Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Vaterländischer Roman von W. Alexis (W. Häring). Dritter Band. Berlin. Verlag von Carl Barthol. 1852 . Erstes Kapitel. Gewitterschläge am schwülen Himmel. Im Hause der Geheimräthin war es seit jenem glänzenden Abend still hergegangen; aber es war eine Stille, die von sich sprechen machte. Sie litt an Congestionen des Blutes, Beklemmungen des Herzens, und klagte über Visionen. Im Kreise der ihr liebsten Menschen sah sie oft andre Gesichter. Sie redete eine Person an, und meinte eine andre; aber sie betheuerte, sie wisse sich darüber genau Rechen¬ schaft, wenn der Zustand vorüber. Es wären nur nervöse Affectionen, über die die Aerzte keine Aus¬ kunft geben könnten. Sie sprach bitter von den Doctoren, und wollte nicht mehr von ihnen behan¬ delt sein. Die Gevatterinnen urtheilten verschieden über ihren Zustand. Sollte auch die Lupinus sich der Schwärmerei, dem Mysticismus, in die Arme ge¬ worfen haben, sie, auf deren Tisch man immer Moses Mendelssohn aufgeschlagen fand! Zwar etwas clair¬ voyant war sie schon in letzter Zeit gewesen, aber III . 1 nicht mehr, als die Mehrzahl der zarter gebildeten Frauen es dazumal waren, oder sein zu müssen glaubten. Es waren bei ihr nur momentane Wal¬ lungen, und sie deutete dieselben nur für das Aufblitzen unbewußter Naturkräfte. Sie wollte keine Geister¬ seherin sein und erklärte sich gegen den Aberglauben. Aber die Zungen waren fertig über sie zu rich¬ ten, und es giebt in einer großen Stadt böse Zungen. Wir übergehen das, was die Boshaften sich zu¬ zischelten: es sei nur Aerger, weil ihre Gesellschaften nicht die Anziehungskraft geübt, die sie gewünscht, und die Exclusiven sich zur Russischen Fürstin zögen, weil Prinz Louis durchaus nicht kommen wollen, und es möchte wohl einen besondern Grund gehabt haben, warum sie den Prinzen so gern an sich ge¬ zogen. Worauf andere hinzusetzten, der Prinz müsse auch wohl einen besondern Grund haben, warum er nicht gekommen. Wir heben lieber heraus, was die mild Gesinnten zur Erklärung vorbrachten: sie sei zu fein, und weil ihr alles Rohe widerstrebe, wirke es afficirend, gewissermaßen revolutionirend in dem zar¬ ten Körper. Andre: sie, die für einen kranken, wun¬ derlichen Mann zu sorgen, habe sich nun noch die Last für die Erziehung einer Pflegetochter aufgeladen. Was koste das nicht! Und ob es denn auch recht anerkannt würde! Demoiselle Adelheid sei wohl gut und schön, aber sie habe ein eigensinniges Köpfchen. Habe sie es nicht durchgesetzt gegen Aller Willen, daß sie mit ihrem Lehrer halb verlobt sei, einem jungen Menschen, der nichts hat und alle vernünftigen Aus¬ sichten von sich stößt. Nicht ihre Eltern hätten es gewünscht, die jetzt auch höher hinaus dächten, noch der Vater des jungen Mannes, der gradezu erklärt, er werde nie solche Schwiegertochter in sein Haus lassen. Um zu einer solchen Partie ihr zu verhelfen, hätte Madame Lupinus das schöne Mädchen auch nicht in ihres genommen, und nun sei doch ihre Lage gewiß nicht beneidenswerth: eine Pflegetochter hüten, an die keine Blutsbande sie fesselten, zu einer Verbindung das Auge zudrücken, die sie ungern sähe, und noch dazu die Verantwortung gegen die Eltern des Mädchens und gegen den alten van Asten, von dem sie noch obenein einen unhöflichen Brief in die Tasche stecken müssen. Könne das nicht ein edelgesinntes Gemüth herunterbringen! — Wenn noch andre fragten, wa¬ rum setzt sie sich dem aus, warum duldet sie's? so antworteten noch andre Gutgesinnte: alles drehe und wende sich jetzt um das kleine Köpfchen, und wenn die Mamsell gleich ihre Herrschaft geschickt zu verbergen wisse, so wäre sie es doch, die das Haus regiere. Das komme davon, wenn man sich in Dinge mische, die uns nichts angehen, sagten wieder die halb Bos¬ haften, und mehr thun wolle, als wozu uns die Pflicht für unsre nächsten Angehörigen treibt. Sie hätte doch Anverwandte, und ihr Mann auch, die es besser brauchen könnten, als das fremde Mädchen, und ein Recht dazu hätten. Und wenn sie gar ein Wort fallen lassen, wie es hieß, daß sie daran gedacht die 1* Mamsell zu adoptiren, so wäre es kein Wunder, wenn die ihr den Kopf nun heiß mache. In gewissen Kreisen sprach man von einem intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Le¬ gationsrath. Der Legationsrath behielt bei den An¬ spielungen seine vollkommene Ruhe, und rühmte die Bildung und den eminenten Scharfblick der geist¬ reichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der klaren Ruhe des Verstandes eine Geliebte. Die Gevatterinnen wußten, daß er nur seltene Besuche machte, immer in der allgemeinen Besuchsstunde, sie wußten von der Dienerschaft, daß er sich stets in den Formen des feinsten Anstandes bewege. Ihre Ge¬ spräche flogen in höhere Regionen der Wissenschaft, oder betrafen Geschäfte. Die Lupinus besorgte selbst ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute Hypotheken nachgewiesen und die Pfandbriefe, die er für die sichersten hielt, anempfohlen. Er war ein Freund des Geheimrathes, den dieser oft stundenlang in seinem Studirzimmer festhielt. Wandel war ein lebendiges Lexicon für alle Ausgaben des Horaz. Und wie theilnehmend hatte er sich bei dem letzten Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn man den Todesfall des alten Bedienten so nennen kann. Wie lange war man darauf vorbereitet ge¬ wesen, obgleich Geheimrath Mucius gesagt, er könne sich noch zehn Jahr quälen. „Wie recht hatte Ihre Frau Gemahlin, hatte er zum Geheimrath gesagt, die immer besorgte, daß er an einem acuten Anfall Ihnen unter den Händen sterben werde. Und mit welchem Takt sie die Charlatanerie der Aerzte erkannt!“ Als man Johann an einem Morgen todt neben seinem Bette liegend gefunden, und alle Hausgenossen in die Kammer stürzten, war die Lupinus nur bis über die Schwelle gekommen. Hier ging ihr der Athem aus, die Kräfte versagten, und sie war in ihre Knie gesunken. Ihr Gatte und der Legationsrath mußten die Ohnmächtige aufheben. Wie liebevoll hatte er ihr da Worte des Trostes zugesprochen. Die Diener¬ schaft zerfloß in Thränen: „Warum erschrecken, meine Freundin, über Etwas, das nur eine Wohlthat des Himmels ist, für den armen Dulder, für uns Alle, die wir seine Leiden sehend mit ihm litten! Preisen wir vielmehr die Hand, die dies gethan. Sein Wille geschehe! der es gut, schnell und kurz gemacht!“ Gestärkt durch seinen Zuspruch, hatte sie nachher an der Leiche gestanden, ihre Züge beobachtend. „So ist es recht, hatte er gesagt; dem, was wir als gut erkannt, fest ins Auge gesehen! Wem helfen Thränen, wem weichliches Gefühl des Mitleids! Indem wir das eine Nothwendige erkannt, stärken wir unsere Nerven, um der Nothwendigkeit auch weiter ins Auge zu blicken, und wir mögen endlich den Sinn des alten Kirchenliedes erfassen: Tod, wo sind nun deine Schrecken!“ Sie war gestärkt worden. Sie hatte selbst am Beerdigungstage die Leiche mit frischen Blumen geschmückt. Die Dienerschaft, die Nach¬ barschaft waren davon gerührt, und das Lob der Geheimräthin war unter den gemeinen Leuten weit verbreitet. Im Hause der Geheimräthin war es still her¬ gegangen, sagten wir, heut aber in der Mittagsstunde eines frischen Oktobertages drängten sich die Besuche. Die Regimenter von Larisch und Winning, von der Weichsel zurückberufen, marschirten durch Berlin nach ihrem neuen Bestimmungsorte, der fränkischen Gränze. Die Straßen waren belebt, die Fenster besetzt. Der Durchzug erfolgte unregelmäßig, batallionsweise; die Truppen, in Eilmärschen aus Polen herangezogen, hatten in ihren letzten Nachtquartieren keine Zeit gehabt, sich zu einem Paradezug zu ajustiren. Während Monturen, Gesichter, Haltung, von den Strapatzen der angestrengten Märsche spra¬ chen, wirbelten aber die Trommeln und die Trom¬ peten schmetterten Lustigkeit in die klare Herbstluft; der Jubel der Zuschauer überbot sie noch. Aus den Fenstern schwenkte man Tücher, auf der Straße drückte man den Soldaten die Hand; man reichte ihnen zu trinken, und während die Schnapsflaschen und Sem¬ melkörbe umhergingen, schickten patriotische Hausfrauen große Bunzlauer Kaffeekannen und Tassen hinunter. In der Küche der Geheimräthin brodelte ein Wasch¬ kessel, Adelheid hatte für den Soldatenkaffee und für die Chocolate der Gäste zu sorgen. Diese standen in zerstreuten Gruppen an den Fenstern. Es gehörten nicht Alle zu einander. Walter van Asten las aus einer fremden Zei¬ tung einigen um ihn Stehenden einen Artikel vor: „„Dem Vernehmen nach hat der Herr Staatsminister von Hardenberg dem französischen Gesandten, Herrn Laforest, die Antwort ertheilt: Sein König wisse nicht, worüber er sich mehr zu verwundern habe, über die Gewaltthat des französischen Heeres, oder über die unbegreiflichen Entschuldigungsgründe dafür. Wie habe man Preußens aufopfernde Redlichkeit vergolten, das Opfer gebracht, die seinen theuersten Pflichten nachtheilig werden könnten. So könne man denn doch keine andern Absichten des Kaisers Napoleon annehmen, als daß derselbe Ursachen gehabt, die zwischen ihm und der Krone Preußen bestehenden Verpflichtungen für werthlos zu halten, und achte darum Seine Majestät der König sich selbst aller früheren Obliegenheiten entbunden. Friede wolle Preußen auch noch jetzt, halte sich aber nun ver¬ pflichtet, seinem Heere die Stellung zu geben, welche zur Vertheidigung des Staates unerläßlich sei.““ „Ja es werden drei Heere gebildet, wie ich aus sicherer Quelle weiß,“ bemerkte Jemand. Ein andrer setzte hinzu: „Und es bleibt nicht bei der Rückberufung unsrer Weichselarmee, sondern wir haben auch den Russen den Durchzug durch Schlesien geöffnet.“ Der Kriegs¬ rath Alltag flüsterte seinem Nachbar ins Ohr: „Die Donschen Kosacken sind schon in Breslau angemeldet.“ „Ach Gott, ach Gott! so haben wir also Krieg!“ rief die Kriegsräthin. Auch die Fürstin Gargazin hatte das Haus mit ihrem Besuch gewürdigt. Sie lächelte, zum Rath Fuchsius sich abwendend: „Mir will die Vorstellung einer Komödie noch nicht aus dem Sinn.“ „In einer Stadt, wo das Theater eine so große Rolle spielt, entgegnete der Rath, ist dieser Gedanke allerdings sehr natürlich.“ „Es wäre doch grausam, fuhr die Fürstin fort, wenn man mit den armen Menschen wieder nur Kämmerchen vermiethen spielte. Vom Rhein nach der Weichsel, und von der Weichsel nach dem Main!“ „Das könnte das beste Heer demoralisiren,“ äu¬ ßerten mehre. Der Geheimräthin schien die entschiedene Sprache des Preußischen Ministers doch jetzt den Zweifel auf¬ zuheben. „Ich sprach Diplomaten, die aus der Note nur den Sinn herauslesen, bemerkte die Fürstin, daß Preußen unter allen Umständen Friede will.“ „Aus welcher Zeitung ist der Artikel, Herr van Asten?“ fragte die Lupinus. „Aus dem Hamburger unparteiischen Correspon¬ denten, der heut Morgen ankam.“ „Warum müssen wir das nun aus einem frem¬ den Blatt erfahren! Ueber etwas, das uns so nahe angeht, lesen wir kein Wort in unsern Zeitungen.“ „Dann ist's auch vielleicht nicht wahr,“ lächelte die Fürstin mit einem besondern Blicke auf den Regierungsrath. Es mochten mehre den Blick ver¬ stehen. Fuchsius besorgte für die Hamburger Zeitung Regierungsartikel. „Die erlauchte Fürstin, entgegnete Fuchsius, weiß, daß gewisse Regierungen schüchternen Jungfrauen gleichen, die in ihrer Gegenwart keine Schmeicheleien vertragen, hinter ihrem Rücken hören sie sich recht gern gelobt.“ „Ich kenne auch Regierungen, setzte die Gar¬ gazin darauf, die erschrecken, wenn man ihre Ge¬ danken ausspricht, besonders, wenn sie gar keine haben.“ Der Kriegsrath Alltag wandte sich mit einem innern Schaudern ab. Er hatte nicht geglaubt, daß vornehme Personen so respectlos von der Regierung sprechen könnten. Die Gruppe löste sich auf, als die Janitscharen¬ musik das Anrücken eines neuen Bataillons verkün¬ dete. Adelheid streifte mit dem Präsentirbrett an Walter vorbei: „Ein bischen zuvorkommender gegen meinen Vater! Auch mit der Mutter könnten Sie mehr sprechen.“ Der Jubel am Fenster und auf der Straße ersparte ihm die Antwort. Am lautesten ward es in dem kleinen Neben¬ zimmer. Eine weibliche durchdringende Stimme ließ sich vernehmen: „Nein, sag ich doch, so vieles Volk, und alle zum Todtschießen! 's ist grausam! — Sieh mal Fritz, wie sie blitzen, die Spontons! Da der mit dem rothen Federbusch! — Malwine, willst Du Dich nicht so 'rüber legen! — Was man mit den Kindern Noth hat. — Und da das blutjunge Gesicht — ach Du liebe Seele, der hinkt, hat sich die Füße durchge¬ laufen — Was 'ne unsterbliche Menschenseele nicht ertragen muß! — Und staubig, alle wie gepudert! — Liebechen! rief sie hinunter, — sehn Sie, Dem da schenken Sie 'ne Tasse Kaffee! Er friert so, und ein so hübscher Mensch. — Sieht sie's wieder nicht, die Lisette! — Nu ist er fort! — Na 's wird wohl noch andre mitleidige Seelen geben. — Was so ein Tor¬ nister drücken muß! — Fritz, wenn Du auch solche grausame Flinte auf dem Buckel tragen müßtest — Nu paß Acht, nu kommt der Tambour. Hurrje, hurrje! hörst Du, wie er schlägt!“ „Will auch Trommler werden,“ sagte der Junge. „Nein, Fritzchen, da wirst Du todt geschossen. Das ist nur für ordinaire Leute. Guter Leute Kinder, die sind zu was anderm da.“ „Will Trommler werden! wiederholte der Trotz¬ kopf. Papa hat's gesagt.“ „Ja, wenn Du ein Taugenichts wirst, dann wirst Du unter die Soldaten gesteckt.“ Das Fritzchen schrie und stampfte auf die Erde. „Du Olle, Du sollst mir's nicht verbieten, Du hast mir nichts zu verbieten.“ „Range Du! Untersteh Dich und kneif noch mal. Wenn wir nicht bei hübschen Leuten wären, kriegtest Du eins hinter die Ohren, daß Du Dich wundern sollst.“ Die Geheimräthin war unbemerkt Zeugin des Auftritts gewesen. Sie brachte den Kindern Brätzeln und fragte: ob sie schon Chocolate bekommen? „Ach du mein Gott, die gestrenge Frau sind auch gar zu gütig gegen die Kleinen! rief Charlotte, die sich umgedreht. Daß wir Ihnen auch so viel Incommodität verursachen! Aber Kinder sind nun mal Kinder, und wer weiß ob sie so was mal wie¬ dersehen, sagte meine Cousine, die Frau Hoflakir. Ja sie gehn alle in den Tod.“ „Giebt es einen schönern als fürs Vaterland!“ sprach die Geheimräthin mit Erhebung. „Das sagte mein Wachtmeister auch, Frau Ge¬ heimräthin, aber, nehmen Sie mirs nicht übel, Tod ist doch Tod. Und eingebuddelt werden sie, ohne Sang und Klang, ohne Leichenhemd und ohne Sarg, wo sie stehn und liegen. Und der Fritz will absolut Soldat werden. Ist ein rabbiater Junge. Und mein guter Herr Geheimrath, der die Güte selbst ist, Sie glauben gar nicht, wie er ihm schon auf der Nase spielt. Kinder sind Gottes Segen, o gewiß, aber sie können auch Gottes Fluch werden, wenn sie aus¬ schlagen.“ Die Geheimräthin streichelte die Köpfe der Klei¬ nen: „Geht liebe Kinder in die andre Stube und laßt Euch Chocolate geben.“ Warum erschrak Charlotte heute nicht vor der Butterbrätzel, welche die Frau mit den spitzen Fingern den Kleinen gab; warum kamen ihr diese Finger heut nicht spitz vor, als sie über die blonden Haare der Kleinen strich. Charlotte war auch jetzt in innerer Bewegung, aber es war eine andre, als sie plötzlich in Thränen ausbrechend den Saum des Kleides der Geheimräthin erfaßte und es an die Lippen drückte: „Ach, Frau Geheimräthin, das müssen Sie mir schon erlauben. Es war doch zu schön. So einen ordinairen Dienstboten unter die Erde zu bringen, und seine eigne Herrschaft! Das wird Ihnen Gott lohnen. Er war mein Cousin, aber das ist es nicht. Er war meiner Mutter Onkel Schwesterkind, und angeheirathet nur, aber, und wenn er mir gar nichts gewesen wäre, das vergeß ich Ihnen nicht. Darüber ist auch nur eine Stimme in der Stadt. Und meine Cousine, die Frau Hoflakir, sagt, solch einen Sarg und von so schönem fetten Eichenholz, hat sie nicht gesehen, als ihr Mann seine Alte begrub, und das war ihr Glück, und ihr Mann versteht's; wenn der den Beutel aufthut, dann hält er nicht den Finger drauf. Und hat jetzt eigen Gespann; alle Sonntag fahren sie nach Charlottenburg, und haben mich auch schon mitgenommen, und ich habe auch mal die lieben Kleinen mitgenommen, daß sie doch auch ein Ver¬ gnügen haben, und ich kaufte ihnen für einen Dreier Semmel, daß sie die Karpfen füttern konnten. Na das war eine Herrlichkeit. Aber der Silberbeschlag! Nein Frau Geheimräthin, das ist es gar nicht. Was ist Silber? Unter der Erde rostet's, wir rosten Alle. Aber die Blumen, nein Du mein Himmel Jesus nein. Wie ein Purpurri 'rüber geschüttet, wie ich da in den Hausflur trat, es knickte mir in die Knie, und ich wollt's nicht glauben, und die Menschheit! Vom Gensdarmenmarkt, vom Fürstenhause her, die Polizei konnte gar nicht durch, daß die Leichenträger nur Platz hatten. Und da war doch nur eine Empfin¬ dung!“ „Er war ein treuer Diener, und wir sind alle Menschen.