Inhalt. I. Sophie G. Seite 1. II. Graf von L. Seite 61. III. Hanns K—, Bauer zu M—. Seite 179. IV. Das steinerne Brantbett; oder: Hugo und Kleta. Seite 213. Sophie G— . E iner der beruͤhmten und bekannten Marg- grafen zu B—, sein Name thut nichts zur Sache — war ein guter Fuͤrst, ein kluger Regent, und in mancher Ruͤcksicht ein Vater seines Volkes und Landes. Wenn Tausende ihn lobten, und die Wohlthaten, mit denen er sie begluͤckte, erzaͤhlten, so fassen nur we- nige im zahlreichen Zirkel, welche nicht in dies verdiente Lob einstimmten. Auch der Biogr. d. W. 4r Bd. A beste Fuͤrst ist Mensch, auch der beste Mensch ist nicht fehlerfrei! Eine Leidenschaft, die er liebte und pflegte, war oft Ursache, daß einzelne Vaͤter uͤber ihn murrten, einzelne Muͤtter ihn hart und grausam nannten. Das Sistem der stehenden Kriegsheere ward da- mals herrschend in Deutschland. Wilhelm, der Preussen Koͤnig, war das grosse Urbild, wel- ches kleinere Fuͤrsten ihrem Verhaͤltnisse ge- maͤß, nachzuahmen suchten. Der erstere samm- lete in ganz Europa die groͤßten Kolossen des menschlichen Geschlechts, um sich ein Gnarde- regiment zu bilden. Der Marggraf durch- spaͤhte sein ganzes Land, um aͤhnliche Riesen zu finden, welche als Granadiere vor seinem Schlosse und in den Gemaͤchern desselben Wa- che stehen mußten. Keiner seiner Untertha- nen entging den Forschern, wenn sein Koͤrper die erforderliche Groͤsse erreichte; daher kams, daß oft die freien Buͤrgerssoͤhne, die noch freiern Kandidaten des Priesterstandes wider Gewohnheit zur Annahme der Waffen gezwun- gen wurden. Zu eben dieser Zeit lebte in der Haupt- stadt ein nicht reicher, aber auch nicht ganz armer Buͤrger, welcher einen einzigen Sohn hatte. Als dieser, gleich einer Pappel am wasserreichen Flusse empor wuchs, prophezei- ten ihm schon seine Freunde und Verwandte mit kummervollem Blicke, daß er einst als Granadier im fuͤrstlichen Schlosse Wache ste- hen wuͤrde. Dem sorglosen Juͤnglinge war diese Weissagung sehr gleichguͤltig, weil er nur das Gegenwaͤrtige zu genuͤssen suchte, und der Zukunft nie gedachte; aber dem liebenden Vater, der zaͤrtlichen Mutter verbitterte sie oft manche frohe Stunde. Der Wohlstand des erstern hing ganz allein vom thaͤtigen Betriebe seines Handwerks ab, er hofte in seinem Sohne einen Gehuͤlfen zu erziehen, ihm in seinen alten Tagen alles zu uͤberge- A 2 ben, und, ernaͤhrt von ihm, ein ruhiges Al- ter zu genuͤssen. Diese ganze Aussicht schwand, wenn er sich das kuͤnftige Schicksal seines Soh- nes dachte. Da dieses noch nicht ganz bestimmt war, da er durch hundert gluͤckliche Zufaͤlle der dro- henden Gefahr entgehen konnte, so fuhr er zwar fort, ihn in den Vortheilen seines Hand- werks und des damit verknuͤpften Handels zu unterrichten, aber er war auch gefaͤllig genug, den Juͤngling nicht emsig zu Geschaͤften anzu- halten, ihm manche Freude zu goͤnnen, welche er ihm sonst verweigert haͤtte, wenn ihn nicht der Gedanke, es wird ihm als Soldat doch nichts nuͤtzen, nachgebend gemacht haͤtte. Wollte der arbeitsame Vater auch dann und wann den allzu nachlaͤssigen Sohn mit Stren- ge zur Arbeit anhalten, so ward die zaͤrtliche Mutter Fuͤrbitterinn, und suchte den erstern zu uͤberzeugen, daß es hart und grausam sei, wenn man dem Jungen izt schon jedes Ver- gnuͤgen rauben wolle, da sein hoͤchst wahr- scheinlicher, kuͤnftiger Stand ihn ohnehin zum Sklaven machen wuͤrde. Diese straͤfliche Nach- sicht weckte in dem Herzen des Juͤnglings immer mehr den Hang zum Muͤssiggange und zum Vergnuͤgen, der mit seinem Koͤrper im aͤhnlichen Verhaͤltnisse wuchs, und bald die Grundlage seines Karakters, der Fuͤhrer aller seiner Handlungen ward. Er kannte alle Haͤu- ser, in welchen getanzt und gespielt wurde, er war immer einer der ersten, welche dahin gingen, und einer der lezten, wenn die Ge- sellschaft es verließ. Wie er neunzehn Jahre alt war, und gleich einer Rose bluͤhte, lernte er einst auf einem Tanzsaale die schoͤne Tochter eines sehr armen Buͤrgers kennen, welche im Marg- graͤflichen Schlosse als Laufmaͤdchen diente, und sich durch ihre Reize, noch mehr aber durch ihr sittsames Betragen unter allen uͤbrigen Taͤnzerinnen aufs vortheilhafteste auszeichne- te. Er fuͤhrte sie heim, gestand ihr Liebe, und erhielt von ihr die Erlaubnis, sie dann und wann besuchen zu duͤrfen. Eben hatte er zum Beweise ihrer Liebe den ersten Kuß erhalten, und wandelte, ihn noch fuͤhlend und genuͤssend, uͤber den Schloß- hof, als sich ploͤzlich ein Fenster oͤfnete, an welchem der Marggraf stand, der ihn ruͤck- waͤrts rief. Zagend erschien der Juͤngling vor ihm, langsam und trauernd ging er von dan- nen, wie man ihn auf des Marggrafs Gebot nach der Hauptwache fuͤhrte, und bald nach- her die Granadiermuͤtze aufsetzte. Weinend empfing ihn die Mutter, seufzend gruͤßte ihn der Vater, wie er mit diesem untruͤglichen Kennzeichen seines kuͤnftigen Standes vor ih- nen erschien. Als aber beide vernahmen, daß der Marggraf ihm, weil er der einzige Sohn war, eine kurze, nur drei Jahr dauernde Ka- pitulazion zugestanden habe, auch nebenbei noch versichert hatte, daß ihm diese Zeit als eine bei seinem Handwerke noͤthige Wander- schaft angerechnet werden solle, so troknete die Mutter ihre Thraͤnen, und der Vater blickte wieder heiter in die Zukunft. Wilhelm, so nannte sich der Juͤngling, liebte sein Maͤdchen mit dem ersten Feuer der brausenden Jugend. Die Kaserne der Grana- diere stand nahe am Schlosse, er konnte als ein Liebling des Marggrafen — denn dies war jeder Granadier — dort ungehindert aus und eingehen, und sein Maͤdchen oͤfters sehen und sprechen. Schon dieser Vorzug minderte die Haͤrte seines Standes, und die Hofnung, daß sie nur eine kurze Zeit dauern werde, tilgte seine Trauer bald ganz. Er war bald wieder der froͤhliche Wilhelm, und troͤstete sein Maͤd- chen, wenn ihr thraͤnender Blick auf seinem Rocke haͤngen blieb, oder sie ihm den Kuß verweigerte, weil er leicht eben so flatterhaft wie ein gewoͤhnlicher Soldat werden koͤnne, denn diese standen schon dazumal in dem Ru- fe, daß sie mit jedem Standquartiere auch ihr Maͤdchen verwechselten. Als er seine Sophie uͤber diesen Gegen- stand vollkommen beruhigt, ihr ewige Treue geschworen, sie nach Verlauf seiner Dienstzeit zu heurathen gelobt hatte, langte am Hofe des Marggrafen die einzige Tochter desselben zum Besuche an. Sie hatte den Erbprinzen von K — geheurathet, lebte mit diesem in der gluͤcklichsten Ehe, und fuͤhrte die Frucht derselben eine dreijaͤhrige Prinzessinn an der muͤtterlichen Hand, als ihr der entzuͤckte Va- ter zum frohen Willkomme entgegen eilte. Der Marggraf war ein grosser Kinder- freund, wenn er auf seinen Spaziergaͤngen irgend einen Haufen spielender Kinder antraf, so trat er mitten unter sie, und beschenkte oft alle, wenn sein Anblick sie nicht zerstreute, und sie ungehindert fortspielten. Der Anblik der kleinen Prinzessin, die suͤsse Ueberzeugung, daß sie seine Enkelin, das Ebenbild der gelieb- ten Tochter sei, vermehrte daher seine Freu- de um ein grosses, er nahm den kleinen En- gel auf seine Arme, und jubelte hoch, wie die Holde ihre kleinen Arme um seinen Nacken schlang, und ihn ohne Furcht freundlich kuͤß- te. Sein Herz hing von diesem Augenblicke an ganz an ihr, er schrieb dem Vater, er bat die Mutter, und beide mußten ihre Liebe zum Kinde dem Wunsche des ehrwuͤrdigen Vaters opfern, ihm versprechen, daß sie wenigstens ei- nige Jahre die Tochter an seinem Hofe lassen, und ihm die Freude goͤnnen wollten, sich ih- res Umganges zu freuen, sie groß zu erziehen. Die zaͤrtliche Mutter verbarg ihre Thraͤ- nen, als sie sich bald hernach von ihrem Kin- de trennen, und in die Arme ihres Gatten ruͤkkehren mußte, der Marggraf versprach diese Ueberwindung hoch zu lohnen, und jubelte aufs neue, als die kleine Prinzessin durch den Abschied der Mutter nicht bekuͤmmert schien, sondern munter und froͤhlich zu seinen Fuͤssen spielte. Er ordnete ihr itzt einen vollkomme- nen Hofstaat, ernennte eine der verehrungs- wuͤrdigsten Damen seines Landes zur Obrist- hofmeisterinn der kleinen Prinzessin, und uͤber- ließ es ihr, die uͤbrigen Diener und Dienerin- nen nach Gefallen zu waͤhlen. Diese Dame sah bei ihrer Wahl vorzuͤg- lich auf Treue und Redlichkeit. Sophie war unter denen, welche sie zum Kammermaͤdgen der Prinzessin bestimmte. Dieser neue Dienst brachte ihr viel hoͤhern Lohn und Gewinn, aber die Pflicht, stets bei der Prinzessin, oft so gar ihre Fuͤhrerin zu sein, verhinderte sie, ihren geliebten Wilhelm zu sprechen und zu sehen. Oft verflossen Tage, so gar Wochen, in welchem sie ihn nur von weiten gruͤssen; hoͤchstens nur im Voruͤbereilen ein paar Wor- te der Liebe zufluͤstern konnte. Zwang und Hinderniß sind aͤchtes Unkraut im fetten, fruchtbaren Akker, je mehr man dieses zu vertilgen sucht, je staͤrker und viel- faͤltiger keimt es empor. Auch Wilhelm und Sophie empfanden diese Wahrheit, sie glaub- ten sich ehe schon innig und zaͤrtlich zu lieben, sie sahen itzt ein, daß sie sich, getrennt von einander, noch weit staͤrker, noch weit heftiger liebten. Sophie suchte die Sehnsucht nach ihrem Geliebten durch treue Erfuͤllung ihrer Pflicht, durch rastlose Beschaͤftigung zu mindern, Wil- helm, dem die Wache die Woche nur einmal traf, der unter dieser Zeit ganz geschaͤftlos umher wanderte, konnte dies Mittel zur Til- gung seiner bangen Sehnsucht nicht waͤhlen, Muͤssiggang und Zeit zum Nachdenken ver- mehrte seine Marter um ein Grosses, sie ward ihm oft unausstehlich, er suchte — wenn er stundenlang auf einen Blick seiner Geliebten gelauert hatte — Zerstreuung, Erholung, und fand sie im Trink- oder Spielhause. So lange es ihm vergoͤnnt war, seine Sophie oft zu sehen, und zu sprechen, hatte er diese Haͤuser aͤusserst sparsam besucht, die maͤchtigste Leidenschaft des Menschen, die all- maͤchtige Liebe hatte jede andere Leidenschaft besiegt, itzt raͤchten diese den Sieg, und keimten durch listige Vorstellung, daß ihr Ver- gnuͤgen die Qualen der Liebe mindere, wie- der maͤchtig empor, Wilhelm trank und spiel- te bald staͤrker als vorher. Um diesen Auf- wand zu bestreiten, langte seine Loͤhnung nicht zu, die Eltern gaben ihm freilich eine mo- nathliche Zulage, aber auch diese ward oft in einem Abende verspielt, und diente daher nur zur Vergroͤsserung seiner Liederlichkeit. Seine Spielsucht mehrte sich taͤglich, um sie zu be- friedigen, machte er fuͤr seinen Stand nahm- hafte Schulden, die ihn quaͤlten und aͤngstig- ten, aber auch in der Hofnung, daß er gluͤck- lich spielen wuͤrde, stets zu neuem Spiele ver- leiteten. Als er eben wegen einer Schuld von zehn Gulden aͤusserst gedraͤngt wurde, Klage bei seinem Hauptmanne befuͤrchtete, und doch nicht wußte, wie er bezahlen sollte, traf ihn die Reihe zur Wachtparade. Er mußte an der Thuͤre des Saals Wache stehen, in welchem der Marggraf mit den Grossen seines Hofes speißte, und seinen Geburtstag feierte. Wil- helm war so gluͤcklich an diesem Tage seine Sophie einigemal zu sehen und sogar im Vor- uͤbergehen zu sprechen. Dies machte ihn hei- ter und froͤhlich, wenn er aber seiner Schul- den gedachte, so ward er wieder duͤster und traurig. Der Marggraf spielte selten, aber wenn er spielte, so spielte er gerne hoch, ver- lohr und gewann dann namhafte Summen. An eben diesem Tage fand er Abends Ver- gnuͤgen am Spiele. Wilhelm sah mit gierigem Blicke zu, wenn auf einer Karte oft ein Haufe Goldes stand. Dieser reizende Anblick wekte seine ganze Spiel- sucht, und endete immer mit der Vorstellung, daß eine einzige dieser Karten ihn gluͤklich machen, ganz aus aller Verlegenheit retten koͤnne. Er ward abgeloͤßt, und diese Vorstel- lung war die ganze Ruhezeit hindurch die ein- zige Beschaͤftigung seiner erhitzten Einbildungs- kraft. Wie er wieder zur Wache an die Thuͤ- re des Saals gefuͤhrt wurde, spielte der Marggraf noch immer, obgleich die Mitter- nachtsstunde begann. Erst als diese geendet hatte, stand er auf, wikkelte sein Gold, wel- Der Marggraf verließ erst spaͤt am an- dern Tage das Bette, schon hatten andere Granadiere die Wache bezogen, als die klei- ne Prinzessin, welche jeden Morgen in sei- nem Schlafgemache erscheinen mußte, zu ihm eintrat. Wie er diese erblikte, gedachte er erst seines gestrigen Gewinns, den er zu ei- nem Geschenke fuͤr sie bestimmt hatte, er suchte und fand ihn nicht, er erinnerte sich endlich deut- lich, daß er das Gold in sein Schnupftuch faßte, und dieses im Gespraͤche auf einen Tisch legte. Er ging selbst nach dem Saale, durchsuchte alles und fand nichts. Nun war's erwiesen, daß das Gold ge- stohlen sei, nun begann die Untersuchung. Alle Diener, welche gegenwaͤrtig waren, alle Granadiere, welche am Saale Wache standen, wurden arretirt. Unter den leztern befand sich auch Wilhelm, er war schon von der Hauptwache nach seinem Quartiere zuruͤckge- Biogr. d. W. 4r Bd. B kehrt, und wurde von dort in den Arrest ge- fuͤhrt. Man untersuchte sogleich die Wohnun- gen und Sachen aller Arretirten, und fand nicht das geringste, man visirte ihre Schub- saͤcke, und fand bei Wilhelmen kein Gold, aber das Schnupftuch des Marggrafen, welches da- durch unverkennbar wurde, weil es mit einer Krone und seinem Namen gezeichnet war. Wilhelm gestand sogleich die That, und zeigte den Ort an, wo er das Gold hinter einem Holzstosse in einem alten Topfe vergra- ben hatte. Er konnte in der Folge selbst nicht sagen, wie es geschah, daß er das verraͤtheri- sche Tuch nicht vernichtete, nicht von sich warf, er schuͤttete das Gold aus dem Tuche in den Topf, und steckte es, ohne die Folgen zu be- denken, in einer wahrscheinlich mechanischen Bewegung in den Sack. So wahr, als ich Marggraf bin! der Kerl muß haͤngen! sprach der Marggraf zor- nig, als man ihm meldete, daß der Thaͤter entdeckt, und ein Granadier sei. Er befahl, Standrecht uͤber ihn zu halten, und einige Stunden nachher versammlete sich dies wuͤrk- lich, um uͤber Wilhelmen den Tod auszu- sprechen. Erst um diese Zeit erfuhr die lie- bende Sophie das Verbrechen und das unver- meidliche Schicksal ihres Geliebten. Verzweif- lung kennt keine Schranken, uͤberspringt sie alle, wenn sie jenseits Huͤlfe erblickt. Sie eilte, als ein Raub derselben, zu den Eltern des ungluͤcklichen Wilhelms, sie gestand die- sen, was ihnen vorher noch ein Geheimniß war, daß sie ihren Sohn aufs innigste liebe, und von ihnen Rath, Huͤlfe und Trost er- warte. B 2 Die Ungluͤcklichen konnten ihr nicht ge- ben, was sie selbst nicht besassen, sie jam- merten trostlos mit ihr, suchten Freunde, Huͤlfe und Rath, und fanden keins von bei- den. Vater und Mutter knieten bald nach- her an der Schloßtreppe, welche nach dem Garten fuͤhrte, sie flehten um Erbarmen, als der Marggraf diese herabstieg, aber er winkte mit ernstem Blicke, und die Trost- losen wurden weggefuͤhrt. Sie eilten von einem Minister zum andern, und erhielten uͤberall die toͤdende Versicherung, daß solch ein Verbrechen kein Mitleid verdiene, daß nichts in der Welt den Marggrafen bewegen wuͤrde, seinen theuern Schwur zu brechen. Unter dieser Beschaͤftigung nahte der Abend, sie wankten nach ihrer Wohnung, und brachten die Gewißheit heim, daß das Standrecht uͤber ihren einzigen Sohn den Tod ausgesprochen habe, daß er ihn morgen in der zehnten Stunde unter der Hand des Henkers dulden wuͤrde. Sophie hatte diese lange Zeit hindurch ihrer geharrt, ihr Jammer war ohne Grenzen, als sie diese schreckliche Nach- richt hoͤrte, sie eilte nach der Hauptwache, sie wollte wenigstens ihren Wilhelm noch ein- mal sehen, aber ein Priester bereitete ihn eben zum nahen Tode, sie ward nicht vor- gelassen. Mit zerrauftem Haare, mit star- rem Blicke und blutig gerungnen Haͤnden er- schien sie izt im Zimmer der Obristhofmeiste- rin, die schon lange ihre ungewoͤhnliche Ab- wesenheit bemerkt, vergebens nach ihr gefragt hatte. Sophiens Schmerz war keiner Worte faͤ- hig, die Obristhofmeisterin brauchte viele Muͤhe und Geduld, ehe sie die Ursache ihres schrecklichen Zustandes erfahren konnte. Sie war eine aͤusserst sanfte und menschenfreund- liche Dame, Sophiens Jammer ruͤhrte ihr Herz maͤchtig, sie suchte sie zu troͤsten, durch Gruͤnde der Religion zu uͤberzeugen, daß Gottes Wege unerforschlich, aber stets weise und gerecht waͤren, als aber die verzweif- lungsvolle Sophie sie dreust versicherte, daß sie an Gottes Barmherzigkeit zweifle, wenn er nicht Huͤlfe und Rettung sende, so suchte sie solche mit der Vorstellung aufzurichten, daß auch diese noch zu hoffen, noch moͤglich sei. Sophie ergrif diesen schwachen Stab des Trostes mit Begierde, sie warf sich zu den Fuͤssen der Troͤsterin nieder, und flehte um Huͤlfe und Erbarmen. Ich will thun, was ich kann und vermag, sprach die Holde, nur die Gnade des Marggrafen kann dem Ungluͤck- lichen das Leben retten, ich sehe ein, daß meine Bitte bei ihm nichts vermag, aber ich hoffe, eine Fuͤrbitterin zu finden, die er hoͤ- ren wird. Sie deutete bei diesen Worten auf die kleine Prinzessin, welche neben ihr mit einer Pnppe spielte, und schon oft theilneh- mend gefragt hatte: Warum die liebe Sophie so sehr weine? Sophie sprang hoffend und ahndungsvoll empor, als sie diese Worte des Trostes hoͤr- te, sie kannte die Liebe des Marggrafen zu diesem Kinde, sie glaubte uͤberzeugt zu sein, daß er ihr nichts versagen wuͤrde. Gewoͤhn- lich stand der Marggraf schon um sechs Uhr des Morgens auf, sobald die Prinzessin erwach- te, welches gemeiniglich um acht Uhr geschah, mußte die Obristhofmeisterin solche zu ihm brin- gen. Die muntere Kleine blieb dann oft einige Stunden in seinem Kabinete, und zwang ihn, manchmal gar mit ihr zu spielen. Es ward nun verabredet, daß man die Prinzessin am folgenden Morgen fruͤher wek- ken, und dann zum Marggrafen fuͤhren woll- te, wo sie sogleich um Wilhelms Leben bitten sollte. Die Ausfuͤhrung war aber schwerer, als man anfangs glaubte. Die noch nicht drei Jahr alte Prinzessin plauderte zwar stets, aber meistens nur einzelne, abgebrochne Woͤrter, konnte viele derselben gar nicht aussprechen. Indeß Sophie mit dem wahrscheinlichen Troste zu Wilhelms Eltern eilte, auch diese der zer- stoͤhrenden Verzweiflung entreissen, und neue Hofnung in ihrem toden Herzen wecken wollte, versuchte die gutherzige Obristhofmeisterin, ih- ren kleinen Eleven die Worte zu lehren, mit welchen sie zu Gunsten des ungluͤcklichen Wil- helms das Herz des Marggrafen ruͤhren sollte; aber so sehr sie sich auch muͤhte, die Bitte abzu- kuͤrzen, und nur durch wenige Worte auszu- druͤcken, so mengte doch eben oft die kleine Plauderin diese wenigen untereinander, und erregte die gegruͤndete Furcht, daß der Marg- graf ihre Bitte nicht verstehen, und daher auch nicht achten wuͤrde. Doch hofte sie das Beste, und trug die Prinzessin bald ins Bette, um sie am andern Morgen fruͤher wecken, und die Lekzion wiederholen zu koͤnnen. Sophie, deren Augen sich nicht schlossen, wachte die ganze Nacht am Bette des Engels, der ihr Erloͤser werden sollte, sie betete in- bruͤnstig zu Gott, damit er diesen staͤrken, und ihren Worten Kraft verleihen moͤge. Schon um sechs Uhr weckte man die Prinzessin, aber sie war noch schlaftrunken, weinte anhal- tend, und schlief bald aufs neue. Man den- ke sich das Leiden der armen Sophie, die den einzigen moͤglichen Retter schlafend erblickte, indeß der Geliebte ihres Herzens nahe Todes- angst duldete, die jeder Glockenschlag mehrte. Schon wars acht Uhr voruͤber, als die Prinzessin munter und froͤhlich erwachte. Es war ruͤhrend anzusehen, mit welcher hastigen Eilfertigkeit die zitternde Sophie sie anzuklei- den suchte, und aus allzu grosser Eile den An- zug nur verzoͤgerte, haͤtte die gutherzige Obristhofmeisterin ihr nicht Beistand gelei- stet, sie wuͤrde dies kleine Geschaͤft lange nicht vollendet haben. Nun begann neuer Unter- richt, und wie die Prinzessin ihre Bitte nur mit halben Worten stammlen konnte, so ergrif die Obristhofmeisterin ihre Hand, und fuͤhrte sie zum Kabinete des Marggrafen. Sophie folgte vom weiten mit gefalteten Haͤn- den, jedes ihrer Glieder zitterte der nahen Entscheidung entgegen. Die Obristhofmeisterin oͤfnete izt die Thuͤ- re des Kabinets, und ließ die Prinzessin allein eintreten, sie lehnte die Thuͤre nur langsam an, und horchte an der ofnen Spalte der Wuͤrkung entgegen. Sophie draͤngte sich naͤ- her hinzu, und hob ihre Haͤnde zu Gott em- por. Der Marggraf saß an seinem Schreib- tische, und blickte auf die Kommende. Sie ging bis in die Mitte des Kabinets, kniete nieder, und hob ihre kleinen Haͤnde bittend empor. Liebe Großpapa , stammlete sie, Ganadirle schenken! Liebe Großpa- pa , wiederholte sie noch einmal, Ganadirl schenken ! Der geruͤhrte Marggraf stand hastig auf, hob die Prinzessin empor, und schloß sie in seine Arme. Du verlangst viel, sprach er, indem er sie kuͤßte, aber es ist deine erste Bitte, ich muß sie erfuͤllen! Der Granadier hat: Gnade! — — Er hat Gnade! fluͤsterte die horchende Obristhofmeisterin der harrenden Sophie zu. Er hat Gnade! schrie diese laut anf , daß es im Vorgemache wie- derhallte, und stuͤrzte fort, um die erste Ver- kuͤndigerin derselben zu werden. Ich wage es nicht, den Jubel der Eltern zu schildern, als die athemlose Sophie mit diesem allmaͤchtigen Worte des Trostes vor ihnen erschien, ihr flehendes Gebet, ihre stammlende Bitte zum Ewigen mit diesem freudigen Zurufe unterbrach, und ihnen noch nebenbei erzaͤhlte, daß ein Kammerjunker, wie sie bei der Hauptwache vorbeieilte, diese Gnade bereits dem armen Wilhelm im Na- men des Marggrafen verkuͤndigt habe. Der grosse Jammer hatte bereits ihre wenige Le- benskraft maͤchtig geschwaͤcht, die schnelle Freu- de schien den Ueberrest ganz zu rauben. Man mußte die ungluͤcklichen Alten aufs Bette le- gen, alle ihre Glieder durchbebte ein hefti- ger Fieberfrost, sie waren dem Tode nahe, naͤherten sich ihm bald noch mehr, als sie kurz hernach hoͤrten, daß der Marggraf zwar ihrem Sohne das Leben geschenkt, ihn aber doch zur Versoͤhnung der Gerechtigkeit auf drei Jahre zur Zuchthausstrafe verurtheilt habe. Damals achtete man jeden, der in die- sem Hause dulden mußte, fuͤr unehrlich. Keiner unter den Buͤrgern sprach mit diesen ungluͤcklichen Opfern der Gerechtigkeit. Auch wenn die Strafe geendet hatte, und man den Erloͤsten wieder in jeder buͤrgerlichen Gesell- schaft und Innung dulden mußte, so blieb sie doch immer als ein unvertilgbarer Fleck zuruͤck, der den reinen Glanz einer ganzen Familie verdunkelte, ihr bei jeder Gelegenheit zum geheimen, oft gar oͤffentlichen Vorwurf dien- te. Diese Vorstellung, und wahrscheinlich auch das Bewustsein, daß ihr Sohn die Strafe mehr als doppelt verdient habe, verbitterte die Freude seiner gluͤcklichen Rettung um ein Grosses. Die Folgen des ausgestandnen Schreckens und Jammers, der finstere, truͤbe Blick in die Zukunft nagte an ihrem morschen Koͤrper, ehe zwei Monden verflossen, schlum- merten beide im Grabe. Das ganze Erbe, welches sie ihrem Sohne hinterliessen, ward in gerichtliche Verwahrung genommen, und zum Besten des Duldenden, weil er es izt nicht genuͤssen, nicht verwalten durfte, in ein zinsbares Kapital verwandelt. Sophie liebte — liebte mit warmen Ju- gendfeuer, mit inniger, wahrer Zaͤrtlichkeit. Niemand wirds ihr daher verdenken, oder es wenigstes ganz natuͤrlich finden, wenn sie nicht gleich den Buͤrgern der Stadt, nicht wie Wil- helms Eltern dachte. Der Allgeliebte war ge- rettet, mußte zwar harte Strafe, aber nicht immer, nicht ewig dulden. Ihre Einbildungs- kraft uͤberhuͤpfte mit seltner Fertigkeit diesen kurzen Zeitraum, sie sah ihren Wilhelm wie- der kettenlos unter den Menschen umher wan- deln, er arbeitete emsig und anhaltend, er fand Unterstuͤtzung und Nahrung in einer frem- den Stadt, die sein ehemaliges Verbrechen nicht kannte, er kam als Buͤrger derselben, um sich eine Gattin zu waͤhlen, er reichte ihr die Hand, und sie sank woune- und freude- fuͤhlend in seine Arme. Dies war die ange- nehme Vorstellung, mit welcher sie sich zu troͤsten suchte, wenn Wehmuth sie ergrif, und schwarzer Tiefsinn an ihrem Herzen nagen wollte. Wilhelm hatte ein schweres Verbrechen veruͤbt, die Gelegenheit war reizend und ein- ladend, aber lange nicht hinreichend genug, um den aͤchten Rechtschafnen in die Falle zu locken! Dieser Gedanke haͤtte sie schrecken, we- nigstens bange Sorge fuͤr die Zukunft in ihr erregen sollen, aber nichts verzeiht, nichts entschuldigt staͤrker, als die Liebe. Sie hat zwei Maͤntel, welche sie abwechselnd traͤgt, einer ist lang, weit, und dem Auge undurch- dringbar, der andere ist klein, enge und vom duͤnsten Flore gewebt. Mit dem erstern be- deckt sie die Maͤngel und Fehler des geliebten Gegenstands, wenn sie sich naht, in den lez- tern huͤllt sie diesen, wenn sie Abschied nehmen will, oder einen Reizendern findet. Wie Wilhelm zur Prinzessin gefuͤhrt wur- de, um ihr auf Befehl des Markgrafen fuͤr ihre Fuͤrbitte, fuͤr sein Leben zu danken, stand Sophie im Gemache derselben. Ihr rothge- weintes Auge, ihr noch thraͤnender Blick uͤber- zeugte ihn deutlich, daß ihr Leiden, ihr Jam- mer groß war, er sah zugleich ein, daß sie die Retterin seines Lebens war, und ohne ihre Mitwuͤrkung die Prinzessin schwerlich fuͤr ihn gebeten haͤtte. Dieser große Beweis ihrer Liebe ermunterte ihn zur Dankbarkeit, er trat naͤher zu ihr. Wenn ichs je vergesse, fluͤ- sterte er leise, was ich ihnen zu verdanken habe, so soll mir Gott schnell wieder rauben, was er mir so wunderbar schenkte. Vergessen sie indeß den Ungluͤcklichen nicht ganz, er ist ihres Mitleids wuͤrdig. Sophie konnte nicht antworten, aber ihr Blick sprach um so staͤrker, Wilhelm ging mit der Gewißheit von dannen, daß sie ihn noch liebe, und seiner harren wuͤrde. Die Die Obristhofmeisterin hatte das kurze Gespraͤch bemerkt, und Sophiens redenden Blick gesehen, sie achtete es fuͤr noͤthig, die letzere fuͤr unangenehmen Folgen zu warnen. Liebes Kind, sprach die Gute, ohne zu un- tersuchen, ob der ungluͤckliche, aber auch strafbare Juͤngling deiner Liebe noch wuͤrdig sei, will ichs nicht hindern, wenn du ihm in seinem kuͤnftigen Zustande nach deinen Kraͤften Wohlthaten erzeigst, aber ich muß es dir bei Verluste deines Dienstes und meiner Gnade streng verbieten, ihn im Zuchthause zu be- suchen, oder mit ihm auf der Gasse zu spre- chen. Es wuͤrde deinen Ruf kraͤnken, wenn du meinen Befehl uͤbertreten wolltest, und schwarzen Schatten auf mich werfen, wenn ich es duldete. Ich fordere daher dein festes Versprechen, damit ich ruhig seyn, und mit Recht strafen kann, wenn du es doch nicht er- fuͤlltest. Biogr. d. W. 4r Bd. E Sophie sah die Billigkeit ihrer Forderung ein, sie versprach, streng zu gehorchen, nur bat sie flehend, ihr die einzige Erlaubniß zu goͤnnen, ihm dies Verbot kund zu machen, damit es der Ungluͤckliche nicht fuͤr Verachtung von ihrer Seite halte, und dadurch zur Ver- zweiflung gereizt wuͤrde. Obgleich die Obrist- hofmeisterin diesen Schritt nicht billigen konnte, so war sie doch großmuͤthig genug, ihn nicht zu verbieten, doch forderte sie aus- druͤcklich, daß es nicht durch Sophien selbst, sondern durch einen dritten geschehen muͤsse, und fuͤr die Zukunft kein Briefwechsel statt ha- ben duͤrfe. Sophie dankte, und eilte noch am nem- lichen Tage zu Wilhelms Mutter, welche sie um ihrer Theilnahme willen izt innig liebte, und herzlich gerne als Schwiegertochter um- armt haͤtte. Dort schrieb sie ihrem Wilhelm alles, und fuͤgte noch manches, was ihn troͤsten und erquicken konnte, hinzu. Eine alte Frau, welche von der Mutter an Wil- helmen gesandt wurde, brachte muͤndlichen, innigen Dank zuruͤck, weil es ihm nicht ver- goͤnnt war, Antwort zu schreiben. Die Arbeit aller Verbrecher im Zuchthau- se war schwer und anhaltend, aber noch ent- kraͤftender und haͤrter war die schmale, aͤusserst schlechte Kost, welche ihnen gereicht wurde. Die Ungluͤcklichen, welche nicht Freunde und Anverwandte hatten, nicht Wohlthaͤter in der Stadt fanden, mußten oft hungrig schla- fen gehen. Diese schlechte Kost war nicht Strafe, wahrscheinlich nur eine Folge der Habsucht der Vorsteher, weil es allen, die in diesem Hause duldeten, erlaubt war, sich bes- sere Speisen zu kaufen, wenn sie Geld von aus- sen erhielten. E 2 So lange Wilhelms Eltern lebten, sand- ten sie ihrem ungluͤcklichen Sohn taͤglich Spei- sen, als aber beide in so kurzer Zeit starben, da fuͤhlte Wilhelm durch einige Tage die volle Last seines Schicksals in seiner ganzen Groͤsse. Er war von Jugend auf besserer Kost gewohnt, ein unuͤberwindlicher Ekel hinderte ihn izt, das Wenige zu genuͤssen, was man ihm reich- te. Matt und kraftlos taumelte er umher, bekam Schlaͤge, weil er die vorgeschriebne Ar- beit nicht vollenden konnte, und hofte eben, daß der Tod seine Marter bald enden wuͤrde, als ein altes Weib erschien, und ihm nahr- hafte und gute Speise brachte. Sie schuͤzte strenges Verbot vor, wenn er nach dem Na- men seines neuen Wohlthaͤters fragte, sie laͤchelte geheimnißvoll, wenn er bald diesen, bald jenen seiner Anverwandten nannte. Erst nach einigen Wochen gab die Alte, welche von nun an taͤglich mit Speise erschien, seiner dringenden Bitte Gehoͤr, und gestand ihm, daß Sophie seine Wohlthaͤterin sei, ihre Kost mehr als mit ihm theile, sich stets nur mit einer Speise saͤttige, und alle uͤbrigen ihm sende. Dankbare Thraͤnen rollten bei dieser Nachricht uͤber seine Wangen, er blickte gen Himmel, und schien Gott zu fragen: Wie er solch eine Liebe lohnen und vergelten koͤnne? Sophie hofte, Wilhelms Strafe durch neue Fuͤrbitte abzukuͤrzen, sie wandte sich da- her, wie ein Jahr seiner Strafzeit verflossen war, aufs neue an die Obristhofmeisterin, al- lein diese konnte nicht mehr helfen und nuͤtzen, weil der Marggraf es ihr ausdruͤcklich und bei Verlust seiner Gnade untersagt hatte, die Prinzessin nie mehr zu einer aͤhnlichen Bitte aufzufordern, und dadurch den Lauf der Ge- rechtigkeit zu hemmen. Diese Nachricht that ihrem