Franz Sternbalds Wanderungen. Eine altdeutsche Geschichte herausgegeben von Ludwig Tieck. Erster Theil. Berlin bei Johann Friedrich Unger. 1798. Vorrede. S eit lange habe ich folgendes Buch als das liebste Kind meiner Muße und Phantasie gehegt und übergebe es nun Dir, geliebter Leser, mit dem Wunsche, daß es Dir gefallen möge. Wenn Du die Kunst liebst, so erdulde das nach¬ sichtig, was Du darüber gesagt findest. Am meisten habe ich bei diesem Werke meiner Laune an Euch, ihr Jünger der Kunst, gedacht, die Ihr Euch mit unermüdetem Streben zu den großen Meisterwerken hinandrängen wollet, die Ihr Euer wechselndes Gemüth und die wunderbaren Stimmungen die Euch be¬ herrschen, nicht begreift, die Ihr gern die Widersprüche lösen möchtet, die Euch in manchen Stunden ängstigen. Euch widme ich diese Blätter mit besonderer Liebe und mit herzlichen Wünschen, daß Euch hie und da vielleicht eine Wolke schwindet, die Eure Aussicht verdeckte. Man rechne mir kleine chronologi¬ sche Fehler nicht zu strenge nach, man behandle dies kleine Buch nicht wie die Geschichte eines Staats. Meine Schwächen empfinde ich selber und wie ich das Ideal nicht erreichen kann, das in meinem Innern steht. Es ist mit mir und meiner Erfindung so, wie der große Dichter dem Künstler in den Mund legt: Ich zittre nur, ich stottre nur Und kann es doch nicht lassen, Ich fühl's, ich kenne dich Natur, Und so muß ich dich fassen. Franz Sternbalds Wanderungen. Erstes Buch . A Erstes Kapitel. S o sind wir denn nun endlich aus den Thoren der Stadt, sagte Sebastian, in dem er stille stand und sich freier umsah. Endlich? antwortete seufzend Franz Sternbald sein Freund. — Endlich? Ach nur zu früh, allzufrüh. Die beiden Menschen sahen sich bei die¬ sen Worten lange an, und Sebastian legte seinem Freunde zärtlich die Hand an die Stirne und fühlte, daß sie heiß sei. — Dich schmerzt der Kopf sagte er besorgt, und Franz antwortete: Nein, das ist es nicht, aber daß wir uns nun bald trennen müssen. Noch nicht! rief Sebastian mit einem weh¬ mühtigen Erzürnen aus, so weit sind wir noch lange nicht, ich will dich wenigstens eine Meile begleiten. Sie gaben sich die Hände und giengen stillschweigend auf einem schmalen Wege ne¬ beneinander. Jetzt schlug es in Nürnberg vier Uhr und sie zählten aufmerksam die Schläge, obgleich beide recht gut wußten, daß es keine andere Stunde seyn konnte; indem warf das Morgenroth seine Flammen immer höher und es giengen schon undeutliche Schatten neben ihnen und die Gegend trat rund umher aus der ungewissen Dämmerung heraus. Wie alles noch so still und feierlich ist, sagte Franz und bald werden sich diese gu¬ ten Stunden in Saus und Braus, in Ge¬ tümmel und tausend Abwechselungen verlie¬ ren. Unser Meister schläft wohl noch und arbeitet an seinen Träumen, seine Gemählde stehen aber auf der Staffelei und warten schon auf ihn. Es thut mir doch leid, daß ich ihm dem Petrus nicht habe können aus¬ mahlen helfen. Gefällt er dir? fragte Sebastian. Ueber die maßen, rief Franz aus, es sol¬ te mir fast bedünken, als könnte der gute Apostel der es so ehrlich meinte, der mit seinem Degen so rasch bei der Hand war und nachher doch aus Lebensfurcht das Verläugnen nicht lassen konnte, und sich von einem Hahn müste eine Buß- und Gedächtnißpredigt hal¬ ten lassen, als wenn ein solcher beherzter und furchtsamer, starrer und gutmüthiger Apostel nicht anders habe aussehn können als ihn Meister Dürer so vor uns hinge¬ stellt hat. Wenn er Dich zu dem Bilde läßt, lieber Sebastian, so wende ja allen deinen Fleiß darauf und denke nicht, daß es für ein schlechtes Gemälde gut genug sei. Willst du mir das versprechen? Er nahm ohne eine Antwort zu erwar¬ ten seines Freundes Hand und drückte sie stark, Sebastian sagte: Deinen Johannes will ich recht aufheben und ihn behalten, wenn man mir auch viel Geld dafür böte. Mit diesen Reden waren sie an einen Fußsteig gekommen, der einen nähern Weg durchs Korn führte. Rothe Lichter zitterten an den Spitzen der Halme und der Mor¬ genwind rührte sich darin und machte Wel¬ len. Die beiden jungen Mahler unterhiel¬ ten sich noch von ihren Werken und von ihren Planen für die Zukunft, Franz ver¬ ließ jezt Nürnberg seine vaterländische Stadt, um in der Fremde seine Kenntniß zu erweitern und nach einer mühseligen Wanderschaft dann als ein vollendeter Mei¬ ster zurückzukehren. Sebastian blieb noch bei den wohlverdienten Albrecht Dürer des¬ sen Name im ganzen Lande ausgebreitet war. Die Sonne gieng nun in aller Maje¬ stät hervor und Sebastian und Franz sahen abwechselnd nach den Thürmen von Nürn¬ berg zurück, deren Kuppeln und Fenster blendend im Schein der Sonne glänzten. Die jungen Freunde fühlten stillschwei¬ gend den Druck des Abschieds, der ihrer wartete, sie sahen jedem kommenden Augen¬ blicke mit Furcht entgegen, sie wußten, daß sie sich trennen mußten und konnten es doch immer noch nicht glauben. Das Korn steht schön, sagte Franz um nur das ängstigende Schweigen zu unter¬ brechen, wir werden eine schöne Erndte haben. Diesmahl, antwortete Sebastian, wer¬ den wir nicht miteinander das Erndtefest be¬ suchen, wie seither geschah; ich werde gar nicht hingehn, denn du fehlst mir und all' das lustige Pfeiffen und Schallmeygetöne würde uur ein bittrer Vorwurf für mich sein, daß ich ohne dich käme. Dem jungen Franz standen bei diesem Worten die Thränen in den Augen, denn alle Scenen die sie einer mit dem andern ge¬ sehn, alles was sie in brüderlicher Gesell¬ schaft erlebt hatten, gieng schnell durch sein Gedächtniß; als nun Sebastian noch hinzu sezte: wirst du mich auch in der Ferne noch immer lieb behalten? konnte er sich nicht mehr faßen, sondern fiel dem Fragen¬ den mit lautem Schluchzen um den Hals und ergoß sich in tausend Thränen, er zit¬ terte, es war, als wenn ihm das Herz zer¬ springen wollte. Sebastian hielt ihn fest in seinen Armen geklammert und muste nun mit ihm weinen, ob er gleich älter, und von einer härteren Constitution war. Kom¬ me wieder zu dir! sagte er endlich zu sei¬ nem Freunde wir müßen uns faßen, wir sehn uns ja wohl wieder. Franz antwortete nicht, sondern troknete seine Thränen ab, ohne sein Gesicht zu zei¬ gen. Es liegt im Schmerze etwas, deßen sich der Mensch schämt, er mag seine Thrä¬ nen selbst vor seinem Busenfreunde, auch wenn sie diesem gehören, gern verbergen. Sie erinnerten sich nun daran, wie sie schon oft von dieser Reise gesprochen hätten, wie sie ihnen also nichts weniger als uner¬ wartet käme, wie sehr sie Franz gewünscht und sie immer als sein höchstes Glück ange¬ sehn hätte. Sebastian konnte nicht begreif¬ fen, warum sie jezt so traurig wären, da im Grunde nichts vorgefallen sei, als daß nun endlich der langgewünschte Augenblick wirklich herbeigekommen wäre. Aber so ist das Glück des Menschen, er kann sich des¬ sen nur freuen, wenn es aus der Ferne auf ihn zuwandelt, kömmt es ihm nahe und er¬ greift seine Hand, so schaudert er oft zu¬ sammen, als wenn er die Hand des Todes faßte. Soll ich dir die Wahrheit gestehn? fuhr Franz fort, du glaubst nicht wie seltsam mir gestern Abend zu Sinne war. Ich hat¬ te meinen Gedanken so oft die Pracht Roms, den Glanz Italiens vorgemahlt, ich konnte mich bei der Arbeit ganz darin ver¬ lieren, daß ich mir vorstellte, wie ich auf unbekannten Fußsteigen, durch schattige Wälder wanderte, und dann fremde Städ¬ te und niegesehene Menschen meinem Blik¬ ke begegneten; ach, die bunte, ewigwechseln¬ de Welt mit ihren noch unbekannten Bege¬ benheiten, die Künstler, die ich sehn würde, das hohe gelobte Land der Römer, wo einst die Helden würklich und wahrhaftig gewan¬ delt sind, deren Bilder mir schon Thränen entlockt hatten, sieh, alles dies zusammen hatte oft meine Gedanken so gefangen ge¬ nommen, daß ich zuweilen nicht wußte, wo ich war, wenn ich wieder auf sah. Und das alles soll würklich werden! rief ich dann manchmal aus, es soll eine Zeit geben kön¬ nen, sie naht sich, in der du nicht mehr vor der alten, so wohlbekannten Staffeley sitzest, eine Zeit, wo du in all die Herrlichkeit hinein¬ leben darfst und immer mehr sehn, mehr erfah¬ ren, nie aufwachen, wie es dir jezt wohl ge¬ geschieht , wenn du so zu Zeiten von Italien träumst; — ach, wo, wo, bekömmst du Sinne, Gefühl genug her, um alles treu und wahr, lebendig und urkräftig aufzufas¬ sen? — Und dann war es, als wenn sich Herz und Geist innerlich ausdehnten und wie mit Armen jene zukünftige Zeit erha¬ schen, an sich reissen wollten — und nun — Und nun Franz? Kann ich es dir sagen? antwortete je¬ ner, — kann ich es selber ergründen? Als wir gestern Abend um den runden Tisch un¬ sers Dürers saßen und er mir noch Lehren zur Reise gab, als die Hausfrau indeß den Braten schnitt und sich nach dem Kuchen er¬ kundigte, den sie zu meiner Abreise gebacken hatte, als du nicht eßen konntest, und mich immer von der Seite betrachtetest, o Seba¬ stian, es wollte mir immer mein armes ehr¬ liches Herz zerreißen. Die Hausfrau kam mir so gut vor, so oft sie auch mit mir ge¬ scholten hatte, so oft sie auch unsern braven Meister Dürer betrübt hatte; hatte sie mir doch selbst meine Wäsche eingepakt, war sie doch gerührt, daß ich abreisen wollte. Nun war unsere Mahlzeit geendigt, und wir al¬ le waren nicht fröhlich gewesen, so sehr wir es uns auch vorher vorgenommen hatten. Jetzt nahm ich Abschied von Meister Al¬ brecht, ich wollte so hart seyn und konnte vor Thränen nicht reden; ach mir fiel es zu sehr ein, wie viel ich ihm zu danken hatte, was er ein vortreflicher Mann ist, wie herrlich er mahlt, und ich so nichts gegen ihn bin und er doch in den lezten Wochen immer that, als wenn ich seines gleichen wäre; ich hatte das alles noch nie so zu¬ sammen empfunden, und nun warf es mich auch dafür nieder. Ich ging fort, und du gingst stillschweigend in deine Schlafkammer: nun war ich auf meiner Stube allein. Kei¬ nen Abend werd' ich mehr hier hereintre¬ ten, sagte ich zu mir selber, indem ich das Licht auf den Boden stellte: für dich, Franz, ist nun dieses Bette zum leztenmale in Ord¬ nung gelegt, du wirfst Dich noch einmal hin¬ ein und siehst diese Kissen, denen du so oft deine Sorgen klagtest, auf denen du noch öfter so süß schlummertest, nie siehst du sie wieder. — Sebastian, geht es allen Men¬ schen so, oder bin ich nur ein solches Kind? Es war mir fast, als stünde mir das größte Unglück bevor, daß dem Menschen begegnen könnte, ich nahm sogar die alte Lichtscheere mit Zärtlichkeit, mit einem wehmüthigen Ge¬ fühl in die Hand und puzte damit den lan¬ gen Docht des Lichtes. Ich war überzeugt, daß ich vom guten Dürer nicht zärtlich ge¬ nug Abschied genommen hatte, ich machte mir heftige Vorwürfe darüber daß ich ihm nicht alles gesagt hatte, wie ich von ihm dachte, welch' ein vortreflicher Mann er in meinem Augen sei, daß er nun von mir so entfernt würde, ohne daß er wüste, welche kindliche Liebe, welche brennende Verehrung, welche Bewunderung ich mit mir nähme. Als ich so über die alten Giebel hinüber sah, und über den engen dunkeln Hof, als ich dich neben an gehen hörte und die schwarzen Wolken so unordentlich durch den Himmel zogen, ach! Sebastian! wie wenn ihr mich aus dem Hause würfet, als wenn ich nicht mehr euer Freund und Gesellschaf¬ ter sein dürfte, als wenn ich allein als ein Unwürdiger verstoßen sei, verschmäht und verachtet, — so regte es sich in meinem Bu¬ sen. Alle meine Plane, meine Hofnungen, alles war vorüber gezogen und ich konnte es mir gar nicht denken, daß es mich je ge¬ freut hatte. Ich hatte keine Ruhe, ich gieng noch einmal vor Dürers Gemach nnd hör¬ te ihn drinnen schlafen, o ich hätte ihn gern noch einmal umarmt, alles genügte mir nicht, ich hätte mögen dableiben, an kein Verreisen hätte müßen gedacht werden und ich wäre vergnügt gewesen. — — Und noch jetzt! sieh wie die fröhlichen Lichter des Morgens um uns spielen, und ich trage noch alle Empfindungen der dunkeln Nacht in mir. Warum müßen wir immer früheres Glück vergessen, um von neuem glücklich sein zu können? — Ach! laß uns hier einen Augenblick stille stehen, horch, wie schön die Gebüsche flüstern; wenn du mir gut bist, so singe mir hier nocheinmahl das altdeutsche Lied vom Reisen. Sebastian stand sogleich still und sang, ohne vorher zu husten, folgende Verse. Willt du dich zur Reis' bequemen Über Feld Berg und Thal Durch die Welt, Fremde Städte allzumahl Mußt Gesundheit mit dir nehmen. Neue Freunde aufzufinden Läßt die alten du dahinten, Früh am Morgen bist du wach Mancher sieht dem Wandrer nach Weint dahinten Kann die Freud' nicht wiederfinden. El¬ Eltern, Schwester, Bruder, Freund, Auch vielleicht das Liebchen weint, Laß sie weinen, traurig und froh Wechselt das Leben bald so bald so Nimmer ohne Ach! und O! Heimath bleibt dir treu und bieder, Kehrst du nur als Treuer wieder, Reisen und Scheiden Bringt des Wiedersehens Freuden. Franz hatte sich in's hohe Gras gesetzt und sang die lezten Verse inbrünstig mit, er stand auf und sie kamen an die Stelle wo Sebastian hatte umkehren wollen. Grüße noch einmal! rief Franz aus! al¬ le, die mich kennen und lebe du recht wohl. Und du gehst nun? fragte Sebastian. Muß ich denn nun ohne dich umkehren? Sie hielten sich beide fest umschloßen. Ach nur eins noch! rief Sebastian aus, es quält mich gar zu sehr und ich kann dich so nicht lassen. B Franz wünschte den Abschied im Herzen vorüber, es war, als wenn sein Herz von diesen gegenwärtigen Minuten erdrückt wür¬ de, er sehnte sich nach der Einsamkeit, nach dem Walde um dann von seinem Freunde entfernt seinen Schmerz ausweinen zu kön¬ nen. Aber Sebastian verlängerte die Au¬ genblicke des Abschieds, weil er sich durch kein neues Leben, durch keine neue Gegend konnte trösten laßen, er kannte alles genau wozu er zurückkehrte. Willst du mir ver¬ sprechen? rief er aus. Alles! alles! Ach Franz! fuhr jener klagend fort, ich lasse dich nun los und du bist nicht mehr mein, ich weiß nicht, was dir begegnet, ich kann dir nicht ins Gesicht sehen und so setze ich deine Liebe, ja dich selbst auf ein unge¬ wißes Spiel. Wirst du auch noch in der weiten Ferne an deinen einfältigen Freund Sebastian denken? Ach, wenn du nun unter klugen und vornehmen Leuten bist, wenn es nun schon lange her ist, daß wir hier Ab¬ schied genommen haben, willst du mich auch dann nie verachten? O mein liebster Sebastian! rief Franz schluchzend. Wirst du immer noch Nürnberg so lie¬ ben, fuhr jener fort, und deinen Meister so lieben, den wackern Albrecht? Wirst du dich nie klüger fühlen? O versprich mir, daß du derselbe Mensch bleiben willst, daß du dich nicht vom Glanz des Fremden willst verfüh¬ ren laßen, daß alles dir noch eben so theuer ist, daß ich dich noch eben so angehe. O Sebastian sagte Franz, mag die gan¬ ze Welt klug und überklug werden, ich will immer ein Kind bleiben. Sebastian sagte: O wenn du einst mit fremden abgebettelten Sitten wieder kämst, B 2 alles beßer wüstest und dir das Herz nicht mehr so warm schlüge, wenn du dann mit kaltem Blute nach Dürers Grabstein hin¬ sehn könntest und du höchstens über die Ar¬ beit und Innschrift sprächest, — o so möcht' ich dich gar nicht wiedersehn, dich gar nicht für meinen Bruder erkennen. Sebastian! bin ich denn so? rief Franz heftig aus; ich kenne ja dich, ich liebe ja dich und mein Vaterland und die Stube, worinn unser Meister wohnt und die Natur und Gott. Immer werd' ich daran hangen, immer, immer! Sieh, hier, an diesem alten Eichenbaum verspreche ich es dir, hier hast du meine Hand darauf. Sie umarmten sich und giengen stumm auseinander, nach einer Weile stand Franz still, dann lief er dem Sebastian nach und umarmte ihn wieder. Ach, Bruder, sagte er, und wenn Dürer den Ecce homo fertig hat, so schreibe mir doch recht umständlich wie der geworden ist und glaube ja an die Göttlichkeit der Bibel, ich weiß, daß du manchmal übel davon dachtest. Ich will es thun, sagte Sebastian und sie trennten sich wieder, aber nun kehrte keiner um, oft wandten sie das Gesicht, ein Wald trat zwischen beide. Zweites Capitel. A ls Sebastian nach der Stadt zurückkehrte und Franz sich nun allein sah, ließ er seinen Thränen ihren Lauf. Lebe wohl, tausend¬ mahl wohl, sagte er immer still vor sich hin, wenn ich dich nur erst wieder sähe! Die Arbeiter auf den Feldern waren nun in Bewegung, alles war thätig und rührte sich; Bauern fuhren vor ihm vorüber, in den Dörfern war Getümmel, in den Scheu¬ ren wurde gearbeitet. Wie viel Menschen sind mir heut schon begegnet, dachte Franz bei sich und unter allen diesen weiß vielleicht kein einziger von dem großen Albrecht Dü¬ rer, der mit seinen Werken meinen ganzen Kopf einnimmt, den zu erreichen mein einzi¬ ges Trachten ist; sie wißen vielleicht alle kaum, daß es eine Mahlerey giebt und doch fühlen sie sich nicht unglücklich. Ich weiß es nicht und kann nicht einsehn, wie man so leben könnte, so einsam und verlas¬ sen und doch treibt jeder ämsig sein Ge¬ schäft, und es ist gut, daß es so ist und so seyn muß. Die Sonne war indeß hoch gestiegen und brannte heiß herunter, die Schatten der Bäume waren kurz, die Arbeiter giengen zum Mittagsessen nach ihren Häusern. Franz dachte daran, wie sich nun Sebastian dem Albrecht Dürer gegen über zu Tische sezte, wie man von ihm spreche. Er be¬ schloß auch im nächsten Gehölze still zu lie¬ gen, und seinen mitgenommenen Vorrath hervorzuholen. Wie erquickend war der kühle Duft, der ihm aus den grünen Blät¬ tern entgegen wehte, als er in das Wäld¬ chen hineintrat! Alles war still und nur das Rauschen der Bäume schallte manchmal durch die liebliche Einsamkeit und ein ferner Bach, der durchs Gehöltz floß. Franz sezte sich auf den weichen Rasen und zog seine Schreibtafel heraus, um den Tag seiner Auswanderung anzumerken, dann hohlte er frischen Athem, und ihm war leicht und wohl, er war jezt über die Abwesenheit sei¬ nes Freundes getröstet, er fand alles gut, so wie es war. Er breitete seine Tafel aus und aß mit Wohlbehagen von seinem mit¬ genommenen Vorrathe, er fühlte jezt nur die schöne ruhige Gegenwart, die ihn um¬ gab. Indem kam ein Wandersmann die Stras¬ se gegangen und grüßte Franzen sehr freund¬ lich es war ein junger rothbakkiger Bur¬ sche, er schien müde und Franz bat ihn da¬ her, sich neben ihn niederzusetzen und mit ihm vorlieb zu nehmen. Der junge Reisen¬ de nahm sogleich diesen Vorschlag an, und beide verzehrten gutes Muths ihre Mittags¬ mahlzeit und tranken den Wein, den Franz aus Nürnberg mitgenommen hatte. Der Fremde erzählte hierauf unserm Freunde, daß er ein Schmiedegeselle sei und eben auf der Wanderschaft begriffen, er gehe nun, die hochberühmte Stadt Nürnberg in Augen¬ schein zu nehmen und da etwas Rechtes für sein Handwerk bei den kunstreichen Meistern zu lernen. Und was treibt ihr für ein Gewerbe? fragte er, indem er seine Erzählung geen¬ digt hatte. Ich bin ein Mahler sagte Franz, und bin heute Morgen aus Nürnberg ausge¬ wandert. Ein Mahler? rief jener aus, so einer von denen, die für die Kirchen und Klöster die Bilder verfertigen. Recht, antwortete Franz, mein Meister O, sagte der Schmidt, was ich mir schon oft gewünscht habe, einen solchen Mann bei seiner Arbeit zu sehn, denn ich kann es mir gar nicht vorstellen. Ich habe immer geglaubt, daß die Gemählde in den Kirchen schon sehr alt wären, und daß jezt gar keine Leute lebten, die dergleichen ma¬ chen könnten. Grade umgekehrt, sagte Franz, die Kunst ist jezt höher gestiegen, als sie nur jemals war, ich darf Euch sagen, daß man jezt so mahlt, wie es die frühern Meister nie ver¬ mocht haben, die Manier ist jetzt edler, die Zeichnung richtiger und die Ausarbeitung bei weitem fleißiger, so daß die jetzigen Bilder den wirklichen Menschen ungleich ähnlicher sehn, als die vormaligen. Und könnt' Ihr Euch denn davon ernäh¬ ren? fragte der Schmidt. Ich hoffe es, antwortete Franz, daß mich die Kunst durch die Welt bringen wird. Aber im Grunde nützt doch das zu nichts, fuhr jener fort. Wie man es nimmt, sagte Franz und war innerlich über diese Rede böse. Das menschliche Auge und Herz findet ein Wohl¬ gefallen daran, die Bibel wird durch Ge¬ mählde verherrlichet, die Religion unterstützt, was will man von dieser edlen Kunst mehr verlangen? Ich meine, sagte der Gesell, ohne sehr darauf zu achten, es könnte doch zur Noth entbehrt werden, es würde doch kein Un¬ glück daraus entstehn, kein Krieg, keine Theurung, kein Mißwachs, Handel und Wandel bliebe in gehöriger Ordnung; daß alles ist nicht so mit dem Schmiedehandwerk der Fall, als worauf ich reise, und darum dünkt mich, müstet Ihr mit einiger Besorg¬ niß so in die Welt hineingehn, denn Ihr seid immer doch ungewiß, ob Ihr Arbeit finden werdet. Franz wußte darauf nichts zu antworten und schwieg still, er hatte noch nie darüber nachgedacht, ob seine Beschäftigung den Menschen nützlich wäre, sondern sich nur seinem Triebe überlaßen. Er wurde betrübt, daß nur irgend jemand an dem hohen Wer¬ the der Kunst zweifeln könne, und doch wuste er jezt nicht jenen zu widerlegen. Ist doch der heilige Apostel Lukas selbst ein Mahler gewesen! fuhr er endlich auf. Wirklich? sagte der Schmidt und ver¬ wunderte sich, das hätt' ich nicht gedacht, daß das Handwerk schon so alt wäre. Möchtet Ihr denn nicht, fuhr Franz mit einen hochrothen Gesichte fort, wenn Ihr einen Freund oder Vater hättet, dem Ihr so recht von Herzen liebtet und Ihr müßtet nun auf viele Jahre auf die Wanderschaft gehn, und könntet sie in der langen langen Zeit nicht sehen, möchtet Ihr denn da nicht ein Bild wenigstens haben, das Euch vor den Augen stände, und jede Miene jedes Wort zurückriefe, daß sie sonst gesprochen haben? Ist es denn nicht schön und herr¬ lich, wenigstens so im gefärbten Schatten das zu besitzen, was wir für theuer achten? Der Schmid wurde nachdenkend und Franz öfnete schnell seinen Mantelsak und wickelte einige kleine Bilder aus, die er selbst vor seiner Abreise gemahlt hatte. Seht hieher, fuhr er fort, seht vor einigen Stun¬ den habe ich mich von meinem liebsten Freunde getrennt und hier trage ich seine Gestalt mit mir herum, der da ist mein theurer Lehrer Albrecht, Dürer genannt, gra¬ de so sieht er aus, wenn er recht freundlich ist, hier habe ich ihn noch einmal, wie er in seiner Jugend ausgesehen hat. Der Schmid betrachtete die Gemählde sehr aufmerksam und bewunderte die Arbeit, daß die Köpfe so natürlich vor den Augen ständen, daß man beinahe glauben könnte, lebendige Menschen vor sich zu sehn. Ist es denn nun nicht schön, sprach der junge Mahler weiter, daß sich männiglich bemüht, die Kunst immer höher zu treiben und im¬ mer wahrer das natürliche Menschenange¬ sicht darzustellen? War es denn nicht für die übrigen Apostel und für alle damaligen Christen herrlich und eine liebliche Erquik¬ kung wenn Lukas ihnen den Erlöser der todt war, wenn er ihnen Maria und Mag¬ dalena und die übrigen hinmahlen konnte, daß sie sie glaubten mit Augen zu sehen und mit den Händen zu erfaßen? Und ist es dann auch nicht in unserm Zeitalter über¬ aus schön, für alle Freunde des großen Man¬ nes, des kühnen Streiters, den wackern Doktor Luther treflich zu konterfeyen, und dadurch die Liebe der Menschen und ihre Bewunderung zu erhöhn? Und wenn wir al¬ le längst todt sind, müßen es uns nicht En¬ kel und späte Urenkel Dank wißen, wenn sie nun die jezigen Helden und großen Män¬ ner von uns gemahlt antreffen? O wahrlich, sie werden dann Albrecht segnen und mich auch vielleicht loben, daß wir uns ihnen zum Besten diese Mühe gaben und keiner wird denn die Frage aufwerfen: wozu kann diese Kunst nützen? Wenn Ihr es so brtrachtet , sagte der Schmid, so habt Ihr ganz recht, und wahr¬ lich, das ist dann ganz etwas anders, als Eisen zu hammern. Schon oft habe ich es mir auch gewünscht, so irgend etwas zu thun, das bliebe und wobei die künftigen Men¬ schen meiner gedenken könnten, so eine recht überaus künstliche Schmiedearbeit, aber ich weiß immer noch nicht, was es wohl sein könn¬ te und ich kann mich auch oft nicht darin finden, warum ich das grade will, da keiner meiner Handwerksgenoßen darauf gekom¬ men ist. Bei Euch ist das auf die Art frei¬ lich etwas leichtes und Ihr habt dabei nicht einmal so saure Arbeit, wie unser eins. Aber darin denkt Ihr grade wie ich, seht, Tag und Nacht wollt' ich arbeiten und mich keinen Schweiß verdrießen laßen wenn ich etwas zu Stande brächte, das länger dauer¬ te wie ich, das der Mühe werth wäre, daß man sich meiner dabei erinnerte und darum möcht' ich gern etwas ganz Neues und Un¬ erhörtes erfinden, oder entdecken, und ich halte die für sehr glückliche Menschen, denen so etwas gelungen ist. Bei diesen Worten hörte Franzens Zorn nun völlig auf, er ward dem Schmiedege¬ sellen darüber sehr gewogen und erzählte ihm ihm noch mancherlei von sich und Nürnberg, er erfuhr daß der junge Schmid aus Flan¬ dern komme und sich Messys nannte. Wollt Ihr mir einen großen Gefallen thun? frag¬ te der Fremde. Gern, sagte Franz. Nun so schreibt mir einige Worte auf und gebt mir sie an Euren Meister und Eu¬ ren jungen Freund mit, ich will sie dann besuchen und sie müssen mich bei ihrer Ar¬ beit zusehn lassen, weil ich es mir gar nicht vorstellen kann, wie sich die Farben so künst¬ lich übereinander legen: dann will ich auch nachsehn, ob Eure Bilder da ähnlich sind. Das ist nicht nöthig, sagte Franz. Ihr dürft nur so zu Ihnen gehen, von mir er¬ zählen und einen Gruß bringen, so sind sie gewiß so gut und lassen Euch einen ganzen Tag nach Herzenslust zusehn. Sagt ihnen dann, daß wir viel von ihnen gesprochen C haben, daß mir noch die Thränen in den Augen stehen. Sie schieden hierauf von einander und ein jeder gieng seine Straße. Indem es ge¬ gen Abend kam, fielen dem jungen Sternbald viele Gegenstände zu Gemählden ein, die er in seinen Gedanken ordnete und mit Liebe bei diesen Vorstellungen verweilte: je röther der Abend wurde, je schwermüthiger wurden seine Träumereien, er fühlte sich wieder ein¬ sam in der weiten Welt, ohne Kraft, ohne Hülfe in sich selber. Die dunkelgewordenen Bäume, die Schatten die sich auf den Fel¬ dern ausstreckten, die rauchenden Dächer eines kleinen Dorfs und die Sterne die nach und nach am Himmel hervortraten, alles rührte ihn innig, alles bewegte ihn zu einenm wehmühtigen Mitleiden mit sich selber. Er kehrte in die kleine Schenke des Dorfs ein, begehrte ein Abendessen und eine Ruhestel¬ le. Als er allein war und schon die Lampe ausgelöscht hatte, stellte er sich ans Fenster lag. und sah nach der Gegend hin wo Nürn¬ berg Dich sollt' ich vergessen? rief er aus, dich sollt' ich weniger lieben? O mein liebster Sebastian, was wäre dann aus meinem Herzen geworden? Wie glücklich fühl' ich mich darinn, daß ich ein Deutscher, daß ich Dein und Albrechts Freund bin; ach! wenn ihr mich nur nicht verstoßt, weil ich Eurer unwürdig bin. Er legte sich nieder, verrichtete sein Abendgebet und schlief dann beruhigter ein. Drittes Capitel. A m Morgen weckte ihn das muntre Gir¬ ren der Tauben vor seinem Fenster, die manchmal in seine Stube hineinsahen und mit den Flügeln schlugen, dann wieder wegflogen und bald wieder kamen, um mit dem Halse nickend vor ihm auf und abzu¬ gehn. Durch einige Lindenbäume warf die Sonne schräge Strahlen in sein Gemach und Franz stand auf und kleidete sich hur¬ tig an; er sah mit festen Augen durch den reinen blauen Himmel und alle seine Plane wurden lebendiger in ihm, sein Herz schlug höher, alle Gefühle seiner Brust erklangen geläuterter. Er hätte jezt mit der Farben¬ pallette vor einer großen Tafel stehn mögen und er hätte dreist die kühnen Figuren hin¬ gezeichnet, die sich in seiner Brust bewegten. Der frische Morgen giebt dem Künstler Stärkung und in den Strahlen des Früh¬ roths regnet Begeisterung auf ihn herab: Der Abend lößt und schmelzt seine Gefühle, er weckt Ahndungen und unerklärliche Wün¬ sche in ihm auf, er fühlt dann näher, daß jenseits dieses Lebens ein andres kunstreiche¬ res liege, und sein inwendiger Genius schlägt oft vor Sehnsucht mit den Flügeln, um sich frei zu machen und hineinzuschwärmen in das Land, das hinter den goldnen Abend¬ wolken liegt. Franz sang ein Morgenlied, und fühlte keine Müdigkeit vom gestrigen Wege mehr, er setzte mit frischen Kräften seine Reise fort. Das rege Geflügel sang aus allen Gebü¬ schen, das bethaute Gras duftete und alle Blätter funkelten wie Kristall. Er gieng mit schnellen Schritten über eine schöne Wie¬ se, und das Geschmetter der Lerchen zog über ihn hinweg, ihm war fast noch nie so wohl gewesen. Das Reisen, sagte er zu sich selber, ist etwas trefliches, diese Freiheit der Natur, diese Regsamkeit aller Kreaturen, der reine weite Himmel und der Menschengeist der alles dies zusammenfassen und in Einen Ge¬ danken zusammenstellen kann — o glücklich ist der, der bald die enge Heimath verläßt, um wie der Vogel seinen Fittig zu prüfen und sich auf unbekannten, noch schönern Zweigen zu schaukeln. Welche Welten ent¬ wickeln sich im Gemüthe, wenn die freie Natur umher mit kühner Sprache in uns hineinredet, wenn jeder ihrer Töne unser Herz trift und alle Empfindungen zugleich anrührt. Ich möchte von mir glauben, daß ich ein guter Mahler würde, denn warum sollte ich es nicht werden können, da mein ganzer Sinn sich so der Kunst zuwendet, da ich keinen andern Wunsch habe, da ich gern alles übrige in dieser Welt aufgeben mag? Ich will nicht so zaghaft seyn, wie Sebastian, ich will mir selber vertrauen. Am Mittage ruhte er in einem Dorfe aus, das eine sehr schöne Lage hatte; hier traf er einen Bauer, der mit einem Wagen noch denselben Tag vier Meilen nach seinem Wohnort zu fahren gedachte. Franz wurde mit ihm einig und ließ sich von ihm mitneh¬ men. Der Bauer war schon ein alter Mann und erzählte unterwegs unserm Freunde viel von seiner Haushaltung, von seiner Frau und seinen Kindern. Er war schon siebenzig Jahr alt und hatte im Lau¬ fe seines Lebens mancherlei erfahren, er wünschte jetzt nichts so sehnlich, als vor seinem Tode nur noch die berühmte Stadt Nürn¬ berg sehen zu können, wo er nie hingekom¬ men war. Franz ward durch die Reden des alten Mannes sehr gerührt, es war ihm sonderbar, daß er erst am gestrigen Morgen Nürnberg verlassen hatte, und dieser alte Bauer davon sprach, als wenn es ein frem¬ der wunderweit entlegener Ort sei, so daß er die als Auserwählte betrachtete, denen es gelinge, dorthin zu kommen. Mit dem Untergange der Sonne kamen sie vor die Behausung des Bauers an; kleine Kinder sprangen ihnen entgegen, die Erwachsenen arbeiteten noch auf dem Felde, die alte Mutter erkundigte sich eifrig nach den Verwandten die ihr Mann besucht hat¬ te, sie wurde nicht müde zu fragen und er beantwortete alles überaus treuherzig. Dann ward das Abendessen zubereitet und alle im Hause waren sehr geschäftig. Franz be¬ kam den bequemsten Stuhl, um anszuruhen , ob er gleich gar nicht müde war. Das Abendroth glänzte noch im Grase vor der Thür und die Kinder spielten darin, wie niedergeregnetes Gold funkelte es durch die Scheiben, und lieblich roth waren die Angesichter der Knaben und Mädchen, knur¬ rend setzte sich die Hauskatze neben Franz und schmeichelte sich vertraulich an ihn, und Franz fühlte sich so wohl und glücklich, in der kleinen beengten Stube so seelig und frei, daß er sich kaum seiner vorigen trüben Stunden erinnern konnte, daß er glaub¬ te, er könne in seinem Leben nie wieder be¬ trübt werden. Als nun die Dämmerung einbrach, fingen vom Heerde der Küche die Heimchen ihren friedlichen Gesang an, am Wasserbach sang aus Birken eine Nachtigall heraus, und noch nie hatte Franz das Glück einer stillen Häuslichkeit, einer beschränkten Ruhe sich so nahe empfunden. Die großen Söhne kamen aus dem Fel¬ de zurück und alle nahmen fröhlich und gu¬ tes Muths die Abendmahlzeit ein, man sprach von der bevorstehenden Erndte, vom Zustande der Wiesen. Franz lernte nach und nach das Befinden und die Eigenschaften je¬ des Hausthiers, aller Pferde und Ochsen kennen. Die Kinder waren gegen die Alten sehr ehrfurchtsvoll, man fühlte es, wie der Geist einer schönen Eintracht sie alle be¬ herrschte. Als es finster geworden war, vermehrte ein eisgrauer Nachbar die Gesellschaft, um den sich besonders die Kinder herumdrängten und verlangten, daß er ihnen wieder eine Ge¬ schichte erzählen sollte, die Alten mischten sich auch darunter und baten, daß er ihnen wieder von heiligen Märtyrern vorsa¬ gen möchte, nichts Neues, sondern was er ihnen schon oft erzählt habe, je öfter sie es hörten, je lieber würde es ihnen. Der Nach¬ bar war auch willig und trug die Geschichte der heiligen Genovefa vor, dann des heiligen Laurentius und alle waren in tiefer Andacht, verlohren. Franz war überaus gerührt. Noch in derselben Nacht fing er einen Brief an sei¬ nen Freund Sebastian an, am Morgen nahm er herzlich von seinen Wirthen Abschied, und kam am folgenden Tage in eine kleine Stadt, wo er den Brief an seinen Freund beschloß. Wir theilen unsern Lesern diesen Brief mit. Liebster Bruder! «Ich bin erst seit so kurzer Zeit von Dir «und doch dünkt es mir schon so lange zu «seyn. Ich habe Dir eigentlich nichts zu «schreiben und kann es doch nicht unterlassen, «denn Dein eignes Herz kann Dir alles sa¬ «gen, was Du in meinem Briefe finden soll¬ «test, wie ich immer an Dich denke, wie un¬ «aufhörlich das Bild meines theuren Mei¬ «sters und Lehrers vor mir steht. Ein «Schmiedegeselle wird Euch besucht haben, «den ich am ersten Tage traf, ich denke «Ihr habt ihn freundlich aufgenommen um «meinetwillen. Ich schreibe diesen Brief in «der Nacht, beim Schein des Vollmonds, «indem meine Seele überaus beruhigt ist; «ich bin hier auf einem Dorfe bei einem «Bauer, mit dem ich vier Meilen hieher ge¬ «fahren bin. Alle im Hause schlafen, und «ich fühle mich noch so munter, darum «will ich noch einige Zeit wach bleiben, «Lieber Sebastian, es ist um das Treiben «und Leben der Menschen eine eigne Sache. «Wie die meisten so gänzlich ihres Zwecks «verfehlen, wie sie nur immer suchen und «nie finden, und wie sie selbst das Gefun¬ «dene nicht achten mögen, wenn sie ja so «glücklich sind. Ich kann mich immer nicht «darinn finden, warum es nicht besser ist, «warum sie nicht zu ihrem eigenen Glücke «mit sich einiger werden. Wie lebt mein «Bauer hier für sich und ist zufrieden und «ist wahrhaft glücklich. Er ist nicht blos «glücklich, weil er sich an diesen Zustand «gewöhnt hat, weil er nichts besseres kennt, «weil er sich findet, sondern alles ist ihm «recht, weil er innerlich von Herzen ver¬ «gnügt ist und weil ihm Unzufriedenheit «mit sich etwas Fremdes ist. Nur Nürn¬ «berg wünscht er vor seinem Tode noch zu «sehen und lebt doch so nahe dabei; wie mich «das gerührt hat!