“ „Aber doch mit Unterschied, Frau Geheimräthin. Und den Kranz von weißen Rosen, den Sie auf seine Todtenlocke gedrückt und sein bleiches Antlitz! Er war mein Cousin, schluchzte ich, und meine Cou¬ sine, die Frau Hoflakir, sprach: Ja das Leben ist doch schön! Nein, Frau Geheimräthin, und wenn Sie mich eine schlechte Person nennen, Sie haben ihn sterben lassen, daß mancher sagen möchte, so möchte ich auch sterben.“ Wenn eine Emotion sich in dem halb geschlossenen Auge der Geheimräthin kund geben wollte, so bemerkte es Niemand, Charlotte am wenigsten, denn helle Trompetenstöße lockten jetzt aufs Neue und unwider¬ stehlich an die Fenster. Jeder stürzte dahin, wo er Platz fand; Charlotte hatte einen, der ihr wohl nicht zukam, eingenommen, Arm an Arm mit der Baronin Eitelbach. Keine sah die andre, keine gab auf die andre Acht. „Ach da reitet er!“ rief Charlotte, den Blick auf eine Schwadron der Gensdarmen gerichtet, die um die Ecke schwenkte. Sie gab den durchmarschirenden Dragonern nur das Geleit. „Ach da reitet er!“ tobte es in einer Brust neben ihr, ohne daß die Lippen sich bewegten. „Nein, wie viel schöner sehn doch unsre aus, als die Dragoner!“ Wunderbare Sympathie! Dasselbe dachte die Baronin. „Es geht doch nichts über die Garde! — Das ist alles adrett. Und wie sitzen sie auf dem Pferde! Hurrje! Das fühlt auch jeder.“ Charlotte hatte recht; einer spricht es, der andre fühlt es. Die Tücher fingen wieder an zu wehen. „Wem gilt dieser Jubel!“ fragte am andern Fenster die Fürstin. „Den neuen Uniformen, Erlaucht,“ flüsterte Je¬ mand hinter ihr. „Die bleiben in Berlin?“ „Es wäre schade sie dem Herbstwetter auszu¬ setzen.“ „Aber die armen marauden Truppen, die ins Feld müssen, werden es übel nehmen.“ „Erlaucht! Das Futter fürs Pulver darf nichts übel nehmen.“ Am Zwischenfenster schluchzte plötzlich die Kriegs¬ räthin: „Und alle diese jungen schönen Leute werden auch todt geschossen!“ „Nur ihre Pflicht, sagte der Kriegsrath. Wenn der König befiehlt, muß jeder sterben.“ Das Schluchzen ward ansteckend. Charlotte, am nächsten Fenster fing an so laut zu weinen, als sie eben gejubelt: „Sie müssen alle sterben, ich seh ihn nicht wieder.“ Als die Baronin ihr Battisttuch an die Augen drückte, hatte sich indeß die Scene wieder geändert. Charlotte stieß die Nachbarin in ihrer heftigen Be¬ wegung fast zurück: „Er streicht den Bart; das gilt mir; ja, ja ich seh's“, und damit er's wieder sähe, bog sie sich hinaus. Malwine und Fritz wären dafür gestoßen worden. Es war nicht nöthig, daß sie das Umschlagetuch sich abgerissen, der Wachtmeister ritt schon unter dem Fenster, und warf ihr Kußhände zu. Und wie keck schmunzeld er wieder den Bart strich! Die Baronin sah auch etwas, aber — sie ward blaß. Er strich nicht den Bart, nein; aber als er hinaufgeblickt, ihre Augen ihn getroffen, wandte er plötzlich den Kopf. Er setzte die Sporen ein und war zur Generalität geflogen. Sie sah ihn im Ge¬ dränge nicht wieder. „Ist Ihnen unpäßlich, meine Gnädige?“ fragte der Legationsrath, der, jetzt erst eingetreten, die Dame nach einem Stuhl führte. „Es wird bald vorüber gehen.“ „So ist es recht. Weinen Sie sich aus. Ver¬ haltener Kummer ist für Seele und Leib gleich ge¬ fährlich.“ Die Eitelbach hatte Zeit sich auszuweinen; bis auf die Kinder, welche die Einladung an den Choco¬ latentisch nicht umsonst vernommen, war kein lebendes Auge im Zimmer. Alle auf das Schauspiel draußen gerichtet. Prinz Louis selbst ritt vorüber, der Jubel hatte seinen Gipfelpunkt erreicht, und brach doch immer wieder von neuem aus. Tücher! Hüte! Mützen flogen. Es wollte nicht enden. „Der Krieg ist ja noch nicht erklärt, flüsterte der Legationsrath; die Garde bleibt jedenfalls noch in Berlin, wenn Ihr empfindsames Herz vielleicht für einen dieser tapfern Krieger Besorgniß hegt.“ Die Baronin sprach es nur für sich: „Er sieht mich ja nicht an.“ Sie bereute schon den Selbst¬ verrath, als ihr Blick auf das verwunderte Gesicht des Legationsrathes fiel. Er rückte einen Stuhl heran. „Theuerste Frau, hub er nach einer Pause an, erlauben Sie ein Wort des Vertrauens. Sie waren so gütig nur jüngsthin Ihres zu schenken, und es ruht in dieser Brust, wie in einem Grabe.“ „Ja, Sie sind solide.“ „Verrath in so zarten Angelegenheiten halte ich, wenigstens von der Lippe eines Mannes, für ein unverzeihliches Verbrechen.“ „Sie wissen ja alles.“ „Ich hielt es für längst vorüber; das Spiel des Windes auf einem Aehrenfelde.“ „O es wird auch wohl so sein. Sie werden recht haben, ganz recht, brach es aus der bewegten Brust. Aber er verfolgte mich ja letzthin so auffällig.“ „Besitzen Sie einen Brief von ihm? — sprach er Sie an?“ „Nein — aber — es war ja ganz klar — die Fürstin Gargazin —“ „Können Sie der auch ganz trauen? —“ Der Legationsrath sah sich vorsichtig um. „Sie ist eine seelensgute Frau. Schon vor acht Tagen versicherte sie mich, ich möchte mich vorbereiten, er könne sich gar nicht mehr halten. Sie hat ihn neulich bei sich in ihr Cabinet zurückgedrückt, er wäre im Stande gewesen, in ihrer Gegenwart mir zu Füßen zu stürzen.“ Der Legationsrath sah ernst vor sich hin und schüttelte den Kopf: „Das glaube ich doch nicht —“ „Als wir von der Waldow kamen, öffnete er mir den Wagenschlag. Ei, wie komm ich zu der Ehre, sagte ich?“ „Und er —“ „Er hatte schon, ganz träumerisch, einen Fuß auf dem Tritt, als mein Mann dazu kam und ihn einlud mitzufahren —“ „Worüber er zur Besinnung kam, das ist freilich sehr begreiflich.“ „Sahen Sie, wie er jetzt fortsah, als er mich erblickte?“ „Da scheute wohl nur sein Pferd —“ „Nein, es war eine innere Stimme —“ Er faßte sanft ihre Hand: „Hören Sie auf diese inneren Stimmen, meine Freundin? — Ach das ist III . 2 ein gefährliches Lauschen. Wie oft hören wir die Wahrheit, wie oft täuschen wir uns!“ „Sagen Sie, ich hätte mich getäuscht!“ „Einem Cavalier muß der Ruf seiner Geliebten über Alles gehn. Was der Rasende im verschlossnen Cabinet der Fürstin vielleicht gewagt hätte, wird er doch nicht vor tausend Augen sich unterstehen. Nein, da beruhigen Sie sich — und wenn er es gethan, so hätte ich ein Wort mit ihm reden wollen. Wenn es weiter nichts ist — da, wie gesagt, sein Sie ganz ruhig.“ „Was meinen Sie mit dem weiter nichts?“ „O grübeln Sie nicht nach. Eine Bitte! Thun Sie sich Gewalt an. Verbergen Sie diese Gefühle. Sie sind zu schön und rein, die Welt ist ihrer nicht werth. Möglich, das gebe ich zu, möglich, daß auch er Ihrer nicht werth ist. Aber erscheinen Sie dafür desto größer, und wenn er treu ist, bewahren Sie ihm das Vertrauen, ist er es nicht, sich die Größe über Ihren Schmerz erhaben zu sein. Meine Freundin, sagte er aufstehend und drückte ihre Hand an seine Brust, das Vergängliche gehört der Zeit, was aber in die Aeonen hinausragt, das ist das heilige Be¬ wußtsein einer schönen Seele. Sie werden mich ver¬ stehen.“ Ganz verstand sie ihn nicht, aber es war gut, daß sie ihn nicht fragte, denn die Gesellschaft war wieder im Zimmer. Nur der Major schien am Eck¬ fenster noch draußen: „ Das Friedrichs Heer!“ „Grade in diesen Regimentern ist nichts geän¬ dert,“ sagte Fuchsius. „Jeder hat allerdings noch seine drei gepuderten Locken.“ „Sie marschirten doch vortrefflich —“ „Geknickte Glieder eines Riesenkörpers, die nicht mehr in einander klingen. Mein Freund, zuweilen will's doch auch mich beschleichen, als wäre es am gescheitesten zur Friedenspartei überzugehen.“ Der Legationsrath wurde mit Fragen, was er Neues bringe? überstürmt. „Duroc ist abgereist.“ „Wirklich! Endlich! rief es. Mit einer Kriegs¬ erklärung?“ „Man hat ihm nur zu verstehen gegeben, daß man unter den obwaltenden Umständen das Freund¬ schaftsbündniß als gelöst vielleicht zu betrachten ge¬ nöthigt sein dürfte.“ „Und hat Laforest Pässe erhalten?“ „So unhöflich ist man nicht gewesen.“ Die Fürstin lächelte: „Er denkt übermorgen eine Matin é e zu geben.“ „Dies unterbleibt doch vielleicht, sagte Wandel, wenn Erlaucht mir erlaubt das Gerücht mitzutheilen, was ich von der Börse bringe. Seine Majestät Kaiser Alexander wird hier erwartet. Der Oesterreichische Erzherzog Anton ist schon auf dem Wege nach Berlin.“ Die Nachricht überraschte. Auch der Regierungs¬ 2* rath war frappirt: „Dieser Mensch weiß Alles.“ — „Wenn wir nicht wollen, sagte Eisenhauch, die Lippen zusammen beißend, so zwingen uns Andre zum Ernst.“ Man beobachtete die Fürstin, um auf ihrem Gesicht die Bestätigung zu lesen. Man konnte nichts lesen; sie war mit Adelheid beschäftigt, der sie heut ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen schien. „Herr von Wandel, Ihre Neuigkeiten sind noch nicht zu Ende?“ Er war gefällig, und gab eine ganze Liste von Avancements und Verfügungen zum Besten: „Auch hat Herr von Bovillard mit seinem Sohne sich aus¬ gesöhnt. Er will ihn wieder für den Staatsdienst gewinnen. Einstweilen hat der junge Bovillard Courierstiefel anziehen müssen. Er ist fortgeschickt.“ „Da wird doch wenigstens ein Platz in den Gefängnissen frei,“ sagte die Geheimräthin mit Bitter¬ keit, und ihr Blick fiel auf Adelheid. Ob zufällig, oder ob sie eine Veränderung auf ihrem Gesicht bemerkte? „Meine holde Adelheid erschrak, sagte die Fürstin, bei Ihrer Nachricht von der Ankunft unsres Kaisers, Herr von Wandel. Sie stellt sich unter einem Kaiser aller Reussen einen orientalischen Despoten vor, einen Großmogul, vor dem Alles in Ehrfurcht auf den Boden stürzen muß. Ihr Lehrer wird ihr sagen, ein wie liebenswürdiger Cavalier Kaiser Alexander ist. Auch ein Welteroberer, aber — durch Huld und Güte gewinnt er die Herzen. — Doch mich dünkt, unser Neuigkeitsbote hat seinen Sack noch nicht aus¬ geschüttet. Was sagt die Falte auf Ihrer Stirn?“ Der Legationsrath zuckte die Achseln: „Ich weiß nicht, ob ich die frohe Stimmung hier stören darf.“ Eine Anforderung zum in ihn dringen. „Die Oesterreicher sind total geschlagen. Der Courier kam schon heut Morgen an. Man hielt die Nachricht zurück, um den Jubel beim Durchmarsch der Truppen nicht zu dämpfen.“ „Bei Günzburg brach er über die Donau, das war schon ehegestern bekannt, sagte Jemand. Damit ist das Schicksal der Hauptmacht nicht entschieden.“ „Ich bedaure Ihnen sagen zu müssen, daß sie es ist. Bei Werdingen ward der Succurs aus Vorarlberg vernichtet, darauf Mack, gänzlich um¬ zingelt, in Ulm eingeschlossen, und nach den blutigsten Gefechten zur Capitulation gezwungen. Sechzigtau¬ send Mann fielen oder streckten die Gewehre, hun¬ dert Kanonen und ein unermeßliches Kriegsmaterial sind verloren. Es existirt keine österreichische Armee an der Donau mehr, denn auch das Corps, was der Erzherzog zurückführen wollte, ist unterweges so gut wie aufgerieben.“ Eine stumme Pause folgte. Die Janitscharen¬ musik eines neu vorüberziehenden Bataillons bildete dazu einen üblen Contrast. „Adieu Deutschland!“ seufzte Fuchsius. „Victoria! rief der Major. Das geht ans Leder. Die Haut läßt man sich nicht ruhig abziehen.“ Die Fürstin warf einen ihrer himmlischen Blicke an den Plafond: „So mußte es kommen, und es muß noch mehr kommen. Meine Herren, ich halte es für eine frohe Botschaft. Ja, der Mann ist groß, denn ein Größerer hat ihn gewürdigt seine Geissel zu sein. Es soll noch mehr Blut fließen, um die Welt zu reinigen, und wir haben kein Maaß für die Ströme, die da rau¬ schen werden über die Länder.“ „Ach du mein Gott, das ist ja schrecklich!“ rief die Kriegsräthin erblassend. Adelheid war zuge¬ sprungen, und umfaßte die Mutter, die auf einen Stuhl gesunken war. „Warum schrecklich, sagte die Fürstin mit Hold¬ seligkeit, wenn es Sein Wille ist! Er, der die Haare auf unserm Kopfe gezählt hat, weiß auch, wen er opfern, wen er retten will. Und über seinen Er¬ wählten schweben seine Engel. Einen weißen leuch¬ tenden Fittich seh ich gebreitet über dieses Kindes Haupt!“ sprach sie, und legte wie segnend ihren Arm auf Adelheids Locken. Die von solcher Huld gerührte Kriegsräthin wollte aufstehen. Die Fürstin drückte sie sanft zurück: „Glückliche Mutter, auf deren Kindes Stirn die Worte des Dichters stehen: Und was kein Verstand der Verständigen sieht, Das schaut in Einfalt ein kindlich Gemüth! Die Königin hat sich neulich sehr angelegentlich nach Ihrer Tochter erkundigt. Sie wünscht sie einmal zu sehen;“ flüsterte die Fürstin im Fortgehen mit hold¬ seliger Herablassung zur Mutter. Sie glaubte in die Erde versinken zu müssen. Die Harmonie der Gesellschaft, wenn man die Stille so nennen kann, die vom Eindruck der Nach¬ richt hier noch herrschte, ward durch häßliche Kinder¬ stimmen in der Nebenstube unterbrochen, und als Charlotte plötzlich in ein heulendes Geschrei ausbrach, stürzte die Gesellschaft dahin. Der Rath und der Major, die nicht für Fa¬ milienangelegenheiten gestimmt waren, ergriffen die Gelegenheit sich zu entfernen. Auf der Treppe sagte Fuchsius: „Der Frömmigkeit der Gargazin wäre es genehm, wenn ganz Deutschland in Brand und Flam¬ men aufginge.“ „Damit Rußland es erlösen kann! setzte der Major hinzu. Es fragt sich da eben nur, wo die Scylla und wo die Charybdis ist.“ Auch die Fürstin Gargazin mußte heut nicht für Familienscenen gestimmt sein. „Was war denn das mit dem Rittmeister? Springt er ab?“ sagte sie zum Legationsrath, der ihr im Vorzimmer den Caschemirshawl umreichte. „Wir haben Contreordre, Erlaucht. Weil er zu hastig war, hat man ihm eine Spanische Fliege applicirt.“ „Ihre Burleske fängt an mich zu langweilen.“ „Die schöne Frau verarbeitet sich desto mehr in Liebesweh. Wir überlassen sie ganz Euer Erlaucht.“ „Das für mich, was aber haben Sie?“ „Leibeigene beherrschen, ihr Schicksal machen, kneten, wie der Bildhauer den Thon, halte ich für ein Vergnügen.“ „Das sind andre Geschöpfe.“ „Um so größer, Gnädigste, auch über solche als Puppen zu schalten, die sich mit Schiller für frei halten, und wären sie in Ketten geboren, oder mit Herrn Fichte ihr göttliches Ich adoriren. Ich kenne keine angenehmere Unterhaltung, und harmlos, und welche Vorbereitung, Erlaucht, für das unstreitig größere, auch diese Geschöpfe zu bekehren!“ Zweites Kapitel. Das Intermezzo. Das Familienereigniß, welches den Aufstand verursacht, war auch für die näher Angehörigen kein eben interessantes. Die Lupinusschen Kinder, bei der Aufmerksamkeit, welche Prinz Louis und die Reiter verursachten, sich selbst überlassen, waren über die Reste des Chocolatentisches hergefallen. Knabe und Mädchen hatten um die Wette „gestopft“, um die Zeit zu nutzen, wo man sie nicht beobachtete, und Fritz es angemessen gefunden, auf die Chocolate und das viele Zuckergebäck einige Gläser süßen Weines zu gießen. Mit der Schilderung der Wirkungen, die sich hier zeigten, verschonen wir unsere Leser. Char¬ lottens Aufschrei galt dem traurigen Anblick, den Malwine verursachte, die leichenblaß mit blauen Lippen, gläsernen Augen und krampfhaften Bewegungen auf dem Stuhle lag. Fritz saß, als die andern ein¬ traten, noch wie ein Kobold auf dem Tisch, und machte den Versuch, mit grinsendem Gesichte aus der Flasche, die er in der einen Hand hielt, das Glas in der andern zu füllen, was ihm aber nicht gelingen wollte. Der süße Wein floß vom Tisch auf die Dielen. Was noch drauf erfolgte, überlassen wir der Phan¬ tasie des Lesers; aber der Knabe schlug, als er schon Kopf über vom Tische gefallen war, noch mit der Flasche, die er krampfhaft in der Hand hielt, um sich. Zwar verwundete er keinen der andern, die herbei¬ gesprungen waren, aber, indem die Flasche in Scherben zerschlug, sich selbst an den Schläfen. Charlotte schrie wie besessen: „Sie stirbt!“ Den Kindern sei's angethan! andere: „Ein Doctor! Schnell einen Doctor!“ Nur die Geheimräthin hatte ihre Besinnung behalten: „Was wird es sein! Die Kinder haben sich den Magen überladen. Irgend ein Hausmittel, Legationsrath.“ Wandel zuckte die Achseln, nachdem er dem Mäd¬ chen an Puls und Schläfe gefaßt: „Das wag ich doch nicht.“ „Sie verschreiben doch Andern Medicamente.“ „Nur dem, der mir Vertrauen schenken will. Der Vater der Kleinen ist nicht hier. Ihr Zustand scheint aber so bedenklich, daß ich rathe, ihn auf der Stelle rufen zu lassen —“ Die Geheimräthin sah ihn zweifelhaft an. „Es ist mein Ernst, setzte Wandel hinzu. Bei dem Mädchen kann ein rascher Aderlaß nöthig werden. Der Zustand des Knaben scheint, da die Natur sich selbst half, nicht gefährlich, seine Wunde muß indeß ein Chirurg untersuchen. Mit Blut befaß ich mich nicht.