Johann Martin Chladenii, der heiligen Schrift Doctors, ordentlichen Professors der Gottesgelahrheit, der Beredsamkeit und der Poesie, wie auch Pastors an der Universitaͤtskirche zu Erlangen, Allgemeine Geschichtswissenschaft, worinnen der Grund zu einer neuen Einsicht in allen Arten der Gelahrheit geleget wird. Leipzig , bey Friedrich Lanckischens Erben, 1752. Dem Hochwohlgebohrnen Herrn, Herrn Johann Paul Freyherrn von Vockel , Seiner Kayserlichen Majestaͤt hochverordnetem Reichshofrath, Meinem Gnaͤdigen Herrn und hohem Goͤnner. Hochwohlgebohrner Freyherr, Gnaͤdiger Herr Reichshofrath, E w. Freyherrl. Gnaden gehoͤren zu der edlen Art erhabner Maͤn- ner, welche sich durch weise Ver- waltung der wichtigsten Ge- schaͤffte um gantze Staaten verdient ma- chen. Jndem Dero treue Dienste der a 3 glor- glorwuͤrdigst regierenden Kayserli- chen Majestaͤt gewidmet sind, so brei- ten sich zu gleicher Zeit die Fruͤchte von Dero Gerechtigkeitseyfer durch gantz Deutschland aus. Dero großen Ver- dienste kommen mit der hohen Wuͤrde, zu der der groͤste Monarch Dieselben be- ruffen hat, vollkommen uͤberein: und große Wissenschafft, lange Erfahrung, starcke Proben eines unermuͤdeten Fleis- ses, nebst der angebohrnen reitzenden Ei- genschafft, die Gewogenheit der Hohen, und die Gnade der Hoͤchsten in der Welt zu erwerben, sind die Mittel und Stuf- fen gewesen, durch welche die goͤttliche Vorsehung Dero Tugend zu so hohen Belohnungen hat aufsteigen lassen. Nach einem alten Gebrauche, pflegen Gelehrte ihre Wercke Maͤnnern aus ei- ner hoͤhern Sphaͤre zu widmen. Einige haben ihre Ehrfurcht und Ergebenheit dadurch zu bezeigen gesucht: andere ha- ben solches aus Danckbarkeit nicht un- terlassen zu koͤnnen geglaubt: andere haben sich den Weg zur Gewogenheit maͤchtiger Goͤnner zu bahnen gesucht: wiederum andere haben ihre Arbeit demjenigen widmen wollen, von dem sie ver- versichert gewesen, daß sie die geneigte Aufnahme ihres großen Goͤnners, als die erste Frucht ihrer angewandten Muͤ- he und Arbeit, zuverlaͤßig einsammlen wuͤrden. Ew. Freyherrl. Gnaden gepriese- ner Nahme soll der Schmuck meines ge- genwaͤrtigen Buches seyn. Deswegen wird es Hochdenenselben , vor andern hohen Kennern aͤchter Wissenschafften gewidmet. Dargegen habe die gegruͤn- deste Hoffnung, daß der Jnnhalt dessel- ben sich Dero hohen Einsicht gefaͤllig machen, und mithin dem Verfasser die guͤtigste Aufnahme gar leicht zuwege bringen werde. Die vor Augen liegen- den Wuͤrckungen von Dero Gesinnung, lassen mich daran nicht zweifeln. Ew. Freyherrl. Gnaden haben Dero besondere Achtung vor unsere Uni- versitaͤt dadurch werckthaͤtig bezeiget, daß Dieselben zwey Hoffnungsvolle Herren Soͤhne nirgend besser, als bey uns aufgehoben zu seyn geglaubt haben. Diese haben Jhren Academischen Lauf allbereit auch mit dem besten Erfolg an- getreten: und mir ist dabey die angeneh- a 4 me me Gelegenheit zu theil worden, zu der Vollkommenheit und Ausschmuͤckung so edler und wohl zubereiteter Gemuͤther etwas beytragen zu koͤnnen. Richtig dencken, scharf urtheilen, Wahrheiten aller Art leicht uͤbersehen koͤnnen, sind die Stuͤcke, zu welchen ich noch niemahls mit so großer Hoffnung, als bey diesen Ew. Freyherrl. Gnaden so nahe an- gehoͤrigen Personen, Anleitung gegeben habe. Ew. Freyherrl. Gnaden sehen dann, auch aus gegenwaͤrtigem Buche, daß Dero Geliebte Sich auf einer hohen Schule befinden, wo man die Wercke des Verstandes nicht laͤßig treibet; wo man das Reich der Wahrheiten zu er- weitern sucht; und wo man unter an- dern, auch durch den Vortrag neuer Lehren kraͤfftigst angetrieben wird, zu- foͤrderst die alten Wahrheiten, worauf die neuen gebauet werden, begierigst einzusammlen. Diese versicherte Nach- richt kan Denenselben nicht anders als angenehm seyn; und jedes Document, wodurch solche bestaͤtiget wird, muß De- ro Aufmercksamkeit, mitten unter den groͤsten groͤsten Geschaͤfften nothwendig auf sich ziehen. Jndem ich aber durch Ueberreichung dieser neuen Wissenschafft dem Triebe meiner innigsten Ehrerbietung einiges Gnuͤge thue, so gehet zugleich mein eyfrigstes Wuͤnschen dahin, daß Ew. Freyherrl. Gnaden die Fruͤchte von Dero weisesten vaͤterlichen Vorsorge zu rechter Zeit reichlich einsammlen, und daß Dero ruhmvollesten Jahre, bis jene zur voͤlligen Reiffe kommen, unter taͤglich vermehrten Verdiensten und erneuerten goͤttlichen Seegen fort- dauren moͤgen. Deutschland und viele hohe Haͤuser in demselben, die die Er- haltung ihrer ihnen unschaͤtzbaren Ge- rechtsame Ew. Freyherrl. Gnaden hohen Einsicht und gerechtest abge- fasseten Ausspruͤchen zu dancken ha- ben, werden auch in den spaͤtesten Zei- ten Dero schon erworbenen großen Ruhmes unvergessen seyn. Der Hoͤch- ste aber wolle denselben in Dero Nachkommen, die die vaͤterlichen Fuß- tapfen so gluͤcklich betreten, auf den a 5 hoͤch- hoͤchsten Gipfel der Dauerhaftigkeit stei- gen lassen. Hochwohlgebohrner Freyherr, Gnaͤdiger Herr Reichshofrath, Ew. Freyherrl. Gnaden zu Gebet und Dienst gehorsamst verbundenster Johann Martin Chladenius, D. Geneigter Leser! E s sind mancherley Banden, durch wel- che mich die goͤttliche Vorsehung gelei- tet hat, dieses neue System mit uner- muͤdeter Emsigkeit, unter hoͤherm Beystand auszuarbeiten. Die verschiedenen Veraͤnde- rungen des Standes und der Aemter, welche mich der Wille des Hoͤchsten seit der ersten Entschluͤßung zu solcher Unternehmung erfah- ren lassen, haben meinen Vorsatz so wenig un- terbrochen, daß sie mir vielmehr von Zeit zu Zeit zu einer neuen Triebfeder gedienet haben, ein Vorhaben, das ich immer nuͤtzlicher befun- den, in der That selbst auszufuͤhren. Jetzo, da das Werck zum Preise des Hoͤchsten vollbracht ist, koͤnten jene Umstaͤnde, die nur den Verfas- ser betreffen, gar wohl in Vergessenheit gestellt werden. Ein Werck wird darum nicht besser, und die Wahrheiten, die man vortraͤgt, werden dadurch nicht fruchtbarer, die Umstaͤnde des Ver- fassers, Vorrede. fassers, die ihn darzu angetrieben, moͤgen be- schaffen seyn, wie sie wollen: so wie ein Berg- werck darum nicht ergiebiger wird, man mag durch Regeln der Kunst, oder durch einen noch so sonderbaren Zufall, zu der Entdeckung des- selben gekommen seyn. Viel gewoͤhnlicher ist es, sich um die Absicht eines Buches, zumahl von einer neuen Art, zu bekuͤmmern; und man ist in Sorgen, daß man dasselbe ent- weder nicht recht verstehen, oder nicht recht zu Nutzen anwenden moͤchte, wenn man von derselben nicht gnugsam belehret wird. Die meisten Leser dieser Vorrede werden daher ge- waͤrtig seyn, daß ihnen in derselben die Ab- sicht der allgemeinen Geschichtswissenschaft bekannt gemacht werde. Daraus entstehet vor mich eine Verbindlichkeit, der ich mich nicht fuͤglich entziehen kan. Doch die Frey- heit bleibt mir uͤbrig, es auf diejenige Art zu thun, welche ich vor die beqvemste halte, mei- ne Leser am vollstaͤndigsten, und vielleicht auch zugleich aufs kuͤrtzeste davon zu belehren. Sie werden aber meine Absicht am besten erken- nen, wenn ich ihnen meine Anleitungen, der allgemeinen. Geschichtswissenschaft immer mehr und mehr nachzudencken, in natuͤrlicher Ordnung erzehlen werde. Schon Vorrede. Schon bey meinen philosophischen Vorle- sungen auf der Universitaͤt Wittenberg, beson- ders uͤber die Vernunftlehre, ist mir bey oͤfte- rer Wiederholung derselben vorgekommen, als wenn die gegenwaͤrtige Einrichtung dieser vortrefflichen Wissenschaft so beschaffen waͤre, daß, ohngeachtet ihre Lehren gantz allgemein zu seyn schienen, solche dennoch mehr eine Hauptart der Wahrheiten, als die Wahrheit in ihrer voͤlligen Abstraction zum Gegenstan- de haͤtten. Bey der Lehre von Begriffen zum Exempel, kommt zwar vieles vor, wel- ches von allen Begriffen gelten kan, aber die gantze Tabelle der Eintheilungen derselben, ratione formæ, schickt sich doch mehr vor die allgemeinen Begriffe, als vor das Gegentheil derselben; nemlich vor die individuellen Be- griffe. Die Lehre von Definitionen betrifft gleichfalls nur die Begriffe der Geschlechter und Arten. Und so wird man durch Zusam- menhaltung aller uͤblichen Lehren in dieser Di- sciplin gewahr werden, daß man in denselben durchgaͤngig auf die historische Erkenntniß wenig oder gar nicht gesehen habe. Dieser Umstand ist mir also nach und nach in die Augen geleuchtet; und wie natuͤrlich war es nicht, daß daraus ein innerlicher Trieb ent- standen ist, die Gedenckart der menschlichen Seele Vorrede. Seele bey den historischen Wahrheiten eben so in Regeln verfasset zu sehen, als uns nun- mehro fast alle Triebfedern des menschlichen Verstandes bey Erfindung allgemeiner Wahr- heiten, besonders durch die Bemuͤhungen des unsterblich verdienten Freyherrn von Wolfs, erklaͤrt vor Augen liegen. Mein Unternehmen, die Hermenevtick philosophisch und systematisch vorzutragen, welches ebenfalls noch in Wittenberg zu Stande gekommen, ohngeachtet die Ausgabe meiner Einleitung zur richtigen Auslegung vernuͤnftiger Reden und Schriften, erst bey meinem Aufenthalt auf der Universitaͤt zu Leipzig erfolget ist; hat mich sodann veran- lasset, ja genoͤthigt, der Sache naͤher zu treten. Die verschiedenen Arten der Auslegungen, woraus Commentarii und Noten bestehen, musten unter andern, ja vornehmlich, aus dem verschiedenen Jnnhalte der Buͤcher, und aus ihrer Materie, hergeleitet werden. Die Ein- theilung der Buͤcher und Stellen in dogmati- sche und historische, war der Hauptgrund, worauf ich zu bauen hatte. Jch muß geste- hen, daß es mit der Auslegung der ersten Art, in Vergleichung alles uͤbrigen, wenig Schwie- rigkeit hatte. Denn da hatte ich in der Ver- nunft- Vorrede. nunftlehre alle, auch die kleinsten Theile eines dogmatischen Buches schon so zergliedert vor mir, nemlich die Definitionen, die Grundsaͤtze, die Theorems u. s. w. daß es nicht viel Muͤhe erforderte, bey jedem Stuͤcke eines dogmati- schen Buches zu zeigen, wie dabey vor gewisse Leser Dunckelheiten entstehen koͤnnten; und wie diese durch eine geschickte Auslegung zu heben waͤren. Aber mit den historischen Buͤ- chern war es gantz anders beschaffen. Alles was in dogmatischen Buͤchern, die allgemeine Wahrheiten in sich fassen, vorkoͤmmt, trifft man in historischen Buͤchern nicht an: Hin- gegen, was man in diesen antrifft, ist, wie ge- dacht, in der Vernunftlehre gar nicht erklaͤ- ret. Hier war es also unumgaͤnglich noͤthig, daß ich uͤber die historischen Stellen, als die elementa historischer Buͤcher, neue Betrach- tungen anstellte, und also die Beschaffenheit der historischen Erkenntniß genauer unter- suchte. Wie weit ich dazumahl in dieser ver- wickelten und vorher gantz nicht aufgeklaͤrten Materie gekommen sey, wird das achte Capi- tel meiner Einleitung zur richtigen Auslegung am klaͤrsten bezeigen. Man kan leicht ermes- sen, daß der Vorsatz, gegenwaͤrtiges Buch zu seiner Zeit auszuarbeiten, unter jener Arbeit nicht wenig sey bestaͤtiget worden. Das Vorrede. Das oͤffentliche Lehramt der Kirchenalter- thuͤmer, welches mir nachher auf der Univer- sitaͤt Leipzig zu theil wurde, drunge mich, ei- nen so wichtigen Theil der historischen Erkennt- niß auf alle Weise genauer zu beleuchten. Nun weiß man, was vor Schwierigkeiten in dieser vortrefflichen Art der Gelahrheit vor- walten; zumahl wenn man den Ursprung der Gebraͤuche, Verfassungen und Kirchenanstal- ten nebst ihren Veraͤnderungen, durch welche sie oͤfters mit der Zeit ein gantz ander Ansehen bekommen haben, begreiflich machen will. Doch die handgreiflichsten Stuͤcke der Alter- thuͤmer sind eben sowohl, als die ruchtbarsten Geschichte der Kirche, schon laͤngst aus den alten Schriftstellern gesammlet und dergestalt in Ordnung gebracht worden, daß, was in jenen mit deutlichen und duͤrren Worten ent- halten ist, nunmehro fast nicht ohne Eckel wiederholet werden kan. Unsre Vorfahren haben, nach ihrem unuͤberwindlichen Fleiße, schon alles erschoͤpfet. Die Nachlese, welche vor uns uͤbrig geblieben ist, bestehet aus lau- ter solchen Nachrichten, die man mehr als Spuren gewisser Geschichte, als vor eigent- liche Erzehlungen ansehen kan. Aus diesen muß man durch Muthmaßungen und Zusam- menhaltung mancherley Stellen noch eine und Vorrede. und andere Particularitaͤt entdecken, welche etwa von unsern Vorfahren nicht ist bemerckt worden. Hier kommt man freylich ins Wahrscheinliche. Jndem ich also, vermoͤge meines Amts, oͤfters mit solchen mißlichen Stuͤcken der Kirchengeschichte und Kirchen- alterthuͤmer umgegangen bin, wobey wider meinen natuͤrlichen Trieb, ohne Regeln zu dencken genoͤthigt wurde, so konnte nichts an- ders als eine starcke Neigung in mir entste- hen, solche Regeln ausfuͤndig zu machen, die in so schweren Untersuchungen statt eines Leit- fadens dienen koͤnnten. Waͤhrender Zeit habe unter andern Bemuͤ- hungen an meiner Einleitung in die systema- tische Theologie starck gearbeitet; obgleich de- ren voͤllige Ausfertigung erst in Coburg erfol- get ist. Jndem ich nun hierbey zufoͤrderst alle Theile unserer Glaubenslehren genau durchgienge, um deutlich erklaͤren zu koͤnnen, wie solche aus der heiligen Schrift, als der einzigen Qvelle aller unserer geoffenbarten Erkenntniß, muͤsten hergeleitet und erwiesen werden; so leuchtete mir gar bald in die Au- gen, daß ein großer Theil der heiligen Lehren von der Art der historischen Erkenntniß waͤ- ren. Jederman wird auch solches mit mir b erken- Vorrede. erkennen, und einraͤumen muͤssen; und wer daran zweifeln wollte, den koͤnnte fast allein der Nahme des Evangelii , welcher bekann- ter maßen eine froͤliche Botschaft anzeiget, davon voͤllig versichern. Wie leicht war daraus nicht der Schluß zu machen, daß eine genauere Erkenntniß, was es mit der histori- schen Erkenntniß uͤberhaupt vor Bewandniß habe, auch bey der Erklaͤrung und der Ver- theidigung der geoffenbarten Wahrheiten großen Nutzen schaffen muͤsse. Und zwar dieses um so viel mehr, da sehr viele Stuͤcke der heiligen Schrift, welche unmittelbar nicht zu den Geschichten gehoͤren, dennoch mit der historischen Erkenntniß große Gemeinschaft haben. Jch habe solches von den meisten Bitten, von den Verheissungen, von den Drohungen, von den Ermahnungen erwie- sen; woraus zugleich erhellet, wie weit sich die historische Erkenntniß, unter mancherley Nahmen und Gestalt erstrecke. Unter dieser Abhandlung also, welche die Gewißheit und Vertheidigung der reinen Lehre lediglich zur Absicht gehabt, ist der Vorsatz, mich selbst an die Ausarbeitung der allgemeinen Geschichts- wissenschaft zu wagen, dergestalt in mir ge- wachsen und befestiget worden, daß ich den ersten Anfang und die ersten Anlagen gegen- waͤr- Vorrede. waͤrtiger Abhandlung schon damahls, in die Einleitung zur systematischen Theologie, als einen besondern Abschnitt eingeschaltet habe. Das an dem academischen Gymnasio zu Coburg gefuͤhrte Directorat hat mir sodann noch anderweitige Gelegenheit gegeben, dieser neuen Wissenschaft, deren Grundriß ich ein- mahl in Sinn gefasset hatte, weiter nachzu- dencken. Es war meines Amts, auf die Er- leichterung bey Erlernung der schoͤnen Wis- senschaften, da man ietzo alles gerne leicht er- lernen will, meine Gedancken gerichtet seyn zu lassen. Hier aber herrschet uͤberall die historische Erkenntniß augenscheinlich. Nur eins ins besondere zu gedencken. Welchen Rang hat nicht unter den schoͤnen Wissen- schaften die Beredsamkeit? Man sehe aber nur die groͤsten Meisterstuͤcke alter und neuer Redner an, so wird man gewahr werden, daß jede Rede nichts anders als ein rechtes Ge- webe von lauter Erzehlungen von verschiede- ner Groͤße und Einrichtung ist. Die meisten Reden sind gleich ihrem Hauptinnhalte nach historisch. Wenn aber auch ein Redner sich allenfalls mit einer allgemeinen Wahrheit be- schaͤfftiget, so wird man doch finden, daß der oratorische Vortrag solcher Wahrheiten fast b 2 in Vorrede. in nichts anders bestehen, als daß man alle Theile einer solchen Rede mit Erzehlungen und Geschichten, die anmuthig und bewegend sind, gleichsam zu durchflechten weiß. Eine Geschichte deutlich und annehmlich zu erzeh- len wissen, kan man fast vor mehr, als vor die Helfte der Beredsamkeit ansehen. Sollte also einem Redner die allgemeine Geschichts- wissenschaft nicht eben so dienlich seyn, als er die Regeln der Vernunftlehre zu wissen unum- gaͤnglich noͤthig hat? Doch die Gewißheit ist allem andern Schmucke weit vorzuziehen, in welchen man die Wahrheit nicht ohne Nutzen einkleiden kan. Alle Bemuͤhungen der Gelehrten sollen deswe- gen zufoͤrderst auf jene edle Eigenschaft gerichtet seyn. Die neuere Lehre von der Wahrschein- lichkeit aber, wuͤrde der Gewißheit einen uner- setzlichen Schaden zufuͤgen, wenn sie auf die Art weiter getrieben werden sollte, wie sie ge- trieben zu werden angefangen hat. Die Wahrscheinlichkeit ist einmahl nichts anders, als eine Art der Ungewißheit; und wo man es nicht weiter als auf eine, obgleich große Wahrscheinlichkeit, bringen kan, da muß man sich auch die Ungewißheit gefallen lassen. Man urtheile, ob meine Bemuͤhung, folgende Saͤtze zu Vorrede. zu widerlegen, entweder uͤberfluͤßig, oder un- gegruͤndet gewesen? nemlich diese Saͤtze: daß die gantze Auslegungskunst, die gantze Histo- rie, die gantze Physick, die gantze Einrichtung unsrer Handlungen, nur wahrscheinlich sey? Die gewisse Erkenntniß leidet ohnstreitig sehr viel, wenn so viele und gewaltig große Theile unserer Erkenntniß derselben entzogen werden. Und es ist nicht abzusehen, warum so viele wichtige Erkenntnißarten auf einmahl mit dem Vorwurfe der Ungewißheit sollen beschmitzt werden? Mir ist wenigstens auch die histori- sche Erkenntniß viel zu ehrwuͤrdig, als daß mir gleichguͤltig seyn sollte, wenn solche in lauter Ungewißheit verkehrt wuͤrde. Jch habe da- her dieselbe, wie die uͤbrigen Erkenntnißarten, in den vernuͤnftigen Gedancken vom Wahr- scheinlichen, und dessen gefaͤhrlichen Mißbrau- che sorgfaͤltig vertheidigt. Es ist aber solches, nach meinem damahligen Instituto, die Sache in Programmatibus abzuhandeln, nur uͤber- aus kurtz geschehen. Wie ich aber bey ge- nauerer Pruͤfung gefunden, daß der Scepti- cismus in der Historie seine meiste Nahrung daraus erhielte, daß man von der historischen Erkenntniß gar keine Grundsaͤtze, gar keine be- stimmten Lehrsaͤtze hatte; ja daß die Grund- begriffe derselben, in der groͤsten Verwirrung b 3 sich Vorrede. sich befaͤnden, so hat mich die Liebe zur gewis- sen Erkenntniß auch in diesem Stuͤcke ange- trieben, dem ausbrechenden historischen Sce- pticismo durch eine vollstaͤndige Erklaͤrung der historischen Erkenntniß auf die nachdruͤcklichste Art zu begegnen. Jederman, der auf die Zeichen der gegen- waͤrtigen Zeiten Achtung hat, wird es vor eine unumgaͤnglich noͤthige Bemuͤhung erkennen muͤssen, wenn Gottesgelehrte sich denen so kuͤhnen, als gefaͤhrlichen Unternehmungen der Naturalisten mit allen Kraͤften widersetzen, und sie zwar nicht mit fleischlichen Waffen, aber doch mit den Waffen des Lichts zu daͤm- pfen sich bestreben. Man darf sich aber nur etwas in den Schriften der englischen Frey- geister, und was nach ihrem Exempel auch Spoͤtter in Deutschland geschrieben haben, umsehen, so wird man bald gewahr, daß we- nigstens die Helfte ihrer Einwuͤrfe und Spoͤt- tereyen, wider die historischen Capitel und Stellen der heiligen Schrift gerichtet sind. Bald tadelt man die gantze Erzehlungsart, die in der Schrift gebraucht worden, daß solche gar nicht nach den Regeln der Kunst, und nach den besten Beyspielen der Griechischen und Roͤmischen Geschichtschreiber eingerichtet sey: bald Vorrede. bald beschuldiget man einzelne Stuͤcke der hei- ligen Geschichte der Unwahrscheinlichkeit, oder des Widerspruchs, oder einer Unbilligkeit, die dennoch in der Schrift nicht sey geahndet worden; bald findet man Stellen und Um- staͤnde in Profanscribenten, mit deren kund- baren Wahrheit, diese oder jene Erzehlung in der Schrift, nicht bestehen koͤnne. Man darf des hoͤchstverdienten Herrn D. Baumgartens ersten Theil seiner vortrefflichen Kirchenge- schichte nachsehen, so wird man finden, daß fast kein Artickel der Geschichte, die die heili- gen Evangelisten aufgezeichnet haben, von sol- chen Vorwuͤrfen frey geblieben sey. Soll man solchen unseligen Unternehmungen sich nicht, wie dieser große Gottesgelehrte bey un- zaͤhligen Stuͤcken der heiligen Geschichte schon gethan, eifrigst widersetzen? Nun ist wohl an dem, daß Streitigkeiten uͤber historische Wahr- heiten sich nicht sowohl aus allgemeinen Prin- cipiis, als vielmehr aus den besondern Um- staͤnden, und sorgfaͤltigst aufgesuchten und un- tersuchten Particularitaͤten der streitigen Ge- schichte, ingleichen aus Zusammenhaltung ver- schiedener Zeugnisse, und aus der speciellen Kenntniß der Geographie, Chronologie und Antiquitaͤten entscheiden lassen. Doch wird man auch gestehen muͤssen, daß wie die aller- b 4 meisten Vorrede. meisten Streitigkeiten in andern Wissenschaf- ten zwar nicht lediglich aus der Logick, den- noch aber auch nicht ohne Beyhuͤlfe der Lo- gick, koͤnnen entschieden, noch in ein voͤlliges Licht gesetzt werden; also auch die historischen Streitigkeiten zwar nicht alles, aber doch vie- les, und oͤfters ihr unentbehrliches Licht, aus der allgemeinen Geschichtswissenschaft erhal- ten muͤssen. Meines Orts nun habe mich seit Antretung meines Lehramts der Gottes- gelahrheit verbunden geachtet, das Maaß der mir verliehenen Kraͤfte, hauptsaͤchlich nach den Umstaͤnden der gegenwaͤrtigen Zeiten, zum Dienste der Gemeinde Christi anzuwenden, und in dieser Absicht zufoͤrderst die gantze Ge- denckart der Naturalisten in ihrer Bloͤße dar- zustellen. Meine Untersuchung der Frage: Ob Joseph sich gegen die Egyptier tyrannisch erwiesen? ingleichen der andern, noch wichti- gern: Warum unser hochgelobter Heyland nicht im Angesicht seiner Feinde auferstanden sey? wird jeden Leser gar bald uͤberzeugen, daß ich mir dabey die Lehren der allgemeinen Geschichtswissenschaft zu nutze gemacht habe. Und mit goͤttlicher Huͤlfe sollen mit der Zeit noch mehrere nutzbare Anwendungen bey Streitigkeiten und Fragen dieser Art ans Licht gestellt werden. Unter Vorrede. Unter so vielerley andern Arbeiten und Be- muͤhungen auf den Grund der Dinge zu kom- men, hat sich nach und nach gegenwaͤrtige Abhandlung in mir ausgewickelt; und der Grundriß der gantzen historischen Erkenntniß mehr und mehr aufgeklaͤrt; Es fehlte nur noch an einer bewegenden Veranlassung, die Feder selbst anzusetzen, und dieses neue Lehr- gebaͤude wuͤrcklich aufzufuͤhren, dessen Schwie- rigkeiten gar leicht den Aufschub von einer Zeit zur andern haͤtten verursachen koͤnnen. Die oͤftere Vorstellung einer neuen Academie, auf der ich, mitten unter andern vortrefflichen Maͤnnern, zum Lehrer gesetzt worden, hat endlich der Sache den Ausschlag gegeben. Eine neue Academie ist beynahe schuldig und verpflichtet, einen mercklichen Beytrag zum Wachsthum der wahren und nuͤtzlichen Er- kenntniß zu thun. Ein Theil solcher Ver- bindlichkeit lieget auf meinen Schultern, so viel nemlich als dieselben von solcher Last tra- gen koͤnnen. Jch habe also nicht Anstand nehmen wollen, mich eines Theils derselben, so bald als moͤglich, zu entschuͤtten. Und in dieser Gesinnung ist die Ausarbeitung und Ausgabe gegenwaͤrtiges Buchs unter goͤttli- chen Beystande, erfolget. So viel bin ver- b 5 sichert, Vorrede. sichert, daß dieselbe vor das Reich der Wahr- heit nicht ohne allen Nutzen seyn werde. Re- geln, wo vorhin keine gewesen sind, koͤnnen unmoͤglich gantz unfruchtbar seyn. Sollten aber die Leser meines Buchs die darinne vor- getragene allgemeine Geschichtswissenschaft von großem Nutzen zu seyn befinden, so wuͤrde mir solches uͤberaus angenehm seyn; nicht sowohl um des Werthes willen, der demselben dadurch zuwachsen wuͤrde, als viel- mehr darum, weil durch die Anrichtung einer so nuͤtzlichen Wissenschaft die große Absicht wenigstens einestheils erfuͤllet wuͤrde, welche der Durchlauchtigste Stiffter unserer Frie- drichsuniversitaͤt, nach seiner hohen Weis- heit bey der Stifftung derselben gehabt hat. Es ist leicht zu ermessen, daß es bey der Ausarbeitung an muͤhsamen Ueberlegungen nicht werde gefehlet haben, wie theils der gantze Grundriß, theils einzelne Capitel, auf die brauchbarste Art moͤchte eingerichtet wer- den. Bey bekannten und schon oͤfters ab- gehandelten Disciplinen ist die Einrichtung großer und kleiner Theile viel leichter gefun- den. Eine Entschliessung vornehmlich ist erst nach einem langen Zweifel getroffen worden. Es Vorrede. Es war nemlich die Frage: Ob ich lieber diese Lehren von der historischen Erkenntniß unmittelbar zum besondern Gebrauch der Gottesgelahrheit einrichten wollte? oder aber dieselbe so allgemein abfassen, daß sie in allen Theilen der Gelahrheit, in historische Erkennt- niß einen Einfluß hat, mit gleichem Nutzen koͤnnten gebraucht werden? Das erste zu thun ermunterte mich meine Hauptabsicht, welche allerdings auf die Erklaͤrung und Ver- theidigung der geoffenbarten Wahrheiten ge- richtet ist. Ja ich habe auch auf Seiten meiner Leser sicher vermuthen koͤnnen, daß gar vielen eine Abhandlung dieser Art, nem- lich mit der bestaͤndigen unmittelbaren An- wendung, auf Stellen der heiligen Schrift, auf Glaubensartickel, auf polemische Wahr- heiten, auf die Kirchengeschichte angenehmer seyn duͤrfte, als eine gantz allgemeine Ab- handlung. Jm Gegentheil zeigte mir die allgemeine Abhandlung auch ihre Vortheile. Einmahl theilet sich das gantze Reich aller Wahrheiten in zwey große Theile; nemlich der allgemeinen Wahrheiten, und der histo- rischen Wahrheiten. Jene sind mit den schoͤnsten Regeln in der Logick versehen: jeder erlernet solche Regeln: man siehet sie als das Leben Vorrede. Leben der Gelahrheit an: man haͤlt denjeni- gen vor einen verdorbenen Gelehrten, der sich niemahls mit ihnen bekannt gemacht hat. Sollten die historischen Wahrheiten, die in den hoͤhern Facultaͤten ein so großes Stuͤck ausmachen, nicht gleiches Recht geniessen, in Regeln gefasset zu werden? und sollten diese Regeln nicht ebenfalls die Gelahrheit, obgleich auf eine neue Art befoͤrdern, aufklaͤren und erleichtern? Meines Orts bin davon voͤllig uͤberzeugt, und eine solche Ueberzeugung wird mich bey allen billigen Lesern ohnschwer recht- fertigen, daß ich lieber eine allgemeine Ge- schichtswissenschaft der Welt liefere, die zufoͤr- derst der Gottesgelahrheit gute Dienste thun kan, als daß ich eine Abhandlung habe liefern wollen, die bloß der Gottesgelahrheit gewid- met gewesen waͤre. Um eben den Einfluß der in diesem Buche abgehandelten Wahrheiten in die Gottesge- lahrheit, und besonders auch in die Dogma- tick, nur etwas zu erlaͤutern, so will folgen- den Satz meinen Lesern zur Erwegung vor- legen. Jch sage: alles, was bey der Ge- schichtserkenntniß ausser der Theologie, wie im kleinen vorkommt, dasselbe trifft man in der Vorrede. der Offenbarung im großen, und in der An- wendung auf viel hoͤhere und herrlichere Ge- genstaͤnde an. Exempel sollen diese Wahr- heit bestaͤtigen. Die gemeinen Weltgeschich- te gehen doch nur mit Thaten der Men- schen um, die Offenbarung aber mit den großen Thaten Gottes; jene bestehen hoͤch- stens aus seltenen Begebenheiten, diese aber lehret uns die groͤßten Wunderthaten: jene bestehet und beruhet auf Zeugnissen der Menschen; diese aber beziehet sich sogar auf Zeugen im Himmel: jener ihre Zierde sind geheime Nachrichten; diese aber zeigt uns hohe und goͤttliche Geheimnisse: jene beschaͤfftiget sich mit Anschlaͤgen der Men- schen; diese aber vornehmlich mit den ewi- gen Rathschluͤssen Gottes, die Seligkeit der Menschen betreffend: jene bestehet aus Tha- ten und Begebenheiten, die in die Augen der Menschen fallen; diese haͤlt eine große Menge von Begebenheiten des Hertzens, sowohl der Frommen, als der Boͤsen, in sich: in jener finden wir Denckmahle der mensch- lichen Thaten; in der Offenbarung aber Denckmahle der goͤttlichen Wunder: in jenen beziehet man sich oft auf Brief und Siegel; in dieser werden uns Siegel der goͤtt- Vorrede. goͤttlichen Verheissungen und Gnade, an den Sacramenten, ja eine Versiegelung der Glaͤubigen gewiesen, u. s. w. Nun urtheile ich also: Wer von den goͤttlichen Tha- ten, von den Wundern Gottes, von himm- lischen Zeugnissen und Zeugen, von goͤttlichen Rathschluͤssen, von Geheimnissen, von Bege- benheiten und Geschichten des Hertzens, von Denckmahlen der goͤttlichen Wercke, von den Siegeln der goͤttlichen Verheissungen, han- deln, und diese hohe Wahrheiten vertheidigen und anpreisen soll, der wird solches viel leichter, ausfuͤhrlicher und gruͤndlicher thun koͤnnen, wenn er uͤberhaupt von der innern Beschaffenheit der Thaten, der Zeugnisse und Zeugen, der Denckmahle, der Siegel, der Geheimnisse, der Rathschlaͤge, u. s. w. gruͤnd- lich unterrichtet ist, als wenn er von allen diesen Dingen keine weitere Erkenntniß hat, als diejenige, die jederman im gemeinen Le- ben, bloß aus Exempeln, ohne weiteres Nach- dencken erlanget. Von allen diesen Dingen aber gruͤndlich zu handeln, ist eben das eigene Werck der allgemeinen Geschichtswissenschaft, die unsere Leser hierdurch in die Haͤnde gelie- fert bekommen. Doch Vorrede. Doch ich bemuͤhe mich vielleicht mehr, als noͤthig ist, die Anwendung der hier vorgetra- genen deutlichen Begriffe bey hoͤhern Wahr- heiten, und besonders bey den geoffenbarten, darzustellen. Wenigstens ist zu besorgen, daß ich daruͤber die Graͤntzen einer Vorrede schon uͤberschritten habe. Und diese Besorg- niß haͤlt mich vollends ab, von der Anwen- dung derselben bey andern Arten der Gelahr- heit, auch nur ein weniges zu sagen. Der Gebrauch, den einige gelehrte Goͤnner davon zu machen willens sind, denen ich den Grund- riß dieser Wissenschaft schon vor einiger Zeit mitgetheilet habe, wird die Sache am klaͤrsten bestaͤtigen. Und die tieffe Einsicht, welche ich von dem mehresten Theil meiner Leser ver- muthen kan, uͤberhebt mich vollends der Nothwendigkeit, in der Vorrede weitlaͤuftig zu seyn. Sie werden an dem Nutzen nicht zweifeln, woferne sie nur versichert sind, daß Wahrheiten in diesem Buche vorgetragen sind. Und damit sie zu verwahren, bin ich aͤusserst beflissen gewesen. Ja! mein einiger Wunsch gehet dahin, daß durch die ange- stellten Untersuchungen manches Vorurtheil, manche Verwirrung, mancher Jrrthum moͤge gehoben werden, welcher bisher ungepruͤft durch- Vorrede. durchgegangen ist; und also in dem Verstan- de der Menschen den Fortgang der Erkennt- niß gehindert, ja dem Glauben wohl selbst zum Anstoße gereichet hat. So wird denn auch durch diese meine geringe Arbeit, die Ehre des Hoͤchsten befoͤrdert, und manchem Feinde der Wahrheit Zaum und Gebiß in den Mund geleget werden. Geschrieben auf der Friedrichsuniversitaͤt zu Erlangen den 22ten Sept. 1751. Erstes Erstes Capitel, Von der historischen Erkentniß uͤberhaupt. §. 1. Die Menschen stellen sich die Begebenheiten der Welt auf eine besondere Art vor. D a die Welt nichts anders, als eine un- begreifflich grosse Menge, oder Reyhe, von lauter endlichen und eingeschrenckten Wesen ist; so muͤssen in dersel- ben, und in allen ihren grossen und kleinen Thei- len unaufhoͤrlich Veraͤnderungen vorgehen. Gleichwie nun der unendliche Geist, und das hoͤchste Wesen sich dieselben insgesamt auf das allerdeutlichste vorstellet; also treffen wir bey de- nen mit Verstand begabten Geschoͤpfen, oder end- lichen Geistern, ebenfals eine Krafft an, sich die A Welt Erstes Capitel, Welt mit ihren Veraͤnderungen, jedoch auf eine gantz andere und eingeschrenckte Art, vorzustel- len: indem sie weder alle Veraͤnderungen oder Be- gebenheiten erkennen, noch sich dieselben auf ein- mahl, und in ihrer gantzen Verbindung vorstel- len koͤnnen. Und da jede Art der endlichen Gei- ster eine besondere Art haben muß, sich die Welt vorzustellen, so ist uns zu wissen besonders noͤthig, wie der Menschen ihre Erkentniß von denen Veraͤnderungen der Welt beschaffen ist. §. 2. Was die historische Erkentniß ist? Wenn wir die Wircklichkeit einer Sache, wel- che fortdauret, anzeigen wollen, so sprechen wir: sie ist. Z. E. die Sonne ist: Es ist Friede: auf dem Felde sind Steine. Wenn wir aber Sachen anzeigen wollen, welche entweder gantz, oder in ihren Theilen augenblicklich vergehen: so sprechen wir: sie geschehen. Z. E. es geschie- het eine Schlacht: es geschiehet ein Donner- schlag. Die Erkentniß der Dinge, welche sind oder geschehen, wird zusammen genommen die Historische Erkentniß genennet. §. 3. Was Begebenheiten und Umstaͤnde sind? Eine Veraͤnderung in der Welt, in ihrer Wircklichkeit, und vor sich betrachtet, heisset eine Begebenheit. Wenn man nehmlich eine Sa- che abgebrochen erzehlet, so spricht man gemeini- glich: es begab sich. Eben dieselben Dinge werden aber auch sowohl Veraͤnderungen als Bege- von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. Begebenheiten genennet; nachdem man sie ent- weder vor sich, oder aber in der Verbindung mit dem vorher gegangenen betrachtet. Eine Sache die da ist, welche entweder in dem Begriff einer andern enthalten ist, oder wenigstens damit zu- sammenhanget, und ihr gleichsam an die Seite gesetzet ist: heisset ein Umstand. Eine Bege- benheit, die die Folge einer andern aͤndert, heis- set ein Zufall. §. 4. Was ein historischer Satz ist? Wenn wir bey einer Begebenheit gegenwaͤr- tig sind, und wir uns derselben bewust sind, so entstehet in unserm Verstande ein Urtheil. Ein Urtheil pflegt gemeiniglich uns der Worte zu er- innern, wodurch man solches ausdrucken koͤnte. Wenigstens, wenn wir unsere Vorstellung von einer Begebenheit andern bekannt machen wollen, so brauchen wir Worte dazu, und suchen solche, wodurch sich unser Urtheil geschickt ausdrucken laͤsset. Ein Satz, dadurch eine Begebenheit, oder unser Urtheil von der Begebenheit ausge- druckt wird, wollen wir einen historischen Satz nennen. §. 5. Was wir eine einige Begebenheit heissen? Gleichwie jeder eintzelne Satz nur ein einiges Praͤdicat haben soll; also soll auch durch einen historischen Satz nur eine einige Begebenheit ausge- druckt werden. Wir muͤssen daher genauer be- stimmen, was eine einige Begebenheit sey? A 2 Die Erstes Capitel, Die Begebenheit ist nehmlich eine Veraͤnderung in einem vorhandenen Dinge (§. 3.). Wenn ich nun in einer vorgehenden Veraͤnde- rung, durch die blosse Aufmercksamkeit nichts weiter unterscheide, so wird die Veraͤnderung als eine einige angesehen. Z. E. man siehet es blitzen. Die Veraͤnderung ist das helle Licht, welches auf einmahl entstehet. Wie man nun darinne, wegen der grossen Geschwin- digkeit, nichts durch die Aufmercksamkeit unter- scheiden kan, also ist ein geschehener Blitz eine Begebenheit. Ein Ziegel faͤllt vom Dache: auch hier ist wegen der Geschwindigkeit wenigstens in manchen Faͤllen, nichts zu unterscheiden: daher ist dieser Fall eine Begebenheit. §. 6. 1. Art, viele Begebenheiten als eine an- zusehen. Wenn eine Reyhe von aͤhnlichen Ver- aͤnderungen unmittelbar auf einander er- folgen, so werden dieselben zusammen als eine Begebenheit angesehen. Z. E. Ein an- haltender Donnerschlag ist eine anhaltende, oder welches einerley ist, eine vielfache Erschuͤtterung der Lufft. Man kan aber dieselben unmittelbar auf einander erfolgende Erschuͤtterungen nicht von einander unterscheiden; daher wird ein noch so lange anhaltender Donnerschlag, zumahl wenn sich der Klang selbst nicht aͤndert, als eine Bege- benheit angesehen. §. 7. von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. §. 7. 2. Art, viele Begebenheiten als eine anzusehen. Eben so, wenn eine Reyhe von aͤhnlichen Veraͤnderungen neben einander zugleich entstehet, so werden sie ebenfals als eine Begebenheit an- gesehen. Ein Regiment Soldaten z. E. giebt auf einmahl Feuer; hieraus entstehet ein lang aus- gedehnter Rauch, den man aber vor eine Sache ansiehet. §. 8. 3. Art, viele Begebenheiten als eine anzusehen. Wenn Veraͤnderungen in einer gewissen Ord- nung auf einander erfolgen; so werden dieselben (ob man sie gleich von einander unterscheiden koͤn- te, auch wohl gar wircklich unterscheidet,) als ei- ne Veraͤnderung, und mithin als eine Begeben- heit angesehen. Ein Aufzug und Proceßion, so lang dieselbe auch immer seyn mag, wird von al- len als eine einige Sache angesehen; nehmlich die Ordnung, die die Personen unter einander und im Aufziehen beobachten, macht sie zu einer Sache. Siehet man einer Proceßion aber von ferne zu, wo man die Partheyen, woraus sie bestehet, oder we- nigstens eintzelne Personen nicht mehr unterschei- den kan; so wird ihr Aufzug nach dem 6. §. als eine einige Begebenheit angesehen. §. 9. 4. Art, viele Begebenheiten als eine anzusehen. Wenn viele Veraͤnderungen, entweder zu- gleich, oder nach einander in einerley Absicht ge- A 3 schehen, Erstes Capitel, schehen, so machen sie zusammen eine Begeben- heit und eine Veraͤnderung aus. Wie viele Hand- lungen werden nicht unter dem Worte: der Aus- richtung einer Hochzeit begriffen? wie vielerley gehoͤrt nicht zu einer Kriegsruͤstung? Nehmlich so vielerley Handlungen werden bloß wegen der gemeinschafftlichen, oder einerleyen Absicht, als eine Begebenheit betrachtet. §. 10. 5. Art, viele Begebenheiten als eine anzusehen. Wenn viele Veraͤnderungen unter einem moralischen oder physicalischen Begriffe enthalten sind, der dem Zuschauer bekant ist, so gehoͤren dieselben zu einer Art, und werden daher als ei- ne Begebenheit angesehen. Z. E. Streitlieb hat sehr viele Gelehrte angefochten, und seinen auf- gesuchten Gegnern fleißig geantwortet: er selbst ist von vielen angegriffen worden, und ist nie- mahls iemanden etwas schuldig geblieben. Alles dieses wird seiner Aehnlichkeit wegen in einem all- gemeinem Begriffe zusammen gefasset, und man sagt kuͤrtzlich: Streitlieb habe sein Leben mit Con- troversien zugebracht. §. 11. 6. Art, viele Begebenheiten als eine anzusehen. Alle Begebenheiten, welche sich in einer, und mit einer Sache zugetragen, werden als eine Begebenheit angesehen. Denn nicht allein ihre Aehnlichkeit, daß sie zu einer Sache gehoͤren, son- von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. sondern auch, weil hier gemeiniglich eines den Grund des andern in sich enthaͤlt, macht, daß sie als eine Sache angesehen werden. Wenn man sagt: Das Leben Alexanders, Carl des grossen, Luthers, so fasset man alle Begebenheiten solcher Maͤnner in einen Begriff zusammen, und der Grund davon ist die Einheit der Person. §. 12. Allgemeine Anmerckung und Regel. Ohngeachtet also eine Begebenheit eigentlich dieienige ist, darinnen durch die blosse Aufmerck- samkeit nichts unterschieden werden kan (§. 5.): dennoch pflegen oͤffters Begebenheiten, die sich entweder der Zeit (§. 6.), oder dem Orte nach (§. 7.), oder auch durch ihre innerliche Beschaf- fenheiten (§. 9. 10. 11.) unterscheiden liessen, als eine Begebenheit angesehen zu werden; weil man sie nehmlich entweder nicht so gleich unterscheiden kan, oder auch in einer gewissen Absicht (als der Kuͤrtze halber,) nicht unterscheiden will. §. 13. Was eine Geschichte sey? Eine Reyhe von Begebenheiten wird eine Geschichte genennet. Das Wort Reyhe be- deutet allhier, wie es auch der gemeine Gebrauch desselben mit sich bringet, nicht bloß eine Vielheit oder Menge; sondern zeigt auch die Verbindung derselben unter einander, und ihren Zusammen- hang an; welcher, wie kuͤnfftig wird gezeiget werden, vielerley seyn kan. Man wird aus den vorhergehenden leichte begreiffen, wie eine Bege- A 4 benheit Erstes Capitel, benheit, wenn man sie nehmlich auswickelt, zu ei- ner Geschichte; und wiederum eine Geschichte, wenn man sie zusammen ziehet, zu einer Bege- benheit werden kan. Die Begriffe aber der Be- gebenheit, und der Geschichte, muͤssen dennoch an und vor sich selbst unterschieden bleiben. §. 14. Die Geschichte ist von der Erkentniß derselben, wie auch von der Erzehlung und Nach- richt unterschieden. Gleichwie die Vorstellung der Begebenheit von der Begebenheit selbst unterschieden ist, und durch einen historischen Satz ausgedruckt wird (§. 4.), also ist auch von der Geschichte die Er- kentniß der Geschichte zu unterscheiden. Wird nun eine Begebenheit durch ein Urtheil dem Ver- stande vorgestellt, und durch einen Satz ausge- druckt (§. 4.): so wird die Geschichte, als eine Reyhe oder Menge von Begebenheiten, durch viele Urtheile dem Verstande vorgestellt, und durch viele Saͤtze ausgedruckt werden muͤssen. Die Saͤtze, wodurch eine Geschichte ausgedruckt wird, heissen eine Erzehlung. Worte, wo- durch entweder eine Begebenheit, oder auch eine Erzehlung ausgedruckt wird, heissen uͤberhaupt eine Nachricht. Man suchet durch diese sorg- faͤltige Erklaͤrungen nicht etwa den Worten zu statten zu kommen, als wenn sie unbe- kant oder auch unverstaͤndlich waͤren, sondern es ist uns bloß um die Grundbegriffe der histo- rischen Erkentniß zu thun, welche auf das aller- genaueste von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. genaueste und auf das allerrichtigste bestimmet werden muͤssen. §. 15. Geschichte koͤnnen ohne Erzehlungen, diese aber nicht ohne jenen seyn. Begebenheiten sind Veraͤnderungen wirckli- cher Dinge (§. 4.); und Geschichte sind nicht minder wirckliche Veraͤnderungen derer wirckli- chen Dinge (§. 13.). Wie nun die wircklichen Dinge nicht noͤthig haben, daß sie durch Men- schen erkant, und von ihnen durch Worte aus- gedruckt werden; also koͤnnen Begebenheiten und Geschichte vorgehen, ohne daß eben deswegen hi- storische Saͤtze, Erzehlungen und Nachrichten daraus entstehen. Hingegen da die Erkentniß wircklicher Dinge nicht seyn kan, wenn nicht die Wircklichkeit der Dinge selbst schon vorausgesetzt wird: so koͤnnen historische Saͤtze, Erzehlungen und Nachrichten nicht statt finden, wo nicht Be- gebenheiten und Geschichte vorausgesetzt werden. §. 16. Geschichte und Erzehlungen gehoͤren zusammen. Weil historische Saͤtze, Erzehlungen und Nachrichten nicht statt finden, wo nicht die da- durch ausgedruckten Begebenheiten und Geschich- te vorausgesetzt werden (§. 15.): hingegen Be- gebenheiten und Geschichte, die uns nicht vorge- stellt werden, auch kein Vorwurff unserer Betrach- tung seyn koͤnnen; so gehoͤren zum Begebenheiten auch Erzehlungen und Nachrichten; und wieder- A 5 um Erstes Capitel, um zum Erzehlungen und Nachrichten gehoͤren Geschichte. Mithin gehoͤren diese Dinge so zusam- men, daß eins ohne das andere nicht seyn kan. Sie muͤssen aber dennoch von einander unterschieden werden; weil die historischen Schwierigkeiten bald aus der Geschichte und Begebenheit selbst, bald aber aus den Nachrichten und Erzehlungen entspringen. §. 17. Was das Wort Historie bedeute! Das eigentlich Griechische Wort: Historie, zeiget sowohl die Begebenheit an und vor sich be- trachtet, als auch die Vorstellung derselben, und die daraus erst fliessende Erzehlung an. Eben dieses Wort wird auch sowohl von denen eintzel- nen Begebenheiten und Geschichten gebraucht; wie aus den haͤufigen Exempeln klar ist. Daher ist der Begriff und die Bedeutung des Wortes: Historie sehr weitlaͤufftig; und begreifft die Be- gebenheiten, die Zufaͤlle, die historischen Saͤtze, die Umstaͤnde, die Geschichte, die Erzehlungen und Nachrichten unter sich: Das ist, alle diese verschiedenen Begriffe werden uns zusammen, und in einer grossen Verwirrung vorgestellt, wenn wir das Wort Historie brauchen. Und da diese Dinge gewisser massen zusammen gehoͤ- ren, so ist auch dienlich, daß man sie sich, wenigstens in gewissen Faͤllen zusammen vorstellt. Wir werden hingegen auch jedesmahl, wo es noͤthig ist, jedes ins besondere mit seinem eigenen Nahmen benennen. §. 18. von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. §. 18. Geschichte muͤssen ein gewisses Subject haben. Die Begebenheiten, und mithin auch die Geschichte sind Veraͤnderungen (§. 3. 13.) Ver- aͤnderungen setzen ein Subject, ein dauerhafftes Wesen oder Substantz voraus. Folglich muͤssen 1. die Begebenheiten und Geschichten ein Sub- ject haben, dahin dieselben gehoͤren. Und so muͤs- sen 2. auch die historischen Saͤtze, Erzehlungen und Nachrichten, jedesmahl ihr Subject haben, dessen Veraͤnderungen darinnen vorgetragen wer- den. Nur, daß einmahl das Subject einer Sub- stantz aͤhnlicher siehet und uns vorkomt, als das andere mahl. Die Geschichte Caͤsars haben ihr ungezweifeltes und zwar einiges Subject: inglei- chen die Historie von Rom. Aber die Historie der Roͤmischen Freyheit, die Historie der En- thusiasterey hat ein Subject, welches nicht von jedem sogleich als was substantielles duͤrffte ange- sehen werden. §. 19. Wie sie mehrere Subjects haben koͤnnen? Weil endliche Dinge mit andern endlichen, und mithin veraͤnderlichen Dingen zu thun haben, so gehoͤren die Begebenheiten des einen oͤffters mit zu den Begebenheiten des andern: Wie die Geschichte eines Menschen gemeiniglich etwas von den Geschichten ihrer Eltern und ihrer Kinder in sich fassen. Daher komt es nun, daß die Thei- le einer Geschichte, nicht allemahl ein Subject ha- ben, Erstes Capitel, ben, sondern auch offt von gantz verschiedenen Dingen handeln. §. 20. Art des Subjects. Die Veraͤnderungen wechseln ab, da unter- dessen das Subject der Begebenheiten, und der Geschichte, bestaͤndig fortdauert. Dannenhero ge- hoͤret das Subject jeder Begebenheit, Veraͤnde- rung, Geschichte, Erzehlung und Historie unter die Dinge welche sind (§. 2.). §. 21. Wo die Erkentniß einer Geschichte anfaͤngt. Das Subject einer Veraͤnderung und Bege- benheit gehoͤret unter die Dinge, welche sind (§. 20). Es ist aber auch zugleich das Subject des histori- schen Satzes, wodurch die Begebenheit ausge- druckt wird. Da nun das Subject eines Satzes eher erkant wird, als sein Praͤdicat; so muß das Subjectum der Begebenheit und Geschichte eher erkant seyn, als die Begebenheit selber. §. 22. Die Erkentniß der Geschichte hat zwey Objecte. Ein historischer Satz bestehet theils aus der Erkentniß des Subjects, theils aus der Erkent- niß der Veraͤnderung (§. 18.): Das Subject gehoͤret unter die Dinge, welche sind (§. 20.): und die Veraͤnderung hingegen unter die Dinge, welche geschehen (§. 2.). Daher 1. ist in jedem historischen Satze die Erkentniß eines Dinges, wel- von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. welches ist, mit der Erkentniß einer Sache ver- bunden, die geschiehet. Weil aber die Erkent- niß des Subjects voraus gesetzet wird, und die Erkentniß der Begebenheit, oder Praͤdicats dar- auf folget (§. 21.): so 2. richtet sich die Einsicht in die Veraͤnderungen eines Dinges, nach der Erkentniß, die wir von der Sache an und vor sich betrachtet haben. Z. E. der Gelehrte hat gleich eine andere Jdee vom Monde, wie solcher be- staͤndig aussiehet, als der gemeine Mann: und nach dieser verschiedenen Erkentniß entstehen auch ver- schiedene Vorstellungen, wenn sich eine Finster- niß, ein Monden-Hoff, oder sonst etwas nicht alltaͤgliches damit begiebet. §. 23. Die Erkentnisse der Dinge welche sind und ge- schehen, gehoͤren zusammen. Weil sich die Erkentniß der Veraͤnderungen eines Dinges, nach der Erkentniß richtet, die man von dem Dinge selbst hat (§. 22.): dieses Ding aber unter diejenigen gehoͤret, welche sind (§. 20.): so kan 1. man von der Erkentniß der Weltbegeben- heiten nicht Rechenschafft geben, wenn man nicht weiß, was es vor Beschaffenheit habe, mit den Dingen, welche sind. Wie nun die Erkentniß der Dinge, welche sind und geschehen, die histo- rische Erkentniß ausmachen (§. 2.): also siehet man 2. daß man den einen und bekantesten Theil der Geschichte, der nehmlich die geschehene Dinge betrifft, nicht wohl ohne dem andern, durch eine brauchbare Theorie erlaͤutern koͤnne. §. 24. Erstes Capitel, §. 24. Jede Historie erfordert einen Zuschauer. Die Geschichte werden zu Erzehlungen und Nachrichten, wenn man sich dieselbe vorstellt, und durch Worte ausdruckt (§. 14.): und die Histo- rie begreifft alles dieses in sich (§. 17.). Eine Historie erfordert daher eben sowohl, als jede Er- zehlung, einen Zuschauer der Begebenheit, wel- cher sich dieselbe vorgestellt, und sie in eine Er- zehlung und Historie gebracht hat. §. 25. Eintheilung der Dinge, welche geschehen. Die Dinge, welche geschehen, haben unter sich eine grosse Abtheilung: theils sind sie ge- schehen; theils werden sie geschehen: jenes heissen vergangene, dieses zukuͤnftige Dinge. Man koͤnte nun zwar bey der historischen Erkent- niß, die dritte Art, nehmlich die gegenwaͤrti- gen Dinge, als die wichtigsten und betraͤchtlich- sten ausehen: allein weil dasjenige, was geschie- het, augenblicklich geschiehet, und mithin indem und so lange es geschiehet, keine besondere Be- trachtung und Ueberlegung leidet, als worzu Zeit erfordert wird: so wird die historische Erkentniß gemeiniglich davor angesehen, als ob sie bloß auf vergangene und zukuͤnftige Dinge gerichtet waͤre. §. 26. Zukuͤnfftige Dinge gehoͤren zum Geschichten. Die Erkentniß der vergangenen Dinge wird im gemeinen Leben vor die gantze historische Erkent- von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. Erkentniß angenommen; weil sie nehmlich den groͤsten Theil derselben ausmachet. Es ist aber bekant, daß unsere Eintheilungen der Sachen und unserer Erkentniß, die wir im gemeinen Leben brauchen, nicht allemahl geschicklich abgefasset sind. Wir folgen allda der Regel: a potiori fit deno- minatio. Und dieses trifft bey dem Begriff der historischen Erkentniß ein. Denn ohngeachtet die Erkentniß des Zukuͤnfftigen gegen die Erkentniß des Vergangenen sehr enge und kurtz gesasset ist; so haben wir doch mancherley Einsicht ins Zukuͤnff- tige, nicht allein durch die Offenbarung, sondern auch in der Astronomie und in buͤrgerlichen Ge- schaͤfften. Die Artzneykunst hanget von dieser Erkentniß so starck ab, daß der Artzt nicht weni- ger seine Aufmercksamkeit aufs Kuͤnfftige, als auf den gegenwaͤrtigen Zustand des Patienten zu richten hat. Und daher muß in der Vernunfft- lehre der Geschichte, dieser Begriff allerdings so weitlaͤufftig gefasset werden, daß er das Zukuͤnff- tige unter sich begreiffet. §. 27. Zusammenhang der Willensmeinungen und der Historie. Wenn wir etwas wollen, so betrifft es alle- mahl etwas zukuͤnfftiges: wir stellen uns nehmlich mancherley moͤgliche Dinge vor, welche kuͤnfftig zur Wircklichkeit gelangen koͤnnen: was uns nun darunter am besten gefaͤllt, dabey bleiben wir ste- hen, und dasselbe wollen wir. Die Erkentniß demnach, woraus unser Wollen entstehet, ge- hoͤret Erstes Capitel, hoͤret zur historischen Erkentniß (§. 25.): und man kan von der Beschaffenheit unsers Wollens nicht Rechenschafft, wenigstens nicht genaue Re- chenschafft geben, wenn man nicht von der Be- schaffenheit der historischen Erkentniß unterrich- tet ist. §. 28. Viele Arten der Dinge, die von der histori- schen Erkentniß abhangen. Jm gemeinen Leben ist nicht sowohl der all- gemeine Begriff der Willensmeinungen, als viel- mehr die Arten derselben bekant, als da sind: Befehle, Gesetze, Versprechungen, Pacte, Drohungen, Verheissungen u. s. w. Was wir aber von den Willensmeinungen uͤber- haupt gewiesen haben (§. 27.), daß sie sich auf historische Saͤtze gruͤnden, und daß man von ih- rer innerlichen Beschaffenheit nichts erweisen kan, ohne die historische Erkentniß voraus zu setzen, das gilt auch von allen ihren angesuͤhrten Arten. Man kan nehmlich die Beschaffenheit der Befeh- le, Gesetze, Versprechungen, Pacten, Verheis- sungen, Drohungen u. s. w. nicht recht einsehen, wenn nicht die Beschaffenheit der historischen Er- kentniß vorher in ein helles Licht gesetzet worden. §. 29. Rechtsgelahrheit und historische Erkentniß werden verglichen. Da die Jurisprudentz mit lauter buͤrgerli- chen Gesetzen zu thun hat, welche, wie offenbar, Gesetze, und mithin Willensmeinungen sind; die Erkent- von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. Erkentniß und tieffere Einsicht aber der Willens- meinungen von der historischen Erkentniß abhan- get (§. 27.): so ist nicht zu zweifeln, daß die Rechtsgelahrheit aus einer gruͤndlichen Abhand- lung der historischen Erkentniß einen betraͤcht- lichen Vortheil erhalten werde. Man wird wi- der diesen Beweis nichts einwenden koͤnnen, man muͤste denn glauben, daß die Beschaffenheit der historischen Erkentniß an und vor sich, auch oh- ne Regeln, so so klar und bekant waͤre, daß es keiner Anweisung und besondern Wissenschafft da- bey beduͤrffe; welches aber durch diese gantze Ab- handlung wird widerlegt werden: worinnen die Lefer gar vielerley Betrachtungen antreffen wer- den, welche bis hieher noch niemahls sind gemacht worden, und wodurch man vielen Vorurtheilen begegnen kan, die sich bey der historischen Erkent- niß aus Ermangelung der Regeln eingeschlichen haben. §. 30. Weissagungen sind eine Art von Geschichten. Gewisse und zuverlaͤßige Nachrichten von kuͤnfftigen Dingen, die sich aber doch nicht durch Schluͤsse aus dem gegenwaͤrtigen erweisen lassen, werden Weissagungen oder Prophezeyungen genennet. Es ist klar, daß dieselben sowohl auf Seiten dessen, der sie vortraͤgt, als auf Seiten dessen, der dadurch benachrichtiget wird, zur hi- storischen Erkentniß gehoͤren (§. 14. 25.). Je begieriger der Mensch ist, kuͤnfftige Dinge zu wis- sen, desto mehr und lieber beschaͤfftiget er sich mit B Weis- Erstes Capitel, Weissagungen, wenn dergleichen vorhanden sind. Man siehet solches nicht allein daraus, daß so gar die eitelsten Ausspruͤche von kuͤnfftigen Dingen, welche gar nicht den ehrwuͤrdigen Nahmen der Weissagungen verdienen, dennoch bey vielen Per- sonen eine grosse Aufmercksamkeit verursachen; sondern auch daraus, daß die wahren Weissagun- gen, welche in der heiligen Schrifft anzutreffen sind, fast bey allen Lesern eine Begierde erwecken, noch mehr, und die Sachen umstaͤndlicher zu wissen, als da stehet. Was sich aber auch an de- nen so genanten Auslegungen vor Fehler befin- den, ist mehr als zu bekant. Wollte man nun sowohl einen unzeitigen Vorwitz zu daͤmpfen, als auch, wo es moͤglich, tieffer in den Verstand der goͤttlichen Weissagungen einzudringen Regeln er- finden; so koͤnnen diese nirgends anders, als aus den allgemeinen Eigenschafften der historischen Er- kentniß hergeleitet werden. Ohngeachtet wir al- so hier nicht von den Weissagungen handeln wer- den, so ist doch zuverlaͤßig abzusehen, daß die vor- zutragenden Lehren auch dem exegetischen Capitel, von Weissagungen, nicht geringen Nutzen ver- schaffen werden. §. 31. Fabeln und Geschichte werden mit einan- der verglichen. Fabeln sind eine Nachahmung der Geschich- te, welche die Einbildungskrafft, oder vielmehr die Dichtkunst hervorbringet. Bey ihnen ist die Wahrscheinlichkeit dasjenige, was bey den Geschich- von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. Geschichten die Wahrheit ist, nehmlich ihre vor- nehmste Tugend. Jm uͤbrigen sind sie denen Ge- schichten aͤhnlich. Die ungeschickten Fabeln, wel- che dann und wann zum Vorschein kommen sind, haben Gelegenheit gegeben, auf Regeln zu den- cken, wornach man Fabeln verfertigen, oder we- nigstens beurtheilen koͤnte. Es ist aber nicht zu zweifeln, daß durch die Erklaͤrung der wahren Geschichte, oder der eigentlichen historischen Er- kentniß auch die Beschaffenheit der Fabeln erlaͤu- tert werde. Und wie leicht pflegt nicht auch de- nen wahren Geschichten etwas fabelhafftes ange- klebet zu werden? Wie offte beschuldiget man nicht auch wahrhaffte Geschichte eines fabelhafften Ansehens? alles dieses macht die Erkentniß der historischen Wahrheit uͤberhaupt noͤthig. §. 32. Einfluß der Historie in die Beredsamkeit. Die Beredsamkeit hat mit lauter eintzelnen Wahrheiten, oder mit Geschichten zu thun. Die drey Arten der Reden, demonstratiuum, deli- beratiuum und iuridiciale, welche die alten Leh- rer der Beredsamkeit gesetzt haben, gehen mit nichts anders um, als mit historischen Saͤtzen. Doch laͤugne ich nicht, daß sowohl alte, als be- sonders unsere neuen Redner, ihre Beredsamkeit auch bey allgemeinen Wahrheiten angewendet haben; ja daß man sie jetzo hauptsaͤchlich dabey anwendet. Carneades hat zu Rom die Gerech- tigkeit an dem einem Tage mit allgemeinem Beyfall gelobt, und sie den andern Tag wieder laͤcherlich B 2 gemacht. Erstes Capitel, gemacht. Doch wenn man auf den Vortrag die- ser Redner genauer achtung giebt, so wird man bald mercken, daß, indem sie die allgemeinen Wahrheiten lebhafft vortragen wollen, sie uͤberall Metaphorn, Gleichnisse, Exempel brauchen, Per- sonen redend einfuͤhren, und die Eigenschafften der Dinge in besondere Wesen verwandeln; wel- ches alles aus der historischen Erkentniß genom- men ist. Wann daher die Beredsamkeit, auch wo sie mit allgemeinen Wahrheiten umgehet, sich dennoch mit der historischen Erkentniß beschaͤffti- get; so kan man wohl sicher uͤberhaupt schluͤssen, daß die historische Erkentniß in dieselbe den groͤ- sten Einfluß habe. Und dieses wuͤrde sich noch deutlicher zeigen, wenn man in der Redekunst nicht wie bisher, bloß die Beschaffenheit der groͤs- sern Theile einer Rede, sondern auch die klei- nern, ja die kleinsten, in Betrachtung zu ziehen anfinge. §. 33. Einfluß der Historie in die Poesie. Eben die Bewandniß hat es mit den Ge- dichten. Sie sind theils gemahlte Geschichte, theils gemahlte Fabeln, theils aus beyden zu- sammengesetzt. Die poetische Mahlerey selber bestehet aus einer Menge kleiner Umstaͤnde und Begebenheiten, welche augenscheinlich zur Histo- rie gehoͤren. Wollte man in einem Gedichte allgemeine Wahrheiten vortragen, ohne ei- ne Menge von Geschichten zu Huͤlffe zu nehmen, so wuͤrde solches gewiß ausser den Reim und von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. und das Sylbenmaaß nichts Poetisches an sich haben. Kurtz, die Gedichte gehoͤren nicht allein zur historischen Erkentniß, sondern halten auch so gar das allerfeinste von der historischen Erkent- niß in sich. §. 34. Einfluß der Historie in die Critick. Die Critick wird in so mannigfaltiger Be- deutung genommen, daß es schwer werden wird, dem Worte iemahls eine bestimte Bedeutung zu verschaffen: Man mag sie aber in einem so weit- laͤufftigen Verstande nehmen, als man immer will, so erstrecket sich doch ihre Herrschafft nicht weiter, als uͤber historische Dinge. Hingegen mag man auch eine so enge Bedeutung dieses Wortes annehmen, als man nur will, so wird man doch allemahl mit einem Stuͤcke der histori- schen Erkentniß zu schaffen haben. Man urtheilt nehmlich uͤber historische und poetische Schrifften, uͤber Reden, ob sie nach der Sprachkunst unta- delhafft; ob sie vollstaͤndig, ob sie schoͤn geschrie- ben? ob sie dem vorgeblichen Verfasser zukom- men, oder untergeschoben sind? ob sie gantz, oder mit Fehlern in unsere Haͤnde gekommen? und wie diesen abzuhelffen sey? Alles dieses ist histo- risch; und eine blosse Anwendung der allgemei- nen Beschaffenheit historischer Dinge auf eintzelne Faͤlle. Daher ist klar, daß die Critick uͤberhaupt, und in allen ihren Theilen, durch die allgemeinen Regeln der historischen Erkentniß muͤsse erkannt, erklaͤret und bewiesen werden: woferne man nicht B 3 unter Erstes Capitel, unter dem Titul der Critick ein Befugniß, den andern nach seinem Duͤnckel und Eigensinn zu ta- deln, und mit einer alten Schrifft nach seinem Gefallen zu schalten und zu walten, verstehen und einfuͤhren will. §. 35. Einfluß der Historie in die Gottes- gelahrheit. Die Gottesgelahrheit hat mit der histo- rischen Erkentniß mehr zu schaffen, und ist mit derselben genauer verbunden, als man sich gemei- niglich einbildet. Jhr Grund ist die heilige Schrifft. Betrachtet man den Jnhalt derselben, so faͤllt es gleich in die Augen, daß eine recht grosse Menge derselben Geschichte sind. Gantze Buͤcher werden deswegen schlecht weg darinnen die histori- schen Buͤcher genennet. Die Prophezeyungen sowohl altes als neuen Testamentes, sind ohne Zweifel denen historischen Wahrheiten beyzuzeh- len. Jm uͤbrigen finden wir durchgaͤngig die schaͤrfsten Gesetze, Ermahnungen, Verheissungen und Drohungen, welche mit der Historie eine ge- naue Verbindung haben (§. 28.). Das Ev- angelium ist gleich seiner Benennung nach, ei- ne gute Bothschafft, oder eine erfreuliche Nachricht. Selbst die Gebete und Bitten, der- gleichen in der Schrifft in Menge vorkommen, gehoͤren zur historischen Erkentniß (§. cit. ). Kan man also wohl zweifeln, daß eine genauere Er- kentniß von der Beschaffenheit der historischen Er- kentniß uͤberhaupt, eine gute Einleitung zum Ver- stande von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. stande sehr vieler Stellen der heiligen Schrifft ge- ben werden? oder wird dieselbe nicht vielmehr hoͤchst noͤthig seyn? §. 36. Was die allgemeine Betrachtung der histori- schen Erkentniß denen Geschichten nutzet? Endlich und vornehmlich, die Erkentniß der Geschichte selbst beruhet zwar hauptsaͤchlich auf vielen und guten Urkunden und Nachrichten; und wenn sie darinnen klar und deutlich vorgetragen werden, so kan man sie gar wohl erlernen und verstehen, ohne eben mit einer allgemeinen Ein- leitung zur historischen Erkentniß versehen zu seyn. Allein, haben wir auch allemahl die Nachrichten in der Beschaffenheit, wie sie in Absicht auf den blossen Unterricht beschaffen seyn sollten? Finden wir nicht oͤffters an statt der trockenen Erzeh- lungen, woraus eigentlich die Geschichte erlernet werden sollten, nur sinnreiche Beschreibungen und Nachrichten, woraus die wahre und eigent- liche Beschaffenheit der Sache, gleichsam als aus einer Huͤlle erst ausgewickelt und ausgelegt werden muß? finden wir nicht oͤffters statt deut- licher Nachrichten nur dunckele? und erlernen wir nicht vieles so gar nur aus Spuren? Bey allen diesen Stuͤcken sind gewiß allgemeine Re- geln der historischen Erkentniß noͤthig; woferne man sie unter einander verstehen, und vor sich selbst nicht nach einem blossen Gutduͤncken verfah- ren will. Erfordert nicht ferner die Gewißheit B 4 der Erstes Capitel, der historischen Erkentniß uͤberhaupt, eine allge- meine Betrachtung? Und die historische Wahr- scheinlichkeit wird vollends niemahls eine ver- nunfftmaͤßige Gestalt bekommen, wenn man sie nicht aus einer allgemeinen Betrachtung der hi- storischen Erkentniß herleitet? Unsere Ausfuͤh- rung davon wird solches augenscheinlich beweisen. Wir verlangen daher gar nicht, die Geschichte, die man bisher ohne alle Kunstlehren erkannt hat, durch unsere Wissenschafft in weit aussehende spe- culationes zu verwandeln. Wir wollen nur das Schwere, und Dunckele, woruͤber die Gelehrten einander bisher gar nicht haben bedeuten koͤnnen, deutlich machen. Dieses kan aber nicht gesche- hen, ohne die gantze Materie bis auf den Grund untersucht zu haben. §. 37. Weitlaͤufftiger Umfang der historischen Erkentniß. Da sich nun aus der Natur der Rechtsge- lahrheit (§. 29.), der Beredsamkeit (§. 32.), der Poesie (§. 33.), der Fabeln (§. 31.), der Critick (§. 34.), der Weissagungen (§. 30.), der Gottesgelahrheit (§. 35.), der Geschichte (§. 37.), ja auch der Artzneykunst (§. 26.) veroffenbaret, wie weitlaͤufftig sich die historische Erkentniß, un- ter vielerley Nahmen, und Gestalten, mittelbar und unmittelbar, erstrecke; so laͤsset sich leichte ermessen, daß alle eintzelne Puncte der histori- schen Erkentniß einer besondern und gruͤndlichen Betrachtung wuͤrdig sind; weil jeder Punct, wenn er von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. er gleich in einen oder den andern Theil unserer Erkentniß und Gelahrheit keinen Einfluß haben sollte, oder keinen zu haben scheinen moͤchte, den- noch in einem andern seinen offenbaren Nutzen haben wird. Woraus sich die Nutzbarkeit der gantzen Wissenschafft von der historischen Erkentniß von selbsten zu Tage leget. §. 38. Die Regeln der historischen Erkentniß ge- hoͤren zur Vernunfftlehre. Da sich unser Verstand so oͤffters, ob wohl unter vielerley Titeln, mit der historischen Er- kentniß beschaͤfftiget (§. 37.); so wird derselbe, wie bey andern oͤffters wiederhohlten Handlun- gen, also auch hier, nach gewissen, ob gleich nicht bekannten Regeln verfahren. Man kan aber diese Regeln, so, wie mit den Regeln der allge- meinen Erkentniß schon geschehen, deutlich er- klaͤren, aus einander herleiten; und mithin in ei- ne Wissenschafft bringen. Da nun dasjenige al- les zur Vernunfftlehre gehoͤret, was unser Ver- stand bey Erkentniß der Wahrheit zu beobachten hat: so sind die Regeln, mit der historischen Er- kentniß gebuͤhrend umzugehen, ein Stuͤck der Vernunfftlehre. §. 39. 1. Anmerckung. Wenn aber die Wissenschafft der historischen Erkentniß vor ein Stuͤck der Vernunfftlehre aus- gegeben wird, so ist dabey, um allen Mißver- stand zu vermeiden, mancherley zu beobachten. B 5 Denn Erstes Capitel, Denn so ist 1. gewiß, daß vom Aristotele an bis auf die jetzigen Zeiten, in der Vernunfftlehre hauptsaͤchlich auf das Lehrgebaͤude der allgemei- nen Wahrheiten gesehen worden; wie solches or- dentlich und gruͤndlich eingerichtet werden moͤchte; und daher ist darinnen von der Beschaffenheit der historischen Erkentniß kein ausfuͤhrlicher Unter- richt, ja fast nicht die geringste Nachricht gegeben worden; als welches nach dem Zustande der alten Philosophie nicht einmahl moͤglich war. 2. Es hat auch unser Lehrsatz nicht die Meinung, daß die bisherige Verfassung der Vernunfftlehre ge- aͤndert, und diese Abhandlung, die wir vor uns nehmen, mit jener vermengt werden solle. Selbst diese Wissenschafft setzet die Logick im bisherigen Umfange genommen, voraus: nicht allein, daß man durch dieselbe geschickt werde, die Beweise in dieser Kunst besser zu fassen; sondern sie legt auch die Begriffe und Saͤtze der Vernunfftlehre zum Grunde: indem fast alles, was in der histo- rischen Erkentniß kuͤnstlich, und denen Menschen vor den Thieren eigen ist, aus der allgemeinen Erkentniß herruͤhret; mit welcher wir schon ver- sehen seyn muͤssen, wenn wir geschickte Zuschauer der vorgehenden Veraͤnderungen, Begebenhei- ten und Geschichte abgeben wollen. §. 40. 2. Anmerckung. Es ist aber nichts gantz neues, daß man sich einen weitlaͤufftigern Begriff von der Vernunfft- lehre macht, als sich unsere Vorfahren gemacht haben. von der histor. Erkentniß uͤberhaupt. haben. Leibnitz hat schon den Gedancken ge- habt, daß, wenn man das Recht der Natur in der buͤrgerlichen und Staatsrechtslehre anwen- den wollte, so muͤste eine von der damahligen gantz unterschiedene Vernunfftlehre noch erfun- den werden. So hat man auch wahrgenommen, daß der Begriff des Wahrscheinlichen eine viel groͤssere Ausdehnung verdiene, als dieses Ca- pitel sonst in der Vernunfftlehre gehabt. Unter- dessen wenn auch diese und andere Stuͤcke noch so weitlaͤufftig abgehandelt werden, so wird doch die Vernunfftlehre, in ihren bisherigen engern Ver- stande genommen, an ihrem Werthe nichts ver- lieren, sondern sie wird in Ansehung der uͤbrigen Theile allemahl das seyn, wovor des Euclides Elemente, in Ansehung der gantzen auch hoͤhern Geometrie, angesehen werden. Zweytes Capitel, von den Begebenheiten der Coͤrper. §. 1. Coͤrper werden uns durchs Gesichte. W ir werden durch unsere Sinne, besonders durch Gesichte, viele Dinge gewahr, welche, so offte wir unsere Sinne darauf richten wollen, allemal anzutreffen sind: jedoch sind Zweytes Capitel, sind sie nicht von einerley Dauer. Die so ge- nannten Weltcoͤrper sind die allerdauerhaffte- sten: als welche, weil Menschen auf der Erde sind, gedauert haben; ausser daß die Sternse- her einen und andern Stern vermissen, der sonst gesehen worden. Die Cometen hat man, weil sie eben zu geschwinde erscheinen, und wieder unsichtbar werden, lange Zeit nicht vor Weltcoͤr- per angesehen. Auf unserer Erde sind theils eben so alte Stuͤcke anzutreffen; theils aber, besonders die kleinern, sehen wir hauffenweise entstehen und wieder vergehen. §. 2. Hauptsaͤchlich aber durchs Gefuͤhl vor- gestellt. Ohngeachtet wir fast alle Coͤrper durch die Augen entdecken, so ist es doch eigentlich das Ge- fuͤhl, wodurch wir von der Existentz der eintzeln Coͤrper ausser uns, versichert werden. Wenn wir in der Daͤmmerung etwas sehen, oder zu se- hen vermeinen, so gehen wir hin und wollen den gesehenen Coͤrper auch anfuͤhlen, um uns dadurch von seinem Daseyn zu versichern. Finden wir nichts das wir greiffen koͤnnten, so sagen wir: Es sey nichts da. Hingegen wenn wir etwas fuͤh- len, wenn wir es gleich nicht sehen, wie im stock- finstern, so zweifeln wir nicht, daß ein Coͤrper vorhanden sey? und das Sehen, wenn es hin- zukomt, hilfft uns nur genauer zu erkennen, was es vor ein Coͤrper sey? §. 3. von den Begebenheiten der Coͤrper. §. 3. Das Daseyn eines entfernten Coͤrpers wird geschlossen. Da nun das Gefuͤhl der Sinn ist, wodurch wir eigentlich von dem Daseyn eines Coͤrpers ver- sichert werden; und wir dennoch ungemein viele Dinge vor wuͤrckliche Coͤrper halten, die wir nur bloß gesehen, nie aber beruͤhrt haben, so folgt, daß wir die Existentz desrelben nicht sowohl un- mittelbar durch die Sinne, als vielmehr durch einen Vernunfftschluß, obgleich dunckeln, erken- nen, dessen Beschaffenheit wir genauer betrach- ten muͤssen. Nehmlich wir erfahren, daß Din- ge, die wir von ferne sehen, auch koͤnnen ange- ruͤhret und gefuͤhlet werden, wenn wir nur nahe genug hinzu kommen. Dieses geschiehet taͤglich und stuͤndlich so offte, daß wir bey nahe eine all- gemeine Regel daraus machen koͤnnen: was wir uns durch die Augen vorstellen, das kan auch, wenn wir nahe genug kommen, beruͤhret werden; und ist also ein Coͤrper. Die Beschaffenheit ei- nes blossen Scheines macht, daß man diese Er- fahrungsregel nicht so schlecht weg vor wahr- hafftig allgemein annehmen kan. Dem Schei- ne fehlet es gemeiniglich an der Dauerhafftig- keit. Wenn wir also etwas in der Ferne sehen, und solches bestaͤndig und lange sehen, so schluͤs- sen wir daraus, daß es ein besonderer und wahr- haffter Coͤrper seyn muͤsse; wie an des Mondes und uͤbriger Planeten und Sterne Wircklichkeit niemand zweiffelt. §. 4. Zweytes Capitel, §. 4. Jrrthum in Ansehung des Daseyns eines Coͤrpers. Man kan sich aber auch durch die Augen, oder vielmehr durch den mit dem Gesichte verknuͤpfften Schluß, betruͤgen lassen; daß man etwas vor ei- nen Coͤrper und etwas fuͤhlbares haͤlt, welches es doch nicht ist. Ein gantz Einfaͤltiger kan doch wohl die Personen, die er im Spiegel siehet, vor wirckliche Personen ansehen; und zu ihnen nahen wollen. Wenn man sonsten so offte Ruͤstungen und Kriegsheere in der Lufft gesehen hat; so mag solches von einer zwiefachen Wirckung der Ein- bildungskrafft hergeruͤhret haben, die sich theils den wahrhafften Schein anders gedichtet, als er an sich gewesen, theils aber, nach den nicht all- gemeinen Foͤrdersatz (§. 3.) diesen Schein in ei- nen wircklichen Coͤrper verwandelt hat. §. 5. Seyn und Schein eines Coͤrpers. Da wir nun Vorstellungen durch die Augen von Sachen haben koͤnnen, die nicht fuͤhlbar, und mithin nicht Coͤrper sind (§. 2.); sondern nur ei- ne Wirckung anderer Coͤrper: so muͤssen wir auch in der Vorstellung wircklicher Coͤrper den Schein von dem Seyn unterscheiden. Der Schein ist was uns von den Coͤrpern in die Augen faͤllet: das Seyn, oder die Wircklichkeit der Coͤrper be- stehet darin, daß er fuͤhlbar ist. Die Beschaf- fenheit des Scheins ist in der Optick auf das treflichste allbereit erklaͤret worden. Noch allge- meiner von den Begebenheiten der Coͤrper. meiner solches abzuhandeln und zu zeigen, wie man auf den Verdacht des blossen Scheins kom- men koͤnne, und solle, gehoͤret in die Theorie der Phaͤnomenen, wie wir den Grundbegriff da- von gelegt haben in der Philosophia noua defi- nitiua C. II. Def. §. 6. Unterschied des Anblicks und Anschauens. Eine sehr kurtze Vorstellung, oder auch die erste Vorstellung eines Coͤrpers durchs Gesicht, wird ein Blick, oder Anblick genennet. Eine fortgesetzte Vorstellung aber von coͤrperlichen Din- gen durchs Gesicht, wird das Anschauen ge- nennet. Das Anschauen ist daher ein vielfacher und ununterbrochener Anblick. Doch ist ein gros- ser Unterschied, ob ich einen Coͤrper bloß erblicke, oder ob ich ihn anschaue. §. 7. Was die Aussicht heisset? Weil alles, wovon Stralen in unsere Augen fallen, uns auch vorgestellet wird, und es offen- bar ist, daß zu gleicher Zeit uns gar viele Coͤr- per in die Augen fallen; so wird uns auch durch die Augen jedem Augenblick nicht ein Coͤrper, son- dern gar viele vorgestellet. Auf einer Hoͤhe koͤn- nen wir gar weit, auch mit unverwandten Augen sehen. Alle die Coͤrper, welche unserm Auge auf einmal vorgestellet werden, heissen eine Aussicht oder Prospeckt. §. 8. Zweytes Capitel, §. 8. Was es heisset: auf eine Sache sehen? Ohngeachtet wir uns jedem Augenblick einen gantzen Prospeckt, und mithin eine Menge Coͤr- per vorstellen (§. 7.), so ist doch aus der Erfah- rung bekannt, daß wir uns nur eines gewissen Gegenstandes, aus der gantzen Aussicht, auf ein- mahl bewußt seyn. Und dieses ist allemahl der- jenige Coͤrper, von welchem die Stralen perpen- diculaͤr auf unsere Sehe fallen. Man sagt von diesem Theile der Aussicht: man sehe drauf. Z. E. ich sehe aufs Buch: ich sehe jemanden auf die Finger. Jngleichen, weil derselbe Coͤrper zu derselben Zeit das vornehmste von der gantzen Aussicht ist; so pflegt man, wenn man sagen soll, was man siehet, nicht die gantze Aussicht anzuge- ben, sondern nur das, was directe in unsere Augen faͤllet. §. 9. Wie der erste Anblick einer Sache be- schaffen? Der erste Anblick eines Coͤrpers ist nicht zu- reichend, einen klaren Begriff davon in uns zu erwecken. Die Erfahrung beweiset solches zur Gnuͤge. Man lasse jemanden einen Blick durchs Vergroͤsserungsglaß auf einen Coͤrper thun, so wird er nicht wissen, was er gesehen hat, ohn- geachtet es gewiß ist, daß er nicht allein eine neue Aussicht gehabt, sondern auch einen gewissen Theil des Coͤrpers insbesondere erblickt hat. Ein an- ders ist, wenn ihm die Sache schon vorher bekannt ist; von den Begebenheiten der Coͤrper. ist; als in welchem Falle ein sehr kurtzer, und so zu reden, ein einiger Blick zureichen kan, einen klaren Begriff zu erwecken. Wir reden aber je- tzo nicht vom oͤffters wiederhohlten, sondern vom ersten Anblicke. §. 10. Warum das Anschauen zu klaren Begrif- fen noͤthig ist? Da wir durch das Anschauen klare Begriffe von den uns dargestellten Coͤrpern erlangen, wie die taͤgliche Erfahrung lehret; solches aber durch den ersten Anblick nicht geschiehet (§. 9.); so muß in der Wiederhohlung des Blicks der Grund lie- gen, warum ein klarer Begriff endlich entstehet (§. 6.). Weil es uͤberhaupt besser ist, wenn man weiß, wie und warum eine Sache geschiehet, als wenn man bloß weiß, daß sie geschiehet: so ist freylich nicht undienlich, wenn man einsiehet, was die Wiederhohlung des Blicks zur Hervor- bringung eines klaren Begriffes beytraͤget. Nun geschiehet die gantze Erzeugung eines solchen Be- griffes oͤffters in sehr kurtzer Zeit, als in einer halben Secunde und darunter. Weil nun die- ses zur Geschwindigkeit im gedencken gehoͤret, daß man eher oder langsamer mit einem klaren Be- griffe fertig wird, so haben wir in unserer Dis- sertation, de celeritate inprimis cogitandi, un- ter andern auch dieses untersuchen muͤssen, wie durch wiederhohlte Blicke ein klarer Begriff er- zeugt werde? §. XVI. C §. 11. Zweytes Capitel, §. 11. Wenn die Aussicht deutlich erkannt wird. Da uns anfangs durchs Gesicht allemahl ei- ne gantze Aussicht vorgestellet wird: so lernen wir nach und nach die darinnen enthaltenen Coͤrper von einander unterscheiden; und erhalten auf sol- che Art einen deutlichen Begriff von der gan- tzen Aussicht. Denn indem wir auf diesen oder jenen Coͤrper insbesondere sehen, so erhalten wir davon einen klaren Begriff (§. 7.); und zwar auf eben die Art, wie es bey der gantzen Aus- sicht geschiehet (§. 8.): nur daß wir zugleich be- mercken, daß es nur ein Theil der gantzen Aus- sicht sey. Dannenhero, wenn wir bald diesen, bald jenen Theil nach einander ansehen, und die erlangten klaren Begriffe davon im Sinne behal- ten, so wird die totalidee, oder der Begriff der gantzen Aussicht, deutlich. §. 12. Wenn der Stand gar zu offte veraͤndert wird? Wenn wir unsern Stand offte oder augen- blicklich veraͤndern, so koͤnnen wir von den um- stehenden Coͤrpern weder einen klaren noch deut- lichen Begriff erlangen. Denn wenn wir unsern Stand augenblicklich veraͤndern, so entstehet auch alle Augenblicke ein neuer Prospeckt oder Aus- sicht: wie aus der Optick klar ist; und wir koͤn- nen auf jeden Prospeckt nur einen Blick thun. Dieses ist denn auch der erste Anblick; daraus aber kein klarer Begriff entstehen kan (§. 9.). Einen von den Begebenheiten der Coͤrper Einen Coͤrper aber davon insbesondere wahrzu- nehmen, ist nichts anders, als sich davon einen fernerweiten klaren Begriff machen, ausser dem, den man von der gantzen Aussicht hat; welches aber noch mehr Zeit erfordert. Folglich gehet es nicht an, bey immerwaͤhrender Veraͤnderung sei- nes Standes, von den Sachen klare und deutli- che Begriffe zu erlangen. §. 13. So erlangen wir keinen deutlichen Begriff. Diesen Satz bestaͤtiget die Erfahrung: indem wir bey sehr geschwinder Bewegung unseres Kopfs und mithin der Augen, nichts von den umstehen- den Sachen unterscheiden. Doch vertragen Sachen, die uns vorher schon laͤngst bekannt sind, eine groͤssere Geschwindigkeit, als Sachen, die wir zum ersten mahle sehen. Man kan uͤbrigens aus dieser Regel eines theils erklaͤren, warum die Menschen in ihrer Kindheit so viel Zeit brauchen, ehe sie zu einer klaren Erkentniß der Coͤrper, die um sie herum sind, gelangen. Ein Kind be- kommt nehmlich theils durch die oͤfftere Veraͤnde- rung des Orts, theils auch durch die Wendung der Augen bestaͤndig eine neue Aussicht. Ehe diese recht klar wird, entstehet eine neue; und das Ansehen der eintzeln Coͤrper veraͤndert sich da- bey zugleich; so daß ein Kind, nicht anders als spaͤte, einen Coͤrper von dem andern unterscheiden lernet: als welches noch besondere Umstaͤnde er- sordert. C 2 §. 14. Zweytes Capitel, §. 14. Wie man eintzelne Coͤrper dencken lernet. Erste Art. Die Theile einer Aussicht hangen, dem Ge- sichte nach, alle an einander, sie scheinen anfangs aus einem Stuͤck zu seyn: aber nach und nach lernen wir die Theile der Aussicht (die wir an- fangs nur als verschiedene Theile eines Coͤrpers ansahen,) als besondere Coͤrper betrachten. Und die- ses geschiehet zwar anfangs durch derselben oͤfftere Bewegung. Denn indem der Coͤrper bewegt wird, so wird er uns bald bey dieser, bald bey jener Sa- che stehend, oder liegend, vorgestellt. Dieser Sachen werden endlich so viel, daß wir sie ins- gesamt vergessen; und uns die Sache gar ohne derjenigen Verbindung vorstellen, die sie jedes mahl, vermittelst unsers Prospeckts, mit so vielen andern Sachen gehabt hat. Wir gedencken also einen solchen Coͤrper besonders; ohne gemeini- glich zu wissen, wie eigentlich eine solche Jdee in uns entsprungen sey. Durch die blossen Augen geschiehet es nicht, weil wir niemahls einen Coͤr- per gantz allein sehen. §. 15. Wie man eintzelne Coͤrper dencken lernet. Zweyte Art. Eben dieses erhalten wir auch, wenn die Sa- che zwar ihren Ort nicht veraͤndert, wir aber die- selbe bald aus diesem, bald aus jenem Gesichts- punckte ansehen. Denn jedesmahl wird sie uns mit andern Sachen, und in Verbindung mit denselben vorgestellt. Weil der Verbindungen endlich von den Begebenheiten der Coͤrper. endlich zu viel werden, so werden sie auch endlich alle vergessen; und wir lernen den Coͤrper vor sich, und als einen besondern Coͤrper gedencken. §. 16. Einen Coͤrper uͤbersehen, und was eine Seite sey? Die Coͤrper haben ausser ihrer Oberflaͤche auch ihre Dicke. Die Oberflaͤche ist, wovon Lichtstralen auf unser Auge zuruͤckprallen. Nach der Natur des Lichts, welches in gerader Linie fortgehet, und nach einer gewissen Regul zuruͤck- prallet, koͤnnen von der gantzen Oberflaͤche nicht auf einmahl Strahlen auf unser Auge fallen, son- dern nur von einem Stuͤcke. So weit als auf einmahl Lichtstrahlen von dem Coͤrper in unsere Augen fallen: so weit uͤbersehen wir ihn: und die Oberflaͤche, die wir auf einmahl uͤbersehen koͤn- nen, nennen wir eine Seite: dergleichen also ein Coͤrper sehr viele hat. §. 17. Vom Sehepunckte. Der Ort, den unser Auge bey Beschauung eines Coͤrpers einnimmt, heisset der Gesichts- punckt: oder der Sehepunckt. Dieser hat auf dreyerley Weise einen Einfluß, daß uns ein Coͤrper so, und nicht anders vorgestellet wird: 1. Durch die Entfernung von der Sache, daß sie nahe oder ferne ist: 2. Durch den Stand des Auges, daß nehmlich dem Auge just diese Seite des Coͤrpers, und keine andere entgegen stehet. 3. Durch die Materie, welche zwi- C 3 schen Zweytes Capitel, schen dem Auge und dem Objeckt ist, als wo- durch die Strahlen auf mancherley Weise nicht ohne Veraͤnderung des daraus entstehenden Bil- des, pflegen gebrochen zu werden. Von dieser Art der historischen Erkentniß sind wir freylich schon laͤngst aus der Optick treflich versehen. Nur muͤssen wir hie und da deutliche Begriffe noch suchen, damit man allgemeinere Begriffe abstrahiren kan, die sich auch auf Geschichte, die nicht sichtlich sind, anwenden lassen. §. 18. Wie ein und mehrere Coͤrper vermengt werden? Wenn ein Coͤrper B eben die Empfindung bey uns verursachet, welche schon vorher ein Coͤr- per A bey uns hervorgebracht hat; so halten wir beydes vor einen Coͤrper. Es kan nehmlich ent- weder wircklich eben derselbe seyn, oder es kan auch ein anderer seyn, den wir aber durch einen Jrrthum vor den vorigen halten. Es ist aber leicht zu ermessen, wie es anzufangen sey, daß wir nicht aus Jrrthum zwey Coͤrper vor einen halten, oder auch, wie es manchmal zu geschehen pflegt, einen einigen Coͤrper vor zwey ver- schiedene Coͤrper halten. Die Lehre von der Aehnlichkeit giebt Licht genug in dieser Mate- rie; daher wir uns dabey nicht auf halten wollen. §. 