Rahel . Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde . — — still und bewegt. Hyperion . Zweiter Theil . Berlin , 1834. Bei Duncker und Humblot . An Varnhagen, in Prag. Donnerstag, den 9. Januar 1812. Lieber Varnhagen! Ich habe dich heute sehr lieb! Wenn du wüßtest bei welchem Geschrei zu Gott, ich deiner heute ge- dachte, dich wünschte: dein ganzer Werth, dein bestes Sein mir gegenwärtig ward! Doch dies ein andermal; ich bin zu fatiguirt! — — An dich dacht’ ich; an dich wollt’ ich mich lehnen, in deinen Armen diese Thränen weinen; dies schreien. Ich erwarte sehnlichst deine Antwort. Es ist 12 Nachts. Ich schreibe jetzt nur, um dich inständigst zu bitten, eh er nach Wien verschwindet, dem Hrn. von Nostitz ja seinen Traum von Prinz Louis und Schillers Geisterseher abzufragen, und ihn genau aufzuschreiben! Auch laß dir Louis’s Tod genau erzählen, und schreib’ ihn auch auf. Mir erzählte er beides göttlich: so naiv, so darstellend, so unbewußt schön: so natür- lich; mahn’ ihn an, daß er’s wieder so mache: aber sag’ ihm nicht, zu welchem Zwecke. Er liebt es gewiß nicht. Ich fand ihn sehr zu seinem Vortheil verändert. Einfache, angenehme, kriegerische Haltung; wahrhaft einfach, angenehm. Unschul- II. 1 dig, liebenswürdig, und so herzlich als schicklich gegen mich, und erforderlich gegen den Rest. Wir sprachen innig von un- serm geliebten Freund, Nostitz wie ich’s nur wünschen konnte. Grüß’ ihn sehr von mir, als einer großen „Wohlwollenden.“ Marwitz konnt’ ich gar nicht genug von ihm erzählen: der quälte mich eben so, in einem Briefe, dir diesen noch heute zu schreiben: da ich einmal das Projekt, du solltest Tod und Traum aufschreiben, hatte laut werden lassen. Leb’ sehr wohl. Wie ein Phönix gehst du heute aus meiner Leidenschaft her- vor! Schreib mir: und trau mir! — Noch Eins! Wolf war sehr geschmeichelt von deiner Re- zension: und es schien ihm sehr leid zu sein, daß das Blatt [Österreichischer Beobachter] hier nicht gelesen wird. „Wie hat er denn das so schnell dort?!“ — O! er hat schon Niebuhr, und Goethens Leben. — „J! so! Nun Goethens Leben hat man wohl.“ — Er hat alles. — Kurz, er war überaus char- mirt. Gleich den Abend drauf als ich dir schrieb, kam er. Lebe wohl! Ich erliege sonst. Künftig, liebes Kind, schreib’ ich dir, wie du dich artig haben mußt, wenn du bei mir lebst: und mich nicht Einmal ärgern mußt. Weil es gar nicht nö- thig ist, und ich es nicht ertragen kann: meine Gesundheit meine ich, die ist so schwach, daß sie der Rest des Restes ist, von allem, was ich besitzen sollte, und je besaß. Adieu. Ant- wort. Gewiß kommt in diesen Tagen dein Brief. Adieu. An Alexander von der Marwitz, in Potsdam. Donnerstag, halb 2 Uhr Mittag, den 9 Januar 1812. Unpaß genug! und es ist eine ausgemachte Sache, daß Sie mich noch todt martern: denn mitten in diesen Zuständen bin ich auf nichts beflissen, als Ihnen alles zu erzählen, über alles genaue Rechenschaft zu geben. Dabei steht kein Augen- blick still, und es folgen Ereignisse und Gedanken. Damit nun auch für Sie eine zu verstehende Folge möglich werde, wie es außen und innen übereinander ging, so will ich die Dinge der Zeit nach vortragen, wie sie übereinander gingen. Ein großer Zwang für mich: die ich am affizirtesten vom Letzten bin: und noch mehr von der Furcht, es Ihnen in der Lebendigkeit, die dies besonders heischt, und in welcher es vorging, nicht darstellen zu können. Als Sie ankamen, fan- den Sie mich sehr perplex, — Sie sahen, glaub’ ich, es nicht ganz. Auch dies, die Ursache davon sollen Sie erfahren: aber erst ganz am Ende dieses Briefes. — Ich erwartete einen Menschen, mit dem ich etwas ab- machen wollte, welches meine ganze Seele unter seiner Gr- walt hatte: dabei — Sie wissen, was, und auch wohl wie — hatte ich Ihnen geschrieben, wollte Ihnen noch schreiben, und dachte in dieser Seelenklemme in taktlosen Zwischenräumen an Sie und an das, was ich Ihnen noch sagen wollte. Hauptsächlich war Eines davon dies: daß man, als Unsinni- ger, sein Leben in Schmutz, Unsinn, Dürre, Sand und Wust, in wahnsinnigen Thorheiten, hinrinnen läßt, nicht beachtend, 1 * daß kein Tropfen zweimal fließt, der Diebstahl an uns selbst geschieht und gräßlicher Mord ist. Bloß weil wir ewig Ap- probation haben wollen, aus der wir uns nichts machen, und nicht tapfer genug sind, menschlich Antlitz nicht zu fürchten, und dreist zu sagen, was wir möchten, wünschen und begeh- ren. Nichts ist heilig und wahr, und unmittelbare Gottes- gabe, als ächte Neigung; ewig aber wird die bekämpft, für anerkanntes Nichts. Das Fremdeste lassen wir uns aufbür- den, und so kommen wir uns selbst abhänden. Ich selbst, wie selten bin ich, komme ich zu Sinnen! Hören Sie, wie ich darauf kam. Ich liebe Sie gewiß; nie aber werde ich wieder zu der Sehnsucht kommen, die ich voriges Frühjahr erlitt, als das neue Jahr grad’ aus Erd’ und Himmel brach, und Sie wegreisten. Ich erlebte eine Welt — ich schrieb es Ihnen, — was aber wär’ es geworden, hätte ich Sie nur vier Tage länger behalten!! Ich verging fast in Sehnsucht und Bedürfniß, es mit Ihnen zu sehen. Ich Elende , Niedrige, würdig des Lumpenlebens, das ich führe! — Gott sieht jetzt mein innerstes Herz und diese Thränen! Niedrige, Feige, die ich war! Hatte ich den Muth, Sie bleiben zu las- sen? Nie werden Sie mir das wieder werden, was Sie da- mals waren — grade durch die Reihe Leben, das wir geführt hatten, durch den Gang der Gespräche, die Blüthen der Stim- mung und des Frühlings! — Was hätte es Ihrem für alle Ewigkeit fertigen Bruder geschadet, wenn Sie vier Tage spä- ter nach Friedersdorf gekommen wären, was Ihnen, wenn Sie mich so hätten beglücken können! Lassen Sie sich das für Ihre eigene Person zur ewigen Warnung dienen. Be- zwingen Sie keine Stimmung, keine Gefühlsblüthe! Sie werden nachher verzweifeln; in der kargen Ausübung der unnahrhaften Verständigkeit. Untersuchen Sie sich immer genau: und fürchten Sie Weisheit, die nicht aus dem Her- zen scheint. Nur Neigung, nur Herzenswünsche! Kann ich ihnen nicht leben, bin ich dazu zu elend, zu verworfen, zu heruntergeris- sen und mißhandelt, so will ich sie von nun an in mir er- gründen, und sie anbeten! Gottes starker Wille ist das im Herzen — im dunklen, blutwogenden —, der keinen Namen bei uns hat, deßwegen täuschen wir uns, bis es todt ist. Sie haben mich gefaßter gefunden die letzten Tage. Was ist es anders, als daß ich zu meiner Neigung wieder hinabgestiegen war, über die ich mich erheben, zerstreuen wollte. Glücklich bin ich fürwahr nicht von ihr gemacht; noch sanft, noch nur menschenverständlich behandelt; und doch erhalt’ ich mich nur selbst, wenn auch in herbem Zustand, wenn ich mich ihr hin- gebe, mich ihrer ganz erinnere, und nicht Sinnen und Herz ihre Güter vertauschen will. Ich bin krank geworden, seit einem Ärger, den ich ge- habt: ich kann durchaus nichts mehr ertragen! Nun sollte ich an diese Zeilen fügen, wie ich vorgestern und gestern Abend zugebracht; vergebens! Sie sollen es haben, aber in einem künftigen Brief. Dieser soll weg wie er ist; damit er bald ankommt. Morgen schreibe ich Ihnen die beiden Abende. In diesem will ich Ihnen noch sagen, was kürzer ist, wozu keine Laune gehört, und was mehr in meine heutigen schmerzhaften Gedanken paßt. Es fehlte mir noch, daß Sie so in Ihrem Innern mit Varnhagen stehen! Also wenn der kommt, welches auch Sie schon für mich wünschten, hab’ ich diesem Bruche mit zuzu- sehen, der sich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück, daß nichts in der Art mich schreckt, weil ich auf nichts mehr hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt so kommt, wie wir, wie ich sie bestelle. Dies ist mein Glück, sonst müßt’ ich ver- zweifeln. Varnhagen ist also mein Freund, der mich am meisten liebt; für dessen ganze Lebenseinrichtung ich Bedin- gung bin: und es ist nicht genug, daß ich ihn ganz kenne und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog’ auf Wog’ unter, Klippen an mit ihm durch, und all unsre Freunde le- gen die ganze Last ganz auf mich. „Sie trägt so viel, so gut, warum nicht auch dies!“ Dies sagt sich niemand; aber so geschieht’s, weil — ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich bin zu krank heute, jetzt! Auch schicke ich nun diesen Brief nicht ab, bis das Folgende steht. Adieu! — — Freitags, 10 Uhr Morgens. Im Bette, Sie müssen Geduld haben, mein lieber Freund, und bedenken, daß Sie es sind. Sehen Sie mich an wie eine Krankheit des menschlichen Geschlechts, es giebt solche Menschen, in der Reihe der geboren wordenen und werden- den; auf die sich Widersprechendes ladet, und sie biegen und brechen; wie es in einem Menschenleben Momente giebt, mit denen es eben so geht, und die man kranke nennt und fühlt. die auch nichts anders sind, als Träger der Verwirrung, des nicht Aufgegangenen für die gesammten Organisationen die- ses Lebens, dieser Erde. Verzeihen Sie mir ja diesen Brief wie er hier steht! Ich möchte um keinen Preis, was ich oben von Ihnen zu fordern schien, — und dachte schon so, als nur die Züge aus meiner Feder waren, ja als ich sie noch machte —, daß Sie mich schonten, für mich litten, schafften und mach- ten: alsdann wären Sie ja auch Ambos; und dafür soll Gott uns behüten. — Ihnen aber die beiden Abende, Dienstag und Mittwoch zu beschreiben, dazu bin ich zu schwach: zu erschöpft endlich, zu irritirt; alles dies rein der Körper. Wie es mit meiner Seele ist, weiß wenigstens ich nicht: die scheint in der That von Unsterblichem gemacht zu sein. Hören Sie aber von anderem, wenn es möglich ist dergleichen zu beschrei- ben, auszudrücken, ja sich selbst anders, als unwillkürlich, zu wiederholen. — — An Varnhagen, in Prag. Sonnabend den 11. Januar 1812. Mittags 3 Uhr. Ich habe zuletzt Clemens Brentano’s Brief gelesen, also fange ich von ihm an. Der Brief gefällt mir sehr, und ich habe mich in ihm nicht geirrt. O! hätte ich doch ewig mei- nen wahren Blick über Menschen befolgt, ewig dem Ausspruch gefolgt, der mit so unumstößlicher Wahrheit mitten in meiner Seele über jeden mir Vorkommenden zu mir herauftönen will. Ich finde eine unaussprechliche Milde und Biegsamkeit in die- sem Briefe: und ich muß dir wieder sagen, eine außerordent- liche Ähnlichkeit mit mir darin. Auffallend, und sehr unver- muthet war mir gleich die Handschrift; nie hätte ich sie von ihm so erwartet. Ganz wie von einer Frau, ich kenne tausend solche. Mich interessirt sein Gemüthe so, und mich dünkt ich kenne es so sehr, daß ich für mein Leben gerne wissen möchte, womit du ihn so gekränkt hast. Auch sehr meine Art mich auszudrücken, diese Stelle. Wenn ich ihm doch die heilende Entschuldigung unter deiner Gestalt hätte machen können! ich hätte ihm unendlich geschmeichelt, seinem Herzen; ich hätte es verstanden, wie man es machen muß. Du schriebest mir ja, er wäre nach Wien, und so sagte ich hier auch immer aus. Mir ist die Geschichte oder Anekdote, woraus er sein Stück schreibt, wie das Meiste, was ich gelesen habe, nicht gegen- wärtig; und du sprichst mir davon wie zu einer Mad. Sta ë l, die alles an den Fingern herzuzählen weiß; du schreibst gut über seine Art zu schreiben; ich aber wünsche nun schon von ihm eine strengere Manier; du weißt, ich will die Schriftstel- ler schreitend; und immer mehr Herr ihrer eigenen Manier. Von mir hat sich Herr Clemens, wie ich von einem Österrei- cher in seiner Naivetät erfahren habe, wieder plaisant geäu- ßert; was er gesagt hatte, wollte mir der Mensch gleich nicht erzählen, als er sah, mit welchem gar nicht zurückgehaltenen Begehren ich hastig danach fragte, und das Ganze wieder be- schönigen. Ich that das gleich selbst: und erfuhr auch nicht was er gesagt hat: frug auch nicht zu welcher Zeit. Es är- gert mich nur in so weit, als es der etwanigen Bekanntschaft zwischen ihm und mir in Weg tritt, weil es doch eine vorge- faßte Meinung verkündigt, die ihn darüber ganz nachlässig- oder abgeneigt dazu machen muß: ich fürchte mich aber gar nicht, daß wenn ich ihm nahe käme, ihn nicht durchaus zu ge- winnen: ich weiß was er sich an Menschen wünschen muß; und ich habe den großen Vortheil über ihn, daß ich wohl ihn, er aber nicht mich gelesen hat. Daß er aber nicht besonnen genug ist, lieber über eine ausgezeichnete Person, die er nicht kennt, nichts zu sagen und zu meinen, das verdrießt mich am meisten; und daß sein Innres, sein Schicksal und das seiner Freunde, ihn nicht dazu bestimmen, grade das Gegentheil von gemeinen, rohen, weitschichtigen Urtheilen zu denken; wie ich es mit ihnen mache. Das gilt auch von dem Frauenzimmer, von der ich dir neulich schrieb; die mich gut, mehr als noch rein menschlich, behandelte nach dem Eindrucke, den ich ihr machte, ehe sie wußte, wer ich war; und als sie es erfuhr, nicht schön sich über mich äußerte, und ich schäme mich zu sa- gen, nicht wahr; — ich aber umgekehrt, hatte alles mögliche Ungünstige von ihr gehört, glaubte nichts, weil meiner Vor- stellung die Person fehlte, auf die alles ankommt: ich sah sie, und eine übernatürliche Liebe berührte mein Herz; die ich aus Bescheidenheit, gegen sie, darin fest hielt. Sie hat unaus- sprechlich dad urch bei mir verloren. Denn alles erlaube ich einer Solchen, aber ordinair sein, nicht. Dies lies ihm alles. — Warum lobst du mich auch so sehr! Lieber! dann kann man dich natürlich leicht ärgern und mich attakiren. Ich liebe es aber doch! Lieb’ und lobe mich nur! kommen doch schlechte Menschen durch falsches Lob empor; so müssen bessere, da man ihnen keine Stelle vergönnt, auch durch übertriebenes gehalten werden. Adieu für heute, es wird ganz dunkel, und ich will essen. Adieu Lieber! Abends 6 Uhr. Das Komischste in der Welt ist, daß ich ganz überlesen, und unbedacht gelesen hatte, daß Clemens schreibt: „Da wir ja auch über Rahel, Fouqu é , Arnim, und Grimm, und mich selbst anderer Meinung sind“ ꝛc. ich also eine Art Rolle in dem Streit, und in den vorgelegten Versöhnungspunkten habe! Wenn du es nun für unschicklich und arrogant scheinend an- siehst, theile ihm das Obige nicht mit: arrogant, weil es so sehr unpersönlich war. Ich habe erst jetzt seinen Brief noch Einmal gelesen; und was ich schrieb, bezog sich auf Sonsti- ges. — Vorzüglich aber war alles darauf gemünzt, daß ich ihm gut bin. — Wie erkenne ich dich an den Zitaten, wo du ihm „peinlich“ warst! bei solchen Dingen kannst du auch zur Pein werden! Ich würde gar Abends nicht schreiben, sollte der Brief morgen nicht auf die Post, und ich für einen letzten Tag immer Störungen, von Menschen, Geschäften, Aufträgen, und Kränklichkeit fürchte. Du mußt gar nicht recht nachrech- nen, wie schnell ein Brief geht oder nicht, wenn du sagen kannst in deiner Seele, R. schreibt so lange nicht. Nun lese ich deinen Kritzelbrief bei Lichte noch Einmal, und dann will ich antworten. Fettig Papier und eine Gräuelfeder habe ich! — Lieber Varnhagen! Wenn du Goethen schreibst, lass’ ihm nur rechte Zeit, und ihn durch wahre Bescheidenheit sehen, wie hoch du seinen weisen gütigen Brief schätzest. Marwitz hat mir ganz göttlich drüber geschrieben, und kann die Güte, den Ton des Briefs nicht genug bewundern. Der ist unser Konfident. Was der von Goethe alles schreibt und sagt, möchte ich ihm auch spediren. Ich — für mein Theil, bin ganz beschämt und gestört, daß ich ihn nicht mehr so heimlich liebe; und dastehe wie Andere. Heimlich aber wird es ewig bleiben; denn ich selbst, kann es nicht so herausspinnen aus dem Herzen, und weiß ich, was er noch schreibt und thut? was ich noch erfahre? Volumes hätte ich dir zu sagen, wenn ich dir mittheilen könnte, wie verblüfft sein Leben sie wieder macht; wie sie auf mich fallen, auf mich : und was ich manch- mal glücklich rednerisch erschöpfend antworten kann, wie ich manchmal königlich schweige, zur höchsten Konfusion der Re- denden, nicht weil ich schweigen will, weil ich schweigen muß: und sie sehen es. Manchmal gelingt es mir, mit zwei Wor- ten an Stellen im Buche selbst zu verweisen; „Überlesen Sie doch nicht, welchen Rath Ihnen Goethe selbst giebt, den Ge- sichtspunkt, den er für solche Biographieen angiebt, daß er die Zeit schildert in bewußter meisterhafter Unschuld: zeigt und sagt, wie sich ein Mensch in und an ihr entwickelt, entwicklen kann und muß.“ So frug mich Graf Egloffstein eigends in einem dazu angestellten Besuch: „Was denken Sie von Goe- the’s Leben?“ Erst wollt’ ich nicht reden; er brachte mich doch dahin. Ich konnte ihm in sehr klaren, bündigen — nicht meine Force — Worten eine ordentliche Erklärung vor- tragen; er lächelte häufig, meines guten Sprechens, der für ihn neuen Gedanken, und sagte, ganz ehrlich und froh am Ende: „Sie haben Recht, nun weiß ich, was er meint.“ Der muß mir nun in die Lesekabinette, und das Casino und seine tausend Gesellschaften. Vornehmen thue ich mir dergleichen bei- nah nie; aber es fiel mir doch nachher ein. O! wie babylonisch ist die Welt; Clemens hat Recht: wo ich ein Dolmetscher sein muß! Siehst du, daß ich Recht habe, Bentheim so zu lieben? Auch auf mich haben die biblischen Stellen den größten Ein- druck gemacht, als die reinste beauté . Wie erhaben, wie abgezogen: das reifste Beschauen und Begründen aller Ge- schichte, mit dem unbefangensten, kindlichsten Auffassen ge- paart! Wie göttlich! Mein alter Spruch: widersprechende Eigenschaften, in Harmonie gebracht, machen den großen Mann. — Das Buch hat aber das größte Aufsehen gemacht, und hat die größten Verehrer, wüthendsten Anhänger. Wolf sagt, zweitausend Exemplare wären gleich weggewesen. Schede bracht’ es mir ehrlich; die vergöttern es. — — Es tutet 12 Uhr. Noch ein Wort. Varnhagen! ich sehe dir ernst in die Augen; und schmeichle dir sehr jetzt! Miß- verstehe meine Worte nicht, die ohne Ton und Blick hier ste- hen! — Vergiß nicht , daß deine Freiheit mir das Wichtigste ist, und sein muß — nicht aus Pflicht etwa verstanden — und daß es ganz von dir abhängt, daß auch deine Nähe mich sehr glücklich macht. Nur laß mich zu Ostern deine Pläne wissen. Gute Nacht! — Sonntag Mittag 3 Uhr. Es war grade so wie ich es befürchtet heute, mit den Störungen, die langweiligsten, gräßlichsten, und doch unver- mutheten, mich überfallenden Familienbesuche, und Frauenbe- suche, ich bin ganz erstorben. Gnädiger Gott! dergleichen ertrag’ ich nicht mehr. — Daß Josephine P. so beschränkt ist, weiß ich sehr wohl: dies allein machte, daß ich nicht gleich, als ich sie kannte, bei ihr blieb. Nicht allein ich will mich absolut mit höchster Einsicht nicht beschränken; und hätte ich eine dahin neigende Natur, so würde ich mich zum Gegentheil zwingen; sondern, ich kann mich nicht beschränken, und könnte diese meine Natur nicht bezwingen. — Lieber, ich habe alle meine Papiere durchsucht, und kann keine Gedichte von dir finden. Ich möchte vergehen! aber machen kann ich doch keine! — Ich denke ich soll wahnsinnig werden für Glück, wie Goethe immer in die hohe Kammer geht, „die Gewitter ab- zuwarten“. In meiner tiefsten Kindheit that ich das auch schon, und noch berücksichtige ich alle Quartiere danach, ob man zu einem Gewitter viel Himmel sieht. Jetzt hab’ ich Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem Menschen deutet, das weiß ich; und seine Konstitution kenne ich auch. Erinnerst du dich des Gewitters in Charlottenburg, wo du mit Markus und Bribes ankamst? da fürchtete sich die Schwägerin, und ich wurde ganz grausam: ich hasse die Leute, die sich vor Gewitter fürchten. Adieu! Nostitz wird über Ber- lin quer-ein schimpfen. Rechne ab. Lebe wohl! An Varnhagen, in Prag. Donnerstag, den 30. Januar 1812. Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichst antworten, alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht ertragen: lesen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir besonders dav on ein leiser Versuch ganze Nächte, und Aus- gehen durch die Kälte dasselbe; ich bin wohl öfters ganz ver- zweifelt, klage aber aus dem reinsten, tiefgefühltesten, stärksten Ekel nicht mehr: bin auch seit gestern, ohne alle Ursache, au- ßer, daß ich in einigen Tagen der Zerstreunngen wegen, die mir meines Bruders junge Ehe abzwingt, gar nicht zu lesen versucht habe, körperlich vergnügt, wegen zwei Nächten Schlafs. Vorgestern hatte ich die Familien, Hamburger Fremde, Minna Spazier, die ich oft und gerne sehe, Fouqu é und Marwitz zum Thee. Wolf, der Minna kennen lernen wollte , ließ mir spät absagen. Marwitz war seit Freitag bis gestern in Erb- geschäften hier. Wir sprachen uns ganz klar. — Ich kenne sehr wohl diese Art von Beweisführung, und Aufbauung von Systemen; jeden beliebigen Punkt in der Natur kann man sich wählen, und daherum den Rest des Universums spielen und sich bewegen lassen: geschieht dies aber befangen und eigensinnig, so mag der Erfinder noch so geist- reich sein, er wird närrisch, und riskirt es zu bleiben. Ein großartiges Verfolgen aller nur zu erfindenden Systeme, ein solches Lossagen davon, ein starkes Ergeben in alle Möglich- keiten, die ein höherer Geist in seinen Händen hält, ein na- türliches Anerkennen der Dinge, die für uns sind, ein ehrliches Verfahren in den Tiefen unsers eignen Geistes, dies dünkt mich ist fromm, und gottgefällig; und gefällig allen seinen Gesandten und Geweihten. Basta! — Frau von Fouqu é sah ich zweimal, einen Mittag aß sie unverhofft, — weil sie mich Einmal verfehlt, und keine andere Zeit mehr hatte, — mit ihren Töchtern bei mir, Marwitz blieb auch, Hanne hatte ich für Clara genöthigt. Frau von Fouqu é ist ganz liebenswürdig . Äußerst wahr in allem . Ganz natürlich: und freundschaftlich und gut mit mir. Sie hat unser Aller höchsten Beifall. Heute Morgen ist Robert mit ihnen nach Nennhausen gereist. Sie frug mich nach dir, und nach deiner Uniform, und meinte, sie müßte dir sehr gut stehen. Sie ist in allem so gütig und unbefangen, als wie sie dies sagte. Gestern schickte mir Schleierm. was ich dir hier einlege. Also der ist gut mir dir. Wenn du kommst, Lieber, ich bitte dich, mache nur alle Leute wieder gut und keine neue böse; es ist mir unerträglich; und in jedem Briefe werd’ ich dich darum bitten müssen. Ich bin gar keine Zänke und Scenen gewohnt; und eine gewisse Tagesruhe und Ebenheit ist der ganze Rest menschlichen Glücks, was ich besitze; dies und persönliche Unabhängigkeit, sehr von meiner Börse, aber von keinem Menschen beschränkt. Ich bitte dich um Gottes willen! raube und störe mir dies Letzte nicht!! — Und warum auch dies, Varnhagen? Du hast grade alle Mittel, dich bei Men- schen angenehm zu machen — und dies wird deiner Lage nach noch besonders nöthig — und bei mir auch: wolltest du das nicht? Ich bin mit Marwitz und Andern ganze Tage, und ganz vertraut: und nie entsteht eine Scene; und keiner als du macht mir solchen Vorwurf: und mit dir zanken sich so Viele. Auch weißt du’s sehr gut. Du liebst mich ja! Laß mich’s empfinden! Leids ist mir bei allen Himmeln genug geschehen! Mich loben und lieben von neuem, trotz meiner äußerst beschränkten Lage, alle Klassen von Menschen meiner Geselligkeit wegen: sie ist nichts als Güte: und die wolltest du nicht fühlen? sie uns läugnen? Nein: du wirst besser sein! — Nun möcht’ ich dir am Ende des Bogens gerne für alle deine Liebesworte danken; ich habe dir eben in diesem Briefe nicht geschmeichelt; sei versichert, ich fühle ein jedes, und nehme es in’s Herz auf, wie es aus deinem kommt: das ist die Hauptsache; und so wird auch kein Betragen an mir vor- beigleiten. Du bist noch über niemanden so tief und klar- sehend gewesen, als über Clemens Brentano, und so wohlbe- redt und worttreffend: ich meine nicht allein in deinem letzten Briefe; ich fand’s schon früherhin, vergaß aber öfters es dir zu sagen. Sei wahr gegen ihn und sanft. Seine Schwester sollte die vorige Woche eintreffen, ich weiß nicht, ob sie ge- kommen ist. Fichte, mein lieber Herr und Meister, hat mich durch Fouqu é grüßen lassen, und mir Vorwürfe machen las- sen, daß ich ihn nicht sehe: mir sehr erwünscht: aber ich kann nicht in die Kälte gehen; sie ist jetzt erst streng. Grüß und pflege Josephinen: es ist ganz so wie du von ihr sagst. — An Varnhagen, in Prag. Donnerstag, den 27. Februar 1812. — Ich bin allein, ohne lesen zu können, — seit drei Ta- gen geht es etwas — und ohne Menschen ertragen zu kön- nen: unzufrieden mit den Geschwistern. Ohne Luft, Musik, Augen-Weide, oder nur-Punkt. Ohne Hoffnung für irgend ein Glück, oder Amüsement; den Sommer fürchtend: und ganz in einem großen Meer , von zahllosen Tropfen des Mißlingens . Ohne Narrheit, ohne eine jene Welt. Denn Denn diese ist mir eben so gut eine jene. Kurz! in der lang- weili gsten Verzweiflung! Es dauert zu lange; zur Probe, zur Buße, zu was es sei. Für ein edles Geschöpf. — — Auf dies Leben hoff’ ich nicht mehr. Ich kenne nichts Elenderes, als so bis sechzig hinan zu warten; mit Hoffnung. — Mir geht’s ja Schritt vor Schritt schlechter durch jedes événement durch! Und kein Freund: kein Mensch kann mir nur sagen, thun Sie dies, oder das: es ist nichts zu thun. Es geht ihr gut genug, denken sie dumpf, nicht deutlich: die mich am we- nigsten hassen. Freunde lassen es geschehen. Erschöss’ ich mich: wunderten sie sich, wie über Kleist. Diese Begräbniß- feier, mich nicht zu wundern, habe ich ihm wenigstens ge- halten! — Du bist der Einzige auf der Erde, der mir begegnet bist, der da fühlt und weiß, bei dem es immer rege ist, wie über- natürlich schlecht es mir geht. Wie keine Antwort auf alle Anforderungen des Lebens meiner Natur kam. Nie. Davon bist du ergriffen, und das ist ein großer Theil deiner Liebe zu mir. Für dein Aug’ allein, ist das schreckliche Schauspiel da ! Hättest du mich selbst gemordet, und ein Bewußtsein schwämme noch auf der Erde, so würde ich dich dafür wieder mit Liebe erfassen müssen, wie jetzt. Das wollt’ ich dir längst gerne ausdrücken; und jetzt ist’s Schuldigkeit; und es geht oft, und immer, lieblicher in mir her, als ich’s jetzt in Krankheit und aller und jeder Betrübniß aufsetze. Das weißt du auch; und diese Wurzel trug dir Liebeszweige, und auch manche Blüthe. — War es Eitelkeit, so nahm meine Eitelkeit den Weg, auf dem ich dachte: er wird mich anders, als die an- II. 2 dern Frauen behandeln; Neigung scheint ihn zu mir zu füh- ren; und keine war ihm noch, von denen er begegnete, ge- wachsen. Ich stehe auch als Freund hoch über allen bei dir. — — So irrst du auch, mein lieber Freund, und sagst dir durchaus die Wahrheit nicht, wenn du dir und mir vorsagst: „Man lebt unwachsam in die Jugendjahre hinein, und sieht sich unerwartet zum Bösewicht geworden aus einem guten Kinde.“ Ein Kind ist ein unentwickelt unberührtes Ding, und immer gut, weil sein Toben gegen Tische, Stühle und Spiel- zeug geht, welches man ihm preisgiebt, und welche Zerstörung man ihm nicht anrechnet; so ist’s nicht schlecht , im Mangel der Begriffe höchstens! Aber die Jugendjahre sind die tugend- samsten, schönsten, aufflammendsten; ich verzeihe grade der Jugend nichts Schlechtes. Das ist gewiß ein faules Pro- dukt: wo die höchste Gährung nur Schlamm erzeugt. Leicht- sinnig kann tobende Jugend wohl sein, aber nur gegen sich selbst. Ja, eine edle glaubt gar nicht , daß man Andere beeinträchtigen, verletzen kann. Erst spät, wenn man selbst dahin ist; von Stößen und Wunden, und nirgend mehr Raum finden kann, noch Stelle zum Bleiben, ist es möglich, daß man endlich sich entschließt, sich Platz zu machen, und sollten auch Andere — doch Verwundete und Verwunder — eine Narbe davon tragen: und doch vergeht mancher Edle, ehe er selbst die wahre Jugend durch solche Handlung von sich ab- streift. Wenn ich Staatsgesetze zu geben hätte: so schützte Tollheit keinen Verbrecher vor Todesstrafe, wenn sich seine Tollheit mit dem Verbrechen, worauf jene steht, anhöbe; wenn er sich selbst verletzt, kann er nach dem Tollhause. „Glaube mich nicht schwach: ich habe Frevelmuth genug in mir, um weiter zu leben, Besonnenheit genug, um in Thä- tigkeiten zu bestehen, für die mir kein Gemüth und kein Geist bleibt!“ So schreibst du mir im letzten Brief; nicht geden- kend der Worte, die den von Clemens begleiteten: „Ich stehe hoch über meinen Fehlern.“ So, mein sehr Lieber, denk’ ich von dir: und habe es dir schon öfter gesagt: „Das ist ein gebildeter Mensch, der seine Anlagen bezwingt, wenn Natur nicht gnädig gegen ihn war; der sie nur in sich einsieht; sie ermessend behandlen, ist einen Schritt weiter.“ So ungefähr sagte ich. Du stehst als der Gebildetsten Einer mit deiner Einsicht hoch über deinen Naturfehlern. Theurer Freund! hasse sie immer, nenne sie dir, bekämpfe sie. Du liebst ja das Schöne so in Andern, bist so gerecht, so tapfer in der Aufweisung und Schätzung ihrer Gaben; mach dich selbst urbar, wo Dürre gelassen ist, und laß dich von deinen Freun- den hinwiederum lieben: du weißt, welches Glück, welcher alles heilender, weicher Zustand dies ist. Lieber Guter! dein Brief an Goethe über mich ängstigt mich ordentlich. Freilich, Lieber, wird er ihm die Jugend und Liebe wohl ansehen. Du sprichst von meinem „Talent“!? hab’ ich ein namhaftes Talent? das, das Leben zu fassen; und manchmal barock, in komisch- oder tragischer Hülle, es zu nennen was ich sah. Mein Unglück — sag’ ich ja schon lange — ist zu meiner Schmach eins ohne Titel; darum wird mir auch nie geholfen. Ich bin eine Falschgeborne, und sollte eine Hochgeborne, eine schöne Hülle für meinen innren wohl ergie- bigen Grund sein! Eher hättest du ihm von meinen wirklich 2 * vielen Verbindungen und Bekanntschaften sprechen sollen. Darauf zielten auch seine Fragen; und er merkte es wohl, der Merker par excellence, daß es eine solche Person sein müsse. Doch wie es sei! Und sieht er mich je, so wird er schon wissen, was — Gebratenes — an mir ist. Adieu. Indessen! Lebwohl! An Varnhagen, in Prag. Sonnabend Abend 11 Uhr, den 7. März 1812. Heute vor dem Finsterwerden gab man mir deinen Brief, wo der über mich geschriebene an die Gräfin Pachta drin lag. — Mit großen Liebespulsen antwortete mein Innerstes auf jedes deiner Liebesworte, und Sehnsucht, der Wunsch dich zu sprechen, bildete sich in meiner Seele. Gewiß sah ich dich mein in einem gewissen Sinn auf ewig, und so antwortete ich auch dir . Ich freute mich, daß mein Montag abgegan- gener Brief dir jede Antwort auf den heutigen eigentlich schon im voraus brachte. Mit einem schwer aus dem Herzen drin- genden Seufzer sah ich den an Josephine an, stand der zu gebeugten Seele, des Körpers wegen an, ihn zu lesen, und gedrängt von mir selbst, that ich’s doch. Ach lieber Freund, in welch Geschrei zu Gott, und Her zpochen für Schmerz, fiel ich nach dem Lesen. Alles weiß ich: jedes hab’ ich wohl selbst hundertmal in verschiedenen Briefen, wo von mir endlich alles steht, selbst gesagt. Aber wie gräuelhaft, wie rettungs- los, wenn es auch von außen, wie Mauren, ausgesprochen von fremdem Geist, uns entgegentritt. Ach, warum mußtest du mich auch jetzt schon so stark halten, daß heute dieser Brief kam. Ich fühlte mich eben so krank, daß ich es nicht mehr zu scheiden wußte, wer den andern erst so gemacht hatte, Ge- danke oder Körper; aber durch lange Tage und Nächte durch, hatte ich mir die schärfste, genauste, unumstößlichste Rechen- schaft noch Einmal gegeben, wo die wahre Wendung meines Wesens geschah, welche mein ganzes Schicksal gründen mußte: denn eine gewaltsame, nicht liebliche ist vorgefallen; und Karakter bildet Schicksal, Naturingredienzien so oder so ge- stellt. Ereigniß, und Gründe, erwog ich noch Einmal! und ach! zu was als humilité — ich kann das deutsche Wort nicht finden — zu Verzweiflung der Edlen, konnte dies führen. Und wie zu einem Chore kam dein Brief die Tragödie voll- kommen zu machen. Laß es dir nicht leid sein, auch viel Liebe habe ich darin erfahren; und mein noch lebendes Herz hat sie wohl, ja ganz erkannt. Ärgeres noch, als in deinem pa- négyrique steht, sagt sich die arme ausgesetzte Rahel! Dies können die Menschen glauben, du weißt es; wenn Großes, Besonderes in ihr ist, so ist es das; sie weiß, was in ihrem Kreise ist, und sieht und sagt sich das Härteste, wie wohl sel- ten ein Mensch dies auf der Erde that. Und so kann ich sagen, mein Schmerz und mein Verlust ist unendlich; darum verstehe ich auch alle andern — Schmerzen, — darum ist auch der Verdruß immer so groß, wenn du , der Einzige, dem ich so bekannt bin, der Engel, den mir Gott mit Trost in meine Zeit schickte, wenn der abspringt, und mich ärgern mag, oder, welches eins ist, sich selbst mit einemmale fehlt! — Aus die- sem Gesichtspunkt, mein geliebter Freund, verzeih mir! Freilich muß ich mit dir strenger und härter sein, als mit Allen: von dir ganz allein fordert’ und erwartet’ ich; und thu es noch. Dies alles, trotz meines Kopfes, meiner hinz ufallenden Müdigkeit, mußt’ ich dir noch heute sagen. Sonst verliere ich die Worte, die tiefste Stimmung wieder. Als ich ganz müde und todt, lag, und Minna Spazier erwartete, heute fürchtete — ich sollte ihr Geheimrath Wolf zitiren lassen, kam meine älteste Nichte, die blieb bis jetzt. Nach 10 Robert. Ich weinte langsam immer fort, in des Mädchens Gegenwart, nämlich mein Herz und meine Augen. Doch sprach ich oft, und reichlich, und unterhaltend: wenn ich manchm al ganz schweigen muß, ist das das Höchste. Minna kam Gottlob nicht, und so konnt’ ich Wolf auch weglassen. Schlaf recht wohl! — Die blinden rohen Leute! — mir geschähe das bei einem Trommler mit einem Bart nicht, wenn er meine Seele hätte! — mich unweiblich zu finden: ist das weiblich, sich auf Menschen und Schicksal ohne Wahl wie auf ein Lot- terbette zu werfen, und da nach gut Glück faulen, oder Kour annehmen? Große Natur, allmächtiger Gott! wie erlaubst du deinen Menschen sich zu versperren! ganz klein, ganz klein! Nun fällt’s mir erst wieder ein! Dein Brief an Josephinen ließ mir mich wieder sehen, wie eine Todte, ein Geist ohne Blut und Leben, der neben seinem an, noch wandelt. Schrecklich! Und doch, großer Gott! große Natur! ist es Gottlob! anders noch, als ich, und irgend je- mand zu fassen, in einen Begriff, als wir es auszusprechen vermögen! Sonst wär’ ich ja auch wohl, in Gottes Gnade, schon todt hingeschlagen. Gute Nacht! Sonntag, den 8. März, 12 Uhr Mittags. Ich habe eine schlechte Nacht gehabt, nicht möglich ein- zuschlafen: — am Morgen, wo ich denn immer einschlafe, stellten sich Hähne vor mein Fenster, und wetteiferten in ihrem abominablen Geschrei auf’s genauste. — Am Ende ließ ich sie wegjagen. So ist’s auf den Straßen unserer edlen Stadt. Hühner horden ! Dann schlief ich noch ein wenig. Ich sehe sehr deteriorirt aus. Natürlich! Krank, keine Luft, keine Zerstreuung keiner Art. — Sonst, wie ich die Behülfliche — mit meinen ewig geringen Mittlen — sein konnte, ging alles: aber an wen kann, soll ich mich wenden! Auch ist meine ganze Gesellschaft zerstört, zerstreut, todt, arm. Dabei, bei diesem Knappen, bin ich Dankbarkeit schuldig, und zur Last ; denen, die ich meiden möchte unter den besten Bedingungen; was ich am meisten fürchtete, wogegen ich fünfzehn Jahre rang, muß ich bis auf den Boden leeren. — — Es sind nun sechs Wochen, daß ich ganz zu Hause bin — wie oft und lang vorher! — und nichts geht bei mir vor, als kleine unange- nehme Häuslichkeiten: und ich habe keine andere Sensation von außen, als die ich mir selbst gebe! Entschuldige also mein endliches Zusammenbrechen. Du hast ganz außerordent- lich das reine, unbefangene, kraftvolle Zuhören und Auffassen von Josephine in deinem Briefe ausdrücken können! Diese Schönheit der Seele, die nur ein Zeichen von andern Schön- heiten ist, gewann ihr meine ehrende Liebe mit zuerst. Ach! und was will die; sie war schön, und edelgeboren! Bei Gott dem Richter! Mein Herz und meine Seele sind eben so schön und so viel werth. Wo rin hält sie sich wohl für weib- licher? von ihr ärgert mich der grobe gemeine Irrthum für sie ! „Anmuth,“ Lieber, hatte ich nie mehr; dir muß es aber so scheinen: denn du bist wirklich der Mensch, bei dem ich anfing: sollte von Liebe die Rede sein, auch zu fordern. — In der Erscheinung war ich’s nie, graziös. Aber die Grazie des Herzens, die aber nicht durchdringt, hab’ ich noch. Wann findet man das nicht? Wo fehlt es? hat es einen ungerech- ten Puls schlag gegen irgend eine Kreatur! — will ich für mich besonders mehr? Nicht für alle Menschen, und Thiere fast, dasselbe? Bin ich nicht immer gut; nur aus der Folter gelassen, weich? Mittheilend, theilnehmend, in jeder Minute? „Hülfreich, edel und gut!“ wie’s Goethe gebeut. O! Gott! Nun bin ich nicht mehr allein. Moritz ist gekommen mit Ernestine und der Schwiegermutter. Ich bin überzeugt, daß Hr. von Knorr eben so delikat für dich war, als er für sich selbst würde gewesen sein, also bin ich über deine Angelegen- heit ruhig. Mad. Paczkowska hat hier nicht die Leipziger Rollen, sondern die Orsina, Maria Stuart, und in dem ver- bannten Amor, ohne Beifall gespielt: das will aber gar nichts gegen sie sagen: weil sie hier nur ihre Alten mit den alten Fehlern dulden. Ich war krank, und geh gar nicht in’s The- ater. Dies für Mad. Brede! Grüße doch den Gr. Bentheim recht besonders von mir, ich denke sehr oft an ihn mit großer Neigung. Hr. Geheimrath Wolf hat mir Woltmanns Über- setzung vom Tacitus gegeben. Das geht zu weit! Ich schäme mich, daß man dies in unsrer Litteratur finden wird, und wundere mich zum Tod, daß ein Buchhändler es angenommen hat. Neumann sehe ich nicht mehr. Frau von Fouqu é hat mir mit Robert geschrieben, der fünf Wochen bei ihnen war. Ich werde ihr antworten. Das Briefchen ist gut, tüchtig, und wahrhaft. Viele Empfehlungen an Hrn. von Nostitz! Vor- gestern spielte die Longhi. Sie gefiel nicht: das Publikum sagt, sie reißt die Harfe. Wenn es Recht hat, nenne ich es das Publikum. Adieu. R. R. An Alexander von der Marwitz, in Potsdam. Dienstag Abend 7 Uhr, den 17. März 1812. „Allgegenwärt’ger Balsam allheilender Natur.“ Auch dem menschlichen Geiste muß so etwas beigegeben sein; ein seliges Vergessen, ein nur auf ein Maß Zeit gegebenes Fassen des Unheils; und auch ich habe schon öfters empfunden die Unzu- länglichkeit in mir des Verzweiflens und Unglückaufnehmens. Denn so eben wollt’ ich losschreien über der Franzosen Ver- geßlichkeit! Sie machen, so lange die Revolution währt, und besonders die in Frankreich, und in ihren Büchren seit der Zeit, als hätte es dergleichen noch gar nicht gegeben. Und was war diese Revolution gegen Karls VI Regierung! Chauf- feurs , Septembriseurs, Verräther, an Bürgern und König, gab’s aus allen Klassen; Mord, Mordenlassen, falsche Eide, wozu die Religion und ihre ersten Diener in Anspruch und zu Zeugen genommen waren, war Tagessitte. — Frankreich ist das bewunderungswürdigste Land! Erstlich, begreife ich nicht, wo in einer ganzen solchen Zeit nur eine Ernte, eine Aussaat, eine Fabrikation zu Stande kam; und dann, wie in wenigen ruhigen Regierungsjahren sich eine so freundlich feine Sitte bilden konnte, die das Muster der übrigen Erde wurde. Das sind wahrlich ächte Menschen; sehr bös, sehr vergeßlich, und leichtsinnig; sehr religions- und ehrbedürftig, geschickt und zerstörend, geistreich und roh; und ganz unbe- greiflich. Und solche unbegreifliche Unsinne gehen vor! oder ist das nur der Verfasser der Memoiren? Welch entsetzliches Aufheben wird von Johanns von Burgund Ermordung ge- macht, als wenn er ein unschuldig Täubchen wäre, und der Herzog von Orleans von seinem Girren umgefallen wäre? Als Johann den vor, — oder hinter, kurz beim Ausgang einer Kirche — morden ließ, und es drei Tage nachher selbst ge- stand, geschah nichts; als kriegen, welches immer seinen Gang hatte; und als Mörder, Mörder eines königlichen Prinzen, eines Verwandten, war nicht von ihm die Rede. Wissen Sie, was ich bemerke, woraus großentheils das Unglück der Zeiten besteht? Daß eine immer in die andere greift; und nicht die neue in die alte, sondern die alte noch in die neue. Frank- reichs Unglück, zum Exempel, hätte damals gar nicht so wach- sen können, wären nicht so viele feste Schlösser dort, so viele kleine Gebiete, so verflochtene Herrschaften vorhanden gewe- sen; und der Sinn und die Meinung all der Besitzer davon: daß sie theils eigenmächtig und wehrständig sind, und theils das Recht haben einen Lehnsherrn nach Belieben zu wählen. Von den Vilains war nur beiläufig die Rede, und das durch die frömmsten weisesten Leute, deren immer nur wenige sein können. Was ich hier gesagt habe, heißt nur mit andern Worten: Schade, und Jammer! daß der Geist unserm Aus- üben auf Erden immer vor ist; welches sich ewig von neuem zu unserer Qual und Schmerz wiedererzeugt. Ich kann gar nicht raisonniren, wie Sie sehen; weil ich immer bis zum Erd- ball, der Menschen Geist, und dem lieben Gott komme; und dann an dem Berg stehe: und ein Raisonnement soll schreiten. Aber ich wollte meinem Geschichtsprofessor mich doch auch Ein- mal produziren: und ihm zeigen, daß ich mir Gedanken bei Lesung derselben mache; welches mir mit Gedächtniß noch schwerer gelänge. — Nun warte ich auf einen Brief von Ih- nen! bis mir etwas einfällt. — Dienstag, den 24. März Vormittag 1 Uhr. Wer weiß, ob man mich so lange allein lassen wird, bis ich Ihnen ein paar Zeilen werde geschrieben haben! Sie se- hen, Undankbarster, wann dieser Brief angefangen ist. Sie sind stumm, und schicken mir auch kein Buch; und nun muß ich mit meinem Lesen warten. Dazwischen lese ich, wenn sie mich nicht stören, ein altes Buch, den Streit von Mendels- sohn und Jacobi betreffend, den ein gradgesinnter, vernunft- rechter Mensch darlegt; Mendelssohn hat Unrecht. Dieser letztere aber hat, welches dabeigebunden ist, die Schrift eines englischen Juden [Manasseh Ben Israel] übersetzt, und eine Vorrede dazu geschrieben, die meine Bewunderung ausmacht, so elegant und besonnen ist sie geschrieben; auch das Buch könnte, nein, sollte, den jetzigen Übersetzern ein Muster abge- ben. Des Juden Buch betrifft seines Volkes Zustand in Eu- ropa, und die Auseinandersetzung der Gründe an die englische Regierung, aus welchen sie sie bei sich aufnehmen sollte: es ist im Original englisch; der Verfasser lebte zu Cromwells Zeit in Amsterdam, und bekam die Erlaubniß, nach England hin- über zu gehen. Er schreibt einen sehr schönen Brief an einen vornehmen Engländer. ( Ich , die unter Friedrich Wilhelm von Preußen lebt, schrieb vorgestern einen großen original-deut- schen Brief an Frau von Fouqu é ; welches mich abhielt, dem Ritter von der Marwitz, meinem Freunde, zu schreiben.) Unter einem Usurpator, wie man’s nennt, regt sich die Menschheit, es sei unter ( entre heißt dies „unter“) welchen scheuslichen Larven und Gestalten es wolle, immer; dünkt mich. Könnt’ ich doch Einmal ganz aussprechen, wie die Geschichte vor mei- nem Geiste liegt. Ist es nicht Jammer und Schade, daß ich die Geschichte nicht weiß, wie Sie? Nein! so viel, wie bei und an mir, ist lange nicht verwahrlost worden! Sind Sie noch zerstreut , lieber Hamlet? Hamlet, wegen: „Zweifle, ob die Wahrheit lüge“ ꝛc. — Die Menschen zu einer Höhe zwingen, und haben, wo sie sich nicht halten können, ist wahrlich schülerhaft. Aber nichts ist schwerer wieder mit aus der Welt zu nehmen, als der Drang nach Bewunderung, Liebe, Wohlwollen; die Reich- und Weichherzigen übereilen sich diese Schätze auszuschütten; und nur sehr wenige, auch mit Maß und großer Stärke, zu jenen Gaben, Begabte, sind weise vor dem großen Defizit. Ich bin es mit und während (!) der größten Einsicht nicht . Da steh’ ich wieder ! Fest hatt’ ich mir vorgenommen, nicht mehr von mir zu sprechen: wie von einem ausgegangenen Baum: an dessen Stelle endlich neue Pflanzungen kommen müssen. Mein Geist lebt aber noch: und wie soll sich der an- ders nennen, als: ich ? Mit mir steht es höchst elend. Meine innerste Gesundheit scheint erschüttert; und außer meinen Ge- schwistern merken’s alle Menschen an meiner ganzen Haltung und Weise; auch ich fühle es, auf alle Weise, von der stum- pfesten Eitellosigkeit, bis zum konvulsiven Schmerz — Schrei der Thränen —, und in wahrer Verzweiflung bin ich, wenn ich glaube, ich würde nicht wieder gesund, und so hingepeitscht bis in’s taube, stumme Grab: ohne Gesundheits gefühl vor- her; jedoch lodert mein Geist immer von neuem wieder auf, als schüttete man große Behälter voll Schwefel auf eine Flamme; der sie zu dämpfen scheint, und furchtbar nährt. Dies kann ich denn den Freunden nicht, nicht einmal jeder Umgebung, verbergen. Immer noch Einmal überdenke ich das Überdachte, kombinire es zu andern Gegenständen des Denkens, und es muß passen. Theils bin ich dazu gezwungen; theils geht das in meinem Kopf wie in einem Gebiete vor, wo ich nur das Hinsehen habe; wie große Vegetationen, die sich die atmosphärischen Kräfte unter einander selbst verleihen, in dem einmaligen zum Leben gezauberten Dasein! Mein unschuldig- ster, und auch leidenlosester, fast amüsanter Moment ist, wenn ich ganz neugierig werde, wie das noch mit mir und allem werden wird. Ich war auch in der Komödie, wo ich das Opferfest habe spielen sehen. Dies ist doch die größte Marter, die man sich anthun kann: sich durch schmerzbringende Töne, und Verkehrt- heiten, stillsitzend, und zur Bewunderung einer Masse von Menschen, die doch alle acht Groschen haben, beweisen zu las- sen, wie entfernt unsere Nation von aller Kunst ist; durch zehnfach mißverstandene Ausübung einer, die die meisten ge- braucht, und, wie jede von ihnen, alle in sich begreift; einer Kunst, die den Menschen so natürlich ist, daß sie durch eine Schule von verrenkten Ein- und Ansichten erst aus ihnen muß ausgerottet werden: von welcher Schule — wie selten gelingt dergleichen! — Rebenstein ein lebendiges Ideal ist; zur sicht- baren Glorie des großen Meisters. Amen! Ich brauche Luft! denn ich schöpfte nicht Athem vor Disgust. Leben Sie wohl! Und ver- dienen Sie solche lange Briefe durch eben so lange. R. R. Aus Alexanders von der Marwitz Erinnerungsblättern. März, 1812. Rahel erzählte, wie sie, während des albernsten Gesprächs Anderer, die tiefsten, göttlichsten Gedanken gehabt habe. „Nein, Marwitz, sagte sie, und es flog mir wie ein Strom, über den lauter solche Zweige liegen, broussailles, und die Andern mer- ken ihn gar nicht, weil sie nur das Grüne sehn.“ „Und wir sprachen wie der Wind, der hoch über die Erde weggeht, und die Erde merkt es gar nicht“ sagte sie ein an- dermal von einem leidenschaftlichen Gespräch, daß sie in Ge- genwart insipider Menschen geführt hatte. Von der Sta ĕ l sagte Rahel: „die nichts hat, als einen mich inkommodirenden Sturmwind. Es ist nichts Stilles in ihr.“ Ich erinnerte sie an die Stelle in Schleiermachers Weih- nachtsfeier, wo die Kleine die Musik findet: („Ach Musik, große Musik, Musik für mein ganzes Leben! Kinder , ihr sollt singen!“) — „O Gott, gnädiger Gott! rief sie ganz lei- denschaftlich aus, wie kannst du so etwas erlauben von dei- nem geistreichen Priester!“ — Wir lachten. Von Schleiermachers Kritik der Ethik: „Es ist wie eine Fabrik von Hämmern, die das Höchste arbeiten, aber selbst nicht das Höchste sind.“ Von der Orangerie im Maxischen Garten, einem finstern, inwendig verfallenen schmutzigen Loche mit großen trüben Fen- stern: „Das sei die Residenz des Gottes der Spinnen; da hause er, ganz hypochondrisch, von allen Göttern entfernt und mit ihnen verzürnt.“ Wir redeten von den unbequemen österreichischen Wurst- wagen, und wie lächerlich es an dem alten Ligne sei, daß er, um den jungen zu spielen, darauf herum fahre. „Der, sagte Rahel, sollte sich lieber Probe tragen lassen auf einer Bahre, um zu sehen, ob seine Leiche es auch aushalten und nicht etwa wieder lebendig werden würde.“ Denselben, in einer gewissen Uniform, nannte sie den „Polizeikönig.“ An Frau von Fouqu é , in Nennhausen. Sonntag 2 Uhr mittags, den 23. März 1812. Eh Sie mir noch geschrieben haben, hätte ich Ihnen schrei- ben können: und bei mir ist es gewiß , daß wir uns sehr verstehen würden; sich zu verstehen ist ja das urgenteste und menschlichste Bedürfniß der Menschen; woran sie zwar so häufig, aber doch nur durch ein paar Ursachen verhindert werden. Sie wollen entweder aus kleineren Absichten, in denen sie sich verlieren, lügen; oder sie sind unverständig, und die feinen Spitzen der Sinne, woraus der Sinn besteht, feh- len ihnen. Sie , liebe Frau von Fouqu é , erscheinen mir wahrhaft und verständig; und die innigste Freundschaft un- ter uns würde mir weniger auffallen, als ein Stillstand in unserer Bekanntschaft. Diese Meinung flößten Sie mir gleich ein, und jedesmal, daß ich Sie sah, wurde ich darüber siche- rer. Um so mehr aber möchte ich Ihnen danken für Ihre An- rede, und für die Art derselben; läßt man nicht oft das Köst- lichste, zumeist für uns Bestimmte, aus abgestumpftem Muth, endlicher Lässigkeit, und immer zunehmender äußerer Zer- streuung seitab liegen; und greift nach unwerthen Dingen, an die man die Tage und Kräfte in Unmuth und Feigheit, hingiebt! Mein Dank, daß Sie mir geschrieben haben, muß sich als Bewunderung äußern, daß es Ihnen möglich war, auf Anforderung eines Andern einen so weichen, lieben, na- türlichen Brief zu schreiben! Mich dünkt, ich hätte es nicht vermocht. Künftig aber, Liebe, schicken Sie mir nie wieder einen einen offenen Brief; mir ist, als entflöge den Zeilen geistiger Duft, wenn meine Augen nicht die ersten sind, die sie lesen: mein Vorurtheil geht so weit, daß ich mir ein Gewissen dar- aus mache, einem Freund, wie es doch manchmal kommt, eine Stelle zu zeigen, ehe ich einen Brief zu seinem Herrn schicke. — Glauben Sie es, liebe Frau von Fouqu é , ich war sehr saisirt, bei der Stelle in Ihrem Briefe, die Sie einen Schrei nennen, und noch ehe Sie sie so nannten. Was verstehen Sie darunter: „Ich habe mich unzähligemal verloren?“ War Ihr Herz veräußert? Oder konnten Sie sich lange vor Ih- rem innren Gerichte nicht vorfinden? „Aber ich finde mich wieder. Das ist gut, aber macht nicht gut.“ (Dies der Schrei.) Ist meine zweite Frage Ihr Fall, so glaube ich, das Wiederfinden macht auch gut. An sich arbeiten; klar machen, was uns verwirrt und drückt; und wären es die größten Schmerzen, zum größten Bankrutt führend, heißt ja gut sein: Fasern und Nerven, Wünsche in uns, können wir doch nicht ausstreichen: und soll- ten diese allein nicht heilig sein, nicht mit der Scheu der Frömmigkeit betrachtet, behandelt werden, als andere Werke und Feststellungen der Natur, ja als der tiefe Hang, das große Bedürfniß, recht zu thun, in uns? Ich fühle ganz, daß es nur Ein unerträgliches Übel giebt: wenn man dies Be- dürfniß nicht befriedigt hat, und das Gewissen krank ist. Na- türlich, dies ist das uns gelassene Gebiet; und wir quälten, hätten wir die Mittel, an sie zu kommen, wie wir sie bei uns selbst haben, Andere eben so, bis wir hätten, was wir vermissen, und was uns recht und schön in jedem Falle dünkt. II. 3 Kann man aber mehr thun, als sich ändern, reinigen, bessern? Hat man Macht über geschehene Dinge? Gäbe man nicht Leben und Glück, um manches wieder herzustellen? Gehört das mit zur unreinen That, oder vielmehr, zu dem verwirrten Willen dabei? Antworten Sie mir hierauf, Liebste! besonders was Sie unter „verloren“ verstehn. Sie diesen Sommer zu besuchen, gehört unter die Lieb- linge meiner möglichen Ideale! Freilich könnten wir viel zu- sammen sehen, aus uns hervorholen, sprechen, spazirengehen, und so gewiß „durch einander lernen!“ Im Freien, von Ge- meinem abgewandt, neben Gescheidten zu sein, kann eine Se- ligkeit sein; und angemeldet hätte ich mich, hätten Sie mich nicht bald eingeladen. Hören Sie aber, ich will es aufrichtig sagen, was mich abhält. Nichts würde mich abhalten, wäre in Ihrem Dorf ein Wirths- oder anderes Haus, wo ich mich einmiethen könnte. Besuchte ich Sie nur allein, nur Frau von Fouqu é , so ginge alles an: aber so würde ich mich im- mer als Gast der andern Herrschaften auch fühlen, und mich gewiß gut benehmen, aber den Gedanken nicht verlieren, was haben die von dir, und was sollen die von dir denken! Ich habe kein Talent, als mein Dasein, und damit können Sie nur zufrieden sein: bin nichts, und ohne agrément. Dann habe ich keine — besonders jetzt — schußfeste Gesundheit; und bin leidend und ganz unbrauchbar, wenn ich gewisse Bequemlich- keiten missen soll, als mein Mädchen, die ich wahrlich zur Gefundheits-Toilette gebrauche: ich bin ferner zu manchen Ta- gesstunden ganz unfähig, unter Menschen zu bleiben; wo aber grade die Hausgesellschaft vielleicht die Gegenwart ihrer Gäste verlangte. Nun bin ich nicht so hinfällig, daß ich nicht trotz diesen Bedürfnissen leben und bleiben könnte, aber auf keine angenehme Weise für mich: und in einem Vergnügen, in einer Freude, j e n’aime pas à pâtir, zu vermissen, gestört zu sein. Sie verstehen das Leben; ich füge kein Wort hinzu. Es ist mir gewiß lieb, meinen Bruder so gut bei Ihnen zu wissen: und es gehört mit zu den vorzüglichsten Gütern auf der Welt für ihn, daß er Sie Freundin, und Ihr Haus als ein ihm wohlwollendes sich nennen kann. Mein innerstes Herz gönnt es ihm! Und so zag’ ich fast, ein Wort über sein Stück zu sagen, welches von Ihrem großmüthigen Urtheil so weit überflügelt wird! Ich kann mit zwei Worten sagen: Die Behandlung des Stücks entspricht dem energischen Plan, der kräftigen Konzeption desselben nicht. Für mich ein das Ganze überschreiender Mißton; weil er aus der tiefsten Tiefe des Ganzen, ja des ganzen Seins des Dichters, herauf tönt. Die Gespräche sind matt für diese Situationen: bei nah kein allgemeingültiger Spruch , die Leiden und Leidenschaft so gern, als ewige Sentenzen für die Verhältnisse ausstößt, die sie hemmen, drücken, und eigentlich hervorbringen! u. s. w. Was Sie davon rühmen, bleibt doch wahr; aber mit dem, was ihm fehlt, hätte es ein zerreißender Gesang bleiben kön- nen, über einen von der Geschichte hervorgebrachten Mißstand, den künftige Zeiten noch immer hätten verstehen und nach- singen müssen, und wären sie längst schon in neuen Verwir- rungen befangen. Wie wir noch von Sklaven singen, und ganz verstehen, was das bei alten Völkern hieß, und zu- wege bringen mußte! — Dies der Wahrheit zum Opfer ; 3 * ungern tast’ ich Robert in diesem Stücke, bei Ihnen an! Über Geistesprodukte, Kunstgegenstände, ist es mir unmöglich zu sprechen, und meine Meinung zu verstecken; diesen Ge- schöpfen giebt der Urtheilende das Urtheil mit Leben: sie kön- nen, mein’ ich, nicht bestehen, zur Existenz kommen, kann das Urtheil sie nicht durchlassen. So lange Robert weg war, war ich krank, und konnte nicht schreiben. Haben Sie die Gnade, dies Hrn. von Fouqu é mit vielem Dank von mir, und die liebsten Grüße zu sagen. Noch bin ich schwach, und das Schrei- ben wird mir schwer: aus dieser Ursach muß mir auch Frau von Fouqu é verzeihen, daß ich nicht gleich antwortete. Sonst schreib’ ich wohl gerne, oder vielmehr lange, wenn ich anfange. Wie hier steht! Gestern Abend war den halben Abend von Fouqu é ’s die Rede bei mir; Mad. Spazier war bei mir, und die frug Roberten auf’s Blut über dieses Paar aus: ich fiel ihm oft in die Rede, und dozirte mit. Mit Marwitz sprech’ ich sehr oft von Frau von Fouqu é : der ist eine scharfe Accise, oder vielmehr eine sehr großartige, auf einfache Art organisirte. Lobt und preist Sie sehr, und läßt Sie breit durch: jedesmal für mich eine neue Fete. Ich empfehle mich auf’s beste dem Fräulein Clara; ich wäre gewiß auf den Ball gekommen, konnte aber kein Billet bekommen, und war schon zu krank-schwer, um Himmel und Hölle um- zukehren. — Sie antworten mir bald?! les mains jointes! An Alexander von der Marwitz, in Potsdam. Freitag Nachmittag 6 Uhr vorbei, schneeig, hell, etwas blau am Himmel, den 9. April 1812. Sittliche Menschen, die keine Narren sind, gestellt wie wir (das bischen Modifikation rechne ich nicht), werden rein vom Tod berührt. Ich habe mich längst gewundert, keinen solchen Brief von Ihnen zu erhalten; die Gründe dieses Wun- ders und meiner Behauptung, sind zu oft, zu lange darge- legt in allen meinen Briefen an Sie! „Grau in Grau.“ Dies sind meine Worte schon vor Jahren an Varnhagen. So sollen die frischesten, biblischten, ich meine frömmsten, le- bendigsten, Gemüther ausdauren müssen? Mir mir ist es nur noch schrecklicher! Sie wissen, wo ich mit meinem Verge- hen, meinem Verzweiflen hielt: nun hat gränzenlose Angst, und Sorge den Fuß auf mich gesetzt. Angst vor Excessen — von denen welche, einige, vorfallen; und Sorge, wie ich es nur bestreiten soll. Diese beiden niedrigsten Affekte, oder was es sonst ist, steht meine Seele, wie sie ist, lebendig nicht aus; sie schrollt in Unthätigkeit zurück, und dies nur fühl’ ich. Die edlern Klagen, das gerechte Vermissen, schweigen; und wenn ich auch jetzt für Ruhe , Glück und Seligkeit dem Himmel verpfände, so weiß ich von allem doch wie es ist. Wie mir ist, ist keinem Gefangenen , und keinem König im übelsten Zustand; entwickelt, dies nur mündlich! Ich habe einen Kom- missair und einen Bedienten als Einquartierung; der Herr aber durch das größte Ungefähr wohnt wo anders! Reines Glück, welches sich in jeder Viertelstunde ändern kann. Ich sehe niemand , gehe nicht aus: und fürchte mich unver- nünftig. Sie haben mir vortrefflich geschrieben: und das Ge- fühl darüber wend’ ich dazu an, daß es mir wenigstens die Kraft geben soll einen Brief zu schreiben, wenn auch nicht zu antworten. Ja mein theurer Mitmensch! — mehr noch als zufälliger Freund — Sie drücken es aus, wie man über Gott nicht sprechen kann. Wenn der Begriff eines solchen Daseins nicht die Gränze des unsrigen ist, was ist er denn! Eine gränzenlose Unterwerfung muß es sein jedesmal, von etwas Unendlichem erzeugt, was in uns vorgeht, was wir auffas- sen! — Schneidende Messer sind es mir, wenn sie so dreist weg von Gott sprechen, wie von einem Amtsrath; und grade den Stummen, Übererfüllten, von ihm ( ihm !) abwendig glau- ben. Diese Empfindungen machen mir auch jetzt wieder in der Bibel alle Reden und Gesetze in der Wüste. Ich werde mei- ner Nation ganz abgewandt; wenn ich auch Moses die Ge- rechtigkeit muß widerfahren lassen, daß er’s mit sechsmalhun- derttausend Jungvolk nöthig hatte. Gräßlich geschrieben und vorgetragen ist es gewiß. Nur bis nach Josephs Geschichte ist es schön; so weit ich bin. — Ich brachte diese Woche Schl. einen Theil von Heinrich Kleists Erzählungen wieder, und wollte von ihm ein Buch, und griff Spinoza. Ich lese ihn. Den habe ich mir zeitle- bens anders gedacht. Ich verstehe ihn sehr gut. Fichte ist viel schwerer. Es ist sonderbar; mir kommt immer vor, als sagten alle Philosophen dasselbe; wenn sie nicht seicht sind. Sie machen sich andere Terminologieen, die man ehrlich, gleich annehmen kann; und den Unterschied find’ ich nur darin, daß sich ein jeder bei einem andern Nichtwissen beruhigt; entweder aus einem solchen seine Deduktion anfängt, oder sie dahin- führt, oder, weniger streng, es mit drunter laufen läßt. Spi- noza gefällt mir sehr; er denkt sehr ehrlich, und kommt bis zum tiefsten Absolutesten und drückt es aus; und hat den schönen Karakter des Denkers; unpersönlich, mild, still; in der Tiefe beschäftigt, und davon geschickt. „Von den Gemüths- bewegungen“ ennuyirt mich; weil das Wichtige im „vom Geiste“ schon vorkommt, und wie sich’s weiter fortbewegt mir und uns Allen genug bekannt ist; den abstrakten, einsamen Mann aber unterhielt, wie es scheint. So viel ich von Spi- noza! Ich lieb’ ihn aber sehr, den Mann. Wissen Sie, was Faust Gretchen antwortet, als sie ihn frägt: „Glaubst du an Gott?“ Das schönste Gebet ! Welch schöne Gebete strömten schon durch eine Seele, die dies antwortet; wie wälzte da der Geist schon Gedanken empor! — Über — ch haben Sie Recht. Ich bin es überzeugt; Sie haben ihn göttlich beschrieben; wie unschuldig, wie ehrlich, und wie wirklich gesehen: das erfindet man noch schwerer, als man’s sieht. Das Abspeisen, neumo- discher Art, mit dem Glaubenswesen, ist meiner tiefsten Seele zuwider. Einzeln steht dieser Behelf: auf keinem Grund und Boden erwachsen; nicht auf Güte, nicht auf keuschem Auffassen der Geschichte, nicht auf Enthusiasmus des göttlich- sten Exempels, nicht auf kinderhaftem Glauben an das, was Eltern und Lehrer meinen und lehren; auf schlechte Weise, wie Theater und Galerien besucht werden, hausen sie und dis- putiren, und verschanzen sie sich gegen les ennuis (den „gro- ßen Verdruß“) in’s neuerfundene Glaubenswesen hinein und herum! Und kaum paßt dies zur Wahrheit, die Sie mir von — ch loben; und die ich glaube. Sie lieb’ ich doppelt wegen Ihrem Brief, und Ihren Gebeten darin. Es giebt nichts anders! Wer nicht in der Welt wie in einem Tempel um- hergeht, der wird in ihr keinen finden. Ich kann Ihnen nichts schreiben, — als: trösten Sie mich! Machen Sie mir Hoffnung zu Sommer, zu Luft, zu „ Grünem !“ Zu anderm, als ich sehe, was mich ganz erdrückt. Leben Sie wohl! Varnhagen hat mir wieder einen Liebesbrief geschrieben, mit einer Einlage von Hrn. von No- stitz an mich; recht artig in jeder Art. Antworten konnt’ ich dem aus Unseligkeit nicht. Varnhagen nur wenig, damit er nicht denkt, ich sei böse. Was ihm Graf Golz geantwortet hat, weiß ich nicht, da Neumann seit zehn Tagen bei Fouqu é ist, und erst morgen wiederkommen soll. — Ich wünsche Sie wohl zu sehen! — aber nicht zum Zeugen meiner Angst. Kom- men Sie! Adieu! Ach! wär’ ich auf einem schönen, ruhigen Berg, und sähe glückliche Familien ! Adieu! R. R. Schl. fragte mich gleich höchst freundlich nach Ihnen; pour me plaire, glaub’ ich. An Alexander von der Marwitz, in Potsdam. Montag, den 8. Juni 1812. Vorgestern Abend, lieber Marwitz, erhielt ich ein Schrei- ben von Hrn. von Klewiz, worin mir gesagt wurde, ich würde „nach dem Drang der Umstände“ (?) geschont werden, und sollte künftig nur einen employé s oder Offizier zur Einquar- tierung haben. Von Hrn. Br. ist weiter nichts erfolgt, dies halte ich aber für eine Folge. Dies endlich danke ich Ihnen! Ich war so ganz durchdrungen, wie Sie es nur sein können, von dem Opfer, welches Sie mir durch die Ihrem Sein ganz unangemessenen und widersprechenden Schritte auf dem Bureau brachten. Aber ich habe es gefordert, und ließ es mir bringen; weil Sie anders in meiner Seele stehen sollen, als all die, die ich wie Weihnachtspuppen in meinem Geiste ansehe, denen nur ich, und sie mir nie leisten. Jetzt ist auch eine Zukunft: und ich will nicht mit allen Versprechungen und Erfüllungen bis über das Grab hinausgeschoben sein! Ich leiste was ich vermag auch gleich, und stets: und meine Liebe und Achtung ist eine fruchtbringende; so sollen meine Freunde auch sein. Sie sind so gut wie ich: oder keine. Zu lange bin ich ver- ächtlich schonend mit Schund umgegangen: mit wem ich so rede, wie mit Ihnen, der muß sein können, wie ich. Es ward mir so schwer als Ihnen , Sie dahingehen zu lassen — dies glauben Sie! — aber lieber war mir alles, als auch Sie in mir anzuklagen, und fahren zu lassen! Sie werden nicht fin- den, daß ich von einer Kleinigkeit eine zu große Wichtigkeit mache: es ist keine Kleinigkeit, was uns plagen kann: und es ist keine Kleinigkeit, ob der, den wir als Freund behandlen, uns von dieser Plage rettet, wenn er kann, oder nicht. „Des Lebens Baum ist frisch und grün,“ und will manchmal mit der Scheere beschnitten, mit Thätigkeit behandelt, mit dem Messer geputzt sein. Apropos! der Mahler Müller hat mir göttliche Augenblicke erweckt, herbe häufige Thränen gekostet. Ich errieth, daß er aus einer schönen lieben Gegend ist: und so war es auch. Er ist aus Kreuznach, und hat eine Ode an diesen Ort in Prosa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat weinen machen. Der liebt sein Vaterland. Weil er sieht , weil er seine Mutter, seine Schwestern liebt. — Ich bin gestört durch Nettchen. Vorgestern war Götter- wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie. Gestern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo- lium pflücken und mitschicken, und nachher vergaß ich’s doch. Adieu. Lesen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald. Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald, Luft; und bete da rum. — An Mariane Meyer, in Dyhrufurt. Berlin, den 27. Juni 1812. Meine liebe Kousine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erst eine Post dahin; Sie sehen also, daß ich Ihren Wunsch eine schriftliche Nach- richt von mir zu haben, verstehe wie Sie ihn hegen, und mich gleich anschicke, und freue, daß ich den wenigstens befriedigen kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erst erfahren müssen, daß Ihre Schwester nicht mehr lebt: ich habe sie nur wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht sehr, und ist mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte um mich her hinsterben: welches seit einigen Jahren mir zu häufig geschieht! Den Verlust meiner Mutter fühle ich alle Tage herber, anstatt daß dies Andenken sich mildern sollte. Man wird mit dem Alter nur geschickter, mit dem Alter sich zu verbinden; es glimpflich zu behandlen, es einzusehen, was es vermißt, was man ihm leisten sollte, und was es ausge- standen hat! Manchmal denke ich, meine Sehnsucht nach meiner Mutter, und die Reue ihr nicht mehr gedient zu ha- ben, das Vermissen ihrer, bei dem von andern wünschenswer- then Dingen, ist eine gerechte, verdiente Strafe, für die doch zu große Zerstreuung über mein Verhältniß zu ihr! — ob- gleich ich mir keine bestimmten Fehler gegen sie habe zu Schul- den kommen lassen. Reue, Schmerz, Gram, Vermissen, alles muß dazu dienen, uns frömmer, stiller, und nachdenklicher über alle Dinge des Lebens und der Welt zu machen; bei mir ist es wenigstens der Fall; daß, seitdem ich gar keine Hoff- nungen mehr für die Schönheiten des Lebens, und das Theuerste verloren, und habe hingeben müssen, ich nicht so stechendes Unglück, als sonst fühle, und ruhiger die schönen Gegenstände der Natur ansehe und in mir aufnehmen kann. Ich erzähle Ihnen das, liebe Kousine, weil auch Sie hart mit dem Glück zu kämpfen haben; und diese Betrachtung, und mein Exem- pel, Sie vielleicht ehr auf den Weg, den mein Geist genom- men hat, führen kann! Denken Sie fest an Gott, Liebe! — den man in großem Unglück findet; ich weiß es! — und daß wir nichts selbst machen, und veranstalten können; wie wun- derbar unser ganzes Dasein, und unser Tod ist; daß die Höch- sten auf der Erde allem unter worfen sind, was uns und den Geringsten martert. Daß Sonne, Luft, Freiheit; Erquik- kung an allem Guten und Schönen, uns doch bleibt, selbst in der Lage, worin wir nun Einmal sind. Ich wenigstens war schon so höchst unglücklich, durch Leidenschaft, Umstände, Men- schen, Kränkung, Sorge; so höchst elend durch schwere lange Krankheiten, daß ich gelernt habe in jedem Unfall gleich das ganze Leben zu beschauen, und aufzugeben. Sie haben ge- wiß in Ihren Leiden oft gedacht, o! wie glücklich ist Rahel und deren Geschwister gegen mich! und o! Gott! wie tief elend war ich wohl grade dann! und auch jetzt; was ich ge- wünscht, gehofft, nach dem ich — schon Unglück genug — das Leben hindurch ringen mußte, dem muß ich entsagen; das ist mir versagt, für ewig ! Jetzt lebe ich allein; eingezogen, ohne Gesellschaft beinah; weil ich sie nicht bewirthen kann, und mich nach meinen Decken sehr strecken muß! Ich bin in einer weitläufigen großen Stadt, und kann nicht einmal spa- ziren gehen, weil ich es allein, wollt’ ich auch so weit gehen , nicht kann, und beinah nie Gesellschaft dazu habe: und sie auch beinah vermeide, weil dies kostspielig ist, wenn man nicht auf dem Lande lebt: zu einer Sommerwohnung habe ich kein Geld! Dies ist meine größte Beraubung! Ich liebe das Freie gränzenlos; dies ist jetzt meine Leidenschaft. Ich bin einge- gesperrt. Dabei hatte ich schwere Sorge, Angst und Kosten, mit Einquartierung, und habe sie noch. Meine jüngern Brü- der sind verreist, mein ältester wohnt mit den Seinen im Thier- garten, wo ich wegen Mangel an Begleitung höchst selten hinkomme. In die Komödie geh’ ich manchmal in neun Mo- naten nicht; aus obenbenannten Ursachen, und weil sie mir nicht mehr so gefällt als sonst. Diesen Winter war ich sechs Wochen recht krank, diesen Sommer vor zwei Jahren — jetzt zwei Jahr — drei Monat auf den Tod; vielerlei Übel, be- sonders vier Wochen einen heftigen Brustkrampf. Jetzt bin ich recht gesund, und äußerst vergnügt davon und darüber; und wenn ich mit meinem Mädchen unter freiem Himmel spa- ziren gehe — welches ich mich in der Stadt unterstehe — oder spät an meinem Fenster ohne Licht den Himmel beschaue, oft glücklich: glücklich in dem Gedanken, daß ich das in Ge- sundheit habe, und mich doch Keiner quält ; oder stören darf; da denk’ ich denn an allerhand! Ich schreibe Ihnen dies alles, damit Sie ein Bild meines Lebens haben; und ein Exempel, welches Sie sonst vielleicht beneidet — nämlich meine Lage — zur Ruhe führen möge: ich kenne Elend, und Un- glück! darin hat man sie nicht , aber sehr nöthig! Wenn Sie mir wieder schreiben, lassen Sie mich auch wissen, wie Sie leben, wohnen, und sind; ob Sie ein Kind bei sich ha- ben; womit Sie sich beschäftigen, ob Sie viel im Freien sind, dem Felde nah; ob Sie angenehme ordentliche Bekanntschaf- ten im Orte haben. Ich lese viel; und habe liebe edle Freunde; viele sind todt; und die meisten abwesend. Nur Einer lebt in Potsdam, den ich dann und wann sehe. Die Musik habe ich wegen Krankheiten sehr vernachlässiigen müs- sen; und weil ich nur ein Klavier, und kein Fortepiano habe! doch kann ich noch spielen. Ich sehe nicht kränklich aus: son- dern belebt und frisch. Die Natur hatte es gut mit mir im Sinn. Das Glück aber nahm es ihr übel; so wurde ich ge- drängt in der Welt, und überlebte meinen Untergang. Ich wohne neben meinem ältesten Bruder an, und sehe die viel. — Schreiben Sie mir auch von den Kindern Ihrer Schwester; wir bekommen von Magdeburg keine Nachricht. Glauben Sie nicht, liebe Kousine, daß wenn ich etwas für Sie hätte, ich mich erst würde anreden lassen um es Ihnen zu schicken. Aber Sie haben doch Recht, mich angesprochen zu haben, und ich danke Ihnen aus Herzensgrunde für Ihr schönes Zutrauen! Weil ich mir in Jahren kein Zeug machen lasse, so habe ich auch im Augenblick nichts, was ich Ihnen schicken kann: auch keine Mittel, daß Sie sich etwas anschaffen könnten. Aber es schadet doch nichts! ich will schon sorgen und allerlei An- stalt treffen, daß Sie nächstens etwas erhalten! Leben Sie wohl, schreiben Sie mir, wann die Lust Ihnen ankommt: und verlassen Sie sich wenigstens auf meine Gesinnung, wenn mir auch die Mittel fehlen, sie Ihnen thätlich zu bezeigen! Ihre treue Kousine Rahel. Meine Addresse ist: Mlle. Rahel Ro- bert, Behrenstraße No. 48. Weiter nichts. An Alexander von der Marwitz, in Potsdam. Berlin, den 29. Juni 1812. Montag Abend um 7 Uhr. Um fünf Uhr, lieber Freund, erhielt ich Ihren Brief von Sonnabend. — Ich zog mich grade an; lief gleich nach der Stadt — wo ich bis jetzt bleiben mußte — übermorgen soll ich Bescheid haben: da nichts gleich geht, und immer einige Bedingungen obwalten. — Gott! was habe ich heute schon für Menschen gesprochen, für Verhältnisse berührt, für drük- kendes, klemmendes, darbendes Unglück nahe gesehn! Was erspähe, was erfrage ich auch alles, wie ist die Welt ! Welche Schicksale. Welche stille, ungerühmte Größe, Religion im höchsten Sinn, lebt in Weibern, die ich in grasbewachsenen, vergessenen Höfen fand. — Wie ist alles anders, als es von den berühmtest Klügsten ausgeschrieen, gedruckt, gelesen und geglaubt wird!!! Gott weiß nur die Bewandtnisse, die inneren Herzensbeweggründe; und manche von ihm herabgelassene, wahrhafte, unbetrügliche, einfache gute Menschen. Mich hat er auch dazu erwählt. Der furchtbringendste Frevel wär’ es, wenn es nicht wahr wäre, und ich es sagte. Aber alle Tage werde ich frömmer und innerlicher; und reinige mich mehr. Und was sah ich für Wolkens piele! Wie find’ ich durch ein Wunder Gottes, einen neuen Sinn, neue Sinne möchte ich sagen, das Feld in der leibhaftigen Stadt?! Wie sah sie jetzt eben erst aus! Ich komme von der Spandauerstraße über die lange Brücke durch das Schloß über den Opernplatz. So klingts nach nichts; wie war’s aber, wie sah’s aus? Wie war ich? Was hatte ich besorgt? Welche Herzensbewegungen gehabt? — In welchen Stimmungen bin ich mitten in Ber- lin, in der Stadt, in der gleichgültigen Frevelstadt, wie jede ist. Wie dankbar, wie hoffnungsreich für’s innere Leben, und alle Existenz dadurch: dabei las ich Athalie und Esther von Racine; mit ganz anderem Sinn, mit der größten Er- hebung! O! könnte man seine Seele seinen Freunden zum Genuß und Gebrauch schicken! Könnt’ ich Sie froh machen! Manche ungewohnte Angst und Sorge, ich weiß es, schleicht um Ihr Herz. Ach! daß ein jeder seines leiden muß; und Liebe, die so viel ist, und hilft, so wenig helfen kann! Adieu! Donnerstag reist Minna; welch Schicksal hat die ! Ich er- warte sie, sie will sich bei mir ausruhen, und etwas essen. Adieu! Wir werden noch Freude haben, wenn nicht großes Unglück kommt. — Sommer 1812. Jung-Stillings Leben hat mich durchaus an Retif’s de la Bretonne Leben erinnert. Beide sind geistvoll genug, um daß ihnen ihre eigene Wollust ein nothwendig zu lösendes Problem ward. Auf Retif’s Seele waren die überstarken Sinne, und eine solche saftvolle Gesundheit wie Saiten aufge- zogen; und durch dieser Schwingungen Getön vermochte sein Geist erst Rechenschaft zu fordern, und abzulegen; woran ihn eine große Gabe sittlicher Anlagen mahnte: darum sprechen wir von ihm, und darum mußte er schreiben. Die Wollüstig- keit Stillings ist schwächlicherer Art; und vergeht — wie man verlaufen sagt — sich mehr, weil sie in ein einfach reiner Ge- biet übergreift, wo sie gar nicht anzutreffen sein soll. Er thut sich gut mit Religion, und ist mit Wollust fromm. Er hat aber den Vorzug vor Retif, daß in dem Gebiete der Forschun- gen über dieses Lebens und unseres Geistes Gränzen er mit Einfällen begabt ist; die er zu durchdenken wohl vermag. Das ist seine gehaltvolle, denkende, anreizende Seite; auch bleibt er auf dieser ehrlich, welches die größre Hälfte seines Lebens verdient sehr anziehend zu machen, wie sie es auch thut. Mehr zu Ende hat er zu viel Wohlgefallen und Gewohnheit genom- men an der Mittheilung der wichtigsten und heiligsten seiner innren Begegnisse; er denkt nur an Mittheilen, an die Wir- kung kung davon; und da er dies nicht deutlich weiß noch ausdrückt, sondern seine früheren Zustände auszudrücken glaubt, so scheint er unwahr zu werden, da wo er sich zu irren anfängt: inter- essirt aber in der That nicht mehr so sehr, als im Anfang, und der Art nach ganz und gar nicht mehr. Juli 1812. Nün will ich meine fünf Träume aufschreiben, in der Folge, wie sie mir träumten. Vor zehn Jahren hörte ich auf, den ersten zu träumen, der mir wohl sechs Jahre bald öfter bald seltener träumte. Ich befand mich immer in einem vor- nehmen bewohnten Palast, vor dessen Fenstern gleich ein groß- artiger Garten begann; eine mäßige Terrasse vor dem Ge- bäude, und dann gleich große Linden und Kastanienbäume auf einem beinah unregelmäßigen Platze, der zu Gängen, Teichen, Laubgängen und dem Gewöhnlichen in solchen Gär- ten führte. Die Zimmer des Gebäudes waren immer erhellt, offen, und die Bewegung einer großen Aufwartung darin; so sah ich immer eine ganze Reihe geöffnet vor mir da; in deren letztem eigentlich die Gesellschaft der vornehmsten Per- sonen war, wovon ich jedoch keinen Einzelnen mir denken konnte, obgleich ich sie alle kannte, zu ihnen gehörte, und zu ihnen hin sollte. Dies aber, ungeachtet die Thüren offen waren, und ich wohl ihre Rücken, an einem großen Spiel- tische — wie eine Bank — sah, konnte nie geschehen. Mich hinderte ein Unvermögen, eine Lähmung, die in der Luft der Zimmer und in der Erhellung zu liegen schien; ich dachte mir diese Hemmung nie im Ganzen, und glaubte nur jedesmal von II. 4 andern Zufälligkeiten gehindert zu sein; und gedachte auch jedesmal zu meiner Gesellschaft zu kommen. Jedesmal aber, wenn ich noch sechs bis acht Zimmer von ihr entfernt war, stellte sich ein Thier in dem Zimmer ein, wo ich war, welchem ich keinen Namen geben konnte, weil seines Gleichen nicht in der Welt war; von der Größe eines dünneren Schafes, als Schafe gewöhnlich sind; rein und weiß wie unbetasteter Schnee; halb Schaf, halb Ziege, mit einer Art von Angola- Haaren; bei der Schnauze röthlich wie der reinlichste, rei- zendste Marmor, Aurorfarbe, die Pfoten eben so. Dieses Thier war mein Bekannter; ich wußte nicht, woher: es liebte mich unendlich ; und wußte es mir zu sagen, und zu zeigen: ich mußte es behandeln wie einen Menschen. Es drückte mir mit seinen Pfoten die Hände, und das ging mir jedesmal bis in’s Herz; es sah mich so voll Liebe an, wie ich mich nicht erinnere eine größere in eines Menschen Auge gesehen zu haben; am gewöhnlichsten nahm es mich bei der Hand, und da ich immer zur Gesellschaft wollte, so durchschritten wir die Zimmer, ohne jemals hinzukommen; das Thier suchte mich zärtlich, und als hätte es wichtige Ursachen, davon abzuhal- ten; weil ich aber hinwollte, so ging es in Liebe gezwungen immer mit. Nicht selten auf die sonderbarste Weise; die Pfoten nämlich bis zum zweiten Gelenk unter den Dielen; durch die ich auch nach einer andern Etage hinunter sehen konnte, und die doch fest waren; manchmal ging auch ich so mit dem Thiere; bald im Erdgeschoß, bald eine Treppe hoch, meist unten. Die Bedienten merkten gar nicht auf uns, obgleich sie uns sahen; ich nannte diesen liebenden Liebling mein Thier; und wenn ich eher da war, so fragte ich nach ihm: denn es übte auch auf mich eine große Gewalt aus, und ich erinnere mich nicht in meinem ganzen Leben wachend eine so den Sinnen nach starke Empfindung gefühlt zu haben, als mir der bloße Händedruck dieses Thieres machte. Dies aber war es nicht allein, was meine Anhänglichkeit ausmachte; sondern ein herzüberströmendes Mitleid; und daß ich ganz allein wußte, daß das Thier leiben, sprechen konnte, und eine mensch- liche Seele hatte. Besonders aber hielt mich noch etwas Ge- heimes: welches zum Theil auch darin bestand, daß keiner mein Thier sah oder beachtete, als ich; daß es sich an keinen wandte; daß es ein tiefes vielbedeutendes Geheimniß zu ver- schweigen schien, und daß ich nicht ungefähr wußte, wo es war und hinging, wenn ich es nicht sah. Doch befremdeten und beunruhigten mich diese Dinge alle nicht Einmal bis zur Frage an mich selbst; und im Ganzen fesselte mich des Thie- res Liebe, und sein anscheinendes Leiden davon, und daß ich es durch meine bloße Gegenwart so überirdisch glücklich machte, welches es mir immer zu zeigen wußte. Manchmal nur, wenn es mich so bei der Hand führte, und ich sie ihm innig zärtlich wiederdrückte und wir uns in die Augen sahen, so erschreckte mich der Gedanke plötzlich: Wie kannst du einem Thiere solche Liebkosungen erzeigen: es ist ja ein Thier! Es blieb aber beim Alten; diese Auftritte wiederholten sich mit kleinen Abwechselungen immer wieder: nämlich immer in neuen Träumen: in demselben Lokal. Es kam aber, daß ich lange diesen Traum nicht gehabt hatte; und als er mir das erstemal wieder träumte, so war alles da, das Schloß, die 4 * Zimmer, die Bedienten, der Garten, die Gesellschaft; ich wollte auch wieder hin; nur war etwas mehr Bewegung, und eine Art Unruh in den Zimmern, ohne sonstige Störung noch Un- ordnung; ich sah mein Thier auch nicht; welches, wie mich dünkte, mir schon sehr oft gefehlt hatte, eine lange Zeit her; ohne mich besonders zu kränken noch zu befremden, obgleich ich mit den Dienern des Hauses davon gesprochen hatte. Weil die unruhige Bewegung mich noch mehr störte, als die ge- wöhnliche Gewalt, die mich vom letzten Zimmer abhielt, so trat ich de plain pied aus großen Glasfenstern auf die Ter- rasse, die sich bald in den Platz mit Bäumen ohne weitere Gränze verlor; dort waren zwischen den alten Bäumen hin und her helle Laternen auf großen Pfählen angezündet; ich betrachtete müßig die erleuchteten Fenster des Schlosses, und das prächtig beschienene große Laub der Bäume: die Diener liefen häufiger und mehr als sonst hin und wieder; sie beach- teten mich nicht, ich sie nicht. Mit einemmale sehe ich dicht an einem großen Baumstamm, halb auf seiner starken Wur- zel, mein Thier zusammengekrümmt, mit verstecktem Kopf, auf dem Bauch schlafend liegen: es war ganz schwarz mit bor- stigem Haar: Mein Thier! schrei ich, mein Thier ist wieder da; zu den Bedienten, die mit Geräthen in den Händen und Servietten über den Schultern, in ihren Gängen bloß ge- hemmt, aber nicht ganz nahe tretend, stehen bleiben. Es schläft, sag’ ich; und tippe es mit der Fußspitze an, um es ein wenig zu rütteln: in demselben Augenblick schlägt es aber über sich um, fällt auseinander, und liegt platt da als Fell; die rauche Seite auf der Erde, trocken und rein. „Es ist ein Fell, es war also todt!“ rufe ich. Der Traum schwindet; und nie hab’ ich wieder von dem schwarzen noch dem weißen Thier geträumt. — — In meinem dritten Traum befand ich mich auf einem äußersten Bollwerke einer sehr ansehnlichen Festung, welches sich in breiter, flacher, sandiger Ebne weit von dem Orte ab hinausstreckte. Es war heller lichter Mittag; und das Wetter an diesem Tage einer von den zu hellen Sonnenscheinen, die eine Art von Verzweiflen hervorbringen, weil sie nichts Er- quickliches haben, durch keine nahrhafte Luft dringen, oder auf Gegenstände fallen, die auch beruhigenden, ergrünten Schatten werfen könnten. Dieses Wetter wirkte um so mehr, als die ganze Gegend aus dürrer, vegetationsloser, sandsteiniger Erde, die sich in wirklichem Sande verlief, bestand; holperig und uneben; wie Orte aussehen, wo man Sand gräbt. Dieser zu helle und alles zu hell machende Sonnenschein reizte mir Augen und Nerven nur zu sehr auf; und ängstigte mich schon auf eine eigne Weise. Man sah auf der unseligen Fläche nichts; und der Eindruck davon war, als ob die Sonne zor- nig durcheilte, diesen nichtswürdigen Ort nicht gar umgehen zu können! So stand ich dicht mit der Brust am Rande dieser alten Schanze — denn sie war beschädigt, wie vieles umher — von einem ganzen Volke hinter mir gedrängt; diese Menschen waren alle wie Athenienser angezogen, F. stand neben mir, mit bloßem Haupte, wie sie gekleidet, aber in rosenfarbenem Taffent; ohne im geringsten lächerlich auszu- sehen. Ich sollte von dieser Schanze, die die letzte der ganzen Festung war, hinunter geworfen werden; tief hinab; unter Steine, kalkige Sandgruben, und ganz verfallene Festungs- stücke und Schutt. Das Volk verlangte es; und schrie zu F., der ihr König war, er möchte Ja sagen! Er stand grausam verbissen da, und sah nach der Tiefe: man schrie stärker und heftiger, und forderte sein Ja; immer dichter an mir; sie faßten, mit den Augen auf F., an meine Kleider; ich suchte ihm in die Augen zu sehen, und schrie immer: „Du wirst doch nicht Ja sagen?“ Er stand unbeweglich verlegen da; verlegen gegen das Volk, noch nicht Ja gesagt zu haben. „Du wirst doch nicht Ja sagen?“ schrie ich wieder; das Volk schrie auch: und er. „ Ja !“ sagte er. Man ergriff mich, stürzte mich über den Wall; von Stein fiel ich zu Stein, und als ich nach der letzten Tiefe kommen sollte, erwachte ich. Und wußte in tiefster Seele wohl, wie F. gegen mich war. Auch machte mir der Traum ganz den Eindruck, als ob die Geschichte wahr gewesen wäre: ich war still; aber ich hatte mich nicht geirrt. — Fünfter Traum . Diesen schrieb ich Marwitz gleich den Morgen nachher, als er mir geträumt hatte, weil ich ihn nicht vergessen wollte, und er mich sehr affizirt hatte. — — Berlin, Sommer 1812. Ich glaube, ich werde wohl eingewilligt haben, diesen Jammerweg des Lebens zu gehn, und als Mensch menschliche Geschicke zu erfahren; oder es mag ein Höherer, mit tieferer Einsicht, weil er es für mich als gut erkannte, diese Einwilli- gung für mich gegeben haben; genug, die Einwilligung denke ich mir immer, und dieser Gedanke nur kann mich trösten für allen erlittenen, sonst unvergeltbaren, Schmerz. Vielleicht war es nur so möglich, die Persönlichkeit zu gewinnen, und den Keim künftiger Erhebungen in gedeihlichern Existenzen; wenn es auch nur das wäre, was die unselige Menschheit bedeuten soll, daß der bewußtlose im Ganzen der Gottheit aufgelöset gewesene Lichtpunkt als Menschenseele in das selbst- ständige Dasein eines eigenen Ganzen göttlich hinüberginge! O gewiß ist es auf diese Weise; höher konnten meine Gedan- ken nicht klimmen am Rande aller Wissenschaft, und keine Weisheit wurde mir bekannt, die höher gedrungen sei. — An Alexander von der Marwitz, in Potsdam. Mittwoch, den 8. Juli 1812. Hätte ich vorgestern Zeit gehabt, Ihnen zu antworten, so hätten Sie einen sehr guten Brief bekommen; ich hatte ihn schon fertig im Kopfe. Jetzt eben hat man mir wieder die Stimmung und Fassung geraubt, als ich Ihren Brief noch Einmal las, das Papier auf dem Tisch lag, und ich grad hinging. Mir kam ein Billet von Behrenhorst, ein Brief von Mad. Spazier aus Strelitz, ein Billet von einem unglückli- chen jungen Menschen. Auf das erste mußte ich antworten, den Brief konnt’ ich vor Kleinheit nicht auslesen, das letzte nimmt mich ein. Vorher war ich bei meiner Kranken, der Por- tugiesin, mit dem Arzt, und besorgte Küche, und Wirthschaft dort, für den ganzen Tag. Es geht ihr sehr besser. Brutus also sagt mir, daß wir uns so bald nicht sehen werden! (Brutus sagt zum Cassius bei Shakespeare: „Sehn wir uns wieder, nun so lächeln wir,“ und darauf: „Wo nicht, ist wahrlich wohlgethan dies Scheiden.“) Wenn das Feld meiner Seele zu bösen Ahndungen umgeackert wäre, so könn- ten mich die Sprüche dieser Römer sorgen machen und trau- rig machen; wie sie unendlich , ganz unergründlich schön sind, erhaben, edel, und freundlich traurig! Aber ich bin zu sehr beschäftigt; habe zu viel zu thun, wovon Gutes entsteht, oder Schlechtes abgewehrt wird, um nach dem Nachhall und Anklang, die dieser Spruch in jenen Gängen meiner Seele aufruft, lange hin zu hören: und von neuem bewundre ich nur Shakespeare davon wieder; der den Macbeth dem Arzt, der ihm den Tod der Lady ankündigt, als schon alles verlo- ren ist, und er sich zum letztenmal harnischt, antworten läßt: „Sie hätte ein andermal sterben sollen!“ — Ich will mich bemühen: auf Ihren Brief zu antworten. Wenn ich sagte, Angst und Sorge beschleichen Ihr Herz: so meint’ ich auch nur Angst, daß Sie für Gemeines zu sorgen haben, und mit ihm handhaben müssen; und daß, eben weil Sie dies — auch aus großer Neuheit — nicht können, die Sorge darum größer anwachse, als ihre Natur es mit sich bringe. Ich ging so weit, zu glauben, daß Ihnen Berlin durch den Aufenthalt des unglücklichen Mädchens, dessen Sie sich für Ihren Freund jetzt annehmen müssen, etwas verhaßt würde, und nicht mehr als ein Lustort und eine Freistatt erscheinen würde, wo man müssige Zeit zur Erholung zuzubringen liebt. Für’s Erste nur, versteht sich. Ihr Brief ist einer der schönsten, die ich von Ihnen habe: Ihr darstellendes mahlerisches Talent war darin recht wach; so haben Sie mir die Mutine — so soll sie heißen — und die Mutter überaus treffend geschildert. Ich sage Ihnen frei heraus, ich war doch überrascht von ihr. Sie war so verdrießlich und stellte sich so roh dar, daß es mich auch in der Klasse, worin sie gehört, und ich sie ver- muthen konnte, frappirte! Wie ich Ihnen schon schrieb, sie war ängstlich, und bei ihr wurde dies zum höchsten Maulen, so daß sie nicht einmal hübsch war, was mich am meisten wunderte. Mein Reden, mein Zureden, meine Aufnahme, das artige Haus, in das sie kommen soll, die anständige Wirthin, brachten sie zu sich selbst; und es kamen Sonnenscheine von Jugend und Hübschheit über sie. — Doch über den gestrigen Abend, und über die Person mündlich. — Viel etwas Wichti- geres! Das Mädchen ist einmal fertig auf der Welt wie sie da ist. Was sich mit ihr zugetragen, ist geschehen; und dar- um ganz gut. Jedes Ereigniß ist roh, und nur das, was wir daraus bilden; dies im menschlichsten Vereine, des Geistes, der Einsicht, und des besten Willens zu thun, sei unser Werk! Ich bin der Meinung, daß die neun dunklen Monate, die ein Kind mit seiner Mutter zuzubringen hat, vom größten Ein- fluß auf sein ganzes Werden sind; da das Kind meines wer- den soll, und Sie versprochen haben ihm Versorger zu sein, so habe ich sehr darauf bestanden, daß es, auch noch blind, schon in edlen, freundlichen, für die Mutter gewiß erhebenden Umgebungen umhergetragen werde; und daß bessere Sitte, und Laune, ihm mit Gewalt, durch und in das Blut einge- flößt werden! und aus dieser großen Rücksicht eine Mehraus- gabe nicht gescheut. Nun haben Sie noch zu thun; denn der Mensch ist sterblich in jedem Alter und zu jeder Stunde — mir sind junge Freunde und Bekannte genug gestorben! — ein Testament zu machen nach allen Formen und Rechten, worin Sie bestimmen, wie es mit dem Kinde gehalten sein soll, was es verzehren, und besitzen soll. Besäße ich nur et- was, so würde ich so dringend wenigstens nicht sein. Aber Sie wissen, ich habe kaum für mich selbst: und stürbe ich, so wäre das Geschöpf eine arme Waise. Nehmen will ich es mit Freuden; kosten soll es Sie natürlich nur, was es braucht; dafür erkaufen Sie ihm auch mich zur Mutter. — Wie wir alle Details zu verabreden haben, findet sich noch. Sind Sie meiner Meinung? Auch die ganz erste Jugend, Umgebung, und Behandlung halte ich für so wichtig. Gerlach leibt und lebt vor mir, wie Sie ihn beschreiben: mit den glücklichsten Worten. Voß auch! — Von meiner Portugiesin mündlich! Der Süden scheint mir von den Göttern, im Norden aber nur, zugedacht: so mit allem etwas! Ein adlich Herz in einer widrigen Lage; eine schöne Seele hinter meiner Maske; großen Sinn, und kein Talent; aber all diesen Mißlaut beschwichtigt durch eine reine Himmelsgabe: eine ewig innere Musik, und in der Tiefe nichts Verzerrtes, ein reiner Tempel meine Kinderseele! Wie komme ich auf mich? und nicht unfreigebig! Lesen Sie dies kleine Büchelchen, Dore hat es für sechs Pfennige von einem Jungen gekauft; ich las es gestern vor dem Zubettegehen, und weinte die herzlichsten Thränen darü- ber; sagen Sie, ob es Ihnen auch so vorkömmt. Daß man dem Kinde viel vorgeredet hatte, sehe ich auch; doch ist’s ein Segen, und wunderbar; denn wahr ist dies . Adieu, Ant- wort! Und wenn Sie krank sind, will ich’s wissen: die Frau sagte Sie unpaß; das paßt mir zu allen Stimmungen, die durch Ihren Brief gehen. Ich sehe heute noch die Mutine. R. R. An Frau von Grotthuß, in Dresden. Berlin, im August 1812. Dein Brief war einer der schönsten: nämlich auch von deinen! so reif, daß er süß war; so fertig, so sanft; und so alles und das Beste voraussetzend! Lange hat mir nichts so gefallen, mich nichts so gefreut! — Lies auch Fernow’s Leben von Mad. Schopenhauer, gegen die ich unbekannter- weise ein Vorurtheil hatte: die ich aber in dem Buche ein- fach, wahrhaft, ohne alle Prahlerei genügend, und durchaus für eine kunstfertige, bis zur höchsten glattesten Einfachheit gesteigerte Schreiberin erkenne. Je m’ineline profondément, et avec le plus grand plaisir! Weißt du nichts von Goethe? Marwitz ist in Potsdam. Grüß du den Mahler Friedrich von mir; ich war im vorigen Herbst mit Marwitz bei ihm. Unser Theater existirt nicht für mich. Siboni hat mich nicht be- zaubert. Er singt nach verschiedenen Manieren, und keiner Schule; ohne Leidenschaft, noch irgend eine Stimmung oder Tiefe. Kurz, er und seines Gleichen sind von und für’s Pu- blikum Gemachte; kein Arbeiten der Natur bei ihrer Geburt; keine ernste Muse, kein Lächelblick irgend einer Grazie! — Was du mir von deinen Gelübden sagst, verstehe ich ganz. Hält man dergleichen nicht, so würde man toll . Nicht aus Gewissen; aber weil sonst nichts mehr wahr wäre. — Lies auch Mösers von Osnabrück patriotische Phantasien; seine osnabrückische Geschichte, ihre Vorrede; vermischte Schrif- ten von ihm, und darin „über den Werth der wohlgewogenen Neigungen“. Seite 14 und 22 besonders. Göttlicher Mann! Kein Neuer. — Auch du müßtest von Luft und Umständen gesund ge- schmeichelt werden! Adieu. Gott schütze dich! Schreibe ja sehr bald! R. R. An Ludwig Robert, in Posen. Berlin, Sonnabend den 8. August 1812. Ich habe mehr als Pflicht erfüllt: ich habe die Räuber, sage die Räuber gesehen, und Kora von Kotzebue! Daß letz- teres Stück wie es dasteht gegeben wird, macht den Sitten der Deutschen ächte Schande; daß es überhaupt gegeben wird, zeigt von der groben Rohheit des größeren Publikums unse- rer Nation; daß Kotzebue es machte, von der Stümperhaf- tigkeit seiner Begriffe und der völligen Plattheit seiner Ge- sinnungen, denn auf Einer Stufe stehen sie darin gar nicht. Den keuschen Iffland, im Aufstellen des Schicklichen und im Bemühen der Geschmacksreinigung, versteh’ ich hierin nicht. Unsere Schauspieler verdienen wirklich ein sittenreinigendes Wollspinnen, weil sie diese leeren unanständigen Grobheiten mit Wohlgefallen spielten; in ihrem Sinne, als wäre es Shakspearischer Witz; und hervorkehrten, wohl ärger noch, als es der Verfasser konzipirte, und sich recht drin wälzten, ohne doch eine nur verständliche Persönlichkeit hervorzubrin- gen, sondern bloße Bretterunart, und sonst gar nichts. Eßlair müßte solche Aufführungen tilgen helfen; und nicht sie beför- dern, veranlassen. Auch war es denn leider ganz leer zu mei- nem Schrecke: obgleich er ung esehen dies verdiente. — Er sieht trotz eines schlechtern Anzugs, als wir hier zu sehen ge- wöhnt sind, nicht wie ein Histrion, sondern wie ein Mensch aus; mit beweglichem regsamen Blick und Mienenspiel, läng- lich geschnittenen Augen, die er auch wohlgeübt zu gebrau- chen weiß; wie er überhaupt die Bretter kennt, und unend- lich viel gespielt hat, und Beifall gewohnt ist. Er hat eine hohe Hervengestalt, und muß Halbgötter und phantastische Menschen sehr schön darstellen; eine Stimme wie ich sie nie hörte, mit einer so umfassenden, in allen Tönen einnehmenden Skala. (Als er gestern Morgen einen Augenblick bei mir gewesen, und wegging, sagte Dore: „Ein hübscher Mann!“ — Ja! — „Und er hat so was Sanftmüthiges an sich.“ Sie wußte es nicht zu nennen, und meinte nur die Götterstimme.) Eine Nüance von Vornehmheit fehlt ihm, jetzt-zeitiger möcht’ ich sie nennen, die man, wenigstens ich, nach den ersten fünf Bewegungen vermißte. Schöne Füße für so große Gestalt, die jedoch nicht hinderlich erscheint; und gar kein eitles Spiel für Publikum; so ist er öfters mit dem Rücken gegen die Zu- schauer gekehrt, welches mir sehr wohlgefällt, ich immer wünsche, und nicht begreife warum darin die Schauspieler so viel be- denklicher, aber nicht genug , als die Tänzer sind; in jedem Moment wird doch in keiner Rolle gesprochen, und da thut eine lebhafte natürliche Wendung des Menschen sehr gut, und belebt Schauspieler und Zuschauer. Es kommen ihm nicht Einfälle genug in’s Gemüth, also fallen ihm nicht genug Nüancen des Vortrags ein; und daher ist er der Meinung zu oft sich in den Affekt setzen zu müssen, in welchem man gar nicht anders kann als schreien, dies ist die Ursache, warum er dies zu oft, und daher öfters ohne richtigen Grund noch treffende Wirkung, thut; bei Leibe aber nicht für’s grö- bere Parterre und dessen groben Beifall, sondern aus reinem Irrthum und Mangel, aber doch verführt von der zu willi- gen, alles leistenden Stimme, die ihm schon so herrlichen Bei- fall schaffte, und Zeit ihres Lebens schaffen muß. In seinen besten Momenten erinnert er an Fleck und an Talma, wie dieser auch in seinen besten an Fleck. Abstrakte Mienen, des sich sammelnden Gemüths, oder des Wendens der Seele zu Himmel und Schicksal, haben sie alle drei sehr gleich. Er spielt sehr deutsch, und doch wie Einer, der die Franzosen ge- sehen, erwogen und benutzt hat; dies in seinen theatralischen Bewegungen, die er gehöriger Weise al fresco nimmt; aber bei weitem nicht mannigfaltig und witzig genug: wie denn Witz ihm in allem, was er auch gut leistet, am meisten fehlt. Dabei spielt er nach Stimmung und Eingebung; und aus großer Routine auch mit Überlegung, womit er sich klug genug unterstützt, wenn er sich schwächeren Herzens fühlt. So gab er die Räuber. In der Stelle, wo er die groben Ermahnun- gen des Mönchs anzuhören hat, sah er mit schwarzem, vorn aufgeklappten, mit rothen Federn in die Stirn gedrückten Hute, gradauf stehend auf eine passende Streitaxt gelehnt, außerordentlich gut, und menschlich, und edel, lebendig zuhö- rend aus; wie ein wirklicher Mensch, und hochartig. Auch antwortete er in edelgefaßtem Schmerz dem Mönche sehr schön in den abgebrochenen Reden. Als er sich erschießen wollte, spielte er meisterhaft; eindringend verständig, verloren forschend, und unglücklich; mit den passendsten Gebärden; so gelungen als möglich. Auch erstach er das Mädchen so außer- ordentlich als es nur möglich ist; wie Fleck, wenn er so etwas gut machte. Auch kann er sehr schön ohne Worte sangloti- ren , il n’y a point de mot dans notre langue ; Schluchzen al- lein ist es nicht, Wimmern und Schluchzen. Noch machte er manches schön; ich rede vom Schönsten. Ja! noch Eins! Er las den Brief des Vaters gleich zu Anfang göttlich, und war in dem Zimmer zu Hause, wie nur große Schauspieler, wie Menschen in ihren Zimmern, Helden. Er wurde den Abend sehr beklatscht und herausgerufen: und es war jenes Klatschen in der Luft, welches ganz allein nach gutem Spiel erfolgt, und nicht von der Menge der Hände abhängt. Vor- gestern spielte er Rolla bei leerem Hause; mit der Fähigkeit, die du ihm nun kennst; nahm aber die Rolle, eine Nüance oder ein paar, französischer; und die Rolle , sage ich , lie- ferte ihm nicht jene Momente, in denen er mir völligen Bei- fall ablocken konnte. Er wurde wieder herausgerufen. Übri- gens habe ich das Publikum noch nie gerechter gefunden; wo sie konnten, ehrten sie den fremden Künstler; wo sie muß- ten, zeigten sie ihren völligsten Beifall unbefangen gern, und wahrlich sie schienen’s beide Abende auch ganz zu verstehn. Eßlair macht einen so lieben Eindruck als Mensch, und zeigt den in seinem ganzen Vortrag so, daß man ihn persön- lich lieben muß: dafür war ich ihm schon mit meinem ganzen Herzen dankbar. Sein kleiner Besuch hat ihn in meiner Gunst bestätigt. Er hat etwas liebenswürdig Gütiges. Rauch- taback roch ich, dies gehört diesmal zur fehlenden Nüance von feinster Welt. Er behauptet keine Zeit zu haben; er eilte so, daß ich beinah nichts mit ihm sprechen konnte, als von deinen regrets, zu einer Probe vom Tell, der heute ge- geben wird; hier die Austheilung. — Leb wohl! Ich bin zu müde: ich habe einen kranken Kopf, und nur meine Theater- leidenschaft und du konnten mich schreiben machen. — N. S. Er brachte mir einen Brief von J. S. — Meine ganze Liebe wallt zu Flecks Grabe. Die Propheten, Dichter und Künstler, die Gottgesandten, sollten doch so lange die Welt steht, leben, und nicht sich deteriorirend altern, wie wir Gemeinsten, Elendesten. Ich bin heute völlig elend; in allem! Eßlair bleibt nur bis den 14. Die Bethmann, die ich nach der Probe sprach, kann nicht genug erzählen, wie herrlich er in Theseus ist, und wie über alle Maßen vortrefflich in der Beichte; sie sagt, darin stellte er den Theseus auf den Kopf. Grad umgekehrt! Sonntag, den 1. November 1812. Als Mirabeau in Berlin war, sah ich ihn, in bürgerli- chem Anzug, ganz das Ansehn habend, wie die damaligen Hof- Hofleute seiner Nation; in einfacher Kleidung, die, obschon vornehmer Gesellschaftsrock, oder gar Kourkleidung, doch schon sehr nach dem nachherigen englischen Anzug hinneigte: er trug ein leicht gekraust gepudertes Toupet, Haarbeutel, Schuhe und Strümpfe, und dazu passende Kleider; ohne Gold, Silber, noch Stickerei. Er hatte dunkle, lebhafte Augen, die mit star- ken Augenbraunen dennoch weich blickten; war pockennarbig, und breiter, aber nicht feister Gestalt; er hatte das Ansehen, wie Einer, der viel, und mit Vielen gelebt hat; auch bewegte er sich mehr, als die Leute von seiner Klasse pflegen: denn er hatte nichts Kompassirtes; er zeigte sich in den gleichgültig- sten, und kleinsten Bewegungen seiner Person, als sehr thätig, und als Einer, der alles selbst untersucht, kennen lernt, und ergründet; so gebrauchte er seine Lorgnette, und ich möchte sagen sein ganzes Ich. Er ging in die deutsche Komödie, in die Koulissen: und brachte täglich seine Briefe selbst auf die Post, wo ich ihn zu halben und ganzen Stunden verweilen sah, während eine Dame und sein achtjähriger Sohn ihn im Wagen erwarteten. Mein Vater zeigte ihn mir als Nichts, als den Grafen Mirabeau; ich wußte gar nichts von ihm: und um so zuverlässiger traue ich meinem damaligen Urtheil: er machte einen guten Eindruck auf mich: obgleich er mir alt, und nicht niedlich und hübsch vorkam; weil ich fast ein Kind war, und nur blonde schlanke Menschen liebte. Weiter weiß ich mich nichts zu erinnren: er sah auch aus, als Einer, der viel gelitten und diskutirt hatte. II. 5 Berlin, den 2. December 1812. Nach einer fürchterlichen, aber weichen Nacht; mit sehr bestürmtem, mißhandeltem Herzen. Meine unseligen Gedan- ken! Das hellere Wissen lief Sturm dagegen, und es war keine Gnade; sie ließen es nicht in Ruh. Um vier Uhr wacht’ ich noch: und krank fühl’ ich mein Herz noch jetzt. Wie sollte es auch kommen! Wer schmeichelt ihm wohl! Welcher Umstand; wer thut ihm gut! Vieles hat mir der Himmel in meiner Noth gelassen, diesen Strahl seiner allmächtigen Sonne hat er mir noch nie zukommen lassen! Soll ich wirklich so sterben? Wie ich verstehe ein Herz zu heilen, zu schonen! Man könnte dies anders nennen: still! Eigentlich wollt’ ich dies niederschreiben. Wie finde ich Goethe groß in den Worten, die der Prinz im Triumph der Empfindsamkeit sagt: „O ihr Götter! schickt mir ein neues un- bekanntes Glück aus den Weiten der Welt!“ Wie schlagen diese wenigen Worte bis nach den zwei äußersten Enden des Menschen hin. Ganz zertrümmert ist das Gemüth des Prinzen; nichts da- von hat er sich vorbehalten; alles ehrlich eingesetzt; das Schick- sal konnte ihm, und nahm ihm, alles in der Puppe: ohne Herz, fühlt er — nur dies kann er noch fühlen — kann er nicht le- ben! Er hat keine Hoffnung; in der ganzen bekannten Welt ist ihm nichts geblieben, eine zu bilden; sein Inbegriff ist hin! Der Geist ist ihm noch übrig geblieben; mit dem hält er noch alles für möglich; eine neue Welt, die er nicht erfinden kann; mit diesem Geiste setzte er der Götter Macht voraus; sein Herz muß von ihrer Güte haben, weiter leben; und so fleht er sie im gefühlten Untergang an. Sonderbar ist’s! Die Andern glauben auch Liebe beschrei- ben zu können; und sind noch recht stolz darauf, wenn sie sie, wie sie es neunen, nicht als Leidenschaft gefühlt haben: sie meinen, dann ging es um so besser — haben sie sich aus Goethe’s Definition eines Dichters im Meister herausstudirt. — Mit gestampften Lumpen, Galläpfeln und Gänsekielen hof- fen sie herauszuwürfeln die furchtbar-großen und doch trö- stenden Orakelsprüche, die aus dem Tempel nur kommen, den die Natur sich selbst geschaffen hat, in dem Herzen der gelungen- sten Menschen! Nie! ihr stolz glücklichen Wüstlinge, die ihr noch immer ein Restchen für euch zurückbehaltet! Ihr Armen! deren Sinn nichts ganz trifft. — — — Novalis sagt: „die Liebe ist eine ewige Wiederholung.“ Sie ist die größte Überzeugung, sage ich. Unüberwindlich ist Auge, Ohr und Gefühl überzeugt; unüberwindlich unser Herz von dem Gegenstande, den wir lieben; unüberwindlich der Eindruck; und ist die Überzeugung zu überwinden, so lieben wir nicht mehr. Daher lieben nur Menschen; hohe überzeu- gungsfähige Geschöpfe. Mittheilen, beweisen, läßt sie sich nicht. Jeder liebt allein, wie man allein betet. Thekla ist ganz und gar nur die tragische Gurli. Beide ohne Knochen, Muskeln und Mark; ganz ohne menschliche Anatomie; so bewegen sie sich auch, wo gar keine menschlichen Glieder sind. Mir aber zum Erstaunen mit dem Beifall des ganzen deutschen Publikums! Eben fällt mir aber nach langen Jahren Wunderns ein, daß sich die Leute eben daran ergötzen, diese bei natürlicher Gliederung nicht hervorzubringenden Be- 5 * wegungen zu sehn; und bei diesem ihrer Moral schmei- chelnden Schauspiele der gesunden menschlichen Organisation vergessen. Vergessenheit, die täglich in Anstalten des noth- wendigsten Heils und des Ergötzens anzutreffen ist. An Alexander von der Marwitz, in Potsdam. Dienstag Morgen im Bette, 10 Uhr, den 8. December 1812. Bei den angegriffensten Nerven. Von der Kälte, glaub’ ich; darum warte ich sie auch noch im Bette ab. — Gestern Morgen war ich bei der W., weil sie vor- gestern Morgen bei mir war, ohne mich zu treffen. Sie führte mich in ihr Kabinet; nach einigem Redewechsel, und einer Be- stellung über eingeladene Gäste, nach welchem ich sah, daß sie mich nun nicht einladen würde, sagt’ ich ihr in der größten Herzensmilde, mit dem hochblickendsten Geiste, ob sie gedenke T. zu sehen; worauf sie mir Ja antwortete; und worauf ich sie bat, sie möchte ihm nun die Bestellung machen, die Sie vergessen haben; — von Ihnen jedoch erwähnt’ ich hierbei nichts. — Ich sah über diese Nichteinladung weg , wie über alle: und wie über die, welche mir schon aus diesem Hause zu Theil geworden sind. Ich sagte ihr bald, ich würde ihr meine Träume bringen und lesen: sie war beschämt, innig und dankbar; und frug mich, wie sie nur dergleichen bei mir ver- diene, mit wahrhaftester Bescheidenheit, Stocken, und innrer Bewegung: auch Ihnen hätte sie schon dasselbe gesagt. Ich bedeute ihr, wie sie bei mir stehen muß; auch nicht aus der Haut, und wir umarmten uns. Dann sagt’ ich ihr, warum ich ihr meine Briefe nicht gerne zeigen möchte: sie sah es ganz ein; blieb aber dabei, bei ihr schade auch dies nicht, was ich angeführt hatte. — Wir sprachen stundenlang weitläufigst; ich setzte ihr B.’s niedrig rohes Betragen gegen mich auseinander, das der K., der M., wie ich sie schone, was ich thue, was sie thun und sind; sie giebt mir alles zu, und fügt noch zu. Ich sage ihr, wie schonend, wie nie faits nennend, ich verführe: wie unhei- lig grob sie mit Vermuthungen umgingen. — Ich empörte mich ohne empört zu sein, des Menschenunrechts wegen, wel- ches man mir unermüdet bis am Rande der Gruft zufügt: daß Rohheit, Unvernunft, und karge Gaben, von all diesen das Gegentheil mißhandeln, mit dem Applaus der Menge; mit der Zulassung meiner Freunde. Denn nun fiel mir ein, daß auch eben diese W. mich doch zu bitten und bei den eben für närrisch und unsittlich Erklärten beim Thee durchzuführen den Muth nicht hätte! Direkt sagt’ ich nichts: aber ich be- hauptete, gegen meinen ersten Freund würd’ ich ein Schäuer- mädchen durchführen, hielt ich sie für edler und sittlicher als ihn: (und ich habe es gethan; kürzlich). Endlich hörte dies Gespräch, bis an all seine benachbarten Gränzen geführt, auf: und wir sprachen von Ihnen; ungefähr wie sonst. Ich mußte der W. versprechen, Mittwochs und Sonnabends Vormittag zu kommen: dann wären die Kinder weg: ich versprach zu mor- gen mit den Träumen zu kommen. Sie zweifelte noch Ein- mal, rührender noch, wie so sie mir was sei, ich ihr so etwas zeigen wollte: dankte mir freudig und überschwänglich! und nachdem sie mir die Kinder gezeigt hatte, und nach tausend Freundlichkeiten, ging ich. Auf der Straße aber fiel es mir auf’s Herz, mich nicht immer von neuem mißhandlen zu lassen. Ich will nicht. Mir falle auch ein edles Opfer. Von der W. grade will ich es nicht leiden. Von niemand mehr. Die M., die B., die K., die nichtgeachteten, kann sie bitten? Mich soll sie bitten. Dies ist mein letzter Ausspruch. Mor- gen gehe ich nicht zu ihr; ich lasse ihr absagen. — Ich kann endlich jeden missen: mich hat das Leben nicht vernichtet: mich hat es wirklich und wahrhaft umgeschmiedet auf seinem feurigen Ambos. Auch kann dies ein jeder; mich wieder mis- sen. Glück auf! ich bin’s zufrieden. Voll bleibt die Welt. Mir überkömmt so so viel Witz, Laune, Ideen, Leben, Zärt- lichkeit nicht; mein sparsames Futter bescheert mir jeder Hof. Diese Worte stehen alle hart neben einander; ich merke es selbst. Schieben Sie den Anschein darauf: daß Sie von allen meinen Entschlüssen den Grund und die Gründe kennen: daß ich heute absolut nicht mit der Feder schreiben kann: und also jedes Wort zu sparen suche, Nervenzittern, und das größte Echauffement habe. Zu meinem letzten Brief an Sie, Lieber, habe ich wohl gefühlt, muß ich einen Nachtrag machen. Dies war ein Brief, wo ich Ihnen mein Herz aufklappte; und weiter nichts. Wo ich Ihnen mein Bewußtsein aufschlug, daß Sie wie ich Ge- genwart und Vergangenheit schauen möchten! damit Sie sich fassen! und für mich , ertragen, was ich ertragen muß. Denn unmittelbar hatten Sie nichts zu ertragen; Sie wollte ich bereiten, Sie schonen, damit Sie mich schonen, und verstän- den, und mir das Leben nicht saurer machten. Helfen sollen Freunde. Denn verstehen sollen Sie; und gütig wollen . So helfe ich jedesmal . Wie leise fühle ich was häßlich ist; wie übergehe ich’s! und weiß das Bessere herauszuhe- ben, und zur Freude und Bequemlichkeit, zur Schonung her- auszulegen. Es liefert uns die Erde nichts rein; ist es der Wille, so ist es schon viel. Wir irren uns Alle, und verwir- ren uns, im Ergreifen; retten wir das Bewußtsein, so ist das viel! das Leben wird Ihnen an Ihnen selbst nur dies wieder- holt zeigen. So sein Sie auch nachsichtig und einsichtig gegen mich. Wer hat einen Freund aufzuweisen, wie ich, der, aus den innersten Ursachen bestimmt, sein Leben nur mit mir zu- bringen will; nur an meiner Seite das beste Glück finden kann! Dies Gut ist selten. Es ist nicht rein: aber es reinigt sich jeden Tag: das bin ich sicher, und erlebe es. Was kann mir noch geboten werden? oder — wer bietet mir etwas. Meine Klagen aber, wenn ich verletzt bin, müssen in Ihren Schooß fallen; aber sie müssen darin nicht erblühen; mir zu neuem Leid. Wie tief vergrabe ich Ihre? Sie denken der Wind hat sie entführt. — Nicht Sie, nicht ich, nicht die Götter ohne Wunder, können mein Schicksal erneuen: dies muß ich ausspielen. Die Blume ist zerdrückt auf dieser Pflanze, dies vergessen Sie nicht. Ihr Laub macht Illusion. Besonders erwarte ich die Hülfe, die Nachsicht wenigstens, die Schonung, die ich leiste. (Ich bin äußerst gestört; äußerst echauffirt.) Soll ich den Trost, mich beklagen zu dürfen, entbehren? damit nicht noch größere Spannungen für mich erwachsen? O! nein. Sein wir menschlich! Schonen wir uns! Heute aber ehr’ ich Sie über alles, und sage Ihnen grade was ich verlange. Sie wis- sen, wie schwer mir das wird. Adieu. R. R. An Alexander von der Marwitz, in Potsdam. Sonntag, den 3. Januar 1813. Ihr sehr freundlicher lieber Brief kann mich nur bewegen zu schreiben: geantwortet habe ich Ihnen eigentlich schon vor- aus, in dem, den ich Ihnen schickte. Nehmen Sie sich mit rauchenden Zimmern u. dgl. sehr in Acht: es verdirbt einem ganze Nächte, und im Rückschlag — par ricochet — ganze Tage; und genau genommen ist doch nichts ärger, allein recht arg, als wenn wir uns selbst fehlen: die Festigkeit, die der richtig spielende Körper giebt, ist auf der Stelle Luxus; wenn man es auch nur als höchste Nothwendigkeit anschlagen will. Alle diese Weisheit ist mir gestern überkommen (und ich pre- dige sie nur in Folge großer Narrheit und Unachtsamkeit von meiner Seite!), da ich in mildem Wetter, bei hell gelockertem Himmel, nach vielem Verdruß, allein spaziren ging. Zwar natürlich nur in der Stadt: aber doch im Rondel — oder wie es heißt — am Potsdammer Thor, da sah ich viel Himmel; die Luft ist da ländlich; es war still. Und wie böse Hüllen fiel es von mir, all das Fremde, von der Lage mir Aufgezau- berte, und ich wurde auch still. Weil mir die Luft behagte, ich gesund war, und sie mich gesund machte. (Zweimal bin ich schon gestört worden: dann kann man nicht schreiben.) Der Verdruß war von der Art, daß er ganz von meiner Lage herkam, und die wieder in all ihren Punkten, und also auch in den empfindlichsten, wovon es die andern mit wurden, be- rührte. Ganz unleidlich! Und das Unleidlichste der Lage ist, daß ich sie nicht, und nie zu ändern vermag. Nun beden- ken Sie mich, und meine Fasern, und was ich in mir trage und weiß, und stellen Sie Ihre Berechnung an! Dies Schwere all — wurde mir leicht, weil mein Blut richtig fließen, meine Nerven richtig vibriren konnten; und ich so mit Elementen, Farben, Licht, und Erde in einen augenblicklich richtigen Zu- sammenhang, und Wechselwirkung kam. Ich genoß es lau- schend, beinah verwundert; und dann machte ich dem Himmel Vorstellungen, mir dies wenige, Natürliche zu lassen; und klagte auch gegen ihn. So floß mein Tag, von Stadt und Hauswesen gestört, noch ziemlich gesund aus mir heraus, an mir vorbei. — Die Nacht aber mußte ich schrecklich an Ner- ven leiden; nun kommt das Ende dieses Werks, womit ich es begonnen, und was ich beweisen wollte; weil mein Zimmer schon den zweiten Abend, für die Nacht zu heiß war, welches ich nicht vertragen kann, und wogegen sich mein Blut mit nach dem Kopf steigen, wehrt. Was dies ist, wissen Sie. Es artete in Nervendröhnen, und in dem ganzen Hofstaat der Nervenübel aus. Wir wollen uns also sehr, sehr! vor fal- schen Zimmern hüten. Amen. Sie wissen, daß ich so sehr, als Sie, denke, daß die W. das Beste werth ist, weil sie’s versteht. Ich frage Sie auch, ob ich sie hoch gehalten habe von je, und in Liebe geschaut. Ob ich eine Königin ehrerbietiger, zarter, und zärtlicher zu behandlen nur vermöchte? Ich frage aber auch, in was ich mich, ohne Stupidität oder Heuchelei, unter sie stellen soll? Also , müßte mir dieselbe Zartheit und Ehrenhaltung zuflie- ßen. Solche Anforderung aber ist stumm im tiefen Herzen gekauert da, stumm wie diese dunkle Tiefe selbst; und würde nie von Worten herauf gezwungen werden, als Forderung; weil sie nur als Dank an das nichts schonende Licht mag; wenn ich sie nicht vertheidigen müßte diese Forderung! Ver- theidigen muß ich sie, weil sie sollizitiren soll, was ihr Wesen selbst bewirken sollte. „Unschuldig“ ist hier nichts anders als unwissend. Über gewisse Dinge, wissen Sie im tiefsten Her- zen, darf man nicht unwissend sein. Warum sollte ich jeman- den mich schätzen lehren, und mich dann von ihm schätzen las- sen? und dasselbe, mit Liebe und zartem Zuvorkommen und Errathen! Da habe ich’s bequemer, ich schätze mich selbst, und liebe Andere: wo sie mir’s erlauben. Daß man sich durch Thätlichkeiten die Achtung angedeihen läßt, die man nöthig hat zum äußern Sein; dies kann man wohl gegen gleichgül- tige Leute, in Äußerlichkeiten, äußerlich üben. Aber wo Liebe, Überzeugung, Zartherzigkeit und Approbation wirken sollen, kann und mag ich nicht in Menschenherzen willkürlich operi- ren. Sie verstehen es genug, das Schönste als Herzensfluthen anzunehmen, und dies sei mir und ihnen genug, wenn es noch so kommen mag! Sie wissen es: ich brauche nicht zu ver- sichern; ich habe genug in Liebe geleistet: eine Heilige wär’ ich zu anderer Zeit! Wem gönnt mein Herz nicht alles, und jede Eigenschaft? wer sieht, wer spürt sie eher aus, und ver- kündigt sie? Wer ist gerechter, unpersönlicher? Wer ewig be- reit zum besten Leben und Leisten? Wer scheidender, und menschlicher? Wer zärtlicher gegen alles was fühlt, und zu fühlen scheint? Wer Gott erkennender in jedem Augenblick? Wo ich einen Zug von diesen Genannten sehe, beugt sich mein Herz und meine Kniee: das wissen Sie: wo ich es reicher, vereinigter fände, als bei mir, würd’ ich in jublende Anbe- tung verfallen! Sie wissen es! Des Überschätzens aber, bin ich ganz müde, d. h. ganz unfähig geworden. Tasso sagt („Nur die Galeerensklaven kennen sich, die eng geschmiede- ten“) wie es mit dem Überschätzen ist: wenn man selbst nur Gerechtigkeit noch verlangt — so bin ich wenigstens — dann mag man diese auch nur leisten. Nicht im Behandlen, und in der Nachsicht, und im Leisten; aber im Beurtheilen dessen, was geleistet wird. Ich bin es sehr zufrieden, daß Sie der W. meine Briefe zeigen: und empfinde ganz die Ehre, die Sie mir in Ihrem Herzen erzeigen, in meinem. Ich will ihr auch die Träume zeigen. Von T.s F ê te aber, kann ich nicht sprechen. Das können Sie thun. Wenn Sie wollen! und hiermit erzeige ich Ihnen wieder die größte Ehre, die aus meinem Herzen kom- men kann. Auch das wissen Sie, Marwitz: am schwersten in der Welt, wird mir, von einem Menschen zu fordern, wovon ich denke, daß er’s mir ungefordert hätte leisten sollen. Sa- gen und Fordern sind hier eins; und diesmal hab’ ich nur ge- sagt, was ich hätte fordern können: nämlich, was ich in Ihrer Stelle würde gethan haben — vergessen hätte ich’s auch nicht —; aber ich will gar nicht, daß Sie es thun: denn sa- gen Sie mir, was sollte ich damit in der Ausübung beabsich- tigen! Nun fragen Sie, ob ich Sie noch liebe, wie sonst! Wie sonst nicht: denn ich bin anders, und habe manchen Schmiedeschlag auch seit der Zeit erlitten. Ich liebe Sie, wie es mein Wesen mit sich bringt; und mein ganzes Herz ist ge- rührt und getroffen von Ihrem Zutraun: welches ich Ihnen ganz erwiedere: ganz . Denn wie betrübt und erschwert, und verunreinigt ist dies Herz, wenn ich Einmal denken muß: dies faßt er nicht, noch nicht; dies mußt du noch zurückbehalten! Oder wenn es gar denkt: hier wärst du aufmerksamer, lieben- der! Verstehen Sie dies: und Sie werden mich nicht mehr fragen. Aber fragen Sie mich in alle Ewigkeit; ich will in alle Ewigkeit antworten. Dies ist der eigentlichste Umgang; ja, der mit sich selbst. Mehr als mir selbst kann ich Ihnen nicht bieten; und eben das biete ich Ihnen in allen Stücken. Faserkind! Mein Kind, mit Fasern. Gerlach kann Ihnen von gestern Abend erzählen. Hanne, Varnhagen, und Kalckreuth, waren da; den mußt’ ich anneh- men. Gerlach bringt Ihnen diesen Brief: er gefällt mir noch. Gott grüße und schütze Sie! Gedenken Sie meiner in Liebe. R. R. An Gustav von Brinckmann, in Stockholm. Berlin, den 11. Januar 1813. Morgens um 10. Uhr bei beschneiten Straßen, in der Behrenstraße, schräg dem Kasino gegenüber, gleicher Erde, No. 48. Lassen Sie dieses Blatt ein Morgenbillet werden, da es unmöglich, ohne meine Seele auf das Papier zu bringen und meinen Körper zu vernichten, ein Brief werden kann. Zu viel Zeit, mit allem was sie bringen kann, ist verflossen; zu viel Neues, Verwirrtes, Großes ist geschehen, sperrt den Rachen über uns auf; als daß die größte innre Klarheit, das deut- lichste Bewußtsein was ich kann und will, in ewigen Krie- gen gegen mich selbst, als Beute errungen, mir nur irgend genieß- oder nutzbar wäre. Denken Sie sich mich reifer, fort- geschrittener, erdrückter, aber eben wie sonst; und ließe man mir Luft, vergnügt und kindisch. Gesund, mäßig. In ange- nehmen Verhältnissen, gar nicht. Furcht, über die Maßen . Vor jeder Zukunft. Dies von mir! Die Nachschrift von mir ist das, daß ich heute vielleicht am wenigsten bereitet, und ge- macht bin nur irgend zu schreiben, und am allerwenigsten Ih- nen, der mir alles Alte zur höchsten Paralysirung des später Ereigneten, zurückruft; und dem ich es doch plötzlich und in allen seinen Details gleich übergeben möchte. General Neip- perg aber, den ich nur von Ansehn kenne, und der meine Exi- stenz nicht weiß, wird für gute Worte diesen Brief mitnehmen. Schon längst verwahrt’ ich Ihnen inliegendes Zeitungsblatt; es gehört zur Sammlung Ihrer Todesanzeigen, und wird viel- leicht an die Spitze derselben kommen. Mich hat es unend- lich unterhalten, und zum Lachen gebracht. Ich bin weder böse, noch erstaunt, daß Sie nicht schreiben: man kann nur viel und mit Annehmlichkeit schreiben, wenn man denselben Vor- mittag Antwort haben kann. Daß wir dieselben sind, brau- chen wir uns nicht zu versichern; oder es wäre gar nicht wahr. Gestern Abend trank ich Thee bei Schleiermachers, dessen Frau meine liebe Freundin ist, mit Gräfin Voß und Hrn. von Mar- witz. Mein Intimer. Er ist in Potsdam bei der Kammer, und oft in Berlin. Gräfin Boß war sehr liebenswürdig, ganz einfach, und recht hübsch; ich liebe sie noch immer sehr. Die sagte eben, daß der General Neipperg noch hier sei, nämlich noch bis diesen Abend bleibe, daß sie Ihnen ein Wort ge- schrieben hätte: und nun thue ich’s auch. Zeigen Sie auch gütigst Frau von Sparre die Zeitung, und sagen ihr, ihre Schwester hätte mir alles bestellt: sie wäre mir ein Trostge- danke in Schweden, daß sie dort ist. Frau von Sta ë l muß Ihnen doch viel Vergnügen machen! — und viel Rennens! Von Gentz habe ich vorige Woche, durch Gräfin Voß, seit Jahren einen liebenswürdigen kindischen Brief erhalten. Ich bin eingenommen von ihm wie sonst. Humboldt haßt mich jetzt wieder: er war das letztemal in Berlin, ohne mich zu sehen. Die Herz lebt und sieht aus wie sonst. Christel war diesen Sommer hier, mit den alten Augen, der alten Miene, der alten Indolenz, der alten Unschuld und Verschmitztheit. Wir sprachen viel von Ihnen: auch gestern drei Viertel des Abends. Ich wohne allein, meine Mutter ist im Oktober drei Jahr todt. Schlimm für mich! Meine Schwester hat nur das eine Kind; und ich sah sie auch in der Zeit nicht wieder. Hannchen ist eine große Demoiselle, Fanny geht noch in die Schule. Gute, brave Kinder. Meine Brüder sind alle in Berlin, der jüngste verheirathet mit einer Demoiselle aus Po- len. Sie ist artig, gut, und unschuldig. Erzogen wie die hiesigen Mädchen. Leben Sie wohl! Und arbeiten Sie dran, wenn erst der Regen dieses Gewitters riechen wird, nach Deutschland zu kommen. Sollte ich von den Erschlagenen sein, so denken Sie, es kam ihr nicht unerwartet, sie hatte namenlose Furcht; ohne Aussicht auf Freuden. Gott schütze uns! Sehen Sie meine Stimmung in diesem Morgenbillet? Adieu! R. R. Robert heiße ich jetzt. Noch eins! Die Beth- mann ist wohl, und wird älter; und hat noch ein großes Publikum. An Frau von Fouqu é , in Nennhausen. Berlin, Februar 1813. — Einige Tage vor Ihrer Abreise hatte ich gehört, Sie würden diesmal längere Zeit in der Stadt bleiben, der Kriegs- umstände wegen. Da wollt’ ich’s für mich abwarten; mit ei- nemmale aber waren Sie weg! Meine Klagen Ihnen nach; wovon Sie hier nur wenig hören; das werden Sie auch wohl wissen, und an diesen Worten, die hier stehen, und den be- sten, die Ihnen selbst oft im Herzen bleiben müssen, abmes- sen. Besonderes steht mir in diesem Augenblick nicht vor der Seele, was ich Ihnen zu sagen hätte; aber unendlich viel könnten wir mit einander sprechen, gingen wir nur miteinan- der spaziren, träfen wir uns abends vor dem Sopha, und lebten wir die verschwendeten Wochen neben einander! Viel- leicht wird Friede aus der Erschöpfung des Krieges; und ein Sommer für Menschen daraus, nicht einer für Krie- ger und Bekriegte; und vielleicht fällt alsdann ein Tröpfchen klaren Segens auch auf mich, und ich kann Sie besuchen! Sie sehen, liebe fromme Karoline, ich bin hier nicht so fromm als Sie! Wer kann Gott nachrechnen! Menschen, und ihr Glück sind Bestandtheile des großen Alls, warum sollten sie zu einem glücklich-Organischen nach der größten Zerrüttung und Trennung sich nicht auch wieder zusammen finden; zu neuen weitern Beziehungen? Wie viel aber hier untergeht, zeigen die Begebenheiten aller Zeiten: jedes Menschen! Gewiß sein, daß ein vielfältigerer höherer Geist aus heilbrin- genden guten Gründen Recht dazu hat, ist meine einzige Re- ligion. Es ist mir auferlegt; muß ich denken; ist es doch viel, daß ich so viel weiß; und Klarheit und Verständniß in einem höheren Wesen zu hoffen vermag. Anfang der Gnade! Vergeht uns oft dieser Strahl, so verzweiflen wir; aber ganz können wir nicht verzweiflen, so wenig, als durch unsere ei- gene Gedanken aufhören zu sein. Müssen wir doch unser ganzes Dasein als ein Wunder annehmen; ergeben wir uns ohne Richten über den Lauf desselben; und richten wir immer von neuem uns selbst; unser Bestimmen. Aber alle Buße sei Reinigung, Stärkung, Feinerung, Besserung; Reue vor der That; und fleißige Unschuld nach jeder. Gräuelthaten begehen nur kranke Tolle, arme unglückliche, bedaurungs- würdige Menschen. Mich beugt übrigens der Krieg sehr. Hab’ ich innen alle Zerstörung erleben müssen, und hat mir mein Herr die Einsicht in allen Jammer, und auch die Kin- derfähigkeit für alles Liebliche, Freudige und Lebenswerthe ge- lassen; so hatte ich nur noch äußere Zerstörung zu befürchten: ich erlebe sie; und fühle es herb, ganz herb: nicht aber was mich persönlich betrifft, beugt mich ganz ; aber der Beweis, daß wir noch inmitten des Rohesten leben, daß verwundender Krieg, Krieg, und tolles Nehmen und Wehren bis zu unsern Schwel- len kommen kann, daß wir vor den Wilden nichts voraus haben; Bücher, gebildete Reden, wohlthätiges Sein aparte daliegt, und nicht in unsern großen Verfassungen mit inbe- griffen steht, daß wir allem ausgesetzt sind, und nur prahlend uns aufmuntern, wenn wir unsere Meinungen und Religionen über alle andere setzen: — das macht mich ganz perplex und beugt mich. Freilich war irgendwo Krieg, so lang’ ich lebe; das Nahe dringt sich einem aber am meisten auf; und die ganze Erde ist ja jetzt in der Ansteckung. Vier kluge Gedan- ken, kann eine ganze Nachkommenschaft einmal über uns und unsern Zustand hervorbringen, diese Nachkommenschaft besteht denn aus drei oder vier Historikern und einer kleinen Zahl sie Fassender! Dies ist meines Bedünkens für die Menschen- gesammtheit daraus zu erbeuten. Noch haben wir ruhige Abende! — in einem solchen las ich gestern Tiecks Phantasus. Daraus habe ich ganz etwas Neues erfahren, daß man die klügsten, ja feinsten Dinge sa- gen kann, und über jede Gebühr langweilig dabei sein kann. Dialogen sind schon das Schwerste, wie mich dünkt, und nur Shakespeare, Goethe und Jean Paul in den Flegeljahren sind welche gelungen: dieses fortfließende Leben, mit seinen unend- lichen Voraussetzungen, durch die kleinsten aber bestimmendsten Züge kenntlich gemacht: gelingt nur dem lebhaftesten, gründ- lichsten, leichtesten Bemerker, wenn er die Gabe des Beurthei- lens während der Vertheilung derselben in seinen Werken auf’s höchste besitzt. Nun kommt Tieck mit roh zusammen- gestoppelten Reden und Gegenreden ohne alle Situation, als II. 6 die willkürlichste, die mir weder Ort, noch Menschen, noch Lage zeigt; diese armen Phantasmagoren gehen in eben sol- chen Gegenden spaziren, und reden mich wahrlich todt. Der einzige Trost ist, wenn man nach ihren allseitigen langen Be- hauptungen, von denen Tieck selbst nicht weiß, ob sie Scherz oder Ernst sein sollen, und wem er Recht giebt, Athem schöpft und sich gratulirt, nicht auch solche geschwätzige Tage mit den Herren und Damen verleben zu müssen! Ich müßte toll wer- den in den Sälen, Gärten, bei den Wasserfällen und Brun- nen; bei den leblosen Scherzen! Hübsch ist, was der Kranke von seinen Lektüren erzählt! Jetzt sind sie auf dem Gute, und wollen sich einander vorlesen. Tieck muß phantasiren in seiner eigenen Person, und komisch und ernst sein dürfen. Ein Stück Leben darf er nicht in ein Buch fassen wie Goethe, wo das noch mit hinein geht, von welchem er nicht spricht! Adieu. Schreiben Sie mir nicht mehr „Ihre ergebene,“ Karoline sans phrase ist besser. Ihre R. R. Über Tieck könnte ich noch lange sprechen, aber die Feder ist müde. Tausend Grüße den Kindern Mariens Knäuel liegt noch bei mir. Hrn. von Fou- qu é hab’ ich nur als Geist vorbeischweben sehen. Vielleicht kommt auch mit dem Frieden Muße für uns Beide! An Varnhagen, in Hamburg. Berlin, Sonnabend den 27. März 1813. Vor zwei Stunden, jetzt ist 1 Uhr, trat der Hr. von Ca- nitz bei mir herein, und überreichte mir deinen lieben Brief. Glück auf! daß die ersten Schritte auf deiner neuen Bahn angenehm und erquickend sind! Dafür will ich gern schon einen großen Theil meiner Angst und Sorge anrechnen. Das Lügen geht nicht: sonst verschwieg ich es; mein Herz ist noch nicht befestigt. Doch bin ich Gottlob hierin dumm, und will darüber schweigen. Wittgensteins Proklamationen und Auf- rufe gefallen mir über alle Maßen; weil er seinen Feind zu ehren weiß, die Nation schont, und nicht schimpft; wie jene, die wir seit Jahren deßhalb tadlen. So redlich muß man auftreten; fühlen, daß man nur so aufzutreten braucht; und, will man der Deutschen Karakter hervortreten lassen, diese geziemende edle Seite hervorkehren! Es ist mit wahrer Kunst aus dem Herzen geholt, was man zu jedermans Verständniß sagen muß, daß es wieder in’s Herz gehe! Jede Ironie, jede Prahlerei weit zurückgelassen! Sorge, was an dir ist, mit da- für, daß auch das, was von euren Heeren ausgeht, edel, ein- fach, gefaßt und ernst sei. Und nimm mir dies nicht übel! Ich bin so ganz durchdrungen und überzeugt davon, daß, wo Prahlerei, hohles Reden und Ironie sitzt, nichts anderes Gutes sitzen kann, daß ich mit Sichel und Harke den ganzen Tag ausrauten gehn möchte: da wir alles Gute, ganz gutgemeinte Wackere und Reine so sehr nöthig haben! Diesen Morgen ist Marwitz abgegangen: bis heute hielten ihn ein paar Kamme- raden auf; sonst wäre er gestern gegangen: doch weiß ich nicht, ob er allein ist, oder mit ihnen: länger wollt’ er nicht warten. Seine Truppe ist voraus. Gestern war ich bis halb vier mit ihm bei Bouch é — wo wir zuletzt waren — die Tauben, die zwei wiegenden Pappeln, die Sonne, die Blumen, alles war 6 * da, meine Gedanken an dich, mein Verlassen auf dich, alles, aber anstatt deiner, Entfernung, mit allen ihren Ungewißheiten. Wisse aber, um dich persönlich, und auch um niemand, äng- stige ich mich nicht. Aber den Himmel bestürme ich mit Ge- bet und Thränen, nämlich es werden immer Thränen, für uns Alle. Nicht, daß ich patriotischer als persönlich wäre: du weißt, ich verstehe nur den Gedanken: Alle, durch den: jeden; aber da jeder geht, und es jeden trifft, fasse ich nichts Cinzelnes mehr: und auch hauptsächlich! für Einen , für dich , für mich, kann ich mir ein Glück, ein Entkommen denken; für ein Gan- zes aber nur, weise Führung: oder, biblischen, unmittelbaren Gottesschutz. — Frau von Fouqu é ist noch hier, hat mir aber nichts sa- gen lassen: ich ihr wieder nichts. Marwitz ist ganz entzückt, daß ich stolz bin, wie er’s nennt: mir ist es ganz egal ! So explizirt’ ich’s ihm; und so verstand er’s auch. Heute schickte mir ein General mit einer Botenfrau aus Köpenick einen dicken durchstochenen Brief: die Frau sagte, es sei ein französischer General, und ich war sehr betreten. Der Brief war von Barnekow aus Jaroslaw vom 14. Oktober, der Ge- neral ein preußischer mit einem französischen Namen, worauf sich die Frau nicht besinnen konnte. Der Brief ist ganz aus seinem liebenswürdigen Herzen geströmt, und eben so ange- nehm, und zum Lachen. Das Schreiben tödtet mich; ich will ihm doch morgen schreiben. Hr. von Canitz, den ich nur einen Augenblick gesehen habe, scheint sehr artig zu sein; ich konnt’ ihm gar nichts dergleichen erzeigen, weil er morgen früh ab- reist und seine Zeit gewiß besser braucht. Bestelle ihm dies und meinen Dank! Viele Glücksgrüße an Hrn. von Pfuel: ich danke ihm noch, daß er mich in dem Trouble besucht hat. Empfehle mich auch dem Obristen! Marwitz frug mich immer, ob mich die ganze Stadt nicht um seinen Besuch beneidet hat. Ich sagte ihm, er wisse, wie geschieden ich von der Stadt lebte, aber die ich sprach, hatten alle zu mir kommen wollen. In Hamburg muß ja presse bei ihm sein. Wir lesen sie immer, die Zeitungsartikel, wo Tettenborn vorkommt. — Alles Neue von hier erfährst du durch Hrn. von Canitz. Auch ist nichts; als der Ausmarsch der Preußen. Das Wetter ist fortdauernd herrlich: Sonne und erfrischende Luft. Nur sind mir alle Orte, außer Bouch é , verbittert. Nach Spandau hin richte ich weder Blick noch Schritt. Da verstehe ich den Thiergarten, und seine Spree drunter. O! theurer, schöner, verkannter Friede ! Doch Glück auf! Euch ermuntert, er- muthigt, erfrischt der Kampf. Ich hoffe! baue auf dich. Liebe dich; und grüße dich mit treuem Herzen. — An Varnhagen, in Hamburg. Berlin, den 29. März 1813. Montag Abend, gleich 7 Uhr. Deine Briefe sind jetzt meine einzige Freude! Dies ist wohl der beste Dank, lieber August? Nicht wahr? Gestern brachte Einer, der nicht einen Augenblick wartete, mir einen Brief von dir, mit dem Stück Amtsblatt und zwei Zeitungen. Ich freue mich, daß unsere Meinungen über Wittgensteins Proklamationen sich begegneten! — Du weißt, ich möchte gerne die Nation geschont wissen. Weil es klug und heilsam von uns wäre; und gerecht hauptsächlich: es gingen Andere als sie selbst vorwärts, und sie war nicht die einzig bezwun- gene. Wir Deutschen müssen uns nur mit dem ächtesten Schmuck schmücken; das ist Gerechtigkeit, Mäßigung, Recht- lichkeit und Gesetzmäßigkeit. Welches letztere ich, Gott sei ewig gelobt, auch allenthalben zu meines Herzens Stärkung wahrnehme! Feure nah und ferne, wie du nur kannst, zu die- ser stärkenden alleinheilbringenden Ordnungsmäßigkeit und Rechtsanerkennung und Übung an! Ich bin ein Nichts: und Kraft und Stimme spar’ ich dazu keinen Tag, bei keinem Menschen, bei keiner Gelegenheit; wenn ein jeder so thut und wirkt, so werden Alle besser; und daß dies geschehe, dazu sei unser langes Elend, und unser herbes Streiten uns gut! daß wir nicht nur ein starkes, derbes, sondern auch ein gutes gott- gefälliges Mustervolk werden! Mich dünkt bei den Deutschen zu bemerken, daß ihnen das Irren und sich Aufblasen nicht ganz natürlich und bequem ist; sie haben nur Grazie in der strengen Ausübung von dem, was sie für wahr und recht er- kennen; so hab’ ich bemerkt, daß man die heterogenst Gesinn- ten — wenn nicht nichtswürdige Absichten sie leiten, das Gift, zur Menschensünde auf der ganzen Erde ausgestreut, — mit wohlgemeinter, redlich ausgedachter Wahrheit bald überzeugt. So konnt’ ich gestern gleich zum erstenmale den Professor Z., der gewiß ganz andere Gedankensphären durch- geht und gegangen ist, als ich, zu diesen meinen dir bekannten Meinungen bald überführen; und auf eine sehr naive, nicht mich lobende Art gab er mir dies zu erkennen. Minna S. hatte ihm ein paar Zeilen, mich kennen zu lernen, mitgegeben. Ich glaub’ es ist ein braver, wahrhafter Mensch. Etwas rustre: du weißt, ich liebe das nicht: mit ihm aber bin ich doch zufrieden. Noch dazu, ich wußte, er ist ein neumodisch Deutscher: seine Gesinnung scheint mir aber sehr redlich, und naiv. Ich habe gräßlichen Büchermangel: gar kein Buch: da nahm ich gestern spät die Bibel. Herr Jesus Verrath und Tod las ich; und weinte sehr. Ich kann es mir so lebhaft denken; und wie er wußte , daß ihn Petrus verrathen mußte; so natürlich: gewiß wahr! und wie Petrus selbst weinte, als der Hahn zum zweitenmal krähte. Es gefiel mir sehr! — Das Evangelium Johannis las ich heute etwas: das find’ ich wieder schön. Mir gefallen nur jetzt ganz großartige, groß- gezeichnete biblische Karaktere; alles wird mir zu klein. Nur Eingebungen, Patriarchen, wie sie Goethe uns auffrischt, und deren einfach großes Zusammensein mit den Gegenständen der Natur, und nicht dem frikassirt Römischen, Römischmodernen, gefällt mir noch einigermaßen. Neulich konnt’ ich dies Mar- witz sehr gut und kurz sagen. — An Varnhagen, in Hamburg. Berlin, den 5. April 1813. 