Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Vaterländischer Roman von W. Alexis (W. Häring). Erster Band. Berlin. Verlag von Carl Barthol. 1852 . Dr . Jonas Cenarius fragte Dr . M. Luther um Rath: Es wäre ein Schulmeister in Schlesien, nicht ungelehrt, der hatte ihm fürgenommen, eine Comödie im Terentio zu agiren und zu spielen. Viel aber ärgerten sich daran, gleich als gebühre einem Christen-Menschen nicht solch Spielwerk aus heidnischen Poeten. Was er, Dr . Luther, davon hielte? Da sprach er: Comödien zu spielen soll man um der Knaben willen in der Schule nicht wehren, sondern gestatten und zulassen. Erstlich daß sie sich üben in der lateinischen Sprache. Zum andern daß in Co¬ mödien fein künstlich erdichtet, abgemahlt und fürgestellt werden solche Personen, dadurch die Leute unterrichtet, und ein jeglicher seines Amts und Standes erinnert und vermahnt werde, was einem Knechte, Herrn, jungen Ge¬ sellen und Allen gebühre, wohl anstehe und was er thun soll. Ja, es wird darinnen fürgehalten und für Augen gestellet, aller Dignitäten Grad, Aemter und Gebühr, wie sich ein jeglicher in seinem Stande halten soll im äußer¬ lichen Wandel, wie in einem Spiegel. Zudem werden darin beschrieben und angezeigt die listigen Anschläge und Betrug der bösen Bälge. Desgleichen was der Aeltern und jungen Knaben Amt sei: wie sie ihre Kinder und jungen Leute zum Ehestande ziehen und halten, wann es Zeit mit ihnen ist, und wie die Kinder den Eltern ge¬ horsam sein und folgen sollen. Solches wird in Comödien fürgehalten, welches denn sehr nützt und wohl zu wissen ist. Denn Polizeien und weltliche Regimenter können nicht bestehen, noch erhalten werden, denn durch den Ehe¬ stand. Und Christen sollen Comödien nicht ganz und gar fliehen, darum daß bisweilen Buhlerei und grobe Zoten darinnen seien, da man doch um derselben willen die Bibel nicht dürfte lesen. Darumb ists nichts, daß sie solches fürwenden, und um der Ursach willen verbieten wollen, daß ein Christ nicht sollte Comödien lesen und spielen. Dies zu Nutz und Trost derjenigen Leserinnen, die vor Einigem in dem folgenden Roman auf den ersten Blick zurück schrecken dürften. Denn wären zu Luthers Zeiten schon Romane gewesen, würde er dasselbe über sie gesagt haben. — Es war unerläßlich. Unternimmt die Dichtung eine Zeit, die nicht mehr ist, in ihren großen Lineamenten darzustellen, so wird sie erst klar und ver¬ ständlich, wenn sie zugleich das bürgerliche, das Familien¬ leben, die Sitte in den Pallästen und Hütten zur An¬ schauung bringt. Der Zustand moralischer Zerrüttung und Verwesung, der Preußens Niederlage möglich machte, seiner Erhebung voranging, wird erst verständlich, wenn wir die damaligen socialen Zustände unverhüllt ins Auge fassen. Noch lebende Zeugen geben dem Dichter das Zeugniß, daß er nicht das Dunkle schwarz gemalt, daß er aus den historischen Gestaltungen, welche der alte Blücher in seiner Kernsprache „eine boshafte Rotte nie¬ derer, verfluchter und an Leib und Geist kranker Faul¬ thiere“ titulirte, nur Schlaglichter aufnahm, welche den wirklichen Zustand ahnen lassen, nicht ihn conterfeien. Und seit der Roman geschrieben ist — seine Conception datirt von weit früher, die Ausarbeitung ist das Werk von Jahren — ist ein vielgenanntes Buch erschienen, welches Aktenstücke, Zeugnisse von Zeitgenossen, über ein¬ ander schichtet, deren Wahrheit von einer Art ist, daß die Dichtung, ohne Versündigung gegen sich selbst, nicht wagen dürfte sie unverhüllt vorzuführen. Ueber diesen Vorwurf — der aus dem Vergleich mit seinen früheren vaterländischen Romanen entspringt, — glaubt der Verfasser unbekümmerter hinweggehn zu dürfen, (die Leserinnen mögen es, wenn sie den ersten Theil über¬ schlagen) als über einen andern, den diese Vergleichung vielleicht hervorruft. Jene heitern zufrieden stellenden Bilder aus unserer Vorzeit erwarte man nicht in einem Gemälde aus der Zeit vor fünfzig Jahren. Nicht den Abendsonnenstrahl der durch die hohen Kieferwälder auf eine grüne Oase fällt und beim Gesang der Vögel die Steppe umher uns vergessen läßt, nicht jenes heimische Gefühl, wo die Sitte die Roheit gebändigt, die gemüth¬ liche Häuslichkeit die Unwirthlichkeit verbannt hat. Der moralische Flugsand hat über die Cultur eine andere Wildniß und Steppe gebreitet, eine Versumpfung der fließenden Gewässer, mit einer schillernden, bunten Decke. Wir dürfen hier nicht mehr nach Bildern „aus dem Volke“ suchen, sondern sind auf Bilder „aus der Gesellschaft“ hingewiesen, wenn wir nicht in völliger Mißkennung der Verhältnisse ein gänzlich falsches Bild der Zeit entwerfen wollen. Da mag denn das Gefühl, das keinen andern Leiter in sich findet, nicht im Zurückblick auf eine hellere Vergangenheit, nicht in dem Hinausblick auf eine reinere Zukunft, in dem Miasma wohl manchmal ein Unbehagen empfinden. Es ist nun einmal nicht anders; auch die Dichtung darf die Atmosphäre der Geschichte nicht anders machen als sie war. Diejenigen aber, die nicht den Muth haben von einer trüben Vergangenheit den Schleier gelichtet zu sehen, entbehren auch des Trostes, der uns andre in der Gegenwart aufrecht erhält, daß wieder eine Zukunft unserm Vaterlande kommen wird, wo wir auf das Jetzt in der sittlichen Ruhe und Fassung zurückblicken können, wie wir es ehegestern konnten auf das vor fünfzig Jahren. Berlin . Im März 1852. W. H. Erstes Kapitel. Die Kindesmörderin. „Und darum eben,“ schloß der Geheimerath. In seiner ganzen Würde hatte er sich erho¬ ben und gesprochen. Charlotte hatte ihn nie so gesehen. Der Zorn strömte über die Lippen, bis vor dem Redefluß des Kindermädchens allzeit fertige Zunge verstummte. Sie war erschrocken zurückgetre¬ ten, bis sie sich selbst verwundert an der Thüre fand; aber der Geheimerath schritt noch in der Stube auf und ab. Charlotte hatte leise zu weinen angefangen: „Aber Herr Geheimerath, um solche Kleinigkeit!“ „Eine Kleinigkeit die Angst besorgter Eltern um ihre Kinder! — Fünf Stunden von Hause fort ohne eine Sterbenssylbe mir zurückzulassen, und die Klei¬ nen mitgenommen, ohne um Erlaubniß zu fragen!“ „Herr Geheimerath, schluchzte sie, haben nie nach gefragt, ich weiß auch gar nicht warum jetzt!“ „Schweige Sie! fuhr der Hausherr fort. Sie hat kein Einsehen, keine Moralität. Sie mißbraucht I . 1 meine Güte. Sie muß aus meinem Hause. Es haben sich schon Viele gewundert, daß ich Sie noch behielt. Aber Sie schlägt mit Ihrer Unverschämtheit den Boden aus dem Faß. Versteht Sie mich! Ein Glück noch, daß wir vom Viertelcommissar erfuhren, daß Sie zur Execution hinaus war, wir hätten sonst gar nicht gewußt, wo Sie geblieben war.“ „Wenn das die selige Frau Geheimräthin wüßte, schluchzte das Mädchen, das war eine seelensgute Frau. Und wie oft hat sie gesagt: wenn wir nicht wären, mein Mann kümmert sich gar nicht um die Kinder. Ja das hat sie gesagt, nicht einmal , hun¬ dert Mal. Und haben Herr Geheimrath jetzt auch nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben aber sagten die selige Frau Geheimräthin: er hat kein Herz für sie! und es war eine Frau, so sanft wie die himmlische Güte, und viel zu gut für diese Welt, und wer nur ihre stillen Thränen gesehen hat, die sie Nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott sie zu sich, und sie würde sich im Sarge umdrehn, wenn sie wüßte, daß Herr Geheimerath mir darum solchen Affront anthun.“ Charlotte mußte die schwache Seite des Haus¬ herrn kennen. Er wandte sich um, und fuhr mit dem Taschentuch über das Auge, ob, um eine Thräne abzuwischen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß ich ungesagt. An der Wand hing das Bild der Verewigten, in sehr abgeblaßten Wasserfarben ge¬ mahlt, ein eben so abgeblaßter Immortellenkranz darum. Darunter hing eine andere Schilderei, eine Urne, mit einer Trauerweide. Ein Genius senkte eine Fackel. Das Bild war auf Pappe gezogen, und wenn man näher hinzusah, bemerkte man, daß in der Urne ein Medaillon angebracht war, in welchem ei¬ nige blonde Haare zu einem Namenszuge sich ver¬ schlangen. Der Geheimerath nahm es heraus und drückte es an seine Lippen. „O du Unvergeßliche! sagte er, noch einmal mit dem Tuch über die Augen fahrend. Sein Zorn war gewichen; in weicherem Tone fuhr er fort: Aber Charlotte, wie oft habe ich Ihr gesagt, Sie soll mich nicht immer daran erinnern. Ein Mann in meiner Stellung darf sich nicht den Gefühlen hingeben. Aber Sie weiß das wohl, Sie braucht mich nur an die selige Gute zu erinnern, so tritt mir's in die Augen. Sie führt sich auf, als wenn Sie die Hausfrau wäre — und ist doch nur eine — Sie ist eine —“ Dem Geheimerath war jetzt wirklich etwas in die Augen getreten, was er daraus fortzuwischen suchte, und darüber in Heftigkeit gerieth. Es war der dicke Staub aus der Schilderei, als er das Me¬ daillon mit Gewalt wieder in seine Umfassung zu drücken bemüht war. Je mehr er im Aerger drauf schlug, so dichter puderte es ihm um's Gesicht. „Aus dem Haus muß Sie, daß Sie's weiß,“ schloß er, mit den Augen beschäftigt, aus denen jetzt wirkliche Thränen, aber nicht der Rührung, sich preßten. „Ja, Herr Geheimerath, das werde ich auch, 1* sobald Sie es befehlen, sagte Charlotte, die ihrerseits die Ruhe wieder gewonnen hatte. Denn ich kenne meine Schuldigkeit. Aber erst werde ich vors Hallesche Thor gehen, aufs Grab der seligen Frau Geheimräthin, und die Kinder nehme ich mit. Da werde ich mit ihnen weinen, und sie sollen die klei¬ nen Hände falten und ihre Mutter bitten, daß sie ihnen einen lieben Engel vom Himmel schickt, der sie in Schutz nimmt. Denn wissen Sie noch, Herr Geheimrath, wie die selige Frau Geheimräthin auf dem Todtenbette lagen! Kreideweis das Gesicht! Ach Jesus was wird nun aus meinen Kindern! ja das hat sie gesagt! „Charlotte! sagte der Geheimerath, Sie weiß, daß ich meine selige Frau innigst geliebt habe, aber die Welt gehört den Lebendigen, sagt der Dichter, und die Todten soll man ruhen lassen.“ „Die selige Frau Geheimräthin sollen wohl Ruhe haben, wenn Sie aus dem Grabe sehen, wie's hier oben zugeht! Die Frau Geheimräthin, Ihre Schwä¬ gerin, kommt auch nicht umsonst wieder so oft ins Haus. Aber ich werde mich wohl hüten, und mir die Zunge verbrennen wie damals, und sagen was ich denke. Aber was die selige Frau Geheimräthin denkt, wenn die Geheimräthin Schwägerin den Klei¬ nen Zuckerbrod bringt und sie über den Kopf strei¬ chelt, das weiß ich.“ „Meine Schwägerin ist eine sehr respectable Frau, Charlotte.“ „I Herr Jesus, wer redt denn auch gegen sie! Aber den Blick vergeß ich nicht, auf ihrem Todtenbett, wie die selige Frau zurückschauerte: Ach wie sieht sie die Kinder an! sagten Sie, nämlich die Frau Geheim¬ räthin auf dem Todtenbett. Und so riß Sie die Kinder an sich und dann sagten Sie: Ach sie hat so spitze Finger!“ „Das waren Visionen, sie war im hitzigen Fieber.“ „Aber die Frau Geheimräthin Schwägerin ver¬ kniffte ordentlich den Mund und sagten: Mein Gott, als ob ich mich um die Bälger risse! Und dann sagte die Sterbende, und da war sie nicht mehr im Fieber: die Charlotte, die hat wenigstens ein wei¬ ches Herz! — Und da hatte die Selige recht, und ich habe die Kinder lieb gehabt, als wenn's meine eignen wären, und wenn's nicht die Kinder wären, i da wäre ich ja schon längst aus dem Hause, wo man so mit mir umgeht.“ Dem Geheimerath schien unangenehm zu Muthe zu werden, da Charlotte in einen Thränenstrom aus¬ brach, der nicht mehr zu stillen schien. „Es war auch nicht so gemeint, sagte er endlich, — Sie soll ja nicht auf der Stelle fort, — ich meinte nur —“ „Es werden sich schon Andre finden, — o das weiß ich, — ich weiß auch wer. Und wenn die Selige das von oben sieht, wie die Schwägerin mit ihren spitzen Fingern die Kleinen liebkost, dann wird sie Nachts vor Herrn Geheimeraths Bette treten, und was sie ihn dann fragen wird —“ „Halte Sie doch das Mau —! Charlotte — liebe Charlotte, Sie ist echauffirt.“ Das Kindermädchen war echauffirt, es ließ sich nicht in Abrede stellen. Es waren auch Gründe dafür. Aber der Geheimrath liebte nichts Echauffirtes, nämlich wenn es ihn in seiner Ruhe incommodirte. Er suchte sie zu beruhigen; er erklärte die Kündigung für eine Aufwallung, ein Echauffement. Indem er sagte, solche Dinge müsse man bei kaltem Blute über¬ legen, schob er den Stein des Anstoßes etwas weiter auf den Weg. Da schien ein Friede geschlossen, wenigstens ein Waffenstillstand; Charlotte weinte nur noch still, der Geheimrath seufzte und mochte wieder an anderes denken, als er sich erkundigte, was denn die Kinder machten? Gleich darauf fiel ihm noch etwas an¬ deres ein. „Aber, Charlotte, sage Sie, wie kam Sie nur darauf, und mit den Kindern! vor's Thor zu laufen, dahin! Eine Hinrichtung ist ein unmoralisches Ver¬ gnügen, habe ich Ihr das nicht oft vorgestellt, es ist gegen die Humanität, ein Schauspiel, woran nur der rohe Pöbel Vergnügen finden kann.“ „Sie haben schon ganz Recht, Herr Geheimrath, aber Sie hätten die Person sehen sollen, die Mariane; ganz schlooweiß war sie, vom Kopf bis zum Fuß, und wie sie die Augen niederschlug, die Hände hielt sie so vor sich gefaltet! Und der Herr Prediger saß neben ihr, und noch oben sprach er mit ihr, und dann küßte sie ihm die Hand und knixte noch einmal vorher gegen uns Alle. Und die vornehmsten Herren in Thränen. Ach Herr Geheimrath, es war Ihnen etwas, ich sage Ihnen, es ging Einem durch Mark und Bein, und manche dachten, ach wenn du doch auch so sterben könntest, so den Herrn Prediger neben sich und ganz weiß, und Blumen, und die Putz¬ macherin, Mamsell Guichard an der Stechbahn, hatte ihr ein Tuch mit Spitzen geschenkt, und die vor¬ nehmsten Personen weinten. Und ich habe sie auch gekannt die Mariane, und ehedem war sie keine schlechte Person.“ „Sie hat mir davon erzählt. Aber nun ist sie eine Kindesmörderin.“ „Und das ist schlecht von ihr, Herr Geheimrath; das wird auch kein Mensch abstreiten. Und wir haben's ihr alle vorhergesagt. An solchen Kerl sich zu hängen! Er war noch nicht einmal königlicher Stallknecht, da konnte er noch lange dienen. Und wenn er's geworden, ob er sie dann geheirathet hätte! Wenn's denn doch einmal sein sollte, wär's nur ein anständiger Herr gewesen, sagte ihre Tante. Der hätte doch für's Kind bezahlt, und wenn er nicht wollte, da ist das Stadtgericht. Das weiß ich ja von meiner Cousine. Heirathen oder bezahlen! sagten der Herr Präsident. Da hat er auch gezahlt, jeden Ersten, der Herr Hoflackirer, und wenn's bis zum Dritten nicht da war, auf der Stelle Execution, jeden Monat. Beim zweiten hat er sich gar nicht erst ver¬ klagen lassen. Gleich gezahlt, o 's ist ein sehr repu¬ tirlicher Herr, das muß man ihm nachsagen, und wenn's dritte kommt, wer weiß, ob sie dann nicht schon unter der Haube ist. Denn seine Alte wird's ja nicht mehr lange machen, die hat er nur mit dem Geschäft geheirathet. Und warum sollte er sie nicht in's Haus nehmen? Ist ja sein purer Profit. Er kommt viel wohlfeiler fort, als wenn er Alimente zahlen muß. Aber ein Begräbniß wird er seiner Alten ausrichten — na, da könnte sich mancher Ge¬ heimrath schämen. Nein das muß man ihm nach¬ sagen, lumpen läßt sich der Herr Hoflackirer nicht; ist ein sehr reputabler Herr. — Und, wie gesagt, hübsch war die Mariane, so blaß und schön, und das Kind, blutroth hat's wie 'ne Schnur um den Hals gehabt.“ „Und meine Kinder hat Sie mitgenommen. Die unschuldigen Würmer! Sie Person Sie!“ „Aber Herr Geheimrath, ich weiß auch nicht, wie Sie mir vorkommen. Es ist ja nur, daß die Kinder es einmal gesehen haben. Das ist ja für's ganze Leben. So was kriegen sie nicht wieder zu sehen. Es soll ja kein Mensch mehr hingerichtet werden.“ „Wer hat Ihr das wieder vorgeschwatzt?“ „Sie können's mir ganz gewiß glauben, Herr Geheimrath. Das ist die letzte Hinrichtung, hat der König gesagt. Und sie haben ihn beinah zwingen müssen, daß er nur die Feder in die Hand nahm. Die junge schöne Königin hat geweint. Und da hat er sie gefragt: Aber Louise warum weinst Du denn? Denn unter sich sagen sie immer Du; und es kommt Einer zum Andern, ohne daß die Kammerherren an¬ klopfen und sie melden, und darüber ist die Hofmar¬ schallin, die alte Gräfin Voß ganz aufgebracht. Aber das thut nun nichts. Es wird Alles noch ganz anders werden, sagen sie; und gar nicht wie beim Dicken. Die Livreen werden auch anders. Und alle Men¬ schen sollen Brüder sein, und alle Frauenzimmer Schwestern . . .“ Der Geheimrath intonirte, wie durch eine Er¬ innerung geweckt, plötzlich das Lied, indem er mit den Fingern auf dem Knie den Takt schlug: „Wir Menschen sind ja alle Brüder, Vereinigt durch ein heilig Band, Du Schwester mit dem Leinwandmieder, Du Bruder mit dem Ordensband!“ Das Kindermädchen warf einen schlauen Blick: „Gestern hinterm Gitterfenster auf dem Hofe — da sangen's Herr Geheimrath viel lauter.“ Die Erwähnung schien dem Geheimrath unan¬ genehm: „Das versteht Sie nicht. Es ist allerdings gegen die Humanität einen Menschen um's Leben zu bringen. Aber, wie gesagt, das versteht Sie noch nicht, und das ist nur unter uns, und wie sollten wir denn die Spitzbuben los werden und die atrocen Menschen. Laß Sie sich also so was nicht einbilden, und die Königin —“ „Ja, Herr Geheimrath, die Königin, das weiß ich expreß von Jemand, der es weiß, vom Commissar die Köchin, die hat beim Doctor, der die Hoflakaien curirt, vorher gedient, und da hat sie's von der Mamsell, die beim Hofmarschall ist, mit eigenen Ohren gehört, zum König hat sie's gesagt, die Kö¬ nigin, sie könnte ihm ja keinen Kuß geben, weil seine Hände voll Blut wären, und nur diesmal hat er gesagt, hätte er's thun müssen, weil's eine Kindes¬ mörderin wäre, nämlich von wegen des Beispiels, weil's sonst Alle thäten. Aber dann soll keiner mehr geköpft werden, und dies ist das letzte Mal, und darum verdienten's wohl die Kinder, daß ich sie hin¬ führte, denn es soll auch gar kein Blut mehr fließen, und kein Krieg mehr sein, auf der ganzen Welt nicht, und der König hat's gesagt.“ „Aber sage Sie mal, Sie ist doch sonst eine vernünftige Person“ — der Hausherr war aufge¬ standen, um ihr zu beweisen, daß sie diesmal unver¬ nünftig sei. Das ist überall eine schwierige Aufgabe, wo die Person, welcher man es beweisen will, sich für vernünftig hält. Sie mußte überdem eine gute Royalistin sein; denn auf die Vorstellung des Ge¬ heimrathes, daß so etwas gar nicht in des Königs Macht stehe, ja nicht in des Kaisers, auch nicht in der Macht des großen Feldherrn und Consuls der Franzosen, erklärte sie, wozu denn ein König wäre, wenn er das nicht mal könne! Der König könne aber noch weit mehr, wenn er nur wolle; es gäbe jedoch Personen, die viel klüger sein wollten, als der König, und alles besser wissen und machen, und sie wisse auch, was sie gehört, und könnte manches sagen was Mancher nicht gern hörte. Und wer nur gestern Abend sein Ohr aufgehabt hätte im hintersten Hofe, und unterm Gitterfenster gehorcht, was die Gefan¬ genen gesungen. Davon könnte manches Vögelchen Lieder singen, die Mancherman gar häßlich klingen würden! „Sie unverschämtes — ich glaube gar Sie hat getrunken!“ „Ich getrunken! Habe ich das um den Herrn Geheimrath verdient, als ich gestern Abend gar nicht sah, wie Sie die Treppe heraufkamen, die kleine Hintertreppe, und nicht wußten, wo die Thüre war. Ich getrunken! Ein Glas Weißbier setzten mir der Herr Wachtmeister von Prinz Louis-Dragonern vor, und das trank ich, der Kinder wegen, denn wir waren außer Athem, weil die Leute so grausam dräng¬ ten, und so hob der Herr Wachtmeister die Kinder über die Lyciumhecke, und ich quetschte mich durch die Hecke, und da sagte der Wachtmeister ich sollte erst einen Pomeranzen mit ihm über die Lippen nehmen, weil ich so echauffirt wäre. Das kann der Wirth im blauen Himmel bezeugen; der sagte, wir zerträten ihm seine Hecke, und er war betrunken. Aber wo wären wir alle, und die lieben Kinder, die schrien, daß es ein Gotts Erbarmen war; aber der Wacht¬ meister gab's dem Wirth, daß er mäuschenstill ward. Ich hätt's ihm nicht gerathen, mit dem anzufangen. Er hat die Rheincampagne mitgemacht und trägt noch eine Kugel in der Schulter, Alles für seinen König! sagt er und wenn Friede bleibt, kriegt er eine Civil¬ anstellung.“ Es war eine Veränderung in dem Geheimrath vorgegangen. Von Zorn keine Spur mehr in seinem Gesichte, als er aus der emaillirten Dose eine lange Prise Spaniol nahm, und mit dem Battisttuch den Taback, der sich ausgestreut, von den Kleidungsstücken abklopfte, und „Ja, ja, so geht's in der Welt!“ sagte. Man sah, zwischen beiden hatte ein langer Verkehr eine Verständigung hervorgebracht, die ge¬ wissermaßen in hieroglyphischen Ausdrücken sich Luft machte. Und jeder verstand den andern. Offenbar war er an etwas erinnert worden, was er nicht liebte, und ebenso offenbar, daß Charlotte auf einen andern Gegenstand übergesprungen war, entweder, um ihm die Verlegenheit abzukürzen, oder weil dieser Gegen¬ stand für sie einen Zweck hatte. „Wie ist's denn nun mit dem Unteroffizier von Möllendorfs Grenadieren?“ sagte der Geheimrath wie in vertraulicher Weise, nachdem er verschiedenes andere gefragt, z. B. wie viel Menschen wohl draußen gewesen, und welche Equipagen darunter, und ob die Kinder auch ordentlich gesehen hätten? „Dieser Mensch hat nicht meiner Erwartung entsprochen, entgegnete Charlotte, und Herr Ge¬ heimrath wissen auch, was ich immer gesagt habe von der Infanterie. Er stellte sich sonst ganz repu¬ tirlich an, denn Wahrheit muß Wahrheit bleiben, aber er hatte kein Herz für die Kinder, und war von Profession, wie ich jetzt erfahren mußte, ein Schneider. 'S ist wahr, er hat eine Civilanstellung erhalten, aber was ist das, ein Nachtwächterposten! Wenn er mir das früher gesagt hätte, ich hätte ihn schön angesehen. Nein, Herr Geheimrath hatten ganz recht, wenn Sie mich warnten. So wegwerfen werde ich mich nicht, und ich sehe ihn auch gar nicht mehr an, wenn ich ihm begegne. Dieser Wachtmeister aber hat ein wirkliches Gemüth für die Kinder, und er ist ein Wittwer. Prinz Louis Ferdinand hat zu ihm gesagt, er sollte sich trösten, der Soldat wäre so besser accommodirt; und das ist wahr, sagt er, wenn's wieder losgeht, ist der Pallasch die beste Braut für den Dragoner. Aber wenn Friede bleibt, sagt er, will er den Pallasch hinter die Thür hängen und sich nach einer Frau umsehen. Und, sagt er, eine die treu ihrem Herrn gedient hat, die ist ihm lieber, als eine, die noch nicht gedient hat, denn da weiß er nicht, was er kriegt. Und eine, die ihre Jugend ihrem Herrn geopfert hat, die wird der Herr doch nicht ohne gute Aussteuer fortlassen, das müßte ja ein schmutziger Herr sein. Und das kann ich wohl von meinem Herrn sagen, sagte ich, er wird sich nicht lumpen lassen; der Herr Geheimrath haben's mir oft versprochen, wenn ich mich mal veränderte, dann wollten Sie dafür sorgen, daß es schmuck und blank in meinem Hause aussehen sollte. Und da hat er die Malvine auf dem langen Wege hergetragen, und sie schlief gleich auf seiner Schulter ein. Der Fritz¬ chen, der schrie und hatte sich ungebärdig, den haben wir zwischen uns genommen, das war wirklich ein Elend mit dem Jungen, weil er sich auf die Erde warf und wir mußten ihn an den Schultern rutschen, bis der Herr Wachtmeister ihm für einen Dreier Ro¬ sinen kaufte und da ging's denn, und Sonntag, wenn's Herr Geheimrath erlauben, wird er mich nach den Zelten abholen und sich dem Herrn Geheimrath präsentiren und mich mit Waffeln traktiren.“ Der Herr Geheimrath schien nicht recht zu wissen, was er sagen sollte, indem er mit einem Finger um den andern ein Rad schlug. „Ja, sieht Sie, Charlotte, sagte er, wer das wüßte, ob Friede bleibt, oder 's wieder losgeht. — Und hat sie auch das bedacht, ein Cavallerist riecht immer nach dem Stall —“ wollte er sagen, oder hatte es gesagt — Zweites Kapitel. Die Geheimräthin mit den spitzen Fingern. — Als die Seitenthür aufging, und die Ge¬ heimräthin Schwägerin hereinrauschte. Rauschte sage ich, denn ihr hellseidenes Kleid, obgleich die Schleppe abgeschnitten, bauschte noch immer in reichen Falten hinter ihr. „Ich hoffe doch nicht zu derangiren,“ sagte die Dame, als der Geheimrath in einiger Verlegenheit aufsprang, und die Spanioldose auf die Erde fiel. Wenn Charlotte sich in Verlegenheit gefühlt, fand sie die Gelegenheit, sie zu verbergen, indem sie die Dose auflangte und mit dem zusammengefegten Taback in der Schürze das Zimmer verließ. „Wie kann meine theure Frau Schwägerin mich überraschen!“ sagte der Ueberraschte. „Die Ueberraschung ist nicht ganz meine Schuld, denn der Herr Schwager hörten in dem confiden¬ tiellen Gespräch, was ich zu meinem Bedauern stören mußte, nicht mein Klopfen. Da mußte ich endlich, ohne auf die Invitation zu warten, eintreten, denn ich liebe nicht das Lauschen.“ Er drückte in verbindlicher Weise ihre Finger an die Lippen und führte sie auf das Canap é . Ob die Finger besonders spitz waren, kann ich für jetzt nicht sagen, denn sie waren in Tricothand¬ schuhen versteckt, und während die eine Hand an den Lippen des Geheimraths ruhte, umfaßte die andere den Fächer, um das Spiel zu beginnen, was bei einer Conversation auf dem Canap é nothwendig ist. Aber das ganze Gesicht war, was man spitz nennt. Vielleicht hätte man auch die kleine Gestalt der Dame so nennen mögen, indeß war ein Etwas darin, entweder nenne ich es Anmuth oder Elasti¬ cität, was diesen Eindruck verwischte. Alabasterarbeit hätte ein Dichter oder Künstler gesagt, der erst der Hauch des Gedankens oder Gefühls Farbe und Be¬ wegung giebt. Weder jung noch alt, weder schön, noch eigentlich hübsch, konnten doch ihre dunkeln kleinen beweglichen Augen, wenn sie aus den blonden Augen¬ braunen besondere Blicke schossen, anziehen. Es war schwer zu sagen, wovon diese Blicke sprachen, ob von Verstand, Gefühl, Sinnlichkeit, ob sie stachen, suchten, lockten, ob sie aus einer beglückten, oder zerrissenen Brust kamen. Sie konnten einen sehr verschiedenen Glanz annehmen, nur nicht den der ursprünglichen Wahrheit, jenen Glanz, der auf den ersten Blick ein¬ nimmt und überzeugt. Man sah in diesen Augen, daß sich die Gedanken und Gefühle erst sammeln mußten, um ihren Blicken den Ausdruck zu geben, den sie wollte. Es war überhaupt etwas Besonderes in der Frau; es lag in ihrem Wesen Ruhe und Unruhe. Man konnte sie in diesem Augenblick für sehr bedeu¬ tend, im nächsten für ein gewöhnliches Weib halten. Ihre Kleidung war einfach aber gesucht; zwischen der zu Grabe getragenen Roccocomode und dem grie¬ chischen Ideal, das Mode geworden. Kurze eng an¬ schmiegende Aermel, ein weit ausgeschnitten Kleid mit kurzer Taille, die eine rosaseidne Chärpe noch mehr hervorhob, aber ein Ueberwurf um die Schultern und die langen Handschuhe suchten die Entfaltung der griechischen Nacktheit wieder zu verbergen. Der Geheimrath entschuldigte sich wegen seiner Toilette. Er hatte Ursach. Die Geheimräthin sagte lächelnd, sie hätte für dieses Aeußerliche keinen Sinn. Aber während er seine Füße in den Pantoffeln zu verstecken suchte, ohne sich doch der Bemerkung ent¬ halten zu können, daß er sich von ihnen nicht trennen könne, weil sie noch von seiner seligen Frau gestickt wären, verbarg die Geheimräthin keineswegs ihre sehr zierlichen Füße auf dem Schemel, als sie mit der sanften, fast süßen Stimme, durch die nur zuweilen ein feiner, schneidender Ton fuhr, sagte: „Man muß gestehen, daß der Herr Schwager die Treue gegen die selige Geheimräthin bis zum Exceß cultiviren.“ „Und wie geht es denn meinem theuern Bruder, dem Geheimrath, seufzte er. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Ach Gott, wir Geschäftsmänner!“ „Er ist in seinen Büchern vergraben.“ I . 2 „Er cultivirt nicht das Leben, fiel der Hausherr ein. Ich hatte immer gehofft, daß eine so spirituelle Frau ihm einen Elan geben würde.“ „Passons là-dessus, sagte die Geheimräthin, mit einer eigenthümlichen Bewegung des Fächers. Ich begreife freilich zuweilen nicht, warum eigentlich Männer auf der Welt sind, die sich nichts aus ihr machen. Aber ich bin gewissermaßen in seinem Auf¬ trage hier.“ „Von einem Gelehrten wie er weiß ich diese Attention zu schätzen. Warum mußte er aber neulich wieder ablehnen? Zu einer einfachen Suppe, à la for¬ tune du pot, ein Paar gute Freunde nur.“ „Lupinus sagt, er verdirbt sich immer bei Ihnen den Magen.“ „Scherz, Scherz! Spartanische Suppen kann ich freilich nicht vorsetzen, auch ist mein Malaga, mein Hochheimer; kein Falerner. Nichts als was ein armer Mann bieten kann. Müssen uns Alle nach der Decke strecken, aber herzlich gegeben und — gut gekocht.“ „Wenn Ihre Charlotte will, kocht sie vortrefflich, sagte die Geheimräthin mit einem jener Blicke, von denen wir sprachen. — Sie werden sich schwer von ihr trennen können, setzte sie langsam hinzu. Sie werden sich vielleicht nie von ihr trennen wollen.“ Der Blick und die Beobachtung hatte für den Geheimrath etwas, was ihn aus seiner Ruhe brachte. „Liebste Schwägerin, in meiner Lage, — in meinen Dienstverhältnissen, begreifen Sie, muß ich dann und wann kleine Din é s arrangiren — man muß sich Freunde — man muß die Gönner warm halten. Einer hilft dem Andern. Es geht einmal nicht anders.“ „Das begreife ich vollkommen, sagte die Schwä¬ gerin mit dem gedehnteren Tone, aber zu Ihren Din é s bestellen Sie ja die Schüsseln beim Koch Corsika.“ „Das wohl, in der Regel wenigstens, — in¬ dessen — “ „Essen Sie auch gern zu Hause gut. Und damit Sie immer gut gekocht bekommen, ist Ihnen darum zu thun, daß Charlotte immer bei guter Laune ist. Der Calcul ist richtig, nur verdenken Sie es Ihrer Familie nicht, wenn sie einen andern macht —“ „Welchen, meine verehrteste Schwägerin?“ „Mon beau-frère, sagte die Geheimräthin mit dem Fächer einige kurze, bedeutungsvolle Schläge durch die Luft führend, die Familie hofft, daß sie ihr nicht den Chagrin anthun werden, die Person zu heirathen.“ Der Geheimrath wurde roth, aber nicht sehr, er klatschte mit beiden flachen Händen auf die Knie und seufzte: „Ja — man wird doch auch mit jedem Jahr älter. Und eine Pflege wie ich sie nur wünschen kann.“ „Herr Geheimrath, aber eine Mesalliance!“ „Mais, ma belle-soeur! Adam war unser Aller Vater. Neulich am Klavier, ich hätte meine Schwä¬ gerin embrassiren mögen, Sie sangen es zu allerliebst: Als Adam grub und Eva spann Wer war denn da — der erste Geheimrath? 2* Er begleitete es durch ein angenehmes Gelächter. „Es ist also vollkommener Ernst!“ „Ernst, theuerste Schwägerin! Ich hielt es für einen deliciösen Scherz, wenn es von der Kanzel stürzte: Der königliche Herr Geheimerath Lupinus mit der ehrsamen Jungfrau Charlotte Philippine, Catha¬ rine, Tochter des ehrbaren —, was weiß ich, wer ihr Vater war, wenn sie einen hat. Ma belle–soeur , wie hätten sie die Köpfe zusammen gesteckt, wie wä¬ ren sie aus dem Dom gestürzt! Diese Gruppen unter den Pappeln, Nachmittags die Kaffeeklatsch é 's. Und nun denken Sie sich, Schwägerin, Charlotte und ich im Wagen und unsre Vorfahrvisiten! Vierzehn Tage kein ander Gespräch. Und das Hoch¬ zeitsmenuett! Sanft gebannt— an ihre Hand durchs Leben — schweben!“ Die Dame war sehr ruhig geworden: „ Mais, mon beau–frère , warum haben Sie es aufgegeben?“ „ Mon Dieu , wer sagt Ihnen, daß ich es aufgab!“ „Ein witziger Einfall, über den man nachdenkt, ist keiner mehr.“ „Es geht doch nichts über einen sublimen Ver¬ stand. Ich werde mich hüten sie zu heirathen.“ „Ich bin jetzt ganz getröstet, wenn Sie es thun. Wirklich lieber Schwager. Die Person hat gute Eigenschaften und Ihre Erziehung —“ „Wenn ich sie heirathe, ist die Erziehung aus, zischelte er ihr laut ins Ohr. Sobald der Hoch¬ muthsteufel in sie schießt, kocht sie nicht mehr, pflegt mich nicht mehr, kurzum sie ist nicht mehr was sie ist, und darum müßte mich ja der — Excüs! wenn ich meine gute Charlotte aufgäbe, um eine schlechte Geheimräthin draus zu machen. — Man wirft so gemüthliche Redensarten hin, möglich, es könnte sein — wenn nur nicht das und das wäre, wünscht ihr den besten Mann, aber klopft ihr auf die Schulter, sich nicht zu übereilen, es würde sich wohl noch alles an¬ ders und besser finden, als mancher denkt. Et caetera .“ Nach einer Pause während sie auf ihre spitzen Finger gesehen, sagte die Geheimeräthin: „Aber die Person ist auch klug. Sie merkt es. Lieber Schwa¬ ger, kein Mann ist so klug, daß nicht eine Frau, die er beständig um sich hat, ihm die schwache Stunde abmerkt. Schlingen sind nun einmal die Waffen unserer Schwäche; es ist in der Natur. Entweder entschließen Sie sich und heirathen sie, oder brechen Sie schnell.“ „Das kann ich nicht, c'est absolument impos¬ sible ! 'S ist wahr, Corsika kocht gut, 's kocht keiner so in Berlin. Das heißt en general — mais — ! Was hilft mir das, wenn die Gäste fortgehen und sagen: es war alles recht fein, aber man weiß von nichts besonderm zu sprechen, nichts hat einen Ein¬ druck hinterlassen. Das ist gleichsam ein verlorner Tag. In der Charlotte, verzeihen Sie mir, ist ein Genie. 'S ist nicht zu leugnen, Manches verdirbt sie, aber plötzlich mit einem Elan hat sie eine Com¬ position gefunden, parbleu . Erinnern Sie sich noch des Rebhühnerfricass é 's mit farcirten Trüffeln! Da war doch nur eine Stimme. Noch acht Tage drauf, als wir bei Excellenz Schulenburg Kehnert am Tisch saßen, sprach Lombard davon. Sein Koch hats ver¬ sucht, der Englische Gesandte auch, es schickten noch mehre ihre Köche. Warten Sie — ça ne fait rien . Es hat's keiner rausgekriegt. Und wärs auch nur um Lom¬ bards Willen. Es war ein glücklicher Tag als er mir beim Abschied die Hand drückte. Ich weiß es, Lombard hat viele Feinde, aber in der Freundschaft und — und in gewissen Ideen hat er eine gewisse constance, persévérance . Man kann wohl sagen, 's ist ein Mann von einem nobeln Esprit, ein Mann comme il faut.“ „Schade, daß Lombard verreist ist, sagte die Ge¬ heimeräthin, ich meine schade für Sie.“ Es war wieder ein so eigner Ton, eiskalt und bitter wie der Blick, der den Geheimerath traf — und sie brach so scharf ab, daß die Wärme und Ge¬ müthlichkeit, welche die Erinnerung der Trüffeln und Rebhühner angeregt, plötzlich gedämpft war. „Mein Gott, belle-soeur, sie kommen —“ „Von meinem Mann geschickt. Was ist denn das mit den Gefangenen in der Vogtei, und den eingeschmissenen Fensterscheiben? Mein Mann hofft, daß Sie dabei außer dem Spiele sind.“ Wir wissen, daß diese Erinnerung für den Ge¬ heimrath zu den unangenehmen gehörte. Die Ro¬ senlinien der Freude verzogen sich auf seinem Gesicht in graue Runzeln. Er schlug auch etwas die Augen nieder. „ Ma belle–soeur wissen, daß ich immer ein Herz habe für die Leiden der Menschheit. Was an mir ist, thue ich, um das Schicksal der armen Gefange¬ nen zu erleichtern.“ „Unter denen auch der abscheuliche Bankeruttier ist, der so viele Leute um ihr Alles gebracht.“ „Er ist ein Mensch wie wir, meine Schwester.“ „Ganz doch nicht, sagte die Schwägerin und zog den Arm etwas zurück, auf den er seine Hand gedrückt. Man sagt es sind sehr viele schlechte Men¬ schen grade jetzt in der Vogtei.“ „Wenn Einer nicht bezahlen kann, hat er darum aufgehört mein Bruder zu sein?“ „Die Gefangenen sollen unerhörte Freiheiten genießen. Neulich bei Präsident Kircheisen ward behauptet, sie kämen Abends frei zusammen und spielten Hazardspiele, ja Einer hielte förmlich Bank.“ „Um die Humanität zu fördern drücke ich ein Auge zu. Die innern Thüren lassen sie sich zuwei¬ len aufschließen. Es ist nicht gut, daß der Mensch allein ist, und unter Gottes Himmel sind wir Alle —“ „Und zwischen den Mauern der Vogtei! fiel die Geheimräthin ein. Gestern Abend —“ „Sehn Sie, theuerste Schwägerin, da hatte ich eine rechte Freude. Sie schickten eine Deputation an mich mit der Bitte ihnen eine kleine, gewissermaßen religiöse Celebration zu gestatten. Da morgen, als heute, ein menschliches Mitwesen, eine irrende Schwe¬ ster, gewaltsam aus dieser Welt gerissen werden sollte, wollten sie den Abend nicht ohne stille, ich möchte sagen sympathetische Betrachtung hingehen lassen. Ich war wirklich gerührt über dieses Zeichen edler Empfindung unter meinen Kindern, wie ich sie gern nenne.“ „Sie waren also selbst bei dem — sogenannten Festin?“ „Sie erzeigten mir die Ehre, mich einzuladen. Ach aber so bescheiden. Und ich versichere Sie, ich fand eine Stimmung, die einer Kirche Ehre gemacht. Und die Arrangements so sinnreich und einfach. Der Regimentsquartiermeister, der bei der Lichtenau da im Marmorpalais als Decorateur und Maschinist gearbeitet hatte — ein unglücklicher Mensch, er mag geirrt haben, wer irrt nicht! — konnte um lumpige 10,000 Thaler die Quittungen nicht aufweisen! — Lieber Gott, wenn man für Alles Quittungen ver¬ langte, was zur Zeit der Comteß Lichtenau ausge¬ geben ist! Ein charmanter Mann sonst, sage ich Ih¬ nen, von so philosophischer Ruhe. — Das kleine Zimmer war griechisch drappirt, et aussi un peu gothique . Hinten ein Opferaltar; in Spiritus brann¬ ten die Flammen empor zu dem Triangel, aus wel¬ chem das Auge der Allwissenheit auf uns herabblickte. Der Rendant vom Salzsteueramt —“ „Der in Hamburg ergriffen ward, als er sich einschiffen wollte?“ „Ein Opfer der Mißverständnisse. Er hatte die beste Absicht, von London aus den kleinen Irthum auszugleichen, — sonst ein Mann von Charakter, sublimen Ideen, ist auch Ma ç on. In einem weißen Talar, eine Binde um die Stirn, hielt er eine Rede; ich wünschte, Sie hätten sie gehört; wie ließ er die irrende Schwester beten! Ach aber, wie das kleine Kind, das der Mutter voraufgegangen, die Arme ausbreitete und im Namen der Allmacht sprach: Mutter dir ist vergeben! die Seligen warten auf Dich! — da blieb kein Auge trocken.“ „Und nachher haben sie getrunken?“ „Die Gesellschaft hatte einige Flaschen besorgt. Das Herz schloß sich unwillkürlich auf. Man durfte sich doch nicht lumpen lassen. Ich ließ ein Dutzend Hochheimer bringen. Ich sage Ihnen, diese Empfin¬ dungen, die sich da aufschlossen! Da war doch kein böser Gedanke, nichts als die reinste allgemeine Menschenliebe, und wäre nicht der verlorne Mensch, der Sohn des Geheimraths Bovillard, dazwischen gekommen, so wäre auch alles ganz gut abgelaufen.“ „Läßt ihn der Vater noch immer einsperren?“ „Nein, er sitzt jetzt wegen des letzten Scandals mit dem Gensdarmerieofficier. Dieser Taugenichts ver¬ dirbt mir eigentlich die Harmonie in meiner Gesell¬ schaft. Indessen man hat doch Rücksichten wegen des Vaters.“ „Gewiß und sehr ernste.“ „Und unser Hofrath Süßring, Sie kennen den excentrischen Kopf. — Bös ist er nicht, nur wenn er etwas im Kopfe hat. Ich vergaß Ihnen zu sa¬ gen, man war so froh geworden, man sah das Opfer¬ feuer brennen. Man wollte sich daran wärmen. Man machte den Vorschlag an der Flamme das Getränk der Freiheit zu brauen, das aromatische der Eng¬ länder, das unser Schiller so herrlich besungen hat — Vier Elemente, innig gesellt!“ „Man kochte eine Bowle Punsch, das weiß ich auch, und sehr starken.“ „Süßring, der eigentlich in Glatz sitzen soll, aber er ist kränklich und kann die freie Bergluft nicht ver¬ tragen. Belle-soeur wissen ja, durch welche Con¬ nexionen — und er ist auch eigentlich unschuldig. Es war nur der Punsch. Sprang er plötzlich auf den Tisch —“ „Und hielt eine seiner bekannten republikanischen Reden.“ „Es sollten keine Kerker und Festungen mehr sein, die Eisenstäbe sollte man zerbrechen und die Schwerter auch, und als er das Lied sang und wir einfielen: Allen Sündern soll vergeben Und die Hölle nicht mehr sein! „Da schmissen Sie mit den Gläsern die Fen¬ ster ein.“ „Nein da sprang Bovillard erst auf den Tisch. Den eigentlichen Zusammenhang weiß ich wirklich nicht mehr, aber in seiner Barocksprache rief der tolle junge Mensch: wenn wir die Hölle zerstörten, wo wir denn bleiben wollten! Nun ich sage Ihnen, einen Galimathias plein de romantique, daß uns Hören und Sehn verging.“ „Ich glaube Ihnen wirklich, daß Sie beides nicht mehr konnten.“ „Durch die Unart dieses einen einzigen Men¬ schen ward uns ein Abend gestört — meine Schwester, das Menschenleben ist nicht reich an solchen Abenden voll Harmonie der Seelen. Und der Mond stand draußen und schien so friedlich durchs Gitterfenster.“ „Der Mond wird auch vermuthlich stehen ge¬ blieben sein, sagte die Geheimräthin aufstehend, wo blieben denn aber der Herr Schwager?“ „Sie machte Miene zum Gehen und er beugte sich, um wieder ihre Hand an die Lippen zu führen: Homo sum, nil humani a me alienum puto, sagt Terenz, theuerste Schwägerin. Fragen Sie meinen Bruder, was das heißt. Im Uebrigen — abgeschüttelt!“ „Meinen Sie, Geheimrath? In der Stadt ist man andrer Meinung. Man spricht davon, daß Sie die Ihnen obliegende surveillance über die Gefangenen schlecht beobachtet.“ „Man hat schon viel über mich gesprochen. Qu' importe !“ „Wenn man aber auch bei Hofe davon spricht! Auch im Palais. Auch wenn der König entrüstet ist. Auch wenn Kabinetsrath Beyme auf der Stelle an den Justizminister schreiben müssen, daß die Sache untersucht wird. Herr Schwager es ist kein Spaß, warum ich hier bin, es handelt sich um Ihre Existenz.“ Der Geheimrath war zusammengefahren wie die Sinnpflanze bei der menschlichen Berührung. Sein Gesicht war blaß, seine Vollmondswangen schienen wie welk herabgesunken. Er öffnete die Lippen und wollte sprechen, aber die Zähne, die in eine unwill¬ kürliche Berührung geriethen, stammelten nur die Formel: „Mein allerdurchlauchtigster König, mein allergnädigster König und Herr!“ „Ist eine Natur, die wir Alle eigentlich noch nicht kennen, aber in gewissen Dingen hat er sich außerordentlich streng gezeigt.“ So sagte die Ge¬ heimräthin Schwägerin, die ruhig vor dem Zerknick¬ ten stand. Der Geheimrath stammelte noch etwas von ge¬ heimen Feinden und nachdem er einige Schritte gethan, fiel er auf seinen Armsessel. „Von Feinden weiß ich nichts, sagte die Schwä¬ gerin, im Gegentheil Sie haben sich viele Freunde durch Ihre Din é 's gemacht, und es trifft sich nur sehr unglücklich, daß Lombard nach Frankreich ist. Aber sich in den Sorgenstuhl zu werfen, ist nicht Zeit, mon beau-frère ! Ihre Freunde können wenig, Sie müssen selbst etwas thun, und auf der Stelle. Ihr Zopf ist noch gut, die Frisur passirt für den Abend. Werfen Sie sich in Ihr Habillement.“ „Mein Gott doch nicht zu Seiner Majestät!“ rief er aufspringend und rang die Hände. „Auch nicht zum Justizminister. Ich rathe Ihnen auch nicht Haugwitz zu incommodiren. Aber zu Bovillard müssen Sie. Schnell, schnell Herr Ge¬ heimrath. Er vertritt Lombard beim Minister. Mein Mann hat schon etwas vorgearbeitet.“ „Zu Bovillard! ja zu Bovillard! Aber mein Gott, was wird er sagen!“ „Wenn Sie von seinem Sohne sprechen, wenn Sie auf ihn die Schuld schieben wollen, würden Sie alles verderben. Sie müssen ihn ganz ignoriren. Verstehen Sie mich; diese Schonung kann nur den Vater gewinnen, denn Vater bleibt er. Daß er von ihm erfahren soll, überlassen Sie andern. Sie exculpiren sich nur für sich. Das wie überlaß ich Ihrem Genie, wie Sie jetzt Ihrer Toilette.“ Sie war hinausgerauscht und der Geheimerath wankte nach seinem Kleiderschrank. Drittes Kapitel. Eine Heimfahrt. Die Geheimräthin stieg die Hintertreppe hinab, auf der sie gekommen. Sie ging langsam, oft, schien es, in Gedanken versinkend. Auf dem Podest blieb sie stehen, von wo man einen Blick durch ein Wandfenster in die Küche hat. Charlotte spielte mit den Kindern, oder vielmehr die Kinder spielten mit Charlotte. Sie zupften sie vom Heerde fort. Malwine wollte ihr etwas ins Ohr sagen, derweil kletterte das Fritzchen heimlich auf den Heerd und schüttete die Salzmetze in die Kasserolle. Malwine fing plötzlich an zu lachen und ätschte das Mädchen aus, Fritzchen war mit einem Satz vom Heerde auf ihrem Rücken und umschlang ihren Nacken mit den Armen. Sie sträubte sich, schimpfte und suchte den Alp loszuwerden, die Kinder tobten, sie schlug. Eine charmante Erziehungsscene, dachte die Ge¬ heimräthin und unwillkürlich entschlüpfte es ihren Lippen: „Es wäre eigentlich nicht so übel, wenn der liebe Gott die Kinder zu sich nähme!“ „Warum den incommodiren!“ sagte eine Stimme dicht hinter ihr. Ein Fremder in seinen Mantel ge¬ schlungen, der vom Regen triefte, stand auf der Stufe neben ihr. Sie hatte ihn nicht bemerkt, als er vom Hofe die Treppe heraufkam. Auch erlaubten ihr die hereinbrechende Dunkelheit und der Mantelkragen nicht, das Gesicht zu sehen, als er im Vorbeigehen den Hut lüftete. Es lag etwas Unheimliches für sie in der Begegnung. Wer läßt sich gern in seinen Ge¬ danken belauschen. „Wenn nur keine schädliche Substanz in dem Gefäß war,“ setzte der Fremde hinzu. „Wie meinen Sie das?“ „Der Muthwille der Kinder könnte unschuldige Personen in Verdacht bringen.“ „Das einzige Unglück wäre doch nur, daß er heut Abend eine versalzene Suppe auf den Tisch bekommt,“ bemerkte die Geheimeräthin, die, schnell zu sich gekommen, ihre Unruhe nicht merken ließ. „So treffe ich den Geheimerath zu Hause, was mir sehr angenehm ist,“ entgegnete der Fremde, noch einmal den Hut anfassend um die Treppe hinaufzusteigen. „Dies ist nicht der eigentliche Weg zu ihm, konnte die Geheimeräthin sich nicht enthalten zu be¬ merken. Auf der Vordertreppe begegnen Sie der Bedienung, um sich melden zu lassen.“ „Meine Botschaft kommt wohl gelegener über die Hintertreppe.“ „Auch, wenn er zu Hause wäre, zweifle ich, daß ihm überhaupt ein Besuch gelegen kommt, da er selbst im Begriff ist einen zu machen.“ „Ich weiß es, entgegnete der Fremde, und wenn auch nicht mein Besuch, wird ihm doch mein Rath nicht ungelegen kommen. Ich habe die Ehre, mich der Frau Geheimeräthin gehorsamst zu empfehlen!“ „Seltsam! sprach die Geheimeräthin für sich, als der Fremde mit sichern, leichten Schritten die Treppe hinaufgestiegen war. Er kennt mich. Wer ist er? Er kommt gewiß in der Angelegenheit — was kann er aber für Rath bringen!“ An der Hofthür stürzte ein heftiger Platzregen ihr entgegen. Ihre Kutsche hielt auf der Straße vor der Hausthür. Sie überlegte, ob sie einen Versuch machen sollte, durch die wahrscheinlich schon ver¬ schlossenen Bureaus sich einen trockneren Weg nach dem großen Hausflur zu suchen, als ihr Bediente mit einem Regenschirm ihr entgegen trat. Auf ihr Befremden darüber, da sie beim Ausfahren keinen mitgenommen, antwortete der Diener, der fremde Herr, welcher eben durchgegangen, habe ihm den seinen zurückgelassen, mit der Bemerkung, ihn für die Frau Geheimeräthin zu benutzen, damit sie über den Hof in ihren Wagen könne. „Kennt Er den Herrn?“ fragte sie beim Ein¬ steigen. „Ich habe ihn nie gesehen.“ Seltsam! wiederholte die Geheimeräthin nach¬ denkend. Nicht alle Gedanken drücken sich auf dem Spiegel des Gesichts aus, und in einer dunkeln Kutsche, nur erhellt vom ungewissen Laternenlicht, wenn der Regen gegen die Fenster schlägt, läßt sich auf diesem Spiegel noch weniger lesen. Dem Dichter ist es indeß zuweilen vergönnt, eine andre Sonde in die Brust zu senken, wie er ja auch Geister und Träume citirt, wo er der Vermittler zwischen dem Reich des Unsichtbaren und des Sichtbaren bedarf. Sie sann dem Fremden nach. Seine äußern Umrisse waren ihr verwischt, nur war es ein blasses Gesicht mit scharfen, tiefliegenden Augen, dessen konnte sie sich entsinnen. Sie hatte ihn noch nie gesehen. Doch es waren damals viele Fremden in Berlin; auch hatte der Ton seiner Stimme etwas Ausländisches. Aber was wollte er bei ihrem Schwager? Wirklich einen guten Rath geben? Wenn auch der Geheime¬ rath nicht eben persönliche Feinde hatte, waren doch Viele, die auf sein einträgliches Amt lauerten. Wes¬ halb sollte ein Fremder sich gedrungen fühlen gerade ihrem Schwager zu helfen! Aber sie vertiefte sich im Aufzählen, wer wohl ihm auf den Dienst lauern könnte, bis ein leises Gelächter aus ihren feinen Lippen brach. Die Geheimeräthin fragte sich, woher denn ihr eigner Antheil an dem Geschick des Geheimerathes kam? — Achtete sie ihn? liebte sie ihn? Oder weil er der Bruder ihres Mannes war? Was war ihr ihr Mann? — Ein Mann, der sich in seiner Bücher¬ stube vergrub, wo die Welt umher für ihn lachte! I . 3 Man hätte jetzt eine Röthe sehn können über ihr blasses Gesicht steigen. Und um eine solche Familie Sorge und Anstrengung, darum Intriguen, damit eines ihrer Mitglieder nicht zu Schaden komme! Sie kam sich selbst in dem Augenblick so ordinair vor. Die Kutsche hielt vor ihrem Hause. Der Diener öffnete den Schlag. Er schien aus ihren Mienen ihre Bestimmung lesen zu wollen. Sie warf einen Blick auf die erleuchteten Fenster: „Herr Geheimrath erwarten Frau Geheimräthin zum Piquet.“ — Sie hatte schon einen Fuß auf dem Tritt und blieb einen kurzen Augenblick stehen als thue der Regen, der in unverminderter Heftigkeit fiel, ihr wohl, dann warf sie sich in den Wagen zurück und befahl: „In die Komödie!“ Die Stadt war noch immer aufgeregt von dem Schauspiel am Mittage. Es war seit lange keine Hinrichtung vorgefallen. Die Heimgekehrten kehrten erst jetzt aus den Schenken zurück, es gab mancherlei Unruhe, kleine Aufläufe, Verhaftungen. Der Kutscher zog es, der tobenden Menschenschwärme wegen, vor, durch eine der Quergassen zu fahren, welche herr¬ schaftliche Equipagen sonst vermeiden. Auch hier stopften sich die Fuhrwerke, und die Dame hatte Gelegenheit durch die Kutschenfenster ein Schauspiel zu betrachten, was Frauen ihres Standes sonst nicht aufsuchen — an den hell erleuchteten und grell drappirten Fenstern der kleinen Häuser die Schönheiten, welche sich den Vorübergehenden zur Schau stellen. Sie schlug die Augen nicht nieder und wandte den Blick nicht ab. Sie fühlte auch kein Mitleid mit den armen Geschöpfen: Sie schlürfen des Lebens Gluth in vollen Zügen, aus einem Taumel in den andern gestürzt, kaum dazwischen erwachend, bis sie verwelken, und man sie fortwirft. Und das ist unser Aller Loos — ob früher, ob später? Was kommt es drauf an. Wer nur sagen kann: er hat sein Leben genossen! Sie recitirte in ihrem Selbstgespräch die Verse des Breslauer Dichters Bürde, der, damals in Ber¬ lin, seine Uebersetzung des Milton herausgab. Dichter sorgen am väterlichsten für ihre Gedichte, wenn sie sich selbst in der Societät zeigen. Um der Väter willen nimmt man sich der Kinder an. Die Geheim¬ räthin Lupinus würde die Verse: Ach es sind die gleichen Todesloose, Die das Schicksal allen Wesen zieht! Früher nur entblättert sich die Rose, Später nur verwittert der Granit, die sie zweimal mit Empfindung wiederholte, so wenig gekannt haben, als die Mehrzahl unserer Leser sie kennen wird, wenn sie nicht die Bekanntschaft des Sekretair Bürde in den Gesellschaften gemacht hätte, wo der schlesische Minister, Graf Hoym, in dessen Ge¬ folge er angekommen, ihm einen Ehrenplatz verschaffte. Das Komödienhaus war nicht gefüllt. Die Ge¬ heimräthin saß allein in ihrer Loge. Ihr schien das Haus dunkel. Es war nicht dunkler als ge¬ 3 * wöhnlich. Die Talglichter, die der Lampenputzer vor den Augen des Publikums ansteckte, duldeten auch keinen entfernten Vergleich mit dem Glanz der Theater von heut. Man sah wohl damals schärfer, denn man sah mehr, aber das Licht kam aus der Darstellung, versichern uns die, welche aus jener Zeit das deutsche Theater kennen. Für die Geheimräthin aber blieb es dunkel, obgleich Fleck als Odoardo seine ganze adlige Kraft entfaltete, die spätere Händel-Schütz als Orsina das Publikum entzückte. Lessings Meister¬ werk schien ihr an einem Etwas zu lahmen, das sie sich nicht erklären konnte; der jungen Schauspielerin, welche die Emilie zum ersten Male gab, hätte sie nachhelfen mögen. Wenn sie sich Rechenschaft gab, war es aber nicht die Schauspielerin, sondern sie hätte ihrer Rolle, ihrem Character eine andere Rich¬ tung geben mögen. Ihre Phantasie beschäftigte sich, eine welche andere Rolle Emilie spielen können, selbst glücklich und beglückend, glänzend und Glanz um sich verbreitend, wenn sie den Pulsen folgte, die für den Prinzen schlugen. Eine welche andere Herrschaft über ihn blühte ihr als der stolzen Orsina, vermöge ihres Liebreizes, ihrer geistigen Vorzüge. Sie hatte es in ihrer Macht, auch dieses Prinzen Wankelmuth zu fesseln, und Tausende, ein ganzes Land glücklich zu machen. Und alles das vernichtet ein plumper Dolchstoß, der Alle unglücklich macht und — die Thörin bat selbst darum! Die Geheimräthin war gewohnt in ihrer Loge Besuche zu empfangen. Entweder zeigte sich heut kein Bekannter, oder sie hielten sich entfernt. In einer Loge gegenüber, wo eine neu angekommene Schau¬ spielerin von Ruf saß, hörte das Klappen der Logen¬ thüre nicht auf. Ihr war diese Störung unangenehm, das Schauspiel fing an sie zu langweilen. Sie be¬ sann sich, daß sie zwar die Einladung zu einer Ge¬ sellschaft heut Abend nicht angenommen, aber auch nicht abgelehnt hatte. Sie hatte nur gesagt, sie fürchte einer Migraine wegen nicht erscheinen zu können. Sie hatte, oder wollte jetzt keine Migraine haben und verließ die Loge. Der Bediente hielt schon im Corridor ihre En¬ veloppe bereit. „Er zittert ja.“ Sie hätte kaum nöthig gehabt sich nach dem Grund zu erkundigen, der Bediente war ja noch in denselben ganz durchnäßten Kleidern, in melchen er auf dem langen Doppelwege aufgestanden. Der zu¬ gigte Corridor hinter den Logen war nicht geeignet die Naßkälte zu vertreiben. Johann sagte, das Fieber sei noch immer nicht ganz fort. Die Geheimräthin erwiederte nicht unfreundlich, er müßte endlich etwas dazu thun. Der Regen goß noch immer in Strömen, als sie wieder in die Kutsche stieg und Johann hinten auf. Der arme Mensch! dachte die Geheimräthin. Seltsam, daß es so sein muß! Es mußte so sein; über diesen Damm kam sie nicht hinweg, ja sie lächelte über den närrischen Gedanken, daß sie Johann auffordern könnte, sich in den Wagen zu setzen. Aber sie dachte über die Zukunft des Menschen nach. Er litt nicht vom Regen, sondern an einer innern Krank¬ heit, deren gelegentliche Ausbrüche nur in Fieber¬ anfällen sich zeigten. Sie glaubte etwas von der Arzneikunde zu verstehen, und den Schluß ziehen zu dürfen, daß er nie vollständig genesen werde. Was wird nun aus solchem Menschen? Eine Zeitlang hält man es noch mit ihm aus. Wenn er aber immer wieder zurückfällt, muß man ihn entlassen. Dann findet er wohl noch einen Dienst. Aber auf wie lange? Die neuen Herrschaften werden nicht so lange Ge¬ duld mit ihm haben. Er wandert ins Krankenhaus, vielleicht ins Spital, vielleicht auf die Gasse. Und wäre es ihm nicht besser, wenn er durch einen Blut¬ sturz, eine radicale Erkältung, ein rasches Ende fände. Er ist auch eine verfehlte Existenz! Sie schauderte und verfiel in ein Sinnen, dem die Ausdrücke fehlten, bis der Wagen vor dem er¬ leuchteten Hause hielt. Viertes Kapitel. Hier politisch , dort poetisch . Der Eintritt der Geheimräthin in die Gesell¬ schaft erregte einen allgemeinen Aufstand; es schien ein froher. Man hatte sie nicht mehr erwartet. Die Wirthin und einige Damen embrassirten sich; die ältern Herren bemühten sich ihr die Hand zu küssen: „Nein das ist hübsch und liebenswürdig von Ihnen, uns doch noch zu überraschen!“ — „Es wäre ein halber verlorener Abend gewesen, ohne die Frau Geheim¬ räthin,“ sagte der Wirth. Ein Dritter: „je später der Abend, so schöner die Gäste.“ Es war eine an¬ sehnliche, aber etwas bunte Gesellschaft, vielleicht eine, wo die Wirthe auch solche Verwandte und Bekannte ge¬ beten haben, welche sonst sagen könnten: „Zu so etwas werden wir nicht eingeladen!“ Die Geheim¬ räthin war von der zuvorkommensten Freundlichkeit. Man konnte auf den ersten Blick annehmen, daß sie, wenn nicht an Stand und Vermögen, doch von Natur und Bildung von feinerer Art, ein Wesen war, was man so gewöhnlich ein höheres nennt, wenn es in Kreise tritt, die sich ihrer Gewöhnlichkeit bewußt sind. Der Neid, den es hervorruft, zeigt sich in der Regel erst dann, wenn dies vornehme Wesen seine Eigen¬ schaften geltend machen will. Dies war bei der Ge¬ heimräthin nicht der Fall. Sie konnte nicht liebens¬ würdiger, bescheidener, gewissermaßen harmonischer zur Gesellschaft auftreten; sie bedauerte so sehr den Aufstand, den sie erregt. „Aber warum ist Ihr lieber Mann nicht mit¬ gekommen? Wir sind ihm zwar unendlich verbunden, daß er sich entschlossen, unsre Frau Geheimräthin uns zu gönnen, aber es wäre doch hübsch gewesen, wenn er sich selbst entschlossen. Das hätte erst unsre Freude vollkommen gemacht.“ „Sie thun meinem Manne unrecht, entgegnete die Angekommene. Wenn es nach ihm gegangen, wäre ich längst hier. Er kann es nicht sehen, wenn ich ein Vergnügen seinetwegen entbehre. Aber liebe Frau Geheimräthin, — die Wirthin nämlich war auch eine Geheimräthin — Sie glauben nicht, wie er jetzt mit Arbeiten überhäuft ist, und ich sehe mit wahrer Angst, wie er sich dabei anstrengt, daß sein Kopfleiden wieder heraustritt. So machte ich mir ein Gewissen daraus, ihn heut zu verlassen. Aber er hatte keine Ruhe. Wir wollten Piquet spielen; da legte er mit dem freundlichen Blicke, dem man nicht wiederstehen kann, die Karten weg, streichelte mir über die Backe und sagte: Liebe Ulrike, ich werde viel mehr Ruhe haben, wenn ich dich in heitrer, lieber Gesellschaft weiß. Du mußt Dich aufheitern nur um meinetwillen. Da kann man denn nicht widerstehen.“ „Man muß gestehen, unsre Frau Geheimräthin Lupinus ist das Muster einer Hausfrau, sagte der Wirth, und diese Ehe eine exemplarische. Man wird nicht viele in Berlin so finden.“ „Mit Ausnahme doch!