« «Wir sprechen immer von einer goldnen «Zeit und denken sie uns so weit weg und «mahlen sie uns mit so sonderbaren und «buntgrellen Farben aus. O theurer Se¬ «bastian, oft dicht vor unsern Füßen liegt «dieses wundervolle Land, nach dem wir «jenseits des Oceans und jenseits der Sünd¬ «fluth mit sehnsüchtigen Augen suchen. Es «ist nur das, daß wir nicht redlich mit uns »selber umgehen. Warum ängstigen wir «uns in unsern Verhältnissen so ab, um «nur das bischen Brod zu haben, das wir «selber darüber nicht einmahl in Ruhe ver¬ «zehren können? Warum treten wir denn «nicht manchmal aus uns heraus und schüt¬ «teln alles das ab, was uns quält und «drückt, und holen darüber frischen Athem «und fühlen die himmlische Freiheit, die «uns eigentlich angebohren ist? Dann müs¬ «sen wir der Kriege und Schlachten, der «Zänkereien und Verläumdungen auf einige «Zeit vergessen, alles hinter uns lassen und «die Augen davor zudrücken, daß es in die¬ «ser Welt so kunterbunt hergeht und sich «alles toll und verworren durcheinander «schiebt, damit irgend einmahl der himmli¬ «sche Friede eine Gelegenheit fände, sich auf «uns herab zu senken und mit seinen süßen «lieblichen Flügeln zu umarmen. Aber wir «wollen uns gern immer mehr in dem «Wirwarr der gewöhnlichen Welthändel «verstricken, wir ziehn selber einen Flor über «den Spiegel, der aus den Wolken herun¬ «terhängt, und in welchem Gottheit und «Natur uns ihre himmlischen Angesich¬ «ter zeigen, damit wir nur die Eitelkeiten «der Welt desto wichtiger finden dürfen. «So kann der Menschengeist sich nicht aus «dem Staube aufrichten und getrost zu den «Sternen hinblicken und seine Verwand¬ «schaft zu ihnen empfinden. Er kann die «Kunst nicht lieben, da er das nicht liebt, «was ihn von der Verworrenheit erlöst, «denn mit diesem seeligen Frieden ist die «Kunst verwandt. Du glaubst nicht, wie «gern ich jezt etwas mahlen möchte, was «so ganz den Zustand meiner Seele aus¬ «drückte, und ihn auch bei andern wecken «könnte. Ruhige fromme Heerden, alte «Hirten im Glanz der Abendsonne und En¬ «gel die in der Ferne durch Kornfelder gehn, «um ihnen die Geburt des Herrn, des Er¬ «lösers, des Friedefürsten zu verkündigen. «Kein wildes Erstarren, keine erschreckten «durcheinandergeworfenen Figuren, sondern «mit freudiger Sehnsucht müsten sie nach «den Himmlischen hinschauen, die Kinder «müsten mit ihren zarten Händlein nach den «goldnen Strahlen hindeuten, die von den «Bothschaftern ausströmten. Jeder An¬ «schauer müste sich in das Bild hineinwün¬ «schen und seine Prozesse und Plane, seine «Weisheit und seine politischen Konnexionen «auf ein Viertelstündchen vergessen, und ihm «würde dann vielleicht so seyn, wie mir jezt «ist, indem ich dieses schreibe und denke. «Laß Dich manchmal, lieber Sebastian, von der «der guten freundlichen Natur anwehen, «wenn es Dir in deiner Brust zu enge wird, «schau auf die Menschen je zuweilen hin, «die im Strudel des Lebens am wenigsten «bemerkt werden, und heiße die süße Fröm¬ «migkeit willkommen, die unter alten Ei¬ «chen beim Schein der Abendsonne, wenn «Heimchen zwitschern und Feldtauben gir¬ «ren, auf Dich niederkömmt. Nenne mich «nicht zu weich und vielleicht phantastisch, «wenn ich Dir dieses rathe, ich weiß, daß «Du in manchen Sachen anders denkst, und «vernünftiger und eben darum auch härter «bist. «Ein Nachbar besuchte uns noch nach «dem Abendessen und erzählte in seiner ein¬ «fältigen Art einige Legenden von Mär¬ «tyrern. Der Künstler sollte nach meinem «Urtheil bei Bauern oder Kindern manchmal «in die Schule gehn, um sich von seiner D «kalten Gelehrsamkeit oder zu großen Künst¬ «lichkeit zu erholen, damit sein Herz sich «wieder einmal der Einfalt aufthäte, die «doch nur einzig und allein die wahre Kunst «ist. Ich wenigstens habe aus diesen Er¬ «zählungen Vieles gelernt: die Gegenstände, «die der Mahler daraus darstellen müßte, «sind mir in einem ganz neuen Lichte er¬ «schienen. Ich weiß Kunstgemählde, wo der «rührendste Gegenstand von unnützen schö¬ «nen Figuren, von Gemähldegelehrsamkeit «und treflich ausgedachten Stellungen so «eingebaut war, daß das Auge lernte, «das Herz aber nichts dabei empfand, als «worauf es doch vorzüglich müßte abgesehen «seyn. So aber wollen einige Meister grö¬ «ßer werden als die Größe, sie wollen ih¬ «ren Gegenstand nicht darstellen, sondern «verschönern, und darüber verlieren sie sich «in Nebendingen. Ich denke jezt an alles «das, was uns der vielgeliebte Albrecht so «oft vorgesagt hat, und fühle wie er immer «recht und wahr spricht. — Grüße ihn; ich «muß hier aufhören, weil ich müde bin. «Morgen komme ich nach einer Stadt, «da will ich den Brief schließen und ab¬ «schicken. — Ich bin angekommen, und habe Dir, Se¬ «bastian, nur noch wenige Worte zu sagen «und auch diese dürften vielleicht überflüßig «seyn. Wenn nur das ewige Auf- und Ab¬ «treiben meiner Gedanken nicht wäre! Wenn «die Ruhe doch, die mich manchmal wie im «Vorbeifliegen küßt, bei mir einheimisch «würde, dann könnt' ich von Glück sagen, «und es würde vielleicht mit der Zeit ein «Künstler aus mir, den die Welt zu den «angesehenen zählte, dessen Namen sie mit «Achtung und Liebe spräche. Aber ich sehe «es ein, noch mehr fühl' ich es, das wird D 2 «mir ewig nicht gegönnt seyn. Ich kann «nicht dafür, ich kann mich nicht im Zaume «halten, und alle meine Entwürfe, Hofnun¬ «gen, mein Zutrauen zu mir geht vor «neuen Empfindungen unter, und es wird «leer und wüst in meiner Seele, wie in «einer rauhen Landschaft, wo die Brücken «von einem wilden Waldstrome zusammen¬ «gerissen sind. Ich hatte auf dem Wege «so vielen Muth, ich konnte mich ordent¬ «lich gegen die großen herrlichen Gestalten «nicht schützen und mich ihrer nicht erweh¬ «ren, die in meiner Phantasie aufstiegen, «sie überschütteten mich mit ihrem Glanze, «überdrängten mich mit ihrer Kraft und er¬ «oberten und beherrschten so sehr meinen «Geist, daß ich mich freute und mir ein «recht langes Leben wünschte, um der Welt, «den Kunstfreunden und Dir geliebter, Se¬ «bastian, so recht ausführlich hinzumahlen «was mich innerlich mit unwiderstehlicher «Gewalt beherrschte. Aber kaum habe ich «nun die Stadt, diese Mauern, und die «Ämsigkeit der Menschen gesehen, so ist al¬ «les in meinem Gemüthe wieder wie zuge¬ «schüttet, ich kann die Plätze meiner Freu¬ «de nicht wiederfinden, keine Erscheinung «steigt auf. Ich weiß nicht mehr, was ich «bin; mein Sinn ist gänzlich verwirrt. «Mein Zutrauen zu mir scheint mir Rase¬ «rey, meine inwendigen Bilder sind mir ab¬ «geschmackt, sie kommen mir so vor, als «wenn sie sich nie wirklich fügen würden, «als wenn kein Auge daran Wohlgefallen «finden könnte. Mein Brief verdrießt mich; «mein Stolz ist beschämt. — Was ist es, «Sebastian, warum kann ich nicht mit mir «einig werden? Ich meine es doch so gut «und ehrlich. — Lebe wohl und bleibe immer «mein Freund und grüße Meister Albrecht. Viertes Kapitel. F ranz hatte in dieser Stadt einen Brief von Dürer an einen Mann abzugeben, der der Vorsteher einer ansehnlichen Fabrik war. Er ging zu ihm und traf ihn gerade in Ge¬ schäften, so daß Herr Zeuner den Brief nur sehr flüchtig las und mit dem jungen Sternbald nur wenig sprechen konnte, er bat ihn aber, zum Mittagsessen wieder zu kommen. Franz ging betrübt durch die Gassen der Stadt, und fühlte sich ganz fremd. Zeuner hatte für ihn etwas zurückstoßendes und kaltes, und er hatte eine sehr freundliche Aufnahme erwartet, da er einen Brief von seinem ihm so theuren Lehrer brachte. Als es Zeit zum Mittagsessen war, gieng er nach Zeuners Hause zurück, das eins der größten in der Stadt war; mit Bangigkeit schritt er die großen Treppen hinauf und durch den prächtig verzierten Vorsaal; im ganzen Hause merkte man, daß man sich bei einem reichen Manne befinde. Er ward in einen Saal geführt, wo eine stattliche Versammlung von Herren und Damen, alle mit schönen Kleidern angethan nur auf den Augenblick des Essens zu warten schie¬ nen. Nur wenige bemerkten ihn, und die zufälligerweise ein Gespräch mit ihm anfin¬ gen, brachen bald wieder ab, als sie hörten, daß er ein Mahler sei. Jezt trat der Herr des Hauses herein, und alle drängten sich mit höflichen und freundlichen Glück¬ wünschen um ihn herum; jeder ward freund¬ lich von ihm bewillkommt, auch Franz im Vorbeigehn. Dieser hatte sich in eine Ecke des Fensters zurückgezogen, und sah mit Bangigkeit und schlagendem Herzen auf die Gasse hinunter, denn es war zum er¬ stenmale, daß er sich in einer solchen gro¬ ßen Gesellschaft befand. Wie anders kam ihm hier die Welt vor, da er von anständi¬ gen, wohlgekleideten und unterrichteten Leu¬ ten über tausend nichtswürdige Gegenstän¬ de, nur nicht über die Mahlerei reden hör¬ te, ob er gleich geglaubt hatte, daß sie je¬ dem Menschen am Herzen liegen müsse, und daß man auf ihn, als einen vertrauten Freund Albrecht Dürers, besonders aufmerk¬ sam seyn würde. Man setzte sich zu Tische, er saß fast unten. Durch den Wein belebt ward das Gespräch der Gesellschaft bald munterer, die Frauen erzählten von ihrem Putze die Män¬ ner von ihren mannichfaltigen Geschäften, der Hausherr ließ sich weitläuftig darüber aus, wie sehr er nun nach und nach seine Fabrik verbessert habe und wie der Gewinn also um so einträglicher sei. Was den gu¬ ten Franz besonders ängstigte, war, daß von allen abwesenden reichen Leuten mit einer vorzüglichen Ehrfurcht gesprochen wurde; er fühlte, wie hier das Geld das einzige sei, was man achte und schätze: er konnte fast kein Wort mitspre¬ chen. Auch die jungen Frauenzimmer wa¬ ren ihm zuwider, da sie nicht so züchtig und still waren, wie er sie sich vorgestellt hatte, alle setzten ihn in Verlegenheit, er fühlte seine Armuth, seinen Mangel an Umgang zum erstenmal in seinem Leben auf eine bittere Art. In der Angst trank er vie¬ len Wein und ward dadurch und von den sich durchkreuzenden Gesprächen ungemein erhitzt. Er hörte endlich kaum mehr darauf hin, was gesprochen ward, die groteskesten Figuren beschäftigten seine Phantasie, und als die Tafel aufgehoben ward, stand er mechanisch mit auf, fast ohne es zu wissen. Die Gesellschaft verfügte sich nun in ei¬ nen angenehmen Garten, und Franz setzte sich etwas abseits auf eine Rasenbank nie¬ der, es war ihm, als wenn die Gesträuche und Bäume umher ihn über die Menschen trösteten, die ihm so zuwider waren. Seine Brust ward freier, er wiederholte in Ge¬ danken einige Lieder, die er in seiner Ju¬ gend gelernt hatte und die ihm seit lange nicht eingefallen waren. Der Hausherr kam auf ihn zu, er stand auf und sie gingen sprechend in einem schattigen Gange auf und ab. Ihr seid jezt auf der Reise? fragte ihn Zeuner. Ja, antwortete Franz, vorjezt will ich nach Flandern und dann nach Italien. Wie seid Ihr grade auf die Mahler¬ kunst gerathen? Das kann ich Euch selber nicht sagen, ich war plözlich dabei, ohne zu wissen wie es kam; einen Trieb, etwas zu bilden, fühl¬ te ich immer in mir. Ich meine es gut mit Euch, sagte Zeu¬ ner, Ihr seid jung und darum laßt Euch von mir rathen. In meiner Jugend gab ich mich auch wohl zuweilen mit Zeichnen ab, als ich aber älter wurde, sah ich ein, daß mich das zu nichts führen könne. Ich leg¬ te mich daher eifrig auf ernsthafte Geschäfte und widmete ihnen alle meine Zeit, und seht, dadurch bin ich nun auch das geworden was ich bin. Eine große Fabrik und viele Ar¬ beiter stehn nnter mir, zu deren Aufsicht, so wie zum Führen meiner Rechnungen ich immer treue Leute brauche. Wenn Ihr wollt, so könnt Ihr mit einem sehr gu¬ ten Gehalte bei mir eintreten, weil mir grade mein erster Aufseher gestorben ist. Ihr habt ein sichres Brod und ein gutes Auskommen, Ihr könnt Euch hier verhei¬ rathen und sogleich antreffen was Ihr in einer ungewissen zukünftigen Ferne sucht. — Wollt Ihr also Eure Reise einstellen und bei mir bleiben? Franz antwortete nicht. Ihr mögt vielleicht viel Geschick zur Kunst haben, fuhr jener fort, aber was habt Ihr mit alle dem gewonnen? Wenn Ihr ein großer Meister werdet, so führt Ihr doch immer ein kümmerliches und höchst armseliges Leben. Ihr habt ja das Bei¬ spiel an Eurem Lehrer. Wer erkennt ihn, wer belohnt ihn? Mit allem seinem Fleiße muß er sich doch von einem Tage zum an¬ dern hinübergrämen, er hat keine frohe Stunde, er kann sich nie recht ergötzen, Niemand achtet ihn, da er ohne Vermögen ist, statt daß er reich, angesehen und von Einfluß seyn könnte, wenn er sich den bür¬ gerlichen Geschäften gewidmet hätte. Ich kann Euren Vorschlag durchaus nicht annehmen, rief Franz aus. Und warum nicht? ist denn nicht alles wahr, was ich Euch gesagt habe? Und wenn es auch wahr ist, antwortete Franz, so kann ich es doch so unmöglich glauben. Wenn Ihr das Zeichnen und Bil¬ den sogleich habt unterlassen können, als Ihr es wolltet, so ist das gut für Euch, aber so habt Ihr auch unmöglich einen recht kräftigen Trieb dazu verspürt. Ich wüste¬ nicht, wie ich es anfinge, daß ich es unter¬ ließe, ich würde Eure Rechnungen und al¬ les verderben, denn immer würden meine Gedanken darauf gerichtet bleiben, wie ich diese Stellung und jene Mine gut ausdrük¬ ken wollte, alle Eure Arbeiter würden mir nur eben so viele Modelle seyn, Ihr wärt ein schlechter Künstler geworden, so wie ich zu allen ernsthaften Geschäften verdorben bin, denn ich achte sie zu wenig, ich habe keine Ehrfurcht vor dem Reichthum, ich könnte mich nimmer zu diesem kunstlosen Le¬ ben bequemen. Und was Ihr mir von mei¬ nem Albrecht Dürer sagt, gereicht den Menschen, nicht aber ihm zum Vorwurf. Er ist arm, aber doch in seiner Armuth glückseliger als Ihr. Oder haltet Ihr es denn für so gar nichts, daß er sich hinstel¬ len darf und sagen: nun will ich einen Christuskopf mahlen! und das Haupt des Erlösers mit seinen göttlichen Minen in Kurzem wirklich vor Euch stehet und Euch ansieht und Euch zur Andacht und Ehrfurcht zwingt, selbst wenn Ihr gar nicht dazu aufgelegt seid? Seht, so ein Mann ist der verachtete Dürer. Franz hatte nicht bemerkt, daß während seiner Rede sich das Gesicht seines Wirths zum Unwillen verzogen hatte; er nahm kurz Abschied und ging mit weinenden Au¬ gen nach seinem Wirthshause. Hier hatte er auf seinem Fenster das Bildniß Albrecht Dürers aufgestellt, und als er in die Stu¬ be trat, fiel er laut weinend und klagend davor nieder und schloß es in seine Arme, drückte es an die Brust und bedekte es mit Küssen. Ja, mein guter, lieber, ehrlicher Meister! rief er aus, nun lerne ich erst die Welt und ihre Gesinnungen kennen! Das ist das, was ich Dir nicht glauben wollte, so oft Du es mir auch sagtest. Ach wohl, wohl sind die Menschen undankbar gegen Dich und Deine Herrlichkeit und gegen die Freuden die Du ihnen zu genießen giebst. Freilich haben Sorgen und stete Arbeit die¬ se Furchen in Deine Stirne gezogen, ach! ich kenne diese Falten ja nur zu gut. Welcher unglückselige Geist hat mir diese Liebe und Verehrung zu Dir eingeblasen, daß ich wie ein lächerliches Wunder unter den übrigen Menschen herumstehen muß, daß ich auf ihr Reden nichts zu antworten weiß, daß sie meine Fragen nicht verstehen? Aber ich will Dir und meinem Triebe getreu bleiben; was thuts, wenn ich arm und ver¬ achtet bin, was hinderts, wenn ich auch am Ende aus Mangel umkommen sollte! Du und Sebastian, ihr beide werdet mich we¬ nigstens deshalb lieben! Er hatte noch einen Brief von Dürers Freund Pirkheimer , an einen angesehe¬ nen Mann in der Stadt abzugeben. Er war unentschlossen, ob er ihn selber hintra¬ gen sollte. Endlich nahm er sich vor, ihn eilig abzugeben und noch an diesem Abend die Stadt die ihm so sehr zuwider war, zu verlassen. Man Man wieß ihn auf seine Fragen nach einem abgelegenen kleinen Hause, in welchem die größte Ruhe und Stille herrschte. Ein Diener führte ihn in ein geschmackvolles Zimmer, in welchem ein ehrwürdiger alter Mann saß; es war derselbe, an den der Brief gerichtet war. Ich freue mich, sagte der Greis, wieder einmahl Nachrichten von meinem lieben Freunde Pirkheimer zu erhal¬ ten; aber verzeiht, junger Mann, meine Augen sind zu schwach, daß Ihr so gut seyn müßt, ihn mir vorzulesen. Franz schlug den Brief auseinander und las unter Herzklopfen, wie Pirkheimer ihn als einen edlen und sehr hofnungsvollen jungen Maler rühmte, und ihn den besten Schüler Albert Dürers nannte. Bei die¬ sen Worten konnte er kaum seine Thränen zurückdrängen. So seyd Ihr ein Schüler des großen E Mannes, meines theuren Albrechts? rief der Alte wie entzückt aus, o so seyd mir von Herzen willkommen! Er umarmte mit die¬ sen Worten den jungen Mann, der nun seine schmerzliche Freude nicht mehr mäßigen konnte, laut schluchzte und ihm alles er¬ zählte. Der Greis tröstete ihn, und beide setzten sich. O wie oft, sagte der alte Mann, ha¬ be ich mich an den überaus köstlichen Wer¬ ken dieses wahrhaft einzigen Mannes er¬ götzt, als meine Augen noch in ihrer Kraft waren! Wie oft hat nur er mich über alles Unglück dieser Erde getröstet! O wenn ich ihn doch einmahl wieder sehen könnte! Franz vergaß nun, daß er noch vor Sonnenuntergang hatte die Stadt verlas¬ sen wollen; er blieb gern, als ihn der Alte zum Abendessen bat. Bis spät in die Nacht mußte er ihm von Albrechts Werken, von ihm erzählen, dann von Pirkheimer und von seinen eigenen Entwürfen. Franz er¬ götzte sich an diesem Gespräch und konnte nicht müde werden, dies und jenes zu fra¬ gen und zu erzählen, er freute sich, daß der Greis die Kunst so schätzte, wie er von seinem Lehrer mit eben der Wärme sprach. Sehr spät giengen sie auseinander, und Franz fühlte sich so getröstet und so glück¬ lich, daß er noch lange in seinem Zimmer auf und abgieng, den Mann betrachtete, und an großen Gemählden in Gedanken ar¬ beitete. E 2 Fünftes Kapitel. W ir treffen unsern jungen Freund wieder an vor einem Dorfe an der Tauber. Er hatte einen Umweg gemacht, um hier seine Eltern zu besuchen, denn er war als ein Knabe von zwölf Jahren zufälligerweise nach Nürnberg gekommen und auf sein in¬ ständiges Bitten bei Meister Albrecht in die Lehre gebracht, er hatte in Nürnberg einige weitläuftige Verwandten die ihn unterstütz¬ ten. Jetzt hatte er von seinen Eltern, die Bauern waren, lange keine Nachrichten be¬ kommen. Es war noch am Morgen, als er in dem Wäldchen stand, das vor dem Dorfe lag. Hier war sein Spielplatz gewesen, hier war er oft in der stillen Einsamkeit des Abends voll Nachdenken gewandelt, wenn die Schatten immer dichter zusammenwuch¬ sen und das Roth der sinkenden Sonne tief unten durch die Baumstämme äugelte und mit zuckenden Strahlen um ihn spielte. Hier hatte sich zuerst sein Trieb entzündet, und er betrat den Wald mit einer Empfin¬ dung wie man in einen heiligen Tempel tritt. Er hatte vor allen einen Lieblings¬ baum gehabt, von dem er sich immer kaum hatte trennen können; diesen suchte er jetzt mit großer Emsigkeit auf. Es war eine dicke Eiche mit vielen weit ausgebreiteten Zweigen, die Kühlung und Schatten gaben. Er fand den Baum und den Rasen am Fuße desselben noch eben so weich und frisch, als ehemals. Wie vieler Gefühle aus seiner Kindheit erinnerte er sich an dieser Stelle! wie er gewünscht hatte, oben in dem krau¬ sen Wipfel zu sitzen und von da ins weite Land hineinzuschauen, mit welcher Sehn¬ sucht er den Vögeln nachgesehn hatte, die von Zweig zu Zweig sprangen und auf den dunkelgrünen Blättern schertzten, die nicht wie er nach einem Hause rückkehrten, son¬ dern im ewig frohen Leben von glänzenden Stunden angeschienen, die frische Luft ein¬ athmeten und Gesang zurückgaben, die das Abend- und Morgenroth sahen, die keine Schule hatten und keinen strengen Lehrer. Ihm fiel alles ein, was er vormals gedacht hatte, alle kindische Begriffe und Empfin¬ dungen gingen an ihm vorüber und reich¬ ten ihm die kleinen Hände und hießen ihn so herzlich willkommen, daß er heftig im Innersten erschrak, daß er nun wieder unter dem alten Baume stehe und wieder dasselbe denke und empfinde, er noch derselbe Mensch sey. Alle zwischenliegenden Jahre, und alles was sie an ihm vermocht hatten, fiel in einem Augenblicke von ihm ab und er stand wieder als Knabe da, die Zeit seiner Kindheit lag ihm so nah, so nah, daß er alles übrige nur für einen vorbeifliegenden Traum halten wollte. Ein Wind rauschte herüber und gieng durch die großen Aeste des Baums, und alle Gefühle, die fernsten und dunkelsten Erinnerungen wurden mit herübergeweht und wie Vorhänge fiel es immer mehr von Franzens Seele zurück und er sah nur sich und die liebe Vergan¬ genheit. Alle frommen Empfindungen gegen seine Eltern, der Unterricht den ihm seine ersten Bücher gaben, sein Spielzeug fiel ihm wieder bei und seine Zärtlichkeit gegen leblose Gestalten. Wer bin ich? sagte er zu sich selber und schaute langsam um sich her. Was ist es, daß die Vergangenheit so lebendig in mei¬ nem Innern aufsteigt? Wie konnte ich alles, wie konnte ich meine Eltern so lange, fast, wenn ich wahr sein soll, vergessen? Wie wäre es möglich, daß uns die Kunst gegen die besten und theuersten Gefühle verhärten könnte? Und doch kann es nur das seyn, daß dieser Trieb mich zu sehr beschäftigte, sich mir vorbaute und die Aussicht des übri¬ gen Lebens verdeckte. Er stand in Gedanken und die Mahler¬ stube und Albrecht und seine Kopien kamen ihm wieder in die Gedanken, er setzte seinen Freund Sebastian sich gegenüber und hörte schnell wieder durch, was sie nur je mit einander gesprochen hatten; dann sah er wieder um sich und die Natur selbst, der Himmel, der rauschende Wald und sein Lieblingsbaum schienen Athem und Leben zu seinen Gemählden herzugeben, Vergangen¬ heit und Zukunft bekräftigten seinen Trieb und alles was er gedacht und empfunden, war ihm nur deswegen werth, weil es ihn zur Kunstliebe geführt hatte. Er gieng mit schnellen Schritten weiter und alle Bäume schienen ihm nachzurufen, aus jedem Bu¬ sche traten Erscheinungen hervor und woll¬ ten ihn zurückhalten, er taumelte aus einer Erinnrrung in die andere, und verlohr sich in ein Labyrinth von seltsamen Empfin¬ dungen. Er kam auf einen freien Platz im Wal¬ de, und plötzlich stand er still. Er wuste selbst nicht, warum er inne hielt und ver¬ weilte um darüber nachzudenken. Ihm war, als habe er sich hier auf etwas zu besinnen, das ihm so lieb, so unaussprechlich theuer gewesen sey; jede Blume im Grase nickte so freundlich als wenn sie ihm auf seine Er¬ innerungen helfen wollte. Es ist hier, ge¬ wißlich hier! sagte er zu sich selber, und suchte ämsig nach dem glänzenden Bilde, das wie von schwarzen Wolken in seiner innersten Seele zurückgehalten wurde. Mit einemmahle brachen ihm die Thränen aus den Augen, er hörte vom Felde herüber eine einsame Schalmeye eines Schäfers, und nun wuste er alles. Als ein Knabe von sechs Jahren war er hier im Walde gegangen, auf diesem Platze hatte er Blumen gesucht, ein Wagen kam daher gefahren und hielt still, eine Frau stieg ab und hob ein Kind her¬ unter, und beide gingen auf dem grünen Platze auf und ab und vor dem kleinen Franz vorüber. Das Kind, ein liebliches blondes Mädchen, kam zu Franz und bat um seine Blumen, er schenkte sie ihr alle, ohne selbst seine Lieblinge zurückzubehalten, indeß ein alter Bedienter auf einem Wald¬ horne blies, und Töne hervorbrachte, die dem jungen Franz damals äußerst wunderbar in die Ohren klangen. So vergieng eine Zeit, und Franz hatte alles vergessen; dann fuh¬ ren die Fremden wieder fort, und er er¬ wachte wie aus einem Entzücken zu sich und den gewöhnlichen Empfindungen, den ge¬ wöhnlichen Spielen, dem gewöhnlichen Le¬ ben von einem Tage zum andern hinüber. Dazwischen klangen immer die holden Wald¬ hornstöne in seine Existenz hinein, und vor ihm stand wie der Mond das holde Ange¬ sicht des Kindes, dem er seine Blumen ge¬ schenkt hatte, nach denen er im Schlummer oft die Hände ausstreckte, weil ihn dünkte, er erhielte sie von dem Mädchen wieder. Alles Liebe und Holde entlehnte er von ih¬ rem Bilde, alles Schöne was er sah, trug er zu ihrer Gestalt hinüber; wenn er von Engeln hörte, glaubte er einen zu kennen, und sich von ihm gekannt, er war es über¬ zeugt, daß die Feldblumen einst ein Erken¬ nungszeichen zwischen ihnen beiden seyn würden. Als er so deutlich wieder an alles dieses dachte, als ihm einfiel, daß er es in so langer Zeit gänzlich vergessen hatte, setzte er sich ins grüne Gras nieder und weinte; er drückte sein heißes Gesicht an den Boden und küßte mit Zärtlichkeit die Blumen die dort standen. Er hörte in der Trunkenheit wieder die Melodie eines Waldhorns, und konnte sich vor Wehmuth, vor Schmerzen der Erinnerung und süßen ungewissen Hoff¬ nungen nicht fassen. Bin ich wahnsinnig, oder was ist es mit diesem thörigten Her¬ zen? rief er aus. Welche unsichtbare Hand fährt so zärtlich und grausam zugleich über alle Saiten in meinem Innern hinweg, und scheucht alle Träume und Wundergestal¬ ten, Seufzer und Thränen und verklungne Lieder aus ihrem fernen Hinterhalte hervor? O mein Geist, ich fühle es in mir, strebt noch etwas Überirdischem, das keinem Men¬ schen gegönnt ist. Mit magnetischer Gewalt zieht der unsichtbare Himmel mein Herz an sich und bewegt alle Ahndungen durcheinan¬ der, die längst ausgeweinten Freuden, die unmöglichen Wonnen, die Hofnungen, die keine Erfüllung zugeben. Und ich kan es keinem Menschen, keinem Bruder einmahl klagen, wie mein Gemüth zugerichtet ist, denn keiner würde meine Worte verstehen. Daher aber gebricht mir die Kraft, die den übrigen Menschen verliehen ist, und die uns zum Leben nothwendig bleibt, ich matte mich ab in mir selber und keiner hat dessen Gewinn, mein Muth verzehrt sich, ich wün¬ sche was ich selbst nicht kenne. Wie Ja¬ kob seh im Traume die Himmelsleiter mit ihren Engeln, aber ich kann nicht selbst hin¬ aufsteigen, um oben in das glänzende Pa¬ radies zu schauen, denn der Schlaf hat meine Glieder bezwungen, und was ich se¬ he und höre, ahnde und hoffe und lieben möchte, ist nur Traumgestalt in mir. Jetzt schlug die Glocke im Dorfe. Er stand auf und trocknete sich die Augen, in¬ dem er weiter gieng, und nun schon die Hütte und die kleine Kirche durch das grü¬ ne Laub auf sich zuschimmern sah. Er gieng an einem Garten vorbei, und über dem Zaun herüber hieng ein Zweig voll ro¬ ther schöner Kirschen. Er konnte es nicht unterlassen, einige abzubrechen und sie zu kosten, weil die Frucht dieses Baumes ihn in der Kindheit oft erfreuet hatte; es waren dieselben Zweige, die sich ihm auch jetzt freundlich entgegenstreckten, aber die Frucht schmeckte ihm nicht wie damals. In der Kindheit wird der Mensch von den blanken, glänzenden, und vielfarbigen Früchten und ihrem süßen lieblichen Geschmacke angelockt, das Leben liebzugewinnen, wie es die Schulmeister in den Schulen machen, die mit Süßigkeiten dem Kinde Lust zum Ler¬ nen beibringen wollen; nachher verliert sich im Menschen dieses frohe Vorgefühl des Lebens, er ist der Lockungen gewohnt und dagegen abgestumpft. Franz gieng über den Kirchhof und las die Kreuze im Vorbeigehn schnell, aber an keinem war der Name seines Vaters oder seiner Mutter angeschrieben, und er fühlte sich zuversichtlicher. Die Mauer des Thurms kam ihm nicht so hoch vor, alles war ihm beengter, das Haus seiner Eltern kannte er kaum wieder. Er zitterte als er die Thür anfaßte, und doch war es ihm schon wieder so gewöhnlich, diese Thür zu öffnen. In der Stube saß seine Mutter mit verbunde¬ nem Kopf und weinte; als sie ihn erkannte weinte sie noch heftiger; der Vater lag im Bette und war krank. Er umarmte sie bei¬ de mit gepreßtem Herzen, er erzählte ihnen, sie ihm, sie sprachen durcheinander und frag¬ ten sich, und wusten doch nicht recht was sie reden sollten. Der Vater war matt und bleich. Franz hatte ihn sich ganz anders vorgestellt, und darum war er nun so ge¬ rührt und konnte sich gar nicht wieder zu¬ frieden geben. Der alte Mann sprach viel vom Sterben, von der Hofnung der Selig¬ keit, er fragte den jungen Franz, ob er auch Gott noch so treu anhange, wie er ihm immer gelehrt habe. Franz drückte ihm die Hand und sagte: Haben wir in diesem irr¬ dischen Leben etwas anders zu suchen, als die Ewigkeit? Ihr liegt nun da an der Gränze, Ihr werdet nun bald in Eurer Andacht nicht mehr gestört werden, und ich will mir gewiß auch alle Mühe geben, mich von den Eitelkeiten zu entfernen. Liebster Sohn, sagte der Vater, ich sehe, mein mein Lehren ist an Dir nicht verlohren ge¬ gangen. Wir müssen arbeiten, sinnen und denken, weil wir einmahl in diesem Leben, in diesem Joch eingespannt sind, aber da¬ rum müssen wir doch nie das Höhere aus den Augen verliehren. Sey redlich in Dei¬ nem Gewerbe, damit es Dich ernährt, aber laß nicht Deine Nahrung, Deine Beklei¬ dung den letzten Gedanken Deines Lebens seyn; trachte auch nicht nach dem irrdischen Ruhme, denn alles ist doch nur eitel, alles bleibt hinter uns, wenn der Tod uns for¬ dert. Mahle, wenn es seyn kann, die heili¬ gen Geschichten recht oft, um auch in weltli¬ chen Gemüthern die Andacht zu erwecken. Franz aß wenig zu Mittage, der Alte schien sich gegen Abend zu erholen. Die Mutter war nun schon daran gewöhnt, daß Franz wieder da sey; sie machte sich seinetwegen viel zu thun, und vernachläßig¬ F te den Vater beinahe. Franz war unzufrie¬ den mit sich, er hätte dem Kranken gern al¬ le glühende Liebe eines guten Sohns ge¬ zeigt, auf seine letzten Stunden gern alles gehäuft, was ihn durch ein langes Leben hätte begleiten sollen, aber er fühlte sich so verworren und sein Herz so matt, daß er über sich selber erschrak. Er dachte an tau¬ send Gegenstände die ihn zerstreuten, vor¬ züglich ein Gemählde von Kranken, von trauerndern Söhnen und wehklagenden Müttern, und darüber machte er sich dann die bittersten Vorwürfe. Als sich die Sonne zum Untergange neig¬ te, gieng die Mutter hinaus, um aus ih¬ rem kleinen Garten, der etwas entfernt war, Gemüse zu holen zur Abendmahlzeit. Der Alte ließ sich von seinem Sohn mit einem Sessel vor die Hausthür tragen, um sich von den rothen Abendstrahlen bescheinen zu lassen. Es stand ein Regenbogen am Himmel, und in Westen regnete der Abend in gold¬ nen Strömen nieder. Schaafe weideten ge¬ genüber, und Birken säuselten, der Vater schien stärker zu seyn. Nun sterb ich gerne, rief er aus, da ich Dich doch noch vor mei¬ nem Tode gesehen habe. Franz konnte nicht viel antworten, die Sonne sank tiefer und schien dem Alten feurig in's Gesicht, der sich wegwendete und seufzte: Wie Gottes Auge blickt es mich noch zu guter letzt an und straft mich Lü¬ gen; ach! wenn doch erst alles vorüber wä¬ re! Franz verstand diese Worte nicht, aber er glaubte zu bemerken, daß sein Vater von Gedanken beunruhigt würde. Ach! wenn man so mit hinuntersinken könnte! rief der Alte aus, mit hinunter mit der lie¬ ben Gottes Sonne! O wie schön und herr¬ lich ist die Erde, und jenseit muß es noch F 2 schöner seyn; dafür ist uns Gottes Allmacht Bürge. Bleib immer fromm und gut, lie¬ ber Franz, und höre mir aufmerksam zu, was ich Dir noch jetzt zu entdecken habe. Franz trat ihm näher, und der Alte sagte: Du bist mein Sohn nicht, liebes Kind. — Indem kam die Mutter zurück; man konnte sie aus der Ferne hören, weil sie mit lauter Stimme ein geistliches Lied sang, und der Alte brach sehr schnell ab und sprach von gleichgültigen Dingen. Morgen, sagte er heimlich zu Franz, morgen! Die Heerden kamen vom Felde mit den Schnittern, alles war fröhlich, aber Franz war sehr in Gedanken versunken, er be¬ trachtete die beiden Alten in einem ganz neuen Verhältnisse zu sich selber, er konnte kein Gespräch anfangen, die letzten Worte seines vermeintlichen Vaters schallten ihm noch immer in den Ohren, und er erwarte¬ te mit Ungeduld den Morgen. Es ward finster, der Alte ward hinein¬ getragen, und legte sich nieder schlafen; Franz aß mit der Mutter. Plötzlich hörten sie nicht mehr dem Athemzug des Vaters, sie eilten hinzu und er war verschieden. Sie sahen sich stumm an, und nur Brigitte konnte weinen. Ach! so ist er denn gestor¬ ben ohne von mir Abschied zu nehmen? sag¬ te sie seufzend; ohne Priester und Einseg¬ nung ist er entschlafen! — Ach! wer auf der weiten Erde wird nun noch mit mir sprechen, da sein Mund stumm geworden ist? Wem soll ich mein Leid klagen, wer wird mir sagen wenn die Bäume blühen, und wenn wir die Früchte abnehmen? — Ach! der gute alte Vater, nun ist es also vorbei mit unserm Umgang, mir unsern Abendgesprächen, und ich kann gar nichts dazu thun, sondern ich muß mich nun so eben darin finden. Unser aller Ende sey eben so sanft! Die Thränen machten sie stumm, und Franz tröstete sie. Er sah in Gedanken be¬ tende Einsiedler, die verehrungswürdigen Märtyrer, und alle Leiden der armen Menschheit gingen in mannichfaltigen Bil¬ dern seinem Geiste vorüber. Sechtes Kapitel. D ie Leiche des Alten lag in der Kammer auf Stroh ausgebreitet, und Franz stand sinnend vor der Thür. Die Nachbarn tra¬ ten herzu und trösteten ihn; Brigitte weinte von neuem, so oft darüber gesprochen wur¬ de, sein Herz war zu, seine Augen waren wie vertrocknet, tausend neue Bilder zogen durch seine Sinne, er konnte sich selber nicht verstehn, er hätte gern mit Jemand sprechen mögen, er wünschte Sebastian herbei, um ihm alles klagen zu können. Am dritten Tage war das Begräbniß, und Brigitte weinte und klagte laut am Grabe als sie nun den mit Erde zudeckten, den sie seit zwanzig Jahren so genau ge¬ kannt hatte, den sie fast einzig liebte. Sie wünschte auch bald zu sterben, um wie¬ der in seiner Gesellschaft zu seyn, um mit ihm die Gespräche fortzusetzen, die sie hier hatte abbrechen müssen. Franz schweifte in¬ deß im Felde umher, und betrachtete die Bäume die sich in einem benachbarten Tei¬ che spiegelten. Er hatte noch nie eine Land¬ schaft mit diesem Vergnügen beschaut, es war ihm noch nie vergönnt gewesen, die mannichfaltigen Farben mit ihren Schatti¬ rungen, das Süße der Ruhe, die Wirkung des Baumschlages in der Natur zu entdek¬ ken, wie er es jetzt im klaren Wasser ge¬ wahr ward. Über alles ergötzte ihn aber die wunderbare Perspektive die sich bildete, und der Himmel dazwischen mit seinen Wol¬ kenbildern, das zarte Blau, das zwischen den krause Figuren und dem zitternden Laube schwamm. Franz zog seine Schreib¬ tafel hervor, und wollte die Landschaft an¬ fangen zu zeichnen; aber schon die wirkliche Natur erschien ihm trocken gegen die Abbil¬ dung im Wasser, noch weniger aber wollten ihm die Striche auf dem Papiere genügen, die durchaus nicht nachbildeten, was er vor sich sah. Er war bisher noch nie darauf gekommen eine Landschaft zu zeichnen, er hatte sie immer nur als eine nothwendige Zugabe zu manchen historischen Bildern an¬ gesehn, aber noch nie empfunden, daß die leblose Natur etwas für sich Ganzes und Vollendetes ausmachen könne, und so der Darstellung würdig sey. Unbefriedigt gieng er nach der Hütte seines Pflegevaters zu¬ rück. Seine Mutter kam ihm entgegen, die sich in der ungewohnten Einsamkeit nicht zu lassen wuste. Sie setzten sich beide auf eine Bank die vor dem Hause stand, und unter¬ redeten sich von mancherlei Dingen. Franz ward durch jeden Gegenstand den er sah, durch jedes Wort das er hörte, niedergeschla¬ gen, die weidenden Heerden, die ziehenden Töne des Windes durch die Bäume, das frische Gras und die sanften Hügel weckten keine Poesie in seiner Seele auf. Er hatte Vater und Mutter verlohren, seine Freun¬ de verlassen, er kam sich so verwaist und verachtet vor, besonders hier auf dem Lan¬ de, wo er mit Niemand über die Kunst sprechen konnte, daß ihn fast aller Muth zum Leben verließ. Seine Mutter nahm seine Hand und sagte: Lieber Sohn, Du willst jetzt in die weite Welt hineingehen, wenn ich Dir rathen soll so thu es nicht, denn es bringt Dir doch keinen Gewinn. Die Fremde thut keinem Menschen gut, wo er zu Hause gehört, da blüht auch seine Wohlfahrt; fremde Menschen werden es nie ehrlich mit Dir meinen, das Vaterland ist gut, und warum willst Du so weit weg und Deutschland verlassen, und was soll ich indessen anfangen? Dein Mahlen ist auch ein unsicheres Brod, wie Du mir schon sel¬ ber gesagt hast, Du wirst darüber alt und grau; Deine Jugend vergeht, und mußt noch obenein wie ein Flüchtling aus Deinem Lande wandern. Bleib hier bei mir, mein Sohn, sieh, die Felder sind alle im besten Zustande, die Gärten sind gut eingerichtet, wenn Du Dich des Hauswesens und des Ackerbaues annehmen willst, so ist uns bei¬ den geholfen, und Du führst doch ein sich¬ res und ruhiges Leben, Du weißt doch dann wo Du Deinen Unterhalt hernimmst. Du kannst hier heirathen, es findet sich wohl eine Gelegenheit; Du lernst Dich bald ein, und die Arbeit des Vaters wird dann von Dir fortgesetzt. Was sagst zu dem al¬ len mein, Sohn? Franz schwieg eine Weile still, nicht weil er den Vorschlag bei sich überlegte, sondern weil an diesem Tage alle Vorstellungen so schwer in seine Seele fielen, daß sie lange hafteten. Ihm lag Herr Zeuner von neuem in den Gedanken, er sah die ganze Gesell¬ schaft noch einmahl, und fühlte alle Beäng¬ stigungen wieder, die er dort erlitten hatte. Es kann nicht seyn, liebe Mutter, sagte er endlich. Seht, ich habe so lange auf die Gelegenheit zum Reisen gewartet, jetzt ist sie gekommen, und ich kann sie nicht wieder aus den Händen gehen lassen. Ich habe mir ängstlich und sorgsam all' mein Geld, dessen ich habhaft werden konnte, dazu ge¬ sammelt, was würde Dürer sagen, wenn ich jetzt alles aufgäbe? Die Mutter wurde über diese Antwort sehr betrübt, sie sagte sehr weichherzig: Was aber suchst Du in der Welt, lieber Sohn? Was kann Dich, so heftig antreiben ein ungewisses Glück zu erproben? Ist denn der Feldbau nicht auch etwas Schönes, und immer in Gottes freier Welt zu handthie¬ ren und stark und gesund zu seyn? Mir zu Liebe könntest Du auch etwas thun, und wenn Du noch so glücklich bist, kömmst Du doch nicht weiter, als daß Du Dich satt es¬ sen kannst und eine Frau ernährst und Kin¬ der groß ziehest die Dich lieben und ehren. Alles dies zeitliche Wesen kannst Du nun hier schon haben, hier hast Du es gewiß, und Deine Zukunft ist noch ungewiß. Ach lieber Franz, und es ist denn doch auch eine herzliche Freude das Brod zu essen, das man selber gezogen hat, seinen eignen Wein zu trinken, mit dem Pferden und Kü¬ hen im Hause bekannt zu seyn, in der Wo¬ che zu arbeiten und des Sonntags zu ra¬ sten. Aber