liebenden Herzen aͤusserst weh, nur die Hofnung, daß die uͤbrigen zwei Jahre gleich dem ersten schwinden muͤßten, war der suͤsse Trost, wenn sie das Schicksal des Ungluͤckli- chen im Verborgnen beweinte. Noch mehr als dieser Gedanke troͤstete sie die Vorstellung, daß sie diese ganze Zeit hindurch ihres Geliebten Wohlthaͤterin seyn, und das harte Loos des- selben um vieles erleichtern koͤnne, sie sandte ihm nicht allein taͤglich die mehrsten der Spei- sen, welche fuͤr sie bestimmt waren, sondern sie legte auch jede Woche etwas Geld bei, weil sie wußte, daß Wilhelm gerne Tobak rauche, und sie ihm dies Vergnuͤgen nicht rauben wollte. So verflossen auch die zwei lezten Jahre der Strafzeit. Schnell und anhaltend klopfte Sophiens Herz, als der lezte Monden, die lezte Woche, und endlich auch der lezte Tag derselben nahte. Noch roͤthete sich ihre Wan- ge, reine Freude glaͤnzte in ihrem Auge, wie Wilhelm ihr durch die Ueberbringerin der Speisen nochmals aufs waͤrmste fuͤr die grosse Wohlthat danken, und zugleich melden ließ, daß er morgen das Haus der Strafe verlassen wuͤrde. Er wird, fuͤgte die Alte hinzu, zu einer alten Muhme ziehen, und wenn er sich anstaͤndig gekleidet hat, es wagen, sie dahin einzuladen, um ihnen muͤndlich danken zu koͤnnen. Sophie harrte dieser Nachricht mit der Ungeduld der Liebenden entgegen. Sie hatte ihren Wilhelm wuͤrklich durch drei volle Jahre nicht gesehen, er mußte immer im Hofe des Zuchthauses arbeiten, sie konnte sich nicht da- hin wagen, weil man jedem jungen Maͤdchen den Zutritt dahi n verweigerte, und der Ver- lust ihres Dienstes ganz sicher erfolgt waͤre, wenn nur ein Versuch dieser Art waͤre verra- then worden. Man denke sich nun die Sehn- sucht, das peinigende, heischende Verlangen des liebenden Maͤdchens! Eben wars ein Sonntag, eben kam sie aus der Kirche zuruͤck, in welcher sie andaͤch- tig gebetet, aber auch mit suchendem Auge oft und lange umher geblickt hatte, als ein kleines Maͤdchen im Schloßhofe ihrer harrte, und ihr einen Brief uͤberreichte. Wilhelm, der dankbegierige Wilhelm hatte ihn geschrie- ben, er enthielt eine Einladung auf den fol- genden Nachmittag zu seiner alten Muhme, welche ihn nicht allein liebreich aufgenommen, sondern auch wider Vermuthen sein und So- phiens Gluͤck zu gruͤnden versprochen hatte. Sophie eilte um die bestimmte Stunde zu ihrem Wilhelm. Als sie zitternd die Thuͤre des Gemachs oͤfnete, wankte er ihr mit Thraͤ- nen im Auge entgegen, das Ungluͤck und wahr- scheinlich noch der Kummer hatte seine Wangen gebleicht, aber sein Auge glaͤnzte um so feu- riger, sein Mund sprach zwar wenig, aber das Wenige bewies deutlich, daß er sein Ver- gehen innig bereue, und ewig dankbar seyn werde. Die alte, geschwaͤtzige Muhme stoͤhrte das Gefuͤhl der Liebenden um ein grosses, sie lobte Sophiens Wohlthaten, welche sie so lan- ge Zeit hindurch ihrem Vetter erwiesen hatte, mit vielen Worten. Ich muß aufrichtig geste- hen, sprach sie, daß ich den gottlosen Buben, der seine Eltern ins Grab gestuͤrzt, mir und allen seinen Freunden so viel Schande gemacht hat, ganz vergessen wollte. Wie ich aber hoͤrte, daß ein fremdes Maͤdchen nicht allein sein Leben gerettet, sondern ihn auch drei Jah- re lang ernaͤhrt habe, da dachte ich: Du han- delst doch zu hart, du mußt vergeben und ver- gessen! Auch will ich mein Geluͤbde halten, will sein kuͤnftiges Gluͤck zu gruͤnden und zu vermehren suchen, wenn er nur kuͤnftig auch keine luͤderliche Streiche mehr begeht, und seinem treuen Maͤdchen ihre Liebe lohnt. Sie sprach noch lange in diesem Tone fort, wie aber auf dem nahen Thurme die Glocken zur Nachmittagspredigt ruften, da ergrif sie ihr Gesangbuch, eilte fort, und goͤnnte den Liebenden das seltne Gluͤck, ungestoͤrt sprechen, ungehindert kuͤssen zu koͤnnen. Der Bund der ewigen Treue und Liebe ward in dieser weni- gen Zeit erneuert, sogar Plaͤne zur kuͤnftigen Erfuͤllung entworfen. Wilhelm erzaͤhlte seiner Sophie, daß sein vaͤterliches Erbe nahe an zweitausend Gulden betrage, wenn er nun, fuͤgte er hinzu, was er hoffen und erwarten koͤnne, von der weit reichern Muhme noch eine aͤhnliche Summe erhalten wuͤrde, so sei diese Summe hinlaͤng- lich, sich in einem Staͤdchen eines benachbar- ten Fuͤrstenthums als Handelsmann zu etabli- ren, und dort gluͤcklich und vorwurfsfrei zu leben. Sophie, welche innig liebte, und sich daher so gerne eine gluͤckliche Zukunft traͤumte, billigte den ganzen Plan vom Herzen, bat sogar, ihn nur recht bald auszufuͤhren. Sie besuchte nun ihren Wilhelm oͤfters, kam vor- zuͤglich alle Sonntage, um den Nachmittag desselben in seinen Armen zu durchleben. Wilhelm, den mehr die Schande und die Sorge eines kraͤnkenden Vorwurfs als aͤchte, wahre Reue an sein Zimmer fesselte, und an jedem gesellschaftlichen Vergnuͤgen hinderte, ge- wann bald dadurch das volle Zutrauen der gut- herzigen Alten, sie wollte eben seine Bitte er- fuͤllen, und ihm mit einer hinlaͤnglichen Sum- me unterstuͤtzen, als sie ein jaͤher Schlagfluß traf, und ihr nur noch so viel Lebensfrist goͤnnte, um bei vollem Bewustsein und reifer Vernunft ihren Vetter zum Universalerben einzusetzen. Wilhelm war nun ein reicher Mann, sein Vermoͤgen graͤnzte nahe an funfzehn tausend Gulden, es bestand in lauter sichern Kapita- lien, die er jederzeit aufkuͤndigen und erhe- ben konnte. Er that das erstere, und wand sich nun aus Sophiens Armen los, um sich einen Ort zu suchen, wo sie kuͤnftig ruhig le- ben, und das Gluͤck der Liebe genuͤssen koͤnn- ten. Ehe er schied, forderte er schlechterdings, daß Sophie ihrem Dienste entsagen, und bei ihren Eltern seine Ruͤckkunft erwarten sollte. Die armen Eltern, welche nur auf das zeit- liche Gluͤck ihres Kindes sahen, billigten So- phiens Wahl und Entschluß, nur forderten sie, daß Wilhelm sich mit ihr vor seiner Ab- reise verloben sollte, er war willig, diese Forderung zu erfuͤllen, und Sophie verließ das Schloß noch einige Tage vor Wilhelms Abreise. Er war mit ihr verlobt, als er schied, er versprach, binnen Mondensfrist wieder zu kehren, und sie dann sogleich zu heu- rathen. Wer kanns dem liebenden Maͤdchen verdenken, wenn sie bei so voller Gewißheit ihres nahen Gluͤcks dankbar zu seyn wuͤnschte, minder streng eine kleine Freiheit verweigerte, und dadurch unvermerkt in die Fluthen des brausenden Stroms gerieth, der alles mit sich fortreißt, was sich seinen Wellen naht. Als endlich Wilhelm wuͤrklich schied, so mischten sich in die Thraͤnen des Abschiedes auch Thraͤ- nen der Reue, der verlohrnen Unschuld, wel- che nur die Hofnung der baldigen Wiederkehr trocknen konnte. Es war zwischen den Liebenden verabredet worden, daß Wilhelm mit jedem Posttage schreiben, seine Gesundheit und den Erfolg sei- nes Unternehmens berichten solle. Er erfuͤllte sein Versprechen strenge, Sophie erhielt jede Woche zweimal Nachricht von ihm, nur trauer- te sie, wenn sie in seinen Briefen laß, daß er immer weiter reise, und es ihm nirgends beha- gen wollte. Wie ein Monat verflossen war, und er von Frankfurt aus zum leztenmale ge- schrieben hatte, erfolgte kein Brief, keine Nach- richt mehr. Sophiens Kummer ward bald groß, ward in der Folge unertraͤglich, weil sie sich schwan- ger fuͤhlte. Vier Monate harrte sie vergebens auf weitere Nachricht, als aber ihre Eltern uͤber Wilhelms Stillschweigen ebenfalls traurig wurden, ihr Vorwuͤrfe zu machen begannen, weil sie sich mit einem so schlechten Menschen in ein Liebesverstaͤndniß eingelassen, und ihrem guten Dienste so leichtsinnig entsagt habe, da rang sie ingeheim nach Trost und Huͤlfe. Sie erinnerte sich izt erst, daß Wilhelm kurz vor seiner Abreise einem sehr rechtschafnen Advoka- ten die Verwaltung seines Vermoͤgens anver- traut habe, sie eilte zu ihm, um zu erfahren, ob Wilhelm ihm diese lange Zeit hindurch eben- falls nicht geschrieben habe, und wollte ihn dann erst als tod beweinen, wenn er, da er nicht mehr als funfzig Dukaten mit sich ge- nommen hatte, unter dieser langen Zeit kein Geld verlangt haͤtte. Todesblaͤsse verbreitete sich uͤber ihre Wangen, sie zitterte und bebte, als der ehrliche Mann ihr sogleich erzaͤhlte, daß Wilhelm diese Zeit uͤber ihm stets geschrie- ben, nun aber wohl nicht mehr so oft schreiben wuͤrde, weil er ihm eben mit lezter Post den lezten Rest seines ganzen Vermoͤgens nach Frankfurt uͤbersandt habe. Er wird sich dort, fuhr er fort, wie ich aus allem ersehe, etabli- ren und ein reiches Maͤdchen heurathen. Je nun, sezte er hinzu, ich goͤnne ihr und ihm das Gluͤck herzlich gerne, und wuͤnsche nur, daß es von Dauer sei. Hier kennt man den Vogel, hier waͤre es ihm nicht gelungen, eine so reiche Braut heimzufuͤhren. Sophie konnte die zentnerschwere Last, welche der Erzaͤhler so schnell, so unbarmherzig auf sie waͤlzte, nicht ertragen, sie sank kraftlos zu Boden. Als der Alte sie geweckt und ge- labt hatte, forschte er nach ihrem Namen und der Ursache ihres Schreckens, als sie den er- stern stammlete, errieth er sogleich die Ursache des leztern. Er erinnerte sich, daß Wilhelm ihn in einem seiner Briefe sehr dringend gebe- then hatte, seinen Aufenthalt zu Frankfurt vor jedermann, vorzuͤglich aber vor einem ge- wissen Maͤdchen, welches sich Sophie G — nen- ne, geheim zu halten. Sie koͤnnen sich, schrieb der Undankbare, die Ursache meiner Bitte leicht denken, ich wurde, als ich noch Granadier war, mit ihr bekannt, das Maͤdchen hieng kletten- maͤßig an mir, sie gewaͤhrte, und ich genoß al- les. Habsucht und Eigennuz koͤnnte sie izt leicht reitzen, dem ehmaligen armen, izt reichen Liebhaber nachzulaufen, nach Art dieser kuͤhnen Kreaturen entweder seine aͤußerst vortheilhafte, ihm ganz gluͤcklich machende Heurath zu hin- dern, oder wenigstens ihr Stillschweigen nur fuͤr eine namhafte Summe zu verkaufen. Der Der Advokat, welcher in diesem Falle Wil- helms schaͤndlichen Luͤgen vollen Glauben bei- maß, auch izt noch muthmaßte, daß ihre Nach- frage aͤhnliche Ursache zur Absicht habe, war of- fenherzig genug, der leidenden Sophie dies alles mit trocknen Worten kund zu machen, ihr nebenbei wohlmeinend zu rathen, daß sie seines Klienten Gluͤck nicht hindern moͤge, weil sie in jedem Falle zu spaͤt kommen, wohl seinen Zorn, aber durch solche Mittel nie seine Großmuth reizen wuͤrde. Sophiens Zustand war schrecklich, war er- barmungswuͤrdig. Ihr Blick hatte immer hoffend und fest an der Zukunft gehangen, izt verfinsterte sich diese gluͤckliche Aussicht, ein Ab- grund oͤfnete sich zu ihren Fuͤßen, sie schauderte zuruͤck, und ein noch graͤßlicherer lag vor ihr. Sie fuͤhlte sich verstoßen, und verlassen; sie sah nirgends Trost, nirgends Hofnung, noch Huͤl- fe; ihre Sinne starrten wuͤrkungslos umher; Biogr. d. W. 4r Bd. D das Rad ihrer Einbildnngskraft stockte, die im- mer thaͤtige Seele konnte es nicht drehen, nicht wenden. Undank und Grausamkeit hatten sie toͤdlich verwundet, ihr Schmerz durchbebte jede Nerve, durchzitterte jede Faser des ver- laßnen Maͤdchens. Mit jedem Tropfen Blu- tes rollte der zentnerschwere Gedanke langsam durch ihre Adern, und stroͤmte wieder hastig nach dem Herzen, um dort vergebens Raum zu suchen. Sie konnte nicht reden, kaum wanken, sie verließ das Zimmer des Advokaten, ohne es verlassen zu wollen, sie irrte in den Gassen der Stadt umher, ohne zu wissen, wohin sie gehen wolle. Am Abende fand sie die suchende Mutter in einem Garten der entlegensten Vorstadt, sie saß im Gipfel einer hohen Linde, und breitete ihre Arme hoch zum Himmel empor. Ein kleines Maͤdchen, welches sie hinauf klettern sah, verrieth ihren Aufenthalt. Die Mutter staunte mit Recht uͤber dies seltne Unterneh- men, aber sie staunte bald noch mehr, als die Tochter zwar ihr aͤngstliches Rufen hoͤrte, willig herabstieg, aber auch nur zu deutlich be- wies, daß ihre Vernunft schlummere, wohl gar ein Raub des Wahnsinues geworden sey: Die Folge bestaͤtigte diese traurige Gewißheit voll- kommen, lange bliebs den jammernden El- tern ein Geheimniß, welch ein schreckliches Un- gluͤck ihr armes Kind in diesen Abgrund ge- stuͤrzt habe, endlich entdeckten sie durch Zufall den Besuch, welchen sie bei dem Advokaten ge- macht hatte, und erfuhren durch diesen den graͤßlichen Meineid des treulosen Wilhelms. Die wahnsinnige Sophie hatte mit ihrer Vernunft auch den Gebrauch ihrer Sprache verlohren, sie beantwortete keine Frage, uie- mand hoͤrte mehr ein Wort von ihr. Sie ging, wenn sie daheim war, mit gefalteten Haͤnden, mit gesenktem Auge langsam auf D 2 und nieder, und versuchte stets durch tiefe Seufzer, die druͤckende Last ihres Herzens zu loͤsen. Schon am andern Morgen umguͤr- tete sie ihren Koͤrper mit einem langen Flore, und heftete auf ihre linke Brust, unter der ihr verlaßnes Herz ruhte, einen schwarzen Fleck. Sie zitterte und bebte, sie wuͤthete und raßte, wenn man ihr diesen Zierrath rauben wollte, sie schuͤttelte langsam und traurig den Kopf, wenn man sie troͤsten wollte. Oft entwischte sie der Aufmerksamkeit ihrer Eltern, und eilte ins Freie. Die su- chende Mutter war dann gewiß, daß sie sol- che auf der hohen Linde wiederfinden wuͤrde; immer traf sie solche im Gipfel derselben, wo sie mit hocherhabnen Haͤnden zu beten schien. Wehmuth fuͤllt mein Herz, theilnehmen- de Thraͤnen treten in mein Auge, wenn ich mir das Leiden der Ungluͤcklichen denke, wenn ich der Ursache nachforsche: Warum sie eben die hohe Linde erstieg, und dort so andaͤchtig betete? Wahrscheinlich wollte sie ihren unend- lichen Schmerz, ihren uͤbergroßen Jammer dem Ewigen klagen; wahrscheinlich glaubte sie in ihrem Wahnsinne, daß sie im Gipfel der Linde ihm naͤher sey, daß er sie in dieser Hoͤhe besser hoͤren wuͤrde. Ach, es ist ein schaudernerregendes Bild, wenn der Ungluͤck- liche, der nirgends Huͤlfe, nirgends Trost auf der weiten, großen Erde findet, einen hohen Baum erklettert, um von seiner Hoͤhe zum Ewigen zu rufen, da er sein Flehen aus der Tiefe nicht zu hoͤren scheint. Es ist ein Beweis des hoͤchsten Dranges, des groͤßten Jammers, des fuͤhlbarsten Schmerzes! Erst einen Monat spaͤter sahen die ungluͤck- lichen Eltern des ungluͤcklichsten Kindes, daß ihr Jammer noch kein Ziel erreiche, daß er sich in der Folge noch um ein großes mehren muͤsse, sie erkannten deutlich, daß Sophie schwanger sey. Ihre gerechte Klagen uͤber den schaͤndlichen und meineidigen Verfuͤhrer, wur- den nun lauter, man sprach in der ganzen Stadt von Sophiens Ungluͤcke; die Obristhof- meisterin erfuhr es, und durch diese der Marg- graf selbst. Er staunte uͤber den schrecklichen Undank des Juͤnglings, er ging am Nachmit- tage selbst nach Sophiens Wohnung, um sich von der Wahrheit der Geschichte zu uͤberzeu- gen. Er sah die Ungluͤckliche, und Thraͤnen traten in sein Auge, er beschenkte ihre Eltern sehr reichlich, und versprach noch mehr zu thun. Eine Stunde nach seiner Ruͤckkunft ins Schloß, ging ein Kourier nach Frankfurt ab, welcher den gemeßnen Auftrag hatte, Wilhelms Heurath wo moͤglich zu hindern, und ihm un- ter den fuͤrchterlichsten Drohungen zur Ruͤck- kehr und zum Ersatze der leidenden Unschuld zu bewegen. Der Abgesandte fand Wilhelmen nicht mehr in Frankfurt, er hatte in einem benachbarten Staͤdtchen eine schoͤne, reiche Kaufmannstochter geheurathet, und lebte dort mit einem Aufwande, der nach Zeugniß der Sachkundigen, ein weit groͤsseres Vermoͤ- gen bald verschlingen wuͤrde. Ohne zu bedenken, daß nun keine Heu- rath mit Sophien moͤglich sey, reiste der Ab- gesandte nach diesem Staͤdtchen, und machte dem in Freuden lebenden Wilhelm die Schrek- kenspost des Marggrafen kund. Sie schien ihn sehr zu erschuͤttern, er zitterte und bebte, versprach dem Abgesandten am andern Morgen eine schriftliche Rechtfertigung und eine Sum- me Geldes zur Unterstuͤtzung der leidenden So- phie zu uͤberbringen. Wie aber der Abgesand- te bis am Mittag des andern Tages vergebens auf beides harrte, und nun wieder nach Wil- helms Wohnung ging, fand er dort alles in groͤßter Bestuͤrzung, und erfuhr, daß Wil- helm schon am Abende vorher aus dem Hause verschwunden, den mitgenommeuen Sachen nach zu urtheilen, ganz entflohen sey. Wenn der treulose Undankbare mein Land jemals betritt, sprach der Marggraf, als er diese Nachricht hoͤrte, so harrt seiner ewige Zuchthausstrafe! Der menschenfreundliche Fuͤrst ward nun selbst Vater der Verlaßnen, er sezte ihr eine jaͤhrliche Pension von zweihundert Tha- lern aus, er versprach, das Kind zu versor- gen, und gebot den Eltern, die Ungluͤckliche nicht durch Vorwuͤrfe zu kraͤnken, ihr viel- mehr durch sorgfaͤltige Pflege den schrecklichen Zustand auf alle moͤgliche Art zu erleichtern. Oft sandte er ihr Speisen von seiner Tafel, und schuͤttelte immer nachdenkend den Kopf, wenn er sich die seltne Liebe des Maͤdchens, den schrecklichen Undank des Juͤnglings dachte. Die fuͤrstliche Fuͤrsorge reizte die nun we- nigstens von Nahrungssorgen befreiten Eltern zur groͤssern und mehrern Aufmerksamkeit. Um Ungluͤck zu verhuͤten, welches in ihrem Zu- stande so leicht und moͤglich war, verhinderten sie es strenge, daß Sophie nicht mehr nach dem Garten gehen, nicht mehr die hohe Linde be- steigen konnte, aber eben diese gute Meinung war die Ursache des schrecklichen Todes ihres ungluͤcklichen Kindes. Sophie wollte beten, ihr Ungluͤck, das keiner aͤussern Linderung faͤ- hig war, forderte diesen innern Trost mit Heftigkeit, ihr Wahnsinn verleitete sie zu den Gedanken, daß sie nur auf einem erhabnen Orte beten koͤnne. Als ihr alter Vater, noͤ- thiger Geschaͤfte wegen, abwesend war, und ihre Mutter mit einer Nachbarin an der Haus- thuͤre sprach, verließ Sophie das Zimmer, eilte auf den Boden des Hauses, erkletterte ein Dachfenster, und wollte durch dieses bis au den Fenstern des Hauses empor klim- men. Die Nachbarn sahen es, ehe sie aber zn Huͤlfe eilen konnten, verlohr ihr Koͤrper das Gleichgewichte, sie stuͤrzte von der Hoͤhe her- ab, und lag zerschmettert vor dem starrenden Auge der bebenden Mutter. Ich wende mein nasses Auge von dieser schrecklichen Szene; als sie dem Marggrafen bekannt wurde, seufzte er tief, und legte die Hand auf sein fuͤhlendes Herz. Bald nachher machte er es bekannt, daß er die Leiche selbst zu ihrer Ruhestaͤtte begleiten wuͤrde, seinem Beispiele folgte der Hof und die ganze Stadt. Es war ruͤhrend zu sehen, wie der lange Zug durch alle Gassen in krummen Linien dem Sar- ge der Ungluͤcklichen nachwallte. Der Hofpre- diger mußte die Leichenrede halten, er waͤhlte den Text: Er hat mich verlassen, aber der Herr nahm mich auf! Aller Augen thraͤnten, als er begann, und manche wan- kende Tugend des luͤsternen Maͤdchens ward durch seine vortrefliche Rede zum staͤrkern und siegenden Kampfe ermuntert. Der Marggraf ließ das Grab der Ungluͤcklichen mit einem Leichensteine zieren, und zahlte den trauern- den Eltern die zweihundert Thaler bis an ih- ren Tod. Zwanzig lange Jahre nachher, als der Koͤrper des redlichen Fuͤrsten schon in der Gruft seiner Vaͤter schlummerte, langte am Rathhause der Stadt eine sogenannte Bettel- fuhre an. Ein Sterbender aͤchzte darinne auf einem Bunde Stroh. Die Schriften, welche der Fuhrmann dem Rathe uͤberreichte, uͤber- zeugten den leztern sogleich, daß der Ster- bende der undankbare, treulose Wilhelm sei. Er war als ein Bettler im benachbarten Lande an der Strasse krank gefunden, und gemaͤß seiner Aussage, nach seinem Geburtsorte zur noͤthigen Versorgung abgesandt worden. Wie man ihn nach dem Spitale tragen wollte, hatte er seinen fuͤrchterlichen Todeskampf schon vol- lendet, er ward auf dem Gottesacker des Zuchthauses beerdigt, niemand ging mit sei- ner Leiche, niemand weinte an seinem Gra- be. Er ruht izt dort, wo er haͤtte dulden und buͤssen sollen! O wie gerne moͤchte ich den Vor- hang luͤften, und in das unendliche Jenseits blicken, um jeden Verfuͤhrer, jeden Meinei- digen mit Gewißheit zurufen zu koͤnnen: Er buͤßt auch dort, was er hier verbrach! Graf von L— . S elten, sagt man im gemeinen Spruͤchwor- te, sind die Ehen der Grossen und Vorneh- men gluͤcklich, weil sie selten aus aͤchter Liebe und Neigung, meistens nur aus Eigennutz und Nebenabsichten die Gehuͤlfin waͤhlen, wel- che mit ihnen Hand in Hand durchs Leben wan- dern, Kummer und Freude, Gluͤck und Un- gluͤck mit ihnen theilen soll. Graf L— war unter den Wenigen, welche blos aus Nei- gung und Liebe waͤhlten, der gluͤcklichste! Als sein sterbender, sehr reicher Vater von dem jammernden Sohne die Erfuͤllung des einzigen Wunsches, ihn vor seinem Ende verheurathet zu sehen, mit Wehmuth heischte, da fuͤhrte der Gehorsame ein sehr armes, aber schoͤnes und tugendhaftes Maͤdchen vor sein Sterbe- bette. Nur wenige Stunden hatte der Alte noch zu leben, sie waren ihm zu wichtig, um sie zur Untersuchung des Stammbaums der Braut zu verwenden, er segnete die Verlob- ten, und genoß in der lezten Stunde seines Lebens die Freude, seinen einzigen Sohn ver- heurathet zu sehen. Der zahlreiche Adel der ganzen grossen Hauptstadt staunte uͤber diese seltne und schnel- le Heurath. Viele Muͤtter hatten bisher Ur- sache, zu hoffen, daß der ahnen- und geld- reiche Graf eine ihrer Toͤchter zur Gemahlin waͤhlen wuͤrde, viele Vaͤter glaubten mit Zu- versicht, daß er den Glanz ihrer zahlreichen Ahnen erkennen, und die durch ihre Ver- schwendung arm gemachte Tochter wieder reich und gluͤcklich machen wuͤrde. Aller Aussichten waren nun vernichtet und verschwunden, ein unbekanntes, armes Maͤdchen, das nie in einer Assemblee erschienen war, war Graͤfin geworden, konnte nun alle an Glanz und Pracht verdunkeln! Man achtete damals noch streng auf Eti- kette und Ahnenprobe, der zanksuͤchtige Neid wuͤrkte noch staͤrker, als diese Achtung, alle Damen beschlossen daher, daß keine unter al- len, nach damaliger Sitte und Gewohnheit, die junge Graͤfin in irgend einer Gesellschaft auffuͤhren wolle, wenn ihr Gatte nicht vorher im Zirkel der Maͤnner deutlich und klar erwie- sen haͤtte, daß sie vom aͤchten Adel abstamme, und apartementmaͤssig sei. Sie kannten die Gesinnungen des Grafen aus Erfahrung, sie wußten, daß er sich oft schon uͤber den Stolz des Adels lustig gemacht hatte, sie hoften, daß er aus dieser Ursache, wenn er es auch vermoͤge, die Probe nicht leisten wuͤrde, und wollten sich dann herrlich an ihm raͤchen. Graf L— war erst acht und zwanzig Jahr alt, als er sich vermaͤhlte, sein grosser Reich- thum berechtigte ihn, frei und unabhaͤngig auf seinen schoͤnen Landguͤtern zu leben, aber sein thaͤtiger Geist verachtete Muͤssiggang und laͤ- stige Ruhe, schon im achtzehnten Jahre seines Alters trat er in die Dienste seines Monar- chen, stieg durch Verdienst, nicht durch Fuͤr- sprache, immer hoͤher, und ward nach zwei Monaten, nach dem Tode seines Vaters, zum Praͤsidenten der Landesregierung ernannt. Er hatte bisher mit seiner ihn aͤusserst liebenden Gattin in stiller, haͤußlicher Ruhe gelebt, er war der Trauer wegen mit ihr an keinem oͤf- fentlichen Orte erschienen, und wuͤrde wahr- scheinlich nie dort erschienen seyn, wenn ihm sein neues Amt nicht neue Pflichten auferlegt haͤtte. Er empfing als Praͤsident vom Mo- narchen sogenannte Tafelgelder, mußte dafuͤr taͤglich an gewissen Tagen eine oͤffentliche Tafel geben, und — wahrscheinlich im Namen des Monarchen — den hoͤhern Adel bewirthen. Ehe ein Monat verfloß, erschien einer dieser Tage, Tage, er sandte die gewoͤhnlichen Einladungs- billets umher, und staunte, als er eben so viele Entschuldigungen zuruͤck erhielt. Er glaubte die Ursache zu errathen, und ging am andern Morgen zum Monarchen. Mein Fuͤrst, sprach er im offnen Tone, ich bitte, mir die Tafelgelder nicht mehr auszahlen zu lassen, denn ich kann sie nicht benutzen, man hat mir alle meine Einladungsbillets mit leeren Ent- schuldigungen zuruͤckgesendet. Fuͤrst . Zuruͤckgesendet? Aus welcher Ur- sache? Graf . Ausdruͤcklich vermag ich sie nicht anzugeben, aber hoͤchst wahrscheinlich ist's diese, daß ich ein armes Maͤdchen heurathete, daß ich nur ihre Tugend, ihre vortrefliche Den- kungsart bewunderte, und aus Bewunderung uͤber diese seltnen Vorzuͤge zu fragen vergaß: Ob sie auch einen gemahlten, mit sechszehn Biogr. d. W. 4r Bd. E Namen beschriebnen Baum von ihrem Vater geerbt habe? Fuͤrst . ( laͤchelnd ) So ist's also wuͤrk- lich wahr, was man bisher nur im Geheim munkelte, daß der Graf L—, einer der ange- sehensten Kavaliere meines Landes, eine Buͤr- gerliche geheurathet habe? Graf . ( mit warmer Empfindung ) Der Adel ihrer Seele ist noch groͤsser, als die Schoͤnheit ihres Koͤrpers! Ich sehe also gar nicht ein, was fuͤr ein Unterschied zwi- schen ihr und andern Damen statt finden koͤn- ne, da sie des Grafen L—s, des fuͤrstlichen Praͤsidentens Gattin ist. Fuͤrst . Sie sprechen mit Waͤrme. Graf . Und ich glaube, auch mit Wahr- heit. Fuͤrst . Wer war der Vater ihrer Gat- tin? Graf . Er nennte sich —, stand als Hauptmann im Dienste des Koͤnigs von —, und starb auf dem Schlachtfelde zu L—. Fuͤrst . Eine kurze, aber ehrenvolle Bio- graphie. Graf . Wuͤrklich ruhmvoller, als die Le- bensgeschichte manches Domherrn, manches deutschen Ritters mit zwei und dreisig doku- mentirten und stiftsmaͤßigen Ahnen. Fuͤrst. (lachend) Lieber Graf, sie sind ein Sonderling, aber ich habe Sonderlinge die- ser Art gerne zu Praͤsidenten, weil sie nur auf Verdienst, nicht auf Geburt und Zufall se- hen. E 2 Graf . Diese Antwort machte Euer Durch- laucht zum Fuͤrsten, wenn sie es nicht schon waͤren. Fuͤrst . Ich danke, lieber Graf, und nehm's nicht als Schmeichelei, sondern als reine Empfindung ihrer Wahrheitsliebe. Aber, was werden wir nun machen? Die Tafel muß doch wie gewoͤhnlich gegeben werden. Graf . ( laͤchelnd ) Ohne Gaͤste? Fuͤrst . O diese werden nicht ausbleiben! Doch warten sie — — Ich will die Sache an- ders ordnen! Ich werde die Tafel selbst ge- ben, meine Einladungsbillets wird wohl nie- mand mit Entschuldigung zuruͤcksenden? Graf . O ganz gewiß nicht. Fuͤrst . Also auch sie nicht, denn sie muͤs- sen nebst ihrer mir izt noch unbekannten Ge- mahlin mein Gast seyn. Graf . Wenn ich mich nicht abermals hoch an der Etikette versuͤndigte. Mein Weib be- trauerte bis izt mit mir den Verlust eines ge- liebten Vaters, der kurz vor seinem lezten Augenblicke ihre Hand in die meinige legte, und unsre Verbindung kraͤftig segnete. Sie ist bei unsrer durchlauchtigsten Fuͤrstin noch nicht vorgestellt worden, sie darf also ohnedies bei Hofe nicht erscheinen, wenn nicht uͤberdies noch — — Fuͤrst . O ich weiß, was sie sagen wollen! Das alles entschuldigt sie nicht, ich werde mit meiner Fuͤrstin sprechen, und sie erscheinen mit ihrer Gattin am bestimmten Tage um zwoͤlf Uhr im Kabinete der Fuͤrstin. Keine Ausrede findet statt! Sie muͤssen erscheinen! Graf . Wenn Euer Durchlaucht ausdruͤck- lich befehlen! Fuͤrst . Ja, ich befehle es! Bis dahin leben sie recht wohl! Der Graf ging, und machte seiner Gattin den Befehl des Fuͤrsten kund, er war ihr laͤstig, denn sie liebte Einsamkeit und Ruhe, und fuͤrchtete Hohn und Verachtung der hoffaͤrtigen Damen, doch fuͤgte sie sich dem Willen des Gatten, dem Befehle des Fuͤrsten. Indeß dieß alles geschah, war in allen Gesellschaften und Assembleen das Gespraͤch uͤber die leere Ta- fel des Praͤsidenten in der Tagesordnung. Je- der Wizling, und dieß will ja stets jeder junge Kavalier seyn, erschoͤpfte sich an lustigen Ein- faͤllen. Alles lachte, wenn sie sprachen, sogar die aͤltesten Damen billigten vom ganzen Her- zen die Rache, welche man an dem Praͤsidenten uͤbte, weil sonst das uͤble Beispiel leicht Fol- gen nach sich ziehen, und mancher unerfahrne Junker das buͤrgerliche, reizende Gesicht schoͤ- ner, als das ahnen- aber auch fleckeureiche Gesicht einer stiftsmaͤßigen Fraͤulein finden, und so die Zahl der schreckensvollen Meßallianzen vermeh- ren koͤnne. Der Rachetriumph mehrte sich um ein großes, als allen am andern Tage kund ward, daß der Fuͤrst aus wichtigen Gruͤnden bewogen worden sey, die Tafel, welche sonst der Praͤsi- dent in seinem Namen geben mußte, selbst zu geben, und aus dieser Ursache wuͤrklich schon die Einladung gemacht hatte. Seht ihr nun die Folgen der schrecklichen Meßallianz! sprachen die Alten, und blickten mit warnendem Auge ihre Soͤhne an, die dann und wann nach einem Buͤrgerhause schlichen, und die haͤußliche Ruhe und Gluͤckseligkeit desselben zu zerstoͤhren suchten. Stolzer und freier blickten die ahnenreichen Fraͤulein umher, und dankten ingeheim Gott, daß er sie in einem Stande auf die Welt sezte, der appartement- maͤßige Tafeln geben, Heiducken halten, und bei oͤffentlichen Aufzuͤgen mit sechs Pferden fah- ren konnte. Gebt acht, riefen die alten Raͤthe aus; welche unter dem Vorsitze des jungen Praͤsiden- ten fleissiger im Rathe erscheinen, und thaͤtiger arbeiten mußten, er verliert naͤchster Tage sei- ne Praͤsidentenstelle! Nichts gewissers als die- ses, antworteten die Damen, da er seine vor- nehmste Pflicht nicht erfuͤllen, nicht Tafel ge- ben kann, bei welcher wir ohne Kraͤnkung unse- rer Ehre erscheinen koͤnnen. Der arme, durch die unseligen buͤrgerlichen Reize verfuͤhrte Graf wirds am Ende bereuen, wenn er verach- tet und verlassen von allen aufs Land ziehen, und dort in unertraͤglicher Langenweile, in Ge- sellschaft roher Bauern seine jungen Tage ver- leben muß. Die Rache ist schrecklich, aber er hat sie verdient, sein kuͤhner Schritt beleidigte die Gesezze der Natur, die ausdruͤcklich gebieten, daß sich gleich und gleich verbinden soll, die Fol- gen koͤnnen nicht ausbleiben! Ich ende das Geschwaͤz des stolzen Un- sinns, ich eile zu wichtigern, und schoͤnern Be- gebenheiten: Der Graf erschien zur bestimmten Zeit mit seiner schoͤnen Gattin im Kabinete der Fuͤrstin. Sie war gnaͤdig und gut, sie liebte ihren Fuͤrsten mit Leidenschaft und Waͤrme, er hatte es ausdruͤcklich gefordert, und die Fuͤr- stin eilte mit offnen Armen der jungen Graͤfin entgegen. Sie mußte Plaz an ihrer Toilette nehmen, die bescheidne Art, mit welcher sie das unerwartete Gluͤck annahm, und