“ Die kurze Zwischenzeit, wo Walter und Adelheid zugleich hinausgestürzt waren, um nach einem Arzt zu schicken, und die noch Anwesenden Miene machten sich zu entfernen, füllte Charlotte mit ihren Lamen¬ tationen, bis die Geheimräthin, welche Wandels Ab¬ weisung etwas pikirt zu haben schien, ihr ins Wort fiel: sie meinte, hier sei doch nichts zu beklagen als ein Ungeschick, ein trauriger Zufall oder die vernach¬ lässigte Erziehung der Kinder. Das Glück wollte, daß ein Regimentsarzt schon vor dem Hause angetroffen ward, und auch der Vater der Kinder vom abgeschickten Boten bereits auf dem Herwege gefunden und benachrichtigt war. Der Chirurg erklärte allerdings beider Zustand für gefähr¬ licher, als die Geheimräthin gedacht; Malwine, deren Natur sich nicht selbst geholfen, bedürfe eines Blut¬ lasses; aber er mußte die heran geholte Lanzette noch sinken lassen, weil die Wunde an der Schläfe des Knaben so nahe an eine Arterie streifte, daß wenn er nicht rasch hier mit einem Verbande zu Hülfe komme, eine Verblutung zu besorgen stand. Wir wissen wirklich nicht, ob es, nachdem dieser Verband erfolgt, noch nöthig ward auch das Blut des kleinen Mädchens zu fordern, denn die Kinder wurden in eine Nebenstube geschafft, und der Legationsrath, der hülfreiche Hand dabei geleistet, erklärte, als er zurück kam, er hoffe, daß andre Mittel ausreichen würden. Aber um die Peinlichkeit der Situation für die noch Gebliebnen zu vermehren, erhob sich in der Nebenstube ein neuer Wortwechsel, von dessen Heftig¬ keit man überzeugt sein wird, wenn wir sagen, daß Charlotte die Angeklagte war, der Geheimrath der Kläger, und die Geheimräthin, die angerufene Rich¬ terin, sich der Angeklagten nicht anzunehmen schien. Charlotte war ihr eigner Advocat, und der Geheim¬ rath von der Vogtei konnte, wie wir wissen, wenn die Gelegenheit es mit sich brachte, auch außer sich gerathen. Er folgte der entgegengesetzten Maxime seines Bruders; er hielt Emotionen nicht für das Gift, sondern für eines der Präservativmittel des Lebens. Seine Freunde meinten, er alterire sich am liebsten vor dem Mittagstisch, weil dies dem Orga¬ nismus des Magens zuträglich sei; jedoch immer nur mit Maaß. Doch als er jetzt aus dem Krankenzimmer heraus¬ stürzte und Charlotte hinter ihm, schien er eher der Verfolgte. Sie wenigstens schrie in die Ver¬ sammlung hinein, ohne im geringsten von den respec¬ tablen Personen Notiz zu nehmen: „Meine Cousine, die Frau Hoflakir, hat mir wohl gesagt: Warum giebst Du Dich noch mit ihnen ab, warum opferst Du Dich ihnen! Du kennst sie ja, und Undank ist der Welt Lohn. Ja, ich kenne sie, und Undank bleibt der Welt Lohn!“ „Charlotte! rief das blasse Gesicht der Geheim¬ räthin, die an der Schwelle stehen blieb. Bedenke Sie, wo Sie ist.“ „Ja, Frau Geheimräthin, das bedenke ich auch, und Sie sind eine nobel gesinnte Dame, und wer Domestiken behandelt, wie er es selbst verdient, der ist rechtschaffen vor Gott und vor den Menschen. Denn wir Domestiken sind auch Menschen vor Gott und unsrer Herrschaft, und ich brauchte es ja nicht zu sein, sagt mein Cousin, der Herr Hoflakir. Ja wenn der nur hier wäre! Der würde ein Wort sprechen, aber ich bin eine vereinzelte unglückliche ledige Person. Und darum sind der Herr Geheimrath so ausver¬ schämt. Hab ich denn die Chocolate gesoffen?“ „Charlotte!“ wiederholte die Geheimräthin. Der Vogtei-Lupinus war auf dem Gipfelpunkt seines Zornes: „Sie soll mir nicht wieder vor's Gesicht.“ „Das will ich auch gar nicht. I bilden Sie sich das nur nicht ein. Und wenn Sie's mir auch nicht sagten. Gott bewahre, daß ich noch einen Fuß in das Haus thäte, wo man eine rechtschaffne Person so maltraitirt. Meine Cousine, die Frau Hoflakir, hat auch gesagt, sie könnt's nicht begreifen, warum ich's so lange ausgehalten. Ja, was thut der Mensch nicht, wenn die Kinder uns ans Herz gewachsen sind. Und nun soll ich die Schuld sein! O du gerechte Güte! Hab ich sie zur Chocolate invitirt? Hab ich die Brätzeln gebacken? Wer weiß denn, was der Kuchenbäcker rein gethan.“ „Charlotte, ich bitte Sie, sei Sie stille, sprach die Geheimräthin, die Hand am Herzen. Sie weiß nicht was Sie redet. Sie ließ die Kinder außer Acht.“ „Wird mir das auch angerechnet!“ „Sie pflichtvergessenes — schrie Lupinus — derweil Sie am Fenster das Maul aufsperrte.“ „Weil ich ein Gemüth habe, weil ich für meinen Gott und meinen König und unser herrliches Mili¬ tair zum Fenster raus sah, weil ich als eine gute Patriotin mein Herz ausschüttete! Nein, das geht mir doch über alles. Nu, kommen Sie mir wieder! Sag ich doch — nu Kinder hin, nu alles hin, nu adjö sag ich Ihnen. Sie sollen mich nicht wieder sehn, Herr Geheimrath, nu mags gehn, wie es will, und wo ich hin will das weiß ich. In Ihr Haus zurück? — I Gott bewahre! — Sie können meine Sachen raus schmeißen lassen, auf den Schinkenplatz. Was Sie wollen, wie Sie wollen, immer zu! O das genirt mich noch nicht so viel, wie Ihre ganze Wirth¬ schaft nicht, mein Herr Geheimrath! Was ist für mich die Welt noch, wenn man so mit meinem Herzen umgeht! Aber nehmen Sie sich in Acht. Mein Cousin, der Herr Hoflakir, weiß was ich habe. Der zählt jedes Stück nach. — Vor's hall'sche Thor will ich, aufs Grab der seligen Frau Geheimräthin, da will ich sprechen, da will ich mich ausweinen, da will ich klagen, da will ich mir ein Leids anthun — denn ich kann nicht leben ohne die Kinder!“ Die Geheimräthin meinte, ihr Schwager solle seine Affecte moderiren. Er mußte es auch meinen; er hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und trocknete den Schweiß von der Stirn. „Eine erschreckliche Person! seufzte die Kriegsräthin. Da ist man ja keinen Au¬ genblick seines Lebens sicher! Und wenn sie sich nun wirklich ein Leids anthut!“ Andre waren minder gläubig. Ein Spötter äußerte, vor dem halleschen Thor sei zwar der Kirchhof, aber auch die Reiter wären durch dies Thor marschirt. Wenigstens mußte Charlotte nicht augenblicklich ihren Entschluß auszu¬ führen gesonnen sein, denn plötzlich trat sie zur Thür wieder herein. Noch roth vor Echauffement drängte sie durch die Anwesenden nach dem Fenster und riß das Tuch an sich, das die erschrockene Baronin mit ihrem Rücken zufällig fest hielt: „Das ist mein Umschlagetuch!“ So ging sie wieder zur Thür hinaus, unbe¬ kümmert um die Ansprache des Geheimraths, der sich wirklich moderirt haben mußte, denn beim Vor¬ übergehn sagte er zu ihr: „Hat Sie sich noch nicht besonnen?“ Sie mußte sich allerdings, wenn auch nicht darauf, doch auf etwas anderes besonnen haben, denn, die Thür noch in der Hand, fing sie heftig an zu schluchzen, ihr Peroriren war aber diesmal an die Wirthin ge¬ richtet: „Und das muß ich Ihnen sagen, Frau Geheim¬ räthin, und wenn Sie mich für eine schlechte Person halten. Die Kinder lassen Sie nicht zu ihm, nein um Gottes Willen, das thun Sie nicht. Bei ihm sind sie in Grund und Boden verloren, der Herr Geheimrath verstehen nichts von der Erziehung. Das Mädchen verdirbt und der Junge auch, sonst hätten sie auch nicht die Chocolate aufgetrunken, aber sie lernen's von ihrem Vater, Gott straf mich, der kann auch nichts stehen lassen, er muß in alles die Nase stecken und kosten. Und die selige Frau Geheimräthin werden vom Himmel runter sehn und's Ihnen lohnen. Und handeln Sie an diesen Kleinen, wie sie — o Gott! — o Gott! — an meinem Cousin gehandelt haben.“ Unter noch heftigerm Schluchzen flog die Thür hinter ihr zu. Daß die kranken Kinder einstweilen bei der Geheimräthin blieben, war eine Sache, die sich von selbst verstand, denn der Arzt hatte schon erklärt, sie dürften auf keinen Fall fortgeschafft werden. Warum aber der Geheimrath nach einer Weile auf¬ sprang, und den Hut ergriff, um der Köchin nach¬ zueilen, blieb zweifelhafter. Er sagte, es geschehe, um nachzusehen, damit die desperate Person nicht sein Haus von oben zu unten kehre. Es gab indeß in der Gesellschaft, die meinten, es wäre nur um sein Mittagessen. In seinem Affect hatte er nicht bedacht, daß sein Schicksal noch in Charlottens Hän¬ den ruhte. Der Aufbruch war jetzt so allgemein, als die Verstimmung. Walter empfing für seinen ehrerbieti¬ gen einen sehr kalten Gruß vom Kriegsrath Alltag; die Kriegsräthin mußte in einer eignen Laune sein, denn sie zupfte noch ihren Mann, warum er sich so lange auf¬ halte? Auch der Geheimräthin bewies sie lange nicht mehr die Ehrerbietung und gerührte Dankbarkeit, mit der sie sonst von dieser gütigen und unvergleichlichen Frau Abschied nahm. Kaum aber war sie die Treppe hin¬ unter, als es die Brust nicht mehr hielt: „Mann, hast Du gehört, Ihre Majestät die Königin hat sich nach unsrer Adelheid erkundigt!“ — Der Mann sagte: „Hm!“ und meinte, man müsse auch nicht alles glau¬ ben, was vornehme Leute sagen. „Aber, erwiederte sie, eine Fürstin kann doch nicht lügen!“ Und als er meinte, es könne wohl etwas daran sein, es werde aber nicht alles so sein, sprach sie: „Daß aber die Königin auch nur von unsrer Tochter weiß, daß sie überhaupt auf der Welt ist, das hattest Du und ich uns doch nicht im Traume einfallen lassen!“ Sie hatte immer geglaubt, die Könige wüßten von den einzelnen Menschen gar nichts, und die Individuen verschwömmen ihnen, wie man von einem hohen Berge eine Landschaft sieht. Walter und Adelheid nahmen im Vorzimmer Abschied. Es mußte auch hier etwas von Verstim¬ mung sein. Sie meinte, er hätte sich doch überwinden können und zuvorkommender gegen ihre Eltern sein. Er sagte, es habe ihm etwas die Brust zugeschnürt. Sie entgegnete, auch auf ihrer Brust laste es wie ein Alp — „und ich überwinde es doch,“ sagte sie, und zwang ihr Gesicht zu einem heiter lächelnden Ausdruck. „Wenn ich Dich erst aus diesem Hause fort¬ wüßte,“ sagte er nach einer Pause. III . 3 „Wünsche es nicht, entgegnete sie. — Und wo¬ hin? So lieb ich meine Eltern habe, so fühle ich doch, dahin passe ich nicht mehr.“ „Du verlangst nicht nach Glanz und Reich¬ thum —“ „Aber — unterbrach sie ihn und schwieg plötz¬ lich. Daran bist Du auch schuld; warum hast Du aus mir eine andre gemacht, als ich war —“ Er ging mit einem stumm wehmüthigen Hände¬ druck. An der Thür wandte er sich noch einmal um. Sie war ihm nachgeeilt und hielt den Kopf an seine Brust: „Gieb den Muth nicht auf, Walter. Ich lerne mich täglich mehr überwinden und es wird alles besser werden — für uns beide.“ Am zärtlichsten hatte die Baronin Eitelbach von der Geheimräthin Abschied genommen. Sie war ihr unter Thränen um den Hals gefallen, und als die Lupinus nach der Ursach fragte, sagte die Baronin, sie wisse selbst nicht, warum sie eigentlich so gerührt sei, ob über das Unglück der armen Kinder, oder das ihrer Freundin, der wieder so etwas begegnen müsse, oder die Unverschämtheit der Charlotte! oder über das Unglück, das überall in der Welt ist, und wer ein gutes Herz hätte, der thäte am besten, wenn er es ganz versteckte. Darauf hatte die Lupinus mit einem schweren Seufzer geantwortet: „Daß auch eine so junge Frau schon solche Blicke in dieses Meer der Schmerzen und Täuschungen wirft, das Welt heißt.“ Beim Hinausbegleiten hatte der Legationsrath die Hand der Baronin sanft ergriffen: „Meine Freun¬ din, mir ist eingefallen, haben Sie sich auch nichts vorzuwerfen? Ich meine keine Schuld, aber vielleicht doch irgend einen geringschätzigen Blick, eine Bewe¬ gung — Sie wissen, Männer sind eitel, und Ver¬ liebte leicht gereizt. — Sinnen Sie darüber nach!“ hatte er theilnehmend hinzugesetzt, als sie ihn erschreckt anblickte, und klopfte sanft auf ihre Hand. 3* Drittes Kapitel. Es war etwas nicht, wie es sein sollte. Die Geheimräthin ruhte in einem Fauteuil, als Wandel ins Zimmer zurückkehrte. Sie sah sehr ab¬ gespannt aus; über das blasse Gesicht flog aber doch eine nervöse Röthe, und ihr dunkles Auge rollte selt¬ same Blicke umher. In dem weißen Kleide, das sich in weiten weichen Falten um sie breitete, und der Haube von derselben Farbe hatte ihre Erscheinung etwas Geisterartiges. „Was war denn der Eitelbach?“ fragte sie. „Verliebt.“ „Possen! — Ich hörte davon. Spielen Sie mit?“ „Man darf kein Spielverderber sein.“ Sie zuckte verächtlich die Achseln, es konnte aber auch für einen innern Schauder gelten: „Wie steht es nun also? — Ach mein Gott, es ist so viel, was mir durch den Kopf geht.“ „Das Capital, was Sie morgen ausgezahlt erhalten, würde ich meiner Freundin rathen baar in Händen zu behalten.“ Die Geheimräthin sah ihn mit etwas mehr als Verwunderung an. Sie hatte von dieser Sache nie mit ihm gesprochen. Erst heute hatte sie das Notifi¬ catorium erhalten, daß das Geld für sie fällig im Depositorium des Kammergerichts liege. „Beruhigen Sie sich, ich bin kein Geisterseher. Dies erfuhr ich auf ganz natürlichem Wege, als ich heut früh auf der Registratur des Pupillencollegiums einige Akten durchsah. Nicht aber die Ihrigen,“ setzte er rasch hinzu. „Hinter meinem Rücken sprach der Decernent mit dem Registrator von den fünftausend Thalern. Auf dem Herwege wollte ich mich auf der Börse erkundigen, in welchen Papieren Sie das Geld in dieser Woche am besten anlegen könnten, als ich die beunruhigende Nachricht erhielt. Hätte ich nicht Gesellschaft gefunden, wäre es natürlich das erste gewesen, was ich Ihnen mittheilte.“ „So wäre es auch wohl am besten, wenn ich jetzt meine Pfandbriefe verkaufte?“ Er schien sich zu besinnen: „Nein. Sie sind schon auf die Nachricht im Cours gesunken.“ „Aber sie können noch mehr fallen.“ „Möglich; sie werden aber auch wieder steigen.“ „Wenn Krieg kommt!“ „Wer sagt das?“ „Sie — alle Welt! — Die Augen sagen es.“ „Ich bin überzeugt, daß es nur eine Demon¬ stration ist. Die bewaffnete Neutralität ist zur Be¬ schwichtigung der aufgeregten Stimmung. Man muß der Kriegspartei ein Spielzeug hinwerfen. — Schau¬ dern Sie nicht; es ist die höchste Weisheit der Staats¬ kunst, wenn die Gemüther in Wallung sind, immer das richtige Spielzeug bei der Hand zu haben. Wenn die Leidenschaften, Stimmungen, Phantasien, die Zügel zerreißen, wenn die Völker durch keine Gaukelei mehr zu beschwichtigen sind, ach meine Freundin, wehe uns allen dann!“ „Es giebt doch höhere Ideen auch in der Staats¬ weisheit.“ „So lange wir Menschen bleiben, bleiben es Phantasieen.“ „Friedrich —“ „Fand ein Volk, das mit den plumpsten Er¬ findungen zu fesseln war. Erinnern Sie sich des Schlossenregens, als er die Gärten in Potsdam ver¬ wüsten ließ! Nämlich in den Zeitungen, welche die Nachricht nicht widerrufen durften. Das Volk glaubte es; er kannte sein Volk. Wenn er es nachher klüger erzog, so mag er sich im Elysium mit seinen Nach¬ kommen deshalb abfinden. Die Komödien und Spiel¬ zeuge werden allerdings jetzt kostbarer, die Völker müssen sie theuer bezahlen, aber einige Phrasen von Tugend und Patriotismus darum, und das gute Volk vergißt und vergiebt alles — heut wie vordem.“ „Ich bin eine schwache Frau, ich mag nichts davon verstehen, aber mein Gott, das einfachste Ge¬ fühl, die Vernunft selbst —“ „Sie rufen Mächte an, die dort nicht mitsprechen, lächelte der Legationsrath. Sie könnten auch sagen, Oestreich ist wohl geschlagen, aber noch nicht vernichtet, die unermeßlichen Colonnen, die Rußland aus seinen Steppen wälzt, haben sich noch nicht einmal auf dem Felde gezeigt, sagen, daß Preußen den Tieger schon gereizt hat, indem es seine Krallen ihm zeigte, daß es nun an ihm wäre, über Hals und Kopf zu eilen, sich auf ihn zu stürzen, während er selbst blutend mit seiner Beute noch am Boden ringt. Das ist aber alles schon gesagt. Es hörts nur keiner, der es hören sollte.“ „Aber Sie calculiren selbst mit Vernunftschlüssen; die Leidenschaften, ein Impuls, der Zufall, könnte Ihre Rechnung plötzlich zu Schanden machen.“ „Die Coterie tritt nicht schroff genug dem stür¬ mischen Willen entgegen, sie giebt klug nach. Das bürgt mir dafür, daß die Saiten nicht springen werden. Und was helfen alle Funken, wenn sie auf eine Masse fallen, die keinen Zündstoff in sich hat. Man wird die Sache hinziehen, vor dem Publicum rüsten, die Kriegshelden fluchen und schwören lassen, heimlich aber verhandeln, laviren, proponiren, unmögliche und mögliche Friedensvorschläge machen — “ „Bis!“ „Ja — bis es sich entschieden hat. In Mähren muß es sich entscheiden; dann —“ „Nun und dann?“ „Nie zu weit hinausdenken!“ „Sie hätten neulich die Radziwill hören sollen.“ „Zu Pallastverschwörungen ist bei uns kein Terrain.“ „Und was sagen Sie zu Alexanders Herkommen?“ „Der letzte Verzweiflungsaufschrei der Kriegs¬ partei. Es wird viele erhebende, rührende Auftritte geben. Aber läßt sich eine scheue Natur ändern? Die Coterie wird für einen Panzer sorgen von Gummi elasticum, damit die Thränen, oder für einen von Asbest, damit die Funken abgleiten. Der Ein¬ druck wird stark sein, aber vorübergehen. Und reist Alexander fort, vor einem Entschluß — nein vor einer That, so werden unsre Freunde dafür sorgen, daß alles wieder aplanirt wird.“ „Alles! sagte die Lupinus mit einem stechenden Blick, der im Zimmer umher irrte. Mir sind diese Menschen zuwider, die ihre ganze Kraft nur darauf vergeuden, damit es nicht anders wird als es ist.“ „ Wir sollten sie loben. Träge Wellen sind oft das beste Fahrwasser.“ „Was müssen wir thun?“ „Nicht die Pfandbriefe verkaufen, baares Geld für den Nothfall im Secretair, und in den Kriegs¬ enthusiasmus einstimmen.“ Sie war aufgestanden, und hatte mit einem nervösen Aufgähnen den Stuhl fortgesetzt: „Warum müssen wir das! Warum können wir nicht auch darin frei sein! Warum dürfen wir nicht die Mode beherr¬ schen? Wir verachten sie doch.