Dein Sinn steht Dir nach der Ferne, Du liebst Deine Eltern nicht, Du gehst in Dein Unglück und verlierst gewiß Deine Zeit, vielleicht noch Deine Gesundheit. Es ist nicht das, liebe Mutter! rief Franz aus, und Ihr werdet mich auch gar nicht verstehn wenn ich es Euch sage. Es ist mir gar nicht darum zu thun, Leinwand zu nehmen und die Farben mit mehr oder minder Geschicklichkeit aufzutragen, um da¬ mit meinen täglichen Unterhalt zu erwerben, denn seht, in manchen Stunden kömmt es mir sogar sündhaft vor, wenn ich es so be¬ ginnen wollte. Ich denke an meinen Er¬ werb niemals wenn ich an die Kunst denke, ja ich kann mich selber hassen wenn ich zu¬ weilen darauf verfalle. Ihr seid so gut, Ihr seid so zärtlich gegen mich, aber noch weit mehr als Ihr mich liebt, liebe ich meine Handthierung. Nun ist es mir ver¬ gönnt, alle die Meister wirklich zu sehn die ich bisher nur in der Ferne verehrt habe; von Vielen habe ich nur die Namen gehört. Wenn ich dies erleben kann, und beständig neue Bilder sehn, und lernen, und die Meister hören; wenn ich durch ungekannte Gegenden mit feilchem Herzen streifen kann, so mag ich keines ruhigen Lebens genießen. Tausend Stimmen rufen mir herzstärkend aus der Ferne zu, die ziehenden Vögel die über meinem Haupte wegfliegen, scheinen mir Bothen aus der Ferne, alle Wolken er¬ innern mich an meine Reise, jeder Gedanke, jeder Pulsschlag treibt mich vorwärts, wie könnt' ich da wohl in meinen jungen Jah¬ ren ruhig hier sitzen und den Wachsthum des Getraides abwarten, die Einzäunung des Gartens besorgen und Rüben pflanzen! Nein, laßt mir meinen Sinn, ich bitte Euch darum und redet mir nicht weiter zu, denn Ihr quält mich nur damit. Nun so magst Du es habem , sagte Bri¬ gitte in halben Unwillen, aber ich weiß daß es Dich noch einmahl gereuet, daß Du Dich wieder hieher wünschest, und denn ist's zu spät, daß Du dann das hoch und theuer schätzest was Du jetzt schmähest und ver¬ achtest. Ich habe Euch etwas zu fragen, liebe Mutter, fuhr Franz fort. Der Vater ist gestorben ohne mir Rechenschaft davon zu geben; er sagte mir ich sey sein Sohn nicht, und brach dann ab. Was wißt Ihr von meiner Herkunft? Nichts weiter lieber, Franz, sagte die Mut¬ ter, und Dein Vater hat mir darüber nie etwas anvertraut. Als ich ihn kennen lern¬ te und heirathete, warst Du schon bei ihm, und damals zwei Jahr alt; er sagte mir, daß Du sein einziges Kind von seiner ver¬ storbenen Frau seist. Ich verwundre mich, warum der Mann nun zu Dir anders ge¬ sprochen hat. Franz Franz blieb also über seine Herkunft im¬ mer noch in Ungewißheit; diese Gedanken beschäftigten ihn sehr, und er wurde in manchen Stunden darüber verdrüßlich und traurig. Das Erndtefest war indeß heran¬ gekommen, und alle Leute im Dorfe waren sehr fröhlich; jedermann war nur darauf bedacht sich zu vergnügen; die Kinder hüpf¬ ten umher und konnten den Tag nicht er¬ warten. Franz hatte sich vorgenommen die¬ sen Tag in der Einsamkeit zuzubringen, sich nur mit seinen Gedanken zu beschäftigen, und sich nicht um die Fröhlichkeit der übri¬ gen Menschen zu bekümmern. Er war in der Woche, die er hier bei seinem Pflegeva¬ ter zubrachte, überhaupt ganz in sich ver¬ sunken, nichts konnte ihm rechte Freude machen, denn ihm war hier ganz anders, und alles ereignete sich so ganz anders, als er es vorher vermuthet hatte. Am Tage G vor dem Erndtefest erhielt er einen Brief von seinem Sebastian, denn es war vorher aus¬ gemacht daß er ihm schreiben sollte, wäh¬ rend er hier auf dem Dorfe sey. Wie wenn nach langen Winternächten und trüben Ta¬ gen der erste Frühlingstag über die starre Erde geht, so erheiterte sich Franzens Ge¬ müth als er diesen Brief in der Hand hielt; es war als wenn ihn plötzlich sein Freund Sebastian selber anrühre, und ihm in die Arme fliege; er hatte seinen Muth wieder, er fühlte sich nicht mehr so verlassen, er er¬ brach das Siegel. Wie erstaunte und freute er sich zu glei¬ cher Zeit, als er drinnen noch ein andres Schreiben von seinem Albrecht Dürer fand, welches er nie erwartet hatte. Er war un¬ gewiß, welchen Brief er zuerst lesen sollte; doch schlug er Sebastians Brief auseinan¬ der welcher folgendermaßen lautete: Liebster Franz. «Wir gedenken Deiner in allen unsern Gesprächen, und so kurze Zeit Du auch entfernt bist, so dünkt es mich doch schon recht lange. Ich kann mich immer noch in dem Hause ohne Dich nicht schicken und fü¬ gen, alles ist mir zu leer und doch zu enge, ich kann nicht sagen ob sich das wieder än¬ dern wird. Als ich von Dir an jenem schö¬ nen und traurigen Morgen durch die Korn¬ felder zurückgieng, als ich alle die Stellen wieder betrat wo ich mit Dir gegangen war, und der Stadt mich nun immer mehr näherte; o Franz! ich kann es Dir nicht sa¬ gen was da mein Herz empfand. Es war mir alles im Leben taub und ohne Reiz, und ich hätte vorher niemals geglaubt, daß ich Dich so lieb haben könnte. Wie wollte ich jetzt mit den Stunden geizen, die ich G 2 sonst unbesehn und ungenossen verschwende te, wenn ich nur mit Dir wieder zusammen seyn könnte! Alles was ich in die Hände nehme erinnert mich an Dich, und meine Pallette, mein Pinsel, alles macht mich wehmüthig, ohne daß ich begreifen kann wie es zugeht. Als ich in die Stadt wieder hineinkam, als ich die gewohnten Treppen unsers Hauses hinaufstieg, und da wieder alles liegen und stehn sah wie ich es am frühen Morgen verlassen hatte, konnt' ich mich der Thränen nicht enthalten, ob ich gleich sonst nie so weich gewesen bin. Hal¬ te mich nicht für härter oder vernünftiger, lieber Franz, wie Du es nennen magst, denn ich bin es nicht, wenn es sich bei mir auch anders äußert als bei Dir. Ich war den ganzen Tag verdrüßlich, ich maulte mit Jedermann; was ich that war mir nicht recht, ich wünschte Staffeley, und das Portrait, das ich vor mir hatte, weit von mir weg, denn mir gelang kein Zug, und ich spürte auch nicht die mindeste Lust zum Mahlen. Mei¬ ster Dürer war selbst an diesem Tage be¬ trübter als gewöhnlich, alles war im Hause still, und wir fühlten es, daß mit Deiner Abreise eine andre Epoche unsers Lebens anfieng. Dein Schmidt hat uns besucht; es ist ein lieber Bursche, wir haben viel über ihn gelacht, uns aber auch recht an ihm ge¬ freut. Unermüdet hat er uns einen ganzen Tag lang zugesehn, und wunderte sich im¬ mer darüber daß das Mahlen so langsam von der Stelle gienge. Er setzte sich nach¬ her selber nieder und zeichnete ein paar Verzierungen nach, die ihm ziemlich gut ge¬ riethen, es gereut ihn jetzt daß er das Schmiedehandwerk erlernt und sich nicht lieber so wie wir auf die Mahlerei gelegt hat. Meister Dürer meint daß viel aus ihm werden könnte, wenn er noch anfienge; und er selber ist halb und halb dazu ent¬ schlossen. Er hat Nürnberg schon wieder verlassen; von Dir hat er viel gesprochen und Dich recht gelobt. Daß Du Dich von Deinen Empfindun¬ gen so regieren und zernichten lässest, thut mir sehr weh, Deine Überspannungen rau¬ ben Dir Kräfte und Entschluß, und wenn ich es Dir sagen darf, suchst Du sie etwas. Doch mußt Du darüber nicht zornig wer¬ den, jeder Mensch ist einmal anders einge¬ richtet als der andere. Aber strebe darnach etwas härter zu seyn, und Du wirst ein viel ruhigeres Leben führen, wenigstens ein Leben, in welchem Du weit mehr arbeiten kannst als in dem Strom dieser wechselnden Empfindungen, die Dich nothwendig stören, und von allem abhalten müssen.« «Lebe recht wohl, und schreibe mir ja fleißig, damit wir uns einander nicht fremde werden, wie es sonst gar zu leicht geschieht. Theile mir alles mit was Du denkst und fühlst, und sey überzeugt, daß in mir be¬ ständig ein mitempfindendes Herz schlägt, das jeden Ton des Deinigen beantwortet. Ach! wie lange wird es währen bis wir uns wieder sehn! Wie traurig wird mir je¬ desmahl die Stunde vorkommen, in welcher ich mit Lebhaftigkeit an Dich denke, und die schreckliche leere Richtigkeit der Trennung so recht im Innersten fühle. Es ist um unser menschliches Leben eine dürftige Sache, so wenig Glanz und so viele Schatten, so viele Erdfarben die durchaus keinen Firniß vertragen wollen. Adieu. Gott sey mit Dir. — « Der Brief des wackern Albrecht Dürer lautete also: Mein lieber Schüler und Freund! «Es hat Gott gefallen, daß wir nun nicht mehr neben einander leben sollen, ob mich gleich kein Zwischenraum gänzlich von Dir wird trennen können. So wie die Ab¬ wechselungen des Lebens gehen, so ist es nun unter uns dahin gekommen, daß wir nun an einander denken an einander schreiben können. Ich habe Dir alle meine Liebe, al¬ le meine herzlichsten Wünsche mit auf den Weg gegeben, und der allmächtige Gott leite jeden Deiner Schritte. Bleib ihm und der Redlichkeit treu, und Du wirst mit Freu¬ den dieses Leben überstehn können, indem uns mancherlei Leiden suchen irre zu ma¬ chen. Es freut mich, daß Du der Kunst so fleißig gedenkst, und zwar Vertrauen, aber kein übermüthiges zu Dir selber hast. Das Zagen das Dich oft überfällt, kömmt einem in der Jugend oft, und ist viel eher ein gutes als ein schlimmes Zeichen. Es ist im¬ mer etwas Wunderbares darinnen, daß wir Mahler nicht so recht unter die übrigen Menschen hineingehören, daß unser Trei¬ ben und unsre Geschäftigkeit, die Welthän¬ del und ihre Ereignisse so um gar nichts aus der Stelle rückt, wie es doch bei den übrigen Handwerkern der Fall ist; das be¬ fällt uns sehr oft in der Einsamkeit oder unter kunstlosen Menschen, und dann möch¬ te uns schier aller Muth verlassen. Ein ein¬ ziges gutes Wort das wir plötzlich hören, ist aber auch wieder im Stande, alle schaf¬ fende und wirkende Kraft in uns zurückzu¬ liefern, und Gottes Segen obendrein, so daß wir dann mit Großherzigkeit wieder an unsre Arbeit gehen mögen. Ach Lieber! die ganze menschliche Geschäftigkeit läuft im Grunde so auf gar nichts hinaus, daß wir nicht einmahl sagen können: dieser Mensch ist unnütz, jener aber nützlich. Es ist die Erde zum Glück so eingerichtet, daß wir alle darauf Platz finden mögen; Groß und Klein, Vornehm und Geringe. Mir ist es in meinen jüngern Jahren oft eben so wie Dir ergangen, aber die guten Stunden kommen doch immer wieder zurück. Wärst Du ohne Anlage und Talent, so würdest Du diese Leere in Deinem Herzen niemals empfinden. Mein Weib läßt Dich grüßen. Bleib nur immer der Wahrheit treu, das ist die Haupt¬ sache. Deine fromme Empfindung, so schön sie ist, kann Dich zu weit leiten, wenn Du Dich nicht von der Vernunft regieren läßt. Nicht eigentlich zu weit; denn man kann gewiß und wahrlich nicht zu fromm und andächtig seyn, sondern ich meine nur, Du dürftest endlich etwas Falsches in Dein Herz aufneh¬ men, das Dich selber hintergienge, und so unvermerkt ein Mangel an wahrer Fröm¬ migkeit entstehn. Doch sage ich dieses gar nicht, um Dich zu tadeln, sondern es ge¬ schieht nur, weil ich an manchen sonst gu¬ ten Menschen dergleichen bemerkt habe, wenn sie an Gott und die Unsterblichkeit mit zu großer Rührung und nicht mit fro¬ her Erhebung der Seele gedacht haben, mit weichherziger Zerknirschung und nicht mit erhabner Muthigkeit, so sind sie am Ende in einen Zustand der Weichlichkeit verfallen, in dem sie die tröstende wahre Andacht ver¬ lassen hat, und sie sich und ihrem Kleinsinn überlassen blieben. Doch wie ich sage, es gilt nicht Dich, denn Du bist zu gut, zu herz¬ lich, als daß Du je darinn verfallen könn¬ test, und weil Du große Gedanken hegst, und mit warmer brünstiger Seele die Bi¬ bel liesest und die heiligen Geschichten, so wirst Du auch gewißlich ein guter Mahler werden, und ich werde noch einst stolz auf Dich seyn. Suche recht viel zu sehen, und betrachte alle Kunstsachen genau und wohl, dadurch wirst Du Dich endlich gewöhnen mit Sicher¬ heit selbst zu arbeiten und zu erfinden, wenn Du an allen das Vortrefliche erkennst, und auch dasjenige, was einen Tadel zuge¬ ben dürfte. Dein Freund Sebastian ist ein ganz melancholischer Mensch geworden seit Du von uns gereiset bist; ich denke es soll sich wohl wieder geben wenn erst einige Wochen verstrichen sind. Gehab Dich wohl, und denke unsrer fleißig. —» Durch Franzens Geist ergoß sich Heiter¬ keit und Stärke, er fühlte wieder seinen Muth und seine Kraft. Albrechts Stimme berührte ihn wie die Hand einer stärkenden Gottheit, und er fühlte in allen Adern sei¬ nen Gehalt und sein künftiges arbeitreiches Leben. Wie wenn man oft alte längst ver¬ gessene Bücher wieder aufschlägt, und in ihnen Belehrungen oder unerwarteten Trost im Leiden antrift, so kamen vergangene Zeiten mit ihren Gedanken in Franzens Seele zurück, alte Entwürfe die ihm von neuem gefielen. Ja, sagte er, indem er die Briefe zusammenfaltete, und sorgfältig in seine Schreibtafel legte, es soll schon mit mir werden, weiß ich doch daß mein Meister was von mir hält; warum will ich denn ver¬ zagen? Es war am folgendem Tage, an wel¬ welchem das Erndtefest gefeiert werden soll¬ te. Franz hatte nun keinen Widerwillen mehr gegen das frohe aufgeregte Menschengetüm¬ mel, er suchte die Freude auf, und war darum auch bei dem Feste zugegen. Er erinnerte sich einiger guten Kupferstiche von Albrecht Dürer, auf denen tanzende Bauern darge¬ stellt waren, und die ihm sonst überaus gefallen hatten; er suchte nun beim Klange der Flö¬ ten diese possierliche Gestalten wieder, und fand sie auch wirklich; er hatte hier Gele¬ genheit zu bemerken, welche Natur Albrecht auch in diese Zeichnungen zu legen gewußt hatte. Der Tag des Festes war ein schöner warmer Tag, an dem alle Stürme und un¬ angenehme Winde von freundlichen Engeln zurückgehalten wurden. Die Töne der Flö¬ ten und Hörner giengen wie eine liebliche Schaar ruhig und ungestört durch die sanf¬ te Luft hin. Die Freude auf der Wiese war allgemein, hier sah man tanzende Paa¬ re, dort scherzte und neckte sich ein junger Bauer mit seiner Liebsten, dort schwatzten die Alten und erinnerten sich ihrer Jugend. Die Gebüsche standen still und waren frisch grün und überaus anmuthig, in der Ferne lagen krause Hügel mit Obstbäumen bekränzt. Wie, sagte Franz zu sich, sucht ihr Schüler und Meister immer nach Gemälden, und wißt nie¬ mals recht wo ihr sie suchen müßt? Warum fällt es keinem ein, sich mit seiner Staffeley unter einen solchen unbefangenen Haufen niederzusetzen, und uns auf einmahl diese Natur ganz wie sie ist darzustellen. Keine abgerissene Fragmente aus der alten Histo¬ rie und Göttergeschichte, die so oft weder Schmerz noch Freude in uns erregen, keine kalte Figuren aus der Legende, die uns oft gar nicht ansprechen, weil der Mahler die heiligen Männer nicht selber vor sich sah, und er ohne Begeisterung arbeitete. Diese Gestalten wörtlich so und ohne Abän¬ derung niedergeschrieben, damit wir lernen, welche Schöne, welche Erquickung in der einfachen Natürlichkeit verborgen liegt. Warum schweift Ihr immer in der weiten Ferne, und in einer staubbedeckten unkennt¬ lichen Vorzeit herum, uns zu ergötzen? Ist die Erde wie sie jetzt ist keiner Darstellung mehr werth; und könnt' Ihr die Vorwelt mahlen wenn Ihr gleich noch so sehr wollt? Und wenn Ihr größeren Geister nun auch hohe Ehrfurcht in unser Herz hineinbannt; wenn Eure Stücke uns mit ernster feierlicher Stimme anreden; warum sollen nicht auch einmahl die holden Strahlen einer weltli¬ chen Freude aus einem Gemählde heraus¬ brechen? Warum soll ich in einer freien herz¬ lichen Sunde nicht auch einmahl Bäuerlein, und ihre Spiele und Ergötzungen lieben? Dort werden wir beim Anblick der Bilder äl¬ ter und klüger, hier kindischer und fröhlicher. So stritt Franz mit sich selber, und un¬ terhielt seinen Geist mit seiner Kunst, wenn er gleich nicht arbeitete. Es konnte ihm über¬ überhaupt nicht leicht etwas begegnen, wo¬ bei er nicht an Mahlereyen gedacht hätte, denn das war so seine Art, seine Beschäfti¬ gung in allem was er in der Natur oder unter Menschen sah und hörte, wiederzufin¬ den. Alles gab ihm Antworten zurück, nir¬ gends traf er eine Lücke, in der Einsamkeit sah ihm die Kunst zu, und in der Gesell¬ schaft saß sie neben ihm, und er führte mit ihr stille Gespräche; darüber kam es denn aber auch, daß er so manches in der Welt gar nicht bemerkte, was weit einfältigern Gemüthern ganz geläufig war, weshalb es auch geschah, daß ihn die beschränkten Leu¬ te leicht für unverständig oder albern hiel¬ ten. Dafür bemerkte er aber manches das jedem andern entgieng, und die Wahrheit und Feinheit seines Witzes setzte dann die Menschen oft in Erstaunen. So war Franz Sternbald um diese Zeit, ich weiß nicht ob H ich sagen soll ein erwachsenes Kind, oder ein kindischer Erwachsener. O wohl Dir, daß Dir das Auge noch verhüllt ist, über die Thorheit und Armseligkeit der Menschen, daß Du Dir und Deiner Liebe Dich selbst mit aller Unbefangenheit ergeben kannst! Seeliges Leben wenn der Mensch nur noch in sich lebt, und die übrigen umher nicht in sein Innres einzudringen vermögen, und ihn so beherrschen. Es kommt bei den Meisten eine Zeit, wo der Winter beständig in ihren Sommer hineinscheint, wo sie sich vergessen, um es den andern Menschen recht zu machen, wo sie ihrem Geiste keine Opfer mehr bringen, sondern ihr eigenes Herz als ein Opfer auf den Altar der weltli¬ chen Eitelkeit niederlegen. Darum bist Du mir eben so lieb, mein Franz Sternbald, weil Du darin so ganz anders bist; meine eigene Jugend kömmt in meine Seele zu¬ rück, indem ich keine Geschichte schreibe, und alles was ich litt so wie alles was mich beseligte. Als es Abend geworden war, und der rothe Schimmer bebend an den Gebüschen hing, war seine Empfindung sanfter und schöner geworden. Er wiederholte den Brief Dürers in seinen Gedanken, und zeichnete sich dabei die schönen Abendwolken in sei¬ nem Gedächtnisse ab. Er hatte sich im Garten in eine Laube zu einem frischen Bauermädchen gesetzt, das schon seit lange viel und lebhaft mit ihm gesprochen hatte. Jetzt lag das Abendroth auf ihren Wangen, er sah sie an, sie ihn, und er hätte sie gern geküßt; so schön kam sie ihm vor. Sie fragte ihn, wenn er zu reisen gedächte; und es war das erstemahl daß er ungern von seiner Reise sprach. Ist Italien weit von hier? fragte die unwissende Gertrud. H 2 O ja, sagte Franz: manche Stadt, man¬ ches Dorf, mancher Berg liegt zwischen uns und Italien. Es wird noch lange währen, ehe ich dort bin. Und Ihr müßt dahin? fragte Gertrud. Ich will, und muß, antwortete er; ich denke dort viel zu lernen für meine Mah¬ lerkunst. Manches alte Gebäude, manchen vortreflichen Mann habe ich zu besuchen, manches zu thun und zu erfahren, ehe ich mich für einen Meister halten darf. Aber Ihr kommt doch wieder? Ich denke, sagte Franz, aber es kann lange währen, und dann ist hier vielleicht alles anders, ich bin hier dann längst ver¬ gessen, meine Freunde und Verwandten sind vielleicht gestorben; die Burschen und Mäd¬ chen die eben so frölich singen, sind denn alt und haben Kinder. Daß das Menschen¬ leben so kurz ist, und das in der Kürze dieses Lebens so viele und betrübte Ver¬ wandlungen mit uns vorgehn! Gertrud ward von ihren Eltern abgeru¬ fen, und sie gieng nach Hause; Franz blieb allein in der Laube. Freilich, sagte er zu sich, ist es etwas Schönes, ruhig nur sich zu leben, und recht früh das stille Land aufzusuchen wo wir einheimisch seyn wollen. Wem die Ruhe gegönnt ist, der thut wohl daran; mir ist es nicht so. Ich muß erst äl¬ ter werden, denn jetzt weiß ich selber noch nicht was ich will. Siebendes Kapitel. F ast seit seiner Ankunft auf dem Dorfe hatte sich Franz eine Arbeit vorgenommen, es war nehmlich nichts Geringers, als daß er seinem Geburtsorte ein Gemälde von sich hinterlassen wollte. Der Gedanke der Ver¬ kündigung der Geburt Christi lag ihm noch im Sinn, und er bildete ihn weiter aus, und mahlte fleißig. Aber nun fehlte ihm diese Seelenruhe, die er damals in sei¬ nem Briefe geschildert hatte, alles hatte ihn betäubt, und die bildende Kraft erlag oft den Umständen. Er fühlte es lebhaft wieder, wie es ganz etwas anders sey, in einer glücklichen Minute ein kühnes und edles Kunstwerk zu entwerfen, und es nach¬ her mit unermüdeter Ämsigkeit, und dem nie ermattenden Reiz der Neuheit durchzu¬ führen. Mitten in der Arbeit verzweifelte er oft an ihrer Vollendung, er wollte es schon unbeendigt stehn lassen, als ihm Dü¬ rers Brief zur rechten Zeit Kraft und Er¬ quickung schenkte. Jetzt endigte er schneller, als er erwartet hatte. Wir wollen hier dem Leser, dieses Bild Franzens ganz kurz beschreiben. Ein dunk¬ les Abendroth lag auf den fernen Bergen, denn die Sonne war schon seit lange unter¬ gegangen, in dem bleichrothen Scheine la¬ gen alte und junge Hirten mit ihren Heer¬ den, dazwischen Frauen und Mädchen; die Kinder spielten mit Lämmern. In der Ferne gingen zwei Engel durch das hohe Korn, und erleuchteten mit ihrem Glanze die Landschaft. Die Hirten sahen mit stiller Sehnsucht nach ihnen, die Kinder streckten die Hände nach den Engeln aus, das An¬ gesicht des einen Mädchens stand in rosen¬ rothem Schimmer, vom fernen Strahl der Himmlischen erleuchtet. Ein junger Hirt hatte sich umgewendet, und sah mit ver¬ schränkten Armen und tiefsinnigem Gesichte der untergegangenen Sonne nach, als wenn mit ihr die Freude der Welt, der Glanz des Tages, die anmuthigen und erquicken¬ den Strahlen verschwunden wären; ein al¬ ter Hirte faßte ihn beim Arm um ihn um¬ zudrehen, ihm die Freudigkeit zu zeigen die von Morgenwärts herschritt. Dadurch hat¬ te Franz der untergegangenen Sonne gegen¬ über, gleichsam eine neuaufgehende darstel¬ len wollen, der alte Hirte sollte den jungen beruhigen, und zu ihm sagen: »Seelig sind die nunmehr sterben, denn sie werden in dem Herrn sterben!“ Einen solchen zarten und trostreichen und frommen Sinn hatte Franz für den vernünftigen und fühlenden Be¬ schauer in sein Gemählde zu bringen ge¬ sucht. Er hatte es nun vollendet, und stand lange nachdenkend und still vor seinem Wer¬ ke. Er empfand eine wunderbare Beklem¬ mung die er an sich nicht gewohnt war, es ängstigte ihn, von dem theuren Werke, an dem er mehrere Wochen mit so vieler Lie¬ be gearbeitet hatte, Abschied zu nehmen. Das glänzende Bild der ersten Begeisterung war während der Arbeit aus seiner Seele gänzlich hinweggelöscht, und er fühlte dar¬ über eine trübe Leere in seinem Innern, die er mit keinem neuen Entwurfe, mit keinem Bilde wieder ausfüllen konnte. Ist es nicht genug, sagte er zu sich selber, daß wir von unsern lebenden Freunden scheiden müssen? müssen auch noch jene befreundeten Lichter in unsere Seele Abschied von uns neh¬ men? So gleicht unser Lebenslauf einem Spiele, in dem wir unaufhörlich verlieren, wo wir halb verrückt stets etwas Neues einsetzen das uns kostbar ist, und niemals keinen Gewinn dafür austauschen. Es ist wunderbar, daß unser Geist uns treibt, die innere Entzückung durch das Werk unsrer Hände zu offenbaren, und daß wir, wenn wir vollendet haben, in unserm Fleiß uns selber nicht wieder erkennen. Das Mahlergeräthe stand unordentlich um das Bild herum, die Sonne schien glän¬ zend auf den frischaufgetragenen Firniß, er hörte das tacktmäßige Klappen der Dresch¬ flegel in den Scheuren, in der Ferne das Vieh auf dem Anger brüllen, und die kleine Dorfglocke gab mit bescheidenen Schlägen die Zeit des Tages an; alle Thätigkeit, alle menschliche Arbeit kam ihm in diesen Augen¬ blicken so seltsam vor, daß er lächelnd die Hütte verließ, und wieder seinem geliebten Walde zueilte, um sich von der innern Ver¬ wirrung zu erholen. Im Walde legte er sich ins Gras nieder, und sah über sich in den weiten Himmel, er überblickte seinen Lebenslauf, und schäm¬ te sich daß er noch so wenig gethan habe. Er betrachtete jedes Werk eines Künstlers als ein Monument, das er den schönsten Stunden seiner Existenz gewidmet habe; um jedes wehen die himmlischen Geister, die dem bildenden Sinn die Entzückungen brach¬ ten, aus jeder Farbe, aus jedem Schatten sprechen sie hervor. Ich bin nun schon zwei und zwanzig Jahr alt, rief er aus, und noch ist von mir nichts geschehen das der Rede würdig wäre; ich fühle nur den Trieb in mir, und meine Muthlosigkeit; der frische thätige Geist meines Lehrers ist mir nicht verliehen, mein Beginnen ist zaghaft, und alle meine Bildungen werden die Spur dieses zagenden Geistes tragen. Er kehrte zurück als es Abend war, und las seiner Pflegemutter einige fromme Ge¬ sänge aus einem alten Buche vor, das er in seiner Kindheit sehr geliebt hatte. Die frommen Gedanken und Ahndungen redeten ihn wieder an wie damals, er betrachtete sinnend den runden Tisch mit allen seinen Furchen und Narben die ihm so wohl be¬ kannt waren, er fand die Figuren wieder die er manchmal am Abend heimlich mit sei¬ nem Messer eingeritzt hatte, er lächelte über diese ersten Versuche seiner Zeichenkunst. Mutter, sagte er zu der alten Brigitte, am künftigen Sonntage wird nun mein Ge¬ mählde in unsrer Kirche aufgestellt, da müßt Ihr den Gottesdienst nicht versäumen. Ge¬ wiß nicht, mein Sohn, antwortete die Alte, das neue Bild wird mir zu einer sonderli¬ chen Erbauung dienen; unser Altargemählde ist kaum mehr zu erkennen, das erweckt keine Rührung wenn man es ansieht. Aber sage mir, was wird am Ende aus solchen alten Bildern? Sie vergehn, liebe Mutter, antwortete Franz seufzend, wie alles übrige in der Welt. Es wird eine Zeit kommen, wo man keine Spur mehr von den jetzigen großen Meistern antrift, wo die unerbittliche, un¬ künstliche Hand der Zeit alle Denkmahle ausgelöscht hat. Das ist aber schlimm, sagte Brigitte, daß alle diese mühselige Arbeit so ganz vergeblich ist; so unterscheidet sich ja Deine Kunst, wie Du es nennst, von keinem an¬ derm Gewerbe auf der Erde. Der Mann, dessen Altarblatt nun abgenommen werden soll, hat sich auch gewiß recht gefreut, als seine Arbeit fertig war, er hat es auch gut damit gemeint; und doch ist das alles um¬ sonst, denn nun wird das vergessen, und er hat vergeblich gearbeitet. So geht es mit aller unsrer irdischen Thätigkeit, antwortete Franz, nichts als unsre Seele ist für die Unsterblichkeit ge¬ schaffen, unsre Gedanken an Gott sind das Höchste in uns, denn sie lernen sich schon in diesem Leben für die Ewigkeit ein, und folgen uns nach. Sie sind das schönste Kunstwerck das wir hervorbringen können, und sie sind unvergänglich. Am Sonntage gieng Franz mit einigen Arbeitsleuten früh in die Kirche. Das alte Bild wurde los gemacht; Franz wischte den Staub davon ab, und betrachtete es mit vieler Rührung. Es stellte die Kreuzigung vor, und manche Figuren waren ganz ver¬ loschen, es war eins von denen Gemählden, die noch ohne Öl gearbeitet waren, die Kö¬ pfe waren hart, die Gewänder steif, und Zettul mit Sprüchen giengen aus dem Mun¬ de der Personen heraus. Sternbald bemüh¬ te sich sehr, den Namen des Meisters zu entdecken, aber vergebens; er sorgte dann dafür, daß das Bild nicht weggeworfen wurde, sondern er verschloß es selbst in ei¬ nen Schrank in der Kirche, damit auch künftig ein Kunstfreund dies alte Überbleib¬ sel wiederfinden könne. Jetzt war sein Gemählde befestigt, die Glocke fieng zum erstenmahle an durch das ruhige Dorf zu läuten, Bauern und Bäue¬ rinnen waren in ihren Stuben, und besorg¬ ten ämsig ihren festlichen Anzug. Man hör¬ te keinen Arbeiter, ein schöner heitrer Tag glänzte über die Dächer, die alten Weiden standen ruhig am kleinen See, denn kein Wind rührte sich. Franz gieng auf der Wiese die hinter dem Kirchhofe lag auf und ab, er zog die ruhige heitre Luft in sich, und stillentzückende Gedanken regierten sei¬ nen Geist. Wenn er nach dem Walde sah, empfand er eine seltsame Beklemmung; in manchen Augenblicken glaubte er, daß dieser Tag für ihn sehr merkwürdig seyn würde; dann verflog es wie eine ungewisse Ahndung aus seiner Seele, die zuweilen nächtlich um den Menschen wandelt, und beim Schein des Morgens schnell entflieht. Es war jetzt nicht mehr sein Gemählde das ihn beschäf¬ tigte, sondern etwas Fremdes das er selbst nicht kannte. So ist die Seele des Künstlers oft von wunderlichen Träumereyen befangen, denn jeder Gegenstand der Natur, jede bewegte Blume, jede ziehende Wolke ist ihm eine Erinnerung, oder ein Wink in die Zukunft. Heereszüge von Luftgestalten wandeln durch seinen Sinn hin und zurück, die bei den übrigen Menschen keinen Eingang antreffen; besonders ist der Geist des Dichters ein ewig bewegter Strom, dessen murmelnde Melo¬ die die in keinem Augenblicke schweigt, jeder Hauch rührt ihn an und läßt eine Spur zurück, jeder Lichtstrahl spiegelt sich ab, er bedarf der lästigen Materie am wenigsten, und hängt am meisten von sich selber ab, er darf in Mondschimmer und Abendröthe seine Bilder kleiden, und aus unsichtbaren Harfen niegehörte Töne locken, auf denen Engel und zarte Geister herniedergleiten, und jeden Hörer als Bruder grüßen, ohne daß sich dieser oft aus den himmlischen Gru¬ ße vernimmt und nach irrdischen Geschäften greift, um nur wieder bei sich selber zu seyn. In jenen beklemmten Zuständen des Künstlers liegt oft der Wink auf eine neue niebetretene Bahn, wenn er mit seinem Geiste dem Liede folgt, das aus ungekann¬ ter Ferne herübertönt. Oft ist jene Ängst¬ lichkeit ein Vorgefühl der unendlichen Man¬ nigfaltigkeit der Kunst, wenn der Künstler I glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu ahnden. Jetzt hatte die Glocke zum letzenmahle geläutet, die Kirche war schon angefüllt, Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnli¬ chen Platz eingenommen. Franz stellte sich in die Mitte der kleinen Kirche und das Orgelspiel und der Gesang hub an; die Kirchthür Franzen gegen über war offen, und das Gesäusel der Bäume tönte herein. Franz war in Andacht verlohren, der Ge¬ sang zog wie mit Wogen durch die Kirche, die ernsten Töne der Orgel schwollen maje¬ stätisch herauf, und sprachen wie ein melo¬ discher Sturmwind auf die Hörer herab; aller Augen waren während des Gesanges nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz sah auch hin und erstaunte über die Schönheit und rührende Bedeutsamkeit seiner Figuren, sie waren nicht mehr die seinigen, sondern er empfand eine Ehrfurcht, einen andächtigen Schauer vor dem Gemählde. Es schien ihm, als wenn sich unter den Orgeltönen die Farbengebilde bewegten und sprächen und mitsängen, als wenn die fernen Engel näher kämen, und jeden Zweifel, jede Ban¬ gigkeit mit ihren Strahlen aus dem Gemü¬ the hinwegleuchteten, er empfand eine un¬ aussprechliche Wonne in dem Gedanken ein Christ zu seyn. Von dem Bilde glitt dann sein Blick nach dem grünen Kirchhofe vor der Thüre hin, und es war ihm, als wenn Baum und Gesträuch außerhalb auch mit Frömmigkeit beteten, und unter der umar¬ menden Andacht ruhten. Aus den Gräbern schienen leise Stimmen der Abgeschiedenen herauszusingen, und mit Geisterstimme den ernsten Orgeltönen nachzueilen; die Bäume jenseit des Kirchhofs standen betrübt und einsam da und hoben ihre Zweige wie ge¬ J 2 faltene Hände empor, und freundlich legten sich durch die Fenster die Sonnenstrahlen weit in die Kirche hinein. Die unförmli¬ chen steinernen Bilder an der Mauer wa¬ ren nicht mehr stumm, die fliegenden Kin¬ der mit denen die Orgel verzieret war, schie¬ nen in lieber Unschuld auf ihrer Leyer zu spielen, und den Herrn, den Schöpfer der Welt zu loben. Sternbalds Gemüth ward mit unaus¬ sprechlicher Seligkeit angefüllt, er empfand zum erstenmahle den harmonischen Einklang aller seiner Kräfte und Gefühle, ihn ergriff und beschirmte der Geist der die Welt re¬ giert und in Ordnung hält, er gestand es sich deutlich, wie die Andacht der höchste und reinste Kunstgenuß sey, dessen unsre menschliche Seele nur in ihren schönsten und erhabensten Stunden fähig ist. Die ganze Welt, die mannichfaltigsten Begebenheiten, Unglück und Glück, das Niedre und Hohe, alles schien ihm in diesen Augenblicken zu¬ sammenzufließen, und sich selbst nach einem kunstmäßigen Ebenmaaße zu ordnen. Thrä¬ nen flossen ihm aus den Augen, und er war mit sich, mit der Welt, mit allem zu¬ frieden. Schon in Nürnberg war es oft für Franz eine Erquickung gewesen, sich aus dem Getümmel des Markts, und des ver¬ worrenen geräuschvollem Lebens in eine stille Kirche zu retten; da hatte er oft ge¬ standen, und die Pfeiler, das erhabne Chor betrachtet und das Gewühl vergessen, er hatte es immer empfunden wie diese heilige Einsamkeit auf jedes Gemüth gut wirken müsse, aber noch nie hatte er diese reine, erhabne Entzückung genossen. Die Orgel schwieg, und man vernahm aus der Ferne über die Wiese her das Schnauben von Pferden und einen schnell¬ rollenden Wagen. Franz hob seine Augen auf; in demselben Augenblick eilte das Fuhr¬ werk der Kirche vorüber, ein Rad fuhr ab, der Wagen fiel um, und ein alter Mann und ein junges Frauenzimmer stürtzten her¬ ab. Franz eilte sogleich hinaus, das junge Mädchen hatte sich schon aufgerichtet und war unbeschädigt, der Mann schien vom Falle betäubt, erholte sich aber bald. Franz war erschrocken und sehr geschäftig die Fremden zu bedienen; der Fuhrmann richte¬ te indessen den Wagen wieder ein. Die Fremde betrachtete unsern Freund sehr auf¬ merksam, er schien mehr erschrocken als sie, er bat sie, sich erst wieder zu erholen. Er wuste nicht was er sagen sollte; die blauen Augen des Mädchens begegneten ihm, und er erröthete, der alte Mann war sehr still. Alles war wieder im Stande, und Franz ängstigte sich, daß sie nun wie¬ der fortfahren würden; alle Drey gingen unter den nahen Bäumen auf und ab, und aus der Kirche tönte ihnen der Gesang ent¬ gegen. Endlich stiegen die Fremden wieder ein; der junge Mahler fühlte sein Herz hef¬ tig klopfen, das schöne Mädchen dankte ihm noch einmahl, und nun fllog der Wa¬ gen fort. Er sah ihnen nach so weit er konnte; schon wurde die Gestalt undeutlich und er konnte vom Fuhrwerke nichts mehr unterscheiden. Jetzt nahten sie sich einem fer¬ Gebüsche, der Wagen verschwand, er war wie betäubt. Als er wieder zu sich erwachte, sah er im Grase wo er gestanden hatte, eine kleine zierliche Brieftasche liegen. Er nahm sie schnell auf, und entfernte sich damit; es war kein Zweifel, daß sie den Fremden gehören müsse. Es war unmöglich dem Wagen nachzueilen, er hatte auch nicht gefragt, wo¬ hin sie sich wenden wollten, er wuste den Na¬ men der Reisenden nicht, und ob das Frauen¬ zimmer die Tochter oder die Gattinn des Mannes sey. Alles dies beunruhigte ihn erst jetzt, als er die Brieftasche in seinen Händen hielt. Er mußte sie behalten, und sie war ihm theuer, er wagte es nicht sie zu eröff¬ nen, sondern eilte damit seinem geliebten Walde zu; hier setzte er sich auf dem Pla¬ tze nieder der ihm so theuer war, hier mach¬ te er sie mit zitternden Händen auf, und das erste was ihm in die Augen fiel, war ein Gebinde wilder vertrockneter Blumen. Er blickte um sich her, er besann sich, ob es Traum seyn könne, er konnte sich nicht zurückhalten, er küßte die Blumen und weinte heftig, innerlich ertönte der Gesang des Waldhorns, den er in der Kindheit ge¬ hört hatte. So bist Du es gewesen mein Genius, mein schützender Engel? rief er aus: Du bist mir wieder vorübergegangen und ich kann mich nicht finden, ich kann mich nicht zufrieden geben. Auf diesem Platze hier sind diese Blumen gewachsen, schon vierzehn Sommer sind indessen über die Erde gegan¬ gen, und auf diesem Platze halte ich das theure Geschenk wieder in meinen Händen. O wann werd' ich Dich wiedersehn? Kann es Zufall seyn, daß Du mir wieder begeg¬ net bist? Es giebt Stunden, in denen das Leben des Menschen einen gewaltsamen schnellen Anlauf nimmt, wo die Blüthen plötzlich aufbrechen und alles sich verändert in und um den Menschen. Dieser Tag war für Sternbald ein solcher; er konnte sich gar nicht wieder erholen, er wünschte nichts, und dürstete doch nach den wunderbarsten Begebenheiten, er sah über seine Zukunft wie über ein glänzendes Blumenfeld hin, und doch genügte ihm keine Freude, er war unzufrieden mit allem was da kommen konnte, und doch fühlte er sich so überselig. Ausserdem enthielt das Taschenbuch nichts, woraus er den Namen oder den Aufenthalt seiner Geliebten hätte erfahren können. Auf der einen Seite stand: «zu Antwerpen ein schönes Bild von Lu¬ kas von Leyden gesehn.» und dicht darunter: «eben daselbst , ein unbeschreib¬ lich schönes Crucifix vom gro¬ ßen Albert Dürer .» Er küßte das Blatt zu wiederholtenmah¬ len, er konnte heut seine Empfindungen durchaus nicht bemeistern. Es war ihm zu seltsam und zu erfreulich, daß die Engels¬ gestalt, die er so fernab im Traum seiner Kindheit gesehn hatte, jetzt seinen Dürer ver¬ ehrte den