zu verdienen suchte, die Richtigkeit, mit welcher sie sprach, die Waͤrme, mit welcher sie im Gespraͤche je- de Wahrheit vertheidigte, die vielen Kennt- nisse, welche sie in ihrem Gespraͤche verrieth, erwarben ihr bald die wuͤrkliche Achtung und Freundschaft der Fuͤrstin. Gute Seelen finden sich bald, und wissen sich noch schneller zu schaͤtzen. Der Dank der Fuͤrstin war daher aufrichtig, als endlich der Fuͤrst ins Kabinet trat, und laͤchelnd fragte: Wie ihr die neue Gesellschaft behage? Sie ist meine Freundin worden, antwortete die Fuͤrstin, und ich hof- fe noch manche angenehme Stunden in ihrer Gesellschaft zu genuͤßen. Die Wahl macht also ihrem Herzen und Verstande gleich große Ehre, sprach der Fuͤrst mit vergnuͤgtem Blicke zum Grafen, reichte der Graͤfin den Arm, und ging voran, um sie nach dem Speisesaal zu fuͤhren; die Fuͤrstin folgte am Arme des Gra- fen. Der ganze hohe Adel der Hauptstadt war im Speisesaale versammlet, die Thuͤren oͤfue- ten sich, und manches Gesicht bleichte, ver- zog sich in maͤchtige Falten, als es die ver- haßte Buͤrgerin am Arme des Fuͤrsten erblickte. Viele kannten sie noch nicht, ehe sie aber for- schen und fragen konnten: Wer die fremde Dame sey? Ergriff die Fuͤrstin die Hand der Graͤfin, und fuͤhrte sie bei allen Damen des Hofs mit der Bemerkung auf, daß dies die wuͤrdige Gemahlin des Herrn Praͤsidenten Gra- fen von L— sey, und daß sie sich gluͤcklich schaͤtze, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Es war des Mitleids wuͤrdig, wie die staunenden Damen ihre Fassung zu erhalten suchten, nicht freundlich seyn wollten, und doch freundlich seyn mußten. Der Fuͤrst sah zu, und laͤchelte. Man nahm Platz an der Tafel, die Graͤfin sas an der Seite des Fuͤr- sten, der Graf neben der Fuͤrstin. Alles schwieg, nur diese sprachen, und die Graͤfin, welche izt ihren innern Werth zu fuͤhlen be- gann, zeichnete sich bald auf eine aͤusserst vor- theilhafte Art aus. Jeder der Tafelnden such- te sich nun in sein Schicksal zu fuͤgen, die Wunde, welche der Stolz eines jeden empfing, war groß und fuͤhlbar, aber man eilte auch, sie eben so geschwind, als sie fuͤhlbar wurde, zu verbinden und zu verheelen. Viele der anwesenden Kavaliere stammle- ten der neuen Graͤfin nach aufgehobner Tafel ihre Verehrung, und manche Dame stahl sich hin zu ihr, und ihr ingeheim zufluͤstern zu koͤnnen, daß sie sich gluͤcklich schaͤtzen wuͤrde, wenn sie sich bald ihres Besuches erfreuen koͤnnte. Als man noch an der Tafel saß, sprach der Fuͤrst mit einmal: Apropos! lie- ber Praͤsident, eben faͤllt mirs bey, daß ich sie heute des Vergnuͤgens beraubte, den groͤß- ten Theil meiner angenehmen Gesellschaft in meinem Namen zu bewirthen, ich kann und will sie dieser Pflicht nicht entbinden. Bestim- men sie also, da wir alle beisammen sind, deu Tag, an welchem sie solche erfuͤllen wollen. Der Graf . Ich uͤberlasse die Bestim- mung Euer Durchlaucht. Fuͤrst . So sey's der kuͤnftige Montag, weil an diesem eben meine Frau ihren Geburts- tag feiert, ich hoffe, daß sie mich und sie auch laden werden, wir werden willig erschei- nen, und diesen schoͤnen Tag in ihrer Gesell- schaft gewiß recht angenehm zubringen. Die Wahl der uͤbrigen Gesellschaft uͤberlasse ich ih- nen, und bin dann gewiß, daß sie nur ihre und meine Freunde waͤhlen werden! Diese Donnerworte wuͤrkten maͤchtig, je- der wuͤnschte herzlich an der Tafel Theil zu nehmen, um fuͤr einen Freund des Fuͤrsten geachtet zu werden, daher kams, daß sich die Verachtung in so schnelle Verehrung verwandel- te, daß man izt mit groͤßter Begierde die Freundschaft des Grafen und seiner Gattin suchte. Beide waren großmuͤthig genug, nicht Gegenrache zu uͤben, sie genossen den verdienten Triumph im Stillen, und kamen jeden, der sich ihnen nahte, mit Freundlich- keit entgegen. Jeder, welcher geladen zu werden wuͤnschte, wurde geladen, und dies verpflichtete wenigstens alle zur aͤußerlichen Hochachtung, zum innerlichen Danke. Fuͤrst und Fuͤrstin bemuͤhten sich, am be- stimmten Tage die Graͤfin aufs neue unter al- len Damen auszuzeichnen, und diese Bemuͤ- hung war die Ursache, daß man ganz zu ver- gessen schien: Wer sie einst war? nur darauf achtetete: Was sie izt sey? Der Graf genoß als Praͤsident das volle Zutraun seines Fuͤrsten, seine Tafel ward immer zahlreich besucht, und die Graͤfin erschien nun, ohne aufgefuͤhrt zu werden, an allen oͤffentlichen Oertern, und in allen Gesellschaften bei Hofe, wurde uͤberall hoch geschaͤzt und geehrt, weil die Fuͤrstin sie als Freundin liebte. Freilich wurde im gehei- men, vertrauten Zirkel noch oft der Name der guten Graͤfin eitel genannt, und bitter uͤber das allzu leutselige Betragen des fuͤrstlichen Paars glossirt! Freilich gabs noch viele hoch- adliche Herren und Damen, welche diese Hand- lung als eine Verlezzung der theuer beeideten Landesverfassung, als einen Eingriff in die Rechte des Adels, als einen despotischen Machtspruch schilderten, aber alle kamen doch darinne uͤberein, daß man dem reissenden Strome nicht widerstehen koͤnne, und auf ge- legnere Zeit harren muͤsse, bis man diese un- verdiente, hoͤchst kraͤnkende Demuͤthigung raͤ- chen koͤnne. Es verflossen acht lange Jahre, und die so oft gewuͤnschte, so sehnlich erwartete Gele- genheit zur Rache erschien nicht. Immer mehrte sich das Vertrauen des Fuͤrsten gegen den Grafen, die Freundschaft der Fuͤrstin ge- gen die Graͤfin. Man hatte geduldig zusehen muͤssen, wie der Fuͤrst zwei der unadlichen Bastarden, mit welchen die Graͤfin ihren Gat- ten erfreute, auf eigner Hand zur Taufe trug, und sie durch seinen Namen hoch adelte. Man haͤtte gerne den Ruf der Graͤfin durch den Ver- dacht befleckt, daß der Fuͤrst seine Ursachen zu dieser so auszeichnenden Handlung haben muͤsse, wenn nur er oder die Graͤfin irgend einen moͤg- lichen Scheingrund zu dieser Vermuthung gelie- fert, die leztere nicht selbst durch ihre ausser- ordentliche, uͤberall hervorleuchtende Liebe gegen ihren Gatten derselben geradezu wider- sprochen haͤtte. — — Kurz zu seyn: Man be- muͤhte sich wuͤrklich schon, das eingebildete, geduldete Unrecht zu vergessen, als mit einmal die so sehnlich erwartete Gelegenheit zu nahen schien, die schlafende Rache weckte, und die Kaͤmpfer zum allgemeinen Kampfe vereinte. Ein fremder Kavalier erschien um diese Zeit bei Hofe, er und seine wuͤrklich sehr schoͤne und und reizende Schwester suchten bei dem Fuͤrsten die Wohlthat zu erlangen, einen in einer rei- chen Erbschaft nach aller Form Rechtens ver- lohrnen Prozeß wieder zu erneuern, und durch groͤssere, neue Beweise zu ihrem Vortheile zu lenken. Der Fuͤrst begegnete in jeder oͤffent- lichen Gesellschaft dem fremden Kavalier, noch mehr aber seiner schoͤnen Schwester mit beson- derer Achtung, und gab endlich, ungeachtet der Praͤsident es wiederrieth, und die neuen Beweise als geringfuͤgig verwarf, die ausdruͤck- liche Erlaubniß, daß der Prozeß vom Neuen beginnen, und die voͤllige Entscheidung ihm selbst vorbehalten sein solle. Schon diese sonst ganz ungewoͤhnliche Ent- scheidung des Fuͤrsten gab Ursache zum Nach- denken, dies vermehrte sich noch weit staͤrker, als man deutlich gewahrte, daß der Fremde samt seiner Schwester sehr grossen Aufwand mache, da es doch allgemein bekannt war, daß Biogr. d. W. 4r Bd. F beide wirklich sehr arm waͤren, nur von der Hofnung des neuen, unsichern Prozesses lebten. Man spuͤrte eifrig der Quelle des so unerwar- teten Aufwands nach, und eilte, als man sie entdeckt zu haben glaubte, mit groͤßter Be- gierde zur anscheinenden Favoritin, um theils aus ihrer Bekantschaft kuͤnftigen Nutzen zu zie- hen, theils aber auch Gelegenheit zu finden, sich durch diesen so maͤchtigen Kanal an dem Praͤsidenten und seiner Gattin nachdruͤcklich zu raͤchen. Die fremde Dame schien ganz in das Komplot einzustimmen, weil sie auf der wei- ten, grossen Erde bisher nichts auszeichnendes und kein anderes Eigenthum als ihren ahnen- reichen Adelsbrief besessen hatte, diesen einzigen Reichthum daher uͤber alles schaͤtzte, und bei jeder Gelegenheit von ihren glorreichen Vor- fahren sprach. Als die Fremde sich lange genug mit Be- weisen erschoͤpft hatte, daß der Adel ihres Vaterlauds so etwas nicht dulden wuͤrde, als sie mit vielem Witze beigefuͤgt hatte, daß man nun wohl die Ursache einsehen koͤnne: Warum der Praͤsident einer so uralten, ansehnlichen Familie die reiche Erbschaft ab, und einer weit geringern, weit ahnenaͤrmern Familie zuge- sprochen habe? trat ihr Bruder in den zahl- reichen Zirkel, welcher sich um sie versammelt hatte. Aber sagt mir nur, sprach er im bra- marbasirenden Tone, ihr Herrn und Damen insgesamt: Ob denn keiner unter euch allen den edlen Stolz besaß, diese grosse Beleidi- gung zu ahnden und zu raͤchen. Einige . Sollten, konnten wir gegen den Willen des Fuͤrsten handeln? Der Fremde . Nicht gegen diesen, son- dern gegen das Buͤrgermaͤdchen, welches sich so gewaltsam in eure geschloßnen Gesellschaf- ten eindraͤngt, und jeden ehrliebenden Aus- F 2 laͤnder verhindert, daran Theil zu nehmen. Haͤtte ich von der abscheulichen Meßallianz nur ein Wort erfahren, ich haͤtte an des Praͤsi- denten Tische nie einen Bissen gegessen, in sei- nem Hause keine Karte angeruͤhrt. Wo Ge- walt nichts vermag, da muß List siegen! Waͤre ich ein Mitglied eures Bundes, schon laͤngst haͤtte die Buͤrgerliche aus der Gesellschaft wei- chen, und daheim es tief fuͤhlen muͤssen, daß man eine hohe Treppe nicht uͤberspringen, son- dern nur Stufenweisse ersteigen muß. ( Alle Anwesende zukten die Achseln .) War- tet, nur wartet, ich wills euch lehren, wie man in dergleichen Faͤllen handeln muß. Mor- gen ist Spiel bei Hofe, ists moͤglich, daß ich mich zum Tische der Frau Buͤrgerin draͤngen kann, so sollt ihr alle eure Freude erleben, wie ich blos durch Witz und treffende Anspie- lungen das stolze Ding demuͤthigen will. Ich wette, was ihr wollt, sie wird, sie muß es fuͤhlen, und sollte die buͤrgerliche Haut fuͤr feine Stiche nicht reitzbar genug sein, so wie- derholt man sie staͤrker, bis sie's fuͤhlt, und sich demuͤthiglich in ihr Schneckenhaus zuruͤck- zieht! Alles lachte, alles freute sich auf diese herrliche Szene, nur einige wenige gaben ab- sichtlich dem Fremden den wohlmeinenden Rath, zu uͤberlegen und zu bedenken, daß solch ein Scherz leicht die Ungnade des Fuͤrsten und der Fuͤrstin nach sich ziehen koͤnne, als aber der Fremde mit einem sehr bemerkbaren Seiten- blick auf seine Schwester versicherte, daß der Fuͤrst eines solchen Bagatells wegen, ihm seine Gnade nicht entziehen wuͤrde, und die Schwe- ster uͤberdies impertinent genug war, ihres Bruders Behauptung mit einem geheimnißvol- len Laͤcheln zu bestaͤtigen, so wußte man, was man wissen wollte, und war nun uͤberzeugt, daß die Rache gelingen wuͤrde. Aller Augen ruhten auf dem Fremden, als er am andern Tage sich kuͤhn zum Spiel- tische der Praͤsidentin draͤngte, und von der Gefaͤlligen sogleich die Erlaubniß erhielt, an ihrem Spiel Theil zu nehmen. Wider Ge- wohnheit wnrde an den benachbarten Tischen aͤusserst zerstreut gespielt, man sprach kein Wort, weil man gerne hoͤren wollte, wie der stolze Fremde sein Wort erfuͤllen wuͤrde. Das Tarokspiel war dazumal noch nicht in die Buͤr- ger- und Bierhaͤuser verbannt, man spielte es haͤufig bei Hofe, und die Praͤsidentin spielte es eben mit ihrer Gesellschaft. Nach einigen still durchspielten Parthien ereignete sich der Zufall, daß die Praͤsidentin eben eine s k isirte Kavallerie ansagte, als der Fremde eine wirk- liche und natuͤrliche besaß. Um Verzeihung, sprach dieser im laͤcheln- den Tone, als sie solche vorzeigte, diesmal muß mir ihr Bruder der Monsieur Skis den Vorzug goͤnnen, denn ich habe eine natuͤrli- che Kavallerie. Die Praͤsidentin. (im laͤchelnden, unschuldigen Tone) Seit welcher Zeit ist denn der Skis mein Bruder geworden? Der Fremde. (seine Karten ord- nend im hingeworfenen Tone) Seit acht Jahren Madam! Die Praͤsidentin . Wie so? Der Fremde. (im gleichen Tone fortsprechend) Der Monsieur Skis ist ein rechtkuͤhner Kerl, er mengt sich in alles, giebt sich izt eben fuͤr eine Dame aus, und ist doch weiter nichts als ein ganz gemeiner Geselle, den man nur im Nothfalle dazu brauchen kann. Es ist mir herzlich lieb, daß ich eben den Hoffaͤrtigen demuͤthigen, und ihm beweisen kann, daß eine wirkliche Dame weit mehr sei, als eine skisirte Dame. ( die Praͤsidentin anblickend ) Madam, sie spielen aus! Sie thats, ohne ein Wort zu sprechen. Ihre Wangen waren hoch geroͤthet, ihr nie- dergeschlagnes Auge ruhte auf den Karten. Dies vermehrte den Triumph der Anwesen- den, welche das Gespraͤch deutlich gehoͤrt hat- ten, und es nun mit stillem Hohngelaͤchter von einem Tische zum andern verbreiteten. Die Praͤsidentin spielte noch einige Zeit fort, end- lich endigte sie das Spiel unter einem Vor- wande fruͤher als gewoͤhnlich. Wie sie die gebrauchten und verlohrnen Marken gegen Geld auswechseln wollte, entfiel ihrer merkbar zit- ternden Hand ein Dukaten, sie buͤckte sich dar- nach, und suchte ihn unter dem Tische. Der Fremde, welcher aus Prahlsucht einen grossen Pack Bankuoten herausgezogen hatte, um seine kleine Spielschuld zu bezahlen, ergrif sogleich eine Banknote von hundert Thaler, drehte sie in Gegenwart vieler hinter ihm stehenden Kavaliers in die Gestalt eines Fidibus zusam- men, zuͤndete solche behende an der Wachs- kerze an, und leuchtete damit der ihren Du- katen suchenden Graͤfin. Alles schrie und lachte, man war sogar so kuͤhn, der Graͤfin am Ende den herrlichen Gedanken zu erzaͤhlen, und das Noble und Erhabne desselben zu loben. Die Praͤsidentin entfernte sich stillschwei- gend, und eilte nach Hause. Wie ihr Gatte, dem eine laͤngere Parthie am Spieltische gefes- selt hatte, auch heimkehrte, wischte sie die Thraͤnen aus ihren Augen, und ging ihm mit der gewoͤhnlichen Freundlichkeit entgegen. Du suchst mir, sprach dieser im ernsten Tone, vergebens deine Thraͤnen zu verbergen, sie fliessen gerecht, und mein ist die Pflicht, sie zu stillen, und den Schimpf zu raͤchen. Unge- achtet sich die Graͤfin alle Muͤhe gab, ihren Gatten zu besaͤnftigen und zu bewegen, daß er um ihrer willen nicht Zank und Streit suchen, nicht Genugthuung fordern moͤge, so bestand er doch hartnaͤckig auf lezterer, nur verschwieg er ihr die Art, wie er sie fordern wuͤrde. Wie der Tag anbrach, verließ er sein La- ger, auf welchem er die Nacht schlaflos durch- wacht hatte, und ging unter dem Vorwande, daß er wichtige Geschaͤfte habe, nach seinem Kabinete. Er schrieb einen Brief, und sandte den Kammerdiener damit fort, der erst nach einigen Stunden die Ruͤckantwort uͤberbrachte. Er las sie mit merkbarem Vergnuͤgen, blieb einige Zeit im Kabinete allein, und wollte eben seine Kinder besuchen, als ein Leibhusar des Fuͤrsten erschien, und ihn schnell nach Hofe berief. Der Fuͤrst empfing ihn mit ernstem Blicke. Sie haben, sprach er, den fremden Grafen R— herausgefordert? Graf . Ja, Euer Durchlaucht! ( mit fe- stem Tone ) Ich kanns nicht laͤugnen! Fuͤrst . Er hat versprochen zu erscheinen? Graf . Ja, Euer Durchlaucht. Fuͤrst . Aber ich habe es ihm verboten, und verbiete es auch ihnen bei groͤßter Ungna- de, bei schaͤrfster Ahndung! Dem Fremden verdenke ich es nicht, daß ers zusagte, wie man ihn forderte, aber ihnen — ihnen muß ichs doppelt verdenken. Kennen sie die Gesetze mei- nes Landes nicht? Ich wuͤrde es nicht wagen, den Chef und Vertheidiger derselben auf diese Art zu fragen, wenn er es nicht selbst gestan- den haͤtte, daß er sie mit so festem Vorsatze verletzen wolle. Nur ihr unbedingter Gehor- sam kann die That vergessen machen, sonst muͤßte ich sie ahnden und raͤchen. Graf . Euer Durchlaucht haben recht, ich fuͤhls, daß ich die Wuͤrde meines Amtes kraͤnk- te, und mich dessen ganz unwuͤrdig machte. Ich bitte daher Euer Durchlaucht unterthaͤ- nigst, mich meines Amtes zu entlassen. Fuͤrst . ( zornig ) Ist das ihre ernstli- che Bitte? Graf . Noch nie bat ich so dringend, so ernstlich! Fuͤrst . Sie sei ihnen gewaͤhrt. Graf . Ich danke innigst und demuͤthigst. Fuͤrst . Aber glauben sie nicht etwan, daß diese stolze Entsagung meines Dienstes sie berechtigt, nur den Gedanken eines Duelles auszufuͤhren. Ich untersage es ihnen aufs neue, und versichere sie auf Wort und Ehre, daß ich ernste Maasregeln ergreifen, daß ich sie zeitlebens auf eine Festung setzen wuͤrde, wenn sie nur Mine machen wuͤrden, mein stren- ges Verbot zu uͤbertreten. Graf . Ah, das ist hart! Ah, das hat der rastlose Eifer im Dienste meines Fuͤrsten nicht verdient! Fuͤrst . Ich spreche izt nicht mit dem wuͤr- digen Praͤsidenten meines Landes, sondern mit dem Kuͤhnen, der meine Gesetze mit Fuͤssen tre- ten will. Als dieser muß es ihnen angenehm seyn, wenn der Fuͤrst nur warnt, wenn er stra- fen koͤnnte. Was hat ihnen denn der Graf ge- than, daß sie zu einer so verwegnen Rache schreiten wollen? Graf . Er hat meine Gattin beleidigt. Fuͤrst . Wer weiß — — Graf . Er hat meine Gattin tief belei- digt. Fuͤrst . So wie ich von allen gegenwaͤrti- gen Zeugen, denen ich glauben kann und glau- ben muß, erfahren habe, so wars mehr Be- gierde, durch Witz zu glaͤnzen, als eigentliche Absicht, ihre Gattin zu beleidigen. Schon aus dieser Ruͤcksicht verdient die ganze Sache Ver- gessenheit, die ich ihnen dringend anempfehle. Graf . So etwas kann, darf ich nicht ver- gessen. Meine Ehre erlaubt es nicht. Fuͤrst . Ein wahres Vorurtheil! Graf . Sei's ein Vorurtheil, aber die Welt achtet einmal darauf, und ich will nicht der einzige seyn, der's zu vernichten wagt. Fuͤrst . Sie sind ein Sonderling! Ver- zeihen sie, daß ich es sagen muß, sie sind ein Undankbarer! Sie haben sich kuͤhn uͤber ein weit staͤrkeres Vorurtheil hinweggesezt, als sie heuratheten; es kostete mir Muͤhe und Arbeit, ihren Schritt zu vertheidigen, und izt, da ich ein billiges Vergeltungsrecht, die Ueberwin- dung eines weit kleinern und obendrein straͤf- lichen Vorurtheils fordere, bestehen sie auf ih- rem Vorsatze. Graf . Darf ich mich entfernen? Fuͤrst . Nein! sie muͤssen mich weiter hoͤ- ren. Graf . Der Fuͤrst spreche, der treue Un- terthan hoͤrt. Fuͤrst . Ich erwarte dies. Koͤnnen sie es dem fremden Grafen wohl verdenken, wenn auch er auf sein Vorurtheil stolz ist, und es zu vertheidigen sucht? Graf . O ich verdenke es ihm gar nicht, und hoffe gleiche Billigkeit von ihm. Fuͤrst . Sie wandeln wieder auf einem verbotnen Schleichwege. Graf . Euer Durchlaucht zwangen mich dazu. Fuͤrst . ( mit Guͤte ) Ich will sie auf die grade Strasse zuruͤckfuͤhren, will vergeben und vergessen, will selbst Gelegenheit zur Versoͤh- uung machen. Werden sie solche ausschlagen? Graf . Nein! Wenn Graf R— in eben der zahlreichen Gesellschaft, in welcher er meine Gattin beleidigte, mich und sie oͤffentlich um Vergebung bittet. — — Fuͤrst . O sie verlangen Unmoͤglichkeiten! Graf . Graf . Eine sehr leichte Moͤglichkeit, wenn ihm anders sein Leben nicht gleichguͤltig ist. Fuͤrst . ( sehr zornig ) Genug und uͤbergenug! Binnen einer Stunde werden sie die Residenz verlassen, ihre Frau wird ihnen in so viel Tagen folgen. Sie werden nie da, wo ich bin, nie mehr vor meinem Angesicht erschei- nen! Gehen sie, und wenn ihnen Reue anwan- delt, so bedenken sie, daß sie diese Strafe durch ihre Hartnaͤckigkeit verdienten. Graf . Ich danke! Ich danke! Darf ich mich izt entfernen? Fuͤrst . Gehen sie! Gehen sie auf im- mer! Der Graf ging. Unterdruͤckter, gehemm- ter Zorn und Begierde nach Rache leitete seine Biogr. d. W. 4r Bd. G Schritte, wurde Meister seiner Vernunft, wel- che die schrecklichen Folgen nicht mehr erwaͤgen konnte. Ohne eigentlichen Vorsatz, ohne es selbst zu wollen, trat er in die Wohnung des fremden Grafen, in dessen Zimmer sich eben eine zahlreiche Gesellschaft befand, welche ge- kommen war, ihm Gluͤckwuͤnsche uͤber seine heroische That, uͤber seinen glaͤnzenden Witz zu machen, und zu fernern Thaten anzufeuern. Eben schwur er hoch und theuer, daß er nicht rasten, nicht ruhen wuͤrde, bis er die buͤrger- liche Praͤsidentin aus allen Gesellschaften ver- draͤngt habe, als der Praͤsident ins Zimmer stuͤrmte. Der stolze Bramarbas erbleichte, und seine eben so niedrig denkenden Schmeich- ler zogen sich zuruͤck. Graf L—. Haben sie meinen Brief er- halten? Graf R—. Ich habe, ich habe auch geant- wortet, allein der Fuͤrst hat's ausdruͤcklich un- tersagt, und ich — — Graf L—. Und sie sind ein feigherziger Schurke, der wohl wehrlose Weiber beleidigen kann, aber dem Manne nicht Rede stehen will. Graf R—. Herr Graf! Herr Praͤsident! Graf L—. Sie haben meine Ausforde- rung absichtlich bekannt gemacht, damit der Fuͤrst sie erfahre und verhindere. Sie sind ein zaghafter Bube: Raͤchen sie diesen Schimpf, wenn sie Muth haben. Graf R—. ( zu den Gaͤsten ) Meine Herren, verhindern sie Ungluͤck — — Graf L—. Schurke! zieh! G 2 Er drang mit dem Degen auf ihn ein, Graf R— zog den seinigen, aber er vertheidigte sich nur schwach, furchtsam und ungeschickt, ehe die Anwesenden Muth faßten, die Streitenden zu hindern, sank Graf R— roͤchelnd zu Boden, ein Stich durch die Lunge raubte ihm in zwei Stunden das Leben. Niemand wagte es, den wuͤthenden Grafen L— anzuhalten, als er sich, wie Graf R— zu Boden sank, eilend ent- fernte. Wie das Blut aus der Wunde des Ermor- deten hervorstroͤmte, entfloh hohnlachend die gesaͤttigte Rache, Zorn und Wuth folgten, und uͤberliessen den Thaͤter der ruͤckkehrenden Vernunft. Diese rieth zur schnellen Flucht, er hatte, ehe er zum Fuͤrsten berufen wurde, zu satteln geboten, er erinnerte sich izt dieses Befehls, eilte nach Hause, schwang sich auf das bereitstehende Roß, und jagte unaufhalt- sam von dannen. Er liebte sein Weib aufs innigste, er war der zaͤrtlichste Vater seiner Kinder, aber Furcht, Angst und Reue erlaub- ten ihm nicht, beide noch einmal zu sehen u nd an sein Herz zu druͤcken, er war uͤberzeugt, daß er sich nicht von ihnen trennen koͤnnte, wenn er ihr Flehen hoͤrte; er wußte, daß der Rabenstein sein Todenbette werden muͤsse, wenn er bliebe; er eilte fort, um sich vor die- sem schmaͤhlichen Tod zu retten, und seinem Weibe groͤssern Jammer, seinen Kindern Schande zu ersparen. Erst nach zwei Stunden erfuhr der Fuͤrst die That und des Grafen R—s Tod mit ein- mal. Er wuͤthete und raßte, er schwur hoch und theuer, daß er beides streng raͤchen wuͤrde. Nicht allein Gerechtigkeitsliebe, sondern auch eine heftige Leidenschaft war die Urheberin die- ses Schwurs. Die Spaͤher seiner Handlungen hatten gut und weise geurtheilt; er liebte die fremde Graͤfin innig und zaͤrtlich, er suchte ihre Gegenliebe durch praͤchtige Geschenke, durch noch groͤssere Versprechungen zu gewin- nen. Sie nahm beides, aber sie widerstand, und fachte dadurch die Flamme noch heller an. Als er sich am Morgen nach ihrer Woh- nung schlich, durch neue Geschenke nur einen Kuß erbetteln wollte, trat ihr Bruder, der Graf R—, mit bleichem Angesichte ins Zim- mer, sprach heimlich mit ihr, und uͤbergab ihr das schreckbare Ausforderungsbillet des Grafen L—. Sie versprach den Furchtsamen Vermitt- lung, und er ging mit leichtem Herzen von dannen. Als er fort war, erzaͤhlte die Listige dem verliebten Fuͤrsten alles, versprach ihm sechs freiwillige Kuͤsse, ließ ihn noch mehrere hoffen, wenn er die Sache so vermittle, daß der Praͤsident schweigen muͤsse, und ihr Bru- der seines Scherzes wegen der Todesgefahr entrissen wuͤrde. Der Fuͤrst gab sein Wort, glaubte es durch die Entfernung des Praͤsidenten ganz erfuͤllt zu haben, und wollte eben wieder zur Graͤfin ei- len, um die Fruͤchte seiner Bemuͤhung zu ernd- ten, als ihm diese schreckliche Nachricht ward. Um seine Unschuld zu beweisen, um darzuthun, daß er sein Wort getreu erfuͤllte, und endlich die betruͤbte Schwester zu troͤsten, fuhr er zum er- stenmale oͤffentlich nach der Wohnung der Graͤfin. Sie weinte, als sie aber den Fuͤrsten erblickte, stock- ten ihre Thraͤnen, sie ergrif seine Hand, und fuͤhrte ihn stillschweigend nach dem Zimmer des Ermordeten. Dies war, sprach sie im furcht- baren Tone, mein Bruder, der Praͤsident war sein Moͤrder. Wenn dieser auf dem Raben- steine geblutet hat, wenn sein Weib sammt ihrer verfluchten Brut an fremden Thuͤren um Brod bettelt, dann. Fuͤrst, spreche ich wieder mit ihnen, dann bin ich ganz die Ihrige. Wenn aber der Ruchlose nicht blutet, wenn sein Weib und seine Kinder nicht betteln, so sei das Wort, welches ich mit ihnen ferner spreche, das lezte, welches mein Mund auszusprechen vermag. Ich schwoͤrs bei der Leiche des gelieb- ten Bruders, ich wills halten all mein Lebe- lang! Mit diesen Worten entschluͤpfte sie der Hand des Fuͤrsten, und war nicht mehr zu be- wegen, die Thuͤre ihres verschloßnen Kabinets zu oͤfnen. Der sonst so guͤtige, so menschenfreundliche Fuͤrst liebte innig, liebte aͤusserst heftig. Diese Leidenschaft, die zwar oft schmachtet, aber auch raßt und wuͤthet, wenn sie Widerstand findet, leitete izt seine Handlungen, die uͤberdies in Eile und Hitze ausgeuͤbt wurden. Noch saß die arme Gattin, unbekannt mit allen, in ihrem Zimmer, sah dem Spiele ihrer Kinder zu, als Abgesandte des Fuͤrsten eintraten, ihr ohne Schonung die rasche That ihres Gatten, und zugleich den strengen Befehl des Fuͤrsten be- kannt machten, daß sie das ganze Haus durch- suchen, den Thaͤter ohne Schonung arretiren, und in jedem Falle sein ganzes Haab und Ei- genthum versiegeln sollten. Die Arme zitterte und bebte, sie hatte kurz vorher geweint, weil der Graf so lange nicht heimkehrte, und sie seinen Vorsatz ahnde- te; izt bat sie innig Gott, daß er seine Schrit- te von ihr entfernen moͤge, und dankte ihm inbruͤnstig, als ihr ein treuer Diener, der ihre Sorge errieth, heimlich zufluͤsterte, daß der Graf schon zwei Stunden vorher auf seinem schnell- sten Reitpferde ausgeritten, und wahrscheinlich entflohen sei. Man untersuchte strenge, und erstattete, wie man ihn nicht fand, Bericht. Die Wuth des Fuͤrsten ward dadurch hoch ge- reizt, alle seine Husaren mußten aufsitzen, und mit Steckbriefen in der Hand das Land durch- jagen. Die Post hatte nicht Pferde genug, um alle Kuriere zu foͤrdern, welche mit den drin- gendsten Ersuchschreiben in die benachbarten Staaten abgesandt wurden, um den Moͤrder anzuhalten und auszuliefern. Alle Haͤuser der grossen Stadt waͤren streng durchsucht worden, wenn nicht Zeugen aufgetreten waͤren, und ausgesagt haͤtten, daß man den Grafen durchs Thor jagen sah. Ehe eine Stunde verfloß, erscholl in der ganzen Stadt die Nachricht, daß man den Ungluͤcklichen, welcher eine halbe Stunde vor der Stadt mit seinem Pferde stuͤrz- te, und sich den Fuß verrenkte, in einer Bau- ernhuͤtte, wo er sich verbergen wollte, ent- deckt und nach dem Gefaͤngnisse zuruͤckgefuͤhrt hatte. Schrecklich war diese Nachricht fuͤr seine Freunde, noch schrecklicher fuͤr seine Gattin, die nur deswegen aus einer Ohnmacht geweckt wurde, um in eine neue und staͤrkere sinken zu koͤnnen. Alle Buͤrger liebten den gerechten Praͤsidenten, viele vom Adel mußten ihn ver- ehren, und bemitleideten ihn izt wuͤrklich, da da es so weit mit ihm gekommen war. Trau- er und stiller Ernst war daher in der Stadt allgemein, nur der Fuͤrst, welcher doch ehe- mals sein Beschuͤtzer, sein Freund war, jubelte, als er seine Gefangenschaft vernahm, vergaß alles andere, und verließ die Tafel, an der er eben saß, um zur Schwester des Ermordeten zu eilen, und ihr den Erfolg seiner Bemuͤhung kund zu machen. Er ward wider Vermuthen vorgelassen. Im schwarzen Kleide, das ihre Schoͤnheit um vieles erhoͤhte, saß sie auf dem Sopha, hoͤrte seine Erzaͤhlungen stillschweigend an, schien zu laͤcheln, beantwortete aber keine seiner Fra- gen, und war nicht zu bewegen, nur ein Wort mit dem verliebten Fuͤrsten zu sprechen. Ob ich gleich nur ein Weib bin, schrieb sie, als er anhaltend flehte, auf ein Stuͤckchen Papier, so werde ich doch gleich dem staͤrksten Manne meinen Schwur halten und treu erfuͤllen. Mehr konnte der Fuͤrst nicht erhalten, er eilte mit dem festen Vorsatze fort, um diese Erfuͤl- lung nach Kraͤften zu befoͤrdern. Mit einer Eile, die ganz der heftigsten Rache, aber nicht der aͤchten Gerechtigkeits- liebe aͤhnlich sah, ward von ihm noch am nem- lichen Tage eine besondere Kommission nie- dergesezt, welche den ernsten Auftrag erhielt, die That des Ungluͤcklichen nach aller Strenge zu untersuchen, und wuͤrde sie wahr befun- den, das Todesurtheil und die Konfiska- zion seines ganzen Vermoͤgens sogleich auszu- sprechen. Alle Mitglieder dieser Kommission waren als Feinde und Neider des Grafen all- gemein bekannt, nur Vorsatz, nicht blosser Zufall konnte sie vereint haben, und da der Fuͤrst ausdruͤcklich erklaͤrt hatte, daß man nur die Wahrheit der That untersuchen, sich nicht an Formalien binden solle, so wars sehr leicht zu begreifen, wie die Kommission schon binnen drei Tagen dem Fuͤrsten nebst den ge- schloßnen Akten auch das Todesurtheil und den Befehl zur Vermoͤgenskonfiskazion vorlegen konnte. Der ungluͤckliche Graf hatte die Untersu- chung durch sein freiwilliges Gestaͤndniß sehr erleichtert, er appellirte an die Gnade seines Fuͤrsten, aber sie ward verweigert, und To- desurtheil und Befehl sogleich unterschrieben. Indeß der Fuͤrst zu seiner Geliebten eilte, um fuͤr diese Nachricht einen guͤnstigen Blick zu erndten, eilten die Kommissairs in das Haus der ungluͤcklichen Praͤsidentin. Hofnung, den Theuern zu retten, hatte sie aus ihren Ohn- machten geweckt, Begierde, sein Leben zu fri- sten, hatte sie durch diese angstvollen Tage aufrecht erhalten. Sie ließ unter dieser Zeit nichts unversucht, um ihren edlen Zweck zu erreichen; sie flehte bei dem Fuͤrsten um Au- dienz, er verweigerte sie strenge, sie suchte oft in seine Gemaͤcher zu dringen, aber die auf- merksame Wache vereitelte jede ihrer Bemuͤ- hungen, sie wollte zu ihrer Freundin, zur guͤtigen Fuͤrstin eilen, aber auch hier versagte ihr die Wache den Zutritt, und ob sie gleich taͤglich auf Gelegenheit lauerte, die Fuͤrstin auf einem ihrer gewoͤhnlichen Spaziergaͤnge zu sprechen, so ward ihr doch am Ende die traurige Nachricht, daß der Fuͤrst seiner Ge- mahlin sehr streng begegne, und jeden Spa- ziergang untersagt habe. Eben sah sie mit groͤßtem Verlangen einer Antwort auf einen Brief entgegen, den eine alte Kammerfrau, durch ihre Thraͤnen erweicht, der Fuͤrstin heimlich zu uͤbergeben, versprochen hatten, als die Kommissaͤre in ihr Zimmer traten, und der Ungluͤcklichen ohne Schonung bekannt machten, was der Fuͤrst kurz vorher unter- zeichnet hatte. Ihre Kraͤfte wichen, sie sank leblos zur Erde, aber Angst und nahende Verzweiflung riß sie wieder auf ihre Knie empor, sie streck- te ihre Arme fuͤrchterlich in die Hoͤhe, und flehte mit zitternden Lippen, mit stammeln- den Worten Gottes Allmacht und Barmher- zigkeit zu ihrer Rettung herab. Sie schiens nicht zu achten, nicht zu fuͤhlen, als man auch noch das Wenige, was man anfangs fuͤr ihr Eigenthum erkannte, mit Siegeln beleg- te, sie folgte willig, wie man ihr kund mach- te, daß sie ein Haus, welches auf fuͤrstlichen Befehl konfiszirt sey, verlassen muͤsse. Einer ihrer alten, aber auch treusten Diener, leitete sie nach seiner elenden Woh- nung, sie fuͤhrte ihre Kinder am Arme, und blickte mit starrem Auge zum Himmel empor. Eine Menge Volks folgte der Leidenden mit thraͤnendem Auge, mit geruͤhrtem Herzen. Schon waͤhnte der treue Diener, daß ihre Vernunft ein Raub des Jammers geworden sey, als sie nach einer langen Stunde aus ihrer Starrsucht erwachte, und ihn dringend bat, zur alten Kammerfrau der Fuͤrstin zu eilen, und anzufragen: Ob noch Hofnung fuͤr sie auf Erden gruͤne? Der Greis eilte fort, und kehrte athemlos mit einem Briefe zuruͤck, welchen er von der Kammerfrau er- halten hatte. Es war die einzige Hofnung, an der ihr Herz hing, die sie noch auf Erden erwarten konnte, sie grif sehnsuchtsvoll und hastig darnach, und las folgendes: „Erst izt, theure Freundin und Gefaͤhr- din des Jammers, fuͤhle ich mein eignes Un- gluͤck vollkommen, da es mich so deutlich uͤberzeugt, daß ich nicht einmal mehr faͤhig sey, anderer Thraͤnen zu stillen, da ich nur die meinigen mit den ihrigen vermischen kann. Schon ehe ihr Flehen zu meinen Ohren drang, und mein Herz schrecklich preßte, wagte ich es, es, den Fuͤrsten dringend zu bitten, Gnade fuͤr Recht ergehen zu lassen, den armen Wai- sen einen Vater, der jammernden Gattin ei- nen geliebten Gemahl zu erhalten, aber ich bat, ich flehte vergebens! Freundin! Es ist schrecklich, aber es ist eben so wahr! Ich ha- be die Liebe meines Gatten verlohren, eine andere fesselt sein Herz, und fuͤllt es mit Ra- che. Wie kann, wie soll der Uebersatte die Bitte seines Weibes hoͤren, wenn die Allge- liebte, die immer staͤrker reizende Schwester des Ermordeten unaufhoͤrlich nur blutige Ra- che heischt! Ich trage mein hartes Schicksal mit Geduld und Standhaftigkeit, kein Sterb- licher soll sich ruͤhmen, meine Thraͤnen zu se- hen, sollten sie in Zukunft mein empfindsames Auge zu hart pressen, so werden sie nur in Gegenwart des Allwissenden stroͤmen, der mein Leiden kennt, der entscheiden mag: Ob mir dort dafuͤr Lohn gebuͤhrt? Ich wuͤrde ih- nen gleichen Rath ertheilen, wenn ihr schreck- Biogr. d. W. 4r Bd. H liches Ungluͤck einer solchen Standhaftigkeit faͤ- hig waͤre! Ich blicke vergebens nach Rettung umher, ich sehe nur einen Weg, der dahin leitet. Es faͤllt meinem Stolze hart, sie darauf zu fuͤhren, aber es gilt das Wohl und Leben guter Menschen, und der Stolz muß weichen. Ein Wort der Schwester des Getoͤd- teten, welches nur einer Bitte aͤhnlich lautet, wird den Fuͤrsten zur Gnade bewegen. Sie ist ein Weib, sie muß auch ein Herz haben. Wird dies dem Flehen der Gattin, dem Wim- mern der unschuldigen Kinder widerstehen koͤnnen? Versuchen sie dies Mittel, vielleicht harrt die zur Rache gereizte Schwester auf die- sen Schritt, sie sind schuldig, ihn zu thun, da ihr ungluͤcklicher Gatte ihr wuͤrklich einen geliebten Bruder raubte, der wohl Strafe, aber nicht Tod verdiente. Lassen sie mir in jedem Falle die Wuͤrkung meines Raths durch den bekannten Kanal erfahren, damit ich — wenn allzugroßes Ungluͤck ihre Kraͤfte mindert, wenigstens den Trost genuͤße, fernere Huͤlfe zu suchen, wenn Huͤlfe noch moͤglich ist.