12 Uhr Mittags, bei schönstem, hellsten Sonnen- schein, erquickender Luft. — Ich bin in allem deiner Meinung, und auch ganz des Sinnes, das Leben eher zu verlieren , als ein solches zu erhalten, in welchem man nicht mit aller Ehre weiter- leben kann. So waren auch meine Erinnerungsworte ge- meint; und in dieser Voraussetzung werden es auch alle die sein, die ich noch je sprechen kann. Dies, mein Freund, ver- giß mir nie. Vorige Woche mußte Moritz sein Loos zur Landwehr ziehen — wann man nach diesen Loosen gehen muß, erfährt man noch nicht — heute, auf dem Schützenplatze, immer dem Alter nach, zog Ludwig, und da wurde den Zie- henden von éinem Polizeibeamten ein Sieg bei Lüneburg ver- lesen gegen General Morand, wovon ihr nun auch wissen müßt. Kein Wort von meiner Erschütterung bei solchen Dingen. Du kennst meine Spannung, mein heftig-elastisch Herz. So kündigte man uns vorgestern eine falsche Nach- richt — von einer Kaufmanns-Ressource ausgehend — von einem Siege bei Dessau an; der dachte mir das Leben zu ko- sten; weil er zu groß war; ich ihn nicht glaubte, und ihn glauben mußte , der Art des Erzählens nach; diese zweifäl- tigen Bewegungen des Herzens setzten mich in die gefährlichste krampfhafteste Spannung; und weil es bei Dessau war, wo wir Anno 6. die Brücke zu zerstören, aus Noth, ver- gaßen , und da alles herüber kam!! — Hier schicke ich dir Frau von * * ihren Aufruf. Gott im Himmel! sie wußte absolut nichts, als daß sie einen schreiben wollte; und das Wenige, was sie noch zusammenfand, verging ihr in der Schwatzhaftigkeit des Schreibens; das ganze Wollen ging auf in ein litterarisch Aufgehetztsein; nicht anders ist ein Ra- dotiren — Herumirren — zu nennen in allen neueren Schrift- stellermeinungen, und neumodischen — aber eben darum alt- modischen, weil es dergleichen gar nicht mehr giebt für irgend vornehme Köpfe, und große einfache Seelen — Stimmungen, die an und für sich schon ganz unächt, aus keiner starken Quelle, seichte, dünne, vom ersten Luftzug vernichtete Pfühl- chen und Rinnen sind! Indem sie die französische Sprache anfällt, war sie nicht einmal besonnen und geschickt genug, ihre von französischen Worten rein zu halten: sogar den plattesten Beurtheilern giebt sie sich bloß. Es ist mir höchste Anstren- gung, das Ganze zu beurtheilen, da es wohl Theile, aber eben zu keinem Ganzen sich fügende sind; daß wir Deutsche heißen und sind, ist eine Zufälligkeit; und die Aufblaserei, dies so groß hervortreten lassen zu wollen, wird mit einem Zerplatzen dieser Thorheit endigen. Jedes zu Verstand ge- kommene Volk soll brav sein; und die Freiheit haben, es zu sein. Im ersten Gebote müssen das natürlich Männer und Weiber, beide Geschlechter in ihrer Art, sein; der zweite Fall zerfällt in zwei andere; entweder man hat die Freiheit schon, oder soll sie erringen; das letzte thun nur Männer, und den Weibern bleibt, zu ersetzen, ergänzen, heilen, wo jene zerstö- ren und verwunden müssen. Dies muß jedes europäische, christliche, Gott in sich selbst erkennende Volk; und jedes sol- ches muß dies allen andern Völkern gönnen und wünschen: und nicht sich prahlerisch allein dazu ernennen, ausschreien und brüsten. In solcher demüthigen, gerechten Stimmung allein, die eine heilige ist — wo jede Schüchternheit und Scham wegfallen muß, und kann — darf sich eine Frau, weil es jede dürfte, erkühnen, laut — das heißt, gedruckt oder im Tempel — zu ihren Schwestern zu sprechen! Wie ein Gebet und Gelübde muß so etwas aus der Seele strömen; dann wird man nicht alle Mythologien der Welt spuken las- sen, sondern vom Nächsten, was vorgeht und geschehen muß, für alles Volk, welches wenig weiß, aber immer versteht was recht ist, wenn man’s ihm ausspricht, verständlich, eindring- lich und nützlich sein. Dies wollte doch Frau von ** gewiß: und wie weit entlief sie den Kraftmitteln zu diesem Zwecke! — Als im Anfang durch einige Herren der Stadt bei mir zuerst ersonnen war, daß Frauen hier ein Lazareth stiften soll- ten, wozu wir dreißig Vorsteherinnen aus allen Ständen und Religionen gewählt hatten, welche die Prinzessinnen um ihr Präsidium bitten sollten, faßte ich das ab, was diese dreißig in die Zeitungen sollten setzen lassen. Zwar nur den Anfang von vier Seiten, wie die hier sind; Graf Eglöffstein, Mar- witz und Ludwig und ich arbeiteten es dann bei mir um: dies war anders. Ich schicke dir diesen Anfang nächstens . Heute ist mein Kopf zu erhitzt, ihn abzuschreiben. Ein Kon- seil von Herren hat eine Änderung hineingebracht, die mir nicht gefällt. Geld kommt aber viel zusammen. — An Varnhagen, in Hamburg. Berlin, den 20. April 1813. Dienstag Morgen 11 Uhr, bei kühlem stürmischen Wetter, welches, ich fürchte, den Blüthen schadet, die schon heraus sind; obgleich nicht die meisten. — Diesen Morgen muß ich noch nach Hemden laufen, die Markus giebt: ich muß es, weil ich mich keine Mühe. kein Klätern, keinen Weg, keine Anrede, und Rede mit ge- meinen Leuten verdrießen lasse: weil ich denke, je schneller die Hülfe, desto mehr ist sie Hülfe: weil ich weiß, was krank schmachten ist ; und keine Wäsche anziehen können , eben so halte, als keine anzuziehen haben . Unser großes Lazareth war in einem schrecklichen Zustand!! Wegen unordentlicher Einrichtung und Deprädation. Kaum erfuhr es aber die Stadt, so war ein General- Aufstand. Jeder schrie, lief, und gab. Ich schrieb Markus, dieser Böhm, Böhm dem Civilgouverneur, die schnellsten Einsammlungen kamen in drei Tagen zusammen; vom neuen Lazareth wurde alles hingeschickt; alle Ärzte sam- melten, fuhren mit großen Geldbeuteln: Wäsche aller Art, Betten, wurden nach ihren Häusern geschickt, Essen, wo immer hundert fünf und zwanzig Frauen kochen ließen; keine schlief, ruhte mehr. — Mir hat’s einen großen Theil Gesundheit ge- kostet; aber ich bin gesund, und kann sehr laufen. Gestern lief ich darum von der Dreifaltigkeitskirche bis in die Lands- berger Straße, heute wieder dahin. Ich schreibe dies mit Thrä- nen in den Augen, und mit Entzücken über unsere Stadt . — Die Juden geben, was sie nur besitzen: an die wandt’ ich mein Geschrei zuerst. Die Herz ist unendlich thätig: ich sporne sie noch mehr. Nein, wie freut mich die Stadt! Kommt sie doch zu sich selbst; thut sie endlich wohl, wie es Jesus meint; und wie es mich peinigt, daß es nicht geschieht. — Welche Wehmuthswunden hat mir dies Lazareth geschlagen! Reil nimmt sich der Sache jetzt an; ich will heute noch mit Böhm sprechen: ich habe keine Ruhe! Der Deutsche Beobachter findet hier den größten Beifall: und ich behalte ihn niemals! Alle Herren der Stadt lesen ihn. Was du darin geschrieben hast, freut mich in der Seele. Behalten wir Herz, das innerste Wollen, und unser Urtheil rein, und heißen wir meinetwegen Vandalen, Irokesen! Lieber guter August! in jetziger blutigen Zeit ist es gewiß recht nöthig, gieb dir rechte Mühe, du kannst alles, und schreibe ein Wort über Lazarethe! Nicht wegen unserer letzten Katastrophe allein . Schon lange drückt mir eine Reil’sche Aussage, und mehr was ich von Lieferanten erfahren habe, das Herz! Reil sagte nämlich, als die Frauen hier ihr Lazareth errichten wollten, es helfe alles nichts, wenn sie nicht selbst wirthschafteten, und der ganzen Ökonomie und Pflege vorstehen wollten; in keinem Lazareth in der Welt be- kämen die Kranken, was sie sollten. Der muß es erfahren haben. Sag’ es recht populär, recht eindringlich, welche gräß- lichste Sünde eine Betrügerei an Kranken sei! daß jede Stadt, die den Namen verdienen will, eine Kirche in ihren Mauern haben, an göttliche und menschliche Gerechtigkeit Anspruch haben will, daß sie ihr geschähe, die besten verehr- testen Bürger aus ihrer Mitte dazu hergeben muß, solche Werke zu unternehmen und ihnen vorzustehen; daß kein Lie- ferant und kein Inspektor reich werden kann. Nenne unsere Stadt ja nicht: aber sage, in den bestgesinnten und vornehm- sten gingen noch Gräuel darin vor; also muß ganz Deutsch- land, ja die Welt sich gefallen lassen, Ermahnungen darüber zu hören; und durch die That sie beherzigen. — — Lieber August, wie dehnt sich alles! Wann kommt man zum Leben; lauter Bereitung, du bist schon mittendrin, und legst nur zu- recht: ich — aber viel habe ich erlebt, und bin an Höheres gewiesen, das ist auch viel und groß, wenn auch nicht leicht und angenehm. Du schreibst mir hierüber sehr richtig, theurer Freund! — Ach wir wissen alles! Wir wollen aber fleißig und stark bleiben. Das Leben ist eine Arbeit, die man auf- bekömmt; und eine davon besteht darin, es verstehen, ertragen und ergreifen zu lernen; es nicht zu schätzen, weil es im All- gemeinen und einzeln unsicher ist; und es sehr zu schätzen, weil es eine Probe zu einer Existenz ist, und alles was wir kennen, und womit wir das Mögliche errathen. — Gott gebe meinen geliebten Landsleuten Muth und Bescheidenheit. Unser armes Land leidet entsetzlich. Jeder Kerl geht mir in die Seele ! Bauerndörfer! Aber sie benehmen sich wirklich noch gut! Alles hat Muth, Willen, und hilft in jeder Art. Auf der Gasse kann man’s hören, bei jeden Vorübergehenden, das Papier ist zu klein zu allen Anekdoten! Jünglinge ver- zweifeln , die nicht mit sollen; übernehmen drei, vier Posten und Stellen für ihre Brüder, und sagen, sie überleben die Schmach doch nicht! — An Varnhagen, in Hamburg. Berlin, Dienstag, den 27. April 1813. Mittags 1 Uhr. Heller, warmer Sonnenschein, und doch Wolken und Wölkchen am Himmel. Lerchen in den Straßen übertönen alles jetzt . Blüthen strotzen vor Frische und Ju- gend des Moments. Endlich geht Egloffstein und Moritz! Ich konnte vor Müdigkeit nicht mehr weiter leben; weil ich in drei Nächten auch nicht geschlafen habe. Zwei Tage waren sehr schöne, muntere Kosacken in unserem Viertel, die Ostern hatten, und nicht wenig tobten. Sie sangen und schrieen, und pochten an den Häusern bis 2 Uhr nachts, und um 5 stellten sie sich schon unter meinem Fenster, wo sie ihre Pferde anbanden. Meine Scheiben glaubte ich entzwei: ließ aber doch die Laden bis 9 Uhr zu, wo sie abritten. Diese Nacht um halb 4 ein Ko- boldslärm im Hause; um 5 höre ich einen Wagen: ich, zu krank nachzusehn, klingele Dore, und lasse nachsehn, weil ich denke, es ist ein Arzt, den man geholt hat. Es ist der Mieths- fuhrmann von drüben, und sie fahren mit allen Vorräthen nach Spandau, wo heute Berlin hin zieht: denn es ist über. Heute zogen sie aus: siebentausend Gewehre, viele hundert Zentner Pulver, hundertfünfzig Stück großes und kleines Ge- schütz. Ein Baurath, der wegen der Dämme schon gestern drau- ßen war, hat meinen Brüdern versichert, solch ein Zerschießen geschähe nur selten. Noch wenige Fuß, und alles Pulver, Spandau, Stadt, Besatzung, Menschen, und vielleicht Bela- gerer, wären in der Luft gewesen. Drum zogen sie ab: und darum wurde es bewilligt. Ein Kapitain Ludwig soll Wun- der gethan haben, und einer der ersten Artilleristen sein. Nur sechszig haben wir Todte und Verwundete zusammen. Reil hat zwölf im Klinikum; Einer davon stirbt nur. Mit zer- hacktem Blei schossen sie heraus! das soll Unrecht sein. Man sieht’s an den Wunden. Drei Tage wurde es doch nur be- lagert. Meine Seligkeit kannst du dir denken, daß der Gräuel aus ist. Wie habe ich Gott gedankt!! — Ich habe die Mädchen beschenkt. Line Kleid, Dore Tuch; eins meiner besten, für sie ein unerreichbares, ein türkisch Shawl. Könnt’ ich nur auch Gutes thun, da dieses Gräßliche noch so glimpf- lich ging. Unsere brave unterrichtete Artillerie von Span- dau wird anderweitig gebraucht. Mir ist Gott so gnädig jetzt: und ach! nur selten fühlt’s mein Herz einen Moment. Der erwägende Richter hat mein Nothgebet, mein Geschrei- meine windende Angst wegen Spandau erhört ! Ich habe so viel Glück und Gnade. Ach! Ach! und bin so unruhig, so unselig! Aber sei ruhig! Daß du vergnügt, muthig, ru- hig, glücklich bist, ist mir alles; giebt mir Muth, den einzi- gen Muthstrahl durch’s Herz! — — Ich schrieb gleich an Niebuhr, und schickte ihm deinen Artikel und Schlegels Schrift, die er mir, wenn er sie schon kenne, wiederschicken soll, was er noch nicht gethan hat. Heute Morgen bekam ich durch den Postboten einen Brief von dir, mit der Nachricht von den übergegangenen fünfzig Sachsen. Ich denke darüber wie du. Wenn du erlaubst, so schicke ich dem Zeitungsbureau, und nicht Hrn. Niebuhr, diese Nachrichten. Der gefällt mir durch- aus nicht. Gestern Abend las ich zum erstenmale sein Blatt. Wie hart. Wie verblindet. Wie hetzend! Nur Saragossa und Moskau! Die Welt mag untergehn, wenn nur ein wichtiger — unwichtiger — Geschichtsparagraph daraus er- steht. So hart und ungefügt und unverständlich ist auch sein Stil. Wie ehre ich dagegen „Heeresgoräth“! Religion ist Vokal, und Geschichte Konsonant: und wie klar, wie ver- ständlich ist das Stück Geschichte darin vorgetragen! wie nir- gend. Und die milde, ganz edle, nicht aufgepusterte Bücher- gesinnung! Jenem liest man an, daß er sich die Welt weiß auf schwarz zusammengelesen hat. Pfui! Ich freue mich deiner Freunde, und Freude darüber. Hrn. von Nostitz die freund- lichsten Grüße! Er soll an unsern Freund denken, der nicht mehr ist. — Ich bin zu müde. — Gestern war ich dreimal bei Woltmanns, weil das dumme Dienstmädchen zweimal sagte, er sei aus: dann schrieb sie mir: und es verhielt sich so, daß er seit sieben Wochen ganz zu Bett an Gicht in der Hüfte liegt, und seit neun Monaten nicht aus war. Sie sind sehr dankbar: sie hat mir heute bei diesem Briefe sehr lieb geschrie- ben; thu das Mögliche: sie hoffen wenig! Ich werde sie manchmal besuchen: sie wohnen, wo Johannes Müller wohnte, im George’schen Garten. — Höre die schöne Anekdote! Eine Gesellschaft Frauen machte auch in Breslau eine Sammlung für unsere Sache: alle gaben; ein Mädchen war dabei, die gab nichts; sie konnte auch nichts geben, alle wußten’s auch; sie hatte nichts. Sie geht aber weg, und kommt mit drei harten Thalern wieder, die sie giebt: alle wundern sich. Weg waren ihre Haare, die ihr sonst einmal ein Haarkräusler ab- kaufen wollte, und dem sie sie nun gelassen hatte. Augen- blicklich kaufte die Gesellschaft die Haare zurück, die schönen, langen, blonden; ließ Ringe davon machen, und die werden wieder für unsere Sache verkauft. Der Geheimrath Crelinger hat ein Dutzend mit hieher gebracht, die theuer verkauft wer- den. Es ist nicht viel, seine Haare zu geben: und doch ist die Geschichte so hübsch. Der Emotion wegen, die das Mäd- chen, die Frauen, gewiß hatten, und des lieben Willens und unserer Emotion wegen. Nicht wahr? laß sie drucken. — Goethe ist, wie du in Niebuhrs Zeitung lesen wirst, in Dres- den: den: Gott sei gelobt in Ewigkeit. Was mag der denken! Manches denk’ ich mir. — Die Sonne duckt: heute gehe ich zu Kommandanten-Bouch é . Mlle. Schmalz reist morgen zu der hohen Gesellschaft nach Dresden, auf drei Wochen. So schließt sich das Lebensinteresse selbst an den Tod. — Man sagt so eben, Niebuhr habe den Befehl, nach Dresden zu kommen. — An Varnhagen, in Hamburg. Reinerz, Donnerstag den 20. Mai 1813. Hier sitze ich, lieber August, in einem himmlischen Ge- birgskessel, in einem an Bergen angeklebten Badeorte, mit den idealischesten Spazirgängen; nicht im Bade selbst, sondern auf dem Markte wohnend. — Alle Berliner sind in Breslau. Ich zog es vor, hier im stillen Winkel an der Gränze wohl- feil im Sommerleben zu sitzen. — Gott, August! könnt’ ich diese Gegend, diese Einsiedler-Ruhe, diese Schlünde, Ge- birgsgewässer, diese Blüthen und diese Grasmatten, ohne Angst für alles was ich liebe, genießen. Mit dir . Wie könnten wir uns hier von der verkehrten Lage, von der drük- kenden Sorge, von den leeren Gängen, vom verkehrten Da- sein erholen! Der Frühling, die Stille, das Feld, will mir die Gedanken an Preußens, an Berlins Zustand, an den un- natürlichen Krieg wegwehen; und mein Gewissen drückt sie mir wieder an’s Herz! Mit Vorwürfen zugleich, daß ich noch leben und genießen will! So sah ich hierherzu kein friedlich Dorf, kein Schloß, keinen Garten, kein wohlbestelltes Land: ohne II. 7 schwere Belastung des Herzens und schmerzliche Thränengebete. Ich traute mich nicht, mich zu freuen! O! die ganze Natur ist still: und der kleinlich wüthende Mensch, ohne direkten Willen, stört sie, und den Frieden ! Eins ist gewiß, August: ist nur Friede, bleibst du nur leben, und wir haben auch noch so wenig: in einem Thal wie hier, können wir reichlich und glücklich mit einander leben. — — An Ernestine Robert, in Brünn. Prag, Sonnabend den 18. Juni 1813. Gestern, liebe Ernestine! erhielt ich erst einen Brief aus Reinerz, der neun Tage unterwegs war, von Markus, der mir auch Ihren von Troppau mitbrachte. Ich bin seit vier- zehn Tagen hier: sehr gut aufgenommen — die Details habe ich zu oft schreiben müssen seit ich hier bin, ohne nur in der Welt zu wissen ob auch die Briefe ankommen. Sie erlassen sie mir also heute —, aber in welcher Seelenverfassung, mö- gen Sie beurtheilen! Vom Lande, von Geldquellen, von Nach- richten, von Freunden abgeschnitten: ohne Heimath (denn ein Quartier habe ich überhaupt nicht), und ohne zu wissen, ob sie sich wieder herstellt. Spät erst erfuhr ich durch Reisende, wo Markus war — zwei Posten von Reinerz, wo er nun wieder ist — und durchaus konnte ich nicht ergründen wo Sie geblieben waren; erst vor acht Tagen erfuhr ich es. Stellen Sie sich also vor, wie mich Ihr Brief freut! ich hatte ihn nicht eine Viertelstunde, als mir Louis, mein Bruder, einen von Moritz zu Hause brachte mit der Einlage für Sie. Ein Rei- sender, der über Dresden in drei Tagen von Berlin hierherge- kommen ist, hat ihn mitgebracht. Dort ist alles jetzt ruhig, und sehr ansehnliche Truppen von uns dort. Ich glaube Ih- nen, daß es Sie nicht freut nach Wien zu gehen; mich erfreut auch nichts, und ängstigt der Aufenthalt im fremden Lande, schon in pekuniairer Hinsicht genug! Wie finden Sie das theure Kupfer und Papier? Alles in der Welt kostet einen Gulden. Ich bin aber sehr getröstet für Sie, daß Sie bei den Ihrigen sind: und daß besonders Mama bei Ihnen ist, und nun gar noch Papa kommt, mit seinen Konnexionen. Es wird Ihnen besser gehen, als Sie es erwarten konnten; sehen Sie doch alles! und Sie werden in Wien in gute Konnexionen kommen. Erlaubte es das Geld, so machte ich Ihnen dort meine Aufwartung. Aber bis nach Wien bringe ich es nie, ich komme immer nur bis nach Prag. Aber Prag ist wun- ders chön! Solch ein Schloß! solch eine Stadt um das Schloß her, giebt es wohl nur selten in der ganzen Welt. Das The- ater ist sehr gut — welches ich frei habe und fast täglich be- suche. Man zieht sich sehr gut an hier, die Frauen nämlich; viel und reicher Adel, Palläste, und das auch in den engsten Gassen, die von altem großen Reichthum zeigen: die schönsten Spazirgänge. Dies die Stadt an sich; und sehr groß. Ich wohne bei einer lieben Frau; sehr gut. Gr. Bentheim thut alles mögliche Gute an mir. Varnhagens gewesener Oberst. Ich weiß noch nicht, wann ich es sicher genug zum Reisen halten werde. Übertölplen Sie sich damit auch nicht. Die andern Berliner sind nach meinem Begriff zu voreilig nach 7 * Hause gegangen. In dieser Zeit hat der Furchtsame Recht, das haben Sie gesehen. Der Ausgang kann auch oft für die Dreisten sprechen, man muß aber den Augenblick, wo der Ent- schluß genommen werden mußte, nicht aus den Augen verlie- ren! — Tausend Grüße an Alle die sich für mich interessiren, die Schwestern und Mama besonders. Hätte ich doch den lieben Barnekow gesehen! ist er denn nicht lahm an seinem Fuß? ich habe ihm seit dem Februar nicht antworten können, oder gar Oktober. Schreiben Sie mir von Wien. Adieu liebstes Kind, antworten Sie uns. R. An Varnhagen, in Lauenburg. Prag, Sonntag den 19. Juni 1813. Lieber August, der vierte Brief von hier! Alles mit Ge- legenheiten. In der Hoffnung, daß du sie bekommst. Aber nun bei Gott! kann ich nicht mehr dasselbe schreiben! Und doch im kurzen! Mittwoch waren es zwei Wochen, daß ich mit meinem zweiten Bruder hierher kam. Mad. Brede hat mich aufgenommen; bei der wohne ich. Louis wohnt auch im selben Hause. Quartier, nichts ist hier zu bezahlen. Die Stadt voll Landsleute. Ich schrieb deinen Freunden von der letzten Post hierher. Ihnen verdank’ ich Asyl und Leben hier. Tieck ist hier, und wir sehen ihn täglich; sehr lieb und freund- lich. Auch er ist sehr zufrieden mit dem Theater, und hat die Brede in Franziska vortrefflich gefunden, und es ihr heute gesagt. Goethe kommt her. Lämels haben ihm Quartier ge- miethet. Liebichs sehe ich oft: sie sind äußerst gut. Vorgestern erst ! August, erhielt ich über Reinerz ( neun Tage gingen die Briefe von dort hierher ) deinen Brief aus Hamburg vom 27. Mai! Gottlob! Aber seitdem! Alles Liebe aus meiner Seele habe ich dir schon geschrieben. Wo ich hin muß, weiß ich noch nicht. Für’s Erste bleib’ ich im Schutz deiner Freunde. Alles dank’ ich dir mit freudigem Stolz. Die Möglichkeit der Reise, die Aufnahme. Der Obrist liebt dich: er denkt immer, du kommst her, wenn du mich hier weißt. Schreibe mir nichts Öffentliches. Nur von uns. Einzi- ger Freund. Du bleibst mir leben! Was sollt’ ich noch viel auf der Welt ohne dich! Du hast mich nun ganz erobert; et par droit de conquête et par droit de naissance ; bei Gott, ich wäre todt ohne dich! — So eben bat ich Augusten, dir ein wenig von Tieck, sich, dem Theater, und ihrer Laufbahn zu sprechen. Tieck und unsere Gespräche werden ihr sehr wohl thun. Denk dir, daß er ihr Wort für Wort sagte, was ich ihr gesagt hatte ; z. B. nach Franziska, sie sollte Lady Mac- beth spielen!? Ha? und so alles Wunderbarste. Siehe! ich spreche von Fremden! und denke so viel an uns, bin so erfüllt davon; so ganz noch im Gefühl von dem Krieg! Aber ich kann nicht — aus Aufgeregtheit — drüber schreiben. Auch habe ich dir zu viel geschrieben. Lebe wohl. Gott schütze uns! Ich danke dir für alle Liebe! und trage sie und dich zärtlich und immer erschüttert in meinem Herzen dafür! Lieber Au- gust. Bleibe nur muthig; und so lange ich lebe meiner gewiß! R. R. Grüße Marwitz millionenmal: seine Schwägerin ist hier, und hat mich nach ihm fragen lassen. Ach! nun kommen nicht mehr häufige Briefe von dir! Adieu! adieu! — An Varnhagen, in Mecklenburg. Prag, Sonnabend den 10. Juli 1813. Vormittags 10 Uhr. Helle brennende Sonnenhitze; mein Fenster gegen Morgen. — Als ich gestern deine Briefe gelesen hatte, mußt’ ich gleich nach dem Landhause, die Schildwache genannt, fahren, ich nahm Papier mit, und wollte dir dort schreiben: die Hitze, die Sonne, die Menschen, mein körperlicher Zustand, alles störte mich. — Nach Tisch kam eine Unzahl Menschen. Das Schwarzenbergische Hauptquartier steht in der Nähe, und seine Suite sitzt bei Liebich; recht lebselige, artige, angenehme Leute; und was noch viel mehr ist, launige, lustige Leute. Ein Hr. von Böhm, der komplet artig und fein, und freundli- chen Herzens ist, und keine Grade der Artigkeit äußert, sondern den Orden nicht getheilt hat; artige Behandlung fließt aus ihm aus, weil er artig ist; vielleicht kennst du ihn, er war mit Fürst Schwarzenberg in Paris; sieht Barnekow etwas ähnlich. Dann ein Graf Karl Cl. M. ein schöner junger Mann; dem ich erst Unrecht that, weil es nicht meine Schön- heit ist; der ungeheuer natürlich ist, und keine Art von Prä- tension hat; der für sein Alter bewundernswürdig abgeschliffen ist, ohne nur im Geringsten an Jugendlichkeit zu verlieren; eine menschliche Artigkeit in sich trägt, die in Arglosigkeit. Wohlwollen und Aufmerksamkeit auf alle menschliche Äuße- rungen besteht. Er äußert sich viel, und ist doch leise; er er- zählt sogar ohne vortretend zu sein, nicht einmal mit der Stimme. Er scheint viel Sprachen zu sprechen, und spricht auch unsere ganz richtig, und eine Liebhaberei an solcher Richtigkeit, und Erwägung ihrer aller zu haben. Ein ange- nehmer, wohl zu leben und zu leidender Mann; der sich so- gar den Grafen sehr abgerieben hat, und sich weit edler und werkthätiger dahinaus bewegt hat — aus dem Grafen. — Dann noch drei junge Leute, die alle natürlich sind, und nicht gemein. Manche äußerten sich noch nicht. — Nun mein Favorit, ein Herr von — den Namen werde ich später ge- nauer und richtiger schreiben können. Ein überaus lustiger, lebhafter Mensch, braun, glattes Haar; etwas wohlbeleibt, voller Laune; kann er nichts thun und hervorbringen, so macht er aus Ungeduld Grimassen; tappt und neckt alle Kam- meraden; nimmt aber mit derselben guten Laune wieder ein, und läßt sich ad absurdum führen. Graf Cl. ist immer ganz ernsthaft und demonstrirend gegen ihn. Du fühlst, bei mei- ner Lebhaftigkeit und Ungeduld mußt’ ich, trotz ich mir aus richtiger Behutsamkeit das Gegentheil vorgenommen hatte, mit dem Mann etwas verwandter werden: denn er zwang mir plötzliches Lachen ab: das näherte wieder ihn unbewußt; auch hat er die gute und fast immmer launigen Witzigen feh- lende Eigenschaft, auf Anderer Einfälle gleich zu horchen: so ist er zwar wie erschrocken über Repliken oder Witz und Scherz, der nicht von ihm kommt, und repetirt ihn in dem Schreck sehr possierlich, aber würdigt ihn mit der größten Gutmüthigkeit, und macht gleich einen frischen, und, gelingt ihm keiner, dar aus etwas. — Als wir später im Bauer- garten spaziren gingen, wo die Kühe weideten, und ich mich fürchtete, fragte mich Graf Cl. ganz theilnehmend, ob und warum ich mich denn so sehr fürchtete? Und da antwortete ich in meiner Angst: „Warum soll ich mich denn vor dum- men Leuten mit Hörnern nicht fürchten?“ Das konnten die beiden gar nicht vergessen und verlachen. — Heute sollt’ ich wieder bei Liebichs diniren. Tieck ist schon diesen Morgen hinaus — und darum wollte man mich gerne — mit Schle- gels Übersetzung des Macbeth, der soll nächstens gegeben wer- den, und Tieck spricht nun darüber, wie er und Shakespeare es meinen. Tieck wäre nie zu Liebichs und zur Brede ohne mich gekommen; aber du weißt, was ich im Menschenvolk zu verbinden verstehe; wie viel Bindendes die Menschen in sich tragen, und was nur zusammengewickelt daliegt; ich vermag es zu entwicklen, zu entwirren: und Prag wird in seinem Theater eine Veränderung erleiden. Dies auch nur schreib’ ich, weil es dich amüsirt! — Mich interessirt ganz etwas an- deres! Unser Zusammensein. Ruhe, Wohnung, Feld, Gesell- schaft; Thätigkeit, Angemessenes für dich im Frieden. Meine geliebten Freunde wieder zu haben! — — An Gentz, in Prag. Sonntag früh 7 Uhr, den 18. Juli 1813. (18 abscheuliche Zahl.) Wer tief aufbrausende Wellen eines ganzen Meeres, von sonnenleerem Firmament überdunkelt, beschreiben könnte! So sehe ich mein Herz unter mir; keine Sonne, keine Hellung des Geistes will hinableuchten, seit ich Sie sah: seit ich Sie hier weiß eigentlich. Jede Leidenschaft; jeder noch so fromm ergriffene Wahn, jeder einseitige Naturhang des Her- zens muß vergehen — ich kenne alle — durch Zeit; und zer- stören sie nicht das Herz, das Leben selbst, so geht dies neu hervor; wenn auch nach tausend Jahren. Was soll ich aber zu meinem Herzen, zu mir selbst, zu meinem Geiste sagen, in dem namen losen Bewußtsein, daß ich die elf Jahr hätte müssen unter Ihren Augen leben; ja! daß es so damit ist, wie mit Seelenaugen, die ich wiederbe- kommen habe; und mir nun vorrechne, daß ich im schwarzen Dunkel die ganze Zeit mich allein gequält habe. — Glauben Sie an keine Übertreibung! — Sie sollten von meinem Leben wissen, alles gesehen haben: wer giebt Freuden und Schmerz, Gedanken und Ereignisse, frisch aus der Seele gebrochen, einer so langen Zeit, zurück. Wie ein Irrender ging ich gestern unter den wohlbekannten, mir freundlichen Menschen umher: wie über meinem Haupte gingen ihre Worte an mir vorbei; ich antwortete wie sonst, sie waren zufrieden: ich meinte, es antwortete ein Anderer für mich, aus göttlicher Zaubergnade. Habe ich doch gar nicht gewußt, daß solche Schmerzen in meinem auf ewig beruhigten See, in meinem Herzen noch möglich sind! Es sind auch nicht Schmerzen: ein Wogen, das Wogen eines Weltm eers; worüber, man sieht es, man nie Herr wird. Ich seh’s, die Natur ist une ndlich! und immer anders unendlich, als der gewitzigste, bescheidenste Geist es sich zu denken vermag. Was soll mir die Zeit ersetzen; diese Zeit? Und doch glaub’ ich das Umnögliche, das Unbegreif- liche: Gott kann sie mir ersetzen. Ich nehme ein Jenes-Leben darum an; — mein tiefster Ernst, den ich auszusprechen er- bebe. Ich scherzte nicht gestern, als ich in der Menschen Ge- genwart sagte: Gott müsse eine große Ursache zu unserer Tren- nung haben. Sie, Gentz, fühlen dies alles nicht so, sind da- von nicht so überzeugt: und ich weiß auch ganz, wie ich Ih- nen erscheine: Sie lieben mich nur, diesen Brief, und alle meine Briefe, wie Sie den entzückten Tasso liebten, begegne- ten Sie ihm in jenen Gärten gekrönt. „Ich bin entzückt,“ sagt er, mit seiner irren Krone: und sieht rein. Ihnen ging es äußerlich besser in der langen Zeit, und mit nennbareren Maßen waren Sie beschäftigt, hatten Sie zu thun. Aber unsere Trennung war doch eben solch Unglück für Sie, als für mich: ewig wird mir diese Überzeugung bleiben; und nur mit diesem Bewußtsein enden; Sie können sie nur bekommen mit jedem Tage, den ich bei Ihnen lebte! zusammen mit Ih- nen erlebte. Können Sie sich den Wahnsinn von Unmuth, Schreck, und sich für die Ewigkeit aufwindender — wie Schlan- genthiere — Verzweiflung, über meinen Stand, über meine Lage denken, die mich daran verhindern? Nein. Glauben Sie, daß ich noch irgend eine Ambition habe, als die mir zu Genüssen dienen soll? Ich bin ganz so weit darin, als Sie. Erinnern Sie sich an meinen Brief, den ich Ihnen über Prin- zeß Louis schrieb; und an mein „Blasirt“. Wenn es mög- lich ist, sollen Sie doch wissen, wie es in ein paar Haupt- punkten um meine arme Seele steht. Sie sollen auch wissen, daß Ihre Lieblinge gewiß die meinigen sein werden: — ge- wisser, als meine Ihre — und daß, wenn ich gesagt habe: ich müsse mit einem Menschen alles sprechen können, ich ge- meint habe: wenn ihm auch nicht alles einfällt, er doch alles gleich verstehen und in die Familien seines Wissens aufneh- men muß, was ich ihm nur irgend Neues oder Unerhörtes sagen kann. Und seine ganze Klugheit, sein ganzer Geist muß darin bestehen, dahin gehen, alle Härten, alle Härte zu verlieren, zu hassen, zu vermeiden. Härte im Umgang: und für das, was sie frivol nennen, Gründe zu finden, und zu haben; und Einsicht dafür. Denn es ist nicht frivol. Es giebt auch nichts Eiteles; als Herzensdürre; Kopfhärte, Ar- muth, Naturarmuth. Gott! wie klein, wie unwürdig beschäf- tigt komme ich mir vor, daß ich mich erst legitimiren muß! Lebten wir zusammen, so liebten Sie mich nur, und könn- ten nicht ohne mich leben. Dann wollt’ ich Ihnen noch sa- gen, daß Sie mich allerdings benachrichtigen lassen, wenn ich Sie sehen soll: daß Sie aber, wenn Sie einmal eine kleine Zeit haben, unverhofft kommen: mein Mädchen weiß immer wo ich bin; und Sie schicken mir, wo ich auch sein mag, gleich einen Wagen, ( Ist es denn nicht schrecklich genug!) wenn Metternich wieder nach Brandeis fährt, wie gestern. Den ganzen Tag schrieb ich Ihnen gestern, und anderes, als hier steht. Also ! Sie sind zufrieden mit mir. Ich bin ganz beglückt, daß wir auch in den großen Umrissen gleich denken: so entfernt, und so gleich. Sie werden noch erst sehen ! und dächten Sie auch total anders; mit Ihnen wäre das doch gleich: auch dies gleich. (Meine Feder kleckst. Eine Ver- zweiflung!) Fragen Sie doch wo möglich Humboldt aus, was er wider mich hat: wenn man nur erst das weiß. Grüß Sie Gott! und lenke etwas für mich! R. R. An Ernestine Robert, in Wien. Dienstag Nachmittag, den 10!!! August 1813. Den 10. o! lieber Waffenstillstand, du Surrogat des Frie- dens! was wird nun werden? Doch hören Sie meine Geschichte! — so muß ein jeder mit der seinigen kommen, und die größten Welthändel sind nichts anders, als Bündel solcher Geschichten. Hören Sie! Als ich Ihnen das letztemal schrieb, wo ich von Moritz aus Breslau einen Brief erhalten hatte, worin er mir mit dem nächsten Posttage Geld von dort hierher versprach, schrieb ich Ihnen schnell, unter Bedingungen, das ab, was ich mir von Ihnen beschrieben hatte. Vorgestern Sonntag war der Tag, an welchem meine Anweisung von Breslau kommen sollte, und weder sie, noch ein Brief von Moritz sind mir von dort gekommen. Ich aber stehe auf dem Sprung nach Brünn, denn Truppen, Lazarethe, Gefechte ꝛc., warte ich mit meinem Willen nirgend mehr ab. Also bitte ich Sie nun mir in jedem Falle zu schicken, was sie mir zugedacht haben, weil ich mich, wie Sie sehen, jetzt nur auf Sie verlassen kann. Ich glaube in der That, sie sind Alle verrückt geworden: denn denken Sie sich, Varnhagen, der ein Fels ist wie ich selbst, schreibt mir aus Berlin (wo er zwei Tage mit Tettenborn war, der den Kron- prinzen von Schweden komplimentirte) über diese Sachen ganz verkehrt. — Um toll zu werden! und das alles in Zeiten, wo die Länder alle Augenblick gesperrt werden können! Von hier nach Wien bleibt es noch lange offen, also schicken Sie mir nur auf jeden Fall, weil alle andern Fälle unsicher sind. Mein Herz ist in Thränen über Ihren Brief. Nicht daß Sie mir so willig schicken wollen; aber über die Art wie Sie es mir sagen. Sie haben sich an mir eine Freundin für’s Leben verschafft, nicht weil Sie meine Schwägerin sind, weil ich Ihre liebe ehrliche Natur liebe: sondern weil Sie meine einzusehen scheinen, weil Sie mir nicht nur gut sind, wenn sie Ihnen wohlthut und gefällt, sondern weil Sie ein festes rechtschaffe- nes Herz haben: und auch wollen, daß es mir gut gehe: und mir darin zu helfen fest gesonnen sind. Wem ich aber in meiner Seele dankbare Freundschaft widmen und zugestehen muß, der kann auf mein Blut rechnen! so furchtsam Sie mich kennen. Sie haben also auch eine ewige Freundin in der Familie: und keinen Hund! keine Unthätige, und noch keine Verlassene, und das bloß wegen Ihrer Worte bei der That. Ob ich wahr bin, wissen Sie! Sehen Sie, daß X. das Schweinehündchen, ein Schweine- hund ist? glauben Sie, Ernestine, wenn ich dezidirt sage, einer ist gottverlassen, so muß sich der Herr erst wieder mit einer neuen Seele seiner erbarmen, ehe er etwas taugt. Einen ganzen Men- schen zu verwerfen ist eine große Sünde; wie selten hören Sie d. g. von mir , im Gegentheil, zeitlebens ward ich angefeindet, und blamirt — getadelt ist nicht das Wort, — weil ich nie unbedingt verwerfen will, und des Menschen Natur bemüht bin, in ihm aufzufinden, den Punkt , aus dem er handelt, und nicht die zerstückelten Handlungen zur Richtschnur und Maßstab nehmen wollte. Aber innerlich ganz eitle, unwahre Menschen bis in den Kern, die sich selbst eine Lüge sind, und obstinat diese den Gescheidtesten, mit allen kleinlichen Rän- ken, und wirklicher Gewaltthätigkeit aufdringen wollen, sind wahrhaft verwerflich, und mir unbezwingbar verhaßt. Be- wahren Sie diese Definition des Schweinhundes! Sie kön- nen sie auch Brentano lesen. Mit Schweinhündchen und allem ! Morgen reist Hr. von Humboldt nach Wien. Las- sen Sie sich erkundigen, ob sie meinen Brief hat. Ihre amü- siren mich ungemein, so entsetzlich natürlich. Louis will Er- nestinen einen großen Brief schreiben. Viel Schönes an Mama und die guten Schwestern Margot und Louison. Eure Gegen- füßlerin von Jeanne d’Arc die furchterfüllteste R. R. An M. Th. Robert, in Breslau. Prag, den 16. August 1813. Jetzt muß man sich oft schreiben, sonst weiß man nicht, wo man geblieben ist. — Ich habe nun Geld für die Verwun- deten und ein wahres preußisches Bureau bei mir. Hemden, Socken, Essen, Geld, wird hier ausgetheilt und verschickt. Die Scenen könnt ihr euch denken. Ich habe schon das Glück gehabt, drei anständigen Preußen ganz wieder zur Existenz zu helfen: und viele Gemeine gelindert. Gestern bringt mir Tieck einen Enkel des Staatsraths Albrecht aus Berlin, der hier krank war, nichts hat: und fort will und muß; dem schieße ich vor — aus meiner Kasse — und er giebt mir in- liegende Anweisung an diesen Großvater, die ich dich zu be- sorgen und mir den Inhalt zu spediren bitte, weil ich’s auch ferner für Andre brauche! Als ich eben gestern um 4 mit Tieck und dem jungen Jäger verhandle, rechne, zahle ꝛc., geht meine Thüre auf, und Marwitz steht vor mir! den Arm in einer Binde: etwas mager, übrigens wohl. Acht Wunden hat er. Bei Koßwig unweit Dessau wurde ihm das Pferd todtgeschos- sen: es fiel ihm auf einen Schenkel, er konnte nicht hervor: seine Truppe zog aus: Polen fielen über ihn, stachen ihn mit der Lanze, schlugen ihn mit Kolben, daß ihm der Degen ent- sank; hieben ihm auf den Kopf eine große Wunde; drei in den rechten Arm, und noch dergleichen; ein polnischer Obrist- lieutenant rettete ihn — Skrzynecki, dem thue man Gutes, wo er zu finden ist — rettete ihn da hervor, bot ihm seine Börse an: gefangen war er aber; so führte man ihn nach Wittenberg, wo er immer eingesperrt mit achtzig auf’s abscheu- lichste war, auch in Leipzig, und so herum; er hatte kein Eh- renwort gegeben: und entkam nach langen Avantüren im großen Regen damals in der Nacht. Deutsche halfen ihm: so kam er durch ein Stück Baiern, das Weimarische, und Sachsen, gestern hier an: steigt im Erzherzog Karl ab, und kommt zu mir. Wohnt auch wieder bei Rahlchen, denn Frau von Reimann hat ihm ein Zimmer eingeräumt, wie für ihren Bruder. Ich bin bei Engeln! Achtmal war sie und ihre Bonne gewiß oben, um immer zu fragen, ob alles recht ist. Sie hat ihn mit großer Mühe anstatt eines Andern genommen; thut alles . Bei welchen Leuten bin ich! Und wie schützt und segnet mich Gott, daß ich Gutes thun kann in dieser Noth. Jetzt sind drei Mädchen von Frau von Reimann, eins von Augusten, und Dore und die Jungfer von Frau von Lämel, die es ihnen zuweist, nach St. Nikolas, wo solche Noth war, daß sie gestern das Kloster anstecken wollten, um lieber zu sterben. Da schicke ich wohl für Hundert Essen; und für Zwan- zig Hemden hin. Morgen wieder. Leinwand, Socken, muß ich kaufen, Marwitz Briefe schreiben sous la dictée, an Tscher- nitscheff u. s. w. habe an Frau von Humboldt nach Wien ge- schrieben, an Varnhagen; war bei Lämels — das Komtoir solltest du sehen: die heitere Ordnung, und Schnell- und Höf- lichkeit, — habe hundert Menschen, Soldaten, gesprochen, ab- gewartet, und also nur die Zeit euch zu grüßen. Ich bin ge- sund: und lobe Gott. Was sagt ihr zu Marwitz Glück! Das Beste habe ich vergessen. Ein Pole setzt ihm, wie er liegt, das Gewehr vor die Stirn, drückt los, und es schießt doch nicht: und nun ist er vor wie nach bei Rahlchen wie zu Hause. Adieu, adieu! Grüßt den Onkel, und sagt ihm, ich wäre jetzt eine preußische Chevere-Frau. — Marwitz stört mich aus Un- geduld. Auguste sitzt auch da. Adieu Kinder! R. R. An An Ernestine Robert, in Wien. Prag, Mittwoch den 19. August 1813. Seit Sie mir die Anweisung geschickt haben, Liebe, habe ich Ihnen schon zweimal geschrieben: den letzten Sonntag hat mir auch Moritz Geld aus Breslau geschickt; worauf ich ihm gleich den Montag schrieb. Nun habe ich vorgestern wieder einen Brief von Ihnen erhalten, in welchem Sie mir sagen, daß Sie nach Baden fahren, und mich in Brünn zu sehen gedenken. Noch weiß ich nicht, ob ich dahin muß, ich warte das Gefecht hier erst ab. Markus schreibt mir vor ein paar Tagen, als wäre Moritz noch in Breslau, und ginge vielleicht nach Brünn? Ich kann Ihnen nicht eher schreiben, bis Sie mir von einem festen Ort und einer festen Stelle schreiben; und auch nicht was Clemens über Sie geschrieben hat. Auguste grüßt Sie, Sie sollen nicht nach Brünn, sondern nach Prag kommen. Gestern habe ich tausend bekannte Preußen gesehen, gesprochen, viele unbekannte, unsern König in fremdem Freun- des- Land gesehen, und große, große Erschütterung erlebt! mündlich von diesem schönen, großen, wenn auch in Gottes Beschluß nur einzelnen Tag. Sonne, Wetter, Kanonen, Rauch, Volk, Geschrei, der Kaiser mit Fritz in Einem Wagen; die Nation für uns ! Adieu, adieu, ich bin noch zu erschüttert, und ach! fürchte jenes Talent, und die einmalige Konstella- tion. Adieu, adieu, man schlägt sich vielleicht schon an Spree und Elbe. Napoleon soll nach Luckau, eilf Meilen von Ber- lin, aus Dresden gehen. Adieu! Gott befohlen wir Alle ! R. R. II. 8 An Joseph von Pilat, in Prag. Prag, den 19. August 1813. Wenn Sie Gentz schreiben, liebster Pilat, so sagen Sie ihm doch in aller Rechtschaffenen Namen und mit allem or- dentlichen Lobe den Dank, den er verdient. Das Manifest ist eine Staatsschrift vom allerersten Rang: überhaupt ist gewiß selten etwas mit solcher Klarheit des Bewußtseins und solcher moralischen candeur geschrieben worden. Es ist eine Erschei- nung, die in der Geschichte der diplomatischen Beredsamkeit eben so sehr Epoche macht, als das darin dargestellte Verfah- ren in der Geschichte der Diplomatie. Wenn die Urheber noch einen Augenblick an der Wieder- herstellung der Freiheit von Europa zweiflen, so wissen sie nicht, was sie gethan und geschrieben haben. — So hoch steht über alle Begeistrung, allen Enthusiasmus, selbst über alles Genie und Talent, — die Gesinnung: und über alle Macht und alle Fülle, — die Ordnung und das Maß. Diese Gesin- nung und dieses Maß ist aus den Ruinen einer halben Welt hervorgegangen, und noch immer nicht wohlfeil erkauft: das ist unser Sieg. Ich bin nicht zum Loben aufgelegt, aber dies ist mir zu stark. Und wie sind beiher die Stein’s, die Arndt’s be- seitigt! — An Varnhagen, in Mecklenburg. Donnerstag, noch immer in Prag, den 2. September 1813. Wenn ich die Feder in die Hand nehme, so geht die wahre Agitation erst an; das kennst du! du legst mir die harten flüchtigen Phrasen auch gewiß einzig auf der ganzen Welt gut aus. Der Obrist, und der Hauptmann Marais, leben! denn warum sollst du nicht gleich erfahren, wonach du bangst! — Von unsern Schrecken, von den Nachrichten, ächten und falschen, Anblicken und Anstalten, kein Wort. Kurz es ist Krieg zu sehen. Gottes harte Strafe. Vandamme ist gestern hier durch gebracht. Auch hierüber kein Wort, weil man jetzt nicht weiß, in wessen Hände ein Brief fällt. Russen führten ihn, man glaubt nach ihrem Lande. Und du? du? Seit dem 31. Juli keine Nachricht von euch! Das ist nichts Gut’s. Wo seid ihr? Gott im Himmel! du findest ja sonst immer Gelegenheit zu schreiben: aber denke nur nicht, daß ich mich schon zu sehr ängstige: nein, ich hoffe viel auf verlorengegan- gene Briefe; ich kenne Umstände, und Kriegsumstände; auch kann ich keine Angst in meiner Seele finden, die dem Zustande, worin du sein kannst, angemessen wäre. Gnädiger Gott, seit ich die unzähligen Verwundeten sehe! doch behielt ich Kräfte zu laufen, zu sprechen, zu schreiben für sie. Das Publikum ist noch nicht so gewitzigt, als bei uns: die unbequeme Stadt pretirt nicht dazu. Die Frauen im Einzelnen fangen an, sich die Verwundeten auszubitten, ihnen einstweilen Essen und Hülfe auf die Gassen zu senden; ich habe eine göttliche Haus- 8 * wirthin, Frau von Reimann, die thut viel. — Ach! August, könnt’ ich hoffen! Nach einer guten Schlacht fürcht’ ich dop- pelt. Und Böhmen, und Prag, wie es liegt, wenn man’s ansieht, ist fürchterlich; und wo soll man hin? ohne vieles Geld. Doch würd’ ich fliehen: im Annäherungsfall: möge der mächtige Gott uns bewahren! der schon einen sandte: und welchen! Frau von Humboldt hat mir einen lieben himmlischen Brief geantwortet: ich schickt’ ihn dir, wenn ich ihn riskiren wollte. Es ist viel and ich drin. Sie betet für dich; will dich nicht mit Schreiben plagen: ist sehr mild; ja weise. Auch ist sie in einer weisen Lage : immer sicher und geborgen, es gehe wie es will. Sie hat einen Brief vom April von dir; ich soll dich grüßen. Schreibe ihr. Er, Humboldt, ist seit gestern von Wien zurück, und geht nach dem Hauptquartier. Von Gentz möcht’ ich dir gerne schreiben, kann aber nicht; er thut mir Artigkeiten, wie Graf Metternich sie mir thäte, wenn ich ihn fünfzehnmal gesehen hätte, wie ich ihn zweimal in Gesellschaft sah; glaubt, er bringt mir ein Opfer, wenn er von der Kleinseite zu mir fährt, alle acht, vierzehn Tage. Antwortet mir auf jedes Billet: hat ein Bedürfniß, — welches er befriedigt, wenn er mich sieht, — mir alles zu sagen was ihn interessirt. Fragt mich nach ichts . Kurz, hat kein. Gedächtniß im Herzen. Kennt keine Welt mehr, als die aus Koterien vornehmer Leute besteht; kennt also das wahre Ge- wicht nach Zeit und Gewicht auch davon nicht. Mit Einem Wort, ich erlebe Wunder durch ihn; daß in dieser Zeit, bei dieser Gefahr, bei diesen Verwundeten mir noch etwas das Herz atterriren kann, il ne cesse pas de m’atterrer le coeur. Die Naturgaben, die Eigenschaften, um derentwillen ich ihn lieben muß, liebte, und liebe, die hat er noch; leben aber könnt’ ich nur mit ihm, wenn ich eine Herzogin wäre: oder mit seinen umging: sonst giebt er’s gar nicht zu. Ahn- det aber dies alles nicht; sondern hält es für Geschäfte . Auch versteht er durchaus nicht was ich sage und schreibe. Er nennt mich sogar, räthselhaft; pikant — pikant ???!!! weil ihm die eilf Jahre hindurch, die ich ihn im liebenden Herzen hätschelte und verwahrte, die Grundbewegungen, Äu- ßerungen und Gesichtspunkte der Menschheit abhänden gekom- men sind! Du kannst dir meinen dumpfen, stumpfen namen- losen Schmerz darüber, zu dem ich nicht einmal Zeit habe, gar nicht denken! Weil ich den wirklich zu lieb hatte! Und, du starre wieder, über mich: noch habe. Mündlich alles im größten Detail. So viel nur noch! Man spricht oft in der Welt: Stände härten den Menschen ab, und nennt Ärzte, Wucherer, Soldaten, Advokaten; dies konnte ich nie ganz zugeben in mir, und fand es auch gar nicht; weder in dem Erlebten; noch im Wesen dieser Stände gegründet. Aber Di- plomaten ist das Gräßlichste in der menschlichen Gesellschaft! (Der Stand . Nicht jene Männer, die den schufen, durch ihr Lebens- und Geschichtstalent.) Diplomaten werden hart durch Weichlichkeit; und dies geschieht dem Henker nicht ein- mal. Visiten werden Pflichten; Anzüge, Kartenspiel, das müßigste Klatschen — Geschäfte; wichtige. Keine Meinung haben, und sie nur dadurch nicht äußern, welches die ausge- breitetste, sündhafteste Krankheit des Pöbels ( welcher gemeint ist, weiß man) ist, — wird Klugheit, Betragen genannt; und wird eine wahre Verhärtung der Seelenorgane. So haben sie eine eigne Phraseologie im Reden, wie in den Depeschen; — in Deutschland ein Diplomaten-Französisch, welches sich fort- erbt, und ich vor sechszehn, achtzehn Jahren schon hörte; aber kein Franzose mehr spricht. Das hält so äußerlich, wie die Equipagen und Manschetten, zusammen; und Ein Willen in der Welt, oder aufgehäufte Noth, trümmert all den Lug zusammen; der Gräuel spricht sich aus gräßlichen, wirklichen Wunden hervor; Krieg überschüttet Europa; aber wer ist ge- sichert? — Diese Kerle mit Manschetten! Und dies wissen sie, sonst nichts. Glaube es; es ist nicht zu grell, was ich sage; der lebendige Satan sollt’ es ihnen zeigen. Denn sie verletzen alles ; die Gesellschaft im Großen; und jedes Herz im Ein- zelnen. Dies wird einmal von der Welt gewußt werden; wie jetzt: daß Prozesse viel kosten, Advokaten davon reich werden: im Krieg geplündert wird u. s. w. Glaub’ es: es kommt zur Sprache. Ein genialer Regent kann es machen: plötzlich. — Lieber August, wo bist du! Ach soll ich mich beklagen, da es so in der Welt hergeht? Lebe wohl! Gott, nur Gott kann uns schützen. Hoffst du? denkst du, daß wir uns im Frieden sehen? Nur keinen schrecklichen Tod, und alles wie Gott will. Ich bin manchmal ruhig. — Den 3. September. Morgens im Bette! Lieber theurer August, gestern brachte mir Dore im Triumph deinen Brief vom 13. August aus Boi- tzenburg nach der Färberinsel, wo ich um nichts von Wunden zu sehen hingegangen war; und am tobenden Wasser saß, Gott weiß wie! Dein Brief ist trübe, August! Recht ! schreibe mir wie dir ist! dies soulagement mußt du haben. Freilich haben wir keine Aussichten. Meine habe ich alle als Ge- lübde vor Gottes unergründliche Rathschlüsse niedergelegt. Schütze er mein Aug vor Gräuel; und erlöse die Welt vom Krieg. Ich habe große Ambition; weil ich zu den Besten ge- höre, und dazu auch einen guten Platz brauche: aber sie bleibe gekränkt, nur Friede den Menschen, den Bauern, den Städten, Heilung den Wunden: und ich will nichts mehr. Durstend bleibe mein Herz, gekränkt ich. Nun hast du mein stillstes tiefstes Innere. Mehr zu opfern hab’ ich nicht Kraft: zu Wunden bin ich zu schwach: diese Stärke habe ich nicht . Ich fürchte, es ist eine Sünde dies zu schreiben! Ja, ja ! — Gentz hat mir eben ein freundliches Billet mit einem Pa- ket Extrablätter geschickt, und einen Brief von Adam Müller, den ich gleich zurückschicken mußte. — Gestern schon wollt’ ich noch dran schreiben: Gentz ist sehr wahr; kindisch bis zum Küssen! und ungeheuer aufrichtig mit mir. Aber doch ist alles, wie ich sagte. — Ich habe noch gräßliche Furcht. Man sagt, bei Töplitz müsse es zu einer Schlacht kommen. Denk dir! Adieu. An Varnhagen, in Mecklenburg. Noch immer bei Augusten, den 16. September 1813. — Heute leider kann ich dir nur flüchtig schreiben, mein August: ein Schicksal: denn ich wollte dir besser, süßer schrei- ben! Aber mein Leben zu wissen, ist dir genug: da ist das, was ich dir, du mir bist, drin enthalten. Höre also, was zum Theil ich dir in jenem Brief schon schrieb. Wir haben nach der Affaire von Dresden hier unendliche Verwundete: von den drei, und der feindlichen Nation. Diese Jammersöhne lagen vorige Woche auf Wagen in den engen Gassen gedrängt, und theils in den Straßen selbst, unter Platzregen da! Diese Zeit vergesse ich nie. Auf so viele war die Regierung nicht gefaßt, man hätte glauben sollen auf nichts! Die Einwohner thaten wie in biblischen Zeiten alles ! man verband, man speiste sie in den Gassen, in den Hausfluren. Judenmädchen waren berühmt darin: eine Weisemutter verband dreihundert in einem Tage: kurz das Unmögliche geschah. Der Jammer war aber nicht zu steuern. Wir , Auguste Brede, meine edele Hauswirthin Frau von Reimann, und ich, thaten, gaben, was wir konnten, ließen kochen, schickten Wäsche, Charpie: die Frauen Prags waren gut: ich lief zur Gräfin Moritz Brühl, und bat sie, ihre Verwandten zu bitten; sie versprachs. Ich schrieb gleich Frau von Humboldt einen dringenden Brief, und Lea Mendelssohn, Bartholdy’s Schwester, eben dahin. Vorgestern schickte mir Karoline hundertdreißig Gulden; nun kaufe ich Hemden, Socken, lasse kochen, schieße reichern Ver- wundeten vor; kurz, bei mir ist ein kleines Bureau: meine intimen Frauen helfen mir wie Engel: ich habe eine Menge Leute an der Hand: von jeder Klasse. Du kennst meine Art bekannt zu werden, zu sein. (Göttlich schrieb mir Karoline; — der ich auch schon geantwortet; ich habe gar keine Zeit — sie wird mir mehr schicken, dies war nur, was sie und die Kinder bei der Hand hatten. Ja, sie müssen von dort: sie haben die Fahnen, die Adler, wir die Verwundeten!) Also Gott hat mir gelächelt: ich helfe etwas. Als nun gestern Nachmittag Tieck mir eben einen jungen Landsmann gebracht hatte, dem ich gegen Assignation vorschieße, — geht die Thüre auf, und Marwitz steht da. Weiter nichts! Den Arm in einer Binde, ruppig: kurz, er lebt; ist der Alte; ist gesund; hat acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetschte ihn. Polen fielen über ihn, gaben ihm Kolbenstöße, wovon ihm der Degen entsank: ein Anderer nahm ihn, und gab ihm drei Hiebe in Hand und Arm, Einer einen Lanzenstich, ein Andrer setzte ihm das Gewehr vor den Kopf, schoß ab, aber es ging nicht: der Oberst der Polen kam und rettete ihm das Leben: gefangen war er aber; und ist nun durch tausend Avantü- ren entkommen: und kommt durch vielerlei Länder hier her. (Mit einem Stück Kommißbrot in einem groben Schnupftuch eingewickelt: einen zerrissenen Bauerkittel hatte er an: jetzt trägt er einen Rock von Robert und dessen Wäsche; wir schaf- fen ihm alles an.) Frau von Reimann hat ihm vor andern Militairs ein Zimmer eingeräumt: und also wohnt er bei uns, und ißt bei mir. — Er ist einfach, gut, wahr, still; mild wie immer. Ohne alles Vorurtheil über irgend ein Vorgefalle- nes. Besonders erschrocken habe ich mich nicht. (Eben tritt Marwitz herein, und will mir Briefe diktiren an seinen Ge- neral ꝛc. auch habe ich hier mittendrin an einen Wundarzt geschrieben: auch war ein Goldschmidt dazwischen hier. Du siehst! — Leinwand muß ich kaufen. Essen kochen lassen, ab- theilen, hinbesorgen, mich anziehen. Nach Breslau schreiben!) Lebe wohl! künftig besser und mehr! Ach August! Nun fürcht’ ich für dich: und hoffe auch wieder, wegen Marwitzens Glück bei dem Unglück: bei Koßwig wurde er gefangen. Obristlieu- tenant Skrzynecki — ausgesprochen Skirschinetzki; dies darum; wenn er euch in Noth aufstößt, daß ihr ihn sehr gut behan- delt, und dabei sagt warum, — bot Marwitz gleich seine Börse an ꝛc. auch der Obrist Szymanowski. Leb wohl, ich habe nicht mehr Zeit. — Gott, was ist von Furcht, Angst und Erschütterung in diesen Kriegestagen in meiner Seele vorgegangen. Gott schütze uns! dich! unsere arme Länder, alle Leidende. Nun ist der Wundarzt da. Leb wohl! und denkst du an mich; so denke, sie sorgt, sie betet, sie hofft sogar für dich! Deine R. An Varnhagen, in Lüneburg. Montag früh 9 Uhr den 4. Oktober 1813. bei Augusten. Seit dem 29. August saß ich und hatte keinen Brief von dir, treuer, lieber, theurer Freund: als gestern Gott meinen Gedanken ein Ende machte, und ich, als es schon finster war und wir noch kein Licht hatten, zwei erhielt, einer war von deiner Hand. Damit hatte ich genug. Ich stürzte zu Augu- sten, und beinah hätte ich ihn gar nicht gelesen, ich besah ihn nur. Die regelmäßige kleine Schrift war gesund da ! Ich ging in mein Zimmer ihn zu lesen. O! mein Freund, wie soll ich dir deine Liebe lohnen! Aber ich werde doch! wenn wir zusammen sind. Ich kniete nieder, wollte Gott danken, und weinte nur: da störte mich Dore, die mir Kleider zum Anzie- hen brachte — man gab — denn das geht seinen Gang — die Vestalin. Mir waren sie ganz egal, ich hatte nun meinen Brief. Etwas Trost hatte ich schon vorher: denn vorgestern erhielt ich grade von Frau von Humboldt einen Brief, in dem sie mir meldete, Graf Wallmoden habe der Prinzeß von Ho- henzollern (gebornen Kurland) geschrieben, du lebest. Das war wohl Trost, da den Zeitungen nach dreißig Offiziere sei- nes Korps geblieben waren: aber die wenigen Worte der Freundin machten mir neue Besorgniß: da Wallmoden nur geschrieben hatte, du lebest, und weiter nichts: und daß er grade von dir und nur dies geschrieben hatte, ließ mich auch auf schwere Verwundung denken. Nun ist dein Brief wieder über vierzehn Tage alt, und ich mache mir doch Gedanken. Aber sei nur ruhig: ich ängstige mich über Feld, wie du weißt, nicht besonders, sondern momentweise nur sehr selten: ich kann meine Besorgniß nicht in Zeit und Ort placiren, und das hin- dert mich beinah ganz an der Angst. So habe ich mich auch nicht für Marwitz ängstigen können, bevor er ankam. Ich habe dir schon den letzten Donnerstag vor vierzehn Tagen ge- schrieben, daß er den Tag vorher plötzlich in meine Stube tritt, als ich eben einem kleinen Jäger Geld zahle, den mir Tieck gebracht hatte. Marwitz war bei Koßwig gefangen worden: sein Pferd fiel todt auf ihn, und so hieben ihn polnische In- fanteristen, Hiebe an den Kopf, drei an der rechten Hand, einen Lanzenstich; kurz acht Wunden: sie sind bereits alle heil, er ganz gesund, kann aber die Hand nicht gebrauchen, und wird nur mit der Zeit mit ihr schreiben können, wie der Arzt sagt, und er nicht weiß noch ahndet: ich aber gleich sah und fürchtete. Ich habe dir schon in zwei Briefen seine Ankunft und alles beschrieben. Er wohnt bei unserer Hauswirthin, die ihn gleich aus Rahel- und Preußen-Liebe nahm, hat es en prince, und ißt bei uns. Ich und ein Stücker sechs bis acht weibliche Domestiken warten ihm auf. Und da dacht’ ich im- mer, wo ist August , wer pflegt den ? Marwitz echappirte nach vielen Avantüren und Fatiguen: mager kam er an und etwas schwach. Die † † ist noch hier, und bekümmert sich gar nicht um ihn: er meint, das müsse so sein, wie mein Bekümmern. Du weißt, denn ich schrieb es nach Lenzen, dies ist der dritte Brief dorthin; daß ich über tausend Gulden für die Ver- wundeten von Frau von Humboldt Eingesammeltes erhalten habe: so schrieb ich dorthin, als sie zu Tausenden in Platzre- gen auf den Straßen lagen!!! Eilftausend kamen in etwas mehr als einer Woche. Von allen Nationen, die fechten. Jetzt gehen die Anstalten besser. Von Bartholdy erhielt ich gestern dreihundert Gulden; also habe ich viel zu thun: ich gebe Hemden, Socken, Essen, Geld. Muß sprechen, kaufen, schreiben, Rechnung führen. Und dieser Ort ist der unbequemste der Welt . Alle Preußen wenden sich an mich: ich soll Söhne, Vettern, Nachbarn von allen Landsleuten finden, und helfen. Oft kann ich es, oft finde ich sie nicht . Seit voriger Woche ist auch der hier angekommen, nach dessen Umgang du allein dich sehntest [Willisen]: er entsprang , und ist glücklich durch die feindlichen Armeen gekommen. Auch er liebt dich sehr; und kennt dich: ich liebe ihn, er ist still und brav, und weiß mehr als er zeigt; er ist alle Tage mit uns, bringt seine Zeit bei Marwitz und uns zu, equipirt sich nur hier, und geht zur preußischen Armee, wo er Dienste hat im zweiten westpreußi- schen Regiment. Vielleicht — wir arbeiten dran — kommt er noch in deines Obristen — gewesenen — deutsche Legion, die der hier errichtet; wir erwarten ihn jeden Augenblick. Du kannst dir unser Glück denken: da er schön im Feuer war, und selbst eine Standarte bei Kulm genommen hat. Er ist sehr in Gnaden, und wohl schon in diesem Augenblick Gene- ral. Sieh ich ennuyire mich so, dies alles zu schreiben, weil ich es in der ersten Efferveszenz schon so oft nach allen Rich- tungen hin schrieb. Sei also zufrieden, mein guter geliebter August! du mußt oft gefühlt haben, wer an dich denkt, dich liebt, schmeichelt und tröstet! Könnten wir wohl diesen Krieg gewinnen? und in Ruhe uns sehen! Alle hoffen; ich fürchte noch; und denke, Napoleon muß noch etwas Außerordent- liches thun. Freilich hatte ich auch hier große Angst, und Qualen aller Art: doch, kann ich bei Augusten wohnen bleiben, und der Feind erlaubt’s, so bleib’ ich den Winter hier. Wo soll ich hin? Zu Hause mag ich nicht, da habe ich die Qualen mit einem Quartier und Einquartierung, und keinen Genuß; weil ich mir das Einzige, ein chez moi, erst bilden und an- quälen muß, ohne Mittel . In Breslau nur Unbehagen und schlechte Familienverhältnisse. Also bleibe ich, erlaubt’s Na- poleon, — bis du mich holen kannst!!! Moritz ist mit Frau und Kind in Posen. Markus noch in Breslau; — er schreibt mir gestern, er sei mit dem Onkel sehr zufrieden: also be- kommt er gewiß von ihm! Ich einen Quark: auch nehme ich gar keine Rücksichten mehr auf all das. Gott muß mich frei machen: oder ich sterbe als morgenländische Sklavin . Wenn du nur Geld hättest, ich meine für jetzt , für dich! — Ich bin hier sehr wirksam, und menschenumgebener als je , d. h. nicht gesellschaftlich, sondern geschäftlich und wohl- thätig. Ich spende alles selbst, damit kein Unterschleif ge- schieht: sonst könnt’ ich mir ein Renomm é e machen und es kommoder haben. Bartholdy’s Gulden sind für die Preu- ßen : das andere theile ich ehrlich: und verwundete Feinde, sind es nicht mehr! und wie soll es unsern Gefangenen dort gehen! Kann ich auf französische Herzen rechnen, wenn mein’s nichts taugt? Ich habe so einen Plan im Herzen, alle europäische Frauen aufzufordern, daß sie den Krieg nie- mals mitmachen wollen; und gemeinsam allen Leidenden hel- fen wollen: dann könnten wir doch ruhig sein, von einer Seite; wir Frauen mein’ ich. Sollte so etwas nicht gehen ? Doch zu viel that ich den Fremden nicht ; und sage ihnen meist dabei, ich wüßte wohl, wie sie als Sieger gehandelt hätten: sie sollten wissen, wie wir sind; nicht dumm, nur mitleidig; so sollten sie auch sein. Aber wie sehen die Ar- men aus: oft weine ich: sie haben Mütter wie wir , die sich todt weinten, wenn sie sie sähen. Auguste und unsere Wir- thin haben viel gethan, und thuen noch. Ich habe hier lauter Avantüren. Vorige Woche begegnet mir ganz im Schummrigen mit Marwitz ein Bettler im größ- ten Koth und Gedränge; er hält mir immer ein Papier ent- gegen. „Wer ist das, frage ich Marwitz, was will der?“ Kurz, es ist Urquijo. Er ist in des Staatskanzlers Gefolge: hat den Monat 60 Thaler, die er nicht nehmen will, sagt er. Seine Nation will nichts von ihm wissen, sagte mir Bartholdy und Graf Bombelles. Militair will er nicht sein: er soll hier für uns die Verwundeten fortschaffen helfen. Ein schöner Schaffer! Er spricht keine Sprache. Er besucht mich dann und wann. Ich habe ihn erst schlecht behandlen müssen. Weil er mir sagte, er sei drei Tage in Berlin gewesen, und habe mich dort besuchen wollen. „Parceque vous étiez dans le mal- heur“, sagte ich ihm sogar. Dann will er mich besuchen. Jetzt laß ich ihn mehr gehen. Gut bin ich ihm auch. Du weißt alles. Das , das, Varnhagen, ist meine Wonne und meine Liebe zu dir. O! bleib mir! bleib leben! — Eben war wieder ein Jäger bei mir, der wollte einen an- dern Jäger Cantian, Bartholdy’s Wirths sohn , suchen; so geht’s den ganzen Tag. Wie bei einem Kommissair; auch bin ich mit den preußischen in Verbindung. Ich bin ganz freudig, den Soldaten dienen zu können: Gott muß ich danken; und thue es gewiß: ich schäme mich oft des Glücks; warum kann ich ihnen dienen, und sie nicht mir ? wer bin ich? Ich kann sie nicht mehr zählen und erkennen, denen ich schon alles Gutes gethan habe! Also doch Ein mal eine Für- stin ! Ach du solltest unsere Preußen sehen! Die Bescheiden- heit! die Wunden! das, denken sie, muß nur so sein! Ein Hemde wollen sie nie nehmen , und wiederkommen zur Wohl- that nie ! „Ach wie kann ich so viel annehmen!“ sagt der Gemeinste, „wie thun Sie so viel an mir!“ Ich bedeute ihnen dann, daß ich nur ein Kommissionair bin, und von wem es kommt. Alle Menschen wollen auch hier nur Preu- ßen haben. Ich weine; wir thun das Mögliche: und sind auch beliebt. Hast du von Berlin gehört? Reiche Leute kön- nen keine Verwundete bekommen! sie sind vergriffen: jeder nimmt welche. Das Unmögliche geschieht dort. Mad. Haller, die sagen ließ, sie habe noch Raum für sechs, ließ man zur Antwort wissen: für Geld wäre keiner mehr zu haben! Ich weine sehr. O! Gott! lenke das eine Herz! laß das Gute hervorgehen! keinen Krieg! Friede! Wohlthat! Adieu August! Denk dir, an Graf Pachta, der böhmischer Gardist beim Kai- ser ist, schreibe ich aus Dankbarkeit Berichte über die Auffüh- rungen der neuerrichteten Oper; Frau von Humboldt Berichte über uns, die Verwundeten, Neues u. s. w.; Gentz, oft, hier; Markus, Neues, und oft und viel. Billete in der Stadt ohne Zahl, Rechnungen und Aufnotiren den ganzen Tag, die Sol- daten, Geschäfte, Einkaufen. Menschen zur Hülfe menagiren. Marwitz dreimal verbinden, alles reichen, thun, helfen. Spre- chen u. s. w. Also sei zufrieden! — Dem General Tetten- born tausend Glück und Segen, und Pfuel viel Schönes. Graf Clamm-Gallas grüßt den General, den Obristlieutenant und dich schon lange auf’s schönste. Tieck, der morgen reist, legt diesen Brief in Breslau auf die Post. Nein! so hat noch nie ein Brief von Treu und Ehrlichkeit geathmet , als dein letzter: nicht allein gegen mich, gegen alle Menschen. — Wie komisch mußte mir deine Nachricht über Marwitz sein: da er bei uns ist. Er hat keinen Orden. Tieck las ihm gestern bei Niebuhr den Hamlet vor, hingegen. Letztern, — nicht Ham- let, Niebuhr — sah ich hier auf der Brücke; er mißfiel mir so, so, und Tieck wollte ihn für hübsch ausgeben, daß ich ihn, und Alle mit mir, Venus nenne. Marwitz, der einmal em- pört vor Allen zu mir sagte: „Soll ich noch mehr Ihr Sklave sein?“ heißt schlechtweg Sklave. Weil es zu komisch war, als er es sagte, ich fiel auch gleich in konvulsivischem Lachen auf eine Sophalehne, gleich um . Nämlich er ist ganz despotisch, und so, daß er nur komisch ist. Willisen durchaus lieb und gescheidt. Als deinen Freund lieb’ ich ihn noch be- sonders ; und thu ihm alles Liebes, was ich weiß. Wann werd’ ich dich pflegen? Schreibe wenn du kannst. Gott mache dich glücklich! Deine R. An M. Th. Robert, in Breslau. Sonntag, halb 8, im Bette, den 10. Oktober 1813. Donnerstag kam die schlesische Post nicht an — gewiß des Morastes wegen, — denn dieser Regen! — Ob sie heute kommt, weiß ich nicht; ich will geschwind schreiben, eh mein Fieberanfall kommt. — Denkt euch meinen Verdruß: Graf Bernstorff hat mich über eine Stunde mit dem Fiacker gesucht, ohne mein Quartier finden zu können; und den folgenden Tag eben so! Gestern ließ er mir nach seiner Abreise seine regrets darüber durch Gentz sagen, der drei und eine halbe Stunde gestern Abend vor meinem Bette — ich mußte endlich liegen, weil das eklige Fieber unregelmäßig wurde — beichtete über alle Gegenstände seiner Seele, und seines Wissens. Die Dä- nen haben wir nicht. Mit Baiern soll es auch noch nicht rich- II. 9 tig sein; im Fieber, und seines heftigen Sprechens wegen, vergaß ich Gentz zu fragen. Gestern , sagt er , und die Welt, müssen entscheidende Schläge vorgefallen sein. Des Ge- nerals Bentheim Adjutant kam gestern spät von Marienberg; wo unsre hiesige Armee hinaus war, ohne einen Feind zu fin- den. Der Morast aber ist über alle menschliche Kräfte, nach diesem Regen hier, im Gebirge. Marienberg ist ganz an der sächsischen Gränze. Aber wo ist Napoleon? wo will er sich schlagen? Er hat dem österreichischen Kaiser einen Brief ge- schickt durch General Flahault, den Sohn der Mutter, die Romane schreibt; in dem er den Frieden anbietet: nämlich Unterhandlungen; diesen Brief, den ich gelesen habe, finde selbst ich schwach . Man hat ihm edel, gehalten, und gut geantwortet: daß man die Gefahren eines Krieges, der alles zu Grunde richten kann, lieber zu laufen gesonnen sei, als einen Frieden einzugehen, der auf Grundlagen gebaut sein müßte, die neue Leiden über die Länder bringen müßten; und auf arme Formen, Ausreden und Kleinigkeiten hat man gar nicht geantwortet. Beides habe ich gelesen. (Die Jäger und Soldaten bestürmen mich schon jetzt, vor meinem Bette ; ge- stern war ein Bureau davor eingerichtet: es muß geschehen.) Gestern habe ich durch Marwitz den Geheimen Staatsrath Niebuhr an den König wegen der unseligen Verpflegung schrei- ben lassen. Ein Geheimniß . Wie findet ihr dies ? Wenn heute Neues kommt, will ich’s noch hier dran setzen. Ich äng- stige mich! Nichts tröstet mich ein wenig , als der wirklich sehr schwache Brief; den ich endlich einmal schwächer finde, als es Gentz und die Andern thun. Adieu indeß! Noch hübscher! Mit der Donnerstag’schen Post habe ich keinen Brief: und die heutige ist nicht gekommen. Neues von der Armee weiß ich bis heute noch nicht. 5 Uhr. — An Varnhagen, in Lüneburg. Dienstag, bald trüb bald helles Wetter, sehr windig: den 12. Oktober 1813. Noch immer bei Augusten. Wo ich auch den Winter, wenn es der Feind erlaubt, bleibe. Wo soll ich hin ? Wo ist Heimath? Wa rum soll ich in morastigen Gebirgsgegenden reisen? Hier behält man mich willig und bequem; das habe ich hinlänglich untersucht. — Ich habe Einsicht in das Glück, Augustens Karakter ge- funden zu haben, der nichts Unangenehmes hat, und tausend Angenehmes, und zum Nahleben geboren ist; und das Glück, den Verwundeten aller Nationen helfen zu können. Über dreizehn- hundert Gulden habe ich dazu! Frau von Humboldt schickte mir über tausend, Bartholdy neulich dreihundert; ich habe von jener durch den Gesandten Bernstoff, der mich zwei Tage vergeblich mit dem Fiacker nach Gentzens dummer Beschreibung suchte, und mich denn am Ende nur durch den konnte grüßen lassen, noch sechs Dukaten, von Bartholdy’s Schwester hundertundvierzehn Gulden empfangen, und Hoffnung aus der Hauptstadt dieses Lan- des noch mehr zu erhalten. Ich bin mit unserm Kommissariat und unsern Stabschirurgen in Verbindung; habe eine Unzahl Charpie, Binden, Lappen, Socken, Hemden; lasse kochen in mehreren Vierteln der Stadt; sehe zu dreißig, vierzig Jäger 9 * und Soldaten des Tages selbst; bespreche, belaufe alles: und mache mit der mir vertrauten Summe das Mögliche ! Da- her traue ich es auch niemanden als mir selbst an, und zu; und verschmähe, es öffentlichen Behörden einzuliefern, und öffentlichen Dank, den ich für Bequemlichkeit und nicht pflicht- gebotene göttliche Menschendienste bekäme. Zeit aber, Lieber, behalte ich gar nicht. Die Korrespondenz, die Rechnungfüh- rung, die Addressen, Quittungen, Gänge, Besprechungen: kurz mein Beginnen verzweigt sich zu einem großen Geschäft. Und ich melde dir’s, weil’s dich freut. Meine Landsleute suchen Rath, Hülfe, Trost: ja und Gott erlaubt mir, klein, und Nichts, und gering geboren, und verarmt, wie ich bin, es ihnen zu geben. An Konnexionen fehlt es mir nicht. — Diese breite äußere und tiefe innere Beschäftigung hält mich hin. Ich schäme mich, daß mir Gott das Glück zuschickt, helfen zu können! und wenn ich mich schäme, daß ihr euch alle schlagt, so tröste ich mich wieder, über meine Bequemlichkeit indeß, damit, daß ich auch thue im Helfen und Heilen. Ich tröste mit Worten, Jäger und Soldaten, so gut und eindringend, und einfach, daß sehr Leidende schon oft plötzliche Freude lächel- ten von meinem bloßen Worte, und es fuhr, wie Sonnenblick über düsteres Gewölk, über ihr Gesicht. Mich besuchen die Konvaleszenten. Und göttlich beträgt sich unser Volk: unser junges auch; welches ich vor dem Ausmarsch tapfer glaubte: nun sind sie’s mit Wunden : und wollen und gehen zum Heere zurück: und wie einfach, wie bewußtlos, und bescheiden! Ich weine! Nicht Einen Rodomont fand ich. Du kennst meine Kritik! mein Mißtrauen auf uns. Seit sechs Tagen hatte ich katarrhalisches Fieber: ich kurirte mich selbst: mußte den dritten zu Bette bleiben; hatte mein Bureau vor dem Bette etablirt: und alles trat davor hin; Ruhe hatte ich doch nicht. Soll ich Jäger und Soldaten trostlos abreisen lassen? Gott bewahre. Ich hatte auch immer wieder Kräfte. Wie kann man seine Pflicht nicht thun. Ich verstehe es nicht. Wenn ich eine ordentliche Besorgung hätte! O! ich verstehe es, wie Friedrich der Zweite lebte. Ruhig, thätig, gewissen- haft; und dann Königlich, in Kunst und stillem Genuß. — In meinem frühern Brief steht schon, daß Marwitz über- morgen vor vier Wochen hier plötzlich ankam; er ist wohl; die Hand bessert sich: er sitzt still am Fenster, und liest Plato. Er wird wohl nun bald reisen. Wunder und Zeichen hätte ich dir von ihm zu berichten, traut’ ich sie einem Briefe an. — Mittwoch, den 13. Oktober. Nachmittags 4 Uhr. Sonnenschein, ziemliches Wetter. Gestern Morgen gehe ich die Wohnstube durch nach Au- gustens Schlafzimmer von dem meinen zum Kaffee, vor ihr Bette — weil mein Ofen noch blakt; und ich in der Unpäß- lichkeit weder dies, noch die offnen Fenster ertragen konnte —. Ich erzähle ihr gleich Folgendes. „Gut habe ich geschlafen, bin aber mit Kopfschmerzen aufgewacht; die auch schon verge- hen: die Köchin klappte wieder so draußen; es ärgert mich recht; denn eben träumt mir, Frau von Humboldt — ich nannte sie wirklich — schickt mir ein länglich Paket, worauf Varnhagens Hand ist; es hat nur einen umgewickelten losen Umschlag; und noch ein ordentlich Kouvert, auf etwas fließendem Pa- pier, wieder von seiner Hand meine Addresse; und dabei ge- schrieben: Inliegend die gedruckte Institution. Eben als ich’s nun erbrechen will, tobt die dumme Köchin!“ Wir haben noch lange unsere erste Tasse Kaffee nicht aus, so tritt Dore herein mit einem länglichen Brief von Gentz, wo deiner mit den gedruckten Zeitungen drin liegt; ein Billet von ihm, und dein Brief an ihn! Sag’, was ist das, daß ich so oft träume was geschieht; nur ein wenig konfuse, als hätte mein innrer Sinn nur noch nicht Kraft genug. Als ich es Augusten er- zählte, und auch vorher, war ich ganz überzeugt, dergleichen zu erhalten. — Gentz schrieb mir bloß, wie ich mich befinde, und nichts von dir. Ich antwortete nicht: weil ich, ohne daß er’s weiß, gespannt mit ihm bin. — Sonst schmeichelte ich ihn mit und in Antworten aus meinem Herzen: dies merkte er nicht . Er soll das Gegentheil schon merken. Deinen Brief an ihn finde ich vortrefflich ! er hat mich sehr gefreut. Der wahre Ton! und um so mehr gefreut, da er mir deine weltliche Haltung immer mehr beweist; dar um sie mir so be- sonders verbürgt, da du das, was ich über ihn geschrieben habe, schon erhalten hattest; doch noch so gerecht über das warst, was er hat drucken lassen: es ihm in so ganz gemäßen, anstehenden Ausdrücken zu sagen vermochtest, worin ich die wahre Würdigung von dem gerecht-exagerirten Anerkennen wohl zu unterscheiden wußte. — — Wie verliebt ich in sicheres Urtheil und haar-richtiges Betragen sein kann, weißt du; aber nicht, wem alles —!!! — den größten Geschäftsleuten Europa’s, hier hab’ ich’s erfah- ren, weil ich alle Details weiß — dies abgeht! Ein wenig Glück! und es muß uns gut gehen. Glück liebt aber Lotter- buben: und sucht sie sich fleckweise aus, wenn es keine ganze findet: wo Einer einen faulen Fleck hat, steht das Glück ihm bei: und du siehst’s, ich beleidige es immer: jetzt wieder. — So richtig gesehen schriebst du mir auch einmal über Pfuel; ich vergesse es nicht . — So hat mich auch dein Sein nach der Affaire gefreut! Ich kann es sehr fassen, wie du dachtest, die Andern bluteten für dich mit! Bedenke, daß du auch schon für sie blutetest. Gott stärke und segne deinen General Tet- tenborn! für sein liebes mildes Betragen gegen Feinde und Verwundete! Sag’ ihm, ich grüße ihn jetzt mit Thränen in den Augen, und hätte schon in Berlin gewußt, daß er sich nur bisweilen rauh stellt . So wollte er auch schon seinen französischen gefangenen Wundarzt von Hamburg nach Hause lassen u. m. dgl. Ich kenne ihn schon; an einem Wort, einem Ton, einem Blick. Seelen entgehen mir nicht. Im Guten wie im Schlechten. — Dabei hat Gentz das größte, ungemessenste Bedürfniß mir alles zu sagen was er weiß; und besonders was ihn betrifft. Wie dumm , wie stumpf aus Dummh eit, und wie dumm aus Stumpfheit, gar kein Interesse an mir zu nehmen! Nein, Herz, das geht dir nicht durch! Sein Herz mein’ ich. Was soll ich aber zu deinem lieben Brief an mich sa- gen!? Lieber ! dies, daß meine ganze Seele ihn erkennt, jedes Wort, jede Äußerung von dir. Dir nur traut. Dich allein nur ächt gegen mich gefunden hat, und findet: und dir nur traut; traut alles zu sagen: in deiner Gegenwart alles zu sein. Wo uns auch Gaben, Natur trennt; verbindet uns Freundschaft, Einsicht, Nachsicht, Gerechtigkeit, Treue, Ehrlich- keit, wahre Bildung. Geh! die Andern all geben nicht treu aus, wie ich: sehen nicht klar überall: können also nicht gerecht sein. Ich scheue mich auch nicht, dir unaufhörlich von meinen Soldaten zu sprechen. So viel Jäger und Soldaten wie heute hier waren! und wie die sich freuen! und wie wohl- thätig unser ganzes Haus ist! Einen fieberkranken Preußen nimmt bei jedem Acceß ein Kaffeeschenk unten im Hause auf; ich kleide ihn heute warm. Kurz, mein ganzer Tag ist ein Fest des Gutes-thun. Mitten in dem Unglück ich solch ein Glück! — Du weißt: ich liebe den Krieg nicht, als Beschluß: wer weiß, was er beschließt in der allgemeinen Verderbniß! — Frei von Feinden, weiß ich, muß das Land sein; höheres, anderes sehe ich nicht in diesem Kriege: und gleich, als Alle rüsten halfen, dacht’ ich: Sieg oder Schmach; Verletzte, Ver- wundete bringt er unfehlbar: denen hilf! Und so thue ich auch. Und Gott hat Großes an mir gethan; die sich Monate lang zwölf Thaler absparen mußte, wenn sie sie geben wollte: nun spende ich im fremden Lande, wo unsre Jugend, und unsere Soldaten verwundet dürftig sind, Hunderte! Dies bezahlt mir unsere Schmach von sonst — Tilsit — meine gränze nlose jetzige Angst, die du gesehen, und vieles Übel und persönliches Leid, Ich bin von Gott nach Augustenburg gesandt, denk’ ich. Adieu für heute, es wird dunkel. Morgen noch ein Wort. Ich umarme dich! In diesem Augenblick geschieht dir gewiß nichts! — Donnerstag den 14. In der Zeitung, die ihr ausgebt, gefiel mir das über Moreau’s Tod; und das sehr gut. Auch ich war’s schon zu- frieden, — obgleich der Schreck mir wahrlich beinah die erste Ohnmacht zugezogen hatte, und einer von denen hier war, die mir am meisten schadeten, — daß er starb: aber die bas- sesse mit der Amputation hätte er nicht erleben sollen. In solchen Dingen kann man seine Meinung, seinen Schmerz und seine Verzweiflung nur zu Gottes Füßen legen! — Ich bin noch außer mir dar über. — Wird auch das Volk, dem eure Zeitung umsonst vertheilt wird, die Sprache verstehen? O! ich möchte es darin in gemeinen Worten, zum Guten, zum Wohlthun, zur Geduld, zur Milde, zum hoffnungsvollen Har- ren, zur Verträglichkeit ermahnen: wie ich es wohl manchmal kann. Möchte ihm anempfehlen, nur immer das Allernächste recht zu thun, gleich gut. Den Weibern besonders, dem über- wundenen Feind zu helfen; und ihm zu sagen, sie sollen es auch so machen; und zu Hause erzählen; und im Felde nicht vergessen! An M. Th. Robert, in Berlin. Sonnabend, Prag den 23. Oktober 1813. Diesen Brief wird dir Hr. Abr. Mendelssohn mitnehmen, mit dem ich hier sehr liirt war, und dessen freundschaftliches Benehmen ich wie das von Bartholdy nicht genug loben kann. Vorgestern nach der Siegesnachricht schrieb ich euch. Ich bin noch betorkelt. Die Spannung, die Angst für Berlin, und meine Schwäche vorher, war zu groß. Der Sieg ist, wie ihr nun eben so früh erfahrt, noch kompleter. Gott schütze vor ivresse, arrogance und Sünde; im Gefolge des Glücks! Denk dir! sicher bin ich noch nicht . Ergötzt euch daran; und meßt meine Vergangenheit danach ab. Fanny hat wohl immer gar nicht recht verstanden , wovon die Rede ist: und immer noch verstanden, wir sind geschlagen: solche Relation ist schwer, Fanny! mir macht sie auch Mühe. Grüßt millionen- mal Mad. Magnus. Was macht die Rampe? Ist wieder eine große Pute auf dem Hof? Prampirt Albert? Mad. Brede spricht noch immer von ihm; und grüßt seine Mutter, die sie bitten läßt, sie nicht zu vergessen, bis sie nach Berlin kommt. — Grüßt doch den tapfern Böhm vielemal; und sagt ihm, in Prag hätte ich erfahren, daß ich eigentlich zu keinem Arzt Zutrauen hätte, als zu ihm; da ich zwei gescheidte, Dr. Czer- mack und Dr. Krombholz kenne, und mich auf ihn (und Gott) von weitem verließ. Urquijo spricht alle Tage von ihm. Er soll sich Motion machen, und nicht so stolz sein; sonst wird er zu dick. Von dem Jubel, der Illumination in und außer dem Theater, von Roberts Stück, welches den größten Bei- fall hatte, und wirklich sehr hübsch war, nichts! Man sang, man schrie! ꝛc. Es kommt ein Kourier im Stück vor, der über eine Viertelstunde die wirkliche Relation vorlas, die die Be- hörden bis zum Theater zurückhielten! — also eine Volksver- sammlung im ächten Stil! Das Stück war äußerst lebendig, und passend. Ja! mein Bruder wird berühmt! Bei Blü- chers Siegen wurde am meisten applaudirt: bei Poniatowski hielten sie gleich inne — recht! Ein todter edler Krieger! — sollen die nicht frei sein wollen? — sie hatten in der Ge- schwindigkeit angefangen. Unser König mußte hochleben, die Kaiser, auch der Baier, alles. Alles mit der gehörigen Gra- dation; wir Preußen konnten zufrieden sein. Es freute sehr das Volk, daß Alexander so fleißig selbst dabei war. Doch ist das Volk etwas feste hier; noch nicht losgefahren. Gott lasse sie dabei: der Feind nur macht allert. Ob nun die Für- sten wohl werden gelernt haben, was Eintracht ist? Auf eine Zeit, versteht sich: denn was ist von Menschen, und könnte bleiben? Mein eigentliches Herz darf ich in keinem Brief aus- schütten. Friede will ich: und jeden Sohn bei seiner Mutter; Feinde und Freunde ihre. Tauenzien wird sich doch nicht är- gern, nicht dabei gewesen zu sein? Frische Truppen werden gut thun. Ohme, gratulire ihm von mir. — Sage mir um Gottes willen, Hans! warum antwortet mir Ernestine nicht? Sie schrieb mir von Wien: Montag reise ich; ich schrieb ihr so, daß sie den Brief noch Sonntag erhielt: und nun hör’ und sehe ich nichts mehr von ihr. Wenn sie auch den Brief nicht erhalten hätte ? doch muß man ihn ihr nachgeschickt haben! Sie war ganz zärtlich gegen mich, und muß mir schreiben! Alle Menschen sind in der Vestalin. Ich sitze zu Hause, und schreibe: bei Tage stört man mich. Ich habe Li- ne’n und Dorens Eltern geschrieben. — Ist es wahr, daß der franzosenhassende, deutschthümelnde Schauspieler an Ketten tanzt ? wenigstens müßte es wahr sein. Manche müssen nun immer dümmer, viele noch affektirter, noch deutscher werden! Weit davon ist gut vor dem Schuß! Schuß heißt auch, einen Schuß von Narrheit haben. Kinder! wo ist die Gräfin Schla- brendorf? schickt mir ihre Addresse! Daß ihr Tieck noch ge- sprochen, und meinen dicken Brief habt, freut mich; ich weiß es durch Schall. — Gott, wie werden sich die Menschen freuen! Was sagt Moritz? Ich bin auch perplex. Heute hieß es, Na- poleon sei gefangen: da besoffen sich die Menschen proviso- risch, aber es ist noch nichts. — Lebet halt wohl, und gedenkt mein! Grüße doch Einer auf der Börse Hrn. Heilborn: nun kann er ja frei und frank nach München reisen. Von Louis Robert werdet ihr Wunder und Zeichen hören! Ja, ja! Alle kommen vorwärts. Ja, ja! — Von Varnhagen weiß ich seit dem 25. September nichts! Ich bin in Gottes Hand; und muß still sein. Marwitz ist noch hier, und mein lieber Sohn, was soll ich thun. Mariane Saaling hat mir vier Dutzend Socken von Wien geschickt. Ich halte noch immer einige hun- dert Gulden bei Rath; doch nun geht’s aus: die Fluth war zu groß. Adieu, adieu! R. R. Lapin lapinirt nun wohl auf Deuwelhole? Nun geht alles. Es ist ein Glück, wenn Jope nicht Staatsrath wird. Erkundigt euch, wer Jope ist . Ihr denkt wohl, ich bin vergnügt? Erlöst. Mündlich einmal Persönlichkeiten. Schreibt mir Neues, oder ihr sollt mal sehen! Die größten Details muß ich haben. Faule Bälge! Mad. Mendelssohn schreibt alles. — Ganz Berlins Söhne waren bei mir, als Jäger verkleidet. Das war wie Moritz. Was macht die Böheim? — Mittwoch, den 26. Oktober. Abends 11 Uhr. Nun reist Mendelssohn erst morgen, nach der Post. Ich bin schon wieder unpaß. Hatte die Nacht einen schlimmen Hals mit Zubehör, und heute Abend starkes Kopfweh. Alles geht seinen Gang dabei. Ich habe heute wieder zweihundert Gulden bekommen für mein Geschäft, welches immer größer durch allseitige Aufträge wird; und auch Socken u. dgl. aus Wien. Von euch habe ich nur vom 8. Oktober aus Bres- lau Brief. An Varnhagen, in Bremen. Prag, Donnerstag den 4. November 1813. Den 1. dieses Monats brachte mir Urquijo deinen Brief aus Bremen, lieber Freund! den wahrlich lang ersehnten. — Du lebst, und hast alle deine Glieder. Wenn ich nur das immer erst erfahre! Du Armer! als du mir schriebst, wußtest du noch nichts von Leipzig. Gott erhörte unser Gebet: und verwirrte den Geist unsres großen Feindes. Wie wirst du dich gefreut haben! — O August! daß wir jetzt in diesem be- wegten Strom von Empfindungen und blitzenden Gedanken getrennt leben müssen. Bei mir verliert man unendlich viel, weil bei mir alles so spontan é ist: ich schütte das nun alles in Reden, Briefen — die ich einmal schreiben muß — und Billets Andern hin; die es nun und nimmermehr so in sich aufnehmen, als du: es aber wohl für ihr Gut in der ganz nächsten Stunde erklären; nicht als Diebe, aber als arme, verwirrte Verschwender: und es auch oft ganz überhören und übersehen. — Und dir grade, da du so weit bist, da ich dir in wichtigen Momenten grade nicht schreibe, sag’ ich am wenigsten. — Bei mir platzt alles heraus! Und laß mich nur so, Lieber! Wir werden wieder zusammen sein, und neues Leben entzündet sich immer wieder: so lange sie steht, die Natur. Ich habe nun schon über dritthalbtausend Gulden für meine Soldaten, und viele Geschäfte. Dies nimmt mir alle Zeit und vielen Sinn. Mendelssohn läßt in’s Unendliche hier Jäger durch mich kleiden. — Den 31. erhielt ich einen Brief von Frau von Humboldt, die mir sehr oft — auch durch General Bentheim, der vor acht Tagen angekommen ist, und den sie sehr schätzt und liebt (ich habe ihr geantwortet, Gott hat ihn hübsch gemacht und menschlich, für Menschen, die es sehen können) — schreibt, mit einem Billete von Frau von Wolzogen, die hier ange- kommen war, und mich besuchen wollte: Frau von Humboldt meinte, sie würde länger hier bleiben, und empfahl sie mir mit großer Liebe, für sie und für mich. Ich sah die Frau bei sich, weil sie unpaß wurde. Eine durchlebte, gütige, ge- faßte, erschütterte Frau. Sie reiste gestern im Gefolge der Prinzessin nach Weimar, um der Armee näher zu sein, mit ihrem angstvoll gefaßten Herzen, sie hat einen Sohn bei Blü- cher. Sie hat mich mit einem großen Glücke überrascht. Sie sagte mir mit einemmale: „Ich habe Briefe von Ihnen gele- sen, die sehr schön sind!“ Ich dachte, an Frau von Hum- boldt: sie setzte hinzu: „über Goethe; es hat ihn unendlich gefreut; es ist ihm so nöthig, er wird so häufig mißverstan- den, so vielfältig nicht gut berührt,“ — so ungefähr sprach sie — „es hat ihm außerordentlich wohlgethan.“ — Ich sagte ihr, daß ich ihn vergöttre , — und ich, die keine Silbe, zum erstenmale, von ihm hat, repetire mir ihn, den großen Ge- schichtsmann, im Kopf, bei jedem Schmerz, bei jedem Ereigniß: und lieb’ ihn Punkt vor Punkt mein ganzes Herz durch und durch, von neuem! diesen König der Deutschen! der blinden, unglücklichen, die ein Jahrhundert nach seinem Tod erwachen werden. Ich vergöttre diesen begabten Weisen; agitirten äch- ten Herzensmenschen! — daß er mir im ganzen Leben beige- standen! — Sie sagte mir: man hätte ihr vertraut, — das kann in Weimar nur Goethe sein — die Briefe seien von mir, sie wolle es auch verschweigen; ich sagte, es sei nicht nöthig, denn da Goethe es wisse, könne es die ganze Welt wissen. Denk dir also mein inneres stilles Glück, daß ich meinen Herrn, meinen größten Liebling gefreut habe! Ach! und das ist es nicht: bei Gott nicht! denn wüßt’ ich Einen, der ihn mehr liebt, verehrt, bewundert, anbetet; von der Natur besser aus- geworfen ist, als ich, ihn in jedem Punkt mit seiner aufzufas- sen; aus jedem Punkt alle andern zu verstehen; jedes Wort, jede Silbe, jedes Ach zu deuten weiß: seinem Leben dadurch wie zugesehen hat, immer mit ihm einverstanden und zufrie- den war: so wollt’ ich ewig, ewig ignorirt bleiben; und ihm den zuschieben. O! gäbe es eine Fürstin, eine Kaiserin, die so für seine Verehrung geboren wäre, fast wollt’ ich ihr mein Herz und meine Einsicht geben: leihen gewiß oft! Marwitz, mit dem ich hier über alles die knetendsten, herrlichsten Ge- spräche führe, sagt auch: kein Mensch liebe ihn mehr als ich. Weil ich sagte, ich möchte gern einen Menschen sehen , der ihn mehr versteht und liebt. Und doch ist es möglich, wenn ich’s auch nicht denken kann: drum möcht’ ich’s sehen. An Varnhagen, in Bremen. Prag, Mittwoch den 17. November 1813. Abends halb 11. Ich kann ja weiter gar nichts, lieber August, als dich recht ansehen und dich umarmen für deine Briefe! Gestern — er war schon vorgestern hier — erhielt ich deinen vom 7. No- vember. So waren wir denn Alle zugleich krank! Noch die ganze Zeit paßte ich nicht so auf einen Brief: und keiner kam mir unverhoffter, als der schnell gegangene, gestern! — Nun wollt’ ich dir den ganzen Tag heute schreiben, aber sie litten’s nicht: Vormittag besuchte mich der russische Kommandant Ba- ron Rehbinder; nachmittags Graf Reichenbach, der preußische. Frau von Pereira schrieb mir dringend, Mariane Saaling: ich mußte antworten; mit dem preußischen Kommandanten hatte ich zu verhandlen: denn nun, August, geht’s in’s Spaß- hafte über: alles wendet sich an mich. Behörden . Vielen soll ich geben; die Oberstburggräfin giebt mir; und so in’s Unendliche! Schreiben; Zählen, Kombiniren, Menagiren, No- tiren, und Enkriren in alles. Dabei bin ich noch sehr kon- valeszent. — — August! wir thun nichts, als präpariren: ich bin wahrlich (nach dem allem, was ich habe durchgehen müssen: denn was suchte ich wohl falsch, was präparirte ich, was konnte ich wohl vermeiden mit aller Klugheit!) zu alt dazu; und so durchlit- ten, ten, daß ich oft in Verzweiflung, oft stupid bin. In meiner ganzen Lage hält sich noch bis jetzt, und hier jeder an mich; und durch mich! Nur du hilfst mir. Verzeih! Wie sollte dieser Brief anders werden; das glaubst du gar nicht! Erst wollt’ ich dir sagen, wie herrlich es ist, wenn einem der Freund schreibt, grade was man ihm schreiben wollte; schon seit meh- reren Posttagen wollte ich dir sagen — trotz dem, was ich das letztemal über Geld äußerte; und du wirst schon sehen, daß das zusammengeht, und, daß meine Lage nur immer, meine Denkungsart auseinander zerrt —, wie Recht du hast: man muß das Pekuniaire zu verachten wissen; nur dann kann man’s ergreifen: und jedem Punkt applaudire ich in deiner Aufführung; und wir sehen nun ganz mit den nämlichen Augen. Dadurch, lieber August, daß du erkennst, was du etwa von mir hast — und nicht wie alle Andern, im ver- blindeten Gebrauch meiner Schätze, arm bleibst , — stellst du dich ganz — zu meiner lebhaftesten Freude — über mich: denn, was du besitzest, vermag ich mir nie anzueignen. Daß du Rücksicht in deinen geschichtlichen Schriften auf mich nimmst, freut mich auch; das thut den Schriften gewiß sehr gut. Ich sehe, ich liebe Wahrheit; bin einfach, streng; aber weich; habe keine Resultate vorher im Aug und Geist; und bin immer be- reit unschuldig aufzufassen. Denkst du also nur an einen sol- chen Menschen; so müssen bei deinen übrigen Talenten, und Gewandtheiten, schon lesenswerthe Dinge, in dieser von Lügen zusammengebackenen litterarischen und großen Welt, heraus- kommen. Gott! wie ganz stupid, und nichtig; durch Dünkel zusammengekittet wird Deutschland! Ein irres wirres Nach- II. 10 sprechen summt aus jedem Kopf um die andern umher, und betäubt sie, bis zum Betrunkensein in Eitelkeit. Aber wie freut mich das , daß du mir schreibst, du nähmest auf die- ses Land Rücksicht! du kommst mir ja in allem zuvor, in allem entgegen! Wie äußerst angenehm war mir vorgestern dein Zeitungsstück: ich siegelte es auf der Stelle mit einigen Worten ein, und schickte es Gentz. Hier seine Antwort. — — Denk dir, ich habe nur den Namen Metternich gesehen, das Blatt weiter nicht gelesen, und es sogleich Gentz geschickt; die Schnelligkeit ist in dergleichen alles. — Über Österreich und Preußen denk’ ich wie du; freilich haben sie beide verschiedene, und ausschließende Eigenschaften. — Marianen Saaling und Frau von Pereira schrieb ich gestern Abend zusammen, ein Meisterstück; aber ganz geschwinde, wie dies. — Marwitz geht mit diesem Monat, sagt er. Ich sage ihm sehr die Wahrheit; es mag veranlaßt sein wie es will; diese nimmt er immer an. Er amüsirt mich gar nicht. Adieu! Ich bin zu müde! Viel- leicht morgen noch ein Wort! — Sonnabend, den 20. November früh 9. Es ist nichts vorgefallen, als daß ich Unglückliche viel schreiben mußte: weil ein Herr mir Depeschen mit nach Berlin nehmen will, — mir ist ein Jäger gestorben, das muß ich re- feriren!!! und Mendelssohn tausend Geldgeschäfte und Rech- nungen berichten: er kleidete durch mich noch besonders Jäger hier: und giebt, weil ich sie ihm gebe, und mit Vergnügen dieser Familie ausrichte, viele Aufträge. Ich kann aber alles von ihm haben. Und für Freunde auch. Gentz war gestern Abend bei mir: recht gut; aber er müßte erst wieder kurze Zeit unter eben so Klugen leben, als er ist: die Salons haben ihn engourdirt. Er braucht ein weniges sich zu entrosten. Wir sprachen viel. Das Stück in der Zeitung, worin Mett. vor- kommt, ist nicht in so schönem Ton geschrieben, als „Aussicht der Gegenwart.“ Es thut mir leid. Glaube nur, dies Land hier will glimpflich bei den größten Schlachten bleiben: und Alle söhnen sich aus: nur Partikuliers bleiben dann sitzen, und werden aufgeopfert. Dies alles unmaßgeblich, und nur zur Erinnerung! Du bist übrigens überzeugt, daß wenn ich die Sache an sich, ganz richtig, edel, und ersprießlich für Alle hielte; mich keine Rücksicht ihr abspenstig machte. Das böse Prinzip aber, ist anderweitig zu finden, und zu verfolgen: und mit einem gelassenen, nicht ironischen Ton, wie du ihn schon gefunden hast. Nicht wahr? — Nun muß ich mich ge- schwind anziehen; — es ist gefroren, ich will auch endlich ausgehen. Willisen hat an Marwitz geschrieben aus einem Orte des Reichs, den der nicht kennt: lauter kriegrische Dinge. Ich schicke ein Stück der Addresse mit, die vor mir liegt. Zur Ergötzung. Viele Grüße, und die herzlichste Umarmung! Dan- zig soll über sein! Adieu! Sonntag, den 28. November 1813. So wie kein Dichter sich ausdenken kann, was besser, mannigfaltiger und sonderbarer wäre, als was sich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt; und nur der den besten Roman machen kann, welcher Kraft genug hat, das was ge- schieht zu sehen, und in seiner Seele auseinander zu halten: 10 * eben so sind unsere tief natürlichsten Wünsche roh; und gräuel- hast entwickelte sich ihre Erfüllung für uns; nur das, was Gott wirklich zuläßt, ist in allen Beziehungen heilsam für uns, weil wir uns ihm entgegen bilden können. Mir ist dies schmerzhaft geschehen und, klar geworden. Wem dies glimpf- lich begegnet, der hat Glück. „Die Menschen verstehen einander nicht.“ Sie lieben sich zu ungleichen Stunden; möchte ich noch hinzusetzen. An Varnhagen, in Holstein. Prag, den 1. December 1813. — Die Gemüthsbewegungen waren diesen Sommer zu stark für mich. Angst, Sorge, Ärger, Mitleid. Und was ich hier sah!!! Nie sah ich so den Krieg. Im September war ich schon krank, und wollte doch die Soldaten nicht weggehen lassen, also ging ich immer auf den Flur zu ihnen mit Fie- ber: zuletzt ließ ich sie schaarenweise vor mein Bette kommen; es war au fort ihrer Leiden. Ein Schuft wäre ich gewesen, hätte ich nichts davon leiden wollen. Ich wußte es sehr gut, ich fühlte wie es mir schadete, aber es ist mir noch eine Wonne! Ich mache mir so bei jeder guten Suppe, bei jedem guten Bissen ein Gewissen. Nun sind wir hier ruhig: aber in ganz Deutschland, in Holland, überall hiebt und schießt man in Menschen, in weiches, schmerzfähiges Fleisch, Adern und Gebein. Man nimmt, darbt, mißhandelt! Ach von meinen Jägern, die den ganzen Tag bei mir sind, weiß ich jedes Detail. Da bist du drunter! gegen den bösen Davoust. Und doch wollt’ ich nicht, du wärst zu Hause. Ich kenne einen sehr braven Jäger L. aus Lübeck. Sein Vater ist dort Uhrmacher, und ursprüng- lich ein Genfer. Kannst du den Mann wissen lassen, daß sein ehrlicher braver Sohn hier bei mir ist, so thue es. Der preußische Generalchirurgus hier hat ihn mir aus einem schwe- ren Nervenfieber gerissen. Marwitz lief immer zu dem Arzt. Kurz, er ist durch; und erblüht mir recht wieder unter den Augen. Ich equipire ihn ganz . Und mache ihm während seiner Genesung jeden Tag eine kleine Freude. Auch ist er viel bei uns, und diese Distinktion und mütterliche Freund- lichkeit stärkt und freut ihn am meisten. Kann ich mir irgend etwas unter einem muthigen, braven, gut gearteten deutschen Jüngling denken, so ist er’s. Dabei ist er in Berlin erzogen, ein Erz-Preuße, und Berlin sein Leben, Ich tadle ihn wacker, und lehre ihn die Welt schonen, lieben und ansehen. — Wir Preußen werden vergöttert: und in Tapferkeit, Betragen und Sitte angestaunt. Wie ich zum Guten und zur Bescheiden- heit ermahne, kannst du denken! Ich möchte sagen, sehr lieber Freund, ich folge dir! so gleich denke ich über alles mit dir: so freue ich mich über jedes Thun von dir, so billige ich in tiefster Seele jedes Wort, jeden deiner Ausdrücke! Beinah habe ich dir nichts zu schreiben. — Man lobt mich in Wien, Breslau und hier sehr. Dies aber bloß, weil ich das Glück hatte, für die Soldaten etwas zu erlangen ; die Thätigkeit hätte mir niemand ohne das Gelingen berechnet. — Es freut mich, ausgestoßen wie ich war, ohne Vermögen, Stand, Ju- gend, Namen, Talente, zu sehen, daß ich doch meinen Platz in der Welt finden kann. Deinen Besitz, deine Hülfe rechne ich oben an: aber warum liebst du mich? bloß weil ich recht- schaffen bin, und das Andern gönne und thätig schaffe, was ich selbst gerne will. — A. Mendelssohn beträgt sich gegen mich ganz ausgezeichnet freundschaftlich, thätig und zuvor- kommend, und hat sich als wahrer Freund und eigentlicher Bruder gegen mich bezeigt, indem er mir de but en blanc hier einen Kredit machte; weil ihm einfiel, es könne mir angenehm sein! er hat das letzte Geschäft mit einer Pünktlichkeit und Ausrechnung zu meinem Vortheil besorgt, als wäre ich eine Königin, deren Gunst er sich schaffen wollte. Außerdem beträgt er sich in diesem Krieg, und betrug sich hier in Prag, wie der größte Weltpatriot: man kann nicht edler. Auch hat er nun eine Freundin an mir, und einen Freund an dir. — Prag, den 5. December 1813. — Lies doch, wenn du das Buch findest — welches ich erst sechs Wochen in Verachtung bei mir liegen ließ — De- lille’s Gedicht sur l’imagination. Ganz Frankreich in seiner Gesellschaftlichkeit übersieht man wieder darin, und einen Ab- grund von Verwirrung, Grazie und Weisheit, die ihm über- kommen ist, und die in ihm gewachsen ist. Darum empfehle ich’s aber nicht, sondern seiner sehr schönen Anmerkungen wegen, die ein Anderer dazu im neuesten geschmackvollsten Französisch geschrieben hat; so geschmackvoll, avec tant de goût, daß sie beinahe fromm sind. Nur über die Königin Louis quatorze — der Fürst von Ligne sagte: Catherine le Grand; daß Ludwig XVI. weiblich benannt werden dürfe, siehe in den Mémoires de St. Simon — ist der Mann platt und grob wie sein Volk; sonst ist es der reinste , liebens- würdigste Emigrant. So muß man alle nennen, die mit Ge- walt Gedanken wegdrängen und verwerfen, weil sie ihre Lieb- lings-Festsetzungen durch ihre Resultate zu Grunde richten würden. In diesen Anmerkungen ist ein vortreffliches Stück über la Norvège aus einer Reise; und noch eins aus Winckel- mann: beides meisterhaft übersetzt. — Noch lese ich Troxlers Versuche in der organischen Physik. — Da ist S. 206 und 7 etwas Göttliches über den Willen. Doch dazu hast du keine Zeit. Auch Delille nur, wenn du ihn findest. — December 1813. Die zwei karakteristischten Grundzüge in mir sind die: daß alle Kartenspiele mich durchaus und von je her bis zur größten Stupidität ennuyiren; und daß ich trotz der beschädi- gendsten, zerstörendsten Liebe, nie im Einzeln eifersüchtig sein konnte. Genau wußte ich, was ich dem Geliebten galt; und was ich ihm, da ich mich und ihn kannte, gelten konnte. Was kümmerten mich also die Details: die Art der möglichen Un- treue u. s. w. Bei jedem Menschen wären solche Grundzüge, zum Ver- ständniß seiner, aufzufinden. Diese beiden bei mir z. B. zei- gen doch offenbar; erstlich, von welcher Beschaffenheit mein Geist ist: zweitens, daß ohnerachtet der größten Leidenschaft, dieser Geist, so wie er nun einmal ist, nicht getrübt, verwirrt werden konnte: denn seinem einmaligen Ausspruche lebte ich nach; und im größten Gemüthsaufruhr machte ich ihm doch keine neue Frage, wo er mir schon Einmal geantwortet hatte. Große Indizien zur Beurtheilung eines Menschen. An Frau von Humboldt, in Wien. Prag, den 7. December 1813. — Vorgestern früh ist Gentz abgereist; zwei Tage vor seiner Abreise nahm er Abschied bei mir, und sagte im Weg- gehn: „Verzeihen Sie mir alles, was ich Ihnen hier gethan habe!“ Ohne alle Veranlassung, wir sprachen von nichts Persönlichem. Mein Lächeln war beinah ein Lachen: ich sagte Ja; er wiederholte die Bitte mit denselben Worten, und küßte mir die Hand, und sagte noch: „Und bleiben Sie mir auch etwas gut?“ so in dem Ton von „bitte bitte!“ Ich sagte ganz unbefangen, und frei und äußerst wild — denn im Augenblick kann ich immer alles : und habe die größte, ja unwillkürliche Gewalt über mich: in dem Augenblick, dem ersten, wie gesagt — ja liebevoll und freundlich: „Daraus machen Sie sich ja gar nichts?“ — „O ja! O ja!