“ sagte die Geheimräthin Wirthin, und die Geheimräthin Gast schlang sanft den Arm um ihre Schulter: „Ich kenne eine Aus¬ nahme. Was unsere Ehe betrifft, so möchte ich ihr nur darin einen kleinen Vorzug beimessen, daß wir uns so innig verstehen, ohne es auszusprechen. Wir gehen eigentlich jeder seinen eigenen Weg, was ge¬ wiß zu Mißdeutungen Anlaß giebt, aber jeder fühlt für den andern mit, er verfolgt ihn still in den Ge¬ danken, jeder ist unsichtbar beim andern. Wir wissen oft nicht, woher diese Sympathie kommt, doch sie ist da. So in diesem Augenblick. Das Vergnügen in dieser liebenswürdigen Gesellschaft zu sein, ist mir gestört, weil ich weiß, mein Mann hat nicht die Augen geschlossen und ruht nicht, wie er mir versprach, im Lehnstuhl aus, sondern er hat wieder seine Folianten vorgenommen, er vergleicht zwei alte Handschriften, er bückt sich über, er drückt die Feder, während der Angstschweiß ihm von der Stirne träuft, weil er sich die Abweichung in einer Lesart nicht erklären kann. Ich sehe das alles so deutlich vor mir wie den Piqueas in Ihrer Hand —“ Sie fuhr sich leicht über die Stirn, und erschrak über den Eindruck, den ihre Rede gemacht. Dabei kam ihr zu Sinn, daß die Gesellschaft ja durch sie vom Spieltisch zurückgehalten werde. Sie bat um Entschuldigung wegen ihrer unzeitigen Herzenseröff¬ nungen. „Was kann eine schöne Seele schöneres thun, als Andere ihre Empfindungen mitempfinden lassen,“ lispelte eine Seele, die sich wohl selbst für schön hielt. „Nennen Sie es lieber eine Schwäche, schüttelte die Geheimräthin den Kopf. „Die Welt will nicht, daß wir uns geben, wie wir sind, und die Welt hat im Grunde Recht.“ Nun aber hatte sie auch keine Ruhe, als bis die Herrschaften sich niedergesetzt. Ein heiteres Ver¬ gnügen zu stören erschien ihr immer wie eine Todsünde. Sie hatte recht. Wer die Karte zur Whistpartie in der Hand hält, läßt sich ungern stören, am we¬ nigsten durch Herzensergüsse einer schönen Seele. Einige hatten die Geheimräthin schon immer für eine Clairvoyante gehalten; die Clairvoyance war in der Mode. Andere meinten, sie sei nur von einer außerordentlich reizbaren nervösen Complexion. Man bedauerte sie, es gab wohl auch andre, die sie darum beneideten. Hier lobte man sie, wie schonend sie das Verhältniß zu ihrem Ehemann darzustellen wisse, da jedermann bekannt sei, ein wie eigensinniger Stuben¬ gelehrter der Geheimrath wäre. Sie sei gewisser¬ maßen eine Märtyrin ihres feinen Sentiments. Er bereite und gönne ihr kein Vergnügen, was sie sich nicht abstehle. Eine andere rief: „Und wie unrecht von ihm, denn von ihr kommt doch das Geld!“ Es war eine glänzende Gesellschaft aus den höhern Kreisen des mittlern Lebens. Aber man muß an eine Gesellschaft aus dem Anfang dieses Jahr¬ hunderts ebensowenig den Maaßstab des Glanzes von heut legen, als an die Komödienhäuser von damals den unserer Theater. Der Vergleich geht vielleicht noch weiter. Die Kleiderstoffe und Geschirre waren kostbarer, gediegener und dauerhaltiger, aber im künstlichen Ausbeuten und geschickten Zerlegen des Stoffes, damit jeder Theil seine Wirkung erhalte, haben wir es weiter gebracht. Trifft das vielleicht auch auf die Unterhaltung zu? — Aber gar keinen Vergleich duldeten die Räumlichkeiten. Unsere Bürger¬ häuser werden Palläste. Diese hohen Räume, die ge¬ waltigen Fenster und Flügelthüren, welche den Zim¬ mern die Wände stehlen, fand man zu Anfang dieses Jahrhunderts nur in den wenigen aristokratischen Häusern der neuen Stadt. Die vornehmen Bürgerhäuser in den Vierteln der Friedrichsstadt aus Friedrichs Zeit geben zum Theil anspruchsvolle Fa ç aden, aber im Innern ist alles klein und zugemessen. Die niedrigern Zimmer liefen eines in das andere; dennoch blieb der Woh¬ nung etwas wohnliches, weil Flügelthüren und Fenster nicht die Räume unnatürlich verkürzten und der Mensch Platz für sich und seine Sachen an den Wänden fand und trauliche Winkel sich zu verlieren. In Zimmer an Zimmer konnte die Gesell¬ schaft sich ausbreiten. Wenn aber die Geheim¬ räthin das Theater dunkel fand, weil ihr Auge in eine künftige Zeit drang, so konnte sie auch hier trotz der vielen Wachskerzen auf schweren Silber¬ leuchtern den flimmernden Schein des Lampenlichtes vermissen, das die Nacht zum Tage macht. Unter den Möbeln, zum großen Theil noch vom spätern Roccoco, gewundenen weiß lackirten Stühlen und Tischen mit dem verbleichenden Schimmer von Gold, sah man schon den Uebergang zur antiken Welt in einigen glatten, scharf eckigten Stücken, deren Modelle dem Tischler wenn auch nicht als aus Pompeji doch an¬ geblich aus Hetrurien zugewiesen waren. Sie konn¬ ten so wenig als die Schildereien und die paar plastischen Stücke an den Wänden die Schnörkeleien des Roccocothum durch edle Einfalt beschämen. Wovon man sich unterhielt? — Wer faßt die zückenden Irrlichter zusammen, die von Mund zu Munde hüpfen. Und in einer gemischten Gesellschaft! Hier politisch, dort poetisch, Regelrecht wie ein Lineal, Philosophisch und ästhetisch Krümmend hier sich wie der Aal, Sprudelnd wie der Dampf vom Theetisch Aber überall trivial. hat ein späterer Dichter sie beschrieben. Ob die Geheimräthin sie auch so fand! Sie wechselte oft die Gruppen. Hier der ewige Streit, ob Goethe oder Schiller ein größerer Dichter sei? In diesen Kreisen war es längst entschieden. Welcher Mann von Bildung hätte zarten Lippen widerspro¬ chen, welche dem Dichter, der gesungen: Ehret die Frauen, sie flechten und weben Himmlische Rosen ins irdische Leben. den Preis zuerkannten! Es war nur seltsam, daß der Streit, trotz der Entscheidung, immer wieder von Neuem aufgeworfen werden konnte. Eine Geheim¬ räthin — es war aber eine dritte Geheimräthin — stellte sogar die Behauptung auf, während jede Seite in Schiller wenigstens ein nobles Sentiment enthalte, wisse sie keine einzige Sentenz in Goethe, welche die Seele rührt und erhebt. Dies fand doch Wider¬ spruch, und man citirte aus der Iphigenie die Verse: Weh dem der fern von Eltern und Geschwistern, Ein einsam Leben führt, ihm zehrt der Gram Das nächste Glück von seinen Lippen weg. Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne Zuerst den Himmel vor ihm aufschloß, wo Sich Mitgeborne spielend fest und fester Mit sanften Banden aneinander knüpften. Ein junger Mann mit blassem ernsten, aber et¬ was eingefallenen Gesicht recitirte die Verse mit Ausdruck. Man schwieg eine Weile. Als die Ge¬ heimräthin sie schön fand, drückten Alle ihre Bewun¬ derung aus. Eine Dame hatte bis da geglaubt, sie rührten von Schiller her, sie hatte die Erhabenheit des Gefühls Goethe nicht zugetraut. Doch bemerkte sie, die Verse ründeten sich nicht so wie bei Schiller, und bei aller Schönheit fehlte ihnen der schmeichelhafte Klang des Gefühls. „Aber er liegt in unsrer Seele, und fühlt das Weh, das uns in der einsamen Brust verzehrt“ hatte die Geheimräthin gesagt, als sie sich abwandte. Man schien sich zu fragen, was sie damit meine? Ein alter Hofrath antwortete seiner etwas schwerhörigen Nachbarin: „Sie ist eine Adlige von Geburt, und mags nun doch nicht recht verschnupfen, daß sie einen Bürgerlichen geheirathet hat. Darum hält sie wohl das von „seines Vaters Hallen“ auf sich anzüglich. Aber Schloß Wustenau stand schon 1762 sub hasta und sie ist auch gar nicht mal drin geboren; sie bildets sichs nur ein.“ — Die Dame, vor kurzem erst nach Berlin gekommen, war zufällig selbst eine adlige Officiersdame, was der Hofrath vermuthlich nicht gewußt. „Wenn er ihr ein Sort gemacht hätte, erwiderte sie, das passirt wohl, aber wie ich höre, ist das Vermögen von ihr, et voilà qui est bien curieux.“ — „Ja, meine gnädigste Frau, erklärte der Hofrath, als sie ihn heirathete, war sie ein blutarmes Fräulein, man hielts für ein großes Glück, daß sie ihn kriegte. Erst nachher machte sie die große Erbschaft.“ — „Ah! c'est ça.“ sagte die gnädige Frau, und sagte nichts weiter. „Wie kommt es, daß man den Einsiedler einmal in Gesellschaft sieht, sagte die Geheimräthin im Vor¬ übergehen zu dem jungen Manne, der die Verse ge¬ sprochen. Und noch mehr, wie kommt es, daß Sie Goethe noch für werth achten, ihn auswendig zu ler¬ nen? Wer so in transcendentalen Regionen der neuen Poesie schwebt, gäbe auf die alten Dichter, dachte ich, nichts mehr. Aber nehmen Sie sich in Acht, daß mein Mann nichts davon erfährt, Herr van Asten! Für ihn, wie Sie wissen, sind ja schon Goethe und Schiller Neuerer.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, war sie vorüber¬ geschwebt. In einem Kreise, wo man über Politik sprach, stritten sie sich wer ein größerer Feldherr ge¬ wesen: Moreau oder Napoleon Bonaparte? Die Parteien standen scharf gesondert. Der Geheimräthin kam das sonderbar vor; den Grund wußte sie sich nicht recht anzugeben. Das Gespräch ward ihr langweilig. Sie hatte sich auch einmal für Bona¬ parte interessirt, und auch für Moreau. In diesem Augenblick waren die Feldherren ihr gleichgültig. So gleichgültig als die Gespräche über die Tagesgeschich¬ ten und Stadtklätschereien, die in jeder Gesellschaft ihr unverwüstliches Recht beanspruchen, auch wenn man sie vorher grundsätzlich ausschloß, wie es heut Abend mit der Geschichte der Kindesmörderin ge¬ schehen war. Aber wer wußte nicht einen pikanten Zug zu erzählen, wer fühlte nicht den Zug in sich, aus eigner Wissenschaft das Erzählte zu berichtigen, und ehe man es sich versah war der verbotene Ge¬ genstand überall der des lebhaften Gesprächs. Es gab aber noch einen andern Gegenstand. Man berührte ihn nicht in ihrer Gegenwart. Die Geheimräthin sah nicht allein in die Ferne, sie konnte auch dahin hören. Sie wußte genau, was gesprochen wurde, und daß sie, ihr Mann, dessen Bruder, das fatale Ereigniß der vorigen Nacht, den Stoff abgab. Vielleicht daß sie eben darum die Gesellschaft besucht hatte, um zu zeigen, daß sie ohne Besorgniß war, oder — darüber hinweg. Aber es gefiel ihr nicht länger, daß das Gespräch verstummte, wo sie sich näherte. Wer spielt gern die Vogelscheuche! Bei einer Whistpartie fehlte durch einen Zufall der vierte Mann. Sie zeigte sich bereitwillig, die Karte zu übernehmen. Man erkannte das ganze Opfer, welches sie brachte. Sie versicherte, wenn sie durch ihr schlechtes Spiel das Vergnügen ihrer Mit¬ spieler störe, so sei ihre Schuld doch nicht so groß als ihre Genugthuung, in so angenehmer Gesellschaft eine Stunde zu verbringen. Das Spiel prosperirte in der That nicht durch ihren Eintritt, aber wie die Mücken um den hellsten Lichtschein, sammelte sich um diesen Tisch die ambu¬ lirende Gesellschaft. Wer fühlte sich nicht geehrt der Geheimräthin Rath zu geben, die bei ihren Fragen vielleicht mehr Unschlüssigkeit verrieth, als in ihrem Character lag. Und wie liebenswürdig nahm sie ihn hin. „Sie ist die charmanteste Frau!“ flüsterten die andern. Die Geheimräthin zankte auch nicht um die Points. „So aufgeräumt, Herr v. Dohleneck?“ sagte sie, die Karten prämelirend zu einem Cavallerieofficier, der sich neben ihr etwas brüsk auf einen Stuhl warf, den ein Civilist eben für eine junge Frau hingestellt zu haben schien. Die Dame warf dem Officier einen bösen Blick zu, den er aber nicht bemerkte, oder bemerken wollte, und der Civilist beeilte sich ihr einen andern Stuhl hinzusetzen, den sie aber nicht annahm, sondern ins Nebenzimmer eilte. „Sie irrten Sich, sagte die Dame, ich wollte mich gar nicht setzen, ich suchte meinen Mann.“ Möglich daß nur zwei Augen, vermittelst einer vorgehaltenen Lorgnette diesen Auftritt bemerkt, der wie ein Lüftchen über den Wasserspiegel der Societät hinkräuselte, um am Ufer zu verschwinden. Aber am Ufer trieb und wühlte das Lüftchen weiter im aufge¬ lockerten Sande. Der ihn bemerkte war ein Herr etwas über die mittleren Jahre hinaus, welcher eben eingetreten war und mit der Lorgnette die Gesellschaft erst zu mustern schien, ehe er sich ihr zeigte. Wir werden ihn näher kennen lernen. Der sich auf den Stuhl warf war — nur ein Ab¬ druck von Hunderten oder von Tausenden. Das wohlgeformte, volle Modell eines Kriegsgottes, den man vielleicht schön nennen können, wenn die Ueber¬ fülle der Gesundheit und Kraft in dem beinahe sechsfüßigen Körper etwas mehr Elasticität, und das volle rothe Gesicht unter den blonden Haaren und dem blonden Stutzbart weniger Sorglosigkeit und weniger Gutmüthigkeit verrathen hätte. Er war ein Mann, der seinem Mann stand, aber der militairische I. 4 Grimm, der auch den Mann herausfordert, welcher Miene macht nicht stehen zu wollen, fehlte ihm. „'S ist um sich todt zu lachen, wenn Feder¬ fuchser über Dinge schwatzen, die nicht in ihren Bü¬ chern stehn.“ „Besser todtlachen, als todt ärgern, lieber Ritt¬ meister! bemerkte die Geheimräthin. Was hat Sie denn in die Rage gebracht?“ Der Officier kam aus der politisirenden Ecke. „Stellen Sie sich vor, schöne Frau, der Professor da, oder was er ist, Sie kennen ihn ja wohl — er zeigte auf den jungen Mann von vorhin, jedoch mehr durch ein Augenblinzeln, indem er sich den Schnurrbart strich — der junge Herr meint, wenns mit den Franzosen losgeht, wäre es doch sehr zwei¬ felhaft, wer Sieger bleibt.“ Man blickte verwundert und halb erschrocken auf den Redner oder auf die glücklicherweise entfernte Gestalt des Mannes in Rede. „Na, auf Ehre, 's ist wahr, setzte der Officier hinzu. Er raisonnirt von Bonapartes Genie als Feldherr; nun das mag er haben, wir lassen's ihm. Und 's wäre auch zweifelhaft, ob selbst Friedrichs Genie im Stande wäre ihm überall zu pariren, wie er Daun und Laudon gethan. Nu, darüber kann man nur lachen. Aber als ich ihn fragte, was er denn zu unsrer Armee meinte, wissen Sie, was er sagte —“ „Es ist mir etwas ganz Neues, daß Herr van Asten sich mit Politik beschäftigt.“ „Ich dachte, er würde nach der Rheincampagne retiriren, da hätte ich ihm mit 'ner Antwort gedient. Nein, er sagte, hören Sie, ich hab's des Spaßes wegen behalten: uns stehe ein Heer gegenüber, das aus dem jugendlichen Volksbewußtsein stets neue Kräfte schöpft, wie der heidnische Riese, ich weiß nicht wie der Kerl heißt, der zu jedem neuen Kampfe seine Mutter-Erde küßte. Ob wir denn mit unsern ge¬ schlossenen Phalangen von altem Ruhme, aber ohne den Genius, der ewig zeugt, uns getrauten eine Kraft zu werfen, die ewig neu wächst? Ich sage Ihnen, es war zum Bersten. Gut, daß keiner meiner Ca¬ meraden es gehört. Ich sagte ihm nur: Mein lieber Herr, wer die Erde küßt macht sich das Maul schmutzig, und hol mich der und jener wenn wir unsern Sol¬ daten nicht die Propret é eingefuchtelt haben.“ Der Verlegenheit über die Rede zu lächeln oder sich zu äußern wurden die Zuhörer durch den Wirth überhoben, der plötzlich mit einer Stimme die eher auf die Kanzel als an den Whisttisch gehörte, laut sprach: „Aber, meine verehrte Herren und Damen, Gott sei Dank, daß wir der Beantwortung dieser Frage durch die Weisheit unsrer Staatsmänner üherhoben sind, welche es nicht dahin kommen lassen werden, daß der Degen des großen Friedrich aus der Gruft geholt wird, um mit dem Degen des großen Mannes sich zu kreuzen, und die es nicht dulden werden, daß die beiden ruhmwürdigen und erleuchteten Nationen in 4* andern Streit gerathen, als den, aus welchem für die Civilisation die schönsten Früchte entspringen. Wozu also dieser Dispüt, der uns nichts angeht? Die weisen und humanen Männer, denen unsre Re¬ gierung anvertraut ist, werden immer für unser Bestes sorgen und was sie ersinnen, ist gut und wird zu unsrer Aller Ruhe beitragen.“ Fünftes Kapitel. Der vornehme Gast. Der Grund dieser seltsamen Anrede war, daß der Wirth in dem Augenblicke den Gast in der Thür bemerkt hatte, welcher vorhin mit der Lorgnette die Gesellschaft musterte und jetzt mit einer raschen Vorwärtsbewegung den nächsten Gruppen zueilte. Und doch schien er, als der Geheimerath Bovillard ihn im Vorübergehen mit einem freundlichen Hände¬ druck begrüßte, von dieser unerwarteten Gegenwart nicht wenig überrascht und erschreckt. „ Mesdames — Messieurs ! sagte der wirkliche Geheimerath mit einer verbindlichen Neigung gegen den Spieltisch, ich hoffe daß sich Niemand derangiren läßt,“ und war durch die nächste Gruppe, auch durch eine zweite und dritte, ohne sich um die Personen zu kümmern, geeilt, bis er die Wirthin fand, deren Hand er an die Lippen führte, und seine verspätete Erscheinung mit vielen schmeichlerischen Worten und einer höchst wichtigen Conferenz entschuldigte. Es war ein Funke in die Gesellschaft gefahren, die zu ermatten anfing; und der Funke hatte gezündet. Einen liebenswürdigern, einen freundlicheren Mann als diesen vornehmen Gast konnte man sich nicht denken. Wie wußte er jedem, der ihm vorgestellt ward, etwas Angenehmes zu sagen, wie wandte er sich mit Theilnahme und Herablassung zu ganz unbedeutenden Personen. Für jeden hatte er ein verbindliches Wort. Die Tasse in der einen Hand, den Biscuit in der andern, wie gerieth er plötzlich in's Feuer und erzählte mit hinreißender Lebendigkeit irgend ein gleich¬ gültiges Ereigniß, das er am Hofe erlebt. Der sub¬ alterne Zuhörerkreis war in Entzücken über die Vertraulichkeit eines so hochgestellten Mannes. Ebenso plötzlich konnte er freilich einen andern am Arm er¬ greifen, und ohne sich zu kümmern um die, welche er eben an seine Fersen gebannt und um sich als Trabanten gezaubert, ihn mit einem: à propos , wissen Sie schon? beiseit ziehen. Er flüsterte ihm etwas in's Ohr, er setzte die Tasse fort, die Hand vor dem Munde sprach er noch leiser, aber mit faunischem Lächeln; nein er lächelte nicht mehr, er lachte, er kicherte, wenn sich das für einen wirklichen Geheime¬ rath geschickt hätte. Der Andere natürlich lächelte auch, er lachte, er versuchte zu kichern. Die Lorgnette am Auge, und das Gesicht halb über die Schulter gewandt, konnte man glauben, daß er nach dem Gegenstande suche, den sein beißender Witz eben getroffen. Aber er lorgnettirte nur ein hübsches Gesicht und sprach seine Admiration aus, daß die Kleine, die er nannte, sich so ausgewachsen; er hätte es nicht erwartet. Wenn man ihm bescheiden bemerkte, daß er die Personen verwechsele, fand er sich nicht in Verlegenheit, sondern stellte das Paradoxon auf: die Liebe solle zwar nicht wechseln, aber alle wahre Liebe bestände aus Verwechselungen: „Unsere Phantasie schafft sich ein Ideal. Das lieben wir. Je öfter wir nun in einer beauté dies Ideal wieder¬ zufinden glauben, um so glücklicher sind wir, und um so mehr andere beglücken wir. Nicht wahr, Herr Geheimerath, die Fabel vom Amphytrio ist das Chef d'Oeuvre in der Mythologie?“ Der in den Kreis getretene Geheimerath war nicht allein ein ernsthafter Mann, sondern er stand auf einer amtlichen Stufe, die der eines wirklichen sehr nahe kam. Es hatte sich die Nachricht in der Gesell¬ schaft verbreitet, daß ein Courier, der heut Nachmittag wichtige Nachrichten gebracht, den Geheimerath so lange zurückgehalten. Er glaubte ein Recht zu haben sich bei diesem danach zu erkundigen. „Bester Freund, sagte letzterer in der Fenster¬ nische, wohin sie sich zurückgezogen, wann verging ein Tag, wo nicht ein Courier an einen Minister kam, und wenn ich ihre Wichtigkeit, nämlich unserer Minister, danach abwägen sollte, so wüßte ich wirklich nicht, wo vor Respect bleiben. — Aber Gott weiß, mich hat nie danach gelüstet, ihre Geheim¬ nisse früher zu erfahren, als sie an den Tag kamen. Denn was hilft mir's, ob der Kurfürst von Hessen seiner jüngsten Maitresse einen so kostbaren Hut ge¬ schenkt hat, daß die nächstältere darüber in einen Wuthkrampf verfallen ist. Oder wenn die Fetzen des heiligen Römischen Reichs sich darüber streiten, ob der Professor Fichte ein Deist ist oder keiner? Und diese Bagatellen, Sie glauben nicht, wie man uns damit überschüttet. Diese Geschichte mit . . . . . . . er flüsterte einen Namen, Sie kennen sie doch? der halbe Mulatte aus Holland, — wie hieß er doch gleich! — ließ ihm auf dem Sopha zwei Rollen, jede mit hundert Friedrichsd'or, zurück. Als unser Freund es sah, rief er ihn zurück: Sie haben etwas vergessen! Unterstehen Sie sich nicht, mir noch einmal vor die Augen zu treten. Konnte der Graf nobler handeln? — Eine Woche darauf kommt der Baron, der in Batavia, wie Sie wissen, einmal Gouverneur war, zu ihm, und fragt ihn, ob er nicht seine Schimmel verkaufen wolle! Sie erinnern sich doch der Wagen¬ schimmel! Blind und lahm, ein wahrer Scandal, ein Spott der Kutscher. Unser Freund sagt Nein. Wie kommen Sie darauf? Excellenz, sagt der, ich zahle jeden Preis. Ich muß sie haben. Ein verrückter Lord hat seinen Sinn darauf gesetzt, ein Achtgespann gerade von solchen Thieren zu besitzen. Einem Thoren und Nabob kommt es nicht auf's Geld an. Ich habe alle Roßtäuscher in der Provinz in Acquisition gesetzt; sie können mir nur fünf auftreiben, und mir geht dadurch ein großer Gewinn verloren. Ich sähe es daher als eine große Gefälligkeit von Ew. Excellenz an, wenn Sie mir zu Hülfe kämen. — Ich bin kein Kaufmann, sagte unser Freund, und weiß keinen Preis zu setzen, lassen wir die Sache fallen. — Der Baron überschlägt sich: Hundertfünfzig Friedrichsd'or für jedes kann ich geben, Summa dreihundert, Zug um Zug. Mein Kutscher wartet unten. Unser Freund sah ihn ernst an: Man soll auch zuweilen den Narren gefällig sein; aber Ihnen soll der Neukauf frei bleiben. — Nun gesteh ich Ihnen zu, der Schinder gab nicht zwanzig Thaler für beide Bestien, — nun, wir haben es Alle verstanden, es war ein Witz, nichts als ein Witz! Aber können Sie glauben, liebster Geheimerath, wie man uns bombardirt mit anonymen Denunciationen. Wir sollten Lärm schlagen, dem Könige die Sache hinterbringen. Soll man sich um solche Bagatellen die Finger verbrennen! Beyme schmunzelte neulich: Ich hätte die Pferde wohl nicht verkauft, aber Sie wissen doch, der Pferdehandel unterliegt andern Gesetzen, als die im Landrecht stehen. Darin soll der Bruder dem Bruder nicht trauen. Und, ich bitte Sie, der König hat für andre Dinge zu sorgen. Haugwitz sagte: sollen wir etwa darum Einen ver¬ lieren, der sich nicht um Politik kümmert. Sehen Sie, liebster Geheimerath, je weniger wir sind, die sich um die Dinge nach außen kümmern, um so besser wird alles gehen.“ Der Geheimrath wußte nun wenigstens, daß Bovillard ihm nicht sagen wollte, was er wußte. Doch wußte er darum noch nicht, ob er etwas wußte. Seltsam, derselbe vornehme Mann ging gleich darauf mit einem angesehenen Kaufmann aus der Brüderstraße Arm in Arm durch die Zimmer, und wenn wir recht gehört, vertraute er demselben, was er dem Geheimrath nicht für gut gefunden mitzutheilen: „Sie kennen meine Amtspflicht, aber einem Freunde, wie Ihnen, kann ich die Versicherung geben, unsere Sachen stehen gut. Phantasten, unpraktische Köpfe, Schwärmer, die an Krieg denken! Idealisten, liebster Splittgerber! Vor denen müssen wir uns vor allem hüten. Es taucht jetzt hier solche Classe von jun¬ gen Strudelköpfen auf, die von Deutschland, deutschem Wesen, deutscher Sprache, Art, sprechen. Man kann darüber lachen, aber man muß Achtung geben. Die Ideen können viel Unheil in der Welt anrichten. Er¬ innern Sie sich an Frankreich! Da ist hier der junge Professor Fichte! O es sind ihrer mehre. Ein sublimer Kopf — aber sie sehen den Wald vor den Bäumen nicht. Auf das Praktische, auf das, was uns noth thut, den Sinn gerichtet! Das Hemde ist uns näher als der Rock. Der Kaufmann ist eigentlich der wahre Philosoph für die Welt. Er weiß, was uns noth thut. Sie geben mir Recht, lieber Splittgerber. Wenn wir ein Trauerjahr vor uns haben, werden Sie nicht Cochenille verschreiben. Das heilige Römische Reich, als es existirte, brauchte freilich vielerlei Nürnberger Waare, unter andern auch einen Kaiser. Brauchen wir das? Wir sind das Reich du grand Frédéric ! Sie werden mir darin Recht geben. Eine Weltkata¬ strophe hat alle Verhältnisse umgeworfen. Was sind Nationalitäten? — Irrlichter! Laterna Magicabilder! Wenn man eine anders gefärbte Glasscheibe vorschiebt, sehen sie anders aus. Wie Preußen sich selbst ge¬ funden hat in seinem großen Könige, so haben die Franzosen sich in ihrem Bonaparte gefunden. Wie Friedrich das Genie der Franzosen erkannte, erkennt Napoleon den Genius, der in unserer Monarchie lebt. Sie glauben gar nicht, wie man uns erkannt! Wir sind, wie bestimmt von dem Geist über dem Sternenzelt, brüderlich, Hand in Hand im Völker¬ bunde neben einander zu schreiten. Und da wollen Querköpfe eine tudesque Idee dazwischen schieben. Ich bitte Sie, ich wiederhole es, was sind Natio¬ nalitäten? Fragen Sie, wenn Sie Pfeffer kaufen, von wem Sie ihn kaufen? Der billigste Verkäufer ist der beste. Und wenn Sie verkaufen, wer den höchsten Preis dafür zahlt, der ist der beste Käufer; nicht ob er Italiener ist, Franzos oder Russe.“ Dem Kaufmann aus der Brüderstraße schien der Ideengang des Staatsmannes denn doch nicht ganz geläufig. Er handelte nicht mit Pfeffer: „Herr Geheimrath beliebten von einem Courier zu sprechen —“ Bovillard legte die Hand auf seinen Arm und mäßigte die Stimme: „Nur Ihnen, und unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses. Bovillard's Ge¬ sicht glänzte — alle Mißverständnisse gehoben, alle Schwierigkeiten ausgeglichen, der König und unser Vaterland können sich glücklich schätzen, daß sie Diplo¬ maten haben, welche es verstehen Krieg zu führen ohne den Degen zu ziehen.“ Zufällig aber begegnete dem wirklichen Geheim¬ rath, als er sich an der Thür umwandte, Jemand, zu dem er dieses Gespräch nicht geführt hätte, Jemand, der gern den Degen gezogen hätte. Der Rittmeister würde sich nicht dem Staatsmanne genähert haben, den er nicht leiden konnte, wenn dies nicht der ein¬ zige Ausweg gewesen wäre, um einer Dame nicht noch einmal zu begegnen, die er ebenfalls nicht leiden konnte. Es war dieselbe, welcher er vorhin den Stuhl vor der Nase fortgenommen. Wenn er aber darin ungalant gehandelt, was zweifelhaft bleibt, da es möglich ist, daß er sie nicht bemerkt hatte, so war er diesmal eher galant, indem er der Dame nicht in den Wurf kommen wollte, die ihm eben mit einer Miene den Rücken gedreht, beredt genug um ihre ganze Nichtachtung auszudrücken. „Held und Sieger! rief der Geheimrath ihm entgegen mit der Phrase aus einer damals gang¬ baren Oper: Auf Deiner Stirne, Jüngling, glüht der Muth, Dein Auge dürstet nach der Feinde Blut, Doch Palmen seh' ich statt der blut'gen Speere, Mit Friedenszweigen kehren unsre Heere Geschmückt nach Haus vom Felde ihrer Ehre.“ „Geheimrath irren sich, entgegnete der Officier, das Feld gehört zu den Domänen, wo uns die Ge¬ heimen- Kriegs- und Kabinett- Räthe nicht mehr exerciren lassen. Oder haben Sie etwa den Schlüssel in der Hand?“ Doch Mavors zorn'ger Sohn gedulde Dich ein wenig, Fortuna ist ein Weib, und Launen unterthänig, Sie tändelt ehe sie die ehernen Würfel schüttelt, Und bis Bellona erst am Thurm den Widder rüttelt. Die ist ein Weib und die . O lern' mit Weibern tändeln, Und bist Du Sieger da, wirst Du's in ernstern Händeln. Es wird schon noch ein Mal losgehen, schloß der Geheimrath die Citation aus einer vergessenen Tragödie, und hielt mit treuherziger Miene die Hand dem Officier hin. „Einschlagen, Geheimrath? antwortete dieser, den Arm langsam hebend. Aber ich schlage ucker¬ märkisch ein.“ Er schlug ein. „Also aufs Losgehen!“ Der Geheimrath zuckte unwillkührlich mit dem linken Knie. „Und meine Mutter war aus Pommern,“ setzte der Officier hinzu, als er die Hand aus der Presse ließ und sich entfernte. „Es geht doch nichts über eine deutsche Kraft¬ äußerung, bemerkte der Geheimrath. Und ich glaube, die war noch aus der Sturm und Drangperiode.“ An der Thürpfoste gelehnt lorgnettirte er noch einmal ins Zimmer, nur stand neben ihm nicht mehr der Kaufmann aus der Brüderstraße, sondern ein Herr mit dem Kammerherrnschlüssel und einem Krückstock. „Parbleu, comme elle est belle — belle et bête! N'est-ce pas?“ Die Bemerkung galt der Dame, vor der der Rittmeister seinen Rückzug angetreten. Eine fast ju¬ nonische Gestalt, aber mit ausdruckslosem Gesicht, stand sie in der Mitte des andern Zimmers — zu¬ fällig allein. „Ist denn Niemand da, ihr die Cour zu machen?“ „Hier!“ sagte der Kammerherr mit verächtlichem Blicke sich umsehend. „Wir befinden uns allerdings in einer etwas gemischten Gesellschaft. N'en parlons pas! Wer ist denn sonst ihr Amoroso?“ „Wissen Sie denn nicht, Bovillard, sagte der Kammerherr verwundert, sie ist ohne Passionen.“ „ Tant mieux ! so müßte man sie ihr einjagen. Ich bitte Sie, Kammerherr, sehen Sie diese Formen an! Vielleicht ein Tugenddrache! Liebt sie ihren Mann?“ „Sie sind sechs oder acht Jahre verheirathet.“ „Der Baron spielt, sie stellt sich neben ihn!“ „Um eine Position zu haben.“ „Wie sie den Arm aufhebt! Sehen Sie — sehen Sie, ganz die Attitude der Lichtenau! Die Lichtenau war auch nicht immer, was sie ist —“ „Sie wollten sagen, was sie war.“ „Wäre die Lichtenau nicht in Paris erzogen worden — Sehen Sie jetzt wieder — täuschend! Aus der Baronin kann etwas werden.“ „Nur keine Lichtenau, seufzte der Kammerherr. Diese Zeiten sind vorüber.“ „ Les temps changent, mais pas les hommes . Mon cher baron , die Welt ist rund, et tout ça re¬ viendra . Aber das Leben entflieht, die Jugend ver¬ blüht, es wäre wirklich ein mildthätiges Werk die schöne Frau verliebt zu machen. Schaffen Sie mir einen Gegenstand, ich unternehme es.“ „Ich will Prinz Louis noch einmal aufmerksam machen; er scheint aber nicht darauf zu reflectiren.“ „Was, Prinzen! Den ersten besten, es gilt ja nur die Gaben der schönen Frau an den Mann bringen. Wir wollen sie etwas ins Gebet nehmen, und sehen, wo in der Conversation der Stahl den Feuerstein berührt.“ Als sie sich der Thür näherten, schwenkte indeß der Geheimrath, den Kammerherrn unterfassend, schnell wieder zurück. Die Dame in Rede stand hinter dem Stuhle ihres Gatten, und diesem gegenüber saß unsre Bekannte, welche uns in diese Gesellschaft geführt. „Ein Andermal! sagte Bovillard leis zu seinem Begleiter. Da sitzt die Geheimräthin.“ „Die Lupinus! — Sind Sie Feinde, oder — es ist doch keine alte Liaison?“ „Bewahre mich der Gottseibeiuns. Ich weiß nicht, die Frau hat für mich etwas — je ne sais quoi . Lombard lacht mich immer aus. Aber wer kann für Sympathieen und Antipathieen.“ „Sie ist eine gescheidte Frau.“ „Gewiß, aber heut muß ich doppelt ihre Distance wünschen. Habe mich zwei Mal vor ihrem Schwager verleugnen lassen. Was diese verdammten Kindes¬ mörderinnen für Anhängsel haben!“ Sechstes Kapitel. Der späte Gast. Zwei Sonnen vertragen sich nicht am Himmel. Der Spieltisch, an dem die Geheimräthin Lupinus saß, war sehr einsam geworden; die Vögel, die nach dem Licht flatterten, blieben aus seit das Licht des wirklichen Geheimrathes durch die Zimmer flackerte. „Aber, meine beste Frau Geheimräthin! rief ihr Partner, der Ehemann der schönen Frau, wir hätten die Tric's gewiß gemacht, wenn —“ „Die schönen Augen der Frau Baronin haben mich geblendet. — Sie haben da eine Hülfe bei sich, Baron, die eigentlich unerlaubt ist.“ Die Geheimräthin war am Geben. Sie vergab sich. Es war der Augenblick, wo sie den Wirklichen zur Thür hereinblicken und sich rasch wieder ent¬ fernen sah. „Die Frau Geheimräthin sind wohl unpäßlich,“ bemerkte die schöne Frau. „Ich! meine liebe Baronin? — Ach nein. Die Seele muß immer Herr sein über den Körper. Das sagt mein guter Lupinus so oft. Dadurch erhält er sich in seinen anstrengenden Arbeiten. Und ich —“ Sie hatte sich wieder vergeben. Die andern Partner sahen sich verlegen an. Der Baron zeigte die Karten seiner Frau: „Jammerschade, daß man solches Spiel fortwerfen muß.“ Die Lu¬ pinus hielt sich das Taschentuch an's Gesicht: „Es ist nichts, nur ein heftiges Herzklopfen, es wird gleich vorüber sein. Wirklich, liebe Baronin, sagte sie zu dieser, welche von Hoffmannstropfen gesprochen — der Schmerz ist gar nichts, wenn nur der Verdruß nicht wäre, daß mein Unwohlsein die Gesellschaft stört. — Sehen Sie, jetzt habe ich nicht vergeben. Was ist Atout, wenn ich fragen darf? Coeur oder Pique? Es flimmert mir nur vor den Augen.“ — „Frau Geheimräthin haben kein Atout mehr.“ Sechs Augen starrten die Spielerin in gläserner Ver¬ wunderung an. Die schöne Baronin öffnete ihre Lippe weiter als nöthig war, um ihre Perlenzähne bewundern zu lassen. Die Spielerin hatte noch eine Hand voll Trumpf. Stumm hatte die Geheimräthin die Karten nieder¬ gelegt. „Sie sind ein Engel voll Güte, sagte sie zur Baronin, als diese die Karten nahm. Und nun um Gotteswillen kein Derangement.“ Sie entschlüpfte — nur um einen Augenblick sich zu erholen. „Ein Glas Wasser wird es thun.“ Aber die Wirthin betraf sie, als sie ihr Umschlage¬ tuch nahm, um fortzugehen. I . 5 „Liebste Geheimräthin, Sie werden uns das nicht anthun. Ich führe Sie in die Schlafstube, ein halb Stündchen Ruhe, ich kenne ja Ihre Seelen¬ stärke, und Sie haben sich erholt, wenn Sie uns gut sind.“ „Beste Geheimräthin, erwiederte die Lupinus, ich erkenne Ihre himmlische Güte, aber glauben Sie mir, die Luft erdrückt mich.“ „Im Speisesaal ist sie ganz anders. Es ist ge¬ deckt. Wir warten nur auf den interessanten Fremden, den Legationsrath v. Wandel, Sie haben doch schon von ihm gehört, er ist sehr begütert in Thüringen. Mein Mann sagt, ein Mann von eminenten Gaben. Ich hatte es mir so hübsch vorgestellt, er sollte Sie zu Tisch führen. Wo konnte ich ihm eine geistreichere Nachbarin verschaffen. Er ist nur zu einer Audienz bei Prinz Louis Ferdinand plötzlich beschieden, aber er muß den Augenblick hier sein.“ „Ich einen Mann von Geist unterhalten! Sie spotten meiner. Ach, aber es ist nicht das. — Mein armer Mann — er sitzt noch bei der Studirlampe — ich sehe ihn wieder — verzeihen Sie, theuerste Freun¬ din, es preßt mich, es sprengt mir die Brust — ja mir ist, als wenn jetzt ein großes Unglück zu Hause geschähe. Nicht mir, meines guten Mannes wegen verzeihen Sie die Störung.“ „Es ist recht schade, daß die Frau Geheimräthin an Visionen leidet, bemerkte die Hofräthin am Spieltisch, der man die Zufriedenheit ansah, daß die Baronin die Karten übernommen hatte. Es ist doch mit dem Nervensystem etwas Singuläres. Und es stört mancherlei.“ „ C'est le temps ! bemerkte Bovillard, der inzwischen hinzugetreten. Un peu mystique, un peu clair-obscur, un peu de clairvoyance et un peu de vérité, voilà tout. Es ist wie mit dem Schnupfen. Man glaubt ihn los zu sein, da kommt er wieder.“ „Herr Jemine, rief die Baronin, als sie aus¬ spielen sollte. Ich kann ja nicht, ich habe meinem Manne seine Karten gesehen.“ Das sah jeder ein. Die Hofräthin öffnete vor Schreck den Mund, fast wie vorhin die junonische Frau. Die Partie war wirklich zerstört. Da über¬ nahm der wirkliche Geheimrath die Karten. Er blieb der Gott des Abends. Man sprach noch nach Wochen in den Kreisen von der Liebenswürdigkeit dieses Staatsmannes. — Er ist später gestürzt; die Hof¬ räthin hielt fest am Glauben. Sie versicherte noch nach langen Jahren, es sei nur die schwärzeste Ca¬ bale, die einen solchen Mann stürzen können. Unten im Hausflur wartete Johann. Er zitterte noch immer. Indem er der Geheimräthin die En¬ veloppe umgab, ging die Hausthür auf, ein ver¬ späteter Gast trat ein. Als er den Mantel ab¬ warf und seinem Diener Anweisungen wegen des Abholens gab, erkannte sie in ihm den Fremden, dem sie vorhin auf der Hintertreppe begegnet war. Die Blässe seines Gesichts war durch die schwarze, feine 5* Hoftracht nicht gemindert. Ein Mann in mittlern Jahren und stattlicher Figur, stieg er leicht mit den Bewegungen vornehmer Sicherheit die Treppe hinauf. Ein Ordensband und Kreuz schien unter der Hals¬ binde versteckt. Ein Band am Knopfloch deutete auf ein anderes Ehrenzeichen. Der Fremde hatte die Geheimräthin, die im Schatten der aufgehenden Thür stand, nicht gesehen. Einen Augenblick schien sie im Zweifel, ob sie nicht umkehren solle. Sie fühlte sich wieder wohl. Die frische Luft im Flur hatte wahrscheinlich gut gewirkt. Aber — es schickte sich nicht. Sie saß im Wagen. Die Thür schlug zu. Sie lehnte sich in die Ecke und — weinte. Weil es sich nicht schickte! — Darum? — Und das heißt leben, fuhr sie auf, unter diesen langweiligen, nüchternen, abgeschmackten Puppen wandeln, sich kleiden, sprechen, die Gefühle und Gedanken zusammenhalten, damit ja nichts entschlüpft, was sich nicht schickt. Und — darum leben wir! Der Herr Geheimrath sind noch auf, hörte sie, im Hause angelangt, aber Sie haben befohlen, es soll Sie Niemand stören, Sie sind in einer wichtigen Untersuchung. Zum ersten Mal, seit wie langer Zeit! fühlte die Geheimräthin ein Verlangen ihren Mann zu sehen. Er war doch etwas anders als die Larven in der Gesellschaft. Er liebte die Menschen in seinen Büchern; im Vergleich mit jenen war er ein freier Mann, denn von dem Gesetz des Sichschickens, was diese tyrannisirte, hatte er sich losgemacht. Hatte er doch auch, als sie vor langen Jahren nach Italien reisten, geschwärmt, wie er es konnte, wenn nicht für Kunst und Natur, doch in dem reichen Trümmerlande für die Wege, welche Horaz geschildert, für die Ruinen, welche die Sage nach ihm nennt. Das waren nun längst vergangene Dinge. Die Geheimräthin schwärmte nicht mehr für Italien. Sie wäre einmal gern nach London oder Paris gereist; jetzt auch vielleicht nicht mehr. Berlin war ihr unaus¬ stehlich, aber sie wußte nicht, wohin sich wünschen. Sie wollte ihren Mann sehen, irgend etwas mit ihm sprechen, was sie nicht an die Gesellschaft er¬ innerte. Vielleicht traf sie doch auf einen Ton, wo ihre Seelen zusammenklangen. Er sah nicht auf als sie eintrat. Er hörte auch nicht die leis geöffnete Thüre, nicht das Rauschen ihres Kleides. Den Lichtschirm vor den Augen, die Feder im Munde, saß er zwischen zwei Folianten, in denen seine Finger als Zeichen lagen, um die Varianten in jedem Augenblick aufschlagen zu können, und seine Augen flogen von der einen zur andern Stelle. Sie trat näher; auch da keine Regung. Mit unterschränkten Armen betrachtete sie ihn. — Ist das ein Mensch, oder eine Pagode? — Sie schritt lang¬ sam im Kreis um ihn, ohne sich zu sehr Mühe zu geben, leis aufzutreten; aber die mit Heu dicht unter¬ stopfte Decke verrieth sie nicht. In einem Moment war es ihr, als ob sie auflachen müsse; im nächsten, als müßten die Thränen ihr aus den Augen stürzen. Sollte sie ihn anreden? Das hieße einen Nacht¬ wandler aus seinem Traum aufrufen. Erst als sie sich wandte, um hinauszugehen, wehte er mit der Hand. Es war als ob instinktartig eine Ahnung ihn überkommen, daß ein Wesen in der Nähe sei, daß ihn stören könnte. Leise hatte sie die Thür wieder zugedrückt. Durch das Flurfenster schien der Mond auf die Rumpel¬ kammer, durch die der Weg nach ihrem Schlafzimmer führte. Die wunderlichen Ecken und Spitzen der alten Möbel starrten sie im Mondenlicht eigenthüm¬ lich an. Es überfuhr sie ein Schauer, sie lachte um sich Luft zu machen, hell auf. Aus den Winkeln schien es ihr zu antworten. Die Jungfer hatte die Nachtlampe in ihrer Schlafstube hingestellt. Der Geheimräthin war es zu dunkel. Sie mußte die Kerzen auf dem Arm¬ leuchter anzünden. Die Geheimräthin war beim Entkleiden ungehalten, sie behauptete, die Jungfer ver¬ fahre mit Absicht ungeschickt. Sogar entfuhr der sanften Frau der Vorwurf: sie steche sie aus Bosheit. Die Jungfer weinte. Die Geheimräthin hielt ihr eine ernste Vorhaltung, ob das ein Grund sei, um Thränen zu vergießen? Sie erinnerte sie an die vie¬ len leidenden Creaturen, denen der Schöpfer nicht einmal eine Stimme gegeben, um zu klagen. Wenn jeder klagen wollte, was ihn drückte, ob es in der Welt vor Gewimmer und Thränen auszuhalten sei! Die Jungfer sagte: sie sei ein armes Mädchen, und wisse nicht, wie sie dazu komme. Die Geheimräthin antwortete ihr mit Würde, ob sie glaube, daß die armen Mädchen weniger litten als die vornehmen Damen, die ihre Schmerzen verhalten müßten? Sie ermahnte sie zur Duldung, zum Gehorsam, zur Tu¬ gend, und entließ sie. Die moralische Vorhaltung schien auf die Pre¬ digerin selbst keine Rückwirkung geübt zu haben. Sie saß entkleidet an ihrem Bett, das Gesicht im Ellen¬ bogen gestützt, und starrte in die Lichtschnuppen der Kerze. Da fiel ihr Auge, den Lichtstrahlen folgend, auf ein Spinnengewebe am Winkel der Zimmerdecke. Es war Freitag. Das Reinigungsgeschäft sollte erst am Sonnabend erfolgen. Die dicke Spinne, die sie heut nicht zum ersten Male bemerkt, lag schlafend in der Mitte des Raubnetzes, das sie ausgespannt, ge¬ sättigt und erschlafft schien es von dem Mordgeschäft, worauf die todten Fliegen im Netz deuteten. Die Geheimräthin stand auf und nahm den Armleuchter. Ihre Augen waren scharf, ihr Arm aber reichte nicht bis an die Decke. Ein Kitzel die Nemesis zu spielen überkam sie. Die Bäume im Hofe, vom Winde be¬ wegt, schlugen gegen das Fenster. Das war doch keine warnende Stimme! Es war ja kein Unrecht, ein solches mörderisches Ungeziefer zu vertilgen, das selbst seine Netze ausspannt zur Vertilgung seiner Mitgeschöpfe. Sie holte einen Stuhl. Auch der war zu niedrig. Sie schleppte mit Anstrengung einen Tisch heran. Warum that sie es mit angehaltenem Athem, warum bemühte sie sich, ja kein Geräusch zu machen? Warum schlich sie auf den Zehen, da sie schon in bloßen Füßen ging? Warum pochte ihr Herz, als sie auf den Stuhl und vom Stuhl auf den Tisch stieg? Die Spinne regte sich nicht. Nur das Gewebe schaukelte etwas, wie eine Hangematte vom Hauch des Lichtes angeregt. Draußen rausch¬ ten wieder die Aeste. Hätten sie die Spinne geweckt, vielleicht hätte die Geheimräthin sie geschont. Was schonen! Morgen vollbrachte es der Besen der Magd. Wer ihr ins Gesicht gesehen, wie die Augen glänzten, die Lippen sich krampfhaft verzogen! Jetzt war's geschehen. Ein Knistern. Die Spinne zu¬ sammenglühend, schien sich noch einmal zu krümmen, dann flackte das Netz in leichten Flammen auf und der verkohlende Körper schwebte nieder. Die Ge¬ heimräthin schloß, krampfhaft zurückfahrend, die Au¬ gen, als sie einen heftigen Schmerz empfand. Die schief gehaltene Kerze hatte einen heißen Wachstropfen auf ihren bloßen Fuß gespritzt. Die Aeste rauschten zum dritten Mal. Es war der Grabesgesang. „Die hat ausgelitten! Sie empfin¬ det keinen Schmerz mehr! Und wie leicht und schnell!“ sagte die Geheimräthin. Ihr Fuß mußte sie ja noch morgen bei der zarten Complexion ihres Körpers empfindlich schmerzen. Jetzt aber schmerzte er sie nicht. Sie empfand ein Wohlbehagen, das der Empfindung eines Rau¬ sches verwandt war. Sie hatte eine Creatur, die doch zum Tod verdammt war, rascher aus der Welt geschafft, als es morgen der stumpfe Besen der ge¬ fühllosen Magd gethan hätte. Und im Schlaf! Sie hatte ihr einen seligen Tod bereitet. Sie suchte noch mehr Spinnen; aber im Zimmer war keine mehr zu entdecken. Dagegen hingen an den Wänden unzählige Fliegen, die der regnerische Tag hineingetrieben. Noch vorsichtiger schlich sie auf den Zehen heran, und es glückte ihr, die erste, zweite, auch eine dritte durch das schnell angehaltene Licht zu tödten. Morgen würden sie langsam, unter furcht¬ baren Qualen am Fliegenstock verenden; jetzt im Lichtschein, im Taumel, waren sie einen Augenblick erwacht und verglüht. So mußte auch Semele in einem Moment glückselig und todt sein, angeleuchtet von Zeus Licht¬ glanz und verbrannt von der Wonne — dachte die Geheimräthin. Aber nicht alle Fliegen wollten diesen seligen Tod sterben. Als sie der einen die Flügel angesengt, und das Insect summend aufflog, löste sich allmälig der Schwarm von den Wänden. Sie summten um das Licht, um ihren Kopf, und die Geheimräthin stand wieder athemlos in der Mitte des Zimmers, mit dem freien Arm die aufgestörten Thiere abweh¬ rend. In dem Augenblick war ihr nicht wohl zu Muthe. Die Thiere wurden so groß und schwarz und mit feurigen Augen; sie kamen ihr wie die Erynnien vor. In dem Augenblick wünschte sie, sie hätte nicht angefangen. Sie wollte das Licht auslöschen, sich ins Bett vergraben und die Decke über den Kopf ziehen, aber sie fürchtete sich ohne Licht. Da hörte sie die Stimme ihres Mannes, der draußen die Thüre öffnete: „Jo¬ hann, ich will zu Bett gehn.“ Aber Johann hörte nicht, auch nicht auf den wiederholten, verstärkten Ruf. Johann hatte sich auf ihr Geheiß zu Bett gelegt, um zu schwitzen. Es war ihr lieb, daß Jo¬ hann nicht hörte; er schlief also wahrscheinlich. „Dem thut es mehr Noth, dachte sie, und Lupinus kann sich selbst helfen.“ Der Geheimrath schlug brummend die Thür zu, und mußte sich wohl selbst geholfen haben. Sie hörte nichts mehr. Auch die Fliegen hatten sich wieder zur Ruhe begeben. Aber nach einer Weile schellte sie nach der Jungfer. Sie schellte immer stärker und die Jungfer mußte aus dem Bette. Als sie ins Zimmer kam, war die Geheimräthin eigentlich in Verlegenheit. Sie wußte nicht, warum sie nach ihr verlangt. „Befehlen Frau Geheimräthin vielleicht Cremor Tartari? Oder soll ich Kamillenthee kochen?“ „Nein, mir ist ganz wohl, sagte die Geheim¬ räthin. Aber im nächsten Augenblick, sagte sie, Mor¬ gen früh solle zum Hofrath Heym geschickt werden: „Und ganz früh. Hört Sie Lisette. Damit sie ihn noch zu Hause treffen. Und ich ließe ihn dringend ersuchen mich zu besuchen, ehe er zur Prinzeß Fer¬ dinand fährt. Die hält ihn immer so lange auf. Ja, hört Sie, es soll ihm recht dringend gemacht werden, denn ich fühle, ich werde sehr krank werden. Und er kann auch für den Johann gleich ein Recept ver¬ schreiben, die Sache muß doch endlich zu Ende kommen.“ Wenn ängstliche Träume ein Zeichen der Unge¬ sundheit sind, mußte die Geheimräthin sehr krank sein. Es waren nicht mehr Fliegen und Spinnen, sondern lauter Marionetten die ihr keine Ruhe ließen. Da kam der fieberkranke, blasse Johann und sprang mit zusammengehaltenen Beinen und fragte sie, ob es nun nicht bald mit ihm zu Ende ginge? Dann füllte sich die Schlafstube mit der ganzen Gesellschaft vom vorigen Abend, lauter Gliederpuppen, die an Drähten vom Schornstein aus geführt wurden. Sie tanzten und das Holz klappte unangenehm. Wenn sie am Bette vorbei kommen, gähnten sie und frag¬ ten: ob es nicht bald Schlafenszeit wäre? Gern hätte die Geheimräthin gesehen, wer den Draht führte, aber sie konnte, wie sie auch sich anstrengte, den Kopf nicht in den Schornstein zwängen, und wenn es ihr einmal gelang, schoß eine neue Figur herunter und schreckte sie zurück. Dazu klappte ihr Mann als Pantalone immerfort durch die Stube, und hauchte sich in die Hände und sagte, ihn fröre, und wer ihn nur heiß machen könne! Da rief eine Stimme aus dem Schornstein, deren sie sich nicht entsann, aber gehört hatte sie dieselbe schon ein Mal: Wenn's weiter nichts ist, man braucht ja nur alle die Puppen zu verbrennen, das giebt ein gutes Kaminfeuer. Und dann war es ihr, als ob alles um sie her verbrenne. Sie gerieth in Angst, daß sie mit verbrennen könne und hüllte sich in ihr Bette, bis eine wohlthätige Transpiration ihrer Natur zu Hülfe kam, und sie in einen tiefen, ruhigen Schlaf einhüllte, der so lange andauerte, daß sie erst aufwachte, als das freundliche Gesicht des Hofrath Heym mit den durchdringenden blauen Augen sie anschaute und er mit seiner etwas kreischenden Stimme ihr den Morgengruß bot: „Na da leben Sie ja noch, Frau Geheimräthin; hab ich doch wirklich nicht anders geglaubt, wie das Mädchen reinstürzte, als Sie wären schon maustodt.“ Siebentes Kapitel. Der Staatsmann Wir überlassen die Geheimräthin Lupinus und den Hofrath Heym ihrem tête-à-tête, welches für den letztern minder interessant gewesen sein muß, als für die erstere, denn schon nach zehn Minuten nahm er seinen Stock — den Hut ließ er immer im Wagen zurück — und sagte: „Hören Sie mal, Frau Ge¬ heimräthin, Ihre Krankengeschichte erzählen Sie mir wohl ein ander Mal; denn hohl mich der Teufel, wenn ich nicht geglaubt hätte, es ginge auf Leben und Tod, so mußte ich zur Prinzeß Ferdinand, die ist wirklich krank.“ — Aber auch die Prinzessin Fer¬ dinand mußte nicht ganz so krank sein, denn er machte noch verschiedene andre Besuche bis er durch den Sand des Wilhelmsplatzes vor ihrem Palais vorfuhr, und auch da ward er nicht sogleich vorgelassen, weil die Prinzessin noch mit ihren Kammerfrauen einige drin¬ gende Toiletten-Geschäfte hatte. Etwa zehn Minuten spielte der Hofrath mit dem großen Rohrstocke und dem goldenen Knopfe, indem er ihn sanft in der Hand gleiten und sanft auf den Boden fallen ließ, während der Kammerherr ihn mit Bemerkungen über das Wetter und Anekdoten aus der kleinen Hofge¬ schichte unterhielt. Dann aber ließ er den Stock etwas stärker auf das Parquet fallen und faßte den Kammerherrn am Knopfe: „Hören Sie mal, Baron, sagen Sie Ihrer Königlichen Hoheit, ich will erst zum Scharfrichter Brand vors Hamburger Thor. Da wird die Kindesmörderin secirt, ein prächtiger Cadaver. Wenn ich zurück bin, wird die Prinzessin wohl fertig sein.“ Es verging keine Minute, so ward Heym vorgelassen. Wir wissen nicht, ob er auch hier eine Krankheitsgeschichte hören mußte; aber er brauchte seitdem nie mehr in der Antichambre zu warten. Wir führen lieber unsere Leser in die Wohnung und die Geschäftszimmer des vornehmen Mannes, dessen flüchtige Bekanntschaft wir in der Gesellschaft gemacht. In seinem Hause, unter seinen Untergebe¬ nen, war der wirkliche Geheimrath ein andrer Mann. Man könnte sagen, er sei um einige Zoll gewachsen; der von den vielen huldreichen Verbeugungen ge¬ krümmte Rücken war hier grade geworden. Er war aber um deswillen kein großer und auch kein grader Mann. Im Vorzimmer warteten Expectanten. Die trü¬ ben Mienen verriethen, daß nicht jeder Hoffnung hatte, vorgelassen zu werden. Sie wandten sich an die durchpassirenden Beamten. Wie viele große Männer hätte ein Neuling da zu entdecken geglaubt, wenn sie freundlich zuhörten, sich an der Binde zupf¬ ten oder die Schultern zuckten. Und doch waren es nur Schreiber und Boten. Ob einer von ihnen sich in den Winkel ziehen und zu einer vertraulicheren Verständigung hinreißen ließ, will ich nicht verrathen haben. Das Zimmer, wo der Geheimrath empfing, war geräumig, halb mit Aktentischen und Repositorien, halb mit den Bequemlichkeiten und dem Luxus eines rei¬ chen Lebens ausgestattet. Auf den Fauteuils und kleinen Tischen lagen zerstreut in elegantem Einband die neuesten Werke der französischen Literatur. Am Ende des Aktentisches saß ein jüngerer Rath, in den eingegangnen Schriftstücken blätternd und sie zum Vortrag ordnend. Im entferntern Winkel stand der Geheimrath und hatte einer Dame Audienz ertheilt, die sich sehr bescheiden in der Ecke zwischen Fenster und Hinterthür hielt. Es war eine Tapetenthür, durch welche sie auch vermuthlich der Kammerdiener einge¬ lassen, denn nach Beendigung der Audienz schlich sie durch diese Thür hinaus. Ihre vielen Ringe, eine Garderobe, aus den kostbarsten und auffällig moder¬ nen Stücken, und der prachtvolle Shawl darum schienen ihr eher ein Anrecht auf einen Platz auf dem Sopha zu geben, wenn nicht die Haltung der sehr wohlbeleibten Frau verrathen hätte, daß die Hülle nicht recht zum Körper, oder der Körper zur Hülle sich schickte. Einem Psychologen hätte vielleicht schon ein Blick auf ihre groben Füße angezeigt, daß die feine Kleidung ihr nicht angeboren war. Wer ihr aber ins Gesicht sah, wo trotz aller Sanftmuth und Glätte die ursprüngliche Gemeinheit sich nicht ver¬ bergen konnte, begriff, warum der Geheimrath in einer Art ihr Audienz gab, wie es in der Regel auch ein noch vornehmerer Mann keiner Dame gegen¬ über übers Herz bringen würde. Er stand, die Hände in den Seitentaschen, halb seitwärts, halb ihr den Rücken kehrend, wodurch sie freilich Gelegenheit ge¬ wann, ihr Anliegen auf dem nächsten Wege ihm ins Ohr zu flüstern. Sie sprach leise. Er hatte mehr¬ mals den Kopf geschüttelt. Dann sprach er, gleich¬ falls mit gedämpfter Stimme: „Gedulden Sie sich also bis Lombard kommt; er kann die Sache allein arrangiren. Und bis dahin hüten Sie sich, daß keine Klage einläuft. Keinen Scandal! In dem Fall wol¬ len wir die Sache schon hinhalten.“ Die Supplicantin verbeugte sich tief. Er klopfte ihr freundlich auf die Schultern. Sie wollte ihm die Hand küssen. Das litt er nicht. Der junge Rath las von einem Zettel den Na¬ men der nächst zur Audienz aufgeschriebenen Person. Der Geheimrath machte eine Bewegung mit der Hand und warf sich, die Beine übereinander, auf's Sopha; ein Zeichen, daß er sich erholen wolle, vielleicht glaubte der Vortragende darin eines für sich zu erkennen, daß Bovillard sich über die vorige Audienz auszu¬ lassen Lust hatte. „Was wollte denn die Schubitz? fragte er, zwischen den Papieren kramend. Eine Eingabe von ihr ist nicht da.“ „Man will sie in der Behrenstraße nicht länger dulden. Sie soll ihr Haus verlegen — in eine minder anständige Straße,“ setzte der Geheimrath mit sarkastischer Miene hinzu. „Wer will denn das, wenn ich fragen darf?“ „Erinnern Sie sich, was le grand Frédéric dem alten Spalding antwortete? Der beklagte sich auch über eine Nachbarschaft, die ihn in seinen Meditationen störte, und Friedrich schrieb nur auf den Rand des Memorials: Mon cher Spalding, ni vous ni moi . . . . pourquoi donc gêner d'autres . . . . Unter Friedrich hätte die Behrenstraße petitioniren können, bis sie aschgrau ward.“ „Auch unter —“ der Rath verschluckte es, denn der Geheimrath unterbrach ihn. „Das muß man Wöllnern lassen. Er wußte christlich ein Auge zuzudrücken, wenn — es die Schwäche seines Nächsten galt.“ Er betonte die letzten Worte. Der junge Rath hatte vorhin die Aufforderung zum Lächeln übersehen. Er lächelte jetzt. „Aber wer kann es sein?“ „Wer! Wer? Mon cher ! Haugwitz vielleicht, oder Lucchesini, Schulenburg oder Beyme der Cato Cen¬ sorinus. Vielleicht ist auch Prinz Louis Ferdinands sittliches Gefühl beleidigt.“ Der Geheimrath gefiel sich so, daß er aufstand I. 6 und mehrmals durch die Stube schritt: „Ja, ja, es hat sich manches in Preußen geändert.“ „Und wird noch manches anders werden“ setzte der Rath hinzu. „Gewiß, wenn man uns in Ruhe läßt, wenn man verständig denkt und handelt; wenn man auf die Kläffer nicht hört, wenn, wenn — was liegt noch vor, lieber Rath?“ Das Vorliegende schien den Wirklichen nicht sehr zu interessiren. Er ging noch immer auf und ab: „Der Freiherr Hardenberg ist ein gentiler Mann, das ist nicht zu leugnen, und ich verdenke ihm auch nicht, daß er lieber in Berlin ist, als in Anspach und Baireuth, aber — —.“ Der Wirkliche fand es für gut, den folgenden Gedanken zu verschlucken. Nach einer Weile fand er es wieder für gut, einige Gedanken über die Lippen zu lassen: „Auf diese Sprudelköpfe gebe ich gar nichts. Eine Partei, die nur dampft und lodert, ist nicht gefährlich. Sie kennen, lieber Freund, die Natur des Königs noch nicht, wenn Sie glauben, daß solches Feuer auf ihn Eindruck macht. Im Gegentheil, die Genialitäten sind ihm zuwider. Diese Herren von Sturm und Drang, die uns aus unsrer Haut jagen möchten, weil unsre Aisance ihnen nicht gefällt, kommen mir vor wie die modernen Kraftgenies, diese sogenannten Romantiker, über die der Vernünftige lächelt. Man macht es mit, weil es Modesache ist. Ja, wir langweilten uns; diese jungen Leute bringen etwas Pikantes ins Leben, Paradoxien, Raketenfeuer, was einen Augenblick an¬ genehm prasselt. So muß man es auffassen. Ein Thor wer es für mehr nimmt. Oder glauben Sie, daß aus diesen jungen Herren je etwas wird, vor¬ ausgesetzt, daß sie sich nicht bekehren, was übrigens bald genug eintritt. Der extravagante Herr Bern¬ hardy giebt schon jetzt klein bei, und unterhandelt beim Magistrat um eine Anstellung an der Schule. Ach mein Freund, das praktische Leben bildet die Menschen, und wenn der Brodkorb hochhängt, so lernt auch der Lahme springen. Der Wackenroder hat einen braven Vater, er wird schon zu sich kommen. Ich bitte Sie, halten Sie es für möglich, daß diese Herren Schlegel jemals nur auf einer Universität zugelassen werden! Und dieser junge Mensch, der Monsieur Tic oder Tique, der mit seinen krausen Phantasien die Welt verkehrt machen will, glauben Sie, daß nach zehn Jahren noch ein Hahn nach ihm kräht? In einem Menschenalter ist sein Name vergessen. Gönnen wir ihnen das Vergnügen, sich ein wenig sonnen in der Gunst des Augenblicks und gaffen wir's an wie einen Sonnenaufgang in der Oper. Mais mon cher, le classique est éternel! Racine und Corneille, welche dieser Monsieur Schlegel wie Schulknaben traktirt, seront pour toujours les délices du genre humain , und könnte ich einen Blick in das Elysium werfen, möchte ich le grand Voltaire sehen, wie er mit dem grand Frédéric sich über diese deutschen Kritiker mo¬ quirt, die an seinem Piedestal von Granit mit einem 6* Schusterpfriemen feilen. Der Kotzebue, an dem sie auch häkeln und mäkeln, er ist nicht eminent, aber ich sage Ihnen, und dazu gehört keine Clairvoyance, daß er sie um ein siècle überlebt.“ Der Rath sagte: „Wer in den Spiegel der Zu¬ kunft sähe!“ „ C'est plus que ridicule, fuhr der Redner fort, daß in der Capitale Friedrichs, wo Voltaire das Pflaster betreten hat, oder eigentlich ist er nur in der königlichen Kutsche gefahren, wo wir doch ganz respectable Gelehrte haben, die Herren Nicolai, Biester, und wie sie heißen, daß hier eine école mystique sich aufthun konnte.“ „Sie findet nicht großen Anhang.“ „Wer redet davon! Haben Sie das Sonnet auf die Jungfrau von dem Judenjungen neulich gelesen? C'est charmant! Das lob ich mir. Man glaubt draußen allen Ernstes, sie könnten uns über Hals und Kopf convertiren, und wenn wir eines Morgens aufständen, wären wir katholisch geworden, wir wüßten nicht wie!“ „Die Brandenburger würden sich schwer dazu acclimatisiren.“ „ Acclimatiser! ein hübscher Einfall. Aber meinet¬ halben! Je mehr Schaumblasen, die das Publikum beschäftigen und Phantome, die es ins Bockshorn jagen, desto besser für uns. Aber diese Herren sollten sich nur nicht mit politischen Ideen abgeben. Die tudesquen Vorstellungen, die hie und da auftauchen, doppelt lächerlich in Friedrichs Hauptstadt! Je vous prie, mon cher, qu'est-ce que c'est donc que l'Alle¬ magne? Allerlei Mansch, allerlei Menschen, bunt durcheinander. Ce terrible Goetz de Berlichingen, wenn er in dem eisernen Ofen über die Bretter knackt, et les ravissements et les larmes du public! Classische Bildung! en vérité ! Da ist ein junger Herr v. Kleist, höre ich, der möchte den großen Arminius auf die Bretter bringen. Den Hermann sollten sie doch ruhig auf seiner Bärenhaut schlafen lassen, wo Klopstock ihn eingesungen hat. Wo gehört denn der Deutsche besser hin, als auf die Bärenhaut, um zu meditiren. Aber so sind wir Idealisten! Mit nichts wissen sie umzuspringen, für nichts zu arbeiten, für nichts sich zu schlagen, — als für Ideen.