“ Der Anfang dieses Briefs raubte dem Herzen der Leidenden allen Trost, das Ende desselben fuͤllte es mit neuem, auch sie hofte, daß ihr Flehen das Herz der Rachbegierigen erweichen, und zur Fuͤrbitte bewegen wuͤrde. Sie ergriff ihrer Kinder Hand, und eilte nach der Wohnung der Graͤfin. Ihr muͤßt flehen, ihr muͤßt fuͤr euern Vater bitten! sprach sie zu jenen, als sie diese betrat. Ein Bedien- ter, den ihre Thraͤnen ruͤhrten, fuͤhrte sie ins Vorgemach, und meldete sie. Ich will, ich mag die Frau des Moͤrders, die Urhebe- rin meiner Thraͤnen nicht sehen! erscholls durch die halbe ofne Thuͤre ins Ohr der Leiden- den. Haben sie Erbarmen mit der Ungluͤcklich- sten ihres Geschlechts! rief diese im verzweif- H 2 lungsvollen Tone aus, und drang ins Ge- mach der Graͤfin. Sie hatte im Gehen die Worte geordnet, mit welchen sie das Herz derselben erweichen wollte, izt hemmte die Groͤsse ihres Leidens die Organe der Sprache, sie stuͤrzte wimmernd zu den Fuͤßen der Graͤ- fin nieder, sie umklammerte ihre Knie, sie wollte sprechen, und vermochte es nicht. Die armen Kinder knieten hinter ihr, hoben ihre Haͤnde in die Hoͤhe, und weinten laut. Weg von mir, Schlange! Weg von mir! Nat- terbrut! schrie die Graͤfin, entriß sich den Haͤnden der Bittenden, und entschluͤpfte in ihr Kabinet, das sie fest hinter sich verrie- gelte. Einige Bedienten schleppten die Jam- mernde ins Vorgemach, und uͤberließen sie dort der Verzweiflung zum Raube. Bald hernach wankte sie heim, schrieb einige zit- ternde Zeilen an die Fuͤrstin, und wollte eben — was ihr bisher noch nie gelungen war — aufs neue versuchen: Ob sie nicht wenig- stens ihren ungluͤcklichen Gatten noch einmal sehen und sprechen koͤnne? als ein Kommis- saͤr des Fuͤrsten erschien, sie sammt ihren Kindern nach einem Wagen fuͤhrte, und mit ihr nach dem Rathhause fuhr, wo man ihr zwar auf seinen Befehl ein anstaͤndiges Zim- mer oͤfnete, aber auch zugleich kund machte, daß sie bis auf weitere Entscheidung eine Ge- fangne sey. Die rachsuͤchtige Graͤfin R — war die Ur- sache ihres neuen Kummers, diese Furie beobachtete noch immer in Gegenwart des Fuͤrsten ein strenges Stillschweigen, aber, wenn sie etwas von dem Verliebten erhalten wollte, so schrieb sie ihm, und war dann des Erfolgs gewiß. Der lezte ihrer Briefe, ent- hielt die Drohung, daß sie augenblicklich ab- reisen werde, wenn man die Frau des Moͤr- ders nicht hindere, sie ferner plagen zu koͤn- nen, und die Aermste wurde sogleich arretirt, um die Moͤglichkeit eines neuen Versuchs zu hindern. Hier duldete und schmachtete sie dem schrecklichen Tage entgegen, an welchem ihr Gatte auf dem Rabensteine bluten sollte. Sein Urtheil war unwiderruflich, man mach- te es ihm am Morgen des andern Tages kund, und er bereitete sich standhaft zum nahen To- de. Seine Miene war, oder schien wenig- stens heiter und ruhig, nur dann truͤbte sie sich, und einige Thraͤnen rollten unaufhalt- sam uͤber seine Wangen herab, als man ihm die schreckliche Nachricht brachte, daß seine lezte Bitte nicht erfuͤllt werden, daß er seine Gattin nicht mehr sehen und sprechen koͤnne. Also dort, wo keine Trennung mehr moͤglich ist! sprach er seufzend, und trat ans Fen- ster, um neue Kraͤfte zur Standhaftigkeit zu sammeln. Die zahlreichen Buͤrger der großen Resi- denzstadt liebten den gerechten Praͤsidenten, keiner hatte, gleich ihm, so willig einen je- den gehoͤrt, keiner so anhaltend die Sache des Unterdruͤckten vertheidigt, ihr Herz nahm da- her Antheil an seinem ungluͤcklichen Schicksale, sie versammelten sich und beschlossen einstim- mig, nach Hofe zu gehen, und den Fuͤrsten anzuflehen, daß er ihm wenigstens das Leben schenken moͤge. Aller Augen weinten, wie sie am andern Tage wuͤrklich in schwarzen Maͤn- teln und mit traurendem Blicke nach der Burg zogen, und Audienz forderten. Der Fuͤrst trat willig unter sie, er hoͤrte ihre Bitte ge- duldig an, aber er versicherte sie eben so stand- haft, daß er Gerechtigkeit in seinem Staate uͤben muͤsse, und denjenigen nicht begnadigen koͤnne, der seine Haͤnde in unschuldiges Blut getaucht, nach einstimmigen Beweisen vor- sezlich gemordet habe. Er blickte geruͤhrt um- her, er seufzte tief, als die ganze Menge mit einmal nieder kniete, und abermals Gnade! Gnade! rief, aber er faßte sich schnell, winkte den Knienden mit der Hand, und eilte in sein Zimmer. Viele nahmen diesen Wink als einen Be- weis der Erhoͤrung, aber mehrere meinten, daß den Ungluͤcklichen nur Gott retten koͤnne, und bei dem Fuͤrsten keine Gnade zu hoffen sey. Ihre Meinung ward durch die Folge be- staͤtigt; noch am nemlichen Tage wards all- gemein kund, daß der ungluͤckliche Graf am folgenden Morgen unwiderruflich auf dem Ra- bensteine bluten muͤsse. Jeder, der es hoͤrte, weihte ihm eine neue Thraͤne, und blickte dann betend zu Gott empor, damit sein To- deskampf kurz und standhaft seyn moͤge. Es war eben hoch im Sommer, schon um vier Uhr fruͤh ging die Sonne auf. Mit ihrem Aufgange versammelten sich auch die Soldaten, welche den Verurtheilten in zahl- reicher Menge aus dem Thurme, in welchem er saß, nach dem Richtplaze begleiten sollten. Tausende und Tausende, welche ihn noch se- hen und bemitleiden wollten, wurden nur mit Muͤhe vom Eingange abgehalten. Lange harrten alle, endlich erregte die Ankunft und schnelle Abfahrt einiger fuͤrstlichen Deputirten, deren verstoͤhrtes Gesicht ein Ungluͤck zu ver- kuͤndigen schien, die Aufmerksamkeit des Volks. Man fragte, forschte und erfuhrend- lich, daß der Verurtheilte in der verfloßnen Nacht samt dem Kerkermeister entflohen sey. Viele bezweifelten anfangs diese unerwartete, und ganz unmoͤglich scheinende Nachricht, als man aber gewahrte, daß abermals die Husa- ren Stadt und Land durchspaͤhten, Kuriere uͤber Kuriere abreisten, und einzelne Depn- tirte jedes verdaͤchtige Haus emsig durchsuchten, da begann man zu glauben, was man wuͤnsch- te, da vereinigten sich aller Herzen zum Gebete, daß der Ungluͤckliche schnell und sicher uͤber die Graͤnze entfliehen moͤge. Graf L — war wuͤrklich aus seinem Ge- faͤngnisse verschwunden. Um zehn Uhr Abends verließ ihn der Priester, weil er zu ruhen wuͤnschte. Kurz nachher entließ der Kerker- meister die Waͤchter mit der Versicherung, daß er allein bei dem schlafenden Grafen wa- chen, sie im noͤthigen Falle schon rufen werde. Sie gingen nach der Wachtstube, und ruhten dort bis an den Morgen. Als der Priester wieder erschien, fuͤhrten sie ihn hinauf, da aber die Thuͤre des Zimmers fest verschlossen war, und man vermuthete, daß er noch ru- he, so weilte der Priester im Gange, bis die Kommissaͤrs erschienen, welche den Ver- urtheilten nach dem Richtplaze begleiten soll- ten. Auf ihren Befehl ward an der Thuͤre geklopft, nach dem Kerkermeister gesand, und wie man ihn nirgends fand, die Thuͤre erbrochen. Alle Anwesende erstaunten, als man im Zimmer den Verurtheilten nirgends erblickte; Verrath und Flucht war nun er- wiesen, alles eilte fort, um den erstern zu entdecken, die letztern zu verhindern. Wie Engelsruf im schweren Todeskampfe, wie sanfter Floͤtenton im brausende Stur- me und Ungewitter drangs ins Ohr der lei- denden und betenden Gattin, als ein mit- leidiger Gerichtsdiener ihr die Nachricht zu- fluͤsterte, daß der Verurtheilte wirklich und wahrscheinlich auch gluͤcklich entflohen sei. Ueber- spannung der Kraͤfte, und Raub des Wahn- sinns war nahe, als dieser lindernde Trost ihr schmachtendes Herz erquikte. Sie wuͤrde die Stunde seines Todes wohl schwerlich, we- nigstens nur mit dem Verluste ihres Ver- standes uͤberlebt haben, izt konnte sie wieder hoffen, und Hoffnung ist das einzige Labsaal des Leidenden. Sie erregt Begierde nach laͤngerer Duldung im Herzen des Menschen, und wenn diese Begierde herrscht, da muß Verzweiflung und Wahnsinn weichen. Der Fuͤrst war hoch entruͤstet, als er diese unerwartete Nachricht hoͤrte. So nahe am Ziele, und nun mit einmal so entfernt davon zu sein, schien seinem liebenden Her- zen eine unertraͤgliche Pein. Er suchte und fand Linderung in dem Gedanken, daß er Verrath und Flucht ganz gewiß entdecken wuͤrde, aber seine Hofnung ward nicht erfuͤllt; alle Husaren, alle Kuriere, alle Spaͤher kehr- ten leer zuruͤck, keiner brachte nur die ge- ringste Spur, die auf Entdeckung leiten konnte, es blieb und schien erwiesen, daß der Flie- hende gluͤcklich entkommen sei, daß an seiner Befreiung niemand als der ungetreue Ker- kermeister Antheil nahm, und nun das Loos der Verbannung mit ihm theile. Anfangs bestand die rachsuͤchtige Graͤfin R — hartnaͤckig auf der Erfuͤllung ihres Ge- luͤbdes, als ihr aber der liebende Fuͤrst deut- lich bewies, daß er nicht allwissend sei, nicht strafen koͤnne, wenn der Verurtheilte entflo- hen sei, da berechnete die Eigennuͤtzige den Vortheil der Versoͤhnung, den Nachtheil der Rache, und fand, daß die Erstere die Letztere um vieles uͤberwiege. Sie heischte den Schwur des Fuͤrsten, daß er den entflohenen Thaͤter nie begnadigen; ihn, wenn er entdeckt wuͤrde, nach aller Strenge strafen wolle, der Fuͤrst leistete diesen Schwur, und bald wards am Hofe und in der Stadt bekannt, daß die Graͤ- fin R — die erklaͤrte Geliebte des Fuͤrsten sei. Als sie zum erstenmale wieder bei Hofe erschien, und jeder das Betragen der Fuͤr- stin gegen sie beobachtete, erstaunten alle, als diese sie aufs freundlichste empfing, und mit ihr anhaltend sprach. Die Großmuͤthige wollte gerne eine gute Handlung uͤben, und achtete den schweren Pfad nicht, der sie allein zum Ziele leiten konnte. Wie der Fuͤrst eben mit einem Minister sprach, fuͤhrte die Fuͤr- stin die Graͤfin ans Fenster. Ich weiß, sprach die Gute, daß ihnen der Fuͤrst Ersatz fuͤr das Leiden schuldig ist, welches sie durch den Ver- lust eines geliebten Bruders in seiner Resi- denz erdulden mußten. Sein Herz ist bieder und gut, es wird ihnen daher eine Bitte nicht abschlagen, die ich selbst nicht an ihn wa- gen wollte, weil er mit Recht befuͤrchten muͤßte, daß er sie durch Erfuͤllung derselben aufs neue kraͤnken wuͤrde. Wenn sie aber solche wagen, da faͤllt der gegruͤndete Ein- wurf weg, da ist die Erhoͤrung gewiß. Wol- len sies thun, wenn ich sie bitte — — Graͤfin . Euer Durchlaucht befeh- len — — Fuͤrstin . Nein, das vermag ich nicht! Aber es wuͤrde ihren Karakter in meinem Augen um ein grosses erhoͤhen, es wuͤrde den Lohn meiner Freundschaft nach sich zie- hen. Graͤfin . O um solch einen Gewinn unternehme ich alles! Fuͤrstin. (sanft laͤchelnd) So will ich dann sogleich versuchen: Ob ihre Ver- sicherung mehr als Schmeichelei war? Die Gattin des Grafen L — verzeihen sie, daß ich sie an diesen erinnern muß — schmachtet mit ihren Kindern noch immer im unver- dienten Gefaͤngnisse. Sie hatte keinen Theil an der That, die er uͤbte, und muß doch streng dafuͤr buͤssen, da man ihr Freiheit und Ver- moͤgen raubt. Ein Wort von ihnen wuͤrde ihr sicher beides wieder geben! Man will mich versichern, daß sie hoch geschworen haͤt- ten, nur dann versoͤhnt zu sein, wenn die unschuldige Frau samt ihren Kindern am Bet- telstabe umher wanken muͤsse. Ich kann mirs sehr leicht vorstellen, daß der wuͤthende Schmerz eines solchen Schwures faͤhig sei, aber ich kanns nicht glauben, daß er im Herzen des sanften Weibes Wurzel fassen, und Fruͤchte tragen sollte. ( ihre Hand fassend, und sanft druͤckend ) Nicht wahr, ich habe mich in meinem Glauben an ihre Großmuth nicht betrogen? Graͤfin. (mit hocherroͤthenden Wangen) Ich kanns nicht laͤugnen, daß ich diesen schrecklichen Schwur leistete, ich gestehe es auch eben so offenherzig, daß nur Euer Durchlaucht, (sehr bewegt) nur die Art, mit der sies fordern, mich bewegen kann, ihn zu brechen und zu vernichten. Ich will, ich werde eifrige Fuͤrbitterin werden, aber eins eins sei auch mir bedungen, und hoch ge- lobt — — Fuͤrstin . Fordern sie! Graͤfin . Daß Euer Durchlaucht mich nicht in einem aͤhnlichen Falle, auf eine aͤhn- liche Art zur Fuͤrbitterin waͤhlen; nicht for- dern, daß ich einst auch um Gnade fuͤr den Moͤrder flehen sollte. Und wuͤrde es mir ih- ren Zorn, ihre Verfolgung zuziehen, so fuͤhle ichs doch deutlich, daß ich dieser Ver- laͤugnung nicht faͤhig waͤre. Ich liebte mei- nen Bruder innig, moͤglich daß er den Gra- fen beleidigte, aber diese Beleidigung ver- diente doch keinen Mord. (weinend) Wenn ich mir sein schreckliches Ende denke, so ruft immer noch eine innere Stimme laut und anhaltend Rache uͤber den Thaͤter aus, ich wuͤnschte — — Biogr. d. W. 4r Bd. I Fuͤrstin. (Ihr ins Wort fallend) Ich verspreche es ihnen aufs heiligste, daß ich ihre Trauer uͤber den Verlust eines guten Bruders ehren, sie nie an seinen Moͤrder erinnern will. Ich weiß zu gut, daß er Strafe verdiente. Er entfloh dem Tode gluͤcklich, der Verlust seines Weibes, seiner Kinder, und seines ganzen Vermoͤgens ist zwar eine Strafe, die den Empfindsamen oft haͤrter als jener duͤnkt, aber er hat sie selbst gewaͤhlt, er mag sie auch tragen, ich werde nie fuͤr ihn bitten. Nur lege ich ihnen nochmals meine erste Bitte ans Herz. Graͤfin . Der Erfolg wirds lehren, daß ich eifrig zu bitten verstehe. Fuͤrstin. (Ihre Hand druͤckend) Dann koͤnnen sie auf meinen Dank — in je- dem Falle auf Wiedervergeltung sicher rech- nen. Am andern Tage erschien bei der gefang- nen Graͤfin ein Abgesandter des Fuͤrsten. Er machte ihr in seinem Namen kund, daß zwar nach den Gesetzen des Landes das ganze Ver- moͤgen eines vorsezlichen Duellanten der stren- gen Konfiskazion unterliege, jedoch diesmal Gnade fuͤr Recht ergehen solle, und daß der Fuͤrst ihr und ihren Kindern den Genuß des Vermoͤgens noch ferner gnaͤdig verleihen wolle, wenn sie sogleich die Residenzstadt verlasse, das Hoflager stets meide, und sich nicht durch ein neues Verbrechen dieser hoͤchsten Gnade verlustig mache. Die Trauernde dankte, und versprach den Befehl des gnaͤdigen Fuͤrsten streng zu erfuͤllen. Weil das Haus, welches sie bis- her bewohnt haben, fuhr der Abgesandte fort, und der schoͤne Garten, den sie in der Vor- stadt besassen, ihnen nichts mehr nuͤtzen kann, I 2 so behaͤlt sich der Fuͤrst beides nach den Ge- setzen bevor. Graͤfin . Sein Wille ist mein Gesetz, er belohne damit den wuͤrdigsten seiner Diener, und ich werde in meiner trauernden Einsam- keit Ruhe in den Gedanken finden, daß ein anderer mit Vergnuͤgen genießt, was ich so willig entbehre. Ehe der Abgesandte schied, berichtete er ihr, daß ihr Verhaft zwar in diesem Augen- blicke geendet habe, aber doch bis zu ihrer Abreise dauern muͤsse, weil der Fuͤrst aus- druͤcklich uͤberzeugt sein wolle, daß sie nicht nach Hofe komme, und auch niemanden durch einen Besuch in Verlegenheit setze. Jedoch stehe es ihr frei, nicht allein die Anstalten zu ihrer Abreise zu treffen, sondern auch ihre Diener zu berufen, um durch diese ihr Haus raͤumen und das noͤthige Gepaͤcke herbei schaf- fen zu lassen. Als die Graͤfin allein war, sank sie auf ihre Knie, und dankte Gott innig, daß er das Herz des Fuͤrsten zur Gnade gelenkt habe. Der dunkle Vorhang, der bisher jede Aus- sicht deckte, oͤfnete sich, sie blikte in die Zu- kunft, und sah im Hintergrunde ihren ent- flohenen Gatten zu den Fuͤssen des Fuͤrsten knien, wie er ihm fuͤr sein Leben dankte, und dann in die ofnen Arme der Gattin und Kin- der eilte. Wer kanns der Leidenden wohl verdenken, wenn sie sah, was sie wuͤnschte, wenn sie hofte, was freilich nicht moͤglich war, ihrem liebenden Herzen aber doch so leicht moͤglich schien! Sie sande nun in hastiger Eile nach eini- gen ihrer treusten Diener und Dienerinnen, sie erzaͤhlte ihnen ihr Gluͤck, und traf An- stalten zur noͤthigen Abreise. Ehe die Sonne untergieng, sas sie schon im Reisewagen und athmete freier, als die Stadt hinter ihr lag, in welcher sie so schrecklich geduldet und ge- litten hatte. Noch vor ihrer Abreise, schrieb sie der Fuͤrstin, und dankte ihr innig, weil sie solche mit Grunde fuͤr die Urheberin ihres Gluͤckes achtete. Sie bat am Ende, sich ihres ungluͤcklichen Gatten einst auf aͤhnliche Art an- zunehmen, und das grosse Werk zu vollen- den, zwei hoͤchst Ungluͤckliche ganz gluͤcklich gemacht zu haben. Die großmuͤthige Fuͤrstin antwortete so- gleich, daß die edle That ganz ein Werk des Fuͤrsten sei, daß sie keinen Theil daran habe, ihn aber durch innige Freude daran nehme. Ob es uͤbrigens, schrieb sie am Ende, gleich izt noch unmoͤglich scheint, daß ihr entfloh- ner Gatte jemals Gnade hoffen koͤnne, so muß die Linderung ihres Schicksals ihnen doch der deutlichste Beweis sein, daß Gott nichts un- moͤglich sei, daß auch er einst in ihre Ar- me ruͤkkehren koͤnne. Dies sei ihr Trost, wenn sie nach ihm bangen! Dies ihre Aussicht, wenn sie trauern! Nur muß ich sie dringend bitten, daß sie nicht durch unvorsichtige Nach- forschung nach dem Aufenthalte ihres Gatten die Aufmerksamkeit des Fuͤrsten erregen. Den- ken sie, daß sie beobachtet werden, daß des Fuͤrsten Herz noch nicht zur Vergebung ge- neigt sei, daß ein unvorsichtiger Schritt leicht Argwohn wecken, seine Rache reizen, sie und ihren Gatten, selbst ihre Kinder ungluͤcklich machen koͤnne. Nuͤtzen sie den Rath ihrer wahren Freundinn, es ist der einzige, den sie ihnen bei ihrem Abschiede zu geben ver- mag. Hofnung ist eine Biene, welche aus je- dem Gegenstand Honig saugt, und es zum suͤssen Genusse ins menschliche Herz traͤgt. Daher kams, daß auch in diesem Briefe die ungluͤckliche Graͤfin Stof zum Troste fand. Er hat mein Schicksal gelindert, dachte sie, er wird einst das seinige auch lindern! Die- ser frohe Gedanke war auf der Reise ihre Beschaͤftigung, war in der Folge aͤchtes Lab- sal, wenn ihr liebendes Herz sich nach dem Gatten sehnte, nur einmal eine troͤstende Nachricht von ihm zu hoͤren wuͤnschte. Sie lebte auf dem entlegensten Landgute des Grafen in haͤußlicher Einsamkeit, in stiller Trauer, sie weihte sich ganz der Erziehung ih- rer Kinder, und fand nur in dieser Beschaͤfti- gung Trost fuͤr ihr Leiden. Die Einkuͤnfte al- ler Guͤter des Grafen waren groß und ansehn- lich, die Leidende empfing sie immer mit Thraͤ- nen, weil der Gedanke, daß sie sammle, indeß der Geliebte darbe, ihr Herz maͤchtig engte, und sie unfaͤhig machte, das Vergnuͤgen zu genuͤssen, ihrer Kinder Gluͤck durch Sparsam- keit zu mehren, und durch reichliche Wohltha- ten die Thraͤnen der Armuth zu trocknen. Sie ward bald in der ganzen Gegend als eine wohl- thaͤtige Gottheit verehrt, weil sie reichlich gab, weil sie jedem zu helfen suchte, aber sie em- pfand die Wonne, gluͤcklich zu machen, nie in seiner vollen Groͤsse, weil sie in jedem Bitten- den ihren nothleidenden Gatten erblickte, ihn eben so duͤrftig und huͤlflos dachte, und eben dadurch zu neuer Trauer gereizt wurde. Drei lange Jahre verflossen auf diese Art — — Doch ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich zuvor das Schicksal des entflohnen Grafen enthuͤllen, und meinen Lesern kund machen: wie er entfloh? wie er entfliehen konnte? — Schwer ruhte der Gedanke, daß der Fuͤrst nicht edel, nur durch blinde Rache irre gelei- tet, handle, auf dem Herzen der menschen- freundlichen Fuͤrstin. Sie kannte seinen Bieder- sinn, seinen Edelmuth, sie war uͤberzeugt, daß Reue der raschen That folgen, sehr wahr- scheinlich einst die spaͤtern Tage seines Lebens verbittern wuͤrde; sie liebte den Ungetreuen noch immer mit inniger Zaͤrtlichkeit, und war daher aͤusserst fuͤr seine kuͤnftige Ruhe besorgt. Jeder Schritt, ihm diese zu sichern, ward von ihr vergebens versucht. Er wies die Bittende mit Haͤrte ab, er suchte nur Befriedigung sei- ner Leidenschaft, und, weil der Gegenstand derselben blutige Rache heischte, den Tod des Ungluͤcklichen. Als sie auch den lezten Ver- such, die Rachbegierige durch den Anblick der verzweifelnden Gattin, der jammernden Kin- der zu versoͤhnen, vergebens gewagt hatte, und durch die leztere die Nachricht erhielt, daß sie mit grausamer Haͤrte zuruͤckgewiesen ward, rang sie nach neuen Mitteln, die That zu hin- dern. Nur moͤgliche, nur schleunige Flucht, rief sie aus, kann ihn vom Tode retten, und meinen Gatten fuͤr kuͤnftiger Reue schuͤtzen. Von diesem Augenblicke an war dieser Ge- danke ihre einzige Beschaͤftigung. Sie wußte, daß der Kerkermeister, welcher die adlichen Staatsgefangnen in einem besondern Thurme verwahrte, ehemals als Heiduke der Murter des Fuͤrsten diente, und mit Widerwillen den eintraͤglichen Dienst eines Kerkermeisters zur Belohnung seiner treuen Dienste annahm; ihr war ferner bekannt, daß er kein Weib, kein Kind, keine nahen Freunde habe, und daher durch nichts ans Vaterland gefesselt werde. Auf diese Gruͤnde baute ihre Hofnung die Moͤglichkeit der Ausfuͤhrung. Sie eilte nach ihrem Garten, wo sie oft stundenlang verweil- te. Eine vertraute Kammerfrau war ihre einzige Begleiterin, diese mußte sich im Gar- tenhause verkleiden, und durch eine Neben- thuͤre entschluͤpfen, um dem Kerkermeister mit dem Auftrage der groͤßten Verschwiegenheit dahin zu berufen und zu leiten. Er erschien sogleich, aber es ward der Fuͤr- stin aͤusserst schwer, ihn zur Entfuͤhrung des Gefangnen zu bereden, weil ers fuͤr Verletzung seiner Pflicht, seines Schwurs achtete, und die wenigen Tage seines Lebens nicht durch Meineid beflecken wollte. Nur die Versiche- rung, daß der izt allzu zornige Fuͤrst ihm einst selbst die That lohnen wuͤrde, daß die Fuͤrstin im moͤglichen Falle alle Verantwortung auf sich nehmen wolle, machte ihn bereitwillig, die That zu versuchen. Sie versprach ihm uͤber- dies lebenslange und gute Versorgung im Staate einer benachbarten Fuͤrstin, wohin sie ihn sicher und ohne Gefahr senden wolle. Aber dies Versprechen war es nicht, was dem redlichen Alten zur Theilnahme bewog, nur die Ueberzeugung, daß er eine gute That uͤbe, nur der Widerwille, mit welchem er den trau- rigen Dienst eines Kerkermeisters verrichtete, bestimmte seine Handlung. Es ward nun verabredet und beschlossen, daß der Kerkermeister sobald als moͤglich sei- nen Gefangnen von allem unterrichten, zur Nachtszeit alle laͤstige Zeugen entfernen, und mit ihm durch eine Seitenthuͤre des Thurms, welche nicht bewacht wurde, weil sie nur zur Wohnung des Kerkermeisters fuͤhrte, nach dem Garten der Fuͤrstin entfliehen sollte. In die- sem Garten hatte sich die Fuͤrstin eine Ensiede- lei erbauen lassen, zu welcher nur sie den Schluͤssel bei sich trug. Dieser ward dem Ker- kermeister mit dem Auftrage uͤbergeben, daß er durch solchen die Gemaͤcher der Einsiedelei oͤfnen, und sich mit dem Grafen nach einer im Hintergrunde angebrachten Grotte begeben solle, wo kein menschliches Auge sie sehen und entdecken konnte. Genaͤhrt und gepflegt durch die Hand der Fuͤrstin, sollten sie dort so lange verborgen leben, bis der Fuͤrst jede Nachspaͤhe geendet habe, und sie unter einer unkennba- ren Verkleidung mit sichern Paͤssen versehen, ohne Gefahr das Land verlassen koͤnnten. Dieser aͤusserst vorsichtige Plan ward durch den Kerkermeister mit Klugheit ausgefuͤhrt. Als die Mitternachtstunde nahte, huͤllte er sich und seinen Gefangnen in weite Maͤntel, und fuͤhrte ihn gluͤcklich nach der Seitenthuͤre des Gar- tens, zu welcher er ebenfalls den Schluͤssel er- halten hatte. Mit bangen und unruhigen Herzen erwartete indeß die Fuͤrstin den Aus- gang ihres Wagstuͤcks in der fuͤrstlichen Resi- denz, wohin sie sogleich ruͤckgekehrt war. Sie sandte schon fruͤh ihre Vertraute auf Spaͤhe, und genoß die Fruͤchte einer edlen That in gan- zer Fuͤlle, als ihr diese die sichere Nachricht brachte, daß alles wohl gelungen sei, weil man den Entflohnen schon mit groͤßtem Eifer suche. Da die Fuͤrstin jeden moͤglichen Argwohn hindern wollte, so ging sie die ersten Tage nicht nach dem Garten, nur die vertraute Kam- merfrau ging dahin, und trug den Verborg- nen, unter dem Vorwande, daß sie fuͤr die Fuͤrstin Buͤcher aus der dort befindlichen Bi- bliothek hole, Speise und Trank zu. Staͤrker schlug dann allemal das Herz der Edlen, wenn die ruͤckkehrende Kammerfrau ihr er- zaͤhlte, daß es den Gefangnen wohlergehe, daß der Graf in den ruͤhrendsten Ausdruͤcken der Retterin seines Lebens danke. Als die Fuͤrstin gewahrte, daß niemand etwas ahne, ging sie, wie gewoͤhnlich, nach dem Garten, besuchte die Versteckten allemal, sprach troͤstend mit ihnen, und erschien stets mit Wohlthaten in der Hand. Bald brachte sie ihnen die noͤ- thige Speise, bald wieder Waͤsche und andere unentbehrliche Dinge, die des Lebens Noth- durft erforderte. Da der arme Graf sein kuͤnftiges Schick- sal in der Hand einer so großmuͤthigen Fuͤrstin sah, so zagte er nicht mehr fuͤr die Zukunft, aber das weit ungluͤcklichere Schicksal seines verlaßnen Weibes, seiner unerzognen Kinder quaͤlte sein Herz doppelt. Er empfahl sie der Vorsorge der gnaͤdigen Fuͤrstin aufs dringen- de, und verleitete sie dadurch zu dem unerwar- teten Schritt, bei der Geliebten ihres Gatten die Fuͤrsprecherin der Ungluͤcklichen zu werden. Der heisse Dank des Grafen, die Ueberzeu- gung, daß sie edel gehandelt habe, lohnten ihr diese Ueberwindung reichlich, welche ganz natuͤrlich dieser Schritt ihrem Herzen gekostet hatte. Nun war der sehnlichste Wunsch des Gra- fen erfuͤllt, nun blieb ihm keiner uͤbrig, als seiner Wohlthaͤterin nicht laͤnger laͤstig zu fal- len, und in irgend einem Winkel der Erde seine kummervollen Tage zu vertrauern. Die Fuͤrstin Fuͤrstin hatte schon lange vorher alles zur Er- fuͤllung dieses Wunsches vorbereitet. Eine be- nachbarte Fuͤrstin, welche als Vormuͤnderin ihres unmuͤndigen Sohnes das kleine Laͤndchen, welches sein Vater besaß, regierte, war ehe- mals ihre Jugendfreundin gewesen, immer fand noch eine vertraute Korrespondenz zwi- schen beiden statt. Sie entdeckte ihrer gepruͤf- ten Freundin sogleich die ganze Sache, und bat um Rath und Beistand. Die regierende Fuͤrstin schrieb zuruͤck, daß sie der genauen Verbindung wegen, in welcher beide Hoͤfe miteinander staͤnden, nicht faͤhig waͤre, dem Grafen, wenn er nach ihrem Lande entfliehe, oͤffentlichen Schutz zu verlei- hen, doch wolle sie, der theuern Freundin zu gefallen, alles wagen, alles unternehmen, was, wenn er im Verborgnen kaͤme, die moͤgliche Entdeckung hindern, und ihn, wenn er ein einsames Landleben nicht scheue, fuͤr jeder Ge- Biogr. d. W. 4r Bd. K fahr schuͤtzen koͤnne. Zur Befoͤrderung dieser Absicht sandte sie ihr zwei Paͤsse, welche auf zwei ihrem Fuͤrstenthume unterthaͤnige Schaͤ- fer ausgestellt waren, die den Auftrag hatten, in den naͤchstgelegnen Staaten die merkwuͤr- digsten Schaͤfereien zu besuchen, und sich die Vortheile derselben zur Verbesserung der in- laͤndischen Schafzucht eigen zu machen. Dein, schrieb nun die Freundin weiter, sei nun die Sorge, die Fluͤchtlinge der Eigenschaft ihres Passes gemaͤß zu kleiden, ihre Gesichtszuͤge so unkennbar als moͤglich zu machen, und sie dann geradezu nach meinem Lande zu senden. Ein neuer Brief von dir wird mich unterrichten, wenn sie abreisen, wenn sie eintreffen koͤnnen. Sie nehmen dann ihren Weg nach der von mir neu errichteten fuͤrstlichen Schaͤferei zu—m, im Gebuͤrge F—. Ich werde um diese Zeit auf einem benachbarten Jagdschlosse wohnen, und werde dann schon Gelegenheit finden, den Grafen zu sprechen. Ehe dies aber geschieht, gehen die Fluͤchtlinge ohne Aufenthalt nach der bestimmten Schaͤferei, und melden sich bei dem Vorsteher derselben. Er hat den gemeß- nen Auftrag von mir erhalten, sie in seine Dienste aufzunehmen, und ob sie gleich der Absicht, die ich ihm erzaͤhlte, keinesweges ent- sprechen werden, so ist der gute Alte doch viel zu demuͤthig, als daß ers wagen sollte, ihre verborgnen Kenntnisse zu bezweifeln. Dies ist, nach reifer Ueberlegung, die einzige Art, durch welche ich den Grafen sichern Aufenthalt in meinem Lande gewaͤhren kann, er muß es sich schlechterdings gefallen lassen, wenigstens durch einige Zeit meine Schaafe zu huͤten, weil er sich nur in dieser einsamen Gegend dem wach- samen Auge aller meiner Beamten entziehen kann, die durch mich den ernsten Befehl er- hielten, nach dem Entflohnen umher zu spaͤ- hen. Ein Befehl, den ich auf dringendes Er- suchen deines Fuͤrsten ergehen ließ, und nun K 2 nicht widerrufen, nur durch Nichterinnerung schwaͤchen kann. Der arme Graf war ganz mit seinem Loose zufrieden, als seine fuͤrstliche Freundin ihn fragte, ob er Verlaͤugnung genug besitze, sich dieser noͤthigen Einrichtung einige Zeit hindurch zu fuͤgen. Mein neuer Stand, sprach er, ist meiner innern Lage ganz angemessen, ich kann mich ungehindert, wenn ich meiner Heerde folge, meinen Gedanken uͤberlassen, die einsa- men Gegenden, in welche sie mich fuͤhren wird, werden Labsal fuͤr mich seyn, ich kann mich dort dem Andenken meines Weibes, meiner Kinder weihen, und ihren Verlust betrauren. Nur schmerzt es mich aͤusserst, daß ich den Retter meines Lebens nur darum der Ruhe entrissen habe, damit er in seinem hohen Alter in wuͤsten Gegenden umher irren, und eine Kost genuͤssen soll, die seinen Kraͤften nicht an- gemessen ist. Die Fuͤrstin suchte ihn uͤber diesen Gegen- stand zu beruhigen, und versicherte ihn, daß eine gute und dauerhafte Versorgung des red- lichen Kerkermeisters ihre Pflicht sey, die sie auch nach Moͤglichkeit leisten werde. Er kann, sprach sie, wenn er einmal der Gefahr ent- ronnen ist, nach Belieben weiter wandern, und in einer entfernten Gegend ruhig die Sum- me genuͤßen, welche ich ihm beim Abschiede uͤbergeben will. Sie wird hinreichen, ihn zeitlebens zu ernaͤhren, es wird noch genug uͤbrig bleiben, um seinen treuen Waͤrter am Ende seiner Tage damit belohnen zu koͤn- nen. Der seltne Kerkermeister dankte innig, aber er versicherte auch eben so ernstlich, daß er sich nie von dem Grafen trennen, Gluͤck und Ungluͤck, Kummer und Freude mit ihm theilen, und, waͤre es irgend moͤglich, durch treue Dienstleistung sein hartes Schicksal er- leichtern wolle. Die Tage, welche er in der Grotte mit ihm durchlebt hatte, waren dem guten Alten so angenehm verflossen, hatten ihn so deutlich uͤberzeugt, daß der Graf ei- ner der besten Menschen sei. Diese Ueber- zengung war die Ursache, daß er sich nie von ihm trennen wollte, durch keine Ueberre- dungskraft zu einem andern Entschlusse zu bewegen war. Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt! Eben als alles Noͤthige zur Abreise an- geordnet war, und sie schon am andern Tage ihren Zufluchtsort verlassen, und sich dem Schutze des Allmaͤchtigen uͤbergeben wollten, ward der arme Kerkermeister krank, eine hef- tige Augenentzuͤndung endete in fuͤnf Tagen sein Leben, weil man ihm der groͤssern Ge- fahr, der moͤglichen Entdeckung wegen keine Huͤlfe leisten konnte. Er starb als Christ, ruhig und gelassen, und ging mit der Gewiß- heit hinuͤber, daß der Barmherzige ihm sei- nen Meineid verzeihen, die Absicht seiner edeln That lohnen wuͤrde. Den Grafen druͤckte der Verlust eines Freundes, das Bewustseyn, daß er Schuld an seinem Tode sey, aͤusserst stark, machte ihn mißmuthig und im hoͤchsten Grade traurig. Vergebens muͤhte sich die Fuͤrstin, ihn zu troͤsten, er faßte den Gedanken, und hielte ihn fest, daß Gott ihn ganz verlassen habe, nur immer empfindlicher strafen, nie verge- ben wolle! Man verdenke dem Grafen sein Murren nicht! Er glich einem mit dem reis- senden Strome Kaͤmpfenden, der lezte schwa- che Ast, von dem er wo nicht Rettung, doch Verlaͤngerung seines Lebens hofte, brach mit einmal, und alle Aussicht zu beiden schwand. Damit der Koͤrper nicht entdeckt werde, muste er in der Grotte begraben werden. Die vertraute Kammerfrau entwendete dem Gaͤrt- ner Hakke und Schaufel, und der Graf brauchte zwei volle Naͤchte, um dem treuen Freunde eine Grabstaͤtte im harten Boden der Grotte auszuhauen. Diese traurige Beschaͤf- tigung, der fortdauernde Anblick des Todten, mehrte die Empfindungen seines Herzens, er wuͤnschte sehnlichst gleich ihm vollendet, gleich ihm ausgerungen zu haben. Nachdem er am dritten Abende geruht, und am vierten von seiner fuͤrstlichen Wohl- thaͤterin mit Thraͤnen des waͤrmsten Danks Abschied genommen hatte, ihrem fernern Schuze sein Weib und Kinder empfahl, von ihr eine große Summe und zugleich die Versi- cherung erhielt, daß sie einen Brief von ihm richtig an sein Weib bestellen wolle, trat er in der folgenden Nacht seine Wanderung an. Er entkam durch die Seitenthuͤre gluͤcklich aus dem Garten, eben so gluͤcklich aus der Stadt, weil diese zwar Thore hatte, aber mit keiner Mauer umgeben war, und man durch einige Nebenwege ungehindert in die Vorstadt, aus dieser ins Freie gelangen konnte. Wie die Sonne aufging, lag die Residenz schon mei- lenweit hinter seinem Ruͤcken. Er trug die Kleidung eines Schaͤfers, sein Haar war ver- schnitten, Haͤnde und Gesicht unmerklich gelb gefaͤrbt. Das leztere und der ungewoͤhnlich starke Bart verstellte seine Physionomie voll- kommen, niemand achtete auf ihn, er wan- derte auf selbst gewaͤhlten Seitenwegen unge- hindert nach der Graͤnze, welche er schon am zweiten Tage erreichte. Eben so gluͤcklich, und ohne nur einmal nach einem Passe befragt zu werden, langte er auf der bestimmten fuͤrstlichen Schaͤferei an. Sie lag mitten im hohen Forste, in ei- ner unbewohnten, wilden Gegend. Die hie und da vom Holze entbloͤßten Berge, die grasreichen Thaͤler hatten die oͤkonomische Fuͤr- stin bewogen, die erstern zu einer Sommer- weide, die leztern zum Heu fuͤr einige tau- send Schaafe zu benuzen, welche dort herrlich gedeihten, und weit mehr Nuzen brachten, als das wenige Wild, welches ihre Vorfahren sonst in dieser Gegend gehegt hatten. Der Vorsteher dieser Schaͤferei, ein alter, aber biederer und redlicher Mann, empfing den Grafen mit baͤurischer, aber traulicher Freundlichkeit. Er hatte ihn schon laͤngst er- wartet, und deswegen schon einen seiner Knechte des Dienstes entlassen, um dem Er- warteten seinen Plaz sogleich anweisen zu koͤn- nen. Noch am nemlichen Tage uͤbergab er ihm daher vierhundert Stuͤck schoͤne Schaafe, die er leiten, fuͤhren und pflegen sollte. Die Empfehlung der Fuͤrstin erregte ganz natuͤrlich bei dem Alten den Gedanken, daß der Fremde seltne Kenntnisse in der Schaaf- zucht besitzen muͤsse, er schwaͤzte daher bestaͤn- dig mit ihm uͤber die Vortheile und Hinder- nisse der Leztern, um die Erstern zu pruͤ- fen. Ein Gluͤck fuͤr den Grafen, daß er stets die Oekonomie leidenschaftlich liebte, wenn er auf seinen Landguͤtern einig Wochen Erholung von seinen Geschaͤften suchte, sich in den vor- nehmsten Zweigen derselben praktisch uͤbte, und daher wenigstens mit den allgemeinen Regeln einer guten Schaafzucht nicht unbe- kannt war, freilich in der Folge nicht leistete, was der Alte hofte, aber doch auch nichts ver- darb, und wegen seines stillen und eingezoge- nen Lebenswandels endlich der Liebling dessel- ben ward. Die Fuͤrstin besuchte bald hernach die Schaͤferei, und hatte Gelegenheit, mit dem Grafen troͤstend zu sprechen. Er dankte innig fuͤr ihren Schuz, und dankte noch inniger, als sie ihm kund machte, daß sein Weib, sei- ne Kinder gesund lebten; aber traurig sank sein hoffendes Auge zur Erde, wie sie ihm erzaͤhlte, daß seine wohlthaͤtige Fuͤrstin den Brief, welchen er ihr an seine Gattin hinter- lassen hatte, noch nicht abgeschickt habe, auch nicht abschicken koͤnne, weil sie als gewiß er- fahren habe, daß ein heimlicher Spaͤher des Fuͤrsten die Graͤfin genau beobachte, alle ihre Korrespondenz ingeheim untersuche, und durch die geringste Spur auf Entdeckung gelei- tet werden koͤnne. Der arme Verbannte fuͤhlte bei dieser Nachricht das Leiden der ver- laßnen Gattin, er flehte aufs neue, daß man ihr nur von seinem Leben, von seiner Gesund- heit Nachricht geben solle, und ging izt trau- riger, tief leidend hinter seiner Heerde, weil ihn auch der einzige Trost, einige Zeilen von der geliebten Gattin zu lesen, geraubt wurde. Auch dem Ruhigen und Gluͤcklichen macht Einsamkeit und Entfernung von aller menschli- chen Gesellschaft traurig und mißmuthig, um so mehr den Leidenden und Ungluͤcklichen. Kein Freund erquickt sein schmachtendes Herz mit Trost, keine unerwartete Gelegenheit zerstreut seinen Kummer, er kann ungehin- dert die Groͤsse seines Leidens messen, und sich mit jedem Tage aufs neue uͤberzeugen, daß sie unendlich, und daher immer dauernd sey. So ergings auch dem Grafen, er ward stets trauriger, stets melancholischer, und erregte dadurch das Mitleid seines gutherzi- gen Meisters, der ihn unter allen Knechten auszeichnete, oft an seinem eignen Tische speisen ließ, und sich hoch wunderte, wie der Leidende diese Ehre nicht hochschaͤzte, sie viel- mehr auf alle moͤgliche Art zu vermeiden suchte. Den uͤbrigen Bewohnern war der Graf ein gleiches Raͤthsel, seine gefaͤllige, freund- liche Art zog jeden an sich, aber sein Hang zur Einsamkeit, zum tiefen Nachdenken, stieß alle gleich stark wieder zuruͤck. Ohne es selbst zu wollen, gewann bald die von Jugend auf sorgfaͤltig gepflegte Gewohnheit den Rang uͤber die schwere Verstellung, er suchte sich, geleitet durch jene, seine harte Last dadurch ertraͤglicher zu machen, daß er sich reinlicher und besser als alle uͤbrige Schaͤfer kleidete. Die wenigen Maͤdchen, welche in dieser Ein- oͤde wohnten, oder sie Geschaͤfte wegen besuch- ten, blickten daher oft luͤstern nach ihm, und nannten ihn nur den schoͤnen und galanten Schaͤfer, als aber dieser, oft in seiner Ge- genwart ausgesprochne Name keinen Eindruck auf ihn machte, da nannten sie ihn in der Folge den traurigen Schaͤfer, und blickten ihm mitleidig nach, wenn er mit gesenktem Auge hinter seiner Heerde schlich. Nach drei durchschmachteten Jahren, hat- te finstere Melancholie in seinem Herzen fe- sten Sitz genommen, er sah mit wahrer Be- gierde dem Tod entgegen, er wuͤnschte sehn- lichst, daß er bald nahen, bald sein namlo- ses Leiden enden moͤge. Schon im zweiten Jahre hatte ihm die besuchende Fuͤrstin zu ver- stehen gegebeu , daß so tiefe und erniedri- gende Verstellung izt nicht mehr noͤthig sei, daß er in einem entferntern Lande, unter- stuͤtzt durch seine Wohlthaͤterin, angeneh- mer und besser leben koͤnne, aber die Ein- samkeit war seinem Schmerze schon unent- behrlich geworden, er flehte, daß man ihn laͤnger hier dulden moͤge, und versicherte dreust, daß ihn noch weitere Entfernung, wo er gar keine Nachricht mehr von seiner Gattin erhalten wuͤrde, zum Wahnsinn rei- zen werde. Die Fuͤrstin ehrte seine Gruͤnde, und versprach ihm, durch oͤftere Nachrichten von seiner Gattin zu erfreuen, aber sie vermochte nicht Wort zu halten, weil sie nur jaͤhrlich einmal in diese Gegend kam, und durch Boten die ohnehin gespannte Auf- merksamkeit der dortigen Bewohner nicht noch mehr reizen wollte. Eben fragte die gleich stark leidende und duldende Graͤfin den Ewigen: Ob denn ihr Leiden nie enden, ihr Jammer hienieden keinen Lohn hoffen koͤnne? Als ungewoͤhn- liches Geraͤusch im Hofe ihres Schlosses sie aus ihrem Tiefsinn weckte, und ans Fenster zog. Sie blickte hinab, sah einige Reise- wagen an der Thuͤre stehen, und eine in Trauer gehuͤllte Dame aus dem ersten der- selben heraussteigen. Sie eilte hinab und sank in die Arme der Fuͤrstin, welche sie zu besuchen kam. Ihre Trauer verkuͤndigte der Graͤfin schon im Voraus die Ursache der Moͤg- lichkeit dieses seltnen Besuches, sie ahndete des des Fuͤrsten Tod, welcher auch wirklich aͤus- serst schnell und unvermuthet erfolgt war. Er hatte sich auf einer damals so ge- woͤhnlichen Parforce-Jagd aͤusserst erhizt, ein unvermutheter Gewitterregen durchnaͤssete sei- ne Kleider. Ehe er noch die Residenz er- reichte, sank er vom Schlage getroffen tod vom Pferde. Die ihn immer noch liebende, und seinen Tod innig bejammernde Fuͤrstin ward nun Regentin des Landes, weil ihr einziger Sohn erst das eilfte Jahr seines Alters erreicht hatte. Man huldigte ihr sogleich, als die Aerzte vergebens alle Mit- tel versucht hatten, den Toden zu wecken. Die Graͤfin R—, welche noch immer die erklaͤrte Geliebte des Fuͤrsten war, bisher oft Land und Leute regiert hatte, erschrak aͤusserst, als sie den Tod des Fuͤrsten und die Huldigung seiner Gemahlin in einem Au- genblicke vernahm. Sie fuͤrchtete die Rache Biogr. d. W. 4r Bd. L der letztern, und sande ihr sogleich folgen- den Brief: Durchlauchtigste Fuͤrstin! Sie koͤnnen auf Wiedervergeltung rechnen! sprachen sie einst zu mir, als ich die Fuͤrbitte in der Graͤfin L— zu werden versprach. Die Zeit dieser Wiedervergeltung ist da! Ich hoffe, daß Sie großmuͤthig handeln, und mir er- lauben werden, mit meinem Haabe ein Land zu verlassen, dessen Monarch bisher mein einziger Beschuͤtzer war. Die tief gebeugte Fuͤrstin vermochte nicht sogleich zu antworten, sie ließ der Graͤfin nur sagen, daß die Antwort sicher und bald erfolgen werde. Diese sah mit banger Sehnsucht und zitternd der Antwort entge- gen, aber sie staunte, und heisse Thraͤnen fuͤllten ihr Auge, als sie ihr am andern Ta- ge ward, als sie folgendes las: Meine liebe Graͤfin! Sie sind aͤusserst billig, da sie zur Wiedervergeltung einer That, die ich bisher immer noch mit dank- barem Herzen ehre, eine Sache fordern, die ihnen die strengste Gerechtigkeit nicht einmal verweigern koͤnnte. Es steht ihnen vollkom- men frei, ferner in diesem Lande zu woh- nen, oder es zu verlassen. Im erstern Fall wird meine Hochachtung gegen sie fortdauern, im letztern werden sie solche ungetheilt mit sich nehmen. Aber dann hoffe ich ganz sicher, daß sie nicht ohne Abschied scheiden, daß sie durch eine neue, und groͤssere Bitte mich in Stand setzen, sie nicht mit dem Bewustsein entlassen zu muͤssen, daß ich ihre grosse Schuldnerin bleibe. Kommen sie, weun sie wollen, unter uns findet keine Etikette statt, wir haben beide am meisten verlohren, uns muß es auch erlaubt sein, ungehindert mit einander weinen zu koͤnnen. L 2 Alle Hofleute staunten, als sich kurz nachher die Graͤfin R— bei der Fuͤrstin mel- den ließ, aber alle staunten noch weit mehr, als sie sogleich vorgelassen wurde, und nach einer kurzen Unterredung, die Fuͤrstin mit ihr Hand in Hand aus dem Kabinete trat, sie in aller Gegenwart Frenndin nannte; mit aͤchter Zaͤrtlichkeit umarmte, ihr die gluͤcklich- ste Reise, und fuͤr die Zukunft die ruhigsten Tage wuͤnschte. Diese ausserordentliche Leut- seligkeit der Fuͤrstin war nicht Verstellung, war aͤchter Lohn, welchen sie der Graͤfin zollte. Als diese zu ihr ins Kabinet trat, dankte sie ihr mit einer Waͤrme, die ihr Herz ruͤhrte, und bat nochmals, daß sie das Land verlas- sen duͤrfe. Die Fuͤrstin gewaͤhrte ihr solches aufs neue, forderte aber ausdruͤcklich, daß sie sich eine groͤssere Gefaͤlligkeit von ihr erbit- ten moͤge. Wohl dann, sprach die Graͤfin, ich will ihre Gnade nutzen. ( auf ihre Knie sinkend ) Izt, da meine eingebildete Groͤsse sinkt, fuͤhle ich es deutlich, daß ich den Tod meines Bruders zu hart raͤchte, daß ich den armen Grafen L— zu hart verfolgte. Euer Durchlaucht sind izt Regentin geworden, Euer Durchlaucht koͤnnen izt strafen, aber auch vergeben und vergessen. Mir ward eine Bitte erlaubt, mir ward Gewaͤhrung derselben zugesichert, ich bitte, daß Euer Durchlaucht dem Grafen unbedingt vergeben, seine That vergessen, und ihm erlauben, seine uͤbrigen Tage ruhig in den Armen des ge- liebten Weibes zu durchleben. Ich bins von ihrem edlen Herzen uͤberzeugt, daß diese Verzeihung auch ohne meine Bitte erfolgen wuͤrde, aber ich achtete es fuͤr Pflicht, sie daran zu erinnern, und aufs neue zu bitten, daß diese Gnade die erste edle Handlung der kuͤnftigen Regentin sein moͤge. — — Sie soll, sie wirds sein! rief die geruͤhrte Fuͤr- stin aus, aber sie muͤssen auch die Versiche- rung mit sich nehmen, daß ich sie um dieser Bitte willen ewig hochschaͤtzen und lieben werde. Die Trauer uͤber den Tod des Fuͤrsten erlaubte, gebot sogar der Fuͤrstin einige Zeit Entfernung aus der Residenz. Als sie daher alle fuͤrstliche Beamte in ihrem bisherigen Dienste bestaͤtigt hatte, heischte ihr Schmerz diese Linderung, sie hofte sie im Wohlthun zu finden, und reiste zur Graͤfin L—, um in ihrer Gesellschaft und im strengen Iukog- nito nach dem benachbarten Fuͤrstenthum zu reisen, dort den Grafen zu uͤberraschen, und die namlose Freude der ersten Umarmung, der Wiedervereinigung mit genuͤssen zu koͤn- nen. Als sie diesen wohlthaͤtigen Vorsaz der Graͤfin entdeckte, da — — O wer ist faͤhig die Simptomen einer solchen Freude, einer solchen Seligkeit zu schildern, sie gleicht vollkommen der uͤberirdischen, die nicht einmal der Dollmetscher Gottes zu schil- dern, die keines Sterblichen Mund auszu- sprechen vermag. Die Uebergluͤckliche war ganz einem Kinde aͤhnlich, sie taumelte won- nevoll umher, hob jeden Gegenstand in die Hoͤhe, und legte ihn eben so schnell wieder von sich, sie traͤumte wachend, und sprach nur immer von dem Gluͤcke, das selbst ihrer erhitzten Einbildungskraft nur ein Traum schien. O wie unendlich langsam flossen ihr izt die Stunden voruͤber, die sie von der Er- fuͤllung ihres heissen Wunsches trennten! Kein Schlaf erquickte das Auge der Hoffenden, immer starrte es sehnsuchtsvoll in die Zu- kunft, und sah den geliebten Gatten mit ofnen Armen vor sich stehen. Die Fuͤrstin hatte beschlossen, einige Tage auf dem Land- gute der Graͤfin zu ruhen, als sie aber ihre Sehnsucht sah, da warf sie sich schon am andern Morgen mit ihrer Freundin in einen leichten Reisewagen, und eilte mit ihr der unnennbaren Freude entgegen. Um schneller reisen zu koͤnnen, hatte die Fuͤr- stin aller gewoͤhnlichen Begleitung eutsagt, nur eine Kammerfrau sas mit den Kindern der Graͤfin in einem zweiten Wagen, nur zwei Bediente begleiteten sie. Es ging rasch vorwaͤrts, aber es ging der Harrenden doch viel zu langsam, jede Schaafheerde, die oft auf den nahen oder fernen Bergen um- her kletterte, machte den staͤrksten Eindruck auf ihr Herz, sie strekte dann immer ihre Arme aus, und glaubte, in dem Hirten ihren Gatten zu erblicken. Endlich lag die wuͤste, oͤde Berggegend vor ihrem Blicke. Endlich sahen sie zwischen den hohen Buchen und Eichen die Schaͤferei vom Ferne glaͤnzen, endlich stand der Wa- gen am Hause des Vorstehers derselben. Der gute Alte kam mit der Muͤtze in der Hand den hohen, fremden Gaͤsten entgegen, er stannte mit Recht, als die Graͤfin hastig fragte: Wie es ihrem Gatten, wie es dem Graf L— gehe? Wo er sei? Wo sie ihn sehen und sprechen koͤnne? Er schuͤttelte be- daͤchtlich den Kopf, und wollte den Frem- den eben beweisen, daß kein Graf hier woh- ne, als die ruhigere Fuͤrstin den Irrthum bemerkte, und nach dem fremden Schaͤfer- knecht fragte, der seit einigen Jahren die fuͤrstlichen Schaafe huͤte. Ach dieser, rief der Alte aus, dieser mag freilich mehr sein, als er sein will, aber kein Graf ist er doch wohl nicht! Fuͤrstin . Daruͤber wollen wir nicht laͤn- ger streiten. Sei er nur so gefaͤllig, uns zu sagen, wo wir ihn treffen, dann wird sich alles aufklaͤren. Der Alte war sogleich bereit und willig, sie nach dem Berge zu fuͤhren, wo er seine Schaafe weidete. Er ging voraus, und der Wagen folgte. Am Fuße des Bergs mußten sie aussteigen, weil sich nur ein en- ger, von Schaafen getretner Pfad aufwaͤrts schlaͤngelte. Die Graͤfin ergrif die Hand ih- rer Kinder, und zog sie hastig hinter sich her. Einzelne Schaafe, welche am Gipfel umher kletterten, beschaͤftigten ihr Auge, zogen ihre ganze Aufmerksamkeit magnetisch an sich, sie konnte nicht denken, nicht spre- chen. Nahes Gefuͤhl der Wonne, des ent- zuͤkkenden Wiedersehens tobte stuͤrmend in al- len ihren Adern, Nerven und Fibern, es hemmte ihren Athem, sie mußte oft ruhen, und blickte dann mit nassem, sehnsuchtsvol- lem Blicke in die Hoͤhe. Die Fuͤrstin folgte stillschweigend, auch ihre hochgeregte Empfindung beschaͤftigte Herz und Einbildungskraft gleich stark. Nur eini- gemal war sie vermoͤgend, die Graͤfin fuͤr allzuhastiger Eile zu warnen, aber die Ent- zuͤckte war unfaͤhig die Warnung zu fassen, das allzugrosse, wonnevolle Ziel riß sie mit Allmachtsstaͤrke empor, weckte jede Lebens- kraft, spannte jede Sehne, um es nur bald, nur schneller erreichen zu koͤnnen. Endlich war der Gipfel erstiegen, eine alte Eiche, deren Stamm der wuͤthende Sturm oft gebo- gen, aber nicht gebrochen hatte, stand un- fern von ihnen. Unter ihrem Schatten ruhte der verbannte Graf, er lag ausgestreckt am Boden, die Rechte unterstuͤtzte sein nach- denkendes Haupt, sein Auge starrte in die ferne Gegend. Der Alte wollte ihn aus sei- nem Traume wecken, aber die Sehnsucht der liebenden Gattin uͤberfluͤgelte seine Schritte. Mein Karl! Schrie sie wonnetrunken, als sie sich nahte. Mein Vater! riefen die Knaben, welche ihr folgten. Der Denken- de schauderte empor. Mein Karl! wieder- holte die Gattin. Mein Vater! lallten die Kinder athemlos: Gleich dem Wetlaͤufer, der alle seine Kraͤfte verschwendet hat, sank izt die Graͤfin am Ziele ihrer Wuͤnsche kraft- los nieder, die Kinder umfaßten die Knie des Staunenden. Die Fuͤrstin vermochte nicht zu sprechen, Thraͤnen der Freude, der innigen Theilnahme hemmten ihre Sprache. Der Alte grif hastig nach seiner Muͤzze, und blikte mit entbloͤßtem Haupte zu Himmel. Lange dauerte die Szene der stummen Empfindung, des Sturmes der namlosen Gefuͤhle, als sie aber endete, da wards — O daß ich diesmal nur das freudenvolle Ge- fuͤhl meiner Leser durch Dichtung taͤuschen koͤnnte! — Da wards allen nach und nach zur traurigen, zur schrecklichen Gewißheit, daß die schnelle Ueberraschung, der jaͤhe Sprung der entferntesten Hofnung zur uͤber- zeugenden Gewißheit dem armen Grafen seinen Verstand geraubt, wenigstens verwirrt hatte. Als der strenge Richter ihm ohne Schonung das Todesurtheil verkuͤndigte, als zum letz- tenmal die Sonne seinem Auge entschwand, als er, zwar gerettet vom sichern Tode, aber immer verbannt vom geliebten Weibe, vom liebenden Kinde, fortwandern mußte, da blieb sein Muth standhaft und unerschuͤt- tert, wie aber das unerbittliche Schicksaal seiner zu spotten, ihn durch Truggestalten zu taͤuschen schien, da schwand Muth und Standhaftigkeit, da klagte er laut uͤber die strenge Haͤrte des Barmherzigen, der ihn gleich einem Tantalus strafen wolle, und war nicht zu bewegen, dasjenige fuͤr Wahrheit zu halten, was seine erhizte Einbildungs- kraft nur fuͤr Taͤuschung, fuͤr Traum ach- tete. Es ist ein Traum! Es ist schreckliches Blendwerk! rief er ohne Unterlaß aus. Die Liebkosungen der Gattin, die schmeichelnde Bitte der Kinder, die ermahnende Stimme der Fuͤrstin war nicht vermoͤgend, die ein- mal gefaßte Idee zu vernichten, er waͤre entflohen, wenn ihn nicht auf den Wink der Fuͤrstin die Bedienten ergriffen, und mit Gewalt nach der Schaͤferei gefuͤhrt haͤtten. Anfangs hoften alle, daß Zeit und Ge- wohnheit seinen Irrwahn tilgen, ihn von der Gewißheit uͤberzeugen wuͤrde, aber kei- ne Zeit, keine Arzenei, keine Ueberzeugung war faͤhig, das stokkende Rad der Einbildungs- kraft zu wenden. Es stand, und in diesem das Bild des Traumes und Truges. Nur ein aͤhnliches, noch weit schrecklicheres Bild gesellte sich noch zu diesem. Er glaubte in der Folge, daß sein Weib, seine Kinder, selbst die wohlthaͤtige Fuͤrstin gestorben waͤ- ren, ihm nun als Geister erschienen. Dieser Gedanke vermehrte den Wunsch des Todes in seinem Herzen, er wuͤnschte sehnlich mit den Geliebten vereinigt zu sein, und nur die sorgfaͤltigste Aufmerksamkeit seiner treuen Diener konnte es hindern, daß er nicht oft den Tod fand, den er so sehnlich suchte. Man denke sich das Leiden der guten Gattin, es ist keiner Beschreibung faͤhig! Sie liebte heiß, zaͤrtlich und innig. Ihr schmachtendes Herz zog sie stets hin zum Gatten, der sie immer mit dem Ausrufe zuruͤck schreckte: Holder Geist! Warum kommst du mich zu quaͤlen? Verjage die Waͤchter, und du sollst sehen, wie schnell ich dir folge! Die Zahl der Leiden des Menschen ist ungeheuer, ist eben so wenig zu zaͤhlen, wie der Sand am Meere, aber jedes gefuͤhl- volle Herz wird beistimmen muͤssen, daß das Leiden der Graͤfin unter der unzaͤhlbaren Zahl das groͤßte und staͤrkste war. Wer hier nicht die Gewißheit eines ewigen Lohns uͤber- zeugend fuͤhlt, der verdient zu leiden wie sie, und ohne Aussicht, ohne Hofnung eines Lohns verzweifelnd zu sterben. Ich muͤßte das Herz meiner Leser nur mit groͤsserer Trauer fuͤllen, wenn ich fortfahren wollte, so umstaͤndlich zu erzaͤhlen, ich will mich daher so kurz als moͤglich fassen: Da der Anblick der Graͤfin und ihrer Kinder dem wahn- sinnigen Grafen nur Quaal und Pein verur- sachte, so mußte man ihn im zweiten Wagen allein fahren lassen. Immer hofte man da- mals noch auf Besserung, versuchte stets neue Mittel zur Ueberzeugung, aber vergebens. Der Ungluͤckliche ließ sich zwar willig nach sei- nem Schlosse fuͤhren, aber der Anblick dessel- ben, der Willkomm seiner treuen Diener und Bauern Bauern machte keinen Eindruck auf ihn, er schien keinen zu kennen, aber wenn sich seine Gattin, seine Kinder nahten, da bebte er stets erschrocken empor, und rief aus: Seht ihr, seht ihr den Geist! Er winkt mir, ich soll fol- gen! Sehnsuchtsvoll sah die liebende Gattin in der Folge jedem Arzte, den sie aus der Naͤhe und Ferne holen ließ, entgegen, wie aber viele derselben ihre Kunst fruchtlos an dem Pazien- ten verschwendeten, und endlich alle einstim- mig erklaͤrten, daß keine Huͤlfe mehr moͤglich sei, da ward die Wunde ihres Herzens zum fressenden Krebse, unheilbare Abzehrung nagte an ihrem Koͤrper, nach drei langsam durch- schmachteten Jahren endete der Tod ihr nam- loses Leiden. Als sie begraben wurde, fuͤhrte man den ungluͤcklichen Wahnsinnigen nach dem Rathe des Arztes zu ihrem Sarge. Er hofte wahrscheinlich, daß dieser Anblick ihn erschuͤt- Biogr.d. W.4r Bd. M tern solle, aber der Endzweck ward nicht er- reicht, er schien die Tode nicht mehr zu ken- nen, er blickte traurig nach dem Sarge, aber er war auch der Einzige unter den Anwesen- den, welcher der Verklaͤrten keine Thraͤne weihte. Wie seine Kinder im schwarzen Trau- erkleide sich nahten, da floh er unaufhaltsam fort, und versank wieder in seine gewoͤhnliche Schwermuth. Er ward siebzig Jahre alt, er verließ sein Zimmer aͤusserst selten, und kannte in den lez- ten zehn Jahren seines Leidens seine Kinder nicht mehr. Man fand ihn an einem Morgen todt im Bette, ein Schlagfluß hatte sein Le- ben, sein Leiden geendet. Er ruht an der Seite seiner Gattin, und wird izt dort — wo kein Zufall, kein Wahnsinn die Freude truͤbt — den Lohn seiner Leiden in Fuͤlle genuͤssen. Hanns K—, Bauer zu M—. A ls noch finstrer Aberglaube das —sche Land deckte, Aufklaͤrung nur auf den Zinnen und Anhoͤhen schwankend umherwandelte, lebte in einem Dorfe desselben ein junger, aber reicher Bauer. Er lebte ruhig und zufrieden, weil ihm Gott ein Weib beschert hatte, das ihn innig liebte, alle Jahre ein gesundes Kind ge- bahr, und die grosse Haushaltung emsig und klug fuͤhrte. Er sah, und jeder seiner Nach- barn sahs mit ihm, wie sich jedes Jahr seine M 2 Einnahme durch den reichern Ertrag seiner Felder vermehrte, seine Ausgabe durch die kluge Wirthschaft seiner Frau verminderte. Selbst, als in dem ungluͤcklichen ein und zwei und siebenzigsten Jahre unsers bei- nahe vollendeten Jahrhunderts allgemeiner Mißwachs die allgemeine Klage aller Landwir- the war, gaben ihm seine wohlgepflegten Fel- der doch eine mittelmaͤssige Erndte, er konnte sein Gesinde mit eignem Brode speisen, und uͤberdies noch einen maͤssigen Ueberfluß verkau- fen. Wie im zweiten Hungerjahre die herr- lich gruͤnenden Aecker die reichste Aerndte ver- sprachen, lag wuͤrklich noch ersparter Vorrath auf seinem Boden. Er widerstand hartnaͤckig dem immer hoͤher steigenden Anbote der Auf- kaͤufer, welche damals alle Doͤrfer durchzogen, um die noch