er so genau kannte, dessen Schüler und Freund er war. Sein Schicksal schien ein wunderbares Konzert zu seyn, er konnte nicht genug darüber sinnen, er konnte an diesem Tage vor Entzücken nicht müde wer¬ den. Achtes Kapitel. F ranz hatte seinem Sebastian diese Bege¬ benheiten geschrieben die ihm so merkwürdig waren; es war nun die Zeit verflossen die er seinem Aufenthalte in seinem Geburtsor¬ te gewidmet hatte, und er besuchte nun noch einmahl die Plätze, die ihm in seiner Kindheit so bekannt geworden waren; dann nahm er Abschied von seiner Mutter. Er war wieder auf dem Wege, und nach einiger Zeit schrieb er seinem Seba¬ stian folgenden Brief: Liebster Bruder! Manchmal frage ich mich selbst mit der größten Ungewißheit, was aus mir werden soll? bin ich nicht plötzlich ohne mein Zu¬ thun in ein recht seltsames Labyrinth ver¬ wickelt? Meine Eltern sind mir genommen, und ich weiß nun nicht wem ich angehöre, meine Freunde habe ich verlassen, jenen glänzenden Engel den ich nicht zu meinen Freunden rechnen darf, habe ich nur wie ein vorbeifliegendes Schattenbild wahrge¬ nommen. Warum treten mir diese Verwicke¬ lungen in den Weg, und warum darf ich nicht wie die übrigen Menschen einen ganz einfachen Lebenslauf fortsetzen? — Ich glaube manchmal, und schäme mich dieses Gedankens, daß mir meine Kunst zu meinem Glücke nicht genügen dürfte, auch wenn ich endlich weiter und auf eine hohe Stufe gekommen seyn sollte. Ich sage nur Dir dieses im Vertrauen, mein liebster Se¬ bastian, denn jeder Andre würde mir ant¬ worten: nun, warum legst Du nicht Pallet¬ te und Pinsel weg, und suchst durch ge¬ wöhnliche Thätigkeit den Menschen nützlich zu werden und Dein Brod zu erwerben? Es kann seyn daß ich besser thäte, aber al¬ le dergleichen Gedanken fallen mir jetzt sehr zur Last. Es ist etwas trübseliges darinn, daß das ganze große menschliche Leben mit allen seinen unendlich scheinenden Verwickelungen durch den allerarmseligsten Mechanismus umgetrieben wird; die kümmerliche Sorge für morgen setzt sie alle in Bewegung, und die Meisten dünken sich noch was rechts zu seyn, wenn sie dieser Beweggrund in recht heftige und ängstliche Thätigkeit setzt. Ich weiß nicht wie Du diese Aeusserun¬ gen vielleicht ansehn wirst, ich fühle es selbst, wie nothwendig der Fleiß der Men¬ schen ist, eben so, wie man ihn mit Recht edel nennen kann. Aber wenn alle Men¬ schen Künstler wären, oder Kunst verstän¬ den, wenn sie das reine Gemüth nicht be¬ flecken und im Gewühl des Lebens abäng¬ stigen dürften, so wären doch gewiß Alle um vieles glücklicher. Dann hätten sie die Freiheit und die Ruhe die wahrhaftig die größte Seligkeit sind. Wie beglückt müßte sich dann der Künstler fühlen, der die rein¬ sten Empfindungen dieser Geschöpfe darzu¬ stellen unternähme! dann würde es erst möglich seyn, das Erhabene zu wagen, dann würde jener falsche Enthusiasmus, der sich an Kleinigkeiten und Spielwerk schließt, erst eine Bahn finden, auf der er eine herr¬ liche Erscheinung wandeln dürfte. Aber al¬ le Menschen sind so abgetrieben, so von Mühseligkeiten, Neid, Eigennutz, Planen, Sorgen verfolgt, daß sie gar nicht das Herz haben, die Kunst und Poesie, den Himmel und die Natur als etwas Göttliches anzu¬ sehn. In ihre Brust kömmt selbst die An¬ dacht nur mit Erdensorgen vermischt, und indem sie glauben klüger und besser zu wer¬ den, vertauschen sie nur eine Jämmerlichkeit mit der andern. Du siehst, ich führe noch immer meine alten Klagen, und ich habe vielleicht sehr Unrecht. Ich sehe vielleicht alles anders an wenn ich älter werde, aber ich wünsche es nicht. Ach Sebastian, ich habe manch¬ mal eine unaussprechliche Furcht vor mir selber, ich empfinde meine Beschränktheit, und doch kann ich es nicht wünschen, diese Gefühle zu verlieren, die so mit meiner Seele verwebt scheinen, die vielleicht mein eigentlichstes Selbst ausmachen. Wenn ich daran denke daß ich mich ändern könnte, so ist mir eben so als wenn Du sterben soll¬ test. — Wenn ich nur wenigstens mehr Stolz und Festigkeit hätte! denn ich muß doch vorwärts, und kann nicht immer ein weich¬ herziges Kind bleiben, wenn ich auch wollte. Ich Ich glaube fast, daß der Geist am leichte¬ sten untersin kt und verlohren geht, der sich zu blöde und bescheiden betrachtet, man muß mit kaltem Vertrauen zum Altar der Göttinn hinzutreten, und dreist eine von ihren Gaben fordern, sonst drängt sich der Unwürdige vor, und trägt über den Bessern den Sieg davon. Ich möchte manchmal darüber lachen, daß ich alles in der Welt so ernsthaft betrachte, daß ich so viel sinne, wenn es doch nicht anders seyn kann, und mit Schwingen der Seele das zu ereilen trachte, wonach andre nur die Hand aus¬ strecken. Denn wohin führt mich meine Lie¬ be, meine Verehrung der Künstler und ih¬ rer Werke? Viele große Meister haben sich vielleicht recht kaltblütig vor die Staffeley gesetzt, so wie auch gewöhnlich unser Al¬ brecht arbeitet, und dann dem Werke seinen K Lauf gelassen, überzeugt, daß es so werden müsse wie es ihnen gut dünkt. Meine Wanderung bringt oft wunderba¬ re Stimmungen in mir hervor. Jetzt bin ich in einem Dorfe, und sehe den Nebel auf den fernen Bergen liegen: matte Schimmer bewegen sich im Dunste, und Wald und Berg tritt oft plötzlich aus dem Schleier hervor. Ich sehe Wagen und Wandrer ih¬ re Straße forteilen, und ferne Thürme und Städte sind das Ziel, wonach sie in man¬ nichfaltiger Richtung streben. Ich befinde mich mit unter diesem Haufen, und die übrigen wissen nichts von mir, sie gehn mir vorüber und ich kenne sie nicht, jeder un¬ sichtbare Geist wird von einem verschiedenen Interesse beherrscht, und jeder beneidet und be¬ mitleidet aufs Gerathewohl den andern. Ich denke mir nun alle die mannichfaltigen We¬ ge durch Wälder, über Berge, an Strömen vorüber, wie jeder Reisende sich umsieht, und in des andern Heimath sich in der Fremde fühlt, wie jeder umherschaut und nach dem Bruder seiner Seele sucht, und so wenige ihn finden, und immer wieder durch Wälder und Städte, bergüber an Strömen vorbei weiter reisen und ihn immer nicht finden. Viele suchen schon gar nicht mehr, und diese sind die Unglücklichsten, denn sie haben die Kunst zu leben verlernt, da das Leben nur darin besteht, immer wieder zu hoffen, immer zu suchen, der Augenblick, wo wir dies aufgeben, sollte der Augenblick un¬ sers Todes seyn. So ist es auch vielleicht, und jene wahrhaft Elenden müssen dann an der Zeit hinsterben und wissen und em¬ pfinden nicht, woran sie das Leben ver¬ liehren. Ich will daher immer suchen und erwar¬ ten, ich will meine Entzückung und Vereh¬ K 2 rung der Herrlichkeit in meinem Busen auf bewahren, weil dieser schöne Wahnsinn das schönste Leben ist. Der Vernünftige wird mich immer als einen Berauschten betrach¬ ten, und mancher wird mir vielleicht furcht¬ sam oder auch verachtend aus dem Wege gehn. — Welche Gegend ihr Blick wohl jetzt durchwandert! Ich schaue nach Osten und Westen um sie zu entdecken, und ängstige mich ab, daß sie vielleicht in meiner Nähe ist, und daß ich es nicht weiß. Nur einmahl sehn, nur einmahl sprechen möcht' ich sie noch, ich kann mein Verlangen darnach nicht mit Worten ausdrücken, und doch wüßt' ich ich nicht was ich ihr sagen sollte, wenn ich sie plötzlich wiederfände. Ich kann es nicht sagen was meine Empfindung ist, und ich weiß nicht, ob Du nicht vielleicht über Dei¬ nen Freund lächelst. Aber Du bist zu gut, als daß Du über mich spotten solltest, auch bin ich zu ehrlich gegen Dich. Wenn ich an die reizenden Züge denke, an diese heilige Unschuld ihrer Augen, diese zar¬ ten Wangen. — wenigstens möcht' ich ein Gemälde, ein treues, einfaches der jetzigen Gestalt besitzen. Tod und Trennung sind es nicht allein die wir zu bejammern ha¬ ben; sollte man nicht jeden dieser süßen Zü¬ ge, jede dieser sanften Linien beweinen, die die Zeit nach und nach vertilgt, der unge¬ schickte Künstler der sein Bild verdirbt, das er erst so schön ausgearbeitet hatte. Ich sehe sie vielleicht nach vielen, vielen Jahren wieder, vielleicht auch nie. Es giebt ein Lied eines alten Minnesängers, ich weiß nicht, ob Du Dich dessen noch erinnerst. Wohlauf und geh in den vielgrünen Wald, Da steht der rothe frische Morgen, Entlade Dich der bangen Sorgen Und sing' ein Lied das fröhlich durch die Zweige schallt. Es blitzt und funkelt Sonnenschein Wohl in das grüne Gebüsch hinein Und munter zwitschern die Vögelein. Ach nein! ich geh nimmer zum vielgrünen Wald, Das Lied der süßen Nachtigall schallt, Und Thränen Und Sehnen Bewegt mir die bange, die strebende Brust, Im Walde, im Walde wohnt mir keine Lust. Denn Sonnenschein Und hüpfende Vögelein Sind mir Marter und Pein. Einst fand ich den Frühling im grünenden Thal, Da blühten und dufteten Rosen zumahl, Durch Waldesgrüne Erschiene Im Eichenforst wild Ein süßes Gebild. Da blitzte Sonnenschein, Es sangen Vögelein Und riefen die Geliebte mein. Sie ging mit Frühling Hand in Hand, Die Weste küßten ihr Gewand Zu Füßen Die süßen Viol und Primeln hingekniet Indem sie still vorüberzieht, Da gingen ihr die Töne nach, Da wurden alle Stimmen wach. Mich traf ihr wundersüßer Blick; Woher? wohin du goldnes Glück? Die Schöne, Die Töne, Die rauschenden Bäume, Wie goldne Träume! Ist dies noch der Eichengrund? Grüßt mich dieser süße Mund? Bin ich todt, bin ich gesund? Da schwanden mir die alten Sorgen Und neue kehrten bei mir ein, Ich traf die Maid an jedem Morgen, Und schöner grünte stets der Hayn. Lieb wie süße Deine Küsse! Glänzendschönste Zier Wohne stets bei mir, Im vielgrünen Walde hier. Ich ging hinaus im Morgenlicht Da kam die süße Liebe nicht; Vom Baum herab Schrie laut ein Rab, Da weint und klagt ich laut, Doch nimmer kam die Braut, Und Morgenschein Und Vögelein, Nur Angst und Pein. Ich suchte sie auf und ab, bergwärts, thalwärts, Ich sah manche fremde Ströme fließen, Aber ach, mein liebend banges Herz Nimmer fands die Gegenwart der süßen; Einsam blieb der Wald Da kam der Winter kalt, Vöglein, Sonnenschein Flohen aus dem Walde mein. Ach schon viele Sommer fliegen nieder, Oftmals der Zug der Vögel wieder, Oft hat sich der Wald in Grün gekleidt, Niemals kam zurück die süße Maid. Zeit! Zeit! Warum trägst Du so grausamen Neid? Ach! sie kommt vielleicht auf fremden Wegen Ungekannter weis' mir bald entgegen, Aber Jugend ist von mir gewichen, Ihre schönen Wangen sind erblichen, Kömmt sie auch hinab zum Eichengrund Kenn' ich sie nicht mehr am rothen Mund. O Leide Fremd sind wir uns beide! Keiner kennt den andern Im Wandern. Wer Jüngling ist, der wandle munter Den Wald hinunter, Wohl mags, daß ihm Treulieb' entgegen ziehet Dann blühet Aus allen Knospen Frühling auf ihn ein: Doch niemals treff ich die verlohrne Jugend mein, Drum ist mir Sonnenschein Die Nachtigall im Hayn Nur Quaal und Pein. Wie wahr finde ich den kindischen Aus¬ druck in diesen Reimen! Vielleicht ist für mich auch einst der vielgrüne Wald so ab¬ gestorben. Oft möcht' ich alles in Gedichten nieder¬ schreiben, und ich fühle es jetzt, wie die Dichter entstanden sind. Du vermagst das Wesen was Dein innerstes Herz bewegt, nicht anders auszusprechen. Ich habe neulich einen neuen Kupfer¬ stich von unserm Albert gesehn, den er seit meiner Abwesenheit gemacht hat, denn die Zeichnung und alles war mir noch neu. Du wirst ihn kennen, es ist der lesende Einsied¬ ler. Wie ich da wieder unter Euch war! denn ich kannte die Stube, den Tisch und die runden Scheiben gleich wieder, die Dü¬ rer auf diesem Bilde von seiner eigenen Wohnung abgeschrieben hat. Wie oft ha¬ be ich die runden Scheiben betrachtet, die der Sonnenschein an der Täfelung oder an der Decke zeichnete; der Eremit sitzt an Dü¬ rers Tisch. Es ist schön, daß unser Meister in seiner frommen Vorliebe für das was ihn so nahe umgiebt, der Nachwelt ein Kon¬ terfey von seinem Zimmer gegeben hat, wo doch alles so bedeutend ist, und jeder Zug Andacht und Einsamkeit ausdrückt. Ich gehe auf meine Wege oft in die kleinen Kapellen hinein und verweile mich dabei, die Gemählde und Zeichnungen zu betrachten. Ob es meine Unerfahrenheit, oder meine Vorliebe für das Alter macht, ich sehe selten ein ganz schlechtes Bild; ehe ich die Fehler entdecke, sehe ich immer die Vorzüge an jedem. Ich habe gemeiniglich bei jungen Künstlern die entgegengesetzte Gemüthsart gefunden, und sie wissen sich immer recht viel mit ihrem Tadel. Ich ha¬ be oft eine fromme Ehrfurcht vor unsern treuherzigen Vorfahren, die zuweilen recht schöne und erhabene Gedanken mit so weni¬ gen Umständen ausgedrückt haben. Ich will meinen Brief schließen. Möge der Himmel Dich und meinen theuren Al¬ bert gesund erhalten! Dieser Brief dürfte sei¬ nem ernsten Sinne schwerlich gefallen. Laß mich bald Nachrichten von Dir und von allen Bekannten hören. In der Ferne geht die Liebe Ungekannt durch Nacht und Schatten, Ach! wozu, daß ich hier bliebe Auf den vaterländschen Matten? Wie mit süßen Flötenstimmen Rufen alle goldnen Sterne: Weit muß manche Woge schwimmen, Deine Lieb' ist in der Ferne. Jenes Bild vor dem Du knietest, Dich ihm ganz zu eigen gybst, Ihm mit allen Sinnen glühtest, An dem Schatten Dich erlabst — Was Dein Geist als Zukunft dachte, Dein Entzücken Kunst genannt, Was als Morgenroth Dir lachte, Immer sich Dir abgewandt: Sie nur ist es, dein Verzagen Hat sie fort von Dir gescheucht, Willst Du es nur männlich wagen, Wird das Zeil noch einst erreicht. Alle Ketten sind gesprungen, Frei sind alle Geister dann, Jeder Knechtschaft kühn entschwungen In dem Wollustocean. Rückwärts flieht das zage Bangen, Und die Muse reicht die Hand, Führet sicher das Verlangen In der Gotter Himmelsland. O wer darf mit Kunst und Liebe Von den Sterblichen sich messen? — Groß im scheuvermählten Triebe Wird der Künstler nie vergessen. Diese ungeschickten Zeilen habe ich ge¬ stern in einem angenehmen Walde gedichtet; meine ganze Seele war darauf hingewandt, und ich bin nicht erröthet, sie Dir, Sebastian, niederzuschreiben; denn warum sollte ich Dir einen Gedanken meiner Seele verheimli¬ chen? — Lebe wohl. — Zweites Buch. Erstes Capitel. W ie gern wandelt mein Geist in jener gu¬ ten alten Zeit, und besucht ihre Künstler und Helden, die jetzt zum Theil vergessen sind! Wie gern höre und lese ich von Euch ihr Meister, die ihr damals die Niederlän¬ dische Kunst berühmt machtet, Lukas von Leyden, Engelbrecht, Johann von Mabuse, und den übrigen, mit welcher Freude habe ich immer Eure Werke betrachtet, vor de¬ nen die meisten vorübergehn! Wird der Geist des Lesers mir auch willig in jene Zeiten folgen, die ich mit kindlicher Vorlie¬ be betrete? Werdet Ihr Euch gern von der jetzigen Welt trennen, die so nahe um Euch liegt, und in der dem Menschen auch das L Kleinste leicht wichtig wird? Könnte ich doch Allen die liebende Empfindung mittheilen die mir die Feder in die Hand giebt, die mich so oft die alten Bücher aufschlagen läßt, die meinen Blick vor jenen geliebten Bildnissen fest hält, so daß sich jeder Zug und jede Mine dieser alten Meister meinem Gedächt¬ nisse einprägt! Aber ich will mit keinem hndern der zu ungeduldig diese Blätter ver¬ läßt, und lieber seinen Sinn neuen Bege¬ benheiten hingiebt, die ihn fast noch berüh¬ ren. Ich widme diese kleine unbedeutende Geschichte jenen jungen Seelen, die ihre Lie¬ be noch mit sich selber beschäftigen, und sich noch nicht dem Strome der Weltbegebenhei¬ ten hingegeben haben, die sich noch mit In¬ nigkeit an den Gestalten ihrer innern Phan¬ tasie ergötzen, und ungern durch die wirkli¬ che Welt in ihren Träumen gestört werden. Wenn Ihr, die ich meine, von d Kunst entzückt werdet, wenn Ihr einen Trieb in Euch spüret, der Euer Herz den großen Meisterwerken oder den Helden der Vorzeit entgegendrängt, wenn Ihr Euer Vaterland liebt, und nicht mit voreiligem Enthusiasmus, aus Vorsatz zu gut zu seyn, Eure Brüder verdammt, die es anders meinen, wenn Ihr Euren Geist von großscheinenden Gegenstän¬ den zurückziehen, und auch Kleinigkeiten mit Liebe betrachten könnt, so habe ich für Euch geschrieben. Dann rede ich Euch in Gedan¬ ken an, dann glaube ich von Euch daß Ihr mich versteht, und daß Euch jener Dünkel fremd ist, der sich so gern über die größten Geister die die menschliche Natur gebohren hat, hinausschwingt. Euch ist mein ganzes Buch geweiht und ich tröste mich damit, daß ich glaube, daß Ihr irgendwo seid, und mir gerne zuhört. Es war gegen Mittag als Franz Stern¬ L 2 bald auf dem freien Felde unter einem Baume saß und die große Stadt Leyden be¬ trachtete, die vor ihm lag. Er war an die¬ sem Tage schon früh ausgewandert, um sie noch zeitig zu erreichen; jetzt ruhte er aus, und es war ihm wunderbar, daß nun die Stadt, die weltberühmte, mit ihren hohen Thürmen wie ein Bild vor ihm stand, die er sonst schon öfter im Bilde gesehn hatte. Er kam sich jetzt vor als eine von den Figuren die immer in den Vordergrund eines solchen Prospektes gestellt werden, und er sah sich nun selber gezeichnet oder gemahlt da lie¬ gen unter seinem Baume, und die Augen nach der Stadt vor ihm wenden. Sein gan¬ zes Leben erschien ihm überhaupt oft als ein Traumgesicht, und er hatte dann einige Mühe sich von den Gegenständen die ihn umgaben wirklich zu überzeugen. Da er gan¬ ze Bilder, Versammlungen mit allen ihren Menschen getreu und lebhaft in seiner Phanta¬ sie aufbewahren und sie dann von neuem vor sich hinstellen konnte, so war er in manchen Augenblicken ungewiß, ob alles was ihn um¬ gab, nicht auch vielleicht eine Schöpfung seiner Einbildung sey. Er hielt seine Schreibtafel in seiner Hand, und vor ihm im Grase lag die frem¬ de gefundene. Er hatte den Umriß eines Kopfes entworfen, den er eben wieder aus¬ strich, weil ihm keine Ähnlichkeit darinn zu liegen schien; es sollte das Gesicht des frem¬ den Mädchens vorstellen, die seine Phanta¬ sie unaufhörlich beschäftigte. Er rief sich dabei jeden Umstand, jedes Wort das sie gesprochen hatte, in die Gedanken zurück, er sah alle die lieblichen Minen, den sü߬ lächenden Mund, die unaussprechliche Gra¬ zie jeder Bewegung, alles dies zog wieder durch sein Gedächtniß, und er fühlte sich darüber so entfremdet, so entfernt von ihr, so auf ewig geschieden, daß ihm der helle Tag, das funkelnde Gras, die klaren Was¬ ser trübe und melancholisch wurden; ihm blühten und dufteten nur die wenigen ver¬ welkten Blumen, die er mit süßer Zärtlich¬ keit betrachtete; dann lehnte er sich an den Stamm des Baums der mit seinen Zweigen und Blättern über ihm rauschte und lispelte, als wenn er ihm Trost zusprechen möchte, als wenn er ihm dunkle Prophezeihungen von der Zukunft sagen wollte. Franz hörte aufmerksam hin als wenn er die Töne ver¬ stände; denn die Natur redet uns mit ihren Klängen zwar in einer fremden Sprache an, aber wir fühlen doch die Bedeutsam¬ keit ihrer Worte, und merken gern auf ihre wunderbaren Accente. Er hörte auf zu zeichnen, da ihm keiner seiner Striche Ausdruck und Würde genug hatte, er betrachtete wieder die Thürme der Stadt, auf deren Schieferdächern die Sonne hell glänzte. So werde ich jetzt Deine Straßen betreten, sagte er zu sich selber, so werde ich den großen Lukas sehn dürfen, von dem mir Albrecht Dürer mit so vieler Liebe gesprochen hat, der schon als Kind ein Künstler war, dessen Namen man schon in seinem sechzehnten Jahre kannte. Ich werde ihn sprechen hören und von ihm ler¬ nen, ich werde seine neusten Werke sehn, ich werde ihm sagen können wie ich ihn be¬ wundre; wenn ich mich nur nicht schämen dürfte, ihm unter die Augen zu treten! Dennoch habe ich nichts gethan, noch darf ich mich ihm nicht als Künstler nennen, ich bin noch nichts, und ich schäme mich vor je¬ dem treflichen Manne. Er stand eilig auf und näherte sich mit schnellen Schritten der Stadt; schon stand er nahe vor dem Thore, und sah die Leute aus und eingehn, als er das fremde Ta¬ schenbuch vermißte, und merkte, daß er es beim Aufstehn unter dem Baume hatte lie¬ gen lassen; er erschrak heftig, und ging mit noch schnellern Schritten zurück. Der Baum war so weit entfernt, daß er ihn jetzt nicht mit den Augen wiederfinden konn¬ te, er lief sich ausser Athem. Endlich ent¬ deckte er ihn wieder ganz in der Ferne, aber zugleich bemerkte er zwei Wandersleu¬ te die nach derselben Stelle zu gehen schie¬ nen. Seine Angst, daß sie den Baum frü¬ her als er erreichen möchten, ist nicht zu be¬ schreiben, er war überzeugt daß sie ihm das Taschenbuch nimmermehr zurückgeben wür¬ den wenn sie es finden sollten. Endlich kam er an; die Schreibtafel lag noch im Grase, er hob sie eilig auf, und warf sich nieder unter den Baum, indem er sie betrachtete und küßte; die Wandrer gingen vorbei ohne nach ihm umzusehn. Franz fühlte sein Herz heftig schlagen, der Schweiß floß ihm die Stirn hinab, er war so froh als wenn er die Tafel erst jetzt zum erstenmahl gefunden hätte; es rührte ihn innig, daß sie beinah für ihn verlohren gewesen sey. Die beiden Wandrer waren ihm jetzt beinahe schon aus den Augen verschwunden, er beschloß nun unter diesem Baume, der ihm so lieb ge¬ worden war, zu ruhen, bis die Mittagshitze vorüber seyn würde. Ohne daß er bemerkte schlief er nach und nach ein; die Stille, das liebliche Ge¬ räusch der Blätter, ein Gewässer in der Entfernung, luden ihn dazu. Er hörte alles noch leise in seinen Schlummer hinein, und ihm dünkte als wenn er über eine Wie¬ se ginge auf der fremde Blumen standen, die er bis dahin noch nie gesehn hatte. Unter den Blumen waren auch die Feldblumen ge¬ wachsen die er bei sich trug, aber sie waren nun wieder frisch geworden, und verdunkel¬ ten an Farbe und Glanz alle übrigen. Franz grämte sich bei aller ihrer Schönheit, und wollte sie wieder pflücken, als er am Ende der Wiese, in einer Laube sitzend, sei¬ nen Lehrer Albert Dürer wahrnahm, der nach ihm sah und ihm zu winken schien. Er ging schnell hinzu, und als er näher kam, bemerkte er deutlich, daß Albrecht ämsig an einem Gemählde arbeitete, es war der Kopf der Fremden, das Gesicht war zum Sprechen ähnlich. Franz wußte nicht was er zu seinem Lehrer sagen sollte, seine Augen waren auf das Gemählde hingehef¬ tet, und es war ihm, als wenn es über seine Verlegenheit und Aufmerksamkeit zu lächeln anfinge. Indem er noch darüber nachdachte, war er in einem dunkeln Wal¬ de und alles übrige war verschwunden; lieb¬ liche Stimmen riefen ihn bei seinem Namen, aber er konnte sich aus dem Gebüsche nicht herausfinden, der Wald ward immer grüner und immer dunkler, aber Sebastians Stim¬ me und die Stimme der Fremden wurden immer deutlicher, sie riefen ihn mit Ängst¬ lichkeit, als wenn er sich in einer Gefahr befände. Er fürchtete sich, und die dichten Bäume und Gebüsche kamen ihm entsetzlich vor, er zagte weiter zu gehn, er wünschte das freie helle Feld wieder anzutreffen. Nun war es Mondschein. Wie vom Schimmer erregt, klang von allen silbernen Wipfeln ein süßes Getöne nieder; da war alle Furcht verschwunden, der Wald brannte sanft im schönsten Glanze, und Nachtigallen wurden wach, und flogen dicht an ihm vorüber, dann sangen sie mit süßer Kehle, und blie¬ ben immer im Tackte mit der Musik des Mondscheins. Franz fühlte sein Herz ge¬ öffnet, als er in einer Klause im Felsen einen Waldbruder wahrnahm, der andäch¬ tig die Augen zum Himmel aufhob und die Hände faltete. Franz trat näher: Hörst Du nicht die liebliche Orgel der Natur spie¬ len? sagte der Einsiedel, bete wie ich thue. Franz war von dem Anblicke hingerissen, aber er sah nun Tafel und Pallette vor sich und mahlte unbemerkt den Eremiten, seine Andacht, den Wald mit seinem Mondschim¬ mer, ja es gelang ihm sogar, und er konn¬ te nicht begreifen wie es kam, die Töne der Nachtigall in sein Gemählde hineinzubrin¬ gen. Er hatte noch nie eine solche Freude empfunden, und er nahm sich vor, wenn das Bild fertig sey, sogleich damit zu Dürer zu¬ rückzureisen, damit dieser es sehn und beur¬ theilen möge. Aber in einem Augenblicke verließ ihn die Lust weiter zu mahlen, die Farben erloschen unter seinen Fingern, ein Frost überfiel ihn, und er wünschte den Wald zu verlassen. Franz erwachte mit einer unangenehmen Empfindung, es war einer der letzten war¬ men Tage im Herbst gewesen, jetzt ging die Sonne in dunkelrothen Wolken hinter der Stadt unter, und ein kalter Herbstwind strich über die Wiese. Franz ging wieder nach der Stadt, sein Traum lag ihm stets in den Gedanken, er sah noch immer den schönen mondglänzenden Wald, den Eremiten, und die Stimmen seiner Freunde tönten noch immer in seinen Ohren. Das Gedränge am Thore war groß, denn jedermann eilte nun aus den Feldern, und von den benach¬ barten Dörfern zur Stadt zurück, er beo¬ bachtete die mannichfaltigen Gesichter, er hörte einzelne abgerissene Gespräche und Namen nennen, deren kurze Geschichte er durch die Sprechenden erfuhr. Nun war er in der Stadt; er empfand es seltsam, nun wieder an einem fremden großen Orte, unter so vielen ihm ganz unbekannten Men¬ schen zu seyn, er schweifte hin und wie¬ der; der Mond stand am hellen Himmel und schien auf die Dächer der Kirchen und auf die freien Plätze; endlich kehrte er in eine Herberge ein. Franz fühlte sich müde und darum ging er bald zu Bette, aber er konnte noch lan¬ ge nicht einschlafen. Die Scheibe des Mon¬ des stand seinem Kammerfenster gerade ge¬ gen über, er betrachtete ihn mit sehnsüchti¬ gen Augen, er suchte auf dem glänzenden Runde, und in seinen Flecken Berge und Wälder; bald schien er erhabene Thürme zu entdecken, bald die See mit ihren segelnden Schiffen; ach dort! dort! rief eine innerliche Stimme seiner Brust, ist die Heimath aller unsrer Wünsche, dort ist die Liebe zu Hau¬ se, dort wohnt das Glück, von da herab scheint es auf uns nieder, und sieht uns wehmüthig an, daß wir noch hier sind. Er verschloß sein Auge, da erschien ihm die Fremde mit allen ihren Reizen, sie wink¬ te ihm, und vor ihm lag ein schöner dunk¬ ler Lindengang welcher blühte, und den sü¬ ßesten Duft verbreitete. Sie ging hinein, er folgte ihr schüchtern nach, er gab ihr die Blumen zurück, und erzählte ihr wer er sey. Da umfing sie ihn mit ihren zarten Armen, da kam der Mond mit seinem Glanze näher, und schien ihnen beiden hell ins Angesicht, sie gestanden sich ihre Liebe, sie waren un¬ aussprechlich glücklich. — Diesen Traum setz¬ te Franz fort, die frühsten Erinnerungen aus seinen Kinderjahren kamen zurück, alle schönen Empfindungen die er einst gekannt hatte, zogen wieder an ihm vorbei und be¬ grüßten ihn. So ist der Schlaf oft ein Ausruhn in einer schönern Welt; wenn die Seele sich von diesem Schauplatze hinweg¬ wendet, so eilt sie nach jenem unbekann¬ ten magischen, auf welchem liebliche Lichter spielen, und kein Leiden erscheinen darf; dann dehnt der Geist seine großen Flügel auseinander und fühlt seine himmlische Frei¬ heit, die Unbegränztheit die ihn nirgends beengt und quält. Beim Erwachen sehn wir oft zu voreilig mit Verachtung auf die¬ ses schönere Daseyn hin, weil wir unsre Träume nicht in unser Tagesleben hineinwe¬ ben können, weil sie nicht da fortgefahren sind wo unsre Menschenthätigkeit am Abend aufhörte, sondern ihre eigene Bahn wan¬ delten. Am Morgen erkundigte sich Franz mit glühendem Gesichte nach der Wohnung des berühmten Lukas von Leyden. Man be¬ zeich¬ nete ihm die Straße und das Haus, und er ging mit hochschlagendem Herzen hin. Er ward in ein ansehnliches Haus geführt, und eine Magd sagte ihm, daß der Herr sich schon in seiner Mahlerstube befinde und arbeite. Franz bat, daß man ihn hinein¬ führen möchte. Die Thür öffnete sich, und Franz sah einen kleinen, freundlichen, ziem¬ lich jungen Mann vor einem Gemählde siz¬ zen, an dem er fleißig arbeitete, um ihn her standen und hingen vielerlei Schilde¬ reien, einige Farbenkasten, Zeichnungen und Anatomien, aber alles in der besten Ord¬ nung. Der Mahler stand auf und ging Franzen entgegen, der Schüler war jetzt mit seinen Augen dem Gesicht des berühm¬ ten Meisters gegen über, und vermochte in der ersten Verwirrung kein Wort hervor¬ zubringen. Endlich faßte er sich, und nann¬ te seinen Namen und den Namen seines Leh¬ M rers. Lukas hieß ihn von Herzen willkom¬ men, und beide setzten sich nun in der Werkstatt nieder, und Franz erzählte ganz kurz seine Reise, und sprach von einigen merkwürdigen Gemählden die er unterwegs angetroffen hatte. Er beschaute während dem Sprechen aufmerksam das Bild, an welchem Lukas eben arbeitete; es war eine heilige Familie, und er traf darinnen vieles von einigen Dürerschen Arbeiten an, densel¬ ben Fleiß, dieselbe Genauigkeit im Ausmah¬ len, nun schien ihm an Lukas Bildern Dü¬ rers strenge Zeichnung zu fehlen, ihm dünk¬ te, als wären die Umrisse weniger dreist und sicher gezogen, dagegen hatte Lukas etwas Liebliches und Anmuthiges in den Wendungen seiner Gestalten, ja auch in seiner Färbung, das dem Dürer mangelte. Dem Geiste nach, glaubte er, müsten sich diese beiden großen Künstler sehr nahe ver¬ wandt seyn, er sah hier dieselbe Simplici¬ tät in der Zusammensetzung, dieselbe Ver¬ schmähung unnützer Nebenwerke, die rüh¬ rende und ächt deutsche Behandlung der Gesichter und Leidenschaften, dasselbe Stre¬ ben nach Wahrheit. Lukas war in seinem Gespräche ein mun¬ trer, fröhlicher Mann, seine Augen waren sehr lebhaft, und seine schnellveränderlichen Minen begleiteten und erklärten jedes seiner Worte. Franz konnte ihn noch immer nicht genug betrachten, denn in seiner Einbildung hatte er sich ihn ganz anders gedacht, er hatte einen großen, starken, ernsthaften Mann erwartet, und nun sah er eine klei¬ ne, sehr behende, aber fast kränkliche Figur vor sich, dessen Reden alle das Gepräge ei¬ nes lustigen freien Gemüthes trugen. Es freut mich ungemein Euch kennen zu lernen, rief Lukas mit seiner Lebhaftigkeit M 2 aus, aber vor allen Dingen wünschte ich einmahl Euren Meister zu sehen, ich wüßte nichts Erfreulichers das mir begegnen könn¬ te, als wenn er so wie Ihr heut thatet, in meine Werkstatt hereinträte; bin auch auf keinen andern Menschen in der Welt so neugierig als auf ihn, denn ich halte ihn für den größten Künstler den die Zeiten hervorgebracht haben. Er ist wohl sehr fleißig? Er arbeitet fast immer, antwortete Franz, und er kennt auch kein größeres Vergnügen als seine Arbeit. Seine Ämsigkeit geht so weit, daß er dadurch so gar manchmal sei¬ ner Gesundheit Schaden thut. Ich will es gern glauben, antwortete Lu¬ kas, es zeugen seine Kupferstiche von einer fast unbegreiflichen Sorgfalt, und doch hat er davon schon so viele ausgehn lassen! Man kann nichts Sauberers sehn als seine Arbeit, und doch leidet unter diesem Fleiße die Wahrheit und der eigentliche Ausdruck seiner Darstellungen niemals, so daß seine Ämsigkeit nicht bloß zufällige Zier, sondern Wesen und Sache selbst ist. Und dann be¬ greife ich kaum die mannichfaltigen Arten seiner Arbeiten, von den kleinsten und fein¬ sten Gemählden bis zu den lebensgroßen Bildern, dann seine Holzstiche, seine Ku¬ pferarbeiten, seine saubern Figuren die er auf Holz in erhabener Arbeit geschnitten, und die so leicht so zierlich sind, daß man trotz ih¬ rer Vollendung die Arbeit ganz daran ver¬ gißt, und gar nicht an die vielen mühseligen Stunden denkt, die der Künstler darüber zugebracht haben muß. Wahrlich Albert ist ein äußerst wunderbarer Mann, und ich halte den Schüler für sehr glücklich, dem es vergönnt ist, unter seinen Augen seine er¬ ste Laufbahn zu eröffnen. Franz war immer gerührt, wenn von sei¬ nem Lehrer die Rede war; aber das Lob, diese Verehrung seines Meisters aus dem Munde eines andern großen Künstlers setz¬ te sein Herz in die gewalsamste Bewegung. Er drückte Lukas Hand, und sagte mit Thränen: Glaubt mir, Meister, ich habe mich vom ersten Tage glücklich geschätzt, da ich Dürers Haus betrat. Es ist eine seltsame Sache mit dem Flei¬ ße, fuhr Lukas fort, so treibt es auch mich Tag und Nacht zur Arbeit, so daß mich manchmal jede Stunde, ja jede Minute ge¬ reut, die ich nicht in dieser Stube zubringen darf. Von Jugend auf ist es so mit mir gewesen, und ich habe auch nie an Spielen, Erzählungen, oder dergleichen zeitvertreiben¬ den Dingen Gefallen gefunden. Ein neues Bild liegt mir manchmal so sehr im Sinne, daß ich davor nicht schlafen kann. Ich weiß mir auch keine größere Freude, als wenn ich nun endlich ein Gemählde, an dem ich lange arbeitete, zu Stande gebracht habe, wenn nun alles fertig geworden ist, was mir bis dahin nur in den Gedanken ruhte, wenn man nun zugleich mit jedem Bilde merkt, wie die Hand geübter und dreister wird, wie nach und nach alles das von selbst sich einstellt, was man anfangs mit Mühe erringen und erkämpfen mußte. O mein lieber Sternbald, ich könnte manch¬ mal Stundenlang davon schwatzen, wie ich nach und nach ein Mahler geworden bin, und wie ich noch hoffe, mit jedem Tage weiter zu kommen. Ihr seid ein sehr glücklicher Mann, ant¬ wortete Franz. Wohl dem Künstler der sich seines Werths bewußt ist, der mit Zuver¬ sicht an sein Werk gehn darf, und es schon gewohnt ist daß ihm die Elemente gehor¬ chen. Ach mein lieber Meister, ich kann es Euch nicht sagen. Ihr könnt es vielleicht kaum fassen, welchen Drang ich zu unsrer edlen Kunst empfinde, wie es meinen Geist unaufhörlich antreibt, wie alles in der Welt, die seltsamsten und fremdesten Gegenstände sogar nur von der Malerey zu mir spre¬ chen; aber je höher meine Begeisterung steigt, je tiefer sinkt auch mein Muth, wenn ich irgend einmahl an die Ausführung gehn will. Es ist nicht, daß ich die Übung und den wiederholten Fleiß scheue, daß es ein Stolz in mir ist, gleich das Vortreflichste hervorzubringen das keinen Tadel mehr zu¬ lassen dürfte, sondern es ist eine Angst, eine Scheu, ja ich möchte es wohl eine Anbe¬ tung nennen, beides der Kunst und des Ge¬ genstandes, den ich darzustellen unternehme. Ihr erlaubt mir wohl, sagte Lukas, in¬ dem wir sprechen, an meinem Bilde weiter zu mahlen. Und wirklich zog er auch die Staffeley herbei und vermischte die Farben auf der Pallette die er auftragen wollte. — Wenn ich Euch mit meinem Geschwätze nur nicht stöhre, sagte Franz, denn diese Arbeit da ist äußerst kunstreich — Gar nicht, sag¬ te Lukas, thut mir den Gefallen und fahrt fort. Wenn ich mir also, sagte Franz, eine der Thaten unsers Erlösers in ihrer ganzen Herrlichkeit denke, wenn ich die Apostel, die Verehrungswürdigen vor mir sehe, die ihn umgaben, seine göttliche Milde mit der er lehrt und spricht; wenn ich mir einen der hei¬ ligen Männer aus der ersten christlichen Kir¬ che denke, die mit so kühnem Muthe das Leben und seine Freuden verachteten, und alles hingeben was den übrigen Menschen so vie¬ le Sehnsucht, so manche Wünsche ablockt, um nur das innerste Bekenntniß ihres Her¬ zens, das Bewußtseyn der großen Wahrheit sich zu behaupten, und Andern mitzuthei¬ len; — wenn ich dann diese erhabenen Ge¬ stalten in ihrer himmlischen Glorie vor mir sehe, und nun noch bedenke, daß es einzel¬ nen Auserwählten gegönnt ist, daß sich ih¬ nen das volle Gefühl, daß sich ihnen jene Helden und der Sohn Gottes in eigenthüm¬ lichern Gestalten und Farben als den übri¬ gen Menschen offenbaren, und daß sie durch das Werk ihrer Hände schwächern Geistern diese Offenbahrungen wieder mittheilen dür¬ fen; wenn ich mich meiner Entzückungen vor herrlichen Gemählden erinnere, seht, so ent¬ schwindet mir dann aller Muth, so wage ich es nicht, mich jenen auserwählten Gei¬ stern zuzurechnen und statt zu arbeiten, statt fleißig zu seyn, verliere ich mich in ein leeres unthätiges Staunen. Ihr seid brav, sagte Meister Lukas, oh¬ ne von seinem Bilde aufzusehn, aber das wird sich fügen, daß Ihr auch Muth be¬ kommet. Schon mein Lehrer, fuhr Franz fort, hat mich deshalb getadelt, aber ich habe mir niemals helfen können, ich bin von Kindheit auf so gewesen. Aber so lange ich in Nürn¬ berg war, in der Gegenwart des theuren Albrecht, bei meinem Freunde, und von al¬ le dem bekannten Geräthe umgeben, konn¬ te ich mich doch immer noch etwas aufrecht erhalten. Ich lernte mich aus Gewohnheit ein, den Pinsel zu führen; ich fühlte wie ich nach und nach etwas weiter kam, weil es immer derselbe Ort war den ich wieder be¬ trat, weil dieselben Menschen mich aufmun¬ terten, und weil ich nun auf einer gebahn¬ ten Straße gerade ausging, ohne mich wei¬ ter rechts oder links umzusehn. Freilich durfte ich keine neue Erzählung hören, kei¬ nen neuen verständigen Mann kennen ler¬ nen ohne etwas irre zu werden, doch fand ich mich bald wieder zurecht. Aber seit mei¬ ner Abreise aus Nürnberg hat sich alles das geändert. Meine innerlichen