“ „Geschlagen haben sich die Deutschen doch und wenn sie sich nicht so schlugen wie sie sollten, war es eben nur wie ich meine, weil ihnen die Idee fehlte, für die sie sich schlugen.“ Der Einwand schien dem Geheimrath unbequem zu kommen. Von Untergeordneten läßt sich ein vor¬ nehmer Mann ungern aus dem Felde schlagen. Er fiel plötzlich dem Gegner in die Flanke, da wo er es wirklich nicht erwartete: „Sagte ich es Ihnen nicht! Ganz richtig Ihre Bemerkung, die Ideen fehlen ihnen, weil nur das Genie Ideen hat, und kein Genie da ist. Wo sollten sie denn zu Tage gefördert werden? In der freien Reichs¬ stadt Dinkelsbühl, in Nürnberg, oder bei der Reichs¬ ritterschaft des obersächsischen Kreises? Wenn diese Misere, die nie gelebt hat, die nur das faule Fleisch war, die Schwiele und Hornhaut vom Körper, welche seinen gesunden Blutumlauf hindert, ich bitte Sie, wenn diese Misere jetzt prätendirt, wo der Riese von Corsika sie mit einem Fußtritt zerquetscht, Ideen eines Gesammtlebens zu haben!“ „Sie prätendiren es auch kaum,“ sagte mit ernstem Tone der Rath. „Desto thöriger wenn andere für sie denken und prätendiren, wenn Phantasten und Nebelmenschen Vorstellungen erwecken wollen, die durch die Weltge¬ schicke glücklicherweise applanirt sind. Solch ein Dunst¬ bild einem Genie wie Bonaparte gegenüber! — Sie sind noch jung, Herr von Fuchsius. Ich trug auch Ideen aus den Hörsälen ins Leben über. Ach aber, Theuerster, wie schnell curirt uns das Geschäflsleben. Mich kümmern auch nicht im Geringsten diese Schwär¬ mer, sie sind so unpraktisch, unbedeutend, daß man ihnen nicht einmal irgend ein Spielzeug hinzuwerfen braucht. Verdrießlich ist nur, daß Bonaparte, durch falsche Zuträger, durch Zeitungsartikel getäuscht, davon Notiz nimmt. Lombard hat alle Mühe ihm zu be¬ weisen, daß dieser Furor Teutonicus nichts ist als eine Seifenblase, mit der sich einige Professoren be¬ lustigen.“ „Der Beweis wird ihm nicht zu schwer fallen, sagte der Rath aufstehend. Herr Geheimerath ließen gestern fallen, daß Ihnen eine Notiz im Hamburger Unpartheiischen, bezüglich auf Lombards Depesche, nicht unangenehm wäre. Wir wurden unterbrochen. Meine Feder und mein Wille stehen zu Ihrer Disposition.“ Bovillard setzte sich halb auf den Tisch, indem er vertraulich den Arm auf die Schulter des Rathes legte; die Runzeln seines Gesichtes verzogen sich in ein wohlgefälliges Lächeln: „Mich hat seit lange kein Brief so erquickt!“ „Lombard muß wichtiges berichtet haben, be¬ merkte der Beamte. Nach den Aeußerungen des Herrn Geheimeraths gestern zu mehreren Geschäfts¬ männern herrscht unter den Kaufleuten eine sehr frohe Stimmung.“ „Dürfte ich Ihnen den Brief zeigen! Bonaparte hat ihn empfangen nicht wie einen Abgesandten, sondern wie einen alten lieben Bekannten, den er endlich von Angesicht zu Angesicht sieht. Er saß auf dem Sopha und las. Was denken Sie? Den Ossian. Nachdem er Lombard die Hand gereicht, recitirte er ihm eine Stelle voll der tiefsten Empfindung für Menschenwohl. Er fragte ihn, ob er Ossians Gefühle theile? Lombard war nicht ganz vertraut, da las er ihm selbst die Scene vor, wo Malvine im Mondenschein über das Schlachtfeld eilt, und süße Betrachtungen ausgießt darüber, daß Mord und Schlachten die Geschicke der Menschheit reguliren. Bonaparte schlug das Buch zu und wandte sich schnell ab, um seine eigene Be¬ wegung zu verbergen. Und diesen Mann gefallen sich unsere Fanatiker einen Blutmenschen zu nennen! Wer gebietet der Parteienwuth! Das warf auch Bonaparte im Gespräch hin. Sire, erwiederte Lombard, Europa kennt den Sieger des 18ten Brumaire. Der Kaiser schüttelte mit gesenktem Blick den Kopf: Ach das war für die Straßen von Paris, für Frankreich vielleicht, aber der Genius muß noch geboren werden, der Europa wieder in seine Fugen richtet. Lombard citirte eine Stelle aus einer Schrift des jungen Ancillon. Napoleon schien sie zu kennen, aber mit einem schlauen Augenaufschlag fiel er ein: „Mich dünkt, der Sinn ist weit schlagender in den Worten ausgedrückt — Und was citirte er? Eine Stelle aus einem von Lombards Trait é 's!“ „Sollte Bonaparte Lombards Schriften gelesen haben?“ rief der junge Rath mit einem ungläubigen Lächeln. „Dieselbe Frage stellte Lombard, natürlich nur mit andern Worten, und sein Gesicht mag auch dabei geglänzt haben, denn, wir wollen es nicht leugnen, er ist etwas eitel. Eitel sind wir Alle, lieber Fuchsius. Napoleon sah ihn mit seinen schönen klugen Augen vielsagend an, und griff dann nach einem Buche, das neben ihm auf dem Tische lag. Es war Pariser Druck und Band, Sie werden es sehen. Kaum, daß er darin geblättert, schlug er eine Seite auf und reichte sie dem Gesandten. Es war Lombards Dictum. Unverdiente Ehre, wenn mich ein französischer Schrift¬ steller citirt hat. — Sie sind es ja selbst, lächelte Napoleon, und wies ihn auf den Titel. Kurzum, es waren Lombards Trait é 's, in einer Pariser Aus¬ gabe, prachtvoll gedruckt. Und mit einem Wort, es kam heraus: Der Kaiser hat Lombards Abhandlungen, weil sie ihm so sehr zusagen, in einer Prachtausgabe für sich und seine vertrauten Freunde drucken lassen. Napoleon Bonaparte, sage ich Ihnen, der Genius des Jahrhunderts, kann sich von Lombards Schriften nicht trennen, er führt sie mit sich in seinem Feld- Necessaire, er blättert täglich, er findet Zerstreuung, Erholung, Erquickung darin, wenn die Sorgen ihn drücken. Mit französischer Artigkeit bat er ihn um Entschuldigung wegen des Nachdrucks, den er in seinem Reiche streng bestrafen würde, denn jeder Arbeiter müsse die Früchte seiner Arbeit genießen können. Aber die deutsche Typographie sei noch so weit zurück, es thue seinen Augen wehe, einen schönen Gedanken grob auf deutschem Papier zu sehen. Ach, fügte er hinzu, was könnte aus Deutschland, ich meine aus Ihrem Preußen werden, wenn ein Genius die Industrie belebte! Lombard erwiederte in galanter Weise die Artigkeit: er fühle sich in seinem Interesse durch den Nachdruck so lädirt, daß er auf eine große Entschädigung Anspruch mache. Er fordere nicht weniger als das Exemplar, welches durch des Kaisers Hand geweiht sei. Ich gebe es ungern, es ist mir lieb geworden, sagte der Kaiser, aber Sie sind im Recht, und nun ist es nicht mehr meines. Er hatte rasch seinen Namen mit einer verbindlichen Zeile hinein geschrieben.“ Der Geheimerath war nach dem verschlossenen Schrank geeilt, von wo er einen in saubere Hüllen verschlossenen Band holte, und auf dem Tische ent¬ hülste: „Lombard hat ihn voraus geschickt. Doch das ist nur für uns. Um Himmels Willen davon keine Mittheilungen. — Da ist sein Name. Schöne, feste Züge, der Charakter des Genius. Ex ungue leonem. — Hier ist auch mein Bericht, den Lombard die Güte hatte in seinem Trait é aufzunehmen, mit ab¬ gedruckt.“ Der Geheimerath umhülste das Buch wieder mit einer Geschicklichkeit, die einem Buchbinder Ehre gemacht, und stellte es auf seinen Ort zurück: „Was sagen Sie nun. Ist der Mann, wie seine enragirten Feinde ihn uns darstellen wollen?“ „Das sind allerdings überraschende Combi¬ nationen.“ „Sie haben an eine Attrappe gedacht. Sehen Sie, wie Sie sich durch Ihr Vorurtheil täuschen ließen. Ueberhaupt da war nichts Affectirtes in Bona¬ parte's Benehmen, nichts von der Herablassung eines Emporkömmlings. Er verhandelte mit unserm Freunde wie der Gleiche mit dem Gleichen. Lombard wollte diplomatisch Schritt um Schritt mit seinen Missionen herausrücken. Napoleon unterbrach ihn rasch: Ich bin Frankreich, die Welt fängt an es zu erkennen, und Sie sind Preußen, die Welt erkennt es noch nicht, aber ich. Ueberlassen wir doch das anderen, sich untereinander zu täuschen, setzte er mit dem durchdringend freundlichen Blicke hinzu. — Das bleibt natürlich unter uns, und Lombard that natürlich das Seinige dagegen zu protestiren und auf seine unter¬ geordnete Stellung zu weisen. — Wie Sie wollen, sagte Napoleon lächelnd, ich nehme die Menschen wie sie sind, respectire aber auch den Schein, den sie her¬ vorzukehren für nöthig halten. — Und nun floß das Gespräch anmuthig hin, wie zwischen Zweien, die, wie Schiller sagt, auf der Menschheit Höhen stehen, und parteilos und affectlos das Getriebe tief unter sich betrachten.“ „Und bei dem Gespräche blieb es?“ „Lombard kann nicht genug sein Entzücken über den reichen Geist ausdrücken. Er schüttete seine An¬ schauungen über die Weltverhältnisse wie eine Fee aus ihrem Füllhorn. Unser Freund sagt, er hat in dieser einen Stunde viel gelernt.“ „Dazu ward er indeß nicht hingeschickt. — Und noch gar keine positiven Resultate?“ „Wir können ganz beruhigt sein. Bonaparte hegt eine Achtung vor Preußen, die mich wirklich über¬ rascht hat. Wenn er von Friedrich spricht — nun das versteht sich von einem Genius, wie seiner von selbst. Er mahlte seine Schlachten; als er die von Hochkirch schilderte, gerieth er in eine wahre Begeiste¬ rung: „Die gewonnenen Schlachten wolle er dem großen Todten lassen, rief er aus, aber er gebe drei seiner eigenen Siege für den Rückzug von Hochkirch.“ „Lombards Mission war aber doch nicht eigent¬ lich sich Unterricht über den siebenjährigen Krieg geben zu lassen?“ „Spötter! wissen Sie was Napoleon über den Baseler Frieden sagte?“ „Die erste Wunde unserer Ehre!“ seufzte der Rath. „Das gab er selbst zu. Erkennen Sie die Größe des Mannes. Aber nach diesem Frieden sei es Preußens Aufgabe gewesen die demarkirten Theile von Deutschland, die unter seinen Schutz gegeben waren, sich zu unterwerfen. Ein kleines Unrecht, rief er, kann in der Politik nur gut gemacht werden durch ein großes Unrecht. Was wäre Preußen jetzt, es stände da, eine Europäische Macht, die nicht nöthig hätte, Sie, mein lieber Lombard, zu mir zu schicken, um mich zu sondiren. Es wäre an mir gewesen, zu Ihnen zu schicken, ich hätte aber freilich schwer einen Lombard gefunden. Er that einige Schritte im Zimmer auf und ab. Aber es thut nichts, hub er wieder an. Preußen ist ohnedem was es ist. Der Genius Friedrichs schwebt über ihm, und die Fittiche seines Adlers rauschen stark genug, daß sich so leicht kein Feind heranwagt.“ „Und weiter berichtet Lombard nichts?“ „Sie bleiben ein ungläubiger Thomas. Der Kaiser ist nicht allein weit entfernt von einer feind¬ lichen Absicht, sondern eine innige Verbindung mit uns wäre sein Wunsch. Wohl verstanden eine Alli¬ ance, welche die Zügel der Welt in die Hand nimmt. Civilisation, Cultur, wahre Aufklärung, das Glück des Menschengeschlechts und ewiger Friede wären ihr Ziel. Wer zwingt ihn denn immerfort das Schwert wieder zu ziehen als die Manövres des Herrn Pitt, der jetzt Oestreich, jetzt Neapel, nun Rußland, Schweden, und die Kleinen, warum nicht auch Spanien und die ganze Welt aufhetzt. Was sind diese Subsidien, die das monopolisirende Eng¬ land verschwenderisch auswirft, als das Blutgeld, womit es den Ruin der Länder erkauft, die sich ver¬ führen lassen? England wäre es recht, wenn der ganze Continent zur Wüste würde, wenn er nur da¬ mit der Markt wird, wo die Bettelvölker, um ihre Blöße zu kleiden, seine schlechtesten Waaren kaufen müssen. Das ist sein Ziel, und jedesmal, wenn Bonaparte seinen Degen gegen einen neuen Feind ziehen muß, thut er es mit Seufzen; er weiß, er kriegt nicht gegen die armen Neapolitaner, Hessen und Schwaben, die sind nur die Schlachtopfer; seine eigent¬ lichen Gegner, die reichen Kaufleute an der Themse, sitzen ruhig hinter ihren Wollsäcken und trinken ihren Ostindischen Thee, derweil die mit ihren Taschengel¬ dern zu ihrem Vergnügen, zu ihrer Speculation er¬ kauften Völker in die französischen Kanonen getrieben werden. Darum ist sein Grimm gegen Pitt und die andern unbeschreiblich. Wenn ihm die Landung ge¬ länge, wenn er England seinen Degen ins Herz bohrte, so würde er vielleicht der Blutmensch, den man aus ihm macht. Aber seine Vernunft regelt seine Begierden. Seine Pläne sind andre. Könnte er den ganzen Continent mit einem Netz gegen die fremde Waare umspannen, daß kein Ballen ihrer Manufacte eindringt, könnte er den Gewerbfleiß unter den Continentalen anstacheln, daß wir gezwungen würden für uns selbst zu erfinden, schaffen, könnte er die Britten aushungern, daß sie sich den Tod essen an ihren Schlauderwaaren, dann hätte er ge¬ siegt, wie er wünscht, nicht für sich, für die ganze europäische Menschheit. Dann würden wir alle reiche, glückliche, selbstständige Völker. Aber er allein, ein wie großes Genie auch, kann das nicht. Er braucht einen Bundesgenossen. Rußland kann es nicht sein, Oestreich ist des Gedankens nicht fähig, Preußen allein steht auf der Höhe der Civilisation und In¬ telligenz, mit Preußen Hand in Hand könnte er den Weltgedanken ausführen. Begreifen Sie nun, warum es in seinem Interesse ist, mit uns Freund zu bleiben?“ „Lombard hat die Propositionen zur Alliance ver¬ muthlich schon in der Tasche?“ „Bonaparte kennt uns, und darum giebt er fast die Hoffnung auf. Er kennt die Hindernisse. Ich versichere Sie, mit erschreckender Genauigkeit kennt er die Coterien an unserem Hofe, er weiß, was bei der Radziwill, in den Kreisen der Prinzeß Wilhelm über ihn gesprochen, wie er titulirt wird. Er weiß die Ausdrücke, das Treiben in den Umgebungen des Prinzen Louis Ferdinand auf ein Haar, ja er liest die Gedanken, die der Prinz unterdrücken muß. Die Discourse in unsern Wachtstuben, die freien Unter¬ haltungen unsrer Garde du Corps liegen aufgezeichnet in seinen Akten. Soll ihm das Vertrauen und Hoff¬ nung auf uns einflößen?“ Der Rath war ernsthaft geworden: „Das ist schlimm. Man sagt, seine Spione kosten ihm viel. Preußen soll ihm überhaupt viel kosten, und das ist noch schlimmer.“ „Ich sage Ihnen, jene Phantasten und Gelehr¬ ten sind Bagatell; diese sogenannte Kriegspartei aber wird uns ruiniren. Sie bohrt und drängt und stürmt, bis ein Mal der Widerstand der wahren Staats¬ männer zu schwach wird, und das gute Herz des Königs nachgiebt.“ „Und wir ständen allein,“ fiel der Rath ein. „ Prenez garde, mon cher, das auszusprechen. Man muß diesen Fanatikern gegenüber vorsichtig sein. Es freut mich, daß Sie den Wahn nicht theilen, als wären wir allein stark genug, gegen den Strom zu schwimmen. Doch besser, daß man dies für sich be¬ hält. Um so mehr, als, denken Sie, auch Napoleon zweifelt. Wie hübsch er das auffaßt. „Ich bin ja nicht so thörigt, sagte er zu Lombard, um nicht zu wissen, daß wenn Preußen bei Valmy, Pirmasens, wenn es am Rhein ernstlich gewollt hätte, Frankreich nicht mein Frankreich, und ich nicht ich wäre.“ Das ist nun allerdings zu viel Artigkeit, indessen ersehen Sie daraus, wie hoch er auch unsre Armee schätzt. Ich weiß, sagte er, Ihres Königs Herz schlägt für Menschen¬ und Völkerglück, wie nur meines, aber ich würdige vollkommen seine Lage, er ist jung, befangen, zu gewissenhaft, er weiß sich nicht zu helfen zwischen den guten und bösen Rathgebern. Zu viel Blutsbande verknüpfen ihn mit den Ungestümen, Rasenden, und man kann sich keines Augenblicks versehen, daß nicht eine Mine auffliegt und die Feinde der Humanität siegen.“ „Und wird Mortier Hannover räumen? fragte der Rath mit scharfer Betonung. Wird die Sperrung der Weser- und Elbemündungen, auf die Preußen bestehen muß, aufgehoben werden? Unser Handel geht zu Grunde, wenn das nicht geschieht. Das ist schlimm, aber es giebt schlimmeres. Wir verfeinden uns Eng¬ land. Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Ganz Deutschland aber blickt sehnsüchtig und erwartend auf Preußen, als die einzige Macht, die ungebrochen dasteht, frei noch von Frankreichs Einfluß, als die einzige Macht, welche die Ehre des Vaterlandes retten, der übermüthigen Gewaltthat eine Schranke entgegen¬ setzen kann. Wenn wir diese Aufgabe nicht erfüllen, nicht rettend einschreiten, attestiren wir unsre Ohn¬ macht, und wir laden die Schmach auf uns, daß eine Coalition fremder Mächte, die nicht ausbleiben kann, diese Aufgabe übernimmt. Ich wiederhole nur was die Tausende täglich sagen, die man Bieder¬ männer nennt, mich selbst, wie sich versteht, jedes Urtheils begebend.“ „So! sagte der Geheimrath gedehnt. Diese Biedermänner werden sich gedulden müssen, bis Lom¬ bard aus Brüssel zurück ist. Die Specialitäten seines Auftrags wird er mündlich Sr. Majestät vortragen.“ Die Geschichte und auch die Memoiren der Zeit erzählen nichts von diesem Gespräch und dem, was es hervorrief; der Dichtung aber ist es erlaubt, auch aus der Tradition zu schöpfen, wo sie noch die Worte lebendiger Zeugen belauscht hat, die es glaubten. Was einmal geglaubt ward ist ein Factum, das auch der Geschichte angehört. Uebrigens mag der Geheim¬ rath Bovillard Verhandlungen und Gespräche anders aufgefaßt haben, als die, welche gesprochen und ver¬ handelt hatten; er war ein Mann von lebhafter Ima¬ gination. „Und der Artikel für den Hamburger Corres¬ pondenten?“ sagte nach einer Weile der Rath Fuchsius. „Sie werden das selbst am besten combiniren. Ihre feine Feder weiß die Fäden zu verschlingen, daß man nicht ahnt, woher es kommt. De haut en bas etwas, mit einem gelinden Achselzucken die kriege¬ rischen Herren behandelt. Es versteht sich, die hohen Personen, die ich nannte, bleiben unerwähnt, auch die Generale, namentlich Rüchel, Blücher. Nur mit der höchsten Distinction von ihnen gesprochen! Zu ihrer Einsicht habe das Publikum die feste Zuversicht, daß sie die verderblichen Rathschläge von des Königs Ohr abhalten würden. Die Seitenhiebe werden Sie eben so geschickt appliciren. Es bleibt wie gesagt Alles ganz Ihrem Ermessen überlassen. Es ist Ihr Dafürhalten.“ I . 7 „Dann bleiben nur die Gensd'armerie-Officiere übrig.“ „Mit diesen Herren komm ich nicht gern in Conflicte. Man begegnet sich doch täglich in Gesellschaften.“ „So könnten nur die deutschen Gelehrten, die Romantiker, die Zielscheibe sein.“ „Ganz richtig.“ „Die Herr Geheimrath eben für unschädlich erklärt.“ „Sie verführen die anderen mit ihren abstracten Ideen. Ja, setzen Sie es recht ins Licht, die Lächer¬ lichkeit dieser Theoretiker, die sich einbilden, über Dinge mitsprechen zu können, von denen sie nichts verstehen. Geben Sie's ihnen recht stark, legen Sie auch Napoleon einige pikante Phrasen in den Mund über die deutschen Ideologen. Sie wären das ein¬ zige Hinderniß des Friedens, nach dem alle Welt sich sehnt. Ich weiß, sie sinds nicht. Darauf kommt es aber nicht an. Sie schlägt man, die Kriegspartei meint man. Die Herren vom Militair erfreut es inniglich, wenn man gegen die Professoren- und Schreiberweisheit loszieht. Sie schlucken die Invec¬ tiven mit Heißhunger herunter und merken nicht, daß es Schläge für sie selbst waren. — A propos , wenn Sie auch einige scharfe Seitenhiebe gegen den Herrn von Stein geschickt anbringen könnten. —“ „Rechnen Herr Geheimrath den Freiherrn zu den Ideologen, zu den Romantikern oder der Kriegspartei?“ „ Qu'importe !“ „Viele richten ihre Blicke gerade jetzt auf ihn.“ „Um so schlimmer. Der Mann wäre im Stande —“ Der Geheimrath hielt plötzlich, wie durch eine Erinnerung gestört inne. Ein Secretair unterbrach das Gespräch in einem Augenblick, wo der Geheimrath selbst im Begriff stand es zu enden, vielleicht weil ihm Gedanken aufstiegen, für die Fuchsius ihm nicht der geeignete Vertraute schien. „Ich kann heut Niemand mehr empfangen, rief er dem Secretair zu: Mein Gott, wenn man doch wüßte, wie ich überlaufen bin. Ich kann mich doch nicht verdoppeln und verdreifachen.“ Der Secretair nannte einen Namen. Das Ge¬ sicht des Wirklichen verzog sich merklich in die Länge. „Diesmal werden Herr Geheimrath ihn wohl nicht abweisen können, sagte der Rath. Sie ließen ihn durch mich auf diese Stunde bescheiden.“ Aufgähnend und mit einer französischen Phrase fand sich der Geheimrath in sein Schicksal. Der Rath beurlaubte sich, das nächste Gespräch würde wohl — besser ohne Zeugen geführt. Ein Anderer, dachte der Wirkliche, würde in seiner Stelle die Last mir abzunehmen verstanden haben. Aber das Insinuante, entweder das Geschick oder die Neigung, sich ihren Oberen gefällig zu zeigen, fehlt den jungen Männern von heut. Er hat Kopf, Talent, Geschick, Kenntnisse, auch Gewissenhaftigkeit — nur zu viel. Während zu unserer Zeit der An¬ fänger es seine erste Aufgabe sein ließ, nachzusinnen. 7* abzulauschen, wie er seinen Vorgesetzten gefällig werde, schießen in der jüngern Generation eigen¬ thümliche Begriffe von der Staats-Carriere auf. Wie soll mit dieser Neigung, die Dinge selbst zu beurtheilen, eine eigene Meinung zu haben, die Dis¬ ciplin künftig bestehen. — Wäre er eben nicht ein so geschickter Arbeiter —! Ja, dieser Legationsrath aus Thüringen, wenn ich ihn für unsern Staatsdienst gewinnen könnte — Achtes Kapitel. Der wirkliche und der nichtwirkliche Geheimrath. Die Gedanken des Wirklichen wurden durch die Erscheinung des Geheimrathes unterbrochen, mit dem unsere Geschichte anfängt. Auch Lupinus war ein anderer in seinem Hause als — wir ihn hier wieder¬ sehen. Die süßesten Falten glätteten sein volles Ge¬ sicht und die Glätte ging über die sanft gepuderte Stirn bis an den Schopf. Lächelnd der Mund, das Auge, den Hut in der Hand, hatte er an der Thür seine respectvolle Verbeugung gemacht, um, den Dreiecker an die Brust gedrückt, mit einer Bewegung, welche an die der Maus erinnern konnte, auf den Wirklichen zu sich in Bewegung zu setzen: „Mein theuerster Gönner!“ Der Wirkliche hatte die Bewegung vorausgesehen, und vor dem Händedruck, der ihm drohte, sich hinter einem Lehnstuhl verschanzt, den er mit der Linken faßte und bewegte, um sich gelegentlich darauf zu stützen, während er mit der Rechten sich auch gelegent¬ lich bewegte. Der wirkliche schien während dieses Auftritts um einen Kopf größer als der andere Ge¬ heimrath. Ob er es war, laß ich ungesagt: „Mein Herr Geheimrath, ich hatte nicht erwartet, daß wir uns so begegnen sollten.“ Lupinus war um einen Schritt zurückgeprallt. Den Hut noch fester an die Brust drückend, verneigte er sich noch tiefer: „Mein Herr Geheimrath, wer hat keine Feinde!“ „Um das kurz abzuschneiden, von Ihren Feinden weiß ich nichts, aber ich weiß doch Alles. Ich bin nicht Ihr Richter, das wissen Sie. Wie Sie sich vor dem weiß brennen wollen ist Ihre Sache, zu mir kommen Sie aus andern Gründen. Einem Ad¬ vocaten muß man Alles sagen.“ „Soll ich sagen, daß mich diese edle Gesinnung überrascht? Nein! Justice et humanité, voilà le patrimoine de la famille de Bovillard! Si mon ami Bovillard est mon avocat, je suis l'homme le plus heureux.“ „Herr, rasen Sie! Von Ihrer Cassation ist die Rede! Um des Himmels Willen plagte Sie denn der Teufel! Lauern uns denn nicht genug auf den Dienst, wissen Sie nicht, wie man uns auf die Fin¬ ger sieht, wie man die unschuldigsten Handlungen verdächtigt, und Sie müssen uns mit solchen Stänke¬ reien kommen! Herr Geheimrath, Sie verdienten ja schon darum —“ „Meine Intentionen waren die reinsten von der Welt —“ „Zum Geier mit Ihren Intentionen. Wissen Sie, wie der König in die Lippen biß, wie die Königin blaß ward, wie ein Jemand, den ich nicht nennen will, die Achseln zückte und zu Ihrer Majestät flüsterte: das sind die Freunde des Herrn Lombard! wie Seine Majestät, die Hände auf dem Rücken, stumm durchs Zimmer gingen: das muß anders werden! — heißt das Ordnung! Das nennt man Humanität, daß man Gottes Ordnung umkehrt und die Verbrecher Saufgelage feiern läßt. — Es muß, es soll anders werden! schlossen Seine Majestät. Beyme hat ihn noch nie so gesehen. Die Cabinetsordre an den Justiz¬ minister war ihm noch nicht stark genug, er mußte sie umschreiben. Was sagen Sie nun?“ Lupinus wußte nichts zu sagen. Er kaute mit den trockenen Lippen und rieb mechanisch die Hände über den Hut bis der Wirkliche ihm zu Hülfe kam: „Erleichtern Sie Ihr Herz und schenken mir reinen Wein, aber verstehen Sie ganz reinen, und bis auf den Grund.“ Ob der Wein ganz rein war, lassen wir auf sich beruhen. Es war so ziemlich derselbe, den wir in Lupinus Gespräch mit seiner Schwägerin gekostet. Nur blieb der tolle Sohn des Geheimraths aus dem Spiele. Der Zuhörer, welcher besonders am Schluß aufmerksam den Kopf wiegte, schien einigermaßen befrie¬ digt, denn er sagte, als der Andere zu Ende war: „Kön¬ nen Sie nun mit gutem Gewissen behaupten, daß Sie nichts hinzugethan, noch davon genommen haben; ich meine, daß, wenn Sie vor dem Richter stehen, Sie ebenfalls nichts mehr, noch weniger aussagen würden?“ „Wir sind Menschen, Herr Geheimrath, wir sind alle Menschen, und unser Loos ist irren.“ „Beamte sind aber eine besondre Klasse von Menschen, die nicht irren sollen; sonst jagt man sie fort.“ „Seine Majestät der König kennt gewiß meine Loyalität.“ „Der Hochselige kannte sie freilich durch Herrn Rietz. Ich möchte Ihnen nicht rathen, sich darauf zu berufen. Ueberhaupt scheinen mir Ihre Erinne¬ rungen und Kenntnisse etwas antediluvianischer Art. Wenn man ein Beamter ist Ihres Ranges, die ge¬ bildete Gesellschaft besucht, ist es erste Pflicht, daß man sich um die Verhältnisse und Ansichten kümmert. Vielleicht liegt das in Ihrer Familie —“ „Herr Geheimrath meinen meinen Bruder in der Jägerstraße. Ja um die Dehors kümmert er sich allerdings wenig. Sollte er sich vielleicht bei irgend einer Gelegenheit einen Verstoß haben zu Schulden kommen lassen! Gott er hat ein gewissermaßen kind¬ liches Gemüth, er kann kein Wasser trüben. Aber Gelehrte — Gelehrte mein theuerster Gönner, ach der Vers ist wie auf ihn gemacht: Er weiß wie man in Rom gegessen Und zu Athen sich gab den Kuß; Darüber hat er ganz vergessen, Wie man die Gabel halten muß. Wie oft habe ich freundschaftlich mit dem Trefflichen gesprochen, daß er sich doch etwas in die Verhält¬ nisse schicken möchte.“ „Hätten Sie sich die Predigt doch lieber selbst gehalten! fiel der Wirkliche wieder verdrießlich ein. Mein Herr Geheimrath, es ist ganz unbegreiflich, wie Sie die Veränderungen übersehen haben, die sich in unsern Sitten zutrugen. Ja, ja in unsern Sitten! Sehn Sie denn nicht ein, daß und wie sich alles geändert hat. Ein junger tugendhafter König ist unser Staatsoberhaupt, eine ebenso tugendhafte und sittsame junge Königin an seiner Seite. Ihr Haus¬ halt ist ein wahres Exempel von Moralität, von wirk¬ lich rührender Häuslichkeit. Fühlen Sie denn nicht, wie dies Beispiel schon auf das Publicum einwirkt. Anfangs war man etwas frappirt, man verstand es nicht, man glaubte nicht, daß es dauern könne, man sah mehr darin ein idyllisches Schauspiel, manche fürchteten sogar, daß die Königliche Autorität ver¬ lieren würde, ohne den Gold- und Silberapparat. Aber es war anders. Wird dieser König weniger geliebt, als der höchstselige? Ja ich wage zu be¬ haupten, der große Friedrich ward nicht so venerirt. Wenn dieser jugendliche Monarch, mit zwei Rappen, die schöne Königin an seiner Seite durch die Linden kutschirt, wie schlagen alle Herzen! Hören Sie die Bemerkungen der Leute. Das sind Symptome, mein Lieber, auf die man achten muß.“ „Herr Geheimrath! rief der andre, sich auf die Brust schlagend, wie mein kleiner Fritz neulich, den Sie die Güte hatten aus der Taufe zu heben, die Verse von Gleim hersagen sollte: Und die Tugend, sie ist kein leerer Wahn, Erzeugt in dem Hirne des Thoren! drängte sich die stille Thräne des Mitgefühls auch aus meinen Augen. Wer erkennt nicht dieses su¬ blime Beispiel des erhabenen Königspaares! Ich er¬ laubte mir daher auch neulich in der Loge —“ „Mit freimaurerischen Redensarten ist es nicht mehr gethan. Man soll auch en vérité die Tugend executiren. Bemerken Sie denn nicht, wie die Dinge in Berlin schon jetzt ein andres Ansehn gewinnen. Man muß sich fügen, mein Lieber, man muß mit dem Strome schwimmen, man muß sich kleiden wie die andern, wenn uns auch die Mode nicht gefällt. Ou voulez-vous être un original, qui ne se désori¬ ginalisera jamais. Glauben Sie mir, es gefällt manchem am Hofe nicht, ich muß manche Klagen hören, aber — man fügt sich. Manche Liaisons sind stadtkundig, wer hatte bisher Arges daran, aber — man genirt sich jetzt, man fährt nicht mehr zusam¬ men in den Thiergarten. Ich könnte Ihnen — aber n'en parlons pas — à propos — man sagt mir, Sie besuchen noch immer das Haus der Schubitz.“ Der Nichtwirkliche blickte ihn verwundert an. „Mein hochverehrtester Gönner, auch das“ — Offenbar wollte er, was man nennt mit etwas heraus¬ platzen, vielleicht aus der Defensive in die Offensive übergehen, aber rasch sich besinnend fuhr er in dem vorigen süß flötenden Tone fort: „Wenn ich sagen dürfte, wie anständig es dort hergeht! Ich kann betheuern, daß alles Unmoralische davon entfernt ist. In den untern Zimmern ver¬ sammelt sich abendlich, gelegentlich eine Gesellschaft von frohen Menschen. Man trinkt Thee, man läßt sich eine Bowle brauen; in heitern Gesprächen ver¬ gehen die Stunden. Wie mancher Geschäftsmann, erdrückt von der Last des Tages, der keine Familie hat, oder in ihrem Kreise nicht das rechte Soulagement findet, sucht die Zerstreuung, die nothwendige Erholung, um sich wieder zu erfrischen für die Sorgen und die Arbeit des nächsten Tages. Der Staat fordert von uns ungeheure Opfer, er muß uns doch auch etwas Erholung gönnen. Einige machen auch ein Spielchen, die Räume sind so gemüthlich und hell. Muß man denn immer Arges denken! Diese leichten, anmuthigen Kinder der Natur — ich will im entferntesten nicht für ihre vertu sonst einstehen — aber in diesen Reunions, wenn doch auch nur ein Mal etwas Unsittliches vor¬ gefallen wäre! Hüpfende Gazellen, Hebe's mit der rauchenden Schaale, mischen sie sich in das Gespräch, man hält sie fest, wenn sie entschlüpfen wollen, man richtet Fragen an sie, und freut sich ihrer schalkhaften Antworten. Sie wissen oft den Nagel auf den Kopf zu treffen. Ich will auch nicht dafür einstehen, daß man nicht einmal, überrascht von einer naiven Ant¬ wort, den losen Schalk auf den Schooß zieht, und ihn dafür mit einem Kuß auf die Lippen belohnt oder bestraft. Aber, wie gesagt, il n'y a rien là d'immoral, Monsieur le conseiller! Man findet immer achtungswerthe Gesellschaft, die höchstachtungwertheste zuweilen. — Herr Geheimerath würden erstaunen, wenn Sie hörten, welche Equipagen vor dem Hause halten — oft die ganze Behrenstraße hinauf bis zur Friedrichsstraße. Man trifft sich auch mit den Künstlern, den Genie's unserer Stadt. Wie oft hat Herr Friedrich Gentz seine brillantesten Gedanken in diesen Kreisen zuerst saillant ausgesprützt. Da ist der be¬ rühmte Bildhauer, das Genie, — wie heißt er doch gleich — der macht Studien zum Basrelief für das neue Schauspielhaus. Der tiefsinnige Herr Adam Müller, ce génie mystique, las den Damen aus seinen Schriften vor, s'il m'est permis de m'exprimer ainsi pour les convertir. Reine psychologische Studien! Der Herr Hofrath Hirt versichert, bei den Bewegungen der einen Nymphe würde er doch immer erinnert an ein pompejanisches Wandgemälde, was der Lichtenau so gefallen hatte, er hat es im Marmorpalais contre¬ feien müssen. Da sagte auch neulich Fleck — doch das erinnern sich Herr Geheimerath, — von der Auguste könnte die Schick agiren lernen, wenn sie die Dido singt. Enfin, je vous assure, mon génie protecteur, on n'y va que pour faire ses études artistiques, philosophiques, psychologiques — „ Et physiologiques, unterbrach Bovillard. Und was studirten Sie, Herr Geheimerath?“ „Menschenkenntniß, Herr Geheimerath. Lernt man in der Schwäche sich nicht selbst am besten kennen?“ „Das will ich gelten lassen. Darum schickte ein gewisser Jemand auch wohl seine Pantoffeln in das Haus.“ Der Geheimerath senkte den Blick: „So viel mir bekannt, sind diese schon vor Monaten wieder abgeholt.“ „Das ist sehr klug von dem Jemand gehandelt. Denn, merken Sie noch etwas, eine Polizeiordre ist unter der Feder, in diesen Häusern soll künftig eine Präsenzliste geführt werden. Wer aus- und eingeht, muß seinen Namen einschreiben. An jedem Morgen wird der Polizeipräsident wissen, wer sie besucht hat, und die Beamten werden höhern Orts gemeldet.“ Die beiden Geheimeräthe sahen sich unwillkürlich mit einem wunderbaren Blicke an. Es entstand eine Pause. Eine vertraulichere Stimmung schien zwischen dem Wirklichen und dem Nichtwirklichen eingetreten, als jener nach einem kurzen Ambuliren seine ver¬ schanzte Stellung im Stich lassend, sich mit über¬ kreuzten Beinen auf das Sopha setzte. Der Nicht¬ wirkliche nahm bescheiden in der andern Ecke Platz. „Und dann, warum müssen Sie mit jeder Schürze auf der Straße Conversation anfangen, und jedes hübsche Dienstmädchen in die Backen kneifen?“ „Mon Dieu, auch das ein Verbrechen, wenn das Herz uns treibt, unsere Mitmenschen zu uns zu er¬ heben! Je vous proteste, ce n'est rien que l'inspi¬ ration d'un coeur humain.“ „Genialität, mon ami ! Ces beaux temps sont passées . Sie werden mich gewiß nicht zu den Rigorosen rechnen, aber man muß doch auch mit einem gewissen Ernst, der unserer Stellung und un¬ serem Alter ziemt, die Verhältnisse betrachten. Es mußte anders werden. Das sittliche Gefühl des jungen Monarchen war durch so viel Affröses ver¬ letzt. Man hätte sich nicht wundern dürfen, wenn er selbst mit rigoroser Strenge dazwischen fuhr. Aber in seiner milden, bescheidenen Weise zieht er es vor, nur durch sein Beispiel zu wirken. Und es ist überraschend, wie es schon gewirkt hat. Wie me¬ nagiren sich jetzt die Damen am Hofe! Hört man noch das disgustirende Geplauder von sonst! Ein Wort, ein strafender Blick der Königin, und wie der Nebel beim Sonnenschein wird es rein — die choc¬ quirenden Confidenzen verstummen. Kennen Sie die alte Voß wieder? Ganz die Airs einer würdigen Matrone! Wenn es auch noch nicht überall einklingt, so macht man doch Efforts. Selbst Conteß Laura, geht sie wohl noch so ausgeschnitten wie sonst? Und wenn man auch noch die Redouten in Bergers Saal besucht, mit welcher Decenz geschieht es. Da kennt keine die andere, so tief maskirt! Ihre Wagen lassen sie schon an der Ecke der Dorotheenstraße zurück. Nein die Progressen in der öffentlichen Moral sind un¬ verkennbar. Und die Minister! Was kann denn er¬ hebender sein, als wie der unsere den Glanz des Weltmannes von sich abgestreift hat, und wie ein Patriarch unter den Seinen lebt. Die Frau Mi¬ nisterin, wenn sie das schlichte Häubchen auf dem Kopf, die Schürze vor, als Hausfrau in Küch und Keller waltet! Ein Fremder könnte glauben, daß er in eine gewöhnliche Bürgerwirthschaft geräth. Ein herzlicher Händedruck würde ihn begrüßen, ein Trunk Bier steht immer auf dem Tische.“ — „Trinken Excellenz jetzt Bier? fiel Lupinus rasch ein. — Wahrscheinlich von dem, was mein Freund, der Hofrath Fredersdorf in Spandow braut. Ein treffliches Bier, aber sollte es ganz nach Excellenz Geschmack sein?“ „Das thut wohl nichts zur Sache. Ich meinte nur — “ „Vielleicht nur des Magens wegen — Excellenz leiden an Indigestionen — da würde ein bitteres Magenbier, zum Exempel das Zerbster — der Ma¬ gen eines Ministers ist etwas kostbares für das Land — ich habe da eine gute Quelle. Meinen Herr Ge¬ heimrath vielleicht, daß Excellenz es nicht ungütig nehmen würden, wenn ich mir erlaubte ein Fäßchen —“ „Sorgen Sie lieber für Ihren eigenen Magen, sagte Bovillard aufstehend, denn Sie haben viel Ver¬ dorbenes gut zu machen!“ — Aber der Alp auf der Brust des Geheimrath Lupinus schien sich doch all¬ mälig gelöst zu haben, als er die Theilnahme seines Gönners bemerkte. Die Sache war nicht durch einen Scherz zu beseitigen. Man sprach auch von einem Dritten, der seine Vermittlung schon angeboten. „Wenn man dem nur ganz trauen kann“ sagte Lu¬ pinus. Der Wirkliche lächelte leichthin: „Das zu prü¬ fen ist meine Sache. Ihre, Anstand, Ernst, Moralität zu zeigen — und vorsichtig zu sein. Denn mir ist gar nichts darum zu thun, daß Sie mit blauem Auge davonkommen und durch eine Hinterthür schlüpfen, sondern Ihre Ehre soll ganz fleckenlos dastehen. Ver¬ stehen Sie mich, mein Herr Geheimrath? Es han¬ delt sich um Ihre vollkommene Rechtfertigung, weil unser Interesse damit zusammenhängt. Verstehen Sie mich! Wissen Sie auch, daß der Justizminister schon einen Candidaten für Ihren Posten in petto hat?“ „Womit habe ich das verdient!“ Beinahe ent¬ fiel ihm der Hut, als er mit der Hand über die Stirn fuhr. „Das machen Sie mit sich selbst aus. Dann kann ich Ihnen auch nicht verbergen, daß das Ver¬ hältniß mit Ihrer Köchin Seine Majestät choquirt. Sie thäten besser sie wegzuschicken, oder wieder zu heirathen.“ „Wenn ich die Ungnade Seiner Majestät damit abwenden könnte — mein Gott, ich bin ja zu allem bereit — jeden Augenblick.“ „Warten Sie's doch noch ab, — entgegnete der Wirkliche, wirklich von diesem Zeichen der Devotion überrascht. Es kann sich manches wieder ändern. Ueberhaupt müssen wir warten, setzte er hinzu, denn ich besinne mich, daß der Minister morgen wegen des Geburtstags Seiner Majestät nicht zu sprechen ist.“ Mit etwas erleichtertem Herzen nahm Lupinus seinen Rückzug. Bovillard schien schon einer Reihe anderer Gedanken gefolgt, als er die Hand an der Thür, ihm ein à propos nachrief: „A propos wissen Sie nicht, was aus der Jenny geworden ist?“ Lupinus, halb schon aus der Thür, war im Augenblick zurückgeschnellt, und mit derselben Elasticität verklärte sich sein Gesicht zu einem Ausdruck, der das grade Gegenstück zu dem während dieser peinlichen Unterhaltung war. Es war die allmächtige Natur, welche die Folterbande gesprengt hat. „Die ging ja nach Leipzig — nach dem Vor¬ fall —“ „Das weiß ich. Aber von da?“ „Man sagte, nach Paris. Ah! ces souvenirs!“ Der Geheimrath von der Voigtei küßte seine Finger. „Wie eine Gazelle,“ sagte der Wirkliche. „Und eine Taille!“ „Quand elle pirouettait autour d'elle-même —.“ „En petit comité viel ravissanter als hinter den Lampen. Diese Grazie!“ „Augen wie eine étincelle.“ „Et son esprit!“ „Witzig! Sie konnte fünf Mann todt machen.“ „Et ses délicieux petits pieds! Erinnern sich Herr Geheimrath noch an jenen Abend, wie sie auf den Tisch sprang!“ — „N'en parlons pas! Bovillard wehrte mit der I. 8 Hand. Mit einem eigenthümlichen Blick setzte er hinzu. Mon cher conseiller, c'est à vous de vous taire — et surtout à présent!“ „A moi! Lupinus senkte die Augen, die Hand auf der Brust. D'ailleurs ces souvenirs dureront plus que ma vie.“ „Ja, sie hat manche Erinnerungen hinterlassen,“ schmunzelte Bovillard. „Und man kann sie ordentlich historisch verfolgen, setzte der andre hinzu. So was kommt doch nicht wieder. Sind Herr Geheimrath nicht auch der Mei¬ nung, es verschlechtert sich alles in der Welt.“ „Es kann aber auch Einiges besser werden, sagte Bovillard. Noch einmal rief er dem Scheidenden nach: Also, un peu plus de morale et — de modé¬ ration.“ Neuntes Kapitel. Der dritte August. Der dritte August fing in Berlin an ein Feier¬ tag zu werden. Die Bürger freuten sich, daß sie einen guten König hatten. Sie hatten lange keinen guten König gehabt; denn der alte Fritz war wohl ein großer König, aber er war ein Fürst gewesen, den eine tiefe Kluft des Respects von seinem Volk trennte. Es verehrte, es bewunderte ihn, aber den Bürger schauerte, wenn er dachte, daß er mit ihm auf einer Diele, unter einem Dache stehen sollte. Der Müller von Sanssouci war ein einzelner Mann. Und zuletzt war der alte Fritz sehr alt geworden und grämlich, und seine Kaffeeriecher drangen in die Häuser und die Hütten. Wenn er durch die Linden ritt auf seinem alten Schimmel liefen ihm die Kin¬ der nach und schrieen und waren glücklich, wenn sie die Sohle seines Stiefels, den Saum seines Rockes anfassen konnten, auch leuchtete sein Auge noch immer groß und durchdringend, und die Bürger erstarrten in Ehrfurcht vor dem großen Könige, aber Liebe hat I . 8* der matte Strahl des großen Auges nicht mehr geweckt. Und als der große Mann im Sterben lag, durch¬ schauerte es auch wohl die guten Bürger, daß so ein großer Mann wie der kleinste unter ihnen von dieser Welt scheiden müsse. Aber an seine großen Schlach¬ ten und was noch größer, seine Thaten für den Staat, und daß er die Seele dieses Staates gewesen, und ob eine andre Seele und welche, in diesen verlasse¬ nen Körper fahren werde, daran dachten sie nicht. Den guten Bürgern fiel es überhaupt nicht ein, daß der Staat ein Leib sei, der eine Seele braucht. Sie dachten vielmehr — ganz still — wenn der Alte todt ist, hören die Kaffeeriecher auf, und vielleicht auch die Tabacksregie. Unter diesen Gefühlen der guten Bürger, die man später die Gutgesinnten nannte, entschlief der größte Mann seines Jahrhunderts. Wenn er's gewußt, vielleicht hätte sein letzter Seuf¬ zer geklungen: das hatte ich nicht verdient! Und darum jubelten die guten Bürger dem neuen, güti¬ gen Könige entgegen, der auch wirklich die Kaffee¬ riecher fortjagte, aber später und sehr bald ward er kein guter König. — Er starb in seinem Marmor¬ palais am heiligen See, einsamer als der große Friedrich in Sanssouci. Die Kluft war noch tiefer geworden zwischen dem Könige und dem Volke. Und nun hatte man wirklich einen guten König. Durch viele Jahre war er derselbe geblieben; es war Friede im Lande, keine Kaffeeriecher, den Taback kaufte man zu mäßigen Preisen, die Geisterbanner und Frömmler waren fortgeschickt, Handel und Gewerbe blühten, die Soldaten waren zwar noch Soldaten, aber man konnte sich ja vor ihnen hüten, und der König und die schöne Königin fuhren so bürgerlich geschmückt, so herzlich und zutraulich durchs Volk. Keine Läufer, selten ein Vorreiter, oft in einer ein¬ fachen zweispännigen Kutsche. Das Volk fing an diese Annäherung zu verstehen und zu würdigen, und — es liebte seinen König. Darum war bald der dritte August, des Königs Geburtstag, ein Feiertag geworden. Sie gingen vor's Thor, in die Schenkgärten, sie strömten aufs Land, in die Dörfer, die glücklichen Familien, welche die Sorgen abwerfen konnten, um einen sorgenfreien Tag unter Gottes freiem Himmel zu feiern. Auf dem Hochplateau, südlich von Berlin, lag damals ein ländliches Dorf mit hohen schönen, dicht umwipfelten Bäumen, mit moosbewachsenen Schilf¬ dächern und einer alten gothischen Kirche von Gra¬ nitquadern. Nur eine halbe Meile von der Stadt, versank doch das Dorf fast unter den hohen Korn¬ feldern, wo die Aehre im Lehmboden üppig wucherte. Von all dem ist nur die Kirche von Granit geblie¬ ben, einst eine Besitzung der Tempelherren, von de¬ nen das Dorf den Namen trägt. Diese sind vor alten Zeiten schon von der märkischen, und von der Erde überhaupt verschwunden, und das Feuer, das ihre Edelsten verschlang, hat auch allmälig die schönen Linden und Ulmen der Dorfstraße versengt und die Schilfdächer der Häuser verzehrt. Heut sieht das Dorf aus wie eine mit Bäumen untersprengte Stadt. Aber auf dem üppigen Rasen, unter den prachtvollen Baumreihen war zu unsrer Zeit noch ein Spielplatz für ländliche Lust, wie man ihn nur wünschen mochte. Wo konnte man freiere Luft athmen, wo, hingestreckt im Grün, dem Spiel des Laubes, dem Gesang der Vögel ungestörter lau¬ schen! Wo wölbte sich ein prächtigeres Dach von Aesten, um den Mittagstisch darunter aufzuschlagen! Noch prangten die Dörfer um die Stadt nicht mit blauen und goldenen Wirthshausschildern, noch lauer¬ ten die Kellner nicht am Eingang der Gitter mit der Speisekarte. Die Schenke war eine Trinkstube und Kegelbahn, weiter nichts, die Familien kehrten bei den Bauern ein, die sie vom Markte kannten. Und noch strömte nicht Alles hinaus, was an Sonn- und Feiertagen die Werkstätte schließt, um das Ge¬ räusch der Straßen draußen durch neuen Lärm zu ersetzen und den Staub, den sie hinter sich gelassen, durch wilde Spiele wieder aufzuwühlen. Es war eine Pilgerfahrt der Familien. Sie brachten eine sonntägliche Stimmung mit. Man hatte sie lang vorher besprochen. Man freute sich, einmal unter Gottes freiem Himmel einen Tag zu feiern. Wie wenige waren gereist und hatten schönere Ge¬ genden gesehen, und wie viele hatten die Dichter ge¬ lesen und konnten auswendig ihre Lieder zum Preise der schönen Natur. Auch wer das Theater besuchte, was damals in den gebildeten Mittelständen viel häufiger geschah, als jetzt, hörte und sah, wenn er es glauben wollte, daß die Menschen in den Dörfern andere und bessere wären, als die in der Stadt, weil sie Gott und seiner Natur näher sind. Wenn auch nicht bei den Schäfern, doch in der Hütte, die der Fliederstrauch überschattet, sollte der Friede und das Glück des Lebens zu suchen sein. Bei aller Blasirt¬ heit der vornehmen Welt konnte sie dieser Stimmung durch Spott nicht wehren, ja sie erwehrte sich selbst ihrer nicht. Man mußte idyllisch sein. Wir sehen eine solche glückliche Familie den langen, beschwerlichen Weg hinaus wandern. Sie steigen über den Sand des Templower Berges, dann suchen sie den festeren Fußsteig, der neben der durchwühlten Straße, fast baumlos nach dem Dorfe führt. Die Sonne brennt am wolkenlosen Himmel, und ihre Schritte sind nicht leicht; außer der Sonntagsstim¬ mung bringen sie ja in Körben und Pompadouren mit, was zur Erheiterung dieser Stimmung dienen soll. Oft muß der Familienvater das Taschentuch herausziehen um den Schweiß zu trocknen und oft hält er still und sieht, ob die andern nachkommen. Da verstummt wohl das Gespräch, aber sie bleiben hei¬ ter. Unter den schattigen Ulmen, welche die Avenue des Dorfes bilden, hält endlich die Mutter und setzt ihren Beutel nieder, während der Vater sich umsieht: „Aber wo ist denn Adelheid?“ — „Ach du mein Gott, ruft die Mutter, da trägt das Kind doch den schweren Korb der Jette. Hab ich's ihr nicht verboten?“ Die Adelheid aber hüpft heran und setzt den Korb zu ihren Füßen nieder: „Mütterchen er war gar nicht schwer.“ Die Gluthröthe, die ihr Gesicht überzieht, straft sie Lügen. Sie steht einen Augenblick athem¬ los. „Aber englisches Mädchen wie konntest Du das thun!“ Der Vater schüttelt den Kopf. Aber als ihre Röthe verschwindet, weist die Tochter auf das Mädchen, das noch röther gefärbt herankeucht: „Die Jette konnte ja nicht mehr.“ Der Vater mur¬ melte: „Dafür ist sie im Dienst“, doch es schien ihm nicht Ernst; er klopfte der Tochter auf die leuchtenden Schultern: „Knüpfe Dein Tuch zu, Du bist echauffirt, und wir sind gleich im Dorf.“ Der Wind wehte in die alten Ulmen, als wollte er die kleine Dishar¬ monie weghauchen; die Jette nimmt wieder den schweren Korb auf die Hüfte und im Schatten der Bäume geht der Zug munter weiter. Die Jette stimmt einen damals sehr beliebten Gassenhauer an, und die Kinder fallen jubelnd ein: Mein Gustchen, mein Gustchen, Komm mit mir aufs Dorf, Da singen die Vögel, Da klappert der Storch; Da tanzet die Maus, Da fiedelt die Laus, Da kukket der Kukkuk Zum Fenster hinaus. Nun fängt der Festtag an. Die Hunde klaffen als sie das leichte Gitterthor in der Lyciumhecke ge¬ öffnet. Adelheid kennt sie, und sie kennen Adelheid; sie streichelt sie und sie wedeln zu ihren Füßen. Aber es ist tiefstill im Gehöft. Die Flurthür ist nicht verschlossen, doch auch im Innern des Hauses kein menschliches Wesen. Nur der graue Kater springt über den Heerd, und im Zimmer schnattert der Staar in seinem Käfigt, indeß die Wanduhr monoton tikt. — Ach sie sind Alle auf dem Felde! Und das Feld ist weit. — Dadurch scheint die Lustbarkeit gestört. Soll man die Jette wieder im Sonnenbrande hinaus¬ schicken? Nein, der graue Kater, der vor den Ein¬ dringlingen durch die angelehnte Kammerthür ent¬ flohen ist, zeigt ihnen ein anderes Auskunftmittel. Da liegt ja die alte Großmutter im Bette. Sie ist schon etwas närrisch und kann kaum mehr sprechen, aber Adelheid hat es ja neulich zu Pfingsten ver¬ standen, ihr Töne und Verständniß zu entlocken. Ja, die Alte liegt noch da, stumpfsinnig lächelt sie, wie zu allem auch den Eintretenden zu, ihre Anrede ist ihr nichts anderes als das Ticken der Uhr. Aber sie gafft Adelheids Gesicht an, ihr Grinsen wird zum Lächeln; sie muß sich neben sie setzen, sie streichelt ihre Locken mit der dürren Hand und wie durch die Berührung allmälig electrisirt, kommen Töne hervor, minder kreischend. Es leuchtet auch etwas wie Be¬ sinnung im Auge. Sie verständigen sich, ein Wort, ein Blick und sie wissen, daß die Hausfrau im Kuhstall ist. Bald fährt Frau Brösicke vom Melken auf, denn ein seltsames Kikeriki schallt ihr aus der Wandluke. Wetter! Wo kommen denn die Hühner her! und als sie sich umwendet, blitzen ihr zwei wunderblaue Augen entgegen unter einer blonden Lockenfülle, und die kirschrothen Lippen öffnen sich, um zwei Reihen Perlenzähne zu zeigen und ein: „Angeführt mit Lösch¬ papier, Frau Brösicke!“ ihr zuzurufen. „I so soll doch!“ ruft die Bäuerin und läßt den Melkeimer fallen, aber ihre Ueberraschung ist keine unangenehme: „Ach die seelenhübsche Mamsell Adelheid vom Gensd'armen¬ markt!“ Auf dem Hofe aber hat eine andere Ueber¬ raschung Platz gegriffen, die nicht so angenehmen Eindruck hinterläßt. Das Dienstmädchen hatte eben vom Schöpfbrunnen den vollen Eimer an die dur¬ stigen Lippen gesetzt, als eine heftige Ohrfeige, die aus der Luft zu schwirren schien, ihre brennenden Backen noch röther machte. Der Eimer schnellte aus ihrer Hand, und das Wasser, was sie nicht trinken sollte, überschüttete sie aus den Lüften. „Es geht doch nichts über die Unvernunft solcher Leute. Zu trin¬ ken, wenn sie erhitzt sind!“ — Das Mädchen weint, aber sie beklagt sich nicht. Der Hausherr hat das Recht. Auch die Hausfrau widerspricht nicht; nur flüstert sie ihrem Alten zu: „Alter! Solchen Leuten schadet es nicht. Das liebe Vieh trinkt auch, wenn es Lust hat und frägt nicht, ob's die Doctoren ver¬ boten haben.“ Nun ist alles helle Thätigkeit inner und außer dem Hause. Jeder hilft mit, denn mitarbeiten an der Herrichtung zur Tafel, zum Mittagstisch, ist ein Theil der Freude. Jeder, nur der Vater nicht. Ihm wird der erste Schemel unter die Linde gesetzt, daß er in Ruhe seine Pfeife rauchen kann. Die Bäuerin will dem Herrn Kriegsrath selbst die Kohle bringen, aber Adelheid nimmt ihr die Zange ab. Und nach¬ dem er mit dem Finger nachgestopft, und einige Züge versucht, kräuselt es sanft aus dem Meerschaumkopf, und aus den Lippen schießen Rauchwirbel regelmäßig hervor. Die Pfeife zieht, alles ist in Ordnung, der Vater nickt freundlich der Tochter zu, und sie flieht vergnügt ins Haus. Was soll man zuerst ergreifen! Die Bäuerin eilt ans Heck, auf den kleinen Hügel, und pfeift durch die hohle Hand nach dem Felde. Sie mußten es wohl gehört haben, denn bald wimmelt es von kleinen Semmelköpfen in Flur und Küche, die ihr zur Hand sind. Da knarrt der Ziehbrunnen, das Reisig prasselt auf dem Heerde, bald lodern und knallen auch die Scheite frischen Holzes, die der älteste Knab noch eben im Hofe gespalten, und die Mutter aus der Stadt packt in der Stube aus den Körben und Beu¬ teln und vertheilt und bespricht mit der Hausfrau. Aber eben so schnell tragen die Knaben und die Magd Tisch, Schemel und Bänke aufs Grüne unter die Linde. Es fügt und schichtet sich, wenn auch nicht ganz regelrecht. Wie kann ein winklich gezimmerter Tisch grad auf der Erde stehen, die ja rund ist! Das Tischtuch fliegt hinauf, die irdenen Schüsseln und Teller halten es fest, wenn ein Luftzug die Zipfel überschlagen will, und die Schüsseln füllen sich schon, nicht vom Reis, der noch über dem Feuer siedet, aber von den Lindenblüthen, die der Zephyr von den Zweigen schüttelt. Es war ein goldiger Tag. Die Hitze war nicht gering, aber auf den Körper des Familienvaters, der ausruhen sollte, von der Arbeit einer Woche, schien sie wie ein Balsam sich zu senken. Seine Frau zog sich einen Schemel neben ihn. Drinnen war alles geordnet, sie konnte es den andern überlassen, und den Strickstrumpf vorholen, um auch der Ruhe zu pflegen. „Es hat Dich aufgeheitert, Du warst heut Morgen anders, sagte sie; noch als wir zum Thor hinaus¬ gingen, sahst Du vor Dich hin, daß ich wunders dachte, was es wäre.“ „Und Du eiltest so aus dem Thor, daß ich auch dachte, wunders was es wäre.“ Sie ließ den Strickstrumpf sinken: „Ja sieh mal, ich hätte es nicht gern gehabt, wenn uns Einer be¬ gegnet wäre. Denn eigentlich, es ist doch nicht, was sich für uns schickt, ich meine nämlich für Dich. Ja als Du noch Subalterner warst — aber nun, und wer weiß was Du noch wirst, da der Justizminister es mit Dir so gut meint.“ Der Ehemann blies einen langen Dampf in die Luft und ließ die Pfeife am Fuße ruhen: „Das ist nicht immer ein Glück. — Schickt sich Gottes Natur nur für die Subalternen, für die Vornehmen aber nicht?“ „Wie Du wieder bist, Mann! Ist nicht Gottes Natur auch in den Zelten und im Hofjäger? — In's Freie raus ist recht hübsch, ja, und ich sage gar nichts dagegen, aber so zu Fuß mit Sack und Pack! — Das schickt sich doch nicht mehr.“ Er war bei guter Laune: „Nächstes Mal wollen wir einen Wagen nehmen.“ Sie nahm die gute Laune wahr: „Es ist mir auch schon recht, daß Du lieber hier raus wolltest, als nach Charlottenburg, denn da sind immer unter¬ wegs die Soldaten und die Gensd'armenofficiere flan¬ kiren in den Gärten nach hübschen Gesichtern, und Du hast schon recht, hier heraus kommen sie nicht geritten, weil's zu sandig ist und die vornehmen Equipagen nicht her fahren, aber sieh mal, unsre Kinder werden doch jetzt größer, besonders die Adel¬ heid — Was siehst Du denn so besonders dahin?“ „Ich freue mich, daß die Adelheid so groß ge¬ worden ist.“ „Ist Dir sonst was besonderes?“ „Ja ich habe Lust nach was Besonderm, nickte er, denn ich bin durstig.“ Die Erklärung des Besonderen schwebte schon heran. Adelheid kam aus dem Kruge mit einem Glase Weißbier. Wer ein Glas Weißbier, das ber¬ liner große Glas, welches in der populären Sprache nicht mit Unrecht eine Stange heißt, gesehen hat, wie der Schaum, wenn es gut eingegossen, noch einige Zoll über dem Rand steht, und der Porzellandeckel mit seinem Knopf am Rande des Glases schweben muß; — und wer die Unebenheit des Weges und die Entfernung erwägt vom Kruge bis zur Linde, der konnte sich über Adelheids Geschicklichkeit wundern, ein Künstler aber würde sich gefreut haben, mit welcher Grazie sie das Glas trug. Die schönen For¬ men des Mädchens entwickelten sich bei jedem Schritt, und mit jedem trat sie, zuerst vorsichtig aus¬ schreitend, sicherer auf. Als sie aber die Anhöhe unterm Baume hinaufsteigend, das Glas mit beiden Armen erhob und dem Vater zulächelte, glich sie doch dem Meisterwerk eines griechischen Meißels, der Hebe, die den Göttern die Schaale reicht. „Daß Dir's gut bekommt, Papachen!“ Der Vater setzte an und leerte ein gutes Viertel in einem Zuge. Er reichte es der Tochter, weil sie als Botenlohn das nächste Recht habe. Sie nippte und reichte das Glas der Mutter. „Ich mag nichts,“ die Mutter mußte ja stricken. „Alte, trinke. Schluck runter, was Dich verdrießt.“ Sie durstete auch. Sie wollte nur gezwungen nippen, aber sie trank. — Den Unmuth hatte sie nicht ganz hinuntergeschluckt, als sie das Glas zurückgab. „Die Adelheid in den Krug zu schicken! Das ging wohl an, so lange sie die Flechten im Nacken trug. Und weißt Du denn, ob nicht Soldaten im Kruge sind!“ Der dritte August, oder die warme Sonne, oder das Spiel des Lindenlaubs mußte auf der Brust des Kriegsraths das Erz geschmolzen haben. Er fuhr die Frau nicht an, worauf sie doch gefaßt war, er sagte nicht, sie solle sich um das bekümmern, was sie anginge, — er gab ihr Recht. Aussprach er es nicht, aber er zupfte der Lieblingstochter am Ohr: „die Clara soll das Glas nachher zurückbringen und das Pfand einlösen.“ „Vater, es sind im Krug keine Soldaten. Aber den alten Major Rittgarten traf ich da mit dem steifen Beine. — Der läßt Dir sagen, nach Tisch will er uns auf eine Tasse Kaffe besuchen. Er freute sich, mich zu sehen, und freut sich noch mehr, mit Dir ein halb Stündchen zu plaudern.“ „Ich will gar nichts damit gesagt haben, Alter, daß Du durstig warst und mal einen guten Trunk Dir machen wolltest, sagte die Frau, als die Tochter fortgehüpft war, auch meinethalben mochtest Du sie schicken, aber thue doch die Augen auf; sie wächst ja aus den Kleidern raus, und wir thun noch immer als ob sie ein Kind wäre.“ „Ist geboren in der Nacht, wo der Gensd'armen¬ thurm einstürzte, sagte der Kriegsrath. Das vergißt sich nicht und läßt sich leicht ausrechnen.“ „Nun ja, siehst Du, für uns kann sie immer noch ein Kind sein, aber was sollen die Leute draußen agen! Die kurzen Röckchen, das paßt doch wirklich nicht mehr.“ Nach einer kurzen Pause sagte der Vater: „Soll andere Kleider bekommen, hab's schon in meinem Etat mir zurecht gelegt.“ In solcher nachgiebigen Laune war er seit Jahren nicht gewesen. Ein Eisen muß man schmieden so lange es heiß ist. „Sie spricht auch noch manchmal wie ein Kind.“ „Ist Dir das wieder nicht recht? Soll ich das auch anders machen.“ „Du nicht, Alter, nein, aber die Erziehung. Die Nähschule und die andre, nun ja so lange ging es, aber wir sind doch nun was andres. Das Bis¬ chen französisch, das ist ja gar nichts. Sieh mal des Inspectors Töchter, die über uns wohnen, wie parliren die schon! Und wovon sprechen sie nicht wenn sie in Gesellschaft sind, von römischer Geschichte und Bonaparte und Afrika, und von dem Dichter Schiller wissen Dir die Tischlertöchter drüben ganze Gedichte auswendig. Mir ist da oft zu Muthe, als müßte ich mich verkriechen, weil ich davon nichts gelernt. Nun ich bin eine alte Frau, oder werde's doch werden, aber um die Adelheid thut's mir oft in der Seele weh, wenn sie so gar nicht mitsprechen kann. Nicht einmal einen Roman hat sie gelesen und ein einziges Mal ist sie in der Komödie gewesen. Gott sei Dank sie hat Mutter-Witz, daß sie's ihnen geben kann, und darum behält sie Respect. Aber, lieber Mann, fran¬ zösisch muß sie lernen und ein Bischen auf dem Kla¬ vier klimpern und vor allem tanzen.“ Der Vater paffte drei Mal heftig, und schlug sich auf den Schenkel: „Tanzen soll sie nicht lernen! Und Romane und französisch parliren und klimpern auch nicht. Daß Dich! Ich werf's zum Fenster hin¬ aus, wenn ich was attrappire. Und — in die Tanz¬ schule schicke ich sie absolut nicht.