kleinen Vorraͤthe aufzukaufen, und nach den Staͤdten zu fuͤhren, wo man aus Noth zahlte, was die heißhungrige Gewinn- sucht forderte. Er hatte mit seinem Weibe beschlossen, all sein Getraide in den Graͤn- zen des Dorfs an die armen Insassen und Tagloͤhner um einen niedrigern Preiß zu ver- kaufen, er erfuͤllte sein Geluͤbde, und beide Eheleute hoften, daß dies gute Werk der Al- lesbelohnende einst reichlich vergelten werde. Wie die Erndte sich schon nahte, und tausend Hungrige den Tag der Reife mit banger Sehn- sucht erwarteten, hatte auch Hanns seinen ganzen Vorrath auf diese Art verkauft, nur noch zwei Scheffel Waizen lagen auf seinem leeren Boden, welche die kluge Hausfrau nebst dem noͤthigen Beduͤrfnisse noch zuruͤckgelegt hatte, um in der Erndte die kraftlosen Lohn- arbeiter mit guter und nahrhafter Mehlspeise staͤrken zu koͤnnen. Eben wollte Hanns aus dieser Absicht den Waizen nach der Muͤhle fuͤhren, als ein be- kanter Baͤcker bei ihm einsprach. Ich laufe nun, sprach dieser, schon drei Tage lang nach einigen Scheffeln Waizen umher, und kann keine Metze mehr auftreiben. Das Kloster zu L—, welches ich lange Jahre schon mit Sem- meln versah, fordert mit Ungestuͤm die Erfuͤl- lung meines Kontrakts, ich habe dem Kloster mein ganzes Vermoͤgen zu danken, ich sehe izt nicht auf Gewinn, nur auf Erfuͤllung meines Wortes, und wuͤrde mir gerne jeden Preis gefallen lassen, wenn ich nur einige Scheffel erkaufen koͤnnte. Lieber Hanns, koͤnnt ihr mir nicht helfen? Hanns . Ich habe nur noch zwei Schef- fel. Baͤcker . Genug indeß, weil ich in eini- gen Tagen Waizen aus H— erwarte. Die Frau . Aber diesen Waizen koͤnnen wir nicht verkaufen, denn er ist fuͤr unsre Schnitter bestimmt. Baͤcker . Ob diese weisse oder schwarze Kloͤsse essen, ihnen gilts gleich, wenn sie nur satt werden. Verkauft mir den Waizen, ich zahle euch zwanzig Thaler fuͤr den Scheffel. Die Frau . Es kann nicht seyn. Der arme Tagloͤhner ißt auch gerne etwas Gutes. Wie soll man Arbeit von ihm fordern, wenn man ihn nicht mit nahrhaften Speisen staͤrkt? Baͤcker . Ich zahle den Scheffel mit fuͤnf und zwanzig Thaler. Kauft den Schnittern Fleisch dafuͤr, das staͤrkt kraͤftiger und besser. Die Frau . Das sind sie nicht gewohnt, das schadet mehr, als es nuͤzt. Baͤcker . Laßt euch doch erbitten, ich ge- be dreisig Thaler! Denkt, daß es fuͤr Gott- geweihte Menschen gehoͤrt, die euer in ihrem Gebete gedenken werden. Der Preis, welchen der Baͤcker bot, war ausserordentlich, und die Vermuthung gewiß, daß er in einigen Wochen zwanzig mal so viel kaum so theuer zahlen wuͤrde. Hanns sah bei dem lezten Antrage des Baͤckers sein Weib fragend an, sie nickte mit dem Kopfe, und Hanns ging den Handel ein. Der Becker nahm den Waizen, zahlte sechszig Thaler, und dank- te dem Verkaͤufer noch oft, daß er ihn aus seiner Verlegenheit gerettet habe. Um aber dem Kloster zu beweisen, wie viel er aufofere, ihre Kundschaft auf weitere Jahre zu erhalten, ermaugelte er nicht, dem Vorsteher desselben seinen Kauf zu erzaͤhlen, und zur mehrern Bekraͤftigung den Verkaͤufer zu nennen. Hanns und sein Weib lebten von jeher sehr gottesfuͤrchtig; beide erfuͤllten, weil sie in aͤchtet und wahrer Religion nicht unterrichtet waren, mit seltner Strenge alles ausserordent- liche Zeremoniel derselben. Sie gingen jeden Sonn- und Feiertag nach dem nahen Kloster, um dort nicht allein das grosse, hohe Amt, (eine gesungene Messe) sondern auch die Predigt zu hoͤren. Gluͤhende Roͤthe verbreitete sich auf ihrem Angesichte, bleiche, angstvolle Todten- blaͤsse folgte derselben, als am folgenden Sonn- tage der Prediger eben uͤber den Wucher ei- ferte, welcher bei itziger Theuerung und Hun- gersnoth die Herzen der Reichen fuͤlle, und zu Suͤnden verleite, welche der barmherzigste und langmuͤthigste Gott schrecklich strafen muͤsse. Ein reicher Bauer, rief er aus, hat sich erst vorige Woche erfrecht, die hoͤchst noͤthigen Beduͤrfnisse unsers armen Kloͤsterleins auf die gottloseste Art zu benuͤtzen. Den Dienern Gottes, den Fuͤrbittern des Menschen hat er einen Scheffel Waizen fuͤr dreisig Thaler ver- kauft! Hat sich durch die Vorstellung, daß wir hungern, daß wir schmachten, nicht bewe- gen lassen, nur einen einzigen Pfennig weni- ger anzunehmen! Der gottlose Wucherer ver- diente, daß ich seinen Namen hier oͤffentlich nennte, daß ich ihn mit dem Banne der Kir- che belegte, daß ich ihn gleich einem Zoͤllner aus der Versammlung der Glaͤubigen verjagte; aber ich will Gott nachahmen, ich will barm- herzig seyn, wie er, ich will vergeben und ver- gessen; nur ist es meine Pflicht, ihn zu war- nen, daß er versoͤhne, daß er bereue, damit er einst nicht in den Hoͤllenpfuhl geworfen wer- de, wo Heulen und Zaͤhnklappen ihn erwartet, aus dem keine Erloͤsung zu hoffen ist. Haͤtten Hannsens Nachbarn und Freunde nur irgend einen Verdacht des Wuchers gegen ihn in ihrem Herzen geheegt, waͤren sie nicht vielmehr vom Gegentheile uͤberzeugt gewesen, sie wuͤrden seine That, die der Prediger so hart ruͤgte, sogleich in seinem Gesichte gelesen, aus seinem Betragen vermuthet haben. Er wankte trostlos aus der Kirche, sein Weib folgte eben so. Zu Hause weinten und beteten sie den ganzen Tag, und beschlossen in der fol- genden schlaflosen Nacht ihre schreckliche Suͤnde zu beichten, und die fuͤr den Waizen erhaltnen sechzig Thaler zur Versoͤhnung dem Herrn zu opfern. Ihre Beichte ward am andern Tage im Kloster angehoͤrt, des Suͤhnopfer angenommen, und beiden Vergebung zugesichert, wenn sie in der Folge auch durch neue Opfer beweisen wuͤr- den, daß ihr Vorsatz, sich zu bessern, wahrer Ernst sei. Noch immer aͤngstigte Furcht und Angst das Gewissen der Aermsten, als aber am fol- genden Sonntage der eigennuͤtzige Prediger bewies, daß die Freude im Himmel uͤber einen Suͤnder, der Busse thue, groͤsser sei, als uͤber neun und neunzig Gerechte, die der Busse nicht beduͤrfen, und nun die Reue, das Suͤhn- opfer des wucherischen Bauern oͤffentlich erzaͤhl- te, ihn wieder aufnahm in den Bund der Gna- de, in die Gemeinschaft der allein selig machen- den Kirche, da wich Furcht und Angst, da glaubte der arme Hanns zuversichtlich, daß auch Gott vergeben und vergessen werde. Mit dieser Ueberzeugung ging er wieder wohlgemu- thet an seine Arbeit, und die gute Hausfrau machte es sich zur unverbruͤchlichen Regel, alle Erstlinge der Fruͤchte und des Viehs im Klo- ster dem Herrn zu opfern. Im folgenden Winter bekamen Hannsens Kinder die Blattern, zwei Knaben starben, die uͤbrigen entgingen dem Tode nur mit Muͤ- he. Eines seiner besten Pferde brach kurz nachher den Fuß, und einen fetten Mastochsen fand man am Morgen tod im Stalle. Der Tod der geliebten Kinder kraͤnkte das Herz des Vaters, der Verlust des Viehes machte den sonst so gluͤcklichen Wirth aͤusserst traurig. Er trug mit seinem Weibe haͤufigere Opfer nach dem Kloster, er betete mit ihr emsiger und anhaltender in der Kirche desselben, und hofte dadurch Gottes Zorn zu versoͤhnen, als aber im folgenden Sommer ein starker Wolkenbruch seine grasreichen Wiesen uͤberschwemte, hoch mit Stein und Sand bedeckte, da glaubte er fest und ernstlich, daß die Fuͤrbitte des belei- digten Klosters nicht wuͤrken koͤnne, daß er staͤrkere und kraͤftigere suchen, und Gottes Zorn durch strengere Busse versoͤhnen muͤsse, wenn er Haus und Hof erhalten wolle. Sein Beichtvater, ein einfaͤltiger, dum- mer Moͤnch, dessen Rath er heischte, bestaͤrk- te ihn in seinem falschen Glauben, und er- theilte ihm den heilsamen Rath, nach einem zwar entfernten, aber um so beruͤhmtern Klo- ster zu wallfahrten, wo man Macht und Ge- walt habe, die groͤßten Verbrechen zu versoͤh- nen, und den ruchlosesten Suͤnder so weiß zu waschen, daß auch die strenge Gerechtigkeit Gottes keinen Flecken an ihm entdecken koͤnne. Es wird euch, fuͤgte der fuͤrs Beste seines Or- dens sorgende Moͤnch, zwar einige Thaler ko- sten, aber dafuͤr entgeht ihr auch staͤrkerm Verluste und groͤsserer Gefahr. Hans, der nur Rettung, sey sie auch noch so kostbar, wuͤnschte und suchte, gelobte sogleich die Wallfahrt. Ehe ich ihm aber dahin folge, muß ich zuvor erzaͤhlen, durch welche Huͤlfsmittel sich dieses Kloster den so großen Ruf erworben hatte, und wie die Moͤnche des- selben handelten, um die Buͤssenden in dem schrecklichen Irrwahne zu bestaͤrken, daß man durch ein oft wiederholtes Gebet und durch Opfer, welche man darbrachte, Mord und Todschlag versoͤhnen, und die scheuslichsten Verbrechen der ausgearteten Menschheit ins Meer der Vergessenheit senken koͤnne. Ich werde mich bei dieser Erzaͤhlung aͤusserst bes er - den, den unbefangenen Geschichtschreiber nach- zuahmen, der nur das erwiesene, historisch richtige Faktum darstellt, es mit keiner Schminke besudelt, aber auch keine Schminke duldet. Groß sind oft die Thaten des Aber- glaubens, aber auch eben so verheerend seine Wuͤrkungen! Wollte Gott, ich koͤnnte mit Gewißheit sagen: Sie warens! Wollte Gott, ich muͤßte nicht mit gesenktem Blicke gestehen: Sie sinds noch! In den angenehmen, so laut Gottes Groͤs- se und Allmacht verkuͤndigenden Thaͤlern des T—Landes, liegt ein grosses, sehr schoͤnes Kloster. Es lehnt seine hohen und stolzen Mauern an einen Berg, dessen Gipfel ewiger Schnee, ewiges Eis deckt, es blickt dem muͤ- den Pilger einladend durchs enge Thal entge- gen, es wuͤrde die Bewunderung eines jeden Wanderers erregen, wenn nicht eben seine Lage am deutlichsten bewiese, daß des Men- schen groͤßtes Werk, die kleinste Kleinigkeit sey. Alle die weitlaͤufigen Gebaͤude, alle die hohen, glaͤnzenden Thuͤrme schwinden in einen unmerkbaren Punkt zusammen, wenn man sie mit der Allmachtsgroͤsse des Schoͤpfers ver- gleicht, wenn man sie mit den ungeheuern Bergen mißt, die seine starke Hand hieher sezte. Der dumpfe, durchdringende Ton der Glocken, welche des Klosters Thuͤrme zieren, fliegt dem horchenden Ohre unhoͤrbar voruͤber, wenn der Donner zwischen den Felsen rollt, oder die grossen Eisklumpen ins wilde Thal hinabstuͤrzen, daß die Erde bebt, und der Schall in den Kluͤften umherbruͤllt. Vor fuͤnfhundert Jahren baute hier ein Buͤssender seine einsame Zelle, und starb im Rufe der Heiligkeit. Im spaͤtern Jahrhunder- te gab dies einigen wandernden Moͤnchen Gele- genheit, hier ein Kloͤsterlein zu stiften, wel- ches nach und nach die sterbenden Edeln des Landes Landes reichlich begabten. Ehe die Haͤlfte ei- nes neuen Jahrhunderts verfloß, wandelte diese Vergrabung das hoͤlzerne Thuͤrmlein in einen hohen Thurm um, dessen Quadersteine weit ins Thal hinabglaͤnzten, die niedern Zel- len der Moͤnche erweiterten sich in hohe, lufti- ge Gemaͤcher, die Raum genug hatten, ein Duzend Zecher und lustige Trinker zu fassen. Schon damals ging die Sage durchs Land, daß man sich in diesem Kloster von allen seinen Suͤnden reinigen, die schwerste Last von Herz und Gewissen wegbeten koͤnne, weil der erste Stifter dieses Klosters, ein Erzgauner, ein verruchter Boͤsewicht, hier nicht allein Verge- bung erflehte, sondern auch Kraft erhielt, Wunder zu wuͤrken, Kranke zu heilen und Teufel auszutreiben. Diese Sage, welche manchen am Rande des Lebens schaudernden Suͤnder zur neuen Vergabung reizte, war ganz gewiß die Ursache, Biogr. d. W. 4r Bd. N daß die immer sich mehrenden, immer uͤppiger lebenden Moͤnche sich nach und nach in den Au- gen der unwissenden Laien zu Heiligen erhoben, die jedes Andenken der ruchlosesten Missethat tilgen, jedes Verbrechen versoͤhnen koͤnnten. Lange herrschte dieser blinde Glaube im Lande, und naͤhrte die Moͤnche reichlich, als aber an- dere Kloͤster erbaut wurden, und sich des nem- lichen Vorzugs ruͤhmten, da suchte der Reuen- de nicht mehr in der Ferne, was er in der Naͤ- he fand, und die Einnahme des sonst so be- ruͤhmten Klosters verringerte sich um ein grosses. Damals theilten sich bruͤderlich, in den so- genannten Spekulationshandel, Moͤnche und Juden. Beide betrogen wakker, nur mit dem Unterschiede, daß der Erstere seinen treuherzi- gen Kaͤufer immer nur kuͤnftiges Gut verkauf- te, da der Leztere doch immer, wenn er auch noch so viel gewann, etwas Reelles liefern muste. Hoch geehrt wurde in jedem Kloster derjenige Moͤnch, welcher den Mechanismus dieses eintraͤglichen Handels vollkommen ver- stand, und sich in der lezten Lebensstunde, wo man so gerne fuͤr allen irrdischen Tand jenseiti- ge Gewißheit kaufen moͤchte, als ein geistlicher Wucherer bewies. Diese Maͤkler konnten dann sicher auf Ehrenstellen rechnen, aus ihnen ward immer der geschickteste zum Abte erwaͤhlt. Eben wie man aus Mangel des geistlichen Wechselnegozes im Kloster zu T — taͤglich eine Speise weniger auf die Tafel setzen muste, nur vier, statt sechs Becher Wein leeren konnte, starb der alte, unthaͤtige Abt, und einer der geschicktesten Maͤkler behauptete seinen Plaz. Er untersuchte mit Forscherblick den Verfall der kloͤsterlichen Einkuͤnfte, er blickte durchs lange Thal hinab, ins tiefe Deutschland hinein und uͤberzeugte sich deutlich, daß im fetten Boden des Aberglaubens die Kloͤster wie Pilze empor N 2 gewachsen, in jedem derselben Wechselbanken errichtet waren, die von der paͤpstlichen Kam- mer gegen aͤusserst billige Prozente privilegirt wurden, unter eigner Firma Anweisungen auf den unerschoͤpflichen Gnadenfond des ewigen Jenseits auszustellen. Er sann nach, wie er allen diesen Nebenbuhlern den Rang abgewin- nen, wie er den idealischen Gewinn des Kaͤu- fers versinnlichen, anschauend darstellen, und dadurch die Kauflustigen aus der Naͤhe und Fer- ne herbeylokken koͤnne. Und sieh da, sein Wunsch gelang vollkom- men, sein Projekt uͤbertraf selbst die kuͤhne Erwartung eines jeden Moͤnches. Er baute, um seinen Entzweck zu erreichen, in der Kir- che des Klosters ein neues Hochaltar , So wird in jeder katholischen Kirche dasjenige Altar genannt, welches in der Mitte des Hin- tergrundes der Kirche steht, und in dessen Ta- bernakel die geweihten Hostien (das Hochwuͤr- digste) aufbewahrt werden. hinter dem Tabernakel desselben, ließ er eine große, viereckichte Oefnung woͤlben, in welche er nichts mehr und nichts weniger, als eine simple Laterna magika stellte, deren Bilder man nach Gefallen, ohne von dem Poͤbel gese- hen zu werden, in dem Innern des Altars verwechseln konnte. Ein Bild, welches den ofnen Hoͤllenrachen mit allen seinen Attributen à la Kochem vorstellte, ein anderes, welches den Heiland der Menschen, wie er eben blu- tend am Kreuze verschied, und ein drittes, welches die Seligkeiten des Himmels nach irr- dischen Ideen sehr reizend abbildete, waren die drei wesentlichsten Vorstellungen, mit welchen er diese Laterna magika auszierte. Wenn nun in der Folge ein Suͤnder im Beichtstuhle erschien, so war sein Beichtvater schon unterrichtet. Ist deine Reue, sprach er dann zum Beichtenden, aͤcht und rein, so ist mir Gewalt gegeben, dich der Suͤnde und Strafe zu entbinden. Doch vorher will ich dir Gelegenheit goͤnnen, dich von deinem jetzigen Zustande zu uͤberzeugen. Geh hinter den ho- hen Altar, steige fuͤnf Stufen in die Hoͤhe, blicke ins Allerheiligste, und bringe mir Nach- richt: Was du sahst! — — Zitternd und be- bend kehrte dann immer der Suͤnder zuruͤck, denn es war schon fest gesezt, daß er zum er- stenmale den ofnen Hoͤllenrachen sehen muste, in welchen eben einige feuerspruͤende Teufel eine arme Seele einfuͤhrten. Ja, ja! verlohren, verdammt bist du, entgegnete dann immer der Beichtvater dem zagenden Buͤßer, must stracks zur Hoͤlle wandern, wenn du nicht aͤchte Buße thust, nicht eifrige Fuͤrbitter waͤhlst! — — Welcher Nothleidende und Huͤlfsbeduͤrfige hascht nicht gerne nach den Leztern, er heischte sie stets dringend, und da man sich hienieden nicht gerne vergebens bemuͤht, so ward allemal der Vermoͤgensstand des Bußfertigen sorgfaͤltig gepruͤft, und dann das Opfer festgesezt, wel- ches er dem Kloster darbringen muste, wenn es dagegen sein eifriger Fuͤrbitter werden sollte. Der Buͤssende ward, wenn er dies erlegte, auf drei, sechs, auch zehn und zwanzig Tage zur Geduld verwiesen, muste diese Zeit hin- durch fleissig in der Herberge des Klosters zeh- ren, emsig in der Kirche desselben beten, und genoß dabei die suͤsse Hofnung, daß alle Gebe- te, alle Messen, welche unter dieser Zeit von den Moͤnchen gesprochen und gelesen worden, zu seiner Versoͤhnung kraͤftiglich wuͤrken wuͤr- den. War nun die Pruͤfungszeit vollendet, so erschien der Suͤnder wieder im Beichtstuhle, und ward sogleich zum zweiten Blicke ins Aller- heilige verwiesen. Er sah dann gemeiniglich den sterbenden Heiland am Kreuze. Frohlok- kend rief alsdann der Moͤnch dem ruͤckgekehrten Erzaͤhler zu: Gluͤcklicher Sterblicher, dein Heiland will dein Vermittler werden, will mit seinem kostbaren Blute deine Suͤnden abwa- schen, will dich mit dem strengen, vaͤterlichen Richter versoͤhnen. Halte an, im Gebete, opfere noch mehr, und du wirst gereinigt von deinen Missethaten von hinnen ziehen! Der Suͤnder befolgte den Auftrag puͤnkt- lich, kehrte zur bestimmten Zeit zuruͤck, sah zum leztenmale ins Allerheilige, und sah dann gemeiniglich den ofnen Himmel, zu wel- chem eine weisse Taube empor flog, die viele Engel mit ofnen Armen erwarteten. Die weis- se Taube, sprach nun der Beichtvater, ist deine von allen Suͤnden und Verbrechen gerei- nigte Seele, so wird sie schnur stracks gen Himmel fahren, wenn du izt stirbst, oder in der Folge nicht mehr suͤndigst! Gehe in Frie- den, deine Suͤnden sind vergeben und ver- soͤhnt. Du bist nun ein sicherer und kuͤnftiger Bewohner des Himmels! Man setze sich nun in die Lage des armen Suͤnders, man denke sich nun den festen Glau- ben desselben, und fuͤhle Freude und Wonne mit ihm! Kein Gewissensbiß nagt mehr an seinem Herzen, keine Last aͤngstigt und quaͤlt es mehr, er hat sich mit eignen Augen uͤber- zeugt, daß er gereinigt sey von allen seinen Suͤnden, daß er im Himmel mit ofnen Armen erwartet werde. Ganz natuͤrlich wars nun, daß er aus Dankbarkeit der Verkuͤndiger der grossen Wunder wurde, welche die Moͤnche zu T — taͤglich uͤbten, daß er jeden, den sein Gewissen aͤngstigte, zur vollkomnen Versoͤh- nung dahin verwies. Ehe zwei Jahre verflossen, sprach schon halb Deutschland von der wunderthaͤtigen Macht des Klosters, ehe das dritte endigte, wallfahrteten schon alle, die mit schweren Suͤn- den beladen waren, dahin, um gereinigt und versoͤhnt ruͤckkehren zu koͤnnen. Ueberfluß und Genuß aller Delikatessen herrschte bald in diesem Kloster, und da der Abt klug genug war, die Brodsamen, welche vom Tische sei- ner schwelgenden Moͤnche herabfielen, unter die nahen und entfernten Kloͤster seines Ordens bruͤderlich zu vertheilen, so wurden diese aus Dankbarkeit die Lobredner des unerschoͤpflichen Gnadenquells, welcher im Kloster zu T — zum Troste und zur Erquickung der bußfertigen Suͤnder entsprungen sey, und stets reichlich hervorstroͤme. Das elende Kunst- und Trug- stuͤck des Abts ward mit dem Teiche Bethsaida verglichen, und jenem der Vorzug noch uͤber den lezten eingeraͤumt, weil man dort nicht Jahre nur Tagelang harren mußte, um ge- heilt und gesund heim zu gehen. Da die Erfindung des Abts so herrliche Fruͤchte brachte, so ward sie in der Folge weit staͤrker vermehrt und verfeinert. Man stellte in diese Laterna magika noch viele andere Bilder, welche, je nachdem der Spaͤhende reich oder arm war, die Versoͤhnung verzoͤgerten oder befoͤrderten. Oft, wenn er vor dem ofnen Hoͤl- lenrachen zuruͤckbebte, und wieder hinzutrat, sah er erst die Quaalen des Fegfeuers, und wenn er sich durch neue Opfer aus diesem erret- tet hatte, fand er einen betenden Heiligen, der fuͤr ihn mit erhabnen Armen zum Himmel flehte. Neue Opfer brachten ihn dann endlich dem Himmel naͤher. Um Ordnung unter der Menge der Beich- tenden zu erhalten, ward in der Folge der so wunderthaͤtige Kasten versperrt, und der Suͤn- der, welchem ein Blick darein vergoͤnnt wurde, erhielt erst aus der Hand seines Beichtvaters den Schluͤssel dazu. Aufmerksame Beobachter wollen wahrgenommeu haben, daß ein gehei- mer Glockenzug dann immer den Direktor der Maschine unterrichtete: Welches Bild er dem Kommenden darstellen sollte. Wahr und gewiß ist es uͤbrigens, daß sich diese Taͤuschung bis in unser Jahrhundert erhielt, daß sie noch vor einigen Jahren, oh- ne Hinderniß, ohne Entdeckung zu befuͤrchten, fortwuͤrkte!!! Der denkende Reisende erstaunt mit vollem Rechte, wenn er dies Kinderspiel beherzigt, seine grosse, oft auch schreckliche Wuͤrkung uͤberdenkt. Die Pracht der Kirche ist groß, die Schazkammer derselben, der Werth der goldnen und silbernen Opfer uͤbersteigt alle Erwartung. Pilger aller Nazionen versam- meln sich dort, und finden in den haͤufigen Beichtstuͤhlen ihrer Sprache kundige Moͤnche, die noch immer ungescheut das Spiel des finster- sten Aberglaubens forttreiben. Es ist unglaub- lich, aber es ist noch weit unglaublicher, daß es wahr ist! Zu diesem Kloster wallfahrtete nun der arme, geaͤngstigte Hanns. Um fruͤher Verge- bung seiner Suͤnde zu erlangen, um groͤssere Strafe von seinem Hause und Hofe abzuwen- den, sattelte er sein bestes Pferd, und trabte anhaltend fort. Leicht und wohl wards ihm ums Herz, als er von Ferne die Zinnen des Klosters erblickte, zagend und hoffend, fuͤrch- tend und zweifelnd wankte er zum Hochaltar, als sein Beichtvater ihm den Schluͤssel reichte. Er oͤfnete zitternd die Thuͤre, blickte hinein, sah den ofnen Hoͤllenrachen, und die feuer- spruͤhenden Teufel, welche seine Seele ohne Barmherzigkeit in den Feuerpfuhl versenkten. Dieser schreckliche, unerwartete Anblick raubte dem Ungluͤcklichen auf der Stelle seinen Ver- stand, er war mit der festen Ueberzeugung hie- her gereist, daß er nur hier Vergebung seiner schweren Suͤnde erlangen koͤnne, er hatte mit vollem Rechte Trost, wenigstens Hofnung er- wartet. Der schreckliche Anblick raubte ihm beides. Du bist ewig verdammt! schallte es in sein Ohr und drang durch alle Nerven. Ich bin ewig verdammt! lallte sein Mund, er eilte aus der Kirche, und wie sein Beichtva- ter nach ihm fragte, war er schon aus der Ge- gend verschwunden. Erst nach sechs langen Wochen, kehrte er zur harrenden Gattin heim. Sein armes Pferd, das matt unter ihm wankte, auf zwei Fuͤssen hinkte, und aͤusserst mager war, er- kannte wahrscheinlich die nahe Heimath, durch welche der arme Wahnsinnige eben ziehen woll- te, und trug ihn zum Stalle, in welchem es bessere Pflege kannte. Hier fand es am Abende der Knecht, und seinen Herrn auf diesem, er mußte sich muͤhen, ihn fuͤr diesen zu achten, weil die wilden, starren Blicke den Ungluͤckli- chen aͤusserst verstellten. Sein Geschrei: Der Hauswirth ist heimgekehrt! erregte anfangs Freude im ganzen Hause, alle eilten ihm mit ofnen Armen entgegen, aber alle schauderten zuruͤck, als er sie mit fuͤrchterlichen Blicken an- grinzte, als er ihnen zurief: Ich bin ver- dammt, und ihr alle seyd verdammt! Nur mit Gewalt konnte man ihn nach der Stube schleppen, man mußte an seinem Lager wachen, weil er immer entfliehen wollte. Schon am dritten Tage raßte er fuͤrchterlich, und die trauernde Gattin konnte es nicht hin- dern, als man ihn mit Ketten fesselte, weil sie fuͤr das Leben ihrer Kinder zagte, die er einigemal erwuͤrgen wollte, um den hungrigen Teufel damit zu fuͤttern, welcher seiner Ein- bildung nach, stets mit ofnen Krallen vor ihm stand. Das Bild der Hoͤlle stand fest vor sei- ner Seele, sein Weib und seine Kinder konn- ten es nicht wegbeten, kein Arzt die Quaalen lindern, welche der immer dauernde Anblick ihm verursachte. Ich bin verdammt! Dies waren die einzigen Worte, welche er stets und endlich so schrecklich, so fuͤrchterlich aussprach, daß niemand sich ihm mehr nahen, keiner ihn pflegen wollte. Vergebeus versuchten es die Moͤnche, die Wunde zu heilen, welche sie selbst geschlagen hatten. Wenn sich einer ans ihnen dem Un- gluͤcklichen nahte, so raßte er schrecklich, und klammerte sich fest an sein Lager an, weil er wahrscheinlich den Moͤnch fuͤr den Teufel nahm, und waͤhnte, daß er ihn zur Hoͤlle schleppen wolle. Dies gab in der Folge Gelegenheit, den armen Wahnsinnigen fuͤr einen Besessenen zu achten, den kein Priester retten und erloͤ- sen koͤnne, weil er sich durch straͤflichen Wucher zu schwer an ihnen versuͤudigt habe. So fand der Aberglaube selbst in seiner schrecklichen Wuͤr- kung neue Nahrung, und errichtete sich einen Thron auf dem Ruͤcken des Elenden, den er vorher zu Boden getreten hatte. Die Die Anverwandten des Ungluͤcklichen er- fuhren nie die eigentliche Ursache seines Wahn- sinnes, sie waͤhnten nur, daß sein Verbre- chen ihm schon fruͤher den Verstand verwirrt habe, ehe er seine Wallfahrt vollendete, und den Gnadenort erreichte. Die Moͤnche be- staͤrkten sie in dieser Meinung, und nahmen ohne Scheu die haͤufigen Opfer an, welche ihnen die arme Gattin darbrachte, um das Leiden ihres Mannes zu mildern. Er starb erst nach funfzehn Jahren, er duldete hienieden noch schreckliche Pein, er starb in einem heftigen Anfalle von Raserei, und ging in eine bessere Welt hinuͤber, wo kein Moͤnchstrug das hellsehende Auge blendet, wo er den gerechten, aber auch barmherzig- sten Richter fand, den haabsuͤchtige Priester oft als den groͤßten Tirannen schildern. Biogr. d. W. 4r Bd. O O die Wuͤrkungen des Aberglaubens und seines taͤuschenden Trugs sind schrecklicher, sind verheerender, als der Philosoph glaubt, und der Menschenfreund waͤhnt. Wollte ich nur die Biographien der Ungluͤcklichen liefern, welche in der Hand eines harten Beichtvaters, eines fanatischen Predigers ihren Verstand verlohren, mein Werk wuͤrde zu einer Groͤsse anwachsen, die selbst der weite Arm der sanf- ten Duldung nicht umfassen koͤnnte. Ich ver- ehre die Religion mit innigster Ehrfurcht, ich verehre die wuͤrdigen Diener derselben, aber ich hasse den Hirten, welcher seine Heerde mit Fantomen und Gespenstern schreckt, und sie hindert, die Weide zu genuͤßen, welche Gott zu ihrem Genusse erschaffen hat. Wenn man zur Zinne der Wahrheit em- por klimmt, und hinab blickt ins Thal, in die Werkstaͤtte des Aberglaubens, so muß man uͤber seine Thaten erstaunen. Hier baut er schwankende Bruͤcken uͤber die fuͤrchterlich- sten Abgruͤnde, dort stellt er warnende Zei- chen am Graͤbchen aus, das der sechsjaͤhrige Knabe ohne Gefahr uͤberschreiten kann. Er laͤßt seine Diener am schroffen Felsen umher- klettern, und spottet des Klugen, der auf der breiten, gebahnten Heerstrasse wandelt. Er entreißt der weinenden Witwe den schir- menden Schild, und deckt damit den Moͤrder ihres Gatten. Er reicht der frohen Buhldirne seine Hand, und stoͤßt die tugendhafte Jung- frau vom Pfade hinab, auf welchem er jene leiten will. Er wirft Feuer in die friedliche Huͤtte des Weisen, und baut der Dummheit vergoldete Pallaͤste. Er stiehlt dem hungrigen Armen sein Brod, und maͤstet damit die Hunde der Reichen. Er handelt mit Fetzen und Lumpen, und laͤßt sich solche gleich Dia- manten bezahlen. Er mißt die ewige Selig- keit mit der Elle, und verkauft die Laͤnge ei- nes Jahrtausends fuͤr einen Pfennig! Er be- O 2 weist mit unumstoͤßlichen Gruͤnden, daß der Geizhals, Trunkenbold, Wolluͤstling und Moͤrder nicht in das Reich Gottes eingehen koͤnne, und gibt jedem aus diesen einen Frei- brief, damit er auf einem Seitenwege hinein- schleichen koͤnne. Er verflucht den Judas Ischariot, der seinen Meister um dreisig Sil- berlinge verrieth, und bietet im folgenden Augenblicke um einen derselben dem Unwuͤr- digsten der Menschen das Verdienst des goͤtt- lichen Heilandes zum Kaufe an. Er wuchert mit Himmel und Hoͤlle, und schachert gleich einem Juden mit dem Fegfeuer. Das steinerne Brautbett; oder Hugo und Kleta. (Fortsetzung.) W ie Hugo am andern Morgen zu Edel- drud eilte, um uͤber das, was sie ihm am vorigen Tag nicht entdecken wollte, Auf- schluß zu erhalten, fand er dieselbe tod. — Die trauernde Kleta sank schluchzend in seine Arme, und ohne zu sprechen, rannen haͤu- fige Thraͤnen ihre Wangen herab. Nichts war im Stande, die Traurende zu beruhi- gen. Hugo mußte, nach damaliger Sitte, sich entfernen, und durfte nur erst, als Edeldrud beerdiget war, zu Kleta wieder kehren. Ihm duͤnkten diese wenigen Tage eine Ewigkeit. Endlich verflossen auch diese, und er sah seine Kleta wieder. Mein Hugo, sprach sie, der Fluch mei- ner Mutter ruht auf mir, wenn ich dich liebe! und doch — und doch! — hier ver- barg sie sich an seinen Busen; nur der Grund des Verbots von Eldruden blieb ihnen ein Geheimnis. Endlich erinnerte sich Kleta des Schmuckkaͤstchens, wovon ihre Mutter ihr gesagt hatte, und worinnen die Papiere der- selben verwahrt lagen; allein ein Zeddel, welcher daran befestiget war, mit dem Be- fehle: Solches nicht eher als einen Monden nach Kleta's Heirath zu eroͤfnen; vernich- tete auch diese Hofnung. Man dachte endlich an den Moͤnch, und an den Eindruck, den derselbe auf Edeldrud, und diese auf ihn gemacht hatte: aber bei der Kunde nach diesem ward ihnen zur Ant- wort, daß er an einem hitzigen Fieber dar- nieder liege, und daß man an seinem Leben zweifle. Also war auch hier keine Auskunft zu erwarten. Hugo, der dem Gluͤck seiner Liebe sich so nahe glaubte, sah sich immer weiter da- von entfernt. Der Kaiser Ludwig, den Re- gierungsgeschaͤfte nach Muͤnchen riefen, ließ Zubereitungen treffen, um dahin aufzubre- chen. Hugo war genoͤthiget, demselben zu folgen, allein Kleta unbeschuͤtzt zuruͤck zu lassen, schien ihm unmoͤglich. Er versuchte alles, seine Kleta zu einer Verbindung mit ihm zu bereden. Sie war es zufrieden, wenn ein Priester den schrecklichen Fluch ih- rer Mutter loͤsen wuͤrde. Sehr bald fand sich ein dienstfertiger Priester, der denselben aufhob; und Kleta eilte mit ihrem Gelieb- ten nach Muͤnchen, wo nach Verlauf eini- ger Monate die Hand eines Priesters sie auf immer verband. Indeß Hugo und Kleta im Genuß ihrer Liebe sich gluͤcklich fuͤhlen, kehren wir nach Regensburg zuruͤck. Nach einigen Monden erholte sich der Moͤnch, der bei dem Anblick