“ Er küßte mir wieder die Hand, und ging. Hast du davon eine Idee? Zu wissen , daß man einen schlecht behandelt hat, und hof- fen, er wird es vergeben? Doch ich werde nie eine Vorstellung einer Seele haben, die ihre Lebenserscheinungen nicht in ihrem Herzen niederlegt; in der alles wie Dekorationen nur vor der Stirn hin und hergeschoben wird. Wie sie bestehen, und nur weiter leben, zusammenhalten, ist mir eben solch Räthsel. Kurz, worin das Herz dumm ist, darin ist man selbst dumm. Und glaube mir, Freundin, mein Herz ist anders; und so ver- stehe ich auch, immer von neuem, diese Sorte nicht; trotz des Wissens und Erkennens. Darin aber, daß ich ihm vergebe, hat er sich geirrt. Das schrieb ich ihm auch, — und ließ es ihm von seinem Kammerdiener im ersten Nachtlager abgeben, — lieben würde ich ihn, weil ich ihn geliebt hätte. So ist’s auch; und bleibt’s Es war ein sehr schöner Brief; den er auch nicht verstehen wird, wie ich ihn verstehe; aber ich habe ihn aus Bedürfniß geschrieben, und aus Rechtfertigung. Ich will damit gerechtfertigt wissen die Möglichkeit der Behand- lung, die ich auch nun für ihn im Herzen trage. Mir ist, zu applaudiren und Liebe zu gestehn, zu äußern, wenn ich sie fühle, wie dem im tiefsten Italien Gebornen Bedürfniß: und eine Äußerung, die immer da ist, ehe ich sie bedenke, zähme, ordne. Ändert aber ein Freund mit Gewalt mein Herz gegen ihn, so ist’s mir’s unerträglich, und Last, wie die größte Lüge, der größte Betrug, bis er dies weiß. Darum allein auch bedarf ich nie der Rache, kann ich mich nicht rächen, und habe mich nie gerochen. Mich dünkt immer, wenn ich jemanden nicht mehr liebe wie sonst, ihm nichts zutraue, ihm abdingen muß, so ist die ganze Rache in Erfüllung: und ich habe ihm alles genommen, alles angethan. Hier hast du mein tiefstes Herz: einen Theil davon, den ich noch nie aus- sprach. Ich schrieb Gentz mit großer Liebe, noch ganz ver- liebt; aber wie atterrirt wäre ich , schriebe mir Einer so, dar- auf vermuthete ich alles, was sich nur ereignen will. — — Dir wandelt Gentz, sagst du mir, nur wie ein Traum der Jugend. Wenn es wahr ist, daß ich alt bin, so habe ich meine Jugend mit herübergenommen: mir wandelt nichts wie ein Traum von daher. Wachenden Herzens ergriff ich dort; wo sollte der Traum herkommen? Ja, eine jede Härte mei- nes Vaters, jeder Mord eines Jugendmomentes, kränkt mich noch, und tiefer und verständiger, und verzweiflungsvoller als damals. Was ist unser Leben, wenn darum Daseinsmomente ihre Wichtigkeit und Wirklichkeit verlieren sollen, weil sie in der Vergangenheit liegen? Wie könnten wir dann nur Ge- genwart, Zukunft, Wünsche, Schätzenswerthes fassen? Auch in der Vergangenheit wird dir Gentz auch nur ein Traum gewesen sein: und dann ist es richtig, und gut. — Ich bin auf Gott, auf Ewigkeit gestellt; wie du es für mich wünschest. Kenne aber Gott nur in und durch seine Welt; Frevel, Lüge wäre es von mir, anders zu sagen; und die Ewigkeit liegt bei mir nicht nur in der Zukunft; jetzt ist auch ein Moment Gottes. Aber gottergeben bin ich: grade da, wo ich nichts mehr fasse und begreife. Dies, und Verwirrung, und Versa- gung fühlen, ist der ganze Schmerz im Leben; diesen, als Schmerz, und doch willig annehmen, ist alles was ich kann. Die Natur des Daseins aber, die mir Gott gab, kann nur er, nicht ich, ändern. Klarer und klarer werden mir auch meine Gegenstände des Denkens. Kannst du ruhiger scheinen, so bedenke, daß dir mehr in der Welt gelungen ist; und mir außer dem Athmen, und Denken, und Besserwerden, das na- türlichste Dasein stets versagt ist. Das halte der Teufel mit Grazie aus! Verzeihe mir! auch diesen Brief, diese Re- pliken, und dieses gros mot! — — Habe die Güte Fräulein Saaling beifolgende Quittung zukommen zu lassen. Ich hatte noch Socken und Schuhe, und ich fragte österreichische Offizierfrauen — meine Nachba- rinnen —, wo ich dies und anderes am besten hinzuschicken habe; sie antworteten mir, sie und ich wir wollten es selbst übernehmen, und einzelnen Bedürftigen vertheilen, das sei am besten und sichersten. So thaten wir. Vor fünf Tagen hat mich die Frau Oberstburggräfin zu sich zitiren lassen: gewiß wegen der Hemden. Ich darf aber nicht ausgehen. Nun schrieb ich der Baronin Heer ein ostensibles Billet, damit die Soldaten nicht auf meine Krankheit zu warten hätten. Die Baronin ließ mir sagen, sie würde kommen, war aber noch nicht da. Referire dies gütigst den Arnstein’schen Damen. Und wie unfähig ich zu schreiben war. Bei Gott es war wahr! Für Goethe küss’ ich dir die Hand. Diesen Gott las- sen sie nicht ungeschoren! Ich will’s verschweigen, wie Gentz sich darüber als Maulwurf, blinder, wühlender, anderthalb- sinniger äußerte. Lebe wohl, Theure! dich zu sehen, ist meine ganze Hoffnung jetzt. — An Ernestine Robert. Prag, Montag Mittag 1 Uhr den 20. December 1813. Es wäre liebenswürdig, gerecht, und äußerst erfreulich für mich, liebes Ernestinchen, wenn Sie mir schrieben; und nicht warteten bis ich Wicht Ihnen schreibe! hören Sie, wem ich alles schreiben muß. Nach Hause, damit Ihr alle von mir wisset, und um mein Herz auszuschütten. Varnhagen große Briefe, seiner Ruhe wegen; Ludwig Robert, Bartholdy, Men- delssohn, mit dem ich Dinge abzumachen habe; Frau von Humboldt, Mariane Saaling, Frau von Percira, auch ge- schäftlich und der Verbindung wegen; der Kousine in Breslau: eine Menge Briefe in der Stadt, und andere für kranke Freunde. Von den andern Dingen, meiner Krankheit ꝛc. will ich gar nicht sprechen: noch davon, daß mir in allen Zeiten das Mechanische des Schreibens Angst und Blut kostet! wie z. B. sitz’ ich jetzt in der mir zu heißen Krankenstube Augustens, die mit Fieber in ihrem Bette liegt, und welches mich sehr an- strengt. Dabei, liebes Ernestinchen, sind die Briefe, die ich nach Berlin schreibe, ja auch alle für Sie! wenn ich etwas Apartes Ihnen zu melden habe, oder mitzutheilen, zu vertrauen, werde ich es gewiß thun. Als Sie mir nicht schrieben, dachte ich Sie seien böse auf mich, das können Sie doch von mir nicht denken! ist es aber hübsch, daß Sie mir von Ihrer Reise, Ihrer Ankunft, von Moritz Abwesenheit, über die ich mich doch ängstigen mußte , nicht schrieben; über Ferdinand muß ich von allen Seiten hören nur von Ihnen nicht?! das muß man der Schwägerin lassen, sie ist entzückt von ihm! Überhaupt, fühlte sie von Anfang an für den Jungen so, wie sie nie mehr für eins von ihren Kindern fühlte. Solch neidloser Kinderan- theil ist mir bei keiner Mutter noch für fremde Kinder vorge- kommen: Wohlthaten an fremde Kinder sind nicht so selten, als Vorliebe und Bewunderung für sie. Sie haben mir auch nicht einmal von Ihren Landsleuten geschrieben, die Sie sehen, die sich bei uns befinden — oder nur äußerst wenig und keine Details, — mir, von der Sie wissen, wie die Polen bei mir stehen; wie ich die Einzelnen goutire, und die Nation in Geist und Herz beschütze, ihr Recht gebe. Schreiben Sie mir dies alles! von Ihrem Quartier wußte ich seit Moritz in Breslau war; aber Sie sollten überrascht werden: und ich half negativ daran. Sehen Sie, ich habe nicht das Glück, daß wir nah wohnen; ich mußte mich todt laufen und todt ärgern. Nun bin ich weg, und die Einzige, die ihre Foyers hat verlassen müssen . Konnte ich ein Quartier und Quartierte behalten? Wo werde ich wohl hinkommen? wenn ich nach Hause komme! doch davon nichts. Ich bin dankbar, daß ich flüchten konnte , daß ich hier ein Dach habe, daß ich gesund bin: d. h. kein Nervenfieber; daß ich wieder helfen, und Trost sein konnte, und bei Gott im Himmel! daß Sie in diese weite, breite, schöne Straße hineingucken können, und allem Angenehmen der Stadt endlich nah sind! Schreiben Sie mir, ich bitte, genau wie Sie die Zimmer bewohnen, denn ich kenne das Quartier sehr genau, und wie Sie leben, mit wem Sie Mit- tags spaziren gehen. Alles! ob Sie Verdruß haben: was Mama, die Schwestern machen, was Ihnen Moritz mitge- bracht; und wie Sie mit den Haaren gehen, alles. Ob Sie mich wirklich vermissen! Ehrlich aber, und was Moritz zu Napoleon bei Leipzig und hinter dem Rhein gesagt hat. Ich bin noch nicht sicher. Trieb man ihn , kann er uns treiben! die letzten aufrührischen Reden des Senats sind mit vieler Kunst aus Lüge und Wahrheit gemacht, und wunderschön übersetzt in hiesiger Zeitung. Meine Zettel an Markus, meine Briefe, meine Gedichte, sind alle auch an Sie. Ludwig Ro- berts Briefe werden Sie sehr amüsiren, mich auch. Ich schreibe ihm sehr schöne Antworten. An Ihrem Brief werde ich sehen ob Sie mir gut sind! bin ich Ihnen gut? Noch weit mehr! denn das ist von Natur: und Sie wissen’s lange. Aber ich rechne auf Sie wie auf eine Freundin: das ist übertrieben viel, sehr viel!! das thue ich beinahe nicht mehr. Ich bin immer auf Ihrer Seite, bei allen Fällen des Lebens. Leben Sie wohl, und machen Sie sich Vergnügen, und grüßen Sie alle Polen! Küssen Sie Ferdinand und Moritz. Ihre R. R. Den 7. Januar 1814. — Hier hab’ ich herausgegrübelt: Schicksal und Glück sind mir nicht gut; Gott und Natur lieben mich aber. — — Wenn mir Gott Menschen schickt, bei mir ist kein Athemzug, kein Pulsschlag, kein Blick verloren. Drum bin ich so außer mir, wenn mir die Nächsten fehlen. Eltern, Ge- schwister, Geliebte! Weil ich an Gottes reinem Altar jedes niederlegen würde; im frischen reinen Herzen hintragen! — An A. Mendelssohn-Bartholdy, in Berlin. Prag, den 10. Januar 1814. Sollten Sie es wohl denken, lieber M., daß ich nicht schreiben kann, weil ich ein schlimmes Bein habe? Das Sitzen, welches zum Schreiben nöthig ist, kann ich ohne Schmerz nicht exekutiren. Rheumatism hab’ ich im rechten Bein. Das ist meine letzte Widrigkeit — Kalamität drückt mir ganz was anders aus. Von Augustens Krankheit wird Ihnen mein Bru- der mitgetheilt haben. Wir haben hier wirklich Widrigkeit im Hause. — Cher ami, je sens que ma lettre va se ressen- tir de l’état de ma jambe; ich muß immer so abgebrochene, ungeborene Phrasen schreiben, wenn ich inkommodirt bin; rech- nen Sie das ja ab! Es gefällt mir rasend von Ihnen, daß Sie meinen Koffer nicht aufmachen wollten; obgleich ich Sie darum gebeten hatte. Eine innere Diskretion, die sich nicht auf äußere Bedingungen bezieht, als: Versprechen, Erlaubniß, und dergleichen, ist eine Zartheit, die ich sehr liebe. Wissen Sie, wie ich Zärtlichkeit definirte? Witz der Liebe. So ist Zartheit Gefühl mit Geist. Nicht anders! Punktum. Mir machen 1814 auch noch Sörgchens. Machen Sie mir aber keine Furcht, Lieber! Ich denke immer so, haben wir ihn ge- trieben, warum soll er uns nicht treiben. Und dann können noch andere Mißhelligkeiten kommen, die er wieder benutzt: doch bin ich noch ziemlich ruhig. Auch von dem jungen Can- tian habe ich einen sehr hübschen zweckmäßigen kurzen Brief heute mit Ihrem zugleich vom 2. Januar bekommen. Ich freue mich recht sehr seines Avancements, weil er’s verdient: er ist die Ordnung, Bescheidenheit, in Ausgaben und allem, selbst; ein wohlerhaltener Junge. Wie wird sich der Vater gefreut haben. Sein Sie so gütig, sie zu grüßen: ich weiß nicht, wo ich hin schreiben soll, wenn ich ihm auch antworten will. H.’s Bruder kannte ich nicht: habe aber von gemein- schaftlichen Freunden sehr viel Gutes und Rühmliches von ihm gehört; sauf le respect pour le ciel hätte wohl ein Anderer für ihn sterben können. Doch was verstehen die Menschen? die noch die einzigen sind, die sich auf der Erde etwas ein- bilden! Jetzt einen jungen Sohn oder Bruder an einem Ner- venfieber zu verlieren, ist noch ärgerlich dabei; und H. be- daure ich sehr, da sie ihn so liebte! Ihnen gratulire zu den guten Rötheln der Kinder, wie Mad. M., die sich doch ge- nug geängstigt haben wird! Also waren wir zu gleicher Zeit vor Krankenbetten. Nun sind Sie das wieder los. Was wird nun kommen? Schöner Trost! Es ist mir so entfahren. Von Bartholdy hatte vor einiger Zeit einen sehr gescheidten, reifen, geistreichen Brief, den Tag vor seiner Abreise von Frank- furt geschrieben; aber er muß kein Vergnügen haben, denn der Brief ist nicht vergnügt. Er schreibt auch in so trocknen abgebrochenen Sätzen, und hat kein wehes Bein wie ich. Hö- ren Sie Musik? Ich habe, seit Sie weg sind, nur das große Loos von Isouard gehört; wofür ich bin; gute, unterhaltende dramatische Musik: so ist das Stück auch an sich gut. Nicht solcher neumodischer, Mozart überbietender und daher nur überschreiender Lärm. Eine Mlle. Brandt aus Frankfurt ge- fällt hier sehr; ich sah sie in Aschenprödel. Singt, nicht schlecht unterrichtet, wie alle Süddeutschen: aber das R durch den Hals anstatt mit der Zunge. Spielt nicht schlecht; in Einem Moment außerordentlich, wo sie die Rose bekommt; tiefsinnig möchte man sagen; wenn dem nicht andere zu sehr widersprächen, aus aller modischen nicht bedachten Tradition, Momente widriger Naivetät und eben solcher Schwesterliebe u. s. w. So aber muß ich denken, es sei von dem angeflo- genen Kunstsommer, der wie der andere in der Luft umher fliegt, fliegt, und sich auf schuldige und unschuldige Kunstreibende setzt; denn jeder Akteur spielt manchmal außerordentlich. Den Fandango tanzte sie außerordentlich gut und graziös für eine Sängerin und Aktrice, sie ist beides. Sie gurli’te auch diese Woche. Aber das thu ihr der T ‒ ‒! Medea gab Mad. Schröder aus Hamburg hier. Die Stelle mit den Unterirdi- schen groß ! Das Ganze gut ; mit zu wenig Einfällen für ihre große Gaben, und ihre Übung. Eine Götterstimme: in der Tiefe gehalten, wie die Französinnen. Sie spielte doch im Ganzen so, daß ich erstaunt war sie außer dem Theater zu sehen, so viel kleiner war sie da. Weiter habe ich nichts gehört, nichts gesehen. Außer meine Leute im Hause. Nichts . Marwitz ist beim Generalstab der Blücherschen Armee, und geht als erster Generalstabsoffizier zur ersten Brigade des Yorck’schen Korps; so schreibt er mir vom 19. December in einem unleserlichen Brief angefangen in Wiesbaden — nein, nein! er endigt auch da. Theilen Sie das gütigst den Mei- nigen mit! Wie alles Allgemeine. Nun hören Sie aber das , lieber Englischer! Sie müssen mir eine Assignation an Des- sauer schicken, weil ich wohl weiß, was ich für die vier Jäger von Ihnen bekomme, was Hr. L. Ihnen für seinen Stiefsohn gezahlt hat, aber nicht was ich in Florin für C. bekomme, weil ich von dessen Rechnung keine Abschrift genommen habe. Ein schlechter Geschäftsmann? Ja! Ich finde es auch. Sie haben die Rechnungen gewiß. Mad. H. hat Ihnen den Brief geschickt, worin sie exakt mit unsern Händen lagen, mit C.’s und meiner. Apropos! So eben habe ich in einem Kalender für Damen wieder etwas von Jean Paul gelesen. Hübsch II. 11 und häßlich, wie alle seine jetzigen Ausleerungen. Etwas über die Schönheit des Sterbens in der Jugend. Und einen Traum von einem Schlachtfelde; der ist etwas nicht gestogen nicht geflogen; und es wittert nicht sein sonstiger , sondern der neum odische Heiligenschein drin. Schöne Stellen hat auch der; mehr noch schöngebrauchte Worte. Lassen Sie dies H. lesen, es wird sie freuen. Ich dachte gleich an sie, und an alle Mütter und Schwestern. Leben Sie wohl! Schreiben Sie mir; und Neues, und was Sie denken, es macht mir Ver- gnügen. Schicken Sie mir die Assignation, ich brauche Gul- den; ich habe mein ander Geld verwahrt. Schönes an Mama: und tausend Freundliches an Lea. Ihre Rahel. Urquijo wird Sie besuchen und grüßen. An Ernestine Robert, in Berlin. Prag, Freitag den 15. Januar 1814. Abends 9 Uhr. Diesen Abend, als man schon Licht hatte, gab mir Dore Ihren Brief. Sehen Sie, Ernestinchen, daß Sie auch krank waren? Ich dachte es gleich, an Nette ihren wenigen Wor- ten: „Ernestine ist unpaß: Robert nicht in Berlin, ich so viel bei ihr, als möglich;“ aber ich traute es mir nicht zu sagen, weil sie sonst sagen, ich bin so apprehensiv. Nehmen Sie sich nur ja in Acht, schonen Sie sich noch lange, und stellen Sie sich gegen sich selbst noch schwach, wenn Sie’s auch nicht sind. Ich schreibe heute nur, weil ich in dem Briefe, den Urquijo mitnahm, so klagte, und nun in zwei Posten nicht geschrieben habe; und weil Sie mir geschrieben haben. Erwarten Sie sich aber kein gescheidtes Wort, und auch nur wenige. Liebe Freundin, ich habe Schmerzen , bei denen ich schreien und weinen muß. Ich kann nicht gut liegen, auch nich sitzen, das noch am wenigsten, und gehe mit Beschwerden, ein solch rheumatisches Bein habe ich von der Hüfte an. Ich muß es mit Seifenspiritus einreiben, und baden, mitten im strengsten Winter, zwei Treppen hoch, wo ich keinen Kessel habe, in ei- nem fremden Hause! kurz, Gott will es; so wie ich keine Schmerzen habe, bin ich vergnügt. Aber meine Nerven leiden zu sehr davon. Ich sehe und höre natürlich nichts . Und keinen Menschen. Auguste ist noch sehr schwach, freute sich wie ich über Ihren Brief, findet ihn deliziös und unterhaltend; sagt: wenn ich sie nur alle erst einmal gesehen hätte! und will mit Gewalt morgen Don Juan, den der Kapellmeister Karl Maria Weber zu seinem Benefiz hat, hören. Mlle. Brandt spielt Zerline, und Mad. Schröder ihr Mann aus Hamburg — von denen beiden ich Mendelss. schrieb — den Don Juan. Ich Unsel’ge kann nicht hin. — Ihr Logis freut mich ungemein, so möge meiner lieben Ernestine alles gelin- gen! als ich Ihren Brief sah und las, wußt’ ich erst wieder, wie lieb ich Sie habe. Wahrlich wie eine Schwester, für die man gewöhnt ist von Kindheit an zu sorgen: und die man von Natur gut leiden kann. Wie kommen die beiden Mäd- chen zu S —? das wundert mich mehr, als daß sie sich der präzipitirten Einladung fügten! Die Erde ist so dunkel, nur die Hälfte der Zeit erlustigt und beschienen, der Mensch so vergnügungslustig eingerichtet, daß ich es ihnen nicht verdenke, 11 * nur müssen sie’s mit der gehörigen Verachtung gegen die ver- achtenden Wirthe gethan haben. Und ihnen es bei einer an- dern Gelegenheit durch einen unerwarteten refus zeigen, daß sie diesmal aus Laune gekommen sind, sonst kommt man in die Klasse der Leute, die man behandeln kann, wie man will. Doch zu einem launenhaften Betragen gehört viel Karakter, Festigkeit, und Erwägung der Welt, die man bis zum Ekel kennen muß. Solche Dinge kann man weder erwarten noch fordern, und ich spreche auch nur zu Ihrem und meinem Amü- sement davon. Man kann sich betragen wie man will, summa summarum handelt man nach seinem Karakter, das ist: nach dem Resultat der Summa, und Zusammensetzung seiner ein- maligen Eigenschaften; und verdient irgend etwas, oder Einer wohl vor andern, daß die so abgewogen und abgezirkelt sind, daß bei jeder Äußerung derselben ein Musterbild für ächt Menschliches herauskommt? Die Menschenmasse bewegt sich wie die Ingredienzen der Atmospähre nach ewigen Gesetzen, d. h. wie sie können; im Ganzen ist es Wetter: und aus rei- nem Eigennutz nennt man eines schlecht, das andere gut. Sie Sie sind alle unendlich! Amüsire ich Sie? Vous me faites jaser, vous m’inspirez par votre prédilection, qui seule est in- dulgente! Nur durch Nachsicht kann einer den andern ver- stehen, erst muß man es wollen; sonst kann man alles, jede Behauptung, jedes Phantasiren nach einem Punkte hinschieben, von dem aus es Unsinn wird. Ferdinand macht mir gar viel Vergnügen! Also er geht ! und schmeichelt; er wird reüssi- ren, denn er gefällt schon. Das ist die Hauptsache und das himmlische Pathengeschenk der Natur. Singen Sie? spielen Sie fleißig? heute bekommt Ihr meine Briefe durch Urquijo. Daß Sie mir Line verwahren, freut mich übernatürlich! und daß sie reinlich ist. Als ich diesen Brief anfing, und mich dazu setzte, hatte ich Schmerz und schrie, jetzt ist’s ein wenig still. Weber phantasirt durch eine vermauerte Thüre himm- lisch neben mir an. Brentano hat mich ungefähr vor sechs Wochen durch jemand, dem er hier schrieb, grüßen lassen, sonst weiß ich nichts von ihm. Ich habe ihm den Handel aufge- sagt: und muß — da ich ihm von Natur gut war, leider! — sehen, daß wenigstens ich nicht mit ihm leben kann. Eine gewisse sittliche Sicherheit brauche ich, so vagabund mein Geist sich auch zu betragen, das heißt zu sehen vermag; und gesel- lige Artigkeit, die mit einemmale bei ihm ganz ausgehen kann, Beurtheilen Sie, ob ich sonst Prätensionen habe, die man nicht dulden kann! ich habe die Serie seiner Briefe, und will sie Ihnen einmal zeigen, ob sie so auf einander folgen konnten?!! Er konstituirt mich z. B. als seine erste Freundin ; und in einem Briefe drauf, spricht er mir jede menschliche Eigen- schaft ab, und radotirt — so — daß ich vielleicht nur fünf- mal in meinem Leben so gelacht habe, als über diesen Brief. Nichts desto weniger war ich sehr empört. Jetzt ist er mir ganz gleichgültig: der ganze Krieg , alle Blessirte ka- men mir dazwischen: und ganz andere perfide Freunde. Dieser Sommer war mein letzter; nun läuft alles, meines Herzens Maß vorbei. Es ist voll: und ich bin heiterer, als da es sich füllte: nur die Börse — ge — ist zu leer! denn ich bin dahinter, auf einem Schiff muß man Equipage ha- ben, und ein Brechmittel von einem guten Koch einneh- men. Grüßen Sie alles! Moritz muß mir mehr schreiben! jede Zeile amüsirt mich, dann schreibe ich wieder und auch amüsant. Ihre R. R. Frau von Sparre tausend Schönes! An Frau von Grotthuß, in Dresden. Prag, den 2. Februar 1814. Arme liebe theure Freundin! Und in welchem Zustand traf dein Brief mich ! Auch heute werde ich dir nur in den kürzest abgebrochnen Perioden das Nothwendigste schreiben. Wisse also kurz! Ich bin nach tausend Noth, Angst, Krän- kungen , Mühe und Sorgen , endlich den 9. Mai 1813. aus Berlin dem Landsturm entflohn; ohne Schutz. Kam den vierten Tag nach Breslau, wo ich vier Tage blieb, und von dort nach Reinerz getrieben wurde, von dort wieder weg mußte, und direkt hierher fuhr; die Gräfin Pachta war zwanzig Meilen von hier auf einem Gute, und antwortete mir also nach Reinerz, nur als ich schon weg war: als ich die letzte Post von hier war, mit ganz Preußen, erfuhr ich, daß man hier kein Unterkommen fände, und sah es auch schon unter- wegs. Ich schickte dem Grafen Bentheim einen Boten hier- her, und sprach ihn um seinen Schutz an, — meine Seele hatte sich schon längst an diese Flucht denkend nur auf ihn verlassen —, er verlieh ihn mir ganz, und ich stieg bei einer Freundin von ihm ab. Diese beiden waren für mich wie Geschwister. Alle alte Freunde nichts . Auch hier erlebte ich noch große Angst, große Noth. Und die größten Evene- ments für mich. Tausend und tausend Menschen konnte ich helfen, beistehen, schützen, unterstützen, trösten. Unser ganzes Land sah ich hier. Es schwoll mein Herz. Persönlich ver- lor ich alte, sechszehnjährige Freunde, die ich in eilf Jahren nicht gesehen hatte, die Pachta drunter, die nicht kam, und noch nicht hier ist. So kam die Kulmer Schlacht; unsere von Platzregen begossenen Straßen waren mit unbehausten Verwundeten bedeckt. Meine Landsleute! Ich stürzte auf meine Knie und schrie zu Gott. Er gab mir einen Brief nach Wien ein, und Geld, unzählige Kleidungsstücke und Wäsche erhielt ich. Frauen standen mir hier bei: und ich ließ kochen; und half. So lange bis ich unpaß wurde, dies aber der Verwundeten, Darbenden wegen nicht achten konnte; ich wurde kränker, mußte mich im Oktober legen: arbeitete doch: stand wieder auf, ward immer kränker: die Agitation dazu ; alle Preußen kamen zu mir, jeder schnitt mir in’s Herz . So ging’s, mit tausend Ereignissen, die nur zum Erzählen sind, vermischt. So kam December; da wurde meine freundliche Wirthin heftig und gefährlich krank: ich wartete sie, selbst krank: sechs Wochen quälte ich mich mit Wirthschaft und allem , wie du bei Grotthuß. Ich wurde immer kränker: den letzten Montag vor sechs Wochen stürzt ich zu Bette, wo ich noch liege. — Auch nur mündlich! Wie von meinen Gebeten, Gelübden, wie sie Gott annahm und erhörte. Dir darf ich mit Gottes Erlaubniß so etwas er- zählen. Dies ist meine ganze Liebe zu dir. — Offenbart sich uns des Allmächtigen Willen so hart ? Amen! Er weiß es: ich bin ganz ergeben: und denke mir wahrlich Gutes aus während unverständlichen Leiden und Schmerzen; damit auch schon jetzt für mein Bewußtsein welches daraus entstehe. Anders weiß ich Gott nicht zu dienen; mich nicht aus der Verzweiflung zu ziehen: von den schweren, schlechtern, wirk- lich nur Nebenmomenten, wag’ ich dich nicht zu unterhalten: die sind keine Resultate, keine Stufen meiner Ausbildung, sondern die harten Knorren darauf. Hier hast du deine Freun- din ganz in Skitze. — Den 4. Oktober kam Gr. Bentheim von Kulm zurück, und errichtete hier als General die deutsche Legion; bis vor kurzem. Der war mein Trost. Er behan- delte mich, wie einen Brüder behandeln sollten. Bis den Oktober war Ludwig Robert hier, den ich von Reinerz aus mitgenommen hatte, und der jetzt mit dem Grafen Goloffkin ganz brillant in Stuttgart lebt. Varnhagen ist russischer Hauptmann, beim General Tettenborn; lebt nur in mir: und sagt’s der ganzen Welt. Wie er’s mir zeigt und sagt, sollst du aus seinen Briefen sehen, von mir hören; und wie er sich geändert hat, und vervollkommnet, selbst beurtheilen. Läßt mir Gott dies Glück, einen solchen Freund zu behalten; so darf ich nicht mehr klagen, wenn auch nur ein Viertel noch von mir lebt. — Schreib mir, was du beginnst. Und was Goethe vornimmt. Denn diesen Schutz der Erde auch nur noch Einmal mit meinen Augen zu erreichen, heilt mich, ich weiß es. Und etwas Trost muß ich jetzt haben, sonst sterbe ich wahr und wahrhaftig. Zu viel kam, zu viel hinter einander. Seit zwanzig Jahren crescendo, und ‒ ‒ dissime. Gestern schrieb mir Frau von Humboldt, sie bliebe nur bis zum Mai in Wien, und machte dann eine Reise, oder ginge nach einem Bade. Ich frage sie, woh in. Vielleicht ließe sich dies alles mit deinem Aufenthalt kombiniren. — Du fragtest mich, Liebe, nach einer Stiftung bei uns, von der auch ich nichts weiß; zu gleicher Zeit sagtest du mir auch, du wollest dir etwas ab- sparen, und es den Landsleuten reichen lassen. Kannst du etwas geben, so gieb es Einer, die ich dir vorschlagen werde, und wenn du es nach meinen Worten eben so rechtmäßig findest, als ich. Es ist die *. Ihr Unglück geht in’s Große; nur ihr Karakter, und meine Verehrung für sie, mag es über- steigen. — Sie leidet reell durch den rasenden Krieg, wie ein Verwundeter, wie ein Geplünderter. — Ich füge dir nichts mehr hinzu, als daß ihr ganzes Schicksal ein historisches, nicht ab zuwendendes, alttestamentarisches, ja der Fluch ist, dem die Kinder seiner Anhänger vergeblich auf allen Erd- punkten entfliehen! — An M. Th. Robert, in Berlin. Prag, Freitag den 4. Februar 1814. So eben erhalte ich euren Brief vom 23. Januar in Ant- wort auf meinen mit Urquijo. Ich bin noch krank mit spa- nischen Fliegen in meinem Bett: wie , mag ich und kann ich nicht schildern; ohne den Gebrauch meines Beins. Und jetzt sehr alterirt von eurem Brief. Gott ! gebe, daß T. bezahlt, und ich das bezahlen kann, was ich seit Mama’s Tod brauchte. So dacht’ ich mir’s nicht. Sie sich auch nicht. Ich will jede aufgesetzte Quittung für das, was ich erhielr, ausstellen, und zahlen, so wie ich nur kann. Gott ist mein Zeuge, daß nicht jetzt , sondern immer dies mein heimlichstes Gebet ist. Ich erliege dieser Art zu nehmen. Daß macht für diesen Januar die Summe von … die ich bekomme. Wenn mir niemand in der Fremde etwas voraus schicken will. Quittungen will ich geben. Auch gab ich sie jeden Monat bis zu meiner Flucht hierher. Schütze Gott euch vor dem, was ich erfahre! Und preßt mir hohes Leid und herbe , harte Krankheit jetzt den Brief aus, der sonst mein Herz heimlich beizt, so verzeiht es meinem großen Elend. Mir pufft das Herz nur so! Keiner von euch hat mich zum Fall der Noth nur irgend hier em- pfohlen. Hans schreibt mir ganz kalt, ich solle künftig nur Moritz selbst schreiben, er gäbe konfuse Antworten. Das glaub’ ich wohl. Für einen Dritten kann man wohl besser sprechen; aber niemand will thätig sein. Ich spräche gewiß für jeden von euch. Ich weiß auch, daß ihr meint, ihr meint es gut; und tadelt mich, wenn ich es nicht so finde. Auch ist es viel, für geben , was Moritz giebt: doch wurde untern andern Um- ständen so abgeschlossen: und ich in der größten Prosperität hätte mich ewig für verpflichtet gehalten. — Die Torgauer Erklärung habe ich schon zweimal mit dei- nem Namen in dem Wiener Beobachter gelesen. Auch mir wird’s noch gut gehen; oder Gott läßt mich wirklich abho- len. Ich war sehr krank, und bin es noch. Glaube nicht, daß Geld verlegen heit aus mir spricht. Nein ! Abrah. Men- delssohn hat mir ungefordert einen Kredit gemacht. Aber Wohlwollen und zarte Sorgfalt von den angebornen Freun- den thut wohl; und Fahrlässigkeit weh. Lebt wohl. Mein Kopf erträgt in der unbequemen Lage das Schreiben nicht: ich kann mich nicht rühren. Frau von Sp. werde ich antworten, wenn ich wieder gesund bin. Ich habe nichts aus ihrem ersten Brief schief genommen: sie irrt sich. Meine Antwort war auch sanft, sie soll sie nur so le- sen . Warum antwortet mir Ernestine nicht, der ich noch nach Urquijo geschrieben habe, oder mit ihm, eins von beiden? — Adieu! Mein Arzt! R. R. Eben hat mir mein Arzt eine neue Einreibung angekün- digt, nach der ein Ausschlag kommen wird. Noch besser! Ängstigt euch nur nicht, das Härteste hab’ ich wohl ausgehal- ten. Ich bin schon wieder gefaßter. Habe aber Mörderzeiten. Adieu. — Prag, den 14. Februar 1814. Obgleich tausend Dinge mich umgeben, die alle mit Un- geduld mich abrufen vom Schreiben, obgleich tausend andere sich vordrängen, und gleich zuerst geschrieben sein wollen, ob- gleich ich seit Freitag von unserer gewonnenen Schlacht in Frankreich weiß, so daß ich ganz mich und alles Leid ver- gaß: so laß uns doch zuerst von unserm verehrten Lehrer und Freund sprechen, dem ich Ehre und Leben in die Hand gege- ben haben würde, ohne noch hinzusehen; dem ich das tausend- mal in die Augen hineindachte, und nie sagte, welches ich jetzt grimmig bereue, weil einem Menschen von andern edeln, den- kenden, nichts Höheres werden kann, und wozu ich Elende nie den Muth hatte! Laß uns von Fichte sprechen! — Deutschland hat sein eines Auge zugethan; wie ein Einäugi- ger zittere ich nun erst für das andere! Ich nenne keinen; wie die Griechen die Furien umgehen, und wahre Herzens- angst es immer thut! Nun kann ja Unverstand, Lüge, Irr- thum auf dem ganzen Grund und Boden der Erde umher- wuchern, und wie üppiges, ungesteuertes Unkraut ihr alle Kräfte nehmen und sich aneignen; keiner rottet es mehr aus; pflanzt, befördert, macht ihm Platz, säet ihn aus, den reinen nährenden Waizen, der Geschlecht zu Geschlecht verbessernd zu geleiten vermag! Fichte kann umfallen und faulen! Das ist nicht Zauber? Krank wie ich war, fand ich es vorgestern unvermuthet in der hiesigen Zeitung „aus Berliner Blättern.“ Ich weiß nicht, ich war beschämter, als erschrocken; so gede- müthigt! fast beschämt, daß ich leben geblieben, und dann wieder eine wahre Furcht vor dem Tode empfindend. Wenn Fichte sterben muß, dann ist niemand sicher; mich dünkte immer, Leben schützt vor dem Tode: wer lebte mehr als der? Todt ist er aber nicht , gewiß nicht! — Fichte konnte also nicht erleben, daß sich die Länder vom Krieg erholten, Zäune wieder aufgebaut würden, dem Bauer geholfen, den Gesetzen nachgeholfen, daß die Schulen sich wieder herstellten und füll- ten, daß gewitzigte Staatsleute ihnen von den Fürsten Schutz verschafften! daß Gesetze erfunden und ausgetheilt würden, daß die Denker frei, ohne den Augenblick zu schaden, sie Volk und Regenten zur Geistesprüfung vorlegen dürften; dies selbst ein Glück, zu aller Zukunft Glück! Der Mann, der dies, und also Deutsches, was allein so genannt werden dürste, nur einzig und allein beabsichtigte, mißverstanden von den meisten Mitlebenden! Also auch er soll nicht aufgehn sehn, was er aus den dunkeln Schluchten, im Schweiße seines Angesichts, in dem ganzen Aufwand seiner Seelenkraft hervortrieb? — Lessing! Lessing liegt auch; von wenigen nur nicht vergessen; und mußte kämpfen um das, was jetzt platt in jeder Zeitung stehen darf, um das, was solcher Gemeinplatz geworden ist, daß sie den Erfinder vergessen, und es in stupider Albernheit nur ihm nach sprechen dürfen! Und was würde er jetzt wie- der den Andern vors prechen! Wie würde er sie über ihren Dünkel abkappen; sie polemisch, lebendig überführen, ihnen zur rechten Minute Völker und Geschichte vorrücken, in die blinde Aufgeblasenheit Löcher reißen, und ihnen die Aussicht für That und Sache öffnen und frei machen, mit Ernst und Spott. Dieser Mann mußte sich mit einem Goeze abringen, und Schutt wegräumen, der damals fest und gerade stand wie unsere Gebäude. So auch Racine und Voltaire und all die Andern, die sie jetzt verachten wollen, weil sie die Zeit nicht fassen, in der jene leben mußten. Racine mußte große Kränkungen erleben, große Korrespondenzen führen, weil sein Sohn Manschetten angehabt hatte, und in einer gewissen Schule darum nicht mehr geduldet werden sollte, und mußte diesen jungen Menschen deßhalb schelten, und sich anklagen und entschuldigen! Eine vornehme Dame wurde krank, und von ihrer Tochter verfolgt, weil diese rechtgläubig, und die Mutter es nicht war! Mit Gewalt schickte man einem Dich- ter, welcher krank wurde, die Sakramente! Und diese Leute sollten dav on sprechen und schreiben, was jetzt vorgeht? Die Religion der Jetzigen ist prahlerischer, als der Abscheu jener vor den nur herrschenden Ceremonien derselben. Lessing, Fichte! und ihr Ehrlichen alle , möget ihr unsere Fortschritte sehen , und uns mit euren starken Geistern segnen! So denke ich mir Heilige, begabt von Gott, geliebt von ihm, ihm treu. Selig sei unser ehrlicher Lehrer! — An M. Th. Robert, in Berlin. Prag, Sonntag früh 9 Uhr, den 20. Februar 1814. Ich nehme den Zeitpunkt des Morgens wahr, um dir heute gleich mit der schlesischen Post anzuzeigen, daß ich ge- stern — als die sächsische Post längst weg war — deinen Brief mit dem Kreditbrief erhalten habe; davon nachher. — Natürlich habe ich Gicht: und das von der besten Sorte. Einst erzähle ich wie es war; für jetzt nur dies als Zeichen. Der alte Arzt, als er da war, sagte in meiner Gegenwart zu Augusten ganz in Mitleid aufgelöst: „Ich kenne den Schmerz; ich spielte mal mit Kinsky — dem vor einem Jahre gestürzten Fürsten — und noch fünf Militairs (und nannte sie alle), bückte mich, und bekam den Schmerz — im Kreuz aber, also nur Kourbatüre, — konnte nicht wieder auf: und — man macht solche Gesichter, glauben Sie’s, daß dav on bloß in der Angst alle die sechs Männer wegliefen, weil sie bestimmt glaub- ten, ich verscheide.“ — Die Beiden, die mich hielten , wein- ten aus Nervenzustand in den Winklen, wenn ein Acceß bei mir vorüber war. Drei Lager mit Betten waren in meiner Stube gemacht; und ich kam doch häufig auf die Erde. ꝛc. ꝛc.!!! und du glaubst , es ist Gicht? Alle Ärzte, die mich besuchen, stellen dieselben Fragen an: nämlich, nach den Bewegungen, die ich machen kann: weil es zu häu- fig ist, daß man gelähmt bleibt: dennoch ist es nur Rheuma- tism: weil Gicht nicht einmal immer schmerzt, aber im gan- zen Körper ist, und lähmt. Wie bei Tieck. Die Einreibung hat allerdings den Ausschlag — eine Art Pocken, denkt euch — bewirkt, aber als Soulagement nur, nicht als Radikalkur. Alle Tage stehe ich zu Tische auf, und gehe bis an die Thüre, dann dauert das Essen und das Sitzen wohl drei Viertelstun- den: dann gehe ich oder laß mich zu Bette tragen: und dann, schwör’ ich euch, fühle ich solche Müdigkeit und Anstrengung, solche zerbrochene Glieder, und solche Wonne, als wenn ich von einer zweitägigen Jagdparthie wiederkäme. Jedoch bin ich froh und bessere mich. Schreiben nur kann ich schwer, des Schwitzens wegen, welches oft nachher fünf, sechs, ja mehrere Stunden anhält: und mich dann so sehr erkältlich macht, weil mir dabei oder nachher die Glieder verklammen. Mein Arzt giebt mir die zweckmäßigsten glücklichsten Mittel; er sieht klar meine ganze Natur ein. Ein übermenschliches Glück. Heute ist das hellste, kälteste, knurprichste Winterwetter! Allerhand Bälle, wo ich geladen bin, im Fasching. So in vier Wochen worde ich wohl ausfahren, wenn’s Wetter schön ist. Seit September war ich dreim al aus! Schrecklich. So etwas muß man erlebt haben. Nun nur noch ein Anekdötchen, und dann nichts mehr vom Körper. Mit welchem Zittern und Mühe ich in das Bad hinein und heraus komme, habe ich euch geschrieben. Mittwoch bin ich denn auch eben mit Mühe hinein gehoben; natürlich nichts zum Heraussteigen gewärmt noch bereit; ich will mich eben niedersetzen, die Beine — das kranke — sind drin, Dore und das andere Mädchen schreien, stürzen zurück, kurz — der Boden der Wanne stürzt ein: und elf bis zwölf Eimer Wasser in mein Zimmer: ich wurde nicht ohnmächtig, und schrie: tragt mich nach dem Bett! Die Mäd- chen aber waren es, und ließen mich stehen: endlich trug mich doch die eine. Aber das Zimmer schwamm, und sie schrieen nur wie die weißen Gespenster: Herr Jesus! Ich ließ mir die grüne Decke umschlagen, und durch ein kaltes Zimmer mich in Augustens Bette tragen durch die herbei geschrieene Haus- meisterin; in Augustens Zimmer war es ganz kalt, die Fen- ster offen, mitten im Reinemachen: sie in der Probe. Alle Wärmsteine wurden gebracht: und so lag ich denn in Gott gefaßt, ob ich wieder einen Rückfall haben sollte. Beordern mußte alles noch ich, Dore war ganz naß, und hatte den Zit- terkrampf (noch um 7 Abends), das andere Mädchen zu Kräm- pfen geneigt, stumm und steif! Als ich so lag, kam unver- hofft mein Arzt. Untersagte mir den Gebrauch der Arzenei für den Tag, weil bei der Agitation an kein Mittel zu den- ken sei! so etwas hatte er nie gehört! (Freilich, wenn ein Anderer krank, und ich gesund gewesen wäre, so wäre es unmöglich gewesen. —) Gott erhörte aber mein wirklich in Verzweiflung ergebenes Gebet, es schadete mir gar nichts. Aber die Gefahr! Meine ganze Seele freut sich, Markus, daß du mir die Hoffnung giebst, daß ich die Vorschüsse werde bezahlen kön- nen. Denn meine ganze Seele war vom Gegentheil immer- weg heimlich gedrückt. Ich habe auch ein gutes Gewissen, das das ist die innre Luft, in der die Seele athmen oder ersticken muß. Zum Leben gehört aber mehr, als Athmen. Schulden machen, sich arm werden sehen: sich einschränken müssen — nicht begränzen — sondern ordentlich einschränken müssen: ist nicht plaisant. Ich glaube dir, daß du Theil daran nimmst und dich auch für deine Rechnung freust, daß die stockende Erbschaft sich löst. Einzurichten weiß ich mich, das darf ich dreist sagen. Ich werde von dem Kredit nur alle Monat so viel nehmen, als ungefähr ‒ ‒ machen. Was meine Krank- heit kostete, will ich von dem Gelde wechslen, was ich noch du weißt von wem habe; und welches ich zur Flucht noch immer aufbewahrte, und zur Reise . Nicht einen Pfennig hab’ ich unnöthig ausgegeben: aber die Krankheit wird gewiß nah an dreihundert Thaler kosten; das sehe ich schon jetzt. Ich schreibe wie immer jeden Pfennig auf. Meinen Breslauer Hut habe ich noch; zum Winter schwarz gefärbt, aber noch nicht aufgehabt!!! Einen schwarzen Wattenrock habe ich zur Krankheit im Hause haben müssen, die allernöthigsten Schuh und Handschuh. Sonst nichts. Aber oblique Ausgaben hat man immer . Und auch hier behauptet jeder , ich sei reich; bei meiner Ruppigkeit. Nicht hoffen können kommt nicht von Leidenschaftlich- keit; sondern ob einem im Leben etwas gelungen ist oder nicht ; und von Einsicht , ob einem auf gradem Wege ohne Zuthun des reinen Glücks etwas gelingen kann . Unfähig- keit der Natur hindert daran nicht, sondern ander Positives. Ein Glück ist es; zu hoffen. Aber die Menschen z. B., die immer hoffen was sie wünschen, sind mir bei ihrem Glück II. 12 zuwider: meine Niedergeschlagenheit darin aber, ist, von einer andern Art, auch sehr häßlich; noch dazu, als Geburt lan- gen Mißlingens. In Krankheiten z. B., worin ich immer noch Glück hatte: bin ich nichts weniger als hoffnungslos. Daß Moritz zufrieden ist, freut mich, weil das nichts an- ders heißt, als er verdient Geld. Er muß gewinnen, um einige Ruhe zu haben: besitzen reicht ihm nicht hin, und besäße er auch so viel, daß er sich monatlich seinen Verdienst davon nehmen könnte. Ernestine hat mir nicht geschrieben, sie ist doch wohl? Ludwig ist gesund. — Dir, Hans, kann ich heute nur flüchtig danken. Du denkst nicht besser von dir, als ich: so viel wisse. Künftig schreibe ich dir . Heute bin ich zu echauffirt. Dein Brief freute mich, und ich weinte. Hanne, dir dank’ ich deine Zeilen auch. Ja ! ihr hättet mir auch einen Theil der Schmerzen abgenommen. Ich euch, Gott ist Zeuge, auch. Laßt die Bauer wissen, daß ich jetzt nicht schrei- ben kann. Und wo möglich alle Bekannte; den Onkel. Ich glaube , daß Fanny gesund ist: aber schreibe, wenn auch nur ein Wort! Ihr könnt mir nach solchen Leiden die Angst nicht verdenken: und alle Menschen sind hier hestig krank; einer nach dem andern. Und sterben : wie Blüthen abfallen, zahllos. Ich weiß längst von Grapengießer: und Allen, die gestorben sind. Hans, dir schreib’ ich nächstens ganz genau. Kinder, wenn wir nur in Frankreich keine Bataille verlieren! Varnhagen ist durch Bremen nach Bonn. Hab ’ ich schon geschrieben, daß er den Schwertorden hat? ich glaube. Adieu, adieu. Mein Kopf fängt an. Friede und Freude sage ich auch. — Grüßt Ernestinen und Nette. Und küsse einer Fer- dinand, du Hans, Kinderfreund! — Grüße Mendelssohn. Laß dir doch von Hitzig oder Prinzeß Radziwill das Stück der Tettenborn’schen Feldlager-Zeitung geben, worin seine Erhe- bung zum Bremer Bürger steht. — Das ist noch hübscher! Ich endige, womit ich, bei Gott, anfangen wollte. Dir für deinen Trost, deine Exaktitüde, für deine Versprechungen und für deine Sendung zu danken ! — Prag, Sonntag den 27. Februar 1814. — Die brandenburgische Physionomie drückt keinesweges Inhumanität aus. Sondern eine gewisse Klarheit — ich weiß sonst das grade Gegentheil, ja beinah, die Unmöglichkeit der Narrheit , nicht zu benennen —, die aber überhaupt zu we- nig kräftig und positiv genährt ist, als daß man sie nicht mit Nüchternheit verwechslen könnte; weil nicht alle unsere Landsleute auch den Zusatz in sich, und ihren Gesichtsausdruck tragen, der von der Liebhaberei an Spaß — nicht Scherz — Ironie, und ein wenig zum Narren haben zeugt. Der Haupt- ausdruck eines ächt brandenburgischen Gesichts ist immer der, daß man ihm nichts weiß machen kann. Und alle Cagliostro’s sind auch in unserm Lande gescheitert, vom fernsten Westen und Süden konnten sie bis nach Petersburg wirken, blenden, gewinnen: in Berlin ließ man sie nüchtern durch. Die große Ebne; nie eine phantasienährende Berg- oder See-Aussicht, oder Nachricht; die dazu passende protestantische Religion; die kluge, ehrliche, in jedem Sinn ökonomische Fürstenreihe; die saftlosen Nahrungsmittel, die Mäßigkeit selbst in dem Genuß 12 * derer, die der Sandboden wohl zuerst diktirte, sind schon die bekannten Ursachen. — Prag, März 1814. Jetzt fällt mir oft ein zu sagen: „Ich mag nicht von ihm sprechen, ich bin böse auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig- keit widerfahren lassen.“ „Warum sollt’ ich nicht natürlich sein? Ich wüßte nichts Besseres und Mannigfaltigeres zu affektiren!“ An Varnhagen, in der Champagne. Prag, Sonntag den 20. März 1814. Morgens, 9 Uhr, im Bette. Mein Brief von gestern an dich war wieder so gut, als gelogen; obgleich er mit der höchsten Wahrhaftigkeit geschrie- ben war. Weil er das Ende verschiedener Stimmungen und Gedanken ausdrückte, die mir seit einer sehr kurzen Zeit schon alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ- lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom- men, aber noch schneller als sonst verschwinden, und mir nur wie ein Wetter ihre Resultate als Frucht zurücklassen. Ich bin so geplagt von Gedanken, Vorstellungen und Einfällen, daß ich mir Blätter bereitet habe, um sie wo möglich gleich hinzuschreiben; für dich und mich: dies hier als erstes zu Er- gänzung des gestrigen Briefes. Er klang accurat, als sie ich nur aufgebracht gegen diesen und jenen, die mir denn Alle, und alles, was man mit ihnen vorhaben kann, klar gemacht hätten. So war es wohl auch: denn obwohl ich in einem durchdringenden Blick eine nicht irre zu machende Überzeu- gung von den Menschen habe, als zusammenhängendste Na- turgabe aller meiner Eigenschaften, so kann ich mich in gröb- lichem Irrthum befinden, ohne mich über diejenigen, so zu sagen, die ich vor mir habe, zu irren. Weil ich mich zu der rasenden Willkür, einen einzelnen, groben, gemeinen Fall an- zunehmen, den Menschen, welchen ich grade vor mir habe, ihn ausführen zu lassen, nicht entschließe. Ich will nicht sa- gen, entschließen kann: nicht entschließen mag. Ich beschimpfe, verunreinige dadurch mich selbst! Was einer fähig ist, weiß niemand besser als ich: niemand geschwinder. Diese Pe- netration also, und jene Entschlußlosigkeit, machen nun, daß ich auch eine doppelte Behandlung für die Menschen habe: eine voller Betragen und Voraussetzung — procédé auf gut Deutsch — äußerlich; und eine richtende, strenge verachtende oder vergötternde, innen. Leicht kann ein jeder mich inkon- sequent, feig, biegsam und furchtsam — wieder auf Deutsch: lâche — finden, und glauben, die bessere Überzeugung komme bei mir nur vor- oder nachher, und der Augenblick könne mir Leidenschaftlichkeit über Sinn und Verstand werfen. Mit nichten; nie hab’ ich einen klareren, immer gleich so klaren, Menschen gefunden. Da aber bei mir ganz kleine Züge über den ganzen innern menschlichen Kernwerth für alle Ewigkeit, d. h. so lang des Menschen Komplexion dauert, entscheiden, so wird es ja unmöglich, daß ich ihm zeige, wofür ich ihn halte, was ich von diesem bestimmten Umstand, in welchem wir uns befinden, denke!! Sie müßten mich für rasend halten; oder ich müßte sie vergehen sehn, als sich selbst verdammendes Unding. Drum bleibt mir schweigen, schonen, ärgern, meiden, betrachten, zerstreuen, gebrauchen, ungeschickt wüthig sein, und noch obenein mich mit großer Geläufigkeit tadeln zu lassen, von ordentlichen Thieren! Dir konnt’ ich die Wahrheit sagen: Einmal war es möglich; und daraus entstand unsere Freund- schaft. — Freundschaft, welch ein Wort! — An M. Th. Robert, in Berlin. Prag, Montag Abend den 21. März 1814. Hier ist ein Brief von Ludwig Robert, den ich diesen Mit- tag erhielt — wahrscheinlich war er schon vorgestern hier — ich will ihn nicht allein zu euch gehen lassen, damit ihr nichts denkt. Sonst hätte ich wohl noch nicht geschrieben; da ihr so lange nicht antwortet, und vielleicht die heftige Korrespondenz nicht mögt. Jedoch konnt’ ich auch nicht: denn in dem Zu- stand von Genesung, in welchem ich nur wenige Stunden des Tages aufzubleiben vermochte, befiel mich ein Schnupfen sol- cher Art, daß ich jeden Gebrauch der Mittel unterlassen mußte, zehn Tage zu Bette bleiben, bei ganz verhängten Fenstern, und katarrhalischem Fieber und Schwitzmittlen, gräßlichen Nervenattaken, und sieben, sieben ! Migrainen, von welchen man allein krank bleiben kann. Das linke Auge war davon äußerlich roth und geschwollen! Einen Tag mußt’ ich mir’s mit der Hand von 5 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens hal- ten!!! Dies letzte hat mich mehr erblaßt, vermagert, geschwächt, als die andern acht Wochen Liegen. Von gestern lieg’ ich nun neun Wochen. Seit gestern gehe ich angepanzert umher. Schnaube wie ein Besessener. Mein Bein ist nur ziemlich, und leidet bei der allgemeinen Schwäche; befehlen werde ich ihm wohl nie wieder können, es wird wohl mein Herr bleiben. Nun wißt ihr wieder Übles von mir! Es ist nicht meine Schuld, und bei Gott! ich gäbe es gerne weg. C’est trop fort! Das Gute dabei ist aber das: daß wenn ich nur eine Stunde, eine halbe, eine Viertelstunde, nerven- und peinfrei bin, ich von der lustigsten, bonmotisirendsten, heitersten Gemüthsstimmung bin. Voller Gedanken und innerer Bewe- gung. Am liebsten bleib ich mit Doren allein; und fühl’ ich mich nur eine Minute frei, so lachen wir aux éclats. Ich weiß immer Stoff zu Scherz und Witz aus meinem Zustand zu nehmen, besonders dient mir die Lust allein bleiben zu wol- len dazu. Ein Besuch ist mir ein Gräuel — und die Andern denken’s nicht! — weil ich keinen ertragen kann. Ich lese nun schon vierzehn Tage auch nicht; nur seit heute erst wieder das göttliche Extrablatt, welches mir so gleich es erschienen meine Wirthin schickte. „Das weite Rheims faßt kaum die Zahl der Gäste!“ Graf Luckner kam bald nachher vor mein Bett — heut ist mir nicht so wohl — mir berichten, Graf Reichen- bach, unser Kommandant, ließe mich grüßen, der habe hier bei dem Kommandirenden einen Kourier ankommen sehen, der die gewonnene Schlacht bei Soissons von Blücher gegen Napoleon meldete, welche Nachricht Fürst Schwarzenberg dem Komman- direnden — Gouverneur hier — auf die Addresse geschrieben habe. Das hat mich sehr erheitert. Roberts Brief mich auch ungemein gefreut! Ich werde ihm sehr zum Selbstvertrauen und zur Thätigkeit zureden. Von Varnhagen weiß ich seit dem 17. Februar nichts, da war er in Trier. Nur von euch erfahre ich nichts. Von Moritz träumte ich diesen Morgen sehr schwer, bis ich aus Angst erwachte. — Lebt Nette? Sie, ihr, und Mendelssohn und Ernestine antworten nicht. Ich schrieb euch den 9. Fe- bruar, den 11. mit einem Robert’schen Brief, den 20. mit der Breslauer Post, den 26. an Ernestinen, den 27. wieder ein Wort mit Roberts Brief. Was machen die Kinder, Hans? Alle? Habt ihr. Mad. Sta ë ls Buch? ich nicht. Schickt es mir in Französisch mit Weber! Goethe giebt ein ganz neues heraus. Ist der dritte Theil seines Lebens da? Lebt wohl! Eure R. R. Montag, den 28. März 1814. So wie man manchen Menschen niedlich, hübsch oder angenehm finden muß, wenn man auch keinen einzigen Zug in seinem Gesichte, oder kein Glied an seinem Körper als richtig angeben kann, so hat T. durchaus etwas unangenehm Unansehnliches, ohne daß man besonders auffallende Diffor- mitäten im Einzelnen gleich entdeckte. Sie weiß das ganz genau; und der Eindruck, den sie von jeher machte, hat auf ihre Art sich darzustellen, und auf ihre sowohl alleroberfläch- lichste und leiseste, als auch heftigste und tiefste Äußerung den bestimmtesten Einfluß: diese Art der Darstellung ihrer selbst nimmt man aber (mit hinlänglichem Rechte zwar auch) für ihren Karakter; der aber in des Herzens Mitte sich recht eigentlich geflüchtet hat, gegen die rohe, flache Voraussetzung, und von der ihr selbst nur zu mißfälligen Erscheinung ihrer selbst. Zum Beispiel ist ihr mit das Gräßlichste: Verlegen- heit; für sie oder für Andre beinah gleich; und in den aller- peinlichsten, unerträglichsten Augenblicken einer solchen zeigt sie sich immer dreist, thätig und mit Geistesgegenwart; und kein Mensch erahndet auch nur bei solchen Gelegenheiten, wie ihr ungefähr ist. Sie loben sie immer wegen ihrer Uner- schütterlichkeit, oder wie sie es sonst nennen: wenn sie sich aus Schamhaftigkeit aufopfert, und ganze Hiebe im Herzen bluten läßt, ohne nur sich hinzuwenden, oder einen Wehlaut daraus hervor zu lassen. O! Maske, Maske! Du bist keine Maske; wer kann dich loswerden, wenn du eine Mitgift bist! Masken durchzusehen, ist eine wahre Wohlthat für das Men- schengeschlecht. Diese Wohlthat übt T. im höchsten Sinn und viel in der Welt. — Zwei unaussprechliche Fehler hab ich aber: und die kennt niemand. O! könnt’ ich sie darstellen, wie ich sie kenne! Jede Eigenschaft wird einer, die man nicht regieren kann. Es ist mir nie gelungen, und ich verzweifle nun auch ganz dran. Drum beicht’ ich sie gern. Ja, denk dir, es existiren zwei Abbildungen von mir, ein Basrelief von Tiecks frühster Arbeit, und das Bild, welches bei meinem Bruder hängt; beide find’ ich sehr ähnlich: und es sind die widerwärtigsten Gesichter für mich, die ich kenne. Bloß, weil ich jene Eigen- schaften bis zum langgezogenen Fehler darin sehe. Auch in noch zwei andern Menschen ihren Gesichtern — die sehr hübsch sind — kenne ich sie, nur im leisesten Grad, und doch sind sie schon Karikatur. Beide Personen haben auch diese Züge im Karakter. — Die beiden Eigenschaften aber sind: eine zu große Dankbarkeit, und zu viel Rücksicht für menschlich An- gesicht —. Eher kann ich nach dem eignen Herzen mit der Hand fassen, und es verletzen, als ein Angesicht kränken, und ein gekränktes sehen. Und zu dankbar bin ich, weil es mir zu schlecht ging, und ich gleich an lauter Leisten und Vergel- ten denke; auch weil nur ich immer leistete, dies letzte ist ganz leidenschaftlich und mechanisch zugleich geworden. Dies alles kommt daher: weil die holde, freigebige, sorglose Natur mir eins der feinsten und starkorganisirtesten Herzen gegeben hat, die auf der Erde sind; weil ich keine persönliche Liebenswür- digkeit habe, und man es also nicht sieht: weil auch mein rauher, strenger, heftiger, launenhafter, genialischer, fast tol- ler Vater es übersah und es brach, brach . Mir jedes Talent zur That zerbrach, ohne solchen Karakter schwächen zu kön- nen. Nun arbeitet dieser ewig verkehrt, wie eine Pflanze, die nach der Erde hinein treibt: die schönsten Eigenschaften wer- den die widrigsten. Du wirst es ganz verstehen! Ich wäre ein sehr, für Aller Augen, verkrüppeltes Geschöpf geworden, läge nicht großartige Betrachtung der Natur aller Dinge in mir, und jenes Vergessen der Persönlichkeit, ohne welches die genialischsten Menschen auf der Erde, und in jeder Wissen- schaft, keine wären. Dies ist der einzige Leichtsinn, den mir der doch gütige Gott mitgegeben; und die einzige Grazie in meiner ganzen Natur. Zugleich mein Glück, die Sphäre meines Gebets — jeder Erhebung — mein eigentlichstes Da- sein, die expansive Möglichkeit zu fernern Existenzen, das höchste Leben, welches zu anderm Leben hinauf glimmt und flammt. Und denk dir, Freund, dies war der Sinn, in dem ich dir gestern schrieb: „Die Gesellschaft könne mich für ein Müllerweib ansehen, nur um deinetwillen hätte ich noch für mich Ambition;“ und nicht Zorn über dies oder jenes Ereig- niß. Die Gesellschaft war mir von je die Hälfte des Lebens . Weil ich richtig fühlte, was sie sein sollte: der sich bewußte, behagliche Verein im Genuß und Weiterbringen alles mensch- lich schon Geleisteten. Durch keinen Kampf aber muß man in solchen Bildungskreis, wo Natur und Geistesausbeute sich durchdrungen haben, gelangen! Wie zu keinem Glück ! Den Kampf also bin ich satt; weil ich ihn nicht zu führen ver- stehe; weil ich ihn verachte, mit dem Schicksal, welches mich dazu verdammen konnte. — — Keine Beschreibung von dem, was man in der nun schon zum hundertstenmale zerstückelten Gesellschaftswelt finden kann, die doch nur bis jetzt ein zerhacktes Gemeng der griechischen, römischen und biblischen bleibt. Es ist kein großartiger Ur- sprung darin, der sich an eine Lokalnatur lehnte, die einem — richtig von den Religionen-Erfindern gesehen! — von Gott überliefert wird ! Wir sind Alle wie Frühlings- gebirgswasser, welches erst ablaufen muß. Kein Meer, kein Strom, kein Quell. Leben genug ist in einem solchen Wasser auch! das weiß ich. Wenn ich oder du nicht mitwirken kön- nen, das heißt Gutes vom Tag für den Tag — eine Ein- richtung dazu ist beinah nicht vorhanden, — so ergötzt mich die große Welt gar nicht so! Noch dazu jetzt, in ihrer Ar- muth und Zerstörung. Was hab’ ich an getäfelten Zimmern voll Menschen, für welche die Natur, die Natur keines Din- ges, keine innere Erhellung, kein Wunder der Nerven, noch des Geistes noch des Herzens existirt!! — — Und zu dem Ennui, welches mir nur der Ehrgeiz — Mittel zu einem Zwecke — erträglich machen kann, und sein Spiel und seine Spannungen, zu dem sollt’ ich mich noch ohne Zweck hin- arbeiten wollen? — Dies kann ich nicht mehr! ich sehe sie ja noch immer, dann und wann, und kenne sie Alle. Ist man darin, à la bonne heure! Es ist Bewegung wie alle. Nur nicht vorzugsweise. Dies wollt’ ich dir gestern sagen. Und wie hab’ ich dir ganz etwas anders gestern ausge- drückt! — — Nachmittags. Noch Eins! Wo nicht von Natur verhandelt, wird, durch Sehen und Hören, Auseinandersetzen; Musik, Bildnerei irgend einer Art vorkommt, da halt’ ich’s gar nicht mehr aus. In der Länge zur Frequenz nicht. — Noch vom Montag, den 28. März. Auch ist es T. ganz und gar nicht schmeichelhaft, wenn Einer nach und nach von ihr eingenommen wird; dies ist ihr so bekannt, so gewiß, wie den großen berühmten Schönheiten mit Unrecht ihre Eroberungen und Anbeter. Schon ihrem Freund Gualtieri, wenn ihr der sagte: „Sie sind ordentlich hübsch, wenn man Sie lange ansieht,“ oder was er sonst der- gleichen hervorbrachte, antwortete sie: „Ja, ja, wie Azor, man gewöhnt sich daran.“ Dann wollte der außer sich ge- rathen. Die Beiden waren komisch zusammen. — Prag, den 28. März 1814. Die Geschichte der Madame de la Pommeraye in Dide- rot’s Jaques le Fataliste ist für mich viel tragischer, als die von Romeo und Julia im Shakespeare. In jener ist gar kein zufälliges Unglück, welches sich zu dem der Liebe noch erst gesellen müßte. Die Frau muß ihr größtes Leid erleben, worein sie nicht willigen will; sie schafft sich Rache, die ihr gelingt, sie drückt sie fest auf das schmerzende Herz. Vergeb- lich! dem Feinde ist Glück in der Liebe zugedacht, er findet es in der Schande, die sie ihm bereitete, weil ein Gott ihn segnete, aber von ihr sich wendet, und allein muß sie bleiben, mit dem Schaden für’s Leben. Das hat Diderot sehr richtig gefühlt, und auch er allein nur, meines Wissens dargestellt. Das ist nicht tragisch, was andere Moralisten zeigen; wie man sich selbst schadet, was man vermeiden könnte, wie man sich Unglück zuzieht, wie man mit den Göttern wählen sollte und nicht ohne sie, wie innerer Friede schätzenswerther als ander Gewünschtes sei. Tragisch ist das, was wir durchaus nicht verstehen, worein wir uns ergeben müssen; welches keine Klugheit, keine Weisheit zerstören noch vermeiden kann; wohin unsere innerste Natur uns treibt, reißt, lockt, unvermeidlich führt und hält; wenn dies uns zerstört, und wir mit der Frage sitzen bleiben: Warum? warum mir das, warum ich dazu ge- macht? und aller Geist und alle Kraft nur dient, die Zerstö- rung zu fassen, zu fühlen, oder sich über sie zu zerstreuen. — Sollte Goethe mit Bedacht im Wilhelm Meister alle die- jenigen, denen die Liebe das ganze Leben in sich aufnahm, haben sterben lassen? Sperata, Mariane, Mignon, Aurelie, der Harfenspieler? Und sollte er die beiden Texte zu dem Buche in dem Buche kennen? die des ganzen Werkes Keim sind, aus dem es nur Goethe’s Geist, wie Sonne, hervortrieb? — die Be- merkung nämlich, „daß jeder Fluß, jeder Berg genommen sei auf der Erde,“ und dann das, was Meister Aurelien, vor oder nach seiner Verwundung an der Hand, sagt: „O wie sonderbar ist es, daß dem Menschen nicht allein das Unmög- liche, sondern auch so manches Mögliche versagt ist!“ Dieses Netz von Witz, in dem uns die Götter hier gefangen halten, in welchem wir errathen, toben, arbeiten, beten müssen, und durchschauen und durchgreifen können. Für möglich halten wir manches; das was nicht ist, ist unmöglich; wenn wir das immer wüßten und dächten, thäten wir nichts; und kein Buch würde wohl geschrieben mit seinen Voraussetzungen, Bildern Beweisen und Erörterungen. Darum finde ich auch in Goethe’s Tasso das tragischeste Ereigniß. Ganz seiner innersten Natur zuwider, muß er sich am Ende an den halten, der ihm das Abscheulichste ist; im Kampfe mit der Seligkeit seines Herzens überwunden, sie fahren lassen; und endlich, um das Vernünftige zu ergreifen, die Seele nach der unnatürlichsten Lage hinrenken; und so das Herz in fremden, rauhen Gehegen ausströmen lassen, wel- ches geboren war, nach seinen selbst erkornen Himmeln zu strömen. Solcher Todtschlag bleibt ein ewiger Schmerz: ist nicht zu bekämpfen, nicht zu ändern, und einzig tragisch. Montag, den 11. April 1814. Am zweiten Ostertag, als man in Prag die Einnahme von Paris erfuhr. Shakespeare sagt: „So soll ich denn mit fremden Augen in die Glückseligkeit schauen!“ Wie vor einer ausgehungerten Stadt, können einem sehr Unglücklichen alle möglichen Lebens- mittel vor dem Herzen vorbeiziehen, und kein Korn, kein Tropfen Nahrung hinein kommen; er sieht den Reichthum, und nimmt Theil an der erquickenden Fülle der Andern, und feste Thore verschließen auf ewig sein Herz. Einem solchen beneidet und tadelt man oft noch Eitelkeit: ach! und er ver- mag gar nicht eitel zu sein, im Grunde! Holde, reiche, milde, trostvolle Natur, nimm ihn auf in deinen unendlichen Schooß! verwehe ihm Menschenspur aus dem geängstigten, mißbrauchten, von ihm selbst mißbrauchten und mißverstandenen Herzen: verleibe ihn ein in dein Gesund- heitsathmen, vereinige ihn mit Element und Wetter! daß er, selbst gesund, durchsonnte Atmosphäre athme, einsauge, em- pfinde, und mit ihr einverstanden sei, durch frei bewegten Organismus der Glieder, und seines Geistes; daß er kein Verhältniß, nur ein Sein fühle, und eine frohe Welt empfinde! — An M. Th. Robert, in Berlin. Prag, Montag den zweiten Ostertag, den 11. April glaub’ ich, 1814. Morgen, liebe Freunde, werden es acht Tage, daß ich euren mich erfreuenden Brief, mit Rose ihrem darin, und einen besondern von Moritz und Ernestinen erhielt. Die Post nach euch war schon weg, und auch Sonnabend vermocht’ ich nicht zu antworten. Denn denkt euch, Kinder; ich lag im heftigsten Fieber, ja lebensgefährlich an einer Halsentzündung. Was Ersticken auf der Brust heißt, weiß ich gewiß; im Halse ist es wegen der Verbindung mit dem Kopfe noch ängstlicher — dem Gefühle nach — und mein Erbrechen! Ich wußte gar nicht, daß hier solche Epidemie herrsche: den 24. und 25. März war ich etwas ausgefahren. Stellte aber jedoch diese Fahrten aus manchen Gründen, und besonders weil ich die Fatigue nicht ertragen konnte, da ich bis dahin nur stundenweise aus dem Bette gewesen war, gleich wieder ein: brauchte zwei Tage, mich von Gliederschmerzen und der Verwirrung zu er- holen. Den 28. drückt es mich etwas im Hals. Drei Nächte bring’ ich sehr übel zu: ich zitire meinen Arzt. Kurz! muß Bäder schwitzen; genieße nichts ; muß sechs Tage am Halse warme Kräuterumschläge nehmen!!! stehe schrecklich aus! werde die letzten Tage so entkräftet, daß ich um einen Trop- fen Wein oder Kaffee bitte : bringe sie ohnmächtig zu! Der Arzt versagt es streng; und sagt: so müssen Sie her- unter kommen: das ist ja die Art der Heilung. Kurz, genug! Eine neue horreur! Die vorletzte Nacht schlief ich zum ersten- mal mal ohne Umschlag und Gurgelei: heute lag ich so; aber schlief nicht : und fühle es sehr! Also viermal habe ich hier schon Fieber gehabt. Im Oktober das erste: und seit dem 17. Ja- nuar bin ich nur wenige Tage, ja nur Stunden aus dem Bette. Denn bei meiner großen Attake hatte ich auch welches: man verheimlichte es nur. Bei meinem Halsübel hatte ich das noch obenein, daß Dore es auch, nur schwächer, hatte, und ich in dieser Noth die noch schonen sollte: wo ewig Einer einem ersticken helfen muß, und ein kühler Umschlag den Tod bringt: ꝛc. Nun ist der Hals wieder gut; und ich wie- der Einmal zum Ausfahren schreitend. Ich stehe viel aus. Verstehe aber mein Übel. Ich sehe ein: daß wenn die heftigen katarrhalischen Zufälle nicht so hintereinander gekommen wä- ren, der bis zur Gicht fast verhärtete Rheumatismus sich nie gelöst hätte. Harte, schwere, entkräftende Heilart. Gott schickt es mir. Ich hatte zu viel Verdruß, gar keine Freude: so lange Jahre: ich sagte es immer zu Varnhagen. Sterben sollte ich nicht ; ob ich gleich zweimal, auch den Aussagen nach, gefährlich war: nur tüchtig leiden, und erschwächt wer- den: ich kann nicht dafür! Und wenn ihr mir gut seid, will ich auch noch für uns und mich leben. Nun, Ohmeken, will ich deinen Brief Punkt vor Punkt beantworten: der mein Herz so heilte auf meinem Kranken- Jammerlager im schrecklichsten Fieber, Krampf- und Stickmo- ment. O! Äußert euch gut gegen mich! Ich bin einmal leidenschaftlich, und nicht nur, wie ich sehe, in der Liebe, wie man’s nennt: in allen Affektionen: ja ich bestehe und ( jetzt eben ist die Estafette gekommen, daß der Kronprinz von II. 13 Würtemberg und Fürst Schwarzenberg in Paris find. Das ist für Jena , und weil Napoleon aus unsern Schloßfenstern sah; ich zittre und weine; ehr ruhte er nicht, bis man in Blut hinwatete!) glaube, der Mensch besteht nur aus Affekten: und dreist kann ich euch Allen die Frage machen: kennt ihr mich nur für mich bewegt, besorgt und thätig? Wem von euch sein Interesse geht mir nicht durch und durch in’s Herz? Hans ! zittre und weine ich nicht so heftig, als für mich, wenn du mir einen Unfall von dir mittheilst? beweintet ihr heftiger Paulinchen als ich ? Knie und bet’ und schrei’ ich nicht zu Gott, wenn ihr krank seid, als wenn ich’s selbst bin? Pflegt’ ich euch nicht Alle, seit meinem neunten Jahr! Robert zu Einem Jahr! Theil’ ich euch nicht alles mit? Ruhe ich ehr, eh ihr Intellektuelles, Angenehmes, Geselliges, alles habt, was ich nur erreichen konnte, hab’ ich je ich, nicht immer wir gesagt, und Gott weiß, wie ewig gedacht! Ich bin kein stockiger Selbstler: ein freudiger, empfindlicher Lebensverbrei- ter! Und viele Fehler müßt ihr, könnt ihr solchem Freund zu Gute halten! Also freute mich euer letzter Brief unge- mein ! heilte gleich das Herz mir, für Vergangenheit, Ge- genwart, und für noch so furchtbare Zukunft. Weil er freund- lich und gütig war! Es ist ja prächtig, Hans, daß du dich doch diesen Win- ter besser befindest! Aber von einer Badereise scheint ihr ab- gekommen zu sein: darauf hoffte ich. Und euch irgendwo zu treffen, obgleich ich noch nicht weiß, wo ich hin muß. Scheue das Geld nicht, Ohme! Man hat es doch nachher nicht: und leben und gesund leben, ist das Meiste. — Der Kinder ihr Wohlsein ist meine Haupsache: lernen sie auch noch Italiä- nisch? Hanne’s Hals muß noch mehr geschont werden; leicht zieht sich nach solchem Orte eine Schwäche. — Schon sehr oft, lieber Ohme, dachte ich daran, daß die Litteratur bei euch schmachten würde; und besorgte es; mir geht’s ja eben so, wenn Marwitz, Varnhagen und solche nicht da sind: die ganze Litteratur ist eine Mittheilung in’s Große getrieben: und kann nur durch Mittheilung begünstigt, ver- breitet werden! Wir wollen schon wieder dafür sorgen. Graf Luckner wird dir eine Broschüre von mir bringen — in acht Tagen etwa — Considérations politiques sur l’Europe. Ro- bert antwortet mir Einmal darauf in einem seiner Briefe. Ein Emigrant (Maisonfort), der russischer Legationssekretair in London ist, hat sie verfaßt. Ich errieth natürlich den Emi- granten. Aber wie modifizirt auch diese unmodifikabelste Men- schenart ist, sollst du draus sehen: und wie göttlich, geschmack- voll, judiziös, und harmonisch, und wahlreich man diese Sprache in neuster Zeit zu schreiben vermag: und wie komplet ahn- dungslos dafür A. W. Schlegel ist: der seine politischen Nach- schwätzungen auch glaubt in dieser Sprache abfassen zu kön- nen! Er ist nun in seiner völligen Ausbildung ganz arm und irr geworden. Du sagst mir, Kunst, Konzerte, Theater, alles würde von dir vernachlässigt. Was kann ich erst sagen: die ich nur Flanell, Schweiß, Trank, Betten, Tropfen ꝛc. seit so viel Zeit zu allem Umgang habe! Gott will es: und begabt mich auch dabei, daß ich noch nicht vertrockne. Aber mein Körper natürlich, deteriorirt sich; und das krepirt mich sehr. Die gril- 13 * lirte Loge freut mich sehr. Du wirst aber gewiß nicht glau- ben, daß ich mich so innig über das Glück freue, daß du Iff- lands Schuldenwesen arrangiren konntest! Nun kann doch der Mensch in Ruhe krank sein; und besser werden. Daran nehme ich den größten Antheil — noch besonders, weil er wohlthätig ist. — Wisse nur: so verhaßt mir der Krieg ist; wegen seiner Gräuel, wegen meiner persönlichen Furcht; und weil er meinem Herzen so weh thut; so ist er es mir doch gewiß zur Hälfte ganz darum, weil er die Erde in Un- ordnung bringt, welche mir das Entsetzlichste, ja nicht zu Fas- sende ist! daß er alles stört, jedes Hauswesen in’s Tiefste; je- des Geregelte, jeden Plan, jedes Geordnete. Dies thun Schul- den auch: und ich verabscheue sie! Es muß dir große Freude machen, dem kranken neuen Freund darin mit deinem Talent haben helfen zu können. Nur begreife ich nicht, warum er die joyaux nicht längst opferte: und ob ihm das Haus — wenn es das im Thiergarten ist — nicht zugleich die Ruhe und Behaglichkeit seiner Existenz nimmt. Erkläre mir das. Mit der Pedrillo hast du auch sehr Recht: wir sind es ihrer Mutter ewig schuldig, uns allen ihren Kindern als thätige Freunde zu beweisen — Feinden bleibt es, nur gerecht zu sein, und zu kritisiren — es ist schändlich, wenn man verges- sen kann, daß, sei es auch noch so lange, man einen Men- schen Tag und Nacht, und grade zu Noth hat können zuver- sichtlich rufen lassen. Solche Hülfe in der Familie, bei allen Krankheiten, leistete uns die Eigensatz, jahrelang; anstatt Mama, der dies Talent abging. Ich vergesse es ihr nie ! Auch in Mad. Bethmann wollen wir, wie du sagst, die Ver- gangenheit ehren, (was ist der Mensch, ohne seine Geschichte? Produkt der Natur, und nichts Persönliches) und ein Phäno- men der Natur, in Unbesonnenheit, die sie edel, auch gegen sich selbst, genug übt; bei vielen leichten, lieben Eigenschaften. — Wundere dich nicht etwa, Ohme, wenn ich sage, meine Krankheit kostet dreihundert Thaler. Bedenke, Monate im Bette. Vier Wochen gehoben ; wozu ich Menschen hal- ten mußte. — Bedenke die Bäder, die Apotheke, den Arzt. Die tausend weggeschmissenen Mittel, Weine, Eßwaaren. Eine ganze Garderobe von Flanell habe ich mir anschaffen müs- sen. Mein Bettzeug, was ich mithabe, reißt. Meine Wäsche: ich konnte nie fünfzig oder vierzig Thaler nehmen, und mir welche kaufen; Aussteuer hatt’ ich nie; und wenn es dich skandalisirte, mich äußerlich schlecht einhergehen zu sehen, so weißt du doch nicht wie es seit vielen Jahren mit der inn- ren Garderobe aussah: hier nun ging meine Leibwäsche ganz auseinander: und endlich hab’ ich welche kaufen müssen . Wem sagt man dergleichen? Strümpfe mußt’ ich auch ha- ben: jeden Gang muß ich bezahlen, und noch Gott danken, daß ich gefällige Leute im Hause habe: man durfte mich ja nicht allein lassen: erst seit gestern bin ich allein: und heute Nacht kommt Dore erst aus meinem Zimmer, nebenan. Denk dir die Strafe für mich, bis jetzt!!! Auf Federbetten lag ich auch. — Und das Holz! Tag und Nacht mußte ge- heizt werden, wegen der Dinge, die warm vorhanden sein mußten, und weil es die Ärzte befahlen und ewig erinner- ten. Ich habe euch ja gar nichts erzählt! Das Zeug mußte mir ja vom Leibe geschnitten werden! Eine spanische Fliege lag drei Tage und drei Nächte, ohne daß man nachsehen konnte, und war verrückt, und dicker Flanell auf die Wunde gerutscht; und doch mußt’ ich liegen bleiben! Dies nicht, mich zu vertheidigen: denn ich weiß es, Lieber, du klagst mich nicht an, aber um es zu erklären . Ich habe alles aufgeschrie- ben: und ich darf es wohl sagen, nur mir konnt’ es möglich sein, meine Rechnungen noch zu führen! Dicke Schnupftücher habe ich mir auch kaufen müssen, die paar battistenen konn- ten in der Krankheit nicht dienen. Ach lieber Ohme! du freust dich so mit Rosens Brief! Freilich freut mich die Nachricht! Aber daß die Arme seit zwölf Jahren immer dieselben Briefe schreibt, am Klima lei- det, und Gesellschaft und die Geschwister vermißt, — zerdrückt mir das Herz. — Louis freut mich sehr; daß er etwas lernt. — Lieber treuer Hans, dir danke ich! Ich sage immer zu Augusten, nur Einem Menschen in der Welt traue ich über Komödien und Musik, die ich nicht höre, und das ist meine älteste Schwägerin. Was mache ich mir aus einer Oper, die man der Ballete wegen sehen kann: doch daß sie unterhielt , ist schon viel. Dir, den Kindern, Ernestinen, Moritz, werde ich Allen künftig schreiben: les’t unterdessen diesen Brief. Ich bin zu schwach. Ernestine nenne ich nicht wieder ordentlich, bis sie mir das Zahnpulver-Rezept beilegt! Moritz, warum vorenthältst du mir das Vergnügen, Briefe von dir zu haben, da niemand sie so bewundert als ich! Hier ist einer von Ro- bert! Kinder! Ihr habt ihm die Blätter, die ihr ihm von mir schicken sollt, nicht geschickt. — Nun muß ich noch Robert zu morgen schreiben. Künftig euch, liebe Kinder. Ich erliege . Adieu! R. R. Dienstag früh 8 Uhr. Nun gratulire ich dir und Allen, die wahren herzlichen Antheil an der Welt wahrem Wohl nehmen! Ich gönne un- serm König für seine Kränkungen, daß auch er eingezogen ist, in das Herz des monstruösen Reichs, das alle andere in seiner holden leichten Glaubhaftigkeit zu verschlucken und tre- ten zu können meinen mußte. Es muß jeder französische Sol- dat, jeder Franzose wissen, daß man auch zu ihm kommen kann, das wird sie höflich im Herzen machen; und uns den Kopf oben halten lehren für eine Zeit. Daß nur Einer ge- opfert wird, und auf den aller Haß gegossen, aus den vergall- ten Herzen der Menschen, und daß man mit der lieben Nation sich wieder befreundet, und sie lieben darf, freut mich . Dann bitte ich zu Gott , und hoffe es auch, daß es gut sei, was geschieht!! Lust mußten wir haben, das ist schon ausgemacht! Das Größte schon jetzt, ist mir das; daß Napoleon sich zum Kaiser machte; und nicht ruhte bis er’s nicht mehr war. Al- les er selbst. Wer hätte ihn angetaster! Man muß es nicht vergessen ! Kaiser- und Königstöchter hatte er. Eng- land hinter seinem Meere sogar, unterstützte noch vor weni- gen Monaten der Bourbons Proklamationen nicht . Der Mann hat ganz allein wie Macbeth fünf Akte gespielt: seine Zauberschwestern kennt man noch nicht. Hier wurde mit Lärm und Geschrei das Bulletin im Schau- spiel abgelesen. Der Oberstburggraf ließ gleich Liebich holen, die schickten zu mir. Ich sah und hörte natürlich nichts da- von. Was wird bei uns für ein Lärm sein; und der Sachse im Schloß ! Heute fahre ich wieder mal aus. Adieu! Von Varnhagen weiß ich seit dem 17. Februar nichts, da schrieb er aus Trier. Wie findest du das. Auch herzstärkend. Sage auch Abr. Mendelssohn, ich werde ihm antworten. Doktor Veit ging mir in die Seele! mein erster Freund. Heil! Heil! Was sagt Moritz ! Ich bin zweideutig? An M. Th. Robert, in Berlin. Sonntag, den 17. April 1814. Ich werde erst sehen, wie ich diesen Brief geschwinde nach Berlin bekomme, da ich gestern den von Robert, als die Post schon weg war, erhielt. Er will eine Empfehlung für den Staatsrath Küster, wie du siehst. Liebster Markus! versäume es nicht. Vetter ist sehr gut mit Küsters. Kircheisen. Also muß es Geheimr. Schmidt machen. Auch Schack kann es durch Gräfin Golz. — Besorge es bald , lieber Freund! weil es zu ein großer Verdruß für Robert wäre, wenn Küster so ankäme! Eigentlich müßt’ er ihn kennen von Golzens, und den Orten, wo er invitirt war, und nicht hinging. Das kommt davon, wenn man nichts kultivirt: ich habe ihn genug erinnert. Wie baten ihn die Damen in meiner Gegenwart. Wie einen Schiller! Lieben Freunde! Welchen vergnügten Brief wollt’ ich euch heute, nämlich das erstemal — schreiben! Im Frieden , im Frühling, in meiner unglaublichen Besserung! Seit Dienstag gehe , und fahre ich täglich aus. Ach und Hans! dich , wollt’ ich zum Muth ermahnen, den ich habe. Ich gehe mit zwei Händen am Geländer gehalten wie ein Kind in der Laufbank, doch allein die Treppe hinab. War bei Liebichs auf der Schildwacht, die auf einem Berg liegt; sie gingen durch den Garten herab: ich einen Stufenberg ganz allein ohne Furcht, das zweitemal als ich aus war!! habe Schmer- zen, und Inkommoditäten, Schwächen, Schweiße; Fröste, Un- behaglichkeiten aller Art; und achte sie nicht! Ermunterte, und ergötzte alle Leute; bis gestern. Da erfuhr ich, daß in der Zeitung gestanden habe, Tettenborn und sein Adjutant seien verwundet; der General leicht, jener schwer am Kopf. Ich las in der Halsentzündung zwei Zeitungen nicht ; in de- nen stand es: damals wär’ ich gestorben ; sie lagen neben mir, ich vermochte sie aus Fieber nicht zu lesen! Nun hat die Welt den Frieden; ich nicht. Gott reicht es mir; ich bin still. Aber schreiben kann ich nicht. Seid nicht besorgt! ich erhalte, und tröste mich, da es noch nicht gewiß ist. Seit dem 17. Februar weiß ich nichts von ihm. Adieu. Gott richtet es ein: sonst hätte ich ja jetzt in diesem Falle sterben können. Ich gehe in der Unruhe heute in Fanchon. Adieu, adieu. Rahel. Mit Graf Luckner kommen Zeitungen, Bulletins, Komö- dienzettel, Reden, alles! An den General von Tettenborn, in Paris. Sonntag, den 17. April 1814. in Prag. Lieber General! ich bitte Sie um Gottes willen, im Na- men alles desjenigen, was Sie interessirt, schreiben Sie mir ein Wort hierher, oder lassen Sie mir ein Wort hierher über Varnhagen schreiben! Seit dem 17. Februar, wo ich den letz- ten Brief von ihm aus Trier bekam, weiß ich nichts von ihm: selbst seit fünf Monaten krank zu Hause, war ich vorgestern zum erstenmal im Theater, wo mir Graf Christel Clamm, als ich nach Ihnen fragte, gradraus sagte, Sie und Ihr Adjutant seien verwundet: als er mein Erstarren sah; machte er einen Scherz daraus, welchem letztern ich Glauben beimaß, denn ich hatte alle Zeitungen gelesen, und der Graf erzählte es aus einer Zeitung, worin er’s vor vierzehn Tagen gelesen habe. Ich erzählte meinen Schreck einer unvorsichtigen Frau: die mir sagte, es habe allerdings in der Zeitung gestanden: und nun bestätigen, nach meinen Erkundigungen, es Viele! Ich lag zuletzt an einer Halsentzündung, und habe zwei Zei- tungen nicht lesen können; darin muß es gestanden haben: im Gegentheil, ich las, Gen. Tettenborn sei in Chalons ein- gerückt, wo ihm die Bürger die Thore geöffnet! Wie es auch sei; von Ihnen erwarte ich, daß Sie mich so schnell als mög- lich die ganze Wahrheit wissen lassen. Ich bin auf alles ge- faßt. Lebt mein Freund, und kann er hören, so lassen Sie ihn wissen, daß ich ruhig bin, und für mich sorgen will: und vor dem Ausmarsch wußte, was der Krieg ist: und ihm nicht würde gerathen haben zu Hause zu bleiben. Wenn er nur nicht gefangen, in keinem Lazareth ist! Ich füge kein Wort hinzu, lieber Baron, daß ich kein übriges geschrieben habe: ich habe an den Menschen in Ihnen geschrieben, den mich Varnhagen ganz kennen und schätzen lehrte. Sie sagt man nur sehr leicht verwundet. Ihre ergebene R. Robert. Addressiren Sie an Liebich. An M. Th. Robert, in Berlin. Montag, den 18. April 1814. Gestern, meine liebe Geschwister, schickt’ ich euch einen Brief von Robert; den ich vorgestern spät bekam, als die sächsische Post schon weg war, mit der schlesischen: ich be- fürchte aber er möchte lange unterwegs sein, und schreibe lie- ber heute wieder; weil Robert in dem Brief etwas verlangt: und ich auch gestern wieder spät euren vom 12. April er- hielt, mit dem von der Schl. — Der Staatsrath Küster kommt nämlich als unser Gesandter nach Stuttgart, und da will Ro- bert, daß er ihn kenne, von ihm wisse. Nun könnte er den Mann sehr gut kennen, wenn er in die Gesellschaften gegan- gen wäre, die ihn haben wollten. Auch mußt’ er ihn von Golzens her kennen. Vetter ist sehr gut mit Küsters. Kirch- eisen auch. Also muß Schmidt und Vetter sprechen: und wo- möglich machen, daß Küster einen Brief an Robert mitnimmt. Küster ist ein sehr lebseliger Mann. Schack kann es auch machen: Gräfin Golz kostet’s ein Wort; Frau von Crayen auch. Er soll nur vorher wissen, was Robert dort ist, und wen er vor sich hat. Besorge es ja! Ohme. — Auch hat Ro- bert mir vor wenigen Tagen inliegenden Brief geschickt, den ich gestern im Trouble einzulegen vergaß. In der Nürnberger Zeitung stand vor zwölf Tagen, General Tettenborn sei leicht, und sein Adjutant am Kopf verwundet. Seit vorgestern weiß ich den Zeitungsartikel gewiß. Ich habe in ganz Prag, in der ganzen Welt, an alle Grafen, Fürsten, Gesandten, und Prinzessinen um Nachricht geschrieben seit gestern. Verlangt also nichts von mir! Und seid ruhig über mich. Gestern Abend fing die Schl. ihren Brief so an: „Bin ich die Erste, die Ihnen die Schreckenspost sagt?“ ich las nicht weiter; wollte nichts hören! Auguste schrie: es ist nur Marwitz!!! Nur ! denkt euch mein Unglück. Nur . Der ist wieder bles- sirt, gefangen und vermißt. Seit dem 14. Februar; sein Schwager schrieb’s der Schwester, und Leopold Gerlach schrieb’s auch. Ich weiß seit dem 17. Februar nichts von Varnhagen. Wenn ihr also Erbarmen habt, so schreibt Frau von Fouqu é — ich kann’s nicht mehr, nach Nennhausen bei Rathenau, ob Obrist Pfuel nichts geschrieben hat. Wissen muß ich doch, wo er geblieben ist: ob er lebt, ob er leidet. Das ist kein Geliebter, den man wiederbekommt, das ist ein einziger Freund in der Welt. Ich kann es beweisen. Ein Gemahl. Noch glaub’ ich es nicht. Ich war gestern in Fanchon; heute ausgefahren. Gehen kann ich leider nicht. Mein einziger Trost sonst in Unglück und Angst. Wie lief ich, als Mama todt war, die Russen in Berlin, vor den Thoren ꝛc. Wenn ich ein wenig, welches ich vorgestern und vorvorgestern that, viel gehe, wird mein Bein arg. Ach wie besserte ich mich, wenn es Gott mir in dem Frieden und Frühling erlaubte ! Soll jeder deutsche Krieg mir solche Freunde kosten? Keiner weiß es; ich wußte es selbst micht, erfahre es erst jetzt, wie Louis mich liebte, und mein Freund war; und geworden wäre mit dem Alter. O! Kinder! Ich störe euch den Frieden ! den goldenen, gött- lichen , für welchen ich die Erde Gottes küßte! wie für mein Ausgehen! Erkundigt euch erst bei Hitzig, ob Frau von Pfuel nicht in Berlin ist; oder bei Fouqu é ’s: Hitzig weiß alles von der Familie. Ist es euch unangenehm, so schreibt auch Hitzig. Nur ich vermag ihm nicht mehr zu schreiben. Nach Wien, Paris, Stuttgart, allenthalben hab’ ich schon heute ge- schrieben. Laßt Radziwill fragen, ob er nichts von Tettenborn weiß: fragt alle Menschen ! Vielleicht wenn ihr diesen Brief bekommt, bin ich schon beruhigt, und habe einen. Äng- stigt euch nicht. Auf der Erde vergeht alles. Und ich ertrage Irdisches. Ich bin gefaßt. Scherze oft. Dir, Hans, dank’ ich für deine ehrliche herzliche Freude über unsern Sieg, die du mir mittheiltest ! Und daß du in’s Freie fuhrst, Gott zu danken. O! ich vergesse das Glück nicht . Daß die Völker sich erkennen lernen: wie es Robert schön ausdrückt. Unser König in Paris; sieht er’s doch, und der Kronprinz; und lernt Länder kennen, und erwägen. Und der Franzose wird nicht nur ein Nehmer; welches der Fall geworden wäre: und lernt die strengern, eckigern Nachbarn schätzen und kennen . Und wehren lernen sich die Nationen: zusammenhalten die Deut- schen; hochhalten die Fürsten ihre Völker, thätig lieben diese ihre Fürsten. O! ich fühle alles in meiner Noth. Gott schickt sie mir. Ich küsse das Kreuz. Er hat gewiß Recht. Lebt wohl. Grüßt die Kinder und Alle! Jetzt kann ich niemanden schreiben, das müssen Alle einsehen. Ihr hört posttäglich von von mir. Ich gehe aus, lebe, schlafe. Adieu! Fanny, l’aea- démicienne, je te félicite. Daß Jette sang , freute mich sehr. Verwahrt mir ja Roberts Briefe. R. R. An M. Th. Robert, in Berlin. Freitag den 22. April 1814. Liebe Geschwister, bloß um euch über mich zu beruhigen: ich habe wohl nun zwanzig Briefe in der Welt herum ge- schrieben, viermal an General Tettenborn und an Obrist Pfuel. Ich bin ziemlich gesund, schlafe aus Angst; gehe aus, in die Luft; nehme Bäder. Die mir der Arzt, weil es nun gewittert hat, wieder untersagt hat. Ich kann nie recht zu den Bädern kommen. Auch hat er mir heute Töplitz verordnet. Ach! diesmal mein Gräuel !!! Mit Dore allein. Besucht mich ja ! Kommt auch hin! Seit vorgestern hab’ ich einen Schim- mer von Hoffnung. Graf Clamm-Gallas hat vom 7. einen Brief von Paris mit allem Neuen; was ihr wißt; und der Nachricht, daß Tettenborn dort unverwundet ist: nun hoffe ich auch für Varnhagen. Aber Marwitz. Das bleibt. Aber das war nicht möglich ! mit einem Arm hinzugehen, mit dem man nicht fechten und kein Pferd regieren kann. — Morgen früh geht die Post. Ich grüße euch. Grüßt ihr Mad. Men- delssohn; nächstens werd’ ich ihr schreiben; ich vermuthe, der Mann ist schon weg: er schrieb mir neulich, er würde reisen. Seid ruhig über mich. Ich bin es oft. Adieu! adieu! R. R. Clamm stürzte nur, mir es zu sagen! Was sagt Moritz ! „C’est beaucoup pour un simple soldat“, gefällt mir sehr. Der Senat auch noch. Die Ereig- nisse sind durchaus größer als die Menschen diesmal. An M. Th. Robert, in Berlin. Prag, den 26. April 1814. Liebe Kinder! ich bin erlöst! Varnhagen war den 12. bei Pilat in Paris zu Besuch: von welchem mir Gentz gestern ein Stück Brief mitschickte, worauf es stand. Dieses Stück Brief ist meine Friedensfahne. Nun fehlt noch Marwitz. Aber ich hoffe . Der kommt wieder ganz durchlöchert an Körper und Wäsche zu mir . Nun muß ich allenthalben den Allarm ein- stellen und hinschreiben. Besonders an Frau von Humboldt, die mir alle Tage schrieb, selbst krank ist, und keinen Brief vom Sohn hat, der bei Montmartre war! Gentz ist ganz glücklich, mir die Nachricht geben zu können: und hat mir einen der merkwürdigsten Briefe dieser Zeit geschrieben; den man aber nicht herumschicken kann! — Freut euch mit mir! Gestern war ich an Magenstichen zu Bette: das feuchte kühle Wetter nach dem Gewitter muß einen rheumatischen Nervenkranken erschüttern. Adieu! Wenn ich aus könnte im Regen, führ’ ich, die Erde küssen! Nun hab’ ich auch Frie- den. Gott schütz’ euch. Schreibt! R. R. An M. Th. Robert, in Berlin. Prag, Montag den 2. Mai 1814. Gestern Nachmittag, liebe Kinder, brachte man mir drei Briefe, einen von euch vom 24., einen von der Baronin Grott- huß, einen von Varnhagen. Der war den 10. geschrieben, aus Villeneuve bei Sens — der letzte Ort ist einige Posten von Paris; ich bin durch — also einundzwanzig Tage ging er. Tettenborns Truppe hat das Unendliche gelitten — Avant- garde — abgeschnitten unter aufrührischen Bauern: in der Unmöglichkeit zu schreiben; zu den nächsten Korps einen Brief zu schicken mußten sie hundert, und auch mehr Reiter zur Be- gleitung geben ꝛc. ꝛc. Kurz, es ist Frieden; und unsere Pferde kommen wieder. Der letzte Pöbel ! und — der König kann sich so leidenschaftlich da mit nicht freuen. Jetzt noch wein’ ich. Denn nun kann ich’s sagen. Dies war mir eins der Dinge, die mich am meisten kränkten: erstlich, weil es immer zu sehen war; zweitens, weil es kein Kunstwerk war, nicht aus Eitelkeit von unserm jetzige n König aufgestellt, und der Mann es uns zum Possen, zur Kränkung that: weil wir mux- ten in Berlin. Und dann! wie oft hab’ ich in der gelben Stube Winters des Abends auf meinen Knieen gelegen, mit dem Kopf auf dem Stuhl, und Gott gebeten, er soll dem Kö- nig Magdeburg wieder geben! Unsere größte Elbstadt, unser unser kultivirtester Fluß. Kurz, tausend Gedanken verband ich damit, die hier zu weitläufig sind. Nun fehlt Marwitz noch; aber ich hoffe . Ich werde noch an mehr Menschen schrei- ben. Und denke dir, Markus! (Hier hat mich Graf Luckner eine starke halbe Stunde gestört, und mir alle Gedanken ge- nommen) Varnhagen schreibt mir — damals wollt’ er erst nach Paris gehen — er ginge mit seinem General nach Mann- heim; dorthin sollt’ ich ihm schreiben. Vielleicht komme ich auch noch in Roberts Nähe; Mannheim ist gar nicht weit von Stuttgart, und warme Bäder, in Baden, nah bei; die Tettenborn gebrauchen will, und muß. Roberts Brief, den ich vorgestern erhielt, hat sehr schöne Stellen. Besonders, daß die Geschichte ein Drama aufführt. Daß ich mich fürchte, daß wir eine Nation werden, habe ich ihm schon lange ge- schrieben; und daß die vollkommenste, von dem größten Ge- setzerfinder gemacht, wozu er Gott selbst gebrauchte, ein be- schränkter Gedanke war, also endlich in der Idee, und ein Unglück wirken mußte: Moses war aber so groß, daß er in der Ausübung wieder unendlich war, und sein Gebäude den andern Nationen unmöglich zu zerstören war; weil er auch noch dabei göttliche, auf die ganze Menschheit sich bezie- hende Eingebungen hatte. Und wer kann sich zu dem Hel- den vergleichen! Von Kraft! tiefen, reichen, umfassenden Ge- danken! und einer Thatkraft! — die das Ideal von mensch- licher bis jetzt macht; und welche Elemente fand der vor, und welche Alle nach ihm! Man kann dreist sagen, durch ihn. Er mußte auf den beschränkten Einfall kommen, der damals kein beschränkter war. Ich muß doch meinen Geschwistern II. 14 auch meine Geschichtsgedanken zur Schau stellen! Tralalala! Jetzt sind durchaus die Evenements größer, als die Menschen. Politik giebt’s nicht: Elemente davon sind da; und mit denen entwicklen sich die Menschen mit, wie mit dem wirklichen Wet- ter in der Atmosphäre, welches sie auch nicht machen können, und die sich stufenweise ändert in Jahrhunderten, wie alles in der Natur sich ausbildet, und perfektibel ist, und wird. Amen! Ich kann euch nicht mehr schreiben. Ich muß Bentheim, Augusten, Robert, Varnhagen, Gentz, der Humboldt, Tetten- born, der ganzen Welt schreiben. Manche wollen wissen, was ich denke jetzt!!! — So geht’s Denkern! Ich weiß aber doch nicht, was ich denken soll von vielen Dingen. Gestern hat Mattausch Karl Moor gespielt: ich sah ihn nicht; die Kälte war groß, und ich blieb zu Hause. In der Jungfrau werde ich ihn sehen. Bayer spielt den Bastard viel besser. Mattausch wurde herausgerufen, und ist hier sehr beliebt. Warum habt ihr mir nichts mit ihm geschickt! Hans ! schicke mir Bettzeug, und Servietten. In einem großen Kasten im Souterrain steht die Wäsche, Line hat den Schlüssel. — — Tettenborn hat mich sehr dringend und angenehm ein- geladen. Ich warte noch auf mehr Briefe. — Sei versichert, Hans! kein Genuß in Kunst, Luft, Wetter, und Wohlleben, kann mir ein ungestörter sein, woran ich dich , woran ich euch nicht Theil nehmen sehe. — Ich möchte auch Moritz sprechen hören. Napoleon möchte ich sehen. Ich hasse ihn noch nicht. Aber sie lassen ihm zu viel Spielraum. — Wer von Marwitz hört, schreibt dem andern. — — An Auguste Brede, in Frankfurt a. M. Prag, den 10. Mai 1814. Kaltes, trübes, feuchtes, windiges Regenwetter obenein. Holder Karakter! Ich wäre rasend geworden, wenn sie mich nach einer andern Station gefahren hätten. Aber See- len, wie Sie, geschieht und entwickelt sich alles leichter, weil sie alles leichter, auch loser, nehmen; aber sehen Sie auch Ein- mal mein Gesicht, und Ihres! Wenn die Natur — und was ist die Natur? Alles ; von Anbeginn an: Kleinigkeiten ! — solche Dekrete ausspricht, dann wehre sich mal Einer; oder bessere sich! Was hätte ich nicht gleich beim ersten Deichsel- bruch für verdeichselte Brüche gesehen! und für Dukaten im Geiste schwinden! — Eins bitt’ ich mir aus, Traute! — Sie sollen mir nämlich im äußersten Detail trauen! — über Ihre Angelegenheiten haben Sie holt die Gnod! mich immer sehr au fait zu setzen; sonst sitz’ ich und zerbreche mir immerweg den Kopf mit den größten Sorgen. Die grünen Bohnen, den Spargel, habe ich Ihnen — auch mit einigem Nachrechnen — beneidet; hier weiß ich vom Frühling nichts, als daß Schnee Koth geworden ist: und die Wirthinnen schreien, es sei nichts zu haben in der Jahreszeit, und der Theurung. Einmal ko- stet das schmutzige Papiergeld viel, einmal weniger: noch im- mer so! Wunde auf; Wunde zu; „das ist all eins!“ Wenn ich Wunde sage, mein’ ich als Moderner — so verstümmelt sind gegen die Antiken — Janustempel. (Warum schreib’ ich Ihnen heute so sonderbar, außer meinem — gewöhnlichen — 14 * Stil; dies ist auch meiner; halb in Robert seinem? Weil ich Sie, und mich Arme, gerne ermuntern, und besonders die schwarzen Dünste aus dem schwarzen Herzen nicht will an’s Licht steigen lassen; — und weil mir Karl Maria von Weber diesen Mittag einen sehr schönen Brief vom Herzog von Go- tha, in diesem Stil geschrieben, vorgelesen hat. Der Stil selbst ist eine Manier, ein Gewandel, welches ein Launist an-, aus- und abziehen kann; aber weh einem Andern, der sich in dergleichen Garderobe verwickelt! Denken Sie sich, mit Laune, allerlei komische Auswickelungen aus solchem Kleider- haufen; Zufälle und Geschichten, mit und unter denen das ge- schieht! Ich habe so eben dies Gewand anständig zwar noch, aber voll Überdruß, weit weggelegt. Es war sehr ehrlich von Ihnen, liebe Guste, mir von Nürnberg zu schreiben: wie in Balsam eingetaucht, wirkte der liebe unschuldige Brief mit seiner Physionomie auf mich. Er sah aus wie Sie; und schien auch Ihnen Bedürfniß zu sein. Das freut mich. Vorgestern Abend nach den Verwandtschaften und dem neuen Ballet erhielt ich ihn. — Elisa Valberg wurde von der Schröder — nämlich die Fürstin — sehr schön ge- spielt; sehr schön: auch gut angezogen; außer daß sie, als sie zum Gemahl kömmt, nicht einmal Handschuh in der Hand hatte; welches mich Schwächling die sehr gut gespielte Scene hindurch störte. Einen Zusatz von ganz moderner Prinzenar- tigkeit (mit -artigkeit mein’ ich -haftigkeit; nicht die Artigkeit) und Zartheit hätte ich dem Spiel noch gewünscht: denken Sie aber ja nicht, daß das auffallend war, oder ganz fehlte! Mattausch hat einen gewissen Wackel beim Schreiten durch die zu große Körperschwere erhalten, der das geübteste Auge, besonders in der Rolle, erfordert, um zu sehen, daß er sie ganz Prinz spielte: so modern und gut erzogen als möglich, mit all der Behaglichkeit, in dem Zurückhalten, welche solche Erziehung und solch ein Leben nur geben kann. Er war so tauschend in seinem Benehmen, daß er mich in die größte Rührung und Emotion versetzte, so ähnlich war es dem all unserer Prinzen; und wegen der Herzlichkeit der Rolle, und den Verlegenheiten, die sie in der Stellung des Fürsten gegen den rechtlichen Gouverneur mit sich führt, Prinz Louis Situa- tion und Betragen so ähnlich, daß ich zu vergehen glaubte. Er war ganz wie unsere Prinzen angezogen, und auch in der Körperhaltung wie sie!! — Er spielte tausendmal besser als sonst, und mit täuschender Eingebung und Natur. Nur die Jugendlichkeit mißte man: und das ich, in deren Phantasie sie schwerer schwindet; und das nur, weil er an seinem Ver- fall schuld ist. Durch Tabackrauchen, und verbürgertes, ver- nachlässigtes, unelegantes Leben außer der Bühne. Nichts macht alt, als das Einwilligen darin, Vernachlässigung der Jugend; und Mangel an ewiger Eleganz: man kann nicht nur Abends um 6 ein Künstler sein — Volk ! — man muß es den ganzen Tag sein; besonders wenn wir die Kunst in unserer eignen Person vortragen sollen. Große Gage! große Gage! wie in Frankreich, in England, und unter dem Kö- nige Friedrich dem Zweiten!! Liebich spielte sehr gut: leider aber wußte ich diesmal jedes Wort noch von Fleck; wie er’s in der ganzen Liebenswürdigkeit seiner persönlichen Blüthe vortrug! „Refüsirt!“ schrie der Gott! wie ein Engel . Und erblaßte; in Blick und Mienen. Göttlich! Mad. Brunetti war weiß mit rosenrothem Atlasband; und spielte weiß mit rosenrothem Atlasband: wie immer. Mad. Liebich gut; doch auch die Döbbelin ehmals besser, nüanziger; gekränkter. Das Ganze war aber sehr gut, und durchaus unterhaltend, für mich ist das viel; wissen Sie. Schröder, als Verlobter der Rosenrothen, so gränzen los schlecht, daß er durchaus ein In- termezzo war. Wie Einer von einer solchen Winkelgesellschaft, die sich in Klüften aufhält; wo auch Bäder sind: und wo man vorbei reist, wenn man nach Pyrmont, Aachen, oder derglei- chen, fährt! und als wäre er einst Springer gewesen: und hätte da immer die Zwischenreden gehalten. Wie konnte die Schröder daneben nur spielen! Gestern spielte sie im Vehm- gericht die Verbrecherin. Wundergöttlich: die sanften Stellen aber nach-ti-gall- te sie gedehnt, leise und rührig ab! — welcher tiefer, finsterer, grober Irrthum! Ihr Talent und ihre Eingebungen sind aber so stark, daß sie sich mitten in solchen langweiligen Momenten, mit den schönsten Ausbrüchen von Spiel, Ton, und Einfällen, selbst unterbrach. Pübliküm- chen wußte von allem nicht; applaudirte, rief heraus; dafür ist’s nicht bezahlt, aber es bezahlt. Sie war erst in grauem Sammt, mit Schwarz und Weiß besetzt; dann ein grautaft- nes Nachtkleid, und Nachthaare — herunter; dann weiß: mit einem Wittwen-Kopfputz mit drei Spitzen im Gesicht und einem Musselinschleier herab. Die Mad. Löwe erst wie eine rothe Kartendame angezogen: dann Battistmusselin, ganz weiß, altdeutsch, gut gemacht. Doch demoisellig: sehr vermagert. Gespielt wie jede Rolle: und ungeheuer gegen die Schröder abgeprallt. Nämlich, auch für das dunkle Gefühl des Par- terre’s etwas auf Puppe reduzirt; durch jene wirklich gewal- tig Ausgestattete. Sie hatte bloß altdeutsche Lockenfülle, aus einem altdeutschen Scheitel um sie her fallende, zum Kopfputz. Bin ich ehrlich? Oh das macht müde! Wie ich dazu kam, das Gräuelstück von Stupidität zu sehen? Bayer invitirte mich bei Mad. Liebich; und da that ich’s aus Artigkeit. Meine Schwäche ! Es gereut mich wegen der Schröder nicht. Nun geh’ ich in Grünbaums Benefiz, die Schweizerdirne! Adieu! ich erliege! Soll ich ein Theaterblatt schreiben? Das fehlte mir! — Es ist Winterwetter. Heute Don Juan. Adieu! — An Varnhagen, in Paris. Prag, den 23. Mai 1814. Montag Abend 8 Uhr. — Ich bin auch „froh,“ August — du schreibst, ich soll es nun auch sein, daß alle meine Angst und Sorge vergebens war: und wie oft sagte ich zu Gott, ich will mich ängstigen, nur soll es umsonst sein! — daß du lebst, und daß dein Tod nicht eins von den sich rührenden Sandkörnchen war, denen es von Anbeginn der Welt befohlen, zugedacht war, herab zu kräuseln bei den Bewegungen der Erdbälle, ihren unsichtbaren Entwickelungen und Gedeihen! Hin hätte ich’s nehmen müs- sen, wie Marwitzens Tod, und alles Unglück, und alles, was einem versagt wird. Aber ein abgenommenes Unglück ist doch nur, als wäre einem ein Todeskrampf von der Brust genom- men; deren ich hinlänglich empfunden habe! — Man betet während dem, als hätte man um nichts zu bitten, als das: und Gott weiß sehr gut, daß es so sein muß, und nachher wieder anders. In weitere Kreise dringt das feine, in allem unbegreifliche Leben, als da, wo es auszuströmen scheint, und dem Gefühle, und allen Sinnen nach, die Bedingung seines eigenen Daseins ausmacht. (Die Phrase ist nicht wie von mir; zu gut.) — Gegen Morgen hatte mir geträumt, ich stünde mit Mar- witz vor Krausens Haus in Berlin, wo wegen Revüe viele Offiziere wohnten, deren Pferde und Reitknechte vor der Thür waren; sie an den vielen Fenstern: ich sah nicht hin, sondern war nur über Marwitz verwundert, und noch mehr über alle Todte, die ich liebte, und die da lebten. Mama, Veit, Gual- tieri, Selle, Herz, und viele mehr. Ich frage immer Mar- witz über die Andern, weil ich mich schäme über ihn zu fra- gen: „die leben ja alle noch? also sie waren nicht todt?“ und so vielemale: er sagt immer nur in einem langen ver- legenen, halb dummen, unartikulirten Ton: „Hm? Hm!“ Während des Fragens schlag’ ich die Augen in die Höhe; und Prinz Louis steht hoch am offenen Fenster, in Generals- kleidern, und gepudert: ich grüße ihn, weil die Menschen da sind, wie einen Prinzen; er grüßt, und nickt mir freundlich, wie immer im Leben: und etwas ironisch: und diesmal, als wüßt’ er, daß ich mich wundere; und er wisse es besser; und lächle über mich. Ich halte alle ihre Todesnachrichten für einen Irrthum, und glaube an ihr Leben. Als ich in’s Haus trete, bin ich in geräumigen, ziemlich dunkeln Wirthszimmern, wo alle Verstorbenen sind: ich frage Mama, die mir nicht antwortet: ich sehe Herz, und freue mich; er sieht gesund und blühend aus, und freut sich auch; auch frisirt. Ich sehe Selle! Ach Herr Jesus, sag’ ich, das ist ein Glück! Ich habe schreck- lichen Rheumatism; was soll ich thun? — „Schwefelbäder!“ schreit er gleich heftig, und als habe er keine Zeit: Nein, sage ich, man hat mir Töplitz verordnet: „Ich weiß ; sagte er, Schwefelbäder!“ — Ich habe nicht die Gicht, wie sonst, ganz anders ! — „Ich weiß alles , sagt er, ich weiß es. Schwe- felbäder!“ — Nun ist’s in mir fester, diese zu nehmen, als allen Ärzten zu folgen. — Ich habe jetzt keinen. — Ich glaube vielleicht nur an drei in der Welt , die ich nicht kenne; und an Einen über mich . Was da für Gaben zu gehören!! Gott hat mir diesen Traum geschickt. Du kennst meine Träume. Im Schlaf bin ich wacher. Auch hat er mir ein Tros tge- fühl hinterlassen; als hätte ich die gesehen, als sollte ich meine Todten sehen! Wahrlich zu viel Matadors sind mir für mein Alter entwandt. Wir wollen zusammen sterben. Auch leben: genug! du kommst und holst mich, gewiß . — Wenn ich nur wüßte, wie lange du noch im unseligen Paris bleibst! Denk’! Endlich gefällt auch mir Frankreich nicht. Seine Liebenswürdigkeit und Geselligkeit ist zu sehr, zu lange, für zu lange zerrüttet; welches sonst sein ganzer namenloser Reiz war; unseliges Vorvolk! (wie Vortrab!) Nur in ein- zelnen Franzosen findet man noch, was ihm sonst als De- pot eines Theils der kollektiven Person Franzose mit sich herumzutragen gegeben war. — Frau von Sta ë l radotirt in ihrem Buche de l’Allemagne. Über die Ehescheidung ist sie platt und dumm, und sich selbst aus Angst und Furcht ungetreu, bis zur Empörung. Solle! hab’ ich ihr neben an geschrieben. Wenn jemand, der Deutschland nicht kennt, ihr Buch — Buch ! lose, sich selbst aus der Regierung gesprungene Ge- danken; Gedanken ! Bemerkungen, Apper ç u’s; Lektüre , die nicht wieder als Blut zu Blut aufgenommen ward — liest, so muß er’s für ein finstres, kaltes Rauchloch halten, wo traurige Fantasmagoren umhergehen, die Gott zur Ehr- lichkeit verdammt hat; und wo dann und mann Einer sitzt und verzaubert meditirt: auch hat sie noch im Großen solche Zaubernester als unsere Universitäten beschrieben: so traurig sie selbst ist: die Frau ohne Sinne und ohne Musik. Macht sie nicht, als ob Frankreich das lustiglichste Land für Augen, Ohr und Fell wäre, und lauter griechische Tempel zu Woh- nungen hätte! Man friert wie bei uns: und unser Wetter ist eben so gut. Unsere Dörfer tausendmal schöner — ich kenne nichts trostloseres, als die steinernen, laub- und blumenlosen Dörfer Frankreichs im Norden! Und wenn sie ihre olle Fran- ç aisen tanzen, sehen sie ja so erbärmlich aus, als ob sie dazu angehalten würden. — Der lieben Sta ë l ihr Buch ist für mich nichts anders, als ein lyrischer Seufzer, nicht die Kon- versation in Paris machen zu können; und die wichtigsten Gegenstände derselben — wie sie wohl umfaßten, berührten — sind ihr erst durch dieses Medium etwas. Für die Bau- ern z. B. gut sprechen, ist noch schöner, als wirklich und gleich gut wirken. Bedauert hab’ ich sie auch sehr ; und gleich lieb gehabt. — Weil ich sie auch lieb habe; das heißt, besinne ich mich doch , bedaure; sie hat zu wenig großartige Gaben: eine gewisse Verstandes- inquiétude, zu welcher sie zum Glück , noch Verstand und Wort-Imagination genug hat! — Wie solche Menschen reisen: solche reiche Leute aus der Gesellschaft; solche Litteratorinnen; die Französisch wissen, und denen man’s allenthalben entgegenspricht! Die Arme! Nichts hat sie ge- sehn, und gehört, und vernommen. — An M. Th. Robert, in Berlin. Prag, Montag Vormittag den 13 Juni 1814. Vorgestern las ich in dem Wiener Beobachter Tauenziens ganzen Einzug in Magdeburg im größten Detail; — ich weinte nicht, ich erstickte fast; schluchzte und schrie; und weine wieder. Gott nur weiß, wie ich um Magdeburg bat: und ob ich je eine niederbeugendere Kränkung für mich selbst empfun- den habe, als bei dem Verlust dieser Provinz, die uns als Reichsfürst mit dem gebildeten Strom Europa’s in Verbindung setzte. Ich meine nicht den Rhein: sondern den Strom von Verständniß, Bildung, und sittlichen Gedanken, der mitten durch Europa strömt; (und manches ausspülen, wegreißen muß, wird, kann: und gethan hat.) — — Wenn dir die Reise nützlich war, muß ich mich noch mehr freuen! Sage mir aber nun auch ein wenig deutlicher — du wirst einsehen, wie sehr es mich interessiren muß —, ob du von eingegangenen Interessen Moritz seine Auslagen für un- sere Masse, oder durch Kapitalien bezahlt hast (zu welcher Zahlung ich in jedem Fall gratulire); und ob du dir auch in gleichem Maße abbezahlt hast. Es kann mir nicht gleich- gültig sein, ob unser Kapital immer kleiner wird: besonders da ich noch habe Privatschulden machen müssen, die ich Mo- ritz in jedem Fall entrichten muß und will. Es wird doch Einmal zur Sprache kommen; wie viel Louis und mir bleibt; und was wir dann verzehren können. Es kann euch Beide nicht so interessiren: weil ihr euch ein anderweitiges Kapital verdient habt, und mit dem nun wieder verdient. Mir aber in meinem Zustand und Alter muß es wichtig sein: besonders auch noch dadurch, daß diese garstige Lage noch das mit sich führt, daß sie mir für mein bloßes Lebenkönnen — welches ich sonst gesichert halten konnte — Dankverbindlichkeiten auf- legt; die nur bei der höchsten Zustimmung der Gesinnungen ihr Unangenehmes ganz verlieren: und bei großer Sicherheit des Karakters — die ich habe, und leiste; weil ein Wort ein Heiligthum bei mir ist: und dies meine Denkungsart modelt; und nicht diese etwa in ihren Veränderungen das Wort, — und Liebe, die aus Billigung stammt. Du wirst mir meine Fragen also nicht verdenken, sondern sie mir beantworten; wie ich dir für die erst gegebene Nachricht danke! Sei auch so gut, mir zu sagen, wie viel Geld du für die tausend Gul- den gezahlt hast, die ich hier entnommen habe. Damit ich weiß, wie viel Geld ich gebraucht habe. Man bekömmt hier durc haus — und in manchem weniger, nicht mehr — für solchen Gulden einen Werth von acht Groschen Kourant, in allen Dingen. Ich muß mich einrichten. — Noch muß ich hier wie ein Narre sitzen, und den Sommer verfließen lassen. — Nach Töplitz gehe ich nicht allein: dort sind Vieh und Menschen so schlecht begraben, daß Krankhei- ten ausbrechen müssen. Diesen kann ich mich in meinem Zu- stand — auch schon der Besorglichkeit nicht — durchaus nicht allein mit Dore aussetzen! Einer Krankheit müßte ich jetzt er- liegen. Auch wenn Dore nur einfiele, wäre schon das größte Unglück für mich: in einem angreifenden Bade, welches ich vor drei Jahren schon nicht mehr ohne die größten Beschwer- den und Nachwehen ertragen konnte. Hauptmann John, der solideste Mann, der Bentheims Adjutant hier war, sagte mir vor fünf Tagen die schöne Nachricht von Töplitz, und bezeich- nete mir ganz unschuldig die Örter, wo ich hin spaziren kann: und die, wo nicht! Also muß ich hier sitzen, und mich abbo- ßen. Mit Varnhagen, wenn wir nicht wo anders hingehen, wage ich es! dann werde ich sehen wie es ist: und schreib’ ich , ihr könnt kommen, so müßt ihr. Fanny und Hanne, quält sehr! Es geht. Fanny, überlege was du sagst! „Rei- selust gebüßt“? sagst du? Ja! abgebüßt. Nennst du dies rei- sen? solche Mörderflucht: unter solchen innren näheren, und äußern ferneren Umständen? solchen angstvollen, schreckli- chen, Schmerzensaufenthalt, — nach Kulm: was ich da sah, und thun mußte! und gleich nachher solche gottverfluchte Krankheit, von der ich mich gar nicht erholen kann! Das ist gereist? und das soll mir die Reiselust heilen! Genug, wenn dies sie mir nicht auf ewig vergällt! Aber ich scheide in der größten Leidenschaft gut: dies ist nicht gereist! Rei- sen ist: bequem, und ruhig, über Freunde und Habe, mit einer trostreichen Börse, von einem schönen Ort zum an- dern ziehen; und die ruhig betrachten, und erwägen, und wahrhaft drin leben: nicht leiden, rechnen, warten, Gram, Angst und Schmach haben. Punktum. Mein einziger Trost war, den Ort, in dem ich dies litt, nicht Heimath nennen zu dürfen: denn geschieht einem dergleichen zu Hause, was soll man dann denken und sagen! — Hannken! du kannst mir so selten schreiben, als du willst, ich bin zufrieden: ich werde schon schreiben was ich weiß. Ich war recht ärgerlich, daß ihr Alle so lange nicht geschrieben hattet, und freute mich doch ganz rasend über euren Brief vom 4. Juni, den ich gestern erhielt! Aber mir soll jedes verbittert werden: denn mit eu- rem Brief zugleich bekam ich einen von Willisen aus Tirle- mont; eine Post von Brüssel, wo ich wegen Wagenbruch ei- nen Tag lag: worin er mir Marwitz Tod für gewiß meldet. Eine Flintenkugel traf ihn den 11. Februar bei Montmirail grade vor der Stirn; er starb ohne Schmerz, schreibt er, wei- ter aber nichts. Nicht wo er begraben ist; nicht ob er dabei war. Recht ärgerlich! Er ist außer sich, und kann vor Weh nicht. Ich schweige. Ich kann mich über nichts mehr aus- drücken; z. B. wenn einer stirbt — wie Marwitz — so seh’ ich nicht nur die Person, oder die Art ihres Todes, — sondern den Tod: und mich schwindelt überhaupt: und ich weiß nicht, ob ich noch lebe: und Millionen ganz abstrakter, nicht für die Feder zu leistender Gedanken! Kurz, ich erschrak gestern so von neuem , daß ich ganz zerstört bin. Jeder Freund von Marwitz fühlt seinen Tod nach Maß seines eigenen Werthes, und der guten Eigenschaften, die da machten, daß er seine be- griff, und sah. Keiner kannte seine Lücken besser als ich : keiner war vielseitiger und intimer sein Freund. Genug, Gott hat den, und Louis, etwas früh der kothigen unverständlichen Erde entrückt. „Der Rest ist Schweigen!“ — Das glaube ich, Ohme, daß du Magdeburg verändert gefunden! und grade auf die Weise, wie du’s mir erzählst. Die Welt ist mit dem Frieden nicht zufrieden! Alle Klassen der deutschen Welt! Das ist hart. Der Brief in der Zeitung — der im Wiener Beobachter stand — an die Freiwilligen, ist gekniffen, und dürre. Auch haben sie’s schlecht! — Den Einzug, — oder vielmehr in der Zeit desselben möcht’ ich wohl zu Hause sein: damit ich doch auch eine Freude habe. Vielleicht komme ich auf acht Tage nach Berlin. Viel- leicht ! Weil ich noch gar nichts weiß. Lieber Ohme, Geld schicke mir nicht ehr, bis ich etwas fordere. Meiner Rechnung nach kann ich erst zum Monat September wieder das für jeden Monat bestimmte erhalten. — Bendemanns waren drei Tage hier, und bei mir. Kein angesehener Landsmann geht mir hier vorbei. Tralalala. Es sind sehr liebe Leute, die mir wohl etwas hierher gebracht hätten. Eben wollte ich euch schreiben, daß Mlle Bauer unter sehr guten Bedingungen zur alten Mad. Haller, bloß ihr die Wirthschaft zu führen, und vorzulesen, hätte kommen können. Eine wahre Versorgung in der reichen, rechtlichen, splendiden Familie! Wenn’s bei M. nicht außerordentlich ist, laßt sie wechslen, und arrangirt’s, durch die Hofräthin Herz z. B., M. Friedländer, Hartung. Grüßt sie sehr. Ernestine ist wohl böse? Alle Briefe sind an sie und Moritz mit. So viel kann ich nicht schreiben; sie müssen mir schreiben. Auguste ist in Frankfurt a. M. Seht ihren lie- benswürdigen Karakter aus diesem Zettel, den ich mitschicke. — Gentz empfiehlt mir so eben, wie noch nie etwas ; nennt es Jesaias, Dante, Shakespeare; den Rheinischen Merkur, von Nro. 40. bis zum 10. Juni. Lies es also ja! Seine Gesin- nungen nennt er’s; aber besser ausgedrückt. Kurz, das größte Lob! Humboldt geht nach dem Wiener Kongreß als Gesandter nach Paris. Sage es aber niemand. Wenn ich nach Töplitz gehe, und ihr nicht dahin kommt, werde ich es als den größten Bruch ansehen. Einm al kann man sich selbst wohl etwas zu Gefallen thun. Gehe ich nach dem Rhein, so geht ihr dah in! Und bringt mir meine Sachen mit. Das fällt mir erst jetzt ein! Was ich von dem Mißvergnügen über den Frieden schreibe, schreibt man mir aus allen Enden Deutschlands; und sagt hier jeder, und alle Klassen . Nur die Berliner nicht. Auch Gentz spricht so, und sein empfohlenes Blatt. Antwortet hier her. Roberts Beschäftigtsein treibt ihn zur Beschäftigung. Drum trieb ich auf einen Stand in der Welt: solche Leute, wie wir, können nicht Juden sein! Wenn nur der Jakobsohn für sein vieles Geld keine Judenreform bei uns macht! Ich fürchte es von dem eitlen ‒ ‒! An Frau von Grotthuß, in Dresden. Prag, Freitag den 24. Juni 1814. Hast du denn meinen Brief vom 25. Mai, den ich dir durch Graf Luckners Kammerdiener schickte, nicht erhalten? Wenn du bloß nicht geantwortet hast, weil wenig darauf zu antwor- antworten war, und weil ich in diesem Brief noch nicht be- stimmen konnte, wo ich hingehe, so bin ich zufrieden. Nur halte dich nicht wieder verdrießliches Unheil ab! Ich bin noch in derselben Klemme: und sehe nun die unveränderliche Kon- stellation meines Geschicks ein. Kaiser auf, Kaiser ab; Bür- gererhöhung, Adelglanz; die Welt mag sich gestalten wie sie will; bei jedem Wälzen, bei jedem Sturz, bleib’ ich bei mei- nen Sandkörnchen liegen, auch ein solches; und vergeblich ist mein Streben, und mein Verzweiflen! Nicht einmal ich än- dere mich; meine Natur, bleibt auch dieselbe: und so sitze ich noch hier und boße mich zur Konvaleszenz. Seit dem 29. Mai habe ich aus Paris keinen Brief von Varnhagen; in dem ver- heißt er mir zu kommen, und ihm nach Mannheim zu schrei- ben poste restante: mein siebenter Brief liegt nun dort, und er kommt nicht, und antwortet auch nicht. Sogar Mad. Brede, die mir jeden Posttag schrieb: und nun in Mannheim ist, schreibt mir seit dem 27. auch nicht mehr. Diese Bos- heit rechne ich dem Schicksal an, wie einem Menschen!! Ge- nug von mir Widerwärtigen! man wird es vollkommen von Widerwärtigkeiten, die ganz ohne répit auf einen regnen . Auch hätte ich dir ganz gewiß nicht geschrieben, sanfte Sara! — sanft und freundlich nenn’ ich dich jetzt, weil ich mir un- bewußt während dem Schreiben dein Gesicht vorgestellt hatte, und dein bloßes Zuhören, mein mich an dich in Gedanken Wenden, mich schon besänftigte. Holde schöne Gabe Gottes! Aber ich konnte ohne andere Veranlassung, als mich selbst, mich doch nicht entschließen dir zu schreiben. — Vorgestern eröffnete mir der ständische Schauspieldirektor Liebich, als der II. 15 einzigen Vertrauten in der Sache, die nun kommt, Folgendes. Er würde Goethen schreiben: und ihn bitten und ihm vortra- gen, daß er für gesammte deutsche Bühnen ein Stück schriebe, welches den 18. Oktober auf all unsern Bühnen zugleich auf- geführt würde: und so alle Jahr den achtzehnten, und im ganzen Jahr sonst keinen Tag. Mir schauderten gleich die Backen, und Thränen standen mir in den Augen. Aber wie sagte dies der Mann, mit welcher Einfachheit, Ehrlichkeit, Anspruchslosigkeit, und wie durchdrungen: und was fügte er hinzu! „Ich will keinen Ruhm davon, sagte er, aber wem ! kann man’s zumuthen, als Goethen!“ und sprach so, wie man’s nicht wiederholen kann. Ich genieße der Ehre, daß, wenn man Goethen huldigt, man es mir vertraut! Denk dir, Grotta — mir zittert das Herz diesen Augenblick in Thrä- nen — wenn man in ganz Deutschland, in derselben Stunde Goethens Worte, seine Meinungen, seine Gedanken spricht: alle Bessern unserer ganzen Völkerschaft versammelt sind, ihm zuzuhören, von ihm zu lernen was sie zu denken haben; und er uns zur That schafft was Ereigniß war! Die Welt ist nicht mehr so roh, daß die Thaten sie gestalten und sie den- ken lehrten; dies müssen unsere besten Denker und Dichter thun: die Edelsten der Nationen! Wie sie es schon thaten (Hermann und Dorothea nur zu nennen!!!). An unsere Dichter, an unsere Weisen knüpft sich alles Zusammenhängende an, die Thaten selbst, langsam: wie Trophäen großen frischen Bäumen angehangen werden: sie müssen ihre ganze Zierde doch aus der Natur nehmen; und hier erst ist verständlicher Akt, was vorher Ringen der Begebenheiten war. Liebe Grotta! Rede ihm zu , daß er’s thue, daß er’s nicht ab- schlage. Wenn es ihm auch Mühe macht: und einen Ent- schluß kostet. Es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich denke: Goethe soll, mag eine Mühe haben. Denke dir, ge- liebte Freundin, wenn ganz Deutschland denkt: jetzt hört ganz Deutschland dieses Stück, schaudert, bebt, horcht, und klatscht, und jubelt, und weint mit uns! Ich falle auf die Erde und weine! Wir haben ja keine Forums, keine Märkte, keine Rednerbühnen, nichts Öffentliches; nichts Unzerstückeltes ist uns überkommen, wir schaffen ja nur ab , und nichts! — Aber als Naturnothwendigkeit für alle in Völker versammelte Men- schen steigt den Regierungen selbst unbewußt die Schauspiel- bühne als ein solcher Mittelpunkt unbemerkt und ungelockt empor. Verkündigt man uns nicht Siege von ihr herab, dankt man Helden nicht von ihr herab? sammelt sie nicht ganz allein die Menge, darauf still zu horchen, was sie hö- ren, erfahren, lernen und bedenken soll? Nein, es ist Goe- thens, unsers erhabenen Lehrers ganz würdig! Vertrete Lie- bich bei ihm. Er war sehr kleinmüthig; aber wie zu einer Pflicht fest entschlossen, ihn anzugehen, schon gefaßt in Trau- rigkeit — wie man es ist — auf eine abschlägige Antwort. Gedrückt sagte er: „Ich habe dann das Meinige gethan. Keinen Würdigern weiß ich nicht! Einem Andern kann man dies doch nicht anfordern.“ Ich ermunterte ihn! Ich habe eine Freundin, sagte ich, der ist Goethe sehr hold und zuge- than, und der vertraut er: der werde ich die Sache vortra- gen; die soll sie unterstützen und ihn bitten !! Nun, glück- selige Grotta, von der man dies sagen kann, thu’ es auch! 15 * Sprich deine Sprache! Aber thue es gleich . Ich habe Liebich bewogen, seinen Brief bis zum nächsten Dienstag zu- rückzuhalten, dann ist wieder sächsischer Posttag; damit dei- ner, zum allerwenigsten, zugleich mit seinem kommt, oder gar früher: und damit Goethe ihm nicht in der Geschwindigkeit, eh deiner kommt, ein Nein schreibt. Wie auf deine Ehrlich- keit, verlasse ich mich darauf, daß du, wenn du nicht sterbend bist, gleich und so schreibst, wie du kannst : eindringend, daß, bis er’s thut! Wie wird’s ihm die Kaiserin, seine Freun- din, danken! Ganz Deutschland beglückt er; es flammt von neuem auf! Soll ich dir noch hinzufügen, daß Liebich der einfachste, braveste, gütigste, wohlthätigste Mensch ist? und in manchen Fächern seiner Kunst unübertrefflich: voller guten Willen, und ohne Vorurtheil? Dir diesen Mann dank- bar zu machen, muß dich auch freuen! Wenn es Goethe an- nimmt, und es ist so weit, daß es Goethe erlaubt, will Lie- bich ein gedrucktes Zirkular an alle Bühnen ergehen lassen. Grotta, du mußt ! Adieu, Liebe! Schreibe; und antworte mir. Empfiehl mich deinem Gemahl! R. R. Anmerk . Goethe empfing die beiden Briefe. Er schrieb an Liebich diese Antwort: Weimar, den 10. Juli 1814. Für den an mich ergangenen sehr ehrenvollen Antrag hab’ ich alle Ursache, meinen lebhaftesten Dank abzustatten, wobei mir sehr angenehm ist, daß ich Ihren Wünschen, wo nicht unmittelbar, doch mittelbar ent- gegen zu kommen im Stande bin. Es hat nämlich vor einigen Monaten die angesehene Generaldirektion des Berliner Theaters von mir ein Festspiel verlangt, zur Feier der An- kunft ihres Königs und seiner höchsten Gäste. Ich habe diese Gelegenheit benutzt, um alles zur Sprache und Darstellung zu bringen, was in den Gemüthern seit so vielen Jahren vorging, und was sich nun in diesen letzten Zeiten so glücklich entfaltet hat. Mein Bemühen, nichts zurückzu- lassen, was man fordern und erwarten könnte, hat jenes Stück zu einer solchen Vollständigkeit gebracht, daß ich, wenn ich ein neues fertigen sollte, mich nur wiederholen müßte. Mein stiller Wunsch, diese Arbeit nicht nur für Berlin, sondern für das ganze Vaterland, nicht nur für den Augenblick, sondern auch für die Zukunft unternommen zu haben, scheint sich durch Ihren Antrag der Er- füllung zu nähern. Jenes Drama ist dergestalt eingerichtet, daß ganz reine Rezitation, Rezitation mit melodramatischer Begleitung, Rezitativ, Kavatine, Arie, Duett, Terzett und Chor mit einander abwechseln, so daß die vorzüglich- sten Schauspieler sowohl als die Sänger darin ihre Talente entwickeln können. Hr. Kapellmeister Weber arbeitet an der dazu nöthigen Kompo- sition, welche, nach den mir bekannt gewordenen Musterstücken, von gro- ßer und schöner Wirkung sein muß. Das Stück wird gleich nach der Aufführung gedruckt erscheinen, und Sie werden alsdann selbst urtheilen, ob es werth sei, ein Sekularstück zu werden, und ob es Ihren Wünschen entspreche. Haben Sie alsdann die Gefälligkeit, mir ganz offen Ihre Meinung zu sagen, und erhalten mir bis dahin Ihr freundliches Andenken. Ergebenst Goethe . An Karoline von Woltmann, in Prag. Töplitz, Sonntag den 17. Juli 1814. Kurz vor dem Bade 12 Uhr. Ich wollte Ihnen einen langen — ich kann keinen kurzen machen — detaillirten Brief schreiben; der sollte so anfangen: „Ich mag Varnhagens schönes Schreiben nicht verschampfiren, liebe Berliner, theure Ojeser Freunde!