19. Wir sehen keinen Coͤrper allein? Wir sehen weder auf der Erde, noch auch in der Hoͤhe jemahls einen Coͤrper allein: sondern es von den Begebenheiten der Coͤrper. es wird allemahl anscheinen, als wenn er von an- dern Coͤrpern umgeben waͤre. Es stehet z. E. ein Baum in einer ziemlichen Entfernung von uns; hinter demselben aber eine weisse Wand: so wird es scheinen, als wenn er von der Wand umgeben waͤre, oder als ob er in der Wand stuͤn- de: ingleichen wenn hinter ihm eine grosse Ebene ist, dergestalt, daß ich hinter ihm und auf der Seite nichts als den Himmel sehe, so wird es scheinen, als ob er von dem Himmel umgeben waͤre; woraus die Poetische, oder vielmehr recht sinnliche Redensart entstanden ist, daß die ho- hen Baͤume ihren Gipfel bis in die Wolcken strecken. §. 20. Gedencken aber doch eintzelne Coͤrper allein? Wir haben aber auch von vielen Coͤrpern sol- che Vorstellungen, daß wir sie ausser irgend einer Verbindung mit umstehenden Coͤrpern betrachten. Eine Bildsaͤule z. E. stelle ich mir gantz allein vor, ohne denen umstehenden Dingen, womit man sie doch, nach dem (§. 19.) verbunden gesehen. Eben so stellet man sich alle bekannte Personen vor, oh- ne die Sachen sich mit vorzustellen, die um sie herum gestanden haben, zu der Zeit, da wir sie haben kennen lernen. §. 21. und wie solches zugehet? Da wir uns Coͤrper ausser der Verbindung mit andern umstehenden gedencken (§. 20.); dem blossen Augenschein aber nach kein Coͤrper erkannt C 4 wird, Zweytes Capitel, wird, ohne daß er von andern umgeben seyn soll- te (§. 19.): so koͤnnen solche Vorstellungen von Coͤrpern, ausser aller Verbindung, keine blosse sinnliche Vorstellungen seyn: sondern es muß noch eine andere Wuͤrckung der Seele oder des Ver- standes dazu behuͤlflich seyn. Wie es nun ge- schehe, ist zum theil schon (§. 14. 15.) gezeiget worden. Es kan aber auch etwas von Schluͤs- sen daran Antheil nehmen. Z. E. ich sehe beym Eintritt in das Zimmer jemanden mitten im Zim- mer stehen; so werde ich nach der Beschaffenheit des Sehens (§. 19.) mir ihn vorstellen, wie er von der Wand, die hinter ihm ist, umgeben wird, oder, als ob er in der Wand stuͤnde. Den- noch wird niemand so urtheilen (nehmlich wer sei- nes Gesichtes von Kindheit an maͤchtig gewesen ist,), sondern so gleich, wie man spricht, sehen, daß er nicht an der Wand, sondern mitten im Zimmer stehe. Jn der That aber ist dieses kein bloß sinnliches Urtheil, das jeder machen muͤste, wenn er auch gleich nur erst ohnlaͤngst zu sehen an- gefangen haͤtte: Sondern theils giebt uns das durch die Uebung erlangte Augenmaaß, wie weit wir von der Person, und wie weit wir von der Wand hinter ihm entfernet sind, Gelegenheit zu schluͤssen, daß er mitten in dem Zimmer stehe: theils da es eine andere Aussicht giebt, nachdem eine Person nahe oder ferne von der Wand ist, wegen des verschiedenen Schattens, (welches wir eben erst aus der Erfahrung lernen); so schluͤssen wir auch auf diese Art den wahren Ort eines Coͤrpers, der zwar frey stehet, aber doch nach dem blossen Gesichte, von den Begebenheiten der Coͤrper. Gesichte, von andern, obgleich entfernten, um- geben wird. Eben so gehet es zu mit den Coͤr- pern, als Bergen, Thuͤrmen, die wir schon in der Weite, da sie noch eine gantz andere Ge- stalt, als in der Naͤhe haben, erkennen. Wel- che Wuͤrckung der Seele von uns ist erklaͤret worden in den Erlangischen gelehrten Anzei- gen 1750. No. XLIX. LI. unter dem Titul: Die Gedancken von ferne. §. 22. Ort, Lage und Stand der Coͤrper. Der Ort eines Coͤrpers bestehet darinne, daß er andern sicht- und fuͤhlbaren Coͤrpern nahe oder ferne ist. Woraus dann folget, 1. daß wir je- den Coͤrper an einem gewissen Orte sehen; 2. weil wir aber eintzelne Coͤrper auch ohne denen, die sie umgeben, gedencken (§. 14. 15. 21.); so lernen wir auch die eintzeln Coͤrper ausser ihren Ort ge- dencken. Mithin 3. koͤnnen wir sie auch in Ge- dancken an einen andern Ort versetzen, welches einen Theil der Dichtkunst ausmacht. Der Ort liegender Coͤrper heist die Lage, gleichwie der Ort stehender oder wandelnder Coͤrper, der Stand. §. 23. Vom Ansehen und Gestalt der Coͤrper. Die Vorstellung eines Coͤrpers durch die Au- gen, heisset das Ansehen desselben. Die Vor- stellung, welche ein Coͤrper mit Beyhuͤlffe derer, die ihn umgeben, verursachen, heisset die Gestalt. Diese Definition, welche von der gemeinen Er- C 5 klaͤrung Zweytes Capitel, klaͤrung allerdings abgehet, hat dennoch ihren gu- ten Grund; nehmlich in demjenigen, was (§. 19.) gelehret worden, und kommt mit denen gemeinen Urtheilen der Menschen genau uͤberein. Wir ge- ben z. E. auf nichts so sehr achtung, als auf die Gestalt der Menschen: Wenn aber sehen wir wohl eines Menschen Angesicht, ohne daß die um- stehenden Sachen in das Bild desselben einen Ein- fluß haben sollten? Wie aͤndert es nicht gleich die Gestalt des Gesichts, nachdem die Haare bescho- ren, oder aber haͤuffig vorhanden sind: Uns hilfft der Schmuck, womit der Kopf gezieret wird, wenn die umstehenden Dinge keinen Einfluß in die Gestalt der Dinge haben. Doch gegenwaͤr- tiger Abhandlung wegen, kan man ebenfalls An- sehen und Gestalt mit einander vermengen, wenn anders jemahls eine Vermischung zweyer Begrif- fe unschaͤdlich seyn kan. §. 24. Woraus die Gestalt bestehet? Wenn wir aber etwas genauer achtung ge- ben, was in dem Begriffe des Ansehens oder der Gestalt eines Coͤrpers enthalten sey, so werden wir finden, daß uns theils die Figur, theils die Farben unter diesen Nahmen vorgestellet werden. §. 25. Die Groͤsse gehoͤrt auch zur Gestalt. Ausser der Gestalt wird zum Ansehen des Coͤr- pers die Groͤsse deffelben zu rechnen seyn; welche in der Hoͤhe und Breite des Coͤrpers bestehet. Die Dicke eines Coͤrpers laͤsset sich unmittelbar durchs von den Begebenheiten der Coͤrper. durchs Gesichte nicht erkennen; sondern gehoͤrt zu den Eigenschafften, welche wir durch Schluͤs- se herausbringen muͤssen, die aber deswegen nicht allemahl in ihrer Form, oder deutlich muͤssen er- kannt werden. §. 26. Was Beschreibungen sind. Wenn wir unsern deutlichen Begriff von ei- nem Coͤrper durch Worte an den Tag legen; so wird diese Rede eine Beschreibung genennet. Jch will eben nicht behaupten, daß man jetzo das Wort allemahl so genau in dieser Bedeutung neh- me; massen es auch wohl bey Dingen gebraucht zu werden pfleget, welche geschehen sind: dieses aber kommt von der Verbindung der Begriffe her, daß man Sachen, welche geschehen, oͤffters we- gen ihrer Dauer, als: es ist ein Gewitter, vor Dinge ansiehet, welche sind. Wenn man aber in der Philosophie Beschreibungen ( descriptio- nes ) vor verdorbene und mißrathene Definitio- nen annimmt, so ist dieses ein Mißbrauch eines gemeinen Wortes, welchem man auch seine ge- meine Bedeutung haͤtte lassen sollen. §. 27. Was in Beschreibungen stehet. Wir bekommen deutliche Begriffe von eintzeln Coͤrpern, indem wir sie ansehen. Das Ansehen aber derselben enthaͤlt die Figur und Farben (§. 24.) nebst der Groͤsse in sich (§. 25.); solglich wird auch die Beschreibung jedes Coͤrpers aus diesen drey Stuͤcken bestehen. §. 28. Zweytes Capitel, §. 28. Figuren lassen sich nicht gut erklaͤren. Nachdem man uͤberall Maaßstaͤbe hat, so ist nichts leichter als die Groͤsse eines Coͤrpers durch Worte dem andern bekannt zu machen. Die Figuren aber lassen sich schwerer beschreiben; wel- ches jedoch auf folgende Art geschiehet. Die Menge eintzelner Coͤrper, welche einerley Figur haben, veranlasset bey uns einen allgemeinen Be- griff dieser oder jener Figur. So erlernen wir von Jugend auf die verschiedenen Figuren, von allerhand Arten der Thiere, Baͤume, Pflantzen, Steine, und so weiter. Jedoch kommen die Men- schen in Ansehung dieser Begriffe, wenn sie sich gleich auf einerley Art durch Worte ausdrucken, dennoch nicht vollkommen, mit einander uͤberein, und zwar aus folgenden Ursachen. §. 29. Wie man von Figuren verschieden denckt. Anfangs ist bekannt, daß man bey den Figu- ren nicht allemahl auf die Groͤsse siehet, sondern Dingen von gantz sehr verschiedener Groͤsse den- noch einerley Figur zuschreibt. Ein Strausseney und ein Taubeney haben beyde die Figur eines Eyes: eine Zuckerpyramide und eine Egyptische Pyramide sind beydes Pyramiden. Daraus ent- stehet nun folgender Unterschied der Begriffe und Gedancken. Wer lauter solche Coͤrper von einer- ley Figur gesehen hat, die auch zugleich von einer- ley oder von wenig unterschiedener Groͤsse gewe- sen, der wird auch die Groͤsse mit zur Figur rech- nen: von den Begebenheiten der Coͤrper. nen: wer aber lauter Coͤrper, die im uͤbrigen von ei- nerley Figur, aber von sehr verschiedener Groͤsse wa- ren, gesehen hat; der wird bey dem Begriffe der- selben Figur keinesweges auf die Groͤsse sehen Ein gemeiner Mann, wenn er zum ersten mahl ein Strausseney zu sehen bekommt, duͤrffte es an- fangs kaum vor ein natuͤrliches und wahres Ey halten; weil wir nehmlich in unsern Landen lauter viel kleinere Eyer zu sehen bekommen. Zweytens: wer lauter Coͤrper von einerley Figur, aber auch da- nebst von einerley, oder wenig unterschiedenen Far- ben gesehen hat; der wird die Farbe selbst mit zur Figur rechnen; hingegen wird derjenige auf die Farbe nicht reflectiren, wer Dinge von einerley Figur, aber dabey von verschiedenen Farben ge- sehen hat. Denen meisten unter uns ist ein weis- ser Rabe ein Paradoxon; wer aber weiß, daß es auch weisse Raben gebe, der wird bey dieser Art Thieren, wie bey denen uͤbrigen, bloß auf die Figur achtung geben. Durch Besuchung der Naturalien-Cabinetter werden gemeiniglich unsere Begriffe von den verschiedenen Arten der Coͤrper gar sehr erweitert, die sonst ein jeder nach den indiuiduis, die in seinem Vaterlande anzu- treffen sind, einzuschrencken pfleget. §. 30. Vom Klumpen. Wenn die Oberflaͤche eines Coͤrpers aus aͤhn- lichen Theilen bestehet, aber auch dabey auf kei- ner Seite eine uns bekannte Figur hat, so wird es ein Klumpen genennet. Z. E. ein Klum- pen Zweytes Capitel, pen Wachs, Bley, Thon u. s. w. Was aber die Alten von der Materie lehreten, daß es kleine Theilgen, oder kleine Coͤrper gebe, welche sich voͤllig einander aͤhnlich waͤren, ist eine Einbildung, welche aus Vermischung der Physick und Meta- physick entstanden ist. §. 31. Verschiedene Arten der Seiten. Weil ein Coͤrper viele Seiten hat (§. 16.): so kan es geschehen, daß eine davon die mehreste Abwechselung in der Gestalt der Theile in sich ent- haͤlt. Diese Seite pfleget man die foͤrdere Sei- te, oder von forne zu nennen: die entgegen ge- setzte aber von hinten. Bey Coͤrpern, die kei- ne merckliche Dicke haben, nennet man es die rechte und lincke Seite. Es ist wohl an dem, daß, wenn wir uns in gemeinen Worten aus- drucken wollten, man sagen muͤste: von forne, oder die rechte Seite sey die, welche die meiste Schoͤnheit hat; allein unsere gegebene Erklaͤrung hanget mit andern philosophischen Begriffen ge- nauer zusammen, und wird daher billig vorge- zogen. §. 32. Unzehlige Seiten eines Coͤrpers. Jn der Geometrie werden die leichtesten Ar- ten der Figuren in natuͤrlicher Ordnung erklaͤret, wie dieselben immer mehr und mehr Seiten ha- ben: diese uns beywohnenden allgemeinen Begrif- fe machen, daß wir auch denen uns vorkommen- den eintzeln Coͤrpern eine gewisse Anzahl, als 4. 6. 10. von den Begebenheiten der Coͤrper. 4. 6. 10. und so weiter Seiten beylegen. Ei- gentlich aber hat ein Coͤrper unendlich viele Seiten. Denn eine Seite ist das Theil der Ober- flaͤche, welches man auf einmahl uͤbersiehet (§. 16.): So offte ich also ein ander Stuͤck nehmen kan, welches sich auf einmahl uͤbersehen laͤsset, so offte finde ich auch eine neue Seite. Wie sich nun um dem Coͤrper herum unzehlig viele Gesichts- punckte, und zwar nur in einerley Entfernung dencken lassen, aus welchem jedem ein anderes Stuͤck der Oberflaͤche uͤbersehen wird, so lassen sich auch unzehlige Seiten daran gedencken. Bey unbeweglichen Coͤrpern, wie bey Staͤdten, Ber- gen, u. s. w. macht und setzet man hauptsaͤchlich 4. Seiten, gegen Morgen, Abend, Mittag und Mitternacht. §. 33. Arten der coͤrperlichen Begebenheiten. Die Veraͤnderungen der Coͤrper sind uns so wohl aus der Erfahrung, als durch Metaphysi- sche Betrachtungen uͤber die zusammen gesetz- ten Dinge bekannt. Sie veraͤndern nehmlich ih- re Figur und Gestalt: sie entstehen oder wer- den sichtbar, und vergehen, oder werden wieder unsichtbar: sie veraͤndern endlich ihren Ort, oder bewegen sich. Bey dieser letztern Veraͤnderung giebt es bey leblosen Coͤrpern wenig Abwechse- lung, und diese bestehet bloß in einer Veraͤnde- rung der Richtung oder des Weges, und der Geschwindigkeit: Bey lebendigen Coͤrpern aber, als den Thieren, besonders den Menschen, giebt es Zweytes Capitel, es desto mehr Abwechselung: indem jede Kunst und Uebung, derer unzehlige sind, eine besondere Art der Bewegung erfordert. Mithin entstehen aus diesen Arten der coͤrperlichen Veraͤnderungen auch so viele Arten der Begebenheiten (§. 3. C. 1.) und der Geschichte (§. 16. C. 1.) von Coͤrpern, die hernach durch Erzehlungen zu einem Theile der Historie werden (§. 16. 17. C. 1.). §. 34. Die innerlichen Begebenheiten werden nach ihren Wuͤrckungen benennet. Bey lebendigen Coͤrpern ist man gewohnt die meisten Handlungen und Veraͤnderungen, nicht sowohl darnach zu rechnen, was in der handeln- den Sache selbst vorgehet; als darnach was die- selbe wuͤrcket, oder ausser sich hervorbringet, und hervorbringen will. Z. E. der Wolff frist das Schaaf, man schiest breche, man bauet ei- ne Kirche. Man siehet nehmlich die Sache auf der Seite an, wo sie am meisten in die Sinne faͤllt, oder auch, woran uns am meisten ge- legen ist. Nun faͤllet uns bey vielen Sachen der Effect, oder das hervorgebrachte Werck am mei- sten in die Sinne; und daher wird auch die Be- nennung genommen. Z. E. Apelles mahlet ei- nen Kriegsgott: seine Handlung ist eigentlich die Bewegung seiner Finger, die den Pinsel fuͤhren: diß aber faͤllt viel weniger in die Augen, als der nach und nach entstehende Mars. Wir benen- nen also von ihm die Handlung des Mahlers. Beym breche schiessen wuͤrde es vor die Canoniers einerley von den Begebenheiten der Coͤrper. einerley Handlung seyn, wenn sie gleich die Ku- geln nur in die freye Lufft schoͤssen, aber weil es dabey nicht um die Abfeurung der Canonen, son- dern um den Umsturtz des Walles zu thun ist, so wird davon die Arbeit der Canonirer benennet. §. 35. Ein anscheinender Widerspruch bey coͤr- perlichen Begebenheiten. Die Handlungen der Dinge sind oͤffters ver- gebens, besonders der Menschen: wie viele ma- chen nicht, wie man sagt, Gold, ohne jemahls darzu zu gelangen? Wie viele fahren nach Ost- indien, die dasselbe doch nie zu sehen bekommen? man fuͤhret offt die Feder, da doch wegen Zaͤhig- keit der Dinten keine Buchstaben werden. Da man nun die Handlungen nach ihren Wuͤrckun- gen zu benennen pflegt (§. 34.); so kan eine Er- zehlung vorkommen, daß etwas geschehen sey, welches nach einer andern Erzehlung doch nicht geschehen ist: Sie sind beyde wahr, aber im ver- schiedenen Verstande. Man sagt z. E. in dieser oder jener Stadt wuͤrden die Armen reichlich versorgt: wenn nehmlich milde Stifftungen und andere noͤthige fonds darzu vorhanden sind. Ob es aber deswegen wuͤrcklich geschehe, ist eine an- dere Frage. Wir wollen ein noch sinnlicher Ex- empel beyfuͤgen. Der Schlosser wird zu Oeff- nung einer Thuͤre herbey geholt; man siehet ihm zu, wie er sich ans Werck macht: jedermann sagt: er mache die Thuͤre auf: gleichwohl wenn das Schloß wegen seiner kuͤnstlichen Riegel nicht auf- D gehet, Zweytes Capitel, gehet, wird man sagen muͤssen: er habe die Thuͤ- re nicht aufgemacht. Wer den Zusammenhang nicht weiß, sondern nur diese beyde Erzehlungen hoͤret, wird sie vor widersprechend halten. §. 36. Empfindung setzt die Wahrheit der Sache voraus. Wenn wir eine Sache empfinden, so muß dieselbe auch wuͤrcklich vorhanden seyn. Denn was wuͤrcken soll, muß da seyn. Nur machen solche Faͤlle diesen Satz irre, wo man sich einbil- det empfunden zu haben, was man doch nicht em- pfunden hat; sondern nur durch Einbildungskrafft und Schluͤsse zur Empfindung hinzu gesetzet hat. Dieses ist eine Art erschlichener Saͤtze ( vitium subreptionis ), welche durch die Lehren der Optick, und durch eine allgemeine Abhandlung, was und wie weit man Dinge durch die blossen Sinne er- kennen kan, muͤssen vermieden werden. §. 37. Vom Verborgenen bey coͤrperlichen Dingen. Es laͤsset sich aber der vorige Satz (§. 36.) nicht umwenden und behaupten: was ich nicht empfinde, dasselbe ist nicht vorhanden; sondern darzu gehoͤret mehrere Vorsicht, daß ich von der Verneinung der Empfindung auf die Verneinung der Sache selbst schluͤssen kan. Wie offte glaubt man nicht, daß nach vielen Corrigiren ein Bo- gen von Druckfehlern gantz frey sey; da doch wohl noch welche vorhanden sind, welche man auch wohl nachher noch nicht durch vieles Durchlesen wahr- von den Begebenheiten der Coͤrper. wahrnimmt, da sie einem andern hingegen gleich in die Augen fallen. Dieses fuͤhret uns auf den Begriff des Verborgenen bey coͤrperlichen Din- gen. Und da haͤtten wir ein weites Feld vor uns, eine so weit aussehende Sache in voͤllige Ordnung zu bringen. Wir wollen aber Kuͤrtze halber nur einige Grade bemercken. Das Verborgenste ist, was durch keine Kunst von uns kan empfun- den werden: als kleine Plaͤtze im Monde, das innerste der Erde: wovon wir also nichts anders, als durch Schluͤsse wissen koͤnnen. Dann folget, was man nicht ohne Kunst, und angewandte Huͤlffsmittel empfinden kan: weiter: was einen besondern Grad der Aufmercksamkeit erfor- dert: wie Reaumur und Roͤßler bey Jnseck- ten, Pflantzen u. s. w. vieles durch die blosse Auf- mercksamkeit entdeckt haben, was andere vor ih- nen aus Mangel derselben nicht entdeckt haben: endlich, was nur eine Vorsicht erfordert, als ob niemand in der Stube, darinnen man niemanden siehet, sich etwa versteckt hat. §. 38. Ob die Kunst bey Empfindungen dienlich. Die Kunst zu erfahren, oder vielmehr zu empfinden, ist eine Wissenschafft, die Coͤrper in solchen Zustand zu setzen, daß sie und ihre Eigen- schafften koͤnnen empfunden werden. Die heutige Astronomie und Physick zeiget uns davon tausend herrliche Exempel. Wenn es einmahl nun da- hin gebracht ist, daß die Sache, die verborgen ware, kan empfunden werden, alsdenn ist die D 2 Em- Zweytes Capitel, Empfindung von der Empfindung gemeiner Din- ge nicht weiter unterschieden. Beyde koͤnnen nur obenhin, oder auch im Gegentheil mit vieler Auf- mercksamkeit und gelehrt angesehen werden. §. 39. Viele Geschichte betreffen nicht eintzelne, son- dern gantze Hauffen Coͤrper. Wenn man mit einem eintzeln Coͤrper zu thun hat, so wird sich bey Beobachtung seiner Veraͤnderungen und Begebenheiten, und mithin auch bey denen daraus fliessenden Erzehlungen fast gar keine Schwierigkeit finden. Sind ja welche, so entstehen sie aus der Beschaffenheit und dem Zustande des Zuschauers; welche am gehoͤrigen Orte genau sollen bemercket werden. Allein diese Begebenheiten eintzelner Coͤrper ma- chen nur einen Theil der Begebenheiten der coͤr- perlichen Dinge aus. Denn ein nicht geringer Theil derselben betreffen nicht eintzelne Coͤrper, sondern einen gantzen Hauffen: als, daß die Baͤu- me in einem gewissen Striche von Raupen abge- fressen werden: daß die Fluͤsse eines Landes zu ei- ner gewissen Zeit hoch angelauffen sind. Die Vorstellung eines Hauffens, das ist, einer un- gezehlten Menge aͤhnlicher Dinge, ist im gemei- nen Leben eine alltaͤglich und stuͤndlich vorkommen- de, auch gantz bekannte Sache: die aber in der Philosophie und Vernunfftlehre gar nicht bemerckt zu werden pfleget: weil man da gemeiniglich sein Absehen nur auf abstracte Wissenschafften gerich- tet hat; welche nicht mit Hauffen, sondern mit Arten von den Begebenheiten der Coͤrper. Arten und Geschlechtern umgehen. Unsere Ab- handlung von locis communibus in der Logica S. p. 147. wird wohl die erste von dieser Gattung seyn; auf die wir uns Kuͤrtze halber beziehen, und nur dasjenige daraus anfuͤhren wollen, was das nachfolgende zu verstehen unumgaͤnglich noͤthig ist. §. 40. Kurtze Theorie eines Hauffens. Wenn man von einem Hauffen denckt und redet, so stellt man sich nur einige eintzelne Din- ge klaͤrlich vor, die darinnen nebst andern enthal- ten sind: was wir an denselben wahrnehmen, das pflegen wir hernach dem gantzen Hauffen beyzu- legen. Z. E. zwey Soͤhne eines Mannes, die ich kenne, sind untugendhafft; ich sage daher: des Mannes seine Soͤhne sind uͤbel gerathen. Es kan seyn, daß eben derselbe Mann auf der Acade- mie zwey andere Soͤhne hat, die sich gut auffuͤh- ren und fleißig sind; allda wird man sagen: Des Mannes seine Soͤhne sind wohl gerathen: Diese Saͤtze scheinen widersprechend zu seyn; koͤnnen aber doch und muͤssen vereiniget werden. Dieses aber kan nicht ohne folgender Reyhe von Begriffen ge- schehen, welche den Gelehrten, zum Behuf der hi- storischen Erkentniß, eben so bekannt werden muͤs- sen, als schon laͤngst die Eintheilungen der Saͤtze und der Schluͤsse bekannt sind. Eine ungezehlte Menge Dinge (wenn sie gleich konten gezehlet werden,) heisset ein Hauffen. Diejenigen ein- tzeln Dinge, die uns aus einem Hauffen besonders bekannt sind, heissen Exempel, Muster, Pro- D 3 ben, Zweytes Capitel, ben, Beyspiele: Diejenigen Dinge aus einem Hauffen, die wir eintzeln nicht kennen, wollen wir das uͤbrige, oder den Rest, ( turbam fine nomine ) nennen. §. 41. Unterschied der allgemeinen Anmerckungen? Wenn man die Eigenschafften eines oder meh- rerer Exempel dem gantzen Hauffen beylegt, so heisset das eine allgemeine Anmerckung, lo- cus communis. Nun siehet man gleich, daß die indiuidua, welche zusammen genommen einen Hauffen ausmachen, ihrer Aehnlichkeit, wodurch sie zu einem Hauffen werden, ungeachtet, widrige Eigenschafften haben koͤnnen, wie das Exempel (§. 40.) besaget; und also auch zu widersprechen- den allgemeinen Anmerckungen Anlaß geben koͤn- nen. Wenn also ein solcher Fall von zwey widerspre- chenden allgemeinen Anmerckungen vorkommt, so ist kein anderer Weg zur Entdeckung der Wahrheit vorhanden, als daß man die Exempel, worauf sich je- de von beyden Anmerckungen gruͤndet, aufsuchet, und daraus den Ursprung des Widerspruches erkennet. §. 42. Und der allgemeinen Saͤtze. Noch mißlicher ist es, wenn man von einer Menge eintzelner Dinge und ihrer Beschaffenheit auf die gantze Art schluͤsset, und solche allg mei- ne Anmerckungen denen wuͤrcklich allgemeinen Saͤ- tzen, welche aus allgemeinen Begriffen herge- leitet werden, gleich setzen will: als daß alle Ra- ben schwartz seyn sollten; daß kein Fisch fliegen kan; von den Begebenheiten der Coͤrper. kan; welche Saͤtze man sonsten ohne dem gering- sten Bedencken unter die philosophischen allgemei- nen Wahrheiten wuͤrde gerechnet haben, und die dennoch falsch sind. Ob es moͤglich sey, aus der blossen Erfahrung wuͤrcklich allgemeine Wahrhei- ten herauszubringen, betrifft bloß die Erweite- rung der Physick, nicht aber der Geschichtskun de, und kan also von uns uͤbergangen werden. Hingegen ist uns an dem eigentlichen Begriffe der Erfahrung allerdings gelegen. §. 43. Eintheilung eines Hauffens. Weil ein Hauffen aus solchen indiuiduis be- stehet, die dennoch ihre verschiedene Qualitaͤten haben koͤnnen, so ist eine besondere Art der histo- rischen Erkentniß, daß man an einem Hauffen be- merckt, wie viel er indiuidua von dieser oder je- ner Gattung in sich halte: als bey dem grossen Hauffen der Sterne, wie viel von der ersten, zweyten, dritten Groͤsse sind, u. s. w. Bey einem Busche, der nicht groß ist, kan man durch zehlen erfahren, wie viel Eichen, Buchen, Bir- cken, Fichten u. s. w. vorhanden sind. §. 44. Unterschied der Erfahrungen und Em- pfindungen. Eine Erfahrung ist, wenn man aus Em- pfindungen einen allgemeinen Satz macht: es mag derselbe nun entweder allgemein seyn, oder nur von einem Hauffen gelten. Die Erfahrung D 4 ist Zweytes Capitel, ist daher von der Empfindung unterschieden, und entstehet aus derselben, entweder durch die Ein- bildungskrafft, oder durch Schluͤsse. Die Em- pfindungen haben in Ansehung der Wahrheit gar keine Schwierigkeit, wenn nur die Empfin- dung selbst vorhanden ist: Die Erfahrung aber kan dennoch falsch seyn, wenn gleich die Empfin- dungen richtig sind, worauf sich dieselbe gruͤndet; weil noch gar nicht ausgemacht ist, wie man auf eine Art, die Bestand hat, aus eintzeln Faͤllen eine allgemeine Anmerckung, oder einen allge- meinen Satz zu machen befugt sey. Am wenig- sten aber thut es gut, daß man Empfindungen und Erfahrungen mit einander vermenget, wel- ches bisher bestandig geschehen, und deswegen von uns ist widerlegt worden in den Erlangi- schen gelehrten Anzeigen No. XIX. 1749. in der genauern Bestimmung, was Erfahrun- gen sind? §. 45. Schluͤsse von einem Hauffen auf die uͤbrigen. Wie man von einigen indiuiduis auf die uͤbrigen zu schluͤssen pflegt (§. 41.), also pfleget man auch von den Begebenheiten des einen Hauffens, oder einiger Hauffen auf die Eigenschafften und Begebenheiten der andern Hauffen, von solcher Art, zu schluͤssen. Als man hat wahrgenommen, daß in Londen von 100. Woͤchnerinnen zweye sterben, und dieses hat man in verschiedenen Jah- ren wahrgenommen: man schluͤsset daraus, daß es nicht allein in Paris, und andern grossen Staͤd- ten von den Begebenheiten der Coͤrper. ten Europens eben so seyn werde, sondern daß es auch in kuͤnfftigen Jahren in Londen eben so seyn werde, woferne nicht ausserordentliche Faͤlle darzu schlagen. Reaumur bemerckt, daß in je- dem Bienenschwarme nur 1. Koͤnig; der blossen Arbeiter 5 mahl mehr als Bienen maͤnnlichen Ge- schlechts waͤren: er hat dieses nehmlich bey ver- schiedenen Schwaͤrmen gefunden: man schluͤsset aus den Exempeln, die man gehabt, auf die uͤbrigen Hauffen. §. 46. Man kan nicht von einer Zeit auf die an- dere schluͤssen. Es ist aber klar, daß so wenig man von dem jetzigen Zustande eines eintzeln Dinges, schlecht weg auf den zukuͤnfftigen Zustand desselben schluͤs- sen kan: eben so wenig gehet es auch an, daß ich von dem gegenwaͤrtigen Zustande eines Hauffens schluͤssen kan auf eine andere Zeit. Jch finde z. E. in einem Garten keine gemeine Raupe: dar- aus kan ich nicht schluͤssen, daß derselbe nicht zu einer andern Zeit, wenigstens in einem andern Jahre, von solchen Raupen wimmeln sollte. Die Vorsicht, die bey solchen Schluͤssen, wenn man sie ja machen will, zu gebrauchen ist, wollen und haben wir hier nicht noͤthig zu untersuchen: uns ist nur daran gelegen, daß mit denen Empfin- dungen, welche eigentlich der Grund aller Er- zehlungen sind, nichts anders vermenget werde. D 5 §. 47. Zweytes Cap. von den Begebenheiten ꝛc. §. 47. Was aͤusserlich, innerlich, verdeckt und offenbar ist. Was man an der Sache, ohne an ihr selbst etwas zu aͤndern, wahrnehmen kan, das ist dar- an aͤusserlich. Was erst durch gemachte Ver- aͤnderungen in der Sache kan wahrgenommen werden, dasselbe ist innerlich. Wenn zwischen uns und einem gewissen Coͤrper A ein anderer B stehet oder lieget, oder kurtz zu reden, da ist, der die Empfindung von jenem hindert, so heisset jener verdeckt, wo aber kein Hinderniß der Em- pfindung vorhanden, da liegt die Sache vor Augen, oder sie ist offenbar. Und dieses gilt von allen Arten der Sinnen. §. 48. Verschiedene Arten coͤrperlicher Begebenheiten. Hieraus aber entstehen verschiedene Arten der Begebenheiten bey coͤrperlichen Dingen: sie sind zum Theil aͤusserlich, als, ein Haus wird an- gestrichen; theils sind sie innerlich, als, daß die Zapffen der Balcken verfaulen; theils sind sie of- fenbar, als, was dem Menschen an der Haut fehlet; theils sind sie verborgen, als, was ihm innerlich fehlet. Drittes Drittes Capitel , von den Begebenheiten der Moralischen Wesen oder Dinge. §. 1. Sichtbare Willen gehoͤren zur Historie? O hngeachtet die Veraͤnderungen der mensch- lichen Seele, besonders des Willens, von grosser Wichtigkeit sind, weil daraus die Entschluͤssungen, Handlungen, Wuͤrckun- gen und Wercke der Menschen entstehen; so pflegen doch blosse Gedancken und blosse Willensmeinungen unter den Menschen in kei- ne sonderliche Betrachtung gezogen zu werden: besonders darum, weil Fremde dieselben nicht wissen koͤnnen. Sie koͤnnen also auch in der Hi- storie nicht sehr in Anschlag kommen. Jm gemei- nen Leben wird nur auf solche Gedancken und Willensmeinungen gerechnet, welche aͤusserlich in Worte und Wercke ausbrechen, und durch die un- mittelbar aus ihnen fliessenden Wuͤrckungen sicht- bar werden. §. 2. Und werden nach ihren aͤusserlichen Folgen betrachtet. Eintzelne Gedancken bringen auch eintzelne sichtbare Handlungen und Wuͤrckungen herfuͤr. Und wie sie ihrer Natur nach genau mit einander verbun- Drittes Capitel, verbunden sind, also werden sie auch gemeiniglich als eine Sache angesehen. Wer mit Worten jemanden verspottet, der hat ihn mit Gedancken und Worten verspottet: beydes zusammen wird unter dem Worte: spotten, begriffen. Wer den andern verwundet, muß auch von dem Wil- len ihn zu verwunden Rechenschafft geben. Man kan aber zugleich aus diesen Exempeln sehen, wie manchmal eine Trennung der innerlichen und der aͤusserlichen Handlung moͤglich sey; welches genauer zu untersuchen vor die Moralisten gehoͤ- ret. Nimmt man nun die innerliche und aͤusser- liche Handlung vor eine Sache an; so werden die eintzeln Begebenheiten der Seele nach eben den Regeln zu beurtheilen seyn, welche wir bey den Begebenheiten der Coͤrper angemercket ha- ben: denn sie werden vor Menschenaugen nur nach ihrer coͤrperlichen und aͤusserlichen Wuͤrckung, die daraus erfolget, angesehen. §. 3. Welcher Wille besonders merckwuͤrdig ist? Ein Wille, der fortdauret, ist schon in der Menschen Augen eine Sache von mehrerer Wich- tigkeit. Er gehoͤrt unter die Dinge, welche sind (§. 2. C. 1.). Ein treuer Freund macht einen grossen Theil unserer Gluͤckseligkeit aus: ein un- versoͤhnlicher Feind aber ist im Stande, uns un- ser gantzes Leben sauer zu machen. Also auch ein Mensch, der eine Profeßion treibet, oder den Willen hat, solche bestaͤndig zu treiben, be- kommt dadurch gleichsam das Ansehen eines be- sondern v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. sondern Wesens, wornach sich eine unzehlige Menge anderer Menschen richten koͤnnen: und ein solches Wesen verliehret sich wieder, wenn der Mensch den Willen, seine Profeßion zu trei- ben, ablegt. Also ist z. E. kein Schmid in der Stadt, wenn niemand in der Stadt dieses Handwerck treibt, oder treiben will, wenn gleich tausend Personen in der Stadt waͤren, die dassel- be verstuͤnden. Ein verborgener bestaͤndiger Wil- le aber, der keine aͤusserliche Folgen hat, wie manche in ihrer Stube versauren, hat keinen Ein- fluß in die Geschichte (§. 1.). §. 4. Moralische Wesen werden erklaͤtet. Wenn Menschen einen bestaͤndigen Willen haben, (nehmlich sowohl eintzelne Menschen als mehrere,) und zwar der bekannt ist, so daß sich andere darnach richten koͤnnen, so heisset dieses ein moralisches Wesen. Dergleichen ist ein Lehrer, andere wissens und erkennen ihn davor, und richten sich darnach; besonders die lernen wollen. Ein Fabricant verfertiget immer ei- nerley Waare, und man kan sich auf die Fortse- tzung seiner Arbeit verlassen. Ein Gastwirth hat den Willen bestaͤndig, Gaͤste und Fremde aufzunehmen, und sie zu bedienen: er machts bekannt, und jeder richtet sich darnach. Ein Lehrstuhl, eine Fabrique, ein Gasthof sind also moralische Wesen, die eigentlich in dem Wil- len der Menschen bestehen, ohngeachtet sie mit coͤrperlichen Dingen verknuͤpft sind. So ist auch ein Drittes Capitel, ein Koͤnigreich, eine Wuͤrde, jeder Stand beschaffen. Und solche moralische Dinge, wenn sie aus mehrern Menschen bestehen, pflegen ge- meiniglich viel laͤnger, als die Menschen selbst zu dauren, weil bey Abgang eines oder des andern, dennoch der Wille der uͤbrigen unveraͤndert bleibt, der erledigte Platz aber gar leicht mit einem an- dern indiuiduo wieder erfuͤllet wird. §. 5. Wie moralische Wesen sichtbar werden. Ungeachtet nun der Wille der Menschen un- sichtbar ist, und mithin die moralischen Dinge auch an sich unsichtbar sind, so werden sie doch auf zweyerley Art sichtbar und kentlich, daß man von ihrem Daseyn, ja von ihrer Dauer, so wohl versichert ist, als von der Existentz eines in die Augen fallenden Coͤrpers: nehmlich 1. durch die coͤrperlichen Dinge, und den apparat, der dazu noͤthig ist, den Willen und Vorsatz auszufuͤh- ren. Als man legt einen Eisenhammer an: man kan da aus den kostbaren Anstalten, ja aus der Art des Baues leicht urtheilen, daß es nicht dar- auf angefangen sey, den Hammer etwa einen Tag gehen zu lassen; sondern daß es ein dauerhafft Werck seyn solle. 2. Durch aͤusserliche Zeichen, welche den bestaͤndigen Vorsatz bekannt machen. Also pflegt eine neue Handlung ihre Einrichtung oͤffentlich bekannt zu machen. Hieher gehoͤren die Nahmen, welche sich Gesellschafften geben, Pri- vilegien, Stifftungsbrieffe, wodurch mora- lische Wesen theils zu ihrer Existentz gebracht wer- den, v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. den, theils aber ihre Dauerhafftigkeit versichert und bekannt gemacht wird. §. 6. Zwey Arten von Begebenheiten der mora- lischen Dinge. Die Begebenheiten der moralischen Wesen gruͤnden sich zwar auf den vereinigten Willen der Menschen (§. 4.); da sie aber aͤusserliche Dinge zu ihren Vorwurff haben (§. 1.): so entstehen ihre Veraͤnderungen und Begebenheiten auf zweyerley Art: einmahl in und an den Willen der Menschen, der veraͤnderlich ist; und so wohl eyfriger, als nachlaͤßiger, besser und schlimmer werden kan; ingleichen daß mehrere Menschen ihren Willen mit der Zeit vereinigen, oder im Gegentheil von ihrem vorigen Willen abgehen; wie bey allen Dingen geschiehet, bey welchen es auf den Beyfall der Leute ankommt. So dann werden auch die moralischen Wesen veraͤndert, durch die Begebenheiten der Coͤrper, welche mit den moralischen Dingen verbunden sind; als wel- che den menschlichen Willen und dessen Ausfuͤh- rung foͤrdern, hindern, aͤndern und gar aufhe- ben koͤnnen. Ein Bergwerck hoͤret auf, sowohl wenn die Stollen ersaͤufft werden, als wenn die Gewercken abstehen. Der Fischfang vermehret sich, sowohl wenn mehrere sich auf die Fischerey, hauptsaͤchlich auf dem Meere, legen, als wenn der Strich der Fische staͤrcker wird. §. 7. Drittes Capitel, §. 7. Eine Haupteintheilung der Begebenheiten. Die Begebenheiten der moralischen Wesen sind mithin von den Begebenheiten eintzelner Men- schen gantz unterschieden; ob wohl die Geschichte eintzelner Menschen in jene den groͤsten Einfluß haben. Eine Handlung bestehet zwar noch im- mer, wenn sie gleich ihren treuen und klugen Di- recteur verlohren hat, aber sie leidet doch da- durch. Hingegen sind die Geschichte derjenigen Menschen, welche mit einem moralischen Wesen zu thun haben, grossen theils auch nicht zu den Geschichten der moralischen Wesen selbst zu rech- nen: als ob der Directeur eine Frau gehabt, wie viel er Kinder gehabt, u. s. w. Beym Regiment und Koͤnigreichen ist am deutlichsten zu ersehen, wie die Geschichte eintzelner Personen den Zustand moralischer Wesen aͤndern koͤnnen. Die Weiß- heit und Tapfferkeit eines Koͤniges giebt dem gan- tzen Reiche eine grosse Staͤrcke: und sein Todt in einem Wahlreiche, macht das gantze Land zu ei- nem Schauplatz vieler Unruhen. §. 8. Vom Ursprunge eines moralischen Wesens. Die Hauptbegebenheit eines moralischen We- sens ist der Ursprung desselben; welcher um so viel merckwuͤrdiger ist, da er den Grund zu allen nachfolgenden Begebenheiten abgiebt, ohne wel- chem diese nicht wohl begriffen werden koͤnnen. Weil nun die moralischen Wesen eine Vereini- gung vieler Menschenwillen sind (§. 4.); so pflegt der v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. der Anfang, oder der Ursprung derselben in dem Willen eintzelner Personen angetroffen zu werden. So ist es geschehen, daß bey einer Kirchweyhe, wo viel Volck zusammen gekommen, ein Kauff- mann auf den Einfall gerathen, wo viel Menschen zusammen kaͤmen, waͤre leicht etwas zu loͤsen: er ist mit seinen Waaren hingezogen; er hat Geld geloͤset, andere haben es nachgethan; man hat es an mehrern Orten nachgethan, so sind Jahr- maͤrckte und Messen entstanden. Der Moͤnchs- orden, dessen Verfassung in der Welt so vieles geaͤndert, ist von zwey Menschen Anton und Paul entstanden, die sich aus verschiedenen Ab- sichten in die Wuͤste und Einsamkeit begeben haben. §. 9. Warum der Anfang der Dinge meist unbe- kannt ist? Hieraus nun werden zwey Eigenschafften be- greifflich, welche man gemeiniglich bey dem Ur- sprunge moralischer Wesen antrifft. Erstlich, warum der Ursprung moralischer Wesen, die doch wohl von grosser Wichtigkeit sind, so offte unbe- kannt ist; nehmlich weil das Thun und Lassen eintzelner Personen nicht so grosses Aufsehen macht, und daher auch nicht so leichte aufgeschrieben wird: Wenn es aber wegen seiner gar wichtigen Folgen recht merckwuͤrdig wird, so weiß man gemeini- glich nicht einmahl mehr, wie sich die gantze Sa- che angesponnen habe. Man siehet aber leichte, daß hier der Wille grosser Herren etwas voraus E habe, Drittes Capitel, habe, und noch eher, wiewohl es auch oͤffters genug nicht bemerckt wird, angemercket werden, oder nach einiger Zeit doch eher aufzusuchen sey. So kan man z. E. lesen, wie die Academie des Inscriptions et belles lettres entstanden ist, in den I. Tome der Memoires. Den ersten Buch- drucker aber weiß man wohl nicht so genau. §. 10. Warum sich die moralischen Wesen in kurtzen aͤndern? Sodann erkennet man aus dem (§. 8.) an- gemerckten Umstaͤnden, warum die moralischen Dinge mit der Zeit gemeiniglich eine gantz an- dere Gestalt gewinnen, als sie im Anfange ha- ben. Denn sobald viele Menschen sich an eine Sache machen: so mengen sich ihre Personell Um- staͤnde mit darein, und die Nachfolger sehen eine Sache allemahl gantz anders an, als die Erfinder. §. 11. Wie eine moralische Sache sichtbar wird. Die zweyte Begebenheit eines moralischen Dinges ist, daß es sichtbar wird. Um hier ein bequemes Merckmal zu haben, wollen wir fol- gendes davor annehmen: Wenn man aus den Anstalten absehen kan, daß es eine Sache sey, die nicht von der Menschen, die es treiben, ihrem Leben abhangen soll. So ist anfangs ein Werck vor eintzelne Personen, daß sie in einem Flusse Lachs fangen: es entstehet aber ein Lachsfang, wenn man ein Wehr bauet, um ihren Zuruͤck- gang zu verhindern; denn da siehet man gleich, daß v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. daß wenn die ietzigen Lachsfaͤnger nicht mehr da- seyn werden: dennoch andere sich berechtiget zu seyn duͤncken werden, den Lachsfang fortzusetzen, oder die wenigstens die einmahl vorhandene gute Gelegenheit sich zu Nutze machen werden. Eine Ketzerey wird sichtbar, wenn man andere dar- innen unterrichtet. Wenn nun vollends eine or- dentliche Verbindung, Beruff, Stifftung u. s. w. gemacht und angetroffen wird, so ist das moralische Wesen sichtbar: Nun kan man das Daseyn desselben wissen, ohne von den eintzelnen Personen, die darzu gehoͤren, Nachricht zu haben. §. 12. Verfassung oder Gestalt moralischer Wesen. Die Gestalt oder Verfassung eines morali- schen Wesens bestehet darinnen, daß in den dazu gehoͤrigen Stuͤcken eine gewisse Verhaͤltniß ist, der- gestalt, daß das eine das Hauptwerck, das an- dere nur eine nothwendige Folge des Haupt- wercks: das dritte ein Nebenwerck; das vierte etwas zufaͤlliges ist, welches nur von Zeit und Ort, oder den Umstaͤnden der eintzelnen Personen abhanget, die damit zu thun haben. Z. E. bey einer Academie ist der Unterricht derer Schuͤler der Wissenschafften das Hauptwerck: eine noth- wendige Folge ist, der Unterhalt der Lehrer, weil diese sonst nicht bestehen koͤnnen: ein Nebenwerck ist, daß durch den Zufluß der Studierenden die Stadt bereichert wird: was zufaͤlliges ist, daß die Lehrer auch noch andere Aemter in der Stadt mit verwalten, oder daß sie Characters haben. E 2 §. 13. Drittes Capitel, §. 13. Und wie solche geaͤndert wird? Die dritte Begebenheit eines moralischen We- sens bestehet also in der Veraͤnderung der Ge- stalt, oder der Verfassung, welches geschiehet, wenn die Verhaͤltniß der Theile und der innerli- chen Umstaͤnde geaͤndert wird, als wenn eine nothwendige Folge etwa zum Hauptwerck selbst gemacht wird, oder wenn Nebensachen zur Haupt- sache, oder zufaͤllige Dinge zu nothwendigen Ei- genschafften gemacht werden. So wurde die Ge- stalt des Einsiedlerstandes veraͤndert, als man ansinge Lehrer aus ihnen zu nehmen; da doch die Faͤhigkeit zum Lehren eine so zufaͤllige Sache vor einen Muͤnch, nach der ersten Verfassung war, als dieses, daß er alt oder jung war: die Verfas- sung aber aͤnderte sich noch mehr, da man sie um der Zucht willen in coenobia und Gesellschafften vereinigte, da sich vorher die Zucht bey ihnen oh- ne solche Anstalt gefunden. Die Einsamkeit, als das ehemahlige Hauptwerck, wurde nicht allein zum Nebenwercke, sondern verschwand gantz und gar. §. 14. Wachsthum und Verbesserung der Dinge. Man bemercke weiter, als die vierte Ver- aͤnderung eines moralischen Wesens, das Wachs- thum, und die entgegen gesetzte Abnahme des- selben: ersterer erfolgt, wenn mehrere Menschen durch ihren Willen, freywillig oder gezwungen, daran Theil zu nehmen anfangen; das letztere aber geschie- v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. geschiehet, wenn der Menschen, die ihr Wille vereiniget hatte, weniger werden. Hievon aber ist die Verbesserung und Verschlimmerung der Dinge wohl zu unterscheiden; denn es folgt eben nicht, daß wenn eine Sache sich ausbreitet, daß sie darum besser wird, oder daß die Abnah- me derer, die daran Theil nehmen, allemahl die Sache verschlimmere. Meistens werden Kuͤn- ste, wenn sie allgemein werden, durch Stuͤmper, Betruͤger, und andere Fehler eintzelner Menschen, theils veraͤchtlich, theils verfaͤlscht, und verfallen wohl gar durch die Menge. §. 15. Auf sichern Fusse stehen. Eine Sache kommt zu ihrer Consistentz, oder wird auf einen sichern Fuß gesetzet, wenn die Unternehmung gewisser Personen einige gerechte Macht bekommt; denn ohne Macht kan es mit jeder Sache taͤglich und stuͤndlich aus werden. Dahingegen Dinge, welche Fuͤrsten anfangen, gar bald zur Consistentz kommen, und auf einen sichern Fuß pflegen gesetzt zu werden; bey Unter- nehmungen der Privatleute hat es Noth, daß et- was jemahls auf einen sichern Fuß gesetzt wird, wo nicht die Macht des Landes, oder des Landes- herrn, darzu kommt, welches durch so genannte Privilegia und Stifftungen geschiehet. Das Wort gerechte Macht nehmen wir hier nicht eben so genau, sondern so wie es im gemeinen Leben genommen wird, da nur erfodert wird, daß keine offenbare Ungerechtigkeit und Gewaltthaͤtig- E 3 keit Drittes Capitel, keit vorgehet, und da jeder, der in seinem Besi- tze nicht gestoͤhrt wird, einsweils vor einen recht- maͤßigen Besitzer gehalten wird. §. 16. Wenn Sachen ihren Weg gehen. Die Sache gehet ihren Weg, und ist in Ruhe, wenn das, woraus sie bestehet, fortgesetzt wird, jedoch ohne hefftige Zunahme oder Ab- nahme, ingleichen ohne Veraͤnderung der Ver- fassung. Dieses ist die schlimste Zeit vor die Ge- schichtschreiber: denn was an einem Tage geschie- het, das geschiehet auch am andern, und alles zusammen laͤsset sich aus der Verfassung der Sa- che, wenn diese einmahl beschrieben worden, a priori schluͤssen. Vor die Mitglieder aber pfle- get es die beste Zeit zu seyn; weil die Abnahme und Veraͤnderung der Verfassung einer Sache fast nothwendig mit Unruhe und Ungelegenheit verknuͤpfft ist; ja selbst eine schnelle Zunahme, des Vergnuͤgens ohngeachtet, meist viel zu schaffen macht. §. 17. Die letzten Begebenheiten moralischer Wesen. Jeder merckt von sich selbst, daß der Unter- gang eines Dinges eine Hauptbegebenheit jedes Dinges, und also auch moralischer Dinge und Wesen sey. Der Untergang aber ist hier dem Anfange aͤhnlich. Nicht allein, wenn die Per- sonen aussterben, welche darzu gehoͤren, oder wenn sie ihren Willen insgesamt aͤndern, hoͤret eine v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. eine Sache auf, sondern auch denn schon, wenn es anfaͤngt ein Werck eintzelner Menschen zu wer- den, mit deren Tode es aufhoͤren soll. Also ge- het ein Closter schon unter, wenn weiter keine novitii duͤrffen aufgenommen werden; es wird nunmehr zu einem personell Werck, von deren Leben die gantze Dauer der Sache abhanget. Manchmahl traͤgt sich aber bey Sachen, die ehe- stens voͤllig untergehen wuͤrden, noch vor dem Un- tergang eine Erneuerung zu: wie solches beym Adel sehr gewoͤhnlich ist. §. 18. Das Aensserliche, Geheime und Jnnerliche der moralischen Dinge. Das Aeusserliche und Jnnerliche muß bey moralischen Dingen etwas anders genommen werden, als bey coͤrperlichen Dingen. Das Aeusserliche und Offenbare ist, was an der Sache und denen Personen, die damit zu thun haben, auch Fremden in die Sinne faͤllt: als bey einer Handlung das Waarenlager, welches ent- weder gefuͤllet, oder im Gegentheil grossen theils leer ist: das Geheime ist, was nur denen, die mit der Sache selbst zu thun haben, in die Sin- ne faͤllet: als der Zustand einer Handlung, wel- cher der Buchhalter aus den Contobuͤchern, wie auch alle die hineinsehen duͤrffen, bekannt und of- fenbar ist, aber Fremden unbekannt ist: das Jn- nerliche aber bestehet eigentlich in den Willen der Menschen, die bey der Sache concurriren. Z. E. das Aeusserliche kan bey einer Handlung E 4 gut Drittes Capitel, gut bestellt seyn, als da ist das Waarenlager: das Geheime kan auch noch in guter Verfassung seyn, wenn nehmlich die Handlung ein grosses in Cassa oder auf Conto bey andern stehen hat. Laß es aber seyn, daß dieselbe ietzo von unverstaͤndigen und untreuen Handlungsfuͤhrern getrieben wird, so ist es mit derselben, voriger guten Umstaͤnde ungeachtet, doch in Ansehung des Jnnerlichen schlecht bestellt. Also bey einer Academie kan das Aeusserliche und Geheime noch viel Splendeur ha- ben: wenn aber den Lehrern die Faͤhigkeit zu ab- strahiren abgehet, so wird sich aus der Folge der da aufwachsender Lehrer, welche immer seichter werden, offenbaren, daß in dem Jnnerlichen ein Fehler verborgen gewesen seyn muͤsse. §. 19. Seiten der moralischen Dinge? Das Wort Seite gehoͤrt eigentlich vor die Coͤrper (§. 16. C. 1.); aber es ist schon laͤngst ge- woͤhnlich, daß man so gar allen Dingen, und also auch insbesondere denen moralischen Wesen, Seiten beylegt. Man kan den Ehestand, den Soldatenstand, das Seewesen auf dieser und auf jener Seite betrachten. Dieses muß nun von der Betrachtung besonderer und eintzelner Theile und Umstaͤnde der Sache was unterschiedenes seyn, und bestehet darinnen, daß man vielen Theilen, die aus besondern Ursachen von uns zu- sammen genommen werden, zusammen betrach- tet: also siehet man die Sachen auf der guten und schlimmen, auf der schweren und leichten Seite, v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. Seite, auf der starcken und schwachen Seite an, wenn man das Gute oder das Bose, das Leichte oder das Schwere, das Vollstaͤndige oder Unvollstaͤndige davon zusammen nimmt, und in Erwegung ziehet. §. 20. Und was daraus vor Begriffe entstehen? Eine Sache nach und nach auf mancherley Seite betrachten, heisset die Sache beleuchten. Nachdem man eine Seite betrachtet hat, und so dann das Gegentheil derselben in Betrachtung gezogen wird, das heisset man eine Sache um- wenden. Man hat z. E. eine neue Abgabe ersonnen: das Project wird beleuchtet, indem man es nach seinem Ertrage, nach den erfor- derlichen Unkosten bey der Einnahme, nach der Schwierigkeit bey der Eintreibung, nach der Beschwerde, womit die Unterthanen aufs neue belegt werden, nach dem Schaden, der daraus in der Handlung entstehen kan, untersucht. Man wendet aber das Project um, wenn man etwa anfangs das Gute und hernach das Boͤse be- trachtet: wenn man erst, wie es sich in Ansehung des Fuͤrsten verhaͤlt, erweget, und so dann wie in Ansehung der Unterthanen. §. 21. Wie man gegen ein moralisches Wesen sich verhalten kan. Diejenigen, deren vereinigter Wille die Ex- istentz eines moralischen Dinges ausmacht, heissen Glieder. Da nun leicht zu erachten, daß wo E 5 viele Drittes Capitel, viele Willen zusammen kommen, solche nicht von einerley Wichtigkeit bey der Sache seyn werden, also unterscheiden sich, wo Glieder sind, diejeni- gen gar bald, auf deren Willen das meiste an- kommt, welche man Hauptpersonen nennet. Da aber jedes moralisches Wesen in anderer Men- schen ihr Thun und Lassen einen Einfluß haben muß, so werden diese, nachdem sie Nutzen oder Schaden davon haben, oder zu haben sich ein- bilden, gemeiniglich unter dem Nahmen der Freunde und Feinde begriffen. Um sie, in ei- nen Begriff zusammen zu fassen, wollen wir sie Theilnehmer nennen. Wer aber weder Scha- den noch Nutzen von einem moralischen Wesen hat, und doch davon weiß, der heisset ein Frem- der. Derjenige, der mit einer Sache gar nichts zu thun hat, und auch nicht einmahl davon weiß, der kommt gar nicht in Anschlag, und wird in An- sehung desselben Dinges vor ein non ens zu ach- ten seyn. Als in Ansehung des Wechselcurses sind die Hottentotten und die Hurons vor non en- tia zu achten. §. 22. Woraus Eintheilungen der Begebenheiten entstehen. Die Begebenheiten eines moralischen Dinges koͤnnen also verschiedene Subjecta haben, und ent- weder die Menschen selbst, die mit einer Sache umgehen, betreffen, oder die coͤrperlichen Din- ge, die zum moralischen Wesen gehoͤren. Was die Personen anlanget, so betrifft die Begeben- heit, v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. heit, entweder die Glieder, worunter die Be- gebenheiten der Hauptpersonen die merckwuͤrdig- sten sind; oder die Theilnehmer: oder endlich die Fremden oder Zuschauer. Die letztern werden in der Welt wenig geachtet, ausser bey den Gelehrten. So wird denen Faͤrbern wenig daran liegen, was man in einem andern Welt- theile, wo man ihre Faͤrberey nicht braucht, da- von dencken moͤchte oder nicht: ein Gelehrter aber hat gemeiniglich Freude daran, wenn nur eine Menge Leute von seinen Gedancken und Erfin- dungen Nachricht haben. Der Unterschied kommt daher, weil man von Wissenschafften nicht leichte Nachricht erhaͤlt, oder auch einen blossen Zuschauer abgiebt, ohne endlich selbst daran durch die er- langte Erkentniß Theil zu nehmen. §. 23. Andere Eintheilungen der Begebenheiten. Da wir auch die Umstaͤnde eines moralischen Wesens in das Aeusserliche, Verborgene, und Jn- nerliche eingetheilt haben; so koͤnnen die Begeben- heiten dieser Dinge auch so eingetheilt werden, daß sie sich entweder in Ansehung des Aeusserli- chen, oder des Geheimen, oder des Jnnerli- chen begeben. Also bey einer Banco ist eine aͤusserliche Veraͤnderung, nachdem recht vieles baares Geld, oder nicht vorhanden; ingleichen, daß dieselbe wenig oder mehr Vorsteher hat: in Ansehung des Geheimen, ob sie mehr activ- oder passiv- Schulden hat: in Ansehung des Jnnerli- chen, ob sie Credit hat. Die Historien bestehen ge- Viertes Capitel, gemeiniglich aus lauter aͤusserlichen Veraͤnderun- gen. Als wenn z. E. Tacitus die Historie des Roͤmischen Reaiments oder Republick gleich zu Anfang seiner Annalen erzehlet, so haͤlt solche lauter aͤusserliche Veraͤnderungen in sich, welche aus dem vorhergehenden innerlichen entstanden sind; an sich aber auch denen, die an der Roͤmi- schen Buͤrgerschafft keinen Theil gehabt haben, haͤtten bekannt seyn koͤnnen. Mit denen darauf folgenden ausfuͤhrlichen Erzehlungen vom Ende des Augusts, und der Regierung seiner Nachfol- ger, gehet es hernach anders; und weil da viele, sowohl geheime als innerliche Begebenheiten von Rom bemercket werden, so ist auch der Tacitus immer, als was wunderbares von einem Histo- rienschreiber, verehret worden. Viertes Capitel, von den Begebenheiten der Menschen, und denen eintzeln Weltge- schichten. §. 1. Begebenheiten an Leib und Seele machen nur eine Sache aus. D er Mensch bestehet aus Leib und Seele, die aufs genaueste mit einander verbun- den sind, so daß die Begebenheiten dieser we- v. d. Begebenheiten der Menschen ꝛc. wesentlichen Theile, als Begebenheiten einer eini- gen Sachen angesehen werden: wie sie denn auch so genau an einander hangen, daß es nicht moͤg- lich ist, nur eine Begebenheit des Leibes anzuge- ben, daran die Seele nicht Antheil naͤhme; und so auch mit den Veraͤnderungen der Seele. Doch aͤussern sich diese Begebenheiten bald hauptsaͤch- lich in der Seele, bald hauptsaͤchlich im Leibe. Denn so kommen in Ansehung des Verstandes, Erkentniß und Unwissenheit, Jrrthum und Wahr- heit; in Ansehung des Willens, Tugend und Laster, Affecten und Entschluͤssungen vor; in An- sehung des Leibes aber Kranckheit und Gesund- heit. Dieses alles sind Veraͤnderungen der gan- tzen Person, die wir aber hauptsaͤchlich nur auf der einen Seite erkennen. Ein Scholastischer Philosoph wuͤrde den Leib oder die Seele das sub- jectum quo solcher Begebenheiten nennen. §. 2. Die ersten Begebenheiten des Menschen. Die Geburt ist die erste augenscheinliche Be- gebenheit der Menschen. Die Erzeugung aber gehoͤrt zu den verborgenen oder geheimen (§. 18. C. 3.) Begebenheiten der Eltern; wodurch der Anfang von dem Daseyn eines andern Menschen gemacht wird. Der Vater aber ist vor gesitte- te Voͤlcker ein Hautptumstand, den die Menschen von ihren und anderer ihrem Ursprunge zu wissen hauptsaͤchlich noͤthig haben. §. 3. Viertes Capitel, §. 3. Nothwendige und besondere Begebenheiten der Menschen. Die Veraͤnderungen, welche sich mit dem ein- mahl gebohrnen Menschen zutragen, sind entwe- der nothwendige und natuͤrliche, die nach dem Lauffe der Natur bey allen Menschen ange- troffen werden; als die Folge der verschiedenen Lebensalter; essen und trincken, mannbar werden u. s. w. oder es sind besondere Begebenheiten, die sich nicht bey jedem zutragen, und also nicht vermuthet werden koͤnnen. Letztere lassen sich zwar auch auf gewisse Arten und Geschlechter reduciren, davon einige sehr gaͤnge und gaͤbe in der Welt sind: als daß man verwaͤyset ist, daß man arm ist: daß man Unpaͤßlichkeiten hat. Sie koͤnnen aber doch, als bey Personen von Wich- tigkeit, mit gutem Grunde bey jedem individuo angemercket werden, weil man sie doch nicht a priori wissen kan: da hingegen die nothwendi- gen Begebenheiten bey eintzeln Menschen nicht pflegen angemerckt zu werden, als daß er Zaͤhne bekommen, denn man kan solches von selbst er- messen. §. 4. Jeder Mensch befindet sich allezeit in einem Stande. Weil die Menschen in einer bestaͤndigen und sehr alten Gesellschafft mit einander leben; so ist fast kein Zustand zu ersinnen, der nicht schon sei- nen bekannten Nahmen haben, und als eine ge- wisse v. d. Begebenheiten der Menschen ꝛc. wisse Art menschlicher Zustaͤnde, allgemein be- kannt seyn sollte; dergestalt, daß man einen sol- chen Zustand als ein moralisches Wesen betrach- tet; die Armuth, die Kranckheiten, die Aemter, die Ergoͤtzungen, alles hat schon seinen bekannten Nahmen, und ist ein schon bekannter Zustand. Da- her so bald der Mensch gebohren, ja so bald er empfangen worden, befindet er sich in einem ge- wissen Stande; der wie er das erste mahl in der Welt vorgekommen ist, schon Aufsehens mag ge- macht haben; als z. E. ein Vater und Mutter- loßer Wayse zu seyn; aber nunmehro schon so bekannt ist, daß jeder mit einem allgemeinem Be- griffe solches Standes versehen ist. §. 5. Wie man den Stand eines Menschen Jeder Mensch befindet sich in mancherley Stande: er ist z. E. ein Buͤrger, ein Handwercks- mann, ein Ehemann, ein Kirchenvorsteher, ein Vormund, ein Nachbar u. s. w. Man sehe nur, wie viel Dienste manchmahl ein einiger Mann hat. Unterdessen pflegen wir jedem nur einen Stand zuzuschreiben; und da gilt die Regel: a po- tiori sit denominatio. Den vornehmsten Stand eines Menschen pflegt man also schlechtweg den Stand desselben zu nennen. §. 6. im gemeinen Leben zu rechnen pfleget. Nun fragt es sich: welches der vornehmste Stand sey? hier koͤnnen dreyerley in Anschlag kommen. 1. Derjenige Stand, womit sich je- mand Viertes Capitel, mand am meisten beschaͤfftiget; 2. der Stand, welcher uns am meisten eintraͤgt; 3. der Stand, der am meisten Ehre hat. Der letztere wird ge- meiniglich den andern vorgezogen, und im gemei- nen Leben der Stand eines Menschen genennet: wovon wir die Ursache denen Moralisten zu un- tersuchen und zu beurtheilen uͤberlassen. Jn die- ser Abhandlung aber koͤnnen wir uns an diesen ge- meinen Maaßstab des Standes nicht halten, sondern der eine wird uns in den meisten Faͤllen so gut seyn als der andere. §. 7. Viele Begebenheiten verstehen sich von selbst, andere nicht? Weil die Beschaffenheit derer verschiedenen Arten von Staͤnden, aus der Erfahrung schon laͤngst unter den Leuten bekannt ist; so kan man von jedem, wenn uns sein Stand bekannt, gleich aus diesem unsern Begriffe, und a priori vieles einsehen, was ihm, vermoͤge seines Standes, zu thun oblieget, und was ihm, vermoͤge dessel- ben, begegnen kan. Hingegen kan es auch ge- schehen, daß in einem Stande sich, wegen der Umstaͤnde der Zeit, manches zutraͤgt, welches man bloß aus dem allgemeinen Begriffe von sol- chem Stande nicht hat einsehen koͤnnen: als daß eine Gemeinde eine Verfolgung uͤberfaͤllt, dar- auf rechnet jetzo wohl nicht leicht jemand, der ein Predigtamt annimmt. Ueberhaupt aber kommen bey eintzeln Personen auch individuelle Umstaͤnde vor, die mir der allgemeine Begriff nicht an die Hand v. d. Begebenheiten der Menschen ꝛc. Hand giebt. Als, ich weiß von jemanden, daß er als Advocat practicirt; daraus kan ich freylich nicht absehen, wie viel er Processe hat? und wem er bedient ist? §. 8. Woraus alltaͤgliche Begebenheiten Was sich aus dem allgemeinen Begriffe des Standes, worinnen sich jemand befindet, schluͤs- sen laͤsset, das heissen taͤgliche Verrichtungen, und alltaͤgliche Begebenheiten; als daß ein Cantzellist copirt, oder mundirt, daß der Soldat auf die Wache ziehet, daß der Caßirer Geld ein- nimmt und auszahlet. Das alles laͤsset sich aus den allgemeinen Begriffen dieser Staͤnde schon ab- sehen. Dergleichen Handlungen nun pflegen die Aufmercksamkeit der Menschen wenig auf sich zu ziehen: niemand bekuͤmmert sich drum, als wer an solchen Verrichtungen selbst Theil hat: Frem- de, Abwesende, Nachkommen bekuͤmmern sich nicht darum, ausser wer vorwitzig ist. Un- terdessen machen doch diese taͤglichen, und nicht in sonderlicher Achtung stehenden Begebenheiten den groͤsten Theil unsers Lebens aus. §. 9. und Thaten entstehen. Was aus dem allgemeinen Begriff unsers Standes nicht fluͤsset, und also auch nicht daraus ge- folgert werden kan, und doch von uns geschiehet, das heissen Thaten. Es ist zwar an dem, daß man dieses Wort hauptsaͤchlich von sehr wichtigen Handlungen, und besonders von Kriegsthaten F braucht: Viertes Capitel, braucht: doch ist jene weitlaͤufftigere Bedeutung des Wortes nicht unbekannt; und da man selbst im gemeinen Leben sowohl von schlechten als von grossen Thaten zu reden pfleget, so wird bey die- ser Eintheilung jener allgemeine Begriff aller- dings voraus gesetzet. Die Thaten aber sind ei- gentlich das, was man unter eines Menschen Thun und Lassen zu bemercken pflegt; denn solche Handlungen sind vor die Zuschauer, und die, so davon hoͤren, etwas unerwartetes, oder gar was gantz neues; und sie lernen sich in vorkom- menden Fallen darnach richten. Beydes macht ihre Aufmercksamkeit rege. §. 10. Was vom Stande eines Menschen zur Historie gerechnet werde? Ohngeachtet jede Handlung eines Menschen zu seinen Begebenheiten gehoͤret, welche daher saͤmtlich koͤnnten bemerckt, erzehlt, und in histori- sche Nachrichten verwandelt werden: so werden doch gemeiniglich die taͤglichen Verrichtungen und alltaͤglichen Begebenheiten (§. 8.) wegen ihrer grossen Menge bald vergessen; hingegen bemerckt man genauer, 1. wenn ein Mensch seinen Stand veraͤndert: denn dieses ist allemahl was zufaͤlliges und kan a priori nicht eingesehen werden; es fol- gen aber daraus eine Menge anderer, obgleich nur taͤglichen Verrichtungen, die sich aber auf einmahl daraus uͤbersehen lassen (§. 8.), folglich sind sie hoͤchst merckwuͤrdig. 2. Bemerckt man die Thaten, wegen der (§. 9.) angefuͤhrten Ur- sachen. §. 11. v. d. Begebenheiten der Menschen ꝛc. §. 11. Fernere Hauptbegebenheiten der Menschen: als Gluͤcks- und Ungluͤcksfaͤlle. Und so bemerckt man auch bey eintzeln Men- schen ihre Gluͤcks- und Ungluͤcksfaͤlle; sie moͤ- gen sich nun in Ansehung des Leibes, oder der Guͤter, oder in dem Verhaͤltniß gegen andere Menschen zutragen, und eine wichtige Veraͤnde- rung verursachen. Also wird bemerckt, wenn je- manden seine naͤchsten Freunde abgestorben sind, daß seine Stadt abgebrannt ist, daß sie belagert worden, daß er eine Erbschafft gethan, daß er der Aelteste im Collegio geworden. Nun haben aber auch diese Gluͤcks- und Ungluͤcksfaͤlle, we- gen der langen menschlichen Erfahrung, ihre ge- wisse Arten und Geschlechter, deren Folgen schon bekannt sind: daher pfleget man auch von diesen Begebenheiten ihren Folgen wenig anzu- mercken; es waͤre denn, daß sie zu einer beson- dern That Anlaß gegeben haben. §. 12. Veraͤnderung der Sitten und Faͤhigkeiten? Man bemerckt auch gerne an einem Men- schen seine Sitten und Faͤhigkeiten. Diese, wie sie nicht auf einen Tag entstehen, und auch selten auf einmahl wieder abgelegt werden, so ge- hoͤren sie zu den Dingen, welche sind: als daß jemand ein Zaͤncker, ein Saͤuffer, ein stiller, ein fleißiger Mann ist. Der Sitz derselben ist haupt- saͤchlich in der Seele; lassen sich aber zuverlaͤßig aus den aͤusserlichen Wercken und Thaten erken- F 2 nen. Viertes Capitel, nen. Jndem man aber aus eintzeln Faͤllen und Exempeln auf eine Faͤhigkeit, und auf eine be- ftaͤndige Gemuͤthsverfassung schluͤsset, so ge- schiehet solches unter dem Titul der Erfahrun- gen, und ist eigentlich nicht ein Schluß, sondern ein locus communis; bey denen allerdings Vor- sicht zu gebrauchen ist; wie solches bey denen Phy- sicalischen Erfahrungen noͤthig ist (§. 41. C. 2.). Die Veraͤnderung der Sitten waͤre freylich eine der wichtigsten Begebenheiten eines Menschen, der mit denen Veraͤnderungen des Standes in gleichen Paare gehet (§. 10.): weil aber solches gemeiniglich nach und nach und unvermerckt geschiehet, so kan bey Veraͤnderung der Sitten leichter bemerckt werden, daß sie geschehen, als daß, und wenn sie geschiehet. §. 13. und der Todt. Wenn der Mensch verschiedene Alter durch- gegangen (§. 3.), sich in mancherley Staͤnden befunden (§. 5.), darinnen theils alltaͤgliche Ar- beit getrieben (§. 8.), theils aber Thaten verrich- tet (§. 9.), und unterdessen mancherley Gluͤcks- und Ungluͤcksfaͤlle erfahren (§. 11.), auch wohl seine Sitten geaͤndert hat (§. 12.); so ist ihm nichts uͤbrig, als sein Ende, und der Todt; wel- cher, als die letzte Begebenheit in dieser Welt, nicht weniger merckwuͤrdig ist, als seine Geburt. §. 14. v. d. Begebenheiten der Menschen ꝛc. §. 14. Geschlechtsnachrichten. Es ist sehr gewoͤhnlich, sich einen Menschen, als den Mittelpunckt vieler andern vorzustellen, von denen er theils in Ansehung seiner Erzeugung abhaͤnget, und die er theils erzeuget hat: welches denn seine Vorfahren, theils seine Nachkom- men unter sich begreifft. Er wird in Ansehung der ersteren, als ein Zweig, in Ansehung aber der letztern, als der Stammvater angesehen. Wenn nun die um ihn herumstehenden Personen ein besonderes Ansehen haben, so kan es nicht fehlen, daß ihm dieses ein grosses Ansehen, und eine ansehnliche Gestalt giebt; weil wir bey coͤrperlichen Dingen das Ansehen derselben eben- falls, nach den umstehenden Dingen, zu schaͤtzen pflegen (§. 23. C. 2.). §. 15. Zufaͤllige Verbindung vieler Menschen- geschichte. Man pflegt auch vieler Menschen ihre Ge- schichte, nach der Einbildungskrafft, mit einan- der zu verbinden, wegen einer gewissen Aehnlich- keit, obgleich sonsten ihre Begebenheiten keine Verbindung mit einander haben. So sind des Spizelii gluͤckliche und ungluͤckliche Gelehr- te, Goetzens gelehrte Junggesellen bekannt. Mein sel. Vetter, U. G. Siber, hat von den beruͤhmten Alemannen, und Gottschalcken geschrieben, auch von denen Makarien, und Martinen zu schreiben vorgehabt. Jn der in- F 3 nerlichen Viertes Capitel, nerlichen Einrichtung der auf diese Art vereinig- ten Geschichte ist, ausser dem, was wir von eintzeln Lebensbeschreibungen angemercket, nichts besonders zu beobachten. §. 16. Historie der Geschaͤffte. Eigentlich sind die Begebenheiten, die wir zu wissen verlangen, Begebenheiten eintzelner Men- schen: und es waͤre also eine recht natuͤrliche Er- kentniß der Geschichte, wenn wir wuͤsten, was de- nen indiuiduis der Menschen eintzeln begegnet ist; wie solches in denen Lebensbeschreibungen geschie- het, deren inerliche Verfassung wir umstaͤndlich erklaͤret haben (§. 13. 14.). Allein es ist uns auch auf der andern Seite daran gelegen, daß wir die Beschaffenheit der Begebenheiten selbst erkennen, so daß uns an den eigentlichen Per- sonen, die in dieselbe verwickelt sind, weniger ge- legen ist. Daraus entstehen nun verschiedene Ar- ten der Geschichte. Denn so wird oͤffters 1. die Historie dieses oder jenes moralischen Dinges sorgfaͤltig aufgezeichnet. Denn wie diese ohne Personen nicht seyn koͤnnen, als kan man die dabey theilhabenden Menschen (wenn man will,) nur in so ferne betrachten, als sie an diesem oder jenem moralischen Dinge Theil gehabt haben. Von dieser Art sind die Historien der Reiche, der Staͤdte, der Kloͤster und anderer Gesellschafften: die bischoͤffliche Wuͤrde u. s. w. §. 17. v. d. Begebenheiten der Menschen ꝛc. §. 17. Historien von Kriegen und Haͤndeln. Es sind 2. die so genannten Haͤndel be- kannt, da nehmlich Uneinigkeit und Zwietracht mit denen daraus geflossenen Handlungen nach ihren Anfang, Fortgang und Ende betrach- tet werden. Die Kriege und Kriegshaͤndel sind als die wichtigsten, auch die bekanntesten: denn kommen Rebellionen, Meutereyen, Processe, wo- bey Gewalt vor Recht gehet, Controversten, da- bey es an Schmaͤhungen, auch wohl Verfolgung nicht fehlet, ingleichen verbotene Liebeshaͤndel sind auch bekannte Nahmen; welche alle solche Ge- schichte anzeigen, wo man mehr auf die Folgen der Begebenheit selbst, als auf die Personen ach- tung giebt. §. 18. Historien der Thaten. Ferner werden 3. neue und sonderbare Tha- ten bemerckt, mehr der Sache, als der Perso- nen wegen: als die ersten Reisen nach Ost- und West Jndien: die Hauptconcilia: Gesandschaff- ten: praͤchtige Beylager und Leichenbegaͤngnisse. §. 19. Historien von wichtigen Geschaͤfften. Man ist endlich 4. auch aufmercksam auf ein- tzelne wichtige Geschaͤffte, welche ihre beson- dere Einrichtung haben, so daß man die Folge derselben aus dem allgemeinen Begriffe nicht wohl absehen kan, oder die von besonderer Art sind, F 4 und Viertes Capitel, und Gelegenheit zu einer neuen Art von Ge- schaͤfften geben. Als vor diesen ist der recursus ad Comitia nicht so bekannt gewesen, welcher Reichsstand aber es zuerst gethan hat, der hat ein neu Geschaͤffte unternommen, das, wie noch ietzo alle Recurs- Sachen thun, das Publicum sehr aufmercksam gemacht hat. Wenn dergleichen Geschaͤsfte nach den buͤrgerlichen Gesetzen sollen beurtheilet werden, so werden es Faͤlle, casus, genennet, wiewohl auch die Aertzte die casus sehr fleißig bemercken; und wenn man diese Ge- schaͤffte nach den goͤttlichen Gesetzen beurthei- len soll, so werden sie casus conscientiae genen- net. Alle Arten von Handlungen koͤnnen durch besondere Umstaͤnde sehr merckwuͤrdig werden: als der Kauff von Dynkercken; die Erbauung der hohen Pyramiden in Egypten. Auch werden selbst grobe Schandthaten, wo dieselben selten sind, sehr bemercket. §. 20. Eintheilung der Geschichte in die Geschichte ein- tzelner Menschen, und eintzelne Welt- geschichte. Nun ist es allerdings noͤthig, daß diese Art der Geschichte, welche den Geschichten eintzelner Menschen entgegen gesetzt sind, mit einem beson- dern Nahmen benennet, und unter einen allge- meinen Begriff gebracht wuͤrden, damit man de- sto bequemer von allen zusammen auf einmahl re- den koͤnte. Wir wollen daher solche die eintzeln Weltgeschichte nennen. Denn die so genann- ten v. d. Begebenheiten der Menschen ꝛc. ten Weltgeschichte, welcher Nahme bekannt ge- nug ist, bestehen aus lauter solchen Dingen, wie wir (§. 16. 17. 18. 19.) bemerckt haben. Von eintzeln Personen findet man selten weitere Nach- richt, als in so ferne sie in gewisse moralische We- sen einen Einfluß gehabt, oder besondere Thaten verrichtet, und ausserordentliche Schicksale, wie Ulysses, erlitten haben. Daher wir auch von den uͤbrigen personellen Umstaͤnden, selbst grosser Monarchen, wenig Nachricht haben. Das uͤbri- ge wird nehmlich entweder zu ihren natuͤrlichen und nothwendigen Begebenheiten (§. 3.), oder zun alltaͤglichen Verrichtungen (§. 8.), oder zu den gemeinen Gluͤcks- und Ungluͤcksfaͤllen gehoͤ- ren (§. 11.), die man der Aufmercksamkeit nicht wuͤrdig achtet, auch wohl niemanden, als die al- lernaͤchst dabey sind, etwas angehen; andern auch wohl deswegen, als was Geheimes, unbekannt bleiben. Unsere haupthistorische Erkentniß ist da- her die Erkentniß eintzelner Weltbegeben- heiten. §. 21. Alle Begebenheiten haben ihre Arten. Bey allen Dingen, die da sind, oder gesche- hen, haben wir zwar allgemeine Begriffe, dar- unter die eintzeln Geschaͤffte und Begebenheiten koͤnnen gebracht werden, als Krieg, Frieden, Reisen, Kuͤnste, Staͤdte, Kranckheiten, Be- schimpffungen, u. s. w. diese allgemeinen Begriffe aber sind kein Stuͤck der historischen Erkentniß, son- dern entstehen aus derselben durch die Abstraction; F 5 helffen Viertes Capitel, helffen aber nachher, und dienen, neu vorkommen- de aͤhnliche Faͤlle desto eher zu uͤbersehen. Der allge- meine Begriff eines Congresses setzt uns bey einem vorseyenden Congreß gleich in Stand, daß wir vieles davon gleich von uns selbst und a priori wissen koͤnnen, was einem andern, der keinen all- gemeinen Begriff davon hat, nicht ins Hertz kom- men wuͤrde. An sich aber gehoͤren diese Begriffe in die Philosophie. §. 22. Unterschied eintzelner Dinge, sowohl von einan- der selbst, als von ihren Arten. Die eintzeln Geschichte und Dinge uͤber- haupt, unterscheiden sich von denen allgemeinen Begriffen, unter welchen sie enthalten sind: durch die individuellen Umstaͤnde, die in dem allge- meinen Begriffe gar nicht enthalten sind. Also obgleich alle Brieffe, Brieffe sind, so stehet doch in jedem etwas anders, als in allen uͤbrigen: Je- der Brieff wird auch von einer besondern Per- son, an einem besondern Orte, zu einer beson- dern Zeit geschrieben. Jeder Kauff setzt beson- dere Personen, besondere Sachen voraus. Eben so werden auch individuelle Begebenheiten von einerley Art durch die besondern Umstaͤnde der Personen und Coͤrper, die dabey concurriren, von einander unterschieden. Die allerkuͤrtzeste Art aber eintzelne Geschaͤffte und uͤberhaupt eintzelne Dinge von einander zu unterscheiden, ist, daß man Zeit und Ort sich davon bekannt macht: indem viel Dinge an einem Orte und zu einer Zeit nicht geschehen koͤnnen. Und bey Personen ist der Nah- v. d. Begebenheiten der Menschen ꝛc. Nahme ein Hauptmerckmahl, wodurch er von andern Menschen unterschieden wird. §. 23. Willkuͤhrliche Verbindungen eintzelner Weltgeschichte. So wenig es etwas in der historischen Erkent- niß selbst aͤndert, wenn man die Geschichte vieler Personen, die aber unter einander keine Verbin- dung haben, wegen einer Aehnlichkeit, in eine Abhandlung zusammen bringt (§. 15.), so we- nig kan es auch etwas aͤndern, wenn man etwa Geschaͤffte wegen einer Aehnlichkeit zusammen traͤget; die selbst unter einander keine Verbindung haben. Z. E. eine Sammlung von Verbrennung der Ketzer ist leicht zu machen, so bald man die Materialien dazu, oder die eintzeln Geschichte, wie Ketzer sind verbrannt worden, bey der Hand hat. Es liegt nichts dran, ob man sie nach alphabeti- scher, chronologischer, geographischer, oder einer andern Ordnung zusammen traͤget. Fuͤnfftes Capitel , vom Zuschauer und Sehepunckte. §. 1. Der Zuschauer ist bey einer Erzehlung eine Hauptsache. D ie Begebenheiten, und mithin auch die Ge- schichte, sind Veraͤnderungen derer wuͤrck- lichen Dinge; und koͤnten also vorgehen, wenn Fuͤnfftes Capitel, wenn auch gleich keine Zuschauer dabey waͤren. Jeder vernuͤnfftiger Mensch ist zwar in Ansehung seiner eigenen Handlungen und Begebenheiten, wegen seiner Vernunfft, ein Zuschauer: doch han- get die Existentz seiner Handlungen und Begeben- heiten von diesem Zuschauer nicht ab: und eben so ist es mit den Begebenheiten jedes Menschen in Ansehung anderer beschaffen, daß es ihm an Zuschauern nicht fehlet: wie daraus erhellet, weil etwas so schwer zu verbergen ist. Aber alle die- se Zuschauer sind zur Existentz der Begebenheiten selbst gar nicht noͤthig. Allein bey der Erkent- niß der Begebenheiten, und denen daraus fluͤssenden Erzehlungen, ist es eben so noͤthig, auf den Zuschauer und dessen Beschaffenheit achtung zu geben, als auf die Sache selbst. Von beyden hanget die Erkentniß der Begebenheiten, und mit- hin auch die Wahrheit der Erzehlungen selbst ab. §. 2. Besonders bey coͤrperlichen Dingen. Denn so ist bey Coͤrpern offenbar, daß ihre Veraͤnderungen und Begebenheiten eine gantz an- dere Gestalt bekommen, nachdem sich der Zu- schauer in Ansehung derselben verhaͤlt, ob er na- he oder ferne, hoͤher oder tieffer stehet: ob er ach- tung giebt, oder nicht. Die Fixsterne, wie itzo alle Gelehrte wissen, sind vor diejenigen, die nahe genug sind, Sonnen, vor uns aber, sind sie we- gen der unbeschreiblichen Weite, kleine Himmels- lichter. Der Mond ist bald voll, bald halb, bald noch weniger erleuchtet, nehmlich vor uns; denn aus einem andern Sehepunckte betrachtet, ist er alle- vom Zuschauer und Sehepunckte. allemahl halb, oder weil er viel kleiner als die Sonne ist, etwas mehr als halb erleuchtet. Der gantze Begriff der Mondesviertheile beruhet auf dem Stand der Erdbewohner. Und dieses gilt nun von allen coͤrperlichen Veraͤnderungen, daß dabey auf den Zuschauer, nicht in Ansehung der Erzehlung allein, sondern auch der Empfindung und der Begebenheit selbst (weil wir sie von der Vorstellung derselben nicht trennen koͤnnen,) vie- les ankommt. Der Zuschauer aber ist, der ei- ne Sache als gegenwaͤrtig empfindet. Nach die- sen Erklaͤrungen kan man sowohl durch die in- nerliche, als durch die aͤusserliche Empfindung einen Zuschauer abgeben; durch jene von dem, was in uns selbst vorgehet; durch diese aber von dem, was ausser dem Zuschauer vorgehet. §. 3. Verschiedene Begriffe des Sehepuncktes. Bey der Empfindung der Coͤrper giebt man allezeit hauptsaͤchlich aufs Sehen achtung, welches nicht allein der deutlichste Sinn ist, sondern auch der- jenige, womit wir am weitesten reichen; und bey die- sem Sinn nun ist klar genug, was der Sehepunckt sey, nehmlich der Ort, wo das Auge des Zu- schauers sich befindet. Davon dependiren offen- bar die sichtbaren Begebenheiten, jeder er- kennt sie nach dem Stande seines Auges: und was sich dabey zutragen kan, ist in der Optick schon alles auf das klaͤrste aus einander gesetzt wor- den. Zum Gebrauch der historischen Erkentniß aber muß dieser Begriff auch schon bey sichtlichen Dingen etwas ausgedehnet werden: man muß ihn Fuͤnfftes Capitel, ihn uͤberhaupt vor den Zustand des Auges neh- men; dergestalt, daß die Schaͤrffe des Auges, die Krafft in die Naͤhe oder Ferne zu sehen, mit zum Sehepunckte zu rechnen ist. Und dieses ist die erste Erweiterung des Begriffes vom Se- hepunckte. Da wir aber mehrere Sinne haben, auf deren innerliche und aͤusserliche Beschaffenheit oder Zustand, es eben auch ankommt, daß wir gewisse Dinge so oder auch anders empfinden; so muß man, wenn man des andern seine Empfin- dungen begreiffen will, allerdings auf den Zustand seiner Sinne sehen; und daher muß bey den Em- pfindungen uͤberhaupt, der Zustand unserer Sinne, der Sehepunckt genennet werden. Welches die zweyte Ausdehnung dieses Begriffes ist, die wir nicht enbehren koͤnnen. §. 4. Wozu noch der dritte kommt. Die Erfahrung aber lehret, daß, nachdem ein Mensch in seiner Seele beschaffen ist, wenn er mit sinnlichen Dingen umgehet, er bald Sachen zu empfinden anfaͤnget, die er vorher nicht em- pfunden hat, bald aber Dinge und Umstaͤnde nicht wahrnimmt, die ein anderer gleich wahr- nimmt: daß er auch Sachen anders empfindet, widrig, angenehm, leichte, langsam, nachdem er gesund und munter, oder irgendwo beschwert ist. Denn so sind alle Krancken sehr empfindlich und unleidlich. Es ist auch bekannt, daß selbst Din- ge, die mit Haͤnden gemacht werden, nicht alle Stunden gleich gerathen wollen, sondern daß sich manchmahl eine besondere Unfaͤhigkeit aͤussert. Jm vom Zuschauer und Sehepunckte. Jm Durste siehet man nicht darauf, was sich et- wa vor Unreinigkeiten im Wasser oder Gefaͤsse befinden; in der Flucht fuͤhlet man die Sachen, die sonst druͤcken, oder reiben, oder wohl gar ei- ne grosse Wunde machen, nicht. Daher hat auch der innerliche Zustand der Seele eines Men- schen einen Einfluß in das, was er durch die Sin- ne empfindet, und in die Erzehlungen, die aus solchen Empfindungen entstehen. Nun bemerckt man aber den Sehepunckt beym Auge deswegen, weil davon die Empfindungen des Auges, und die Geschichte, die man dadurch erkennet, abhan- gen (§. 3.); also wird auch noͤthig seyn, den Zu- stand des Leibes und der Seele, mithin des gan- tzen Menschen zusammen zu nehmen, wenn man von seinen gehabten Empfindungen, und denen daraus fluͤssenden Erzehlungen Rechenschafft geben soll. Der Zustand also des gantzen Menschen, der einer Sache und Begebenheit zuschauet, ma- chet den Sehepunckt desselben Zuschauers aus: welches die dritte Erweiterung des Begriffes vom Sehepunckte ist (§. 3.). §. 5. Was ein Mensch vor Zuschauer hat? Bey Geschichten eintzelner Menschen ist oh- ne Zweifel jeder zufoͤrderst sein eigener Zu- schauer, sowohl dessen, was er thut, als des- sen, was ihm begegnet. Jm uͤbrigen ist jeder Mensch ein Zuschauer vieler anderen; und jeder Mensch hat gar viele Zuschauer. Hierbey giebt es nun so viele Arten der Zuschauer, als es Ar- ten Fuͤnfftes Capitel, ten der Verbindungen giebt, unter Leuten, die an einem Orte leben, oder die in der Naͤhe bey- sammen sind: als Hausgenossen, und diese von verschiedener Gattung, Nachbarn, Mit- buͤrger, Collegen, Clienten, Creditores u. s. w. und je mehr solche Verbindungen in einer Person zusammen kommen, desto eher kan die eine die andere genau in Obacht nehmen, und einen Zu- schauer in Ansehung seiner mehresten Handlungen abgeben: daher man zu sagen pfleget, man ken- ne jemanden auswendig und inwendig. Nehm- lich worzu jemand nicht gelangen kan, einen Zu- schauer abzugeben, das haben wir das Geheime geheissen (§. 18. C. 3.); welches bey eintzeln Per- sonen, als Personen, mit den Jnnerlichen einerley ist, (denn was so innerlich ist, daß man es aͤusserlich gantz und gar nicht mercken kan, das kan hier gar nicht in Anschlag kommen). Wer nun wegen seiner vielfachen Verbindung fast alles Thun und Lassen des andern zu beobachten Gelegenheit hat, der erkennet also allerdings sein Auswendiges und Jnwendiges. §. 6. Die Zuschauer eines moralischen Wesens. Bey moralischen Wesen sind augenscheinlich sowohl die Mitglieder, als auch die Theilnehmer, und Fremden, welche nahe bey der Sache sind (§. 21. C. 4.), vor Zuschauer anzusehen. Denn alle diese wissen, und zwar als Gegenwaͤrtige, was mit und in der Sache vorgehet. Doch sie- het man auch gleich, daß sich alle diese Leute auf sehr vom Zuschauer und Sehepunckte. sehr vielerley, und auf sehr verschiedene Art ge- gen das moralische Wesen verhalten koͤnnen, des- sen Zuschauer sie sind. Denn so sehen in einem Collegio der Praͤsident und die Subalternen die Sache auf gantz verschiedene Art an. Die Ge- sandten sowohl als ihre Livrebedienten haben an einem Congresse Theil, und sind Zuschauer auf gantz verschiedene Art; daher gantz natuͤrlich folgt, daß sie sich auch die vorgehenden Dinge auf gantz verschiedene Weise vorstellen. §. 7. Die Zuschauer der Haͤndel, Geschaͤffte und Thaten. Bey Haͤndeln (§. 17. C. 4.), Thaten (§. 18. C. 4.), und Geschaͤfften (§. 19. C. 4.) pflegen vie- lerley Personen vorzukommen, die wir, wie bey dem moralischen Wesen (§. 21. C. 4.) in Mitglie- der, Theilnehmer und Fremde eintheilen koͤn- nen. Jeder von diesen giebt einen Zuschauer, der Haͤndel, Thaten und Geschaͤffte ab, oder uͤber- haupt der Weltgeschichte (§. 20. C. 4.), mit wel- chen er zu thun hat. Aber auch bey Haͤndeln, Thaten, Geschaͤfften, haben die daran nur eini- gen Theil nehmen, nicht einerley Verhaͤltniß; son- dern die nur jetzo angefuͤhrte Personen, die Mit- glieder, Theilnehmer und Fremden, koͤnnen ein- tzeln noch von gantz verschiedener Gattung seyn. Jeder derselben aber betrachtet die Sache nach seinen Umstaͤnden, das ist, so viel ihn theils sei- ne Umstaͤnde darzu veranlassen, theils aber ihm seine Umstaͤnde zulassen. Daher giebt es denn G sehr Fuͤnfftes Capitel, sehr viel Arten von Zuschauern bey jeden Haͤndeln, Thaten, Geschaͤfften, und uͤberhaupt bey jeden eintzeln Weltgeschichten. §. 8. Jeder betrachtet die Sachen nach seinem Stande; Daß jemand mit gewissen eintzeln Personen, oder mit gewissen moralischen Wesen, oder auch mit gewissen Haͤndeln, Thaten, oder Geschaͤfften zu thun hat, oder damit verwickelt ist, das ge- hoͤret zu seinem Stand (§. 4. C. 4.). Nun be- trachtet jeder die Sache nach seiner besondern Ver- bindung, die er vor sich mit derselben hat (§. 5. 6. 7.): folglich richtet sich die Vorstellung, oder das Anschauen der Geschichte nach jedes Zuschauers seinem Stande, dergestalt, daß sein Stand dar- an schuld ist, daß der eine dieses, der andere je- nes wahrnimmt, daß er die Sache auf dieser, der andere auf jener Seite betrachtet. §. 9. ingleichen nach seiner Stelle; Wenn diejenigen, die in einerley Stande sich befinden, dennoch sich zugleich in sehr mercklich verschiedenen Umstaͤnden befinden, so heisset ein solcher besonderer Zustand eine Stelle. Man kan bey einer Sache die obere, untere, oder auch eine mittlere Stelle haben: wie solches bey einem Regimente zu ersehen, das aus gar sehr ver- schiedenen Personen zusammen gesetzet ist, die doch alle zum Regimente gehoͤren, und mit demselben als Glieder verbunden sind. Wie nun das An- schauen vom Zuschauer und Sehepunckte. schauen einer Geschichte von dem Stande abhan- get, also wird das Anschauen einer Geschichte ebenfalls von der Stelle eines jede n abhangen. §. 