“ Sie ließ ihn sich erholen: „Da hast Du auch ganz recht, Alter, hub sie, ihre Maschen zählend, wieder an und sie wird schon ohnedem tanzen lernen, denn sie hat ein Geschick dazu, und wenn sie nur erst in einem guten Hause ist. Aber sie wird doch älter, und ein Mal wird sie heirathen müssen. Der Sohn vom Hofbronceur, der möchte sie gern haben. Die Eltern sind reich. Nun ja, wenn Du sie dem geben willst, da braucht sie nicht mehr zu lernen.“ Der Vater schwieg wieder: „Sie konnte ihn ja nie leiden.“ „Und weißt Du, was die Jette sagt? Sie hätte doch bei vielen Herrschaften gedient. Aber eine solche Mamsell wäre ihr noch nicht vorgekommen. Die stäche manches Fräulein aus; auch manche Gräfin hätte nicht so feine Art. Du bist doch nun einmal Kriegs¬ rath, und wir müssen in Gesellschaften. Sollen wir die Adelheid immer zu Haus einschließen? Du siehst es freilich nicht, wie sie zu uns rauf gaffen, wenn sie am Fenster strickt, und ich hab's Dir nicht sagen I . 9 wollen, vom Bäcker nebenan, oben auf dem Boden kann man in unsre Schlafstube sehen. Da steigen die jungen Herrn vom Kammergericht, die Referen¬ dare, die beim Bäcker wohnen, und sehen runter, wenn wir Licht anmachen. Seit ichs weiß, darum hab ich Dir die dicken Vorhänge abgeschwatzt. Aber willst Du sie immer behüten?“ Der Kriegsrath antwortete nicht. „Du hast schon ganz recht. Wenn wir sie in Gesellschaft führen, da wird's ein großes Gaffen geben, und die Herren werden um sie schwenzeln. Aber ich weiß doch nicht Alter, ob sie da besser dran ist, wenn sie nicht französisch kann und nicht Klavier spielen, und wenn die Leute endlich merken, sie ist ein Gänschen, mit der kann man schon was auf¬ stellen, oder —“ Der Kriegsrath war aufgestanden. Die Pfeife stellte er an den Baum, seine Frau nahm er unter den Arm. Sie gingen unter den Linden langsam auf und ab, und er klopfte ihr auf den Arm: „Du bist schon eine kluge Frau.“ Sie hatte gesiegt. Sie waren einig, daß Adelheid eine Erziehung erhalten müsse, um in der Welt aufzutreten. Weniger einig waren sie über das wie? „Davon ein ander Mal,“ sagte der Kriegsrath. Aber sie hielt plötzlich inne und sah ihn groß an: „Alter dahinter steckt noch was andres. Gestern Abend kamst Du nachdenklich nach Haus und Du fragtest nach der Pfeife und hieltest sie schon zwischen den Beinen und heute Mor¬ gen auch Alter, da ist was los. Sonst hättest Du auch nicht so schnell nachgegeben.“ Der Kriegsrath sah seine Frau scharf an, aber nicht unfreundlich: „Christine es ist was los, — eigentlich soll man Frauen so was nicht sagen, bis es gewiß ist, aber ich weiß, Du plauderst nicht. Der Geheimrath Lupinus von der Vogtei —“ „Wird cassirt, fiel sie ein, weil die Gefangenen die Fensterscheiben eingeschlagen haben.“ „Es ist möglich, daß er sein Amt verliert, oder seine Entlassung nehmen muß, corrigirte der Kriegs¬ rath. In diesem Falle gedenkt Seine Excellenz, der Herr Justizminister — “ „Dir — Dir, Mann! rief sie verwundert. Siehst Du wohl, was Connexionen machen! Ich weiß es von mehr als Einem, wie Dir der Herr Justizmi¬ nister gewogen sind.“ „Ich verdanke ihm meine Stellung, das weiß ich. Eigentlich wäre das nun nicht meines Amtes, noch ist's meine Carriere; aber Excellenz haben die gute Meinung von mir, daß ich der rechte Mann wäre, um dort die Zucht und Ordnung herzustellen.“ „Und Du nimmst sie doch an?“ „Still! gebot ein fast drohender Blick. Die Sache mit Lupinus ist noch nicht entschieden. Und wenn, soll ich mir wieder neue Neider und Feinde machen? Denn wie Viele, Würdigere, würden um mich zurück¬ gesetzt!“ Die Frau Kriegsräthin wußte sehr viel Gründe, 9* warum er annehmen müsse; sie wußte, daß er ganz zu dem Posten befähigt sei, denn daran zweifeln hieße ja an der Autorität seines hohen Vorgesetzten zweifeln, der werde es doch am besten wissen, wozu er tauge. Und um die andern kümmere sie sich gar nicht. „Und, schloß sie, Du würdest dann auch Geheimer — Sie erschrak und verschluckte das Wort. Aber —“ Aber einig wurden sie doch. Die Adelheid sollte französisch lernen, und ein Lehrer im Hause ange¬ nommen werden, für Geographie und Geschichte und was sonst so nöthig ist, damit man nicht dumm in der Gesellschaft ist. Dazu gab der Vater die Ein¬ willigung. Klavierspielen — auch das — aber Aesthe¬ tik! Ja, Gellert und auch Bürger und vor allem der treffliche Gleim! Er konnte alle seine Preußenlieder auswendig. — „Mann! Mann! sagte die Mutter, da lächeln sie über uns. Sie sprechen immer nur über Schiller und Goethe und Tiedge! Die muß sie kennen lernen.“ Gegen Schiller hatte der Kriegsrath nichts einzuwenden; die Königin liebte diesen Dichter, und er hatte erfahren, daß auch der König sich ein¬ mal günstig über ihn geäußert. Und Goethe ließ er passiren, sein Götz von Berlichingen hatte ihm wun¬ derbar um's Herz geklungen. „Solche eiserne Hand thäte unserer Zeit noth!“ Aber Tiedge, der sollte ja extravagante Ideen, und die ganze junge Schule unsittliche Grundsätze predigen. Darüber wußte die Mutter nicht Auskunft zu geben, sie hatte nur gehört, daß er ein frommes und himmlisches Gedicht geschrieben, was Orania heißt, und ein anderes, was die Ver¬ kehrte Welt heißt. Das wäre nicht so gut; dafür wäre er aber der Verfasser von sehr hübschen und moralischen Kindermärchen. Im Uebrigen, meinte sie, was sich für junge Mädchen schickt, werde wohl der Lehrer am besten wissen. Damit war auch der Vater einverstanden, auch daß Adelheid in bessere Gesellschaft gebracht werden sollte. Nur über die Familien, wo man sie einführen sollte, war man in Streit. Endlich schloß der Vater: „Meinethalben, wo Du willst, denn Du kennst die Frauen besser als ich; nur nicht wo sie Romane findet und Officiere.“ Zehntes Kapitel. Die alte Zeit. Mit einem Schlag auf die Schulter, rief eine Stimme hinter ihm: „Und warum keine Offiziere, alter Schwede! — Willst am Ende auch mit mir nicht mehr umgehen? Meinst, ich könnte Deine Toch¬ ter verführen! So seid ihr Menschen am grünen Tisch und hinter den Büchern, laßt Euch einen Schreck vom ersten Besten einblasen und weil Ihr nicht die Augen aufzuschlagen wagt, um dem Ding in's Gesicht zu sehen, vermeint Ihr es sei Wunder was. Ich sage Dir, wer nicht der Gefahr entgegen geht, der ist schon halb verloren. Was wäre Preußen, wenn wir ab¬ gewartet hätten, bis die Oestreicher und die Fran¬ zosen und Russen den siebenjährigen Krieg anfingen? Daß wir nicht die Hände in den Schooß legten, daß wir nicht abwarteten, bis der liebe Gott es so schickte, daß wir in ihr Gespinnst drein schlugen eh's zum Netze ward, das hat uns Glück gegeben und stark gemacht und groß. Wäre der alte Fritz ein Duckmäuser gewesen, und hätte gewartet und gelauert, bis die anderen angriffen, dann hätte der liebe Gott ihm auch nicht beigestanden, und was aus unserem Preußen geworden, das weiß der Teufel.“ Ein herzlicher Händeschlag folgte dem Schulter¬ schlag. Auch mit der Frau Kriegsräthin: „Reden Sie meinem Manne nur ein Bischen ins Gewissen rein; Herr Major, 's thut zuweilen Noth, wenn er gar zu zipp ist. Sonst ist's ein guter Mann. Und zu Tisch bleiben Sie doch unser lieber Gast? Es wird gleich angerichtet.“ „Danke schönstens, Frau Kriegsräthin, habe meinen Speckeierkuchen schon im Kruge verzehrt, aber ein Gläschen Wein, da ich so was im Korbe flim¬ mern sehe, und auf des Königs Gesundheit, das schlägt ein guter Soldat und Unterthan niemals aus.“ Der Invalide konnte doch nicht lange stehen, zum einen Schemel unter der Linde war ein zweiter gerückt, und als die Wirthin sich empfahl, um in der Küche nachzusehen, dampften schon zwei Pfeifen. „Es kann doch nicht Dein Ernst sein, sagte der Kriegsrath. Denn wer kennt besser unsere Officiere als Du!“ „Freilich kenne ich sie, ich habe sie jedoch auch gekannt, als sie noch andere waren. Aber das weiß ich auch, je mehr Ihr Euch von ihnen zurückzieht, so schlimmer wird's. Auch die Soldaten waren nicht so arg, als Friedrichs Auge noch über sie wachte. Doch das thut's nicht allein. Wenn Ihr nicht vor ihrem Anblick liefet und die Thüren zuschlügt, wo einer nur von fern sich blicken läßt, wenn Ihr ihnen offen entgegenträtet, ein ernst Wort mit ihnen sprächet, so würdet Ihr manches anders finden, als Ihr denket. Sie sind auch Menschen, aber wenn Ihr sie nur als Vogelscheuche betrachtet, das macht sie wild und boshaft.“ „Aber Du giebst mir doch recht, daß man ein jung Frauenzimmer vor den Officieren wahren muß. Vor allem eins, das noch unerfahren ist?“ „Da schlägst Du dich selbst. Ein jung Frauen¬ zimmer, das sich zu benehmen weiß, läuft weit we¬ niger Gefahr als eins, das schon vor Schrecken aufschreiet, wenn's einen Federbusch sieht, weil die Mama ihm gesagt, es soll sich davor in Acht nehmen, wie vor einem Raubthiere. Denn das sind unsere jungen Officiere, wenn's auch nicht mehr dieselben sind, doch nicht. Ich sag's grad heraus, Ihr Herren von der Feder und die anderen, Ihr habt sie ver¬ derben helfen. Warum macht Ihr ihnen überall Platz und weicht vor ihnen zurück, wo Ihr's nicht nöthig hattet. Ist's nicht eine Schande, wenn ein alter Kriegsrath oder ein ehrenwerther Kaufmann mit grauem Haar vor einem Lieutenant oder gar einem Fähnrich ausweicht. Wo steht's denn ge¬ schrieben, daß es so sein soll. Wenn Ihr ihnen nicht immer das Feld ließet, und das Maul schlösset, son¬ dern grad 'raus den jungen Herrchen die Wahrheit sagtet, nun je Einer oder der Andere würde ein Mal anlaufen, aber im Ganzen würde es anders, wenn sie wüßten, daß sie unter den Civilisten auch ihren Mann fänden. Darum dominiren jetzt die Uniformen wo sie mit den Fracks zusammen kommen, und die trennen sich immer mehr, die doch bestimmt sind, zu¬ sammen zu halten als Brüder und Glieder eines Volkes.“ „Es ist seltsam, einen alten Officier so reden zu hören.“ „Es war nicht alles gut unter dem großen König, aber es war anders. Sein Auge war ein Etwas, was das träge Blut in Bewegung brachte. Es war allüberall, wenn er auch nicht zugegen war. Man stellte sich vor, wenn man etwas that oder unterließ, daß der König es gesehen haben könnte, man fragte sich, was er wohl dazu gesagt, wie er geurtheilt hätte, und das gab eine Disciplin, die kein Com¬ mando macht. Er war ungerecht. O ja, er ist es oft gewesen. Aber wer von ihm litt, der setzte einen Stolz darin, daß er litt; er dachte sich, eigentlich weiß es wohl Friedrich jetzt, daß er dir unrecht ge¬ than, aber er kann's oder mag's nicht ändern, um der Autorität willen, oder aus Eigensinn. Das Ge¬ fühl that dann wohl, wie das pour le merite Kreuz auf der Brust. Man litt um seinen König und durch seinen König, und der König weiß es auch, und trägt vielleicht noch schwerer daran.“ „Den Orden trägst Du auch.“ „Den, daß ich ein Bürgerlicher war. Ein Leiden läßt sich schon tragen, was viele Hunderte mit uns tragen.“ „Bei Torgau war es ja wohl!“ „Da fiel der Major, der mein Regiment komman¬ dirte, und schon der dritte, der mir vorgezogen war. Fiel auf den ersten Schuß. Ich kommandirte, es war nun mal kein anderer da, und nahm das Fichten¬ wäldchen. Die Herren gratulirten mir schon: dies¬ mal komme ich doch nicht zu früh, Herr Major? sagte der alte Ziethen, der an mir vorüber ritt. Kam doch zu früh. Der junge Capitain — was soll ich in meinem Groll einen Ehrenmann nennen! — der noch Page beim König war, kurz vor Ausbruch des Krieges, ward Major auf dem Schlachtfeld, und erhielt nachher als Obrist das Regiment, hatte es gewiß verdient, und was konnte er dafür, daß die Uebermacht auf ihn fiel und ihn aus der Schanze trieb. Friedrich wußte es, hatte ihn vom Pferde stürzen sehen, überreiten und wieder aufsitzen; so war er blutend zu den Seinen zurückgekehrt.“ „Jedermann giebt Dir das Zeugniß, daß Du es auch verdient hattest, Rittgarten. Ich habe viele brave Officiere gesprochen.“ „Wer sagt denn, daß es Friedrich nicht auch dachte. Aber er hatte mich zwei Mal übergangen. Wenn er es nun zum dritten Mal anders machte, strafte er sich ja selbst. So wird der König gedacht haben, und darum avancirte ich nicht auf dem Schlacht¬ feld und erhielt nicht das Regiment. Er ließ mich nachmalen fragen, ob ich nicht ein Paar Freibataillons commandiren wolle, die sich damals über der Elbe bildeten; und hatte wohl die Absicht, daß ich dann avanciren sollte. Ich ließ gehorsamst mich bedanken für die gnädige Attention, mein ganzes Leben aber wäre regulair gewesen, und so möcht ich's auch gern zu Ende bringen. Da hat Friedrich gelacht, ich weiß es, und hat gesagt: „Der ist ein Starrkopf, so soll er's haben! —“ Siehst Du, das war so viel für mich als ein Orden! — Nachher hat er mich wohl ver¬ gessen. Aber ich habe noch einen Orden von ihm.“ „Du!“ „Es war sein Sterbejahr. Mir ahnte es. Da hatte ich keine Ruhe mehr. Wenn ich ihn noch ein Mal sehen könnte! Hatte längst meinen Abschied, wie Du weißt. Jetzt war ich nun Major, ein Invaliden¬ major. Reiste nach Potsdam und ging nach Sans¬ souci hinaus. Das Glück wollte mir wohl. Ein alter Kammerdiener, den ich kannte, ließ mich auf die Terrasse. Es war ein sonniger, schöner Nach¬ mittag, wie heut; nur noch schöner, es spielte so was wie der Duft in den Orangenbäumen, die Sperlinge zwitscherten. Der König saß an der offenen Glas¬ thür in seinem Lehnstuhl, den Pelz übergedeckt. Sie wollten ihn zum letzten Mal die Luft dieser Erde recht frisch kosten lassen. Vor sich sah er nun, was er geschaffen hatte, und darüber hinaus den blauen Himmel, den der liebe Gott geschaffen hat. Die Kieferwälder in der Ferne bewegten sich. Mir war's als hätt' ich beten mögen. Und ich muß auch wohl die Hände gefaltet haben. Wollte stehen bleiben da in dem Winkel, wo die Hunde begraben liegen. Da klopfte der Wachthabende, der's mir wohl ansah an dem blauen Ueberrock, daß ich auch Soldat ge¬ wesen — oder hatte es ihm der Kammerdiener ge¬ sagt? — er klopfte mir leis auf die Schulter: „Gehn Sie nur immer vor, und sehn sich Ihren König noch einmal an, er schläft fest. Wer weiß, ob er wieder erwacht.“ Er stieß mich sanft vor. — Das war ein eigen Gefühl. Mir klopfte das Herz, wie da ich zum ersten Mal ins Feuer kam; aber zugleich war mir so ruhig, so sonntäglich zu Muth. — Nun stand ich vor ihm, nicht zehn Schritt entfernt, die Sonne wollte hinter die Bäume sinken. Gott weiß, was ich dachte! Einmal war's mir, als würde er, wenn sie sinke, auch die Augen schließen, und dann würde es Nacht werden, und Alles, was er geschaffen, mit ihm untersinken. — Und das Gesicht des Schla¬ fenden! — Was lag darin! Herr du mein Gott, was konnte Einer darin lesen! Die Lippen bewegten sich ganz leis, als spräche er im Traume. Nun schlug er plötzlich das große Auge auf. Er sah mich. Ich stand wie eingewurzelt, den Hut preßt ich in der Hand, und hätte mögen in die Erde versinken. Da öffnete er die Lippen: „Ihn kenne ich auch — bei Torgau — vergeß er mich nicht!“ Sah mich wohl, wie auch im Traum, der vor ihm gaukelte, denn er schloß sie wieder. Nur die Finger machten eine leise Bewegung. War's ein Wink für mich, oder was war es? Da hub das Glockenspiel in Potsdam an, die Sonne war hinter die Bäume gesunken, der Schatten fiel auf den großen König, und ich weiß nicht mehr wie ich fortkam.“ Der alte Major hatte etwas mit dem Finger am Auge zu thun; der Kriegsrath ebenfalls. Es entstand eine Pause. Auch schienen ihre Pfeifen in Unordnung gerathen, denn beide Herren zogen sehr eifrig, und benutzten den Rest der Pause dazu, dicke Wolken in die Luft zu blasen. Und dann war alles wieder in Ordnung. „Einem außerordentlichen Manne muß man schon manches nachsehen, hub der Major an, was man einem gewöhnlichen Menschen nicht verziehe. Dafür ist er ein großer Mann. Und wenn Friedrich heut lebte, so würde er wohl anders urtheilen, und nicht noch meinen, daß ein Bürgerlicher nur unter den Husaren gut ist, und unter der Artillerie zum Officier taugt. — Und daß er dem jungen Herrn, der sein Page gewesen, mein Regiment gab, daran hat er ganz recht gethan, oder meinst Du anders? Ist er nicht ein General geworden, der dem Staat Ehre gebracht hat. Warum ward der Bonaparte ein großer Feldherr, warum hat er um sich eine Schule guter Generale? Weil er's mit der Anciennetät nicht genau nimmt, weil er die Tüchtigen sich herausgreift, wo er sie findet, weil er auf dem Schlachtfelde avan¬ ciren läßt, wie's ihm grad zu Muth ist. Da ist Salz, da ist Blut im Heere, er fragt nicht nach Glauben und Herkommen und alten Ansprüchen. Jeder hat Aussicht, daß er's bis zum General bringt, und noch weiter, wenn er seine Schuldigkeit thut, oder noch mehr. Wenn das nicht gute Soldaten machen muß! Fort mit den Steifen und Alten, in die Ma¬ gazine und in den Train; vorwärts mit den Jungen!“ Der Kriegsrath sah ihn verwundert an: „Damit tadelst Du ja Friedrich; er that es nicht.“ „Der alte Fritz wußte, was sich schickte und was er brauchte. Er hatte es mit einem Daun zu thun; und seine Ziethen und Seidlitze wußte er wohl zu brauchen, wo andere Feinde sich zeigten. Und wie ich dir sagte, es war sein Auge, seine Presence, die das Blut wieder umrührt, wo es stockig ward. Seitdem ist's schrecklich stockig geworden, sonst wären wir nicht im Lehm festgeklebt in der Champagne, und seit dem Baseler Frieden ist's noch ärger.“ Der alte Major wollte noch mehr sagen, aber er that's nicht mit Worten, er klopfte mit dem Meer¬ schaumkopf so stark gegen seinen hohen Stiefel, daß die Pfeife ausging. Es war auch nicht mehr Zeit zum Rauchen und zur Conversation, die Magd trug, begleitet von den jubelnden Kleinen die rauchende Schüssel Milchreis auf den Tisch. Clara sprach das Gebet, und die Mutter streute einen Staubregen von Zimmt und Zucker über die Schüssel. Ein Ah! der Verwunderung und Freude ging durch den Kreis der Kleinen. „Das ist ein Sonntag! Das ist ein Festtag!“ Sie blickten den Major verwundert an, nicht einmal Milchreis mit Zucker und Zimmt wollte er genießen! Als die Bauerfrau mit beiden Armen einen Napf mit dampfenden Kartoffeln in der Schaale auf den Tisch trug, die, aufgesprungen, ihre würzige weiße Fülle entfalteten, ward das Ah noch lauter. Aber wie erschrocken blickten sie auf den Vater, als dieser plötzlich die Hand auf die Schüssel legte: „Halt Kinder! Ist es denn schon polizeilich erlaubt? Mich dünkt, das ist erst vom funfzehnten August ab.“ Die Bäuerin gab die Versicherung, sie dürften jetzt schon vom ersten August ab frische Kartoffeln zu Markte bringen, und sie meinten, es werde künftig noch früher erlaubt werden, weil die Cultur fortschreite. „Dann schreiten wir doch in einem Ding fort! sagte lächelnd der Major. Hab's mir auch so ge¬ dacht, wenn ich bedenke, wie sie jetzt die Kriege füh¬ ren. Ach, die Küchenwagen die wir mitschleppen mußten, und die Magazine, die der große Friedrich anlegte! Das kostete ein Heiden-Geld und ein Fuhr¬ wesen! Der Bonaparte bestellt seine Magazine in Feindes Land, ohne daß es ihm einen Groschen kostet; und eher fängt er den Krieg nicht an, als bis sie fertig sind.“ „Wie meinst Du das?“ „Er läßt nicht früher ausmarschiren, als bis die Kartoffeln reif werden. Da finden seine Soldaten ihre Magazine überall auf dem Felde. Aber sie butteln und kochen sie auch im Juli, ja wenn sie Hunger haben schon im Juni. Kriegsrath! nicht wahr das ist abscheulich, so gegen die Polizeiordnung han¬ deln, wenn man hungert.“ „Ich finde es nur einem guten Patrioten contrair, Herr Obristwachtmeister, wenn man immer den Feind im Munde hat, und ihn lobt.“ „Was, Feind! Kriegsrath! er ist unser Alliirter, bedenke das Landrecht, da steht was von Landes¬ verrath drin, wenn man gegen alliirte Mächte rai¬ sonnirt. Und ein wie großmüthiger Alliirter! For¬ dert nichts von uns, sie sagen, er schickt sogar recht viel in's Land. Und rings um uns her stäubt er und fegt, und macht uns los von anderen lästigen Alliancen, bis wir mutterseelen allein auf der Welt dastehen. Da wird er uns dann um's Herz fallen und drücken: Du liebes Preußen, nun hindert mich nichts mehr Dir zu sagen, wie ich Dich so recht herzinnig und ganz besonders geliebt habe!“ Der Frau Kriegsräthin ward bange bei dem Gespräch. Sie verstand es nicht, aber der Instinkt sagte ihr, es sei anders gemeint als gesprochen, und sie sah eine häßliche Falte auf der Stirn ihres Mannes. Da sah sie auch plötzlich die Bienen, die sie übrigens viel früher hätte sehen können, denn sie summten unverschämt um Gläser und Teller: „Jemine, Herr Obristwachtmeister! da ist sie in Ihrem Glase. Schütten Sie aus, das ganze Glas — frisch zu — Sie müssen mit reinem Weine des Königs Gesund¬ heit trinken.“ „Der schöne alte Franzwein!“ sagte der Major, als er das Gläschen auf die Erde tröpfeln ließ. Der gährte gewiß schon im Faß, als ich bei Roßbach die Schärpe verdiente.“ Er hielt plötzlich inne, als er die Wespe mit dem Finger hinausgeworfen. „Alter Freund! ein frisch Glas auf den jungen Kö¬ nig, aber jetzt stoß an mit dem Restchen: daß Preußen noch ein Mal ein Roßbach erlebt!“ Es war die Versöhnung. Der Kriegsrath ver¬ stand es, er fuhr aber so heftig gegen das Glas des Major, daß es einen Sprung bekam: „Thut nichts! Ein neues Roßbach, wenn ich's auch nicht erlebe.“ Um nicht aus einem zersprungenen Glase des Königs Gesundheit zu trinken, mußte ein neues her¬ beigeschafft werden. Dazu kamen andere Unter¬ brechungen. Die Jette trug lachend eine verhüllte Schüssel auf. Die Mutter hob das Tuch, und als die Kirschkuchen sichtbar wurden, war die Ordnung am Tische nicht mehr zu erhalten. „Gieb ihnen die Kuchen und laß sie laufen, sagte der Vater, sie haben doch keine Geduld mehr, und stören uns nur.“ Dazu erschallte Trompeten- und Paukenmusik vom einen Dorfende. Es war lebhafter im Dorf geworden, Equi¬ pagen fuhren vor, aus der Schenke tönte mili¬ tairische Musik. „Mein alter Dessauer! sagte der Major. Ver¬ zeihung, meine Freunde, wenn ich da zu meinen alten Cameraden muß.“ „Aber vorerst das Glas auf den König, Alter.“ Der Major erhob sich. Er sammelte sich zu einem Spruch, indem er in die Wipfel sah. Sie strahlten nicht mehr, das Gold der Mittagssonne im I. 10 Laube. Eine schwarze Wolke fuhr gerade über den Horizont. Es war sehr heiß, der helle Schweiß perlte ihm auf der Stirn. Indem er ihn abtrocknete, verweilte er an den Augen. Er mußte auch da etwas zu trocknen haben. „Du helle Sonne, die Du auf ihn scheinst, den Einzigen, Herr Gott, wenn Du untergesunken wärst mit dem Licht seiner Augen, und es wäre wirklich Nacht geworden —“ Er sprachs mit feierlicher, aber zitternder Stimme; es war nicht was er sprechen wollte. Darum hielt er wohl inne, das Glas in seiner Hand zitterte. Der Kriegsrath sah ihn ängstlich an, die Kriegsräthin nach der Flasche, ob er zu viel getrunken. Da schmetterte heiter und lustig das Reiterlied aus dem Kruge. Er fuhr fort: „Nein — nein — es wird wieder Tag werden. Das alles kann nicht untergegangen sein — es kann nicht, es kann nicht. Es schläft nur eine Weile. Und wir werden aufwachen, und andre Augen werden strahlen. Unser junger, lieber, bürgerfreundlicher König, meine Freunde, daß die Sonne Preußens vor ihm aufgehe, daß sein Auge hell aufgehe, das Gute vom Bösen zu unterscheiden, daß sein Sinn sich kräftige und stählern werde gegen die Rathschläge der Weichherzigen, der Schmeichler und Bösen, unser guter junger König soll leben hoch in aller Preußen Herzen!“ Man stieß an, und die Gläser klangen auch ziem¬ lich hell, aber die innere Bewegung des Invaliden hatte sich den andern mitgetheilt, es war kein fröh¬ licher Gläserklang, wo man den Becher mit vollem Herzen ausstößt. Auch ward es laut im Dorf; eine spanische Reitermusik mischte schon ihre bizarren Töne mit den schmetternd kecken des Dessauer Marsches. So war eine kleine Disharmonie. Der Major nahm kurz mit einem Händedruck Abschied, die Bäuerin deckte rasch den Tisch ab. Es konnte ein Gewitter kommen, und es war eine Reiter¬ bande im Dorf. Man mußte sich vorsehen. Im Staube sah man auch schon eine bunte Fahne schwingen und ein Reiter im sogenannt spanischen Costüm ritt mit einem Trompeter durch das Dorf, in gebrochenem Deutsch zu einem nie gesehenen Schau¬ spiel, erpreß zu Ehren Sr. Majestät des Königs einladend, und umwogt von einer zahllosen Menge großer und kleiner Zuschauer trottete ein Kameel heran, einen Affen mit rother Jacke auf dem Sattel, und ein Bär in Ketten marschirte hinterher, zum un¬ endlichen Jubel der Jugend, dann und wann sich aufrichtend und im Kreise sich wirbelnd. 10 * Eilftes Kapitel. Die Frau Obristin. „Herr Gott, wo sind die Kinder!“ Kaum aber war der Angstruf heraus, als die Verschwundenen schon unter den Bäumen zum Vor¬ schein kamen; doch nicht allein. Eine fremde Dame führte Klara an der Hand, zwei junge Mädchen die andern beiden Kinder, dem Tische der Familie zu. „Da sind gewiß die lieben Eltern, rief schon von fern eine Dame halb im Reisekleide, aber doch in einer sehr geschmackvollen Toilette. Entschuldigen Sie nur meine Herrschaften, daß ich mich so unan¬ gemeldet eindränge. Aber die englischen Kleinen gingen mir an's Herz, und ich weiß, was ein Mutter¬ herz leidet, wenn es in Angst ist um seine Kinder. Da liebe Kleinen sind Eure Eltern. Habt sie nun auch recht lieb, und lauft ihnen nie mehr fort.“ „Mein Gott, was ist es!“ rief die Kriegsräthin. Die fremde Dame gab eine Erklärung, die wir kurz zusammenfassen. Sie war von einer Reise mit ihren Nichten zurückgekehrt und hatte am Eingang des Dorfes die ihr schon sonst bekannte Reiterbande getroffen. Um nicht mit solchen Menschen zusammen zu kommen und auch des gräßlichen Staubes wegen, war sie ausgestiegen und auf einem Fußwege durch die Felder ins Dorf gegangen, aber sie traf doch wieder auf der Dorfstraße die Gesellschaft und hatte mitten im Gedränge der Zuschauer die allerliebsten Kinder, die offenbar von guten Eltern waren, be¬ merkt. Da war es ihr wie durchs Herz geschossen, daß die Kleinen sich verlieren und den Reitern nach¬ laufen könnten, und einer der Reiter hatte die Clara gefragt, ob sie zu ihm aufs Pferd wollte, und da hätte sie es für Gewissenspflicht gehalten, das Kind an sich zu reißen und die anderen auch, um sie nach ihren Eltern zu fragen, und da sie's erfahren, hätte sie dem lieben Gott gedankt, daß sie noch zu rechter Zeit hinzugekommen, um die Kinder vor der Gefahr zu retten und ihren lieben Angehörigen zuzuführen. Die Kleinen aber schienen anderer Ansicht. Der jüngste Knabe namentlich zankte mit dem hübschen jungen Mädchen, welches ihn an der Hand noch immer festhielt und schrie, er wollte zu den Affen. Der Kriegsrath hatte sich von seinem Schreck erholt und freute sich, daß es weiter nichts auf sich habe. „Ach, mein sehr geehrter Herr, den ich noch nicht die Ehre habe zu kennen, sagte die Dame, aber gewiß sind Sie ein Patriot, denn das sehe ich an den Weingläsern, und wer unseres guten Königs Geburtstag trinkt, den erlauben Sie mir schon, daß ich ihn als meinen Freund ansehe. Aber Sie meinen, das hätte nichts auf sich! Die Reiter stehlen ja die Kinder wie die Raben. Man kann sich vor ihnen nicht genug in Acht nehmen. O du mein Gott, ich könnte Ihnen davon Geschichten erzählen, daß einem das Haar zu Berge steht. Sehn Sie, ich fuhr mit meinen Nichten nach Leipzig, damit sie ihren Vater sehen sollten. Wir haben ihn nicht mehr getroffen. Nun, das schadet nichts, der Wille war doch gut, und Leipzig ist eine schöne Stadt, und zur Messe. Sie hätten die Freude der Kinder sehen sollen bei den bunten tausend schönen Sachen. Na, ich gönnte sie den armen Dingern. Und als wir zurückfuhren, brach ein Rad am Wagen. Ich sagte zum Kutscher, der sonst ein recht verständiger Mensch ist, i kann er's nicht zusammenbinden, daß wir noch nach Berlin kommen vor Königs Geburtstag. Er sagte partout nein. Der Wagen müßte zum Schmied, wir riskirten sonst auf der Landstraße liegen zu bleiben. Nun können Sie denken, das wollte ich doch auch nicht, drei ein¬ zelne Frauenspersonen, und so kamen wir in das Dorf drüben, wie heißt es doch gleich, wo die Schmiede ist. Ja da hieß es, machen könnte er ihn, aber nicht vor heute früh, und wir hätten auf der Streu liegen müssen in der Schenke, unter all dem Bauervolk in der Wirthsstube. Nun sie können meinen Schreck denken, wenn nicht der Herr Prediger davon gehört und der invitirte uns in sein Haus. Sage ich Ihnen, war das ein charmanter Mann, und sagte: „Unglück¬ lichen helfen ist Christenpflicht!“ Und die Frau Pre¬ digerin und ihre Töchter. Es ward uns heut Mor¬ gen recht schwer uns von ihnen zu trennen, und die Töchter und meine Nichten, die konnten gar nicht von einander los und haben Brüderschaft getrunken. In Himbeersaft nämlich. Gott bewahre, daß Sie denken sollten in Wein! Die Herren Prediger auf dem Lande haben auch wohl immer einen Weinkeller! Lieber Gott, sie sind recht schlecht gestellt. Ja, wenn man so über alle Ungerechtigkeit in der Welt nach¬ denken wollte! Aber ein Mann wie ein Mann Gottes! An den Augen sah er uns alles ab. Und wie wir heut schon im Wagen saßen, brachten sie der Jülli und der Caroline die Vergißmeinnichtsträuße, die sie am Herzen tragen. Sage ich doch, man findet in der Welt überall gute Menschen, und wo man gute Menschen findet, ist die Welt gut. Wir werden uns auch wiedersehen, und vielleicht sehr bald. Denn der Herr Prediger hat vom Könige eine Vocation nach Berlin. Der König hat ihn mal predigen gehört, wo war es doch, — auf einem Schlosse, und hat gesagt: das ist ein Mann, der zum Herzen predigt, solche Prediger möchte ich in meiner Residenz haben, die nicht das Wort Gottes auslegen, wie's ihnen gefällt, sondern wie's in der Bibel steht. Ja wir haben schon einen frommen König, der alle Menschen glücklich machen will, und der vorige hatte auch ein frommes Gemüth, wer ihn nur gekannt hatte, und das sind eigentlich neidische und schlechte Gemüther, die ihn schlecht machen. Mein König ist mein König, und das sage ich grade raus, wer das nicht sagt, der ist nicht mein Mann. Sehn Sie, mein Herr Geheimrath, oder was Sie sind — “ „Kriegsrath,“ sagte der Kriegsrath. „O Sie werden auch noch Geheimrath werden, das seh ich Ihnen an der Stirne an. Also mein Herr Kriegsrath, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die jetzigen jungen Leute gar nicht mehr sind wie sonst? Nein, was raisonniren sie, und Alles wollen sie besser wissen. Ich bin eine gute Royalistin, ich liebe meinen König und sein Haus, und wer das nicht thut, der kann mir zu Hause bleiben. Da waren wir doch ein Herz und eine Seele, der Herr Prediger und ich, alle Obrigkeit kommt von Gott, und wenn er nach Berlin kommt, wird er bei mir logiren. Und wie gern wäre ich gestern schon rein gefahren, denn man richtet doch gern sein Haus ein zu solchem Festtage. Nun schadet es aber nicht. Wir tranken schon gestern bei Predigers auf seine Ge¬ sundheit, und nun ward mir wieder das Glück unter solcher charmanten, lieben Familie diesen schönsten Festtag für jeden Preußen zuzubringen.“ Der Kriegsrath war anfänglich nicht ganz gut gestimmt; diese Stimmung war überwunden. Er pfropfte die letzte Flasche auf: „Erlauben Sie mir auch, meine verehrte Madam, ehe der Kaffee kommt, mit Ihnen anzustoßen auf die Gesundheit Seiner Majestät.“ „Mein Herr Kriegsrath sind die Gütigkeit selbst. Wie sollte ich das ausschlagen.“ „Wenn ich auch nicht die Ehre habe, Sie zu kennen, wird es mir doch zur besonderen Ehre gereichen, mit einer solchen Patriotin ein Gläschen zu leeren.“ „Obristin Malchen, sagte die Dame. Mein Mann ist in holländischen Diensten und steht in Pa¬ tavia. Ein grausam heißes Land, er wird aber heut auch hierher denken. Ach er ist ein Patriot!“ „Und doch in fremden Diensten!“ „Ja sehn Sie, verehrtester Herr Kriegsrath, da ließe sich mancherlei von sagen. Er war auch in preußischen Diensten ehedem, aber Sie glauben nicht, was draußen die preußischen Militairs in Respect stehen. Und unsre Disciplin, und der große Fried¬ rich. Wenn's heißt, der hat unter ihm gedient. Nu, lieber Gott, Schwächen haben wir Alle, da werden mir Herr Kriegsrath Recht geben, aber sonst ist er — und hat mir erst voriges Jahr ein rothseiden Um¬ schlagetuch geschickt, was die Mamlucken oder Malayen weben, ich sage Ihnen, von Berlin rede ich gar nicht, aber auch in Leipzig hat's kein Mensch für möglich gehalten.“ „Die gnädige Frau werden uns doch die Ehre auf eine Schaale Kaffee erzeigen,“ sagte die Kriegs¬ räthin, die wohl Lust hatte, das rothe Umschlage¬ tuch zu sehen, aber es war tief im Wagen verpackt. Der Kaffee dampfte in der großen braunen Bunzlauer Kanne, wie sie vom Feuer gekommen, auf dem Tisch, aber die Kinder dampften auch — vor Ungeduld. Die Beckenmusik dröhnte verführerisch aus dem Kruge herüber, und die Kleinen blickten erwartungsvoll bald auf den Vater, bald auf die Mutter. „Das ist ein Kaffee, so schön, wie nur mein Mann ihn mir mal geschickt hat, direct aus Patavia, sagte die Obristin.“ „Die Cichorien sind auch aus Herrn Rimpler seiner Fabrik,“ sagte die Mutter. Aber die Kleinen wurden weder vom batavischen Kaffee, noch von den Cichorien aus Herrn Rimplers Fabrik gelockt. Der kleine Junge schrie vielmehr: „Ich will zu den Affen!“ Die Mutter warf einen fragenden Blick auf den Vater. Die Frau Obristin fing ihn auf: „Um Gottes willen, Sie werden doch nicht!“ Der Kriegs¬ rath meinte: ob denn in einem bevölkerten Orte, und wo so viel anständige Leute beisammen, Gefahr sei? und die Mutter setzte hinzu: wenn sie die Kinder an der Hand führten? „Meine allerbeste Frau Kriegsräthin, erlauben Sie mir zu sagen, ich weiß davon. Solche Bande ist ärger als der Gott sei bei uns. Die stibitzen Ihnen die Kinder vor den Augen weg, und Sie merken es nicht. Hinter die Hecke, ein Pechflaster schnell aufs Gesicht, und dann wenn sie's in der Scheune haben, beschmieren sie's, und färben's, und ziehn ihm Lumpen an, und in einer Viertelstunde kennt's die eigne Mutter nicht wieder. Ja, was ich Ihnen sagen wollte, im Dorfe beim Herrn Prediger, da hatte der Oberste von der gottvergessenen Bande einer Wittwe Sohn, ein hübsches Kind, gefragt, ob er nicht mit ihnen wollte, er sollte eine bunte Jacke kriegen und auch immer auf dem Pferde sitzen, und der Junge hatte Lust, aber sie haben ihn gottsjäm¬ merlich geprügelt, der Schulz und die Bauern, da ist ihm die Lust vergangen. Solche Bande sind ja gar keine Christenmenschen nicht, das sind Zigeuner und Juden und Spanier, und wo kriegten sie denn ihre Leute her, wenn sie nicht Christenkinder stählen! Eltern können gar nicht vorsichtig genug sein, denn Sie glauben nicht, wie sie die Kinder maltrai¬ tiren. Hungern lassen sie die Kleinen und dursten, und Schläge kriegen sie, daß Gott im Himmel sich erbarmen müßte, und ihre Glieder werden gereckt, daß sie die Purzelbäume schießen lernen. Und Nachts, mit Respect zu melden, sperren sie sie in den Stall zu den Affen und Kameelen, wo eine Unreinlichkeit ist, die erschrecklich ist. Nein, für Reinlichkeit bin ich, das ist die erste Tugend, und erhält den Körper gesund. Wer reinlich ist und seine Mitmenschen liebt und den Armen Almosen giebt, der ist ein guter Mensch und Gott wohlgefällig, das sage ich oft mei¬ nen Nichten. Aber wie die Bären werden sie abge¬ richtet, und lernen Vater und Mutter vergessen. Wenn ich so einen armen Jungen sehe oben krabbeln an der Stange wie 'ne Fliege an der Decke, nein meine Herrschaften sagen Sie, was Sie wollen, das kann ich nicht ansehn, das heißt ja die unsterbliche Seele verlieren, und was mich nur wundert, ist, daß die Könige solche Seelenverkäufer dulden. Die müßten mir alle auf die Festung und in's Zuchthaus, und mit der Peitsche aus dem Lande gepeitscht, denn es sind alles Ausländer und Spione.“ „Ist's die Möglichkeit!“ sagte die Mutter, die es kalt überrieselte. „Nu bitte ich Sie allerbeste Frau Kriegsräthin, wenn Sie einmal so einen Pajazzo sehen, wenn er auf dem Strick springt und die Fahne schwenkt, und Sie erkennten, daß er Ihr kleiner Theodor wäre, alles andre ist ja gar nichts, pure Spielerei, gegen eine solche Empfindung. O du mein himmlischer Vater, wer möchte eine solche Mutter sein!“ Die Kriegsräthin nahm ihren Knaben von der Hand des jungen Mädchens auf den Schooß: „Lie¬ ber Theodor, das wirst Du mir nie anthun!“ Der Junge aber schrie nach wie vor, er wolle zu den Affen. „Und mit den Jungens ginge es noch, fuhr die Frau Obristin fort, aber bei der Bande ist auch ein Frauenzimmer, eine ganz hübsche junge Person, un¬ gefähr so groß, wie — ich habe doch die Ehre Ihre Fräulein Tochter vor mir zu sehen.“ „Wir sind nicht von Adel, sagte der Kriegsrath. Meine Tochter Adelheid!“ „Nein du, mein himmlischer Vater, wenn ich dächte, daß so ein himmlisches Mädchen mit dem Bären tanzen sollte und dem Vieh einen Kuß geben! Und dann springt sie aufs Pferd, in Hosen und Stiefelchen, und reitet, nicht sitzend, sondern sie steht, und in Carri è re, die Zügel so in der Hand, und die Röcke flattern nur so. Nein, wie die Polizei das zugeben kann! Das, erlauben Sie mir, ist ganz unweiblich.“ Darin waren Vater und Mutter einig. Auch darin, daß man nicht zu den Seiltänzern gehen sollte, worüber aber nicht allein die Kleinen unglücklich, sondern auch die Nichten der Obristin nicht ganz zu¬ frieden waren. Jene suchte die Obristin durch Zucker¬ brode zu beschwichtigen, die sie aus dem Pompadour holte, und erklärte, sie hätte sie für artige Kinder aus Leipzig mitgebracht. Karoline schien aber gar nicht zu begreifen, warum sie das hübsche Schauspiel nicht mit ansehn solle, und auch die ernstere Julie sah die chere tante verwundert an, warum sie grad heut so strenge war. „Mes cheres nièces , sagte sie, weil man nicht weiß, wen man im Gedränge findet. Wer wird im¬ mer nach Vergnügungen aus sein, wenn die Eltern sagen, daß es sich nicht schickt! Da seht Euch die Mamsell Kriegsräthin an, und nehmt Euch an der ein Muster. Sie sähe auch gern die Reiter springen, aber wo fällts ihr ein darum zu bitten; sie sieht, daß ihre lieben Eltern es für unanständig halten. Ja die Predigerstöchter stürzten mit Euch nach der Schenke, das sind gute Mädchen, aber wilde Hummeln. Nein, Mamsell Adelheid ist ein sittsam Kind, wie es sein muß, die ihren Eltern Freude macht. Der könnt Ihr Vieles absehn. Seht nur, wie sie ganz roth wird. Ach, wenn Ihr auch noch so roth werden könntet!“ Die Mädchen senkten die Köpfe. Adelheid war schnell zwischen beide gesprungen und umfaßte sie traulich, sie sollten nicht drauf hören. Die Tante scherze nur. Sie selbst wäre auch manchmal eine wilde Hummel und würde auch recht gern die Seil¬ tänzer sehen, aber es wäre auch sonst viel hübsches im Dorf und im Freien, was sie zusammen besehn könnten, und sie hoffte, daß sie noch hier bleiben, und die Tante ihnen erlaube, mit ihr spazieren zu gehen. Dabei könnten sie plaudern, singen, Blumen pflücken, und Kränze winden. Vor allem aber würde sie sich freuen, wenn sie ihr von Leipzig erzählen wollten und den tausend schönen Sachen, die sie da gesehen. Das wären alles Wunderdinge für sie, denn sie sei noch mit keinem Fuß aus Berlin gewesen. Papa und Mama hätten wohl davon gesprochen einmal eine Reise nach Potsdam zu machen, aber es sei immer was dazwischen gekommen, und sie glaube auch gar nicht, daß es noch dahin kommen werde, denn der Gedanke sei doch gar zu schön. Die Obristin sagte, Mamsell Adelheid sei ein prächtiges Mädchen und ihre Eltern würden viele Freude an ihr erleben, und um der guten Gesellschaft willen, wolle sie noch bis Abend bleiben; dann hoffte sie, die beiden Familien könnten Compagnie machen in ihrem Wagen. Die Kriegsräthin, der das län¬ gere Beisammensein mit einer so vornehmen Dame natürlich nur schmeichelhaft war, fand sich doch dadurch etwas in Verlegenheit, von der wir nachher reden wollen. Einstweilen riß die Obristin sie daraus, die auf¬ stand, um die Jugend, wie sie sagte, eine Strecke zu begleiten. Sie wollte die Spiele der Kinder arran¬ giren, damit sie nichts unschickliches trieben, und zu¬ sehen, ob die Gegend auch sicher wäre. Der Lärm und die Menschenmenge hatte sich aber nach dem anderen Theil des Dorfes gezogen. Die Kinder fanden bald auf den grünen Rainen den herrlichsten Platz zu ihren Spielen, denen die freundliche Obristin rathgebend zusah, bis es ihr zu heiß ward, die drei jungen Mädchen aber verloren sich in den hohen Kornfeldern. Zwölftes Kapitel. Schwanenjungfrauen. In den hohen Kornfeldern wuchs nicht überall Korn. Der ebene Boden wird noch jetzt durch viele Vertiefun¬ gen unterbrochen, ehemals waren es Seen, dann wur¬ den es Moräste; seit die Cultur fortgerückt sind es nur noch Tümpel geblieben. Doch ladet ein heller klarer Wasserspiegel wohl zum Baden ein. Der Bauer, der dich trifft, warnt dich aber, denn nach der Sage sind einige dieser trichterförmig sich senkenden Löcher unergründlich. Außerdem gab es ehemals eine Britzer Heide, ein übelberüchtigter Wald, dessen Buschwerk gesprenkelt in die Kornfelder hinein wuchs. Und endlich schnitten viele Wege und Fußsteige durch diese Felder. Das Auge aus der Ferne sah nichts von den Unterbrechungen, es dünkte ihm eine unermeßliche, goldene Aehrenfläche, darin die Kornblumen und der rothe Mohn über die Einsamkeit klagten. An einem dieser kleinen Seen lag auf dem grü¬ nen abschüssigen Rande ein junger Mann auf dem Rücken hingestreckt. Er hatte sich gebadet. Ob das Wasser unergründlich, danach hatte er nicht gefragt, es auch wohl nicht untersucht; er war ein guter Schwimmer, der sich im Wasser nach Lust getummelt. Er ruhte jetzt von der Anstrengung und um die Kühle abzuwarten, vielleicht auch um sich mit der Einsamkeit zu unterhalten. Nach der Wasserseite zu verbarg ihn ein großer Hagebuttenstrauch. Die Hände unter'm Kopfe sah er dem Zuge der Wolken nach, der Flucht der Vögel. Vielleicht horchte er auch auf die Lieder, welche die rauschenden Aehren ihm sangen. Ein Geräusch, was sich näherte, störte ihn auf. Den Fahr- oder Reitweg, der in einer Krümmung eine Seite des Tümpelrandes berührte, hatte er beim Herkommen durch die Felder nicht bemerkt. Ein schaumbedecktes Pferd schoß aus dem Aehrenfelde. Noch zwei Sätze, und es konnte sich auf dem ab¬ schüssigen Rande nicht mehr halten und stürzte sich und den Reiter in die Tiefe. Dieser sah die Gefahr nicht, er ließ dem Roß die Zügel; der Instinct des Thieres bewahrte beide. Im Augenblick, wo es galt, bäumte es und warf den Reiter ab. — Oder er gleitete aus Sattel und Bügel, die er längst ver¬ loren, denn er strauchelte nur etwas und stand gleich wieder auf seinen Füßen. Vielleicht aus einem Traum erwachend, denn ohne sich um das Pferd zu kümmern, das seinen eignen Weg suchte, stand er und hielt sich mit den Händen das Gesicht. Entweder ein Rasender oder ein Betrunkener, hatte der Liegende geschlossen, denn durchgegangen I . 11 war das Pferd nicht. Es war ein ihm wohlbekannter friedfertiger Gaul aus dem Stall eines Pferdever¬ leihers. Der Reiter hatte nachlässig, aber sicher ge¬ sessen, und die blutenden Seiten des Thieres ver¬ riethen deutlich genug die Behandlung, welche es außer sich gebracht. Walter war an dieser Gesell¬ schaft gar nichts gelegen, aber die seltsame Stellung des Ankömmlings fiel ihm auf. Durch die Hände schielte er auf das Wasser, und seine dunklen Augen glänzten seltsam. „Plagt Dich — — wenn Du's bist?“ Er hatte die Hand auf die Schulter des Reiters ge¬ legt. Dieser war nicht sehr erschrocken, als er sich umsah und den andern erkannte: „Vielleicht — Eigentlich aber nicht. Ich dachte nur an ein Bad. — So aus dem Gluthofen in die kühle Tiefe!“ „Was hier dasselbe wäre! entgegnete der zuerst Dagewesene, und faßte heftig seinen Arm. Kommst Du aus dem Gefängniß, Louis? Ward'st Du heut entlassen?“ „Um meine Freiheit zu genießen, jagte ich den Gaul fast todt, und ward selbst wieder unfrei und matt wie eine Fliege. Und wenn ich wieder auf¬ flattere, steht doch tausend gegen eins, daß ich wieder gegen etwas anstoße. Wär's nun nicht ein wunder¬ schönes Ende, um gar keinen Anstoß mehr zugeben, wenn ich, erhitzt, durstend, an eines Felsens Rande in der Mittagssonne eine Flasche Champagner auf einen Zug ausstürzte und dann Kopf über in's Meer! — Uebrigens gebe ich Dir mein Wort, es war kein Ernst, wenigstens hätte ich mir eine andre Pfütze ausgesucht. 'S war nur ein aufsteigender Gedanke.“ „Aber keine Lerche, die in den Aether steigt,“ sagte Walter, als beide sich auf dem Rasen ge¬ lagert. Der Ankömmling sog, hingestreckt, die Luft ein. „Nur nichts von Aether in diesem Schwefel¬ dampfe, sagte er nach einer Weile. Wenn die Welt bestimmt wäre unterzugehen, ich glaube nicht mehr, daß es in Wasser oder Feuer geschieht, sondern Gott Vater läßt sie ersticken in den Dünsten ihrer eigenen Gemeinheit. Es wäre eigentlich ein recht passendes Ende für sie.“ „Mitgebrachte Gefängnißgedanken!“ „Grillen, Schrullen, oder Ungeziefer, wenn Du willst, denn als ein vernünftiger Mensch glaubst Du doch nicht, daß ich in dieser Societät eximirter Lumpen einen Gedanken aufgefangen hätte. Ja hätten sie mich an eine Karre geschmiedet, unter den Baugefangenen giebt's vielleicht noch Menschen.“ „Du solltest ins Gebirg, Dich baden in der Morgenluft, im Felsbach — Du solltest auf lange Zeit aus der Stadt.“ „Alles Selbsttäuschung, Betrug, Walter! Frei¬ lich wenn Tieck uns Abends in dem verschlossnen halbdunkeln Kämmerchen seine Mährchen vorlas, mochte ich den Waldduft herunter schlürfen, der Nixe mit den langen Haaren um den Nacken fallen, und 11* die Allmutter Natur an meine Brust pressen; aber in natura ists anders. — Bin ich nicht umherge¬ stürmt! Die Sohlen hab ich mir abgelaufen, aber keine Nixe, nicht mal eine Hexe gefunden. Beim Morgenroth rufst Du Ah, und findest Dich in Oden¬ stimmung, und Abends wirst Du empfindsam und könntest Matthisson mit seinem Zopf an die Brust drücken. Alles Illusionen! Sei redlich gegen Dich selbst. — Die Wahrheit sucht man doch, wo die Sonne am höchsten steht, und ich habe sie gesucht, recht¬ schaffen. Schlürfte alle Aussichten und meine An¬ sichten wurden immer enger. Am Ende kamen mir die zackigen Felsen da hinter Dresden, die wir beide einmal bewunderten, nicht anders vor, als die gepu¬ derten Köpfe unserer Kriegsräthe. Und mehr haben sie auch nicht zu schaffen mit dem Weltgeist, als daß sie roth werden im Morgenlicht und Abends Schat¬ ten werfen. Roth werden können unsre Puderköpfe freilich nicht mehr, aber wenn sie uns im Lichte stehen, kann man sie wegschuppsen. Diese verfluchten todten Felsen bleiben aber immer stehen. Nein, Theuerster, die Romantik in Ehren, die Menschen bleiben doch we¬ nigstens Puppen, mit denen man Schach spielen kann.“ „Wenn wir nur fliegen könnten! Wenigstens wie die Lerche hoch.“ „Und ich möchte sie immer mit dem Pustrohr runter blasen. Da fliegt das Biest hinauf, schmettert uns Wunderklänge vor und kommt doch nie weiter als ins leere Blaue. — Ja, Walter, wenn man's recht besieht, kommen wir auch noch zum Schluß, daß die Natur nicht mehr ist als eine alte Vettel, Mor¬ gens und Abends geschminkt. Und weil sie sich bei Tag nicht besehen lassen will, sticht und brennt die Sonne.“ „Nur daß die Schminke immer frisch bleibt, heut wie am Tag der Schöpfung.“ „Wer sagt Dir das! Es hat keiner gelebt, als Gott Vater auf den Einfall kam, diesen Spielball Erde zu erschaffen, und in das Uhrwerk Universum zu schleudern, damit er zu Ehre des Höchsten seinen Parademarsch um die Sonne kreist.“ Der Ankömmling zog mechanisch die Gräser und Kräuter, die seine Hand ablangte, mit der Wurzel aus. „Suchst Du nach der Alraunwurzel?“ „Könnt ich sie finden! Den aller tiefsten Schmerz aus der Tiefe herausziehen, vielleicht würden uns die andern Schmerzen dann wie Bagatellen er¬ scheinen.“ „Der tiefste Schmerz müßte doch tödten. Darum verbarg ihn die Natur. Was wühlen wir denn nun tiefer und tiefer — “ „Und spielen nicht lieber am Bach mit Vergi߬ meinnicht und Veilchen! Nicht wahr das ist viel gescheiter. Wollen wir nicht etwa nach Halberstadt zum Vater Gleim, im Freundschaftstempel uns ge¬ genseitig anräuchern und ansingen, Du mein Ana¬ kreon, ich Dein Tibull.“ „Der höchste Schmerz wäre Selbstvernichtung, und zum Selbstmord schuf uns nicht die Natur! rief Walter, ohne auf den Spott des Freundes zu achten.“ Louis hatte sich aufgerichtet und verbarg wieder das Gesicht in beiden Händen: „Ein Stück von der Alraunwurzel zog ich doch schon raus. — Wenn ich nur wüßte, ob der Wunsch Sünde wäre?“ „Welcher?“ „Wäre meine Mutter keine tugendhafte Frau gewesen!“ Es folgte eine Pause: „Dein Vater ist nicht schlimmer als Tausende.“ „Ist das ein Trost, daß ich eine Partikel bin von einer Partikel aus der allgemeinen Erbärm¬ lichkeit.“ „Er läßt Dir Freiheit.“ „Er läßt aller Welt die Freiheit, so niederträch¬ tig zu sein, wie sie Lust hat, damit er nicht scham¬ roth zu werden braucht.“ „Das ist ein hartes Wort, dachte Walter, und auch Louis mußte es denken, denn er war rasch auf¬ gesprungen und reichte dem Freunde die Hand: „Adieu!“ Walter umfaßte seinen Arm, er wollte ihn in der Aufgeregtheit nicht von sich lassen: „Du ver¬ wüstest Dich selbst. Ich bin nicht zum Moralprediger geboren, aber — Du warst es zu besserem.“ „Was kann man denn besseres thun in dieser Gesellschaft, als sich selbst verwüsten! Trinken, und wenn man erwacht, wieder trinken. Sind nicht alle Edleren dazu bei uns verdammt. Tadelst Du den Prinzen, daß er den Schaumbecher nicht von der Lippe läßt, daß er wenigstens den Jammer nicht mit ansehn will, wo er nicht helfen darf. Lieber doch berauscht untertauchen und rasch, als nüchtern zusehen, wie wir Zoll für Zoll im Morast versinken. Oder wo ist denn die Kraft, die nach Besserem ringt, wo nur ernster Wille! Der gute zahme bescheidene da, der sich nicht mehr ganz von den Schlechten von ehemals will leiten lassen, aber auch nicht ganz mit ihnen zu brechen wagt! Die beschränkte duckmäuserige Tugend, die sich den Himmel mahlt an ihre vier Wände, aber der Himmel draußen ist ihr zu frisch und kühl. Sturmwind ringsum, nur aufspannen, nur zusteuern brauchten wir, und mit vollen Segeln triebe das Kriegsschiff — prost Mahlzeit! Man kettet das Steuer an, umwickelt die Ruder und lavirt. Das ist eine berauschende Kunst. Soll ich mich auch anlernen lassen? Bei wem? Bei meinem Vater? Staats¬ dienst! Herrliche Menschenbestimmung! Dein Vater predigt es Dir ja wohl auch täglich: laß Dich an¬ stellen. Wollen wir uns polnische Krongüter schen¬ ken lassen? Die sind schon weggeschnappt. Wollen wir mit den Juden und Domainenräthen die Ritter¬ güter taxiren und Hypotheken verschreiben, die ihren Werth im Monde haben? 'S ist auch schon zu viel drin gepfuscht. Lieferanten für die Armee, aber es giebt keinen Krieg! Oder uns üben, solche süßgänse¬ schmalzhonigduftenden Cabinets- und Humanitäts¬ decrete schreiben, die beweisen, daß Gott, der König, seine Minister und seine Regierungsräthe alles mit Weisheit und Verstand gemacht haben? Himmel und Hölle! wem nun andres Blut in den Adern pulst! — Die schönen Verse, die hochedlen Charac¬ tere des großen Dichters aus der Menschheithöhen! Schlugen wir ihnen nicht oft in mitternächtlicher Lust den Schädel ein und sahen, daß es nur Masken waren! Gieb, zeig, schenke mir was, wofür ich mich begeistern, was ich ans warme Herz drücken kann, wofür es in Flammen aufschlägt, wofür ich mich in die Schanze oder in den Tod stürze. Fähndrich Pistol ist mein Philosoph, wenn er die Welt doch noch für eine Auster hält. Leider fehlt aber das Schwert jetzt sie zu öffnen. Laß mich rasen.“ „Ich hätte gar nichts dagegen, wenn Du ein rasender Roland würdest und dich einmal zum Toll¬ werden verliebtest. Du bedarfst einer Radicalkur.“ Louis Bovillard lachte: „In diese Mücken! — Schaff' mir was andres. Schaff' mir ein Vaterland. Das, das! Vielleicht wär ich ein anderer!“ Er spuckte, und ohne sich noch einmal umzu¬ drehen ging er sein Pferd suchen, das gemüthlich im Kornfelde seinen verzehrenden Meditationen nachhing. Ein Vaterland! wiederholte Walter. Es war ein Funken, der viele Gedanken zündete, aber es waren nicht die Gedanken, um die er heut die Ein¬ samkeit gesucht. Er stand mit unterschlagenen Armen, seine Augen schienen die Würmer im Grase zu verfolgen, und er hörte nicht, wie sein Freund zurückgekehrt war, diesmal den Gaul am Halfter, und ihn vorsichtig um den Rand des Sees führte. Er hörte erst, als Louis seinen Namen rief: „Was sinnst Du? Bei Dir hat die Romantik noch nicht einmal ganz durchgeschlagen, während ich sie abschüttele. Du weißt den Zerbino auswendig, und ich wette, Du schwärmst wieder für den Kiefer¬ busch drüben auf dem Sandhügel.“ „Und warum nicht! Tieck hat Unrecht, wenn er die Lust schilt, die sich auch aus dem Unbedeu¬ tenden Nahrung saugt. Gerade das führt uns zur Vaterlandsliebe, die Du suchst. Aber was führt Dich zurück?“ „Der Anblick einiger Herren von der Gensd'ar¬ merie, die mein scharfes Auge vom Gaule aus in der Ferne entdeckte. Um nicht ihnen zu begegnen, stieg ich ab, und will mich durch einen Fußsteig schlängeln. Auch auf die Gefahr hin, daß der Bauer uns pfändet. Nun, bewunderst Du nicht meine Vernunft?“ „Wenn ich nicht wüßte, daß Du bei nächster Gelegenheit doch wieder mit ihnen zusammenstößest.“ „Das ist mein Fatum. Konnte Mercutio für seine Natur!“ „Wenigstens spielt wieder Humor auf deiner Stirn.“ „Und in deinen Augen glänzt ein Gedicht.“ „Ich habe das Versmachen verschworen! Du weißt es.“ „Aber, Walter, in solcher Natur! Ich müßte Dich ja nicht kennen. Ein tiefer See mit roman¬ tischen Ufern! Vielleicht kommen die Schwanen¬ jungfrauen angepflogen, entkleiden sich, ihre Schleier hängen sie an die Hagebutten. Husch hast Du einen weggestohlen, und erwartest als frommer Siedler im Korn die Schöne, die als mediceische Venus um Gottes Willen um ein kleines Stückchen Bekleidung bittet.“ „Wir irrten darin, daß wir das Wunderbare immer in der Ferne suchten: Willst Du immer weiter schweifen, Sieh' das Gute liegt so nah! Lerne nur das Glück ergreifen, Denn das Glück ist immer da.“ „Wie schon Goethes anderer guter Mann, der nach Schätzen gräbt: Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet.“ „Wer den Sinn für sie mitbringt, dem schwebt ihr Geist entgegen auch vom Thautropfen, der am Grashalm hängt, er wiegt sich in den Aehren, über die der Wind hinspielt.“ „Er glitzert auch im Mistkäfer, warum gähnt er nicht auch in dem Frosch, der da unvernünftig weit über der Mummel das Maul aufsperrt. Sieh ihn an, welche tiefe Weisheitssprüche die Padde krächzt — Und welche Weisheit bläht sich eben auf Deiner Brust! Es muß heraus, ich sehe es, und Du brauchst einen Zuhörer. Frisch losgelegt! Gleichviel, ob die Na¬ turandacht als Predigt oder als Rhapsodie rausbricht. Die Gensd'armen sind noch im weiten Felde. Heraus denn, ein verschluckter Gedanke ist Gift.“ Walter van Asten schien wirklich nur der Auf¬ forderung zu bedürfen, den Gedankenstrom, der in ihm arbeitete, auszugießen: „Weil wir zu viel tranken, und seine üblen Wirkungen empfanden, sollen wir darum den Wein selbst ausgießen! Sollen wir zur Nüchternheit, zur Correctheit zurückkehren? Thut der Gärtner recht, der lauter exotische Gewächse in seinem Garten ziehen wollte, und sie kamen nur zum Theil oder verkrüppelt fort, der darum alle ausreu¬ tet, und meint, der Boden tauge nur zu Kar¬ toffeln! Legen wir doch das Geständniß ab, daß wir im Uebermuth, gelangweilt und aus Verdruß über die ekle Schaalheit der Poesie, wie sie getrieben wird, uns in kecker Laune oft auf den Kopf stellten, und vom Publikum verlangten, es solle es mit uns thun. Wir fanden Anhänger und es ging eine Weile, wie alles Neue. Nun finden sie die Stellung unbequem. Ist das zu verwundern? Sollen wir aber alles darum als Visionen fahren lassen, was wir in der Begeisterung, in dem seeligen Rausche sahen. Hörten wir die Wälder, die Bäche nicht anders rauschen als der Prediger in Werneuchen, blieben uns nicht andere Anschauungen in Natur und Kunst zurück, nicht die Schauer der Ahnung, das Wesen der Wunder, welche die Welt erfüllen. Wir kommen nicht fort ohne den Glauben daran, auch wenn wir uns mathematisch beweisen, daß es keine Hexenmeister giebt und keine Gespenster um die Grüfte schweben. Haben wir nicht Geister citirt, von denen unsere Väter nichts wußten! Wie anders, lebensfrisch schau'n uns schon jetzt die Alten an, als die Philologen mit den Perücken sie sahen! Lebt nicht der brittische Riese unter uns, ein geharrnischter Geist, der unsere Theatermis é re zertritt! Citirten wir nicht Dante, nicht Calderon aus seinem vergessenen Grabe? Diese können sie nie wieder todt machen, sie werden leben, und noch vieles mit ihnen, und wir mit Stolz sagen, wir wurden ihre zweiten Väter!“ „Das ist alles recht schön, entgegnete Louis. Wenn die Geister nur Mark und Bein bekämen, wenn sie unseren Geheimeräthen und Ministern einen Rippenstoß geben könnten, und einen Feuerhauch durch die Seelen unserer Philister jagen. Da's aber nicht ist, bin ich doch der Meinung Deines Gärtners, daß unser Boden nur zu Kartoffeln taugt. Sind sie nicht ein herrliches vaterländisches Gewächs, und Vetter Michel ein dito Mensch? Er grämt sich nicht, er schämt sich nicht, erträgt Fußtritte und Prügel wie der Esel, wenn er nur Kartoffeln hat; und item: Sag' mir nichts von gutem Boden, Nichts von Magdeburger Land, Selig ruhen uns're Todten In dem leichten kühlen Sand.“ „Vaterländisch! fuhr Walter auf. Und hat die Schule nicht grade auch unsre eigensten, zertretenen, vergessenen Schätze deutscher Vorzeit aus dem Staub und Rost an's Licht gezogen! Was kannten wir davon? Einzelne Aeolharfentöne der Minnesänger. Ging nicht eine deutsche Urwelt uns auf im Nibelungen¬ liede! Du lächelst, weil die Thoren lachen. Wir er¬ fuhren, unser Volk hat gelebt, wie die Griechen durch die Iliade wußten, daß sie gelebt, daß ihre Väter groß und herrlich waren, ehe es eine Geschichte gab. Das wissen wir nun auch, daß Chrimhilden und Siegfriede, daß Günther und Hagen unserer Geschichte vorangingen! O welchen Born der Sage die Romantik uns erschloß! Jetzt verstehen wir erst, nicht aus den nüchternen Chronisten, ein welch' Volk wir waren unter den Hohenstaufen. Im alten Kyff¬ häuser schläft nur der Kaiser seiner Herrlichkeit, und die Raben krächzen um seine Trümmer, und die Geister warten auf seine Erweckung. Das, Louis, hat uns die Romantik enthüllt, der Du einen Fu߬ tritt geben willst, weil sie nur Trugbilder zeigte, und Du willst Realitäten. Was hatten die Juden mehr von Palästina als ein Traumbild! Das Traumbild weckte einen Moses. Laß einen Moses erweckt sein und wir haben wieder ein deutsches Volk, eine deutsche Herrlichkeit. — Vielleicht, daß wir's darin versahen, schloß der Aufgeregte, wir machten aus der unge¬ heuren Sage nur für uns ein Spielzeug; aber an¬ dere mögen nach uns kommen, die unserm Volke diese gewaltigen Bilder anders hinhalten, einen co¬ lossalen Spiegel, vor dem unsre Erbärmlichkeit er¬ schrickt — und sie können sich ermannen, sie können besser werden, wenn —“ „Wenn ein Moses geboren wird!