“ und so würde er fortge- flossen sein und Ihnen gesagt haben, wie ich hier nicht schreiben kann; und dabei erzählt haben, wie es hier ist: wie ich es finde, wie es mir geht, was ich denke, und wie ich an Sie gedacht habe. Alles war zu diesem gewiß angenehmen, denn er wäre treu und wahr geworden, Brief zusammen gelegt, als mich plötz- lichst ein Halskrampf überfällt, den ich seit vier Wochen un- gefähr kenne, aber nie in dem Grad gefühlt habe. Es spannt sich dabei die Hals- und Kopfhaut, und zwingt mich zu einem stickenden Erbrechen. Der Anfall war so stark, daß mir noch die Glieder und Beine zittern; und ich wie der größte Narre weinen mußte, als man eben aus dicken Böllern von einem Berge hinter meinem Haus den Frieden herab schoß, so ange- griffen war ich Esel in dem Augenblick. Nämlich, so wirkte das Knallen . Hier ist es göttlich, liebe Kinder! und wenn Sie irgend können, Herr von Woltmann, so kommen Sie her. Man steht hier nichts aus von der Gesellschaft; man kennt sie nicht; und sieht sie kaum von weitem schwindlen: hören Sie’s, liebe Karoline? Das Thal ist schöner als je ! Vom Krieg, keine Spur ! Außer, daß mancher Platz unge- mein verschönert ist, so, daß ich dachte, Fürst Clary habe es machen lassen; so schön haben die Truppen von ungefähr aus- gehauen. Gestern war ich bis am Fuße des Geiersberges, in drei Dörfern, wo der Krieg recht eigentlich wüthete. Ja! such’ ihn mal Einer! Nicht zu finden! Nichts davon zu fin- den. In Mariaschein im Wirthshause gestand’s die Wirthin selbst, deren Haus — ein gewesenes Kloster — eingenommen von den Alliirten — eigentlich Preußen — und befestigt war, daß alles schon wieder gut sei. Auch war ich in den ber- gigen Waldgängen, wo das eigentliche Gemetzel war; les fleurs s’en moquent. Nüsse, Hambutten, Kornblumen; blaue, violette, weiße, alle Sorten; Eichen, Buchen, Kamillen, und die tausend Kräuter, wühlen wachsend und nichts eingedenk empor; schöner, reicher, üppiger, stiller, als sonst;i m goldig- sten Wetter; welches auf dies Götterthal, um ihm abwechselnd die nicht zu fassenden Gestalten und Scheine zu verleihen, her- unter strömt. In Prag hatte ich doch keinen Herrn und kei- nen Bedienten? hier hab’ ich beides. Varnhagen (hier ruft man mich mit Gewalt in’s Bad.) (Nun bin ich aus dem Bade; und war schon wieder gestört, als ich zu schreiben an- gesetzt hatte), der zwei Tage nach mir hier ankam, hat einen Bedienten mitgebracht, und da der Herr so gütig gegen mich ist, so ist der Diener entweder davon verführt, oder er verstellt sich aus Furcht und Respekt, und bedient mich. Es ist ein Pariser, und seines Handwerks ein Schneider, ein Bursch von zwanzig oder so viel Jahren. O! wie stellt der mir wieder die gute Sitte des ganzen Volks dar! den Besitz, den es von seiner Sprache genommen hat, den Ersten des Landes gleich; kurz, das Gute von Frankreich, so wie es geht und steht. Eben so hab’ ich hier Geheimraths-Familien von uns gesehen und andere Adliche unseres Landes (welches so sehr mit mei- nem Herzen verwachsen ist, daß der Anblick des Letzten dessel- ben mir Thränen in die Augen pumpt), die mich recht mit Schreck erfüllten und stutzig machten; so sehr, und so leicht entwöhnt man sich deren stupiden, trocknen, steifen, steinernen, und doch ganz hohlen Stolz, auf die nichtigste Einbildung: bei der sie selbst sich in keiner Art etwas Reelles denken, ge- gründet. Einen neuen Krieg sah ich vollkommen fertig aus denen grade hervorbrechen. Ein Johanniter besonders mit zwei brummenden Damen, gingen ganz wüthig gestern in dem Hauptgang des Gartens umher, bloß weil sie noch nicht wuß- ten, ob die Menschen-Rudel, die sie da sahen, wohl Gesell- schaft seien; d. h. Grafe, Barone. Nun sieht man auch so- genannte Gebildete: die sind wieder so bieder — daß man’s schon den Männern an den neuen russisch-kriegspreußischen Mützen ansieht, und den Frauen an dem naiv-kinderhaften, häuslich-bürgerlichen altdeutsch-puffenreichen Anzug; den sie keineswegs vermischen, wohl aber zugleich an sich tragen; mit einer Haltung, die dies gerne in Ordnung halten möchte, das Strickzeug und die tugendhafte Treue besorgt, und doch dem Geist so viel Spielraum läßt, die Gegend und Neues über- haupt in so weit in die Seele zu lassen, als eine geistreiche Erzählung für die Zuhausgebliebenen erfordert, und natürliche gute Neugierde sucht. Die machten mich sehr herunter; und meine Erwartung für Berlin auch. Ich kenne nicht Einen, nicht Eine davon persönlich; ich habe sie nur so schwindlen und sitzen sehen. Varnhagen hat aber schon mit ihnen gespeist und geschnackt. Eine Breslauer Elegante ist hier, die ich von Berlin kenne, die mich sehr liebt: und die sehr schöne Eigen- schaften hat. Auch eine Equipage: mit der leb’ ich im Freien. Auch sehe ich des Major Selby Frau und Schwägerin, der hier in Garnison ist, und die ich von hier und Prag kenne; er ist ein Däne, gebildet. Sie sind artige hübsche Blumen; die Frau derb, voller Unschuld: schön gegen Mann und Kind: dann sprech’ ich noch flüchtig mit Offizieren, sonst weiß ich von keiner lebendigen Seele. Ich wohne sehr gut. Zwei Zimmer nach einem Platz; Varnh. zwei hintere nach dem Garten: der voller Rosen, ganz aufgeräumt ist, und nach einem Berge führt, und nach den Schloß- und andern Gärten hinsieht. Den Bädern im Fürstenhause bin ich gegenüber, welches auch einen schönen Garten, der nach dem Felde geht, hat. Wo ich gehe und stehe, bequeme angenehme Spazirorte! Dies alles für Woltmann. Theurer als in Prag ist hier außer dem Quar- tier nichts, vieles wohlfeiler. Kolonial- und andere Waaren. Mein Kreuz schon beinah ganz besser; das Bein, vom gehab- ten Schmerz nur affizirt, noch nicht. Berge steige ich schon wie ein Tyroler. Mir half sogar ein hoher, den ich unver- sehens diese Woche erklimmen mußte und auch wieder herab, äußerst; nämlich das Kreuz befreien; alles für Sie, Herr von Woltmann, damit Sie sich die Effekte des Badens ausmahlen. Nun muß ich zu Tische. Das Essen ist recht gut und gar nicht theuer, nur die Suppe lass’ ich, und muß man lassen, selbst kochen. Adieu, à tantôt! (Nun nach Tische; nach Schlaf, und einem Besuch, von meiner Eleganten.) Kommen Sie denn nicht hierher? Ich möchte Sie gar gerne bereden. Es ist zu herrlich hier, und die Quelle zu gesund. Nur das Quar- tier und die Reisekosten brauchten Sie; bedenken, berechnen Sie’s! Varnhagen hatte Ihnen vorige Woche, in demselben Sinne einen Brief geschrieben, und ihn kassirt, weil er glaubte, er sei zu arrogant; ich redete es ihm aus; und mit einemmale hatte er wieder diesen Brief geschrieben, der nun mit meinem, oder meiner mit seinem, abgeht. Nehmen Sie unsere anhäng- liche Gesinnung, auf der besten Meinung erwachsen, und also auch voller Zuversicht, gut auf. Und gebe der Lenker der Um- stände, daß unsere Wünsche für Sie in Erfüllung gehen. Es geschehe aber wie da wolle, so wollen wir nicht aufhören un- unterbrochen bemüht zu sein, das Beste an und für die Besten zu fördern. Sei auch das Chaos der Welt wirklich so groß, als es mir scheint, oder schon eine gebildete Epoche; diese gu- ten Bemühungen können und müssen sie nur weiter fördern, und darin kann auch der Unbedeutendste, die formloseste Per- son helfen; drum will ich es mir nicht entgehen, und das Ge- gentheil zu Schulden kommen lassen. Bei Ihnen nun gar, wo es nichts, als der Ausdruck, das Wirken, des leidenschaft- lichsten Wohlwollens ist; im Einklang der besten Meinung von Ihnen; und eine wahre Bewunderung für Karolinens unschuldige Tugenden, die sie gar nicht kennt! Leben Sie recht wohl. Antworten Sie mir bald . Im goldenen Löwen. Und lassen Sie mich wissen, wie sich Woltmann befindet, und ob, und daß Sie kommen. Rahel Robert . An M. Th. Robert, in Berlin. Töplitz, den 13. August 1814. Sonnabend früh, in Eil wegen der Post. Lieber Markus, deinen dicken Brief hab’ ich erhalten, vo- rige Woche, und bis jetzt wegen Zufälligkeiten, worunter eine Alteration — von einem Kerl im Garten — mit ihrer Folge, als Unpäßlichkeit — die wieder weg ist — auch ihren Theil hat. Ich muß dir ja recht sehr, schon als Redakteur, und das als berichtigendem danken; so viel Litteratur, Nachrichten, und Berichtigungen schicktest du mir! Ich danke dir besonders für die gute, und gütige Besorgung des empfohlenen Buchs [Deutschlands Zukunft, von Kohlrausch] an den Herrn Doktor von Tauenzien! Mich freute es ungemein, wenn unser König das Buch lesen sollte: der Doktor und seine Freunde lesen es doch in jedem Fall: berichte mir, was er drüber sagt. Em- pfehle es meinerseits A. Mendelssohn, mit wenigstens acht Schock Grüßen an ihn und Lea; er soll es ja Bartholdy’n geben, oder empfehlen: und der dem Staatskanzler. Thue es auch, Brüderchen!!! — Hab’ ich dir auch von Thibaut’s Buch gesprochen? Professor in Heidelberg? „Über die Noth- wendigkeit ein allgemeines Recht in Deutschland zu haben.“ Noch wichtiger: und etwas für dich . Ein reifes , also ein sehr kleines Buch: eine Essenz von Gelehrsamkeit, zum Schluk- ken für Ungelehrte. Empfiehl es ja ! dem Geh. Rath Schmidt z. B. für Kircheisen; nicht daß er dies grade beförderte: aber als Nieswurz zum Hellsehen, Ermuntern, und Erholen. Kurz, sprich viel davon. — Allerdings ist Kohlrausch ein Jünger Fichtens. In so fern es die Ehrlichen, Graden, Denkenden alle sind, die da nur entwicklen können, was er für die Menschheit wollte, was er ihnen, als die Aufgabe und das Sein eines Gelehrten, vor- legte. Sonst weiß ich nichts von seinem Zusammenhang mit dem Hochseligen! Ich habe den größten Antheil genommen an deiner Äu- ßerung über H’s Erwähnung des Baron W. Es ist ein Ver- druß, wenn uns Einer alles untereinander matscht; und dies nur eigentlich aus Faulheit geschiehet, um sich in sich selbst die Dinge nicht mit deutlichen Gedanken auseinander zu hal- ten, und, hat man davon zu reden, es nicht mit Worten zu thun. Man wird so mit der Zeit immer unfähiger dazu, wenn man auch von Natur eine präzise Einsicht erhalten hat; und die Andern, Bessern, erkennen einen nicht an, als Mitwirken- den, haben nichts mit einem zu schaffen, weil sie sich, wie Tanten und Väter aus Liebe und in Liebe thun, nicht die Mühe geben, einen zu errathen : und mit einemmale ge- hört man zu einer minder guten Klasse intellektueller Menschen: und das nicht, weil einen die Natur so stellte — bei welcher Stellung einem immer wohl sein kann — sondern weil man träge, und dah er ungeschickt geworden ist; und sich dann mit seinen bessern Anlagen auch unbehaglich fühlt. Wie oft hab’ ich H’s Verstand und Gaben, und besseres Sein, grade bei den Besten vertheidigen müssen! — — Hier ist auch ein Brief von Robert. Sehr gut! Wenn wir ihn tadlen, thut es mir weh, und ich möcht’ ihn loben. Loben wir ihn, muß ich’s bedingen. Genug heute; aber er ist ein Dichter: und ich keiner; weil ich nie seicht bin. Ein Frevel ?! dem Klange nach; erklärt, nicht. Keine Zeit! Mord-Echauffement! — Schöne Sachen schreibt R. Ich könnte ihm gleich schmeichlen, ihn streichlen; er hat lange Ant- wort von mir, und Varnhagen. Sie schrieben sich. Es rumo- ren alle Deutsche. Was ich in R’s Briefe roth anstreiche, ge- fällt mir sehr: wo schlängliche Striche sind, approbire ich ihn nicht. — An Frau von Grotthuß, in Tharant. Töplitz, den 19. August 1814. — Vergiß es aber nicht ! Alles kann sich ändern: und Wunder geschehen wirklich noch immer. In Hülfe: in neu angesponnenem Leben haben wir es ja Beide oft erfahren. Es kommen gewiß Augenblicke, wo du dem Gebet und dem gött- lichen unmittelbaren Wunderschutz näher sein wirst: auf diese hoffe mit Zuversicht. Dies ist das einzig Erhabene, Reelle, und wie ein Licht lassen sie völlige Finsterniß in dem Schreck- lichsten nicht zu. Trost giebt es nicht: sonst gäbe es kein Un- glück: aber mit diesen Gedanken richt’ ich mich selbst in schlim- men Fällen auf, und drücke sie fest an mein Herz. — Noch kann ich wegen Varnhagens Verhältnissen nicht bestimmen, wann ich nach Dresden komme; aber in jedem Fall sehe ich dich. — Auch ich wüßte gern, wo ich bleibe: obzwar ich weiß: daß, außer bei Eis und Bären, oder unter der Linie bei Vampyren, es allenthalben gut und schlecht ist, und der Kampf nie aufhört: noch dazu jetzt, wo es keine Hauptstadt, keine Hauptnation, keine Haupt-Großewelt mehr giebt, nur Gährungsstoff, Fragen ohne Antworten, Frieden ohne großen Gewinn in der Stelle von jenen. Aber alte hei- mische Gewöhnung hat mich heimisch gemacht; und selbst die früstrirte abgeschnittene Neugier, allgemein Gesittetes in schö- nen festen Formen irgendwo finden zu können! Mein lieber mich liebender, ehrlicher, fleißiger Freund muß mir Halt und Ersatz sein: und wir sind es uns auch: auf Erden scheint mir nichts gewiß, und ein großes Gut, wie durch Zauberglück, ganz außer meinem Schicksal und Bewerben erhalten, am we- nigsten! Mich dünkt , ich bin auf alles gefaßt. Wir sind sehr fleißig; nämlich Varnhagen und Woltmanns, die mit uns auf demselben Flur wohnen; sie schreiben viel, und lesen viel, haben viel Bücher und Zeitungen, da lese und hör’ und red’ ich dann ein wenig mit: so viel es die warme Quelle gestattet., Wir machen die ruhigsten, heitersten Spazirgänge, und ich bin stolz, wenn sie sich an der Gegend erfreuen: als hätte ich sie gemacht oder entdeckt, oder hielte sie so zum Ge- nuß der Freunde in Licht, Schatten, Duft, Grün und Kräu- terlaub! Es geht mir alles durch die Seele dabei, liebe Grotta, die Welt, die Vergangenheit, meine; die Möglichkeiten, welt- liche und geistige; der Menschen Naturen, die ich kenne und kannte; tausend und tausend Dinge. Und die Liebe, die Ver- ehrung, die Segenanwünschung für Goethe umgeben dies, durchdringen es, wie seine einmalige Atmosphäre. Und im Ganzen kann ich von mir sagen, wie Hamlet von Polonius, daß er sonst ein geschwätziger, unruhiger Knabe war, und jetzt ein gesetzter Kerl. Da so todt an der Treppe. Doch ärgere, boße, freue, agitire ich mich noch: nur nicht so lange als sonst: und erfahre nichts Neues dadurch. — An Varnhagen, in Hamburg. Dresden, Mittwoch den 31. August 1814. Alexander Lippe ist nicht hier: sein Bruder aber kam statt seiner, und behandelt mich mit der größten Vorliebe und Ehr- furcht; und möchte mir alle seine Zeit widmen. Dies spricht sehr für diese Familie: und stellt sie auf eine andere Stufe, als wo die unseres gebliebenen Freundes steht. — Er sprach auch viel von dir, und mit höchster Achtung, und grüßt dich. Ich empfahl ihm Thibaut, er las ihn gleich, weil er ihn un- ter seinen Broschüren hatte; Kohlrausch will er sich schaffen. Heute will ich nach Tharant, Abschied von der Grotthuß zu nehmen. — Von den — schen Geschichten kein Wort weiter! Die Eifersucht, die Konfusion, die Lügen: eklen mich bis zum Er- starren: ich bin erschrocken , daß es so etwas giebt, und man in solcher Säuerei die Namen und Worte gebraucht, die bei uns die Zeichen des reinsten Lebens sind: ich schäme mich, dergleichen zu hören, und fühle mich wie beschmutzt: und kann dem Allmächtigen gar nicht genug mit erhabenem und reinen Herzen danken, — ich meine, mein Herz ist hier gar nicht erhaben und rein genug zum Dank, zu diesem Dank —, für das Glück deines Besitzes, dich gefunden zu haben; nur wissen kann ich es! O August, welch ein Glücksfall. Solch einen Freund, dem man alles sagen, alles zeigen kann. Dies war mein Ideal. Du besitzest es auch. Im hohen Grade bei mir. Dies ist meine ganze Schönheit, muß sie vorstellen. — — Viel Menschen allenthalben; Staat und Putz; und das Ganze ruppig, wie alles nach dem Krieg. — Die Brühl’sche Terrasse hat durch die Repnin’sche Treppe sehr gewonnen. — Es macht Repnin Ehre, jetzt gleich zu verbessern und ver- schönern. Komm’ es künftig wie es wolle! — Über den ge- sprengten Bogen der Brücke weinte ich. Ein organisches, mühevolles Werk der Kunst, des Wohlstandes, des Fleißes und des Friedens zu schänden ! bezeugt eine Gräuelzeit; und ist so roh, daß man sich fürchtet, und gespannt wird, ihr so nah zu leben: und sie noch auf den Hacken zu haben! Was mich faßt, spannt mich, dann muß ich weinen. Auch habe ich vorgestern die Batterie gesehen, von welcher Moreau er- schossen wurde, und auch den Ort, wo es geschah, und alle Schlachtfelder. Pfui! Christen! und sie schmieren wieder so etwas im Kongreß zusammen. — An Varnhagen, in Hamburg. Berlin, Freitag, den 10. September 1814. — Tieck kam gestern Abend nach dem Theater: wir hat- ten schon Thee getrunken; er trank noch einmal, erholte sich nach und nach von der Erschöpfung des Ennui’s, er hatte das Ballet Arlekins Geburt, wo — hier! — nichts vor, nichts nachgegeben wird, seinen Kindern zu Gefallen ausgehalten. Bald kamen wir in die natürlichsten, muntersten, prätensions- losesten Gespräche, worin die Mädchen gar nicht hinderten; ich lag hinter dem Lichtschirm: weil ich sehr vom Schreiben, Gehen und Leben fatiguirt war. Er ist ein köstlich einfacher, versatiler Mensch. — Ich sprach ihm viel von dir, und wie du dich ärgern würdest ihn zu versäumen; und mit welchem Recht. Wir hatten sehr schöne Gespräche über das Lügen, und die Lüge: er ist ungemein wahr, und so naiv, als ob er von Glas wäre, so läßt er seine innren Untersuchungen sehen, — wenn er einmal auf diese Punkte gebracht werden kann, — in den einfachsten Bürgerworten, die sich, wie die vornehmsten Leute, gut stellen, und ganz mild und einfach einander behandeln, ganz einfach. — Er spricht oft schwer: klagt oft darüber; und noch gestern: daß er sich so leicht ver- nichtet nichtet fühlte; durch Ennui; welches ihm den Abend bei X. geschehen war — ich sah es; weil ich ihn kenne, und lachte so, daß ich mir das Tuch vorhalten mußte, weil es die an- dern Damen nicht ahndeten, in ihrem breiten Dasein, ohne Unterfutter! — Wir sprachen von Schlegels. Er sehr wahr, tief, mild; weltlich, komisch, beichtend. Wir aßen; er, Ba- bette und ich; wir hatten die behaglichsten Gespräche dabei; das Mädchen amüsirte sich mit; er erheiterte sich ganz. — Da hast du den Abend, führ’ ihn aus. Er war sehr gut: nur gönnt’ ich ihn mir nicht: da du es nicht hörtest. Tieck saß zwischen Babette und mir. „Da! nun sehen Sie den berühmten Dichter Tieck an!“ sagte ich dem Kinde. Er nahm es sehr gut: und es wurde kein Mißton; auch war das Mäd- chen ganz lieb und bescheiden. Adieu, adieu! — An Karl von Redtel, in Potsdam. Berlin, Freitag den 15. September 1814. Nur zwei Worte, um Ihnen zu danken, und Ihnen zu sagen, daß nicht allein die Gewährung meiner Bitte mir in Ihrem Briefe so ungemein tröstend und erfreuend war, welche mir Ruhe gegeben hat (Sie empfinden ganz was das heißt), sondern, daß ich Sie den Alten finde! Daß Sie Ihr voriges Leben nicht aufgeben, es nicht mit dem Schwamm auswischen: und jeden Tag eine neue Geschichte zu leben anfangen wol- len; das wollen ja beinah die Meisten; und ich bin gefaßt, einen jeden der meinigen bei diesem Sisyphus-Geschäft zu II. 16 treffen; aber nur um so lebendiger ist meine Freude, um so befriedigter meine Seele, wenn ich einen Freund gesund und jung wiederfinde (auf den sich die neugefundenen Freunde wie er selbst, verlassen können; und wo sie und er sich nähren, vom Alten, und daran erwachsen; anstatt mit losen Trenn- fäden an Loses geheftet zu sein!). Nur wir selbst machen uns alt; dadurch, wenn wir alle Tage eine andere Jugend leben wollen; anstatt daß jeder Tag, als neuer schon von selbst eine frische, für die nächsten Tage und das ganze Leben wird. Also sein Sie hochbegrüßt in meinem alten, antiken Herzen, das nie altfränksch wird, und werden soll, weil das das Nächste nicht anäfft und nachäfft. Sie kommen also, Lieber! Sie sind mir diesmal tausendfältig willkommen! — Vergessen Sie in der Zwischenzeit ja nicht meine Sache zu betreiben!! Jeder Andere, der darin zu thun hat, ver- gißt es gewiß, da es keinen als Sie interessirt! Und bringen Sie mir mein Lebens -Urtheil in Ihren Händen mit. Wie sonst, und für immer, Ihre alte R. Robert. Noch ist Tieck hier: kommen Sie bald ! Ein sehr un- schuldiger, lieber Engel. Meine Addresse wissen Sie. Ich wohne Behrenstraße No. 45. gleicher Erde. Bei meinem Bruder Moritz. Also wenn Sie schreiben , addressiren Sie an den. Sie kom- men aber! An Varnhagen, in Wien. Berlin, noch immer Berlin! den berühmten 18. Oktober 1814. Alle Truppen und Prinzessinnen und Menschen auf dem Exerzirplatz betend! Ich auch habe genug aus dem überflie- ßenden Herzen geweint für mich allein, seit dem 16., wo es sich engagirte; daß der Gräuel ein Ende, die stockende Angst ein Ende hat, daß unsere Truppen in der Sonne fröhlich und affektirt blinken; daß du in Sicherheit bist! In Sicher- heit! Weiß ich, ob du die Reise gut überstanden hast? Seit gestern erst weiß ich, daß du gleich bei deiner Ankunft in Frankfurt mit dem General wieder abgereist bist. Gott! die vielen Nächte hintereinander! Was dabei für beide gewonnen sein kann, weiß ich natürlich nicht. Für dich, daß du, wie du mit Recht wünschtest, mit Tettenborn in Wien ankommen konntest; und also auch das für mich. Ich reise nun über- morgen, Donnerstag. Das Wetter ist schön. Assing, der eben hier war, und auch Donnerstag nach Hamburg reist, und dich sehr grüßt, versichert mich es würde so bleiben, da keine Mond- veränderung einfällt: und es Anno 11. beim Kometen eben so war. — Was machst du denn? Bedauere die elende Rahel, der es immer chiffonnirt gehen muß, daß sie ohne Nachricht von dir mitten im Frieden sein muß. Glaube, daß ich mein Glück erkenne und ganz durchdenke und empfinde; daß ich auf den Knieen bin, nicht kränker geworden zu sein; daß ich weiß, das Winden und Kämpfen hört für niemanden auf, daß unser Übereinstimmen in allem der Grund all unseres 16 * Glücks ist, und daß es sich darauf in jedem Fall gründen wird, ich meine erbauen, denn gegründet ist es. (Das Tromm- len macht mich toll.) Aber Ungewißheit hasse ich so! und die wird mir seit undenklicher Zeit reichlich gereicht. Und wieder; denn obgleich ich abreisen muß, so weiß ich doch nicht wie weit. Doch wie Gott will! Ich denke auch fleißig, und im- mer innerlich, an die größeren Gedanken. Du kennst sie: sie fließen mir reichlich zu. Präparire mir, was du kannst, in Wien; aber im Ganzen nimm nicht zu viel Rücksicht auf mich. Bereue deine Heirath nicht; (Scherz, wenn du denkst, daß es Ernst ist) wenn ich dich jetzt inkommodire. Die F ê ten in der Zeitung sind mir sehr eklich; ich bin froh sie zu ver- säumen. Herzogin Sagan giebt auch Soupers in den Zei- tungen? — Von Dresden und Prag schreibe ich dir. Gott wenn ich nur nicht in Prag sitzen bleibe! das ist mein Einzi- ges! Morgen sind drei Stücke, zwei von Kotzebue, ein Ballet von Telle. Lauter Rückkehren: Kotzebue’s Gedanke beim er- sten ist witzig; „die hundertjährige Eiche;“ da geht’s Anno 1914 vor. Da könnte man unendlich komische und tiefsinnige Dinge herauslassen, wenn sie einem einfielen, und man dürfte. Lebe wohl! Gedenke mein! Gedenke, wie ich dich liebe und dich kenne. Wäre ich nur erst zum Ausruhen, zum Trost, zur Überlegung, zu meinem Trost bei dir! — Heute ist Ferdinands Geburtstag: er hat die ganze Stube voll Spielzeug und Ko- laken, wie er sie nennt. Es herrscht ein ungeheurer, aber auch sehr schöner Kuchen im Hause: solcher wie bei unserer Hochzeit — Hochzeit! — zum Thee war, da ward deiner ge- dacht, und auch immer in allen guten Gelegenheiten. Gott erhalte dich! Lebe wohl. Deine R. V. werde ich jetzt dir schreiben. — An Ernestine Robert, in Berlin. Sonnabend, Wien den 12. November 1814. Ist das nicht das größte Meerwunder, in Wien zu sein und gar nichts zu schreiben zu haben?! Wenn ich nicht die allgemeinen Gedanken-Schleusen öffnen mag, welches ich nicht will, der Überschwemmung wegen; und der Unverdaulichkeiten, die in Steinen und andern Materialien mit herausstürzten! hörten Sie, Ernestinchen, was ich Abends auf meinem Kana- pee doziren muß: muß , weil’s mir so herauskommt! Die Französin ist ganz vernichtigt. Mit der Physionomie anzu- fangen: spricht das gedanken- und beziehungsloseste Zeug, ja jede Frage z. B. nach der Gesundheit der Nichte, wenn sie sie sieht, ist zerstreut, ganz herzlos, ganz sinnlos, durch Blick, Ton und Wendung des Körpers. Dies alles ohne das min- deste Ohr für alles was in der Welt geschieht, ohne allen Takt, mit krummer Haltung, die ihr zur Natürlichkeit helfen soll, der sie ewig anliegt; als wäre die Natürlichkeit ein Mann im Amt, der ihr einen Titel verschaffen soll. Die Andre zieht sich an wie sonst: sieht so schlimm aus, daß, hätte ich es gleich gesehen, ich ihr mehr geantwortet hätte. Es ist mir aber lieb, daß ich es nicht gleich sah. Wien ist wie alle gro- ßen Städte gut: wenn man Geld hat: da ich mittelmäßiges habe, und einen außerordentlichen Freund, die Welt ganz kenne; d. h. das was man von ihr zu erwarten hat. Ich bin ganz zufrieden. Wie geht es Ihnen und Ferdinand? bongue bongue? Ich küsse den Bengel. Babette, sein Sie fleißig, die Jugend kommt nicht zweimal. Was ziehen Sie heute an? Ernestinchen, grüßen Sie alle Markus’ens, dies auch für sie. Moritz ist sehr vergnügt. Varnhagen hat den Katarrh und grüßt ungeheuer: und hat eine sehr liebe Frau, die heißt Rahel, und ist ihm treu. Ein komisches Stück vor- trefflich gespielt haben wir unter gräßlichem Lachen gesehen. Ihre R. An Karoline von Woltmann, in Prag. Wien, den 29. November 1814. Ich habe Varnhagens Kupferstich, seinen Brief nämlich, verschampfiren wollen, mit meinen Ruthen verderben wollen, aber der Stich war zu schön. Gott grüß Sie schön, rufe ich Ihnen zu! Aber ich möchte gerne wissen, ob nach „vor dem Ojeser-Thor“, oder nach dem dickhäusrigen edlen großartigen Prag. Nämlich, Wien ist nicht hübsch, soll das heißen. Eine engstraßige Festungsstadt, die so wenig zur Residenz oder Ka- pitale geschaffen ist, wie ich wollte ich sagen, wie Leipzig brauche ich nur zu sagen, denn mit Leipzig hat es die spre- chendste Ähnlichkeit bis auf die Nasen, welche die Erker sind, die Wien fehlen. Die vielen Laden — ausgeputzt wie die schön- sten Pariser — fehlen nicht; warum aber die Fiaker dort ganz und gar fehlen, weiß ich nun: sie sind alle hier: und das zum größten Unglück, weil ihnen absolut der Platz fehlt, nun wol- len sie den erjagen; und spielen Platzabjagen, oder quatre- coins, wobei die armen Pferde, die von nichts wissen, jedesmal ihre Hüftchen zu meinem größten Zittern und Schreck preis- geben müssen, die, und ein Graf Münster, dem man zwei Rippen, und ein armer Jäger, dem man beide Beine zerfah- ren, müssen alles büßen. Ein Kaiserlicher Wagen wollte auch mich den zweiten Tag als ich hier war umfahren; mein Fia- ker (der Wagen nämlich) floh in die Höhe und that sich nichts, sondern stieß mich nur, der Kutscher schimpfte Halunke ! hatte aber eben so viel Ambition und Schuld gehabt, als der Kai- serliche. Nichts Großartiges im Äußern hat mich hier noch wie so vieles in Prag frappirt, Ihnen, werthe lauschende Ka- roline, würde es dagegen gar nicht gefallen. Im Kasperle- Theater sind konsommirte Schauspieler: bei den andern habe ich noch nichts durchaus bewundert. In Gesellschaft war ich wenig, doch habe ich welche gesehen: und unzählige Menschen. Alle Gesellschaften in Europa, die welche sind, sind sich gleich, und mir lieb, d. h. egal lieb. Öffentliches haben wir ja gar nichts: und dies ist ein frikassirter Ersatz davon, wie das meiste Jetzige in meinen Augen. Oder gab es vor alten Zeiten, trotz der Berichte, Geschichten, Gedichte und Bewunderung, auch nichts? — ich habe starke Ahndung — und nimmt sich’s nur „gut in Liedern aus, was die litten, die thaten?“ Schreiben kann ich gar nicht: denn ich weiß nichts: es ist mir hier in der ersten Unruh vergangen. Bald komme ich in Ruh; und ärnte ich da nur das Mindeste, so sollen Sie frische Garben haben. Mit dem Kongreß geht’s wie im Damspiel, wenn einer bis zur Gabel gekommen ist: ziehst du so, so zieh’ ich so! und ziehst du so, so zieh ich so! Sachsen — Polen! So steht das Spiel, so lang ich hier bin: und auch ich kann mir einbilden ich bin klug daraus. Die Andern thun dies alle. Adieu! Liebe Ojeser. Wir sehen uns wieder! R. An Varnhagen, in Wien. Wien, Mittwoch Abend den 30. November 1814. „Eines harten Mannes Erb’, oder selbst ein solcher Mann, Oder beides auch zugleich, ist, wer Reichthum sammlen kann.“ Dies sagt der mir sehr liebe Logau; und wie paßt es, wie ist es der Text, der ganze Inhalt unseres Gesprächs! Ich habe dir meine Seele gezeigt; wie sie nach meinem besten Be- sinnen ist: denn so ist sie doch eigentlich, und nicht in wogen- dem partiellen Bewußtsein über die Erscheinungen der Dinge, sondern ihrer selbst, dem Bleibendsten in ihr. Ich habe dir also nur einen Moment zeigen können von dem, was in mir, wenn auch nicht immer, doch meist, und stets dunkel vorgeht und arbeitet. Verzeihe es mir also, wenn ich dich bitte, mir kein türkisch Schal zu kaufen! „Ob ich solche Schabracke habe, oder nicht!“ Im Gegentheil! Mein Stolz , meine Eitelkeit besteht darin, und schon längst, keines zu haben. Kann ich’s bezahlen, so brauche ich keins; und es ist schön keines zu haben: kann ich es nicht bezahlen, so ist es recht und richtig keines zu haben. Und endlich, die Summe Gel- des ist für uns und in jetzigen Momenten immer hübscher, als ein prahlender Lumpen auf den Schultern. Auch wenn ich prahle, möchte ich es größer! Es liegt mir gar nichts dran: und es soll dir auch nichts dran liegen. Gute Nacht, Lieber! Gehen wir beide hierin mit Herr Jesus! R. An M. Th. Robert, in Berlin. Wien, den 7. December 1814. Varnhagen sitzt neben mir, und muß noch zum Kourier vieles fertig machen, läßt dich daher nur mit diesem grüßen, dir danken, dich versichern, er würde es nachholen. — Noch sind wir im Stifte; übermorgen ziehen wir aus. Aus einer von mir geliebten Straße nach einem stillen Platz, zwei Trep- pen hoch — gute Treppen — hier gleicher Erde. Heute Abend fahr’ ich zu Fanny Arnstein, wo ich gestern die Assem- blee versäumte; meine Gesundheit leidet zu sehr von der nicht zu athmenden Hitze der gedrängten Menge; und jedesm al rekrutirt sich mein Husten auf sechs Tage wenigstens. — Gentz schrieb mir wieder ab, weil die Damen, die er zu mir gebeten hatte, Tableaux bei Hofe machen mußten: er ließ mir die Wahl, ohne die Gräfinnen Bernstorff und Fuchs mit ihm zu speisen, oder den Montag mit ihnen. Ich wählte das letztere: schon weil die Sache doch wenigstens verschoben ist — ich liebe fast nichts mehr, was Anstalt kostet! — und weil ich grade die beiden Damen als Matadore der Liebenswür- digkeit sehen will: Gentz errieth dies. Gräfin Fuchs ist der Gräfin Plettenberg Schwester (die bei uns in Berlin war), und alle meine Herren sind in sie verliebt. Gräfin Bernstoff ist Graf Christian Bernstorffs Frau, von der ich einen so rei- zend unschuldigen Brief gesehen habe, und so gründlich und eigenmächtig gescheidt, daß sie mir ganz merkwürdig ist. (Nicht wahr, ihr liebt diese Geschwätzigkeit?) Vorgestern sah ich die Zauberflöte, an der Wien. Fragt Moritz als Zeugen! Ich schwöre es, ich hörte aus dem bloßen Vortrag her, Me- lodien in diesem Werke, die ich, doch auch nicht unmusika- lisch, nie erahndet hätte auf den Stellen, wo sie hervorbra- chen; dergleichen vermuthend, weil ich gehört, was Righini aus musikalischen Phrasen und Figuren durch accelerirte oder angehaltene Noten, für welches keine musikalische Zeichen exi- stiren, herauszog, war ich einzig hingegangen. Dekorationen, Anordnung und Pracht stehen bei weitem unserer Aufführung dieses Stückes nach. — Die Königin der Nacht kam aus ei- nem großen Monde gestiegen, der in eben als Wolken herabgelassener Leinwand herunter rollen mußte; sie kam aus ihm wie aus einer großen Thüre gelassen und alt heraus, mit einer Krone von Silberpapier, woran Monde und der- gleichen von reinem Blech zitterten. Sie sang die unsinnigen Arien mit einer alten Stimme, die so dezidirt auftrat, daß man hörte , daß sie sich in der Art Gesang sonst mit Recht habe bewundern lassen, und in diesem Nachrespekt schonten sie auch die Zuhörer. Mad. Rosenbaum heißt sie; über fünfzig; aber sie ist die erste Person, die mich gelehrt hat, was staccato ist. Kein Unsinn: zu welchem es alle Sänger, die es nicht erfunden, und dazu geboren sind, machen. Denke dir, daß diese Frau noch diesen höchsten Ton trifft, und mit einer gemäßigten, besonnenen Gewalt anschlägt, daß er durch- aus wie von einem breiten Instrumente klingt, und in Angst und Weh und Zorn künstlerisch erzeugt scheint. So etwas ist sehr schön, bewundernswürdig und lehrreich. So lehrte mich der italiänische Klavierspieler Lodi zuerst, auf einem zerbrochenen Klaviere in Töplitz (vor vielen Jahren), was Mozart und alle neuere Komponisten mit Oktavspringen auf diesem Instrument sagen wollen: er zeigte mir, daß das schnelle Greifen mit Einer Hand von der Oktav zur andern den anhaltenden Ton eines gestrichenen Saiteninstru- ments hervorbringen sollte; und brachte ihn jedesmal durch Schnelle und ander Geschick hervor. Wenige Menschen ahn- den nur in der Technik der Musik ein Werkzeug zu derglei- chen Absichten; und lassen sich das mißlungene, und als nichts Bedeutende lebenslang gedankenlos als etwas aufdringen. Mir gehts anders: ich tadle es, bis ich’s verstehe. — Alle Orchester hier gehen sanft, sinnig und richtig, und ihre Stärke besteht nicht im Reißen, wie die der beiden Weber; des dün- nen in Prag, und des dicken bei uns. Überhaupt auf fal- schern Musikwegen ist keine Stadt in Deutschland, als Ber- lin; und, wie natürlich, in einem festen Dünkel darüber be- fangen: weil es Mühe und lärmende Anstrengung nicht spart. Weber, Zelter, Iffland, tragen große Schuld; und des seli- gen Righini Überdruß und Nachgiebigkeit aus Applaudisse- mentssucht. — An M. Th. Robert, in Berlin. Wien, den 15. Januar 1815. Gestern erhielt ich euren Brief mit dem Kourier, und will auch gleich heute antworten, weil morgen wieder zu euch einer abgeht. — Ich hasse, und immer mehr, alles was nicht die Umstände als natürlich erlauben; weil nie daraus etwas Gut- gegliedertes, Mildes wird, und schon ein verrenktes Streben voraus setzt, wozu einem die ganze Welt nicht günstig ist, sonst hätte man’s nicht nöthig. Gott und die Welt mein’ ich. Ich denke über die Versorgung wie du, und sorge natürlich mit; aber da ich der Menschen Verkehr und Zustände nun ein- mal nach meiner Weise kenne und sehe, so denk’ ich auch hin- wiederum, obgleich sich die Kinder aus den ersten Banden sehnen müssen und mögen, neue Lagen und Verhältnisse dun- kel und wogenhaft sich vorstellen; so bleibt eben diese Mög- lichkeits-Zeit, meiner ganzen Einsicht nach, ihre beste; ihre vornehmste, adlichste, und horizontvollste; und eben deßwegen reichste, weil sie ihnen noch gewährt hinauszuschauen! — ich bin also vergnügt, wenn sie Gefährten, Handlungsraum fin- den und gewinnen; und bin sehr vergnügt, wenn sie’s noch lange in Schutz erwarten; verstehen sie ihre Lage auch nicht ganz, so fühlen sie sie doch wie Jugend, und Gesundheit: und denen brauch’ ich das Wort nicht zu reden, nur zu seufzen mit allen Gebornen, daß sie unwiederbringlich sind, und nur rückwärts geschaut werden können. Die Konferenzen dauren fort: einer spricht so, der andere so: aber definitiv ist nichts ausgemacht, nämlich abgeschlossen. Ganz Sachsen bekommen wir nicht. Mir ist es lieb, wenn es jetzt nicht geschieht, da doch — und es ist auch mechanisch genommen nicht gleich möglich zu machen — in Deutschland eine Menge Dinge im Gewirr bleiben werden, so würde man, nähmen wir jetzt S., bei allen nur möglichen Widerwärtig- keiten nach jeder Seite, uns nur die Schuld geben: ist es wahr, daß S. und Pr. in Deutschland zusammen gehören müssen, so wird sich das beim ersten Ereigniß doch ergeben. Krieg hasse ich, und die Deutschen unter sich werden ihn auch wohl nicht anfangen; weil das Gefühl zu sehr dagegen ist; und sie nicht gern thätlich sind: d. h. schwer anfangen zu stechen, morden, hauen. Aber es wird wohl bei andern Na- tionen losbrechen, — nicht so bald: dann nehmen wir Theil, und entzweien uns mittelbar. So weit ist unser Land mei- nes Bedünkens in der Einheit und Einigkeit gekommen. Durch diese werden wir unter Eine Regierung kommen, anstatt daß die andern zur Einigkeit durch die Einheit ihrer Regierung gekommen sind. So denk’ ich . So liegt die Sache: ma- chen kann man wenig: die Natur der großen Dinge, als Länder und Völker, ist an sich sittlich, wenn man ihr nach- giebt. Also jetzt bleibt Friede. Theile es nur Moritz mit; und die klügsten Leute behaupten, Österreich und Preußen müssen gut bleiben. — (Ich bin jetzt entsetzlich durch den rus- sischen Obristen Nostitz gestört.) Läßt denn Ludwig nicht seine fertigen Gesänge drucken? — Gott! ich bin blau auf den Backen vor Röthe und Echauffement, so haben mich Varnha- gen und Nostitz gestört! Schrecklich! nicht eine Minute !!! — Lebe wohl, den Kindern schreibe ich ein Wort. Ich grüße Nettchen und alle Hausfreunde. An Moritz Robert, in Berlin. Sonntag, Wien, den 15. Januar 1815. Du hast Recht, das ist noch die beste Verdrießlichkeit, von der man genau den Grund weiß: der liegt wenigstens oben auf, ist nicht sehr verwickelt und kann vergehen. Laß dir von Markus mittheilen, was ich darüber sage, daß kein Krieg wird, laß dir auch von den Kindern mittheilen, was ich ihnen schrieb, und du wirst sehen daß ich heute wegen Störung nicht mehr schreiben kann, trotz des besten Vorsatzes, und einem schönen Brief, der schon im Kopfe fertig war. Einer unserer Bekann- ten, den auch du kennst, hat hier der Regierung einen Plan zu einer Bank, wozu sie nur die Erlaubniß geben soll, einge- reicht und hat Konferenzen mit allen Banquiers auf ministe- riellen Befehl; es ist ein Geheimniß, und er erzählt’s nur uns . Bollmann wird die größten Geschäfte nach Amerika mit Quecksilber machen, welches hier aufgehäuft liegt. Nimmt man sein Projekt an, so kommt hier wieder Silbergeld. Man kajolirt ihn sehr. Hier schicke ich dir einen kleinen Zeitungs- artikel, der dich sehr erschrecken wird. Ernestine muß sich in Acht nehmen, ich grüße sie. Frau von Mink fragte nach dir. Frau von Stägemann hat dich beim Manne gelobt; kultivire sie, sie haben so kluge Kinder. Er war mein Trost Dienstag bei Arnsteins, wo sie Wachsfiguren in einer Hitze vorstell- ten!! und ich nichts in der Welt dadurch sah. Ich gehe we- nig hin. „Mir nicht so ! bei Gott!“ Den Weihnachten ver- gesse ich ihnen nicht. Grüße Oppenheims; ich werde ihnen einmal schreiben, daß ihnen Hören und Sehen, und Wien ver- gehen soll. Ich zerbreche mir immer den Kopf, wo ich in Berlin wohnen werde. Einmal muß ich doch hin. Dein Brief unterhielt mich, weil ich ihn einsah. Ernst, Stimmung, Lage, Handschrift, alles. Manches mit diesem eben so. Adieu adieu. R. Laß nur Ferdinand noch nichts lernen, und ärgert ihn in nichts. Er wird doch unglücklich, wenn er größer wird. Was macht denn der Heuchler? Was macht Babette? ärgert sie sich noch? Heute hat unser König beim Kanzler gespeist. Varnhagen mit Stägemann. — Adieu. An Moritz und Ernestine Robert, in Berlin. Wien, Montag den 23. Januar 1815. Bloß ein paar Worte! Hier ist der Beobachter: so sol- len wir nun denken; Lampe-Gentz schreibt’s uns vor: von ihm ist die tiefsinnig-religiöse Betrachtung über die vorgestern stattgefundene Leichenfeier. Denkt euch darüber was ihr könnt: ich sehe Emigranten-Arme darin, die die Welt wie ein Rad in seinem Lauf zurückhalten und auf die alte Stelle, wo es ihnen gefiel, zurückführen möchten. „Der Rest ist Schweigen“, denn tief in der Natur der Dinge, die Einmal für uns da sind, liegt dies Schwanken, Wogen, Meinen, Toben, Halten, Schreiten. Das Fest in der Kirche selbst, in der Stephans- kirche, die schön ist, und zum Sinnen und Beten stimmt, kostete 40,000 Franken; die Dekoration war aber mesquine, dem Eindruck nach, den sie machte, weil sie unzusammenhän- gend und nicht für das Gebäude passend war. Wappen, Stücke Tuch, die wie breite Schärpen herabhingen, und an der großen silbrigen, nicht silbernen, Krone Frankreichs oben befestigt. Manche Bänke beschlagen, manche nicht; eine trauernde Religion mit einem Kreuze im Arm, und einer Mi- nerven-Büste zur Seite (?)! Noch eine Statue, die das Te- stament Ludwigs XVI vorstellte, von Holz, worüber begypste Gewänder geworfen waren. Recht gut! aber für ein Abend- fest in einem Garten!!! kurz beinahe so schlecht, als Türen- ne’s Begräbniß, als er nach dem Pantheon gebracht wurde, welches ich in Paris sah. Es waren Billette ausgegeben. Ich hatte eins zu einem guten Sitz, von Graf Flemming, aber ich ging der Kälte, des Wartens und Gedränges wegen nicht hin: sondern nachher, um die Kirche zu sehen. Die Musik soll auch gar nichts getaugt haben. Gestern Mittag war dann endlich die große Schlittenfahrt: mir glaubt, und keiner Zeitung. Himmlische, kommode, halbe Wagen, nicht nach der neuen schlechten Mode, die — nicht destoweniger, sondern, destomehr — sehr elegant aussahen, auf sehr guten Schlittengestellen; übermäßig beharnischte Pferde mit entsetzlich beglockten Decken; verguldet und versilbert nach Lust! und Kaiserlich; ungefähr bei jedem sechs reich galonirte Bedienten mit dreieckigen Hü- ten, die Vorreiter sein sollten: nicht knallten. In jedem ein Herr und eine Dame. Die Damen in allerlei kouleurten Pel- zen und Hüten; aber alle von Einer faiseuse, also beinah gleich. gleich. Nur die Nichte unserer Königin, Therese Esterhazy, war anders und besser: ein Häubchen von Krepp mit Gold; und einen solchen Hut, weiß befedert, und passend, niedlich und aufgeklappt, drüber oder dran, und blau in Sammt. Schön! Lady Castlereagh (nicht hübsch, nicht jung, aber ko- lossal) in Gelb mit einem rasenden Schal drüber. Julie Zichy, kirschbraun, sehr schön, eine Brünette, unserer Königin ähnlich. Gräfin Fuchs, ponceau. Alle sehr geschmückt, dies war das Schönste. Dreimal sah ich sie bei Tage am nämlichen Fenster äußerst bequem mit einem Perspektiv. Die Vorreiter waren auch in verschiedenen Farben. Die Herren in Uniform. Der König sehr gut: und die hübscheste Dame. Das Volk schrie ihn sehr an: ich glaube von ungefähr. Es freute mich doch. Den Vicekönig Eugen, mit einer rosa sehr schönen Gräfin Appony, schrie es auch an. Aus der Schlittenfahrt ist der noch nicht heraus. ‒ ‒ ‒ ‒ An Ludwigs XIV. Hof trauerten sie um Cromwell, schreibt Mlle. de Montpensier, die Kousine Ludwigs selbst. Es war alles schon da, es liegt bloß am schlechten Gedächtniß. — An Moritz Robert, in Berlin. Wien, Montag den 30. Januar 1815. Morgens 11 Uhr. Vor einer Stunde erhielt ich durch einen Geheimrath S. einen Brief von dir und Ohme, worin ihr mir von einem Brief von mir den 15. datirt sprecht. Liebe Kinder! habt ihr denn seit vierzehn Tagen nicht mehr Briefe? Ich schreibe mit je- II. 17 dem Kourier, d. h. die Woche dreimal. Dein Brief hat mich sehr unterhalten: und vornehmlich die Aufzählung der Witzi- gen; und daß die Generale ausgehauen werden sollen, in Marmor! Heute habe ich nichts zu schreiben: Neues giebt es wieder nichts. — Gestern war Sonntag, und ich bei Arn- steins, wo alle Menschen, außer Stägemann, Otterstedt und Varnhagen, der nicht mehr hin geht, waren. Viele Da- men, und alle Herren; ich amüsorr mich, weil man nur so viel sprach, und zu sprechen braucht, als man will, Leute sieht und hört, die nicht schreien und diskutiren, und sich in der Artigkeit halten, die wohlthut und mir durchaus nöthig ist; für Nervenleib, und Seelenüberdruß. Das Gegentheil macht mich ganz erliegen . Neben der Ephraim und einer Baro- nin Oertzen aus Mecklenburg saß ich, dann bei Frau von Arn- stein, und der Portugiesin de Castro. Ich fuhr mit Hedemann, der mich besuchen wollte, hin: und mit Bollmann, der mit mir zu Hause wollte, her. Auch habe ich, trotz allem Sträu- ben, vorgestern freundschaftlich bei Eskeles gespeist: da war es auch hübsch: wenig Menschen; der Dr. Buchholz aus Lü- beck mit seiner sehr hübschen Frau, Pilat, Carpani, ein Baron Kollenbach, ein stummer Komikus wenn er spricht; Eskeles: den ich sehr liebe, weil ihm seine Klugheit bis aus den Poren dringt, er ißt, er schweigt, er lacht klug: er sagt lauter Selbst- gedachtes, Originales. Ja! er amüsirt mich in gewissem Sinn hier besser, als alle andere Leute; weil er ganz altväterisch geblieben ist, mit geistigen Gaben, und ein reiches Leben über ihn weggegangen ist, welches er ganz nach seiner Art bearbei- tet hat, und lauter Originales davon ausgiebt, mit der aisance des gelebtesten Menschen auf gut alttestamentliche Weise. — In die Komödie gehe ich nicht mehr. Heute kommt Auguste in Prag an, bleibt bis zum 10. Besorge ja alles!!! Erne- stinen habe ich ja geschrieben, und grüße sie. — Ich weiß heute nichts Besonderes. Obgleich de Ligne bei den Vätern ist, so kann der Kongreß nicht aus dem Walzen in’s Gehen kommen. Major von Hedemann wollte gestern wetten, in sechs Wochen seien sie zu Hause: aber ich glaube keinem Men- schen mehr: weil alle jetzt nichts wissen. — Zerboni sah ich gestern; ein ausgearbeitetes Amtsgesicht; im Ganzen ein alt- berlinisch-kolonistischer thatreger Mann; in Sprache und al- lem: aber friedrichzweitisch. — Noch Eins, Ohme! Schicke mir um Gottes willen mehr Thee. Hier ist keiner zu haben für Millionen, und mit einemmale ist der Kongreß doch aus! Ich schreibe alles auf, was du auslegst. Adieu! Ernestine! Sie haben Recht: keine F ê te zu Hause! — ohne Haushof- meister ; setz’ ich hinzu. Wien, Sonnabend den 4. Februar 1815. — Von den Theatern hier sind nur die komischen gut. Gesang viel weiter als bei uns; schon weil er auf einem ganz andern Wege ist, und erlernt und beurtheilt wird. Die Adamberger so, eine rechte Aktrice (sie spielte Minna, Minna , sage Minna !), falschen Ton, falschen Scherz, falsche vornehme Haltung, und nicht ein bischen frisch, wel- ches ich wenigstens dachte. Einen Grüner haben sie hier mit der schönsten Stimme, dem gesammeltsten Furienwesen, 17 * welches ihm auch aus brauchbaren Augen leuchtet, von Natur großartige Bewegungen und konzentrirtes Dastehen, Dasein; kurz, der Sammlung und Aufmerksamkeit auch in geringen Stücken erweckt. Den möcht’ ich mitnehmen, oder mitschicken. — Ich habe nun den dritten unausstehlichen Aschenprödel gesehen! Ich glaube, die ganze Geschichte ist nicht wahr! — Nun weiß ich, was ein Kongreß ist: eine große Gesellschaft, die vor lauter Amüsement nicht scheiden kann. Das ist doch gewiß Neues. Und ohne Spaß! Es muß recht schwer sein, einen Kongreß zu halten und zu enden! Eine Welt einzu- richten! — dies machte ja Hamlet schon melancholisch. Nun wollen wir einmal sehen, ob ein Held, ein Seevolks-Held sie nicht überwinden kann! Ob sie Wellington widerstehen wird! — Fr. Schlegel schimpft auf Goethe. Dafür bleibt er wo er ist, und wird dumm . An Moritz Robert, in Berlin. Wien, den 14. Februar 1815. — — Das geizige Ende deines Briefes hat mich gestern außerordentlich lachen gemacht, und noch jetzt, obgleich ich, beim Himmel! nicht so sehr lächerlich gestimmt bin: ich will es dir hierhersetzen, es wird dir gewiß auch komisch vorkommen; ich sah die harpagonischeste Scene dabei, von Moli eren — par des Molières — selbst gespielt. Höre nur! „Hier geht alles wie du es siehst! Ich bin mit dem Gange der Sachen ( ohne mich zu berufen ) (!!!) zufrieden. Das mag denn auch wohl an meinen wenigen Prätensionen liegen, und daran liegen , daß ich unzufrieden mit mir bin.“ Höre nur dieses Bedingen und Wenden des schon Bedingten! So bin ich leider auch, und nur darum kein gemeinster Harpagon, weil mein Geist, mein Urtheil über mich selbst die Oberhand, oder das letzte Wort behält. Denn was ist wohl anders Geiz, Kargheit der Handlungsweise, als ein ungroßmüthiges ewiges Erwägen des schon Erwägten; und dem Glücke mit seinen Satrapen, den Umständen, gar keinen Kredit, am allerwenig- sten einen sorglosen geben wollen, den allein es verlangt, und wofür allein es Interessen spendet. Aber das mag der „Fürst der Hölle“ — wie Friedrich Schlegel in seinen neuesten Vor- lesungen höflich den Teufel nennt — können; moi je suis payée pour être de la méfiance la plus outrée gegen die Für- stin der Erde! (will ich nun die antike Fortuna aus Rück- wirkung nennen.) Du hast Recht, Bruder Harpagon; ich weiß es nun, wir bleiben Harpagone: und daß wir noch etwas komisch sind, können sie uns nicht genug danken , und gar nicht nachmachen: weil dazu eine andere Natur zum gemeinen Leben gehört, als man eine hat, und die bes- sere den Pagliasso, und den Tiefsinn, den Hochsinn und den Unsinn übernimmt; Jean Paul, Shakespeare, Hamlet mit Einem Wort! Freitag, den 3. März 1815. — Der Besen im Zauberlehrling. Der Meister muß kom- men! Kennt ihr einen? Ich fürchte jeden . Was sagt ihr zu den Spaniern, wie die die Indianer behandlen! Das soll ich erleben! Eine Tochter Friedrichs. Die Welt kommt noch so zurück, daß wenn man nicht bald stirbt, so lernt man noch Richelieu den Ersten kennen, die Schlange; und Adam, und die ganze erste Societät. — Wien, den 3. März 1815. Ich habe seit einiger Zeit viel über das Lügen nachge- dacht. Es wirkt doch viel nach außen, und von außen nach innen. — Könnten sehr geistreiche, geistvoll ergründende, wahr- hafte Menschen mit einem starken Karakter das Lügen studi- ren, und dann wie andere erlernte Dinge mit Fertigkeit aus- üben, es müßte zu kolossalen Wirkungen führen: der Wahrheit würde angst und bang, sie stünde ganz klein, als Seufzer, als regret, als Angeführter in der Welt da, und flüchtete ganz in die dunkle innere; so reell könnte das Lügen im Großen, Planmäßigen aufstehn. Große Zeit und fanatische Anhänger könnten nur schwer dagegen siegen. Meine Meinung hier ist nur sehr roh vorgetragen: die Klugen werden sie schon ergänzen. Die Lügner unserer Zeit pfuschen nur, wie groß sie auch ihr Spiel ausdehnen wollen, sie haben keine Wahr- heit in der Seele, und haben die Lüge nicht studirt. Wien 1815. Ich muß Ihnen Einiges von unserm gestrigen Abend erzählen! T. sagte vom Adel, er komme ihr vor, als ob jetzt je- mand in den wohlgepflasterten Straßen, in den belebten, han- delsreichen Städten umhergehn wollte mit Tigerfell und Keule behauptend er sei Herkules, er wolle uns schützen und retten, und verlange dafür göttliche Ehre. „Herr,“ würde man ihm sagen, „es ist nicht Ein wildes Thier hier, lauter Laden und Speicher, und sichere Häuser; ziehen Sie sich aus, nehmen Sie auch ein Gewerbe, oder belustigen Sie uns durch Kunst und Gastmähler.“ An Moritz Robert, in Berlin. Wien, Sonntag den 12. März 1815. Ich hatte mir heute schon alles, was man seit gestern über Napoleon weiß, im Kopfe zurecht gelegt um es dir zu berichten, aber ich fand es in Ordnung und Kürze im heuti- gen Beobachter, den ich morgen hier beilegen werde. Der Fürst, der ihm begegnete, ist der Prinz von Monaco. Der ist es auch, der einen Kourier hieher aus Turin sandte. Napoleon war aber nicht niedergeschlagen, sondern so aufgeregt wie bei seiner Schlittenfahrt von Moskau nach Frankreich. Er fragte holprig und poltrig den Fürsten, ob er keine Bewegungen in Frankreich und in Paris, woher der kam, gesehen: und wollte es nicht glauben, daß dort alles ruhig sei: vous ne savez donc rien! meinte er! und erzählte, der Kongreß hier, sei in Unfrie- den auseinander. Der Prinz von Monaco wurde nach Na- poleons Bivack gebracht, wo der hauste, weil ihm das kleine Fort abgeschlagen wurde. Diese Sache müssen wir nun ab- warten: Dienstag kommt eine Post hieher. Vielleicht habt ihr über Paris und früher Nachrichten, weil man seit gestern hier weiß, daß sie dort vom Telegraphen nnterrichtet sind. Peschier’s Kompagnon, Fries und Andere schieben ihre Reise nach Frank- reich wenigstens posttagweise auf. Monaco weiß aber wirk- lich nichts: Napoleon hat Recht. Ich habe gestern einen Brief aus Paris, den ein reicher Geschäftsmann, der große Verbin- dung in Frankreich hat, ein Reichsländer, vom 28. datirt ge- sehen, wo man natürlich Napoleons Einbruch noch nicht er- wähnte. Der klang aber nicht nach nichts! Sondern nach den größten Bewegungen gegen die Jetzigen; mit großen De- tails, Namen, Bewegung, Straßen, alles genannt. Ich glaube, man wird sich den Napoleon’schen Lärm zu Nutze machen, wie man sich jeden ersten zu Nutze gemacht hätte. Hier spricht man von einer Proklamation, welche die Alliirten gegen Na- poleon und alle die, welche ihn hegen oder schützen, werden ergehen lassen, und die ganz den Schutz der Bourbons ver- künden soll. Eine solche könnte mich sehr unselig machen. Diese Nation muß man allein lassen, und nicht wieder zu ei- nem Ganzen setzen, wie vor zwanzig Jahren; da meinen Brie- fen nach, die Armee ohnehin brennt, irgendwo hin zu fal- len; und stark nach Belgien trachtet. Sollten wir selbst Poch- kränze zu der unseligen Entzündung liefern? die nun weit und breit Kombustibles findet! ich bin mir alles von dem Rath, der waltet, gewärtig: und halte es, ganz im Gegen- theil der Andern, für ein Unglück, daß die Regenten noch hier zusammen sind; jeder müßte fest sein Land behaupten, und möge Deutschland noch immerhin verschiedene Namen tragen. Ich fürchte, es wird zu schnell eine zweite Generation Ein Deutsch- land erleben! und , wie es die Leute prophezeihen, Deutschland Eins und Frankreich getheilt werden. Von dieser traurigen, für mich — alte Generation — höchst trüben Betrachtung muß ich natürlich auf Frisch kommen! Gott, wie hat mich das betrübt, erschüttert, erschreckt, und nachdenklich gemacht! Und es war doch so natürlich! Er so alt; er mußte sterben. Aber so stirbt man: so stirbt man selbst ! Alles was wir intim und jugendlich kannten, geht ab, nimmt ab; stirbt . Und wenn nun erst Einer von uns Geschwistern sterben wird! Ein Glück, daß ich erst dran muß! So sind die Eltern, meine Wurzel, mein Stamm, an dem ich haftete, hin; ich dorre im Wipfel, fallen aber Äste neben mir, so ist es aus! — Ich fühle mich heute so schwer; fühle überhaupt das Alter; nämlich die ewigen Zerrüttungen der Lagen und Verhältnisse; die Tren- nungen, die Kränklichkeit, die Entfernung der Jugendgenossen, der habitués, den Tod der Kernfreunde, der muntern. Und da ich Ruhe haben sollte, und müßte , die Erschütterung der Staaten, und Stätten!!! Ich kann weinen. Humboldt, Gentz, die Pachta, Wiesel, sind hier ! — Aber wie leben wir mit einander? — Natürlich lache ich, spreche ich, sehe ich Leute, lerne welche kennen: erwäge und schätze mein Verhältniß mit Varnhagen, und bin als hätte man mir den besten Rath ge- geben. So habe ich mich gestern Abend in einer gewöhnlichen Soir é e bei Arnsteins recht gut amüsirt; mit Frau von Arnstein, mit einer guten Französin, mit Frau von Ephr., mit manchem Sehen und Hören, und bei Tische lachten wir! Heute Mor- gen war ich mit der Arnstein in einem brillanten Konzert, wo ein junger Mann eine Oper von den Kennern untersuchen ließ, die er gemacht hatte (die Oper, nicht die Kenner, hatte er gemacht). Sie bestand aus Reminiszenzen. Nachmittag sah ich einen Augenblick Bentheims Schwester; gestern war ich spaziren im schönsten Wetter, wo ich Menschen sah und sprach, morgen bin ich bei Eskeles. Also beklage mich nicht! So ist’s aber. — Wien behagt mir mehr im Frühling, und muß ich bleiben, mit Krusemarck, gewiß noch besser. Doch gehe ich auch gern weg. Kurz, wie es kommt: meine Familie, und die Kinder, und die alten Bekannten, liebe ich, und brauche ich. — An M. Th. Robert, in Berlin. Wien, Donnerstag den 16. März 1815. Ich wollte so eben mich befleißigen, euch Wort vor Wort die Nachrichten nachzuerzählen, die gestern der Staatskanzler sich befliß, den Frauen, vier, die vor Tische auf und am Ka- napee saßen, zur Unterhaltung mitzutheilen; sie stehen aber alle buchstäblich, wie er sie sagte, im heutigen Beobachter. Also lies nur. Sie schienen mir auch gestern nichts zu bedeu- ten (da ich sie ohnehin schon vorher wußte), als eine große aménité des Fürsten. Der Aufsatz über der acht Mächte De- klaration, womit heute der Beobachter anfängt, gehört nicht zu des Kanzlers Erzählungen, ist von Gentz, und unendlich schwach. Die Erfindung: die Ausführung nicht minder. ( De par tous les diables, möchte man anheben!) Was hat er die Mächte zu entschuldigen , und zu kommentiren: und eine klare Sache zu erklären; und wem zu erklären. Oder ist sie nicht recht klar? die ganze Maßregel ist so sehr richtig, daß sie beinah unnöthig war, und aus der Pariser Konvention schon hervorgeht. Was befallen ihn für Zweifel? an der Sache oder am Publikum. Es giebt der ganzen Sache, mei- nem Gefühle nach, ein unsicheres Ansehen; und sollte ihr ein sicheres geben. Warum nennen sie Napoleon Rebell ? dies kann nur ein Unterthan sein. Er war auf Elba niemandem unterthan. In solchen Proklamationen sollte kein unrichtiges Wort stehen. Die richtigen sind ganz hinlänglich. Europa will Ruhe; und wird sie im Nothfall mit Krieg erkaufen; voilà le fait, qui doit être fait etc. Von Paris hat unser Golz nur allein einen Kourier mit den Nachrichten geschickt, die nun hier umlaufen und im Beobachter stehen. Die An- dern haben keine. Talleyrand mag sie nicht mittheilen, vielleicht. Beim Kanzler speisten gestern zweiunddreißig Personen, vier Damen mit mir. — — Der Kanzler macht auf die rein menschlichste Art die Honneurs, und so sehr wie ein guter Mann , daß wenigstens Gemüther wie ich, ihn lieben müs- sen ; und gleich mit ihm bekannt werden. Er dauerte mich schmerzhaft unter den Zweiunddreißig, wie der selige Onkel. Aber er steht hoch in Betragen und Sein, und der gebildet- sten Lebensart. Ich kann mit Tauben nicht sprechen: so viel meine Unfähigkeit es zuließ, that ich’s doch: auf die unge- zwungenste Weise. Es ist ein Mitleid! Weil er sehr Kon- versation liebt, und weit hinhorchte, wo Humboldt neben Varn- hagen schrie und lachte. Auf der andern Seite hatte Varnha- gen Stägemann, Schöler, Grolman, Bartholdy. Graf Flem- ming ganz unten. Kein Rang, kein Stand. Jahn, auf den ich so neugierig war, war mit krottirten Stieflen, einer Mütze, und ohne Halstuch da, im alten Überrock. Humboldt ließ ihn sich von Varnhagen vorstellen. Radziwill, Alle waren sehr gut mit ihm. Er saß ganz unten. Minister Bülow, mein andrer Nachbar, mußte mir ihn zeigen. Denk dir, Markus! Ich sprach mit Bülow und noch Einem über den Fall zwi- schen den Hamburgern und Berliner Kaufleuten; und war gegen den Dritten, der da meinte, es sei nicht klar, daß die Hamburger zu zahlen hätten: da der Fall ein Rechtsfall war, konnte ich nicht schweigen; und Bülow sagte immer: „ Ich bin Ihrer Meinung.“ Nicht weil es der Minister sagte, son- dern weil ich mits prach, erzähle ich dir’s. Bülow hat einem Hamburger Advokaten sein Gutachten abgefordert, dies sprach für meine Meinung. Bülow ist ein hübscher, guter, angeneh- mer, einfacher Mann: es fiel ihm aber auch nicht ein, daß er Finanzminister sei, und er sprach in einem Sinne, als: er, ich, und der Dritte, wir hätten Meinungen über eine gewisse Sache!!! Es war wohl hübsch und menschlich, ich vermißte aber eine Nüance; den Nerv, den das Amt haben soll . — Jahn ist auf eignen Impuls hergekommen. Er will Zulage: zwölfhundert Thaler hat er jetzt. Er grüßte mich vom Kon- sistorialrath Nolte, der habe ihm von mir gesagt. Er hat ein Betragen und Sein von der angewöhnten Genialität, die Hagemeister schon vor sechszehn, achtzehn Jahren hatte; kraftgenieich; er erinnert auch an ihn, wenn man ihn sieht. Noch kenne ich ihn gar nicht: ich werde sehen. Humboldt ver- sicherte mich, wie Don Juan, nach Tische seiner Liebe. Er liebe mich immer : sehen könne er mich nur nicht, weil ich immer alles thäte, was er nicht leiden könnte: er will mir ein Din é geben (Din é ! Ihr seht, ich bin todt; und nicht im Himmel). Das wäre was für Ernestinchen! Ich soll die Per- sonen nennen; also als Königin. Ich sagte, er soll mich we- niger lieben, und mich besuchen: dann wolle ich die Personen nennen. Ich mußte fort. So blieb’s. Der Kanzler examinirte mich sehr. Wie ein kluger Mann; der das Theater liebt. Solche Leute sehen ganz anders an: vom Sehen lieben sie das Theater. Nicht wahr, Hans? Die schwarze Dame hatte in Gestalt eines Malteserkreu- zes ein dunkelbraun emaillirtes mit Granaten besetztes an der linken Brust, ich denke es ist ein Orden! — auch war es einer: „Wir — sie die Frauen — haben ihn errichtet zur Feier der Einnahme von Paris;“ und keck tragen sie ihn an schwarzen Schleifen; er hat auch auf Blau in der Mitte eine goldbuch- stabige Inschrift, aber nur ein Wort, ich las es nicht: ich wurde gestört. Kurz, die Provinz hat ihre Freuden; und ist nicht blöde, wenn sie sich einmal fühlt. (Varnhagen liest jetzt eure Briefe an meinem Tisch, ein göttlich Kind aus unserm Hause steht daran; es ist Mord- lärm und Lachen bei uns!) Daß die Bethmann sich freundschaftlich für Augusten be- nimmt, vergesse ich ihr zeitlebens nicht! Lebt wohl! und schreibt. Du auch, Ohme. Robert ist vogelfrei: die haben wohl Federn, aber zum Fliegen, wie die Dichter. Nicht wahr? Robert! Moritz, mein Treuer, dich grüße ich, und Ernestine! Auguste lobt sehr bongue bongue . Ich küsse den Esel. Neues giebt es nicht. Adieu, adieu! R. An M. Th. Robert, in Berlin. Wien, Montag den 20. März 1815. Hier sind die Beobachter; doch rath’ ich euch, nicht buch- stäblich daran zu halten. In dem heutigen fehlt eine dritte Proklamation Napoleons, worin er Talleyrand, Marmont und Augereau in die Acht erklärt, und worin er sagt, er würde den Franzosen alles geben, was man ihnen versprochen aber nicht gehalten, Ruhe, Sieg, Sicherheit, Freiheit ꝛc. — Nun, lieber Markus und Moritz, folgt mir, wenn ihr es bewerkstel- ligen könnt, folgt dem Poltron! — Ruhe kommt nicht; schmei- chelt euch nicht: wenigstens in den ersten Zeiten nicht, und es ist besser, an Interessen und Verdienst zu verlieren, als sein Gut. — Alexander sagte letzten Freitag Abend bei einem Sou- per bei Graf Stackelberg nach den schlechtern Nachrichten fol- gendes, welches wir von einer Gas tin des Soupers wissen: „La France n’est plus à sauver, il faut prévenir les suites; le roi ira en Belgique, Mad. d’Angoulême est à Bordeaux; ce que sont devenus les princes, on ne le sait pas.” Die Sache ist die: Napoleon ist in Lyon, und die Soldaten erklären sich für ihn. Der Kourier, der vorgestern Abend kam, sagte, er könne nun nicht mehr zurück, weil Metz sich erklärt habe: mit Straßburg ist’s noch ungewiß. Lefebvre-Desnouettes ist von Metz aufgebrochen, für ihn. Im Elsaß und Lothringen hat man die dreifarbige Kokarde genommen. Den heutigen Beob- achter find’ ich beinah komisch: der und die wollen Hamlets Mutter zur Tugend zwingen, zeigen aber die Bilder verkehrt vor: „Das war euer Gemahl, und dies ist euer Gemahl.“ Ich will euch und niemand vorurtheilen: nur bitte ich euch, fürchtet euch ein wenig mit mir, und nehmt eure Maßreglen; Ruhe wird nicht . „Fürchtest du dich noch ?“ — Ja , so lange er lebt! antwortete ich. Ja ! weil ich die Sachen kenne , und sehe !! — Über euch aber bin ich böse. Alle Menschen haben Briefe und Nachrichten und Gesinnungen von Hause, nur ich nicht. In solchen Augenblicken schreibt man doch wohl ein Wort: wär’s auch nur von dem persönlichen Ein- druck, von der eignen Stimmung. Ich, bei Gott! schreibe auch nicht leicht, und bequem hier, in großer Störung, und unpaß genug, versäume ich’s je, euch eine Nachricht zu geben? Denkt ihr, mir liegt nicht an Zuhause? und Allen hier! Der König freut sich sehr über die Bereitwilligkeit seiner Berliner. — Nun wieder die alte Rahel. Es marschirt, schießt, plündert, tobt schon wieder. — Im Konzert sprach ich Radziwill, alle Menschen aller Nationen, Gesandten, alles. Sie waren sehr konsternirt: aber Einer schob’s auf den Andern: und jeder, als wenn er nie gerathen oder gewußt hätte! — An M. Th. Robert, in Berlin. Wien, Dienstag den 28. März Abends 9 Uhr 1815. Welche Zeit! Wenn der hypochondrischte Poltron Recht behält! Heute sind alle Menschen, Männer und Frauen, Alle, die sonst Muth haben, viel erschrockener als ich ? die Klugen von den verschiedensten Partheien: nur die Schlaffen und Per- fiden sind gutes Muthes und voller Thorheit — in Plaͤnen und Ansicht des französischen Landes; die Umsichtigen gestehen frei heraus, daß sie gar nicht mehr sehen, was daraus wer- den kann. Hier, wo man ganz Deutschland beieinander sieht, sieht man recht, wie auseinander es ist. Kein Bonmot! Gott behüte und bewahre! — Kurz, die Menschen sind so, als ob Wien belagert würde. Napoleon hat dem Kaiser Franz geschrieben, er solle die andern Mächte dahin bewegen, daß kein Blut vergossen wird, er würde sich streng an die Verträge halten. Marie Louise ist noch in Schönbrunn. Baiern wollte keine österreichischen Truppen durch sein Land lassen, bis man ihm noch zwei Städte bewilligte; gestern ge- schah es; aber vier Tage Marsch sind verloren. So ungefähr steht alles ungefähr. Seit dem 20. ist er in Paris; sans coup férir. Der König ist in Lille. Diese Nachricht ist nach Straß- burg mit dem Telegraphen gekommen, und diese Nacht mit einem badenschen Kourier hierher. Ich bin mit zwei Herren, die sehr schreien über „Ehrgefühl“ und von „idealischer Exi- stenz“, und „Napoleon“, und „Infamie“ und „Vorurtheil“. Adieu, sie machen mich tell. — Mittwoch Vormittag den 29. März. Bis gegen 12 mußt’ ich noch immer von dem Evenement und allen seinen möglichen Folgen hören. Das Resultat, was jeder Mensch leider fassen kann, ist eine weit um sich grei- fende und tief gewurzelte Verwirrung. Wir Verbündeten — bis jetzt! — können gar den Krieg nicht plötzlich machen; und soll ein tiefer, ernsthafter werden, so wird der Dinge ent- wicklen, wicklen, die es nicht minder sind. Machen gar Manche ihren besondern Frieden und ihre Bedingungen mit Napoleon, so ist es auch, und gleich sehr arg. Man fürchtet alles. Andere führen wieder solche Emigrantengespräche, daß man vor Un- geduld und Unwillen und aus Furcht vor den abscheulichen Folgen rasend werden möchte. Alles untereinander muß man hören. So viel Behauptungen, Muthmaßungen, Lügenge- schichten, Verheimlichungen und Verläugnungen, Pläne, und Vorstellungsweisen, kluge und erzdumme Anekdoten. — Kin- der, wie ist euch ? ich bin viel ruhiger, als ihr glauben solltet. Tief betrübt mich und erfüllt mich ganz vor allem , daß ich Varnhagen so sehr erschüttert sehe mich zu verlassen; und daß ihm die Trennung und die Ungewißheit mindestens so hart angeht als mir. Hätte ich das nicht vor Augen, so würd’ ich wohl meine Besorgnisse und aufgethürmte Verdrüsse aller Art, die davon entstehen müssen, hervorkriegen aus der See- len Grund. Mir imponirt aber immer ganz außerordent- lich , wenn mein Gemüth ein Geschäft für Andere hat. Muß nur etwas geschehen : wird nur eine Thätigkeit in Anspruch genommen, so habe ich für eine Weile Kräfte. Diese Thätig- keit besteht nun darin, mich für Varnhagen zu beschäftigen mit der reinsten und höchsten Freundschaft, und großer Liebe: die er von mir wie niemand erwirbt, durch eine Liebe, und ein Betragen, welches ich zu beschreiben mich fast schämen muß. Seid also auch gefaßt. Seit dem vorigen Krieg bin ich’s mehr: wie man sich’s denkt, kommt’s nie: und bei je- dem Sonnenumlauf, weiß man nicht wie , und nicht ob man sie wiedersieht. Es ist eine Zerstreuung, daß man an gewöhn- II. 18 lichen Tagen so ruhig ist. Kann man doch alle Tage an tödtlichen verrückten Schmerzen danieder liegen, wie ich schon oft in der Hölle Rachen; und der tiefste Friede, keine erfun- dene Wissenschaft, keine Freundesliebe kann helfen. Wenn ich so diesen ganzen Winter, und das Jahr über, unzufrieden sein wollte, und im Bette war: nun! dacht’ ich, es ist doch Friede . Vergiß es nicht. Im ganzen Lande wird nicht gemordet, ge- plündert, geschossen. Ich dachte wohl, Napoleon kommt wie- der: aber wenn schon Trouble ist ; etwa in Frankreich oder Italien. Auch dacht’ ich jetzt: er wird die Oberhand behal- ten; aber fechten müssen; etwas ! — Er ist schon wieder bei der Hand, und schont nichts; und die Welt muß sich besinnen und berücksichtigen: sie, wir, haben viele Interessen, und er eins . Und alle andere Kollision: all die alten Unordnun- gen, Vexationen, Mißbräuche, Irrthümer, an die nun all ge- stoßen und gerührt wird. Basta! Es kommt alles anders. Es strömt Frühling vom Himmel, die Erde gebiert, und eine große Obwaltung ist, die wir nie berechnen können. Ich sollte mit Arnsteins im schönsten Frühlingswetter ausfahren, aber ich traue mich noch nicht, wegen der Einreibungen, die doch noch Flanell, Wärme, Ruhe und dgl. verlangen. Vielleicht lass’ ich mich den Abend hintragen, im Sessel. Frau von Ephraim war alle Tage bei mir. Habt ihr das Logis im Thiergarten? Ich denke ja . — Ich bleibe, wenn nicht außerordentliche Fälle kommen, für’s erste hier . Auch werden die Herren nicht so bald aufbrechen. Nach Töplitz allein, habe ich vierundfünfzig Meilen. Und etablirter, als hier, bin ich ja vor der Hand nirgend. Auch geb’ ich’s gar nicht auf, daß wir uns im Laufe des Sommers noch sehen. Dar an könnt ihr am besten mei- nen Muth, das heißt, mein Hoffen sehen. Adieu, adieu! Rahel. An M. Th. Robert, in Berlin. Wien, Sonntags Abend 10 Uhr, den 2. April 1815. (Schon ganz ermüdet von Warten, Besuchen, Geschrei, und Varnhagens Balgen mit meinem Kinde hier aus dem Hause. Seit 7 wenigstens will ich schon schreiben, ohne dazu kommen zu können. Graf Löwenhjelm war unter andern auch hier. Nun fängt der Brief erst an .) Gestern endlich erhielt ich ei- nen Brief von Rose, vom 20. März. Einen lieben Brief: der sie mir ganz aus der Seelen Winkel hervorrief, und die ganze Sehnsucht, die man nur nach jüngern Geschwistern fühlt, denen man zur Hälfte Mutter war, und die man in der Jugend, also halb verloren hat, weckte! Wo erhielt ich diesen Brief! Nachmittags 4 Uhr, im schönsten Sonnenschein, in Schönbrunn, mitten im botanischen Garten, der merkwür- dig ist ! wo ich mit Varnh. und dem Kinde grade war, und wohin uns Dore nachkam auf einem Bauerwagen — Zeisel- wagen hier genannt, char-à-bancs; — diese meine Schwe- sterliebe, und Sehnsucht, und Erinnrung blieb nun die Farbe meines ganzen Gemüthszustands für den Nachmittag: ich dachte mir Antworten für sie aus, Pläne, Wünsche, und war wirklich über das, was mich umgab, mehr zerstreut. Sorge um sie und Wehmuth über „das Unwiederbringliche“ strich 18 * auch durch mein Gemüth; und doch war mir nicht übel, so innerlich und stark bewegt zu sein, als ich noch etwa ein paar Stunden so zu Hause war, die Nacht über (des Schlafes un- erachtet) so blieb, aber diesen Morgen einen plötzlichen Ge- müthswechsel erleben mußte, durch deinen Brief. Deinen vom 28. März. Es thut mir unaussprechlich leid, jetzt nicht zu Hause zu sein! Und das diesmal nicht meintwegen, son- dern deintwegen. Nicht, daß ich nicht weiß, daß, indem ich dein Schreiben lese, du schon zwanzigmal gefaßt bist, und der Sache, und der Überraschung face machst. Aber es ist besser, seine Trabanten in solcher Zeit, wo noch neunundneunzig solche Momente kommen werden, um sich zu haben: hundert - mal eine Sache wiederholen zu können, jeden Einfall mit- theilen zu können, jeden dummen Plan, Hoffnung, Besorgniß, Ärger, Ein- und Ansicht: und gewiß zu wissen, die kennen mich, finden nichts dumm, das Kluge klug; und sagen mir auch jede Regung, jeden Einfall. Und man überlegt und lebt, und zerstreut sich wirklich besser. Ich wußte , man würde sich da, wo man noch hofft, sehr erschrecken; und diese Spannung, dies zu erwarten, hab’ ich ganz für mich ausgestanden. Aber, in dieser Zeit ! geb ich zweihundert Thaler Kourant weg, wenn ich dich jetzt auf zwei Tage hier haben könnte. Erstlich, ist es der Feder nicht anzutrauen: zweitens, müßte man in Details gehen, die sie nicht leisten kann, um Belag für den Ausdruck der schärfsten Überzeugung mitzugeben: „So geht es nicht .“ Das dissoluteste, auseinandergesprengteste, falsch - fleißige, und ohne Beispiel müssige Leben; wo einem jeden der Gesichtspunkt fehlt, ja, und der vergeht, den er hatte: dabei will sich keiner in der Tagesordnung seiner Vergnügungen und Liebschaften stören lassen: und Importuns, impertinente Fremdlinge, können sich zu Geschäften aufdringen. Jeder denkt von jeder Sache, der Andere wird oder könne es ja wohl machen, und was auch mißlingt, schiebt es wirklich jeder auf Alle, und Alle auf jeden. Das kann nicht dauren; und wenn es nicht mehr so halten wird, wird man fragen warum ? Ich prävenire dich mit dem größten Bedacht, damit dir der Schlag nicht wie aus den Wolken kommt; und du auch nicht denkst, dieser oder jener, oder dies oder jenes, habe es hervorgelockt. Nein, es machen es Alle , weil sie nichts machen, und die unangewandten Kräfte und Bedürfnisse sich auf eine Seite hinneigen werden, hingepreßt werden, wo sie das Schiff werden umschlagen machen. Kein Warnen, kein Ermahnen, kein zu verstehen geben, hilft. Jeder sieht’s allenfalls für den Andern so an: sich mag er aber doch nicht stören, — in der dikasterischen Hoffnung, sein Tagesle- ben wird doch wenigstens so fort gehen. Um dir nichts Är- geres zu sagen, was noch Manche bewegen mag! Ich sagte auch heute zu Varnhagen: es ist als ob jemand mit dem Körper bis an die Füße zum Fenster hinaus hinge, noch ist er nicht unten, ich sehe es aber, er muß stürzen, er geht nicht zurück. Er gab mir Recht. Ja, jeder, der nur irgend mensch- lichen Kopf hat, und hier unterrichtet ist, sagt ganz dasselbe und nichts anders. Dies, lieber Ohme, muß ich dir schreiben, weil ich zu geärgert bin, zu erfüllt davon! Doch aber könnt’ ich in einem Brief davon schweigen; wenn ich’s nicht für perfide hielt, meine innerste Meinung dir nicht mitzutheilen, die mir immer zur Kehle hinaus will: und wenn ich nicht in der That dich vorbereiten wollte. Nicht allein wegen der Geschäfte, son- dern bei Gott! um dein Gemüth und deine Gesundheit , die unerw artet zu erschüttert werden möchte! So wie ich es sage, und wie ich es mir ausdenken kann, wird es nicht kom- men. Sondern, denkt man sich es heftig und plötzlich, kömmt es allmählig; denkt man es sich allmählig und geschmeidiger, kommt es unverhofft, wie der von Elba, und stört die Welt unter- einander; anstatt zu kommen, wie ich es mir dachte, wenn die erste Störung begonnen wäre. Das Alte, alte Ruhe, und das, was man sich ausdachte, darauf nur gleich verzichtet! Unendliche Lügen und falsche Nachrichten wird man hören, die sich dann anders verhalten, und wieder einrichten: unend- lich unerwartete Dinge werden täglich hervorbrechen. Und ich bin so perplex als irgend Einer, und suche mich auch nur mit all diesem in meiner Seele, und gewiß vergeblich! vorzubereiten! — — Übrigens sei guten Muths! Auch dies kann wunder- bar und gelinde abgehen: für kluge, stille, brave Leute, Dies, und mehr Wunder noch hoffe sogar ich ! Neues ist nicht. Ludwig XVIII. ist in Brügge. In Lille rieth man ihm weg- zugehen, weil man die dreifarbige Kokarde aufsteckte. Man sagt , der Vieekönig Eugen sei in russischen Diensten. Im Prater fuhr er heute mit Millionen Menschen und allen an- dern Souverains umher. Auch die sah ich nicht, weil ich zu einer frühern Stunde mit Frau von Arnstein fuhr; die sehr meiner Gesellschaft bedarf. Sie ist mehr als außer sich über dies Ereigniß. Ganz früh war die Ephraim bei mir, mich nur zu bitten mitzufahren. Bis jetzt erhält dies meinen Muth noch, daß der Krieg noch nicht ist, und daß ich so sehr den Andern nöthig, und wirklich tröstlich bin. Varnhagens Gegen- wart, und immer gleiche Ansicht des Totalzustandes unter- stützt mich sehr, meine Konvaleszenz, und mein Leichtsinn, den der Frühling mir unwiderstehlich einflößt. Nämlich, ich bin noch zerstreut über das Herannahende! Und zu viele Men- schen glauben nicht an Krieg: obgleich wir Preußen uns dazu tummlen, ohne abzureisen! — Übrigens beziehe ich mich auch, wie du auf deinen ersten, so auf meinen ersten Brief nach Na- poleons Erscheinung. Ich denke noch so, man muß die Fran- zosen nicht national machen. Und bin ganz überzeugt, es gehen große Krümmungen in Frankreich los. Ich bin froh, daß ich gesund bin, nämlich von diesem Übel so geschwind frei. Ich fühle noch, daß ich’s hatte. Wenn einem nun so etwas zukommt! Überh aupt. Wie von Glatt- eis ist das Leben. Glatt, kalt, unten Wasser, im Wasser Tod. — Ist denn Louis böse mit mir? Dich lieber Hans grüße ich recht sehr! Ich denke an die Gesundheit, und dann ist alles „ist mir ein Spiel, ein Scherz!“ Ich genieße den Früh- ling! Thue dies ja ! dies ist gewiß Profit. Muntert Einer den Andern auf zu Genuß; Genuß ! Und anders kommt alles . Du sollst sehen es geht in Frankreich los, und dann bleiben wir draußen. Treuer Moritz, schreibe ! Ernestine, gehen Sie in die Luft, lassen Sie sich nicht toll machen! An M. Th. Robert, in Berlin. Wien, Freitag den 6. April Vormittags 11 Uhr 1815. — Auch werden sich die Menschen wieder aus der ersten nothwendigen stupeur erholen: reell ist doch noch nichts ver- loren, und die Meinung. die den Kredit macht, muß sich wie- der ausgleichen. Unendlich weh thun mir grade all die Mit- telleute: und unsäglich A! Aber ich bitte euch, fahrt nur fort mir immer alles zu schreiben. Man ist weit ruhiger, wenn man auch Unangenehmes hört, wenigstens zu glauben, man weiß alles, als nicht trauen zu dürfen, und mit seinen Ge- danken, wie an der Roulette, nur hin und her zu rollen, und zu schlagen; ohne in’s Unendliche noch beruhigt still sein zu können. Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei Gott bedanken soll, daß ihr nicht verwickelt seid. So ist doch die alte häß- liche hemmende Familienvorsicht zu solchen Zeiten gut! Ver- säumt nur den Frühling nicht! und stärkt — jetzt doppelt — Seele und Körper in der Luft. Es wird alles anders ! Hier ist eine große Stagnation und Stille; die ich mir nie für Politik, oder Richelieu’sche Verschwiegenheit aufbinden lasse. (Hr. Whitbread antwortete auf „er müsse das nicht au pied de la lettre nehmen“, — „Ich kenne die Minister zu gut, um je etwas, was sie sagen, au pied de la lettre zu neh- men.“) Es ist Verlegenheit, oder irgend eine Verwicklung dahinter. Verlegenheit, da man die Bourbons nicht wieder anbieten will, oder kann, wie laut gesagt wird: und nun noch keinen Titel und keine Art hat, mit den Franzosen zu spre- chen, was sie denn wollen. — Was sagst du zur Proklama- tion von Sack (-grob)? Goethe hat Recht, der Name wirkt ein. — In Italien war gegen Murat schon ein Vorposten- gefecht. Man sagt, auch dieser Krieg wird nur eine Demon- stration im Großen bleiben und eine Art Ableiter sein. Doch niemand weiß etwas schon Gestaltetes. General Vincent, der von Paris kommt, sagt , man soll sich keine Illusion machen, Napoleon habe zweimalhundertundzehntausend Mann: An- dere behaupten, das sei unmöglich. In Truppenzahl traue ich aber Napoleon nicht . Dieses „nicht“ kann man deuten wie man will; ich meine, er hat Truppen; wenn er sie nicht innen braucht. — Alle Menschen sind so gespannt und herunter: und so unsäglich dumm. So lange Varnhagen noch da ist, ich keine Soldaten sehe, geht’s mit mir noch an. Lebt wohl und schreibt. — Gestern aß ich sehr gut bei der Arnstein. Aber kein anderes Wort, als den geschimpft, Armee, Murat, Fran- zosen u. s. w. Mir ein Gräuel! — An M. Th. Robert, in Berlin. Wien, den 10. April 1815. halb 12. Morgens. Leset nur die drei letzten Beobachter, die ich hier beilege, und ihr werdet die Stagnation sehen, in welcher die Geschäfte gefangen sind. Mir scheint es so, ich bleibe dabei, man weiß keinen Titel zu finden, unter welchem man die französische Nation bekriegen will, weil die Bourbons fehlen. Baiern aber auch marschirt tüchtig; schreibt Tettenborn, der in München ist. Und es strömt genug nach dem Rhein; ist recht viel dort, so wird es wohl überlaufen und man wird losschlagen. Siehst du, Ohme, daß ich nicht so schlecht sehe, wo es auf sehen an- kommt; vor einigen Posttagen schrieb ich: „Wenn nur unsere Truppen nicht agiren, ohne den Befehl dazu abzuwarten!“ und dies thun gar nun Civilisten. Sack hat die schärfsten, bündigsten, bestimmtesten, drohendsten Verweise wegen seinen Proklamationen bekommen: und gleich nachher, macht er neue! — So ist’s mit einer Sache. Ich erzähle aber dergleichen nicht mehr. Dies glaubt man nur, wenn man es siehet. — Deine Nachrichten sind erfreulicher! — Ich muß immer Oppositions-Nachrichten geben! Freilich wird der Grüne einen harten verlegnen Stand haben: aber auf seinem letzten Loch pfeift er noch nicht; Geld geben ihm die Meerkatzen, Frau Rückenau, und eine Menge Verwandte und Kriegsgesellen noch: vor der Hand: auch ist die Armee nicht so von der Nation zu trennen. Man muß bedenken, woraus alle Armeen beste- hen. Doch werden ihm von innen die Tatzen diesmal gehal- ten. Bricht aber ein entschiedener großer Krieg aus, so haben sie ihn als Capitaine nöthig, und er gewinnt militairische Macht. So muß ich sagen, so sehe ich, so denke ich: und ich müßte mich imbeciler stellen; als ich bin, wenn ich anders sprechen sollte. Ich übersehe nicht, vieler deutscher Völker Muth, nicht unsern besonders, der ganz allein uns einen Standpunkt in der Welt giebt, und wo auch wirklich die an- dern hinschauen; nicht die ganz andere Lage der Dinge, als die in der Zeit des vorigen Kriegs, wo noch kein Franzose nach Frankreich gejagt war, kein Russe und Deutscher in ihrem Lande. Sie das nicht kannten, wir das nicht wußten. Aber schlimm, abscheulich, daß wir jetzt nicht ein Volk sind; wie sie. Die Sprache, das Sprechen allein, macht es nicht : man muß wissen, daß man unter einer Regierung, unter denselben Gesetzen steht, und aus einer Kasse lebt; und, daß nicht nach Sieg und Krieg, der Bettelstreit und die Gränz Einrich- tung, und Mein und Dein wieder losgeht. So denk’ ich, es mag auch kommen wie es will. Deutschland ist nur das Deutschland, wovon man jetzt spricht, wenn es unter Einem Hut lebt. Dies allein macht Frankreich zu etwas, gegen uns über. Hätte die katholische Maria Theresia nicht unsern Friedrich heirathen können? — Blüthen wären das jetzt, was nun in Kanonen, Pulver und Wunden, und Gräuel aufgeht! Alle Straßen wären gebaut, alle Haiden urbar. Mit Gott kann der Mensch nicht denken : in den muß er sich ergeben; als Menschen wissen wir, weiß ich, wäre der Gräuel nicht nöthig. Wenn man längst die Religion — welches doch kommen wird, und zeitenweise, im Krieg, wo Noth ist, schon geschieht — als ein innerliches Gewissensreich ansehen wird, welches einen Andern gar nichts angeht. — Hier ist ein Staub, wovon ihr trotz der Berlinerei keine Vorstellung habt: dabei regnet es absolut nicht! Vorgestern fuhr ich vom Augarten nach dem Theater an der Wien, Ro- chus Pumpernickel zum erstenmal gesehen — ungefähr so weit wie vom Königsthor nach dem Unterbaum, da sah man die entgegenkommenden Wagen nicht: und gestern blieb ich wegen Augenweh zu Hause. — Dabei Din é ’s . Sie thun’s hier nicht anders. Morgen bei Bentheims Schwester; — heute fürcht’ ich mich schon. — Schreibe nur immer! Ich höre gar zu gerne von euch zu Hause! und wie dir ist. Es freut mich ungeheuer, daß ihr in den Thiergarten zieht; für’s erste, nur gelebt! — An M. Th. Robert, in Berlin. Wien, den 14. April 1815. Wie wandelt sich denn alles so von einem Tage zum andern, fragst du! Wärst du nur einen Tag hier! sprächest nur zehn bedeutende Leute aller Länder, und du würdest sehen, daß ein gehöriges Maß von Einsicht dazu gehört, einen kol- lektiven Begriff von diesen Wellen zu fassen, und Geist, um sie endlich Meer zu nennen. Ja! es wandelt alles, weil nur die gesammte Schwerkraft der Dinge langsam etwas schafft, rückt und gestaltet, denn nur sie dringt durch ein Gesetz nach einem Ziel; kein anderes herrscht. So weit ist es mit der alten großen stehenden Lüge gekommen, daß keiner ein Allge- meines mit seinen Augen ersieht, und jeder glaubt, in diesem schwindelnden Erblinden für seine Person, d. h. auch nur den nächsten Augenblick, handeln zu können, also zu müssen. Die Häupter merken dumpf, daß sie nur mit einer leeren Form hanthieren, können aber das Wesen nicht finden, warum es handelt, und welches in seinem ewigen Leben naturmäßig fort- agirt. So hält sich jeder an das ihm allernächste, kleine oder große Ereigniß, knüpft da seine Plane und Handlungen an, die sich aber alle gesammt nach einem andern Punkte hinnei- gend bewegen, der ein unsichtbarer ist, und in dessen Bahn die Schwankungen in allen Richtungen gerade noch Raum haben. Dies ist das Schwanken, nach dem du fragst, keiner hat ganz Schuld, es ist die alte Geschichte, die sich als Lüge von ihrem Boden wegschob, leben zu können wähnte: Lokale. mechanische Wahrheit, Früchte des Daseienden, nahm ihre Stelle ein, und wird sie weit weg drängen, als Dünger. In dieser Lüge umstrickt waren auch wir geboren, und auch wir leiden nach Maß unserer Geschichte, die wir im Entstehn gleich mitbilden müssen, und im Maß unserer Theilnahme an der Lüge, zu der wir nicht Klarheit und Streitkraft genug hatten, sie zu bekämpfen. Mit „Wir“ meine ich: ich und du, und keiner ausgenommen. Vielleicht der Einsiedler in Reinerz. Es wundert mich nicht , daß es Menschen giebt, die den alten Weltschaden für unheilbar ansehn, lachen, wenn sie nicht weinen müssen , und zum Gebrauch nehmen, was ihnen nur irgend ein Narr lassen will, sie irgend kriegen können. Unheilbar ist er für uns zeitliche Wesen, da er so lange dauert. Ist die Harmonie (und der Drang dazu) der Gedanken eines Menschen rege und stark genug, alles, was in Auge und Ohr dringt, zu übertönen, so lebt er mehr innen, und hat die Ewigkeit, die besteht in Unabhängigkeit, und nicht in Zeitenreihe. Diese zwei Welten bewegen diese Welt. Man hat, was man ist; was man ist, hat man bekommen. Frömmer kann man nicht sein. Leiden thut man alles, denn man leidet sich selbst. An Moritz Robert, in Berlin. Wien, Freitag den 14. April 1815. Möritzken! du bist ’n ehrlicher Kerl! Gestern erhielt ich zwei Briefe von dir vom 6. und 8., heute ist Freitag und der 14. April: aber ich bin zu echauffirt nach Theodors Brief, den du auch lesen mußt, um dir auch zu schreiben. Ich danke dir, daß du mir den Schreck über den engländischen S. erspa- ren wolltest. Es ist der dritte Mensch, der an einer sich selbst eingetrichterten Meinung stirbt , von meinen Bekannten. Fin- kenstein aus Ärger über die Franzosen, aus denen er sich gar nichts machte. Prinz Louis im Kriege, aus dem er sich auch nichts machte; wie ihm der Haß gegen Napoleon unnatürlich war. Marwitz, der auch gar nicht acharnirt war, und mir es sagte . Das wird die Nachwelt nicht glauben, auch sehe ich Geschichte nicht dahin in’s Gesichte, wo es die meisten setzen, da hat sie’s nicht. Der Brief war mir sehr wichtig und unter- haltend. In dieser Zeit, aus Antwerpen. Wenn dich nur deine Laune nicht verläßt! schmeichle ihr ja! Ernestinen und Babetten danke ich! Ich liebe solche Details, Babettchen, wie Sie mir geben! wie können Sie mich gelehrt nennen? haben Sie denn den Fisch und den Salat schon vergessen, den wir mit Tieck in Eintracht verzehrten? bin ich nicht immer un- schuldig und gut gewesen? führe ich mich nicht wie ein Kind bei Josty auf? ist meine Chokolade nicht gut? warum schim- pfen Sie mich? was habt ihr denn für Hüte? ich noch mei- nen aus Berlin, außer einem von blauem Levantine, den Moritz kennt, mit zwei weißen Rosen und zwei Knospen. Varnhagen schickt nach dem Briefe, und grüßt als treuer Schwager. Bald könnt ihr ihn ausfragen. Wo bleiben Sie den Sommer, Ernestinchen? Erinnert bongue bongue an mich. Künftig mehr. R. An Varnhagen, in Berlin. Wien, Sonntag Abend 11 Uhr den 11. Juni 1815. So müde ich auch bin, so soll doch dieser Tag nicht hin- gehen, ohne daß ich etwas für dich aufschreibe, herzgeliebter Freund, an den ich so viel denke . Eben geht Wiesel weg: der mir treu Gesellschaft leisten wollte; und mir unendlich viel vordozirte; aber alles sehr gut gemeint, also nahm ich’s wie- der sehr gut auf. Mit ihm, Dore und Katti war ich zu Wa- gen im Augarten, dann zu Fuß in der Brigitten-Au bis im Jägerhaus, wo wir keinen Kaffee bekamen; weil kein Schmet- ten da war, und so gingen wir den weiten Weg, bis hierher; weil wir auch keinen Fiaker trafen. Gott! welch ein Abend! Mit Mondessichel, Auroraluft, violetten Bergen, lachenden Häusern, Baumespracht; Venussternen. An dich dacht’ ich: an wen du denkst wußt’ ich. Die Kühlung grüßt’ ich, ihr dankt’ ich für dich! Und sehnender, vernichteter ging ich ein- her, als ich es nur irgend vorher sah! Wie ein ausgenom- menes Nest ist es mir im Herzen, und doch so fest zwischen den Rippen. Doch sei getrost. Deine Liebe zieht meine so aus dem Herzen dir nach; und es ist ein Glück, das sollst du fühlen, und ich fühle es auch! Theurer, geliebter, treuer Freund! Du sollst es nicht bereuen . Liebe nur! — oder liebe nicht; ich stehe dir immer zur Seite, (das heißt, ich werde dir in allen Fällen zur Seite stehen). — Noch fährst du! die Nacht ist gut; sei sie dir gnädig, mit Sicherheit; und Ruhe in der Seele ! — Als du weg warst, wollt’ ich mich sehr ängstigen: ich legte mich hin: schlief einen Augenblick ein, er- wachte eifrig, und wie im Schreck: zog mich an, und da Jo- hann immer nicht kam, wollte ich noch Einmal zu dir, als ich aber eben fertig wurde, kam doch Johann. — Ich grüße dich !!! Möge Gott dich segnen auf Schritt und Tritt: ich weine dazu! Aber wir wollen uns nicht weich machen. Und lieber froh sein, daß wir uns haben!!! — Schlaf wohl! ein- zig geliebter, treuer Freund, ich sehe dir in die Augen, bitte Gott für dich! Adieu, adieu! für heute; habe die beste Nacht! — Montag Mittag halb 2. Wenn du mich jetzt sehen solltest! Du schaltest mich schon, daß ich ohne Interesse lebe. Nun weiß ich gar nicht, was ich machen soll. Aber das wird sich geben! Du fehlst mir nur so plötzlich; und es bezog sich hier alles auf dich. Schon gestern war Wien wie aus gekehrt . Ich war diesen Vormittag, nachdem ich angezogen war, der Hitze wegen in deinem Zimmer und las. Es ist ganz aufgeräumt, das Bette gemacht. O! wie wüst! wirklich todt sieht so etwas aus! doch blieb ich drin, und war ruhig; und las sehr Schönes von Saint-Martin. Gott was kann der Mensch alles den- ken, in seinem beengten Kreise! das ist unendlich, die Kom- bina- binationen, die ihm da erlaubt sind; diese Enge grade der Witz, wo er als Feder, die heraus will, thätig gemacht ist. Und wie hohl und nichts in sich begreifend ist dieser Vergleich wieder: wie fällt die todte Feder als kalter unbekannter zur unverständlichen Ruhe gefallener Stahl hin! — nimmt man sie da hinaus. Was hat der Mensch für schöne reiche Ein- fälle, die als Wunder in seine Seele fallen, und in andern Seelen auch leben, weiter leben, und beleben. Was vermag man alles zu denken: was fällt einem alles nicht ein! Da- rum fürcht’ ich mich auch vor einem Uhrwerk, und seinem Zif- ferblatt. Es wurde mir doch ein bischen zu kühl, und da ging ich wieder vor, um zu lesen, da lief mir gleich Katti nach, mit allen ihren Mucken, Karessen, Prätensionen und Geplaudere. Sie sagte unter andern: Nun ist die Frrau allein !! nun kann ßie nit spüllen ! Dann kam Dore, und rief ihr zu: der Herr ist hinten; sie möchte hinter gehen. Sie glaubte es nicht : und sagte auch nein: aber sie war doch ganz verwirrt von freudigem Schreck; und schrie und lief zaudrend, und sagte trotzig, und hoffend, sie wolle Joohann fragen, der würde es ihr schon sagen. Ich war hinten doch ganz ruhig! du fährst ja unter günstigen Umständen; und seit ich gehört habe, ihr habt Kirschen, Orangen, Punsch, Wein, alles bei euch, in dem ganzen Wagen, bin ich ganz ruhig. Auch geht eine fri- sche kühlende Luft, und gegen die Sonne bist du geschützt. Die Nacht war etwas dunkel. Du bist ja aber so viel schon gereist, und hast zwei Kriege überstanden, und Gefahr ist al- lerwärts, und allemal, also sind das nur Redensarten der Ge- II. 19 danken, Thätigkeiten der Liebe. Fürchte nur nicht, daß ich mein Leben mit Schreiben zubringen werde: du wirst wohl noch oft über’s Gegentheil jammern: jetzt aber kann ich’s grade gut; es erlaubens die Zeit und die Nerven: und wenigstens zu erst, sollst du noch alles wissen; du denkst ja auch bestän- dig an mich, weiß ich. Liebe Guste, frage doch Nettchen, ob sie nicht, Gott behüte und bewahre! die zehn Paar Schuh, die sie mir bei Schmidt bestellen sollte, hierher geschickt hat; denn ich habe nichts erhalten ! Und erkundige dich ja nach Line, und wie es ihr geht, und was sie zu verzehren hat; und schenke ihr etwas. Sie war so lange, und so jung, und so in meiner Noth bei mir, daß dies ein Glück für sie sein soll, will Gott haben; und es muß ihr auch gut gehen, wenn es mir gut geht. Auf meine Heirath hoffte sie! Und sie hat doch viel mit mir ausgehalten; sonst war ich ungestüm, und jung, und ohne die jetzige Schonung. Dies alles sage ich, weil ich’s von der Seele los sein will: du bedarfst nur ein Wort. — Adieu, liebe Guste! du sollst mal sehen, wie schön wir uns wiedersehen! Ich sehe dich an, als wärst du da! Ach wie lange dauert’s, eh du diesen Brief kriegst! — Abends 11 Uhr. Nun war ich wieder mit Wiesel und Johann bei den Sattlern umher, von 6 Uhr an. — Dann ging ich über die Glaris mit W. nach der Bastei, wo wir uns die Leute besa- hen, ruhig in Mond- und Laternenschein saßen, zu Hause gingen Kaffee trinken, und als das geschehen war, und ich etwas Gutes über Burgsdorf und über das Lügen gesagt hatte, beschloß ich die séance mit einem: je ne dirai pas mieux de la soirée, und er ging. Ich sagte nämlich, man könne so viel lügen, als man wolle, nur sich selbst nichts vorlügen u. dgl. Nun weißt du’s! — Aus einem Tagebuch. Baden bei Wien, Sonntag den 18. Juni 1815. Wunderschönes Wetter: nicht zu heiß, und nicht zu kühl, sehr erfrischend. Ich nahm um 11 Uhr mein erstes Bad: es that mir sehr wohl; ich befand mich den ganzen Tag besser, und hustete nur äußerst wenig. Nach dem Essen und der siesta fuhren wir nach dem Schloß der Frau von B. Eine Götterfahrt! in einem weiten Thale, den Schneeberg mit sei- nen Brüdern immer zur Rechten, links ein weites Thal, mit entfernten Bergen, das ganze Spiel der heitern, nicht bren- nenden Sonne, kurz, ein so positiv schönes, wohlthuendes Wet- ter, wie es nur vor einem Regentag ist; wir sahen die Frau von B. nicht, aber ihre Kinder im herrlichen Garten, der ringsum weit sehen kann, mit seinem guten Schatten, schönen Bäumen, vielen Rosen, Feigen, Blumen und seinem Schlosse; frei und sicher daliegt; vorher ein rechter Edelhof mit Schafen die Menge, Pächtersleuten, und Zugbrücke; zum vertraulich- sten Nachbar der Schneeberg, im breiten Thal in gehöriger Entfernung: schöne Sitze, und heimathlicher Aufenthalt. Die Fahrt zurück war auch gut; Baden groß genug, mit Gebäu- den, Kaffeehäusern, Fiakern u. dgl. gut versehen. Die Spa- 19 * zirgänger fleißig. Der Abend wie gewünscht; der Mond sah hinein, und tröstete und erhellte auch noch! Den Abend tran- ken wir Kaffee, und Mad. de Prie war da, rechte gute Unter- haltung, wir speisten auch noch munter; und nach Tisch ging ich mit Frau von Münk im Park; solchen goldigen, Gesund- heit ausströmenden Mondabend schenkt das Jahr nur selten!! Himmel, Gänge, Häuser, Laub, alles war so zufrieden, daß es wieder wohlthat, und glänzende, helle Ruhe spendete; ohne Geräusch und Tageshitze. Ich regrettirte heftig die Lieben! und seufzte nach Heimath; doch genoß ich’s ganz; den Au- genblick, mit großem Bewußtsein. Der Himmel ließ wirklich Gesundheit herab; ich dachte nicht daran, aber heute, den Tag nachher, ist richtig der Himmel bewölkt, nämlich ganz grau. In unsern Gegenden ist das so: in Berlin auch. Ich schlief gut bis 8. Wenn mir doch alle Bäder so bekämen! Ich war lange krank. — — Montag, den 19. Juni. Gebadet; nachher etwas in den Park mit Frau von Ephr. Nach Tische nach dem göttlichen, zu wenig berühmten Hele- nenthal. Durch lauter bebaute, äußerst angenehme Garten- anlagen, Landbesitzungen, Osterien, und Dorfhäuser, kein wü- ster Fleck bis hin: das ganze nahgelegen, dem kleinen Bach- strom entlang, Felsen zur Linken; gegen Abend zu. Wir fuhren in zwei Wagen. Frau von Arnstein nahm einen Mann mit einem Dudelsack, der im Thale vor ihr auf dem Steinen- Steg vorschritt. Besäet waren die schönen bequemen Gänge aufwärts und im Ebenen mit artigen bunten Spazirgängern deren Wagen an einem Einbug des Wassers und Felsens hielten. Heerden gingen unter der Brücke durch den steinigen Fluß, Ziegen klimmten oben auf den Höhen, die Sonne flammte, dunkel und hell über Baumlaub, Sträuchern, Gras, Felsen, Berge. Mädchen sangen komische Lieder zu Harfen. Frau von Ephr. war außer sich, mich das alles sehen zu las- sen. Ich ging etwas. Wir fuhren nach Hause; gingen noch in den Park im schönen Mond. Ich erhielt einen Brief von August. — Mittwoch, den 21. Juni. Sehr schwüles Wetter. Es kam ein starkes Gewitter mit besonders heftigem Regen. Herzog Serra-Capriola von Nea- pel angekommen. Er war natürlich, und unterhaltend von seiner Reise. Als die Sonne unterging, wurde es sehr win- dig; zur Nacht kam noch heftigerer Wind. Diesen Tag machte ich die Bemerkung: daß, wenn man jemand heftig tadelt, alle seine Fehler, und sein ganzes Unrecht eingesteht; und nach ei- nem solchen noch so harten Geständniß sagt: ich liebe ihn doch! — so liebt man ihn wirklich: und er verdient’s, weil er es zuwege bringt. Fängt man aber etwa so an: Ich bin doch F. sehr gut, oder: ich bete doch die M. an, aber das muß ich von ihm sagen, oder: diesen Fehler hat sie: so ist es ausgemacht, daß diese Person nicht zugiebt, daß man sie liebt, man mag es verhehlen oder beschönigen wollen, wie man will; und man hat wieder Recht, nur nicht im Abläugnen gegen sich selbst. Frau von L. wohnt sehr hübsch und und doch mit einer ländlichen Aussicht: sie hat ihren alten Vater bei sich. Mama wohnte nie auf dem Lande: ich wünschte sie noch. Sonnabend, den 24. Juni. Kaltes windiges Wetter mit Regenschauer. Gebadet, nicht besonders befunden. Von unserm Vorpostengefecht gehört. Ich faßte den Gedanken, daß wieder Krieg sein soll, nicht, war schrecklich ergriffen und verdutzt. — Wir gingen Simson sehen in’s Theater. Man gab es nicht schlecht. Das Sujet drang tiefer in meine Seele, machte mich reger, als irgend etwas hier in den ganzen neun Tagen. Es war mir lieb. Baden hat von den Bädern, die ich kenne, das beste Theater: auch der Saal ist schön, das Publikum vornehm. Sonntag, den 25. Juni. Gräßliches Wetter. Diner mit Kalenberg, Herzog Serra- Capriola und dem Spanier Labrador, den sie zu sehr f è tiren. Er ist wie viele Südländer, wenn sie etwas gescheidt sind: das kennen sie nicht. Der Andre ist besser und einfacher. Wir fuhren nach St. Helena in einem wahren Sturmwind, ich meinte, es würde schneen. Wir trafen ganz Wien in Helena, im Thale war es besser. Wir fuhren nach; Gräfin Dietrich- stein, Frau von Mink und ich gingen in Johann von Wie- selburg, eine komische Oper, Jean de Paris travestirt. Gut gegeben. Elegantes Publikum. Als wir nach Hause kamen, war die Nachricht von Blüchers und Wellingtons Schlacht da. Gottlob, daß es nicht das Gegentheil ist! Aber wie schreck- lich in unwillkürlichen halb gelogenen Zuständen, die mir jede Faser erschütterten, fühlte ich den ganzen vorigen Krieg. Und vermißte dich sehr. Marquise Prie, Graf Keller, Alle blieben zu Tisch. Tausend Besuche kamen und gingen, die Freude zu bringen. Was wird sie bringen? Ich schlief nicht; der Abend war hübsch. Ich aber nicht. An Varnhagen, in Berlin. Baden bei Wien, den 20. Juni 1815. Morgeno halb 11. Heißes Wetter. Gestern, als wir aus dem Helenenthal nach Hause kamen, fand ich deinen lieben, liebenden Brief aus Prag vom Don- nerstag. Freitag bin ich hierher gezogen, Freitag warst du in Töplitz. Du dachtest bei allem an mich. Ich gestern, in dem barocken und doch wohnigen Felsthal, mit allen seinen Augen- spielen, an dich ! O! eine solche Wohnung, wie es da ganz städtisch und bequem giebt, in Ruhe und Beschäftigung, muß eine Seligkeit sein. Doch bin ich sehr zufrieden, dies alles hier auf so eine heitere bequeme Art zu genießen. — Wir gingen gleich nach dem Ankommen in den Götterstegen umher, wo viele Leute waren, Ziegen klimmten, Hornvieh durch Stein- bäche schritt, Dudelsäcke spielten, Sängerinnen zu Harfen jo- delten, Griechen umherzogen; dicht am Bach, der die Berge zum Thale trennt, tranken wir in einem Wirthshause Kaffee, Ich sah nur die Gegenstände. Die Gesellschaft gut und un- befangen, und ihre ganze Prätension nur an das Thal. Die Damen außer sich, mir die Schönheiten zu zeigen! Frau von Arnstein noch tausendmal besser, als in der Stadt; auch nicht der entfernteste Gedanke von Prätension an ihre hausgenössi- schen Gäste, die die völligste Freiheit und nur das Gute ge- nießen, was das bequeme Haus mit sich bringt mit seinen zahlreichen Dienern und Pferden. Sie wollen hier nichts, als sich und die Gäste unterhalten ohne Ängstlichkeit. Die schöne Gebirgspromenade vor der Thür, wo wir auch noch bis zum Souper — kommode gemacht — im Mond uns er- frischten. Jettchen, Mariane, Frau von Münk und ich. Frau von Ephraim thut alles Mögliche mir zu Gefallen. Jettchen, Mariane, sind eben so viele Freundinnen. Ich habe Bücher für Alle; es existirt ein Papiertausch, ein Bonmotstausch; man erzählt sich die ernstern Anliegen, mit Einem Wort, das beste angenehmste Vernehmen. Arnstein selbst ist munter, artig, und sehr gut zu leben. Meine zwei Bäder — uns chädlich sei das Rühmen!! — haben meinem Husten sehr wohlgethan. — Ja, Guste, ich habe große, viel Ursach zufrieden zu sein. Von seinem Gemahl solche Liebesbriefe zu bekommen, die einen so bewegen, denen man so mit der besten Sehnsucht aus ungetrübtem Herzen danken und erwiedren kann, ist wohl ein Glück zum Knieen; Knieen, wie Tasso, der sie verdient, und doch nur als Gnade sich die seltene Krone aufsetzen läßt. Die Krone, die eigentlich nur erforderliche Bekleidung, nöthige Be- deckung, ja eigentliche Vollendung jedes richtigen gesunden Hauptes sein müßte, sein können sollte, und nicht ist, so selten ist, und seltener, als die paar Königskronen! Ich nehme es ganz in mir auf; die Himmelssendung! So nahm ich auch das Unglück hin; als reines Unglück; ganz geschmeckt: nicht geheimlicht noch entstellt, oder verstellt; oder mit schiefer Hel- denkraft. Ich drückt’ es an mein Herz, in mein Herz; und verzehrte es. Aus der unverständlichen Welt, hinaus sollte es: es brach an meiner Person, an meiner Brust, ich nahm es in das Blut meiner Seele auf: weg ist es von der Erde, aus der Welt; und mußte noch zum Guten dienen. Gott ich dank dir! für diese Erhellung, für diese Meinung, nach dem unleidlichen Schmerz, nach dem Verschmachten beim Ver- sagen. — Ich war wieder unverhofft in dem göttlichen Hele- nenthal. Vera’s reisen morgen nach Rom — er läßt sich dir empfehlen —, die kamen hier Abschied nehmen, und da ward ihnen dies noch geschwind gezeigt. Ein schöneres spazireinge- richtetes Thal sah ich nie . Es ist göttlich, mehr als man davon sagt. Gott wie ist es schön hier, und wie denk’ ich an dich und die ältste Schwägerin! Sag’ es ihr. — An Varnhagen, in Berlin. Baden bei Wien, den 27. Juni 1815. Dienstag halb 11 Vormittag. Vorvorgestern erhielten wir hier die Nachricht des ersten Gefechtes, wo wir , Zieten, zurückgedrängt wurden: ich bin kein Narr mehr, und weiß was das heißt. Wie Adam vom Tod hörte, muß ihm so Muthe gewesen sein, als mir. Ich wußte nicht, daß es Krieg gab, denn ich glaubte, es bliebe Friede; noch . Der ganze vorige Krieg stand auf den Beinen in mir auf. Kurz, ich bin gesund, fahre aus, esse. Genug von mir Magd, Nichts !!! … Vorgestern Abend erfuhren wir hier von unserm Sieg. Damit ihr wisset, wie man’s hier weiß, schicke ich das Extrablatt: und so steht’s eben in dem gestri- gen Beobachter. Noch rühmlicher für die Preußen in der Wiener Zeitung. Alle hier loben uns sehr . Blücher selbst schrieb gleich nach der Schlacht, es zittern ihm alle Glieder! Freut ihr euch? — Bei dieser Frage wein’ ich, Gott! dies wieder ! Und die Erschütterung: der Dank ! Ach wie hart waren wir dran. Was grwinnen wir? Wo ist er : was wird er nun beginnen, wen anfallen? Schreibe mir jeder, der’s erfahren kann , ob Willisen lebt. Er war Adjutant bei Hünerbein. — Bis hieher schrieb ich, als ich zum Bade mußte. Nun ist alles möglich, nun kann alles kommen: hofft auf alles: ich habe geschwommen . Das Bad ist nämlich ein großer Saal voll Wasser, wo mir das Wasser über den Kopf geht. Nach uns hatten die Prinzessinnen von Kurland ihre Stunde, heute ließen sie uns um unsere bitten, und es kam so, daß wir mit der Herzogin Sagan zusammen bade- ten. Sie freute sich sehr mich wiederzusehen — von vor acht- zehn Jahren in Töplitz, oder sechszehn, — sie schwimmt excel- lent, und so redete sie mir so lange zu, bis ich mich von ihr schwimmend herumtragen ließ; mit einer großen Blase, die einen sehr angenehm trägt. Es ist ein großes Vergnügen. Nun wird sie immer früher kommen: und wir schwimmen. Sie ist sehr schön, und ich amüsire mich sehr. Auch erfährt man alle Neuigkeiten. Sie wird uns gleich Blüchers Brief schicken. August! wenn das Gentz wüßte! Dies war seine größte ter- reur in Prag. Der immer dachte, er müßte mich vor lauter Verläugnen in die Erde stecken, vor dem Verscheiden, bloß wegen Herzogin Sagan. — Den 28. Juni. — Heute muß ich die Herzogin allein lassen; sie versprach mir gestern, früh zu kommen. Es würde mir großes Vergnü- gen machen, mit ihr zu baden, weil ich sie von Kindheit an persönlich sehr liebe; und sie mich schwimmen lehrt, welches ein göttliches Vergnügen ist. Nun kann ich die Bäder nicht ertragen: — also kann ich das Vergnügen auch nicht haben. (Aber welches andere hab’ ich!) Dies alles war Datum. Nun kommt von meinem Glück, und Vergnügen! Gestern erhielt ich deinen ersten Brief aus Berlin. — Ich schäme mich vor Gott, August, solche Briefe zu bekommen. Es freut sich unser Herz, und unsere Seele, wenn wir erkannt, anerkannt, und geliebt werden: aber so Großes verdien’ ich nicht. Wenn du mich recht lieb hast, so habe ich lange mein Theil; du liebst was du schätzest, Wahrheit, Natur; Unschuld im Sehen, Streben, und Meinen; und einige ursprüngliche Gaben; und meine Geschichte, denn das sind wir selbst. Aber so sehr, herz geliebter Freund, mußt du mich nicht beschämen! dich liebt’ ich in dem Brief, und in dem Lob und Ruhm. Dich. Einen, der so etwas in seine Seele schließen kann, in sein Herz kann übergehen lassen, in sein Dasein aufnehmen kann. Du weißt warum, und wie ich dich liebe, du hast es mir selbst geschrie- ben: und besser will ich von solchen Briefen werden. Ich bin nicht von schlechtem Teige; mich bringt solch Lob zu mir selbst; führt mich zur Untersuchung, meines Werthes; und dem, was ich leisten kann, und macht mich wirklich besser, weil es mich aufmerksam, rege, und fleißig macht: allert in vormaliger Sprache. Ganz über allen Ausdruck freut es mich, daß ich dir nach unserer Verheirathung güter sein kann, als vorher. Sonst konnt ’ ich doch noch vergnügt in dem Ge- danken, mit einem Plane sein, der mich von dir entfernt ge- halten hätte. Jetzt nicht mehr. Zu bestimmt war unser Zu- sammensein, zu gut das Leben mit einander; zu groß dein Verlust; und also der meinige: zu allgemein und tief und lange unsere Mittheilungen; zu groß die Erlaubniß dazu, und die Sicherheit darin; und der Beschluß der Seele. Du verstehst mich. Ich bin wie verloren: ohne wahre Mitthei- lung; es sieht keiner die Dinge hier wie wir. Meine Weiber sind recht gut; aber bei weitem nicht bei mir. — Ich höre alle Tage Graf Keller, General *, Fürst * *, und die ganze Welt sprechen. Die gehen von Punkten aus, wo ich nie hin- komme. — Ich kenne alles von zu Hause: und regrettire es nicht: regrettire nur, daß dies zu Hause ist . Ich kenne alles aus jenem Kreise, von dem du mir schreibst: nur, daß sie sich so gar nichts aus mir machen, rückt sich mir immer aus den Seelenaugen. Weil sie wahrhaft von mir genährt sind, und ich es so gut, als sie, vergesse; und weil eben dann, Äußerungen, aus diesem Lande, Früchte dieses Erdreichs, wie von selbst, eine Verschwendung von Liebe voraussetzen, wie mit sich bringen; und so täusch’ ich mich, glücklich und be- lohnt, meist selbst: und wenn ich mich nicht täusche, seh’ ich’s ein; und da mag der Teufel nicht vergeben. So soll es sein. Was wir sind, wissen wir nicht: wie wir sind, ist uns gege- ben; wären wir nicht gut, zum Guten, so müßten wir uns so machen ; die Hölle ist ganz überflüssig. — Du sprichst sehr schön von Menschen, und Naturschicksal! bei mir ist kein Wort verloren. — Gehörig empört kann ich auch sein; das weißt du: besonders wenn mir die Elendigkeit grade schadet, und eine große Rolle spielt. — Katti habe ich seit Wien nicht ge- sehen; das Haus ist so voll, daß ich sie nur werde kommen lassen, wenn Arnsteins wieder auf dem Garten wohnen. — Freitag, 12 Uhr Mittag. Eine Sündfluth von Regen; auch heute bade ich nicht. Gestern Abend von 8 bis bald 9 ging ich, als nur eine Art Pause im Wetter war, mit Frau von Ephraim, und Johann, spaziren, wo wir die Berge und weiten Aussichten in den großartigsten Himmel gehüllt sahen: Wolken waren es gar nicht mehr; es war wärmlich, und sah aus, wie ein ferner künftiger Winter, den einem der Sommer zeigt; dunkler, als es die Jahres- und Tageszeit mit sich bringt, vor lauter Was- serfülle; denn, diese war’s, die gestern noch in den tausendfach- grauen Wolken die heutigen Güsse enthielt. Wir gingen auf den Bergpfaden, die wir mit Bartholdy besuchten: du weißt, wie weit und schön man da sieht. Wie wünscht’, und ver- mißt’ ich dich. Ich denke immer, ich gebe dir ab, was ich kann; wenn ich recht an dich denke. Du gönnst es mir. So bald es der Krieg erlaubt, komme ich nach Frankfurt: spiolire — Spioliren kommt von Spekuliren und Spioniren — nur auf ein Quartiet. Miethe es aber nur nicht! verschwenderi- scher Liebhaber! Wenn wir doch erst eine fernere Nachricht, einen preußischen Bericht hätten, über unsern Verlust! — Ich spreche viel mit der S. nicht zu ihrem Schaden. Sie hat es gern; und liebt Wahrheit: ist aber auf einem Fuß mit ihr, wie ich mit schönen großen Thieren. Ich tadle sie nicht . Sie hat Gutes und Schönes. Adieu. — An Varnhagen, in Frankfurt a. M. Baden bei Wien, den 2. Juli 1815. Die Sonne scheint bald, bald nicht, nach Sündfluthen. Gestern Abends kam ich mit Augusten und Frau von M., einem Engländer und Franzosen und anderer Gesellschaft von Rauneck, einem hohen Berge mit Ruinen, wo ein eckiger Thurm steht, den ich noch obenein durch viele Treppen bestieg. Göttliches sah man oben. Ringsum ins Unabsehbare, Hori- zont hinter Horizont; das unglaublichste Lichterspiel, von Dunkel und Hell, auf Kornfeldern, der Schwächat, die wie ein Thier das Thal bekroch, und sich wand, auf Dörfern und Besitzungen ohne Zahl, auf dunkeln, eigensinnigen Bergen. Schafe weideten, Holz wurde gefällt in den Bergwäldern, und lag reinlich, todt und duftend da; auch einen Gewitter- schlag hörten wir, aus einer zum Platzen verdrießlichen, dun- keln, sich senkenden Wolke. In manchem Thalfleck im Ge- birge war’s so still, daß man nichts, und nur Vögel hörte; denn auch wir, all die Nationen, schwiegen auch. Es war ein Sonnentag nach langem Regen. Nicht feucht; junges Wetter, herrlich! Ohne dich. Ich empfand es, dacht’ es im- merwährend. Auch an Marwitz dacht’ ich: und will immer, wenn ich nur kann, wann ich das Freie sehe, das er so sehr liebte, so sehr verstand, seinen Namen, zum Zeichen, daß wir ihn missen, immer nicht vergessen, daß er nicht todt sein soll , aufschreiben (wieder ein Platzregen), wohin ich nur kann. Ein Moment war unbeschreiblich; als wir von unserer Ruine so ziemlich ins Thal hinabgestiegen waren, wo es nicht groß und nicht klein war, schien die Sonne nicht mehr; nur auf einer uns gegenüberragenden andern Ruine, die durch Optik ganz im Kreise unsers nicht beschienenen Thales ein- geringt war: es war der Abend selbst . Unschuldig, verhält- nißlos, unpersönlich, ungekränkt, ohne Forderung, paradiesisch, ohne Unfall: ganz still athmete er selbst, Glück ein, Glück aus, ohne Zukunft, er war da, befreit, in Glück. Da war’s, wo wir Alle ganz schwiegen. Könnt’ ich Silbenmaß finden, wie ich einsehe, fühle und Worte finde, so machte ich hieraus ein bleibendes Gedicht. Als ich nach Hause kam, nur in die Hausthür, gab man mir deinen Brief. An Varnhagen, in Frankfurt a. M. Baden, den 7. Juli 1815. Freitag Morgen 11 Uhr. Es regnet nicht unangenehm. Gestern war ein holdseliges Wetter: Mariane ging zum erstenmal wieder mit uns zu Fuß aus: nach dem Schlößchen, wo wir mit Bartholdy waren, wo Gentz gewohnt hatte. Aber einen Götterweg, einen ande- ren! Das Wetter, die Bäume, der Himmel, die Wolken, alles winkte nur so! Ich grüßte es alles wieder. Schnitter waren im Felde. Durch die herrliche Mühle, mit dem Hof und dem Nußbaum gingen wir. Ich dachte an uns . Aber ich war vergnügt, und erheiterte Alle. Der Franzos und Mar- quis Marialva waren mit uns; die Münk, Jettchen, Mariane und ich; morgen reist der Marquis, Metternich hat verboten Pässe nach dem Hauptquartier zu geben, er reist also erst nach Stuttgart. Nach diesem Gang und dem Kaffee im Schloßhof, ging ich in den köstlichsten, gesundheitströmendsten Abend, noch einmal denselben Weg, mit Frau von Münk, und dem Fran- zosen; beinah bis zur Mühle, wo man durchgeht. Ich dachte an Goethe „eilende Bächlein.“ Er sieht alles, wie ich. Und was wir für einen großen Stern sahen! Der Franzose schnarrte immer, je n’en ai jamais vu de cette taille! Aber richtig! — heute regnet’s! Die Atmosphäre ist nur regen- schwanger gnädig in unsern Landen. Nachher kamen wir et- was spät zu Hause, wo wir Weiber, außer Marianen, die zu Bette war, mit dem alten Hausfreund, Baron Braun, soupir- ten. Eine Art Mann wie Schmidt, der Geheimerath, der al- les von der ganzen österreichischen Monarchie seit vierzig Jahren auswendig weiß. Der erzählte, mir sehr interessant, von ei- nem hypochondrischen Millionär, der nichts mehr ausgeben will, weil er den Untergang der Welt sieht, und vor fünfund- zwanzig Jahren — er hat drei Fabriken in den Provinzen, wovon jede Einrichtung eine Million und mehr kostet, und wozu alles auf seinen Besitzungen gemacht wird, bis auf das Eisen zu den Rädern, bei ihm präparirt und geschmiedet; der größte Entrepreneur des Landes, und der größte Techniker ꝛc. ich erzähl ’s dir! — allen Verkehr plötzlich mit Frankreich aufgab, auch nicht einen Sous verlor; er hatte ein großes Vanquierhaus, wie Fries, Geymüller und Arnstein, welches er ganz aufgab, und die monstruösen Fabriken schuf. Er lebte größer, als irgend Einer in Wien; und bei seiner Einschrän- kung , und Krankheit, hat er für sich allein sechs Pferde, eine eine Etage in der Weintraube auf dem Hof, Haushofmeister, Kammerdiener ꝛc. will aber der Kosten wegen nicht mehr nach Baden. So behandelt er sich, und desolirt die Kinder; zwei- undsiebzig Jahr ist er alt. Und sagte alles vorher, wie es jetzt kam. Er soll außerordentliche Kenntnisse haben. Ist aber so gemüthskrank, daß er sterben muß. Sehr interessant. Die Erzählung dauerte lange, gab mir aber Licht über das ganze Land und die Hergänge der Hauptstadt. Ich liebe es sehr mich durch bloßes Leben in einem Lande darüber unwiderleg- lich zu unterrichten. Ich nahm Theil daran, daß sie so be- flissene Menschen haben, daß es so Thätige giebt , daß sich das fortbringt, trotz jedem Vorurtheil, und eigentlich die Welt schiebt. Der Mann ist geadelt und dann baronisirt worden; lebte en seigneur, und reichte weit mit seinem Thun und Wissen. Auch lernte ich, wie große Etablissements das Land hat; dachte mir viel, wie es sein könnte; wie weit prah- lerische, echauffirte Schlegel und Müller, und andere neumo- dische Wiegler, in der hohlen Partheilichkeit entfernt sind, an solchen Dingen den herzlichen Antheil zu nehmen, dem allein edleres Wissen und derber Willen, zum Wohl der untern Schichten des Volkes, und der Nation geweiht sein sollten, damit es gesund von unten herauf, von der Wurzel her, Blüthe und Überfluß, anstatt des ruppigen Luxus, erhält, an- statt des lumphaften Prahlerlobs! Solches dacht’ ich; und will es dir gerne mittheilen. Les peuples existent malgré les gouvernements (Mirabeau). Ja, malgré erblüht, was Ein- zelne thun; wenn man sie nur nicht stört durch Verbote! Gott ! wenn dereinst befördert würde!! Für alle Völker II. 20 gäbe die schwere, dunkle, geduldige Erde Fülle her; sie brauch- ten nicht zu kriegen, nicht zu lügen, und die Proklamationen zur Rechtfertigung! Und dann dacht’ ich des Mannes Schick- sal! der grade durch Wissen gemüthskrank ist! Wie alles ist. Nicht für uns. — An Varnhagen, in Frankfurt a. M. Baden bei Wien, den 7. Juli 1815. — Als ich Dienstag von Hitzing zurück kam, fand ich deinen Liebesbrief vom 26. Juni. Ich danke dir mit allem, was ich bin: und wie ich es von dir erkenne, und aufnehme. Ich glaube es dir auch, August. Dein Missen, und alles. Sie sind Alle nicht wahr. Ich sehe es. Es muß viel Geist dazu gehören. Ich glaub’ es. Und eine große, spontan é e Göttergabe. Ebenmaß, wahre Schönheit in den Seelenglie- dern. Drum nennst du mich schön. Ich bin nicht stolz: aber vergnügt und demüthig: wenn mich nun Gott nicht so gemacht hätte! Aber Fleiß, unverdrossene Mühe, und Härte gegen sich selbst, gehört auch dazu. Wie fade aber auch, wie nicht zum Ertragen, sich selbst vorzulügen und zu spieglen, und nicht zu wissen und zu wollen, was man begehrt! Ich bin sehr damit zufrieden, daß du nur gegen Chamisso und Koreff sprichst, und wie so das geschieht. Es ist eine Kunst; eine Kunst, ein könnendes Vermögen, zu wissen, wo man sprechen soll und muß, und kann: wo es hilft. Ich be- sitze diese Kunst; und leide , wenn ich darin pfuschen sehe: grade wie es Künste mit sich bringen. Entferne dich aber nicht etwa geflissen, oder bequem, von den Andern. Ist kein guter Einfluß da, so ist gleich Platz für schlechten: und dann, ist Vergessen so bequem, so negativ; das thun sie so leicht. Da die wenigsten Menschen das Gedächtniß im Gemüthe haben, oder vielmehr die meisten nur ein ganz auf ihre äußere Per- sönlichkeit gerichtetes Gemüthe. — Mariane O. amüsirt mich, grüße sie sehr, und mache ihr sehr die Kour: es ist ein kluges Mädchen, die nicht affektirt. Der Mutter tausend Grüße. Ich danke für Dorens und Johanns Grüße! Du bist lieb ! Grüße ja Prediger Stegemann, Nolte, Hitzig, alle wieder: und wenn du einen Moment hast, gehe zur Predigerin Lebrun, der Ehrenfrau! Meine Pathe. Die Köchin Hanne! sie ist Mama’s Köchin; grüße sie auch. Schuster Schmidt ist recht schlecht, daß er die Schuhe zu spät schickte, denn sein ist doch wohl die Schuld! — Der heftigste Regen den ganzen Tag. Ich komme eben von oben, wo ich eine Stunde in dem mittelsten Eßsaal zur Motion mit offenem Balkon neben dem Salon, wo die Andern waren, auf- und abgegangen bin. „Und dachte mir viel!“ auf dem „Rücken“ der Stube, ohne Hexa- meter und Pentameter. — Heute bei dem Regen sind mir die Nerven ganz abgewirbelt: wie Klaviersaiten, die untereinan- derschwirren. Was ist denn das für Wetter? Soll Korrrinth untergehen?? Adieu, Liebster Guter. Ich vermisse sehr, heute bei dem bösen Wetter und den eingenommenen Augen, nahr- hafte Gespräche. — Heute brachte ich ein artiges Müllertöch- terchen von fünf Jahren mit nach Hause; die Katti so ähn- 20 * lich sieht, daß Dore wirklich meinte, ich bringe sie. Ein Göt- terbalg! — Ich lese keine Zeitung mehr: die großen Neuigkeiten er- fahr’ ich doch: die Gesinnungen kenn’ ich! Eine Mühle, die klappert, ist mir lieber. Den 11. Juli. — Ich bin aber nicht unwohl, und viel gesünder als in Wien. Sehr lustig; und die Unterhaltung des ganzen Hau- ses und all seiner Gäste, in deren Gegenwart es nur möglich ist mit der Sprache zu präludiren! Mein ganzes Thun, Dasein und Äußern amüsirt ununterbrochen, bis zum Lachen und Denken. Und das bloß, weil ich wahrhaft, und selbst- meinend bin. Das geht bis auf meine Gebärden. Ich bin die Einzige, die da meint. Auch hab’ ich vorgestern, bei nicht leerem Gastzimmer, laut die französische Nation vertheidigen dürfen, mit dem größten Erfolg: die Grafen waren ganz zu- frieden: und lächelten der Neuheit, die sie sich nicht selbst aus- zudenken brauchten; unsere flammende Wirthin sagte, als ich schwieg, beifallsvoll: „Reden Sie immerweg! wir wollen Alle lieber zuhören und schweigen!