stolz gleich stark verbin- den, und so dem Menschengeschlechte immerhin schaden. In Forst lernte ich einen sehr interessanten Mann kennen, den Rektor Simon von Neustadt an der Haart. Wenn mehr solche Schulleute in der Pfalz waͤren, so muͤßte das Schulwesen in selbi- gen Gegenden weit besser stehen. Hr. Simon ist ein geschickter Philologe, ein heller Kopf, und da- bey ein junger Mann von reinen, gefaͤlligen Sitten. Ueber die franzoͤsischen Angelegenheiten waren wir, nach Psychologie und Geschichte, ganz einerley Meynung. Hr. Simon machte mir wegen der Beschreibung, die ich im I. B. meiner Lebensge- schichte von der Universitaͤt zu Heidelberg habe, und besonders wegen der Anekdoten von D. Hed - daͤus einige Vorwuͤrfe. Er beschrieb mir den Ehrenmann als einen sehr toleranten, braven, hell- denkenden Gelehrten. Aber so gern ich erkanntes Unrecht zuruͤcknehme, so kann ichs doch hier nicht: Denn noch im October 1795, wo ich durch Heidel- berg kam, fand ich bey neuer und genauer Erkun- digung, die Sagen von Heddaͤus Intoleranz und kalvinistischer Rechthaberey und besonders von seiner Impertinenz gegen die Lutheraner noch im- mer in ungesegnetem Andenken. Man hatte mich auch, wie ich in Forst hoͤrte, und wie man mir hernach in Heidelberg bestaͤtigte, wegen meiner Aeußerungen uͤber die Pfaͤlzische Re- formirte Geistlichkeit, und besonders uͤber die Hei- delbergische Quasi-Universitaͤt bey dem Herzog von Braunschweig verklagen und fuͤr die — Injurien Genugthuung fodern wollen. Die Her- ren trugen das Geschaͤft dem ehrlichen Kirchenrath Mieg auf, der aber die ganze Sache nicht nur ablehnte, sondern auch selbst ganz widerrieth. Er hatte gemeynt: ich haͤtte sie bey dem Publikum be- langt, und nun muͤßten sie auch hier ihre Sache ausmachen, dabey aber nicht vergessen, daß Lauk- hard repliciren wuͤrde, und daß das Lezte alsdann aͤrger werden koͤnnte, als das Erste. Der Unschul- dige koͤnne sich mit seiner Unschuld troͤsten, und der Schuldige — mit einem, Vater, ich habe gesuͤndi- get! bessern! — Die Herren koͤnnen froh seyn, daß noch Einer unter ihnen so gescheid war, als Herr Mieg : denn wenn sie geklagt haͤtten, so wuͤrden sie durch neue Thatsachen nur noch mehr seyn be- schimpft und belacht worden. Der Herzog von Braunschweig ist uͤberdieß viel zu klug, als daß er eine Klage von dieser Art haͤtte annehmen und eine Untersuchung daruͤber verfuͤgen sollen. Genug, ich bin nicht verklagt, und bey meiner Durchreise durch Heidelberg, im October 1795, auch nicht angehalten oder befehdet worden. Das zeigt denn doch noch von einigem bon sens der Herren Heidel- berger; und so moͤgen sie fuͤr dießmal, troz allem, was ich von neuem uͤber sie in Petto herumtrage, in Frieden seyn und bleiben. Aber eins muß ich hier aufs Reine bringen, weil ich verbunden bin, die Ehre eines braven jungen Mannes zu retten, der meinetwegen in der Pfalz als eine Frau Base oder Klatschschwester verschrieen ist. Man glaubt daselbst durchgaͤngig — ich hab's wohl an zwanzig Orten gehoͤrt — Herr Winkel - blech aus Arnsheim, der von 1790 bis auf den Herbst 1791 in Halle studiert, und da meinen Unterricht benuzt hatte, habe mir die Nachrichten von der Heidelberger Universitaͤt und von der Pfaͤl- zer Pfafferey mitgetheilt. Man hat dieses uͤberall ausgesprengt, und der gute Winkelblech ist deswegen sehr ins schwarze Buch gekommen. Man hat ihm gedroht, ihn bey dem Kirchenrath deshalb zu belangen. Aber ich erklaͤre hier oͤffentlich, daß die Quelle, woraus ich jene Nachrichten geschoͤpft habe, ganz und gar nicht Hr. Winkelblech ist; vielmehr hat dieser, wenn ich manchmal so im trau- lichen Gespraͤche uͤber die Pfaͤlzer Bonzen und uͤber die antiquissima Rupertina loszog, sich im Ernste erhizt, und die Apologie sowohl der Bonzen, als der Gelehrten-Zunft zu Heidelberg uͤbernommen. Kurz, ich habe, was ich erzaͤhlte, theils selbst erlebt, theils von Leuten gehoͤrt, die Glauben ver- dienen, die ich aber den Herren in der Pfalz nicht noͤthig habe bekannt zu machen. Uebrigens ver- spreche ich den Herren — damit sie doch sehen, daß auch mir das Suum Cuique noch heilig sey — das, was ich von wirklicher Verbesserung der Schulen in der Pfalz, besonders durch einige Schuͤler des Professors Wolff zu Halle, gesehen und erfahren habe, dereinst treufleißig anzugeben. In Forst mußten wir Viktorisiren, oder das Gewehr einigemal losschießen, weil ein General unsrer Verbuͤndeten einigen Vortheil uͤber den Feind gewonnen hatte. Die Siege waren groͤßtentheils unbedeutend, und so war denn auch das Viktori- siren — unbedeutend, und des Pulvers nicht werth. Die Franzosen mokirten und erboßten sich allemal daruͤber, und ihre Ehrbegierde wiegelte sie reger gegen uns auf; bey uns aber erregte es Verdruß und Murren, weil die Soldaten hernach ihre Ge- wehre fuͤr nichts und wieder nichts putzen mußten. Man sollte billig bis auf den Frieden warten, und Dritter Theil. Ee dann zusehen, ob die Goͤttin Viktoria uns oder dem Feinde guͤnstiger gewesen sey. Vosne velit, an me regnare hera, quidve ferat fors, Virtute experiamur, sagt Pyrrhus von Epirus beym Eunius. In Frankreich habe ich hernach oft die bitter- sten Sarkasmen uͤber das Viktorisiren der Verbuͤn- deten hoͤren muͤssen, und konnte sie nicht widerle- gen, weil die Citoyens immer die wohlgegruͤndete Bemerkung machten, daß ein und der andre winzige Vortheil uͤber den Feind immer eine Kleinigkeit bleibe, so lange man nicht dauerhaften Nutzen dar- aus ziehen koͤnnte: und von dieser Art waͤren die Vortheile der kombinirten Maͤchte nie gewesen. Wie gesagt, man haͤtte billig bis zum Frieden, oder bis zur gaͤnzlichen Entkraͤftung der Franzosen warten sollen. Jezt schossen wir heute Voctoria, und in kurzer Zeit wußten wir vor Angst und Schre- cken nicht zu bleiben! In Forst hatte der Zoͤllner, welcher auch Kraͤ- mer war, und Wein schenkte, eine lutherische Bi- bel. Er durfte sie zwar nicht oͤffentlich zeigen, denn sonst wuͤrden ihm die Pfaffen — Forst gehoͤrt dem Bischof von Speier — ihre schwere Hand ge- wiß haben fuͤhlen lassen. Der Mann war aͤchtka- tholisch, doch war ihm die lutherische Bibel des- wegen lieb, weil er die ganze Franzoͤsische Revo- lution darin fand, und zwar in der Offenbarung Johannis und dem Propheten Ezechiel vorzuͤglich. Unsre Soldaten hatten ihm gesagt, daß ich so ein Stuͤck von einem Studierten sey: er machte mir also seine Weisheit bekannt, und fragte mich um mein Gutachten. Da ich ihm aber nach meiner Einsicht antwortete, erboßte er heftig, und sagte mir gerade ins Gesicht: daß er gar nicht verstuͤnde, wie man so einen gottlosen Freygeist bey der Armee leiden koͤnnte! Dann koͤnnte freilich Gott der Herr kein Gluͤck und Seegen geben, wenn dergleichen ab- scheuliche Menschen, die gar nichts glaubten, und die Bibel fuͤr ein heilloses Schwaͤrmerbuch hielten, bey dem Heere geduldet wuͤrden! — Ich schmun- zelte, und ließ ihn nach dem praktischen Spruch: Vergebens bleicht man einen Mohren, Vergebens straft man einen Thoren: Der Mohr bleibt schwarz, der Thor bleibt dumm. Sie bessern, ist nicht meine Sache. Ich laß die Narren seyn, und lache: Das ist mein Privilegium. Fuͤnf und dreyßigstes Kapitel. Niederkirchen . Maykammer . N ach acht Tagen veraͤnderten wir das Kantonni- rungsquartier, und unser Bataillon kam nach Nie- derkirchen, einem Speierischen Dorfe, wo ich mein Lager bey einem Schuster bekam, welcher ein sehr possirlicher Mensch war. Seine Frau zankte und noͤrgelte den ganzen Tag, er aber lachte nur, wenn sie ihre Stimme fuͤrbaß hoͤren ließ. Daruͤber er- boßte das Weib gewoͤhnlich so sehr, daß sie dem guten Kerl in die Haare fiel. Geschah dieses, so packte er sie an, und fuͤhrte sie, mir nichts dir nichts, ordentlich zur Hausthuͤre heraus, und schloß diese dann zu. „Warte Karnudi, du sollst nicht wieder 'rein!“ war alles, was er hinzufuͤgte. Darauf sezte er sich an seine Arbeit, und machte nicht eher auf, als bis die Tochter, ein Maͤdchen von 17 Jahren, ans Fenster kam und im Namen der Mutter Besserung und Gehorsam versprach. Das ging alle Tage so, und einigemal passirte es gar zu Mitternacht. Von hier aus besuchte ich dann und wann den Pfarrer Leopold zu Ungstein. Dieser bekannte mir, daß er die sogenannte Genugthuungslehre nir- gends besser erklaͤrt gelesen haͤtte, als in dem Bahrdti- schen Roman — Pastor Rindvigius . Das mag wohl seyn in Beziehung auf den Hn. Pfarrer: aber mich duͤnkt, daß das Dogmatisiren in einem Buche, wie Rindvigius ist — der schon deswegen dem D. Bahrdt zuzuschreiben waͤre, weil darin einer Autonianischen Chrie Meldung geschieht — wenig guten Eindruck machen muͤsse. Spotten uͤber Thorheiten und Fratzen thut in Romanen vor- treffliche Wirkung, so wie das durch Handlung mo- tivirte Aufstellen moralischer Wahrheiten: aber Dogmata — lassen sich da nicht recht behandeln. Loͤffler that es an einem schicklichern Orte. Auch hier erhielt ich Geld von meinem recht- schaffnen Bispink , welcher mich, wie man weiß, den ganzen Feldzug uͤber, mit Geld und andern Nothwendigkeiten immer bruͤderlich versehen hat. Seinem Briefe waren mehrere Recensionen meiner Biographie beygeschlossen, welche ich, so sehr mich die Herren in Jena und Goͤttingen herunterge- macht hatten, doch mit Wohlgefallen durchlas. Ich konnte mir dieses leicht vorher denken, sagte es am Ende des zweyten Bandes ja auch vorher, und hatte nun das Vergnuͤgen, zu sehen, wie die Erfahrung mein Urtheil uͤber den Ton und den Cha- rakter der meisten Zunftgelehrten bestaͤtigte. Daß ich nicht ruhmsuͤchtig bin, denk' ich, wird man meiner ganzen Lebensgeschichte ansehen: und so will ich mich allen Witzkumpans mit ihren flet- schenden Zaͤhnen und Federn auch hier ganz erge- benst neuerdings auf Diskretion ergeben, und ihre Recensionen ohne alle Gegenruͤge ruhig mit ins Ma- culatur wandern lassen. Uebrigens danke ich den Herren, vorzuͤglich dem in der allgemeinen Litera- tur-Zeitung, den ich schon in Gießen an seiner Tatze laͤngst erkannte, daß sie es der Muͤhe werth gefunden haben, die Aufmerksamkeit auf meine Wenigkeit per fas et nefas vermehren zu helfen, und will ihnen nur noch sagen, daß man herzlich gelacht hat, als ich ihre Recensionen im Wirths- hause zu Duͤrkheim einer Gesellschaft von Offizie- ren und andern Kriegsbedienten vorlas. Kaltes Blut und guter Ton, meynte man, sey nicht die Sache aller Gelehrten. Den 14ten August ruͤckte unser Bataillon nach Maykammer, eine gute Stunde von Edinghofen, wo damals das Koͤnigl. Hauptquartier stand, wel- ches vorher in Duͤrkheim gewesen war. Wir bra- chen Abends auf, marschierten durch Renstadt und kamen fruͤh gegen 4 Uhr in Maykammer an. Es war gerade das Fest der Himmelfahrt Ma- riaͤ. Ich ging in die Kirche, blos zum Zeitver- treib, und um die huͤbschen Gesichter der dortigen katholischen Maͤdchen anzusehen, welche bey der Andacht innehmender werden sollen. Ueberhaupt hat jene Gegend auffallend schoͤne Maͤdchen, schoͤ- nere wirklich als Sachsen. Die Pfalz, besonders am Gebuͤrge, Schwaben und der Breisgau zeigen Gesichter, wie man sie in Sachsen selten antrifft. Ich Maͤdchen bin aus Schwaben, Schwarzbraun ist mein Gesicht — dieß hat gewiß jemand geschrieben, der wohl nie ein huͤbsches Schwabenmaͤdchen gesehen hat. Die Schoͤ- nen in Schwaben haben gewiß keine schwarzbraune Gesichter. Man frage nur unsre Herren Offiziere und Soldaten. — Dort oben am Gebuͤrge hat- ten die Anbeter des Schoͤnen noch den Vortheil, daß die Emigranten dahin nicht so wie an andre Orte gekommen waren; folglich waren die Maͤd- chen noch unverdorben, und unsre Leute riskirten doch nicht, von ihnen gleich ins Lazareth zu wan- dern, wie dieses der Fall gar oft an andern Orten gewesen ist. Sonst sind die Maͤdchen dort herum, wie uͤberhaupt in allen Weinlaͤndern, jovialisch, interessant, nehmen nichts uͤbel, hassen alle Cere- monien, und sind durchaus keine Freundinnen von den Maͤnnern. Sie haben im lezten Stuͤcke große Vorzuͤge vor den Maͤdchen in Sachsen, und ver- dienen die Achtung, und die Liebe der Maͤnner in weit hoͤherm Grade, als diese. Ein saͤchsisches Maͤdchen haͤngt sich leicht an jeden, der ihren Ei- gennutz und ihre Putzsucht befriedigen kann: fuͤr Geld und schoͤnen Putz sind die meisten feil; aber ein Maͤdchen aus der Pfalz oder aus Schwaben — von denen rede ich freilich nicht, welche von den franzoͤsischen Pestkindern, den Emigranten, ver- giftet sind — liebt ihren Hans um Seinetwillen. Dort denkt man noch immer: ein braver Kerl sey eines guten Maͤdchens werth: in Sachsen aber, und da herum, soll das Maͤdchen blos dem gehoͤ- ren, der brav geben kann: auro conciliatur amor. Hier ist Liebe — Kunst; dort — Natur. Ich ging also in die Kirche, und sah dem Spe- ctakel der Procession, und der Weihe der Kraͤuter und Blumen zu, welche an diesem Tage fuͤr das ganze Jahr zur Verjagung der Gespenster, Hexen und alles Zaubers, wie auch der Krankheiten und andrer Uebel geweihet werden. Waͤhrend des Hoch- amts oder der feierlichen Messe, praͤsentirten die Bauren einigemal die Gewehre in der Kirche, nah- men sie nach Tempos bey Fuß, knieten nieder nach Tempos, zogen die Huͤte nach Tempos ab, und sezten sie eben so regelmaͤßig wieder auf: Alles waͤhrend der Messe! Endlich bestieg der Kaplan die Kanzel, und ich erwartete nun auch eine aͤhn- liche Predigt, voll katholischer Salbung, das heißt, eine magere, jaͤmmerliche Abhandlung, uͤber die unbefleckte Jungfrau, und ihre Himmelfahrt. Allein ich fand auf eine sehr angenehme Art, daß ich hierin geirrt hatte. Der junge Geistliche sprach kein Wort von der allerseligsten Jungfrau, sondern hielt mit vielem Anstand und Beredsamkeit eine Pre- digt uͤber die Trostgruͤnde, welche der Leidende aus der Hoffnung eines kuͤnftigen bessern Lebens schoͤpfen koͤnnte. Er schraͤnkte sich blos auf die Ungluͤckli- chen ein: denn die Gluͤcklichen, sagte er, sehnen sich nach dem Ziele ihres Daseyns nicht, und be- wies, daß dem mancher Trostgrund fehlen muͤßte, welcher an der Unsterblichkeit seiner Seele, und an dem kuͤnftigen Leben zweifelte. Ich muß gestehen, daß der Mann seine Sachen recht schoͤn machte; und dieses Bekenntniß von meiner Seite muß um so unpartheiischer scheinen, da ich schon seit langer Zeit Gruͤnde zu haben glaube, auf alles Ultra- mundanische nicht so recht zu rechnen, und das Meiste davon der Ungenuͤgsamkeit der Menschen, und ihrer kaufmaͤnnischspielenden Phantasie zuzu- schreiben. Nach der Kirche gieng ich ins Weinhaus, wo mehrere Buͤrger sich versammelten. Ich ruͤhmte hier den Hn. Kaplan oͤffentlich, fand aber, daß die Leute nicht sehr mit ihm zufrieden waren, und hoͤrte, daß sein Herr Pfarrer ihm gar nicht guͤn- stig sey. Den Bauren predigte der Mann nichts von alten Heiligen-Geschichten, Legenden u. dgl. und dem Pfarrer misfiel er deswegen, weil einige vornehme und einsichtsvolle Katholiken, sogar auch Protestanten, seine Predigten vorzogen. Alles dieses empfahl mir den Mann noch mehr, und ich suchte nun seine Bekanntschaft, welche gar leicht zu machen war, da er alle Tage ins Feld spatzie- ren geht und ein sehr leutseliger Mann ist. Er hatte schon vorher von mir gehoͤrt, und nahm mich geradesweges mit auf seine Stube, zeigte mir seine Bibliothek, und sprach recht vernuͤnftig sowohl uͤber litteraͤrische Gegenstaͤnde, als uͤber