“ fiel Louis ein, drückte rasch Waltern die Hand und riß sein Pferd in den Fußsteig. „Da liegt es! tönte noch seine Stimme aus dem Korn. Einen Moses! Nur einen Moses! Die Juden und die Ziegelstreicherknechte sind im¬ mer da.“ Walter lag wieder unter der Hagebutte. „Wenn er einen andern Vater hätte, ein ander Vaterland!“ Waren das nicht Streiflichter des ewi¬ gen Schmerzes, für den es keine Heilung giebt? Walter starrte auf den Wasserspiegel. Auch die Frösche lagen wie matt von der Hitze auf den breiten Blättern der Wasser¬ lilie, regungslos. „Ein Moses!“ Wo sollte der Moses herkommen, wenn auch über den Wassern nicht mehr der Athem Gottes schwebte! Wenn die Verstockung auch auf dem Element, das die Erde umgürtet, sich niedergesenkt!“ Nein, es war nur die schwüle Luft. Die Augen fielen ihm zu, und die Natur übte ihren beschwichtigenden Zauber über die finsteren Gedanken. Die Falten verzogen sich um seine Brauen, der Mund fing wieder an zu lächeln, und man konnte denken, daß Traumbilder aus einer glückseligen Welt um seine Schläfe spielten. Waren das auch Erscheinungen seiner Phantasie die blühenden Mädchenköpfe im Korn? Schossen Elfen auf zwischen den Aehren? Der Hagebuttenstrauch im Korn, der grüne Rain, der die Felder trennt, ist ja ihr Spielplatz. Hier führen sie Reigentänze, hier stampfen ihre zierlichen Füßchen die Ringelkreise, die der Landmann am Morgen findet, und der Abend¬ thau fiel noch auf frisches Gras. Aber schnell, wenn ein Späherauge sie entdeckt, verschrumpfen sie, hängen sich an den Ginsterstrauch, sie klettern in die Hage¬ butte. Der Wind scheint in den Blättern und Zweigen zu spielen, aber es sind ihre leichten Körper, die sich daran schaukeln. Diese verschwanden nicht. Die Eine, eine schmächtige Brünette von dunkeln, aber etwas umflorten Augen, mit einem getrübten Blick. Die rothen Mohnblumen, die ihre losen Blätter im schwarzen Haar flattern ließen, paßten zu der Gestalt, dem melancholischen Gesicht. Eine Elfe, die den Einen unwiderstehlich anziehen mochte, den Andern zurückstoßen. Die andere, kleinere, rundliche, ein nußbraunes Mädchen, mit Schelmengrübchen um die Wangen und lachenden Schelmenaugen; wie wohl stand ihr der Kranz von Kornblumen, Aehren und Mohn im Haar. Aber die Dritte, die Elfenkönigin. Wie frei schaute ihr blaues Auge, blau wie die Kornblumen, blau wie der Himmel, aus der freien Stirn. Wie leicht bewegte sie sich, wie anders athmete sie die Luft ein; nicht als gehöre die Welt ihr, aber als nehme sie freudig ihren Tribut hin von Licht und Luft, von Farbe und Athem. Und wie hatten die andern, das konnte sie nicht selbst gethan haben, die Felder ge¬ plündert, um die eine auszustatten! Ein dichter Korn¬ blumenkranz war auf ihr blondes Lockenhaar gedrückt, und eine Mohnblume, aber keine rothe, die hätte nicht hierher gepaßt, eine seltene volle weiße, glänzte als Diamant über ihrer Stirn. Eine andere Guir¬ lande von Kornblumen hing wie eine Schärpe um ihren Nacken, und auch den Abwurf des Kleides hatten sie mit allen bunten Blumen, die als scheckiges Unkraut zwischen den Aehren blühen, besetzt. Eine Hochzeit mit der Natur? So traten die Elfen aus dem Korn auf den kleinen freien grünen Platz, drüben am Rande. „Ach wie hübsch! rief die Königin! Da ist Wasser!“ und breitete die Arme aus, indem sie sich Luft nach der Brust fächelte. Das nußbraune Mädchen umfaßte sie plötzlich und ergriff die Hand der Brünette: „Faß sie an, hier wollen wir tanzen — Ringel-Ringel- Rosenkranz.“ Die Elfen schwebten im Ringeltanz bis es ihnen zu heiß ward. Sie lagerten sich auf den Abhang, die Königin in der Mitte. Sie scherzten und plau¬ derten wie neckische Kinder. „Ich muß mich eigentlich schämen, sagte die Königin, wie habt Ihr mich ausgeputzt, und ich bin's doch nicht werth.“ „Schäme Dich nicht!“ sagte die schmächtige Elfe mit dem schwarzen Haare, die ganz auf dem Boden ausgegossen lag, und drückte die Hand der Königin an ihre Lippen. „Herr Gott, rief die Königin, Du küssest mir die Hand, und ich glaube gar Du weinst.“ Sie zog erschrocken die Hand zurück. Die Nußbraune lachte auf: „Die Jülli ist immer närrisch, und ich bin immer lustig. So sind wir, wir bleiben aber doch gute Freunde. Nicht wahr?“ „So wollen wir's alle drei sein, sagte die Kö¬ nigin. Ich komme mir nur so dumm unter Euch vor, Ihr seid in Leipzig gewesen. Das will mir gar nicht aus dem Kopf. Und Euer Onkel ist ein vornehmer Officier und gar in Indien. So was hätte ich in meinem Leben nicht geträumt.“ Die Schwarzbraune schüttelte den Kopf: „Der ist nicht mein Onkel.“ „Na, meiner auch nicht,“ lachte die Nußbraune. Die Elfenkönigin bat die Gespielinnen nun ihr Wort zu halten und ihr recht viel, so viel sie könnten, von Leipzig zu erzählen. Die Nußbraune hatte auch Lust dazu, nur brachte sie die Herrlichkeiten, die sie gesehen, etwas confus heraus, und man wußte oft nicht, ob sie von den Menschen oder den Waaren sprach. Aber alles war herrlich dort gewesen, die Affen und die Seiltänzer, die Komödianten und die Buden auf den Straßen. Ueber die Griechen und die polnischen Juden und die Türken hätte sie sich bucklicht lachen mögen, und vor ihren langen Bärten hätte sie sich zuerst grausam gefürchtet, aber dann I . 12 hätte sie gesehen, daß es alle reiche und generöse Herren wären, mancher hätte mit den Ducaten um sich geworfen, wie mit Zahlpfennigen, und alle hätten gesagt, solche gute Messe hätten sie lange nicht erlebt und sie wünschten alle ihre Lebtage auf der Leip¬ ziger Messe zu sein. Die Schwarzbraune senkte ihren Kopf: „Mir ist's hier viel lieber. Hier ist's hübsch.“ „Wenn man nur Gesellschaft hätte!“ rief die Nußbraune. Ein stummer Blick der andern schien sie zu strafen. Auch die Königin sah sie verwundert an und sagte: „Sind wir uns nicht genug! Wir plaudern ja so aller¬ liebst zusammen, und wenn's nur nicht so heiß wäre.“ „Wir könnten uns baden! rief plötzlich die Mun¬ tere. Ja baden, baden! Kinder, das ist prächtig.“ Der Gedanke zückte wie ein Blitz. Der Ort war so still und einsam, ein tiefer Kessel, geschützt durch einen Rand von über Mannshöhe, und darüber stand noch wie eine Ringmauer das Aehrenfeld. Wo sollte da ein Lauscherblick herkommen! Selbst die Vö¬ gel flogen nicht mehr. Im Strauche regten sich die Blätter, die Kornähren wiegten sich nur durch ihre Schwere. Die Karoline war plötzlich aufgeschnellt und machte eine Bewegung, als wolle sie mit einem Ruck ihre Kleider abwerfen. Jülli, die Schwarzbraune, sah fragend auf die Elfenkönigin, ob sie Lust habe? — Lust hatte sie wohl, aber — aber sie machte die Bemerkung, man wisse ja nicht, ob das Wasser nicht zu tief sei? Darauf wandte Karoline ein, sie wollten am Rande bleiben, und es zuerst versuchen. Adelheid erröthete jetzt, sie fühlte, daß sie nicht ganz die Wahr¬ heit gesagt, sie wußte nicht, und zweifelte sogar, ob ihre Eltern es erlauben würden. Jülli sagte: „So lassen wir es lieber; wer weiß, ob es chère tante auch recht ist!“ „Wer wird denn ma chère tante fragen, wenn sie nicht bei ist!“ lachte Karoline, aber der Blick, den ihr Jülli zuwarf, schien sie doch unschlüssig zu machen. Man unterhandelte und kam überein, daß man sich nur die Strümpfe ausziehen wolle, und ein wenig die Füße baden, das gebe Erfrischung für den ganzen Leib, und sei auch gar nicht gefährlich. Die Füße sich waschen, ohne die Eltern zu fragen, sei doch wohl erlaubt, dachte Adelheid. Nur ihren kleinen Bruder hatte die Mutter einmal geohrfeigt, als er beim Regen sich die Strümpfe ausgezogen und durch den ausgetretenen Rinnstein gewatet war. Die Züchtigung hatte er indeß ausdrücklich nur er¬ halten, weil das die Straßenjungen thäten, weil es sich in einer Stadt nicht schicke, und weil der Rinnstein ein schmutziges Wasser sei. Diese drei Gründe griffen ja hier nicht Platz. Die Strümpfe und Schuhe flogen auf den Rasen, und sechs zierliche Füße plätscherten im Wasser. Die Mädchen faßten sich an, um die Kühlung gemein¬ schaftlich zu genießen. Karoline zog die andern unmerk¬ 12* lich etwas weiter: „Hier können wir bis am Knie stehen, ach das thut wohl!“ — „Herr Gott, Karo¬ line, was willst Du?“ rief Jülli, die sah, daß Ka¬ roline Miene machte, ihre Kleider abzustreifen und auf's Ufer zu werfen. — „Ich bin ja vom Kietz in Spandau, ich ertrinke nicht.“ In dem Augenblick fuhr ein Ton durch die Luft. War's das Gekreisch eines Reihers, wars ein Pfeifen, der Warnungsruf einer menschlichen Stimme? Er¬ schrocken sahen die Mädchen sich um. Das war ein Moment. Im nächsten waren sie es, die laut auf¬ schrien, und, mit einem Sprunge am Ufer, nach Schuh und Strümpfen griffen. Ein dritter Moment: ein helles Gelächter vieler Männerstimmen, Säbel klirrten in der Scheide, Pferde wieherten. Mehre Cavallerieofficiere preschten durch den Feldweg und Einer rief: „Hussa! richtig gesehen! Badende Mäd¬ chen; da wollen wir helfen.“ Zwei machten Miene vom Roß zu springen, während der Vorderste sich zwischen Rand und Kornfeld einen Weg zu bahnen suchte, ohne dabei auf die Aehren zu viel Acht zu haben. Aber das Pferd scheute vor einer Unebenheit und die Elfen gewannen den Vorsprung. Sie klet¬ terten, sprangen, schwebten in athemloser Hast um den Rand des Sees, nach einem Ausweg suchend. Der, auf dem sie gekommmen , war ihnen schon durch den Reiter versperrt. Sie fanden ihn in der Nähe des Hagebuttenstrauches. Den Lauscher hinter dem Busche hatten sie nicht entdeckt, aber die Unordnung in den schwankenden Aehren verrieth noch lange die Richtung, in der sie verschwunden waren. „Echappirt! rief der vorderste Reiter, die Terrain¬ schwierigkeiten als guter Cavallerist erwägend, und ließ den Daumen und Mittelfinger in die Luft knallen.“ „Wollen wir schwenken, nachpreschen, Dohleneck!“ fragte der zweite. „Müßten ein ganzes Kornfeld niederreiten, sagte der Rittmeister, und das käm' wieder zu des Königs Ohren. Ihr wißt, wie er die Bauern protegirt.“ „Jammerschade!“ Der zweite schlug vor abzusitzen, die Pferde anzubinden, und ihnen zu Fuß nachzueilen. „Die sind fix wie der Wind.“ „Aber barfuß. Die Füßchen würden ihnen doch zu weh thun, so über Stock und Block. Und werden sie mit blanken Beinen ins Dorf laufen zu Papa und Mama? Irgendwo im Korn verpusten sie sich, und ziehen die Strümpfe an, da attrapiren wir sie, und probiren, ob sie die Strumpfbänder nicht zu fest binden. Das ist schädlich, sagt Hufeland.“ Der Rittmeister strich den Bart und sagte: „Meine Maxime sei, nie was suchen, aber die Ueber¬ raschung hinnehmen. Das ist soldatisch. Und wenn wir sie bei Nahe besehen, wer weiß, ob wir uns nicht schämen, ihnen nachgelaufen zu sein.“ Hexen wären es nicht, meinte der zweite, und der dritte: er müsse die eine schon gesehn haben; auch die andre kam ihm bekannt vor, aber er wußte nicht, wo sie hinbringen. Man beschloß endlich, beim Rückwege durchs Dorf zu reiten, „wo man sie doch wohl wieder zu Gesicht kriegen wird.“ — Sie sprengten fort. Es war still, wie vorher. War's ein Traum! dachte Walter, der sich hinter dem Strauche aufrich¬ tete und über die Stirn fuhr. Die eingeknickten Aehren sprachen dagegen. Unfern von der Stelle, wo er gelegen, lagen Kornblumen, die sich von einem Strauß aufgelöst. „Das hatte sie an der Brust.“ Er raffte die Blumen rasch auf. An einer halb ge¬ knickten Aehre flatterte ein blauseidenes Strumpfband. „Das hat sie verloren.“ Er ergriff es und schlang es um die Kornblumen zum Bouquet. „Und die Thoren wollen sagen, es gebe keine Romantik!“ Er blieb zaudernd stehen. Sollte er auch ins Dorf. „Die Erscheinung war so schön, warum denn die Wirklichkeit aufsuchen, welche in einem Augen¬ blick vielleicht den ganzen Zauber löst.“ Dazu erin¬ nerte er sich, daß er dem Geheimrath Lupinus ver¬ sprochen, ihm bei der Collationirung zweier Ma¬ nuscripte heut Abend zu helfen. Und Lupinus hatte gesagt, daß er ihm einige Privatstunden verschaffen zu können hoffe. Walter schlug vergnügt den Rückweg ein. Er war es, der bei Annäherung der Reiter das War¬ nungszeichen aus dem Busch gegeben, welches die jungen Mädchen vor einer Scene bewahrt, in welcher er unmöglich den stillen Lauscher spielen durfte. Aber welche Rolle hätte er spielen sollen! Zwölftes Kapitel. Das Gewitter. Auch die Sonne hat Flecken, und auch in der glücklichsten Ehe giebt es Familienscenen. „Ach, daß ein so schöner Tag so ausgehen muß!“ seufzte die Hofräthin, aber der Kriegsrath blieb uner¬ bittlich. Es war doch wie vom Himmel gefügt, daß sie mit einer so vornehmen liebenswürdigen und freund¬ lichen Dame Bekanntschaft gemacht. Die Herzens¬ güte sah man ihr an den Augen ab. Was konnte ihre Tochter davon profitiren! Sie war ganz gewiß, daß die Obristin die Adelheid zu sich einladen würde, und wer weiß, wenn die Nichten mit ihr Freundschaft schlössen, ob sie nicht an ihren Privatstunden Theil nehmen könnte. Ja es wäre wohl möglich, daß die Obristin ihre Tochter ins Haus nähme, in Pension wollte sie gar nicht sagen, denn sie hätte wohl be¬ merkt, mit welchem Wohlgefallen sie die Adelheid immer angesehen. Und alle diese Vortheile und Aus¬ sichten wolle er muthwillig von sich stoßen. Und warum? „Weil wir keine Equipage halten können,“ re¬ capitulirte der Kriegsrath. „Wie Du auch bist, Mann! Wer redet denn davon. Aber den Christian von der Brösicke könnten wir heimlich in die Stadt schicken, daß er uns eine Lohnkutsche holt, von Herrn Verdrieß, dem Fuhrmann, er wohnt ja gleich am halleschen Thor. Für einen Groschen thut's der Junge, ach er thut's umsonst aus Plaisir, daß er zurückkutschiren kann. Dann fährt der Kutscher vor, wir kommen mit Anstand in die Stadt zurück, und sie denken 's ist unser Wagen.“ „Sie sollen nichts denken, was nicht wahr ist.“ „Alter verstehe mich nur, 's ist ja auch gar nicht darum, daß wir was scheinen, was wir nicht sind. Für 'nen Registrator schickte sich's auch, aber — wenn Du nun Geheimrath wirst!“ „Kommt Zeit, kommt Rath.“ „Und bis dahin kommst Du ins Gerede, und wirst am Ende gar nicht Geheimrath.“ „Dann bleib ich Kriegsrath.“ „Und Deine Tochter bleibt sitzen. Sie kommt ins Gerede. Wenn wir nun mit Sack und Pack unterm Arm trotten, liebster, bester Mann, und die Obristin kommt gerollt in der schönen Equipage, und die Adelheid trägt wohl gar wieder den Korb — ach wird sie denken das sind solche Leute! und Du bist's, der das Glück Deiner Kinder verscherzt hast, aus Eigensinn!“ „Da können wir ja gleich die Frau Obristin fragen.“ Sie kam. Und ehe das Wort: „Du wirst doch nicht?“ von ihren Lippen war, mußte die arme Frau hören, was sie doch nicht von einem Manne, der auf Reputation hält, für möglich gehalten. Er mußte entweder sehr bös, oder bei sehr guter Laune sein. „Ach Du meine Güte! rief die Obristin. Liebe Frau Kriegsräthin, mein Mann war auch nicht im¬ mer Obrist. Und ich habe auch nicht immer den Mantel von Sammet getragen. Ein Korb am Arm, auch ein gro¬ ßer Korb, ist keine Schande; wenn man sich nur nicht mit jedem abgiebt, der gelaufen kommt, da kann man auch im blauen Kattunspencer ein honetter Mensch sein. Es ist schon recht, daß man auf Distinction hält, und ich halte gewiß darauf, davon können Ihnen meine Niecen was erzählen; aber pfui, wenn man darum einen Menschen nicht ästimiren wollte, wenn er nicht mit Vieren fährt! Ich könnte Ihnen von Prinzen erzählen, haben den Stall voll Kutschenpferde, und gehen zu Fuß aus, im Surtout bis über die Ohren zugeknöpft, und wenn sie anklopfen, man hört das gleich raus. So treten sie in die Hütten der Ar¬ muth, und wie mancher, der hungert, wird von ihnen satt. Strecke jeder sich nach seiner Decke, das ist meine Maxime. Wer seine Nebenmenschen nicht achtet, den achte ich auch nicht. Meine liebe Frau Kriegs¬ räthin, was ist aller Glanz dieser Erde! Eitelkeit sagt der Herr Prediger, und wer solide handelt, der kommt am besten noch fort in diesem irdischen Jam¬ merthal. Und wenn ich nur Platz hätte in meinem Wagen, mein Gott, ich würde es mir ja zur größten Ehre rechnen, wenn ich eine so solide Familie mit¬ nehmen könnte. Einen Platz haben wir noch; der stuckert aber so sehr. Und als wir Abschied nahmen, so legte der Herr Prediger die Hand auf meine Schultern und sagte: „Eigentlich wollte ich bei keinem einkehren in dieser gottlosen Stadt; aber Sie sind eine rechtschaffene, eine solide Frau, Frau Obristin, zu Ihnen komme ich, bis ich mir ein Quartier gemie¬ thet habe.“ Na den Herrn Prediger sollen Sie ken¬ nen lernen, wenn Sie mir die Ehre erzeigen, auf eine Schaale Kaffee. In seiner Jugend hat er in Leipzig studirt, da haben wir geplaudert von — Ich sage Ihnen ein charmanter Mann.“ Der Kriegsrath seufzte: „Ach Leipzig! Sie wissen nicht was mich das gekostet hat.“ „Ja 's ist ein theures Pflaster, und gar in der Messe. Na, das freut mich aber, daß Herr Kriegs¬ rath auch dawaren.“ „Mich gar nicht, liebe Frau Obristin, sagte der Kriegsrath, der gemüthlich seine Pfeife ausklopfte. Es kostet mich meine Carriere. Ich ließ mich, da ich in Halle studirte, verführen, mit andern meiner äl¬ tern Commilitonen, einmal nach Leipzig hinüber zu reiten. Nur einen Tag; am nächsten kehrten wir zurück. Als mein Vater es erfuhr, bekam ich einen Brief. Das war ein Brief, nicht mit Dinte, mit Feuer geschrieben und Pech und Schwefel darauf! Der verlorne Sohn in der Bibel wird keinen solchen Brief erhalten haben, sonst wäre er nicht verloren gegangen. Ich mußte auf der Stelle zurück. Da standen schon die Pedelle, vom Rector geschickt, und brachten mich auf die Post, und der Herr Postver¬ walter hatte mir einen Platz bestellt, neben dem Schir¬ meister, daß er auf mich Acht habe. Und als ich nun ins älterliche Haus kam! Meine arme Mutter in Thränen und meine Schwestern! Acht Tage ward ich in eine Kammer gesperrt, fast bei Wasser und Brod und mußte die Psalmen auswendig lernen. Aber das war noch gar nichts dagegen, wie mein Vater mir da am achten Tage selbst die Thür öffnete, und mich so mit unterschlagenen Armen ansah, ein Blick, daß mir das Herz im Leibe zu Stein ward, und mir ankündigte, daß es nun mit meinem Stu¬ diren aus sei. Nun versuche, Du ungerathener Sohn, sprach er, ob Du durch dein ferneres Leben es wie¬ der gut machen kannst, daß Du Deines Vaters Schweiß und Deiner Mutter und Schwester saure Händearbeit zu solchen Extravaganzen vergeudet hast. Der Bauerwagen stand vor der Thür, der mich in eine kleine Stadt brachte, wo ich als unterster Schreiber in einer Packkammer meine neue Carriere anfangen mußte. Sehn Sie, das kostet mich Leipzig!“ Die Kriegsräthin war erstaunt, aber nicht ganz unzufrieden, daß ihr Mann durch die Obristin zu solchen vertraulichen Mittheilungen sich hinreißen ließ. Diese machte ihm ein Compliment: „wer weiß, wozu es gut gewesen. Die Studirten kämen oft nicht weiter, und wer klein anfinge, der hörte oft groß auf.“ „Mein Vater war ein strenger Mann, aber ein braver Mann, und er hatte Recht, sagte der Kriegs¬ rath. Denn meine Eltern mußten sich's schwer ver¬ dienen, daß sie nur durchkamen. Und was hatte ich in Leipzig zu suchen!“ Das gefiel der Kriegsräthin wieder nicht, daß er zu erzählen anfing, wie knapp es in seinem äl¬ terlichen Hause zugegangen. Die Obristin horchte aber sehr theilnehmend. „Lieber Herr Kriegsrath, wir müssen uns Alle durch's Leben schlagen, Einer so, der Andere so. Und nicht Jedermann, der ein Sonntagskleid anhat, hat darum einen Braten auf dem Tisch, ja ich weiß Manchen im Seidenkleid, der oft nicht satt zu essen hat. Und was kosten die Kinder den Eltern! Er¬ ziehen muß man sie, anziehen doch auch, daß sie uns nicht zur Schande 'rumlaufen, und wenn sie wachsen, was haben sie für einen Appetit. Ich weiß manchen königlichen Herrn Geheimerath, der einen Livreebedien¬ ten hat — und er muß ihn haben — und fährt in seidenen Strümpfen aus, aber Sonnabends, wenn die Köchin auf den Markt soll, da kratzen sie aus allen Schubladen die Groschen. Und, lieber Gott, die jungen Demoiselles will man doch auch ver¬ heirathen. Da müssen die lieben Eltern sie auf die Bälle führen, daß die Mannspersonen sie zu sehen kriegen; denn die Katze im Sack will keiner mehr kaufen. Das kostet auch Geld. Und das Ballkleid und die Blumen und Schleifen. Lumpig will man das Fleisch von seinem Fleische auch nicht gehn lassen. Und beißt ein junger Herr an, da muß man Gesell¬ schaften geben, Spazierfahrten, wieder neue Kleider. Kostet alles Geld. Und dann kommen die Ver¬ wandten, und erkundigen sich unter der Hand nach der Aussteuer und Mitgift. Nu bitt ich Sie, von seinen achthundert Thalern, oder zwölfhundert Tha¬ lern, oder kommts hoch fünfzehnhundert, soll er eine Mitgift gespart haben! Ein guter Vater muß ja alle seine Kinder ernähren. Und nun heirathen sie sich. Pure Liebe heißt es. O ja, aber Schmalhans ist Küchenmeister. Und nun kommen Kinder, e ins übers andere, und wollen getauft sein. Da kommt die junge Frau zur Frau Mama und weint ihr das Herz voll, und die Frau Mama weint dem Vater das Herz voll. Geld soll er schaffen. Ja wovon! Die andern Töchter sind auch 'ran gewachsen. Die haben auch Sponsaden, möchten auch unter die Haube. 'Ne Haube kostet noch nicht alle Welt, aber das andre. Na, ich sage doch, ein Vater mit vielen Töchtern und 'nem knappen Einkommen, das ist erschrecklich. Da ist doch besser, er bringt sie unter, gute Menschen¬ herzen schlagen überall, und wer weiß, was den Kindern da blüht, daß der Vater nicht mehr nöthig hat für sie zu sorgen. 'S ist manche vornehm ge¬ worden, und hat ein schönes Sort gemacht, und am Ende sich noch sehr anständig verheirathet, die ihr Leben lang 'ne alte Jungfer geblieben wäre, wenn sie nicht aus ihres Vaters Hause kam.“ Der letzte Theil ihrer Rede wurde wohl über¬ hört, denn die jungen Mädchen kamen jetzt zurück. Sie hatten unter sich ausgemacht, nichts von dem Abenteuer zu erwähnen. Jülli und Karoline spran¬ gen als wäre nichts vorgefallen, Adelheid ging lang¬ samer und bückte sich oft. Schlug ihr das Gewissen, daß sie etwas nicht Erlaubtes gethan, oder daß sie darauf eingegangen, es zu verschweigen? Die Auf¬ forderung, für das Abendessen zu sorgen, war ihr willkommen. Im Hause schlüpfte sie rasch in die dunkle Hinterkammer und setzte den Fuß auf den Schemel, um mit einigen Flachsfäden aus dem Spinnrocken den Strumpf fest zu binden. War es die alte Wanduhr oder ihr Herz, das so laut schlug? Ein heiseres Gelächter schallte plötzlich hinter ihr. Die Alte hatte sich aufgerichtet, und stierte sie mit dem unheimlichen Gesichtsausdruck an: „Verloren — Strumpfband verloren! — hi! hi! hi! Das bedeutet was. — Der's fand, wird sich freuen. Hi, hi, hi!“ — Das junge Mädchen floh, wie vor dem Spottgesang böser Geister. Die Satte mit dicker Milch fand kein so frohes Publikum um sich versammelt als der Milchreis zu Mittag. Die Kinder waren müde, die jungen Mädchen in Gedanken, die Aelteren hatten sich ausgesprochen. Alle drückte die Schwüle des Tages, der zum Abend geworden. Aus dem Kruge schallte Tanzmusik. Reiter gal¬ loppirten auf dem Fahrwege heran, es waren Gens¬ d'armerieofficiere. Sie hielten plötzlich an, und lorg¬ nirten die Gesellschaft. Mit einem häßlichen Gelächter gab der eine ein Zeichen. Die Frauen schrien, sie glaubten, die Reiter wollten den Tisch umreiten; sie ritten nur um den Tisch, einer hinter dem andern im Kreise, oft so nahe, daß die Pferde die Stuhl¬ lehnen berührten. Die Kriegsräthin ward blaß vor Schreck, der Kriegsrath vor Unwillen, die jungen Mädchen senkten die Köpfe, die Kinder waren ängst¬ lich vor den Pferden. Die Obristin faßte den Arm des Kriegsraths unter dem Tisch, und flüsterte ihm zu: „es sind junge Leute.“ Die jungen Leute aber beugten sich seltsam im Sattel, sie warfen Kußhände zu mit den Fingern, mit beiden Händen, sie miauten, schnalzten, krähten. Endlich waren sie wie der Sturm¬ wind verschwunden, nachdem sie ein: „Auf Wiedersehn, allerliebste Engelchen!“ der Gesellschaft zugerufen. Der Schemel hinter ihm fiel auf die Erde, als der Kriegsrath aufsprang und der Aufbruch war damit gemacht. „Gerechter Gott! rief er, den Stock auf die Erde stampfend, wann wird das endlich mal ein Ende nehmen! Giebts denn keinen Fleck auf der Erde, wo man seine Töchter ruhig hinführen kann! Giebts denn Niemand, der dem Könige das sagt, denn er ist gütig und gerecht.“ Die Frau Kriegsräthin wehrte still die Obristin ab, die beruhigende Worte auf der Lippe hatte, von Jugend und Tugend. „Um Gottes Willen, Frau Obristin, jetzt keine Sylbe, sonst bricht es los.“ Es schien aber schon jetzt loszubrechen, wenn auch nicht in Worten, als er den Hut aufstülpte, den Rock zuknöpfte und rief: „Nun, marsch nach Haus!“ Wir sehn die Familie auf dem Marsche. Es hatte jeder seine eignen Gedanken, darum war es heut Abend so still als es an manchem laut gewesen. Vergnügt war eigentlich nur die Kriegsräthin. Sie baute Schlösser in die Zukunft, und war ihr Wunsch nicht erfüllt, als ihr Mann der Obristin die Hand gedrückt und gesagt hatte: „Sie sind eine brave und praktische Frau. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.“ Eigentlich war das etwas un¬ schicklich zu einer so vornehmen Frau gesprochen, aber sie hatte es nicht übel genommen. Sie hatte die Hoffnung auf nähere Bekanntschaft ausgesprochen, aber nicht in der ordinairen Weise, daß sie gleich zum Kaffee gebeten, sondern sie hatte gesagt, das würde sich ja schon alles finden und der liebe Gott es fügen, daß die zusammen kämen, die zusammen gehörten. Aber beim Abschied — denn sie wollte noch am Krug vorfahren und einen Blick hinein thun, weil sie Freunde ihres Mannes unter den Officieren zu sehen geglaubt — hatte sie noch von dem rothen Umschlagetuch aus Malaya ein Wort fallen lassen, und daß sie nur wünsche, daß die Mamsell Adelheid es einmal um die Schultern nehme. Das Tuch würde ihr doppelt lieb sein, wenn es dem englischen Kinde gut stände. Der Weg ward so schwer, die Luft so drückend. Die Kinder waren müde. Nur der Kriegsrath schritt stramm voran. Da ging ein Lüftchen durch die Ulmen, aber kein erfrischendes, es war der Vorbote eines nahenden Sturmes. Vom Templower Berge kamen dicke Gewitterwolken. „Wenn uns das noch träfe!“ sagte die Kriegsräthin. Es fielen die ersten Tropfen, einzelne, aber sehr schwere. „Herr Jesus, Mann, ob's nicht besser wäre, wenn wir umkehren ins Dorf? Die Stadt erreichen wir nicht mehr.“ — Der Kriegs¬ rath wies schweigend mit dem Stock zurück: „Ich kehre nicht um.“ Hinter ihnen war die dunkle Wetter¬ wand aufgestiegen, von Blitzen schon durchzuckt und am sternenflimmernden Horizont näherte sich die Wand den beiden Wolken. „Wenn das zusammenstößt!“ — „Wenn das uns träfe.“ — „Es trifft uns schon!“ Der erste Donner rollte dumpf über die Fläche. Der zweite, dritte war schon näher. Jetzt tröpfelte es nicht mehr, es prasselte. „Unter die Bäume! Dicht unter die Bäume!“ rief die Mutter. Die Bäume halfen wenig, und bald hatten sie die letzte der breit¬ wipfligen Ulmen erreicht, von wo ab das freie, weite Blachfeld vor ihnen lag, und kein Schutz vor dem Regen, der nicht mehr strömte, es schoß und goß. Sie standen unter der letzten Ulme, die dicht um ihren Stamm noch ein Wetterdach vor dem Wolken¬ bruch von oben gewährte, aber nicht vor dem Regen, I. 13 den der Wind heranschlug. Sie standen auf den vom Erdreich losgespülten Wurzeln, um nicht im puren Wasser zu stehen, das schon über den Boden wallte; Jette hatte sich im Gehen Strümpfe und Schuhe abgestreift, ihr Sonntagszeug nicht zu ver¬ derben. Die Frauen schürzten ihre Kleider; schickte es sich aber auch für sie, die Schuhe auszuziehen? — „Die Kinder aufgenommen!“ rief der Vater. Jette hatte den Kleinsten auf die Schulter gepackt, Adel¬ heid dafür den von ländlichen Einkäufen schweren Korb aufgenommen. Der Vater wollte die Clara aufheben, das Wasser, das aus seinem dreieckigen Hute, wie aus einer Rinne goß, überschüttete das Kind. Das dritte nahmen sie zwischen sich. Es waren furchtbare Minuten. Das Wasser klatschte, mit blauen Blitzstrahlen gemischt, auf die Erde, vor ihnen nur ein wellender Spiegel vom Winde gepeitscht. Ein Todtenschweigen, nur durch das Gewimmer der Mutter einmal unterbrochen: „Und alles das, um acht Groschen zu sparen. Du rechnest auch nicht, was die verdorbenen Kleider werth sind!“ Die Antwort des Vaters übertäubte ein Auf¬ schrei aus Aller Munde. Der Regen von den höher gelegenen Feldern zur Rechten ergoß sich in einen Graben, der in der Regel ganz trocken und verschüttet ist. Das aufschwellende Wasser brach den Damm und wühlte, ein breiter Bach, den Fußsteg auf, dicht vor der Ulme, und ein immer tieferer und rauschender Strom schnitt der Familie den Weg nach der Stadt ab. „Seht nicht in die Blitze, das verdirbt die Augen!“ rief der Vater. „Wenn's nur nicht so gräßlich donnerte! jammerte die Magd. Und unsre besten Sonntagskleider sind hin!“ — „Uns erwartet ein trocknes Haus und warme Betten, sagte der Vater. Denk Dir unsre armen Soldaten im Kriege, die haben kein Haus und keinen Mantel.“ — „Aber ihre Monturen muß der König bezahlen, entgegnete die Kriegsräthin. Wer bezahlt der Adelheid das neue Kleid. Und wenn sie's Fieber kriegt!“ — „O Gott, wir gehn Alle unter, schluchzte wieder die Magd, als ein stärkster Donnerschlag dicht über der Erde hinzurollen schien. Wär' ich doch nie in den Dienst gegangen!“ Da schien das stärkste Gewitter sich entladen zu haben. Die zusammengekeilten Wolken brachen. Es rauschte noch vom Himmel und er schien sein blaues Licht niederzugießen, aber man hörte auch schon wieder die Bäume rauschen und der Donner ward dumpfer. Man hörte auch einen Wagen. Die Pferde stampften im Wasser. Es war die Obristin mit ihren Nichten. Ein heller lang andauernder Blitz — ein Schrei der Freude und des Schreckens. Hätte die Frau Kriegsräthin doch mögen in die Erde versinken, als der Kutscher hielt. Ach es war weder Zeit, sich zu schämen, noch Toilette zu machen. Die gute Obristin hätte so gern Alle mitgenommen! Was an Platz war in der Kutsche, sie sollten nur commandiren; die Kleinen wollten sie schon auf den 13 * Schooß nehmen. „Mann, um Gottes Willen, Du wirst doch nicht jetzt Bedenklichkeiten machen!“ Hin¬ sichts der drei Kinder machte er auch keine, sie waren rasch hineingehoben. Aber wer sollte den leeren Eck¬ platz einnehmen! Die Kriegsräthin hätte sich ja nim¬ mermehr hineingedrängt. Sie war so stark und naß, und in solchem Aufzuge! „Väterchen Du,“ rief Adel¬ heid. Konnte er Mutter und Tochter allein in Nacht und Regen lassen! „Kommen Sie, Adelheidchen, Sie verkälten sich ja ganz die Füßchen, rief die Obristin. Wenn für die Kinder gesorgt ist, für die Eltern sorgt der liebe Gott.“ Der Kutscher entschied in letzter Instanz über alle Bedenklichkeiten. Er ließ mit einem Donnerwetter, wenn's nicht bald würde! die Peitsche knallen, und ich glaube, er hätte sein Wort gehalten. Dreizehntes Kapitel. Wie es im Hause aussieht. Weshalb der Kriegsrath endlich nachgab, war, daß er in der Ferne die Gensd'armerieofficiere gal¬ loppiren hörte. Aber die Wagenthür klappte noch in der Luft, sie hatten sich noch keinen Abschied zu¬ gerufen, als die Räder schon durch den fluthenden Giesbach rollten. Entweder wollte er die Wagenthür zuschlagen, oder war es, um seiner Tochter Anweisungen zu geben, weshalb der Vater nachstürzte. „Der Herr Kriegs¬ rath ertrinken!“ schrie die Jette, aus der Kutsche wehten sie, er möge zurückbleiben. „An den Tag werden wir lange denken!“ ent¬ fuhr es dem Kriegsrath. Seine Frau drückte ver¬ stohlen seine Hand, er drückte sie wieder. „Und Mam¬ sell Adelheid werden auch bald warm werden, tröstete die Jette, sie sitzen so eng zusammen.“ Die Officiere ritten vorüber ohne von der Fa¬ milie Notiz zu nehmen. Das Wasser war schon im Ablaufen und man versuchte die Passage. Sie gelang endlich nach der richtigen strategischen Maaßregel, daß ein Fluß leichter an der Quelle als am Ausströmen zu forciren ist. Forcirt mußte er aber doch werden; und man versank nicht allein im Moor und Wasser, sondern auch im trocknen Sande, da ein Platzregen in sandigen Gegenden das Eigene hat, daß er nur die Oberfläche durchnäßt. Die Sterne schienen wieder auf einen langen und sauren Weg. Der Kriegsrath ging, Arme und Stock auf dem Rücken, vorauf, er schien in die Sterne zu sehen. Auf dem Berge erwartete er Frau und Magd. Sie gingen eine Weile neben einander, ohne zu sprechen; ihre Gedanken schienen sich zu begegnen: „Wir kennen sie eigentlich nicht.“ — „Wenn Du nur gefragt hättest, wo sie wohnt? sagte nach einer Pause die Frau. Aber die Adelheid weiß, wo wir wohnen, und sie ist ja kein Kind mehr.“ Eine neue Pause. Sie näherten sich schon dem Thore: „Wenn wir sie nun nicht zu Hause finden!“ Die Kriegsräthin hatte keine Antwort darauf. Es preßte sie etwas auf der Brust. Sie strengte sich an mit ihrem Manne Schritt zu halten. Da mußte am Thor noch die Schildwacht ihnen Stillstand gebieten und der Thorschreiber den Korb der Jette untersuchen. Der Kriegsrath mußte seine Börse ziehen, um einige Groschen Accise zu zahlen, und die Sohlen brannten ihnen unter den Füßen. Selbst über den schönen Stern in der Mitte des Platzes, der seine Strahlen von großen und kleinen Pflastersteinen aus¬ gießt, eilten sie, ohne einen Blick dahin zu werfen, was der Jette unbegreiflich schien, denn es war doch die größte Merkwürdigkeit von Berlin, die jeder Hand¬ werksbursche gesehen haben mußte; sonst war er nicht in Berlin gewesen. Der schöne Stern ist längst verschwunden. Auf seinem Kernpunkt steht die Friedensgöttin, die man aufgerichtet, als der Friede anfing aufzuhören. Auf einer spitzen Säule flattert sie in der Luft, wie der Vogel, der mit einem Fuß auf der Dachfirste Posto gefaßt, und sich umschaut, ob es drüben ge¬ heuer ist. Die große Friedrichsstraße war ihnen nie so lang vorgekommen; und doch eilten sie, daß der Kriegs¬ räthin der Athem verging. Die Jette dachte mit dem schweren Korb: Ich bin doch auch ein Mensch! — An den Fenstern zählten sie die Lichter. Würden sie ihre Wohnung dunkel finden? Wenn's um diese Ecke, das Haus da, hell ist, sagte sich die Mutter, dann finden wir's auch bei uns hell. Einmal war es dunkel, dann wieder hell. Man muß an ein Orakel nicht zu oft dieselbe Frage stellen. Der Vater dachte an die Schwalben, die Schüsse gehört und Brannst¬ geruch gerochen, und mit gestreckten Flügeln schießen, ob sie ihr Nest noch finden. Aber er hatte keinen Schuß gehört, und keinen Brannstgeruch empfunden. Die Frau Kriegsräthin beruhigte sich auch: wie schreck¬ lich hatte nicht die Obristin die Angst und das Un¬ glück der armen Eltern gemalt, denen die Seiltänzer ihre Kinder stehlen. Beide sagten sich, sie wären beruhigt, aber beider Herz klopfte, daß jeder das des andern hätte können schlagen hören, als sie um die letzte Ecke zum Gens¬ d’armenmarkt bogen. — Zwei Herzen und ein Schlag, ein freudiges Ah! Ihre Fenster waren hell, sehr hell. — Die Hausthür offen. Die Magd des Wirthes kam ihnen entgegen: „Na Gott sei Dank, daß Sie da sind. Die Mamsell und die Kinder haben sich schon zu Tode geängstigt.“ — Auf der halben Treppe sprang ihnen Adelheid entgegen: „Ach, mein lieber Vater, meine liebe Mutter! Gott sei Dank.“ — Der Vater drückte sie an seine Brust, die Mutter riß sie an sich. „Ach und ihr seid ganz durchnäßt. Schnell, schnell, oben liegt Alles schon bereit.“ Die Kleinen waren schon umgezogen in trocknen Kleidern. „Das hat alles die Adelheid gethan!“ — „Nicht alles, Mütterchen, die Jülli und die Karoline halfen, ach und die gute Frau Obristin hat für uns gesorgt, wie eine Mutter.“ „Hat Euch im Wagen hergebracht?“ „Und war auch so naß und müde von der Reise. Aber Gott bewahre! Anvertrautes Gut muß man eher zurückliefern, als man an seines denkt, sagte sie. Und Euer Vater ist ein guter Diener seines Königs. Und der König geht vor allem, und heut ist sein Ge¬ burtstag. Denkt Euch, als wir ausgestiegen waren, wollte sie die Kutsche zurückschicken, um Euch holen zu lassen. Aber der Kutscher war ein garstiger Mensch. Er fluchte, um solches Rackerzeug sollte er auch wohl noch seine Pferde ruiniren. Die gute Obristin wurde ganz erschrocken, und steckte ihm noch Geld zu, daß er nur ruhig wäre, denn es wäre ja des Königs Geburtstag und darauf solle er trinken.“ „Unverschämtes Volk!“ rief der Kriegsrath, seinen Stock erhebend. „O, das ist noch nicht Alles, sagte Adelheid, kommt nur herein und seht!“ Sie traten in das helle Zimmer. Eine Punsch¬ bowle dampfte über einem Kohlenbecken. „Das hat alles die Obristin für Euch besorgt, damit Euch die Erkältung nichts schadet. Die Ka¬ roline mußte selbst zum Kaufmann, die Citronen und den Rum kaufen, und die Gustel unten kochte das Wasser, und dann erst gingen sie, und wollten nicht bleiben, um Euch nicht zu stören. Und so herzliche Grüße haben sie mir aufgetragen, daß ich sie gar nicht bestellen kann.“ Mann und Frau saßen noch um Mitternacht am Tisch sich gegenüber, der Kriegsrath in seinem ge¬ blümten Schlafrock und Pantoffeln, die Kriegsräthin in ihrer Dormeuse. Die Kinder waren längst im Bett, die Bowle bis auf einen kleinen Rest geleert. Den goß der Kriegsrath, redlich theilend, in die Gläser: „Es wird zu viel, Alter!“ sagte die Frau. „Wir müssen doch auf ihre Gesundheit anstoßen!“ Der Mann setzte die Pfeife fort. „Mann, da sieht man, wie man sich täuschen kann.“ „Aber 's ist gut, wenn man's wieder gut machen kann.“ Gläser mit Punsch klingen nicht so hell wie mit Wein, aber die Herzen klangen. Der Kriegsrath ging sehr vergnügt, aber nicht so kerzengrad wie am Tage, nach seinem Bett. Die Kriegsräthin leerte noch den Rest ihres Glases im Stillen. Sie trank auf das Glück ihrer Familie und auf die Aussichten, die sich mit einem Male ihr so reich und wunderbar eröffneten. „Uns kommt alles unverhofft!“ sagte sie und wischte eine Thräne der Rührung aus dem Auge. Im Bette hatten die Eheleute sich besprechen wollen, was sie thun müßten, um es der Obristin zu ver¬ gelten. Es hatten sich darüber Ansichtsverschieden¬ heiten gezeigt, die in Güte beigelegt werden sollten, aber man hörte bald nur eine vollkommene Har¬ monie — im Schnarchen. Die Gefühle der Dankbarkeit waren am andern Morgen nicht erloschen, aber etwas abgekühlt. Gestern wollte der Kriegsrath, sobald er aufgestanden, der Obristin seine Aufwartung machen. Heute fand die Frau, daß eine Visite so früh am Tage bei einer vornehmen Dame sich nicht schicke. Der Mann aber dachte, daß er ja ins Bureau müsse, und Herren¬ dienst geht sogar dem Gottesdienst vor, sagen die Geschäftsmänner. Es war aber noch ein Grund, weshalb es nicht ging; sie wußten ja nicht, wo die Obristin wohnte. Wohnungsanzeiger gab es noch nicht. Der Kriegsrath wollte sich im Bureau danach erkundigen. Der Kriegsrath kam heute spät nach Hause. Seine Nachforschungen nach der Obristin waren nicht glücklich gewesen. Man glaubt wohl den Namen gehört zu haben, wußte aber nichts Gewisses. Uebri¬ gens hatte das nichts Auffallendes, denn es hielten sich jetzt viele vornehme Familien aus der Fremde in Berlin auf. Da wäre eine russische Fürstin hier, und Damen und Herren vom höchsten Stande aus Frankreich und England, von denen man wohl wisse, daß sie andere Namen führten, als ihnen zukämen, aber die Polizei kümmere sich nicht um ihr Incognito, oder drücke ein Auge zu, weil sie mit dem Hofe und den Ministern ins Geheim verkehrten, damit andre Mächte nicht aufmerksam würden, und plötzlich würde aus einem oder dem andern, der in einer Winkel¬ gasse wohnt, der außerordentliche Ambassadeur eines hohen Potentaten. Denn ganz Europa blicke jetzt erwartungsvoll auf Preußen, „und wie es sich jetzt entscheidet, das giebt den Ausschlag.“ Die Kriegsräthin hatte mit sichtlicher Ungeduld, ihm auch etwas mitzutheilen, zugehört, aber die Nachricht schien sie einzuschüchtern: „Ach Gott, das wäre ja viel zu vornehm für uns!“ „Die Allervornehmsten sind oft die Allerleut¬ seligsten.“ „Ja, und das war sie, brach es heraus, ihr Gesicht strahlte von Freude. Männchen, wir sind glücklicher gewesen als Du. Als wir eben dasaßen, die Adelheid und ich, und überlegten, was wir an¬ ziehen sollten, wenn wir sie besuchten, klingelte es, und wer trat ein? — Sie selbst. Wir waren beide, daß wir uns nicht sehen lassen konnten, aber sie sagte, sie müßte uns sehen, und sie hätte die ganze Nacht keine Ruhe gehabt, ob's uns auch bekommen wäre? Ich sage Dir, nein, es war eine Liebenswürdigkeit, als wenn wir alte Freunde wären.“ „Da seid Ihr gewiß schon heut zum Kaffee invitirt!“ „Nein, das bedauerte sie eben so sehr, daß sie uns in den ersten Tagen nicht bei sich sehen könnte, denn sie hätte das Haus voll Unruhe gefunden. Nichts wäre gemacht, wie sie's bestellt und sie müßte Tapeten runter reißen lassen und Gott weiß was.“ „Aber wo wohnt sie?“ „Wir sollen's gar nicht jetzt wissen, bis sie in Ordnung ist. Aber bei uns wird sie ein Mal an¬ sprechen und mit 'ner Tasse Kaffee verlieb nehmen. Doch ganz unter uns, wie wir sind, ohne Umstände, und wir sollten Niemand dazu bitten. Oder sie wird auch mal vorfahren und anfragen, ob Einer von uns mit ihnen spazieren fahren will? Alter, weißt Du, sie meint, Du säßest zu viel, Du müßtest Dir mehr Bewegung machen. Solche gute Staatsdiener wie Du, müßten sich ihrem Könige erhalten, das wäre ihre Pflicht und Schuldigkeit, und sie hätte so viel zu Deinem Lobe gehört, was sie in der Seele erfreut, und sie wisse auch schon, daß Dein Avancement vor der Thür steht.“ „Da hat sie zu viel gehört, unterbrach der Kriegs¬ rath und ging auf und ab. Damit ist es vorbei. Ich hörte —“ „Hat sie auch gehört, Du sollst Dir aber keine grauen Haare darum wachsen lassen. Ein vornehmer Graf aus Schwaben oder Schweiz, oder was er ist, der möchte den Geheimrath Lupinus aus der Patsche ziehen, und es soll ihm schon gelungen sein, daß er die andern Gefangenen dazu rum gekriegt, eine Schrift zu unterschreiben, daß sie schuld wären und nicht er .“ „Die Frau Obristin weiß sehr viel.“ „Aber wenn's mit dem einen Posten nicht wäre, so wär's ein anderer, und wenn's nicht so, ginge es so. Und wenn ein vornehmer Herr einmal sich was in den Kopf gesetzt, da ließe er nicht nach, bis er's durchgesetzt. Aber Du thätest doch nicht recht, daß Du Dich gar nicht um Connexionen bekümmertest, denn die Welt wäre nun mal so, die gebratenen Tauben kämen uns nicht in den Mund geflogen, und Connexionen und Freundschaften machten am Ende Alles. Eine Hand wäscht die andere und eine Hand drückt der andern das Auge zu, sagte sie. Und wenn Du nur wolltest, so würde sie Dir Connexionen ver¬ schaffen, daß Du Dich wundern solltest, denn sie kennt viele Herren vom Hofe, die bei ihr aus- und ein¬ gehen, und jeder hätte seine Schwächen, und wenn jeder dem andern seine aufmutzen wollte, wär's in der Welt nicht zum Aushalten. Wir alle sollten brüderlich und christlich nur die guten Seiten der andern uns merken, dann wär's eine Welt voll Liebe und Freundschaft.“ „Und im Grunde solls mir auch lieb sein,“ sagte der Ehemann, der nicht genau zugehört, von wegen seines Bruders in der Jägerstraße. „Die Brüder Lupinus lieben sich zwar nicht sehr, es wäre aber doch immer häßlich, wenn es hieße, daß ich ihn aus dem Dienst verdrängt. — Und wegen des Lehrers habe ich auch heut mit dem Herrn Geheimrath ge¬ sprochen. — Er ist ein junger Mann, aber wir sollten uns daran nicht stoßen, sagte der Geheimrath. Er kennt ihn seit Jahren, und er hilft ihm bei seiner Bibliothek. Ein Mann von admirablen Kenntnissen, und treibe grade das, was ein junges Mädchen braucht, um in den Gesellschaften nicht den Mund zuzuhalten. Und wir würden schon zufrieden sein. Er wird sich heute Nachmittag uns präsentiren.“ Diese Erwartung gab in der stillen Häuslichkeit wieder einige Unruhe. Adelheid hatte die meiste Be¬ sorgniß, sie fürchtete das erste Examen, und daß sie der Lehrer doch gar zu dumm finden würde. Die Unruhe nahm mit Verlauf des Tages zu. „Die Adelheid stellt sich wirklich vor, sagte die Mutter, als würde er sie mit dem Lineal auf die Finger klopfen.“ Endlich klingelte es, kurz vor der Dämmerstunde, der Lehrer trat ein. Der Eindruck, den er auf den Vater machte, war ein guter. Er hatte sich einen excentrischen jungen Mann gedacht, laut und viel sprechend, wie ihm die jungen Männer von der Schule geschildert worden, zu der er gehören sollte. Aber er war von bescheidenem, ernstem, gehaltenem Wesen. An seinem Benehmen sah man, daß er die Welt kannte. Seine Anrede war bestimmt, fest und kurz. Auch der Mutter mißfiel er nicht, aber die Frau Kriegsräthin glaubte sich doch einem solchen bloßen Privatlehrer gegenüber ein Air geben zu müssen, und sie fragte ihn, womit er seine Lectionen anzufan¬ gen denke? „Dazu gehört, daß ich meine künftige Schülerin kenne,“ entgegnete er, die Handschuhe leicht in den Hut werfend, um den Stuhl einzunehmen, den der Vater ihm präsentirt. Aber die Schülerin präsentirte sich schon selbst. Adelheid, die bei seinem Eintritt abwärts gestan¬ den, war unbefangen vorgetreten, und ohne die Vorstellung der Mutter abzuwarten, sprach sie, sich leicht neigend: „Ihre Schülerin ist schon hier, ich bin es.“ Die Mutter wunderte sich über die plötzliche Dreistigkeit ihrer Tochter; aber sie bemerkte, daß der Lehrer erschrak. Er wich einen halben Schritt zurück und erröthete. Adelheid meinte später, die Mutter könne sich wohl getäuscht haben, da es schon anfing dunkel zu werden. Als die Jette das Licht gebracht, setzte man sich, und Herr van Asten schien so unbe¬ fangen als beim Eintritt. Man sprach über dies und jenes, Tagesereignisse und Naturerscheinungen, man ward über die Stunden einig, über die Bedingungen war man es schon vorher durch den Geheimrath. Er hatte gar nicht examinirt und doch sagte er beim Ab¬ schied zur Mutter: er wisse nun genau, wo er an¬ fangen solle. Adelheid nahm das Licht vom Tisch und leuchtete ihm hinaus. Vom Treppengeländer aus wünschte sie ihm eine gute Nacht. Die Mutter begriff ihre Tochter nicht; noch eben so bang und plötzlich so unbefangen. Adelheit er¬ klärte, der Herr van Asten komme ihr gar nicht wie ein Lehrer vor, sondern wie ein gewöhnlicher Mensch. Er spräche ja so, daß ein Kind ihn verstehen könnte. — Das aber grade machte die Mutter bedenklich, ob ihr Mann auch an den rechten gerathen. Sie hatte Achtung gegeben, ob er nicht ein Mal einen Dichter oder einen berühmten Schriftsteller citiren werde. Aber wenn sie das Gespräch darauf lenkte, brach er ab, oder vielmehr er lenkte es auf Dinge, die jedem geläufig, und wenn nicht, gab er solche Erklärungen davon, daß sie jedem verständlich wurden. Ein Lehrer muß doch da sein, um zu belehren, und doch wenig¬ stens zuweilen in schönen Redensarten sprechen, dachte sie, die nicht Jedermann versteht, die aber so schön klin¬ gen, daß man neugierig wird und zum Lernen Lust bekommt. Ihr Mann meinte, wenn die Stunden anfingen, werde er wohl gelehrter sprechen. Die Kriegsräthin aber wollte ihre Freundin, die Obristin, bitten, einmal bei dem Unterricht zugegen zu sein, um ihr aufrichtig zu sagen, ob der neue Lehrer was tauge. Nur über eins war sie beruhigt. Bei diesem Manne war für ihre Tochter keine Gefahr, auch wenn sie einmal nicht in der Stunde zugegen wäre. Er war ja viel älter, als sie gedacht und blaß und hatte auch einige Pockennarben, und tanzen konnte er gewiß nicht. Sie meinte, es ginge ihm wohl küm¬ merlich, obschon sie sich entsann, daß er einen feinen Rock trug; und, um ihm etwas Gutes zu erzeigen, dachte sie daran, ihm einen Freitisch anzubieten. „Das würde sich nun nicht schicken,“ sagte der Kriegsrath, der andern Tages von Erkundigungen heim kam, die er im Interesse seines Kindes einge¬ zogen. Zuerst hatten ihn die gescheitesten Leute ver¬ sichert, der Herr van Asten wisse mehr als in tausend Büchern steht, aber er habe den Tik, daß er das Sprichwort zu schanden machen wolle: der spricht ja wie ein Buch. Das wäre überhaupt jetzt Mode, daß die gelehrten Leute nicht merken lassen wollten, daß sie gelehrt wären. Aber weit mehr verwunderte sich die Kriegsräthin, als sie erfuhr, Herr van Asten habe einen angesehenen Vater, den Principal des alten Handlungshauses in der Spandauer Straße. Weil er jedoch zu der jungen ästhetischen Schule halte, die man Romantiker nennt, habe er sich mit seinem Vater überworfen, und sei aus dessen Hause gezogen, und nehme keine Unter¬ I . 14 stützung von ihm an, sondern er habe sich vorgesetzt, sich selbst fortzuhelfen. So knapp es ihm gehe, schlage er sich durch, und es könne ihm Niemand etwas nachsagen, als daß er stolz sei und Andere nicht in seine Angelegenheiten blicken lasse. Die Kriegsräthin sah den jungen Mann schon ganz anders an, als er zur ersten Stunde kam. Er hatte neben dem feinen Rock auch ein feines Wesen. Nur gefiel es ihr auch heute nicht, daß er die Adel¬ heid so viel sprechen ließ und selbst wenig sprach. Sie nahm sich vor, nachher ihre Tochter zu rügen, daß sie ihre Unwissenheit so blos gegeben, aber wie war sie verwundert, als van Asten sie beim Fort¬ gehen versicherte, daß Adelheid weit mehr aus sich heraus wisse, als er geglaubt, und daß sie sich selbst am besten unterrichten werde. Der Lehrer brauche nur wenig hinzuzuthun. Und wie unbefangen reichte sie ihm beim Ab¬ schied die Hand: „Auf Wiedersehn, Herr van Asten.“ Das schien der Mutter gegen den Respect und nicht schicklich. Adelheid sah sie aber groß an: „Wenn ich ihm nun gut bin, soll es sich nicht schicken, daß ich ihm die Hand schüttele!“ Die Stunden hatten ihren Fortgang und Adel¬ heid reichte jedes Mal beim Abschied dem Lehrer die Hand, als an einem schönen Tage die Obristin mit ihren Nichten vorfuhr, und die Mutter oder Adelheid auffordern ließ, mit ihnen einen kleinen Abstecher in's Freie zu machen. Die Kriegsräthin entschied auf der Stelle für Adelheid. Mutter und Tochter wechselten jetzt die Rollen, indem die letzte fragte, ob es sich auch schicke, während die erste sagte, wenn ihre Toch¬ ter ein Vergnügen habe, sei es als ob sie selbst es genossen, und was sie denn für Bedenken haben könne? Als Adelheid am Abend zurückkehrte, waren alle Bedenken verschwunden. In der Aufregung der Freude flossen ihre Lippen über. Liebenswürdiger konnten Nichten und Tante nicht sein. Wie an¬ muthig war die Unterhaltung geflossen während der Spazierfahrt, wie rasch der Wagen dahin gerollt durch den Thiergarten. Als sie nach Hause fuhren, hatten die Nichten sie so dringend gebeten, einen Augenblick bei ihnen hinaufzuspringen. Die Tante meinte, es sei noch nicht alles eingerichtet. Aber die Nichten sagten: „Chère tante, sie muß doch dein rothes Shawl sehen.“ Und oben die Zimmerchen, es war so niedlich und fein, wie sie es nie gesehen, man fühlte den Fußboden nicht, solche weiche Decken lagen, und Sophas an allen Wänden, und schwere bunte Gardienen machten die Stuben dunkel, daß sie vor der Zeit Licht anzünden mußten. Keine Talg¬ lichte, sondern eine Lampe mit gedämpftem Glase, die an der Decke hing. Da hätte das Zimmer erst wunderbar schön ausgesehen. Leider war der Schlüssel verlegt zum Kasten, wo das rothe Tuch lag, und die Tante hatte gemeint, sie müsse es zuerst ein Mal bei Tage sehen, weil die Farben bei Licht ganz andere würden. Auch war ein Besuch gerade eingetreten, 14* ein vornehmer Herr, vor dem es doch nicht schicklich war, Toilette zu machen. Der Herr hatte ihr zuerst nicht sehr gefallen, er war klein und hüftenlahm und ging an einem Stock, der ihm als Krücke diente. Auch sein geröthetes Gesicht mit vielen Pickeln, war häßlich. Aber sie hätte bald auch da eingesehen, wie der Schein trügen kann. Er war ein Kammerherr vom Hofe, der Herr von St. Real, den sie schon nennen gehört, der eine gelegentliche Vorfuhrvisite bei der Obristin machte. Er war die Artigkeit selbst gegen die Damen und auch gegen sie. Er sprach so fein und verbindlich, wie sie noch keinen Herrn sprechen gehört, und schien alles zu wissen, denn er Iächelte fein zu allem, was sie sagte, und machte dann eine Bemerkung, woraus sie sah, daß er die Sache kannte. Sie hatte nie geglaubt, daß die vornehmen Herren so freundlich gegen Bürgerliche wären. Er hatte sich erkundigt, ob sie Klavier spiele und singen könne, und was ihre Lecture sei, was sie zuerst nicht verstanden. Dann hätte er ihre Eltern sehr gelobt, daß sie ihr keine Romane in die Hände gäben, denn das sei alles nicht wahr, was darin stehe, und verwirre die Phantasie. „Und denkt Euch, fuhr sie auf, er kennt auch Herrn van Asten! Denn er fragte, bei wem ich Unterricht hätte? Und als ich ihn nannte, sagte er, er hätte von ihm gehört, daß er ein sehr verständiger junger Mann wäre. Und den Beweis sähe er jetzt vor Augen. Ich wurde roth. Aber er fuhr fort, das Gute komme doch wohl nicht alles vom Lehrer, sondern das Beste von den Eltern. Ich war wie übergossen, als er Deinen Namen nannte, Väterchen, und in meiner Verlegenheit fragte ich ihn, ob er Dich denn kennte? Ich selbst habe nicht die Ehre, antwortete er, aber der Name ihres Herrn Vaters ist bei Hofe wohl bekannt und sehr gut angeschrieben.“ Sie sprang auf, und fiel dem Vater um den Hals: „Väterchen, man kennt Dich bei Hofe!“ Die Mutter wischte eine Thräne aus dem Auge. Der Vater meinte, man müsse auch nicht alles glau¬ ben, was die Leute uns in's Gesicht sagen. Nachher hatte sich der Kammerherr empfohlen, so höflich und fast respectvoll, daß sie sich wieder ge¬ schämt, denn gegen die Nichten war er gar nicht so fein. Er hoffe sie ein andermal wieder zu sehen, und die Obristin hatte gesagt, das solle nächstens geschehen, auf eine Tasse Chocolate, wenn ihre Woh¬ nung erst ganz in Ordnung sei, und darauf war sie mit dem Kammerherrn fortgefahren, in die Oper. Ein Bediente sollte Adelheid nach Hause bringen, aber die Nichten hätten es sich nicht nehmen lassen, sie selbst zu begleiten. Der Rückweg sei nun nicht so angenehm gewesen, denn sie wären oft angesprochen worden von unverschämten jungen Männern. Aber die Nichten hätten sie schön zurecht gewiesen: „Schä¬ men Sie sich nicht, anständige Damen zu attaquiren!“ Da hätten die Herren gelacht, aber die Nichten hätten sie um Gottes Willen gebeten, es der Tante nicht wieder zu sagen, denn sie würde sehr böse sein, weil sie die Adelheid wie ihren Augapfel liebte, aber sie hätten es ja auch nur gethan, weil sie sie noch mehr lieb hätten. Die Adelheid hatte in ihrer Aufregung und ihrer Freude, daß ihr Vater bei Hofe bekannt sei, das Haus und die Straße vergessen. So wußte man noch immer nicht, wo die Frau Obristin wohnte. Vierzehntes Kapitel. Auch eine Idylle . Der Minister saß in seiner Laube. Die Laube hatte die Aussicht auf den sehr großen Garten, von dem nur der kleinere Theil von Gärtners Hand in Blumenbeete und Weingelände geordnet war. Auf durchschnittnen Wiesen weideten Kühe mit Schweizer¬ geläut. Vor dem Minister stand ein Tisch mit Akten und Schreibzeug. Neben ihm saß die Frau Ministerin. Der Minister saß in einer hellen linnenen Jacke, und groben Haus- oder Gartenschuhen. Das Akten¬ stück lag schon lange aufgeschlagen vor ihm, die Dinte in der Feder war eingetrocknet, und der Kanzleibote hinter der Laube wartete eine halbe Stunde auf die Unterschrift des Citissime — denn der Minister horchte, den Kopf im Arm, auf das Schweizergeläut. Die Ministerin, in einem so einfachen Haus¬ kleide, daß man sie für eine einfache Bürgerfrau ge¬ halten hätte, wenn nicht ihre Haube mit Brüsseler Spitzen besetzt gewesen, und ein Mullumwurf den bloßen Hals bedeckte, strickte eifrig. Sie strickte blau wollene Strümpfe, und erzog ihre kleinen, die an der Laube spielten. Wenn sie sich mit Sand warfen, sollte sie den Streit schlichten, und doch dabei auch auf die älteste Tochter horchen, die auf ihrem Knie Vossens Louise ihr vorlesen mußte. Das Kind kam mit den Hexametern selten zurecht und gähnte oft. Der Minister richtete respirirend den Blick auf¬ wärts nach den reifenden Trauben am Laubendach. „Du hast wohl recht schwer zu arbeiten, sagte die Ministerin. Du solltest Dich schonen.“ „Mir war es eben, als wäre ich noch in Flo¬ renz. So schwebten auch die Trauben von unsrer Veranda. Und dieser Wiesenhauch! Als wehte es von Fiesole her, und der Arno plätscherte unter mir.“ „Ich weiß nicht, ob mir nicht dieser Heugeruch lie¬ ber ist als der Duft der Orangen. Ist es überhaupt Recht, daß Du so oft dahin zurückdenkst? Solche Vergleiche stören die Heiterkeit der Seele. Wir sind doch ein Mal in diesem Lande, es ist auch hier schön, und wir sind zufrieden und glücklich, und —“ „Und, fiel er ein, ihr die Hand reichend: Süße heilige Natur Laß uns gehn auf deiner Spur, Leite uns an deiner Hand Wie ein Kind am Gängelband.“ Die Ministerin accompagnirte die Stollbergschen Verse durch eine stumme Lippenbewegung, indem sie andächtig in die Luft schaute. Dann zählte sie die Maschen, sie hatte eine verloren. Der Kanzleidiener räusperte sich umsonst. Das Ehepaar war in sein stilles Glück versunken, und in Betrachtungen, warum Leopold Stollberg katholisch geworden. Die Frau Ministerin wußte diesmal nicht, wa¬ rum der Minister respirirend schwer den Blick nach den Trauben gerichtet; warum er das Citissime drei Mal durchlesen hatte, ohne zu wissen, was darin stand; warum er wie ein Träumer auf das Schwei¬ zergeläut hörte; kurz, warum er in der elegischen Stimmung war. Vor einer Stunde hätte man ihn in seinem Ar¬ beitszimmer in einer ganz andern gefunden. Eine Nachricht hatte ihn aus seiner Ruhe gebracht. Er hatte laut für sich gerufen: „Dann ist Alles aus! Dann gehn wir Alle unter!