“ „Weil es uns nichts einbrächte, als einen Hei¬ ligenschein, den unglücklicherweise wir selbst nur sehen. Weil es die Menschen von uns entfernt, und wir sie brauchen — als Instrumente. Darum spielen wir mit ihrer Thorheit.“ „Oder sie mit unsrer.“ „Man muß sich das Spiel nur nicht zu ernst denken.“ „Diesmal dünkte ich ihnen gut genug, ihr Opern¬ gucker zu sein, sprach, sie mit Bitterkeit. Welche brillante Gesellschaft, bloß zu Chocolate und Zucker¬ gebäck! Wenn noch mehr Regimenter vorüber mar¬ schiren, kommt mein Haus wohl wieder in die Mode. Selbst die Gargazin hatte die Gnade aus meinem Fenster die Truppen zu sehen.“ „Die Kinder werden Sie auch recht geniren?“ „Warum? Unsre Wohnung ist groß.“ „Ich besorge nur, daß Ihr Schwager, wenn die Charlotte von ihm zieht, sich nicht beeilen wird, sie Ihnen wieder abzunehmen.“ „So bleiben sie. Ich liebe Kinder — sie bringen Frische ins Haus.“ „Er sah sie zweifelhaft an: „Ich besorge nur, daß dies wieder zu Mißdeutungen Anlaß giebt. Seit man zu wissen glaubt, daß Sie Mamsell Alltag nicht eigentlich als Ihre Tochter betrachten —“ „Als meine Erbin wollten Sie sagen.“ „Ich meine nur, daß man auf den Gedanken kommen könnte, Sie wollten die Kinder Ihres Schwa¬ gers adoptiren.“ „Wer sagt, daß er ein falscher ist! Die Leute wissen es nicht, Sie wissen es nicht, und ich weiß es auch noch nicht. Ich weiß nur, daß Mamsell Adelheid nicht meine Erbin wird.“ „Die Alltag scheint Ihre Liebe ganz verscherzt zu haben.“ „Soll ich mein Haus zu etwas ähnlichem her¬ geben, wie das, aus welchem ich sie hernahm!“ Wandel warf einen forschenden Blick: „Sie approbiren nicht die Inclination mit dem Herrn van Asten?“ „Ich! Was geht es mich an! Meinethalben könnte sie sich hängen an wen sie will, das lar¬ moyante Wesen kann ich nur nicht ausstehen. Aus kleinen Verhältnissen — nein aus einer solchen Kata¬ strophe, die doch die Seele eines jungen Mädchens erschüttern muß, trat sie in mein Haus. Was hatte ich gehofft, daß sich aus ihr entwickeln würde, bei ihren Gaben, ihrem Muthe, ihrer lebhaften Phan¬ tasie. Sie hätte die Königin der Stadt werden können.“ Der Legationsrath zuckte die Achseln: „Sie meinen den Gedanken, den der Kammerherr einmal hinwarf.“ „Aber ich würde doch Bedenken getragen haben. Die Gesinnungen der Eltern —“ „Wären zu überwinden gewesen. Loyale Leute, in unerschütterlicher Devotion gegen das ganze kö¬ nigliche Haus! — Nur daß die Rolle der Herzens¬ königin eines apanagirten Prinzen niemals eine glän¬ zende werden kann.“ „Was kümmert mich der Prinz! rief sie. Sie selbst sollte sich ihr Loos werfen. Wie es war, und wenn ein faux pas , eine rasende Leidenschaft, eine Entführung — ja, wenn der junge tolle Mensch, der Bovillard, sie gewaltsam geraubt hätte, es wäre doch eine Abwechselung, es hätte zu sprechen gegeben — Sie lächeln, weil Sie die Affecte begraben haben, aber doch sage ich Ihnen, der Durst unsrer Seele nach dem, was uns über den Alltag erhebt, ist — das Bessere in uns.“ Der Legationsrath mußte zerstreut sein, die Sache interessirte ihn nicht mehr. „Der alte van Asten rückt auch mit keinem Groschen 'raus, wenn sein Sohn Adelheid heirathet.“ In dem Blick, den die Lupinus ihm zuwarf, hätte ein Psycholog eine verächtliche Beimischung lesen können. „Sie liebt ihn gar nicht.“ „Sie sprechen in Räthseln.“ „Sie erwähnten einmal einer chemischen Agenz, die allen Stoffen ihre natürlichen Säfte aussaugt, daß sie Farbe und Geschmack verlieren.“ „Will der Pedant sie zu einer Gelehrten erziehen?“ „Es ist übel, wenn ein Lehrer eine zu gute Schüle¬ rin hat. Ich konnte nichts mehr wirken, wo ich von einem Vorgänger Geist und Gemüth schon ganz eingenommen fand. Mit ihrer lebhaften Auffassungsgabe betrachtet sie ihn als ihren Wohlthäter, um nicht zu sagen als ihren Schöpfer; sich wenigstens als seine Schöpfung. Es ist keine unedle Natur, meine ich, fuhr die Lu¬ pinus nach einer Pause fort, die den Drang in sich fühlt, sich selbst einem verehrten Mann zum Opfer zu bringen. Aber das Mädchen ist krank. Das ist die Krankheit der Resignation. Ja wir, in unseren Jahren, — aber wenn junge Mädchen die Blüthe ihrer Empfindung auf dem Altar der Pflicht — Was lachen Sie so häßlich?“ „Daß Sie ein armes junges Mädchen anklagen um die Krankheit, welche Theologen, Dichter, Philo¬ sophen, um die Wette unserm Geschlecht einimpften! Um das Siechthum unsrer Staaten, unsrer Bildung, daß wir aus uns hinaus uns denken, schwärmen, speculiren, statt zu rechnen. Dies Infusorium des Universums will mit dem bischen Kraft, Talent, das die Natur in seine Wiege als Pathengeschenk legte, den Sternenlauf reguliren, statt für sich selbst zu sorgen, da wo sein höchstes Ziel nur sein kann, sich erträglich und behaglich über dem Strom zu erhalten, der es täglich zu verschlingen droht. Welcher Hoch¬ muth in dieser Tugend, eine Welt um sich beglücken zu wollen, um stolz dann sich selbst die Märtyrkrone aufzudrücken!“ „Das kann doch nicht ganz Ihre Ansicht sein?“ „Erst sich selbst — Ich verstehe natürlich darunter, daß zwei, die sich verstehen, sich als eine Einheit betrachten. Wer sie errungen hat, die Höhe, die er erreichen kann, ja dann, meine Freundin, dann mag er ein Gott sein, der goldnen Regen um sich sprenkelt, der Trost der Unterdrückten, der Rächer der Gekränk¬ ten, dann mag er schwärmen, schwelgen —“ Er be¬ deckte das Gesicht mit beiden Händen. „O lassen Sie uns von meinen Planen ein ander Mal reden. Heute könnten sich meine Phantasieen verirren, — Gott weiß in welche — lassen Sie mich heute schweigen —“ Er hatte ihre Hand ergriffen, eigentlich ihren Arm, und, den Blick gen Himmel, die Hand an seine Lippen gedrückt. — So starrte er eine Weile, die Augen aufwärts, in einem Zustande völliger Ab¬ sorbirung. Er schien, als sie sanft den Arm zurückzog, sich nur mit Anstrengung wieder zu finden: „Also, was Sie sagten! — Sie liebt ihn nicht?“ „Sie liebt einen Andern.“ „Tant mieux!“ Die Geheimräthin sah ihn forschend an: „Auch wenn der andre ein guter Bekannter von Ihnen ist — sie liebt Bovillard, ohne es sich zu gestehen.“ „In der That!“ Der Legationsrath biß sich in die Lippe, aber lachte mit völliger Unbefangenheit auf: „Wir sind Gegner, nicht Rivale.“ „Sie retteten sie vor ihm und zum Dank —“ „Würde sie mich an ihn verrathen! Ist das etwas besonderes! Zum Unglück für das arme Kind — oder zum Glück für Herrn van Asten, ist aber Herr von Bovillard jetzt die Kreuz und Quer auf hundert Meilen geschickt. Ja ich glaube, sie haben ihn so geschickt, daß sie wünschen, er möchte nie wiederkehren.“ „Und ich habe die Bescheerung im Hause!“ „Arme Freundin!“ „Eine Liebschaft ohne Aussicht und Ende. Ver¬ borgene Thränen und stille Seufzer. Er fragt: Warum hast Du geweint, und sie agt mit den seelenvollsten rothen Augen: O ich habe nicht geweint. Er glaubt es oder glaubt es nicht. Händedrücken und Betheue¬ rungen in Klopstockischem Odenschwung. Bin ich dazu berufen? Habe ich sie dazu in meinem Hause? Ihre Eltern sind unzufrieden. Der alte van Asten möchte mich zur Kupplerin erklären! Der junge sieht mich fragend an, wenn sie Migräne hat, und Adel¬ heid zittert, wenn ich ihn auffordere länger zu bleiben als sie wünscht, und gebe ich ihm ein Zeichen, daß er gehn soll, so ist sie wieder verstimmt. Sie denkt, er könnte denken, was er nicht denken soll. Und wenn der junge Bovillard wieder käme! Möglich ja, wenn der Vater ihm verzeiht, daß er präsentabel würde, daß — daß er sich in diesem Hause zeigte. Kann ich ihn abweisen? — Welche Scenen, Verwickelungen! Wer hat mich dazu ausersehen, mein Gott! als ob ich nicht anderes zu denken und vor mir habe!“ Die Geheimräthin hatte sich in einen Eifer ge¬ redet, der ihr wohl that, und dem Legationsrath that er auch wohl. Mit andern Gedanken beschäftigt als diesem, ihm ganz gleichgültigen Liebesverhältniß, hatte er ihnen nachhängen können ohne sich beobachtet zu sehn. „Das haben Sie! rief er. Sie müssen gerettet werden.“ „Nun verloren, Herr von Wandel, geb ich mich noch nicht.“ „Aber eine Frau, die der Wahrheit als Priesterin sich geweiht hat, darf nicht diese Unwahrheit um sich dulden. Das ist es, was ich nicht dulden darf. Dieser Dunstkreis muß verschwinden. — Zurück¬ schicken ins elterliche Haus wollen Sie sie nicht?“ „Es würde mir jetzt übel ausgelegt werden.“ „Sie haben recht. Es gäbe zu viel Gerede; sie ist einmal die Modepuppe. Ja, wenn man sie entführte! Sie selbst deuteten vorhin darauf.“ „Adelheid läßt sich nicht entführen.“ „Und eine Mariage —“ „Sie scheinen wieder zerstreut.“ „In der That ich bin es. Verzeihung! Nein fort muß sie jedenfalls, Ihrer Ruhe wegen. Bedenken Sie, daß Sie jetzt auch die Kinder im Haus haben Also sorgen Sie dafür, auf eine oder die andere Weise. Finden wird sie sich.“ „ A propos ! rief er von der Thür zurückkehrend. Etwas noch. Sie müssen die Mode mitmachen. Hüllen Sie sich in Patriotismus, von so tiefer Farbe, als Sie können. Immer exaltirt. Beim allgemeinen Fanatismus merkt man nicht das zuviel. Franzosenhaß, Durst nach Blut und Rache, auf den Lippen. Man kann nicht zu stark auftragen, denn man weiß nicht wie bald man überboten wird. Und wer nicht voraus schwimmt, ist bald zurück gedrängt und ans Ufer geworfen.“ War schon vorhin ihre Erscheinung geisterhaft, was mehr jetzt, als sie allein in der Mitte des Zim¬ mers stand, das Ohr etwas geneigt nach der Thür. Sie horchte — sollte er nicht wieder kehren? — Nein — keine Tritte mehr auf der Treppe, es hallte vom Flur — die schwere Hausthür öffnete sich. Ein Schlag dann, der sie durchschüttelte. Aber sie blieb stehen, die Finger etwas krampfhaft zusammen ziehend. — Warum blieb sie stehen? — Unter den halb nieder¬ geschlagenen Wimpern schielten ihre Augen umher. Warum schlug sie die Augen nicht auf, die sonst so durchdringend scharf in der Seele des Andern zu lesen schienen? — Fürchtete sie sich vor der Leere im Zimmer? Es war noch heller Tag. Es war etwas nicht, wie es sein sollte. Sie hatte eine andre Sprache, andre Mittheilungen er¬ wartet. — Glatt wie ein Aal! — Aber vielleicht trug sie selbst die Schuld! Was hatte sie sich ihrer Bitter¬ keit überlassen? Was interessirten ihn Adelheids Lie¬ besverhältnisse! — Darum war er zerstreut, brach plötzlich ab, in Sinnen versunken? — Sie athmete auf; ihre Wange röthete sich etwas. — Aber — es war doch etwas nicht, wie es sein sollte. — Warum sprach der große, herrliche, seltene Mann nur in Räthseln, warum auch gegen sie die Hieroglyphen¬ sprache? Hätte sie ihn falsch verstanden? Er, vor dessen Augen die Hüllen der Menschen, der Dinge, in Krystall sich verwandelten, und er schaute bis in die Keime der Thaten und Gedanken, hatte er auch in ihr Inneres einen Blick geworfen und — In dem Augenblick knarrte die Thür, der neue Bediente, Christian, trat etwas ungeschickt herein, indem er, um die Thüre zu schließen, den Rücken zeigte. Der Rücken zeigte nur die alte Livree seines Vorgängers. Die Lupinus stieß einen Schrei aus, sie fuhr zusammen, wankte; vielleicht wäre sie gefallen, wenn ihr Arm nicht die Lehne eines Stuhls erfaßt hätte. — „Johann! — ungeschickter Mensch — wie kann Er mich erschrecken!“ „Aber gnädige Frau, ich komme ja nur, wie Sie befohlen —“ „Er soll nicht hinterrücks hereinschleichen, Chri¬ stian. Meine Nerven vertragen es nicht.“ „Aber die Kinder, gnädige Frau, das Mädchen besonders, sie ächzen und piechen — ich glaube immer, denen hats Einer angethan.“ „Lügner! — Unverschämter Verleumder! —“ Mit einem zornfunkelnden Blick schoß sie an ihm vor¬ über nach der Kinderstube. Der Bediente sah ihr kopfschüttelnd nach, und reckte sich dann in der Livree, die nicht ganz zu sei¬ nem breiten Rücken paßte. Eine Nath riß: „Ich glaube, in dem Hause paßt mirs so wenig als in dem Rocke. Solche Bälger zu bedienen, und eine solche Frau! Ich weiß zwar nicht eigentlich, was Nerven sind, aber ich glaube, meine Nerven vertragen es auch nicht.“ Als nach einer Viertelstunde die Geheimräthin III . 4 zurückkehrte, lagerten seltsame Stimmungen auf ihrem Gesichte. Der Anblick der Kinder war gewiß ein widerwärtiger gewesen, der Schauder sprach sich deut¬ lich aus, aber darüber war ein andrer Ausdruck, wie ein Mondenstrahl, der durch zerrissen Gewölk über eine offene Gruft streift. Es fröstelte sie, sie machte eine Anstrengung als wollte sie auf die Knie fallen; aber — vielleicht versagten ihr die Knie den Dienst, sie hob die Arme und rieb die Hände, als wollte sie sie zum Gebet falten. Auch das mußte sich an etwas stoßen. Sie ließ die Arme sinken, und fiel selbst aufs Sopha. Hier, den Kopf im Arm, flüsterte sie: „Es sind abscheuliche Kinder; aber ich will mich zwingen sie zu lieben — ich will sie pflegen, wie — wie — ich wills an ihnen gut machen.“ Viertes Kapitel. Bei Josty. Beim Schweizer Kuchenbäcker Josty unter der Stechbahn traten mehre Officiere in Gala-Uniform ein. Heller als das Gold und Silber ihrer Achsel¬ bänder und Schärpen leuchtete die Freude auf ihren Gesichtern. Zum Theil schien diese selbe Empfindung auch auf denen der Gäste aus dem Civil zu strahlen. Es war ein großer Fest- und Feiertag in Berlin. Die Gruppen von Neugierigen wollten den Schlo߬ platz und den Lustgarten noch nicht verlassen, obgleich in diesem Augenblick nichts mehr zu sehen war, als die Truppen, welche in ununterbrochenen Zü¬ gen durch die Königsstraße und über die lange Brücke in die Friedrichsstadt zurückmarschirten. Aus den geöffneten Fenstern schallte ihnen noch man¬ ches Hallo! und Vivat! und Hurra! und manche geschmückte Dame wehte mit dem Taschentuch. Auch trug der große Kurfürst und seine Sclaven Guir¬ landen und Kränze von den Blumen, die der späte Herbst in den Gärten darbot. 4* Aber das Schauspiel war ein anderes als neu¬ lich das der durchmarschirenden Truppen. Diese waren nicht mit Staub bedeckt, an ihren Kamaschen klebte nicht der Koth der Landstraße; sie funkelten im glän¬ zendsten Paradeanzug und nur der Puder ihrer wohl¬ frisirten Haarlocken stäubte auf das dunkle Blau ihrer Monturen; sie rückten auch nicht ins Feld, sondern kehrten von einer Paradeaufstellung zurück. Es wa¬ ren die auserlesenen Regimenter Möllendorf, Knebel, Rheinbaben, die Grenadiere Prinz August von Preu¬ ßen und die Gendarmen und Garde du Corps, die vom Schloß bis ans Thor eine große Chaine ge¬ bildet, um den einziehenden Kaiser Alexander zu empfangen. Wie viele Jahre waren es her, daß ein Selbst¬ herrscher aller Reußen in die Thore Berlins einge¬ zogen! Wer ihn gesehen, den jugendlich strahlenden, humansten Fürsten, dessen Blick Güte und Wohl¬ wollen lächelte, der die Majestät vergessen ließ in der Liebenswürdigkeit, glaubte etwas gesehn zu haben, was er sein Leben durch nicht vergessen dürfe. Wie mehr als gnädig hatte er gegrüßt, mit welcher Huld die Anreden empfangen. Wie viele Frauen schworen, wenigstens bei sich, daß das Auge des Unwidersteh¬ lichen auf ihnen gehaftet. Aber er war nicht zu Tanz und süßem Liebesspiel gekommen. Der Ernst der Gegenwart dämpfte wieder die aufsteigende Lust; in die Jubelstimmen hatten sich andre Laute gemischt, kühne Rufe, die der unbewachten Brust entschlüpften, auch Thränen: die funkelnden Degenspitzen schienen Vielen schon angeröthet. So ernst wehwüthig war der Empfang gewesen im gro¬ ßen Portal des Schlosses. Hier hatten König und Königin, von ihrem Palais herübergekommen, den Gast bewillkommnet. Es war eine feierliche Scene, als die beiden jungen Monarchen sich umarmten, als der Czaar die Hand der huldvollsten Königin an die Lippen drückte; ein Moment, von dem Europas Schick¬ sal abhing! Und in wie lautloser Theilnahme hatte die Menge dem Familienstück zugesehen, das zum großen Trauerspiel für hundert Tausende, für Mil¬ lionen werden durfte, mit welcher bangen Spannung gewartet, was drinnen vorgehe, als die höchsten Herr¬ schaften in die Appartements getreten waren. Und doch wußte man, daß es hier nicht geschehe. Sie nahmen nur Erfrischungen ein. Die Hofequipagen standen schon vor dem Portal, in denen die Wirthe den hohen Gast nach Potsdam entführen wollten. Dort — wo Friedrich schläft — sollte gewürfelt wer¬ den über das Loos der Zukunft. Die Hofequipagen rollten schon lange auf der gedielten Kunststraße hin, die für eines der wunder¬ baren Prachtwerke der Königsstadt galt, als die Officiere in den Conditorladen traten. So prächtig ihre Gala-Uniform, so bescheiden sah damals der Laden aus. Nichts von Gold und Mahagoni, nichts von Säulen und funkelndem Krystall. Auch glänzte das wenige Tageslicht, das durch die Colonnaden der Stechbahn ins Zimmer fiel, nicht wieder von zahl¬ losen Riesenbogen ausgespannter Zeitungen. Zei¬ tungen waren freilich auch hier schon, zwei oder drei vielleicht, bescheidene Blättchen, auf grauem Lösch¬ papier, die wöchentlich zwei oder drei Mal alle Neuig¬ keiten der Welt wieder erzählten, was in der Türkei geschah und am Rheine, und von Berlin