die Angelegen- heiten der Zeit. Er war der erste katholische Geist- liche, den ich sagen hoͤrte, daß er noch viel Gutes von der Franzoͤsischen Revolution auch fuͤr die Re- ligion erwarte. Unter seinen Buͤchern fand ich Zollikofers und Spaldings Predigten, auch Niemeyers Karakteristik, u. dgl. Um diese Zeit kamen viele Gesandten im Haupt- quartier zu Edinghofen an, welche aber zum Theil in Maykammer logirten, weil es an Platz in Eding- hofen fehlte. — Die Naͤhe des Hauptquartiers ist fuͤr die Armee allemal eine fatale Sache. Sie ver- theuert die Lebensmittel gar sehr, denn wer etwas zu verkaufen hat, traͤgt es hin, wo die Leute Geld genug geben koͤnnen; und der arme Soldat kann mit seinem wenigeren Gelde zu Hause bleiben. In Maykammer war z. B. Milch genug, aber wir hatten große Muͤhe, etwas zu bekommen, weil sie alle ins Hauptquartier getragen wurde. Das war eine von den Ursachen, warum wir hier viele Noth litten. Eine andere Ursache schrieb sich vom Brode her. Ich weiß nicht, welcher gottlose Daͤmon den Vor- schlag gethan haben mag, dem Soldaten 6 Pfund Brod, welches doch nur auf drey Tage reichen sollte, auf vier Tage zu langen. Den Abgang auf den vierten Tag wollte man mit etwas Reis ersetzen. Wir bekamen auch Reis, hatten aber nun nicht hinlaͤnglich Brod. Daruͤber wurde stark gemurrt und geflucht, und der Erfinder dieser An- stalt in den Abgrund der Hoͤlle verwuͤnscht. Wahr- scheinlich war der Urheber einer von dem Kriegs- kommissariate, welcher bey dem Reishandel seine Beutel spicken wollte. — Und doch fraͤgt man noch, warum wir vis-à-vis der Franzosen die Fluͤgel haͤn- gen ließen! — Der Soldat muß sich satt essen, sonst ists aus mit ihm: und wenn er vollends merkt, daß man ihm das verkuͤrzen will, was man ihm schuldig ist, so faͤngt er an zu knurren, welches man ihm um so weniger verdenken kann, da der- gleichen Verfuͤgungen nicht vom Koͤnige, sondern von gewissen Schurken abhaͤngen, die sich auf seine und seiner Soldaten Kosten bereichern wollen. Die Gesandten ließen sehr viel aufgehen, und besonders die der franzoͤsischen Prinzen, welche, nebst ihren Leuten, eine unbaͤndige Ueppigkeit sehen ließen. Sie hatten ihre Maͤtressen mit; und ihre Bediente schlichen den Bauermaͤdeln nach, kamen aber einigemal in Kollision mit unsern Soldaten, und der Buckel wurde ihnen derbe ausgegerbt. Was die Gesandten eigentlich wollten? Je nun, man wollte einen Plau machen, wie von nun an, die Franzosen angegriffen, geschlagen und hernach regiert werden sollten: — auch, wie man Frank- reich beschraͤnken, und ein gut Stuͤck davon reißen wollte u. dgl. — Man hatte aber die Rechnung auch hier, wie im vorigen Jahre, ohne den Wirth gemacht! Eines Tages saß ich in einem gewissen Dorfe vor der Thuͤre und rauchte mein Pfeifchen. Ein recht großer Herr ritt voruͤber, gruͤßte mich, sprach mit mir — wir kannten uns schon lange — und da es heiß war, bath er um Milch. Ich rief die Hausfrau, und diese, weil es ein Herr mit einem Stern war, erboth sich, sogleich welche herzugeben. Der Herr stieg ab, und gieng in die Stube. Die Hausfrau war recht derbe, ich meyne im Physischen; der Herr schaͤkerte mit ihr immer traulicher, und be- fahl mir denn endlich, sein Pferd ins Wirthshaus zu fuͤhren, und mir da auf seine Rechnung eine Bouteille vom Allerbesten geben zu lassen. Ich verstand den Wink, und fuͤhrte mich ab. Lange hernach kam der Herr ins Wirthshaus, lachte schelmisch, fragte mich: ob wir wohl Schwaͤger seyn moͤgten, zahlte die Zeche, gab mir noch einen Laubthaler und da- hin ritt er. Ich fragte hernach die Gefaͤllige: wie ihr der Herr mit dem Stern gefallen haͤtte? Sie konnte des Lobens und Ruͤhmens kein Ende finden: da wars ein schoͤner, allerliebster Herr! u. s. w. Endlich ruͤhmte sie sich sogar der Vertraulichkeit, womit er sie beehrt haͤtte, u. dgl. So sind die Weiber! meist eitle Dinger, und was ihrer Eitel- keit schmeichelt, ist ihnen willkommen. Was also Wunder, daß eine Bauerfrau, sogar eine katho- lische, die Umarmungen eines hohen, mit einem großen Stern prangenden Herrn fuͤr hohe Ehre schaͤzte, zumal da der Herr obendrein nicht geizig war! — Ein andermal nahm mir ein aͤhnlicher Herr ein Buch aus der Hand, worin ich vor dem Wirths- hause zu Maykammer las. Es war Bahrdts Nachlaß, unter dem Titel: Anekdoten und Charakterzuͤge aus der wahren Geschichte, fuͤr Liebhaber des Vademekums und ernsthafte Leser. Ich war gerade an der Stelle, wo es heißt: „Waͤre der Haͤuseler unseres gottseligen Ludwigs ein Chapeau gewesen: so haͤtte der Herr Jesus die Ehre gehabt, von ihm zu einer Erscheinung vorgefuͤhrt zu werden. Eine Hure (die Maintenon ) hielt sich aber an ihres Gleichen (an die h. Jungfrau.) Was ihm die Pfaffen sagten, glaubte er u. s. w. S. 35.“ — Der Herr las das gleich auch, lachte laut auf, und fragte, was ich vor das Buch ha- ben wollte. Ich antwortete, daß es mir jezt noch nicht feil sey, daß er es aber in einigen Tagen ha- ben koͤnnte: denn ich haͤtte mir vorgenommen, es dem Kaplan zu leihen. Ey was, erwiederte er, ich behalt' es, das ist ein exellentes Buch! Hier nehm' er: und sofort warf er mir zwey Thaler hin, und galoppirte mit dem Buche weiter. Dieses Buch ist nachher im Hauptquartier gelesen und be- lacht worden: sogar dem Koͤnige hat der Prinz Louis daraus vorgelesen. — Und so kommt man- chesmal durch einen Zufall etwas vor die Ohren der Fuͤrsten, und stiftet da vielleicht Gutes. Man nehme dieß merkwuͤrdige Buͤchlein zur Hand; und meine Leser werden sich uͤber diesen Zufall freuen, wie ich. Einen recht festlichen Tag hatte ich, als mich der jezt regierende Herzog von Pfalzzweybruͤcken, damals noch Pfalzgraf Maximilian , oder Prinz Max zu sich kommen ließ. Er logirte in Maykammer. Dieser menschenfreundliche Fuͤrst ist ganz das Gegentheil von seinem verstorbenen Bruder, dem Herzog. Dieser war, was wir wissen, ein Freund der Jaͤger, der Jagdhunde, der Frauenzimmer, der Katzen und der Eulen, aber ein Feind seiner Unterthanen, und eben dadurch eine der Hauptursachen des Partheygeistes, der das arme Zweybruͤcker Land so elend gemacht hat. Herzog Maximilian sagte mir, daß er von mir gehoͤrt habe, und mich gern persoͤnlich kennen moͤgte. Ich mußte mich niedersetzen, Wein trin- ken und erzaͤhlen. Ich erzaͤhlte ohne Winkelzuͤge, ganz frey, und ruͤgte alles gerade heraus, was ich an dem Pfaͤlzischen Wesen zu tadeln fand. Ich weiß es, fuhr ich fort, daß ich mit dem kuͤnftigen Kurfuͤrsten von Pfalzbayern rede, und eben des- wegen rede ich frey. Gott gebe, daß Ew. Durch- laucht die Wunden heilen moͤgen, welche ein anar- chisch-aristokratisch-pfaffisch-despotisches Regie- rungssystem dem guten Vaterlande geschlagen hat! Der Herzog laͤchelte, wendete sich etwas zur Seite, kehrte dann wieder freundlich zu mir, und sagte: Wenn die Vorsehung mich dereinst regieren laͤßt, so sollen Sie gewiß nicht mehr so bitter zu klagen fin- den. — Man muß wissen, daß der Herzog mit Leuten, die er seiner Unterredung wuͤrdiget, nicht par Er oder Ihr spricht. Das thun nur die, welche die Menschheit und sich in Andern nicht zu ehren wissen, z. B. ein Klevesahl , Superin- tendent zu Duͤrkheim an der Haart, und dann ge- woͤhnlich alle kurzsichtige, stolze und neugebackne Edelleute. — Der edle Fuͤrst unterhielt sich lange mit mir, und nachdem ich mich beurlaubt hatte, erhielt ich von seiner Hand folgendes Billet, mit einem Goldstuͤck: C'est pour soulager un peu Votre situation que je Vous prie de recevoir ce petit pré- sent. Si un jour Vous trouvez que je puis Vous être utile, comptez sur l'amitié de Votre — Ma- ximilien. Um Ihre Lage ein wenig zu erleichtern, bitte ich Sie, diese Kleinigkeit anzunehmen. Kann ich Ihnen dereinst nuͤtzlich wer- den, so rechnen Sie auf die Freundschaft Ihres — Maximi- lians. Als ich nachher nach Lindau kam, so konnten selbst die Republikaner, selbst der vortreffliche Brion, sich nicht enthalten, den Edelmuth und die Gefaͤlligkeit gegen Jederman zu ruͤhmen, welche der Pfalzgraf waͤhrend seines Aufenthalts in dieser Stadt — er war Oberster des Regiments cy devant Alsace — durchgaͤngig bewiesen hatte. Sechs und dreyßigstes Kapitel. Bisthum Speier . D. Bahrdt . E s ist allemal meine Gewohnheit, wenn ich durch ein Land komme, mich nicht sowohl um dessen Produkte, und die Kleidungen der Einwohner zu bekuͤmmern, als vielmehr nach der Art der Regie- rung zu fragen, und dann uͤber den Wohl- oder Wehstand eines Landes mein Urtheil zu faͤllen. Die Produkte stehen in allen geographischen Notizen, aber von den Regierungen schweigen die Herren Geographen sehr weislich; doch wissen wir die Namen, und die Geburtstage, u. dgl. von allen Hoͤchst - Dero — aus hundert und neun und neunzig Taschenkalendern und großen, dick- leibigten genealogischen Handbuͤchern. Ich hatte mir schon seit dem vorigen Jahre ei- nen Hauptsatz so aus der Erfahrung gebildet, nach welchem ich so zu sagen a priori d. i. ohne weiter ins Einzelne zu gehen, von der Beschaffenheit der Landes-Regierungen urtheilte. Mein Obersatz war dieser: Wenn in einem Lande das franzoͤsische System leicht Eingang findet, so taugt die Regie- Dritter Theil. Ff rung dieses Landes nicht viel. War nun das Land gar katholisch, so folgerte ich, daß die Regierung vollends gar nichts taugen muͤsse, und dieß deß- wegen, weil sich diese Leute, nur durch die hoͤchste Noth gedrungen, entschließen koͤnnen, ihrem hei- ligen Glauben Eintrag zu thun, und sich zu einem zu bekennen, der jenen ganz aufhebt. Das war nun leider der Fall im Bisthum Speier, welches bisher von keiner Ketzerey war besudelt worden, wohin — die Reichsstadt Speier ausge- nommen, wo aber der Bischof nichts zu sagen hat — die Lehre des Luthers und des Calvins, welche doch das ganze umliegende Land, die ganze Pfalz und den Elsaß infizirt hatte, nicht hatte dringen koͤnnen. Und doch ist da der franzoͤsische Freyheits- baum ohne alle Muͤhe gepflanzt worden! Ich fragte nach den Ursachen, und hier sind sie. Der vorige Bischof war zugleich Kardinal der roͤmischen Kirche, und ein inniger Freund des Kurfuͤrsten von der Pfalz, und war, wie dieser, ein Freund der Pracht und des Aufwands. Das Land ist klein, traͤgt also nicht viel, und doch trieb der Herr Bischof einen Staat, wie ein Kurfuͤrst! Er hielt Soldaten, stellte Parforçejagden an — und das in einem Lande, wo es beynahe nur Hasen und Rebhuͤner giebt — unterhielt Komoͤdianten, ließ Opern spielen, und verschwendete ansehnliche Sum- men an Gebaͤuden und nichtseintragenden Berg- werken. Uebrigens waren seine Eminenz sehr or- thodox und haßten daher auch Dero ketzerischen Weihbischof Seelmann , einen Mann, der wie Hontheim das katholische Kirchenwesen zu bes- sern suchte. Bahrdts Ketzeralmanach Art. Seelmann . Bey dieser Haushaltung wurde nun der Land- mann und der Staͤdter nicht nur gewaltig bedruͤckt, sondern es mußten auch ansehnliche Schulden ge- macht werden. Man borgt aber den Herren Bi- schoͤfen nicht anders, als wenn das Domkapitel einwilliget, um sich an dieses, als eine moralische Person, halten zu koͤnnen, auf den Fall, daß die physische Person seiner Bischoͤflichen Gnaden als insolvent — abfaͤhrt. — Und so war viel geborgt. Nach dem Tode dieses Kardinals kam der da- malige Domdechant, Graf von Styrum , an die Regierung. Dieser hatte das Unwesen unter der vorigen Regierung eingesehn, und machte gleich Anstalten, die alten Schulden abzutragen. Neue Auflagen waren das Mittel dazu. Anfaͤnglich machte man den Bauren und Buͤrgern weis, die Auflagen sollten nur so lange waͤhren, als noch Schulden auf dem Lande hafteten: aber die Schul- den wurden nicht nur nicht abgetragen, sondern noch ansehnlich vermehrt; und die Auflagen blie- ben. Beyher wurden von Seiten des Stifts große Processe mit den Unterthanen gefuͤhrt, welche dann, wie sichs fuͤr diese Gegenden versteht, allemal zum Nachtheil der leztern entschieden wurden. Außerdem klagten die Speierischen Leute gar sehr daruͤber, daß der Hr. Bischof alle Aemter mit Auslaͤndern, und groͤßtentheils mit solchen besezte, welche vom Pfaͤlzischen und Maynzischen Hofe empfohlen wuͤrden. An diesen Hoͤfen wolle naͤmlich der Hr. Bischof gern hoch angesehen seyn, — suche also so viel von den dasigen Lieblingen unter- zubringen, als er koͤnne. Alle Hofbedienungen, alle Civilstellen und andre waͤren demnach mit Aus- laͤndern besezt. Um aber doch auch von seinen Un- terthanen Einige zu Brod zu verhelfen, schenke der Hr. Bischof von Zeit zu Zeit dem Kurfuͤrsten von der Pfalz so und so viel junges Bauervolk zu Soldaten. Aus der Pfalz nehme man uͤberfluͤßige Kammerdiener, Jaͤger, Advokaten u. dgl. ins Land, und versorge sie stattlich. Damit aber die Volks- menge nicht zu groß werde, so schicke man arbeit- same Landeskinder des geringern Standes weg, und lasse sie bey fremden Fuͤrsten die Muskete tragen. Wer sich im Speierischen unterstehe, außer der Ehe zur Bevoͤlkerung beyzutragen, der muͤsse entweder eine große Geldbuße abtragen, oder ohne Barm- herzigkeit zu Mannheim Soldat werden. Aus Sankt Martin ist auf diese Art ein Bursche mit Gewalt nach Mannheim geschleppt worden, weil es sich fand, daß das Maͤdchen, mit welchem er verlobt war, vor der priesterlichen Einsegnung schwanger ging. Er war der einzige Sohn einer alten Wittwe, welche er ernaͤhren mußte, und welche jezt, da ihr ihre Stuͤtze fehlt, betteln geht. Hier zu Lande besteht auch noch die allerliebste Verordnung, wie in allen katholischen Sultaneyen jenseits des Rheins, daß zwey Personen, welche die Ehe vor der Ehe treiben, einander nachher nicht eher heurathen duͤrfen, bis sie die Dispensation mit schwerem Gelde erkauft haben. Ich sprach we- gen dieser erzdummen, laͤppischen Verordnung mit dem Oberkellner von Speier, und bewies ihm, daß man vielmehr sorgen sollte, daß solche Leute je eher je lieber zusammen kaͤmen. Aber der Hr. Oberkellner erwiederte: dieses Gesetz sey gegeben, um Leute, welche sich einander liebten, und sich zu verbinden daͤchten, destomehr von aller Unzucht abzuhalten, weil sie bedenken muͤßten, daß die Folgen der An- ticipation ihrer Verbindung Hindernisse in den Weg legten. Ah was, fing der Schreiber des Hn. Oberkellners an, die Paͤpste haben so ein dummes Gesetz eingefuͤhrt, weil sie wußten, daß derley Faͤlle oft genug kommen wuͤrden, und daß sie also brav Geld fuͤr Strafen und Dispensationen schnei- den koͤnnten! Ein bischoͤflicher Beamter sizt weit fester, als einer, der unter einem Fuͤrsten steht. Der prin- cens secularis wie es in der kauderwaͤlschen Sprache heißt, kann seine Spitzbuben zum Teufel jagen, wenn er will; aber der geistliche Fuͤrst muß doch erst das liebe hochwuͤrdige Domkapitel zu Rathe ziehen: und da hat denn ein solcher Blutegel im- mer schon Freunde, und folglich das Privilegium, zu schinden und zu rauben bis an sein Ende. Da alle Unterthanen des Hochstifts leibeigen sind — man denke sich die Leibeigenschaft unter ei- nem Bischof mit den alten Kirchengesetzen und dem Geiste des Christenthums vereinbar! — so ist ih- nen nicht nur uͤberall verboten, ins Ausland zu heurathen, sondern sie duͤrfen nicht einmal sich an einem andern Orte niederlassen, wenn er gleich eben bischoͤflich ist. Nur mit schwerem Gelde kann die Erlaubniß dazu erlangt werden. Ueberdieß ist das ganze Hochstift voller