“ Mir wieder ein Beweis, mit welchem Erfolg Männer im Amt, reden und handlen kön- nen, wenn sie rechtschaffen genug sind, und besonders eine Meinung haben: die am meisten fehlt. Ich sprach wider die eines jeden in dem Saal. Aber durch keine Persönlichkeit noch Eitelkeit bewogen: die Sache wie sie ist, war für mich; un- widerlegbar; und ich opferte sogar das Wohlgefallen an dem, was ich vortragen und behaupten konnte, entschlossen denen auf, für die ich sprechen wollte. Sie hatten nämlich Alle in bequemen, feigen, hergebrachten Reden wieder Einmal, ohne den geringsten Antrieb des Augenblicks, noch irgend einer Gei- steswendung, die Franzosen geschimpft — nach gewonnener Schlacht! —, die armen Bauern als Kanaillen behandelt, weil sie sich gegen ihren Feind wehren. Da erklärte ich Ihnen, daß die arme Landleute nur sehr natürlich gehandelt hätten, und daß, wenn es unsere wären, wir sie brav nennten und aufmunterten: ich zeigte ihnen, daß diese Leute weder Antheil an Napoleon noch an Ludwig XVIII. nähmen, noch nehmen könnten, bloß für ihren Hof besorgt wären, den vertheidigten, und den Feind, den verzehrenden, fürchteten. Ich erließ ihnen noch die Demonstration, warum diese Klasse nicht national sein könnte: wie sie nur den Druck, die Last, die Arbeit für das bischen Cr ê me Menschen hat, die in Ambition — nicht Ehrgeiz — und Genuß wühlen und schwelgen, und für welche allein nur noch die Landesgesetze geschaffen sind und leben. Aber ich erinnerte sie daran, wie wir Alle, die einzelnen Völ- ker Deutschlands mit jenen fochten; also alle, aus diesem Ge- sichtspunkt genommen, selbst gefehlt hätten, also auch begreifen müßten, wie es bei ihnen zuginge . Vorher waren Alle anderer Meinung; als ich nur gewagt hatte es auszusprechen, ihre eigenen Widersacher, mit Lachen und Beifall; und Schwei- gen! — — Aber um so etwas zu wagen, muß man den Au- genblick sehr kennen; den Rand mit dem Geiste sehen, an wel- chem die gelangweilten Gemüther stehen; und keines persönli- chen Interesse’s, nicht einmal der Rechthaberei beschuldigt werden können. O! warum bin ich kein Mensch in Amt! keine Fürstin! (Du hast Recht über mich; darin.) So wahr Gott lebt! ich wirkte gut: ich sehe es. — Also ich bin wohl- gelitten im ganzen Hause, — Nun deinen Brief. Es freut mich unendlich, mein geliebter Freund, daß dir mein Thun und Schaffen auch gefällig und wohlthätig ist: daß ich dir bequem bin, und im kleinen Leben helfe: daß ich dir bei den Reiseanstalten der Unsrigen einfiel. Ja, ich weiß, was ich will; die Gottesgabe hab’ ich; denk dir, was ich also litt, immer nicht zu können bei diesem hellen Willen: und bei dunklem, trüben, schadenden, die Macht und Fülle zur Seite zu sehen: überdummt und überschrieen und überhandelt zu werden! zum sichtlichen Schaden Aller. „Alle Schuld rächt sich auf Erden,“ das war hier meine Hölle. — In den Angelegenheiten der Weltregierung, und den Kämpfen der Menschheit denk’ ich wie du: und traue dir sehr viel. Nach deinen Briefen soll sich mein Thun und Kommen richten. Auch Einen Wunsch hab’ ich mit dir: bei dir zu sein. Mich hungert noch bei al- lem andern nach Mittheilung, Lesen und männlichen Gesprä- chen, — Ich freue mich deiner Meinung über unsere Zukunft! bin aber immer noch nicht in Berlin verliebt. Wegen der armen Provinz und Gegend. Die Sonnenuntergänge sind bei uns schöner; und vieles, Ach! ich kenne alles Gute: das Land ist ja mein Bruder: und nur, wie ich mich hasse, hasse ich es! — Was du mir von Beyme schreibst, nährt recht mein Herz! Daß es solchen Mann giebt, ist schon eine Freude; daß der unser Landsmann, wieder; und daß er schon ein sol- ches Amt im Lande besessen, daß man ihn doch auch ferner gebrauchen wird! Und daß er gut von dir denkt, und dir wohlwill. Hättest du ihm sagen können, wie eingenommen ich von ihm bin. — Troxler ist zu bescheiden ; das sagten wir längst: drum macht er zu viel Wesen aus mir: meins, wie es ist, ist nicht schlecht: aber er muß mich nicht beschämen. Nun! ich bin gewiß für ihn: ich fischte ihn ja gleich aus der Rezension vor acht, neun Jahren, und er ist ein lieber Mensch. Bleibt er nicht in unsrem Land? Die Männer, die ihn ehren, müssen ihn gar nicht weglassen. Wir werden schon wieder mit einander sprechen. Ich bin sehr stolz und vergnügt, daß er mir gut ist; und freue mich, wie es dich freut. Zum Glück kann ich kein Narr werden, sonst würd’ ich’s von deiner Liebe. Beste Guste! Die Ansicht seines Magnetismus kenne ich von ihm; geistreich ist er immer. — 1815. — Man weiß nicht wo ruhen mit seinen Gedanken. Wenigstens ich möchte sehr gern nach Arkadien! Es begegnet einem auch nichts Bestimmtes, Schönes, Deutliches, Thätiges, Erhebendes, Restaurirendes irgend einer Art. Hörtet ihr nun dabei all die hundert Arten von schein-agirenden Menschen sprechen ! Wie sie Alle nicht mehr wissen und hervorbrin- gen als ich; und es eine komplete Luftbläschen-Agitation ist, wie in einem Gefäße, wo Champagner brauset; und man sieht, es wird überströmen, obgleich es Bläschen sind. — An Varnhagen, in Paris. Baden bei Wien, Mittwoch den 19. Juli 1815. Bei schöner Hitze vor dem Bade, nach einer göttlichen Mondscheinnacht, die wir bis 12 Uhr im Park und auf dem Anfang der Berge genossen; welches mich sehr stärkte, wie besonders jetzt wieder die Nachtluft. — — Obgleich dein Brief lange ging, und nur aus Deutschland ist, beruhigt er mich doch sehr, weil ich nun glaube, ihr seid vorbereitet, und wer- det behutsam sein; und die Dinge sich immer ändern und wenden; und besonders nicht so sind, als man zu befürchten nöthig hat. Ich denk’ in allem wie du . Und mache meine alten Fragen an uns — Alliirte. — Wie freut es meine Seele! — doch eigentlich ( du weißt es) mit Goethe’n gleich zu denken und zu fühlen, über unsere Geschichten und ihre Helden: nicht umsonst, denn nicht ohne Grund empfand ich Welt und Licht, die Natur — eigentliche Geschichte — wie er. Ich bin nicht vermessen; wenn ich mich auch vergleiche. So wie ich es sage, find’ ich es wahr; und dann kann ich’s auch sagen: und so sehe ich auch die Menschen an, auf die man merkt. Ja, es geht so weit, daß, hätte man mir die ganze Zeit das Gegentheil von Goethe berichtet, ich wäre eben so gewiß in meiner Seele gewesen, daß er’s so nimmt, wie man es jetzt so eilig, patriotisch, kleingesehen, feig und selbstisch tadelt. Den Egmont schreibt man nicht von unge- fähr , und ändert sich nachher . Wie die Andern, die nichts geschrieben haben, in ihren oft dicken Büchern: nichts was sie wirklich wären! die immer einem Zeitalter nach , aber nie vor sprechen. Geschichte sieht man, konstruirt sie selbst: die geistige Entwickelung der Völker ist ihre Geschichte: und die bringen Sterbliche, wie Goethe, he rvor , indem sie sie sehen, verkündigen, prophezeihen, auch rückwärts, wie Frie- drich Schlegel in der guten Zeit wußte, und sie sind es, die ihr Volk umbilden. Aber aus eben diesen Ursachen murrt immer das Rohe im Volke gegen ihre Moses, Sokrates, Goethe’n! — Wie freut es mich, daß du auch schweigen willst, nicht mehr reden kannst! Wahrstes Zeichen der Reife. Was man alsdann Einmal sagt, wirkt und nährt; auch wie reife, süßsaftige Früchte, die zwischen Blüthe und Reife auch schweigen; in Säure und Härte. — Goethe hat den Leopolds- orden bekommen. Wie freut das meine Seele! Daß Weis- heit, innere große Gaben gekrönt werden, Meistergelingen der Natur; daß man Wirken in unserm Vaterlande erkennt, und nicht auf eine That wartet. Er dankt ihn wohl der Kaiserin; seiner Helden-Este Enkel! Heil ihnen noch jetzt ! den geist- reichen, edlen Fürsten! Sie und Goethe machen es wahr , was er im Tasso sagt, von der Schwelle, die ein Edler be- tritt! So schließt sich Gutes an Gutes, und so mag es zur höchsten Glorie in Ewigkeit gedeihen! und ein jeder Lebendige, wie jetzt Goethe, schon bei seinem Leben den Lohn genießen ! In solchen Dingen möge sich Österreich und Preußen be- neiden! dann strahlen sie beide hell neben einander. Dann ! sind sie von Natur Eins. — — — Wie sollten wir auch nicht ehrlich mit einander sein! Wir können ja! Es ist eine Kunst. Nach unserer Definition. Gott! wie lügen die An- dern! — so sehr, daß sie ein Klump Lügen sind, den man mit dem Fuß auseinander stoßen kann. (Jetzt sehe ich’s wie- der recht.) Aus ekelhaftem Stolz, aus stupider Dummheit: weil sie Besseres wären, wenn sie ihrem wahren Begehren lebten, dies und ihr eigentliches Vermögen gebrauchten und zeigten. Strafwürdige, gar nicht zu beachtende Kanaillen, die Andre zu tadeln sich in stupider Frechheit erkühnen. Mit sündhafter, karger Sittlichkeit, auswendig gelernter, der selbst sie noch in jedem Augenblick untreu sind. Echtes Krob! Mir thut keiner nichts; glaube es nicht : aber sie sich, und einer dem andern; und die verfaulte fleißige Ekellüge ! Solche zusammen, tadeln Goethe, wollen Solches richten . Verste- hen nicht, was sein letzter Pöbel , nur zum Beispiel, im Egmont sagt. Lumpen; deren „kahlen, schuldigen Scheitel“ die Sonne, die hohe, große, in andern Geschäften — be- scheint —! Mündlich gebe ich dir Belege für meine Empörung; was sie alles sagen, thun, erzählen: in dem Wahn, ich soll es bewundern !!! — Zwischen Mölk und Linz, den 28. Juli 1815. zwischen Pulverwagen. Immer dasselbe, oder immer etwas anderes lieben, heißt beständig lieben. Nichts lieben können, ist unbeständig sein. An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. den 20. August 1815. Sonntag Abend, ein Viertel auf 11. Nein, August, welches Glück! Ich kann auch nicht zu Bette gehen, ohne es dir zu melden: wie weinte und bangte meine Seele schon, daß du es nicht mitgenossest. Gestern, in einem Brief, den ich dem Chevalier Capadoce-Pereira mitgab, und den du spätestens Mittwoch erhältst, referirte ich dir doch unsern ganzen Aufenthalt hier; heute Nacht sind die Jetten weg, ich in einem angenehmen und angenehm gelegenen Quar- tier, in einem niedrigen Hause, meine Wohnstube nach der Allee, wo das Komödienhaus steht, mein Schlafzimmer nach einer andern Straße, das Haus hat keinen Hof. Vallentins im Schwan, grade gegen meinem Schlafzimmer über: bei ihnen aß ich, sehr gut, und bequem: schlief zu Hause, und fuhr um 5 in dem Götterort, in der Anmuthsgegend, mit ihnen aus; als ich hinab kam, saß noch ein Herr im Wagen; ich glaube Weiland stellten sie ihn mir vor; ein Klavierspieler, der alles liest, weiß, gereist ist; kurz, ein gebildeter, neumodischer Mensch, der so viel weiß, daß es leicht an Narre gränzen kann; sehr dem Prinzen ähnlich mit den ausgestochenen Augen, dessen Namen wir nicht erfahren konnten. Ein Jude; dem man’s nicht anmerkt. Er spricht sehr gut. Wir fahren zu einem herrlichen Thore hinaus, an einem herrlichen Kai am Main vorbei, an kultivirten Gärten in der wohlhabenden Gegend, durch Weingefilde, im köstlichsten gesündesten Wetter (wie es in zwanzig Jahren nicht war), nach einem Forsthause, wo man Kaffee nimmt; dort gehen wir im Walde spaziren; wir treten endlich aus dem Wald, sehen eine weite schöne Wiese, am Ende ein hellbeschienen Dorf. Der Herr fragt, ob wir das sehen wollen. Ich sage, die Sonne sei zu stark, lie- ber später; er sagt, es ist Niederrad, das Dorf, wovon Goethe so viel schreibt, wo er immer mit seinen jungen Freunden hin- ging. Dann wollen wir durch die Sonne, sag’ ich: und Schauder grieselt mir über die Backen. Getrost, fröhlich, ja zerstreut im Gespräch, gehen wir hin; es hat Straßen, wie die österreichischen Dörfer; ich tadle das; wenig Menschen gehen hin und wieder: ein niedriger halber Wagen, mit einem Bedienten, fährt den langsamsten Schritt; ein Herr fährt vom Bock, drei Damen in Trauer sitzen drin, ich sehe in den Wa- gen, und sehe Goethen. Der Schreck, die Freude machen mich zum Wilden: ich schrei mit der größten Kraft und Eile: „Da ist Goethe!“ Goethe lacht, die Damen lachen: ich aber packe die Vallentin, und wir rennen dem Wagen voraus, und kehren um, und sehen ihn noch Einmal; er lächelte sehr wohl- gefällig, beschaute uns sehr, und hielt sich Kräuter vor der Nase, mit denen er das Gesicht fächelte, das Lächeln und das Wohlwollen uns, aber besonders seiner Gesellschaft, die eigent- lich kikerte, zu verbergen. Der Wagen hält in seiner Lang- samkeit endlich ganz, der Herr vom Bock wendet sich, und sagt: Das ist der Schwan! Nämlich, das Wirthshaus, von welchem Goethe schreibt, dort immer eingekehrt zu sein. Also auch Goethe ging heute in seine Jugend wallfahrten, und ich, deine Rahel, trifft ihn, macht ihm eine Art Scene; greift ein in sein Leben! Dies ist mir ja lieber, als alles Vorstellen, alles Kennenlernen. Als ich ihn das zweitemal sehen wollte, sah ich ihn nicht , ich war so roth wie Scharlach, und auch blaß, ich hatte den Muth nicht. Und als er vorbei war, am Ende der Straße durch ein Fabrikgebäude und eine Pappel- allee entlang aus dem Dorfe fuhr, zitterten mir Kniee und Glieder mehr als eine halbe Stunde. Und laut, und wie ra- send, dankte ich Gott in seine Abendsonne laut hinein. Auch die Andern konnten ihr Glück nicht fassen! sie hätten es gar nicht gewußt; Vallentin sagte, er sei der Büste ungeheuer ähnlich; sie ist ganz beglückt. Und noch Einmal müssen wir Gott danken und hoffen: er hat sich in den zwanzig Jah- ren gar nicht verändert, ganz wie ich ihn sah; und sehr vergnügt beobachtete er uns. — Ich schrie so sehr , aus Eile , die Andern sollten ihn auch sehen, und weil man’s gar nicht erwarten konnte! Ein Wagen, und das ist er . Den Mainherrn nennen wir ihn: er ist Herr hier. Das erfand ich gleich. Gott, August! ich bin so agitirt: wärst du hier! (Jetzt wein’ ich.) In diesem Mond, heute ! Wer gönnt es mir wie du? Meine lieben Augen sahen ihn: ich liebe sie! — Geheimerath Willemer’s Familie waren die, welche mit Goethen fuhren. — Frankfurt a. M., den 27. August 1815. Leset in Goethe’s Leben, erster Band, von Seite 427 bis herab Seite 437. Und wenn ihr sie in’s Auge fasset, wird die goldene Weisheit euch verblenden, verstarren in Bewun- derung! Er schildert ganz die heutigen Erscheinungen in Wien, Paris und allerwärts, die neuere Begleitung und Folge des Kriegführens; hebt durch den bloßen Blick, mit Worten, ein solches Stück Geschichte aus dem Zeitenflusse, daß es sich wiederholen muß, wie vor wahren Propheten! Den Gährungsprozeß des Abgestorbenen, welches man in guter und schlechter Meinung erhalten will, mit der sich neu erzeugenden Mischung; wie das dumm, lächerlich und trau- rig wirkt, weil, der Masse nach, zu wenig Bewußtsein, als Sonne, es reinigt, bildet und gestaltet. Auch ich dachte da- durch, und in welcher Zeit, in welchem Ort ich das Buch lese, viel nach. Und sehe in allem, was Menschen wirklich mitzubereiten im Stande sind, nur das Eine: daß Weniges in der Natur gelingt, und sich nach ihrer wahren Absicht aus- bildet; so auch in des Menschen Natur; Alle sollten selbst- ständig und selbstdenkend, daher sehend und erfindend, sein, das ist ihr natürlicher Zustand. Aber der ist so verweset und verwirrt, daß die, welche naturgemäß sind, Ausnahmen machen, und Genies sein müssen, oder genannt werden, und alle Andern in trübem Dasein denen alles auf eine Weile nachmachen; immer wenn es schon unzeitig ist, also verkehrt. Das geht auch wieder ganz deutlich aus Goethe’s Buch her- vor; dies nennt man beständig fort die alte und die neue Zeit: es wäre immer eine neue, wenn man nicht faul, dumm, albern, dünkelhaft-stolz übertragen wollte: denn in der gan- zen Weltgeschichte wirkten und sahen nur, die groß, die frisch wirkten und sahen, und belebt: und die belebten. An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. Mittwoch, den 30. August 1815. — Es war den Sonntag natürlich die Rede von Goethe, und da erbot sich dann Otterstedt wieder, er wolle hin, und ihn schaffen; welches ich verbat; er sollte ihn nur wissen las- sen, wer es war, der ihm in Niederrad nachschrie. Frau von Schlosser meinte, ich solle nur grade mit Otterstedts zum Kom- merzienrath — der ein preußischer ist — Willemer hinfahren, und dort die Damen besuchen! Das fehlte mir! — Das alles mißfällt mir: Goethe muß ich anders, natürlich, sehen: wie alles. Du weißt, im Leben hab’ ich noch keine Bekanntschaft gesucht, als eine, der mehr an mir, als mir an ihr liegen mußte. Man steht sonst zu dumm da; was sollt’ ich Goethen sagen. Wenn er sich’s erinnert, weiß er wie ich ihn liebe; oder auch nicht: denn dies grade weiß er nicht. Povero vec- chio! rief Einmal über das andere neulich, in den einfältigen Stücken, eine Italiänerin neben mir aus, die nicht ein Wort deutsch verstand, und der ihr Gemahl, ein russischer General, alles in’s Ohr übersetzte; povero vecchio! wie ein Wucherer ein schönes junges Mädchen nicht bekam, und bekommen sollte, Er sah ihr so mitleidig aus. Bedauerlich! wollte ich jetzt auf Goethe sagen: das heißt poveretto. Dies fehlt ihm; den Genuß schenkten ihm die Götter nicht ; den refüsirte das Schicksal. Ich habe Unendliches von ihm gehabt. Er nicht mich. Und so lass’ ich es denn! Getrost. Mich dünkt so- gar, es muß Wichtiges im Leben zurückbleiben, Wichtigstes, worauf wir einen größten Werth setzen; mich dünkt es so, wenn das Leben selbst sehr wichtig, oder vielmehr wir uns so bleiben sollen. So hab’ ich es kennen lernen, und erlernt; dazu hab’ ich Kraft: im Gegentheil bin ich ganz ignorant, und verstehe es wahrlich nicht; die größten Menschen sind gewiß die, welche im Vollgelingen des Glückes ergründen, sich ausbilden, und Kräfte bekommen: solcher bin ich nicht, und solche Starke kenne ich auch nicht: auf solches warte ich nicht, aber solche möchte ich noch kennen: sonst „acht’ ich keinen Mann mehr!“ wie Schillers Elisabeth, ziemlich dumm und unverständlich, zu Posa sagt. Ihre Gaben, ihren Her- zenskern, liebe und schätze ich noch: aber einen ganzen Men- schen bewundere ich nicht mehr . Im Ganzen sind sie nicht besser, als ich. Marwitz war der letzte, den ich über mich stellte; mit Thränen hat er’s gebüßt; und steinern fand mich dieser Engel ; der aber nicht mehr war, als ich ! — Verstehst du mich? Nun will ich dir aber in allen Dingen aus meinem Herzen keine Mördergrube machen, wie der selige Möllendorf zu sagen pflegte. Auch über Gegend will ich dir wahr sprechen — (schöne Weintrauben! steckt’ ich sie dir in den Mund! Ich gönne mir nichts allein, es freut mich nicht) — schon das letztemal, und auch vorletztemal in Töplitz, fand ich, ein schönes, reizendes Thal wird mit der Zeit fade, durch seine bestimmten Gesichtspunkte, als ein Berg, oder dergleichen Hauptpunkte, wenn nicht auch eine öde, unendliche, wüste, weite, ernste Seite zum Ausweg des beschränktern Daseins da- bei gelassen ist; so fand ich’s in Baden, und hier. Und so ängstlich das ärmliche Sandthal bei uns durch den Gedanken wird, daß man ohne unendliches Fahren zu nichts Wohlha- bendem, Freundlichen kommt, so ist doch die großartige Seite befriedigt, und affadirt fühlt man sich nie. Dies, was ich hier nur skizzirt und schlecht ausdrücke, aber bestimmt immer gefühlt habe, hat gewiß auf uns Brandenburger und Berliner gewirkt, und längst schon behauptete ich, keine Provinz habe weniger Narren. — — Zu Schl.’s geh’ ich nicht mehr; die wissen auch, mei- ner großen Bescheidenheit wegen nicht, was sie mir schuldig sind: sie treffen O., der sie nie besucht hatte, und dessen Frau ihr Gesicht sie nicht kennen, zufällig bei mir: ich amalgamire sie, sie, wie immer: er spricht von sie besuchen; sie laden O.’s zum Diner, und nicht mich. Wie erwünscht mir das Zuhause- speisen, und das Auslassen, weißt du, die Grobheit ist aber dieselbe. Nie auch wär’ ich hingegangen, hätten die Frau von Schlegel und Pilat mich nicht so sehr dazu ermuntert; und hätte ich nicht gehört, daß diese Familie Goethens Schl.’s sind. Da ich nun ohnehin die Reise vorhabe, so ermuthigt mich das nicht, zu Frau von Jordis Schwester zu gehen, deren Haus freilich aus ganz andern Leuten bestehen mag. Ich wiederhole es; man muß nur die suchen, die einen nöthig ha- ben: und so that ich immer. Ich bin nicht eine Treiberin meiner selbst, obgleich ich viel getrieben habe. — Es ist mir unmöglich, dir jetzt anders zu schreiben, obgleich seit gestern die zärtlichsten, ergiebigsten, hingebendsten und weichsten Töne in meiner Seele für dich geherrscht, gelebt, und auch gewirkt haben: aber diesen Morgen grade kam ich in den genannten Zustand, und jetzt hab’ ich sehr geweint, seit langer Zeit. Auch ich habe mit dem Schicksal gerechnet. Wovon ich seit Kindheit an mit hoffnungslosen Ohren hörte, eine Rheinreise, wird mir nun so geboten. Frankreich, wel- ches mein Augenmerk für meinen ganzen Geist, Eitelkeit und Spannung aller Art war, hab’ ich schon Einmal in Ver- zweiflung besucht, nach F.’s Verrath, und von meiner dum- men Familie, wegen zwanzig Louisd’or weniger oder mehr — die mir zukamen — gemartert, so, daß ich gerne, und früh wieder wegeilte; und nur meine Kräfte und mein Wesen mich Genuß finden ließen! Wien, mein Augenmerk und meine Lust, sah ich nie, so lange meine muntern Freunde, die großen II. 21 Sänger und Mozart und die gute Musik dort waren, und Luxus und Diplomatie, die mir damals gefielen, und als Gentz mich unaufhörlich lud. Gott behüte mich für Italien! — Ich freue mich auf gar nichts, als wie ich mich mit dem Kopf an deine Brust lehnen werde und dich ansehen werde, und die Reise werde überstanden haben; und vielleicht geht auch die besser als ich denke; bis Aachen gewiß! — Ich traue deinen Berichten; das siehst du, denn ich komme: in beiden Kriegen waren deine Nachrichten und Ansichten immer die richtig ein- treffenden. Halte dir nur Remi zur Hand, daß ich ihn finde: ein deutscher Klumpen hilft mir dort wenig. Du siehst, ich schreibe mir das Herz leichter. Kannst du mich auch leiden? Spare dir nur nicht alles ab! Ich danke dir für deine Sorg- falt. Das Meiste wird der Wagen kosten; ich kenne Faubourg St. Germain, am Ende der Erde, von allem weit. Wird man denn lange da sitzen? Und mitten im Winter reisen? In den kurzen Tagen, Schnee, Glatteis, Kälte? Alles nun wie Gott will! — Sonnabend früh, den 2. September 10 Morgens. Nicht wahr, lieber August? es ist unangenehm, einen Brief so lange vor sich zu haben, ehe er abgeht. Aber ein früheres Abschicken hätte nicht viel genützt, vielleicht hättest du da- durch den Brief um einen Tag früher erhalten, aber nicht so Spätgeschriebenes. Darum geb’ ich ihn auch morgen nicht der Mad. N. mit, die hier durchreist, und zu der ich gestern gleich ging, um zu hören, ob es ginge, mit ihr zusammen zu reisen. Sie geht aber des Nachts, läßt hier den Wagen flik- ken, eilt, sagt, man eile sie , will im Wirthsh ause einen Lohnbedienten zum Begleiten miethen; so wenig Begriff hat sie vom Reisen; also konnt’ ich mit der, so erbötig ich’s wollte, nicht reisen. Die Ministerin Bülow kommt aber heute hier durch, und nun will ich Einmal sehen, ob ich mit meinem Wagen mich bei der anschließen kann. — Als ich zur N. hin- ein trat, fand ich O. dort, und einen Herrn, von dem ich nicht wußte, ob ich ihn für einen Juden oder einen *** neh- men sollte. Ich blieb mit Bedacht, bis die Herrn weg wären, weil ich wissen wollte, wer der Jude war. Denn als ich O., weil der Herr zu impertinent war, gefragt hatte: „Wer ist der Herr?“ und mir der mit viertellauter Emphase geantwor- tet hatte: ein sehr vornehmer Kaufmann , erfuhr ich doch nicht, wer es ist. Dieser Kaufmann, mit einem hübschen gel- ben, konvulsivischen Gesichte, war ganz wie ***s, von allem was vorging bis zu Nervenanfällen ennuyirt, daß es ihn nicht betraf, und nichts Höllen- oder Himmelartiges war; und so degoutirt von den Personen, und daß er sich doch mit ihnen abgeben mußte, daß er lieber so viel grob wurde, als es an- ging; sie so mißhandelte, daß er sich wenigstens in seinem Ge- wissen sagen konnte, wenn sie nur Menschenverstand hätten, müßten sie beleidigt sein; und doch solch Bedürfniß von mensch- licher Mittheilung in sich, Talent zum Scherz, und Eitelkeit, — daß er das Ganze auf der Kippe von Scherz für sich und die Andern hielt. Dabei ein air-marquis et peigné, wie die Geschwister nicht: denn als ich der N. sage, der Herr sieht aus wie ein ***, sagte sie: es ist ein ***. Das Ganze drehte sich um der N. ihre Reiseroute, und den zu nehmenden Be- 21 * dienten, wozu jener als empfohlener Rathgeber dastand, es aber gar nicht besprechen mochte, und immer lachend ober- flächlich versichernd absprach, es sei kein Bedenken, es gäbe kein Stehlen, man habe nichts Wichtiges mit sich, es sei nichts zu besorgen für einen Begleiter und von einem Begleiter: dies alles in der beleidigendsten Verachtung, und nicht enthaltenem Lachen, und höchster Langenweile. — Auch nun möchte ich schon fort! Aber allein, mit den deutschen Domestiken, die noch weniger vom Gelde u. a. ver- stehen, als ich, mag ich nicht. Die mindeste Unpäßlichkeit, und es kann kein Mensch mehr sprechen. Ich werde schon kommen. — Frankfurt a. M. 1815. Mit den freien Städten wird es nun auch immer deut- licher; das Ganze ist wie eine Familie, die häuslich und glücklich lebt; das ist gut für sie, läßt aber keinen großen Verkehr, oder vielmehr keinen großartigen, bezugreichen zu, noch irgend eine solche exempelgebende Anstalt, die um sich griffe, weit und allgemein wirkte. Dies kann nur ein großer Staat, bis jetzt, mit allen seinen Mißbräuchen und Häßlich- keiten. Soviel ist bei mir ausgemacht, die freien Reichsstädte dauern auch nicht mehr lange, die Fürsten mögen auch noch so human sie sich selbst wiederschenken! Sie waren, meines Bedünkens, künstliche und natürliche Inseln des Freiheits- Erdreichs, welche aus jenem wühlenden, wüthenden Meere der erobernden Adelwelt empor sahen, und strebten, die aber bald mit dem ganzen Erdreich zusammengehören werden, je mehr und mehr jenes Meer versiegt, und anderm Unbekann- ten weichen muß, und längst, längst weicht; nur die Sonne, die Nahrung und Geist ist, steht noch oben, und behauptet den alten Gang noch. An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. den 5. September 1815. Dienstag Mittag 1 Uhr. Diesen Augenblick, mein August, erhalt’ ich deinen Brief vom 30. mit Troxlers drin, den ich noch nicht gelesen habe: mit Thränen in den Augen setz’ ich mich hin, dir für deine Liebe zu antworten. Ich war schon auf meinen Knieen — man sollte so etwas nicht sagen! — Gott zu bitten, obgleich ich in allen seinen Willen ergebner bin, als in meinen, daß er mich zu dir führe. — Du hast es zu sehr nöthig, ich leide zu sehr, wenn du entfernt bist. — Ich bin über dein, also unser künftiges Schicksal sehr ruhig; hat es sich doch unter ungünstigern Umständen gefunden. Der Kanzler wogt zu sehr; er wogt auf der großen Stelle, die vielen Wellen machen ihn schwanken, wie Alle, die sich auf so reichem Meere befinden. Ich glaube dir auch, daß er viel kämpfte: aber es ist wahrlich ein Kampf, und ein Einzelner kann ihn mit den größten Ein- sichten nur von ungefähr entscheiden. Über den Tod denk’ ich wie du; wir wollen zusammenbleiben. So eben erhielt ich wieder von der Arnstein und der Ephraim die liebendsten Briefe, ich werde sie dir künftig schicken, weil ich sie erst Jul- chen mittheilen muß. Mach dir kein Gewissen, treuster, liebe- vollster Freund, daß ich komme. Ich bin wahrlich allein; und ohne Beziehung, wo du nicht bist! Ich fühle es ununterbro- chen. Ja, ja! man kann sich einen Menschen erobren; wenn’s ein Mensch ist: du hast mich dir erobert in Liebe, und Ein- sehen meines Besten in mir. — Schelte nicht! Ich weiß, wie du, daß Goethe viel an mir hätte: eine Sorte, die er noch nicht hatte: und dreist ging ich zu ihm, könnte ich es ihm in einem Gefäß reichen, auf einem Korbe darbringen, lebte er in einem Walde, wo er nicht gerne ist; aber hier in einer Fami- lie, wo er sich ausruht, hat was er will, allein sein will; wie soll ich kommen, was soll ich sagen. Und besonders, da er nun die aufmerkende langjährige Liebe von mir kennt. Nun genire ich ihn. Denn dies , daß ich doch unschuldig neben ihm sitzen würde, kann er auch nicht gleich wissen. Hätte ich ihn von ungefähr getroffen, durch, mit Andern gesehen; alles wäre gegangen. Viel eher fühl’ ich mir den Muth, ihm in Weimar, bei sich in seinem Orte, die Erlaubniß ihn zu sehen, zu fordern. Mit Goethe mag ich nichts wagen: dem will ich wirklich nicht häßlich erscheinen. Sonst vertrag’ ich viel; du weißt es. Aber ein Wort schreiben will ich, fragen will ich ihn, ob er das Paket durch den Kaufmann R. erhalten hat. Da es der Freund von einem Tage zum andern schiebt. Dies Interesse versteht er durchaus nicht: wie ein Hund ein Buch nicht versteht; und in diesem Sinne verzeihe ich’s ihm. — Ich weiß auch gar Goethen nicht in kurzen anständigen Worten genug zu schreiben! Doch will ich’s. — Frau von Otterstedt ist voller Karakter: sie wird dir sehr gefallen, äußerst brav und wahr; und ich bin gewiß, mir eine Freundin — dies Wort gebrauch’ ich weder als Kind, noch Narr — an ihr er- worben zu haben, weil sie auch weiß, daß ich rechtschaffen bin. — Troxlers Brief ist sehr schön, wenn sich auch drüber sprechen läßt, grüß ihn herzlich. Hier ist der, den ich Goethen heute schrieb. Ich weiß, daß man sich einem Minister anders unterschreibt; aber nicht wie; und wie es hier steht, fühl’ ich es. Um halb 6 bringe ich ihn mit Julchen und Klärchen selbst ab. Lebe wohl! Ich muß essen. Mit der innigsten, ewigen Liebe deine R. An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M., den 7. September 1815. — — Früh 9 Uhr. Schönen guten Morgen! Hier reg- net es, und eben kommt mit Sang und Klang ein schönes Infanterieregiment Russen herein, das macht mich immer ein wenig nüchtern. Ich wollte dir noch sagen, daß, wenn der Hut nicht kommt, es nicht viel zu sagen hat: aber auf die Häubchen halt’ ich mehr. Ich habe Pradt gelesen; der ist ja eine Art Marmontel, der sich bei ehrlich-gescheidten Leuten den größten Schaden thut. Ein Emigrant im Herzen, der dem Kaiser als Sklav huldigte, und gehorchte, mit heimlicher rage i m Herzen, ihm selbst in der Zeit unbewußt; der die Sprüche der Zeit in der größten Taubheit des Verstandes in schlechtem harten Französisch vor- und nachkäut. Ohne Den- kungsart, der das ganze Buch nicht würde geschrieben haben, wenn er es Maret vergessen könnte, daß der seine Depesche schlecht fand, und ihn antichambriren ließ. Unversehens hat er etwas Napoleon geschildert; aber nicht das von ihm, was er beabsichtigte. Wer daraus die polnischen Affairen kennen lernt, den will ich sehen! Carnot aber, der bei weitem nicht tief ist, und dem etwas, man möchte sagen wie Geist, wie Spirituöses in seinem Schreiben fehlt, hat den Muth, der bei den Rechtschaffenen vom Selbsteinstehen, vom Soldatenleben kommt; der macht mit dieser Vertheidigung selon moi einen neuen Abschnitt in dem Schreibegeschwätz. Er ist der Erste, der blank und baar sagt, worauf es angekommen ist. Sein Land zu retten und zu schützen; und dies durch welche Art von Regierungshaupt es auch sei u. s. w.; und nicht die ab- gebrauchte Lügensprache führt! Für die Alliirten ist seine Schrift der kritischte rapport Fouch é ’s, an den müssen sie sich halten; so steht’s mit dem Lande; so denken Franzosen. — — Habe Geduld, August! Lieber! ich muß auch welche haben: und immerfort; in allen Dingen groß und klein. Heute hab’ ich mich erst so wieder bedacht; ich bin voller Geschmack in allen Dingen: in allem; in Betragen, in allem; und muß mich immerweg so geschmacklos betragen, und sein, und Ge- schmackloses annehmen: und bin selbst davon, trotz der rein- sten schärfsten Überzeugung, wider Willen, wie jäh bergab gestürzt , solche Erscheinung geworden. Ohne alle meine zu dieser Betrachtung führende Gedanken scheint es ein Unsinn! Aber wir reden darüber. Ich habe ein graziöses Herz, und betrage mich auch ungraziös; aber was mir zu und an mich geschickt worden ist, war auch wahrhaftig lauter Verletz-Ge- wehr. Ganz kann ich nicht dafür! Gar nicht. Ich konnte mich nicht wehren: nur denken und in die Brust aufnehmen. — Lieber Freund! Ich büße es selbst, daß ich dich hoffen und wieder entsagen lassen muß. Aber Einer von uns muß handlen wie es ihm genehm ist. Ich will es sein. Sei dies meine Delikatesse. — An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. den 8. September 1815. Freitag Mittag halb 3 Uhr. Dies ist den Brief werth. Nun wirst du selbst dich freuen, daß ich noch hier war. Guter theurer August. Goethe war diesen Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies ist mein Adelsdiplom. Aber ich nahm mich auch so schlecht, als Einer, dem sein geehrter, über alles verehrter, tapfrer, weiser König den Ritterschlag vor der ganzen Welt giebt. Ich benahm mich sehr schlecht. Ich ließ Goethe beinah nicht sprechen! O! wie weissagte meine Seele gestern, als ich dir schrieb, ich hätte den größten Geschmack, und müßte mich immer so ge- schmacklos, so ungraziös betragen: immer selbst so erscheinen! Und ich kann wieder nicht dafür; zwanzig Umstände, Ereig- nisse, reichten sich die Hände, um mich dazu zu zwingen, mich durch Überwältigung hinein zu stürzen. Höre nur! Als vor- gestern und gestern keine Antwort von Goethe kam, beschäftigte es mich immer unter allem Leben heimlich, wie eine kronische Krankheit; (und noch Einmal sei dir diese größte Liebeserklärung gethan; nur dir zu Liebe, nur dir zu willfahren und zu fol- gen, mich und meine heimliche Leidenschaft aufopfernd, schrieb ich ihm) — und ich dachte, der Brief sei ihm nicht abgege- ben; oder, trotz der Unmöglichkeit ! er käme lieber einen Moment zu mir, als daß er mir auch nur eine Zeile antwor- tete: oder, er habe schwer einen Boten: und so dacht’ ich mir denn sein Kommen, oder Schicken; und dabei, daß es gewiß geschähe zur Unzeit, und wenn ich’s gar nicht dächte; wie im- mer. Das aber konnte ich mir nicht denken: ein Viertel auf 10 ist zu arg. Ich hatte gestern ein erhitztes rothes Auge; und solche Beschwerden an den Augen, wie du sie mir kennst; wozu mir denn die gestrige Komödie nicht half. Als ich den Morgen erwachte, so war das Auge nicht mehr roth, aber beide thaten mir weh, als wäre Staub darin; und um nicht zu lesen, und sie zu ruhen, blieb ich im Bette — sonst steh’ ich jetzt ziemlich früh auf — frühstücke im Bette, nehle sehr, und stehe endlich um 9 auf. Grade im Zähneputzen, im ro- then Pulver, mit meinem Flanellen angethan, kommt mein Wirth, und sagt Doren, ein Herr wolle mich sprechen. Ich denke, ein Bote von Goethe. (Noch nie kam der Wirth, und nie in solcher Art Angst.) Ich lasse fragen, wer es ist, und schicke Dore hinunter; diese bringt mir Goethens Karte; mit dem Bescheid, er wolle ein wenig warten. Ich lasse ihn eintreten und nur so lange warten, als man Zeit braucht, einen Überrock über zu knöpfen; es war ein schwarzer Wat- tenrock; und so trete ich vor ihn. Mich opfernd, um ihn nicht einen Moment warten zu lassen. Dies nur blieb mir von Besinnung. Auch entschuldige ich mich nicht, sondern danke ihm! „Ich dank’ Ihnen!“ sagte ich; und meinte, er müsse wissen wofür! daß er kam. Entschuldige mich nicht; denn ich meine, er muß wissen, daß ich ganz schwinde, und nur er berücksichtigt wird. Dies — leider!! — war die erste Bewegung meines Herzens. Nun denk’ ich in heftigster, ja komischer, quälender Reue anders ! Er sagte mir, mit einer etwas sächsischen, sehr ais é en Sprache, er bedaure nicht gewußt zu haben, daß ich bei ihm war. „Wir wollten nur wissen, ob Sie das Paket erhalten hätten. Wir hatten es einem Wiener Kaufmann gegeben, der es mit bis nach Leipzig nahm.“ Ich danke Ihrem Herrn Gemahl, sehr grüßen Sie ihn von mir; ich habe auch gleich antworten wollen, und legte es deß- halb zurück, aber mit den interessantesten Sachen geht’s einem am meisten so, man kommt nicht dazu. Ich danke Ihnen sehr! „O! das glaub’ ich wohl, es geht mir ja sogar so. Ich wollte auch nur wissen, ob es in Ihren Händen sei.“ Er ließ dich wieder grüßen, wohl dreimal, fragte, wo du bist. Ich sagte ihm meinen Fall mit dem Nachkommen; wie der Kon- greß auf mich gewirkt habe: dessen war er, ganz weise , und abgethan und zweihundert Jahr alt, einverstanden; und meinte auch, es sei nicht zum Nacherzählen, weil es keine Gestalt habe; ich sagte ihm, ich hätte erfahren, daß der Krieg um- bringe, aber nicht zerstöre, und gestand ihm zu, daß man dies an Frankfurt sähe, dessen Umgebungen wir um die Wette lobten, und er meinte, es würde ja dort bald aus sein, und wir auch noch etwas Gutes davon erfahren. So glimpf! so hoffnungsreich auf die Natur; so gelassen, freundlich, und un- sicher, so vague, und fest. Daß es mir eine Lust war! Er überredete mich zu Bieberich, Wiesbaden, und dieser Reise; gestand, wo er wohne, sei die bessere Seite von hier. Er lobte Heidelberg, und daß man noch sähe, daß es eine Residenz war. Und als ich von Lokal und seinem unbesiegbaren Ein- fluß sprach: bejahte er’s; „Darin müssen wir ja einmal leben, das thut sehr viel.“ Er fragte mich, wo wir immer wohnen. Im Ganzen war er wie der vornehmste Fürst: aber wie ein äußerst guter Mann; voller aisance; aber Persönlichkeiten ab- lehnend: auch vornehm. Auf dich , ziemlich gespitzt; und äußerst verbindlich. Er ging sehr bald. Ich konnte ihm nicht von der Pereira, nicht von der Grotthuß, von nichts sprechen! Nur ganz zu Anfang sagte ich ihm: „Ich war es, die Ihnen in Niederrad nachschrie; ich war mit Fremden dort, eben weil Sie davon gesprochen hatten; ich war zu überrascht.“ Er ließ dies ganz durch. Es war mir Recht. Ich fühle, daß ich mich im Ganzen so betragen habe, wie damals in Karlsbad. Mit der hastigen Thätigkeit: lange mein schönes stilles, bescheidenes Herz nicht gezeigt. Aber wenn man Einen nur einen Moment, nach so lang jähriger Liebe, und Leben, und Beten, und Weben, und Beschäftigung, zu sehen bekommt, dann ist es so. Und mein Neglig é , mein Gefühl von Ungra- zie brachte mich ganz danieder; und sein schnelles Weggehen. Aber nun besuche ich ihn: Otterstedts wollen es so schon die ganze Zeit: ich aber wollte nicht. Im Ganzen ist es rasend viel, daß er kam. Er sieht keinen Menschen. Wollte Prin- zessin Solms, des Königs Schwägerin, mit dem neuen engli- schen Gemahl durchaus nicht sehen. Kurz, ich fühle mich über die Maßen in meiner Erniedrigung geehrt. Nur ich weiß, wie elend ich war. Goethe hat mir für ewig den Ritterschlag gegeben. Beim Himmel! Er weiß es, der Himmel! Kein Olympier könnte mich mehr ehren, mir von meiner Ehre mehr bringen. Erst wollte ich dir, meine Guste, die Karte schicken; aber ich traue sie keiner Post an. Nun höre ganz , wie lächerlich ich bin. Als er weg war, zog ich mich sehr schön an. Als wollt’ ich’s nachholen, redressiren! — Ein schö- nes weißes Kleid mit hohem schönen Kragen: eine Spitzen- haube, einen Kantenschleier, den Moskauer Schal: schrieb Frau von B. ob sie mich sehen will, und wollte doch einem Andern würdig erscheinen!!! — Sie wollte mich: und ich fand eine liebe Freundin der B. eine reizende Frau, die dir gewiß ge- fallen wird, und worauf ich mich freue. — Nun will ich dir , wie Prinz Louis mir, sagen: „Nun bin ich Ihnen unter Brü- dern zehntausend Thaler mehr werth; Goethe war bei mir!“ Liebe Guste! Theurer; meinetwegen ist es dir: ich weiß es! deinetwegen schrieb’ ich; wisse es. Und nun, da er da war, kommt mir mein Billet nicht mehr so öde, so unperio- disch, so gestaltlos vor; sondern gut . Gestern sah ich eine hübsche Oper göttlich gesungen von Mad. Graf, geborne Bö- heim. Les acteurs ambulants, aus dem Italiänischen. Jetzt muß ich essen und ruhen. Ich war bei Otterstedts und Her- zens. Fahr’ um halb 6 aus. Soll in die Komödie, Mad. Vohs spielen sehen, die alte Weimarin. Bin müde; und weiß noch nichts Näheres über meine Reise. Heute bist du mir nicht böse! Als mir die Frau von B. sagen ließ, sie erwarte mich: sagte Dore: „Nun! heute gelingt alles .“ Gleich betete ich laut: Gott soll dich kommen lassen, und Preußen beschüz- zen. So ist der Mensch. Man liebt sein Land! Ich mußte selbst drüber weinen. Adieu! Deine stolze, beschämte, ärger- liche, treue, kluge bei der Dummheit! R. An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. den 11. September 1815. Montag Mittag halb 1 Uhr. Gestern Mittag, als ich von einem Sonnengang mit Do- ren zurückkam, fand ich deinen mich überaus beglückenden Brief vom 2. September, mit den Modekupfern und Ney’s Vertheidigung. Liebes ! „gelehriges Herz!“ du verheißest mir in diesem lieben, aus Liebe gewebten Brief die Mitte Ok- tobers zu dem nicht zu erwartenden Glück, dich wiederzuhaben! Wenn ich nur leben bleibe! In keiner Krankheit hab’ ich mich so vor dem Tode gefürchtet. Ich soll vergnügt sein! Ein- ziger theurer Freund, ich bin es, (ich will Geduld haben!) da ich dich bald sehen soll: wir werden hier, auf der Reise, allenthalben sehr vergnügt sein; zu Hause allenthalben; und die Welt geht ihren Gang, „wie Sonne und Mond und an- dre Götter,“ wir erleben das Ende nicht, drum wollen wir in der Mitte leben , und ihr zuschauen. Du denkst unaufhörlich an mich? fragst bei aller Gelegenheit um meine Billigung und Einsicht bei deinem ganzen Thun und Lassen; leider wohl oft ohne sie zu bekommen, fürchtest du; aber darum doch nicht ablassend in deinem Eifer? Und ich —! konnte, eh’ ich dich hatte, gut, ganz gut, allein leben auf der Welt; hofft’ es, ersah es, prätendirte es gar nicht anders, suchte es nicht mehr, in Gelassenheit, und Vergnügtheit, wenn sie mich in Ruhe ließen, und ein ungraziöses Schicksal mich nicht aufzustören beflissen war, „fand mein karges Futter“ vergnügt und rei- sefertig „auf jedem Hof.“ Gott weiß es, du auch; und es ist wahr. Nur geneigt war ich nicht mehr, weil ich es nicht mehr fähig war, mein Leben wieder für ein Vierteljahr Zu- sammengehen bei irgend einem Wesen vom Menschengeschlecht einzusetzen; die Proben meiner unbedungenen Hingebung hatte ich mir , also allen andern Freunden und Freundinnen, zur Genüge rein und völlig abgelegt; ein zum Narren haben an mir selbst aus- und aufgeführt, war bei einer unschuldigen Seele, bei einem unbefleckt, unerschüttert redlichen Herzen un- möglich; so war meine Seele und Herz. Du hast es erfahren, wie ich ein ernstes Herz in meines aufnehme. Mit meinem Leben erwiedre ich’s. Wisse, ermesse, wie ich es ansehe, daß du mich wieder in’s Leben hinein geführt hast. Ich will ja nun leben, weil du es wünschest, weil ich mit dir leben kann. Von dir hab’ ich ja erfahren, daß auch ich geliebt und gehegt werden kann, wie ich Andere hege und liebe; daß ich kein verzaubertes monstre bin: worüber ich, du weißt es, ganz ge- faßt und vergnügt war. Ich liebe dich deiner Liebe wegen: und nicht, du glaubst es, weil ich der Gegenstand dieser schö- nen Herzensentwickelung bin: nein! weil sie in dir möglich ist, weil ich dies schöne Spektakel sehe; weil ich solchen ge- haltenen, erglühten Ernst nie sah, und sah ihn nie, weil er nur selten, weil er so schön ist; ein Gelungenes ! Ein Äch- tes; und vom Schicksal Bejahtes mit einem Gegenstand. Ich sehe in dir eine Unschuld, ein Gewährenlassen, ein sich entwick- lendes Herzensgedeihen: so denk’ ich mir hätte ich meinem Herzen zusehen können, hätte man; in ächter, rother durch- sichtiger Gluth nahm ich ohne Rückhalt, ohne Vorbedacht al- les unschuldig auf; und wurde nicht Einmal natürlich begeg- net. Angeschrieen, überschrieen, beseitigt, unberücksichtigt, die ganze lange Jugend durch; das Andere mag ich gar nicht einmal nennen. Gott selbst hörte mich nicht. Er wollte es so: und ich habe mich auch schon längere Zeit unterworfen. Sei auch nachsichtig, August, wenn du jene Frische oft nicht findest, die Einem Glück konservirt, oder Untugend, und eitle Gedankenlosigkeit, loser Geiz, der an die wahre Herzenskammer nie anfordert. Goethe sagt so schön in seinem Leben, bei Gele- genheit der Katastrophe mit Gretchen: die Knaben- und Jüng- lingspflanze war ihm aus dem Herzen gebrochen, und es bedurste längerer Zeit, — so ungefähr — eh Neues sich erzeugen konnte: dies ist der Sinn der letzten Worte, die ich nicht mehr weiß. Mir brachen Eltern, Geschwister, Freunde und Freundinnen, und elende Geliebte ganze Vegetationen hinter einander aus. Ich schwieg in meiner Jugend, in meinem Reichthum, und dachte es müßte so sein. Hielt ewig mich für ungraziös, und das so intim, so gewiß, daß ich’s nicht einmal sagte, da doch, meiner Meinung nach, mir niemand auf solche Klage zu ant- worten hätte, wie auf die wegen eines Buckels, oder andrer Gebrechen. Ich bin aber nicht unglücklich, weder im Gefühl, noch in der Überlegung. Ein schönes Schicksal hatte ich nicht; aber gottgesegnet war ich doch; es war immer Feiertag in mir. Mit all diesem wollte ich dir nur zu ermessen geben, wie du mir mit deiner Art und Liebe gegen mich erscheinen und sein mußt: und ob ich dir erwiedere, dich erkenne! Aber auch auch die Andern. Denn wisse! — in Details will ich mich hierüber nur mündlich vernehmen lassen, und wie das nach und nach in mir vorgeht — jetzt, da ich gar nichts mehr mit ihnen zu schaffen habe, ich nicht mehr generös zu sein brauche, nicht mehr vor Gemüthsaufruhr, den der bedingte Augenblick mit seiner Noth und zu nehmenden Entschlüssen erheischt, nicht überlegen kann, werden sie mir erst ganz verächtlich, zum rei- nen unbekannten Nichts, zum Ekelhaß aus Verwerfung, zu meiner eigenen Befremdung, die auch schon vorüber ist. Die Lebens- und Denkresultate aber klingen und schmecken bei wei- tem anders. Diese sind, eine für’s Mitleid doch zu kalte Be- trachtung, der Menschensituation überhaupt . Wir sind in Verworfenheit Alle; in einem solchen Zustand; und wahrlich, sich selbst opfrende Heldenarten gehören dazu, das sittliche Haupt, das Auge der Seele nur, aus all den Lügenbeding- nissen zu erheben ; welches so natürlich sein sollte, und ist, sobald der Fall wirklich eintritt. Man kann den schlechter Gearteten nur als einem minderen Gewürm ausweichen, und ihnen, wenn sie doch leiden, helfen; und dies geschieht auch von jedem in seinen Kreisen von Bewußtsein, bewußt und unbewußt. Es giebt ganz was anderes, was wir nicht fassen. Das weiß ich. Und nun komme! Gott führe dich zu mir. Ich hoffe: und komme, da D. nun so zögert, auf diese kurze Zeit nicht. Wir sehen ein andermal Frankreich besser mit ein- ander. — Zum Spaß, aber laß dich davon nicht gegen ihn aufbringen, schicke ich dir Th’s Brief; diesen nichtigen, leeren, dürren, sich selbst widersprechenden Lügenbrief. Mit dem er mir diesmal gar nichts Besonderes weis machen wollte, in II. 22 dem er aber sich selbst, weil er doch einmal schreibt, als Lüge in seiner verlogenen Dürre ausstellt. Und das mir: die ihnen immer aus der größten Fülle die größten Komplimente macht, die aufrichtigsten Äußerungen schickt, und sie mir gleichstellt. Aber nun nicht mehr: ich werde sehr selten, und sehr karg schreiben, wozu die Verschwendung von doch nie anerkann- ten Kräften? Schreib du ihm aber manchmal, und theile die- sen meinen Zorn nicht. Mit dir giebt er sich doch noch Mühe; und ist kokett. — Ney’s Vertheidigung ist das Schlechteste was ich kenne: ich habe sie noch nicht ausgelesen. Aber vor- gestern sagte ich schon, er käme durch, weil ihn Marschälle richten. — Der Hut gefällt mir sehr, ich will ihn nachmachen lassen. Heute ist bei Otterstedt ein Thee, wo auch Schlossers sind; den Erfolg nächstens. Gestern fuhren Otterstedts und ich zu Goethe, — er hatte einen Brief vom Herzog von Wei- mar für ihn. Willemers waren spaziren: Goethe seit Freitag in der Stadt, von wo er erst den Dienstag zurückkommt. Otterstedt war diesen Morgen bei ihm ohne ihn zu finden; bringt ihm jetzt wieder den Brief, und will ihn zu diesem Abend bitten. Er kommt nicht. Otterstedt schickt dem Kanz- ler, Stein und dir einen Bericht über Würtemberg, welchen er von dem heute Nacht hier durchgegangenen Grafen Wal- deck erfuhr, der dort arretirt und vom Volke frei gemacht wurde. Einen Artikel wird O. dem Kanzler privatim schrei- ben; das ist der : — —. Schicke, liebes Güstchen, Taftpro- ben und den Preis von modischen, aber besonders fassionirten, quarrirten, die ich sehr liebe, in Blau, Grün, Violet u. s. w. Du kaufst mir auch etwas Blumen! zuvörderst Federnelken, eine Guirlande davon. Schöne Rosen. Nimm Jettchen zu Rathe: und nicht bei den Theuersten, sage Jettchen: die Andern hätten auch schöne. Und , entweder du bringst mir modische Federn, oder, einen Hut mit Federn. Er muß nicht schwer aussehen, sage Jettchen; und hübsches Band. Ich bin recht zahm, ich werde dir ein Maß von meiner Kopf- weite beilegen. Der ist dick. Ich möchte auch ein paar Hau- ben. Damit aber muß sich Jettchen sehr in Acht nehmen, denn die können gestickt und mit Spitzen ungeheuer theuer aus- fallen, worüber ich einen wahren Gram hätte, und es in jedem Fall merkte. Mir ist es nur um die Fa ç on zu thun. Es giebt auch gar artige Umschlagetücher, von Trikot oder florenem Zeug, kurz nach der Mode, viereckige kaß dir auch von Jettchen kaufen. Sie thut’s. Sie wollte so immer nicht zu mir kommen, und noch weniger bleiben: sie ist mir das noch schuldig . Auch wegen meiner Gesinnung. Denn, beim Himmel, nur daß ich Sie nicht sehen soll, nenn’ ich Paris. Aber ein anderesmal! ein besseresmal. Nur um Gottes wil- len lassen Sie sich nicht überreden nach Deutschland zu kom- men! Wenn Sie nicht den Muth haben, mit mir und Varnhagen zu wohnen, kommen Sie unter keiner Bedingung. Dieser Vorschlag ist wenigstens sechszehn Jahr in meiner Seele. Ich schwor mir, wenn ich je zu einer Situation komme, sie Jettchen anzubieten. Sie ist die Feinste und Zarteste, die ich kenne. Und nun steht der Vorschlag hier zu Ihren Diensten. Schreibe mir oft, und wenig, und wie du willst. — Ich liebe dich unsäglich, und freue mich todt, dich bald zu sehen. Deine R. 22 * Grüß die Herren von Pfuel, Tettenborn, Bentheim, Stä- gemann, Jordan, Gr. Schlabrendorff. Wo ist Ternite und Timm? Alles, was du sagst, goutir’ ich, und bin deiner Mei- nung, und sehe es von hier. Deine Galanterie gegen die Damen Stägemann und Jordis lieb’ ich! An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M., im September 1815. Hier, lieber August! lies diesen Aufruf des Prediger Brei- denstein! Ich gebe sonst nie zu öffentlichen Sammlungen, son- dern von Hand zu Hand, wenn meine Augen Elend sahen, und ich es beurtheile; weil ich mir immer einbilde, die, welche ich alsdann so recht elend sehe, sind ausgefallen aus den ge- nerellen Anstalten, und daher erst recht beklagens- und hülfe- werth. Aber dieses Schreiben verdient jedes Herz und jeden Beutel zu öffnen. Wahr! lieber Prediger, man vergißt seine Gelübde, seine Noth, seine Angst; und läßt sich von tollem Luxus betaumeln, und von den rasenden Menschen, die ihn treiben. Ich also, lieber August, habe mich gleich bei der Le- sung der Breidenstein’schen Ermahnung entschlossen — wie Hamlet der Mutter rathet — den schadhaften Theil meines Herzens wegzuwerfen, und thränenlebendig wurde das, was ich wohl Gutes schon gedacht hatte, in mir: ich gebe sogleich das Einzige, was ich besitze, den Ring, den mir M. zu mei- ner Hochzeit schenkte. Er wird wohl 100 Thaler werth sein. Nichts hab’ ich sonst von Werth. Wozu auch. Bei Gott! so lange noch die Kriegstrümmern umhergehen, ist es keine Zeit zu blinkenden Kämmen in den Haaren, oder dgl. Du weißt, welch Gewissen ich immer habe, — die Schlegel sogar wollte mir dies in Wien immer ausreden, — Staat zu ma- chen neben Armuth im Lande! — Aber es ist nicht genug, daß wir selbst geben. Ich schicke dir zwei Exemplare gestriger Zeitungen. Eins schicke meinen Brüdern nach Berlin, mit meinen Worten; und mit der Bitte, es allen meinen und ihren Bekannten herumzureichen, damit sie erschüttert werden, und geben; die Brüder sollen sich nicht schämen. Sie sollen Prediger Breidensteins und meine Worte gebrauchen in unsren Namen! Du aber, behalte ein Exemplar in Paris, und spreche dort alle Deutsche an. Lass’ es sie lesen, Einen dem Andern geben. Jette’n Mendelssohn, Frau von Jordis, den andern Mendelssohns; allen Weibern besonders; die mögen es besor- gen. Es sind viele Prenßinnen, Berlinerinnen dort. — Ich schicke die Zeitungen für die Brüder dir, des Porto wegen: du kannst sie mit einem Kourier schicken. Breidensteins Ermah- nung ist so sehr aus dem wahren Herzen, daß meines helfen soll, daß sie Erfolg hat. Er soll das Glück haben. Adieu liebe Guste. Frankfurt a. M., den 13. September 1815. Aus Goethens Leben. Zweiter Band. Sieben- tes Buch . S. 107. Sehr anspruchslos der Deutschen Zu- stand geschildert; der ganz jetzt aus der Acht gelassen, wo die Deutschen aus dem Stein springen sollen, ganz ohne Ver- gangenheit; dies aber grade gehört mit dazu. „Eben so zog man den vornehmen Anstand der fürstengleichen römi- schen Bürger auf deutsche kleinstädtische Gelehrten-Ver- hältnisse herüber, und war eben nirgends, am wenigsten bei sich zu Hause.“ — „Fürstengleiche römische Bürger.“ Noch lebt nur der Adel in der neueren Welt als Mensch; oder, man räumt ihm wenigstens den Anspruch darauf ein. In dem, was noch feststeht. S. 121. „Betrachtet man genau, was der deutschen Poesie fehlte, so war es ein Gehalt, und zwar ein nationaler: an Talenten war niemals Mangel. Hier gedenken wir nur Günthers, der ein Poet im vollen Sinne des Worts genannt werden darf.“ Und nun zählt er Günthers Gaben, die einen Poeten machen, her. Sehr schön. — Auch mit Gewalt wol- len sie solchen Gehalt, „und zwar einen nationalen,“ her- schaffen. Sehr schön spricht Goethe vom Dichter König, und rechtfertigt sein Gedicht über König Augusts Lustlager. Goethe griff ein paar Stufen tiefer, und faßte ein Leben der Deut- schen in Hermann und Dorothea. Was er im Meister und den andern Schilderungen leisten konnte, wird ihm nur darum bestritten und nicht aufgefaßt, weil es so vortrefflich ist: er schildert ein schwankendes Streben, von mancher andern Na- tionalität gefärbt, zu dem sich keiner bekennen mag, wie er es nicht zu erkennen versteht, und noch weniger die tiefe Seele zu fühlen fähig ist, die es aufgenommen hat, und mit Geist und Weisheit durchdrungen im größten Ebenmaß und schein- barer Ruhe wiedergiebt: S. 145. Er spricht von der Bibel. Wie schön! Wenn es auch nur naiv gemeint ist: das heißt, wenn er auch nur, nachdem er’s geschrieben hatte, ganz ermaß, wie folgereich, Natur und Geschichte umfassend, die wenigen glücklichen Worte sind. Er sagt: „Allein diesem Werke — (wie schön das Wort hier!) — stand, wie den sämmtlichen Profanskri- benten, noch ein eigenes Schicksal bevor, welches im Laufe der Zeit nicht abzuwenden war.“ Nicht abzuwenden. Im Laufe der Zeit. — S. 147. Spricht er noch von der Bibel; und erzählt, was in damaliger Zeit zu ihrer Vertheidigung geschah. Mir unaussprechlich merkwürdig ausgedrückt. In einer solchen Art, wie ich mir denke, daß Geschichte geschrieben werden kann. In keines Menschen Sinn geschrieben. Nicht geneh- migt, nicht getadelt: als ob die Erde in der Zeit, wo es ge- schah, ein Mittel gefunden hätte, das Geschehene für kom- mende Geschlechter aufzubewahren. Mich macht diese Art traurig. Das ist aber recht. Denn es ist traurig, und für unser Menschendasein, wenn auch drüberhinaushebend, nicht schmeichelhaft, daß sich die Begebenheiten an einander ent- wickeln und der Menschen Thun und Lassen, ohne im gering- sten auf Einzelne, ihre beschränkten Wünsche, oder sich auf diese beziehende Eitelkeit des Fühlens noch des Wollens, Rück- sicht zu nehmen; aber uns dies ganz klar zu machen ohne Aus- einandersetzung, ist, glaub’ ich, das Wesen der Geschichte: zu zeigen, daß sich ihr ganzer Gang, mit allem Um- und Durch- wogen durch das menschliche Gemüth, auf eine allgemeinere Natur bezieht, als die, welche unsere Einrichtungen, Gesetze und Einsichten bestimmen helfen wollen. Fichte sagte einmal in einer Vorlesung: „Das, was wir nicht kennen, und nicht zu erklären vermögen, nennen wir Natur.“ Das gefiel mir ausnehmend, es kam in einer schönen Folge. S. 163. Prächtig zeigt er in wenigen Worten, wie ganz er Lessing kennt, wie er ihn liebt, und beinah negativ wie er ihn hochhält; mich freut das in der Seele, die Überzeugung, daß ein edler Mensch, sobald er sich nur äußert, und nirgend geschieht dies besser, als in Schriften, durchaus von einem Andern, der gescheidt ist, erkannt werden muß. Dies sind die negativen Worte, aus der tiefsten Überzeugung und klarsten Anerkennung: „Eines Werks aber, der wahrsten Ausgeburt des siebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutschen Nationalgeist, muß ich hier vor allen ehrenvoll erwähnen“ u. s. w. — Wie voller Einsicht! Aber auch nur dann ur- theilt man so liebevoll. Solche Leser und Beurtheiler wünsche ich Goethe’n! Aber bei seinem Leben. — Er beurtheilt den da maligen Zustand der Welt, den Effekt des Krieges, mit derselben gelassenen Einsicht, womit er diese Zeit und unsere Kriege betrachtet; das wollen ihm die Widersacher, die Entgegengesetzten in Sehen und Vermögen, nicht nachgeben; sie wollen nicht nachdenken, ja nicht einmal nachlesen, in Goethe selbst nicht, wie die damalige beschädigte Welt von Friedrich dem Zweiten sprach. S. 197. Wie von Napoleon. Auch die Talente, und die ausgeübten Thaten wollten sie Friedrich dem Zweiten ganz absprechen; und thaten es. Wie also muß Goethe’n, nach so langjährig in Erfahrung gebrachter Lebensthorheit und gedan- kenloser Übereilung, die jetzige zum Schweigen bringen! Und wie sonderbar! zwei Helden hat er erleben müssen, fast an den beiden Thoren seines Lebens. Einer ein König, der seines Gleichen bekriegte, und die Untern mit und ohne Absicht er- hob. Der zweite ein Emporkömmling, Usurpator genannt, der die über ihm standen erniedrigte, auch dadurch, daß er neue schuf; der erste, die Deutschen nicht achtend, und durch sich selbst hebend: die Franzosen liebend, und sie dadurch grade uns am meisten entbehrlich machen helfend; der andere, die Deutschen verachtend, und dadurch am Ende die Deutschen erhebend. Beide wie alle Eroberer gehaßt, weil immer ein solcher einen neuen, heftigeren Krieg erfinden und üben muß. Der König, als solcher geduldet; durch Geist, Gesetz- und Kunstliebe sein Land, und dadurch sich erhaltend: der Empor- gekommene nicht geduldet, weil er nicht Geist genug hatte, seine mitlebende Welt zu ahnden, und sprungweise über sie hinausgriff; kurz nicht ganz für den Augenblick vom Schick- sal erwählt und passend gebraucht wurde; welches jedem Gro- ßen nöthig ist. S. 248. Äußerst scharfsinnig und sehr schön, als er eben über Lessings Laokoon zu sprechen anfängt. Der war auch ein Fund für mich. Ich fand ihn in der Jugend in einem Zimmer, und ich war ganz beglückt. S. 252. Es ist gar keine Schwäche, die Wirthshäuser so zu hassen. Sie sind mir ein Abscheu! und ich freue mich, daß Goethe sie wenigstens in der Jugend auch haßte. Die in kleineren Städten sind lange nicht so hassenswerth und schlecht, in aller Art. S. 254. Goethe spricht von dem Verwandten seines Leip- ziger Stubenkammeraden, einem Schuster. Er liebte den Mann aus seinen Briefen, und sagt: „Enthusiastisch wie ich war, hatte ich diesen Mann öfters verbindlich grüßen lassen, seine glückliche Naturgabe gerühmt, und den Wunsch ihn kennen zu lernen geäußert.“ Enthusiastisch nennt er dies jetzt. August! wer ist noch so? O! wie freut mich das! Enthusiastisch nennen so etwas immer die andern Leute! „Und dem gebund- nen Gespräch folget das traurige Spiel!“ So sind die an- dern Leute; so nennt, so tadelt er sie noch oft. So waren sie ihm von je. Zu meinem Trost. S. 257. Göttlich ist der Schuster beschrieben. Mit sol- chen eigenen Worten, in so schöner Erinnerung, in weiter, ruhiger Vergangenheit, und in regester Lebendigkeit; herrlich; und unversehens ist er mitbeschrieben. S. 282. Unendlich schön über seine Gesundheit. S. 292. Wunderschön, über Freundschaft, und Religions- bedürfniß und Religionszustand. S. 458. Las ich wegen Friedrich Schlegel, der Goethe’n boshaft über Herder nannte, mit der größten Aufmerksamkeit. Kein Gedanke! Sehr frappirt scheint ihn der Zustand zu ha- ben, in welchen ihn Herder versetzte; denn ehe er ihn in sei- nem Benehmen beschreibt, sagt er schon: „Und so hatte ich von Glück zu sagen, daß, durch eine unerwartete Bekannt- schaft, alles was in mir von Selbstgefälligkeit, Bespiegelungs- lust, Eitelkeit, Stolz und Hochmuth ruhen oder wirken mochte, einer sehr harten Prüfung ausgesetzt ward, die in ihrer Art einzig, der Zeit keineswegs gemäß und nur desto eindringender und empfindlicher war .“ Diese von mir unterstrichenen Worte sind mir sehr aufgefallen. Der Eindruck muß unbändig gewesen sein, weil die Beschreibung und der Umgang Herdes diese Ausdrücke nicht ganz rechtfer- tigt; das Gemüth Goethens muß dazu nur grade nicht berei- tet gewesen sein, oder auf eine solche Art erfüllt und berührt, daß es ihm grade sehr hart fiel. Von Haß aber gegen Her- der seh’ ich nichts. Friedrich irrt sich ganz und gar. — An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. Mittag 1 Uhr. Schönes Wetter, den 29 September 1815. Nimm diese Weste, theurer August, sie gefällt mir sehr! es ist eine englische, laß sie in Paris machen; die einzige Art, wie diese beiden Völker uns dienen — und auch nur sich —, sonst haben sie uns zum Narren . Du siehst, ich werde heute nicht Herr über diesen Gedanken: er kommt wie ein Stachel hervor. Richtig! hab’ ich deinen lieben Brief den 27. erhal- ten; und auch dir den Tag geschrieben. Nur der Gedanke, daß du da bist, und mir gut bist, mich kennst, von mir weißt, und wissen willst, daß ich mich mit dir wieder unterhalten werde; kann das tobende Geschwür in mir lindern. Wisse nur, ich bin wie außer mir. Sonst fürchtete ich mich nur, ängstigte mich, bemitleidete die zur Schlacht Geführten; Bau- ern, Landleute. Jetzt bin ich in einer rage nicht gleich Rache nehmen zu können! an denjenigen, die nicht, wie man sie noch nachsichtig nennt, dumm sind; nein! vorsätzliche, fraudulöse Verschwender sind’s, die sich mit Gewalt schmeichlen, so lange man es ihnen erlaubt , daß ihrentwegen, und ihrer Brut wegen, die Welt steht, die Natur sich bewegt, Gesetz sich aus dem Hirn windet. Genug!!! du weißt alles aus und nach diesem Punkt. Was Mägde wußten, Fuhrleute sich auf den Wegen erzählen, wissen sie nicht. Ohne Kraft im Handlen, ohne Licht im Einsehen wollen sie obenan sein. Nicht jetzt: jetzt könnte es keiner ohne Krieg, aber seit lange . — — Ich bin außer mir vor Grimm. Abgemacht schien dem Emigran- ten-Volk alles für alle Zukunft. Sie vergaßen , warum sie sich hatten rüsten müssen. — Du kennst sie; helfen kann man nicht, theilen muß man nicht mit ihnen. Ich nicht: die Theilung ist zu ungleich. Ich mag die Höllenangst nicht aus- stehen. — Und vom Übrigen ekle ich mich zu sprechen. Die größeren, großen Gesichtspunkte für uns, unsere alten, bleiben immer; von denen mag ich nicht reden. — Gott! was sind die Weiber elend. So wahr er mir in meiner letzten Noth beistehen soll, ich fasse sie nicht. Nur eitel; gräßlich! — Gott verzeiht es mir, du mußt auch: ich auch — so schlecht sind’ ich sie in ihren ewigen , gediegenen, schleimigen, Lügen, in dem unbewußten Lügen, in dem auf nichts sich beziehen- den Putzen des Leibes, und jeder innren Faser, wegen dieser plumpen, gräßlichen, ja nicht glaubbaren Dummheit in dem Lügen, dieser völligen Kunstlosigkeit, Mäßigungslosigkeit. Ver- zeih mir! Ich mußt’ es dir zeigen können. Verzeih mir, daß ich mich nicht immer bös gegen sie zeigen kann, und werde. Ich selbst will es mir vorwerfen, und kann es doch nicht. Denn den Rest Menschen ehr’ ich in ihnen und Aller anderer Schlechtigkeit; die wollten sonst jene fressen, und sollten auch gespeist werden. — — Die Fr. erzählte mir viel. Heute ist sie nach Hause gereist: sie und K. sind sehr mit dir zufrieden. Alle gratuliren mir; so schön führst du dich auf! Ich umarme dich! Du siehst, meine schlechte Laune ist schon gute geworden durch’s Äußern. Überhaupt, wenn ich in Wuth bin, ist’s nicht so schlimm mit mir. Heute will ich die Leute ärgern, und nicht mich: ich habe schon vorgestern etwas ausgeübt, welches ich dir, weil es zu lang wäre, mündlich erzählen werde. Hl.’s waren so grob, mich gestern nicht mir zu bitten, als sie Arn- steins baten, ich aber dachte mir das vorgestern schon, weil’s mir hier immer so geht, und sagte Mlle. Hl. ihr fait wenig- stens: über Musik, womit sie mich bis zu Nervenanfällen ennuyirt hatte; sie hatte nämlich eine Sonate ohne Sinn von Clementi auf einem englischen, mir odiosen Instrument mit angelernter und angedachter Salbung hören lassen; und ich bedut’ ihr, was Musik ist . So hab’ ich doch das Präve- nire gespielt. Adieu. An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M., den 8. Oktober 1815. — Was du Otterstedt von dem Kronprinzen von W. schreibst, darin gebe ich dir ganz Recht. Was soll solcher Be- such? Hochstehende Fürsten müssen einen gebrauchen, und mit einem zu reden haben; man muß etwas Bestimmtes bei ihnen auszurichten haben; sie müssen genöthigt sein, uns unsres Ran- ges wegen zu bitten, Talente wegen ist es schon unangenehm: oder sie sind von innen her unsre Freunde; sonst ist’s albern zu ihnen zu gehen; weil es ohne Grund und ohne Zweck ist. Wer ist so müssig, ohne diese beiden etwas zu thun?! Solche Herren müssen einen also, wenn sie einen wollen, durch be- sondere Herablassung dazu nöthigen, müssen Gedächtniß ha- ben, und dürfen vermöge ihres Ranges gar nicht zerstreut sein, und gar nicht, mitunter , so viel Werth auf ein Diner legen, weil sie schon zu großmüthig damit umgegangen. Punk- tum! Es war ganz unnöthig dies, und dies dir zu sagen; manche Dinge sage ich aber gerne, und besonders mit der Fe- der: dann, denk’ ich, können sie doch zu eines jeden Gesicht kommen, und brauchen nie wieder, wiederholt, noch bestritten zu werden, so platt wahr sind sie. — Ich schicke dir ein gedrucktes Blatt an den hiesigen Ma- gistrat von den hiesigen Bürgern mit. Wo es accurat drin klingt, als wenn Menschen in einer wohl und richtig gezim- merten Maschine ein großes, verheerendes, sorgenloses Thier eingefangen haben; wohlerdacht, es kann sich nicht mehr re- gen: eh ihm die auf den Leib rückte, von allen Seiten, dacht’ es an nichts. Sieben sind unterschrieben, sprechen im Namen ihrer Mitbürger, und der ihnen vom Kongreß zugestandenen Rechte. Der große Advokat, der in Wien war, Jassoy, hat mit unterschrieben. Mir gefällt’s sehr. Mündlich alle Ursachen. An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M., den 11. Oktober 1815. Nachmittag halb 5 Uhr. Erst diesen Vormittag erhielt ich deinen Brief vom 5. Sie lesen deine Briefe gewiß auf jeder Post, sonst ist ihr langsamer Gang nicht zu begreifen. Mögen sie! Ich muß dich nur prä- veniren, daß ich Blutsteigen nach dem Kopf habe, und daß dann keine Herkules-Laune von Lustigkeit vorhalten kann; auch physische Herzensschwäche, so fing’s nämlich heute an. Gestern erschrak ich mich nach einem hölzernen Tag sehr, Abends um 11. über drei Russen in völliger Armirung, die betrunken auch an meine drei Thüren, die einzigen im Stock- werk wo ich wohne, polterten und mit Gewalt herein wollten, da sie Kammeraden zum Ausmarsch, dessen Ordre sie eben spät den Abend bekommen , abholen wollten. Das und ähn- liche Augst, und dürres Leben, mag mir wohl geschadet ha- ben: da, ich bemerke es, ich gar nichts mehr vertragen kann, und mein bisheriges, besonders letztjähriges Leben mir nun anheim kommt. Doch ist das nur momentan: und ich muß es dir mittheilen können. Sonst leb’ ich gar nicht. Also ich prävenire dich, daß dieser Brief, ohne meine Schuld, nicht lustig werden kann. Ich erschrak auch, als ich heute Morgen in deinem Brief las, „in vierzehn Tagen werden wir wohl reisen;“ weil ich nicht gleich berechnete, daß sieben davon schon hingestrichen sind. Ach August, wie ist’s mit unserm Leben, mit seiner Optik der Zeit! Ein Gedanke hämmert mir jetzt bald den Kopf entzwei. Der nämlich, daß die Zukunft uns nicht entgegen kommt, nicht vor uns liegt, sondern von hin- ten uns über das Haupt strömt. Da wehre sich einmal ei- ner! tausendfältig bedenk’ und bestätige ich mir dies, und kann es mit und aus allem, in der Geschichte, und Einzelner Le- ben, bestätigen. Gestern, und das war eigentlich die erste Veranlassung zu der Herzensschwäche, hab’ ich so über Goethe geheult, geschrieen, weil mir das Herz borst. Ich nahm ein Bändchen Lieder zur Hand, weil es mir an einem Buche ge- brach, und las maches Lied, mit großem neuen Antheil, weil mir sein Leben, welches ich eben gestern hier wieder ausstu- dirt hatte, ganz gegenwärtig war; und las bis ich an das kam: „Mit einem gemahlten Bande.“ Ich freute mich, weil er selbst schreibt, er habe das Band gemahlt und der Tochter in Sesenheim geschickt; ich kannte das Gedicht sehr gut; doch war mir nicht alles, und nicht das Ende gegenwärtig. Und so endet’s: „Fühle, was dies Herz empfindet, Reiche frei mir deine Hand, Und das Band, das uns verbindet, Sei kein schwaches Rosenband!“ Wie mit verstarrendem Eis auf dem Herzen blieb ich sitzen! Einen kalten Todesschreck in den Gliedern. Die Gedanken gehemmt. Und als sie wiederkamen, konnt’ ich ganz des Mäd- chens Herz empfinden. Es, er mußte sie vergiften. Dem hätte sie nicht glauben sollen? Die Natur war dazu ein- gerichtet. Und wie muß er gewesen sein, er Goethe, hübsch wie er war! Ich fühlte dieser Worte ewiges Umklammern um ihr Herz; ich fühlte, daß die, sich lebendig nicht wie- der losreißen; und wie des Mädchens Herz selbst , klappte meins mein’s krampfhaft zu, wurde ganz klein, in den Rippen; da- bei dacht’ ich an solchen Plan, an solch Opfer des Schick- sals; und laut schrie ich, ich mußte, das Herz wäre mir sonst todt geblieben. Und zum erstenmal war Goethe feindlich für mich da. Solche Worte muß man nicht schreiben; er nicht. Er kannte ihre Süße, ihre Bedeutung; hatte selbst schon ge- blutet. Gewalt anthun ist nicht so arg. Sieh, so geht es mir. „Aus der Leidenschaft kann ich nicht;“ im Gegentheil, das Herz wird schwächer. Gentz hat Recht. Nun von Gentz, mein treuer Freund! den ich liebe, und immer wieder lieben muß; nicht weil du grade mein Freund bist; nein, weil du solch ein Freund sein kannst. Deine Empörung über Gentz ist richtig, nur den Zorn ist er nicht werth, der dir selbst scha- den kann. — In mir hat er sich doch geirrt; weil kein Affe ein menschlich Herz beurtheilen kann, und dies gehört mit zum Verstande. — Ich gehe wo du magst und kannst: und hoffe mit dir noch auf deinen ersten Plan in Berlin: es freut mich, daß der Fürst in diesem Sinne an dich dachte. — 16. Oktober 1815. — Ich komme aus einem Konzert, aus dem rothen Hause; ein großer, hoher, leerer, dreithüriger Wirthshaussaal mit un- eleganten gestiefelten Leuten, und Künstler; Flötenspieler, die ich in Wien hörte, Vater und Sohn; maltraitiren das arme Hirteninstrument, zu kleinen Gesängen erschaffen: hetzen es zu großen Konvenienz-Konzerten: dann sang Mad. Graf gut; aber Häßliches; und dann mit einem Herrn, der nicht Italiä- nisch kann, und sapi mit einem weichen s fünfzigmal schrie II. 23 u. s. w. Der Saal weiße, pure Wände. Die hiesigen Di- plomaten und eine alte Prinzeß Stolberg, wie eine Fee, alle auf einem Klumpen; Gott , du hast’s gesehen! Hier in Frank- furt habe ich mir überhaupt in der Einsamkeit und bei Goe- thens Leben, und bei Herders Ideen zu einer Philosophie der Geschichte, sehr viel ausgedacht. Herder ist merkwürdig . Ganz weit, unbezähmt in seinen Ideen, in seinen Einfällen, Voraussetzungen; und alle zehn Zeilen ein heftiger Apokogist für den lieben Gott, als guten Mann!? Wie bedeutend er- scheint mir Herder überhaupt, und wie anders nach Goethens Beschreibung! — Der Kr. v. W. hat wieder nach dir gefragt, und be- greift nicht, warum er dich nicht gesehen. So sind die Men- schen alle; nicht die armen Prinzen allein. Das kann aber alles nicht helfen! Wir müssen Alle auf den Bettchen schla- fen, die wir uns machen. Publizisten, „Marquisinnen, Prin- zessinnen, Bauergretchen;“ Leporello in Don Juan. — An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. Dienstag Morgen 9 Uhr den 24. Oktober 1815. Neblig, und Hoffnung zu schönem Wetter. Nur wenige Zeit hab’ ich, weil die Post geht, und gestern nahmen mir den Tag Barnekow’s; und Abends war ich und besonders meine Augen zu schwach. — Deinen Brief vom 18. erhielt ich gestern Mittag durch Otterst. bei Barnekow’s, mit denen ich spaziren gewesen war, und eben speisen wollte. Fouch é wohnte neben ihnen an, in einem Zimmer, welches sie ihm abgelassen hatten. Den sah ich mit seiner ganzen Fami- lie lange und deutlich. — Die Relation von allem mündlich. Zum Gegenstück deines Ärgers wegen der Vernachlässigung, den ich ganz mitempfand, wie ich auch das Leid, der unge- wissen Lage , und ihrer Ursachen, ganz ausg ekostet habe: (aber nun ist’s auch vorbei, und freuen wir uns nur, uns wie- der zu sehen; und zu denken wie wir denken, zufrieden mit uns zu sein, wir behalten immer Ressourcen, wenn nur Friede bleibt und das Unheil aufhört! Kurz wir wollen uns ärgern, wenn wir müssen, und uns freuen, so oft wir können). Das Gegenstück ist nämlich, daß ich gestern das Glück hatte, wenig- stens nach meiner Überzeugung sehr gut für unser Land gewirkt zu haben. (Jetzt muß ein Deutscher sein Land nennen; ich meine Preußen.) Ich war so glücklich, Dummheiten für das- selbe abzuwenden. Wie das geschah, kann ich dir nur münd- lich erzählen; und wenn du alle Partheilichkeit für mich aus der Seele schaffst, so wirst du doch sagen müssen: ja, es ist dir gelungen. Mir war Reineke’s Beichte lebhaft vor dem Geiste; und so ging’s. Gott! was ist es für ein Glück , für eine Wonne, wenn einen das Schicksal auf den Ort stellt, wo man die Gaben, die einem einmal die Natur ertheilte, anwenden kann. Dann ist das Glück fertig. Stünd’ ich hoch in der Gesellschaft, wo zu übersehen, zu wählen, und rasch zu handlen ist! Ich macht’ es richtig, stark, und zart. Ich weiß es. Ich fühl’s, ich beweise es oft. Ambition habe ich gar nicht. Das ist ganz gewiß. Denn, so wie ich nur ahnden kann, ein Anderer weiß etwas, macht etwas besser, so lieb’ ich’s den machen zu sehen; und mit Wonne, mit Entzücken, 23 * wo und wie es nur ist. Nicht den entferntesten Neid habe ich auf Gaben, die ich nicht habe. Aber meine verdorren zu lassen, ist hart: und das, was ich vormöchte, schlecht ausüben zu sehen, Höllenspeise. Lebe wohl! Sei bedankt für alle schöne Geschenke! Grüße Gen. Tettenborn. Ich werde ihm schreiben, wie ich gar nicht wußte, daß die Generalin in Mün- chen war, sondern sie bei Pyrmont auf den Gütern meinte, und hier erfuhr, sie sei in Mannheim. Seine Art freut mich sehr. Barnekow ist auch der Alte, will von keinem als mir wissen. — Heute bin ich bei Otterstedt’s zum Thee mit Gräfin Pappenheim-Hardenberg. — Ich freue mich auf dich. Adieu! Deine R. An Lucie Gräfin von Pappenheim, in Frankfurt a. M. Frankfurt a. M., den 1. November 1815. Auch gestern ging es mir wie mit Goethen; bei vielleicht zu großer Redseligkeit, bei gewiß anscheinender Dreistigkeit, war ich doch zu befangen gegen Sie, um grade das zu sagen, was mir eigentliches Bedürfniß war: nämlich, Ihnen, Frau Gräfin, für Ihre holde Antwort auf mein erstes Billet zu danken, und Ihnen zu sagen, wie sehr ich sie gefühlt, wie hoch ich sie in jedem Sinne aufgenommen habe. Möge Sie dies Geständniß aber nicht bewegen, mir zu huldvoll jedesmal schriftlich zu antworten, wenn ich schriftlich anrede. Heute fühl’ ich mich dazu bewogen, um mich wegen angestrichener Stellen im Fichtenschen Buche zu entschuldigen! Ich glaubte es nur Varnhagen bei seiner Ankunft, als schönstes Geschenk zu ihrer Feier, zu überreichen, und der liebt es, beim Lesen selbst zu finden, was am meisten in einem Buche auf mich eindrang; und ich selbst, wenn ich das Buch nur für uns glaube, streiche schon aus eigner Bewegung, und in einer Art von Wuth des Applaus an. — Diese Fichtensche Broschüre ist ein Werk, welches seine besten Schüler nach seinem Tod herausgegeben haben; ich bin gezwungen, es als ein Meister- werk anzusehen, und wenn es nichts enthielte, als die Deduk- tion des Napoleon’schen Karakters; den man freilich nicht ein- zeln anzuschauen vermag, ohne das Stück Geschichte, in wel- chem er zu wirken hatte, genau zu beleuchten; und ohne über- haupt, sich klar zu machen, was Geschichte eigentlich ist, und bedeutet, dem Menschen. Dies thut Fichte als größter Vir- tuos; und ich bin freudig stolz, die Veranlassung zu sein, daß Sie den Genuß dieses Buches vielleicht ein paar Tage früher haben werden, als es wohl sonst in dem fremden Orte hier geschehen möchte. Die Umarbeitung Hamlets (durch Ducis) wird noch bekräftigen, was Fichte in der Darstellung der fran- zösischen Nation geleistet hat, und findet sich hier nicht un- passend beigefügt. — Sonnabend, den 2. December 1815. — Mirabeau schreibt einem Freunde: „Mon opinion sur ce monde est, qu’on y paie les moindres biens et les plus grands au-dessus de leur valeur ; et avec cela je mettrai ma vie à acquérir, autant que je pourrai, au phy- sique comme au moral, sachant toujours bien, que le jeu ne vaut pas la chandelle, mais e’est que je suis tourmenté de ma propre activité: et quand la chandelle brûlée par les deux bouts sera finie ‒ ‒ eh bien! elle s’éteindra; mais elle aura donné, par la petitesse de sa lanterne, une vive lumière. N’est pas phare qui veut: il faut pour cela être placé sur une tour. Dieu m’a fait naître dans une cave: mais il m’a donné de n’y être pas étouffé.“ — Mirabeau ist mein großer Held, wegen der Gewalt der Wahrheit, die ihn regirt; davon ist er erha- ben und unschuldig; und nur das ist liebenswürdig. Chamfort sagte, er habe das befriedigendste Behagen ge- funden, einen Hund ganz begierig und unbefangen lange ei- nen Knochen benagen zu sehen: weil er endlich dadurch wie- der ein aufrichtiges unbefangenes Bestreben wahrgenommen. Ich glaube Chamfort dies, als wahre Begebenheit; so verliebt kann ich auch in das Roheste werden, wenn es nur endlich nicht mehr lügt. Sie müssen heute viel Zitationen ausstehen! Wer kann dafür, daß es schöne Bücher giebt, wo solche Dinge darin stehen, die wir auch sagen? An Troxler, in Aarau. Frankfurt a. M., im December 1815. Ich bin so geizig, daß gewiß Buchleute bei uns seien, und so neidisch, wenn sie wo anders sind, als ob ich die Für- stin unsers Landes wäre. Aber auch für Sie, wenn Sie sich nur mit unserer Gegend hätten versöhnen oder sie vergessen können, habe ich diesmal gewünscht, daß wir Sie behalten. Wie es kommt, ist es beinah immer besser, als wenn es kommt wie wir es wünschen; im ersten Fall halten wir uns, mit der Zeit, an dem, was er noch Gutes mit sich führt und entwik- kelt; im andern müssen wir das Üble, welches unvermeidlich daran erwächst, später verschlucken, und mißkennen und miß- deuten dann unsern natürlichen Wunsch selbst. Wir Menschen haben das Nachsehen und das Nachdenken; die Welt geht ihren Gang. Mit diesem Gedanken kann ich ich Sie nicht verschonen, lieber Troxler; er verfolgt mich selbst seit einiger Zeit, als ein Riesenresultat, welches mir immer wieder vortritt, ich mag den Weg gesucht haben, wie ich will. Im Winter kauert man über sich selbst und denkt nach, weil man nichts sieht als die unnatürlichen hemmenden Wände; da wünscht man sich gütige eifrige Diskutir-Freunde, lustige einfallreiche Gesellen: Varnhagen hat Recht, Ihnen zu sagen, daß Sie mir eine erwünschte Gesellschaft wären, nachsichtig sind Sie obenein, und widersprechen doch hübsch, Ich hoffe der Som- mer führt uns zusammen! Was machen die kleinen Schwei- zerchen? Sie wissen wohl nichts mehr von Varnhagens? Für die Kinder ist mir jetzt Ihre Heimath lieber. Mit den herz- lichsten Grüßen empfehle ich mich Mad. Troxler; leben Sie wohl! Ihre Fr. V. An Auguste Brede, in Stuttgart. Frankfurt a. M., den 22. December 1815. Da übermorgen Heiligabend ist, so hoffe ich soll dieser Brief grade eintreffen, und Sie schön von mir grüßen! Mir ist bang und weh, nicht zu Hause zu sein: nicht allein, weil Heiligabend ist, sondern weil der mich so recht herb die alte Heimath bedauren läßt! so kommt man immer mehr ab von dem Zweck seiner Pläne, durch die Ausübung derselben. „Schritt vor Schritt, sagt die Prinzeß im Tasso, bis zum Grabe.“ Nun, dies Jahr sind wir auch noch getrennt! Voriges Jahr waren wir noch zusammen, und mancher trostfreundlicher Lands- mann; wir suchten doch noch das alte Fest durch eine Art von Anstalt für’s Gemüth in Erinnrung herzustellen! Waren Freundinnen zusammen . Wir wollen es dies Jahr mit den Gedanken erzwingen! wenn sie auch Thränen pumpen sollten, wie jetzt bei mir! — Möchte Ihnen auch vom ersten Januar ein heiteres erwünschtes Jahr, ohne Ungemach, und äußern und innren Kampf abfließen! Und mögen Sie recht viel la- chen, Herz- und Geistesnahrung, in guter Gesundheit finden! Vor zwei Jahren waren Sie noch krank, und ich schon kränk- lich in Prag; wir waren Stube an Stube: und ich machte zwei Jägern, Doren und der keinen Goldschmidt ein kleines Fest! Dies Jahr bin ich hier bei Herzens — Klara Herz ist Mariane Saalings Schwester — zu einem splendiden Kinder- bescheeren, wo Minister Humboldt, Graf Flemming, Schlegel und noch einige eingeladen sind. Vorher , um 5 Uhr, bei Otterstedts, wo niemand als das Haus und Gräfin Pappen- heim mit zwei erwachsenen Töchtern sein wird. „Mit frem- den Augen in die Glückseligkeit schauen“, sagt Shakespeare, als er sich einen beklagen läßt. Genug Worte ! Sie wer- den nun schon wissen, daß mein Herz Heimath überhaupt will: und ich keine habe; und doch sehr zufrieden sein muß: reden aber gar nicht darf. Denn wozu! Lassen Sie mich wissen, wie Ihnen ist. Wie es Ihnen geht ! Immer dieselbe Ad- dresse. Wir warten hier auf den Gesandten, der nach Stutt- gart kommt, um mit ihm nach Karlsruhe zu gehen. Schreiben Sie bald, Liebe, und grüßen Sie und gratuliren Sie Mama zu dem Neujahr, welches sie mit Ihnen zubringt, von mir. Ich lebe sehr eingezogen hier. Die Stadt hat keine Ressour- ren: das Theater keine Plätze als für seine Abonnenten, und ein elendes Parterre ohne gesperrte Sitze, die, wenn auch nicht mich, doch andere Fremde trösten könnten. Gestern war ich zu einem hundertundfünfzig-personigen Thee bei Hrn. von Ot- terstedt, wo Blücher war; Sensation machte: und naiv, und klüger ist, als man meint: (er ist unpaß, Blasenübel. Das beugt mich: ein Schmerz, ein unerklärlicher, bei guten, großen, glücklichen Thaten, im hohen Alter: also niemals Glück und Ruh). Millionen Spieltische; für mich kompletes Ennui. Wie eine Pute zum erstenmal auf fremdem Hof trabt’ ich umher, oder kauerte auf einem gefundenen Eckchen. Ich habe deren hier schon mehrere erlebt. Humboldt, Schlegel, alle Fürsten, die hier leben, Steins, alles war da. — Von zu Hause schrei- ben sie so selten und wortkarg als möglich! Ich kann nicht einmal von ihnen erfahren, ob Moritz mit der Frau in Ver- lin ist. Die Macht der Verhältnisse ist mit Beifall gegeben worden. Den Sommer kommen alle Markus’ens zu mir nach Baden-Baden: und Sie auch!!! Was machen Lie- bichs ? Will ich wissen. War denn Bayer in Berlin? Leben Sie wohl! und schreiben Sie mir. Dore grüßt sehr und empfiehlt sich. Johann ist zu Haus gegangen: mein neuer heißt Stamm. Haben Sie eine gute Jungfer? Viel neue Klei- der und hardes? ich ziemlich. Adieu! Adieu! Pfuel war einige Tage hier. Sehr wohl und klug. Von Willisen weiß ich nichts: ziehen Sie Erkundigungen ein! Dehn war auch hier. Varnhagen läßt Ihnen tausend Schönes und Liebes sagen. — Frankfurt a. M., den 25. December 1815. Diese Nacht träumte mir, ich höre ein so schönes Prälu- dium, aus der Höhe, oder wo es sonst herkam, genug ich sah nichts, welches eine so große Harmonie entwickelte, daß ich auf die Kniee sinken mußte, weinte, betete, und immer ausrief: hab’ ich es nicht gesagt, die Musik ist Gott, die wahre Musik, damit meinte ich Harmonieen und keine Me- lodieen, ist Gott! Immer schöner wurde die Musik; ich betete, weinte, und rief immer mehr; wie durch einen Schein, und ohne Gedankenformen, wurde mir alles, das ganze Sein in meiner Brust, hell und deutlicher; das Herz ging mir von glücklichem Weinen entzwei: und ich erwachte. An Rose, im Haag. Frankfurt a. M. den 30. December 1815. 1 Uhr, Vormit- tag, in trübem windigen Wetter; nach einer stürmi- schen Nacht, in welcher auch Feuer in der Stadt aus- gekommen war, und wir erst um drei Uhr zu Bette gingen. Meine geliebte Rosentochter! Theure Schwester! Nur das Unglück, nur die Bosheit darüber, daß wir getrennt leben müssen, macht es; daß ich ohnerachtet unserer Freundschaft, und unserer Liebe zu einander, dir beinah gar nicht schreibe; langsam aber, und ohne Worte, ja ohne Zeichen beinah, wirkt das Unglück, daß wir getrennt leben, immer ununterbrochen fort. An Einem Stamm erwachsen, unter demselben Dache dieselben Dinge gesehen, erlebt, gelitten, genossen; gutgeartet wie wir sind zur Freundschaft gestimmt; verlieren Schwestern, wenn sie sich trennen, was sie auf der weiten Erde nicht wie- derfinden; wenn ich auch lange mit den Brüdern liirt lebte: welches gut war; aber keine Schwester! Und wie Unendliches mag schlummern, und in meiner Seele zurückgeblieben sein in Ungeburt, was du mir nur entlockt haben würdest, als süßes Vertrauen, als heitere Geist-Auflösung! Erst dieser Tage sagte ich zu Varnhagen: meine Schwester ist so gut wie todt für mich; außer, daß ich weiß wo ihre Seele ist! Diesen Som- mer war ich fest entschlossen, dich von hier aus zu besuchen. Es war auch dieser der erste im Leben , wo ich hundert Du- katen oder etwas mehr, ganz zu meinem Vergnügen ausgeben konnte, und sie wirklich hatte . Varnhagen war in Paris mit dem Fürsten Hardenberg, und schrieb mir einen ganzen Roman von herzbrechenden Briefen — die ich dir zu zeigen fest hoffe — einen Tag um den andern, ich solle kommen, Zimmer, alles wäre für mich bereitet; ich war es auch oft fest entschlossen seines Jammerns wegen, fürchtete mich aber sehr, und konnte nie gute Reisegesellschaft von hier aus finden, welche nicht Tag und Nacht reisen wollte, welches ich nicht kann, und da nicht mochte. So kam der September heran; da hieß es schon, die Fürsten mit ihren Kabinetten kämen zu- rück; und da wartete ich wieder nicht angenehm von einem Tag zum andern, in der fremden ungeselligen Stadt, mit Mäd- chen und Bedienten allein; bis den 3. November; da kam endlich Varnhagen, vier Wochen dem Kanzler voraus; nun warten wir wieder hier. Diese unangenehme, alles Etabliren und Häuslichkeit störende Ungewißheit hielt mich bei den größ- ten Gewissensschmerzen von Tag zu Tag ab, dir zu schreiben; weil ich dir doch auch gerne etwas Gewisses schreiben wollte. Ja, nicht einmal Raum noch Muße, des Raumes wegen, in der letzten Zeit hatte. Diesen Sommer miethete ich, wie ich glaubte für wenige Wochen, zwei Zimmer, wovon eins eine Kammer ist, für mich — den 19. August kam ich hier an —, und nun bewohne ich diese zusammengesperrt mit Varn- hagen, Mädchen und Bedienten. Ich ! — die ewig gut wohnte bei Mama; der Quartier, Lokal , alles ist; die ein schlechtes gradezu tödtet : und ein Beisammensein! Siehest du! Ich habe kein Glück! denn seit meiner Verheirathung wohne ich so. In Wien kam ich den 3. November mitten im Kongreß hin: aber auch um dort angestellt zu bleiben beim preußischen Gesandten, der nach dem, sich immer verzögernden Kongreß kommen sollte; also mietheten wir, bis der eintreffen sollte, kein anderes Quartier. Dann kam Napoleon, der Krieg ging los; Varnhagen wurde anders, nach Paris bestimmt; von dort sollte er wieder zum Kanzler, nach Berlin; nun, plötzlich, nach Karlsruhe; und ich in der Seele bin noch nicht gewiß, ob wir da hin kommen. Also immer sur chemin et voìe; was mich der Position wegen in der Jugend entzückt hätte! — — — jetzt aber, da die Welt ein Meer, und alle Positionen schwindende, nicht erkannte Wellen sind, mir ein Gräuel ist, der mir Heimath, Asyl, und Ruhe, und Muße raubt; und mich bei mehrerem Einkommen schlechter leben und mehr ausgeben läßt. Alles für die Zukunft , Roseken! die immer einen Schritt vorwärts geht. Aber lebte Mama nur ein bischen, und sähe Rahle verheirathet , und vergöttert von dem Mann; der sie ohne einen Sous genommen hat; denn noch hab’ ich keinen Sous von meinem Vermögen zu se- hen bekommen. Nicht einmal werden mir Interessen angebo- ten, das heißt, geschickt ; wie sich’s gebührte . (Wir sind aber ganz gut: ich und die Brüder:) aber, was ich trage, meine Fluchtreise vor der Hochzeit, vor Brautwerden, alles , hab’ ich von V. Von dem schreibe ich nichts: den mußt du mit mir sehen, dann wirst, dann kannst du’s glauben. Frank- furt ist näher zu Amsterdam als zu Berlin: bei Karlsruh ist ein berühmtes warmes Bad gegen Rheumatism; dorthin hat mir Markus zugeschworen kommt er mich diesen Sommer mit Frau und Kinder besuchen; in der göttlichsten Gegend; du wirst doch nicht sterben wollen , ohne je etwas für dich zu thun? (Karl meint das auch nicht:) ohne uns zu sehen — sieh wie unsere Bekannte wegsterben zu Hause! Komme also, dein Knabe ist erwachsen, mit oder ohne ihn nach Karlsruhe! Hundert Dukaten, die ich zur holländischen Reise hingelegt hatte, will ich dir, geliebte Schwester, auf der Stelle assigni- ren. Dies ist keine Schande ! Wer sie erst bei der Hand hat, der giebt sie zu solch einer Freude. Was hat man denn sonst! Was erlebt man denn? Ganze Reihen kleiner Le- benswidersprüche. Große Kriege , Flucht, Krankheit . Ist es nicht genug, daß du in einem dich untergrabenden Klima, von der Jugendscholle abgerissen leben mußt? — und das in einem Zustand, den du noch Glück nennen mußt, der es ist ! Ich empfinde das jetzt sehr hart. Ich bin, außer daß ich V. habe, ganz isolirt von allem, was sonst als Menschen und Dinge zu mir gehörte; und fühle es immer weg. Laß mich keine Fehlbitte thun! Lieber Karl! bring sie; und geht dies nicht, schicke sie! Um Gottes willen. Ich möchte gerne, daß dich, Karl , V. sieht. Bist du denn noch recht klug? d. h. immer klüger geworden? (Apropos! lies Pradt sur le congrès de Vienne. ) Ist es euch sehr lieb, angenehmer im Haag zu sein? Gesellschaftlicher? Wohnt ihr gut? So gratulire ich von Herzen. Ich grüße auch Louis recht sehr! er soll mit kommen; ein wenig kann er immer Bücher versäumen, und ein Stückchen Welt lernen. Den 7. November schickte mir Markus deinen Brief, in welchem du ihm die Stelle im Haag ankündigtest, er bekam ihn denselben Tag mit einem von mir, worin ich ihm unsere in Karlsruhe meldete. Dies freute ihn sehr. Ich dachte an Mama! wie bei jedem großen und klei- nen Garten, Grasplatz oder Besitzung, daß sie es nicht hatte und so sehr liebte: und nichts hatte, und sich nichts gönnte, noch schaffte. So auch ich, mußte spät, nach ihrem Tod hei- rathen. Doch kannte sie Varnh., und seine Liebe zu mir sah sie wohl: doch dachte sie es sei wie Andere. — Wenn du mir antwortest, schreibe: pour Mad. de Varnhagen, aber mache die Addresse: dem Königlich Preußischen Geschäftsträger Hrn. Ba- ron von Otterstedt in Frankfurt am Main. Der ist hier mit einer sehr braven Frau, und vier Kindern. Er spricht mir täglich von dir mit dem größten Enthusiasmus; und will im- mer Varnh. erzählen wie du bist: setzt dich weit über mich, ohne sich’s gestehen zu wollen. Und schreit mich aus, für seine erste, beste Freundinn! Er ist wie er war: thätig und fleißig. Klärchen Herz aus Hamburg, wohnt jetzt hier mit ihrer Familie, Julchen und Mariane wohnen jetzt bei ihr. Eine tüchtige, wahrhafte Kreatur, noch schön, mit sechs schönen und auch erwachsenen Kindern: im höchsten Wohl- stand. Die sehe ich oft, und Otterstedts, und Gräfin Pappen- heim (des Staatskanzlers Tochter) mit zwei Töchtern. Sonst hier niemanden — so ungesellig sind die Kaufleute hier. Die Umgegend ist völlig reizend. Weihnachtheiligabend war bei Herzens sehr aufgebaut ; und eine Soir é e, Fr. Schlegel, Humboldt der Minister, ein paar Herren, die große Familie, und wir. Morgen Sylvester sind wir wieder da; und da werde ich um 12 Uhr dich hoch und gut — von Gott ! — leben lassen. Da ist dein lieber Geburtstag: und da denken wir Alle an dich. In Berlin und hier! Deinen Brief von diesem Frühling, eine Antwort auf meinen vom Hochzeitstag, hab’ ich fest in’s Herz geschlossen! Alles alles sollst du wissen, al- les wollen wir sprechen, alles sollst du sagen! Unterdessen schreibe mir wie und mit wem du im Haag lebst, und wie dir der übrigens hübsche Ort bekommt. Noch Eins! Mein ganzer Trost in meiner jetzigen Si- tuation besteht darin, daß Varnhagen sie eben so abscheulich findet, als ich: und auch das Zusammensein so haßt. Freiheit, Freiheit! besonders in einem geschlossenen Zustand, wie die Ehe. Ah — a! — die alte Rahel ! Ah! — — Frankfurt a. M., den 30. December 1815. Es ist ganz einerlei, wie man ist, sobald man nicht sein kann, wie man will. Eigenschaften sind keine Talente; sie müssen aber alle dazu gemacht werden können, sonst ist man noch gar nicht gebildet. Mit den Existenzen steigern sich die Aufgaben und Prü- fungen. Frankfurt a. M., den 5. Januar 1816. Nicht die Menschen hassen ihr Vaterland, oder die Orte wo sie gelebt haben, welche sehr unglücklich waren, wohl aber die , welche sich allda ungebührlich aufgeführt und Tadel zu- gezogen haben; und diese sind es auch allein, die nach ihrem Lande zurückzukehren meiden. Die Ersteren behalten immer eine erinnerungsvolle Vorliebe dafür. An Troxler, in Aarau. Frankfurt a. M., den 7. Januar 1816. Sonntag den 28. November 1813. schrieb ich mir in Prag folgende Stelle auf; als etwas, was mir durch die Seele wogte, und was ich nicht vergessen wollte. Ich bin nun sehr erfreut, daß ich einen ähnlichen Gedanken in Ihrem Schrei- ben an mich finde: und sogar einen und denselben Ausdruck. So So schrieb ich in Prag: „So wie kein Dichter sich ausdenken kann, was besser, mannigfaltiger und sonderbarer wäre, als was sich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt; und nur der den besten Roman machen kann, welcher Kraft genug hat, das was geschieht zu sehen, und in seiner Seele ausein- ander zu halten; eben so sind unsere tief-natürlichsten Wün- sche roh ; und gräuelhaft entwickelte sich ihre Erfüllung für uns; nur das, was Gott wirklich zuläßt, ist in allen Bezie- hungen heilsam für uns, weil wir uns ihm entgegen bilden können. Mir ist dies in Prag schmerzhaft geschehen, und klar geworden. Wem dies glimpflich begegnet, der hat Glück.“ Der Ausdruck „rohe Wünsche“ fiel mir sehr auf, und so etwas kann mich erstaunlich freuen; so sehr mir auch meine Aus- drücke aus dem Kopf und aus der Feder fahren, so entschie- den distilliren sie sich doch durch alles was ich lebe vorlängst in meinem Kopf zurechte; durch Gut und Blut, und Arbeit, ununterbrochener Art; darum gehe ich wohl verschwendrisch damit um, und achte es nicht wenn meine Ausdrücke nicht be- achtet werden, wenn aber einer davon einmal grade so wir- ken will, als ich ihn gemeint hatte; d. h. alle Gründe mit beleuchtet und bewegt, die ihn geschaffen haben, dann freut es mich als etwas Gelungenes, dem Recht geschieht, und wel- ches nicht umsonst da ist; dies nun ist mir in Fülle dadurch diesmal gelungen, daß Sie sich bei demselben Gedanken des- selben Ausdrucks bedienten: und daher mein freudiges Bravo, und mein umständliches Beurkunden meines Anspruchs darauf. Sie sehen also, wie bereit ich bin mir Gerechtigkeit widerfah- ren zu lassen, wenn auch zu meiner Ehre, durch mein eigenes II. 24 Lob! Aber schreiben kann ich doch nichts, lieber Dr. Troxler, was Sie zum Druck gebrauchen könnten. Ich kann nur Briefe schreiben; und manchmal einen Aphorism; aber absolut über keinen Gegenstand, den man mir, oder ich mir selbst vorlegen möchte. Sonst möchte ich Ihnen, was ich nur hätte oder könnte, mit dem größten Vergnügen wie dies Schreiben hier schicken. Mehr, Lieber! kann ich Ihnen heute, jetzt nicht schrei- ben, da Menschen bei uns sind, denen Varnhagen manches liest, und vorspricht, und die antworten. Künftig mehr; und besonders über unsern Satz . Ich bin doch ein Rebell! Aber auch sehr ergeben: nur will ich auch das schlecht zu fühlende schlecht nennen dürfen: aber doch dulden, weil es wohl gut sein wird. Viele Grüße an Mad. Troxler: sie soll sich erholen in der gesunden Schweiz! Schönheit und Ge- sundheit pflegen. Ich umarme sie; sie soll die Kinder von mir küssen! Friedrike. An Auguste Brede, in Stuttgart. Frankfurt a. M. Sonnabend den 13. Januar 1816. Ich dachte es gleich, daß Sie nicht wohl sein müßten; dies, und daß Sie nicht vergnügt sein können, fehlte mir noch in meiner Verdrießlichkeit! Aber es geht keinem Menschen gut! Das sehen wir ja daran, daß es uns in allen verän- derten Lagen nicht besser geht. Man sieht in einer neuen ge- wünschten nur immer, daß man den alten Druck los wird, und den bessern neuen Raum ; aber was führt der nun wie- der für Bedingungen mit sich?! Wieder Druck, und Druck. Und natürlich: denn kommt man wohl in irgend eine Lage absolut frei hinein? oder ist eine einzige nur ganz nach unserer Wahl ? Wir sind nur so sehr gepreßt, dem alten Druck zu entkommen, und so sagen wir uns in der Eil darüber nicht von dem bevorstehenden. Wir Alle sind wie der Kranke, der sich in seinem Bette wälzt — qui s’agite dans son lit, ist bes- ser — um eine erträgliche Lage zu finden: aber er bleibt krank und im Bette. Schöner Trost! Nicht wahr? Wahrheit oder vielmehr Wahrhaftigkeit, womit man die erhascht-vermeinte seinen Freunden vorträgt, ist doch der beste Trost! Und daß wir im Sommer, im schönen Sommer mit einander leben wer- den! Es ist doch eine große Vergünstigung! Sind wir im Freien: können uns ansehen, und erzählten wir uns auch lau- ter Leid, so ist uns doch wohl! wir lachen auch: sind leicht- sinnig, vergessen alles. — Und ich werde im guten Wetter, mit leidlicher Gesundheit, in Ihrer Gegenwart gleich auch possirlich. Das wissen Sie; und dann lachen Sie gewiß. Freuen Sie sich mit Eßlairs, und sehen Sie großartig, wie es Ihnen schon oft gelang, auf Ihre Lage. Bedenken Sie das Bequeme, Gute, welches sie mit sich führt: und denken Sie deutlich an die vorigen , wie auch die arg waren, und wie Sie deren Arges los sind! Ich schwöre Ihnen, geliebte Guste, daß ich es grad eben so machen muß: und also wie mir selbst nichts Bessers zu rathen weiß; und doch gerne möchte! Mündlich alles was mir hier fehlt; ein Glück hab’ ich nur, daß ich es doch Varnhagen, wenn auch oft verhehle, am Ende doch nicht zu verbergen brauche, und mit dem wahr- 24 * haft sein darf. Auch wir beide sprechen über Menschenschick- sal, wie ich mit Ihnen! Erst gestern bei einem Spazirgang. Nost. zum Beispiel, ist noch in Paris, in einer guten Lage: der schickte mir dieser Tage einen Brief: und auch der beklagt sich wie wir! — und hat doch einen andern Karakter: aber die feine Seite in ihm leidet : ist unbefriedigt: so lebt er in hin und her wählen und überlegen, und sehnen, nach dem was er nie kriegen wird; wie wir; weiß es; strengt sich an, agitirt sich; und tadelt dies alles! Ich habe ihm auf drei Briefe nicht geantwortet, weil mir das Schreiben ohne eignes Zimmer unmöglich fällt. Wir müssen hier noch warten. Varn- hagen grüßt Sie sehr! Er wird alles , was er für Eßlair bereiten kann, thun, und seinen Freunden schreiben: ich will auch mit Worten, geschriebenen und gesprochenen, nicht karg sein. Für einen Mann wie Eßlair thät’ ich gerne alles Gute: grüßen Sie ihn recht sehr von mir! — An Moritz Robert, in Berlin. Frankfurt a. M., Montag Mittag 2 Uhr den 29. Januar 1816. Helles kaltes Sonnenwetter, mit Schnee auf den Straßen. Seit acht Tagen, wo ich deinen Brief erhielt, gehe ich herum und quäle mich doppelt, wie ich dir antworten soll! denn alles möchte ich mit Eins fassen: so hat mich dein Brief angeregt, so alles in mir auf. Ich habe seit ich von zu Hause weg bin, nicht einen so großen persönlichen Eindruck em- pfunden. O! wollte doch nur das Wort persönlich so gut sein und alles das ausdrücken was ich meine. Es thut es aber nicht; und ich muß es thun: zu suchen thun. Schrecke, unan- genehme, peinigende, ärgernde Nachricht, große Kriegesnach- richten, und peinigende Berührung aller Art, hatte ich in der Zeit wohl genug; aber nichts was mich in Rahels Vergan- genheit so versetzte, mir ihre geträumte Zukunft so hervor- rief (die nun eine ganz andere, ihr unbekannte, fast ohne Zusammenhang mit ihrem alten Sein ist) kurz, sie plötzlich und ganz zur alten machte. Ob dies wehmüthig, großartig, gedankenreich war, sollst du selbst beurtheilen. Wisse nur! — und dir wird es wohl eben so gehen, das höre ich schon; — ich bin durch des Tages Treiben, und was meinen Nächsten lieb und heilsam ist, so abgekommen von den tiefern, unerläßlichen, unveränderlichen Wünschen und Forderungen meiner Natur; daß nur ein unbeachtetes Unbehagen, nur ein unerschütterli- ches Rechtdenken, wenn es zum Nachdenken kommt, und ein Brief wie deiner mich daran erinnern kann. Ein Bruderbrief, wo die Naturen sich schon ähnlich sind, ein Kammeradenbrief, die miteinander die Stöße zum Altwerden erlebt haben! (Wenn ich auch älter bin.) Abzuschreiben brauchte ich nur, was in deinem Brief steht, um dich mit Eins wissen zu lassen, wie es mir geht. Dabei bin ich ganz glücklich, denn Varnhagens Betragen hat sich in nichts geändert, wie du es kennst, und durch einen Zauber, den ich nicht kenne, ist er verliebt in mich; und nur erfüllt von dem, was mir lieb sein könnte. Auch ist alles gut; — und doch verstehe ich es, weil es mit mir eben so ist, daß du so verdrießliche Briefe schreiben kannst, worüber Ernestine sich wundert — und doch so höchst unzufrieden sein kannst! — Es kommt alles, was uns beiden begegnet, von unserm Karakter, dies bei allen Menschen und bei uns beson- ders. Wir sind beide im Innern und allen Neigungen, die sich alle auf physische Anlagen gründen, die bei uns prononcirt und kräftig angelegt sind, sehr bestimmt, haben aber nicht Härte oder Kraft genug, nach diesen Anlagen, eben weil sie reich, vielfältig und versatil sind, zu handeln: und berücksich- tigen Andere, und manchen Augenblick zu sehr, wobei wir die starke, innere Ueberzeugung nicht einen Augenblick verlie- ren. Dies muß zur Folterbank führen; was soll ich’s noch ausmahlen, und nach Modifikationen stellen. Unser Verstand, Einsicht, Weltkenntniß, sind Laternen, die uns unsere Schmach beleuchten. Unsere Laune, unser Finden in Men- schen, und Ereignisse, Umgebungen: Profit und Unterhaltung- und Bequemlichkeit für die Andern. Unser endliches Auffah- ren, wenn wir viel ertragen haben, wovon die Andern gar nichts merkten, weil sie eben dadurch genossen, wird uns dann für Unsinn und Inkonsequenz ausgelegt. Auch enthalte ich es mir immer mehr, und schreie mit Blick und Gedanken zu Gott! Doch bin ich noch immer zu Aller Freude, Scherz und Amüsement bereit, und da. Am meisten kränkt es mich, nicht mit den alten Freunden und Bekannten weiter leben zu kön- nen, im neuen Lokal nichts Entschädigendes zu finden, wel- ches ohne große Glücksumkehrung und Geld nicht geht, und auch dieses Missen muß ich preisen, da es Glücks titel trägt. Varnhagen darf ich’s wie einem andern Freunde, nicht merken lassen, weil der mein Glück und meine Zufriedenheit, für eine seiner Verpflichtungen, ja für seine größte, ansieht, und außer Fassung geräth, wenn er nur irgend etwas davon merkt. So hat mich denn die Tugend eingesperrt, und der liebe Gott leidet’s: ich bin also muks-still. So, auf solche Weise, war’s ja von je! Ich bereue nichts, denn ich konnte nichts anderes machen, und müßte es noch Einmal so machen, wiederholte sich die Lage. Was nicht schön ist, kam noch obenein hinzu. Eben so gut hätte ich dir einen lustigen Brief, und ich bewies es schon, schreiben können: voller Dinge, die da eben vorgehen, in Laune aus Kürze vorgetragen; aber ich wollte nun einmal den innern Quell von deinem Brief erschlossen rein aus dem selten geöffneten Herzen springen lassen! Sprechen wäre frei- lich noch besser, aber ich bin nun nicht so glücklich! Es kann kommen. Wie alles! Alles ist möglich. Am meisten verdrießt mich, daß du mir sagst „so ein Jährchen setze sich nicht in die Kleider!“ werde nur nicht am Körper vor der Zeit alt. Meiner ist ein Held im Kampfe mit dem Alter; außer weiße Haare, sehe ich bedeutend jünger aus als ich bin. Eigentlich möchte ich gerne so alt vorstellen als ich bin: das kann ich nicht, weil ich so bedeutend jünger aussehe und es immer er- klären müßte; wenigstens oft; und dann, weil ich einen jun- gen mich so sehr liebenden Mann habe. Komischers giebt’s nicht. Die verkehrte Krone auf meinem Schicksal, dankbar bin ich auch . Künftig schreibe ich dir von meinen wenigen Bekannten. — Das Berliner Theater habe ich aufgegeben. Devrient möcht’ ich sehen! Laß dir von Theodor meine fünf letzten Briefe zeigen, vor vier Tagen schrieb ich es ihm auch; und diesen Brief sollst du auch lesen. Wenn du einen Rest Liebe für mich hast, schreibe mir oft : es ist mein bester Trost, und Lebensfaden; nun ich einmal diesen Brief aus dem Herzen habe, werd’ ich auch fröhlich und amüsant schreiben. „Schließ’ ihn in deine Seele!“ und in keines Andern Seele! Du kannst dir den namenlosen Genuß nicht vorstellen, den mir dein Brief gewährte. Alles was wir je erlebten war mir mit einemmale hell in der Seele . Paulinens Hof, die Linden in der Nacht, unser Ärger. Unser Lachen. Alles! Alles! Ich umarme dich! schreibe mir von Allem , von Louis Robert. Ich hasse alles was jetzt vorgeht, am meisten den Dünkel; bin wie sonst! Dieses Blatt ist dankbarlichst an meine liebe kleine dünn- leibige Ernestine. Ich umarme Sie nämlich jetzt, also denke ich mir Sie gleich, und fühle Sie ganz schlank. Doch noch ein Wort an Moritz. Du hast Recht, man ärgert sich schänd- lich , wenn sie einem nichts von zu Hause schreiben, und nicht antworten. Drum will ich, daß du meine letzten Briefe liest, darin ist vieles berührt, worüber sie mir doch schrieben; als: Juden, Akteurs, Roberts Stück und sonstiges Moden-Elend. O! wie hass’ ich die forcirte Religion und Vaterlandsliebe. — — Eure beiden Briefe haben ein wahres Glück in unserm kleinen Hause bereitet. Aber Ihr, liebe Kinder, machtet aus meinem zu viel. Wir wollen uns aber fleißig schreiben. Heute speist Varnhagen bei dem Minister Barkhaus, wo ich expreß um zu schreiben absagen ließ. Ein Diner: um 2 Uhr. Ein Gräuel! An Ihren Geschenken nehme ich rechtschaffenen An- theil: auch ich habe vieles bekommen. Gern theilt’ ich mit, Varnhagen ist aber so versessen, daß ich behalte, was er mir giebt, daß ich mich’s nicht gleich unterstand, obgleich beständig daran dachte. Besonders bestimmte ich den Schleier, welcher ein enorm viereckig Tuch — die größte Mode — ist. Noch liegt er unversehrt für Sie da! Machen Sie, theures Ernst- chen! daß ich ihn Ihnen den Sommer selbst gebe. General Tettenborn schickte mir eine Schachtel Bänder; und zum Com- ble brachte mir Varnhagen einen Schal, welchen alle Men- schen für türkisch halten; welches ich nicht ambitionire. Als ich von den F ê ten in Posen las, dacht’ ich gleich an euch. Es freut mich, daß Sie dort waren. Ach Gott! ach Gott! äßen Sie nur Eierkuchen und Besinge zum Frühstück bei mir. O! wären wir nur zusammen in Berlin! Ernestine, ich halte es nicht aus! Sie haben doch noch Eltern und alles! Also Ferdinand als Kosake ? Was sagen Sie zu diesem eselhaften Brief, nach Ihrem, der mir so viel Freude machte! Ich kann heute nicht anders. Lassen Sie sich nur nicht abschrecken. Adieu, Theure, Liebe, ich bin heute von allem Schreiben zu finger- lahm. Pappenheims und Herzens sehe ich oft, auch Frau von Custine, des Generals Sohn’s Frau. Ihre R. Bald Antwort! — An Wilhelm Neumann, in Koblenz. Frankfurt a. M. Freitag den 3. Februar 1816. Da Sie mir’s zutrauen, lieber Neumann, daß ich Ihre Lage, Ihre Entschlüsse, Wünsche und Ihr Schreiben darüber beurtheilen kann, so thue ich es um so zuversichtlicher, weil ich es doch gethan hätte, und mir selbst zutraue, es zu können. Bis jetzt traute ich Ihnen zu, wenn Sie nur wollten, die schön- sten Mährchen, die naivsten Geschichten und Karaktere erfin- den zu können, und Ihre Feder einen jeden beliebigen anneh- men zu lassen; daß Sie aber selbst, als Undine — Gurli — Thekla — Klärchen — Iphigenia, Ihr schönes Herz zum Trumpf einlegen, wenn das Spiel mit Karten, in dem, was man die Gesellschaft nennt, kann abgethan werden, hab’ ich erst jetzt durch Ihr Schreiben zu Ihrer jugendlichen Ehre, und meiner grauen Schande, und großem Ergötzen, erfahren. Anmaßend, wie alle Alten, entschied ich mich auch gleich dafür, daß Ihre ganze redliche Herzensergießung nicht an den Mann abgehen müsse; der allenfalls dergleichen gedruckt, von einem berühm- ten Dichter erfunden, für schön halten würde; diese soll uns verbleiben: besonders mir; die ich sogar die Handschrift so schön finde. Schwerer war es mir, V. zu überreden, daß er ein Resüm é aus Ihrem Aufsatz, sicherer, stärker gesetzt, mache; er behauptete, man könne für keine andere Person etwas, das für sie gelten solle, machen: ich behauptete, mit manchem Doch, das Gegentheil; V’s Talent, besonders in dergleichen Insinua- tionen, kennend; er gab mir aus wahrer Güte nach, und hat meines Bedünkens einen sehr guten Aufsatz geliefert, eindring- lich, kurz, bestimmt; wo nichts weggeblieben ist, was der Mann wissen soll. Was aber soll er mit Ihren innren An- sichten, Zuständen und Bestrebungen: die ersehe er alle aus Ihren Forderungen; und bilde sich, wenn er Lust hat, etwas drauf ein! Noch viel besser fand ich V’s eigenen Brief; für welches Schreiben ich nicht Einmal gesinnt war, weil ich mir nicht einbilden konnte, wie gut und abgepaßt es nun gelun- gen ist. So denk’ ich denn, schicken Sie getrost beide Briefe ab. Untersuchen Sie sich aber doch genau, und frei; und handlen Sie unbestochen, nach Ihrem persönlichen Gefühl. — Ich bedaure Sie, lieber Neumann! Wie schon immer sonst, die Leute, die viel zu mir kamen. „Besseres haben sie nicht?“ dacht’ ich oft; „Das ist ihr Vergnügen?“ Der Aufent- halt bei uns, Lieber, mußte Sie erfrischen? O! heiße Jahre, wo man so rechnet! wir wollen aber gar nicht rechnen; weil man doch nichts heraus rechnet, als etwa wie alt man ist; was einem nicht gelungen ist; u. s. w. Wir wollen nur ma- teriell von uns sprechen; uns erzählen, wenn uns etwas Auf- fallendes, oder Scherzhaftes begegnet; oder wenn wir ein gro- ßes helles Glück haben. Etwas böse bin ich mit Ihnen; daß Sie mir Nachsicht anrechnen, die ich wie eine Jugendfreundin gehabt hätte: ich kenne Sie also nicht als Wilhelm von Ju- gend auf? kennte Sie auch ohne dies nicht doch, durch und durch, von unserm Umgang; und als V’s Freund; und müßte nicht etwa Sie so gut behandlen, als ich Sie kenne? — Wir sind diesen Abend bei Mad. de Custine; Donners- tag auf einen großen Ball bei Otterstedt; ich gehe vor das Thor, wenn es das Wetter erlaubt. Das Übrige kennen Sie von uns; mehr giebt es nicht. Schreiben Sie mir manchmal; Phantasiestücke! Dann antworte ich. R. An Ludwig Robert, in Berlin. Frankfurt a. M. den 5. Februar 1816. — Schleiermacher ist meines Bedünkens seit der „Weih- nachtsfeier“ schon herab gestiegen. Dieser war mir der erste Beleg, daß die hohe, scharfe Seele, die auch still und einsam, also einfach, war, sich von fremdem Wollen hatte berühren lassen. (Das ist das Eine Haar, bei dem einen der Teufel, nach Lessing in Emilia Galotti, nicht mehr losläßt.) In die- sem Büchelchen wollte er etwas leisten, was nicht ursprünglich seines war; und noch dazu in einer Form, die ihm durch seine Talente nicht zu Gebote stand, und in welcher er es nur sei- nen Liebhabern angenehm genießbar machen wollte. Auch der Kunstform nach ist das Ding meines Bedünkens ganz mißlun- gen. Gewiß wurde er zuerst in Halle aus Geselligkeitskreisen zuerst sanft berührt, angeregt, und etwas verstanden. Er hat ein feines Gemüth, von einem lichteindringenden Geiste em- pfindlicher gemacht; also fühlte er dies stark; doch entging ihm nicht, daß die wohlthuenden Freunde ihn nur in einer ihnen gemäßen Hülle, — die ihn selbst als Neues reizte, wie ihn die Geschicklichkeit sie zu gebrauchen unterhielt und freute, — zu verstehen vermochten, und auch nur manches von ihm. Der Süßigkeit widerstand er nicht; mit herabgestiegener Freude machte er ihnen gern dies „Geschenk.“ Das Talent aber, in und für die gesellige Welt sich zu bewegen, mangelt ihm am meisten, und auch im Buche gelang’s ihm nicht. Der große Beifall blieb aber nicht aus: und so vermeinte er auch für die gesellige Welt leben, wirken und dasein zu können auf unmittelbare Weise; gab sich dem edel und eitel hin, achtete Unbehagen aus dem tiefsten großen Innern her nicht. Ward von Verbindungen und deren Meinungen und Absichten um- schlungen; erwarb das vermeinte Talent nicht; ließ das hohe, wahre, einsam in sich, denn dies war ohne Freunde, er selbst war ihm nicht mehr der einsame Freund, verließ sich aber dar- auf, dies würde ihm bleiben; aber es ging ein! äußerte sich ihm selbst nicht laut und thätig genug, macht’ ihn wohl noch ehrenwerth, aber mochte nicht wieder als Thätigkeit zum schön- sten Wirken, was es gekonnt hätte, erweckt werden. So war er vor Halle gewiß einer der ersten, reinsten Geister; von Halle kam er angebrochen zurück; und sank und sank bis zur Schmalzischen Schrift hinab. Von bloßem falschen Lob, und Loben, und vom Tumult, anstatt der keuschen, ehrwürdigen Seeleneinsamkeit. Ich kannt’ ihn wohl, liebt’ ihn sehr, habe ihn immer gekannt, und sinken sehn. Er ist aber groß! und wäre er jung und gesund genug, ich könnte ihm das alles sa- gen; und wäre es wahr, mit Erfolg. — Welche Wahlen für seinen Umgang traf er! Nicht, daß weit weniger Begabte uns nicht weit mehr erregen, er- füllen, befriedigen, erquicken, gefallen, wohlthun, beruhigen, unterhalten könnten! Aber ich kenne seinen hölzernen, uner- giebigen, nicht nach der Tiefe dringenden Umgang, wo es bei ihm so schön ist, und er so zu leben versteht. Er ist aber ge- fallen; und dies durch einen Verstandesmangel; Tieck aber sagt, man ist nicht dumm — wenn man nicht imbécile ist —; da wo man dumm ist, ist auch Unsittlichkeit, böser Wille; und dies glaube ich mit Tieck. Also hat er sehr gefehlt; und ist sehr gesunken; aber wer ihn kennt, liebt ihn doch; und ärgert sich doppelt. Da ich ihn lange schon so sehr angreife, und neulich noch bei Ohme so fallen ließ, muß ich ihn wieder bei euch schützen, wie er’s in meinem Herzen ist: nur wer ihn ganz kennt, darf ihn jetzt loben, und muß es auch. — — — Danieder liegen die Menschen aus allen Ecken Europa’s; aus allen Ecken habe ich sie abgehört, und höre sie sich beklagen, sehe sie sich unbehaglich fühlen, rücken und klimmen; Alle, die nur nicht ganz gemein, ganz roh, ganz plump steigen und gewinnen, ohne Zweck, aus Prahlsucht und Lüge, ganz nach außen. Meiner Natur Spinnen ist nun, das, was mich quält, bis zu seinem Ursprunge hin zu ver- folgen; das heißt, bis an die Gränze seines Verständnisses. Ich verstehe nun der Welt Gewirre und ihren jetzigen Zu- stand so: Es fehlen zu den bedeutend vielen kleinern — De- tail-Erfindungen möcht’ ich es nennen — Entdeckungen des Menschenwitzes, wodurch er nun seit den neuern Jahrhunder- ten seine Sinnorgane glücklich genug ergänzt, sich die Außen- welt dienstbarer, die ganze Erde bekannter und kleiner gemacht hat, einige große Erfindungen und Annahmen, wie sonst es einmal müssen Ehe, Menschengemeinden mit Gesetzerfindung, die zehn Gebote u. dgl. gewesen sein. Das Alte, Einfache, damals groß Erfundene reicht durchaus nicht hin. Der Ein- zelne ist mächtiger in seinem Sinn und Geist, reicher vorge- bildet, als das Gesammte, das ihn regieren soll, und es, ohne Respekt, Bewunderung, Meditation einzuflößen, nie kann. Hiermit meine ich bei weitem nicht die Regierenden; sondern das Regierende, welches höher, in Intelligenz, Erhabenheit und Erfindung sein muß, als die, welche regiert werden, wenn soll regiert werden können. Ich bin gewiß, wo viele Men- schen als Völker zusammen waren, fanden sie sich ungefähr, aber nur sehr ungefähr, in solchem Zustande wie wir, kurz vor einer der großen Erfindungen, die man auch Offenbarun- gen nennt. Nichts aber, was wir aus den Büchern und Sa- gen kennen, kommt, dünkt mich, dem jetzigen Zustande der Erde gleich! Alte gebildete Völker hatten Säulen zu Gränzen der Welt, Höhlen zur Hölle, schöne Inseln und Berge zum Olymp; nannten andere Völker Barbaren, wollten dies, und nahmen sie zu Sklaven. Jetzt aber, wo die ganze Erde bereiset, gekannt, Kompaß, Teleskop, Druckerei, Menschenrechte, und wer weiß alles was erfunden ist, in vierzehn Tagen allenthalben gewußt ist, was allenthalben geschehen ist, und doch die Urbe- dürfnisse, Nahrung, Vermehrung, das höhere und höhere Wollen, fortexistiren: wie sollen die alten Sittenerfindungen noch vor- halten (nicht das Bedürfniß nach Sitte, für welches erfunden oder entdeckt werden muß)? Daran, glaube ich, krankt die jetzige Welt; so mannigfaltig ausgebildet, groß und allgemein war diese Krankheit noch in keinem uns bekannt gewordenen Zeitpunkt, obgleich sie nur nach und nach diese Ausbreitung gewinnen konnte, wozu eine ewige Anlage da war. So denk’ ich mir das ganze Dasein progressiv, in intensivem An- schauungsgewinn, zu dessen sensiblem Wissen nach beiden Rich- tungen, nach der uns lieben und nicht lieben: so steigert sich das Leben, das auf der Erde abzuleben ist, und ein anderes, das außerhalb ihres Reiches fällt. Je mehr Einsicht, je mehr Ein- und Zustimmung wird das Leben uns abgewinnen, wenn auch noch mehr Arbeit: jede vollbrachte gleicht unendlich aus; jede neue steigt unendlich. Darum denk’ ich auch wahr und wirklich, daß das Erdenleben nicht eine steife, todte Wie- derholung ist, sondern ein schreitendes Ändern und Entwickeln wie alles; für die Einsicht, und durch die Einsicht; und nenne unsere Zeit wirklich neu, und bin auf Großes, Neues gefaßt, mit Einem Wort, auf Wunder der Erfindung, der Gemüths- kraft, der Entdeckung, Offenbarung, Entwickelung. Mit Ge- faßtsein meine ich nicht, daß ich es zu sehen erwarte; aber ich bin dessen Kommen gewiß, und alle Verwirrung ist Gäh- rung da zu. „Erfrischend“ ist sie wahrlich nicht, die man sich mit allem Geistesnachdenken erst zu Gutem zu erklären ver- mag! Wir sind aber verwiesen auf der Erde; und welch Glück hat der, der sich’s noch gut erklärt, und wohlwollend an- und hinnimmt, und es ausführt; und so ziemlich noch begün- stigt ist. Es giebt ja Martern ; wissen wir auch. Herz- stärkend ist es aber, wenn man sich menschlich seine Ge- danken, der ganz guten Aufnahme gewiß, mittheilt; gewiß, ehrlich Recht zu bekommen, oder ehrlich bestritten zu werden. — Mir wirst du ohne Schwur glauben, daß ich alles zu Hause kenne, als ob ich dort wäre, kenne, wie Margaretha von Parma Madrid auf ihren Tapeten in Brüssel vor sich sieht, in Goethens Egmont. Niederdrücken konnte mich unser Fall, unser Leid: rühren unser Erheben, durchbeben der glück- liche Sieg. Gefreut aber habe ich mich nie mit jenen. Weil ich sie insgesammt kannte, und sie nicht um ein Jota ver- ändert wußte. Mir entgingen sie, der treuen, miterzogenen Landsmännin, nie. Andern hielt ich sie wohl lobend ent- gegen ; mir nie getrost an’s Herz! Wessen Herz ist Dünkel, Lüge, Prahlerei mehr verhaßt, als meinem! Prahlerei in Ge- bieten, wo sie nicht hin kann! Muth, Frömmigkeit, Menschen- liebe. Da schlagen sie in stattlichen Schwelgerzelten der Lüge breites Verheerungslager auf. Ekel ist es nur, was es erregt, aber wenn man davon spricht, so muß es empören. So schei- nen nen wir mehr zornig, als wir’s sind, oder zu anderer Zeit, als wir’s sind; wegwenden thu’ ich mich meist davon, zum Unter- suchen mag ich nicht einmal hinsehen, weil ich’s doch schon kenne; aber dies Wegwenden, Vergessen, ist der wahre Zorn. Saint-Martin meint sogar: „Das Böse sei in so niedrigen Sphären, daß es nicht mehr zu Gott könne und komme.