brachten sie vornan lange Listen aller angekommenen Fremden, mit ihren Titeln und den Wirthshäusern, darin sie wohnten. Dann alle Ernennungen zu Hof- und Staatsdiensten, zuweilen auch eine Mittheilung, daß ein hoher Herr bei Hofe empfangen und zur Tafel gezogen worden. Und hinterher Theaterrecensionen, Charaden, Fabeln, Anzeigen von Auctionen, Verkäu¬ fen, Büchern, Wohnungen und sehr vielerlei. Aber bei besondern Gelegenheiten stand auch vornan ein Gedicht, gereimt oder ungereimt, immer jedoch zum Lobe der höchsten Herrschaften. Denn jene Zeiten waren vorbei, wo man sich in den Zeitungen auch wohl einen Spaß erlaubte, wie der wunderliche Gelehrte Philipp Moritz und der erst in diesem Jahre 1805 verstorbene noch wunderlichere Burrmann, welcher die Leser mit Reimereien, so seltsam wie er selbst, beschenkte. So hatte er einst am 21 ten Decem¬ ber die Vossische Zeitung mit dem Vers angefangen: Gottlob und Dank, Die Tage werden wieder lang. Nein, seit jenen Zeiten war ein feiner classischer, fran¬ zösischer Geschmack in die Zeitungen gefahren, wie er ja auch in der Gesellschaft war. Der tölpelhafte deutsche Hanswurst war längst fortgeschickt, und man sprach nur das aus, was gegen nichts und niemand verstieß, auch auf die Gefahr hin in dem Ge¬ sagten nichts zu sagen. Darum, doch auch aus andern Gründen, las man nie in den Berliner Zei¬ tungen von dem etwas, was in Berlin geschah, es sei denn, daß eine hohe Obrigkeit es der Druckerei zugesandt, und auch über das Draußen enthielt man sich jeder eignen Meinung und druckte nur ab, was andere Zeitungen vorher gedruckt hatten. Heute aber war ein außerordentliches Ereigniß auch in der ge¬ nannten Vossischen Zeitung. Vornan stand ein lan¬ ges Gedicht, dessen Anfang und Ende so lauteten. Jemand las es in der Conditorei laut vor, als die Officiere eintraten, und alle, die es hörten, sahen sich verwundert an: Nicht Salomon und Titus — wozu Namen Der Vorzeit! Sind wir Neueren so arm? — Nein, Alexander , Friedrich , Arm in Arm, Stehn da, ein Brüderpaar. Zu Preußens Adler kamen Die Adler Rußlands! Jubelnd sieht Berlin Sie über sich vereinten Fluges ziehn. Sie stehen vor dir, Arm in Arm, O glückliches Berlin! Sprich aus die schönen Namen! Wer sind die Menschenfreunde? Sprich! Wer? — Alexander, Friederich! Daß das Gedicht ausgezeichnet schön sei, darüber war nur eine Stimme, aber einer der eingetretenen Officiere begriff nicht, wie solch ein Blitzkerl von Zeitungsschreiber augenblicklich von den Evenements Witterung habe, daß er auf der Stelle im Stande sei, sie drucken zu lassen, und gar in Versen! „Und, sagte ein anderer, daß man's drei Mal in der Woche erfährt, was vorher passirt ist! Erst muß es doch geschrie¬ ben werden, was schon eine verfluchte Arbeit ist, und dann gedruckt und verkauft.“ — „'s ist auch 'ne schwarze Kunst“ lachte ein anderer. Herr Josty, mit der Flasche Cura ç ao in der Hand, flüsterte den Herren zu: „Und was werden Sie erst sagen, wenn wir alle Tage ein Blatt bekommen, was uns jeden Tag von den Kriegsevenements avertirt. Sehn Sie mal ge¬ fälligst in der Ecke hinterm Ofen den Herrn im grünen Rock und Nankinghosen, das ist Herr Professor Lange. Der giebt ein solches Blatt heraus, es soll Telegraph heißen. Morgen schon kommt die erste Nummer. Die Leute werden sich den Kopf überschlagen.“ — Die Officiere vigilirten den „verfluchten Kerl“, der mit dem Bleistift Notizen machte, und stritten ob seine Ohren oder seine Nase spitzer wären. Auch der Herr Kriegsrath Alltag hatte diesen Tag nicht alltäglich begangen. Auch er hatte in der Conditorei des Herrn Josty eine Tasse Chocolate genippt, was zu jener Zeit, als wir ihn kennen lern¬ ten, ein außerordentliches Evenement gewesen wäre. Aber schien er doch selbst ein anderer geworden. Der gestickte blaue Rock war zwar schon etwas über die Mode hinaus, jedoch vom feinsten Tuch, das sauberste weiße Halstuch war über das Jabot geknüpft und feine Brüsseler Manchetten spielten um die knappen Aermel. Frisch gepudert war das Haar, und der Zopf mit neuem glänzenden Seidenband umwickelt. Die goldene Uhrkette hing um einen Finger breit länger auf die schwarz taffetnen Beinkleider, und die ge¬ streiften Seidenstrümpfe mit den silbernen Schnallen¬ schuhen deuteten unverkennbar auf ein nicht alltäg¬ liches Evenement. Und das war es, wo der Herr Minister ihn gewürdigt, ihn aufzufordern sich im Schloß zu gestellen, er wolle schon für einen Platz sorgen, daß er die Majestäten recht von nahe sähe. Hatte er ihn nicht selbst dort an die Treppe gestellt, wo die hohen Herrschaften vorbei mußten? Wenn er sich nicht ans Geländer zurückgedrückt, so weit es möglich, hätte ihn da nicht das seidene Kleid Ihro Majestät der Königin fast berührt? Durch eine glück¬ liche Schwenkung der Schleppe hatte der Page es noch vor dieser Berührung bewahrt. Der Kriegsrath war erröthet vor Schreck. — Welcher neue Schreck aber! — Kaiser Alexander, der die Königin am Arm führte, war auf dem Podest einige Stufen über ihm stehen geblieben, damit die hohe Frau Athem schöpfe. Seine Majestät, der hinter ihnen ging, war natürlich auch stehen geblieben, und auf derselben Stufe, auf der die Füße des Kriegsraths standen. Zwar war die Stufe breit, aber es war dasselbe Brett, und der Kriegsrath fühlte unter seinen Füßen die Bewegung, welche der Fuß Seiner Majestät verursachte. — Und es war noch nicht alles. — Excellenz, der Minister, sein Gönner, flüsterte dem Könige einige Worte zu, und — er traute seinen Ohren nicht, aber es war so — er hörte seinen Namen. Der König hatte sich drauf umgesehen, hatte ihn angesehen und die Worte gesprochen: „Treuer Diener seines Herrn. Freue mich.“ — Er hatte es gesprochen, wirklich und wahr¬ haftig, und es war noch nicht alles. — Als die hohen Herrschaften auf dem Podest sich in Bewegung setzen wollten, war der König bei ihnen, und sagte der Königin etwas ins Ohr, und die Königin wandte auch ihr Gesicht zum Kriegsrath nieder, und er hörte die Worte: „ Ah c'est lui! “ — War das neue Täuschung, oder war es auch Wahrheit, sie hatte ihm von oben freundlich zugenickt. Wie der Kriegsrath nachher von der Treppe herunter gekommen, wie auf den freien Platz, das wußte er selbst nicht. Er las nie ein Mährchen, weil er überhaupt nicht las, aber aus seiner Jugend, aus der Ammenstube, wußte er doch, was ein Feen¬ mährchen ist. — Zuerst hatte ihn die Luft wunderbar angefächelt, wie einen, der nach langer dunkler Haft ans Sonnenlicht gerissen wird, oder wie den Trinker, der aus dem Keller ins Freie tritt. Unten hat er es noch nicht gefühlt, jetzt aber dreht sich die Welt um ihn, und der Boden wankt unter seinen Füßen. Der Rippenstoß eines Corporals, dessen Rotte er in seinem Schwanken vermuthlich zu nahe gekommen war, hatte ihn wieder zur Besinnung gebracht. Er sah die klir¬ renden Männer an sich vorüberziehen, und die höhni¬ schen schiefen Gesichter, die Zungen, die sie ihm streckten, beleidigten ihn nicht, er fühlte sich ihnen näher gerückt; der König, der ihn einen treuen Diener genannt, war ihr Herr. Vor seinem Commando, vor seinem Blick mußten sie zu Bildsäulen erstarren. Und ihm war es, als müsse der Huldblick des Kö¬ nigs etwas von seiner Majestät und Machtvollkom¬ menheit auch auf ihn ausgegossen haben; auch vor ihm müßten diese rohen Männer, wenn er es sagen wolle, was er wußte, in Ehrfurcht erstarren. Er sagte es zum Glück nicht. Vielmehr kehrte auf dem Wege bis zu Herrn Josty dem Ehrenmann die volle Besinnung zurück. Es war kein Traum gewesen, auch keine Erscheinung aus einem arabischen Mährchen, vielmehr nichts als die Besiegelung dessen, was er längst ahnete, vielleicht wußte, und in der Stadt munkelte es schon. Er sollte nicht mehr lange Kriegsrath bleiben, er war zu Höherem bestimmt. Diese Bestimmung drückte sich auch in seiner Haltung aus, wie er am Tische in der Ecke neben einem andern Manne gesessen, und mit demselben dem Anschein nach ein eifriges Gespräch gepflogen hatte. Der andre Mann, ungefähr im Alter des Kriegs¬ rathes, oder etwas älter, war in seiner Erscheinung just das Gegentheil. Sein fein geschnittenes, intelli¬ gentes Gesicht ward durch ein Paar kleine graue, ins Blaue spielende, Augen, wenn sie mit Eifer auf einen Gegenstand fielen, lebendig. Sonst hatte es mehr einen calculatorischen Ausdruck, jene verschrumpften, doch nicht unedlen Züge, welche ein beständiges Nach¬ denken über plus und minus ausdrücken, jene Absor¬ birung von allem was Impuls oder Phantasie heißt. Wenn aber die Augen aufblitzten oder auf einen Gegenstand zückten, bewegte sich wohl um die Lippen ein sarkastischer Zug. Sein Haar, weißblond von Natur oder weiß vom Alter, schien schon lange den Puder als etwas Ueberflüssiges abgestreift zu haben. Es fiel schlicht, eben nicht sorgsam gekämmt, auf den Hinterkopf und um die Schläfe herab. Daß er eben so wenig Umstände mit der Toilette wie mit der Frisur machte, verrieth der Ueberrock von grobem Tuch und einem dick übergelegten Kragen. Seine Hände, die auf dem Tische lagen, waren weiß und fein, seine Füße dagegen, die er weit vorgestreckt hatte, schienen grob wie die blauen Strümpfe und die dick versohlten Schuhe. „Also keine Mariage nicht!“ hatte der Mann mit den grau blauen Augen gesagt, und zwei Gläser mit Granatwein gefüllt, worauf der Kriegsrath das eine nach einigem Bedenken ergriffen und mit ihm ange¬ stoßen hatte. „Ueberdem ist sie auch noch zu jung,“ setzte er hinzu, und das halb ausgetrunkene Glas auf den Tisch. Der andere sagte: „Alter schützt vor Thorheit nicht, und zu jung ist keine nicht, um sich nicht zu verplempern.“ Der Kriegsrath spielte etwas verlegen oder verletzt mit der silbernen Dose, ein Präsent seines Ministers: „Nun was das Verplempern anlangt, mein Herr van Asten, so dünkt mich —“ „Mein Sohn hätte sich verplempert — meinen Sie vielleicht, fiel der Kaufmann ihm ins Wort. Wenn auf meinem Kornboden zwei Säcke geplatzt sind und der Roggen und Waizen liegen unterein¬ ander, da kümmerts mich wenig, welcher Sack zuerst platzte, sondern wie ich die Körner auseinander bringe, oder mitsammen verwerthe. Unsre Säcke sind Gott sei Dank noch nicht geplatzt, da halte ich nun fürs Beste, daß jeder seinen an sich nimmt und sich nicht um den andern kümmert. Und wo das Facit stimmt und die Probe aushält, muß man beileibe nicht jeden Posten von Neuem nachrechnen. Ihnen ist mein Sohn nicht vornehm genug, oder wie Sie das nennen wollen.“ „Bitte recht sehr, Herr van Asten, das habe ich nie gesagt.“ „Aber gedacht. Schadet gar nichts, Herr Kriegs¬ rath. Habe ihn auch gar nicht erzeugt und erzogen, daß er vornehm sein soll. Contrair, und mir ist ganz lieb, daß er Ihnen nicht vornehm genug ist, und vielleicht noch sonst was. Mir ist nun Ihre Mamsell Tochter nicht reich genug, und vielleicht noch sonst was. Sehn Sie, aufrichtige Leute kommen bald zu Rande, und das, was sonst ist, soll uns nicht kümmern, und wir bleiben gute Freunde. Darum erlaube ich mir noch ein Mal an Ihr Glas anzustoßen.“ Der Kriegsrath seufzte; der andere hätte es recht gern zur Gesellschaft gethan, nur um die Einigkeit vollkommen herzustellen, der alte van Asten konnte aber nicht seufzen. „Mein hochverehrtester Herr Kriegsrath, mit Ihrem Permiß, ich lese Ihre Gedanken. Daß die jungen Leute jetzt auch ihren Willen haben wollen, das gefällt Ihnen nicht. Sie seufzen: ehedem war's anders! Habe ich gar nichts dagegen. Ehedem wog man ein Pfund Pfeffer mit Gold auf, jetzt kostet's ein Paar Groschen. Ehedem bezahlte man mit Pfeffer seine Wechsel. Wenn mir jetzt einer damit käme, würfe ich ihn die Treppe runter. Ist so mit allem, mit der kindlichen Liebe, mit der Freiheit, der Erzie¬ hung; der Marktpreis ist ihr Werth. Steht darum geschrieben, daß wir den Marktpreis nicht machen können! Man muß nur geschickt operiren. Mein Herr Sohn will auf dem Kopf stehn, Ihre Mamsell Toch¬ ter auch. I nu so lassen wir sie, bis sie müde wer¬ den. Daß sie's aber werden, dazu kann man schon was thun. Wenn ein Materialist einen Jungen in die Lehre nahm, ehedem kriegte er Schläge nach Noten, wenn er naschte. Es hat wohl nicht immer geholfen. Jetzt läßt sein Principal ihn so viel Syrup nippen und Rosinen und Mandeln naschen, als er Lust hat. Ein, zwei Mal den Magen verdorben, und er ist curirt auf sein Leben. Und so ists mit dem eignen Willen auch, und mit der Freiheit und mit, was sonst ist. Sie kommen retour, sage ich Ihnen, wenn man's nur recht anfängt.“ „Habe doch immer vernommen“ — fiel der Kriegs¬ rath ein. „Daß der alte van Asten einen Bock geschossen hat. I ja, das passirt dem Klügsten. Nu laß ich ihn austoben, die Hörner ablaufen. Wissen Sie, wie viel Hörner mein Sohn schon ablief? Kein Hirsch hat so viel Geweihe im Wald abgeworfen. Habe sie mir alle gesammelt. Das macht mir sehr viel Freude. Noch mehr wird's machen, wenn ich sie ihm zeigen kann, wenn er kommt wie der verlorne Sohn und ans Thor klopft. Wird Ihnen auch so gehn, wenn sie sanft an der Klingel zieht, und, das Tuch an den Augen, weinerlich anfängt: Lieber Papa! Freilich bei einer verlornen Tochter ist es etwas anderes als bei einem verlornen Sohn —“ „Mein Herr van Asten! sagte der Kriegsrath und hob sich in seinem Stuhle. Ich hoffe doch nicht —“ „Daß ich etwas Injuriöses gemeint hatte! I Gott bewahre! Ich sollte mich in Injurienprozesse einlassen! Ich, ein solider Geschäftsmann, in ein Geschäft wo man nur verlieren und nie gewinnen kann. Nein, wenn's sein muß, lieber baar zahlen! Wenn der eine das Gold liebt, auch wenn's schmutzig ist, so liebt der andre, wenn's glänzt, auch wenn's nur ganz dünn ist. Ist ja wahre Gottes Gnade, daß wir nicht alle dasselbe lieben. Wo sollte es raus! Sie möchten mit Ihrer Tochter hoch hinaus. Ist ganz recht von Ihnen. Man muß anschlagen was man hat. Wenn Sie nun Geheimrath werden, brau¬ chen Sie einen Schwiegersohn, der auch was zu ra¬ then giebt, und keinen Gelehrten, der ausgiebt was er hat, nämlich sein bischen Wissen, ohne was dafür einzunehmen, nämlich Geld. Was Titulirtes, was Blankes, so oder so, wovor unser eins den Hut ab¬ zieht. Lassen Sie nun Ihre Demoiselle Tochter in meinen Herrn Sohn verliebt sein, ganz geruhig, bis sie sich übergeliebt haben. Glauben Sie mir, das kommt über kurz oder lang, denn satt macht die Liebe nicht, und zanken werden sie sich auch, und verknurren, wenn man sie nur läßt, und dann kommt die lange Weile, und die rothen Augen machen auch nicht schöner. Aus Wochen werden Monate und aus Mo¬ naten Jahre. Sieht ein hübsches Mädchen erst eine Falte im Gesicht, die nicht fort will — ich will gar nicht sagen Runzel — da guckt wohl ein kleiner Ge¬ danke raus: ja wenn ich den nicht zurückgewiesen hätte! Oder den! Dann wird der Liebste auch nicht grade sehr freundlich angesehn, wenn er zur Thür rein kommt, und auf einer seiner Runzeln steht: ich habe noch immer nichts! Sieht er nu in ihrem Gesichte, was sie in seinem sieht, na — und so weiter, und am Ende — sie weinen, sie fühlen sie haben sich ge¬ täuscht, es wird geklatscht dazwischen, dafür braucht man gar nicht zu sorgen, und am letzten Ende nimmt die gehorsame Tochter den ersten besten, den der Papa ihr zuführt. Und überläßt man's dann den Muhmen und Gevattern die Sache zu arrangiren, so kommts am letzten Ende raus: sie hat ihn von Kindheit an geliebt.“ Dies war ungefähr das Gespräch, welches die beiden ältlichen Herren vor dem Eintritt der Officiere geführt, und das durch das laute Vorlesen des Ge¬ dichtes unterbrochen war. Der Kriegsrath schüttelte den Kopf als er seinen Hut nahm. „Gefallen Ihnen die Sentiments nicht von Sa¬ lomon und Titus?“ fragte der Kaufmann und griff nach einem Zeitungsblatt. „Sie sind sehr schön, entgegnete der Kriegsrath, nur begreife ich nicht, wie man so etwas zu drucken erlaubt. Dadurch wird ja der Bonaparte avertirt, was hier passirt ist.“ „Sehr richtig bemerkt,“ sagte van Asten, und sein schlaues Gesicht wollte gewiß noch etwas sagen, aber der Kriegsrath gab, als der vornehmere Mann, das Zeichen, daß er genug gehört, indem er sich mit einer leichten Verbeugung empfahl. Der Vornehmere muß das letzte Wort behalten. Aber als er durch die Officiere den Weg nach der Thüre suchte, waren offenbar diese die Vornehmeren. Sonst liebte er doch nicht die Officiere, aber mit verbindlichen Verbeugungen schlängelte er sich durch ihre Füße, welche die Herren sich nicht besondere Mühe gaben aus dem Wege zu ziehen. „Das war der Vater von dem schönen Mäd¬ chen,“ sagte ein Garde du Corps zu dem Rittmeister, der seine glänzenden Reiterstiefeln auch nicht um einen Finger breit zurückgezogen hatte. Der Cornet lachte: III . 5 „Was sprechen Sie zu Dohleneck von schönen Mäd¬ chen! Für meinen Onkel ist nur Eine schön, und wenn die Eine nicht, so mag die anderen der Teufel holen und ihre Papas dazu.“ Der Rittmeister, der am Fenster saß, trommelte an die Scheiben: „Krieg! Krieg! das ist das Beste.