10. und nach seinem innerlichen Zustande. Wenn Leute sich nicht allein in einerley Stand, sondern auch bey nahe in einerley Stelle, ja voͤl- lig in einerley Stelle, (welches geschiehet, wenn einer der Nachfolger des andern ist,) befinden, so betrachten sie doch einerley Sache oͤffters nicht auf einerley Art; sondern ihre Faͤhigkeit, Sitten, schon habende Erkentniß, ja ihr gegenwaͤrtiger verdrießlicher oder froͤlicher Zustand macht, daß sie verschiedene Umstaͤnde bemercken und zu Her- tzen nehmen. Und so kan ein eintzelner Mensch zu verschiedener Zeit, wegen des veraͤnderten Zu- standes seiner Seele, die Sache gantz mit andern Augen ansehen. Wie solches die taͤgliche Er- fahrung lehret, daß man den einen Tag mit der Sache zufrieden ist, die uns den andern Tag hoͤch- stens mißfaͤllet, ohne daß sich die Umstaͤnde der- selben geaͤndert haben. Der blosse Zustand der Seele, welcher nicht immer einerley ist, bringet diese verschiedenen Vorstellungen hervor. §. 11. Stand, Stelle und Gemuͤthsverfassung ma- chen einen Sehepunckt aus. Bey coͤrperlichen Begebenheiten bemerckt man den Sehepunckt, nach den drey verschiedenen Be- griffen, die (§. 3.) fest gesetzt worden sind, weil davon die Vorstellung der Sache, mithin die hi- G 2 storische Fuͤnfftes Capitel, storische Erkentniß und die Erzehlungen abhan- gen: und der Sehepunckt ist nichts anders, als der Zustand des Zuschauers, in so ferne daraus die Art des Anschauens, und die Beschaffenheit der Erzehlung kan verstanden werden. Da nun die moralischen Dinge, Haͤndel, Geschaͤffte und Thaten von denen Zuschauern auf verschiedene Weise angesehen werden, nachdem diese sich in verschiedenen Staͤnden (§. 8.), Stellen (§. 9.), und Gemuͤthsverfassungen befinden (§. 10.), so ist dieses zusammen genommen, der Sehepunckt in Ansehung aller solcher Dinge, die von Coͤr- pern unterschieden sind. Und dieses ist also die vierte Ausdehnung des Begriffes vom Sehe- punckte (§. 4.). §. 12. Allgemeiner Begriff des Sehepunckts. Da nun der Sehepunckt nach den verschiede- nen Beschaffenheiten der Objeckten und der Zu- schauer, in so verschiedener Weitlaͤufftigkeit muß genommen werden, so ist dienlich, daß man diese Begriffe saͤmtlich unter einen allgemeinen Begriff bringe: welcher folgender ist. Der Sehepunckt ist der innerliche und aͤusserliche Zustand eines Zuschauers, in so ferne daraus eine gewisse und besondere Art, die vorkommenden Dinge anzu- schauen und zu betrachten, fluͤsset. Ein Begriff, der mit den allerwichtigsten in der gantzen Philo- sophie im gleichen Paare gehet, den man aber noch zur Zeit zu Nutzen anzuwenden noch nicht gewohnt ist, ausser daß der Herr von Leibnitz hie vom Zuschauer und Sehepunckte. hie und da denselben selbst in der Metaphysick und Psychologie gebraucht hat. Jn der historischen Erkentniß aber kommt fast alles darauf an. §. 13. Bey moralischen Dingen kommen die Seiten lediglich vom Zuschauer her. Wenn man den Coͤrpern Seiten beylegt, so findet man manchmahl den Grund in der innerli- chen Beschaffenheit derselben, oͤffters aber auch in dem Zustande des Zuschauers (§. 16. 31. C. 2.), wenn man aber dem moralischen Wesen Seiten beylegt, so bestehet es darinnen, daß man gewis- se Umstaͤnde und Theile zusammen nimmt, und sie sich auf einmahl, oder unmittelbar auf einan- der vorstellet (§. 19. C. 3.). Davon kan nun nicht der Grund in der Sache selber liegen, son- dern er muß in dem Zuschauer zu suchen seyn, der vermoͤge seiner besondern Umstaͤnde und Gedenck- art, solche Determinationen vor andern bemerckt und zusammen nimmt. Wenn also dem morali- schen Wesen, mithin auch den Geschaͤfften, Haͤn- deln und Thaten Seiten beygelegt werden, so kan dieses ohne Voraussetzung eines Zuschauers nicht gedacht werden. Es handelt z. E. jemand von den Jlluminationen der Alten, wie Mahudel gethan, so bringt und traͤgt er aus dem weitlaͤuff- tigen Felde der Alterthuͤmer alles das zusammen, was zu den unnoͤthigen Gebrauch des Feuers an- getroffen wird. Jn dem Autor liegt hier offen- bar der Grund, warum ihm die Alterthuͤmer eben auf diese Weise, und nicht auf eine andere, vor- G 3 ge- Fuͤnfftes Capitel, gestellet werden; und die Ursach wird wohl seyn, daß er an dieser Vorstellung ein besonderes Ver- gnuͤgen findet. §. 14. Sehepunckte bringen ausser den Seiten noch eine gewisse Einsicht hervor. Wenn denn also gesetzt wird, daß viele Per- sonen einerley Sache auf einer gewissen Sei- te ansehen, so betrachten sie dennoch dieselbe des- wegen noch nicht auf einerley Art; sondern sie beweisen ferner daran eine verschiedene Einsicht. Man fuͤhre z. E. eine Menge Kriegs- und Artil- leriekundige, Schuͤler und Meister in ein Zeug- hauß, so werden sie den grossen Vorrath vom Ge- schuͤtze, alle als eine Sache, die zu ihrer Profes- sion gehoͤret, ansehen, sie werden ihn auch alle, in Ansehung seines Gebrauchs, und also auf ei- nerley Seite ansehen; aber deswegen doch nicht alle einerley beobachten: Viele werden noch man- ches mit Verwunderung ansehen, was ein ande- rer gar uͤbersiehet: manche werden bloß auf die Menge, andere aber zugleich und hauptsaͤchlich auf die Ordnung achtung geben; einige werden die Proportion der verschiedenen Gattung von Ge- schuͤtze beobachten. Und so werden auch bey Beschauung eines Muͤntzcabinets die Zuschauer auf gar sehr verschiedene Urtheile verfallen, wel- che von einer verschiedenen Einsicht zeugen. §. 15. vom Zuschauer und Sehepunckte. §. 15. Hauptarten der Sehepunckte, wovon die Einsicht abhanget. Nun laͤsset sich jede Sache auf gar vielen Sei- ten ansehen, nachdem Staͤnde moͤglich sind, von welchen Zuschauer daruͤber kommen. Und wie diese Staͤnde unzehlig sind, also sind auch die Seiten unzehlig, auf welchen einerley Sache betrachtet werden kan. Was vor eine Menge Leute von verschiedenen Staͤnden kommen nicht bey einer Kaͤyserwahl und Kroͤnung zusammen: jeder da- von giebt nach seinem Stande auf verschiedene Dinge achtung: jeder haͤlt das, wenigstens in Ansehung seiner Person vor das wichtigste, was ihm am meisten angehet. Und ein nicht gerin- gerer Wechsel findet in Ansehung der Einsicht statt, mit welcher man einerley Sache betrachten kan. Unterdessen giebt es doch gewisse hauptsaͤch- liche Sehepunckte, welche eine besondere Art der Einsicht nach sich ziehen, die man bey einem an- dern Sehepunckte nicht haben kan. Und diese Arten verdienen in unserer Anleitung zur histori- schen Erkentniß besonders bemercket zu werden: weilen die daraus fluͤssenden Erzehlungen in man- chen Faͤllen so verschieden ausfallen koͤnnen, daß, wenn Leute von verschiedenen Sehepunckten ihre Erzehlungen gegen einander halten, sie einander gar nicht verstehen: Fremde aber sich einbilden, einer muͤsse darunter muthwillig die Unwahrheit gesagt haben. G 4 §. 16. Fuͤnfftes Capitel, §. 16. Sehepunckt der Jnteressenten und der Fremden. Wir haben vorher die Zuschauer in Mitglie- der, Theilnehmer und Fremde eingetheilt (§. 7.), man kan aber daraus zu gegenwaͤrtiger Absicht zwey Classen machen: Der Jnteressenten und der Fremden. Jhr Unterschied ist dieser, daß Fremde, als Fremde von einer Sache nicht mehr wissen koͤnnen, als was oͤffentlich geschiehet; als bey einer Kaͤyserwahl koͤnnen die Fremden nichts mehr wissen, als was oͤffentlich vorgehet: die Einzuͤge und Aufzuͤge der Gesandten und an- wesenden Fuͤrsten: die Zusammenkuͤnffte, aller- hand Solennitaͤten: zu den Geschaͤfften selbst wer- den Fremde nicht zugelassen, und also koͤnnen sie dieselben auch nicht durch sich selbst wissen; son- dern muͤssen sie erst von denen Theilnehmern, als den Zuschauern, in Erfahrung bringen. Nun heisset das an einer Sache geheim, was nur die Theilhaber wissen (§. 18. C. 3.); daher wissen die Fremden unmittelbar von einer geheimen Sa- che nichts: aber die Mitglieder sind nach ihren verschiedenen Gattungen Zuschauer des Ge- heimen. §. 17. Sehepunckt eines der zum ersten mahl zur Sache kommt. Es ist ferner ein Hauptumstand, ob man bey einer Sache zum ersten mahle einen Zuschauer abgiebt, oder ob man schon mehrmahlen dabey gewe- vom Zuschauer und Sehepunckte. gewesen. Der Unterschied bestehet in diesem Fal- le darinnen: daß man das erste mahl ohne Vor- bereitung, und der Sache unkundig, dieselbe betrachtet, bey den nachfolgenden und wiederhohl- ten Vorstellungen aber, die erstere zu einer An- leitung dienet, so daß man die Sache nunmeh- ro als derselben kundig und verstaͤndig ansiehet. Es ist wohl an dem, daß man aus Erzehlungen, Beschreibungen und Nachrichten im voraus Wis- senschafft von einer Sache erlangen kan, die man beschauen will, welches auch sehr gute Dienste da- bey thut. Nur sind solche aus Nachrichten er- langten Jdeen gemeiniglich von der sinnlichen Vorstellung, die man hernach erlanget, himmel- weit unterschieden. Und uͤberhaupt gehoͤren sol- che Nachrichten zur gelehrten Erkentniß, welche einen besondern Sehepunckt ausmacht. Die Neuigkeit der Sache bringt theils die Verwun- derung hervor, theils eine Unentschluͤßigkeit, was man an der Sache bemercken soll, oder was man mit ihr anfangen soll, welches beym wieder- hohlten Anschauen wegfaͤllet. §. 18. Sehepunckt der Freunde und Feinde. Ferner ist als ein Hauptsehepunckt bey allen und jeden Sachen zu betrachten: ob man dersel- ben Freund oder Feind ist. Diese Eintheilung ist von der vorigen (§. 16.) sehr unterschieden. Denn es kan geschehen, daß selbst die Hauptper- sonen bey einer Sache derselben feind sind: und unter den blossen Zuschauern und Fremden koͤnnen G 5 sich Fuͤnfftes Capitel, sich Freunde der Sache finden. Der Unterscheid, der daraus im Anschauen und in der Vorstel- lung entstehet, ist dieser; daß, wer abgeneigt ist; welches der geringste Grad der Feindschafft ist, und also in allen Graden der Feindschafft ent- halten ist, 1. nicht die Aufmercksamkeit zur Sa- che bringt, als wie der Freund. Die Natur der Abneigung bringt dieses so mit sich, und nur die Begierde zu schaden kan einen Feind aufmerck- sam machen. 2. Daß dem Feinde das Boͤse und die Fehler allezeit mehr einleuchten, als das Gute; so wie hingegen der Freund auf das Gute allemahl aufmercksamer ist, als auf das Boͤse. §. 19. Sehepunckt aus einer hoͤhern und niedern Sphaͤre. Ferner ist ein grosser und wichtiger Unter- scheid, ob man eine Sache aus einer hoͤhern Sphaͤre ansiehet, oder aus einer niedrigen und geringern. Eine Handlung kan sowohl von einem Amsterdammer Kauffmanne, der nach Ost- und West-Jndien handelt, betrachtet werden, als von einem Landkraͤmer. Jeder von diesen wird sie gantz gewiß anders ansehen. Ein Car- dinal siehet ein Bißthum gewiß mit andern Au- gen an, als ein Canonicus bey einem kleinen Stiffte. Bey diesem Sehepunckte aͤussert sich der Unterschied darinne, daß, was dem einen ei- ne Kleinigkeit ist, das wird dem andern eine Sache von grosser Wichtigkeit seyn: was der eine uͤbersiehet, das wird der andere sorgfaͤltig bemer- vom Zuschauer und Sehepunckte. bemercken. Ein Bibliothecarius des Vaticans siehet einen Vorrath von Buͤchern gewiß anders an, als der Bibliothecarius einer Privatbiblio- thec, welche gemeiniglich aus Ermangelung der fonds nicht allzugroß zu seyn pflegen: wiewohl diese beyden, als Gelehrte, die Sache auf ge- wisse Weise aus einerley Sehepunckte ansehen; und daher einander ziemlich nahe kommen koͤn- nen, welchen Sehepunckt wir gleich besonders be- mercken wollen. §. 20. Sehepunckt der Gelehrten und Ungelehrten. Gelehrte nennen wir, die mit Wissenschaff- ten, wenigstens eine Zeitlang, bestaͤndig umge- gangen sind, und sich ausser eintzeln vielen Nach- richten, eine Faͤhigkeit mit allgemeinen Wahr- heiten umzugehen erworben haben: denen also die Ungelehrten entgegen gesetzt werden, d. i. sol- che, die von abstracten Wissenschafften keine Er- kentniß haben, ob sie gleich sonsten guten natuͤrli- chen Verstand besitzen, und denselben durch diese oder jene Kunst, und durch die blosse Erfahrung gebessert haben. Der Unterscheid dieser Men- schen, als Zuschauer betrachtet, ist folgender: Daß ein Gelehrter zu allem, was ihm zum er- sten mahl vorkommt, dennoch einiger massen zubereitet kommt, und sich also auch eher darein muß finden koͤnnen, als ein Ungelehrter. Will man aber bey eintzeln Menschen eine Vergleichung anstellen, so muß man allerdings subiecta von ei- nerley natuͤrlichen Faͤhigkeit nehmen, deren einer zun Fuͤnfftes Capitel, zun Wissenschafften angefuͤhret worden, der an- dere aber nicht: so muß sich ein grosser Unter- scheid zeigen. Ja, ein Gelehrter von mittelmaͤs- siger natuͤrlicher Munterkeit, muß es, wenn er anders recht angefuͤhret worden, einem Ungelehr- ten vor weit mehrern natuͤrlichen Geschicke zuvor- thun. Auch wissen Gelehrte die Wuͤrckungen der Einbildungskrafft von den Empfindungen besser zu unterscheiden. §. 21. Sehepunckt eines academischen Lehrers. Unter den Gelehrten aber, moͤchte denen Leh- rern auf hohen Schulen, wenn sie geuͤbt sind, ein besonderer Sehepunckt zugeschrieben werden. Denn nicht allein ihr anhaltendes Nach- dencken und Lernen, welches bey andern gemeini- glich mit den academischen Jahren aufhoͤret, aus- ser was etwa die Erfahrung ihnen noch lehret, muß bey denselben eine besondere Faͤhigkeit erwe- cken, sondern auch ihr bestaͤndiges Lehren giebt dem Verstande eine besondere Krafft. Denn da- durch werden die Jdeen, welche die Gelehrsam- keit ausmachen, immer erneuert, und zu einem hoͤhern Grade der Klarheit gebracht, welche zu erlangen ohnmoͤglich ist, wenn man seine Ge- dancken andern bekannt zu machen keine Gelegen- heit hat: sie werden auch durch die oͤfftern Les- und Disputiruͤbungen mehr und mehr gelaͤutert, worzu, ausser diesen Umstaͤnden, keine Veranlas- sung vorhanden ist. Weil auch Lehrer auf Aca- demien bestaͤndig mit Lehrern von andern Facul- taͤten vom Zuschauer und Sehepunckte. taͤten und Wissenschafften umgehen, so werden ihre Jdeen gegen tausenderley andere obiecta ge- halten; wodurch erst ihr Nutzen, ihre moͤglichen Anwendungen, aber auch ihre Maͤngel erhellen. Ja endlich jeder Begriff wird zu einer gantzen Abhandlung in der Seele, da man denselben Stunden lang zu erwegen und auf allen Seiten zu betrachten nicht allein Gelegenheit hat, sondern auch oͤffters so gar genoͤthiget wird. §. 22. Sehepunckt der Traurigen und der Froͤlichen. Es bekommen auch alle Sachen ein ander Ansehen, nachdem man dieselben mit froͤlichem und aufgeheitertem Gemuͤthe, oder mit einer niedergeschlagenen Seele, ingleichen ob man sie satt oder hungrig ansiehet. Der Unterschied aͤussert sich darinne, daß Verdrießliche uͤberall das Unangenehme am ersten bemercken, welches Froͤ- liche uͤberfehen; sondern auch daran, daß ein Froͤ- licher vieles eher bemerckt und geschwinder ist, als ein Trauriger. Kommt eines von beyden zu ei- nen hoͤhern Grad, den man Affeckt nennet; so wird die verschiedene Art, sich die Sachen vorzu- stellen, noch viel wichtiger. §. 23. Sehepunckt eines gantz Fremden. Nicht weniger ist betraͤchtlich, ob der Zuschauer mit denen, die die Begebenheit angehet, einerley Sitten habe oder nicht; einerley Religion, oder nicht; mithin, da Laͤnder und Voͤlcker, die zu- mahl Fuͤnfftes Capitel, mahl weit von einander entfernet sind, gemeini- glich andere Sitten und andere Religion haben, ob der, der einer Begebenheit zusiehet, aus eben dem Lande sey, oder nicht? Der Unterschied ist, daß wenn eine Geschichte und Begebenheit einen Zuschauer von gantz fremden Sitten hat, er sich ein gantz ander Bild und Vorstellung davon macht, als die Einheimischen vermuthen; und die Sache diesen selbst fremde vorkommt, wenn sie sie nach des Auslaͤnders Gedenckart erzehlen und beschrei- ben hoͤren. Die Verfasser der Juͤdischen, Per- sischen und Chinesischen Brieffe haben durch An- nehmung einer solchen fremden Gedenckart, de- nen bey uns bekanntesten Sachen ein gantz ander Ansehen zu geben gewust. Wir muͤssen aber die- ses etwas naͤher erklaͤren. §. 24. Nach was vor einer Regel die Anschauungs urtheile gemacht werden. Der Mensch braucht zwar, als ein Zuschauer, seine fuͤnff Sinne; aber nicht allein: er nimmt dabey auch die Vernunfft zu Huͤlffe; das ist: sei- ne Seele ist mit einer grossen Menge allgemei- ner Begriffe angefuͤllet, die er bey vorkommen- den eintzeln Empfindungen gleich anwendet; der- gestalt, daß er seine Empfindungen mit denen ihm beywohnenden allgemeinen Begriffen, so viel als moͤglich, verknuͤpfft. Z. E. Es siehet jemand ei- nen Stein, der sehr funckelt; dieser wird gleich diese beyden Eigenschafften und die Empfindungen, die er davon hat, zusammen nehmen, und solches nicht vom Zuschauer und Sehepunckte. nicht einen funckelnden Stein, sondern nach dem ihm schon beywohnenden Begriff einen Diaman- ten nennen. Wenn wir jemanden schreiben se- hen, so stellen wir uns kaum die besondern Um- staͤnde, oder was in dem Begriff des Schreibens enthalten vor, wenigstens bemercken wir sie nicht eintzeln, als daß er eine Feder in der Hand habe, daß sie unten zugespitzt sey, daß sie in Dinte ein- getaucht sey, und daß sie auf dem Papiere herum- gefuͤhret werde: sondern wir fassen dieses alles so gleich in dem uns schon bekannten Begriffe und Worte des Schreibens zusammen; welches der- jenige nicht thun wuͤrde noch koͤnte, der vom Schreiben uͤberhaupt keine Nachricht haͤtte. Da- her macht jeder Zuschauer einer Sache nicht so viel Urtheile davon, als sich nach der Anzahl der verschiedenen Empfindungen machen liessen, son- dern er bemerckt nur die verschiedenen Abwechse- lungen und Veraͤnderungen, die nach denen ihm beywohnenden allgemeinen Begriffen zusammen als eine Veraͤnderung und Begebenheit pflegen angesehen zu werden. Wie aber dieses aus vie- lerley Gruͤnden geschehen koͤnne, ist (§. 6. 7-11. C. 1.) gewiesen worden. Als man siehet einem Buchbinder und seinen Leuten zu: man wird wahrnehmen, der eine legt Bogen zusammen, der andere schlaͤgt das Buch, der dritte hefftet, ein vierter beschneidet, ein anderer vergoldet, ein an- derer endlich collationiret. Jede von diesen Be- gebenheiten bestehet aus mehreren Handlungen, die wir wuͤrcklich gesehen haben, welche man aber so gleich in allgemeine Begriffe und gewisse Ar- ten Fuͤnfftes Capitel, ten der Begebenheiten verwandelt. Dieses ge- schiehet nun so geschwind, und ist mit denen Em- pfindungen nach der natuͤrlichen Art zu gedencken so genau verbunden, daß eines theils Zuschauer, wenn er sich nachher auf das Gesehene besinnt, nichts mehr als solche Hauffen der Begebenheiten zusammen genommen, vorstellt, andern theils der Vortrag der auf solche Art angemerckten Be- gebenheiten, durchgaͤngig vor die wahre, richtige und vollstaͤndige Erzehlung gehalten wird, ja nicht geglaubt wird, daß die Sache auch wohl auf ei- ne andere und umstaͤndlichere Art koͤnne erzehlet werden. §. 25. Sehepunckt eines Barbarn. Nun weiß man, daß die Menschen, nach ih- ren verschiedenen Landesarten, in den Eintheilun- gen der Dinge, und in den allgemeinen Begrif- fen, die man von Jugend auf zu erlangen pfle- get, nicht genau uͤbereinkommen, sondern daß sie, je weniger sie wegen der Entfernung mit einander zu thun haben, auch desto mehr in ihren Begrif- fen und Gedenckart unterschieden sind. Beson- ders, wenn die eine Nation cultivirt wird, die andere aber in ihren rohen und wilden Wesen bleibet, so erlangen die Leute von jener Nation eine unsaͤgliche Menge von allgemeinen Begrif- fen und Eintheilungen der Dinge, besonders der kuͤnstlichen Coͤrper, der Wuͤrden, der Aemter, der Geschaͤffte, die den Leuten aus dem noch bar- barischen Volcke nicht bekannt sind. Sind die See- vom Zuschauer und Sehepunckte. Seelen mit andern Begriffen erfuͤllet, so bringt auch jeder gantz andere Begriffe zur Betrachtung jeder vor Augen habenden Sache; und macht da- her auch gantz andere Urtheile, als der andere. Geld umsetzen kommt uns schon als eine wich- tige Handlung vor: ein wilder Amerikaner, der den Handel nicht verstehet, wuͤrde solches vor ein blosses Umtauschen ansehen, ohne daran zu geden- cken, was wir agio nennen, und weil ihm die Ab- sicht unbekannt, solches vor ein Spiel halten, wie Kinder mit einander zu treiben pflegen. §. 26. Ein Zuschauer erlangt keine vollstaͤndige Geschichte. Wenn ein Zuschauer die Begebenheiten, wel- che er selbst wahrnimmt, sorgfaͤltig zusammen fas- set, so wird doch gemeiniglich keine vollstaͤndige Geschichte daraus entstehen. Denn weil er die Sache nach seinem Stande ansiehet (§. 8.) so ist ihm manches verborgen, welches doch zur Geschich- te gehoͤret. So sollte man meinen, daß von dem Artzte die Historie einer Kranckheit am allerbe- sten zu erfahren sey; und so ist es auch wuͤrcklich, nehmlich in so ferne der Artzt nach seinem Stan- de, oder Amte, Nachricht von der Kranckheit ha- ben kan und muß. Wie aber sein Amt nicht ist, den Krancken zu warten, oder bestaͤndig um ihn zu seyn: also kan gleichwohl, ohne sein Vorwis- sen, vieles vorgehen, viele Zufaͤlle koͤnnen sich er- eignen, wodurch der Zustand der Kranckheit gar sehr geaͤndert wird (§. 3. C. 1.). Wenn man H eine Fuͤnfftes Capitel, eine Geschichte daher nur aus seinem eigenen Se- hepunckte betrachtet, so wird manches vorkom- men, welches nach den vorhergehenden Umstaͤn- den unbegreiflich ist; und man merckt also, daß an der Geschichte etwas fehle, was dieselbe be- greiffen zu koͤnnen noͤthig ist. Die Wahrheit, daß ein Zuschauer die mehresten Sachen nicht uͤbersehen, und nach seinem eigenen Sehepunckte allein, nicht in eine foͤrmliche Erzehlung bringen koͤnne, erhellet aus mehreren Exempeln. Bey einer Schlacht ist unmoͤglich, die grosse Geschich- te aus einem einigen Sehepunckte zu uͤbersehen: weil nicht allein vieles zu weit entfernet ist, son- dern auch manches durch Huͤgel, Baͤume, Haͤu- ser und Doͤrffer bedeckt wird. Jedem Zuschauer sind dabey nothwendig viele Dinge verdeckt. Bey einem Friedenscongreß mag einer noch eine so wichtige Person vorstellen, so weiß er doch nicht alles, was wichtiges daselbst vorgehet. Er muß wahrnehmen, daß ein paar Partheyen auf den point sind, einen Particularfrieden zu schluͤssen, von deren Tractaten er wenig oder nichts gehoͤret. Eine so grosse und vortrefliche Erzehlung des West- phaͤlischen Friedens, als das gepriesene von Mayerische Werck ist, haͤlt dennoch von denen Churbrandenburgischen und Chursaͤchsischen Un- terhandlungen wenig in sich: ohne Zweifel, weil in denen Archiven, daraus diese Nachrichten ge- nommen worden, jene Nachrichten nicht haͤuffig vorhanden gewesen. So ist es bey allen Ge- schichten: jeder Zuschauer hat nur eine gewis- se Aussicht und Einsicht in dieselbe: und das hat vom Zuschauer und Sehepunckte. hat hernach seine sichtbare Folgen in alle Erzeh- lungen derselben. §. 27. Der Zuschauer macht Anschauungsurtheile. Wenn wir nun die Handlungen eines Zu- schauers nach der Vernunfftlehre und ihren Be- griffen abwaͤgen, so findet sich, daß 1. lauter Em- pfindungen vorgehen; 2. daß wenn wir aber auf jede acht geben, ein Anschauungsurtheil in unserer Seele entstehe. Denn indem wir genauer darauf achtung geben, was vorgehet, so wird sich das Bestaͤndige von der Veraͤnderung, die in ihm vorgehet, distinguiren; und so entstehet ein Urtheil. Weil aber hierzu kein Schluß, noch andere besondere Handlung der Seele erfordert wird, ein solches Urtheil zu faͤllen, so ist es ein Anschauungsurtheil. Sechstes Capitel , von der Verwandelung der Geschichte im erzehlen. §. 1. Jnhalt dieses Capitels. W enn man die wahre Beschaffenheit der Geschichte, oder vielmehr der Erzehlun- gen recht einsehen will, so ist nicht ge- nug, daß wir wissen, wie die Begebenheiten de- H 2 nen Sechstes Capitel, nen Zuschauern auf verschiedene Weise, gleichsam als in Spiegeln von verschiedener Gattung und Stellung vorgestellet werden, wie solches im vo- rigen Capitel ausgefuͤhret worden; sondern wir muͤssen auch noch eine andere Handlung der See- le, welche vor der Erzehlung vorhergehet, bemer- cken, welche wir die Verwandelung der Ge- schichte nennen wollen; weil die Begebenheit niemahls vollkommen so, wie sie empfunden worden, erzehlet wird, sondern vielmehr nach ei- nem gewissen Bilde, welches aus der Empfin- dung und deren Vorstellung durchs Gedaͤchtniß herausgezogen wird. Denn wir erzehlen die Sa- chen nicht in der Empfindung, und waͤhrender Vorstellung, sondern nach derselben: und rich- ten uns also nach dem Bilde, welches durch die Empfindung in unsere Seele ist eingepraͤgt wor- den. Da nun dieses schon nicht der Empfindung vollkommen gleich ist, so wird noch erst mancher- ley Veraͤnderung damit vorgenommen, so bald als der Vorsatz, die Sache andern zu erzehlen, darzu kommt. §. 2. Nothwendige, Theilung der Begebenheiten, die zugleich vorgegangen. Jn der Empfindung werden uns viele Sa- chen zugleich vorgestellt, die sich bey der vorha- benden Erzehlung einer Sache unmoͤglich auf ein- mahl ausdrucken lassen. Bey einer Solennitaͤt werden zugleich die Glocken gelaͤutet, und die Stuͤcken geloͤset: aber ich kan beydes nicht auf ein- v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. einmahl erzehlen, sondern eines muß auf das an- dere warten. Ein Menschengesichte sehe ich zu- gleich und auf einmahl, aber ich kan es nicht auf einmahl beschreiben. Und so bestehen fast alle eintzelne Empfindungen aus so vielen Umstaͤnden, daß sie, ob sie gleich auf einmahl empfunden wer- den, dennoch nicht auf einmahl koͤnnen erzehlet werden. Hieraus entstehet nun offte eine Schwie- rigkeit, wo man die Erzehlung, oder Beschrei- bung anfangen solle? Faͤnget man sie aber nicht bey dem rechten Ende an, so entstehet her- nach eine Verwirrung, daß man aus der Sa- che nicht klug werden kan, oder daß die Sache wenigstens unlustig und unangenehm zu hoͤren und zu lesen wird. §. 3. Nothwendige Weglassung vieler Umstaͤnde. Jn der Empfindung ist sehr vieles, ja al- les determinirt, nach der Laͤnge, Groͤsse, Brei- te, die wir nur nach dem Augenmasse, auch wohl deutlich, angeben koͤnnen: nach der Zahl, wenn der Sachen nicht allzuviel sind, als wie viel Ti- sche, Stuͤhle, Spiegel vorhanden sind; nach der Farbe, welche durch Staub und andere Umstaͤn- de sich gar sehr aͤndern kan, ohne daß noch diesel- be ihren Nahmen oder Gattung veraͤndert: auch nach dem Grade: als bey der Waͤrme, bey dem Lichte u. s. w. Dieses alles ist nicht allein schwer mit Worten auszudrucken, sondern auch uͤberaus weitlaͤufftig; so daß man mit Beschrei- bung einer gemachten sehr kurtzen Visite gar leicht H 3 ein Sechstes Capitel, ein paar Stunden zubringen koͤnte. Diese bey- den Schwierigkeiten noͤthigen den gewesenen Zu- schauer, daß er bey seiner vorhabenden Erzehlung eine Menge von individuellen Umstaͤnden auslaͤsset, und auslassen muß. Man untersu- che nur, wenn man erzehlet, wie es in einer Kir- che, in einem Saale, in einer Werckstaͤte, auf einer Gasse ausgesehen, ob man nicht allezeit, auch wenn man auf das ausfuͤhrlichste die Sache erzehlen und beschreiben will, dennoch gar sehr vieles weglaͤsset, und im Sinne behalte. §. 4. Ausdruck der Begebenheit durch allgemeine Woͤrter. Und diese Auslassung geschiehet nun auf eine nicht so merckliche Art, wenn man, wie doch be- staͤndig und unvermeidlich geschiehet, die indivi- duellen Jdeen, die uns beywohnen, in der Er- zehlung durch allgemeine Worte ausdruckt: denn auf diese Art wird der individuelle Begriff in den Begriff einer Art verwandelt, welche Begriffe allezeit viel weniger determiniret sind. Als ich sage: Da stunde eine Saͤule mit einem Knauffe: welch ein Unterscheid ist nicht zwischen dem indivi- duellen Begriff der Saͤule, den ich im Sinn ha- be, und der die Gestalt derselben in sich begreifft, und dem allgemeinen Begriff, der die Bedeutung des Wortes Saͤule ausmacht: wenn ich auch gleich noch hinzusetze: von dorischer Ordnung, so ist doch dieses nur ein allgemeiner Begriff, davon die indiuidua ein gar sehr unterschiedenes Ansehen haben v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. haben koͤnnen. Nun aber bestehet auch die al- lerweitlaͤufftigste Erzehlung aus solchen allgemei- nen Worten: man kan also daraus ermessen, wie vieles der Zuschauer bey Erzeugung seiner Erzeh- lung bey sich und im Sinne behalten habe; weil nehmlich solches alles zu erzehlen nicht moͤglich ist. §. 5. Vermengung seiner Empfindungen mit den innerlichen Eigenschafften. Wenn wir eine Sache nicht ohne Bewe- gung empfunden haben, so pflegen wir an statt die blosse Sache zu beschreiben, die Bewegung, die wir gehabt, in die Sache mit einzuflechten. So sagt man: Der Loͤwe macht ein fuͤrchterli- ches Gebruͤlle: man siehet eine schreckliche Feuersbrunst: der Fisch Torpedo hat eine wun- derbare Wuͤrckung, nehmlich durch das blosse Anruͤhren Krampff zu verursachen: dieses oder jenes hat eine altvaͤterische Gestalt. Man sie- het, daß alle diese Beywoͤrter nicht die innerli- chen Eigenschafften der Dinge, sondern die Be- wegungen, die durch ihre Vorstellung in der Seele entstehen, anzeigen. Solche Verwicke- lungen sind in Geschichten nicht zu vermeiden: weil nehmlich in der Erzehlung nicht sowohl un- mittelbar die Begebenheit selbst, als die Vor- stellung davon (§. 14. C. 1.), und zwar wie sie in dem Gedaͤchtnisse hafften bleibet (§. 1.), aus- gedruckt wird. Wer hierbey einen Anstoß hat, der darf sich nur erinnern, daß der Zuschauer ein- mahl eine Hauptsache bey der Geschichte ist (§. 1. H 4 C. 5.): Sechstes Capitel, C. 5.): ohne welchen die Geschichte zwar gesche- hen, aber nicht zu einem Stuͤcke unserer Erkent- niß werden moͤgen. §. 6. Unvermeidliche Vergroͤsserung und Ver- kleinerung der Dinge. Jndem man sich beym Ausdruck seiner Em- pfindungen, als gantz determinirter Begriffe, nur allgemeiner Worte bedienen muß (§. 4.): so brauchen wir mit unter solche, die bey jedem Men- schen einen andern Begriff haben, nachdem jeder denselben von diesen oder jenen Exempeln abstra- hiret hat, wie (§. 29. C. 2.) in der Materie von allerhand Arten der Figuren gewiesen worden. Wer eine Kirche beschreibt, der sollte eigentlich sagen, wie lang und breit dieselbe waͤre: weil aber dieses entweder eine Ausmessung, oder wenigstens ein gutes Augenmaaß erforderte, in beyden Faͤl- len aber eine langweilige Erzehlung verursachen wuͤrde, so sagt man kuͤrtzlich: eine grosse, oder eine kleine Kirche. Allein dieses Wort hat gantz verschiedene Bedeutungen, nachdem jemand nur Dorfkirchen, oder Stadt- und Thumkirchen gese- hen hat. Jst nun der Erzehlende von der ersten, der Zuhoͤrer aber von der letzten Art, so wird sich dieser einen gantz andern Begriff von der Kirche machen, als des Erzehlers Meinung ist. Die- ser hat die Sache ohne sein Vorwissen und in sei- ner Einfalt vergroͤssert. So ist es auch mit der Kleinheit, Schoͤnheit, Menge, Ueber- fluß, Ordnung, und vielen andern Begriffen be- v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. beschaffen, darinnen die Menschen, ohngeachtet sie einerley Worte brauchen, gar nicht mit einan- der uͤbereinkommen. Durch solche allgemeine Ausdruͤcke nun werden die Sachen in der Erzeh- lung bald vergroͤssert, bald verkleinert, nicht so- wohl durch die Schuld des Erzehlers, als wel- cher sich nach seiner Empfindung richtet (§. 1.); als durch die Schuld dessen, der sich die Sache erzehlen laͤsset, und die gehoͤrige Vorsicht nicht braucht. Man muß nehmlich, wie bey den all- gemeinen Anmerckungen, auf die Exempel sehen, worauf sich des Erzehlers seine Begriffe gruͤnden, (§. 40. 41. C. 2.), daß man daraus urtheilen kan, was er groß, was er schoͤn u. s. w. heisset. Wenn Leute aus kleinen Staͤdten von Pracht oder Reich- thum erzehlen, so muß es von denen, die in der Residentz wohnhafft sind, und in Handelsstaͤdten wohnen, cum grano salis angenommen werden. §. 7. Vermengung der Begebenheit mit der all- gemeinen Anmerckung. Eine nicht minder gewoͤhnliche Veraͤnderung, die der Zuschauer mit dem, was er gesehen, vor- nimmt, ist, daß er eine allgemeine Anmer- ckung macht, und solche statt der Begebenheit selbst vortraͤget. So sagt man von jemanden: er stehe fruͤh auf, er gehe dem andern vor, er sey reich, er sey gelassenen Gemuͤths, an statt, daß man eigentlich nicht mehr weiß, als daß er diesen oder jenen Tag fruͤh aufgestanden, er sey dem andern bey einer gewissen Gelegenheit vor- H 5 gegan- Sechstes Capitel, gegangen: er habe eine gewisse Menge baaren Geldes in seiner Stube gehabt, er habe sich bey einer gewissen Gelegenheit gelassen bezeigt. Manch- mahl trifft es zu, daß der locus communis, den wir gemacht, auch wahr ist; oͤffters auch truͤgen sie. Worauf gemeiniglich ein grosser Theil des Betruges sich gruͤndet, der bey Verheyrathun- gen vorgehet, daß die Verlobten nach der Hoch- zeit die Sachen gantz anders befinden, als vorher. Wer aber mit der historischen Erkentniß umge- het, muß ebenfals diese Gedenckart der Menschen, die nicht zu aͤndern ist, wohl zu Hertzen nehmen, theils um nicht selbst solche falsche allgemeine An- merckungen zu machen, theils auch manche wi- dersprechende Zeugnisse dadurch zu vereinigen: wie wir ein solch Exempel insbesondere beleuchtet ha- ben, in einer Schrifft, von des Epiphanii Gebet, vor des Bischoffs Johannis zu Jerusalem Recht- glaͤubigkeit. Opusc. Academ. Tom. II. p. 122. §. 8. Bedaͤchtliche Aussonderung gewisser Stuͤcke der Begebenheit. Da der Sehepunckt eines Zuschauers schon so viel verursacht, daß die Zuschauer die Sache nicht auf einerley Weise ansehen (§. 8. seqq. C. 5.); so gilt dieses nochmehr von einer Geschichte, wenn es mit derselben zur Erzehlung kommt. Beym Zuschauen sind wir nicht voͤllig Meister, was wir wahrnehmen wollen, weilen es hauptsaͤchlich darauf ankommt, was unsere Sinnen am meisten und staͤrcksten in Bewegung setzet. Ein Kleid mit v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. mit vielen grossen Diamanten wird bey einer gros- sen Solennitaͤt auch solche Zuschauer aufmercksam machen, welche nichts weniger willens waren, als auf den Kleiderpracht achtung zu geben: sie werden die Macht des funckelnden Lichtes spuͤhren. Ein bellender Hund macht auch die aufmerckfam- sten Zuhoͤrer irre. Kurtz, wir wissen, daß wir unsere Sinne nicht voͤllig in unserer Gewalt ha- ben (S. v. Wolfs Gedancken von GOtt, der Welt ꝛc. §. 226.). Wenn wir aber die Vorstel- lung der Sache einmahl in Sinn gefasset haben, denn sind wir Meister von unserer Vorstellung; dabey kan hernach jeder nach seinem Sehepunckte recht frey gedencken. Und da gehet auch haupt- saͤchlich das an, was wir gewiesen haben, daß man die Sachen nur immer auf einer Seite an- sehe (§. 13. C. 5.), und dabey eine gewisse Ein- sicht aͤussere (§. 14. C. 5.). Wir lassen nehmlich weg, was uns nicht anstehet, und lassen solche Umstaͤnde bey uns dunckel werden; und wir be- schaͤfftigen uns mit dem, was uns gefaͤllet, oder zu unsern Umstaͤnden dienet: welches denn in un- sere Erzehlungen, wenn wir es gleich nicht mer- cken, und nicht willens sind, etwas daran zu aͤn- dern, dennoch einen grossen Einfluß hat: oͤffters aber auch wissentlich und vorsetzlich geschiehet. §. 9. Einrichtung der Erzehlung nach einer ge- wissen Absicht. Denn es muß doch, wenn wir etwas erzehlen wollen, eine Ursach vorhanden seyn, warum wir es Sechstes Capitel, es erzehlen wollen; deren sich verschiedene Arten gedencken lassen. 1. Hat der Mensch einen na- tuͤrlichen Trieb, seine Gedancken andern bekannt zu machen; und es ist wie eine grosse Erleichte- rung des Hertzens, wenn wir unsere Angelegen- heiten, welche nichts anders als Geschichte sind, andern eroͤffnen duͤrffen. Dies ist die erste Quel- le vieler Erzehlungen; bey welcher insbesondere zu mercken ist, daß ein jeder bald merckt, es sey einem andern mit Anhoͤrung alltaͤglicher Geschaͤff- te und Begebenheiten wenig gedienet, als die er vor sich selbst wissen kan (§. 8. C. 4.); daher su- chet denn ein jeder seine Erzehlung nach seinem Vermoͤgen so einzurichten, daß sie ein sonderba- res, oder gar wunderbares Ansehen bekom- me, und was neues sey. 2. Jst jeder, dem was aufgetragen worden zu erkundigen, oder aus- zurichten, verbunden, von dem, was geschehen, und wie er die Sachen befunden, Bericht ab- zustatten. Dabey wird hauptsaͤchlich das Um- staͤndliche erfordert. 3. Offters erzehlet einer dem andern etwas zum Schertz und Zeitvertreib; wobey nothwendig das Verdruͤßliche wegblei- ben muß; ausser in so ferne es auf einer plaisan- ten Seite vorgestellet werden kan. 4. Haupt- saͤchlich aber erzehlen wir, daß sich der Zuhoͤrer darnach richten, und eine Entschluͤssung fassen soll, und denn ist klar, daß man hierbey nur so viel aus der uns beywohnenden Geschichte heraus zu nehmen habe, als zu dem Geschaͤffte und zu der Entschluͤssung dienen kan: so wird wegen der ver- schiedenen Absichten die Erzehlung immer etwas anders v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. anders aussehen, als die Empfindung, wor- auf sich die Erzehlung gruͤndet, beschaffen war. Und diese Arten, die Geschichte zu verwandeln, sind principia Logicæ naturalis, die von selbst sich in der Seele aͤussern; und als eine ange- bohrne Erzehlungskunst koͤnnen angesehen werden. §. 10. Grosse Geschichte werden in eine Begeben- heit verwandelt. Nun haben fast alle moͤgliche Arten der Be- gebenheiten ihre allgemeinen Begriffe und Ar- ten, die so gar im gemeinen Leben bekannt sind (§. 21. C. 4.): diese fallen nun nebst denen dazu gehoͤrigen Worten einem Zuschauer nothwendig ein: er wird also unter andern Verkehrungen, auch diese Veraͤnderung, dessen, was er gesehen und angeschauet hat, vornehmen, daß er die gan- tze Geschichte auf einen solchen allgemeinen Be- griff reducirt, und als eine einige Begebenheit in einem eintzigen Satze vorstellet, der nur sehr wenige Merckmahle einer individuellen Begeben- heit, als der Zeit, oder der Personen, oder des Ortes, als die nothwendigsten (§. 21. C. 4.), in sich enthaͤlt: Z. E. es erzehlt jemand ein Bey- lager, eine Belagerung, eine Gesandschafft, eine Mißion, wo er dabey gewesen ist. Da wir Geschichte von vielen Jahren und Jahrhun- derten, als eine Geschichte anzusehen pflegen: als der dreißigjaͤhrige Krieg: die Kriege der Nach- folger des Alexanders: so ist das wenige, wobey ein Sechstes Capitel, ein eintzelner Mensch einen Zuschauer abgegeben, noch leichter in eine solche Kuͤrtze zusammen zu fassen. §. 11. Das Hauptwerck aus einer Geschichte her- aus nehmen. Wenn eine Geschichte in einen einigen Satz verwandelt wird, so heisset dieser Satz und was darinnen angegeben wird: das Hauptwerck, der Hauptpunckt, die Substantz der Histo- rie. Es ist also eine bey der Erzehlung merck- wuͤrdige Veraͤnderung der Geschichte, daß man das Hauptwerck heraus nimmt (§. 10.). Die- ses ist gemeiniglich das, was auch diejenigen, die am wenigsten von der Sache wissen, dennoch wis- sen und in Erfahrung bringen, da hingegen die Zuschauer in Ansehung der Umstaͤnde und Par- ticularitaͤten verschiedene Nachrichten zu haben pflegen. Der Ursprung dieses Begriffes aber giebt zu erkennen, daß das Hauptwerck doch nicht lediglich von der innerlichen Beschaffenheit der Sache, sondern hauptsaͤchlich mit vom Zu- schauer abstamme, der nach seiner Einsicht das- jenige, was er an der Geschichte wahrgenommen, in einen einigen Satz zusammen ziehet. §. 12. Urbild und Erzeugung der Erzehlung. Alle Vorstellungen der Dinge werden Bilder genennet; zumahl wenn es Dinge sind, die sich durch die Augen erkennen lassen. Nunmehro se- hen wir also, wie das Bild der Geschichte, welches v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. welches ein Zuschauer durch seine Sinne erhalten hat, geaͤndert werde, ehe es zur Erzehlung kommt, und zwar auf so verschiedene Weise: als durch Theilung der Dinge die zugleich geschehen (§. 2.); durch Vermischung der Empfindung und der Be- gebenheit (§. 5.); durch allgemeine Ausdruͤcke (§. 4.); durch unvermeidliche Auslassung vieler individuellen Umstaͤnde (§. 3.); durch unvorsetz- liches Vergroͤssern und Verkleinern (§. 6.); durch die Bildung allgemeiner Anmerckungen (§. 7.); durch Herauslassung vieler Stuͤcke (§. 8.), und das auf verschiedene Weise (§. 9.); endlich durch Verwandelung der gantzen Geschichte in eine ei- nige Begebenheit (§. 10.); welches denn alles auch wohl in einer einigen Erzehlung zusammen kommt. Damit wir nun von diesen Bildern ei- ner einigen Begebenheit ohne Vermengung reden, und Lehrsaͤtze geben koͤnnen: so wollen wir die Vorstellung einer Geschichte, wie sie lediglich an- fangs durch die Sinne ist hervorgebracht worden, das Urbild der Geschichte nennen; die Veraͤn- derungen aber die mit diesem Bilde vorgehen, ehe es zur Erzehlung kommt, wollen wir die Erzeu- gung der Erzehlung nennen. §. 13. Nothwendigkeit der Vergleichungen im erzehlen. Jn der Erzehlung selbst aber pflegen noch Veraͤnderungen des Urbildes vorzugehen. Denn so haben zwar die meisten Handlungen, Veraͤn- derun- Sechstes Capitel, derungen, Eigenschafften der Dinge ihre eige- ne Nahmen und Woͤrter, deren man sich bey und in der Erzehlung bedienen kan; allein diese Worte wollen doch nicht allemahl, die Eigenschaff- ten der Dinge, die wir im Sinne haben, klar und vollstaͤndig genug ausdrucken; so daß wir zu Gleichnissen unsere Zuflucht zu nehmen uns genoͤthiget sehen, die theils unter dem Nahmen der Metaphern, theils unter dem Nahmen der Vergleichungen bekannt sind. Also kan man z. E. die Geschwindigkeit eines Strohmes nicht mit eignen Worten ausdruͤcken, wie sich solche dem Auge vorstellt; sondern man sagt: Der Strohm schuͤsse fort wie ein Pfeil. Die Wen- dungen der Baͤche in Gebuͤrgen weiß man nicht anders zu geben, als daß sie schlangenweise lauffen. Das Blitzen, welches einige in der Atmosphaͤre des Mondes gesehen, wird wohl nur in Ermangelung eines eigenen und vollkom- men bequemen Wortes seyn gebraucht worden. Nun ist kaum zu verlangen, daß die Hoͤrer und Leser eines solchen Ausdrucks gantz genau eben die- jenigen Begriffe damit verknuͤpffen sollen, den der Anschauer und Erzehler damit verknuͤpfft: denn dieser weiß die Begebenheit an und vor sich, und haͤlt sie gegen den Ausdruck: der andere aber soll die Begebenheit aus der Beschreibung erst lernen. Wie leicht geschiehet es, daß er den Ausdruck staͤrcker annimmt, als es der Sinn des Erzehlers mit sich bringet. §. 14. v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. §. 14. Verwandelung der Geschichte ins Sinnreiche. Wenn aber der Zuschauer uͤber dieses sinn- reich ist, oder vor gut befindet, sich bey seiner Erzehlung sinnreich auszudruͤcken; so werden die Anschauungsurtheile, woraus die Erzehlung be- stehen soll (§. 27. C. 5.), noch ein ander Anse- hen bekommen. Die Rhetorick lehret uns, wie man einen Satz, der Wahrheit unbeschadet, auf mancherley Weise sinnreich ausdruͤcken kan: und wer will einem Erzehler wehren, daß er sich die- ser Gedenckarten bedienet? zumahl da alle diese sinnreiche Gedenckarten sich nicht sowohl vor all- gemeine Wahrheiten, und vor philosophische Lehrsaͤtze schicken, als vor die historischen Wahr- heiten. Wir haben aber diese Veraͤnderung der Begebenheiten und ihrer Urbilder, welche die Wahrheit derselben keines weges aͤndern, sondern vielmehr in ein helleres Licht stellen soll, um so viel mehr zu mercken, weil die aͤltesten Geschichte gar offte in Liedern und Gedichten, und also auf eine sinnreiche Art sind vorgetragen und fort- gepflantzet worden. Wer wuͤrde von dem Troja- nischen Kriege viel wissen, wenn ihn nicht Homer besungen haͤtte? Trockene Erzehlungen hat man ehedem nicht geachtet. Die Folge dieser Ver- wandelung der Geschichte aͤussert sich hauptsaͤchlich in der Auslegung historischer Buͤcher; indem der- gleichen sinnreiche Erzehlungen, und zumahl poe- tische Vorstellungen, zwar eine Zeitlang, so lan- ge sich die Sitten und Begriffe nicht aͤndern, die J Sa- Sechstes Capitel, Sache sehr erlaͤutern, aber bey gantz Fremden, und bey der spaͤten Nachwelt eine ehrwuͤrdige Dunckelheit uͤber die Geschichte ausbreiten. §. 15. Ein Sehepunckt giebt keine gantze Er- zehlung. Aus einem eintzigen Sehepunckte bringt man nicht leicht eine gantze Geschichte zusammen; son- dern es kommen auch wohl Dinge darinnen vor, die unbegreiflich sind (§. 26. C. 5.). Nun traͤgt man Bedencken, solche Dinge zu erzehlen, von denen man an sich selbst begreifft, daß sie dem Zuhoͤrer und Leser unbegreifflich oder anstoͤßig seyn werden, und wovon er ehe das Gegentheil ver- muthen muß. Man pflegt daher die Geschichte, die man erzehlen will, zu ergaͤntzen, und durch eine Muthmassung, den Umstand, wodurch die Sache zusammen hangend und begreiflich wird, hinzuzufuͤgen. Weiß man aber zu gutem Gluͤck aus Erzehlung anderer Zuschauer, woran es ge- fehlet, und was es mit dem Knoten vor Be- wandniß habe, so pflegt man diese Nachrichten, die eigentlich nicht unser eigen seyn, dennoch unter die seinigen zu mischen. Wie man aber durch Muthmassungen und Schluͤsse Historien und Umstaͤnde entdecke, soll an seinem Orte ge- zeigt werden. Nun aber geraͤth diese Ergaͤntzung nicht allemahl. Andere bemercken dieses Flick- werck, und fangen an, demselben zu widerspre- chen. Daher wird dieser Umstand in der Ein- leitung zur historischen Erkentniß merckwuͤrdig. So v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. So hat mir bedencklich geschienen, daß verschie- dene angesehene Geschichtschreiber von der Bi- bliotheck des Augustinus erzehlen, die Van- dalen haͤtten derselben, bey Einaͤscherung der Stadt Hippon, verschonet. Dieses kam mir von solchen Barbarn nicht glaublich vor, ist auch bey einer solchen Verwuͤstung nicht recht thulich. Kein Zeugniß funde davon nicht angefuͤhret, da- her untersuchte, was ein solches Vorgeben koͤnte veranlasset haben; es schien mir aus dem Hertzen der Geschichtschreiber, nicht aber aus Nachrich- ten, die etwa nicht bemerckt worden, erwachsen zu seyn. Sie erzehlen nehmlich, daß wenige Ta- ge nach dem Tode dieses Bischoffs, der eine star- cke Bibliotheck gesammlet, die Stadt sey erobert und in Brand gesteckt worden; welches uns von dem Schicksale derselben Bibliotheck nichts gutes hoffen laͤsset; dennoch musten sie anfuͤhren, daß seine Bibliotheck nach diesem grossen Ungluͤck uͤbrig gewesen, und fleißig sey gebraucht worden; die- ses waͤre nach den vorhergehenden Umstaͤnden eben nicht begreiflich: sie haben es also durch diesen Umstand, daß die Vandalen der Bibliotheck ver- schonet, der sich auf nichts anders als auf eine Muthmassung gruͤnden kan, begreiflich machen wollen. Eine solche Ergaͤntzung war auch dem principio, daß man gerne was sonderbares er- zehlet ( n. 1. §. 9.), gantz gemaͤß. Sie haben al- so denselben Umstand ohne weiteres Bedencken hinzugefuͤgt. Da ich aber in des Poßidons Le- ben von diesem Bischoffe eine andere und natuͤrli- chere Ursache gefunden, so habe jene verworffen J 2 in Sechstes Capitel, in dem Programmate: de fatis Bibliothecæ Au- gustini in excidio Hipponensi. §. 16. Gruͤndliche Erzehlungen setzen noch andere Verwandelungen voraus. Alle diese Veraͤnderungen pflegen nun sowohl eintzeln, als in Menge, bey solchen Faͤllen vor- zukommen, wo man nur gelegentlich die Ge- schichte, wovon man ein Zuschauer gewesen, vor- traͤgt. Wenn man aber die Geschichte, die man als ein Zuschauer weiß, gruͤndlich, nehm- lich zur Belehrung der Entfernten, und der Nach- welt, erzehlen und aufzeichnen will, so daß man einen Geschichtschreiber ex instituto abgiebt, so gehen noch mehr Verwandelungen vor, ehe es mit der Beschreibung und Erzehlung zur Wuͤrck- lichkeit kommt. Zufoͤrderst da jeder aus seinem eigenen Sehepunckte keine vollstaͤndige Geschichte erlangen kan, und aus den Umstaͤnden, die ihm bey- wohnend sind, wohl absehen kan, daß ihm mancher betraͤchtlicher Umstand verborgen seyn muͤsse (§. 26. C. 5.); so muß seine erste Sorge seyn, daß er die ihm ermangelnden Nachrichten von den uͤbrigen Zu- schauern der Geschichte herbeyschaffe, und diese dadurch ergaͤntze. Denn Muthmassungen wol- len da nicht zureichen (§. 15.). Wer nur das Leben eines Mannes beschreiben will, den er noch so wohl gekennet, wird dennoch der Nachrichten von andern Leuten nicht entbehren koͤnnen. Die Geschichte einer eroberten Stadt wird nicht voll- staͤndig werden, wenn man nicht sowohl die Nach- richten aus der eroberten Stadt, als auch dem Feld- v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. Feldlager beysammen hat und zusammen haͤlt, und wenn sie auch der Feldherr selber, der ohne Zwei- fel im Lager der vornehmste Zuschauer ist, diesel- be beschreiben wollte. Die Uebergabe geschiehet offt zu einer Zeit, da er sich derselben nicht gewaͤr- tig ist. Bey seinen eigenen Geschichten, die man doch am besten wissen muß, kan man gleichwohl solcher fremden Nachrichten nicht entbehren. Denn der Feinde ihre Jntriguen und Anschlaͤge, die so grossen Einfluß in unser Leben haben, sind uns meistens nicht bekannt, weil sie der Natur der Sache nach, geheim gehalten zu werden pflegen. §. 17. Die Geschichte muß vom Anfange uͤberse- hen werden. Sodann muß der Zuschauer, wenn er seine Geschichte ausfuͤhrlich erzehlen will, eine Haupt- aͤnderung in seiner Vorstellung vornehmen; daß er nehmlich die Sache umwendet, und das erste zum letzten macht. Denn nach der Regel der Einbildungskrafft und des Gedaͤchtnisses, schwebt ihm das am klaͤrsten und deutlichsten vor Au- gen, was an der Geschichte das neueste ist. Der Anfang der Geschichte, wird, als das aͤlte- ste daran, ihm am wenigsten klar und deutlich vorgestellt. Bey der Erzehlung aber muß der Anfang nothwendig von dem Anfange der Ge- schichte selbst gemacht werden. Der gewesene Zu- schauer muß sich also wieder in die ersten Umstaͤnde in Gedancken setzen, und den Erfolg der Geschich- te von ihrem Anfange uͤbersehen. J 3 §. 18. Sechstes Capitel, §. 18. Grundriß einer langen Erzehlung. Jst nun die Geschichte lang, so will ferner ein Grundriß und Entwurff noͤthig seyn; wel- ches, wenn es auch in Ansehung dessen, was er selbst mit angesehen, koͤnte ersparet werden; so ist es doch in Ansehung der erborgten Stuͤcke der Geschichte (§. 16.) noͤthig, damit er absiehet, an welchem Orte ein jedes Stuͤck einzuschalten ist, nehmlich an demjenigen Orte, wo er es wuͤrde erzehlen muͤssen, wenn er selbst dabey gegenwaͤr- tig gewesen waͤre. Ein solcher Grundriß aber entstehet auf folgende Art. Aus der gantzen Ge- schichte wird das Hauptwerck herausgenommen (§. 12.); so daß die gantze Geschichte in einen Satz zusammen gezogen wird, dadurch kommt sie einem allgemeinen Begriffe naͤher; daß man sie- het, zu was vor einer Art, Geschichte, Geschaͤff- te, Haͤndel, moralifcher Wesen sie gehoͤre, wo- von im 4. Capitel gehandelt worden. Der all- gemeine Begriff giebt, nach seiner innerlichen Beschaffenheit, die Theile an die Hand, worin sich die gantze Geschichte, wie von selbsten zerleget: Z. E. eine Belagerung, als die von Bergenop- zoom, zu beschreiben, giebt der allgemeine Begriff der Belagerung die Anleitung: wie nehmlich die feindliche Armee in die dasige Gegend gekom- men und die Festung berennet habe: Was von Eroͤffnung der Aprochen an taͤglich geschehen: Die Eroberung, als der Ausgang der Geschichte selbst. Wenn nun bey einer Geschichte lauter Dinge vor- kom- v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. kommen, die nach einander geschehen, oder auf einander gefolgt waͤren, so wuͤrde der Grund- riß ohne alle Schwierigkeit gemacht seyn: weil aber vieles zugleich geschiehet, welches doch nicht zugleich erzehlt werden kan (§. 2.); so muß eine Theilung vorgenommen, und eines dem andern, anders als wuͤrcklich geschehen, nachge- setzt werden; welches denn Ueberlegung erfordert. Wobey auf keine andere Art zu einer Entschluͤs- sung zu kommen, als daß man erweget, welches zum Verstande und Einsicht in das andere das mehreste beytrage, und deswegen dem andern vorzusetzen sey. §. 19. Gelehrte und politische Erzehlungen. Wenn man bey seiner Erzehlung nichts in- tendirt, als den Unterricht der Leser, oder der Zu- hoͤrer, und daß derselbe so vollstaͤndig sey als moͤg- lich, so wuͤrde eine Geschichte zu erzehlen weiter kein Bedencken und keine Schwierigkeit haben. Je umstaͤndlicher auch die Kleinigkeiten ange- fuͤhret wuͤrden, desto mehrere und mancherleye Le- ser wuͤrden dabey ihre Rechnung finden. Die Ordnung der Zeit wuͤrde jede Stelle, wo ein jedes anzubringen sey, gnugsam bestimmen. Aber solche Erzehlungen koͤnnen selten gemacht werden. Diejenigen, welche von einer Geschichte Zuschauer sind, haben gemeiniglich auch mit der Sache selbst zu thun; und bleiben auch lange hernach in ei- ne r solchen Verbindung, daß sie nicht freye Haͤn- de haben, mit einer voͤlligen Gleichguͤltigkeit alles J 4 und Sechstes Capitel, und jedes aufzuschreiben, was ihnen von der Sa- che bekannt ist: eine muͤndliche Ausfuͤhrung und ad unum actum, wird so niemahls vollstaͤndig. Und die wenigsten Personen, welche Zuschauer von wichtigen Begebenheiten abgeben, haben den Willen vor die gantze Welt zu schreiben. Mit- hin werden die Erzehlungen gemeiniglich nicht bloß wegen der Belehrung und des Unter- richts vor die, die nicht gegenwaͤrtig gewesen, abgefasset: sondern in einer gewissen Absicht, und etwas dadurch zu erhalten. Ein Notarius beschreibt eine gewisse Begebenheit in seinem Jn- strumente, damit im Fall eines erfolgenden Pro- cesses der Richter hinlaͤnglich und zuverlaͤßig davon unterrichtet sey. Vor Gerichte erzehlet jeder seine Geschichte, oder laͤsset sie durch seinen Advocaten erzehlen, um eine gewisse Sententz zu erhalten. Fuͤrsten lassen den Verlauff entstan- dener Jrrungen mit ihren Nachbarn bekannt ma- chen, um die Gerechtigkeit ihres Verfahrens der Welt vor Augen zu legen, oder gewisse Vorbil- dungen, die sich der gemeine Mann macht, zu widerlegen. Erzehlungen nun, die bloß zum Unterricht derer, die die Begebenheit nicht wissen, abgefasset werden, wollen wir gelehrte Erzeh- lungen nennen, weil sonst niemand als Gelehr- te dergleichen Nachrichten aufsetzen wird: die aber in einer gewissen Absicht abgefasset werden, sol- len politische Erzehlungen heissen. Wir se- hen also hier gar nicht auf das Objeckt der Erzeh- lung: sondern lediglich auf die Art der Erzehlung, wie sie aus der verschiedenen Absicht fluͤsset. §. 20. v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. §. 20. Unnuͤtze, noͤthige und schaͤdliche Umstaͤnde einer Geschichte. Bey politischen Erzehlungen also muͤssen die Stuͤcke der Geschichte, die sonst bey einer gelehr- ten Erzehlung eben derselben Geschichte gleiches Recht haben wuͤrden, in drey Classen eingetheilt werden. Erstlich sind Umstaͤnde uͤberfluͤßig, fremde, unnuͤtze, welche der Absicht nicht scha- den und nicht nutzen. Als wenn ein Herr Trup- pen in seines Nachbars Gebiet einruͤcken lassen, so ist dabey der Nahme der Capitains offenbar zu erzehlen uͤberfluͤßig: kaum daß die Regimenter von ihren Obersten benennet werden. Denn es ist einerley, welches Regiment eingeruͤckt, sondern es kommt dabey nur auf die Anzahl der Truppen an. Sodann sind die noͤthigen Stuͤcke, wel- che zur Absicht der Erzehlung etwas beytragen: endlich die schaͤdlichen und nachtheiligen, die der Absicht zuwider sind. So erzehlen die Leute bey einer Jnjurienklage selten ihre harten Re- den, wodurch sie die darauf erfolgten Schimpf- worte veranlasset haben; sie bemercken hingegen nicht allein die Schimpfworte, die der andere aus- gestossen, sondern auch wohl seine Gebehrden. Das letztere fuͤhren sie als Beweise des animi in- juriandi an, damit die Gnugthuung desto eher moͤge erhalten werden; ihre Worte aber lassen sie weg, weil sie eher die Beleidigung mildern und entschuldigen, als vergroͤssern moͤchten. Das er- ste nun bey einer politischen Erzehlung ist, daß das Ueberfluͤßige weggelassen werde. Nun J 5 ist Sechstes Capitel, ist dasjenige nicht vor uͤberfluͤßig zu halten, ohne welchem das andere nicht verstanden werden kan, wenn es gleich an sich zur Absicht nichts beytraͤgt. §. 21. Sachen groß und klein vorstellen, ist vom Vergroͤssern und Verkleinern un- terschieden. So erfordert auch die Absicht der Erzehlung in manchen Faͤllen die Sachen groß, in andern Faͤllen aber sie klein vorzustellen. Die Kunst- griffe hievon gehoͤren in die Rhetorick. Beydes kan auch oͤffters, der Wahrheit unbeschadet, ge- schehen: Denn man weiß ja, daß bey allen Ge- schoͤpffen und ihren Eigenschafften, die Groͤsse da- von abhanget, ob man sie mit was groͤssern, oder mit was kleinern zusammen haͤlt. Und also kommt die Groͤsse auf die Vergleichung und auf die Art der Vorstellung an; und auf was vor einer Sei- te man sie betrachtet. Es wird auch, wenn man gleich alles zusammen nimmt, was man Grosses von der Sache sagen kan, dennoch wohl noch nicht die rechte Vorstellung bey dem Zuhoͤrer, der etwa traͤge im Dencken ist, erwecket. Andere aber machen sich freylich diesen Vortheil zu Nutz, daß sie die Sache groß vorstellen, ohngeachtet sie wis- sen, daß ihre Zuhoͤrer die Sache aus Mangel der Ueberlegung noch fuͤr groͤsser annehmen wer- den, als sie in der That ist: ein solches betruͤgli- ches Großvorstellen gehoͤret nun schon zum Vergroͤssern, dem das Verkleinern entgegen gesetzt ist; deren beydes aber durch Hinzufuͤgung fal- v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. falscher und erdichteter Umstaͤnde bey der Erzeh- lung geschiehet: als wenn man die Anzahl der Regimenter hoͤher angiebt, als wie sie sind, so ist das eine Vergroͤsserung, weil sie sich auf ei- ne Unwahrheit gruͤndet: wenn man aber an statt der Regimenter und ihrer Anzahl erzehlet, wie viel Bataillons oder gar Compagnien beysammen sind, so stellet man durch die ungleich groͤssere Zahl die Sache groß vor; denn in der Sache und Wahrheit selbst wird nichts geaͤndert. Der Kaufmann, der in einem Conto eine falsche Sum- ma einruͤckt, der vergroͤssert die Sache; wenn er aber nur an statt der Thaler, Gulden, oder gar Livres rechnete, der stellt nur die Sache groß vor: und man weiß, was starcke Zahlen auch bey sol- chen Menschen, die doch leicht eine Reduction vornehmen koͤnten, vor einen wunderbaren Ein- druck zu machen pflegen. §. 22. Erste Art, Sachen zu verdunckeln. Man verdunckelt gewisse Umstaͤnde, und durch dieselben die gantze Sache, nicht allein durch vorsetzliche Weglassung gewisser Umstaͤnde, wovon hernach soll gehandelt werden, sondern auch auf andere Art. Denn wenn man anfangs, etwas nur mit einem Worte, oder nur mit we- nigen beruͤhret; so kan dieses nothwendig keinen solchen Eindruck machen, als wenn Seiten lang davon gehandelt und geredet wird: es wird von denen Lesern und Zuhoͤrern wohl gar wegen seiner Kuͤrtze uͤbersehen. Es ist mit Erzehlungen wie mit den Sechstes Capitel, den Gemaͤhlden: was den meisten Platz einnimmt, das faͤllt auch am meisten in die Augen, es muͤ- ste denn der kleine Theil etwas besonders glaͤntzen- des an sich haben, was die Augen, wie man zu reden pfleget, sonderlich frappirt: ausserdem wer- den Kleinigkeiten uͤbersehen. Was also nun in einer Parenthese, oder als ein Einwurff, oder als ein Nebenumstand angefuͤhret wird, da es doch in einer gelehrten Erzehlung sowohl, als das uͤbrige, umstaͤndlich angefuͤhret zu wer- den verdiente, das wird verdunckelt. §. 23. Zweyte Art der Verdunckelung. Nicht minder wird eine Begebenheit verdun- ckelt, wenn sie mit einem allgemeinern Worte ausgedruckt wird, als nach der gemeinen Art zu dencken und zu reden geschehen sollte: wenn man z. E. eine Wechselschuld nur eine Anforderung nennet; oder ein Ritterguth ein Landguth; wenn man ein gantz Regiment nur Mannschafft, eine Bibliotheck nur Buͤcher nennet. Eine Bi- bliotheck spoliren, und aus der Erbschafft einige Buͤcher zu sich nehmen, stellt die Sache gantz verschieden vor. Weil bey allgemeinen Aus- druͤckungen einer mehr, der andere weniger, zu gedencken pflegt, so wird dadurch die Sache ver- dunckelt, oder sie wird zweydeutig, welches nicht weniger in Geschaͤfften, als in Reden selbst, Dunckelheit verursacht. §. 24. v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. §. 24. Dritte Art der Verdunckelung. Auch wird eine Sache und Begebenheit ver- dunckelt, wenn man sie auf einer andern Seite vorstellig macht, als sie in die gegenwaͤrtige und vorhabende Sache einen Einfluß hat. Z. E. es hat jemand im Gerichte einen Termin versaͤumt: er erzehlt und beklagt seinen Unfall mit Anfuͤh- rung dieses Umstandes, daß er eben eine noͤthige Reise vorgehabt haͤtte. So laͤsset sich vor gemei- nen Ohren, als ein Ungluͤcksfall, der Mitleiden verdienet, hoͤren; da doch dieser Umstand nach der Proceßordnung zur Sache gar nichts beytraͤgt, weil er, seiner Reise unbeschadet, per mandata- rium haͤtte erscheinen koͤnnen. Er erzehlet also die Sache nach dem Sehepunckte eines gemeinen Geschaͤfftes, da es doch, als ein Gerichtshandel, nach den Jdeen der Proceßordnung sollte angese- hen werden. Es wird jemand wegen seines Exa- mens befragt; er giebt die Zeit desselben an, und den Umstand: es waͤren mehrere dabey gewesen, die zugleich gepruͤft wurden, und wir erhielten ein gutes Lob, eine gute Censur. Es kan seyn, daß er den Repuls bekommen: aber dieser Zufall, ja selbst die Muthmassung, welche etwa von ohngefehr entstehen koͤnnte, wird durch diese Erzehlungsart verdunckelt: deren Wahrheit im uͤbrigen sich dadurch rechtfertigen laͤsset; daß man ja gemeiniglich, wenn man von einem Hauffen re- det, die Eigenschafft der meisten, oder auch der vornehmsten Indiuiduorum dem gantzen Hauffen bey- Sechstes Capitel, beyleget (§. 41. C. 2.). Eine solche Verduncke- lung veranlasset freylich gar leicht eine falsche Vor- stellung von der Sache, welche daher, wenn sie vorsaͤtzlich und zu Verleitung anderer gebraucht wird, zu denen Verdrehungen der Geschichte gehoͤret; wovon hernach soll gehandelt werden. §. 25. Geschichte verstuͤmmeln. Ausser der unvermeidlichen Auslassung vieler Umstaͤnde bey einer Erzehlung (§. 3.), und der weißlichen Auslassung des Unnoͤthigen (§. 20.), giebt es noch eine dritte Art, die man die Ver- stuͤmmelung einer Geschichte nennet; welche aber zu erklaͤren keine so leichte Sache ist, weil sie noch einen andern Begriff, nehmlich der Ge- stalt der Geschichte voraus setzt. Daran liegt in Ansehung der historischen Wahrheit nichts; ob man eine Geschichte aus Unwissenheit ver- stuͤmmelt, weil man nehmlich meinet, dieser oder jener Umstand truͤge zur Absicht der Erzehlung nichts bey; wie einem Ungelehrten und Einfaͤlti- gen gar leicht begegnen kan, wenn er dem Advo- caten seinen Handel, oder dem Artzte seine Kranck- heit erzehlet: oder ob er vorsaͤtzlich, nehmlich der Geschichte eine andere Gestalt zu geben, noͤ- thige Umstaͤnde weglaͤsset. Jn beyden Faͤllen aber kan eine Weglassung gewisser Umstaͤnde nicht eher einer Verstuͤmmelung beschuldiget werden, als wenn durch Weglassung die Gestalt der Sa- che wuͤrcklich geaͤndert wird. Statum caussæ pflegt man bey einem Proceß, und was dem aͤhn- lich v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. lich ist: oder speciem facti, wenn die Sache erst zu einem Proceß gedeyen soll, dasjenige zu nen- nen, was wir hier die Gestalt heissen. Dieses aber ist bey einer politiscyen Erzehlung das Haupt- werck, daß man der Geschichte, davon sich je- der sonst nach seiner Willkuͤhr und gantz nicht hinlaͤnglichen Einsicht einen Begriff machen wuͤr- de, eine gewisse Gestalt gebe. §. 26. Die bekannten Arten der Geschichte sind nicht hinlaͤnglich. Die Sache kommt darauf an, daß wenn von einer Geschichte soll geurtheilt werden; als von ih- rer Gerechtigkeit, oder was nun weiter daraus er- folgen kan, oder soll; so muß sie zufoͤrderst auf eine gewisse Art der Handlungen, Geschaͤffte oder Thaten, reduciret werden: Und dieser allgemei- ne Begriff, oder die Art ist hernach das Licht, wobey man die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, und was irgend mit der Sache anzufangen ist, absehen kan. Nun sind viele Arten der Ge- schaͤffte weltkundig. Wenn also eine vorkom- mende Begebenheit mit denen uns bekannten Ar- ten der Handlungen und Geschaͤffte vollkommen uͤbereinkommt, so kan jedermann davon urtheilen: als wenn jemand schuldig ist, darbey auch der Schuld gestaͤndig ist, so kan jeder vernuͤnfftiger Mensch den Schluß machen, daß die Schuld muͤsse bezahlt werden. Wenn jemand just so ei- ne That begangen hat, als wie sie nahmentlich im Gesetze verpoͤnt ist: so kan jedermann die Stra- fe Sechstes Capitel, fe dictiren und das Urtheil sprechen. Nun aber, da die Handlungen der Menschen auf vielerley Weise, ja unzehlige Weise, bald getheilt, bald verwickelt, bald nur zum Schein und gefaͤhr- licher Weise eingerichtet werden; so koͤnnen sie mit den bekannten Arten der Handlungen nicht allemahl genau uͤbereinkommen; sondern es giebt von denen bekannten Arten, die man vielmehr als genera anzusehen hat, unzehlige Arten, so viel als man nur Arten der Theilung und Ver- mischung der Begriffe ersinnen kan: daher eine Erzehlung jedes Handels species facti , das ist ei- ne Art, oder neue Art der Handlungen pflegt rubricirt zu werden. Also ist Kauffen und Ver- kauffen eine so bekannte und begreifliche mensch- liche Handlung: aber dieses Geschaͤffte wird auf mancherley Art angegangen. Manchmahl wird der Handel so getroffen, daß man nicht recht weiß, ob sie des Handels einig worden sind, oder nicht? man kaufft und bezahlt nicht: man kaufft eine Sache, die noch nicht ist, und auf Hoffnung: man laͤsset die gekauffte Waare dem Verkaͤuffer uͤber dem Hals: man machet einen Scheinkauff: man kaufft Bedingungsweise u. s. w. woraus so viele Arten, oder subdivisiones entstehen, davon jede noch gar auf sehr vielerley Weise in eintzeln Faͤllen kan eingerichtet werden. Mit einem Worte: es ist nicht moͤglich, daß alle vorkom- mende Geschaͤffte mit denen schon bekannten Arten und Eintheilungen genau uͤbereinkommen sollten. §. 27. v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. §. 27. Gestalt der Geschichte. Nun werden aber gemeiniglich nur diejenigen Geschaͤffte und Faͤlle in besondere Erwegung ge- zogen, und einer besondern und gruͤndlichen Er- zehlung gewuͤrdiget, welche nicht nach dem gemei- nen Leisten der menschlichen Handlungen einge- richtet sind, sondern die was ausserordentliches, verwickeltes, oder gar widerrechtliches an sich haben. Geschichte von bekannter Art gehoͤ- ren zu den alltaͤglichen Geschaͤfften (§. 8. C. 4.): mit deren Erzehlung sich niemand als gelegent- lich beschaͤfftiget: und diese sind zu erzehlen auch leichte, weil der allgemeine Begriff die Regel an die Hand giebt (§. 18.), die also jedermann wissen kan. Wenn hingegen das Geschaͤffte keine bestimmte und bekannte Art hat, so ist auch keine siche- re Regel vorhanden, wornach der Plan der Er- zehlung, und die Erzehlung selbst eingerichtet wer- den muͤsse (§. 18.). Daher laͤsset sich eine solche Geschichte auf mancherley Weise erzehlen: und die Art der Geschichte, ( species facti, ) wird an- ders, nachdem man diese oder jene Umstaͤnde zu- sammen nimmt. Da nun die gewoͤhnlichste Con- clusion, um derentwillen die Erzehlung vorgenom- men wird, diese ist; daß die Sache recht oder unrecht sey, so kan man das vor den allgemei- nen Begriff der Gestalt einer Geschichte an- nehmen: daß es die Zusammenfuͤgung solcher Um- staͤnde sey, wodurch die Gerechtigkeit, oder die Ungerechtigkeit des Handels offenbar gemacht wird. Die Gestalt findet also nur statt, wenn K die Sechstes Capitel, die Sache zu keiner bekannten und gemeinen Art der Geschaͤffte und Haͤndel kan gerechnet werden. Und derjenige verstuͤmmelt die Erzehlung, der Umstaͤnde weglaͤsset, worauf doch die Gerechtig- keit und Ungerechtigkeit der Sache mit beruhet. §. 28. Wie man Geschichte erlaͤutert. Manche Begebenheiten veranlassen bey de- nen, die sie hoͤren, gleich gewisse conclusiones, die sich zwar nicht rechtfertigen lassen, aber doch fast bey allen Menschen entstehen: als z. E. wenn man die Sache nicht begreiffen kan, daß man sie vor erdichtet haͤlt: wenn uns was nach- theiliges widerfaͤhret, daß wir glauben, es sey uns zum Verdruß geschehen: wenn jemand was thut, daß er es gerne gethan habe; daß er es zu thun geneigt sey, und wohl nicht das erste mahl gethan habe. Der- gleichen meist ungegruͤndete Urtheile oder Folge- rungen aber fallen hinweg, und werden wider- legt, wenn man die Sache umstaͤndlicher erzehlet, dergestalt, daß auch der Grund der Handlung eingesehen wird. Die Erlaͤuterung eines Puncktes, oder einer Begebenheit, ist nur eine solche ausfuͤhrliche Erzehlung, die bloß nachtheili- ge Urtheile abzulehnen vorgenommen wird. Wer also eine Geschichte gruͤndlich erzehlen will, der ist allerdings verbunden, dergleichen nachtheili- gen Urtheilen zu begegnen und sie zu heben: und es ist ein Theil der Klugheit eines politischen Ge- schichtschreibers, daß er dergleichen nachtheilige Ur- v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. Urtheile im voraus absehen kan; ja die gantze Er- zehlung kan eine Erlaͤuterung seyn, wenn solche nur zu Ablehnung falscher Vorbildungen bey ei- ner im uͤbrigen notorischen Begebenheit dienen soll. §. 29. Wo eine Geschichte aufhoͤret. Das Ende einer Geschichte, oder vielmehr einer Erzehlung, hanget ebenfals wie der gantze Entwurff und Grundriß der Erzehlung von dem allgemeinen Begriffe ab, aus welchem der Grund- riß genommen wird (§. 18.). Denn die Ge- schichte an und vor sich hat kein Ende: sie ziehet allemahl Folgen nach sich: sie werden aber nicht mehr zu der Geschichte gerechnet, wenn sie mit dem allgemeinen Begriffe, unter welchem sie als ein indiuiduum enthalten ist, keinen Zusammen- hang haben. Wer von einer Ostindischen Reise zuruͤckkommt, faͤngt zwar nunmehro erst seinen Han- del mit den mitgebrachten Waaren an: aber weder der Verkauff noch der Profit hanget mit dem all- gemeinen Begriff der Ostindischen Reise zusam- men: die Erzehlung hoͤret daher auf, wenn der Seefahrer wieder in den Hafen seines Vaterlan- des, wo er ans Land steiget, angelanget ist. So laͤsset sich der Beschluß der Erzehlung in den mei- sten Faͤllen gar leichte bestimmen. §. 30. Geschichte abbrechen. Man hoͤret also nicht auf zu erzehlen, so lan- ge etwas, nach Anleitung des allgemeinen Be- K 2 griffes, Sechstes Capitel, griffes, dem man in seiner Erzehlung folget (§. 18.), zu erzehlen uͤbrig ist: es geschiehet aber dennoch, daß man aus Mangel der Zeit, oder durch an- dere Zufaͤlle, die Geschichte nicht hinaus er- zehlen kan. Dieses aber kan in der historischen Erkentniß nichts aͤndern; denn es ist nichts zu thun, als daß man die Geschichte zu seiner Zeit fortsetze. Eine Aenderung aber in der Vor- stellung ist, wenn man den letztern Theil der Ge- schichte nur in einen sehr kleinen Auszug bringet, und nur das Hauptwerck in ein oder ein paar Saͤ- tzen vortraͤget, welche ungleiche Eintheilung ab- brechen, oder auch abschnappen genennet wird. §. 31. Geschichte ausdehnen. Da die Geschichte in gantz verschiedener Kuͤr- tze, oder auch in verschiedener Weitlaͤufftigkeit koͤnnen erzehlt werden, so geschiehet solches nicht allein wegen der Absicht, die die gantze Erzeh- lung hat, sondern auch wegen anderer Umstaͤnde. Was besonders die Erweiterung antrifft, so ist es vor das noͤthige und vernuͤnfftige Maaß aller Arten von Abhandlungen ein s e hr gefaͤhrlicher Um- stand, daß viele gerne grosse Buͤcher haben, dergestalt daß selbst bey manchen Gelehrten, die uͤber solche sinnliche Blendungen weit sollten erha- ben seyn, ein Buch in Folio, und ein starckes volumen, einen besondern Eindruck macht. Nun erfordert die Klugheit, sich wie in andere Schwach- heiten der Menschen, also auch in diese zu schi- cken, und eine gerechte Sache so wenig durch diese v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. diese Blendung, als durch andere Sophistereyen beeintraͤchtigen zu lassen. Manche Menschen sind auch an sich zur Weitlaͤufftigkeit geneigt. Ueberhaupt also, eine Geschichte weitlaͤufftiger zu erzehlen, als es die Absicht der Erzehlung erfor- dert, heisset dieselbe ausdehnen. §. 32. Geschichte verdrehen. Eine Geschichte hat ihrer innerlichen Beschaf- fenheit nach ihre gewisse Arten, oder wenigstens ihre gewisse Gestalt, die aber freylich sehr durch die Art der Erzehlungen kan geaͤndert werden (§. 27.); wer aber die Geschichte so aͤndert, daß sie eine andere Gestalt bekommt, oder gar von einer andern Art wird, als aus einer Forderung eine Schuld, derselbe verdrehet die Geschich- te. Dieses Verdrehen geschiehet denn theils durchs Verdunckeln (§. 22. 23. 24.), theils durchs Ver- stuͤmmeln (§. 25.), theils auch durchs Vergroͤs- sern. Ein recht grosses Exempel solcher Verdre- hungskunst findet man in Arnolds Kirchen- und Ketzergeschichte; worinnen das Verfahren der rechtschaffensten Leute auf das gehaͤßigste vorge- stellet, ihre Fehler vergroͤssert, hingegen die Bos- heiten der Ketzer verkleinert, und dadurch der gantzen Kirchengeschichte eine scheußliche Gestalt gegeben worden. Dergleichen Verdrehungen muß denn durch eine wahre Erzehlung begeg- net werden, die das Verdrehete wieder in seinen rechten Stand setzet. Denn zu einer wahren Erzehlung ist nicht alleine noͤthig, daß alle K 3 Stuͤck- Sechstes Capitel, Stuͤckgen derselben eintzeln und vor sich wahr sind, sondern sie muͤssen auch so geordnet und verbun- den seyn, daß nicht durch die Zusammenfuͤgung irrige Vorstellungen veranlasset werden. Denn auch lauter wahre Stuͤcken eintzeln genommen, koͤnnen durch die Art der Verbindung die Sache verfaͤlschen und verdrehen. Solche schaͤdliche Kunststuͤcke haben bisher mit desto mehrerm Er- folg von boͤsen Leuten koͤnnen getrieben werden, da man in der gelehrten Welt keine deutlichen Begriffe gehabt, wie eine Erzehlung entstehe; auch die Sophistereyen, die zumahl in der al- ten Logick sorgfaͤltig bemerckt worden, von den historischen Sophistereyen und Verdrehun- gen gar sehr unterschieden sind. Verdunckeln, Vergroͤssern, Verkleinern, darum hat man sich in der Vernunfftlehre nicht bekuͤmmert. §. 33. Ungegruͤndeter Begriff von einer unpar- theyischen Erzehlung. Jeder wuͤnschet sich, wenn er von einer Sa- che unterrichtet seyn will, eine unpartheyische Erzehlung, oder Nachricht. Diese Art von Erzehlungen ist also von grosser Wichtigkeit; aber der Begriff derselben ist so wenig, als der Be- griff einer partheyischen Erzehlung genau be- stimmt. Es ist nehmlich bey einer Erzehlung nicht zu vermeiden, daß jeder die Geschichte nach seinem Sehepunckte ansehe; und sie also auch nach demselben erzehle. Denn sie setzet einen Zu- schauer voraus (§. 1. C. 4.), und der kan ohne Sehe- v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. Sehepunckt nicht seyn (§. 12. C. 5.); und davon hanget ab, daß er die Sache auf einer gewissen Seite ansehe (§. 14. C. 5.). Es ist auch nicht zu verlangen, daß er bey seiner Erzehlung die Beschaffenheit eines Jnteressenten oder Fremdens (§. 16. C. 5.): oder des Freundes und Feindes der Sache (§. 18. C. 5.), eines Gelehrten oder Ungelehrten (§. 20. C. 5.), eines Betruͤbten oder Froͤlichen (§. 22. C. 5.), gaͤntzlich ablegen solle. Die Natur der Seele laͤsset eine solche Abstracktion nicht zu, und hebt den Begriff des Zuschauers auf, von welchem doch alle historische Erkenntniß abhanget. Nur das vorsetzliche Verdrehen mit seinen Theilen kan unterlassen werden. Darge- gen aber irren die sehr, die verlangt haben, daß ein Geschichtschreiber sich wie ein Mensch ohne Religion, ohne Vaterland, ohne Familie anstel- len soll; und haben nicht bedacht, daß sie unmoͤg- liche Dinge fordern. Dieses aber ist daher kom- men, weil man den Unterschied zwischen Geschich- te und Erzehlungen (§. 17. C. 1.) nicht bemerckt, und also geglaubt haben, wie bey der Geschichte nichts auf den Zustand des Zuschauers ankomme, also komme auch nichts bey der Erzehlung darauf an. Eine Erzehlung also mit voͤlliger Abstrack- tion von seinem eigenen Sehepunckte, ist nach dem 4. und 5. Capitel nicht moͤglich. Eine unpar- theyische Erzehlung kan also auch nicht so viel heissen, als eine Sache ohne alle Sehepunckte er- zehlen, denn das ist einmahl nicht moͤglich: und partheyisch erzehlen, kan also auch nicht so viel heissen, als eine Sache und Geschichte nach sei- K 4 nem Sechstes Capitel, nem Sehepunckte erzehlen, denn sonst wuͤrden al- le Erzehlungen partheyisch seyn. §. 34. Wahrer Begriff einer unpartheyischen Erzehlung. Will man nun etwa eine unpartheyische Er- zehlung diejenige nennen, die von einem blossen Zuschauer herruͤhret, das ist, von einem Frem- den (§. 16. C. 5.): so ist dennoch der Fremde nicht von aller Verbindlichkeit loß, weil ihm die Sache doch gefaͤllt, oder mißfaͤllt, wodurch er zu einem Freunde oder Feinde wird (§. 18. C. 5.): und daher eines eher als das andere bemerckt (§. cit. ). Das schlimste aber ist, daß denen Fremden allzu vieles geheim ist (§. 16. C. 5.), daß also gemeiniglich nur sehr weniges von ihm zu er- fahren ist, und also meist vergebens ist, von sol- chen Zuschauern Erzehlungen zu verlangen. Un- partheyisch erzehlen kan daher nichts anders heissen, als die Sache erzehlen, ohne daß man das geringste darin vorsetzlich verdrehet oder ver- dunckelt: oder sie nach seinem besten Wissen und Gewissen erzehlen: so wie hingegen eine par- theyische Erzehlung nichts anders als eine Ver- drehung der Geschichte ist. Ob aber in der Er- zehlung eine solche Verdunckelung oder Verdre- hung etwa vorgefallen, das kan man am besten aus Zusammenhaltung zweyer Erzehlungen aus entgegen gesetzten Sehepunckten, abneh- men. Denn was der eine entweder vorsetzlich, oder nach Beschaffenheit seines Sehepunckts kuͤrtz- lich v. d. Verwandelung der Geschichte ꝛc. lich erzehlet, welches einige Verdunckelung nach sich ziehet, das wird in der entgegen gesetzten Er- zehlung umstaͤndlich angefuͤhret werden, was der eine groß vorstellet, wird der andere klein vor- stellen: und durch Einsicht in die Regeln der hi- storischen Erkentniß wird man urtheilen koͤnnen, wie die Sache innerlich beschaffen gewesen, welche von dem einen groß, von dem andern klein vorge- stellet worden. Dergleichen abstrackte Einsicht aber niemand als einem Richter noͤthig ist, oder dem der eine gelehrte Erzehlung machen will, die vor die gantze Welt ist. Jm gesellschafftlichen und buͤrgerlichen Wandel und Wesen muͤssen die- jenigen, welche Freunde seyn wollen, auch die Sache aus einerley Sehepunckt ansehen, und sie wenig- stens gemeinschafftlich approbiren. Leute, die neu- tral seyn wollen, auch nur im Dencken, werden ge- meiniglich auf beyden Seiten vor Feinde gehal- ten. Was aber aus diesen Eigenschafften der Erzehlungen vor Bedencklichkeiten in Ansehung der Gewißheit entstehen koͤnnen, soll an seinem Orte ausgefuͤhret werden. §. 35. Angenehme und rauhe Erzehlungen. Die taͤgliche Erfahrung lehret, daß Geschich- te roh und unlustig, oder im Gegentheil ange- nehm und ergoͤtzend koͤnnen vorgetragen wer- den. Dies Angenehme und Unangenehme ist al- so nicht eine Eigenschafft oder Werck der Ge- schichte, sondern der Erzehlung. Wie aber das eine zur Beredsamkeit, das andere aber zu K 5 denen, Sechstes Cap. v. d. Verwandelung ꝛc. denen, der Beredsamkeit entgegen gesetzten Feh- lern gehoͤret, also koͤnnen wir uns in dieser Ab- handlung, wo alles auf die Wahrheit der Ge- schichte und Erzehlungen abzielet, damit nicht be- schaͤfftigen. Vor die Redekunst aber ist dieses ei- ne Hauptuntersuchung, weil jede Rede, die zum Vergnuͤgen dienen soll, und mithin auch politische Reden, wenn sie die Sache nicht verderben, son- dern diese Eigenschafft des Wohlgefallens an sich haben sollen, nichts anders als eine Reyhe von abwechselnden Erzehlungen sind. §. 36. Fabeln und Erdichtungen gehoͤren nicht hieher. Wir haben bisher die Verwandelung der Ge- schichte in Erzehlungen, in so ferne betrachtet, als solches entweder unvermeidlich ist, oder doch ent- weder unbeschadet der Wahrheit, oder noch mit einigem Scheine der Wahrheit geschehen kan. Nun aber wissen wir, daß boßhaffte Luͤgenmaͤu- ler denen Geschichten viele Umstaͤnde und Stuͤ- cke anhaͤngen, die sich mit gar nichts, als mit dem Vorsatz, die Unwahrheit zu reden, oder al- lenfals eine schlimme Sache gut zu machen legi- timiren koͤnnen. Diese erdichteten Umstaͤn- de gehoͤren aber so wenig, als gantze Fabeln, zur historischen Erkenntniß, ausser daß sie uns Muͤhe machen, das Wahre vom Falschen zu un- terscheiden. Das Luͤgenhaffte aber, es mag im grossen, oder im kleinen vorgebracht werden, ist Siebentes Cap. v. d. Ausbreitung ꝛc. ist unmoͤglich in Regeln zu bringen. Unterdessen haben sich doch ernsthaffte Geschichtschreiber mehr- mahlen eines solchen Vorwurffs schuldig gemacht: wie solches z. E. der P. Daniel dem Varillas und d’ Avila aufruͤckt. Preface de l’ histoire de Fran- ce p. VII. Siebentes Capitel , von der Ausbreitung und Fortpflantzung einer Geschichte. §. 1. Heimliche und oͤffentliche Begebenheiten. D ie Handlungen der Menschen, und die daraus entstehenden Geschichte sind auf verschiedene Weise eingerichtet. Was einer oder etliche thun, ohne das Ursachen vor- handen waͤren, daß Zuschauer dabey seyn sollten, das thut man fuͤr sich. Man schreibt fuͤr sich, man isset fuͤr sich: man schluͤsset einen Handel fuͤr sich. Eine Sache, die in Gegen- wart mehrerer Menschen zu geschehen gewoͤhnlich ist, aber jetzo nur im Beyseyn der noͤthigen Per- sonen geschiehet, die geschiehet in der Stille. Wo man aber noch Vorsicht braucht, daß nie- mand, als wer zum Geschaͤffte noͤthig ist, dabey sey, das geschiehet heimlich. Was aber ent- weder Siebentes Capitel, weder seiner Natur nach, als ein Aufzug, eine Feuersbrunst, oder auch zufaͤlliger Weise in Bey- seyn vieler fremden Personen geschiehet, das ge- schiehet oͤffentlich; doch ist zu mercken, daß was von einer grossen Menge geschiehet, vor oͤffent- lich zu halten ist, wenn auch sonst fast niemand, als Hauptpersonen dabey zugegen waͤren: Z. E. was ein Kriegsheeer thut, das geschiehet oͤffent- lich, indem bey so grossen Mengen, in Ansehung der Partialhandlungen schon immer einer in An- sehung eines andern, als ein Fremder kan be- trachtet werden. §. 