“ Dies wäre ein Zorn Gottes , denk’ ich. Nie wird man sich ganz abwenden können von den Landsleuten, den Erdnach- barn — alle Menschen, — also laß uns sprechen, klagen, schimpfen, klügeln, wenn wir es nöthig haben: dies ist auch ein menschlich Thun und Fortkommen. — An Friederike Liman, in Berlin. Frankfurt a. M. Donnerstag, den 15. Februar 1816. Nicht: auch sie! auch sie! Das Einzige, welches ich gewiß weiß, dessen ich, in allem Leben, in aller Spekulation, gewiß geblieben, gewiß geworden bin, ist, daß mein Gemüth den Freunden, den je ernstgemeinten, den aus dem frischen Jugend- herzen geschöpften Erinnerungen bleibt. Und dies, wenn du mich mit deinem schweren, nicht gelenken Gemüthe kennst , solltest du wissen. Keine abwendende Leidenschaften, zu den größten Verhältnissen, zu zwanzig, Lebensjahre umwindende, in Anspruch genommene, konnten meinen innern Überzeugungs- punkt, das Herz anders stellen. Ich bin, wir sind, wie wir waren, beim Rathhaus, bei der Post, bei der Seehandlung, die selben Kinder. Nie, und von keiner Affektation ange- II. 25 fressen, im vierzigsten Jahre! Verblendet oft konnten wir al- len fremden Augen erscheinen: mußten es, und thaten es; uns nur allein blieb auch darüber Bewußtsein. — Auch ich möchte dir all mein Innres sagen: da ich es nun niemand mehr sage. Aber nur dir allein , in der Welt. Darum kann ich dir nicht darüber schreiben, und daß ich das nicht kann, stört mich so sehr. Ich fürchte aus Stimmungen, aus einzelnen Äußerungen möchtest du falsch errathen. Wisse so- viel, ich hab’ mich nicht geändert: nicht von lange her, nicht von kürzerer Zeit her; und es ist doch so, wie ich dir zu er- zählen, zu zeigen habe. Keine Leidenschaft wogt mir im Herzen; kein Schmerz darüber brennt darin: nur inkommo- dirt, ennuyirt, ergötzt, unterhalten, erhoben kann ich noch wer- den. Soviel wisse. Auf dich hoffe ich nicht allein, sondern rechne ich. — Ich wußte es vorher, daß die Gräfin sich nicht ändert. Daß Burgsdorf sich so platt geäußert habe, glaub ich wieder nicht; er wird etwas gesagt haben, welches man sich so auslegen kann. — Wenn du still, einsam in unsern Straßen gehst, denk’ an mich, und bete für mich, daß ich hinkomme! hinkomme, wo ich so viel litt, und lebte, und empfand. — An Wilhelm Neumann, in Koblenz. Frankfurt a. M. den 7. März 1816. Lieber oller Neumann, ich bin ganz beschämt, daß Sie so unterwürfig gegen mich sind; wenn Sie sich so stellen, wo stehe ich? — und was weiter ein Beschämungsgefühl kompo- nirt! Wer solche Gewalt zu schreiben hat wie Sie, der muß schreiben. Sie haben von Natur einen ganz gebildeten Stil; das ist die Krone der Schreibegabe; dies bewunderte ich erst in Ihrem letzten Brief, wo Sie nur Negatives, Ihre Unfähig- keit zum Leben und Schreiben darlegen wollten, und dies ganz positiv schön thaten. Sie genießen auch der besten Einsicht; über alle Lebens- und Denkgegenstände eine großartige und bestmögliche reine Beurtheilung der Karaktere, und Lebensvor- fälle, sehr entfernt von allem was klein ist, und gemein sein könnte: warum wollten Sie nicht leben ? Mit schönen Kennt- nissen, die dem allen einen äußern, auch für Andere zu erfas- senden Werth geben, und Ihnen die Ausübung jedes Vorha- bens bequem sein lassen. Setzen Sie sich mit Ihren Gedanken nur wieder in den Lebensverkehr; denken Sie an Ihre Freunde, an Mittheilung, an bessere Verhältnisse und Lagen, und An- regungen, die dadurch, eine von den andern, entstehen werden; und alles um Sie her wird lebendig werden, und Sie wieder leben, und lebendig und rasch wirken. Denken Sie an mich, wenn Sie nichts Besseres haben; wie es mich freuen würde; theilen Sie mir in Gedanken und in Briefen alles mit; das andere kommt nach. Machen Sie etwas und schicken Sie’s mir. Lesen Sie, und schreiben Sie mir davon! Sie schreiben ganz vortrefflich . Kourage! Wenn auch das erste alte Herz weg ist; es wächst ein neues, eine Nachpflanze, eine Art Surrogat-Herz; und der Geist ist ewig! — Ich gehe nach Mannheim, wo ich niemanden kenne, als 25 * den General Tettenborn; es kann dort hübsch werden; ich hoffe es. Sie sollen von dort hören. Adieu! Adieu! R. An — — Frankfurt a. M., den 21. April 1816. — Varnh. ist wie Sie ihn kennen: die Liebe selbst, und schon mit mir allein zufrieden: und sehr anders als ich. Das wissen Sie. Den Himmel möchte er mir langen. Ich brauche nur zu sprechen, ich brauchte nur zu sprechen. Je mehr das aber so ist, je mehr will ich auch ihm Gutes angedeihen lassen; und so ist das Leben; es will nicht alles passen, drum müßte alles frei sein. Wie Vögel; Luft, und Futter; Einen Tod- schuß, wenn es sein muß; aber keinen Titel, keine Pflicht, keinen Namen, kein Amt, keine Delikatesse. Varnh. will, daß ich reise, und mache was ich nur immer mag und will. Doch hat es noch Zeit vor der Hand; viele aber doch nicht, da sie flieht und alles sich zögert. Nach Heidelberg will ich aber in jedem Fall ein wenig hin; dreim al war ich von Mann- heim aus dort; den Ort kennen Sie, tiefsinnig, heiter, sicher belebt , und einsam, was ich wünsche: aber welche Bilder sind dort jetzt zu sehen!!! Sie wissen, ich plaudre nieman- den nach, also nicht, weil sie jetzt berühmt sind; wie wird einem dab ei zu Muthe, wenn man diese siehet! Wie in ganz alten Zeiten, ehe es Städte, Laden, und Thee’s gab: wie in der Bibel Zeiten; welcher allerliebster Mann muß die- ser Mahler gewesen sein! Eins ist da, wo die Israeliten das Manna auflesen. Nein! das muß man sehen . Diesen dustrigen Morgen; diese Anzüge; wie allein die stehen und liegen, und sitzen, und an kein Publikum denken ! Der Mah- ler lebte hundert und zwanzig Jahr vor Albrecht Dürer, des- sen Bilder Sie kennen. Boisser é e’s aus Köln leben in Hei- delberg, und besitzen sie, aus zerstörten Kirchen und Klöstern, die nicht wußten was sie hatten, gekauft. Dort will ich ein wenig leben; und will mir das Glück hold, so sehe ich Sie dort. — Den 21. April 1816. Melancholisch ist noch das Beste ! Das ist weich , da fühlt man in einem großen Horizont. Nur nicht beklemmt! Verfügungen . (Vorgefunden und zuerst gelesen nach dem 7. März 1833.) Frankfurt a. M. den 23. April 1816. — Ich fühlte mich in Mannheim so krank, daß ich mir gleich vornahm aufzuschreiben, wie es mit dem, was mir ge- hört, und worüber ich freies Walten habe, geschehen soll; so- bald ich nur einen Tag es thun kann, ohne daß du es, lieber August, siehest. Unterdeß sagte ich Dore manches Kleine, und ward schon dabei sehr vergnügt; und auch körperlich frei, für den Augenblick, von einem harten Anfall. So wenig verstehe ich eigentlich, hypochondrisch zu sein. Die Hauptsache bei meinem Tod für mich hat mir Varn- hagen auf Ehre versprochen; nämlich mich ohne allen Putz in einen schlechten Sarg legen zu lassen, welcher keinen zugena- gelten, noch einen nur im mindesten schwer zu öffnenden Deckel hat: mein Sargdeckel soll von Glas sein, und wären es auch, welches ich sogar will, die kleinsten grünen Glasschei- ben. Der Sarg selbst wird nicht in die Erde gegraben, son- dern in ein wenn auch noch so kleines Häuschen gesetzt — etwa wie ein kleines ganz geringes Wachthäuschen bei Bau- ten, oder dgl. — oder in Souterrain-Zimmer, oder sonst ei- nen Ort ꝛc. Mein größter, wichtigster Wunsch ist der; sollte ich nach Varnhagen sterben, so ist der von meinen Geschwi- stern, der dafür nicht sorgt, mein ewiger, bitterer Feind!!! Mein Klavier bitte ich sehr, Schwester Rose zu schicken ! — es geht zu Wasser. — Weil die mich sehr liebt, selbst spielt, und mich hunderttausendmal daran hat sitzen sehen, im väterli- chen und mütterlichen Hause; in Kinderthränen beim Lernen, in Mädchenthränen, das Herz voller Wünsche, und vaguem we- nigen Hoffen; kurz, in allen nur möglichen Abstufungen vor Leid, Freude, und Stimmungen, und Gedanken. An diesem Klavier dacht’ ich mir beinah alles aus. Stirbt auch Rose, kann es Varnhagen zum Ansehen bekommen. Dann besitze ich einen kleinen Ring von Smaragden und Perlen; so lange mein Vater lebte, war dies das einzige Geschenk von meiner Mutter; als ich sechszehn Jahr alt war, sah ich ihn in einem englischen Laden in Pyrmont; ich hatte gar zu große Lust dazu, Mama kaufte ihn mir für einen hal- ben Louisd’or. Ich nannt’ ihn in jüngern Jahren Wielands Pflaster, — Straßen-, oder Garten-Pflaster, wie es wohl in seinen Mährchen vorkommt. Später dachte ich mir aus, ihn wegzugeben, wenn ich in unbedingtem Glück — ich hielt es auch für mich nicht unmöglich damals — mich selbst verlieren würde. Noch später hatte ich immer Verzürnungen, wenn ich ihn am Finger hatte; die Bemerkung drängte sich mir auf; ich verlor ganz den Muth, ihn zu tragen, welches ich trotz der schlechtgewordenen Hände gethan haben würde; auch wollte ich’s noch öfter versuchen, dacht’ ich, wenn mir an meiner Um- gebung eben nicht alles läge; aber sie schien mir im Verlauf doch nie gering genug zu dieser Probe. August, Lieber, du weißt von diesem Ringe! und stellte er mich nicht als Mäd- chen vor, und käme er nicht von Mama, so würde ich dich nicht bitten, auch ihn Rose’n zu geben: wünschest du ihn aber besonders, so schenk’ ich ihn dir doch. Mein lieber Hans, meine älteste Schwägerin, weiß auch, wie ich ihn liebte. Dann hab ich noch einen ganz kleinen Ring, von einem Rubin mit zwei kleinen Juwelchen: den gab mir mein Vater, als ich vier Jahr alt war, Markus eben solchen; ich erinnre mich des Akts. Markus ließ seinen vor unsern Augen in der Kinder- stube, gegen dem Rathhause über, fallen, und nie konnte er wieder gefunden werden. Meinen haben Johanna und Fanny als Kinder getragen, und Fritz Fromm. Den behalte du, mein August; und Dank, Segen, Anerkennung, Liebe, und Trost ströme dir daraus entgegen! — — Meine armseligen, aber mir lieben Bijouterieen theilt August. — — Wer mich liebt , sorgt für Line — Line Brack aus Wusterhausen, — die hat hundert und hundert Nächte bei mir sich gequält und gewacht; und allen meinen Jugendzorn und ungewitzigtes Wesen zu ertragen gehabt! Ihre Gesundheit und Jugend an uns verloren. Papa gedient, wie ein Pudel, in harten Winternächten, unverdrossen; Mamaen; und dir, Markus, in Krankheiten, Bäder getragen, alles. Ihre Fehler seien ihr, wie Allen, verziehen ! — August, und Markus, ihr sorgt so lange sie lebt für sie. — Ich werde noch weiter unten von ihr und Dore sprechen. — — — Mein Vermögen ist nie eine Fortüne, sondern kann nur eine angenehme, oder nöthige Hülfe sein. Meinem Ge- wissen nach, bin ich es dir, August, schuldig; du theilst aber die Zinsen gewiß gern mit Ludwig; und er nimmt es auch gewiß willig . Er hat nur mäßig zu leben, kein Etablisse- ment; Sinn für Freiheit, eine gemordete Jugend; und eine gräßliche Krankheit in meiner Gegenwart erlitten, und Gei- stesangst gekannt. Lebe wohl, lieber Robert. Ich denke wie du über Leben und Tod, und wurde besser und gütiger. Ge- nieße die Muße, und die Natur; und ruf’ auf mich, in schö- ner Gegend. Maxwitz, Louis, Mama, alle sind weg! Dir, mein August, vermag ich nichts zu sagen! Zehre an meinem Leben. Freue dich deines. Mache wie du es kannst. Je weniger du dich der Betrübniß hingiebst, je mehr freust du mich! Ich danke dir; und liebe dich; und ehre dich, und sehe dich ganz ein. Lieber! Scheue kein neues Leben! und widme mir nur, was du mir nicht nehmen kannst. Geliebter! einzi- ger! ehrlicher Freund! Ich nehme Theil an allem. Wie son- derbar! noch hör’ ich den Orgelmann im Hof, sehe hinten das Feld, die Sonne: und diese Blätter werden so angesehen, wie ich Mama ihre ansehe. Ich bin ganz ruhig; recht vergnügt. (Man störte mich oft. Senator Smidt; Andr é , von Tetten- born’s; Dore; Stamm.) Moritz Robert, der Spaß machen soll, und sich nicht erschrecken noch grämen, und den ich sehr liebe, und er weiß wie sehr kenne, und wie sehr ihm gleiche, bekommt meine bei- den Spiegel mit den goldenen Rahmen: die kannst du zu- sammensetzen lassen, dann ist es ein schöner. — — — Wenn du mich liebst und ehrst, August, schickst du mit einem guten Billet meiner Freundin ihre Briefe an sie zurück; mit freundlichen Grüßen von mir. Ich bin ihr freund; und nie böse, wenn auch manchmal aufgebracht gewesen. Sie soll sich nicht grämen, und denken was sie mir noch sagen möchte: ich nehme alles Gute schon jetzt auf und an. Menschen irren und übereilen, und verstocken sich; wir sind Alle gedrängt. Ja umarme sie in zärtlichster Freundschaft. — — — Dann hab’ ich noch ein Venetianer Kettchen, welches ich mir selber machen ließ. Von diesem soll man nur wissen, was es war: ein wirkliches Zeichen der Treue: deren ich bis zum Tod fähig blieb. — — Gott segne euch Alle! Vorzüglich mit ruhigen Ge- danken, und einem großen Naturgefühl. Keinen Abschied! Adieu, adieu! Es bleibt alles wahr. Rahel Antonie Friederike ꝛc. Die armen Verwandten bekommen Zulage von Ludwig und August. Nicht wahr? An Varnhagen. (Versiegelt vorgefunden und erst nach dem 7. März 1833. eröffnet.) Frankfurt a. M. den 24. April 1816. Theuerster armer August! Könnt’ ich dich trösten, wenn du dies liest! Aber ich kann es und thue es: durch Liebe , und Beistand, die noch wirken werden; durch hundertfältige Gespräche, die wir hatten, über Dasein, und seine Gestalt im Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich- nen meines Willens, was mit meinen Besitzthümern nach mei- nem Leben geschehen soll, sehr ruhig und ganz vergnügt. Im großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht erschütterter als im- mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich sehr, als ich von meinem alten Sopha sprach; und von mei- nem Perlenring. Auf dem ersten starb Papa, litt ich unend- lich . Alle Krankheiten außer der Prager; alle Geistes-, alle Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Angst des Le- bens; den Rest von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken mit dem Ringe bekam ich nur, als ich schon dunkel aber ge- wiß wußte, mit mir würde es nichts; da erschien mir die Be- deutung, das Aussehen des Ringes meinem innren Dasein ähnlich. Unschuldig, jung, edlen Ansehens, und vornehm, und aparte, und auch wie verzaubert, ganz einsam, und in der tiefsten Tiefe wieder freudig und putzhaft-festlich, aber immer allein. Da dacht’ ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich ihn gab: nur Bitteres sollte gar nicht drunter sein; du Engel, mein Erdenengel, schienst es zu verstehen, und gabst ihn mir willig wieder. Lob ist die Geschichte dieses Ringes, kein Ta- del oder Vorwurf. Überhaupt: so sehr es möglich war, dei- ner Natur möglich, eine wie meine zu verstehen, verstandst du sie; durch großartigstes, geistvollstes Anerkennen: mit einer Einsicht, die ich nicht begreife , da sie nicht aus Ähnlichkei- ten der Naturen kommt. Unpersönlicher, großartiger, mit mehr Verstand ist es nicht möglich, daß ein Mensch den andern in sich aufnimmt und behandelt, als du mich. Mehr im ganzen Herz des Wollens hat nie eine Einsicht in einem Menschen gewirkt, als deine über mich! Anerkannter kann das nicht werden, als von mir; und mehr in Liebe gewandelt dies An- erkennen auch nicht werden. Diese Worte sind schwache Ab- risse, und Schatten der Schatten unsers Lebens, welches wir miteinander führen, mein treuer geliebter August! — Wozu also? — und welches wir noch mit einander verleben werden!!! Diese Zeilen schreib’ ich dir eigentlich nur, um dich fest und fest zu bestimmen, ja die Hälfte meines Vermögens zu nehmen, welche andere Hälfte ich keinem Sterblichen schul- dig bin, als auch dir; und nur Louis sie aus Liebe , und Kenntniß seiner, bei seinem Leben lasse. Wegen * schreib’ ich dir! Vergiß * * nicht , und denke an * * *. Mache gleich ein Testament. Ein Mensch ist im- mer sterblich. Thue es mir zu Ehren sehr bald. Gleich . Lebe wohl, Geliebter! Gottes bester Segen mit dir. Mein reinstes Gebet. Deine treue wohlwissende was du bist Rahel. An Auguste Brede, in Stuttgart. Frankfurt a. M. Sonnabend, den 18. Mai 1816. „Warum höre ich gar nichts mehr von Ihnen?“ kann ich gar nicht fragen, weil ich weiß, wie man nicht schreiben kann, und Sie mich dasselbe fragen könnten; auch bin ich Ihnen meines Wissens keine Antwort schuldig; und doch schon lange schuldig Ihnen zu schreiben. Vor mehrerer Zeit, als ich noch in Mannheim war, wo wir sechs Wochen beim General Tettenborn wohnten, erhielt ich den Brief, den ich Ihnen jetzt schicke. — — Ich lebe nicht vergnügt, Liebe, weil ich unbe- stimmt und uneingerichtet leben muß, und dies Unbestimmte nicht von meiner Wahl herrührt, noch abhängt; so än gstigend und tödtend auch wieder ein festes Bleiben, wenn es die N o th- wendigkeit vorschreibt, sein kann, und mir schon zu oft war, Nun hoff’ ich nichts mehr! und veranstalte gar nichts mehr. In der Seele wär’ ich jetzt ganz ruhig: nun aber hat meine arme Person keinen Sitz mehr; und am allerwenigsten einen, der mir behagen könnte. „Schweigen (mit Hamlet) ist der Rest!“ Wie ist Ihnen , Auguste? können Sie reden; so sprechen sie! können Sie nicht, so werd’ ich’s auch wissen. Seit ein paar Tagen leb’ ich etwas erheitert durch die Schle- gel: sie wohnen vor dem Thor neben der alten Bethmann ihrem Garten; da gehe ich viel hin, und sehe einige Leute, wechsle einige Worte. Gestern lernte ich Rückert dort kennen, und freute mich sehr: und den Minister Wangenheim, der mir sehr gefiel: ein kluger, milder, lebseliger, das Wohl wol- lender Mann, der einem gleich das nächste Leben leicht zu machen weiß; diese Eigenschaften wurden sehr bei mir in die Höhe und in’s Licht gesetzt, durch den Gedanken: das ist ein Staatsmann, der steht auf der wirkenden Ministerstufe; es geht so lange schon, ich meine nicht grade die letzten fünfzig, sechszig Jahre, drunter und drüber, daß man dergleichen mit Genesungssehnsucht ergreift! Und ich vorzüglich, die ich be- sonders so sehr untersuchen muß, und von meinen persönlichen Plagen, und denen des Augenblicks, durchaus auf Betrach- tung des Ganzen kommen muß. Rückert kennen Sie; kennen Sie nicht auch Wangenheim? Vielleicht sehe ich ihn noch heute, dann will ich von Ihnen mit ihm sprechen. Den 7. Juli will mein ältester Bruder von Berlin abrei- sen, und mich in diesen Gegenden suchen: suchen, weil Staats- diener jetzt Hausirer sind. Es war gewiß schon oft so in der W el t: es kann auch mit manchen Umständen begleitet öfters angenehm sein; diese aber sind nicht so gütig, sich bei mir einzufinden. Da ich aber so sehr an den Augen litt — am Sehen — sich das bessert, nach Mittlen, und Verhalten; und ich vom Arzt in Mannheim die Versichrung habe, daß die Sehorgane nicht einmal leiden; und ich mein schon in Prag aufgegebenes Bein tüchtig gebrauche, so bin ich bums- still! Quand il faut se prêcher pour être heureux, l’on est à peine content. Meinen Bruder Ludwig kann ich eigentlich immerweg erwarten; er will kommen, sobald er seine Mos- kawa beendigt hat. In das Theater gehe ich hier gar nicht , weil ich keinen Platz habe. In Mannheim sah ich manches: nichts was beschrieben zu werden verdient; als ein Thürnagel — Berliner — der grade in dem, was Iffland mit dem Vor- rath, den er von der Natur hatte, nicht mehr leisten konnte, sondern durch Künstlichkeiten zu bewirken suchte, diesem nach- spielt; und mir, ich kann es sagen, durchaus mehr Unterhal- tung schaffte, als der Gefeierte selbst. Dieser führte meine Betrachtung immer nur auf seine Rollen, Leistungen, und seine Kunst, in der er wirkte; sein Kopiste aber stellt mir auch jenes Schwächen als Gebilde vor, und erinnert an die Person, die doch nun einmal als ein Vergangenes, Unwiederbringliches dasteht. Und er machte mich lachen, und bedauren. Manche Scenen im Lustspiel wurden meisterhaft gegeben, von Müller und noch Einem, dessen Namen mir fehlt, z. B. im Räusch- chen. Die Frauen sind nicht zu erwähnen. Ihre Demmer war schon in Karlsruhe, die sah ich nicht. Dann ist noch ein großer schöner Mann da, den ich auch jetzt nicht nennen kann, der ist nicht schlecht; er spielt den Offizier in Kotzebue’s Stück, welches in Spanien, in jetziger Zeit, in Civilkleidern spielt. Dann hört’ ich in einem Konzert Mad. Gley aus Hamburg singen; eine Meisterin, wenn auch vielleicht sur le retour; ganz italiänisch. Das war auch das Beste in Mannheim. Sonst ist das Schönste von Mannheim, — Heidelberg. Sie lieben doch meine Bonmots! die alle aus Laune entstehen. Gestern waren meine Lippen witzig. Als der Minister Wan- genheim gestern etwas abwärts mit Herren sprach, und ich ihn reden hörte, sagte ich ganz freudig zur Schlegel: „Es ist doch jetzt ganz anders in der Welt! Wie solcher Mann spricht; sonst dekretirte ein Minister nur, jetzt diskutirt er.“ Sie ent- gegnete mir in einem zu mahlenden Gleichmuth, und hal- ber Zerstreuung: So muß es eigentlich sein! — „Ja, aber so war’s doch nicht: wie sonst so’n Minister war!“ sagte ich. — Das hab’ ich ganz vergessen; sagte sie, halb fragend. — „Ja! Sie haben auch so ein glückliches Gedächtniß, daß Sie alles vergessen!“ schloß ich. Und mußte selbst gleich lachen. Nachher sagte ich zu Hause zu Varnhagen: „Die Nichte da, ist doch accurat, als ob sie nicht da wäre! und noch ärger, denn sie ist da!“ Meine Lippen waren noch redseliger. Sie hätten’s gewiß goutirt. Ach Guste! die Prager Laune, Ihr Arlequin, bleibt aus ! Drum scharr’ ich weniges zusammen. Adieu, Liebe, Beste! Varnhagen grüßt sehr, ich Ihre Mutter. Ich sage nicht ein Wort über die Einlage. Ich habe das al- les genossen, fühl’ es mit Ihnen, liebe Seele, und kann Ihnen nicht ein Jota davon abnehmen. Adieu, adieu. R. Denken Sie noch manchmal an unsern englischen Mar- witz? Wo ist der?????? So eben geht Minister Wangenheim und Rückert weg: ich habe meine Freundin empfohlen. Adieu, Liebe! An Ernestine G., in Berlin. Frankfurt a. M. Dienstag den 21. Mai 1816. Sie haben Recht, liebe Golda, daß Sie mir schreiben, wenn Frühling, „goldene Sonne“ und alles Schöne, woran man Anspruch hat, Sie ängstigt! Auf immer Elenderes ver- weise ich Sie zum Troste; oder besser! zum Herauslesen des Besten, aus der Lage — oder Klemme — worin man ist; es ist noch schön, wenn noch Wünsche, Verlangen, Sehnsucht in uns rege gemacht werden kann, und wir es nur so vor uns zu haben meinen, was uns beglücken könnte. Es ist schön, wenn Frühling, Luft und Wetter, Horizonte, Lichter und Scheine jene Gährung erregen, die uns zu peinigen vermeint, aber auch, die schönsten Lebensbilder und alle Wünsche, alte und neugeschaffene, in uns hervorruft, die das Herz nähren, die Seele spannen, und den Geist beschäftigen (wenn auch ohne die Ruhe des eigentlichen Genießens); und ein strenges Bedürfniß, ja Bedingung des ganzen persönlichen Seins! Wie ist es aber dann, wenn jene Bilder sich nicht mehr stellen wol- len; weder in Erinnrung, noch in Phantasie für die leere Zu- kunft; wenn Wünsche keinen Weg mehr finden, wo sie vor- eilen können, und kein Lebensplan sich in dem ganzen Welt- gewirr gestalten kann! einem das Herz wie unter einem gro- ßen Grabstein hinter der Brust gepreßt ist; nicht lebendig mehr; aber doch keiner andern Welt angehörig, und man nichts mehr fühlt, als dieses Pressen und die Angst, wie es anders, und vergeblich war; und auch so nicht wieder werden kann. Wenn man dem Schicksal Recht giebt, obgleich man unendlich von ihm beleidigt ist, und grad’ in Kleinigkeiten: und ganz müde ist, und meint, es ist genug : ich gab sie ja auf, diese ganze Welt: ich kann sie gar ja nicht mehr erfas- sen mit meinen Kräften, Wünschen, Bemühungen: nur der Qual genug! Ruhe . Wenn sich eben dieser Zustand im Kör- per abbildet; und der ohne Schmerz, aber in Widerspruch oder Verwirrung ist, die sich wieder im Kopfe, als ein Sum- mendes, Fremdes, Störendes, Plagendes, Schmerzloses, äußert, und und den ganzen Kreislauf des Leidens bewegt, wie ein erstes und geschäftiges Rad, wie vom klügsten Meister dazu bestellt; und man nun endlich weiß; du bist alt; das ist alt; und Plage war die ganze Jugend; nun ist sie aus: und auch so kommt es mit dem Leben? ??? — — — Dann wird es doch wieder anders; ein Wetter hat guten Einfluß, hebt den Kör- per, erlaubt ihm Luft und Bewegung, mischt ihn auf; ein klei- nes Ereigniß erfreut, zerstreut; und wir dienen uns und dem Schicksal von neuem! Schon einige solche Schreckensfrühlinge hab’ ich erlebt: die ersten schon vor mehreren Jahren; rein durch Krankheit, deren Schwinden mir noch einen Wollenstoff — so fühlt’ ich es — zwischen meinen Sinnen, und der hol- den heilenden Natur fest vorbreitete, und mir die Nerven strammte, lähmte, und widrig reibend reizte. Da war ich tief -unglücklich, weil ich wahre Verdammniß, eine andere, schlechte Natur, mit der meinen fühlen mußte. Ich fühlte es, jammerelend, nur: nennen kann ich es erst jetzt. Das war schrecklich: ganz übernatürlich entsetzlich! Mir war auch die- sen Frühling, als ich Ihnen neulich schrieb, furchtbar zu Mu- the, und Klagen, wie gesagt, wollten dem Herzen nicht mehr entströmen. Nun ist mir wieder viel besser. Ich gehe, empfinde das Wetter; gut und schlecht, aber doch natürlich; finde mich mit Menschen leichter und heiterer zusammen; ja, munter. Meine Schuld ist es nicht: ich befinde mich nur leidlicher; es ereignete sich manches für die Geselligkeit besser, das arge Wet- ter ließ nach, welches mich in einem leichten Gebäude, sowohl Wind als Sonne ausgesetzt, sehr plagte. Aber auch ich war thätig mit Einsehen, und habe wirklich gelernt, nicht auf dem II. 26 Lande wohnen, ein gesunder Wunsch dort zu sein, sei schon gut; gehen können, vortrefflich; nah an schönen Spazirgän- gen zu wohnen, herrlich; und nicht zu appuyiren auf das, was einem fehlt, eine Art Schuldigkeit; und mit Gesundheit, eine leichte Klugheit; und so zu schätzen was man hat, als ob man’s verloren habe, ein ordentliches Glück !! Ganz glücklich gehe ich spaziren; ganz glücklich seh’ ich einen wei- ten besternten Himmel Abends aus meinen Fenstern; und fühle, mich gesund fühlen fehlte mir am meisten, und daß ich wirk- lich nur Erreichbares und Leichtes bedarf!!! Mittwoch den 22. Mai. Gestern wurde ich bei obiger Zeile gestört: und so nach und nach den ganzen Tag am Weiterschreiben verhindert. Seitdem hat die Sterbliche schon unzählige Unannehmlichkei- ten gefühlt, Kontrarietäten erlebt, schlechte Empfindungen durchmachen müssen; ja, heute schon geweint: und das auf meinen Knieen: wie außer mir: und alles dies, nur Kleinig- keiten — nennt man’s — die mir aber auf’s bitterste, und herbste, und unleidlichste , die Sentenz des Geistes vorhalten; und wahr machen, die mein Schicksal bestimmte. Nun nahm ich Ihren Brief, und meinen angefangenen wieder vor mich: und sah, daß es, so lange ich in diesem Gehäuse leben muß, mit mir anders nicht wird: ein paar kluge Sentenzen kommen manchmal zum Vorschein; auffallende, tragisch-possirliche Kla- gen; der mildeste Trost aus gutem Herzen gequollen; aber sonst nichts! Anders wird’s mit mir nicht; anders werde ich auch nicht; klüger oder besser, weniger noch als kaum’ Be- neiden Sie Demüthige! also Doren nicht, ihr Leben bei mir zuzubringen, und stellen Sie mich nicht so hoch! Ich habe einige große, oder vielmehr starke Anlagen, und eine unschul- dige Seele, dies bildet scheinbare Geistestalente, die aber alle keine glückliche Entwickelung fanden: ich selbst ward ihrer nicht Herr; sie nur meiner; daher entstand eine Gemüthsrege, die man lieben muß, wenn man sie findet; die aber den Mei- sten nur als Geist erscheint, ihnen Forderungen einflößt, die ich meist geschickt genug zu leisten bin; aber mit andren Mitt- len, als die jene in Anspruch nehmen; welches mich sehr müde macht: zum Theil entsprech’ ich den Anforderungen nicht; dann bin ich bitterer Anklage und weit und breit wirkenden Miß- verhältnissen preisgegeben. Und so schwankt und fließt das Leben über uns hin; wir manchmal ein wenig von ihm ge- tragen; eigentlich aber in fremder Fluth: wie es mit dem An- kommen ist, darüber will ich endlich schweigen; wie für uns ge- schwiegen ist! So ist’s ein wenig mehr, ein wenig weniger, mit allen Menschen; das lese ich sogar aus allem heraus. Von den Testamenten anzufangen! aus dem alten und neuen: aus aller Geschichte: aus allen Behauptungen, Plänen, Vor- schlägen, Erfindungen, Fiktionen der Bücher: aus allen Dich- tern , ihrem Scherz, und Ernst. Es ist ein Witz der Natur, uns so gefangen zu haben; sonst blieben wir gewiß nicht: aber unser Wünschen, unser Sehnen ist unser Netz und unsere Gränze. Das ist keine Kunst ! Also klagen wir nur, Golda, klagen wir, wenn wir nichts thun können und leiden, rein lei- den; Genuß wird, oder muß uns erst das Sein deutlich ma- chen: hier kennen wir den Genuß und das Sein nicht: klagen 26 * Sie mir, sagen Sie mir alles; ich verstehe das Meiste, und vom Leiden und allem Menschlichen sehr viel, werde es, so bald es dies wirklich ist, nie überdrüssig, nie zu gut dazu. Ach! und einen Zeugen unsers Lebens, des Fadens der innen gesponnen, ununterbrochen wenn auch nicht immer mit Be- wußtsein beleuchtet, bedürfen wir so sehr ! Ich will Ihr Zeuge sein. Ich glaube Ihnen. Ich glaube Ihnen auch das, was Sie mir nicht sagen können, und welches alles andere be- stimmt. Ich will Sie verstehen, wenn auch Ihre Natur von meiner abweicht; dadurch verstehen, daß ich mich erinnre, wie man mich nicht versteht, und es doch richtig ist! Auch ich, Liebe, liebe Töplitz unendlich: sein heiteres schönes Thal, seine holde Wohlthatsquelle, der ich schon jahrelange Gesundheit, und beinah plötzliche Erleichterung danken mußte. All das Gute, welches mir dort noch in unbefangnerer Jugendlichkeit wirklich widerfuhr, als heiteres Spazirleben mit Freunden; neue Freundschaften; Bekanntschaften ohne Zahl, die mich, ich nicht sie, suchten; kurz, lauter Gutes, außer die letzten beiden male, wo es schon ganz gestört war; — machte mir einen langjährigen Wunsch draus, dort ein Haus zu besitzen! Es ist einen Tag vom geliebten, liebenswerthen Dresden; einen vom fremdartigen herrlichen Prag; im Gebirge, am Gebirge; kurz, es vereinigt fast alles was ich liebe. Es ist auch Ge- sellschaft dort, und alles zu haben. Und doch, werden wir nicht hinkommen! Aber in Einem Orte werden wir gewiß noch leben, das glauben Sie gewiß! — — Die Leute, von denen in Ihrem Briefe die Rede ist, setzen sich äußerlich hoch; und dazu gehört ihnen auch der Sitz, den sie im Sittlichkeitsparlament einnehmen wollen. Lassen Sie sie! das ist ihr Plaisir. Das sage ich, weil ich in der That so gegen, und mit Menschen geworden bin: wenn nicht das, was sie üben, mir eben den Tag oder die Stunde verdirbt. Darüber aber steigert sich meine Empfindlichkeit; Störung ist mir ärger, als alle sonstige Verletzung, die ich mir erst durch die Gedanken konstituiren muß. — Koreff, liebe Freundin, weiß ich nichts besseres zu sagen, als daß es natürlich ist, wenn er mich lieb hat, und im geringsten nicht „mehr als er sollte.“ (Er hat mich lie- ber, als er sollte; sagte er Ihnen.) Ich hab’ ihn auch lieb, und so wird es auch bleiben, weil er etwas Herziges hat, welches er nicht verlieren wird, welches ich gleich, und immer fühlte. Ich nenne nur dies; weil alle andere Eigenschaften, ohne diese mir nie das Herz herausforderten; und eigentlich niemanden. Ich habe ihm nichts zugefügt, was ihm unlieb sein könnte: ist ihm sonst manches an mir nicht recht, so mag er’s mir hingehen lassen; ich habe bei ihm auch nur auf Be- stes in ihm gesehen; wenn er das manchmal merkte, so hab’ ich Unrecht; und dies soll er mir verzeihen! Ich grüße ihn sehr! und frage ihn, ob er von Varnhagen nicht — ich glaube Ende dieses Winters — ein Buch erhalten hat? und weiß ihm für jetzt nichts Gründlichers noch Besseres zu aller Nachsicht und Kenntniß meiner Auffordrendes zu sagen, als das was ich Ihnen hier von mir und über mich schrieb. Hat er Geduld genug, so lassen Sie ihn diesen Brief lesen! Adieu Koreff! — Ist denn der Jammer, der Skandal, das Unglück wahr, daß man an der Seite der Häuser, unter den Linden, eine Reihe Bäume weghauen will??? damit die Leute besser aus den Fenstern sehen können ? das leidet der König ? Es verdirbt mir ganz Berlin . Es stand im Morgenblatt. So haben sie auch, vor einigen Jahren, die Götterwand von Hecke vor der Charlottenburger Orangerie weggehauen. „Die Orangerie sollte bessre Luftlöcher haben.“ Wahn sinn. Die Orangerie war siebzig Jahre gut genug für Brandenburg: und solche Hecke hat ganz Italien nicht. O! Koreff, sprechen Sie davon! Adieu, adieu! Golda! Ihre Rahel. Lieber Koreff! Ich kann Ihnen ja gar nichts gethan haben. Adieu, adieu! An Troxler, in Beromünster. Frankfurt a. M. im Mai 1816. Viele schöne Grüße! Wenn Sie Ihr Leben, auch nur ganz trocken, schreiben wollten, könnte meines Bedünkens kein schönerer Anfang, keine schönere Einleitung dazu genommen werden, als was Sie Varnhagen, über den Vorschlag es zu schreiben, geschrieben haben! Ich fand es sehr schön, und spie- glend nach allen Seiten Ihres Lebens hin, und bis in’s In- nerste; bis auf die wahrste Farbe wiedergebend. Von mir, Lieber, können Sie sagen was Sie wollen, nur meinen armen Namen nicht! Er ist mir so bequem wie ein dunkeles Kleid, von dem man sich einbildet, es hielte auch warm; würde er hell, es fröre mich, ich könnte mich nicht mehr einwicklen, und stünde mit meinem Wuchs ganz embarrassirt. Viele selbstge- bildete oder doch neugestellte Worte freuten mich in Ihrem Aufsatz! die ich eben so gebraucht hatte: ich zeigte sie V. gleich. Adieu, lieber Freund, tausend schöne Grüße an Mad. Troxler in’s Grüne hinein! R. Frankfurt a. M. Mittwoch den 26. Juni 1816. — So lebe ich immer provisorisch, und schlecht in allen Einrichtungen, und in Hinsicht des Umgangs. Doch bin ich seit einigen Tagen über alles dies in mir sehr revolutionirt! d. h. beruhigt: denn in einem Zimmer sitze ich auch: ohne Angst . Ist gutes Wetter, sehe ich und geh’ ich in’s Grüne. Was ich will, und brauche , hätte ich vor der Hand nirgends: und was mich so sehr peinigte, daß ich mein jetziges Leben nach meiner Vergangenheit, d. h. mehr noch nach den Wün- schen derselben, als nach dem wirklichen Leben, was ich in ihr führte, einrichten wollte, dahinter bin ich endlich, und plötzlich gekommen, das muß ich aufgeben. Es geht nicht . Also sitz’ ich und sehe meinem eigenen Leben zu; gewissermaßen. Ich lebe es nicht: nur ganz innerlich. Ich weiß noch, wozu ich fähig war; und diese Fähigkeit müssen wir doch scheinbar, für die eigentlichste Bestimmung halten. Aber es ist nicht so! Wie Blüthen, und wie die meisten sogar, fallen wir, vom gro- ßen unbekannten Winde ab: obgleich wir hätten Frucht wer- den können. Die Menschenblüthe fühlt die verletzende Vernich- tung stark; hingegen kann sie auch über sich selbst reflektiren: und das thue ich. Der Mensch besteht nur aus seinem Ka- rakter: das ist er, und das ist sein Schicksal; Karakter ist nur Muth: Muth, der unsern einmaligen Gaben beigegeben ist; Muth, der ihnen die ganze Bewegung und Richtung giebt. Ich habe viele Gaben; aber keinen Muth: nicht den Muth, der meine Gaben zu bewegen vermag, nicht den Muth, der mich genießen lehrte, wenn es auch einen Andern etwas ko- stete: ich setzte jenes Andern Persönlichkeit höher, als meine; ziehe Frieden dem Genusse vor: und habe nie etwas gehabt. Solche Menschen liebt nur selten das Glück. Und so bin ich großbegabt sitzen geblieben. Ganz fallen konnt’ ich nicht, weil ich unendlich unschuldig bin: und unpersönliche Genüsse mei- nen reichen Gaben nach in Fülle habe. Dies ist le mot de l’énigme. Sie werden es verstehen. Sie sind auf entgegenge- setztem Wege, mit dem größten Muthe, bankerott. Und so winken wir uns, blicken uns tief in die Augen, und wollen uns die Hand reichen. Liebe Freundin! das Herz wird ganz steif vor Wunder, wenn man dies erkennt. — An Ernestine G., in Berlin. Frankfurt a. M., Montag den 1. Juli 1816. 11 Uhr Morgens. Nur weil ich Ihre Gesinnung dabei kenne, Ihre Empfin- dung mir dabei denken kann, hat auch mich das Geburtstag- band, welches ich gestern dick in einem Briefe von Ihnen er- hielt, gefreut, Ich danke Ihnen! Ich sah das Band schon öfter vergnügt an, habe es schon mehreremale auseinander gewickelt, mir dabei gedacht, was Sie sich wohl dabei dach- ten; und fand es recht hübsch! Auf meine Geburtstage halte ich nicht viel; in unserm Hause durste von keinem die Rede sein; mein Vater litt es nicht (und ich bin darin von seiner Gesinnung; die Wiederholung davon wird fade, und bei meh- rern Mitgliedern in einer Familie, lästig, leer und affektirt: schickt sich nur gut bei Fürsten, wo alles in’s Große und Feier- liche getrieben werden kann, und ohnehin eine schöne Stufe höher steht, als im wirklichen, ich möchte sagen, gemeinen Leben). So habe ich niemals erfahren, welchen Tag mein Geburtstag ist; nur zufällig wußte ich, daß ich die Nacht vor Pfingsten geboren war, und so nahm ich, seit nur wenigen Jahren, dieses grüne Fest in meinen Gedanken dafür an. Aber ich kann sagen bloß aus und in Leidwesen: als mir die Zeit anfing zu sehr zu schwinden, und mir doch ohne Leben die Jahre von all und jedem, und auch wohl vom Lebensfürsten, dem Tod, immer härter angerechnet wurden; und ich selbst vom Ungelungenen auf immer mehr Ungelingendes zu schlie- ßen hatte, in der so genannten erworbenen Vernünftigkeit, eigentlich aber Muthgebrochenheit. So steht’s mit dem Ge- burtstag; so wird der von den andern Tagen angesehen; und diese mögen Sie nun beurtheilen: ich will mich gar nicht da- mit abgeben. — An Wilhelm Neumann, in Koblenz. Karlsruhe, den 23. Juli 1816. Karlsruhe ist ein schöner unbequemer Ort: die Unbequem- lichkeit liegt in der Prätension eines großen, ohne dessen Res- sourcen zum Nutzen oder Vergnügen, und in der Beschränkt- heit und dem Stagnirenden eines kleinen. Ist man hier ge- boren oder eingelebt, so mag’s einem auch hier gefallen: der Eindruck ist heiter, angenehm, berlinisch; ja, überraschend schön. Viel Wald, viel Sumpf, viel Mücken umher. Im Ort die schönste Bauart; schöne Gebäude, viel Grünes — verdure — und kein Logis: chambres garnies gar nicht. Wie konnte der Ort auch das wissen! — Neumann! In der von Menschen arrangirten Welt, nicht in den Mänglen, die die Natur aller Dinge schon fest- setzt, giebt es nur Eins, welches u nleidl ich ist, abscheulich, empörend, in jedem Augenblicke hinderlich, um sich her alles wegfressend, wahrhaft unsittlich, und wieder empörend, weil dies nur geehrt wird; zum schwindlich werden, weil wir selbst uns ihm doch fügen! Dieses Eine nannten Sie: dieses Eine vergesse ich nie: und vergesse ich’s, so benimmt es mir und allem, was ich nur lieben kann, wie Giftausdünstung doch das Leben: über dieses Eine ist tiefsinnig, ja auch gründlich in unsern Schriften geredet; aber Sie haben Recht, lange nicht in Worten, die außer der litterarischen Welt Funken fassen. Schon Fichte sagte ihnen deutlich, in seinen Vorle- sungen Anno 6: ein tiefsinniger Denker, begründete Reden in der Art, würden ihnen nie schaden, führte sich an, und bewies ihnen, wie entfernt grade solcher von Thaten, vom Handlen ist. Noch schlimmer sag’ ich: nicht allein solch ein Mann handelt nicht, sondern auch seine Versteher nicht; die sind, nur auf eine passivere Weise, eben so geistig, und folglich nicht anders beschäftigt. Wir, die Deutschen, haben noch keine Sprache, so durch alle Geselligkeitsröhren getrieben, wie es die französische ist; in der man sich dem Geringsten im Faubourg verständlich machen kann. Es liegt aber eine solche in unse- rer bereitet da; man braucht sie nur fertig zu machen, nur die Wortstücke dazu auszusuchen — auch ich kann dergleichen, weil das Tagesleben, wie bei den Franzosen, mein Kunststoff ist. — Es gab aber in unserm Lande keine Gelegenheit zum Sprechen, als die Kanzel. Alle übrigen Gedanken müssen ohne Ton, Gebärde, unpersönlich, zu überirdisch, aus dem Geist an den Geist wirken. Also langsam, künstlich, und dann plötz- lich. Es werden Verhältnisse uns auch eine Lebensgeselligkeit in Worten, schaffen. Ich weiß es. Oh! lebt’ ich nur lang genug; da ich das andere zu lang erleben mußte! Ganz plan und klar und deutlich muß geredet werden; Sie haben Recht! die Beweise stumme, starre, frische und alte Exempel sein. Nein, man hält die tück’schen Narren, die albernen Verbrecher nicht mehr aus. Sie; ich , kennen sie längst . Zu nichts kommt neue Empörung; sie stapelt sich unnütz nur auf: längst ging es über alles sittliche Maß, über alles geistige Auffassen. Mir ist nichts Neues begegnet: nur in kleineren Räumen, wo sie das Frevelspiel auch mit dem wahnsinnigen Ernst durch- spielen, fällt es unsinniger und kleinlicher, und der Geißel näher aus. Für jetzt kann ich nicht nach Baden; weil ich noch kein pied-à-terre hier habe: ich muß ihn aber bekommen, und dann, stummer lieber edler Freund, bin ich doch noch der Mei- nung, Sie kommen auch dahin! Denn in vielen ersten Mo- naten werden wir dort so wenig etablirt als hier sein. Aber ein Zuhause sollen Sie nicht allein mit uns, sondern auch bei uns finden. Kurz, für’s Erste antworten Sie sehr redselig: und dann kommen Sie! Die letzten vier Beilagen der All- gemeinen Zeitung aus der Allemannia müssen Sie lesen. Der spricht grad’ und scharf: aber vorerst zu den Schwatzpatronen der Druckereien. Und er hat auch den Muth die Franzosen zu vertheidigen. Adieu. R. An Troxler, in Beromünster. Karlsruhe, den 30. Juli 1816. Nur ein Wort, lieber Dr. Troxler, um einen so lieben gütigen Brief, als Ihrer ist, nicht ohne Antwort zu lassen! Jener Bedienter in der Komödie sagt, mit einer plume d’au- berge könne er nicht schreiben. So geht es mir hier noch mit der ganzen Stadt. Noch leb’ ich une vie d’auberge. Näm- lich umgekehrt; ganz einsam, ganz allein fast: aber eben diese Stille, die, ich möchte sagen, die ich höre, verwirrt und stört mich. Noch paßt mir nichts: und ich habe in meinem Leben so wenig an Karlsruhe gedacht, daß ich mich selbst im Ort nicht hier glaube. Dazu kommt nun noch hauptsächlich, daß ich seit vierzehn Tagen umhertrotte mir ein Quartier, und alles was der Mensch braucht, anzuschaffen. Endlich bin ich seit gestern in sicherster Ordnung; aber ich gehe wie eine Bauer- braut darin umher ohne mich finden zu können, und die schöne Ehre und die neuen Dinge für meine nehmen zu können. Ich erfahre, daß mein Sinn ein entsetzlicher Pedant ist; oder eine rechte Person: die alles nach ihrer Weise haben, und gebrau- chen und verzehren muß. Sie, und wen ich nur berühre, muß das mit erfahren! Mit meinem Geiste ist das wirklich sehr anders; der ist sehr flott: und begreift leicht, auch viel; und geschwind Anderer Persönlichkeit; diese im weitesten Sinn, wie ich sie auch hier meine. So auch wirkt das Wetter auf mei- nen Sinn: nicht allein auf meine Nerven, wie auf wirk- lichste Saiten. Kommt mitten im Sommer kühles trübes Wet- ter: so mein’ ich, er ist vorbei: und kann das nachfolgende schöne nicht fassen, weil ich es unter keiner Jahreszeit alsdann mehr zu fassen vermag! — dies alles wirkt jetzt zusammen auf mich: und verwirrt mich ganz . Dabei ohne gewohnten Umgang, Wirkung, Geselligkeit, noch Gegenstände, noch Ge- spräch in Scherz oder Ernst. Dies alles nur zu meiner Ent- schuldigung! Über Ihren Aufsatz künftig; nur so viel heute. Ich habe die vortrefflichen Treffer darin mit dem wahrsten Enthusiasmus gefunden. Mich wohl in Ihre Stimmung und Ansicht versetzen lassen. Aber ich glaube, dieser Aufsatz ist nur für die Hochstehendsten im Verständniß eingänglich! Und ich habe keine Geduld mehr! Übersetzen Sie ihn auch den Andern in derben Wortprüglen: wie er im Museum als Don- ner und Blitz, Strömen und Wetterleuchten sich darthut. Wenn doch erst der Rest meiner Briefauszüge auch dastände! — mir zum Trost! das was jetzt dasteht, mißfiel mir zu sehr: außer das über das Lügen. Adieu, lieber Dr. Troxler, leben Sie wohl! hier werde ich wohl ein wenig schreiben und lesen: das Beste, was mir einfallen will, sollen Sie haben. Ich umarme Mad. Troxler und die lieben kleinen Plauderer. Die haben auch kein gutes Wetter in Ihrer schönen ländlichen Heimath! Adieu, adieu! R. An Astolf Grafen von Custine, in Frankfurt a. M. Sonnabend, Baden den 24. August 1816. Schreiben Sie mir mehr solche höchst amüsante Briefe, als der war, den ich gestern aus Stuttgart und Heidelberg von Ihnen erhielt! Ich kann und muß mich heute nur kurz fassen: Mad. Schlosser will fort, Mad. Demidoff ist fort, von der ich komme; diesen Brief will ich noch selbst abbringen. Hauptsächlich schreib’ ich Ihnen, um Ihnen zu sagen, daß Sie kein doppeltes Kouvert — Briefumschlag — zu machen nöthig haben. Für solche Unbequemlichkeiten hab’ ich den größten Sinn ; die können einen vom Briefschreiben abhal- ten. Sie aber sollen mir viel schreiben. Dreimal hab’ ich Ihren Scherz- und Ernst-reichen Brief gelesen; mit wahrem Ergötzen! Das zweitemal, weil mir das erstemal zu schwer wurde, das dritte, aus Vergnügen. Ich bitte Sie, lieber Cu- stine! schreiben Sie ein wenig deutlicher! — und Sie können keinen erkenntlichern Korrespondenten finden , als mich: ich goutire jedes Wort, weiß wie es in Ihrer Seele entsteht; für wie viel Sie’s geben ; wie Sie ihm künftig, und auch gleich, widersprechen können, ohne das Gegentheil zu sagen, oder das Erstgesagte zu vernichten: ich weiß, wie Sie selbst nicht vorher wissen was Sie sagen wollen, und dies grade hat den größ- ten Reiz für mich. Auch ich werde Ihnen solche Briefe schrei- ben; wo die Seele spazieren gehen soll, und nicht auf ausge- fahrner staubiger Heerstraße eine zweck- und besonders absichts- volle Reise zu betreiben hat. Auf frischen, kleinen, abstrakten Wegen wollen wir gehen, die wir selbst noch nicht kannten: und auch auf diesen noch dem Wolkenspiele folgen, den Licht- zauber genießen, und auch dem Dunkel, wenn es reizt, nach- ziehen! Heute aber kann ich unmöglich auch nur flüchtig der Fülle Ihres Briefes antworten! Sehen Sie! Nach Ihrer eigenen Beschreibung der Deutschen, warum mir mitten in Deutschland die Franzosen so reizend sein müssen? Mir, die Sie ganz in Ihrem Gemählde dieser Nation gekonterfeit ha- ben? Ich finde mich außerordentlich getroffen! Adieu. Ant- wort auf alles, künftig! — Wir bleiben noch ungefähr acht Tage hier, gehen einen Augenblick den Münster zu sehen nach Straßburg. Dann be- komme ich einen Brief von Ihnen und Ihrer Mutter; die bleibt wohl noch in Frankfurt. Dann gehe ich auf sehr we- nige Tage nach Karlsruhe, und komme gleich nach Frankfurt. Weil ich glaube, von unserm hiesigen Aufenthalt wird doch nichts. Leben Sie wohl! ich bin in Eil. Sagen Sie Ihrer Frau Mutter alles von mir! Ich bin ihr sehr ergeben, und außerordentlich zugethan! Rahel . Un mot sur madame de Humboldt! comment vous la trou- vez, vous! adieu, adieu! Mille compliments de la part de V. An Ernestine G., in Berlin. Frankfurt a. M., den 17. September Dienstag 1816. Nur ein paar flüchtige Worte, liebe Golda, um Ihnen zu sagen, daß ich Ihren letzten Brief noch in Baden erhielt, acht Tage zu meiner Einrichtung in Karlsruhe blieb, und nun seit vier Wochen mit Doren hier bin, bloß um mich vom häus- lichen Trouble und von der nicht besonders gelungenen Bade- kur bei meinen Freundinnen zu erholen, bei Frau von Schle- gel, und bei einer Französin, die Sie nicht kennen, Gräfin Custine, und um Frau von Humboldt zu sehen, die ich seit zwölf Jahren nicht sah. Ich habe die kleine aber vortreffliche Reise hierher, sehr still und angenehm gemacht, und in dem behaglichen Trostbewußtsein, daß sie ein Fest für Varnh. ist, der mir die Welt zu einem solchen machen möchte, und mir auch den Antheil in jeder Zeile, die ich erhalte, auszudrücken weiß. Ich könnte also ganz vergnügt hier sein, das Wetter auch ist mir günstig: ich habe auch noch unzählige Bekannte aus den verschiedenen Klassen, mit denen ich in munterer freundlicher Berührung bin; und doch hab’ ich auch schon hier Arges erfahren: hauptsächlich (und Sie sollen gleich erfahren, warum ich dies hauptsächlich nenne) bin ich nicht wohl: d. h. ich gehe, fahre, bin angezogen, esse, schlafe auch sogar. Aber wie erwache ich; mit leisen Agonieen; mit Einem Wort! ich habe nie ein Gesundheitsgefühl; und sehe und fühle alle meine Übel sich aggraviren. Dabei bin ich munter und lustig für die Leute; für sie sehe ich auch gut aus; ich sehe mich auch ganz ganz anders: und dann hab’ ich veränderte Freunde gefunden. Dieses Finden fand bei mir zwar keine Kränkung vor, denn diese hab’ ich schon genossen, und mein Herz nimmt keine mehr an. Dies erfuhr ich mit vergnügter, fast stolzer Freude hier — in mir, wo man eigentlich nur erfahren kann — und diese Erfahrung allein wär’ mir die Reise werth, wenn sie mich nicht sonst auf tausendfältige Weise ergötzte; ein Ort, wo man gelebt hat, mit angenehmen Gegenden, ist immer reichhaltig. Weil ich mein Inneres endlich hier so vorfand, und nur anschlage, was wirklichsten Werth für mich haben kann, so nannt’ ich meinen Gesundheitszustand als „das Hauptsächliche.“ Verstehen Sie nun? Ihnen, liebe Golda, schreibe ich dies, damit Sie sich fassen mögen, in Ihrem Men- schenverkehr ein Exempel vor sich sehen von Einer Person, die Sie sehr auszeichnen, mich; damit Sie nicht glauben, ich wolle Sie nur immer trösten, und tröste nicht auch mich. Man kann nicht viel von den Menschen fordern; sie sind alle in zu schlechter Lage; verkehrt in Verkehrtheit hineingeboren; ihre physischen Naturen schon verzwickt, falsch gemischt, und ver- stümmelt; in eine Natur hinein geboren — nicht des Defizits der politisch-geselligen Welt in allem Sinn, zu gedenken — hinein, wozu sie nicht Gaben genug haben sie zu verstehen, und also , zu gebrauchen: wenn die nicht lügen, und prah- len, so ist das alles was man von ihnen fordren kann; weil dies zu leer, ennuyant und albern ist: kränken müssen sie sich untereinander, wie mißverstehen. Wir beide mit einge- rechnet. Darüber aber, müssen wir uns für unsere Rechnung, nicht wegsetzen; sondern, sehr fleißig nachsehen. Welches ich II. 27 hiermit thue; mit diesem Briefe. Ich will Sie nicht auf einen von mir warten lassen, und Ihnen sagen, daß mir Ihr letz- ter sehr wohlgefiel, weil Sie darin meinen letzten so gut ge- nommen hatten: ganz gescheidt, mit eben so einem vollen Her- zen als sonst, sind. Worüber ich mich dankbar freue. — — Sagen Sie Koreff, seit gestern sei ich vergnügt, weil mir Gräfin Custine die Hoffnung gemacht habe, daß er vor dem völligen Winter wohl an den Rhein kommen könnte; da komm’ ich dann zu ihm; er hilft mir gewiß . Auch hat mir die Gräfin gesagt, er habe in Liebe von mir gesprochen! Ich er- wiedre es. — Ihre R. An Varnhagen, in Mannheim. Frankfurt a. M., den 26. September 1816. Donnerstag. — Ich muß mich grämen, wenn du mich so sehr vermis- sest, daß du dein schönes Dasein nicht genießen kannst! Ge- nieße alles, lieber Freund, und bedenke vielmehr meinen An- theil daran: so mache ich es auch. Ich mache es aber auch wie du, ich denke beständig an dich, und gönne mir nichts; oder vielmehr, ich denke beständig daran, wie ich es dir mit- theilen will! und auch sehe und genieße ich wieder für dich mit, und, daß du die Freude hast, mir den Genuß zu ver- schaffen. Dabei gebrauch’ ich ganz die Freiheit des Bewegens der vereinzelten Persönlichkeit. Mit Einem Wort, ich durch- wühle meinen Zustand, und das für dich mit: und so machst du’s auch. Wie sonderbar, daß man auch bei den geistigsten Herzensgegenständen einen Schritt zurück und aus sich her- austreten muß, um sie deutlich zu sehen; heißt hier empfin- den: so sehe ich von hier aus erst von neuem und im Gan- zen die Lage ein, in welche mein Verhältniß zu dir mich setzt. Bei Allen ist es wohl so; aber du kennst mich: mein namen- loses Freiheitsstreben! Jede Nähe — mit allen Gegenstän- den — scheint wenigstens zu beengen; und so muß ich meine Lage manchmal von ferne beschauen, um sie von neuem mit dir an’s Herz zu drücken! Du kennst mich: ich bin dir kein Geheimniß; und die Bedingung, das Element des Glücks in dem Verhältniß zu dir, ist, daß ich dir keins zu sein brauche : daß ich mich eigentlich vor dir gar nicht scheue, den freiesten Beurtheiler an dir habe. — Auch ich sah mir unterwegs die Augen blind nach Mannheim hin, welches ich lange im Abendschein sah, von Heidelberg aus: und fuhr auch dicht vor dem Weg vorbei, den wir miteinander von Mannheim nach Heidelberg gekommen waren, dicht vor seinem Thor. Kutscher, Bedienter, Dore, Alle sahen und zeigten Stunden lang mit! Lieber Liebhaber, Gott segne die Kour, daß es keine Ehe werde! dumme Geliebte sprechen umgekehrt. Dies soll Tettenborn lesen, weil er’s goutirt. Wie es da steht mit seinen Augen. — — Heute gehen Custine’s bis Heidelberg, wo sie morgen die Bilder sehen; sie wollen über Karlsruhe und Straßburg nach Paris. — Gestern Mittag speiste ich zuletzt bei Hum- boldts mit ihnen; wo Humboldt sich eine ganz neue Haut von wahrhafter Liebenswürdigkeit angezogen hatte. Gestern erreichte es nur seine Höhe, denn eine ganze Weile finde ich 27 * ihn schon so geschält. Er beherrschte ganz allein, und nöthig, und mild das Gespräch; ließ nichts Steifes, nichts Dummes aufkommen: ist in gleichem Ton mit Hausleuten, Gästen und Kindern; sagte unaufhörlich komisch-Frappantes, aber nicht wie im Winter und Sommer, aus tiefer Langweil, und in deren dennoch harten, ärgerlichen Tinten; diese alte Überzeu- gung der Dinge hat bei ihm eine wieder neue Wendung genommen; er ist von der tiefsten, sorgenlosesten Aufrichtig- keit über alle Gegenstände, und dies’ giebt seinem Benehmen und Sagen eine wahrhaft mild-heitre Grazie. — Mich dünkt, er hat mehr Verstand als je. Oder hab’ ich mehr. Wir beide sind auch ganz weich, ganz leise, ganz milde, ganz wahr, und ganz weit, weit vorwärts in unsern Äußerungen mit einander. Den Abend fand ich ihn noch wieder bei Gräfin Custine: eben so. — An Varnhagen, in Mannheim. Karlsruhe, den 19. Oktober 1816. Morgens 10. Uhr. — — Ich habe alle Besuche endlich sitzen lassen, mich angezogen; ging mit den Gedichten zu Frau von W., wo alle Thüren zu, und keine Klingel waren!! — — Sie machte mir einen unverständlichen Mickmack wegen der Plätze. Sie hatte mir aber die vortrefflichsten, in des hannöverschen Ge- sandten Loge sehr gute, verschafft; vordere im ersten Rang. Nachher sollte sie bei mir, oder ich bei ihr Thee trinken: aber sie ließ mir absagen: sie läge schon mit Migraine. Dore sah aber um 10 Uhr den Schaden mit Licht über den Hof leuch- ten! — Die Großherzogin sah mich so an — ich war zwei Logen von ihr — daß ich sie nicht ansehn konnte: Madame de Walsh war mit ihr und der Großherzog. Es war nicht gepfropft voll. Von der Catalani mündlich. Ich kann nur mit äußerst gerechten Menschen und den außerordentlichsten Kennern von ihr sprechen. Sie hat nur Eine Sache gemacht, die ich noch nie hörte — und die mir niemand zu bezeichnen wußte: ich kann es mündlich. Die Schlegel sprach mir da- von, aber nicht zum Verstehen . Dann hat sie noch Eins außerordentlich gemacht, welches ich aber schon kannte. Der Milder ihre Stimme (sage ich) ist schöner. Sie ist eine größte Sängerin, hat aber weder komische noch tragische Einfälle : und das hab’ ich schon erlebt . Die Stimme und die Keh- lenfertigkeit ist größer , als die Seele, beherrscht diese , und nicht diese jene; wie zur höchsten Kunstharmonie nöthig. So viel nur! Sie kommt heute auf den Museumball, wo ich sie sehen will. Auch die Großherzogin kommt hin. Dieser Brief nur , weil ich ihn versprochen habe. Er kommt einige Stun- den früher, als ich. — — An Auguste Brede, in Stuttgart. Mannheim, Sonnabend den 9. November 1816. Was sonst mein Gräuel ist, daß heute kein Theater ist, erfuhr ich diesen Morgen mit Vergnügen, weil ich mir fest vorgenommen hatte, heute schreibst du ihr! Als ich eben nun wußte, du kannst den Morgen in die Luft gehen — sie war die beleidigendste Novemberluft — und wirst den Abend einen Augenblick haben — da tritt Robert mitten in mein Waschen, mit Ihrem Brief herein, und lies’t mir, Sie würden Ende des Monats mich besuchen!! — nun brauche ich ja gar nicht zu antworten, gar nichts zu erzählen. Liebe Gustelette! Nun hören Sie nur, wie ich es mir bis auf jede Kleinigkeit ausgedacht habe! — — Die andere Woche werden wir, denk’ ich, nach Karlsruhe reisen. Wie kommen Sie auf den Ge- danken, daß ich mit Robert in Darmstadt war, als Sie dort waren? Ich war vor fünf Wochen, als ich von der Frank- furter Messe allein zurückkam, einen Abend und eine Nacht dort. Von keiner Brede war nichts zu sehen und nichts zu hören! — Den jungen Gern im Gegentheil sah ich dort den Richter in den Quälgeistern spielen. Gut, würd’ ich sagen, hätte ich nicht zu Anfang seiner Laufbahn in Berlin gesehen, daß ein wahrhaft Talent zu einem rechten Künstler in dem Menschen sitzt — er spielte damals einen Bedienten in Shake- speare’s Julie und Romeo, wie ein Franzos, ein Italiäner, kurz eine luftige Maske aus aller Zeit , mit Leichtigkeit, Einfällen, Grazie, und was am meisten zu bewundern war, vollendeter Gewandtheit, ganz selbst erfunden, ganz idealisch gehalten; und wahrhaft komisch. Jetzt ist sein Talent rein weg verschwemmt, vom Zusehen Anderer Elendigkeit, Künste- lei, und Nüchternheit, und Verlegenheit darüber, die sich zur Manier ausgebildet hat; er, ein treuer, fleißiger Nachmacher von Iffland; so daß er mit all dessen Fehlern vor einem steht, und man beim Überlegen doch das etwa Beste an ihm, nicht ganz gefunden hat. Dieser wenig begabte Pedant hat nicht allein der Berliner, sondern den deutschen Bühnen gro- ßen Schaden zugefügt, bei mancher Ordnung der Scene, und gesellschaftlichem Vortheil ihrer Mitglieder; und mich verfolgt er noch nach seinem Tod!!! Muß ich nicht rasend werden, — Wien nicht ausgenommen, — auf allen Theatern Deutschlands Einen zu finden, der ganz wie er spielt, schnarrt, glupt, spricht, die Hände dreht, fingerirt, pausirt, einzelne Worte mitten vor oder aus einer Phrase wie verlorne Schildwachen hinaus schickt, und als solchen ihnen keine Lebensmittel, d. h. keinerlei Accent und Beziehungston mitgiebt, es dem Hörer in seiner Verlegenheit überläßt, was sie damit machen sollen, und diese Verlegenheit noch für künstlerische überlegte Absicht ausgeben will. Solche verfolgen mich noch , wo ich ihn schon lange vergessen hätte, und hetzen den alten Ärger wieder in mir gegen ihn auf. Woran liegt es, daß das Falsche viel mehr um sich greift, Nachahmer, Vertheidiger, und Lobredner findet, als das Ächte? frag’ ich mich ewig: und fragte es erst diesen Mittag, als ein kluger, siebzigjähriger Célibataire, der weichmüthig und liebenswürdig ist, den legitimen Kindern, der Ehe, und all dergleichen auf’s willkürlich-unvernünftigste das alte Irrwort redete! Wie kommt’s? Da Ächtes Wahres ist, und Wahres viel einfacher, als Lügen und Irrwege des reinen Denkens. So herrschte Iffland; nicht durch sein Bes- seres, durch sein Schlechtestes. So will man mich jetzt gelten lassen, da edler Unwille in seinem Muth sich nicht mehr zeigt, und mehr dergleichen in mir; und in meiner reinen, unschul- digen Jugend war es gefährlich mit mir umzugehen! — Aber reizend, zum Glück! Nun ich auf mich gekommen bin; ge- nug! Das Theater amüsirt mich hier genug! („Ziemlich“ gefällt mir nicht: und „sehr“ auch nicht.) Müller ist oft sehr gut, Heck ganz vortrefflich. Mayer manchmal gut, nie eine Rolle durch; er hatte gewiß das Unglück, zuerst in Kostüm und nicht in Konversationsstücken zu spielen; um dies zu verdauen, gehört ein kräftiger Talent. Nämlich, reichere, gewandtere Einbildungskraft, ein schwerer Herz. Seine Stimme hat Töne, seine Gestalt einen schön gestellten Kopf: auch hat er einen Blick. Sontag ist in italiänischen Opern sehr gut. Eine Dlle. Pohlmann, recht sehr viele Anlagen; sie singt nie schlecht, könnte vortrefflich singen, ist hübsch, nicht ohne Sinn, nie ge- mein, sehr jugendlich. Diese alle zusammen machen, daß ich meist hinhören muß; die Stücke beurtheile, belache, beweine ich auch. Das Haus gefällt mir ungemein, ich kenne kein angenehmeres, den Eingang schon mitgerechnet, der großartig ist, unsere Loge ist mir bequem; kurz, das Theater werde ich in Karlsruhe vermissen. Mlle. Beck hat sich sehr gebessert. Sie spielte eine Herzogin in Ubaldo, wo ich sie mit zu dem Größten rechne was ich sah; sie spielte auch Lady Milford vortrefflich, und die Scene, wo sie den Major erwartet , besser als Sie und die Bethmann. Das ist kein Spaß. Die Schuld spielte sie in der letzten heftigen Manier der Bethmann nicht im geringsten knechtisch nach: da würde mir auch die theuer geliebte todte Herzensfreundinn nicht gefallen haben. Dies sag’ ich so gerührt, als sagt’ ich’s ihr selbst dahin wo sie ist! — Im Schutzgeist sang sie im hohen und tiefern Lei- terton die ganze ewige Rolle sentenzisch donnernd her. Dies begriff ich nicht, nach solch einem Spiel, wie in Ubaldo??!! Das frag’ ich sie aber. Rebenstein ist ein Exempel. Ein Exempel, wie die mensch- liche Natur in einem Menschen ausgerottet werden kann; wel- ches man sonst nur bei mißhandelten Sklaven sehen soll. — Unser geliebter Tieck behauptet, alle Menschen haben mimi- sches Talent in sich; ja, sogar die Thiere: und er hat Recht. Wo käme sonst alle National-Gebärde, Ton, und Benehmen her? Wie so sänge der Sachse, schnarrten und schnaufelten wir, drückte der Schlesier u. s. w. In Rebenstein ist der Quell alles Nachahmungsvermögens rein verschüttet, durch lauter Lehren von dem, was nicht existirt: er sah die ganze lichte Welt nicht mehr, und nur seinen Lehrer, und auch den in völlig blindem Glauben bei ganz geschlossenen Sinnen: nun ist er auch vollkommen Marionnette, trotz Fleisch und Blut; wenige Gebärden, wenige Töne, ohne alles Leben. So et- was ist mir nie vorgekommen: dies konnte nur Iffland ge- lingen; und diesem nur bei Rebenstein. Alles ist Negation bei ihm; zum Glück hat er die Knochen erhalten, daß die wohlgemachten Mäntel haften. Ein Wunder ist der ! Ich bin ganz entzückt, daß er sich außer Berlin zeigt, der Lieb- lingslehrling seines verstockten Meisters. Verstockt war Iff- land in seinem Direktions-Glück, unter dem Götzendienst, ge- worden. Und nun ruhe er selig! Ich bin ihm nur in Andrer Seele böse, wo sie ihm so Unrecht thaten; und den armen Rebenstein bedaure ich wahrhaft. Der arme hübsche Mensch war ein Opfer. Die Catalani hab’ ich gehört; davon mündlich! Ihr Enthusiasmus freute mich! — Adieu, Liebe! Ihre Rahel. Thun Sie mir den einzigen Gefallen, Herzensguste, wenn Sie diesen Brief gelesen haben, ihn gleich an Markus nach Berlin zu schicken. Schreiben wird mir so schwer; man läßt mich von des Morgens im Bette so wenig allein, daß ich Gott danke, wenn ich einen Brief fertig habe. Markus amü- sirt das Theater, mein Leben, und alles was hier steht. Ich grüße Alle. Robert ist sehr fleißig neben mir an (nicht eben jetzt): wir Alle eigentlich vergnügt hier bei den besten Wirthen, die uns gar nicht weglassen wollen. Mit Koch, Pferden, Loge. Gott segn’ es ferner. Adieu. Eure R. Der ältesten Schwägrin ihr Leiden kränkt mich sehr, da mein physique mir ihr Leiden deutlich macht. Künftig mehr. An Astolf Grafen von Custine, in Fervaques. Mon-endroit, Dienstag, den 17. December 1816. Gestern, lieber Astolf, in der größten Einsamkeit, Mor- gens war Mad. Brede abgereist, es stürmte wie auf dem Meere, kein Mensch öffnete meine Thür, von jeder Seite sind zwei Zimmer bis zu meinem leer, alle sehen nur über Dächer weg; meines geht nach unserm Hof, wo ich über Seitengebäude nach einem Wald, Fasanerie genannt, sehe; aber vorher mit meinen Augen erst vor einem kleinen Nachbarsgarten vorbei muß, der bis jetzt allem frühen Schnee, dem ungebührlichsten tobendsten Sturm, und allen Sorten von wüthendem Regen, Reif, und Frost widerstanden hat, und unbefangen seinen grü- nen Boden zeigt, in der größten Sommerordnung, in gradge- zogenen Salatstreifen, oder sonstigen Küchenkräutern, die ich nicht ganz unterscheiden kann. Dieses Gärtchen, und vier bis fünf Sonnenblicke, die ich, seit ich hier bin, theils auf den Wald fallen sah, und theils auf die Thürme, die ich aus mei- nen Vorderfenstern sehe, kann ich schwören, ist alle Sinneser- frischung, die ich hier genoß; diese Blicke knüpfen mich an mein voriges Leben, und dieses nur bringt mir noch eine sinn- liche Ahndung von Zukunft hervor, und auch wie ein Hell- und Dunkelschein, schnell durch die Seele ziehend. Dieser Um- stand erinnert mich an die Geistesaufschlüsse, die Jakob Böhme beim Anblick eines blanken zinnernen Tellers gehabt haben soll; welches mich schon vor fünf oder sechs Jahren, wo ich es zuerst hörte, nicht wunderte, weil ich von jeher Ähnliches in mir erfahren hatte. In Beziehung auf meinen Zustand, und meines Gärtchens hier, freute es mich zwiefach, in Ihrem Briefe zu lesen, daß Sie in Ihrer Normandie, in Ihrer Ein- samkeit, eines ähnlichen Anblicks genießen; der Ihnen auch Ähnliches — wenigstens — in der Seele aufregen muß. Solches nun, und die Briefe, die ich hier erhalte, erregen mich auch hier nur allein, Und nun kein Wort mehr, von meinem Aufenthalt, von Schicksal, und all solchen Dingen! Ich habe es mir bis zur Eoidenz durch mein langes Leben durch, erör- tert, daß es stärker ist, als wir, und alles; und unterwerfe mich nun, wenigstens stumm. So sehr lange mein Recht ihm zu beweisen, ennuyirt mich auch bei dieser hohen Person: und ich habe schon längst im Scherz gesagt, und im Ernst ge- meint: „Ich stelle mich den jüngsten Tag nur um mein Un- recht zu vernehmen, zu büßen, gut zu machen; das was mir geschehen ist, ist mir zu verjährt.“ Zu lange muß nichts dauren, was nicht schön ist; je suis trop blasée sur ce qui me déplait. Unser Schicksal ist eigentlich nichts, als unser Karak- ter; unser Karakter, nichts, als das Resultat in aktivem und passivem Dasein, der Summe, und Mischung all unserer Eigen- schaften, und Gaben. Das sind wir — am tiefsten genom- men — selbst: und was ist daran zu ändern? oder vielmehr, wir selbst können grad daran nichts ändern. Der Zeitpunkt, in den wir nun mit unserer Persönlichkeit fallen, ist wieder ein fest gegebener; eine solche Mischung — wenn Sie wollen — im Größern. Deren, und unserer Person Aufeinanderwir- ken nennen wir Schicksal; dem, können wir wirklich nur zu- sehen, und unser Agitiren, ist nur ein illusorisches. Das Git- ter woran wir ewig mit dem Kopf stoßen, eben weil wir eine Aussicht hindurch haben; ein Witz der höheren Mächte, uns zur Entwickelung eines ethischen Daseins gegeben. So expli- zir’ ich mir die Sache: und verstehe leicht und willig, die Er- klärungsart jedes Menschen, wenn er’s nur ehrlich und gut meint; weil sie doch alle auf Eins, auf Unterwerfung in’s Un- begreifliche, hinauslaufen; mit dem wir uns bei der verliehe- nen Begriff-Fähigkeit nicht begnügen können, und ohne sie, nicht Einmal etwas vom Unbegreiflichen wüßten. Sie auch, lieber Freund, schrieben mir in einer andern Tonart dasselbe; muß man nicht immer nach der Tiefe hin? Aber mit ihr al- lein kann ich nicht leben; wäre meine Seele weniger umfan- gen, getragen von einem Meer, einer Atmosphäre von Ruhe und Klarheit — die ich nicht bin und nicht mache: die ich mir andern Orts erworben haben mag — so müßt’ ich sterben wollen für diese Tiefe; ich bin aber in’s Leben gestellt mit al- len meinen Sinnen, und vermag durch sie hindurch zu füh- len nach unendlichem Genuß der Dinge und meiner, und des Daseins, mir bekannt, und freundlich, und intim, durch sie, und diese Welt, und beider Bewegung: die mir auch eine gott- gegebene bleibt, so gut als diese Zeit eine Ewigkeit, und schon eine Zukunft, so gut als die zukünftige Zukunft; ich lasse diese Welt nicht ohne Schmerz, und nichts in ihr. Bin ich zur Buße hier, so ist sie das; aber meine Anweisung , die Mög- lichkeit, auch hier zu leben , verlass’ ich nicht . Es kann hier unendlich alles gelingen: und es giebt sehr gelungene Menschenleben, im Leben — nicht im Lassen des Lebens — von denen wir nichts wissen und erfahren, oder es nicht be- achten. Auch ist die bloße Möglichkeit ganz genug. Schöne harmonische Gaben gehören dazu — wir wie ich uns beschrieb — gestellt in harmonische rein wiederklingende Lage. Klima, El- tern, Land, alles mitgerechnet. Womit hab’ ich mir, zum Beispiel, hier wohl das Glück verdient, von dem ich vorhin sprach, mich ohnerachtet aller Geisteszweifel und Fragen, die wir nicht befriedigen können, und ich nie mit stupider Will- kür hemme, mich wie auf Meeren von tiefster innrer Ruhe getragen zu fühlen: als regiert’ ich mit . Ein solch Gefühl zu haben, das bracht’ ich mit ; das ist alter Erwerb: und sollte man nicht hoch und reich begabt auch hierher kommen können? Solchen Unterschied denk’ ich mir auf keiner Stelle, des un- endlichsten Geistes Schöpfung. Allent halben ist ein ewiges Entwicklen und Sein; Leiden, Wissen, Werden, Genießen; und Höllenpfuhle, wie Paradiese, können allenthalben und zu allen Zeiten entstehen. Tragen wir nicht alles in der ewigen, verliehenen Seele ? Unendliches können wir erfahren! und kein Gehäge, kein Bollwerk, kein refuge, von uns erfunden, wird halten. Sehen Sie, wenn ich anfange zu schreiben, hör’ ich gar nicht mehr auf; das nenne ich vom Schicksal nicht mehr sprechen. Drei Seiten! Jedes Wort, welches ich nicht französisch schreibe, geht mir durch die Seele, weil es dann nicht an Mama gerichtet scheint: Sie übersetzen ihr aber alles! Dies mit meinen Brie- fen vorgenommen, ist das größte exercice, deutschere, konfu- sere giebt es nicht; Bärstecher hilft! — Adieu, lieber Graf! Nun schreibe ich ehstens Mad. Schle- gel. Das Blut steigt mir so nach dem Kopf. Mir müssen Sie Schweigen nach entsetzlich Plaudern nicht übel nehmen! Die Fervaquer haben meine treuste Liebe und Freundschaft für’s Leben ! R. Ihren Brief goutirte ich sehr! Mehr solche! Schreibt Wilhelm? Mahlt Mama? Ist sie wohl ? nach Karlsbad? An Karoline von Woltmann, in Prag. Karlsruhe, den 7. Januar 1817. Trübes windiges, warmes Wetter. Alles Gras ist raus: gestern setzten die Leute schon ihre Ertofflen in die Erde: in Markgraf Ludwigs Garten kommen die Spargel schon aus der Erde: ich ging gestern vor einer Laube vorbei, die mir grünlich schien; ich trat näher, und es war Jelängerjelieber, wo ich mir einen Zweig abriß, an dem die grünen Blätter aufgebrochen waren: wie das ganze obere Dach der Laube. Dabei heizt man doch frisch ein, und hat Winterabende; unerträgliches Wetter, und mir äußerst schäd- liches: weil man in nichts mehr als in Nebel lebt. Dies das Datum. Ich habe wohl Ihren Brief in Frankfurt erhalten, der mir sagte, daß Elischen Reymann todt sei; das Kind war ein Mensch : und mir gestorben wie ein erwachsener. Eine feine Seele voller Rücksichten. Nichts liebte es so sehr, als Grünes; das Freie, den Garten, Blumen. Und mit emotionirtem Er- röthen erzählte es mir am liebsten von des Vaters Gut, und Schloß, und Garten; und lud mich dahin: glaubte fest, ich müsse dahin mit. Ich denke an dieses verstorbene Kind wie an andere verstorbene Freunde: es lebt noch mit mir. Ich bedaure nicht, daß es nicht mehr lebt; obgleich mich sein Tod sehr traf. Diesen Grabstein wollt’ ich ihm bei Ihnen setzen! Schreiben, sehr brave Freundin, kann ich auch heute, nach einem Jahre, nicht. Es war ein gestörtes: voller kleiner Rei- sen, kleiner Bekanntschaften; kleinem Einrichtungsungemach; mit großem von jeder Erdenart drunter. (Eben jetzt ärgert ’ ich mich schwer , und habe auch den Faden, wovon ich die- sen Brief weben wollte, in völliger Nervenzerrüttung — ich nenn’ es immer les nerfs renversés — verloren.) So wie wir uns sehen ! soll alles herauskommen! und gleich so, als hätten wir uns ununterbrochen gesehen. Ging es ja, als wir uns zum erstenmal sahen, und noch gar nicht gesehen hatten. Schreiben nur kann ich nicht: ohne das Unendliche zu schrei- ben; besonders da ich noch eine gezwungene nach allen Seiten hin gerichtete Korrespondenz habe: Nerven, die kein Federfüh- ren mehr dulden wollen; und keinen Augenblick, der mir ge- hört. Dies letzte ist Leben tödtend ! In der Art ärgerte mich eben jetzt einer bis zu Krämpfen . Diese meine Nerven nun, und dies Letztgenannte, ist die Säge, die mir schmerzhaft in jedem Augenblick das Leben todt sägt ; ohne daß ich den rechten Ruhetodt davon erlangte. Dabei hab’ ich noch meine lebenvolle Natur in mir; also vielerlei momentane, unnennbare Genüsse, die aber immer seltener werden; und diese Natur, die Glück bringen könnte, und einzig fordert; ist meine Folter . Sie sehen, wie ich in und nach dieser Störung schreiben muß! Sie ergänzen sich gewiß mein Leben, aus Ihrem! Leidet Wolt- mann diesen Winter auch so? Wo waren Sie im Sommer? Wohnen Sie noch auf dem Hradschin? Setzen Sie Ihren angefangenen sehr schönen Roman fort? Waren Sie in Tö- plitz? Die hiesigen, von den Hiesigen so sehr gelobten Berge, das überlobte Baden-Baden, sind nichts gegen Böhmen , Töplitz, Karlsbad, Prag ! der Ort hier eine kleine Residenz ; keine Hauptstadt, eines hauptlandes. Also nicht viel zu ho- len: außer für Leute, die immer holen; und also doppelt ver- missen, daß ihnen nicht auch Vieles und Neues, und materiell Großes vor die Augen tritt. Solcher bin ich: ich hasse Ein- samkeit; muß Ruhe haben, und will leben sehen. Mein Leben ist mir weit weggekommen: es ist und war nur ein Be- schauen, Urtheilen, und Helfen. Man irrt sich am längsten über sich. Doch ist Bildung aller Art, und Luxus hier: wie in jedem Winkel Deutschlands: und in Pausch und Bogen lebt man wie allerwärts. Thee, Meubel, Blumen, Petinet, Be- Besätze, Bälle, Orden, rasselnde Wagen, Divans, „gebundenes Gespräch“, „trauriges Spiel“, Komödie, Redoute, Boutiken; Jammer, Neid, Betrug, Lüge, Wohlthatsvereine, Mitleid, Kirchen: ꝛc. Vier Messen war ich in Frankfurt: noch im Sep- tember, wo ich Schlegels viel sah. Ihn muß man dringend, und mit Kopf anreden; dann kommt die Wahrheit klar her- aus: oft dacht’ ich schon: er hat wahrhaftig Recht! Sie ist voller Aufrichtigkeit, heiterer Güte, und auf eine Art befan- gen, die ehrlich ist, und die man gerne respektirt: durchaus liebenswürdig, und ganz klug dabei; ich liebe sie sehr! — Haben Sie F. neuste Blätter gelesen? Ich nenne es Blät- ter, weil es absolut kein Buch ist: nur wie ein Kopf, aus dem sich dereinst eins gestalten sollte: und, so genommen, ungemein interessant. Ärgerlich aber, und nervenkrieblend im höchsten Grad; da er den Geist sabbern läßt: ein Mensch, der so vielen hat: voller Einfälle ist, sich des weiter Denkens, des tiefer Schauens gar nicht erwehren kann; den die heuchleri- schen, faulen, nichtigen Modebehauptungen, und Sprache an- ekelt wie mich; und der ihr nicht zu entgehen weiß! Was ist das für ein ganz neues Wahnsinnrad in einem der besten Köpfe, voll Natur ? Ich aber merkte seinen Sparren längst: in einem früheren Büchelchen: wo er über Geschichte — was sie ist — im höchsten Sinne sprach; klarsinnig, und natur- verwandt und kundig, und mit einemmale, am Ende des Schriftchens, durch einen unwillkürlichen unvermutheten Sporn- schlag, sein Flugpferd herumreißt und mit Mann und Roß in den Glauben setzt . Da war er! Keine Replike war mög- lich: das Buch aus. Da hätte ihn einer packen sollen; und II. 28 vor Gott in die freie Natur mit seinem innersten Wesen stel- len sollen! Aber man irrt sich; ein falscher Ton muß wieder- kehren; man stimmt Menschenseelen nicht um wie Harfen und Orglen! Varnhagen sagt, er habe Ihnen zuletzt geschrieben; ich schrieb nicht mit. Nun hab’ ich zuletzt geschrieben! Mlle. Benda, die als Schauspielerin nach Prag kommt, aus Kabale hier weggekommen ist, wünsche ich Ihnen zu empfehlen. Sie ist unsere Landsmännin. Seit ich auf der Flucht und fremd war, empfehl’ und empfang’ ich gerne jeden Fremden. Sie verdient es: sie ist wohlerzogen, brav. Sein Sie freundlich gegen sie: rathen Sie ihr in allem! — Kleinem: es wird ihr unendlich wohlthun! Sie war hier eingelebt, und sehr be- liebt: sieht nur jetzt etwas schlimm aus. Ihr Talent wird sich bald durch ihr Spiel darthun. Ich grüße herzlich Woltmann! Varnhagen Sie beide! Ihre alte wie Sie mich kennen Rahel. Bald kommt Frühling und Veilchen! Ich pflücke Ih- nen eins! Mein Prager Bruder Ludwig ist gestern nach Stuttgart gereist, kommt in einem Monat wieder zu mir. Ich habe viele Leute kennen lernen. Wangenheim, Rückert. Franzo- sen. Alles! An Troxler, in Beromünster. Karlsruhe, den 8. Januar 1817. Frühlingswetter: in diesem Augenblick nicht ganz unange- nehm: im Ganzen nicht gut, und ungesund: für die Nerven . Lieber Dr. Troxler! Sie schreiben ja nicht ein Wort von Mad. Troxler und den Kindern? Sind sie ganz blühend? glücklich, behaglich auf dem ländlichen Sitz? Etwas davon müssen Sie immer melden. Ihre Gesichter, Mienen und Teints stehen alle vor mir! Ich meine da die Mutter in allem mit. Rahel lächelte schon, als man ihr von Ihnen las, sie würde wohl lächlen! Ich gestehe doch aber zu, für den ersten Blick haben auch meine Blätter nicht das Ansehen, von einer Frau herzurühren: aber will man sie, bei einem zweiten, einem Manne zuschreiben, so geht das noch weniger. Welch ein Dich- ter müßte das sein, eine Personnage in der Art lyrisch auf- zuführen! Selbst die ganze Polemik in ihr ist ein Seufzer, der nur Gedanken aufwühlt, und herumwirbelt, weil er sie als Nachbarn vorfand. Hier und da, that solches Goethe, und Shakespeare. Hamlet, Aurelie, der Baron in den Wahlver- wandtschaften, Faust, sprechen manchmal so: d. h. ganz an- ders, und doch so! dies fehlt den letzt erfundenen Personnagen Schillers ganz . Es ist nicht uninteressant, einen sonderbar geformten Menschen, wenn er wahrhaft ist, über sich selbst zu vernehmen: drum enthielt ich mich hier meines Ausfalls nicht! Wenn Sie vergnügter lebten ! Und ich auch! Käme Ihnen nur mehr Vergnügen , Aufmerksamkeit Erregendes! 28 * — man pflegt Zerstreuendes zu sagen — von außen; wobei man faul sein darf: ich will sagen recht innerlich thätig. So ist’s bestimmt im Himmel; hier bringt man seine Tage in lau- ter Zubereitungen um; und findet zum öftersten das Viertel- stündchen Ertrag nicht. Was recht wider natürlich ist, nennt sich Pflicht , und hat Götter und Menschen für sich, und wider uns. Was ich sagen kann, kommt mir dumm, spielhaft, über- flüssig vor: besonders seit ich F’s Buch gelesen. Er sagt kunst- los, und ungeordnet alles darin. — Hätte er das Buch be- titelt: „Menschlicher Kopf, wie er ist, vor Gebärung eines Buches“, und hätte es vorsätzlich so geschrieben, und das Ver- renken des Geistes, und alles Geistigen nach dem positiven Glauben hin, ausscheiden können, mit noch anderm Willkür- lichen mitten im Gedachten, so wär’s ein Meisterstück. Lesen Sie’s? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Gesichte, das ist im Leben die Haupt sache, wenn es nicht die einzige ist: nämlich wenn man sinnenklug dabei ist. Adieu. Ihre R. An Astolf Grafen von Custine, in Fervaques. Karlsruhe, Donnerstag Mittag den 16. Januar 1817. Ziemlich heiteres Wetter. Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava- ter. (Unten am Titelblatt steht:) Manuskript. — Dies Bü- chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad Nü- scheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge- halten zu Kloten, Dienstags, den 18. Weinmonats 1791. Text: aus dem Briefe des Heiligen Paulus an die Römer, dem XII. Kapitel, Vers 12. „Seid fröhlich in der Hoffnung — geduldig in der Trübsal — verharret im Gebete!“ Diese Traupredigt ist nun sehr groß, und obzwar weitläufig, und für schwerverstehende Menschen abgefaßt, wie mir’s scheint, voller schöner Gedanken, oft sehr schön und ursprünglich aus- gedrückt: so spricht er auch lang und breit, möchte ich sagen, und sehr schön über’s Gebet; ich fand diese vortreffliche Stelle; und dachte gleich dabei, daß ich sie für Sie abschreiben will, vor ungefähr vierzehn Tagen, als ich sie las, da ich Ihnen das Buch nicht schicken, Sie es wahrscheinlich nicht haben kön- nen; mir hat’s ein Freund von Lavater geliehen: der Kirchen- rath Ewald hier: dem Lavater noch auf den Titel mit eigener Hand schrieb; die frappant der meines Vaters gleicht. Hier ist die schöne Stelle! — wo gleich hinterher noch vieles über’s Gebet nachkommt, dem ich nicht beipflichten kann; welches aber sehr in Ihrem Sinn darüber ist. Sie können denken wie es mir auffiel in Ihrem letzten Brief, — den ich vor drei oder vier Tagen richtig nach sieben Tagen seiner Geburt er- hielt —, da ich Ihnen in der Antwort, die ich Ihnen schon auf einen schuldig war, die Stelle die hier folgt schicken wollte: „ Verharret im Gebete ! Soll ich dies Wort erklären? Ist es nicht überflüssig, dem Weisen zu sagen, was Weisheit sei? den Liebenden zu belehren, was Liebe — und dem Beter zu erklären, was Gebet sei? — Dennoch hört der Weise gern von Weisheit, der Liebende gern von der Liebe sprechen, und der Beter gern vom Gebete.“ „O Ihr wisset es, Ihr redlichen Beter, auch wenn Ihr eben nicht gleich dieselbe wörtliche Erklärung davon gäbet, die ich allenfalls zu geben wage — Ihr wisset es — das Ge- bet ist ein Streben der Seele nach dem Urheber der Seele — ein inniges merkbares Bedürfniß des Geistes nach dem Vater der Geister, eine spürbare ausdrucksuchende Regung des Glaubens, daß ein Gott sei, und daß er denen, die ihn suchen, ein Belohner sei — eine Darstellung seiner selbst vor dem unsichtbaren Urheber alles Sichtbaren und Unsichtbaren; eine eben so einfältige, als höchst kühne Eröffnung seines innern Sinnes gegen den Vater, der da ist über alles, durch alles und in uns Allen — oder gegen den, welchen die allerglaubwürdigsten Zeugnisse für den Stellvertreter dessen, den kein Mensch gesehen hat, noch sehen mag , erklären, für den einzigen Mittler zwischen Gott und dem Menschen — dem der Vater alles, alle Men- schen und aller Menschen Schicksale und Angelegenheiten, übergeben — eine demüthig muthige Äußerung aller seiner Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, an den allwissend geglaub- ten, allgenugsam geglaubten, väterlicher als väterlichgesinnten Gott, der gleichsam ein Bedürfniß hat, sich allen gottesbedürf- tigen Seelen zu offenbaren und mitzutheilen — eine Offen- barung seines Willens und seiner Willenslosigkeit vor dem Alleinweisen und Alleinmächtigen — Gebet, du bist die Geistes- und Herzenssprache des Menschen mit dem Vater und Könige der Menschheit — und die Summe aller deiner Regungen ist, entweder: — Vater! es ist dir alles möglich! nimm diesen Kelch von mir ! — oder: — Nicht mein, sondern dein Wille geschehe !“ Die Stellen, lieber Astolf! die ich unterstreichen werde, haben mir in dem abgeschriebenen aus Lavater am besten ge- fallen, und um derentwillen schrieb ich ab, was hier steht, und sonst seinen Zusammenhang verloren hätte. Was er weiterhin noch über dasselbe sagt und empfiehlt, ist mir sehr fremd, und wird Ihnen sehr gefallen. Ich kann nach Ihrem Briefe nun- mehr Ihnen beiden antworten: daß ich’s nicht verstehe, wie man sich mit Bedacht zu irgend einem Seelenzustand, mit Geflissenheit oder Willkür, stimme! Nur zu einem Guten in der Welt muß man sich zwingen, und nur das Eine bleibt, meines Bedünkens, auch erzwungen noch Gutes. Zum Recht thun nämlich. Alles andere läßt sich bei mir wenig- stens gar nicht erzwingen. Am allerwenigsten das Gebet; das Gebet durch Gebet. Dieses Ausströmen der Seele! Wo sie losgelassen sein muß von allen Gedanken, und Banden des hiesigen Daseins ; welche ihr nur Angst oder Entzücken , Berührung Gottes durch allen Weltdrang durch, abstreifen können! Jeder Gedanke hemmt alles Gebet; ist selbst ein Gebet auf andern Wegen unserer Seele entströmt; oder halten Sie die übernatürliche Gabe — Kraft Macht, Fähigkeit — denken zu können, zu müssen , nicht eben für ein Band zwischen uns und dem Höchsten, was wir zu fassen vermögen? Unsere hiesige Gefangenschaft, Lehrschaft, spaltet diese Gaben der Zeit nach, und scheinbar dadurch, der Art nach; ist nicht eine so wundervoll, prachtvoll und furchtbar, und zum nicht zu fassenden All hireichend, als die andern ? Wenn wir denken, können wir nicht beten, und unterhalten wir uns dann weniger mit dem höchsten, alles verstehenden Geist? Ist Gott fragen, oder zu ihm beten, nicht Eins? Wenn auch das Eine mehr ein Genießen, ein Seligsein? Kann ich mir kindisch den höchsten Geist denken, wie ich selbst nicht mehr bin? daß er gelobt, gepriesen, gehal- lelujat sein will? Verstehen, begreifen muß ich ihn; immer mehr von ihm, durch ihn wissen; empfinden muß ich ihn; mit ihm sein können; so viel als möglich; immer mehr ! Wenn meine Thätigkeitskräfte sinken, die Verständnißgaben nicht mehr hinreichen, nichts mehr das Innerste von uns, das Herz, erleuchten, ihm antworten, es beruhigen kann: wenn wir erliegen in Entzücken oder Angst, dann strömt das Gebet! Ein anderes, als das uns aufgegebene Dasein hebt an, wir haben eine augenblickliche Kraft, eben weil die andern Kräfte schweigen, aufzufahren, ohne hiesige Bedingung. Kurz, es ist dumm und frevelhaft, vom Gebet und seinen Erhörungen zu sprechen, weil wir eben durchaus zu einem andern Dasein, zu einer andern Thätigkeit ausgestattet sind. Ganz anders; ohne Sinne, Glieder und Verstand, wären wir; sollten wir nur beten: und beten, anstatt ringen, denken; ja, sogar thun. Beten stärkt, erhellt die innere Richtschnur. Ein Gedanke an Gott ist beten. Heilige, fromme, ernste, rechtliche Vorsätze sind beten. Gründlich, recht, angestrengt, ohne Eitelkeit tief nachdenken, ergründen, ist beten. Wenn sonst hier nichts, und nichts besseres zu thun wäre, als Beten, Lavaters Beten; wie müßt’ ich mir den höchsten Geist denken? Ich soll beten bis er mich erhellt, wieder zu sich, oder überhaupt mich ihm näher bringt. Warum läßt er sich so sehr bitten? Oder, ist’s eine selbstthätige Arbeit, ein Weiterschreiten, das Beten, so ist’s das Denken auch: und dem lieben Gott gewiß lieb! Es ist überhaupt kindisch — meinen besten Menschen kann ich diesen Gedanken nicht als ein Geheimniß hehlen! — vom lieben Gott zu sprechen, und den anders, als in der Person der Vernunft und Güte in unsere Angelegenheiten einzuführen. Wir sind gezwungen , einen höheren, einen höchsten Ver- nunftgeist, der sich und alles versteht, anzunehmen: das angst- und entzückenfähige, helle, für’s Licht der Erde blinde Herz bedarf eines Vaters, an dessen Hand es sich schmiegt. Eben weil wir ihn nicht begreifen und verstehen, und er in allem, was begriffen werden kann, nicht zu fassen über uns steht: und ewig legen wir seinem Urtheil, seinen Absichten unsern Maßstab an; den höchsten, den er uns gab, das ist Vernunft und liebliche Güte; ein Mitgefühl für Andere, ein Stückchen Persönlichkeit, in ihrer Persönlichkeit; durch Vernunft und Mitgefühl wissen wir von einander, und verkehren wir mit einander. Dies hat uns Gott verliehen. An den beiden En- den, Entzücken und Verzweiflung: an beiden Enden einen ge- dankenlosen élan; Gebet! Den können wir aber nicht ma- chen: sonst ist’s ein Bitten um dies und jenes; welches ich kindisch den ganzen Tag exekutire; aber schon weiß, was ich davon halte. Innere Erleuchtungen, Wunder, alles ist möglich; mir sind sie nicht fremd, ich erwarte sie immer: und glaube sie ehrlichen Menschen. Sie müssen wissen, wen Sie vor sich haben, lieber Astolf: es war mir Bedürfniß, Ihnen zu sagen, wie ich denke, nach dem, was Sie mir vom höchsten innren Überzeugen gesagt. Nur noch das! Was Einer ernst meint, was ihn erhebt, was ihn beruhigt, was ihn kräftigt , ist mir recht: nur muß sein Inneres und sein Leben aus Einem Stück gehen; derselbe Ernst bei jedem; nämlich, die kleinste Meinung, die kleinste Regung muß sich bis auf seine ihm wichtigste, richtig, und ohne Abschnitt, hinauf- oder zurück- führen. Dann ist es gut: und der Mensch ein treuer Gottes- sohn; und keine Grimasse. Auf Ihren ersten Brief sollte ich eigentlich auch antwor- ten! der voller Talent ist, und den wir mit so vielem Ergötzen bewundert haben: denn ich konnte mich nicht enthalten, Varnh. die Stellen, wo Sie das Schloß, den Abb é , Mama’s Wesen, mit zwei Worten; Bärstecher mit einem, ganz treffend, ganz erschöpfend bezeichnen, mitzutheilen. Ich möchte wissen ob mehr Franzosen, ohne alles Deutsch, so schreiben. Sie ver- stehen mich recht. Sie wissen , daß ich nicht denke, Deutsch giebt Geist, Augen, Sinne, Lebhaftigkeit, Wortfindigkeit, und Wahl: aber ob gewisse Wendungen Ihnen auch gekommen wären und Wortstellungen. Ich bekomme auch jetzt von ei- nem jungen Franzosen, vom Sohn der Mad. Campan, Briefe die vortrefflich sind! Voller Wahrheit, unergründlicher Nai- vetät; der weiß nicht, was „Ja“ ist! Aber Ihre Art ist es nicht; doch auch bei weitem nicht die alte gute Bücherart: aber das schönste Französisch. Ich kenne Campan seit Anno 6. von Berlin. Warum schreiben Sie denn nicht an M. Ma- quinehan, daß er zum General Prinz Solms schickt, und sich das Paket ausbittet! Aber der Bote muß den General selbst sprechen: sonst läugnet ein Kammerdiener vielleicht das Paket- chen ab. Den 11. sind Humboldts nach ihren Gütern bei Erfurt gereist: im Februar gehen sie nach Berlin: er alsdann über Frankfurt nach London — an welchem letzten Ort ich ihn noch nicht sehe — sie mit den Töchtern nach Neapel, wo die älteste Seebäder nehmen soll; dies glaub’ ich. Varn- hagen hat mir angeboten mitzureisen: ich sagte nein. Hinge- gen hoffe ich stark, im Laufe des Sommers Custine’s zu sehen! Die Schlegel hat mir neulich einen lieblichen freundschaftli- chen Brief geschrieben: auf einen kleinen Weihnachten von mir. Ich liebe sie sehr! Gestern hörte ich hier in einer ko- mischen Oper „die Schwestern von Prag“ einen Sänger — Häser, aus Stuttgart; Bassist, welches er vortrefflich ist — eine Scene als sehr wohlgekleidete Frau mit Diskantstimme in der höchsten Vollkommenheit singen: wie der berühmteste Sopran nur kann: und ich bin überzeugt, nur auf die Weise sollten Männer singen. Nicht ein bischen lächerlich: so vollkommen war’s. Ich applaudirte wüthend: alles auch. Recitativ, Vortrag, Koloratur, alles. Nächstens schreib ich Mama’n : küssen Sie ihr den Arm von mir! Sie müssen einen Brief von mir haben. Bärstecher das Schönste! Übersetzen Sie Mama’n was Sie nur können von meinen Briefen. — Bien des complimens à Mlle. Jenny. V. empfiehlt sich! — An Frau von V., in Paris. Karlsruhe, den 12. Februar 1817. Bei stromregnendem Frühlingswetter 1 Uhr Mittags. — Es ist mir lieb, daß sich Gentz gut und glücklich fühlt; mit der Botanik des Gartens wegen, ist eine Art Narrheit: dergleichen kommt vom Geldhaben; und Sinnenmangel, Man- gel an Interesse, was man sehen und hören kann. Dann denken sie ein Garten ist hübsch mit Botanik. Beides ist hübsch! — Die neue Bekanntschaft wird ihn wohl in der Ein- samkeit am besten amüsiren. Sonst — müßten wir sie doch noch besser ertragen können, als er. Wir haben doch noch große Erinnrungen; er aber kennt den vorigen Gentz gar nicht: und sieht Grünes, Luft, Vögel, Stille, Wolken, nicht wie wir. Das macht er einem Andern weiß! Ich bin ihm immer gut: weil ich den vorigen nicht von dem jetzigen zu trennen ver- mag; und er selbst es nicht ganz kann; ich also wirklich einige Reste finde: die mich jetzt gefunden nicht charmiren könn- ten; mir aber den alten in die Seele hervorrufen. — Von X. wußte mir auch Robert, der im Juli von Berlin kam, nichts zu erzählen: er sah ihn nicht. Er ist gewiß jetzt ein Herr; und vergißt seine Vergangenheit mit Gewalt. Das bin ich mir, außer von Rahel, von allen Menschen gewärtig: ohne Wunder. Sie sind nicht von der Wahrheit affizirt, nicht einzig in sie verliebt, sie lächelt ihnen auch nicht tief, und immer süß, wie mir: sie sagen sie sich nicht, wenn sie ihnen nicht auf der Stelle schmeichelt: ich sag’ sie mir, und risse sie mich und mein Herz in Millionen Stücke. Sie sitzt in allem . Im Grünen, in der Freiheit, in den Augen, in den Sinnen. Nicht wahr? In den Augen zum Sehen damit, meine ich. — Vierzehn Jahr ! ja so kommt der Tod. Ach, könnten wir zusammen sterben, und wo hinkommen. Nämlich, wenn man Bewußtsein hätte! — Karlsruhe, den 15. Februar 1817. — Über Wilhelmine hab’ ich mich unendlich gefreut. Weil die Verbindung edel von innen her ist: und sie sich freut. Das ist gewiß Profit! Ich schrieb gleich in meiner Freude. „Die nun einmal verheirathet sind, mögen verhei- rathet bleiben.“ Von mir aber bekommt nie ein Kind die Einwilligung zum Heirathen. Das sag’ ich in der glück- lichen Ehe. Nein , das ist nichts, wenn nicht beide so denken, wie ich. Aber dies versteht niemand , außer ein künftiger Gesetzgeber: bis der kommt, muß man Allen gra- tuliren, die sich selbst gratuliren. — An Wilhelm Neumann, in Trier. Mannheim, den 5. März 1817. Ganz von ungefähr muß man erfahren, daß Sie weiter weg sind! Das benimmt einem ja die Ruhe der Gedanken an Sie! Nun muß man immer denken, Sie sind wieder weiter; man weiß es nur nicht. Das thun Sie nicht mehr. Stummer! Mir machen Sie besonders viel Verdruß. Denn kein Mensch in der Welt ist so von Ihrem Talent zum Schrei- ben eingenommen, als ich: und darauf habe ich den größten Stolz; weil ich mir einbilde, ich verstehe dies ganz besonders. Feder und Zunge aber bleiben bei Ihnen in der Scheide! Ganz mörderhaft; das will ich Ihnen beweisen. Ich, habe das größtmögliche Talent zum Leben: das finden auch Sie in dem wenigen, was Sie im schweizerischen Museum von mir lasen; einen solchen Strom hemmen, ist nur ihn höher herabfallen und brausen machen; gelebt, geflossen wird immer: wenn auch unmusikalisch, krank, und schmerzhaft. Sie, haben das größte Schreibetalent; Sie vermögen nämlich das Leben unter allen Gestalten nach Ihrer Wahl aus der Feder aufsteigen zu lassen; geschieht das aber nicht; so geschieht es auch nicht unterbrochen. Das größte Talent versteinert in sei- ner Schale; Tausende kommen um den schönsten Genuß: sich bewundernd zu fernerem Leben und Leisten anregen zu lassen: Sie um Ihr wirklichstes Leben: und ich um einen Haupt- triumph! (Ich esse Semmel mit vortrefflichster Sardellenbut- ter während ich Ihnen schreibe.) Kann ich gar nichts über Sie vermögen? Wollen Sie gar nicht schreiben, nichts? Auch keine Briefe? In denen sich unvermuthet, ungesucht — von Ihrer Seite, mein’ ich — Schätze auffinden ließen? Ich würde Ihnen Korrespondenz anbieten: aber ich kann nicht. Das Erste und Letzte bei meinen nun in die Ewigkeit sich spinnen- den Unpäßlichkeiten ist immer, nicht die Feder auf dem Papier können kritzen lassen . Dabei habe ich zwischen zwanzig und dreißig Korrespondenten, die immer alle etwas von mir wol- len . Ich war eigentlich diesen Winter nicht besonders anders leidend als immer; August sah es nur mehr: auffrischende Bewegung fehlte nur mehr. Wäre das Wetter gut, ich wäre ganz zufrieden . Bestimmtes Wollen, oder das Wollen bestimmter Dinge, ist mir ganz aus der Seele entschwunden: ich will nur Eins bestimmt nicht mehr. Das ist Plaisir mit, oder durch Unannehmlichkeiten und Mühe. Sonst bin ich Herrn Schicksal ganz unterwürfig: ich sehe ein, es ist selbst unterwürfig; und unterhaltend, ewig unterhaltend zu be- schauen, sobald man sich weder für sich noch für Gesichtspunkte etwas Bestimmtes zu erwarten in den Kopf setzt. „Ja ich war ein rechter Held!“ Ja, die Natur hatte eine rechte per- sönliche Kreatur aus mir im Sinn; diese Persönlichkeit war schwer abzutragen! — à user —. Kleine Resultate für große Mühen, Schmerzen, und Bewegung. Umgekehrt muß es im Himmel sein! Adieu! der Platz mangelt. Sonst hört’ ich noch nicht auf! Ihre R. Kommen Sie vor allen Dingen! ja zu uns! 1817. „Die menschliche Seele ist von Natur aus eine Christin.“ An Wilhelm von Willisen, in Breslau. Mannheim, den 21. März 1817. Nun! Es ist doch noch ein Glück, daß ich eine Gemahlin bin! Sonst hätten Sie mich wohl gar nicht mehr grüßen lassen. Ah! — da bin ich doch glücklicher als Sie! Sie stehen lebendig vor mir: und haben sogar die Freiheit bei mir, wie die Möglichkeit, sich zu verändern, sich selbst ab- handen zu kommen; — welche Schicksalswogen können uns nicht überspühlen! — und blieben für mich doch Willisen; den ich Einmal gesehen habe, in dessen Augen und Seele ich blicken konnte, der für mich da war. Und so ist es auch eben so gut, Lieber, als hätten Sie mir recht innig geschrieben; ich bin Ihnen doch eben so gut, und es ist auch eben so gut. Ich bin auch eben dieselbe: ich sei Ihnen gegenwärtig oder nicht, Sie hätten je von mir gewußt oder nicht. Ich weiß von Ihnen. Und es bleibt beim Alten, da die Möglichkeit, daß Sie von einer, wie ich bin, wissen können, da ist. Ihren Brief aus Tirlemont — in welchem Ort ich selbst einen Tag meines Lebens zugebracht habe, und wo mich eine alte Wirthsmutter in zerstörte Kirchen führte, und von den mé- chants sprach — erhielt ich in Prag, nachdem er weit über sechs Wochen alt war; und Sie schrieben darin, noch vier Wochen blieben Sie dort. Seitdem, werden Sie nun von Varnhagen wissen, durchwühlten wir die Welt , um zu erfahren, wo Sie sind — nur über Ihr Leben erhielt ich Gewißheit — kein Pfuel, keine Schleiermacher, kein Militair, nichts half. Den Tag, eh’ Ihr Brief aus Breslau ankam, schlug ich Varnh. noch Einmal vor, Sie, wie Neumann vorigen Winter, in den Zeitungen aufzurufen. Haben wir uns mit Ihrem Brief gefreut? Lieber Willisen! Sind Sie froh in der Seele? Ergötzt Sie das Leben dann und wann? „Lehrt Sie der Abend hoffen: weckt Sie der Morgen zu neuen Freuden?“ (Egmont) oder ist es, Gott bewahre! „des Aus- und An- ziehens ziehens nicht werth!“ Es ist doch die irdische Lebenspflanze nicht etwa aus Ihrem Herzen gebrochen, so daß alles fernere Grünen, alles Schicksals-Scheinen nicht ferner das Herze nähren kann? Sie haben doch noch Leben sbilder , die Zu- kunft zu bevölkern; das will ich hoffen! hierüber schreiben Sie mir. Der Himmel, das Gewissen ist die unabläßliche Gesundheit der Seele; auf diese erste Bedingung verlange ich das Leben! Sie müssen und sollen wissen, daß ich viel auf’s Leben gebe. Es kann sehr gut (obgleich es nicht zu unsern Ohren kömmt, und die da gut leben, ich glaub’ es ge- wiß, schweigen, und nicht sprechen können), schon hier auf der Erde, sein. Es ist mir beinah nichts gelungen: ich weiß dies aber doch; und dies ganz gewiß. Man setzt meines Be- dünkens die Möglichkeit der Erde zu sehr herab. Und nun gar ; nun man alles machen will. Eine Verfassung, Gesinnung, Religiosität; auf tausend Büchern gestempelt; und sich die Nationen nur so wie Kompagnien zu stellen haben, denen man das Brot und Montur austheilt! — Zum Glück ! geht die Welt nebe nher noch ihren Gang! Und grünt, und blüht, und donnert, blitzt und wogt. Sie sehen, was ich hasse. Das leere, neumodische, unlebendige, prahlerige, Nach- und Übersprechen; wie „überbieten.“ Lassen Sie sich nur nicht so zersprechen! Vergessen Sie ja nicht zu leben . Grade den Tag, wie er vor uns steht; er auch wird eine ehr- würdige Vergangenheit; das ist der Tage Sorge; nicht unsere. Sie sehen, ich habe viel in Wien, Prag, Frankfurt, und allenthalben hören müssen; viel gelesen, Gedruckt- und Ge- schriebenes. Könnten Sie uns nur besuchen! da wir jetzt II. 29 nicht fortkönnen. Sehen ist, sich sehen, ist das Wesentliche! So lange man noch lebt, und sich erreichen kann! Ist es also nicht möglich ? Alle Tage meines Lebens denke ich an den ewiggeliebten Marwitz! Bei Musik, bei Wetter; seine zwei tiefsten Studiumspunkte. Bei freien Gedanken! bei den kleinsten Ereignissen! Millionen Dinge erinnern mich an ihn: nach dem langen, steten Zusammensein. Eben als Ihr Brief kam, hatte ich wieder Dore, mein Mädchen, an ihn und Sie erinnert! Ich sehe sein Gesicht, seine Farbe, seine Mienen, sein Blaues in den Augen, seinen Haarwuchs, seine Hände. Er lebt ganz bei mir, und doch wein’ ich eben jetzt. Er war so lieb! so wahr. Alles, was wahr war, konnte man ihm sagen: er lächelte nur, wenn er’s fand; und wenn es ihm auch, wie er bisher war, ganz widersprach. Ich hab’ es erlebt. Kunst, alles Kunstmäßige beflügelte ihn; er verstand’s gleich : weil er eine Seele für die ganze Na- tur, für all ihr Wahrheitssein hatte. Wo ist er? kein Schrei dringt zu ihm! Sagen Sie mir nichts! Auch ich weiß, er ist noch da. Und was hätte er noch hin- und herwanken sollen. Er hat gelebt. Adieu! Sie und er. Viel denk’ ich Sie beide zusammen. Sie liebten ihn: ich wußte es! drum konnt’ ich gegen Sie mich über ihn empören. Wir liebten ihn in dem eben so lächelnd. Das Resüm é, welches ich über ihn finde, ist mir immer ein Lächeln. So lieb’ ich seine Seele zuletzt immer. Adieu! Schreiben Sie mir auch über ihn. Ich rede noch mit ihm, zu ihm: täglich. — Ich habe Steffens Buch gelesen. Wie kann ein solcher Mann, mit solchen Gedan- ken; mit den Einfällen, auch willkürlich sein! Es freut mich, daß er zu seinen stillen Naturstudien zurückekehrt: längst sagte er ja, Geschichte sei nur ein Stück Natur. Adieu. Lieber Willisen, ich muß wenigstens meine Einsicht bei Ihnen retten! In der Welt hasse ich nichts so, als unansehn- liche, unelegante Briefe. Aber ich leide sehr an Rheumatism auf den Nerven. Kann davon meist nicht, und immer schwer die Feder führen, des Kritzens wegen. Kann nicht auf dün- nem Papier schreiben, und thue es doch; habe nie eine Feder, da ich mit V.s schönen nicht zu schreiben vermag, und mir keine schneiden kann. Heute schnitt meine Jungfer immer ein bischen mit der Scheere dran. V. muß dicke Tinte haben: ich kann sie nicht gebrauchen. So entstand der Klecks: und endlich hab’ ich auch den Bogen falsch umgewandt, und diese Seite leer gelassen; und das Ende des ganzen Briefs deßfalls übereilt. Sein Sie nur durchdrungen davon, daß mir der Brief so sehr mißfällt, als Ihnen, und daß ich betreten dar- über bin. — Mannheim gefiele mir außerordentlich, wenn es mehr Bäume in seiner Nähe und in seinen Mauern hätte. Wir sind nur manchmal hier. Ich kenne Breslau. — Hören Sie nichts von Tieck ? Können Sie ihn von mir grüßen las- sen? Wie gerne schrieb’ ich ihm. Ich lieb’ ihn wie nur sehr wenige Menschen. Der müßte gesund sein: und doch alles so wissen. Adieu. 29 * An Auguste Brede, in Stuttgart. Mannheim, den 28. März 1817. Trübes, rauhes, windiges Frühlingswetter, und immer kalter, schlechter, wenn auch heller Mondschein. Ein Uhr Mittag. Vor wenigen Stunden — seitdem war ich von drei Visiten im Anziehen gestört — erhielt ich einen Brief von Robert, worin er mir Ihre bei den Tableaux am Hoffeste geschehene Handverletzung meldet! In meinem Leben hab’ ich mich nicht so wenig über ein blutiges Unglück erschrok- ken, als über diesen Fall; so geschickt und lustig und bedacht hat mir ihn Robert vorzubringen gewußt. Aber Sie scheinen doch nicht schreiben zu können, liebe Putte! Lassen Sie mir — diktiren Sie — von Mad. B. zum Beispiel — was kostet die ein Brief ! weniger als Marinelli’n eine Lüge ! — schreiben, wie es Ihnen geht: ob Sie Schmerzen leiden, schwach ge- worden sind, Narben bekommen; welche Hand es ist, ob Sie sie im Bande tragen: ob Ihre Nerven gelitten haben. Also „ein Onglück sleppt nit immer nack sik seine Broder!“ Die Königlichen Herrschaften sind also gegen Sie so gnädig in diesem Unfall! Es freut mich dies sehr! Und auch, daß die Königlichen Herrschaften vor lauter Konstitution — wie jetzt die ganze ennuyante Welt — nicht die ganze Kunst verges- sen; nämlich die, zu leben, zunächst; ( lauter Anstalten für Enkel zu treffen, ist doch hart! und trocken vbenein!) und das bischen wahre Leben besteht doch in dem alten superflu très- nécessaire: in der Kunst nämlich: die ich ganz neu, so definire! Die Welt, die wir kennen, — oder wer dies lieber hat, die Natur — so darzustellen, sie uns so vorzuspielen — wie Kin- der thun! — wie wir sie gerne hätten, ohne ihr Garstiges, das Zufällige, nothwendig Wegzuräumende; wie wir sie un- serm Innern — Paradiesischen — gemäß, wünschen müssen — gewöhnlich wird das Prätension genannt; dies unveräußer- lich-angestammte Himmelsrecht! — Sie sehen, ich will Sie amüsiren in Ihrer Unpäßlichkeit: und da will ich denn auch meinen amüsantesten Bruder zitiren, Moritz; bezüglich auf meine Definition von Kunst; es wird wohl noch so her- auskommen, daß er Recht hat, und zu sechs Jahren schon wußte, was ich erst jetzt schlecht aus dem Block denke, für an- dere Stilisten und Rhetoren (ich weiß nicht einmal das H rich- tig in dies Wort anzubringen!). Als Moritz sechs Jahr alt war, gebrauchte ich mit Mad. Liman — dies zur Anschaulich- keit — das Bad in Freienwalde; meine Mutter wallfahrte nach ihrem Geburtsort Zehdenik, zwei Meilen von Freienwalde, und besuchte mich dort. Kam aber ganz empört über Moritz an; den sie mitgenommen hatte, und dem sie entzückt die Berge, die Wässer, die Gegenden zeigen wollte, und sich an dem neuen großen Eindruck, den dies auf das Kind machen müsse, erfreuen wollte: er schrie aber immer vom Boden der Kutsche herauf, wo er bequem lag: er möge das nicht sehen: und auf Zureden antwortete er, er habe das alles in der Ko- mödie gesehen: die schönsten Dekorationen! Mama war wü- thend: und bereute es scharf, nicht ein anderes Kind mitge- nommen zu haben. So viel über diesen Gegenstand! Lassen Sie mich wissen, ob ich Sie diesen Sommer sehe! Gewiß . In Heidelberg wenigstens . Schicken Sie gütigst Robert diesen Brief, dem ich nicht aparte schreiben kann — es ist 2 Uhr!!! — Dein Gedicht zu König’s Einziehen in die Burg gefällt mir besser als die Veilchen und Rosen! — Die Anekdote von Krausnas schließ ich in mein Herz . Draußen, könnte sie Schaden leiden!!! Klugheit empfehl’ ich. Klug ist der, sagt Lessing, der auf seinen Vortheil sich versteht; dann ist man nicht generös, aber bedacht, kalt, gefällig. Adieu. R. Alles gedenkt deiner. Komme bald, mich findest du hier. Dein Brief war amüsant! Mannheim, Donnerstag den 10. April 1817. „Nur Thörichtes gelingt!“ möchte man ausrufen, wenn man das Wühlen der Ereignisse untereinander ansieht, der Menschen Unternehmungen nachspürt: und das mit vollem Rechte. Ein thörichtes Streben kann leicht gelingen: es ist ganz einseitig. Ein besseres aber fordert eine Zustimmung so vie- ler verschiedenartiger Dinge, ist ein Anfordern so vieler Stre- bungen in uns, daß wir die völlige Zustimmung in der Welt aus Dissonanz nicht erwarten sollten. — ( Mündlich .) Die Arme, sagte jemand von einer Frau, hat bei allem guten Schein auch wenig Vergnügen! — „Vergnügen! sagte Rahel in erhaben-traurigem Ausruf, wo ist auch das? Ver- gnügen sitzt in Blumenkelchen, und kommt alle Jahr einmal als Geruch heraus!“ „So verdirbt man die Bedienten!“ sagte man zu Rahel, als sie etwas zugestand, was menschlich gut, aber dem stren- gen Respekt nicht ganz förderlich war. Sie entgegnete la- chend: „Ich denke doch eigennützig: besser ich verderbe ihn, als mich!“ Mannheim, 1817. An Ernestine G., in Berlin. Karlsruhe, Dienstag den 29. April 1817. Man nennt es Süddeutschland: rauhes, kaltes — hier kälter, als in Mannheim — windiges, trübes Wetter: oft auch Hagel und Schnee; kalter blendender Sonnenschein; nichts grüner, als den 6. Februar, als das Grün mit Ge- walt etwas heraus kam. Die Erde war im Winter, vom Herbst her, grüner. Dabei Hungersnoth vor der Thür: Theu- rung, die jeden genirt; solche Noth, daß man gar nichts anders hört, und es ein jeder hört; man es von einem jeden hört; im Oberland, einige Meilen von hier, ißt man Brot aus Baumrinde, und gräbt todte Pferde aus; das Vieh stirbt den Bauern aus Mangel an Gras und Futter. Man sieht allen Gräueln entgegen. Kennen Sie meine Furchtsamkeit?! — dabei möchte mir vor Mitleidsjammer das Herz springen. Wenn ich esse, krieg’ ich einen Schreck; daß ich es bin, die ißt, die doch erst vor ein paar Stunden aß !!! — Das ist Eins; das Allgemeine ; welches aber in alle Lebensfalten dringt: und einem wahrhaft auch Sorge aufbürdet. Nun hören Sie meins ! — — —. Ich bin nicht bettlägerig gewesen, und habe keinen ge- sunden Tag; nicht viel solche Stunden. Gehe manche Woche nicht aus (ein heilloses Wetter im Ganzen); sehe alle Tage einige Leute Abends; und bekomme mehr Visiten , als ich nur bestreiten mag und kann. Wohne ziemlich gut; recht be- quem: hinlänglich eingerichtet: aber sehr gering, sehr einfach; nur was wir bedürfen. Nichts was scheint ; nicht einmal an den Dingen Zierrath oder Eleganz. Schlechter als es bei mir zu Hause war; zum Beispiel! Weil? — ich ohne Sor- gen lebrn will; da ich sehr gut ohne Prahlerei leben kann. Wollte man, daß wir prahlten, so könnte man’s befehlen, und bezahlen. V. ist sehr fleißig: und besucht den Hof, und die Orte, die er muß. Ich halte mich von allem soviel möglich zurück. Wir haben aber beiderseits unsere große Partisans; und auch ich; ich glaube, weil ich sie nicht, und nichts suche. Dies aber auch kommt sehr natürlich; ich kann mich nicht tummlen und placken, und in der weiten Welt suchen, was ich schon kenne, und habe : war zu lange Padrona um Klien- tin sein zu können: und so bleib’ ich das erste, bei mir; und werde nach und nach, durch meinen bloßen Karakter, der mir natürlich ist, dafür anerkannt. Im Sommer kann ich eine Reise machen, welche ich will; ich bin auch zu Zeiten in Mann- heim; noch bis jetzt, die Messen in Frankfurt: wir haben auch manchen Besuch von diesen und andern Orten hier bei uns. Nach und nach gewöhne ich mich ein. Dies ist eine Folge meines großen Heimathsbedürfnisses, welches mich auch große herbe Schmerzen empfinden läßt. Ich kann, und konnte be- sonders, mein Zuhause, meinen Kreis von Bekannten, meine Freunde, Nichten, Geschwister nicht verschmerzen! und beson- ders, wenn ich Schönes sah, und Mittheilungswerthes, mußte ich weinen, oder zum wenigsten mein Herz! So ist mein Le- ben, welches benannt werden kann. — — Die Gesellschaft hier ist nicht unfreundlich, nicht un- zufrieden mit mir: aber man sieht sich hier durchaus nicht häuslich, und wie in Norddeutschland, oder auch andern Hö- fen. Sondern gebeten, geputzt , mit Vielen. Dazu bin ich nicht jung, nicht gesund, und nicht reich genug. Hier ist ein Kleiderluxus wie am größten Hof; und überhaupt, wie jetzt allenthalben, bei der gespannten Finanznoth. Nun ich älter bin: nun soll ich die Dame vorstellen: nun alle Eitelkeit aus meinem Herzen gemerzt ist. Diese Klage par parenthèse. — Zu sparen weiß ich nur an mir selbst. Ungeneröse, und hart- herzig jetzt, kann ich mich nicht machen. Nun kein Wort mehr! Heute kommt Robert von Stuttgart, das freut mich; in wenigen Tagen Tettenborns von Mannheim, das freut mich auch. — (Hier war ich lange unterbrochen von Fräulein Reden; diese Familie, Vater, Mutter, zwei Töchter, ist mir hier ein großer Trost.) — Karlsruhe, den 1. Mai 1817. Phantasus. Von Tieck. Bd . 3. S. 518. „Wir haben also in Deutschland, sagte Manfred, treffliche Künstler gehabt, besitzen noch einige, und hoffentlich werden neue ent- stehn.“ Meinem theuern, vielgeliebten Tieck schreib’ ich hier noch hinzu, daß wir jetzt noch in Mannheim zwei Meister besitzen, die, auf Flecks Weise, sonst unbedeutende Lustspiele verherrlichen ! mit der größten Laune, Wahrheit, Eindring- lichkeit und kunstgewohnt spielen. Der alte vortreffliche Heck, und der ganz eben so gute Müller. So wurde „das Räusch- chen“ ein Meisterstück; welches sonst schon ein Nichts war. Heck spielte den Gärtner in Kotzebue’s „des Hasses und der Liebe Rache“ wohl so, daß man nichts bewunderungswürdi- geres sehen kann. Ganz der Mann, und dessen Stand; un- schuldig, indem er frevelbeflissen ist, kann man sagen; er stellt einem den Ort vor Augen, die Lage, in der er sich befindet; kraß wahr in den kleinsten Zügen; und doch wie durch ein Kunstglas zu sehen. Karlsruhe, Mai 1817. — Ach! Liebe Freundin! Unsere Jugend. Die Linden schienen uns die Welt: dort fühlten wir ihren ganzen Inhalt. Das war’s. O könnte man vorher wissen! Wissen und jung zugleich sein. Elend ist der Mensch; sehr elend; und man tadelt das arme Wesen. Eins ist wahr: etwas hat sich ganz verändert. Die Atmosphäre; solche Sommer, Som- merluft, wie in unserer Jugend, giebt’s nicht mehr. Wir sag- ten ja oft : wenn’s mal ganz anders kommt mit Sonn’ und Sternen! — dies ist wirklich anders gekommen! das fühlt man tief : und dies grade, wo auch Hoffnung, Jugend, Freunde, Situationen, todt hinter uns liegen. Schrecklich!!! Varnhagen besteht immer drauf, wir sollten von der Schweiz zusammen nach dem Como’er See! — der meint’s so gut! der liebt mich. Er genießt ein großes Glück; ich seh’s: er sagt’s, er fühlt’s. Geh’ ich aber, so muß ich ihn allein lassen. Er wünscht’s für mich: ist mir behülflich dazu. Leidet aber drun- ter. Hat niemanden als mich. — — An Rose, im Haag. Donnerstag, Karlsruhe, den 22. Mai 1817. Schlechtes, kühles, unbeständiges Regenwetter: gegen Abrnd viel Nebel. Liebe Rosentochter! Nun kann es nicht mehr aufgescho- ben werden, nun muß ich dir endlich schreiben, sonst denkst du wirklich, mein Herz ist so steif geworden, wie ich und meine Laune. — Vor ungefähr vierzehn Tagen kam Ludwig Robert mit Herrn J. aus Stuttgart hier zusammen an; Robert brachte mir ihn den zweiten Abend zum Thee, wo Herr J. auch nicht ein Wort mehr sprach, als das allernothwendigste Antworten auf meine Fragen; das Gespräch ging mit den andern Besuchern seinen Gang, Herr J. um 10 stumm nach Hause. Ich ließ ihn durch Robert, der mit ihm wohnte, zum nächsten Mittag einladen; Robert kam um 3 Uhr mit dem Bedeuten, Herr J. sei für den Mittag schon versagt. Den andern Tag erhielt ich eine Karte von ihm mit seinem Na- men; ich denke also, ich werde ihn noch sprechen; weg war er! Er spendirte mir nicht einmal auf seiner Karte das p. p. c.; das ist zu stumm ! — Den Itzig, der im Krieg geblieben ist, hatte ich in Prag als preußischen Jäger aufzusuchen und zu verpflegen: das Erste kostete mich die unendlichste Mühe, das Zweite gelang mir nicht, weil er durchaus nicht sprach, und auch nicht wiederkam. Denk nur also nicht, lieb Röselein! daß ich J. so unbekümmert zu dir reisen ließ, ohne Frage, Bestellung, Liebes, und Lebenszeichen. Ich beneidete ihn sehr! Will dir alle Tage schreiben, beschäftige mich in meiner Seele immerweg mit dir; aber man ist getrennt: und das ist nicht mehr als halber Tod. Den Trost hat man nur, daß es mög- lich bleibt, sich zu sehen und anzufrischen; daß man weiß, daß man noch in demselben Kreis von Leid und Freud’ um- fangen, mit den Füßen auf demselben Erdenrund steht, noch von derselben Luft haben muß, um zu leben. Aber die Mit- theilung stirbt nach und nach aus. Wie sollte man auch ganze Lebenswege zu Papier bringen, wann sich die Kreise desselben verändern, bereichern, verarmen, und man alles darin beschrei- ben müßte: dies allein kostete eine Lebenszeit; und auch die Korrespondenz wächst alle Tage, und ändert, wie man selbst den Wohnort und Bekannte ändern muß. Je n’y suffis plus! Meine Nerven haben solche Wendung genommen, von gro- ßen Krankheiten, deren Konvalescenz ich nie abwarten konnte, undenklich reizbar zu sein, die wenigsten Tage, in denen die wenigsten Stunden, das Schreiben zu gewähren. Auf den Augen hab’ ich häufig Krampf, den ich den eisernen Öfen des südlichen Deutschlands zuschreibe. Auch hätte ich dir zu viel zu sagen, da ich dir gerne alles sagen möchte, und davon, die Feder in der Hand, gepeinigt bin!!! Die letzte Zeit hin- derte mich noch dies, daß ich seit Monaten weiß, daß Mar- kus mit Frau und Kindern den 1. Juni abreisen, um ganz nahe hier, nach Heidelberg zu kommen, wo ich zu ihnen will, sie in Bäder in der Gegend, und nun wollt’ ich sehen, ob ich ihn nicht bereden kann, mit mir zu dir zu reisen! Du kommst, ich sehe es, in deinem Leben doch nicht (bei deinem einzigen, erwachsenen Knaben, da Karl doch so oft in Brüssel sein muß, verstehe ich die Unmöglichkeit nicht:), ich wollte dir aber keine Hoffnung ohne Gewißheit in den Kopf setzen: und konnte dir wiederum nicht schreiben ohne es zu er- wähnen, und da ich nun doch schreiben muß, so erwähne ich es auch. So stehen die Dinge. Ich erwarte nun einen defi- nitiveren Brief von Markus, der mir den Tag ihrer Ankunft melden soll: da ich aber die Welt bis an den Hals kenne, so bin ich mir ohnerachtet der bestimmten Briefe von ihm doch auch wieder eine absagende Antwort gewärtig. Käme nur die noch zu rechter Zeit, und verdürbe mir den Sommer nicht. Vielleicht wär’ es mir alsdann noch möglich eine andere Ge- sellschaft zu schaffen, oder den Sommer in dem vier Meilen von hier gelegenen Badeort Baden zu genießen, wo es immer von Gästen, wie von Heerden in den Wiesen und Gebirgen wimmelt, mir zum Zusehen recht; und der Ort, mir nur seiner bequemen Nähe wegen lieb. Varnhagen, der hier Charg é d’af- faires ist, muß bleiben, und kann mich nicht zu dir begleiten, mein Rösken. So gerne er dich sehen, ich ihn dir zeigen möchte: und wie gut wir leben, wie er ist, wie ich’s bei ihm habe! Dies alles ist gut für mich ausgefallen; aber daß ich reisen und her- umziehen muß, in einem Alter und Seelenzustand, wo ich blei- ben und ruhen möchte und müßte! daß ich aus Land und Bekanntschaften, Wirkungskreis, Erinnerungen, ausgewur- zelt wurde, wann in einem schmerzgetödteten Herzen und Alter keine mehr wachsen, ist ein raffinement meines Schick- sals, über das ich nicht hinaus kann. Davon alles mündlich. Denn wisse, theure Rose, geliebte Freundin und Schwester, auf eine oder die andere Art muß ich dich bald sehen! Da - her mein Schweigen; — und ich bin so wahrhaft wie du mich kanntest, im Ergründen, Nachspüren meiner selbst; im Erwägen von dem, was mir begegnet, und was ich wählen muß. Also hab’ ich dir viel zu sagen. Ein Lebens-Re- sum é : und Millionen Kleinigkeiten, die noch immer bei mir Wichtigkeiten sind. Ich liebe noch immer Gesellschaft — aber freie; wie unsere war , — Musik, Theater, Luft, Grü- nes, Scherz, Witz, tiefes Denken, wahrhaftes Sein, Franzosen, französische Lektüre; ennuyire mich leicht, amüsire mich leicht. Muß das Meiste in der elenden kleinen, verhedderten Hofre- sidenz hier vermissen; kann das tiefe feuchte Thal nicht ertra- gen. Das ist mein Unglück. Denn der Ort , wo man lebt, ist die Welt, in der man lebt. Alles , also. — Beinah seit einem Jahr ist Robert — der ein- für allemal Ludwig heißt — in meiner Nähe, bald mit mir hier, bald in Mannheim zusammen, bald in Baden, alles nur vier, sechs, acht Meilen auseinander, Stuttgart mit eingerechnet, wo er öfters bei Graf Goloffkin lebt; das freut mich nun sehr: er ist ganz glücklich, ganz vergnügt, und weiß es: geliebt und sehr geschätzt in all diesen Städten; fühlt sich ganz frei, ist es, und goutirt es. Der Glücklichste von uns; ganz gesund. Unbeschrieen! Ich habe Vorurtheile. Mama ist weg. Weg ! Ich sehe nie einen Garten, wünsche nie ein Besitzthum, wo ich nicht sie an- rufe, und tief tief fühle, daß ich es nie mit éclat genießen könnte, weil sie es nicht hatte. Ein Jahr nur möchte ich ihr in einem bequemen Gartenquartier meine und Moritz Ehe zeigen: Gott hatte es so beschlossen, wie es ist. Drum wollen wir uns noch sehen, so lang wir lebendig sind. Sie, die Kou- sine, Gualtieri, Prinz Louis, mein junger Freund Marwitz, ein Engel , Zinnow, Pierre Lombard, die Bethmann, die Dok- torin Lemos; Quast, Möllendorf, Schack, alles alles ist weg, fort, todt. Righini, Fleck, todt, die Marchetti weg, Brinck- mann weg, alles todt und weg. Wie eine Ernte. Ich so oft dem Tod in den Klauen, alle Kräfte mußte ich ihm lassen. Ich mache schon lange keine Musik mehr; mich schwindlen die Noten, die Töne dröhnen mir in den Nerven! — So ist’s, Rose. Und dabei gönnen sie einem nichts in der Jugend ; beschränken, tadlen einen. Man ist arm. Ich war Jüdin, nicht hübsch, ignorant, ohne grâce, sans talents et sans instruc- tion: ah ma soeur, c’est fini; c’est fini avant la fin réelle. Nichts hätte ich anders machen können. Mündlich. Schreib du mir unterdeß von deinem Leben. Du wohnst doch gut im Haag. Es ist ein Spazir-Ort. Bist du denn nie in Brüssel? Und warum nicht? Line ist bei Moritz, ich geb’ ihr aber doch ihr Lohn. Ich habe ein Mädchen und einen Be- dienten, esse aus dem Wirthshaus, bin schlecht eingerichtet. Ohne Silber, ohne Porzelaine. In jedem Zimmer ein Sopha: vier Sopha’s hab’ ich. Gute Luft. Weiter nichts: und Bü- cher in Fülle. Das liebt Varnhagen. Lebe wohl, liebes Kind. Grüße Karl millionenmal von mir: und Louis. Friedrich Schlegel ist beim Bundestag angestellt, ich habe sie viel in Frankfurt gesehen, und noch im Herbst: sie ist vortrefflich, wie sie war, und besser: sie ist fromme Katholikin. Ja ! sprech du mit ! Kein Fragen hilft zur Auskunft. Adieu, adieu. Robert ist noch nicht da. Varnhagen grüßt dich sehr. Ich umarme dich herzlich. Deine treue R. Karlsruhe, Mittwoch den 28. Mai 1817. Kühlstes, unaufhörliches Regenwetter. — So lange man noch auf derselben Erdkugel lebt, und sich nach einander erkundigen kann, will ich es auch thun; da ich ohnehin gesonnen bin, mich nur zum Verklagtwerden, aber nicht zum Klagen, am jüngsten Tage zu stellen! — Miß- verstehen Sie mich auch nicht! dies geschieht nicht aus Groß- muth, aber aus Überdruß: Ekel; ich mag die alten Höllen- geschichten und Erinnrungsempfindungen, nicht noch Einmal durchgehen, auch mache ich mir aus keinem Rechtkriegen mehr etwas, was mir nicht mehr dienen kann, außer zum Recht; so hatte ich’s hier auch schon; und alles, was zu alt ist, zu lange dauert, gefällt mir nicht mehr. Also will ich mich nur stellen, wo ich’s vermeiden kann, — und den Himmel — oder ein Künftiges — als Himmel ansehen, und annehmen. — — Sehr gerne ging auch ich seit Jahren nach Karlsbad; aber ich kann nichts . Gewiß meine Schuld: es läßt sich nicht vereinigen, Andern alles recht zu machen, und auch sich selbst. Ich kann eher die Grimassen meines eignen Herzens aushalten, als die der Personen, mit denen ich zu thun habe: wenn sie sie auch für mich aushalten wollen! 