“ Er hatte — nach seinem Kammerdiener und Jäger geschellt: „Anspannen und Ankleiden!“ Er wollte an den Hof fahren, selbst der Majestät die dringendsten Vorstellungen zu Füßen legen. Er hatte schon die Hofbeinkleider an und der Kammerdiener nestelte die Schnallen, als er ihn wie¬ der hinaus schickte; er wollte sich einen Augenblick ausruhen. Auf das Sopha sich niederlassend, löste er unwillkührlich die Bundschnalle. Es war so heiß! „Wozu sich denn auch persönlich den Aerger bereiten!“ Es wäre doch möglich, daß er mit dem Könige an¬ einander gerieth. Das fruchtet ja zu nichts! Er konnte schriftlich seine Gründe aufsetzen, warum der Mann, dessen Name ihn so erschreckt, nicht zum Minister tauge. Er hatte wieder geklingelt, und der Kammer¬ diener ihn entkleiden müssen. „Und die Equipage, Excellenz?“ — „Ausspannen!“ Der Secretair hatte die Schreibmaterialien zurecht legen müssen, der beste und fertigste Copist in Bereitschaft stehen. Der Co¬ pist hatte eine Stunde mit eingetauchter Feder bereit gestanden, es standen aber erst zwei und eine halbe Zeile auf dem Conceptbogen. Der Minister saß auch gar nicht mehr am Schreibtisch, er saß zurückgelehnt auf dem Sopha. „Entweder es ist, oder es ist nicht, dachte Seine Excellenz. Wenn es nicht ist, so ist es gut, wenn es ist, so ist es vielleicht auch gut, — gähnte er, von der Hitze im Zimmer übermannt — dann ist doch das Ende vom Liede, daß wir unsere Entlassung nehmen müssen.“ Weshalb sich für diese Eventualität noch mit einem schwierigen und kitzlichen Memoire be¬ fassen, es kann der Griff in ein Wespennest werden, und an stechenden Insecten fehlte es ohnedies nicht. Eine unverschämte Bremse schwirrte unermüdlich um seine heiße Stirn. Der Secretair hatte sich lächelnd von der Thür, an der er gelauscht, an sein Pult begeben, und der Copist auch lächelnd seine Feder ausgewischt, als man den Minister endlich sah, mit dem Battisttuch sich Luft wedelnd, ins Freie begeben. Beim Durchgehen hatte er verordnet, die Akten ihm in die Laube zu tragen. Die stille Scene glücklicher Häuslichkeit, in wel¬ cher die Sorgen von vorhin schon verschwunden schienen, hatte aber noch einen Beobachter. Der Ge¬ heimrath Bovillard stand unfern von dem Eingang der Laube, den Hut im Arm, und die Arme gekreuzt. Eine Pause benutzend, trat er mit einigem Ge¬ räusch vor: „Sie haben uns wohl belauscht, lieber Bovillard, sagte die Ministerin. Das ist nicht recht; wer zur Familie gehört, der muß nie zu stören fürchten.“ Er wollte ihre Hand an die Lippen führen, sie zog sie unwillig zurück: „Wir sind Deutsche. Einen ehrlichen Handschlag.“ „Ich bewundere Ihren Fleiß Excellenz.“ Der Handschlag war weit sanfter als den der Ge¬ heimrath neulich Abend mit dem Rittmeister tauschte. „Häusliche Angelegenheiten, sagte die Excellenz, gehen der Freundschaft vor. Halte mir mal Deinen Fuß her, lieber Christian!“ Sie probirte den Strumpf am Fuße des Mi¬ nisters: „Sie lächeln wohl über mich, Bovillard. Das genirt mich aber gar nicht. Ehe wir's uns versehen, kommt der Winter ins Haus, und da muß eine gute Hausfrau bei Zeiten gesorgt haben. Setzen Sie sich, und plaudern mit meinem Mann von Staats- und gelehrten Dingen, ich werde Sie nicht stören.“ „Und keinen Handschlag für mich?“ sagte der Minister, seine Hand über den Tisch ihm entgegen haltend! „Frauendienst geht vor Herrendienst.“ Der Geheimrath nahm mit anscheinender Behag¬ lichkeit Platz auf dem Gartenschemel. Lieber hätte er in einem Fauteuil gesessen. „Ach wer auch eine Frau hätte, die uns Strümpfe strickte!“ „Ist Ihre Schuld, Bovillard. Warum haben Sie nicht wieder geheirathet?“ „Wo jetzt Frauen finden, die wie Excellenz nur für das Glück ihres Mannes leben.“ „Wenn man sie suchte, würde man sie schon finden.“ „Alles will jetzt ästhetisch sein.“ „Und Sie, wenn Sie eine Frau hätten, die Ihnen Strümpfe strickte, würden französische Spott¬ verse auf sie machen. Im Ernst, Geheimrath. Bes¬ sern Sie sich ein Bischen.“ „Soll ich katholisch werden, wie Graf Stollberg? Wenn Excellenz befehlen tout à vos ordres .“ „Pfui über den Spötter und Atheisten! Da sitzen sie nun wieder mit dem Rücken gegen die Natur.“ „Ich kann Excellenz doch nicht den Rücken kehren.“ „Sinn für Häuslichkeit einem so eingefleischten Admirateur der französischen Literatur beizubringen, müssen wir wohl aufgeben, aber rührt Sie denn gar nicht die Natur, hat nie eine Nachtigall Sie ergriffen?“ „Nein, Excellenz! Aber ich hätte beinahe mal eine ergriffen. Sie flatterte nur wieder fort.“ „Incorrigibler Flattergeist! Sehn Sie, meine Angelique laß ich Vossens Louise lesen, und freue mich wie das Kind immer mehr Sinn dafür bekommt.“ „Ach wer wieder ein Kind werden könnte!“ „Und wer kein Staatsmann geworden wäre! seufzte der Minister. Ich war eigentlich zum Herrn¬ huter geboren. Warum mußte man mich hinausreißen an die Höfe, ins Feld der Intriguen. Ich hätte ein Vater unter meinen Unterthanen gelebt, sie beglückend, selbst beglückt.“ „Und nun beglücken Excellenz ein ganzes Volk. Voilà la différence !“ „Das mich verunglimpft, weil ich — solche gute Freunde habe.“ „Wir wollen uns Alle bessern, Excellenz! Diese Laube sei der Tempel der Tugend, wo wir ihr Ge¬ horsam geloben, und die Frau Ministerin die erha¬ bene Priesterin, welche unsre Schwüre empfängt.“ „ A propos , hub die Ministerin an, wissen Sie denn den Vorfall von gestern bei Hofe?“ Der Geheimrath kannte ihn noch nicht. „Der König und die Königin hatten eine Land¬ partie verabredet, nach Pichelswerder. Sie laden die alte Voß ein, daran Theil zu nehmen. Aber ganz ländlich heißt es. Wird das unsrer lieben Gräfin auch anstehen? Sie fühlt sich unendlich geehrt, an einem Vergnügen Theil zu nehmen, was Ihro Ma¬ jestäten nicht verschmähen, und in voller Galla rauscht sie die Treppen hinunter, worüber die Majestäten schon kaum ihre Lust zurückhalten. Denn mit Schrecken sieht die Gräfin die Mütze des Königs, und die Kö¬ nigin in dem Morgenrock, der ihr so reizend steht. Aber unten im Charlottenburger Hofe! Was steht vor der Thür? Ein Leiterwagen mit Stroh! — Sie fragt nach der königlichen Kutsche? — Dies ist sie, sagt der König, wir werden uns etwas behelfen müssen, ländlich, sittlich. Die alte Voß ist erstarrt, aber noch entsetzter, als sie sieht, wie der König die Königin hinaufhebt. Die andern Hofdamen helfen sich selbst. Der König bietet endlich der alten Dame seine Dienste an, aber sie erklärt feierlich: so lange sie ihr Amt als Ober-Ceremonienmeisterin nicht ver¬ wirkt oder verloren, werde und könne sie sich dazu nicht entschließen. Und, setzte sie hinzu, wenn ich auch so unglücklich wäre, darüber die Gnade Ihro Majestäten zu verlieren! — Der König sagte freundlich: „Um des Himmels willen, liebe Voß, wenn Sie nicht mitwollen, bleiben Sie zurück, aber meine volle Gnade bleibt bei Ihnen. Und hinauf sprang er und der Wagen rollte fort.“ Der Geheimrath schnalzte auf: „ Délicieux ! die alte Voß allein am Thor wie die Henne am Teich!“ „Ich glaube Comteß Laura, fuhr die Ministerin fort, und zog ihren Strumpf — ich glaube, die hat auch nicht sehr vergnügte Mienen auf dem Leiterwagen gemacht. Es ist erschrecklich, welche Airs sie sich giebt.“ „Ich finde sie nicht mal schön,“ sagte Bovillard am Halstuch zupfend. Er fand sie nicht schön, weil auf dem Gesicht der Ministerin etwas stand, was ihm sagte, daß die Ministerin eine solche Findung wünschte. „Sie fischt ihn auch nicht weg,“ sprach der Minister. „Und wenn, meine weise Herren — fiel die Ministerin ein, was hätten Sie gewonnen! Hat sie den Esprit, um ihn zu gouverniren? So wenig als die Fromm, die Pauline, und die andern. Er ist zu impetuös. Ueberdies, erlauben Sie mir, ich finde es von so klugen Leuten unverantwortlich, eine solche Person in ihre Confidence zu ziehen.“ Der Minister meinte, sie hätte wohl neulich beim thé dansant zu scharf gesehen. Als Frau sei die Comteß ein gutmüthig Geschöpf. „Daß sie sich mir da vordrängte, will ich ihr vergeben haben, sagte die Ministerin, sie hat keinen Takt; aber ich bitte Sie, wenn auch Comteß Laura sich unterstehen will, das Mulltuch um den Hals zu binden, wie unsre tugendhafte Königin, so finde ich das rebutant, ja geradezu rebutant, meine Herren, und ich wenigstens mit meinem schwachen Verstande begreife nicht, wie man das hingehen lassen kann. Aber die Herren werden wohl Gründe dafür haben. — Die Herren haben auch zu sprechen, was ich nicht hören soll, setzte sie, das Strickzeug weglegend, hinzu, und ich will Sie nicht stören. Aber das sage ich Ihnen, ich bin keine Freundin von Intriguen. Schlicht und grad, damit kommt man am weitesten. Geben Sie es auf, den Prinzen einzufangen. Er bricht durch alle ihre Netze. Und was hätten Sie am Ende ge¬ fangen! Er hat eine Partei, aber diese Partei wird nie an's Ruder kommen, so lange er und der König ihre Natur nicht changiren, und die klugen Herren klug handeln. Umstellen Sie Seine Majestät, sein Sie auf der Hut, daß keine zweifelhafte Person in seiner Nähe sich festnistet, lassen Sie ihm alle Extravaganzen des Prinzen zu Ohren kommen, auch immerhin seine genialen Streiche, die in einem ge¬ wissen Publikum so viele Bewunderer finden. Desto besser, der König kann nun einmal geniale Streiche nicht leiden. Das Uebrige macht sich dann von selbst.“ Der Minister hatte seine Gemahlin umarmt: „Mir aus der Seele gesprochen. Nichts von Intri¬ guen! Den geraden Weg.“ Der Geheimrath und der Minister hatten aller¬ dings ein Geschäft. „Excellenz hatten die Eingabe vor sich, wie ich zu sehen glaubte,“ sagte der Geheimrath als sie durch ein Weinspalier gingen, wo der Minister die Trauben mit Lust befühlte, und weit mehr Lust zu haben schien, ein naturhistorisches Gespräch zu führen, als über die Angelegenheit, um die der Begleiter gekommen war. „Und gelesen, seufzte der Minister, als er nicht mehr ausweichen konnte. Aber ich bitte Sie, Freund, Sie lasen sie doch auch.“ „Ich finde die Angelegenheit sehr klar dargestellt.“ „Ja, klarer kann es kaum sein, daß man die Gefangenen beschwatzt hat, etwas zu unterschreiben, was ein handgreifliches Märchen ist. Sie attestiren, daß sie unter sich, in der Freude ihres Herzens zur Vorfeier des königlichen Geburtstags einen ungebühr¬ lichen Lärm gemacht, daß sie dadurch den Voigt in ihr Gefängniß gelockt, daß sie die Thür hinter ihm verschlossen, und ihn gezwungen, an ihrem Gelage Theil zu nehmen, bis es ihm zu arg geworden. Ich bitte Sie, was constirt denn selbst aus dieser Er¬ zählung? Selbst wenn die Fabel Wahrheit wäre, hat ein Mensch, der so wenig seine Autorität zu erhalten weiß, sein Amt verwirkt. — Wer ist dieser Herr v. Wan¬ del? fragte er mit verändertem Tone. Warum inte¬ ressirt sich dieser Legationsrath so lebhaft für die Sache?“ „Es ist nicht die erste, Excellenz.“ „In die er sich mischt. Ich weiß es. Er tritt auf wie der „Alte überall und nirgends.“ Diese Ge¬ flissentlichkeit, sich in Dinge zu mischen, die ihn nichts angehen, gefällt mir nicht!“ „Was kann er davon haben, daß Lupinus los kommt? — Excellenz halten ihn für einen Aventurier. Aber er spielt nicht, macht keinen übermäßigen Auf¬ wand, er beschäftigt sich mit den Naturwissenschaften.“ „Darum kommt man wohl jetzt nach Berlin! Darum drängt man sich in alle Gesellschaften, macht den Affairirten, weiß um alle Secrets, macht sich bei Prinzen und Damen beliebt, spielt hier den Weisen, dort den Liebenswürdigen, und für uns Alle den Räthselhaften.“ „Er ist ein Mann des Friedens,“ lächelte Bo¬ villard. „Aber unseres Friedens! Er ist zu klug, um I . 15 zu schwärmen, also was will er? Ich liebe nicht die räthselhaften Menschen. Wäre er nur ein Kund¬ schafter, ein Agent von Napoleon oder Kaiser Alexander, von wem es sei, gleich viel, ich wüßte mich mit ihm zu stellen, aber der Abgesandte einer unbekannten Puissance, der hat etwas — bleiben Sie mir mit ihm vom Halse, ich gestehe, mir wird unwohl, wenn ich in das gläserne Gesicht sehe. Bovillard lächelte nicht, er erlaubte sich zu lachen: „Excellenz! er ist ein Schwärmer. Zudem ein Phi¬ losoph. Er hat ein System. Männer mit Ideen pflegt keine Puissance zu Spionen zu wählen.“ Der Einwand frappirte den Minister: „Jeden¬ falls muß man mit solchem Menschen vorsichtig sein.“ Er blieb am Ausgange der Wein-Allee stehen: „Bovillard, wozu denn der Embarras, um einen Menschen zu retten, der sein Schicksal verdient hat! Seine Din é s sind doch, dünkt mich, zu ersetzen.“ „Excellenz, ein Ring heraus und eine Kette ist entzwei. Seine Familienverbindungen!“ „Man darf nicht schonen, wo es an den eigenen Ruf geht. Sie haben es nicht zu vertreten, aber ich, wenn es am Hofe heißt: das ist Einer von der Lom¬ bardschen Klicke! Grade wenn wir ihn springen lassen, befestigen wir unseren Ruf.“ „Er hat mir so aufrichtig Besserung gelobt.“ Der Minister sah ihn mit kaum unterdrücktem Lächeln an. „Und dann der König! Es geht nicht, er ist diesmal selbst Partei!“ „Ich weiß, ich weiß. — Indessen sollten Excellenz — ich meine, wenn Sie sich der Sache annehmen wollten , wenn Sie das Loos der armen Kinder des Geheimeraths mit aller Ihrer Humanität er¬ wögen, sollte es Excellenz nicht möglich sein, vor der königlichen Huld und Gnade die Sache in einem Lichte — aber — mein Gott wie schön ist die Aus¬ sicht! Welch ein wunderbares Licht!“ Sie waren aus dem Weingang in's Freie ge¬ treten, und der Geheimerath blieb wie verloren in der Anschauung stehen. Ein Eisen muß man schmieden, wenn es heiß ist, aber an eine Thür, die man ver¬ schlossen findet, nicht klopfen bis das Haus in Auf¬ ruhr geräth. Wenn man wartet, öffnet sie sich wohl von selbst. „In dieser Verdure glaubt man doch die Alpen¬ frische wieder zu sehen. Wie geschickt Excellenz die Stadtmauer da mit Gebüsch versteckt haben.“ „Der Garten war sehr morastig, sagte der Mi¬ nister, als ich das Grundstück kaufte, es war mein Vergnügen, das Wasser in Gräben zu leiten, die sich aber wie natürliche Bäche schlängeln. Hält man die schilfigte Krümmung dort wohl für gegraben?“ Der Geheimerath fand, die Lorgnette im Auge, nichts als Natur: „Da auch Mummeln im Teich — ich wollte sagen in dem kleinen See. Il faut avouer, que c'est plus qu'imiter la nature. C'est la nature prise sur le fait.“ Er wollte sich auf einen abgehauenen Baum¬ 15* stamm am Ufer des künstlichen Baches stellen, um sich im Wasser zu spiegeln. Der Minister hielt ihn am Rockschooß zurück: „Um Gottes Willen, er kippt über. Mein Gärtner hat ihn erst heut Morgen aus Treptow eingefahren.“ „En verité! sagte der Geheimerath, die Täuschung ist mir lieb, denn ich wollte schon mit Ihnen zürnen, einen solchen Kernbaum umzuhauen!“ „Wo sollte ein Baum von solchen Dimensionen auf diesem Boden fortkommen, entgegnete der Mi¬ nister, über die Täuschung doch nicht ganz unzufrieden. Wenn ich auf etwas mir zu Gute thue, ist es nächst meinem Weinbau, von dem Sie ja wohl schon ge¬ lesen haben werden, setzte er lächelnd hinzu, auf meine Kühe. Es ist holsteinische Zucht. Beyme will in Steglitz auch den Versuch machen, ich zweifle aber, daß sie ihm fortkommen. — Und mit welchen Vor¬ urtheilen ich zu kämpfen hatte! Zwei Kuhhirten mußte ich entlassen. Der eine hielt das Schweizergeläut den Kühen für schädlich! Wohin sehen Sie dort?“ „Was ist das blendende Weiß da?“ „Meinen Sie das Stückchen Stadtmauer, worauf die Sonne scheint. Der Theil ist neu geweißt.“ „Sollt' ich mich so getäuscht haben! — Richtig! Sie springt da grade über die Büsche. Wissen, Ex¬ cellenz, es ist eine Thorheit — aber die Phantasie geht oft mit uns durch — in dem Augenblick dacht' ich an Schnee. Man könnte der Illusion zu Hülfe kommen. Ich meine —“ Der Minister fiel ein, er sei kein Freund der Spielereien im Wörlitzer Styl: „die Natur und nichts als die Natur! Da hatte ich auch einen Wasserfall angelegt, ich habe aber die Steine wieder heraus¬ nehmen lassen. Man erreicht weder ihre Größe, noch ihre Einfachheit.“ Der Geheimrath empfand in dem Augenblick eine unangenehme Berührung auf dem Rücken. Der Minister zückte sogar schmerzhaft zusammen, denn eins der Kieselsteinchen, mit denen beide beworfen wurden, hatte ihn in dem Nacken getroffen. Fünfzehntes Kapitel. Von Urmenschen und grossen Menschen im Schlafrock . „Verfluchter Junge! entschlüpfte es ihm, indem er sich umdrehend die Hand erhob. Jean, oder warst Du es, Jacques! Du siehst doch, ich bin nicht allein.“ Statt der Antwort flog ein neuer Steinhagel. Er kam aus den Aesten einer der Ulmen, die in einiger Entfernung durch ein seichtes Wasser von ihnen getrennt in einer Gruppe Buschwerk standen. Bovillards Lorgnette entdeckte in den Aesten einen der Knaben des Ministers, einen andern am Ufer als wilder Mann costumirt. Dieser schrie, auf seine Keule gestützt, in unartikulirten Tönen, deren leicht verständlicher Sinn war, daß sie Riesen oder Wald¬ menschen wären, denen dieser Wald gehöre, und daß kein Fremdling aus der feigen, schwächlichen Menschen¬ race sich in ihr Territorium ungestraft verirren dürfe. „Da werden wir wohl unterhandeln müssen, lieber Bovillard.“ „Ah, Dero Herren Söhne — spielen Ritter“ „Die Passion ist vorbei, sie wollen nichts als Menschen, Urmenschen sein. Na, Jean Jacques, sagt, was wollt Ihr denn von uns?“ „Jean Jacques! Sind ihnen ihre Taufnamen Hugo und Busso nicht urmenschlich genug?“ „Eine Passion meiner Frau.“ Der Minister verneigte sich: „Also Ihr großmächtigen Herren der Insel und Gebietiger des Waldes, was for¬ dert Ihr von uns armen Menschenkindern, damit wir unter Eurer Gnade einen ungehinderten Durch¬ weg haben.“ Während die Knaben dies „freche Ansinnen,“ wie sie es nannten, in Ueberlegung ziehen wollten, und dazu der eine Waldmensch vom Baume herab¬ rutschte, hatte Bovillard Zeit die Insel zu betrachten, von deren Existenz er noch nichts wußte. Sie war sichtlich erst vor kurzem gegraben, so wie die künst¬ liche Höhle aufgeschüttet von Erdreich, Aesten und Moos mit rohem Tisch und Bänken, und ein schad¬ haftes Bärenfell, das am Eingang hing, verrieth an seiner Furnitur, daß es von irgend einem Lieb¬ habertheater stammte. Der Riese, indem er den Blätterkranz auf der Stirn zurecht rückte, während der Andere das Bären¬ fell auf die Erde breitete und sich in malerischer Po¬ sition hinwarf, stellte nun in einer schwulstigen Knaben¬ rede an die jämmerlichen Wichte und elenden Creaturen der Civilisation seine Forderungen und Vorstellungen: daß sie, die auf Lotterbetten lägen und den Gaumen kitzelten mit feinen Weinen und Speisen, ihnen, den Waldmenschen, die auf Wurzeln schliefen und von Eicheln lebten, ihr Trank das klare Quellwasser, ihr Becher die Hand, nicht einmal ihr letztes Asyl, die Waldwildniß gönnten. Wohl kennten sie, die Ur¬ menschen, die Arglist ihrer Verfolger, die ihnen die Erde entrissen, und sie wilde Männer schälten, und daß sie nur kämen, um sie auszukundschaften und durch gleisnerische Worte zu betrügen. Eigentlich sollten sie nun zu ihrer Rettung die verrätherischen Spione der Culturmenschen vernichten, aber die Wald¬ menschen wären großmüthiger, sie wollten ihre Hände nicht mit ihrem Blute besudeln, denn Allvater rausche in den Eichen über ihnen: Laßt sie noch diesmal laufen! Darum möchten sie noch diesmal laufen, mit geduckten Köpfen, die Hände auf dem Rücken, laufen, was sie könnten, denn wenn sie bis zwölf gezählt, würden sie Felsstücke auf ihre Schädel nach¬ schleudern. „C'est bien joli!“ sagte der Geheimerath und klopfte den Staub von den Füßen, als sie außer Athem die Büsche erreicht. „Ein prächtiger Junge!“ „Aber wie kamen Sie auf die Idee?“ „Ganz ihre eigene. Das ist es eben, was mich freut. Auf einem Spaziergange im Thiergarten sprach meine Frau beim Anblick der Urne auf der Rousseau-Insel einige gefühlvolle Wort e . Die Jun¬ gen schnappten es auf; wir mußten ihnen erklären, wer Rousseau gewesen, es kam dazu, daß sie vor Kurzem den Robinson gelesen — kurz die Jungen wollten als Einsiedler auf einer Insel leben. Sie glauben nicht, mit welchem Scharfsinn sie argumen¬ tirten. Wir riskirten, daß die Kinder uns eines Morgens fortliefen und nach der Rousseau-Insel wateten. Um den Scandal zu verhindern, ließ ich ihnen diese hier graben. Es gab eine angenehme Beschäftigung, und jetzt muß ich wirklich ihre Per¬ severence admiriren, mit der sie sich auf der Insel — „Ennuyiren,“ fiel der Geheimerath ein. Es trat eine Pause ein. Der Minister hub wieder an: „Ich gebe Ihnen zu, Bovillard, wir er¬ scheinen als Kinder, indem wir dies unterstützen. Ich gebe Ihnen noch mehr zu, meine ganze in einer großen Stadt hervorgezauberte Ländlichkeit ist auch nur ein Kinderspiel; wer aber hielte es aus ohne ein Spiel der Phantasie! Nur darin ist der Unter¬ schied, daß die Einen es wie ein joujou de la Nor¬ mandie in die Hand nehmen, um es aufzurollen und wieder fallen zu lassen. Wir Andere vertiefen uns, glücklich wenn wir in dem Spiel uns selbst vergessen.“ „Die Tiefe Ihrer Sentiments, Excellenz, wird Ihnen Niemand abstreiten.“ „Sagen Sie lieber Innigkeit, Zärtlichkeit, wie Sie wollen. Ich empfinde es tiefer als Viele, was uns Alle abmattet. Wie es um uns her grau ist, ab¬ gelebt aussieht, wie auf einem Stoppelfelde! Was ging nicht unter! Unsere Adelsherrlichkeit, unsere Schlösser und Burgen! Der Lüstre unserer Salons! Das heilige Römische Reich folgte unserem Glauben an seine Herrlichkeit. Was ist unsere Philosophie, unsere Gelehrsamkeit, selbst unsere Poesie und Lite¬ ratur, die kaum aufgeblühten, die kaum das Aus¬ land zu observiren schienen — ils sont passés ces jours de fête, denn selbst dem vergötterten Schiller zupfen die jungen Romantiker seine Schwanen¬ federn aus.“ „Excellenz ein anderer Matthisson! Elegieen auf die Ruinen einer verfallenen Welt!“ „Durchrieselt uns nicht Alle das Gefühl eines inneren Zerfalls der Dinge! Unsere Cultur, unsere Industrie, Politik, vielleicht selbst unsere Population, alle zu weit getrieben, schmachten nach einer Re¬ creation.“ „Um Rousseau'sche Ourangutangs zu werden?“ „Rousseau ging zu weit, ich gebe auch das zu. Wie sie in Neapel auf der Lava Weingelände bauen, mögen wir um die Ruinen Gärtchen pflanzen. Das ist unsere Aufgabe. Sehn Sie diese Stadt¬ mauer, wie weit hinaus über das Bedürfniß hat sie Friedrichs colossales Genie gestreckt. Die Häuser kommen ihnen nicht nach, welche immense Massen Ackerfeld liegen darinnen. Nun ist es an uns, die Natur wieder mit der Kunst zu verbinden. So be¬ trachte ich meine Gartenanlagen, der Park vermittelt das Feld mit dem Garten, der Garten, als Gemüse-, Obst-, Ziergarten, den Park mit der Stadt.“ „Ja wer das Vermitteln wie Excellenz versteht!“ „Die Haushaltung unseres jungen Königs, ich gebe auch das ihnen zu, erscheint wie ein zu schroffer Gegensatz gegen die vorige. Auch damals wollte man die Natur, aber es war ein zu voller bunter Blumengarten, ein Gewächshaus mit Tulpen, Nel¬ ken, Lilien, Levkoyen, deren Duft und Farbenpracht uns eblouirte. Mit dem ersten Frost senkten sie die Köpfe und die ganze Herrlichkeit war welk. Was nun natürlicher als daß unser junger Herr es anders anfängt. Er will wieder das natürliche Grün, den Klee, die Wiesenblumen, die keiner Heizung, keiner Glasschei¬ ben bedürfen, die immer wieder aufblühen, auch wenn noch so viel Füße den Rasen zertreten, denn diese Natur ist ewig, diese bescheidene, sich selbst genügende, die nicht prunken will vor der Welt. Dies ist meine Recreation, und sehen Sie, Bovillard, darum ist mir der Hang mei¬ ner Kinder so rührend. Niemand hat ihn eingeflößt, ganz von selbst kehren sie zum Natürlichen zurück. Ich will sie nicht zu Anachoreten und wilden Män¬ nern erziehen. Aber die Jugend muß den Ueber¬ muth abschäumen, ihre Inklinationen klären sich dann von selbst, und als Jünglinge werden sie in edler Einfalt der Sitten das Maaß und die Genügsam¬ keit bewahren, die sie auf dem Pfad der edlen und rechtschaffenen Menschen zu ihrem Ziele führt.“ Durch den Buschweg, den sie nach dem Hause einschlugen, kam ihnen der Kammerdiener mit einem verdeckten Korbe entgegen: „Ah Recreationen, die uns die Frau Ministerin schickt!“ rief Bovillard, der hungrig geworden, und schlug die Serviette zurück. Die frischen Kirschkuchen und das Gel é e in Gläsern blickte ihm nicht unangenehm entgegen, aber der Kam¬ merdiener zog den Korb entschieden zurück: „Ver¬ zeihn Sie, gnädiger Herr, das ist für die Herren Urmenschen auf der Insel. Ich habe mich etwas verspätet.“ „Gedulden Sie sich etwas, lieber Bovillard. Für Ihren Geschmack sind doch nicht diese idyllischen Fruchtgenüsse. Aber ich will Ihnen eine allerliebste kleine Straßburgerin vorsetzen, lächelte die Excellenz. Wenn auch nicht ganz Unschuld, doch sehr pikant, und eben frisch angekommen.“ „Die Damen bleiben doch die Blüthen der Na¬ tur, entgegnete der Geheimrath, ich meine aber die in der Mitte zwischen Gänseblumen und verwelkten Tulpen.“ Bei einer Oeffnung der Büsche hatten die Spa¬ ziergänger einen Blick auf die Rückseite der sogenann¬ ten Insel. Der Kammerdiener hatte auf einer Stange den Erfrischungskorb hinüber gereicht. Die Urmen¬ menschen hielten es für naturgemäß, sich darum zu balgen. Der stärkere stemmte den Kopf gegen den Bauch des andern und hob ihn durch einen gym¬ nastischen Schwung auf die Schultern. Bovillard lachte, der Minister glaubte eine Er¬ klärung oder Entschuldigung geben zu müssen. Die Kinder glaubten nur, es den wilden Thieren nachthun zu müssen, wenn ihnen das Fressen vorgeworfen wird; übrigens liebten sie sich als Brüder und wür¬ den nachher schon gerecht theilen. „Ich lache nicht darüber, mir kam nur eine Scene bei Rietz in den Sinn.“ „Bei Rietz,“ wiederholte der Minister nach¬ sinnend. Um des Geheimrathes Lippen schwebte ein fau¬ nisches Lächeln: „Excellenz werden sich vielleicht noch der Jenny erinnern. Sie sang uns da die Mar¬ seillaise entzückend schön. Während wir klatschten, rief sie mit einem Mal: ça ira ! und mit einem Satz vom Stuhl auf den Tisch. Schenkt ein! rief das delicieuse Wesen, und nur auf einem Zeh schwebend, hob sie das schäumende Glas: Vive la liberté! Ohne einen Tropfen zu vergießen, trank sie's aus. Eine Grazie, wie eine Göttin, wie sie zwischen den Fla¬ schen schwebte, das leichte Mousselinkleid in antiken Falten, der Rosazephyr um ihren Nacken, und ihr Teint von der Freude, vom Wein angeröthet. So tanzte sie, nein es war kein Tanz, es war doch ein Hinsäuseln der ätherischen Freude über die Tafel. Kein Glas fiel um. Die ganze Gesellschaft außer sich, wir mußten ihre Füße küssen.“ Der Minister hatte unwillkührlich den Kopf gesenkt. Bovillard fuhr fort: „Einer unserer verehrten Freunde, erinnere ich mich noch sehr wohl, war so benommen von olympischer Lust, daß er sich die Weste aufriß und das Füßchen an sein pochendes Herz drückte. Darüber verlor die Grazie das Uebergewicht, und ehe wirs uns versahen, um¬ faßte er sie, und trug sie fort.“ Bovillard sah nicht, wie der Minister mit der Hand abwehrend winkte. „Wie die Najade sich schalk¬ haft sträubte, ihr Zephyr flatterte, eine Attitüde Excellenz, ich wünschte, Sie hätten es sehn können. Das war doch ein Jubel, eine Admiration! „Der Sabinerinnen Raub!“ wie aus einem Munde scholls. „Ein leibhafter Johann von Bologna!“ „Was öffnen Sie die Gräber der Vergangen¬ heit, Bovillard! Ich ward ein schlichter Hausmann.“ „War's denn was Böses?“ „Eine Verirrung doch wohl, liebster Freund. Das müssen wir zugeben, aber die edelsten Empfin¬ dungen lagen zum Grunde. Es war mir oft so wie in der Brüdergemeinde. Aller Schein, aller Stan¬ desunterschied, das Drückende unsrer Verhältnisse sinkt wie ein Schleier. Der Bruder- und Schwester¬ kuß drückt das Siegel der Humanität der edlen Gleich¬ heit auf unsre Lippen, und nun fallen mit den Ti¬ teln alle beengenden Rücksichten fort. Man fühlte sich wieder in der Natur, dem Ursprünglichen näher ge¬ rückt, das Herz geht auf, man schließt es unwillkühr¬ lich weiter auf, vielleicht weiter als man sollte — aber es ist ja eben dieser Drang, der uns glücklich macht.“ Der Geheimrath blieb einen Augenblick stehen: „Ich besorge, daß Excellenz an jenem Abend Ihr Herz zu weit aufgeschlossen haben. Die Jenny war ein pfiffiges Ding.“ „Ich wüßte doch nicht —“ „Das glaube ich gern. Der Champagner bei Rietz war immer première qualité . Aber erinnern sich Excellenz, daß damals die hannöversche Geschichte spielte — man schickte einen Courier nach, um eine gewisse Depeche coûte que coûte zurückzuholen. Die Jenny, wenn sie noch lebt, wird das freilich längst vergessen haben, aber — “ „Wem könnte ich sonst —“ „Nicht Excellenz, aber die Jenny. Als Sie nach Hause fuhren, stahl sich Lupinus zu ihr. Ich bin nicht bei ihrer Entrevue gewesen, noch habe ich, Gott bewahre, mein Ohr ans Schlüsselloch gelegt, aber ich weiß nur, daß auch sie von allen beengenden Rücksichten sich frei, sich wieder in der Natur fühlte, dem Ursprünglichen näher gerückt, daß sie ihr Herz auch aufschloß — “ „Dem Lupinus! Pfui!“ „Der Schwesterkuß drückt das Siegel der edlen Gleichheit Allen auf. Ich will auch nicht verschwören, daß nicht die undankbare Schelmin Ew. Excellenz etwas raillirt hat. Der Sillery hatte sie wie gesagt auch animirt, und statt die Mysterien der süßen Stunde in ihrer Brust zu verschließen, machte sie sich über den Minister lustig, der ihr zu Füßen ge¬ stürzt, ihre Knie umfaßt, und geschworen hatte, vor solcher Huld und Grazie etwas Geheimes auf der Brust zu behalten, wäre Sünde. Wie die Sonne die Knospe entfalte, müsse das Herz sich erschließen vor der Schönheit. — Excellenz, solche Geschöpfe sind launenhaft, unberechenbar. Sie hatte sich viel¬ leicht bei den politischen Herzensergießungen etwas ennuyirt. Nun mußte sie gegen den Ersten Besten, den sie sah, auch ihr Herz und ihr Lachen ausschütten. Wie gesagt, was die Jenny betrifft, sie hat alles ausgeschüttet, aber — ich weiß nur aus manchen ge¬ legentlichen Redensarten, daß der Geheimrath manche dieser Reminiscenzen eingeschachtelt hat.“ Es folgte eine lange Pause, in welcher im Mi¬ nister Vielerlei vorging: „Sie sind ein Quälgeist, Bovillard, sagte er endlich. Haben Sie denn keine bessern Gegenstände zu protegiren.“ Mit einiger Emphase sagte der Geheimrath: „Die Tugend und das Verdienst helfen sich selbst fort, das liest man in jeder Erziehungsschrift; den Lumpen aber muß man unter den Arm greifen. Ex¬ cellenz, welch ein süßes Gefühl, so manche Vogel¬ scheuche in Amt und Würden zu sehen! Der ehrbare Bürger bleibt respectvoll stehen und zieht tief den Hut, und wir — wir lachen in uns, wir wissen, welcher Hauch, welche Laune, welcher Zufall sie auf¬ schwellte. Nur den Athem brauchen wir anzuziehen, und sie fallen auf den Müllhaufen zurück, und schrecken keinen Sperling mehr. Es ist eine kleine Erholung dies Protegiren, eine Entschädigung für die saure Aufgabe, unsre besten Kräfte dem Dinge zu widmen, was sie Staat nennen.“ „Ihre Rechnung ist nur nicht ganz richtig, ent¬ gegnete der Minister. Diese Figuranten und Stehauf¬ männer, deren jeder Staat bedarf, bleiben es nicht immer, sie bekommen nur zu oft eignes Leben und eignen Willen, und rebelliren dann gegen die, welche ihre Schöpfer waren. Passons là dessus !“ Sie setzten sich auf eine beschattete Bank, mit der Aussicht auf einen Wiesenplan und das Haus. Ihr Gespräch war noch nicht zu Ende; das fühlte sich von beiden Seiten heraus, wenn gleich jeder den Anfang zu machen scheute. Der Minister saß nach¬ denkend, den Kopf im Arm gestützt. „Bovillard, hub er endlich an, will Ihr Pro¬ teg é sich rächen, vergessene Dinge ausplaudern, so trifft es nur mich! Was ist der Einzelne dem Staat gegenüber!“ „Excellenz, auf der Goldwaage, auf der Lupinus zu leicht wiegt, müßten Viele springen.“ „Und wer sagt Ihnen, daß sie nicht springen werden, — wenn ein Changement eintritt.“ Bovillard sah den Minister groß an: „Nach Lombards Depeschen! Die Radziwill hat sich vor Aerger krank melden lassen, die schöne Princeß Wil¬ helm schreitet wie eine heilige Katharina in stummem Zorn durch ihre Gemächer, die Garde du Corps — was weiß ich, was sie thun. Prinz Louis hat, glaube ich, ein Pferd todt geritten, und bei der Mamsell I . 16 Rahel Levin ein Collegium Philosophicum aus Ver¬ zweiflung sich bestellt.“ „Sind damit Ihre Novitäten zu Ende?“ „Der Einfluß der auswärtigen Mächte ist damit paralysirt.“ „Wer denkt an das! — Im Innern droht der Feind, Bovillard — Stein wird ins Ministerium treten.“ „Der Freiherr von Stein!“ „Stein vom Stein!“ Der Geheimrath war ein Mann, der sich nicht leicht aus der Fassung bringen ließ. Der Minister konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als er sein ver¬ längertes Gesicht sah. „Wer hätte es noch vorgestern erwartet! Man hat dem Könige seine außerordentlichen Verdienste in Westphalen, seine Rechtschaffenheit, seinen graden Sinn, seine hohe Geburt unterbreitet, man hat —“ „Wer?“ „Ein guter Freund von uns, Bovillard. Wer anders als Beyme.“ „Ist Beyme toll?“ „Man sagt, er hätte zuweilen Gewissensscrupel, daß er sich uns so unbedingt anschließt.“ „Die Schrullen vom Kammergericht. Was habe ich mir Mühe gegeben, ihn davon los zu bringen.“ „Es ist mit den Juristen, wie mit Ihren Puppen und Vogelscheuchen, Bovillard. In der Regel sind sie trefflich zu nutzen, wenn man ihr Formelwesen sich zum Panzer ajustirt, wenn sie aber widerborstig werden, sind sie Stacheln in unserm Fleisch. Beyme hat den Vortrag an den König aufgesetzt.“ „Und hinter ihm dictirte —? Wer, bester Freund, könnte unsre Aufmerksamkeit so getäuscht haben! Har¬ denberg?“ „Wird ihn vielleicht nicht grade wünschen, aber noch mehr fürchten, daß er ihn zu fürchten scheinen könnte. Hardenberg ist ein Speculant auf die Zukunft, der sich um deswillen den Genuß der Gegenwart nicht will trüben lassen. Er möchte gern aus der Vogelperspective die Dinge betrachten, um, wenn seine Zeit gekommen, auf seine Beute herab¬ zuschießen. Daß die Zeit jetzt für ihn noch nicht da ist, sieht er ein.“ „Aber wer in aller Welt steckt hinter Beyme?“ „Wir müssen höher suchen. Einer sehr tugend¬ haften Frau am Hofe sind wir nicht tugendhaft genug, lieber Bovillard.“ „ Der wird der Hecht im Karpfenteich,“ rief der Geheimrath. „Ja, wenn er hier agirt wie in seinem West¬ phalen! Ich bestreite durchaus nicht Stein's Verdienste. O, er hat charmant administrirt, was Steine anbe¬ trifft und Wege und Metalle. Nur mit den Menschen hat er eine eigenthümliche Art umzugehen.“ „Der Herr Oberpräsident waren ja ein kleiner König von Westphalen.“ „Und er wird sich hier nicht degradiren wollen. 16 * Ich sehe schon, wie er sein Bureau reformirt; das möchten wir ihm immerhin lassen, aber von seinem Finanz-Castell aus wird Invectiven, Aggressionen, Blitze nach allen Seiten schleudern. Der Hitzkopf kann nun einmal nicht aus seiner Natur.“ „Mit dem feinen Ton unserer Societ é ist's aus. Wie war der Brief an den Herzog von Nassau, an ein regierendes Haupt! Excellenz, ich weiß Geschichten von seiner Grobheit.“ „Ich kenne sie auch und seinen Ungestüm. Er wird mit dem Könige selbst aneinander gerathen.“ „Desto besser!“ „Sagen Sie das nicht, Bovillard. Der König hält allerdings auf seine Würde. Es ist aber eben so möglich, daß er sich in seine Art fügt. Hat er einmal sich darin gefunden, eine gewisse Estime für seinen Character empfangen, und sieht er, daß das Staatsschiff so leidlich dabei fortsteuert, so kennen Sie ja des Monarchen Natur, die vor jeder durch¬ greifenden Aenderung eine Scheu hat. Selbst ihm unliebsame Personen läßt er in ihren Aemtern und am Ende gewöhnt er sich auch an das Toben seines Premiers; denn daß Stein das wird, wenn er erst einen Fußtritt im Ministerium hat, können Sie glauben.“ „Was haben wir da zu thun!“ sagte der Ge¬ heimrath aufspringend. Der Minister erhob sich langsam, es schien wie von einer schweren Sitzung. „Wir! Nichts, Bovillard. Wir fügen uns als Philosophen in das, was nicht zu ändern ist. Mich persönlich kümmert es nicht. Bedarf der König meiner Dienste nicht mehr, so danke ich ihm aufrichtig für das mir so lange geschenkte Vertrauen, und singe mit ebenso aufrichtigem Herzen mein: beatus ille, qui procul negotiis und die paterna rura sollen mir doppelt willkommen sein.“ „Aber der Staat, Excellenz!“ Der Minister sah ihn mit einem schlauen Blick unter den herabgezogenen Augenbrauen an: „I der wird auch wohl ohne uns bestehen.“ Es trat eine neue Pause ein; sie gingen lang¬ sam dem Hause zu. „Sie, und unsre Freunde allein thun mir leid. Er ist jeder Zoll ein Reichsfreiherr. Seine Majestät Diener wird er empfinden lassen, daß ein Unterschied ist zwischen Dienern und Dienern. Er hat gar kein Hehl, daß er Lombard nicht leiden kann; ja er hat eine recht reichsfreiherrliche Verachtung gegen den Sohn des Perückenmachers.“ „Da werden sich ja unsre kurmärkischen Edel¬ leute in die Hände reiben.“ „Ich zweifle, ob ihnen mit dem Changement gedient ist. So ein ehemals Reichsunmittelbarer sieht mit einer eignen Verachtung auf unsre wendischen Krautjunker herab. Ich sage Ihnen in dem Mann ist alles Aristokrat, und die Autorität, die er am Rhein verloren, muß er suchen an der Havel wie¬ der zu gewinnen. Von der süßen Illusion lassen Sie ab, daß das Kabinet bleibt, was es war. Die Fic¬ tion, daß die bürgerlichen Herren Kabinetsräthe die Volkstribunen sind, wird er mit einem Hagelwetter auseinander treiben. Er kann sein gewesenes Deutsch¬ land auch als Preuße nicht vergessen, er wird ein¬ greifen, durchgreifen, reformiren, bis — doch ich mache keine Ansprüche auf Clairvoyance. Aber, lie¬ ber Bovillard, Sie sehen ein, der Augenblick, wo Stein an's Ruder kommt, ist nicht angethan, um Ihren Geheimrath zu retabliren.“ Sechszehntes Kapitel. Das Citissime! „Scheint doch einem Staatsmann auch kein Au¬ genblick ruhiger Naturgenuß vergönnt!“ seufzte der Minister, als der Kanzleibote mit seinem Citissime ihnen wieder entgegen kam. — Zugleich meldete ein Diener den Kammerherrn von St. Real. Man hörte den Wagen in den Hof fahren. „Unterzeichnen Sie für mich, lieber Bovillard, hier gleich in der Laube. Im Auftrag, es wird ge¬ nügen —“ „In welcher Angelegenheit.“ „Ich weiß es wirklich nicht. Der Kammerherr versprach mir, im Vorüberfahren vom Palais an¬ zusprechen, wenn etwas Neues passirt. Auf Wieder¬ sehen im Pavillon — bei der Straßburgerin.“ Der Geheimrath ließ die schon eingetauchte Fe¬ der fallen, als er einen Blick in die Reinschrift ge¬ worfen. Er durchlas sie mit gekniffenen Lippen — ein Bericht des Ministeriums auf Specialanfrage in Belang des den Königlichen Geheimrath Lupinus betreffenden Amtsvergehens. Der Minister ertheilte sein Gutachten dahin, daß nach seinem besten Er¬ messen der Fall mit unnachsichtiger Strenge zu be¬ behandeln sei, und daß jede Schonung zum unver¬ windlichen Schaden des königlichen Dienstes aus¬ schlagen müsse. Er drang selbst im Interesse des Staatsdienstes auf eine strenge Ahndung und augen¬ blickliche Suspension des Angeschuldigten. Es war nicht in Bovillards Art, alles, was er unterschrieb, durchzulesen. Er las diese Schrift zwei Mal und murmelte: „Sieh da die feine Feder meines jungen Freundes. Nicht zu verkennen. Ei, ei, Herr v. Fuchsius, wollen Sie sich schon so wichtig machen und unentbehrlich! Und auch diese feinen Anspie¬ lungen auf uns! Daran wollen wir uns gelegentlich erinnern.“ Der Kanzleidiener hätte noch lange auf die Unter¬ schrift warten müssen, wenn ihm der Geheimrath nicht die Weisung gab, die Sache bedürfe noch einer Re¬ gulirung mit Seiner Excellenz. Die Regulirung schien aber dem Geheimrath selbst einige Sorge zu machen, denn den Kopf im Arm, stierte er lange in die Luft, bis allmälig ein sardonisches Lächeln über die Lippen spielte, und er mit einem ganz eigen¬ thümlichen Blick ausrief: „Wenn es denn doch ein¬ mal sein muß, wollen wir etwas gründlicher an¬ fassen.“ Er schrieb sehr schnell. Zwei Seiten waren ge¬ füllt, mit Schmunzeln überlas er das Concept: „hätte ich doch selbst kaum gedacht, daß der Mensch so ver¬ worfen ist! Und dieser Schluß: „„Demnächst kann ich nicht umhin, es gerade in diesem Augenblick als eine dringendste Pflicht Eurer Königlichen Majestät zu Füßen zu legen, die Angelegenheit nur von dem angegebenen höheren Gesichtspunkte zu betrachten, und den Rücksichten der Humanität und Gnade, denen höchst Ihr Herz so gern sich erschließt, diesmal nicht nachzugeben. Ja ich muß für strengste Handhabung der Gerechtigkeit nicht allein im Interesse des all¬ gemeinen Staatswohles und zur Erhaltung der Mo¬ ralität unter Dero Dienern stimmen, sondern auch in specieller Rücksicht auf die Männer und erprobten Staatsdiener, denen Eure Majestät höchst Ihr Ver¬ trauen besonders zuzuwenden geruht. Leider steht die betreffende pflichtvergessene Person durch entfernte Verwandschafts- und frühere gesellschaftliche Bande mit einem oder einigen dieser gedachten Männer in einer gewissen Relation, und es ist gewissen ihrer Feinde und Neider eine willkommene Aufgabe, aus diesem zufälligen Annex Verdächtigungsgründe zu schöpfen, ich wiederhole es, gegen Männer, die der Verdacht nicht berühren kann, weil ihr Character und ihr Verdienst von Euer Majestät gewürdigt sind. Desto mehr wird es zur Pflicht, gerade im Interesse des Thrones, auch vor dem Publikum diese Männer zu schützen. Eure Majestät können ihnen keine will¬ kommenere Rechtfertigung gewähren, als wenn Sie das Recht, und nur das Recht walten lassen. Was ist ein Staat ohne Moralität seiner Bürger, was ein e Monarchie, wo der Beamte nicht in Unbeschol¬ tenheit und sittlicher Würde wenigstens nachzueifern strebt, dem erhabenen Exempel, welches sein Ober¬ haupt dem Lande und Volke täglich giebt.““ „Wunderschön!“ Es entfuhr unwillkührlich den Lippen des Geheimeraths und er steckte das Concept in die Brusttasche. „Die Excellenz wird sich wenig¬ stens eingestehen müssen, daß sie Räthe um sich hat, die auf ihre Ideen einzugehen wissen. Das kann man auch dem Herrn von Stein unter die Nase halten.“ Welcher Glanz leuchtete auf der Stirn des Mi¬ nisters. St. Real stand hinter dem Lehnsessel und wiegte sich in Wohlbehagen, während der Hausherr auf- und abging. Als er den Geheimerath eintreten sah, hielt er ihm die Hand entgegen: „Wissen Sie schon Bovillard?“ „Nichts Excellenz, als daß Ihre Ansichten mich überführt haben.“ „Lassen Sie sich's von St. Real sagen.“ Er warf sich in den Fauteuil, überschlug die Beine und rieb die Hände. „Seine Majestät haben in Gnaden die Anstellung des Herrn von Stein abgelehnt.“ „Stein wird nicht Finanzminister,“ wiederholte der Minister. „Da fällt uns also ein Stein vom Herzen!“ Bovillard's Bonmot, so leicht es war, fand empfängliche Herzen. Gut, daß kein Lauscherauge in den Pavillon drang. Es hätte Mienen, Bewegungen und Gesten gesehen, schwer verträglich mit der mi¬ nisteriellen Autorität eines Großstaates. Nur der Geheimerath hatte rasch eine Flasche entkorkt, um ein Glas hinunterzustürzen, aber die Physiognomien er¬ innerten einen Augenblick an die faunischen Gesichter, welche Rubens Pinsel so unvergleichlich auf die Lein¬ wand warf. Belauschte Augenblicke der cannibalischen Natur im Menschen, die nun ewig geworden sind durch die Kunst. Wenn Jemandem, wem darf man es weniger verargen als einem Staatsmann, wenn er im unbelauschten Augenblick die geglättete Maske fallen läßt, um einmal wenigstens in der ursprüng¬ lichen sich vor sich selbst zu sehen. „Nun heraus! Wie war's?“ rief der Geheime¬ rath am Tische, indem er einen tief aushöhlenden Schnitt in die Leberpastete that. Ich vergaß zu sagen, daß man die Thüren vorher verschlossen, und auch noch die Gardinen vor die mit Weinreben fest um¬ rankten Fenster gezogen, — der Kühlung wegen, hieß es. Es war allerdings ein sehr heißer Tag geworden! Vorher aber war der Haushofmeister auf besondere Ordre des Ministers selbst in die Keller gestiegen, und ein Korb mit Flaschen, staubig, kalkigt, mit Spinneweben umwoben, stand in Folge dessen am Tische. Auf demselben hatten sich aber neben der Straßburgerin noch Schüsseln des verschiedensten In¬ halts aus verschiedenen Weltgegenden eingefunden, „ein Frühstück, wie's ein schlichter Mann guten Freunden eben vorsetzt, die nach dem Herzen sehen, nicht auf den Werth“ hatte der Minister gesagt. Was bedurfte es der Aufwartung unter ein Paar traulich beisam¬ men sitzenden Freunden! Darum sollte Niemand ge¬ meldet, Niemand eingelassen werden, und der gütige Wirth selbst nahm den Pfropfenzieher zur Hand. „Die Geschichte ist eigentlich sehr einfach, sagte St. Real. Gestern Abend war der König noch dafür gestimmt. So nahmen wir's wenigstens an. Sie mögen sich das Geflüster in den Vorzimmern denken, die Fragen, die man hören mußte. Die Damen wollten wissen, ob der Herr v. Stein noch ein junger Mann wäre? Ob er ein Haus mache? Ob er ästhe¬ tisch ist? Ob er lieber Jean Paul liest oder Lafon¬ taine, und Schiller oder Goethe vorzieht? Die Herren steckten die Köpfe zusammen. Es wußte eigentlich Niemand, woher der Wind blies, denn, wenn man auch sagte, Beyme hat Lombards Abwesenheit be¬ nutzt, so erklärte das wieder nicht, warum Beyme gegen seinen Freund intriguiren sollte. Andre cal¬ culirten gar, die ganze Sache ginge von Lombard selbst aus, er wünsche solchen Mauerbrecher in des Königs Nähe, entweder um andre damit aus dem Weg zu räumen, oder er wünsche, daß die höchste Person es einmal empfinde, wie angenehm der Um¬ gang mit einem deutschen Degenknopf ist.“ „Thorheit!“ sagte der Minister. „Und doch vielleicht nicht übel speculirt.“ „Nichts, meine Freunde, entgegnete jener, lernt sich leichter an Höfen, als das Vergessen ehemaliger Freunde. Nur die Kränkungen vergißt man dort nie.“ „Die alte Voß ließ für mich keinen Zweifel, fuhr St. Real fort. Sie rühmte gegen Comteß Laura die alte Familie der Stein; von Männern solcher Ab¬ kunft könne man sich versprechen, daß sie wieder die nöthigen Dehors auch an den Hof bringen werden.“ „Charmant!“ Man ließ bei Gläserklang die alte Voß leben. Der weiße, prickelnde Burgunder schärft die Zunge, man schärfte die Darstellung von Anec¬ doten, die jeder kannte, aber jeder gern wiederhörte, bis sie für den haut goût appretirt waren, und unter allen guten Eigenschaften ihnen nur eine abging, die Wahrheit. „Aber wir kommen von der Sache ab. Was erfuhren Sie von ihr?“ „Nicht mehr, als sie mich errathen ließ, und ich eigentlich schon wußte, daß die Königin dahinter steckte. Geben Sie nur Acht, flüsterte sie mir zu, wenn Ihro Majestät herauskommt.“ „Und?“ „Ihro Majestät kamen bald heraus.“ „Und?“ „'S ist doch eine wunderschöne Frau! Ihr schwar¬ zes Atlaskleid rauschte über die Schwelle, und, wars Zufall oder Absicht, die Thüre klappte hinter ihr, daß mir's noch ins Ohr gellt. Die Oberlippe ein Bischen eingekniffen, keinen von uns ansehend, raus war sie, und winkte nur der Berg, ihr zu folgen.“ „Und das ist alles?“ „Mich dünkt, genug.“ „Man kann sich täuschen.“ „Meine Ohren, Exellenz, sind sehr scharf. Wenn ich im blauen Saal die Stiefeln Sr. Majestät im rothen Zimmer knarren höre, weiß ich, was die Glocke geschlagen hat.“ „Ging also unruhig auf und ab!“ „Wir sahen uns an und dankten Gott, daß nur ein Stein gefallen war.“ „Er ist also?“ „ Ist ! Bald kam Beyme heraus, dann auch Köckeritz. Beyme fragte nach der Berg. Da sie fort war, wandte er sich an die Voß und zückte die Achseln: Madame, j'ai fait mon possible! Zwischen den Zähnen murmelte er: ultra posse nemo obligatur . Nachher schenkte uns Köckeritz reinen Wein.“ „Excellenz, rief Bovillard bei einer neuen Flasche, dieser St. Peray ist gewiß reiner.“ „Hatte die Radziwill zu stark urgirt, ein neuer Geniestreich des Prinzen ihr verdrossen? Der Mi¬ nister setzte hinzu: Ehe ich die Motive nicht kenne, bezweifle ich doch das Factum.“ „Was bedarf es noch der Motive! Natur, rien que de la nature ! Er hatte sich beschmeicheln lassen, unter Händedrücken das halbe Versprechen gegeben. Dann gereute es ihn. War schon gestern Abend umher gegangen, die Hände auf dem Rücken. Die Berg hatte ein Selbstgespräch belauscht: „Man will mir auch meine Minister machen!“ Leider hatte sie nicht mehr Gelegenheit die Königin davon zu aver¬ tiren. Heute morgen muß ihm ein Blatt in die Hände fallen, worin die Kindesmörderin eine irrende Schwester genannt wird, ein Opfer der gesellschaft¬ lichen Verhältnisse. Es war etwas mit Emphase ihre Geschichte erzählt. Resultat: Sie waren aigrirt, sehr aigrirt. Ob die gelehrten Herren auch die expressen Worte Gottes fortcorrigiren wollten: Wer Menschen¬ blut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden? Man antwortete, der Verfasser sei kein Gelehrter, sondern eines von den jungen Genies. — „Die eine verkehrte Welt machen wollen! brach es nun her¬ aus. Will aber keine verkehrte Welt aus meinem Reiche machen; soll Alles in der Ordnung bleiben. Leute waren doch sonst mit zufrieden. Sollen zu¬ frieden bleiben. Schöne Wirthschaft würden die Herren Genies anfangen, alles auf den Kopf stellen, Kinder¬ mörderinnen am Ende noch belohnen!“ Während sie sich nun noch so expectorirten, kommt Beyme zum Vor¬ trag, der wirklich nichts davon wußte, und indem er die Gründe für Stein's Anstellung resumirt, entfährt ihm unglücklicherweise der Ausdruck: vor seinem Genie würden auch die und die Vorurtheile sich beugen. Da war's um ihn geschehen! Der König sagte, er brauche keine Genies, er wolle keine Genies und — das Uebrige können Sie sich selbst erzählen.“ Bovillard goß den Rest der zweiten Flasche in das Glas und erhob es: „Angestoßen, Freunde! Auf das Andenken der Kindesmörderin! Selige ver¬ irrte Schwester, dieser Tropfen sei Dir geweiht, daß Du Preußen vor Ministern bewahrt hast, die Genies sind! — Was stiert Excellenz Christian ins Glas und trinkt nicht? Suchst Du im Wein nach einem untergegangenen Genie? Verlorne Müh. Ertrunknes lebt nicht wieder auf.“ „Mir kommt nur der Gedanke, sagte der Mi¬ nister nach einer Pause, ob eine Regierung denn über¬ haupt der Genies bedarf? Unser Minos vom Kammer¬ gericht fertigte neulich einen Bekannten, der ihm einen genialen Juristen für das Collegium empfahl, mit den Worten ab: Ich brauche nur zwei für die kniff¬ lichen Sachen, für die andern sind Ochsen ausreichend.“ „Ochsen mögen eine Weile die Tretmühle trei¬ ben, wie Excellenz das selbst am besten wissen, im Uebrigen meine ich, daß Ochsen noch nie eine Mühle in Gang gebracht haben.“ „Woran ging Josephs II . Schöpfung unter, fuhr die Excellenz fort. Und was meint Ihr, daß aus unserm Staat würde, wenn irgend ein Zufall Prinz Louis Ferdinand auf den Thron brächte?“ Nach einer kleinen Pause hub der Geheimrath an, den Weinrest in seinem Glase schüttelnd: „Ich meine, zuerst würde er unsern verehrten Wirth zur Thür hinaus complimentiren. Dann gings an Lombard, Beyme, Lucchesini, an uns alle. Es würde aufbrausen wie tausend auf ein Mal entkorkte Champagnerflaschen. Da man sie aber nicht alle mit einem Mal austrinken kann, würde der Wein bald schaal werden. Und wie er seiner Maitressen satt wird, würde er's auch der Genies. Dann kämen die unermüdlichen Geschöpfe dran, die man nun Zuträ¬ ger nennen mag, oder Sykophanten, oder Gelegen¬ heitsmacher, Kuppler, oder auch Ochsen, wie man will, die immer für neue Stoffe in Wein, Ideen und Liebe sorgen. Diese bleiben endlich seine Gesell¬ schaft, eben weil sie sich zur Thür hinauswerfen lassen und immer wieder kommen. Endlich gewöhnt man sich an sie, weil man ihrer bedarf, weil sie zu Allem zu brauchen, man verachtet sie, aber sie bleiben doch unser Umgang, weil sie immer gefällig, unsre Freunde, weil wir keine besseren finden, und schließlich — es bliebe auch unter Louis Ferdinand Alles beim Alten. Christian, wir blieben auch!“ Der Minister drohte mit dem Finger. „Ach was! wir sind unter uns. Wein und Wahrheit. Betrachten wir hier unsern würdigen Kam¬ merherren. Verzog er die Miene, ward er nur ein¬ mal roth, als ich von Kupplern sprach.“ „St. Real kann ja nicht mehr roth werden.“ „Excellenz! Dieser echte Philosoph beschämt uns. Sein purpurn Antlitz brennt, wenn er so viel Fla¬ schen aussticht wie nur Fleck und der Prinz, nicht röther als wenn er eine Tasse Thee nippt. Wenn wir wankend aufstehen, sagen sie: er hinkt ja immer. I . 17 Er kennt die Liebe nicht mehr, aber sein liebebedürftiges Gemüth schafft sie für andre. Wir kamen überein, daß er, ohne Schmeichelei, unter uns das Minimum von Verstand hat, aber wie weiß er den Ueberfluß an Mangel zu cachiren, daß Jemand, der jetzt durchs Fenster sähe, doch schwören könnte, er hätte die meiste Raison. Und Excellenz sehn Sie seine Lippen und Manchetten, er hat immer noch etwas in petto uns zu überraschen.“ „Nein; er scheint mir melancholisch, weil er die Laura beim Prinzen nicht anbringen kann.“ A propos , St. Real, wie ists mit der junoni¬ schen Gans?“ „Aha der schönen Eitelbach,“ sagte der Minister. Der Kammerherr schüttelte den Kopf: „Geben Sie die Hoffnung auf, meine Herren. Königliche Ho¬ heit exprimirten sich in drastischer Kürze: ich sollte die Tugend nicht der Versuchung aussetzen. Uebri¬ gens wisse ich ja, daß Sie Gänsebraten nicht liebten.“ Glich der muntere Frühstückstisch doch auf Au¬ genblicke einem Secirtisch. Alle Qualitäten derschö¬ nen Frau wurden von Experten zergliedert und ab¬ gewogen, wobei der Witz die leichte Vergleichung mit den Ingredienzien der Pastete nicht verschmähte. Das Resultat war, daß man alles in ihr fand, nur keine Seele, keinen Verstand, und keine Passionen. Ja es sei Hopfen und Malz verloren, erklärte der Kammer¬ herr, ihr eine Inclination beizubringen. „Es ist nichts unmöglich,“ trumpfte Bovillard. Der Minister bemerkte, daß seine Augen von einem eignen Feuer strahlten. Das konnte allerdings vom Weine sein, er goß schon die fünfte Flasche an, als er die Stimme erhob: „Jeder Humanitätsbürger hat die Pflicht das Seine zu thun zur Vervollkommnung des Menschen¬ geschlechts, und ist ein Weib, meine Freunde, voll¬ kommen, hat es eine andre Bestimmung als die Liebe! Seid Ihr denn Canibalen, oder habt Ihr Herzen von Stein, daß Euch das schöne Weib nicht rührt, das in ungeheurer Langenweile mit ihrer bête noire von Mann ihre Rosentage verträumt. Christian, und Sie, St. Real, waren unsere Vorfahren nicht Ritter, die ihre Lanze für die gefangene Schönheit einlegten! Und ist sie nicht gefangen, gleichviel ob von einem brutalen Ungeheuer, oder einem Alp von Apathie. Welche Schätze liegen da wüst in dem schönen Tem¬ pel und Ihr wollt zaudern Hand anzulegen! Nein, Ihr Ritter, Schatzgräber, Maurer, sinnt auf ein Zauberwort, das ihren Bann löst. Angefaßt, gehäm¬ mert, Funken geschlagen, bis wir das innnere Feuer in der schönen Bildsäule entzündet. Seht doch den dicken Iffland auf der Scene, wenn er als Pygma¬ lion Leben in seine Galathe schwatzt und klopft. Was, sollen wir ungeschickter sein? Gluth soll durch ihre Adern strömen, sterblich soll sie sich verlieben, in¬ teressant werden, rührend, sie soll uns Thränen entlocken! Kinder könnt Ihr Euch denn ein pikanteres Schauspiel vorstellen, als die Eitelbach in rasender Leidenschaft!“ 17* „Bovillard rast!“ „Du willst sie doch nicht selbst in Dich verliebt machen?“ sagte der Minister. „Nichts davon, es muß etwas ganz Absonder¬ liches dabei sein.“ Er zog den Rock aus und warf ihn auf die Erde. Auch das Halstuch folgte. Die Toilette des Ministers entsprach allenfalls diesem N é glig é , nur der Kammerherr blieb zugeknöpft. „Unser Geheimrath ist im Zustande der Divi¬ nation.“ „Etwas Frappantes, rief Bovillard, daß man drei Tage vor lautem Gelächter die Glocken nicht hört — Wenns irgend einen berühmten Kanzelredner gäbe —“ „Warum nicht gar!“ „Du hast Recht! Da machte man sie zu einer Schwärmerin. Es muß gar keine Erklärung für die Neigung geben. Etwas Originelles, ein Flügelmann von der Garde oder ein Zwerg. Ein grundhäßlicher Kerl, ein Bucklichter, ein Weiberfeind. Ein Trunken¬ bold, ein Weiser. Wenn der alte Gundling noch lebte, oder Moses Mendelssohn.“ „Ich schlage Johannes Müller vor.“ „Er müßte sich doch auch in sie verlieben können.“ „Und am Ende hieße es, sie hätte sich nur in seine Schweizergeschichte verliebt,“ sagte der Minister, und mit niedergeschlagenen Augen flüsterte er: „Ich wüßte schon Jemand —“ Das stille Gelächter, die verkniffenen Lippen, die blinzelnden Augen der Andern bekundeten, daß der Minister verstanden war. In jovialen Kreisen sol¬ cher Freunde versteht man sich an Zeichen. Ein „Schade, schade!“ ging wie der Hauch des Abend¬ windes über ein Aehrenfeld. „Da uns hier eine höhere Magie entgegenar¬ beitet, bescheide ich mich, wiewohl ich das Verdienst¬ liche des Vorschlags vollkommen würdige,“ schmun¬ zelte Bovillard. St. Real schüttelte den Kopf: „Es kann doch nicht immer so dauern.“ „Das Reich der Tugend! hört den grauen Sün¬ der, der es nicht mal von dem göttlichen Schiller weiß: Und die Tugend sie ist kein leerer Wahn. Sein Himmel hängt nicht voll Geigen, sondern voll lauter Pompadoure. Er ist ein Kryptokatholik, sein Heiligen¬ kalender fängt an mit der Sanct Agnes Sorel und hört auf mit der heiligen Baranius.“ „Bovillard merkt nicht, daß St. Real einen Ein¬ fall hat.“ „Wenn wir den Witz ausgeschüttelt, kraucht ihn immer einer an. Heraus damit! Sollen wir etwa Namen aufschreiben und würfeln? Auch das; ich pa¬ rire jede Wette, wen das Loos trifft, in den will ich die Eitelbach verliebt machen.“ Der Kammerherr spiegelte sich im Glase, das er dicht an's Gesicht hielt: „Herr v. Bovillard, ich zweifle, wenn ich den nenne, der mir eben einfiel.“ „Nenne den Namen, ich will ihn beschwören.“ „Daß er davon läuft, das will ich glauben, er hat mehr Schulden als Haare auf dem Kopf.“ „Nein, auch er soll kleben wie eine Klette. Und sie verliebt sein, wie — Na, wie denn? — Wie ein verliebter Maikäfer. Das ist das Einzige, was mir aus einer tollen Tragödie kleben blieb, aus der Iff¬ land uns neulich zum Jocus vorlas, von dem ver¬ rückten Kleist.“ „Auch in den Herrn Rittmeister Stier v. Doh¬ leneck? Getrauen Sie sich auch mit dem eine Liaison zu Stande zu bringen?