Pfaffen und Edelleute, welche ihre Tyrauney uͤben nach Herzenslust. Ueberhaupt haben die Pfaffen und die Adelichen in den Bisthuͤmern mehr Gewalt und mehr Ansehen, als in andern Laͤndern. Die adeli- chen Familien sind allemal mit diesem oder jenem Dommherrn, oft auch mit dem Herrn Bischof selbst vervettert oder verschwaͤgert, und da koͤnnen sie denn thun, was sie wollen; und die Pfaffen vol- lends — sind unter pfaͤffischer Regierung allmaͤch- tig! Man hoͤre und richte! Ohnweit Bruchsal, der Residenz des Fuͤrstbi- schofs, war ein Pfarrer, welcher mit dem Muͤller des Ortes, wegen vertauschter Kleien, processirte. Die Sache, so unwichtig sie auch war, artete in einen Injurienproceß aus, und beyde Partheien ließen sich durch ihre Advokaten derb und weidlich schimpfen. Einige Zeit hernach begegnete der Pfarrer dem Muͤller auf der Straße, und fing an heftig zu schelten. Der Muͤller vom Pfaffen aufs aͤußerste gebracht, gab ihm einen Stoß, daß er ruͤcklings hinstuͤrzte. Es kamen Leute dazu, und der Muͤller wurde arretirt, — entfloh aber nach- her, und kam gluͤcklich nach Karlsruhe. Nun wurde sein ganzes Vermoͤgen konfiscirt, seine Frau und Kinder ins Elend gestuͤrzt, und er des Landes verwiesen — alles nach Anwendung des: siquis suadente diabolo u. s. w. — Dem Pfaffen ge- schah nichts! Man kann im Speierischen fragen wo man will: wem das oder jenes schoͤne Gut, Schloß, Haus u. s. w. gehoͤre; und die Antwort ist allemal; dem Herrn von , dem Kloster, dem Praͤlaten, dem Pfaffen. u. s. f. Nachdem ich diese Kundschaften eingezogen hatte, so fand ich einen neuen Grund, jenen er- waͤhnten Hauptsatz fuͤr wahr und richtig zu hal- ten: aber nicht allein ihn selbst, sondern auch sei- nen schlichtweg umgekehrten, naͤmlich: wo die Regierungsform schlecht und unzweckmaͤßig und fuͤr den Unterthanen druͤckend ist, da muß das fran- zoͤsische System Beyfall finden. Warum z. B. ist man im Speierischen, das doch so erzkatholisch ist, so gut patriotisch, und warum ist man im Badi- schen, das protestantisch ist, mit der fuͤrstlichen Re- gierung so zufrieden, daß man sich ganz und gar keine Veraͤnderung wuͤnschet? Antwort: weil der Markgraf von Baden ein Fuͤrst ist, der seine Unterthanen liebt, fuͤr ihr Wohl sorgt, und sie nicht aussaugt. Das ist das ganze Geheimniß, ein Geheimniß, das jeder Fuͤrst praktikabel finden koͤnnte, wenn er nur wollte, oder wenn das Interesse der politischen Unter-Vam- pyrs es nicht hinderte. — Ich habe auf meiner Reise im Herbste 1795, in Durlach mit einigen Buͤrgern recht frey und unbefangen uͤber die Ange- legenheiten der Zeit gesprochen, und nirgends hoͤrte ich freyere Urtheile als da; und doch bezeigten alle, wie sie da waren, eine unerschuͤtterliche Anhaͤng- lichkeit an ihrem Fuͤrsten. Die Badenser hassen alle Tyranney, und lieben ihren Herrn doch auf- richtig. Oderint, dum metuant ist gewiß ein scheuslicher, und dem Regenten selbst gefaͤhrlicher Grundsatz, zumal heutzutage. Die freyen Grund- saͤtze thun's wahrlich nicht: die machen keinen Auf- ruhr; ja, gerade sie — halten ihn, nach der Engli- schen Kunstpolitik, durch die Oppositionsparthey, in England zuruͤck. — Und wird wohl jemand von den Pocken angesteckt, der keinen Stoff dazu im Koͤrper hat? Man gehe doch ins Gothaische, oder Braunschweigische und predige da das Freyheits- system von nun an bis in Ewigkeit: die Gothaer und Braunschweiger werden zuhoͤren, selbst miteinstim- men und doch ihren Herzogen treu bleiben. Aber in Hessen, und in andern paralytischen Laͤndern und Laͤndchen moͤgten freilich jene Grundsaͤtze zuͤn- den, nicht fuͤr sich, sondern nach dem Stoff, den die Regierung selbst dazu hergiebt. Und daß viele Regierungen dieß thuen, und uͤberhaupt, damit man sehe, daß ich von den uͤber- rheinischen Gegenden nichts erdichte oder zuviel sage, so will ich ein Zeugniß beybringen, dem man nicht widersprechen wird. Es ist eine getreue Ab- schrift von ( NB. nur) einigen patriotischen Wuͤn- schen, welche die saͤmtliche Buͤrgerschaft der Stadt Weilburg dem regierenden Fuͤrsten zu Nassau-Weil- burg vorlegte, als Cuͤstine 1792 von ihm die Brandschatzung foderte. „Je mehr — sagt die Buͤrgerschaft — es in den jetzigen Zeiten gewoͤhnlich zu werden scheint, die Bande zwischen Regenten und Unterthanen zu er- schuͤttern; je mehr das Beyspiel — zu aͤhnlichen Unternehmungen aufzufodern scheint, desto mehr wird es Pflicht zwischen Regenten und Untertha- nen, solchen gewaltsamen Ausbruͤchen und ihren betruͤbten Folgen durch wechselseitige Auf - richtigkeit in Zeiten vorzubeugen. Jeder Weil- burger und jeder redliche Unterthan ist von dem tiefsten Schmerz uͤber das Ew. Durchlaucht, bey dem Ueberfall der Franken, widerfahrne Ungluͤck, aber auch mit gerechtem Unwillen gegen diejenigen (Minister und Raͤthe) durchdrungen, die es wagen mogten, gegen die Stimme aller Klug - heit Hoͤchstdieselben zu vermoͤgen, sich ohne Anlaß , durch Abschickung der Kreiskompagnie nach Mainz, zu einem Feind einer maͤchtigen Na- tion, noch dazu in dem Augenblick, aufzuwerfen, als dieselbe aufrichtige Proben ihrer nachbarlichen Gesinnung abgelegt hatte, und dadurch das ganze Land den traurigen Folgen eines verheerenden Kriegs bloszustellen — Folgen, die man sich da- mals um so schrecklicher vorstellen mußte, als man von der strengen Mannszucht bey den franzoͤsischen Armeen, und ihrer großmuͤthigen Behandlung der feindlichen Unterthanen noch keine Probe hatte.“ Also waren die Franzosen anfaͤnglich brav, braver, als die luͤgenhaften Zeitungssudler; und daß die Franzosen das nicht blieben, an wem lag das? „Von Ew. Hochfuͤrstl. Durchlaucht angestamm- ter Herzensguͤte und vaͤterlichen Gesinnungen ge- gen das Land voͤllig uͤberzeugt, sind wir weit ent- fernt, Ihnen zu einer Zeit Vorwuͤrfe zu machen, wo uns vielmehr die Nothwendigkeit zu thaͤtiger Huͤlfe auffodert: — Allein eben diese vaͤterliche Gesinnungen machen uns so kuͤhn, unsre Klage ge- gen eine Klasse von Menschen vorzutragen, die wir nicht anders, als fuͤr die Quelle sowohl dieses, als des meisten andern Ungluͤcks ansehen koͤnnen.“ „Waͤhrend dem der groͤßte Theil der Untertha- nen im Schweiß seines Angesichts sich abmuͤden muß, sein Leben kuͤmmerlich hinzubringen; waͤh- rend dem vorzuͤglich in unsrer Stadt alle fleißige Buͤrger uͤber Mangel der Nahrung und des Ver- dienstes und uͤber die immer zunehmende Steige- rung der noͤthigsten Lebensbeduͤrfnisse seufzen, — sehen wir einen Haufen muͤßiger Edelleute sich um Ew. Durchlaucht lagern, das Mark und den Schweiß des Landes durch ungeheure Besol- dungen und Pensionen wegfressen, sich schnell be- reichern, das Geld aus dem Lande ziehen, und zu unnuͤtzen, die Kraft des Landes uͤbersteigenden Prachtanfwand, zu einer Menge Unterbedienun- gen, Equipagen u. dgl. Gelegenheit geben, ohne doch nur im geringsten dem Staat nuͤtz - lich zu seyn .“ „Nicht zufrieden hiermit, maßen sie sich noch an, diejenige Klasse, die sie doch ernaͤhren muß, mit Verachtung anzusehen, unwuͤrdig zu behan- deln, durch ihren eitlen (verdienstlosen) Stolz jederman zu empoͤren, und diese feinen Grundsaͤtze dem Heere ihrer Untergebnen und Anhaͤnger mitzu- theilen. Beyspiele hiervon koͤnnen wir, erforder- lichen Falls, in Menge anfuͤhren.“ „Das Militaͤr , dafuͤr da, die Ordnung im Staate zu erhalten, war unter dieser Zucht in ei- nen Haufen sittenloser Menschen ausgeartet, der nicht nur ungescheut alle Schaamhaftigkeit bey Seite setzen, die Sitten der Unschuld und vorzuͤg- lich der Dienstboten zu verderben, sondern auch je- den, der nicht zum Hof gehoͤrt, mit Verachtung und Grobheit zu behandeln, sich berechtigt hielt, und ungestraft, ja, auf ausdruͤcklichen Befehl wuͤrdige Diener und Buͤrger aufs auffallendste in- sultiren durfte. Herr Leutnant, hoͤrt' ich einst einen Obersten sagen, man muß sich gegen seinen Brodherrn dankbar betragen, also auch artig. Und wissen Sie, wer unser eigentliche Brodherr ist? Der Buͤrger und der Landmann: denn was uns unser Koͤnig, als Titulaͤr-Brodherr, giebt, giebt ihm der Landmann und der Buͤrger fuͤr uns zuerst. Also forthin nie wieder weder Buͤrger noch Bauer insultirt! Daneben scheute man sich nicht, ohne Noth Juͤnglinge, die einzige Stuͤtze ihrer al- ten abgelebten Eltern, dem Pflug zu entreißen, die Capitulation zu uͤberschreiten, die sich hieruͤber Be- schwerende mit Pruͤgeln zu bestrafen — und uͤber- haupt die Leute wie Thiere zu behandeln.“ — „Wir enthalten uns uͤbrigens aller Anmerkun- gen uͤber die großen und mancherley Bedruͤckungen und schreienden Ungerechtigkeiten solcher Leute, — welche zu weiter nichts dienten, als alte Wunden wieder aufzureißen, und den Unwillen gegen diese groͤßten Feinde des Vaterlands weiter anzufachen. Man verzeihe uns diese harte Aeußerung des nur zulange zuruͤckgehaltenen Unwillens gegen Leute, die unsern geliebten Landesvater — und das ganze Land, ohne eine nur scheinbare Nothwendigkeit, gegen die Stimme aller Klugheit, vielleicht blos aus Rachsucht gegen eine große Nation, die ihre nichtigen Privilegien zerstoͤhrte, in die augenschein- lichste Gefahr des gaͤnzlichen Verderbens gefuͤhrt haben, — die eine Kette um denselben ziehen, da- mit er nicht einmal die Stimme eines aͤchten Pa- trioten hoͤren moͤge, und die von jeher in allen Laͤn- dern, wo sie Fuß gefaßt haben, die Geißel der Voͤlker gewesen sind.“ — Meine Leser werden hieran genug haben, oder wer mehr davon lesen moͤgte, der lese die kleinen politischen Schriften, welche uͤber eben dieß Thema, wie uͤberhaupt uͤber die ganze Regierungskunst, bey Macklot in Carlsruhe heraus sind: und ich bin versichert, man wird einsehen, daß ich uͤber die politische Lage der jenseitigen Rheingegenden eher zu wenig, als zuviel gesagt habe. Was fuͤr Ein- fluß auf das Ach und Wehe der dortigen katholi- schen Gegenden das Regiment der hoͤhern und nie- dern Pfafferey, nebst dem Monachismus, gehabt habe, zeigen Metternichs Reden, und Meuths Buͤrgerfreund. Nirgends in Deutschland hat der kirchliche und politische Despotismus aͤrger gewuͤ- thet, als jenseit des Rheins: gebe der Himmel, daß Frankreichs Exorzismus ihn endlich vertreibe! Jezt muß ich noch Einiges von D. Bahrdt hier sagen, oder vielmehr von seinen Verdiensten um jene Gegenden. Dieser Mann hat, wie man weiß, eine Zeitlang in Duͤrkheim als Superinten- dent gestanden, und hatte in Heidesheim ein Phi- lanthropin. Wer Bahrdten gekannt hat, der weiß, wie liberal er zu reden pflegte, und wie gern er seine bessere Einsicht jederman ohne Ruͤck- halt mittheilte. Noch jezt sind die Spuren dieser Mittheilung in jenen Laͤndern sichtbar, nicht nur unter Protestanten, sondern sogar auch unter Ka- tholiken. Ich weiß und kenne selbst viele, welche dem Doktor die Richtung ihrer Aufmerksamkeit auf die wahren und ersten Elemente der hoͤhern und ed- lern Humanitaͤt danken, ihm, wie ihrem Vater, noch jezt kindlich gewogen sind, und seine wirklich großen Verdienste schaͤtzen. Moͤgten diese Edlen ihre Achtung fuͤr die Verdienste dieses Mannes durch Unterstuͤtzung seiner Kinder, welche nicht so sehr durch den Leichtsinn ihres Vaters, als viel- mehr durch seine Aufopferung fuͤr die Wahrheit, sich in duͤrftigen Umstaͤnden befinden, sichtbar ma- chen! Bahrdt war immer auch bey allen seinen Schwaͤchen ein Mann, auf den unsre Nation mit Recht stolz ist. Was Flecken war, vermodert, sagt Buͤrger , aber die Verdienste bleiben ewig! — Genug, haͤtte Bahrdt laͤnger in der Pfalz bleiben, und mehr und ungehinderter da wirken koͤnnen, haͤtte ein Ruͤhl ihn nicht gehaßt, und haͤtte der Weihbischof von Scheben ihn nicht ver- folgt, so wuͤrde die Pfalz durch Ihn und durch seine Bemuͤhungen merklich gewonnen haben. Man haͤtte durch ihn an Einsicht zugenommen, waͤre toleranter geworden, haͤtte den Amtleuten genauer auf die Finger sehen lernen, haͤtte sie dadurch ge- noͤthiget, ehrlicher und menschlicher zu seyn; dieß haͤtte eine gerechtere Behandlung der Unterthanen nach sich gezogen, haͤtte mehr Zufriedenheit mit der Regierung bewirkt, und man waͤre ohne Frey- heitsbaͤume frey geworden nach einer gesetzmaͤßigen und vernuͤnftigen Behandlung. Aber Maͤnner, welche durch Verbreitung einer bessern Einsicht hie- zu beytragen, belegt man mit Schimpfnamen, will sie nicht: alles soll militaͤrisch gehen; und dann gehts, wie dort druͤben am Rhein! Bahrdt ward verketzert, verfolgt, vertrieben, starb in Duͤrftig- keit; und Klevesahl , sein Nachfolger, ein duͤ- sterer, intoleranter Gruͤtzkopf, ist reich, angesehn, bey seines Gleichen, und lebt gluͤcklich! Nun dann — so bitte du fuͤr uns, du liebe, heilige Dummheit! — Dem Fuͤrstbischof von Speier muß ich indeß noch nachruͤhmen, daß er alle Erbauungsbuͤcher, wo- durch der Aberglaube befoͤrdert wird, in seinem Stift verboten hat. Namentlich sind hier die Legende, der große und der kleine Baumgarten des Paters Martin von Cochem, die goldene Andacht zum Herzen Jesu, und andere solche Fratzenbuͤcher verbo- ten und die Pfaffen angewiesen worden, das Schaͤd- liche und Unanstaͤndige von derley Andachten oͤffent- lich auf der Kanzel vorzutragen, und diesen Vor- trag oͤfters zu wiederholen. Der Katechismus des Abts Felbiger hat aber doch nicht ohne Unru- hen eingefuͤhrt werden koͤnnen: die Moͤnche hatten den Leuten weis gemacht: das sey ein nach Ketze- rey schmeckendes Buch! — Daß in dem ganzen Bisthum praͤchtig gezierte Kirchen und viele Kloͤster, nebst andern Stiftungen fuͤr den geistlichen Stand sich befinden, bedarf keiner Erwaͤhnung. Sieben und dreyßigstes Kapitel. Patrioten - Jagd im Speierischen . Anstalten gegen die Franzosen . S obald die Franzosen aus dem Speierischen Di- strikt — Merlin von Thionville und Georg For - ster hatten dieses Land jenseits des Rheins zu ei- nem Distrikt formirt und organisirt — weggezogen waren, erhob sich ein gewaltiger Sturm gegen alle Franzoͤsischgesinnte, oder Patrioten. Man kann leicht denken, daß bey dem Daseyn der Franzosen manches von den Einwohnern war gethan und ge- sprochen worden, welches der alten Obrigkeit, be- sonders den Beamten, den Pfaffen und dem Adel nicht gefallen konnte. Als daher die Franzosen Dritter Theil. Gg weg waren, dachte man, sie wuͤrden in alle Ewig- keit nicht wieder kommen, und man fing an, ihre verlaßnen Anhaͤnger auf das grimmigste zu verfol- gen. Ich muß dergleichen Dinge anbringen, weil die Patriotenjagd allerdings eine Hauptursache je- ner Verwuͤstungen gewesen ist, womit im Anfange des Jahres 1794 die Franzosen jene Gegenden heim- suchten. Der Magistrat der Reichsstadt Speier zeigte sich ganz besonders wuͤthend gegen die armen Pa- trioten. Es giebt wohl schwerlich in der ganzen deutschen Anarchie ein elenderes Gouvernement, als in den Reichsstaͤdten, besonders in den kleinen unbedeutenden: da geht es abscheulich her! Diese fuͤhren zwar den Titel einer freyen Stadt des h. R. Reichs; aber die Buͤrger darin sind eben so frey, als etwan ein Schuster oder Schneider zu Venedig auf den stolzen Namen eines Republikaners An- spruch machen kann. Die Nobili sind Herren zu Ve- nedig; in den Reichsstaͤdten sind es die Patricier und die dem Rath einverwebte Familien: der Poͤ- bel ist Sklav, und denkt doch, wie frey er sey! Zu Frankfurt am Mayn gestattet man den Frem- den alle Freyheit; zu Worms, Speier u. s. w. hat der Fremde kaum das