“ „Zum Avancement! lachte der Chor. Die Un¬ terhaltung ging auf dies wichtige Thema über, wich¬ tiger als Alexanders Ankunft, als der Streit ob die Königin dem Kaiser zuerst die Hand gereicht oder er nach der Hand gegriffen, wichtiger als der Krieg selbst. Man stritt über die Ernennung eines Capi¬ tains zum Major. Einige wollten sie gelesen haben, andere leugneten es. „Es steht heute drin.“ — „Es steht nicht drin.“ — „Her den Wisch!“ Mit einem Satz war der Cornet nach dem Tisch gesprungen, an dem van Asten saß, und hatte ihm die Zeitung aus der Hand genommen: „Wir wollen etwas nach¬ sehen.“ Es mußte noch etwas anderes vorgefallen sein. „Wollen Sie etwas?“ fragte der Cornet und ließ seine Pallaschscheide auf der Diele klirren, indem er sich zum Kaufmann umkehrte, als dieser sich mit ei¬ nigem Geräusch erhoben hatte. „Mich nur gehorsamst entschuldigen,“ sagte van Asten und zeigte auf sein vorgestrecktes Bein, „daß Herr Cornet von Wolfskehl auf meinen Fuß treten mußten! Haben sich doch hoffentlich keinen Schaden gethan?“ „Ich glaubte, es wäre ein Holzklotz. Excüs!“ sagte der Cornet und hoffte auf einen beistimmenden Lach-Chor. Aber die Einen griffen nach dem Zeitungs¬ blatt, die Andern machte eine ernste Miene: „Cornet, keinen Spaß mit dem Mann! Der reiche van Asten aus der Spandauerstraße, der mit dem Minister unter einer Decke steckt!“ Die Ernennung stand nicht im Blatt, dafür ein Paar Dutzend andere, wie jede Zeitungsnummer sie in diesen Tagen brachte. Auch fingen unter den Annoncen schon die Abschiedsworte an, welche Offi¬ ciere, Wundärzte und Beamte an ihre Freunde oder Bekannte in den eben verlassenen Garnisonen richteten; auch Nachrufe und Danksagungen ganzer Städte an die abziehenden Garnisonen und deren Officiere. „Wenn das kein Beweis ist, daß wir wirklich in den Krieg ziehn!“ — „Ehe nicht die Kugeln durch meinen Mantel pfeifen, glaub ich nicht daran.“ — „Ich glaubs auch dann noch nicht“ ein dritter, als ein vierter durch die Glasthür, die er klirrend aufgerissen, eintrat: „Nu glaub ichs Cameraden. Aufs Pferd! aufs Pferd!“ — „Du sprangst eben runter!“ „Direct von Steglitz in Carriere! Habt Ihr nichts gehört? Vier und zwanzig Kanonen don¬ nerten aus dem hohen Busch als die Equipagen durchs Dorf schwenkten. Der dicke Stallmeister fiel beinahe von seinem Schimmel. Die Königin sah erschrocken zum Kutschenschlage raus.“ „Possen!“ 5* „Nein, Ernst. 's war aber nicht Bonaparte, nur Beyme! Wenn Beyme Kanonen aufführt, Beyme schießen läßt, da müßt Ihr zugeben, es wird ernst, es geht los.“ „Victoria!“ schrien zehn Stimmen. „Wenn er nur nicht blind geladen hätte!“ rief der Rittmeister und riß die Thür auf. „Man braucht frische Luft. Krieg! Krieg!“ — Herr Josty sah am Fenster den Officieren nach. Er schien die Häupter seiner Lieben zu zählen, aber nicht mit der Zufrieden¬ heit, die auf den Gesichtern der Officiere strahlte. Was half ihm der Krieg! Er war gewiß ein guter Patriot, aber wie viele konnten ihm noch immer ent¬ rissen werden, an die theure Bande ihn schon lange knüpften. Er schlug ein kleines Büchlein im Winkel auf und schrieb kleine Zahlen zu den Namen. Aber viele kleine Zahlen machen ein große. Herr Josty schüttelte den Kopf und wollte seufzen. Indessen — er besann sich: „Indessen, sagte er, es gleicht sich in der Welt alles aus.“ Und auf seinem Gesichte glichen sich auch die Falten aus. Die Officiere hatten sich links nach der Schlo߬ freiheit zerstreut. Nur einer von ihnen, er schien ab¬ handen gekommen, suchte die Freiheit rechts unter den Colonnaden der Stechbahn. Die Augen auf den Boden, ging er grad aus bis die Mauer ihn erin¬ nerte, daß an der Ecke die Freiheit zu Ende war. Er wollte zur Colonnade hinaus treten, als aus der Brüderstraße eine elegante Equipage rasch vorüber fuhr. Die Dame darin in Pelz, Hut und Schleier verhüllt, sah ihn nicht, aber der Mops auf dem Rücksitz bellte heftig den Officier an. Ob die Dame auf¬ merksam ward, wissen wir nicht, wenn sie sich aber verbeugte, um nach dem Gegenstand auszuschauen, der den Eifer ihres Hundes verursachte, konnte sie ihn nicht mehr sehen; denn der Rittmeister hatte sich hinter den Pfeiler gelehnt. Er schien, mit geschlossenen Augen, auf das Rollen der Räder zu hören, bis es unter dem Klap¬ pern der Werderschen Mühlen verrollte. Dann riß er sich auf, machte sich durch einen schweren Athemzug Luft und — wollte auch ins Freie, in den Thier¬ garten. Es mußten wunderbare Dinge im Rittmeister Stier von Dohleneck vorgegangen sein. Er freute sich auf einen Spaziergang in den stillen, einsamen Alleen des Thiergartens. Er hatte seinen Plan gemacht: links durch die Buschpartien an den Zelten vorbei, nach dem Poetensteig. Da traf er gewiß Niemand. Aber — wenn nur die Aber nicht wären, als er an der Conditorei vorüberging, öffnete Herr Josty freundlich die Thür. Er glaubte der Gast wolle zu¬ rückkehren. Solchen Glauben darf ein Cavalier nicht täuschen. Einen Schritt war er schon vorbei, es kostete also nur einen zurück, und er stand wieder in dem traulichen, gemüthlichen Local. Es war ja auch da einsam geworden. Als Herr Josty die Thür ver¬ bindlich schloß, hatte er wieder ein Haupt seiner Lie¬ ben in seinen Mauern. Fünftes Kapitel. Von Möpsen und Wechseln. Aber der Rittmeister wollte ganz einsam sein. Im Vorzimmer saß noch der Herr van Asten und schien zu rechnen oder sprach leise mit einer andern in Berlin wohlbekannten Person, dem Herrn Auctions- Commissarius Manteuffel, der sich über den Tisch zu ihm lehnte, um auf die Fragen des Kaufmanns Antwort zu geben. Dem Rittmeister waren heut alle Menschenge¬ sichter zuwider, was mehr Rechenmenschen, aus deren Gesichtern Zahlen springen. Zahlen erinnern an Schulden. Herr Manteuffel, der ihn eintreten gesehen, ob¬ gleich er der Thür den Rücken zuwandte, blinzte den alten Asten an. Der aber machte eine Bewegung mit der Hand, die unter Geschäftsleuten ausdrücken kann: den hab ich sicher, oder: um die Bagatelle küm¬ mere ich mich nicht. Herr Josty hatte noch ein kleines dunkles Hin¬ terstübchen. Vertrautere Freunde fanden hier einen Platz, um einen Sorgenbecher in der Stille zu leeren, den der Conditor seinen andern Gästen nicht vor¬ setzte; er war kein Weinschenk. Es war in dem Raume wirklich klein und dunkel, wie in einer Tonne, recht zur Selbstbeschauung geschaffen, denn durch die vergitterten Fensterspalten drang nur bei Mittag ein Dämmerschein, der sich von den hohen Hintergebäuden in den feuchten Winkel, der Hof hieß, hinabließ. Das eigentliche Licht kam von einer dünnen Spar¬ lampe in einer Mauerblende, um den Tisch, die Bank, die Wandspinden spärlich anzuleuchten. Ein Ort, ge¬ schaffen, um das innere Licht leuchten zu lassen. „Einen Rothspohn, Herr Josty!“ rief der Ritt¬ meister, als er sich zwischen Bank und Tisch ge¬ klemmt. „Pontac oder Medoc?“ Auch darüber noch nachdenken! Was hatte nicht der Rittmeister zu denken! „I nu Medoc,“ sagte er nach einer Weile, den Kopf in der Hand und den Ellenbogen auf dem Tische. „Ist auch gesunder fürs Blut, klärt mehr die Gedanken auf. Die Engländer nennen ihn darum Claret,“ sagte Herr Josty, als er den langen Pfropfen aus der Flasche gezogen. Als der Wirth die kleine Thür leise hinter sich zugedrückt, störte nichts die drei — nenn' ich sie Ge¬ schöpfe, Wesen, Mächte — die hier zurückgeblieben zu stillem Verkehr: den Rittmeister, die Lampe und den Medoc. Es war mehr als still, ich würde sagen bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand jedesmal unruhig geworden, sobald der Rittmeister das Glas aus der Flasche wieder vollschenkte. Ob er Gedanken schöpfte, ob er sie verschluckte? Der Medoc mußte das Blut nicht gereinigt haben, denn er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand spiegelte drei Positionen, in denen er Minuten lang verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in beiden Händen, und dann den Leib ganz zurück¬ gelehnt, mit gesunkenen Armen, oder, wenn ein Entschluß zu kommen schien, sie plötzlich auf der Brust verschränkend. Aber die Flasche war schon zu drei Viertel ausgeleert und der Entschluß noch nicht gekommen. Ein Entschluß kostet jedem etwas, wer aber weiß, wie der beste gefaßte zum übeln ausschlagen kann, und wer nur die Erfahrung des Rittmeisters gewußt, der würde ihn um seine Unentschlossenheit nicht getadelt haben. Hatte er sich nicht zu einem kühnen Schritt ent¬ schlossen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß frei zu werden? Es war kein geringes für jemand, der von zwei unsichtbaren Schutzengeln hin und her gezogen wird, und in sich keinen Oberen findet. Wenn diese ihm zuraunten: sie hat dich eigentlich nie geliebt, sie hat nur gespielt mit dir; nun auch dieses Spie¬ les überdrüssig, läßt sie es nur zu ihrem Amüsement, dich zu foppen, vor andern durch ihr Kammermäd¬ chen fortsetzen, so sprach eine innere Stimme: das erste hast du ja selbst immer geglaubt. Aber dann, wenn jene ihn auf die vielen Beweise von Aufmerk¬ samkeit und Zärtlichkeit hinwiesen! Stand die Moos¬ rose nicht noch immer zwischen den Balsaminen, trug sie nicht noch immer das Halstuch von der Farbe, die sie angelegt, als sie sein Lob derselben vernom¬ men? Ja brauchte es einer Mittelsperson, gefüllter Gläser, um ihm zu sagen, daß sie jetzt anders war, als sie sonst war? Sah er nicht den getrübten Blick ihres Auges? Sie wandte freilich das Gesicht ab, wenn sie sich zufällig begegneten, aber das war ein ganz andres Abwenden als sonst. Und dann, ein Mann, der ein Staatsdiener ist, der es bis zum Rittmeister gebracht hat, dem der Krieg die Thore zum Oberstwachtmeister eröffnet, gesteht ein solcher es sich leicht ein, daß er so lange gefoppt worden, daß er nur die dupe einer andern, oder gar ihres Kam¬ mermädchens gewesen? Sucht er nicht nach Beweisen, daß dem nicht so sein könne, wird er nicht vielmehr scharfsinnig auch da noch sie zu entdecken versuchen, wo sie nicht sind? Die Hälfte des Scharfsinns, den er anwendet, um aus dem Netz sich loszuwickeln, und er wäre nie in dem Netz gefangen worden. Möglich war es ja, daß sie anfänglich nur ihn necken, ihre Empfindlichkeit für das an ihm kühlen wollen, was er sich selbst jetzt vorwarf; möglich, daß auch andere da mitgearbeitet hatten. Aber — das konnte sich geändert, sie so gut gesehen haben, als er es sah, daß er sich auch geändert, dies konnte ganz andre Empfindungen in ihr geweckt haben. Er hatte ja auch Augen, und was er gesehen, ließ er sich nicht abstreiten. Diese Verwandlung ihres Sinnes konnte nun denen nicht mehr zu Sinn sein, die anfänglich mitgespielt. Sie waren es, die jetzt die Contreminen legten, die ihn wieder ihr entfremden, ihn von ihr trennen wollten. Daher diese Briefe in ganz ver¬ ändertem Tone, diese Mahnungen, Drohungen sogar, abzulassen von Verfolgungen, die eine edle Frau tief kränken müßten. Der Rittmeister Stier von Dohleneck hatte das Schwert gezogen um den Knoten zu durchhauen, er wollte Licht haben — Wahrheit. Er wollte am hellen Tage in ihre Wohnung treten, sich mit seinem vollen Namen melden lassen und um eine Unterredung unter vier Augen bitten. Wer den Rittmeister von Doh¬ leneck kannte, wußte, daß das ein ungeheurer Entschluß war. Und ein ganz freier und ein geheimer, — er theilte ihn Niemand mit. An dem Tage, als die ersten Regimenter von der Weichsel durchmarschirten, hatte er ihn gefaßt. Es war der Augenblick, als sein Pferd, oder er, bei ihrem Anblick am Fenster unruhig geworden und Kehrt gemacht hatten. Er war sehr unzufrieden mit sich zurückgekehrt, er hatte sich gesagt: ein Soldat dürfe nie Kehrt machen vor einer Gefahr, ob wirklich, ob scheinbar. Gerade hier ist es seine Pflicht, zu recognosci¬ ren, und nicht zu weichen, bis er — rapportiren kann. Es war vorgestern gewesen, daß er seine beste Interimsuniform angezogen und sich auf den Weg gemacht. Ein saurer Weg! Die Pflastersteine schienen Klebriges zu schwitzen, sie hielten seine Sohlen fest. Er aber sprach sich Muth ein: „Nun und wenn es nichts ist, dann ist es nichts und Alles bleibt beim Alten.“ Sein Herz wurde ordentlich leicht, aber nur auf einen Augenblick; je weiter er die Straße hin¬ unterging, je näher er dem Hause kam, so schwerer ward es wieder. Er hätte auch sein Wort gehalten, was er sich selbst gegeben, nicht, wie wohl andre in gleicher Her¬ zensangst thun, ein paar Mal vor dem Hause vorüber¬ zugehen, bis der Muth ihnen kommt. Nein er wäre gleich das erste Mal eingetreten, wäre nicht der Mops gewesen. Was es nun war, ob er in etwas getre¬ ten, was Joly verdroß, ob eine angeborne Idiosyn¬ krasie in dem Thiere gegen den Menschen lebte, genug ein kleiner häßlicher, fetter Mops klaffte ihn an. Als er sich des Störenfrieds entledigen wollte, machte er das Uebel nur ärger, der Tritt fiel wider Willen so un¬ glücklich aus, daß das Thier, von der Stiefelspitze gehoben, winselnd auf das Pflaster fiel. Ein Dienst¬ mädchen oder ein Paar erhoben ein Zetergeschrei mit dem Hunde um die Wette. Natürlich über die Bar¬ barei, ein armes Thier so grausam zu maltraitiren! Nun war einmal etwas versehen, und Fehler hecken mehr als gute Thaten. Als er die Straße wieder heraufkam, waren zwar Mops und Mädchen ver¬ schwunden, aber die Equipage der Fürstin Gargazin stand vor der Thür. Er war muthig eingetreten. Von der Treppe kam ihm die Fürstin entgegen. Sie fuhr verwundert zurück: „Wirklich Sie! Nun, in der That, das nenne ich Muth.“ Er hatte sich verbeugt, er war muthig geblieben. Sie war verschwunden. Auf der halben Treppe begegnete ihm der Legationsrath. Als Wandel ihn erblickt, blieb er stehen, lüftete etwas den Hut, und öffnete den Mund, um — doch zu schweigen. Aber als Dohleneck auf der nächsten Stufe war, hörte er seinen Namen: „Was soll's?“ „Mein Herr Rittmeister, sagte Wandel, ich hege nicht die Anmaßung zu glauben, daß Sie in mir einige Theilnahme für Sie vermuthen, indeß erlauben Sie die Frage: Wollen Sie zur Frau Baronin?“ „Wenn es Sie nicht incommodirt,“ hatte Doh¬ leneck erwiedert. „So vergönnen Sie mir wenigstens die Bitte, zu bedenken, welchem Empfang Sie sich aussetzen. Ihro Erlaucht, die Fürstin, muß Ihnen ja begegnet sein; sollte sie nichts gesagt haben?“ „Nichts was mich angeht,“ hatte der Rittmeister erwiedert. „Sie sind der Herr Ihrer Handlungen! ver¬ beugte sich der Legationsrath. Aber — setzte er mit unterdrückter Stimme hinzu — ich glaube ebenso wenig, daß Herr von Dohleneck das arme Thier auf der Straße mit Absicht mißhandeln konnte, als ich glauben mag, daß ein Cavalier von Ihrem Herzen und Ihrer Ritterlichkeit ein Vergnügen darin finden kann, eine unglückliche Frau, die in Thränen sitzt, noch unglücklicher zu machen.“ Und noch blieb der Rittmeister muthig. Die Klingel hielt er in der Hand, als ein Hundegeklaff gegen die Thür stürzt. Das war der Hund des Aubry, die Kraniche des Ibycus. „Nein, mein Joly, der häßliche Mensch, der soll dir nicht wieder was thun,“ hörte er die Stimme des Kammer¬ mädchens. — Er hatte nicht geklingelt; er war wieder auf der Straße. Joly knurrte hinter ihm am Fenster. Und seitdem hörte der Rittmeister, wo er die Augen schloß, den Mops knurren und die Baronin weinen. „Alles um Dich!“ Er hatte wohl daran gedacht, sich in eine andre Garnison versetzen zu lassen; aber seine Schulden und seine Ehre! Nun kam ein tröstender Engel. Der Krieg befreit einen Militair von den Verfolgungen seiner Gläubiger und einen Liebenden von denen seiner Phantasie. Zu dieser trostreichen Ueberzeugung war der Rittmeister Stier von Dohleneck in dem Augenblick gelangt, er wollte auf diesen Tröster in der Noth ein Glas leeren, als, zu seiner Verwunderung, aus der leeren Flasche nichts mehr fließen wollte. Er schlug damit gegen das Glas, ein Zeichen, welches Herr Josty sehr wohl verstand, als die Thür aufging, aber statt des Conditors, der Kaufmann Herr van Asten eintrat. Sie mußten sich beide schon kennen, aber die Freude des Wiedersehens schien auf Seiten des Ritt¬ meisters nicht groß, noch weniger, als nach der ersten Begrüßung der Kaufmann einen Platz auf der Bank in der Art einnahm, daß er dem Officier die Thür und den Ausgang dahin versperrte. Und als van Asten die abgetragene dicke Brieftasche aus dem Rock zog, zog sich auch das Gesicht des Rittmeisters sicht¬ lich in die Länge. „Sie werden sich hier die Augen verderben.“ „Bin Ihnen für Ihre Theilnahme sehr obligirt, aber was hier drin liegt, kenne ich alles auswendig.“ Diese Versicherung tröstete den Officier noch weniger, besonders als er, trotz der Dunkelheit, mit seinem scharfen Auge einen länglichen, schmalen Pa¬ pierstreifen, den van Asten jetzt unter andern auf den Tisch legte, sehr gut zu erkennen glaubte. Warum den Gruß der Batterie abwarten, lieber geradlos darauf. „Herr van Asten, sagte er, incommodiren Sie sich nicht. Ich kenne den Wisch. Sind noch vier¬ zehn Tage hin. Wenn ich am Verfalltage noch lebe, na, da sprechen wir weiter davon. Bin ich aber todt, machen Sie und ich unsre Rechnung mit dem Himmel —“ „Der es verhüte, daß ein so braver Officier so früh in ihn eingeht.