Bilder vermeh¬ ren sich bei jedem Schritte den ich thue, je¬ der Baum, jede Landschaft, jeder Wanders¬ mann, Aufgang der Sonne und Untergang, die Kirchen die ich besuche, jeder Gesang den ich höre, alles wirkt mit quälender und schöner Geschäftigkeit in meinem Busen, und bald möcht' ich Landschaften, bald heilige Ge¬ schichten, bald einzelne Gestalten darstellen, die Farben genügen mir nun nicht, die Ab¬ wechselung ist mir nicht mannichfaltig ge¬ nug, ich fühle das Edle in den Werken an¬ drer Meister, aber mein Gemüth ist nun¬ mehr so verwirrt, daß ich mich durchaus nicht unterstehen darf, selber an die Arbeit zu gehn. Lukas hielt eine Weile mit Mahlen in¬ ne und betrachtete Sternbald sehr aufmerk¬ sam, der sich durch Reden erhitzt hatte, dann sagte er: Lieber Freund, ich glaube daß Ihr so auf einem ganz unrechten We¬ ge seid. Ich kann mir Eure Verfassung wohl so ziemlich vorstellen, aber ich bin nie¬ mals in solcher Gemüthsstimmung gewe¬ sen. Von der frühsten Jugend habe ich ei¬ nen heftigen Trieb in mir empfunden zu bil¬ den, und ein Künstler zu seyn; aber von je an lag mir die Nachahmung klar im Sinne, daß ich nie zweifelhaft war oder zögerte, was aus einer Zeichnung werden sollte. Schon während der Arbeit lag mir dann ein andrer Entwurf schon ganz deutlich im Kopfe, den ich aber so schnell und eben so unverzagt als den vorigen ausführte, und so sind meine zahlreichen Werke entstanden, ob ich gleich noch nicht alt bin. Euer Za¬ gen, Eure zu große Verehrung des Gegen¬ standes ist, will mich dünken, etwas Un¬ künstlerisches; denn wenn man ein Mahler seyn will, so muß man doch mahlen, man muß beginnen und endigen, Eure Entzü¬ ckungen könnt Ihr ja doch nicht auf die Tafel tragen. Nach dem was Ihr mir ge¬ sagt habt, müßt Ihr viele Anlagen zu ei¬ nem Poeten haben, nur muß ein Dichter auch mit Ruhe arbeiten. — Erlaubt mir, daß ich Euch noch etwas sage: Ich habe mich von jeher über die Künstler gewundert, die Wallfahrten nach Italien, wie nach ei¬ nem gelobten Lande der Kunst anstellen, aber nach dem, was Ihr mir von Euch erzählt habt, muß ich mich billig noch mehr ver¬ wundern. Warum wollt Ihr Eure Zeit al¬ so verderben? Mit Eurer Reizbarkeit wird Euch jeder neue Gegenstand den Ihr erblickt, zerstreuen, die größere Mannichfaltigkeit wird Eure Kräfte noch mehr niederschlagen, sie werden alle verschiedene Richtungen suchen, und alle diese Richtungen werden für Euch nicht genügend seyn. Nicht, als ob ich die großen Künstler Italiens nicht schätzte und liebte, aber man mag sagen was man will, so hat doch jedes Land seine eigene Kunst, und es ist gut, daß es sie hat. Ein Mei¬ ster tritt dann in die Fußstapfen des andern, und verbessert was bei ihm etwa noch man¬ gelhaft war; was dem ersten schwer war, wird dem zweiten und dritten leicht, und so wird die vaterländische Kunst endlich zur höchsten Vortreflichkeit hingeführt. Wir sind einmahl keine Italiäner, und ein Italiäner wird nimmermehr deutsch empfinden. Wenn ich Euch also rathen soll, so stellt lieber Eu¬ re Reise nach Italien ganz ein und bleibt im Vaterlande, denn was wollt Ihr dort? Meint Ihr, ihr werdet die Italischen Bilder mit einem andern als einem deutschen Auge sehen können? so wie auch kein Italiäner die Kraft und Vortreflichkeit Eures Albert Dürer jemals erkennen wird; es sind wie¬ derstrebende Naturen die sich niemals in demselben Mittelpunkte vereinigen können. Wenn Ihr hingeht, so wird jedes neue Ge¬ mählde, jede neue Manier eine neue Lust in Euch erwecken, Ihr werdet in ewiger Ab¬ wechselung vielleicht arbeiten, aber Euch niemals üben, Ihr werdet kein Italiäner werden, und könnt doch kein Deutscher blei¬ ben, Ihr werdet zwischen beiden streben, und die Muthlosigkeit und Verzagtheit wird Euch am Ende nur noch viel stärker, als jetzt ergreifen. Ihr findet meinen Ausspruch vielleicht hart, aber Ihr seid mir werth, und darum wünsche ich Euer Bestes. Glau¬ be mir, jeder Künstler wird, was er werden kann, wenn er ruhig sich seinem eignen Gei¬ ste ste überläßt, und dabei unermüdet fleißig ist. Seht nur Euren Albert Dürer an; ist er denn nicht ohne Italien geworden, was er ist, denn sein kurzer Aufenthalt in Vene¬ dig kann kaum in Rechnung gebracht wer¬ den, und denkt Ihr denn mehr zu leisten als Er? Auch unsre besten Meister in den Niederlanden haben Italien nicht gesehn, sondern einheimische Natur und Kunst hat sie groß gezogen; manche mittelmäßige die dort gewesen sind, haben eine fremde Ma¬ nier nachahmen wollen, die ihnen nimmer¬ mehr gelingt, und als etwas Erzwungenes herauskömmt, das ihnen nicht steht, und sich in unsrer Gegend nicht ausnimmt. Mein lieber Sternbald, wir sind gewiß nicht für die Antiken, wir verstehen sie auch nicht mehr, unser Fach ist die wahre nordische Na¬ tur; je mehr wir diese erreichen, je wahrer und lieblicher wir diese ausdrücken, je mehr N sind wir Künstler. Und das Ziel wonach wir streben, ist gewiß eben so groß als der poetische Zweck den sich die andern vorge¬ stellt haben. Franz war noch in seinem Leben nicht so niedergeschlagen gewesen. Er glaubte es zu empfinden wie er noch keine Verdienste ha¬ be; diese Verehrung der Kunst, diese Be¬ gier Italien mit seinen Werken zu sehn, hatte er immer für sein einziges Verdienst gehal¬ ten, und nun vernichtete ein verehrungs¬ würdiger Meister ihm auch dieses gänzlich. Zum erstenmahle erschien ihm sein ganzes Beginnen thöricht und unnütz. Ihr mögt Recht haben, Meister! rief er aus, ich bin nun auch beinahe davon überzeugt, daß ich zum Künstler verdorben bin; je mehr ich Eure Vortreflichkeit fühle, um so stärker empfinde ich auch meinen Unwerth, ich füh¬ re ein verlohrnes Leben in mir, das sich an keine vernünftige Thätigkeit hinaufranken wird, ein unglückseeliger Trieb ist mir ein¬ gehaucht, der nur dazu nützt, mir alle Freuden zu verbittern, und mir aus den köstlichsten Gerichten dieses Lebens etwas Albernes und Nüchternes zuzubereiten. Es ist nicht so gemeint, sagte Lukas mit einem Lächeln, das seinem freundlichen Ge¬ sichte sehr gut stand; ich merke, daß alles bei Euch aus einem zu heftigen Charakter entspringt, und freilich, darinn kann sich der Mensch nicht ändern und wenn er es auch noch so sehr wollte. Gebt Euch zu¬ frieden, meine Worte sind immer nur die Worte eines einzelnen Mannes, und ich kann mich eben so leicht irren als jeder andre. Ihr seid nicht wie jeder andre, sagte Franz mit der größten Lebhaftigkeit, das fühl ich zu lebendig in meinem Herzen, Ihr soll¬ tet es nur einmahl hören, mit welcher Ver¬ N 2 ehrung mein Meister immer von Euch spricht; Ihr solltet es nur wissen können wie vortreflich Ihr mir vorkommt, welch Gewicht bei mir jedes Eurer Worte hat. Wie viele Künstler dürfen sich denn mit Euch messen? Wer auf solche Stimmen nicht hörte, verdiente gar nicht Euch so gegen über zu sitzen, mit Euch zu sprechen, und diese Freundschaft und Güte zu er¬ halten. Ihr seid jung, sagte Lukas, und Euer Wesen ist mir ungemein lieb, es giebt we¬ nig solcher Menschen, die meisten betrachten die Kunst nur als ein Spielwerk, und uns als große Kinder, die albern genug bleiben um sich mit derley Possen zu beschäftigen. — Aber laßt uns auf etwas anders kommen, ich bin jetzt überdies müde zu mahlen. Ich habe einen Kupferstich von Eurem Albert erhalten, der mir bisher noch unbekannt war. Es ist der heilige Hubertus, der auf der Jagd einem Hirsche mit einem Krucifixe zwischen dem Geweih begegnet, und sich bei diesem Anblicke bekehrt und seine Lebenswei¬ se ändert. Seht hieher, es ist für mich ein merkwürdiges Blatt, nicht bloß der schönen Ausführung, sondern vorzüglich der Gedan¬ ken halber die für mich darinn liegen. Die Gegend ist Wald, und Dürer hat einen ho¬ hen Standtpunkt angenommen, weshalb ihn nur ein Unverständiger tadeln könnte, denn wenn auch ein dichter Wald, wo wir nur wenige große Bäume wahrnähmen, etwas natürlicher beim ersten Anblick in die Augen fallen dürfte, so könnte das doch nimmer¬ mehr das Gefühl der völligen Einsamkeit so ausdrücken und darstellen wie es hier ge¬ schieht, wo das Auge weit und breit alles übersieht, einzelne Hügel und lichte Waldge¬ genden. Ich glaube auch, daß manche Leu¬ te, die mehr guten Willen vernünftig zu seyn als Verstand haben, den gewählten Gegenstand selbst als etwas Albernes tadeln dürften, ein Rittersmann der vor einer un¬ vernünftigen Bestie kniet. Aber das ist es gerade, wenn ich meine aufrichtige Meinung sagen soll, was mir so sehr daran gefällt und zu großem Vergnügen gereicht. Es ist so etwas Unschuldiges, Frommes und Lieb¬ liches darinn wie der Jagdmann hier kniet, und das Hirschlein mit seiner kindischen Physiognomie so unbefangen drein sieht, im Kontrast mit der heiligen Ehrfurcht des Mannes; dies erweckt ganz eigene Gedan¬ den von Gottes Barmherzigkeit, von dem grausamen Vergnügen der Jagd, und der¬ gleichen mehr. Nun beobachtet einmahl die Art wie der Ritter niederkniet; es ist die wahrste, frömmste und rührendste, mancher hätte hier wohl seine Zierlichkeit gezeigt, wie er Beine und Arme verschiedentlich zu stellen wüßte, so daß er durch Annehmlich¬ keit der Figur sich gleichsam vor jedem ent¬ schuldigt hätte, daß er ein so närrisches Bild zu seinem Gegenstande gemacht. Denn manche zierliche Mahler sind mir so vorge¬ kommen, daß sie nicht sowohl verschiedent¬ liche Bilder mahlen, als vielmehr nur die Gegenstände brauchen um immer wieder ih¬ re Verschränkungen und Niedlichkeiten zu zeigen; diese putzen sich mit der edlen Mah¬ lerkunst, statt daß sie ihr freies Spiel, und eine eigne Bahn gönnen sollten. So ist es nicht mit diesem Hubertus beschaffen. Seine zusammengelegten Beine, auf denen er so ganz natürlich hinkniet, seine gleichförmigen aufgehobenen Hände sind das wahrste was man sehen kann; aber sie haben nicht die spielende Anmuth die manche der heutigen Welt über alles schätzen. Lukas sprach noch mancherley; dann be¬ suchten ihn einige Freunde aus der Stadt, mit denen er und Franz sich zu Tische sez¬ ten. Man lachte und erzählte viel; von der Mahlerey ward nur wenig gesprochen. Zweytes Kapitel. F ranz hielt sich längere Zeit in Leyden auf als er sich anfangs vorgenommen hatte, denn Meister Lukas hatte ihm einige Kon¬ terfeye zu mahlen übergeben, die Franz zu dessen Zufriedenheit beendigte. Beide hat¬ ten sich oft von der Kunst unterhalten. Franz liebte Lukas ungemein, aber doch konnte er in keiner Stunde das Vertrauen zu ihm fassen das er zu seinem Lehrer hat¬ te, er fühlte sich in seiner Gegenwart immer gedemüthigt, seine freiesten Gedanken waren gefesselt, selbst Lukas fröhliche Laune konn¬ te ihn ängstigen, weil sie von der Art wie er sich zu freuen pflegte, so gänzlich verschieden war. Er kämpfte oft mit der Verehrung, die er vor den Niederländischen Meister empfand, denn er schien ihm in manchen Augenblicken nur ein Handwerker zu seyn; wenn er dann wieder den hurtigen erfinde¬ rischen Geist betrachtete, den nie rastenden Eifer, die Liebe zu allem Vortreflichen, so schämte er sich seines Mißtrauens. Als er an einem Morgen Lukas Werk¬ stelle besuchte, — wie erstaunte er, was glich seiner Freude! — als er seinen Lehrer, seinen über alles geschätzten Dürer neben dem niederländischen Mahler sitzen sah. Erst schien es ihm nur ein Blendwerk seiner Augen zu seyn; aber Dürer stand auf und schloß ihn herzlich in seine Arme; die drei Mahler waren überaus fröhlich sich zu sehn, Fragen und Antworten durchkreuzten sich, besonders hinderte der lebhafte Lukas auf alle Weise das Gespräch, zu einer stillen Ruhe zu kommen, denn er fing immer wieder von neuem an sich zu verwundern und zu freuen. Er rieb die Hände, und lief mit großer Geschäftigkeit hin und wie¬ der; bald zeigte er dem Albert ein Bild, bald hatte er wieder eine Frage worauf er die Antwort wissen wollte. Franz bemerkte, wie gegen diese lebhafte Unruhe Alberts Gelassenheit, und seine stille Art sich zu freuen, schön kontrastirte. Auch wenn sie nebeneinander standen ergötzte sich Franz an der gänzlichen Verschiedenheit der beiden Künstler, die sich doch in ihren Werken so oft zu berühren schienen. Dürer war groß und schlank, lieblich und majestätisch fielen seine lockigen Haare um seine Schläfe, sein Gesicht war ehrwürdig und doch freundlich, seine Mienen veränderten den Ausdruck nur langsam, und seine schönen braunen Augen sahen feurig und doch sanft unter seiner Stirn hervor. Franz bemerkte deutlich wie die Umrisse von Alberts Gesichte denen auffallend glichen, mit denen man immer den Erlöser der Welt zu mahlen pflegt. Lukas erschien neben Albert noch kleiner als er wirklich war; sein Gesicht ver¬ änderte sich in jedem Augenblicke, seine Au¬ gen waren mehr lebhaft als ausdrucksvoll, sein hellbraunes Haar lag schlicht und kurz um seinen Kopf. Albert erzählte, wie er sich schon seit lange unpaß gefühlt habe, und die weite Reise nach den Niederlanden nicht gescheut, um seine Gesundheit wieder herzustellen. Seine Hausfrau habe ihn begleitet; von Sebastian gab er unserm Franz einen Brief, er selber sey zwar nicht gefährlich, aber doch so krank daß er die Reise nicht habe unternehmen können, sonst würde er ihn mitgenommen haben. Euch zu sehn, Meister Lukas, sagte er, war der vornehmste Bewe¬ gungsgrund meiner Reise, denn ich habe es mir schon lange gewünscht, ich weiß auch noch nicht, ob ich einen andern Mahler besuche, wenn der Wohnort mir aus dem Wege liegt, denn so viel ich sie kenne, ist mir nach dem berühmten Meister Lukas keiner merk¬ würdig. Lukas dankte ihm und sprang wieder durch die Stube, voller Freude den großen Albert Dürer bei sich zu haben. Dann zeig¬ te er ihm einige seiner neuesten Bilder, und Albert lobte sie sehr verständig. Dieser hat¬ te einige neue Kupferstiche bei sich die er dem Niederländer schenkte, und Lukas such¬ te zur Vergeltung auch ein Blatt hervor, das er dem Albrecht in die Hände gab. Seht, sagte er, dies Blatt, es wird von ei¬ nigen für meinen besten Kupferstich erklärt, es ist das Konterfey des Tillen Eulenspiegel, wie ich mir diesen seltsamen Mann in den Gedanken vorgestellt habe. Es wollen eini¬ ge jetzt, die sich mit der Gelehrsamkeit be¬ fassen, sein Buch verachten, und es als den Sitten und der Zucht zuwieder verdammen, es möchte vielleicht einiges besser darinn mangeln können, aber ich muß gestehen, daß es mich im Ganzen immer sehr ergötzt hat. Die Schalkheit des Knechtes Eulen¬ spiegel ist so eigen, viele seiner Streiche ge¬ ben zu so manchen kuriosen Gedanken Ver¬ anlassung, daß ich mich ordentlich dazu an¬ getrieben fühlte, sein seltsames Konterfey in Kupfer zu bringen. Ihr habt es auch wacker ausgerichtet, sagte Albert Dürer, und ich danke Euch höchlich für Euer Geschenk. Ihr habt den berüchtigten Schalksknecht da erschaffen, wie er gewißlich ausgesehn haben muß, die schielenden Augen und die verdrehte Nase drücken sein seltsames Gemüth vortreflich aus, in diesen Lippen habt Ihr seinen Witz der oft beissend genug war, herrlich ange¬ deutet, und es ist mir sehr erwünscht daß Ihr das häßliche Gesicht doch nicht so ver¬ zerrt habt daß es uns zuwieder ist, sondern mit vieler Kunst habt Ihr es so auszurich¬ ten gewußt daß man es gerne beschaut, und den possigen Kerl ordentlich lieb gewinnt. Es ist eine Art von Dankbarkeit, sagte Meister Lukas, daß ich ihn so mühsam in Kupfer gebracht habe, da ich über seine Schwänke oft so herzlich habe lachen müssen. Wie schon gesagt, es verstehen wenig Men¬ schen die Kunst, sich an Tills Narrenstrei¬ chen so zu freuen als ich, weil sie es sogar mit dem Lachen ernsthaft nehmen; andern gefällt sein Buch wohl, aber es kommt ih¬ nen als etwas Unedles vor, dies Bekenntniß abzulegen; andern fehlt es wieder an Übung das Possierliche zu verstehen und zu fassen, weil man sich vielleicht eben so daran gewöh¬ men muß, wie man viele Gemählde sieht ehe man über eins ein richtiges Urtheil faßt. Ihr mögt sehr Recht haben, Meister, ant¬ wortete Dürer, die meisten Leute sind wahrlich mit dem Ernsthaften und Lächerlichen gleich fremd. Sie glauben immer, das Verständ¬ niß von beiden müsse ihnen von selbst ohne ihr weiteres Zuthun kommen; und doch ist das bei den allerwenigsten der Fall. Sie über¬ lassen sich daher mit Rohheit dem Augenbli¬ cke und ihrem damaligen Gefühl, und so tadeln und loben sie alles unbesehn. Ja sie gehn mit der Mahlerkunst eben so um, sie kosten davon, wie man wohl ein Gemüse oder Suppe zu kosten pflegt, ob die Magd zu viel oder zu wenig Salz daran gethan habe, und dann sprechen sie das Urtheil, ohne um die Einsicht und die Kenntnisse die dazu gehören, besorgt zu seyn. Ich muß immer noch lachen so oft ich daran denke, daß daß es mir doch auch einmahl so ging. Ohne etwas davon zu verstehn, und ohne die Anlagen von der Natur zu haben, fiel ich einmahl darauf ein Poet zu seyn. Ich dachte in meinem einfältigen Sinne, Verse müsse ja wohl jedermann machen können, und ich wunderte mich über mich selber, daß ich nicht schon weit früher auf die Dichtkunst verfallen sey. Ich machte also ein zierlich großes Kupferblatt, und stach mühsam rund herum meine Verse mit zierlichen Buchsta¬ ben ein: es sollte ein moralisches Gedicht vorstellen, und ich unterstund mich, der gan¬ zen Welt darinn gute Lehren zu geben. Wie nun aber alles fertig war, siehe da, so war es erbärmlich gerathen. Was ich da für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer habe ausstehn müssen, der mir lange nicht meine Verwegenheit vergeben konnte! Er sagte immer zu mir: Schuster bleib bei O Deinem Leisten! Albert, wenn Du den Pin¬ sel in der Hand hast, so kömmst Du mir als ein verständiger Mann vor, aber mit der Feder gebehrdest Du Dich als ein Thor. — So sollte man auch zu manchen sagen die sich auf Künste legen, die ihnen nicht besser anstehen als dem Esel das Lau¬ tenschlagen. Ihr müßt Euch doch einige Zeit in Ley¬ den aufhalten, sagte Lukas; denn ich möch¬ te gar zu gern recht viel mit Euch sprechen, über so viele Dinge Euer Urtheil verneh¬ men, denn ich wüßte keinen Menschen auf der Welt mit denn ich mich lieber unterre¬ dete als mit Euch. Ich bleibe gewiß wenigstens einige Tage, antwortete Dürer; seit Franz von mir fort¬ gezogen ist, habe ich mir diese Reise vorge¬ setzt, und alles Geld was ich erübrigen konnte, dazu aufgespart. Unter diesen Gesprächen war die Mit¬ tagsstunde herangekommen; eine junge hüb¬ sche Frau trat herein, es war das Weib des Niederländers, sie erinnerte ihren Mann mit freundlichem Gesichte, daß es Zeit sey zu essen, er möchte mit seinen Gästen in die Speisestube treten. Sie folgten ihr gern, und man setzte sich zu Tische. Die Haus¬ frau Albert Dürers hieß den Franz Stern¬ bald sehr freundlich willkommen, Franz hat¬ te sie noch nie so liebenswürdig gesehn, denn die Reise hatte sie heiter gemacht, ihr Ge¬ sicht war auch blühender und voller. Der kleine Lukas schien nun bei Tische erst recht an seinem Platze zu seyn; er wußte so gutmüthig zum Essen und Trinken einzuladen, daß keiner seine Einladung aus¬ zuschlagen im Stande war; dabei erwies er sich überaus artig gegen Dürers Frau, und wußte ihr auf seine Art tausend kleine O 2 Schmeicheleien zu sagen. Dürer war viel ernster und unbeholfener, die schöne junge Frau des Lukas setzte ihn eher in Verlegen¬ heit, als daß sie ihn unterhalten hätte, seine Sitten waren ernst und deutsch, und wenn sich ihm ein Scherz nicht von selber darbot, so hielt er es für eine unnütze Mühe ihn aufzusuchen. Franz war in einer heiligen Stimmung, es war ihm gar nicht möglich, seine Augen von seinem geliebten Lehrer ab¬ zuwenden, vollends da es ihm beständig im Sinne lag, daß er morgen früh abreisen müsse und also Dürer nicht länger sehn könne, denn er hatte eine Reisegesellschaft gefunden, die ihn gegen ein Billiges mit nach Antwerpen nehmen wollte. Ihr müßt mir erlauben, rief Lukas fröh¬ lich aus, Meister Albrecht (verzeiht mir, daß ich so vertraut thue, Euch bei Eurem Taufnamen zu nennen,) daß ich Euer Kon¬ terfey abnehme ehe Ihr von hier reiset, denn es liegt mir gar zu viel daran es zu besitzen, und zwar recht treu und fleißig ge¬ mahlt, ich will mir alle Mühe dabei geben. Und ich will Euch mahlen, sagte Al¬ brecht, mir ist gewiß Euer Gesicht eben so lieb, damit ichs dann mit mir nach Nürn¬ berg nehme. Wißt Ihr wie wir es einrichten können? antwortete Lukas: Ihr mahlt Euer eignes Bildniß und ich das meinige, und wir tau¬ schen sie nachher gegen einander aus, so be¬ sitzt noch jeder etwas, von des andern Arbeit. Es mag seyn, sagte Dürer, ich weiß mit meinem Kopfe schon ziemlich Bescheid, denn ich habe ihn schon etlichemahl gemahlt und gestochen, und man hat die Kopey immer ähn¬ lich gefunden. Worüber ich mich aber billig wundern muß, fuhr er fort, ist, daß Ihr Meister Lukas noch so jung seid, und daß Ihr doch schon so viele Kunstsachen in die Welt habt ausgehn lassen, und mit Recht einen so großen Namen habt; denn noch scheint Ihr keine dreißig Jahr alt zu seyn. Lukas sagte: ich bin auch noch nicht dreißig Jahre alt, sondern kaum neun und zwanzig. Es ist wahr, ich habe fleißig ge¬ mahlt, und fast eben so viel in Kupfer ge¬ stochen als Ihr; aber mein lieber Albrecht ich habe auch schon sehr früh angefangen; Ihr wißt es vielleicht nicht daß ich schon im neunten Jahre ein Kupferstecher war. Im neunten Jahre? rief Franz Stern¬ bald voller Verwunderung aus; ich glaubte immer im sechszehnten hättet Ihr Euer er¬ stes Werk begonnen, und das hat schon im¬ mer mein Erstaunen erregt. Nein, erzählte Lukas weiter, denn ich zeichnete schon Bilder und allerhand natür¬ liche Sachen nach als ich kaum sprechen konnte. Die Sprache und der Ausdruck durch die Reißkohle schien mir natürlicher als die wirkliche. Ich war unglaublich flei¬ ßig, und interessirte mich für gar nichts an¬ ders in der Welt, denn die übrigen Wissen¬ schaften, so wie Sprachen und dergleichen, waren mir völlig gleichgütig, ja es war mir verhaßt, meine Zeit mit solchem Unterrichte zuzubringen. Wenn ich auch nicht zeichnete, so gab ich genau auf alle die Dinge Acht, die mir vor die Augen kamen, um sie nachher nachahmen zu können. Die größte Freude machte es mir, wenn meine Eltern oder andre Menschen die Personen wieder erkannten die ich kopirt hatte. Kein Spiel machte mir Vergnügen, andre Knaben wa¬ ren mir zur Last und ich verachtete sie und ging ihnen aus dem Wege, weil mir ihr Beginnen zu kindisch vorkam; sie verspotte¬ ten mich auch deshalb, und nannten mich den kleinen alten Mann. Ich erkundigte mich, wie die Kupferstiche entständen, und einige eben nicht geschickte Leute, machten mich mit der Kunst bekannt, so viel sie selbst da¬ von begriffen hatten. So machte ich im neunten Jahre mein erstes Bild, das ich öf¬ fentlich herausgab, und das vielen Leuten nicht mißfiel; bald darauf thaten mich meine Eltern auf mein inständiges Bitten beim Meister Engelbrecht in die Lehre; ich fuhr fort zu arbeiten, und im sechszehnten Jah¬ re war ich schon einigermaßen bekannt, so daß meine Werke gesucht wurden. Ihr seid ein wahres Wunderkind gewe¬ sen, Meister Lukas, sagte Albert Dürer, und auf die Art muß man freilich nicht erstau¬ nen, wenn die Welt so viele Arbeiten von Euch gesehn hat. Wenn ich jetzt vielleicht etwas bin, sagte Lukas sehr lebhaft, so hab' ich's nur Euch zu verdanken. Ihr wart mein Vorbild, Ihr gabt mir immer neues Feuer, wenn ich manchmal den Muth verlieren wollte, denn ich glaube, es giebt auch beim eifrigsten Künstler Stunden, in denen er durchaus nichts hervorbringen mag, wo er sich in sich selber ausruht, und ihm die Arbeit mit den Händen ordentlich widersteht; dann hörte ich wieder von Euch, ich sah eins Eurer Kupferblätter, und der Fleiß kam mir mit frischer Anmuth zurück. Ich muß es geste¬ hen, daß ich Euch auch meine meisten Erfin¬ dungen zu danken habe, denn ich weiß nicht wie es zugeht, einzelne Figuren oder Sa¬ chen stehn mir immer sehr klar vor den Au¬ gen, aber das Zusammenfügen, der wahre historische Zusammenhang, der ein Bild erst fertig macht, will sich nie deutlich vor den Sinnen hinstellen, bis ich dann ein andres Blatt in die Hande nehme, da fällt es mir denn ein daß ich das auch darstel¬ len, und hie und da wohl noch verbessern könnte, aus dem Bilde das ich vor mir se¬ he, entwickelt sich ein neues in meiner See¬ le, das mir dann nicht eher Ruhe läßt, als bis ich es fertig gemacht habe. Am liebsten habe ich Eure Bilder nachgemacht, Albrecht, weil sie alle einen ganz eignen Sinn haben, den ich in andern nicht antreffe. Ihr habt mich am meisten auf Gedanken geführt, und Ihr werdet es wissen, daß ich die meisten Bilder die Ihr ausgeführt habt, auch dar¬ zustellen versucht habe. Manchmal habe ich die Eitelkeit gehabt, Ihr verzeiht mir meinen freimüthigen Stolz, und Ihr seid ein gerader guter Mann, Eure Vorstellung zu verbessern und dem Auge angenehmer zu machen. Ich weiß es recht wohl, sagte Albert mit der gutmüthigsten Freundlichkeit, und ich versichere Euch, ich habe viel von Euch gelernt. Wie Ihr mit Eurem Körper behen¬ der und gewandter seid, so seid Ihr es auch mit dem Pinsel und Grabstichel. Ihr wißt eine gewisse Anmuth mit Wendungen und Stellungen der Körper in Eure Bilder zu bringen, die mir oft fehlt, so daß meine Zeichnungen gegen die Eurigen hart und rauh aussehn; aber Ihr erlaubt mir auch zu sagen, daß es mir geschienen hat, als wärt Ihr ein paarmal unnöthigerweise von der wahren Einfalt des Gegenstandes abge¬ wichen. So gedenke ich an ein paar Ku¬ pferstiche, wo vorne Leute mit großen Män¬ teln stehn, die dem Zuschauer den Rücken zuwenden, da sie uns wohl natürlicher das Angesicht hätten zukehren dürfen. Hier habt Ihr nach meinem einfältigen Ur¬ theil nur etwas Neues anbringen und durch die großen Mantelfiguren die Kontra¬ stirung mit den übrigen Personen im Bilde verstärken wollen; aber es kömmt doch etwas gezwungen heraus. Ihr habt Recht, Albert, sagte Lukas, ich sehe Ihr seid ein schlauer Kopf, der mir meine Münzen wieder zu geben weiß. Ich habe mich öfter darauf ertappt, daß ich ein Bild verdorben habe, wenn ich es habe bes¬ ser machen wollen als ich es auf Euren Platten gesehn hatte. Denn man verliert gar zu leicht den ersten Gedanken aus den Augen, der doch sehr oft der allerwahrste und beste ist; nun putzt man am Bilde her¬ um, und über lang oder kurz wird es ein Ding, das einen mit ganz fremden Augen ansieht, und sich auf dem Papiere oder der Leinwand selber nicht zu finden weiß. Da seid Ihr glücklicher und besser daran daß Euch die Erfindung immer zu Gebote steht; denn so ist es Euch fast unmöglich in einen solchen Fehler zu fallen. — Wie macht Ihr es aber, Albrecht, daß Ihr so viele Gedan¬ ken, so viele Erfindungen in Eurem Kopfe habt? Ihr irrt Euch an mir, sagte Albrecht, wenn Ihr mich für so erfindungsreich haltet. Nur wenige meiner Bilder sind aus dem bloßen Vorsatz enstanden, sondern es war immer eine zufällige Gelegenheit die sie ver¬ anlaßte. Wenn ich irgend ein Gemählde loben höre, oder eine der heiligen Geschich¬ ten wieder erzählen höre, so regt sich's dann plötzlich in mir, daß ich ein ganz neues Ge¬ lüst empfinde, gerade das und nichts anders darzustellen. Das eigentliche Erfinden ist gewiß sehr selten, es ist eine eigne und wunderbare Gabe, etwas bis dahin Uner¬ hörtes hervorzubringen. Was uns erfunden scheint, ist gewöhnlich nur aus älteren schon vorhandenen Dingen zusammengesetzt, und dadurch wird es gewissermaßen neu; ja der eigentliche erste Erfinder setzt seine Geschich¬ te oder sein Gemählde doch auch nur zu¬ sammen, indem er theils seine Erfahrungen, theils was ihm dabei eingefallen, oder was er sich erinnert; gelesen, oder gehört hat, nur in Eins faßt. Ihr habt sehr Recht, sagte Lukas, et¬ was im eigentlichsten Verstande aus der Luft zu greifen wäre gewiß das Seltsamste das dem Menschen begegnen könnte. Es wäre eine ganz neue Art von Verrückung, denn selbst der Wahnsinnige erfindet seine Fieberträume nicht. Die Natur ist also die einzige Erfinderinn, sie leiht allen Künsten von ihrem großen Schatz; wir ahmen im¬ mer nur die Natur nach, unsre Begeiste¬ rung, unser Ersinnen, unser Trachten nach dem Neuen und Vortreflichen, ist nur wie das Achtgeben eines Säuglings, der keine Bewegung seiner Mutter aus den Augen läßt. — Wißt Ihr aber wohl, Albrecht, wel¬ chen Schluß man aus dieser Bemerkung ziehn könnte? daß es also in den Sachen selbst, die der Poet oder Mahler, oder irgend ein Künstler darstellen wollte, durchaus nichts Unnatürliches geben könne, denn indem ich als Mensch auf den allertollsten Gedanken verfalle, ist er doch schon natürlich, und der Darstellung und Mittheilung fähig. Von dem Felde des wahrhaft Unnatürlichen sind wir durch eine hohe Mauer geschieden, über die kein Blick von uns dringen kann. Wo wir also in irgend einem Künstlerwerk Unnatürlichkeiten, Albern¬ heit oder Unsinn, wahrzunehmen glauben, die unsre gesunde Vernunft und unser Gefühl empören, so müßte das im¬ mer nur daher rühren, daß die Sachen auf eine ungehörige und unvernünftige Art zu¬ sammengesetzt wären, daß Theile darunter gemengt sind, die nicht hineingehören, und die übrigen so verbunden wie es nicht seyn sollte. So müßte also ein höherer Geist, als derjenige war, der es fehlerhaft gemacht hatte, aus allem Möglichen etwas Vortref¬ liches und Würdiges hervorbilden können. Dürer nickte mit dem Kopfe Beifall, und wollte eben das Gespräch fortsetzen, als Lu¬ kas Frau ausrief: Aber lieben Leute, hört endlich mit Euren gelehrten Gesprächen auf, von denen wir Weiber hier kein Wort verstehn. Wir sitzen hier so ernsthaft wie in der Kirche, verspart alle Eure Wissen¬ schaften bis das Mittagsessen vorüber ist.— Sie schenkte hierauf einem jeden ein großes Glas Wein ein, und erkundigte sich bei Dü¬ rer, was er auf der Reise Neues gesehn und gehört habe. Albrecht erzählte, und Franz Sternbald saß in tiefen Gedanken. In In den lezten Worten des Lukas schien ihm der Schlüssel, die Auflösung zu allen seinen Zweifeln zu liegen, nur konnte er den Ge¬ danken nicht deutlich fassen; er hatte von seinem Lehrmeister noch nie eine ähnliche Äusserung über die Kunst gehört, sie auch in keinem seiner Bücher angetroffen; es schien ihm sogar, als wenn Dürer auf die¬ sen Gedanken nicht so viel gebe als er werth sey, daß er die Folgen nicht so be¬ merke, die alle in ihm lägen. Er konnte auf das jetzige Gespräch nicht Acht geben, vorzüglich da die Niederländerinn anfing sich nach allen Nürnbergischen Trachten der verschiedenen Stände zu erkundigen, und den Anzug der Dürerschen Hausfrau vom Kopfe bis zu den Füßen musterte. Plötzlich sprang Lukas mit seiner Behen¬ digkeit vom Tische auf, fiel seiner Frau um den Hals, und rief aus: Mein liebstes Kind, P Du mußt es mir jetzt doch schon vergönnen, daß ich mit Meister Albrecht wieder etwas über die Mahlereikunst anfange, denn mir ist da eine Frage eingefallen. Es wäre ja Sünde, wenn ich den Mann hier in meinem Hause hätte, und nicht alles vom Herzen los sprechen sollte. Meinetwegen magst Du es halten wie Du willst, antwortete sie; aber was wird die Nürnbergische Frau dazu sagen? Ich bin es schon so gewohnt, sagte Dü¬ rers Frau, dergleichen sind bei Tische seine gewöhnlichen Gespräche. Mein Mann ist immer der letzte, der etwas von den Neuig¬ keiten der Stadt erfährt, und wenn er mir zuweilen etwas erzählen soll, weiß er nichts, es müßte sich denn etwa wieder mit Martin Luther etwas zugetragen haben. Daß wir den Mann vergessen konnten! rief Dürer aus, indem er sein volles Glas in die Höhe hob: Er soll leben! noch lange soll der große Doktor Martin Luther leben! der Kirche, und uns allen zu Heil und Frommen! Lukas stieß an und lächelte. Es ist zwar eine ketzerische Gesundheit, sagte er, aber Euch zu Gefallen will ich sie doch trinken. Ich fürchte nur, die Welt wird viele Trüb¬ sale zu überstehen haben, ehe die neue Leh¬ re durchdringen kann. Albrecht antwortete: Wann wir im Schweiß unsers Angesichts unser Brod essen müssen, so verlohnt es ja wohl die Wahr heit, wenn wir Qual und Trübsal ihret¬ wegen aushalten. Nun das sind alles Meinungen, ant¬ wortete Lukas, die eigentlichen vor den Theologen und Doktor gehören, ich verstehe davon nichts. — Ich wollte vorher, Meister Albrecht, eine andre Frage an Euch thun. — P 2 Es hat mir immer sehr an Euren Bildern gefallen, daß Ihr manchmal die neuern Trachten auch in alten Geschichten abkopirt, oder daß Ihr Euch ganze neue wunderliche Kleidungen ersinnt. Ich habe es ebenfalls nachgeahmt, weil es mir sehr artlich dünkte. Albrecht antwortete: Ich habe derglei¬ chen immer mit überlegtem Vorsatze gethan, weil mir dieser Weg kürzer und besser schien, als die antikischen Trachten eines jeden Lan¬ des und eines jeden Zeitalters zu studiren. Ich will ja den, der meine Bilder ansieht, nicht mit längstvergessenen Kleidungsstücken bekannt machen, sondern er soll die darge¬ stellte Geschichte empfinden; die Bekleidung ist gleichsam nur ein nothwendiges Übel. Ich rücke also die biblische oder heidnische Geschichte manchmal meinen Zuschauern da¬ durch recht dicht vor die Augen, daß ich die Figuren in den Gewändern auftreten lasse¬ in denen sie sich selber wahrnehmen. Da¬ durch verliert ein Gegenstand das Fremde, besonders da unsre Tracht, wenn man sie gehörig auswählt, auch mahlerisch ist. Und denken wir denn wohl an die alte Klei¬ dungsart, wenn wir eine Geschichte lesen, die uns rührt und entzückt? Würden wir es nicht gerne sehen, wenn Christus unter uns wandelte, ganz wie wir selber sind? Man darf also die Menschen nur nicht an das sogenannte Kostum erinnern, so verges¬ sen sie es gerne. Die Darstellung der alten Gewänder wird überdies in unsern Gemähl¬ den leicht todt und fremd, denn der Künst¬ ler mag sich gebehrden wie er will, die Tracht setzt ihn in Verlegenheit, er sieht Niemand so gehen, er ist nicht in der ܬ bung diese Falten und Massen zu werfen, sein Auge kann nicht mitarbeiten, die Ima¬ gination muß alles thun, die sich dabei doch nicht sonderlich interessirt. Ein Modell auf dem man die Gewänder ausspannt, wird nimmermehr das thun, was dem Künstler die Wirklichkeit leistet. Ausserdem scheint es mir gut, wie ich auch immer gesucht habe, die Tracht der Menschen physiognomisch zu brauchen, so daß sie den Ausdruck und die Bedeutung der Figuren erhöht. Daher ma¬ che ich oft aus meiner Einbildung Gewand und Kleidung, die vielleicht niemals getra¬ gen sind. Ich muß gestehen, ich setze gern einem wilden bösen Kerl eine Mütze von seltsamer Form auf's Haupt, und gebe ihm sonst im Aussern noch ein Abzeichen; denn unser höchster Zweck ist ja doch, daß die Fi¬ guren mit Hand und Fuß und dem ganzen Körper sprechen sollen. Ich bin darinn völlig Eurer Meinung, sagte Lukas Ihr werdet gefunden haben, daß ich diese Sitte auch von Euch ange¬ nommen habe; nur habt Ihr vielleicht mehr als ich darüber nachgedacht. Auch in manchen Sachen die ich von Raphael Sanzius ge¬ sehn habe, habe ich etwas Ähnliches be¬ merkt. Wozu, rief Albrecht aus, die gelehr¬ te Umständlichkeit, das genaue Studium jener alten vergessenen Tracht, die doch immer nur Nebensache bleiben kann und muß? Wahrlich, ich habe einen zu großen Respekt vor der Mahlerey selbst, um auf derley Erkundigungen großen Fleiß und viel Zeit zu verwenden, vollends, da wir es doch nie recht akkurat erreichen mögen. Trinkt, trinkt, sagte Lukas, indem er die leeren Gläser wieder füllte, und sagt mir dann wie's kömmt, daß Ihr Euch mit so gar mancherlei Dingen abgebt, von de¬ nen man glauben sollte, daß manche Eures hohen Sinnes unwürdig sind. Warum wendet Ihr so viele Mühseeligkeiten, Geschich¬ ten fein und zierlich in Holz zu schneiden, und dergleichen? Ich weiß es selbst nicht recht, wie's zu¬ geht, antwortete ihm Albrecht. Seht, Freund Lukas, der Mensch ist ein wunderliches We¬ sen; wenn ich darüber zuweilen gedacht ha¬ be, so ist mir immer zu Sinne gewesen, als wenn der wunderbarliche Menschengeist aus dem Menschen herausstrebte, und sich auf tausend mannichfaltigen Wegen offenbaren wollte. Da sucht er nun herum, und trift beim Dichter nur die Sprache, beim Spiel¬ mann eine Anzahl Instrumente mit ihren Saiten, und beim Künstler die fünf Finger und Farben an. Er probiert nun wie es gelingt, wenn er mit diesen unbeholfenen Werkzeugen zu handthieren anfängt, und keinmal ist es ihm recht, und doch hat er immer wieder nichts Besseres. Mir hat der Himmel ein gelassenes Blut geschenkt, und darum werde ich niemals ungeduldig. Ich fange immer wieder etwas Neues an, und kehre