“ Der Geheimrath sprang auf: „Was gilt die Wette!“ „Bovillard, sein Sie nicht unsinnig,“ sagte der Minister. „Ich frage, wer wettet! fuhr der Erhitzte fort. Aber dazu andern Wein, feurigern! Er schleuderte das Glas hinter sich. Vom Spanischen her, einen Pedro Ximenes! Die Eitelbach und Dohleneck, eine liaison tragique, eine liaison dangereuse, ein Turtel¬ pärchen, was Ihr wollt. Wer hält die Wette, auf was es sei! Christian parire!“ „Bovillard weiß nicht —“ „Alles weiß ich, daß sie wie Katze und Hund sind, eine Aversion fühlen, eine gegenseitige Idiosyn¬ krasie, die stadtkundig ist. Desto besser; je schwieriger die Aufgabe, so ehrenvoller der Succeß. Va-t-en , Christian, wettest Du?“ „Meinethalben.“ „Auf was? Nicht Geld, nicht Champagner, etwas Abnormes, was den Appetit reizt.“ „Excellenz könnten eine Geliebte abtreten,“ kicherte der Kammerherr. „Ich und eine Geliebte!“ „So sinne etwas Sinnreiches aus, was Du gegen Dein Gewissen thust.“ „Ich will Gentz hinterlassene Schulden bezahlen.“ „ Accedo! Und ich eine Abhandlung schreiben, zum Lobe des Herrn v. Stein. Daß er uns unent¬ behrlich ist, laß ich drucken. Ein Schelm giebt nur was er kann. Ich habe mehr eingesetzt. Topp, ein¬ geschlagen.“ Der Kammerherr hielt seinen Arm dazwischen. „Wozu Krieg, meine Herren, Depensen, die keinen Vortheil bringen? Warum denn überhaupt eine Wette, warum nicht eine Allianz?“ „Was meinst Du, Christian?“ „Ich bin doch immer ein Mann des Friedens!“ „Topp! Alle drei eingeschlagen, Männer des Friedens, einen Rütlibund! Wir Alle gemeinschaft¬ lich an das Werk. Aber Theilung der Arbeit! Du nimmst den Rittmeister auf Dich und sträubt sich die Excellenz dagegen, wird der Kammerherr zum Dienstthuenden. Ich weiß schon meinen Helfershelfer für die Baronin, übrigens jeder hilft dem andern, und bei dem er¬ habenen Geiste, der aus diesen Flaschenmündungen noch duftet, geloben wir Todesverschwiegenheit!“ Während sie sich die Hände reichten, klopfte es. „'S ist nichts; ein Hund schlug an die Thür,“ be¬ ruhigte der Wirth. „Wer würde sich auch unterstehen, wenn wir in Staatsangelegenheiten beisammen, Excellenz zu stören! Oder ist's keine Staatsangelegenheit! Womit sollten wir uns amüsiren, da nun Friede bleibt? Das Leben muß einen Zweck haben. Auch die besten Kräfte er¬ matten ohne ein Ziel. Mit Hindernissen zu kämpfen ist unsre Bestimmung. Je schwieriger, um so elastischer streckt sich unser Geist. Darum, gerade im Staats¬ interesse, wir müssen unsre Kräfte an subtilen Auf¬ gaben üben, um zuverlässig zu sein in der Stunde, die kommt.“ Es klopfte wieder: „Laß die Geister pochen, wir antworten mit diesem Gläserklang. Auf den Amandus und die Amanda.“ „Bravo, Einer, der da lieben soll und muß!“ „Noch Etwas: wenn etwa in Folge dieses schönen Seelenbundes ein Weltbürger das Licht dieser Welt erblicken sollte, so —“ Ein klirrender Schall unterbrach sie. Es pochte Jemand mit Heftigkeit an's Fenster. „Es brennt!“ Alle waren aufgesprungen. Der Kammerherr schien am festesten auf seiner Krücke zu stehen. Der Geheimrath machte eine Bewegung nach seinem Rocke, die damit endete, daß er auf den Stuhl zurücksank. Der Minister hatte seinen zurückgeschleudert, und mit der Hand am Tische, machte er die Geste des Riechens. Aber die wohlbekannte Stimme seines Privatsecretairs rief draußen: „Halten zu Gnaden, Excellenz, das Citissime ! — Das Citissime , das Gutachten des Mi¬ nisteriums an Seine Majestät den König. Herr Ge¬ heime Kabinetsrath Beyme haben schon zwei Expressen geschickt. Heut Abend um sechs ist Vortrag bei Seiner Ma¬ jestät; sämmtliche Gutachten der Ministerien sind in des Herrn Kabinetsraths Händen, nur unseres fehlt noch. Der Bote steht auf Kohlen.“ Bovillard hatte mit einem glücklichen Griff seinen Rock erfaßt und warf die Papiere auf den Tisch: „Da Excellenz — ein Bischen schmutzig. Schadet nichts, die Sache ist's auch. Unterschreibe —“ „Zwei Papiere?“ „Ist gleichgültig, er muß doch springen.“ „Muß er absolut!“ „Ist sehr gesund für sein Podagra.“ Der Minister war in einen Sessel gesunken: „Muß er denn! Wir sitzen so fröhlich beisammen — und Stein kommt ja nicht.“ „Hätte's beinah vergessen! Mais, ç'est bon !“ „Wozu Rigorosität gegen einen Mitmenschen, der uns nichts gethan hat,“ sprach St. Real. „Also Allen Sündern soll vergeben Und die Hölle nicht mehr sein!“ „Bovillard, Ihnen fließt es ja von den Fin¬ gern. Da an der Ecke auf dem Schreibtisch, ein anderes Gutachten. Kurz nur. Wegen der Förm¬ lichkeit weiß ja Beyme wie wir's halten. Trin¬ ken Sie ein Glas Champagner um sich aufzu¬ heitern.“ „Nicht nöthig Excellenz! hier das Concept, brauche nur ein Paar Striche zu ändern.“ Mit Secretair und Bote war man in Ordnung, natürlich, nachdem man es einigermaßen mit der Toilette geworden, zwei Krystallflaschen mit frischem Brunnenwasser standen auf dem Tische und der Ge¬ heimrath schrieb an der Ecke, während der Minister ein Gespräch mit dem Kammerherrn führte. St. Real hatte sichtlich am wenigsten von dem süßen Trauben¬ saft genossen, oder es darin zu einer Virtuosität ge¬ bracht, daß man die Wirkungen nicht merkte. Der Minister hörte ihn, im Armstuhl zurückgesunken, mit einiger Anstrengung an, während der Kammerherr halb vor ihm stand, halb auf dem Tische saß. Wir hören, da das Gespräch halblaut geführt wird, nur einiges heraus. „Malchen — Malchen? Der Name kommt mir bekannt vor.“ „Erinnern sich Excellenz vielleicht des Wald¬ kindes, das der Höchstselige auf einer Promenade finden mußte?“ „Das ist lange her — spielte sie nicht die Gurly? Die war freilich noch nicht geschrieben.“ „Einer der hübschesten Züge von der Lichtenau; wie überhaupt, es war doch eine seltene Frau. Der Höchstselige hatte die ersten Brustbeklemmungen, und empfand eine Sehnsucht nach etwas Natürlichem und Frischem. Die Gräfin wußte auf der Stelle Rath. — Im rothen Frießröckchen, bis an die Knie aufgeschürzt, barfuß huckte das Kind im Revier und pflückte Erdbeeren, ohne sich umzusehen. Der König winkte uns Stille zu, er wollte sie überraschen. Er fuhr sie an, was sie in dem Walde zu thun, und drohte sie zu pfänden, denn das sei verboten. Das Mädchen spielte prächtig. Zuerst erschrack sie und bedeckte ihr Körbchen, dann lag sie auf den Knieen, der gestrenge Herr möchte sie nur diesmal noch gehen lassen. Der König befahl ihr barsch, die Erdbeeren und den Korb zurückzulassen. Da stürzten ihr die Thränen aus den Augen und sie bat um Gottes Willen, die möchte er ihr lassen für ihre arme Mutter, sie wollte es lieber dem gnädigen Herrn Förster abarbeiten, was sie Schaden gethan. Das befremdete ihn doch von solchen Leuten. Ißt denn deine Mutter so gern Erdbeeren? Und er sprach von Abkaufen. Die Kleine wehrte schnell mit der Hand: Nichts verkaufen! Meine Mutter hat mir auf¬ getragen, die schönsten und reifsten Erdbeeren zu sammeln. Alles für den guten Herrn König. — Den König! rief der König, wie kommt der dazu? Für den König werden wohl andere denken und sor¬ gen, die ihm näher stehen! — Das ist's eben, was Mutter sagt, fiel das Mädchen ein, die denken und sorgen nicht so für ihn, wie er's verdient, und er ist so sehr gut und jetzt krank. Die frischen Walderdbeeren werden ihn wenigstens einen Augenblick erquicken, und jeder Augenblick, der dem guten König eine Erquickung schafft, sagt Mutter, das ist ein gesegneter vor dem Herrn. —“ „O weh! zückte der Minister auf. Da hätte er etwas merken können!“ „Nein, Excellenz, er merkte nichts. Er drückte die Thräne aus dem Auge: Lichtenau! ich werde doch geliebt! Die Lichtenau hatte ihm etwas den Rücken gedreht.“ „Richtig, ich sehe sie noch stehen.“ „Und wischte auch am Auge. Er streichelte sie sanft am Arm, und sagte in seiner Herzensgüte: Das Kind versteht es nicht. Es sind Viele um den König, die für ihn sorgen und ihn lieb haben! — Wie das Kind ihn da groß und unschuldig ansah: Der König hat jeden lieb, sagt Mutter, und das wäre ein schlechter Mensch, der nicht sein Alles für ihn giebt. — Er mußte schnell weiter gehen, er fühlte sich erleichtert: Ich habe mal eine Stimme aus dem Volke gehört! Die Lichtenau sagte plötzlich: Ich wünschte, Euer Majestät hörten einmal die Stimme Ihres ganzen Volkes. — Ach die ist wohl anders! — Nein, Sire, sagte die Gräfin, das Tuch vor ihren gerötheten Augen. Ueberall dieselbe Liebe und Ver¬ ehrung; nur uns traut man nicht zu, daß wir sie theilen. Es ist vielleicht recht gut so. — Ach es war ein capitales Weib!“ „Es brachte ihr auch die Schenkung ein von dem Gute — wie heißt es doch gleich — über das noch der Prozeß ist. Aber die Malchen, jetzt entsinne ich mich ihrer ganz deutlich. Ein anstelliges Ding, leichtsinnig, aber wohl zu leiden. War sie nicht schon früher zu den Genien gebraucht worden, auch in den Kinderballets?“ „Und später bei den Geistererscheinungen. Sie war viel bei Bischofswerder und Hermes. Vielleicht erinnern sich Excellenz auch, daß sie nachher einen Unterofficier von Larisch Musquetiren heirathete. Im Anfang ging's ihnen gut, aber der Mann trank, es gab Unrichtigkeiten mit dem Montirungs¬ geschäft im Lagerhause, die Frau konnte es nicht mehr ausgleichen, sie ward doch auch älter, und eines Nachts waren sie über Hals und Kopf ver¬ schwunden. Sonst ein braver Mann, auch sehr zu brauchen, und soll jetzt holländischer Werbeofficier sein oder schon drüben in Ostindien. Genug, sie hat ihn avanciren lassen, was uns nichts angeht, und ist seit einigen Monaten als Frau Obristin in Berlin. Ich versichere, Excellenz, sie ist ein wahrer Trüffelhund.“ Der Minister griff tief in seine Spanioldose: „Wenn nur keine Klagen bei der Polizei eingehen! Sie wissen nicht, lieber St. Real, was uns diese Bagatellen oben zu schaffen machen.“ „Man sucht ihr ein gewisses Lüstre zu erhalten.“ „Der Name der neuen Schönheit?“ St. Real sprach leise in's Ohr des Ministers. „Wie gesagt, durchaus keine beauté du diable , eine wie gemacht, um auf die Dauer zu fesseln, und eine Fraicheur, Excellenz, wie er es liebt.“ „Und ein halbes Kind!“ „Weil sie noch nicht erzogen ist. Aber mit einem Elan, einer Vivacit é für alle neue Eindrücke.“ „Languissant?“ „ Au contraire , eher un peu romantique , etwas Spirituelles, soit disant Schwärmerisches. Es kommt nur darauf an, ihrer Phantasie eine Richtung zu geben.“ „Hoffen Sie eine Maintenon oder eine Pom¬ padour zu erziehen.“ „Warum nicht eine La Valliere!“ „Tugendhafte Maitressen helfen uns nichts. Uebrigens wünsche ich, daß Ihnen kein Querstrich kommt.“ Der Kammerherr drückte mit einiger Heftigkeit seine Krücke: „Das ist es eben. Zwar thun wir Alles die Dehors zu beobachten, auch ist es nur ein ganz kleiner, höchst anständiger Societätskreis, der sich zur Erholung da zusammen findet. Ganz anders als bei der Schubitz; un petit circle von Gewählten. Aber sie ist noch immer die alte; gutmüthig, leicht¬ sinnig, unbesonnen zum Rasendwerden. Ihre Zunge geht mit ihr durch und um einen witzigen Einfall setzt sie ihre Existenz aufs Spiel. Habe ich das Wunderkind erst in andre Kreise entrückt, mag sie der Teufel holen, aber sie ist jetzt meine einzige Brücke. Stellen Sich Excellenz vor, da hat sie den frommen Pfaffen, den Seine Majestät jetzt nach Ber¬ lin zieht, irgendwo auf einer Reise kennen gelernt, ihn zu sich invitirt, und jetzt hat sie die Unverschämt¬ heit, ihn und seine Töchter bei sich einzulogiren. Bei sich in ihrem Hause! Ich erfuhr es erst beim Her¬ fahren. Wenn das ruchbar wird, das giebt einen Scandal und ich zittere vor den Folgen.“ „So eilen Sie, St. Real, den Ruf des from¬ men Mannes zu retten.“ „Er ist gerettet!“ rief Bovillard aufstehend, da hören Sie nur den Schluß: „„Demnächst kann ich nicht umhin, es grade in diesem Augenblick als eine dringendste Pflicht Euer Königlichen Majestät zu Füßen zu legen, den Rücksichten der Humanität und Gnade, denen Ihr Herz so gern sich erschließt, auch diesmal nachzugeben. Ja ich muß daraufdringen, in spe¬ cieller Rücksicht auf die Männer und erprobten Staats¬ diener, denen Euer Majestät höchst Ihr Vertrauen beson¬ ders zuzuwenden geruht. Weil der unglückliche Mann, der vielleicht in einem Augenblicke aus zu großer Güte des Herzens gegen den Buchstaben des Gesetzes gefehlt — was aber noch keinesweges ermittelt ist — mit einem oder einigen jener gedachten Männer in einer gewissen Relation gestanden, ist es eine willkommene Gelegen¬ heit für deren Feinde und Neider Verdächtigungs¬ gründe auch gegen sie, diese Männer, zu schöpfen, die freilich über den Verdacht hinaus sind, weil ihr Charakter und ihr Verdienst von Euer Majestät ge¬ würdigt sind, die aber eben um ihrer Pflichttreue und dieser besondern Verdienste willen auch vor dem Publicum gerechtfertigt zu erscheinen Anspruch haben. Euer Majestät können ihnen keine willkommenere Rechtfertigung gewähren, als indem Sie über die Anschuldigungen des Hasses und des Neides mit stummer Verachtung wegsehend, Ihre Gnade walten lassen.““ „Bravo, bravo!“ riefen die Zuhörer. „O es kommt noch besser, dieser Schluß muß sein Herz erweichen: „„Was ist ein Staat ohne Moralität seiner Bürger, was eine Monarchie, wo der Unterthan und der Beamte nicht in Unbescholten¬ heit und sittlicher Würde wenigstens nachzueifern strebt dem erhabenen Exempel, das sein Oberhaupt dem Lande und Volke täglich giebt.““ „Bravissimo! Er ist gerettet!“ Noch einmal wurden die Gläser gefüllt und erklangen auf den edlen Menschenfreund, der über die Kabale gesiegt. Das Concept wanderte in die Kanzlei, wo man ein Citissime mit mehr Respect behandelte, und die Rein¬ schrift kam, wie wir aus dem Erfolg annehmen, noch zur rechten Zeit an Ort und Stelle. Der Kammer¬ herr wollte abfahren, der Minister aber Lhombre spielen. Der Kammerherr hatte Bedenken wegen des Predigers, alle drei aber bedachten, daß man nach der Arbeit ausruhen muß. Erst in der Nacht wur¬ den die Karten weggelegt. Der Minister und sein Geheimrath warfen sich in Surtouts, um die Küh¬ lung der Abendluft in den Straßen zu genießen. Siebzehntes Kapitel. Der rothe Shawl. Karoline kam aus der Seitenkammer und drückte die Thür leise zu: „Er ist eingeschlafen.“ — „Wenn er nur nicht aufwacht bis ma chère tante in die Komödie fährt,“ sagte Jülli, die durchs Schlüssel¬ loch sah. „Er verdiente es schon, meinte Karoline. Ich liebe es gar nicht, wenn die Herren betrunken vom Frühstück kommen und glauben, sie thun uns noch eine Ehre an, wenn sie in ein anständig Haus pol¬ tern. Schmeißt sich da mir nichts, dir nichts, aufs Sopha, gähnt, und eh' man sichs versieht, ist er ein¬ geschlafen. Da soll man sich wohl aus der Conver¬ sation bilden! Ma chère tante hat gut Reden.“ „Die vornehmen jungen Herren thuns Alle so,“ warf Jülli ein. „Und er hat nie kein Geld, sagt ma chère tante , fuhr die Andre fort, und wenn sie nur gewußt, wie er mit seinem Vater steht, der ein sehr anständiger und vornehmer Herr ist, hätte sie ihn auch gar nicht I. 18 in's Haus gelassen. Aber nun sie's weiß, soll er sich nicht mausig machen, und sie wird ihm mal den Stuhl vor die Thür setzen, daß er sich verwundern soll, hat sie gesagt. Und vollends jetzt, wo die Pre¬ digers oben sind. Still, sie kommt runter.“ Jülli drückte ihr Gesicht an eine Scheibe, Karo¬ line hatte sich ans andre Fenster gesetzt und eine weibliche Arbeit schnell ergriffen. Die Tante schalt. Junge Frauenzimmer müßten nicht immer am Fen¬ ster sitzen. Das gäbe übel Gerede; die Stadt sei gottlos genug, daß sie immer an Schlimmes denkt. „Was hast Du Dir wieder die Nase platt gedrückt an der Scheibe, fuhr sie Jülli an? Siehst Du, da¬ von kommt die Thräne ins Auge, und das habe ich Dir gesagt, wenn eine erst anfängt, sich die Augen roth zu weinen, dann ist's mit uns aus. Siehst Du etwa die Karoline weinen? Die lacht den ganzen Tag. Alles was recht ist. In der Kirche, vor un¬ serm Herrgott, soll man weinen, und das Gesicht lang ziehn wenn der Herr Prediger gerührt spricht, und Niemand kann mir nicht sagen, daß ich Euch nicht in die Kirche führe, und Keiner, daß Ihr nicht fein und anständig gekleidet seid, daß Ihr Euch mit Ehren sehn lassen könnt, aber zuhause sollt Ihr nicht sein wie in der Kirche. Die hat der liebe Herrgott bauen lassen, daß man da traurig sein soll, aber die Welt daneben, daß man lustig sein soll. Und die Herrschaften, die zu uns kommen, die wollens auch; sonst würden sie in die Kirche gehn und nicht zu uns.“ Karoline unterbrach die Rede, indem sie hell auflachte. Wenn sie damit der eben ausgesprochnen Weisung nachkam, sündigte sie doch sogleich dagegen, indem sie das Fenster aufriß. Der Lärm und das Gelächter draußen rief indeß auch die Tante heran. An der Ecke der Straße war ein Fischmarkt und es war nichts Ungewöhnliches, daß der alt berühmte Witz der Fischweiber gegen Käufer und Neugierige eine Art Auflauf veranlaßte. Diesmal war eine be¬ stimmte Person der Gegenstand der Lustigkeit. Der ältliche Herr hatte mit den sämmtlichen Verkäuferinnen ein Geschäft angeknüpft, und nachdem er sich aus jedem Fischkasten die fettesten Karpfen und Aale zei¬ gen lassen, alle befühlt und mit allen ihren Besitze¬ rinnen wegen des Preises unterhandelt. Wenn das schon nicht ohne beißende Bemerkungen von beiden Seiten abgegangen war, so steigerte sich das Gezänk in das, was man in Berlin ein „Aufgebot“ nennt, als der Käufer sich endlich, wie sich von selbst ver¬ stand, für die Waare nur einer Verkäuferin entschied. Die übrigen erhoben sich und überschütteten mit einer Fluth nicht schmeichelhafter Namen den Käufer, der seinerseits einen nicht gewöhnlichen Muth zeigte, denn er harrte nicht allein aus, sondern haranguirte seine Feinde durch Gegenreden. Seine graciösen Gesticu¬ lationen bewiesen, daß er der Höflichere war, und man konnte bemerken, daß in das laute Gelächter der Menge auch seine aufgebrachtesten Feindinnen ein¬ stimmten. Ein schärferer Beobachter hätte indeß darin 18* keine Feindseligkeit, sondern nur ein Schauspiel ent¬ deckt, was sich gewiß schon oft ereignet, und zur gegenseitigen Herzenserheiterung noch oft wiederholen sollte. Diesmal mußten jedoch einige der Fischweiber in ihre Klagen und Repliken noch andre Anzüglich¬ keiten eingemischt haben, welche die Köchin des ält¬ lichen Herrn veranlaßten, durch deutliches Zupfen am Aermel ihn zu einem frühzeitigeren Rückzug zu veran¬ lassen, als ihm lieb schien. Eines der Weiber, ob nun im Scherz oder Ernst, hatte ihm ein altes Fischnetz nachgeworfen mit der Bemerkung: das wolle sie ihm schenken, damit ihm seine Fische nicht durchgingen wie seine Gefangenen! Das Netz hatte unglücklicherweise seinen Kopf getroffen und die Perücke heruntergerissen. Während die Köchin sich danach bückte, waren ihr die Fische aus dem Korbe geglitten. Das Wieder¬ einfangen der Aale verursachte allgemeine Lustigkeit und neuen Aufruhr, worüber man zuerst nicht bemerkte, daß sie ihm in der Hast die Perücke verkehrt aufge¬ stülpt hatte, was denn das Gelächter unwiderstehlich machte, und weder der Rückzug noch die Ajustirung der Perücke halfen vor dem Troß begleitender Gassen¬ jungen und dem Gelächter der Neugierigen, welche der Lärm an die Fenster zog. „Ach der Herr Geheimrath Lupinus! hatte die Tante ausgerufen. Das ist ein spaßiger Mann! Wie niederträchtig er ist, auch gegen die gemeinsten Leute. Sieh mal, selbst dem Apfelweib wirft er 'ne Ku߬ hand zu, und so gravitätisch, wie zum Menuet! Seht Kinder, daran könnt Ihr Euch ein Exempel nehmen; so wird mancher rechtschaffene Mensch auf Erden verleumdet von bösen Feinden, aber 's giebt einen Gott im Himmel und einen König auf Erden, und wer ehrlich sein Brod erwirbt, und ein gefühl¬ volles Herz hat für seine Nebenmenschen, der geht nicht zu Schanden.“ Aber als die vorwitzige Karoline zum Fenster sich hinausbiegen und dem Herrn Geheimrath zu¬ rufen wollte: „warum tragen Sie nicht die Fische selbst!“ drückte die Hand der Tante eine sehr vernehm¬ liche Erinnerung auf ihre Backe: „Untersteh' Dich!“ Das Fenster flog zu. Die Scene hatte sich verändert. Karoline weinte. Nur war sie keine so unterwürfige Zuhörerin. „Und 's ist wahr, er hat immer die Fische vom Markt getragen, mit 'nem Kapaun unter'm Arm hab' ich ihn selbst gesehen, und darum bin kein schlechtes Mädchen nicht. Und das ist Wahrheit.“ Die Obristin mäßigte sich. „Der Herr Geheime¬ rath sei eine obrigkeitliche Person, und mit genialischen Herren müsse man's anders nehmen. Und wenn er keine Respectsperson wäre, und nicht so viele vor¬ nehme Freunde und Verwandte hätte, dann säße er jetzt, Gott weiß wo. Und das einzige, was man ihm nachsagen könnte, wäre seine Köchin. Gegen die Charlotte wäre schon sonst nichts zu sagen, denn sie wäre ein braves Mädchen, aber für einen vornehmen Herrn schicke sich das nicht, so was im Hause zu haben. Außer dem Hause geht das Niemand was an, hatte ihr ein sehr angesehener und tugendhafter Herr ge¬ sagt. Daß er die Charlotte auf den Markt mitnähme, wolle sie nicht gerade gut heißen, aber der Mensch, der's jedermann recht thäte, müßte erst erfunden werden.“ Die gute Tante hatte, je mehr sie ins Reden kam, desto mehr auszusetzen. Ja, die Predigers¬ töchter oben wären neugierig, wie ein neugeboren Kalb, und wenn nur ein Wagen vorbeifährt, rutschten die Köpfe zum Fenster raus. Das habe sie sich nun ein¬ mal aufgebunden, weil sie ein so gutmüthig Herz habe. Aber ihre Nichten sollten doch bedenken, daß sie nicht aus dem Kuhstall wären, und auf sich was halten. „Wie ich so alt war, als Ihr, da hielt man mich für 'ne Gräfin, und ich hätte mal den Kopf umdrehen sollen auf der Straße, wie Ihr thut, Und an guten Exempeln fehlt's Euch doch nicht; in mein Haus kommen nur die feinsten Leute. Und wie sprecht Ihr mit dem Herrn Kammerherrn, der so gütig ist; ich werde manchmal purpurroth, wenn ich denke, daß er's am Hofe wieder erzählt. Merkt Ihr, dumme Liesen, denn nicht, wie er ganz anders mit der Mamsell Kriegsräthin sich unterhält, wenn die hier ist. Die weiß ihm zu antworten, daß er oft nicht weiß, was er sagen soll, so frappirt's ihn. Und das sage ich Euch, wenn sie heut zur Chocolate kommt, daß Ihr Euch nicht wieder das Maul ver¬ brennt, Du vor allem Karline. So ein Trampel¬ thier merkt auch gar nicht, wie ich ihr neulich auf den Fuß trat. Denn sie ist zu ganz was anderm, weil sie ein feines sittsames Mädchen ist, und 's noch weit mehr werden wird, und Ihr könntet mal froh sein, wenn Ihr ihr die Schuhbänder zumachen dürft. Aber Mädchen, was hast Du Dir wieder die Schuh schief getreten! Bei dem Dinge hilft doch auch keine Vernunft. Und wie breit der Fuß wird, das kommt davon, wie Du beim Tanzen ranzest. Die Jülli hat noch ein ganz schmales Füßchen; aber die hält auch auf Anstand. Und das neue Kleid, zu Weihnachten erst hast Du's gekriegt, und wie sieht's schon wieder aus, daß Gott erbarm!“ „ Ma chère tante , wann krieg' ich das bombasin Kleid?“ „Ei was, laß' Dir's von den Herren schenken.“ „Die Herren sind nicht so generös.“ „Wenn sie Dich so mit den Beinen schlenkern sehen unter dem Stuhl, und so rekeln mit dem Ellenbogen über die Lehne, da sollen sie sich wohl Wunder was vorstellen, was Ihr seid. Zu meiner Zeit, sag' ich, kerzengrad saßen sie auf dem Stuhl, und so schlugen sie die Augen nieder, wenn ein Herr zu ihnen sprach, aber da verstanden sie auch zu bitten und da waren die Herren auch generös.“ „Man soll die Herren nicht rupfen. Das haben ma chère tante immer gesagt. Na nu, ist's nu nicht wahr?“ „Sie unverschämtes Geschöpf! Was das für Reden sind in meinen Apartements! Wenn's Ihr nicht mehr gefällt, werd' ich Ihr 'nen Stuhl vor die Thür setzen. Dann mag sie sehen, wo's Ihr besser gefällt. Denn überhaupt soll's anders werden bei mir. Ja, ja, meine Damen, das merken Sie sich, ich will keine Pension, wo das pöbelhafte Wesen nicht rausgeht. Ein Wort kostet mich's, und Sie wird nach Spandow zurückgeschafft, Mamsell Kar¬ line, da wo ich Sie herholte, auf den Kietz. Wird's Ihr besser gefallen, barfuß im Kahn und die Pletzen schuppen, oder Winters beim Kienspahn Netze flicken? Ihre Finger sahen ja aus, mit Respect zu sagen, wie Pfoten, roth und geborsten, und hab' ich das für meine Mühe, daß ich sie mit Mandelöl und Kleie weich kriegte, und in Handschuhen schlafen ließ! Sag' ich doch, wer Dank säet, der wird Undank erndten.“ Es klingelte, der Chocoladengast stand im Zimmer. Ein Livreebedienter, der die verfeinerte Haushaltung der Frau Obristin seit einigen Tagen repräsentirte, hatte Adelheid abgeholt. „Nein, sage ich doch, nicht wie ein Fräulein, wie eine Prinzessinn! Und mit jedem Tag, möchte ich sagen, gewachsen!“ „Das kommt nur vom langen Kleide,“ lächelte Adelheid, und war mit raschem, sichern Schritt, nach einer flüchtigen Begrüßung der Tante, zu den Nich¬ ten geeilt, die sie mit der natürlichsten und zuvor¬ kommendsten Herzlichkeit küßte. Sie schalt und be¬ dauerte, daß sie gar nicht zu ihr kämen; die Nichten waren verlegen. War's der scharfe Blick der Tante, war's die überwiegende Erscheinung des in der Fülle ihrer Schönheit strahlenden Mädchens. Aber der Strahl aus dem klaren Auge goß in die getrübten der unglücklichen Geschöpfe von seinem Licht. Sie fühlten sich in einer andern Atmosphäre, die etwas von ihrem heilenden Balsam auch auf sie träufte. Die Obristin hielt es für gut, allein das Wort zu führen. Ihre Lippen flossen über vom Lobe der braven Eltern, die wohl mehr zu thun hätten, als solchen Besuch zu empfangen. Sie wisse wohl, was der Herr Kriegsrath und die Frau Kriegsräthin für die Erziehung ihrer Tochter thäten, und da wäre es ja ausverschämt, sich aufdrängen wollen. Aber um so mehr schätze sie es und rechne die Ehre sich an, daß sie ihrem Lieblingskinde erlaubt, ein Stündchen sich in ihrem schlichten Hause zu gefallen. Sie wäre nun eigentlich in rechter Verlegenheit, worüber mit einer solchen feinen Dame sprechen, die so viel schon wisse, und noch viel mehr von solchen Lehrern lernen würde. Adelheid war ihrerseits aber gar nicht mehr in Verlegenheit. Sie, was man nennt „kappte“ die Obristin durch kurze natürliche Antworten, und schon vor der Chacolade war das Gespräch im lebendigsten Gange, denn es betraf das neue, feine Kleid, was der Vater ihr geschenkt und die größte Aufmerksam¬ keit der Nichten erregte. Das Zeug, der Laden, wo es gekauft, der Kaufmann, seine Waaren, Preise, es ward alles ausführlich behandelt, die Krone der Ver¬ wunderung aber blieb, daß Adelheid und ihre Mutter es selbst zugeschnitten und genäht, „und sitzt wie an¬ gegossen, rief die Tante, nu seht, wenn Ihr das könntet! Und Mamsell Kriegsräthin thuts nur zum Plaisir. Denn ihr Herr Vater würde ihr ja gern den ersten Schneider ins Haus schicken, und später werden ihr ganz andere Leute Kleider machen lassen. Ja, ja.“ Das Lächeln der Obristin gefiel Adelheid nicht, auch mißfiel ihr, daß die Tante immer, um sie her¬ auszustreichen, ihre Nichten demüthigte. Ohne sie zu beachten, erbot sie sich deshalb gegen Jülli, wenn sie ein neues Kleid bedürfe, es ihr zuzuschneiden, auch, wenn sie es wünsche, ihr Unterricht im Schneidern zu geben, so gut sie es eben könne. Die Tante war von dem Anerbieten sehr gerührt, bei der Jülli könnte es vielleicht noch anschlagen, aber die Karline wäre gar zu faul: „Wer den Unter¬ richt zu schätzen weiß, und was lernt, aus dem kann alles werden, wie oft habe ich ihnen das gesagt. Nun sehen sie es mal mit Augen vor sich. Ja, mein liebes Engelchen, — verzeihn Sie schon Fräulein Adelheid, daß ich so zu Ihnen rede, aber ich kann gar nicht anders, wenn ich Ihnen ins liebe Gesicht sehe, — ja das muß ich Ihnen auch sagen, seit ich die Ehre habe Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, da ist mit Ihnen auch schon eine Veränderung vor¬ gegangen. Ach Sie haben einen vortrefflichen Lehrer.“ Adelheids Gesicht leuchtete auf: „Kennen Sie ihn?“ „Habe nicht die Ehre, aber ich wollte wetten, er heißt Cupido.“ „Nein, er heißt van Asten. Und seine Stunden sind gar nicht wie Stunden. Es plaudert sich so fort, und sie sind immer zu Ende, ehe wir es uns ver¬ sehen. Ich schäme mich zuweilen, wenn er fort ist, daß ich so wenig aufgeschrieben habe, aber wenn ich mich hinsetze, um es niederzuschreiben, dann muß ich oft einen ganzen Tag schreiben und noch mehr. Ich thue es nun gar nicht mehr, denn ich behalte doch alles auswendig.“ „Ist's die Möglichkeit!“ „Manchmal ist mir wie einem Vogel zu Muthe, als schwebte ich hoch in die Luft und unter mir sähe ich Berge und Städte und Flüsse. So weiß er das alles klar zu machen, wenn er erzählt. Da ist mir oft, als müßte ich das Umschlagetuch zusammenziehen, wenn er die kalten Länder beschreibt, wo ewiger Schnee liegt und Eis. Und wenn er die heißen schildert, da wird mir's so heiß, so heiß — ach ich rede gewiß recht dummes Zeug, es ist nur gut, daß es Herr van Asten nicht hört.“ „Ach liebe Seele, Engelchen, das versteh ich. Wer das einmal gekostet hat, wie's draußen schön ist, in der Welt, der möchte immerfort fliegen. Na nu versteht sich, fliegen kann keiner von uns, denn wir haben keine Flügel. Aber zwei Füchse vorge¬ spannt vor den Wagen, oder noch besser viere, Extra¬ post, und nun Schwager ins Horn gestoßen und ge¬ knallt, über Berg und Thal, und Sonnenschein und überall geputzte und frohe Menschen. Das ist ein Leben mein Engelchen. Berlin ist eine hübsche Stadt; aber ach Gott was giebts noch für andere! Das zu sehen und sich erklären zu lassen! Und Herr van Asten müßte neben Ihnen im Wagen sitzen! Na das wäre doch ein Leben wie alle Tag Sonntag. Ihnen gönne ich's. 'S kommt auch mal so. Was man sich wünscht, das kommt.“ Adelheid schwieg betroffen. Hatte sie sich denn das gewünscht? „Nein, liebe Frau Obristin, daran habe ich gar nicht gedacht. Neulich, da schämte ich mich fast, daß ich noch nicht in Potsdam gewesen, und daß Sie aus Leipzig kamen, aber jetzt — jetzt ist mir gar nicht, als wenn das nöthig wäre. Wenn Herr van Asten mir von den fremden Ländern erzählt, so brauche ich gar nicht zu reisen.“ „Ist das ein himmlisches Gemüth! — Und wie sie die Chocolade nippt, seht Euch mal das an. Wo sitzt auf ihren Lippen nur ein Tröpfchen, und wie Ihr immer schlürft. Die Schaale faßt sie doch an, als hätte sie's bei Hofe gelernt. — Nu müssen Sie auch mal in die Untertasse sehn, das ist ein Spiegel, da sieht Adelheidchen sich selbst.“ Adelheid ließ die Porzellantasse beinahe fallen. „Die Venus! das ist ja die Venus!“ kreischten die Mädchen. Die Tante wollte über die Attrappe sich ausschütten vor Lachen, aber als sie Adelheids Ver¬ legenheit bemerkte, nahm sie rasch die Untertasse in die Hand, und meinte, da müßte sie sich vergriffen haben; denn sie habe noch eine Tasse, wo die Venus ein Umschlagetuch hat. Adelheid hatte wohl von der Venus gehört, aber in der Mythologie und Geschichte sollte der Unterricht später anfangen, weil Herr van Asten sie zuvor die Erde und ihre Bewohner wie sie ist und sind, habe kennen lernen wollen, ehe er zu den Menschen über¬ ginge, die vormals gelebt, und was sie geglaubt und sich vorgestellt. Dagegen entwickelte die Frau Obristin in dieser Wissenschaft einige Kenntniß und schien sie mit Vergnügen auszukramen. Sie wußte namentlich viel von Najaden und Dryaden, von den Metamor¬ phosen, und sogar von Ovid, der ein charmanter Dichter gewesen, daß Adelheid über ihre Gelehrsam¬ keit erstaunte. Sie hatte auch in ihrer Jugend bei Hofe den kleinen Schauspielen zugesehen, wie man die Götter und Göttinnen anzog und den Engeln Flügel anband. „Da könnte ich wohl manches von erzählen, was Herr van Asten nicht so wissen wird, denn er war nicht dabei. Liebes Kind, Sie müssen nur denken, die Leute waren damals spaßiger als jetzt, das wird auch Herr van Asten wissen, und Böses war nichts bei. Denn die wurden blos so Heidengötter genannt, wir kannten uns ja Alle, alles gute Christen, und alles Tricots, pfui, wenn einer denken könnte, daß es was andres war. Der Herr Kammerherr könnte Ihnen davon erzählen — ich weiß auch gar nicht, wo er bleibt; er wollte noch mit einem vornehmen Herrn vom Hofe zur Chocolate bei mir ansprechen — nein, sag ich Ihnen, der weiß die ganze Mythologie auswendig. Venus das war die Mutter vom Cupido oder Amor, und ihr Vater war Jupiter und sie war aus Meeresschaum geboren, und die Kinder vom Amor waren Amoretten. Wenn der Herr Kammer¬ herr die Amoretten anzog, das war zum Todtlachen; Kinderchens nicht größer als so, mit Papierflügeln, einem Gürtel um den Leib, und alle an einem langen Strick gebunden, der so hing, und wenn sie artig blieben, und nicht zappelten, kriegte jede nachher einen Honigkuchen. Ich selbst war mal ein Cupido, na, Engelchen, das war eine Geschichte, wenn ich daran denke! Sehn Sie, so stand ich mit einem silbernen Pfeil und sollte ihn Jemand ins Herz stoßen, versteht sich, nur von Pappe und Schaumsilber; aber wenn ich Ihnen den Jemand nennte, da würden Sie Augen und Ohren aufsperren! Es war ein sehr reicher und vornehmer Herr, und wurde nachher noch vornehmer und reicher. Ach und ein Herz und ein Gemüth, so gut wie ein Kind. Da gab ein Jeder gern sein Liebstes hin, wenn dem guten Herrn eine Freude damit geschah. Und wie generös! Da wurden die Goldstücke nicht gezählt; nur so in der Hand gewogen. Und einmal, es war nämlich in einer kleinen, engen Gasse, da neben der Spandauerstraße, zwei Stock hoch, in einem finstern Hause, Treppen so grade rauf, wie 'ne Leiter, und stockduster, daß man sich Hals und Bein bricht, da kommt der Herr eines Abends rauf. Gott bewahre, er wird nicht allein ausgehen, Einer in Livree vorauf, und zwei Herren begleiten ihn, Alle in großen Mänteln. Nämlich er hatte in Dresden ein Bild gesehn, von einem ge¬ wissen Titus oder Tilian, darauf kommts nicht an. Es stellte eine Venus vor, die auf einem Kanapee ruht. Und es hatte ihm so gefallen, daß er gar nicht die Augen wegkriegen konnte. Da hatte Jemand zu ihm gesagt: „Gnädiger Herr, ich weiß in Berlin ein Original dazu; das hier ist ihm wie aus den Augen geschnitten.“ Wie der vornehme Herr dazu den Kopf schüttelte und meinte, das halte er für ganz unmög¬ lich, denn so was gebe es gar nicht lebendig, sagt der andre: „Wenn gnädigster Herr sich dafür inte¬ ressiren, so käme es ja nur auf die Probe an. Ich weiß, der Mann, dem es gehört, würde es sich's zur größten Ehre schätzen.“ Sehn Sie, so war der Hergang.“ Adelheid wollte nach Hut und Handschuhen greifen. Warum, wußte sie nicht, aber sie war unruhig ge¬ worden. Die Obristin faßte sie am Arm: „Engelchen liebes, Sie ängstigen sich doch nicht? Das war nur, was Sie lebende Bilder nennen, lassen Sie sichs nur von Herrn van Asten erklären, und der hat sie auch gar nicht gesehn, Gott bewahre, der Vorhang ist gar nicht aufgegangen von wegen der silbernen Leuchter, denn darin hatte ers versehen. Die Stube sah Ihnen doch wie ein Paradies aus. Da hatte er Blumen und Bäume von Winkel-Bouch é s bringen lassen, und Wachslichter hinter die Büsche, und oben hatte er sich vom Theater eine Lampe geborgt, ganz blaß, die sah wie Mondenschein aus, und hinten war die rothe Gardine zum Zurückschlagen, und davor zwei große Bäume, das waren aber Tannen aus dem Thiergarten, und da huckten oben zwei Amoretten, sie waren angebunden, aber nicht ganz fest. Und Räucherpulver war auf ein Kohlenbecken gestreut, das war so verdeckt, daß es wie ein Altar aussah, und die kleine Stube roch Ihnen süß und schön. Ich mußte nun dahinter kauern, und wenn er einträte, sollte ich vorspringen, und ihm den Pfeil auf die Brust halten, und die Worte sprechen: O edler Menschenfreund, Dein tugendhaftes Herz, Wenn dieser Pfeil es trifft, so sei es nicht zum Schmerz. Wenn dies ihr Tempel war, ist er von jetzt ab Dein Sei Du sie Phöbus nun in diesem Mondenschein. Nu können Sie sich vorstellen, Engelchen, wie mein Herz schlug, als ich ihn die Treppe raufkommen hörte; Herr Jesus, ich glaubte doch, mir würde es in der Kehle stecken bleiben. Und der Mann von der Frau, der stand auch so und japste an der Thür; er war auch baumgroß mit einem Tressenrock, und weißsei¬ denen Strümpfen. — Und die weißen Handschuhe zit¬ terten nur so, wie er die Armleuchter hielt. Und wie der Herr draußen die letzte Treppe rauf steigt, — wir hörten ihn husten, — er nun, mit dem Fuß die Thür zurückgeschmissen, und raus, und da sinkt er beinah in die Knie und leuchtet runter: „Mein gnä¬ digster Herr, das ist zu viel Sonnenschein in mein armes Haus!“ Der Herr nun, der nicht weiß wie ihm ist, hält den Arm vor's Gesicht, und stolpert just, wie er ruft: „Verfluchter Kerl!“ Das hab ich selbst gehört; das andre hab ich nicht gesehen, das haben sie mir gesagt. Nämlich darüber hat er die Balance verloren, und drei Stufen rutschte er, und hätte ihn der andre nicht gehalten, wäre er gefallen. Da schrie es: „Lichter aus!“ Aber da hatten sie schon auf den dritten gestoßen, der helfen kam, und der kriegte den Schuß. Das hörte ich poltern. Und da riefen sie von unten: „Licht! Licht!“ Aber dann schrieen sie wieder: „Nein, kein Licht!“ Der Bediente aber, der oben gehuckt, war nun wie ein Satan zugesprungen, dem Mann hatte er die Kerzen ausgeblasen und stieß ihn, daß er in die Stube zurückfiel. Aber nun stellen Sie sich vor. Ich, wie ich meine, daß er reintreten muß, war mit dem Pfeil aufgesprungen und stoße ein Bischen an's Kohlenbecken; derweil aber ist sie schon rausgesprungen, und eh ich michs versehe, krieg ichs um die Ohren: Du — die Schimpfworte will ich gar nicht sagen — das ist ja zu früh! Darüber purzelt der Altar um, und die Kohlen kullern. Nu wärs noch alles gegangen, aber die kleinen Engelchen, nämlich die Amoretten, sind angestoßen von ihr, wie sie rausspringt, nämlich die großen Tannenbäume, I . 19 und wo sie hinschlug, wuchs kein Gras. Diese Engelchen waren nun runter gerutscht vom Ast, aber weil sie angebunden sind, konnten sie doch nicht run¬ ter, also zappelten sie Ihnen und schreien Ihnen gottserbärmlich.“ „Ach Gott die armen Kinder!“ rief Adelheid. „Und im ganzen Hause schrieen sie, und das war ein Thürenklappen: Herr Gott was ist denn los? — Da schreits mit ein Mal Feuer, und der Nachtwächter tutet, und es war auch Feuer, denn die Kohlen waren an die Gardine gekommen, und die brannte hell auf. Na, der Mann, das muß man ihm lassen, schnell wie der Wind, runter die Gardine, ausgetreten, aber auf der Straße hatten sie den Schein gesehen, und nun tutete es durch die Stadt noch eine Stunde.“ „Aber die armen Kinder! Was ward aus denen?“ „I die haben sie runter geschnitten und links, rechts ein Bischen, dann nach Haus. Ich kriegte auch 'nen Katzenkopf; da mußte man schon nicht drauf sehn. Aber der Mann und die Frau, nein, ich sage doch wenn gemeine Leute ohne Bildung in Rage sind! Einer auf den anderen los, daß er's verdorben hätte. Mit dem silbernen Leuchter schlug er ihr ins Gesicht; sie hatte ihm aber vor den Bauch getreten, das muß man auch wissen. Todt geschlagen hätten sie sich und Gott weiß was, wenn nicht die Polizei kam; die riß sie auseinander.“ „Die Polizei!“ Es überrieselte Adelheid, sie war schon aufgestanden. Sie hatte die Polizei nur auf dem Markt gesehen, oder wenn sie einen Dieb einbrachte, aber sie wußte doch, daß es etwas Schlim¬ mes war, wo die Polizei kam. „Gott sei Dank, die kam aber erst, als der Herr fort war. Das war noch ein Glück. Aber der Be¬ diente und der andre konnten kaum den Einen fort¬ schleppen, so war er auf die Hüfte gefallen. Hatte sich was gebrochen. Und der arme Herr trägts heute noch —“ Sie verstummte plötzlich. Im Eifer der Erzäh¬ lungslust hatte sie nicht bemerkt, daß der Kammerherr von St. Real im Zimmer stand. Er verbeugte sich ehrerbietig vor Adelheid: „Ver¬ zeihen Sie, mein Fräulein, wenn ich auf einige Augenblicke die Frau Obristin Ihrer Unterhaltung entziehe. Nur einige dringende Worte —“ Adelheid erklärte, sie wolle nicht stören, sie müsse nach Hause. Warum sie das mußte, wußte sie selbst nicht, aber sie mußte, das war ihr klar. Den eigent¬ lichen Zusammenhang der Geschichte hatte sie nicht gefaßt; ihre Aufmerksamkeit war bei den armen Kin¬ dern haften geblieben, die mit Stricken am Baume hingen. Sie dachte an die unglücklichen Geschöpfe, welche die Seiltänzer ihren Eltern stehlen und die auf immer verloren gehen. Wie herzergreifend hatte das die Frau Obristin im Dorfe erzählt. Es war der Gedanke des Verlorengehens, die Vorstellung, daß ja ein ganz unschuldiger Mensch zufällig in dem 19* Hause hätte sein können. Mein Gott, wenn auch sie Jemand dahin geführt hätte um das Bild zu sehn, und dann der Feuerlärm, die Polizei! Es drückte sie centnerschwer. Die Bilder an der Wand schielten sie so seltsam an, so herausfordernd, fast alles mytho¬ logische Darstellungen; sie hatte sie früher nicht genau betrachtet, jetzt schlug sie die Augen nieder. Wenn sie nur erst hinaus wäre, wollte sie die Mutter bit¬ ten, sie nie wieder in das Haus zu lassen. „Ich kam in der Absicht, sagte der Kammerherr, das Fräulein um die Ehre zu ersuchen, Sie in meinem Wagen zu Ihren Eltern zurückfahren zu dürfen. Vor¬ hin begegnete ich Ihrem Herrn Vater, dem Kriegs¬ rath, und er erlaubte mir diese Bitte an Sie zu richten. Wenn ich Ihre Zustimmung habe, vergön¬ nen Sie mir nur einige Momente mit Ihrer würdi¬ gen Wirthin.“ Das Zwiegespräch in der Fensternische ward sehr leise geführt. Mit der süßesten Miene flötete St. Real der Frau ins Ohr: „Sie unverantwortliches Plappermaul! Jetzt auf der Stelle, wiederhole ich Ihr, schaff Sie die Predigerfamilie fort!“ Wie zu¬ traulich drückte er dabei ihre Hand, und wie war sie erfreut über dies Zeichen von Vertrauen, und bat ihn, ihr ja diese gütige Gesinnung zu bewahren. „Weiß Sie, was der König thut, wenn er's erfährt?“ Dabei klopfte er ihr zutraulich auf die Schultern. — „Nur bis morgen, gnädigster Herr, ich kann sie ja doch nicht auf die Straße schmeißen.“ — „Durch den Büttel läßt er Sie aus der Stadt peitschen, und Sie hats verdient, Sie unverschämtes Mensch!“ — „Zu gütig!“ — „Ihre Zunge müßte man Ihr mit glühenden Zangen ausreißen, denn sie geht mit Ihr durch, weiß Sie, bis wohin — bis zum Galgen, und Sie hat ihn verdient.“ — „Nein mein Herr Kammerherr sind doch die Obligance selbst, und nun wollen Sie uns auch die Mamsell Kriegsräthin entführen. Ganz nach Ihrem Commando.“ „Man hat sich kaum gefreut, so soll die Adel¬ heid schon wieder fort,“ sagte Karoline. Jülli aber sagte, es sei wohl gut, es scheine ihr ein Gewitter aufzusteigen, daß sie das nicht noch überrasche. Sie sah dabei aber ängstlich nach der Thür zum Seiten¬ zimmer. Der Kammerherr meinte, ein Gewitter wäre nicht im Anzuge, es sei dafür zu kühl, aber ein Sturm und Regen. Er fragte, ob Adelheid nur das dünne Umschlagetuch habe? — „O wir leihen ihr ein andres,“ sagte Jülli. „Ach das rothseidne der chère tante !“ rief Karoline. Adelheid hat's ja noch nicht gesehen. Das ist ja wahr! — Wie prächtig wird sie darin aussehen. Und das hält warm! —“ Der Kammerherr nickte der Obristin zu, sie möge das Fräulein nur recht warm und schön anziehen. Dann ging er hinaus, um nach dem Wagen zu rufen, sagte er. Es mochte aber auch sein, um nicht bei der Toilette zu stören, oder um sich nach dem Lärm zu erkundigen, den man auf der Straße hörte. Ein Reiterregiment ritt vorüber, aber es schien, als ob sie Halt machten, und man hörte Gelächter und Rufen. Die Obristin hatte das viel besprochne Tuch vom Malayenlande aus der Kommode geholt, als sie im Vorübergehen einen Blick aus dem Fenster warf: „Was das nun wieder ist! Sind doch die Herren Gensd'armen nur da, um Unfug mit ehrlichen Leu¬ ten anzufangen!“ Sie breitete das Tuch aus, und es glänzte in so köstlichem duftenden Roth, daß Adelheid selbst ein unwillkürliches Ach! ausrief. Man hing es ihr um, man zog sie vor den Spiegel. Zuerst als wallenden Talar. Die Obristin schien darin wirklich geschickt: „Du meine Güte, wie eine Opferpriesterin!“ — „Wie eine Königin!“ Der Lärm draußen wurde lauter; kein Aufruhr, aber ein wüstes Gelächter. Man rief Spottnamen hinauf; es schien, als ob von oben geantwortet würde. Darauf ein noch ausgelasseneres Gelächter, und ein¬ zelnes gellendes Pfeifen. Die Tante beschwor die Nichten sich vom Fenster fern zu halten. Sie nahm das Tuch wieder ab, um es anders zu drappiren, als man jemand die obere Treppe hastig herabkom¬ men hörte, und die Thür aufklinkte. Die Obristin schien ein anderes Gesicht zu erwarten, als das etwas ängstliche, welches zur halb aufgestoßenen Thür her¬ einsah. Die Päffchen über der schwarzen Weste ver¬ riethen einen Geistlichen. Der geblümte Schlafrock und die lange Pfeife, welche die halbzugehaltene Thür verbergen sollte, und doch nicht verbarg, hätten sich auch zu jedem guten Bürger geschickt, dem häus¬ liche Behaglichkeit über alles geht. „Haben Sie gehört, verehrteste Frau Obristin?“ „Ach mein aller bester Herr Prediger!“ „Bitte tausend Mal um Vergebung, wenn ich derangire insonders wegen meiner Toilette. Aber das ist ja nicht zum Aushalten!“ „Ist Ihnen was arrivirt?“ „Ich sehe ja nur zum Fenster hinaus, und meine Töchter neben mir, und rauche ganz in Frieden mein Pfeifchen, als Einer der Herren Officiere mit dem Arm nach mir weist, ich weiß noch nicht warum, und darauf strecken alle die Hälse und heben mit einem Aha! ein schallendes Gelächter an. Sagen Sie mir, was man da zu thun hat? Ich habe zwar einige Worte an sie gerichtet, sehr freundlich und zurechtweisend, sie antworten mir aber nur durch un¬ articulirte Laute, nachahmend den Gesang der Hüh¬ ner, durch ein Kikeriki! oder noch unbegreiflicher durch ein sogenanntes Kukuksgeschrei.“ „Ist's die Möglichkeit!“ rief die Obristin. „Ja, von einem der Herren Officiere, bei denen man doch Bildung annehmen sollte, hörte ich den unanständigen Ausdruck: „Pfaff' und Pfäffchen!“ Und Einer rief: „Gefällt's Dir im Kukuksneste?“ Wird mir doch in der That bange, denn der Pöbel fängt auch schon an mit zu krähen und die Nach¬ barn reißen die Fenstern auf. Soll ich nun zur Polizei schicken oder erlauben Sie mir, daß ich hier an's Fenster trete, wo sie mich besser hören können, und ihnen recht eindringlich in's Herz rede, wie ihr Betragen sich besser für Sodom und Gomorrha schickt als die Residenzstadt unseres Königs?“ „Sodom und Gomorrha! Da haben Sie recht, das ist das richtige Wort!“ rief die Obristin, erfreut, an ein Wort sich klammern zu können, das sie für den Augenblick aus einer Verlegenheit riß, die, wie man an ihrem Zittern wahrnehmen konnte, schon peinlich ge¬ worden. Wie sie sich herausriß, war ihr gleichgültig. Sodom und Gomorrha, Herr Prediger. O Sie werden unsere Stadt noch anders kennen lernen. Aber um Gottes Willen nicht die Polizei! Nicht zehn rechtschaffene Menschen unter tausend. Aber nicht die Polizei. Wer sich die auf den Hals ladet, sehen Sie —“ Sie hatte in ihrer Angst das Tuch hin- und hergewickelt, bis sie's Jülli zuwarf mit dem Be¬ fehl, es ordentlich zu legen, daß es das Fräulein umschlagen könne, und hatte damit schnell einen neuen Ausweg gefunden. — „Sehen Sie, Herr Prediger, das ist's, ein reines pures Mißverständniß. Sehn Sie, das Tuch hier, weil's so kokliko roth ist — hier giebt's nicht solche — müssen die Mädchen damit 'rum schmeißen, gegen's Fenster — das haben sie für 'nen Affront angesehen, die Herren Cavalleristen — warum, das weiß der liebe Himmel! Was sehn die nicht für 'nen Affront an, wenn ein ehrlicher Bürgersmann was thut — Sie wissen ja vom Lande, man darf kein roth Tuch aufhalten, dann fliegt das Federvieh — und rothe Federbüsche haben sie — alles, lieber Herr Prediger, nur nicht die Polizei! Und die Herren Officiere sind, im Grunde genommen, seelensgute Menschen. Nur Jugend! Jugend muß man austoben lassen. Aber nur nicht die Polizei! Soll Ihnen auch keiner ein Haar krümmen, lieber Herr Prediger, jetzt erlauben Sie, will Sie in ein Dachstübchen schaffen, hinten raus, und Ihre Mam¬ sell Töchter, die lieben Mädchen, wie mögen sich die erschrocken haben, da soll Sie auch keine Seele finden. Denn das Soldatenvolk ist grausam, boshaft oft gegen die Herren Geistlichen, ach und die Herren Officiere auch, aber unser herzensguter König wird sie schon besser machen. Und heut Abend kommen sehr vornehme Herren vom Hofe her; da wollen wir Alles arrangiren, ganz nach Ihrem Belieben! Nur nicht die Polizei!“ Der Herr Prediger fand sich von der Frau Obristin hinauscomplimentirt, er wußte so wenig warum, als Adelheid den Zusammenhang verstand, und noch weniger, warum die beiden Nichten, die mit ihr allein geblieben, in ein Kichern ausbrachen. Sie fragte nach dem Gruude . Karoline wollte vor Lachen platzen und drehte sich auf dem Hacken. Jülli aber umarmte von hinten Adelheid und drückte einen Kuß auf ihre Schulter: „Ach, 's ist besser für Dich, daß Du das nie erfährst.“ — Adelheid schlang den Arm um ihren Nacken und sagte leise: „Das mußt Du mir das nächste Mal sagen, wenn wir uns wiedersehen.“ — Jülli drückte hastig einen Kuß auf die schönen Lippen: „Du darfst uns nie wiedersehen. Adieu auf immer!“ Im selben Augenblick hatte Karoline das Tuch um Adelheid's Nacken geschlungen. Sie mußte eine besondere Geschicklichkeit darin besitzen. In antikem Faltenwurf fiel es von der einen Schulter, während die Kleine mit verstohlener Schnelligkeit ihr das Kleid von der andern herabzog: „Nu sieh' Dich in den Spiegel! Das ist Venus, wie sie leibt und lebt, da auf dem Bilde!“ Adelheid sah in den Spiegel und erröthete, als sie den kleinen Betrug entdeckte. Es war ein schöner Anblick, sie mußte es sich selbst sagen. Sie hob eben die Hand, um ihren Anzug zu ordnen, als — sie noch etwas anderes im Spiegel sah. Achtzehntes Kapitel. Der Sturm bricht los. Eine Thür ging auf, und ein junger Mann trat ein. Sein wild schönes Auge, trüb und wüst, wie eines Trunkenen, der eben aus dem Schlaf er¬ wacht, die Haare verstört. Die Halsbinde hing un¬ geknotet über die Weste, den Rock hatte er nicht nöthig gefunden, anzuziehen. Er blieb auf der Schwelle stehen, und reckte die Arme, um den Schlaf zu ver¬ treiben. Dies Bild sah Adelheid im Spiegel. Sie blieb athemlos stehen. Jetzt sah er sie; nur ihre Gestalt in der Wirk¬ lichkeit, ihr Gesicht im Glase. Sein Auge belebte sich, es schoß auch im Spiegel einen Blitz, vor dem sie erschrack. „Was habt Ihr denn da für eine neue Tugend!“ Rasch mit drei festen Schritten war er vor¬ getreten, und ehe Adelheid ausweichen konnte, hatte er sie umfaßt und wollte sie zu sich umdrehen: „Tu¬ gend, ich will Dir in's Gesicht sehen!“ „Louis, Du wirst —! Um Gottes willen Louis! sie ist nicht von hier!“ hatte Jülli geschrieen, und riß vergebens an seinem Arm. „Eure Larven kenn' ich.“ Im selben Augenblick war die andre Thür aufgeflo¬ gen, die Obristin hereingestürzt. Ihre sonst so gut¬ müthigen Augen funkelten: „Der wieder da! O das mußte noch kommen! Für einen verlornen Sohn ist die zu gut! Reißt sie dem Trunkenbold aus den Armen!“ Es wäre nicht unmöglich gewesen, daß sie mit ihren Fingern einen Griff nach dem Gesicht des jungen Mannes versucht, wenn nicht Adelheid sich jetzt rasch umgewandt, die herabgefallenen Locken aus dem Gesicht gestrichen hätte und gerufen: „Mein Herr! So sehe ich aus.“ Es war etwas Ueberwältigendes in dem Blicke der äußersten Entrüstung, was man nicht vergißt, im Ton der Stimme ein Metall, das keiner bis da ge¬ hört; es tönte durch das Zimmer, und in den näch¬ sten Secunden hörte man nichts anderes. Er hatte sie unwillkürlich losgelassen. Sie standen nicht einen Schritt von einander, und ihre Blicke begegneten sich. Sie wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihr. Thränen wären eine Wohl¬ that geworden, es überstürzte sie nur eine krankhafte Hitze, der sogleich eine fieberhafte Kälte folgte. Sie wandte den Kopf ab, bedeckte das Gesicht, und, ein Schrei der gepreßten Brust, stürzten die Worte heraus: „O mein Gott, wo bin ich hingerathen! Was ist das mit mir!“ Sie wankte; aber sie schauderte vor der Obristin, die sie auffangen wollte. Sie tappte mit aufgehobenen Armen, als der junge Mann eine Bewegung machte, war's, seine Beute wieder zu ergreifen, war's der Ohnmächtigen beizustehen. Aber die Erscheinung eines andern fremden Mannes, der ein: „Halt, mein Herr!“ ihm entgegen rief, veränderte die Scene. Es war ein hochgewachsener Mann von leichtem, vornehmen Anstande. In seinem blassen, ausdrucks¬ vollen Gesicht, in dem man einen Philosophen, Staats¬ mann, wenigstens einen Denker erkennen mögen, brannten auch zwei dunkle Augen, nicht groß, aber bedeutend durch den Ausdruck edlen Zornes, der in ihnen glühte. Ein Mann von mittleren Jahren, der aber durch die Entrüstung, den Stolz seiner Haltung, die Elasticität der Bewegung, um vieles jünger schien. Es war ohne Zweifel das bedeutendste, ausdruckvollste Gesicht im Zimmer, vielleicht was man überhaupt in diesem Räumen gesehen, ein Mann, in dem jeder Muskelzug, jede Bewegung die Weltkenntniß und Erfahrung ausdrückten und ein Mann, der geboren schien, um zu imponiren. Den leichten Umwurf¬ mantel, mit dem er ins Zimmer getreten, hatte er schon an der Thür abgeworfen und stand im schwar¬ zen Civilhofcostüm dem andern gegenüber. Auf dem Gesichte dieses Jüngern, dem die Lei¬ denschaften viele Falten eingedrückt hatten, suchte man indeß umsonst nach einem Zuge, der eine Incli¬ nation verrieth, sich imponiren zu lassen. Mit einem verächtlichen Achselzücken: „Das geht Sie nichts an! Die Dame ist ohnmächtig!“ wollte er an ihm vor¬ über. Ein: „Elender zurück!“ donnerte ihm entge¬ gen. „Ihr Arm darf die Unschuld nicht berühren.“ Die Hand des Cavaliers hatte die Halsbinde des jungen Mannes gefaßt, als dieser auch auf diese Worte nicht geachtet. Ein fürchterlicher Blick des Jüngeren, während seine Arme krampfhaft zitterten, sagte dem Cavalier was er im nächsten Moment erwarten konnte, wenn er nicht zuvor kam. Louis war unzweifelhaft der Stärkere, aber er war in einer ungünstigen Stellung, des Angriffs nicht gewärtig, noch vom wüsten Traumschlaf ermattet. Der Ca¬ valier war auf einen Angriff gefaßt, eingetreten, wahrscheinlich ein gewandter Fechter, der die Schwäche des Gegners zu nutzen weiß. Ihn kurz an sich ziehend, warf er ihn mit einem heftigen Stoß zurück: „Schla¬ fen Sie Ihren Rausch aus!“ Louis fiel auf einen hinter ihm stehenden Stuhl; doch so heftig gegen die Lehne geschleudert, daß er einen Moment besinnungslos blieb. Ein fürchterli¬ cher Moment. Heulen, Schreien, Lärm jeder Art. Es polterte von oben, es stürmte die Treppen herauf, Leute waren eingedrungen ins Haus, schon sogar als ungerufene Zeugen ins Zimmer. Als Adelheid, an die Wand gelehnt, ihre Besinnung zu¬ rückkam, hatte auch der junge Mann sie wieder ge¬ wonnen. Es war der entsetzlichste Blick, den sie gesehen, ein Basiliskenblick, die Zornader glühte auf seiner Stirn und die Brust hob sich wie eine Meeres¬ welle als er aufsprang und nach einer Waffe griff. „Mord!“ „Todtschlag!“ „Polizei!“ — „Blut!“ schrieen verwirrte Stimmen. Dem Stuhle, den der Rasende wie eine Keule in der Luft schwang, hätte der Ga¬ lanteriedegen, den der andere rasch gezogen, nicht parirt. Aber die Obristin faßte nach dem Stuhlbein, als der Degen schon mit einem gefährlichen Parir¬ stoß nach der Brust zückte. Jülli sah die Spitze fun¬ keln, sie hing an Louis Brust, sie umklammerte seinen Hals, ein Schild, das ihn schützte, aber ihm die freie Bewegung raubte: „Louis nicht Dein Blut!“ Der Stoß des nur zur Vertheidigung gezückten Degens hätte tödtlich werden können, wo der Feind in blinder Wuth sich auf den Gegner gestürzt hatte, als Adel¬ heid dem Cavalier in den Arm fiel: „Um Gottes, um Gottes Barmherzigkeit willen, kein Blut um mich!“ Es war alles das Werk eines Momentes. Die Degenspitze hatte Jüllis Schulter gestreift; es rieselte roth von ihrem Nacken. Im selben Augenblick trennte ein dritter Fremder die Kämpfer. „Auch Mord und Blut in diesem Sündenhaus.“ Des Predigers Ge¬ sicht war krampfhaft verzogen, er hob die zitternden Arme gegen die Obristin, er drohte ihr. Aber die Stimme schien auch ihm zu versagen. Er griff in die Tasche und warf ihr eine kleine Börse zu Füßen: „Weib mach Dich bezahlt mit meinem Sparpfennig.“ Der Lärm hatte inzwischen einen bacchantischen Charakter angenommen. Den Pöbel kitzelte die wilde Lust, hier die Nemesis zu spielen, zerstören zu können. Die Träger der Effecten des Predigers, die er in aller Hast hinunterschaffen ließ, fanden auf Treppen und Thüren kaum Durchweg; man wollte unter¬ suchen, ob nichts Verdächtiges damit entschlüpfe. Rohe Witzworte begleiteten diese Improvisation; noch ärgere Invectiven schallten von der Straße, denn das Gerücht von dem, was im Hause sich zugetragen, wuchs natürlich je entfernter man davon stand. Die Schwadronen zogen ab, und das von den Blasein¬ strumenten angestimmte Lied: „Ach du lieber Augustin,“ dröhnte als Parodie durch das Getöse. Da hatte die Obristin, die nicht nach dem Geldbeutel griff, denn sie sah, es war hier mehr verspielt, eine unbeschreib¬ liche Wuth ergriffen. Die Larve der Sanftmuth und Gleisnerei war abgefallen, die innerste Natur des gemeinen Weibes hatte sich herausgekehrt und ihre funkelnden Augen und fletschenden Zähne suchten nach einem Gegenstande der Rache. Sie hatte ihn gefunden. Den Geistlichen hatte sie mit dem Ellen¬ bogen und einem Schimpfwort bei Seite geschoben, die „Natterbrut an ihrem Busen,“ die ihr so mit Undank gelohnt, die den Störenfried versteckt, sollte es entgelten. Aber stand der nicht selbst vor ihr, der all das Unglück angerichtet, — mit seinen bösen, schönen Augen? Sprach sie's aus, oder sah sie's an ihren gespitzten Fingern, an den gehobnen Armen, die Hyäne auf dem Sprunge? Jüllis Augen blitzten auch dämonisch: „An seinen schönen Augen Deine Hand, Du schändlich Weib! Erst über meinen Leib! den zertritt nun vollends.“ „Die Weiber bringen sich um!“ schrie es. „Po¬ lizei!