2. Die Ausbreitung geschiehet von den Gegen- waͤrtigen zu den Abwesenden. Die Personen, die mit einem Vorgange und Geschichte selbst zu thun haben, sind in Anse- hung der Ausbreitung der Geschichte mit denen Fremden, oder blossen Zuschauern vor einer- ley zu achten. Denn es kommt auf sinnliche Dinge an, die der Zuschauer so gut wissen kan, als der es selbst thut. Beyden ist natuͤrlich, daß sie, was sie gesehen haben, andern erzehlen koͤnnen: obgleich etwa der eine mehr Ursach zu schweigen hat, als der andere. Und es kommt nur darauf an, ob dieser oder jener das Vorgegan- gene wuͤrcklich erzehlet, oder nicht? Wollte man nun, wie es in unserer Abhandlung noͤthig ist, allgemein reden, und sowohl den Thaͤter, als den blossen Zuschauer unter ein Geschlecht brin- gen, so muͤssen wir sie gegenwaͤrtig Gewesene, oder v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. oder Gegenwaͤrtige nennen; denen also die Ab- wesenden entgegen zu setzen sind; das ist solche, die die Geschichte nicht gesehen haben, oder nicht dabey gegenwaͤrtig gewesen sind. §. 3. Der Urheber ist die Hauptperson bey der Ausbreitung. Jn so ferne ein gegenwaͤrtig Gewesener das Vorgegangene erzehlet oder aussaget, so heisset er Autor, Urheber, nehmlich der Erzehlung und der Nachricht. Das Wort Augenzeuge ge- faͤllt uns so wenig, als das lateinische testis ocu- latus, weil wir gerne den wahren Begriff des Zeugens bekannter machen wollten, der mit die- sen jetzo gegebenen bestaͤndig vermenget wird. Denn so lange dieses nicht geschiehet, sind und bleiben alle unsere Gedancken von der historischen Erkentniß in der g roͤ sten Verwirrung. Autor, welches Wort bey nahe das deutsche Buͤrger- recht schon erhalten hat, gefaͤllet uns besser, und also auch das deutsche Wort: Urheber. Wir treten der Liebe zwar nicht gerne zu nahe, die manche, ja recht viele, vor die eingefuͤhrten For- meln testis oculatus und auritus haben: allein die Befoͤrderung der richtigen Erkentniß muß vor- gehen: und die Verwirrung muß bey Anrich- tung einer Kunst zufoͤrderst entdeckt, und aus den Wege geraͤumet werden. Nun braucht jede Er- zehlung einen Urheber, aber nicht einen Zeugen, folglich auch keinen Augenzeugen: sondern Zeu- gen sind nur denn noͤthig, wenn der Geschichte wider- Siebentes Capitel, widersprochen wird. Zur Noth koͤnten wir uns auch mit dem Worte Zuschauer behelffen. Denn obgleich derselbe das Gesehene bey sich behalten kan, und oͤffters solches auch wuͤrcklich thut, so ist er doch in diesem Falle, in Ansehung der Aus- breitung der Geschichte, vor ein non ens und vor einen todten Mann zu halten. Wir werden uns also zwar auch dieses Wortes bedienen, wo es ohne Zweydeutigkeit geschehen kan: aber es ist doch zu- foͤrderst noͤthig gewesen, die Hauptperson bey ei- ner Erzehlung mit ihrem eigenen und besondern Nahmen zu bezeichnen. §. 4. Dem Urheber folgen die Nachsager. Derjenige, der sich eine Sache vom Zu- schauer erzehlen laͤsset, muß nunmehro auch seinen Nahmen bekommen. Wenn er es nicht bey sich behaͤlt, sondern weiter erzehlt, so heisset es von ihm, er sage es nach, davon man das Sub- stantiuum, der Nachsager, suͤglich bilden kan; dessen wir uns forthin bedienen wollen. Jm la- teinischen hat uns das Wort suffragator zur Zeit am besten gefallen; aber keines weges die Be- nennung, testis auritus. Denn eine Geschichte, wenn sie durch tausend Leute ihren Mund gehet, und also bey nahe eben so offte nachgesagt wird, so braucht sie noch immer keinen Zeugen, und mithin auch keinen Ohrenzeugen, so lange ihr nicht widersprochen wird. Aber allemahl muß jemand vorhanden seyn, der die Geschichte, die jemand erst erkennen soll, aussaget; und dieser ist v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. ist denn entweder der Autor, oder der Nach- sager. Nun ist diese Benennung zwar daher genommen, daß man die Geschichte, die man selbst gehoͤrt, und nicht gesehen, bey andern nach- saget, und scheinet also nicht bequem zu seyn, die- jenige Person auszudruͤcken, welche eine Erzeh- lung anhoͤret, weil man dieselbe ja auch bey sich behalten kan, und eben nicht nachsagen muß: dennoch da ein solcher Hoͤrer der Geschichte, der solche bey sich behaͤlt, in Ansehung der Ausbreitung der Geschichte vor niemand, vor einen todten Mann zu rechnen ist; so kommt bey uns, unter den Anhoͤrern einer Geschichte, nur derjenige in Anschlag, der sol- che weiter erzehlt. Anhoͤrer der Geschichte, und Nachsager sind also zwar nicht in abstracto, aber doch in concreto betrachtet, und zwar in Absicht auf die Ausbreitung einer Geschichte, einerley Personen. Wer eine Geschichte vielen erzehlet, der breitet eine Geschichte aus: denn es ist nicht zu vermeiden, daß diese viele es nicht noch meh- reren Zuhoͤrern und Nachsagern verkuͤndigen sollten. §. 5. Man erfaͤhrt die Begebenheiten durch ei- nen Canal. Wie nun der Zuhoͤrer einer Geschichte diesel- be nachsagen kan, wovon er Nachsager genen- net wird; so ist natuͤrlich, daß es auch von die- sem wiederum geschehen koͤnne. Und so entstehet eine gantze Reyhe von Personen, deren eine es immer von der andern hat. Diese sollten nun ebenfals mit geschickten Worten von einander un- terschie- Siebentes Capitel, terschieden werden, wenn man anders von der Ausbreitung einer Geschichte deutlich reden will. Wir wollen dergleichen in Vorschlag bringen. Den, der die Geschichte vom Zuschauer oder Au- tor hat, koͤnte man den ersten Nachsager nen- nen; den aber, der es von dem ersten Nachsager erfaͤhrt, den andern Nachsager; den der es von diesem erfaͤhrt, den dritten Nachsager u. s. w. Eine solche Reyhe von Personen, deren eine der Autor ist, die andern aber als Nachsager es von einander haben, heisset ein Canal. Was also oͤffentlich geschiehet, das hat sehr viele, ja un- zehlige Canaͤle, durch welche es sich aller Orten, und auf allen Seiten ausbreiten kan: was aber heimlich geschiehet, oder in der Stille, hat viel weniger Canaͤle: weil die gegenwaͤrtigen Men- schen, oder Zuschauer, in diesen Faͤllen viel weni- ger vorhanden sind. §. 6. Wie viele Leute um eine Sache wissen. Wenn man etwas von einem Zuschauer er- faͤhret, so ist das besonders merckwuͤrdig, daß man weiß, man habe die Geschichte vom Zu- schauer, nicht aber vom Nachsager gehoͤret: und also hat es auch mehr zu bedeuten, wenn ich weiß, daß ich die Sache von dem ersten Nachsager er- fahre: welches geschiehet, wenn ich entweder uͤber- haupt weiß, daß mein Wehrmann es von einem Zuschauer habe, oder gar diesen nahmentlich und individuell kenne. Gleiche Bewandniß hat es mit dem, der es von dem andern, dritten Nach- v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Nachsager u. s. w. hat, und der den Canal weiß, durch welchen es an ihm gekommen. Denn nicht allein der Zuschauer, sondern auch alle, die wissen, durch welchen Canal es an sie gekom- men, werden unter dem allgemeinen Begriff und Benennung derer zusammen gefasset, welche um die Sache wissen. Denn wenn z. E. ei- ne Conspiration angestifftet wuͤrde, und einer der Raͤdelsfuͤhrer sagt es Cajo, dieser Sempronio, dieser Titio, so weiß Titius noch um die Sache, wenn ihm anders bekannt ist, wie die Nachricht von den Theilhabern zu ihm kommen ist: und er ist verbunden, solches anzuzeigen. §. 7. Geheim und bekannt seyn, ist zweydeutig. Sowohl der Begriff des geheimen, als des Bekanntwerdens ist sehr unstat; so daß von einerley Sache in verschiedenem Verstande kan ge- sagt werden, sie sey bekannt, und auch, sie sey noch geheim. Man muß nehmlich in beyden ge- wisse Grade setzen. Jn beyden Faͤllen aber wird vorausgesetzt, daß die Geschichte nach dem Wil- len derer, die sie angehet, nicht ausgebreitet wer- den solle; denn so ist eigentlich geheim, was nie- mand weiß, als diejenigen, deren Vorwissen un- vermeidlich ist. Dieses sind nun theils die An- wesenden bey einer Geschichte, als solche abwe- sende Theilhaber, ohne deren Vorwissen die Sa- che nicht fortgehen oder bestehen kan, denen es also muß gesagt, erzehlt und geschrieben werden. So viel auch immer solcher Personen seyn moͤ- L gen, Siebentes Capitel, gen, so ist die Sache noch immer geheim, so lan- ge sie bloß unter ihnen bleibt. Bekannt aber wird etwas, wenn es demjenigen zu Ohren kommt, vor welchem es haͤtte unbekannt bleiben koͤnnen, ja auch unbekannt bleiben sollen, wenn die Sa- che nicht einen andern Lauff hat bekommen sollen. Hingegen im weitlaͤufftigern Verstande wird das noch geheim genennet, wo man noch etwa abse- hen kan, daß es noch unter lauter Personen be- kannt ist, da eine weitere Ausbreitung zu verhuͤ- ten moͤglich seyn moͤchte. Dieses gehet nehmlich so zu. So lange die Geschichte lauter Personen bekannt ist, die den Canal wissen, durch welchen es zu ihnen gekommen (§. 4.), von denen man also sagt: sie wissen um die Sache, so lange ist auch noch eine Ursache vorhanden es verschwei- gen zu koͤnnen. Denn gleichwie der Zuschauer einer geheimen Geschichte es von Rechts wegen bey sich behalten soll, was er davon weiß; also koͤnnen es auch seine Zuhoͤrer, gegen die er nicht verschwiegen genug gewesen ist, thun: und jeder Nachsager kan es dem Vorgaͤnger zu Gefallen thun. Wenn aber Leute von einer Geschichte Nachricht erhalten, die nicht mehr wissen, von was vor einem Zuschauer, und mithin durch was vor einen Canal, die Nachricht an sie gekommen, so ist auch keine Ursach vorhanden, warum sie das, was ihnen ohne Bedencken und Vorsicht gesagt worden, nicht auch ihres Orts weiter sagen sollten. Daraus denn endlich erfolget, daß es jedermann sagt. Eine Sache, die ein- mahl ruchtbar worden, pflegt denn gemei- niglich v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. niglich in kurtzen zu einer gemeinen Sage zu werden. §. 8. Geschwindigkeit der Ausbreitung. Wie aber sich eine Begebenheit in kurtzen un- gemein ausbreiten koͤnne, laͤsset sich leichte berech- nen, wenn nehmlich jeder, der davon Nachricht erhaͤlt, sich ein Geschaͤffte daraus macht, seine er- langte Erkentniß und die erhaltene Nachricht an- dern mitzutheilen. Denn wenn der Zuschauer solches 10 Personen sagt, und jeder davon es eben soviel andern nachsagt, so wissen es bald 111 Per- sonen, welche bey Neuigkeiten, durch fleißiges Nachsagen, gar bald in 1111 Personen verwan- deln; die noch alle um die Sache wissen, wenn ihnen anders der Canal bekannt gemacht wird, durch welchen es an sie gekommen (§. 5.). Es geschiehet auch, daß Cajus von jemanden eine Begebenheit erzehlen hoͤrt, die er selber ausge- bracht, oder wenigstens nachgesagt hat, daß sie an denjenigen gekommen, den er die Geschichte erzehlen hoͤret. Wenn man eine Begebenheit, die man selbst erzehlet, von seinen Nachsagern wie- der hoͤret, so ist das eine Art eines Circkels, der zur Ausbreitung einer Nachricht nichts beytraͤget. Dieses aber pflegt sehr oͤffters zu geschehen, wenn eine Sache einmahl zu einer gemeinen Sage ge- worden ist (§. 7.). §. 9. Nachricht geben und bekommen. Bey allen diesen Faͤllen ist in der Wissen- schafft, die wir abhandeln, noͤthig, daß wir uns L 2 einer- Siebentes Capitel, einerley Begebenheit unter zweyerley Verhaͤltniß vorstellen; wie sie nehmlich aus der Erkentniß, die einer gewissen Person davon beywohnet, auch nun zur Erkentniß in einer andern Person wird. Und in dieser Betrachtung nun wird jede Bege- benheit oder Geschaͤffte, eine Nachricht genen- net; zu welcher unumgaͤnglich zwey Personen er- fordert werden: die eine, welche die Nachricht giebt; die andere welche die Nachricht bekommt. Solches stimmt mit der Erklaͤrung dieses Worts, die wir schon (§. 14. C. 1.) gegeben haben, ge- nau uͤberein. Denn wenn jemand seine Erkent- niß von einer gewissen Begebenheit oder Geschich- te mit Worten ausdruͤckt, so geschiehet es jeman- den anders zu Gefallen, der davon belehret wer- den soll. Jede Geschichte wird also durch Nach- richten ausgebreitet und fortgepflantzet. Bey der ersten Ausbreitung einer Geschichte ist derjenige, der die Nachricht giebt, niemand an- ders, als der Zuschauer, oder wenn wir allgemei- ner reden wollen, der gegenwaͤrtig Gewesene (§. 2.); der aber die Nachricht bekommt, ist eben der, den wir den ersten Nachsager genen- net (§. 5.). Bey der ferneren Ausbreitung ei- ner Geschichte aber sind sowohl der die Nachricht giebt, als der sie bekommt, beyde Nachsager, nur im entfernten Grade (§. cit. ). Die erste Ausbreitung einer Geschichte geschiehet durchs Aussagen (§. 3.), die fernere Ausbreitung aber geschiehet durchs Nachsagen (§. 4.). §. 10. v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. §. 10. Muͤndliche und schrifftliche Nachrichten gelten gleich viel. Wir machen unsere Gedancken theils durch Reden, theils durch Schreiben einander be- kannt. Dieses findet also auch sowohl beym Aus- sagen, als auch beym Nachsagen, und mit- hin uͤberhaupt beym Nachrichten statt, daß sie entweder muͤndlich oder schrifftlich gegeben werden. Wenn nun in beyden Arten von Nach- richten die Erzehlung in einerley Worten abgefasset ist, so gilt es fast gleich viel, ob man eine Nach- richt muͤndlich oder aber schrifftlich erhaͤlt. Jch sage, fast gleich viel: denn voͤllig liesse sich ein solches nicht behaupten. Denn die Stimme des Redenden, und seine Gebehrden, sein Jnne- halten, ja der Ort wo er redet, kan etwas zu mehreren Verstande der Worte beytragen (§. 5. 6. 7. 8. Einleitung zur Auslegekunst.): welches alles bey einer schrifftlichen Nachricht hinwegfaͤllt. Jm uͤbrigen kommen schrifftliche und muͤndliche Nachrichten darinne uͤberein, daß wie eine muͤnd- liche Nachricht nicht allein auf einmahl sehr vie- len Zuhoͤrern ertheilet, sondern auch gar leichte mehrmahls wiederhohlt werden kan, also koͤnnen sich auch sehr viele, ja unzehlige Menschen, aus einer einigen schrifftlichen Nachricht belehren. §. 11. Schrifftliche Geschaͤffte werden leicht bekannt. Jn Geschafften ist ein grosser Unterschied ob solche muͤndlich, oder aber schrifftlich tra L 3 ctire Siebentes Capitel, ctiret werden. Bey jenen ist leichter zu verhuͤ- ten, daß sie nicht ausgebreitet werden; indem da- zu nichts weiter noͤthig ist, als daß die Personen, welche dabey gegenwaͤrtig sind, zu schweigen wis- sen. Dieses hat zwar schon seine Schwierigkeit, allein ausser dem, daß diese auch bey schrifftlichen Unterhandlungen statt findet, so kommt bey Schrifften noch diese neue Schwierigkeit hin- zu, daß diese jemanden durch Nachlaͤßigkeit oder unvermeidliche Zufaͤlle zu Gesichte kom- men, der also dadurch benachrichtiget wird. Da- her haben Geschaͤffte, die entweder gantz oder zum Theil schrifftlich tractiret werden, gedoppelte Schwierigkeit, daß sie geheim bleiben. Hinge- gen erkennet man, wie geschickt das Aufschrei- ben und die gedruckten und geschriebenen Nach- richten sind, eine Geschichte in kurtzen allgemein bekannt zu machen, und uͤberall auszubreiten. §. 12. Die Geschichte wird bey der Ausbreitung veraͤndert. Nun aber ist noͤthig, daß wir genau darauf mercken, ob die Erkentniß einer Begebenheit, oder Geschichte, bey ihrer Ausbreitung unveraͤndert bleibe; oder ob sie, und warum sie bey der Aus- breitung und Fortpflantzung veraͤndert werde? Der erste Schritt, den eine Nachricht, so zu re- den, thut, ist dieser, wenn der Zuschauer, oder gegenwaͤrtig Gewesene einem Abwesenden Nachricht giebt (§. 10.). Unsere Leser werden sich erinnern, daß schon gezeigt worden, ein Zu- schauer v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. schauer koͤnne schwerlich seine gantze Erkentniß, die er von der Geschichte hat, in seiner Erzeh- lung vortragen (§. 3. C. 6.): ingleichen, daß un- vermeidlich mancherley Veraͤnderung der Vor- stellungen vorgehen, ehe das Anschauen ei- ner Geschichte zu einer Erzehlung wird (§. 12. C. 1.). Hieraus nun laͤsset sich zuverlaͤßig schluͤs- sen, daß die Erkentniß einer Begebenheit, die bey dem Zuschauer anzutreffen ist, gar sehr unterschieden sey von derjenigen, die man aus seiner Erzehlung erlangt: zumahl bey coͤrperlichen Dingen, wobey es auf Figur, Farben, Gestalt, Annehmlichkeit und Heßlichkeit ankommt, als welches grossen Theils von dem Geschmacke des Zuschauers abhanget. Unterdes- sen ist die erste Erzehlung, oder die von dem Zuschauer selbst herkommt, der Grund aller uͤbri- gen Erkentniß, die sich von der Geschichte in der Welt ausbreiten kan. Dies ist die Urkunde, auf welche sich nicht allein die voͤlligen und unver- aͤnderten Nachsagen und Abschrifften dersel- ben, sondern auch alle daraus entstehende ver- aͤnderte Erzehlungen, als auf ihre gemeinschafft- liche Quelle beziehen muͤssen. §. 13. Warum schrifftliche Urkunden besonders geschaͤtzt werden. Da wir durch die Urkunde nichts anders, als die erste Erzehlung oder die erste Nachricht verstehen (§. 12.); so begreiffen wir sowohl die muͤndlichen als schrifftlichen Nachrichten darun- L 4 ter Siebentes Capitel, ter (§. 10.). Es sind zwar nur die letzteren, welche man gemeiniglich Urkunden nennet: weil sie nehmlich diejenige Art der Urkunden ist, de- ren man sich bey alten und wichtigen Geschichten fast lediglich zu bedienen pfleget; da man sich hin- gegen auf muͤndlich fortgepflantzte Nachrichten fast gantz und gar nicht mehr beziehet. Die Uꝛsach ist, weil die sehr alten Nachrichten entweder schon laͤngst gaͤntzlich verlohren gegangen, oder was davon auf unsere Zeiten kommen ist, dasselbe schon laͤngst in Schrifften ist gebracht worden, aus welchen wir nunmehro unsere Nachrichten nehmen. Dar- nebst ist das Schreiben bey allen Geschaͤfften und Begebenheiten so gemein worden, daß man sich uͤberall auf das Aufgeschriebene verlaͤsset, und vor die muͤndliche Fortpflantzung nicht die geringste Sorge mehr hat. Wir koͤnnen aber dennoch je- nen allgemeinen Begriff nicht wegwerffen, oder unbekannt werden lassen, da man in der Welt mehr als ein tausend Jahr keine schrifftliche Ur- kunden gehabt; dasjenige aber, was wir durch unsere schrifftlichen Urkunden ausrichten wollen, ihnen nicht unbekannt gewesen seyn kan; ja da noch jetzo alte Geschichte muͤndlich fortgepflantzet werden; wie solches der hochbelobte Herr von Haller von seinem Vaterlande und Landsleuten, den Schweitzern, zu ruͤhmen weiß, in dem Ver- such Schweitzerischer Gedichte: die Al- pen. Und ohne Zweifel hat ein Lied, das die Vaͤter auf ihre Urenckel fortgepflantzet haben, nicht viel weniger Krafft zu beweisen, als ein Brief, der eben so alt ist. §. 14. v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. §. 14. Jede Nachricht muß auf zwey Seiten betrachtet werden. Die erste Nachricht muß, wie eine jegliche Rede und Schrifft, von dem, der sie bekommt, nach dem Gebrauch der Woͤrter angenommen und verstanden werden, welchen man aus der Gram- matick und aus dem Woͤrterbuche jeder Sprache erlernet (§. 3. 42. Auslegekunst). Derjenige al- so, der die Nachricht bekommt, gedencket dabey einerley mit dem, der sie ihm ertheilet hat; nehm- lich in Ansehung des unmittelbaren Verstan- des, d. i. in Ansehung des Bildes, welches sich der Zuschauer aus dem, was ihm von der Sa- che bekannt ist, gemacht hat, um es durch die er- theilte Nachricht bekannt zu machen. Denn aus- serdem wissen wir, daß der Zuschauer nicht alles das, was er weiß oder gedencket, erzehlet (§. 3. C. 6.); da er seines Orts solches, vermoͤge des Gedaͤchtnisses, so offte gedencken muß, als er die Sache erzehlet, oder seine aufgeschriebene Erzeh- lung selber wieder ansiehet: Folglich ist seine Vor- stellung bey der Erzehlung von derjenigen Vor- stellung unterschieden, welche der Zuhoͤrer, Leser, und Nachsager aus der Erzehlung erhaͤlt. Da nun die Fruchtbarkeit einer Stelle darinnen be- stehet, daß man weniger oder mehr dabey ge- denckt (§. 164. Auslegekunst); so ist die Erzeh- lung eines Zuschauers freylich fruchtbarer bey ihm, als bey dem, der sie aus seiner Erzehlung erlernet. Es kan aber auch im Gegentheil seyn, daß die Nachricht aus einer andern Ursache, die L 5 hieher Siebentes Capitel, hieher nicht gehoͤret, fruchtbarer wird, bey dem, der sie anhoͤret und bekommt, als bey dem, der sie giebet: wenn nehmlich der erstere mehr dabey intereßiret ist, als der letztere. §. 15. Der Urheber gedenckt mehr bey der Erzeh- lung, als der Nachsager. Dieser Umstand der Nachrichten und Erzeh- lungen ist besonders in folgendem Falle zu mer- cken. Zuschauer werden gemeiniglich, denen die die Geschichte angehet, zumahl die die Haupt- personen dabey sind entgegen gesetzt. Doch koͤn- nen auch diese als Zuschauer angesehen werden, weil sie sich doch dessen, was mit ihnen vorgehet, bewust sind; oder sie koͤnnen wenigstens mit jenen, unter den Begriff der gegenwaͤrtigen, zu einer Art gebracht werden (§. 4.). Jn Ansehung aber der Erzehlung ist ein grosser Unterschied, ob solcher, wenn sie auch gleich mit einerley Wor- ten abgefasset waͤre, von einer Hauptperson, oder von einem Theilnehmer, oder von einem blossen Zuschauer vorgebracht werde. Denn die Haupt- personen werden, bey Begebenheiten, die grosse Veraͤnderungen ihres Zustandes gewesen, und nach sich gezogen haben, nicht ohne Affeckt daran gedencken, und also auch nicht ohne Affeckt erzeh- le n: sie werden sich besonders erinnern, wie ihnen damahls zu Muthe gewesen, als die Sache vorgieng. So ist es mit den Hauptpersonen bey einer Geschichte ihrer Erzehlung beschaffen. Der Zuhoͤrer hingegen, oder Nachsager, wie er sich in v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. in gantz andern Umstaͤnden befindet, und an der Geschichte, welche erzehlt wird, keinen sonderli- chen, oder wohl gar, gar keinen Antheil daran hat, kan vermoͤge der Erzehlung (wenn sie nicht ausdruͤcklich dazu eingerichtet wird,) nicht in den Affeckt gebracht werden, worinne sich der Erzeh- ler befindet. Z. E. wer abgebrannt ist, wird vie- le Jahre nachher nicht ohne Regung an das ihm begegnete Ungluͤck dencken, und eben so wenig ohne Regung erzehlen, wenn er solches gleich mit den duͤrresten Worten thut. Der Zuhoͤrer aber wird, wegen Verschiedenheit seines Zustandes, dadurch keines weges geruͤhret werden. Wie sehr hat sich Cicero nicht gefreuet, so offt er an seine Zuruͤck- kunfft und Einhohlung nach Rom dachte. Man kan aus seinen Reden sehen, wie ihm zu Muthe gewesen ist, wenn er davon geredet oder erzehlt hat. Weil er nehmlich ein Redner war, so hat er selten trocken davon geredet, daher haben auch viele seiner Zuhoͤrer dadurch koͤnnen bewegt werden: doch wird vielen, ja ihnen allen gantz anders zu Muthe gewesen seyn, als dem Cicero: wie wir auch noch jetzo, wenn wir seine Oratio- nes post reditum lesen, gewiß die Groͤsse der Freude nicht spuͤhren, die er dabey gehabt, ge- schweige, daß wir seine Freude spuͤhren wuͤr- den, woferne er nur gelegentlich davon redet, und wenn er trocken davon geredet haͤtte. §. 16. Von dem Verstande einer Nachricht. Was sich nun in Ansehung derer zutragen kan, welche eine muͤndliche oder schrifftliche Nach- richt Siebentes Capitel, richt bekommen; oder was eine ertheilte Nach- richt bey dem Hoͤrer oder Leser vor eine Wuͤrckung thun koͤnne, das ist aus dem Begriffe des Hoͤ- rers und des Lesers herzuleiten. Und dieses hat zum Theil keine Schwierigkeit. Denn es ist ausgemacht, daß die, welche in einer bekann- ten Sprache mit einander reden, einander noth- wendig, wenigstens zum Theil verstehen muͤssen. Eines Theils aber koͤnnen, wie bey allen Reden und Schrifften, also auch bey muͤndlichen und schrifftlichen Nachrichten, Zweydeutigkeiten, Dunckelheiten, Mißverstand und Mißdeutung entstehen. Es wird aber alles was zum Verste- hen der Reden und Schrifften gehoͤhret, zur Aus- legekunst gerechnet. Dahero muß das gantze Capitel von der Auslegung historischer Stel- len und Buͤcher, hieher gezogen werden, wel- ches wir in der Einleitung zur richtigen Auslegung vernuͤnfftiger Reden und Schrifften umstaͤndlich abgehandelt ha- ben; und worauf wir uns, beliebter Kuͤrtze hal- ben, anietzo lediglich beziehen. Nur dies eintzige wollen wir um des nachfolgenden Willen bemer- cken, daß ein Hauptunterscheid in denen Erzeh- lungen und Nachrichten vor den Zuhoͤrer und Le- ser sey, ob dieselben trocken oder sinnreich ab- gefasset sind (§. 340. Auslegekunst) unter wel- chen letzteren, die Poetischen, wie leicht zu erach- ten, die angesehensten sind. Diese nehmlich sind es, die gemeiniglich am ersten einer Ausle- gung beduͤrffen. §. 17. v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. §. 17. Eine Nachricht hat zu allen Zeiten einerley Verstand. Wenn die Geschichte einmahl in eine Erzeh- lung ist gebracht, und zu einer Nachricht ge- macht worden; so wird der Verstand der Erzeh- lung nach dem Woͤrterbuch und der Grammatick derselben Sprache bestimmt, darinnen die Erzeh- lung abgefasset ist (§. 13. Auslegek.): Folglich ist der Verstand einer Erzehlung bey allen, die uͤber dieselbe Nachricht kommen, einerley. Denn wer die Sprache, worinnen die Begebenheit er- zehlt wird, entweder fast gar nicht, oder wenig- stens nicht recht verstehet, muß dieselbe freylich vorher verstehen lernen, ehe er die darinnen auf- behaltene, oder gegebene Nachrichten lesen will. Folglich eben den Eindruck, den die Erzehlung des Zuschauers bey dem ersten Hoͤhrer und Nach- sager machete, den muß dieselbe, auch bey den zweyten Leser, dritten Leser u. s. w. machen: nach der Regel: Posita eadem ratione sufficien- te, ponitur semper id, cujus ratio sufficiens da- tur. Es ist wohl an dem, daß eine Nachricht bey dem einen Leser fruchtbarer ist, als bey dem andern, und bey denen die nahe mit der Sache zu thun haben, mehr als bey entfernten: aber die Fruchtbarkeit ist was anders als der unmittel- bare Verstand: Welcher eigentlich den Verstand ieder Stelle ausmacht. Daher muß nun eine aufgeschriebene Nachricht zu allen Zeiten eben die Belehrung geben, die sie den er- sten Tag gegeben, und eben die Belehrung den Siebentes Capitel, den tausendesten Lesern geben, die sie dem ersten Lefer und Nachsager gegeben. Z. E. der histori- sche Satz: Salomo ist Koͤnig zu Jerusalem ge- wesen; wird jetzo und muß eben den Verstand haben, und uns eben die Belehrung geben, die man sich den Tag nach seinem Tode aus diesen Worten hat nehmen koͤnnen. §. 18. Einerley Urkunde. Eben die Urkunde, oder einerley Urkun- de, ist die Nachricht, in so ferne sie mit unveraͤn- derten Worten oͤffters geredet und ausgesprochen, ingleichen auch abgeschrieben und nachgeschrieben wird; mithin aber auch gelesen und gehoͤret wird. Daraus ist nun klar, daß, so lange eben dieselbe Urkunde, oder einerley Urkunde vorhanden ist, und gebraucht wird, diejenigen, die die Geschich- te daraus erlernen, zu allen Zeiten und an allen Orten einerley Erkentniß der Geschichte daraus erlangen muͤssen, und daß mithin, in diesem Fal- le bey Fortpflantzung der Erzehlung nichts veraͤnderliches vorgehe. Eben die Wuͤr- ckung, die die Erzehlung aus dem Munde des Zuschauers thut, muß sie auch aus dem Munde des ersten, andern, dritten Nachsagers, u. s. w. thun. Wenn aber vollends bey aufgeschriebener Nachricht, die die es von einander hoͤren, auch uͤberdieses in der Urkunde lesen koͤnnen, so ist es eben so gut, als wenn sie die Urkunde gleich nach ihrer Ausfertigung in die Haͤnde bekommen haͤtten. §. 19. v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. §. 19. Einerley Urkunde lehret auch immer einerley. Da es nun eine gantze Reyhe von Menschen geben kan, die es einander nachsagen (§. 4. 5.); und zwar mit unveraͤnderten Worten (wie haupt- saͤchlich bey Liedern geschiehet,); so ist klar, daß in diesem Falle, derjenige, der die Nachricht von dem hundersten Nachsager hat, die Geschichte eben so gut daraus erlernen kan, als sie der erste Nachsager daraus erlernet hat. Es ist zwar an dem, daß gleich der erste Nachsager seine eigene Gedancken und reflexiones bey der erhaltenen Nachricht hat, die vielleicht auch zum Theil nicht mit der Wahrheit uͤbereinkommen; allein weil er nicht diese seine beygefuͤgten Gedancken, sondern die Sache mit eben den Worten erzehlet, mit welchen sie ihm ist erzehlt worden, so haben we- der die wahren noch die falschen Gedancken des ersten Nachsagers in die Erkentniß des andern Nachsagers einen Einfluß. Und aus dieser Ur- sach, obgleich alle nachfolgende Nachsager auch ihre besondere Gedancken haben, und vielleicht manche falsche Gedancke bey der Geschichte haben, so kan doch nach spaͤten Zeiten die Geschichte rich- tig erkannt werden, wenn nur die Worte und Formeln der Urkunde noch unverletzt beybehal- ten worden. §. 20. Urkunden koͤnnen muͤndlich fortgepflantzt werden. Nun ist an dem, daß die Urkunde, wenn sie nicht schrifftlich abgefasset ist, sondern nur muͤnd- lich Siebentes Capitel, lich fortgepflantzet werden soll, selten unveraͤn- dert bleibt. Denn hierzu waͤre noͤthig, 1. daß der Zuhoͤrer mit einem starcken Gedaͤchtniß be- gabt waͤre, um die Worte genau zu mercken, worinnen die Erzehlung vorgetragen wird. 2. Muß ein starcker Grund vorhanden seyn, war- um man beym Nachsagen eben die Worte ge- brauchen soll, in welchen man die Nachricht er- halten hat. Denn da jeder seine eigene Gedan- cken bey einer Erzehlung, und der daraus erlern- ten Geschichte zu haben pflegt, so hat man gemei- niglich einen starcken Trieb, die Geschichte mit andern Worten zu erzehlen, als man sie hat er- zehlen hoͤren. Hier aber hat doch die goͤttliche Vorsehung ein Mittel gefunden, wie die Men- schen fruͤhzeitig Geschichte mit unveraͤnderten Worten fortzupflantzen gelernet haben, nehmlich durch Lieder; welche auswendig zu lernen sich die Kinder, und auch Erwachsene, gerne ein Geschaͤff- te machen, und es hernach vor einen Fehler hal- ten, dieses oder jenes Wort des Liedes nicht recht zu wissen. Auf diese Art haben ehedem die Deut- schen ihre Geschichte fortgepflantzet. Cæsar de B. G. Lib. VI. Und von den Spaniern erzehlt eben dergleichen Strabo. Durch gemeinen Fleiß koͤn- ten freylich nur wenige Nachrichten auf diese Art fortgepflantzet werden: wenn man aber, wie bey den Deutschen, eine rechte Profeßion daraus macht, die Gedichte auswendig zu lernen, wie nach Caͤsars Bericht, die alten Deutschen zum Theil zwantzig Jahr daran studirt haben: so liesse sich die Geschichte, auch sehr umstaͤndlich und aus- v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. ausfuͤhrlich in Versen fortpflantzen. Ja es schei- net, daß wir den Mangel der alten Nachrichten nicht sowohl der Unvollkommenheit und Beschwer- lichkeit der muͤndlichen Fortpflantzung, als dem Unfleisse, solche beybehaltene Nachrichten aufzu- schreiben, und in den etwa aufgeschriebenen zu lesen und zu lernen, zuzuschreiben haben. §. 21. Veraͤnderungen der Urkunde veraͤndern die Geschichte. Wenn aber die Nachsager sich nicht an die Formel der Urkunde halten, so ist unvermeidlich, daß nicht die Nachricht nach und nach, ja selbst in kurtzen, gar sehr geaͤndert, und mithin die Geschichte selbst verunstaltet, und mit Fabeln vermenget werde. Eine neue Geschichte, die meist muͤndlich fortgepflantzet oder ausgebreitet wird, heisset der Ruf: und davon weiß man, was vor Unwahrheiten sich daran zu haͤngen pflegen, nach Virgils Beschreibung: Aeneid. IV. 174. Fama , malum, quo non velocius ullum: Mobilitate viget, viresque acquirit eundo: Parua metu primo, mox sese attollit in auras, Ingrediturque solo, \& caput inter nubila condit. Diese Veraͤnderungen einer Erzehlung durchs Nachsagen, muͤssen allerdings hier in Betrachtung gezogen werden. Allein bey muͤndlicher Aus- breitung, wo sogar das Hoͤren, oder vielmehr das nicht recht Hoͤren, und das Ansehen und Minen des Erzehlenden einen grossen Einfluß in M die Siebentes Capitel, die Zerruͤttung einer Geschichte hat, ist es sehr schwer, etwas deutliches zu sagen, und deswe- gen auch so sehr nicht noͤthig, weil unsere gelehrte Geschichtskunde sich nicht mehr auf muͤndliche Nachrichten, sondern auf schrifftliche Urkunden zu beziehen pflegen: und sind gleich einige Stuͤcke derselben aus dem Ruffe genommen, wie sich z. E. Livius in der Roͤmischen Historie, Eusebius in der Kirchenhistorie jezuweilen darauf beziehen, so koͤnnen wir doch nunmehro nicht bis auf die er- ste muͤndliche Nachricht, aus welcher der Ruff entstanden, zuruͤckgehen, sondern muͤssen es bey dem, was geschrieben stehet, bewenden lassen. Wenn es aber einer aus dem andern schreibt, und dem andern nachschreibt, und doch nicht einerley Worte braucht, so gehet ebenfals in der Nachricht von der Geschichte eine Veraͤnderung vor, wie bey der muͤndlichen Ausbreitung: da aber eine solche Veraͤnderung der Worte eher mit Vorbedacht und Vernunfft geschiehet, so laͤs- set sich auch eher etwas deutlich davon sagen: wie nehmlich ein Nachsager von seinem Vorgaͤnger, wenn er nicht genau bey seinen Worten bleibt, un- vermerckt die Geschichte aͤndern kan, ohne daß er Willens ist, Unwahrheiten zu sagen. Hat aber ein Nachsager gar den Vorsatz, die Geschichte zu verstuͤmmeln, und Unwahrheiten zu schreiben, so siehet jeder, daß solches auf unzehlige Weise ge- schehen koͤnne, und daß sich davon keine Regeln geben lassen. §. 22. v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. §. 22. Wuͤrckung der Urkunde bey dem Hoͤrer und Leser. Um nun zu sehen, was bey Ausbreitung einer Geschichte unter den Nachsagern vor Veraͤnde- rungen in der Erzehlung vorgehen koͤnnen, ohn- geachtet sie nichts anders als die Wahrheit sagen wollen, so duͤrffen wir nur auf den ersten Hoͤrer, Le- ser, und Nachsager, genau achtung geben, wie er die erhaltene Nachricht und Urkunde ansiehet und annimmt; und was ihn bewegen koͤnne, eine Aen- derung in der Formel der Erzehlung vorzuneh- men. Wenn wir einmahl dieses wissen, so laͤsset sich die Anwendung leicht auf die nachfolgenden Nachsager machen; als bey welchen sich eben die- se Ursachen einiger Veraͤnderungen, obgleich nicht allemahl auf eben diese Art, wie bey dem ersten aͤusern koͤnnen, demnach, wenn wir eine Nach- richt erlangen, so gehet, ehe es noch zum Nachsa- gen kommt, zweyerley in unserer Seele vor, wel- ches wohl von einander zu unterscheiden ist: 1. Das Verstehen der Urkunde. 2. Die Ue- berlegung und Betrachtung, welche wir uͤber die erhaltene Nachricht haben und anstellen. §. 23. Mißverstand bey der Urkunde veraͤndert die Geschichte. Jn Ansehung des Verstehens, finden sich Schwierigkeiten, sowohl durch Dunckelheiten, als durch Mißverstand, die bey der Urkunde vorkom- men koͤnnen. Beydes wird durch die Regeln M 2 der Siebentes Capitel, der Auslegekunst entdeckt und vermieden, auf die wir uns schon uͤberhaupt bezogen haben (§. 16). Nur bemercken wir hier, daß, wenn wir eine Nachricht, daran wir etwas dunckeles finden, oder die wir nicht recht verstanden, auf andre fort- pflantzen, und zwar mit veraͤnderten Worten, iedoch in der Meynung, daß die unsrigen, den Worten unserer Urkunde gleichguͤltig waͤren, die wahre Beschaffenheit der Geschichte, die wir nachsagen, nothwendig veraͤndert werden, und die daraus entstehende zweyte Nachricht, oder unsere Nachsage nothwendig etwas Falsches und Verfuͤhrerisches an sich haben muͤsse. Wenn iemand z. E. von einer Schiffsladung von 1000. Pfunden reden hoͤrte, und verstuͤnde sol- ches, da es Schiffspfunde bedeuten, von ge- meinen Pfunden, solche auch daher auf 10. Cent- ner in seinen Gedancken reducirte, der wuͤrde noth- wendig auch eine falsche Erzehlung von diesen 10. Centnern zum Vorschein bringen. Wenn der Ruff entstehet, die Landesfuͤrstin habe Zwil- linge gebohren, so kan iemand von der Hoffnung eines Printzens so eingenommen seyn, daß er diese Nachricht unuͤberlegt davor annimmt, sie habe zwey Printzen gebohren, welches er denn als eine Wahr- heit, die ihm berichtet worden, weiter sagen wird. So viel als es daher Moͤglichkeiten giebt, wie ein Hoͤrer und Leser, besonders aber ein Hoͤrer, in dem Verstande der Worte irren, und sich truͤgen kan; so viel Quellen giebt es auch der Verfaͤl- schungen einer Geschichte, indem sie durch Nach- richten, iedoch mit veraͤnderten Worten, ausgebrei- tet, und fortgepflantzt wird. §. 24. v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. §. 24. Betrachtungen uͤber eine erhaltene Nachricht. Die Uberlegung, welche ein Zuhoͤrer, oder Le- ser, bey einer Nachricht braucht, koͤmmt gar sehr mit dem uͤberein was im 5. Capitel vom Zuschauer und Sehepunckte ist gelehret wor- den. Denn wie jeder eine Geschichte, wovon er einen Zuschauer abgiebt, nach seinem Stande, nach seiner Stelle, und nach seiner Gemuͤths- verfassung ansiehet (§. 8. 9. 10. 11. C. 5.); und sie auf einer gewissen Seite betrachtet (§. 13. C. 5.), also geschiehet dieses eben auch bey Ge- schichten, die wir hoͤren, oder lesen. Nur ist das Bild oder Vorstellung einer Geschichte aus einer Erzehlung und Nachricht, gar sehr von der Erkenntniß unterschieden, die der Zuschauer selbst vor seine Person davon hat, wie aus dem Capitel von der Verwandelung einer Ge- schichte in die Erzehlung auf das klaͤrlichste zu ersehen ist. Daraus muͤssen also auch andere Gedancken und Ueberlegungen entstehen. Das besondere aber welches das Bild einer Geschich- te aus einer Erzehlung von dem Bilde, das der Zuschauer davon hat, an sich zu haben pflegt, ist 1. dieses, daß es kuͤrtzer, oder kurtzgefaster und kleiner ist; oder daß es weniger in sich enthaͤlt. 2. Daß es manches unbestimmtes in sich haͤlt, wel- ches in der Erkenntniß des Zuschauers bestimmt ist. 3. Daß der Geschichte schon eine gewisse Ge- stalt gegeben worden (§. 27. C. 6.), da man ihr M 3 auch Siebentes Capitel, auch wohl eine andere Gestalt haͤtte geben koͤn- nen; als worinnen der Zuschauer freyere Haͤnde hat. Aus diesen Umstaͤnden einer Erzehlung und Nachricht ist es nun herzuleiten, daß der Hoͤrer oder Nachsager andere Uberlegungen bey der Geschichte macht, als der Zuschauer, wenn auch gleich der Zuschauer die Geschichte unver- faͤlscht erzehlet, und der Hoͤrer die Erzehlung rich- tig verstanden hat. §. 25. Nachrichten sucht man umstaͤndlicher zu wissen. Denn daraus, daß die Erzehlung weniger in sich enthaͤlt, als der Zuschauer und Urheber da- von weiß, und folglich auch weniger, als man da- von wissen koͤnte, und wuͤrde, wenn man selbst da- bey gewesen waͤre, entstehet natuͤrlicher Weise ein Trieb noch mehr davon zu wissen. So kan z. E. keine Relation von einer Schlacht, sie mag so ausfuͤhrlich seyn, als sie will, die Begier- de der Leser gnugsam saͤttigen, sondern sie erkun- digen sich, so offte es mit Zuschauern derselben zu reden Gelegenheit giebt, gar zu gerne nach meh- reren Umstaͤnden und Particularitaͤten: manche reisen auch wohl gar an Ort und Stelle, um sich die Gelegenheit der Orte besser vorzustellen, und alles genauer zu erkundigen. Jn Ermangelung nun der Gelegenheit weiter nachzufragen, und die Geschichte genauer zu erkundigen, denckt man der Erzehlung selber nach, und sucht durch Zusam- menhaltung der Umstaͤnde unter sich, und mit dem v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. dem was uns sonsten schon bekannt ist, nach den Regeln der Natur und der menschlichen Weise zu dencken und zu handeln, solche Umstaͤnde heraus zu bringen, welche in der Erzehlung, oder Nach- richt, die wir davon erhalten haben, uͤbergangen sind. §. 26. Man studirt uͤber die Worte der Urkunde. Daraus folgt denn, daß man besonders den allgemeinen Worten, die darinnen vorkommen, und wodurch die Individua nur unbestimmt an- gezeigt werden, scharf nachdenckt, um nehm- lich naͤhere Bestimmungen heraus zu bringen. Derjenige der hoͤrt, es sey ihm ein Praͤsent zu- gedacht, oder vor ihn eingekaufft worden, denckt begierig nach, worinnen es wohl bestehen koͤnne? Der Ausdruck ein Praͤsent an Silberwerck, be- stimmt die Sache schon genauer, laͤsset aber doch noch viel Materie zum Nachdencken uͤbrig. Ein Vater, dem sein ungerathener Sohn entlauffen, hoͤrt, daß derselbe sich bey den Freunden auf- halten sollte: Entstehet da nicht gleich die Bemuͤ- hung zu ergruͤnden, welcher unter den Freunden dadurch gemeynt sey. Hier wird nun zwar, wenn man auf die Gewißheit gehet, nicht allemahl, son- dern gar selten, viel herausgebracht werden, es waͤre denn, daß man mehrere Nachricht beysam- men haͤtte, deren eine die andere erlaͤutert: Un- terdessen entstehen doch aus dieser Bemuͤhung mehr zu wissen, bey dem Leser und Hoͤrer einer Nachricht mancherley Fragen, die er bey sich M 4 selbst Siebentes Capitel, selbst, offters ohne gnugsamen Grund beant- wortet und seine Vermuthung mit der erhaltenen Nachricht vermenget. Erzehlt nun ein solcher die Geschichte nachher, oder sagt sie nach, so ist nichts leichters, als daß er seine gemachte Entde- ckung, die er sich als seine eigene Erfindung leicht eben so klar vorstellet, als was wuͤrcklich in der Nachricht gestanden hat, von der Urkunde nicht unterscheidet, sondern eines mit dem andern, als wenn er davon waͤre benachrichtiget worden, er- zehlet. §. 27. Man kan durch eine Erzehlung leichte praͤoccupirt werden. Jndem der Zuschauer der Geschichte, dersel- ben in seiner Erzehlung schon eine gewisse Gestalt gegeben (n. 3. §. 24.), so entstehet daraus zwischen der Vorstellung die der Zuschauer hat, und derje- nigen, die der Hoͤrer oder Leser aus der Erzeh- lung bekommt, ein mercklicher Unterscheid. Denn er, der Zuschauer, weiß die besondern Umstaͤnde, die sich auch wohl auf eine andere Art erzehlen liessen; er weiß also auch und kan wenigstens wissen, daß sich der Geschichte auch eine andere Gestalt geben liesse: Der Hoͤrer aber der Er- zehlung weiß nichts von der Geschichte, (wenig- stens nehmen wir dergleichen Hoͤrer hier an) als aus der Erzehlung, die aber gemeiniglich nichts in sich enthaͤlt, daraus man sehen koͤnnte, daß auch die Sache eine andere Gestalt bekommen koͤnne: Also: Ein Advocat, der die Sache seines Clien- ten v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. ten in eine Klage gebracht, und mithin dem Han- del eine gewisse Gestalt gegeben hat, welches, wenn der Handel verwirrt ist, allerdings noͤthig ist (§. 27. C. 6.); merckt etwa wohl was der Gegner und Beklagte vor Umstaͤnde des Han- dels zu seinem Behuf anfuͤhren, und der Sache eine andere Gestalt geben koͤnne und werde: Der Richter aber, der die Klage annimmt, und davon weiter nichts weiß, als was in der Klage erzehlt wird, kan nicht wissen, noch vermuthen, was der Beklagte der Sache vor eine Gestalt geben wird; und muß daher, wenn der Klaͤger auch alle moͤg- liche Versicherung gaͤbe und geben koͤnnte, daß er nichts anders, als die Wahrheit vorgebracht habe, vor dem Urtheilfaͤllen den Beklagten hoͤren, nach der Regel: Audiatur est altera pars. Denn das ist nicht zu laͤugnen, und ein Richter muß das uͤberhaupt wissen, daß die Menschen ihre Geschaͤff- te so verwickeln, verwirren, und sonderbar einrich- ten koͤnnen, daß die Sache gantz auf verschiedene Art angesehen werden kan, und beyde Partheyen vie- les vor sich haben. Die Staͤmme Jsrael, welche nach vollendeten Kriegen in Canaan uͤber den Jordan in ihr Erbtheil zuruͤck giengen, baue- ten sich einen Altar, und nahmen dadurch eine Handlung vor, die noch keine bekannte Gestalt hatte: Denn ein Altar ist zum opfern: Und ein Altar darauf nicht sollte geopfert werden, war eine annoch unbekannte Subtilitaͤt. Man haͤtte sagen koͤnnen: Sie haͤtten einen Altar gebauet, und auch: Sie haͤtten keinen gebauet. Unter- dessen kam die Nachricht vor die uͤbrigen Staͤm- M 5 me: Siebentes Capitel, me: Siehe! Die Kinder Ruben, Gad und der halbe Stamm Manasse haben einen Altar ge- bauet, gegen das Land Canaan. Joh. 22, 11. Diese Nachricht schrieb sich sonder Zweifel nicht von Hauptpersonen her, sondern von blossen Zuschauern, die als Fremde in Ansehung die- ser Geschichte, nur das davon sahen und wusten, was davon in die Augen fiel, nicht aber das Ge- heime, oder das eigentliche Dessein (§. 16. C. 5.): Sie aber, die Urheber dieser Erzehlung, sahen die Sache nach den gemeinen Begriffen an, und an statt zu erwarten, ob er auch wuͤrde eingeweihet, und wuͤrcklich darauf geopfert werden, erzehlten sie die Sache, wie man es von einem wuͤrcklichen Opferaltar wuͤrde erzehlet haben: Siehe! Die drittehalb Staͤmme haben einen Altar gebauet. Und in diesem Sinne wurde auch die Erzehlung von Josua und den Aeltesten angenommen, und gleich vorlaͤuffig beschlossen, sie mit Heereskrafft zu uͤberziehen. Welcher Krieg auch wuͤrde ausge- brochen seyn, woferne die abgeschickten Gesandten nicht eine andere Nachricht und Urkunde mitge- bracht haͤtten, worinnen die Sache, oder Geschich- te, in einer andern Gestalt erzehlt und vorgestellt wurde: Und welche den Anschlag also vorstellig machte: Lasset uns einen Altar bauen, der ein Zeu- ge sey zwischen uus und euch! Joh. 22, 26. Wenn das Mißverstaͤndniß entdeckt ist, so wun- dert man sich oͤffters, wie es habe entstehen, und solche Unruhe veranlassen koͤnnen, da es doch so leicht zu entdecken gewesen waͤre. Allein, dies ist die Art der meisten Geschichte, die neu, die von Wichtig- v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Wichtigkeit seyn, daß sie indem man sie nach dem gemeinen Leisten foͤrmeln will, ein Ansehen bekom- men, welches ihre wahre Beschaffenheit und Ge- stalt nicht wenig verstellet. §. 28. Das Nachdencken uͤber einer Geschichte veran- lasset eine andere Erzehlung. Wenn die Vorstellung des Nachsagers mit der Vorstellung des Urhebers nicht genau uͤberein kommt; so wird Ersterer sich in seiner Erzehlung auch anderer Worte bedienen, als er in der Urkun- de gefunden: Es waͤre denn, daß er aus Vorsicht, und weil ihm bekannt ist, der Zuschauer muͤsse am besten gewust haben, wie die Geschichte am rich- tigsten zu erzehlen waͤre, solche Veraͤnderung un- terlaͤsset, und daher bey den Worten der Urkunde lediglich bleibet. Welches auch das eintzige Mit- tel ist, die Wahrheit und Richtigkeit der Ge- schichte unversehrt zu erhalten. Aendert aber der Nachsager die Urkunde, so muß diese nothwendig auch andere Vorstellungen bey den Hoͤrern und Lesern, als kuͤnfftigen zweyten Nachsagern her- vorbringen. Da nun bey diesen eben diejenigen Ursachen vorkommen, von welchen wir gewiesen, daß sie eine Aenderung in der Erzehlung bey dem ersten Nachsager veranlassen koͤnnen (§. 24.); nehmlich die Begierde mehr zu wissen, und das un- bestimmte naͤher zu bestimmen, so wird die Erzeh- lung des zweyten Nachsagers von der Erzeh- lung des ersten Nachsagers abermahls unterschie- den seyn; so daß durch die Menge der Nachsager und Siebentes Capitel, und der sich immer aufs neue aͤusernden Ursachen der Aenderung in Erzehlen und Nachsagen, die Geschichte gantz und gar verunstaltet, und in eine Fabel verwandelt werden kan. §. 29. Warum der Ruf die Sachen sehr verdrehe. Hier zu kommt, daß eine Geschichte allemahl in einer gewissen Absicht erzehlet wird (§. 9. C. 5.): Wobey in gemeinen Erzehlungen fast allemahl ein Haupt requisitum ist, daß es etwas merckwuͤr- diges und sonderbares seyn muß (§. cit. ). Wenn nun jeder derer Nachsager, nach dieser Er- zehlungsart handelt, und durch seine Einbildungs- krafft etwas daran aͤndert, so muß die daraus fol- gende Erzehlung bey jedem Nachsager immer um etwas veraͤndert werden, und die Erzehlung einer Fabel naͤher kommen. Wie die lateinischen Scri- benten sich dieses Kunststuͤckes bedienet, ihre Buͤ- cher und Erzehlungen angenehmer zu machen, habe ich in einem Exempel aus dem Plinio, und seiner Historia Naturali gezeigt in einem Pro- grammate de Macrobiis semel in vita parienti- bus. Opusc. Acad. Vol. II. p. 177. §. 30. Was bey dem Nachsagen einer Geschichte noch mehr vorgehe. Obgleich der Zuschauer seine Erkenntniß von der Geschichte schon verkuͤrtzt, und in einen Aus- zug bringt (§. 3. C. 6.); so kan doch seine Er- zehlung vor dem Nachsager, wegen besondrer Um- staͤnde v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. staͤnde noch zu lang seyn, wenn er sie nachsagen soll. Dieser wird daher aufs neue einen Auszug daraus machen. Dabey findet nun erstlich statt, was wir von der geflissenen Auslassung ge- wisser Stuͤcke gewiesen haben (§. 8. C. 6.), die sich offt schon selbst in der Erzehlung des Zu- schauers findet. Zweytens kommt viel darauf an, ob der Nachsager einen trockenen, oder sinn- reichen Auszug machen will; welche Wuͤrckung des Verstandes, §. 40. seq. der richtigen Aus- legung ꝛc. erklaͤrt worden. §. 31. Wenn Geschichte laufen. Wir wollen nunmehro von den Veraͤnderun- gen, die sich mit einer Geschichte, waͤhrender ihrer Ausbreitung zuzutragen pflegen, wieder abstrahi- ren, und unsre Aufmercksamkeit aufs neue auf die Ausbreitung selbst richten. Hierbey finden wir unter andern die Geschwindigkeit der Aus- breitung betrachtungswuͤrdig. Geschichte die uns angehen, verursachen in unserer Seele, wir moͤgen dabey gegenwaͤrtig seyn, oder auch nur da- von hoͤren, eine starcke Beschaͤfftigung; und das heisset, sich einer Begebenheit oder Geschichte an- nehmen. Wenn nun die Geschichte so beschaf- fen ist, daß sie entweder nicht heimlich gehalten werden kan, oder keine dringende Ursache vorhan- den ist, sie heimlich zu halten, so ist ein natuͤrlicher Trieb vorhanden, mit andern Menschen, von dem was vorgehet, zu reden, und ihnen unsere Erkennt- niß davon, auch wohl unser eigen Anliegen bekannt zu Siebentes Capitel, zu machen. Die Erzehlung erfordert wenig Zeit, und es giebt im kurtzen gar viele Gelegenheit mit Leuten zu reden. Und so geschiehet es, daß neue Geschichte taͤglich und stuͤndlich weiter erzehlet werden; welchen Fortgang man das Lauffen einer Geschichte oder Erzehlung nennen moͤchte. Dieses erfolgt nun so lange als die Nachricht an Personen kommt, welche sich der Sache anneh- men, oder die dieselbe etwas angehet. §. 32. Wenn Geschichte stehen bleiben. Hingegen bleibt eine Erzehlung stehen, wenn sie an solche Personen kommt, welche sich derselben nicht annehmen, oder welche solche nichts ange- het. Es kommt hierbey nicht auf die Wahrheit an, ob die Geschichte die Hoͤrer wuͤrcklich was angehet oder nicht? sondern darauf, wie sie sich die Sache vorstellen, und ob sie dabey intereßirt zu seyn glauben. Wie eine Geschichte stehen bleiben koͤnne, kan man daraus absehen, daß sich eine Nachricht manchmahl durch weite Laͤnder aus- breitet, davon viele Leute in der Stadt und denen benachbarten Doͤrsfern nichts wissen: z. E. ein Gelehrter hat einen neuen und der recipirten Lehre zuwider laufenden Satz seinen gelehrten Zuhoͤrern vorgetragen, dieses kan sich in kurtzen durch mehr als ein Land unter den Gelehrten ausbreiten. Un- terdessen kan solches vielen Handwercksleuten, die in eben der Stadt wohnen, unbekannt bleiben, und noch mehr denen Leuten drum herum auf dem Lande. Ein anders ist es schon, wenn eine irrige Lehre v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Lehre auf der Cantzel vorgebracht wird: Denn wie jeder die Lehren, die von dieser heiligen Stelle vorgetragen werden, als solche ansiehet, die nicht bloß die Gelehrten, sondern einen so gut als den andern angingen, also pflegt auch jeder eine solche Nachricht seines Orts ausbreiten zu helffen. Un- ter Leuten, die eine Sache nichts angehet, sind diejenigen besonders bekannt, welche von der Sa- che nichts verstehen. Sollte man auch etwa bedencklich finden, daß eine Geschichte in der Welt vorgehen sollte, die mich und dich nichts anginge, da doch alles in der Welt verknuͤpft sey, so dienet zur Antwort, 1. daß es, wie schon gedacht, nicht auf die Wahrheit, sondern darauf ankommt, ob wir glauben, daß uns die Sache et- was angehe. 2. Sodann koͤnnte man zwar da- von sagen, daß uns die Sache aͤuserst wenig, oder unmercklich wenig anginge; aber eben dieses wenige wird nach der gemeinen Gedenck- und Mundart, nichts genennet. §. 33. Wenn Geschichte einen Anstoß finden. Die Geschichte, oder vielmehr die Erzehlung, findet einen Anstoß, wenn iemand derselben widerspricht. Und dieses kan so wohl deswegen geschehen, weil man sie nicht glaubt, oder weil man sie nicht will ausgebreitet wissen. Die Geschich- te wird deswegen durch solchen Anstoß in ihrem Lauffe gehindert, weil 1. der Widersprecher das- jenige nicht thut, was er als ein Nachsager thun wuͤrde, daß also ein Canal abgehet, durch wel- chen Siebentes Capitel, chen die Geschichte auch koͤnte ausgebreitet werden (§. 5.). Sodann 2. weil die Geschichte durch den Widerspruch, zumahl wenn solcher sich haͤuf- fet, bey manchen zweifelhafft. Der Zweifel aber mindert den Trieb die Geschichte nachzusa- gen, weil man selbst noch nicht mit sich daruͤber eins ist. Es ist wohl an dem, daß wenn es uͤber den Widerspruch zu einem Streit kommt, als wenn uͤber ein Delictum, davon die Sage entste- hen wollte ein Jnjurienproceß entstehet, die Ge- schichte wohl noch mehr ausgebreitet wird, als wenn derselben gar nicht waͤre widersprochen wor- den. Es darf eben kein grosser Streit seyn, der die Ausbreitung einer Geschichte mehr befoͤrdern, als hindern kan: Weil die Menschen gar zu ge- neigt sind von Unruhen und Streitigkeiten zu hoͤ- ren, woruͤber Leibnitz noch diese gegruͤndete An- merckung macht: la malignite naturelle du coeur humain rend ordinairement les attaques plus agreables au lecteur, que les defenses. Prefa- ce de la Theod. Das Widersprechen bey einer Geschichte, wenn es ihren Lauf hindern solle, muß so eingerichtet werden, daß nicht dadurch eine neue Geschichte entstehet, die eben so merckwuͤrdig, und allgemein intereßirend ist, als die, deren Lauf man hindern wollte. §. 34. Arten eine Geschichte aufzuhalten. Hieraus wird sich weiter verstehen lassen, wie uͤberhaupt der Lauf und Fortgang einer Ge- schichte aufgehalten werde? Denn die erste Art davon v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. davon ist eben diese, daß derselben widersprochen wird. Darzu aber kommt die zweyte, wenn die- jenigen, welche die Nachricht weiter bringen und nachsagen sollten, solche aus besondern Bewe- gungsgruͤnden, oder aus grosser Fahrlaͤßigkeit ver- schweigen. Also wird eine lobenswuͤrdige Bege- benheit durch die Feinde meist aufgehalten: Waͤ- ren sie Freunde oder nur unpartheyisch, so wuͤr- den sie wie andere von der ruͤhmlichen That reden, und sie mithin etwa auch ihres Orts ausbreiten: Aber als Feinde schweigen sie geflissentlich davon, und lassen sie sich nur von andern vorsagen. Die dritte Art des Aufhaltens entstehet daraus, wenn ehe die Geschichte sich noch ausgebreitet, eine groͤs- sere oder wichtigere Begebenheit sich zutraͤgt. Denn diese ziehet die Aufmercksamkeit der Men- schen mehr an sich, sie beschaͤfftigen sich daher mit der groͤssern mehr, als mit der kleinern: Sie re- den bey vieler Gelegenheit von der groͤssern Ge- schichte, da sie in deren Ermangelung von der klei- nern und geringern reden wuͤrden. Und hier hat Wahrheit und Luͤgen gleiches Recht. Durch eine wichtige Unwahrheit kan ebenfalls der Lauf einer Erzehlung aufgehalten werden, und ohngeachtet sich die Unwahrheit zu rechter Zeit zu Tage legt, so hat dennoch unterdessen, die wahre Begeben- heit ihre Neuigkeit etwas verlohren; welches den Trieb sie nachzusagen gar sehr vermindert. Eine Geschichte aber, die vollends schon ausgebrochen, gar zu unterdruͤcken, daß nicht mehr davon gere- det wird, ist eine sehr mißliche Sache, weil die des- wegen gemachte Anstalten meistens Streit und N Unruhe Siebentes Capitel, Unruhe veranlassen, diese aber mehr zur Ausbrei- tung, als zur Verheimlichung der Geschichte dienen (§. 33.). §. 35. Fortpflantzung der Geschichte auf die Nachkommen. Ohngeachtet jede Ausbreitung einer Erzeh- lung, durch eine Metapher eine Fortpflantzung kan genennet werden, so scheinet doch solches Wort besonders bequem zu seyn, die Ausbreitung einer Geschichte auf die Nachkommen anzuzeigen. Diese Art der Ausbreitung aber hat ihre grosse Schwierigkeit; weil die Menschen immer mit gegenwaͤrtigen Geschaͤfften und Geschichten so viel zu thun haben, daß sie sich um das Vergangene nicht groß bekuͤmmern. Es muß also eine Ver- anlassung da seyn, die Erzehlung auf die Kinder zu bringen; welche Veranlassung sich auch wuͤrck- lich bey denen befindet, die bey der Geschichte ge- genwaͤrtig gewesen sind, oder auf eine andere Art daran Theil genommen haben: Aber die Kinder, Enckel und Urenckel haben nicht gleichen Trieb, und oͤffters auch nicht gleiche Ursach auf die Fort- pflantzung der Geschichte bedacht zu seyn. Der eintzige Weg, (ausser wo Gelehrte besonders zu Fortpflantzung der Geschichte bestellt sind, derglei- chen schon ehedem die Deutschen gehabt §. 20.); ist wohl dieser, wenn etwas vorhanden ist, welches die Kinder veranlasset ihre Eltern nach der Ur- sach und Bedeutung zu fragen. Dergleichen Ding pfleget man ein Denckmahl zu nennen. Die- v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Dieses kan ein Coͤrper, der wegen seiner beson- dern Beschaffenheit, die Aufmercksamkeit an sich ziehet, und wenn man seine Bedeutung nicht weiß, uns gleichsam im Wege ist. Es kan aber auch eine Ceremonie, oder Fest seyn, welches we- gen des damit verknuͤpften Vergnuͤgens, von de- nen die das Andencken davon haben, gerne wie- der gefeyert wird: Bey welcher Gelegenheit, die zarteste Jugend von der alten Geschichte unterrich- tet, und dadurch zugleich zu abermahliger Feyer zu seiner Zeit praͤparirt, und ermuntert wird. Selbst schrifftliche Urkunden, und Brieffe koͤn- nen eine Geschichte nicht lange fortpflantzen, wo nicht Gelehrte sind, die dafuͤr besondere Sorge tragen. Sie bestehen nicht lange, weil sie bey den vielen Veraͤnderungen der Menschen, und ih- ren Wanderungen, nebst Kriegen, Feuerflam- men, und Wasserfluthen gar leicht verlohren und verzehrt werden. Drey bis vier hundert Jahr, ist eine gar zu lange Zeit, darinnen sich die Perso- nen, und ihre Umstaͤnde gar zu offte veraͤndern, als daß sich auch Brieffe erhalten sollten, wofer- ne nicht Gelehrte, als Behuͤter und Beschuͤtzer derselben, sie vor solchen Unfaͤllen mit beson- derm Fleisse und Eyfer bewahren. Auch hier- bey aber hat die goͤttliche Vorsorge ihre besondere Wege und Obhuth, daß gewisse Nachrichten nicht untergegangen sind. §. 36. Erneuerung der Geschichte. Wenn die Nachkommen nun aufhoͤren sich einer altwerdenden Geschichte anzunehmen, so ge- N 2 hen Siebentes Capitel, hen immer mehr und mehr Menschen ab, die da- von Nachricht haben; bis zuletzt auch nicht einer mehr uͤbrig bleibt. Wie Z. E. die Egyptische oder Coptische Sprache noch bis ins vorige Jahrhundert gedauert hat; da der letzte gestor- ben ist, der sie verstanden hat. Maillet Descri- ption de l’ Egypte T. I. p. 22. Zur sicherern Verhinderung solches Untergangs ist dienlich, daß die Geschichte, wenn sie fortgepflantzt werden sol- len, von Zeit zu Zeit erneuert werden: So daß mit dieser neuen Geschichte, als durch ein Ve- hiculum, jene alte aufs neue mit ausgebreitet wird. Dergleichen Neuigkeiten, die den verleschen wol- lenden Geschichten wieder aufhelffen, sind die hun- dertjaͤhrigen Feyern, welche nach Art aller, besonders aber seltener Feste, jedermann aufmerck- sam machen, und anreitzen, nach der alten Ge- schichte, als nach der Ursachen des gegenwaͤrtigen Otii und Freude sich zu erkundigen. §. 37. Eine Geschichte entdecken. Wenn man zur Erkenntniß einer Geschichte we- der durchs Dabeyseyn, noch durch Nachrichten, son- dern auf eine andere Art gelanget: So heisset das eine Geschichte entdecken. Den Unterscheid dieses Begriffes von andern, die damit eine grosse Ver- wandschafft haben, besser zu bestimmen, wollen wir auch diese anzeigen. Wenn man von einer Sache, die vor uns sollte verborgen gehalten werden, den- noch Nachricht bekommt, so sagt man: Jch bin dar- hinter gekommen: Wenn wir eine muͤndliche Nach- v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Nachricht von einer Geschichte bekommen, und nicht auf den Canal sehen, oder sehen wollen, durch welchen wir sie bekommen, so sagt man: Jch habs gehoͤrt: Wenn wir eine uns angehende Geschichte erst durch Nachsager, oder von dem Zuschauer, der es uns eben nicht hat berichten wol- len, vernehmen; so sagt man: ich habe erfahren, daß ꝛc. Eine Nachricht, die wir aus oͤffentlichen Buͤchern genommen haben, davon sagt man: ich habe es gelesen: wenn wir dergleichen von Ju- gend auf gethan haben, so sagt man: ich habe es gelernet; als wie die biblischen Geschichte. Von Nachrichten aus Buͤchern und Stellen, die nur wenige wissen, sagt man: ich habe es gefunden. Dieses kommt besonders bey archivischen Urkun- den vor. Wenn man auch eine Sache, die man schon laͤngst haͤtte bemercken koͤnnen, erst spaͤte ge- wahr wird; so sagt man: ich bins gewahr wor- den, ich bins inne worden. §. 38. Wie man Geschichte aus Folgen erkennet. Mit dem Entdecken aber hat es die Be- wandniß, daß eine Geschichte nicht allein diese Wuͤrckung und Folge hat, daß sie bey den Ge- genwaͤrtigen und Zuschauern einen Eindruck in die Seele macht, welcher zu einer Erzehlung und Nachricht wird, die hernach durch Nachsagen wei- ter ausgebreitet wird; sondern 1. ziehet sie auch sehr oͤffters sichtbare Folgen in den Coͤrpern nach sich: 2. sie ziehet auch andere Begebenheiten nach sich, die mit der vorhergegangenen Begehenheit N 3 eine Siebentes Capitel, eine natuͤrliche, obgleich nicht nothwendige Ver- bindung haben. Die erste Art der Folgen ist zum Theil so beschaffen, daß jedermann gleich auf die vorhergegangene Geschichte beynahe untruͤg- lich verfaͤllt. Man siehet z. E. eine Menge Brandstaͤten in einer Stadt, das ist, eingefalle- ne. Steine und Leimhauffen, mit vermengten Braͤndern; jedermann erkennt darbey, daß es muͤsse gebrannt haben. Man findet einen todten Coͤrper mit vielen Wunden, woraus eine Menge Blut geflossen: da glaubt jeder, daß der Mensch sey ermordet worden. So ist es auch mit den Geschichten beschaffen, worauf andere Begeben- heiten nach der Natur der Seelen, oder nach den Gesetzen und den Gewohnheiten erfolgen, daß je- dermann bey Erblickung der letzteren auf die er- steren schluͤsset. Man siehet in einer Stadt, durch die man reiset, die Leute aus der Kirche gehen; kan man daraus nicht zuverlaͤßig schluͤssen, daß sie zuvor in die Kirche muͤssen gegangen seyn? kan man nicht aus jedem Hause, das man siehet, schluͤssen, daß es muͤsse erbauet worden seyn? Ohngeachtet nun diese Begebenheiten, die man durch solche handgreifliche Schluͤsse herausbringt, schon als Entdeckungen ansehen, und sie so nennen koͤnte, weil sie nehmlich nicht durch den natuͤrlichen Weg Geschichte zu erkennen, nehmlich durch Zuschauen und Nachrichten sind erkannt worden, so pflegt man doch dergleichen Geschich- te, welche aus so klaren Folgen erkannt werden, nicht Entdeckungen zu nennen, sondern man rechnet sie zur Erkentniß der Geschichte und Sache v d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Sache selbst, woraus sie sind erkannt worden. Man heisset es wissen: denn also weiß man, daß jemand ermordet worden, wenn man den todten Leichnam gesehen: man weiß, daß es in einer Stadt gebrannt hat, wenn man die Brand- staͤte gesehen hat. Das Wissen aber gehoͤrt im eigentlichen und untruͤglichen Verstande, die Er- kentniß, welche man vor einer Sache durch sich selbst, und durch das Anschauen derselben erlan- get hat. §. 39. Entdecken ist einerley mit Ausspuͤren. Entdecken braucht man daher meistens nur bey solchen Faͤllen, wo man aus einer Folge die Geschichte heraus bringt, da ein anderer nicht so leicht darauf wuͤrde verfallen seyn. Solche Fol- gen und Anzeichen einer Geschichte, die gar leichte koͤnnen uͤbersehen werden, und unbemerckt blei- ben, heissen Spuren. Und daher kommt es, daß das Entdecken mit dem Ausspuͤren uͤber- einkommt, wovon unsere Abhandlung de vesti- giis nachzulesen ist. Beym Entdecken thut al- so der Verstand des Erfinders das meiste. Es sind aber dabey zwey Faͤlle zu unterscheiden. Bey mancher Entdeckung wird man durch eine gefaste Muthmassung nur veranlasset, nachzufra- gen, und die Aussagen davon zu erlangen. Wenn wir nun wuͤrcklich dieser Aussagen theilhaff- tig werden, so gruͤnden wir unsere Erkentniß sol- cher Geschichte nicht mehr auf unsere erste Ver- muthung, als die uns nur Gelegenheit gegeben, N 4 nach- Siebentes Capitel, nachzuforschen, sondern auf die erlangten Aussa- gen. Eine auf diese Art erlangte historische Erkent- niß ist hernach derjenigen gleich zu schaͤtzen, die wir unmittelbar aus Aussagen erhalten haben. Also bey einer Jnquisition, die sich von einem ge- ringen Verdachte anfaͤnget, oder angefangen h a t, braucht es zwar meistens viele Muͤhe, ehe man den Jnquisiten zum Gestaͤndniß bringet: wenn aber das Gestaͤndniß einmahl herausgebracht ist, so ist es in Ansehung des facti hernach eben so gut, als wenn man gleich anfangs durch eine nicht so schwer gemachte Aussage, die Beschaffenheit der That erkannt haͤtte. Allein es geschiehet, daß jemand eine Geschichte durch sein Nachdencken uͤber einige Anzeichen entdeckt, solche auch, ohn- geachtet seine Anzeichen gar nicht untruͤglich sind, vor bekannt und gewiß annimmt, und aussagt, als ob er dabey gewesen waͤre, oder Nachricht davon durch einen gewissen Canal erhalten haͤtte. Dieser Fall ist besonders zu mercken, weil ein solcher, der Urheber der Erzehlung wird, und dennoch von dem Urheber in eigentlichem Verstan- de, gar sehr unterschieden ist, als welcher bey der Sache gegenwaͤrtig gewesen seyn soll (§. 3.). Ei- ne solche Erzehlung, ob sie gleich wahr ist, hat dennoch keinen gewissen Grund, so lange nicht Aussagen hinzukommen, welche sich von einem Zuschauer herschreiben. Dieses aber folget ge- meiniglich gar bald darauf, weil, wenn einmahl von einer Geschichte haͤuffig geredet wird, die Jn- teressenten theils nicht mehr so starck uͤber ihr Ge- heimniß halten, weil sie es vor verrathen anse- hen, v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. hen, theils aber auch durch gerichtliche Untersu- chung zum Aussagen und Gestaͤndniß gezwungen werden. §. 40. Erforschung einer Geschichte. Man siehet auch hieraus, worinnen das Er- forschen, oder Erkundigen einer Geschichte bestehe. Sie muß nothwendig schon etwas be- kannt seyn, wenn darnach soll geforschet werden, weil man nach einer Sache, davon man gar nichts weiß, auch nicht fragen kann. Sie muß aber nicht aus Nachrichten, sondern auf eine ande- re Art seyn erkannt worden; denn sonst weiß man sie schon, und die Erforschung ging nur auf besondere Umstaͤnde der Geschichte. Wenn aber von der gantzen Geschichte das Erforschen gebraucht wird, so bleibt nichts uͤbrig, als daß man eine Geschichte, die uns durch Anzeichen be- kannt worden, nunmehro auch durch Aussagen, als durch den rechten natuͤrlichen Weg vergange- ne Geschichte zu erkennen, einzusehen; und des- wegen Personen aufzusuchen, welche uns Nach- richt davon geben koͤnnen. Nachforschen wird auch in dem Falle gebraucht, wenn wir eine Nach- richt, die wir erhalten haben, nicht glauben; und sie daher vor eine Unwahrheit annehmen. Die- ses giebt uns Gelegenheit, durch Aussagen derer, die davon wissen koͤnnen, zu erfahren, daß die Sache nicht geschehen sey, und sich nicht so befin- de. Das nicht geschehen seyn muß in diesem Falle vor die Begebenheit angenommen werden, N 5 wel- Achtes Capitel, welche die gegenwaͤrtigen Personen, so gut als ei- ne Veraͤnderung, die wuͤrcklich vorgegangen, durch sich selbst wissen koͤnnen; der Uebelberichtete aber, der die Nachricht nicht glaubt, anfangs durch seine Vermuthung erkennet (als welches das eintzige ist, was er der falschen Nachricht stracks entgegen setzen kan,); hernach aber, weil er in seiner Vermuthung irre gemacht wird, durch Aussagen zu bestaͤtigen sucht. Welches denn mit unserer Erklaͤrung vom Erforschen der Geschich- te uͤbereinkommt. Wenn man durch sein Erfor- schen endlich die Aussagen der Zuschauer heraus gebracht hat, so sagt man: man habe die Sache ans Licht gebracht. Sie kan aber auch oh- ne unsere Bemuͤhung, durch besondere Umstaͤnde, ans Licht kommen. Achtes Capitel, von dem Zusammenhange der Begeben- heiten und der Geschichte. §. 1. Vom Zusammenhange bloß coͤrperlicher Begebenheiten. N iemand zweifelt, daß die meisten Veraͤn- derungen und Begebenheiten in der coͤr- perlichen Welt in dem vorhergehenden Zustan- v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. Zustande, und in den vorhergegangenen Bege- benheiten ihren Grund haben; so daß diese nach dem von GOtt geordneten Lauffe der Natur, die Ursach der nachfolgenden sind. Unterdessen ist es bisher gar nicht ausgemacht gewesen, wie der Begriff, und die Erkentniß der Ursachen, mit andern Stuͤcken der Vernunfftlehre zusammen- hange: allwo man von lauter Begriffen, Saͤ- tzen und Schluͤssen handelt. Jn meiner Lo- gica Practica Problem. XXX. p. 35. habe aber gewiesen, daß die Erkentniß der Ursach eines Dinges in nichts anders als darinnen bestehe, daß man aus einem iudicio intuitiuo, d. i. solchen, welches man durch die Empfindung oder Erfah- rung erlanget, ein iudicium discursiuum und Schlußsatz machen will. Jn so ferne nun die Physick, welches eigentlich ihr Amt ist, allgemei- ne Wahrheiten, die man vors erste aus der Er- fahrung erkannt hat, in sich enthaͤlt; so hat die Erklaͤrung der Ursachen, wenn von solchen allgemeinen Saͤtzen die Rede ist, von den De- monstrationen, die bey allen uͤbrigen allgemei- nen Wahrheiten gebraucht werden, nichts vor- aus. Nur mit der Erfindung solcher Schluͤs- se gehet es anders zu. Denn da man bey Er- findung anderer allgemeinen Wahrheiten, die nehmlich nur a priori koͤnnen erkannt werden, die Foͤrdersaͤtze (wenigstens bey dem ersten Erfinder) eher bekannt sind, als der Schlußsatz; so ist hin- gegen in einem Schlusse, da man die Ursach ei- nes Dinges, oder einer Erfahrung entdeckt, der Schlußsatz eher bekannt als die Fordersaͤtze. Und die Achtes Capitel, die Erfindung der physicalischen Ursachen noͤthiget uns nach einem noch unaufloͤßlichen Logikalischen Problemate zu handeln, welches so heisset: aus einem gegebenen Schlußsatze die beyden Foͤrdersaͤtze zu finden, welches niemahls in ei- ne Regel wird gebracht werden, wegen der schon anderwerts bemerckten Schwierigkeiten. Ver- nuͤnfftige Gedancken vom Wahrscheinli- chen. IV. Betracht. §. 6. p. 74. Doch jene gantze Betrachtung der Ursachen bey coͤrperli- chen Begebenheiten, womit sich Physici beschaͤff- tigen, gehet uns hier nicht an. Denn allgemei- ne Wahrheiten, wohin auch die Erfahrungen ge- hoͤren, werden aus allgemeinen Begriffen herge- leitet. Physici sehen nicht auf die Ursache der eintzeln Begebenheiten, ausser wenn solche in der Er- fahrung noch keine Regel haben. Die Regel, oder was allgemeines, ist das erste, was sie suchen. Wenn diese da ist, so fragt man nicht weiter, war- um eben an dem Tage, Stunde, Orte, diese oder jene Veraͤnderung vorgegangen sey? Hingegen in der Erkentniß der Geschichte, wenn man sich anders in Ursachen einlassen will, ist die Fra- ge nicht von der Regel und allgemeinen Begriffe der Begebenheit, sondern warum an diesem Or- te, zu der Zeit, sich etwas zugetragen: daß es z. E. gehagelt, geschneyet, Kranckheiten gegeben. Hier wird man bald sehen, daß allemahl, um die Ursach zu finden, auf den vorhergehenden Zu- stand der Dinge, und auf die aͤlteren Begeben- heiten muͤsse zuruͤckgesehen werden. Wie aber aus einer coͤrperlichen Begebenheit eine andere in ein- v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. eintzeln Faͤllen entstehe, das ist eigentlich eine cosmologische Betrachtung, wo von der Veraͤnde- rungen der Coͤrper uͤberhaupt gehandelt wird, in die wir uns jetzo nicht einlassen wollen. §. 2. Einschraͤnckung und wichtiges Vorhaben dieses Capitels. Uns ist jetzo bey gemeinen physicalischen Be- gebenheiten genug, daß sie als natuͤrlich ange- sehen werden, die, wie wir auch im gemeinen Le- ben thun, ohne weitere Erklaͤrung angenom- men werden. Z. E. bey der Geburt und vorgaͤn- giger Empfaͤngniß eines Knaͤbleins, wird niemand in der Erzehlung der Familiengeschichte fragen, oder forschen, warum ein Knaͤblein und nicht ei- ne Tochter sey empfangen und gebohren worden. Ausserordentliche Begebenheiten aber, die sich nicht auf Regeln wollen reduciren lassen, muͤssen aus der Metaphysick erklaͤret werden; und sind also auch hier nicht in Betrachtung zu ziehen. Es ist auch schon laͤngst gewoͤhnlich, daß wenn man von Geschichten handelt, man dadurch ledi- glich die Begebenheiten der Menschen verstehet, wie ihr Verstand, Willen, aͤusserlicher Zustand ist geaͤndert worden. Der Geschichtskenner nimmt sich der physicalischen Dinge nicht weiter an, als in so ferne sie Veraͤnderungen in der See- len, oder im gantzen Zustande des Menschens verursachen. Dazu aber ist bloß noͤthig, daß man wisse, dieses oder jenes habe sich da und dort zugetragen: als z. E. ein Erdbeben, ein Wol- cken- Achtes Capitel, ckenbruch; es ist aber nicht noͤthig, daß ich den Ursprung und Ursach derselben physicalischen Be- gebenheit weiß. Zusammenhang, Verbin- dung und Ursachen der Geschichte, wovon wir hier handeln wollen, gehen auf solche Begeben- heiten der Menschen, die von ihren Willen und Entschluͤssungen, und ihren vorlaͤuffigen Vorstel- lungen abhangen. Das aber ist nun ein schwe- rer und sehr verwickelter Theil der historischen Er- kentniß; denn man siehet, daß Menschen uͤber Sachen, wobey sie gegenwaͤrtig gewesen, die ih- nen von innen und aussen bekannt seyn muͤssen, dennoch so schwer unter einen Huth zu bringen seyn, worin sie anzeigen sollen: woran es gefehlt? wer und was Schuld daran sey? Geschweige, wenn wir von Ursachen der Begebenheiten reden wollen, wobey wir nicht zugegen gewesen, und wovon wir mithin wenig Erkentniß haben. Hier- bey gedencket noch zur Zeit jeder nach seiner Art, ohne der geringsten Regel und Anleitung. Mit- hin ist auch bey Uneinigkeiten uͤber solche Dinge kein Mittel noch Anleitung vorhanden, wie man sich etwa einander bedeuten, oder die verschiede- nen Meynungen gar entscheiden koͤnne. Wir wollen aber einen Versuch machen, deutlich zu er- klaͤren, wie und was der Menschen Dencken, wenn sie uͤber die Ursachen der menschlichen Be- gebenheiten und der Zeitlaͤuffte Rath pflegen; um zu zeigen, warum hierinne die Menschen so gar wenig mit einander uͤbereinkommen. §. 3. v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. §. 3. Nuͤtzliche Eintheilung der Handlungen, wenn man von den Ursachen derselben han- deln will. Die Menschen handeln zu verschiedener Zeit, und bey verschiedener Gelegenheit, auch auf man- cherley Art. So giebt es 1. Handlungen, die an sich und in sich mit einem Vergnuͤgen ver- knuͤpfft sind, welches entweder erlaubt oder uner- laubt seyn kan. Der gebohrne Poet macht Ver- se, und ist zufrieden, daß er sie gemacht und ge- macht hat. Der Liebhaber vom Trunck truͤncket so offte, weil er Vergnuͤgen darinnen findet. Es giebt so gar Leute, die zum Vergnuͤgen Zanck an- fangen. 2. Die meisten Handlungen aber wer- den nicht um sich selbst willen unternommen, son- dern wegen der daraus entstehenden Folgen, die entweder wuͤrcklich nuͤtzlich sind, oder doch wenig- stens vor nuͤtzlich gehalten werden. Man nimmt bittere Artzneyen ein, um gesund zu werden: man arbeitet im Schweiß seines Angesichts, um sein Brod zu erwerben: man begiebt sich in Gefahr, um einen Freund daraus zu retten. Diese Art der Handlungen ist in der historischen Erkentniß die wichtigste. Hier ist der Bewegungsgrund ausser der Handlung, oder von der Hand- lung selbst unterschieden; und heisset die Ab- sicht. Es ist uns zwar nicht unbekannt, daß man oͤffters den Begriff der Absicht so ausdehnet, daß alle Handlungen Absichten haben sollen. Allein uns gefaͤllet diese Zerruͤttung der Absich- ten nicht: denn eine Absicht muß ausser der Sa- che Achtes Capitel, che und von ihr unterschieden seyn, die die Absicht hat. 3. Ohngeachtet alle diese Handlungen des Nutzens halber unternommen werden, so kommt doch wieder vieles darauf an, ob wir hierinnen unserm eigenen Urtheile folgen? oder ob wir nur eines andern Willen und Urtheil befolgen: das letzte geschiehet, wenn wir den Befehlen, Ge- setzen, denen Amtspflichten, dem Herkom- men gemaͤß, unsere Handlungen einrichten; und diese machen den groͤsten Theil der menschlichen Handlungen aus: da wir nehmlich keine lange Deliberation noͤthig haben, sondern nur unsern Stand und Amt ansehen duͤrffen, um zu der si- chersten Entschluͤssung von der Welt zu gelangen. §. 4. Zwey Arten der Handlungen, wo die Ur- sachen leicht einzusehen sind. Bey der ersten Art Handlungen hat es keine Schwierigkeit, die Ursache einer Begeben- heit einzusehen. Jeder weiß, daß die Menschen dasjenige suchen und begehren, was ihnen Ver- gnuͤgen macht. Daher wenn ich im besondern Falle weiß, daß jemand sich eine Lust hat belieben lassen: so bleibt nichts bedenckliches uͤbrig, es muͤste denn mit seinen Pflichten und sonstiger Ge- denckart streiten: in welchem Falle die Hefftig- keit des Affeckts dennoch zu einer begreifflichen Ursach der verabsaͤumten Pflichten und uͤbertrete- nen Gebotes wird. Wir wissen einmahl, was die sinnlichen Begierden bey dem Menschen ver- moͤgen. So ist auch in Ansehung der Ursachen bey v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. bey der andern Art der Handlungen keine Schwierigkeit; nehmlich in Ansehung derjenigen, wo man dem Willen des andern mehr, als sei- nem eigenen folget. Denn die verbindende Krafft der Befehle, Gesetze, Amtspflich- ten, und Gewohnheiten ist so bekannt, daß, wenn ich weiß, daß iemand nach denselben gehandelt hat, ich solches recht wohl begreiffe, warum er es gethan? und hingegen vielmehr betroffen seyn wuͤrde, wenn er es nicht gethan haͤtte. Da also bey Handlungen noch eine kundbare Verbindlich- keit vorhanden ist, daselbst ist die Erkenntniß der Ursachen keinen weiteren Schwierigkeiten unter- worffen. Diesen aber werden nun solche Hand- lungen entgegen gesetzet, die bloß wegen des dar- aus zu hoffenden Nutzens, entweder vor sich, oder vor andere vorgenommen werden, ohne daß sie aus einer allgemeinen Verbindlichkeit koͤnten hergelei- tet werden. Solche Handlungen, so lange man sie nur im Sinn hat, heissen Anschlaͤge, woraus die Thaten entstehen (§. 9. C. 4.) so bald sie ausgefuͤhret werden. Sie koͤnnen aber, wie die Handlungen von verschiedenem Werthe seyn, in- dem es auch schlechte Thaten giebt, wovon wir ei- nige Stuffen bestimmt haben, in der Philos. De- fin. nova. P. II. c. 8. §. 5. Dritte Art der Begebenheiten, wie die Ursachen leicht einzusehen sind. Unter diesen Anschlaͤgen der Menschen sind nun wieder viele, da der Mensch sich so etwas zu O erhal- Achtes Capitel, erhalten fuͤrsetzt, welches zwar besondere und nicht taͤglich in der Welt vorkommende Umstaͤnde voraus setzt, aber doch, wenn diese einmahl vorhanden sind, schon nach der gemeinen Ge- denckart der Menschen und dem gemeinen Masse menschlicher Faͤhigkeit, kan abgesehen werden, daß es ihm habe einfallen, und Beyfall bey nahe finden muͤssen. Auch hier hat die Er- kentniß der Ursach, wenn uns nur die Umstaͤnde selbst bekannt sind, noch keine grosse Schwierig- keit. Man wundert sich nicht, daß die Livia ih- ren Sohn vor den Anverwandten des Augustus zum Erben des Reichs zu machen gesucht hat. Jeder andern Gemahlin wuͤrde es, zumahl unter den Umstaͤnden, darinnen sich des Augustus maͤnn- licher Stamm befunden, eingefallen seyn: Und die Groͤsse der muͤtterlichen Liebe, nebst dem da- bey habenden eigenen Jnteresse, macht leicht be- greiflich, wie man die etwa dabey zu begehenden Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten hat uͤbers Hertz bringen koͤnnen. Auf geringere Sachen zu kommen, so ist der Anschlag, in Vorrath einzu- kauffen, wenn die Waaren wohlfeil seyn, und sie bis zu Erhoͤhung des Preisses aufzuheben, gantz be- greifflich, obgleich besondere Umstaͤnde darzu ge- hoͤren, daß man einen Vortheil ziemlich zuver- laͤßig dabey absehen kan. Es kommt iemand an einen Ort, gar nicht in der Absicht, eine Heyrath zu thun, oder einen Dienst zu bekommen: Er fin- det aber darzu einigen Anschein, entweder zu ei- nem von beyden, oder auch zu beydes; er macht den Anschlag, davon zu profitiren. So beson- ders v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. ders als auch die Umstaͤnde sind, so wundert sich doch niemand, wenn er nur die Umstaͤnde weiß, wie der Anschlag sey gefaßt worden, weil eine Befoͤr- derung zu erlangen, und eine anstaͤndige Heyrath zuthun, ein so gemeiner Trieb der Menschen ist, daß man ihn bey nahe fuͤr allgemein annehmen kan. Jeder sagt bey solchen Anschlaͤgen, wenn sie zumahl von statten gehen: Jch wuͤrde es auch so gemacht haben. Jn solchen Faͤllen ist daher die Ursach bekannt, wenn man nur die besondern Umstaͤnde der Sache weiß: Die Er- fuͤllung der Ursach kan jeder aus der gemeinen Gedenckart der Menschen vor sich selbst machen. §. 6. Sonderbare und neue Anschlaͤge. Denn aber kommen Faͤlle vor, wo iemand unter den besondern Umstaͤnden, die sich aͤusern, und worinnen er sich dermahlen befindet, nach seiner auch besondern Gedenckart, etwas vor gut und ihm nuͤtzlich befindet, welches ein anderer, ja die meisten und folglich jeder nach der gemeinen Gedenckart sich entweder gar nicht wuͤrde einfal- len lassen, oder solches wenigstens nach Ueberle- gung der Schwierigkeiten, wieder verwerffen wuͤr- de. Alexander funde die Friedensvorschlaͤge des Darius nicht vor gut anzunehmen, die dem Par- menio uͤberaus wohlgefielen, und vermuthlich auch mehreren wohlgefallen haben: Weil sie sich auf die gemeine Gedenckart, die die Billigkeit selbst unter- stuͤtzt, gruͤndete, daß ein uͤber aus vortheilhaffter Frie- de einem Kriege allemahl, wegen des sogar ungewis- O 2 sen Achtes Capitel, sen Erfolgs vorzuziehen sey. Wie denn Alexan- der selbst eingestehen muste, daß er eben so wie Parmenio urtheilen wuͤrde, wenn er Parmenio waͤre, das ist, wenn er die Sache mit solchen Au- gen, wie dieser, und nach der gemeinen Denckart, ansaͤhe. Alles was nachher Curtius Buch 4, 11. als Ursachen einer andern Entschluͤssung anfuͤhret, ist kein hinreichender Grund, dieselbe zu fassen, ge- wesen, wo man nicht das Genie des Alexanders, der einmahl einen Conqueranten abgeben wollte, zu Huͤl- fe nimmt. Solche Menschen werden, zu grossen Gluͤck vor die Menschen, nur selten gebohren. Hieher gehoͤren aber alle Anschlaͤge, die man neue nennet; nicht bloß in Ansehung einer und der an- dern Person, sondern fast aller zu derselben Zeit lebenden Menschen, denen dergleichen Anschlag noch nicht vorkommen ist. So war es ein neuer Anschlag, da die Portugiesen im funfzehenden Jahrhundert darauf fielen, die Handlung nach Africa anzurichten. Denn es haben sowohl be- sondere Umstaͤnde darzu gehoͤret, daß man weni- ger als sonsten Hindernisse vor sich gesehen, und die Regenten muͤssen einen besondern Trieb ge- habt haben, daß sie sich an die mit solchem An- schlage unvermeidlich verknuͤpften Schwierigkei- ten nicht gekehret haben. Des Columbus An- schlag eine neue Welt zu entdecken, war noch wunderbarer. Wiewohl dieser Ruhm mit meh- reren Rechte, dem grossen Seefahrer Martin Behaim von Schwartzenbach, einem Nuͤrn- bergischen Patritio zuzuschreiben ist, als dessen Seecharten Columbus gebraucht hat, Schwar- zius v d. Zusammenhange d. Begebenh ꝛc. zius de columnis Herculis §. 