“ „Und wenn bloß Krieg ist, machen Sie's mit dem Könige aus.“ „Theuerster Herr von Dohleneck, rief der Kauf¬ mann, den Wechsel wieder in die Tasche schiebend, was so viel Gerede um eine Bagatell! Zwei hundert Thaler! Darum sollte der alte van Asten einen Offi¬ cier seines Königs molestiren! Bin ich ein Wucherer? Weiß ich nicht, daß ein Soldat vor dem Feinde Cou¬ rage braucht? Courage und Credit sind Verwandte. Und was kostet nicht die Feldequipage! Wie kann da ein Officier an solche Lumpereien denken. Mancher hat auch sonst Liebes hinter sich. Möchte Ihnen doch gern ein Angebinde zurücklassen.“ Der Rittmeister von Dohleneck sah ihn etwas groß, aber nicht sehr klar an. Der Eingang war zwar angenehm, wer aber bürgte ihm, daß es der Ausgang auch sein werde? „Alle sind nicht wie Sie. Solidität wird eine immer rarere Eigenschaft, und der Krieg ist ein grausam Vergnügen. Wer weiß, wer zurückkommt und wer da bleibt! Wenn nun Alle blieben, wer soll da bezahlen. Wie viele Kaufleute sind mit ruinirt.“ Der Rittmeister sah mit Verwunderung, wie der Kaufmann eine ganze Partie ähnlicher Papierstreifen auf den Tisch legte. Es überkam ihn ein Schauer in der Seele derer, die sich mit ihrem Namen darun¬ ter verschrieben, seine Stirn aber runzelte bei der Vorstellung, daß der alte Geldmann ihn etwa aus¬ ersehen, um über die Verhältnisse seiner Cameraden Auskunft zu geben. Ein schlauer Seitenblick des andern las, was in seiner Seele vorging. „Wie werde ich denn einen Officier zum Zeugen aufrufen gegen seine Cameraden! Das weiß ich, jeder Officier muß für den andern gut sagen — “ „Na hören Sie, was das anbetrifft!“ „Wir verstehen uns ja! Cavalierparole ist sehr was schönes. Giebt gar nichts schöneres auf der Welt. Aber bei Wechseln, da halten wir Kaufleute, 's ist so 'ne alte Usance, uns an andre Dinge. Wer ins Feld marschirt z. B. kann nicht Alles mitnehmen; man erleichtert's den Herren, nimmt ihnen was zu schwer ist ab. Hatte da eben eine kleine Conferenz mit unserm Manteuffel. Das ist ein praktischer Mann.“ „Hohl ihn der Teufel!“ sagte der Rittmeister. „Weiß wohl, daß ihm die Herrn Officiere nicht sehr grün sind. Ja, lieber Himmel, wenn mal 'ne Sache unterm Hammer steht, giebt er sie hin um jeden Preis. Das ist wahr. Ist nu mal nicht an¬ ders. Die Moral ist, man muß es nicht dahin kom¬ men lassen. Was nun des Herrn Rittmeisters kleinen Wechsel anbetrifft, so machte mir Herr Manteuffel die Proposition —“ „Seelenmann, Sie werden mich doch nicht an Manteuffel verkaufen?“ „Verstehn Sie mich, er wollte Sie einem andern abgeben.“ „Das ist ja Seelenverkäuferei!“ „Sagte ich auch. Und ich wußte ja nicht, ob Sie gern mit dem Herrn in Connexionen kämen. Nun wir kennen uns! Aber der Herr ist ein Fremder, und voll hätte er auch nicht gezahlt, und wie gesagt, wer weiß, ob Ihnen das recht ist, an den Herrn Le¬ gationsrath von Wandel abgegeben zu werden.“ „Der!“ Der Rittmeister legte schwer seine Hand auf den Tisch. „Sehn Sie, das hab ich Manteuffeln auch ge¬ sagt. Er ist ja ein Ausländer! Sollen wir Preußi¬ sches Blut, einen Soldaten unsres Königs, an einen Fremden verrathen? Wissen Sie denn, in wessen Diensten der Herr ist? Kann er nicht ein Agent des Bonaparte sein, kann der nicht den Auftrag haben, alle Wechsel aufzukaufen, die Preußische Officiere ausgestellt haben? Und wenn der Krieg losgeht, die Herren marschiren sollen, ja da hat der König keine Officiere. Alle eingesteckt in Wechselarrest. Kann nun ein König Krieg führen ohne Officiere? Der Bona¬ parte drüben freilich, woraus macht der sich nicht welche! Die sind denn auch danach. Aber wir müssen sie doch aus den Cadettenhäusern haben, aus guten Familien. Der Napoleon ist es im Stande, sagte ich zu Manteuffeln, denn dem ist alles möglich.“ „Und was sagte Manteuffel?“ Der Rittmeister strich sich den Knebelbart. „Manteuffel, wissen Sie, sagt nie viel. Er wischte sich die Brille ab, und meinte, ich dächte wohl III . 6 an England, das Napoleon zu ruiniren denkt. Aber was für England paßt, passe nicht für uns, wir hätten keine Bank zu sprengen. Ja, antwortete ich, wäre ihm doch beinahe gelungen. Und 's kann auch hier manches springen. Aber 's soll ihm nicht ge¬ lingen. Meinen Herrn von Dohleneck soll er nicht in seine Klauen kriegen, ehe wir nicht wissen, wer er ist. Nun freut mich zu hören, daß Herr Rittmeister ihn kennen, denn Sie fürchten sich in seine Hände zu kommen.“ Der Rittmeister sah den schlauen Mann auch etwas schlau an: „Mich will bedünken, daß mein Herr van Asten ihn besser kennt als ich; sonst —“ „Der klügste Mann weiß nicht Alles und der beste Kaufmann läßt sich auch betrügen.“ Es schien etwas im Kopfe des Rittmeisters, den der Rothwein noch nicht umdüstert hatte, aufzublitzen: „Halt, da entsinne ich mich —“ Van Asten blätterte und glättete über zwei Pa¬ pierstreifen. „Ein gelehrter Mann, ein feiner Mann, ein Mann von vielen Kenntnissen, hübscher Conduite. O ist gar nichts gegen ihn zu sagen, ein charmanter Mann —“ „Hohl ihn der Teufel!“ „Das ist schon manchem charmanten Mann passirt. Thäte auch gar nichts. Ein guter Wechsel gilt im Himmel und in der Hölle, man muß nur den Aus¬ steller kennen. Es freut mich, Herr Rittmeister, daß Sie auch davon wissen. O wir haben manche Ge¬ schäfte miteinander gemacht, der Herr Legationsrath und ich. Prompt auf die Minute, und hat eine glückliche Hand. Wünschte sie Ihnen, Herr Rittmeister. Wirk¬ lich und wahrhaftig, Ihnen gönne ich alles Gute, das große Loos, 'ne todte Tante mit hundert Tau¬ send; und noch lieber 'ne reiche Frau mit 'ner halben Million. Sie sind ein so gemüthlicher Mann. Hätt' ich 'ne Tochter, na wer weiß. Ich sage — Gegen die Wechsel ist auch gar nichts zu sagen. Sie sind nur etwas sehr lang. Und wem ich sie abgeben will, der sagt, was ich mir auch sagen könnte. Man ist manchmal auf den Kopf gefallen. Fallen thut nichts; man steht wieder auf. Aber auf den Kopf muß man nicht fallen, Herr Rittmeister! Also sagt mancher Mann: es kann ja inzwischen was passiren, er kann ja auch in den Krieg wollen, es kann ihn eine Kugel treffen. Einen todten Menschen kann man nicht in Wechsel¬ arrest bringen. Sind Sie nicht auch der Mei¬ nung?“ „Pivat die Soldatenfreiheit!“ „Und wenn er auch nicht in den Krieg zieht, die Herren Cavaliere haben oft Händel. Sehn Sie mal, er kann ja in ein Duell gerathen. Paff! Wird mich der Todtschießer honoriren? Ja, wenn so ein Gesetz existirte! — Fällt mir bei, der Herr von Wan¬ del hatten ja neulich eine solche Affaire. Richtig! Mit dem Sohn vom Geheimrath Bovillard! — Und Sie — ja Herr Rittmeister waren ja dabei.“ „Wissen Sie das auch!“ — 6* „Der Herr Legationsrath waren wohl erstaunlich muthig? Wollten immer drauf los?“ Jetzt fixirte der Rittmeister den andern: „Hohl mich der — und jener! Ich glaube, Sie wollen mich aushorchen, was ich von ihm denke.“ Herr van Asten sagte nicht ja und sagte nicht nein; er lächelte nur: „Weiß schon vielerlei, aber — wenn man auch schon das ganze i geschrieben hat, kanns einem doch gerade noch auf das Tippelchen drauf ankommen. Ist ein Politikus. Einem Poli¬ tikus gegenüber muß man wieder einer sein. Ob er ein Spion des Großen Mogul ist, oder ein Geister¬ seher, oder ein Magnetiseur, oder ein Lovelace, oder — oder — was kümmerts mich, aber — verstehen Sie mich, das eine möchte ich wissen, ists da mit rechten Dingen zugegangen, oder —“ Der Rittmeister fuhr mit der Hand in die Fri¬ sur: „Blitz, ich glaube nein! Und wollen Sies recht wissen, drei Mal drei Mal nein. Und — unter uns: Es stinkt! Er hat's, Gott weiß durch wen, der Polizei gesteckt.“ „Also nicht der junge Bovillard?“ „Ein grundehrlich Blut, réparation d'honneur . Wie ein Cavalier sich benommen.“ „Aber der Legationsrath hat ihn wieder aus dem Gefängniß losgebeten?“ „Um ihn als Courier fortzuschicken. Die Memme!“ Der alte van Asten lehnte sich auf den Tisch und schüttelte den Kopf: „Da hätten wir also das Tippelchen auf dem i . — Na, Herr Rittmeister, wel¬ chen Wein lieben Sie am meisten? Werden mir doch die Ehre erweisen und Bescheid thun auf ein Gläschen?“ Ein Tokaierfläschchen stand auf dem Tisch und färbte schon mit dunkelm Gold zwei Gläser, als Dohleneck noch immer nicht wußte, wie er dazu kam. „Nu stoßen Sie an,“ sagte der Kaufmann. „Worauf?“ „Auf einen alten Esel! — Ja, sehn Sie mich nur recht an, und dann dreist los!“ Die Gläser klangen, der Rittmeister zauderte aber doch fast erschrocken, ehe er den Feuersaft an die Lippen brachte. „Aber Herr van Asten, wie komm ich dazu?“ „Daß ich Ihnen solche Confessions mache? Das will ich Ihnen sagen. Weil ich Ihnen gut bin. Nicht als Kaufmann, als Mensch. Nein, eigentlich bin ich Ihnen doch gut grad als solider Kaufmann. Denn wovon leben die? Von den soliden Leuten doch nicht? Da müßten sie verhungern. Die jungen Thunichts¬ gute, die auf Credit einschenken lassen, das Ihre durchbringen, und noch ein bischen mehr, das sind ihre besten Kunden. Geht auch mal Einer durch, thut nichts, darauf ist die Kreiderechnung schon zu¬ geschnitten. Ein solider Kaufmann, sag ich Ihnen, muß eigentlich die Unsoliden leben lassen! Darum, noch mal angestoßen!“ Der Rittmeister stieß etwas brummend an. „Weiß Gott, mein lieber Herr von Dohleneck, mir ist immer wohl zu Muthe, wenn ich Ihre glat¬ ten Backen sehe. Wenn Sie so eine Flasche aus¬ stechen, 's ist nicht wie die andern jungen Hitzköpfe, die schwappeln und schäumen, und stürzen, die Hälfte geht in die unrechte Kehle. Nein, bei Ihnen fühlt man ordentlich, wie dem Weine sein Recht geschieht, es muß Ihnen wohl sein, daß er so glatt runtergeht. Die Beine ziehen Sie auch nicht zurück, wenn ein Bürgersmann vorbei will, dafür sind Sie Cavallerie¬ officier; diese Beine dienen König und Vaterland, dafür müssen sie ruhen können, wies Ihnen commode, oder Mode ist. Aber's ist 'ne ganz andre Art darin, wie Ihre Beine liegen. Die andern Herrn, Ihre Cameraden, wenn sie so das Kinn zu uns umdrehen, denken: „Wozu ist nun wohl die Canaille auf der Welt! Sie aber denken, das will ich wetten: I warum soll das Gewürm nicht auch im Sonnenschein spielen, 's ist ja Platz da! Und wenn Sie den Bart streichen, und so glau und schlau dabei ins Blaue sehn, da möchte ich manchmal aufspringen und Ihnen die Hand drücken, oder, wenn ich ein hübsch Mädchen wäre, fiele ich Ihnen um den Hals.“ „Donnerwetter, Herr van Asten, ein hübsches Mädchen, erlauben Sie mir, das sind Sie nicht, aber — “ „Warum ich ein alter Esel bin, das wünschen Sie zu wissen. Sie sollen's. Ist mir doch so, als müßte ich Einem heut mein Herz ausschütten. Drei dumme Streiche! Wenn Sie die gemacht, na was wär' es! Ein Cavallerieofficier braucht nicht zu den¬ ken; aber ein alter Kaufmann! Pfui! — Pro primo, das ist wacklicht, pro secundo, das ist faul und pro tertio, das ist dumm. Pro primo, das sag ich Ihnen nicht, ist ein Compagniegeschäft mit einem vornehmen Herrn. Das wackelt noch, aber kommt Krieg — fliegt's in die Luft; der große Herr wird sich salviren, der kleine bleibt hängen. Die Moral ist, 's ist nicht gut mit großen Herren Kirschen essen. Pro secundo hab ich vom Legationsrath drei kurze Wechsel auf drei lange prolongirt! Denken Sie, neun Monat! Darüber muß ein Kind zur Welt kommen; wenn nun ein Krieg kommt, wenn er eclipsirte! Die Moral ist: wenn man einen Aal am Kopfe hält, muß man nicht loslassen, sonst sitzt man bald am Schwanz¬ ende. Und drittens, denken Sie sich, da hab ich eben eine ganze Schrift, die der Nachbar Herr Mittler gedruckt hat, für mein baares schweres Geld aufkau¬ fen lassen, verstehn Sie, alle fünfhundert Exemplare.“ „Was! Wollen Sie auch Buchhändler werden?“ „Gott bewahre mich! Contobücher, die andern taugen nichts.“ „Was steht denn drin, was Sie so sehr in¬ teressirt?“ „Lauter dummes Zeug.“ „Was wollen Sie damit?“ „Verbrennen! Sind schon Asche.“ „Pestilenz! rief der Rittmeister. Sie sind mir ein curioser Mann.“ „Möglich. Sehn Sie, das dumme Zeug rührte von mir her, nämlich von Blut von meinem Blut, von meinem Sohn. Konnte ichs nun übers Herz bringen, das dumme Zeug unter die Leute laufen zu lassen? Also fix in die Tasche gegriffen und Man¬ teuffeln es machen lassen.“ „Nu das ist pfiffig gehandelt.“ „Recht dumm, Herr von Dohleneck. Manteuffel glaubt zwar, er hat sie alle gekriegt, aber eins oder das andre ist doch unter den Tisch gefallen, und wer das weg hat, giebts nicht raus. Wirds nun erst bekannt, man kriegt keine mehr, dann fallen sie drüber her wie die Fliegen übers Aas, jeder wills lesen. Ist das nun nicht eine pure Dummheit, hundert Thaler wegzuschmeißen, damit ich was Dummes erst recht in die Welt schicke!“ Das lag außer dem Departement des Ritt¬ meisters. Er stellte sein leeres Glas auf den Tisch: „Herr! wissen Sie was? — Aber verrathen müssen Sie mich nicht. Den einen dummen Streich wollen wir Ihnen repariren. Dem Legationsrath passen wir alle auf die Finger, und wenn er sich mal attrapiren läßt, dann soll er Ihnen kein Kopf¬ weh mehr machen.“ Der Kaufmann war aufgesprungen und faßte den Rittmeister mit beiden Händen ich glaube es war nur an den Kragen; ursprünglich war die Lieb¬ kosung den Ohren oder Backen zugedacht. Der Re¬ spect ließ die Hände tiefer sinken: „Herr, sind Sie des Teufels! Keine Hand ange¬ rührt an meinen theuern Legationsrath! Wollen Sie mir fünftau — wissen Sie wie hoch die Wechsel sind? — Herr, Goldmann, daß dich! Nicht rühren an den Mann, bis — Wollen mich doch nicht ruiniren? — Und alles bleibt geheim, nicht wahr?“ „Die Wände werden nicht plaudern,“ sagte der Rittmeister. Ein deutscher Handschlag, und der Rest der Flasche floß in das Glas des Officiers. „Also, sagte der Kaufmann, indem er den be¬ wußten Wechsel zum nicht geringen Befremden des Officiers wieder aus der Brieftasche zog. Also auf wie lange wollen Sie ihn prolongirt? — Denke auf neun Monate. Lieber Gott in neun Monat, was ist da nicht geboren!“ Mit einem raschen Schrift¬ zug war die Prolongation erfolgt. „Sie haben mir 'nen recht großen Gefallen ge¬ than, schloß van Asten. Könnte man alle Geschäfte so schnell abwickeln! Passirt aber auch nur unter Freunden, die sich ganz verstehen. Und wenn Sie sonst zur Equipage noch etwas bedürften, ein hundert oder zwei hundert Thälerchen, klingeln Sie nur, Spandauer-Straße, gleich um die Ecke, das dritte Haus, und dann links, auf dem Hofe ist der Eingang.“ Sechstes Kapitel. Fensterskizzen. Es war ein grauer Herbsttag, an dem nur dann und wann die Sonne einen Blick auf die Dächer von Potsdam warf. Der Wind wehte die gelben Blätter durch die Straßen: öde sonst, heut belebt von Köpfen, Uniformen, Livreyen aller Farben und Muster, von Physiognomien, die den verschiedensten Nationen, ja Welttheilen, anzugehören schienen. Die Equipagen von Ministern, Generalen, von Gesandten und fremden Prinzen, rollten unaufhörlich zwischen den Pallästen und Wirthshäusern, und zu diesen Gästen von diplomatischem Character kamen aus der Hauptstadt zahlreiche Postchaisen, Lohnfuhrwerke und jene langen und schmalen, ihrer Zeit wohl bekannten, Charlottenburger Korbwagen, deren magere und keu¬ chende Pferde zwölf Neugierige oder noch mehr aus der ersten auf ein Mal in der zweiten Residenzstadt absetzten. Es mußte ein großes Ereigniß, oder eine große Erwartung sein, welche so viele Berliner, und an einem Tage, den beschwerlichen Weg unternehmen ließ Ja, Potsdam, das lange verödete, schien wieder der Mittelpunkt eines Europäischen Lebens geworden. Man sah es an den Blicken, man hörte es am Ge¬ flüster der Gruppen; aber nicht an den laut gewor¬ denen Reden. Denn wenn zwei sich begegneten, frag¬ ten sie nur: „Haben Sie ihn schon gesehen?“ — Wenn ihn nicht, den ritterlichen Gast, hatte man doch einen seiner silberumgürteten Kosacken gesehen, die Straße auf, Straße absprengten, angestaunt und bewun¬ dert von Allen. Und es war doch auch sonst so viel auf den Straßen zu sehen, was da selten sich zeigt: die ersten Männer des Staates, Militair und Civil, im Freien promenirend, in den Hausthüren, an den Ecken stehend. Es schien ein öffentliches Leben in der Stadt Pots¬ dam, und — es war keine Parade! So vornehm die Männer und Gäste, waren doch nicht alle gela¬ den, ja die wenigsten hatten in den Appartements des Schlosses Zutritt, welche heute mehr dem häus¬ lichen nur Familienbeisammensein geöffnet sein soll¬ ten. Aber gleiche Erwartung, Spannung, ob und was sich entwickeln werde, hatte die Ersten und Höch¬ sten hergetrieben. Feldherrn, Minister und Kabinets¬ räthe, und nicht mit dem geheimnißvollen Nimbus der Autorität und des alles besser wissens um die Stirn, suchten, wie der Opferpriester im Flug der Vögel, in den Mienen der andern, ob sie eingeweiht waren? Es mußten wenige eingeweiht sein. Die eben vom Schlosse zurückkamen, antworteten, wenn Gruppen sich um sie bildeten, nur mit Achsel¬ zucken. Auch vornehme Damen standen an den geöffneten Fenstern. Neugierig schweiften die Blicke der Fürstin Gargazin über den Platz, und sie hörte nur halb, was der Kammerherr von St. Real erzählte. Er war im Schloß gewesen und hatte aus dem Vor¬ zimmer einen flüchtigen Blick auf das häusliche Glück im Schooß des Heiligthums geworfen. „Was helfen uns Familienscenen, Kammerherr!