Edeldruds so betroffen war, von seiner Krankheit. Er erkundigte sich sogleich nach Edeldrud und Kleta, man berichtete ihm den Tod der erstern, und auch, daß Kleta mit Hugo nach Muͤnchen gereiset, und wahrschein- lich nun mit ihm vermaͤhlt sei. Haͤtte Edeldrud ihrer Tochter erlaubt, ihre Lebensgeschicke fruͤher zu eroͤfnen, so wuͤrde sie ihr einziges Kind nicht in graͤn- zenloses Elend gestuͤrzt haben. Um dieses zu verhindern, eilte der alte Moͤnch, der niemand anders als Otto von Fahrwangen war, nach Muͤnchen; Kleta aber war be- reits mit Hugo nach ihrer muͤtterlichen Burg in Boͤhmen abgereist, wohin auch er in schnel- ler Eile folgte. Er fand dieselben bei seiner Ankunft in ihrem Garten. Sein fuͤrchter- licher Blick schreckte beide, und sie argwoͤhn- ten den Sturm, der ihnen drohte. Moͤnch . Ihr seid verheirathet? Hugo . Seit einem Monden. Moͤnch . Ungluͤckliche! und ihr ahndet nichts — — Kleta ist deine Schwester, du, Hugo, bist ihr Bruder. Bei diesen Worten war der Greis einer Ohnmacht nahe — Hugo wollte ihn zu einer Rasenbank leiten — Moͤnch. (auf Kleta zeigend) Ste- he erst dieser bei, dann will ich weiter mit dir sprechen. Meine Nachricht war ihrem Ohre zu schrecklich, sie sinkt, stehe ihr bei, ich vermags nicht! Erst als Kleta wirklich sank, eilte Hu- go zu ihrer Huͤlfe herbei, die er selbst noͤ- thig hatte, weil die Schreckensworte des Unbekannten all sein Gluͤck, alle seine fro- hen Aussichten mit einmal vernichteten. Er schlepte die Ohnmaͤchtige nach ihrem Ge- mache, und eilte in den Garten zuruͤck, um die schreckliche Nachricht besser zu pruͤ- fen, sie mit allen moͤglichen Gegengruͤnden zu bestreiten. Aber bald ward ihm volle Gewißheit seines Ungluͤcks. Sein ehemaliger Pflegvater, der Edle von Immenthal, hatte ihn lange Zeit als seinen eignen Sohn erzogen, wie er aber alt und siech wurde, da entdeckte er ihm, daß er nicht sein Kind, sondern der Sohn des Ungluͤcklichen Otto von Farwangen sei, den er einst als Freund liebte, und der ihm solchen, wie er noch nicht lallen konnte, bei Nachtzeit uͤberbracht, und als das ein- zige Pfand einer hoͤchst ungluͤcklichen, aber namlosen Liebe anvertraut habe. Ich weiß nicht, sprach der Greis damals zu Hugo, ob dein Vater noch hienieden wallt, damit du ihn aber, wenn dich Gott in seine Ar- me fuͤhren sollte, sicher und gewiß erkennst, so verwahre dieses Stuͤck eines zerbrochnen Ringes mit moͤglichster Sorgfalt. Derje- nige, welcher dir die andre Haͤlfte zeigt, ist dein Vater, ehre ihn als diesen, denn er ist hoͤchst ungluͤcklich, leider aber auch hoͤchst unschuldig. Sage ihm, daß ich alles gethan habe, um Freundespflicht an dir zu erfuͤllen. Sein Name ist ausgeloͤscht unter den Namen der Edlen des Landes, ich habe es durch dringende Bitte beim Kaiser erhal- ten, daß du den Meinigen fuͤhren darfst. Wollte Gott, ich koͤnnte dir auch meine Veste zum Erbtheile hinterlassen, aber, ehe ich diese zweite Bitte an den Kaiser wagte, war mit dieser schon ein verdienter Krieger be- lehnt worden, ich kann dir nichts als mein Schwerdt hinterlassen, welches dir, wenn du es gut fuͤhrst, erst eine aͤhnliche Beloh- nung erwerben muß. Hugo erinnerte sich izt dieser Worte. Er trug die Haͤlfte des goldnen Rings stets auf seiner Brust, er war stolz auf seinen ungluͤcklichen Vater, dem der izt regierende Kaiser schon laͤngst zu verzeihen geneigt war; er wuͤnschte oft sehnlich, ihn zu sehen und zu umarmen, aber er waͤhnte nicht, daß die Erfuͤllung dieses Wunsches ihn hoͤchst un- gluͤcklich machen wuͤrde. Izt nahte er sich, mit dem Ringe in der Hand, zitternd dem Moͤnche. Ha, ich verstehe, sprach dieser, du willst pruͤfen: Ob ich dein Vater bin? Da nimm ( indem er ihm die andre Haͤlfte reichte ) und sieh zu, ob sie nicht eins aus- machen. Hugo fuͤgte die Stuͤcke zitternd zu- sammen, und sank uͤberzeugend zu des Moͤnchs Fuͤssen nieder. Wenn du mir auch den Todesbecher reichst, so soll diese Grau- samkeit mich doch nicht hindern, dich als Vater zu gruͤssen und zu ehren. Der Moͤnch sank geruͤhrt an seine Brust hinab, sie fuͤhl- ten noch lange, ehe Hugo es wagte den wie- dergefundenen Vater zu fragen: Ob sein ge- liebtes Weib wuͤrklich seine Schwester sei? Ob Trennung von ihr ihn wuͤrklich graͤnzen- los elend machen muͤsse? Moͤnch . Wollte Gott, ich koͤnnte dich troͤsten! Wollte Gott, ich haͤtte deine un- gluͤckliche Heirath nie erfahren. Der Un- wissende kann nicht suͤndigen, ihm wird da- her sichere Verzeihung, aber izt — — izt muß ich reden, ich kann, ich darf meine Suͤndenschale nicht noch mehr belasten, sie ist ohnehin tief gesunken. Nur Vertrauen auf die unendliche Barmherzigkeit des Ewi- gen laͤßt mich hoffen, daß meine Reue sie heben wird. Um dich zu uͤberzeugen, muß ich dir meine ganze Lebensgeschichte erzaͤhlen. Verachte mich nicht, wenn dein Vater dir offen gesteht, daß er einst ein ruchloser Boͤ- sewicht war. Ich diente, als ich vier und zwanzig Jahr alt war, an Kaiser Albrechts Hofe, Rudolph von Palm war mein vertrautester Freund, er verbuͤndete sich mit Herzog Jo- hann gegen das Leben des Kaisers, und fuͤhrte in seiner Gesellschaft das Bubenstuͤck aus. Ich hatte keinen Theil an der That, ich muthmaßte sie nur aus seinen zweideuti- gen Reden, und war zu sehr Freund, um ihn durch Verrath ungluͤcklich zu machen. Ich blieb, als die Thaͤter flohen. Wie aber Albrechts Kinder das Rachschwerdt er- griffen, jeden, der mit den Thaͤtern ehe- mals Gemeinschaft pflog, vor ihr Gericht fuͤhrten, und oft allzu streng richteten, da trieb auch mich Angst und Furcht in die Flucht. Ich ward dadurch verdaͤchtig, uͤberall gesucht und verfolgt. Ich floh bis an Boͤh- mens Graͤnzen, irrte in seinen Waͤldern umher, und machte endlich mit einer Raͤu- berhorde Bekantschaft, welche in den Hoͤh- len des Forstes ungestoͤhrt wohnte, und mich in ihren Bund aufzunehmen versprach. Ich sah nirgends Sicherheit, nirgends Hof- nung fuͤr mich, und ergriff diese einzige, um mein Leben zu fristen, nicht Hunger zu sterben. Ich bekenne es dir offen, daß ich in ihrer Gesellschaft raubte, und mir bald durch meine Tapferkeit Ansehen und Hochachtung erwarb. Um ihren maͤchtigen Bund fuͤr Entdek- kung, und moͤglichem Verrath zu sichern, hatten sie manche grausame Gesetze unter sich errichtet. Eines der grausamsten war, daß zwar jedes Glied berechtigt war, sich unter den Toͤchtern des Landes eine Dirne zu rau- ben, und sie als sein Weib heimzufuͤhren, aber er mußte vorher schwoͤren, daß er es nicht hindern wolle, wenn man der Ungluͤck- lichen die Zunge abschneide, damit sie bei moͤglicher Flucht oder Entdeckung nichts ver- rathen koͤnne. Ich schauderte, als ich sehr viele solcher ungluͤcklichen Geschoͤpfe in den Hoͤhlen umherwandeln sah, ich staunte aber noch mehr, als ich mich uͤberzeugte, daß viele dieser sprachlosen Dirnen ihren Gatten offen offen und innig liebten, ihre Kinder sorg- faͤltig, und als treue Muͤtter pflegten. Nach einem Jahre starb der Anfuͤhrer der Horde, welche izt uͤber dreihundert Glieder stark war. Alle erkannten mich als den Tapfersten, und waͤhlten mich zu ihrem Hauptmanne; ich mußte schwoͤren, daß ich ihren Bund aufrecht erhalten, und jedes Ge- setz mit Strenge schuͤtzen wollte. Wie ich einst mit einigen meiner Untergebnen von ei- nem gluͤcklichen Raube zuruͤck nach unserm Forste kehrte, begegnete mir die schoͤne Edel- drud, sie hatte wahrscheinlich iu einer na- hen Kapelle gebetet, ihr Schleier wallte frei umher, sie deckte erst ihr Angesicht damit, als wir uns ganz nahten. Ihr Engelge- sicht, ihre reizende Gestalt weckte Liebe in mir, mein Herz flog ihr entgegen, und folgte unwillkuͤrlich, als sie nach der vaͤter- lichen Veste zog. Ich waͤlzte mich schlaflos Biogr. d. W. 4r Bd. P auf meinem Lager umher, ich sah nur ihre Ge- stalt, innige Liebe zu ihr wallte durch mein heisses Blut, durchdrang jede meiner Nerven, und machte sie kraftlos, ich glich einem Traͤn- menden, einem Kinde, das emporstrebt und wieder zuruͤcksinkt. Die Raͤuber achteten mich fuͤr krank, und goͤnnten mir Ruhe, ich nuͤzte sie, und verbarg mich taͤglich nahe bei der Kapelle, um die holde Dirne noch einmal zu sehen. Sie kam oft dahin, und meine Liebe mehrte sich immer, sie heischte stuͤrmisch Trost und Rettung, ich wallte verzweiflungsvoll umher, und wuͤrde untergelegen seyn, wenn einige Raͤuber nicht meinen Zustand geahndet, mir Aussichten ge- oͤfnet haͤtten, die ich vorher nie zu denken wagte. Sie riethen mir einstimmig, daß ich die Dirne entfuͤhren, und zu meinem Weibe ma- chen solle. Ich ergrif diesen Rath mit ungestuͤ- mer Freude, aber ich schauderte zuruͤck, als ich uͤberlegte, daß ich sie huͤlflos ungluͤcklich ma- chen wuͤrde, wenn man das grausame Gesetz an ihr uͤben, ihr die Zunge abschneiden werde, die izt immer so andaͤchtig betete. Laßt mich sterben, sprach ich zu den Raͤubern, ich liebe nicht gleich euch, ich kann den Gegenstand mei- ner innigsten Liebe nicht verunstaltet sehen. Die Raͤuber schienen mein Leid zu fuͤhlen, sie sahen nebenbei ein, daß ich unthaͤtig verschmach- ten wuͤrde, sie traten an mein Lager, und ver- sprachen mir, des Gesetzes Vollstreckung nicht zu fordern, aus aͤchter Neigung zu ihrem Hauptmanne eine Ausnahme zu machen, und meines kuͤnftigen Weibes Zunge nicht zu beruͤh- ren. Dieses Geluͤbde machte mich wieder froh und thaͤtig, ich zog bald hernach mit den Ta- pfersten meiner Gefaͤhrten auf Spaͤhe, lauerte drei Tage lang bei der Kapelle, und raubte P 2 die Inniggeliebte gluͤcklich am Abende des drit- ten Tages. Wir trugen sie ohnmaͤchtig in unsre Hoͤh- len; als sie erwachte, kaͤmpfte Verzweiflung mit ihr, sie haßte und verachtete mich als den Urheber ihres Ungluͤcks, und fluchte mir, wenn ich flehend Liebe von ihr heischte. Ihre Ge- genwart mehrte diese bis zur Wuth, die ruch- losen Raͤuber weckten sie noch mehr durch Spott und Hohn, sie lachten uͤber den so tapfern Hauptmann, der ein schwaches Weib nicht zwingen koͤnne. Verachte, verabscheue deinen Vater nicht, wenn er dir offen gesteht, daß die Macht der heftigsten Leidenschaft endlich siegte, daß er mit Gewalt raubte, was man seiner Bitte nicht gewaͤhrte. Gluͤcklicher Erfolg kroͤn- te dies schaͤndliche Unternehmen; die kuͤhne, oft rasende Dirne ward bald ein duldendes, schmachtendes Weib, sie schien ihr Ungluͤck tief zu fuͤhlen, aber sie raͤchte es nicht durch Schimpf- worte, nur durch Thraͤnen. Schon im ersten Jahre gebahr sie mir einen Sohn. Dieser warst du! O ich hob dich dankend und frohlok- kend in die Hoͤhe, als ich dich zum erstenmale in ihren Armen erblickte, sie schien meine Liebe zu fuͤhlen, und lohnte sie zum erstenmale mit einem freiwilligen Kusse. Als du erst ein halbes Jahr alt warst, ward uns Nachricht, daß der boͤhmische Koͤnig Johann seine Braut Elisabeth als Weib nach Prag gefuͤhrt habe, und dieser in einigen Ta- gen der kostbare Schatz folgen wuͤrde, welchen sie von ihrem Vater Wenzel ererbt, und bisher auf einer Veste bewahrt hatte, die nur eine Tagereise weit von unsern Hoͤhlen entfernt lag. Meine Gefaͤhrden hatten ausgekundschaf- tet, daß nur zweihundert Lanzenknechte ihn geleiten wuͤrden, und achteten den Raub des- selben fuͤr leicht und moͤglich. Ich stellte ihnen vergebens vor, daß der kriegerische Koͤnig diesen Raub — wenn er auch gelinge — durch die strengste Spaͤhe und staͤrkste Rache ahnden wuͤrde, aber die Verblen- deten behaupteten, daß dieser Schatz hinreiche, jeden der Verbuͤndeten auf Lebenszeit gluͤcklich zu machen. Wir weilen, sprachen sie, nur so lange in unsern Hoͤhlen, bis wir ihn getheilt haben, vernichten dann unsern Bund, und zer- streuen uns in der weiten Welt, um die Fruͤchte unsrer Tapferkeit ruhig und ohne Ge- fahr zu genuͤssen. Dir soll vierfacher Theil werden, du wirst dann leicht auch einen Winkel der Erde finden, wo du ihn mit deinem ge- liebten Weibe eben so ruhig genuͤssen kannst. Dies Versprechen reizte mich, ich hatte erfahren, daß der neuerwaͤhlte Kaiser Heinrich von Luxemburg die allzu strenge Rache der al- brechtischen Familie tadle, und zu hindern suche. Ich hofte unter erborgtem Namen wie- der in der Welt mit dem noch immer innig ge- liebten Weibe leben zu duͤrfen, und zog mit allen Raͤubern aus, um mein Gluͤck zu foͤrdern. Der Kampf war leicht, der Raub gluͤcklich, die sichern Lanzenknechte wurden in einem Thale uͤberfallen, und meistens getoͤdtet. Wie wir aber die grosse Menge der Saumrosse seitwaͤrts leiten wollten, zog ein bairischer junger Her- zog, ein Sohn des itzigen Kaisers Ludewig mit sechshundert Reitern die Strasse herauf, um in Prag das Hochzeitfest des Koͤnigs feiern zu helfen. Einige der entflohnen Lanzenknechte hatten ihm vom Raube benachrichtigt, und um Huͤlfe gebeten. Er stuͤrmte mit Uebermacht auf uns ein, wir mußten fliehen, und die Beute den Siegern uͤberlassen. Viele der Raͤuber blieben verwundet auf dem Schlacht- felde liegen, aus diesen hatte er wahrscheinlich das Bekenntniß unsers Aufenthaltes erzwun- gen, denn, wie ich am andern Tage mit we- niger als zweihundert den Eingang des For- stes erreichte, sah ich ihn mit seiner ganzen Macht gegen uns anziehen. Ich gedachte mei- ner Edeldrud und ihres Kindes, und sandte sogleich dreisig Reiter ab, damit sie aufs eilig- ste Weiber, Kinder, und die in den Hoͤhlen verborgnen Schaͤtze retten moͤchten. Ich be- schied sie nach einem andern, nns wohlbekann- ten Forste, und versprach gegen die Sieger wenigstens so lange zu kaͤmpfen, bis ich alles gerettet, und in Sicherheit zu seyn achten wuͤrde. Der Herzog naͤherte sich wuͤrklich, er hatte neuen Widerstand nicht vermuthet, seine Reiter wichen anfangs zuruͤck, wie wir uns, beschuͤzt von den Baͤumen, tapfer gegen sie wehrten. Bald faßten sie aber neuen Muth, und kaͤmpften mit Vortheil, ich mußte wei- chen, aber ich leitete sie abseits, und erneuerte immer den Kampf, um meinen Abgesandten Zeit zur Rettung zu goͤnnen. Wie ich alles in Sicherheit glaubte, und die Zahl meiner Kaͤm- pfer sich immer minderte, sammlete ich sie schnell, und entschwand bald mit ihnen dem Auge des Siegers. Wir jagten rastlos nach dem bestimmten Forste, und harrten unter seinen Felsen der geretteten Weiber, Kinder und Schaͤtze. Erst am andern Tage meldeten die Spaͤher auf den Felsenspitzen, daß die Geretteten eben im Thale heraufzoͤgen, ich eilte ihnen entge- gen, suchte meine Edeldrud unter ihnen, und fand sie nicht. Wie ich angstvoll nach ihr frag- te, uͤberreichte mir ein Weib meinen Sohn, dich, geliebter Hugo. Ich schloß dich dankend in meine Arme, und forschte aufs neue nach Edeldrud. Ein Raͤuber trat zu mir. Haupt- mann, sprach er, ich rufe alle Gegenwaͤrtige zu Zeugen auf, daß ich alles anwandte, um deine Geliebte gleich diesen zu retten, aber sie achte- te weder Ernst noch Bitte, sie wollte nicht weichen aus ihrer Hoͤhle, und widersezte sich jeder Gewalt. Die Zeit war dringend, die Horchenden hoͤrten schon von ferne Huftritte. Du wirsts nicht ahnden und raͤchen, wenn ich an unsre Sicherheit dachte, die Widerstrebende zuruͤckließ, ihr aber, nach dem einstimmigen Rath aller, die Zunge abschnitt, damit sie nicht deine, nicht unsere Verraͤtherin werden koͤnne. Ich wills nicht wagen, dir meinen Zustand zu schildern, er war unnennbar wie mein Schmerz. Ich durchbohrte die Brust des ruch- losen Thaͤters, ich raßte, und man war ge- zwungen, mich zu binden, um neue Mord- that zu verhuͤten. Erst am dritten Tage konn- te ich wieder fuͤhlen und denken, ich war matt und kraftlos, bat und flehte, daß man mir erlauben moͤge, bei den verlaßnen Hoͤhlen zu kundschaften, und wenigstens meine arme Edel- drud zu retten, wenn Rettung noch moͤglich sei. Viele der Raͤuber liebten und ehrten mich, sie fuͤhlten Mitleid mit meinem Zustande, und begleiteten mich nach den Hoͤhlen. Mein Jam- mer, dessen Groͤsse ins Unendliche reichte, fand dennoch Stof zur Vermehrung. Die Sieger hatten unste so verborgnen Hoͤhlen wuͤrklich ge- funden, sie im Zorne und Iugrimme mit Holz und Reissern dicht angefuͤllt, nud Feuer darein geworfen. Noch glimmten Kohlen darinne, und die schreckliche Hitze verwehrte uns den Eingang. Ich konute nichts anders vermu- then, als daß die so schwer verwundete, von niemanden gepflegte Edeldrud, als sie huͤlflos auf ihrem Lager schmachtete, ein Raub der Flammen geworden sei. Ich raßte von neuen, und haͤtten es meine Gefaͤhrden nicht gehin- dert, ich wuͤrde mich in die gluͤhenden Hoͤhlen gestuͤrzt, und dort geendet haben. Mein Gram, der rastlos an meinem Her- zen nagte, machte mich unfaͤhig, der Raͤuber Hauptmann zu bleiben, sie hatten sich neue Hoͤhlen gewaͤhlt, und nisteten wieder, wie ehe, unter den Felsen. Als sie einst auf Raub auszogen, und ich wieder Kraͤfte in mir fuͤhlte, nahm ich dich in meine Arme, und verließ die Hoͤhlen mit dem festen Vorsatze, nie mehr ruͤckzukeh- ren, und all mein Lebelang in strenger Aus- uͤbung meine Verbrechen zu bereuen. Ich ge- langte gluͤcklich bis zur Veste meines ehemaligen Freundes Immenthal, entdeckte mich ihm, und ward wohl aufgenommen. Er versprach, dein Vater zu werden, mehr forderte und heischte ich nicht. Im Pilgerkleide wanderte ich nach Avig- non, beichtete meine Suͤnden, erhielt Verzei- hung, ward endlich in ein Kloster aufgenom- men, und da ich mich mit Eifer den erforder- lichen Wissenschaften widmete, in der Folge zum Priester geweiht. Mein Ordensgeneral sandte mich vor Jah- resfrist mit Auftraͤgen nach Deutschland, ich erfuͤllte sie gerne, weil ich mich nach meinem Vaterlande sehnte, und vorzuͤglich zu wissen wuͤnschte: wie es dir ergehe? Ich sprach in Immenthals Veste ein, und erfuhr, daß er todt, sein geliebter Pflegsohn aber an des Kai- sers Hofe lebe, und sein Liebling sei. Eilend floh ich nach Regensburg, sah dich, in dir mein Auge, mein ganzes Gesicht, und fuͤhlte zum erstenmale wieder reine Freude. Niemand kannte mich, ich lebte einsam in meinem Klo- ster, ging nur aus, wenn ich dich sehen konnte, und saͤttigte mich mit der Ueberzeugung, daß du ein edler, guter Sohn seist. Oft wollte ich mich dir nahen, oft dir es zufluͤstern, daß dein Va- ter noch dulde und leide, aber ich zoͤgerte im- mer und bald aus Vorsatz, weil ich dir die Freuden des nahen Turniers nicht verbittern wollte. Ich sah dich oft im Kampfe, und war auch zugegen, als die schoͤnste, aber mir unbe- kannte Jungfrau, dir den Preiß reichte, und deine Wange kuͤßte. Damals ahndete ich noch nicht, daß diese Jungfrau dein Weib werden, deine Schwester seyn koͤnne. Einige Tage nachher ward meine Sehn- sucht, dich zu umarmen, groͤsser, ich wollte am andern Tage dich besuchen, und las aus dieser Absicht schon sehr fruͤh die Messe. Wie ich schon geendet hatte, und das Volk segnen woll- te, erblickte ich am Fusse des Altars deine Mut- ter, meine noch immer unvergeßliche Edeldrud. Sie starrte fuͤrchterlich zu mir empor, und ich staunend zu ihr hinab, meine Fuͤsse zitter- ten, meine Sinne wichen, ich sank ohnmaͤchtig zu Boden, und lag auf dem Lager meiner Zelle, als ich wieder denken und empfinden konnte. Ihr Bild schwebte vor mir, Fieberhitze gluͤhte in meinen Adern, uud raubte mir bald wieder den Verstand. Zwei Monden kaͤmpfte ich mit dem Tode, im dritten erholte ich mich erst langsam. Ich hatte keinen Freund, dem ich mein Anliegen entdecken konnte, und harrte mit Ungeduld der Zeit, in welcher mir meine Kraͤfte einen Ausgang gestatteten. Ich erfuhr sogleich, daß du mit dem Kai- ser gen Muͤnchen gezogen seist, und die Tochter einer edlen, aber stummen Boͤhmin heurathen wuͤrdest. Ich zitterte und bebte, forschte nach ihrer Wohnung, und erfuhr dort, daß die Tochter nach Muͤnchen gereist, die Mutter aber an eben dem Tage gestorben sei, an welchem ich sie, und wahrscheinlich sie mich, erkannte. Ich vergaß Pflicht und Geluͤbde meines Ordens, eilte nach Muͤnchen, und hoͤrte, daß mein Un- gluͤck vollendet sei, der Bruder seine Schwester wuͤrklich geheurathet habe. Die Schilderung des edlen Paares, welche noch aller Zungen beschaͤftigte, die Beschreibung der reinen, aͤchten Liebe desselben quaͤlte mein Herz und reizte es zum Mitleid. Ich zoͤgerte, so grosses Gluͤck zu stoͤhren, achtete es fuͤr un- gerecht und grausam, zwei der schuldlosesten Menschen graͤnzenlos ungluͤcklich zu machen, als aber mein Gewissen diesem Mitleide laut widersprach, ich Rath und Trost bei den gelehr- testen und wuͤrdigsten Priestern suchte, und diese mir sonnenklar bewiesen, daß ich absicht- lich Blutschande foͤrdere, mich ganz der schreck- lichen Folgen dieses Verbrechens theilhaftig mache, da mußte mein Mitleid weichen. Ich stehe nahe am Grabe, ich wills so schuldlos, als moͤglich, besteigen. Meine Anklaͤgerin harret meiner schon dort, ich zittre vor der Verantwortung, ich darf ihre Anklage nicht vergroͤssern, ich muß Gott danken, daß er mir Kraͤfte verlieh, euch bis hieher zu folgen, und das Verbrechen zu enden. Folgt meinem vaͤ- terlichen Rathe, weiht euch beide dem Himmel, und versoͤhnt Gott durch euer Gebet. Hugo. Hugo. (trostlos jammernd ) Gott und Vater, steh mir, steh meiner Kleta bei! Allmaͤchtiger, du gabst uns namloses Gluͤck, aber du vergaͤllst es durch noch groͤsseres Ungluͤck! Laß es wenigstens eben so kurz, wie dein Gluͤck, dauern! ( sich fassend ) Aber noch daͤmmert Licht in der grausen Finsterniß, noch leuchtet in der Ferne Hofnungsschimmer. Du gedachtest in deiner ganzen Geschichte nicht Kletas Geburt. Wie ward sie deine Tochter und meine Schwester? Moͤnch . Kleta ist nicht meine Toch- ter — — Hugo. (frohlockend ) Heil mir! Moͤnch . Aber doch die Tochter deiner Mutter, und folglich immer deine Schwester! Hugo . Weh! Weh mir! Biogr. d. W. 4r Bd. Q Moͤnch . Wahrscheinlich rettete sich die Ungluͤckliche noch zur rechten Zeit aus den Hoͤhlen, und wurde gluͤcklich geheilt! Wahr- scheinlich heurathete sie in der Folge einen ed- len Gatten, dem sie diese Tochter gebahr. Ich achtete sie fuͤr todt, und kenne die weitere Ge- schichte ihres Lebens nicht. Nur so viel hat mir die allgemeine Sage verkuͤndigt, daß Kleta ihre Tochter sei. — — Hugo . Ha! O Dank dir, Allmaͤchtiger! ( seinem Vater in die Arme sinkend ) Dank auch dir, theurer Vater, die lezte dei- ner Nachrichten laͤßt mich noch hoffen! Ah, wie die wohlthaͤtige Hofnung alle meine Adern durchstroͤmt, die kalten Nerven erwaͤrmt, und zur Wiederempfindung reizt! Vater! Vater, ich hoffe! Ach Vater, ich habe der Gruͤnde vie- le — — Ja, ja! es wird wahrscheinlich und gewiß, daß Kleta nicht die Tochter meiner Mutter, nur ihr angenommenes, nur ihr Pflegkind war! Hoͤre und urtheile. ( hastig und schnell ) Als Kleta mir es erlaubte, den Tag zu unsrer Hochzeit selbst zu bestimmen, und ich wonnetrunken zum Wappenherold und zum Priester eilte, jenem gebot, daß er ihr Wappen zu dem meinen stellen, diesen ersuchte, daß er mich in drei Tagen mit ihr verbinden solle, da forderte der erstere ihres edlen Vaters Stamm- baum, und der leztere das Zeugniß ihrer Ge- burt, ich eilte zu ihr, aber sie gestand mir mit ofner Unschuld, daß sie ihres Vaters Namen nicht kenne, kein Zeugniß ihrer Geburt besitze. Ich verbarg ihr meinen Kummer, und irrte eben trauernd und nachdenkend im Burggarten umher, als der Kaiser mir begegnete, und nach der Ursache meines Kummers forschte, ich er- zaͤhlte ihm alles, er laͤchelte sanft, und sprach: Q 2 Sei ruhig, ich kenne ihren Vater, kein Edlerer, als er, steht an meinem Throne, ich kenne den Ort ihrer Geburt, und will mit dem Herold und Priester sprechen, damit sie keine weitere Hinderniß erregen. Ich dankte, und am zwei- ten Morgen stand ein schoͤnes, aber mir unbe- kanntes Wappen dem meinen zur Seite, und der Priester forschte nicht mehr nach dem Zeug- niß ihrer Geburt. — — Komm, wir wollen zu ihr eilen, wir wollen sie mit dieser Hofnung troͤsten, und dann eilend dem Kaiser nachzie- hen, um Aufklaͤrung zu erhalten. Der Moͤnch . Gebe Gott, daß deine Hofnung zur Gewißheit wird! O es wuͤrde mich kraͤftig troͤsten und staͤrken, ich wuͤrde dann dein Gluͤck nicht zerstoͤrt haben, in deinen Armen enden koͤnnen, und deinen Segen mit in mein Grab nehmen. Noch einmal! Gott gebe Erfuͤllung, ich hoffe mit dir! Sie eilten nun beide zur ungluͤcklichen Kleta, sie war erwacht zum Gefuͤhle des Jammers und Elends, sie lag weinend und Haͤnde ringend auf ihrem Lager. Ach, rief sie Hugo entgegen, meiner Mutter Fluch geht in Erfuͤllung, schon druͤcken mich die Pfuͤhle meines Lagers gleich Stein! Der Priester log, als er den schrecklichen Fluch loͤste, er ruht noch schwer auf mir! Hugo, dem dies alles unbekannt war, verstand den Sinn ihrer Worte nicht, und forschte auch nicht darnach, weil er sie troͤ- sten und erquicken wollte. Er erzaͤhlte ihr seines Vaters Geschichte in Kuͤrze, und fuͤgte am Ende seine Muthmassung hinzu, um auch in ihrem Herzen Hofnung zur moͤg- lichen Rettung zu wecken. Aber Kleta wi- dersprach dieser Hofnung laut. Ob ich gleich, sprach sie, meinen Vater nicht kenne, so weiß ich doch gewiß, daß Edeldrud mich gebahr, daß folglich deine Mutter auch die meine sei. Ich erinnere mich ja noch der Zeit, in welcher sie mit dem unbekannten Vater auf einer schoͤnen Veste lebte — — Doch was bedarfs der Erinnerung, wo Ge- wißheit entscheiden kann? Reiche mir mein Schmuckkaͤstchen — — ( hastig ) Reiche mirs nicht, ich will nicht neuen Fluch auf mich laden, will vorher wissen: Wie lange ich dich schon als meinen Gatten erkenne? Hugo . Gestern endete der ersten Mon- den — — — Kleta . Dann gieb, ich will — ich muß mich von meinem Ungluͤcke uͤberzeugen. Ah dies also die Ursache ihrer Weigerung! Es war Ahndung! Es war Erkenntniß der Zuͤ- ge des Vaters im Gesichte des Sohnes! O nun wirds helle, aber zu spaͤt — — O All- maͤchtiger zu spaͤt! Mir bleibt nur das schreckliche Loos der Verzweiflung! Hugo hatte indes das Schmuckkaͤstchen uͤberbracht, Kleta oͤfnete es mit zitternder Hand, und nahm das versiegelte Schreiben heraus. Sie war kaum faͤhig es zu oͤfnen. Weiche! sprach sie, als sie die Siegel ab- riß, weiche von mir, du schrecklicher Mutter- fluch! Dich habe ich wenigstens nicht ver- dient, ich habe redlich einen Mondenlang geharrt! — — Sie wollte nun lesen, aber sie ver- mochte es nicht, und reichte es mit zit- ternder Hand dem Moͤnche. Ihr seid, sprach sie, bekannt mit ihrer Geschichte, diese Blaͤtter enthalten sie, leßt laut, damit wir heute noch unsers Ungluͤcks gewiß wer- den, und nicht an falscher Hofnung nagen. Der Moͤnch weigerte sich dessen, aber der immer noch hoffende Hugo bat dringend, der Vater vermochte dem wiedergefundenen Soh- ne die erste Bitte nicht laͤnger zu weigern, und gelobte endlich Gewaͤhrung. Gerechter Gott! rief er aus, ich ehre deinen Willen, und achte es fuͤr eine ver- diente Strafe, daß ich im Angesichte mei- nes Sohnes die schrecklichste Anklage gegen mich laut verkuͤndigen muß. Ich will sie standhaft ertragen, und nicht murren, wenn sie im gerechten Zorne mir flucht. Es wuͤrde ermuͤdend seyn, wenn ich wiederholen wollte, was der Moͤnch schon vorher ausfuͤhrlich erzaͤhlte, nur so viel muß ich erwaͤhnen, daß sie in ihrer Erzaͤh- lung seiner sehr schonend gedachte, ihren namlosen Schmerz mit kraͤftigen Worten schil- derte, aber auch offen gestand, daß sie die graͤnzenlose Liebe des Urhebers ihres Ungluͤcks einsah, am Ende Mitleid und sogar das Beginnen der Gegenliebe zu ihm fuͤhlte. Der Moͤnch sank dankend auf seine Knie, als er dies Bekenntniß las, O nun sterbe ich zufrieden und vergnuͤgt, rief er aus, nun kann ich Verzeihung von dir hoffen! — Er zitterte aufs neue, als er zu der schreck- lichen Szene kam, in welcher die Raͤuber ihr die Zunge raubten, er glaubte mit Recht, daß sie vielleicht ihn als den Urheber dieser grausamen That anklagen wuͤrde, aber die Folge uͤberzeugte ihn eines andern. „Der Ritter, schrieb sie, war eben mit allen seinen Gefaͤhrten ausgezogen, ich sas mit meinem Sohne auf dem Lager, fuͤhlte Freuden der Mutter, und gedachte lebhaft des Schmerzes der meinigen, die wahrschein- lich ihr Kind auf immer entbehren wuͤrde. Dumpfes Geraͤusch und jammerndes Wehkla- gen schreckte mich aus meinen Gedanken em- por, zwei Raͤuber traten eilfertig in mein Gemach, einer derselben ergrif meinen Sohn, der andere riß mich vom Lager auf, und gebot mir schnelle Folge. Ich kannte die aͤusserste Bosheit dieser rohen Leute, ich waͤhnte, daß sie sich gegen den Ritter em- poͤret, ihn vielleicht gar ermordet haͤtten, und mich izt mit sich fortschleppen wollten, ich widerstrebte, klammerte mich ans Lager, und schrie nach Huͤlfe. Andere Raͤuber sprangen herbei; Eilt mit ihr, schrien sie, sonst sind wir verlohren! Dieser Ruf ver- mehrte meinen Argwohn, ich widerstand mit allen meinen Kraͤften, sie wichen nicht, mehrere sprangen herbei, marterten, quaͤl- ten mich schrecklich, und schnitten mir end- lich den groͤßten Theil der Zunge ab. Ich lag blutend und ohnmaͤchtig am Bo- den. Wie ich wieder erwachte, stand ein fremder, junger Ritter neben mir, er blickte huldvoll und mitleidig auf mich herab, kniete neben mir nieder, und wischte das stroͤmende Blut von meinem Angesichte. Man hatte mich ins Freie getragen, viele Reiter schlep- ten Holz und Aeste nach den Hoͤhlen, und steckten das letztere in Brand. Ich hob fle- hend meine Haͤnde zu dem Ritter empor, er troͤstete mich mit den liebreichsten Worten, die Stimme des Mitleids drang lieblich in mein Ohr, ich dankte mit Geberden, da ichs mit Worten nicht vermochte. Verge- bens forschte er: Wer ich sei? Wie ich hieher gekommen? Ich konnte nicht antwor- ten. Endlich gebot er vierzig seiner Leute, daß sie mich mit moͤglichster Sorgfalt nach Baiern zu einem Arzt, welchen er nannte, geleiten sollten. Er bat mich herzlich und, innig, mein theures Leben zu schonen, mich seiner Vorschrift zu fuͤgen, und seines fer- nern Schutzes versichert zu bleiben. Ich ge- lobte es, und dankte von neuen, in sei- nen Augen glaͤnzten Thraͤnen, er schied sehr geruͤhrt, und versprach, mich bald zu besuchen. Seine Reisige begegneten mir mit gros- ser Ehrfurcht, die Schmerzen