Recht, Luft zu schoͤpfen: warum? Zu Frankfurt denkt man gut merkanti- lisch, und kann ohne Fremde nicht schachern; zu Speier lebt man fuͤr sich, und verachtet alles, was nicht aus Speier ist. Als demnach die Herren zu Speier wieder in Aktivitaͤt waren, und das ganze Frankensystem auf immer, wie sie waͤhnten, vernichtet sahen, fielen sie gar moͤrderlich uͤber die her, welche den Franzosen guͤnstig gewesen waren, oder gewesen zu seyn schienen. Diese wurden nun eingezogen, und ihre Guͤter sequestrirt, mehr als 230 an der Zahl!! Damals lagen die vom Korps des Prinzen von Cond é in Speier: es waren aber gerade zum Un- gluͤck die sogenannten schwarzen Maykaͤfer d. h. die Soldaten des Kardinals von Rohan , darun- ter, eine zusammengelaufene schaͤndliche Canaille, deren Offiziere lauter Emigrirte waren. Selbst die Oestreicher und Preußen konnten das verdammte Gesindel durchaus nicht leiden. Diese Buben ver- uͤbten nun, auf Anstiften ihrer Anfuͤhrer und des elenden aristokratischen Gesindels in Speier, allen Muthwillen an den sogenannten Patrioten. Sie pluͤnderten ihre Haͤuser, mishandelten ihre Anver- wandte, indeß die Ungluͤcklichen selbst in den schaͤnd- lichsten Loͤchern schmachten mußten. Der Magistrat ließ es aber bey dem bloßen Ein- sperren nicht bewenden, sondern er befahl noch, daß die Patrioten die oͤffentlichen Arbeiten verrich- ten sollten: und dabey hatten dann Unteroffiziere von der Robanschen Bande die Aufsicht. Da wur- den denn die armen Leute aufs haͤrteste und schimpf- lichste mishandelt, musten hart arbeiten und er- hielten nichts, als Pruͤgel, Wasser und Brod. Die Wuth der aristokratischen Kanaille ging so weit, daß sie sogar den Unteroffizieren Geld und Wein gaben, damit sie diesen oder jenen recht mis- handeln und schlagen moͤgten. Ich kenne einen gewissen Loͤw , von dem ich weiterhin mehr sagen werde, der sich als Sergeant bey der Kond é ischen Horde Bessel nannte. Die- ser wurde von einem Speierischen Advokaten auf- gefodert, einen Kaufmann, der gleich damals zur Schanzarbeit verdammt war, gegen ein Geschenk tuͤchtig durchzupruͤgeln. „Aber“ fragte Bessel , warum soll ich denn den Mann durchpruͤgeln? Advokat : Das ist einer von den Hauptspitz- buben, ein rechter Patriot — Bessel : Ja, dann muͤßte ich ja die andern wohl alle durchpruͤgeln: die sind ja auch Pa- trioten! Advokat : Wohl wahr: aber der da — ist der Hauptspitzbube. Bessel : Mein Herr, Sie scheinen mir ein be- sonderes Interesse an den Pruͤgeln fuͤr diesen Kauf- mann zu haben. Advokat : Das eben nicht — Bessel : ( ) Man hat doch manches- mal so seine besondern Ruͤcksichten: es thut ja nichts zur Sache: wenn ich sehe; daß Sie gegruͤndete Ursache haben, dem Manne eine Tracht Schlaͤge zu goͤnnen: nun ja — Advokat : O, die hab' ich laͤngst! Bessel : Nun? Advokat : Der Spitzbube hat mich graͤulich beleidigt. Bessel : Wie so? Advokat : Er hat eine huͤbsche Tochter, und ist reich. Ich hielt um die Tochter an, um Geld zu bekommen, damit ich mir ein Amt kaufen koͤnnte. Bessel : Und der Kaufmann versagte sie Ih- nen? Advokat : Nicht allein das: er sagte mir noch ins Gesicht, ich haͤtte nichts gelernt und sey ein Taugenichts; und einem solchen koͤnne er seine Tochter nicht geben. Bessel : Dafuͤr moͤgten Sie ihn nur durch- pruͤgeln sehen? Advokat : Ja, rechtschaffen, lieber Herr Sergeant, nur derbe, derbe! Hier ist etwas fuͤr ihre Muͤhe. (will ihm Geld geben.) Bessel : Ey, du infamer Schlingel, kannst du mir so was zumuthen? Warte! Warte! (Er haut ihn durch, und giebt ihm einen Tritt vor den Hintern.) Da hast du deinen Lohn, niedertraͤch- tiger Buͤffel! Der Advokat kam Abends in eine Gesellschaft von Rohanischen Offizieren, erzaͤhlte ihnen den Vorfall, und diese denunz i irten den Sergeanten Bessel als einen Freund und Goͤnner der Patrioten bey seinem Major. Fruͤh ließ der Major Besseln kommen, klozte ihn an, und sprach: „Bessel: was hat Er gestern mit dem Advo- katen vorgehabt?“ Bessel : (unerschrocken) Ich habe dem Nichts- wuͤrdigen die Haut ausgegerbt, Herr Major! Major : Warum aber? Bessel : Der Kerl wollte mir Geld geben, daß ich einen Gefangnen pruͤgeln sollte. Major : Was waͤre denn daran gelegen ge- wesen, wenn Er einen Spitzbuben von Patrioten gepruͤgelt haͤtte? Bessel : Aber, mein Gott, um so eines in- famen Bengels Willen, welcher mich mit Geld be- stechen will, soll ich einen Gefangnen mishandeln? Thue das, wer da will, ich nicht; Gott strafe mich, ich nicht! Major : Ist schon gut, geh Er nur! Ich hab's ihm lange angemerkt, daß Er dem verfluch- ten Lumpengesindel hold ist. Das macht, Er ist in Preußen gewesen, da sind die meisten so! Aber es wird sich schon eine Gelegenheit zeigen, ihm seine Patrioterey fuͤhlbar zu machen. Denke Er an Mich! Wirklich suchte der Major, (es war ein Prinz von Montbuissou) an dem guten Bessel Ursache, und ließ ihn bald hernach 48 Stunden krumm schließen. Dergleichen Barbareyen uͤbte der Magistrat zu Speier aus, und ließ sie ausuͤben, ohne daß es irgend einem Zeitungssudler eingefallen waͤre, sei- nen Schildbuͤrgern davon Nachricht zu geben. Im ganzen Bisthum Speier wurde die Patrio- tenjagd aͤußerst streng betrieben, und beynahe in allen Doͤrfern wurden Leute eingesteckt, und ihre Haͤuser der Wuth der schmuzigen Aristokraten preis- gegeben. Viele Bauren waren bey dieser Gelegen- heit weit wuͤthender, als selbst die Preußen und Oestreicher, welche denn doch nach und nach ein- sahen, daß die Leute bey ihren Umstaͤnden unmoͤg- lich anders hatten handeln koͤunen. Der Herzog von Braunschweig machte endlich dem abscheulichen Unwesen der Patriotenjagd ein Ende, und verbot, denen weiter nachzuspuͤren welche, zur Zeit der franzoͤsischen Domination, derselben das Wort gesprochen hatten. Aber was half das denen, die einmal schon eingezogen und in Verh waren! Diese mußten ihr elendes Leben im Ker hinziehen, Schuldige und Unschuldige, sogar Weber mit Kindern. Aus allen Gegenden zusammengeschleppt, aufeinander gehaͤuft, und wie Todte der Vergessenheit uͤbergeben, schrieen sie endlich, nach vier Monaten , um das erste Gebot der Gerechtigkeit fuͤr Gefangene — um Un- tersuchung und Verhoͤr. Ihre Gesundheit war durch die elende Arrestantenkost, durch den Mangel an Bewegung, die Plagen des Ungeziefers, und durch die noch zehnmal haͤrtern Qualen des Kum- mers um Weib und Kinder und zerruͤttete Nah- rung langsam zernagt: und nun die ansteckenden Seuchen bey der durch die zusammengesperrte Menge vergifteten Luft! — Ihr Zustand war mehr als schrecklich, aber der Gedanke an den Zustand ihrer verwaisten Familien, welche in der Verzweiflung die Haͤnde wund rangen und vergebens nach ihren Naͤhrern seufzten, war noch schrecklicher. Und doch nach vier Monaten noch immer kein Verhoͤr! „Die Gerechtigkeit, schrieen sie, ist die erste Stuͤtze des Staats. Gerechtigkeit gehoͤrt nicht allein dem Schuldigen zur Strafe, sie gehoͤrt vorzuͤglich dem Unschuldigen zum Schutze. Aber ohne Untersu- chung, ohne Verhoͤr, ohne Vertheidigung ist keine Gerechtigkeit moͤglich: ohne Untersuchung, ohne Urtheil leiden, ist nicht gerecht leiden. Dem Schul- digen kann die Gerechtigkeit seine erduldeten Qualen an der Strafe zu gut rechnen; aber wie will sie den Unschuldigen fuͤr die Plagen der Gefangen- schaft, fuͤr den Verlust des Vermoͤgens und der Nahrung, fuͤr den noch groͤßern Verlust der Ge- sundheit und fuͤr alle namenlose Leiden seiner gan- zen Familie entschaͤdigen?“ — So schrieen sie; aber die Oberpfaffen am Rhein blieben taub! Und nun wundern Sie sich gewiß nicht mehr, meine Leser, daß die Franzosen, nachdem sie zu Ende des Jahres 1793 und im Anfange 1794 die Deutschen zuruͤckgejagt, und die Rheinlaͤnder wie- der in Besitz genommen hatten, nun auch raubten; pluͤnderten und die aristokratischen Einwohner mis- handelten. Man darf nur glauben, daß die Fran- zosen von dem unmenschlichen Verfahren der Deut- schen gegen die Vertheidiger und Anhaͤnger des Freyheitssystems genau unterrichtet waren, und dadurch aͤußerst aufgebracht so verfuhren. Nun fraͤgt sichs, wer denn hauptsaͤchlich an dem Un- gluͤcke Schuld war; und die Antwort ist nicht schwer. Im Kriege — ich wiederhole es — ist nichts mehr zu empfehlen, als ein vernuͤnftiges Betragen gegen den Feind, und dessen Anhaͤnger. Wer dieses hintansezt, schadet sich selbst am mei- sten. Spotten, Schimpfen und Verfolgen ist nicht nur fuͤr sich schon unanstaͤndig, sondern es erbit- tert den Feind noch mehr, und macht, daß er sich aufs haͤrteste raͤchet, sobald er nur kann. Und wer steht fuͤr das Nichtkoͤnnen! Freilich dachte man da- mals, die Franzosen koͤnnten nun und nimmermehr zuruͤckkehren, und handelte dieser stolzen Voraus- setzung gemaͤß: aber ganz auf sich deutsch — ich meyne: altgothisch-plump. Ueberhaupt waren die Deutschen , zu Anfange dieses Krieges, in der Staatswissenschaft noch am weitesten zuruͤck. Gute Staatskundige fuͤr einzelne Laͤnder, fuͤr Oestreich, fuͤr Preußen oder Sachsen hatten sie wohl, aber Staatsmaͤnner fuͤr ganz Deutschland, wie den jezt exulirenden Riem , hatten wir wenig. „Deutsch- land wuͤrde, sagte schon 1792 der Verfasser der Briefe eines Englaͤnders uͤber den gegen- waͤrtigen Zustand der deutschen Litteratur, (S. 14) in die allergroͤßte Verwirrung gerathen, wenn auf einmal alle Fuͤrsten einig wuͤrden: sich der einzel- nen Regierungen zu begeben, und ein einziges Reich aus den zerstuͤckelten Provinzen zu bilden: es wuͤrde kein eluziger da seyn, der Kenntniß genug haͤtte, ein solches Ganze einzurichten. Ich habe nicht einmal die Idee zu einer solchen Einrichtung in ir- gend einem deutschen politischen Schriftsteller ge- funden. Und dennoch scheint es allein diese Idee zu seyn, von welcher man ausgehen muß, wenn je ein System der deutschen Staaten zu Stande kommen, und — die einzelnen Fuͤrsten sich nicht mehr durch unverstaͤndigen Eigennutz selbst zu Grun- de richten sollen. — In Deutschland bringt die kleinste Veraͤnderung die groͤßten Unordnungen her- vor.“ Das haben wir in diesem Kriege, leider, gefuͤhlt, ohne aber endlich eben so klug geworden zu seyn als Preußen. Indeß, wenn es uns an Maͤnnern fehlte, welche ganz Deutschland in sta- tistischer Ruͤcksicht haͤtten uͤbersehen, wuͤrdigen und einrichten koͤnnen: wo sollten wir die Staats- maͤnner gefunden haben, welche Frankreichs Macht- und Kraftverhaͤltniß gegen Deutschland genau ab- gewogen, und dadurch Deutschlands Gewinn oder Verlust von daher bestimmt haͤtten! Wir hatten sie nicht, und darum machten wir, nach unserm dum- men und plumpen Stolz, unsere Rechnung uͤberall ohne den Wirth. Unsere Zeche sieht aber jezt enorm und blutig genug danach aus! — Die Wahrheit dieser Behauptung erhaͤlt Bestaͤtigung durch folgende Anekdote. Der Kurfuͤrst von Koͤlln geht vor einigen Tagen — wie man in Halle jezt erzaͤhlt — einfach geklei- det, aus einem Thore zu Leipzig, in Begleitung einiger der dortigen Honoratioren. Die Schildwache erkennt ihn nicht, und macht ihm also auch nicht die sonst gewoͤhnlichen Hon- neurs. Einer aus der Begleitung macht die Wache unbemerkt Indessen hatte der Herzog von Braun - schweig einige Vortheile bey Trippstadt um Pir- masens uͤber die Franzosen erfochten, auch einige gefangen gemacht. Zwey und sechszig kamen durch Maykammer. Ich habe niemals offnere und festere Gesichter gesehen, als die dieser Gefangnen. Sie sangen, tanzten und sprangen, als wenn sie zur Hochzeit gehen sollten. An der Wache mußten sie Halt machen. Ich naͤherte mich und redete einen von ihnen an. „Du sprichst franzoͤsisch? fragte er zur Antwort: du bist wohl gar ein Franzose!“ Ich . Nein, ich bin ein Deutscher: viele Deutsche sprechen franzoͤsisch. Er . (reicht mir die Hand) Willkommen Ka- merad! Aber waͤrst du ein Franzose, ein Emigrant, ein foutu chien d'aristocrate: sieh an (er hob einen Stein auf) mit diesem Stein zermalmte ich dir dein Gehirn. aufmerksam, und bittet, das Gewehrpraͤsentiren nicht zu ver- gessen, im Falle sie in das naͤmliche Thor zuruckkommen soll- ten. Die Wache spricht daruͤber, und einer von ihr sagt: „Was doch die Kurfuͤrsten hier wohl machen moͤgen! Erst neulich war der von Trier hier, und jezt der von Koͤlln.“ Dieser, der nicht weit davon, aber außer den Augen der Wache, eine Anlage betrachtete, hoͤrt das, tritt hervor und sagt: „Ihr lieben Leute, Ihr wißt doch, daß die Kurfuͤrsten am Rhein viele dumme Streiche gemacht haben: und darum en sie jezt die Universitaͤt, um kluge zu lernen.“ Ich . Und das haͤttest du das Herz, hier zu thun? Er . Allerdings! Ein Emigrant muß mir kre- piren, wo ich ihn nur finde: das sind die Boͤse- wichter, die unser und Euer Vaterland ins Verder- ben gestuͤrzt haben. Hierauf sangen alle das bekannte Lied, dessen Refrain jedesmal ist: Dans son la Carmagnole: Vive le Son Du Canon! Selbst ein Goͤchhausen gesteht in seinen Wan- derungen den unbezwinglichen Muth, der franzoͤ- sischen Gefangnen; und ist ein um so unpartheii- scherer Zeuge, da er bey den Franzosen ganz und gar nichts Gutes zu finden gewohnt ist. Aber per- soͤnliche Unerschrockenheit war, wie ich ganz zuver- laͤssig weiß, in den Augen des blinden Goͤchhau- sen niemals eine Tugend. Sehr bedenklich fuͤr uns hielt jeder Kenner die in jener Gegend befindliche Bergkette, welche der Feind immer durchbrechen konnte, weil wir nicht im Stande waren, dieses ungeheure Gebuͤrge ganz zu besetzen, und weil die Franzosen besser Bescheid darin wußten, als wir. Deshalb wurde so viel, als man konnte, fuͤr die Verhinderung eines Durch- bruchs gesorgt; und da zu diesem Behufe immer starke Kommandos ins Gebuͤrge geschickt werden mußten, so wurde der Dienst hier sehr erschwert. Man that aber alles gern, weil man immer mit der baldigen Uebergabe von Landau und mit guten Winterquartieren im Elsaß schmeichelte. Viele von unsern Offizieren waren hier neuer- dings von dem gaͤnzlichen Ruin der Franzosen so gewiß, daß sie sogar Wetten anstellten, daß in so und so viel Zeit die Deutschen in Paris seyn, Lud- wig XVII einsetzen, die Glieder des Nationalkon- vents aufhaͤngen, den Adel herstellen, und den Pfaffen ihre alte Pfafferey wieder verschaffen wuͤr- den. Die Einnahme von Toulon durch die Eng- laͤnder, und die Rebellion in Lyon, der Tod der Repraͤsentanten le Pelletier , Chailler und Marat , die Fortschritte der sogenannten armée royale in der Vend é e und mehrere solche Begeben- heiten waren die Anlage zu dieser Rechnung. Aber nun kam die Trauerpost von der Hinrich- tung der Koͤnigin Antoinette , des Generals Cuͤstine und vieler andrer, auf welche man ge- rechnet hatte; die Schlappe der Englaͤnder bey Duͤnkirchen, und die Fortschritte der Franzosen in den Niederlanden, nebst denen gegen die Spanier und Sardinier: diese unangenehme Nachrichten schlugen unsern Muth sehr wieder nieder, so, daß man sogar verbot, davon zu reden: aber je mehr man dieß verbot, desto mehr geschah es und so wur- den diese unangenehmen Dinge immer bekannter. Acht und dreyßigstes Kapitel. Belagerung von Landau . W ir zogen den 18ten September ins Lager bey Landau , und schlossen es jezt rund um vollends ein. Dieser Platz ist eine von den Festungen, wel- che der beruͤhmte Vauban angelegt hat: sie ist treff- lich verwahrt, hat ein Fort und ein Hornwerk, und kann sich unter Wasser setzen, welches aber die Ingenieurs