13. Daß die Creutz- zuͤge nicht allein moͤglich gewesen, sondern auch wuͤrcklich ausgefuͤhret worden, darzu haben beson- dere Umstaͤnde der Zeiten, und darnebst noch die besondere Gedenckart der damahligen Menschen, und der Aberglauben, das ihre gemeinschafftlich beygetragen. §. 7. Auch boͤse Anschlaͤge find groͤstentheils begreifflich. Wie sich die vernuͤnfftigen Anschlaͤge zum Theil aus der gemeinen und natuͤrlichen Gedenck- art begreiffen lassen, wenn man nur die Umstaͤn- de weiß, unter welchen der Anschlag gemacht wor- den (§. 5.); so lassen sich auch die boͤsen, wider- rechtlichen, ja unsinnigen Anschlaͤge zum Theil be- greiffen, aus den Lastern und verwirrten Seelen Zustande derjenigen, die solche Anschlaͤge fassen. Man wundert sich uͤber keine Handlung, so unge- schickt sie auch immer seyn mag, sobald man weiß, daß sie von einem Trunckenen begangen worden. Von einem abgesagten Feinde darf man sich keinen Schaden, den er uns oͤffentlich oder heim- lich zufuͤget, so groß als er auch ist, befremden las- sen: Die Ursache davon ist aus der Natur eines ungemaͤßigten Hasses gantz begreifflich. Wenn uns der Geitzige mit Wucher beschwert, im Preiße uͤbersetzt, boͤse bezahlet, unhoͤfflich mahnet, ja eine Schuld, daruͤber wir nicht quittiret worden, zwey- mahl fordert, so sind das alles Begebenheiten, de- ren Ursach wir nicht weit suchen duͤrffen. O 3 §. 8. Achtes Capitel, §. 8. Ungeheure Anschlaͤge. Allein es koͤnnen lasterhaffte Menschen ie zu- weilen solche Anschlaͤge fassen, die dennoch ihrer kundbaren Laster ungeachtet, und nach den gemei- nen Begriffen von Lastern, nimmermehr vermu- thet haͤtte, wenn uns nicht die Wahrheit der Sa- che in die Augen leuchtete; solche Anschlaͤge die tausend andere, auch Lasterhafte, wenn sie sich gleich in eben solchen aͤuserlichen Umstaͤnden befunden haͤtten, dennoch nicht wuͤrden gefasset haben. Herodes laͤsset aus Besorgniß eines neugebohr- nen kuͤnfftigen Koͤniges, der nicht aus seinem Hause waͤre, alle zweyjaͤhrigen Knaben, und drun- ter toͤdten. Vielen andern Tyrannen wuͤrde doch eine solche Grausamkeit nicht einmahl eingefallen seyn, geschweige daß sie solche wuͤrcklich haͤtten ausuͤben sollen. Herostratus zuͤndet den Dia- nentempel zu Ephesus an, um einen unsterblichen Nahmen zu erlangen: Sollten wohl viele solche ausschweiffende Anschlaͤge und Ruhmbegierde ge- fasset haben? Nero laͤsset Rom in Brand ste- cken, um sich Troja im Feuer lebhafft vorstellen zu koͤnnen: Oder auch die Stadt nach seiner Phan- tasey bauen zu koͤnnen. Mahomet ersinnet eine neue Religion, um das Haupt eines Kriegs- heers zu werden. Dergleichen Anschlaͤge wuͤrden uns noch unbesonnener und widersinniger vor- kommen, wenn uns nicht die wuͤrckliche erfolgte Ausfuͤhrung, die Unternehmung weit leichter vor- stellte, als sie vernuͤnfftige Menschen zu der Zeit anse- v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. ansehen konten, ehe und bevor die Ausfuͤhrung er- folgt ist. §. 9. Anschlaͤge die man von einer Person nicht haͤtte vermuthen sollen. Die Menschen handeln weder allemahl nach deutlichen Vorstellungen, noch auch nach ihren ihnen anklebenden dauerhafften guten und boͤsen Trieben; Sondern sie sind zu gewissen Stunden gantz an- dere Menschen, als sie kurtz vorher gewesen. Der gute, oder in soferne er gut ist, verfaͤllt manch- mahl in eine Versuchung und Verfuͤhrung, die er zu einer andern Zeit, als einen widersinnigen Ein- fall wuͤrde angesehen und verlacht haben: Jetzo aber liegt er unter. David wird wider sein und aller andern Menschen Vermuthen ein Ehebre- cher, und bald darauf ein Meuchelmoͤrder. Nach- her faͤllt ihm ein, das Volck zehlen zu lassen, ohne Zweifel weil er Lust bekommen hatte, ein Conque- rant zu werden, und vergaß, daß er, und das Volck Jsrael nicht durch seinen Arm und Krafft groß und maͤchtig geworden war. So hat auch der Boͤse zuweilen bessere Stunden, daß er der Mann gar nicht ist, der er sonsten zu seyn pflegt. Solche Anschlaͤge nun, die Menschen zu gewissen Zeiten fassen, ob sie sich gleich mit denen ih- nen beywohnenden Tugenden oder Lastern nicht zu- sammen raͤumen, setzen uns allerdings in Ver- wunderung, dergestalt daß auch die, welche die Umstaͤnde am genauesten wissen, nicht begreiffen koͤnnen, wie die Entschluͤssung habe koͤnnen gefas- O 4 set Achtes Capitel, set werden. Solche schleinige Verschlimmerun- gen, und im Gegentheil die schleinigen und kurtz- daurenden Ausbruͤche der Vernunfft und des Ge- wissens, gehoͤren noch unter die Geheimnisse des menschlichen Hertzens. Wir erkennen sie, wenn sie da sind, wissen aber nicht, warum sie da sind. §. 10. Wie man sich Anschlaͤge gefallen laͤsset. Es entstehen auch Anschlaͤge und Entschluͤs- sungen durch Rathgeber, oder allgemeiner zu reden, durch solche Personen, die uns etwas an- muthen und ansinnen: Es sey mit guten oder boͤsen Worten. Der, dem was angesonnen, und zugemuthet wird, wuͤrde solches oͤffters aus eige- nem Triebe nimmermehr gethan haben, und der der es ansinnt, wuͤrde es selbst nicht thun, wenn ihm es angesonnen wuͤrde, aber indem dieser letz- tere durch den andern eine Sache auszufuͤhren ge- denckt, so bekommt sie ein ander Ansehen, die Ge- fahr und der Schaden kommt auf den, der es be- williget. Ueberhaupt macht eine Vorstellung, wenn sie uns von jemanden beygebracht wird, zu- mahl muͤndlich, gantz einen andern Eindruck, als wenn wir von uns selbst auf eine Sache verfallen. Der Credit und Ansehen, worinnen eine Person, die uns etwas ansinnet, bey uns stehet, seine Wor- te, seine Aussprache, seine Minen, das Tempo, welches er in acht genommen hat, sein ungestuͤ- mes Heischen, koͤnnen uns bewegen eine Sache zu billigen, oder zu bewilligen, die weder nach unse- rer eigenen Einsicht, noch nach den Gruͤnden, die uns v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. uns vorgehalten werden, sollten gebilliget, oder be- williget werden. Man laͤsset sich aber doch bere- den, man laͤsset sich uͤbereilen; zumahl wer von keinem harten Gemuͤthe ist. Daraus entstehen denn abermahl Entschluͤssungen, die mit der Ge- muͤthsbeschaffenheit und Charackter einer Person gar nicht uͤberein kommen; sie sind daher unbe- greifflich, und bey nahe unnatuͤrlich, wenn man den Umstand nicht weiß, daß sie nicht aus eigenem Antriebe, sondern durch uͤberreden, sind gefas- set worden. Jn diesen Umstaͤnden befinden sich hauptsaͤchlich grosse Herrn, welche offt durch Vor- bildungen ihrer hohen und niedrigen Bedienten, die Zutritt zu ihrer Person haben, ja durch ihr blosses Bitten, zu Entschluͤssungen bewogen wer- den, die nach ihren Neigungen unbegreifflich sind. Ahasverus z. E. will alle Juden in seinen Lan- den umbringen lassen, die doch keiner Missethat schuldig waren. Wer nun die Rachbegierde des Hamans, die auch von einem ausserordentlichen Grade war, nicht gekannt hat, und wie er dem Ahasverus eine solche Grausamkeit, zu einer be- quemen Zeit plausibel zu machen gewust habe, wel- ches allerdings niemand, als er selbst, hat wissen koͤnnen, der wird uͤber den grausamen Befehl gantz erstaunt gewesen seyn, ohne irgend eine Ur- sach einer so barbarischen Begebenheit ergruͤnden zu koͤnnen. Durch zweyer Personen ihre Ein- stimmung, dazu doch nur eine den Nahmen her- giebt, werden oͤffters Sachen moͤglich, die nie- mand, wenn sie nicht von selbsten kund wird, er- rathen kan, wie sie zugegangen ist. O 5 §. 11. Achtes Capitel, §. 11. Die Ursachen eines Anschlags haben ihre besondere Einrichtung. Wenn wir nun die Ursachen eines Anschlags untersuchen, der von der vornehmsten Gattung ist, nehmlich ein sonderbarer und neuer Anschlag (§. 6.); so wollen wir zweyerley ausfuͤndig ma- chen, oder muͤssen es ausfuͤndig machen: 1. Die besonderen Umstande, die die Gedancken und wuͤrckliche Entschluͤssung hervorgebracht haben: 2. Die besondere Gedenckart, nach welcher man die besondern Umstaͤnde angesehen hat, daß die Entschluͤssung daraus entstanden ist. Die Um- staͤnde von welchen wir reden, sind in dem ge- meinen Begriffe und Benennung der Gelegen- heit enthalten. So bekannt aber dieses Wort im gemeinen Leben ist, und so oͤffters es auch bey der Erkentniß der Geschichte gebraucht wird, so schwer ist es zu erklaͤren: Jndem es hauptsaͤchlich darauf ankommt, daß wir die Gelegenheit, von andern Arten der Ursachen genau unterscheiden. Unterdessen weil es ein Hauptbegriff in der histo- rischen Erkentniß ist, so muͤssen wir uns dieser Arbeit unterziehen. Die Sache verhaͤlt sich also: Wo wir die Ursach eines Dinges erkennen, da machen wir einen Schluß: Die Begebenheit, die wir aus ihren Ursachen herleiten, wird ein Schluß- satz (§. 1.) dieses geschiehet mit Zuziehung eines allgemeinen Satzes. Z. E. Cajus macht ein Te- stament: Jch frage warum? und hoͤre: Er will sterben. Daraus entstehet der Schluß: Wer sterben v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. sterben will, und Ursach hat wegen seines Ver- moͤgens eine Verordnung zu machen, der macht ein Testament: Cajus will sterben, und hat Ursach, oder duͤnckt sich Ursach zu haben, wegen seines Ver- moͤgens eine Verordnung zu machen, der macht ein Testament. Wir werden unten sehen, was es mit diesen Schluͤssen, auch wenn wir an der Ur- sache einer Begebenheit gar nicht zweifeln, vor Bedencklichkeit habe. Wir wollen ietzo anneh- men: Die Ursach einer Begebenheit erken- nen, sey nichts anders, als dieselbe aus andern bekannten Begebenheiten in bester Forme schluͤs- sen: So werden wir doch in Ansehung der An- schlaͤge von der vornehmsten Gattung, ausnehmen- de Schwierigkeiten finden, die Ursachen dersel- ben zu entdecken. Denn es werden dabey 1. be- sondere Umstaͤnde voraus gesetzt (§. 6.): Die also von den gemeinen und uns schon laͤngst be- kannten Arten der Handlungen, und der Zu- staͤnde der Dinge, abgehen; und sie sind also auch nicht so leichte in einen foͤrmlichen Satz zu brin- gen, als wie die gemeinen Begebenheiten und Um- staͤnde der Dinge. Es wird aber auch 2. eine be- sondere Gedenckart erfordert (§. cit. ): Da- von also auch keine allgemeine Regeln vorhan- den sind. Mithin wenn uns auch alles, was zur Existentz eines neuen Anschlages etwas beygetra- gen hat, an und vor sich bekannt waͤre; so ist den- noch daraus einen Schluß der foͤrmlich waͤre, zu machen, nicht wohl moͤglich: Und mithin kan man auch den Begriff der Ursach, ja selbst das Wort, Ursach, bey solchen Anschlaͤgen nicht wohl brau- Achtes Capitel, brauchen, so wie es etwa bey gemeinen Begeben- heiten, davon man informirt ist, ohne alles Be- dencken gebraucht wird. §. 12. Unterschied der Ursach und Gelegenheit. Unterdessen zweifeln wir nicht, daß, wie ge- meine Begebenheiten nnd Entschluͤssungen mit ih- ren vorhergegangenen zusammenhangen; daß nehmlich der Zustand der Dinge, den Menschen, durch die Erkentniß und Einsicht, die er davon gehabt, zur Entschluͤssung bewogen; also auch die sonderbaren und neuen Anschlaͤge auf eben diese Weise entstehen; nehmlich, daß die vorhergehen- de oder vorhandene Umstaͤnde, den Menschen, nach seiner Art zu dencken, und nach seinen be- sondern Maximen zur Entschluͤssung bewogen ha- ben. Nur in Ansehung unserer Erkenntniß ist ein grosser Unterscheid. Wir wollen nehmlich auch bey sonderbaren und neuen Entschluͤssungen, zumahl wo uns die Umstaͤnde ziemlich bekannt sind, die Ursach einsehen, und mithin einen Schluß machen, den wir aber nicht zu Stande bringen koͤnnen. Da man nun selbst in gemeinen Leben, da man auf die Vernunfftlehre nicht acht zu ge- ben pflegt, dennoch bemerckt hat, daß etwas an- ders in der Seele vorgehe, wenn man den Grund besonderer und neuer Anschlaͤge erforschen will, als wenn man von gemeinen Begebenheiten urthei- let; so hat man auch besondere Worte ausfuͤn- dig gemacht, diese beyden Handlungen des mensch- lichen Verstandes von einander zu unterscheiden: Gemei- v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. Gemeinen Begebenheiten leget man nehmlich eine Ursach, denen besondern und neuen Entschluͤssun- gen aber eine Gelegenheit bey. Diese letztere ist also nichts anders als die besondern Umstaͤnde in den Sachen, welche durch eine besondere Ge- denckart einen Anschlag und Entschluͤssung in der Seele hervor bringt. Gesetzt nun wir wissen die Gelegenheit zu einem Anschlage in einem eintzeln Falle, so wird man leicht ermessen koͤn- nen, daß man sich, um auch andere davon zu be- lehren, bemuͤhen werde, sowohl die besondern Um- staͤnde ins kurtze zu ziehen, und bestmoͤglichst in einen Satz zu bringen; als auch die besondere Gedenckart auf eben solche Art zu foͤrmeln, da- mit man nehmlich eine Art eines Schlusses her- aus bringe: und also die Gelegenheit bey nahe das Ansehen einer Ursache, als wornach man bey Geschichten zu trachten pflegt, bekommen moͤge. Dabey sucht man sich auf allerley Weise zu helffen. §. 13. Was man bey Erzehlung der besondern Umstaͤn- de vor Vortheile braucht. Zum offtern sucht man aus den besondern Umstaͤnden, einen und den andern heraus, der am meisten bekannt ist, oder am meisten in die Augen faͤllet, und tribuirt demselben die gantze Wuͤrckung und Hervorbringung des Anschlags, und der da- mit verknuͤpften, oder erfolgten Entschluͤssung. Z. E. was hat man nicht vor verschiedene Dinge angege- Achtes Capitel, angegeben, die die Verlassung der Oesterreichischen Parthey im Spanischen Succeßionskriege, bey dem Englischen Hofe sollen veranlasset haben: Der beziehet sich auf die Madame Masham, jener auf die kuͤnstlichen Jnsinuationes des Tallards; andere auf einen Unwillen der Koͤnigin uͤber die Gemahlin des Marlboroughs: Da vielleicht alle diese Umstaͤnde zusammen, nebst noch andern gaͤntz- lich unbekannten, diese so wichtige Entschluͤssung moͤgen hervorgebracht haben. Ein Anschlag, wenn er mit einem Satze soll verglichen werden, der sich demonstriren laͤsset; muͤste nicht mit einem Corollario, sondern mit einem Theoremate in Parallel gestellet werden, von welchen wir anders- wo gewiesen haben, daß es nicht durch eine ein- fache Reyhe Schluͤsse koͤnne erwiesen werden, son- dern mehr als eine Reyhe erfordere. Logica pra- ctica (§. 32. p. 25.) Und zwar koͤnnen bey ei- ner Entschluͤssung zehen und mehrere Gruͤnde zu- sammen kommen. §. 14. Zweyte Art. Jngleichen sucht man viele besondere Um- staͤnde unter eine Classe und unter einen allgemei- nen Begriff zu bringen, welcher sich hernach bes- ser mit andern allgemeinen Begriffen verbinden, und in die Gestalt eines Schlusses bringen laͤsset. Z. E. daß Carl V. die Regierung niedergelegt, darzu haben ihn verschiedene nicht gluͤckliche Ex- peditiones Anlaß gegeben. Wenn nehmlich das Gluͤck sich aͤndert, so wird man einer Sache satt und v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. und uͤberdruͤßig. Auf diese Art kommt man einem so genannten Causalschluß gar nahe. Aber die Wahrheit zu sagen: So werden diese Un- gluͤcksfaͤlle diesen grossen Kayser wohl nicht allein zu einer so wichtigen und ungewoͤhnlichen Entschluͤssung bewogen haben. Man nimmt daher auch seine abnehmende Leibeskraͤffte zu Huͤlffe, die ihn die Ruhe zu wuͤnschen veranlasset. Aber da so viele Menschen die mit Ungluͤcksfaͤllen und Leibesschwachheit beladen sind, dennoch sich zu Ablegung ihrer Wuͤrden nicht entschliessen, so moͤchten wohl diese beyden Umstaͤnde, die Gele- genheit gedachter Entschluͤssung noch nicht exhau- riren. Es muß vielmehr das Uebrige aus der besondern Gedenckart dieses Monarchens geflos- sen seyn. §. 15. Wie man eine besondere Gedenckart be- greifflich macht. Wenn man aber die besondere Gedenckart, die man bey einer Entschluͤssung braucht, erklaͤren soll, so nimmt man gemeiniglich die naͤchste Art, genus proximum, siue speciem, unter welcher die beson- dere Gedenckart, die sich nicht wohl beschreiben laͤsset, enthalten ist. Constantin der Grosse, hat nach seiner Klugheit, das Roͤmische Reich vor all- zugroß angesehen, als daß es von einem Haupte koͤnnte defendirt werden. Haben aber nicht an- dere Kayser vor ihn auch diese Schwierigkeit ge- sehen? ohne doch das Reich zu theilen? Chri- stiern ist grausam gewesen, darum hat er den Schwe- Achtes Capitel, Schwedischen Senat hinrichten lassen: Ohne Zweifel aber muß seine Grausamkeit dazumahl einen besondern Paroxysmum gehabt haben, die eine so ausserordentliche blutduͤrstige Entschluͤs- sung hervor gebracht hat. Alexanders Unter- nehmungen leitet man daraus, daß er durchaus Laͤnder und die gantze Erde bezwingen wollen: Und dieses zwar nicht ohne Ursach: Jedoch muß man dabey unvergessen seyn, daß dergleichen Ap- petit gar vielen Monarchen in der Welt vorge- kommen; nur daß es mit den Anschlaͤgen nicht solchen Fortgang gehabt hat, wie beym Alexan- der: Und doch auch die sehr gluͤcklich gewesenen, wie Sesostris, haben wiederum auf Friede, und den geruhigen Genuß ihrer Siege gedacht. Die Gedenckart des Alexanders ist ohne Zweiffel von einer gantz besondern Art gewesen, die die gemei- ne Art der Landbezwinger oder Conqueranten noch weit uͤbertrifft. Unterdessen muͤssen wir uns meist an den bekannten Begriff eines Conqueran- tens halten. §. 16. Es ist genung, daß wir Anschlaͤge nur einiger massen begreiffen. Und solche unvollkommene Erkentniß der Gelegenheit zu Entschluͤssungen, muͤssen wir uns deswegen nicht befremden lassen, weil es bey Ent- schluͤssungen meistens auf den innerlichen Zustand der Seele, und auf den Willen ankommt; die- ser aber seine heimlichen und unerforschlichen Triebfedern hat, die nicht einmahl derjenige selbst, der v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. der sich zu etwas entschluͤsset, genau und voͤllig bemercken kan, geschweige denn andere, welche un- moͤglich wissen koͤnnen, was in einer fremden Seele vorgehet. Und eben so ist in dem Fall, wo Rath- geber und fremde Vorstellungen concurriren, in- gleichen Bitten, Flehen, Drohen (§. 10), schwer zu bestimmen, wie viel bey einer Entschluͤssung die- se aͤusserlichen Umstaͤnde beygetragen haben: Denn sie koͤnnen in einem Falle, und bey einem Subjecto, ja zu einer Zeit mehr vermoͤgen, als in andern Faͤllen. Die Einschraͤnckung unserer Ein- sicht, sowohl in die Gemuͤther der Menschen, als in die aͤusserlichen Umstaͤnde bringt es so mit sich, daß wir zwar etwas von den Ursachen der Bege- benheiten, aber sie bey weiten nicht voͤllig einse- hen koͤnnen. §. 17. Boͤse Thaten entstehen aus einer Gelegenheit. Bey dem Begriffe der Gelegenheit, ist auch zu bemercken, daß man bey allen ungerechten und boͤsen Entschluͤssungen nicht nach der Ursach, son- dern nur nach der Gelegenheit, die sie veran- lasset, zu fragen pflegt: Oder die Umstaͤnde durch welche man sich zu einer boͤsen That und Anschla- ge bewegen laͤsset, sind nicht die Ursach, sondern nur die Gelegenheit derselben. Dieses kommet daher: Weil, wenn man von Ursachen redet, man allemahl vernuͤnfftige Ursachen, das ist, solche Ursachen sucht, die sich aus der Natur der Dinge begreiffen lassen. Nun gehoͤren aber falsche untereinander gemengte, zerruͤttete Vor- P stellun- Achtes Capitel, stellungen, ingleichen Vorwitz, Uebereilung, und Unbedacht gar nicht zur Natur der Seele, son- dern sind vielmehr widernatuͤrlich. Die Sa- chen also, welche durch den widernatuͤrlichen Zu- stand der Seele, und durch irrige Vorstellungen zu einer Entschluͤssung Anlaß geben, koͤnnen nicht die Ursach genennet werden; weil in dem Schlus- se, der gemacht wird, eine falsche Præmissa ent- halten ist. z. E. Der Heyde betet die Sonne an, weil er schluͤsset, wer mir helffen kan, den muß ich anruffen: Die Sonne kan mir helffen, also: muß ich sie anruffen. Und wir, wenn wir die Ursache der heydnischen Abgoͤtterey in Ansehung der Sonne erklaͤren sollen, fuͤhren kuͤrtzlich an, weil sie von derselben Huͤlffe und Erhoͤrung erwarten. Wie nun ein Schluß, der aus falschen Præmissis bestehet, nicht ein wahrer Schluß, sondern ein So- phisma , eine Teuscherey ist; so kan auch der Zu- sammenhang zweyer Begebenheiten, die nicht durch richtige Vorstellungen zusammenhangen, nicht die Ursach genennet werden. Denn diese erfordert einen Schluß (§. 1.) d. i. wie sich von selbst verstehet, einen wahren Schluß. Wenn ich aber auf die Unrichtigkeit der Saͤtze bey einem Schlusse nicht mercken will, welches bey vielen Gelegenheiten geschiehet; so haben auch die aller- albersten widerrechtlichsten Entschluͤssungen ihre Ursach, daher man solches Wort auch oͤffters bey boͤsen Thaten zu brauchen pflegt. Eigentlich aber hat man zu einer boͤsen That keine Ursach: David hat keine Ursach zum Ehebruch gehabt: Die Generals des Alexanders haben keine Ursach, aber v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. aber wohl Gelegenheit gehabt, sein Reich unter sich zu theilen: Eben so wenig hat auch Phocas Ursach gehabt, den Kayser Mauritius vom Thron zu stossen. Die Ausbreitung der christlichen Re- ligion ist nicht die Ursach, sondern nur die Gele- genheit gewesen, die den Heyden, ja allen unbekehr- ten Menschen beywohnende natuͤrliche Grausam- keit, unter einem Vorwande, den sie zu finden vermeynten, auszulassen. §. 18. Wenn Entschluͤssung und Ausfuͤhrung vor einer- ley angesehen wird. Wenn unser Anschlag nur auf eine kurtze Be- gebenheit, oder auf so etwas gerichtet ist, was in kurtzen kan ausgefuͤhret werden, und es findet sich kein Hinderniß, so wird auch die Geschichte davon sehr kurtz seyn: Anschlag und Ausfuͤhrung werden fast vor einerley Sache angenommen, haben auch einerley Ursach: Und die Erzehlung hat mehr das Ansehen einer Begebenheit, als einer Geschichte (§. 13. C. 1.). Z. E. Da- vid trieb mit der Bathseba Ehebruch, da er sie vom Dache seines Pallasts, sich waschen sahe- Achan entwandte etwas von dem Raube zu Je- richo. Der Anschlag wird von der Ausfuͤh- rung selbst nicht einmahl unterschieden. Bey boͤsen Thaten und Anschlaͤgen kan man a priori uͤbersehen, daß sich an den Anschlag uͤber kurtz oder lang noch eine andere Geschichte anhaͤngen werde, welche in dem Anschlage gar nicht enthalten ist, nehmlich die Bestraffung und andere uͤble Fol- P 2 gen, Achtes Capitel, gen, die oͤffters betraͤchtlicher sind, als der Anschlag selbst. Man kan dieses deswegen a priori erwar- ten: Weil eine boͤse That, durch ein Blend- werck der Seele und durch die falsche Vorstel- lung eines Scheingutes unternommen wird. Mit diesem Zustande der Seele und Jrrthume, kan es nun keinen Bestand haben: Daher kan gar na- tuͤrlicher Weise die Erwartung entstehen, wie das Blendwerck durch die nachfolgenden Umstaͤnde, werde entdeckt werden: Welches gemeiniglich und vornehmlich durch die Straffe, aber nur zu spaͤte geschiehet. So lange die Entdeckung des Blend- wercks noch nicht da ist, so ist die Geschichte noch nicht aus (§. 29. 30. C. 6. 9.) §. 19. Verhinderte Anschlaͤge kommen nicht in die Ge- schichts-Buͤcher. Wenn man einen Anschlag fasset, der aber, ehe noch die Ausfuͤhrung angefangen wird, Hin- dernisse findet, so daß man ihn entweder gar fah- ren laͤsset, oder wenigstens gantz aufschiebt, so bleibt die Entschluͤssung ein Geheimniß, welches, weil man niemanden ins Hertz sehen kan, auch niemand wissen kan. Der Anfang der Ausfuͤh- rung, muß uns erst von einem Anschlage, der nehmlich ein ernster und fester Vorsatz ist, beleh- ren. Sonsten wenn sich auch gleich eine Nach- richt von dem Vorhaben ausbreiten sollte, wie denn Anschlaͤge oͤffters eben dadurch, daß sie noch vor der Ausfuͤhrung bekannt werden, vereitelt wer- den: So kan man hernach doch nicht wissen, ob es v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. es nicht ein blosser Vorschlag, Einfall, und fliegender Gedancken gewesen, dergleichen der Mensch in seinem Leben viel hat, ohne daß sie zu Entschluͤssungen und eigentlichen Anschlaͤgen wer- den. Solche Vorschlaͤge aber, die uns selbst ein- fallen, oder auch von andern uns vorgetragen, und gar nicht zur Ausfuͤhrung gebracht wer- den, kommen bey der Erkentniß der Geschichte nicht in Anschlag. Sie haben in die nachfolgen- den Geschichte keinen solchen Einfluß, den mensch- licher Verstand bemercken koͤnte. Deswegen ist aber nicht zu laͤugnen, daß sie nicht wuͤrcklich ihre Folgen in der Seele haben, daß sie unter die Hand- lungen gehoͤren, davon wir dem Hoͤchsten Rechen- schafft geben muͤssen. Wir moͤgen aber die Sache ansehen, wie wir wollen, so ist seine Gedancken aufzeichnen, wie einige gethan haben, wenn wir sie nicht weiter ausfuͤhren wollen, eine unnuͤtze Arbeit. §. 20. Anschlag und Ausfuͤhrung hangen an einander. Es ist unserer Seele und ihrer Gedenckart nicht gemaͤß, daß man einen Anschlag machen, und beschliessen sollte, dessen gantze Ausfuͤhrung erst uͤber eine, zumahl lange Zeit, hinaus gesetzt wuͤrde. Nur Hindernisse halten die Ausfuͤh- rung bey uns auf. Denn was wir mehr aus Lust und Liebe zur Handlung, oder aus einem Triebe beschluͤssen, dasselbe wird offenbar nur we- gen der Umstaͤnde aufgehoben, die die Ausfuͤhrung P 3 nicht Achtes Capitel, nicht eher zulassen. Der Unversoͤhnliche wuͤrde sich gleich raͤchen, wenn es bloß auf seinen Wil- len ankaͤme: Aber so, muß er erst eine Gelegen- heit abwarten. Ein Gelehrter schiebt zwar die Ausgabe eines Buches auf, aber aus keiner an- dern Ursach, als aus Erwartung der Umstaͤnde, daß solches mit mehrerem Nutzen und Wohlge- fallen des Publici geschehen moͤge. Aller Auf- schub die Entschluͤssungen, und deren Ausfuͤhrung auch nur anzufangen, kommt von Hindernissen her; sonsten ist Beschluͤssen und die Ausfuͤhrung anfangen gleich mit einander verknuͤpft. Ein an- ders aber ist es mit der voͤlligen Ausfuͤhrung, oder Vollbringung einer Sache: Als welche aus andern Ursachen, und der innerlichen Beschaffen- heit des Anschlages nach, sich offt gar lange, wenn auch gar keine Hindernisse sich aͤussern, verziehen kan. Es giebt aber auch weit aussehende, oder grosse Anschlaͤge, welche wegen der ver- schiedenen Theile, oder der auf einander folgenden vielen Mittel, auch ohne Hinderniß, dennoch in weniger Zeit nicht ausgefuͤhret werden koͤnnen. Rom sagt man, ist nicht auf einen Tag gebauet: Wobey man nicht sowohl auf die Schwierigkeit, die aus Hindernissen entstehet, als auf die Groͤsse und Weitlaͤuftigkeit siehet, die viel Zeit erfordert hat. Eine barbarische Nation cultiviren, ist eine Sache, welche, wenn sie sich auch noch so willig darzu bewiese, dennoch in wenigen Jahren nicht zu Stande zu bringen ist. §. 21. v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. §. 21. Anschlaͤge sind eine Art der Geschichte. Ein grosser und weitlaͤufftiger Anschlag ist nichts anders als eine lange Geschichte, die man erst noch zur Wuͤrcklichkeit bringen will. Man muß dabey voraus setzen, daß man nur Anschlaͤge ma- chen muß uͤber Sachen, die man in seiner Gewalt hat, die man uͤbersehen, und also nach Belie- ben, einrichten kan. Dergleichen Anschlag ist, wenn ein reicher, oder maͤchtiger Fuͤrst ein Schloß und Pallast auffuͤhren will. Was man nachher siehet, daß es von Tage zu Tage gebauet und zu Stande gebracht werde, das hat der Bauherr vorher in seinem Verstande, daß es geschehen solle, uͤbersehen. Jn seinem Verstande ist es schon damahls, als er den Anschlag machte, nicht anders gewesen, als ob es schon wuͤrcklich aufgefuͤhret wuͤr- de. Von Anschlaͤgen kan man also Erzehlungen machen, wie von geschehenen Dingen. Wenn der Anschlag weitlaͤufftig ist, muß man einen Grundriß haben (§. 18. C. 6.): Er kan auch aus ver- schiedenen Sehepunckten angesehen werden (§. 12. C. 5.); wie z. E. ein aufzufuͤhrendes Gebaͤude gantz anders angesehen wird vom Architecto, der nur auf die Bequemlichkeit und Pracht des Ge- baͤudes siehet, anders vom Schatzmeister, der den Bau nach den Revenuen seines Herrn ab- misset, und daher etwa an dem schoͤnsten und kost- barsten Theile, das groͤste Mißfallen haben kan: Anders von dem Directeur des Baues selbst, der vor die Materialien sorgen muß, und daher P 4 man- Achtes Capitel, manches inpracticable finden kan, welches nach beyden vorigen Betrachtungen keinen Anstoß ha- ben wuͤrde. Jn unsern Gebaͤuden muß viel von Sandsteinen gemacht werden, welches, von Mar- mor gebauet weit praͤchtiger und dauerhaffter seyn wuͤrde. §. 22. Wenn der Anschlag und die Ausfuͤhrung in der Erzehlung einerley lauten. Woferne der Anschlag in der Ausfuͤhrung keine Hindernisse findet, so wird die Geschichte der Ausfuͤhrung mit dem Anschlage voͤllig uͤberein kommen, bis etwa auf einige Umstaͤnde, die sich bis zur Ausfuͤhrung geaͤndert haben, und also an- ders haben eingerichtet werden muͤssen. Aber das was sich waͤhrender Zeit in den Sachen und Personen aͤndert, auf die man anfangs Rechnung gemacht, ist vor ein Hinderniß zu rechnen. Wir reden aber ietzo von solchen Ausfuͤhrungen, wo- bey sich keine Hinderniß findet. Auch hierbey ist nun zwar an dem, daß der menschliche Ver- stand die kleinsten Umstaͤnde nicht uͤbersehen kan, welche daher erst bey der Ausfuͤhrung von Zeit zu Zeit muͤssen supplirt werden woraus eine vollstaͤndigere Erzehlung der Sache zu fol- gen scheinet, als man in dem Anschlage findet. Alle dergleichen Umstaͤnde, die man vorher nicht uͤbersehen kan, werden auch bey der Erzehlung der geschehenen Dinge wiederum ausgelassen (§. 3. C. 6.). Und also bleibt die Regel an sich rich- tig: v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. tig: Die Erzehlung der Ausfuͤhrung eines Anschlages, wenn keine Hindernisse dar- zwischen kommen, ist mit dem Anschlage ei- nerley. Jn der Application auf unsere Anschlaͤge leydet sie allemahl ihren Abfall, weilen, wenn auch gleich keine eigentlichen Hindernissen vorfielen, son- dern alles bis zur Ausfuͤhrung in statu quo blie- be, wie es beym Anschlage gewesen. Denn so 1. finden wir doch bey der Ausfuͤhrung immer et- was anders, als wir uns vorher eingebildet: Wie man bey seinem Ruͤstzeuge immer supponirt, daß es im guten Stande seyn sollen, welches sich bey dem Gebrauche desselben oͤffters anders findet; auch seine Leute sich oͤffters abgerichteter einbildet als sie sind. 2. Darzu kommt, daß wir manches auch nicht uͤbersehen, was doch zu uͤbersehen waͤre moͤglich gewesen. Setzen wir diese Umstaͤnde bey Seite, so werden wir in Exempeln, als bey Festins am Hofe, und also in der Erfahrung selbst finden, daß die Erzehlung der Geschichte, wie sie vorge- gangen, mit dem Anschlage einerley laute. Es gehoͤret aber eine besondere Faͤhigkeit und Lust der Seele darzu, bey einem Anschlage in alle kleine Umstaͤnde sich einzulassen, und den Anschlag, der Erzehlung von der Ausfuͤhrung selbst, in voraus so aͤhnlich zu machen, als moͤglich ist. Man muß diese Fertigkeit an Sachen erlernen, die schon wuͤrcklich vorhanden sind, daß man dabey alles aufs genaueste beobachtet, was beobachtet werden kan. So wird man sich angewoͤhnen, auch Sachen, die man angiebt, und ordiniret, mit eben solcher Umstaͤndlichkeit sich vorzustellen, und P 5 die Achtes Capitel, die Fertigkeit erlangen, welche man Frantzoͤsisch, l’esprit de detail nennet. §. 23. Alle Anschlaͤge finden Hindernisse. Hingegen ist nun die Welt so eingerichtet, und der Hoͤchste hat es so geordnet, daß die Anschlaͤge der Menschen bestaͤndig ihre Hindernisse finden. Denn theils aͤussert sich 1. Unvermoͤgen, die Sa- che auszufuͤhren; wie es oͤffters an Gelde, an Leu- ten, an geschickten Helffern und Werckzeugen feh- let. 2. Theils machen andere Menschen, nach ihrer Einsicht, und nach ihrem Vortheil bald ge- rechte, bald ungerechte Gegenanschlaͤge, die den unsrigen zuwider sind, und mit ihnen nicht beste- hen koͤnnen, woraus der Widerstand erfolget. 3. Theils kommen auch Faͤlle darzwischen, und aͤussern sich waͤhrender Ausfuͤhrung, die, so natuͤr- lich sie auch sind, dennoch unmoͤglich haben koͤnnen voraus gesehen werden: als das Absterben sol- cher Personen, auf die wir Rechnung gemacht ha- ben: Veraͤnderungen des Zustandes solcher Perso- nen, die ebenfalls in unsern Anschlag mit gekom- men sind. Die Himmelsbegebenheiten, wel- che den Zustand der Menschen, durch Fluthen, Winde, Stuͤrme, Hagel, Mißwachs, und auf andere Arten aͤndern, haben in die Ausfuͤhrung un- serer Anschlaͤge den groͤsten Einfluß. Denn alle diese Begebenheiten koͤnnen zu Hindernissen wer- den, welche die Ausfuͤhrung unseres Anschlages in feinen Theilen, aufhalten, beschwehrlich, ja oͤffters unmoͤglich machen. Boͤse Anschlaͤge koͤn- nen v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. nen ihrer Natur nach fast nicht anders als Hinder- nisse finden; weilen dadurch iemand beleidiget wird, der also natuͤrlicher Weise Gegenanstalten darwider machen wird. Weil nun solchem Wider- stande in Zeiten vorzukommen, widerrechtliche An- schlaͤge, heimlich und mit vieler Verstellung tra- ctirt werden muͤssen: so entstehet daraus eine beson- dere Gattung von Anschlaͤgen und Thaten, wel- che man Jntriguen nennet, deren groͤste Kunst, oder besonders Wesen, in der Verstellung und in dem Geheimnisse bestehet: da bey andern An- schlaͤgen die Kunst in Erwehlung der Mittel be- stehet, die zu unserer Absicht, und deren Erhaltung dienlich sind. §. 24. Hindernisse machen, daß die Ausfuͤhrung vom Anschlage abgehet. Jedes Hinderniß fuͤhret uns von der Ausfuͤh- rung unseres Anfchlages, wenigstens etwas, ab. Wir muͤssen die Zeit und einen Theil unserer Kraͤffte, zu Hebung der Hindernisse anwenden, da unter- dessen ein Stuͤck unseres Anschlages haͤtte koͤnnen ausgefuͤhret werden. Man vergleicht sie daher widrigen Winden, wodurch ein Schiff offen- bar in seinem Lauffe aufgehalten wird. Ja das Hinderniß kan so gewiß werden, daß die gantze Ausfuͤhrung unmoͤglich gemacht wird. Der Ade- ptus faͤnget seinen Proceß, den er sich ersonnen hat, den lapidem hervorzubringen, an; er bewerckstel- liget ein Stuͤck nach dem andern mit der groͤsten ac- curatesse: aber zum Ungluͤck zerspringt ihm sein Gefaͤsse Achtes Capitel, Gefaͤsse uͤber dem Feuer; der Dampf faͤllet ihm auf der Brust, und verursacht eine verzehrende Kranck- heit, die ihm das Aufstehen vom Bette verbietet: an statt den lapidem hervorzubringen, ist ihm nichts mehr uͤbrig, als sein Kranckenbette zu huͤten, und auf demselben entweder seinen eitlen Anschlag zu be- reuen, oder das Mißrathen eines so vortheilhaffti- gen Unternehmens zu bejammern. Der Anschlag jeder Schiffarth wird auf grossen Gewinst und Reichthum gemacht: ein Sturm aber, ein Stoß an eine Klippe, ein Ritz im Schiffe, den man nicht in Zeiten bemercket hat, verwandelt die Hoffnung in Armuth und Elend. So werden die Anschlaͤge der Menschen oͤffters zu nichte, und wenn sie un- gerecht, oder zu trotzig unternommen werden, zur Schande und Thorheit: da unterdessen selbst diejenigen Anschlaͤge, welche wuͤrcklich ausgefuͤhret werden, wenigstens durch viele Hindernisse durch- dringen muͤssen. Wir koͤnnen in der Theorie der Anschlaͤge thun, als wenn Ausfuͤhrung und Hin- dernisse zusammen gehoͤrten. §. 25. Die Theile der Ausfuͤhrung hangen nicht so, wie die Theile des Anschlages, zusammen. Die Ausfuͤhrung einer weitlaͤufftigen That oder Anschlags wird daher nicht anders begreifflich, als durch diese zwey Stuͤcke, 1) Daß man den Theil des Anschlags wisse, der ausgefuͤhret werden soll, 2) und das Hinderniß, welches sich geaͤusert, und daher, uͤberwunden, aus dem Wege geraͤu- met; oder wo es moͤglich, gar vermieden werden muß. v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. muß. Die Stuͤcke der Ausfuͤhrung eines Anschlags koͤnnen daher nicht unmittelbar aus einander herge- leitet werden, wie etwa die Theile des Anschlags, sondern es muͤssen die Hindernisse, die Stuͤckweise und bey jedem Schritte sich aͤussern, immer dar- zwischen gesetzet werden. Der Krieg ist das klaͤr- ste, und groͤste Exempel, wobey die Beschaffenheit der menschlichen Anschlaͤge, wie solche bey der Aus- fuͤhrung, durch die Hindernisse, eine gantz andere Gestalt bekommen, am besten in die Augen leuchtet: Hier ist das bestaͤndige Hinderniß gleich anfangs gewiß, wenn man sich nicht von seinem Gluͤcke blenden laͤsset, daß man seinen Feind vor nichts ach- tet: denn man weiß ja, daß man einen Feind vor sich hat, dessen Anschlag dem unsrigen gerade ent- gegen stehet, und davon die Ausfuͤhrung jedes Theils, eine Hinderniß von unserm Anschlag wird. Ueberdieses widerstehet man einander mit moͤglich- sten Kraͤfften, da man andern Anschlaͤgen, die uns etwa auch nicht anstehen, nur in einer gewissen Maße widerstehet: bey dem Kriege aber, weil al- ler moͤglicher Schade gedrohet wird, muß auch al- ler moͤglicher Widerstand gethan werden. §. 26. Schwierigkeit in den Geschichten, daß man immer auf viel Sachen zugleich sehen muß. Aus dieser Beschaffenheit nun der grossen An- schlaͤge und Thaten, daß nehmlich die Hinder- nisse so betraͤchtlich werden, als die Ausfuͤhrung des Anschlags selbst, (§. 25.) entstehet eine Haupt- schwierigkeit in der Erzehlung. Bey eintzeln und kleinen Achtes Capitel, kleinen Geschichten muß man schon in der Erzeh- lung von der innerlichen Beschaffenheit der Ge- schichte etwas abgehen, daß man Begebenheiten nach einander erzehlet, die doch zugleich vor- gegangen (§. 2. C. 6.). Beyn Anschlaͤgen aber, und deren Ausfuͤhrung, kommen solche Hindernis- se vor, die von gantz andern Personen, Orten, und aus der Frembde herruͤhren, und also noch ei- ne gantz andere Erkentniß erfordern: sie sind auch von sehr weitem Umfange, weil der Gegenanschlag, woraus das Hinderniß entstehet, eben so wichtig ist, als der Anschlag selbst. Dahero muß in der Erzehlung, bald ein Stuͤck des Anschlags und des- sen angefangene Ausfuͤhrung vorgetragen, bald ein Stuͤck des Gegenanschlages eingeschaltet wer- den: wie bey jeder Erzehlung einer Campagne zu ersehen ist. Daraus entstehet denn eine Sorge we- gen der Ordnung der Erzehlung, welches von so vielen Dingen, die zugleich geschehen, zuerst er- zehlt werden solle? Jedoch, weil davon die Wahr- heit der Geschichte nicht abhanget, auf welche wir in dieser Abhandlung lediglich sehen, sondern nur die angenehmere Vorstellung und das Ver- gnuͤgen der Hoͤrer und Leser, wovor zu sorgen der Redekunst ihr Werck ist, so sehen wir dieses als ein Stuͤck der Oratorie an: Zumahl da ein Ha uptstuͤck der Beredsamkeit darinne bestehet, daß man eine Geschichte natuͤrlich und lebhafft zu er- zehlen weiß: Die Wahrheit der Geschichte aber bleibt unbeschaͤdigt, und unverletzt, wenn sie auch gleich rauh, und mit einer Einfalt vorgetragen wird, wodurch zaͤrtliche Ohren bey nahe beleidigt wer- v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. werden. Die Gesta Dei per Francos sind in Ansehung der historischen Wahrheit eben so hoch zu schaͤtzen, als der Liuius, Cæsar und Tacitus. §. 27. Aus Anschlaͤgen entstehen offt gantz unver- muthete Umstaͤnde. Wenn man einen Anschlag auszufuͤhren an- gefangen hat, so hat man bey sich aͤussernden Schwierigkeiten und Hindernissen nicht allemahl freye Hand das Geschaͤffte abzubrechen, und den Anschlag sogleich fahren zu lassen; sondern man ist darein verwickelt. Denn theils wuͤrde man Schaden davon haben, an statt des gehofften Nu- tzens, wie bey allen Sachen, deren Ausfuͤhrung gleich im Anfange Unkosten erfordert; als bey dem Bergbau, bey der Handlung, bey Anlegung ei- nes Gartens: Theils erfordert die Ehre, den An- schlag, obgleich dessen reussite nicht abzusehen ist, wenigstens noch eine Zeitlang fortzusetzen, bis sich etwa Umstaͤnde aͤussern, welche eine scheinbare Ursache an die Hand geben, davon abzustehen: Theils lassen uns andere, die sich mit uns verbun- den, oder auch, die uns widerstehen, nicht zur Ruhe kommen. Welches letztere bey ungerechten Unternehmungen natuͤrlicher Weise erfolgen muß, weil auch eine nur angefangene Beleidigung eine Beleidigung ist, und zu Verlangung einer Satis- faction, und Sicherheit aufs kuͤnfftige Ursach an die Hand giebt; woferne nicht etwa ein solch Vornehmen mit Großmuth, und Gelassenheit uͤbersehen wird. Jngleichen ist man oͤffters, durch Achtes Capitel, durch die nur angefangene Unternehmung in gantz andere aͤusserliche Umstaͤnde gesetzet, aus wel- chen man in die vorigen nicht so leichte zuruͤck kom- men kan. Caͤsar, so lange er nicht uͤber den Rubi- con gegangen, konnte Friede und Krieg erwehlen, sobald er aber mit seinen Truppen uͤber diesen klei- nen Fluß gesetzt hatte, so war der Krieg gegen sein Vaterland declarirt. Wer einmahl zu Schiffe gegangen, und nicht Herr des Schiffes ist, kan nicht wieder von der Schiffarth abkommen: Nie- mand fuͤhret ihn zuruͤck, und an eine barbarische Kuͤste, will man nicht ans Land gesetzt seyn. So entstehet aus einem einmahl angefangenen Unter- nehmen nicht allein die Nothwendigkeit dabey auszuhalten, sondern auch die Nothwendigkeit sich in andere Geschaͤffte einzulassen, an die man bey der Entschluͤssung nicht gedacht hat, ja nicht einmahl hat dencken koͤnnen. Denn wer will alle moͤgliche Hindernisse und Faͤlle uͤbersehen? §. 28. Wie ein Anschlag und Geschaͤffte zu einem andern Geschaͤffte wird. Wenn wir durch Ausfuͤhrung eines Anschlags in ein Geschaͤffte verwickelt werden, welches wir dennoch treiben muͤsten, wenn wir auch gleich den Anschlag wollten fahren lassen, oder die Ausfuͤh- rung desselben, nicht einmahl mehr moͤglich ist: So aͤndert sich die Gestalt des Anschlages und des Geschaͤffts: Weil wir nunmehro gantz andere An- schlaͤge machen muͤssen: Oder es wird eigentlich gar, ein anderes Geschaͤffte daraus. Wie offte v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. offte ist es geschehen, daß da man ein Haus hat repariren wollen, und weil dadurch gantze Waͤnde eingefallen sind, des man sich nicht versehen, ge- noͤthiget worden ist, das gantze Haus von Grund auf zu bauen? Meistens wenn man ein Mit- glied einer Gesellschafft angreifft, geraͤth man daruͤber mit der gantzen Gesellschafft, oder dem gantzen Corpore in Streit, welches der Sache nothwendig ein gantz anderes Ansehen giebt. Die- jenigen, welche man zu Huͤlffe geruffen, werden oͤffters die Hauptfeinde, und das Mittel, welches man wider das Uebel brauchen wollen, wird schlimmer und gefaͤhrlicher als das Uebel selbst war. Der General Usanke ruffte die Tartarn, wider den Rebellen Ly zu Huͤlffe, den Todt seines Kaysers zu raͤchen: Aber nachdem diese einmahl, als Huͤlffsvoͤlcker, auf Chinesischen Boden getre- ten, richteten sie mehr Ungluͤck an, als alles, was bisher vorgegangen war: Und der Anschlag den Todt des rechtmaͤßigen Kaysers zu raͤchen, ver- wandelte sich bald in den Anschlag der Erobe- rung dieses Reichs, die auch wuͤrcklich erfolgt ist. §. 29. Was verwirrte Haͤndel sind? Wenn die Gestalt der Geschaͤffte sich oͤffters veraͤndert, so daß uͤber der Ausfuͤhrung eines An- schlags immer andere Geschaͤffte entstehen, so sagt man: Die Sachen gehen unter einander : Man nennt es verwirrte Haͤndel : Derglei- chen z. E. nach Caͤsars Ermordung entstunden. Antonius wollte Caͤsars Todt raͤchen: Daraus Q entstun- Achtes Capitel, entstunde nothwendigerweise Widerstand. Die Vereinigung des Augustus mit dem Antonio, wel- ches auf seiner Seite, ohne Zweifel eine gantz an- dere Absicht hatte, gabe der Sache ein gantz an- deres Ansehen, indem daraus das Triumvirat ent- stand, wobey kein Mensch mehr an die Rache des Caͤsarianischen Mords dachte, sondern jeder da- von nur auf seine Erhaltung, oder gar Unterdruͤ- ckung seiner zwey Mitregenten sein Absehen richte- te. Das schlimmste ist, daß bey verwirrten Haͤn- deln, keiner von denen, die hinein geflochten wer- den, wissen kan, wie er seine Mesures nehmen soll: Da man, so lange nur ein Anschlag vorhanden ist, leichte absehen kan, ob man sich damit einlas- sen koͤnne oder nicht? Auch, wo ein Gegenan- schlag ist, kan man auch wohl leichter sich resolviren, welchem von beyden Anschlaͤgen man favorisiren will? Wenn aber die Gestalt der Affairen sich oͤffters aͤndert, so wird man in Dinge geflochten, wobey man nicht seyn will, und hat doch selten die Freyheit abzugehen (§. 27.), daraus entstehet denn, daß man sich sucht loß zu reissen: Welches aus Freunden Feinde machte, so daß endlich kei- ner dem andern mehr trauet: Und niemand wei- ter weiß, an wen er sich halten soll. §. 30. Sind die vornehmste Art von Geschichten. Solche verwirrte Haͤndel aber, sind eben diejenigen Geschichte, welche vor allen andern die meiste Aufmercksamkeit der Geschichtsliebhaber an sich ziehen, und daher vorzuͤglich Geschichte ge- nennet v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. nennet werden, dergestalt, daß wenn iemand eine Geschichte will erzehlt haben; er in der That kei- ne andere als eine von dieser Art verstehet. Denn 1. sind solche verwirrte Haͤndel meistens der Weg und Mittel, wodurch grosse, und dauerhaff- te Dinge in der Welt zur Wuͤrcklichkeit gebracht werden. Die Verwirrungen nach Caͤsars Tode brachten die Monarchische Regierung zu Rom zu Stande, die nachher bestaͤndig fortgedauret hat. Der dreysigjaͤhrige Krieg hat den Westphaͤlischen Frieden nach sich gezogen, dessen sich unser Vater- land noch ietzo zu erfreuen hat. Selbst eintzel- ner Menschen ihre Wege hat Gott so eingerich- tet, daß ehe sie, wie man zu reden pfleget, zur Ru- he kommen, und ihr Gluͤck machen, in mancher Verwirrung ihrer Umstaͤnde eine Zeitlang schwe- ben muͤssen. 2. Ruhige Zeiten sind vor Geschich- te ein mager Land, verwirrte Haͤndel geben zu Er- zehlungen hingegen den besten Stoff: Denn sie geben der Einbildungskrafft der Menschen eine an- genehme Beschaͤfftigung, daß jeder sich bloß durch Lesen und Anhoͤren dabey intereßirt. Weil aber verwirrte Haͤndel die beste Waare vor Liebhaber der Geschichte sind; so sind sie es auch vor einen Geschichtsschreiber, der sein Talent zeigen will. Denn da haͤuffen sich die (§. 26.) angefuͤhrten Schwierigkeiten, wie nehmlich die Stuͤcke zu ord- nen sind, da viele Dinge, die zu gleicher Zeit, bey denen verschiedenen Jnteressenten zu einer Zeit vorgegangen, doch nach einander muͤssen erzehlt werden. Q 2 §. 31. Achtes Capitel, §. 31. Anfang einer verwirrten Geschichte. Um nun den Zusammenhang der verworre- nen Begebenheiten, und grossen Begebenheiten, uͤberhaupt deutlich zu erklaͤren, so haben wir zu- foͤrderst die Gelegenheit, als den allerersten Theil bemerckt. Jhr Anfang ist das Zweyte, was wir zu bestimmen haben. Denn daruͤber kan ernst- lich gestritten werden, wo sich die Unruhen an- fangen; weil nehmlich davon die Entscheidung abhanget, wer am meisten an den erfolgten Trou- blen Schuld sey. Wir haben ein klares Exem- pel von solcher Streitigkeit an den Westphaͤlischen Friedenstractaten, da man kayserlicher Seits, den Anfang ins Jahr 1624, oder gar erst 1629. setzen wollte, Schwedischer Seits eifrigst auf dem Jah- re 1618. bestanden wurde: Welche Disputation manchen Auffenthalt in den Tractaten gemacht hat. Um hiervon nun deutlich zu reden, muͤssen wir uns auf das beziehen, was wir Cap. 3. von dem moralischen Wesen gelehret haben; als wo- hin ein Anschlag, der zur Ausfuͤhrung mit gluͤck- lichen oder ungluͤcklichen Erfolg gebracht wird, al- lerdings gehoͤret (§. 4. C. 3.) den Anfang dieser Dinge aber haben wir darinnen gesetzt, daß sie, durch sichtbare und handgreiffliche Aeusserungen sichtbar werden (§. 5. C. 3.): Wir muͤssen also den Anfang eines Anschlags, oder vielmehr sei- ner Ausfuͤhrung, in solchen Handlungen setzen, woraus man den gefaßten Anschlag, ohne Zwey- deutigkeit erkennen oder schliessen kan. Diese Hand- lungen v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. lungen koͤnnen in Worten, oder auch in Wer- cken bestehen. Die Worte sind das deutlichstr Merckmal: Die Vorstellung, welche in gewissen Faͤllen freylich vorkommen kan, bey Seite gesetzet. Jn Ansehung aber der Wercke dencken wir so: Wenn iemand etwas vornimmt, welches nicht sein Amt, nicht die Gesetze, noch eine andere gegen- waͤrtige Nothwendigkeit erfordert; aber wohl den Anfang zu Ausfuͤhrung eines gewissen Desseins ab- geben kan, so nehmen wir die That vor ein Zeichen des gefaßten Desseins, und zwar mit gutem Grunde an. Es giebt uns wenigstens Gelegenheit, nach der eigentlichen Ursache des Unternehmens genauer zu forschen, und zu fragen: Da denn die Deutlich- keit der Antwort, oder im Gegentheil, die Difficul- tirung derselben, oder daß sie auf Schrauben gesetzt worden, oder gar eine ungeschickte Ursach angiebt, uns noch zu mehreren Nachforschen bewegen, und darzu Anleitung geben wird. §. 32. Vom Anfange der Gewaltthaͤtigkeiten. Bey Gewaltthaͤtigkeiten, und Kriegen, wird der Anfang mit Recht in der ersten Gewalt- thaͤtigkeit gesetzet. Denn obgleich gemeiniglich vor dem Ausschlagen, Wortwechsel, und vor diesem, Uneinigkeit vorher gehet, so sind doch solche mehr vor die Gelegenheit, als vor den wuͤrck- lichen Anfang der Gewaltthaͤtigkeiten anzusehen, die hernach die Ursach von allen nachfolgenden Thaͤtlichkeiten sind. Nehmlich von dem Streite mit Worten, bis zum Streite mit Thaten ist ein grosser Sprung, den man, wenn der Ver- Q 3 nunfft Achtes Capitel, nunfft Gehoͤr gegeben wird, zu thun sich lange be- sinnet; der aber bey der Hitze der Menschen, die Zorn und Gewinnsucht blendet, gar zu bald ge- than wird. Dieser Sprung ist fast allemahl mehr vor einen Ungluͤcksfall anzusehen, als vor eine Begebenheit, die sich aus vernuͤnfftigen Ur- sachen herleiten liesse. Zum Anfange der Ge- waltthaͤtigkeiten koͤnnen daher nicht wohl Worte angenommen werden, sondern es muß selbst eine Gewaltthaͤtigkeit seyn. Wenigstens ist das eine haupt- und wesentliche Veraͤnderung des Geschaͤffts, wenn es von Worten zur Thaͤtlichkeit kommt, und ist mehr ein neues Geschaͤffte (§. 28.). So lan- ge als man nur mit Worten gegen einander strei- tet, kan ein eintziger froͤlicher Gedancke, der den Eigennutz mindert; ein gluͤcklicher Gedancke, der die streitige Sache in ein klares Licht setzet; jeder Zufall, der eine von beyden Partheyen auf was anders mehr ziehet, die Uneinigkeit aufhe- ben: So daß sie so wenig Schaden nach sich zie- het, als wenn man nie mit einander gestritten haͤtte; aber die Thaͤtlichkeit, hebt gleich alles freundschafftliche Commercium auf, und der Re- gressus zum Streite bloß mit Worten, ist uͤberaus schwer zu finden: Sondern eine Verwirrung folgt aus der andern, an statt der blossen Prætension, wird nun auch Satisfaction gefordert: Wel- ches viel schwerer als das erste, aus vernuͤnfftigen Gruͤnden auszumachen ist. Nach diesem Princi- pio, daß der Anfang der Unruhen und Kriege in einer Thaͤtlichkeit zu suchen und zu setzen sey, hat man bestaͤndig den Anfang des dreyßigjaͤhri- gen v. d. Zusamwenhange d. Begebenh. ꝛc. gen Krieges, ins Jahr 1618. gesetzt, weil da im Schlosse zu Prag, die erste Gewaltthaͤtigkeit vor- gegangen, die nothwendig Bestraffung nach sich ziehen muͤssen; aber auch durch Veraͤnderung der Umstaͤnde bey Absterben des damahls regieren- den Kaysers und Boͤhmischen Koͤniges Matthias, eine weit laͤngere Reyhe von Unruhen und Ver- stoͤrungen nach sich gezogen hat. §. 33. Theile einer Erzehlung, die auf die Gelegenheit und den Anfang derselben folgen. So wie unvermuthete Hindernisse die Aus- fuͤhrung eines Anschlags, aufzuhalten, schwer zu machen, oder gar zu vereiteln pflegen: Also geschie- het es auch im Gegentheil, daß iezuweilen, Zufaͤlle die Ausfuͤhrung des Anschlags befoͤrdern und beschleinigen. Die Roͤmer wuͤrden in ihrer Er- oberung Asiens und Africa nicht so gar geschwind fertig geworden seyn, wenn nicht in allen diesen Laͤndern innerliche Unruhen gewesen waͤren, die ihnen theils Befugniß gaben, sich in fremde Sa- chen zu mischen, theils auch die Griechen, die Egy- ptier und andere Voͤlcker ausser Stand setzten, sich dem gemeinen Feinde zu widersetzen. Solche Zu- faͤlle, die die Ausfuͤhrung des Anschlags befoͤrdern, nennet nun der, der den Anschlag gemacht, Gluͤcksfaͤlle, der Gegentheil aber kan sie nicht anders als vor Ungluͤcksfaͤlle ansehen. Wenn daher die Ausfuͤhrung eines Anschlags einmahl angefangen ist, so bestehet der Fortgang der Ge- schichte nicht allein aus Erfuͤllung der Theile Q 4 des Achtes Capitel, des Anschlages, und des Gegenanschlages; son- dern auch aus abwechselnden Zufaͤllen, die die Ausfuͤhrung bald aufhalten, bald aber befoͤr- dern. Worbey jedes Stuͤck des Anschlags, das zu Stande gebracht worden, einen Abschnitt der Erzehlung oder Geschichte ausmacht, bis die Er- fuͤllung des Anschlags, oder des letzten Theil des Anschlags erfolgt, welches das Ende der Geschichte, oder der Erzehlung von einer grossen Ausfuͤhrung ausmacht. §. 34. Der Ausgang der Geschichte wird oͤffters das Hauptwerck. Wenn ein Anschlag aber bey der Ausfuͤhrung, durch Hindernisse und Widerstand vereitelt wird, oder auch waͤhrender Ausfuͤhrung durch die Zu- faͤlle, ein wichtigeres Geschaͤffte daraus entstehet, so wird in der Erzehlung mehr auf das letztere als auf das erstere, gesehen: Dergestalt daß die gantze Geschichte, nicht sowohl von dem Anschla- ge, als von dem Ausgange, den Nahmen be- kommt. Also wird man die Schwedischen Troubeln im 16 Seculo nicht sowohl von dem Einfalle des Christierns, als von des Gustavs Gelangung zur Crone, und der unter ihm veraͤnderten Regie- rungsforme benennen. Die Unruhen nach des Caͤsars Tode werden einigermassen durch ihren Ausgang verdunckelt, nehmlich daß durch den Augustus die monarchische Regierung feste gestellet worden, daran nach Caͤsars Tode, bey der ersten Unruhen nicht mehr gedacht worden, sondern jeder bildete sich vielmehr ein, die Freyheit voͤllig wieder hergestellet zu se- hen. v d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. hen. Carl des ersten, Koͤnigs in Engelland Hin- richtung, und die Vsurpation des Cronwells ver- dunckeln die Anschlaͤge, die zu so grossen Revolu- tionen Gelegenheit gegeben. Alle diese Unruhen werden einen gantz andern Nahmen haben, wenn sie nach den Anfangs gemachten Anschlaͤgen ihren Fortgang gehabt, und nicht durch unvermutheten Widerstand, und andere Zufaͤlle, in gantz andere Geschichte waͤren verwandelt worden. Man wuͤrde von der wiederhergestellten Freyheit in Rom; von der Vereinigung der Schwedischen Krone mit der Daͤnischen; von der eingefuͤhrten Souverainite in Engelland, und wieder eingefuͤhrten Roͤmischca- tholischen Religion, in den Geschichten lesen, da sol- ches alles nunmehr unbekannte Tittel sind. §. 35. Warum uns die Ursachen der Begebenheiten unbekannt sind. Wir wissen nunmehro, wie die Stuͤcke einer Geschichte an einander hangen, und aus ein- ander zu erfolgen pflegen: Und die natuͤrliche Vorstellung der Geschichten erfordert, daß der Zuschauer die Begebenheiten, welche die Geschich- te ausmachen, in eben der Ordnung auf einander erfolgen sehe, als wie sie in dem Verlauffe der Dinge wuͤrcklich auf einander, und aus einander, erfolgen: Woraus hernach die natuͤrliche Ord- nung in der Erzehlung, und in denen davon zu ertheilenden Nachrichten von selbst gar leichte er- folgen wird, bis etwa auf die (§. 26. 30.) ange- fuͤhrte Schwierigkeit. Wenn man die Geschich- te auf solche Art erkennet, so wird uns auch die Q 5 Erkent- Achtes Capitel, Erkentniß der Ursachen, meistens keine grosse Schwierigkeit machen, als wovon wir sogar die Regeln wissen (§. 4. 5. 13. 14. 15. 16.). Allein es kommen bey Erkentniß der Geschichte, selbst bey denen, dabey wir gegenwaͤrtig sind, folgende zwey Faͤlle und Umstaͤnde gar oͤffters vor: 1. Daß man zu einer Sache und Begebenheit kommt, davon man das Vorhergegangene nicht gesehen hat; auch niemand vorhanden ist, der uns von dem Verlauffe der Sachen, wobey wir nicht zugegen gewesen, oder wie man sagt, die vor unserer Zeit geschehen, umstaͤndlich belehrete. Denn wenn ein solcher Belehrer vorhanden ist, welcher uns von allem, was zun Ursachen des gegen- waͤrtigen Geschaͤfftes gehoͤret, schicklich unterrich- tet, so ist es, wenigstens vor einen faͤhigen Kopf, eben so gut, als wenn er selbst dabey gewesen waͤre. 2. Daß wir zwar bey den Vorhergegangenen gegenwaͤrtig gewesen sind, aber die Anstalten zur ietzigen Begebenheit, und die die Ursach, oder Ge- legenheit darzu sind, nicht bemerckt haben: Weil sie entweder ihrer Verborgenheit wegen, nicht haben bemerckt werden koͤnnen; oder weil wir eben nicht auf dieselben Umstaͤnde achtung gegeben haben. Also empfindet ein Mensch offt ploͤtzlich eine Kranck- heit, oder Schmertzen: Die Anstalten darzu sind ohne Zweifel vorher im Leibe nach und nach ent- standen: Aber sie waren allzu verborgen, als daß man sie haͤtte wahrnehmen koͤnnen: Jn manchen Faͤllen aber haͤtte man sie wohl bemercken koͤnnen, wenn man nur mit Medicinischen Principiis ver- sehen gewesen waͤre. Gemeiniglich aber kennet man v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. man seinen Coͤrper nicht, als in soferne man ihn siehet, und durch Schmertzen und Eckel fuͤhlet. So finden Menschen Abgang an ihren Vermoͤ- gen, und wissen die Ursachen nicht, ob sie gleich hauptsaͤchtlich bey ihrem Haußwesen, als gegen- waͤrtig anzusehen sind. So bricht auch in Rei- chen offt eine Conspiration und Rebellion aus, oder ist wenigstens dem Ausbruche nahe kommen, ohne daß iemand der an der Regierung Theil hat, etwas davon inne geworden ist: §. 36. Die Untersuchung der Ursachen einer Begebenheit ist schwer in Regeln zu bringen. Jn diesen beyden Faͤllen, da man zu einer Begebenheit kommt, ohne das Vorhergegangene, welches in das Gegenwaͤrtige einschlaͤgt, gese- hen, oder bemerckt zu haben, entstehet nun eine Un- tersuchung der Ursachen der Begebenheit: Welches eine der schwersten, und verwickelsten Handlungen unseres Verstandes, und unserer Seele ist. Was nur bey bloß coͤrperlichen Begebenheiten, vor Schwierigkeiten vorkommen, wenn man die Ursachen ausfuͤndig machen will, das haben wir in den vernuͤnfftigen Gedan- cken, vom Wahrscheinlichen, und dessen ge- faͤhrlichen Mißbrauche. V. Betracht. all- bereits erklaͤret, worauf wir uns, beliebter Kuͤrtze halber, nun beziehen. Jetzo sehen wir hauptsaͤch- lich auf die Begebenheiten, die von menschlichen Willen und Anstalten abhangen; bey welchen zwar bloß coͤrperliche Begebenheiten auch gar sehr einschla- Achtes Capitel, einschlagen koͤnnen, wie schon Claudianus sich ausdruͤckt? O nimium dilecte Deo, cui militat aether: Wobey aber doch der Menschen Anschlag das Hauptwerck bleibt. Hierbey dencken die Menschen nun so verschieden, daß es kaum moͤglich zu seyn schei- net, etwas ordentliches und regelmaͤßiges davon sagen zu koͤnnen: Doch wollen wir uns bemuͤhen, Regeln ausfuͤndig zu machen, nach welchen die Menschen, wo nicht allemahl die Ursachen selbst finden, doch wenigstens sich in ihren widersprechen- den Urtheilen, einander bedeuten und leichter vereinigen koͤnnen. Wir muͤssen aber zufoͤrderst zwey Faͤlle unterscheiden. Der erste ist, wo wir die vorhergegangenen zur Sache gehoͤrenden Um- staͤnde erfragen, oder gar wissen koͤnnen; denn da kommt es hernach nur darauf an, wornach wir fragen, oder worauf wir sehen sollen? Der zweyte Fall ist: Wo wir die vorhergegangenen Umstaͤnde nicht wissen, und auch nicht erfragen koͤnnen, so daß wir sie lediglich aus den gegen- waͤrtigen muthmassen, errathen, und schluͤs- sen muͤssen. Der letzte Fall ist der schwehrste; und man wird davon fast gar nichts tuͤchtiges lehren koͤn- nen, wenn wir nicht vorher den erstern in mehrers Licht gesetzet haben. §. 37. Von der Erfindung der Ursachen, wenn uns das Vorhergegangene bekannt ist. Wenn wir das Vorhergegangene wissen, (oh- ne doch zur Zeit seinen Einfluß in das gegenwaͤrtige Geschaͤffte v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. Geschaͤffte bemerckt zu haben) oder es wenigstens erkundigen koͤnnen, und daraus die Ursach finden wollen, so muß die allgemeine Theorie der Ursa- chen einer Begebenheit, das Licht seyn, welches uns die Ursach der vorhabenden Begebenheit entde- cken muß: nehmlich sie muß uns zeigen, auf was vor Umstaͤnde und vorhergegangene Begebenheiten wir zu sehen haben, um sie aus ihren Gruͤnden ein- zusehen. Wir muͤssen Eintheilungen der mensch- lichen Begebenheiten haben, die aus dem verschie- denen Ursprunge derselben hergeleitet sind, da- mit wir abnehmen koͤnnen, zu welcher Art die ge- genwaͤrtige Begebenheit gehoͤre, und was wir da- bey weiter zu dencken haben, um hinter die Ursa- chen zu kommen. Denn bey eintzeln Dingen ist kein ander Mittel, hinter die Eigenschafften, die nicht von selbst in die Augen fallen, zu kommen, als daß man durch den allgemeinen Begriff, darunter die Sache, als unter ihrer Art, oder ih- rem Geschlecht enthalten ist, eine Einsicht in die Sache bekomme. Wir wollen also nach Anleitung der vorher schon fuͤrgegebenen Lehren folgende Re- geln setzen. §. 38. Handlungen, die mit einem Vergnuͤgen verknuͤpfft sind, koͤnnen verschiedene Ursachen haben. Wenn uns eine Handlung vorkommt, ent- weder eines einigen oder mehrerer vereinigten Men- schen, die ihrer Natur nach mit einer Lust verknuͤpft ist; und wir erfahren oder wissen, daß dieselben Personen, da sie auf weiter nichts gesehen, so ist in Achtes Capitel, in Ansehung der Ursache weiter kein Zweifel uͤbrig. (§. 4.) Allein es koͤnnen dergleichen Handlungen auch aus Absichten vorgenommen werden. Denn da Handlungen, die mit keiner Lust verknuͤpft sind, ja die so gar beschwehrlich sind, um der nuͤtzlichen, oder scheinbaren Folgen dennoch vorgenommen werden, ( n. 2. §. 3): warum sollte man nicht auch angenehme Handlungen, wenn sie nuͤtzliche Folgen noch darneben haben, um dieser Folgen willen, oder aus Absichten unternehmen koͤnnen. Der Unterscheid ist nur, daß alsdenn die Sache der Seele auf zweyerley Art angenehm ist, und also de- sto mehr erleichtert wird. Und so wird aus einer natuͤrlichen Handlung zugleich eine politische Handlung. Manchmahl siehet man bey angeneh- men Handlungen gar nicht auf das damit verknuͤpf- te Vergnuͤgen, sondern bloß auf die Absicht, die dadurch soll erhalten werden. Staatsmaͤnner thun vieles aus Absichten, was andere bloß zur Lust thun: Sie geben Gastmahle, oͤffters gar nicht zum Vergnuͤgen, sondern es nur an keinen aͤuserli- chen Zeichen der Freundschafft fehlen zu lassen: oder nur, weil es die Gewohnheit und Beschaffenheit ihres Standes erfordert: Sie nehmen Promena- den fuͤr, oͤffters nur, um nicht zu Hause zu seyn, gewissen Zuspruch, oder Concurrenz zu vermeiden; oder gewisse Entreuven, die nicht abgeredet schei- nen sollen, zu haben. Die gantze Sache kan also entweder nur Verstellung seyn, wenn man nach dem Vergnuͤgen gar nichts fragt: oder das Ver- gnuͤgen kan nur eine Nebenursach seyn. Folg- lich fuͤhret uns der allgemeine Begriff solcher Hand- lung v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. lung nicht unmittelbar auf die Ursach, sondern auf ein Dilemma: daß sie entweder die Lust, oder ei- ne Absicht zum Grunde habe. Denn muß nun untersucht werden, welches von beyden in dem vor- handenen Geschaͤffte statt finde. Hier ist nun frey- lich beschwehrlich, daß die Handlungen, wel- che man aus einem blossen Triebe und Lust zur Sa- che vornimmt, fast eben so aussehen, als wenn eben dieselben Handlungen aus einer Absicht vor- genommen werden: iedoch wenn man auf die klein- sten Umstaͤnde Achtung giebt, oder solche genau er- kundiget, so wird sich meist einiger Unterschied fin- den. Denn einerley Art der Handlung, wenn sie aus verschiedenen Triebfedern erfolgen, werden nicht auf einerley Art ausgefuͤhrt. Doch macht die Verstellung die Sache schwehr, den Unter- scheid zu bemercken. Daher ist schon bey dieser Art der Handlungen schwehr, die Ursachen untruͤg- lich zu erforschen, wenn man nicht intimæ admis- sionis ist. §. 39. Handlungen ohne Vergnuͤgen folgen grossen Theils aus unserm Amte und Stande. Wenn wir von einer Handlung, die nichts unge- buͤhrliches an sich hat, aber auch zum blossen Ver- gnuͤgen nicht pflegt vorgenommen zu werden, die Ursach finden wollen; so haben wir darauf zu den- cken: ob sie nicht ihrer Natur nach, zu einem ge- wissen Amte, Stande, Art von Menschen, oder bekannten Zustande der Menschen gehoͤre? und wenn uns dergleichen einfaͤllt, hernach zu erkundi- gen: ob sich nicht der Mensch, dessen Handlung wir Achtes Capitel, wir untersuchen, sich nicht in solchem Stande, oder Zustande, oder Amte wuͤrcklich befinde, oder befunden habe? Trifft es zu, daß eines von diesen ihm wuͤrcklich zukommt, so werden wir mit Endte- ckung der Ursache fertig seyn. Wir werden manch- mahl auf der Reise angehalten, oder von Perso- nen befragt. Wer sich nicht gleich bedeuten kan, fragt: wer es sey? der darnach fragt. Die An- fuͤhrung und Benennung des Amtes, das er hat, setzt die Sache gleich ausser Streit. Und derglei- chen Befrembdung und Ungewißheit zu vermei- den, werden solche Orte, wo Geleite, Zoͤlle zu entrichten sind, oder wo ein Paß ist, und Nach- frage gehalten werden soll, fuͤrstliche Wappen auf- gehangen, durch deren Anblick dergleichen Dispu- ten gleich vermieden werden. §. 40. Boͤse und harte Handlungen werden verschieden angesehen. Bey widerrechtlichen, harten und boͤsen Handlungen, ist hauptsachlich zu erkundigen, ob es das erste mahl ist, daß die Person dergleichen un- ternommen, oder aber, ob dergleichen schon meh- rere vorher gegangen sind. Jn dem letztern Fall werden wir leicht das Laster wahrnehmen, wor- aus dergleichen Thaten, als die vorhabende ist, zu fluͤssen pflegen: und wenn wir dieses einmahl wis- sen, daß es z. E. aus Rachgier, oder aus Geitz ꝛc. geschehen, so werden wir uns um die eintzeln Um- staͤnde der That nicht groß mehr bekuͤmmern, weil man so weiß, daß Laster leichte Gelegenheit finden, sich v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. sich wuͤrcksam zu erzeigen; und daß also da nur ge- meine Umstaͤnde zu supponiren sind. (§. 7.) Wenn aber iemand eine boͤse That zum ersten mahle unternimmt: so wird die Gelegenheit, und besonders wie er durch seine besondere Gedenckart dazu verleitet worden, (§. 17.) zu untersuchen seyn. Wenn ein Dieb schon mehrmahl in Ver- dacht einer solchen That, oder gar in Inquisition gewesen; so verlangt man, wenn er wieder ertappt wird, nicht die Ursache zu wissen; man begreifft sie von selbst. Wenn aber ein Achan sich, des stren- gen Verbots ungeachtet, zu einer Entwendung verleiten laͤsset, oder ein Gelippus, der, als ein La- cedemonier, keinen Gedancken nach Golde haben sollte, Betrug mit der Beute vornimmt, und ei- nen Theil davon vor sich behaͤlt, so ist ein jeder be- gierig zu wissen, wie ein solcher Mensch in ein solch Labyrinth gerathen sey. Wenn ein Tyrann, der durch vieles vergossenes Blut schon deswegen be- ruͤchtiget ist, abermahls einen Unschuldigen hin- richten laͤsset; so wird, wenn man dergleichen nur lieset, wie vom Nero, Claudius, Caligula, sich nicht mehr wundern, und also auch um die Ent- deckung der Ursachen unbekuͤmmert seyn. Wenn aber ein Constantin, seinen aͤltesten und tugend- hafften Printzen Crispus hinrichten laͤsset; so forscht jeder nach, wie eine solche That eigentlich zugegan- gen. Die Hinrichtung der Schottlaͤndischen Koͤ- nigin Maria wird noch immer von den Geschichts- schreibern mit bewundernden Augen angesehen, und einer will es immer mehr als der andere, sich und seinen Lesern begreifflich machen; weil diese Haͤr- R tigkeit Achtes Capitel, tigkeit mit der vorhergehenden Geschichte der Koͤni- gin Elisabeth nicht uͤbereinkommt. Ja man ist in solchen Faͤllen, wie die vorigen Thaten, mit de- nen, deren Ursachen man untersucht, gar nicht uͤbereinkommen, offt zweifelhafft, ob nicht zu ei- nem, auch sehr harten Verfahren, dennoch drin- gende Ursachen vorhanden gewesen sind? §. 41. Von den Ursachen bey Handlungen, die mit Ambt und Stande keine allgemeine Verbindung haben. Wenn iemand etwas unternimmt, welches aus dem allgemeinen Begriffe seines Ambtes, Standes, und kundbaren Umstaͤnde nicht kan verstanden werden, wo auch das etwa damit ver- knuͤpfte Vergnuͤgen (wegen der auf der andern Seite damit verknuͤpften Beschwehrlichkeiten) die Ursache allein nicht seyn kan: so muͤssen besondere Umstaͤnde, die nicht jedem in die Augen fallen, da- von die Ursache seyn: und die Handlung muß ent- weder der Anfang, Mittel oder Ende eines An- schlags seyn. (§. 21.) Man nimmt z. E. will- kuͤhrlich eine Reise fuͤr, ohne durch sein Ambt oder Stand darzu gedrungen zu seyn, sondern nur um die Welt zu sehen, diesen oder jenen zu sprechen, und den guten Wuͤrckungen einer haͤuffigen und starcken Motion theilhafftig zu werden. Wie be- schaͤfftigen sich nicht offt Leute damit, die Ursachen davon zu ergruͤnden, die doch die gantze Sache we- nig angehet, und denen es gleichguͤltig seyn kan, aus was vor Ursache solches auch geschehen mag. Grosser v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. Grosser Herrren auch an sich nicht wichtigen Unter- nehmungen, wird dennoch sehr nachgedacht, was sie vor Ursachen haben moͤgen, weil man bey ihnen zuforderst supponirt, daß sie hauptsaͤchlich selbst das- jenige, was Privat-Personen etwa zum blossen Ver- gnuͤgen thaͤten, dennoch mehr aus Absichten, als zum eigentlichen Vergnuͤgen thun. Hier wuͤrde nun zufoͤrderst zu untersuchen seyn: was die Hand- lung, deren Ursache wir untersuchen, ihrer Na- tur nach vor Folgen nach sich ziehen koͤnne? denn die Absicht ist nichts anders, als eine Folge, oder eine Menge von Folgen, welche man voraus siehet, und darnebst auch zu erhalten begehrt. Es sind aber die Folgen einer Handlung oder Bege- benheit von verschiedener Art. 1. Manchmahl ist die naͤchste Folge mit der vorigen so genau ver- knuͤpft, daß sie natuͤrlicher Weise nicht anders, als daraus erfolgen kan. Denn wenn z. E. ein Trupp mit Pferden und Wagen sich in eine Defilee einge- lassen, so muß ihre Jntention seyn, an den Ort hinzukommen, wo die Defilee sich endiget: denn das Lencken und Umkehren ist daselbst nicht practi- cable. 2. Zum Theil haben die Handlungen meh- rere moͤgliche Folgen, die sich aber dennoch noch in eine Zahl fassen und uͤbersehen lassen. Als wenn sich ein Weg in 2. oder 3. andere zertheilet, so kan ich zwar noch nicht wissen, wo die Menschen, wel- che auf der Hauptstrasse gehen, fahren oder reuten, sich hinschlagen werden; aber die Anzahl der Faͤlle ist doch noch zu uͤbersehen. Wer so grosse Reisen, wie nach Ostindien unternimmt, thut solches wohl aus Absichten, entweder zu handeln, R 2 oder Achtes Capitel, oder an der Kentniß des Erdbodens zuzunehmen, oder aus einer Art der Desperation, weil er sonsten nicht fortkommen kan. Manchmahl aber 3. koͤn- nen selbst der naͤchsten Folgen so viel seyn, daß sie in keine Zahl zu bringen sind; oder wenigstens nicht zu uͤbersehen sind. Jch sehe, z. E. daß iemand in eine oͤffentliche Bibliotheck gehet: ich vermuthe, daß er ein Buch oder etliche nachschlagen wolle: ich frage ihn selbst, ob er was suchen wolle? ich ver- nehme sein Ja! Nunmehro aber waͤre die Frage: Welches Buch er wohl zu sehen verlangt? Wer siehet nicht, daß da so viel Faͤlle moͤglich sind, als Buͤcher in der Bibliotheck vorhanden sind. Wiederum, gesetzt, er erhaͤlt das verlangte Buch, er schlaͤgt es auf, er sucht: man wollte bey sich selbst fragen: was sucht er? wie viel tausend Faͤlle sind moͤglich von Sa- chen, die er suchen kan? Vielleicht etwas, wovon er gar noch nicht weiß, ob es drinne stehet? wenn es drinne stehet, und er weiß es: so kan es ein gantz Capitel, ein Spruch, ein Wort, eine Con- struction, ein Exempel seyn, davon er einige Notitz hat, daß es darinne stehet, und es also finden will. Bey den letztern Faͤllen und deren Untersu- chung ist fast kein ander Mittel, als daß man die Person selbst um die Ursache oder Absicht frage; wie es ietzo unter den Europaͤischen Potentaten uͤblich ist, daß sie bey allen Unternehmungen, deren Ur- sache und Absicht sich nicht a priori einsehen laͤsset, einander um die Absicht befragen lassen: darauf denn freylich nicht allemahl eine categorische Ant- wort zu erwarten ist. Wenn durch diesen Canal des Befragens aber, hinter die eigentliche Be- schaffen- v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. schaffenheit und Absicht nicht zu kommen ist; so wer- den wir mit unserm blossen Nachdencken, meistens nicht weiter, als ins wahrscheinliche kommen. Eigentlich aber gehoͤrt diese Materie zu der Ein- sicht ins Zukuͤnfftige. §. 42. Vergleichung des historischen Zusammenhangs mit der Verbindung allgemeiner Wahr- heiten. Wenn man nun den Zusammenhang der Ge- schichte und der Erzehlungen uͤberhaupt betrachtet, und nach den Regeln der Vernunfftlehre beleuchtet; so haben wir noch mehrere Anmerckungen zu ma- chen. Erstlich ist man in der Vernunfftlehre ge- wohnt, die Verbindung der Saͤtze und Wahrhei- ten lediglich in Schluͤssen zu setzen; und dieses ge- schiehet, weil man da fast bloß auf die allgemei- nen Wahrheiten siehet, mit Recht: ausser daß doch auch in denen Theorematibus eine andere Ver- bindung vorgehet, daß man nehmlich aus zwey und mehr Saͤtzen einen einigen macht, wie wir in der Logica Practica §. 32. p. 25. gewiesen haben. Dar- aus kan nun gar leicht der Gedancken entstehen, daß es auch von historischen Wahrheiten gelten muͤs- se, daß ihre Verbindung in Schluͤssen und De- monstriren zu setzen sey; zumahl wenn man die Ursachen der Begebenheiten einsehen wolle. Denn so ist bey physicalischen Dingen die Erklaͤrung der Ursache nichts anders, als eine Demonstra- tion: welches daher koͤmmt, weil man in der Phy- sick nicht nach eintzeln Begebenheiten fraget, son- R 3 dern Achtes Capitel, dern zufoͤrderst aus denselben eine Regel und allge- meinen Satz macht, und diesem hernach eine Ur- sache, welches vielmehr Demonstration heissen sollte, beylegt. s. Vernuͤnfftige Gedancken vom Wahrscheinlichen. V. Betracht. Wenn man nun bey Geschichten auch von Ursachen hoͤret, so kan uns leicht dabey einfallen, daß die Begebenheiten der Welt aus den vorhergehenden auf eben die Weise folgeten, als wie Schlußsaͤtze aus den Foͤrdersaͤtzen fluͤssen, und also alles mit Schluͤssen und Syllogismis auszurichten sey. Hier aber aͤussert sich nun der groͤste Unterscheid. Bey allgemeinen Wahrheiten solget eine aus der andern, oder eine ist schon in der andern enthalten: Bey historischen Wahrheiten aber ist keinesweges zu be- haupten, daß das nachfolgende in dem vorher- gehenden enthalten sey. Ohne uns hierbey in die metaphysische Untersuchung einzulassen, wie in ein- tzeln Substantzien die Veraͤnderungen aus ein- ander entstehen, und die daruͤber entstandene Un- einigkeiten unter den Gelehrten zu vermeiden, so duͤrffen wir nur das vorhergehende und nach- folgende, wie es hier genommen werden muß, genauer bestimmen. Wir handeln nehmlich von der historischen Erkentniß: was uns also von denen Dingen, die sind und geschehen, nicht bekannt ist, das gehoͤret zwar zur Geschichte, aber nicht zur Geschichtskunde, noch zur historischen Erkent- niß. Das vorhergehende heisset also dasjeni- ge, was wir von dem vergangenen wissen: und das nachfolgende, was wir von dem nachfolgen- den wissen, oder wissen koͤnnen. Es ist also hier nicht v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. nicht die Frage: wie das nachfolgende an sich aus dem vorhergehenden folget, welches eine meta- physische Untersuchung ist; sondern wie das nach- folgende, das wir wissen, aus dem vorherge- henden folge, das wir auch wissen? §. 43. Ein anders ist die Verbindung der Geschichte, und die Verbindung unserer Erzehlungen. Wir haben deswegen gleich anfangs die Ge- schichte von der Erkentniß derselben sorgfaͤltig unterschieden: (§. 14. C. 1.) und daraus entste- het der allergroͤste Unterscheid der allgemeinen Erkentniß und der historischen Erkentniß. Jene ist lauter menschliche Erkentniß, und ein Werck des menschlichen Verstandes: die Geschichte aber ist nicht menschliche Erkentniß, sondern sie ist vor- handen, wenn auch niemand vorhanden waͤre, der sie erkennete. Jn Wuͤsteneyen, wo kein Mensch zugegen ist, tragen sich eben so wohl Wasserflu- then, Regenbogen, Gewitter, Bergfaͤlle, Erd- beben zu, als wo Menschen wohnen. Die Ge- schichte muß also erst zur menschlichen Erkentniß werden: aber sie wird, wegen unserer so sehr einge- schraͤnckten Erkentniß, niemahls zu einer solchen Er- kentniß, darinnen alles ausgedruͤckt, und wie abgedruckt waͤre, was in der Geschichte an und vor sich selbst enthalten ist. Jn der Geschichte ist da- her auch, eigentlich zu reden, nichts verborgenes, sondern in Ansehung unserer Erkentniß, ist vieles, ja das allermeiste verborgen. Welchen Begriff wir etwas mehr auswickeln muͤssen. R 4 §. 44. Achtes Capitel, §. 44. Wir erkennen die physicalischen Begebenheiten nur Stuͤckweise. So sind in physicalischen Dingen 1. verdeck- te Umstaͤnde und Eigenschafften, die zwar koͤnten gefuͤhlet werden, oder uͤberhaupt empfunden werden; da aber zufaͤlliger Weise niemand dabey gewesen ist, oder auch niemand dabey seyn kan. Was nicht gar zu tieff in der Erden vorgehet, das liesse sich noch durch die Sinne erkennen; wir erken- nen es aber doch nicht, weil wir eben nicht nachge- graben haben; daher wir uns oͤffters wundern, daß ein Gebaͤude sincket, davon man die Ursache bey tieffern Nachgraben finden koͤnnte. Wir wissen den Ursprung mancher Quelle nicht, die man durch nachgraben ebenfalls ausfuͤndig machen koͤnte. Was in unserm eigenen Leibe vorgehet, ist uns ver- borgen und verdeckt, weil man den Leib, ohne toͤdtliche Wunden zu verursachen, nicht oͤffnen kan. 2. Sind die coͤrperlichen Dinge zum Theil zu weit von uns enfernet; wie die Himmelscoͤrper. 3. Sind die meisten Dinge mit den Sinnen nicht zu er- forschen, wegen ihrer Kleinigkeit. Wir koͤn- nen nicht bemercken, was mit denen kleinen Thei- len vorgehet in der Jaͤhrung, in der Faͤulniß, in dem Wachsthum : und wir muͤssen uns an der Betrachtung der Dinge, die auf solche Weise zu Stande gebracht worden, gnuͤgen lassen. §. 45. v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. §. 45. Wie viel wir von den Begebenheiten der Seele nicht wissen. Jn der menschlichen Seele, wovon der groͤste Theil unserer historischen Erkentniß abhanget, ist noch mehr verborgenes. 1. Selbst klare Gedan- cken, dauerhaffte Gedancken, die der allzu wohl weiß, der sie hat, koͤnnen andere nicht wissen, wenn solche nicht in Worte und Wercke ausbrechen. 2. Haben wir sehr viele Vorstellungen, die dun- ckel und fluͤchtig sind, daß wir sie selbst nicht ein- mahl genau bemercken, ohngeachtet sie in uns ent- stehen: und dennoch ist diesen dunckeln Vorstellun- gen, der Ursprung unserer Gedancken, die wir wissen, meistentheils zuzuschreiben. 3. Aendert sich der Zustand der Seele stuͤndlich: daß man nehmlich mehr aufgeraͤumt, oder verdruͤßlicher wird, daß man zu einer Sache bald Lust hat, bald nicht Lust hat, welches macht, daß man die Sa- chen gantz mit andern Augen ansiehet. (§. 22. C. 5.) Und diese Abwechselungen unserer Gemuͤthsverfas- sung bemercken wir das hunderste mahl kaum sel- ber: und wissen offt selbst nicht, wie uns zu mu- the ist? geschweige daß es andere sollten wissen koͤn- nen? 4. Wer will also auch die Grade bestim- men, wenn auch allenfalls offenbar wird, daß wir froͤlich, daß wir traurig, daß wir zornig sind, da doch auf den Grad der Qualitaͤten alles ankoͤmmt, wenn daraus die Effectus sollen erklaͤrt werden. Ja was wir einerley Grad der Freude, oder des Unmuths, nennen, wird doch noch ein grosser Unterscheid seyn, ob eben derselbe Grad ietzo in der R 5 Folge Achtes Capitel, Folge des zunehmenden, oder abnehmenden Ver- gnuͤgens, oder Mißvergnuͤgens enthalten ist. 5. Am allerwenigsten aber koͤnnen wir selbst, oder an- dere wissen, was wir vor Verwirrungen der Begriffe, vor Vorurtheile, vor Dispositiones zu solchen Sachen haben, mit denen wir noch nicht umgegangen sind. Daher die Handlungen eines Menschen, mithin seine Begebenheiten und Ge- schichte, und das, was wir von seinen Handlun- gen und Begebenheiten wissen, himmelweit unterschieden ist. 6. Was nun Menschen mit einander reden, und geredet haben, gehoͤret zwar in Ansehung derer, die zugehoͤret haben, unter die offenbaren Begebenheiten: allein wie man oͤff- ters mit eintzeln Personen im Vertrauen redet: al- so sind solche Unterredungen doch noch immer vor andere, wenn sie nicht ausgeschwatzet werden, ein unerforschlich Geheimniß, wovon sich auch nicht einmahl eine Spur wahrnehmen laͤsset. §. 46. Bey Geschichten wird viel verschwiegen. Und was von diesen verborgenen Umstaͤnden noch koͤnte bekannt gemacht werden, das muß doch aus moralischen und politischen Ursachen groͤsten- theils wieder verschwiegen werden, so daß sich zwar die Geschichte, so weit sie aͤusserliche Veraͤnderun- gen betreffen, ausbreiten, aber auch bey der ge- treulichsten Erzehlung vieles von dem vorhergehen- den zuruͤck gehalten wird, das die oͤffentliche Be- gebenheit begreifflicher wuͤrde gemacht haben. Wer sein eigen Leben beschreibt, koͤnte noch am ersten von v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. von seinen Entschliessungen oder Begebenheiten die Welt belehren: aber wer | entdecket seine Fehler, Schwachheiten und Fehltritte gerne? es wuͤrde sol- ches oͤffters dem Geschichtschreiber nachtheilig, und selten dem Publico ersprießlich seyn. Man erzeh- let gemeiniglich nichts, als was so schon vielen be- kannt gewesen. Zwey neuere Schrifftsteller haben die gemeinen Schrancken der Particularitaͤten uͤber- schritten: der eine ist der Freyherr von Hollberg, der andere aber der Leipziger Catechet Bernd. Jh- re Lebensschreibungen sind gantz von einem neuen und besondern Gehalt. Da aber bey einer Erzeh- lung immer viele Personen concurriren, die nicht mit gleicher Offenhertzigkeit zu Wercke gegangen, so bleibt noch immer dabey viel verborgenes uͤbrig. §. 