immer wieder zum Alten zurück. Wenn ich etwas Großes mahle, so befällt mich ge¬ wöhnlich nachher das Gelüst, etwas recht Kleines und Zierliches in Holz zu schnitzeln, und ich kann nachher Tagelang sitzen, um die kleine Arbeit aus der Stelle zu fördern. Eben so geht es mir mit meinen Kupfersti¬ chen. Je mehr Mühe ich darauf verwende, je lieber sind sie mir. Dann suche ich wie¬ der freyer und schneller zu arbeiten, und so wechsele ich in allerhand Manieren ab, und jede bleibt mir etwas Neues. Die Liebe zum Fleiß und zur Mühseligkeit scheint mir überdies etwas zu seyn, was uns Deutschen angebohren ist; es ist gleichsam unser Element, in dem wir uns immer wohl¬ befinden. Alle Kunstwerke die Nürnberg aufzuweisen hat, tragen die Spuren an sich, daß sie der Meister mit sonderbarer Liebe zu Ende führte, daß er keinen Nebenzweig vernachläßigte, und gering schätzte; und ich mag dasselbe wohl von dem übrigen Deutschlande und auch von den Niederlan¬ den sagen. Aber warum, sagte Lukas, habt Ihr nun Eurem Schüler Sternbald da nicht abgerathen nach Italien zu gehn, da er doch gewiß bei Euch seine Kunst so hoch bringen kann als es ihm nur möglich ist? Franz war begierig was Dürer antwor¬ ten würde. Dieser sagte: eben weil ich an dem zweiflle was Ihr da behauptet, Meister Lukas. Ich weiß es wohl, daß ich in mei¬ ner Wissenschaft nicht der Letzte bin; aber es würde thöricht seyn, wenn ich dafür hal¬ ten wollte, daß ich alles geleistet und ent¬ deckt hätte, was man in der Kunst vollbrin¬ gen kann. Glaubt Ihr nicht, daß es den künftigen Zeiten möglich seyn wird Sachen darzustellen, und Geschichten und Empfin¬ dungen auszudrücken, auf eine Art von der wir jetzt nicht einmahl eine Vorstellung ha¬ ben? Lukas schüttelte zweifelhaft mit dem Kopfe. Ich bin sogar davon überzeugt, fuhr Albrecht fort, denn jeder Mensch leistet doch nur das was er vermag; eben so ist es auch mit dem ganzen Zeitalter. Erinnert Euch nur dessen, was wir vorher über die Erfin¬ dung gesprochen haben. Dem alten Wohl¬ gemuth würde das Ketzerei geschienen ha¬ ben was ich jetzt mahle so würde Euer Lehrer Engelbrecht schwerlich wohl auf die Erfindungen und die Manieren verfallen seyn, die Euch so geläufig sind. Warum sollen unsre Schüler nun uns nicht wieder übertreffen? Was hätten wir aber dann mit unsere Arbeit gewonnen? rief Lukas aus. Daß sie ihre Zeit ausfüllt, sagte Dürer gelassen, und daß wir sie gemacht haben. Weiter wird es niemals einer bringen. Je¬ des gute Bild steht da an seinem eigenen Platze, und kann eigentlich nicht entbehrt werden, wenn auch viele andre in andern Rücksichten besser sind, wenn sie auch Sa¬ chen ausdrücken, die man auf jenem Bilde nicht antrifft. Ich habe mich immer darinn gefunden, daß vielleicht mancher zukünftige Mahler von meinen Gemählden verächtlich sprechen mag, daß man meinen Fleiß, und und wohl auch mein Gutes daran verkennt. Viele machen es schon jetzt mit denen Mei¬ stern nicht besser, die vor uns gewesen sind, sie sprechen von ihren Fehlern die jedem in die Augen fallen, und sehn ihr Gutes nicht, ja es ist ihnen unmöglich das Gute daran zu sehn. Aber auch dieses Schlimme rührt bloß vom bessern Zustande unsrer Kunst her, und darum müssen wir uns darüber nicht erzürnen. Und also sehe ich es im Gegen¬ theil gerne, daß mein lieber Franz Stern¬ bald Italien besucht, und alle seine denk¬ würdigen Kunstsachen recht genau betrach¬ tet, eben weil ich viel Anlage zur Mahle¬ rei bei ihm bemerkt habe. Aus wem ein guter Mahler werden soll, der wird es ge¬ wiß, er mag in Deutschland bleiben oder nicht. Aber ich glaube, daß es Kunstgeister giebt, denen der Anblick des Mannichfaltigen ungemein zu Statten kömmt, in denen im¬ mer neue Bildungen entstehn, wenn sie das Neue sehn, die eben dadurch vielleicht ganz andre Wege auffinden, die wir noch nicht betreten haben, und ich glaube fast, daß Sternbald zu diesen gehört. Laßt ihn also immer reisen, denn so viel älter ich bin, wirkt doch jede Veränderung, jede Neuheit noch immer auf mich. Glaubt nur, daß ich selbst auf dieser Reise zu Euch noch viel für meine Kunst gelernt habe. Wenn Franz auch eine Zeitlang in Verwirrung lebt, und durch sein Lernen in der eigentlichen Arbeit gestört wird, und ich glaube wohl, daß sein sanftes Gemüth dem ausgesetzt ist; so wird er doch gewiß dergleichen überleben, und nachher aus diesem Zeitpunkte einen de. sto größern Nutzen ziehn. — Ich bin über das Dorf gereiset, mein lieber Franz, in dem Du Dich aufgehalten hast, und ich muß Dir sagen, daß ich eine rechte Freude empfunden habe. Du hast in der Kirche dort ein Blatt aufgestellt, wozu ich Dir wirklich nicht die Kräfte zugetrauet hatte, und mich dünkt, es beweiset eben, daß Du einen neuen Weg einschlagen wirst. Ich kann Euch, Meister Lukas, das Gemählde unmöglich beschreiben; es ist die Verkündi¬ gung des Heilandes, die den Hirten auf dem Felde geschieht. Franz hat darin zwei wunderbaren Erleuchtungen angebracht, die das Bild sehr rührend machen, und worauf ich noch niemals gefallen bin. Alles ist zier¬ lich und lieblich, und verdrängt doch die Sache nicht, die dargestellt werden sollte. Ich habe mich an dem Bilde recht ergötzt, und ich kann sagen, daß ich in der That etwas davon gelernt habe. Nur war der Hirt, der der untergegangenen Sonne nach¬ sieht, falsch gezeichnet, er ist zu klein gegen die Figuren die hinter ihm sind. Aber das Bild erweckt heilige und andächtige Empfin¬ dungen, und ich habe mich recht glücklich geschätzt, daß Franz mein Schüler ist. So große Worte waren über den armen Franz noch niemals ausgesprochen, und es schien ihm auch als wenn er sie gar nicht verdiente, darum wurde er schamroth; aber innerlich war er so erfreut, so überglücklich, daß sich gleichsam alle geistigen Kräfte in ihm auf einmahl bewegten, und nach Thä¬ tigkeit riefen. Er empfand die Fülle in sei¬ nem Busen, und ward von den mannichfal¬ tigsten Gedanken übermeistert. Lukas, nachdem er eine Weile geschwie¬ gen hatte, brach eine neue Weinflasche an, und ging selber mit lustigen Gebehrden um den Tisch herum, um allen einzuschenken. Fröhlich rief er aus: laßt uns munter seyn, so lange dies irrdische Leben dauert, wir wissen ja so nicht wie lange es währt! Albrecht trank und lachte. Ihr habt ein leichtes Gemüth, Meister, sagte er scher¬ zend, Euch wird der Gram niemals etwas anhaben können. Wahrlich nicht! sagte Lukas, so lange ich meine Gesundheit und mein Leben fühle, will will guter Dinge seyn, mag es hernach wer¬ den wie es will. Mein Weib, Essen und Trinken, und meine Arbeit, seht, das sind die Dinge die mich beständig vergnügen werden, und nach etwas Höherem strebe ich gar nicht. Doch, sagte Meister Albrecht ernsthaft, die geläuterte wahre Religion, der Glaube an Gott und Seligkeit. Davon spreche ich bei Tische niemals, sagte Lukas. — Aber so seid Ihr ein größerer Ketzer als ich. — Mag seyn, rief Lukas, aber laßt die Dinge fahren, von denen wir ohne hin so wenig wissen können. Oft mag ich gern arbeiten, wenn ich so recht fröhlich gewesen bin. Wenn der Wein noch in den Adern und im Kopfe lebendig ist, so gelingt der Hand oft ein kühner Zug, eine wilde Gebehrde weit besser, als in der nüchternen Überlegung. Ihr erlaubt mir wohl, daß ich nach Tische eine kleine Zeichnung entwerfe, Q die ich schon seit lange habe ausarbeiten wol¬ len; nehmlich den Saul, wie er seinen Spieß nach David wirft. Mich dünkt, ich sehe den wilden Menschen jezt ganz deutlich vor mir, den erschrocknen und doch muthigen David, die Umstehenden und alles. Wenn Ihr wollt, sagte Dürer, so mögt Ihr jetzt gleich an die Arbeit gehn, da Ihr den kühnen Entschluß einmahl gefaßt habt. Mir vergönnt im Gegentheil einen kleinen Schlaf, denn ich bin noch müde von der Reise. Jezt ward der Tisch aufgehoben. Lukas führte den Albert zu einem Ruhebette; die beiden Frauen gingen in ein anderes Zim¬ mer, um sich nun in Ruhe allerhand zu er¬ zählen, er selbst begab sich nach seiner Werkstätte. Franz eilte mit Sebastians Briefe hinunter in einen kleinen Garten, der dem Meister Lukas zugehörte. Alle Gesträuche und Gewächse standen hier in der schönsten Ordnung; einige hatte der Herbst schon entblättert, andre waren noch frisch grün, als wären sie eben aufgebro¬ chen. Die Gänge waren sehr reinlich gehal¬ ten, die späten Herbstblumen standen im schönsten Flore. Franzens Gemüth war völ¬ lig erheitert, er fühlte eine holdselige Ge¬ genwart um sich scherzen, und die Zukunft sah ihn mit freundlichen Gebehrden an. Er öffnete den Brief und las: Trauter Bruder . W ie weh thut es mir, daß ich unsern Dü¬ rer nicht habe begleiten können, um Dich in den Niederlanden vielleicht noch anzutreffen. Meine Krankheit ist nicht gefährlich, aber doch hält sie mich von dieser Reise ab. Meine Sehnsucht nach Dir wird auf mei¬ nem einsamen Lager in jeder Stunde leben¬ Q 2 diger; ich weiß nicht, ob Du an mich mit denselben Empfindungen denkst. Wann die Blumen des Frühlings wiederkommen, bist Du noch weiter von mir entfernt, und da¬ bei weiß ich nicht einmahl zuverlässig, ob ich Dich auch wiedersehe. Wie mühevoll und wie leer ist unser menschliches Leben! ich lese jetzt Deine Briefe zu wiederholten mah¬ len, und mich dünkt, als wenn ich sie nun besser verstände; wenigstens bin ich jetzt noch mehr Deiner Meinung. Ich kann nicht mahlen, und darum lese ich auch wohl jetzt in Büchern fleißiger als ich sonst that, und ich lerne manches Neue, und Manches das ich schon wußte, erscheint mir wieder neu. Übel ist es, daß es dem Menschen oft so schwer ankömmt, selbst das Einfältigste recht ordentlich zu verstehn, wie es gemeint seyn muß, denn seine jedesmahlige Lebens¬ art, seine augenblicklichen Gedanken hindern ihn daran; wo er diese nicht wiederfindet, da dünkt ihm nichts recht zu seyn. Ich mögte Dich jetzt mündlich sprechen, um recht viel von Dir zu hören, um Dir recht viel zu sagen; denn je länger Du fort bist, je mehr empfinde ich Deine Abwesen¬ heit, und daß ich mit Niemand, selbst mit Dürer nicht das reden kann, was ich mit Dir gern sprechen möchte. Die Helden des Römischen Alterthums wandeln jetzt mit ihrer Größe durch mein Gemüth; so wie ich genese, will ich den Versuch anstellen, aus ihren Geschichten et¬ was zu mahlen. Ich kann es Dir nicht be¬ schreiben, wie sich seit einiger Zeit das Hel¬ denalter so lebendig vor mir regt; bis dahin sah ich die Geschichte als eine Sache an, die nur unsre Neugier angehe, aber es hat sich mir darinn eine ganz andre Welt ent¬ wickelt. Vorzüglich gern möchte ich aus Cä¬ sars Geschichte etwas bilden, man nennt diesen Mann so oft, und nie mit der Ehr¬ furcht die er verdient. Wenn er auf dem Nachen ausruft: Du trägst den Cäsar und sein Glück! oder sinnend am Rubikon steht, und nun noch einmahl kurz sein Vorhaben erwägt, wenn er denn fortschreitet, und die bedeutenden Worte sagt: der Würfel ist geworfen ! dann bewegt sich mein ganzes Herz vor Entzücken, alle meine Gedanken versammeln sich um dem einen großen Mann, und ich möchte ihn auf alle Weise verherrlichen. Am liebsten sehe ich ihn vor mir, wenn er durch die kleine Stadt in den Alpen zieht, sein Gesellschafter ihn fragt: ob denn hier auch wohl Neid und Verfol¬ gung und Plane zu Hause wären, und er mit seiner höchsten Größe die tiefsinnigen Worte sagt: Glaube mir, ich möchte lieber hier der Erste , als in Rom der Zweyte seyn. Dies ist nicht bloßer Ehrgeiz, oder wenn man es so nennen will, so ist es das Erha¬ benste, wozu sich der Mensch empor schwin¬ gen kann. Denn freilich, war Rom, das damals die ganze Welt beherrschte, im Grunde etwas anders, als jene kleine un¬ bedeutende Stadt? Der höchste Ruhm, die größte Verehrung des Helden, auch wenn ihm der ganze Erdkreis huldigt, was ist es denn nun mehr? Wird er niemals wieder vergessen? ist vor ihm nicht etwas Ähnliches da gewesen? Es liegt eine große Seele in Cäsars Worten, die hier so kühn das an¬ scheinend Höchste, mit dem scheinbar Nie¬ drigsten zusammenstellt. Es ist ein solcher Ehrgeiz, der diesen Ehrgeiz wieder als et¬ was Gemeines und Verächtliches empfindet, der sein großes Leben das er führt, nicht höher anschlägt, als daß des unbedeuten¬ den Bürgers, der das ganze Leben gleichsam nur so mitmacht, weil es eine herge¬ brachte Gewohnheit ist, und der nun in der Fülle seiner Herrlichkeit, gleichsam als Zu¬ gabe, als einen angeworfenen Zierath, seinen Ruhm, seine glorwürdigen Thaten, sein erhabe¬ nes Streben hineinlegt. Wo die Wünsche der übrigen Menschen über ihre eigne Kühnheit erstaunen, da sieht er noch Alltäglichkeit und Beschränktheit; wo andre sich vor Wonne und Entzücken nicht mehr fassen können, ist er kaltblütig, und nimmt mit zurückhaltender Verachtung an, was sich ihm aufdrängt. Mir fallen diese Gedanken bei, weil viele jezt von den wahrhaft großen Män¬ nern mit engherziger Kleinmüthigkeit spre¬ chen, weil sich diese es einkommen lassen, Riesen und Kolosse auf einer Goldwage ab¬ zuwägen. Eben diese können es auch nicht begreifen, warum ein Sylla in seinem höchsten Glanze das Regiment plötzlich nie¬ derlegt, und wieder Privatmann wird, und so stirbt. Sie können es sich nicht vorstellen, daß der menschliche Geist, der hohe nehmlich, sich endlich an allen Freuden dieser Welt er¬ sättige, und nichts mehr suche, nichts mehr wünsche. Ihnen genügt schon das bloße Da¬ seyn, und jeder Wunsch zerspaltet sich in tausend kleine; sie würden ohne Stolz, in schlechter Eitelkeit Jahrhunderte durchleben und immer weiter träumen, und keinen Le¬ benslauf hinter sich lassen. Jezt ist es mir sehr deutlich, warum Ca¬ to und Brutus gerne starben; ihr Geist hat¬ te den Glanz verlöschen sehn, der sie an dieses Leben fesselte. — Ich lese viel, wie Du mich sonst oft dazu ermahntest, in der heiligen Schrift, und je mehr ich darinn le¬ se, je theurer wird mir alles darinn. Unbe¬ schreiblich hat mich der Prediger Salomo erquickt, der alle diese Gedanken meiner Seele so einfältig und so erhaben ausdrückt; der die Eitelkeit des ganzen menschlichen Treibens durchschaut hat; der alles erlebt hat, und in Allem das Vergängliche, das Nichtige entdeckt, daß nichts unserm Herzen genüget, und daß alles Streben nach Ruhm, nach Größe und Weisheit, Eitelkeit sey; der im¬ mer wieder damit schließt: Darum sage ich, daß nichts besser sey, denn daß ein Mensch fröhlich sey in seiner Arbeit, denn das ist sein Theil. Was hat der Mensch von aller seiner Mühe die er hat unter der Sonnen? Ein Geschlecht vergehet, das andre kömmt, die Erde aber bleibt ewiglich. Die Sonne ge¬ het auf und gehet unter, und läuft an ih¬ ren Ort, daß sie daselbst wieder aufgehe. Der Wind gehet gegen Mittag, und kömmt herum zu Mitternacht, und wieder herum an den Ort da er anfing. Alle Wasser lau¬ fen ins Meer, noch wird das Meer nicht völler; an den Ort wo sie herfließen, flie¬ ßen sie wieder hin. Es ist alles Thun so voll Mühe, daß Niemand ausreden kann. Das Auge siehet sich nimmer satt, und das Ohr höret sich nimmer satt. Was ist's das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist's, das man gethan hat? Eben das man hernach wieder thun wird, und geschicht nichts Neues unter der Son¬ nen. — Und nachher sagt er: Ist's nun nicht besser dem Menschen, essen und trinken, und seine Seele guter Dinge seyn in seiner Arbeit? Wie es dem Guten gehet, so geht's auch dem Sünder. Das ist ein böses Ding, unter allem, das unter der Sonnen geschicht, daß es einem geht wie dem andern, daher auch das Herz des Menschen voll Arges wird, und Thorheit in ihrem Herzen, die¬ weil sie leben, darnach müssen sie sterben. — Denn die Lebendigen wissen daß sie sterben werden, aber die Todten wissen nichts, sie verdienen auch nichts mehr, denn ihr Ge¬ dächtniß ist vergessen; daß man sie nicht mehr liebet, noch hasset, noch neidet, und haben kein Theil mehr auf der Welt, in al¬ lem was unter der Sonnen geschicht. So gehe hin, und iß Dein Brod mit Freuden, trink Deinen Wein mit gutem Muth, denn Dein Werk gefällt Gott. Laß Deine Klei¬ der immer weiß seyn, und Deinem Haupte Salbe nicht mangeln. Brauche des Lebens mit deinem Weibe das du lieb hast, so lange du das eitel Leben hast, das dir Gott unter der Sonnen gegeben hat, so lange dein eitel Leben währet, denn das ist dein Theil im Leben, und in deiner Arbeit, die du thust unter der Sonnen. Alles was dir vorhanden kommt zu thun, das thue frisch, denn in dem Tode, da Du hinfährst, ist weder Werk, Kunst, Vernunft noch Weisheit.« — Liebster Franz, ich habe viel daraus ge¬ lernt, höher bringt es der Mensch gewiß niemals, dies ist die Weisheit. Ich habe einen Nürnberger Hans Sachs kennen gelernt; einen wackern Mann und schönen Dichter, er hat sich auf die Kunst der Meistersänger gelegt, und es weit darinn gebracht, dabei ist er ein gro¬ ßer Freund der Reformation, er hat viel herrlicher Gedichte darüber abgefaßt. Er ist Bürger und Schumacher allhier. Lebe wohl, und gieb mir bald Nachrich¬ ten von Dir; Deine Briefe können mir nie¬ mals zu weitläuftig seyn. — Sebastian . Dieser Brief setzte Franzen in ein tiefes Nachsinnen, er wollte seinem Gemüthe nicht recht eindringen, und er fühlte fast et¬ was Fremdartiges in der Schreibart, das sich seinem Geiste wiedersetzte. Es quälte ihn, daß alles Neue mit einem zu gewalt¬ samen Eindrucke auf seine Seele fiel, und ihr dadurch die freie Bewegung raubte. So lag ihm wieder die Gesinnung und das Betragen des Meister Lukas in den Gedan¬ ken, manches in Sebastians Briefe schien ihm damit übereinzustimmen, und in solchen Augenblicken des Gefühls kam er sich oft in der Welt ganz einsam vor. Wunderlich seltsam ist das Leben der Jugend, die sich selbst nicht kennt. Sie verlangt, daß die ganze übrige Welt, wie ein einziges Instrument, mit ihren Empfin¬ dungen eines jeden Tages zusammenstimmen soll, sie mißt sich mit der fremdartigsten Natur, und ist nur zu oft unzufrieden, weil sie allenthalben Disharmonie zu hören glaubt. Sich selbst genug, sucht sie doch aussenwärts einen freundlichen Wiederhall der antworten soll, und ängstigt sich, wenn er ausbleibt. Er ging nach einiger Zeit in das Haus zurück. Dürer war schon wieder munter, und beide suchten den Meister Lukas in sei¬ ner Mahlerstube auf. Er saß bei seiner Zeichnung, und war schon ziemlich weit da¬ mit gekommen. Franz verwunderte sich sehr über den kunstreichen Mann, der in so kur¬ zer Zeit so viel hätte arbeiten können, die Zeichnung war beinahe fertig, und mit gro¬ ßem Feuer entworfen. Dürer betrachtete sie und sagte; Ihr scheint Recht zu haben, Mei¬ ster Lukas, daß sich nach einem guten Trun¬ ke besser arbeiten läßt, ob ich es gleich noch nie versucht habe; denn mir steigt der Wein in den Kopf, und verdunkelt mir die Ge¬ danken. Man muß sich nur nicht stöhren lassen, sagte Lukas, wenn einem auch anfangs et¬ was wunderlich dabei wird, sondern dreist fortfahren, so findet man sich bald in die Arbeit hinein, und alsdann geräth sie ge¬ wißlich besser. Die drei Künstler blieben mit den Frauen auch am Abend zusammen, und sie sezten ihre Gespräche fort. Franz war gedrückt von dem Gedanken, daß er morgen abrei¬ se; ob er gleich seinen Dürer ganz unvermu¬ theter Weise gefunden hatte, so sollte er ihn doch jetzt eben so plötzlich zum zweiten¬ mahle verlassen; er sprach wenig mit, auch aus dem Grunde, weil er zu bescheiden war. Es war spät, der Mond war eben auf¬ gegangen als man sich trennte. Franz nahm nahm von Lukas Abschied; dann begleitete er seinen Lehrer mit seiner Hausfrauen nach ihrer Herberge. Hier sagte er auch der Frau Lebewohl. Dürer ging wieder mit ihm zurück, sie durchstrichen einige Straßen, und kamen dann auf einen Spaziergang der Stadt. Der Mond schien schräg durch die Bäu¬ me die beinahe schon ganz entblättert waren; sie standen still, und Franz fiel seinem Meister mit Thränen an die Brust. Was ist Dir? sagte Dürer, indem er ihn in seine Arme schloß. O liebster, liebster Albrecht, schluchzte Franz, ich kann mich nicht dar¬ über zufrieden geben, ich kann es nicht aussprechen, wie sehr ich Euch verehre und liebe. Ich hab' es mir immer gewünscht Euch noch einmahl zu sehn, um es Euch zu sagen, aber nun habe ich doch keine Ge¬ walt dazu. O liebster Meister, glaubt es R mir nur auf mein Wort, glaubt es meinen Thränen. Franz war indem zurückgetreten, und Dü¬ rer gab ihm die Hand, und sagte: ich glau¬ be es Dir: Ach! rief Franz aus, was seid Ihr doch für ein ganz anderer Mann als die übrigen Menschen! das fühle ich immer mehr, ich werde keinen Eures Gleichen wieder antref¬ fen. An Euch hängt mein ganzes Herz, und wie ich Euch vertraue, werde ich keinem wieder vertrauen. Dürer lehnte sich nachdenkend an den Stamm eines Baumes, sein Gesicht war ganz beschattet. Franz, sagte er langsam, Du machst, daß mir Deine Abwesenheit im¬ mer trauriger seyn wird, denn auch ich wer¬ de niemals solchen Schüler, solchen Freund wieder antreffen. Denn Du bist mein Freund; der einzige, der mich aus recht voller Seele liebt, der einzige, den ich ganz so wieder lieben kann. Sagt das nicht, Albrecht, sagte Franz, ich vergehe vor Euch. Dürer fuhr fort: Es ist nur die Wahr¬ heit, mein Sohn, denn als solchen liebe ich Dich. Meinst Du, Deine getreue Anhänglich¬ keit von Deiner Kindheit auf habe mein Herz nicht geruht? O Du weißt nicht, wie mir an jenem Abend in Nürnberg war, und wie mir jetzt wieder ist: wie ich damals den Abschied von Dir abkürzte, und es jetzt gern wieder thäte; aber ich kann nicht. Er umarmte ihn freiwillig, und Franz fühlte daß sein theurer Lehrer weinte. Sein Herz wollte brechen. Die übrigen Men¬ schen, sagte Dürer, lieben mich nicht wie Du; es ist zu viel Irrdisches in ihren Ge¬ danken. Ich stelle mich oft wohl äußerlich hart, und thue wie die übrigen; aber mein R 2 Herz weiß nichts davon. Pirkheimer ist ein Patrizier, ein reicher Mann, er ist brav, aber er schätzt mich nur der Kunst wegen, und weil ich fleißig und aufgeräumt bin. Mein Weib kennt mich wenig, und weil ich ihr im Stillen nachgebe, so meint sie, sie mache mir alles recht. Sebastian ist gut, aber sein Herz ist dem meinigen nicht so verwandt als das Deine. Von den übrigen laß mich gar schweigen. Ja wahrlich, Du bist mir der Einzige auf der Erde. Franz sagte begeistert: O was könnte mir für ein größeres Glück begegnen, als daß Ihr die Liebe erkennt, die ich so innig¬ lich zu Euch trage? Sei immer wacker, sagte Dürer, und laß dein frommes Herz allerwege so bleiben, als es jetzt ist. Komm dann nach Deutschland und Nürnberg zurück, wenn es Dir gut däucht; ich wüßte mir keine größere Freude, als künftig immer mit Dir zu leben. Ich bin eine verlassene Waise, ohne El¬ tern, ohne Angehörigen, sagte Franz, Ihr seid mir alles. Ich wünsche, sagte Albrecht, daß Du mich wiederfindest, aber ich glaube es nicht; es ist etwas in meiner Seele, was mir sagt, daß ich es nicht lange mehr treiben werde. Ich bin in manchen Stunden so ernsthaft und so betrübt, daß ich zu sterben wünsche, wenn ich auch nachher oft wieder scherze und lustig scheine. Ich weiß auch recht gut, daß ich zu fleißig bin, und mir dadurch Schaden thue, daß ich die Kraft der Seele abstumpfe, und es gewiß büßen muß; aber es ist nicht zu ändern. Ich brauche Dir liebster Franz, wohl die Ursache nicht zu sa¬ gen. Meine Frau ist gut, aber sie ist zu weltlich gesinnt, sie quält sich ewig mit Sorgen für die Zukunft und mich mit; sie glaubt, daß ich niemals genug arbeiten kann, um nur Geld zu sammeln, und ich arbeite um in Ruhe zu seyn, oft mit unlu¬ stiger Seele; aber die Lust stellt sich wäh¬ rend der Arbeit ein. Meine Frau empfin¬ det nicht die Wahrheit der himmlischen Wor¬ te, die Christus ausgesprochen hat: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was Ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn die Speise? Und der Leib mehr denn die Kleidung? So denn Gott das Gras auf dem Felde kleidet, das doch heu¬ te stehet, und morgen in den Ofen gewor¬ fen wird, sollt er das nicht vielmehr Euch thun? O Ihr Kleingläubigen! Darum sollt Ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Wo¬ mit werden wir uns kleiden? — Nun lebe wohl, mein liebster Freund; ich will zurück, und Du sollst mich nicht begleiten, denn an einer Stelle müssen wir uns ja doch trennen. Franz hielt noch immer seine Hand. Ich sollte Euch nicht wiedersehn? sagte er, wa¬ rum sollte ich dann wohl nach Deutschland zurückkommen? Nein, Ihr müßt leben, noch lange, lange, Euch, mir und dem Vater¬ lande! Wie wir uns trennen müssen, sagte Dü¬ rer, so muß ich doch irgend einmahl sterben, es sey wenn es sey. Je früher, je weniger Lebensmühe; je später, je mehr Sorgen. Aber komm bald zurück wenn Du kannst. Er seegnete hierauf seinen jungen Freund, und betete inbrünstig zum Himmel. Franz sprach in Gedanken seine Worte nach, und war in einer frommen Entzückung; dann umarmten sich beide, und Dürer ging wie ein großer Schatten von ihm weg. Franz sah ihm nach, und der Mondschimmer und die Bäume dämmerten ungewiß um ihn. Plözlich stand der Schatten still, und beweg¬ te sich wieder rückwärts. Dürer stand neben Franz, nahm seine Hand, und sagte: Und wenn Du mir künftig schreibst, so nenne mich in Deinen Briefen Du, und Deinen Freund, denn Du bist mein Schüler nicht mehr. — Mit diesen Worten ging er nun wirklich fort, und Franz verlohr ihn gänz¬ lich aus den Augen. Die Nacht war kalt, die Wächter der Stadt zogen vorüber und sangen, die Klocken schlugen feierlich. Franz irrte nach eine Zeitlang umher, dann begab er sich nach seiner Herberge, aber er konnte nicht schlafen. Drittes Capitel. D er Morgen kam. Franz hatte eine Ge¬ sellschaft gefunden, die auf dem Kanal mit einem Schiffe nach Rotterdam fahren woll¬ te, dort wollten sie ein größers nehmen, um vollends nach Antwerpen zu kommen. Es war helles Wetter, als sie in das Boot stiegen; die Gesellschaft schien bei gu¬ ter Laune. Franz betrachtete sie nach der Reihe, und keiner darunter fiel ihm beson¬ ders auf, außer ein junger Mensch, der ei¬ nige zwanzig Jahre alt zu seyn schien, und ungemein schön im Gesicht und in seinen Gebährden war. Franz fühlte sich immer mehr zu den jüngern als zu den ältern Leuten hingezogen; er sprach mit den leztern un¬ gern, weil er nur selten in ihre Empfindun¬ gen einstimmen konnte. Bei alten Leuten empfand er seine Beschränkung noch quälen¬ der, und er merkte es immer, daß er ihnen zu lebhaft, zu jugendlich war, daß er sich gemeiniglich an Dingen entzückte, die jenen immer fremd geblieben, und daß sie doch zuweilen mit einem gewissen Mitleiden, mit einer tyrannisirenden Duldung auf ihn hin¬ abblickten, als wenn er endlich allen diesen Gefühlen und Stürmen vorüberschiffen mü߬ te, um in ihr ruhiges kaltes Land fe s t en Fuß zu fassen. Vollends demüthigte es ihn oft, wenn sie dieselben Gegenstände liebten, die er verehrte; Lob und Tadel, Anpreisung und Nachsicht aber mit so scheinbarer Ge¬ rechtigkeit austheilten, daß von ihrer Liebe fast gar nichts übrig blieb. Er dagegen war gewohnt aus vollem Herzen zu zahlen, seine Liebe nicht zu messen und einzuschrän¬ ken, sondern es zu dulden, daß sie sich in vollen Strömen durch das gelobte Land der Kunst, sein Land der Verheißung, ergoß; je mehr er liebte, je wohler ward ihm. — Er konnte sein Auge von dem Jünglinge gar nicht zurückziehn, die lustigen hellen braunen Augen und das gelockte Haar, eine freie Stirn und dazu eine bunte, fremdartige Tracht machten ihn zum Gegenstande von Franzens Neugier. Das Schiff fuhr fort, und man sah links weit in das ebene Land hinein. Die Gesell¬ schaft schien nachdenkend oder vielleicht mü¬ de, weil sie alle früh aufgestanden waren: nur der Jüngling schaute unbefangen mit seinen großen Augen umher. Ein ältlicher Mann zog ein Buch hervor, und fing an zu lesen; doch es währte nicht lange so schlummerte er. Die übrigen schienen ein Gespräch zu wünschen. Der Herr Vansen schläft, sagte der eine zu seinem Nachbar, das Lesen ist ihm nicht bekommen. Er schläft nicht so, Nachbar, daß er Euch nicht hören sollte, sagte Vansen , indem er sich ermunterte. Ihr solltet nur etwas erzählen, oder ein Iustiges Lied singen. Ich bin heiser, sagte jener, Ihr wiß't es selber; auch hab' ich eigentlich seit Jahr und Tag das Singen schon aufgegeben. Der fremde Jüngling sagte: Ich will mich wohl erbieten ein Lied zu singen, wenn ich nur wüßte, daß die Herren es mit der Poesie nicht so gar genau nehmen wollten. Sie versicherten ihn alle, daß es nicht geschehn würde, und jener fuhr fort. Es ist auch nur, daß man sich das bischen Freude verbittert; alle Lieder die ich gern singe, müssen sich hübsch gerade zu und ohne Umschweife ausdrücken, auf eine andre Art gefallen sie mir nicht. Ich will also mit Eurer Erlaubniß anfangen. Über Reisen kein Vergnügen, Wenn Gesundheit mit uns geht, Hinter uns die Städte liegen, Berg und Waldung vor mir steht. Jenseit, jenseit, ist der Himmel heiter, Treibt mich rege Sehnsucht weiter. Schau Dich um, und laß die trüben Blicke. Sieh, da liegt die große weite Welt, In der Stadt blieb alles Gaun zurücke, Das den Sinn gefangen hält. Endlich wieder Himmel, grüne Flur, Groß und lieblich die Natur Auch ein Mädchen muß Dich nimmer quälen, Kömmst ja doch zu Menschen wieder hin. Nirgend wird es Dir an Liebe fehlen, Ist dier Lieben ein Gewinn: Darum laß die trüben Blicke, Allenthalben blüht Dein Glücke. Immer munter, Freunde, munter, Denn mein Mädchen wartet schon, Treibt den Fluß nur rasch hinunter, Denn mich dünkt‚ mich lockt ihr Ton. Günstig sind uns alle Winde, Stürme schweigen, Lüfte säuseln linde‚ Siehst Du die Sonne nicht‚ Glänzen im Bach? Wo Du bist, spielt das Licht Freundlich Dir nach. Durch den Wald Funkelschein, Sieht in den Quell; Kuckt in die Fluth hinein, Macht tausend Ströme hell. So auch der Liebe Licht, Wandelt mit Dir; Löschet wohl nimmer nicht, Ist dorten bald, bald, hier. Liebst Du die Morgenpracht, Wenn nach der schwarzen Nacht Auf diamantner Bahn, Die Sonne ihren Weg begann? Wenn alle Vögel jubeln laut‚ Begrüßen fröhlich des Tages Braut; Wenn Wolken sich zu Füßen schmiegen, In Brand und goldnem Feuer fliegen? Auch wenn die Sonne nun den Wagen lenkt, Und hinter ihr das Morgenroth erbleicht, O Freund, wie eilig Tag und Mittag weicht, Das sich zum Meer die Göttinn senkt! Und dann funkeln neue Schimmer Über See und über Land, Erd' und Himmel, in dem Flimmer Sich zu einem Glanz verband. Prächtig mit Rubinen und Sapphiren, Siehst Du dann den Abendhimmel prangen, Goldenes Geschmeide um ihn hangen, Edelsteine Hals und Nacken zieren, Und in holder Gluth die schönen Wangen. Drängt sich nicht mit leisem Licht der Chor Aller Sterne, ihn zu sehen, vor? Jubeln nicht die Lerchen ihre Lieder, Tönt nicht Fels und Meer Gesänge wieder? — Also wenn die erste Liebe Dir entschwunden, Mußt Du weibisch nicht verzagen, Sondern dreist Dein Glücke wagen, Bald hast Du die zweite aufgefunden; Und kannst Du im Rausche dann noch klagen: Nie empfand ich, was ich vor empfunden? Nie vergißt der Frühling wiederzukommen, Wenn Störche ziehn, wenn Schwalben auf der Wie¬ se sind. Kaum ist dem Winter die Herrschaft genommen, So erwacht und lächelt das goldne Kind. Dann sucht er sein Spielzeug wieder zusammen, Das der alte Winter zusammengestört, Er putzt den Wald mit grünen Flammen, Der Nachtigall er die Lieder lehrt. Er rührt den Obstbaum mit röthlicher Hand, Er klettert hinauf die Aprikosenwand, Wie Schnee die Blüthe sich unter die Blätter dringt, Er schüttelt froh das Köpfchen, daß ihm die Arbeit gt. Dann Dann geht er, und schläft im waldgen Grund Und haucht den Athem aus, den süßen, Um seinen zarten rothen Mund Im Grase Viol' und Erdbeer sprießen: Wie röthlich und bläulich lacht Das Thal, wann er erwacht. In den verschlossnen Garten Steigt er über's Gitter in Eil, Mag auf den Schlüssel nicht warten, Ihm ist keine Wand zu steil. Er ränmt den Schnee aus dem Wege, Er schneidet das Buxbaum-Gehege, Und feiert auch am Abend nicht, Er schaufelt und arbeitet im Mondenlicht. Dann ruft er: wo säumen die Spielkameraden Daß sie so lange in der Erde bleiben? Ich habe sie alle eingeladen, Mit ihnen die fröhliche Zeit zu vertreiben. S Die Lilie kömmt, und reicht ihm die weißen Fingern, Die Tulpe steht mit dickem Kopfputz da, Die Rose tritt bescheiden nah, Aurikelchen und alle Blumen, vornehm und geringer. Der bunte Teppich ist nun gestickt, Die Liebe tritt aus Jasminlauben hervor. Da danken die Menschen, Da jauchzet der Vögel ganzes Chor, Denn alle fühlen sich beglückt. Dann küßt der Frühling die zarten Blumen¬ wangen, Und scheidet und sagt: ich muß nun gehn. Da sterben sie alle an süßem Verlangen, Daß sie mit welken Häuptern stehn. Der Frühling spricht: vollendet ist mein Thun, Ich habe schon die Schwalben herbestellt, Sie tragen mich in eine andre Welt, Ich will in Indiens duftenden Gefilden ruhn. Ich bin zu klein, das Obst zu pflücken, Den Stock der schweren Traube zu entkleiden, Mit der Sense das goldne Korn zu schneiden, Dazu will ich den Herbst Euch schicken. Ich liebe das Spielen, bin nur ein Kind Und nicht zur ernsten Arbeit gesinnt; Doch wenn Ihr des Winters überdrüßig seid, Dann komm ich zurück zu Eurer Freud. Die Blumen, die Vögel nehm ich mit mir, Wenn Ihr erndtet und keltert, was sollen sie hier? Ade, ade, die Liebe ist da, Drum ist Euch der Frühling ewiglich nah. Ihr habt das Lied sehr schön gesungen, sagte Vansen, aber es ist wahr, daß man es mit dem Texte nicht so genau nehmen muß, denn das Letzte hängt gar nicht mit dem Ersten zusamnen. Ihr habt sehr Recht, sagte der Fremde; indessen Ihr kennt das Sprichwort: Ein Schelm giebts besser als er es hat. S 2 Ich habe einen guten und schönen Zu¬ sammenhang darinn gefunden, sagte Franz. Der Hauptgedanke darinn ist der fröhliche Anblick der Welt; das Lied will uns von trüben Gedanken und Melancholie abziehn, und so kömmt es von einer Vorstellung auf die andre. Zwar ist nicht der Zusammen¬ hang einer Rede darinn, aber es wandelt gerade so fort, wie sich unsre Gedanken in einer schönen heitern Stunde bilden. Ihr seid wohl selber ein Poet? rief der Fremde aus. Franz ward roth, und sagte dann, daß er ein Mahler sey, der vor jetzt nach Ant¬ werpen, und dann nach Italien zu gehen gesonnen sey. Ein Mahler? schrie Vansen auf, indem er Sternbald genau betrachtete. O so gebt mir Eure Hand! dann müssen wir näher mit einander bekannt werden! Franz war in Verlegenheit, er wußte nicht, was er sagen sollte; der Niederländer fuhr fort: Vor allen andern Künsten in der Welt ergötzt mich immer die Kunst der Mahlerei am meisten, und ich begreife es nicht, wie viele Menschen so kalt dagegen seyn können. Denn was ist Poesie und Musik, die so flüchtig vorüberrauschen, und uns kaum anrühren! Jetzt vernehme ich die Töne, und denn sind sie vergessen — sie wa¬ ren, und sie waren auch nicht; es sind Klänge und Worte, und ich weiß niemals recht, was sie mir sollen. Sie sind wirklich nichts als ein Spielwerk, das ein jeder an¬ ders handhabt. Dagegen verstehn es die edeln Mahlerkünstler, mir Sachen und Per¬ sonen unmittelbar vor die Augen zu stellen, mit ihren freundlichen Farben, mit aller Wirklichkeit und Lebendigkeit, so daß das Auge, der klügste und edelste Sinn des Men¬ schen, gleich im Augenblicke alles auffaßt und versteht. Je öfter ich die Figuren wieder sehe, je bekannter werden sie mir, ja ich kann sagen, daß sie meine Freunde werden, daß sie für mich eben so gut leben und da sind, als die übrigen Menschen. Darum liebe ich die Mahler so ungemein, denn sie sind gleichsam Schöpfer, und können schaf¬ fen und darstellen, was ihnen gelüstet. Von diesem Augenblicke bemühte sich Vansen sehr um Sternbald; dieser nannte Ihm seinen Namen, und ward von jenem sehr dringend gebeten, ihn in Antwerpen in seinem Hause zu besuchen, und etwas für ihn zu mahlen. Auf der fortgesetzten Reise gerieth Franz mit dem unbekannten Jüng¬ linge in ein Gespräch und erfuhr von diesem, daß er sich Rudolph Florestan nenne, daß er aus Italien sey, jetzt Eng¬ land besucht habe, und nach seiner Heimath zurückzukehren denke. Beide Jünglinge be¬ schlossen die Reise zusammen zu machen, denn sie fühlten einen Zug der Freundschaft zu einander, der sie schnell vereinigte. Wir wollen recht vergnügt mit einander seyn, sagte Rudolph; ich bin schon mehr als ein¬ mahl in Deutschland gewesen, und habe lange unter Euren Landsleuten gelebt, ich bin selbst ein halber Deutscher, und liebe Eure Nation. Franz versicherte ihn, daß er sich sehr freue seine Bekanntschaft gemacht zu haben. Er äußerte seine Verwunderung daß Ru¬ dolph noch so jung sey, und doch schon von der Welt so viel gesehn habe. Das muß Euch nicht erstaunen, sagte jener, denn ich bin auch schon einmahl in Spanien gewe¬ sen. Mein unruhiger Geist treibt mich im¬ mer umher, und wenn ich eine Weile still in meiner Heimath gesessen habe, muß ich wieder reisen, wenn ich nicht krank werden will. Wenn ich auf der Reise bin, geschieht es mir wohl, daß ich mich nach meinem Hause sehne, und mir vornehme, nie wie¬ der in der Ferne herumzustreifen; indes¬ sen dauern dergleichen Vorsätze niemals lange, ich darf nur von fremden Ländern hören oder lesen, gleich ist die alte Lust in mir wieder aufgewacht. Ein großer Theil der Gesellschaft kam nun darauf, man solle, um die Zeit der Fahrt zu verkürzen, Geschichten oder Mähr¬ chen erzählen. Alle trauten dem Rudolph zu, daß er am besten im Stande sey, ihr Begehren zu erfüllen; sie ersuchten ihn da¬ her alle darum, auch Franz vereinigte sich mit ihren Bitten. Ich will es gern thun, antwortete Rudolph, allein es geht mir mit meiner Geschichte wie mit meinem Liede, sie wird keinem recht gefallen. Alle behau¬ teten, daß er sie gewiß unterhalten würde, er solle nur getrost anfangen. Rudolph sagte: Ich liebe keine Geschichte, und mag sie gar nicht erzählen, in der nicht von Liebe die Rede ist. Die alten Herren aber kümmern sich um dergleichen Neuigkeiten nicht viel. O doch, sagte Vansen; nur finde ich es in vielen Geschichten der Art unnatürlich, wie die ganze Erzählung vorgetragen wird; gewöhnlich macht man doch zu viel Aufhe¬ bens davon, und das ist, was mir mißfällt. Wenn es aber alles so recht natürlich und wahr fortgeht, kann ich mich sehr daran ergötzen. Das ist es gerade, rief Rudolph aus, was ich sagte; die meisten Menschen wollen al¬ les gar zu natürlich haben, und wissen doch eigentlich nicht, was sie sich darunter vor¬ stellen; sie fühlen den Hang zum Seltsamen und Wunderbaren, aber doch soll das alles wieder alltäglich werden; sie wollen wohl von Liebe und Entzücken reden hören, aber alles soll sich in den Schranken der Billig¬ keit halten. Doch, ich will nur meine Ge¬ schichte anfangen, weil ich sonst selber Schuld daran bin, wenn Ihr gar zu viel erwartet. Die Sonne ging eben auf, als ein jun¬ ger Edelmann, den ich Ferdinand nen¬ nen will, auf dem freien Felde spazierte. Er war damit beschäftigt, die Pracht des Morgens zu betrachten und zu sehn, wie sich nach und nach das Morgenroth und das lichte Gold des Himmels immer brennender zusammendrängten, immer hö¬ herleuchteten. Er verließ gewöhnlich an jedem Morgen sein Schloß, auf dem er unverheirathet lebte, denn seine Eltern waren seit einiger Zeit gestorben. Dann setzte er sich in dem benachbarten Wäld¬ chen nieder, und las einen italiänischen Dichter, die er sehr liebte. Jetzt war die Sonne heraufgestiegen, und er wollte sich eben nach dem einsamen Waldplatze begeben, als er aus der Ferne einen Reuter heransprengen sah. Auf dem Hute und Kleide des Reuters glänzten Gold und Edelgesteine im Schein des Morgens, und als er näher kam, glaubte Ferdinand einen vornehmen Ritter vor sich zu sehn. Der Fremde ritt eiligst vorüber, und ver¬ schwand im Walde; kein Diener folgte ihm. Ferdinand wunderte sich noch über diese Eile, als er zu seinen Füßen im Grase et¬ was Glänzendes sah. Er ging hinzu, und hob das Bild eines Mädchens auf, das mit kostbaren Diamanten eingefaßt war. Er ging damit nach dem Walde zu, indem er es aufmerksam betrachtete; er setzte sich an der gewohnten Stelle nieder, und ver¬ gaß sein Buch herauszuziehn; so sehr war er mit dem Bilde beschäftigt. Was war der Edelmann für ein Lands¬ mann? fragte Vansen. Je nun, ich denke, antwortete Rudolph, er wird wohl ein Deutscher gewesen seyn, ja, und jetzt erinnere ich mich deutlich, er war ein Franke. Nun so seid so gut, und fahrt fort. Er kam nach Hause, und aß nicht. Leo¬ pold, sein vertrautester Freund besuchte ihn, aber er sprach nur wenig mit diesem. War¬ um bist Du so in Gedanken, fragte Leo¬ pold? Mir ist nicht wohl, antwortete jener, und mit dieser Antwort mußte der Freund zufrieden seyn. So verstrichen einige Wochen, und Fer¬ dinand ward mit seinen Worten immer spar¬ samer. Sein Freund ward besorgt, denn er bemerkte, daß Ferdinand alle Gesellschaf¬ ter vermied, daß er fast beständig im Wal¬ de, oder auf der Wiese war, daß er jedem Gespräche aus dem Wege ging. An einem Abende hörte Leopold folgendes Lied singen: Soll ich harren? soll mein Herze Endlich brechen? Soll ich niemals von dem Schmerze Meines Busens sprechen? Warum geh ich in der Irre? Ach was eile Ich nicht schnell aus dem Gewirre? Wozu träge Weile? Irgendwo muß ich sie finden; Such die Ferne, Durch den Wald, durch blühende Linden, Lächeln Dir die Sterne. Leopold hörte aufmerksam dem räthsel¬ haften Liede zu; dann ging er in den Wald hinein, und traf seinen Freund in Thränen. Er ward bei diesem Anblicke erschüttert, und redete ihn so an: Liebster, warum willst Du mich so sehr bekümmern, daß Du mir kein Wort von Deinem Leiden anvertrauest? Ich sehe es täglich, wie Dein Leben sich aufzehrt, und unwissend muß ich mit Dir leiden, ohne daß ich rathen und trösten könnte. Warum nennst Du mich Deinen Freund? Ich bin es nicht, wenn Du mich nicht Deines Vertrauen würdig achtest. Jezt gilt es, daß ich Deine Liebe zu mir auf die Probe stelle, und was fürchtest Du, Dich mir zu entdecken? Wenn Du unglücklich bist, wo findest Du sicherer Trost, als im Busen eines Freundes? Bist Du Dich eines Fehlers bewußt, wer verzeiht Dir williger als die Liebe? Ferdinand sah ihn eine Weile an, dann antwortete er: Keines von beiden, mein lie¬ ber Freund, ist bei mir der Fall; sondern eine wunderseltsame Sache belastet mein Herz so gewaltsam, die ich Dir noch nicht habe anvertrauen wollen, weil ich mich vor Dir schäme. Ich fürchte Deine Vernunft, ich fürchte, daß Du mir das sagst, was ich mir selber täglich und stündlich sage; ich fürchte, daß Du wohl Deinen Freund, aber nicht seine unbegreifliche Thorheit liebst. Ich will mich Dir also anvertrauen. Sieh dies Gemählde, das ich vor einigen Wochen gefunden habe, und das seitdem meinen Sinn so gänzlich umgewandelt hat. Mit ihm habe ich mein höchstes Glück, ja mich selber gefunden, denn ich lebte vorher ohne Seele, ich kannte mich und das Glück der Welt nicht, denn ich wurde ohne alles Glück in der Welt fertig. Seitdem ist mir, als wenn ein unbekanntes Wesen mir aus den Morgenwolken die Hand gereicht, und mich mit süßer Stimme bei meinem Namen ge¬ nannt hätte. Aber zugleich habe ich in die¬ sem Bilde meinen größten Feind gefunden, der mir keine Minute Ruhe läßt, der mich auf jeden Schritt verfolgt, der mir alle übrigen Freuden dieser Erde, als etwas Armseeliges und Verächtliches darstellt. Ich darf mein Auge nicht davon hinweg¬ wenden, so befällt mich eine marternde Sehnsucht, und wenn ich nun darauf blik¬ ke, und diesen süßen Mund, und diese schönen Augen antreffe, so ergreift eine schreckliche Beklemmung mein Herz, so daß ich in unnützen Kämpfen, in Streben und Wünschen vergehe und mein Leben sich ver¬ zehrt, wie Du richtig gesagt hast. Aber es muß sich nun endigen; mit dem kommenden Morgen will ich mich aufmachen und das Land durchziehn, um diejenige wirklich auf¬ zufinden, von der ich bis jetzt nur das Ge¬ mähl¬ mählde besitze. Sie muß irgendwo seyn, sie muß meine Liebe kennen lernen, und ich sterbe dann entweder in öder Einsamkeit, oder sie erwiedert diese Liebe. Leopold stand lange staunend, und be¬ trachtete seinen Freund; endlich rief er aus: Unglücklicher! Wohin hast Du Dich verirrt? An diesen Schmerzen hat sich bisher viel¬ leicht noch keiner der Sterblichen verblutet. Was soll ich Dir sagen? Wie soll ich Dir rathen? Der Wahnsinn hat sich Deiner schon bemeistert, und alle Hülfe kömmt zu spät. Wenn nun das Original dieses Bil¬ des auf der ganzen weiten Erde nicht zu finden ist! und wie leicht kann es bloß die Imagination eines Mahlers seyn, die die¬ ses zierliche Köpfchen hervorgebracht hat! oder sie kann gelebt haben, und ist nun schon gestorben, oder sie ist die Gatinn ei¬ nes andern, und nun schon alt und voll T Runzeln, so daß Du sie gar nicht einmahl wieder kennst. Glaubst Du, daß sich Dir zu Gefallen das Wunder des Pygmalion er¬ neuern wird? Ist es nicht eben so gut, als wenn Du die Helena von Griechenland, oder die ägyptische Cleopatra liebtest? Bedenke Dein eigen Wohl, und laß Dich nicht von einer Leidenschaft unterjochen, die offenbar völlig aberwitzig ist. Hier ist es gerade, wo Dich Deine Vernunft aus dem Labyrinthe erretten muß, und mich wundert, wie Du sie so hast unterdrücken können, daß es so weit mit Dir gekommen ist. Nun, der Mann hat doch wahrlich völ¬ lig Recht, rief Vansen aus, und ich bin neugierig, was der verliebter Schwärmer wohl darauf wird antworten können. Gewiß gar nichts, sagte ein andrer, er wird einsehn, wie gut es sein Freund mit ihm meint, und das wunderliche Abentheuer fahren lassen. Rudolf fuhr fort: Ferdinand schwieg eine Weile still, dann sagte er: Liebster Freund, Deine Worte können mich auf keine Weise beruhigen, und wenn Du mich und mein Herz nur etwas kennst, so wirst Du auch darauf gar nicht ausgehn. Ich gebe Dir Recht, Du hast vollkommen vernünftig ge¬ sprochen; allein was ist mir damit geholfen? Ich kann Dir nichts antworten, ich fühle nur daß ich elend bin, wenn ich nicht gehe und jenes Bild aufsuche, das meine Seele ganz regiert. Denn könnt' ich hier vernünf¬ tig seyn, so würde ich gewiß nicht einen Traum lieben; könnt' ich auf Deinen Rath hören, so würde ich mich nicht in der Nacht schlaflos auf meinem Lager wälzen. Denn wenn ich nun auch wirklich die Helena, oder die ägyptische Cleopatra liebte, mit der hei¬ ßen brennenden Liebe des Herzens; wenn ich nun auch ginge, und sie in der weiten T 2 Welt aufsuchte, so wie ich jetzt ein Bild suche, das vielleicht nirgendwo ist, was könn¬ te mir auch da all' dein Reden nützen? Doch nein, sie lebt, mein Herz sagt es mir, daß sie für mich lebt, und daß sie mich mit stil¬ ler Ahndung erwartet. Und wenn ich sie nun gefunden habe, wenn die Sterne gün¬ stig auf mein Thun herunter scheinen, wenn ich sie in meinen Armen zurückbringe, dann wirst Du mein Glück preisen, und mein jez¬ ziges Beginnen nicht mehr unvernünftig schelten. Sieh so hängt es bloß von Glück und Zufall ab, ob ich vernünftig oder un¬ vernünftig handle, ob die Leute mich schelten oder loben; wie kann also Dein Rath gut seyn, wie könnte ich vernünftig seyn, wenn ich ihm folgte? Wer nie wagt, kann nie gewinnen, wer nie den ersten Schritt thut, kann keine Reise vollbringen, wer das Glück nicht auf die Probe stellt, kann nicht erfahren, ob es ihm günstig ist. Ich will also getrost diesen Weg einschla¬ gen, und sehn, wohin er mich führt. Ich komme entweder vergnügt, oder nicht zu¬ rück. Er nahm hierauf seinen Freund Leopold in die Arme, und drückte ihn herzlich. Laß mich gehen, sagte er, sey nicht traurig, denn Du siehst mich gewiß wieder, ich bleibe ge¬ wiß nicht aus. Vielleicht verändert sich auch unterwegs mein Gemüth, wenn ich die man¬ nigfaltige Welt mit ihren wechselnden Ge¬ stalten erblicke; darum sey nicht betrübt. Wie sich dies Gefühl wunderbarlich meines Herzens bemeistert hat, so kann es mich ja auch plötzlich wieder loslassen. Sie gingen nach Hause, und am folgen¬ den Morgen trat Ferdinand wirklich seine seltsame Wanderschaft an. Leopold sah ihm mit Thränen nach, denn er hielt die Leiden¬ schaft seines Freundes für Wahnsinn, er hätte ihn gern begleitet, aber Ferdinand wollte es durchaus nicht zugeben. Dieser wußte nicht, wohin er seinen Weg richten sollte, er ging daher auf der ersten Straße fort, auf die er traf. Seine Seele war unaufhörlich mit dem geliebten Bilde beschäftigt, in der reizendsten Gestalt sah er es vor sich hinschweben und folgte ihm wie unwillkührlich nach. In den Wäldern saß er oft still und dichtete ein wunderbares Lied auf seine wunderbare Leidenschaft; dann hörte er dem Gesange der Nachtigallen zu, und vertiefte und verlohr sich in sich selber, daß er die Nacht über im Walde bleiben mußte. Zuweilen erwachte er wie aus einem tie¬ fen Schlafe, und überdachte dann seinen Vorsatz mit kälterem Blute, alles was er wollte und wünschte, kam ihm dann wie eine Traumgestalt vor, er bestrebte sich oft‚ sich des Zustandes seiner Seele zu erinnern, ehe er das Bildniß im Grase gefunden hat¬ te, aber es war ihm unmöglich. So wan¬ derte er fort, und verirrte sich endlich von der Straße, indem er in einen dicken Wald gerieth, der gar kein Ende zu haben schien. Er ging weiter, und traf immer noch keinen Ausweg, das Gehölz ward immer dichter, Vögel schrien und lärmten mit selt¬ samen Tönen durch die stille Einsamkeit. Ferdinand dachte jetzt an seinen Freund, ihm schien selber sein Unternehmen wahnsinnig, und er nahm sich vor, am folgenden Tage nach seinem Schlosse zurück zu kehren. Es wurde Nacht, und wie wenn eine Verblen¬ dung plötzlich von ihm genommen wäre, so verschwand seine Leidenschaft, es war wie ein Erwachen aus einem schweren Traume. Er wanderte durch die Nacht weiter, denn der Mond warf seinen Schimmer durch die Zweige hinein, er sah schon seinen Freund vergnügt und versöhnt vor sich stehn, er dachte sich sein künftiges ruhiges Leben. Unter diesen Betrachtungen brach der Mor¬ gen an, die Sonne sandte ihre frühen Strahlen durch das grüne Gebüsch, und neuer Muth und neue Heiterkeit ward in ihm wach. Er betrachtete das Gemählde wieder, und wußte nicht, was er thun soll¬ te. Alle seine Entschlüsse fingen an zu wan¬ ken, jedes andre Leben erschien ihm leer und nüchtern, er wünschte und dachte nur sie. Wohin soll ich mich wenden? rief er aus. O Morgenroth! zeige mir den Weg! ruft mich ihr Lerchen, und zieht auf meiner Bahn voran, damit ich wissen möge, wohin ich den irren Fuß setzen soll. Meine Seele schwankt in Leid und Freude, kein Entschluß kann Wurzel fassen, ich weiß nicht was ich bin, ich weiß nicht was ich suche. Warum kann ich mich nicht an den gewöhnlichen Wünschen begnügen? Indem er so mit sich selber sprach, trat er aus dem Walde heraus, und eine schöne Ebne mit angenehmen Hügeln lag vor ihm. In der Ferne standen Crucifixe und einige kleine Kapellen im Glanz der Morgensonne. Der wunderbare Trieb weiter zu wandeln, und den Innhalt seiner Gedanken aufzusu¬ chen, ergriff den Jüngling mit neuer Ge¬ walt. Er sah in der Entfernung sich eine weiße Gestalt auf der grünen Wiese bewe¬ gen, und als er weiter fortging, unterschied er, daß es eine Pilgerinn sei. Die Gegen¬ wart eines Menschen zog ihn nach der lan¬ gen Einsamkeit an, er verdoppelte seine Schritte. Jetzt war er näher gekommen, als die Pilgerinn vor einem Crucifix am Wege niederknieete, die Hände in die Höhe hob, und andächtig betete. Indem kam ein Reuter vom nächsten Hügel heruntergestürzt; als er näher kam, sah Ferdinand das es derselbe sei, der ihm an jenem Morgen vor¬ übersprengte, als er sein geliebtes Bildniß fand. Der Reuter stieg schnell ab, und nä¬ herte sich der Betenden; als er sie mit einem genauen Blicke betrachtet, ergriff er sie mit einer ungestümen Bewegung. Sie streckte die Hände aus und rief um Hülfe. Zwei Diener kamen mit ihren Pferden, und woll¬ ten sich auf Befehl ihres Herrn der Pilgerinn bemächtigen. Ferdinands Herz ward durch diesen Anblick bewegt, er zog den Degen und stürzte auf die Räuber ein, die sich zur Wehre setzten. Nach einem kurzen Gefech¬ te verwundete er den Reuter; dieser sank nieder, und die erschrockenen Diener nahmen sich seiner sogleich an. Da er in Ohnmacht lag, so trugen sie ihn zu seinem Pferde, das sie hinter sich führten, um so im näch¬ sten Orte Hülfe zu suchen. Die Pilge¬ rinn hatte die Zeit des Kampfs benutzt, und war indessen feldeinwärts geflohen. Ferdinand erblickre sie in einer ziemlichen Entfernung. Er eilte ihr nach, und sagte: Ihr seid gerettet, Pilgerinn, Ihr mögt nun ungehindert Eures Weges fortziehn, die Räuber haben sich davon gemacht. Sie konnte vor Angst noch nicht antworten, sie dankte ihm mit einem scheuen Blicke. Er glaubte sie zu kennen, doch konnte er sich nicht erinnern, sie sonst schon gesehn zu ha¬ ben. Ich bin Euch meinen herzlichsten Dank schuldig, sagte sie endlich, ich wollte nach einem wunderthätigen Bilde der Mutter Gottes wallfahrten, als jener Räuber mich überfiel. O daß er uns nur nicht wieder einholt! Ich will Euch begleiten, sagte Ferdinand, bis Ihr völlig in Sicherheit seid; aber fürch¬ tet nichts, er ist vielleicht todt, wenigstens sehr schwer verwundet. Aber kehrt zur Straße zurück, denn auf diesem Wege gehn wir nur in der Irre. Indem kam ein Gewitter heraufgezogen, und ein Hagelschauer fiel nieder. Die bei¬ den Wandrer retteten sich vor dem Platzre¬ gen in eine kleine Kapelle, die dicht vor ei¬ nem Walde stand. die Pilgerinn war sehr ängstlich, wenn die Donnerschläge in den Bergen wiederhallten, und Ferdinand suchte sie zu beruhigen; sie schien sehr mit ihren Gedanken beschäftigt. Endlich hörte das Gewitter auf, und ein lieblicher Regenbogen stand am Himmel, der Wald war frisch und grün, und alle Blätter fun¬ kelten von Tropfen, die Schwüle des Tages war vorüber, die ganze Natur durchwehte ein kühler Athem, alle Bäume, alle Blu¬ men waren fröhlich. Sie standen beide und sahen in die erfrischte Welt hinaus, und die Pilgerinn lehnte sich an Ferdinands Schulter. Da war es ihm, als wenn sich ihm alle Sinne aufthäten, als wenn auch aus seinem Gemüthe die drückende Schwüle fortzöge, denn er erkannte nun das liebe Gesicht, das ihm so vertraulich nahe war; es war das Original jenes Gemähldes, das er mit so heftiger Sehnsucht gesucht hatte. So freut sich der Durstende, wenn er lange schmachtend in der heißen Wüste umherirrte, und nun den Quell in seiner Nähe rieseln hört; so der verirrte Wandersmann, der nun endlich am späten Abend die Klocken der Heerden vernimmt, das abendliche Ge¬ töse des nahen Dorfes, und dem nun von allen Menschen ein alter Herzensfreund zu¬ erst entgegen tritt. Ferdinand zog das Gemählde hervor, die Pilgerinn erkannte es. Sie erzählte, daß ein junger Ritter aus der Nachbarschaft sie habe mahlen lassen, derselbe, von dem Ferdinand sie heute befreit habe; sie sey el¬ ternlos, und bei armen Bauern auferzogen, aber sie habe sich entschlossen, der Liebe des Ritters zu entfliehen, weil sie ihn nicht lieben könne. So hab' ich, sagte sie, nach dem heiligen wunderthätigen Marienbilde eine Wallfarth thun wollen, und bin dabei unter Euren Schutz gerathen, den ich Euch nie genug verdanken kann. Ferdinand konnte erst vor Entzücken gar nicht sprechen, er traute seiner eignen Über¬ zeugung nicht, daß er den gesuchten Schatz wirklich erbeutet habe; er erzählte der Frem¬ den, die sich Leonore nannte, wie er das Bildniß gefunden, und wie es ihn bewegt habe, wie er endlich den Entschluß gefaßt, sie in weiter Welt aufzusuchen, um zu ster¬ ben, oder sein Gemüth zu beruhigen. Sie hörte ihm geduldig und mit Lächeln zu, und als er geendigt hatte, nahm sie seine Hand, und sagte: Wahrlich, Ritter, ich bin Euch unendlich vielen Dank schuldig, und noch gegen Niemand habe ich die Freundschaft empfunden, die ich zu Euch trage. Aber kommt, und laßt uns irgend eine Herberge suchen, denn der Abend bricht herein. Die untergehende Sonne färbte die Wolken schon mit Gold und Purpur, der Weg führte sie durch den Wald, in welchem ein kühler Abendwind sich in den nassen Blättern bewegte. Ferdinand führte die Pil¬ gerinn, und drückte ihre Hand an sein klopfen¬ des Herz; sie war stumm. Die Nacht näherte sich immer mehr, und noch trafen sie kein Dorf und keine Hütte; dem Mädchen ward bange, der Wald ward dichter, und einzelne Sterne traten schon aus dem blauen Him¬ mel hervor. Da hörten sie plötzlich von ab¬ seits her ein geistliches Lied ertönen, sie gin¬ gen dem Schalle nach, und sahen in einiger Entfernung die Klause eines Einsiedels vor sich, ein kleines Licht brannte in der Zelle und er kniete vor einem Crucifixe nieder, in¬ dem er mit lauter Stimme sang. Sie hör¬ ten eine Weile dem Liede zu, die Nacht war hereingebrochen, die ganze übrige Welt war still; dann gingen sie Hand in Hand näher. Als sie vor der Zelle stand, fragte Ferdinand das Mädchen leise: Liebst Du mich? Sie schlug die Augen nieder, und drückte ihm die Hand; er wagte es und drückte einen Kuß auf ihren schönen Mund; sie wiedersezte sich nicht. Zitternd traten sie zum Eremiten hinein, und baten um ein Nachtlager als verirrte Wanderer. Der al¬ te Einsiedels hieß sie willkommen, und ließ sie niedersitzen, dann trug er ihnen ein klei¬ nes nes Mahl von Milch und Früchten auf, an dem sie sich erquickten. Ferdinand war sich vor Glückseligkeit kaum seiner selbst bewußt, er fühlte sich wie in einer neuen Welt, al¬ les was vor heute geschehen war, gehörte gleichsam gar nicht in seinen Lebenslauf; von diesem entzückende Kusse, der ihm alle Sinnen geraubt hatte, begann ihm ein neues Gestirn, eine neue Sonne emporzuleuchten, alles vorige Licht war nur matte Finsterniß gewesen. Dann wies der Einsiedel Leonoren ein Lager an, und Ferdinand mußte sich ge¬ genüber in eine kleine leere Hütte begeben. Ferdinand konnte in der Nacht nicht schlafen, seine glückliche Zukunft trat vor sein Lager, und erhielt seine Augen wach, er ward nicht müde hinunter zu sehn, und in dem glücklichen Reiche der Liebe auf und ab zu wandeln. Leonorens Stimme schien ihm beständig wiederzutönen, er glaubte sie U nahe, und streckte die Arme nach ihr aus, er rief sie laut und weinte, indem er sich allein sah. Als der Mondschimmer erblaßte, und die Morgenröthe nach und nach am Himmel heraufspielte, da verließ er die Hütte, setzte sich unter einem Baume nieder und sang: Bin ich denn gewiß des Glückes? Ist denn Hand und Lippe mein? Mir der süße Gruß des Blickes? Ach woher du goldner Schein? Trübe hing ein dichter Schleier Über Busch und Wald daher. Sagt: wo ist die Frühlingsfeier? Ist der Wald an Tönen leer? Rührt kein Wind sich in den Zweigen, Treibt die Wolken über's Feld? — Dumpfes, ödes, todtes Schweigen, Die Natur gefangen hält. — Und mir ward im Busen bange, Denn kein Stimmlein sprach mich an, Seufzte tief und harrte lange, Klagte; Sonne, komm heran! Aber dichter ward der Schatten, Wolken hingen tiefer ab, Dunkler schwärzten sich die Matten, Alles Feld ein enges Grab. Durch den Nebel warf ich Blicke Wie man in die Ferne schaut, Alle kamen mir zurücke, Finsterniß war vorgebaut. Da warf ich mich weinend nieder, Wünscht' im Unmuth todt zu sein; Todt sind alle Lerchenlieder, Abgestorben Sonnenschein, — Warum soll denn ich noch leben In der wüsten Dunkelheit, Hier wo Schrecken um mich weben, U 2 Alle Freuden abwärts streben, In mir selber Angst und Leid? — Plötzlich war's, wie wenn an Saiten, Abendwind vorüberschwebt Und in Harfentönen webt, Über Blumen hinzuschreiten, An der fernsten, fernsten Gränze Theilte sich die dunkle Nacht, Und ein Sonnenblick voll Pracht Wand sich durch die Nebelkränze. Als ich kaum zu athmen wagte, Schoß der Strahl, ein goldner Pfeil Schnell in glühendrother Eil Hin zum Orte wo ich klagte. Schreckenfroh sah ich den Schein, Kriegte Muth zu neuem Leben: Sollte das der Frühling sein? Könnt' es doch wohl Freuden geben? Da erglühten schon die Wogen, Funkeln ging auf grüner Flur, Morgenroth sprang kühn in Bogen, Glänzend, taumelnd die Natur. Und die Waldung blieb nicht träge, Alle Vögel sprangen auf, Jubelten durch das Gehäge, Jagten sich im muntern Lauf. — In des Jauchzens Lust verlohren Dacht' ich nicht an Sterben mehr, Fühlte mich nun neugebohren In dem goldnen Freudenmeer. Ach! sie ist mir endlich nahe, Nach der meine Sehnsucht rang, Seit ich ihre Augen sahe Fühl' ich neuen Lebensdrang. Alle Klagen sind verschwunden, Fort der Seufzer banger Schwarm, Um mich tanzen goldne Stunden, Mit der Liebe fest verbunden Ruh' ich in des Glückes Arm. — Er hatte die letzten Worte noch nicht geendigt, als er den Ritter wieder aus dem Dickicht kommen sah, den er gestern auf dem Felde verwundet hatte; zwei Diener folgten ihm. Eben sollte der Kampf von neuem beginnen, als der Eremit aus seiner Klause trat. Er hörte den Verwundeten Bertram nennen, und erkundigte sich nach dem Orte seines Aufenthalts und nach seinen Verwandten. Der Fremde nannte beides, und der Einsiedler fiel ihm weinend um den Hals, indem er ihn seinen Sohn nannte. Er war es wirklich; als sich der Vater aus der Welt zurückzog, übergab er diesen Sohn seinem Bruder, der aber nach einiger Zeit in den Unruhen des Krieges seinen Wohn¬ ort änderte, und so dem Einsiedler näher kam, als er es glaubte. Wenn ich jezt noch Nachrichten von meiner Tochter über¬ käme, rief der Einsiedler aus, so wäre ich unaussprechlich glücklich! Leonore trat aus der Thür, weil sie das Geräusch vernom¬ men hatte. Ferdinand ging auf sie zu, und Bertram stürzte sogleich herbei, als er die Pilgerinn gewahr ward. Der Einsiedler be¬ trachtete sie aufmerksam; dann fragte er, woher sie die Ohrringe habe, die sie trage. Leonore erzählte ihre Geschichte kurz, daß sie von Bauern erzogen sei, und als diese starben, hätten sie andre gutherzige arme Leute zu sich genommen, die aber der Krieg ebenfalls von ihrem Wohnorte vertrieben habe. Du bist meine Tochter! sagte der alte Eremit, ich übergab Dich Bauern, als ich von meinem Wohnsitze durch der Feinde siegreiches Heer vertrieben wurde. O wie glücklich macht mich dieser Tag! Was kann das für ein Krieg gewesen sein? rief Vansen aus. O irgend einer, antwortete Rudolph ha¬ stig, Ihr müßt die Sachen nie so genau nehmen, es ist mir in der Geschichte um einen Krieg zu thun, und da müßt Ihr gar nicht fragen: Wie? Wo? Wann gescha¬ he das? denn solche Erzählungen sind im¬ mer nur aus der Luft gegriffen, und man muß sich für die Geschichte, aber für nichts anders ausser ihr, interessiren. Erlaubt, sagte Franz bescheiden, daß ich Euch widerspreche, denn ich bin hierin ganz anderer Meinung. Wenn mir eine Erzählung, sei sie auch nur ein Märchen, Zeit und Ort bestimmt, so macht sie da¬ durch alles um so lebendiger, die ganze Er¬ de wird dadurch mit befreundeten Geistern bevölkert, und wenn ich nachher den Boden betrete, von dem mir eine liebe Fabel sag¬ te, so ist er dadurch gleichsam eingeweiht, jeder Stein, jeder Baum hat dann eine poe¬ tische Bedeutung für mich. Eben so ist es mit der Zeit. Höre ich von einer Begeben¬ heit, werden Namen aus der Geschichte ge¬ nannt, so fallen mir zugleich jene poetischen Schatten dabei in's Gedächtniß, und ma¬ chen mir den ganzen Zeitraum lieber. Nun das ist alles auch gut, sagte Rudolf, das andre aber auch, wenn man sich weder um Zeit noch um Ort bekümmert. So laßt es also den Hussitenkrieg gewesen sein, der alle diese Verwirrungen in unsrer Familie angerichtet hat. Der Schluß der Geschichte findet sich übrigens von selbst. Alle waren voller Freude, Leonore und Ferdinand waren durch gegenseitige Liebe glücklich, der Ere¬ mit blieb im Walde, so sehr ihm auch alle zuredeten, zur Welt zurück zu kehren. Es vermehrte noch eine Person die Ge¬ sellschaft, und zwar Niemand anders als Leopold , der ausgereiset war, seinen Freund aufzusuchen. Dieser erzählte ihm sein Glück, und stellte ihm Leonoren als seine Braut vor. Leopold freute sich mit ihm, und sagte: Aber liebster Freund, danke dem Himmel, denn du hast bei weitem mehr Glück als Verstand gehabt. — Das begeg¬ net jedem Sterblichen, erwiederte Ferdinand, und wie elend müßte der Mensch sein, wenn es irgend einmal einen geben sollte, der mehr Verstand als Glück hätte? — Hier schwieg Rudolf. Einige von den Herren waren während der Erzählung ein¬ geschlafen; Franz war sehr nachdenkend ge¬ worden. Fast alles was er hörte und sah, bezog er auf sich, und so traf er in dieser Erzählung auch seine eigne Geschichte an. Sonderbar war's, daß ihn der Schluß be¬ ruhigte, daß er dem Glücke vertraute, daß er ihn seine Geliebte und seine Eltern wür¬ de finden lassen. Franz und Rudolf wur¬ den auf der Reise vertrauter mit einander, sie freuten sich darauf, in Gesellschaft nach Italien zu gehn. Rudolf war immer lustig, sein Muth verließ ihn nie, und das war für Franz in vielen Stunden sehr erquicklich, der fast beständig ein Mißtrauen gegen sich selber hatte. Es fügte sich, daß einige Meilen vor Antwerpen das Schiff eine Zeitlang still liegen mußte, ein Boot ward ausgesetzt, und Franz und Rudolf beschlos¬ sen den kleinen Rest der Reise zu Lande zu machen. Es war ein schöner Tag. Die Sonne breitete sich hell über die Ebene aus, Ru¬ dolf war Willens, nach einem Dorfe zu gehn, um ein Mädchen dort zu besuchen, das er vor zwei Jahren hatte kennen ler¬ nen. Du mußt nicht glauben, Franz, sag¬ te er, daß ich meiner Geliebten in Italien untreu bin, oder daß ich sie vergesse, denn das ist unmöglich, aber ich lernte diese Nie¬ derländerinn auf eine wunderliche Weise kennen, wir wurden so schnell mit einander bekannt, so daß mir das Andenken jener Stunden immer theuer sein wird. Dein frohes Gemüth ist eine glückliche Gabe des Himmels, antwortete Franz, Dir bleibt alles neu, und keine Freude veraltet Dir, und Du bist mit der ganzen Welt zu¬ frieden. Warum sollte man es nicht sein! rief Franz aus; ist die Welt denn nicht schön, so wie sie ist? Mir ist das ernsthafte Kla¬ gen zuwider, weil die wenigsten Menschen wissen was sie wollen, oder was sie wün¬ schen. Sie sind blind und wollen sehn, sie sehn, und sie wollen blind sein. Bist Du aber nie traurig oder verdrü߬ lich? O ja, warum das nicht? Es kehren bei jedem Menschen Stunden ein, in denen er nicht weiß, was er mit sich selber anfangen soll, wo er herumgreift, und nach allen sei¬ nen Talenten oder Kenntnissen, oder Narr¬ heiten sucht, um sich zu trösten, und nichts will ihm helfen. Oft ist unser eignes närri¬ sches Herz die Quelle dieser Übel. Aber bei mir dauert ein solcher Zustand nie lange. So könnt' ich mich grämen, wenn ich an Bianka denke, sie kann krank sein, sie kann sterben, sie kann mich vergessen, und dann mache ich mir Vorwürfe darüber, daß ich mich zu dieser Reise drängte, die auch jeder andre hätte unternehmen können. Doch, was hilft alles Sorgen? Er warf sich unter einen Baum, und zog ein kleines Instrument hervor, das die Italiäner Cornetto nennen, und blies dar¬ auf ein sehr lustiges Stückchen. Franz setz¬ te sich zu ihm. Liebst Du nicht auch das Waldhorn ganz vorzüglich? fragte ihn dieser. Ich liebe alle Instrumente, antwortete Rudolf, sie mögen einen Namen haben, welchen sie wollen, denn jegliches hat etwas Eigenthümliches, das allen übrigen wieder abgeht. Es ist mir eine trefliche Freude, so eins nach dem andern zu hören, und den Empfindungen nachzugehn, die sie mir im Herzen erregen. Wenn Du Geduld hast, will ich Dir einige Lieder singen, die ich vor einiger Zeit darüber gemacht habe, und die den Charakter etlicher Instrumente ausdrük¬ ken sollten. Denke Dir zum Beispiel hier dies ebene Land gebirgig, mit vielen ab¬ wechselnden Waldscenen. Du kommst nun einen Hügel herunter, ein einsames Thal liegt vor Dir, und Du hörst nun von ge¬ genüber eine Schalmey spielen. Schalmeyklang. Himmelblau, Hellbegrünte Frühlingsau, Lerchenlieder, Zur Erde nieder. Frisches Blut, Zur Liebe Muth; Beim Gesang Hüpfende Schäfchen auf Bergeshang. Froh und zufrieden Mit mir und der Welt, Was Gott mir beschieden, Mein Liebchen hienieden, Die Sorgen in Dunkel weit von mir ge¬ stellt. Wie fern liegt dies Thal Von der Welt Herrlichkeit, Hier wohnen zumahl Nur Fried und Freud' Ach! Herzeleid, Wie weit Um Größe und Geld das nagende Herzeleid! Nun ist es May, Sie ist mir treu, Und fährt auch Frühling und Sommer hin, Und wenn ich auch nicht mehr Bräutigam bin, So kömmt der Sommer doch balde zurück, Und Ehestand ist noch schöneres Glück. Frisch und froh, Ohne Ach! und O! Vergehen, verwehen die Tage mir so. Das Lied gefällt mir sehr, sagte Franz, denn es führt eine gewisse kindliche Spra¬ che, und mir ist oft beim Klang einer Schallmey dergleichen in den Sinn ge¬ kommen. Du wirst Dich oft, sagte Rudolf, wun¬ dervoll beim Schall eines Posthorns be¬ wegt wegt gefühlt haben. In einer trüben Stun¬ de, als ich selber so reiste, schrieb ich fol¬ gendes nieder. Posthornsschall . Weit weg, weit weg, Von allen Schmerzen weg, Durch die Wälder möcht' ich eilen, Niederwärts, Aufwärts, Klüften vorüber und von den steilen Gebirgen rasseln zu tiefen Gründen, Ruhe zu finden. Pfeifender Wind, Treibe geschwind, Schnell und schneller die Rosse in's Dickicht hinein, Laß, o laß die trüben Stunden, Eilend verschwunden, Rastlos nimmer Stillstand seyn. X Wo soll ich sie suchen? Auf Bergeshöhn? Im Schatten der Buchen? Wo werd' ich sie sehn? Die Stunden verfliegen, Tag wechselt mit Nacht, Die Schmerzen besiegen, Die Freuden erliegen Der stürmenden Macht. Ach! weiter, weiter ohne Stillstand, Hin wo der Strom braust, Wo von steiler moosger Felswand Wind und Woge niedersaust. Wo Walddunkel schattet, Wo Wolken sich jagen, Und Nacht und banges Zagen Mit schwarzen Träumen sich gattet. Thal nieder, bergauf, Echo spricht, und grüßt herüber, Ach! statt dieses Treibens, ende lieber, Ende, ende diesen trüben Lauf. Käm' ich nur zum fremden Orte In ein wundervolles Land Das kein Auge je gekannt, Aber wechselnd Hier mit Dort Weiß ich schon die Einsamkeiten Die sich tückisch mir bereiten. Kenne schon die trüben Leiden; Leiden, Leiden. Nun verliehrt sich der Schall, sagte Ru¬ dolf, in die einsame Luft, er bricht so plötz¬ lich ab, als er entstanden ist, und man hört den unmelodischen Wagen rasseln. Ich dich¬ tete dieses Lied in einer großen Beängsti¬ gung des Gemüths. — Nun denke Dir ei¬ nen schönen dichten Wald, in welchem ein Waldhorn mit seinen tiefen Tönen spricht, wie aus voller, und doch ruhiger Brust die¬ ser Gesang hervorströmt. Waldhornsmelodie. Hörst! wie spricht der Wald Dir zu, Baumgesang, X 2 Wellenklang: »Komm und finde hier die Ruh. Ruhe aus in dem Gedanken, Daß sie Dich ja wieder liebt, Sieh, wie alle Zweige schwanken, Echo Töne wiedergiebt. Spricht's herüber Dir in's Herze? Sei getrost und geh' in's Thal, Weide Dich an Deinem Schmerze, Deinem Glücke allzumahl. Bist und wandelst in der grünen Waldnacht, Von dem Treiben der Welt so weit, weit, Weißt, daß sie mit Sonnenaufgang bald wacht, Denkst, empfindest ihre Holdigkeit. Trarah! so springe muntrer Klang Durch die Berge, durch das grüne Gebüsch; Fühlst doch nach der Größe, nach Ruhm nicht Drang, Schlägt Dir's Herz vor Liebe doch so frisch. Und sie hat Dir ja versprochen, Treu zu seyn bis an den Tod; Hat ihr Wort noch nie gebrochen, Nun, was hast Du dann für Noth? Und auch wieder wird sie kommen Mit dem süßen, holdgen Mund, Gram hat dann ein End genommen, Küssest Dich an ihm gesund. Du hast vielleicht schon, fuhr Rudolf fort, ein schweizerisches Alphorn gehört. Man sagt, daß bei einem gewissen Liede jeder Schweizer in der Fremde, eine unnen¬ bare Sehnsucht nach seiner Heimath empfin¬ de; eine ähnliche Vaterlandsliebe haben auch die Niederländer. Ich habe neulich ein sol¬ ches Schweizerlied verfertigt. Alphornlied. Wo bist Du treuer Schweizer hingerathen? Vergissest Du Dein Vaterland? Dein liebes Vaterland! Die wohlbekannten Berge? die frischen grünenden Thale? Wandelst unter Fremden? Wer grüßt Dich hier mit vaterländschem Gruß? Darfst Du umherschaun? Wo sind die Schneegipfel? Wo klingt das lustge Horn? Wo findest Du den Landsmann? Herüber sehnt sich doch Dein Sinn, Wo der biedre Gruß auf Dich wartet, Wo die Alpe steht, Die Sennenhütte, Der weite blaue See, Die hohen freien Gebirge. Komm edler Sprößling Te l l s, Freigeborner, In die stillen Thäler wieder herab, Zum einfachen Mahl, Das Vaterlandsliebe köstlich macht. Was suchst Du hier? Den Freund? die Geliebte? Nimmer schlagen Dir Schweizerherzen entgegen. Rudolf stand auf. Lebe wohl, sagte er schnell, es ist zu kalt zum Sitzen; ich muß noch weit gehn, das Mädchen wird auf mich warten, denn ich sprach sie, als ich nach England hinüberging. Lebe wohl, in Antwerpen sehn wir uns wieder. Er eilte schnell davon, und Franz setzte seinen Weg nach der Stadt fort. Die Ta¬ ge waren aber schon kurz, er mußte in ei¬ nem Dorfe vor Antwerpen übernachten. Die Sonne stieg prächtig herauf, als Franz sich niedersetzte, und folgende Verse in seine Schreibtafel einschrieb: Der Dichter und die Stimme. Der Dichter. Wie Du mich anlachst, holdes Morgenroth, Und Muth herab mir in die Seele glühst, Ich fühl's, die Sorgen sind nun alle todt, Den Sinn mit goldnen Ketten zu Dir ziehst. Die Stimme. Noch schönres