“ Schon arbeitete sich der Commissar durch die Thür. Das Weib hatte das Mädchen an der Schulter gepackt, wo der Degen gestreift. Das Mädchen stieß einen Schmerzensschrei aus und sank ohnmächtig nieder, während von hinten schon eine andere Megäre die Wüthende umklammerte. Auch hier eine abgefallene Larve, auch hier die lang verhaltene Wuth einer ge¬ meinen Natur, die keine Rücksichten mehr kennt! Der Polizeibeamte sah nicht mehr des Cavaliers gezückten Degen, er hatte ihn eingesteckt, auch der geschwungene Sessel war längst aus Louis Händen zu Boden gefallen; er saß, zurückgesunken in einem Stuhl und starrte, Todtenblässe im Gesicht, auf das zu seinen Füßen liegende Mädchen, seine Lebens¬ retterin. Der Polizeibeamte sah nur die ringenden Weiber, eine blutbedeckte Hand von der zusammen¬ schnürenden Umarmung einer Wüthenden in die Luft gestreckt. Mit kräftigem Arm, mit dem Griff des Säbels, der unsanft auf ihre Schultern fuhr, riß er sie aus einander. Die beiden Sergeanten ergriffen die Obristin und Karolinen. Indem sein Blick umher¬ streifte, nach den übrigen Complicen zu suchen, fiel er zunächst auf Adelheid. Sie war, von Mitleid fortgerissen, neben der Verwundeten hingekniet; aus dem natürlichen Impuls sich den Blicken zu verbergen, I. 20 beugte sie sich tiefer über das unglückliche Mädchen als nöthig war, in dem Augenblick vielleicht das glücklichere; sie wußte ja nicht, was um sie vorging. Auch Adelheid wußte es kaum, als die rauhe Hand des Commissars sie aufriß: „Aufgestanden! Marsch!“ — „Sie ist unschuldig!“ — rief eine Stimme. „Da der Beweis ihrer Unschuld!“ entgegnete der Com¬ missar, und zeigte Adelheids Hand, auch sie blutig von der Berührung. „Auf der Wache wird sich alles herausfinden, mein schönes Kind. Einstweilen mit¬ gefangen, mitgehangen.“ — „Sie ist unschuldig!“ schrie Louis, aus seinem Starrsinn erwachend. Er war aufgesprungen. Der Beamte sah ihn mit einem höhnischen Blicke an: „Wenn man Sie als Zeugen aufrufen wird, ist Zeit für Sie zu sprechen. Oder sind Sie etwa auch unschuldig? Die Person hier auf eine Trage, und vorsichtig! Auf der Wache wollen wir untersuchen, wo sie hin muß.“ Wie so viele Nadelstiche bohrte das rohe Gelächter in Adelheids Herz. An wen sich wenden! Sie hatte keinen Freund, keinen Bekannten hier. Der Kammerherr war verschwunden. Sollte sie das Weib anrufen, das noch vor Wuth kochte, und grimmige Blicke mit dem andern Mädchen tauschend, von neuen Thätlichkeiten nur durch die Wache abgehalten ward! Und was hätte deren Zeugniß in dieser Lage ihr geholfen! Durfte sie den Namen ihres Vaters nennen? Der Retter stand aber schon vor ihr: „Diese Dame ist an den Auftritten hier so unbetheiligt als ich selbst,“ rief der Fremde; und schon sein Kostüm und Anstand brachte auf den Polizeimann so viel Eindruck hervor, daß er unmerklich Adelheids Arm losließ. „Ich bin der Legationsrath, Kammerherr von Wandel aus Thüringen. Auf der Rückkehr von der Tafel Seiner Königlichen Hoheit führte mich der Zufall, ich meine der Spektakel, in dies Haus, und ich kam glücklicherweise noch zu rechter Zeit um dieses junge Mädchen vor Beleidigungen zu retten, über die ich, wenn es erfordert wird, Zeugniß ablegen kann. Ich verbürge mich für den unbescholtenen Ruf der Dame, deren Name und Familie mir bekannt sind, und die nur der Zufall oder die Bosheit hierher locken konnte. Diesem würdigen Geistlichen und seiner Familie ist es nicht besser ergangen. Daß sie keinen Theil an den Excessen dieser Personen da hat, brauche ich kaum auszusprechen; das Blut an ihrer Hand rührt, wie Sie sehen, von der liebreichen Pflege, die sie jenem armen Geschöpfe angedeihen ließ.“ Der Polizeicommissar verneigte sich leicht vor dem Fremden, nachdem dieser ihm den Namen des Vaters ins Ohr geflüstert hatte: „Diese Demoiselle kann demnächst auf Bürgschaft des Herrn Legations¬ rathes entlassen werden.“ „Und ich ersuche Sie, mein Herr Prediger, wandte sich der Legationsrath an den durch das Ge¬ dränge noch immer festgehaltenen Geistlichen, das junge Mädchen unter dem Geleit Ihrer Töchter aus diesem Hause zu bringen. Sie bedarf eines weiblichen 20* Schutzes vor Neckereien und Brutalitäten, die Be¬ gleitung eines Mannes, wer es auch sei, würde sie nur anlocken.“ „Bleiben Sie mir vom Leibe! Soll ich noch von der Brut mir anhängen, wo ich kaum weiß, wie ich mit meinen unschuldigen Töchtern ohne Insulten davon komme.“ Dem Geistlichen diente die eigene peinliche Lage gewiß zur Entschuldigung, wenn er jetzt so hart er¬ schien, als er früher leichtgläubig gewesen. Auch die Reden unter den Zuschauern konnten ihn rechtfertigen, denn man zischelte sich zu oder sagte es vielmehr ganz laut: „Die Hübscheste wird losgebissen von dem vor¬ nehmen Herrn.“ „Das weiß man schon, an wem nichts mehr zu verlieren ist, den läßt man dem Galgen.“ Der Polizeicommissar, der mit dem Bleistift einige Notizen gemacht, wies auf Louis: „Wollen Herr Legationsrath auch etwa für diesen jungen Herrn bürgen?“ „Mich dünkt, sein Zustand bürgt für ihn, sagte Wandel. Wenn er ernüchtert ist, wird er selbst am besten Rechenschaft geben, welche Motive ihn in dies Haus geführt. Ich, meinerseits habe durchaus keine Ansprüche an den Sohn des Herrn —,“ er flüsterte wieder den Namen in das Ohr des Beamten — „sollte der Herr an mich Forderungen haben, so ist ihm meine Adresse bekannt,“ setzte er scharf betonend und mit einem eben so scharfen als kurzen Blick auf den Betreffenden hinzu. „Demoiselle, sagte er dann, Adelheid seinen Arm bietend, da sich kein anderer Ritter findet, müssen Sie sich meinem Schutz anvertrauen. Platz!“ Die Menge machte ihn. Im Hinausgehen sah Adelheid unwillkürlich zurück. „Sie mögen sich entfernen, Herr v. Bovillard, hatte der Commissar diesem zugeflüstert, indem er anscheinend in seinem Taschenbuche Bemer¬ kungen notirte. Doch erst nachher, wenn die Menge sich verlief. Sie verdanken diese Berücksichtigung dem Zeugniß des Herrn Legationsraths; Sie werden selbst am besten wissen, daß die Polizei andere über Sie hat.“ Der junge Mann stand aufgerichtet, wie eine Bildsäule regungslos; seine Hand wühlte krampfhaft in der Brust, nur die Augen schossen noch einen Blick auf Adelheid's Begleiter, dessen Ausdruck sich nicht be¬ schreiben läßt. Es war nicht mehr das Feuer des Zornes, nicht das Aufprasseln eines Brandes, der seinen Höhenpunkt erreicht, es war die Gluth des Hasses, die still fortlodert, weil sie unerschöpflichen Stoff unter der Asche gefunden. Und doch zückte dies stiere Auge als es dem des jungen Mädchens be¬ gegnete, und senkte unwillkürlich die Lider. „Eilen Sie! rief ihr Begleiter. Draußen ist frische Luft.“ Sie schwankte an seinem Arme, als er sie durch die Thür gerissen. „Nur einen — einen Augenblick nur! stöhnte sie im Vorzimmer — O Gott, mein Vater, meine Mutter!“ Sie war in einen Sessel im Vorzimmer gesunken. Der Retter hatte ein Etui mit kleinen Essenzfläschchen aus der Tasche gezogen und tupfte, vorsichtig Tropfen davon auf den Finger gießend, über ihre Stirn. Die Vorübergehenden machten ihre Glossen, es waren keine freundliche. Ein Glück für die Ohnmächtige, daß sie nichts davon hörte. Ihr Begleiter hörte und verstand sie, aber keine Miene, kein Blick verrieth eine innere Bewegung. Er betrachtete die Ohnmächtige wie der Kenner ein Bildwerk. Als das Zimmer zufällig leer war, lüftete er vorsichtig das Tuch, das sie um sich ge¬ schlungen: „In der That ein Prachtwerk der Schöp¬ ferin. Fast zu schön, um es zu verschwenden, setzte er hinzu. Und doch, wenn wir es nicht verschwen¬ deten, nicht mehr werth als eine Mumie in einer Raritätensammlung.“ Erst die Tropfen aus dem letzten Fläschchen, die er noch behutsamer anwandte, brachten die Wirkung, die er beabsichtigt, hervor. Es mußte eine sehr starke, gefährliche Essenz sein, denn nur, nachdem er verdrießlich nach der Uhr und der Sonne gesehen, und die Schläferin ohne daß sie erwachte, stark am Arm gerüttelt, hatte er die doppelte Metallkapsel und den Stöpsel gelüftet. Sie war erwacht, aber ihre Augen, ihr Athmen, ihr Lächeln, bald auch ihre Sprache, zeugten von einer Einwirkung auf die Ner¬ ven, die der Retter nicht beabsichtigt hatte. Sie er¬ hob sich und sprach in Extase. Es war das schöne Metall der Stimme, das vorhin fast berauschend in's Ohr der Zuhörer geklungen; aber hier nicht ein schneidender Laut der Todtenglocke, es klang und wogte melodischer, wie ein Lobgesang, als sie ihrem Retter ihren Dank aussprach, ihn versichernd, es werde alles gelingen, alles gut werden, er sollte nicht sor¬ gen. Sie sprach sehr schnell. Der Legationsrath kniff sich ängstlich in die Lippen, als sie Schiller'sche Verse recitirte, von der Tugend, die kein leerer Wahn; von der Welt, die das Strahlende zu schwärzen liebe, aber die edlen Herzen schlügen überall, auch im Hause des Verderbens. O wie würde sich ihr herrlicher Lehrer freuen, welch ein Triumpf für ihn, daß sein Wort in Erfüllung gehe: nur durch die Leiden, die großen Leiden, entwickele sich die Seele. Und wie erst würde ihr Vater sich freuen, wie sehne sie sich, ihm in die Arme zu sinken. Da da! — sie zeigte an's Fenster. Die Thürme auf dem Gens¬ darmenmarkt glühten in der Abendsonne, in jener wunderbarer Pracht, wie sie ein kalter nordischer Abendhimmel zuweilen auf die Dächer und Spitzen höherer Gebäude ausgießt; die gelben Streiflichter am fernen Horizont deuteten aber dem Kenner, daß diese schöne Röthe kein Vorbote eines schönen Tages sei. „Mein Vater sieht sie auch aus seinem Fenster, er freut sich, und er darf sich freuen, denn bald werde ich auch in seine Arme stürzen, roth von dieser Sonne angeleuchtet.“ „Wickeln Sie sich fester in Ihr Tuch, Made¬ moiselle. Sie sind erhitzt, und es ist sehr kühl draußen geworden.“ Das Gewitter, das sich aus¬ wärts entladen, hatte eine empfindliche Kälte ver¬ ursacht. „In dies Tuch!“ rief Adelheid, als der Lega¬ tionsrath bemüht war, den seidenen Shawl fester um ihre Schultern zu ziehen. Sie riß es heftig ab, und schleuderte es in den Winkel. Es ist nicht meines. Sie schauderte. Fort, fort! nach Hause.“ „Unmöglich, Demoiselle! Sie ziehen sich eine gefährliche Krankheit zu. Wenn das Tuch nicht Ihnen gehört, schicken wir es sogleich zurück. Nur bis ich Sie zu Ihrem Herrn Vater gebracht.“ „Mein Vater soll das Netz nicht sehen, worin sie seine Tochter fangen wollten.“ Sie hing sich mit Ungestüm an seinen Arm. „Mich friert; aber nur hier. Gewiß nur hier, draußen ist es warm.“ Auch den Legationsrath fröstelte. Er konnte die Retterrolle, die er übernommen, bereuen. Die ent¬ schlossenen Züge seines Gesichtes schienen dem zu widersprechen. Aber seine Lage war eine kitzlige für einen vornehmen Mann, dem der Anstand vor der Welt allen Rücksichten voran geht. Oeffentlich aus diesem Hause eine Dame zu führen, deren auf¬ geregter, halb verwilderter Zustand den Vermuthungen, die sich von selbst machten, nur zu sehr Thor und Thür bot. „Sie ist ja offenbar betrunken,“ mußte er im Vorbeigehen hören. „Die Schminke eben ab¬ gewischt,“ sagte ein anderer. „Und in der Windfahne auf offener Straße!“ Dies waren nicht mehr die Stimmen des Pö¬ bels; es waren die Urtheile ruhiger Bürger. Es waren dieselben Personen, welche vorhin den Prediger und seine Töchter vor den Insulten der Buben ge¬ schützt. Denn diesen Landmädchen sähe man es ja an, daß sie nicht in das Haus gehörten, aber es sei doch eine Verhöhnung alles Anstandes, wenn ein Cavalier im Hofcostüm mit einer solchen frechen Dirne ohne Scham und Scheu auf offener Straße sich zeigt. So etwas sei selbst zu den schlimmsten Zeiten der Lichtenau'schen Wirthschaft nicht vorge¬ kommen. Zum Glück hörte davon Adelheid nichts. Der Legationsrath hörte Alles, aber keine Miene verrieth es. Die ruhigen Bürger blickten ihm kopf¬ schüttelnd, die Gassenbuben liefen ihm höhnend nach. Er schwieg auch da, er beschleunigte nicht einmal seine Schritte. Er suchte nur nach etwas, vielleicht nach einem Bekannten; nach einem Fiacker konnte er sich nicht umsehen, es gab deren in Berlin noch nicht. „Wissen Sie die Wohnung meines Vaters?“ fragte Adelheid. „Ich weiß sie.“ Aber er nahm eine an¬ dere Richtung und beschleunigte jetzt seine Schritte. Als Adelheid ihn daran erinnern wollte, trat er an eine offene Kutsche, welche in der Querstraße vorüber¬ fuhr und gab dem Kutscher ein Zeichen zum Halten. Zum großen Befremden der Dame, welche darin saß; zu ihrem noch größeren aber redete er sie bei ihrem Namen an, und bat sie um einen Dienst der Menschenfreundlichkeit. Er nannte seinen Namen. Eine leichte Röthe überflog die blassen Wangen der Geheimräthin Lupinus. Sie neigte sich anmuthig über den Wagenrand, sein Anliegen zu hören. „Erlauben Sie, daß ich französisch spreche, sagte er, wegen der Zuhörer.“ Es blieb zweifelhaft, ob er die Gassenbevölkerung meinte, die sich schon um den Wagen drängte, oder Adelheid, die noch an sei¬ nen Armen hing. In einer fließenden kurzen Dar¬ stellung, mit einem Accent, in welchem die Geheime¬ räthin den Pariser zu erkennen glaubte, erzählte er die scandalösen Vorfälle in dem Hause, ohne alle Personen, die darin verwickelt waren, zu nennen, und den wahrscheinlichen Grund, wie das arglistige Weib das junge Mädchen in ihr Garn gelockt. „Sie sehen, Madame, schloß er, die schreckliche Lage, in welche eine Verkettung von Umständen die Tochter ehrbarer Eltern gebracht hat. Wenn es mir auch dort mit meinem Degen gelang, sie vor der Brutalität zu schützen, so ist der Stahl doch eine ganz unzu¬ längliche Waffe gegen böse Vermuthungen und die aufgeregte Populace hier. Ich rufe vertrauensvoll Ihre Hülfe an. Meine Bitte, sie in Ihrem Wagen aufzunehmen und den Eltern zu überliefern, ist nur der geringste Theil meines Anliegens. Die Ehren¬ rettung des jungen Mädchens erfordert einen offenen Akt der Anerkennung. Wenn Sie sich entschließen könnten, sie hier öffentlich zu embrassiren, so ist ihre Ehre wenigstens vor diesem Straßenpublikum reta¬ blirt. Denn wer kann zweifeln, wenn eine Dame vom Ruf der Frau Geheimräthin Lupinus sie dieser Auszeichnung werth hält.“ Die Geheimräthin war durch die Vorstellung nicht unangenehm berührt. Sie fragte leise überge¬ beugt: „Wer ist eigentlich die junge Person, ich hörte den Namen nicht deutlich.“ — Der Name des Kriegs¬ raths mochte der Geheimräthin eine sehr gleichgül¬ tige Bekanntschaft sein. Aber sie stieß plötzlich den Schlag auf und breitete ihre Arme dem jungen Mäd¬ chen entgegen, welches der Legationsrath rasch hin¬ einhob. „Meine wertheste Demoiselle, mein liebes Kind, wie konnte ich auch nicht gleich die Tochter meines Freundes, des wackern Kriegsraths erkennen! Das ist ja abscheulich, daß Ihre Gouvernante so wenig Ortskenntniß hat und sich in das Haus verirren mußte! Aber wie sind Sie in diesem Jahre gewachsen, ach und wie echauffirt! Johann, schnell den Mantel aus dem Kasten. Ich hoffe, das wird nicht von üblen Folgen sein. Wie sie zittert! — Herr v. Wandel, es giebt eine Justiz hier und einen König, der sol¬ chen Affront, einer achtungswerthen Familie angethan, strafen wird!“ „Dessen bin ich gewiß!“ rief der Legationsrath seinen Hut abziehend. „Mein Gott, Sie steigen doch auch ein?“ „Meine Gegenwart könnte stören.“ „Wie das! Wer verdient wie Sie den Dank des erfreuten Vaters entgegen zu nehmen! O rasch ein, daß ich das Vergnügen habe, dem Manne den Wohl¬ thäter, den Retter seines Kindes zu präsentiren.“ „Erlauben Sie mir, ich bitte inständigst darum, Ihre gütige Einladung ablehnen zu dürfen. Es giebt Erörterungen, welche das Gefühl verwunden; die Wunde wird schmerzlicher, wenn ein fremder Mann sich in das Heiligthum des Familienkreises drängt. Vermuthungen könnten aufsteigen, die, so empörend sie klingen, doch immer ihr Recht verlangen. Den Dank, ach, mein Gott, wer denkt in dieser Welt an Dank! — Es ist Ihr Schützling jetzt, tragen Sie das ganze Wohlwollen Ihres edlen Herzens auf die Arme über, und, wenn es anginge, verschweigen Sie meinen Namen. Ich übte nur die Pflicht eines jeden Cavaliers, weiter nichts, Sie setzten Ihren guten Namen an ein gutes Werk und auf die bloße Bitte eines Ihnen fremden Mannes. Vergönnen Sie ihm nur, dieser Tage seine Aufwartung zu machen, um sich nach dem Wohlergehen Ihres Schützlings zu er¬ kundigen.“ „Ein Mann von seltener Delicatesse,“ sagte die Geheimräthin, nachdem er sich beurlaubt. Adelheids Zustand erforderte ihre ganze Sorgfalt. Sie saß wieder sprachlos, in sich versunken, und ein heftiger Fieberfrost fing ihre Glieder zu schütteln an. Der Kutscher erhielt den Auftrag rasch zu fahren. Gruppen von Bürgern standen noch immer um das Haus, das die Polizei bereits verlassen und ver¬ muthlich geräumt und verschlossen hatte, als der Le¬ gationsrath auf seinem Rückweg die Straße passirte. Man war jetzt schon besser von den Verhältnissen unterrichtet, man wußte, wer das junge Mädchen war, man hatte auch Kunde von dem, was wir eben erzählt: „Schade um sie, die ist auf immer verloren,“ sagte ein ältlicher Mann, von der Haltung und dem Gesichtsausdruck, woran man sogenannte solide Bür¬ ger erkennt. „Und warum das, mein Herr van Asten,“ fragte der Legationsrath, der heran getreten war und in dem Kaufmann einen Geschäftsfreund erkannte. „Weil sich gewisse Dinge nicht wieder repariren lassen, die ein Mal schadhaft geworden sind.“ „Auch wenn ich Ihnen beweise, durch welche Ränke und Intriguen sie in dies Haus verlockt ward?“ „Mir werden Sie es vielleicht beweisen, und vielleicht auch diesen Herren, welche uns zuhören. Aber schon den beiden nicht, welche dort eben fort¬ gehen, noch weniger der ganzen Stadt, welche heut Abend im Theater, in den Gesellschaften, in den Wirthshäusern von dem Vorfall plaudern wird. Man wird schon heut mehr erzählen, als sich ereignet hat, und morgen weit mehr wissen, als wir heut gesehen haben. Man glaubt aber immer lieber das Schlimmste, weil es das Interessanteste ist. Wollen Sie es durch den Ausrufer ausschreien lassen, daß die Demoiselle Alltag ein unschuldiges Mädchen ist, oder an die Ecken es anschlagen lassen? Das Uebel würde nur schlimmer. Sie könnten frei¬ lich, wie man wohl jetzt thut, durch Artikel in den Zeitungen der Sache den Anstrich geben, den man wünscht, aber, mein Herr Legationsrath, ich weiß doch nicht, ob das der jungen Dame, oder ob es Ihnen von Vortheil wäre?“ „Was kann es mich betreffen?“ fragte rasch der Cavalier. „Man würde nach den Ursachen fragen, weshalb Sie eines jungen Mädchens, das Sie als Fremder in dieser Stadt kaum kennen, sich so besonders an¬ nehmen? Schon dies besondere Interesse würde aber auch dem Mädchen schaden. Doch ganz davon sehen, frage ich Sie, was würde es einer Firma helfen, die in der Meßwoche ihre Wechsel nicht zahlt, und protestiren läßt, wenn ihre Freunde durch ein Circular nachher bewiesen, daß das Haus eigentlich solide sei, und aus welchen zufälligen Umständen es grade an dem Tage und in der Woche nicht zahlen konnte! Unter seinen Bekannten möchte das Haus sich wohl wieder aufrappeln, sein Credit aber in der großen Handelswelt bliebe erschüttert.“ „So muß man sie verheirathen, dann ist die Sache vergessen,“ sagte ein Dritter. Der Legationsrath schwieg einen Augenblick vor sich hin. Wer ihn genau kannte, hätte vielleicht in der Muskelbewegung um den Mund einen inneren Kampf wahrgenommen: „Sie meinen also, daß sei ganz unmöglich? — Es ist nichts unmöglich, sage ich Ihnen, was man will. Wenn man den Credit eines Hauses schaffen und erschüttern kann, warum nicht auch ihn repariren!“ „Ein geflicktes Haus und meine Ehre ist ver¬ loren,“ sagte der Kaufmann. „Was kommt es auf die eigene Werthschätzung an, fiel Herr v. Wandel nach einigem Nachdenken ein, wo es sich handelt um die Constellation zum Allgemeinen. Die Ehre eines Handlungshauses wie eines Staates beruht auf der Meinung; die Meinung auf Illusionen. Herr über diese zu werden, ist die Aufgabe des Mannes, der überhaupt seine ver¬ steht. Und dieser gebrechlichste Schein aller ge¬ brechlichen Dinge, der Ruf eines Mädchens, sollte über diese Aufgabe hinaus liegen! Was wir mit einem spöttischen Blick, einer Geste, einem flüchtigen Wort verrichten können, sollte uns nicht gelingen, mit aller Kraft unsres Geistes, allen Mitteln, die uns die Natur gab, wieder herzustellen? Herr van Asten, was gilt die Wette, ich stelle den Ruf dieses Mäd¬ chens so wieder her, daß die tugendreichste Mutter ihre Töchter mit Vergnügen ihr zuführt.“ „Er mag ein guter Cavalier sein, aber kein guter Kaufmann, sagte der Begleiter des Andern, als der Legationsrath sich rasch entfernt hatte. Ein guter Kaufmann setzt nicht so viel ein um etwas, was ihm so wenig einbringt.“ „Und doch, entgegnete der Kaufmann, sah ich Niemand so glücklich speculiren seit der kurzen Zeit, daß wir in Geschäftsverbindung stehen.“ Neunzehntes Kapitel. Abälino der große Bandit. Als die Polizei die Thüren der Wohnung ver¬ schlossen hatte, war manches in derselben nicht mehr, wie es vorher gewesen. Die Volksjustiz hatte geglaubt, auch ihrerseits für die gekränkte Sitte Rache nehmen zu müssen. Die Polizei hatte ihr Auge auf andere Dinge ge¬ habt, um ihren ungebetenen Helfershelfern überall auf die Finger sehen zu können, und diesem Umstande darf man es zuschreiben, daß, als sie die Wohnung räumte, eine Person, ganz von ihr übersehen, zurückgeblieben war. Die Hände fest auf die Stirn gespannt, den Kopf auf die Stuhllehne gedrückt, saß, ob schlafend, träumend, in einen ohnmachtartigen Starrkrampf versunken, wir wissen es nicht, der junge Bovillard. Die Ruhe um ihn her mochte ihn wecken. Er sprang auf. Sein dunkles Auge stierte nach der Stelle, wo der Legationsrath zuletzt stand, wo er seinen Blick aushalten mußte, und mehr als das, wo der Mann, der ihn tödtlich beleidigt, als sein Fürsprecher auf¬ trat. Ihm verdankte er seine Freiheit und — doch hätte er eine Wollust darin empfunden, wenn er mit seinen Händen ihm die Kehle zuschnüren, wenn er ihn erwürgen können.“ Den Arm mit der geballten Faust streckte er aus — zum Zweikampf mit einem Luftbilde? Aber indem er ihm in dem Augenblicke einen tödtlichen Haß schwor, übergoß ihn die Röthe der Scham. Wie vielen hätte er Todhaß schwören müssen, die alle Zeugen seiner Beschämung gewesen. Noch eine andere Erinnerung stieg auf, er drückte mit der Faust gegen die Stirn und athmete schwer. Dann suchte sein Auge an der Wand drüben, nach der Thür, durch welche Adelheid fortgeführt ward: „Und von dem Schuft!“ Es war das erste laute Wort, und der Schall schien die neckischen Geister zu wecken, die an der Stätte der Zerstörung geschlum¬ mert hatten. Im letzten Sonnenstrahl, der durch die obern Scheiben drang, wirbelte der dichte Staub, der sich noch immer nicht gesetzt hatte. Es schwirrte in der Luft von Fäsern und Federn, die Gardinen hingen zerrissen von den Fenstern, der Spiegel war zerschla¬ gen, Stühle und Tische, umgestürzt, den weiblichen Figuren auf den Schildereien hatte man mit Kohle große Bärte angemalt. Er stieß die Thür auf. Im Vorzimmer war es still und leer. Schien er doch zu suchen, ob nicht jemand wie er zurückgeblieben wäre, ob er nicht vielleicht ein stilles Schluchzen höre? Es waren die Tauben auf dem Dache. Er sah sich noch ein Mal um, ehe er die Wohnung verlasse, und I . 21 aus dem gebrochenen Spiegel grüßte ihn sein Bild, ihn daran erinnernd, daß er so auf der Straße sich nicht zeigen dürfe. Er ging nach dem Seitenzimmer zurück, seinen Rock zu holen. Die Luft wimmelte wie von Schneeflocken. Von der Zugluft, welche die aufgestoßene Thür verursachte, wirbelten die Federn aus den Betten, welche sie in muthwilliger Zerstö¬ rungslust aufgeschnitten. Vergebens suchte er nach Rock und Hut. Sie waren verschwunden, gestohlen. Fort aus dieser Höhle der Verwüstung! Die ihm wohlbekannte Hinterthür war verschlossen, der Schlüssel fehlte. Er eilte zurück nach dem Vorzimmer; auch diese Thür war zu; er war eingeschlossen. Sollte er Lärm machen? Nach so vielem Lärm? Er hatte keinen Grund die Trommel des Aufruhrs zu rühren. Indem er noch, unschlüssig was er thun solle, aufmerksam beobachtend umher ging, fiel sein Auge auf einen Kamin, der nach alter Art in einen wei¬ ten, aber nur kurzen Schornstein führte. Er erinnerte sich aus fröhlichen Abenden, daß die heitere Unter¬ haltung oft durch das Brausen des Windes gestört wurde, wenn es stark wehte, selbst Regen und Schneewirbel unter die lustigen Kinder hier getrieben wurden. Indem er den Kamin untersuchen wollte, ob von da vielleicht ein Ausgang zu entdecken wäre, entdeckte er etwas, was er nicht erwartet, einen Stock und zwei Beine, die sich vergebens in die Höhe zu ziehen suchten. Als er sie ergriff, stieß eine Stimme, die unzweifelhaft zu den Beinen gehörte, einen Angst¬ schrei aus. Er zog einen vollständigen Menschen herunter, weit vollständiger und anständiger gekleidet, als er, gefärbt wie er, nur nicht weiß vom Feder¬ staub, sondern schwarz vom Ruß. „Ach Sie, Bovillard, sagte der Geschwärzte auf¬ athmend, Gott sei Dank! Ich glaubte, es wäre der Polizeicommissar.“ „Ich freue mich auch ungemein, grade den Herrn v. St. Real zu begrüßen. Wie befinden sich Herr Kammerherr? Ein Anfall von Podagra fesselte Sie neulich zu meinem Bedauern an's Bette.“ „Sie sehn, ich bin wieder passabel hergestellt.“ „Ja, wer schon gymnastische Uebungen machen kann! Aber im Schornstein ist das doch etwas un¬ bequem. Da ist hier ein junger Lehrer an einem Gymnasium, ein Herr Jahn, der will öffentlich Un¬ terricht in der Gymnastik geben. Wie ich höre, beab¬ sichtigt er damit eine Verbesserung der deutschen Na¬ tion und insbesondere des Menschengeschlechts. Da sollten Sie sich melden, bester Kammerherr!“ „Pestilenz! Wo kommen Sie her, Bovillard?“ rief der Kammerherr, sich schüttelnd. „Von einem Dejeuner bei Dallach. Ich ver¬ sichere Sie, Kammerherr, der Mann perfectionirt sich. Austern, wie frisch aus der See, ein Caviar, und ein Burgunder, der Minister kann ihn nicht besser haben. Schade, daß Ihr Podagra den Bur¬ gunder, oder der Burgunder Ihr Podagra nicht ver¬ 21* trägt. Wir vertrugen uns vortrefflich, lauter Freunde einer Gesinnung, alles Verehrer der Schick! Nein, sie hat doch eine Stimme, darüber geht nichts!“ „Ihre Stimme in Ehren, aber Ihre, Bovillard, war mir lieber. Wenn der verfluchte Commissar hier Wache gehalten hätte, bis ich erstickt war!“ „Kommen Sie von oben da her, Kammerherr? Oder wollten Sie oben hinaus?“ „Ich war hier hergerathen, ich weiß noch nicht wie.“ „Vermuthlich wie ich.“ „Damit der Rothkragen mich nicht finde, kroch ich in der ersten Bestürzung da hinein. Nun aber, theuerster Mann, können Sie mir nicht gelegener kommen. Ich habe eine dringende Bitte an Ihre Gefälligkeit.“ „Ich gleichfalls.“ „Schaffen Sie mir meinen Wagen, versteht sich dort um die Ecke. Ich hoffe, der Kerl wird sich von selbst retirirt haben, als der Scandal los ging. Dann recognosciren Sie etwas Luft und Terrain.“ „Mit dem größten Vergnügen.“ „Kann ich Ihnen einen Gegendienst erzeigen, rechnen Sie auf meine Bereitwilligkeit. Liebster, junger Mann, wenn Sie mir nur Ihr ganzes Vertrauen schenkten, hoffe ich gewiß, die Differenzen mit Ihrem Herrn Vater zu lösen.“ „Nichts von Frieden, ich will Krieg. Sie haben hier gelauscht, Sie erfuhren, Sie wissen Alles, hät¬ ten Sie etwas vergessen, will ich Sie daran er¬ innern. Dem Herrn von Wandelstern, oder wie er heißt, will ich den Hals umdrehen, natürlich ganz in legaler Weise, durch Pistolen oder Stichdegen, wie es ihm mehr Vergnügen macht, Sie sollen mein Cartellträger sein. Die Sache eilt, weil man so etwas leicht vergißt; und auf der Stelle, wenn Sie los sind, ersuche ich Sie, in eigener Person zu ihm zu fahren, meine Herausforderung zu bringen und das Nöthige mit ihm abzumachen.“ St. Real sah etwas verblüfft den andern an und wollte seine Hand fassen: „Liebster, junger Mann, um solche Kleinigkeiten —“ „Da ist nun der Geschmack verschieden, Herr Kammerherr, ich behandle das Kleine groß, Andre das Große klein. Da muß man Jeden seinem pen¬ chant überlassen.“ „Mein Gott, theuerster Freund, bei solcher Art Conflicten muß man nicht mit gefärbten Gläsern sehen. Wo nichts zu gewinnen, muß man nicht ein¬ setzen. Sie begreifen, daß gewiß Niemand von dem plaudern wird, was hier vorfiel. Unter Cavalieren ist es eine stillschweigende Uebereinkunft, daß man an solchen Orten sich nicht kennt. Die Person ist ja nun auch verschwunden, sie wird über die Gränze geschafft. In ein Paar Tagen, wie gesagt, ist der Vorfall vergessen und verdampft wie ein Rausch. Stänkern Sie nicht darin, liebster, bester, junger Mann.“ „Die Person! Sie meinen die Frau Obristin Malchen. Das ist ja eine höchst respectable Dame. Sie erfreut sich wenigstens einer Protection, die ihr nur Ehre bringen kann.“ „Liebenswürdiger Schäker! Kennen Sie denn aber den Herrn von Wandel?“ „Vermuthlich ein eben so respectabler Herr, wie Ihre Freundin.“ „Theuerster Bovillard, Sie irren sich. Er ist ein intimer Freund Ihres Herrn Vaters; ich ver¬ sichere Sie, einer der feinsten Köpfe, ein Mann der Wissenschaft, ein Gelehrter, ein Mann von stupenden Kenntnissen, ein Diplomat und von den liebens¬ würdigsten Eigenschaften. Sie müssen sich kennen ler¬ nen. O Sie werden es mir danken. Und dabei ein Gemüth wie ein Kind, unwiderstehlich bei den Da¬ men. Ich sage Ihnen, Sie werden Freunde werden, wenn ich Sie bei ihm einführe, Sie werden sehen, er hat Alles vergessen.“ „Ich nicht, mein Herr! trumpfte Bovillard. Entweder, oder — Wollen Sie nicht?“ „Sein Sie überzeugt, ich gleiche die Sache zu Ihrer Zufriedenheit aus.“ Der Jüngere eilte an's Fenster, um es aufzu¬ reißen. „Bovillard! Was wollen Sie thun?“ „Die Polizei rufen. Wissen Sie nicht, daß wir eingeschlossen sind. In dem leeren Nest habe ich nicht Lust die Nacht zu verbringen.“ „Sind Sie rasend! Man würde —“ „Uns auf die Wache bringen. Ganz in der Ordnung. Wer bei einbrechender Nacht in einem verdächtigen Orte betroffen wird, und sich nicht aus¬ weisen kann, daß er dahin gehört, wird zum Aus¬ schlafen auf die Wache gebracht. Das ist das erste Erforderniß eines gesetzlichen Staates. Der Staat muß auch seine Ruhe haben, wie jeder Mensch, wenn er schlafen will.“ „Unsre Lage würde ja weit schlimmer.“ „Unsre? mein Herr, Sie bedenken nicht, welch ein Unterschied zwischen uns ist. Sie haben einen guten Ruf zu verlieren, ich gar keinen. Denn einen schlechten verliert man nicht, wenn man auf die Wache geschleppt wird. Sie sehen, daß ich gar nichts dabei riskire.“ Der Kammerherr hatte sich mit großer Gewand¬ heit zwischen Bovillard und das Fenster gedrängt. „Wenn Sie denn absolut wollen! Ich will's arran¬ giren, aber — er schießt Ihnen — den Sperling putzt er auf zwanzig Schritt mit dem Kuchenreuter vom Zaune. Sie junger Hitzkopf, thun Sie's doch lieber nicht, 's ist gegen mein Gewissen!“ „Herr Kammerherr, Ihr Gewissen ist mir zu werth, Ihr Gewissen dürfen Sie nicht dran setzen. Sie müssen es mit gutem Gewissen thun, sonst schreie ich: Polizei.“ „Monsieur de Bovillard fils est un original. Ganz der Vater, nur in anderer Manier. Sie sind be¬ leidigt, Sie müssen Satisfaction haben, ich sehe es ein. Mit schwerem Herzen, aber — ich sehe es ein. Nu suchen Sie mir aber meinen Kutscher auf.“ „Ich sagte Ihnen ja, wir sind eingesperrt.“ „ Va-t-en ! Was soll draus werden! Wir müssen doch raus!“ „Belieben Herr Kammerherr hier die Fensterhöhe zu betrachten. Man erzählt sich zwar, daß Herr v. St. Real in seiner Jugend aus Loyalität einen Sprung gethan, woran er sein Leben lang denkt, indessen, dieser Abgrund ist keine Treppe und ob die Loyalität Sie jetzt tragen wird, das überlaß ich Ihrem Ermessen.“ „Bovillard bringen Sie mich nicht außer mir.“ „Wenn ich Sie außer sich setzte, was könnte ich Ihnen jetzt besseres anthun?“ „Schaffen Sie Rath. Ihr Genie hat etwas in petto .“ „Vermuthlich haben Sie schon untersucht, daß es durch den Schornstein nicht geht. Indessen kommt Zeit, kommt Rath, nämlich Dunkelheit, und im Dunkeln findet sich Manches besser, das werden Sie aus eigner Erfahrung wissen. Aber Sie sind müde, setzen Sie sich.“ Bovillards prüfender Blick hatte schon vorher auf einem Wandbrett etwas gesehen, was die Tu¬ multuanten übersehen haben mußten, sonst würde man es wahrscheinlich jetzt nicht mehr gesehen haben, ein Fläschchen süßen Weins mit Spitzgläsern, dahin¬ gestellt, um nach der Chocolate die Collation zu würzen. Er langte den Schatz schnell herunter, von dem er, nachdem er ihn gekostet, versicherte, es sei ein ächter alter Malaga, der ihnen eine wohlthätige Wärme geben werde. Der Kammerherr fühlte allerdings ein Bedürf¬ niß. Er war sehr müde. Der kalte Angstschweiß stand auf seiner Stirn. „Ausgetrunken! Ein zweites Glas!“ „In der That eine seltsame Situation!“ In¬ dessen er trank. „Warum seltsam! Ein Weltmann muß sich in alle Situationen finden. Thun Sie ganz, als wären Sie zu Hause.“ „Der Wein war doch nicht für uns bestimmt.“ „Für mich nicht, aber für Sie.“ „Man muß auch im Scherz ein Maaß finden.“ „Was Scherz! Das Nest ist leer, aber die Er¬ innerungen sind geblieben. Nicht wahr, Kammerherr? Durch diese Dämmerung schweben die Grazien. Auf den Wirth! Angestoßen!“ „Bovillard!“ „Bester St. Real, wir sind ja unter uns! Reden wir denn zum profanum vulgus ! Auf den Höhen der Menschheit, wie der Dichter sie nennt, verlangt man auch Freude, den schönen Götterfunken. Wer pour les menus plaisirs sorgt, ist ein Wohlthäter der höheren Menschheit. Oder sind Sie traurig, daß die rauhe Hand der Wirklichkeit eingriff? Sehn Sie, ich bin Idealist; mich kümmert die Polizei nicht. Ich sehe sie noch immer schweben und tanzen die süßen Er¬ innerungen und Entzückungen, die Küsse und Rosen. Eine solche Wirthschaft hat etwas ungemein Poeti¬ sches; nur das Geld darf nicht fehlen. Hätten Sie, Kammerherr, mit rechtem Eindruck zum Viertelscom¬ missar gesprochen — nun ich will dem Manne nichts nachreden, er ist gewiß ein ausgezeichneter Staats¬ diener — aber, aber, wenn man sich nur verständigen will, wird man verstanden.“ „ Le père tout craché . Aber gehn Sie mir mit Ihrer Poesie, ich habe mit der Sache nichts zu thun.“ „Sie lieben die Realitäten. Ich lebe nur in den Ideen, construire mir meine Welt selbst. Wenn ich solch ein Haus betrachte und die Wirthschaft drin, werde ich unwillkürlich an unsern Staat erinnert.“ „Hüten Sie sich aus einem mauvais plaisant zu einem Calumnianten zu werden“ „Kennen Sie den Dichter Dante?“ „Bleiben Sie mir mit den Poeten vom Halse, sage ich Ihnen, sie müßten denn so allerliebste fran¬ zösische Verse machen wie Ihr Herr Vater.“ „Dante hat nur italienische Chansons gedichtet. Aber eines dieser wunderhübschen Lieder sollten Sie kennen, die Melodie ist reizend. Es fängt an: Ah tutta l'Italia e un gran bordello Da denk ich immer an Sie, an alle Ihre Freunde, an dies ganze bezaubernde Freundschafts-Liebes-Sipp¬ schaftswesen —“ Er stürzte ein Glas aus und ließ ein zweites folgen. Der Kammerherr hatte den Instinct, daß hinter dem wilden Scherz ein eben so wilder Ernst lauerte. Er konnte herausbrechen, und er hatte nicht geirrt. „Preußen ist nicht Italien!“ sagte er, um rasch abzubrechen. „Warum nicht! Sie buhlen um uns, sie zahlen Geld, schweres Geld um unsre Gunst, Gott weiß wo es bleibt. Was allein hat die Lichtenau gekriegt, um den Baseler Frieden zu hintertreiben! Andre müssen wohl mehr geboten haben. Diese Gesandten hier, die geheimen und die öffentlichen, ihre blintzenden Augen, ihre spitzen Ohren, ihre säuselnden Worte, ihre süßen Händedrücke! Nicht wahr, wunderhübsch, wenn wir immer jung blieben! Aber, mein theuerster Kammer¬ herr, ich fürchte, sie merken schon, daß unsre Wangen mit Karmin, unser Hals mit Bleiweiß geschminkt ist. Sie buhlen, um uns auszulachen, wenn sie unser satt sind, sie zahlen um, wenn wir hungrig sind und am Fenster winken, uns den Rücken zu drehen. O sie machen uns vielleicht noch eine Gegenrechnung! Aber wir— wir leben fort, in dulci jubilo , taumeln von der Bowle zur Bowle, vom Liebeskuß zum Liebes¬ kuß, die Jalousien dicht vorm Fenster, daß wir den Tag nicht anbrechen sehen. Aber er wird anbrechen, Kam¬ merherr, er bricht an, sie werden uns herausreißen, wie jene Dirnen, halb nackt, mit hängenden Haaren, auf die Straße, in Regen und Wind, zum Gespött der Kinder.“ „Wie ein vernünftiger Mensch sich in solchen Phantasien gefallen kann!“ „Wer sagt, daß ich vernünftig bin! Wer bleibt vernünftig in einem Tollhause!“ Er stürzte ein Paar neue Gläser hinunter. Es war schon dunkel geworden. Die Lichter an den Fenstern der gegenüberstehenden Häuser warfen nur einen Sprenkelschein in das unheimliche Zimmer, durch den Kamin zückte dann und wann ein heulender Ton, wenn der Wind in den Schlott fuhr. Dem Kammerherrn ward es immer unheimlicher. „Citiren Sie keine Geister, sagte er den Stuhl näher rückend. Sinnen Sie lieber, wie wir raus¬ kommen.“ „Ich sehe einen Geist! Da schreitet er, riesen¬ groß, mit funkelndem Aug, und hebt die Krücke: Wo habt Ihr meine Erbschaft verpraßt? fragt er. Daran hätten Generationen zehren können, wo ist mein Schatz, Ihr Herren Geheimräthe? Wo das An¬ sehn, das ich Euch hinterließ? Hättet Ihr nur meinen Hut auf eine Stange gesteckt, meinen Rock daran gehängt, Ihr hättet ruhig schlafen können, sie hätten sich nicht über meine Gränze gewagt. Das hinterließ ich Euch, es war weit mehr als meine Schätze. Wo ist der Respekt vor meinem Reich? Ihr buhlt, ko¬ kettirt, schachert mit der Schuld um die Unschuld; meine großen Gedanken zerreißt Ihr wie ein kostbar Gewebe in Fasern, um die Bettelarmuth Eures Geistes damit zu schmücken. Ihr reitet auf meinem Namen, aber gebt Acht, daß Euch das Pferd nicht absattelt, denn ein edel Roß will gute Reiter.“ „Bester Herr v. Bovillard!“ rief der Kammerherr, dem das Haar sich zu sträuben anfing, als der andere im Selbstgespräch fortfuhr, und dabei bald mit dem Glase, bald mit der Flasche auf den Tisch stieß. „Angestoßen, Kammerherr, schrie jener auf, auf die große lustige Wirthschaft, wo Einer den Andern betrügt, eine Hand die andere wäscht. Angestoßen auf den Kleister und Firniß der die Fäulniß zusam¬ menhält bis — angestoßen!“ Der Zitternde stieß mit dem Glas gegen die Flasche, die Bovillard auf einen Zug leerte und dann in den Kamin schleuderte, wo sie in tausend Stücken zerbrach. „Bis dahin! Nicht wahr, — zu Wasser, bis er bricht, darin sind wir einverstanden, wie es für vernünftige und gesetzte Leute sich schickt.“ Er war aufgestanden und klopfte auf die Hand des Kammerherrn, die er mit dem andern Arm an seine Brust hielt: „Ja mein theuerster Herr v. St. Real, wenn Alle so verständig und gesetzt wären, wie wir beide! Diese Tagesfliegen schwärmen ums Licht, und wenn einer sich verbrennt, lacht der andre ver¬ gnügt, daß es ihn traf. Wir aber sehen die Nacht, wir sehen was hinter uns liegt, und sehen was vor uns kommt. A propos , was halten Sie denn von Napoleon?“ „Sie belieben zu scherzen. Ein Genie! Ein großes Genie! Machen Sie, daß wir fortkommen.“ „Wie er aus Aegypten. Wissen Sie wie? — Er hat sich dem Teufel verschrieben; in einer Pyra¬ mide war's, eine Nacht wie diese! Ja, ich habe auch meine diplomatischen Mittheilungen. Der Teufel hat ihm die ganze Welt versprochen, und weiter nichts dafür gefordert als seine Seele. Kammerherr den¬ ken Sie, wenn Sie für solche Bagatell könnten Gro߬ mogul werden!“ „Das erzählen Sie mir alles weiter — aber nachher.“ „Ein einziges Hinderniß nur muß er forträumen — die Gruft in Potsdam. Darum — Sie verstehn mich. — Nun bitte ich Sie aber, als einen vernünfti¬ gen Mann, ist das ein so unübersteigliches Hinderniß? Braucht es eines Krieges um einen Leichnam? — Denn Sie werden mir wieder zugeben, es ist jetzt nur noch ein Leichnam. Sollen wir um ein point d'honneur so eigensinnig sein, darum Blut vergießen, einen Krieg anfangen, der sechszigtausend Menschen kosten kann, darum das Wohl von Hunderttausenden, von Millionen aufs Spiel setzen. Unsre Seehand¬ lung, unsre Zuckersiedereien, unser Messingwerk in Neustadt-Eberswalde? Ich bitte Sie, Ruh und Frie¬ den unsrer Bürger — was wirft die Porzellanmanu¬ factur nicht ab; wenn auch die Juden nicht mehr kaufen müssen zu ihren Hochzeiten, wir haben ja schon die Meißner Fabrik überhohlt — das ist auch ein Ehrenpunkt! Und unsre Gold- und Silberfabrik, und unser Pfandbriefsystem; wir können ja Geld machen, so viel wir wollen, nur die Güter höher abgeschätzt als sie werth sind; und alles das sollen wir leichtsinnig hinopfern um einen sogenannten Ehrenpunkt! Das fordern gewisse Menschen! Wissen Sie, was ich glaube, daß der geheime Grund von Lombard's Sendung ist? — Er soll versuchen, ob Napoleon sich nicht abfinden läßt mit Friedrich's Rock und Hut. Ja, ich vermuthe noch etwas. Besteht der Kaiser drauf, so geben wir auch die Krücke, aber das wäre auch das Ultimatum — den Leichnam, nein, nimmermehr! Wenigstens für jetzt nicht. — Bester Kammerherr, ich lese Ihre Gedanken, Sie wollen sagen, das sei wieder nur ein halber Schritt, Na¬ poleon würde doch nicht eher ruhen, bis er das Ganze, bis er Friedrichs Sarg in Paris hat, und wir würden auch da nachgeben. Möglich, aber lieb¬ ster Mann, wahren Sie Ihre Zunge, wer spricht denn so was aus! Grade diesen Vorwurf verträgt man nicht: Halbes, immer Halbes! 'S ist richtig, aber es ist nun mal so. Wer änderts: Zwei Halbes macht ein Ganzes. Erst geben wir den Rock, und dann den Leib. Und wenn man mehr will, noch mehr, Seele und Geist, wenn — wir noch davon ha¬ ben. Ein guter Unterthan, lieber St. Real, findet sich in Alles. Der liebe Gott wird's zum Guten fü¬ gen, und das Genie unserer großen Staatsmänner, und wir haben einen guten König; was will man mehr! A propos , was halten Sie von unserm König?“ Der Kammerherr, der sich schon zu besinnen anfing, ob nicht am Ende die Arme der Polizei denen des Rasenden vorzuziehen wären, stammelte etwas von seinem gränzenlosen Respect vor Seiner Majestät. „Das ist mir sehr lieb zu hören, sagte Bovillard, vielleicht wissen Sie auch, warum Seine Majestät jetzt so betrübt sind.“ „Wenn Seine Majestät in die Herzen ihrer Un¬ terthanen blicken könnten, würden sie gewiß keinen Grund finden,“ antwortete der Kammerherr, in der Angst des seinen, die Hand auf die Brust drückend, Bovillard war um einen Kopf größer als der Kammerherr. Mit unterkreuzten Armen und halb gesenktem Kopf schien er mit den funkelnden Augen, die durch die Nacht glänzten, in sein Herz bohren zu wollen: „Es ist manches faul im Lande Preußen und mancher, der auf der Stirn das Schild eines ehrlichen Mannes trägt, ich sage es Ihnen im Ver¬ trauen, ist ein Schurke. Im Lagerhause in der Klo¬ sterstraße wird das Soldatentuch gewebt. Schön und dicht sieht es aus und blau, wenn der Appreturbügel darüber fuhr, aber die Witterung verträgt es nicht. Und ehe er drei Monden es auf dem Leibe trug schrumpft es im Regen zusammen, daß der Aermel dem Soldaten am Ellenbogen sitzt. Kann man jedem Soldaten einen Regenschirm in die Hand geben? Kann man mit halb nackten Soldaten Krieg führen? Wissen Sie nun, warum wir keinen Krieg führen können? Wissen Sie nun, warum Seine Majestät betrübt sind?“ „Ich habe nichts mit den Tuchlieferungsgeschäf¬ ten zu thun! rief der Kammerherr aus. Ich bin kaum ein Mal in meinem Leben im Lagerhause ge¬ wesen.“ „Sie haben mit andern Lieferungsgeschäften genug zu thun, ich weiß es. Aber Vorsicht, lieber Kammerherr. Um Gottes willen, was soll der Mo¬ narch sagen, wenn er wieder von dieser Geschichte hört!“ „Bovillard, liebster, bester Freund, Sie werden doch nicht!“ „Ich nicht, aber Sie können sich doch leicht vor¬ stellen, daß Andre ihm davon sagen werden, was er wissen soll. Beim Frühstück, ehe er die letzte Tasse geleert, weiß er alles, was am vorigen Tage passirt ist. Und wenn erst alle Zeugen vernommen sind, die Polizei kreuz und quer fragt und spionirt, Hergang, Wirkung, Ursach, 's ist nichts so fein gesponnen, es kommt an's Licht der Sonnen. Liebster Kammerherr, ich bin im Ernst um Sie besorgt. In diesen Ange¬ legenheiten ist der Monarch sehr irascibel.“ „Wenn ich nur ganz gewiß sein könnte — sagte gedehnt mit scharfem und schüchternem Blick auf den Plagegeist der Kammerherr, — von unsern Freun¬ den wird die Sache schon in dem rechten Lichte vor¬ getragen werden.“ Bovillard drückte ihn heftig an die Brust: „Wie Sie I. 22 mich beruhigen! Offenherzig gestanden, ich bedurfte dieser Beruhigung nicht, ich wollte Sie nur auf die Probe stellen. Ein Thor, wer da sagt, daß die Tu¬ gend von der Erde Abschied nahm. Wer noch auf Freunde sein Vertrauen setzt, übt sie. Und Ihre Freunde werden sie ebenfalls üben. O ich möchte bei dem Vortrage sein, ob nun ein Kammerdiener, oder ein Kammerherr ihn übernimmt; wie sie wei߬ brennen werden, was schwarz ist, und vielleicht an¬ schwärzen, was weiß wie Schnee ist. Ja, so beim Kaffee, so unter der Hand, gelegentlich hingeworfen, erfährt ein Fürst die Wahrheit — von guten Freunden. Sorgen Sie aber auch für einen Sündenbock. Denn wenn nach dem Hofe der officielle Vortrag kommt, muß er doch ergrimmt werden über die falsche Dar¬ stellung. Er weiß es ja alles besser, er hat es alles wie selbst erlebt. Wenn der Vortragende da erblaßt, stockt, nicht vorbereitet ist, keinen Zornableiter zur Hand hat, dann wird es schlimm. Lassen Sie den Commissar opfern, mich, wen es sei, retten Sie sich nur selbst dem Vaterlande. — Na nu wollen wir uns aber zusammen retten.“ Der Kammerherr sah mit einigem Befremden auf das Messer, welches plötzlich in seiner Hand blitzte: „Sein Sie ohne Sorge; nur im höchsten Nothfall stoße ich es einem durch die Gurgel!“ Er holte noch aus dem Kamin ein altes Ofeneisen. Er mußte schon vorher die Gelegenheiten geprüft haben. In der alten Ausgangsthür des Vorzimmers war in der untern Füllung eine Ritze, er vergrößerte sie durch das Messer und lockerte die andern Fugen bis er das Brecheisen hineinpassen konnte. „Jetzt warten wir, bis ein Wagen vorüberrasselt, dann ein Krach und wir haben ein Mauseloch. Wollen Sie nun den Durchbruch auf Ihre Kappe nehmen, Kammerherr?“ — „Ich?“ — „Versteht sich, nur wenn wir attrap¬ pirt werden. Der Unterschied ist, wenn Sie es auf sich nehmen, ist es nur ein Ausbruch , Sie können beweisen, daß Ihnen die Wohnung und Sie in die Wohnung gehören, außerdem sind Sie ein anständiger Mann, dem die Polizei aufs Wort glaubt. Wenn es aber auf mich kommt, mir glaubt man nichts, außerdem bin ich in Hemdsärmeln, die Polizei könnte es daher leicht unter dem Gesichtspunkt eines Ein¬ bruchs fassen, und diese Fassung unangenehme Fol¬ gerungen nach sich ziehen, in Betracht dessen, daß man Vieles in diesem Hause vermissen wird, was dazu gehörte, ich meine nicht uns Beide, aber die gestohlenen Sachen.“ „Bovillard, machen Sie keine Faxen! Wie werde ich denn einen Freund in der Noth verlassen!“ „Aber nur der Tod ist umsonst. Was krieg ich für meine Arbeit? Ich friere, so kann ich mich nicht auf der Straße sehen lassen. Leihen Sie mir Ihren Rock.“ „Dann hab ich ja keinen.“ „Sie fahren in Ihrer Kutsche, ich gehe nach Hause.“ 22* Man einigte sich, daß Bovillard mit dem Kam¬ merherrn fahren sollte. Die Freunde würden sich schon warm machen. „Was geht über eine ächte Freundschaft!“ sagte Bovillard, hatte aber schon mit seinen scharf umherspähenden Augen das weggewor¬ fene Umschlagetuch entdeckt, das er jetzt ergriff, um sich damit, wie er sagte, gegen die Kälte zu schützen, bis sie im Wagen säßen. Ein Wagen rollte endlich über das schlechte Straßenpflaster, die Thüre krachte und Bovillard war hinaus. Als St. Real, auf den Knien heran¬ rutschend, den Kopf durch die Oeffnung stecken wollte, drückte jener das halbe Brett wieder hinein: „Halt, so ist nicht gewettet. Was geben Sie Zoll!“ „Bovillard, nur jetzt keine Possen.“ „Es ist mein feierlicher Ernst. Ein Narr, wer eine vortheilhafte Situation nicht nutzt.“ „Sie haben geschworen, mich nicht zu verrathen.“ „Richtig! Und Ihren Kutscher zu avertiren. Weiter nichts. Ich klemme die Füllung wieder ein — sehn Sie so — Sie können nicht aufstoßen, denn ich stemme hier das Eisen dagegen. Nun bedenken Sie, wenn morgen die Polizei öffnen läßt!“ „Bovillard, Sie sollen meinen Rock haben.“ „Pfui, es ist nicht Eigennutz.“ „Meine Freundschaft! Sie werden bei Ihrem Lebenswandel noch oft der Fürsprache bedürfen, Sie sollen in jedem Fall auf mich rechnen können.“ „Ich will nichts für mich, sage ich Ihnen ein für alle Mal. — Gehen Sie in sich, St. Real, werfen Sie einen Blick zurück, auf Ihr äußeres, ach auch auf Ihr inneres Leben. Bedenken Sie, wie oft Sie die Gelegenheit versäumt, die sich Ihnen darbot, Gutes zu thun, und wie oft Sie dem Ver¬ sucher in die Stricke gefallen sind. Ach! Wurden Sie nicht selbst zum Versucher? Legten Sie nicht selbst Stricke, stellten Sie nicht Netze! Schwirrt Ihnen nicht der schauerliche Klagegesang der unglücklichen Vögel in diesen Netzen um die Seele? Ich höre diese Anklage¬ stimmen. St. Real, noch ist es nicht zu spät! Be¬ nutzen Sie wenigstens diese Gelegenheit, hören Sie auf die Stimmen und bessern sich. Ihr Haar wird grau, Ihr Athem kurz, mit jedem Tage auch Ihr Leben um einen kürzer; Sie hinken, ach das Podagra kriecht so schnell als der Vogel fliegt, wenn das Ziel das Grab ist. Lassen Sie sich diesen schauerlichen Moment gemahnen, weit sind die Pforten zur Hölle, aber eng die zum Himmel, wie dieses Loch. Geloben Sie, St. Real, Sie wollen Ihr Dasein bessern, wie es Ihren Jahren, Ihrer Geburt, Ihrem Stande entspricht. O Sie wissen nicht, wie das Ihre Brust erleichtern wird, Ihr Keuchhusten wird nachlassen, Ihr Bein flinker werden, der Burgunder Ihnen wieder schmecken. Retten Sie sich, sich selbst, Ihrem Könige, dem Staate. Schwören Sie mir, Sie wollen tugend¬ haft werden.“ „Alles, was Sie wollen!“ „Hier, Ihre Hand darauf?“ „Ja, ja, ja — ziehn Sie mich nur raus!“ Es war zum Glück still im Hause, und Niemand begegnete ihnen bis sie vor die Thür traten. St. Real hielt es für angemessen hinter seinem Begleiter zurück¬ zubleiben, der zu theatralisch den rothen Shawl um die Schulter drappirt hatte. Ja er blieb um mehrere Schritte zurück, als eine Patrouille die Gasse heraufkam. Auf das Werda? des Gefreiten, welches dem Manne in der rothen Toga galt, antwortete er ein Gutfreund. Der Gefreite wollte Namen und Stand der auffälligen Person wissen. „Abälino, der große Bandit!“ Die Wache schien sich zu besinnen, was ein Bandit sei. Einer meinte, es sei ein Komödiant. „Ihr Geschäft?“ „Die Tugendhaften retten, die Schurken ent¬ larven!“ „Auf die Wache!“ Abälino schlang den Mantel vornehm um die Schulter, und schickte sich an schweigend zu folgen. „Da kommt noch Einer; der scheint zu ihm zu gehören.“ — „Ein Hinkepeter.“ — „Verstellung,“ sagte der Gefreite, „nur rasch ran.“ Der Kammerherr klopfte sich auf die Brust, weil der Husten ihm stecken geblieben war. „Kennen Sie den?“ fragte der Gefreite den Rothmantel. Der Rothmantel schien ihn scharf anzusehen; dann sagte er: „Dieser Mann trägt eine Larve, reißen Sie ihm dieselbe ab, mein Herr Corporal.“ Den Hut ließ der Kammerherr sich abreißen, aber er schwor Stein und Bein, das sei sein wahres Gesicht. Die Wache schien unschlüssig. „Schwere —, ich frage Ihn, rief der Corporal, ob Er den hier kennt?“ „Dies ist nicht sein natürlich Gesicht. Abälino schüttelte den Kopf. Das ist keine natürliche Röthe. Sehn Sie, mein Herr Wachtcommandant, jetzt wird er blaß.“ „Potz Blitz Millionen, er hinkt. Ist das auch nicht natürlich?“ „Das ist wohl seine Natur, sagte Abälino mit der größten Ruhe. Indeß meine Bande ist sehr groß, es hinken Viele. Lassen Sie ihn den Mund aufthun. An seiner Sprache werde ich leichter erkennen, ob er der ist, den ich vermuthe. Fragen ihn Herr Wachtcommandant gefälligst, ob er mich kennt.“ „Kennt Er — kennen Sie diesen hier?“ Unter einem Guß von Angstschweiß platzte er heraus: „Ich bin so — ich weiß — ich kenne ihn so — ich kenne ihn so wahr nicht.“ „Jetzt kenne ich ihn, Herr Wachtcommandant, ein sehr gefährliches Subjekt. Wir in der Bande nennen ihn Petrus vom Hahnenschrei. In Wirklich¬ keit heißt er Judas Ischarioth, ist ein getaufter Jude und handelt mit abgelegten Kleidern und Frauen¬ puppen.“ „Sie sehen, meine Herren, er ist ein Betrunkener.“ „Aber wo kamen Sie mit ihm zusammen?“ sagte der Corporal, dessen Augen entweder für die feine Kleidung des Kammerherrn aufgingen, oder für die Bewegung seiner Hand in die Tasche. „Bei einem Krankenbesuch, stotterte St. Real — eine unglückliche arme Kranke — im Auftrag einer hohen Mildthätigkeit, die ihre Gaben nicht bekannt wissen will. — Dort hält meine Equipage.“ Das war hervorgestoßen, während der Sprecher noch mit ängstlichen Blicken nach dem Banditen hin¬ aufschielte, ob er nicht widersprechen werde. Der Bandit bewegte sich nicht, er schenkte ihm Gnade. Der Corporal, der sich zwischen ihn und Bovillard gestellt, um die Collusionen zu verhindern, hörte den harten Thaler, der zufällig aus des Kammerherrn Tasche glitt, auf das Pflaster fallen. „Marsch! com¬ mandirte der Gefreite. Auf die Wache! Dies ist ein anständiger Herr vom Hofe.“ Stolz wie ein König schritt Abälino nach der Wache. Der Kammerherr sank fast ohnmächtig in seine Wagenkissen zurück und stöhnte: „Das kommt davon, wenn man mit der Canaille sich abgiebt!“ Der Vorfall der Nacht hatte in Berlin, wie man richtig vermuthet, Aufsehen und Entrüstung erregt. Um so beruhigender für alle gute Bür¬ ger wirkte ein Artikel, der einige Tage darauf in den Zeitungen erschien. Bovillard und St. Real hatten auch richtig gerechnet, daß, wer nur guten Freunden vertraut, nicht verloren ist. Der Artikel lautete: „Es ist ein betrübendes Zeichen unserer Zeit, wenn der böse Wille aus den geringfügigsten Ereignissen Nahrung schöpft, um Mißtrauen gegen die Maa߬ regeln der hohen Obrigkeit zu verbreiten. Kaum ist vor einigen Wochen ein Ereigniß, das man dazu benutzt, aufgeklärt und beseitigt, als man böswillig abermals einen sehr unbedeutenden Vorfall benutzt, diesmal um ein falsches Licht auf die Moralität unserer Stadt und ihrer Bewohner zu werfen, dabei aber sich nicht entblödend, den Verdacht auf höher gestellte Personen zu lenken, als begünstigten sie die Immoralität. Damals war ein gewiß unter keinen Umständen zu billigender Exceß in unserer Vogtei Anlaß, einen unserer rechtschaffensten Staatsdiener der Connivenz mit Verbrechern zu beschuldigen. Dem Scharfblick einer hohen Person, die hier zu nennen der Respect uns verbietet, war es vorbehalten, die Wahrheit von der Verläumdung zu unterscheiden, und den eigentlich Straffälligen das Bekenntniß ihrer alleinigen Schuld zu entlocken. — In gleicher Weise wird der traurige Exceß, welcher neulich in einer unserer belebteren Straßen stattfand, seine Aufklärung finden. Einer wohllöblichen Polizei war es keineswegs entgangen, daß das Haus einer jetzt viel genannten Dame zu Verdacht Anlaß gab. Sie vigilirte viel¬ mehr auf dasselbe, um beim ersten gegründeten Anlaß einschreiten zu können. Bei dem wirklichen oder angeblichen Stande der Bewohnerin, und den unverdächtigen Attesten, welche dieselbe von aus¬ wärtigen Obrigkeiten mitgebracht, Staaten, mit denen unsere Regierung in Frieden lebt, war es indeß unzulässig, auf bloßen Verdacht hin ein¬ zuschreiten. Wer dies doch für gerechtfertigt hielte, theilt nicht unsre Ansicht von dem, was einer wohl¬ geordneten Staatsbehörde obliegt. Diesem Umstande ist's zuzuschreiben, daß es der gedachten Frau gelang, unbefangene Gemüther zu täuschen, wir wissen kaum, was wir mehr bedauern sollen, daß es ihr gelang, einen durch seinen strengen religiösen Sinn und seine Kanzelberedsamkeit gleich ausgezeichneten Geistlichen mit seiner Familie in ihrem Hause, unter dem Schilde der Gastfreundschaft aufzunehmen, oder daß sie die sittsame Tochter höchst verehrter Eltern, und eines unserer treusten und bewährtesten Staats¬ beamten in ihr Haus zu verlocken wußte. Der trau¬ rige, oder wenn wir wollen, glückliche Vorfall, der sich hierauf ereignete, ist bekannt. Uebrigens hätte es dieses Vorfalls nicht bedurft; denn, wie die Er¬ scheinung des Commissars im selben Augenblick, jeden überzeugen sollte, der Augen dafür hat, hatte die Polizei schon die Beweise in der Stille gesammelt, die jetzt ihr Einschreiten rechtfertigten. Die Anwesen¬ heit einer oder mehrerer angesehener Personen in dem Hause giebt zwar für diejenigen, welche am Argen Wohlgefallen haben, willkommene Nahrung. Wir lassen ihnen dieses Vergnügen, theilen aber mit jedem Gutgesinnten, der diese Herren kennt, die Ueberzeu¬ gung, daß sie nur in dem löblichsten Zwecke sich an den Ort begeben hatten. Der eine dieser Herren hat seine edle Absicht bekundet, indem er das Opfer der Intrigue, unbekümmert um die Insulten des Pöbels, von dem man doch nicht fordern darf, daß er den Schein von der Wahrheit unterscheide, aus dem Hause und ihren betrübten Eltern zugeführt hat. Wir zweifeln gar nicht, daß auch dies zu bösen Nachreden Anlaß geben wird, ebenso der Umstand, daß ein ge¬ wisser Herr in dem geräumten Quartier über Nacht zurückblieb, um Collisionen von außerhalb auf die Spur zu kommen, wenn man gleich weiß, daß durch seine aufopfernde Vermittelung diejenige Person end¬ lich arretirt wurde, welche den Unfug in dem Hause veranlaßt, ja wir sind auch davon überzeugt, daß die in letzter Nacht erfolgte Flucht der verhafteten Dame aus dem Gefängniß einer Intrigue wird zugeschrieben werden. Indem wir unser Bedauern über derartige Insinuationen nicht verbergen und in der Leichtgläu¬ bigkeit, mit der das Publikum auf sie horcht, eine tiefere Immoralität als in der gerügten betrauern, sind wir doch des Glaubens, daß der größere und bessere Theil des Publikums sich davon nicht täuschen lassen und das Vertrauen sich erhalten wird, daß Nie¬ mand besser als unsre Obrigkeit für unsre wahre Wohlfahrt sorgt, welche in der Ruhe und dem Frie¬ den aller rechtschaffenen Menschen besteht. Die Arg¬ wöhnischen und Böswilligen, das wissen wir, werden wir nicht damit zum Schweigen bringen, aber Heil dem Staate, wo das Auge seines Oberhauptes über das Wohl Aller wacht, wo vor seinem Throne der Kleinste wie der Größte nur Gerechtigkeit zu erwar¬ ten hat. Wo die Tugend auf dem Throne sitzt, kann die Immoralität keinen dauernden Wohnsitz im Lande haben.“ Druck von Eduard Krause in Berlin.