47. Jede Erzehlung ist nur ein Stuͤckwerck. Jn der Geschichte selbst ist an sich nichts verbor- genes: aber in Ansehung unserer Erkentniß ist viel verhorgenes. Die Erzehlung aber bestehet alle- mahl nur aus bekannten Umstaͤnden; und ist daher nur ein Theil der Geschichte. Da wir aber durch Geschichte, die in Betrachtung gezogen werden, nur solche verstehen, wobey wir nicht zugegen ge- wesen sind, sondern die wir nur aus Nachrichten erlernen; so ist, um die Weitlaͤufftigkeit des ver- borgenen bey einer Erzehlung, zu uͤbersehen, noch hinzuzufuͤgen, was von der Verwandelung der Geschichte im erzehlen, besonders von der Aus- lassung gewisser Umstaͤnde im 6. Capitel gelehret worden. Denn daraus werden wir abnehmen, daß die Achtes Capitel, die Geschichte, wie wir sie aus einer Erzehlung er- kennen, eine schon zweymahl verkuͤrtzte Geschich- te sey; so daß man sie nicht unrecht ein Stuͤckwerck nennen kan. Vollends wenn die Nachricht nur schrifftlich abgefasset ist, so gehet meistens eine neue Verkuͤrtzung vor, weil so wohl das viele Schreiben, als viele Lesen beschwehrlich ist, da man in muͤndlichen Berichten in kurtzer Zeit un- gleich mehrers vortragen, und auf der andern Seite mit viel weniger Unlust anhoͤren kan. Da- her kommt es denn, daß heut zu Tage die Gesand- ten, wenn sie gleich noch so offte und so umstaͤndlich Bericht an ihre Hoͤfe erstatten, dennoch gar iezu- weilen eine Reise nach Hause thun, um so wohl noch umstaͤndlichern Bericht, als in Depechen ge- schehen kan, abzustatten, als auch ihres Orts von den Anschlaͤgen ihres Herrn besser und ausfuͤhrli- cher belehrt zu werden, als bloß durch schrifftliche Instructiones geschehen kan. §. 48. Begebenheiten lassen sich nicht durch Schluͤsse verbinden. Jn der Erzehlung also einen Zusammenhang der Theile heraus zu bringen, der in Schluͤssen ab- gefasset waͤre, wenn auch gleich die Sache an sich der Natur des Zusammenhanges der Dinge nicht widersprechen sollte, ist wegen der fehlenden, so wohl verborgenen, als verschwiegenen Umstaͤn- de nicht moͤglich: so wenig als man eine Demon- stration machen kan, wenn uns nur einige Princi- pia, geschweige denn die meisten fehlen. Es ist eben v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. eben der Fall, als wenn man aus hier und da ab- gebrochenen Stuͤcken das gantze herstellen wollte. Wir nehmen hier den kuͤrtzesten und naͤch- sten Beweiß, daß die Stuͤcke unserer historischen Erkentniß nicht durch Schluͤsse verknuͤpft werden koͤnnen; wenn die Begebenheiten gleich selbst nach syllogistischer Art zusammen hiengen. Sonsten liesse sich die Sache auch tieffer herhohlen, nehmlich zu- foͤrderst aus der Zufaͤlligkeit der Dinge; inglei- chen daß die Menschen nicht allein wuͤrcken, son- dern auch leyden: welches letztere nicht aus der Sache, die leydet, sondern aus andern wuͤrckenden Ursachen muß hergeleitet werden. Man koͤnte auch zeigen, daß der Einfluß derer Individuorum in der Welt in einander, und ihr Zusammenhang von den individuellen Umstaͤnden eines jeden abhange; wel- che Sachen sich durchaus nicht in allgemeine Wahr- heiten, und folglich auch nicht in Schluͤsse verwan- deln lassen. Aber wir vermeiden dergleichen meta- physische Betrachtungen mit Fleiß, um erst dasje- nige, was nach den bekantesten Begriffen der Men- schen unwidersprechlich ist, in seiner natuͤrlichen Ordnung und Gewißheit unsern Lesern vorzu- stellen. §. 49. Welches weiter bewiesen wird. Wenn wir also die Ursachen einer Begebenheit uns duͤncken einzusehen; und also einen Schluß ge- macht haben, dessen Schlußsatz die Begebenheit ist, deren Ursache wir untersuchen, (§. 1.) so wird doch der Schluß niemahls seine voͤllige Gestalt haben. Achtes Capitel, haben. Die begreifflichsten Arten von Begeben- heiten, wobey niemand zweiffelt, daß er die Ursa- che erkenne, sind, wo man eine Sache aus Lust, oder vermoͤge seines Ambtes und Standes thut, oder wie man zu sagen pfleget, thun muß: wo man nach den Gesetzen handelt, hat es eben diese Bewandniß. Allein diese so klare Erkentniß wird doch nie in einen foͤrmlichen Schluß zu bringen seyn. Denn wenn wir etwa schluͤssen wollen: Hirten war- ten ihrer Heerde: Cajus ist ein Hirte: Also wartet und weydet er seine Heerde: so wuͤrde, wenn der Obersatz allgemein waͤre, kein nachlaͤßiger Hirte, kein Miedling gefunden werden: indem sich von jedem eben so, wie vom Cajus subsumiren laͤsset. Will man aber den Obersatz so machen: Hirten sol- len ihrer Heerde warten: so wird in dem Schlußsa- tze nichts mehr folgen: als daß Cajus seiner Heerde warten sollte: nicht aber, daß er derselben wuͤrck- lich wartet. Es kommt nehmlich bey den Ge- schaͤfften der Menschen hauptsaͤchlich auf ihren Wil- len und Freyheit an. Doch wissen wir auch, daß derselbe von dem Verstande regieret wird. Daher, wenn wir nur einiger massen einsehen, daß die Men- schen theils der Natur der aͤusserlichen Dinge, wo- mit sie umgehen, theils ihren erlangten guten, oder auch boͤsen Faͤhigkeiten gemaͤß gehandelt haben, so duͤncken wir uns die Ursachen der Begebenheiten vollkommen zu verstehen: denn obgleich die Hand- lung daraus noch nicht folget, so wird doch das uͤbrige auf die Freyheit des menschlichen Willens gerechnet. §. 50. v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. §. 50. Geschichte erklaͤren. Darinnen bestehet nun das Erklaͤren der Geschichte, welches von dem Erlaͤutern dersel- ben, wodurch man ungegruͤndeten und nachtheili- gen Urtheilen vorbauet (§. 28. C. 6.), nicht zu vermengen ist: Daß man jedes von den vorher- gegangenen Begebenheiten, so weit in seiner Er- zehlung aus und anfuͤhret, daß das nachfolgende entweder mit der gesunden Vernunfft, oder nach den bemerckten Fehlern, Untugenden und Lastern der Menschen, mit zu Huͤlffenehmung der mensch- lichen Freyheit, zu einer natuͤrlichen, und be- greifflichen Entschluͤssung wird; so daß weder die Sache als ohne allen Grund geschehen, vor- getragen wird; welchen Fall der menschliche Ver- stand abhorrirt, und nicht glauben kan, noch auch etwas widersprechendes darinnen hervorleuchtet. Denn so, wenn man von zwey guten Freunden erzehlt hat, nachher aber lauter Feindseligkeiten anfuͤhrete, die sie einander angethan; so ist die Geschichte, der Erzehlung nach, widersprechend: Sie wird aber begreifflich, wenn man die Bege- benheit an rechten Orte anfuͤhret, wie sie mit ein- ander zerfaller, und Feinde geworden sind. Der- gleichen Erklaͤrung giebt Cicero, warum Pom- pejus in so kurtzer Zeit den Krieg wider die Seeraͤuber so bald zu Ende gebracht, und sonst in kurtzer Zeit so grosse Thaten gethan habe: Orat. pro L. Manilia c. XIV. Vnde illam tan- tam celeritatem, et tam incredibilem cursum in- uentum Achtes Capitel, uentum putatis? Non enim illum eximia vis remigum, aut ars inaudita quædam gubernan- di, aut venti aliquot noui, tam celeriter in ulti- mas terras pertulerunt. Sed hæ res, quæ cæte- ros remorari solent, non retardarunt: Non aua- ritia ab instituto cursu ad prædam aliquam de- uorauit, non libido ad voluptatem, non amoe- nitas ad delectationem, non nobilitas urbis ad cognitionem, non denique labor ipse ad quie- tem. Postremo signa \& tabulas, ceteraque or- namenta græcorum oppidorum, quæ ceteri tol- lenda esse arbitrantur, ea sibi ille ne visenda qui- dem existimauit. Man siehet, daß sich Cicero, nach unserer Regel, wie es mit ausnehmen- den Anschlaͤgen und Ausfuͤhrungen zugehet ( n. 2. §. 11.), sich auf die besondere und ausserordentli- che Gedenckart des Pompejus beziehet; die er auch dergestalt ins Lichte stellet, daß die meisten Leser sich werden duͤncken lassen, sie saͤhen vollkom- men ein, warum es mit Ausrottung der Seeraͤu- ber so schleunig zugegangen. Aber daß hier noch entweder besondere Umstaͤnde in den Sachen ge- wesen, oder noch besondere Gedancken und Triebe in der Seele des Pompejus gewesen, die die Sa- che befoͤrdert haben, laͤsset sich unwidersprechlich daraus wahrnehmen, daß Pompejus, da er in seiner eigenen Sache, wider den Caͤsar Krieg fuͤhr- te, dennoch durchgaͤngig des Zauderns und Lang- samkeit beschuldigt wurde, ob es ihm gleich an kei- ner von den Ursachen der Geschwindigkeit, die Cicero hier anfuͤhret, dazumahl gefehlet haben kan. Das, was man Muth nennet, denn man sich nicht geben v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. geben kan, und den der Hoͤchste oͤffters den groͤsten Helden, nach seinem Wohlgefallen entziehet, war dazumahl, als Pompejus mit den Seeraͤubern strit- te, bey ihm in der groͤsten Uebermaß, und war ihm hingegen entfallen, sobald, als er wegen Caͤsars Anruͤckung, Rom zu verlassen genoͤthigt wurde. §. 51. Zusammenfuͤgung derer Begebenheiten. Nehmen wir also zwey Begebenheiten zusam- men, die nicht allein auf einander gefolgt, sondern sogar aus einander geflossen sind, so wird sich den- noch niemahls die eine voͤllig zu der andern, wie der Fordersatz zum Schlußsatze verhalten; weilen nehmlich die nachfolgende allemahl nur zum Theil ihren Grund in der vorhergehenden hat. So ist zwar nichts natuͤrlicher, als daß ein Moͤrder zu ge- faͤnglicher Hafft gebracht wird: Dieses kan nicht allein geschehen, sondern es soll auch geschehen. Unterdessen, wenn wir weiter nichts wissen, als daß iemand einen Mord begangen, so koͤnnen wir durch keinen menschlichen Witz ausmachen, oder schluͤssen, daß er muͤsse arretirt seyn, denn er kan entflohen seyn, und dieses kan sich sowohl durch Nachsicht, oder Nachlaͤßigkeit des Richters, und der Personen, die dazu noͤthig sind, als auch ohne ihre Schuld geschehen. Wird er also wuͤrcklich gefangen gesetzet, so ist nebst der That, die Sorg- falt des Richters die Ursach darvon, zu welcher noch die Geflissenheit der Diener hinzukommen muß. Das Fluͤssen einer Begebenheit aus der andern, und das Fluͤssen der allgemeinen S Wahr- Achtes Capitel, Wahrheiten aus einander, sind deswegen Him- melweit von einander unterschieden, und es ist sehr noͤthig, daß man diese beyden Arten des Zusam- menhanges wohl unterscheiden lernet, weil aus der Verwirrung schon boͤse Folgerungen sind gezogen worden, wie in der Diss. de cardine Legis \& Pro- phetarum ist gewiesen worden. Wir sollten da- her fast unumgaͤnglich ein besonder Wort haben, den Zusammenhang der Begebenheiten anzu- zeigen, um ihn nicht mit der Verbindung der Saͤtze in denen Schluͤssen, zu vermengen. Der teutsche Ausdruck: Es fuͤgte sich: Giebt uns Anleitung, das Wort Fuͤgung, als das allerbe- quemste hierzu, zu erwehlen. Nehmlich bey zwey Sachen, die sich zusammen fuͤgen, wie zwey Kerb- hoͤltzer, oder die Glieder an einem Gelencke, sind dieselben zwar wuͤrcklich ausser einander, und von einander unterschieden, unterdessen wird doch je- der urtheilen, wie diese Sachen eine Verbindung mit einander haben. Zwey Begebenheiten fuͤgen sich also zusammen ( congruunt ). Was nun boͤse Thaten sind, die schicken sich freylich schlecht, nehmlich zum Gesetzen, zum Willen des Obern: Unterdessen wie sich auch ein Geschwuͤhr, an statt des gesunden Fleisches anfuͤgt, also kan auch an das gute sich was Boͤses anfuͤgen; und auf eben diese Art ist nichts haͤuffiger in der Welt anzutref- fen, als daß bey unsern Anschlaͤgen und Ausfuͤh- rung derselben, sich Ungluͤcks-Faͤlle, Hindernisse, und Widerstand aͤussert, der zwar nicht zur Aus- fuͤhrung unsers Vorhabens, aber wohl zu Hinter- treibung desselben vollkommen passet. §. 52. v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. §. 52. Was der Grund einer Geschichte heisset? Eine Geschichte ist daher eine Reyhe Be- gebenheiten, die an einander passen, und an ein- ander gefuͤgt sind. Nun trifft man zwar in de- nen allgemeinen Wahrheiten einen innerlichen Un- terscheid an, daß einige Grundsaͤtze sind, andere aber Folgen, Corollaria und Theoremata : Und zwar verhalten sich diese so gegen einander, daß wenn man nur die erstern weiß, so kan man die andern, aus seinem eigenen Nachdencken, erfinden. Dergleichen Eintheilung aber ist bey denen Be- gebenheiten nicht zu gedencken: Sondern da ist eines wie das andere zufaͤllig: Jede folgende Be- gebenheit muß sowohl als die vorhergegangenen, durch ein Anschauungsurtheil erkannt werden (§. 3. Cap. 1.): Daher ist die historische Erkent- niß eine Reyhe von lauter Anschauungsurthei- len : Welche sich durch Nachrichten, Erzehlungen, Urkunden, Aussagen, und Nachsagen aus einer Seele in die andere ausbreiten. Will man aber dennoch in denen historischen Saͤtzen, die eine Er- zehlung ausmachen, einen Unterscheid suchen, und etwas denen Principiis einer Demonstration aͤhn- liches setzen, so muß es auf eine andere und fol- gende Art geschehen. Wir haben gesehen, wie es mit dem Ursprunge einer Geschichte beschaffen ist. Es wird nehmlich eine Gelegenheit voraus ge- setzt, daraus ein Anschlag, oder That erfolgt, die denn viele Folgen nach sich ziehet (§. 12.). Die Gelegenheit ist noch als etwas anzusehen, daß S 2 ausser Achtes Capitel, ausser der Geschichte ist, und von derselben unter- schieden ist, ob sie gleich zur Erkentniß der Bege- benheit um deren Ursache einigermassen zu verste- hen noͤthig ist. Die erste Begebenheit aber der Zeit nach, welche zu der vorhabenden Geschichte gehoͤret, ist, als der Anfang derselben vor allen nachfolgenden merckwuͤrdig: Und man kan sie den Grund der Geschichte nennen. Lateinisch aber waͤre das Wort cardo besser zu gebrauchen, als das Wort principium , welches man bey allge- meinen Wahrheiten zu brauchen, allzusehr ge- wohnt ist, die uns also bey diesem Worte immer einfallen, und dennoch mit dem Anfange einer Geschichte keine Gemeinschafft haben. Was sich nach der ersten Begebenheit zutraͤgt, oder fuͤgt, heissen Folgen, die man eher von den syllogisti- schen Folgen zu unterscheiden schon gewohnt ist; daher wir dieses Wort, ohne Verwirrung besorgen zu duͤrffen, gar wohl beybehalten koͤnnen. §. 53. Wie man auf die Erfindung der Fabeln gekommen. Wir haben schon bemerckt (§. 16. seq. C. 4) daß wir oͤffters bey Geschichten nicht sowohl auf die Personen achtung geben, die die Geschichte be- trifft, als bloß auf die Art, wie die Begebenhei- ten in der Geschichte auf einander erfolgen: Wie denn alle verwirrte Haͤndel meistens auf dieser Seite angesehen werden (§. 30.). Je weniger man die Folgen aus dem vorhergegangenen schlies- sen oder vermuthen kan, desto merckwuͤrdiger kom- v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. kommen uns solche Geschichte vor; und unsere Vorfahren haben sie Maͤhren genennet, welches Wort aber nach und nach zu einem gleichlauten- den Worte von der Fabel, ja endlich zu einem gleichlautenden Worte von einer abgeschmack- ten Fabel geworden ist. Bey solchen Erzehlun- gen pflegt man nicht sonderlich auf Zeit und Ort achtung zu geben, weil diese in dem angefuͤhrten Falle, zur Geschichte nicht viel beytragen. Die Geschichte, deren Verbindung wunderbar ist, bleibt es allemahl, sie mag sich zugetragen haben, wenn sie will. Daran aber ist wohl nicht zu zweiffeln, daß von solchen ausserordentlichen Geschichten, die kuͤnstlichen Fabeln ihren Ursprung haben. Denn es sind freylich noch mehr Zusammenfuͤ- gungen der Begebenheiten moͤglich, als wuͤrcklich existiren: Man hat also zur Belustigung solche Verbindungen der Begebenheiten erdacht, die die wahren Geschichte an ihrem gantz unvermutheten Zusammenhange, der sich mauchmahl zutraͤgt, wohl noch uͤbertreffen. §. 54. Vornehmste Arten der Fabeln. Man hat ins besondere, diesen oder jenen An- schlag, von dem wir aus den alten Geschichten Nachricht haben, oder auch dessen Ausfuͤhrung, der aber nur mit wenigen aufgezeichnet worden, genommen, und eine weitlaͤufftige Ausfuͤhrung des- selben ersonnen. Da nun die Anschlaͤge durch Hindernisse und Widerstand wunderbar veraͤn- dert und aufgehalten werden (§. 23.); so ersin- S 3 nen Achtes Capitel, nen sich die Poeten bey ihren Ausfuͤhrungen auch ein solch Haupthinderniß, welches die Vollbrin- gung des Anschlages nicht so bald verstattet: Die- ses pflegen sie den Knoten zu nennen: Und sie leiten daraus, als aus einer Quelle immer neue besondere Hindernisse her. Daraus nun, daß der Anschlag entweder erfuͤllet, und mit einem gluͤck- lichen Erfolg bekroͤnet, oder durch ein ungluͤcklich Ende der Hauptpersonen vereitelt wird, ist die Eintheilung der Comoͤdien und Tragoͤdien entstanden: Welche Erfindung der Poeten in die wahre Erzehlung in soferne einen Einfluß hat, daß sich ein Geschichtsschreiber zu huͤten hat, daß seine Erzehlung nicht etwa das Ansehen einer Co- moͤdie oder Tragoͤdie bekomme: Weilen sie son- sten den Verdacht einer Fabel, bey sehr vie- len Lesern nimmermehr vermeyden wird. §. 55. Verhaͤltniß der Parallelgeschichte. Parallelgeschichte, sind nichts anders als aͤhnliche Geschichte; und zwar in Ansehung des Zusammenhanges der Theile: Also sind die Ex- empel derer, die von ihrer Hoͤhe und Reichthum ploͤtzlich herunter gestuͤrtzt werden, Parallelhisto- rien. Valerius Maximus hat lauter solche Pa- rallelgeschichte, in seinem Buche, unter so vielen Titeln, als Capitel sind, vorgetragen. Es pflegt nun in solchen Parallelgeschichten wohl immer ei- niger Unterscheid zu seyn, wenn man gleich sagt, man habe den Casum in Terminis schon gehabt: Und es koͤnten daher dieselben um so viel eher un- terschie- v. d. Zusammenhange d. Begebenh. ꝛc. terschieden werden, da sie uͤberdiß zu verschiedener Zeit, oder am verschiedenen Ort geschehen, und verschiedene Personen betreffen. Aber nach den Regeln der Einbildungskrafft, wenn man nicht auf alle Umstaͤnde genau acht giebt, nehmlich der Personen, der Zeit und des Ortes, koͤnnen sie auch desto leichter mit einander verwechselt werden; oder auch gar mit einander vermischt werden. §. 56. Historie der Menschen die einerley Nahmen gehabt haben. Und aus eben dieser Ursach sind die Geschich- te derjenigen Personen, die einerley Nahmen fuͤhren, einander gefaͤhrlich: Judem nichts leich- ter ist, als daß die Begebenheiten des einen, dem andern beygelegt, und also die Personen verwech- selt werden. Ja es gehet auch an, daß man gar ihren Unterscheid vergisset, und aus zweyen, dreyen und mehreren eine Person macht: Wor- aus nichts anders als Verwirrung und Jrrthum in der historischen Erkenntniß entstehen kan. Die Bemuͤhung der neuern ist daher gantz loͤblich, die Maͤnner einerley Nahmens in besondere Samm- lungen zu bringen, um sowohl deren Verwir- rung, wo sich solche schon geaͤussert, wieder auf- zuheben; als durch genaue Bemerckung ihrer noch bekannten Umstaͤnde, die Verwirrung aufs kuͤnfftige, voͤllig zu vermeiden. Man lese, aus unzehligen Exempeln nur eines anzufuͤhren, wie S 4 der Neuntes Capitel, der Abt Banier, aus einem Minos, deren zweye gefunden, in der Histoire de l’ Acad. Roy. des bel- les lettres T. II. p. 68. Neuntes Capitel, von der Gewißheit der Geschichte; oder der historischen Erkentniß. §. 1. Die Gewißheit gehoͤret unter die gemeinen Begriffe. D a die innerliche Beschaffenheit der Gewiß- heit noch wenig untersucht worden, welche doch in gegenwaͤrtiges Capitel, darinnen von einer besondern Art derselben gehandelt wird, ei- nen grossen Einfluß hat, so sehen wir uns genoͤ- thiget, in die allgemeine Untersuchung der Ge- wißheit etwas einzulassen, und den Begriff der- selben genauer zu bestimmen. Wir bemercken also zufoͤrderst, daß die Bedeutung des Wortes: Gewiß, und mithin der Begriff der Gewißheit, nicht eine Erfindung der Philosophen; sondern vielmehr ein gemeiner Begriff sey, den wir bey allen Voͤlckern auf dem Erdboden antreffen wer- den: Von welchen sich also auch alles dasjenige urspruͤnglich her schreibt, was nachher die Gelehr- ten und besonders die Weltweisen, zur Erlaͤute- rung der Gewißheit unserer Erkentniß beygebracht haben. von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. haben. Woraus denn folget, daß wir nicht freye Hand der Gewißheit eine Bedeutung beyzulegen, welche wir wollen, noch auch den gemeinen Be- griff, durch Definitionen, die damit nicht genau uͤbereinkommen, zu zerruͤtten; sondern daß wir in der Theorie der Gewißheit uns bestaͤndig an den gemeinen Begriff halten muͤssen. Wir ge- hen aber im gemeinen Leben mit nachfolgenden Wahrheiten um: 1. Mit demjenigen, was jeder vor sich selbst empfunden, d. i. gesehen, geschmeckt, gefuͤhlt ꝛc. hat. 2. Mit demjenigen allgemeinen Wahrheiten, welche man Erfahrungen nennet: Als daß das Wasser bey grosser Kaͤlte erstarre, daß die Metalle bey starcken Feuer schmeltzen ꝛc. 3. Mit eintzeln Wahrheiten und solchen Erfah- rungen die man aus anderer Leute ihren Aussagen erkannt hat. 4. Man gehet aber sehr wenig mit allgemeinen Wahrheiten, in eigentlichem Ver- stande um; ausser was die Verhaͤltnisse der Zahlen und der Maasse anlanget. Jn Anse- hung der Folgerungen, welche sich aus andern, auch schon im gemeinen Leben bekannten allgemei- nen Begriffen herleiten lassen, kommen wir nicht weiter als auf die Consequentias immediatas, oder hoͤchstens auf einige Corollaria, die aus ein paar Consequentiis immediatis fliessen: Als daß: Wo Berge sind, auch Thaͤler seyn muͤssen: Daß zu einem Gespraͤche zwey Personen gehoͤ- ren: Daß man das Geborgte wiedergeben muͤsse. Mit tieffsinnigen allgemeinen Wahrheiten, die man in der Logick Theoremata nennet, pflegen wir uns im gemeinen Leben nicht einzulassen. S 5 §. 2. Neuntes Capitel, §. 2. Gemeine Gedenckart von der Gewißheit. Wenn man nun darauf mercket, wie ? und wo ? man im gemeinen Leben, das Wort: Ge- wißheit brauche, so werden wir wahrnehmen, 1. daß wir aller Erkentniß, die wir durch die Sin- ne erhalten haben, oder unsern Empfindungen eine Gewißheit beylegen: 2. Daß wir auch sehr vielen Erfahrungen eine Gewißheit beylegen. Daß es nicht bey allen geschiehet, kommt daher, weil sich manche Arten der sogenannten Erfahrungen, aus wenigen, ja auch nur aus einem einigen Exempel unwidersprechlich herleiten lassen: Dergleichen die- jenigen sind, wo man nur die Moͤglichkeit ei- ner Sache a posteriori behauptet: Als daß ein Mensch hundert Jahr alt werden koͤnne: Daß Eisen durch gefroren Wasser kan zersprenget wer- den, nach der bekannten metaphysischen Regel: Ab esse ad posse valet consequentia. Wenn man aber aus eintzeln Faͤllen und Exempeln solche all- gemeine Regeln machen will, die sich auch auf neue Faͤlle untruͤglich wieder sollen appliciren las- sen, als daß gewisse Artzneyen, gewisse Kranckhei- ten allemahl vertreiben sollen, da weiß jeder, daß es mit solchen Erfahrungen und ihrer Gewißheit grosse Schwierigkeit habe. 3. Legen wir auch solchen Dingen eine Gewißheit bey, iedoch nicht allein, welche wir bloß aus Nachrichten und Aus- sagen oder Berichten erkannt haben. Denn so zweifelt man gemeiniglich an dem Absterben sei- ner Eltern, oder Geschwister nicht: Ob man gleich nicht von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. nicht bey ihrem Ende zugegen gewesen, sondern bloß davon durch andere ist benachrichtiget wor- den. 4. Fremde Erfahrungen nehmen wir auch vor gewiß an, wenn uns nur die eintzeln Faͤlle, worauf der Fremde seine Erfahrung gruͤndet, nicht ungewiß sind. Wir zweifeln nicht, daß Neu- hof, der Abt Choisy, und andere ostindische See- fahrer fliegende Fische gesehen haben: Und ma- chen also mit ihnen den ungezweifelten locum com- munem : Daß es fliegende Fische in der Welt gebe. §. 3. Man urtheilt ietzo von der Gewißheit gantz an- ders als vor Zeiten. Aus diesen beyden Anmerckungen nun, daß man im gemeinen Leben sich um allgemeine Wahr- heiten wenig bekuͤmmert (§. 1.), denen Empfin- dungen aber durchgaͤngig, und denen Aussagen nebst den Erfahrungen grossen theils Gewißheit bey- legt (§. 2.), erhellet so viel, daß man nach der ge- meinen Gedenckart die Gewißheit, hauptsaͤchlich als eine Eigenschafft der historischen Wahrhei- ten ansiehet. Und so haben sonsten auch selbst die Philosophen gedacht. Die Zweiffler, unter denen die Platonicker den groͤsten Hauffen ausge- macht haben, haben sich lediglich mit den Schwie- rigkeiten beschaͤfftiget, womit die Erkentniß der allgemeinen Wahrheiten umgeben ist: Selbst der Pyrrhonismus hat sich nur auf die physicali- sche Erkentniß, in wie weit sie mit den Sachen ausser uns, an und vor sich selbst betrach- tet Neuntes Capitel, tet, uͤbereinkomme, oder nicht? erstreckt? Die Historie hat man in Ansehung der Gewißheit un- angefochten gelassen. Diese Gedenckart der Phi- losophen aber hat sich seit einiger Zeit gar sehr ge- aͤndert: Dergestalt daß man ietzo fast durchgaͤn- gig, zwar denen Wissenschafften die Gewißheit einraͤumet, welche denen Alten immer nicht ein- leuchten wollen; aber der historischen Erkentniß, wenigstens in soferne solche auf Aussagen und Zeug- nisse beruhet, alle Gewißheit absprechen, und eine blosse Wahrscheinlichkeit einraͤumen will. §. 4. Wie man darauf gekommen, der Historie die Ge- wißheit abzusprechen. Die Veranlassung zu so unstatthaften Leh- ren ist folgende. Man hat 1. gesehen, daß allge- meine Wahrheiten, (wo von doch die Consequen- tiæ immediatæ auszunehmen sind) wenn sie ge- wiß seyn sollen, demonstrirt werden muͤssen. Weil man nun auf die historische Erkentniß, in der Logick bisher gar nicht gerechnet, und daher die Erkentniß der allgemeinen Wahrheit, mit der Erkentniß uͤberhaupt, haͤuffig vermenget hat: So ist 2. unvermerckt der Satz entstanden: Wahrheiten, die gewiß seyn sollen, muͤssen demonstrirt werden : Welches doch nur von einer Gattung allgemeiner Wahrheiten gilt: nehmlich von Theorematibus. Ja man hat 3. die Demonstration vor die Gewißheit selbst genommen: Da sie doch nur aus der Demonstra- tion entstehet. Daraus hat man 4. die Folge ge- zogen von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. zogen; wo keine Demonstration ist, da ist auch keine Gewißheit. Welcher Satz also nicht den geringsten tuͤchtigen Grund hat, sondern durch eine unerlaubte Conversion des ersten Sa- tzes entstehet, entstanden ist. Nun haͤtte man 5. aus der einmahl unrichtigen Conclusion wei- ter schliessen sollen: Wo keine Demonstra- tion ist, da ist also nur Ungewißheit und Zweifel : Denn zwischen Gewißheit und Unge- wißheit oder Zweifel, giebt es kein Tertium. Die- ses aber so platt heraus zu sagen, und alle Erkent- niß der Geschichte auf einmahl ungewiß zu ma- chen, hat man noch zur Zeit Bedencken getragen; fondern man hat 6. sich hinter dem Titel der Wahrscheinlichkeit, welches doch nichts an- ders als eine Gattung des Zweifels ist, versteckt, und also den gantz unrichtigen Satz angenommen: Wo keine Demonstration statt findet, da ist nur Wahrscheinlichkeit. Woraus denn von selbst hat folgen muͤssen: Daß die historische Erkentniß lauter Wahrscheinlichkeit sey: Wobey sich aber noch diese Unschicklichkeit aͤussert, daß man entweder auch seinen Sinnen, die der erste Quell der historischen Erkentniß sind, wider aller Menschen Urtheil die Gewißheit absprechen, oder die sinnliche Erkentniß nicht zur historischen Er- kentniß rechnen muͤsse. §. 5. Lehrsaͤtze wider die allgemeine Wahrscheinlich- keit der Historie. Diese grosse Verwirrung und Verdrehung der Begriffe zu vermeiden, ist hoͤchstnoͤthig, daß folgen- Neuntes Capitel, folgende Saͤtze deutlich bemerckt und gelehrt wer- den. 1. Die Demonstration ist nicht die Gewiß- heit selbst, sondern sie fuͤhret uns nur bey allgemei- nen Wahrheiten, ja nur bey manchen Arten der- selben, nehmlich bey Corollariis und Theorema- tibus zur Gewißheit. 2. Mithin kan auch aus- ser den Demonstrationen Gewißheit seyn; als welche man denen Axiomatibus und denen Em- pfindungen nimmermehr kan absprechen lassen. Und dennoch sind auch 3. die Sinne nicht die Ge- wißheit, sondern diese ist nur eine Eigenschafft der sinnlichen Vorstellungen. 4. Ohngeachtet bey demonstrirten Wahrheiten das Oppositum alle- mahl contradictorisch ist, und die gewissen allge- meinen Wahrheiten mithin diese Eigenschafft auch haben: So folgt doch gar nicht, daß die Gewiß- heit eines Satzes darinnen bestehe, daß das Opposi- tum contradictorisch sey: Noch auch, daß dasje- nige nicht gewiß seyn koͤnne, dessen Gegentheil kei- nen Widerspruch in sich haͤlt. Vielweniger kan man 5. das vor die Definition der Gewißheit annehmen: Wie das Gegentheil einen Wi- derspruch in sich haͤlt. Es ist auch 6. die Gewißheit nicht eine Eigenschafft der Sachen, sondern unserer Erkentniß : Und die Eintheilung in certitudinem objectiuam \& subjectiuam, da- von jene die Wahrheit, diese aber die Gewiß- heit ist, ist nichts anders als eine Verwirrung zweyer verschiedener Dinge; die nur Zerruͤttung anrichtet: Wie wir schon gezeigt haben in den vernuͤnfftigen Gedancken vom Wahr- scheinlichen. VIII. Betracht. §. 6. §. 6. von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. §. 6. Wie man sich uͤber den Begriff der Gewißheit zu vereinigen hat. Um uns nun uͤber die Erklaͤrung der Gewiß- heit zu vereinigen, muͤssen wir folgendes voraus setzen. 1. Weil der Begriff der Gewißheit aus dem gemeinen Leben hergenommen ist; (§. 1.) so muͤssen wir zufoͤrderst uns an denselben halten, und ihn aufzuklaͤren suchen. 2. Sodann wird man bald mercken, daß keine Ursach, oder Anleitung in der Philosophie vorhanden sey; warum man da- selbst von dem urspruͤnglichen und gemeinen Be- griff abgehen sollte. Wohl aber ist dieses einem Philosophen anstaͤndig, daß er die allgemeine Be- schaffenheit der Gewißheit untersuche: Besonders aber, wie solche bey denen allgemeinen oder philo- sophischen Wahrheiten ins besondere koͤnne erhal- ten werden. 3. Wenn man aber den allgemeinen Wahrheiten zu Gefallen, von dem gemeinen Be- griffe nicht abgehen darf, so werden wir uns in der Abhandlung von der historischen Eekentniß um so viel mehr an denselben zu halten haben (§. 2.). Endlich muͤssen wir noch hinzufuͤgen, daß man 4. auch nicht von allen gewissen Wahrheiten ver- langen muß, daß sie zu jedermans Gewißheit koͤnnen gebracht werden; ob gleich solches mit mathematischen und philosophischen Wahrheiten angehet. Denn obgleich dieses eine sehr gute Ei- genschafft vieler Wahrheiten ist, so gehoͤret sie doch Neuntes Capitel, doch nicht zur Natur, noch zum innerlichen der Gewißheit. §. 7. Was die Gewißheit ist. Der gemeine Begriff der Gewißheit beste- het aber darinne: Daß das Urtheil, welches wir einmahl von einer Sache gefaͤllet haben, bey uns unveraͤnderlich ist. Dem ist die Ungewißheit oder Zweifel entgegen gesetzet, das ist: Die Ab- wechselung unserer Vorstellung, da wir die Sache bald bejahen, bald verneinen. Jm gemeinen Le- ben sind die Menschen mit der Einbildung ihrer Gewißheit meistens gar zu voreilig, so daß wir fast von allem, was wir dencken, die Gewißheit ruͤh- men, und uns einbilden, was wir einmahl den- cken, das wuͤrden wir uns auch in Ewigkeit so vorstellen; ja es wisse die Sache niemand besser, als wir. Wer aber viel mit Menschen umgehet, lernet nach und nach aus der Erfahrung, daß man durch Nachdencken, durch Nachrichten, und mit der Zeit, gar vieles anders einsiehet, als man Anfangs gedencket. Vollends die Gelehrten, welche auf die Menge der Streitigkeiten achtung geben, und auf die Fehle, die so klugen und mit Einsicht begabten Maͤnnern angewandelt haben, sind viel schuͤchterner, sich so bald einer gewissen Er- kentniß von Dingen zu ruͤhmen. Aber alle, die nach der Gewißheit streben, trachten nach nichts anders, als daß nebst der Wahrheit, auch die Vorstellung und Erkentniß derselben unveraͤndert bleiben von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. bleiben moͤge, so daß sie niemahls auf das Gegen- theil durch Ungewißheit verfallen. §. 8. Vergleichung der Gewißheit und Wahrheit. Es ist also zu untersuchen, woher es komme, daß ein Urtheil, welches wir einmahl gefaͤllet, unver- aͤndert verbleibe? und woher wir wissen koͤnnen, daß solches geschehen werde? So viel siehet man leichte, daß ein falsches Urtheil nicht voͤllig gewiß seyn koͤnne, und daß also die Wahrheit bey der Gewißheit zu Grunde gelegt werden muͤsse; ob- gleich auch die Unwahrheiten sich unglaublich tieff einzupraͤgen pflegen, und denen Leuten oͤffters eine lange Zeit gewiß sind. Ja! die Menschen hafften offt staͤrcker an der Luͤgen, als an der Wahrheit. Aber dennoch, da die Wahrheit ihren innerlichen Vorzug vor der Unwahrheit und Luͤgen hat; so ist es allemahl moͤglich, daß man endlich seinen Jrr- thum erkennet, und der Wahrheit Platz geben muß: daß also bey Jrrthuͤmern und Luͤgen keine Ge- wißheit im eigentlichen Verstande, sondern nur auf eine gewisse Zeit abzusehen ist; welches aber freylich eher Trotz, Blindheit, Tummheit, als Gewißheit zu nennen ist. Es ist aber zur Ge- wißheit nicht genug, daß die Sache wahr ist. Denn vermoͤge der Erfahrung koͤnnen auch Jrr- thuͤmer und Luͤgen den Schein der Wahrheit bekom- men, und hingegen die Wahrheit kan ausser dem Zusammenhange ohne ihren Gruͤnden, worauf sie beruhet, ja auch wohl verstimmlet vorgetragen T und Neuntes Capitel, und eingesehen werden: von welchen Arten der Er- kentniß nicht zu verlangen ist, daß ein unveraͤnder- liches Urtheil in der Seele daraus entstehen sollte. Soll also ein Urtheil gewiß seyn, so muß zur Wahrheit noch etwas hinzukommen, welches uns wider das Blendwerck in Sicherheit setzet: und dieses aussuͤndig zu machen, ist res altioris inda- ginis . §. 9. Eine Sache auf die rechte Art einsehen, macht sie gewiß. Bey allen meinen Wahrheiten wissen wir ietzo, daß das Demonstriren eine solche Gewißheit her- vorbringt. Was man durch Demonstration weiß, davon laͤsset man sich durch kein Blendwerck abwen- dig machen. Aber eben dieses erhaͤlt man auch bey consequentiis immediatis, iedoch auf eine andere Art. Ja! da Rechnungen keine eigentlichen Schluͤsse sind, und dennoch eben die Gewißheit, wie Schluͤsse und Demonstrationen, gewehren: so siehet man, daß die Gewißheit nicht in den Schluͤssen bestehe, sondern darinne: wenn man jeden Satz auf die rechte Art einsiehet, und auf dem rechten Wege zu ihn gelanget. Denn so muß eine allgemeine Wahrheit, wenn sie uns gewiß seyn soll, nicht et- wa als ein blosser Einfall, ausser ihrer Verbin- dung, noch durch blosses Hoͤren erkannt werden: sondern, wenn sie eine consequentia immediata ist, so muß man sie auch als eine consequentiam imme- diatam einsehen: hingegen als ein corollarium, wenn sie wuͤrcklich an sich ein corollarium ist, und als von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. als ein theorema, wenn sie sich als ein theorema zur Definition verhaͤlt. §. 10. Logikalische Regeln wehren dem Zweiffel. Also uͤberhaupt, wenn man jede Wahrheit nach ihrer rechten Art und auf die rechte Weise einsie- het, wie sie der Natur der Sache und unserer Seelen nach erkannt werden kan, so werden wir von unsern einmahl gefaͤlleten Urtheilen von uns selbst abzugehen so wenig Ursache finden, als je- mand bey einem Axiomate oder Corollario zweif- felt. Nur dieses waͤre etwa zu besorgen, daß nicht andere ihre irrige und betruͤgerische Vorstellungen uns mittheilten, und uns dadurch in der Seele irre machen, und unsere bisherige Gewißheit stoͤh- ren moͤchten. Aber dabey ist zu mercken: 1. Daß man wenigstens bey allgemeinen Wahrheiten, wenn man jeden Satz auf die rechte Art erkennet, auch meistens im Stande ist, die Sophistereyen zu wi- derlegen: iedoch daß 2. die Widerlegung meistens einige Zeit und Nachdencken erfordert: damit man aber 3. unterdessen nicht durch das Blendwerck des Jrrthums irre gemacht werde, so ist noͤthig, daß man auch die Regeln wisse, wie mit jeder Art der Wahrheiten umzugehen ist; als wodurch erhal- ten wird, daß wir nicht allein auf dem rechte Wege sind, sondern auch wissen, daß wir auf dem rech- ten Wege sind. Und diese Regeln gehoͤren ohn- streitig zur Vernunfftlehre. Jn derselben ist man nun zwar mit denen allgemeinen Wahrheiten T 2 zur Neuntes Capitel, zur Richtigkeit gekommen, daß, wenn man ein- mahl mit der Definition einer Sache fertig ist, bey den Conclusionen beynahe keine Schwierigkeiten und Zweiffel nur entstehen, geschweige denn ferner herrschen kan: mit der historischen Erkentniß aber haben sich die Philosophen bisher noch gar nicht be- schaͤfftiget, das wahre und falsche, noch weniger aber das gewisse und ungewisse aus einander zu setzen. §. 11. Die Gewißheit der Sinne. Coͤrperliche, oder welches einerley ist, sinnli- che Dinge muͤssen auch durch die Sinne erkannt werden. Dies ist daher die rechte und beste Art, coͤrperliche Dinge zu erkennen, wenn man selbst mit seinen Sinnen dabey ist: doch koͤnnen sie auch auf andere Art, nehmlich aus Aussagen erkannt werden. Darinnen kommen nun alle Menschen uͤberein, daß sie die Urtheile, welche sie durch die Sinne gemacht haben, unveraͤnderlich beybehal- ten; und daher denen Sinnen die alleruntruͤglich- ste Gewißheit beylegen. Auch hindert nicht, daß wir iezuweilen, aus Mangel der Aufmercksamkeit, oder durch ein vitium subreptionis uns Dinge em- pfunden zu haben einbilden, die wir doch wuͤrcklich nicht empfunden haben, und die nicht vorhanden gewesen sind. Denn wie der Gewißheit der De- monstrationen dadurch nichts abgehet, daß oͤff- ters was im Demonstriren versehen wird; und der Gewißheit der Rechnungen, daß man iezuwei- len sich verrechnet; also schadet auch der Gewißheit der von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. der sinnlichen Erkentniß nicht, daß wir iezuweilen nicht recht sehen. Bey der demonstrativen Gewißheit wird die Richtigkeit der Demonstratio- nen, und bey sinnlichen Begebenheiten das recht sehen, recht hoͤren ꝛc. voraus gesetzt. §. 12. Die Gewißheit handgreifflicher Dinge. Unter denen Begebenheiten, die coͤrperlich und mithin sinnlich sind, muͤssen wir in Absicht auf die Gewißheit diejenigen besonders bemercken, von welchen man zu sagen pfleget: daß sie jedermann in die Sinne fallen. Man nennet es auch hand- greiffliche Dinge: ( res maxime palpabiles ) der- gleichen sind, daß da ein Hauß, dort ein Thurm stehe, daß die Glocken gelaͤutet werden, u. s. w. Die besondere Beschaffenheit dieser Dinge nehm- lich ist, daß sie eines Theils nur den allergering- sten Grad der Aufmercksamkeit brauchen, ja den- jenigen, der dabey ist, gleichsam noͤthigen und zwingen, darauf Achtung zu geben: andern Theils, daß bey ihnen so leichte kein vitium sub- reptionis vorgehen kan: da hingegen bey vielen Dingen eine besondere Aufmercksamkeit darzu ge- hoͤret, und noch uͤberdieses Vorsicht, daß man nicht falsch urtheile. Man siehet z. E. einem Bie- nenschwarme zu, so ist nicht leichte zu urtheilen, ob sie alle einerley Gestalt haben: man wird auch nicht so bald die eigentliche Gestalt des so genannten Koͤ- nigs darunter wahrnehmen: weil er, oder viel- mehr sie, die Koͤnigin selten alleine sehen laͤsset; T 3 und Neuntes Capitel, und es allemahl mit dem ersten Anblick eine mißliche Sache ist. (§. 17. C. 5.) Hingegen daß der Bie- nen bey einem Schwarme viel sind, und das Flie- gen, sind Eigenschafften, die jederman in die Au- gen fallen. Ohngeachtet also die Vorstellungen der Dinge an sich gewiß sind, (§. 11.) so faͤllet doch bey handgreifflichen Dingen auch so gar alle Vermuthung der Ueberredung im Urtheile hin- weg, und die Gewißheit kommt also der Erkentniß solcher Dinge auf eine vorzuͤgliche Art zu. §. 13. Wird allgemeiner gemacht. Wer immer mit einer gewissen Art Dinge ins- besondere umgehet, wird endlich mit denen Theilen und besondern Eigenschafften derselben so bekannt, als andern nur die Art derselben bekannt ist. Z. E. Ein Sattler muß die Theile eines Sattels, eines Wagens, u. s. w. eben so genau kennen, als jeder Mensch einen Sattel von einem Stuhle, Tische, u. s. w. unterscheiden kan. Ein Bootsknecht weiß die Arten der Taue so wohl zu unterscheiden, als jedermann einen Strick von einem Bande, Kette, Ringe, u. s. w. unterscheiden kan. Dergleichen Leute heisset man nun Kunstverstaͤndige. Man siehet aber daraus, daß einem Kunstverstaͤndigen eine Sache handgreifflich seyn kan, da es einem der Sache nicht kundigen, oder einem Anfaͤnger nicht so klar ist. Jener ist also von einer Sache durch die Empfindung gewiß; woran andere, die doch auch ihre Sinne dabey brauchen, noch zweiffeln. §. 14. von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. §. 14. Und zu einen groͤssern Grad erhoͤhet. Man wird gestehen muͤssen, daß, da Sachen, die jedermann in die Augen fallen, schon gewiß sind, wenn wir gleich dieselben nur einmahl em- pfunden haben, solche noch gewisser seyn muͤssen, wenn wir sie zu vielen mahlen, ja, wie man sagt, taͤglich empfunden haben. Es ist ohnstrei- tig, daß niemand bey Sachen dieser Art einen Zweiffel bey sich verspuͤret, und daß aller Verdacht, als ob man etwa nicht recht gesehen oder gehoͤret, da- bey hinweg falle. Sollte es wohl moͤglich seyn, daß iemand sich einbildete, daß sein Hauß am Marckte, dem Rathhause gegen uͤber stuͤnde, da es doch an der Seite desselben stehet: oder daß zwey Thuͤrme da stuͤnden, wo nur einer vorhanden ist? oder daß er ein kleines Hauß vor ein Schloß anse- hen sollte? Man hat Ursache, auf alle Stuͤcke Ach- tung zu geben, wo kein Betrug vorgehen kan, weil die Ernde der historischen Gewißheit uͤberall lau- ter Moͤglichkeit des Betrugs abzusehen sich ein- bilden. §. 15. Gewißheit historischer Schlußsaͤtze. Was man aus einer gehabten Empfindung schluͤssen kan, dessen Wuͤrcklichkeit ist eben so ge- wiß, als die Empfindung selbsten. Z. E. Aus dem Jnhalte des Gefaͤsses laͤsset sich das Gewichte des Wassers bestimmen, welches das Gefaͤsse er- fuͤllet. Wie nun uͤberhaupt durch Schluͤsse eigent- lich nur notiones partiales und Eigenschafften her- T 4 aus Neuntes Capitel, aus gebracht werden, die in dem bekannten prædi- cato schon wuͤrcklich stecken, also wird solches auch hier von den historischen Schluͤssen gelten. Aber aus den Begebenheiten ihre Ursachen, und zumahl ihre Spuren finden; welches auch durch schluͤssen zu geschehen pfleget, kan man nicht recht unter die gewissen Erkentnisse rechnen, wie in der Disputa- tion de Vestigiis gewiesen worden. §. 16. Natuͤrliche Regel vom Reden. Nun kommen wir auf die Gewißheit der Nach- richten, welches den schwehrsten Artickel bey der Gewißheit ausmacht. Um die Sache aber aus ihren Gruͤnden herzuleiten, muͤssen wir als eine Wahrheit, die die Natur der Seele und eines ver- nuͤnfftigen Wesens an die Hand giebt, voraus se- tzen: daß eine Rede und jede an Taglegung seiner Gedancken nur aus einem Triebe und Eyfer vor die Sache, die man vortraͤgt, entstehe: folglich daß die Regel bey vernuͤnfftigen und wahrhafften Creaturen sey: daß jeder, wenn er redet, die Wahrheit sage. Der Heyland sa- get: Weß das Hertz voll ist, gehet der Mund uͤber. Matth. XII. 34. Wir wollen hier gar nicht laͤugnen, daß die Menschen zur Un- wahrheit uͤberaus geneigt sind, sondern wir stellen uns dieses Uebel in seiner wahren Groͤsse und be- schwehrlichen Einflusse in die historische Erkentniß klaͤrlichst vor. Wir muͤssen aber nothwendig auf den ersten Zustand und innerliche Beschaffenheit der von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. der Rede zuruͤck gehen, obgleich die Erfahrung ei- ne andere Regel an die Hand giebt: gleichwie man in der Moral des Satzes nicht entbehren kan, daß der Wille das Gute erwehle, ohngeachtet er nach der Erfahrung und nach einer unaufhoͤrlichen Anomalie das Boͤse erwehlet. §. 17. Natuͤrliche Regel vom Anhoͤren. Jene Eigenschafft nun der Seele, daß sie die Wahrheit redet, (§. 16.) ziehet auf der andern Seite bey den Zuhoͤrern die Regel nach sich: daß wir jedem, der uns etwas erzehlet, glau- ben, so lange sich keine Ursache findet, das erzehlte zu laͤugnen: oder daß der erste Ein- druck, die jede Nachricht bey uns macht, dieser ist, daß wir dieselbe vor wahr annehmen. Wel- chem nicht entgegen stehet, daß wir nach und nach bey mehrerm Nachdencken etwa daran zu zweiffeln anfangen. Die Erfahrung bestaͤtiget unsern Satz auf mancherley Weise, daß nehmlich jede Men- schenstimme etwas uͤberzeugendes an sich habe: in- dem z. E. ein einiger Mensch, der Feuer rufft, im Stande ist, viele hundert Menschen toͤdtlich zu er- schrecken, die ihn wohl nicht einmahl sehen, son- dern nur hoͤren: der Eindruck und Ueberzeugung ist bey vielen so starck, daß sie sich kaum in einiger Zeit wieder zufrieden geben, wenn die boͤse Nach- richt gleich widerruffen wird. T 5 §. 18. Neuntes Capitel, §. 18. Gewißheit der menschlichen Aussagen. Nach diesen beyden Regeln wuͤrde nun zur Ge- wißheit weiter nichts noͤthig seyn, als daß der, der uns von einer Sache Nachricht giebt, ein Mensch sey: denn daraus wuͤrden wir erkennen, daß er die Sache, die er erzehlet, auf den Hertzen liegen, nicht aber erdichtet habe: daß er sie also entweder selbst gesehen, oder von andern gleichfalls so glaub- wuͤrdigen Menschen erkundigt habe: daß also die Sache, weil sie Zuschauer gehabt, wuͤrcklich ge- schehen seyn muͤsse: oder da dieses alles Saͤtze sind, die sich von selbst verstehen, so wuͤrden wir, ohne Umstaͤnde uns an die Sache halten, so gut, als wenn wir dabey gewesen waͤren. Wovon wir ietzo noch die Exempel an guten Freunden, an Ehe- gatten, die einander hertzlich lieben, und an Zu- hoͤrern sehen, die vor ihre Lehrer Liebe und Hoch- achtung hegen: hoͤren, glauben und gewiß seyn, sind bey ihnen unzertrennte Dinge, und man wird ausgelacht, wenn man ihnen etwas anders bereden zu wollen sich erkuͤhnet. Und dies ist der natuͤrliche Weg, wie die historische Erkentniß fort- geflantzt, und von dem Zuschauer auf die entfernsten Personen kan gebracht werden, ohne daß die Wahr- heit dabey Schaden leidet; nehmlich daß sie durch den Mund lauter solcher Personen gehet, die der Luͤgen nicht verdaͤchtig sind. §. 19. 1. Wie dieselbe auf Seiten des Aussagers zer- ruͤttet wird. Dieses ist aber freylich der Zustand nicht, wor- innen von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. innen sich dermahlen die Menschen unter einander befinden: sondern 1. aͤussert sich haͤuffig Uebereilung und Verwirrung verschiedener Dinge im Versrande, so daß, wenn auch ein gewesener Zuschauer etwas nach seinem besten Wissen und Gewissen erzehlet, ich doch solches nicht allemahl als ein durchgaͤngig wah- res Bild der Sache annehmen kan. 2. Hierzu kommt Leichtsinnigkeit, eine Sache zu reden, wo von man doch das Gegentheil im Hertzen glaubt; welches theils durch Eitelkeit veranlasset wird, als bey Prahlern; theils durch schaͤdlichen Gewinst, wie bey falschen Zeugen. 3. Eine ausschweiffende Einbildungs- krafft macht auch, daß man Sachen erzehlet, als ob man dabey gewesen, die man doch weder gese- hen, noch genau untersuchet hat: und eben diese Ausschweiffungen machen, daß Leute oͤffters, wenn sie gleich in der Hauptsache die Wahrheit erzehlen, dennoch auch allerhand Umstaͤnde darzu dichten. Welches alles so viel ausrichtet, daß jeder Mensch zwar mit seiner Aussage vors erste den Eindruck der Wahrheit macht; (§. 17.) aber daß bey weitern Nachdencken, wenn wir weiter keine Bekanntschaft mit ihm haben, allerhand Verdacht der Unwahr- heit entstehen kan; ja beynahe entstehen muß: so, daß aus der Nachricht eines Autors, den ich wei- ter nicht kenne, als daß er ein Mensch ist, keine Gewißheit zu erhalten ist. §. 20. 2. Wie sie auf Seiten des Zuhoͤrers zerruͤttet wird. Da die Gewißheit aber nicht allein auf der Sa- che Neuntes Capitel, che beruhet, sondern auch auf dem, der die Sache erkennen soll; ( n. 6. §. 5.) so verursachen die Un- ordnungen der menschlichen Seele auch auf dieser Seite Hindernisse der Gewißheit. Nehmlich der Hoͤrer einer Nachricht kan 1. die guten Eigen- schafften des Aussagers, die etwa auch andern Per- sonen schon laͤngst bekannt sind, noch nicht wissen. 2. Er kan aus Haß und Neid sie, wenn er sie er- kennet, nicht nur vor andern verlaͤugnen, sondern sich auch selbsten blenden, daß er sie nicht sehen will. 3. Er kan, wenn ihm die Nachricht nicht erleuch- tet, die Schuld auf den Autor schieben, als wenn er Unwahrheit geredet haͤtte. 4. Er kan sich den unrichtigen Satz in Kopf gesetzet haben: weil der Betrug in der Welt so haͤuffig ist, so kan man nir- gends Gewißheit haben; und daraus wider einen unverwerfflichen Autor fechten. §. 21. Wie die Gewißheit der Nachrichten, der ange- fuͤhrten Zerruͤttungen ungeachtet, hergestellet wird. Ohngeachtet bey diesen Umstaͤnden die Gewiß- heit der Aussagen so wohl auf Seiten der Aussager (§. 19.) als der Anhoͤrer (§. 20.) An- stoß leidet; so pfleget man doch den Mangel der Gewißheit gemeiniglich bloß auf die Aussager zu schieben, als auf welche man sich nicht genug ver- lassen koͤnne. Und in der That ist dieses auch die haͤuffigste Quelle der Ungewißheit bey Nachrichten die Menschen andern Menschen ertheilen. Wir wollen daher auch unsre Sorge hauptsaͤchlich auf dieses von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. dieses Stuͤck gerichtet seyn lassen, und zeigen, wie, der angefuͤhrten bedencklichen Eigenschafften der menschlichen Aussagen ohngeachtet, (§. 19.) dennoch hier und da gewisse Nachrichten heraus zu bringen sind. §. 22. Die Gewißheit beruhet auf dem Ansehen des Autors. Nehmlich nunmehro ist es zur Gewißheit einer menschlichen Aussage nicht genug, daß ich weiß, daß ich mit einem vernuͤnfftigen Menschen zu thun habe, (§. 19.) sondern es wird auch noch ein An- sehen desselben erfordert, oder eine Autoritaͤt. Dieser Begriff, so bekannt er ist, ist dennoch zur Zeit nicht bis auf den Grund erklaͤret worden. Es waͤre nehmlich das Ansehen gar nicht noͤthig, wo- ferne die Menschen nicht uͤberhaupt in einem Ver- dachte der Unwahrheit steckten. Nachdem aber dieser Verdacht einmahl vorhanden ist, so muͤssen beson- dere Eigenschafften eines Menschen, dem wir glau- ben sollen, den Verdacht in uns wieder unterdruͤ- cken; und diese machen das Ansehen aus; denn also weiß ich von jemanden, daß er z. E. die Haupt- person, oder wenigstens ein Hauptinteressente bey einer Sache sey: durch diesen seinen Zustand werde ich auch schon wider den Verdacht, daß er etwa die Sache, wovon er redet, nicht recht wissen moͤchte, voͤllig versichert, oder ich habe mit meinem eigenen Vater, der uͤber dieses ein ernstlicher Mann ist, zu thun; wie sollte mir nun einfallen, daß derselbe mit mir schertzen werde. Oder ich habe mit einem Freunde zu thun, dessen Abneigung von Betruͤge- gerey Neuntes Capitel, gerey mir zur Gnuͤge bekannt ist; sollte mir dabey nun einfallen, daß derselbe wissentlich eine Waare vor was anders ausgeben sollte, als sie wuͤrcklich ist. Solche besondere Umstaͤnde machen also das Anse- hen eines Autors aus. Woraus folget, daß zwey Personen erfordert werden, wenn iemanden ein An- sehen beygelegt werden soll: nehmlich iemand, der Eigenschafften besitzet, die mit Unwahrheiten in- compatibel sind; und so dann ein anderer, dem die- se Eigenschafften zur Gnuͤge bekannt sind. §. 23. Jnnerliche Beschaffenheit des Ansehens. Weil die Unwahrheit, welche Menschen reden, theils aus Mangel der Erkentniß, theils aus Maͤn- geln des Willens entstehen, (§. 19.) so werden sich die Eigenschafften, welche das Ansehen eines Autors ausmachen, auf 2. Stuͤck zusammen zie- hen lassen: 1. auf den guten Verstand, den er beym Anschauen der Sache und bey der Erzehlung ge- braucht. 2. Auf die Wahrhafftigkeit. Ja da unsere Historie groͤstentheils aus solchen Begeben- heiten bestehet, die handgreifflich sind: Geburt und Sterben der grossen Herren, Kriegsruͤstungen und Thaten im Felde, bey denen gelehrten Wercken, die sie geschrieben; in der Kirchengeschichte Conci- cilia, ritus, die in die Augen fallen: wobey also keine grosse Schwierigkeit in Ansehung der Einsicht entstehen kan; (§. 12.) so wird die Liebe zur Wahr- heit und Aufrichtigkeit fast uͤberall als diejenige Ei- genschafft angesehen, welche das Ansehen eines Autors von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. Autors fast allein ausmacht. Man hat solche Ei- genschafft das Ansehen genennet, weil natuͤrlicher Weise, die Unwahrheit zu reden, eine Verstellung der Gebehrden und Unordnung in der Aussage bey sich hat; so daß man es vielen angesehen hat, daß sie Unwahrheiten redeten. Nachdem es aber Leute so weit gebracht haben, daß ihnen Unwahr- heiten zu reden was natuͤrliches geworden ist, so darff man sich auf dieses aͤusserliche Ansehen nicht mehr verlassen. §. 24. Eintheilung des Ansehens. Man siehet, daß die Qualitaͤten, welche das Ansehen ausmachen, auch wohl nur zum Theil bey einem Aussager, ja so gar bey einem Autor koͤnnen angetroffen werden. Daher ist das Ansehen eines Aussagers manchmahl voͤllig, manchmahl un- vollkommen. Das voͤllige Ansehen eines Autors ziehet die Gewißheit nach sich: denn weil er vermoͤge dieses Begriffs 1. bey der Sache ge- genwaͤrtig gewesen, 2. auch die noͤthige Aufmerck- samkeit und Einsicht gehabt, daß er im Stande ist, die Sache zu erzehlen, und daß er 3. sie wuͤrck- lich erzehlen will; (§. 19. 23.) so kan dieses Anse- hen nicht ohne der Wahrheit der Sache selbst statt finden: und es kan kein anderer Autor aufkommen, der ebenfalls ein voͤlliges Ansehen haben, und doch das Gegentheil aussagen sollte. Es ist eben wie bey Demonstrationen, man kan zwar mit ver- geblichen Demonstrationen hintergangen werden: aber Neuntes Capitel, aber das voͤllige Ansehen einer Demonstration kan dennoch keine andere, als die wahre Demonstra- tion haben: und ein solches voͤlliges Ansehen kan also nur der Wahrheit zukommen. §. 25. Ergaͤntzung des Ansehens. Da aber das Ansehen des Aussagers auch wohl unvollkommen seyn kan, (§. 24.) so ist in diesem Falle noͤthig, daß das Ansehen ergaͤntzet werde. Dieses geschiehet auf verschiedene Art; nachdem man von diesem oder jenem Stuͤcke, das zum voͤlli- gen Ansehen gehoͤrt, nicht gnugsam versichert ist. Denn auch eine Person, der man uͤberhaupt Auf- richtigkeit zutraut, laͤsset doch wohl eine unwahre Rede aus ihrem Munde gehen, 1. entweder aus Schertz und Muthwill, 2. oder aus einem Vor- theil, da man sich selbst, oder etwa andern dadurch Nutzen zu verschaffen gedencket. §. 26. Erste Art, das Ansehen zu ergaͤntzen. Dem Verdachte des Schertzes wird durch Be- theurungen und Eyde begegnet, und dadurch das voͤllige Ansehen eines Autors in diesem Falle ergaͤn- tzet. Denn auf solche Art wird die Rede, welche man nach der gemeinen, wiewohl falschen Gedenck- art, vor was gleichguͤltiges angesehen hatte, zu einer Gewissenssache. Man weiß wohl, daß Ju- ramenta auch wohl faͤlschlich abgelegt werden; und daß dieselben also einer Person, die man sonsten nicht von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. nicht kennet, noch kein voͤlliges Ansehen geben koͤn- nen. Dieses ist also auch nicht, was wir hier ver- langen: sondern wir reden ietzo nur von dem Falle, wo man mit einem seiner Ehrlichkeit sonsten nicht verdaͤchtigen Manne zu thun hat, da man aber doch, ob er nicht etwa einmahl aus Schertz etwas geredet, sich ein Bedencken macht. Da wird, sage ich, durch einen Schwur die Sache in eine unfehlbare Gewißheit gesetzt werden. §. 27. Zweyte Art, das Ansehen zu ergaͤntzen. Denen Vortheilen, und Neigungen, andern zu gefallen, die Unwahrheit zu reden, wird durch Uebeln begegnet. Diese koͤnnen entweder nur gedrohet, oder wuͤrcklich angethan werden. Der Schwur wird billig auch hier als das beste Mittel angesehen, das Ansehen des Aussagers zu ergaͤntzen. Denn die Beschwehrung des Ge- wissens durch einen falschen Eyd, wird kein ehrlicher Mann iemanden zu Gefallen, oder auch um Vor- theils willen, uͤber sich nehmen. Man muß aber wohl mercken, daß wir nur von Ergaͤntzung des Ansehens reden, welches also schon ein Ansehen voraus setzet. Denn wenn ein Anfaͤnger sonsten noch kein Ansehen hat, (als ein fremder) oder gar das Ansehen eines boͤsen Bubens vor sich hat, (wie die meisten Jnquisiten) so kan weder Schwur, noch Tortur eine solche Gewißheit, als wir hier ver- langen, hervorbringen. U §. 28. Neuntes Capitel, §. 28. Wahrer Grund der Theorie von Zeugen. Hauptsaͤchlich aber wird das Ansehen eines Aussagers durch Zeugen ergaͤntzet. Ein Zeuge aber ist eine Person, die eben das sagt, oder aussagt, was schon ein anderer ausgesagt hat. Diese Er- klaͤrung moͤchte wohl einem oder dem andern be- fremdlich vorkommen, weil sie von der gemeinen Erklaͤrung des Wortes abgehet. Man darff aber diese gemachte Veraͤnderung nicht fuͤr einen Fehler ansehen: Denn unsere Definition gehet nicht, von der gemeinen Bedeutung des Wor- tes, sondern von der in den Logicken gewoͤhnlichen Erklaͤrung ab; und zwar darum, weil selbige falsch ist. Man sagt nehmlich: Ein Zeuge sey, der etwas aussagt. Das ist gantz wider den ge- meinen Begriff eines Zeugens. Wer eine Klage vor Gericht anbringt, oder etwas denuncirt, der sagt ohne Zweifel etwas aus: Wer wird aber eine Klage oder Denunciation vor ein Zeug- niß ansehen? Ein anders ist Aussagen, ein an- dres Zeugen. Wenn bey einer Aussage kein Zwei- fel und Mißtrauen vorwaltet; so hat es dabey sein Bewenden; und es braucht gar keines Zeugnis- ses. Darinnen kommt alle Welt uͤberein. Wenn man aber der Aussage nicht glauben will, alsdenn muͤssen erst Zeugen und Zeugnisse zu Huͤlffe genom- men werden, und diese sind alsdenn vorhanden, wenn sich mehrere Personen finden, die eben das sagen, was der erste schon ausgesagt hat. Jn Processen werden zwar auch offters Zeugen ge- nennet, von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. nennet, die nicht eben das sagen, welches zu be- zeugen sie beruffen sind, sondern entweder die Sa- che nicht wissen oder gar anders aussagen. Man siehet aber wohl, daß sie diesen Nahmen nur da- von bekommen, weil man sich von ihnen verspro- chen hat, sie wuͤrden eben das aussagen. Jn der That aber hat diejenige Parthey, deren Zeu- gen entweder nichts, oder das Gegentheil aussa- gen, gar keine Zeugen vor sich. §. 29. Gemeinschafftliches Ansehen des Autors und des Zeugens. Da jede Aussage unmittelbar einen Wahr- heitsmaͤßigen Eindruck bey dem Zuhoͤrer macht; (§. 17.) so muß des Zeugens Aussage, (welche eigentlich ein Zeugniß heisset, und von der Aus- sage wie Species a genere unterschieden ist) eben einen solchen Eindruck machen: Ja da aus jeder gehaͤufften Handlung ein starcker Eindruck entste- hen muß: So wird ein Zeugniß die Wahrheit der Sache noch mehr bekraͤfftigen. Da aber die Aussagen der Menschen keine Gewißheit ge- ben, woferne nicht der Aussager ein Ansehen hat (§. 22.); so wird auch auf Seiten des Zeugens ebenfalls ein Ansehen erfordert, welches er an und vor sich haben muß. Nehmlich er soll wie der Autor, ein Zuschauer der Sache gewesen seyn: Er muß Verstand genug besitzen: Und aufrichtig seyn (§. 23.). Schon dadurch nun, wird der Verdacht vermindert, der die eine Aus- sage uns noch ungewiß machte, daß noch einer U 2 eben Neuntes Capitel, eben das saget. Denn die die Ursachen der falschen Aussage hervorbringen, und deswegen die Aussage der Menschen truͤglich machen (§. 19.), wider die natuͤrliche Regel sind (§. 16.); so ist nicht zu vermuthen, daß die Ursach, wenn der eine unwahr reden moͤchte, auch bey dem andern statt finden sollte: Und das hinzukommende Zeugniß macht also, daß wir weiter bey der Aussage des erstern kei- nen Trug vermuthen. Daher hat jeder Zeuge eine beweisende Krafft, die wir aber deswegen nicht fuͤr untruͤglich ausgeben. §. 30. Besonderes Ansehen eines Zeugens. Wenn man aber dem Zeugen, als Zeugen ein Ansehen beylegt, so muß solches etwas anders erklaͤrt werden, als das Ansehen eines Autors, oder auch eines Aussagers uͤberhaupt. Nehm- lich Zeugen nimmt man zu Huͤlffe, wenn das An- sehn des Autors nicht vollkommen ist (§. 24.). Es muß also bey dem Autor ein Umstand, der zu seiner Glaubwuͤrdigkeit gehoͤrt, bey uns nicht ausser Zweifel gesetzet seyn. Ob nun gleich ein Zeuge, wenn er irgend das Ansehen hat, daß er vor sich mit seiner Aussage etwas gilt, schon zur Bestaͤtigung dienet (§. 29.) so wird er doch in diesem Falle erst die rechten Dienste thun, wenn er eben in dem Stuͤcke, woran es dem ersten Aus- sager fehlet, gar keinem Zweifel ausgesetzt ist: Und dieses wird das besondere Ansehen eines Zeugens, qua talis, ausmachen. Z. E. auch der ehrlichste Mann, wenn er in seinen eigenen Geschaͤfften, zu- mahl von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. mahl zum Nachtheil eines andern etwas aussagt, nicht voͤlligen Glauben finden. Daß er die Sache wissen koͤnne, ist, weil es seine Sache betrifft, kein Zweifel: Aber eben daß es seine Sache ist, hin- dert die Gewißheit; weil man etwa einen Vortheil darunter vermuthen koͤnte: Ja man weiß, daß das Vergroͤssern und Verringern, das bey Erzeh- lungen ohnedem leicht moͤglich ist (§. 6. C. 6.), bey eigenen Sachen noch leichter moͤglich sey. Ohngeachtet nun hier jeder Zeuge nuͤtzlich ist, so bestehet doch das Ansehen eines Zeugens darinnen, daß er in Ansehung der Sache fremde ist; und solche unpartheyisch hat betrachten und ansehen koͤnnen. Wenn der ersten Aussage nicht voͤllig Glauben beygemessen wird, weil es dem Aussa- ger an Jahren fehlet, so daß man Leichtsinnig- keit vermuthet, so wird das Ansehen eines Zeu- gens darinne bestehen, daß derselbe seine voͤlligen Jahre hat, die zum reiffen Gebrauche des Ver- standes gehoͤren. Jst man nicht recht gewiß, ob der Aussager wuͤrcklich ein Zuschauer gewesen ist, welches er doch, wenn er die Sache auf sich nimmt, gewesen seyn sollte, so wird des Zeugens sein Ansehen darinnen bestehen, daß bey ihm in Ansehung der Eigenschafft, daß er ein Zuschauer gewesen, nicht der geringste Zweifel vorwaltet. §. 31. Dritte Art das Ansehen eines Aussagers zu ergaͤntzen. Daraus siehet man nun wie das Ansehen ei- nes Autors durch Zeugen und Zeugnisse ergaͤntzt U 3 wird. Neuntes Capitel, wird. Denn da bey dem Autor, per hypothesin nicht das Ansehen gantz vermisset wird, sondern nur ein Umstand oder Zuverlaͤßigkeit fehlet (§. 24. 25.), dieser verdaͤchtige Umstand aber bey dem Zeugen hinweg faͤllet; so siehet man, daß der Verdacht den man gehabt, nicht gegruͤndet sey; und in die Aussage keinen Einfluß gehabt habe. Und darzu dienet nun besonders ein Hauf- fen Zeugen: Daß nicht allein die Menge der Aussager an sich zur Gewißheit etwas beytraͤgt (§. 29.) sondern vornehmlich, daß darunter Zeu- gen von allerhand Gattung sind, so daß was bey dem einen uns noch verdaͤchtig vorkommen konte, durch das Ansehen des andern, der sich in gantz andern Umstaͤnden befindet, bestaͤtiget wird. §. 32. Vermehrung der Zeugen durchs Still- schweigen. Das Stillschweigen einer Person kan ohn- fehlbar die Krafft einer Aussage haben; denn 1. ist es uns natuͤrlich einer Sache, die wir an- hoͤren, und die wir besser wissen zu widersprechen: So daß solches, wo nicht kraͤfftige Ursachen sich zu verstellen vorhanden sind, gewiß erfolgen wird. 2. Wir wissen auch, daß unser Stillschweigen, vor eine Einstimmung, und Bejahung der Sache an- genommeu wird, daher wir denn dasjenige nicht gerne unbeantwortet anhoͤren, was wir nicht allen- falls selber aussagen wollten. Wenn iemand von uns in unsrer Gegenwart etwas nachtheiliges re- dete, weil er uns nicht kennet, so wird eine grosse Ueber- von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. Ueberwindung darzu gehoͤren, solches stillschwei- gend anzuhoͤren: Eben so unruhig werden wir seyn, wenn von den unsrigen, oder von unsern Freunden etwas nachtheiliges gesprochen wird. Wie nun das Stillschweigen zu einer Aussage werden kan, so kan es auch zu einem Zeugnisse werden: Eines solchen stillschweigenden Zeu- gens sein besonderes Ansehen bestehet darinne, daß er eines Theils Ursache zu widersprechen, andern Theils keine dringende Ursache zum Schwei- gen habe. §. 33. Vorzuͤge der oͤffentlichen Begebenheiten. Oeffentliche Begebenheiten sind die Zu- schauer von allerley Gattung Menschen haben. Dergleichen sind Erbauungen der Staͤdte, Auf- zuͤge, Schlachten, Brandschaͤden u. s. w. Sachen die fortdauren, als welche mit denen Dingen, die geschehen, eine grosse Verwandtschafft haben (§. 23. C. 1.), haben wegen Laͤnge der Zeit, die meisten Zuschauer. Bey oͤffentlichen Begeben- heiten ist daher am ersten zur Gewißheit zu gelan- gen, weil es da an Zeugen, deren einer das Anse- hen des andern ergaͤntzet, nicht fehlen kan (§. 31.). Man muß aber damit nicht solche Dinge vermen- gen, welche zwar wenn sie vorhanden waͤren, oͤf- fentliche Dinge seyn wuͤrden, aber vorietzo noch keinen andern Grund, als entweder die Erdich- tung oder hoͤchstens eine Vermuthung haben. So ist z. E. nicht gewiß, daß in China Goldberg- wercke sind, ob es gleich in vielen Reisebeschrei- U 4 bungen Neuntes Capitel, bungen stehet: Denn sie sagen zugleich, daß sie dieselben aus der seltsamen Staatsraison, damit des Goldes nicht zu viel werden moͤchte, nicht er- oͤffneten. Uneroͤffnete Goldminen aber haben gar keine Zuschauer, und ist also nicht eine tuͤchtige Aussage davon vorhanden. Der Juͤden ihr Fluß, Sabbation, ist auf nichts gegruͤndet, weil sie keinen Autor anfuͤhren, der ihn gesehen haͤtte. Hingegen, daß in Amsterdam eine Boͤrse, in Egypten hohe Pyramiden, in Rom eine Pe- terskirche ist, und daß in Jtalien der Po fliesset, sind Dinge, die oͤffentlich bekannt sind, und wo- von man gar leichte gewesene Zuschauer, als Aus- sager und Zeugen erlangen kan: Darzu das Still- schweigen derer kommt, die Gelegenheit und Ur- sach genug gehabt haͤtten, denen Nachrichten da- von, wenn sie falsch waͤren, zu widersprechen. §. 34. Schrifftliche Haͤndel. Geschaͤffte die schrifftlich tractirt werden, koͤnnen auch leichte zur Gewißheit gebracht wer- den. Denn wer die Schrifften in die Haͤnde bekommt, ist eben so gut davon versichert, als von Geschichten, dabey man selbst gegenwaͤrtig gewesen ist. Oeffentliche Schrifften haben noch einen Vorzug; weil da die Ursachen zu wider- sprechen in groͤsserer Menge vorhanden sind; und daher das Stillschweigen sich in viele Aussagen verwandelt (§. 32.). So kan man von den Ge- schichten des Reichstages zu Regensburg sehr zu- verlaͤßige Nachrichten, ja untruͤgliche Nachricht haben, von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. haben, weil die Geschaͤffte meistens schrifftlich tra- ctirt werden. Eine untergeschobene Schrifft, muß da entweder gleich Widerspruch finden, oder sie muͤste adoptirt, und durch die Billigung, zu ei- ner wahrhafften Schrifft gemacht werden. §. 35. Documente und Jnstrumente. Weil die Schrifften bey Geschaͤfften am er- sten zur Gewißheit gebracht werden koͤnnen, so sind daraus folgende Gewohnheiten entstanden. 1. Daß man bey einem historischen Beweise (davon her- nach gehandelt werden soll), zufoͤrderst das auf- sucht, was bey der Sache schrifftlich ist tractirt worden, und solches als die Hauptstuͤtzen, der Wahrheit ansiehet. Solche Schrifften, die Stuͤ- cke einer Geschichte gewesen sind, werden Docu- mente genennet: Dergleichen man bey allen Acten in Menge anzutreffen pflegt. 2. Hat man schon laͤngst angefangen, bey wichtigen Geschaͤfften es als ein Stuͤck der Vollziehung anzusehen, daß sogleich eine Historie der Geschichte aufgesetzt, und von denen Partheyen und Jnteressenten vor die wahre Erzehlung agnoscirt wird. Und solche Schrifften werden Jnstrumenta genennet: Der- gleichen bey Staatsgeschaͤfften, als der Kayserwahl, Friedensschluͤssen, Vermaͤhlungen, auch nicht min- der, bey Privatgeschaͤfften, Kauffen, Jnven- tarien, Schenckungen, Testamenten u. s. w. in Menge gefertiget werden. Wie es nun hierunter viele, ja die meisten giebt, daran gar nicht der ge- ringste Zweifel vorhanden, daß sie untergeschoben U 5 seyn Neuntes Capitel, seyn sollten: Also ist auch klar, daß aus unzwei- felhafften Documenten und Jnstrumenten eine gantz gewisse Erkentniß der Geschichte erhalten werde. §. 36. Untersuchung Notorischer Wahrheiten. Die sogenannten Notorischen Begebenhei- ten, nehmen unter denen historischen Wahrheiten eine der ersten Stellen ein, welchen man am wenig- sten die Gewißheit absprechen wird. Nun ist die Frage, was sind Notorische Sachen? Hal- ten wir die verschiedenen Exempel zusammen, wo- von man die Notorietaͤt ruͤhmet, so scheinen fol- gende Eigenschafften noͤthig zu seyn. 1. Daß es entweder an sich eine oͤffentliche Begebenheit, als inuasiones, Schlachten, Wasserfluthen sind, oder wenigstens oͤffentlich bekannt gemachte Begebenheiten. Dergleichen die Geburt fuͤrstli- cher Kinder ist. Nun weiß man, was oͤffentliche Begebenheiten schon vor einen Anspruch an die Ge- wißheit haben (§. 33.). Es ist aber 2. noͤthig, daß dergleichen Begebenheiten auch noch so neu seynd, daß erforderlichen Falls, die Zuschauer, auf denen doch allemahl der Grund der histori- schen Wahrheit beruhet, zu Zeugen koͤnten aufgefor- dert werden. Von alten Begebenheiten pflegt man eher zu sagen, daß sie gewiß, unstreitig u. s. w. als daß sie Notorisch genennet wuͤrden. Aber 3. schei- net auch dieses erfordert zu werden, daß man in Ansehung der Entfernung, denen Zuschauern leicht sich naͤhern und ihr Zeugniß imploviren koͤn- ne: von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. ne: Daß dieselben also nicht gar zu weit weg seyn muͤssen. Weil die Correspondenz durch gantz Europa sehr erleichtert ist, daß man in wenigen Wochen aus jedem Theile desselben, Nachrichten, Antworten, und mithin auch Zeugnisse von Sa- chen, daran man etwa Zweifel haben kan; so kan fast von allen publiquen Begebenheiten in Europa gesagt werden: Sie waͤren Notorisch, oder be- ruheten in der Notorietaͤt. Je naͤher uns aber eine Begebenheit ist, die auch die andern requisita hat, desto notorischer ist sie. Wenn aber in China, den Philippischen Jnseln, in Peru, was grosses vor- gehet, so wird solches nicht leichte bey uns zu einer notorischen Wahrheit. Wiewohl bey immer mehr und mehr sich ausbreitenden Seehandel endlich alles was auf dem Erdboden vorgehet, vor die Eu- ropaͤer zu notorischen Wahrheiten werden kan; weil sie nehmlich aus allen Theilen der Welt in nicht gar langer Zeit Nachricht haben koͤnnen. §. 37. Gewisse Erkentniß des Vergangenen aus dem Gegenwaͤrtigen. Es ist ohnstreitig, daß iezuweilen aus dem was vorhanden ist, etwas Vorhergegange- nes auf eine sehr bestimmte Art, und zwar un- truͤglich kann erkannt werden. Gesetzt man zer- breche eine Muͤntze, oder Stuͤck Eisen, wie die Al- ten die Tesseras hospitalitatis machten: So wird man lange nachher, so lange die Stuͤcke ihre Ge- stalt nicht durch Quetschen, oder Stossen, oder Verrosten aͤndern, erkennen koͤnnen, welches das- jenige Neuntes Capitel, jenige Stuͤck sey, was davon abgebrochen wor- den, denn es wird niemahls ein Bruch wieder auf solche Art gerathen, daß das abgebrochene Stuͤck, an statt des wahren Stuͤckes koͤnte ge- braucht werden. Keines in der Welt wird so gut passen. Solche Faͤlle der gewissen Erkent- niß von Dingen, wo man doch keine Aussagen, oder nicht hinlaͤngliche Aussagen hat, sind um so viel merckwuͤrdiger, ie seltener sie sind. §. 38. Gemeinere Art aus den Gegenwaͤrtigen das Vergangene zu erkennen. Hingegen laͤsset sich, nach dem Lauf der Na- tur, und aus allgemeinen Begriffen, die man aus Erfahrungen gemacht hat, bey ieder vorhandenen, oder gegenwaͤrtigen Sachen eine Menge vor- hergegangener Begebenheiten, heraus bringen. Welche Erkentniß der Geschichte mit der soge- nannten cognitione a priori eine grosse Verbin- dung hat. So weiß man nunmehro durch die Reaumurischen und Roͤßlerischen Bemuͤhungen von einer Menge Jnsecten, wie sie generirt und nach und nach verwandelt werden. Wer nun dieser Dinge kundig ist, und etwa einen Schmet- terling vor sich hat: Derselbe wird erzehlen koͤn- nen, was sich von Zeit zu Zeit, mit diesem Thiere zugetragen hat, daß sich ein der Sache unkundi- ger daruͤber verwundern wird. Wie nun an der Wahrheit und Gewißheit der Erfahrungen (wobey man voraus setzet, daß sie richtig gefasset seyn muͤssen), niemand zweifelt; also sagen wir von von der Gewißheit der Geschichte ꝛc. von solchen Begebenheiten, die wir aus dem ge- genwaͤrtigen, durch allgemeine Begriffe und Regeln heraus gebracht haben: Daß wir solche wissen: Wie wir solches bey der Entdeckung der Begebenheiten bemerckt haben (§. 38. C. 7.). Wenigstens gehet die Gewißheit der auf diese Art entdeckten Begebenheiten, mit der Ge- wißheit der Erfahrungen selbst, in einem Paare. Hat die aus der Erfahrung gemachte Regel keine Ausnahme: So koͤnnen wir auch in der Application derselben auf eintzelne Faͤlle ge- wiß seyn: Hat sie aber ihre Ausnahmen und ist nicht bestimmt genug, so ist auch die Anwendung derselben, und folglich die daraus geschlossene Be- gebenheit nicht untruͤglich. Zehendes Capitel , von der historischen Wahrscheinlichkeit. §. 1. Das Gegentheil der historischen Gewißheit. U ngewiß ist alles dasjenige, was wir nicht durch den rechten Weg erkennen, durch welchen wir zur Sache gelangen sollten. Dieses erhellet, vi oppositorum, aus der innerli- chen Beschaffenheit der Gewißheit (§. 10. C. 9.). Denn bey solcher Erkentniß, wo man nicht durch den rechten Weg hinter die Sache gekommen ist, kan Zehendes Capitel, kan man nicht versichert seyn, daß man nicht sein Urtheil aͤndern, und entweder verleitet, oder auch noch eines bessern belehrt werden duͤrffte. Und die- ses geschiehet, in Ansehung der historischen Erkent- niß, so offte das Ansehen desjenigen nicht voͤllig bey uns ist, von dem wir die Nachricht erhalten haben. Unterdessen pflegen wir nicht allemahl an den Nachrichten, die nicht alle Glaubwuͤr- digkeit haben, wircklich zu zweifeln, sondern oͤffters lassen wir uns an der allgemeinen uͤberredenden Krafft, die jede Aussage bey sich hat (§. 17. C. 9.), eine Zeitlang gnuͤgen. Hingegen aussern sich auch mehrmahlen Umstaͤnde, welche das Gegen- theil von demjenigen, was wir bisher geglaubt, nicht allein zu gedencken, sondern auch zu glauben veranlassen. Daraus erfolgt dann, daß wir eine Sache bald bejahen, bald verlaͤugnen, nachdem wir entweder auf diese, oder auf die gegenseitige Gruͤnde unsere Aufmercksamkeit richten. Und dieser Zustand unserer Seele heisset der Zweifel. Ein sehr ausfuͤhrliches Exempel eines historischen Zweifels kan man, ausser unzehligen andern le- sen beym Abbe de Vertot, Histoire de Chevaliers de Malthe. T. V. p. 437. wo er mit sich selbst in einer besondern Dissertation uneins ist, ob die damahligen Rhodiser Ritter dem verjagten Tuͤr- ckischen Printzen Zizim einen Saluum conductum gegeben hatten, oder nicht? indem der Vicecantz- ler des Ordens, Caoursin, als ein Scriptor coœuus, und allem Ansehen nach gar ein Jnteressente bey dieser Sache, bezeuget, daß ein Saluus conductus dein Zizim sey gegeben worden, Jaligni aber, als ein v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. ein Autor gleiches Alters, und der ebenfalls um die Sache gar wohl hat wissen koͤnnen, diese Ge- schichte so vortraͤgt, als wenn dieser Printz sich auf Discretion in die Jnsel der Ritter begeben, und zu ihnen seine Zuflucht genommen habe. Es fin- det aber dieser Geschichtschreiber nicht allein dar- an einen Anstoß dem Caoursin Glauben beyzu- messen, weil ihn der Jaligni, als ein nicht zu ver- achtender Autor widerspricht, sondern auch haupt- saͤchlich daran, daß das nachherige Bezeigen der Ritter, da sie nachher den Printzen als ihren Ge- fangenen gehalten, dem Saluo conductui wider- spricht, und im Fall solcher wuͤrcklich gegeben wor- den, zur Schande des damahligen Ordensmei- sters und den uͤbrigen vornehmsten Gliedern die- ses Ordens gereichen wuͤrde, an deren Ehre, er doch als ein Geschichtschreiber ihrer Thaten, gros- sen Antheil nimmt. Die Exempel solcher Zwei- fel sind zwar unzehlige; aber die Exempel sind nicht so haͤuffig, wo man seinen Zweifel recht deut- lich und vollstaͤndig zu Papier bringt. §. 2. Unser Amt bey Zweifeln. Der gewoͤhnliche Ursprung des historischen Zweifels ist, daß die Aussagen und Nachrich- ten, die wir von einer Sache haben, nicht mit einander uͤbereinstimmen: sondern einander gerade widersprechen. Eine jede Aussage, vor sich be- trachtet, macht bey uns den Eindruck der Wahr- heit (§. 17. C. 9.): Vollends wenn gar der Aus- sager ein Ansehen vor sich hat. Bey widerspre- chenden Zehendes Capitel, chenden Aussagen werden wir daher bald auf die- se, bald auf jene Seite gelencket. Und dieser Fall kommt bey nahe in allen Klagsachen vor Gerich- te fuͤr: Jndem wenige Klagen angebracht wer- den, wo nicht der Beklagte, wenigstens ein und anderes Stuͤck der Klage laͤugnen sollte. Bey Kriegsunruhen entstehen immer neue, und einan- der widersprechende Spargements, daß man nicht weiß, was man davon glauben soll. Was wir nun bey diesen Umstaͤnden, die unserer Seele alle- mahl zur Last fallen, und in Ausfuͤhrung der Ge- schaͤffte uͤberaus hinderlich sind, zu thun haben, ist, daß wir uns von der Ungewißheit loß reissen, und zur Gewißheit gelangen. Dieses ist nun oͤffters nicht in unserer Gewalt; wenn wir nehmlich de- nen Personen, durch die wir weiter belehret wer- den muͤssen, nicht beykommen koͤnnen: Und in diesem Falle muͤssen wir mehrere Entdeckung mit Gedult erwarten, oder abwarten, daß sich die Sache mehr und mehr auswickelt, und auf- klaͤrt. Es ist wahr, daß unsere Seele nicht ru- hig werden kan; daher sucht sie bey vorhandenen Zweifel, wenn derselbe nicht kan gehoben werden, das Wahrscheinliche heraus; oder wie man zu reden pflegt, das was am wahrscheinlichsten ist; wovon wir hernach handeln wollen. Aber dieses muß doch nun das letzte Refugium bleiben, und die eigentliche Bemuͤhung eines Zweiflers muß dahin gehen, durch neue Entdeckungen den Zweifel zu heben; welches zu thun der Weg gar selten gantz und gar abgeschnitten ist. Wir be- trachten also zufoͤrderst den Fall eines vorhande- nen v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. nen Zweifels, da man im Stande ist, Untersu- chungen anzustellen; und alle darzu dienliche Mit- tel wuͤrcklich anzuwenden; als in welchen Umstaͤn- den sich alle Richter, die gnugsam authorißrt sind, befinden muͤssen. Wir muͤssen hier nicht gleich an alte Geschichte dencken; bey welchen frey- lich Zweifel in Menge vorkommen; und wo man nicht fragen kan, wen man will; sondern alte und neue Geschichte muͤssen hier promiscue supponirt werden. Ein Mittel hinter die Wahrheit zu kom- men ist hauptsaͤchlich bey den alten Geschichten, ein anders aber hauptsaͤchlich bey neuen Geschich- ten dienlich. §. 3. Erste Pflicht bey vorhandenen und wider- sprechenden Aussagen. Wenn die Ungewißheit, aus widersprechenden Aussagen entstehet (denn es ist noch ein anderer Fall moͤglich, von welchem hernach) so siehet man daß eine von beyden unrichtig seyn muß. Da- her muß untersuchet werden, wo der Fehler stecke? und wie diese widrigen Aussagen entsprungen seyn moͤgen? Hierbey muͤssen wir nun 1. in Betrach- tung ziehen, daß wir uns in Ansehung einer erhal- tenen Nachricht, entweder als Zuhoͤrer oder als Leser verhalten: Die die Beschaffenheit der zwei- felhafften Geschichte, nicht durchs Anschauen, sondern aus Worten erkennen: Wobey also Zweydeutigkeit, Dunckelheit, Mißver- stand, und Mißdeutung vorkommen kan (§. 16. C. 7.). Dergleichen nun hat man bey widerspre- X chenden Zehendes Capitel, chenden Aussagen zu vermuthen, deswegen Ur- sach, weil einmahl auf einer von beyden Seiten eine Unrichtigkeit in der Sache vorgegangen seyn muß. Mithin ist bey widersprechenden Aus- sagen zuforderst zu untersuchen: Ob nicht et- wa in einer von beyden Aussagen, oder in allen beyden auf unserer Seite ein Miß- verstand sey. Denn wir haben bey Gelegen- heit der locorum communium gewiesen, wie zwey einander zuwiderlauffende loci communes, den- noch ihren guten Grund haben koͤnnen (§. 40. C. 2.): Desgleichen wie man von einerley Ge- schaͤffte sagen koͤnne, daß eine Sache geschehen, und daß sie nicht geschehen sey (§. 35. C. 2.). Auch weiset die Erfahrung, daß vor Gerichte Zeugen, die anfangs Contraria ausgesagt haben, wenn sie genauer befragt werden, wuͤrcklich mit einander eins sind. Was nun vor Mißver- stand bey Aussagen, oder bey historischen Saͤ- tzen vorkommen koͤnne, dasselbe gehoͤret in die Auslegekunst, besonders in das Capitel von Auslegung der historischen Buͤcher und Stellen, wie wir solches in unserer Hermenev- tick eingerichtet haben. Das Aus- und Nach- fragen, und sich die Sache mehrmahlen erzehlen lassen, thut bey neuen Geschichten die besten Dien- ste, widersprechende Nachrichten und Aussagen zu vereinigen. Bey alten Geschichten aber, da man nicht mehr fragen kan, muͤssen wir zufoͤrderst, desto genauer die Formel ansehen, wie sich jeder Autor ausgedruckt hat: Und wie man jeden von beyden, ohne auf den andern zu sehen, vor sich recht ver- stehen moͤge. §. 4. v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. §. 4. Zweyter Versuch bey widersprechenden Aussagen. Wenn aber bey widersprechenden Aussagen und Nachrichten in Ansehung ihres Verstandes keine Vereinigung zu finden ist, sondern der eine klar be- jahet, was der andere verneinet, so muß einer da- von nothwendig falsch seyn. Und alsdenn ist 2. noͤ- thig, daß man erforschet, ob beyde wuͤrcklich Zu- schauer gewesen, und also Urheber der Erzeh- lung sind, oder nur einer: ingleichen ob nicht beyde nur Nachsager sind. (§. 3. 4. C. 7.) Denn ist der eine ein Zuschauer, der andere aber ein Nach- sager; so muß bey jedem eine besondere Untersu- chung angestellt werden. Denn bey dem letztern muß man nothwendig weiter zuruͤck gehen, und den Canal untersuchen, wo er selbst zu der Nachricht gekommen ist; (§. 5. C. 7.) bis wir auf den Au- tor oder Zuschauer kommen, von dem er es in Er- fahrung gebracht hat. Man kan nicht so schlecht weg dem Zuschauer recht geben, und den Nach- sager verwerffen: weil jener vorsetzlich die Wahr- heit verheelen kan, da dieser vielleicht von einem wahrhafftigen Zuschauer die Nachricht bekom- men hat. Mit zwey Nachsagern, die einander widersprechen, ist nichts anzufangen, als daß man von beyden Erkundigung einziehet, von welchem autor ein jeder unter ihnen die Nachricht erhalten habe. X 2 §. 5. Zehendes Capitel, §. 