in Landau dießmal nicht fuͤr noͤthig fanden. Ohnerachtet Landau schon seit langer Zeit von den Deutschen blokirt war, so hatte man doch zu einer ernsthaften Belagerung sich wenig angeschickt. Es waren noch keine Schanzen aufgeworfen: aber wozu haͤtten auch diese nuͤtzen sollen, da man kein Geschuͤtz hatte! Es ist ganz unbegreiflich, wie man nur den Gedanken hat fassen koͤnnen, das mit Festungen gleichsam angefuͤllte und ganz umzingelte Frankreich ohne hinlaͤngliches Geschuͤtz anzugreifen. Schon im Sommer hatte der General Wurm - ser , welcher in der dortigen Gegend sein Wesen trieb, mit dem franzoͤsischen General Gillot un- terhandelt, und von ihm die Uebergabe der Festung erwartet; aber vergebens. Eben so gieng es un- serm Kronprinzen auch mit dem neuen Landauer Kommandanten Laubadere . Dieser war als ein guter, ehrlicher Republikaner bekannt, und eben darum ließ ihn der Kronprinz anfaͤnglich nur ein- mal aufbieten. Die Stadt war so eingeschlossen, daß nichts herein, nichts heraus konnte, und da man sich vor- stellte, daß die Garnison und die Buͤrgerschaft nicht gut mit Proviant versehen waͤren, so hoffte man, daß die Uebergabe sich hoͤchstens bis gegen das Ende des Novembers verziehen koͤnnte, und erwartete nichts weniger, als daß die Republika- ner die Festung entsetzen wuͤrden. Inzwischen veruͤbten die Oestreicher in den dort- herumliegenden Franzoͤsischen Oertern alle moͤgli- chen Graͤuel. In Langenkandel und an mehrern Orten bey Landau sind ihre Barbareyen uͤber allen Glauben gegangen. In dem ersten Orte ermorde- ten sie ein kleines Maͤdchen, weil es in seiner Ein- falt gerufen hatte: Es lebe die Republik. Einem Schulmeister hackten sie beyde Haͤnde ab, weil er ein Vertheidiger der Patrioterey war. Eine Frau samt ihrem Kinde, das sie an der Brust saͤugte, verlohr das Leben, weil sie den Unmenschen Menschlichkeit predigte. etc. etc. — Als ich nach Landau und Strasburg kam, fand ich aller Orten Zettel angeschlagen, worauf dergleichen Graͤuel- thaten angezeigt waren, um deren willen die Na- tion gegen diese Veraͤchter aller Rechte aufgerufen wurde. Ich bin voͤllig uͤberzeugt: daß der Kaiser der- gleichen Graͤuel nicht allein nicht billigt, sondern daß er sie aufs schaͤrfste ahnden wuͤrde, wenn sie ihm bekannt waͤren. Aber wie dringt die Stimme der Unschuld und der bedraͤngten Menschheit zu den Ohren der Monarchen! Und wie ist es moͤg- lich, daß Unmenschlichkeiten verhindert werden, wenn man sie oͤffentlich predigt, wenn man die Franzosen d. h. alle Einwohner dieses Landes als den Auswurf der Menschheit beschreibt, gegen den man von aller Verbindlichkeit los sey? So war es der Fall im vorigen Jahrhunderte bey den Verfol- gungen der Hugenotten: aber diese waren unbe- waffnete Leute, außer Stande, sich zu wehren; allein die Franzosen jezt, konnten das ihnen ange- thane Unrecht raͤchen, und haben es auch an ihren Henkern, aber leider auch an den unschuldigen Be- Dritter Theil. Hh wohnern jener Laͤnder, wohin sie gedrungen sind, maͤchtig und strenge genug geraͤcht. In der oͤstreichischen Armee giebt es, außer den Kroaten, noch anderes Volk, welches Frey- korps ausmacht, und als solche glauben, es stehe ihnen alles frey. Dieses Volk ist aller Orten, bey Freund und Feind, sogar bey ihren eignen Leuten, verhaßt und verachtet. Die Unthaten der Herren von Ottonelli, von Mahony, von Michalowitz und von andern sind so verschrieen, als die Hel- denstuͤckchen des bayerischen Huͤsels oder des Cartouches . Nirgends haben sich die Franzosen so arg betragen, als diese, die sogar bey Freunden und Bundesgenossen ihres Herren sich betrugen, als haͤtte man sie auf Exekution hingelegt. Mich wundert nur, daß Reichard in Gotha, Goͤchhau- sen, Girtanuer und Braun nicht auch die Graͤuel- scenen von diesen zu Kupferstichen gewaͤhlt haben! — Ich werde weiterhin von dem scheußlichen Betra- gen dieser Quasi-Soldaten mehr erzaͤhlen, und verweise bis dahin auf eine Schrift, betitelt: Die Reichsarmee in ihrer wahren Gestalt , worin auch einiges von diesen Freykorps vorkoͤmmt. Diesen Kroaten hatte man einen Dukaten fuͤr jeden Franzosenkopf versprochen, den sie einliefern wuͤrden. Das Versprechen selbst war schon abscheu- lich an sich; denn es sezte einen Krieg ad intern - cionem voraus, und machte schonende Menschlich- keit gegen die, die sich ergaben, oder die vor Ver- wundung nicht mehr schaden konnten, unmoͤglich: aber was kuͤmmert sich ein Kroat um Menschlich- keit, zumal wenn seine Vorgesezten selbst so un- menschlich sind, ihn, der sich auf eigne Faust er- naͤhren muß, gegen einen Blutsold zu Unmensch- lichkeiten aufzufodern! Um diesen Sold treufleißig zu verdienen, toͤdteten die Kroaten hie und da Bau- ren, weckten sie des Nachts auf, um nach diesem oder jenem zu fragen; und wenn die Ungluͤcklichen ihre Thuͤr oder Fenster oͤffneten, um ihnen Aus- kunft zu geben, so ergriffen sie dieselben, schnitten ihnen den Kopf ab, und ließen ihn als einen San- kuͤllottenkopf sich bezahlen. — Und nun wollen wir noch fragen, lieben Leser, warum so viele Barbareyen von den Franzosen in Deutschland her- nach begangen wurden? Der Pfarrer zu Nußdorff, eine halbe Stunde von Landau, hat sich auch sehr an seiner Gemeinde versuͤndiget. Dieser Mensch war, wie alle Pfaf- fen in ganz Frankreich, der neuen Einrichtung feind, ob er gleich lutherisch war: es aͤrgerte ihn sein Ver- lust des Dezems und der Sporteln. Es mogten auch mehrere von seinen Bauren etwas hart und derb mit ihm gesprochen haben. Er zeigte also diese bey den deutschen Offizieren an, und die armen Leute wurden aufs groͤbste mishandelt, wenn gleich Nußdorff nicht zu Deutschland gehoͤrt, und es demnach hoͤchst ungerecht war, hier Jagd auf Pa- trioten zu machen. Alle Einwohner mußten ja, vermoͤge ihres gemeinschaftlichen National-Gesetzes, Patrioten seyn! — Der Herr Pfarrer ließ auch eine goldne Lilie uͤber das Zifferblatt am Kirchthurme anbringen, welche aber freilich nicht lange figurirt hat. — Die kaiserlichen und preußischen Offiziere kehrten bey diesem theologischen Altflicker gern und fleißig ein — wegen seiner huͤbschen Schwaͤgerinnen. Wie es ihm bey der Ruͤckkunft der Franzosen er- gangen sey, laͤßt sich denken. Als wir um Landau stunden, waren eben die Trauben zeitig. Da es nun dortherum gar viele Weinberge giebt, so konnten sich unsre Leute recht daran ergoͤtzen. Dieß thaten sie: aber die Wein- berge wurden auch so mitgenommen, daß, wenn die Einwohner mit der Weinlese, oder dem Herb- sten, wie man dort sagt, nicht geeilt haͤtten, sie auch keinen Tropfen Wein ins Faß bekommen haͤt- ten. Die Soldaten machten Exkursionen bis bey- nahe vor Landau, und trafen da mehrmals Nym- phen aus dieser Stadt an. Dieß Hinlaufen der Frauenzimmer nach den Weinbergen dauerte noch fort, als ich schon in Landau war, bis endlich der General Laubadere es gaͤnzlich untersagte. Der Koͤnig machte indessen Anstalt zu seiner Abreise nach Berlin: die polnischen Haͤndel noͤthig- ten ihn, sich an Oerter zu verfuͤgen, wo er densel- ben naͤher seyn konnte. Er ist auch wirklich den 30ten September von uns abgefahren. Hier im Lager lernte ich den bekannten Magister Heller kennen, welcher Verfasser von allerley kleinen Schriften mit und ohne Namen ist. Man nennt ihn dort herum Hr. Professor: warum? Das weis ich selbst nicht. Er sagte zu mir, daß wir mit einander bekannt werden muͤßten, weil unsre Fatalitaͤten viel Aehnliches haͤtten. Bey ei- nem Glase Wein legten wir denn einander eine all- gemeine Beichte ab. — Hr. Heller lebt zu Fran- kenthal, wo er in allerley Dingen Unterricht giebt, und sich so durchbringt. Er hat da ein blutarmes Maͤdchen geheurathet, mit welchem er, wie er sagte, ganz gut lebt. D ie Schweizer Kantons haben ihm schon einigemal fuͤr ein Gedicht auf sie ein Praͤsent gemacht: er hoffte eben auch ein Praͤsent vom un- serm Koͤnige und beversificirte denselben. Aber der Koͤnig sah mehr auf Polen; und der Dichter erhielt nichts. Das war aber auch schon recht: denn nichts ist verdaͤchtiger und gerade darum nichts elen- der, als das Lob der Dichter und der Versifexe; und wer nur durch sie denkt beruͤhmt zu werden, hat gewiß nichts lobenswuͤrdiges an sich. Die ganze Welt kennt den poetischen Schnickschnack, und weis, warum die Dichterlinge loben. Von Horatius, dem groͤßten und feinsten aller Parasi- ten an, bis auf die Herren N. N. hat keiner seinen Held unsterblich gemacht. Die Namen, welche uͤber den Oden z. B. des Horatius stehen, thun schon lange gar nichts mehr zur Sache: wir be- wundern die Schoͤnheit des Gedichtes, und kuͤm- mern uns wenig um den, auf welchen es gemacht ist. Blos die Geschichte kann loben oder tadeln: denn ob wir gleich sehr elende Wichte in der Welt sind, so haben wir doch noch das Gute an uns, daß allgemeine Saͤtze keinen Eindruck auf uns ma- chen: wenigstens keinen bleibenden; und daß wir nicht eher geruͤhrt werden, oder glauben, bis wir den Beweis irgend einer allgemeinen Behauptung aus einzelnen Thatsachen selbst sammeln und fassen. Ein Fuͤrst thut darum sehr klug, wenn er sich nie bedichten oder besingen laͤßt, und noch kluͤger, wenn er seine Lobhaͤnse nicht belohnt: denn sonst stuͤrmt dieses Sillben-Gesindel auf ihn zu, und belobt ihn dergestalt, daß er sich endlich fuͤr untadelhaft haͤlt, und fuͤr wahres Verdienst Augen und Empfindung verliehrt. Ich fuͤr meine Person befand mich im Lager so ziemlich wohl. Ich hatte beynahe taͤglich Besuch von Bekannten aus der der dasigen weiten und brei- ten Gegend, und von diesen erfuhr ich die ganze Litaney von allem, was seit meiner Abwesenheit aus der Pfalz, vorgefallen war, aber ich erfuhr selten etwas erfreuliches. Alles war so beym Alten geblieben, und wenn ja der eine und der andre etwas hatte bessern wollen, so hatte er es sofort zu thun mit den Pfaffen, Edelleuten und Beamten, welche ihn an allen Unternehmungen hinderten. Alle hoff- ten eine Generalreforme nach dem Ende des Krie- ges. Gebe sie der Himmel! Alle Tage hoͤrten wir, daß die Franzosen da und dort vor den Deutschen wichen, und nun sa- hen die meisten nichts sicherer entgegen, als Lan- daus Einnahme, und der Eroberung von ganz El- saß. Einige radotirten schon von Strasburgs wirk- licher Einnahme! Diese Nachricht verbreitete sich deswegen, weil wirklich in Strasburg ein Kom- plot existirte, welches die Festung den Deutschen in die Haͤnde spielen wollte. Die vornehmsten Mitglieder des Komplots waren mehrere von der Strasburger Municipalitaͤt, und einige reiche Ju- den. Aber Eulogius Schneider , der da- mals oͤffentlicher Anklaͤger war, entdeckte durch seine Emissaͤrs den Anschlag: die Verschwornen wurden eingezogen und fanden ihr Ende auf der Guillotine. Dabey war auch der gewesene Maire, Hr. von Dietrichs . Den Weg der Verraͤtherey hat man in keinem Kriege mehr eingeschlagen, als in dem gegenwaͤr- tigen: ein wahres Zeichen, daß man sich zu schwach fand, der verachteten Nation ins Angesicht zu wi- derstehen. Gegen uns haben die Franzosen sich sel- ten der Verraͤther oder der Spionen bedient. Doch fand sich bey Landau ein reformirter Kandidat, welcher wegen seines artigen Benehmens die Gnade des Herzogs von Braunschweig auf eine vorzuͤgliche Art genossen hatte. Dieser zeichnete aus eignem Antrieb den Plan der ganzen Stellung des Deut- schen Heeres ab, und schickte ihn in die Festung. Die Sache wurde entdeckt und der Kandidat arre- tirt. Er hatte allerdings so nach dem Herkom- men, den Tod verdient, aber der Koͤnig und der Herzog verwandelte die Todesstrafe in Baugefan- genschaft. Neun und dreyßigstes Kapitel. Ich werde endlich noch gar — geheimer Gesandter . I ch habe in der ganzen bisherigen Erzaͤhlung keine Rolle von Bedeutung gespielt, und hatte nur sel- ten Gelegenheit, dem Leser von meinem kleinen Ich etwas zu sagen, das seiner Aufmerksamkeit werth gewesen waͤre. Man kann daher das, was ich bis jezt geliefert habe, mehr fuͤr historische Bruch- stuͤcke uͤber den Feldzug und die Operationen, wel- chen ich beygewohnt habe, ansehen, als fuͤr meine eigne Geschichte. Von nun an aber erzaͤhle ich hauptsaͤchlich wieder von mir, und da man immer an sich mehr Interesse nimmt, als an allem, was uns umgiebt, so hoffe ich, daß meine Nachrich- ten von nun an fuͤr den Leser interessanter seyn werden, besonders fuͤr diejenigen meiner Leser, welche In- teresse an mir finden; und die Anzahl dieser ist, wie ich zu meiner Beruhigung weiß, nicht gering. Die Veraͤnderung meiner Lage, welche hier bey Landau vorging, hat auf alle meine nachherigen Schicksale Einfluß gehabt, und wird ihn wahr- scheinlich auch auf meine zukuͤnftigen haben, so daß ich unverzeihlich handeln wuͤrde, wenn ich nicht alles, was dahin einschlaͤgt, genau und um- staͤndlich beschreiben wollte. Man wird mir also verzeihen, wenn ich hier gegen meine bisherige Ge- wohnheit, weitlaͤufiger werde, und Kleinigkeiten anfuͤhre, sobald diese meine Geschichte in ein hel- leres Licht stellen. Ich war unsern Prinzen und den großen Ge- neralen schon lange dem Namen nach bekannt, aber viele von ihnen hatten auch schon mehrmals mit mir gesprochen. Ich muß oͤffentlich gestehen, daß ich von diesen Herren immer human und freundlich bin behandelt worden, und kann mich insbesondre ruͤhmen, daß der Prinz Louis von Preußen, der Herzog von Weimar , die Generale, Prinz von Hohenlohe und dessen Vetter, der Prinz von Hohenlohe , Oberster bey Wolfframsdorff, die Hn. Generale von Mannstein , von Kalk - reuth und mehr andere mir ganz besonders gut begegnet sind. Der Prinz von Hohenlohe , ich meyne den damaligen Obersten bey dem Regiment von Wolff- ramsdorff, hatte in Duͤrkheim gehoͤrt, daß ich mit dem Buͤrger Dentzel , Volksrepraͤsentant, und zu der Zeit in Mission bey der Rheinarmee, ehemals bekannt gewesen sey. Diese Nachricht war ihm aufgefallen, und er beschloß, deswegen mit mir zu sprechen. Ich war eben auf einer Schanze, als man mir sagte, der Prinz von Hohenlohe wolle mich spre- chen. Da ich seine Art, Leute zu behandeln kannte, so lief ich mit Freuden hin, wie ich war. Ihre Durchlaucht, sagte ich, muͤssen mir verzeihen, daß ich komme, wie ich war, als ich hoͤrte, daß Sie mich sprechen wollten. Ich konnte mich nicht uͤber- winden, durch Anziehen und Putzen einen Augen- blick zu verlieren. „Das war recht, mein Lieber, erwiederte der Prinz, nur herein: bey mir muß man keine Komplimente machen. Ich trat ins Zelt, und fand da mehr Gesell- schaft, welche recht munter war. Ich mußte mit Taback rauchen, und Wein trinken, welchen der Prinz ganz trefflich hatte, da er ein Liebhaber von gutem ist. Der Prinz war, wie immer, sehr aufgeraͤumt, und erzaͤhlte einige Anekdoten vom alten Koͤnig, z. B. daß er selbst mehrmals laͤchelnd bek a nnt haͤtte, wie er sich in seiner Jugend vor den Hexen gefuͤrchtet habe, daß er aber nachher bald von dieser thoͤrigen Vorstellung abgekommen sey u. dgl. — Unser Gespraͤch fiel bald auf die Franzo- sen, und ich freute mich recht uͤber die gesunden Urtheile des Prinzen: er war selbst ehemals in Frank- reich gewesen, hatte da ganzer zehn Jahre gedient, und verstand also den Handel besser, als mancher Andere. Endlich fragte er mich, was ich von den franzoͤsischen Angelegenheiten daͤchte? Aber ehe ich antworten konnte, fiel ein Offizier von unserm Regimente