meiner Wunde mehrten sich, ich konnte des Rosses Tritt nicht ertragen, sie legten mich auf eine breite Decke, und trugen mich abwechselnd rastlos fort. Ohnmacht und Bewußtsein wechselte in meiner Seele, die erstere schien den Sieg zu erringen, und dauerte oft lange. Wenn ich erwachte, stand das Bild des Ritters vor mir, seine mitleidige, huldvolle Mine erweckte den Wunsch des Lebens in mir, ich hatte ihm ganz mein Leben zu danken, oh- ne seine Huͤlfe wuͤrde ich elend verschmachtet sein. Der Verlust meines Sohnes aͤngstigte mein Herz, seines Vaters gedachte ich izt nur mit Schaudern, weil er der Urheber all meines Ungluͤcks war. Am andern Mittage brachte man mich gluͤcklich in die Wohnung des Arztes. Ich staunte, als man mich im Namen des jungen Herzogs seiner aͤussersten Sorgfalt empfahl, aber ich sahs auch deutlich, daß er an meiner Rettung verzweifelte; mich duͤrstete schrecklich, ich konnte keinen Labe- trunk geniessen, die geschwollne Wunde drohte mich zu erstikken. Wie er mir Linderung schafte, kann ich nicht sagen, ich lag acht Tage in einem betaͤubenden Fieber, das mir alles Bewustsein raubte, aber bald bes- serte es sich mit mir, ehe ein Monden ver- floß, war ich der Gefahr entrissen, und ehe der zweite endete, fuͤhlte ich nur den Ver- lust meiner Zunge, aber nicht mehr die Schmerzen desselben. Des Arztes Tochter war meine treue Waͤrterin, sie pflegte mich mit einer Sorg- falt, die innige Zuneigung verrieth. Ich sah und hoͤrte es mit vielem Vergnuͤgen, daß oft einige Reiter im Gemache des Arz- tes erschienen, und genau nach meinem Zu- stande, nach meiner Besserung forschten. Sie brachten mir Kleider und Leinenzeug in Menge, einige derselben traten oft an mein Lager, um ihrer Aussage nach, sich durch den Augenschein von meiner Besserung zu uͤberzeugen, sie forschten: Ob ich schrei- ben und lesen koͤnne? und bedauerten es im Namen ihres Herrn, wenn ich dies vernei- nen mußte. Als ich schon mein Lager verlassen konnte, im Gemache umher wandelte, und der Ver- sicherung meiner Waͤrterin gemaͤß, gleich einer Rose bluͤhte, hoͤrte ich an einem Mor- gen grosses Getuͤmmel vor dem Hause des Arztes. Ich blickte hinab, und sah mei- nen Retter vom Rosse steigen, er eilte nach meinem Gemache, und blieb voll Ver- wunderung ob meiner wenigen Schoͤnheit an der Thuͤre stehen. Euer herrliches Bild, sprach er, stand immer vor meinen Augen, ich sahs schlafend und wachend, aber eure Gegenwart uͤberzeugt mich deutlich, daß mei- ne Einbildungskraft ein armseliges Ding war, mir nur Daͤmmerung zeigte, wo helles Licht herrschte. Meine Verwirrung war groß, haͤtte ich auch sprechen koͤnnen, ich wuͤrde doch nicht geantwortet haben. Seine Freude uͤber mei- ne gluͤckliche Rettung, uͤber meine bluͤhende Gesundheit war aͤcht und rein, mein Dank fuͤr seine Huͤlfe lebhaft und warm. Ich hatte bisher noch nie geliebt, dem Ritter Otto, der mich so schrecklich raubte, nur aus Mit- leid geduldet, izt uͤberwaͤltigte diese gefaͤhr- liche, aber auch suͤsse Leidenschaft mein Herz mit einmal. Ich sah, ich hoͤrte nur ihn, den geliebten Retter, vergaß Vater, Mut- ter und Sohn, als er mir bald nachher ge- stand, daß er zum Lohne seiner edlen That nur Mitleid von mir forderte, und offen gestand, daß er ohne meine Liebe der Un- gluͤcklichste der Sterblichen sein wuͤrde. Er erzaͤhlte mir, daß er Kaiser Ludwigs zwar unaͤchter, aber zaͤrtlich geliebter und anerkannter Sohn sei, von ihm, als er mich im Forste fand, an den boͤhmischen Koͤ- nig Johann gesandt wurde, um ihm zu sei- ner Vermaͤhlung Gluͤck zu wuͤnschen, daß er auf diesem Zuge die Schaͤtze der Braut ret- tete, als sie schon in der Raͤuber Haͤnden waren. Diese tapfere That, welche er seg- nete, weil er mich fand, hatte ihm die Liebe des Koͤnigs erworben, er mußte wi- der seinen Willen laͤngere Zeit am Hofe des- selben weilen, kam izt von Landshut, wo er seinem Vater Bericht erstattete, und wollte nun nach seiner Veste ziehen, die nahe an Tirols Tirols Graͤnzen lag, und ihm vom Vater als Erbtheil geschenkt wurde. Er flehte, daß ich mit ihm ziehen, die schoͤne Gegend in ein Paradies wandeln sollte; ich versprachs, und er frohlockte sehr. Er forschte emsig nach meiner Geschichte, nach meinem, nach meines Vaters Stand und Namen, mit aller Muͤhe, die ich anwande, konnte ich ihm doch nur be- greiflich machen, daß mein Vater ein edler Rit- ter sei, daß die Raͤuber mich mit List geraubt hatten. Mehr forderte er nicht, und ich zog, willig mit ihm. Ehe wir noch die Veste erreichten, hatte ich ihn, und er mir schon innige Liebe ge- standen, als wir einige Tage dort angelangt waren, trat er mit einem ehrwuͤrdigen Moͤnch in mein Gemach, und heischte Erklaͤrung: Ob ich ihm in Gegenwart dieses Priesters meine Hand reichen, und sein Weib werden wolle? Ich gedachte zum erstenmale der Biogr. d. W. 4r Bd. R Verbindung mit dem Raͤuberhauptmanne, die freilich kein Priester gesegnet hatte, die ich ihm aber doch zu entdecken wuͤnschte. Ich kaͤmpfte anhaltend, Schaam und Gefuͤhl wi- dersprach dem Bekenntnisse, das ich ohnehin nicht leisten konnte, ich liebte stark und hef- tig, ich widerstand nicht laͤnger, und reichte ihm am dritten Tage in der Burgkapelle mei- ne Hand. Er liebte mich als Gatte immer zaͤrt- licher, stets inniger, und verließ mich nur, wenn aͤusserste Nothwendigkeit ihn zwang, am Hofe seines Vaters zu erscheinen. Mit ver- mehrter Zaͤrtlichkeit und groͤßter Sehnsucht kehrte er dann in meine Arme zuruͤck, und genoß in meinen Armen das schoͤnste Gluͤck der reinen Liebe. Oft weinte ich, wenn ich seine zaͤrtlichen Worte nur durch stumme Blicke erwiedern konnte, oft wuͤnschte ich sehnlich sie durch deutlichere Zeichen ausdruͤcken zu koͤnnen, und wundere mich izt sehr, daß weder ich noch er der so edlen Schreibekunst, die mir izt statt Worte dient, nicht gedachten, da er sie aber wahrscheinlich auch nicht verstand, so erinnerte er sich dieses Huͤlfsmittels nie, und behauptete immer, daß eben mein stum- mer und doch so beredter Blick sein Herz so fest und stark feßle. Erst ein halbes Jahr nach unsrer Ehe gestand er mir, daß sein Va- ter von dieser keine Kenntniß habe, daß er aber hoffe, er werde sie einst billigen, und ihm erlauben, mich im Triumphe nach Hofe zu fuͤhren. Wie ein Jahr verflossen war, ge- bahr ich ihm eine Tochter. — Dies warst du, geliebte Kleta.“ — — — Der Moͤnch hielte hier inne, er starrte nach Hugo und Kleta hin, die vereint laut auf- schrien, und voll Verzweiflung ihre Haͤnde rangen. So schwindet endlich die lezte mei- ner Hofnungen, jammerte Hugo. Habe ichs R 2 nicht geweissagt! wimmerte Kleta, und verhuͤllte ihr Gesicht. Der Moͤnch rang nach Trost fuͤr die Ungluͤcklichen, und fand keinen. Endlich heischte Kleta den weitern Erfolg der Geschichte, er wischte die Thraͤnen aus seinen Augen, und las weiter: „Ich bin unfaͤhig, dir die Wonne deines Vaters zu schildern, als er von der Jagd ruͤckkehrte, und meine Waͤrterinnen dich in seine Arme legten. Er segnete dich kraͤftig, er gelobte vor Gott und mir, dir Vater zu seyn, so lange er lebe, dein Gluͤck auch nach seinem Tode zu befoͤrdern und zu befesti- gen. Gott schenkte mir in der Folge keine Kin- der mehr, du warst das einzige Pfand unsrer Liebe, dein guter Vater liebte dich gleich sei- nem Augapfel, und eben so zaͤrtlich wie mich, oft ward dir jeder Kuß, den ich von ihm er- hielt, doppelt. Vier Jahre — ach die gluͤcklichsten meines Lebens! — verflossen nun in stiller, genußreicher Ruhe. Wohl zehnmal zog er unter dieser Zeit aus der Ab- sicht nach seines Vaters Hofe, um ihm seine Heurath zu entdecken, aber immer verschwieg er sie, weil er den moͤglichen, boͤsen Ausgang fuͤrchtete, und sich keine Freude, kein Leben ohne mich denken konnte. Als sein Vater den Zug nach Italien be- schlossen hatte, und ihn mit sich nehmen woll- te, da zwang ihn aͤusserste Noth endlich zur Entdeckung. Anfangs zuͤrnte der sonst so gnaͤdige Vater heftig, wie er ihm aber alles erzaͤhlte, ihn mein ehemaliges Schicksal aufs lebhafteste schilderte, meine Schoͤnheit, meine Geistesgaben allzu reichlich lobpreißte, und ihm sein grosses Gluͤck mit den ruͤhrendsten Worten erzaͤhlte, da neigte sich sein Herz zur Verzeihung, er vergab ihm den voreiligen Schritt, und versprach auf seinem Heerzuge in seines Sohnes Veste einzukehren, und sich von seinem Gluͤcke zu uͤberzeugen; auch ent- ließ er ihn des Zuges nach Italien. Ich habe, sprach er liebreich, auch einst innig geliebt, du warst die Frucht dieser Liebe, ich erinnere mich noch wohl, daß gewaltsame Trennung mir beinahe das Leben kostete, ich will nicht so hart, wie mein Vater seyn, will dich nicht trennen von der geliebten Gattin, sie nur se- hen, und segnen. Reichlicher Schweiß der hastigsten Eile triefte von seinen Wangen, als er mir diese Bothschaft brachte, ich genoß die goldnen Fruͤchte derselben mit ihm, und traͤumte mir schon die heiterste, gluͤcklichste Zukunft. Mein fester Vorsatz wars, nach vollendeter Versoh- nung meinen Gatten zu bewegen, nach Boͤh- men zu reisen. Ich kannte die Gegend, in welcher meines Vaters Veste lag, hofte sie zu finden, und durch den Seegen der theuern Eltern mein Gluͤck zu vergroͤssern. Ich hatte in einsamen Stunden mir schon oft ihren Jam- mer, und die Wonne des Wiedersehens ge- dacht, aber ich konnte und durfte diese Bitte nicht wagen, weil dem Vater meines Gatten die Heurath nicht bekannt war, der Zug nach Boͤhmen sie ruchtbar gemacht haͤtte. Acht lange Tage harrten wir der Ankunft des Kaisers entgegen, endlich langte ein Eil- bote auf der Veste an, und brachte die frohe Nachricht, daß er vielleicht in der Nacht des folgenden Tages, waͤre aber dies nicht moͤg- lich, am andern Morgen sicher anlangen wuͤrde. Mein Gatte hatte mich ehe schon mit praͤchtigen Kleidern, und den herrlichsten Kleinodien beschenkt, er forderte, daß ich mich mit den schoͤnsten zieren sollte, ich ver- wande den folgenden Tag zu meinem Putze, und harrte am Abende hoffend und ahndend der Ankunft des Kaisers. Auch du, meine Kleta, warst schoͤn geputzt, und glichst einem Engel der Unschuld. Vielleicht erinnerst du dich noch: Wie dein Vater dir einen schoͤnen Willkommen lehrte, dirs emsig vormachte, wie du dem vornehmen Gaste entgegeneilen, deine Arme gegen ihn ausstrecken, und seine Knie umfassen solltest. Als finstere Nacht die Gegend schon lange deckte, schwand unsre Hofnung, aber bald weckte sie des Waͤchters Ruf aufs neue, er meldete kurz nachher, daß viele Reisige im Thal herauf zoͤgen. Dein Vater ließ Fackeln anzuͤnden, und die Thore oͤfnen. Ich eilte an seinem Arme die Treppe hinab, und vergaß deiner in der Eile, weil du schon im Arme der Waͤrterin schlummertest. Wie wir hinab kamen, fuͤllten schon viele Reiter den Vorhof, ich zitterte und bebte, als ich Schwerdtklang und Jammergeschrei der Diener hoͤrte. Mein Gatte drang vorwaͤrts, ich sah Schwerdter uͤber seinem Haupte glaͤnzen, und sah ihn nie mehr, denn ich sank ohnmaͤchtig zu Boden. Wie ich wieder erwachte, stand die Veste schon in hellen Flammen, verwundete Knech- te und Diener winselten unfern von mir. Viele Reiter umgaben mich, bedeckten mich mit einem Mantel, und hoben mich auf ein Roß. Ich jammerte schrecklich, einer dersel- ben war so barmherzig mir dich, meine Kle- ta, aufs Roß zu reichen, du klammertest deine Haͤnde um meinen Nakken, und ich hiel- te mich mit aller Gewalt aufrecht, um dich nicht sinken zu lassen. Der Zug begann nun eilend und schnell, ich mußte in ihrer Mitte traben. Meine Augen suchten in der Finster- niß meinen geliebten Gatten, und fandeu ihn nicht. Ich glaubte, daß dies Rache des nur verstellten aber nicht versoͤhnten Vaters sey, und waͤhnte, daß man mich aus seinen Ar- men gerissen habe, um mich ewig einzuker- kern. Mein Leid war groß, aber es mehrte sich bis zur Riesengroͤsse, wie der Morgen an- brach, und mir es nach und nach zur vollen Gewißheit ward, daß ich mich in der Gesell- schaft der Raͤuber befand, mit denen ich eini- ge Jahre in den Hoͤhlen des Forstes gewohnt hatte. Viele gruͤßten mich hoͤnisch, nur we- nige blickten mich mitleidig an. Ich ahndete nun schreckliche Dinge, ich waͤhnte, daß ihr Hauptmann, dessen heftige Liebe ich kannte, meinen Aufenthalt entdeckt, mich meinem Gatten entrissen habe, und nun wieder zu seiner Buhlerin machen wolle. Ich bin nicht faͤhig, dir das schaudervolle Ent- setzen uͤber diesen Gedanken zu schildern, er erregte in mir den Vorsatz zum Selbstmorde, welchen ich gewiß schnell ausgefuͤhrt haͤtte, wenn dein Anblick mich nicht abgehalten haͤtte. Ich war noch ungewiß: Ob ich dich mit mir vernichten, oder in den Haͤnden ruchloser Raͤuber zuruͤcklassen sollte? Am Mittage rasteten wir in einem dun- keln Forste. Die Raͤuber lagerten sich am Bo- den, und ruhten bald sanft, nur zwei der Aeltesten setzten sich wachend zu mir, und bo- ten mir Trank und Speise, welche sie mit sich fuͤhrten. Ich gedachte deiner nicht, und ver- schmaͤhte alles, aber die Alten waren so barmherzig, Mutterstelle an dir zu vertreten, und deinen Hunger zu stillen. Meine Augen hatten mich nun uͤberzeugt, daß mein ehema- liger Geliebter nicht in unsrer Mitte ziehe, ich haͤtte so gerne nach ihm gefragt, um mei- nes schrecklichen Schicksals gewiß zu werden, aber der Verlust meiner Zunge hinderte mich daran. Der Aelteste mochte wahrscheinlich meine Sehnsucht nach Aufklaͤrung in meinem Gesichte lesen, er blickte mich mitleidsvoll an. Arme Frau, sprach er, euch war die Ra- che nicht vorbereitet, euch traf sie allerdings unschuldig! — Ich war so gluͤcklich, ihm durch Zeichen begreiflich zu machen, daß ich Erzaͤhlung der ganzen Begebenheit zu hoͤren wuͤnsche, ihm solche mit dem waͤrmsten Danke lohnen wuͤrde. Er achtete meine Bitte, und erzaͤhlte mir, daß sie nach dem ungluͤcklichen Raube, welchen sie an dem Schatze der koͤniglichen Braut uͤben wollten, ihr Hauptmann, welcher mich einst liebte und raubte, verlassen habe. Es geschah, sagte er, aus gerechtem Schmerze uͤber die grausame That, welche einer aus unsrer Ge- sellschaft wider seinen Willen und Befehl an euch geuͤbt hatte. Er vergalts ihm mit dem Tode, suchte euch bei den Hoͤlen, fand euch nicht, und verließ uns, um vielleicht in einer Einoͤde eueren Tod zu betrauern. Wir waͤhlten uns einen andern, und bereiteten uns in ei- nem andern Forste neue Wohnungen, damit wir aber die Boͤhmen nicht zur neuen Rache ge- gen uns reitzen, sie zur Entdeckung unsers Aufenthalts zwingen moͤchten, so ward fest beschlossen, daß wir in diesem Lande keinen Raub mehr uͤben, sondern in benachbarten Laͤndern umherstreifen, dort unsern Raub und Unterhalt suchen wollten. Diese kluge Vorsicht schuͤzte uns herrlich, uͤberall suchte man den Aufenthalt der maͤchtigen Raͤuber auszufor- schen, nur in Boͤhmen nicht, weil dort nie- mand uͤber Raub klagte, keinen Raͤuber in der Naͤhe waͤhnte. Vor einem Monden vernahmen wir, daß izt viele Edle mit reichen Kostbarkeiten beladen nach Italien zogen, um dort die Kroͤnung des Kaisers feiern zu helfen. Wir eilten in ge- theilten Haufen nach Bayern, verlegten die verschiednen Strassen, welche nach Italien fuͤhrten, und suchten Beute zu machen. Wie unser Hause im Forste, der nahe an eurer Ve- ste liegt, lauerte, erfuhren wir durch einige Bauern, daß des Kaisers Sohn, welcher uns einst so schrecklich zuͤchtigte, dort hause, und in den Armen einer Stummen schwelge, die er einst aus Boͤhmen mit sich gebracht habe. Begierde nach Rache ward im ganzen Hau- se rege, die meisten gelobten, das ehemalige Unbild wo moͤglich an ihm zu raͤchen, ihm we- nigstens die geliebte Stumme zu entfuͤhren, welche wir sogleich fuͤr euch erkannten. Um zu erfahren: Ob eure Veste wohl bemannt und bewacht sey? zogen verschiedne von uns auf Spaͤhe aus, sie brachten troͤstende Nachrichten, hatten als gewiß erfahren, daß nur wenige Reisige, meistens unbewafnete Maͤgde und Diener dort wohnten. Schon war ein Sturm auf die Veste beschlossen, als uns Kundschaft ward, daß der Kaiser mit einem starken Zuge sich nahe. Ihn anzutasten, war unser Wille nicht, reichte unsre Kraft nicht, wir wollten uns da- her eben von der Strasse ab, tiefer in den Forst ziehen, als einige der Unsern die Nach- richt brachten, daß der Kaiser diese Nacht in der Burg erwartet, aber dort ganz gewiß nicht anlangen werde, weil er in einem nahen Staͤdtchen in ihrer Gegenwart nur mit wenigen seines Gefolgs Nachtherberge genommen, sei- ne Reiter und Reisige aber auf einer andern Strasse gen Tirol vorwaͤrts gesandt habe. Bei diesem gluͤcklichen Umstande, fuhren sie fort, kann schnelle List unsre Rache foͤrdern. Des Kaisers Sohn erwartet noch immer den Vater, dies erfuhren wir izt erst von einigen Dienern, welche auf der Strasse spaͤhten, und bei uns nach ihm forschten; wir benuzten die Gelegenheit, und versicherten sie, daß er im Anzuge begriffen sey. Kommt, Bruͤder, kommt, laßt uns, wenns ganz dunkel ist, nach der Veste ziehen, man wird sicher glau- ben, der Kaiser nahe, und uns die Thore oͤf- nen. Wir haben dann volle Gelegenheit, Ra- che an dem Sichern zu uͤben, und ihn zu uͤber- zeugen, daß man uns nicht ungeahndet belei- dige. Das Wagstuͤck war groß, aber eben des- wegen auch Reiz fuͤr alle. Nur uns zweien ( auf seinen Gefaͤhrten deutend ) behagte es nicht, aber wir mußten dem Stro- me folgen. Die List gelang, und die Rache ward vollendet. Dein Gatte oder Buhle, wel- cher einst viele der Unsern ermordet, und unse- re Hoͤlen zerstoͤrt hatte, mußte mit der Ue- berzeugung sterben, daß wir Rache an ihm uͤbten. Auch uͤber dich war Tod beschlossen aber dein kostbarer Anzug, deine Schoͤnheit, blendete das Auge der meisten, sie wurden andern Sinnes. Unser neuer Hauptmann hat noch keine Geliebte, sie bestimmten dich fuͤr ihn, ich sah dein Verlangen nach dem Kinde, ich ich reichte es dir, um dich zu troͤsten. Schicke dich in dein Schicksal, du warst es ehe schon gewohnt. Der Hauptmann ist jung und schoͤn, er erzaͤhlte uns oft, daß er dich schon ehemals liebte, und ehrte; dies bewog uns vorzuͤglich zum Entschlusse. Sey daher weise, es wird dir bei uns wohlergehen. — — Noch begreife ichs immer nicht, wo ich Muth und Entschlossenheit sammlete, um diese schrecklichen Nachrichten mit Standhaftigkeit anzuhoͤren. Die Gewißheit, daß der so innig geliebte Gatte wuͤrklich ermordet sei, drohte mein Herz zu zerreissen, und doch verrieth mein Gesicht diese schmerzhafte Empfindung nicht. Ich laͤchelte aus Verzweiflung, aber die Raͤuber nahmens fuͤr Empfindung der Freude, und machten es den Uebrigen kund, als sie erwachten. Flucht oder Tod war izt der einzige Gedanke, welchen meine Seele dachte und faßte. Biogr. d. W. 4r Bd. S Um beides nach Gefallen auszuuͤben, muß- te ich wenigstens einige Freiheit genuͤssen, um diese zu genuͤssen, wandte ich alle Mittel an, die Raͤuber zu uͤberzeugen, daß ich gerne in ihrer Mitte zoͤge, mich willig dem bestimmten Schicksale fuͤgen wuͤrde. Meine List gelang, sie bewachten mich nicht mehr so sorgfaͤltig, achte- ten mich verwahrt genug, wenn sie sich rings um mich lagerten und ruhig schliefen. Der Zug ging stets durch Einoͤden und Waͤlder, ging langsam, weil die Rosse schwer mit Beute beladen waren. Ich konnte oft entfliehen, aber ich wagte die Flucht nicht, weil ich den Hun- gertod ahndete, ihn um deinetwillen nur fuͤrch- tete. Nach einer weiten Reise lagerten wir uns im Thale eines Forstes, ich staunte, ich konnte kaum Thraͤnen der wehmuͤthigen Freude ver- bergen, als ich hinter den Felsen die Kapelle erblickte, in welcher ich so oft betete. Mein Herz schlug aͤngstlich und hoffend, wie mein Auge endlich gar den Wartthurm der vaͤterli- chen Veste gewahrte. Ich verstellte mich mehr als je, suchte zuerst mein Lager, und ruhte, wie die Raͤuber noch tranken. Ich hoͤrte es deutlich, wie sie sich wunderten, daß ich die Ge- gend nicht erkannt hatte, und frohlockte inge- heim, als sie sich treuherzig versicherten, daß ich willig in den Armen ihres Hauptmanns ru- hen, gerne in ihren Hoͤhlen wohnen wuͤrde. Die gewisse Hofnung, schon am andern Tage in ihren Hoͤhlen einzutreffen, ihre Weiber wie- der zu umarmen, machte sie ungewoͤhnlich hei- ter, sie tranken viel und ruhten fest, wie ich meine Flucht mit dir wagte und gluͤcklich vollen- dete. Nun folgten viele Lehren und mancherlei Auftraͤge, welche die Mutter ans Herz ihrer Tochter legte. Sollte, sprach sie, Otto von Farwangen noch hienieden wallen, und du ihn einst finden, so verkuͤndige ihm meine volle Verzeihung. Er hat mich einst graͤnzenlos un- gluͤcklich gemacht, aber ihm verdanke ichs doch, S 2 daß ich durch vier Jahre unbeschreiblich gluͤck- lich im Arme meines Gatten lebte, ich will da- her nicht mit ihm hadern, und nicht seine An- klaͤgerin bei Gott werden. Ruͤckerinnerung an den ungluͤcklichen, unschuldigen Sohn, den ich mit ihm gebahr, quaͤlt noch immer mein muͤt- terliches Herz. Ich konnte es nie erforschen: Ob er noch, und wie er lebe? Dein sei izt die Pflicht, dies Nachforschen fortzusetzen, ihn reichlich zu unterstuͤtzen, der Mutter Haabe mit ihm zu theilen, wenn du ihn arm, ihn als Bruder zu lieben, wenn du ihn reich und wohlhabend findest. Oft wollte ich mich dem Kaiser nahen, und ihm entdecken, daß ich die Leidende sei, welche sein ermordeter Liebling einst so gluͤcklich mach- te, aber immer zitterte ich zuruͤck, wenn ich diesen Schritt wagen wollte, der dann nur erst zur Nothwendigkeit wird, wenn man Zweifel wider deine edle Geburt erregen sollte. Voll- bringe du dies Vorhaben, wenn deine Mutter starb, ehe sies vollbrachte, nahe dich mit dei- nem kuͤnftigen Gatten seinem Throne, beweise ihm, daß du seine rechtmaͤssige Enkelin seist, und er wird dirs und deinen Kindern wahrscheinlich mit grossen Wohlthaten lohnen.“ Lange sassen die Ungluͤcklichen noch stumm und trauernd, als der Moͤnch schon mit seiner Vorlesung geendet hatte. Jeder hofte Stof zur Ueberlegung in Fuͤlle. Hugo suchte noch immer und emsig Rettung aus dem schrecklichen Abgrunde, in welchen er sich gestuͤrzt fand. Kleta sah nun in vollem Lichte die Ursache, warum ihre Mutter bei Hugos Anblick so er- schrak, bei seiner Anwerbung zuruͤckbebte, und ihr Erhoͤrung seiner Wuͤnsche unter dem schreck- lichsten Fluche verbot. Ruͤckerinnerung an ihr voriges Leiden, und allzu heftige Gemuͤthsbe- wegung verhinderten sie wahrscheinlich an schneller Entdeckung. Sie wollte erst wieder Kraͤfte sammlen, und beschied deswegen den wiedergefundnen Sohn auf den andern Tag, an dessen Morgen neues Schrecken ihr Leben endete. Kleta bereute izt innig, daß sie der Mutter Fluch nicht geachtet hatte. Erfuͤllung des schrecklichen Gebots, rief sie laut aus, haͤt- te mich aͤusserst ungluͤcklich, aber doch nicht nam- los elend gemacht! Der Moͤnch, dessen Herz vaͤterliches Ge- fuͤhl fuͤllte, wuͤnschte zu helfen und zu retten. Es sah als gewiß voraus, daß Trennung ihm seinen wiedergefundnen Sohn rauben und toͤd- ten wuͤrde, und suchte daher sein Leben durch wahrscheinlichen, moͤglichen Trost zu fristen. Komm, mein Schmerzenssohn, sprach er, komm, und folge mir, ich will dich zu den Fuͤssen des heiligsten Vaters nach Avignon fuͤh- ren, er allein kann vergeben, und eure fernere Ehe, wenn er die Umstaͤnde erwaͤgt, bestaͤtigen und billigen. Ihm ward Gewalt, zu loͤsen und zu binden, er wird mich hoͤren, deinen Jammer sehen, und das Verbrechen loͤsen, welches auf eurer Ehe ruht, das ihr nicht vor- saͤtzlich uͤbtet, das ihr gerne vernichten wolltet, wenns in eurer Macht stuͤnde. Hugo ergriff diesen Vorschlag mit heftiger Begierde, er hofte gluͤcklichen Erfolg, und troͤstete seine Kleta schon im voraus mit dieser, aber Verzweiflung hatte das Herz der Un- gluͤcklichen schon vergiftet, sein Trost wuͤrkte nicht, sie widerrieth die Reise nicht, weil Tren- nung doch unvermeidlich war, aber sie verzwei- felte ganz am gluͤcklichen Erfolge. Wie Hugo am andern Morgen mit seinem Vater reisefertig an ihr Lager trat, glaͤnzte keine Thraͤne in ihrem Auge, es starrte ihn angstvoll an, ihre Seele fand keine Worte, den Schmerz auszudruͤcken, der ihr Herz preßte. Sie gelobte nur dem Gatten und Bruder durch Minen, daß sie nicht Hand an sich legen, nicht an Gottes Barmherzigkeit verzweifeln, und seine Ruͤckkehr in Geduld abwarten wolle. Sie verließ einen halben Monden lang ihr Gemach nicht, sprach aͤusserst wenig, betete an- haltend und lange. Oft fand man sie haͤnde- ringend und weinend. Der Mutter Fluch druͤckt mich schwer! antwortete sie dann immer, wenn ihre treue Waͤrterin nach der Ursache die- ser Thraͤnen forschte. Einst aͤusserte sie hefti- ges Verlangen, in der Kapelle zu beten, aus welcher man ihre Mutter geraubt hatte. Der Vogt, dem strenge Obhut uͤber sie geboten war, begleitete sie mit vielen Reisigen dahin, sie betete lange, und ging ruhig und heiter von dannen. In der folgenden Nacht entstand schrecklicher Gewittersturm; ein heftiges Erd- beben begleitete ihn, drohte die Veste einzu- stuͤrzen, und durch die Wasserfluthen, welche sich in Stroͤmen vom Himmel herab waͤlzten, alle lebende Geschoͤpfe zu ersaͤufen. Auch der Muthvollste bebte, aber unter allen am meisten Kleta; jeder Blitz warf sie auf ihr Lager zu- ruͤck. Gottes Gericht ist schrecklich, rief sie im- mer, die Wuͤrkung des muͤtterlichen Fluchs ver- heerend; ich muͤhe mich vergebens, ich kann sie nicht wegbeten! Schon am Morgen verlangte sie wieder nach der Kapelle, man erfuͤllte ihr Gebot, und leitete sie durch Umwege dahin, weil Erdbeben und Wasserstroͤme den gewoͤhnlichen Pfad ver- nichtet hatten. Wie der Zug dort anlangte, sah man erst, daß das Erdbeben auch seine Macht an der Kapelle bewiesen habe; sie stand auf einer Felsenspitze, die ihren Schatten von der senkrechten Hoͤhe herab ins tiefe Thal warf, von der andern Seite aber gemaͤchlich bestiegen werden konnte, weil des Felsens breiter Ruͤk- ken sich hier nur langsam erhob. Das Erdbe- ben hatte die Grundveste der Kapelle erschuͤt- tert, und der wuͤthende Sturm sie ins Thal hinab geschleudert. Die Felsenspitze, die man wahrscheinlich einst durchgehauen hatte, theilte sich izt in zwei gleiche Theile, und bildete eine Hoͤhlung, welche eine gereizte Einbildungskraft fuͤr ein absichtlich gemachtes Lager halten konn- te. Kleta starrte lange nach dieser Oefnung hin, endlich sprang sie rasch hinzu, und legte sich darein. Der Mutter Fluch, schrie sie mit wildem Gelaͤchter, ist nun erfuͤllt! Mein Braut- bette hat sich in Stein verwandelt, bald wer- den Schwefelflammen uͤber mich empor lodern! Betet, betet, daß ich gluͤcklich ende! Keine Worte des Trostes fanden Eingang in ihrem Herzen, keine Vorstellung vermochte sie, den Ort zu verlassen. Man mußte Gewalt brauchen, und reizte sie dadurch zur aͤchten Ra- serei des Wahnsinns, die nur dann endete, wenn man ihr versprach, sie bald wieder in ihr Brautbette zu fuͤhren. Sie sprach nur von diesem, alle ihre Ideen und Gedanken beschaͤf- tigten sich einzig damit, man mußte sie jeden Tag dahin leiten, wenn man nicht toͤdliche Ra- serei in ihrem Herzen erregen wollte. Sie ver- gaß bald ganz ihres Hugos, gedachte seiner nie mehr, und schien auch alle andere Begebenhei- ten ihres Lebens vergessen zu haben. Nach fuͤnf Monden kehrte Hugo mit seinem Vater zuruͤck. Freude und Wonne glaͤnzte in seinem Gesichte, der Pabst hatte sein Flehen er- hoͤrt, ihm fernere Ehe mit seiner Stiefschwester gestattet, wenn er dagegen eine Kirche baue, und eines seiner Kinder dem Herrn widme. Freude und Wonne wandelte sich aber bald in Leid und Jammer, als er sich uͤberzeugte, daß seine Kleta ihn nicht mehr kenne, und ein Raub des Wahnsinnes geworden sey. Er hofte ver- gebens daß seine Gegenwart, die Versicherung ihres Gluͤcks sie heilen wuͤrde, sie schien seine Trostgruͤnde nicht zu hoͤren, und war nie zu be- wegen, ihm nur die Hand zum Willkomm zu reichen. Sie eilte, wie ehe und zuvor, jeden Tag wenigstens einmal nach ihrem Brautbette, und duͤnkte sich nur dann gluͤcklich, wenn sie ei- nige Stunden darinne ruhen konnte. Hugo war immer ihr Begleiter, einst folgte er ihr auch dahin, und sah traurend zu, wie die arme Wahnsinnige, voll Ver- gnuͤgen nach ihrem steinernen Brautbette sprang, aber auch voll Angst den Ausbruch der Schwefelflammen erwartete. Er nahte sich ihr troͤstend, sie schien diesmal seine Worte zu hoͤren, und blickte ihn laͤchelnd an. Mit einem Ausbruch der Freude rief sie end- lich aus: Bist du nicht Hugo? Nicht mein Braͤutigam? O so komm! lagere dich hie- her! Das Brautbette ist schon bereit! — — Wie sie diese Worte ausgesprochen hatte, wollte sie den Erwarteten Platz machen, draͤng- te sich mit ihrem Koͤrper allzu weit vorwaͤrts, und stuͤrzte durch die Oefnung des Felsens ins tiefe Thal hinab. Ihr Koͤrper lag zer- schmettert am Boden, sie hatte schrecklich und grausam geendet. Hugo wuͤrde Nach- folger geworden sein, wenn seine Getreuen ihn nicht abgehalten haͤtten, er folgte bald nachher seinem Vater ins Kloster, weihte sich und sein Haabe dem Herrn, und starb freudig, um von diesem den Lohn seines namlosen Jammers zu erhalten. Wahrscheinlich sprach er vorher noch ein- mal mit dem Kaiser, und entdeckte ihm, daß die Raͤuber, welche einst seinen Sohn mordeten, noch in Boͤhmens Forsten niste- ten; denn jener durchzog bald nachher in Gesellschaft des Konigs Johann die ganze Gegend, fand die Raͤuber, ließ Feuer in ihre Hoͤhlen werfen, und verbrannte alles, was lebte. Noch sieht man diese Hoͤhlen, deren Waͤnde ganz schwarz gefaͤrbt, und hie und da ganz ausgebrannt sind. Kleta ward an der Staͤtte, wo sie en- dete, begraben, Ein gothischer Leichenstein bezeichnete lange ihr Grab, izt ist keine Spur mehr davon vorhanden. Nahe dabei ent- springt aber ein Brunnen, welchen man all- gemein das Fluchbruͤnnlein nennt, dessen Wasser niemand trinkt, weil es Aussatz ver- ursacht, und stark nach Schwefel schmeckt. Wenns daͤmmert, solls dort, nach Versiche- rung aller alten Muͤtterchen, nicht sicher zu wandeln sein, und haͤufige Irrwische den Wanderer irre fuͤhren.