5. Dritter Versuch bey widersprechenden Aussagen. Hat man nun zwey Autoren und gewesene Zu- schauer herausgebracht, oder gleich anfangs vor sich, (wie Klaͤger und Beklagten) die einander widersprechen: so wird 3. zu untersuchen seyn, ob sie nicht mehr in der Erzehlungsart, als in der Sache selbst einander widersprechen: indem wir ge- wiesen, daß in den Erzehlungen einerley Geschichte grosse Abwechselungen vorkommen: so daß Leute einander widersprechen koͤnnen, obgleich keiner den muthwilligen Vorsatz gehabt hat, die Unwahrheit zu sagen. (Cap. 6.) Denn z. E. Titius sagte: Cajus habe ihm versprochen, so und so viel Getrey- de zu einer gewissen Zeit zu liefern: Sempronius laͤugnet es, so kan eine starcke æquivocation und Mißverstand darunter vorwalten: ob nehmlich auch das Versprechen voͤllig zu Stande gekommen, und zu einem gewissen Versprechen geworden ist. Und da ist es nicht allemahl klar, ob nicht die Sache bey blossen Tractaten geblieben. Jeder aber von den Partheyen siehet die Sache nach seinem Sinne an, und denckt, wenn er bey sich feste entschlossen gewesen ist, so werde es der andere auch gewesen seyn. Um nun zu erforschen, ob in der Art der Er- zehlung der Betrug stecke, so ist das eintzige Mit- tel, daß man die Begebenheit, welche gemeiniglich mit allgemeinen Worten vorgetragen wird; (§. 4. C. 6.) als man habe einer Person die Ehe ver- sprochen; man habe wo eingemiethet, u. s. w. aus dieser Decke, darein sie der Erzehler eingeklei- det, v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. det, (§. cit. ) wieder ausgewickelt werde; und daß man sich die Sache nach ihren individuellen Um- staͤnden, und so viel moͤglich en detail erzehlen lasse. §. 6. Vierter Versuch bey widersprechenden Aussagen. Ohngeachtet durch die angefuͤhrten Mittel schon recht sehr viele widersprechende Aussagen koͤnnen gehoben werden, so daß man auf solche Art durch den Zweiffel zur Gewißheit durchdringet; so werden doch Faͤlle uͤbrig bleiben, wo dadurch der vorhan- dene Widerspruch noch nicht gehoben wird; ja wo man nicht einmahl vermuthen kan, daß er auf sol- che Art koͤnne gehoben werden: wenn nehmlich die Worte der Aussagen so bestimmt, so genau ge- fast sind, daß es ist, als wenn man bey der Sache selbst gegenwaͤrtig gewesen waͤre. Hier scheinet es nunmehro unvermeidlich zu seyn, daß nicht einer von beyden vorsetzlich die Unwahrheit sagen sollte: allein es ist noch vorher ein anderer Casus moͤglich: nehmlich daß die Aussager die Sache aus ver- schiedenen Sehepuncten angesehen haben, und darum einander widersprechen. Z. E. Man be- findet sich an einem angelauffenen Wasser, und fragt deswegen die Leute in der Naͤhe, ob man durch- fahren koͤnne: die meisten sagen: nein! einer et- wa, oder der andere: ja! der es bejahet, kan noch darzu Exempel anfuͤhren, daß welche bey eben so hohem Wasser durchgefahren waͤren. Warum widersprechen diese einander? nehmlich der letztere hat etwa einmahl einen hochgebauten Wagen X 3 durch- Zehendes Capitel, durchfahren sehen, und macht daraus nicht ohne Grund den locum communem: man koͤnne bey so hohem Wasser durchfahren. Die andern aber, welche gedencken, daß dem vorhandenen Reisenden der locus communis nichts hilfft; sondern die Nachricht, ob er mit seinem Wagen und Gespann durchkommen kan, antworten ihm aus diesem Se- hepuncte mit Nein! weil sie wahrnehmen, daß mit einem so kleinen und niedrigen Wagen nicht durchzufahren ist: Tausenderley Widerspruͤche im Erzehlen und Aussagen entstehen in der Welt dar- aus, daß einer die Sache anders ansiehet, als der andere. Darauf ist also 4. zu sehen, wenn man durch widersprechende Aussagen und Nach- richten in seinem Sinne irre gemacht wird: daß man nehmlich erforschet, ob auch beyde Aussager die Sache auf einerley Seite und auf einerley Weise ansehen? §. 7. Fuͤnffter Versuch bey widersprechenden Aussagen. Wenn aber alle diese Mittel die wider einander lauffenden Aussagen mit einander zu vereinigen wegfallen, und sie also wuͤrcklich einander wider- sprechen, so muß des einen seine Aussage die Un- wahrheit seyn. Die Frage ist nun, wie weiter zu erforschen, auf welcher Seite die Unwahrheit ge- sagt worden sey. Weil wir nun annehmen, daß beyde Aussager Zuschauer gewesen, (§. 4.) und daß sie die Sache nicht bloß auf verschiedene und nur dem Scheine nach widersprechende Art erzehlet, (§. 5.) noch aus einem verschiedenen Sehepun- cte v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. cte angesehen haben, (§. 6.) so muß einer darun- ter vorsetzlich die Unwahrheit sagen. Da wuͤr- de nun freylich aus der Sache gar nicht zu kommen seyn, wenn beyde Aussager einerley, und zwar voͤlliges Ansehen haͤtten. Allein ein solcher Fall ist in der Schaͤrffe genommen nicht einmahl moͤg- lich, (§. 24. C. 9.) ist auch dem Scheine nach in der Welt selten vorhanden; sondern es aͤussert sich auf einer Seite irgend ein Mangel des Anse- hens: So, wenn in der Geschichte beym Vertot, (§. 1.) die beyden Scriptores von einerley Ansehen waͤren, wuͤrde man nicht leichte nur zu einer Ver- muthung kommen koͤnnen, woran es fehlete: als wenn der eine etwa Cantzler, der andere Vice- Cantzler des Ordens gewesen waͤre. So aber ist der eine nehmlich Caoursin, Vice-Cantzler, und hat alle Eigenschafften eines Autors: der andere aber, nehmlich Jaligni, ist zwar ein Scriptor coæuus, aber ein fremder, ein Frantzoͤsischer Staats-Seeretarius, der von der eigentlichen Be- schaffenheit der Aufnahme des Tuͤrckischen Prin- tzens auf der Jnsul Rhodus nur aus Nachrichten, und etwa aus den Berichten des Ordens an den Koͤnig in Franckreich selbst, kan Kundschafft ge- habt haben. Wenn diese sehr kurtz gewesen sind, wie zu vermuthen stehet, kan leicht vom saluo con- ducto gar nichts drinne gestanden haben, so daß daraus gar wohl die Vorstellung hat entstehen koͤn- nen, die sich Jaligni von der gantzen Affaire ge- macht hat. So viel ist gewiß, daß sein Ansehen in dieser Erzehlung dem Ansehen des Vice-Cantz- lers nicht gleich ist. Wiewohl auch der Wider- X 4 spruch Zehendes Capitel, spruch beyder Aussagen nicht so groß ist, daß sie nicht sollten aus der verschiedenen Erzehlungsart und aus dem verschiedenen Sehepuncte, mithin nach den (§. 5. 6.) beschriebenen Mitteln koͤnten vereiniget werden. Jn den meisten Faͤllen ist die eine Aus- sage so gar wegen des Vortheils, den der Aussa- ger von derselben hat, verdaͤchtig. Es mag aber damit beschaffen seyn, wie es will, so muß bey vor- handenen widersprechenden Aussagen 5) die Be- muͤhung dahin gehen, eine von beyden aus dem Wege zu raͤumen. §. 8. Wie Aussagen weggeschafft werden. Wir haben gewiesen, daß im Fall das Ansehen eines Aussagers nicht voͤllig waͤre, solches ergaͤntzet werden muͤsse. (§. 25. C. 9.) Nun ist bey wi- dersprechenden Aussagen des einen seine Aussage, oder auch beyder nicht voͤllig: (§. 7.) Daher waͤ- re denn solches zu ergaͤntzen. Jndem aber dieses geschiehet, so wird sich finden, daß in den meisten Faͤllen zugleich die intendirte Wegschaffung der ei- nen Aussage erhalten werde. Denn so geschiehet es 1. daß, wenn man zu Bestaͤrckung des Ansehens wider den Verdacht der Leichtsinnigkeit den Eyd fordert, (§. 26. C. 9.) mancher seine Aussage zu- ruͤck nimmt. 2. Wenn man den Vortheil, den iemand aus einer falschen Aussage haben moͤchte, durch gegenwaͤrtige Uebel, ja wohl nur durch Dro- hungen begegnet, daß viele die Wahrheit zu sa- gen sich bequemen. 3. Durch Herbeybringung der Zeugen kan zwar unmittelbar dem Zweiffel dar- um v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. um nicht abgeholffen werden, weil durch noch so sehr gehaͤuffte Aussagen die einmahl vorhandene wi- dersprechende Aussage doch nicht weggeschafft wird: aber die Menge der entgegen stehenden Aussagen kan doch endlich den Luͤgner irre und schamroth ma- chen, daß er mit der Wahrheit heraus ruͤckt. So lange aber noch eine Aussage uͤbrig ist, die man nicht heben kan, so lange ist auch der Zweiffel nicht gaͤntzlich gehoben. Unsere Rechtslehrer gehen schwehr daran, einen Jnquisiten zu verdammen, so lange er laͤugnet; ohngeachtet seine Aussage we- gen des darunter habenden grossen Vortheils sehr verdaͤchtig ist; worinnen sie sich genau nach dem Grundsatz der Aussagen und Nachrichten (§. 16. 17. C. 9.) achten. §. 9. Zweyter Hauptgrund der Zweiffel. Geschichte werden auch aus Folgen erkannt, (§. 38. C. 7.) und diese geben starcke Gelegenheit zum Nachforschen und Ausspuͤhren. (§. 39. 40. C. 7.) Nun sind zwar die meisten Folgen so be- schaffen, daß sich die Geschichte bloß aus ihnen nicht gewiß erkennen laͤsset, wie wir in der Abhand- lung de Vestigiis gezeigt haben; doch findet sich auch in diesen ein Unterscheid. Manche Folgen sind so beschaffen, daß jeden nach der genauesten Ge- denckart ein vorhergegangenes factum dabey ein- faͤllt; ob sich gleich die Wuͤrcklichkeit desselben nicht zuverlaͤßig daraus beweisen laͤsset. Diese Folgen wollen wir handgreiffliche Anzeichen nennen. Andere Folgen aber geben nur diesen oder jenen X 5 Gele- Zehendes Capitel, Gelegenheit, an das vorhergegangene zu geden- cken, und koͤnnen leicht gar unbemerckt bleiben: dieses sind denn die so genannten Spuren. Z. E. wenn in einem Hause ein Diebstahl begangen wird, und einer von den Haußgenossen wird kurtz darauf, ohne daß man eine Ursache weiß, fluͤchtig; so wird jeder auf ihn den Verdacht des begangenen Dieb- stahls werffen. Hoͤret man vollends, daß er auf der Flucht einen Vorrath an Gelde blicken lassen, so wird jeder noch mehr auf ihn verfallen. Unter- dessen giebt doch beydes noch keinen Beweiß der That ab, sondern nur ein Befugniß, genau zu in- quiriren. Hingegen sind oͤffters Minen und ande- re geringe Handlungen Spuren gewesen, durch welche man auf iemanden Verdacht zu werffen ist angeleitet worden, der auch hernach schuldig be- funden worden. §. 10. Andere Mittel wider den Zweiffel. Aus denen handgreifflichen Anzeichen erfolgen nun zweyerley Gruͤnde des Zweiffels: 1. wenn Anzeichen pro und contra vorhanden sind; 2. wenn die Anzeichen mit denen Aussagen nicht uͤbereinkom- men: wie es meistens geschiehet, daß Missethaͤter durch Anzeichen in Untersuchung gezogen werden, aber alles laͤugnen. Weil einmahl hier nicht un- umstoͤßliche Anzeichen supponirt werden, so ist zu Erlangung der Gewißheit nichts zu thun: als daß man 1.) entweder die Aussage bestaͤtigen laͤsset, (§. 21. 26. 28. C. 9.) und darnebst klar machen laͤsset, wie die vorhandenen Anzeichen betruͤglich gewe- v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. gewesen, oder 2) die vorhandene Aussage weg- geschafft worden. (§. 8.) Wenn man alle diese Regeln bey alten und neuen Geschichten beobachtet, so wird man finden, daß eine ungemeine Menge von Zweiffeln wegfallen wird. Alle Zweiffel he- ben wollen ist eine Unmoͤglichkeit: denn wie die Menschen unvermeidlicher Weise unendlich vieles nicht wissen; also ist auch nothwendig, daß sie vie- les nur mit zweiffeln wissen. Denn das Mittel zwischen wissen und nicht wissen ist zweiffeln. §. 11. Von der historischen Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlichkeit ist eine Art des Zweif- fels, welche schwehr zu bestimmen ist. Sie aͤus- sert sich aber so in der Seele. Bey manchem Zweif- fel ist uns das Bejahen so sehr am Hertzen gelegen, als das Verneinen, und wir trauen uns nicht vor die Wahrheit eines oder des andern zu stehen. Manchmahl aber sind wir auf die Wahrheit einer Sache ziemlich versichert, nur ist etwas, daß auch die Vorstellung des Gegentheils immer bey uns re- ge macht, welches denn zu mancher Stunde mit mehrerer Klarheit geschiehet, als in der andern. Dieser Zustand der Seele ist unlaͤugbar, daß er bey vielen Dingen in unserer Seele vorhanden sey. Da nun dieselbe Wahrscheinlichkeit heisset, so ist die Wahrscheinlichkeit so gut, als das op- positum, nehmlich der voͤllige Zweiffel, und das Genus davon, welches Zweiffel schlecht weg heis- set, aus der Erfahrung bekannt. Gemeiniglich aber erklaͤret man wahrscheinlich durch ein Ur- theil, Zehendes Capitel, theil, welches mehr Grade der Wahrheit vor sich hat, als das gegenseitige Urtheil. Man hat diese Erklaͤrung auch auf die historischen Dinge applici- ren wollen; wo sie aber gar nicht brauchbar ist: ob- gleich einem guten Theile unserer historischen Er- kentniß die Wahrscheinlichkeit selbst nicht abzuspre- chen ist. Man weiß nehmlich, daß Dinge, die ab- gezehlet und zusammen gerechnet werden sollen, in- nerlich einerley Qualitaͤten haben muͤssen: daß die Einheiten, woraus die Summe entstehen soll, von einerley Werthe seyn muͤssen. Dieses aber ist bey dem historischen Zweiffel und der historischen Wahrscheinlichkeit nicht zu erhalten. Es sey der Fall: eine Begebenheit soll sechs Zuschauer ge- habt haben. Einer sagt dies, die andern fuͤnffe das Gegentheil aus; so wuͤrde jedermann die Aus- sage der meisten vor sehr wahrscheinlich halten. Dar- zu aber waͤre noͤthig, daß sie auch alle 6. einerley Ansehen haͤtten; und das wird sich nicht leicht zu- tragen. Schlechtweg aber kan man aus einer groͤssern Anzahl Aussager keine Wahrscheinlichkeit machen, wo die Anzahl der Zuschauer nicht be- stimmt ist: denn entweder wird der, dem es an Zeu- gen fehlet, noch mehrere herbey schaffen: oder wo- ferne andere Hindernisse darzwischen kommen, daß er sie nicht herbey bringen kan, so kan ja solches der Wahrheit der Sache selbst keinen Nachtheil verur- sachen. §. 12. v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. §. 12. Klare Exempel der historischen Wahr- scheinlichkeit. Es kommen aber verschiedene Faͤlle vor, da eine Aussage vor den andern einen merklichen Vorzug hat: woraus also eine Wahrscheinlichkeit entstehen kan. Als 1. es sey eine Aussage vorhanden, von einem, dessen Ansehen beynahe voͤllig ist: wider diese kommt eine Aussage zum Vorschein von ie- manden, dessen Ansehen auch bey uns etwas gilt. Bey diesen Umstaͤnden wird uns die erste Aussage nur wahrscheinlich seyn. 2. Es sey eine Aussage vorhanden, die klar und deutlich ist: dargegen fin- det sich eine gegenseitige Aussage, die die Klarheit nicht hat: so wird jene, so lange diese nicht wegge- raͤumt ist, uns wahrscheinlich seyn. 3. Die Aus- sage eines Zuschauers wird durch die Gegenaussage eines Nachsagers, die man doch nicht ablehnen kan, keine Gewißheit, sondern nur Wahrscheinlichkeit in uns erwecken. 4. Jst es vollends, daß die ei- ne Aussage ungezweiffelt vorhanden ist, die gegen- seitige aber nicht einmahl ausgemacht ist, (wie man manchmahl hoͤrt, der und der sollte das gesagt haben: in einem gewissen Buche solle das und das stehen,) so wird jene wegen ihres Vorzugs Wahr- scheinlichkeit hervorbringen. §. 13. Was bey der historischen Wahrscheinlichkeit zu thun ist. Bey der Wahrscheinlichkeit nun, muß, wie bey dem Zweiffel uͤberhaupt, unsere Bemuͤhung dahin gehen, Zehendes Capitel, gehen, daß man aus derselben heraus kommt, und zur Gewißheit gelanget. (§. 2.) Man wird auch selten Ursach haben, alle Hoffnung darzu fahren zu lassen. Bey dieser wichtigen Arbeit aber wird eben so zu verfahren seyn, wie wir gewiesen haben, daß man aus der historischen Ungewißheit heraus kom- men koͤnne. Gesetzt aber, darzu sey die Hoffnung verlohren: so ist alsdenn ein nuͤtzliches Geschaͤffte: daß wir die gantze Beschaffenheit unserer wahrscheinlichen Erkentniß von einer Sa- che klar und deutlich andern vor Augen le- gen. Denn wie uns daran gelegen ist, daß an- dere mit uns in Ansehung unserer gewissen Er- kentniß einstimmig sind; also gelten eben auch diese Ursachen, daß wir auch auf den Beyfall anderer in Ansehung unserer wahrscheinlichen Erkentniß be- dacht sind. Diesen Umstand, oder vielmehr die- ses nuͤtzliche Geschaͤffte, haben die bisherigen Lehrer der Wahrscheinlichkeit gantz aus den Augen gese- tzet, und dafuͤr ein anders, als das eintzige noth- wendige angepriesen; nehmlich die Grade der Wahrscheinlichkeit, auch in der historischen Erkentniß zu bestimmen, oder zu zeigen, um wie viel der eine historische Satz wahrscheinlicher sey, als der andere. Wir wollen von beyden, aber von dem erstern, zufoͤrderst handeln. Denn es ist ei- ne gar mißliche Sache, andern seine wahrschein- liche Erkentniß begreifflich zu machen, daß sie ih- nen auch wahrscheinlich wird. §. 14. v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. §. 14. Uneinigkeiten in historischen Wahrschein- lichkeiten. Wenn eine Aussage vor der andern einen solchen Vorzug hat, wie wir (§. 12.) gewiesen haben, so wird jeder, der solchen Vorzug einraͤumet, auch uns recht geben, und uns einraͤumen, daß die Aussage, die wir vor wahrscheinlich halten, auch ihm wahrscheinlich sey. Wenn aber handgreiff- liche Anzeichen wider Aussagen streiten: so wird man in der Erfahrung finden, daß der eine de- nen Anzeichen, der andere den Aussagen mehr Ge- wichte beyleget, und eher Beyfall geben wird. An- zeichen wider einen jungen Menschen, die einen Richter fast bewegen moͤchten, ihn ohne weitlaͤuff- tigere Untersuchung gleich zu condemniren, wollen immer noch den Eltern nicht einleuchten: Das Laͤugnen des Sohnes gilt bey ihnen immer weit mehr. Wie schwehr ists nicht bey grossen Herren, daß ihnen durch Anzeichen die Treue ihrer Vertrau- ten verdaͤchtig werde. Hingegen finden wir wie- der bey soupconneux en Leuten, daß ihnen ein gerin- ges Anzeichen die Sache so zuverlaͤßig vorstellen kan, daß sie sich durch noch so viel Aussagen nicht wieder zur Ruhe bringen lassen. Hier laͤsset sich die Krafft der Anzeichen und die Krafft der Aussa- gen nicht gegen einander abwaͤgen: weil es Dinge von gantz verschiedener Art sind. §. 15. Die wahrscheinliche Erkentniß ist gantz ein ander Werck, als die gewisse. Ueberhaupt, wenn man einmahl nicht auf dem rechten Zehendes Capitel, rechten Wege ist, eine Sache zu erkennen, so kommt es hernach nicht allein auf die innerliche Beschaffenheit der Sachen an, und der Gruͤnde , worauf unsere Erkentniß beruhet, sondern auch vornehmlich 1. auf die Klarheit eines jeden Grundes, wie starck uns derselbe im Sinne liegt, und unsere Aufmercksamkeit an sich ziehet. 2. Auf die Neigung , welche man aus andern Ursachen hat, die Sache zu glauben, oder nicht zu glauben. Eben das Anzeichen wird dem einem Ehemanne die Treue seiner Ehegattin sehr verdaͤchtig machen, welches einem andern kaum der Rede werth zu seyn duͤncket. Jeder weiß, daß die meisten Anzeichen der Dinge nicht untruͤglich sind. Auch wird da- durch kein Anzeichen zuverlaͤßiger, und beweist an sich deswegen nicht mehr, daß es mir oder dir etli- che mahl eingetroffen: weil wir ja im Voraus wis- sen, daß es bald eintrifft, bald nicht eintrifft, wie viele Prognostica des Wetters und des Todes. Unterdessen, derjenige, dem ein Anzeichen einige mahl eingetroffen, wird hernach in neu vorkom- menden Faͤllen sich nicht enthalten koͤnnen, demsel- ben ein grosses Gewichte beyzulegen, ob er gleich durch seine vernuͤnfftige Ueberlegung wissen kan und muß, daß dieser Umstand die Anzeichen an sich nicht sicherer machen kan, daß sie eben ihm eini- ge mahl eingetroffen sind: so wie im Gegentheil je- der, wenn ein ihm angerathenes Anzeichen etliche mahl fallirt, kuͤnfftig nichts mehr darauf halten wird: ohngeachtet doch dieses der anzeigenden Krafft desselben an sich nicht schaden kan, daß es ihm nicht getreulich angezeiget. Nun lasse man zwey v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. zwey solche Personen zusammen kommen; wie ist es moͤglich, daß sie einander ihre Gruͤnde der Wahr- scheinlichkeit begreifflich machen? Denn wenn gleich jeder allenfalls anzeigt, daß er es aus der ei- genen Erfahrung wisse, so begreifft doch der an- dere das Vertrauen aus dieser Erzehlung nicht, welches der erstere auf seine Erfahrung setzet: und so auf dem andern Theile auch. Sie bleiben also uneins, wo man nicht gar sehr zu abstrahiren, und sich in die Umstaͤnde einer andern Seele zu setzen ge- lernet hat; welches doch schon in theoretischen, ge- schweige in pracktischen Dingen uͤberaus schwehr ist. Was aber die Liebe und Lust an einer Sache, so gar nur bey einem Geschichtschreiber, geschweige bey Dingen, die uns naͤher angehen, ausrichten kan; koͤnnen wir auch aus dem angefuͤhrten Exem- pel des Vertot sehen. (§. 2.) Dieser macht sich ein groß Bedencken, ob auch die Rhodiserritter dem tuͤrckischen Printzen einen Salvum conductum gegeben haͤtten, darum, weil die Ritter den Sal- vum conductum nachher muͤsten violirt, und sich also gar sehr an den Gesetzen der Treue versuͤndiget haben. Weil die Folgen des Salvi conductus un- gerecht seyn wuͤrden; so schluͤsset er daraus, wi- der die Existentz des Salvi conductus. (§. 9.) Al- lein wuͤrde wohl ein anderer, der bey dieser Sache gantz und gar fremde waͤre, sich im geringsten dar- an irren lassen, eine Sache zu glauben, darum, weil sie zur Ungerechtigkeit nachher Gelegenheit muͤste gegeben haben? Man weiß ja, daß nicht allein Dinge, die zur Ungerechtigkeit nach und nach verleitet, sondern unzehlige himmelschreyende Y Unge- Zehendes Capitel, Ungerechtigkeiten in der Welt, gerade zu sind began- gen worden. Aber vor einen Geschichtschreiber, der an der Ehre seines Heldens Theil nimmt, wie solches auch die Liebe des Naͤchsten erfordert; wenn er anders irgend etwas vor sich siehet, das eine Blame abwenden kan; so wird seine gantze Auf- mercksamkeit daruͤber rege. Wiewohl gedachter Abt auch also haͤtte dencken koͤnnen; was der Vice- Cantzler des Ordens, demselben vor keine Schande gehalten, das darff ein Geschichtschreiber demsel- ben auch wohl zuschreiben, ohne ihm, wegen der Ehre seiner Helden bange seyn zu lassen. §. 16. Schwehre Arbeit, mit wahrscheinlichen Geschich- ten umzugehen. Man merckt schon hieraus, in was fuͤr eine Weit- laͤufftigkeit man geraͤth, wenn man sich wegen der Wahrscheinlichkeit eines einigen Facti und Bege- benheit , wobey nur ein Ja und ein Nein moͤg- lich ist, mit andern Menschen vereinstaͤndigen will, auch daß es noͤthig sey, ihnen schon vieles von seinem Hertzenszustand zu entdecken. Aber wie wird es vollends werden, wenn man auf andere histori- sche Stuͤcke siehet, in welchen vornehmlich die Wahrscheinlichkeit herrschet, und die, ihrer Natur nach, nicht eine einige Begebenheit, son- dern eine grosse Menge, ja, nach Gelegenheit un- zehlige in sich fassen. Da ist es um so viel schweh- rer, Menschen mit einander zu vereinigen, weil bisher wenigstens noch gar nicht Regeln vorhanden gewesen sind, wie man nun im geringsten von sol- chen v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. chen Sachen zuverlaͤßig urtheilen, und wie man davon vernehmlich reden solle. Wir wollen es in besondern Stuͤcken der Geschichtskunde zeigen. §. 17. Erste wichtige Art der wahrscheinlichen Stuͤcke in der Historie. Oeffters werden Geschichte unter der Gestalt der allgemeinen Wahrheiten , und als loci com- munes vorgetragen. Z. E. Der eine sagt: Die Heyden sind tugendhafft gewesen; der andere verneinet es. Wird da nicht in der That alles voraus gesetzt, was wir aus den alten Geschichtschreibern gutes oder boͤses von den Heyden wissen: und doch kommt es nicht eben auf diese oder jene That insbe- sondere, sondern auf das meiste , auf das groͤste und vornehmste an. Bey dieser Art von histori- schen Wahrheiten sind wenigstens zweyerley Be- trachtungen zu unterscheiden: 1. Des facti, das voraus gesetzt wird, daß dabey keine fallacia vor- gehe: so dann 2. wie aus dem facto der locus com- munis gemacht werde. Nachdem wir nun eine Theorie von diesen Locis communibus angegeben haben, wie (§. 40. sqq. C. 2.) ist gewiesen worden; so wird man vermittelst dieser Theorie auch nun- mehro im Stande seyn, von historischen Wahr- scheinlichkeiten dieser Art vernehmlicher zu re- den, und das, was man selbst vor wahrscheinlich haͤlt, auch andern wahrscheinlich zu machen: da man ohne solche Regeln de locis communibus we- der den rechten Anfang, noch Ende in dergleichen Abhandlung bestimmen kan. Y 2 §. 18. Zehendes Capitel, §. 18. Zweyte wichtige Art der Wahrscheinlichkeit in der Historie. Die Wahrscheinlichkeit aͤussert sich ferner hauptsaͤchlich in gantzen Geschichten ; und de- nen daraus entstehenden langen Beschreibungen, die zumahl in einer gewissen Absicht gefertiget werden (§. 12. 19. C. 6.); als um die Gerechtig- keit, oder Ungerechtigkeit eines gewissen Verfah- rens darzuthun. Warum hierbey die Menschen nicht leichte unter einen Huth zu bringen seyn; und also auch, warum wir in solchen Stuͤcken oͤff- ters auch nicht eine Wahrscheinlichkeit bey den an- dern erhalten koͤnnen, ist ebenfalls aus den in vori- gen Capiteln festgestellten Lehren deutlicher zu erken- nen. Hauptsaͤchlich sind diese zwey Stuͤcke zu beob- achten. Weil man 1. eine gantze Geschichte nicht leichte vor sich selbst und als ein gewesener Zu- schauer wissen kan (§. 15. C. 6.). Und also auch nicht, aus der Aussage eines eintzigen Autors , den man auch Zeugen nennet, haben kan: So wird man sich bey Erzehlung einer langen Ge- schichte, auf eine Menge Personen, und ihre Aussagen beziehen muͤssen. Darunter werden nun immer welche seyn, die theils noch kein Anse- hen bey dem, dem wir unsere Sache wahrscheinlich machen wollen, haben; theils ihm gar verdaͤchtig sind: Es koͤnnen sich Schwierigkeiten finden, daß ihm ihre Aussagen zum Theil nicht klar genug vor- kommen. Einigen darunter koͤnnen wohl gar ge- genseitige Aussagen im Wege stehen. Was vor eine v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. eine Menge Gedancken! die man in den an- dern erwecken, und denen man begegnen muß, um ihm eine Geschichte so wahrscheinlich zu ma- chen, wie sie uns ist? 2. Da die Einrichtung einer gantzen Erzehlung, auch noch keine bekannte Re- gel hat, ausser was wir von dem Grundrisse einer Erzehlung gewiesen (§. 18. C. 6.), welches doch aus einer andern angefuͤhrten Ursach (§. 26. C. 6.), die Einrichtung einer jeden Erzehlung noch nicht genugsam bestimmet; so wird man Noth haben, auch nach Beobachtung dieser neuen Regeln, sei- nes Hertzens Sinn, fremden gantz und gar zu er- oͤffnen, und dadurch die Wahrscheinlichkeit bey andern zu erpressen; so wie es bey der gewissen Erkentniß moͤglich seyn muß, den andern von der Gruͤndlichkeit der Sache, so uͤbel er sich auch dar- zu anschickt, zu uͤberzeigen. §. 19. Dritte wichtige Art der wahrscheinlichen Stuͤcke in der Historie. Ein Hauptwerck aber, worinnen sich die histo- rische Wahrscheinlichkeit recht spiegelt, ist ferner die Angebung der Ursachen von vergangenen Dingen. Nun wird man aus unserer Theorie von dieser Sache (§. 36. seq. C. 8.) ersehen ha- ben, sowohl wie man disher keine festgesetzten Prin- cipia gehabt, von den Ursachen der Begeben- heiten zu urtheilen, oder zu reden; als auch, was es vor Bedencklichkeit habe, wenn man in die Ur- sachen einer Begebenheit hinein gehen will. Un- terdessen da wir nunmehro Formeln haben , wie Y 3 man Zehendes Capitel, man von den Ursachen einer jeden Begebenheit und Geschichte mit einander reden und dencken soll: So wird man, wenn man sich nur erst selbst uͤber einer wahrscheinlichen Ursache einer Begeben- heit entschlossen hat, auch andern seine Gedancken hievon mittheilen, und wenigstens mercken koͤnnen, woran es fehlet, oder fehlen koͤnne, daß der ande- re unsere angegebene Ursach, nicht vor wahrschein- lich will gelten lassen. Wir moͤgen Kuͤrtze halber nichts von dem, was wir schon gesagt haben, wie- derholen; unsere Leser aber bitten wir, die ihnen etwa beywohnenden Scrupel, welche sie wider die hie und da angegebenen Ursachen der Begeben- heiten haben, als Exempel vorzunehmen, und sie gegen die Lehren (des Cap. 8. §. 36. seq. ) zu hal- ten; so werden sie wahrnehmen, daß sie von ihrem Zweiffel deutlicher zu reden, und weiter zu forschen Gelegenheit und Anleitung finden werden. §. 20. Vierte wichtige Art der Wahrscheinlichkeit in der Historie. Der haͤuffigste Fall, wo die Wahrscheinlichkeit in der Historie gebraucht wird, ist dieser, wenn uͤber einen historischen Satz und uͤber eine Geschichte ge- stritten wird; dergestalt, daß jeder nicht allein das seinige beweisen , sondern auch das Gegen- theil widerlegen muß. Dabey muͤssen sich nun nothwendig alle Arten der historischen Schwie- rigkeiten aͤussern: Woferne man nicht, mit allem dem, was zur historischen Erkentniß gehoͤrt, be- waffnet und ausgeruͤstet ist: Dergestalt daß man nicht v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. nicht allein die Fehler der gegenseitigen Aussage und Zeugnisse, genau bemerckt, sondern auch, was seinem eigenen Beweise, moͤchte vorgeruͤckt wer- den, voraus absehen, und demselben vorbauen kan. So wie man bey Disputationen uͤber allge- meine Wahrheiten den gantzen Apparatum der Logicalischen Regeln und Begriffe im Gedaͤchtniß, ja am Griffe haben muß: Also muß man bey hi- storischen Streitigkeiten, auch alle Begriffe und Regeln der historischen Erkentniß bey der Hand, ja am Griffe haben. Folglich ist auch, in un- serer gantzen Abhandlung Anleitung gegeben worden: Wie man im historischen Disputiren sich betragen solle, es mag damit auf Gewißheit, oder nur auf Wahrscheinlichkeit abgesehen seyn. §. 21. Fuͤnffte wichtige Art der wahrscheinlichen Stuͤcke in der Historie. Aber es ist noch zu mercken, daß die Wahr- scheinlichkeit im Disputiren oͤffters eine gantz an- dere Gestalt bekommt. Denn man pflegt sogar demjenigen einzuraͤumen, daß er seine Sache wahr- scheinlich gemacht habe; der zwar sein Vorgeben mit schlechten Gruͤnden, z. E. nur mit einer Spur aus einem Autore beweiset, aber doch dabey wider die gegenseitigen Gruͤnde, die man bisher vor sol- che angesehen hat, an denen nicht das geringste aus- zusetzen waͤre, etwas aufzubringen weiß. So hat man neuerlich wider Vermuthung aller unserer Vorfahren wahrscheinlich gemacht, daß die letzteren Merovingischen Koͤnige, nicht wie man Y 4 sonst Zehendes Capitel, sonst geglaubt, bloͤde Herrn gewesen waͤren. Jn der That aber hat man mehr des Eginhards Zeugniß verdaͤchtig, als das Gegentheil von sei- ner Aussage glaublich gemacht. Morin hat sich vorgenommen wahrscheinlich zu machen, daß man bey den Heyden niemahls Menschen geopffert haͤtte, ohngeachtet so gewaltig viele Zeugnisse da- von vorhanden sind, daß man kaum daran zu zwei- feln sich in Sinn kommen lassen koͤnte. Dem aber ohngeachtet sind des Morins Betrachtungen artig zu lesen. Histoire de l’Academie des belles lettres T. 1. p. 57. und der Abt Boissy hat den- noch Verstand brauchen muͤssen, seine Einwuͤrffe abzulehnen. So hat auch der Abt Boivin den Einfall gehabt, daß die Jsraeliten, da sie in Egy- pten gewohnet, sich einsmahls des Regiments be- maͤchtiget, und eine gute Weile darinnen geherr- schet haͤtten: Welches auch so leichte niemanden in Sinn kommen wird, der bloß auf die glaub- wuͤrdigste Erzehlung in den Buͤchern Moses sie- het. Unterdessen hat doch dieser Anschlag nicht gleich als abgeschmackt bey der Academie des bel- les letres moͤgen verworffen werden, sondern er hat vielmehr den Abt Banier eine gelehrte Gegenbe- schaͤfftigung gemacht. Hist. de l’ Acad. T. II. p. 31. Nun in diesen und andern aͤhnlichen Faͤl- len, wo so unvermuthete Begebenheiten auf die Bahn gebracht werden, und als wahrscheinlich admittirt werden, ist die Wahrscheinlich- keit , mehr das Oppositum des Paradoxi, oder des Widersinnigen , als der Gewißheit. Denn bey solchen, den klarsten Zeugnissen zuwider lauf- fenden v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. fenden Vorgeben , ist zufoͤrderst die groͤste Vor- sicht zu gebrauchen, daß man nur mit seinem An- trage nicht gar ausgelacht wird. §. 22. Ob widersprechende Saͤtze Grade der Wahr- scheinlichkeit haben: Grade der Wahrscheinlichkeit entstehen dar- aus, wenn der eine Satz dem Zweiffel weniger un- terworffen ist, als der andere. Und dieses kan sich gar wohl bey zwey gantz verschiedenen hi- storischen Saͤtzen zutragen, daß dem einem mehr im Wege stehet als dem andern. Aber das ist eine Verwirrung der Begriffe, die zwar sehr ge- woͤhnlich, aber keinesweges zu rechtfertigen ist; wenn man zweyen entgegen stehenden Saͤ- tzen , ( contradictorie oppositis ) eine Wahrschein- lichkeit beylegt; nehmlich dem einen eine gerin- gere , dem andern eine groͤssere Wahrscheinlich- keit. Denn unter solchen Saͤtzen kan nur einer wahrscheinlich seyn. Wir wollen solches nach der Definition der Wahrscheinlichkeit zeigen, der man sich gemeiniglich bedienet: Nehmlich, wo mehrere Requisita, oder auch Anzeichen der Wahr- heit vorhanden sind, als des falschen. Es sey nehmlich ein Factum, dabey zehen Zuschauer ge- wesen: Wenn diese alle unverdaͤchtig sind, und ein- muͤthig die Sache erzehlen, so wird sie jedermann vor gewiß halten. Gesetzt aber, sie gehen in der Erzehlung von einander ab: So entstehet daraus Ungewißheit . Waͤren ihrer fuͤnfe dieser Meynung, die andern fuͤnfe der entgegen gesetzten Y 5 Mey- Zehendes Capitel, Meynung; so wuͤrde uns die Nachricht, die wir von ihnen erlangen, voͤllig ungewiß seyn (§. 11.). Gesetzt aber, ihrer sechse oder sieben sagen etwas aus, die drey oder vier uͤbrigen das Gegentheil, so wird die erstere Nachricht, nehmlich die die meisten geben, uns wahrscheinlich seyn; und zwar nach der Definition der Wahrscheinlichkeit. Jst es aber nun auch moͤglich: Daß wir auch die Aussage der wenigern , nach derselben Defini- tion wahrscheinlich nennen koͤnnen? keineswe- ges. Denn es hat dieselbe ja mehr criteria wi- der sich, als vor sich; welches der Definition der Wahrscheinlichkeit widerspricht. Folglich kan auch das eine nicht wahrscheinlicher seyn, als das andere. Und also giebt es hier keine Grade. Und der Satz ist der Wahrheit gemaͤß: Unter zwey contradictorisch entgegen stehenden Saͤtzen ist nur der eine wahrscheinlich. Dieses ist moͤglich: Daß ich die Gruͤnde meiner Erkentniß bey einer einigen Sache theile: Und bey dem einen Grunde weniger Bedencken finde, als bey dem andern: Z. E. wenn von zehen Zu- schauern, sieben die Sache so, dreye aber das Gegentheil aussagen: So ist die Aussage der ersten wahrscheinlich , in Erwegung der An- zahl der Zeugen. Hingegen wenn es sich eben zutruͤge, daß die drey Aussager bey mir ein voͤl- liges Ansehen haͤtten, der sieben ihr Ansehen aber bey mir geringe, oder mir gar verdaͤchtig waͤren: So wuͤrde mir die Aussage der wenigeren wahrscheinlich seyn, in Betrachtung des Anse- hens der Aussager. Nun kommt es auf mich an, v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. an, welches von beyden meine Aufmercksamkeit mehr an sich ziehet ( n. 1. §. 15.): Ob die An- zahl oder das Ansehen der Aussager? Und da kan ich sagen, daß mir der eine Satz wahrschein- licher sey, der andere aber noch wahrscheinli- cher ; nehmlich die Sache auf verschiedene Wei- se betrachtet. Gleichwie man aber endlich doch von der gantzen Sache sein Urtheil faͤllen muß, ob man sie vor wahr haͤlt, oder nicht? Wobey alle Gruͤnde, die man hat, zusammen genommen werden muͤssen: Also wird am Ende doch nur vor einen von beyden Saͤtzen, eine Wahrschein- lichkeit uͤbrig bleiben. §. 23. Critick uͤber die gewoͤhnliche Definition der Wahrscheinlichkeit. Ueberhaupt aber kan man, die Definition der Wahrscheinlichkeit, wo mehrere Requisita der Wahrheit vorhanden sind , in der Hi- storie gar nicht brauchen. Denn die Wahrheit der Geschichte, welches nichts anders, als die Ge- schichte selbst ist, beruhet auf den Ursachen , wodurch die Begebenheit selbst zur Existentz ge- bracht worden. Hingegen unsere Erkentniß der Geschichte, die wir nicht mit eigenen Augen sehen, beruhet auf den Aussagen derer Zu- schauer, welche offenbar mit der innerlichen Be- schaffenheit der Geschichte keine nothwendige Verbindung haben. Sondern eine Histo- rie bestehet, wenn sie auch von keinem Men- schen ausgesagt, oder nachgesagt wird. Bey der Zehendes Capitel, der Erkentniß aus Folgen hat zwar der Grund unserer Erkentniß, nehmlich die Folgen von ei- ner Geschichte, mehr Verbindung, mit dem Grun- de der Sache selbst. Doch kan ich auch die Fol- gen einer Begebenheit , nicht eigentlich als den Grund der Begebenheit ansehen: Und die Be- gebenheit bliebe wahr, wenn auch die natuͤrlichen Folgen derselben durch ein Wunderwerck aufge- hoben wuͤrden. Ferner, wo man das vergan- gene am zuverlaͤßigsten aus dem gegenwaͤrtigen erkennen kan, so beruhet unsere Erkentniß auf ei- ner Empfindung der Uebereinstimmung (§. 37. C. 9.), wobey sich die Requisita auch nicht zeh- len lassen. Bey regelmaͤßigen Bewegungen aber, da man die vorhergehende aus den nachfol- genden, und die nachfolgenden aus dem vorgehen- den nach dem Lauffe der Natur schluͤssen kan, ge- het alles nach den Regeln der Demonstration , bey welcher uͤberhaupt keine Requisita ad verita- tem noͤthig sind. §. 24. Wahrscheinlichkeit einer Begebenheit ist nur vor gewisse Leute. Es ist auch zu mercken, daß sich niemand in die wahrscheinliche Erkentniß dieser oder jener Bege- benheit einlaͤsset , der nicht an der Geschichte selbst Theil naͤhme ; welches auf gantz verschiedene und unzehlige Weise geschehen kan: Nimmt man aber Theil daran; so siehet man die Sache auch aus einem gewissen Sehepuncte an; (§. 15. C. 5.) welches macht, daß man auf gewisse Stuͤ- cke genau merckt, da man hingegen andere uͤbersie- het; v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. het; und unter denen Stuͤcken, auf welche man siehet, eines mehr zu Hertzen nimmt, als das an- dere. Daraus entstehet denn die Wahrschein- lichkeit auf dieser oder jener Seite. (§. 15.) Die aber aus der multitudine requisitorum ad verita- tem die Wahrscheinlichkeit bestimmen wollen, stellen sich den Menschen vor, als wenn ihm die Sache gantz und gar gleichguͤltig waͤre; so daß er mit einer gantz reinen Vernunfft einen Umstand nach dem andern beleuchtete, jedem gleichen Werth beylegte, und hernach durch Zusammenrechnung der Umstaͤnde auf beyden Seiten die Wahrschein- lichkeit herausbraͤchte: Allein diese hypothesis ist der Natur der Seele zuwider. Eine Sache, die uns nichts angehet, die untersuchen wir auch nicht; sondern wenn sie uns Fragweise vorgelegt wird, so antworten wir, wir wuͤsten es nicht , welches wahr waͤre, oder auch, die Sache gehe uns nichts an , und man sollte andere Leute fragen. §. 25. Von unwahrscheinlichen Erzehlungen. Unwahrscheinlich nennen wir auch oͤffters, was nach den Umstaͤnden und Eigenschafften einer Sache, die uns bekannt sind, nicht geschehen seyn kan; und dieses Wort bedeutet also, in solchen Faͤllen, so viel, als paradox. Wie nehmlich eine Be- gebenheit , die uns erzehlt wird, wenn sie mit de- nen uns schon bekannten Umstaͤnden derer Personen und Dinge wohl uͤbereinkommt, wahrschein- lich , plausibilis, genennet wird, wenn auch gleich der Aussager nicht das geringste Ansehen vor sich haben Zehendes Capitel, haben sollte: so nennet man im Gegentheil eine Er- zehlung unwahrscheinlich, wenn sich die erzehl- ten Begebenheiten zu dem, was wir von der Sa- che und von denen Personen schon wissen, nicht schickt, sondern denselben widerspricht. Waͤre es nun an dem, daß die Erzehlung denen uns bekann- ten und wahren Beschaffenheiten der Sache wuͤrck- lich widerspraͤche, so muͤste dieselbe auch falsch seyn. Aber fast allemahl widerspricht sie nicht so wohl deu wahren Umstaͤnden, die uns sonst bekannt sind: sondern 1. entweder sie scheinet uns sich nur zu solchen Umstaͤnden nicht zu schicken, weil wir den gantzen Zusammenhang nicht recht wissen; 2. manchmahl schickt sie sich auch wuͤrcklich nicht, nach denen moralischen Regeln. Aber dargegen ist zu mercken, daß das ungeschickte so wohl in der Welt von Menschen geschehen kan, als was ge- recht und schicklich ist. Daher ist die Unwahr- scheinlichkeit kein Beweiß, daß die Erzehlung falsch sey. Hingegen aber ist sie wohl ein Hinder- niß des Glaubens und der Gewißheit : denn sie verursacht, daß wir das Gegentheil von dem ge- dencken, was wir doch um der glaubwuͤrdigen Aussagen, und um des Ansehens willen, welches der Aussager hat, glauben wuͤrden. Aus der Un- wahrscheinlichkeit also in diesem Verstande fluͤsset weiter nichts, als daß der Autor einer solchen Erzehlung 1. entweder den Zweiffel durch sein An- sehen unterdruͤcke, oder 2. das unwahrscheinliche durch mehrere Aufklaͤrung der Sache voͤllig aus dem Wege raͤume. §. 26. v. d. historischen Wahrscheinlichkeit. §. 26. Die Kunst, bey Geschichten zu uͤberzeigen. Ueberzeigen ist uͤberhaupt nicht einerley mit Beweisen und der Sache gewiß machen. Phil. Defin. p. 25. sondern bedeutet so viel, als durch vorhandene Zweiffel und Scrupel zur Gewißheit durchdringen. Dieses laͤsset sich denn auf die histo- rische Erkentniß leicht appliciren. Zur Gewißheit an sich gehoͤren nur Aussagen von Autoren, die ein voͤlliges Ansehen haben, (§. 24. C. 9.) wenn sich aber, wie gar oͤffters geschiehet, wegen entge- gen stehender Zeugnisse und Anzeichen Zweiffel fin- det, so haben wir gewiesen, wie dieser Zweiffel ge- hoben werden muͤsse; (§. 3. sq.) und dadurch die Gewißheit gleichsam erpresset werden koͤnne. Ja da auch Sachen vorkommen, da es auf Wahr- scheinlichkeit ankommt, und wo wir weiter nichts verlangen, als daß die Sache dem andern eben so wahrscheinlich werden und seyn moͤge, als wie sie uns ist. Ohngeachtet nun solches nicht alle- mahl moͤglich ist, wegen der angefuͤhrten Ursachen: (§. 15. 24.) dennoch, so weit solches angehet, ist es auch erklaͤret worden. (§. 16. sq.) Und also ist diese Einleitung zur historischen Erkentniß zu- gleich eine Anleitung in historischen Dingen, so- wohl sich als andere zu uͤberzeigen , und in hi- storischen Streitigkeiten der Wahrheit nichts zu vergeben. (§. 20.) Welcher Nutzen denn unse- re Bemuͤhung die historische Erkentniß in ein groͤs- ser Licht zu setzen gnugsam rechtfertigen wird. Des Pyrrhonismi historici nicht zu gedencken, welcher sich in unsern Tagen hier und da geaͤussert, am er- sten Zehendes Cap. von der hist. Wahrsch. sten aber unter den Titul der historischen Wahr- scheinlichkeit haͤtte einschleichen konnen. Die- sem aber kan nicht besser begegnet werden, als da- durch, daß man deutlich zeigt, wie unsere Seele bey historischen Wahrheiten zu verfahren pflegt, und verfahren solle. Jn Ermangelung aber der Re- geln verfaͤllt man auf mancherley Weise auf den Pyrrhonismum : bald dadurch, daß man sich in so viele Zweiffel verwickelt siehet, da man keine Moͤglichkeit siehet, zu einer sichern Entscheidung zu kommen, welches Peter Baylen vornehmlich zum zweiffeln geneigt gemacht: bald dadurch, daß man die Beurtheilung der Erzehlungen von den Zweiffeln nicht zu unterscheiden weiß, welches zu der Bierlingischen Abhandlung dem Pyrrhoni- smo historico Gelegenheit gegeben hat, und welche Pruͤfungen auch vom P. Daniel vor eine Art des Pyrrhonismi angesehen worden. Hist. de la Fran- ce Preface p. 2. bald endlich dadurch, daß man aus denen vorhandenen wuͤrcklich zweiffelhafften Begebenheiten und Nachrichten, nach Art eines loci communis, beynahe alle Geschichtserkentniß vor ungewiß anzusehen geneigt ist: wie solches un- ter andern in der Philosophie du bon ‒ sens par Mr. le Marquis d’Argens sich aͤussert. Deutliche Re- geln koͤnnen solcher Neigung am besten begeanen. Denn ists wohl Wunder, daß man zweiffelt , wenn so viele Begriffe, als wir nach der Reihe an- gefuͤhrt und erklaͤrt haben, ohne Ordnung und Deutlichkeit in der Seele vorhanden sind, und un- sere Urtheile von historischen Dingen hervorbringen helffen? Eilfftes Eilfftes Capitel, Von alten und auslaͤndischen Geschichten. §. 1. Erklaͤrung der alten Geschichte. D er Begriff des alten ist bey den meisten Sa- chen sehr unbestimmt. Manche Sache wird bald alt, manche spaͤte. Man rechnet das Alter zwar gemeiniglich nach Jahren: aber eigent- lich entstehet es aus einer Veraͤnderung der Sache selbst. Es ist also die Frage: Was dasjenige sey, wodurch eine Geschichte eigentlich alt wird? Wir antworten so: Die Art der Erkentniß bey einer Geschichte wird geaͤndert, wenn alle Zuschauer ab- gestorben sind; dergestalt, daß man nunmehro sie nur von Nachsagern erlernen muß. (§. 3. 4. C. 7.) Nun giebt es der Nachsager vielerley Ar- ten, nachdem die Nachricht durch mehrere Haͤnde gehet, ehe sie zu uns kommt. (§. 5. C. 7.) Wenn man nun die Geschichte alsdenn alt nennet, wenn keine Zuschauer mehr am Leben sind, so wird sie noch aͤlter seyn, wenn auch keiner von den ersten Nachsagern am Leben ist. Und hauptsaͤchlich wird eine Geschichte alt zu nennen seyn, wenn niemand mehr da ist, der durchs Hoͤren von seinen Vorfah- ren von der Sache waͤre belehret worden: so daß man sich nunmehro bloß an die Denckmale halten muß. Da man nun schon seit sehr langer Zeit nicht Z mehr Eilfftes Capitel, mehr sehr darauf haͤlt, daß einer dem andern, und zwar Alte denen Juͤngern, dasjenige beybraͤchten, was sie von ihren Eltern gehoͤret haben, sondern sich aufs schreiben verlaͤsset, so werden die Geschichte bald sehr alt. §. 2. Woraus man alte Geschichte erlernet. Da hier das Wort Denckmahl ein Hauptbe- griff ist, so muͤssen wir dessen Bedeutung feste se- tzen. Es heisset nehmlich jedes Werck, welches vermoͤgend ist, die Menschen von vergangenen Dingen zu belehren. Darzu sind nun die Schriff- ten ohne Zweiffel am allergeschicktesten; und folg- lich sind sie vor die wichtigste Art der Denckmahle zu halten. Allein man pflegt doch gemeiniglich (wenigstens nach der Deutschen Mundart) die Buͤcher, woraus man eine Geschichte erlernen kan, von den Denckmahlen derselben zu unterscheiden. Und dieses nicht ohne Grund. Denn ein Buch hat ja bey dem Leser alle Wuͤrckungen einer Rede. (§. 17. C. 7.) So lange also noch Buͤcher vor- handen sind, worinnen Sachen und Geschichte be- schrieben sind, so lange ist es eben so gut, als wenn wir aus dem Munde des Verfassers die Nachricht erhielten. Wie man nun eine muͤndliche Erzeh- lung nicht vor ein Denckmahl haͤlt, also kan man auch die aufgeschriebenen Erzehlungen von denen Monumenten und Denckmahlen absondern. Mit- hin beruhet die Erkentniß der alten Geschichte theils auf Buͤchern , theils auf Denckmahlen. §. 3 von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. §. 3. Der Grund der Erkentniß alter Geschichte ist die Chronologie. Bey denen historischen Schrifften setzen wir nun voraus, daß die Chronologie nicht allein eine moͤgliche, sondern auch eine wuͤrcklich vorhandene Sache sey, durch die man die vor unserer Zeit ver- lauffenen Jahrhunderte durch gewisse wichtige Begebenheiten von einander unterscheiden, und also die Entfernung der Geschichte bey unsern Zeiten, und ihre Entfernung von einander bestimmen kan. Die Nahmen eines Scaligers, eines Calvisius, und anderer, sind so bekannt, daß wir von ihren chronologischen Arbeiten vieles zu gedencken nicht noͤthig haben. Vermoͤge dieser Gelehrten ihrer Arbeit aber kan man Personen und Geschichte be- stimmen, wie viel Zeit zwischen ihnen und unsern Zeiten verlauffen ist. Die meisten Streitigkeiten und Zweiffel dieser Art, wenn man die alleraͤltesten Geschichte bey Seite setzet, betreffen etwa einen Unterschied von 4. oder auch 6. Jahren, welches bey einer Entfernung von etlichen hundert Jahren vor eine Kleinigkeit zu rechnen ist. Mithin kan man auch daraus die Zeit der historischen Schriff- ten, wenn sie gefertiget worden, bestimmen. §. 4. Eintheilung historischer Schrifften. Die historischen Schrifften aber, woraus man alte Geschichte erlernet, sind nicht von einerley Art. Manche sind gantz und gar historischen Jn- halts: und diese wollen wir die Quellen der alten Z 2 Historie Eilfftes Capitel, Historie nennen. Die meisten Buͤcher aber, die man bey der Erkentniß alter Geschichte braucht, sind solche, da nur hin und wieder gelegentlich etwas hi- storisches mit eingestreuet ist. Wie denn kein Buch leichte seyn wird, es mag von einer Materie han- deln, wovon es will, darinnen nicht etwas histo- risches vorkommen sollte. Diese gehoͤren zu den historischen Huͤlffsmitteln. ( subsidia historica ) Ein rechter Liebhaber der Historie blaͤttert daher alle Buͤcher durch, die ihm vorkommen: er wird selten eines finden, darinnen er nicht eine und andere an- genehme Nachricht antreffen sollte. §. 5. Quellen der alten Historie. Die Quellen der alten Historie sind 1. die Brief- fe der Privatpersonen, oder auch der Staats- maͤnner, iedoch solche, die sie nicht in oͤffentlichen Angelegenheiten geschrieben haben. 2) Staats- schrifften, wohin alles zu rechnen ist, was publi- co nomine bekannt gemacht wird, als Gesetze, Buͤndnisse, Friedensschluͤsse. Nicht minder gehoͤren hieher die Acta publica, wie die Roͤmer ihre Acta diurna hatten: wie auch die Reden, wel- che bey Staatsgeschaͤfften sind gehalten worden. Doch muͤssen sie nicht, wie die meisten bey den Latei- nischen und Griechischen Geschichtsschreibern er- dichtet seyn; welches auch neuere Autores, als Caoursin und Guichardin nachgethan haben. §. 6. Sicherer Grund alter Geschichte. Es ist klar, daß, wo dergleichen Schrifften vor- handen sind, wie in Ansehung der Wahrheit der Geschichte, von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. Geschichte, eben so gut daran sind, als wie bey neuen Begeb e nheiten. Denn wenn wir in einer solchen Schrifft und Buche lesen, so ist es nicht an- ders, als wenn wir in jenes altes Seculum versetzt wuͤrden, und die aufgezeichneten Nachrichten aus des Verfassers eigenem Munde vernaͤhmen. Denn in Ansehung des Verstandes ist es ja einerley, ob ich eine Erzehlung hoͤre, oder ob ich sie lese: und der Verlauff der Jahre kan den Sinn und Be- deutung der Worte, die sie bey dem Versasser ge- habt, nicht aͤndern, wenn wir anders nur die Spra- che verstehen, darinnen das Buch abgefasset ist. Der Grund unserer Erkentniß von alten Geschich- ten aus Buͤchern, ist eben so feste, als der Grund unserer Erkentniß von neuen Geschichten, in so fer- ne wir diese auch aus Nachrichten erlernen muͤssen. §. 7. Schwierigkeiten bey den Quellen alter Geschichte. Doch in einigen Stuͤcken aͤussert sich manchmahl ein Unterscheid, daß uns nehmlich schwehrer und muͤhsamer wird, die alten Geschichte aus ihren Quellen zu erlernen, als die neuen. Nehmlich 1. ist manchmahl wegen der Avthenticitaͤt einer alten Schrifft ein Zweiffel: weil es nehmlich auch nach- gemachte und untergeschobene giebt. Die so genannte Donatio Constantini M. ist ein bekann- tes Exempel hiervon, welches mit dem Privilegio Alexanders des Grossen den Slavacken gegeben, be ym Goldasto de Regno Bohemiæ T. II. p. 170. Edit. Schminckii in einem Paare gehet. 2. Wenn Z 3 auch Eilfftes Capitel, auch gleich eine Sprache, darinnen eine historische Nachricht abgefasset ist, lange nachher im Gebrau- che ist; so gehen doch wehrender Zeit manche Ver- aͤnderungen der Woͤrter vor, daß einige gantz aus dem Gebrauch kommen; andere aber neue Bedeutungen bekommen. Dieses verursacht dann, daß wenn man die alten Geschichten in ihren Quellen lesen will, nicht allein die gemeine Erkent- niß der Sprache, worinnen sie abgefasset sind, er- fordert wird, sondern auch Critick und Philolo- gie: welche beyde Erkentnisse man bey neuen Ge- schichten entbehren kan. 3. Diejenigen, welche Urkunden abfassen, und uͤberhaupt Geschichte aufzeichnen, sehen gemeiniglich am meisten auf die ersten Leser, an welche die Schrifft gerichtet wird. Diese nun, wie sie sich in mehrerer, und oͤffters in gantz genauer Verbindung mit der Geschichte befinden, welche ihnen schrifftlich vorgelegt wird; also bringen sie, als Leser, manche Erkentniß dar- zu, welche ihnen die Schrifft verstaͤndlich macht: wie solches von Brieffen, ja auch von Gespraͤchen klar ist. (§. 8. 45. der Auslegekunst). Wer aber nach spaͤten Zeiten uͤber eine solche schrifftliche Nachricht kommt, weiß meistens von der Sa- che weiter nichts, die darinne vorgetragen wird, als was er davon darinnen aufgezeichnet sindet. Er bringt also nicht diejenige Erkentniß darzu, mit wel- cher die ersten Leser versehen waren. Dannenhero ist kein Wunder, daß er manches nicht so gleich ver- stehet, welches die ersten Leser ohne den geringsten Anstoß verstanden haben. Und dieses ist die Ursa- che, warum man auch die Hermenevtick noͤthig hat, von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. hat, wenn man die alten Geschichte in ihren Quel- len lesen will. §. 8. Besondere Art der Quellen alter Geschichte. Unter denen Staatsschrifften hat man seit einiger Zeit sein Augenmerck besonders auf die Diplomata, oder offene Brieffe gerichtet, durch welche grosse Herren und alle Obrigkeiten, seit 1200. Jahren, ihre Privilegia, Stifftungen, u. s. w. bekannt zu ma- chen und zu bestaͤtigen pflegen: da grosse Herren in aͤltern Zeiten dasjenige, was nachher in Diploma- tibus gefunden wird, durch Brieffe und Rescripta an die vornehmsten Staatsbedienten und Collegia bekannt machten und bestaͤtigten. Bey solchen Diplomatibus, wie sie nur in den Jahrhunderten und Zeiten vorkommen, die wir schon als neuere ansehen, und als Schrifften, wovon noch viele Originalia vorhanden sind: also wird bey ihnen als ein Hauptumstand und zufoͤrderst angesehen: ob man von einem Diplomate das Original selbst, oder nur eine Copey und Abschrifft vor Augen habe? §. 9. Von der Diplomatick. Um bey den Diplomatibus dem Betruge zu be- gegnen, welcher um so viel eher zu besorgen, da die Diplomata noch in die ietzigen Rechte der grossen Herren, der Privatgesellschafften, ja eintzelnen Privatpersonen einen grossen Einfluß haben; hat man sich seit einiger Zeit die groͤste Muͤhe gegeben, 1. die unterschobenen und nachgemachten Ori- Z 4 ginalia Eilfftes Capitel, ginalia von denen aͤchten genau zu unterscheiden. Wobey es auf die Zuͤge der Buchstaben, auf die Beschaffenheit der Unterschrifft, ingleichen des Siegels, ja auch des Papiers und Pergaments an- kommt; 2. auch die untergeschobenen Diplomata, welche nur vor Abschrifften ausgegeben werden, von denen aͤchten zu unterscheiden: welches aus de- nen Materialien, oder auch Formalien, uͤber- haupt aus dem Jnhalte derselben muß entschieden werden, ob sie mit den Umstaͤnden der Zeit, und derer damahls am Leben gewesenen Personen genau uͤbereinkommen. Die unglaublichen Bemuͤhun- gen des vortrefflichen Mabillon, und sein Werck de Arte Diplomatica, sind allzubekannt und allzuge- priesen, als daß wir dasselbe zu beschreiben noͤthig haͤtten. Selbsten der Auszug daraus, den der beruͤhmte Hr. P. Eckhard geliefert, erlanget aus der Wichtigkeit der Sache einen nicht geringen Werth. Ueberhaupt koͤnnen wir dieses vortreffli- che Stuͤck der Gelahrheit und der historischen Er- kentniß nur mit der groͤsten Kuͤrtze beruͤhren, weil er nur einen Theil der Geschichte, selbst der alten Geschichte betrifft, nehmlich die Geschichte des me- dii æui, und zwar nur in den Europaͤischen Reichen. Unsere Abhandlung aber ist auf die historische Er- kentniß uͤberhaupt gerichtet. §. 10. Dritte Hauptquelle alter Geschichte. Eine andere Hauptquelle der alten Geschichte sind vor uns die Geschichtschreiber, und die von ihnen zum Unterricht der Welt, hauptsaͤchlich der spaͤten von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. spaͤten Nachwelt, verfertigten historischen Buͤ- cher. Diese sind von den vorigen historischen Schrifften gantz und gar unterschieden, als welche selbst Stuͤcke der Geschichte sind, die darinnen abgehandelt werden, und wegen ihrer vorzuͤglichen Krafft zu lehren, Documenta genennet werden. (§. 35. C. 9.) Der Geschichtschreiber ihre Buͤcher aber sind eigentlich Lehrbuͤcher, die nur per accidens aus denen vorgegangenen Geschichten entstehen. Der Hauptplan eines Geschicht- schreibers gehet dahin, daß er jede Geschichte so vortrage, und in solche Erzehlung bringe, daß sie jedem, der auch lange nachher daruͤber kommt, ohne von den Umstaͤnden selbiger Zeiten schon mehrere Nachricht zu haben, dennoch bloß aus seiner Er- zehlung dieselbe begreiffen koͤnne. Das ist die Ab- sicht, und mithin auch die Pflicht eines Ge- schichtschreibers: er mag nun nur eintzelne wichti- ge Geschichte beschreiben, wie Sallustius den Cati- linarischen und Jugurthischen Krieg beschrieben, oder er mag die Geschichte eines gantzen Zeitraumes, in eine Erzehlung bringen, wie Curtius, Ta- citus, Thuanus, und viele andere gethan ha- ben. Einen Geschichtschreiber muͤssen wir daher, als einen Lehrer ansehen, der die Welt weit und breit, und lange nachher von grossen Begebenhei- ten belehren will. §. 11. Worinnen das Ansehen eines Geschichtschrei- bers bestehet. Weil bey der Betruͤglichkeit der menschlichen Aussagen zur wahren Erkentniß der Geschichte Z 5 nicht Eilfftes Capitel, nicht genug ist, daß es ein Mensch saget, son- dern auch noch ein Ansehen und eine Autoritaͤt des Aussagers darbey erfordert wird: (§. 22. C. 9.) so wird auch jeder Geschichtschreiber, wenn er uns Nutzen schaffen soll, ein gewisses Ansehen haben muͤssen. Da er nun einen Lehrer gewisser Ge- schichte abgiebt, (§. 10.) so muͤssen an ihm auch die Qualitaͤten angetroffen werden, die man von einem Lehrer zu erwarten und zu fordern befugt ist. Nun aber ist derjenige geschickt, eine Geschichte zu lehren, der 1. dieselbe entweder durch sein An- schauen und Gegenwart, oder aus sichern Nach- richten erkannt hat. 2. Der im Stande ist, die Geschichte, die er in seinen Sinn gefasset hat, so zu Papier zu bringen, und zu erzehlen, daß auch fremde Leser, die mit der Geschichte selbst nicht in Verbindung stehen, dennoch daraus die Geschichte verstehen lernen. Diese zwey Umstaͤnde machen also das Ansehen eines Geschichtschreibers aus: welches so wohl voͤllig, als nur in einer gewissen Masse vorhanden seyn kan. (§. 24. C. 9.) §. 12. Und wo es am ersten voͤllig ist. Wenn der Geschichtschreiber Begebenheiten er- zehlt, bey welchen er gegenwaͤrtig gewesen ist, und einen Zuschauer abgegeben hat; (er braucht aber eben nicht ein blosser Zuschauer gewesen zu seyn, son- dern kan gar wohl selbst die Hauptperson dabey ab- gegeben haben, wie Cæsar in seinem bello Gallico und civili ) so ist sein Ansehen in diesem Stuͤcke vollkommen. Er ist auch in Ansehung solcher Stuͤ- cke von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. cke von dem Verdachte der Erdichtung frey, wo kein Nutzen von der Verfaͤlschung der Geschichte vor ihm abzusehen ist. Jn solchen Stuͤcken aber, wo sein Nutzen oder auch seine Ehre vorwaltet, braucht er allerdings eine Ergaͤntzung seines Ansehens. (§. 25. C. 9.) Nehmlich wir muͤssen entweder sehr von seiner Aufrichtigkeit versichert seyn, oder die Ergaͤntzung muß durch Zeugen geschehen, (§. 28. C. 9.) wobey auch in gewissen Faͤllen das Stillschweigen seiner Gegner vor ein Zeugniß zu rechnen ist. (§. 32. C. 9.) §. 13. Scriptores coæui: Selten aber kan ein Geschichtschreiber, wenn er gleich von Sachen handelt, bey denen er einen Zuschauer abgegeben, bloß aus seiner eigenen Wis- senschafft erzehlen, sondern muß vielmehr die Aus- sagen anderer und die erhaltene Nachrichten zu Huͤlf- fe nehmen (§. 15. C. 6.) Meistens aber schreibt ein Geschichtschreiber von Sachen, wo er gar nicht dabey gewesen ist: Jndem er mehr durch seine Gabe, Begebenheiten geschickt zu erzehlen, als durch seine Erkentniß der Begebenheiten selbst, bewogen wird, einen Geschichtschreiber abzugeben. Dieses ist die Ursach, warum man von jedem Ge- schichtschreiber nicht so wohl verlangt, daß er ein Zuschauer gewesen seyn soll: Auf welchen es doch allemahl hauptsaͤchlich in der historischen Erkent- niß ankommt; als nur dieses, daß er zu eben der- selben Zeit gelebt haben soll, daß er sich also der Sachen, wie sie noch nicht alt waren, sondern noch Zuschauer Eilfftes Capitel, Zuschauer genug vorhanden waren (§. 1.), genau hat erkundigen koͤnnen. Man verlangt also auch von alten Geschichten nicht sowohl Zuschauer, als Scriptores coæuos. Und dieses macht mithin ein Stuͤck des Ansehens bey einem Geschichtschrei- ber aus (§. 11.): Weil man nehmlich daraus abnehmen kan, wie er zu der Erkentniß der Ge- schichte, die er beschreibt, gekommen ist; und daß er sie entweder selbst muͤsse gesehen haben, oder doch Personen gewust haben, die bey der Begeben- heit gegenwaͤrtig gewesen sind. §. 14. Haben ein grosses Ansehen. Es wird aber das Ansehen eines Scriptoris coæui nicht allein dadurch groß, daß wir versichert sind, er habe die Geschichte von Zuschauern in Er- fahrung bringen koͤnnen, woferne er nicht selbst da- bey gewesen ist; sondern auch dadurch, weil er seine Erzehlung und Belehrung zu einer sol- chen Zeit ans Licht treten laͤsset, da eine Menge Personen vorhanden seyn muͤssen, welche durch seine unwahre Erzehlung, falls er sich dergleichen sollte geluͤsten lassen, beleidiget wuͤrden: Die also nicht ermangeln wuͤrden, dem Geschichtschreiber zu widersprechen. Dieser Zustand eines Geschicht- schreibers wuͤrckt nun 1. eines Theils soviel, daß niemand leichte so unverschaͤmt ist, daß er sich getrauen sollte, zumahl von oͤffentlichen Sachen, daran jedermann Theil nimmt, vorsetzliche Un- wahrheiten hinzuschreiben. So wird sich kein vernuͤnftiger Mensch, und also auch kein Geschicht- schreiber von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. schreiber unterstehen, dem Landesherrn eine Ge- mahlin beyzulegen, mit der er nicht wuͤrcklich ver- maͤhlt ist: Eine Stadt in der Naͤhe zu dichten, die nicht vorhanden ist: Ein Erdbeben zu erzeh- len, davon niemand im Lande etwas weiß. 2. An- dern Theils aber bringt die Beschaffenheit eines Scriptoris coæui mit sich, daß das Stillschweigen anderer Geschichtschreiber, ohngefehr von gleichem Alter, und die bald darauf folgen, und daß sich niemand darwider gereget, vor eine Bestaͤtigung zu achten ist (§. 32. C. 9.). §. 15. Warum die Geschichtschreiber die Nahmen der Zuschauer weglassen: Ein Geschichtschreiber, wenn er sich nicht auf sein eigen Wissen, sondern auf Nachrichten, von gewesenen Zuschauern gruͤndet; sollte dieselben lie- ber nahmentlich anfuͤhren; weil auf den Zu- schauer bey jeder Geschichte gar zu viel ankommt (§. 1. C. 5.). Allein da doch die meisten Leser, ja alle, die Personen meistens nicht kennen wuͤr- den, folglich auch, das Ansehen derselben bey de- nen Lesern geringe seyn wuͤrde, ob es gleich bey dem Geschichtschreiber starck, ja voͤllig gewesen: So verliert man nicht viel dabey, wenn der Ge- schichtschreiber sie nicht anfuͤhret. Denn wenn wir ihn einmahl vor einen Lehrer der Geschichte gelten lassen (§. 11.) so verstehets sich, daß wir ihm zutrauen, er werde die Sache von solchen Per- sonen, mittelbar oder unmittelbar in Erfahrung gebracht haben, welche wuͤrcklich Zuschauer gewe- sen Eilfftes Capitel, sen sind. 2. Bey oͤffentlichen Begebenheiten braucht es der Anfuͤhrung eintzelner Zuschauer nicht, weil es der Begebenheit daran nicht hat feh- len koͤnnen (§. 33. C. 9.). Es ist also auch nicht noͤthig diesen oder jenen, der dabey gegenwaͤr- tig gewesen, nahmentlich anzugeben, weil es bey die- ser Art der Begebenheit uͤberhaupt auf eintzelne Zeugen nicht ankommt: Denn man kan sie von al- len Arten haben (§. cit. ). §. 16. Spaͤterer Geschichtschreiber ihre Pflicht. Spaͤtere Geschichtschreiber aber, das ist sol- che, die selber ihr Erkentniß der Geschichte, die sie beschreiben, schon aus Buͤchern oder Schrifften ha- ben erlernen muͤssen, thun allemahl wohl, wenn sie die Quellen bemercken, woraus sie ihre Erkenntniß erlanget haben. Denn haben sie aus Documen- ten genommen, so bestaͤrcken sie ihr Ansehen, wenn sie solches bemercken: Jndem daraus abzuse- hen ist, daß wir ihnen so gut trauen koͤnnen, als wenn wir mit den Personen selbst redeten, die die alte Geschichte angehet (§. 6.). Haben sie aber ihre Nachricht aus aͤlteren historischen Lehrbuͤ- chern, und aͤlteren historischen Geschichtschreibern, erlanget: So wird durch Angebung solcher Au- toren, der Nachwelt der Canal bekannt (§. 5. C. 7.), durch welchen die alte Geschichte auf die spaͤte Nachwelt ist fortgepflantzt worden. Beydes- mahl also wird die Gewißheit, durch Anfuͤhrung der Quellen befoͤrdert. Die Nachlaͤßigkeit seiner Vor- von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. Vorgaͤnger in Ansehung dieses Stuͤckes, tadelt daher der P. Daniel mit groͤstem Rechte. Histoire de France Preface. p. XXX. §. 17. Erster Fall: Wo Geschichtschreiber einander widersprechen. Wenn ein spaͤterer Geschichtschreiber das Gegentheil von demjenigen erzehlt, was wir bey einem aͤlteren, und hauptsaͤchlich bey einem Seri- tore coæuo antreffen, so entstehet daraus einiger, obgleich etwa geringer Zweifel. Denn wider- sprechende Aussagen ziehen solches nach sich (§. 2. C. 10.). Hier ist nun, wie bey allem Zweifel, un- sere Schuldigkeit zufoͤrderst, nach der Gewißheit zu streben (§. cit. ); welches entweder durch Weg- raͤumung des Widerspruchs (§. 4. 5. 6.) oder durch Wegschaffung des einen Zeugnisses (§. 7. C. 10.) geschehen muͤsse. Nun laͤsset sich bey todten Aus- sagern, (die man Zeugen zu nennen pflegt), die Mittel, ihr Zeugniß oder Aussage wegzuschaffen, nicht anwenden, die wir (§. 8. 9. C. 10.) bemerckt haben. Es sind aber andere Wege moͤglich, wie ein Zeugniß abkommen kan. Denn 1. weil es dabey auf eine Stelle in einem Buche, das etwa auch das neueste nicht ist, ankommt; so waͤre zu untersuchen; ob auch die neuere Aussage, wuͤrck- lich vorhanden, und nicht etwa durch einen Zu- fall, der sich bey Abschreibung der Buͤcher sonsten wohl begeben, entstanden sey. Denn obgleich dieser Weg selten moͤchte brauchbar befunden werden; und man gleich in allen Buͤchern, bey Eilfftes Capitel, bey dem was einmahl geschrieben stehet, zu blei- ben, und daruͤber zu halten hat, so lange als moͤg- lich ist; so ist doch genug, daß derselbe moͤglich ist. Und da einmahl beyde Stellen nicht die Wahrheit sagen koͤnnen, so muß bey der einen oder bey der andern, im Buche, oder in dem Verstande des Verfassers ein Fehler vorgegangen seyn. 2. Es kan aber seyn, daß des neuen Geschichtschrei- bers, der dem coævo widerspricht, sein Ansehen geringe, und vor nichts zu rechnen ist: Jn dem Fall so bliebe zwar seine Aussage, aber sie gaͤlte deswegen nichts. §. 18. Zweyter und dritter Fall, wo Geschichtschreiber einander widersprechen. Waͤren der Scriptor coæuus und der spaͤtere Geschichtschreiber, die einander widersprechen, an sich von gleichem Ansehen: So wuͤrde des ersteren sein Zeugniß ohne Zweiffel doch einen Vorzug ha- ben, und deswegen wahrscheinlich seyn und blei- ben (§. 12. C. 11.). Nur damit wird unsere Seele wenig beruhiget. Zu allem Gluͤck, ist der Fall selten, daß zwey Geschichtschreiber, die von gleichem Ansehen seyn sollten, einander gerade wi- derspraͤchen: Sondern es findet sich immer bey dem Ansehen des einen, oder des andern ein Fehler. Nun ist auch der Fall moͤglich, daß zwey spaͤtere Geschichtschreiber einander widersprechen: Deren aber einer doch aͤlter ist als der andere. Jn die- sem Falle bleibt, wenn nicht andere Umstaͤnde dazu kommen, die Sache voͤllig ungewiß. Denn von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. Denn einmahl hat keiner von beyden die Sache, darinnen sie uneins sind, durch sich selbst, noch als gegenwaͤrtig erkannt: Keiner von beyden kan es auch von Zuschauern in Erfahrung gebracht haben. Beyde muͤssen es also aus schrifftlichen Nachrichten haben; oder der eine muß seine Nachricht erdichtet haben. An welchem nun die Schuld liege, laͤsset sich daraus nicht ausma- chen, ja nicht einmahl vermuthen, daß der eine spaͤter nach dem Vorgange der Geschichte gelebt hat, als der andere. §. 19. Die Kunst Geschichte zu schreiben. Hier waͤre nun auch wohl der Ort, von den Pflichten eines Geschichtschreibers zu handeln, oder von den Regeln, wie man zur Belehrung der Nachwelt eine Geschichte beschreiben, und eine Erzehlung abfassen solle? Dieses aber ist eine Sa- che von weitlaͤufftigeren Umfange, und tiefferer Untersuchung. Die Hauptpunckte kommen auf folgende Stuͤcke an. 1. Verstehet sich von sich selbst, daß er die Wahrheit sagen muͤsse 2. als- denn kommt es auf die Frage an; wie viel er von dem was er weiß, aufzeichnen oder verschweigen solle? Da ist nun klar, 3. daß er die Nachwelt belehren will (§. 10.): Dieses kan aber auf ver- schiedene Weise geschehen. 4. Denn will er die Welt auf alle moͤgliche Faͤlle, darzu sie die Begeben- heit brauchen koͤnnen, erzehlen, so muͤste er alles aufschreiben, was ihm davon zu sagen nur moͤg- lich ist (§. 19. C. 6.): Allein, wie ihm solches, A a aus Eilfftes Capitel, aus politischen Ursachen, meistens nicht einmahl frey stehet (§. cit. ); so entstehet auch 5. daraus eine Weitlaͤufftigkeit, die zwar vielen nuͤtzlich, auch manchem angenehm seyn kan; aber welche auch eine Menge von Lesern abschreckt, sich in Geschich- te einzulassen, die sie auszulesen nicht Gedult ge- nug haben. Zu geschweigen, daß 6. indem man die Umstaͤnde gar zu genau bemerckt, bald die- ser, bald jener, viele Stuͤcke finden wird, die er als uͤberfluͤßig ansiehet; und ohne zu bedencken, daß solche doch andern nuͤtzlich und angenehm seyn koͤnnen, den Geschichtschreiber eines Gewaͤsches beschuldiget. Daher ist unumgaͤnglich noͤthig, daß ein Geschichtschreiber aus einer Geschichte, die er auf das ausfuͤhrlichste weiß, einen Auszug machen muß. §. 20. Erstes Kunststuͤck eines Geschichtschreibers: Denn ein Geschichtschreiber ist, vermoͤge dieses seines Amts, das er auf sich genommen hat, verbunden, allen Eckel und Abneigung der Leser sorgfaͤltig zu vermeyden. Denn er schreibt zum Dienste und Gebrauch der Nachwelt; sein Buch soll also bis auf spaͤtere Zeiten aufbehalten wer- den. Wie kan es aber vor dem Untergange ge- rettet werden, wenn es gleich Anfangs, nicht chne Mißfallen gelesen wird? Dieses aber also muß vermieden werden. Folglich auch die Weitlaͤuff- tigkeit. Jn den spaͤten Zeiten wuͤrde dieselbe vielleicht angenehm seyn: Als wenn wir ietzo von der Expedition des Xerxes in Griechenland, alle March- von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. Marchrouten, Ordres, und was sonsten von Tag zu Tage vorgegangen ist, irgendwo lesen koͤnten: Aber wenn eine Geschichte neu ist; so verursachen sol- che Particularitaͤten einen Eckel. Das Mittel darwider ist die Verkuͤrtzung, und der Auszug. Da wir nun allbereit deutlich gewiesen haben, wie die Geschichte, wenn sie erzehlt werden sollen, verwandelt zu werden pflegen (§. 1. C. 6.) auch wie solche verkuͤrtzt werden koͤnnen (§. 3. seq. C. 6.), so koͤnnen auch die Pflichten eines Geschicht- schreibers in Ansehung des Auszugs, den er machen muß, aus den gegebenen Lehren hergelei- tet werden. §. 21. Und dessen Schwierigkeiten. Da ein Geschichtschreiber die Nachwelt von einer Geschichte belehren will: Die Nachwelt aber von den Personen und Orten, die in die Ge- schichte einen Einfluß haben, hauptsaͤchlich aber von den Personen keine Nachricht hat, so muß er 1. Menschen und Orte also angeben, daß man sie gnugsam von andern unterscheiden kan. 2. Ohn- geachtet er einen Auszug macht, so muß doch die Geschichte gantz bleiben. Welche Kunst die la- teinischen und griechischen Geschichtschreiber sehr wohl verstanden haben; daß wenn sie auch noch so kurtze Erzehlungen gemacht haben; man doch daran nichts vermisset: Sondern sich duͤnckt, die gantze Geschichte bey ihnen zu lesen. Ein Ge- schichtschreiber kan daher aus ihren Exempeln un- gemein viel lernen. A a 2 §. 22. Eilfftes Capitel, §. 22. Zweytes Kunststuͤck eines Geschichtschreibers. Wenn ein Geschichtschreiber wuͤrcklich seine Absicht, nehmlich die Belehrung der spaͤten Nachwelt erhalten soll; so muß er von Zeiten zu Zeiten gelesen; ja sein Andencken selbst muß von Zeit zu Zeit erneuert werden, damit es nicht un- tergehe (§. 17. C. 3.). Nun fragt sichs, worauf ein Geschichtschreiber wohl rechnen koͤnne, daß man lange nach ihm, sein Buch lesen, lieben, und vor dessen Erhaltung besorgt seyn werde. Hier ist zu mercken 1. so lange noch Leute vorhan- den sind, die die Geschichte die er beschrieben, et- was angehet, so lange ist auch zu vermuthen, daß man nach seinem historischen Buche fragen werde. 2. Unterdessen weiß man auch, daß, Gelehrte aus- genommen, die Menschen nicht gar zu viel nach dem, was vor ihrer Zeit geschehen ist, zu fragen pflegen: Sondern sie beschaͤfftigen sich mit ge- genwaͤrtigen Dingen, mit vorhabenden Ge- schaͤfften, und der damit verknuͤpften Arbeit dergestalt, daß die Begierde aͤltere Dinge zu er- forschen, davor gar nicht aufkommen kan. Ja wenn eine Geschichte weder rechtalt, noch recht neu ist, so pflegen Gelehrte und Ungelehrte sich nicht sehr darum zu bekuͤmmern. Darauf darf ein Geschichtschreiber also keine grosse Rechnung machen, daß sein Buch deswegen sich erhalten werde, weil wichtige Nachrichten darinnen stehen. 2. Was aber den Menschen zu allen Zeiten ange- nehm ist, das ist das Sinnreiche, wie uͤberhaupt, also von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. also auch im Erzehlen. Die Meisterstuͤcke des Witzes, sie moͤgen betreffen was sie wollen, er- muntern von Zeit zu Zeit diejenigen, die daruͤber kommen, daß sie sich derselben wieder annehmen, und sich damit auf eine angenehme Weise beschaͤff- tigen. Die beste Mitgabe die also ein Geschicht- schreiber seinem Buche mittheilen kan, ist, daß es mit Witz angefuͤllt sey, als welchen noch immer Leute bewundern und lieben werden, die nach der Geschichte selbst, die darinnen vorkommt, wenig oder nichts fragen wuͤrden. Die grosse Kunst eines Geschichtschreibers bestehet demnach kuͤrtzlich darinnen, daß er einen sinnreichen Auszug aus einer Geschichte zu machen weiß: Wie dieses die wahre Beschaffenheit des Taciti, Liuii, und anderer Historicorum ist, die wir noch bis auf den heutigen Tag verehren. §. 23. Drittes Kunststuͤck eines Geschichtschreibers. Es hat aber der Geschichtschreiber auch dar- auf zu sehen, daß er bey seinen Lesern Glauben finde, und also nicht selbst Gelegenheit zu unnoͤthi- gen Zweiffeln gebe. Nun ist die Unwahrschein- lichkeit einer Begebenheit, eine starcke Veran- lassung zu zweiffeln (§ 28. C. 10.); so daß viele eine Erzehlung gantz und gar bloß wegen ihrer Unwahrscheinlichkeit verwerffen; ob es gleich nicht folgt: Daß das Unwahrscheinliche auch falsch seyn muͤsse. Unwahrscheinlich aber ist 1. was kei- ne Ursach hat. 2. Was denen bekannten Regeln der Natur, und denen Maximen, die fast alle A a 3 Men- Eilfftes Capitel, Menschen in ihren Hertzen haben widerspricht; oder vielmehr zu widersprechen scheinet. Jede von diesen Eigenschafften verbindet den Geschichtschreiber zu einer besondern Pflicht, wenn er Gewißheit bey seinen Lesern erhalten will. Nehmlich 1. er muß seine Erzehlung so einrichten, daß man auch die Ursachen einer Begebenheit daraus absehen kan. Darzu haben wir im achten Capitel vollstaͤndige Anleitung gegeben. 2. Daß er das Paradoxe, wo es moͤglich ist, auf irgend eine Art begreifflich mache. Denn was doch wuͤrcklich geschehen, das muß ausgemachten Wahrheiten, nicht wi- dersprechen. Was nicht in des Geschichtschrei- bers Gewalt hierbey stehet, das ist auch nicht von ihm zu fordern. Ein Exempel solcher Sorgfalt, nebst andern zum unglaublichen Erzehlungen ge- hoͤrigen Dingen, kan man nachlesen in der Aus- legekunst (§. 315. seqq. ) §. 24. Zwey Hauptarten der Denckmahle. Wir kommen nunmehro auf die Monumenta, oder Denckmahle, in engern Verstande: Wel- ches denn Coͤrper sind, die zum Andencken dienen sollen. Sie sollen also nach langer Zeit denen Menschen die Erkentniß vorgegangener Begeben- heiten beybringen: Die man eigentlich aus muͤnd- lichen und schrifftlichen Nachrichten erlernen sollte. Dergleichen Coͤrper nun sind entweder mit einer Schrifft versehen, oder nicht. Jene haben wir die belebten, diese aber stumme Denckmahle ge- nennet; in der Abhandlung de Monumentis, in von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. in den Opusculis Academ. T. II. p. 265. Was nun die stummen Denckmahle anlanget, so sind solche sehr unbequem das Andencken der Menschen und geschehenen Dinge zu erhalten. Denn die Zeit, der Ort, als die Hauptumstaͤnde bey Ge- schichten lassen sich durch Bilder nicht wohl aus- drucken: Ein Coͤrper aber schickt sich weiter nicht eine Sache auszudrucken, als in soferne er ein Bild einer gewissen Sache wird; oder auch in soferne man aus der Kunst desselben schliessen kan, daß iemand muͤsse gewesen seyn, der den kuͤnstlichen Coͤrper verfertiget habe. So weiß man nicht, welche Koͤnige die Wunder der Welt, die Egyptischen Pyramiden, erbauet haben: Das aber kan man ihnen wohl ansehen, daß es grosse und maͤchtige Koͤnige gewesen seyn muͤssen, die folche Berge von Marmor haben auffuͤhren koͤnnen. §. 25. Erste Art stumme Denckmahle zu nutzen. Unterdessen lassen sich doch aus solchen Denck- mahlen, auch ohne Schrifft, allerhand loci com- munes machen, wie man in alten Zeiten muͤsse gedacht, und diese oder jene Dinge angegriffen haben. Z. E. aus den Pyramiden der Egyptier laͤsset sich schliessen, wie sehr dieselbe vor die Er- haltung ihres Leibes nach dem Tode bedacht gewe- sen seyn muͤssen, zumahl da solches auch aus den Grabmaͤhlern und den Mumien der Privatper- sonen erhellet. Und da sie ihre Mumien mit allerhand hieroglyphischen Bildern und Schriff- A a 4 ten Eilfftes Capitel, ten uͤberzogen haben, (die uns, weil wir sie nicht verstehen, eben so gut als keine Schrifft sind,) und sich den Zugang zu denselben offen behielten; so folget daraus, daß Privatpersonen in den Ge- schichten ihrer Vorfahren viel bewanderter gewe- sen seyn muͤssen, als bey allen andern Nationen gewoͤhnlich gewesen, und noch ist. Am allermei- sten laͤsset sich aus den alten kuͤnstlichen Denck- malen, als Gemaͤhlden, Seulen, gehauenen, und gegossenen Statuen, auf das klaͤrlichste und sicher- ste erkennen, wie weit es die Alten in allen diesen Kuͤnsten gebracht haben. §. 26. Zweyte Art stumme Denckmahle zu nutzen. Und so laͤsset sich aus jedem alten Stuͤcke et- was von dem erkennen, was in alten Zeiten ge- schehen ist, was von grossen Gebaͤuden uͤbrig ist, nennet man Ruinen, oder rudera : Bewegliche Dinge aber Reliquien und Ueberbleibsel als die fragmenta, von allerhand Haußrathe, und andern Dingen, die man im menschlichen Leben braucht; besonders Geschirr, und Waffen: Dergleichen in den Cabinetten grosser Herrn aufgehoben werden. Auch in alten Grabmaͤhlern pflegt man dergleichen anzutreffen: Wie des Chifletii thesaurus sepul- chralis Childerici, als ein vornehmes Exempel besaget. Von allen solchen Dingen sind dermah- len Ausfuͤhrungen in Menge vorhanden. §. 27. von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. §. 27. Belebte Denckmahle. Belebte Denckmahle aber, oder die, wel- che Aufschrifften haben, sind ebenfalls von vieler- ley Gattung. Man hat Marmorne Tafeln voll Schrifften: Saͤulen, und Gebaͤude mit Aufschrifften: Gegrabene kostbare Steine mit Ueberschrifften. Vor allen andern aber werden die Muͤntzen unter den Alterthuͤmern in Betrach- tung gezogen. Bey diesen Dingen aber koͤnnen, wie bey alten Urkunden (§. 6.), folgende Eigen- schafften, schwere Untersuchung erfordern. 1. Ob das belebte Denckmahl, welches man in Haͤnden hat, auch aͤcht sey? 2. Daß man die darauf be- findliche Aufschrifft verstehen lerne. Wobey oͤff- ters das Lesen die groͤste Schwierigkeit macht. Jn- dem die Alten sich sehr kurtzer und abgebrochener Aufschrifften bedienet haben. Nun wuͤrde es zu spaͤte seyn, zu fragen, ob sie daran recht ver- nuͤnfftig und wohl gethan haben? Welches schwer- lich mit ja! kan beantwortet werden. Denn solche Dinge sollen zum Andencken dienen: Und zwar vor spaͤte Zeiten. Nun werden selbst die klaͤrsten Schrifften mit der Zeit etwas dunckel: Was soll nicht mit solchen Aufschrifften geschehen, die vom Anfange wie ein Raͤtzel aussehen. 3. Hat ohne Zweiffel die Auslegung auch bey denen Aufschrifften, wie bey allen alten Schrifften, ihr grosses Geschaͤffte. A a 5 §. 82. Eilfftes Capitel, §. 28. Bilder auf belebten Denckmahlen. Es haben aber auch die Alten vieles auf ihren Denckmahlen, nicht allein durch die Ueberschrifft und Aufschrifft, sondern auch durch Bilder aus- gedruckt. Besonders haben sie sich dabey der Mythologischen Jdeen fleißig bedienet. Die Auslegung dieser Bilder, hat seit der Wiederher- stellung der Gelehrsamkeit, unzehlig grosse Maͤn- ner beschaͤfftiget: Welche die Bedeutung dieser Bilder, durch Zusammenhaltung vieler Exempel, und durch Vergleichung derselben mit denen an- dern Nachrichten aus Buͤchern, so ins Licht ge- stellt haben, daß man sich in den meisten Stuͤcken einer voͤlligen Gewißheit ruͤhmen kan. Beson- dres schwere Dinge dieser Art findet man unter an- dern in den Memoires de l’ Academie des Inscri- ptions \& belles Lettres in grosser Menge. §. 29. Unschuld der Ungewißheit bey alten Geschichten. Wenn alles Fleisses der Gelehrten ungeachtet, dennoch in Ansehung der alten Geschichten vieles Ungewisse uͤbrig bliebe, so duͤrffte man sich daruͤ- ber gar nicht wundern, noch weniger aber daraus eine voͤllige Ungewißheit der historischen Erkent- niß, nur mit dem geringsten Schein schluͤssen. Denn die Mittel, welche zu Wegraͤumung der Zweiffel angewendet werden muͤssen (§. 8. seqq. C. 10.) koͤnnen freylich bey alten Geschichten nicht von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. nicht allemahl angewendet werden. Wir koͤnnen nehmlich nicht Zeugen aufsuchen, wie wir wol- len: Weil dieselben oͤffters gar nicht mehr vor- handen sind: Wir koͤnnen auch die vorhandenen Autores nicht fragen, wie wir wollen, sondern wir muͤssen uns an ihren Aussagen, die wir haben, gnuͤgen lassan. Wiewohl man bey oͤfftern und wiederhohlten Nachschlagen, und durch verdoppelte Aufmercksamkeit oͤffters dasje- nige endlich findet, was man gesucht, und gleich- sam gefragt hat. §. 30. Beschreibungen und Erzehlungen von sehr entfernten Dingen. Die Beschreibungen von sehr entfernten Laͤndern, und einige etwa damit verknuͤpffte Er- zehlungen, sind mit den alten Geschichten in Anse- hung der Schwierigkeiten gar wohl in Verglei- chung zu stellen. Jn solche Laͤnder kommen nur wenige. Und wer in ein sehr entferntes Land kommt, befindet sich in solchen Umstaͤnden, wor- innen sich derjenige befindet, der zum ersten mahl zu einer Sache kommt: welches wir als einen be- sondern Sehepunckt bemerckt haben. (§. 17. C. 5.) Jeder weiß, daß dem, wer zum ersten mahl zu ei- ner Sache kommt, alles fremde vorkomme. Und in diesem Zustande wird alles mit Verwunde- rung, meistens auch mit Uebereilung angese- hen; welches freylich sehr unrichtige Erzehlungen hervor bringen muß. So dann siehet man in ei- nem sehr entfernten Lande alles als ein Fremder an. (§. 