laͤcheld ein: ah, Gnaͤdigster Herr, den da muͤssen Sie nicht fragen: das ist ein Patriot! Prinz : So? Ist's wahr, Laukhard? Ich : Verzeihn Sie, Monseigueur! ich bin kein Patriot, im gehaͤssigen Sinn: ich liebe den Koͤnig, und die Deutschen, aber ich liebe auch die Men- schen, und muß daher oft anders denken, als die zu denken gewohnt sind, welche nichts sehen und hoͤren wollen, als Fuͤrsten und Sklaven. Pr : Schoͤn, das ist brav! Aber glaubt Er denn, daß die Franzosen jezt auf dem lezten Loche blasen? Ich : Nein, das glaube ich nicht. Die Fran- zosen haben noch zu viele Huͤlfsmittel, sich zu be- haupten, und es wird noch schwer halten, sie zu bezwingen, geschweige denn, ihre Macht ganz und gar zu tilgen. Pr : Er hat doch die roͤmische Historie studiert, Laukhard? Ich : Ja, gnaͤdigster Herr! Pr : Nun, so weis Er ja auch, daß die Sol- daten, welche an der Wohlfahrt des Vaterlandes zweifelten, gestraft wurden. Ich : Ey, gnaͤdigster Herr, ich zweifle an der Wohlfahrt des Vaterlandes gar nicht; ich wuͤnsche und hoffe, daß es Deutschland und besonders Preu- ßen recht gut gehen moͤge: aber ich kann doch auch nicht behaupten, was unmoͤglich, und was un- wahrscheinlich ist: und von dieser Art waͤre die gaͤnzliche Niederlage der Franzosen durch uns. Pr : Lassen wir das jezt. Es denkt ein jeder, was er will; man muß nur ein ehrlicher Mann seyn. — Aber à propos Laukhard, ich habe gehoͤrt, Er kenne den Repraͤsentant zu Landau, den Dentzel ? Ich : Ja, Ihre Durchlaucht, den kenne ich schon seit vielen Jahren. Pr : Genau? Ich : So ziemlich: wir haben manchesmal mit einander gezecht, und sonst Abentheuer bestanden. Ich glaube gar, daß wir noch Vetter sind. Pr : Was ist denn das fuͤr ein Mann? Ich : Gnaͤdigster Herr, in der Lage, worin ich und Dentzel uns befanden, habe ich seinen Ka- rakter nicht kennen lernen: ich habe mich auch nicht einmal drum bekuͤmmert. Es ist, soviel ich weis, ein unternehmender Kopf, und sonst kein falscher Kerl. Pr : Je nun, wir sprechen vielleicht ein ander- mal mehr davon. Jezt getrunken und lustig! Es wurde getrunken aus großen Glaͤsern scharf, und die Zotologie wurde ziemlich herumgeholt. Gegen Abend ging ich in mein Zelt, und fand eben einen Brief von meinem redlichen Bispink , welcher das Vergnuͤgen dieses Tages kroͤnte. Gleich am folgenden Morgen schickte der Hr. Hauptmann von Nieweschuͤtz , welcher die Kom- pagnie des Prinzen damals kommandirte, zu mir, und ließ mich holen. Dieser edle Mann, der mir sehr viel Freundschaft in der kurzen Zeit, die wir noch zusammen waren, erwiesen hat, traktirte mich mit Malaga; und nach einem langen Gespraͤche uͤber diesen und jenen Gegenstand aus den Wissen- schaften, worin sich der Hauptmann ruͤhmlich um- gesehen hat, wurde das Gespraͤch, ganz unmerk- lich wieder auf Deutzel gelenkt. Ich sagte ihm, was ich wußte. Hoͤren Sie, sagte der Haupt- mann, Sie koͤnnen ihr Gluͤck machen: der Prinz wird mit Ihnen sprechen, und dann machen Sie Ihre Sachen klug. — Ich stuzte, und drang in den Hauptmann, sich naͤher zu erklaͤren; aber er sagte, daß er nichts mehr sagen koͤnne: ich sollte nur klug seyn. Ich versprach ihm, mich allen Be- fehlen des Prinzen zu unterziehen. Ich war kaum wieder bey meiner Kompagnie, als ich aufs neue gerufen wurde. Es war zum Prinzen Louis von Preußen, welcher hinter der Brandwache auf mich wartete. Hier hatte ich fol- gende merkwuͤrdige Unterredung. Prinz Louis : Guten Tag, Laukhard! ich hab' ein Wort mit Ihm zu sprechen. Ich : Bin immer Ew. Hoheit zu Diensten! Pr : Eh bien; aber jezt fodre ich keinen Dienst im eigentlichen Sinn: ich fodre was, das Uns und Ihm großen Vortheil bringen soll. Er kennt Dentzel zu Landau? Ich : Ja, Ihre Koͤnigliche Hoheit. Pr : Glaubt Er wohl, dem Manne beyzu- kommen? Ich : Ich verstehe Sie nicht ganz. Pr : Ich werde mich erklaͤren. Seh Er, Den - zel ist Réprésentant do peuple bey der franzoͤsischen Rheinarmee: der Mann hat also vielen Einfluß, der dann erst recht sichtbar seyn wird, wenn von der Uebergabe der vor uns liegenden Festung die Rede seyn soll. Diese Uebergabe kann nicht lange mehr anstehen allein sie wird und muß auf alle Faͤlle noch viel Blut kosten: wir haben also einen Plan erdacht, wie wir ohne Blutvergießen zu un- serm Zweck gelangen koͤnnten. Ich : Das waͤre ja herrlich! Pr : Ja, sieht Er: Und dazu soll er nun helfen! Ich : Und wenn ich mein Leben dabey aufopfern sollte, gern! Pr : Schoͤn! So spricht ein braver Soldat. Laukhard, es ist beschlossen, Ihn nach Landau zu schicken. Ich : (betroffen) Nach Landau, mich? Pr : Ja, Ihn nach Landau, lieber Laukhard. Sieht Er: Er kennt den Repraͤsentant Dentzel : dieser vermag alles: kann Er ihn gewinnen, so ist sein und unser Gluͤck gemacht. Ich : Aber auch mein Ungluͤck, Ihre Hoheit, wenn ich entdeckt werde. Pr : Ah, Er muß sich nicht fuͤrchten! pardieu, die Franzosen werden Ihm den Hals nicht brechen! Ich : Aber die Franzosen sind Vokativusse, Ihre Hoheit: die Kerls spaßen eben nicht viel. Pr : Ueberleg Er die Sache, lieber Laukhard! Findet Er, daß es nicht geht, à la bonne heure, so haben wir gespaßt, und alles bleibt entre nous; findet Er aber, daß Er Muth genug hat, die Ge- fahr nicht zu achten, und sein Gluͤck zu befoͤrdern, so entschließe Er sich, und sage mir Bescheid. Adieu! Aber alles bleibt noch unter uns! (geht ab) Ich schlich unruhig und muͤrrisch ins Lager zu- ruͤck: tausend Ideen, tausend Grillen liefen mir durch den Kopf, und ich war doch nicht im Stande, einen festen Entschluß zu fassen. Die Sache schien mir zu wichtig. Einmal war es mir freilich erwuͤnscht, endlich einmal eine Gelegenheit zu bekommen, mich mit Ehren von den Soldaten loszuwickeln. Bisher naͤmlich hatte ich das Laͤstige und Druͤckende dieses Standes mehr als zu viel erfahren und empfunden. Davon kam ich also weg, wenn ich den Vorschlag Seiner Hoheit annahm: und dann hatte ich mit Herren zu thun, welche mir eine Laufbahn eroͤffnen konnten, worauf ich wenigstens eher und besser fuͤr mich sorgen konnte, als bey den Soldaten. Herr Bispink hatte mir zwar, als wir vor Maynz standen, angetragen, daß er mich, sobald ich nur einwilligte, von dem Regimente entweder loskau- fen, oder einen Rekruten von meiner Groͤße fuͤr mich stellen wollte. Er hatte diesen lezten Punkt mit dem Hn. von Patzensky , Hauptmann bey unserm Depot in Halle, schon besprochen; auch uͤber die ganze Sache an unsern Feldprediger, Hn. Lafontaine geschrieben, und ihn um seine Ver- mittelung ersucht. Aber ich konnte mich durchaus nicht uͤberwinden, eine Guͤte von dieser Art von einem Manne anzunehmen, der mich schon lange mehr als bruͤderlich unterstuͤzt hatte, und die ich ihm vielleicht nie haͤtte vergelten koͤnnen. Ich lehnte also sein Anerbieten unter dem Vorwande ab: daß der Krieg gegen die Franzosen mich zu sehr inter- essirte, als daß ich nicht wuͤnschen sollte, ihm bis zu Ende mitbeyzuwohnen, u. s. w. Im Grunde aber hatte ich des Soldatenlebens herzlich satt; und so war es mir lieb, hier endlich eine Gelegenheit vor mir zu sehen, meinen Abschied durch eine ekla- tante Dienstleistung selbst zu verdienen . Da- durch erwuͤrbe ich mir, dachte ich damals, auch zugleich ein Recht auf eine sorgenlose Existenz im Preußischen, und waͤre nicht genoͤthigt, mich auf eine prekaͤre Lebensart dereinst irgendwo einzulassen. Freilich war viel Gefahr bey der ganzen Unterneh- mung, allein wenn sie gelang, so war auch viel Vortheil auf meiner Seite zu erwarten. Dritter Theil. Ii Auf der andern Seite mogte ich den Vorschlag auch deswegen nicht verwerfen, weil ich dadurch Ursache werden konnte, daß eine blutige Belage- rung in eine friedliche Uebergabe verwandelt wuͤrde, wodurch das Leben vieler Menschen, sowohl bey den Unsrigen als bey den Franzosen gewann. Freilich haͤtte ich den Salto mortale niemals ge- wagt, wenn ich den Geist der Nation schon damals so gekannt haͤtte, wie ich ihn bald darauf kennen lernte, und welcher vorzuͤglich dahin geht, daß dem Feinde nicht eine Spanne breit Platz in der Repu- blik eingeraͤumt werde, oder bleibe. Das erste Grundgesetz der Nation ist die Untheilbarkeit des Reichs: diese muß erhalten oder die Nation muß vernichtet werden. Aber ich kannte die Franzosen damals von dieser Seite eben so wenig, als der Koͤnig von Preußen und alle koalisirten Maͤchte sie auch noch nicht kannten, und Viele, leider! noch immer nicht zu kennen scheinen. Aber die Gefahr, welcher ich mich nothwendig aussetzen mußte, schreckte mich immer nicht wenig. Ich hatte gehoͤrt, daß die Franzosen einige Tage vorher einen Emigrirten, welcher von den Kaiser- lichen desertirt war, in Landau aber als franzoͤsi- scher Fluͤchtling erkannt wurde, ohne langen Pro- ceß hatten todtschießen lassen. Was einem Spion und einem Emissaͤr gebuͤhrte, war mir lange be- kannt: ich hatte die Praxis davon bey Luxemburg, und bey Maynz gesehen. Ueberdieß verdammten meine eignen Grundsaͤtze die mir zugedachte Un- ternehmung: auch erinnerte ich mich recht lebhaft an das, was Pyrrhus ehedem zu den Roͤmern sagte: Non cauponantes bellum, sed belligerantes, Ferro, non auro vitam cernamus utrique. — Spionerey habe ich uͤberhaupt immer fuͤr etwas sehr unanstaͤndiges gehalten, und Verraͤtherey fuͤr das abscheulichste Verbrechen. Denn was kann fuͤrchterlicheres gedacht werden, als der Misbrauch des Vertrauens, welches das Vaterland auf uns sezt, und was ist schaͤndlicher, als der Gewinn, den wir von dem verkauften Interesse unsrer Nation ziehen? Daher kamen mir auch jene Generale, welche dem Interesse ihrer Nation untreu geworden waren, besonders ein Lafayette und ein Duͤmouriez, als die abscheulichsten Mensch vor. — Und dennoch sollte ich mich in die augenscheinlichste Gefahr stuͤr- zen? Dennoch gegen meine eigne Ueberzeugung handeln, weil ich mir dadurch Nutzen schaffen konnte, wenn ich mit heiler Haut davon kam? Was das lezte, oder die Ueberzeugung von Recht und Unrecht betrifft, so waͤre das die geringste Frage gewesen: denn ich hatte Beyspiele genug zu meiner Rechtfertigung. Der Eigennutz ist das große Triebrad der menschlichen Handlungen: da- von zeugt die Geschichte aller Zeiten und aller Voͤl- ker; und alle wahre Biographien sind davon der klaͤrste Beweis. Ein Herr Philosoph kennt und ruͤhmt die Wahrheit, und ist uͤberzeugt, daß diese, verbunden mit einer ihr wuͤrdigen Lebensart, die hoͤchste Wuͤrde des Menschen ausmacht: er lehrt dieses in allen seinen Buͤchern; und seine Hand- lungen sind gewoͤhnlich das Gegentheil von seiner Lehre. Auch der groͤßte Philosoph kalkulirt meisten- theils à la Pitt, und ist Kaufmann auf Geld, Ehre und Gewissen, wie dieser. — Mit den Herren Mo- ralisten konnte ich also bald fertig werden. Aber die Gefahr, welcher ich mich unterziehen sollte, lag mir mehr im Sinne. Ich mußte be- fuͤrchten, daß Dentzel meinen Antrag mit Ver- achtung verwarf, und mich in Untersuchung neh- men ließ. Auch liefen taͤglich Deserteurs nach Lan- dau uͤber: konnte die Sache nun nicht durch so ei- nen dahin gebracht und verrathen werden? Und wo blieb dann Laukhard? Diese Gedanken bekuͤm- merten mich Tag und Nacht, und raubten mir alle Ruhe. Vierzigstes Kapitel. Fortsetzung des vorigen . D en Tag nach meiner Unterredung mit dem Prinzen Louis kam der Adjutant des Kronprinzen zu mir, nahm mich mit hinter die Brandwache, und fragte mich: ob ich dem Antrag des Prinzen Louis nachgedacht haͤtte? Ich bejahte. Adjutant : Nun, was denkt Er davon? Ich : Ich denke, daß es ein sehr gefaͤhrliches und halsbrechendes Stuͤck Arbeit ist. Adj : Weiter nichts? Ich : Das aber doch fuͤr mich und fuͤr uns alle nuͤtzlich werden koͤnnte. Adj : Das auf alle Faͤlle nuͤtzlich werden muß: denn gesezt auch, Er richtet nichts aus, so lernen wir doch die Gesinnungen der Leute kennen, und das ist schon viel: versteht Er mich? Ich : O ja, ich verstehe Sie wohl! Also wenn ich nichts ausrichte, so sehen die Preußen, daß auf diese Art dem Repraͤsentanten nicht beyzukommen war, und nehmen ihre Maaßregeln auf eine andere Art. Ich zahle indeß mit meinem Leben, und die Herren haben einen Maßstaab ihrer Unterneh- mungen mehr: Allerliebst! Adj : Ey, lieber Laukhard, ich meyne das nicht so! Wenn Er auch nichts ausrichtet, so ist Er deswegen doch noch nicht verlohren. Er muß nur seine Sachen gescheid anfangen; und kommt Er wieder aus Landau zu uns, so ist sein Gluͤck auf alle Faͤlle gemacht. Ich : Ja, wenn die Festung durch mich in unsre Haͤnde kommt! Adj : Und wenn das auch nicht geschieht: Er ist auf alle Faͤlle gedeckt, und seiner Belohnung sicher. Das waͤre schoͤn, die Uebergabe der Fe- stung zur Bedingung seiner Belohnung zu machen! Er wird auf alle Faͤlle koͤniglich belohnt, und auf immer vor Armuth und Noth in Sicherheit gesezt. Aus einem Mann, wie Er ist, muß noch einmal was in der Welt werden: pardieu! Ich : Alles gut, Herr Adjutant, aber das Ding bleibt immer kuͤtzlich. Adj : Freilich wohl! Aber was ist Er denn, Laukhard? Ist Er nicht Soldat, und muß ein bra- ver Soldat nicht vor die Kanonen gehen? Ich : Natuͤrlich! Adj : Ist Er noch nicht vor den Kanonen ge- wesen? Ich : O ja, schon mehr als einmal. Adj : Hat Er da sich wohl gefuͤrchtet und ge- aͤngstet? Ich : Herr Adjutant, wenn mir ein Andrer diese Frage vorlegte, ich weiß nicht, ich — Adj : Ich schmiß ihm hinter die Ohren, nicht wahr? — Das ist recht gesprochen, mein Lieber: so hoͤr' ichs gern. Nun sieht Er, wenn Er ohne Furcht vor die Kanonen ging, wo Er doch nicht viel thun konnte, warum wollte Er jezt eine Gele- genheit vorbey lassen, wo weniger Gefahr ist, und wo Er Viel thun kann? Dieser Grund bestimmte mich beynahe: ich sagte dem Adjutanten, daß ich fuͤr den Kronprinzen alles zu wagen und alles zu thun bereit waͤre. Er moͤgte also Seiner Hoheit meinen Entschluß melden, und Sie versichern, daß ich nur ihren Befehl erwartete. Es war mir, wie es sich versteht, verboten worden, diese kuͤtzliche Sache irgend jemanden be- kannt zu machen; aber dieß foderte schon meine eigne Sicherheit. Ich hatte nicht einmal das Herz, sie meinem Hauptmann anzuvertrauen: dieser fragte auch ganz und gar nicht, was die großen Herren mit mir gesprochen haͤtten. Es war bey der Kompagnie ein Franzose, Na- mens Gautier, ein eingemachter Windbeutel, der beynahe kein Wort deutsch wußte. Aber en révanche frisirte und rasirte er, wie ein Meister, und war immer guter Dinge. Seines jovialischen Wesens und seiner Schnurren wegen war er bey jederman, sogar bey den vornehmsten Offizieren, wohl gelit- ten, welche ihn so zu sagen zum Haͤnschen brau- chen wollten, die er aber selbst nicht selten tuͤchtig haͤnselte. Dieser Gautier hatte bey den ehemaligen Na- tionalgarden in Frankreich gedient, kannte die Ge- nerale Lafayette, Duͤmouriez, Anselme und andre, hatte die Preußen aus Champagne verfolgen helfen, und war im Fruͤhling des Jahres 1793 bey Trier desertirt. Weil er nun sehr viel zu erzaͤhlen wußte, so machte ich mir gern mit ihm zu schaffen. Sonst war er auch ein ehrlicher Kerl, mit welchem sichs gut umgehen ließ. Den Abend, als der Adjutant des Kronprinzen bey mir gewesen war, saß ich in der Marketeuder- Huͤtte, und dachte uͤber mein Schicksal ernsthaft nach. Gautier naͤherte sich mir traulich, und fragte mich, warum ich so trauig aussaͤhe? Ich sagte ihm, der Kopf thaͤte mir wehe: er