Roth, als diese Morgenstralen, Wird einst Dein Angesicht mit Purpur mahlen. Der Dichter. O nun erwacht schon wieder das Verlangen, Mir gönnt's, mir gönnt's nicht eine Stunde Ruh, Aus allen Wolken seh ich Bilder hangen Und alle lächeln wehmuthsvoll mir zu. O wäre nur der trübe Tag zu Ende, Daß ich im Abendscheine wandeln könnte, Und unter dichten Eichen, dunkeln Buchen Dem Unmuth fliehn, dich Einsamkeit zu suchen. Die Stimme. Was hoffst Du auf den zarten Abendschimmer? Der Unmuth ruht im Busen nimmer. Der Dichter. So will ich mich zu Harfentönen retten Im Waldhornsklang einheimisch seyn! Mein Sinn soll sich in Flötenwollust betten‚ Mich lullen Zaubermelodien ein. Die Stimme. Und dort werd' ich in jedem Tone klingen, Dir süße Bilder vor die Seele bringen. Der Dichter. So will ich schlafen, mich in Schlummer hüllen‚ Und so des Herzens bange Sehnsucht stillen. Die Stimme. Kennst Du die Träume nicht, die dann er¬ wachen, Dein Auge schnell mit Thränen füllen, Verlangen in der Brust anfachen‚ Und nimmer Deine Sehnsucht stillen? Nein, Du bist mein, ich will Dich nach mir ziehen, Und nirgends hin kannst Du vor mir ent¬ fliehn. Der Dichter. Wer bist Du denn, gewaltge Zauberinn, Daß Du so quälst und marterst mich zum Tode hin? Die Stimme. Erinnerung heiß 'ich; denk der schönen Stuuden ! Ach sind sie nicht zu schnell, zu schnell verschwunden? Der Dichter. Kannst Du nur quälen, giebst kein tröstend Wort? Und ängstest mich nur immer fort und fort? Wird nichts die bange Quaal dann wenden? Wann wirst Du die Verfolgung enden? Die Stimme. Wann Du sie wiedersiehst, Und schöner als vom Morgenroth Du ihr entgegen glühst, Dann endet Deine Noth. Dann freut Dich Abendschein, Dann ist Musik Gespielinn Dir, Nennst Du die Holde balde Dein, Blüht Dir ein Paradies schon hier. Dann wirst Du selber Dir vertrauen, Sehnst Dich nach keinen Himmelsauen. Viertes Capitel. D ie große Handelsthätigkeit in Antwerpen war für Franz ein ganz neues Schauspiel. Es kam ihm wunderbar vor, wie sich hier die Menschen unter einander verliefen, wie sie ein ewig bewegtes Meer darstellten, und jeglicher nur seinen Vortheil vor Augen hat¬ te. Hier fiel ihm kein Kunstgedanke ein, ja wenn er die Menge der großen Schiffe sah, die Betriebsamkeit, Geld zu gewinnen, die Spannung aller Gemüther auf den Handel, die Versammlungen auf der Börse, so kam es ihm als etwas Unmögliches vor, daß einer von diesen sich der stillen Kunst ergeben solle. Er hörte nur immer, welche Schiffe gekommen und abgegangen waren, die Namen der vornehmsten Kaufleute wa¬ ren jedem Knaben geläufig, anf allen Spa¬ ziergängen setzten die Handelsleute ihre kaufmännischen Gespräche und Spekulatio¬ nen fort. Franz ward von diesem neuen Anblicke des Lebens zu betäubt, als daß er ihn hätte niederschlagen können. Vansen lebte hier als ein Kaufmann vom zweiten oder dritten Range, der nur unbedeutende Geschäffte machte, der in der Stadt selbst nur wenig bekannt war, sich aber durch Aufmerksamkeit und Sparsam¬ keit ein ziemliches Vermögen gesammelt hat¬ te. Sternbald suchte ihn bald auf, und das Haus seines neuen Freundes war ihm wie ein Schutzort, wie ein stilles Asyl gegen das tobende Gewühl der Stadt. Vansen wohn¬ te etwas abseits, ein kleiner Garten war hinter seinem Hause; dabei sprach er nur selten von seinen kaufmännischen Geschäf¬ ten, und hatte nicht die Eitelkeit, andern die nichts davon begriffen, seine Spekula¬ tionen mitzutheilen: sondern er liebte es, von der Kunst zu sprechen, er suchte eine Ehre darinn, für einen Kenner zu gelten. Sternbalds kindliches Gemüth schloß sich bald an diesen Mann an, in seiner Unbe¬ fangenheit hielt er ihn für mehr, als er wirklich war, denn Vansens Liebe zur Mahlerey war nichts als ein blinder Trieb, der sich zufälligerweise auf diese Kunst geworfen hatte. Er hatte angefangen Gemählde zu kaufen, und nachdem er sich einige Kenntnisse erworben hatte, war es nur Eitelkeit und Sucht zu sammeln und aufzuhäufen, daß er es nicht müde ward, sich um Gemählde und ihre Meister zu be¬ kümmern. So treiben die meisten Menschen irgend eine Wissenschaft oder Beschäftigung, und der gute Künstler irrt sehr, wenn er unter diesen die verwandten Geister, die Verehrer der Kunst sucht. Vansen hatte nur eine einzige Tochter, die er ungemein liebte. Sie galt in der Nachbarschaft für schön, und ihr Gesicht war wirklich liebenswürdig. Der Kaufmann bat unsern jungen Mahler, das Bildniß seiner Tochter zu mahlen, und Franz mach¬ te sich hurtig an die Arbeit. Seine Phan¬ tasie war weniger angespannt, er foderte nicht zu viel von sich, und das Bild rückte schnell fort, und gelang ihm ungemein. Er hatte indeß einige Gemählde gesehn, die aus Italien gebracht waren, und er bemüh¬ te sich, nach diesen seine Färbnng zu ver¬ bessern. Franz bemerkte, daß die Tochter immer sehr traurig war; er suchte sie zu erheitern, er ließ oft, wenn er mahlte, auf einem Instrumente lustige Lieder spielen, aber es hatte gewöhnlich die verkehrte Wirkung, sie wurde noch trauriger, oder weinte gar; vor dem Vater suchte sie ihre Melancholie geflis¬ sentlich zu verbergen. Franz war zu gut, um sich in das Vertrauen eines Leidenden einzudrängen, er kannte auch die Künste nicht, oder verschmähte sie, sich zum Theil nehmer eines Geheimnisses zu machen; da¬ her war er in ihrer Gegenwart in Verlegen¬ heit. In Vansens Hause versammelten sich oft Leute von den verschiedensten Charakte¬ ren, die eine Art von Akademie bildeten, und von denen der Wirth manche Redens¬ arten lernte, mit denen er nachher wieder gegen andre glänzte. Franz hörte diesen Gesprächen mit großer Aufmerksamkeit zu, denn bis dahin hatte er noch nie so verschie¬ dene Meinungen oft schnell hinter einander gehört. Vorzüglich zog ihn ein alter Mann an, dem er besonders gern zuhörte, weil je¬ des seiner Worte das Gepräge eines eige¬ nen nen festen Sinnes trug. An einem Abend fing der Wirth, wie er oft that, an, über die Kunst zu reden, und den herrlichen Genuß zu preisen, den er vor guten Gemählden empfände. Alle stimmten ihm bei, nur der Alte schwieg still, und als man ihn endlich ausdrücklich um seine Meinung fragte, sag¬ te er: Ich mag ungern so sprechen, wie ich darüber denke, weil Niemand weiter meiner Meinung seyn wird; aber es thut mir immer innerlich wehe, ja ich spüre ein gewisses Mitleid gegen die Menschen, wenn ich sie mit einer so ernsthaften Verehrung von der sogenannten Kunst reden höre. Was ist es denn alles weiter als eine un¬ nütze Spielerei, wo nicht gar ein schädlicher Zeitverderb? Wenn ich bedenke, was die Menschen in einer versammelten Gesellschaft seyn könnten, wie sie durch die Vereinigung Y stark und unüberwindlich seyn müßten, wie jeder dem Ganzen dienen sollte und nichts da seyn, nichts ausgeübt werden dürfte, was nicht den allgemeinen Nutzen beförderte: und ich betrachte dann die menschliche Ge¬ sellschaft, wie sie wirklich ist, so weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll. Es scheint fast, als wäre die Vereinigung nicht ent¬ standen, um allgemein besser zu werden, sondern um sich gegenseitig zu verschlim¬ mern. Da ist keine Aufmunterung zur Tu¬ gend, keine Abhärtung zum Kriege, keine Liebe des Vaterlands und der Religion, ja es ist keine Religion und kein Vaterland da, sondern jeder glaubt sich selbst der näch ste zu seyn, und häuft, ohne auf den gemei¬ nen Nutzen zu sehn, die Güter auf erlaub te und unerlaubte Art zusammen, und ver tändelt übrigens seine Zeit mit dem ersten dem besten Steckenpferde. Die Kunst vor züglich scheint ordentlich dazu erfunden, die bessern Kräfte im Menschen zu erlahmen, und nach und nach abzutödten. Ihre gau¬ kelnde Nachäffung, diese armselige Nachah¬ mung der Wirklichkeit, worauf doch alles hinausläuft, zieht den Menschen von allen ernsten Betrachtungen ab, und verleitet ihn, seine angeborne Würde zu vergessen. Wenn unser innrer Geist uns zur Tugend antreibt, so lehren uns die mannichfaltigen Künstler sie zu verspotten; wenn die Erhabenheit mich in ihrer göttlichen Sprache anredet, so unterlassen es die Reimer oder Poeten nicht, sie mit Nichtswürdigkeiten zu überschreien. Und daß ich namentlich von der gepriesenen Mahlerey rede — Ich habe den Mahler, der mir Figuren, oder Bäume und Thiere auf flacher Leinwand hinzeichnet, nie höher an¬ geschlagen, als den Menschen, der mit sei¬ nem Munde Vögel- und Thiergeschrei nach¬ Y 2 zuahmen versteht. Es ist eine Künstelei die keinem frommt, und die dabei doch die Wirklichkeit nicht erreicht. Jeder Mahler erlernt von seinem Meister eine gewisse Fer¬ tigkeit, einige Handgriffe, die er immer wie¬ der anbringt, und wir sind dann gutmüthi¬ ge Kinder genug, stellen uns vor sein Machwerk hin, und verwundern uns dar¬ über. Wie da von Genuß der Kuust die Rede seyn kann, oder von Schönheit, be¬ greife ich nicht: da diese Menschen die Be¬ geistrung nicht kennen, da ihre Schöpfun¬ gen nicht aus ihren schönsten Stunden ent¬ stehn, sondern sie sich des Gewinnstes we¬ gen niedersetzen und Farben über Farben streichen, bis sie nach und nach ihre Figu¬ ren zusammengebettelt haben, und nun den Lohn an Geld dafür empfangen. Wie sol¬ len diese knechtischen Arbeiten auf edle See¬ le wirken können, da sie es selber nicht ein mal wollen? Sie dienen, höchstens der Sinn¬ lichkeit, und trachten vielleicht, elende Be¬ gierden zu erwecken, oder uns ein Lächeln über ihre verzerrten Gestalten abzuzwingen, damit sie doch irgend was verursachen. Ich meine also, daß man auf jeden Fall seine Zeit besser anwenden könne, als wenn man sich mit der Kunst beschäftiget. Franz konnte sich im Unwillen nicht län¬ ger halten, sondern er rief aus: Ihr habt da nur von unwürdigen Künstlern gesprochen, die keine Künstler sind, die die Göttlichkeit ihres Berufs selber nicht kennen, und weil Ihr Euer Auge nur auf diese wendet, so wagt Ihr es, alle übrigen zu verkennen. O Albert Dürer! wie könnte ich es dulden, daß man so von Deinem schönsten Lebens¬ laufe sprechen darf? Ihr habt entweder noch keine guten Bilder gesehn, oder die Augen sind Euch für ihre Göttlichkeit verschlossen geblieben, daß Ihr Euch erkühnt, sie so zu lästern. Es mag gut seyn, wenn in einem Staate alles zn Einem Zwecke dient, es mag in gewissen Zeiträumen nöthig seyn, für das Wohl der Bürger, für die Freiheit, daß sie nur ihr Vaterland, nur die Waffen, die bürgerliche Freiheit, und nichts weiter lieben; aber ihr bedenkt nicht, daß in sol¬ chen Staaten jedes eigene Gemüth zu Grunde geht, um nur das allgemeine Bild des Ganzen aufrecht zu erhalten. Die Gü¬ ter, um derentwillen die Freiheit dem Men¬ schen theuer seyn muß, die Regung aller seiner Kräfte, die Entwickelung aller Schä¬ tze seines Geistes, diese kostbarsten Klei¬ nodien müssen wieder aufgeopfert werden, um nur jene Freiheit zu bewahren. Über die Mittel geht der Zweck verlohren, nach wel¬ chem jene Mittel streben sollten. Ist es nicht die herrlichste Erscheinung, den Menschen¬ geist kühn in tausend Richtungen, in tau¬ send mannichfaltigen Strömen, wie die Röh¬ ren eines künstlichen Springbrunnens, der Sonne entgegen spielen zu sehn? Eben daß nicht alle Geister ein und dasselbe wollen, ist erfreulich; darum laßt der unschuldigen kindischen Kunst ihren Gang. Denn sie ist es doch, in der sich am reinsten, am lieb¬ lichsten, und auf die unbefangenste Weise die Hoheit der Menschenseele offenbart, sie ist nicht ernst wie die Weisheit, sondern ein frommes Kind, dessen unschuldige Spiele jedes reine Gemüth rühren und erfreuen müssen. Sie drückt den Menschen am deut¬ lichsten aus, sie ist Spiel mit Ernst gemischt und Ernst durch Lieblichkeit gemildert. Wo¬ zu soll sie dem Staate, der versammelten Gesellschaft nützen? Wann hat sich je das Große und Schöne so tief erniedrigt, um zu nützen? Ein neues Feuer facht der große Mann, die edle That in einem einzelnen Busen an; der Haufe staunt dumm, und begreift nicht und fühlt nicht, er betrachtet eben so ein noch nie gesehenes Thier, er be¬ lächelt die Erhabenheit, und hält sie für Fabel. Wen verehrt die Welt, und wel¬ chem Geiste wird gehuldigt? Nur das Nie¬ drige versteht der Pöbel, nur das Verächt¬ liche wird von ihm geachtet. Zufälle und Nichtswürdigkeiten sind die Wohlthäter des Menschengeschlechts gewesen, wenn Du den häuslichen Nutzen dieser armen Welt so hoch anschlägst. Und was drückst Du mit dem Worte Nutzen aus? Muß denn alles auf Essen, Trinken und Kleidung hinaus¬ laufen? daß ich sicherer schlafe, oder besser, ein Schiff regiere, bequemere Maschinen er¬ finde, wieder nur um besser zu essen? Ich sage es noch einmal, das wahrhaft Hohe darf und kann nicht nützen; dieses Nützlich¬ seyn ist seiner göttlichen Natur ganz fremd, und es fodern, heißt, die Erhabenheit enta¬ deln, und zu den gemeinen Bedürfnissen der Menschheit herüberwürdigen. Denn freilich bedarf der Mensch vieles, aber er muß seinen Geist nicht zum Knecht seines Knechtes, des Körpers erniedrigen: er muß wie ein guter Hausherr sorgen, aber diese Sorge für den Unterhalt muß nicht sein Lebenslauf seyn. So halte ich die Kunst für ein Unterpfand unsrer Unsterblichkeit, für ein geheimes Zei¬ chen, an dem die ewigen Geister sich wun¬ derbarlich erkennen; der Engel in uns strebt sich zu offenbaren, und trifft nur Menschen¬ kräfte an, er kann von seinem Daseyn nicht überzeugen, und wirkt und regiert nun auf die lieblichste Weise, um uns, wie in einem schönen Traum, den süßen Glauben beizu¬ bringen. So entsteht in der Ordnung, in wirkender Harmonie die Kunst. Was der Weise durch Weisheit erhärtet, was der Held durch Aufopferung bewährt, ja, ich bin kühn genug, es auszusprechen, was der Märtyrer durch seinen Tod besiegelt, das kann der große Mahler durch seinen Pinsel auswirken und bekräftigen. Es ist der himmlische Strahl, der diesen Geistern nicht die müssige Ruhe erlaubt, sondern sie zu ei¬ ner glänzenden Thätigkeit weckt. Und da¬ her sind es wohl die schönsten, die erhaben¬ sten Stunden, die ein Meister vor seinem Werke zubringt; er legt bildlich die Liebe hinein, mit der er die ganze Welt an sein Herz drücken möchte, die Urschönheit, das erhabne Bild der Hoheit, vor dem er nie¬ derkniet; alles dies trifft der verwandte Geist in den lieblichen Zeichen wieder, die dem Barbaren unverständlich sind, er wird bei die¬ sen Winken entzückt, er fühlt seinen Geist in seiner Brust emporsteigen, er gedenkt alles Schönen, alles Großen, das ihn schon einst bewegt hat, und es ist nun nicht mehr das irrdische Bild, das ihn entzückt, liebliche Schatten vom Himmel herab fallen in sein Gemüth, und erregen eine bunte Welt von Wohllaut, und süßer Harmonie in ihm. O wenn uns die holde Natur lieb ist, wenn wir gern die Pracht des Morgens, die Schimmer des Abends sehn, wenn die Schönheit in Menschengestalten uns an¬ spricht, wie könnten wir uns dann gegen die liebliche Kunst so unfreundlich bezeigen? Gegen die Kunst, die sich bestrebt, uns al¬ les das noch werther und theurer zu ma¬ chen, uns mit uns selbst zu befreunden, die äußre Welt, die oft so hart um uns steht, mit unserm weichen Herzen zu versöhnen? Nein, es ist unmöglich, daß sich der Sinn irgend eines Menschen freiwillig abwende; es sind nur Mißverständnisse, die ihn vom himmlischen Genusse zurückhalten dürfen. Zweifelt nicht, daß der Künstler in seinem schönen Wahne, die ganze Welt, und jede Empfindung seines Herzens in seine Kunst verflicht, er führt sein Leben nur für die Kunst, und wenn die Kunst ihm abstürbe, würde er nicht wissen, was er mit seinem übrigen Leben weiter anfangen sollte. Ihr erwähnt es als etwas Schändliches, daß der arme Künstler sich genöthigt sieht, um Lohn zu arbeiten, daß er das Werk seines Geistes fortgeben muß, um seinem Körper dadurch fortzuhelfen; er ist aber deshalb eher zu beklagen, als zu verachten. Ihr kennt die Empfindung nicht, wenn ein Mann sein liebstes Werk, mit dem er so innig vertraut geworden ist, aus dem ihm sein Fleiß, und so viele liebe mühevolle Stunden anlächeln, wenn er es nun auf¬ opfern muß, es verstoßen, und von sich ent¬ fremden, daß er es vielleicht niemals wie¬ dersieht, bloß des schnöden Gewinnstes we¬ gen, und weil eine Familie ihn umgiebt, die Nahrung fordert. Es ist zu bejammern, daß in unserm irrdischen Leben der Geist so von der Materie abhängig ist. O war¬ lich, kein größeres Glück könnte ich mir wünschen, als wenn mir der Himmel ver¬ gönnte, daß ich arbeiten könnte, ohne an den Lohn zu denken, daß ich so viel Ver¬ mögen besäße, und ganz ohne weitere Rück¬ sicht meiner Kunst zu leben, denn schon oft hat es mir Thränen ausgepreßt, daß sich der Künstler muß bezahlen lassen, daß er mit den Ergießungen seines Herzens Han¬ del treibt, und oft von kalten Seelen in seiner Noth die Begegnung eines Sklaven erfahren muß. Franz hielt eine kleine Weileein, weil er sich wirklich die Thränen abtrocknete; dann fuhr er fort: Auch kann es der Kunst zu keinem Vorwurfe gereichen, daß ihr unwürdige Menschen zu nahe treten, und sich ihr als Priester aufdrängen. Eben daß es Abwege und Irrthümer geben kann, beweist ihre Erhabenheit. Der Handwerker kann nur auf eine Art vortreflich seyn, in den mecha¬ nischen Künsten ist eine Erfindung die beste; nicht also mit der göttlichen Mahlerey. Je tiefer einige sinken, um so höher steigen an¬ dre: wenn es jenen vergönnt ist, den Weg zu verfehlen, so dürfen diese dafür das Göttliche erreichen, und uns durch Offenba¬ rung mittheilen. Ihr habt Eure Sache recht wacker ver¬ theidigt, sagte der Alte, ob ich gleich noch Manches dagegen einwenden möchte. Hier wurde das Gespräch durch die Nachricht unterbrochen, daß Vansens Toch¬ ter plötzlich krank geworden sey. Der Va¬ ter war in der größten Unruhe, er schickte sogleich nach eiuem Arzte, und besuchte seine geliebte Sara. Der Arzt kam, und versi¬ cherte, daß keine Gefahr zu besorgen sey; es war spät, die Gesellschaft ging ausein¬ ander. Franz ging nicht nach seiner Wohnung, sondern begleitete die übrigen. Jezt hatten sich alle entfernt, und er war mit dem al¬ ten Manne allein. Ihr vergebt mir wohl, fing er an, meine Hitze, da ich Euch heute als ein junger Mensch so unbesonnen wi¬ dersprochen habe; es kam, ohne daß ich sa¬ gen könnte, wie es geschah. Ich habe Euch nichts zu vergeben, sagte der Alte, ihr seid ein wackrer Mensch, und das freut mich. Ihr mögt vielleicht Recht haben, sagte Franz — Laßt das, fiel ihm der Alte ein; haben nicht alle Zungen Recht und alle Unrecht? Jeder trachte darnach, daß er es wahr und redlich mit sich meine, das ist die Haupt¬ sache. Franz sagte: wenn Ihr mir also nicht böse seid, so reicht mir zum Zeichen Eure Hand, denn mich gereut meine Heftigkeit. Der Alte drückte ihm die Hand herzlich; dann umarmte er ihn, und sagte: sey im¬ mer glücklich mein Sohn und bleib bei Deiner herzlichen Liebe zu allem Guten. Franz ging hierauf sehr vergnügt nach seiner Her¬ berge. Fünf¬ Fünftes Kapitel. D er Winter war beinahe verflossen, Ru¬ dolf Florestan war indeß nach Antwerpen zurückgekommen. Franz hatte noch einige andre Bilder ausgearbeitet, er besuchte aber seinen Freund Vansen immer noch sehr fleis¬ sig; die Tochter war wieder hergestellt, doch blieb sie immer traurig und mißvergnügt. An einem Morgen traf er Vansen al¬ lein, es war ein Sonntag und der Kauf¬ mann hatte daher keine Geschäfte. Ihr seid mir sehr willkommen, rief er dem Mahler entgegen, ich habe schon längst über eine Sache mit Euch sprechen wollen, wozu ich noch immer nicht die gelegene Zeit habe treffen können. Sie setzten sich und Vansen fuhr in ei¬ nem vertraulichen Tone fort: Je mehr ich Euch kennen lerne, lieber Sternbald, je Z mehr muß ich Euch hochschätzen, denn die jugendliche Schwärmerei, die Euch zu Zei¬ ten mit sich fortreißt, wird sich gewiß mit den Jahren verlieren. Seht, das ist das Einzige, was ich allenfalls gegen Euch hätte, aber sonst lieb' ich Euch so sehr, wie ich bis jetzt noch keinen Menschen werth gehalten habe. Dazu bekennt Ihr Euch zu einer Kunst, die ich von Jugend auf vor¬ züglich verehrt habe. Doch ich will Euch näher kommen. Ich weiß nicht, ob Ihr das sonderbare Betragen meiner Tochter bemerkt habt, seit Ihr in unserm Hause bekannt ge¬ worden seid; meine Sara war sonst nie so melancholisch, sondern die Lustigkeit selbst, seit sie Euch gesehn hat, ist ihr ganzer Sinn umgewandt. Nun sagt mir aufrichtig, wie gefällt sie Euch? Franz versicherte, daß er sie sehr lie¬ benswürdig finde, und der Vater fuhr fort: Seit vielen Jahren habe ich es mir fest vorgenommen, und es ist ein Vorsatz, von dem ich gewiß nicht weiche, daß Niemand als ein geschickter Mahler mein Eidam wer¬ den soll. Es kömmt nun bloß auf Euch an, ob ich in Euch meinen Mann gefunden ha¬ be. Ich weiß alles, was Ihr mir antwor¬ ten könnt, aber laßt mich ausreden. Ich will Euch damit keineswegs von Eurer Reise zurückhalten, sondern ich muntre Euch viel¬ mehr selber auf, Italien zu besuchen und dort zu studiren. Meine Tochter liebt Euch, Ihr versprecht Euch mit ihr, und mein Vermögen macht Euch die Reise bequemer und nützlicher. Ihr kommt dann zurück, und was ich besitze, sichert Euch wenigstens vor dem Mangel. Ihr könnt dann Eurer Kunst, wie Ihr Euch immer gewünscht habt, mit allen Kräften obliegen, Ihr wer¬ det bekannt und berühmt, meine Tochter ist Z 2 mit Euch glücklich und alle meine Wünsche sind erfüllt. Franz war heftig bewegt, er dankte in den wärmsten Ausdrücken dem Kaufmanne für sein Wohlwollen, er bat ihn, noch jetzt keine entscheidende Antwort zu verlangen und sein Zögern nicht übel zu deuten. Er verließ ihn, und schweifte mit tausend Vor¬ stellungen durch die Straßen umher. So nahe auf ihn zu war das wirkliche Leben noch nie getreten, um sein inneres poeti¬ sches zu verdrängen; er fühlte sich angezo¬ gen und zurückgestoßen, das schöne Bild seiner Phantasie stand bald ganz hell vor ihm, bald rückte es tief in den Hintergrund hinab. Hier bot sich ihm eine sichre Zukunft an, ganz unverhoft, eine Lebensweise, wie sie immer sein Wunsch gewesen war, und man forderte nichts weiter von ihm, als ei¬ nen Schatten, ein Traumbild aufzuopfern, das nicht sein war. Doch fürchtete er sich wieder, so seinen Lebenslauf zu bestimmen und sich selber Gränzen zu setzen; die Sehnsucht rief ihn wieder in die Ferne hin¬ ein, seltsame Töne lockten ihn und verspra¬ chen ihm ein goldenes Glück, das weit ab seiner warte. In dieser Stimmung besuchte er seinen Freund Rudolf. So vertraut er mit diesem war, so konnte er ihm doch nie seine Geschichte, so wie seine wunderbare Liebe entdecken, es war nur Sebastian, dem er dergleichen vertrauen durfte. Aber er erzählte ihm jetzt Vansens Vorschlag und bat um seinen Rath. Wie soll ich dir hier¬ inn rathen? rief Rudolf lachend aus; das Rathgeben ist überall eine unnütze Sache, aber vollends bei der Ehe; jeder Mensch muß sich sein eignes Glück machen, und dann kömmt auch deine Frage viel zu früh, denn du weißt ja nicht einmahl, ob dich das Mädchen haben will. Franz stutzte. Das Wort Ehe erweckte überdem mancherlei Vorstellungen bei ihm. Er sah alle die Scenen einer ruhigen Häus¬ lichkeit vor sich, Kinder die ihn umgaben, er hörte die Gespräche seines Schwiegerva¬ ters und der Freunde, er fühlte seine frische Jugend verschwunden und sich eingelernt in die ernsteren Verhältnisse des Lebens; seine wunderbaren Gefühle und Wünsche, das zauberische Bild seiner Geliebten, alles hat¬ te Abschied genommen und sein Herz hing an nichts mehr glühend. Es war wie ein klarer geschäftiger Tag, der nach der Pracht des Morgenroths erwacht; wie eine Rede nach einem ausgeklungenen Liede. Seine Brust war beängstigt, er wußte sich nicht zu lassen und verließ unmuthig den lachen¬ den Florestan. Wie ist es mit dem Leben? dachte er bei sich selber; irgend einmahl ist dieser Taumel der Jugend doch verflogen, endlich einmal nimmt mich doch jenes Leben in Empfang, dem ich jetzt so scheu aus dem Wege trete. Wie wird mir seyn, wenn meine schönen Träume hinter mir liegen? Er kam in Vansens Haus zurück. Die Tochter war allein und spielte auf der Zit¬ ter. Er nahte ihr mit großer Verlegenheit; das Mädchen bemerkte seine Angst und fragte ihn, ob er krank sei. Franz war im Begriff, alles zu erzählen, was ihm der Vater vertraut hatte, als Sara von der Magd heimlich eine Bothschaft erhielt, über die sie sehr zu erschrecken schien. Die Magd entfernte sich wieder und Sara ging weinend auf Sternbald zu und sagte: Nein, mein liebster Freund, ich habe mich nicht mehr in meiner Gewalt, ich muß Euch mein Leiden klagen, Euch vertraue ich al¬ lein, und Ihr werdet mein Vertrauen nicht mißbrauchen. O Sternbald, seit acht Wo¬ chen leide ich unaussprechlich. Ihr seid gut, Ihr habt Mitleiden mit mir getragen, ich habe es wohl bemerkt, und darum will ich Euch alles sagen. Nicht weit von uns wohnt ein junger Schmid, den ich schon seit lange kenne, der mich liebt und der jetzt krank liegt. Es soll mit seiner Krank¬ heit immer schlimmer werden; er fürchtet jetzt, mein Vater will mich verheirathen, er ist arm, ein Handwerker und nun der Ver¬ zweiflung nahe. O wollt Ihr so gütig gegen mich seyn und ihn besuchen und trö¬ sten? Ihr glaubt nicht, wie gut, wie brav er ist. Ihr würdet gewiß sein Freund wer¬ den, wenn Ihr ihn kennen solltet, denn je¬ dermann muß ihn lieben, der ihm nahe kömmt. Franz war gerührt; er ließ sich das Haus bezeichnen und ging sogleich hin. Er kam in eine armselige Stube, in der der Kranke in einem Bette lag, und vor sich Papiere hatte, auf denen er zeichnete. Als Sternbald näher kam, erstaunte er, denn es war derselbe Schmid, mit dem er vor Nürnberg am Tage seiner Auswanderung gesprochen hatte. O mein lieber Freund, rief er aus, wie werfe ich es mir vor, daß ich Euch so vergessen und nicht früher auf¬ gesucht habe! Der junge Schmiedegesell er¬ kannte ihn ebenfalls und nun eröffnete ihm Franz, aus welcher Absicht er zu ihm ge¬ kommen sei. Messys weinte, als er hörte, wie zärtlich seine Sara für ihn besorgt sei. O Mahler, rief er aus, Ihr glaubt nicht, was ich ausgestanden habe, seitdem ich Euch damals gesprochen hatte. Seit ich Euren Dürer sah, hatte ich keine Ruhe mehr in mir selber, es war, als wenn es an allen meinen Sinnen zöge und arbeitete, daß ich immer an Mahlereien, an Zeichnungen den¬ ken mußte; an nichts in der Welt fand ich mehr Gefallen, die Schmiedearbeit war mir zur Last. Ich zeichnete täglich etwas, und selbst in der Krankheit kann ich es nicht las¬ sen; seht, da habe ich eine herrliche Figur von Lukas Leyden. Franz betrachtete sie; der junge Mensch hatte sie sehr gut kopirt und Franz ver¬ wunderte sich darüber, daß er es ohne al¬ len Unterricht so weit habe bringen können. Messys fuhr fort: So kam ich nach Ant¬ werpen zurück und nichts war mir hier recht. Ich hatte immer noch den Dürer und seine Werkstätte im Kopf, es kam so weit, daß ich mich meines Hammers schämte, ich verdarb die Arbeit, ich konnte nicht mehr fort. Schon lange hatte ich die Tochter un¬ sers Nachbars gekannt, aber es war mir nie eingefallen, sie als ein reiches und vor¬ nehmes Mädchen so anzusehen, als ob ich sie lieben könnte. Aber als ob ein böser Geist recht darauf ausginge, mich zu Grun¬ de zu richten, so kam nun alles zusammen. Ich konnte die Augen nicht mehr von ihr abwenden; wenn ich an's Zeichnen dachte, wollte ich ihr Gesicht nur immer auf dem Papiere entwerfen. Ich ging auf's Feld, ich kam zurück, ich wollte sie nicht ansehen, o ich hatte es nicht nöthig, denn allenthal¬ ben war sie mir vor die Augen wie hinge¬ bannt, ich sah nichts anders als sie. Bei jedem Gesichte dacht' ich an das ihrige, alle Menschen sah ich darauf an, ob sie ihr ähnlich wären. Sie bemerkte meine Leiden¬ schaft, sie sah mich freundlich an, sie sah mir nach, wenn ich vorbeiging; da war mir, als wenn mich der Blitz angerührt hätte, so oft es geschah, wußte ich nicht, ob ich es glauben sollte. Ihr Vater hatte in Leyden Geschäfte und reiste dorthin; ich weiß nicht, wie ich mich unterfing, sie eines Abends anzureden, ich konnt' es nicht las¬ sen, ich sprach lange mit ihr und nachher schallte mir nur der Ton ihrer Rede, nur einzelne Worte in den Ohren, aber ich wu߬ te nicht, was sie gesagt hatte. So sah ich sie öfter; wir gingen heimlich mit einander spatzieren, ich wurde vertraulicher, sie ge¬ stand mir, daß sie mir gut sei und nun war ich im Himmel. Da fing ich an aus allen Kräften zu arbeiten; des Abends wenn ich sie nicht sprechen konnte, zeichnete ich ihr Bild, oder stellte mich dem Hause ge¬ genüber und ließ so die Nacht heranrücken. O ich bin geschwätzig wie ein Kind. Ehe wir es uns versahen kam der Vater zurück. Nun war es mit unsern Zusammenkünften aus; ich konnte sie nur manchmal im Vor¬ beigehn grüßen. Wie eine Decke fiel es mir von den Augen und mein Herz wollte springen. Ich sah nun wieder den Unter¬ schied unter uns beiden, wie mich der reiche Vater verachten müße, wie ich in meinem Stande so nichts gegen ihn sei. Nun hörte ich noch dazu, Sara würde bald verheira¬ thet werden; ach! und es geschieht auch ge¬ wiß. Was soll ich anfangen? Mein Hand¬ werk war mir ein Abscheu, alles, worauf ich mich sonst wohl freuen konnte, Meister zu werden und bei Gelegenheit eine künst¬ liche Arbeit, einen Springbrunnen, Gitter¬ werk, oder dergleichen zu unternehmen, kam mir nun kläglich vor. Ich wußte gar nicht, was ich in der Welt sollte. Ein Mahler zu werden, dazu bin ich nun zu alt; die Sara darf ich nicht sehen, nichts hoffen, so geh' ich zu Grunde. Alles das zusammen hat mich so krank und schwach gemacht, daß ich bald zu sterben hoffe. Franz sagte weinend: Nein, das dürft Ihr nicht hoffen; glaubt mir, daß Ihr ge¬ wiß noch Zeit genug habt, ein guter Mah¬ ler zu werden, wenn Ihr diese Liebe zur Kunst behaltet. Ihr zeichnet schon so gut, als wenn Ihr lange in der Lehre gewesen wäret, und es kommt also nur auf Euch an, ein Mahler zu werden. Dann dürft Ihr auch auf Eure Geliebte hoffen, denn der Vater achtet die Mahlerei und will nur einen Mahlerkünstler zum Eidam haben; darum hat er mir noch heut, so arm ich auch bin, seine Tochter angetragen. Darum tröstet Euch, sammelt wieder Lust zum Le¬ ben und Kräfte, denn Ihr könnt noch recht glücklich werden. Messys schüttelte mit dem Kopfe, als wenn er nicht daran glauben könne, doch Franz fuhr so lange fort, ihn zu trösten, bis jener etwas beruhigt war. Sternbald eilte sogleich zu Vansen, den er bei einer Flasche Wein und bei guter Laune antraf. Jetzt will ich Euch meine Antwort bringen, sagte Franz, aber Ihr müßt mir mit Ge¬ duld zuhören. Er erzählte hierauf die Ge¬ schichte seines Freundes und sprach von der gegenseitigen Liebe der beiden jungen Leute. Ihr wolltet mir, schloß er, als einem ar¬ men Menschen, der nicht mehr, als dieser Schmid besitzt, Eure Tochter geben, Ihr wolltet auf meine Zurückkunft warten, nun so thut es mit diesem, um das Glück Eurer einzigen Tochter zu begründen; sie ist jung, ich versichere Euch, Messys ist in wenigen Jahren ein guter Mahler, der Euch Ehre macht, und so sind alle Eure Wünsche er¬ füllt. Und Ihr seid überzeugt, daß er mit der Zeit gut mahlt? fragte Vansen. Gewiß, sagte Sternbald, seht nur diese Zeichnungen, die warlich einen guten Süch ler verrathen. Er zeigte ihm hierauf einige Bilder, die er von Messys Hand mitgebracht hatte, und Vansen betrachtete sie lange mit prüfenden Blicken; doch schien er endlich mit ihnen zufrieden zu seyn. Ihr seid ein braver jun¬ ger Mensch, rief er aus, Ihr könntet mich zu allem bewegen, es ist viel, daß Ihr so uneigennützig seid. So geht also zu dem armen Teufel und grüßt ihn von mir, sagt, er soll nur gesund werden und wir wollen dann weiter mit einander sprechen. Franz sprang auf. Im Vorsaal begeg¬ nete ihm Sara, der er mit wenigen Wor¬ ten alles erzählte; dann eilte er zu Messys. Seid getrost, rief er aus, alles ist gut, der Vater bewilligt Euch die Tochter, wenn Ihr Euch auf die Mahlerei legt. Darum wer¬ det gesund, damit Ihr ihn selber besuchen könnt. Der Kranke wußte nicht, ob er recht höre und und sehe. Franz mußte ihm die Versiche¬ rung öfters wiederholen. Als er sich end¬ lich überzeugte, sprang er auf und kleidete sich schnell an. Dann sprang und tanzte er in der Stube herum, wobei er alte nieder¬ ländische Bauernlieder sang, umarmte bald und küßte Sternbald, dann weinte er wie¬ der und trieb ein seltsames Spiel mit seiner Freude, das den jungen Mahler innig bewegte. Sie machten sich hierauf auf den Weg nach Vansens Hause. Auf der Straße taumelte der Kranke, als ihn die ungewohnte freye Luft umfing; Franz unterstützte ihn und so kamen sie hin. Das erste was sie im Hause sahen, war Sara, und Messys geberdete sich wie ein Verrückter; sie schrie laut auf, da sie ihn so unvermuthet und so blaß sah. Sie kamen in des Vaters Zimmer, der sehr freundlich war. Messys war gegen diesen A a verlegen und blöde. Ihr liebt meine Toch¬ ter, sagte der Kaufmann, und Ihr ver¬ sprecht, Euch auf die Mahlerei zu legen, so daß Ihr Euch in einigen Jahren als ein geschickter Mann zeigen könnt; unter dieser Bedingung verspreche ich sie Euch, aber da¬ zu müßt Ihr reisen und trefflich studiren, ich will Euch zu diesem Endzweck auf alle Weise unterstützen. Vor allen Dingen müßt Ihr suchen gesund zu werden. Die beiden Liebenden kamen hierauf in Gegenwart ihres Vaters zusammen und fühlten sich unaussprechlich glücklich. Mes¬ sys mußte eine bessere Wohnung beziehen und nach einigen Tagen war er fast ganz hergestellt. Er wußte nicht, wie er unserm Freunde genug danken sollte. Es waren jetzt die letzten Tage des Fe¬ bruars und die erste Sonnenwärme brach durch die neblichte Luft. Franz und Rudolf machten sich auf die Reise. Ehe sie Ant¬ werpen verließen, erhielt Franz von Van¬ sen ein ansehnliches Geschenk; der Kauf¬ mann liebte den jungen Mahler zärtlich. Sternbald und Florestan halten jetzt schon die Thore der Stadt weit hinter sich, sie hörten die Kloken aus der Ferne schlagen und Rudolf sang mit lauter Stimme: Wohlauf! es ruft der Sonnenschein Hinaus in Gottes freie Welt: Geht munter in das Land hinein Und wandelt über Berg und Feld! Es bleibt der Strom nicht ruhig stehn Gar lustig rauscht er fort; Hörst du des Windes muntres Wehn? Er braust von Ort zu Ort. Es reist der Mond wohl hin und her, Die Sonne ab und auf, Guckt übern Berg und geht in's Meer, Nie matt in ihrem Lauf. A a 2 Und Mensch, du sitzest stets daheim Und sehnst dich nach der Fern, Sei frisch und wandle durch den Hain Und sieh die Fremde gern. Wer weiß wo dir dein Glücke blüht, So geh und such es nur, Der Abend kömmt, der Morgen flieht, Betrete bald die Spur. Laß Sorgen seyn und Bangigkeit Ist doch der Himmel blau, Es wechselt Freude stets mit Leid, Dem Glücke nur verttau. So weit dich schließt der Himmel ein, Geräth der Liebe Frucht, Und jeglich Herz bekömmt das Sein Wenn es nur ämsig sucht. Ende des ersten Theils. Nachschrift an den Leser. D ieses Buch sollte erst unter dem Nahmen des Verfassers der Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders erscheinen: da¬ her muß sich der Leser den Ton in manchen Stellen dieses Theils erklären. Die meisten Gespräche, die ich seit mehreren Jahren mit meinem nun verstorbenen Freunde Wacken¬ roder führte, betrafen die Kunst; wir waren in unsern Empfindungen einig und wurden nicht müde, unsre Gedanken darüber gegen¬ seitig zu wiederholen. Er war besonders gegen die zergliedernde Kritik, die dem ver¬ ehrenden Enthusiasmus entgegensteht, und aus unsern Gesprächen über die Ansicht der Kunst und der Künstler entstanden die Her¬ zensergießungen des Klosterb r u¬ ders , die 1797 herauskamen. Mein Freund suchte in diesem Buche unsre Gedanken und seine innige Kunstliebe niederzulegen, er wählte absichtlich diese Maske eines religiö¬ sen Geistlichen, um sein frommes Gemüth, seine andächtige Liebe zur Kunst freier aus¬ drücken zu können; der Vortrag in den meisten Aufsätzen gehört ganz ihm. Von meiner Hand ist die Vorrede , Sehn¬ sucht nach Italien , S. 23. Ein Brief des Mahlers Antonio und die Antwort, S. 52, Brief eines jungen deutschen Mahlers S. 179, und die Bildnisse der Mahler , S. 194. Nach jenem Buche hatten wir uns vorgenommen, die Ge¬ schichte eines Künstlers zu schreiben, und so entstand der Plan zu gegenwärtigem Ro¬ man. In einem gewissen Sinne gehört meinem Freunde ein Theil des Werks, ob ihn gleich seine Krankheit hinderte, die Stellen wirklich, auszuarbeiten, die er über¬ nommen hatte. Der Leser verliehrt gewiß viel dabei, daß ich es ohne seine Beihülfe zu Ende führen muß.