22. C. 5.) Endlich aber, so ist es eine gemeine Eilfftes Capitel, gemeine und gantz natuͤrliche Eigenschafft derer, die von weiten Reisen wiederkommen, daß sie die Leu- te durch ihre Erzehlung in Verwunderung setzen wollen. Jeder erwartet auch dergleichen von ih- nen. Dieser Erwartung ein Gnuͤge zu thun, ver- groͤssern dergleichen Personen insgemein das, was sie in fremden Landen gesehen haben. Ob nun gleich solches auf eine Art geschehen koͤnte, welche die Wahrheit noch nicht so sehr beleidigte; (§. 21. C. 6.) so tragen doch die von Reisen zuruͤck gekommene kein Bedencken, offt die groͤssesten Unwahrhei- ten und voͤllige Erdichtungen theils zu reden, theils zu dencken. Jhre Frechheit gruͤndet sich auf fol- genden Umstand. Von einheimischen, zumahl oͤffentlichen Dingen, scheuet sich jeder, Unwahr- heiten, die gar nicht mit einer gewissen Erzeh- lungsart koͤnnen entschuldiget werden, zu schrei- ben, weil er zu besorgen hat, daß ihm jeder wider- spricht, und er zum Gelaͤchter werden moͤchte. (§. 32. C. 9.) Aber wenn iemand, der aus sehr fernen Landen zuruͤck kommt, noch so arge Unwahr- heiten redet, so darf er doch nicht besorgen, daß ie- mand gleich da seyn werde, der ihm seine Abferti- gung geben duͤrffte. Hieraus entstehet die licentia mentiendi bey denen, die Reisebeschreibungen ma- chen. Jetzo aber, da die Reisen in alle Welttheile haͤuffiger bey uns sind: so wird auch diese Licentz bey uns mehr eingeschraͤnckt. §. 31. Alte und entfernte Nachrichten klingen offt unwahrscheinlich. Bey denen Beschreibungen der Dinge, die in fernen Landen vorgehen, kan sich so wohl, als bey von alten u. auslaͤndisch. Geschichten. bey den sehr alten Geschichten, am ersten der Um- stand aͤussern, daß die Nachrichten der Unwahr- scheinlichkeit unterworffen sind. Denn in den Sitten und Verfassungen gehen mit der Zeit grosse Veraͤnderungen vor: und Voͤlcker, die am weitesten von einander entfernet sind, sind auch in Ansehung der Sitten und Verfassungen am meisten von einander unterschieden. Nun laͤsset sich zwar aus der Unwahrscheinlichkeit, die Unrichtigkeit der Sache selbst nicht sicher schluͤssen; (§. 25. C. 10.) aber es entstehet doch daraus eine Schwierigkeit, die Sache zu glauben. Vor den Geschicht- schreiber aber entstehet daraus die Pflicht, daß wenn er mit seiner Erzehlung und Beschreibung Beyfall finden will, er entweder das, was darunter am al- lerunwahrscheinlichsten ist, gar auslassen muß; oder er muß wissen, die Sache begreifflich zu machen: woran es so wohl noch grossen Theils den alten Geschichten der Roͤmer und Griechen, als auch vielen Nachrichten aus sehr entfernten Landen, besonders von China, fehlet. Zwoͤlfftes Capitel, Von zukuͤnfftigen Dingen. §. 1. Zukuͤnfftige Dinge gehoͤren auch zur histo- rischen Erkentniß. D ie Geschichte und Historien werden zwar gemeiniglich nur vor geschehene und vergangene Dinge gebraucht; und zwar darum, weil diese den groͤsten Theil unserer histori- schen Zwoͤlfftes Capitel, schen Erkentniß ausmachen. Jndessen ist unlaͤug- bar, daß zukuͤnfftige Dinge mit denen vergange- nen, oder vielmehr die Erkentniß zukuͤnfftiger Din- ge mit der Erkentniß der vergangenen Dinge die groͤste Aehnlichkeit habe: und daß unsere Seele sich mit dem einen so wohl, als mit dem andern be- schaͤfftige. Das Zukuͤnfftige wird mit der Zeit ins Vergangene verwandelt, und manchmahl ist selbst bey Menschen, die doch ins Zukuͤnfftige nicht weit sehen, die Erkentniß der Sache, wenn sie noch zukuͤnfftig ist, mit der Erkentniß derselben, wenn sie vollbracht ist, einerley. (§. 22. C. 8.) Da- hero wenn wir von der menschlichen Erkentniß derer Dinge, welche sind und geschehen, ausfuͤhrlich handeln wollen, so muͤssen wir auch darauf unsere Betrachtung gerichtet seyn lassen, wie weit es die Menschen in Erkentniß zukuͤnfftiger Dinge bringen koͤnnen. Die goͤttlichen Offenbahrungen und die daraus fliessende Prophezeyungen wuͤrden nun hierunter zwar auf gewisse Weise den ersten Platz verdienen. Allein nach dem einmahl fest ge- setzten Plan dieser Abhandlung sehen wir nur dar- auf, was die menschliche Seele ihre natuͤrlichen Kraͤffte von zukuͤnfftigen Dingen wissen kan. Die Betrachtung aber der Offenbahrungen und Prophezeyungen rechnen wir zur Anwendung dieser Grundlehren. §. 2. Erste Einsicht ins zukuͤnfftige. Der Weg ins zukuͤnfftige mit unsern Gedancken zu kommen, ist dieser: Daß wir den kuͤnfftigen Zustand derer vorhandenen Dinge, und anderer, von zukuͤnfftigen Dingen. anderer, die an ihre Stelle kommen wer- den, aus den allgemeinen Regeln der Ver- aͤnderungen schluͤssen. Denn so finden wir in den Coͤrpern nicht allein 1. allgemeine Regeln der Bewegung, 2. sondern auch naͤhere, und in der Natur bisher bestaͤndig beobachtete Regeln: ob sie sich gleich aus den allgemeinen Regeln der Bewe- gung nicht, als nothwendige Folgen schluͤssen las- sen. Vermittelst dieser Principiorum koͤnnen wir eine grosse Menge physicalischer Begebenheiten vor- her erkennen, welche theils nicht truͤgen werden, so lange die Erde stehen wird: theils desto weniger truͤgen, ie genauer wir auf das gegenwaͤrtige Achtung geben, und solches mit denen allgemeinen Regeln, die wir aus Erfahrung und allgemeinen Begriffen erlernet haben, genau zusammen halten. §. 3. Zweyte Einsicht ins zukuͤnfftige. Es hat auch die Seele ihre Regeln, die zwar in der Anwendung eine unendliche Abwechselung ha- ben; aber dennoch sich auf richtige Principia redu- ciren lassen: als die Regeln des Gedaͤchtnisses, der Einbildungskrafft, und noch mehr die Re- geln mit allgemeinen Wahrheiten umzugehen. Nach diesen kan man oͤffters in eintzeln Faͤllen an- derer ihre Gedancken voraus sagen: doch nur unter der hypothesi, daß die einmahl angefangene Rei- he von Gedancken, die ein gewisses Objectum be- treffen, nicht durch ein ander Object unterbrochen werde. §. 4. Zwoͤlfftes Capitel, §. 4. Dritte Einsicht ins zukuͤnfftige. Ein jeder Mensch aber hat seine besondere Ge- dancken, wie auch nach Gelegenheit seine eigene Vorurtheile, Jrrthuͤmer, Eigensinn, Ge- wohnheiten, darunter ihm immer eines tieffer eingepraͤgt ist, als das andere. Wenn ich diese besondere Kraͤffte, oder auch Schwachheiten eines Menschen weiß; so kan ich viele seiner Gedan- cken, mit Beyhuͤlffe der allgemeinen Principio- rum heraus bringen. Wie aber der Sinn der Menschen veraͤnderlich ist; also koͤnnen auch seine bisherige Gedancken, Vorbildungen, Jrrthuͤmer, eigensinnige Neigungen sich aͤndern: gleichwie auch neue entstehen koͤnnen: doch geschehen solche Aenderungen nicht in einem Augenblick, auch nicht ohne aͤusserliche Veranlassung: daher hindert die Veraͤnderlichkeit des menschlichen Sinnes nicht voͤllig, daß wir nicht seine Gedancken wenigstens auf eine kurtze Zeit voraus sehen sollten. §. 5. Vierte Einsicht ins zukuͤnfftige. Die freyen Handlungen sind zwar bey den Menschen so beschaffen, daß, so lange sie nicht wuͤrcklich angefangen sind, sich noch immer eine Reue finden kan; aber doch, da ein Mensch nach seiner Einsicht in die Sachen, und nach den ihm schon beywohnenden Neigungen und Trieben zu handeln pflegt: so muß iemand, der die Einsicht und Triebe eines andern kennt, auch vieles voraus sehen koͤnnen, was er beschluͤssen, was er thun werde. Bey jeder eintzeln Gelegenheit kommen zwar von zukuͤnfftigen Dingen. zwar eine Menge Umstaͤnde vor, die man auf die- ser und auf jener Seite ansehen koͤnte, woraus denn viele moͤgliche Entschluͤssungen entstehen: aber bey der gemeinen Art zu dencken, und natuͤrli- chen Einfalt siehet man die Sache meistens nur auf einer Seite an. Jst aber iemand anders an- gefuͤhret worden, welches vornehmlich geschie- het, wenn man andern, und zwar wunderlichen und heuchlerischen Leuten gehorsamen muß; da man viel uͤber Sachen zu raffiniren genoͤthiget wird, so ist hernach auch uͤbel im Voraus abzunehmen, was eine solche Person vor Entschluͤssungen fassen werde. §. 6. Fuͤnffte Einsicht ins zukuͤnfftige. Die an sich freyen und willkuͤhrlichen Hand- lungen werden doch zu einer Nothwendigkeit durch die eingegangenen Verbindungen: zumahl wenn Zwangsmittel vorhanden sind, die Erfuͤllung des Versprechens, oder des Packts, im Fall der Verabsaͤumung zu erpressen. Wie nun jedes Ge- setz, dem man unterworffen ist, eben die verbin- dende Krafft hat, wie Packten; die Gewohnhei- ten aber mit den Gesetzen in gleichen Paaren ge- hen: also kan man auch aus den Gesetzen, Ge- braͤuchen, Packten voraussehen, was dieser oder jener unter den und den Umstaͤnden thun werde. B b §. 7. Zwoͤlfftes Capitel, §. 7. Sechste Einsicht ins zukuͤnfftige. Der Wille eines Menschen ist zwar sehr veraͤn- derlich, daß er, so lange die Sache noch nicht ge- schehen, immer noch zuruͤck treten kan. Wenn aber eine Sache von vieler Menschen ihren Willen dependiret, doch so, daß alles nur nach einem ge- meinschafftlichen Schlusse geschiehet; so kan, was einmahl beschlossen ist, nicht so leichte geaͤn- dert werden. Wovon die Ursache leicht einzusehen; weil nehmlich diejenigen, welchen an der Erfuͤllung des Decreti etwas gelegen ist, (dergleichen es im- mer in einer Gesellschafft geben muß) sich darwi- der setzen werden, daß die Sache nicht noch ein- mahl, als unausgemacht, in Deliberation gezo- gen werde. Wird aber nicht deliberiret, so kan auch nichts aufs neue beschlossen werden. Die Erfuͤllung solcher Entschluͤssungen ist also gut vor- aus zu sehen, so, daß man auf die Schluͤsse gantzer Corporum sehen muß, wenn man wissen und in Erempeln zeigen will, was eigentlich ein fester Entschluß und ein Decretum sey. §. 8. Siebende Einsicht ins zukuͤnfftige. Unser eigener Wille, dieses oder jenes zu thun, macht eben auch einen Grund aus, warum wir das Zukuͤnfftige voraus sehen koͤnnen: Nicht zwar, daß das von zukuͤnfftigen Dingen. das allemahl erfolgen muͤste, was wir uns zu thun und zu erhalten vorgesetzt haben; sondern die goͤtt- liche Vorsehung hat es also geordnet, daß doch oͤff- ters, und (wenn man genau zusammen rechnen wollte) die meisten mahle die Sachen nach unserm Willen und Erwarten erfolgen: und die meisten Anschlaͤge ihren Fortgang haben: nur daß man sich in der Ausfuͤhrung bestaͤndig nach den Umstaͤnden richten muß, welche man in jedem Zeitpunckte fuͤr sich siehet. §. 9. Die Decken uͤbers zukuͤnfftige. Daß aber unser Vorhersehen und Beschluͤssen in unsern eigenen Sachen, die wir doch unter allen Dingen am besten wissen, auch oͤffters seinen Fort- gang und Erfuͤllung nicht hat, kommt daher 1. weil wir uns offt von dem gegenwaͤrtigen falsche Be- griffe machen, und also einen uͤblen Grund zur Erfin- dung des zukuͤnfftigen legen. 2. Jn den Sachen selbst, die wir vor uns haben, ist viel verborgenes, welches so gut seine Folgen haben muß, als das, was wir von den gegenwaͤrtigen Umstaͤnden wissen. Wie kans also anders seyn, als daß vieles wider unser Er- warten entstehen muß. 3. Ereignen sich Zufaͤlle, oder aͤusserliche Begebenheiten, auf welche wir bey un- sern Anschlaͤgen ohnmoͤglich haben rechnen koͤnnen, welche gleichwohl unser Vorhaben vereiteln. B b 2 §. 10. Zwoͤlfftes Capitel, §. 10. Die Gewißheit der zukuͤnfftigen Dingeist hinlaͤnglich. Es ist an dem, daß diese drey Ursachen unsere Einsicht ins zukuͤnfftige sehr ungewiß machen; Und dieses ist ohne Zweiffel ein Stuͤck der goͤttlichen Vor- sehung und Regierung, welches zur Absicht hat, daß wir bey unsern Geschaͤfften und Anschlaͤgen von der Betrachtung der Creaturen uns abwenden, und an den hoͤchsten Regenten gedencken, ja jeder Er- folg dessen, das wir wuͤnschen, von seiner Hand gewaͤrtig seyn sollen. Zur klugen Einrichtung un- serer Handlungen ist folgende Gewißheit des zu- kuͤnfftigen schon hinlaͤnglich: 1. Daß in der Coͤr- perwelt theils bestaͤndige Regeln der Bewegung uͤberhaupt sind, theils auch in jeder Art der Dinge besondere, und zwar bestaͤndige Regeln angetrof- fen werden, welche wir Erfahrungen nennen. 2. Daß, ob wir gleich in Ansehung des entfernten Erfolgs oͤffters nichts zuverlaͤßiges sagen koͤnnen, dennoch das naͤchstbevorstehende mit mehrerer Ge- wißheit erkannt werden kan: und so koͤnnen wir Schritt vor Schritt immer das Kuͤnfftige, so viel uns zu wissen noͤthig ist, voraus sehen. Eben wie man in der Daͤmmerung, ja in finsterer Nacht zwar nicht weit vor sich hinsehen, aber doch das, was naͤchst vor den Fuͤssen ist, erkennen kan; wodurch wir dennoch unsere Reisen, und zwar selbst durch sehr gefaͤhrliche Orte fortsetzen koͤnnen; so ist es auch mit von zukuͤnfftigen Dingen. mit der Einrichtung unserer Handlungen, in so ferne sie von dem Zukuͤnfftigen abhanget. Denn daß man nicht uͤberall aufs zukuͤnfftige zu sehen noͤ- thig habe, haben wir gewiesen in den vernuͤnffti- gen Gedancken vom Wahrscheinlichen. ( VI. Betrachtung. §. 7.) 3. Daß, wenn ich von fremden und aͤusserlichen Zufaͤllen abstrahire, ich von jeder Sache nach ihrer Art die innerlichen Veraͤnderungen zuverlaͤßig voraus sehen kan. §. 11. Von Prognosticis. Eine gegenwaͤrtige Sache, darauf, vermoͤge der Erfahrung, eine andere erfolget, heisset ein Zeichen, Prognosticon. Jch sage, daß sich Zeichen auf gewisse Erfahrungen gruͤnden, nicht aber auf eine deutliche Erkentniß, wie das nachfol- gende aus dem vorhergehenden entstehet. Denn so pflegt man das Wort Prognosticon zu nehmen. Das Deutsche Wort Zeichen ist freylich sehr allge- mein, so daß jede Sache, in so ferne man eine an- dere daraus erkennet, ein Zeichen genennet wird. Wer nun Prognostica feste stellen will, muß da- bey, wie bey allen so genannten Erfahrungen, verfahren, daß er nehmlich aus Zusammen- haltung vieler aͤhnlichen Faͤlle etwas allgemeines heraus bringt. (§. 41. C. 2.) Und dieses ist ein Hauptstuͤck vor die Aertzte. B b 3 §. 12. Zwoͤlfftes Capitel, §. 12. Mangel bey Vorhersehung zukuͤnfftiger Dinge. Wir sehen zwar oͤffters eine Sache voraus, nach ihrem allgemeinen Begriffe, aber nicht determinirt genug. Z. E. Man siehet ein Gewitter aufzie- hen, man weiß aber nicht, ob es recht starck wer- den wird; weil sie oͤffters durch ploͤtzlich entstehende Sturmwinde gemildert werden: noch weniger weiß man, ob es einschlagen wird. Wir erwarten Ant- wort auf eine Frage, und koͤnnen in den meisten Faͤllen voraus sehen, daß sie nicht ausbleiben kan; aber wir wissen deswegen die Beschaffenheit der Antwort nicht: ob es ja oder nein seyn werde. Hier entstehet oͤffters ein Verlangen, das Zukuͤnfftige genauer zu wissen. Oeffters ist es auch moͤg- lich, noch etwas mehr heraus zu bringen, wenn man nehmlich 1. die uns bekannten Umstaͤnde, oder die Data, die wir schon haben, mit noch mehreren Theorien und allgemeinen Wahrheiten zusammen haͤlt. (§. 2.) Und in Erwegung dieser Regel koͤnte man sagen, daß ie laͤnger man uͤber ein gewis- ses Geschaͤffte studirt, desto mehr werden sich auch, vermittelst zu Huͤlffe genommener allgemeiner Wahrheiten in Voraus davon bestimmen lassen. 2. Das andere Mittel ist, daß man das vorhandene und die gegebenen Data immer mit einer neuen Auf- mercksamkeit betrachtet, und einen Umstand nach dem andern in Erwegung ziehet. Jeder neu bemerck- ter Umstand wird auch zu neuen Folgerungen, was etwa daraus entstehen koͤnten, Gelegenheit geben. §. 13. von zukuͤnfftigen Dingen. §. 13. Wider diesen Mangel dienet die Kunst zu muthmassen. Die Kunst zu muthmassen gehet mit solchen Sachen um, die vom menschlichen Thun und Lassen abhangen: wenn man nehmlich voraus sehen kan, theils was dieselben thun werden, theils was sie mit ihrem Thun ausrichten werden. Weil aber auch nach den gemeinsten Begriffen der Menschen bey jeder Sache etwas voraus gesehen werden kan, so muß die Kunst zu muthmassen darinnen bestehen, 1. daß man durch dieselbe gewisse Dinge vorher sa- gen kan, wovon man nach der genauen Erkentniß der Menschen gar nichts vorher wissen kan. 2. Daß man dasjenige genauer bestimmet, was nach der gemeinen Erkentniß zwar in etwas, aber nicht determinirt genug eekannt wird. (§. 2.) §. 14. Erstes Stuͤck, die Kunst zu muthmassen. Der Fall, wo man im gemeinen Leben gar nichts voraus abzusehen vermag, ( n. 1. §. 13.) ist der, wenn man mit einer Sache zu thun hat, welche im gemeinen Leben entweder gantz unbekannt ist, oder doch selten, daß man davon keine Erfahrungen hat machen koͤnnen. Z. E. Wenn ein Comet er- scheint, so weiß man nicht, ob er groͤsser werden, oder kleiner werden, oder was sonsten daraus ent- B b 4 stehen Zwoͤlfftes Capitel, stehen werde. Jn der gemeinen Erkentniß hat man nehmlich davon zu wenige Exempel, und keine Theorie gar nicht, daraus man von der Sache urthei- len koͤnte. Wenn ein Erdbeben entstehet, so weiß noch kein Mensch nicht, was er von dem Fortgange vermuthen soll, woraus denn mehr Furcht und Schrecken zu entstehen pfleget, als aus dem groͤsten vorhandenen Uebel. Wer also bey solchen Dingen besondere Gelegenheit hat, Erfahrungen zu sammlen, oder eine Theorie zu ersinnen, der wird in Ansehung eines solchen Stuͤcks auch in Muth- massungen starck, und zur Verwunderung der Leute gluͤcklich seyn. §. 15. Anderes Stuͤck der Kunst zu muthmassen. Wenn man nach der gemeinen Einsicht zwar etwas voraus siehet, aber nicht determinirt genug; so bestehet, nach den (§. 13.) vorhin angegebenen Grundregeln, die Kunst zu muthmassen wiederum darinne, daß man 1. sich entweder nach mehreren allgemeinen Wahrheiten umsehe, oder 2. daß man eine neue Betrachtung der Sache nach ihrer inner- lichen Beschaffenheit, nochmahls vornehme. Man untersuche die feinsten Proben eines scharfsinnigen Verstandes, die uns etwa von grossen Maͤnnern bekannt sind, welche Dinge voraus gesehen ha- ben, so wird man finden, daß sie darum in ihren Muthmassungen gluͤcklich gewesen sind: Weil sie entweder gewisse, sonst nicht bekannt gewesene Ma- rimen gewust haben, wornach die Menschen in ih- ren von zukuͤnfftigen Dingen. ren Handlungen sich zu richten pflegen; oder sie haben in den vorhandenen und gegenwaͤrtigen Dingen gewisse Umstaͤnde entdeckt, die andere nicht wahrgenommen haben. Wie kommt es, daß man zu einem erfahrnen Artzte mehr Vertrauen hat, als zu einem Anfaͤnger, selbst in Ansehung der Einsicht in die Kranckheit, da doch alle bekannte Arten der Kranckheiten aus Buͤchern koͤnnen er- lernt werden? als daher, weil man versichert ist, daß die erfahrne Art, doch mehr allgemeine Wahrheiten aus der langen Praxi werde erlernet haben, als ein noch unversuchter Artzt wissen kan: Und daß er vermoͤge eben dieser seiner Erfahrung, auch die geringsten Umstaͤnde bemercken werde. So ist es schlimm vor Gelehrte zu peroriren, und ihnen was unerwartetes vorzutragen, weil sie, als Gelehrte, bald Anfangs mercken, wo es mit dem angefangenen Vortrage hinaus will: Sie muthmassen zu viel. Geschaͤffte aber, wie sie durch die Seclen der Menschen getrieben werde, haben so gut ihren Lauf, als die Gedenckart eines Redners. Wer also lange Zeit in Geschaͤfften gesteckt und vielmals gesehen hat, wie Geschaͤffte sind angefangen, abgewiesen, gehindert, befoͤrdert, durchgesetzt worden, dabey die Personen kennt, die mit der Sache zu thun haben, der kan freylich von dem Fortgange des Geschaͤffts vieles voraus sagen. §. 16. Besondere Art der Scharfsichtigkeit beym Muthmassen. Jndem man aber im Muthmassen gluͤcklich seyn will; und dieserhalb auf die gegenwaͤrtige B b 5 Beschaf- Zwoͤlfftes Capitel, Beschaffenheit der Sache genau merckt ( n. 2. §. 15.); so ist ein Hauptstuͤck, daß man nicht al- lein auf die innerliche Beschaffenheit der Sa- chen achtung giebt; sondern auch mit gleicher Schaͤrffe auf die Verhaͤltniß der Sache zu an- dern, nehmlich zu andern Geschaͤfften und Per- sonen, und mithin auf diese selbst siehet. Denn von diesen aͤusserlichen Sachen, sind nicht allein die Befoͤrderungen der Sache, sondern auch vor- nehmlich die Hindernisse zu gewarten. Wie z. E. der allergerechteste, billigste, und mit aller Vorsicht eingerichtete Antrag dennoch iezuweilen nicht Eingang findet, wenn er zur unrechten Stunde geschiehet. Und darinnen ist der groͤste Unterscheid zwischen der philosophischen, ja uͤberhaupt der gelehrten, Scharfsichtigkeit. Jn der Gelahrheit, und in allen Arten der Be- trachtungen darf man sich nur bloß an sein Ob- ject halten: Je tieffer man in dasselbe hinein ge- het; und ie mehr man sich darinnen vertieft, desto besser wird man zu seinen Zweck, nehmlich zur Erfindung der Wahrheit, den man sucht gelangen. Aber bey Dingen die geschehen, und geschehen sollen, kommt es auf aͤusserli- che Dinge groͤstentheils an, und der geringste Um- stand kan die gantze Sache aufhalten. Also, um den Erfolg, von Geschaͤfften voraus zu sehen, wird ein gantz anderer habitus erfordert, nehm- lich um sich herum zu sehen: Und alles so an- zusehen, als wenn es die Sache, von deren Erfolg die Rede ist, hindern, oder befoͤrdern koͤnte. §. 17. von zukuͤnfftigen Dingen. §. 17. Warum Stifftungen mißrathen. Ohngeachtet die Ausfuͤhrung der Anschlaͤge hauptsaͤchlich durch darzwischen kommende Zu- faͤlle, die man nicht abwenden kan, gehindert zu werden pflegen; so findet sich doch, daß auch als- denn der Erfolg nicht allemahl mit der Erwar- tung uͤberein kommt, wenn man es voͤllig in sei- ner Gewalt hat, das Zukuͤnfftige nach seinem ei- genen Willen und Wohlgefallen, zu bestimmen. Denn man weiß aus der Erfahrung, daß bey Verordnungen, Dispositionen, Stifftun- gen, Friedensschluͤssen, sich manches Hinderniß in der Ausfuͤhrung aͤussert, ohne daß iemand ist, der Hinderniß verursacht: Sondern die Sache selbst ist nicht recht eingerichtet, und wie man saget, nicht recht eingefaͤdelt worden. Diese Schwierigkeiten, welche in dem Fortgange gantz willkuͤhrlicher Geschaͤffte sich aͤussern, entstehen dar- aus: 1. Daß einige Stuͤcke der Verordnung etwa einander widersprechen: Als wenn man eine Sache zwey Personen verspricht; oder einer Person zwey Aemter auftraͤgt, die incompatible sind. Dergleichen widersprechende Artickel fallen nicht allemahl in die Augen; und kennen also un- vermerckt, in Stifftungen, Jnstructionen, zumahl wenn sie weitlaͤufftig sind, einfluͤssen, 2. wenn man Dinge in der Verordnung unbe- stimmt laͤsset, welche doch aus den allgemeinen Regeln nicht koͤnnen bestimmt werden. Die letz- tere Zwoͤlfftes Capitel, tere Schwierigkeit findet sich 1. bey Packten, die Anfangs eingerichtet werden koͤnnen, wie man wlll: Hat man aber nicht uͤber alles paciscirt, so will nachher jeder den vorkommenden Fall zu seinem Vortheil auslegen. 2. Bey letzten Willen, da man bey der Ausfuͤhrung den Testatorem nicht mehr fragen kan, wie er es mit der Sache wolle gehalten haben, darbey er sich zu erklaͤren verab- saͤumet hat. So moͤgen die ersten Testatores wohl oͤffters nur uͤber gewisse Stuͤcke ihrer Ver- lassenschafft disponirt haben: Und man hat nicht gewust, wer das uͤbrige bekommen soll. Oder er hat zwar uͤber alle Stuͤck disponirt: Jndem aber jeder, von denen, die bedacht worden, sein Stuͤck nehmen wollen, niemand aber vorhanden niemand aber vorhanden gewesen, der sie ihnen ausgetheilt haͤtte, so hat daraus eine Art der Pluͤnderung entstehen muͤssen. Beyden Ue- beln ist durch die Institutionem hæredis vniuer- salis abgeholffen. §. 18. Zum Muthmassen ist das Uebersehen des Geschaͤffts noͤthig. Eine Sache uͤbersehen, nehmlich die geschie- het, oder geschehen soll, heisset alles dasjenige daran wahrnehmen, was zu unsern Geschaͤfften noͤthig ist, das wir mit der Sache haben. Nehm- lich wir beschaͤfftigen uns mit einer Sache, indem wir sie entweder treiben, oder jemanden davon belehren. Als der Concipient eines Testaments muß von zukuͤnfftigen Dingen. muß die Willensneigung des Testatoris uͤberse- hen, damit er eine deutliche und hinlaͤngliche Vor- schrifft davon aufsetzen koͤnne: Und man weiß wie vieles hierbey unzehlig offte ist versehen worden. Auch muß der Erbe der Erbschafft uͤbersehen, damit er wisse ob er Schaden oder Vortheil von Antretung der Erbschafft haben werde: Und her- nach die Stuͤcke des Testaments erfuͤlle. Das Uebersehen erfordert also, Einsicht nicht allein, 1. in die innerliche Beschaffenheit der Sache, son- dern auch 2. in die umstehenden Sachen (§. 17.), 3. ja zufoͤrderst auch ins nachfolgende: Als wo sich der Schade oder Nutzen oͤffters erst aͤussert. Die Antretung der Erbschafften cum beneficio in- ventarii ist gewiß aufgekommen, nachdem manche Erblasser, zu spaͤte erfahren, daß sie mehr Scha- den als Vortheil von der Erbschafft gehabt haben. §. 19. Falsche Wege das Zukuͤnftige zu erkennen: Da nun Handlungen so ungluͤcklich ausfallen koͤnnen, nicht allein durch Ungluͤcksfaͤlle ( n. 3. §. 9.), sondern auch durch solche Anstalten die ein ander in Wege stehen ( n. 1. §. 17.); und daß man nicht alle noͤthige Verordnung gemacht ( n. 2. §. 16.); auch durch innerliche Beschaffenheit der Sache die man nicht bemerckt ( n. 2. §. 9.), wie nicht weniger durch irrige Erkentniß, der Dinge, die man unter Haͤnden hat ( n. 1. §. 9.) ja endlich auch dadurch, daß man auf die aͤusserlichen Dinge nicht achtung gegeben (§. 16.), darzu wohl, noch Nach- Zwoͤlfftes Capitel, Nachlaͤßigkeit, und Ungeschicklichkeit in der Aus- fuͤhrung hinzu kommen: Und jeder doch ein Ge- schaͤffte, wegen des begluͤckten Fortgangs unter- nimmt; so haben sich die Menschen zu allen Zei- ten, wegen des Fortgangs ihrer Geschaͤffte sehr ge- aͤngstiget. An statt nun sich zu bescheiden, daß der. Ausgang eines zumahl langweiligen Geschaͤff- tes, nicht untruͤglich zu erkennen ist; und an statt sich zu bemuͤhen, die angefuͤhrten Hindernisse, so viel moͤglich aus dem Wege zu raͤumen; haben sie sich oͤffters nur mit der angenehmen Hoffnung eines gluͤcklichen Ausgangs zu unterhalten gesucht. Daraus sind nun die Auguria und tausend andere Arten von Zeichendeutereyen entstanden, daran zwar noch viele Menschen hangen, und jederzeit hangen werden, die aber doch in der wahren Er- kentniß zukuͤnfftiger Dinge, vor nichts an- ders als vor notiones deceptrices und Hirnge- spinste koͤnnen angenommen werden. Ausser daß die wahre Religion, solche Zeichendeutereyen ver- beut, so wird nunmehro auch die Begierde dar- nach, und mithin die vermeynte Nothwendigkeit derselben, durch die Gelehrten, und derer staͤr- ckere Anzahl vermindert. Denn bey diesen kan man 1. sich Raths erholen, wenn man selbst nichts von der Sache einsiehet (§. 13.) 2. man kan bey ihnen, wenn die Sache schlecht abgelauffen, mei- stens die Ursach erfahren, und also 3. wenn es durch ein Versehen geschehe, dieselben durch ihre Leh- ren kuͤnffrig hin vermeyden lernen. So hat man sonsten offt geglaubt, dieser oder jener waͤre mit Bienen von zukuͤnfftigen Dingen. Bienen durchaus ungluͤcklich: Woraus denn ohne Zweifel mehrmahlen die Sorge und Frage ent- standen: Ob man auch ietzo, mit denen angeschaff- ten Bienenkoͤrben gluͤcklich seyn werde. Das vermeinte Ungluͤck ist aber offt nur ein bestaͤn- diges Versehen, welches ein Gelehrter, wie Reau- mur, offt gar bald entdecken wuͤrde. Zu auspi- ciis nimmt man nur seine Zuflucht, weil man sich sonsten gar nicht zu helffen, ja nicht einmahl zu rathen weiß. Guten Rath aber muß man wenigstens allezeit bey Gelehrten finden. §. 20. Zumahl unerforschliche Dinge. Ohngeachtet alles in der Welt zufaͤllig ist, so hat man doch schon laͤngst gewisse Dinge vor anderen contingentes genennet. Das sollen nun wohl Sachen seyn, die weder von unserer Ein- richtung noch auch von unserer Einsicht abhangen. Die man also nicht eher wissen kan, bis sie wuͤrck- lich da sind, oder hoͤchstens nur kurtz vorher. Man sollte sie lieber unerforschliche zukuͤnf- tige Dinge, als contingentia nennen. Derglei- chen Dinge sind: Das menschliche Lebensziel: Wind und Wetter auf einer langen Reise: Erb- schafften und Successiones, wo noch viele vor uns sind. Wiewohl es auch Sachen giebt, die vor unerforschlich gehalten werden, ob sie es gleich nicht sind. Vor einem barbarischen Feldherrn ist ein unerforschlicher Zufall, daß bey der Bataille eine Sonnenfinsterniß einfaͤllt: Da es bey cultivirten Voͤl- Zwoͤlfftes Capitel, von zukuͤnfftigen ꝛc. Voͤlckern eine jedermann bekannte Sache ist. Auch von solchen zufaͤlligen Dingen, haben den- noch die Menschen zu allen Zeiten im voraus Nach- richt haben wollen: Daraus denn die Sortilegia, die Astrologia judiciaria, und omina entstanden sind: Weil aber diese Anzeichen in die vernuͤnfftige Einsicht in die Wahrheit keinen Grund haben, und auch durch den Titul der Erfahrungen sich nicht rechtfertigen lassen: So werden sie von al- len die Schrifft und Vernunfft in Ehren hal- ten, billigst verworffen. Eine richtige Vorschrifft, wie man mit Dingen, die sind, und geschehen, oder auch noch geschehen sollen, umzugehen hat, unterdruͤckt die Neigung entweder Dinge werck- stellig zu machen, und zu erforschen, die doch nicht zu erforschen sind; oder auch, was erforscht wer- den kan, auf eine unnatuͤrliche Art anzugreiffen. Beyden Uebeln wird also auch gegenwaͤrtige Ab- handlung, die das Wahre oder Falsche in allen Theilen der historischen Erkentniß unterschei- den lehret, hoffentlich nicht wenig Einhalt thun. Wenigstens ist sie lediglich zur Befoͤrderung der wahren und richtigen Erkentniß von dem Ver- fasser sowohl unternommen als ausge- fuͤhrt werden. S. D. G. Register Register I. nach dem Jnhalte des gantzen Werckes, in seinen Haupt-Eintheilungen. I. Cap. Von der historischen Erkaͤntnis uͤber- haupt pag. 1-27 II. Cap. Von den Begebenheiten der Coͤrper 27-58 III. Cap. Von den Begebenheiten der morali- schen Wesen oder Dinge 59-76 IV. Cap. Von den Begebenheiten der Men- schen und denen eintzeln Weltgeschich- ten 76-91 V. Cap. Vom Zuschauer und Sehepuncte 91-115 VI. Cap. Von der Verwandelung der Ge- schichte im Erzehlen 115-155 C c VII. Register. VII. Cap. Von der Ausbreitung und Fortpflan- tzung einer Geschichte 155-202 VIII. Cap. Von dem Zusammenhange der Begebenheiten und der Geschichte 202-280 IX. Cap. Von der Gewißheit der Geschichte, oder der historischen Erkaͤntniß 280-317 X. Cap. Von der historischen Wahrscheinlich- keit 317-352 XI. Cap. Von alten und auslaͤndischen Ge- schichten 353-381 XII. Cap. Von zukuͤnfftigen Dingen 381-400 II. Verzeich- Register. II. Verzeichniß einiger angefuͤhrter Autorum und ihrer Schrifften, da denn die besonders recommendir- ten mit einem* die billig carpirten mit einem † bezeichnet sind. d’Argens (Marquis) du bon-sens \&c. 352 Arnolds (Gottfr.) Kirchen- und Ketzer-Historie 149 . † Bayle (Pierre) Dictionaire \&c. 353 . † Bernds (Ad.) Beschreibung seines Lebens 267 . † Bierlingii (Fridr. Wilh.) Pyrrhonismus historicus 352 * Cæsar in bello Gallico \& Civili 176 . 362 .* Caoursin (Guil.) von Maltheser-Rittern 318 . 319 . 327 . 356 Chifletii (Joh. Jac.) thesaurus sepulchralis Childerici 376 .* Chladenii (Jo. Mart.) philosophia nova definitiva 31 . 209 . 351 . Logica Practica 53 . 203 . 222 . 261 . Auslegekunst 165 . 169 . 172 . 173 . 322 . 358 . 374 . Vernuͤnfftige Gedancken vom Wahrscheinlichen 204 . 251 . 262 . 286 . 389 . Opuscula Academ. 122 . 188 . 375 . genaue Bestimmung, was Erfahrungen sind 56 . de celeritate cogitandi 33 . Gedancken von ferne 41 . de cardine legis \& prophetarum 274 . de fatis Bibliothecæ Augustini 132 . de vestigiis 199 . 296 . 329 Ciceronis Orationes 171 . 271 . 272 .* Curtius, de rebus Alexandri M. 212 . 361 Daniel, l’Histoire de la France 155 . 352 . 367 Eckhard (Jo. Georg) de re diplomat. 360 Euclides, in Elementis 27 .* C c 2 Eusebii Register. Eusebii Hist. Ecclesiastica 178 Gesta Dei per Francos 239 Guichardin 356 Goldast, de regno Bohemiæ 357 von Haller Versuch Schweizerischer Gedichte 168 l’Histoire de l’ Academie Roy. des belles lettres 280 . 344 l’Histoire de France 155 von Hollbergs, Beschreibung seines eigenen Lebens 267 Faligni, vom Maltheser Ritter-Orden 318 . 319 . 327 Leibnizens Theodicée 100 . 101 . 192 Livii Historia Romana 178 . 373 .* Mabillon (Joh.) de arte Diplomatica 360 Maillet, Description de l’Ægypte 196 von Mayers Erzehlung des Westphaͤlischen Friedens 114 Plinii, Majoris, Histor. Natur. 188 .* Sallustius 361 .* Schwarzius de columnis Herculis 212. sq. Siber (Urb. Gottfr.) von beruͤhmten Alemannen und Gottschalcken 85 Spizeli (Theoph.) Gluͤckliche und ungluͤckliche Gelehrte ibid. Strabo, in Geograph. 176 Tacitus, in Annalibus 76 .* 361 . 373 Thuani (Aug. Jac.) Histor. 361 Valer. (Maximus) 278 de Vertot, Histoire de Chevaliers de Malthe 318 . 327 . 337 Wolffs (Christian.) Gedancken von Gott und der Welt 123 III. Real- Register. III. Haupt-Register aller vorkommender Sachen und derer vornehmsten illustrirten Exempel, auch Schrifftstellen. A. Abbrechen, wie es in einer Erzehlung geschicht 147 . 148 Abgabe, wie sie zu beleuchten 73 Abneigung, was sie ist 106 Abschreiben, was das zuwege bringt 178 Absicht, was es sey 207 . 259 Abstrahiren, dessen Mangel schaͤdlich 72 . wozu es hilfft 89 . auch so gar vor zukuͤnfftige Dinge 189 Abwesende, wer die sind 157 . s. auch Fremder. Academie, ein moralisch Wesen 67 . deren Gestalt und Verfassung ibid. das aͤusserliche und innerli- che derselben 72 Academische, Faͤhigkeit, was die sey 108 . Lehrer, Umstaͤnde 67 . Fehler 72 . s. auch Sehepunct. Acta diurna der Roͤmer 356 . publica, dienen zur Historie ibid. Adel, dessen Erneuerung 71 Advocat, dessen Verstellung 184. seq. Aegyptisch, s. Egyptisch. Aehnlichkeit verleitet zum Jrrthum im Sehen 38 Aeusserlich, was das ist 58 . wie es von dem innerli- chen getrennet werden kan 60 . und doch mit jenem vor eins anzusehen ibid. s. auch moralisch Wesen, Handlung ꝛc. Ahasverus laͤst sich uͤberreden, und warum 217 C c 3 Alexan- Register. Alexander M. besondere Gedenckart 224 . nach der er Darii Friedensvorschlaͤge refusirt 211. seq. soll den Slavakern ein Privilegium gegeben haben 357 . seine Generals theilen sein Reich 226. seq. Alltaͤglich, s. taͤglich. Alt, was wir so nennen 353 Alte, Geschichte, was es sind 353. seq. Mehr siehe in Geschicht. Muͤntzen, wozu sie dienen 377 . Schriff- ten, s. Diplom. Docum. Schrifften. Alten hatten es weit in Kuͤnsten gebracht 376 Amt, bringt offt unvergnuͤgte Handlungen zuwege 255 . 256 Anblick, was er ist 31 . der erste unzureichend 32 . und doch ein einiger 33 Anfang der Dinge unbekannt 65 . warum 133 . s. auch Untergang. Anhoͤrer, wer er ist 159 . Regel vor ihn 297 . siehe auch Hoͤrer. Anmerckung, vid. Locus comm. Annehmen sich einer Geschichte, was es sey 189. seq. Anschauen, was es ist 31 . zu klaren Begriffen noͤ- thig 33 . hanget von dem Stande 98 . und Stelle ab 99 . it. von Freund-und Feindschafft 106 . s. auch Einsicht. Anschauungs-Urtheil, was es sey 115 Anschlaͤge, was sie sind 209 . 252 . sind eine lange Ge- schichte 231 . werden mit der Ausfuͤhrung vor eins angesehen 227 . indem beydes zusammen haͤngt 229 . sonderlich in der Erzehlung 232 . seqq. (plur. vid. Ausfuͤhrung.) Doch gehet der Ausgang der Ge- schichte von ihnen ab 248 . 249 . wie deren Umstaͤnde zu betrachten 221 . 222 . deren Ursache begreifflich 210 . 211 . entstehen von Rathgebern 216 . sonder- bare 211 . 212 . haben eine besondere Einrichtung ibid. und neue 212 . 213 . boͤse 213 . muͤssen Hinder- nisse finden 235 . und sind doch begreifflich 213 . ob- wohl nur einiger massen 224. seq. ungeheure 214 . unver- Register. unvermuthete 215 . daraus entstehen unvermuthe- te Umstaͤnde 239 . 240 . und neue Geschaͤffte 240 . verhinderte bleiben geheim 228 . 229 . wovon sie unterschieden 229 . weit aussehende grosse 230 . was zu den weitlaͤufftigen gehoͤret 231 . finden Hindernisse, siehe Hindern, und werden zu nichte 236 Ansehen eines Coͤrpers 41 . mit der Gestalt vermen- get 42 . was sonst dazu gehoͤret 42 . 43 Ansehen, autoritas, was das heisset 303 . kommt vom Autor her 301 . 303 . kan doch betruͤgen 303 . ist sonst noͤthig, und warum 301 . deren innerliche Beschaffenheit 302 . Eintheilung 303 . und Er- gaͤntzung 304 . 305 . eines Geschichtschreibers 362 . wie es voͤllig ist 362 . 363 . sonderlich wenn er zu glei- cher Zeit gelebet 363-365 Anzeichen sind nicht sicher 336 A posteriori moͤglich seyn hat keine Gewißheit 282 A potiori fit denominatio, wo dies applicable 79 A priori, etwas einsehen 80 . 90 . 203 . 227 . 228 . 316 . und nicht wissen 78 . 80 . 82 . nach dem, das nicht also einzusehen ist, zu fragen 260 Aristoteles, Meister der Vernunfftlehre 26 Artzt, kan keine Kranckheit gewiß beschreiben 113 . ge- het mit prognosticis um 389 . s. auch Erfahrung. Astrologia judiciaria, woher entstanden 400 Aufzug, was vor eine Begebenheit 5 Augenzeuge, ein verwerfflich Wort 157 Auguria, woraus sie entstanden 398 . wovor sie zu hal- ten ibid. sind verboten ibid. bessere Mittel dage- gen 398 . 399 Augustini Bibliothec, ob sie von den Vandalen verscho- net blieben 131 Ausbreitung, s. Geschichte. Ausdehnen, eine Erzehlung 148 Ausfuͤhrung, hanget nicht in seinen Theilen, wie die Theile des Anschlags zusammen 236 . s. auch An- schlaͤge, Hindernisse, Zufaͤlle. C c 4 Aus- Register. Ausgang der Geschichte, oͤffters das Hauptwerck 248 . 249 Auslegungskunst, was sie sey 172 Aussagen gehet dem Nachsagen vor 164 . wozu noͤ- thig 200 . 201 . bringen eine Sache ans Licht 202 . Gewißheit derselben 298 . kan doch zerruͤttet werden 298 . 299 . auch auf Seiten des Zuhoͤrers 299 . 300 . wie dahero aus dem Wege zu raͤumen 328 . 329 Ausschreiben, s. Abschreiben. Aussicht, was es heisset 31 . wie sie deutlich wird 34 . aber durch den geaͤnderten Stand gehindert 34 . 35 . deren Theile und Zusammenhang 36 Ausspuͤren, s. Geschichte, Spur. Auswendig und inwendig einen kennen 96 Autor, wer der sey 157 . hat mit dem Zeugen ein Anse- hen 307 Autoritaͤt, s. Ansehen. B. Baͤume strecken sich bis in die Wolcken 39 Banco, derselben vielfaͤltige Veraͤnderungen 75 Banier refutirt den Boivin 344 Barbar in seinen Urtheilen betrachtet 112 . 113 Bauen, wie es geschiehet 231 . und divers angesehen wird 231 . 232 Baum, s. Baͤume. Befehle, eine Art der Willensmeinung 16 . sind die Ursache der meisten Handlungen 208 . 209 . s. auch Gesetze. Begebenheiten, Einsicht in dieselbe 80 . was sie uͤber- haupt seyn 2 . 3 . eine einige, was sie ist 3 . 4 . wie viele als eine anzusehen 4-6 . ist von der Geschichte unterschieden 8 . lassen sich durch Schluͤsse verbin- den 268 . s. auch Fluͤssen und Ursache. der Menschen, s. Menschen. in der Seele, s. Seele. innerliche 48 . coͤrperliche Begebenheiten 47 . 58 . dabey ein Wi- der- Register. derspruch, s. auch Physical. nothwendige, natuͤrli- che und besondere 78 . alltaͤgliche 81 . zufaͤllige 275 . sichtbare 93 . oͤffentliche 156 . welche die meisten Zuschauer haben 311 . daß es nicht an Zeugen feh- let 311 . 312 . heimliche 155 . man sehe auch mora- lisches Wesen, Zusammenhang, Zusammenfuͤgung. Begriff, allgemeiner 89 . klarer, woher er entstehet 33 . ingleichen der deutliche 34 . wodurch beyder gehindert wird 34 . 35 Bekannt seyn, was es heisset 162 Belebte, s. Denckmahle. Beleuchten eine Sache, was man damit saget 73 Bereden sich lassen, persuaderi, quid sit 216 . 217 Beredsamkeit, womit sie zu thun hat 19 . hat 3 . Arten der Reden ibid. ihr wird durch die Historie aufge- holffen 20 . 356 . erzehlet eine Geschichte natuͤrlich und lebhafft 238 . s. auch Carneades. Beschreibung, was sie sey 43 Betheurungen, was sie helffen 304 . wenn und bey wem sie nicht in Zweiffel zu ziehen 305 Betrachtung einer Sache, wovon der Unterscheid her- kommt 99 Beyspiele, was sie seyn 52 . 53 Bienen, Jrrwahn dieserwegen 399 Bienenschwaͤrme, Anmerckung davon 57 . 293 . 294 Bild, einer Geschichte vom Bilde des Zuschauers un- terschieden 181 . s. auch Denckmahle. Bitten, s. Gebethe. Blick, s. Anblick. Brieffe, ihr Unterscheid 90 . Quellen der alten Histo- rie 356 . 358 Boͤse, s. Anschlaͤge, Haͤndel, Handlungen, Thaten ꝛc. Boissy widerlegt den Morin 344 Boivins neuere Gedancken vom Regiment der Jsraeli- ten ibid. Buchdrucker, warum man den ersten nicht genau weiß 66 C c 5 Buͤcher Register. Buͤcher von Denckmahlen unterschieden 354 . sonst siehe auch Schrifften. C. Caͤsars Todt verursacht verwirrte Haͤndel 241 . 242 . wodurch die Monarchie zu Stande kommt 243 . 248 Calvisius, ein trefflicher Chronologus 355 Canal, durch welchen man die Begebenheiten erfaͤhret 159 . 160 . und die alten Geschichte fortgepflantzet werden 366 Cardo rei, was es ist 276 Carneidis Meisterstuͤck in der Beredsamkeit 19 Casus, was sie seyn 88 . insonderheit conscientiæ ibid. Ceremonie kan ein Denckmahl seyn 195 Christierns Grausamkeit 223 . 224 . und verursachte Troublen 248 Chronologie zur Historie noͤthig 355 . ihre Differentz importiret wenig ibid. verdiente Maͤnner darinne ibid. Closter, s. Untergang. Coͤrper, erkennt man durchs Gesicht 27 . und Gefuͤhle 28 . daher ihre Erkaͤntnis sinnlich und gewiß 292. sq. sind nicht von einer Dauer 28 . eintzele 36 sqq. ma- chen keine Schwierigkeit 52 . wie man sie dencken ler- net 36 . 37 . 39 . 40 . haben ihre Dicke, Flaͤche, Seite 37 . (S. a. Ort, Lage, Stand, Gestalt, Ansehen, Ver- aͤnderung, Begebenheit ꝛc.) wie sie vermengt werden 38 . einer nie alleine 38 . 39 . ein Hauffen Coͤrper, was es sey 52 . koͤnnen Denckmahle abgeben 195 . s. auch Regeln. Coͤrperlich, s. Begebenheit. Columbus, ober die neue Welt erfunden 212 Cometen sind Coͤrper 28 . ihr Lauff und Stand gantz unbekannt 391 . 392 Comoͤdien, woher sie entstanden 278 Con- Register. Constantin M. laͤst seinen Printz hinrichten 257 . war- um er das Reich getheilet 223 . Urtheil von seiner Donation 357 Contingentia, was das vor Dinge 399 Controvertiren, was vor eine Begebenheit 6 . und was dabey vorgehet 187 Coptische Sprache kuͤrtzlich exspiri ret 196 Corollaria, was sie sind 281 Creutzzuͤge, was dieselben befoͤrdert 213 Critick, mannigfaltiger Verstand des Wortes 21 . ih- re Verbindung mit der Historie ibid. womit sie um- gehet ibid. als sonderlich zur alten noͤthig 358 . fal- sche, was sie sey 22 Curiositaͤt, s. Natural. Cabinet. D. Daseyn, woraus es erkannt und geschlossen wird 28 . 29 . Jrrthum darinne 30 . eines moralischen We- sens 67 David, seine unvermutheten Anschlaͤge woher 215 . hatte keine Ursache zur boͤsen That 226 . welche doch geschwind vollbracht war 227 Demonstrationes machen eine Sache gewiß 284 . 285 . 290 . oder fuͤhren vielmehr zur Gewißheit 286 . was dazu unzulaͤnglich 268 . wie sie in historischen Saͤ- tzen zu machen 275 . 276 . oder nicht zu machen 284 . was sie in der Physic sind 261 Denckmahle, was sie seyn 194 . 354 . und wie vielerley 195 . sind entweder belebt oder stumm 374 . 375 . be- lebte was sie sind 377 . Bilder drauf 378 . stumme wozu sie nutzen 375 . 376 . sind auch Schrifften 354 Descriptiones nach der Philosophie betrachtet 43 Dichtkunst, woher ihre Redensarten entstehen 39 . ein Theil derselben die Jmagination 41 . verwandelt die Geschichte ins sinnreiche 129 Dicke Register. Dicke eines Coͤrpers, was sie sey 37 Diebstahl verschieden zu beurtheilen 257 . Spuren davon 330 Dinge, welche schon geschehen und noch geschehen wer- den 14 s. auch Zukuͤnfft. unerforschliche, s. unerf. Diplomata was sie seyn 359 . eine besondre Qvelle der Historie ibid. die untergeschobenen 359 . 360 . sind von den aͤchten zu unterscheiden 360 Documenta was man so nennet 313 Donnerschlag was er ist 4 . Wetter, bey dem unsre Vorhersehung mangelhafft 390 Drohungen, eine Art der Willensmeynung 16 E. Egyptische, alte Sprache kuͤrtzlich exspiri ret 196 . Pyramiden 88 . ihr Erbauer unbekannt 375 . was aus denenselben zu schliessen ibid. Ehre, der beste Stand des Menschen 80 Einbildungs-Krafft, s. Jmagination. Einfall vom Anschlag unterschieden 229 Einheit der Person macht nur eine Begebenheit 6 . 7 Einsicht, verschiedene, woher 102 sq. Einsiedlerstand, s. Moͤnchsorden. Elemente, siehe Euclid. im ersten Reg. Elisabeth laͤst Mar. hinrichten zum steten Erstaunen 257 . 258 Empfindung setzt die Wahrheit der Sache voraus 50 . was dazu dienlich 51 . (s. a. Erfahrung, Erzehlung) aͤusserliche und innerliche beym Zuschauer 93 . Um- fang der Empfindung 117 . Vermengung mit den innerlichen Eigenschafften 119 Ende der Geschichte was es sey 147 . 248 Entdecken, s. Geschichte. Entfernte, s. Reisen, Frembder. Entschluͤssung anderer, ob man sie zuvor wissen koͤnne 385 . 386 . sonst s. Anschlag. Ent- Register. Entwurff, s. Grundriß. Erbschafft muß uͤbersehen werden 397 . wenn sie un- ter contingentia gehoͤret 399 Erdbeben, dessen Seltenheit hebt unsre Muthmas- sung auf 392 Erfahrung was sie sey 55 . 84 . anders als die Em- pfindung 55 . 56 . nicht jede hat eine Gewißheit 282 . die aus Seltenheiten hilfft der Muthmassung auf 392 . ist als eine Regel anzusehen 388 . ihre Dienste in der Artzneykunst 392 . s. a. Kunst. fremde, was von derselben zu halten 283 Erfolg, den man in seiner Gewalt hat, kommt ins Stecken 393 . plura v. Folgen. Erforschung, s. Geschichte. Ergaͤntzung der Geschichte, wie sie geschiehet 130 . wird offt wiedersprochen. Erkaͤntniß, goͤttliche, die vollkommenste 1 . menschli- che 1 . 2 . s. auch Gelehrte der Welt 1 . der Geschichte 8 . 12 sqq. (s. auch Geschichte) dazu auch zukuͤnfftige Dinge gehoͤren 381 sqq. historische, s. in H. Erlaͤuterung der Geschichte, was es sey 146 . 147 Erneuen, s. Geschichte. Erzehlung, was sie ist 8 . wie sie erzeuget wird 126 . 127 . kan nicht ohne Geschichte seyn 9 . ihre Verbin- dung mit denselben 9 . 10 . 263 . kan nicht so weit ge- hen als die Empfindung 116 . 117 . wie sie kurtz zu fassen 118 . durch allgemeine Woͤrter ibid. Fehler darinne 122 . 123 . Schwierigkeiten dabey 237 . 238 . ist nur ein Stuͤckwerck 267 . 268 . wenn sie wieder- sprechend wird 271 . wie, nach gewisser Absicht ein- gerichtet 123 . 124 . 136 . geschicht vom Zuschauer 169 . ( v. etiam Nachsager) und præoccupi ret offt 184 sqq. ist theils deutlich, theils dunckel 23 . theils sind sie trocken und schlecht 23 . 129 . welchen der Red- ner abzuhelffen weiß 171 . theils sinnreich 23 . 172 . sind wie Gemaͤhlde 140 . Fehler derselben 137-144 . 149 . 150 . geschehen durch Vergleichungen 127 sq. gesche- Register. geschehen auch gelegentlich 132 . 145 . oder gruͤnd- lich 132 . 146 . sind angenehme und rauhe 153 sq. gelehrte und politische 135 sq. partheyische und un- partheyische vid. unparth. conf. etiam Tit. Grund- riß, abbrechen, ausdehnen ꝛc. Erzehlungskunst angebohren 125 Erzeugung a) der Erzehlung was sie sey 127 . b) und des Menschen 77 l’Esprit de detail, was sey 234 Evangelium, kurtz beschrieben 22 Exempel, was es ist 53 Eyd, s. Betheurungen. F. Fabeln, woher sie entstehen 18 . wie von den Geschich- ten unterschieden 18 . 19 . 154 . und ihnen doch aͤhn- lich sind 19 . wie man auf ihre Erfindung kommen 276 sq. was kuͤnstliche sind 277 . vornehmste Arten derselben 277 sq. Faͤhigkeit eines Menschen, was sie sey 84 . mit einem Exempel erwiesen 233 . s. a. Academische. Fama quid sit? 177 Farben gehoͤren zur Gestalt 42 . werden mit der Figur vermenget 45 Feind, was ein solcher thut 106 . und warum 213 . entstehen offt aus verwirrten Haͤndeln 242 . sie un- terdruͤcken das gute 193 . und sind ihre Jntrigven unbekannt 133 . s. auch Tit. Freund. Fest ist ein Denckmahl 195 . s. a. Jubil. Feuergeben der Soldaten, welche Begebenheit 5 Figur, macht die Gestalt aus 42 . laͤst sich schwer be- schreiben 44 wie es doch geschicht ibid. wie man da- von verschieden denckt 44 . 45 . s. auch Farbe. Fixsterne, s. Sterne. Fliegende Fische kan es geben 283 Fluͤssen Register. Fluͤssen einer Begebenheit und einer Wahrheit, welcher Unterschied 273 sq. Folgen was sie sind 259 . wie vielerley 329 . 330 . sind nicht der Grund einer Begebenheit 348 . wie sie zum Voraus zu sehen 394 . s. a. Erfolg, it. Geschichte. Fortpflantzung, s. Geschichte. Fragen, woher sie entstehen 183 Fragmenta von Haußrath ꝛc. worzu solche nutzen 376 Frembder, wer der sey 74 . 75 . Sehepunct desselben 109 . absonderlich in entfernten Lande 379 . bekuͤm- mert sich nicht um taͤgliche Verrichtungen 81 . solche sehen nur ein was oͤffentlich geschiehet 104 . hinge- gen bleibt ihnen vieles geheim 104 . 152 . koͤnnen da- hero keine richtige Erzehlung geben 152 . nuͤtzen nie- manden als einem Gelehrten 75 Freund auf das Gute aufmercksam 106 . veranlasset einen besondern Sehepunct 105 . 106 . Unterschied zwischen ihm und dem Feinde 60 . 74 Freyheit des Menschen bey den Geschaͤfften 270 . 384 . kan doch zur Nothwendigkeit werden 385 Froͤhliche, v. Sehepunct. Fruchtbarkeit der Nachrichten 169 . 173 Fuͤgung, was es heisset 274 Fuͤr sich etwas thun, was es sey 155 Fuß, auf sichern stehen 68 G. Gebethe, was sie seyn 22 Geburth des Menschen, was sie sey 77 . und was da- bey nicht attendi ret wird 205 Gedancken, Ursprung derselben in dunckeln Vorstel- lungen 365 . achten andre Leute nicht 59 . wissen sie auch nicht 265 . gehen geschwinde 33 . lauffen wie die Geschaͤffte 393 . sind auch von ferne 40 . 41 . ein- tzele 59 . solche aufzeichnen, wenns eine unnuͤtze Ar- beit 229 . andrer kan man voraus sagen 383 sq Gedenck- Register. Gedenckart, wie ein Anschlag davon abhanget 218 . 219 . und die Gelegenheit dazu 221 . mit Exempeln erwiesen 222 . 223 . wie man sie begreiflich macht 223 . 224 . Alexandri besondre 224 Gedichte, was sie seyn 20 . ihr Lob und Schoͤnheit 20 . 21 . 172 . s. a. Dichtkunst, Lieder. Gegenwaͤrtige, wer diese sind 156 Gegenwaͤrtiges laͤsset das vergangene erkennen 315 . ( vid. Vorhergegangen) und das zukuͤnfftige 381 sqq. falsche Begriffe davon, wozu sie hinderlich 387 Geheime, was also heisset 104 . 161 sq. Geheimnisse, s. Hertz. Geitziger in seinen Handlungen betrachtet 213 Gelegenheit, was sie sey 218 . von der Ursache unter- schieden 220 sq. daraus entstehen boͤse Thaten 225 Gelehrte, wer die sind 107 . haben andre Erkaͤntniß als der gemeine Mann 13 . 105 . woher solche kommt 107 . 108 . halten sich bey Erfindung der Wahrheit an ihr Object 394 . haben doch ihre Schwachheiten 148 . ruͤcken einander allerhand auf 155 . sind unter- schiedener Gattung und Nahmens 85 . ihnen ist schwer predigen 393 . Erzehlungen 136 Gemeine Sage, was die sey 162 sq. Genus proximum macht die Gedenckart gebraͤuchlich 223 Gerechtigkeit gelobt und gestrafft 19 Gesandten in ihren Geschaͤfften betrachtet 268 Gesetze, was sie seyn 16 . eine Art der Willensmey- nung ibid. haben mit der Historie eine Verbindung 22 . eine verbindende Krafft 385 . buͤrgerliche, Ob- ject der Jurisprudentz 16 . sonst siehe auch: Befehle. Geschaͤffte, was sie seyn 86 . derselben Historien 87 . 88 . sie haben ihren Lauff 393 . dabey es vornehm- lich auf den menschlichen Willen und Freyheit an- kommt 268 . sie koͤnnen zu andern Geschaͤfften wer- den 240 . 241 . koͤnnen voraus gesehen 393 . und uͤbersehen werden 396 . 397 . Angst wegen deren Fortgang 398 Ge- Register. Geschehen, v. Seyn. Geschichte, was sie sey 7 . von der Begebenheit unter- schieden 8 . insonderheit der Physicalischen 205 . 206 . auch von Erkaͤntniß, Erzehlung und Nachricht 8 . kan ohne Erzehlung seyn 9 . 262 . 347 . und gehoͤret doch mit der Erzehlung zusammen 9 . 10 . von den Fabeln unterschieden 18 . 19 . muß ein Subject haben 11 . hat auch wohl mehrere 11 . 12 . Erkaͤntniß der- selben 12 sq. aus Folgen 197 . 198 . 199 . ihr Haupt- werck 126 . Urbild und Erzeugung 126 . 127 . Grund 275 sq. und Unterschied. eintzele Menschen, oder eintzele Weltgeschichte 88 . 89 . Verbindung vieler Menschengeschichte 85 . eintzele, wodurch sie sich vor andern unterscheiden 90 . grosse, eine Begeben- heit 125 . alte, was sie sind 353 . 354 . woraus sie zu erlernen 354 sqq. (siehe auch Qvellen) ihr sichrer Grund und Nutzen 356 . 357 . was zu deren Erkaͤnt- niß noͤthig 358 . sind nicht ungewiß 378 . ob sie wohl offt viel Unwahrscheinlichkeit haben 380 . 381 . Erzehlung v. suo loco. Verbindung der Geschichte und der Erzehlung 263 . bey derselben wird viel ver- schwiegen 266 . 267 . v. m. Ergaͤntzung. Ausbrei- tung, wie geschiehet 156 sq. deren Geschwindigkeit 163 . 189 . 190 . veraͤndert die Geschichte 166 . so auch durch Veraͤnderung der Urkunde geschiehet 177 sq. und deren Mißverstand 179 . 180 . wie sie laͤufft 189 . 190 . oder der Lauff gehemmet wird 192-194 . und gar stehen bleiben 190 . 191 . auch Anstoß finden 191 . 192 . wie sie fortgepflantzet wird 194 . 195 . und er- neuert 195 . 196 . auch entdecket 196 . 197 . ausge- spuͤret 199 . 200 . und erforschet 201 . 202 . s. auch: Haͤndel, Ausgang. Verwandelung, wie sie ge- schiehet 116 . 127 . sonderlich ins sinnreiche 129 . 372 . 373 . dabey vorlauffende Umstaͤnde 137 . 138 . s. a. Ge- stalt, Ende. Erklaͤrung, wie sie geschiehet 271 . v. m. Erlaͤuterung; præprimis Tit. Historie \& Historisch. D d Ge- Register. Geschichtschreiber, s. Bemuͤhung, Pflicht und Absicht 361 . andere Pflichten 374 . (s. a. Kunst) Ansehen 361 sq. noͤthig requisitum, daß er coævus sey 363 . 364 . s. besonders Ansehen alsdenn 364 . was spaͤ- tere zu beobachten 366 . was ihm die Arbeit schwer macht 70 . wovor er sich demnach zu huͤten 278 . Qvellen, die er zu suchen, s. Qvellen. Faͤlle, wo sie sich widersprechen koͤnnen 367-369 Geschlechtsnachrichten, was sie in sich fassen 85 Geschwindigkeit im Gedencken, was es sey 33 . und im Sehen 35 Gesichtspunct, s. Sehepunct. Gestalt der Coͤrper, was sie sey 41 . 42 . woraus sie bestehet 42 . was dazu gehoͤret 42 . 43 . ist mit An- sehen vermenget 42 . der Geschichte, worinnen be- stehet 145 Gewahr werden, was es heisse 197 Gewaltthaͤtigkeiten, deren Anfang 245 Gewißheit, was sie sey 280 . 288 . wovon wir die- selbe prædici ren 282 . 287 . ist eine Eigenschafft der historischen Wahrheit 283 . ist aber nicht jeder Er- fahrung beyzulegen 282 . eine Eigenschafft sinnli- cher Vorstellungen 286 . und unserer Erkaͤntniß ibid. gehoͤret mit unter die gemeinen Begriffe 280 . seqq. Vergleichung mit der Wahrheit 289 . 290 . Unterschied. Gewißheit der Sinne 292 . handgreif- licher Dinge 293 . in Demonstrationibus 284-286 . historischer Schluß-Saͤtze 295 . 296 . der menschl. Aussagen 298 . derer Nachrichten wie herzustellen 300 . 301 . welche auf dem Ansehen des Autoris beruhet 301 . 302 . der zukuͤnftigen Dinge, so da hinlaͤnglich 388 . falsche 289 Gewohnheiten sind dem Gesetze gleich 385 Gleichnuͤsse, derselben Nutzen in Erzehlungen 128 Glaube s. Hinderniß. Glieder eines Wesens was sie seyn 73 . 74 . wenn sie gute Zeit haben 70 . Begebenheiten die sie betreffen 75. Register. 75 . haben in einem Regimente ihre Stellen 98 . ei- nes Angriff irritiret die gantze Gesellschafft 241 Gluͤcksfaͤlle der Menschen, was sie sind 83 . 247 . und Ungluͤcksfaͤlle 247 GOtt s. Erkaͤntniß. Gottesgelahrheit, ihr Grund 22 . s. a. Historie. Grabmahle, was darinne anzutreffen 376 Grade der Qualit aͤten der Seele uns unbekannt 265 . der Wahrscheinlichkeit, was sie sind 345 Grosse Herren lassen sich bereden 217 Groͤsse gehoͤret zur Gestalt 42 . 43 . wird durch Maaß- staͤbe bekannt gemacht 44 Grundriß einer langen Erzehlung 134 . 135 Gustavs Regierung verursachet Troub len 248 H. Haͤndel, was sie sind 87 . ihre verschiedene Arten ib. ver- wirrte insonderheit 241 . 242 . machen aus Freunden Feinde 242 . sind der beste Stoff der Geschichte 242 . 243 . deren Anfang und Zusammenhang 244. sqq. Handgreifliche Dinge, was es sind 293 brauchen we- nig Aufmercksamkeit ibid. machen den groͤsten Theil der Historie aus 302 Handlung, mercat. das aͤusserliche, geheime und in- nerliche dabey 71 . 72 . ihre Veraͤnderung 66 . der Portugiesen in Africa 212 Handlungen, allgemeine Eintheilung derselben 207 . sq. worinne ihr groͤster Theil bestehe 208 . wie sie merckwuͤrdig werden 88 . ihre mancherley Art 144 . sind heimliche 155 . oͤffentliche 156 . natuͤrliche wer- den zu politischen 254 . haben entweder ein Vergnuͤ- gen oder Absicht zum Grunde 253. sq. die ohne Ver- gnuͤgen, folgen grossen Theils aus dem Amte und Stande 255 . 256 . boͤse und harte verschiedentlich anzusehen 256-258 . die mit Amt und Stand keine Verbindung haben 258 . Folgen derselben 259 . und D d 2 Ur- Register. Ursachen 260 . woher ihr Unterschied komme 266 . s. a. Begebenheit. Handwercksmann, wie er ein Wesen ausmachet 61 . und zwar ein moralisches 61 . 62 Hauffen, was es sey 52 . bemerckt nicht die Philosophie ibid. Theorie desselben 53 . und Eintheilung 55 Hauffen Zeugen wozu er dienet 310 Hauptperson, was sie sey 74 . wie es mit ihnen bey Erzehlung einer Geschichte beschaffen 170 . wie sie von den Zuschauern unterschieden 186 Hauptwerck einer Geschichte 126 Heimlich etwas thun 155 . hat wenig Canale 160 Hermenevti c zur alten Historie noͤthig 358 . und de- nen alten Monumenten 377 Herodis Herostrati Anschlaͤge ungeheuer 214 Herren s Grosse. Hertz dessen Geheimnisse 216 Heyden bethen die Sonne an, und warum 226 . ob sie tugendhafft gewesen, pro und contra zu disputi ren 339 . sollen nicht Menschen geopfert haben 344 Himmels Begebenheiten haben den groͤsten Ein- fluß 234 Himmels gegenden s. Plagæ. Hindernisse, kommen von aͤusserlichen Sachen her 394 . halten die Ausfuͤhrung auf 228 . 229 . 230 . fuͤhren von derselben ab 235. sq. machen sie gar unmuͤglich 235 . sind bey allen Anschlaͤgen 234 . 235 . auch bey Stifftungen und Pacten und woher 394 . sind wiedrige Winde 235 . des Begriffes 34 . 35 . des Glaubens die Unwahrscheinlichkeit 350 Historie, was sie sey 10 . und in sich fasset 14 . er- fordert einen Zuschauer ibid. deren Einfluß in die Beredsamkeit 19 . in die Critic 21 . in die Gottesge- lahrheit 22 . dient zur Erklaͤrung der Schrift 23 . be- steht aus aͤusserlichen Veraͤnderungen 76 . ihre un- terschiedene Art 86 . von Kriegen und Haͤndeln 87 . von Register. von Thaten 87 . wichtigen Geschaͤfften 87 . 88 . kommt in allen Schrifften vor 356 . handgreifliche Dinge ma- chen ihren groͤsten Theil aus 302 . s. a. Geschichte. Historische Erkaͤntniß was sie ist 1. sqq. 89 . wor- inne sie nicht bestehet 89 . deren beruhet auf Ur- kunden 23 . was dazu noͤthig und sie erfordere 23. sq. ist von der Physic unterschieden 55 . deren Grund- Begriffe noͤthig 8 . ob sie wohl unvollkommen bleibet 14 . 15 . ihr Zusammenhang mit dem Willen 15 . hilft der Rechtsgelahrheit auf 16 . woher derselben Fehler 17 . deren Nothwendigkeit aus Fabeln erwiesen 19 . hilft der Beredsamkeit 20 . ihr weitlaͤuffiger Um- fang 24 . ihre Nutzbarkeit 24 . 25 . hierzu noͤthige Regeln 25-27 . Schwierigkeiten, woher sie entste- hen 10 . Wahrheiten haben Verbindung mit Schluͤssen 261 . sind gewiß 283. sq. s. a. Wahrheit Wahrscheinlichkeit, Schrifften ꝛc. Schrifften s. in- fra in S. Zusammenhang v. Zusammenh. Hoͤrer, wer er ist 159 . was sein Begriff zur Sache thut 172 . welcher von der Urkunde herruͤhret 179 . und unterschieden ist von dem Begriffe des Zu- schauers 182 . 197 . kan die Gewißheit der Aussage zerruͤtten 299 . 300 . v. m. Anhoͤrer, Zuhoͤrer. J. Jahrmaͤrckte wie die entstanden 65 Jlluminationes werden betrachtet 101 . 102 Imagination , hat ihre Regeln 383 . machet einen Theil der Dichtkunst aus 41 . falsche kan Empfindung wuͤrcken 50 . 56 Jnnerlich, was es ist 58 . s. a. aͤusserlich. Instrumenta , was diese seyn 313 Jnteressenten s. Theilnehmer. Jntrigven was es sind 235 . solche brauchen die Fein- de 133 D d 3 Jo- Register. Josuaͤ XXII. 11 . \& 26 . 186 Jubilæa was sie vor Nutzen schaffen 196 Judicium intuitivum \& discursivum, was es seye 203 Julius s. Caͤsar. Jurisprudentz womit sie umgehet 16 . worinne sie bestehet 17 . was ihr aufhilft ibid. K. Kauff, was der voraus setzet 90 Ketzer, von Arnolden defendi ret 149 . s. auch Ver- brennung. Ketzerey, wie sie sichtbar wird 67 Kind, warum ihm rechte Begriffe mangeln 35 Kirchengeschichte, wer ihre Gestalt scheußlich ge- macht 149 Klarheit eines Grundes, was darauf ankommt 336 Klumpen was er sey 45 . 46 Kranckheit eine Leidenschafft des Leibes 77 . woher deren Unleidlichkeit 94 . ob ihre Historie ein Artzt am besten beschreiben koͤnne 113 . ihre Arten aus Buͤchern 393 . besser aber aus der Erfahrung zu lernen ibid. Krieg, Anfang in Thaͤtlichkeit zu suchen 246 . dar- inne hanget Ausfuͤhrung und Anschlag nicht zu- sammen 237 . dreysigjaͤhriger, wenn dessen Anfang zu bestimmen 245-247 . bringt den Westphaͤlischen Frieden zuwege 244 Kriegsthat s. That. Kunst, wie weit es die Alten darinne gebracht 376 . wodurch sie verfaͤllet 69 . zu muthmassen was sie ist 391 . was dazu gehoͤret 391-394 . 396 . zu er- fahren, was sie sey 51 . zu erzehlen s. Erzehlung. zu uͤberzeugen 351. sq. Geschichte zu schreiben 369-374 . Schwierigkeiten dabey 371 Kunstverstaͤndige, wer die sind 294 L. Register. L. Lachsfang, wie derselbe entstehe 66 . und erhalten wird 67 Laͤnder, entfernte, s. Reisen. Lage eines Coͤrpers 41 Laster erzeigen sich bald wuͤrcksam 256 . 257 Lauffen einer Geschichte, was es heisse 189 . 190 Leben bestehet aus taͤgl. Verrichtungen 81 Lebensbeschreibungen, was dazu gehoͤret 86 . sein selbst, waͤre besonders einzurichten 266 . mit Exem- peln bewiesen 267 Lehrer s. Academische. Leib, dessen Eigenschafften 77 . sonst s. a. Seele. Leibnitz entwickelt die Lehre vom Sehepunct 100 . 101 . s. a. Vernunftlehre. Lernen Lesen welcher Unterscheid 197 Leser s. Hoͤrer, Nachsager ꝛc. Lieder von Geschichten haben ihr Ansehen 168 . pflan- tzen eine Sache richtig fort 176 Locus communis , was er ist 54 . 84 . kan auch truͤ- gen 121 . 122 . der dem andern zuwieder lauft, hat auch seinen Grund 322 Logick s. Vernunftlehre. Luͤgen hat eigentlich keine Gewißheit 289 . hemmet den Lauf der Geschichte 193 . nicht in Regeln zu bringen 154 . wie man darauf verfaͤllt 380 . breiten viele aus die von Reisen kommen ibid. M. Maaßstaͤbe wozu sie dienen 44 Macht grosser Herren, Ursachen des gluͤckl. Fort- gangs 69 Maͤhren was dies vor ein Wort 277 Mahomet fuͤhrt ungeheure Anschlaͤge aus 214 D d 4 Man- Register. Mangel s Kind, Vorhersehung ꝛc. Materie, der Alten Meynung davon 46 Matthaͤi XII, 34 . 296 Mensch, nach seinem Wesen und Theilen 76 . 77 . dessen er- ste Begebenheit die Geburt 77 . die letzte der Tod 84 . Eintheilung andrer Begebenheiten 78 . dessen vielfaͤltiger Stand und Zustand 78 . 79 . verursacht verschiedene Betrachtungen der Sachen 98 . der vor- nehmste Stand 79 . 80 . ist geneigt Unruh und Streitigkeit anzuhoͤren 192 . faͤllt auf unvermu- thete Veraͤnderungen 214 . sonst s. Sitten. Messen s. Jahrmaͤrckte. Mißverstand macht verwirrte Sachen 186 . ist leich- te zu entdecken ibid. wie zu untersuchen 322 . s. a. Urkunde. Mitglieder s. Glieder. Moͤglichkeit a posteriori ist ohne Gewißheit 282 Moͤnchorden deren Stiffter 65 . und Veraͤnde- rung 68 Mond, dessen Wuͤrcklichkeit 29 . Abwechslung 92 . 93 . Blitzen darinne 128 Monumenta s. Denckmahl. Moralisch Wesen, was es sey 61 . Exempel davon 61 . 62 . 67 . 79 . desselben Dauer 62 . wie solche be- kannt wird 63 . wie sie sichtbar werden 62 . 66 . ihre Begebenheiten 63 . nach ihrer Eintheilung 64 . 74 . 75 . Veraͤnderung 63 . 68 . und deren Ursache 66 . Ursprung 64 . 65 . Gestalt und Verfassung 67 . Wachsthum und Verbesserung 68 . 69 . Abnahme und Verschlimmerung ibid. letzten Begebenheiten 70 . 71 . und Untergang 70 . ihr aͤusserliches, ge- heimes und innerliches 71 . 72 . Seiten 72 . 73 . da- her entstehende Begriffe 73 . kommen vom Zuschauer her 101 . Verhalten dagegen 73 . 74 . Morin vertheidigt die Heyden 344 Mumien was aus denselben zu schliessen 375. sq. Mu- Register. Muster, was es sey 53 Muthmassen s. Kunst. Mythologie, eine ehrwuͤrdige Dunckelheit 130 . be- sonders auf belebten Denckmahlen 378 N. Nachdencken veranlasset eine andere Erzehlung 187 . 188 Nachfolger im Geschlechte, wer die sind 85 . und im Amte 99 Nachforschen, wie geschiehet 201 Nachricht, was sie ist 164 . wie vielerley s. Erzehlung. Erfordert zwey Personen 164 . ist entweder muͤndl. oder schriftlich 165 . 166 . Betrachtung einer erhal- tenen 181 . sucht man umstaͤndlicher zu wissen 182 Nachsager, wer der sey 158 . der erste, andre, dritte 160 . Unterschied derselben 160 . 161 . wie sie eine Geschichte veraͤndern koͤnnen 187-189 Naturalien und Curiositaͤten Cabinette, wozu sie dienen 45 . 376 Naturrecht, wie anzuwenden 27 Neigung, was darauf ankomt 336 Nero hat ungeheure Anschlaͤge 214 Neu s. Anschlag, Columbus. Neuigkeit der Sache, was sie zuwege bringt 105 Neutralitaͤt, wovor zu halten 153 Nichts, was es sey 28 . 191 Non-ens , was wir so nennen 74 . z. E. in gewissem Fall ein Zuschauer 158 Notorische Wahrheiten was die seyn 314 . 315 O. Oberflaͤche was sie sey 37 Oesterreichische Parthey, warum sie oft verlassen worden 222 D d 5 Offen- Register. Offenbahr, was also heisset 58 . sonderl. bey morali- schen Wesen 71 . hat viele Canale 160 Offenbahrung s. Weissagung H. Schrift. Optic was sie vermeiden lernet 50 . gehet mit Pro- specten um 34 . und sichtbaren Begebenheiten 93 . sonst siehe: Sehepunct, Strahlen ꝛc. Oratorie s. Beredsamkeit. Ort eines Coͤrpers 41 . und einer Geschichte, dar- auf vieles ankomt 279 P. Pacte, eine Art der Willensmeynung 16 . warum sie mißrathen 396 Paradox, was es ist 349 Parallel Geschichte, was die seyn 278. sq. Partheyische Erzehlung, was sie nicht sey 151 . 152 Personen, derselben Einheit nur eine Begebenheit 6 . 7 . ihre Geschichte 88 . 89 . wie sie zu unterscheiden 90 . 91 . ihre Verbindungen unter einander 96 . wie sie einander kennen ibid. welche bey Haͤndeln con- curri ren 97 . koͤnnen leicht verwechselt werden 279 . s. a. Hauptperson. Philologie zur alten Historie noͤthig 358 Philosophie, alte, ihre Fehler 26 . gehet sonst nicht mit Hauffen um 52 . sondern mit Arten 93 Phocas, dessen boͤse That geschicht ohne Ursach 227 Phœnomena in der Luft, Urtheile davon 30 . wo deren Grundbegriffe geleget worden 31 Physicalische Begebenheiten, deren Ursache 230 . 284 . Die Erklaͤrung ihrer Ursache macht eine Demon- stration aus 261 . wie das zugehe 261 . 262 . solche erkennen wir nur Stuͤckweise 264 . sind natuͤrlich 205 . theils ausserordentl. ibid. wie ferne sie einem historico angehen ib. sind zuvor zu erkennen 383 Plagæ mundi sind Seiten 47 Pla- Register. Platonici Zweifler 283 Poesie s. Gedichte. Politische Erzehlungen 136 . duͤrffen nichts uͤberfluͤßi- ges haben 137. sq. Pompeji Thaten und Gedenckart wird beleuchtet 271. sq. Portugiesen s. Handlung. Principium , was falsch also genennet wird 276 Proben, was sie seyn 53 Processe sind Haͤndel 87 . was dabey vorgehet ib. erfordern Zeugen 306 . 307 Proceßion s. Aufzug. Profeßion s. Handwerck. Prognosticon , was es ist 389 . wie es zustellen ibid. Prophezeyungen s. Weissagungen. Prospect s. Aussicht. Pyramiden s. Egyptisch. Pyrrbonismus worauf er sich erstrecket 283 . historicus, wie dem abzuhelfen 351 . 352 . wer davon geschrie- ben 352 Q. Quelle der Historie 355 . werden erzehlet 358 . beson- dre Art 359-361 . Schwierigkeiten dabey 357 . 358 R. Raben nicht alle schwartz weise giebt es auch 45 . 54 . 55 . Rathgeber, was die thun 216 Reaumur , was er entdecket. 51 . 316 . besonders von Bienen 57 . 399 Recht s. Natur. Recursus ad Comitia, Urtheil davon 88 Rede, woher sie entstehet 296 . Regel davon ibid. Re- Register. Redekunst, Dienst in der Historie 129 . sonderl. bey Erzehlungen 153 . 154 Reden, (Staats) Quelle der Historie 356 Regel was sie sey 204 . in der Seele 383 . in den Coͤr- pern 383 . 388 . vom Reden 296 . von Anhoͤren 297 . Logicalische wehren dem Zweiffel 291 . 292 . sind schwer von Ursachen zu geben 251 . 252 Reisebeschreibungen massen sich licentiam mentien- di an 380 Reisende, wie ihnen in entfernten Landen zu muthe 379 . was sie nach der Heimkunft thun 380 Reliquien, wozu die nuͤtzen 376 Reyhe, was es sey 7 Rest, was wir so nennen 54 Richter, was derselbe zu beobachten 185 Roͤmer, woher ihr Gluͤck im Kriege 247 Roͤßler, was er entdecket 51 . 316 Ruinen s. Reliquien. Ruff, was er sey 177 . woher dessen Unrichtigkeit 177 . 188 S. Scaliger, ein treflicher Chronologus 355 Schandthaten, warum sie bemerckt werden 88 Scharfsinnigkeit beym muthmassen 393. sq. Schein, was er sey 29 . wie von dem Seyn unter- schieden 30 Schlangenweise gehen wie die Baͤche 128 Schluͤsse, damit geht die Logic um 261 . bringen nur notiones partiales heraus 295 . wie sie vom Sehen entstehen 40 . sind nicht von einer Zeit auf die andre zu machen 57 . und auf alle Begebenheiten 268. sqq. (v. judicium) Exempel der Schwierig- keit einiger Schluͤsse, 203 . 204 . 218 . 219 . und der falschen 226 Schrifft, Register. Schrift, heilige deren Jnhalt 22 . s. a. Gottesge- lahrh. Weissagungen. Schriften, dienen zu Ausbreitung einer Sache 166 . sind die wichtigsten Denckmahle 354 . Historische, die entweder gantz und gar historisch 355 . und als Quellen anzusehen ibid. oder streuen nur historica gelegentlich ein 356 . Exempel davon ibid. oͤffent- liche, ihr Vorzug 312 . 313 Schriftliche Haͤndel bestaͤttigen die Gewißheit 312 . 313 . Exempel davon 313. sq. von Schwartzenbach, Erfinder der neuen Welt 212 Schwedische Troublen im 16 . Seculo 248 Schwierigkeiten s. historische Quellen ꝛc. Schwur vid. Betheurung. Scriptores coævi wer die seyn 363 . 364 . ihr Ansehen ibidem. Seele, deren Vereinigung 76 . und Handlungen mit dem Leibe 77 . Einfluß in die Sinne 95 . und daher entstehende Anschauungsurtheile 110 . 111 . ihr Zustand nicht immer einerley 99 . daher immer andere Vorstellungen ibid. unwissende Begeben- heiten derselben 265 . ( pl. v. Gedancken) ihr ver- aͤnderter Zustand 265 . wird selten bemerckt ibid. Verwirrungen derselben 266 . was der Seele wie- dernatuͤrlich ist 226 . sie hat ihre Regeln 383 Sehen der deutlichste Sinn 93 . wozu es dienet 27 . 29 . kan doch betruͤgen 30 . auf eine Sache was es sey 31 Sehepunct, was er sey 37 . 93 . 94 . 95 . 100 , des- sen Einfluß 37 . 38 . bringt Seiten herfuͤr 101 . und eine gewisse Einsicht 102 . ihre Hauptarten 103 . einer giebt keine gantze Erzehlung 130 . Sehepunct der Jnteressenten und der Fremden 104 . des, der zum erstenmahl zur Sache kommt 104 . 105 . eines hoͤhern und niedern 106 . 107 . der Gelehrten und Unge- lehrten 107 . 108 . eines Academischen Lehrers 108 . der Register. der Traurigen und Froͤlichen 109 . eines gantz Frem- den 109 . 110 . eines Barbaren 112 Seite, was sie ist 37 . verschiedene Arten 46 . un- zehlige eines Coͤrpers 46 . 47 . s. a. Moral. We- sen. Sesostris Liebe zum Frieden 224 Seyn und geschehen, welcher Unterschied 12 . 13 . und Verbindung 13 . vid. m. Schein, Daseyn ꝛc. Seyn bey dem Menschen, woher 83 Sinne haben wir nicht in unsrer Gewalt 123 Sinnreich, vid. Geschichte. Sitten der Menschen, woher sie entstehen 83 . 84 . werden bemerckt 83 . und erkannt wie 83 . 84 Sonne, s. Heyde. Sophistereyen, was sie seyn 226 . und woher ent- stehet 150 Sortilegia , woher sie entstanden 400 Species macht die Gedenckart begreiflich 223 Species facti , was es ist 143 . 144 . wie sie veraͤndert werden kan 145 Spotten, was es heisset 60 Sprache, s. Coptisch. Spuren, was man sonst so nennt 199 . 330 Staatsschrifften, Qvellen der alten Historie 356 Stammvater, was er sey 85 Stand, s. Amt. Stand, dessen oͤfftere Veraͤnderung hindert den Be- griff 34 . 35 . eines Coͤrpers 41 . eines Menschen, s. Mensch. Status causæ , was das heisse 142 . 143 Sterne sind Weltcoͤrper 28 . 29 . von ungemeiner Groͤsse 92 Stelle, was es sey 98 Stifftungen, warum sie offt mißrathen 395 sq. Stille, in der, etwas thun, was es heisse 155 Still- Register. Stillschweigen kan zur Aussage und zum Zeugnisse werden 310 . 311 . macht einem Historico ein Anse- hen 365 Strahlen, woher und wie sie auffallen 37 Streit mit Worten und mit Thaten, welcher Unter- schied 245 . 246 Strom, der wie ein Pfeil schiesset, welche Redensart 128 Stuͤckwerck in der Physic 264 . in jeder Erzehlung 267 Subjectum , was es sey 11 . dessen Art 12 . insonderheit Subjectum quo menschlicher Begebenheiten 77 Suffragator , was das sey 158 T. Taͤgliche Verrichtungen, was wir so heissen 81 . Exem- pel davon ibid. werden nicht attendiret ibid. Tesseræ hospitalitatis der Alten 315 Testamente werden angefochten 396 . woher? ibid. wie deme abzuhelffen ibid. was Concipient dabey zu thun 396 . 397 . Testis oculatus und auritus , was davon zu halten 157 sq. Thaͤtlichkeit, Anfang der Kriege 246 Tharen, was sie seyn 81 . 82 . sind schlecht 82 . 209 . oder groß 82 . machen aufmercksam ibid. was Hi- storien derselben seyn 87 . dabey concurrirende Personen 97 . boͤse ( vid. m. Handlungen) entstehen aus einer Gelegenheit 225 sq. nicht durch Ursa- chen 226 . sondern aus falschen Vorstellungen 228 . schicken sich schlecht und fuͤgen sich doch 274 Theilnehmer, wer die seyn 74 . wissen nur das Ge- heime 102 Theologie, s. Gottesgelahrheit. Theoremata , was sie sind 281 Todt, Register. Todt, letzte und merckwuͤrdigste Begebenheit des Men- schen 84 . nach demselben suchen die Aegypter den Leib zu erhalten 375 Tragoͤdien, woher sie entstanden 278 Traurige, s. Sehepunct. Trunckene, ihre Handlungen nicht zu verwundern 213 Turba sine nomine quid sit? 54 Tyrann verschiedentlich zu beurtheilen 257 . s. a. Chri- stiern, Nero. U. Uberbleibsel, s. Reliqvien. Ubereilen lassen, was es sey 216 . 217 Ubersehen eines Coͤrpers, wie geschiehet 37 . des Ge- schaͤfftes zum muthmassen noͤthig 396 . 397 Uberzeugen, was es sey 351 Ubrige, was wir so nennen 54 Umstand, was es ist 3 . entweder unnuͤtze, oder noͤ- thig, oder schaͤdlich 137 . 138 . auch wohl erdichtet 154 . ( v. m. Anschlag) wie und worzu zu betrach- ten 390 Unerforschliche Dinge, ob zu ergruͤnden 399 . 400 Ungelehrte, wer die sind 107 Ungewißheit, was sie sey 288 . wovon sie prædici ret wird 317 . woraus sie entstehen kan 321 . was bey derselben vorkommt 321 . von alten Geschichten re- movi ret 378 . 379 Ungluͤcksfaͤlle, s. Gluͤck. Unpartheyische Erzehlung, was die nicht sey 150 . 152 . was sie sey 152 . 153 Untergang, was er sey 70 . dem Anfange gleich 70 . 71 . Exempel eines Closters 71 Unwahrheit ist auch offt gewiß 289 . plura v. Luͤgen. Unwahrscheinlichkeit, was sie ist 349 . 350 . 373 . 374 . bey alten Geschichten 381 . Hinderniß des Glau- Register. Glaubens und der Gewißheit 380 . 381 . daher im Geschichtschreiben zu vermeiden 373 sq. Urbild der Erzehlung, was es sey 126 Urheber bey jeder Erzehlung noͤthig 157 . (s. a. Autor ) diesem folgen die Nachsager 158 sq. welche weniger dencken als jener 170 Urkunde, was sie sey 167 . schrifftliche spaͤt aufkom- men 168 . deren Vorzug 168 . 178 . bestehen nicht lange 195 . GOttes Vorsorge davor ibid. was deren Veraͤnderung thut 177 . 178 . und Mißver- stand 179 . 180 . muͤndliche, Unfleiß darinne 177 . bleibt selten unveraͤndert 176 . wie man derselben nachdenckt 183 . 184 . einerley, was sie sey 174 . lehret auch immer einerley 175 Ursache, Lehre, Untersuchung und gewisse Anzeige davon ist schwer 203 . 204 . warum wir sie nur in etwas einsehen moͤgen 225 . warum uns die Ursa- chen der Begebenheiten unbekannt sind 249-251 . und die Untersuchung derselben schwer in Regeln zu bringen 251 . 252 . wie solche Schwierigkeit ge- hoben wird. 250 . werden aus Betrachtung des vorhergegangenen erfunden 252 . 253 . hierzu dien- liche Regeln 233-256 . verschiedene Ursachen der Handlungen 208-211 . (s. a. Anschlag, Gelegenheit) vernuͤnfftige, was es seyn 225 sq. hat man nicht zu boͤsen Thaten 226 V. Vater, warum vornehmlich zu wissen noͤthig 77 Veraͤnderung, was sie ist 2 . 3 . woher sie entstehet 1 . der Coͤrper, woher 47 . deren Wesen, s. Moralisch. Verborgene bey coͤrperlichen Dingen, was es sey 50 . 51 Verbrennung der Ketzer, wie zu beschreiben 91 Verdeckt, was also heisset 58 E e Ver- Register. Verdrehung, wie geschiehet 142 . sonderlich in einer Geschichte 149 . 150 . 152 Verdunckelung, wie die geschiehet 139-142 Vergangene Dinge, wie sie betrachtet werden 14 . 15 . aus dem gegenwaͤrtigen erkannt 315 . 316 . ihre Verbindung mit dem Zukuͤnfftigen 382 . s. a. Vor- hergegangene. Vergleichung, s. Gleichnisse. Vergnuͤgen, s Handlung. Vergroͤsserung der Dinge, wie anzunehmen 120 . was davon unterschieden 138 . 139 . ist denen ei- gen die von Reisen kommen 380 Verheissung, s. Versprechung. Verkleinerung der Dinge, wie sie anzunehmen 120 sq. was davon unterschieden 138 . 139 Vernunfftlehre siehet auf allgemeine Wahrheiten 26 . wie das geschehe ibid. setzet sie nehmlich in Schluͤsse 261 . giebt die Regeln zur historischen Er- kaͤntniß 25 . welche allen Zweiffel heben 291 . 292 . Fehler der Alten 150 . und Maͤngel 203 . Leibni- tzens Gedancken davon 27 Versprechungen, eine Art der Willensmeynung 16 Verstand, dessen Handlungen 77 Verstellung, Ursache mancher Handlungen 254 . macht eine Sache schwer 255 Verstuͤmmeln, was das heisse 142 . 150 . geschicht aus Unwissenheit oder Vorsatz 142 sq. durch Weg- lassung noͤthiger Umstaͤnde 146 Verwickelt seyn, was es heisse 239 . 240 Verwundung, Rechenschafft davon 60 Vitium subreptionis, was es sey 50 . wo sich solches einschleicht 292 . wo es nicht zu befahren 293 Vorhergegangene laͤsset die Ursache des gegenwaͤrti- gen erfinden 252 . sq. s. auch Weissagungen. Vorhersehung zukuͤnfftiger Dinge Mangel dabey 390 . Huͤlffsmittel dagegen 391 Vor- Register. Vorschlag vom Anschlag unterschieden 219 . hat doch seine Folgen ibid. Vorstellung, wenn wir Meister davon seyn 123 . siehe auch Seele. W. Wachsthum, s. moralisches Wesen. Wahrheit, was sie ist 289 . Verhaltung gegen die Gewißheit 289 . 290 Wahrheiten, mit wie vielerley wir umgehen 281 . physicalische und historische, welcher Unterschied un- ter denselben 261 . 262 . allgemeine 262 . mit welchen wir selten umgehen 281 . 283 . notorische, s. notorisch. Wahrnehmen, was es heisse 197 Wahrscheinlichkeit, historische, was sie sey 331 . 332 . Exempel davon 333 . 339-344 . Uneinigkeit darin- ne 335 . und Schwierigkeiten 338. sqq. gewoͤhn- liche Definition wird examinirt 347 . Lehren davon besser excoliret 27 . ist anders als die Gewißheit 335. sqq. welche sie aufhebet 285 . ist das oppo- situm des paradoxi 344 . gehet nur gewisse Leute an 348 . sq. was dabey zu thun 333 . 334 . in Er- zehlungen 349. sq. im Disputiren 343 Weg, wenn Sachen ihren Weg gehen 70 Weissagungen, was sie seyn 17 . 22 . woher sie ent- stehen 17 . 18 . wie unterschieden 18 . wie damit umzugehen ibid. aus dem Vorhergegangenen zu er- kennen 382 Welt, s. Erkaͤntnis. Weltcoͤrper, was sie sind 28 Weltgeschichte, was sie seyn 89 . eintzele 88 . 89 . ihre Verbindung 91 Wesen, s. Moralisch. Widerspruch, woher er entstehet 326 . wie dessen Ursprung zu erkennen 54 . giebt einer Geschichte E e 2 Anstoß Register. Anstoß 191 . 192 . wie es zu heben 321-328 . ob er Grade der Wahrscheinlichkeit haben kan 345 . sqq. dessen Mangel macht einem Historico ein Ansehen 364 . derer Geschichtschreiber 367-369 Widerstand, woraus er erfolget 234 Wille, was er erwehlet 297 . was daraus entstehet 59 . der fortdauert 60 . verborgener, was er sey 61 . taugt zu nichts ibid. dessen Handlungen und Begebenheiten 77 . s. auch Wollen, Freyheit. der andern, dient zur Einsicht ins kuͤnfftige 386 . und unser eigner 386 . 387 Wille, letzter, s. Testament. Willensmeynung, was sie sey 15 . deren Arten 16 . worauf sie sich gruͤndet 16 . wird nicht geachtet 59 Wissen um eine Sache, was es heisset 160 . 161 Woͤchnerinnen, wie viel ihrer sterben 56 . 57 Wollen, betrifft das zukuͤnfftige 15 . Erkaͤntnis, woraus dasselbe entstehet 15 . 16 Z. Zeichen, ein allgemeines Wort 389 . v. m. Prognosti- con Zeichendeuterey, s. Auguria. Zeuge ist von dem Urheber unterschieden 157 . und vom Aussager 306 . was er ist seq. wenn er noͤ- thig 157 . 158 . 306 . 308 . und unnoͤthig 158 . hat mit dem Autor ein Ansehen 307 . 308 . und noch ein besonderes 308 . 309 . ein Hauffen, wozu er dienet 310 . die contraria aussagen, sind doch eins 322 Zeughauß, unterschiedene Betrachtung desselben 102 Zeugnis kan das Stillschweigen abgeben 310 . 311 Zufaͤlle, was sie sind 3 . ihre Concurrentz bey der Aus- fuͤhrung 247 . 248 . verwandeln die Geschichte in gantz andere 249 Zuhoͤrer, Register. Zuhoͤrer, wie er von dem Erzehler unterschieden 171 . s. auch Hoͤrer. Zukuͤnfftige Dinge, Betrachtung derselben 14 . 15 . ins vergangene verwandelt 302 . Einsicht dahin- ein 382-387 . (s. auch Gewißheit, Vorhersehung.) falsche Wege, solche zu erkennen 397 Zusammenhang coͤrperlicher Begebenheiten 202-205 . historischer mit allgemeinen Wahrheiten 261 Zusammenfuͤgung derer Begebenheiten 273 . 274 Zuschauer eines moralischen Wesens 96 . 97 . der Haͤndel, Geschaͤffte und Thaten 97 . 98 . was er ist 93 . (s. auch Historie, it. fremde.) bey jeder Bege- benheit eine Hauptsache 91 . 92 . non dat esse rei 92 . sonderlich bey Coͤrpern ibid. kan auch ein non ens seyn 158 . Unterschied 96 . sieht auf unterschiedene Art 97 . erlangt keine vollstaͤndige Geschichte 113 . sq. was in seiner Erzehlung vor ein Unterschied ist 169 . bey welchen Dingen die meisten seyn 311 . 312 . werden von Historicis nicht nahmentlich angefuͤhret 365 . 366 Zustand des Menschen mannigfaltig 79 . pl. v. Mensch. Zweiffel, Ursprung desselben 319 . Hauptgruͤnde 328-330 . was er sey 318 . das Mittel zwischen wissen und nicht wissen 331 . was er bey einer Ge- schichte thut 192 . 283 . 284 . Exempel historischer Zweiffel 318 . 319 . wegen Avthentic einer Schrifft 357 . unser Amt dabey 320 . 321 . wird durch logi- calische Regeln gehoben 291 . 292 . und andere We- ge 330 . 331 Zweig eines Geschlechtes, was es sey 85 Zweydeutig, was das heisset 140 Errata. Errata . Pag. 17 . lin. 10 . deleatur so. 19 . §. 32 . lin. 5 . vor juridicale l. judiciale. 29 . lin. 8 . leg. derselben. 108 . lin. 6 . statt vor lege Vor. 177 . §. 21 . lin. 13 . nach non, inseratur aliud. 185 . lin. 16 . vor est ließ et. 186 . lin. 3 . it. lin. 27 . vor Joh. ließ Josuaͤ. 214 . lin. 3 . nach die, inseratur man. 277 . §. 53 . lin. penult. ließ manchmahl. 285 . lin. 5 . deleatur entstanden ist. 371 . §. 21 . lin. 7 . ließ Orte also angeben. 372 . lin. 22 . ließ erforschen. 390 . lin. antepenult. muß heissen nach dem an- dern in Erwegung ziehet. 393 . lin. 10 . lege dieser erfahrne Artzt. 25 . ließ worden. 396 . lin. 3 . ließ pacisci ret. 15 . 16 . deleatur niemand aber vor- handen wollen. 397 . lin. 16 . ließ Erblasser. ‒ ‒ lin. 14 . ließ Abtretung. ‒ ‒ lin. 21 . vor allen ließ allein. ‒ ‒ lin. 23 . ließ der Sache im Wege. 399 . lin. 12 . ließ ausgangs 400 . lin. ult. vor werden ließ worden.