1817. — Gerne lasse ich mich beurtheilen; schon als Kind wünscht’ ich mir oft den jüngsten Tag nah, damit alles Un- recht recht und Recht, was meine Seele drückte, an sein Licht käme! an eines andren Tages Licht kommt leider nur allzu wenig die eigentliche Bewandtniß, und Verwickelung menschlichen Handlens, und die Gesinnung als Triebfeder! Redlich ist’s und sittenbetriebsam, wo möglich Tage herbeizurufen, die dem großen verheißenen vorgehen; und stufenweise, nach unserer Kraft und besten Einsicht, jenes allheilende Licht schon jetzt uns näher zu bringen. Wie können wir jetztzeitig dies an- ders, als durch gedrucktes Wort? vernimmt man uns anders? Es mögen immerhin die redlichen Männer und Weiber die Wahrheit sprechen, wie sie sie wissen; und nach aller Ewigkeit zu, sich einander berichtigen, wo sie nur können; und welcher Ächtgesinnte wünschte nicht noch allgemeiner wirksame Organe, als selbst den Druck, bis jetzt die angemessenste Erfindung für geistbegabte Wesen. Ich schreibe also, was ich über Dinge besser zu wissen glaube, die vorgefallen sind, und über welche ich reden höre und lese. Und warte, um zu widerrufen, was ich schreibe, bis hinwiederum Einer kommen wird, der meine Behauptungen mit Gründen zurückweist. Jeder Gegenstand ist in einem Verhältniß mit allen übrigen; die richtige Be- stimmung, wie er sich zu ihnen verhält, ist die Wahrheit, die man über ihn auszusprechen vermag: also kann über alles geirrt und gelogen werden; dies auch bei dem unwichtigsten Gegenstande zu verhindern, ist ein großer Genuß. II. 30 An Varnhagen, in Karlsruhe. Baden, Montag Mittag 1 Uhr, den 7. Juni 1817. Helltrübes Wetter nach unendlichen Regengüssen. Heute, mein Geliebter, erhielt ich einen Brief von dir, anstatt dich! Jedoch sei ruhig, denn ich bin es auch. Und vergnügt, wenn ich dich auch wünsche. — Unser Quartier, im Töpferhäuschen ist das amüsanteste ! Ich mag gar nicht ausgehen! Lauter Berge, und Königinnen! und Könige! und alle Welt Menschen. Heute essen wir zum erstenmal zu Hause. Die arme Tettenborn liegt zu Bette: auf wenige Tage nur, sagt Rehmann. Demidoff’s sind sehr gut mit mir. Sie war- ten Alle auf dich. Auch Narischkin ist gestern angekommen; wie ein Bruder sich gefreut. Robert ist ganz galant gegen uns! — hat beim König von Würtemberg gespeist, ist mit Goloffkin auf der Hub; und sehr recherchirt. Rostopschin merkt, daß ich ein Publikum bin. Die Königin von Würtem- berg und die Großherzogin sehen sich viel und gern. Man sieht sie Alle den ganzen Tag. Jeder, und die Demidoff à la tête, außer sich über die hohen Gäste und das Kourma- chen: bis zu Thränen. Und gehen beinah nicht hin!? Mit Tastet’s aus Straßburg sind Franzosen, die ein Götterkind von zwei Jahren haben! Morgen leider reist es. — Etwas von Rostopschin. Wie fein, witzig, graziös er in seiner Ruhe und Würde ist, weißt du. Nun hab’ ich aber gesehen, wie er mit allem diesen auch grob sein kann. Der Baron Gr., der ihm schon lange zu dreist dünken mochte, sprang in der Allee zu ihm heran, bewunderte die Dekoratio- nen am Knopfloch Rostopschins, die der nur heute trug — lauter Sternchen, wie Andere bloß Kreuzchen haben, — be- tastete sie, spielte damit, wobei ihn Rostopschin schon mit grim- mig lächelnden Augen bemitleidend genug ansah; als aber jener die auch im Tone verfehlte Bemerkung — denn er fiel mehr leste als scherzend aus — vorbrachte: Ah que c’est joli! c’est comme pour des marionnettes! wurde Rostopschin’s Miene plötzlich ganz sanft und kalt: „Eh bien! je vous en prêterai une, pour le rôle d’Arlequin!” sagte er, und ließ ihn stehen. Er dauerte mich; obschon ich fand, daß ihm Recht geschah, wegen seines Diplomaten-Dünkels überhaupt; war ihm doch sein Schimpfen auf die Juden ungerügt durchgegangen. Aber solche sanfte Kälte , das wurde mir nun auch deutlich, kann Moskau verbrennen. — An Karoline von Woltmann, in Wien. Karlsruhe, den 20. Juni 1817. Freitag, bei bren- nender Hitze, wenigstens in meinem Quartier. Bei solchen Pulsschlägen am Halse und Kopf ist es un- möglich, auf einen Brief wie den Ihrigen, den man einen Urbrief, einen Musterbrief, von Reichthum, Nachrichten, Fleiß, Güte, Beflissenheit und Mühe-Trotz nennen kann, zu antwor- ten! Vielleicht gelingt mir im Laufe des Jahrs ein ähnlicher; oder vielleicht früher, Sie zu sehen. Im lieben Österreich. In Wien, Baden, Prag ꝛc. Lassen Sie sich aber Ihren Brief nicht gereuen; alles, geehrte theure Freundin, habe ich bis zu Schauder auf den Backen und Thränen mit empfunden. O! 30 * Gott, Sie sind ein handlender Held gegen mich. Ich ein elender Hamlet. Ich liebe was ich ehre und bewundere: und kein Mensch folgt Ihrem Schicksal mit regerem Antheil. Aber man quält und quält sich! Keine Würdigkeit schützt; im Gegentheil, Lesen Sie einmal des siebzigjährigen Pesta- lozzi’s Erklärungen in den Beilagen zum Morgenblatt; wie der erst jetzt sich entschließen will, seinem Innren zu folgen. — Die wahre Mischung von Hartnäckigkeit und Weichheit ist nur ehrwürdig und einträglich. Sonst sitzt man als Narr mit seiner klaren Einsicht. Nun bin ich gar durch einen Be- such, den General Tettenborn, der von Baden-Baden hier ist, gestört! Nur so viel. Ich kenne keine kunstvollere Stelle, als die in Woltmanns Leben, wo er sagt, daß er der Letzte sei, den der deutsche Kaiser adelte. Wie das Duellgespräch in Goethens Tasso, kann ich sie tausendmal lesen und nie be- greifen, wie man solches aufeinander bringen kann, da es doch nur so aufeinander kommen kann. Das ist die Kunst: Wolt- manns Stelle ist noch obenein unergründlich, wie die Geschichte, wie die Natur selbst: nur so zu verstehen, wie man sie zu nehmen vermag. Ein wahres Witzstück, Kunststück. Schrei- ben Sie nur ja den Roman aus! und die göttlichen Sagen Segne Sie Gott mit Kraft und Genuß! Ich erwarte meine Geschwister aus Berlin: aber schon länger, welches Warten mir den Sommer zerstückelt. Pestalozzi! Viel Gesundheit! Adieu, adieu! Sehen Sie Arnsteins ? die hassen mich gewiß. Ich kann aber nicht schreiben. Arnsteins lieb ich gewiß. An Varnhagen, in Karlsruhe. Baden, Dienstag 1 Uhr Mittag, den 5. August 1817. Nach großem Regen von gestern, schönes regnerisches Wetter. Ich komme aus dem ziemlich leeren luftigen Saal, wo nur unsere Leute spielten, und Kast’s mit mir waren, wo ich einen großen Thaler verspielt habe, auf schönen Nummern; 17. 31. 11. und auch auf ein paar Linien, die ich nicht ver- stand. Ich ging nur hin, um Tettenborn zu attrappiren; der gestern Abend noch freundlichst vor meinem Hause um halb 12 hielt; mir deinen lieben englischen Brief reichen ließ, und mir versprach, heute in der Frühe alles zu erzählen. — Ich sehne mich sehr nach dir. War gestern sehr empfindlich: war von einem Sonnenuntergang — wie er vielleicht alle dreißig Jahr sich macht: ich sah ihn mit Hannchen und Auguste: sie waren ganz hin davon. Gold . Feengold — wie von der rührendsten Menschenscene ergriffen; in größter Emotion: weinte den Abend ordentlich, als Narischkin russisch-spanische Lieder sang: aber war glücklich, das Herz aktiv zu fühlen. Darauf kam dein liebster Brief, und der Sta ë l ihr Tod! „Lourdement et profondément!” (Als man sie zuletzt gefragt hatte, ob sie geschlafen.) Freilich. So ist’s. Nur ein tiefe- res Schlafen; das ist auch unser Leben : (dies fühl’ ich alles, wie das Dasein.) — ein Schlaf in einem größern Leben; und man ist nicht gleich rein hinüber, von einem Schlaf, in den andern; wenigstens ist’s gewiß selten so; und kann sehr gut anders sein . Das hab’ ich alles an meinen Schlaf- zuständen sicher. Heute schlief ich zu erst hier schlecht; erwachte mit Kopfweh, und Zustand: hatte im Traum immer ein klei- nes Kind mit blauen Augen, ganz mager, ganz klug, verlor es immer: liebt’ es unendlich; noch ! fand es unter Ma- tratzen öfters wieder; fuhr mit ihm zu Schlitten; es fror mir an: ich hauchte es wieder auf, mußte es oft suchen und in’s Leben zurück bringen; hatte immer seine Gewänder fest ange- packt, und das Kind verloren, entglitten: war außer mir, nichts zu haben, als ich erwachte: und es ist mir, als hätte ich wirklich etwas verloren. So quälte ich mich die Nacht: und Holzwürmer, Hitze, Agitation, ließen mich nicht schlafen. Ich schlief aber bis 10. Alles, tiefe Gedanken, Aufrührung der Einbildungskraft, Nerven, Blutumlauf: nichts! Alles, wenn du willst. Ich weiß ganz gewiß, es giebt andere Kon- zeptionen , als unsere. Kleine Naturbläschen sind wir; ein einfacher großer Geist in uns eingesperrt. — Freut dich des Freundes neue Thätigkeit? Sei nur nicht zu verschwenderisch gegen ihn. Man muß wahrlich alle Leute etwas kurz hal- ten: es sind beinah keine Menschen unter ihnen; und alle Menschen haben ihre Momente, wo sie Leute sind. Lebe wohl, Theuerster! Gestern sah ich erst wieder, daß wenn auch alte Grüfte sich in meinem Herzen erschließen, und ihre verhaltenen, nicht mehr gekannten Ströme loslassen, und eine Vergangenheit sich auf die Stelle der Gegenwart setzt, und diese nur als eine von Sehnsucht berührte Zukunft von neuem dem fast irren Geiste zeigt, du doch der gewünschte, geprüfte, vermißte Vertraute und Freund vom Herzen gefordert wirst, dem es klagen, erzäh- len, erklären will. Lieber Freund, an dich lehn’ ich mich! wenn die ganze Seele in ungewohnter Hellung von Herzensgluthen flammt! Adieu! Lebe deiner Gesundheit! mir ist wohl. Deine R. An Varnhagen, in Karlsruhe. Baden, Sonnabend halb 1 Uhr Mittag, den 9. August 1817. Schönes Wetter ohne Sonne nach unendlichen Sünd- fluthen, von gestern Abend und der Nacht. Theurer August, ich erhielt diesen Morgen deine Liebes- zeilen von gestern; und jetzt deinen lieben Brief durch Hrn. Ewald. Ich war gegen 11 Uhr mit Andres, still und ver- gnügt, beinah bis Scheuern, und durch Mühlen gegangen, um im Freien nach meiner Art zu sein, und weil es der er- warteten Geschwister und ein grader Weg ist. Den Gang hatte ich nöthig, die Gewitter in der Luft hatten mich oppres- sirt. Als ich nach Hause kam, fand ich das Ewald’sche Paket; ihn sah ich noch nicht. — Ich gedenke — wenn keine Hitze ist — in Rastatt oder unterwegs zu essen, damit ich nicht zu früh ausfahre, und im Nachmittag Montag anzukommen. Noch hab’ ich leise Hoffnung, du könnest noch vorher, hierher kommen: überhaupt komme ich nie nach Hause, wo ich nicht doch denke, du könnest angekommen sein! Mit mir zurück wirst du doch kommen? hierher. Tettenborn ist auch ganz ungeduldig, und begreift’s gar nicht. — Gestern Abend waren wir zu Hause geblieben, Roberts zu erwarten; und saßen bis gegen 9 bei Platzregen in der Hausthür, wo uns alle Bekannte besuchten, und mitsaßen. Als Tettenborn ging, wollte er uns mit Gewalt mithaben, versichernd in’s Unendliche, sie kämen nicht, was er gar nicht wissen konnte: um 10 ließ er uns end- lich mit dem Jäger, der Laterne und der Ausrede, wir sollten tanzen kommen, holen, und wir gingen richtig noch hin. Vom Tanzen war nicht mit einem Worte die Rede: wir sollten bloß nicht fehlen. Nur Demidoff’s ohne Rostopschin, und Schönburg waren da. Musik vor der Thür. Es ist mir sehr angenehm, daß Hebel bei dir war: und auch der Grund. Du weißt wie ich das Volk liebe: bloß weil es die Meisten sind, und die Ärmsten; es muß ohn’ Unterlaß für die Menge, für’s Ganze geschehen. An mir ist ein Gesetz- geber, ein Pestalozzi, ein Moses untergegangen: ich bin sehr erfreut, daß man der Königin von Würtemberg diesen Sinn öffnen, oder offen finden kann: auch weil sie eine Königin ist, und auf Viele wirken kann. Besonders freut’s mich auch, daß man dich für einen Menschen hält, der in so etwas mitar- beiten soll. Ich kann keine andere Ambition leiden, als die sich auf unsere tiefste Meinung bezieht! — Deine Papierver- schwendung hilft dir nichts! Ich schreibe auf deine leeren Pa- pierhälften. Ich hatte kein dünnes mehr. Adieu, theuerster Herzensfreund. Ich schreibe dir morgen noch Einmal: und will immer bei dir bleiben! Deine. Ganz deine R. An Astolf Grafen von Custine, in Fervaques. Brüssel, den 17. September 1817. Ja, lieber Custine, hier bin ich! Drei Tagereisen von Paris: hier seit gestern acht Tage, meine Schwester Mad. Asser zu besuchen, die ich in vierzehn Jahren nicht gesehen hatte, deren Mann ein Justizbeamter ist, welcher mit der Re- gierung seit vorigem Oktober hier residirt, und den 25. mit ihr und meiner Schwester wieder nach dem Haag soll. In Todesangst reiste ich hierher sie nicht mehr zu finden; vorher konnte ich ihr nicht schreiben, daß ich käme, weil Varnhagen andere Geschäftsreisen mit dieser meiner kombiniren wollte, und ich bis auf den letzten Augenblick nicht wußte, ob und wann ich kommen könnte, und ich wollte meiner armen Schwe- ster keine Gemüthsbewegung und unnöthige Spannung ma- chen. Ich konnte ihr also nur von Koblenz aus schreiben, welchen Brief sie einen Tag vor meiner Ankunft erhielt. Die Freude, die Erschütterung, war groß. Sie ist zehn Jahr jünger als ich, wurde zu achtzehn Jahren aus dem Hause, aus dem Lande entwurzelt, mit ihrem Willen zwar, aber ohne Unterscheidungskunst und Kenntniß von Holland und Deutschland, und der Welt überhaupt: ich war zu Paris, als sie heirathete: und besuchte sie gleich Anno 1. als sie ge- heirathet hatte, in Amsterdam, wo meine Mutter noch von der Hochzeit war, mit der ich nach Hause reiste: ich lernte Holland, und die Familie, den Bräutigam, zugleich kennen. Hier sehe ich nur meine Schwester, sie nur mich. (Ich noch unsern Gesandten Fürst Hatzfeldt und dessen Familie.) Man kann sehr schön in Brüssel spaziren gehen. Mad. Gavaudan spielt hier; vortrefflich ! heute er und sie; ihn kannte ich von Paris. Das Volk macht mir hier einen sehr fremden Eindruck; es sind nicht Franzosen, nicht Deutsche; auch nichts anderes. Und ich kann mich im schönsten Stadtlokal, im üp- pigsten Orte, und den elegantesten Umständen nicht behaglich fühlen, und bewegen, wenn mir die Wurzel all der opulenten Zustände nicht bekannt, klar ist, und gefällt; nämlich das Volk, sein Leben und sein Zielen. Hier widerspricht sich jede Faser: so lange schon erlebt dies Volk Regierungs- und Ei- genthumswechsel; Wechsel im Angehören seiner selbst nämlich: und ich, die von solchen Dingen wenig zu verstehen gelernt hat, fühle leicht, fein, und scharf ihre Wirkung. Ich bin fast hier nie allein, immer mit Mann, Schwester, und Schwager, daher kann ich Ihnen auch nur diese rohen Notizen geben, diese dürren Zeilen schicken auf Ihren lieben, liebevollen Brief, voller Gebete und Offenbarungen und Dankhymnen und Er- leuchtungen und Freude über das Existiren !!! Wissen Sie wenigstens, daß ich es eben so ansehe: und immer glücklich wäre, wenn man nicht störte: und darum auch so empört über Störungen bin. Ihr Plan, auf eine Universität zu ge- hen, Ihr Bedürfniß dazu, hat mein völligstes Applaudisse- ment. Thun Sie es ja : dies ist was Ihnen fehlt! Auch vor meiner Reise hierher war ich unendlich gestört. Sechs Wo- chen waren meine Berliner Geschwister mit ihren beiden Töch- tern in Baden und Karlsruhe bei mir (ich war ihnen auch bis Heidelberg und Mannheim entgegen), Gräfin Schlabren- dorf besuchte mich mit einer Tochter; ein Freund von Varn- hagen; auch dies alles bewirthete ich unter hin und her reisen von Baden nach Karlsruhe und von Karlsruhe nach Baden. Dabei mußte ich ausziehen, weil mein Wirth mir aufgesagt hatte; dies alles mit seinen unerschwinglichen Kosten, Ärger, Unruhe, Arbeit, Sorge, Bewegung, Besorgen; Vorstellen da- bei Wirthin, Dame, Verwandte; und das Tettenborn’sche Haus mit all seinem train dabei, auch eine Reise mit dem und zwölf Personen in den Schwarzwald und in’s Kinziger- und Murgthal — haben mich ganz stupid gemacht. Auf unserer Reise hierher ging’s längs dem Rhein hinab, Varnh. Dore und ich; ich mußte Mainz, Bingen, Koblenz, Köln, Aachen, Lüttich, Löwen, alles sehen, Kirchen, Rathhäuser, alles: reiste mehr als zehn Tage. So daß drei Wochen von Varnhagens sechswöchentlichen Urlaub weg sind. In meiner Seele, den ganzen Sommer über, dacht’ ich es mir, sorgte es mir anders aus! Ich dachte nicht an Rhein, nicht an Varnhagens Reise: dachte sechs Wochen zur Brüsseler Reise zu haben: dachte Ih- nen zu schreiben, mit Ihnen ein Rendezvous hier zu haben: ja sogar, wenn auch nur auf zwei Wochen, meine Schwester, die ich nun nicht mobil und in der Zeit beschränkt finde, nach Paris zu schleppen. So aber bin ich in eine wahre Stupidität gefallen, daß ich Ihnen in acht vollen Tagen von hier aus nicht schrieb!? — nicht schreiben konnte. Weil ich auch hier gemartert wurde durch das Bedrohen einer Reise, die Varnh. noch von hieraus machen wollte und will. Kurz, im Leben kombinire ich nicht wieder zwei Dinge, die nicht zu- sammen gehören, wenn eins davon ein reines Vergnügen, ein reines Glück, als der Besuch bei meiner Schwester, sein soll. Bis zum 27. oder 28. bleib’ ich nun noch hier; und muß vielleicht mit Dore allein nach Hause reisen. Sie sind in Fervaques! Ich schreibe auch heute nur aus Gewissen, damit Sie erfahren, wo ich bin, und warum ich schweigen mußte. Expliquez tout cela à madame de Custine: elle comprendra tout. La vie est réellement une pure inon- dation de circonstances qui nous submergent, et nous ne fai- sons que de misérables projets en nous débattant contre les ondes. Jamais un plan ne se réalise; et si nous atteignons un but, c’est que les ondes nous y portent, dix ans après que nous l’avons eu en vue: et alors on dit que nous sommes in- constans, que nous avons changé. Grüßen Sie Ihre Mutter mit den zärtlichsten Grüßen von mir. Antworten Sie gleich: dann trifft mich Ihr Brief noch. Montagne de la cour. chez M. Robert, tapissier. No. 1111.; bin ich nicht mehr hier, so schickt mir der Tapezier, mein sehr ordentlicher Wirth, den Brief nach Karlsruhe nach. Was Sie mir von der Lebens- ansicht Ihrer Mutter sagten, leuchtet auch mir sehr ein: Sie sehen sie richtig: und ich fühle mit ihr. Leben Sie wohl, lie- ber Freund, und verzeihen Sie mir diesen dürren Brief, und wenn Sie können , glauben Sie mir, daß er ein großes Freundschaftsstück ist. Brüssel est une ville superbe ! la plus belle pour s’y promener: ma passion, comme vous savez. Varnh. est dans ce moment chez le roi: j’ai pris ce mo- ment pour écrire: il se rappelle à votre freundlichem Anden- ken. Ich grüße herzlich Bärstecher: et Mlle. Jenny. Dore baise les mains à madame la comtesse! et croit ètre en France, parce qu’elle entend parler français, et ne la trouve pas si redoutable parce qu’on lui parle une espèce d’allemand. Adieu, cher ami; j’attends une réponse. Comme toujours vo- tre R. Les Gavaudans jouent aujourd’hui le tyran corrigé. J’ai une loge. An Varnhagen, in Berlin. Frankfurt a. M., Dienstag Vormittag 10 Uhr, den 14. Oktober 1817. Nicht ganz kühles, helles schönes Wetter. Deine ganze liebevolle Art, dein Gesicht, der Ausdruck womit du mich ansiehst, steht vor meinen Augen! Tausend Liebe! und liebevolle Vorsätze gegen dich strömen dir aus mei- nem Herzen entgegen; und ich merke erst recht, wenn du nicht da bist, daß mir gleich alle Beziehung fehlt, und das mir Theuerstgewordene, die Vorsorge mit ihren in kleine Thätig- keiten zerfallenen Beschäftigungen. Theurer, lieber Freund! Laß es dich nicht wundern, wenn ich dir dergleichen immer bei jeder kleinen Trennung wiederhole. Wir sind ganz wie unsere äußere Organisation: manche Dinge, Dinge die wir nah, und lange nah sahen, müssen ferner geschoben werden, damit wir sie wieder recht sehen; besser sehen. Lieber August! bei der kleinsten Trennung überlege ich mir dein Wesen, wie ge- diegen es ist, und sich immer bessert; und wie zu meinem Glück sich zu mir stimmt: und in aller Freiheit! Ohne Vor- urtheil. Und nun umarm’ ich dich! Heute ist endlich der Tag, wo ich denken kann, du bist angekommen. Wenn ich mich zu Bette legte, mußte ich immer denken, du fährst noch. Doch ängstigte ich mich eigentlich nicht. Was wird Fanny sagen! Theodor, Alle. Grüße sie nur. Ernestine, Moritz. Hannchen. Mad. Goldstücker. Oppen- heims. Gehe zu Mad. Ephraim; zu Herrn von Beguelin, empfiehl mich ihm ganz besonders, und danke ihm: vergiß die Goldstücker ja nicht ! Und die Doktorin Wolff. Daß es nur nicht in Vergessenheit geräth, daß Fanny diesen Sommer mit mir nach unserm Deutschland reist. Sonst tobe ich! sag’s alle Tage . Grüß Theodor besonders, und sag’ ihm, daß mich Rose besuchen wird, und er bei mir Rendezvous mit ihr haben kann. — Erzähle alles von ihr, Karl, Brüssel, und un- sern Umgang; und daß sie mich alle zwei Jahr besuchen soll: auf Karls eigenes Anerbieten; und daß er dich so sehr liebt. Und sie sollen mir unterdeß von Berlin doch schreiben: von hieraus ist für sie nichts zu berichten. Außer, daß Eßlair diese Woche hier spielt: ist seine Frau ang ekommen, heute schon die Schuld. Als ich gestern mit Ende der Tageshelle nach Hause kam — von Frau von Schlegel — fand ich ein Paket mit unendlichen Briefen. Ich habe eine Auswahl getroffen, und schicke dir die, von denen ich denke, es ist gut wenn du sie hast. Ich schicke dir auch des armen Teste Brief mit, viel- leicht ist doch etwas für ihn auszurichten. — Ich lebe na- türlich hier still; mit dem Wetter, Schlegels, u. s. w.; in die Komödie kann ich auch gehen. Ich bin ruhig. Nur deine Kalamität geht grade nun an: sei auch gelassen: wie es ausfällt, ist es gut. Du wirst mir schon berichten: sei sanft, und klug . — So eben geht Frau von Schlegel von mir weg, die einen Augenblick da war; Sonntag Mittag aß ich bei ihnen, und blieb den Abend dort. Du glaubst es gewiß gar nicht, welche Gespräche Friedrich willentlich jetzt auf die heiterste Weise mit Gewalt anfängt. Über Theater, auf’s gründlichste erörtert die Bedürfnisse darüber, der Spanier, Franzosen, Engländer, unsere, was es sein, was es werden kann, über Shakespeare, Schiller, Goethe, ganz gründlich und erörternd. Ungeheuer gerecht über Franzosen, Racine, und die Zeitalter; da in die- sem Fach aber ich ein Ignorant bin, so ließ ich nichts nach, was wider meine Überzeugung war; und man kann wohl sagen, daß wir ein Gespräch hatten, während mehr, als lange zwei Stunden. Es kamen auch die jetzigen Völkerzustände an die Reihe; hin und her; und man mußte, und ich konnte, mehr errathen, durch die Zwischensätze von Verschweigungen seinerseits, als durch die wirklich, durch Eindringen der gelas- senen Einsicht geistreichen Äußerungen, was er eigentlich Tie- feres und Neues meinte; welches ich ihm aber doch durch Hitze und Lebhaftigkeit des Gesprächs loszueisen wußte! Über alle andere Satisfaktion hatte ich aber auch noch diese, mir in meiner Geschichtsignoranz erstaunlich schmeichelhafte, daß er mir zugab, daß das eigentlich unterscheidende Wesen der Zeit, in der wir leben, das ist, daß nie solch allgemeines Wissen auf der Erde, und ein so verbreitetes und schnelles der Völker von einander, regiert habe und dagewesen sei, als jetzt. Wie weit her wir darauf kamen, wo das hinführte, und welches Zugeben von seiner Seite mir dies eintragen mußte, wirst du ermessen können. Wir sprachen auch weitläufigst über den Stil im Schreiben. Über seinen, August Wilhelms, Schil- lers ꝛc. und über Stil überhaupt. Auch über Religion in Rücksicht der Staatsverfassungen. Das Ganze war ein wirk- liches Gespräch, eine wahrhafte Erörterung; z. B. eine ordent- liche Definition von Stil: alles gesprächsweise. Mir entgeht keiner der alten Freunde! Wenn sie nicht toll werden, und vorgeben, Offenbarungen zu haben, die sich ihnen in Bildern, und nicht in Vernunftgründen, in mitzutheilenden, darthun. Dies schreib’ ich dir aus Stolz, was du für ein Kabinetsstück von Frau hast! Auch Scholz gesellt sich zu mir, und macht mir, wie sonst, seine Konfidenzen. — Mein Logis ist ein bischen kühl — mit Holz zu dämpfen — aber still und sonst gut. Grüße recht besonders Hrn. von Stägemann. Leider weiß ich nichts zu seiner Unterhaltung anzu- bringen; munteren Leuten erzähle ich gerne Munteres; bei denen hat man außer ihrem freudereichen Genuß noch große Interes- sen. Eins könnte St. doch wohl amüsiren, ich müßte es aber sehr schön vortragen, oder er müßte es selbst von dem oben- genannten Freund hören : wie er glaubt, die griechisch-katho- lische Religion würde das nördliche Deutschland ergreifen; die heilige Allianz sei ein prämeditirter Anfang eines präme- ditirten Plans davon! — und? — so könne eine neue Zeit als neue Sonne eintreten! Wie, wisse er nicht: aber im bit- tersten Ernst. Und die Pläne dazu sind sicher; die sieht er. — Nun Millionen Grüße an Oelsner; da du ihn siehst, lass' ich zwei Briefe von ihm hier: die so nur seine Reise betrafen. Sein protégé, der gerne einen Orden haben will, hat Bücher für uns und die Frau Großherzogin geschickt, die er princesse de de Baden nennt. Ich werde auch eine Oberhofmeisterin. Tra- lalala! Nun umarme ich dich innig und mit voller Seele, und seh dich an! Schreibe noch ein paar Besorgungen, und geh spaziren. Du gönnst es mir. Ich denk’ an dich! Deine R. Bessere Tinte hab ’ ich nicht. Du grüßest Alle, Alle. Ich grüße dich, Ohme, und alle Unsern zehntausendmal! Heil zum Achtzehnten !! — An Varnhagen, in Berlin. Frankfurt a. M., den berühmten 18ten 1817. Diesen Brief, mein geliebter August, schreib’ ich ganz auf gerathewohl; da er fünf Tage gehen muß, und du dann viel- leicht schon hierher reisest. — Heute hab’ ich ein ganz beson- ders Bedürfniß nach dir. Heute strömen unendliche Gedanken und Empfindungen durch meine Seele, wie das geputzte fest- liche Volk der ganzen Stadt, und auch der Umgegend, vor meinen Fenstern das Gallenthor hinaus den Stadttruppen vor, und nach! Es waren musikalische Massen, kurz alles! Wie wird es erst bei uns sein; das Herz aller Selbstermuthi- gung, aller Demüthigung, Verstutztheit, Langmuth, und Lang- Grimms; fester, schneller, und erfolgreichen Ermannung; der Triebpunkt schneller Auffassungen, und auch schnellen Wechsels der Meinungen, Gedanken und Ansichten! Wo bist du heute in der von Festen bewegten Berlinstadt? Ich bin erschüttert, etwas ängstlich; wie zuletzt bei allen großen Gemüthsbewe- II. 31 gungen. Große Freude ängstigt mich, Festfreude; Stolz macht mich nachdenklich, und vorsorglich; wem werden diese geputz- ten, sich bravstimmenden Bürgertruppen zuerst folgen? Wer sie zuerst führen? dieser Gedanke bewegte sich bis zur unruhi- gen Qual in mir hin und her! — (Da kommen die Truppen trommelnd vom Felde zurück!) Ich habe sie wieder gesehen und sehr geweint: über eine mit Eichlaub schöngestickte Fahne. O! hätten wir Alle eine Fahne, alle nur Eichlaub; und edle Könige, hohe Bildung; Wohlthun; Freiheit, nur so viel, daß Alle sie gleich haben! dann will ich auch ein Patriote sein; dann kann einem ja nur das Leben unter den Seinigen lieb sein, und Werth haben. Aber wie roh, und eingebildet sehe ich alles: die Gesichter sogar. (Es strömen noch immer Trup- pen und Menschen, alle Fenster sind voll.) Ich stürze alle Augenblick an’s Fenster: wie schwarz ist alles von Menschen, im hellen Sonnenschein! Ach, wenn Goethe seine veränderte Stadt sähe. Eine neue Kaiserkrönung. Gestern um 3 Uhr Mittags sind Golz’ens unverhofft gekommen: sie sind expreß wegen uns über Karlsruhe, und haben einen Zettel zurückge- lassen, ließen sie mir sagen. Ich ging aus Bescheidenheit, sie ruhen zu lassen, noch nicht hin. Es freut mich, daß sie hier sind, weil es einen guten populären Eindruck hier, in Deutsch- land, und zu Hause macht. Man merkt sehr auf dergleichen. Vorgestern war ich zu einer Soir é e bei Schlossers: der Dok- tor (Christian) ist auch hier: mit Schlegels, Mariane Saaling, Mlle. Gontard, Hofrath Hugo aus Göttingen — (Alle Ge- sandte und Magistratspersonen fahren vorbei, Trommlen neh- men kein Ende, die foule ist groß) — mit seiner Frau, und einem Bibliothekar von dort, Professor Beneke. Beides schar- mante Männer, die mir von Göttingen einen sehr hohen Be- griff machen. Wie die Schlegeln und Schlossern anhörten, das muß ich mimisch erzählen . Schlegel behauptete näm- lich, Baden hätte nicht das Recht, das letzte Hausgesetz zu machen: und Hugo, mit wenig Latein, und auch wenig Deutsch, und großer verwunderter Geduld, bewies aus positiven Rech- ten, Testamenten und Gesetzen ja : er ahndete Schlegels Gründe, oder den Grund seiner Gründe nicht, der auch es halb als eine doch auch vorzutragende Ansicht lachend , um es zu mildern, vortrug. So staunte, wirklich staunte Beneke den Dr. Schlosser an, und stand ordentlich auf, als der ihm alte und neue Reichszustände erörtern wollte, mit der fertigen Ge- läufigkeit, die nie da gesprochen hat, wo ein gelehrter, ein- facher Widerspruch herkommen kann. Der Abend war aber gut: und die Göttinger Leute gefielen mir sehr, auch die zwölf- jährige Dlle. Hugo: lebhaft, natürlich, eigenthätig, im Auf- fassen und Bemerken. — Mehr schreib’ ich nicht; ich bin vom Feste zu zerstreut. Will in die Sonne gehen, und esse bei der Schlegel, er bei Graf Buol. Sie ließ mich durch Auguste bitten. Adieu, adieu! Deine dich Erwartende! Eil dich in nichts! ich warte auch gerne. R. 31 * An Rose, im Haag. Frankfurt a. M., den 21. Oktober 1817. Kühles kribliches Wetter, wo die Sonne durch- brechen will. Gestern, lieb Röschen, als ich gegen 2 Uhr zu Frau von Schlegel gehen wollte, brachte mir auf der Treppe ihr Bedien- ter deinen Brief: der erste, den ich erhielt: ich ängstigte mich aber doch nicht, ich dachte gleich, er müsse in Karlsruhe lie- gen: ich will auch nun gleich jetzt an den Hrn. Wagner schrei- ben, daß er ihn mir schicke. Es thut mir in der Seele weh, daß Karl gleich wieder krank ward! — eine Kalamität, der nur mit anderm Ungemach abzuhelfen ist, zu welchem sogar noch ein großer Entschluß zu fassen und Anstalten — das Schlechteste auf der Erde — zu machen sind. Du hast aber Recht, meine theure Schwester, in dem Vorsatz, daß wir uns alles sagen und besonders klagen wollen: dieses soulagement und dieser Trost soll uns nicht entgehen; darum betrügt der Menschenwitz mit seiner Schreibekunst das Schicksal, welches Freundestrennung erfand! Dein Ungemach mit dem Hause geht mir auch sehr zu Herzen (laß dir dies aber nicht leid sein!); dies verstehe ich aus dem Grunde, was solch Umziehen bedeutet, und in sich faßt!!! Aber ich weiß auch, und du wirst sehen, es ereignen sich auch unvorherzusehende Fügungen, die dir wieder etwas in einer andern Art Besseres und Be- quemeres schaffen. Ich hatte ja diesen Sommer nur drei Mo- nat vor mir, die ich immer auf den Landstraßen zubringen mußte, als mir urplötzlich, und wider jede Erwartung, auf- gesagt wurde; und habe jetzt doch ein bequemeres Quartier, und vorher gar keine Aussicht dazu. Ich habe jetzt keinen besondern Verdruß: ich erwarte ihn nur; denn warum sollte er nicht kommen! Ich habe nur die Unannehmlichkeit , den letzten Sonntag — wo es möglich, aber nicht wahrschein- lich war — noch keinen Brief von Varnhagen erhalten zu haben: er ist wahrscheinlich den Dienstag zuvor, um eine Vier- telstunde später als 7, nach Berlin gekommen, und konnte kei- nen Brief mehr anbringen; indeß bin ich nun bis morgen ohne Nachricht: und muß mein Schicksal wie in einer Lotterietrom- mel ansehen: in welcher es zwar immer liegt, aber nicht uns immer zwingt daran zu denken: aber auch das wirkt nicht heftig, ja nur ganz leise auf mich. Sonst konnte ich von der Heimath und all ihren Erinnrungen, gewohnten Gängen, be- quemen Dasein, Freunden, und Bekannten losgewurzelt wer- den: es wär’ eine Einbildung eine Ortsveränderung jetzt noch zu fürchten, da das Einzige, welches mir jeden versüßen könnte, nämlich zu bleiben, unmöglich geworden ist; sonst verliere ich an kleinern Mittelorten nur immer, was ich modifizirt wie- derfinden muß. Nur scheue und fürchte ich noch sehr, schlech- tere Gegend, kälteres Klima, und neues Einrichten: doch dem entgeh’ ich gewiß nicht: wie allem, was man fürchtet! Noch Eins fürchte ich sehr; Ministerschaft ohne erkleckliche Gehalts- erhöhung, ohne welche ich Repräsentation mit Sorgen hätte; d. h. Spannung und Lüge: scheinen müßte ohne Zweck, der mir einer wäre; Mühe, keine Ruhe u. s. w. Doch das kommt alles: wie alles kam. Ich bin in einer Gemüthsverfassung, in welcher ich es genau weiß, und es mir dennoch nichts macht. Laß dir unterdeß erzählen, was ich heute Mittag um 3 Uhr, wo ich bei unserm Minister Graf Golz speise, anziehe. Es ist ein klein Diner. Ich ziehe an: den strohgelben Überrock mit kornblauen Bändchen, solche Schuh von Hrn. Drousart, den kornblauen Hut, strohgelbes Band drunter gebunden; einen Stehkragen von Blonden-Tüll, einen weißen langen englischen Schal, den ich mir gestern doch endlich hier kaufte, er hat keine Palmen; ich wollte sie nicht: nur eine vier Fin- ger breite Borte; sieht sehr distinguirt aus: kostet 57 Gulden, der Gulden 14 Groschen. Ich mußte ihn haben: es kam alle Augenblick vor, daß ich ihn brauchte, Der, den ich von dir habe, hat gestern den größten Effekt und Nachfrage in einem Konzert gemacht, wo ich mit einer Tochter Klärchens, Adel- heid, und ihrer Gouvernante war. Voll, viel Bekannte, Mu- sik schlecht: Mlle. Böheim, jetzt Mad. Graf, sang sehr gut, ganz italiänisch. Nachher war ich noch bei Schlegels zum Theetrinken. Ich sehe viel diese — viele Grüße, — Herz’ens, öfters Golz’ens, dann und wann Scholz und seine sehr nied- liche lebhafte Frau — sie wohnen mir ganz nah — eine Ju- gendfreundin Dr. Veits; eine kluge Rathsfamilie Schlosser hier. Will die Damen Guaita und de Ron noch sehen, und eine Mad. Klee. Lauter Bekannte: Herren besuchen mich: ich gehe mit Dore spaziren, welches hier herrlich ist; du siehst, ich habe kaum Zeit: und habe noch viel Bekannte hier, Mi- nisterleute, allerhand. Nun grüße ich Karl tausendmal! Sag’ ihm, welchen innigen Antheil ich an seinem Übelbefinden nehme. Auch ich habe mich in Brüssel besser befunden, als hier: ich fühle schon allerlei Ungemach, von welchem ich dort nichts wußte: zum großen Beispiel, meine Augen waren dort viel besser: das macht aber wohl das vertrackte Einheizen, in den abscheulichen Eisenöfen, wovon dort die Rede nicht war. Adieu, theure Rose. Scholz grüßt dich sehr. Andere sprach ich nach deinem Brief noch nicht; diesen lass’ ich noch offen bis morgen: um von Varnh. noch etwas zu schreiben. Karl soll ja die Korrespondenz mit ihm nicht einschläfren lassen, wenn er zu Hause ist. Teste schrieb hier her: ich schickte den Brief nach Berlin. Adieu! Mit Salmiakspiritus macht man die Flecken aus: man gießt ihn drauf und reibt. An Varnhagen, in Berlin. Frankfurt a. M., Dienstag, den 28. Oktober 1817. Rauhes, sonnenloses, garstiges Wetter. Gestern Abend ein Nebel, wie in Holland ; man konnte sich ein Stück davon mit nach Hause nehmen. Liebster August! Ich denke beständig daran, wie du heute meinen Brief erhältst, der da klagt, daß ich keinen von dir habe: und erst morgen den, worin ich dir sage, daß ich einen nach erhielt; seit der Zeit freue ich mich damit! Und Sonn- tag erhielt ich wieder deinen großen lieben Brief! Wie soll ich auf alles das antworten, so antworten, wie ich es im Le- sen und Wiederlesen aufnahm! Zum Glück hab’ ich aus Vor- sorge Ernestinen, Fanny und Hannen gestern schon geschrieben. — Ich machte gestern noch große Koursen; ging mit Golz’ens in Otto von Wittelsbach, wo Eßlair vortrefflichst spielte — den Mord, den Zorn! — daß man’s einsah — war nachher noch bei ihnen; und das alles mit einem ächten Herbsthusten, der mich zu gewissen Stunden des Tages fieberartig alterirt; der oft ein Schnupfen werden will, den ich mit Emser trak- tire, und nun bald in Ordnung setzen will. — Das Federfüh- ren gab mir gestern Fieberbewegungen, und komplete Dämlich- keit; sonst hätte ich doch wohl schon gestern deinen Liebesbrief zu beantworten angefangen! Ich wollte es mehr als zwan- zigmal in Gedanken. Noch nicht einen Augenblick, mein lie- ber August, hab’ ich es bereut, nicht die kurze Reise, im dicken Herbst, nach Berlin mitgemacht zu haben: wenn ich auch öf- ter schon gewünscht habe, bei dir zu sein; dir zur Seite zu sein: so war mir, selbst daß dies nicht der Fall ist, schon sehr lieb, und ist es mir noch. In meiner Begleitung, hätte deine Reise schon ein ganz anderes Ansehen bekommen; schon gar nicht als eine eilige ausgesehen, wie sie es doch ist. — Berlin regrettire ich in diesem Augenblick gar nicht: die Geschwister hab’ ich gesehen, Moritz’ens soll ich sehen: und die Stadt lieb’ ich im Frühling und Frühsommer mehr, und wenn sie sich erst wieder wird gesetzt haben nach dem großen Aufstand. Du weißt, wie ich Aufgepustertes hasse; Feste vermeide etc.! Den ehmaligen Freund kenne ich: d. h. von dem wundert es mich weniger als von manchem Andern, wie allerlei aus ihm werden konnte: aber ich sehe doch nun erst, daß das, was ich in ihm für eine Seelenblüthe, für Milde hielt, auch nur Biegsamkeit aus Schwäche war: en pflegte meine Äußerungen schon auf eine Art zu bewundern, die den höchsten Widerspruch in ihm offenbarte, und mich nur stutzig oder ungeduldig machte; er gab mir bewundernd zu, was ich behauptete, und reservirte sich einen nicht mit Gründen zu belegenden Widerspruch; ein dunkles Bedürfniß, etwas zu vergöttern, ließ sich bei ihm spü- ren, wozu ihm die Macht fehlte einen Gegenstand zu finden; weil das Bedürfniß der Vernunft, und der Sinn für das, was da ist , der Wahrheitssinn, bei ihm nicht scharf genug ist. Der faule Punkt im Geschlecht, woraus sich alle Geistesepide- mieen, Schwächen und Erhitzungen bilden: all jene Krankhei- ten! in all ihren ekelhaften und merkwürdigen Nüancen. Solche Leute können auch grausam werden; wie man längst darthat, daß Grausamkeit sich aus Schwäche erzeugt. Dieses ganze Gelichter von epidemischen Geisteskrankheiten wurde, in der verschrieenen Aufklärungsepoche, von den braven Aufklä- rern, heilsam und unschädlich durch Lächerlichmachen gehemmt; man sieht: nicht auskurirt; doch hoffe ich, eine Stufe tiefer im Volke. Ich wollte nur von dem Einen sprechen, und spreche von Allen; sie empören mich zu sehr; und mein neuster Ge- danke drängt sich auch hier wieder ein. Jeden großen Irr- thum, nämlich der in seinen Folgen so groß werden kann, werden Nationen nur durch Blutvergießen los. Jemehr in Massen gehandelt wird und geschieht, je schwerer wirken mensch- liche Gedanken: alsdann nur immer die der Natur; die sich aber immer nur ganz materiell für uns ausdrücken, wie sie in jedem Augenblick thut und wirkt, und wir sie gar anders nicht kennen. So sieht mein Geist ein reelles Unheil voraus, wenn die Narren noch länger fortarbeiten: und gelingt ihnen ihr läppisches Schulknabenwerk, oder auch nur etwas davon, so werden Schwerter geschwungen werden, Knüppel, Hacken: und beide Partheien an Wunden leiden: aber an den Wun- den wird’s genug sein, wie am Blitz, wenn er auch trifft: die Luft wird für eine Zeit gereinigt. Gelehrte Männer, Gesetz- geber, Männer der Regierung, können nur wie große Ärzte, naturkundige Geburtshelfer, die Entbindungen des Menschen- geschlechts sanft begünstigen; ihm seine großen Schmerzen er- leichtern, vorschreiben wie es sich betragen darf; aber die Art der Geistesgeburt können sie so wenig vorschreiben noch be- stimmen, wie jene. Natur, Klima, alles wirkt dorr wie hier. Und diese Leute und Konsorten wollen Religionen, Überzeu- gung ꝛc. alles nur so herbei empfindlen! Der Handel z. B., der den ganzen Weltverkehr mit all seinen Entdeckungen und Bedürfnissen zum Grund und zur Folge hat, ist schlechtweg sündhaft: und mehr dergleichen dictons: ich kenne sie alle. O! armer Novalis, armer Friedrich Schlegel, der gar noch leben bleiben mußte; das dachtet ihr nicht von euren seichten Jüngern. Großer, lieber, ganz blind gelesener Goethe, feu- riger ehrlicher Lessing, und all ihr Großen, Heiteren, das dach- tet ihr nicht: konntet ihr nicht denken. Eine schöne Säue- rei! Aber auch wir sehen sie zu befangen, weil sie uns grad ärgert: welche kleine Biegungen im ewigen Strom des Seins; das heißt , des Werdens! Was ich hier alles reden höre! Aber auch erst mündlich. Für mich genirt sich keine Parthei: weil ich mich wie eine Frage betrage, und in den meisten Stücken eine bin; und wo ich keine bin, eine befriedigende Antwort; keck, sehr bescheiden, und sehr für die Wahrheit; d. h. wahr haft , oder so lügen- haft, wie sie’s nicht merken können; von ihrem Gebiet nach meinem hin! Also ich erwarte dich ruhig; da du so ruhig, so klug dich beträgst! und mir so schmeichelst, als wäre ich schuld! — Mein geliebter August! Wenn du etwa des Nachts nach Frankfurt kommst, oder wenn es finster ist: laß dich nur nach der Gallengasse fahren. Ich wohne auf derselben Seite von der Gräfin Custine, eh man zu ihrem Hause kommt von der Allee aus; es steht ein Brunnen vor meiner Hausthür. Schneider heißt mein Wirth; ist ein Weißbinder, d. h. bei uns ein Stubenweißer. — Grüß ja die Woltmann aus innigstem Herzen! Sag’ ihr, Ihr Brief war gelassen, stark, voll Herz, brav wie sie: und erregte meine ganze Liebe und Verehrung für sie; ich hoffte, wir sähen uns doch. Geh ja, Geliebter, zur Grotthuß: ach! sie ist nie ordentlich verwirrt, nur überreizt, und unter Men- schen, die sie nicht verstehen: und krank. Sag’ ihr alles von mir. Ihrentwegen wär’ ich wahrhaftig noch nach Berlin ge- reist: das ist man sich schuldig: dies hätte sie sehr erhoben. Ferdinand freut mich; ich denke über das Kind wie du: er müßte mir ein Robert werden; wird es auch wohl doch, und bald! Alles grüßt dich. — Sag Theodor, ich hätte gestern in der Komödie Mad. Chevalier gesprochen, die heute nach Mainz geht, den Winter dort zuzubringen, weil Frankfurt zu ennu- yant ist — sagt sie — und theuer ist, und sie künftigen Som- mer nach Schwalbach soll: solche Veränderung hätte ich nur bei Major Kaphengst gesehen: sie ist eine Andere: und sieht der in Reinerz auch nicht ähnlich. Höflich und freundlich übrigens. Thu mir den Gefallen, und trag’ ihm auch diese meine mir sehr am Herzen liegende litterarische Angelegenheit vor! Da die Neujuden es nun einmal — in die Wette mit den Neuchristen — durchgesetzt haben, ihre Mädchen einzusegnen — die bisher, rein unter Gottes Obhut blühten — und in besondern Kapellen und Tempeln deutsch zu predigen und zu beten, und modernen Ceremonien zu folgen, so soll er mir hel- fen, daß auch das Gute davon entstehe, daß des Moses Men- delssohn Übersetzung der Bücher Moses, in wirklich deutschen Lettern — aber nicht lateinischen, sondern deutschen wie Lu- thers Bibel — gedruckt werde. Es schreibt bis jetzt niemand besser Deutsch, als dieser wahrhafte Künstler in der Sache; Hebräisch wußte er gewiß sehr gut: ich bin gewiß , die Über- setzung ist ein Meisterstück, ganz deutsch, und doch dem Ori- ginale nah. Wer aber kann sie mit den jüdischen Lettern lesen? Mache, daß dies durch eine Subskription bei den Ju- den zu Stande kommt. Ich unterzeichne gleich. Ich halte unendlich auf die Ausführung dieses Gedankens, der so ein alter von mir ist: wär’ ich nicht nur ein toller, sondern auch ein reicher Engländer, ich hätte es längst allein gethan, und dieselbe Übersetzung mit deutschen Lettern drucken lassen. Es ist gewiß vortrefflich und ersprießlich; wie alles sehr Gute und Schöne. Ich will mal sehen, was du vermagst. Lebe wohl, Theuerster! Morgen bekomme ich wieder einen Brief von dir! Ich umarme dich in Liebe. Deine R. Sechs Botschaften und Billete störten mich im Schreiben. Das Schreiben hat mir nicht schlimm gethan. Adieu! — An Sophie Schröder, in Berlin. Frankfurt a. M., den 31. Oktober 1817. Als ich gestern mit Ungeduld die Berliner Post erwartete, die mir endlich keine Briefe mitbrachte, ließ ich mir die Ber- liner Zeitungen als eine Art von hinhaltendem Ersatz geben, und fand Sie, meine sehr Geliebte, den Landsleuten als Gast der Muse angekündigt; diese Zeilen können Ihnen mein Be- dauern, daß ich nicht zu Hause bin Sie zu empfangen, nicht ausdrücken! Ich habe den wahnsinnig-eiteln Gedanken, daß in der weiten gebildeten Stadt doch keiner sich befindet, der so durchdrungen sein kann von dem, was Sie zu leisten ver- mögen, es auffassen kann wie ich, was Sie sind ; und der auch das anscheinend minder Gelungene so zu stellen und zu deuten weiß! Ich möchte Sie empfangen, beherbergen: Ihnen jede materielle Sorge und Besorgung abnehmen: ich Sie ap- plaudiren; mit Einem Wort, ich die Ceremonien-Fürstin der Stadt nur auf eine Weile sein, wie ich es jedesmal mit Lei- denschaft wünsche, wenn ein Künstler in ihren Mauern ist; Einer, der die Macht hat, das Großartige darzustellen, ohne Übereinkunftsmanier; dem es gegeben ist, die Leidenschaft zu kennen, und die Mittel, sie in allen ihren Abschattungen, auch den wenigst Aufmerksamen, in einer Art musikalischem Maß und Haltung zu zeigen; der die Natur der Dinge schnell jedesmal findet, und auch die Mittel, sie auszudrücken. Sie sehn, ich tödte mich, das zu beschreiben, was gesegnete Künst- ler sind: sagen kann ich’s nicht; aber ich weiß es. Auch mich hat Apollo berührt: ich verstehe die Begabten. — Wär’ ich nur in Berlin, in meinem Hause; Sie wohnten doch bei mir! — Wie leid ist es mir, daß Sie unsere Garderobe, unsere Dekorationen nicht mehr sehen: aber lieb ist es mir, daß Sie im Opernhause spielen; und es freut mich, daß Graf Brühl bei Ihnen eine Ausnahme mit den Gastrollen zu machen weiß. Warum spielen Sie nicht Johanna von Montfauron, anstatt in Rudolf — oder wie er heißt — von Finnland? — Jo- hanna war eine von den Triumphrollen der Bethmann; in dieser aber zieh’ ich Sie vor . Ich habe auch eine Sorge ; Berlins Geschmack in Ansehung der Weiberrollen ist auf schwaches Regime gesetzt. Das Größte, was sie hatten, (und ein Publikum schwingt seine Gedanken nie über das, was es sah, sondern bildet und schränkt sich darnach ein, oder aus;) war die Bethmann; die außer dem Talent, das sie hatte, noch die Gabe besaß, nur sie sein zu dürfen; und das in einem solchen hohen und schönen Maße, daß man nicht unterscheiden mochte, ob sie auch etwas anders sein konnte; sie konnte erhaben, ganz edel, ganz romantisch, tief empfin- dend, traurig-toll und toll-zerreißend sein, immer lieblich, selbst im Fehlgriff; konnte komisch, heiter, reizend, beweglich sein; den Adel der großen Welt vortragen. Furchtbar aber, furien-stark, mit den Elementen verwandt, mythologischen Wahnsinn, den konnte sie nicht aus der lieblichen, leichtbe- weglichen, leichtsinnigen, frommen Seele schöpfen, weil man nie etwas daraus schöpft, was nicht darin liegt. Nun fürcht’ ich, ist den Berlinern mancher Farbenton, der grade mein Erhabenes ausmacht, von Ihnen zu stark; das fürcht’ ich ei- gentlich nicht; aber ich fürchte, daß Sie das nicht zu deuten verstehn, und Ihnen das einen unangenehmen Eindruck macht; und daß Sie gar — Gott behüte und bewahre! — sich dar- nach richten wollen. Das fürchte ich; und darum ward ich hier so breit; in der Tiefe war wirklich der Aufschluß dieses Schwächenzustandes nicht nachzuweisen; sondern in der län- geren Ausdehnung eines Aufenthaltes in Berlin, den ich ge- macht . Jetzt mag unsere Stadt nun wohl noch mehr davon befallen sein, als vor drei oder mehreren Jahren: sie putzt und schnäbelt gar zu viel an ihrem Kunstgefühl, beleuchtet gar zu sehr das Bewußtsein darüber, mit Kerzen, aus allen Fabriken, anstatt dem Gehen und Kommen der Sonne sich ruhiger hinzugeben. Sie sind dort bis zu den unbefangensten Tiefen der Menschheit in der letzten Zeit mit ihren Ausputz- werkzeugen hingedrungen und geeilt: und ich fürchte, jetzt grad, eine größere und allgemeinere Schwäche und Anma- ßung; und will Sie, um Ihnen unangenehme Empfindungen zu ersparen, nur darauf aufmerksam machen. Solches alles gilt aber nur von jeder Stadt, wenn man sie zusammen sich vorstellt; und man kann die eine freie, eine sinnige nennen, wo viele Einzelne dem Publikum mit ihren Gedanken und Verständnissen vor sind, große Künstler fassen, und große Bücher, die sie über die Beschaffenheit des Augenblicks, in dem sie leben und schaffen müssen, erheben. Eine solche Stadt, sein Sie gewiß, ist Berlin , wenn auch die, welche sie dazu machen, grade nicht das Glück haben Sie persönlich zu ken- nen. Dies wollt’ ich Ihnen nur, bei dem flüchtigen, geschäft- und errignißreichen Aufenthalt dort, vor die Augen halten, wo alles vor ihnen vorüber fliegen muß. Ein Freundesbrief soll Freundesstelle vertreten!! Mich ekeln schon jetzt die Zeitungskritiken! das ist das Schlechteste, was wir haben; das Seichteste in Deutschland überhaupt . Die Leipziger, von A. W., sind noch die ein- zigen, wo etwas Mark und Bein, Leben und Zeichnung darin ist. Hier spielt Eßlair. So glücklich, Sie mit dem zusam- men zu sehn, bin ich nicht! Wenn ich nur drei Bataillen ge- wonnen hätte! ich wollte mir ein Theater anschaffen! Er spielte Thefens wirklich wie ein Gott; und kann das Muster sein, die Fahne zum Weg, deutsch zu sprechen. Otto von Wittelsbach sah ich: der Mord ein Meisterwerk! Hinein und herausg ehn ein Stück; er ging, trotz der Wuth, mit Abscheu hinein; und kam, trotz des Abscheus, noch mit Wuth heraus. Göttlich . — Als ich Ihnen dieses gestern schrieb, ward ich dazwischen immer von Besuchen gestört. Ich erhielt dann noch gestern Abend einen Brief aus Berlin. Sie wollten an dem Tage in Merope auftreten, von der Vorstellung selbst weiß ich also noch nichts. Ich freue mich im voraus des Berichts, den man mir treu und ausführlich davon zu geben verspricht! — — An An Varnhagen, in Berlin. Frankfurt a. M., Sonnabend Morgen halb 11 Uhr. Wahrscheinlich der 1. November, 1817. Werde nur nicht ungeduldig, lieber August! Ich will gerne Geduld haben, daß alles so langsam geht; wir kennen ja diese Gänge, und wenn es auch gar nicht geht! — so ist es noch wie es war, und zu tausenderlei gut, daß du in Ber- lin warst. Wundere dich nicht, geliebter Freund, wenn ich dir heute schlecht, oder wohl gar nicht auf deinen lieben Brief antworte. So sehr ich auch jedes Liebeswort, jede Mühe mir zu berichten, die du dir gabst, in mein Herz einsenkte; als Liebessamen. Ich habe meinen Winterhusten; und hatte drei Tage bedeutende Nervenirritation davon und von noch et- was, — die darin bestand, daß ich, obgleich ich Hunger hatte und gut schlief, beides in erhöhtem Maß, mich sehr schlecht nach Schreiben befand, und das mehrere Stunden. Ich kenne dies bei mir. Nun mußt’ ich aber doch diese Tage viel schrei- ben; auch heute noch muß ich Scholz ein ostensibel detaillirtes Billet für die arme Jüdin schreiben, welches Rothschildt lesen muß; und darum werd’ ich mich bei dir, Geliebter, kurz fas- sen. Der Gräfin Golz schrieb ich gestern noch deine Neuigkeit von des Kanzlers bevorstehender Rheinreise, und deine Grüße ab; die Gräfin nahm es so gut auf, daß sie gestern expreß schickte, sich entschuldigen zu lassen, daß sie nicht schriftlich antworten könne, und heute schon vor 10, was ich mache, und daß sie kommen will: sie bitten mich Abends entweder zum Theater, oder zu sich. Seit Sonntag aber bin ich zu Hause II. 32 geblieben. So lange es ihre Füße erlaubten, besuchte mich Frau von Schlegel, sie leidet aber zu sehr. — Lieber August, du mußt den Brief, den ich an die Schrö- der schrieb, mitrechnen, als sei er an dich. Mache ihn dann mit einem Phantasiesiegel von Ernestinen zu. Ich freue mich unendlich, sag dies Ernestinen, daß ihr beide so liirt mit ein- ander seid! in die Komödie, spaziren geht; und streitet! Sie hat mir göttlich naiv geschrieben. Ich umarme Sie herzlich, Liebe! Es beglückt mich ganz, daß meine besten und natür- lichen Freunde, meine Familie, so liirt mit einander sind! Geht nur recht spaziren! in die Komödie! Lacht, streitet, lebt, eßt miteinander; und schwören Sie’s ihm zu, daß Sie im Sommer kommen. Lieb Ernestinchen! Ich gönne Ihnen al- les Glück! jede Freude! Liebevolle Gesinnungen unter einan- der, ist wahre Lebensfülle, wahrer Reichthum. Nehmt ja Fanny immer mit! Und wie befindet sich die älteste Schwä- gerin? Sie soll mir von der Schröder schreiben; Fanny’n diktiren. Also du hast für mich geweint in der Jägerstraße! Ja. Da ist mein Mausoleum. Da hab’ ich geliebt, gelebt, gelit- ten, mich empört. Goethe’n kennen lernen. Bin mit ihm aufgewachsen, hab’ ihn unendlich vergöttert! da wacht’ ich und litt viele viele Nächte durch: sah Himmel, Gestirne, Welt, mit einer Art von Hoffnung. Wenigstens mit heftigen Wün- schen: war unschuldig; nicht unschuldiger als jetzt, dachte aber alle Leute seien vernünftig, können es sein. Ich war jung. (Eben war Mad. Schlosser hier; und störte mich bei dem Worte jung. Nun soll’s auch dabei bewenden.) Du Lieber. Wir gehen noch Einmal zusammen vor dem Dachfenster vorbei! „Ach! wer ruft nicht so gern Unwiederbringliches an!“ — „Reich’ ich ihr doch kaum bis an die Schultern.“ Sagt auch Goethe Einmal von der Erfüllung der Wünsche. Reiche ich doch kaum dem Glück, in einer Verbindung wie die unsrige zu leben, an die Schultern, und fasse sie wirklich nicht immer, genieße sie nur. Adieu, mein theuerster August! Morgen kommt ein Brief von dir! Grüße alle Geschwister, Nichten und Freunde. Deine R. Es ist heute schönes Wetter. Adieu, adieu! An Varnhagen, in Berlin. Frankfurt a. M., Dienstag, den 4. November 1817. Bald halb 11. Noch herrscht Nebel, gegen Mittag wird wohl die Sonne siegen; wie all diese Tage her. Das Wetter ist wie in Berlin. Wenn ich dich nur beruhigen könnte, mein geliebter Freund, über mich beruhigen! Wenigstens erhältst du meine Briefe, die dir nicht die mindeste Ungeduld zeigen, und es auch schon gut finden wie du, daß du nur in Berlin warst, und überhaupt alle deine Ansichten gewissermaßen im voraus haben. Ich bitte dich noch Einmal hier! dich in nichts zu übereilen; auch auf der Herreise nicht; dort, wie du es nennst, nichts ver- wundet zurückzulassen; und — in deine Anmahnungsschrei- ben nicht zu viel Salz zu streuen. Ich weiß, ich kann dir das Fach der Schreibekunst in größter Sicherheit wie das des Verhandlens überlassen, aber mein zaghafter Karakter läßt doch ein Wort mit einfließen; welches du manchmal in meiner 32 * Gegenwart ohne Schaden zu deinem Salze wirfst. Wenn dieser Brief kommt, hat die Sache schon ganz deine Wendung, und ich brauche mir keine Vorwürfe zu machen. — Gestern im Nachmittag früh, geliebter Freund, bekam ich deinen Brief! Was er auch sonst enthält, wenn ich sehe, daß ich dir liebens- würdig bin, daß du mich so nöthig hast, so fühl’ ich mich glücklich, und bestärke mich in dem Bestreben, immer und bes- ser den Fund, einen solchen Freund zu besitzen, recht zu ver- dienen; — kurz, ich erwäge dann mein Schicksal, und mustre an mir selbst. — Über Koreff schrieb ich dir neulich in der Eil und in den erhitzten Nerven nicht; du glaubst nicht, wie mich das freut. Unendlich die Sache selbst. — Wunde Ver- hältnisse schmerzen mich immerweg bis sie heil sind; und er soll nicht denken, wir könnten reell ihm weh thun, schaden wollen, oder dem Besten in uns, bei ihm abtrünnig werden wollen. Alles dies ist es aber noch gar nicht allein, was mir dabei so lieb ist; sondern es freut mich ganz überaus, daß in seiner Seele so schönes, sanftes, gereinigtes Gemüthswetter ist, wo schlechte Dunstwolken weichen, gar keinen Stand fin- den, weit abziehen müssen, und dort eine reine leichte Sphäre, für älles bessere Gedeihen ist. Dies ist wahrhaft weiter ge- kommen sein; wenn unter gewissen Menschen gar kein Ent- zweien haften kann, und sie nur immer bei den höchsten und geistigsten Punkten sich gewiß wiederfinden, wo alles Zufällige und Geschehene , was geschehen kann, zurückbleibt. — Die Stägemann’schen Gedichte haben mich unendlich ergötzt: nämlich ich habe salzige häufige Thränen geweint. Göttliche Stellen, und Bilder! Aber meine Lieblingsstelle ist: Messieurs les ma- réchaux! Blücher se met à cheval! „Marschälle Frankreichs insgesammt, der Blücher steigt auf’s Pferd.“ Du weißt, ich bin nicht für Hohn, und kein Franzosenfresser; aber eine glück- lichere Stelle, eine einfachere, tief aus der Sache selbst ge- schöpfte, und darum so schwer zu schöpfende, kenn’ ich nicht. Und daß Blücher auch ein Marschall ist; und nur Einer, und sie Alle gerufen, gewarnt werden; wunderschön ! Und der Fels, der sich wie ein Knie dem Strom entgegenstellt; und Schlesiens Schneehaupt oben, die schäumende Katzbach unten; und unser Gold, Eisen . Kurz, solche Thränen! ich weine jetzt . Grüß Stägemann. Gestern sollte ich mit Frau de Ron die Räuber von Eß- lair spielen sehen, aber in die Komödie traut’ ich mich noch nicht, auch ennuyiren mich die Räuber von je. Ich bin darin genaturt wie Goethe. Mit Respekt zu sagen! sans comparai- son! Gräfin Golz ließ mich nach dem Theater mit dem Wa- gen holen, wo wir recht vergnügt waren, und Hr. von Ga- gern von Italien erzählte: nämlich von lauter bekannten Menschen. Vormittag war ich weit spaziren: sah was Adel- heid Herz macht, sie ist noch nicht ganz besser: heute bin ich bei Frau de Ron zum Thee. Ich liebe die Frau. Nun Augustel! kommen scharfe Kommissionen, wovon die erste, die da genannt wird, ausgeführt werden muß. Es giebt in der Flittnerschen Apotheke in der Jägerstraße ein Räucher- pulver zu kauf: welches Königsräucherpulver heißt, davon wünscht Graf Golz für einen Dukaten zu haben. Dies bringst du in einer Schachtel in Stroh im Sitzkasten mit. He? Ja! die Gräfin wünscht für ihr Leben! einen Sack von den klein- sten Teltower Rüben: kannst du das, so verbindest du mich: auch im Sitzkasten. Wir sterben vor Appetit nach Berliner Bier. Erkundige dich, ob man Fredersdorfer schicken kann, und wie . Köchin Hanne besorgt dies alles. Mir bringe eine Bouteille Weißbier mit! Ich scherze. Wir sagen uns aber bei Golzens lauter Berliner Gerichte vor bis zur Ohnmacht für Appetit; gestern Morgen frühstückten wir dort, Hirse in der Milch! Wir Frauen nämlich. Da ich dich nun ge- ärgert habe, will ich dich auch amüsiren. Es amüsirt dich doch gewiß, wenn ich dir sage, daß ich nicht allein gestern an Tettenborn, sondern auch an die Person schrieb, die „wir kürz- lich sahen,“ und so amüsant, so gelungen, daß ich des besten Eindrucks gewiß bin. — Moritzen müßte mein Geschrei über die Schröder entge- genstehen: dann wär’s aber nicht mehr zum Lachen; ihr hiel- tet den Lärm nicht aus. Ich grüße Moritz; er goutirt sie gewiß noch: der Beifall, den sie ärntet, macht mich ganz üp- pig. — Wie freue ich mich dich zu sehen! Ich umarme Er- nestine! Nicht wahr? „die Bürgschaft“ (von der Schröder deklamirt). Ich freue mich, daß die Schröder gut aussieht! Tausend Grüße. Und an dich! Adieu! Den 8. November 1817. — Ich bin da für, alle Ereignisse so gut im Großen, als im Einzelnen, still abzuwarten: und nur einzugreifen, wenn sie grad für unsere Absichten reif sind: nur dann sind sie süß, und leicht zu pflücken; wie die Früchte. — Als ich die vorige Seite, aber nicht meinen Perioden fertig hatte, wurde ich von einem fremden Grafen, und dann von der armen Jüdin ihrem Onkel, der sich zu bedanken kam für eine Verwendung, die ihr Hoffnung schafft, gestört, vorher schon von ihrem Geschäfts- mann. So geht’s dem, der sich in alles mischt. Aber ich finde, wir sind Alle eigentlich Gottes Statthalterchens hier, und so schaff’ ich und treib’ ich mit nach meiner Einsicht. — Ich bin noch von gestern angegriffen; drum werd’ ich auch nichts von Büchern, die ich lese, nichts von Diskussionen mit Schlegel — endlich über Religion, — schreiben; ich attakire keinen , wenn er sich auch nur hinter eine Religion wie hinter einen Schirm stellte ; auch lass’ ich mich lange necken; mit Einmal aber, und so ist’s immer, kommt meine ganze Meinung mir unverhofft, und den Andern zu größerm Schrecken, als von sonst Störrischen, zum Vorschein. So war’s auch hier; und soll nun noch ganz anders kommen. Wir sind aber besser als jemals zusammen. An Rose, im Haag. Frankfurt a. M., den 7. November 1817. Donnerstag Vormittag, nebliges Wetter; welches jetzt sowohl in Berlin, als allenthalben hier Mode wird. Sage Karln, ich glaubte es wäre auf Anstiften Rußlands, das den Britten nichts mehr voraus lassen will, und gehöre zu seinem Kontinentalsystem. Du siehest, Rosine, ich bin noch immer hier. Du denkst, ich ärgere mich? Gar nicht. Ich nehme nur Antheil an Varn- hagens Unruhe und Ungeduld; ich wußte es ja vorher, daß es so kommen würde. Ich kenne das Terrein zu gut; jeden Einzelnen zu genau, alle Bestandtheile, die das Ganze bilden. Ich habe nun wohl an sechs Briefe von August, die aber alle nichts enthalten, als seine Sehnsucht, Ungeduld und Liebe, daher erwarte ich sie und lese ich sie mit dem höchsten In- teresse. — Die Herren, mit denen er’s zu thun hat, sprechen sehr gut und schmeichelhaft zu ihm: nur zögert die Bestimmung, die er erwartet, wie alles in der Welt, In meiner Weise die Sache zu sehen, hat sich nichts geändert, als daß ich die Reise selbst an und für sich günstiger anzusehen habe, als ich sie mir vor ihrem Geschehen denken konnte. August ist von allen Seiten dort ganz außerordentlich aufgenommen; und man zeigt ihm, daß man die vortheilhafteste Meinung von seinen Fähigkeiten hat; alte Freundschaften werden wieder aufge- frischt, und Verhältnisse zu künftigem Gebrauch in Gang ge- setzt. Auch haben sich die Geschwister und die ganze Familie unendlich mit ihm gefreut. Ich für meine Person bin so gerne hier, als in Karlsruhe; dort ist mir manches nicht recht, hier ander manches; hier sagt mir einiges zu; anderes dort. Wer nicht behaglich und nach seiner Wahl leben kann, ist wie un malade qui s’agite dans son lit: il tâche de se mettre du côté opposé, parce qu’il est trop incommodé de l’endroit où il était posé, mais bientôt il sentira les mêmes douleurs, et s’agi- tera de nouveau. So ungefähr sind wir Alle in der Welt gelegt ; nur in der Jugend glaubt man, daß es Lagen gäbe, die gar nicht drücken; und dar um, nicht weil man lebhafter ist, giebt man sich so viel Bewegung los zu werden was uns quált, und zu finden und haschen was wir lieben müssen, und was uns reizet. Doch bin ich sehr zufrieden! und danke sehr Gott! Ich sehe meist ein, welchen Schatz ich an Varnhagens Liebe und Freundschaft, und an dem Glück seines Umgangs habe, den er mir aus Liebe, und Gott aus Gnade, und die Welt aus Vorurtheil als rechtmäßig zugesteht. Unser Umgang und Verhältniß sänftigt und mäßigt, und bildet sich immer besser aus. Wir können uns alles sagen und bilden uns zu- sammen ferner. Es ist eine Schande und eine Sünde, daß ich dich so lange auf diesen Brief habe warten lassen! aber ich erwartete immer etwas Bestimmtes aus Berlin: und hatte so unendlich viel an August, seine Korrespondenten und an die ganze Berliner Familie, und hier für eine arme Person, die im Gefängniß sitzt, zu schreiben; welches ich eigentlich wegen Nerven nie gut kann; nun hatte ich auch obenein mei- nen Winterhusten, war acht Tage zu Hause, der und dies Einsitzen griffen mich so an, daß ich gar nicht schreiben konnte, und doch viel schreiben mußte. Ein nervöser Fieberzustand hatte mich befallen: jetzt geh’ ich längst wieder allerwärts hin — esse jetzt Schmalzstulle von Gänsen, welches ich mir von einer Jüdin, die mir verkauft, schaffte. „Ohme Mar é kus!“ hat uns den 14. Oktober einen zärtlichen Brief geschrieben; dir und mir, den ich erst jetzt von Karlsruhe erhielt. Lebe wohl! Grüße all die Deinigen, ich umarme dich und Karl. Lies ihm nicht alles. Nichts von Berlin. Deine R. Ich weiß nicht, welchen Tag die Post nach dem Haag geht! Dore grüßt sehr: wir sprechen alle Tage von dir und daß du den Sommer kommst. Adieu, liebe Rose! Du kannst den Brief immer lesen lassen. Ich irrte mich nur. Cher Charles, ayez soin que les lettres d’Alba et de Phi- lippe II soient publiées, ne l’oubliez-pas!!! J’attends tou- jours Varnh.; ses lettres sont toujours les mêmes. An Varnhagen, in Berlin. Frankfurt a. M. Freitag, den 14. November 1817. Nebel, der schon von der Sonne durchdrungen wird; ko- thig, nicht kaltes Wetter. Obgleich man mir gestern Abend sagte, der Staatskanz- ler reise nun selbst den 15., also morgen, so glaub’ ich doch nichts gewiß; weder an den zu seiner Reise bestimmten Tag, noch daß alsdann du unfehlbar auch kommen müßtest, wenn er reiset; und schreibe noch Einmal. Ich fange damit an, daß ich deinen Brief vom 4. erst gestern erhielt!! Auch muß ich fragen, ob du den von mir bekommen hast, wo einer für die Schröder drin lag, und ein Billet für Fanny und Hann- chen, und eins für Ernestine; und ob Moritz meinen großen Brief erhalten hat, den ich ihm gleich zur Antwort schickte; und ob mir niemand antworten wollte; nicht Einmal anzei- gen, ob meine Briefe angekommen sind? Hätte ich mich doch getraut mir die Nacht zu verderben, und hätte dir gleich ge- stern Abend aus dem Herzen geantwortet, wie es von deinem Brief bewegt war: lieber August! Wie arm aber ist die Welt, wie stumpf die Menschen und faul im Aufregen ihrer selbst, wenn ich so viel gelten soll? Erst neulich sagt’ ich im hastigen Reden zu Scholz: „Ja, ich habe viel Verstand; aber ich merke es nur an der Andern große Dummheit; es däucht mir eigentlich nicht! “ Bei dem Wort Verstand unterbrach er mich mit den Worten: Sie dürfen auch das nur sagen. Du aber, mein eingenommener, ehrlicher, ehrlich weil du ein- genommen sein kannst — August, glaub den Andern nicht , wenn sie mich loben: im Augenblick müssen sie sich mich wohl gefallen lassen — Schlegel sagt, ich verstünde manches nicht: nämlich Brüderschaften, als Freimäurer, und dergleichen Ge- treibe, weil ich so éminemment eine Person wäre — wenn du mich grade, und all meine Persönlichkeiten erwähnst; aber sie lieben mich gar nicht: ich entgehe ihnen ganz: ich bin ihnen durch Güte, und Übersicht ihrer, und nur so hinzunehmenden deutlichen Vortrag, durch Freundlichkeit und Prätensionslosig- keit zu bequem; und gar nicht wie da! Werden Sie mich aber gewahr, so hassen sie mich ehr. Ein Wahrhaftiger, ist fast so verhaßt, als Wahr heiten: so lange ich mit meinem Generalisiren ihnen Belege für ihre Wünsche, kleine Leiden- schaften, und Geschichten gebe, ist es ihnen recht; und sie mei- nen, sie hätten die Gründe der Rechtmäßigkeit dazu mit den Begierden, so obenein gefunden; widersprechen ihnen einmal diese Gründe, so bin ich ihnen fatal, als unbequemer Rebell, der ungebeten auch da ist. Glaub mir; ich schmeichle mir nicht; und darum seh’ ich sie durch. Harscher z. B. hält jetzt Stücke auf mich. Weil ich ihm ganz als Abstraktum durch Briefstellen, und dein Reden, dein Bezeugniß, dein glücklich leben mit mir, gegenwärtig werde; und wie er mit mir lebte, war er schlaff genug, mir Begueulen vorzuziehen. Geschöpfe, die sich keine Rechenschaft über sich selbst zu geben vermögen. kein promptes Gefühl haben, hartherziger sind, als ich, die eitel sind: und aus dieser Eitelkeit nach Lob und Beifall stre- ben und handeln, die ihnen gezollt werden. Ganz gut. Nur bleibe man dabei: und schwelge nicht an zwei Taflen. Al- mosen kann man von meiner haben. Die Beschreibung, die ich hier von meinem Effekt mache, wiederholt sich nun mein ganzes Leben durch, durch alle Nüancen, die bei einem jeden Verhältniß zu Menschen aus diesen hervorgerufen werden, aber immer nach derselben Regel. Die Regel hier, bin ich: die sich längst einsieht, aber gar nicht ändern kann. Es mag Andern auch so gehen; aber noch niemals fand ich jemand, der mich ganz übersah, ganz meine Konstitution und meine Seele verstand, jedes Einzelne, die widersinnigsten Äußerun- gen aus dem Ganzen; sonst müßte es sich ändern, und ich würde eine andere Regel. Du nimmst mich mit Liebe auf im Ganzen, und verstehst mich, und gleich ist es anders. — Was Herr von Zerboni mit dem treffenden Wort meinen kann, das ich soll gesagt haben, und das einen ganzen Menschen unwi- dersprechlich bezeichnen soll, weiß ich wirklich nicht: besonders aber weil es ihm Herr von St. soll erzählt haben. Dem er- innre ich mich nicht etwas gesagt zu haben; sonst sage ich dergleichen grade sehr viel; „in dem Fach bin ich ein Igno- rant“, und Gentz wollte dar über vor achtzehn Jahren schon verzweiflen; wenn ich ihm mit Einem Wort Menschen vor- hielt, die er alle Tage in den großen Häusern sah, und nicht kannte. — — Sei du aber nur ganz ruhig; und boße dich nicht! Denke auch nicht, anderswo sei’s besser; noch ärger. Die Länder befinden sich nicht wohl, es ist ihnen übel, und sie nehmen immer noch mehr Süßigkeiten, und leben in der alten Unordnung bis das Erbrechen eintreten wird; ein gräßlicher Krampf, abscheuliche Operation: Viele werden doch der letzten Anregung dazu alle Schuld beimessen. Wie man zu einem Kranken sagt; warum dreht er sich auch um, davon kam der ganze Anfall wieder. Wenn ich die Konvulsion vermeiden kann, will ich’s thun, da ich die schlechte Diät kenne. Sei geduldig, liebe Guste! Wir wollen’s zusammen tragen. Man kriegt nichts auf dieser Welt: jeder sein Schicksal und damit gut. Frau von Wolzogen begegnete mir gestern, sie ist schon vierzehn Tage hier, sagt sie. Mein Husten ist längst besser, von Wein?! Du Häßlicher! warum machst du Fanny weinen? Gleich küss’ ihr die Hand! Ferdinands Locke freut mich, sie macht mir eine Idee vom ganzen Jungen. Ich danke dir für alle deine Besorgungen und Nachrichten! — Was ist das? Charlotte von England ist todt? unan- genehm. Ich erschrak mich. Im Wochenbett sterben ist so häßlich. Die arme Mutter. Adieu, adieu! Sonnabend Vormittag den 15. Eben solches Wetter, nur trüber. Gestern das schönere Wetter machte uns Allen und mir viel Kopfweh: doch war ich den Abend noch aus, bei meinen ewigen Schlegel’s. Der Prinzessin Charlotte Tod erregt hier alles! Schlegel z. B. sagte mir gestern auf dem Spazirgang, wo er eigenst bei mir zurückblieb; erst, was ich sage? ich sagte nichts beinah; und dann, daß nun Hannover an England bleiben würde, welches doch gewissermaßen nicht gut wäre; und dann: „Immer wenn jetzt so etwas Unerwartetes geschieht, als ein Sterbe- fall, oder dergleichen, so bin ich ganz gespannt, dann denk’ ich immer, nun“ — er stockte, — so müsse es losplatzen? sagte ich; ja! sagte er lachend, erhitzt, und occupirt. Mein Guter! du wirst noch sehen..! den kenne ich nun ganz. Es war ein wahres Studiren für mich die Zeit her: wie in einer Bibliothek war ich hier eingesperrt; aber ich las. — Ich dank’ dir sehr für Schleiermachers amtlichen Synodenbericht. Schade! daß er wie mit den verdrehten, noch nicht ganz aus ihrer Knospe gebrochenen Phrasen der Wissenschaft, und nicht mehr klarer Leichtigkeit geschrieben ist! Der Ton, die Kürze überhaupt darin, das virtuosische Auftreten, als gelehrtester Kompetent zwischen diesem nichtigen Gewebe von Streitpunk- ten, findet großen Anhang und Applaus in meiner Seele! So gelehrt, und karakter-tüchtig, müßten Regenten sich vor die Beschlüsse zu stellen wissen, die Einmal das Resultat ihrer Überlegungen sind!! Wie leicht schließt sich die große Masse, die nicht Überlegenden aller Klassen, an so bestimmte Beschlüsse, Verordnungen, und Thaten. Sie wollen gar nichts anderes, und bedürfen nichts anderes. Es frommt ihnen nichts anderes. Du ahndest auch noch nicht, wen ich alles der großen Masse beistelle!!! Ein Funken von einem Re- genten, sitzt auch in mir: und das ist in meinem Geiste: die Überzeugung, die ich hier eben aussprach. Bravo! Schleier- macher! Wie abgemacht sprach er von den Ceremonien, ohne sie zu nennen! Bravo! wie klar und kurz von der Polemik der ältern Reformirten, die sich in der Behandlungsweise des Abendmahls aussprach. Wie erschöpfend für Ungelehrte; wie unwiderlegbar für Gelehrte, die auch alles Vorgefallene dar- über auswendig wüßten! Edle Philosophie! Beurtheilerin, Ordnerin aller menschlichen und geistigen Angelegenheiten. Ein richtiger Gedanke von dir, richtig angewandt, ist ein Tag der Sonne für ganze Welttheile. Diesen Ausruf pressen mir die Glaubensliebhaber aus: und Novalis, der mich dagegen stär- ken muß: von Solger las ich philosophische Gespräche! — Schlegel lobte sie mir an. Mündlich davon. Von Frau von Woltmann, lieber August, hast du mir nicht hart, nur in Kürze geschrieben; in meiner Jugend, als ich mehr taugte, als jetzt, konnte ich das auch; überhaupt da fertigte ich die Leute auch mündlich in Kürze ab, und war herber, das taugt ihnen besser. Jetzt müßt’ ich mir dies Verfahren erst anstudi- ren; und öfters nehm’ ich’s mir vor. Denn wirklich die, die sich vorsetzlich verstocken, sollten gar nicht glimpf behandelt werden. Und Deutschland hat jetzt eine ganze Klasse solcher, wovon Schlegel die brütende Klucke war! Wir in Branden- burg, nennen die alte Henne so. Jeder, der nur Einmal seine Überzeugung in sich zum Schweigen bringt: oder Einmal einem Andern nur nachspricht, und sie gar nicht zu Worte kommen läßt; ist unrein, geistlos, zu allem Schlechten fähig; denn die Möglichkeit und der Anfang ist da! In mir sind solche von je ewig verurtheilt, du weißt es. Zu lange aber hab’ ich die eine Seite, das Nachgeben, und die Nachsicht geübt: die Natur gab mir thätige Waffen: wie ein abgeleb- ter in Zorn gebrachter Ritter, will ich sie hervorsuchen. Will, will! — — Ich mußte zu viel dumm Religiöses, Lügenhaftes, zu viel boshafte Angriffe die Zeit her hören! — Seit Montag ist Wangenheim hier: in Mandelslohe’s Stelle, welcher mit einer ziemlichen Pension und einem schmeich- lichen Judasbrief seinen völligen Abschied hat: er geht auf eine kleine Besitzung im Hannöverschen. Alle Minister sind empört wegen dem schnellen Wechsel, und spieglen sich in dem Schicksal. Andre sagen, der Bund wäre das Ungnaden-Exil: W. sei man wegen der Stände hier nur los geworden. Cotta ist auch geadelt; und reist nach Sicilien. Das sieht man eben so an. Ein altrömisches Exil. Lebe wohl, lieber theurer Au- gust! Wenn ich nur morgen wie die andern Leute Briefe bekäme! Deine R. Nun geh’ ich zu Frau von Wolzogen. — An Friedrich von Schlegel, in Frankfurt a. M. Frankfurt a. M., im November 1817. Ich bitte Sie gar sehr, lieber Schlegel, vergessen Sie nicht nach dem Mädchen von Orleans zu schicken! Ich wünsche sehr, auch Ihnen dafür noch dankbar zu werden, wie ich Ihnen für die hier zurückkommenden Zeitungen und Solger danke. „Er ist klar, sagten Sie, aber nicht im Klaren.“ Nun, da ich ihn ganz gelesen habe, sehe ich dies erst recht deutlich ein: es heißt doch eigentlich, er zeigt uns klar, daß er nicht im Klaren ist. (Ich bin gar nicht betreten, ihn so keck zu beurtheilen; die Ursache später.) Eins aber verdank’ ich ihm, bei vielem andern Vergnügen, ganz besonders; ich hatte hatte nämlich schon längst eine Ahndung, daß Nichts auch wohl Etwas sein könne; und in dieser hat er mich sehr scharfsinnig bestärkt. Warum der aber Fichte’n so abthuend behandelt, ist mir ein Räthsel; da er, nur mit andern Wor- ten, ein ganz ordentlicher Fichtianer ist? Von seinem Sprunge, den er nach der Erklärung des Nichts oder der Welt thut, nicht zu sprechen, wo er auch dann Fichte ganz verläßt. Meine Keckheit aber, über diese Dialogues — wie Sie mir nachsprechen — hab’ ich mir aus ihnen selbst entschuldigt: er wird doch nicht mehr Respekt verlangen, als er Fichte’n be- zeigt! Sie sehen nun, was mich in diesem Buche verdroß, und freute. Wenn Sie aber künftig noch so gnädig im Bü- cherleihen für mich gesinnt sein könnten, so versprech’ ich Ih- nen, nie wieder ein schriftlich oder mündlich Wort darüber zu sagen. — An Auguste Brede, in Stuttgart. Karlsruhe, den 2. December 1817. Dienstag 11 Uhr Morgens, nasses Schneewetter. Alles kann sich unverhofft ändern, das Unvorhergesehenste ereignen, aus recht Schlechtem grad Gutes entstehen; so denk’ ich schon lange, wenn mich Unglück krümmt; weil es mir schon oft so geschehen ist. Und was ich mir selbst sage, weiß ich auch nur meinen Freunden zu sagen. Es ist unerhört, daß man nie fertig wird, nie sicher ist. Alle Tage muß man kämpfen, einen nach dem andren herunter kämpfen. Und das — für kleine Viertelstunden, wo man vorgiebt zu leben; denn ganz II. 33 wie man’s möchte ist es doch auch nie. Ich sagte mit Be- dacht: vorgiebt zu leben; man würde doch eigentlich gering leben, und für seine eigene Person zufrieden sein; denn wenig schluckt man eigentlich herunter, wenig gehört zu einem be- quemen Lager, warmen Kleid, reiner Behausung. Aber um die Viertelstunden Schein thut man alles; und der Fluch geht so weit, daß er an des Einzelnen Eitelkeit gar nicht allein liegt; es hülfe nichts, sie in uns besiegt zu haben: erließen wir uns den Schein, so würden wir von allen Andern gleich ganz, unter unsre Realität herabgesetzt, und uns nicht mehr zugestanden in dem Kreis zu leben, wo Bildung und alle Eitelkeit zusammen herrschen, leben und weben. Dem allen zu entsagen, heischt einen wahren Heldenmuth, und nicht nur eine Abnegation von Eitelkeit, Scheinenwollen und Wett- drängen! So macht man alle Laster mit, ohne lasterhaft zu sein: wie arme Kranke in Pestluft: sie waren gesund; aber Heilmittel sind sie nicht! Ich fände unsern Menschenzustand alle Tage elender, wenn ich nicht bis auf den tiefsten Grund desselben längst gekommen wäre, und auch schon oft vermeint hätte alle Variationen darüber erschöpft zu haben: die aber gehen in’s Unendliche! Das ist unser Unendliches. So un- verhofft es aber ist, daß, anstatt Sie nun zu einer bestimmten Zeit zu mir kommen sollten, grad diese längst vergrabene Krüm- mung ausbricht; eben so kann eine Hülfe kommen; oder eine Veränderung, die ihr Gutes hat. Das glaub’ ich fest. — — Dies alles sind nur die Notizen, die mir am schnell- sten einfallen wollen. Hier wird man jetzt lebenslänglich en- gagirt: und Weixelbaums sind jetzt ein solches sehr vortheil- haftes Engagement eingegangen. Wie ist denn das mit der Klausel in dem Ihrigen, Advokate? — Von Erhabenheit und Freundschaft ist hier nicht die Rede. Kann Ihnen die ver- wittwete Königin nicht günstig sein? die so sehr des seligen Gemahls Wahl, Neigung, Geschmack, und Verordnung, und Willensmeinung respektirt? — Außerdem, was haben Sie sich viel daraus zu machen, mit Ihrem Talent! Sie können ja plötzlich ein anderes Rollenfach nehmen, und mit dem glänzendsten Succeß, ohne Ihr jetziges förmlich aufzugeben; an dergleichen dacht’ ich längst. Und Freunde haben Sie ja auch weit und breit; und hier ganz nah. Um Ihnen das noch recht zu bezeigen, schreib’ ich Ihnen gleich, theure Freundin! und, Sie kennen meine geschwinde, heftige Art, um auszu- sprechen, was ich im Herzen trage. Denken Sie an Prag! an den Krieg! an die damalige Abreise und Trennung: wie doch noch Wien und alles andere kam. Ganz frei wird man nie. In jedem Fall bin ich Ihnen nah, und wir sehen uns bald. Varnhagen nimmt den größten Antheil; machte alle Pläne gleich mit mir. — Schreiben Sie nur in wenigen Wor- ten den weitern Verlauf. — Alle Freunde grüßen. — An Moritz und Ernestine Robert, in Berlin. Karlsruhe, den 20. December 1817. Sonnabend Vormittag 11 Uhr. Mollenguß mit Wind; wie alle Tage her periodisch, um diese Zeit, und Abends gegen 10 bis in die Nacht hinein. O! wie elend ist ein Windhund, den immer friert! Nun kenn’ ich seinen Zustand: seit es so mildes November- und 33 * December-Wetter ist, hat meine Gesundheit die Wendung genommen, daß mich immer friert; außer wenn ich auf der Straße gehe. Ein anderes Thier, und gewiß giebt es in der unendlichen, willkürlichen Natur auch ein solches, welchem immer zu warm ist, mag auch ausstehen! diesen Schauder mußt’ ich von der Seele sprechen eh’ ich nur irgend deinen oder Ernestinens Brief, zum Beantworten nur wieder ansehen kann, wenn sie auch schon neben mir liegen; über meinen kör- perlichen Zustand, über momentanes Unbehagen im Ort, oder Zustoßen der kleinen Tages-Ereignisse kann ich nicht weg, — außer um zu dienen oder zu leisten; und dann verschließe ich meine Verzweiflung nur um so tiefer: und man hat auch von mir nichts, als den Dienst etwa, — und mein ganzer Brief zeigt in Form, Farbe und Inhalt, ihn genau an, und da wollt’ ich, um wo möglich mich zu entschuldigen, lieber seinen Text oder Kanevas oben aufsetzen. Was du von Roberts Stück sagst, muß ich für grundwahr halten, weil ich es schon in der Anlage ganz so fand, und ihm sagte. Mit mindestem Erfolg. Es hat schöne Glieder, und ein Leben, was in das Leben ein- greift, weil es aus einer Mitte genommen ist. Daß es dir gefällt, ist mir lieber als Tausend ihr Beifall. Weil wir beide Publikum sind, vermöge der entsetzlichen Ennui- und Amüsir-Fähigkeit: wie aller Pöbel. — Es ist göttlich daß der alte K. auf’s Land ging um der Hochzeit seiner Enkelin nicht beizuwohnen: wie Fürsten, die doch gute Väter sind, wenn eine Mesalliance geschieht: sehen wollen sie es nicht: und möglich soll es nicht sein, in ihrer Gegenwart wider ihren Respekt und Grundsätze zu handlen. So nehmen Leute, die keine haben, ihre Religionsmeinungen. — Nun Sie, liebes Ernestinchen, und da weiß ich noch auswendig, fallen Schelte für Moritz vor. — Moritz eignet sich also das Vorlesen zu? auch schon falsch! wenn ein Brief ausdrücklich an Sie ist; oder auch nur ein Blatt. Was Tinte und Feder betrifft, wollen immer die Männer machen, als gehörte das ausschließ- lich ihnen: weil ihre Geschäfte in diesen Materialien vor- gehen: und nur ihr Schreiben und Lesen ist ein Geschäft, drück- ken sie in Handlungen und Benehmen aus. Was geschehen soll und muß, ist eins: was einem wichtig ist. Sie haben einen schönen Sinn! dem ich allerdings zutraue, daß ich Sie in’s Gesicht hinein loben kann. Lob’ ich mich doch wohl frei und frank selber laut; es thut mir doch nichts. „Sie bilden sich gewiß nichts darauf ein.“ Weil Sie sich überhaupt nichts einbilden: Wahrhaft, redlich und unschuldig sind: und da- rum lieb’ ich Sie . Der Mensch braucht nichts als das zu sein, und er mag, ohne dies, alle guten Eigenschaften haben, so kann er sie doch nicht gebrauchen. Gebrauchen, ein Mensch zu sein. Ich erlasse alle übrigen: diese nie: und bin völlig überzeugt, ohne diese, mit allen Gaben, mit jeder: ist man kein Autor, kein Dichter, kein Künstler, kein Philosoph, kein Freund, keine Mutter, keine Schwester, kein angenehmer Ge- sellschafter, kein wirklicher Geschäftsmann, kein Regent. Mit diesen, immer liebewerth. Nun ist’s drei Viertel. Adieu, liebes Ernestinchen, unterdeß, bis Morgen. — — Donnerstag, den 8. Januar 1818. Regenwetter. Also bis heute lag dieses Ungeheuer von Brief still — ich hab’ ihn eben gelesen, und habe einen Abscheu vor ihm: aber abgehen soll er doch: denn in acht Tagen hätte ich ge- wiß vor einem heute neugeschriebenen denselben Gräuel. Ein anderer Mensch kann mir mit seinen Äußerungen nicht frem- der sein, als mir meine eigenen Stimmungen, wenn sie ein- mal vorbei sind. Verstehen thu’ ich aber den Andern und mich sehr gut. Ich ekle mich auch hauptsächlich nur vor mei- nem rohen, und noch mehr ungewandten, ungeschlachten Aus- druck, ich — die ich so viel Geschmack habe! aber gar kein Geschick; — und lebte weiter, ohne Pflege, als ob er das schönste Manuskript wäre. — Machen Sie ja fleißig Musik, Liebste, sonst verlieren Sie Ihr schönes Talent, den großen Lebensschmuck! — wie ich meines!!! Sie schreiben mir von Musik. Ich habe Ihren Brief vor mir. — Moritz, ärgere Ernestine nicht so! das sag’ ich dir, es wird dir leid thun! das hilft gar nicht, daß du sie doch lieb hast, und ihr ein andermal schmeichelst. Sie muß ganz ihre Freiheit haben. Thun was sie für gut findet. Du schreist sie nicht an, wenn Luise sie einladet, du giebst auf solche Einladungen nicht Antwort, sondern sie ganz allein . Vergiß nicht, daß man gar keine Sache und keinen Zustand findet, an welchem nichts auszusetzen wäre, daß man unaufhörlich alles und die An- dern nur erträgt: und du auch nur so ertragen par com- pensation bist. Wenn sie allein zu Hause bleibt, ist es dir auch nicht recht: das kenn ich alles! genug wenn sie dich nicht geniren will , nicht Herr deiner Zeit sein will. Mache ihr grade in Kleinigkeiten das Leben lieb: das sind grade die unbenannten Hauptsachen. Machen Sie sich so viel Plaisir, als Sie können, Ernestinchen, einer so sittlich lieben Tochter kann man schon so zureden. Ich bleibe einmal Ihr Stangen- halter. — Adieu Kinder, ich sehne mich sehr, und sehr oft, bei allen Gelegenheiten, nach euch, bald nach Einem bald nach dem Andern, nach seinen Gelegenheiten. Küssen Sie den blonden Ferdinand. An Auguste Brede, in Stuttgart. Karlsruhe, den 5. Januar 1818. — Sehen Sie, daß es nicht so blieb? Nur kein kleines, verknittertes Schicksal, welches so seinen Gang ohne Titel und Namen geht; das wird man nie los: wenn es uns aber so Einmal derb um eine Ecke herumschleudert, und man nur den Stoß fühlt, und gar nicht weiß wo man hinkommen kann: so ist jenseits wieder Welt und Ereigniß; und liegen wir ja da, so ist’s ein namentlicher Unglücksfall; das Volk läuft zu- sammen und hilft. — Ich bin trocken, und daher verdrießlich in der Seele; mich melirt nichts auf, — wie der Herzog von Weimar sagt. — Es ist viel drüber zu sagen, drum muß ich schweigen. „Mit mir ist’s aus, mit mir hat’s ein End, Husar muß ich werden im Leibregiment!“ hört’ ich Einmal, in westphälischen Zeiten, in rührender, lustiger Melodie einen Rekruten in Magdeburg singen. Die Sonne schien hell auf ihn, in einem gedrängten kleinen Gäßchen, wo auch ich mit dem Reisewagen lang hal- ten mußte. Ich war aus Verzweiflung aus Berlin gereist, um das Ausziehen aus der Jägerstraße, und von meiner Mutter, nicht zu erleben. Der junge Rekrute mag längst todt sein; Lavendel in Spanien auf ihm blühen. Von mir kann man Sprüche pflücken, die nicht duften, nicht nähren. Sie sehen meine Stimmung! — Januar 1818. Im Herbst 1817 saß ich Abends mit Frau von Schlegel schon bei Lichte; wir hatten viel hin und her gesprochen, über das Drückende von den Mänglen der menschlichen Gesellschaft überhaupt, kamen zuletzt darauf, wie das nicht einzeln zu ändern sei, und wie nur eine große Veränderung schaffen könnte was so sehr nöthig, und abschaffen was so sehr un- leidlich sei: so berührten wir auch die verschiedenen Zustände der Menschen schon von Natur aus, und den großen allge- meinen Zustand, in welchem sie sich in dieser Welt befänden: gebrauchten aber in der Heftigkeit des Redens mehrmals das Wort Stände, obgleich von ihnen nicht die Rede war: indem wir dies thaten, trat Schlegel, nach einem Mittagsmahl, mun- ter, und angeröthet, in das Zimmer: drehte, so zu sagen, die Ohren nach uns hin, wollte gern plötzlich wissen, worüber seine Frau so angeregt und feurig sprach; und als er von ungefähr ein paarmal Stände, anstatt Zustände, hörte; sagte er halb ennuyirt, halb komisch, und lustig wahrhaft, indem er sich tief in einen großen Armsessel plumpste: „Ei was! Es giebt gar keine Stände; außer zwei: Priester und Laien!“ — Höchst wahr aus einem größten Gesichtspunkt; und eine Wahrheit aus der Tiefe seiner Meinung. An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Paris. Karlsruhe, den 6. Januar 1818. Freitag. Helles ungesundes, halb rauhes Frühlingswetter. Schon seit dem letzten Mittwoch, theure und sehr geehrte Freundin, will ich Ihnen nun bestimmt schreiben; diesen Tag war es, wo ich den hier für Sie einliegenden Brief erhielt. Ich war aber nur eben auf ein paar Stunden von einem harten katarrhalisch-nervösen Anfall aus meinem Bette erstan- den, und grade zum Schreiben durchaus unfähig: doch mochte ich diesen Brief mit einer bloßen Aufschrift an Sie nicht allein reisen lassen. Heute nun wanke ich menschlicher in meinem Zimmer umher, und obgleich ich noch schwer und mit Nach- theil schreibe, so will ich Ihnen Ihren Brief nicht länger vor- enthalten, da es mir scheint es sei ein Geschäftsbrief. Die einzig noch erträglichen, und einzig interessanten, wenn sie auch meist nur Unangenehmes enthalten. Denn, was soll man noch viel salbadern, und hin und her fechten mit Worten, Maximen. Meinen, Dafürhalten, und winzigen Resultätchen, Reglen, die sich nur durch Ausnahmen winden, und sich und Andern bezeugen, daß es einem am Besten, an Genuß fehlt: an dem, was unsere Natur imperios kategorisch nicht aufhört zu fordern; die äußern Sinne und der innre fordert. Men- schen von gründlichem Gemüthe — deren alle Vierteltages- stunden im Zusammenhange aus diesem Gemüthe heraus blei- ben, und die sich nicht begnügen können, wenn sie, oder was sie betrifft, nur für Andere scheinen — machen alle bankrutt , wenn sie nicht früh ihre Einsichten zu einer Ein- sicht zusammenbilden können, und nach einem wohlgezimmer- ten Plane zu einem vorgesetzten wirklichen Ziele sehr hinarbei- ten: sich nicht an einzelnen Vorfällen für Herz und Geist wie- derholend und kindisch ausstören lassen. Zu dieser Einsicht komme ich zu spät: und mein Karakter und meine Gesundheit sind dazu zu verweicht. Ein bestimmtes Talent, irgend etwas zu bilden, außer meiner Einsicht, hab’ ich auch nicht; also ge- ziemt mir Schweigen. Nun bin ich noch sehr amüsabel, aber mir fehlen die Gesellen! z. E. hier; ich habe nicht Eine intime noch familiäre Frau. Keinen aufkeimenden Menschen, an dem ich Freude und Beschäftigung fände: keine gesellschaftliche Rei- bung, die meine Aufmerksamkeit in Anspruch nähme; keinen großstädtischen Lärm, dem man nur zuzusehen braucht; nichts fremdes Neues: kein Regen, kein Verkehr der Kunst! durchaus kein Verstehen. Dabei leb’ ich in beinah steter Berührung der hiesigen Gesellschaft, wo es ungefähr und äußerlich so getrie- ben wird, wie in allen europäischen Gesellschaften. Thee, Ball, bal masqué ; Din é ; Komödie; Assemblee, Ambitionen, Florkleider, Kleinlichkeit ꝛc. völliger Mangel, an Witz, Sinn, Scherz, und Tiefsinn und Tiefherz. Darunter ich — mit allen meinen Erinnerungen. — Und — in Furcht , wegzukommen, weil ich jeden Ort fürchte mit seinen neuen Unbequemlich- keiten, und die lokale Landeslage unendlich liebe. Bis im September — Endes — war ich bei meiner Schwester in Brüssel, die ich beglückte und mich mit: ob ich da, und in Aachen, und in Tirlemont, und in all den Orten an Sie denken mußte, dachte, von Ihnen sprach, wissen Sie. Aachen ist ein heiterer schöner Ort geworden; Brüssel eine englische Kolonie. Auch Lüttich hat sich in Ansehen und Reinlichkeit sehr verbessert. Den Oktober und November wartete ich in Frankfurt auf Varnhagen, der in Berlin war. Vor drei Wo- chen kam einen Morgen plötzlich im Durchflug auf eine Stunde Ihr Neffe Archibald zu mir, wir freuten uns unendlich beide. Er ist derb, brav, tapfer, und so grund-natürlich, daß er dies alles von sich nicht weiß. Unaussprechlich kräftig und natürlich fand ich ihn: wie jetzt so leicht keiner bleibt; der Aufenthalt in Frankreich hat ihm dazu wohlgethan, vielem Dünkel und Wortqualm ist er dadurch entgangen. Er kam aus Stenay, wo er unter General Zieten steht. Er wollte quer durch nach Böhmen, nach Schlesien, zu seiner Schwester, zu seiner Frau nach Danzig, ob sie mit nach Stenay will, wo er den 27. d. wieder sein muß. Er fragte mich rasch und viel nach seiner Tante: ich sollte sie grüßen, und ihr sagen, er schleppe sich mit einer Summe umher, die er ihr abzuge- ben habe, ohne zu wissen wo sie ist. Nun weiß er’s. Auch General Tettenborn freute sich in dem kurzen Morgen sehr mit ihm. Von Archibald freute mich, daß sein Herz Ge- dächtniß hat! besseres, als das berühmte von * *. Er äußerte derbe Freude, mich und Robert zu sehen, und suchte mich schon diesen Sommer hier im Durchreisen bei Tettenborn. Was macht der Onkel? was Angelika? Empfehlen Sie mich ihnen. Schreiben Sie mir, theure Gräfin! und alles von Ih- nen und Paris! Landstände, Pairskammern, Preßfreiheit, en- nuyirt mich bis zur Krankheit. Manches sollte längst faulen; anderes längst geboren und erzogen sein! Ihre treue Fr. V. — Lernen Sie par hazard eine Prinzessin Vaud é mont kennen? Dort würden Sie eine Freundin von mir, Gräfin Custine, geb. Sabran sehen, die ich sehr liebe. Sie liebten sie auch. Adieu. — An Rose, im Haag. Karlsruhe, Sonntag Vormittag den 15. März 1818. Ziemlich helles, ziemlich gutes Wetter. Endlich antworte ich dir wieder einmal, mein theures Rös- chen! Aber die Veranlassung zur heutigen Antwort, soll ehr kommen, als sie selbst. Scholz, unser alter Scholz, der jetzt Minister-Resident in Frankfurt am Main ist, wird in sehr kurzer Zeit, in seinen Geschäften, nach Amsterdam reisen, und von dort aus seinen alten Freund Falck im Haag besuchen; und euch sehen. Ich hab’ ihm versprochen, ihn dir und Karl noch vorher zu empfehlen. — Die Hauptsache für mich aber ist die, daß du dich fertig machst, mit ihm hierher zu reisen. Karl hat es mir versprochen, und es muß geschehen!! Dein Sohn ist groß, deine Wirthschaft klein; die Gelegenheit gött- lich. — Hier findest du alles, Bedienung, Bequemlichkeit, Liebe, Mittel deinen Körper zu erholen. Karl kommt nachher, und holt dich wieder ab! Leben muß man auch; nicht immer neue Anstalten zum Leben machen! Du bist es mir schuldig! Ich war wieder sehr krank. Und wenn ich nun Einmal stürbe, und bloß mit eurem Versprechen, und nicht mit der Erfüllung davon: ihr würdet euch quälende Vorwürfe machen. Ich ver- spreche dir, das künftige Jahr auf längere Zeit zu euch zu kommen: wenn du diesmal kommst; und du weißt, ob ich Wort halte, und exekutire! Karl! du mußt dafür sorgen, daß sie diesmal mitkommt!!! Ein kurzer Entschluß ist der beste! Die Einrichtungen sind bald gemacht. Ein wenig trouble, ein wenig hin und her laufen, verschließen. — Keinen Hut — nur einen auf den Kopf — alles findet sie hier. Die Gele- genheit einzig ! Mit einem fünfundzwanzigjährig bewährten Freund, einem Minister, zum Schutz: die Kosten ein Nichts: die Jahrszeit göttlich. Mein Bedürfniß nach ihr nicht zu er- tragen! Ich füge kein Wort mehr hinzu! Wenn diese Gründe nicht helfen, weiß ich, was ich zu denken habe. Auch ich ent- schloß mich so schnell, voriges Jahr: und Varnhagen fügte sich! — Dein Zimmer erwartet dich; Dore; alles ist eingerich- tet; noch Mama’s Betten; eine grüne Atlasdecke. — — Ge- nug, du kommst, und wirst uns in vernünftiger aisance fin- den; in erwünschtem Ansehen; bequem etablirt, ohne Prahlerei. So lebt’ ich den Winter; in sociale Pflichten, Rücksichten, Un- päßlichkeiten, und endlich, eine Krankheit, getheilt. Ich weiß es nicht zu betitlen; ob gut, ob schlecht: es war eben Leben: von beidem gemacht. Varnhagen wie du ihn kennst, uner- schütterlich gegen mich, d. h. in seiner Liebe, seinem Vertrauen, seinem Benehmen. Robert bei uns; ganz vergnügt, ganz gesund, ganz insouciant; in allen Gesellschaften; sogar auf Hofbällen, mit. Jetzt ist er zum Plaisir auf einige Wochen nach Stuttgart, wo es ihm eben so geht. Zu Hause geht’s auch wie immer. Nun weißt du alles. Komm nur! Daß und wie ich dich liebe, weißt du auch. — — Dore will absolut grüßen: richtet schon alles ein; und ist ganz außer sich: ich auch. Adieu! Freitag, den 20. März. Vormittag. Feiertag, still, Sonnenschein: warmes März- wetter: alles schlägt aus, und will ausschlagen: doch ist es windig, wenn auch lauer Wind. Ich, nach einer schlaflosen Nacht, wegen Nervenirritation melancholischer als je . Eine Lust, eine Sehnsucht zu dir, die in peinliche Unruh übergeht. Wem könnt’ ich alles sagen, und vertrauen, als dir: und heute möchte ich das so gern! — — Ich bitte euch, laßt mich keine Fehlbitte thun: nämlich, daß du früh kommst. Der An- fang des Sommers, der Frühling soll uns vereinigen. Ich kann nichts mehr schreiben; ich ward von einem albernen Besuch vom Lande gestört : wo mir Einer ellenl ange dumme Sa- chen vorerzählte. Also! Günstige Antwort! Du Rose! Äng- stige dich nicht dabei, wenn sie ungünstig sein muß! An Karoline von Woltmann, in Prag. Karlsruhe, den 26. März 1818. Widriges, unstätes, unbrauchbares Frühlingswetter. Sie, liebe Freundin, werden mein Federverstummen nicht an meinem Herzen für Sie abmessen wollen! Ich hatte Sie, während er lebte, über Ihren Freund gesprochen, ich habe sie mit einander leben sehn. Ein Todtschlag, auch aller Gefühle und Worte darüber, aller Äußerungen, war dieser Sterbefall für mich, weil ich Sie kannte; da ist nichts zu sagen, das ist wie unser eigener Tod, wie alles Elend hier, nicht zu fas- sen! Nichts erregte mich aus dieser tiefsinnigen Stumpfheit, beleuchtete zuerst die dunklen Wogen in des Busens Tiefe, als die wahrhaft schöne Weise, wie Sie den Verlust auffaß- ten und ausdrückten! Ein Künstler im Unglücke, im Schmerz, — meine höchste Bewunderung, aber der gleich, die ich für einen Virtuosen empfinde, woraus gleich die leidenschaft- lichste Liebe für ihn entspringt, und die größte Dankbarkeit gegen die Natur, die so schön machte und beschenkte! — Daß Woltmanns Ende hier durch Sie so wirken mußte, ist Ihnen gewiß eine genugthuende Betrachtung! Aber in’s Tiefste ge- kränkt war ich, und bin es noch, daß er so schmerzvoll leiden mußte. Es bleibt entsetzlich, daß ein Mensch , ein Wesen mit Gedanken, fähig ist, gemartert zu werden. Wissen Sie, die bloße Möglichkeit, die Vorstellung davon, bringt mich in meinem ruhigen Bette oft zur angstvollsten Spannung; das ist meine größte Hypochondrie, erst vorgestern Nacht bekam ich von solchen Gedanken einen schwindelnden Blutzufluß nach dem Kopfe, ein Dröhnen in den Händen, und einen Schreck in der Brust. Nein, zu Ihnen kann ich mich gar nicht ver- gleichen! Und wenn ich Stärke habe, so kommt sie mir auf eine so andre Weise als Ihnen zu, daß ich mich dabei nicht liebenswürdig finde ; bei Ihnen wird es ein schönes Ge- bild, Ihr Schmerz, Ihr Leid, weil sie zur That, zur ruhigen That, werden, eine Gestaltung zum Weiterleben, zum Weiter- bilden, eine Art Elysium, wo, wenn auch nur Gedanken ge- bildet werden, sie doch für Sie und Andere ein abgeschlossenes schönes Leben führen, unserem Schönsten ähnlich, und an- feuernd hier zum Weiterhandeln; kurz, bei Ihnen wird der Verlust schön, der Schmerz ein Ressort zum Leben! Bei mir ist es jedesmal eine Amputation, — und („Wer nicht ver- zweifeln kann, der muß nicht leben“) kann es das Schicksal wollen, Gott , — nun dann, ich muß es leiden ; daß es recht ist, ist jener Sache. Ich kann nichts Schönes darin fin- den, nichts Schönes daraus machen. Ich trage es so, so wie es ist. Und meine Freude ist, mir recht zu sagen, was ich nicht bin, was ich nicht habe, was mir fehlt. Nun sollte man den- ken, daraus käme eine Erbitterung, eine Schärfe gegen Men- schen? Die reinste Milde! Alles verzeihe ich ihnen; das Meiste von ihnen verstehe ich, ihre Lage finde ich so erbar- mungswürdig, so gedrängt, erkläre mir alles daraus! Nur Eines empört mich noch zum augenblicklichen Zorne, wenn ich Wahrheitssinn, und die Liebe — eigensten Geist — zu ihr, vermisse, und wenn mich dünkt, die Menschen wollen nicht verstehn, aus stupiden, niedern kleinen Absichten. Vor dem großen Werke des Daseins überhaupt bin ich in der de- müthigsten Bewunderung! Und ganz guten Muths! das überragt mich ganz. Alle nur ersinnlichen Vorstellungsweisen, und sogar die Unverständlichkeit davon, machen mich eigent- lich in der Tiefe munter; diese große Betrachtung reißt mich fort zur größten Hoffnung, wie hier, jetzt schon in’s Leben, zum Leben, diese große zu erwartende Neuigkeit! Und dies ist auch eine Gemüthsart, woran die Mischung des Blutes Schuld ist und der Leichtsinn, der bei Schwermüthigen mit dem Alter kommt, da sie früher müde werden müssen, und auch sehen, daß bei allem Hetzen sie doch mit dem Strome schwimmen, wenn sie auch noch so seitwärts getrieben haben, und und daß die Ufer nur scheinbar da sind. So steht’s um mich: das kann wohl weich und hülfreich machen, stark und gewandt, das eigene Leben zu ertragen; aber sonst Schönes, Kunstwer- ken zu Vergleichendes, auch nur Fabrikenartiges zum Lebens- gebrauche, bringt es nicht hervor. Keine rechte Erdentochter bin ich nicht, wenn auch ein rechtes Erdenkind; ich hänge ge- waltig an dem, was die Erde mir bieten kann; aber es müs- sen reine Geschenke von ihr sein: ihren Handel verstehe ich nicht, oder vielmehr in den kann ich mich nicht einlassen, und thue ich’s einmal, so hat sie mich angeführt, und dem Necken kann ich mich auch bei keinem Gotte fügen, auch fällt es mir gegen niemanden niemals ein. So bleib’ ich denn eine Art Betrachter von ihr und keine Tochter, die ihre Art annähme und Heirathsgut und Geschenke aller Art erhielte! Ich bin eine Art gesünderer, brünetter, vergnügterer Hamlet. Mit großer Bewunderung für geistreiche Leute, die nicht so sind wie ich, das sind Sie! — Es freut mich ungemein, daß Sie diesen Sommer die Lieblingsschwester und die Mutter haben werden. Großes stilles Glück. Im lieben vollsaftigen Böh- men! in einer Art von unerschüttertem Urlande, wo das Volk seiner Erde gemäß lebt, und noch nicht so wie die andern auf- melirt ist. Im dicken Prag mit seinen Kirchen, Palästen, Hradschin, Brücke, schönen Obst, und den tausend fältigen kleinen Spazirgängen, mit großen Aussichten. Ich gratulire Ihnen, daß Sie aus dem lichten klaren Sande sind; obgleich ich alles Gute vom Vaterland einsehe. So bin ich auch, in dieser Rücksicht, gerne in der wohlgepflasterten, reinen, hei- tern Stadt, wo jede Straße und jeder Platz nach entfernten II. 34 Bergen sieht; zwischen Heidelberg, Mannheim, Straßburg- Frankfurt, kurz, bei zwanzig angenehmen Orten, alle nur einen Tag weit, und die meisten mit Theater und einem gewissen Wohlleben. Anderes fehlt sehr. Dieser Defizit geht mit uns zur Leiche! — Ich liebe Böhmen zu sehr. Und, begreifen Sie mein schlechtes Herz! — ich sehne mich mehr nach Orten, als bestimmt nach Menschen. Bei den Orten stell’ ich mir auch gleich die Menschen vor. Wo wohnen Sie denn jetzt in Prag? Mit einer Aussicht? Ich will hoffen ! — An die Prinzessin Amalia von Baden. Karlsruhe, Frühjahr 1818. Daß Ew. Hoheit unwohl sind, ist mir ein wahres Leid; ich komme aber nun um so lieber, da ich Ihnen wirklich eini- ger Trost zu sein hoffe. Ich kann über den Hergang des ge- strigen Ereignisses genau berichten: wenn ich auch mehr von einer Sache weiß , als ich von ihr sehe, so glaube ich doch deßhalb nie, daß ich mehr von ihr sehe , als sie wirklich zeigt. Und mein Sinn läßt sich durch nichts befangen! Frau von Schlegel sagte mir einmal in Frankfurt: wenn ich nach Karlsruhe käme, und Jung-Stilling sähe, müsse ich ihr etwas über ihn schreiben, aber ganz naiv, so wie ich ihn fände. „Ganz naiv, gewiß“, antwortete ich, „ ich kann dies verspre- chen, und es wird doch naiv werden.“ Schon von fern, und noch schüchtern, edle Freundin, hat Ihr reiner hoher Sinn gleich klar in mein Innres geblickt; Sie werden so fortfahren, und immer mehr bestätigt finden, was Sie voraussetzten, und auch immer weniger, was Andre mir andichten. — Die Blätter für Ihro Majestät die Königin von Schwe- den sind abgeschrieben: wir können sie vorher noch mit einan- der lesen; dabei werde ich Ihnen manches sagen, was Sie Ihrer Schwester, wie ich unterthänig bitte, als Vorwort gnä- digst bemerken wollen. Varnhagen legt sich Ew. Hoheit zu Füßen; ich schlage gar nicht vor, daß er mitkommen soll: er würde uns in der Hauptsache immer etwas stören, und das Vorlesen findet bes- ser einmal Abends bei mir Statt. — Ich komme sehr gern schon um 5. — An Friedrich Ludwig Lindner, in Mühlhausen. Karlsruhe, Freitag Vormittag den 17. April 1818. Trübliches wärmliches Frühlingswetter. Was helfen die vielen Worte: Sie sparten Sie auch! Genug, Sie kommen! — Veit ist todt. Nicht Einmal einen Gedankenstrich mag ich zu diesem eisernen Zauber setzen. Wie Viele von uns, mir sehr Nahe, sind weg! Eine ganze Liste voll. Wir Beide leben noch; und wie Sie sagen , sind auch im Leben nicht todt. Wie unendlich Viele sind mir auf diese letzte Weise gestorben. Unsere Freundschaft, die Dauer und der Grund derselben, sind Veits Kinder: gerathene Kin- der. Das konnte er stiften; dies floß, als Schönstes aus ihm aus. Wie schön schrieb er! Wir lasen diesen Winter manches von ihm; Varnh. suchte es mir aus den Bänden der Nordi- 34 * schen Miszellen. Wie gebildet! Nicht was unerzogen- em- pfindsam-Religiöse jetzt so schimpfen, indem sie es so nennen; wie scharf gedacht, und bezeichnet, aufrichtig gesucht, und glücklich gefunden; streng und mild angesehen, und behandelt; fertig, geläufig, und gestaltet vorgetragen! Er wurde mir ganz gegenwärtig dadurch! Er hätte sollen bei mir bleiben können! Dies fehlte ihm; bis in die letzten Tage hinein. Er war nicht reich, seine Natur nicht ergiebig genug, nicht saftig, nicht üppig, nicht genug mit unwillkürlichen Eingebungen begabt; ein Sichgehenlassen, konnte bei ihm kein Schönes werden; es fiel eine Stufe herab; oder, es war keins mehr, und unter die Bearbeitung eines dürren Verstandes gefallen; er hatte aber große Gaben; Gaben des Lernens, und des Sichtens, und war sehr gebildet; wußte was ihm abging; konnte es oft fühlen; und darum war ich ihm so lieb und nothwendig. — O hätten wir ihn noch! wüßt ’ er von uns! Das hier, was ich schreibe! — Ich schreibe Ihnen nichts von mir, weil Sie mich nun bald sehen werden. Selten: selten werden Sie einen Menschen gefunden haben, der bei altersmäßiger Reife ganz so alle Springfedern der wahren Kindheit und Jugend in Seele und Gemüth behalten hat, wie ich. Ich kann es vorhersagen; und Sie werden es doch finden. Sie werden sehen, ich bin wie ich war. Sie haben ordentlich behalten, was ich sagte! Einzelnes! — An Rose, im Haag. Karlsruhe, Dienstag den 21. April 1818. Kühles, in sich nicht fertiges Frühlingswetter, mit Blüthen, und Einheizen. Liebes Rosenschwesterchen! Du antwortest mir nicht! Es ist doch Krankheit nicht Schuld? Nun ist Scholz bei dir: und du kannst von mir, von Deutschland und der Vergangenheit hören und sprechen. Alles was uns bleibt. Ich fühle mich auch vertrocknet mit der Zeit! — Abwesenheit, Mangel an Anregung, an Liebem und Gewohntem, viele Unpäßlichkeit, haben das Ihrige gethan. Mir ist nur heute so! Sonst weiß ich den Vorzug meiner Lage sehr ! Aber wir sind beide aus unserm Majorat, und entfernt von einander: und, und! — — — für dergleichen müßte brillanter Ersatz kommen. Speise für Vernunft, sättigt nur die: und macht kein frisches Blut. Wenn du nicht krank bist, schreib mir ein Wort. Was ich den Sommer mache, weiß ich noch nicht: und das ist auch gut: es ist eine Art Freiheit. Von deinem Kommen schreib’ ich nichts, weil ich dich nicht quälen mag. Wenn du kommst, bist du da. Von der Freude und dem Rest dabei chargir’ ich mich. Grüße Karl recht sehr! Wenn mich die Laune ergreift, schreib’ ich ihm sehr ausführlich. Ich umarme dich herzlich. Varnhagen euch beide. Deine R. Mein liebes Röschen! Ach! Ach! Ach! du dort; ich hier: und alles blüht. — — An Friedrich Ludwig Lindner, in Straßburg. Karlsruhe, Mittwoch Vormittag den 29. April 1818. Warmes Vogelsing- und Blüthenwetter. Kennen Sie eine besondere Melancholie, ein Drängen nach vorwärts, eine Prätension, ein Erwarten, daß es angehe; grad in solchem Wetter? und ein Hineinschauen in sich selbst, und alles was einem begegnet ist, nach allem Rang und Drang — Ringen und Dringen, hieße es in der rechten, mir jetzt gar nicht rechten Sprache, — den man verbrachte, wie in einem alten kalten wüsten Gemäuer hin? Nun so ist mir; und noch tausendfältig anders, Also hätte ich Ihnen grade heute gar nicht schreiben sollen; aber Ihr Brief, der vorgestern ankam, läßt es nicht zu: auf den muß noch eine Antwort kommen, sie falle aus, wie sie kann. Wie hat er mich gefreut dieser Brief; und nicht allein, weil er an mich ist, weil er mir schmeichelt; er machte mir diesen auf mich gerichteten Genuß erst möglich, weil es ein lieber, ehrlicher, feiner Brief war. Wir werden beide, alle, zu affektiren gar nicht nöthig haben. Bald werden wir uns eingesprochen haben, recht geschwind, und uns leicht über kleine Divergenzen zurechtgerückt haben; und gründlich von einander verstehen, warum wir in manchem verschieden sein müssen. So viel nur! Ihr Brief, sein ganzer Ton, jeder Ausdruck, ruft mir ganz Ihre Physionomie vor die Augen; freudig, zutraulich, naiv, herzig, wie Sie gegen Freunde aussehen konnten. — Dann hat mich sehr gefreut, Ihre Mei- nung über die jetzige Politik meinen ähnlich zu finden; also darüber werden wir nur sehr wenig sprechen; oder, wenn wir bis auf des Menschen Natur hinkommen, sehr viel. Ihr alter Onkel gefiel mir auch! Es ist ein Glück für’s Herz ei- nen alten Verwandten zu haben, den man ehren kann, lie- ben thut man ihn schon von selbst; das heißt, lieben möchte man ihn ohnedies schon gerne, kann es aber nur, wenn man ihn ehren muß. Wär’ ich reich, so führ’ ich nach Straßburg, und er sollte noch die Freude haben, neue Bekannte in alten Freunden von Ihnen zu finden: auf alter Leute Leben, die noch ein Herz haben, möchte ich gerne noch viele reiche Ereig- nisse häufen; Genuß schaffen. Ich anticipire ihren Zustand in meiner Seele. — Es thut mir leid, daß Sie nicht früher kommen können, weil ich den 10. schon vielleicht in Heidelberg bin; aber da kommen Sie mir dann gleich nach: das erfah- ren Sie in meinem Hause, wo ich Ihnen ein Wort zurück- lasse. Genug! Sie finden Freunde: Menschen, die nur Gutes wollen, und meinen, und unablässig weiter an sich arbeiten, ohne die geringste Pedanterie: und bleiben Sie auch nicht in Einer Stadt mit uns, so haben Sie doch den Trost, uns nah zu haben: und ich den, Sie gefunden und auch nah zu ha- ben. Auch ich grüße Veit! Wenigstens soll er, so lange wir leben, nicht todt sein. Er verschlechterte sich meines Wissens in Hamburg nicht: aber ich weiß, an meiner Seite hätte er sich ewig verbessert, seine bessere Seite herausgekehrt, oder vielmehr an das Bewußtsein hinan gebracht; ausgearbeitet, und spielen lassen! Er war ein komplet gebildeter Mensch, weil er über seine Natur hinaus war, sah, und sie beurtheilen konnte. Wir wollen uns recht über ihn aussprechen: und ihn leben lassen! und uns der „lieberwärmten Stätte“ als Leben- dige freuen ! Wir wollen die jugendliche Zeit des Vertrauens ohne Rückhalt — wie Sie sagen, in die Sie durch mein Finden versetzt sind — genießen; wissend sie besitzen! Das Schreiben hat mein Herz wieder in Thätigkeit gesetzt, und es ist mir besser: auch war eine Italiänerin bei mir, der etwas Ärgerli- ches geschehen ist, welches sie mir, sich zum Troste, erzählte; ich ärgerte mich mit, gab der armen Fremden Rath, und zeigte ihr eine Freundin in einer Ultramontana, und ich konnte sie gestärkt entlassen. Das stärkte mich selbst wieder. Adieu Lie- ber! Kommen Sie bald: bleiben Sie lange mit uns. Goethe kann man immer brauchen; den Göttlichen hat man immer nöthig! So will ich Ihnen dann mit seinen Worten meine Wünsche zeigen: „Je ehr du kommst, je schöner wirst du uns willkommen sein!“ (ich glaube: „ bist du uns willkommen.“) Gott grüße und segne Goethe! Veit! Uns! und Alle, die es gut meinen und wahrhaft sind. Adieu. Ihre R. An — — Karlsruhe, den 16. Mai 1818. — Ich halte diese Namensveränderung für entscheidend wichtig. Sie werden dadurch gewissermaßen äußerlich eine andere Person; und dies ist besonders nöthig. — Ich freue mich sehr, daß B. Ihr Pathe sein will; säumen Sie nicht, so bald als möglich alle Anstalten zu treffen. Sie lassen auch die Kinder mittaufen. Die sind ja schon christlich erzogen; und müssen, wo möglich, von jenem Verrückthistorischen nichts anders erfahren, als wie von Historie überhaupt! — Sie aber haben gar keine Ursache, in dem Scheine des Geburtsglaubens bleiben zu wollen. Sie müssen sich auch äußerlich an die Klasse halten, sich zu der großen Klasse bekennen, mit deren Sitten, Meinung, Bildung, Überzeugung Sie Eins sind. Sie werden dadurch in das einzige Schlechte, welches dieses Be- kenntniß nach sich führen könnte, in den neuern Judenhaß, nicht miteinstimmen; und noch immer den unseligen Überbleib- seln (ich möchte sagen Warnungszeichen für Staatengründer) einer großen, begabten, und weit in Gotterkenntniß vorgeschrit- tenen Nation, beistehen; menschlich, d. h. christlich : im Einzelnen und Ganzen; im Einzelnen, durch Mittheilen Ihrer besten Überzeugungen; im Ganzen, wenn man die Masse ge- hässig (unter christlichem Vorwand ) behandlen will, anstatt sie, weil sie Einmal im Christenstaate da sind, durch gütige, großmüthige Mittel ganz für ihn zu gewinnen . Sie wer- den sich Ihrer jüdischen Geburt nicht schämen, und die Nation, deren Unglück und Mängel Sie dadurch genauer kennen, du- rum preisgeben, damit man nicht sage, Sie haben noch Jü- disches an sich! Lassen Sie sich in dem Muth, solche Vorwürfe nicht zu achten, durch die neubekannten religiösen Vorsätze stärken! Sprechen Sie mit B. überhaupt von Ihren Gesin- nungen, erzählen Sie ihm, wie mir, Ihr Leben, damit er Sie kenne; und freudiger, getroster, und williger, die Bürgschaft übernehme; damit sie einen lebendigen Sinn bekomme, und Sie wirklich und wahrhaft einen Freund erwerben: dem Sie klagen und beichten, der Sie trösten und ermahnen darf. Man kann das Leben beleben: und dafür bin ich sehr; dies ist des Lebens größtes Glück; und mich dünkt, seine größte Aufgabe. — An Friedrich Ludwig Lindner, in Straßburg. Karlsruhe, Montag den 24. Mai 1818. Kühles, sehr helles, zugeschlossenes Nordostwind-Wetter. Was soll ich Ihnen auf Ihre reichen vollen Briefe ant- worten! Ich bin endlich zugeschlossen wie das Wetter selbst; kalt, vertrocknet, und fühle mein eigenes Wetter. Gerne schickte ich Ihnen ein Labsal durch diesen Brief, aber da ich gar nichts machen kann auf dieser ganzen Welt, nur ein Quellensitzer bin, der da sitzet und wartet ob sie rinnen; selbst nur eine Quelle bin, so quillt mir wiederum nur der Wille dazu, und sonst nichts. Sein Sie zufrieden damit, wie ich es sein muß, d. h. still, stumm. Ich sehe ganz Ihre Lage ein, als ob es meine wäre, ich fühle sie auf allen ihren Punkten; und auch dies bringt mich zum Schweigen. — Die Karaktere stellen sich; wie Fichten, Eichen, Linden, Tannen aus ihren Samen her- vortreten. Nie hab’ ich es vermocht, wenn zwischen mir und Andern eine Wahl war, diesen zu treten und mich zu stellen; und die paarmal, die ich es wohl im Leben that, haben mir nur bewiesen, mich nur gelehrt, es nicht mehr zu thun: weil ich mich noch viel unseliger dann befand. Meine Unzufrie- denheit ist mir noch die erträglichste, mit mir werde ich noch am stillsten und daher am leichtesten fertig. Ich glaube es kommt auch daher, weil man sein eigen Gesichte nicht sieht; die unmittelbare Mittheilung des Gesammtzustandes der Seele. Nicht zum Ertragen dem, der es zu deuten versteht, zeigt es Unglücklichsein an. So wird man denn am Ende bank- rutt . Insolvabel, unfähig sich zu zahlen; aber man klagt nicht gegen sich. Ich befinde mich, wir befinden uns wieder auf diesem Punkt der Wahl; und so nöthig sie ist, so kann ich nur sagen: für unser Leben wäre sie nöthig die Härte, aber sie anwenden könnt’ ich auch nicht, wie sie Ihnen also rathen? Ja, ich behaupte, nur im Großen, im Ganzen, wo man von den Gegenständen fern ist, die sie betrifft, ist es mög- lich mit Härte zu verfahren, sonst ist es dem, der ihre Wir- kung kennt, zu sehen vermag , unmöglich sie anzuwenden. Nun wäre alles richtig, wenn man sich mit ewiger Grazie opfren könnte ; aber nein! man empört sich auch manchmal; opfert, ohne daß der Andere das Opfer genießt; und lebt zwi- schen zwei Empfindungen, von welchem Zustand Goethe mit Überrecht im Clavigo den Carlos sagen läßt, daß es der elen- deste der Welt sei!!! Fragen Sie noch, ob ich mich nun eitel applaudire; oder ob ich meiner entschieden entgegengesetzte Naturen bewundere. O! wenn sie meine Herzenseinsicht hät- ten, und anders, immer anders handelten als ich; ich vergöt- terte sie. — Also ich erwarte, was die Andern werden thun können. Was kann man thun? wenn man einen Kontrakt auf’s Leben gemacht hat, mit Einem, der nicht weiß, daß man solche Kontrakte nicht machen kann; in einer Welt, die nur das Unmögliche für heilig hält, beschützt, und die Dümmsten bestärkt. Da ! sind wir wieder auf die paar großen Institu- tionen: und unsere Briefe sind doch nur Musivstücke einer selben großen Fabel: Ihrer sprach vom Geisterzwange, ich kam auf den der Neigungen, auf Ehe. Zwei kolossale Formen, von den Jahren zusammengebildet; in denen man eine große Dissonanz gefangen halten wollte; die uns aus diesem gan- zen hiesigen Leben mit sollte heraushelfen, und weit drüber hinweggeht, und die sich wahrlich nicht wird einkerkern lassen, noch uns zur Ruhe belügen helfen wird! Grüßen Sie Ihren alten armen Onkel noch auf’s brüderlichste von mir! Wir armen Menschen! Gerne möchte ich ihm helfen. Das heißt, könnten sie eingetheilt werden, von seinen Schmerzen welche abnehmen. Geben Sie ihm meine Achtung, wenn er irgend noch dergleichen würdigen mag, mit in’s Grab: und meinen innigen Herzensdank für sein Geschenk! — Leben Sie wohl! Auf Wiedersehen! das ist das Beste . Ihre R. Ich schreibe mir in lauter Klagen doch immer das Herz weicher und leichter. Der Sta ë l ihr Buch über die Revolution hat unendliche Schönheiten. Ihr Tod thut mir sehr weh; sie hatte ein bra- ves Herz! Lesen Sie gleich das Buch. Es kommt a punto: und muß jetzt wirken. Baden 1818. Unsere Unschuld besteht darin, daß wir manches noch nicht erfahren und wissen; aber darin besteht auch die Eigenheit unsres hiesigen Zustandes, daß wir vieles hier überhaupt nicht erfahren und wissen können; vielleicht ist das ganze Erden- leben nur eine Art Unschuld, auf die ein höherer Zustand mit weiterem Aufschlusse des Daseins folgt. Wenn dem so wäre, so könnte nichts tröstlicher und erheiternder sein, als dieser Unschuld mit Bewußtsein sich zu überlassen, und sie in diesem Gedanken freudig zu genießen. — Oft entschlag’ ich mich aller Sorge, und stelle dann alles Gott anheim, als dem besten Freund und Vater, mit dem ich mich ganz unaussprechlich gut stehe. Ja, wir sind auf einem ganz vertrauten Fuß. „Er wird’s schon wissen und machen,“ denk’ ich, und lehne mich ordentlich an ihn an, und schlummre so zu Füßen ein wenig, so unten an seinem Mantel! An Scholz, in Frankfurt a. M. Baden, den 22. Juni 1818. — Dann herrschte hier, nach bedeutender Kälte, seit mehr als vierzehn Tagen eine Sorte Wetter, die mich ohne allen weitern Gebrauch der Bäder unter die Erde bringen kann, und mich darauf bis zum Nervenunsinn peinigt. Dies be- steht nämlich in einer trockenen, brennenden Sonnenhitze und Blende, wobei ein Nordostwind nicht zu herrschen nachläßt; Abends wird es plötzlich bedeutend winterlich, durch eine Art kalter, feuchter Massen, die in klarster Luft und unter hellsten Sternen sich langsam herunterlassen, hin und her bewegen, und sich wie unsichtbare Thiere auf einen setzen. Diese Phä- nomene drückten und reizten und hebetirten mich dergestalt, daß ich wahre Fieberanfälle mit allem ihren Nervenzubehör ausstand. Seit sechs, acht Tagen ist dies besser: nach einem Gewitter und einigem Regen: doch wollen die kalten Thiere noch Abends ihr Zauberwesen treiben. Wollen nur, es gelingt ihnen nur viertelstundenweise. Dabei ist natürlich für mich an keinen Gebrauch der Wässer zu denken, die mich ohnehin nur quälen, und nie helfen. Die hiesigen. — — Frau von Sta ë l über die französische Revolution! Dieses europäische Buch, weil ganz Europa es liest, ist nicht so gut, als seine Wirkung sein wird; sie sagt alles: wiederholt alles; und sich selbst auf jeder Seite, dies oft in Antithesen, also nicht allein mit Löffeln eingegeben, sondern mit Messern eingeschärft, was nun einmal noch nicht in Europa’s Blut gegangen ist. Es ist keine Ruhe in der Frau, und sie wäre nie reif geworden, hätte sie auch so lange gelebt, als ich es ihr wünschte. Ver- stand hat sie genug, aber keine horchende Seele, nie ist es still in ihr; nie als ob sie allein nachdächte, immer als ob sie’s schon Vielen sagte; ihr thaten die frühen Gesellschaftssäle Scha- den. Es war kein Verhältniß in ihrer Seele zwischen Geistes- thätigkeit und andrer. Gleich kam sie wieder auf den Beifall zurück: und da sie nicht gemein war, so soll es die postérité ausrichten, für die, für deren Beifall, will sie und sollen alle Bessern alles thun! Aber sie rüttelt in ihrem Buche tüchtig hin und her; und daher alles auf, wovon allerdings die Rede sein soll. Haben Sie eine gutgeschriebene, das Buch von einer Seite gut betrachtende Kritik im Libéral gelesen? Sehr schlecht schreibt die Sta ë l; oft gar nicht wie eine Französin; ich meine nicht die Stellen, wo sie neue Wendungen gebraucht oder neue Worte; aber es klingt nie, ihr Ohr lockt die Worte nicht, sie stellen sich ihr nicht willig, wie bei den guten Schriftstel- lern, wie jedes gern dem Meister sich fügt. Stunden lang könnte ich noch über sie sprechen. Alles ist à rebours bei ihr, als striche man Halme aufwärts, keine Süßigkeit: mich dünkt, ich sehe die Worte in Aufruhr um sie her, wie fliegende Gei- ster, wenn sie vor reinen Bogen am Schreibtische sitzt; nie wird es Musik; und auch kein Thema hält ihr still, sie schwingt sich hinauf und es geht mit ihr durch, auf andre los, sie springt auf diese, und so geht es weiter; und auf Schönes auch nur wie von ungefähr los! Halt! Es ist genug von ihr! Und hier nur noch so viel, weil dies letzte Buch mir im er- sten Bande Illusion machen wollte. Aber sie kann kein Buch bezwingen: es geht immer mit ihr durch, und was sie schreit, ist kein Gesang. Schade, eben wegen der vielen Ga- ben! denen eine fehlt, die sie harmonisch machte. Eine stille unschuldige Seelensphäre. — — ( Mündlich .) Von Dr. Koreff: „Sein Herz hat die größte Geistesge- genwart, er ist immer gleich da.