war aber mit meiner Entschuldigung nicht zufrieden, und sagte mir gerade heraus, daß er glaube, die Un- zufriedenheit mit meiner Lage verursache nur Nach- denken. Nun, sagte ich, wenn auch das waͤre! Er : Je nun, so mußt du deine Lage aͤndern. Ich : Ja, aber wie? Er : Hoͤre, Bruder, ich kenne dich, du wirst mich nicht verrathen. Ich : Nein, bey Gott, das thue ich nicht. Er : Nun, so hoͤre! Schon lange waͤre ich gern wieder bey den Franzosen gewesen — Ich : Du? Du bist ja von ihnen desertirt; und wenn sie dich jezt haschen, so schießen sie dich todt! Er : Wenn ich vorgebe, die Preußen haͤtten mich aufgefangen, und mit Gewalt unter ihre Leute gesteckt: so bin ich frey. Und da du immer gut von den Patrioten gesprochen hast: wie waͤr's, wenn wir beyde nach Landau gingen? Ich : Bruder, Bruder, was muthest du mir da zu! Bedenke, wenn so was heraus kaͤme! Nein, nimmermehr! Laß uns abbrechen; kein Wort hievon weiter! Er : Du verraͤthst mich doch nicht? Ich : Sey unbesorgt: ich werde alles verschwei- gen. — Die ganze Sache war mir indeß bedenklich, und wenn ich so haͤtte handeln wollen, wie es die Klugheit hier fuͤr meine kuͤnftige Sicherheit foderte, so haͤtte ich den Gautier angeben muͤssen: denn es war nichts sicherer zu vermuthen, als daß er, sobald er meine Desertion vernahm, auch fortlaufen wuͤrde: und was hatte ich da zu befuͤrchten! Aber ich wollte sein Zutrauen nicht misbrauchen, und schwieg. Er hat hernach doch fortlaufen wollen, ist aber un- gluͤcklicher Weise erhascht worden. Erst bey der Retirade ging er zuruͤck nach Frankreich; aber nach welcher Gegend — weiß ich nicht. Ein und vierzigstes Kapitel. Meine Instruction vom Kronprinzen . A m 25ten September wurde ich aufs Piket nach Nußdorf geschickt. Hier hatten die Leute gerade Herbst oder Weinlese, welche sie, nach Obigem, nothwendiger Weise schon so fruͤhe anfangen muß- ten, weil sonst die deutschen Soldaten auch keine Beere in den Weinbergen gelassen haͤtten. Unsre Leute gingen schaarenweise hinein, und holten ganze Brodsaͤcke voll Trauben, welches ihnen um so we- niger verboten war, da man die Trauben als ein Praͤservativ gegen die Ruhr ansah. Ich war kaum in Nußdorf, so kam schon ein Bote aus dem Lager mit dem Befehl, daß ich so- gleich zuruͤckkommen sollte. Ich lief nach meiner Kompagnie, und fand da jemand, der mich nach dem Zelte des Kronprinzen begleitete. Der Kron- prinz empfing mich, nach seiner edlen Gewohnheit, freundlich, druͤckte mir die Hand, und fragte mich: ob ich dem Vorschlag nachgedacht haͤtte? Ich be- jahete dieses, und versicherte Seine Hoheit, daß ich alles fuͤr die Ehre und den Vortheil der preußi- schen Waffen thun wuͤrde. Ich habe schon viel Gutes durch meinen Vetter (den Prinzen Louis , Sohn des Prinzen Ferdinand von Preußen) von Ihm gehoͤrt, lieber Laukhard, und hatte mir vorgenommen, fuͤr seine Loslassung von den Sol- daten zu sorgen. Nun zeigt sich aber eine Gelegen- heit, wobey Er dem Staate noch nuͤtzlich seyn kann, und bey dieser denke ich auch Sein Gluͤck zu ma- chen. Er ist frey: von diesem Augenblick an ist Er kein Soldat mehr. Jezt erklaͤre Er, ob Er das noch thun will, wovon die Rede ist? Ich : Ja, Gnaͤdigster Herr: ich werde mein Moͤglichstes thun, den Auftrag Ew. Koͤnigl. Ho- heit puͤnktlich auszufuͤhren. Kronprinz : Nun wohl, in Gottes Namen! Er soll sehen, daß ich nicht undankbar bin, und, daß ich Wort halte. Morgen fruͤh um 7 Uhr komme Er zu mir, dann soll Er Seine Instruktion haben. Ich ging: der Adjutant folgte mir, und gab mir einen Louisd'or; um mir mit meinen Kamera- den, wie er sagte, einen guten Tag zu machen. Als ich ihm aber vorstellte, daß es nothwendig Aufsehen machen muͤßte, wenn ich heute lustig lebte, und die Nacht zum Feinde uͤberginge, so gab er mir Recht, und ich ging mismuthig nach der Kompagnie. Wir hatten einen Burschen, welcher gar nichts verschweigen konnte. Diesen nahm ich mit zum Marketender, war aber immer still und unruhig. Auf sein Befragen, was mir denn waͤre, ant- wortete ich: daß er mir ja doch nicht helfen koͤnnte. Er : Wer weiß auch, Bruder! Ich : Nein, du kannst mir nicht helfen, aber wenn du mich nicht verrathen willst, so kann ich dir wohl sagen, was mir eigentlich ist. Er : Gott strafe mich, Bruder, wenn ich ein Wort sage! Ich : Sieh, du weißt, daß ich immer gut pa- triotisch war! Er : Ja, mein Seel', du hast oft geschwazt, wie ein Franzos. Ich : Nun schau, das Ding hat der Kronprinz erfahren, und laͤßt nun Untersuchung anstellen. Er meynt gar, ich habe mit den Patrioten zu Neu- stadt unter der Decke gesteckt. Er : deshalb sind die Herren immer bey dir gewesen! Ich : Freilich! Glaub nur, das Ding geht mir hoͤllisch im Kopf herum. Aber daß du ja nichts ausplauderst! Er : Der Teufel soll mich holen, Bruder! Nein, was ich weiß, erfaͤhrt kein Mensch: da soll mir lieber die Zunge erlahmen. Ich hatte dem Menschen den Unterricht von meiner Lage blos in der Absicht gegeben, daß er das Ding unter den Soldaten verbreiten sollte, und hatte mich nicht betrogen: denn ehe eine Stunde verging, wußte die ganze Kompagnie, daß ich der Patrioterey wegen angeklagt sey, und nun schwere Strafe zu erwarten haͤtte. Einige behaupteten, ich muͤßte Gassen laufen, andre aber, welche das Ding besser wissen wollten, sagten, daß ich gar koͤnnte gehenkt werden, wenigstens muͤßte ich zeitlebens in die Karre. Ich hoͤrte die laͤppischen Urtheile, und freute mich baß daruͤber. Denn nun fand das Vor- geben von meiner Desertion Glauben; und kam dann ein wirklicher Deserteur von uns nach mir nach Landau, so war ich vor ihm auch da sicher. Mein Hauptmann wußte das alles, sprach aber mit mir nicht ein Wort davon. Die Nacht brachte ich sehr unruhig hin: fruͤh schrieb ich noch einen Brief an Hn. Bispink , worin ich ihm meldete, daß man etwas Wichtiges mit mir vorhabe, woruͤber ich ihm, sobald es sich thun ließe, naͤhern Aufschluß geben wollte: nur moͤgte er bis dahin meinetwegen ganz unbekuͤmmert seyn. — Allein Hr. Bispink hatte schon einem Regimentsbothen etwas fuͤr mich mitgegeben; und nun hatte ihm mein Hauptmann zu seiner Beruhi- gung einige Auskunft mitgetheilt. Auch vorher hatte schon ein Unteroffizier von unsrer Compagnie, Namens Jakob , ihm geschrieben: ich haͤtte ihm aufgetragen, dem Hn. Bispink zu melden, daß ich die Nacht vom 26—27ten Sept. von der Piketwache nach Landau desertiren wuͤrde, u. s. w. Diesen Kunstgriff hatte der Unteroffizier zwar nur ergriffen, um Hn. Bispinks Guͤte auf meine Rechnung zu benutzen; aber gerade weil ein Unteroffizier ihm dieß gemeldet hatte, deutete er meine Desertion ganz richtig, jedoch mit vielem Befremden. Nichts hat mich nachher mehr geschmerzt, als daß ich die- sen braven Mann meinetwegen so lange in Unge- wißheit lassen mußte. Um 7 Uhr ging ich zum Prinzen von Hohen- lohe, der mich erst mit Malaga traktirte, und her- nach zum Kronprinzen fuͤhrte. Hier erhielt ich meine Instruction. Da es meinen Lesern gleich viel gelten kann, worin die Natur dieser Instruction bestanden habe, so werden sie sich begnuͤgen, wenn ich ihnen ganz kurz melde, daß mein Auftrag da- hin ging, die Festung Landau ohne militaͤrische An- griffe an die Preußen zu bringen, und zwar — durch Geld. — Ob ich gleich viel Vertrauen auf den Muth und die Ehrlichkeit der Republikaner hatte, so wußte ich doch auch, daß Geld alles vermag, und daß der Dichter recht sagt: Aurum per medios ire satellites Et perrumpere amat saxa, potentius Ictu fulmineo: concidit Auguris Argive domus ob lucrum Demersa excidio: dividit urbium Portas vir macedo, et subruit aemulos Reges muneribus. Und da man eine sehr große Summe bestimmt hatte, um zum Ziele zu gelangen, so verzweifelte ich nicht ganz an dem guten, das heißt, gewuͤnsch- ten Ausgang meines Auftrags. Der Kronprinz sprach weitlaͤufig, uͤber zwey gute Stunden, waͤhrend ich mit ihm fruͤhstuͤckte, uͤber die Angelegenheiten, welche mich zunaͤchst an- gingen, und dann uͤber das Allgemeine. Alle seine Urtheile waren richtig und bestimmt, und man merkte wohl, daß er sich in den oͤffentlichen Ge- schaͤften fleißig umgesehen hatte. Besonders hat mich der herablassende, sanftmuͤthige, von allem Stolz entfernte Karakter dieses Fuͤrsten entzuͤckt. „Wir sehen uns gewiß noch vor Weinachten wie- der, sagte er zu mir, und dann reiset Er mit mir nach Berlin, und geht dann nach Halle, wenn Er will.“ Der treffliche Prinz konnte nicht voraus se- hen, daß ich von damals an 18 Monate in der Ge- walt der Franzosen wuͤrde bleiben und unter staͤter Todesgefahr herumirren muͤssen. Nachdem ich uͤber den ganzen Inhalt meiner geheimen Sendung unterrichtet war, empfahl ich mich, und ging. Der Prinz von Hohenlohe be- gleitete mich, und haͤndigte mir eine Hand voll Gold ein, wovon ich in Landau leben sollte. Ich ging mit dem Prinzen nach seinem Zelte, wo er mir ein Billet einhaͤndigte, welches ich an den Hn. Major von Wedel , der damals unser Bataillon kom- mandirte, abgeben sollte. Dieser rechtschaffne Mann sah mich sehr mitlei- dig an, als er das Billet gelesen hatte, und sagte woͤrtlich weiter nichts, als: wenns dann so seyn muß, so mag es so seyn! Guter Laukhard, Er geht diesen Abend nach Nußdorff; es wird Ihn nie- mand aufhalten: das uͤbrige werd' ich schon be- stellen. Den Tag uͤber hielt ich mich sehr ruhig: gegen Abend ging ich aus dem Lager mit Sack und Pack: denn ich gab vor: ich muͤßte jemand auf dem Piket abloͤsen. Man ließ mich ohne Umstaͤnde passiren. In Nußdorf fand ich meinen Hauptmann, den Hn. von Mandelsloh , welcher durch den Hn. Ma- jor von Wedel von allem unterrichtet war. Er zog mich auf die Seite: ich weiß alles sagte er, also brauchen wir nicht viel Erklaͤrung. Jezt geh Er nur nach der untern Wache, und bleib Er da, bis ich komme. Unsre Leute hatten eben einen Keller aufgewittert, worin noch Wein war, und holten diesen in großen Haͤfen auf die Wache, wo er unmaͤßig gesoffen wurde: ich aber hatte nicht das Herz, einen Tro- pfen mitzutrinken, ging daher in ein Nebenhaus, wo ich nur eine Mos brockel machen ließ. Von meinen Sachen wollte ich nichts mitnehmen, als meine Waͤsche und einen hebraͤischen Psalter, welchen mir Herr Bispink auf mein Bitten geschickt hatte. Ich habe diesen Psalter hernach auf meinen Turen durch Frankreich immer mit herumgetragen, und erst bey meiner Zuruͤckkuuft aus diesem Lande einem Freunde geschenkt. Die hebraͤische Sprache hat mir immer gefallen, nicht wegen des in derselben verfaßten alten Testaments, wo freilich manche huͤbsche Urkunde, vermischt mit unzaͤhligen Fra- tzen und Thorheiten vorkommt, sondern wegen der großen Simplicitaͤt derselben. Gegen 12 Uhr des Nachts kam Hr. von Man - delsloh , mein Hauptmann und noch ein Major von dem Regiment von Wolffmansdorff. „Lauk- hard kann mit uns gehen, sagte der Hauptmann: er kann Ordonnanz machen: wir wollen ein wenig die Posten visitiren.“ Ich legte meine Tasche ab, nahm nichts als Tornister und Seitengewehr, und begleitete die Herren. Wir gingen gerade zum Dritter Theil. Kk Dorf hinaus auf die Landauer Straße, und mei- nem braven, mitleidigen Hauptmann war das Herz so beklommen, daß er kaum reden konnte. Der Major fuͤhrte also das Wort, und sprach sehr viel uͤber die Schuldigkeit des Soldaten, sein Le- ben fuͤr seinen Herrn zu wagen. Ich fand dieses Gespraͤch fuͤr mich damals eben nicht sehr pas- send, und remonstrirte so lange, bis der Major mir zugab: daß der Soldat erst dann sein Leben nach Recht und Pflicht wagen muͤsse , wenn er selbst einsehe, daß sein Herr fuͤr eine durchaus ge- rechte Sache mit den Waffen auftrete. — Auch wollte der Hr. Major nicht zugeben, daß ein Herr eben darum gehalten sey, seinen Soldaten die Ur- sachen anzugeben, warum er Krieg anfange, oder warum er diesem oder jenem Huͤlfsvoͤlker gebe. Allein ich versezte, daß der Soldat, der ohne zu wissen, warum, in den Krieg ziehen muͤsse, nie- mals mit soviel Muth und Zutrauen fechte, als der, welcher von der Gerechtigkeit und Nothwen- digkeit des Krieges uͤberzeugt sey. Major : Ja gut; aber wer, beym Henker, kann denn jedem Soldaten das vordemonstriren? Ich : Es ist gar nicht noͤthig, daß man jeden gemeinen Soldaten, oder auch nur jeden Offizier von den Ursachen des Krieges uͤberzeuge: das muß einigemal oͤffentlich geschehen, und dann wird es sich bis zum Tambour und zum Packknecht bald und pfeilschnell verbreiten. Major : Aber wie soll denn die oͤffentliche An- zeige geschehen? Ich : Einmal durch ein Manifest an die Armee, worin die Gruͤnde, welche den Fuͤrsten zum Krieg bewegen, enthalten waͤren. Diese muͤßten genau und deutlich aus einandergesezt und so dargestellt werden, daß sie allgemein einleuchteten, und dann an sich schon so beschaffen seyn, daß sie auch Eindruck auf den Soldaten machen koͤnnten: Bey jeder Kom- pagnie muͤßten eins oder zwey Exemplare vertheilt werden, und dann lernten die Soldaten sie, nach ihrer bekannten Neugierde in solchen Dingen, gewiß bald auswendig. Hernach hat man ja auch die Herren Feldprediger, die doch mit ihren gewoͤhnli- chen Predigten wenig Nutzen stiften. Diese Her- ren muͤßte man anhalten, uͤber die Pflicht, ta- pfer, beherzt und treu zu seyn, oͤfters Reden zu hal- ten: die Beweggruͤnde dieser Reden muͤßten nicht hergenommen werden aus der Bibel, oder aus der allgemeinen Pflicht, seinem Eyde treu zu seyn, sondern aus der Natur des jedesmaligen Krieges, und aus den Ursachen, warum man gerade jezt Krieg fuͤhren wolle. Freilich muͤßten die meisten Herren Feldprediger alsdann mehr studiren, als sie jezt thun; auch muͤßten die Gruͤnde nicht nach der gewoͤhnlichen Herrscher-Diplomatik riechen, sondern gerecht, und wahr seyn, so daß ein - cher Mann sie ehrlich vortragen, und von ihrer mo- tivirten Darstellung das erwarten koͤnnte, was Viele nach dem hergebrachten Herrscherwahn entweder von dem Nimbus ihrer Macht, oder von der Rhe- torik des Korporalstocks sich versprechen, aber ge- woͤhnlich so finden, wie bisher. Auch der ge- meinste Mann ist mehr als Maschine, zumal jezt unter der Gegenfeile der Franzosen. Die Zeit wird mich rechtfertigen. Major : Er kann recht haben, Laukhard, — aber die Kriegsplane duͤrfen doch niemals bekannt gemacht werden. Ich : Das versteht sich allein: die Ursachen, warum man Krieg fuͤhrt und die Art, wie man ihn fuͤhrt oder fuͤhren will, sind sehr verschieden. Jene muͤssen jedem Soldaten genau bekannt seyn d. h. jeder Soldat, der halbwege Nachdenken hat, muß einsehen, daß er fuͤr die gerechte Sache ins Feld zieht: aber die Plane — darf nur der Feld- herr wissen. u. s. w. Unter diesem Gespraͤche kamen wir eine gute Strecke von Nußdorff ab. Es begegnete uns eine Patrouille, welche uns berichtete, daß in der Tiefe alles ruhig sey. Nun, sagte Hr. von Mandels - loh , so begleiten wir unsern Laukhard noch eine Strecke. Die Franzosen werden uns nicht gleich haschen. — Es war herrliches Wetter und licht- heller Mondschein. Wir gingen sachte weiter. Endlich ermahnte ich die Herren selbst, zuruͤckzuge- hen, indem man nicht wissen koͤnne, was hie oder da aufstoße, oder im Hinterhalte laure. Die Her- ren sahen die Nothwendigkeit, zuruͤckzukehren, selbst ein, gaben mir noch manch nuͤtzlichen Rath, wuͤnschten mir gute Verrichtung und damit Gott empfohlen. Der lezte Handdruck meines biedern Hauptmanns war herzig, aber noch herziger sein Antrag, hier noch mitumzukehren, wofern ich in meinem Entschlusse nur das mindeste wankte, oder ihn bereute. Allein meine Antwort war eben so kurz als entschlossen diese: „Ein ehrlicher Mann haͤlt Wort, und wenns sein Leben kosten sollte!“ Zwei und vierzigstes Kapitel. Mein Uebergang zu den Franzosen . K aum war ich dreißig Schritte vorwaͤrts gegan- gen, als eine franzoͤsische Patrouille von drey Dra- gonern auf mich zukam, und mir ihr qui vive? (wer da?) zurief. Ich gab mich sofort fuͤr einen preußischen Deserteur an. Sois le bien venu! rief ein Dragoner: komm naͤher! Aber Kerl, Du sprichst franzoͤsisch: bist wohl gar ein Franzose? Ich : Warum nicht gar: ich bin ein Deutscher! Drag : Aber sacré mâtin, Sacré mâtin, chien, sacrée garce, sacripie, sacré soutage, sacrée merderie, und tausend andere Floskeln sind die Wuͤrze fuͤr die republikanische Sprache des gemeinen Volks in Frankreich. Im Jahr 1793 und 1794 waren diese Floskeln mit ein Beweis des hten robespierrischen Patriotis- mus. Ich liefre weiterhin uͤber diese unanstaͤndige Verbraͤ- ung der franzoͤsischen Sprache ein eignes Kapitel. Du sprichst ja fran- zoͤsisch: wo hast Du das gelernt? Ich : Meint Ihr denn, daß die Deutschen nicht auch franzoͤsisch koͤnnen? Drag : Vi v e la Nation! Kamerad, Du mußt Du sagen! fouttre! Du bist bey Republikanern; die sagen alle Du. Also Du bist kein Franzos? Ich : Nein! ich hab's ja schon gesagt. Drag : Gut! Du bist ein braver Junge, daß Du deinen Tyrannen verlassen hast. ( d'Avoir foutu le camp à ton tyran ) Aber wo sind denn Deine Kameraden? Ich : Was fuͤr Kameraden? Drag : Sacré mâtin, ich habe doch welche sprechen hoͤren! Ich : Ich habe so fuͤr mich getrallert. Drag : Nein: es waren mehrere Stimmen. Ich muß wohl nachsuchen. Zwey Dragoner sprengten wirklich fort, und suchten, ob noch jemand in der Naͤhe waͤre. Man stelle sich meine Angst vor: denn es war ja leicht, sehr leicht moͤglich, daß mein Hauptmann und der Major erhascht, und eingebracht wurden, und dann — war Laukhard geliefert. Ein Dragoner blieb in- zwischen bey mir, und sprach sehr freundlich. End- lich nach langem Hin- und Hersuchen kamen die bey- den andern zuruͤck, und versicherten, daß doch nichts da waͤre: es muͤßte vielleicht eine feindliche Patrouille gewesen seyn. Nach meiner Zuruͤckkunft nach Halle erfuhr ich von dem Hn. Hauptm. von Mandelsloh , daß ihnen die Dragoner wirklich auf den Hals gekommen waͤren, daß sie sich aber in die Weinberge versteckt haͤtten, um nicht ent- deckt zu werden. Sie waren beyde unbewaffnet, hatten nichts als ihre Degen, und waͤren da ohne Umstaͤnde gezwungen gewesen, sich nach Landau fuͤhren zu lassen. Gut nur, daß dieses nicht ge- schehen ist! Meine Dragoner fuͤhrten mich auf die kleine Schanze vor dem deutschen Thore, wo ein Haupt- mann und ein Leutnant das Kommando hatten, und wo 50 Mann zur Wache waren. Der Haupt- mann war froh, daß ich mit ihm reden konnte — er war vom zweyten Bataillon La Correze — und unterhielt sich mit mir die ganze Nacht. Der Leut- nant saß da, und las in der franzoͤsischen Ueber- setzung des Fraͤuleins von Sternheim. Die Sol- daten legten mir hundert Fragen vor, welche ich beantworten mußte, die ich aber so beantwortete, wie es mir zutraͤglich schien. Ich bediente mich hier der Ausdruͤcke, Monsieur, Messieurs, avoir la grace, la bonté, de ermettre u. dgl. aber der Hauptmann bath mich, alle Freyheitstoͤdtende Ausdruͤcke ( termes erticides ) nicht mehr zu gebrauchen. „Du bist jezt, sagte er, im Lande der Freyheit, mußt also auch reden, wie ein freyer Mann.“ Ich : Das ist wohl wahr: aber Dir z. B. bin ich doch Respekt schuldig. Er : Gerade so viel als ich Dir. Bin ich Dein Herr? Oder hab' ich Dir zu befehlen? Ich : Du bist aber doch Hauptmann! Er : Und Du bist Mensch, und das ist hinlaͤng- lich, um frey zu seyn, und von Niemanden abzu- haͤngen. Aber ich merke lieber Freund, Du hast noch keinen Begriff von der Freyheit. Wenn Dir's nicht zuwider ist, so will ich Dir hieruͤber einige Auskunft geben. Sag mir einmal, darfst Du steh- len? Ich : Bewahre! Stehlen darf Niemand. Er : Warum nicht? Ich : Weils nicht recht ist. Er : Gut: woher weißt Du, daß es nicht recht ist? Ich : Weil es der Vernunft und dem natuͤrli- chen Gesetz zuwider ist. Er : Das ist nicht richtig gesprochen: Es muß heißen: weil es dem geschriebnen Gesetz zuwider ist. Verstehst Du mich? Ich : O ja, aber das Naturgesetz muß doch die Grundlage aller geschriebnen Gesetze seyn. Er : Das gehoͤrt alleweile nicht hieher, so wahr es sonst ist. Das Naturrecht bildet keine Gesell- schaft: wo aber Gesellschaft ist, da giebt es posi- tive Gesetze, und es muß sie geben: und was diese befehlen, das ist recht und erlaubt und was sie ver- bieten, ist unrecht, und nicht erlaubt. Jezt will ich Dir auch sagen, was Freyheit ist. Freyheit heißt das Vermoͤgen, blos nach solchen Gesetzen zu leben, welche vernuͤnftig und dem gemeinen We- sen nuͤtzlich sind. Sklaverey hingegen heißt von Gesetzen abhaͤngen, welche absurd, unbillig, un- gerecht u. s. w. sind. Hast Du mich verstanden? Ich : O ja, ich bitte, nur fortzufahren. Er : Du siehst also, daß Freyheit keine Gesetz- losigkeit ist, und nichts weniger mit sich bringt, als das Vermoͤgen, willkuͤhrlich zu handeln, oder seinen besondern Willen dem allgemeinen Willen vorzuziehen: jeder muß sich dem allgemeinen Wil- len unterwerfen. Ich : Was verstehst Du unter allgemeinem Willen? Er : Darunter verstehe ich den Willen der Na- tion, auf diese oder jene Art als Nation zu existi- ren. Die Modifikation dieser Existenz macht den Grund aller Gesetze aus: sie ist die Grundlage der oͤffentlichen Ruhe, und darf folglich von keinem einzelnen Mitgliede uͤbertreten, veraͤndert, oder verdreht werden. Nun glaube ich, hast Du eini- gen Begriff von der Freyheit, welche die Franzo- sen einfuͤhren wollen. Ich : Aber seyd Ihr denn jezt frey? Er : Wie man es nehmen will. Unsre gesetz- gebende Macht hat die Nothwendigkeit eingesehen, Gesetze und Verordnungen zu machen, welche mit der vernuͤnftigen Freyheit der Buͤrger nicht bestehen koͤnnen. Dergleichen Verordnungen haben wir viele. Ich : Also seyd Ihr ja nicht frey! Er : Hoͤre, Freund, wenn Du das Fieber hast, und wirklich Koͤnig bist: bist Du da frey? Antwort: nein! Frankreich hat jezt das Fieber: Frankreich liegt im schrecklichsten Paroxismus, dessen Krisis sich fuͤrchterlich aͤußert: und nun uͤberlege, ob da die friedliche Lage der Freyheit in vollem Maaße, so wie wir sie wuͤnschen, und mit der Zeit haben werden, jezt schon Statt haben koͤnne? Ich : Da Ihr aber diese schreckliche Krisen, die- sen Paroxismus zum voraus sehen konntet, warum finget Ihr Eure Revolution an? Er : Dieser Paroxismus ist nicht ganz Folge der Revolution. Warum kamen Eure Fuͤrsten, uns zu stoͤhren, und dadurch unsern Zustand zu ver- schlimmern und zu verlaͤngern? Warum mußten unsre Großen, unser Capet, unsre Adlichen, unsre Pfaffen Rebellion und Blutvergießen stiften, unter der Hand unterhalten und dadurch die Revolutions- gesetze, die tribunaux révol u tionnaires, die Gillo- tine, die Fuͤseliaden und andre scheusliche Auftritte nothwendig machen? Die Revolution an sich war an dem großen Ungluͤck, das unser Land betroffen hat, und das wahrscheinlich noch einen großen Theil von Europa niederdruͤcken wird, nicht allein Schuld. Ich : Du bekennst also doch, daß die Revolu- tion gelegentlich großes Ungluͤck uͤber Frankreich gebracht hat: also ist sie gegen Eure Erwartung anders ausgefallen, als sie sollte. Er : Ganz und gar nicht. Man hat, wenig- stens haben gescheide Koͤpfe diese Folgen groͤßten- theils voraus gesehn. Aber es mußte einmal bre- chen. Wir sind nicht allein fuͤr uns da; wir muͤs- sen auch auf unsre Nachkommen bedacht seyn. Ein Volk ist anzusehen, wie Ein Koͤrper , der viele Jahrhunderte lebt. Wenn daher an diesem Koͤrper brandartige Glieder sind, so muß man diese weg- schaffen, gesezt auch, es muͤsse frisches Fleisch mit abgeschnitten werden. Ich : Ich verstehe Dich: Du meynst den Adel — Er : Nicht den Adel allein; ich meyne alle die, welche an der unrechtmaͤßigen Obergewalt unsrer Tyrannen Theil hatten, und ihre Buͤbereyen unter dem Schutz der willkuͤhrlichen Einrichtung eines Einzigen veruͤbten. Und diese waren vorzuͤglich die Pfaffen, die Edelleute, die Paͤchter, die Mono- polisten und anderes unzaͤhliges Gesindel, welches nun zerstoͤhrt und zertruͤmmert ist. Ich : Und Ihr fuͤrchtet Euch nicht, daß alles dieses wieder hergestellt werden koͤnne? Ihr be- denkt nicht, daß Ihr alsdann noch weit mehr ge- druͤckt seyn werdet, als Ihr es jemals unter Euren Ludwigen waret? Er : Eben weil wir dieses denken, bieten wir alles auf, um jenem vorzubeugen, fest entschlossen, entweder Alles zu verlieren oder Alles zu gewinnen: ein Mittelweg ist fuͤr uns schon unmoͤglich gewor- den, und dieß vorzuͤglich durch das Versehen Eurer Fuͤrsten. Dieß sieht der groͤßere und edlere Theil unserer Nation lange ein; und darum bemuͤhen sich Eure Fuͤrsten zu ihrem eignen Ruin sehr thoͤrigt, uns wieder zu irgend einer Art von willkuͤhrlicher Tyranney zuruͤckzubringen. Ich : Man ist aber im Kriege niemals wegen des Erfolges sicher: es koͤnnte doch geschehen, daß die vereinigte Macht so vieler Fuͤrsten endlich eine allgemeine Veraͤnderung in Eurem jetzigen Systeme hervorbraͤchten. Denn erstlich — Bisher hatten alle Soldaten geschwiegen, und aufmerksam zugehoͤrt; aber bey meiner lezten Aeuße- rung fingen alle an zu murren, und ein ganz junger Volontaͤr sagte mir in recht barschem Ton: „Du sollst sehen, Citoyon, daß alle Koͤnige und alle Pfaffen und alle Edelleute nicht im Stande seyn werden, uns zu besiegen. Frey wollen wir blei- ben, oder sterben.“ Ja das wollen wir, riefen alle. — Wer uns besiegen will, fuhr der Volontaͤr fort, muß unser ganzes Volk ausrotten, aber das soll und kann weder der Teufel, noch der Papst, noch sonst ein Tyrann! Ich fand nicht fuͤr gut, den Volontaͤrs die Moͤglichkeit einer gaͤnzlichen Nieder- lage von ihrer Seite weiter zu zeigen, und ver- sicherte sie, daß ich selbst nichts sehnlicher wuͤnschte, als daß das angefangne gute Werk Bestand haben und alle seligen Fruͤchte bringen moͤgte, welche Frankreich davon erwartete. Ich nehme Dir's nicht uͤbel, versezte der Volontaͤr, daß Du so sprichst, wie Du gesprochen hast: Du kommst von den Tyran- nen her, und wie kann man in der Sklaverey ler- nen, vernuͤnftig und frey zu denken! Der Hauptmann fragte mich, ob ich Hunger haͤtte. Ich verneinte es. Nun trinken wirst Du doch eins, nicht wahr? Kameraden, fuhr er fort, indem er sich zu den Soldaten wendete, geh doch einer, wer will, hin und hole eine Feldflasche voll Wein! Ich habe noch eine hier, schrie ein Volontaͤr: die steht Dir zu Willen. Man bemerke, daß man in Frankreich nicht mehr à votre service, sondern à la volari Er brachte sie, und wir fingen an zu trinken. Ich mußte mich besonders uͤber das anstaͤndige Betragen dieser Leute wundern. Es herrschte un- ter ihnen die trefflichste Ordnung, und die strengste Disciplin. Ganz anders hatte man uns die fran- zoͤsische Zucht vorgeschildert: da waren es Leute, welche von gar keiner Subordination wuͤßten; die thaͤten, was sie wollten, die auf den Befehl ihres Offiziers nicht hoͤrten und was des albernen Vor- gebens mehr war. Allein hier sahe ich zum ersten- mal, gegen meine Erwartung, wie es wenigstens im Dienste so ordentlich bey den Franzosen zuging, als es bey den Preußen je zugehen kann. Ich werde in der Folge von der Subordination und dem patriotischen Diensteifer der Franzosen noch mehr reden, und einige specielle, sehr interessante, That- sachen davon anbringen. Hier bemerke ich nur noch so viel, daß im Dienst alle Subordination im aller- strengsten Verstande ausgeuͤbt wird, und daß doch dabey der Offizier nicht im geringsten den Tyran- nen machen kann. Ich weiß es noch gar gut, daß man bey den Preußen einen gewaltigen Unterschied zwischen guten und boͤsen Offizieren macht; aber in Frankreich ist dieser Unterschied nicht ein- mal denkbar. Hier findet gar keine Willkuͤhr statt: uͤberall herrscht und entscheidet das Gesetz. Das Gesetz kennen alle: alle finden es gut und nothwen- wendig; und so beeifert sich jeder, dem Gesetz zu gehorchen. Aber unter dem Gesetz steht der Offi- zier so gut, als der Volontaͤr: was das Gesetz vorschreibt erkennen beyde fuͤr Recht und Pflicht; und uͤber dieß hinaus vermag die Willkuͤhr nichts. Was kuͤmmert's also den Soldaten in Frankreich, ob sein kommandirender Offizier ein Isegrimm oder ein Engel ist! Der Soldat muß seine Pflicht thun: davon kann ihn der Offizier nicht freysprechen; und als Patriot im aͤchten Wortverstand thut er sie gern. Erlaubte Dinge duͤrfen ihm uͤbrigens nicht verbo- ten, und unerlaubte nicht gestattet werden: und damit ist's alle. Die Strenge der preußischen Disciplin, vor- zuͤglich in Wesel, muß den Franzosen uͤberhaupt scheuslich genug beschrieben seyn: denn hier fragten sie mich fleißig, wie viel Hiebe der preußische Sol- dat taͤglich bekomme? Ob denn ihr Kommißbrod in der That uͤber allen Glauben schlecht sey? u. s. w. — Ich mußte die ganze Nacht herhalten und plau- dern; aber ich that das gern, indem schon hier mir manches Vorurtheil verschwand, welches ich in Absicht der Franzosen noch hatte. Fruͤh sagte mir der Hauptmann seinen Namen, bath mich, ihn zu besuchen, wenn er abgeloͤßt seyn wuͤrde, und darauf ließ er mich durch einen Vo- lontaͤr, aber ohne Gewehr, zum General Laubadere, dem Volksrepraͤsentanten Dentzel und dem Kriegs- kommissarius, dessen Namen ich vergessen bin, ab- fuͤhren. Wie ich diese Leute gefunden, wie meine Mission abgelaufen, in welche Gefahren und Ge- genden sie mich getrieben, kurz, wie es mir 18 Monate hindurch in Frankreich ergangen; was ich da gehoͤrt und gesehen; wie die Nation sich ver- aͤndert und von neuem organisirt habe im Buͤrger- lichen, Militaͤrischen, Wissenschaftlichen, Oeko- nomischen, Merkantilischen und Moralischen; — wie und wodurch ich aus Frankreich befreyet, was fuͤr Schicksale mich auf meiner Reise nach Deutsch- land, und bey den Schwaͤbischen Kraistruppen be- troffen; wie ich auch von diesen losgekommen und endlich wieder nach Halle zu meinem ehrlichen, b e- dern Bispink gewandert bin; was ich da jezt treibe — das alles ist schon beschrieben, und er- scheint naͤchstens im folgenden Bande. Ende des dritten Theils . Verbesserungen der Druckfehler. Seite 10 Zeile 11: ausarteten. — 21 — 18: zu rufen. — 24 — 3: haͤtten. — 30 — 1: Dunkel. — 32 — 2: der schrecklichsten — 52 — 14: à deux. — 58 — 9: ubersehen, sie, die sich. — = — 11: Nur. — 59 — 4: G ani kannte diesen. — 96 — 20: Lig urmeister. — 186 — 16: welche Preußen. — 192 — 25: Laͤ tige zu — 195 — 2: all des Elend. — 197 — 14: allen. — 221 — 15: und die ist. — 223 — 12: ihres Gleichen haben. — = — 14: die Gefahren habe. — 227 — 5: encore soir pour tous les Jours. — 230 — 15: armen Leute. — 231 — 17: ganz abg e schlagen haben. — 266 — 14: in einer kleinen. — 280 — 20: gezuͤchtigt worden waren. — 300 — 13: dergleichen gern. — = — 15: wenn es dieselbe auch gleich — 319 — 13: Buͤrge n. — 321 — 2: Baccaracum. — 323 — 15: Maper . — 335 — 6: Dieser. — 336 — 3: Er ist. — 383 — 21: besche iret. — 388 — 11: kommentirte.