“ Von jemanden, der da meinte, er könnte sich, manches abgerechnet, wohl mit dem Verbannten von St. Helena ver- gleichen: „Er meint im Grunde, er sei ein eben so großer Mann, und nur noch ein besserer Mensch.“ Baden, den 31. Juli 1818. Den 28. August 1818. Der Strom hat keine Ruh. Der Strom muß fort: der stille See hat seinen Kranz von Wiesen. Daß keiner glaubt, daß er schlecht sei: ist der größte Be- weis, daß es kein Mensch ist. — An Auguste Brede, in Stuttgart. Noch immer Baden, den 21. September 1818. Montag Vormittag, schönes Sommerwetter. Willkommen, liebste Auguste! Wohl bekomme Ihnen das Bad! ich denk’ es auch: der Sprudel ist das beste Fegefeuer, die herrlichste Eingeweid-Lethe! Zu Goethen gratulire ich auch! Es ist für ewig; den größten Zeugen seiner Zeit ge- sehen zu haben! (Rivarol — aus der Revolutionszeit, aus- gewandert — sagt in einem seiner Werke, der Mensch sei der Zeuge für Gottes ganze Schöpfung. Seit der langen Zeit hab’ ich das viel sublimer, und besonders herzlicher ausge- drückt in Saint-Martin gelesen.) Von den andern Erschei- nungen schweig’ ich — bis wir uns sprechen, und ich Sie ge- hört habe, dann sollen Sie auch wissen, was ich jetzt denke, ehe ich Sie gehört habe. Hier ist’s noch sehr schön von Seiten der Natur: aber sehr leer. — Wir können den Tag unserer Abreise von hier noch nicht bestimmen; weil der Großherzog nun auf der Favorite ist, von wo ihm verordnet ist nach Montpellier zu reisen, und diese Abreise sich doch verzögert, und V. nicht vorher nach Karlsruhe möchte. Tettenborn reist immer hin und her: er ist jetzt wieder weg. — Ich war die letzte Zeit hier viel im Theater, der armen Akteurs wegen, die doch oft gut spielen, und in Anzug und allem das Unmögliche lei- sten! Gestern unser Stück: Johann von Finnland! — aber gestern weint’ ich, anstatt zu lachen; es war mit aber Unpäß- lich- lichkeit: und nachher bekam ich eine halbe Stunde Krampf- migraine, die hieß Otto Bellmann, sagen die Berliner. Die Generalin Tettenborn muß auch immer mit in die Komödie: die weinte auch tüchtig: Varnh. wollte es nicht leiden. Ma- chen Sie nur Ihre drei Anzüge vor der letzten Minute fertig! Ist Ihre Wohnung behaglich? Apropos! Gentz war in Frank- furt, wo ihn Tettenborn sah, und ist nun in Aachen: er soll ganz vergnügt sein; Metternich aber nicht: auch war der unpaß in Frankfurt. Lassen Sie von sich hören. Ihre R. V. grüßt herzlich. Leben Sie ruhig? bequem? An Oelsner, in Paris. Karlsruhe, den 6. Oktober 1818. Die witzigen richtigen Aphorismen (die unter Dr. Schlott- manns Namen gehen) hab’ ich diesen Morgen in meinem Bette, wo ich sie zur Hand nahm, auslesen müssen: mit dem größten Vergnügen, mit der größten Satisfaktion. Vermöge aller meiner Gesinnung, und auch Einsicht, hätte ich glauben können, ich habe sie geschrieben; und so war ich auch ganz in Unruhe, daß sie nicht jeder Fürst, jeder Staatsmann gleich liest, wollte sie gerne allen gleich schicken! als mir gleich der Muth wieder durch den Gedanken sank, daß nur die sie ver- stehen, die eben so denken! Aber wir wollen doch nicht ver- zweiflen; ihre Spitzen werden reizen, ihre Richtigkeit treffen. Den kosmopolitischen Syrach (von dem die Allgemeine Zeitung neulich einiges auffrischte) protegire ich weit mehr, als Varn- II. 35 hagen dies thun will. Einen solchen Aristokratism kann man anhören. Wie ist er deutlich, bündig und umschauend. Auch er berührt einen alten Gedanken von mir; die Erde wird nicht groß genug am Ende, man wird mit den Sternen zu schaffen haben wollen. Verzeihung für den zerrissenen Gruß! Ich bin zu sehr in Eil. Wie geht das Privatleben in Paris: Ihres , Mad. Oelsner ihres? besser? bequemer? Ihre R. An Astolf Grafen von Custine, in Fervaques. Karlsruhe, Sonntag Vormittag den 1. November 1818. Trübes, näßlich kaltes Wetter. Heute sind es vier Wochen, daß ich von Baden hier zu- rück bin. Es war dort bis ein paar Tage vor meiner Abreise wunderschön, und in unzähligen Wetter- und Lichtabwechslun- gen immer von neuem unendlich reich für Sinn, und Traum, möcht’ ich es nennen; wir waren die ganz letzten sechs Wo- chen beinah ohne alle Gesellschaft dort; nur Frau von Tetten- born lebte auf dem Schlosse; und die letzten drei Monate nur mit sehr wenig Gesellschaft; vier, vom 8. Juni an, war ich dort. Tausendfältig wünscht’ ich meine Freunde hin! — bald den einen, bald den andern; aber unsere Lebenstage sind uns vorgesetzt, in einer Krippe, wie wir dem Thier sein Futter rei- chen; die Art, das Maß, nichts hängt von uns ab: höchstens können wir das Futter unangetastet lassen; zu ändern ist sehr wenig. Und bis ein großes Ereigniß kömmt, möcht’ ich gar nicht nach mir hinsehen! Seit ein paar Tagen hat der Ge- danke des Sterbens durch einen für mich neuen Einfall etwas Unterhaltendes für mich erhalten. Es ist mir nämlich ganz klar geworden, daß wir doch plötzlich aus diesem Lebensver- hältniß mit all seinen Klemmungen herauskommen und in dieser Hinsicht uns ganz nobel befinden werden. Das Klem- men, Drängen, Rucken, Zurechtschieben dauert meiner expediti- ven Geistesart zu lang : ist eigentlich ganz unwürdig, und das eigentlich Unedle; der Quell alles Unedlen; es sei nun That oder Leiden. Unsere Einsicht darin müßte uns lösen ! Verstehen Sie mich? Was soll ich Ihnen also von meinem Leben sagen? Ich sitze und warte: und wenn mir ein gutes Korn zufällt, verzehr’ ich es: noch gestimmt, und appetitlich genug! — und das ist, wie ich mich und mein Leben, was mir geboten wurde, kenne, sehr genug! Lassen Sie mich also nach Ihrem fragen, von Ihrem sprechen. Sie haben Komödie gespielt. Auf dem Lande, grade im Sommer, ein großes Ver- gnügen: wenn die Personen nur ziemlich hübsch und angenehm sind. Spielte Ihre Mutter, Bärstecher mit? Ihre Provinz, Ihr Aufenthalt wird, muß Ihnen bekannter werden: und dies ganz allein faßt das Lieberwerden in sich. Die Stücke Leben, die wir vor uns haben, sind nichts Einfaches, ein Zusammen- gesetztes; gehen wir nun damit genauer um, so finden wir Passendes und Verwerfliches, und da bei dem vorigen Stück Leben, welches das Letzte war, mit dem wir uns balgten, auch eine Menge Unannehmbares war, so müssen wir finden, die Stücke seien fast vom selben Werth; bis wir wieder Einmal zu einem kommen, welches uns Kunst- Natur- oder den Ge- nuß unseres eigenen Herzens gewährt. Dieser allein ist Le- ben: das andere lauter Anstalt zum Leben. Dies nun bringt 35 * mich gleich auf Litteratur, da unsere Genüsse leider fast alle in „Schwarz auf Weiß“ verwandelt sind! Kennen Sie: Re- cueil de lettres sur la peinture, la sculpture et l’architecture, écrites par les plus grands maîtres du quinzième jusqu’au dix- huitième siècle, traduit par L. J. Jay? Die Briefe des Michel Angelo, des Annibal Caracci, als der Leute damaliger Zeit, versüßen mir meine jetzigen Tage. Ihre Plackereien sind in die Ferne gerückt: ihr Bestreben, ihre Thätigkeit, ihre Wünsche, ihr Herz und Geist, stehen klarer da; für mich ganz beson- ders, die aus den Briefen der Menschen so unendlich viel von ihnen kennt. Von solcher Briefsammlung wird mir die Histo- rie und eine ganze Zeit klarer, als durch berühmte Geschicht- schreiber. Ich bin dem Herrn Jay sehr verbunden: und könnte sehr lang mich auslassen, über Geschichtschreibung, die ich meist schlecht finde. Haben Sie Bignons kleine Schrift gelesen, über Baierns Prätension an Baden? Weltbürgerliche Deutsche sind ihm sehr verbunden; rühmen ihn weit und breit. Haben Sie Bailleul über Frau von Sta ë l’s letztes Werk gelesen? Ich wollte, sie lebte noch, und röche Einmal diesen Weihrauch. Man räumt dieser Frau viel zu viel ein, was sie nicht hatte. Man borgt ihr einen Geist, eine Penetration, die man ohne Gründlichkeit gar nicht haben kann: sie hat einen, der nur in Abwesenheit der Gründlichkeit so zu flimmern vermag. Es sind viel zu wichtige Thema’s an diesen Geist heran geschwom- men, auf der Fahrt ihres Lebens, die er von selbst sich im gro- ßen Ozean nicht ersehen hätte, aber nach Geistes Art sich doch aneignete zum Verarbeiten: denn selbst Eitelkeit ist ein sehr geistiges Erzeugniß. Es freut mich aber, daß Geistigkeit über- haupt einen so allgemeinen, großen, kompakten Respekt aus- giebt (dies Jahr wird dies Feld viel Waizen ausgeben, sagt man im Deutschen), daß selbst entschiedne litterarische Gegner noch in sich selbst so viel Umstände gegen eine Person machen müssen, wenn sie nur Einmal auf ihren Geist aufmerksam machen konnte. Das spricht für Frankreichs Feinheit; dem ich, wo es nur möglich ist, applaudire, und mir gern gestehe , was ich selbst ihm verdanke. Sie wissen, ich liebte Mad. Sta ë l persönlich mehr, als es die Menge thut; die, herz- dumm und urtheil-faul, die ihrem Wesen widersprechendsten Dinge willig glaubte, und nacherzählte; in ihren Werken fand ich aber immer Karakter-Disparates: keine Mischung, die das Geniale herausbrächte; nicht weich beim Feuer, nicht still beim Urtheil, und Denken; oft brennend, nicht warm; weit von künstlerischer spontaneer Auffassung, in allem wo sie vergleicht: kurz, ein Mißverhältniß in den Gaben: und hauptsächlich, nicht das Gefühl, und das heimliche Urtheil ihrer selbst: letz- ter Schlußstein der Künstlernatur. Da man jetzt eine Anstalt in Paris hat, alle mögliche deutsche Zeitschriften (las ich neu- lich im Morgenblatt): fragen Sie nach Dohms Denkwürdig- keiten; nach den guten Weibren (Erzählung in Prosa), nach den Aufgeregten (politisches Drama), in Goethe’s neuer Aus- gabe Band XIV. Fragen Sie nach Goethe’s Rhein und Main; drei Hefte sind da. Suchen Sie Oelsner auf, der weiß alles, ist grundgelehrt, und Ihnen gern behülflich. Sie führen ja etwas Abscheuliches in Ihrem letzten Brief an, lieber Astolf! „Car malgré tout l’orgueil du raisonnement c’est toujours ce qu’on fait qui finit par régler ce qu’on pense.” Dies als Wahrheit aufgestellt, öffnet jeder Schandthat die Thore! Ce que nous faisons ne règle nullement ce que nous pensons; cela nous fournit seulement la matière dans laquelle nous devons travailler; c’est à nous à opter comment nous voulons faire, et c’est là le point moral qui nous appartient . Nur der Mensch kann wählen und richten, sagt Goethe; „alle andern Thiere der Erde wandlen und weiden im dunklen Ge- nuß.“ — Si vous commencez à comprendre le positif de la vie, so bin ich außer mir vor Freude! Le positif des Le- bens besteht aber darin, das abzuleben was grad vor uns steht : deßwegen ist Positives immer da, (wenn wir frei sind unsere Thätigkeit zu üben); auf unserm Landsitz, wie in Pa- ris; in der Gesellschaft wie in der Familie; unter Menschen, wie in dem Stall; ja selbst unter Büchern und allein. Die Gegenwart fühlen, mit ihr sich abgeben können, ist das Le- benstalent; je mehr man davon in sich trägt, je positiver ist man, und je mehr Positives wird uns vorkommen. Ein leben- dig ethisch guter Wille belebt uns allein die Gegenstände zu geistigen. Das bin ich ganz gewiß. Der Geist ist wie Sonne; sie ist immer da; beleben aber kann sie nur was da ist. — Grüßen Sie Oelsner von mir; und zeigen Sie ihm, was ich Ihnen eben über Mad. de Sta ë l sagte: er kennt mich in der- gleichen. Kann ich, so schick’ ich Ihnen den Tauler durch Graf M. im December. — An Friedrich Ludwig Lindner, in Stuttgart. Mittwoch, Karlsruhe, den 25. November 1818. Trübes, feuchtwarmes Regenwetter. Ihr Brief, den ich gestern Abend erhielt, gab mir etwas von der einzig schönen Ruhe, die Ihnen Ihr stilles Lokal ein- flößte, und machte mir aus großem Antheil viel Vergnügen. An mir ist kein Detail verloren; vom gröbsten Dasein an, von der allseitigsten Vereinzelung an, hab’ ich mich nur her- aufgerankt zu den allgemeinsten Erkenntnissen. Die Art mei- nes Geistes ist unschuldig; gradaus sind seine Strahlen, sie wissen nicht was sie beleuchten werden: und so und nicht an- ders muß er immer nur von neuem verfahren; eine andere Weise ist ihm gänzlich versagt. Er hat etwas Genialisches, das will ich ihm nicht abstreiten: es besteht aber nur, und in nichts anderm, als in der mir selbst, und einem jeden, unbe- greiflichen Schnelligkeit, sein der Geschwindigkeit ganz wider- sprechendes Verfahren zu ersetzen. Von allgemeinen Begriffen auf einzelne Fälle zu operiren, ist doch die größte Geistesöko- nomie; ich muß erst umgekehrt, durch die kleinsten Abstraktio- nen mir jene Begriffe schaffen; und dann noch Einmal ope- riren. Aber dies wie durch Feuer, und sein Licht: so schnell geht’s; durch so schnelle Kombinationen, daß sie mir selbst alle wie Einfälle erscheinen. Eine Art Behelf, daher die Unfähig- keit zu lernen; nichts in mich Aufzunehmendes vermag ich be- reiten zu lassen; daher erscheinen die gewöhnlichsten Dinge und Äußerungen bei mir, originell. Es ist meist Unfähigkeit, in der Folge aufzunehmen, und wiederzugeben, wie man es mir anbietet. In der Art hab’ ich mir aber beinah alle Ta- lente auch der andern Menschen erklärt: meist ist jedes Talent nur eine Umgränzung einiger in einander greifenden Gaben, die grade die Nachbargaben ausschließen, oder deren Mangel voraussetzen, und von dem begründet werden; das hab’ ich schon oft ergrübelt. Findet sich irgend in einer Seele ein gan- zes Konzert, ein vollständiger großer Kreis von Talenten, wo keins das andere durch dessen Ausschließung bedingt; und be- lebt ein reges, empfindliches, gesundes Herz diese Fertigkeiten; wohnt eine lebendige Überzeugung in solchem Geiste, dann ist das Genie fertig. Dann lieb’ ich es mit leidenschaftlicher, glücklicher Bewunderung! Wen ich als Autor so liebe, das wissen Sie. Eh ich Ihren Brief gestern erhielt, im Nachmit- tag, sprach ich erst von dem großen, einzigen Einfluß, den Lokale auf mich üben; das was mich umgiebt, beherrscht mich meist ganz, unwiderstehlich: kein Unglück, nichts widersteht dem ganz, Kein Glück, keiner Art, wäre für mich genießbar, könnte mir den Seelenzustand ganz bereiten, dessen meine Seele bedarf, um es ruhig in sich wirken zu lassen, wenn ich in einem mir verhaßten, mir widersprechenden Lokal, in solcher Stadt, solcher Gegend bin. Kein Mensch ist empfindlicher für solche Dinge: hat sie zeitlebens so ausgesponnen, zur Deut- lichkeit gebracht, so davon gelitten! Sie können also denken, wie erwünscht mir Ihr Brief kam; wie balsamisch er auf mich wirkte! Wie ein gourmand gerne von schönen Speisen hört; so bin ich in meiner leckeren Gierigkeit dahin gekommen, schon zufrieden zu werden, wenn nur Andere recht schön wohnen: besonders wenn es nun Freunde sind; und in einer Verfas- sung, wo ihnen das viel sein muß; Beruhigung, Genuß; Raum zu angenehmem Fleiß! Ich kann Ihnen aber nicht aus einer Art Villa schreiben; auch nicht aus einem Sommer- Sonnen-Thal; auch nichts von Kunst, oder deren Genüssen: drum fängt mein Brief grüblend an über mich selbst; grau in grau. Doch bin ich in guter; alter, ruhiger Seelensphäre, mit junger, reger Genußfähigkeit; und zufrieden, wenn kein Unglück, keine Angst kömmt; mit Einsicht für das, was ich besitze. Hier, und da, gut berührt: und nur durch großen Zwang beachtend, wenn ich schlecht berührt werde. Ich kann nicht, wie Sie, sagen: ich verachte die Welt: aber ich kenne sie ganz ; und ihre eigene Klemme; was kann ich von ihr wollen, als Frieden; auch dazu muß man ihr Gutes thun, und schmeichlen. Faire des ingrats, ist die friedlichste Beschäf- tigung; wenn man schon agiren muß; hin und wieder. Halten Sie das nicht für Prahlerei. Mad. Lindner hat mir einen so allerliebsten Brief ge- schrieben, den ich durchaus goutirt habe, und der mir großes Vergnügen gemacht hat. — Es freut mich sehr, daß ihr die Bekanntschaft der Mad. Brede konvenirt. Sie könnte keine bessere, ehrlichere, gütigere Frau kennen lernen. Grüßen Sie sie tausendmal! Ich liebe sie sehr! und immer. — Ich lese die Minerve, Dohms Denkwürdigkeiten, und „Über das Ver- hältniß des Christenthums und der christlichen Kirche zur Ver- nunftreligion“ von Muth. Dies letzte gab mir Robert, der von Mannheim zur Ankunft des Kaisers Alexander hier ist. Heute Abend kommt der; man verschont ihn nicht mit der Il- lumination. Gentz hat mich von Aachen grüßen lassen, und bestellen, er würde mich im Durchreisen hier sehen. Heute hatte ich Brief von den kleinen Tastet; sie und Frau von Lagorce sind wohl. Sie schickten mir einen Brief vom Gene- ral Bachelu, einem französischen Freund, der zu Herzogin von Angoul ê me in Straßburg war. Hier wird sehr schön Donna Diana, aus dem Spanischen, gegeben. Wenn Opern, oder so schöne Stücke sind, gehe ich hinein: wenn das Wet- ter nur irgend zu behandlen, im schönen Spazirort spaziren. Fürst Fürstenberg ist hier: dem ich sehr gut bin, weil er voller Leben, und Lebenslust, und Streben ist; und man ihm das alles auch ansieht. Kennen Sie der Kaiserin von Rußland Arzt, Staatsrath von Stoffregen? Der ist auch hier; ein großer Freund von Robert, und ein sehr lieber Mann. — Adieu. Ihre R. An M. Th. Robert, in Berlin. Karlsruhe, den 5. December 1818. — — Ich möchte dir doch gar zu gerne bei dieser Ge- legenheit sagen, wie ich über Religion denke: weil ich ein Drängen habe, bei diesen tiefen und umfassenden Gegen- ständen, den wenigen Menschen, mit denen ich eigentlich rede, kein Geheimniß zu sein, und besonders ihnen nicht gar ein falsches Bild von meiner innern Gedankentafel zu lassen. Ich war gestern besonders gegen eine gewisse Art von Reli- giosität sehr aufgebracht, weil ich eben gestern viel in einem ganz neu erschienenen Buche von F. las. Dort spricht dieser Gelehrte, als hätte er dem lieben Gott in die Karte gesehn, und wäre zu allem geistigen Anfang durch bloße Frommheit gekommen, und setzt diesen in die Sünde . Ist aber tief- sinnig, geistreich und scharfsinnig genug, um sich häufig, auf jeder Seite könnt’ ich sagen, zu widersprechen. Zum Beispiel, behauptet sein guter Verstand, neben seinem willkürlich- eitel- stolz- oberflächlich- demüthigen Setzen seiner Sünde , daß Schuld aufhören könne, und man immer von neuem wieder unschuldig würde. So phantasirt er, geistvoll, unwahr, tief- sinnig, fade, das ganze Buch hindurch; schlägt an alle Geistes- gränzen an, braucht Wissenschaft und Systeme aller Art, und — bringt mich in einen wahren Ärger! Solch kluger Mann! Solche Gaben, solche Hervorbringungen des Denkens, so seicht zu verschleudern, mit aller Emphase der Wahrheit, und dem Schein des Ergriffenseins! — Was zwingt einen mensch- lichen Geist, eine Sünde anzunehmen, durch die wir hier sein sollen? Neben einem lieben Gott! das heißt neben einem Geiste, der alles begreift, sich, uns, alle Nothwendigkeit, alles Dasein, alle Verhältnisse; und den durchaus wir nicht be- greifen, weil wir nichts evidenter wissen als unsre Gränzen; den wir nur durch eine uns eingegebene Gabe voraussetzen müssen, nämlich durch unsres eignen Geistes Fähigkeit, uns unendliche Geister zu denken, und weil es, der Natur unsres Geistes gemäß, sinniger ist, einen alles begreifenden, vorstehen- den Geist uns zu denken, als bei Unsinn, wie vieles für un- sern Geist ist, stehen zu bleiben. Diese Voraussetzung ist uns zugleich Trost; wäre sie aber nur Trost, — so sehr wir seiner auch bedürfen, so könnte doch unser Geist, aus Trost- bedürfniß allein, ihn nicht annehmen. Was in der Welt — die Bibel nicht! — kann mich zwingen, neben Gott, für dieses Dasein eine Sünde anzunehmen? Mir ist folgendes natürlicher und einleuchtender. Wie finden wir uns? frag’ ich. Mit einem persönlichen Bewußtsein; erstlich begränzt in dieser Persönlichkeit selbst, dann in den Bewegungen unsres Geistes, so sehr dieser auch das Weitreichendste in uns ist; die Persönlichkeit ist die schärfste Bedingung und der für uns zu erreichende Grund unsres Bewußtseins. Durch sie wird allein Sittlichkeit möglich: unser Höchstes jetzt ; einzig siche- res, einzig mögliches Handeln, mögliches Schaffen. Nur in Persönlichkeit können wir Glückseligkeit und Unglückseligkeit finden. Daß uns der größte, also auch gütigste Geist diese Per- sönlichkeit nur unter so harten Bedingungen verleihen mochte oder konnte — hier gleichviel! — ist sein Geheimniß; die Ergebung in dieses Geheimniß, meine Religion, meine De- muth, meine Weisheit, meine Ruhe! Alle andere Voraus- setzungen sind mir kindisch und willkürlich. Mein Geist kann immer höher steigen, mächtiger, schauender werden; und ist Gott mit allem Eins , so ist’s wie mit uns selbst; auch zu uns gehört unser ganzer Leib und die Intelligenzen aller un- serer Organe, und es ist doch eine vornehmste da: der Kopf weiß vom Fuß; der nicht vom Kopf! Diese ganze Voraus- setzung hier nur ganz beiläufig, nur zum Beweise, daß sie nicht passe. Denke dir nun, wie mir ein Gott, oder wie mir Menschen vorkommen, die Opfer fordern; das Unsittlichste in der Welt; wie das Sittlichste, diese Forderung an sich selber zu machen, und die Opfer zu leisten. Daß überhaupt Opfer gebracht werden müssen, würde ich tadeln, wenn dies nicht ganz auf Gott zurückfiele; der aber hat den größten Witz darin angebracht, den wir hier kennen, nämlich hat es zur tiefsten Aufgabe unseres persönlichen Daseins gemacht, zur Aufgabe der Sittlichkeit, die aber ein jeder nur an sich selber machen kann und beurtheilen kann. Rechne es mir hoch an, daß ich dir dies alles schrieb, es ist das Höchste, was ich weiß. Mir ist unter allen philosophischen Systemen — ich kenne ja was sie aufstellen — keines haltbarer, natürlicher, wahrhafter, einfacher in der Voraussetzung. — — Ich muß noch ein Wort hinzufügen. Das Buch von F. ist, ich wiederhol’ es, ein Werk voller Geist, handelt von den wichtigsten Gegenständen, regt unendlich zum Denken auf. Wenn der Verfasser mich in Ärger brachte, so liegt das in seiner und meiner Art zu sein, und in der, wie wir zu unsern Gedanken kommen, und sie zu Folgerungen gebrauchen. (Frau von Sta ë l z. B. ärgert mich auf dieselbe Weise.) So ärgert mich nicht sowohl seine Religiosität, als vielmehr die Stellen, wo er sie anbringt, und die Wege, wie er zu ihr kommt; dich aber wird sie unendlich ansprechen, weil es ganz deine ist; und du wirst ihn, wo du ihn ehrlich ( hier nur konse- quent) findest, darum besser verstehen, als ich. Ich empfehle dies Buch, weil es dich sehr beschäftigen und dir in vielem neu sein wird. Lavater aber und Saint-Martin, die ich dir auch zu lesen empfahl, und andre solche großartige Seelen, kommen wie aus einem religiösen Meere mit ihren Gedanken hervor, ohne zu ihren Beweisen ein Stück Religion vor sich zu nehmen, und daraus eine Mosaik von strengen Folgerungen und Axiomen einer bestimmten Religion zu machen, wo- durch mir dann diese bestimmte bewiesen sein soll! Mein Urtheil nimmt das nicht an, mein Geist sträubt sich, meine Seele empört sich gegen solche Zumuthungen; daher scheine ich dann zornig. — — An Friedrich Ludwig Lindner, in Stuttgart. Karlsruhe, Sonnabend Morgen 9 Uhr im Bette, den 19. December 1818. Halb helles Frostwetter, mit etwas Schnee als Reif. Ich glaube, Lieber, Ihr Freund ennuyirt sich! Was hat er für eine politische Unruhe? Als ob uns das Messer an der Kehle stünde, und wir auch nun keine Bewegung mehr ohne Schnitt machen könnten. Ungefähr so wie jetzt leben wir und unsere Vorältern schon lange; ungefähr so werden wir noch lange existiren müssen. Es vorherrscht ein großer Lügenwust; der uns auf allen Punkten berührt, den wir in unserer Luft schon mit einathmen, und aus unserer Brust wieder hinein schicken. Alles moralische Übel setzte ich in die Lüge. Liegt es an unserm Verstand, wenn wir von der Wahrheit ab, in der Lüge sind, so ist’s Irrthum. Zugegeben, daß wir jetzt in einem Moment leben; wo an einem paar hauptschädlicher Lü- gen stark gerüttelt wurde, und noch gerüttelt wird: sie sind angebrochen, und das wahre Verhältniß ist in manchem Bruch am Lichte: es wird schon weiter losfallen müssen. Habt nur einige Geduld! Mir ist alles lieber, als Feuer und Schwert, wenn ich nicht grade über einen einzelnen Nichtswürdigen, über eine bestimmte Unthat im brennenden Gerechtigkeitszorn bin. Betrachten wir das Ganze, so kann uns nie entgehen, daß dies nur langsam fortrücken kann: sich entwicklen muß durch Geistiges, wie Pflanzen an der Sonne, — und daß wir Armen uns immer nur in einer bestimmten Entwickelungspe- riode befinden können, die ungefähr unserer Organisation gleich wohl und wehe thut; und sollte es uns merklich besser gehen, wir, wie wir jetzt sind, plötzlich in eine künftige Zeitperiode versetzt werden müßten: änderte sich aber diese, in welcher wir sind, plötzlich, auf menschliche Weise, so hätten wir sehr zu leiden. Es giebt aber einen Zustand, in dem man dies doch wünscht: den nenn’ ich aber Ennui. Es sind die Mißstände auf der Erde nicht auszugleichen. Nicht einmal eingesehen werden sie. Sogar den Sündenfall hat man erfunden, — größter Beweis, daß, will man einen Grundunsinn ausglei- chen, nur der Witz der Stupidität noch thätig bleiben kann, für jede andere ist der Unsinn ein Ende, — um nicht ergeben und fleißig an Kleinigkeiten zu arbeiten; an dem, was grade jedesmal vor uns ist: dies ist unsere irdische Natur; dies zu erkennen, unseres Geistes Aufgabe; dazu aufgelegt sein, unsere hiesige Gesundheit und ihr Merkmal. Und haben weise Men- schen gesagt, wir sollen wie Kinder sein, so versteh’ ich dies darunter. Kinder sind immer ehrliche Leute; und ehrliche Leute wie Kinder; ihr ganzer Geist in einer Frage an alle Gegen- stände begriffen. Lesen Sie doch Steffens Karikaturen des Heiligsten! Ich habe mich durch dies Buch durchärgern müssen. Er und seine Gegenstände sind immer interessant: aber solcher Geist bleibt mir immer ein Räthsel, nie läßt er ihn satt werden von im- mer in der Tiefe gefundener Wahrheit, hinauf muß er wieder, und kosten an jede Verwirrung, die sie deckt. Wie Frau von Sta ë l arbeitet er mit den besten Dingen und Worten, erhitzt umher: und kunststill, gebetstill, unschuldsstill werden sie nie. Das erhitzt mich so bei ihnen. Steffens muß ich aber doch ehrlich nennen. Aber seine Lektüren sind ihm, was ihr, der Frau von Sta ë l, ihre Salons sind. Lesen Sie auch eine kleine Broschüre sur la notion du temps von François Baader, und sehen, was man, und in wel- chem Französisch, dem russischen Minister du culte zumuthet. Das hat der arme Saint-Martin nicht gedacht! S. 21. ist eine herrliche Stelle von ihm angeführt. Wäre es Sommer, wir in einem Blumenthal, eine italiä- nische Oper nicht weit, schöne großen Kirchen nah, hübsche Menschen um uns, wir sprächen von andern Dingen! Adieu! Grüßen Sie tausendmal Mad. Lindner! Auch Mad. Brede. Liebe, Blumen, Musik; Luft, Wald, Feld, Sommer, Vögel- sang: und Intriguen, die sich darauf beziehen, wenn es denn welche sein sollen! Adieu, adieu. Ihre R. Von hier ist nichts zu schreiben; also ist mein Brief sehr viel: denn aus dem Ärmel schüttlen ist eine schwere Kunst. An Friedrich August von Stägemann, in Berlin. Karlsruhe, den 31. December 1818. Ich hoffe die Ihrigen sind längst von ihren Üblen und Unpäßlichkeiten geheilt, da es nun schon etwas lange her ist, und und der Eintritt des Winters finde Sie unbrauchbar für die Übel, die er zu geben pflegt; eben ausgestandene Krankheiten machen öfters für dergleichen empfänglich. Varnh. war bis jetzt wohl, leistet aber jetzt eben seinen Zoll im Bette — wo- vor ich schreibe — durch ein katarrhalisches Übel; welches aber so wohl bald geheilt sein wird! Ich bin immer in einem kon- valeszenten Zustand; für Andere gesund, für mich nicht. Doch bin ich so mit der jetzigen Himmelsluft entzweit — gespannt, hätte ich sagen sollen — daß ich schon drei Wochen gar nicht mehr ausgehe. Bis zu dieser Zeit hatten wir wärmliches, oft schönes Wetter; seit der Zeit aber ist der Winter trocken, ohne Schnee eingetreten, welches nicht gut wirkt. Um dieselbe Zeit starb nach vielem Leiden der Großherzog; das hat mich sehr affizirt, da ich ihm persönlich sehr gut war: und das größte Grauen — terreur — vor Brustbeklemmung aus Erfahrung habe. Dieses Ereigniß hat auch die Stadt sehr still gemacht; das Theater — das Aug — geschlossen; die Gesellschaften ge- hemmt. Es wird alles allmählig wieder angehen. So ist es äußerlich hier. Eine Stadt ohne Theater ist für mich wie ein Mensch mit zugedrückten Augen: ein Ort ohne Luftzug, ohne Kours. In unsern Zeiten und Städten ist ja dies das ein- zige Allgemeine, wo der Kreis der Freude, des Geistes, des Antheils und Zusammenkommens — auch nur — aller Klas- sen gezogen ist. Nichts desto weniger applaudir’ ich Sie doch, daß Sie nicht in’s Theater gehen: d. h. es macht mir Ver- gnügen. Lassen Sie sich gestehen, daß kein Theater in der Welt mir den Ärger abzwingen kann, wie das Berliner — seit Iffland, — erstlich, weil keines mich so interessirt hat; II. 36 dann, giebt es keines mehr (es hat aber schon angesteckt!) mit solchen steifen Prätensionen an sich selbst. Es ist eine Zwangsanstalt für Schauspieler und Publikum in allen Rück- sichten, nach und nach geworden — das wird Schulz wis- sen! — Jetzt braucht man nur die Rezensionen in den Berli- ner Zeitungen zu lesen; um über die ganz inhaltleeren An- sprüche, und Beurtheilungen, den Gichter zu kriegen, — wie sie hier sagen, oder: alle Zustände . (So eben ist General Tettenborn gekommen; er läßt Sie grüßen, und seine baldige Abreise nach Wien vermelden.) Es freut mich also, daß Sie Rache für mich nehmen, an dieser Anstalt! die so viel gute Elemente so hartnäckig und langjährig zu ersticken bemüht ist. Um so mehr aber noch gefielen mir Ihre schönen Verse über Milders-Töne. Es hebt so richtig aus Ihren damaligen Gedanken, Situation und Gefühl darüber an, dieses Gedicht: das ist bei mir eine große Hauptsache; nämlich das Wirkliche eines Gedichts. Ist das prosaisch? mich dünkt nicht ; — ich halte unendlich auf das Reelle bei allen Eingebungen; es müssen nämlich welche sein; sie gehn aber nur aus dem wah- ren wahrgenommenen Seelenzustand hervor: und darum ge- fallen mir oft die pausbackigsten, mit noch so dithyrambischen Worten in die Silbenlänge gezogenen Gedichte nicht; und aus eben dem Grunde Ihre oft so sehr. Die Sappho möcht’ ich gerne sehen; Auszüge haben mir davon gar sehr gefallen: auch sagte uns Mad. Schröder diesen August hier ganze Sce- nen davon bewundrungswürdig. Mir ist Mad. Wolff von je her — ich kenne sie aus Berliner Gastrollen — nicht genug von innen kräftig gewesen. Doch mag sie viel gelernt, und gewonnen haben; und eine Leidenschaft, die uns in so an- dern Zeiten und „ Gelegenheiten “ — wie Logau sagt — entrückt, ihr mit angelerntem und angedachten Maß schon gelingen. Mir sind jede Minister gleich: es können nur gute ge- wählt werden; da es immer von denselben Menschen abhängt. Graf B. aber ist mir besonders angenehm, da ich ihn kenne und liebe, seit geraumer Zeit: als er feine Weltstudien in Ber- lin machte. Die schöne Gräfin kenne ich erst seit Wien, wo ich ihre Liebenswürdigkeit wahr fand, worauf Briefe von ihr, und Menschen mich schon vorbereitet hatten; sie war dort von allen Festen, und ausgesuchtern Gesellschaften. Leben Sie wohl! Lauschen Sie auf sich selbst; und Sie finden gewiß so schöne Gedichte im lieben guten Frieden, als der herrlichste Krieg — ein gewonnener: auch Friede — nur immer eingeben kann. Bleiben Sie mir gewogen, und besu- chen Sie Einmal die Bäder dieses Landes! Ihre ergebene Fr. Varnhagen. An Rose, im Haag. Karlsruhe, Freitag den 22. Januar 1819. Mittag 12 Uhr. Warmes Regenwetter. Theuerste Herzensrose! Wie hat es mich gekränkt, daß dein so erwünschter Aufenthalt in Brüssel so unglücklich und quälend gestört war! Der arme Karl! Das ist ja die Krank- heit, die ich hatte, als du mit Louis niederkommen mußtest, und wo ich dreizehn Wochen zu Bette und ein Jahr konva- 36 * leszent war. Gott behüte! Was soll man dazu sagen! Das sind Schicksalsprügel; wovon die Flecke nicht vergehen. Ich spreche auch von dir. Ich würde sagen, schone dich, er- heitre dich; wenn ich nicht wüßte, daß dies ganz unnütz ist. Man thut es doch nicht: im Gegentheil, man will sparen nach großen Ausgaben, und meint schon viel schuldig zu sein, wenn man nur jappt! So rinnt das Leben der Vernunfts- und Schuldigkeits-Knechte hin ! Ich aber esse doch jetzt jeden Tag ein halbes Huhn: weil nichts so leicht Nahrung giebt, und feinen lädirten Organisationen diese so sehr nöthig ist. Mache dir auch Zerstreuung, bei deiner Eselsmilch: d. h. geh an Orte, wo neue Gegenstände, Worte und Menschen dich berühren, dir Blut, Leben, Nerven und Gedanken auffrischen. Wir Frauen haben dies doppelt nöthig; indessen der Män- ner Beschäftigung wenigstens in ihren eignen Augen auch Ge- schäfte sind, die sie für wichtig halten müssen, in deren Aus- übung ihre Ambition sich schmeichelt; worin sie ein Weiter- kommen sehen, in welcher sie durch Menschenverkehr schon bewegt werden: wenn wir nur immer herabziehende, die klei- nen Ausgaben und Einrichtungen, die sich ganz nach der Män- ner Stand beziehen müssen, Stückeleien vor uns haben. Es ist Menschenunkunde, wenn sich die Leute einbilden, unser Geist sei anders und zu andern Bedürfnissen konstituirt, und wir könnten z. E. ganz von des Mannes oder Sohns Existenz mitzehren. Diese Forderung entsteht nur aus der Voraus- setzung, daß ein Weib in ihrer ganzen Seele nichts Höheres kennte, als grade die Forderungen und Ansprüche ihres Man- nes in der Welt: oder die Gaben und Wünsche ihrer Kinder: dann wäre jede Ehe, schon bloß als solche, der höchste mensch- liche Zustand: so aber ist es nicht : und man liebt, hegt, pflegt wohl die Wünsche der Seinigen; fügt sich ihnen; macht sie sich zur höchsten Sorge, und dringendsten Beschäftigung: aber erfüllen, erholen, uns ausruhen, zu fernerer Thätigkeit, und Tragen, können die uns nicht; oder auf unser ganzes Leben hinaus stärken und kräftigen. Dies ist der Grund des vielen Frivolen, was man bei Weibren sieht, und zu sehen glaubt: sie haben der beklatschten Regel nach gar keinen Raum für ihre eigene Füße, müssen sie nur immer dah in setzen, wo der Mann eben stand, und stehen will; und sehen mit ihren Augen die ganze bewegte Welt, wie etwa Einer, der wie ein Baum mit Wurzlen in der Erde verzaubert wäre, jeder Versuch, jeder Wunsch, den unnatürlichen Zustand zu lösen, wird Frivolität genannt; oder noch für strafwürdiges Benehmen gehalten. Dar um mußt du und ich ein wenig an- gefrischt werden! Varnh., gleich nachdem wir deinen Brief gelesen hatten, vergaß alle Verabredungen mit manchen Freun- den für künftigen Sommer, und schlug mir gleich vor, zu dir zu gehen — nach Gesundheit und Jahreszeit. Ich stellte ihm die Sache vor, wie sie ist: und er sah es gleich ein. Mit dir aber, theure liebe Rose! mag ich jetzt noch von keiner Reise reden: wozu dies im Januar, da es bis Juni Zeit hat. — — Auch ich thue nichts Unsinniges und Verschwendrisches: bei der größten Freiheit: und bin ein untergehender Sklave der Vernunft, so nennt man mit Recht das, was man für’s Ersprießlichste erkennt: nur beurtheilt man dies zu oft aus nicht hohem Gesichtspunkt genug, und zu untergeordnet: das ist auch mein Fehler: und ich schade Gesundheit und besserm, höhern Leben damit; weil die nur im höheren Leben gedeihet. Seit Mitte Novembers war ich zweimal aus: ich mußte das Wetter meiden: und bin doch nur passabel gesund: wie du’s kennst: jedoch hab’ ich große Anfälle vermieden. Varnhagen ist seit dem Tag vor Sylvester an einer Grippe zu Bette ge- wesen: recht krank. — Ich hatte es schlimm: sein Zimmerchen war warm und klein, und ich mußte immer durch Kälte da- hin. Das that mir Schaden. Auch bin ich krank und imbé- cile von Ideen- und Zerstreuungslosigkeit. Das kann ich nicht: konnte es nie!!! — Doch geht’s jetzt: par ci par là kommt Einer. Ich kann wegen Blutsteigen und meiner Augen nicht stets lesen. Doch lese ich viel. Du siehst meine Handschrift, nachgrade nun werde ich nervig. — Schreibe mir bald, Ge- liebte! Daß du die Catalani hörtest, ist mein Trost ! Auch freut mich sehr dein Schiller und Goethe. Studire den letztern sehr ! Ist sein Leben und alles von ihm dabei? — Adieu. Liebes Kind! Schreibe mir bald! Von zu Hause krieg’ ich auch nur so wenig Briefe, und so wenig drin als möglich: auf dem Ort ist mein Herz hart gebrannt. Adieu. Deine R. Dore grüßt schön! Auch Hrn. Asser. Ich auch noch Ein- mal! er soll sich noch lange pflegen und schonen, und Cham- pagner trinken und Eisentropfen gebrauchen. Das waren da- mals meine guten Mittel. An Astols Grafen von Custine, in Paris. Karlsruhe, den 17. Februar 1819. Regenwetter, Mittags 1 Uhr. Ist es möglich, lieber Freund, daß Sie mir ein Wort aus Paris schreiben? wo Sie seit wenigstens sechs Wochen sein müssen, und wo Ihnen doch so vieles begegnet sein muß. Se- hen Sie Ihre vorjährige Kotterie? ist es Ihnen unbehaglich? Haben Sie andre angenehme Gänge? Gehen Sie spaziren? Schreiben Sie mir Erfrischendes! Alles. Mein Winter war so voller Unpäßlichkeit, daß ich ihn bis vor drei Wochen in der ertödtendsten Einsamkeit, zu Hause zubringen mußte; weil jeder Versuch zum Ausgehen mir wenigstens noch acht schlech- tere Tage, und besonders Nächte machte; er war so trocken für mich in allem was mich beleben und nähren sollte, daß ich selbst trocken und dürr davon geworden bin: mich nicht durch mich allein zu erholen vermag; und hoffnungslos warte , es möchte etwas kommen! In solchen grimmigen Stimmun- gen mochte, und konnte ich Ihnen nie schreiben: was hilft das Beichten an Freunde; das Beten zum Himmel: mich dünkt oft, man setzt beide in keine gute Verfassung, wenn uns doch nicht geholfen werden kann oder soll. Das Dekret von oben: ich soll vernünftig sein, das kenne ich. Und eben weil meine innerste Natur mich einzig zu Befolgung dieses Gebots treibt, fühl’ ich mich eigentlich elend, oder vielmehr dies ist mein ganzes Elend. Frei bleiben ewig die Wünsche und Bedürf- nisse unsers Herzens! dies ist absolut ausgemacht; und heißt: wir selbst können unsere Natur, und die Thätigkeit ihres We- sens nicht ändern; wir sind nur die fühlende Einsicht dersel- ben: und wird ihr widersprochen, und wir sehen ein, daß auch das richtig in einem andern Sinne ist, und wir uns unter- ordnen sollen: so ist, und bleibt uns weh; mit , und aus Vernunft. Was kann man also thun, als seine Schmerzen fühlen, und sie sich machen helfen! Dabei lieb ’ ich meine Natur, und ihre Ansprüche; und tödte doch, bleibe in Einem Tödten! und wenn ich Freunden gegenüber bin, und dies nur mit Tinte und Feder, und das wogende Leben uns nicht trägt , in dessen tausendfältigen Wellen sich doch un- endliche Lebensbilder abspieglen müssen, die uns zerstreuen müssen: so fällt mir nur das Resultat ein, der eigentliche Jam- mer des Facits; und den trag’ ich Scheu immer vorzutragen. Das die Bestandtheile meines Schweigens! Auch Varnhagen war an fünf Wochen krank: drei zu Bette; und ich seine Wärterin: welches, da er in einem kleinen Zimmer mit eiser- nem Ofen zu liegen kam, und ich durch kalte Räume zu ihm mußte, und es doch nie lange bei ihm aushalten konnte, also immer hin und her lief, — und ich unpaß — mir sehr scha- dete. Mein Rheumatism im Kreuz will keine Art Anstrengung mehr erlauben: ich kann keine halbe Stunde ohne Schmerzen mehr gehen; durch eine neue Erkältung von diesem Sommer aus Komplaisance! — Mein Arzt ist nicht schlecht, aber er übersieht mich nicht: folglich auch meine Übel nicht. Koreff weit weg! Karlsbald wäre mir gut, meine ich. Das ist aber so weit: und mit einer Jungfer allein hin, ist auch übel; und die Zeit der Kur hart: und ich auch dort ohne ärztliche Di- rektion. Kurz, alles schwer Kommen Sie denn noch mit Mama? Noch denk’ ich’s. Und Köln wollen Sie sehen! das verrückte Nest. Diesen leider versteinerten Koloß der alt- fränkischen Tollheiten und Unbequemlichkeiten, den sie jetzt so berühmt machen wollen! Wo einem unsinnig drin zu Muthe wird. Eine Stadt, die keinen Mittelpunkt, keinen Corso, kein Gesicht hat; keine Aussicht: die selbst dem Rhein das Hinterste zukehrt. Auch der Dom ist nicht, wie der Wiener, der Straß- burger, erhebend, Ruhe gebietend: nur für einen mit Kunstsinn und technischem Urtheil ausgestatteten Bauverständigen kann er Interesse haben; wir haben keinen Eindruck davon; sehen Latten und Bretter. Unsere Regierung und ihre Legaten ar- beiten sich ab, dem Modegeschrei Genüge zu thun und den dekrepiten Koloß wieder aufzupäpplen: aber mache mal einer einen sterbenden unartigen Greis wieder zum frischen, nah- rungsgedeihenden, aufwachsenden Kinde! Zwar ist es auch schwer, solches Unthier untergehen zu lassen; nur soll man die alte Zeit nicht durch ihn herzustellen glauben; die ist vorbei - geflossen wie der Rhein. Köln ist ein Wahrzeichen römischer Herrschaft außer römischen Landes; römischen Untergangs; deutschen Aufstrebens; geschickt, und ungeschickt: und nie Rom los werdend, bis heutiger Stunde; wir hiesigen Völker alle ! Wenn man’s abzeichnen, und dann abbrechen, und neu und bequem konstruiren könnte, so wär’s ein Glück ! Da komm’ ich Doktor Schlosser gut an! und vielen Neuern! Ich glaube, Bärstecher wird mir eher beitreten. Also wann reisen Sie? wann kommen Sie? Nicht so spät! Sie theilen Mama mei- nen Brief mit: Sie können ihn gut übersetzen. Sie verstehen vortrefflich mein Deutsch, und mein Französisch! zwei fremde, neue Sprachen! Nicht aus Affektation. Ich kann nicht an- ders. Mir hilft alles Lesen nichts. Manches hab’ ich diesen Winter gelesen. Vieles war gut und gefiel mir. Ich las auch mehreres von Lavater. Den lieb’ ich von ganzer Seele! Er ist brav. Geistreich; voller Einfälle; gütig: ungeduldig; nämlich, übt die höchste Geduld mit Menschen aller Art; von allseitiger, und tiefer gütiger Einsicht. Nach der Bibel re- ligiös : mit so vieler wahren erhabnen Religion, daß ich ihn liebe , wenn er unzubehauptende Dinge behauptet. Ein eng- lischer Mensch! Lesen Sie, wenn Sie es nur irgend bekom- men können, gleich — vielleicht auf der reichen Pariser Bi- bliothek; hat sie auch Deutsches? fragen Sie Hrn. Oelsner, vielleicht hat der Bekannte, die deutsche Bücher haben — „Aussichten in die Ewigkeit, von Lavater, in Briefen an Zim- mermann.“ Wundergöttlich. Dies Buch allein hat mich die- sen Winter oben erhalten. Sonst hätte ich mich für gesunken halten müssen. Noch scheint mir dies Buch wie warme lichte Sonne in meine Zeit. Lassen Sie sich nicht abschrecken von mancher präkautionirenden Weitläufigkeit in dem Buche, der arme Lavater mußte sich der damaligen Geistesepoche beugen; es war die der — vielleicht präsumtuosen — Aufklärung, er thut es mit Grazie, und Geduld, und Ungeduld: wir lernen jene Zeit und ihre Schwierigkeiten daraus kennen, und unsere tüchtiger auch schon als eine ehmalige beurtheilen, und sehen flache Stüfchen mit großer Anmaßung betreten: auch der arme Racine — in seinen Briefen, vorzüglich an Boileau — mußte sich wieder einer andern, der bigotten Zeit, oder vielmehr dem bigotten Hofe mit einem Beichtvater-Einfluß, fügen. So hemmen die Begränzten die seltenen schönen Schwingen unse- rer Vornehmsten ! — Neulich las ich in zwei Abenden wie- der Phedre, Esther, Iphigenie und Athalie mit Leidenschaft, Ehrfurcht und Entzücken! Mit höchster Liebe. Je mehr ich verstehe, je mehr bewundre ich den englischen, süßen, starken Racine. Adieu! Ihre R. Fürst Hardenberg soll nach Italien gehen; sagt man? Ich habe Koreff gefragt, ob’s wahr ist. Mit einem Kourier. An Oelsner, in Paris. Karlsruhe, Freitag den 12. März 1819. Dies wird nur ein Freundesgruß, der Ihnen einen künf- tigen Brief ankündigen soll. Schreiben Sie nur hübsch wei- ter! Auch ich werde Ihnen melden, was ich weiß, d. h. was ich denke über alles Altfränkische: mir kommen die Tages- dummheiten durchaus als solches vor. Kopfungelenkigkeit; Herzenskälte, Stagnation darin; und Dünkel , da man Ein- mal nicht hinter dem Pfluge steht und hinter dem Spinnrad sitzt; das irrt Gemeine, und täuscht sie bei Schlepprock, und Manschette! Adieu! Viele Grüße für Sie und Mad. Oels- ner! Wenn Sie schöne Pariser Frühlingsbouquette sehen, ge- denken Sie meiner! An solche Sachen denk’ ich. Haben Sie die Custine’sche Familie gesehen? Sind die schon oder noch in Paris? Ist Gräfin Schlabrendorf noch dort? Ant- worten Sie gütigst auf diese Fragen! Leben Sie wohl! Ihre R. Karlsruhe, den 9. April 1819. — — Wenn es irgend passen will, und thunlich wird, so komme ich zur Hochzeit: obgleich ich keine Hochzeiten — von Kindheit an — liebe. Sage dem Bräutigam, ich ge- dächte ihm dann auch durch die That zu beweisen, durch einen Ball, wie schön, heilsam, erfreuend und ergötzend das Tanzen sei! und ich hätte noch ganze Batterien von Raison- nement, die er mir erst erstürmen müßte. — Die schönste Kunst! Die Kunst, wo wir selbst Kunststoff werden, wo wir uns selbst, frei, glücklich, schön, gesund, vollständig vortragen; dies faßt in sich, gewandt, bescheiden, naiv, unschuldig, richtig aus unserer Natur heraus, befreit von Elend, Zwang, Kampf, Beschränkung und Schwäche! Dies sollte nicht die schönste Kunst sein? Gewiß, sie, und die andre, welche entstünde, wenn die Sittlichkeit bis zur sichtlichen Darstellung ge- steigert oder gebracht werden könnte, verdienten vor allen die- sen Namen, weil sie uns selbst idealisch und frei darstellen, alle andern aber nur Ideen und Zustände unserer besten Mo- mente. So denk’ ich’s mir; so fühlte ich’s von Kindheit an; und am reizendsten von allen Künstlererscheinungen schwebte mir die der vollkommensten idealischen Tänzerin vor! Was ist das bischen größere Dauer der andern Musenkünste? Sind sie nicht alle nur ein Auftauchen aus unsrem bedingten Zustande? — Und ist nicht die Höhe, die Reinheit, die Voll- ständigkeit der Gestalt dieses Zauberaufschwungs ein besseres Maß des Werthes der Künste, als die, zwar nützliche, Dauer derselben? — Karlsruhe, den 13. Mai 1819. Rottecks Ideen über Landstände . Vorerinnerung. S. 4. „Die philosophische Theorie läßt alles Vorhandene auf seinem Werth oder Unwerth beruhen. Dasselbe mag als historisch Begründetes , überhaupt, als Gegebenes , seines besondern Rechtes sich erfreuen.“ Das Wort „historisch“ schlägt keinen reinen bestimmten Ton im Ver- ständniß an, und wird daher jetzt besonders gemißbraucht. Alles Ereignete, was sich ereignete, ist nicht historisch. Was sich ereignet, dies gehört ganz gewiß mit zur allgemeinen, großen Entwickelung in der uns bekannten Natur, des Men- schen Geist und der Menschen Zustand mit eingerechnet; aber historisch ist nur das, was die weisesten Leute, Beobachter, Historiker, wie auf einem Faden aufgereiht uns darzustellen für würdig fanden, weil sie es in seinen Beziehungen auf Entwickelung nöthig hielten. Nöthig ist auch alles, was sich nur ergeben mag, für Wesen, die das Universum in seinen Bedürfnissen und Zwecken überschauen: für Menschen aber bleibt nur wenig historisch: und alle schlechten Einrichtungen, oder gute für schlechte Dinge, und Anstalten müssen abgetra- gen werden, zerstört, und sind, weil sie Schlechtes befördern wollen und nicht die bessern Ansprüche im Menschen, nur simple Ergebnisse, Ereignisse; und müssen nicht historisch Begründetes genannt werden; damit man es auch gleich an seinem Namen erkenne, und es Verwirrten keinen Anlaß gebe, in der Verwirrung mit ehrwürdigen Worten eingeengt zu bleiben. An Auguste Brede, in Stuttgart. Karlsruhe, den 18. Mai 1819. Dienstag Mittag, Gewitterschwüle. Also solche Ehre muß ich von Ihnen erleben! Clairon läßt Voltaire’s Wageschale steigen; schon trägt die Schröder Grillparzer mit auf ihrem Fittig, und Auguste unsern Uhland auf dem ihrigen zum Parnassus! Dies freut meine Seele aus hundert Ursachen! Athmet doch unser Land — wir müssen noch immer dabei sagen: Deutschland — auf allen Le- benspunkten auf. Wird doch der Willen stark und flott! Bekömmt doch Deutschlands Prasser, Wien, einen Dichter, und hat eine begabte, eine erkannte Künstlerin, die sich einander heben, halten und steigern, die sich lieben, und für einander wirken. Hat doch Stuttgart einen Berliner Ableger, der dort mehr, als in seiner Heimath, wirken kann, aber als Stutt- garter es nicht gekonnt hätte; sind Sie doch in der sich der Stockung und Trauer überlassenden Mittel-Kapitale der Vor- stand und Ermunterer der Bühne und des Dichters! Sehr schön war, was Sie bei Eröffnung des Theaters nach der Trauer um die Königin vollführten; vortrefflich sollen Sie das Gedicht gesprochen haben, mit schöner Stimme , und das Ganze ausgeführt. So erzählte Lindner. Ein Glaubenbeizu- messender. Schöne Sappho gegeben haben; hört’ ich auch schon von Küsters! — so wetzen Sie das Interesse für’s Thea- ter; darin ist alle Kunst, aller Sinn dafür mit einbegriffen; ja auch das Nachdenken überhaupt geweckt; bei einem großen Theil zuerst, und auf die einzig mögliche Weise. — Gestern kam ein Herr aus Stuttgart, ein Freund Uhlands, und er- zählte von Ihrem letzten Ruhm. Ernst von Schwaben, so glaub’ ich heißt das Stück, sollen Sie vortrefflich gegeben haben: und auch Eßlair. Uhland erkennt es ganz an; und hat Ihnen einen schönen Brief geschrieben! und einen an Varn- hagen, wo er Sie über alles lobt! Und ich mache, als wenn ich’s so gut gespielt hätte; und ich ihm sein Stück durchgebracht hätte! Besonders krepirt’s mich, daß Ihre Stimme sich so gebessert hat! — warum sollen wir ollen Berliner das expressive Wort krepiren nicht auch im guten Sinn, der Verständlichkeit wegen, gebrauchen? — Aber nun, theure Auguste! strengen Sie sie nicht etwa zu Ihrer eigenen Satisfaktion doppelt an! sondern sein Sie dankbar gegen diese Gute, und lassen Sie sie gewähren! Gehen Sie ja wie- der nach Karlsbad! und thun Sie Ihrer Gesundheit alles Gute an: und geben Sie auch der recht nach! Das einzige Heilmittel für kronische Übel, Anlage-Krankheiten: ich weiß dies durch’s Gegentheil. Es muß Ihnen doch rechte Freude verschaffen, daß Sie in Stuttgart nun so Fuß gefaßt haben, und so gut wirken können; es ist schwer am deutschen Wagen ziehen; seine Räder stehen noch nicht symmetrisch zu beiden Seiten; und Viele nehmen dies sogar zur Ausrede, wenn sie helfen sollen: die, von denen zur Zeit noch Hülfe kommen kann, müssen noch ein wenig, wie die wildern Abkömmlinge, sich behelfen; selbst Radmacher, Schmidt, Lenker, oder Vor- spann abwechslend sein können. — Aus Ehrfurcht nenn’ ich keine Nation, bei der das noch der Fall ist: bei großer Bil- dung müßt’ er wieder kommen, dieser Fall, dünkt mich —. Es mag in Stuttgart jetzt doppelt nöthig, und dreifach schwer sein. Man accentuirt jetzt in der Welt, und an den Höfen zu stark auf Trauerfälle, und Ehe, und Moral, und Ökono- mie, und allen Ernst, und alle Noth, und ihr Gefolge. Man merkt stark, daß Etwas sehr traurig ist; und meint es mit Ernst, Schwitzen, Fasten und Darben, thätigen Mienen , und großem Anlauf ohne Ziel — wozu man einen Zweck und Grund haben muß — abhelfen zu können! Dem freu- digen gesunden Herzen, welchem in jedem Vorhaben und Ge- genstand nur die Wahrheit — heißt, ihr ungehemmter, natür- licher Zusammenhang — gefällt, dem lasse man freien Lauf, und man wird keine Trauer-Mienen und Anstalten, keine auf das innerste Leben sich beziehende Ökonomie mehr brauchen. Wahrheit raus! Wahrheit aus den düstern Löchern! Solch Jagdgeschrei möcht’ ich Einmal hören. Welch flottes Leben ginge nach solcher Jagd Einmal an! Werden Sie aber nicht müde! und helfen Sie wo Sie nur können: mit Wort, und That! Sie haben ja noch größre Pflichten: weil Sie größere Mittel haben; Sie sind schön, und Sie haben ein Talent, und eine Stelle . Immer nur die Wahrheit, und immer wieder; und sollte sie auch nur als Samen ausgebracht werden müssen. Dies ist die ganze Kraft des Geistes, da wirkt er in die Natur ein, absolut wie sie; immer neu, un- fehlbar befruchtend. Und ich will die weiße Fahne sein, wie Klärchen im Egmont; und selbst meine Lumpen gebrauchen: ich will Sie und alle Freunde aufmuntern; und als Fahne, Einen dem Andern zuweisen, zeigen. Ich habe jetzt einen neuen Freund, Doktor Börne in Frankfurt a. M. Ich hab’ ihn ihn nie gesehen. Den preise ich Ihnen dringend an! Er schreibt ein Journal, die Wage; das muß Ihr Freund hal- ten, oder noch viel besser! machen, daß es auf dem Casino gehalten wird. Mir empfahl es Gentz. Als das Geistreichste, Witzigste, was jetzt geschrieben würde; er empfahl es mit dem enthusiastischsten Lobe; seit Lessing, sagte er mir — nur ein Artikel darin — seien solche Theaterkritiken nicht erschienen! Ich glaubte natürlich Gentz. Aber weit übertraf das Werk sein Lob: an Witz, schöner Schreibart. Er ist scharf, tief, gründlich-wahr, muthvoll, nicht neumodisch, ganz neu, ge- lassen wie einer der guten Alten; empört, wie man soll. Und so gewiß ich lebe, ein sehr rechtschaffener Mann. Keck, aber besonnen. Kurz, mein großer Favorit. Wenn Sie seine Thea- terkritik lesen, und nie die Stücke gesehen haben, die sie be- trifft, so kennen Sie sie, als hätten Sie sie vor sich. Den Stücken zeigt er ihren Platz an: Mad. Weißenthurn den ihrigen. Machen Sie ja, daß es angeschafft wird, bei allen Ihren Freunden. Sie lachen sich gesund. Andres von ihm kenne ich nicht. Gentz tadelte stark seine politischen Meinun- gen, fand aber begreiflich, daß er sie hätte. — Varnhagen ist enchantirt über den Succeß seines Uhland. — Rausgerufen! „Hochzeitball!“ Aus den Erbschleichern. — Man sagte uns, Hof und Adel sei nicht viel bei der Vorstellung gewesen. Schade! Solche schöne Bewegung unter den Leuten sollte nicht ohne sie Statt haben. Falsch! Hof! falsch! Erster Rang! Robert freute sich auch ungemein, und grüßt Sie. Grüßen Sie den stummen Uhland von mir. Selbst der größte Dich- ter muß sprechen: er hindert mich ja, seine Werke zu lesen, II. 37 wenn er da ist; und muß mir das ersetzen! — Adieu, Herzens- tochter. Ich umarme Sie. Es bleibt beim Besten, beim Alten! Ihre R. Ich grüße Lindner! und bin sehr böse über Mad. Huber, daß sie da als Stiefmutter Weisheit Uhland den Morgen in ihrem — Blatt verdirbt. Was soll das vorstellen? Soll ich ihr Börne schicken? Adieu! Karlsruhe, Dienstag, den 31. Mai 1819. Was als wahr und folgerecht gedacht werden kann, also als möglich, als wirklich möglich durch die Kenntniß all seiner Bedingungen, ist auch schon wahr, und wie in Samen und Knospe enthalten da. Und es ist kein Unterschied zwischen Denken, Produziren des Geistes, oder Wirkungen des Mate- riellen: wir können den Zusammenhang nur nicht finden, wo- durch es eines dieser, bestimmt wird. Nach allen Richtungen hin kann man den suchen; vorwärts, rückwärts; in uns; das heißt, an den Gesetzen unsres Denkens entwicklen, oder durch unser Denken, an Gegenständen der Sinne. Auch diese, so „kategorisch sie rufen“, so einfach ihre Wirkung scheint, sind unendlich komplizirt, und ein Resultat, ein Zusammenwirken unendlich geübter und komplizirter Anlagen. So ist gewiß ein Fortschreiten! All unsere jetzigen verschiedenen Fertigkeiten werden eine bilden, und wir einen neuen Sinn erhalten. Al- les dies, um uns persönlich zu fühlen. Wir erkennen nichts Absolutes; nur fühlen wir uns, als gutes Wollen: und den- ken wir uns Gott, als Urgrund und Urwirkung, weil wir eine haben müssen, so verstehen wir doch auch diesen wieder nicht; und nur, wenn wir ihn uns gütig vorstellen, bekommen wir einen Grund für sein Wollen unserer. Dies ist eigentlich das höchste, feinste, sicherste, sublimste Resultat, was wir wissen und sind. (Beim Lesen des Buchs vom alten Lindner.) An Varnhagen, in Karlsruhe. Baden, Sonnabend Mittag bald halb 2, den 10. Juli 1819. Abgekühltes Wolken-Sonnenwetter. Bis jetzt war der König von Baiern mit drei Prinzessin- nen in der Allee, und alle Menschen, ich auch: mit Fräulein Medikus, dann mit Löwensteins und Zepelins. Mit Küsters kann man nicht bleiben: sie bleiben nicht. Fräulein Medikus ist eine genaue alte Bekannte aller baierischen Herrschaften; mit der Vicekönigin und der Kaiserin von Österreich erzogen; der König auf einem Spaß-Fuß mit ihr. Fürstin Löwenstein giebt heute den Thee in den Anlagen, wo solcher Tisch mit Bänken auf der Höhe steht; nicht in der Holzhütte. Graf Jennisson mit einem englischen Sohn, ist hier; der ihm in Heidelberg, Stuttgart und Darmstadt so gelang. Er erinnerte sich meiner artig; kennt Zepelins ꝛc. und wird von unserm Thee sein. Seldenecks sind seit vorgestern mit Fräulein Fisch- bach hier, und reisen gegen Abend nach Karlsruhe; die letztere wird zu mir kommen auf ein Weilchen: ich hoffe, du kommst nun auch bald; Herr von Lotzbeck hat seiner Frau geschrieben, bis den 15. seien die Stände aus: dann sei das Budget her- aus, und darauf würden sie vertagt. — Du erinnerst dich, August, wie früh ich die Bewegungen 37 * des vorigen Sommers einsah! Ich will wieder prophezeihen, was ich in der Seele sehe, mit dem Geist, wie mit den Augen . Wie Hamlet, wollen sie gern etwas Entsetzliches thun, wissen aber nur noch nicht was. Dann kommen sie immer zusam- men, und wie sie sich imponiren, erwarten sie diese Wirkung auch auf die Welt; auch erwarten die Größern etwa Einfälle, Witz, Gelehrsamkeit von den Kleinern, und die Kleinern Ge- wicht und Exekution von den Großen. Für’s Erste giebt’s Apparat, Aufschub, Auszeichnungen u. s. w. Das vor vier Jahren gegebene Versprechen gewisser Einrichtungen ist ihnen wie ein Kind erwachsen; mit Ansprüchen, Talenten, Kräften und Rechten, an welche die meisten Eltern bei Taufe und ih- ren Festen, und wenn das Kind noch lockige Härchen und Phantasiekleider trägt, und ihrer Eitelkeit schmeichlen muß, gar nicht denken. Nun wollen sie sich gegen solche Unbequem- lichkeit noch nach ausdenken, was man für Gesammtmaßre- geln zu nehmen hat. All dergleichen will Einer von den An- dern erfahren. Sonst, bin ich überzeugt, führt sie nichts Be- stimmtes . Bestärkung in der alten Gesinnung und neuen Besorgniß wird das Einzige sein, was ausgerichtet wird. Das sieht mein Geist: laß dir das bischen Lesen seines Gesichts ge- fallen! höchstens hab’ ich Unrecht. — Ich begreife ganz deine Gedankenrichtung, und Stim- mung. Freilich bringt einen die Winzigkeit und Verwirrung bis zu den höchsten Dimensionen und Punkten! Du glaubst nicht, August, wie mir die Gesellschaft scheint! — mit dem Talent, was du mir für sie zugiebst —. Die man kennen lernt, denken gar nicht: bekannte, ihnen zugekommene Phrasen ha- ben sie, mit denen sie würflen: „ja,“ sag’ ich immer, „so!“ und höre die ganze Geschichte, die ganze Behauptung nicht, die sie vortragen. So gestern; wo Lotte, und Mutter, Gerns- bach hin , Gernsbach her , in dieser Art sprach . Arnim war mit uns, der in den Fuß geschossene: es war sehr schönes Wet- ter: hin, unten gefahren; her, über die Berge; um ein Vier- tel auf 9 hier; dann mit Allen im Saal. — Du irrst, mein geliebter Freund, wenn du denkst, ich könne allein besser mit den Leuten fertig werden: vielleicht mit der Länge der Zeit: jetzt nicht. Und ich mag hin und her denken wie ich will: es bleibt bei der Blume vom Stiel. So fühl’ ich mich. — Sei du nur vergnügt; vergiß mich nicht; d. h. komme, wenn du kannst. Aber quäle dich auch deß- halb nicht! — An Varnhagen, in Karlsruhs. Baden, Freitag Vormittag nach 11 Uhr, den 16. Juli 1819. Kalte Luft, helle heiße Sonne. Ein Götter-Sternenhimmel gestern Abend: nach allerlei Wetter. Mit unendlichem Vergnügen hörte ich gestern von Hrn. von Ende, der einen Augenblick im blauen gestickten Rock hier war, die baierischen Herrschaften, und Frau Markgräfin Frie- drich zur Verlobung einzuladen, daß keine fremde Minister dabei sein würden, und war nun gewiß, daß du den Sonntag kommst: und doch schreibst du mir in dem heut erhaltenen Brief wieder nur, vielleicht. Aber genire dich nicht, wenn du nicht kommst, so komme ich. Die Hochzeitfeste werden dich nun wohl auch dort halten; jedoch haben sie noch während dem Ständewesen Statt, und geniren bloß. — Du schreibst mir doch noch, ob ich dich zu Sonntag sehe! — Börne’s Ankündigung ist prächtig! Ach! wie lebendig noch: sie rei- ben’s einem ab! Der Milder will ich gleich nach diesem Brief antworten. Oelsners Brief ist auch sehr schön. Ach! wär’ ich nur bei dir! Du taugst dir nicht allein! Hätten wir nur unsere Prinzen mit einander gesehen! Schreiben mag ich nichts. Die Empfindungen eines Bruders hat er mir gemacht. Nur Geschwister können einen auf die Art freuen und ärgern. — Die Schriften, die du mir geschickt hast, gefielen mir sehr. — Wann werden die Altfränkschen gewahr werden, daß sie kein Mensch mehr für geputzt und schön angezogen hält? Dieses Wann meine ich ohne alle hergebrachte Ironie: ich kann mir den Augenblick nicht denken, der es ihnen evi- dent machen wird, daß dergleichen dumme Worte, wie sie gebrauchen, keinen Sinn haben, und von niemand für eine Gegenrede oder Vorschlag gehalten werden: welch Ereigniß muß sich dazu einstellen, losbrechen, oder auseinanderlegen? Ich frage dies? Ich glaube, viele vornehme deutsche Beamte lesen alles dies nicht; und denken: „Dummes, gedrucktes Zeug! wir werden das schon besprechen!“ Sonst müßte ihre Auf- merksamkeit mit Bürsten wach gerieben werden! Es ist unbe- greiflich, den Feuerlärm nicht zu hören, wenn man auch keine Gluth sieht, und fühlt. Es antwortet ihnen ja die ganze Welt! in allen Sprachen, auf jede dumme, oder Ausrede! Adieu! theuerster und einziger und immer lieberer Freund! In jedem Fall sehe ich dich bald. Deine R. Wie dacht’ ich in dem üppigen, Licht und Schatten hegen- den Lichtenthal an dich gestern! — An Varnhagen, in Karlsruhe. Baden, Mittag 12 Uhr. Mittwoch den 21. Juli 1819. Mord-Schlagregen, der nie wieder aufhören kann: grau , so weit die Blicke reichen; und obgleich es seit gestern halb 9 reg- net, so ist er noch immer heftig. Das gestrige Wetter beschrieb ich dir; so wechselte wahr- haft kalter Wind mit drückender Sirocco-Luft schnell und oft ab. Um ein Viertel auf 7, ich war eben mit Gräfin Mülli- nen von einer Lichtenfahrt heimgekommen — die mir grade gnügt, und recht ist — als ein solcher Sturm entstand, daß ich einen Moment für’s Haus fürchtete; schnell war er vor- über, und hatte die drückenden Wolken auseinander getrieben, und etwas Luft gemacht. Ich ging zu Zepelins, und Robert und Andere nach dem Saal; und war, da es doch wieder regnigt wurde, unentschieden über’s Konzert, Berge steigen, zwei Florin zahlen, naß werden! — Aber in der Saalthüre begegnete mir Zepelin, und fragte mich, ob ich mit in’s Kon- zert wollte, redte mir zu, du kennst meine Schwäche, meine Sänger- — wie Schmetterlings- — Sammlung, ich ließ mich gleich bereden; ging nur zu den Damen, und sagte ihnen, daß ich weggehe: und versprach, nach dem Konzert zur Grä- fin Zepelin zu kommen. Hinauf mit dem Mann! Passabel Menschen. Cesars. Die Königin von Baiern mit den sechs Töchtern; die alle , ich habe sie nun lange genau gesehen, schauende Gesichter haben, Physionomie, unaffektirtes aus den Augen sehen; nichts Verz ogenes an sich haben; ganz reine Naturen; und die gehörige natürliche Aufmerksamkeit auf al- les was ihnen nur vorkommt; nichts Anerzogenes, Familien- artiges; was so leicht bei sechs vorkommen kann, und bei bestimmten Hofmeisterinnen. Sie sind nicht ein bischen ver- ärgert, oder über irgend etwas empört gewesen, sondern neh- men die Welt klug und gutmüthig auf. Sie gefielen mir sehr ; Gott gebe, daß sie so bleiben! für alle Länder, wo sie hinkommen können: und für sich selbst. Ich versichre dich, jede aparte, hat eine andere, und hübsche Physionomie; ei- nige auffallend bedeutend; alle angenehm und natürlich, du siehst ich studirte sie den ganzen Abend. Dazu gab die Kö- nigin gute Gelegenheit, die die Pause unendlich verzögerte, erst mit dem französischen Gesandten Grafen Lagarde spre- chend, der im Überrock dicht hinter ihr saß, und mit dem sie auch oft während des Konzerts sprach: und dann zur Signora Spada hinschreitend, vor den Musikern vorbei, bis an den Kanap é und Spiegel an der Wand, wozu Signora Spada aus einem Nebenzimmer herein treten mußte; wo sie andert- halb Viertelstunden sich mit ihr unterhielt: ich begriff den Gegenstand des Gesprächs nicht, wenn auch den Grund. Die Königin mochte mit einer Dame, die sich dort befand, nicht sprechen; das war zu deutlich! Unterdeß sprachen alle sechs Prinzeßchen, sich hin und her bewegend, stehend, anlegend, munter, und bescheiden, mit Fürstin Fürstenberg, die auch in der ersten Reihe Stühle — die Abtheilung dazwischen — ge- sessen hatte; der Fürst mischte sich, weil es gar zu lange dau- erte, auch endlich scherzend in das Gespräch. Endlich kam die Königin nach ihrem Sitz zurück; sie sprach einige Worte mit Fürstin Fürstenberg im Zurückkommen, und setzte sich: das Konzert ging wieder an. Ich war zwei Reihen Stühle von der Königin entfernt: sie scheint auch nicht weit sehen zu kön- nen; sie lorgnirte mich mehreremale sehr gütig; und das eine- mal, wo ich es nicht sah, attrappirte sie mich in Lob gegen Mad. Streckeisen über ihre Töchter. Fürst Fürstenberg sprach mit Graf Zepelin angelegentlich: er wollte dies wenigstens, denn er kam so an ihn heran, der, weil wir miteinander wa- ren, neben mir saß. Graf R. saß vor mir mit Mad. Cesar. Der lobte mir sehr unsern Kronprinz; ich wußte, als er mit mir sprach, nicht wer er sei; und hielt ihn für einen baieri- schen Arzt. Mad. Spada singt rein, fertig, gut, italiänisch; ohne Passion, nur mit so viel Seele, als ihres Landes Schule mit sich bringt. Er, Spada, ist ein buffo, sie sangen drei solche Duo’s, und müssen zur buffo -Oper gut sein. Als wir weggingen, regnete und gewitterte es sehr: daraus, weißt du, mache ich mir nichts: ich wollte Gräfin Zepelin zeigen, daß ich nicht alles Wetter scheue, und ging mit dem Mann und Mathilde zu ihr; fand Ludwig Robert, Generalin Walther mit Tochter, M. Brack fils, und einen baierischen Militair. Es fiel nichts vor. Aber der Regen, das Gewitter, nahm so zu, daß wir beinah zwei Stunden blieben, es hörte aber gar nicht auf, und ich ging par le plus gros temps ab. Mit le- dernen Schuhen, Jakob, Schirm, und Robert. Dies hatte ich mir schon auf das Konversationshaus mitgenommen. Wir tranken noch Thee, zu Hause. Recht ruhig, an dich nur den- kend! — Ist es nicht einzig, daß ich dir so große Briefe von hier schreiben kann? Und dabei noch nicht, wie ich dich liebe, dich misse, dich wünsche! Lieber August! Sei geduldig, ich bin’s auch; bald bist du hier! Morgen ist der 22ste; willst du wohl dem Wirth ‒ ‒ Gulden schicken? Ich gebe sie dir wieder, theurer Sohn! Lieber ! Potemkin hat auch schon gegen Robert die Karlsruher Stände gelobt: und findet sie wunder mäßig und anständig in Vergleich der Pariser, die er kennt. Das ist hübsch! Es regnet noch, wird aber ein wenig heller. Adieu, mein Liebster! An Varnhagen, in Karlsruhe. Baden, Donnerstag Mittag halb 2. den 22. Juli 1819. Helle schwüle Sonne auf nassem Boden. Ich machte mir das graue Wetter zu Nutze, und ging zu den Damen, die ich besuchen mußte. Dann ging ich einen Augenblick zur Mutter Müllinen, um zu sehen, was die Arme macht, die ganz beglückt ist, wenn man nach ihr sieht: sie kann sich nicht regen, und leidet nun noch an den Augen, so daß sie nicht lesen kann. — Gestern strömte es den ganzen Tag. Um 7 fuhr ich zur Gräfin Müllinon, bis gegen 9. Ich las ihr etwas von Sappho und etwas zerstreute Sachen von Goethe. Dann ging ich noch zu Lady Caledon, die mich par billet eingeladen hatte, mich immerweg besucht, und wo ich mich sehr unterhielt: Sie , sehr gut; die Mutter Engländerin mit den beiden Töchterlein Fanny und Harriet, wie die Vö- gelchen; der Gesandte Lagarde; ein interessanter Norwege Knudzon, der allenthalben war, alle Sprachen spricht; Löwen- steins, noch ein Engländer Baillie, noch ein paar Herren. Wir Frauen, Lagarde und der Norweger, saßen am häuslichen Win- tertisch, besahen Albrecht Dürer’sche Kupfer und dergleichen aus Italien: die Leute haben alles, haben alles gesehen ; man kann also schön mit ihnen sprechen : sind komplet ohne Prätension, weil sie ihnen alle als Engländern, und Vor- nehmen, Reichen ihres Landes, erfüllt sind. Mündlich No- tizen! und auch welche über Lagarde’s Gespräche mit mir. Einen Domestiken möchte er nur: keinen Sekretair u. s. w. Auch lachte man über mich, und ich amüsirte mich in dem so- liden, fröhlichen, wohlhabenden Hause bis nach 10 sehr gut. Dann zu Hause eine Tasse Thee mit Robert. Gut geschlafen. Die ganze Nacht Platzregens! bis 6 noch; dann trübe, dun- stig, dunkel, warm, stickend: alle Menschen klagen über Mat- tigkeit und Hinfälligkeit. Jetzt Sonne; noch in manchmali- gem Kampf mit Dünsten und Wolken. Ich freue mich, mein theurer Freund, daß dir die Sonnenlosigkeit wohlthat. Hier sollst du’s noch besser haben! Der Aufsatz gefiel mir sehr . Streng, derb, unpersönlich, hübsch auf die dummen Finger. Der Großherzog von Weimar war mit dem König und der Königin in der Allee; ich sah sie nicht, weil ich nicht dort war: Mad. Bourbon erzählte es mir; und in wirklichem und angestelltem Schreck, daß der König, in all der Herrschaften und Kinder Gegenwart, auf ihre Bodenkammer gestiegen sei. „Ein König !“ sie könne nicht dafür, er habe gut thun! aber über sie schrie man dann! Er habe sehr ihre Einrichtung ge- rühmt ꝛc. und immer noch dasselbe wiederholte sie ein wenig anders. — Kiesewetter thut mir auch sehr leid: die armen Freunde! — Lies Journal de Francfort du 20. da steht aus einem Artikel aus Brüssel eine Erfindung deines Vetters in Rio Janeiro, wie Pulver noch besser sprengen kann. — Lebe wohl, Theurer! Ich denke immer an dich; du weißt es. Deine R. Bald, bald sind die Stände aus. Adieu! Also der arme K.? Ambos oder Hammer. — Nachmittag gegen 4. Nicht der Inhalt, lieber August, aber die Estafette hat mich sehr erschreckt. — Mir ist’s nicht unerwartet. Ich weiß, was sie vertragen können; was nicht; und ermahnte oft. Doch muß kommen was da kann; und dazu muß unser Ka- rakter dienen, uns nicht zu desoliren, wenn etwas kommt. Auch wissen wir nicht, ob es gut oder schlecht ist. Ich ge- denke sogar, dich hier abzuwarten: was sollen wir in Karls- ruhe? Für’s erste kommst du her. Mit einander, ist alles gut. Den Versichrungen glaub’ ich nicht, wenn auch nichts Positives geschehen ist. Aber du mußtest allen denen miß- fallen. Mündlich mehr und alles! Ich bin auch gutes Mu- thes. Ich, Geliebter, erwarte dich hier. Deine R. Als die Estafette kam, war ich eben jappend mit Robert nach dem Essen bei einem Gewitter, was noch währt, am Fenster. Adieu, lieber August, bald umarme ich dich! An Varnhagen, in Karlsruhe. Baden, Donnerstag den 22. Juli 1819. halb 6 Uhr Nachmittag. Ein solch allgemeines langes Gewitter hat man fast noch nicht erlebt, mit solchen ununterbrochenen, und doch sich ver- stärkenden Regengüssen, daß an kein Ausschicken noch Weg- fahren zu denken war; mitten im Donnern hat es in diesem Augenblick etwas zu regnen aufgehört; viele Leute stehen auf der Brücke, den Wassersturz zu sehen. Prestissime stürzt der Bach, und neben ihm entstandene, das Gewitter ist nicht vor- über, lange nicht aus. Ich komme nicht, geliebter Freund. Weil die Fahrt doch zu lange dauert, da ich zu spät abfahren müßte, des Wetters wegen: auch führest du ja bald wieder mit mir her. Zu thun ist nichts; nur bei dir möcht’ ich sein, zum hin und her sprechen. Ich beschwöre dich, bevor wir uns gesprochen haben, auch grade nichts zu thun; dann ist noch alles möglich. Erst wollen wir uns besinnen. Wir wol- len sehen, was die nächste Zeit, die nächsten Tage für Mienen annehmen; und uns ein wenig nach Umständen richten. Ich kann nicht glauben, daß wegen dieser Angelegenheit allein der Kourier sollte gekommen sein: wäre dies doch, so müßte noch eine grave falsche Anklage Statt finden. Wir wollen uns in nichts übereilen. Liebe Guste, daß ich auch grade nicht bei dir sein mußte! Ach! darum schicktest du mir wohl die Esta- fette. Die erschrack mich sehr; weil ich erst dachte, es könne nur etwas Gutes sein — denn, warum sonst einen Eilboten, dacht’ ich. Mein Schreck im Ganzen — nicht über den In- halt — war gränzenlos, unmittelbar nach Tisch, bei einem ausbrechenden schweren Gewitter; dies, und das Sündfluth- wetter, hielten mich gleich zu kommen ab. Ich brauchte län- gere Zeit, mich zu erholen. Nun aber ist mir gut: ich bin zu Löwensteins geladen; bin schon von neuem dazu aufgewickelt, und hoffe sie werden über mich lachen. Verzeihe also, daß ich nicht komme: müßtest du länger bleiben, so komme ich na- türlich, so wie ich das weiß. Sei getrost, liebste Guste; wir sind ja gesund an unsern Gliedern, und leben; wer weiß, ist es noch gar gut . Denke, ich umarme dich, sehe dir in die Augen, und werde den Abend munter sein: und, wären wir zusammen, ohne alle Sorge. Deine R. An Varnhagen, in Karlsruhe. Baden, Freitag Vormittag halb 11. Den 23. Juli 1819. Nach dunstigem, feuchten Regenwetter, nach wenig Ausruhen. Theurer lieber Freund, Robert wird dir diesen Brief brin- gen: so bekommst du ihn doch früher, als morgenfrüh. Du hast mir gewiß gestern nicht einmal geschrieben, (wieder ein Platzregen!) weil du meintest, ich käme zu dir. Das Gewitter war zu allgemein und heftig; noch außer den Gründen, die ich dir anführte. Ich könnte nur wiederholen, was ich gestern schrieb. Gar nichts thun, und ein wenig warten, bis die Andern reden, und wir etwas erfahren. Also habe ich dir über unsere Katastrophe nichts zu sagen, außer alles. (Der größte Platzregen.) Kämest du unvermuthet nicht, so lässest du es mich wissen, und ich komme. So eben erzählt mir Re- bert, der aus der Allee kommt, er habe die Generale Freistedt und Neuenstein gesprochen: die Stände seien vertagt; und Mehreres von Stimmung, und Reden, die dir Robert wieder- holen wird. Ich dachte nur an deinen Abend, und deine Nacht. Und auch mitunter, sie könnten ganz ruhig sein. Ich , legte mich unter tausend Regen, und Dunst, und Gewitter, die sich wie Zugvögel folgten (ein Kind ertrank hier im Bach; und Schweine mit ihren Ställen kamen von Lichtenthal an- geschwommen: vom Rhein erzählt man dégats ) nach meinem zweiten Brief an dich ruhig auf den Kanap é , um zu ruhen; etwa eine Stunde, Robert kam, und ich schlug Kaffee vor: mitten im Wetter fing die Sonne an zauberhaft unterzu- gehen; wir liefen von einem Fenster zum andern! Sieh da! Mad. Streckeisen stapelt im größten Regen und Nässe von der Allee her mit zwei Herren, einem ältlich dicklichen, zu mir. Das ist ehrlich! schrei ich ihr entgegen, denk’ einen Au- genblick, es ist Streckeisen; doch schien er mir zu klein, und da die Herren mit in’s Haus treten, wundre ich mich etwas: ich geh hinaus, vor meiner Stubenthür erkenne ich erst den Großherzog von Weimar. Wir freuten uns sehr. Er sieht sehr wohl aus: ganz wie sonst in Töplitz: mit vielem Ver- gnügen sagt’ ich ihm das. Der Großherzog stellte sich gleich an’s Fenster, und wollte jeden Menschen von mir wissen, die alte Neugier: über die Stunde des Kaffee’s konnt’ er sich nicht zufrieden geben; den Lotte, und ich getrost, und sie, als délice, tranken. Ich behauptete, ich könne ihm schon Ap- petit machen: „ Nur mit Kaffee nicht,“ meinte er, eben hätte er Schnaps genommen; ich rühmte mein Getränk als pousse- Schnaps, und wir erinnerten uns unserer alten Näschereien; und es war ein sehr vergnügter Besuch; der mich auch freute. Der andre Herr war sein Adjutant, aber den Namen weiß ich nicht, auch konnt’ ich des Herrn wegen nicht mit ihm sprechen: aber er scheint mir doch alert, und dem Gespräch im Hören gewachsen. Dann zog ich mich an, und ging zu Lö- wensteins, wo Caledons, Caulfields, les dames Walther, Ar- nim, Zepelin mit der ältesten Tochter und Guttenbergs und Graf Kniephausen. Schwätzen und Spiele. Um 10 Uhr woll- ten sie Alle auf einen Ball im Spielsaal — die jungen Mäd- chen! — und redeten mir so lange zu, bis ich mitging; näm- lich Alle, außer Lady Caledon, die leider morgen reist. Der Ball war nur von Bekannten komponirt, leer, kühl, sehr hübsch; ich blieb von halb 11 bis halb 12. Dann sprach ich noch zwei Stunden alte Sachen von Wien u. dgl. mit Ro- bert; schlief müde und gut ein, und hätte vortrefflich geschla- fen, hätte man nicht mit Tages anbruch an dem Hause ge- gen uns über eine Bude ! aufgeschlagen, die auch um 7 fertig war. Doch bin ich gut. Bist du zufrieden? Ich wünsche von dir ein Gleiches! und hoffe es auch. — Der Großherzog von Weimar bleibt heute noch. — Baden bei Rastatt, den 2. August 1819. Beim Artikel Lulli, bei Gelegenheit von Rameau’s Nef- fen. Kunst und Wohlstand kann nicht dekretirt werden: die müssen von unten hinauf wachsen. Luxus, ohne diesen Grund, wäre lächerlich, aber er ist armselig und verderblich. Daher kann eine Nation nur weniges von den andern nehmen; und wird wird zu der gehörig, von der sie nimmt, in dem Maße sie nimmt: deßwegen entnationen sich die Nationen; und es scheint nur noch, daß sie verschieden sind. Zeichen vom Gegentheil. In Italien kam die Musik zur Blüthe, weil das Volk zu- erst sang. August 1819. Den größten Schmerz hab’ ich genossen; Das Glück ist wie ein Leid dahin geflossen! An Frau von R., in Rom. Baden, den 2. September 1819. Donnerstag Vormittag, drei Viertel auf 12. Kühles feuchtes Wetter nach un- endlichem Regen, mit etwas Sonnendurchbruch, dem nicht zu trauen ist. Die ganze Nacht zitterte ich vor Kälte im Bette. Treue , theure Frau von R.! Verzeihen Sie meine Pol- tronnerie, ich wünsche Ihnen diese Kälte in Rom! Vorgestern las ich in der Zeitung, man fühle in Rom den bösen Einfluß der Hitze, und es gehen dort jetzt Krankheiten herum. Seit- dem möchte ich lauter Kouriere von Rom ankommen sehen; jeden kühlen Wind einfangen, und ihn Ihnen senden! Um nur irgend eine Art von Ordnung in allem dem zu bekom- men, was ich Ihnen berichten möchte, will ich nur lieber mit dem gegenwärtigen, hiesigen Augenblick anfangen! — reellste Art, Ihnen meine Dankbarkeit für Ihren Präsent -Brief! zu zeigen. — Das Wetter sehen Sie vor sich, den Ort kennen Sie — allers eits, mein’ ich. — Denken Sie sich ihn gefälligst II. 38 leer; in dieser leeren halb sonnigen Feuchtigkeit spazirt Reh- mann — mit Demidoff heute von Paris und Ems angelangt — mit Montlezun Arm in Arm weiß behutet umher; näm- lich, über die kleine Brücke von der Stadt nach der Promenade wo die Buden sind; und bilden sich ein, sie suchen ein Logis, für Demidoff und Rehmann, denen bei unserm Nachbar eins gemiethet war: da aber seit vier Tagen, unsichtbar mit ihrem Gefolge — von welchem nachher — die schöne Mad. Narisch- kin dort schon wohnt, so war zu wenig Raum für die Spä- tergekommenen. Nur im Krieg sieht man in unserm Europa solche Gefolge von Wagen, Gepäcken, Pferden und Leuten, als die beiden sich ausweichenden Moskowiten-Parten hier, berg- auf, bergab, tramplen ließen. Den Baron-Hauswirth selbst hält ein großes Geschäft seit acht Tagen von hier entfernt. Er floh nach Stuttgart! Gewisse Dinge muß man je mehr und mehr im Flug ergreifen, weil nur sehr wenige Ereignisse sie noch zuwege bringen: dahin gehört unstreitbar, z. B. den Stuttgarter Hofstaat auf seidenen Beinen zu sehen: vulgo, in Gala; oder auf den Beinen. Die Hochzeitfeier des Palatinus schien unserm Vielbewegten eine einzige Gelegenheit, das Würtemberger Streben und Gelingen endlich mit dem Badener zu vergleichen: er hatte es nicht hehl; es ist seine Pflicht. Sie kennen sein Gewissen, seine — was scheint Ihnen passender? seine eiserne, oder hölzerne? — Thätigkeit, seine Titel, sein Amt , seine Emsigkeit! Seine Besitzthümer hatte er also frem- den Nationen überlassen: Franzosen und Russen: meint er, dies eben sei Politik? Einer würde den andern bewachen ? Noch ist hier Mistreß Caulfield, eine Engländerin mit zwei Töchtern — denen ich Unterricht im Deutschen gebe — einem Söhnchen von dreizehn, einem Bruder: Frau von W., einige Herren: dies unsere Abendgesellschaft. Früher war unser Kreis ziemlich groß. Zepelins, — Hauptstamm. — Müllinens. Lady Caledon, Schwester der Pariser Lady Stuart. Eine sehr liebe Person, die von Italien kam, und alle guten Eigenschaften der Engländer und des Landes, des Reichthums und der gro- ßen Welt besaß. Nie sah ich etwas Natürlicheres, Biedreres, Heitreres. Dann noch viele Deutsche aller unserer Länder. Artige französische Damen, mit Töchtern und Verwandten. Und ein Norweger, Herr Knudzon, der Ihnen ein Zettelchen von mir bringen und Ihnen Allen sehr gefallen wird. Er kommt von Italien und geht nach Italien, er reist schon zehn Jahr mit seinem Freunde Baillie, einem Engländer. Knudzon ist natürlich, ehrlich unterrichtet, voller guter Erziehung; mit unbefangenen Auffassungskräften. Er freut sich unendlich zu Ihrer Familie, da er sie durch mich kennt, so spricht auch das für ihn. Er und Baillie waren Freunde der Caulfield’schen Familie, die auch aus Italien kam, wie Lady Caledon, welche auch noch schön zeichnet und gut französisch spricht. So un- gefähr ging mein Leben; V. in Karlsruhe wegen der Stände, ich hier: bis zum 22. Juli, als ein Schreiben der Behörde ihm ankündigte, der Posten in Karlsruhe sei aufgehoben: da kam er gleich hierher. Soll ich Ihnen sprechen vom Geschwätz und den Konjekturen der Zeitungen, von allen Lügengeschwätzen? Nichts davon war, konnte davon wahr sein, als was ich Ihnen hier sage, und daß wir bis den 11. Oktober hier blei- ben und dann in Karlsruhe die weitern Befehle abwarten, 38 * jedoch unser Quartier nach gehörigem Aufsagen den 23. Okto- ber verlassen müssen. Was dies , Ziehen, Packen, Verkaufen, Einrichten, Verlassen, Ankommen, Reisen, Nichtwissen wohin etc. etc. in sich faßt, wissen Sie Alle, meine lieben Freundinnen! Das Gift hab’ ich getrunken, schlucken müssen: die Wirkung wird folgen. Ganz unverhoffte Gnade schickt aber Gott . Zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich mich plötzlich leicht- sinnig. Ich konnte sechs Wochen lang hier Berg, Thal, Schein, Luft, Grünes, Feld, mit dem größten Bewußtsein, mit dem ruhigsten Herzen genießen. So war auch V. gestimmt: und wir genossen alles was der Ort bot. — — Montag Vormittag, den 6. September. So lange war ich von Ihrem Brief gestört, liebste Frau von R.! Es wäre zu weitläufig und unnütz zu sagen durch welche Leute, und durch was. Von Welt war es; mit Einem Worte. Ich will mir Mühe geben, erzählend fortzufahren. Wenn ich von uns also etwas Bestimmteres weiß, so sollen Sie’s erfahren. Hier waren die baierschen Herrschaften: bei denen abwechselnd zum Besuch die Königin von Schweden mit Kindern; die zwei baierschen Prinzessinnen zum Hochzeits- Hofball in Karlsruhe. Die Großherzogin mit Kindern seit dem Juli still auf dem Schloß hier: Prinzessin Luise besser: die Kinder prächtig. Mad. de Graimberg badend ziemlich wohl. — Alles gedenkt Ihrer mit Liebe. — Jungs sind wohl; Ge- neralin P. reist heute nach Karlsruhe zurück. Montlezun den 12. Der Baron-Hauswirth ruschelt herum, und war in Stutt- gart nur präsentirt: gar nicht geladen; kein Fremder. Er schimpft nicht : er verstummt. Sonst ist alles hier und in Karlsruhe nach jedes Aussage sehr todt. Gestern heißes ste- chendes Sonnenwetter: heute, trübes drückendes kühleres. Kurz, Karlsruhe’s Gesellschaft sinkt ein! Und — Hamlet sagt: „Nichts mehr von dieser Materie!“ Wenn Sie nur erst aus dem Wirthshaus wären! Wenn Sie nur der Frau von S. recht nah wohnten; und mir ! Ich hab’s geschätzt und ein- gesehen in Karlsruhe: das kann ich mir nachsagen. Wenn mir künftig Einer von Ihnen schreibt: so bitte ich um Leben- details. Wie der Tag übereinander geht? Wie das Italiä- nische geht? u. s. w. — dergleichen Dinge möchte ich wissen: wenn auch der Brief sonst nichts enthält. Wie klar wird ein großer Theil der R’s alles von Italien wissen! jede Tochter anderes; der Vater alles: und noch mehr. Das heißt, wie es auch sonst war, und wieso es jetzt so ist ! Freilich! theure Frau von R., „können Sie auf mich rechnen.“ Frau von Schlegel hat Recht. — Ich kann mich gar nicht ändern: und ich muß aber dagegen zu meiner Ehre sagen: daß ich mich immer in so gute Eigenschaften verliebe, daß ich ewig treu bleiben muß. „Rechnen“ Sie also Alle, so lange Sie nur meine Liebe, meine Anhänglichkeit, gebrauchen, genießen wollen, und alles was die leisten können, das ganze Leben darauf. Handschlag! Ich bin ganz vergnügt und perplex, daß Sie das so hoch aufnehmen wollen! Nicht weil es in diesem Erdenthal wenig wäre, aber weil dies grade so gewiß von meiner Seite war, und mir so natürlich ist: und Ihnen grade Allen, große Anerkennung gespendet wird! Aber auf’s Anerkennen bin ich stolz — diesen Ausdruck gebrauche ich oft wenn ich sagen will, daß ich mich mit etwas freue — ich freue mich, jeden von Ihnen mit meinem Herzen recht ergrün- det zu haben! und zwanzig Meilen in Ihrer Nähe — bieg’ ich nach R’s Wohnsitz ein! Sicher! Aber o! arme Erde! wie unsicher geht es uns auf dir. Wir kommen ohne Ein- willigung; gehen ohne zu wissen wann! und werden in der Zwischenzeit hin und her geschickt. Von Metternichs, Har- denbergs, Wellingtons; Königen, Armuth, Irrthümern, fal- schen Hoffnungen, und Plänen, und all den maskirten Stre- bungen, die man Ungefähr nennt! Sie sehen, ich bin heute nicht obenauf: aber desto mehr wende ich mich dann zu dem Geist, der alles versteht, der alles ist , und übe rgeb’ ihm or- dentlich mein Schicksal; und das kleinlich Herbeste wird mir alsbald nur als eine unreife Knospe mit Stachlen klar, die bald Süßeres enthalten muß . Dachten wir doch diesen Som- mer recht innig und heiter zusammenzuleben: und mußten fort! jetzt wissen wir nicht, wo zusammentreffen: und sind vielleicht künftigen beieinander! Im Alter lerne ich hoffen ?! Man erlebt so viel Unerwartetes! Ein Wort, sei mir erlaubt besonders an Fräulein Henriette zu adressiren! Das kommt von dem Prahlen mit Religiosität. Judensturm, ist der erste thätige Effekt davon! Sie werden sich erinnren, wie uns diese neumodische Maske empörte: vor ihrer Wirkung. Ich erzähle nichts, was die Allgemeine Zeitung auch Ihnen Allen, alle Tage sagt. Es ist alles und noch mehr wahr, was sie meldet. Nur in Berlin haben Prediger dagegen auf der Kan- zel gesprochen. Nichts mehr von Deutschland! Sie werden alles besser wissen. — Gott schütze Sie! Ihre treue Fr. Varnhagen. Millionen Grüße an Frau von Schlegel! Ihr kleiner Hof am Hause charmirt mich. Mit günstiger Stimmung ant- worte ich ihr. Addio ! — Berlin, den 3. November 1819. Es wird eine Zeit kommen, wo Nationalstolz Dieses ist an einem bedeutenden Orte, im großbritannischen Parla- mente, schon wahr geworden. Sitzung des Unterhauses vom 23. Fe- bruar 1830. eben so angesehen werden wird, wie Eigenliebe und andere Eitelkeit; und Krieg wie Schlägerei. Der jetzige Zustand widerspricht unserer Religion. Um diesen Widerspruch nicht einzugestehen, werden die entsetzlichen, langweiligen Lügen gesagt, gedruckt und dramatisirt. Geschichte ist in närrischen Händen sehr schädlich, und ein Grundirrthum über sie in Umlauf; man hört überall den höchsten fast bis zu den niedrigsten Ständen empfehlen, sie möchten die Geschichte fragen und die studiren. Wer ist denn vermögend, Geschichte zu schreiben oder zu lesen? Doch nur solche, die sie als Gegenwart verstehen! Nur diese vermögen das Vergangene zu beleben, und es sich gleichsam in Gegen- wärtiges zu übersetzen. Daher ist das Wort von Friedrich Schlegel: „Der Historiker ist ein rückwärtsgekehrter Prophet,“ so sehr richtig; darum Goethe ewig und stets von neuem so groß, belebend und lebendig: alle Zeiten, Religionen, Ansich- ten, Extasen und Zustände begreifend und darstellend und er- klärend. Diejenigen aber, welche mehr Geschichte lesen, als selbst leben, wollen nur immer eine gelesene aufführen oder aufführen lassen: daher der seichte Enthusiasmus, die leeren Projekte, und dabei das Gewaltsame; weil der große Lebens- gang, einem Gewächse gleich, nicht herabgehalten noch erd- wärts gebogen werden kann, sondern nach eignem Himmels- ausspruch emporwächst, und aller Anstrengung, es anders zu gebrauchen, mit größter Kraft widersteht. Römische Geschichte aufführen wollen, mit Intermezzo’s aus Ludwigs des Vier- zehnten Leben, half Napoleon entthronen. Es wird gewiß bald dahin kommen, daß Schriftsteller der Geschichte, die bloß durch Geschichte in’s Leben blicken, von denen, welche die Ge- schichte durch das gegenwärtige Leben auffassen und darstel- len, scharf und klassenweise werden unterschieden sein. Dann werden die leider doch noch zu geistreichen Faselbücher nicht gelesen werden können, und bald nicht mehr geschrieben. Sollten Männer, wie * und **, nicht selbst wissen, wo der dunkle Punkt in ihren neusten Schriften ist, über welchen sie wegsetzen, und willkürlich vorauszusetzen anfangen? Sie machen einen selbst schwanken zwischen dem Zweifel an der Schärfe ihrer Einsicht, oder dem an ihrer Redlichkeit: man weiß nicht, welche von beiden man beleidigen soll. — Berlin, den 5. November 1819. Bonald sagt in seinen pensées diverses: „Les uns sa- vent ce qu’ils sont, les autres le sentent. Or on oublie ce qu’on sait et jamais ce qu’on sent etc.“ Daher die stolzesten Leute, in ihrer Gemeinheit, in die schnellste und von ihnen äußerst verachtetste Gemeinschaft gerathen, weil ihr Stolz sich auf ihnen nicht innen angehörige Dinge bezieht. — Das Absolute ist das in sich Begründete, seinen eignen Daseinsgrund Verstehende. — Wenn ich in der Nähe von Fürsten wäre, und mit ihnen lebte, würde ich für die niedrigste Schmeichlerin gehalten wer- den. Weil ich jedes Menschen Persönlichkeit umgehe, und bei der größten Meinungsunabhängigkeit, nur immer aus allge- meingeltenden Gründen widerspreche: ein solcher Widerspruch wird gar nicht bemerkt, so sehr er auch wirkt; Beifall und Lob suche ich aber so persönlich zu machen, als möglich. Die- ses Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde bei hohen Personen sehr auffallen. Meine besten Freunde, wenn sie dies lesen, werden mir nicht beipflichten, und meinen, ich lobe mich ungeheuer aus Vorliebe: ich aber bin überzeugt, daß dies Gesagte die strengste, in jedem Tag zu erprobende Wahrheit ist; und bin gar nicht beschämt. Sonntag, den 6. November 1819. Julie Bondeli, in Frau von Laroche ihrem Schreibtisch, sagt bei Gelegenheit von Rousseau’s Heloise: „J’admire com- bien on peut avoir de l’esprit, lorsqu’on veut seulement être méchant, combien on peut étaler de grands principes lorsqu’on ne veut pas remonter à ceux des autres, combien on peut avoir des conséquences dangereuses, lorsqu’on possède le rare talent d’extraire le venin d’un ouvrage, combien tout ouvrage de morale peut devenir venimeux, lorsqu’on change de place cc qui a été écrit dans un ordre déterminé, lorsqu’on omet les idées intermédiaires, et lorsqu’enfin on perd de vue le but, dans lequel le tout a été composé.“ — Fichte verbittet sich auch, zu Anfang einer Schrift, solche Behandlung seiner Bücher, und solches Verfahren mit Stellen daraus. Stupidität und böser Willen verfahren beide so. Zum Glück läßt sich jedes- mal ein solches Verfahren beweisen, so lange das angegriffene Buch noch existirt: zum Unglück aber ist das sehr weitläufig, und geschieht selten. Witz ist Kombinations-Trieb und Talent. Der Karakter eines jeden führt den Witz in verschiedene Kreise; so können sich auch die Gegenstände dieses Triebes, dieser Gabe, nach Altersepochen bei denselben Personen verändern: oder Einer mehrere Witzarten besitzen. Fichte definirt Witz „die Evidenz der Verkehrtheit;“ das ist eine bestimmte Sorte von Witz, meines Bedünkens. An Auguste Brede, in Stuttgart. Berlin, Freitag den 11. November 1819. Bloß, meine Liebe, damit Sie nicht länger ohne Nach- richt seien! Lust zum Schreiben hab’ ich gar nicht: ich müßte ganz geschwätzig sein dürfen, um gerne zu sprechen; müßte alles erörtern, erklären, und herleiten dürfen, um nur von ir- gend etwas sprechen zu mögen. Dazu greift mich Schreiben zu sehr an, und die Neugier die Briefe zu sehr! — Glauben Sie mir indeß so viel, bis Sie Einmal selbst vor einem sol- chen Ereigniß stehen: es ist nicht erfreulich, nach längerer Ab- wesenheit, wenn man nicht in halber Kindheit abgereist ist, und in Jugend ankommt, nach der Heimath zurückzukommen! Erstlich, hab’ ich keine eigentliche Heimath, keine materielle. Weder Haus, noch Hof, noch Garten, noch irgend einen Be- sitzer solcher Dinge, zu dem ich wirklich gehörte; ich sehe also lauter veralterte Figuren; treffe verjährte Gesinnungen, abge- tragene Meinungen, verparktes Wissen; und auf all dieses, verstockten Stolz! Mir bleibt Schweigen: aber ich rede viel, aber nur um das, was ich eigentlich sagen möchte, herum: d. h. ich lüge nicht, sage aber das Wahre nur in Scherz und Ernst über solche Gegenstände, die niemand und nichts berühren, und woraus die Wahrheit hervorginge, wenn man sie hinausließe. Vorgestern sah ich Sappho von Mlle. Maas. Da war die Herzogin Cumberland als eine Art von Großmama in der Mittelloge, ihren Sohn und Schwiegertochter zur Seite — sonst sah ich sie selbst als junges Prinzeßchen dort. — Im Orchester war Möser Konzertmeister mit gräulichem Kopf, — sonst sah ich ihn eben so geschickt unter Righini in den Wun- deropern Possen treiben, und so jung er war, fast allein den Sinn des Meisters und die Art der Sänger auffassen, aus- üben, und ihm nachgeben, die andern leitend. — Die engen Sitze auf den Bänken in den Logen waren sonst bequeme Stühle, die Entr é e frei, Königliche Gardedükorps und die Li- vreen empfingen einen; alles war festlich, und respektuos! und große Virtuosen an der Reihe; die niemand achtete. Aber auch niemand sabberte; keiner hämmerte an seiner Bildung, und sah alle Viertelstunde im Spiegel, wie weit sie gediehen sei; und bloße Leute schrieben nicht Kritiken, aller Art: und Gemeine bedienten sich auch nur gemeiner Worte, und wür- selten nicht mit den besten. Ist man selbst unter seinen Landsleuten alt geworden, so ist man eingedrückt wo man es sein soll; mußte man sich aber in der Fremde abtragen, und hat man dabei von je die Anlage, von seinem Punkt, eignen Standpunkt, mehr zu se- hen, als den selbst, so paßt man nicht besonders in die neue Klemme. Ist die Länderei — contrée — nun schön, findet man einen angemessenen Wirkungskreis, gehört man von Ge- burt zu den Ersten des Landes, ist man hübsch, eitel; oder wahnvoll, man könne wirken, ändern, erlangen, so mag das angehen: ich, kann nur amüsiren, amüsirt sein, vergnügt, aber nicht glücklich sein. Bleiben ist mein liebstes Reisen; ich weiß nicht einmal, ob ich hier bleibe: welches dennoch mein größ- ter Schreck sein würde; bin nur prekair eingerichtet, wie in Karlsruhe; und ärger: das Ärgste ist, daß meine Gedanken keinen Stützpunkt haben; und daß ich in Verzweiflung bin, den Landespunkt, den ich so liebte , für den ich Gott alle Tage Reden hielt, verlassen zu haben. Und nun genug! Ohne den unendlichen Rest zu berühren!! Gemeinheit. Ge- meinheit bei Menschen, die innen und außen hoch stehen; in- time Freunde waren! Aber die Einrichtung macht sie so: Helden sind sie nicht. Auch erlebe ich schon Rache: näm- lich, sie überraschten mich nicht. Unzählige Freunde fanden wir hier wieder: zahllose Bekannte. Die Geselligkeit ist, trotz der Erzählung von Abnahme, hier noch im größten Flor; und unter dem Schlamm ein guter Strom aus starkem Quell. Ein Wort vom Theater. Wolff, Rhamnes sehr gut : eine Mlle. Roger Melitta, und eine Mlle. Willmann das andere Mädchen, sehr schön, letztere sogar viel Talent. Die Maas hübscher, stärker, beinah größer. Gut angezogen, vor- trefflich stummes Spiel, bessere sprechendere Mienen; außer- ordentlich gesprochen, nie in’s Feine geschnappt; und mehr als sechs Stellen wie eine Meisterin . Ich bin also sehr zufrieden. Die Scene gut arrangirt. Rothes Licht, Morgen: blaues, Mondschein; viel Volk; schöner Pavillon mit breitem Stufenvorplatz, seitwärts; Aphroditens Altar in der Mitte hinten: von dem lief die Maas wie eine von einem Sterblichen berührte Olympierin hervor. Das war mit das Schönste, was ich je sah. Sie wissen, sonst war ich nie verliebt in ihr Spiel: noch nicht: aber ich freue mich, lobend gerecht sein zu dürfen. Ich möchte Sappho von Ihnen sehen, und mit Ihnen bespre- chen! Devrient sah ich noch nicht. Ich habe immer den Husten: jetzt habe ich ein Zaubermittel von Koreff, so hilft’s. Der Geh. Kämmerier T. läßt Sie sehr grüßen; mit großem Interesse! der Ehrliche besuchte mich aus freien Stücken. Ein sehr braver einfacher Mann; den ich von Natur gut leiden kann. Ich freue mich, daß ihn der König hat. Was Sie sehr freuen wird, unser König sieht vortrefflich aus: er war im Theater gegen mir über, im Proscenium, wo es sehr hell ist: auch sah ich ihn Einmal im Thiergarten zu Pferde: keine Spur von seinem Unfall! Haben Sie sich auch so erschrocken? — Was macht Mama? — Mit M. und E. — denken Sie sich den Verdruß für mich, sind wir brouillirt! Noch nie war ich mit irgend jemand brouillirt. Ich kann nichts mehr regieren. Ich bin nichts mehr. Mürbe und matt. — Doch bin ich ruhiger dabei, als ich je hätte denken können. Da ich immer muß, was ich nicht will, so lange weg, und ausge- wurzelt war, kann ich fast alles. Eins nur, Lokale lieb’ ich über alles. Drum vermiss’ ich den Landespunkt. Sonst nichts. Schreiben Sie mir, ob Zepelins wohl sind. Berlin, den 23. November 1819. „Die erste Walpurgisnacht“ mit der größten, zum hun- dertstenmale wiederholten Verehrung und Bewunderung ge- lesen! Dies eine Lied macht Goethen zum Dichter; und adelt ihn zum Geschichtschreiber: d. h. zum Geschichtsseher, in Unpartheilichkeit. An Gustav von Brinckmann, in Stockholm. Berlin, Dienstag den 30. November 1819. 12 Uhr, bei hellem Frostwetter. Treuer, lieber, junger Freund! Dann sind sie ächt die Freunde, wenn sie immer jung bleiben; ja jünger werden, wie Sie. Auch ich rühme mich, die Bekanntschaft des Alters auf eine andere Weise zu machen, als ich immer sah, daß sie ge- macht wurde; ich habe nämlich noch dieselben Neigungen, zu und ab; wie sonst, dieselben Ansichten; dieselbe Kraft, eben die unheilbare Schwäche, Geschicklichkeiten und Ungeschicklich- keiten, dieselben Meinungen, nur für alles dies, für mich selbst, mehr Gründe und Beläge in meinem Magazin. Dieses Ma- gazin immer ordentlicher, reicher, voller, richtiger, zusammen- hängender zu machen, halte ich eigentlich für mein Lebensge- schäft: ich halte es dafür, weil ich sehe, mit Augen, und allem was ich sonst noch besitze, daß ich doch sonst nichts zuwege bringe. Ich finde mich also mit mir, wie zu vierzehn, zu sechszehn Jahren. Nur ein paar mördrische Schläge hat mir das Alter vernichtend beigebracht. Und so wird’s wohl am Ende mit allen Leuten sein, die sich besinnen; und zu vier- zehn, fünfzehn, zwanzig, dreißig Jahren lebten . Getödtet ist in mir die Möglichkeit, mir zu meinem Glück oder Ver- gnügen die mindeste Mühe geben zu können. Natürlich muß ich mir doch meine Tage, so wie sie einer nach dem andern kommen, bereiten; und sie zwingen mich wie jeden, zu thun was ich nicht kann, und nicht mag ! Aber wie thue ich es? Mit Ingrimm, mit höchster Verachtung und Nichtachtung un- seres ganzen Zustandes, mit unendlichster Zerstreuung, mit den strafbarsten, dabei von mir im tiefsten Innersten — und auch eben jetzt! applaudirten Lücken! Ich verachte, wie noch nie jemand , in Anstalten den Lebensfaden hinzugeuden! Ich verachte die ewigen neuen Anmuthungen des Menschenschick- sals. Ich verachte gänzlich, was mir von Menschen Schlechtes herrühren kann, bis zum nicht wissen, nicht be- halten: und bringt es der Tag mit sich, daß ich es wissen und behalten muß, so verachte ich wirklich mich : und nur mein Bewußtsein über dies selbst, erhält mir meine höchstnö- thige innere Würde, ohne welche der Zusammenhang meiner selbst schwände. Verstehen Sie?! Ja ! Also getödtet in mir ist der Gedanke an ein Bild des Glücks, oder die Möglich- keit es mir verschaffen, oder suchen zu wollen — ich lächle ordentlich, — getödtet ist in mir, daß mich ein Mensch krän- ken kann; — und ich verstelle mich, es ist mimisch, wenn ich mich über diese, mich eingerechnet , noch wundere; es ist alles richtig, was sie thun müssen, man versteht es nur nicht immer; und es betrifft so wenig, wenn es auch alles ist, — geschieht die Handlung dazu, so fährt Ein Gedanke über meine Seele (wie Wetter, und Licht, über Erde), „Wenn Gott es zugiebt, was will ich mit Menschen rechnen!“ und dann werd’ ich sehr zerstreut, und Andere beschäftigen mich, wie die es vorher thaten. Unterscheiden thu’ ich sie noch kritisch genau, wie alle Gegenstände; meiner kritischen Natur gemäß. Getöd- tet und ausgerottet ist in mir, daß irgend ein Mensch mir unentbehrlich wäre, und er mich daniederrichten und unfähig machen könnte, wie sonst: so ist dann die große Totalände- rung die, für mein Wissen, daß ich Orten weit mehr attachirt bin, als Menschen. Deutlicher! daß Lokale mich mehr auf- und daniederrichten können, als Menschen. Sind die letztern nur reinlich, keine vorpredigende Pedanten, keine Zwingherrn in meinew eigenen Zimmer; sind sie ziemlich wie man nach dem großen Kriege sie allenthalben findet, und rauben sie mir nicht den Tag , so bin ich zufrieden: ob ich dies oder jenes ablasse; mir gleich; da das Unbedingte aufhören mußte. So stehe stehe ich nun, lieber Brinckmann, Ihnen und Ihren Briefen, Ihrer jugendlichen Zärtlichkeit für alles Sonstige, gegenüber, und glaubte erst, ich würde mich schämen, und ich mußte aus Erkenntlichkeit und Zerknirschung doch wenigstens Ihnen sa- gen, wie es mit mir ist. Aber ich schäme mich nicht. Ich finde mich immer gut, wie ich bin: und bin dann schon ganz zufrieden, wenn ich nach einem Nachmirselbstsehen finde, daß ich richtig sah, und mir über das Geschehene Rechenschaft ge- ben kann. Ich habe nicht versprochen , wie ich werden will?! Und hätte ich’s versprochen, so wäre es eine Narr- heit gewesen; von der ich , jeden frei ließe. Nach diesem Bericht über mich (von dem Sie genau wissen werden, wie wahr, und wie nicht wahr er ist; ich verstelle mich nicht, aber es ist schwer, die Wahrheit zu sagen:), wird es Ihnen nicht auffallen, wenn ich Ihnen sage, daß Berlin, nach sechs Jah- ren Abwesenheit, mich nicht enchantirt, (anstatt dieses Wortes hätte ich können „bezaubert“, oder „entzückt“, oder „schmei- chelt“, oder „wohlthut“ sagen; ich sagte aber „enchantirt“, altmodischer Art). Der Tod hat unter unsern Freunden, die Sie mir so emaillirt in der Erinnrung wie unser ganzes Le- ben darstellen, gewüthet, vom Krieg unterstützt: an jeder Ecke in unserm Viertel, wo sonst Unsrige wohnten, sitzen Fremde . Es sind Grabstätten . Die ganze Konstella- tion von Schönheit, Grazie, Koketterie, Neigung, Liebschaft, Witz, Eleganz, Kordialität, Drang die Ideen zu entwik- keln, redlichem Ernst, unbefangenem Aufsuchen und Zu- sammentreffen, launigem Scherz, ist zerstiebt . Alle Rez- de-Chauss é e’s sind Laden, alle Zusammenkünfte Din é s oder II. 39 Assembl é en, alle Diskussionen beinah — Sie sehen am Aus- streichen meine Verlegenheit um ein Wort: ich meine un ren- dez-vous für eine ächtere künftige, und eine fade Begriffsver- wirrung. Jeder ist klug; er hat sich alles dazu bei einem Anführer einer Meinung gekauft. Es sind noch unendlich viele gescheidte Leute hier: und ein Rest von Geselligkeit, die in Deutschland einzig ist. Aber Meine sind weg! Die da sind, sind veraltet; die Kinder waren, Damen und Herren. Kurz, es ist nicht behaglich, nach langer Zeit zu Hause zu kommen: man ist dann, auch materiell, auch der Bequemlichkeit nach, nicht zu Hause. Besonders wenn man nicht weiß, wie lange man zu bleiben hat. Glauben Sie nun nur nicht, daß ich unzufrieden, oder unglücklich sei! So wie ich nur gesund bin, bin ich seht vergnügt. Munter immer: deßhalb unter den Leuten gelitten. Ich bin unendlich ruhig; und zu allem Ver- gnügen aufgelegt. Es muß aber kommen; suchen kann ich’s nicht; so wie ich nicht tanzen kann wie Vestris; es wäre schön, aber ich kann nicht. Nun will ich Ihnen aber auch durch den gestrigen und den heutigen Abend, den ich Ihnen berichten will, Geister heraufrufen. Gestern Abend war zum Thee bei mir — ich wohne eine kleine Treppe hoch chambre garnie Nr. 20. Französische Straße; in einem Hause, welches Ecke mit der Friedrichsstraße macht: wenn man aus der Un- zelmann Haus geht und sich rechts schwenkt, schräg herüber über den Damm: ich sehe ihr Haus aus meinen Fenstern allen — Frau von Crayen mit Fräulein Victoire; Mlle. Maas, die hier spielte und Mittwoch wegreist; der Geheime- rath von Schütz, Barnime Finkensteins Mann oder vielmehr Wittwer, der Schütz, der den Lacrimas, und jetzt einen Karl den Kühnen geschrieben hat, und Politisches. Ein sanfter ge- bildeter Mensch, Friedrich Schlegels Freund, um dessentwillen er nach Wien gehen will , und dort war . Mündlich könnt’ ich anders von ihm sprechen. Ferner Pitt Arnim, Achims Bruder — der Sie gesehen hat —, Varnhagen, und ich: der Abend war belebt, lachend, sehr gut; aber mir doch zu lang, ich halte nichts mehr ausgedehnt aus. Heute Abend ich, bei der Hofräthin Herz — mit? Fräulein von Imhoff, — der Schwester von Lesbos —, und Mehrern. Sind das nicht Geister? Noch ein Wunder! Diese Generalin Helvig kenne ich noch nicht. Nämlich, vor vielen Jahren war ich einmal mit ihr und ihren beiden Schwestern bei Mad. Sander — die ich noch sehe —, wo sie mich wollte kennen lernen; ich hatte aber damals schon den Namen Robert, und so meinte sie, ich sei’s nicht; ich, die dies nicht wußte, trat nicht vor, und mußte den ganzen Abend nur ! mit Heinrich Kleist und Adam Müller sprechen; weil Achim Arnim und Clemens Bren- tano in schwarzen Theekleidern und Bestrumpfung aus Re- spekt vor der interessanten vornehmen Dame rempart spielten, und niemand in der Hitze heran ließen. Kleist, mit straßenbe- schädigten Stieflen, und ich, lachten heimlich in einem Winkel und amüsirten uns mit uns selbst. Ich erfuhr erst nachher die bévue, und die verfehlte Bekanntschaft: Frau von Helvig konnte es gar nicht vergessen mit den Namen! Sie wußte nur von hoch-, ich aber von falschgeboren. Nun soll heute die Einrenkung als Frau von Varnhagen geschehen: ich erbot mich zu der Operation. Weil ich Mad. de Ron, eine sehr liebe 39 * Frau, ihre Schwester, kenne: aus Heidelberg, Baden, Frank- furt. Gehalten, edel, gut, stark und sanft. Reinlich und or- dentlich bis zum Bewundern! — Sind das nicht Geister? — Grad diesen Morgen war Mad. Liman bei mir; ich bestellte ihr Ihren Gruß: sie hat Gewissensbisse, Ihnen nicht geant- wortet zu haben. Ich konnte bis jetzt auch nicht dazu kom- men: aber Ihr gestriger, wiederholter Schmeichelbrief gab mir solchen Biß, daß ich gleich zu Varnhagen sagte, morgen Vormittag wird kein Mensch angenommen, und Brinckmann geschrieben! Wissen Sie? daß Sie mir mit Ihren Briefen die Liebe dieses Mannes immer ganz aufregen? Mit erreg- ter Farbe, gerührt in den Augen, küßt er mich ganz lange stumm, wenn er Ihren Brief noch in der Hand hat. Der ist zur Freundschaft geboren, wie Sie ! Der Mensch brauchte einen Gefährten, um sich das Paradies zu bestätigen; dies Bedürfniß haben wir für die uns bestimmten Güter geerbt; es verdoppelt sich, was Andere mit uns sehen, und unsere Liebe auch. Das ist der beste Gruß, den ich Ihnen von Varnhagen sagen kann! So kleide ich den Auftrag, Sie zu grüßen, ein! Sie könnten hierher kommen, meint er; sie sollten! Oder im Sommer nach dem südlichen Deutschland kommen? Sie sollen mein Bild haben . Aber im Ernst! Geben Sie mir ein ren- dez-vous! Kaufen Sie eine Million weniger Bücher, so ha- ben Sie Geld dazu. Erlaubniß giebt Ihnen Ihr König. Sa- gen Sie, Sie wollen mich sehen. Sie wissen doch, daß Frau von Humboldt hier ist? Vor ein paar Tagen war ich bei ihr: noch sah ich sie wenig, da sie und ich den Husten hatten; ihn sah ich noch gar nicht. Apropos! Unter andern sind manche von unsern Freunden Staatsminister geworden, vergaß ich Ih- nen zu sagen: und das ist auch eine Art von Tod. Frau von Humboldt wohnt Behren- und Charlottenstraßen-Ecke, wo Prinz Louis wohnte: Hofräthin Herz am Gendarmenmarkt, Ecke Charlotten- und Französische Straße. Iffland und die Baranius wohnten mal da. Gestern war die bei mir; noch schön. Alle Klassen sehen mich und rauben mir die Zeit. So eben hat Varnhagen Archibald Keyserling gesehen, der r eist durch, und wird mich besuchen. Nun wünsche ich mir, ich hätte Ihnen gedankt durch diesen Brief für die Lebensbeschrei- bung, die Sie mir vorigen März schickten. Ein Meisterstück von Mühe und Kunst: nur Sie dessen fähig! Aber um die Namen der Freunde hätte ich gebeten! Leben Sie wohl, treuer, theurer Freund, und sein Sie meiner gewiß! Schade! daß man sich jetzt über nichts, beinah nicht über Bücher schreiben kann. Was sagen Sie zu den Noten, zu den Briefen im Constitutionnel, zu dem alten Voß, zu Perthes? Lesen Sie das alles? Adieu! Ihre R. Schreiben Sie mir durch Mendelssohn; ich bezahle, ist der Brief dick. Die Frau , die Sie mir im März beschrieben, die Deutsch lernte hinter Ihrem Rücken, ist Minerva selbst. — Ich goß auf sechs Zeilen das Tintfaß anstatt Sand. Varn- hagen flickte mir den Bogen. Noch ein Zug in das Bild meines Alters. Ich werde leichtsinnig mit den Jahren. Adieu! Adieu! An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Zyrus. Berlin, Sonnabend Vormittag 11 Uhr, den 4. December 1819. Trübes, noch trockenes Wetter. Theure, verehrte Gräfin! Liebe treue Freundin! Zwei Mo- nat bin ich schon hier, ohne in Erfahrung bringen zu können, wo Sie leben. Was mir aber — auch — sehr auffiel, war, daß es Frau von Humboldt nicht wußte, wo ich es ganz ge- wiß zu erfahren glaubte. Ganz ruhig, und ohne Anstoß, ge- stand sie, es nicht zu wissen. Ich verstummte; wie immer, wenn man Unendliches, und unendlich viel zu sagen hat, und sich im Vortheil glaubt. Endlich überraschte uns diese Woche Graf Keyserling, der ein Erbstück, eine Erbader von Treue in sich hat, und uns jedesmal aufsucht, wo wir nur sein können. Von diesem erfuhr ich, daß Schlesien Sie verbirgt, und daß er mein Merkur sein will. Lassen Sie mich mit dem Aller- nächsten anfangen! Werde ich Sie diesen Winter hier sehen? Oder soll ich ohne diese Genugthuung vielleicht weiter geschickt werden?! Wenn es Ihnen möglich ist, kommen Sie. Was hat man denn in unserm Alter, mit der Schärfe der Überzeu- gung, mit der wir hier auf der Erde ankommen mußten, noch anderes, als dann und wann den Trost, Gleichgesinnte zu se- hen, das Zeugniß von ihnen anzunehmen, daß man nicht ver- rückt ist, und die heilende Gewißheit, daß noch Rechtschaffen- heit wirklich mit Menschengebein auf der Erde umhergeht; daß nicht alles nichtige Kriecherei, alberne Eitelkeit, und straf- bares Ringen, und Angriff, um Macht und Gehalt der Staats- posten sei; und endlich die Freude, miteinander zu lachen, Ge- danken aufzurüttlen, unbefangen zu werden, sein zu dürfen; patriarchalisch, und kindisch all den Schund, miteinander zu vergessen! Ich kann im Winter nicht reisen: Varnhagen darf von hier ohne Grund und Urlaub nicht weg; und unklug wär’s ihn hier allein zu lassen, sonst dürften Sie nur befehlen, und ich käme zu Ihnen. Ohne diese Berge von Gründen säßen wir im Wagen, führen erst zu Graf Kalkreuth nach Siegers- dorf, und dann zu Ihnen. Graf Keyserling schmeichelte uns unendlich mit der Aussage, daß sein Onkel auf seiner letzten Reise nach Frankreich ohne ein Hinderniß uns besucht haben würde; und nur eine solche Intention ist des größten Dankes werth, den wir gerne persönlich abgestattet hätten; und ohne alles Weitere hätte ich schon zu Ihnen fahren mögen, um Ihnen besonders für Ihres Bruders Absicht zu danken; Sie nur können so vortheilhafte Gesinnungen in ihm erregt haben! Es sollte nicht; aber Treue gegen sich selbst, und in seinen Meinungen, außer, daß sie die liebenswürdigste Eigenschaft und die Wurzel, der Grund, und Halter aller andern ist, muß noch wie gemeine Dinge ihrer Seltenheit wegen geschätzt werden. So steigen Sie im Werth, liebe Gräfin, da fast Alle im Welt- gewühl sinken, und ihr Innres sich abhanden kommen lassen; anstatt dies, dem Juwel gleich, ewig rein zu erhalten, und neue Facetten daran zu arbeiten, daß der Geist Lohn und Nahrung finde im Erblicken immer mehreren Lichts der Ursonne. Glauben Sie nicht, sehr liebe Freundin, daß Einzelnheiten oder mich betreffende Geschichten mich zu diesen Äußerungen brachten: mit mir geht eigentlich nichts vor; und ich bin sehr ruhig. Weil mir — zwar nicht am Leibe !! — alles schon ge- schehen ist; und ich nicht von der schlappen Sorte bin, daß es mir zweimal geschehen muß. Aber die Verwirrung, und der Matsch werden zu breit . Und Eine ist wirklich etwas muth- drückend, daß die Edleren selbst sich nicht besser vor Modeaf- fectation, mit Frömmigkeitswesen und Sittentugend, zu schützen wissen; noch sich der rohesten, längst in ihre Schlammhöhle zurückgewiesenen Anmaßungen schämen! All dies dringt auch bis in das feinste, sonst holde Gezweige der Geselligkeit. Ei- gentlich das Menschlichste unter Menschen! der Inbegriff, und Ausgangspunkt alles Moralischen! Ohne Gesellen, ohne Mit- genossen des irdischen Daseins, wären wir selbst keine Perso- nen, und ein ethisches Handlen, Gesetz, oder Denken, unmög- lich: unmöglich, ohne die Voraussetzung, daß einem Andern, — das Bild einer Person — so sei wie uns, daß er ist, was wir sind . Wenn mir also die Geselligkeit beschädigt ist, bin ich es; wer mir die verdirbt, verdirbt mich: mein eigentlichstes Ich. Wohl denen! sagt man gewöhnlich; ich sage weh denen! die ohne Zusammenhang leben: denen ihr Morgen eine Ge- schäftszeit ist, die mit ihren Abendgesellschaften nicht zu schaf- fen hat: deren Lesen ein Studium ist, unverdautes Lügen pro- duziren zu können; allenfalls in drei, vier Sprachen; deren Betstunde ein Abwaschen der übrigen; deren Nachdenken ein Planmachen, oder höchstens ein zum Gebrauch Zurechtlegen überlieferter Sprüche, einst richtig erfunden, und deren von Andern geglaubtes ewiges Verstellen ihre höchste Satisfaktion, und Ausübung von Tugend ist; welcher Verstellung sie end- lich selbst Glauben beilegen, und sich ihr tugend-eitel opfern. Ich kann das alles nicht: konnte es nie; und freue mich noch darüber! Wie ich nun bin, und wie Sie mich kennen, so vermiss’ ich von dieser Seite hier viel; (bin aber grade sehr gewöhnt an diese Art von Missen) und nur dies könnte mir hier Er- satz geben, für eine aufgestörte Häuslichkeit; für einen ruhigen Kreis von Bekannten, und erworbenen Freunden, die mir grade so nah und so fern standen, als es Varnhagens Amt mit sich brachte, und ich es vertragen mochte. Jede Güte wurde mir als solche angerechnet, weil sie von einer Fremden keiner fordern konnte. Was mir im Lande nicht gefiel, ver- letzte mich, als solche, nicht. Das Land und seine Nachbar- schaften gefielen mir außerordentlich; es ist eines, wo mehrere nicht große Länder zusammengehören: und gehört man nicht einem sehr großen, sehr ausgebildeten Lande, so ist das ein großer, sehr belebender Ersatz. Dabei hatte der Ort die Be- quemlichkeiten einer minder großen Stadt; in ihre Mängel hatte ich mich ein- und ausgelebt. Ich hatte die große Sa- tisfaktion, unserm Lande im Auslande Ehre zu machen; was ich that, that doch eine Preußin: und ich war bescheiden, hülf- reich, gut, sanft; und beliebt, und das kam auf die Rechnung aller Preußinnen; ich hatte die große Satisfaktion, nicht zu Hause zu sein — wo ich immer noch beweisen soll, daß ich das Recht habe edel zu sein: und wo jeder Stein mich an solches von sonst erinnert, und ich durchaus die alte vor- stellen soll! — und die ganz unendliche, daß ich endlich Ein- mal auf solchem Piedestal stand, wo man, was ich Gutes machte und war, auch mitzählte. Unendlich nenne ich diese Satisfaktion, wegen ihres unendlichen Unterschiedes, ob sie ei- nem gewährt wird, oder nicht. Im letzten Fall thun sie alles umsonst, ohne Erfolg — außer für’s Gewissen — im andern kräftigt der Standpunkt ihr Thun, und liefert die Möglich- keiten dazu. Nun sehe ich hier eine Unzahl veralteter Men- schen, in veralteten Lagen, die alle noch alte Empfindsamkei- ten und Erzählungen und Geschichten mit mir anknüpfen wol- len: ich — pr ê tire mich dazu, aus Güte und Rechtlichkeit: verzweifle und beleidige doch zu Dutzenden; und, ich glaube, genüge keinem. Kurz, es geht mir wie allen Menschen, tadlend verdiene ich Tadel. Dennoch ist es hier auch hübsch und reg- sam; und geselliger als allerorts in Deutschland; aber ruppig fand ich es im Anfang ꝛc. ꝛc. Mündlich Millionen Dinge! Kommen Sie, liebe Gräfin? Antworten Sie wenigstens! Sie dachten wohl auch, Varnhagen ist in Ketten und Banden. Noch lange nicht! Er hat nichts gethan; Feinde wünschten ihn anklagen zu können. Feinde sind von ihm, Neider und solche, die zehn Meilen in der Runde keinen selbst- ständigen Menschen ertragen und es riechen können, wer es ist. Man kann gar nichts thun, als warten; und das kann man mit unbeflecktem Bewußtsein ruhig. Ich stürbe vor Angst: und auch vor Scham, wenn es anders wäre. Das wird Ihnen gänzlich genug sein. Frau von Humboldt leidet an Heiserkeit und Husten: ich hatte dasselbe Übel, wir haben uns also, da ich wagenlos bin, nur wenig gesehen. Ihn sah ich noch nicht. Empfehlen Sie mich Angelika’n, und wenn ich bitten darf Ihrem Herrn Bru- der. Leben Sie recht wohl, verehrte Gräfin! recht gesund! Ihre treue Friederike Varnhagen. Berlin, den 26. December 1819. Madame Guion behauptete mit großer Gewißheit, dabei sie voller tiefer Untersuchungskraft ist, oder vielmehr sie ist überzeugt, ohne den mindesten Zweifel anzuknüpfen, daß die Seelen im Fegfeuer sich reinigen müssen; die Kirche aber und fromme Leute könnten ihnen Gebete nachschicken, die Gott zu ihnen ließe, und welche sie geschwinder aus diesem Feuer er- lösten. Die ganze Sache sieht sie als eine Reinigung an: was kann sie anders meinen, als reinere richtigere Gedanken, — wenn die auch nachher nur ein Organ für einen neuen Zustand bildeten! — Könnten nicht die Seelen in diesem Rei- nigungsfeuer erfahren, daß sehr gute, gereinigte, hochstehende Wesen, die Kirche, fromme, ehrliche, reine Leute, für sie sor- gen, denken, bitten, und dies sie besser machen, und ihnen Gutes einflößen, Gutes in ihnen wahr machen, und sie da- durch besser machen? — Der einzige mögliche Weg, den ich erfinden kann. — Madame Guion ist auch überzeugt, daß man Heilige anrufen, und mit ihnen in einem lebendigen Verhältnisse ste- hen kann. Meint sie, in einem Versenken in die tieferen Eigenschaften der Seele, wo die äußeren Wahrnehmungen wegsallen und weichen müssen, und wir in einen dem Heili- gen gleichen Zustand gerathen können, wodurch Mittheilung und Einwirkung wie in der Gegenwart möglich wird; und wir sogar den Heiligen in seinen vorigen Zustand, in seine vorige Verfassung zurückrufen können, wie man es in nähe- rer Vergangenheit mit den Lebenden kann? Gedruckt bei Trowitzsch und Sohn .