“ „Seine Majestät der Kaiser ließen zwei der königlichen Kinder auf Ihren Knieen reiten. Ihre Majestät die Königin blickte mit verklärter Mutter¬ freude auf das Bild.“ „Das glaube ich; aber der König?“ „Stand die Hände auf dem Rücken daneben.“ „Ernst wie immer?“ „Nein, Seine Majestät lächelten. Alle meinten, das werde eine Unit é , die nie zerreißen kann.“ „Aber andern die Geduld, warf die Fürstin ein. Die Einigkeit da gefällt mir besser. Sehn Sie, Haugwitz mit dem Erzherzog Arm in Arm.“ „Sie scheinen in ein sehr ernsthaftes Gespräch verwickelt,“ bemerkte ein Dritter am Fenster. „Und Blücher schlägt hinter ihnen mit den Füßen den Takt. Er kann seine Freude kaum verbergen.“ „Er sollte nur den Säbel nicht so klirren lassen! Lombard flankirt umher. Ihm ist's nicht recht. Er möchte gar zu gern Haugwitz einen Wink geben.“ „Sehn Sie die Position, die er einnimmt. Sie sehn Lombard noch nicht; so sind sie vertieft. Jetzt müssen sie auf ihn stoßen, und geben Sie Acht, wie er sich wie ein Aal in ihr Gespräch schlängeln wird!“ „Magnifique!“ rief die Fürstin und klatschte ihre feinen Hände unwillkürlich zusammen. Ein rieseln¬ des Gelächter der Umstehenden accompagnirte ihre Empfindungen. Der Erzherzog mußte Lombard ge¬ sehen haben, und mit einer geschickten und raschen Wendung bog er, kurz vor seinem Zusammentreffen, dem Hinderniß aus. „ Parbleu ! Erlaucht, steht er nicht da wie eine Salzsäule!“ „Lombard verblüfft, ô c'est pour rire .“ „Blücher streicht sich den Bart. Der Seitenblick, den er ihm zuwirft! Ich fürchte für Lombards Magen.“ „Er kann viel vertragen.“ „Er recollirt sich schon.“ „Der rechte Mann um bonne mine à mauvais jeu zu machen. Aber sehn Sie Rücheln dort an der Ecke. Wie ein steinerner Roland, und ein Gesicht, als hätte er in eine bittre Citrone gebissen.“ „Das ist schlimm, wenn Rüchel nicht zufrie¬ den ist.“ „Wie sollte er es sein, gnädigste Frau, wenn Blücher vor ihm triumphirt!“ „Ah Monsieur de Bovillard!“ rief die Fürstin mit holdseliger Stimme, über die Fensterbrüstung gebeugt. „ Den !“ Die Cavaliere sahen sich verwundert an. „Er kommt wahrhaftig herauf.“ „Meine Herrn, von meinen Freunden erfahre ich nur, was ich weiß, an unsre Feinde müssen wir uns wenden, wenn wir lernen wollen,“ entgegnete die Fürstin rasch umgewandt, während der Mann, welchem die Bemerkung galt, schon die Treppe herauf stieg: „Tout à vos ordres, ma pincesse!“ keuchte der Athemlose sich tief verneigend. „Sie sind echauffirt. Meine Herrn, das Fenster zu, damit Herr von Bovillard sich nicht erkältet! Wirklich, Sie sollten sich schonen, für den Staat und — die Ehren, die Ihrer warten.“ „Erlaucht belieben mit einem abgesetzten Manne zu spotten. An uns ist es Kohl zu pflanzen.“ „Eine sehr hübsche Beschäftigung, entgegnete die Fürstin, die sich aber ganz gut mit einigen Deco¬ rationen auf der Brust verträgt. — Blicken Sie mich doch nicht so ehrlich an —“ „Auf Ehrlichkeit und Ehre, Madame, ich glaube wir sind schon russisch. Ihr Sklave wirft sich Ihnen zu Füßen und fleht um Ihre Fürsprache, daß er Gnade empfange.“ „Die Alexander, der Großmüthige, von selbst gewährt. Ohne Spaß, Herr von Bovillard, was trugen Sie davon? Einen Orden, Brillantringe, Dosen? Er vergißt seine Freunde in der verschwen¬ derischen Großmuth gegen seine Feinde.“ „Erlauchte Frau, Sie könnten mich stolz machen, zu glauben, daß ich noch nicht überwunden bin, denn meine Brust und Taschen sind leer.“ Die Fürstin fixirte ihn, mit der Antwort wie es schien nicht unzufrieden: „Er ist noch großmüthiger, wenn er Freunde gewinnen will. Doch freilich, wenn er Sie öffentlich decorirte, wie würden Sie vor La¬ forest bestehen? Aber in der That, lieber Bovillard, die Miene der Ehrlichkeit steht Ihnen schlecht; ich fürchte Sie weit mehr als wenn Sie mit Ihrer moquanten mich zum Besten haben.“ „ Parole d'honneur, princesse ! Auf die Gefahr hin, ich muß ehrlich sein, denn ich weiß nichts.“ „Wer ist beim Könige?“ „Haugwitz, wie Sie sehen, promenirt mit dem Erzherzog. Voß geht in der Antichambre verdrießlich umher, und sagt zu den Einen Ja, zu den Andern Nein. Hoym hat nur Augen für die Königin; er scheint im Vertrauen und wartet auf ihre Winke. Schulenburg und Angern unterhalten sich mit den Adjutanten über die Viehzucht in der Krimm. Köcke¬ ritz sagt zu jedem, es werde alles gut werden, wenn man nur ruhig bleibt. Wittgenstein hat ein Paar vornehme Russen am Arm und zischelt ihnen die ge¬ heime Geschichte einiger Hofdamen zu. Zur Radzi¬ will war Alexander sehr zuvorkommend. Sie ist ihm aber zu enthusiasmirt, hat mir im Vertrauen Fürst Woronzof gesagt. Er liebt die plastische Ruhe. Die Prinzeß Mariane bewundert er um ihre Schönheit, sie ist ihm aber wieder zu plastisch und classisch. Comteß Laura —“ „Um Himmels Willen, das Kataster unsrer Schönheiten ein andermal!“ unterbrach ihn die Fürstin. „Aber die Königin bleibt die Centifolie unter den Blumen, die Sonne unter den Sternen. Und welcher getreue Unterthan wagte dem zu widersprechen!“ „Beim Gespräch vor der Kinderscene, ich meine im Kabinet, war kein Minister zugegen? Wo war Beyme? Ward Lombard von ihnen hinausgeschickt?“ „Erlaucht, ich bin ja so unschuldig, wie ein neu geboren Kind, und, hohl mich der Geier— pardon ! — sie sinds alle im Schlosse. Es druckst etwas, und will nicht herausplatzen —“ „Und der Allianztraktat? —“ platzte es bei der Fürstin heraus. „Steht noch nicht auf dem Papier —“ Bovillard, wenn er sie nicht selbst eingebüßt, hätte jetzt von der Fürstin sagen können, daß sie die Contenance verloren. Sie war nicht mehr Diplo¬ matin, sie ging mit Heftigkeit auf und ab: „Und von der Stunde hängt es ab! — Ist denn solcher — möglich! Jung und —“ „Die Bedächtigkeit ist doch eine schöne Sache,“ fiel Bovillard ein. „Ihr intriguirt doch hinter unserm Rücken, fuhr die Fürstin auf, trotz Beymes Versprechen, das er der Radziwill geben mußte, trotz des Gesprächs, was Lombard neulich mit der Prinzessin Mariane hatte. Ihr laßt Haugwitz mit dem Erzherzog Anton ver¬ handeln, damit er von der wichtigern Unterhandlung mit Alexander abgezogen wird. Hardenberg laßt Ihr einer reisenden Schauspielerin mit Extrapost nachstiegen, daß er noch nicht nach Potsdam zurück ist; Prinz Louis zu einer opportunen Zeit dem König in den Weg treten, daß er aufgebracht werden mußte. Stein, Gott weiß, wo Ihr den in den Winkel ge¬ stellt habt. Kurz, ich durchschaue alle Eure Ränke, und im wichtigsten Moment seines Lebens, wo er Rath haben muß , ist es Euch gelungen, ihn mit Nullen und Pagoden zu umstellen.“ Die Fürstin hatte recht, wenn sie heut in des Geheimrathes Bovillard Physiognomie etwas Unna¬ türliches fand, nämlich die Ehrlichkeit. Wie er jetzt, aufrecht stehend, sie groß ansah, die Hand an der Brust, hätte der gewiegteste Psycholog geschworen, er meine es aufrichtig: „Erlauchte Prinzessin, die Flüsse spielen um den Berg, aber, wenn der Berg den Einfall bekommt einzustürzen, ist ihr Spiel aus. Einem Selbstherr¬ scher aller Reussen gegenüber, der den Einfall be¬ kommt, uns mit seinem höchst eigenen Besuch zu überraschen, hört unser Spiel auf. Der Gewalt weicht die Kunst. Jetzt spielen höhere Mächte und wir fügen uns als Stoiker in das Unabänder¬ liche.“ Es entstand eine Pause. Die Fürstin hatte ihre Promenade noch nicht beendet: III . 7 „Einer muß doch den Anfang machen!“ rief sie halb für sich aus dem Chaos ihrer Gedanken. „Aber wenn der Eine es nicht geschickt anfängt, schickt er ihn fort, sagte Bovillard. So ging es Stein. Der Freiherr polterte mit einer Proclamation los, die er in der Tasche trug, am Schweif eine Kriegserklärung. Majestät zogen die Stirn und zuckten mit dem Arm. Stein sagte, was man wolle, müsse man zeigen, und was man zeige, müsse man wollen. Majestät sagten, sie hätten auch noch andre Räthe, auch kluge Leute, auch treue Diener ihres Herrn, die er schon länger kenne, als den Herrn von Stein, und die nicht gleich mit dem Kopf durch die Mauer wollten. Zum Glück aplanirte der Kaiser mit einer liebenswürdigen Wendung den Riß.“ „Und Stein?“ „Studirt im Lustgarten den Kunststil der Drya¬ den und Najaden.“ „Hardenberg wäre besser zum ersten Angriff ge¬ wesen. Wer denn nun?“ „Wer hat gleich ein neues Concept fertig! Von unsern Freunden werden Sie die Initiative nicht er¬ warten. Wir stellen uns nur zur Disposition.“ „Man kann wirklich nicht mehr Aufopferung fordern,“ bemerkte ein Russe. „Johannes Müller ist doch citirt,“ sagte die Fürstin. „Steht auch da, Erlaucht, mit der Feder in der Tasche, Dinte hat er auch, aber das Papier will man ihm noch nicht geben. Lombard ist ja auch berufen, hat auch die Feder gespitzt; je nach dem, französisch oder deutsch, hart oder weich.“ „Aber nachdem Stein abgeblitzt, mußten doch Majestät Ihre Meinung äußern.“ „Sie haben sie auch geäußert. Das Wort Kriegserklärung, so hart noch herausgestoßen, ohne alle Ueberzuckerung, hatten Majestät dermaßen irritirt, daß Ihro Majestät die Königin dem Kaiser einen Wink gab. Alexander verstand sie auch mit einer admirablen Grazie. Nun ward der Krieg emballirt, in eine traurige Eventualität übersetzt, und unter dieser Umhüllung passirte er wieder in der Conver¬ sation. Wenn man nur den rechten Ernst zeige und zur rechten Zeit, dann könne man sich der sichern Hoffnung hingeben —“ „Daß Bonaparte zu Kreuz kriecht! — O char¬ mant!“ rief die Fürstin, und dunkle Lichter blitzten auf ihrem Gesicht, die wenig zu der zurechtgelegten Sanftmuth paßten. „Darum von Petersburg nach Moskau geflogen, darum eine halbe Welt in Auf¬ ruhr, darum diese kostbaren Stunden in Potsdam! Um eine Ambassade, um eine neue Conferenz, um Protokolle —“ „Ohne Ambassade, Erlaucht, geht es nicht ab, mein kleiner Finger sagt es mir.“ „Die dem Corsen vorstellen soll, wie un¬ billig er gehandelt, ihm Moral predigen und Unterricht im Völkerrecht geben! Damit er sie, 7* uns, alle, nicht allein verachtet, besiegt, mit Füßen tritt, nein, daß er sie auch verlacht. Und er hat recht.“ Der Major von Eisenhauch war schon während ihres Gespräches eingetreten. Er schien über die Gesellschaft, die er hier fand, verwundert. „Nun und Sie, Major?“ Er zuckte die Achseln: „Bis zum außerordent¬ lichen Gesandten ist man gekommen. Er soll morgen abreisen.“ „Mit welchen Bedingungen?“ „Man spricht davon, der Luneviller Friede soll zum Grunde gelegt werden.“ „Die kann Bonaparte nicht annehmen, sagte die Fürstin rasch. Das wäre also so gut wie Krieg. Aber wer wird zu ihm gesandt?“ „Haugwitz.“ In den Gesichtszügen der Anwesenden war Ueber¬ raschung, vielleicht etwas mehr, Entrüstung, Schreck zu lesen. Eine sprachlose Pause. „Ist das auch das Spiel der höheren Mächte?“ fragte die Gargazin mit einem bittern Blick auf Bovillard, der verstummte. Der Major antwortete statt seiner: „Seiner Majestät eigner Wille. Niemand hatte natürlich an Haugwitz gedacht. Sie mögen denken, wie es auf alle gewirkt. Aber des Königs Gerech¬ tigkeitsgefühl spielte mit.“ „Sagen Sie — ach, mir fehlen auch die Worte dafür. Er schickt den hin, der unter jeder Bedingung nach dem Frieden greift.“ „Warum nicht den, bemerkte Bovillard bescheiden, der Napoleon persönlich angenehm ist. Zum Ver¬ mitteln schickt man doch nicht widerwärtige Geschöpfe.“ „Um Vergebung, nahm der Major das Wort, ich glaube vielmehr, daß das des Monarchen eigen¬ thümlicher Sinn war. Er wollte dem, welchen er durch einen gefaßten Beschluß gekränkt, durch sein Vertrauen es vergütigen. Uebrigens ich glaube jetzt auch an Haugwitz. Er geht nicht gern, aber er geht. Der Erzherzog, der Kaiser, von allen Seiten über¬ schüttet man ihn mit schmeichelhafter Aufmerksamkeit. Auch contre-coeur ist er verstrickt.“ „Meine Herren, erhob sich die Fürstin, die Per¬ sonen sind am Ende gleichgültig. Aber wo ist der Wille? Was ist beschlossen? Wann reist Haugwitz? Mit Courierpferden? Wohin? Welchen Termin soll er dem Usurpator setzen? Wenn er nein sagt, wann stoßen unsre Heere zusammen? Wo? Wo ist der Plan? — Wo der Traktat? Fehlt es in Potsdam an Pa¬ pier? Eine Feder kritzelt zu langsam. Mit Blitzen müßte man schreiben. Denn der Attila reitet auf Blitzen.“ Sie sah sich vergebens nach einem Aufblitzen in den Mienen um. Die Herren zuckten die Achseln. Man blickte ziemlich rathlos zum Fenster hinaus. Auch dort waren nur fragende Gesichter. „Köckeritz kommt aus dem Schlosse!“ „Rüchel packt ihn. Wie hastig sie sprechen!“ „Rüchel ist außer sich. Er kneift den armen Köckeritz ordentlich in den Arm.“ „O weh, seine Nachrichten müssen schlimm lauten.“ Aber man sprach sich Trost zu. Es sei gut, daß man die Hitzigen aus der nächsten Umgebung zu entfernen gewußt. Die Radziwill und ihr Bruder hätten durch ein Wort alles verderben können. Die Königin operire verständig und im Einverständniß mit dem Kaiser. Sie leiteten klugerweise das Ge¬ spräch auf gleichgültige, aber dem Könige angenehme Dinge, um in der Gunst der Stunde auf die Sache einzulenken. Dann lasse sich oft das Schwierigste in einem Augenblicke abthun. „Und wer kann sich rühmen, daß er der Liebens¬ würdigkeit eines Alexander auf die Länge widerstan¬ den hat!“ bemerkte ein Begleiter der Fürstin, mit einem feinen Seitenblick, der trotz der Aufregung verstanden ward. „Wenn die Stunde nur nicht so kurz wäre, und der Boden nicht unter unsern Sohlen brennte!“ seufzte sie. Es hatte sich noch Jemand in der Gesellschaft eingefunden, entweder jetzt erst, oder er befand sich schon eine Weile unbemerkt im Zimmer, das einer gemeinschaftlichen Schauloge ähnlich schien. Vom letzten Fenster wandte sich der Legationsrath von Wandel zu den Sprechenden um: „Wir dürften uns die klugen Leiter dieses Tages zum Beispiel nehmen und wie sie, die Ungeduldigen, unsre eigne Ungeduld zurechtweisen. Wenn man auch schon einig wäre, würde man einen geheimen Traktat vor aller Augen abschließen? Halb Berlin ist hier versammelt, die Ohren und Augen dringen bis durch die Mauern des Schlosses. Außerdem kennen wir alle die Scheu Seiner Majestät vor der Publicität. Man hat gewiß diesen Tag in Potsdam nicht ohne Absicht gewählt, aber nicht auf diesen Strom von Zuschauern gerechnet. Mich dünkt es ist sehr klug, daß man nun den Tag verstreichen läßt, um den Abend abzuwarten.“ „Wissen Sie etwas?“ Die Fürstin trat mit ihm bei Seite. „Eigentlich nichts. Man unterminirt und weicht auf. Alexander sucht ihm die Eventualität als gar nicht so gefährlich zu schildern. Es werde mit einer Entscheidungsschlacht abgethan sein. Wenn die drei vereinigten Heere zusammen agirten, müsse man den schon geschwächten zerdrücken, wie er den Mack bei Ulm.“ „Und er rechnet aus die Leichen und das Blut!“ „Dann meint Alexander, es werde vielleicht in dem Falle gar nicht zum Blutvergießen kommen; umzingelt, ohne Rettung, ohne Aussicht, werde er sich auf Gnade ergeben.“ „Charmant! Majestät unser gnädigster Kaiser mahlen ihm auch vielleicht die Seligkeit der Gro߬ muth. Wie sie den Besiegten aufheben, ihn an ihre Brust drücken wollen, wie Karl den Wittekind, ihn ihrer Liebe versichern und ihm ein bescheidenes Kaiser¬ thum zuweisen. Nicht wahr, Majestät Napoleon werde, gerührt von so viel Großmuth, in Thränen ausbre¬ chen, daß er sich in seinen wahren Freunden getäuscht, mit ihnen in einem heiligen Bunde geloben, fortan nur für das Wohl der Menschheit zu wirken. Und so weiter.“ „Vergessen Erlaucht nicht: der König ist ein ge¬ rechter Mann und ein Mann von Takt. Durch Illu¬ sionen läßt er sich nicht bestechen.“ „Bestechlich ist jeder. Man muß nur viel und das Rechte bieten.“ „Ihr Kaiser schien vergessen zu haben, daß der König vor Napoleon Respect hat. Friedrich Wilhelm erinnerte ihn, daß er ein großer Feldherr sei, dem Gott Siege verliehen, und nur Siege, auch jetzt ein gekrönter Fürst, den er anerkannt, daß er Verträge mit ihm geschlossen, die ihm immer und auch dann noch heilig seien, wenn der andre sie verletzt —“ „Wirklich! Und —“ „Da schien die Königin der Bock einen Wink gegeben zu haben. Sie trat mit einem der jüngsten Kinder herein.“ „Et cetera, rief die Fürstin ungeduldig. Und nach dieser Kinderseene was kam da für eine neue?“ „Nachdem man wieder weich geworden, stellten Ihro Majestät ihrem Gemahl vor, ob nur Bonaparte von Gott mit Siegen gekrönt, ob nur er Kronen trage, ob man um seiner Feinde willen seine Freunde vergessen dürfe? Ob er einen bessern Freund habe als Alexander? Ob irgend ein anderer Freund so gütig seine herben Launen würde hingenommen haben? Was er sagen würde, wenn der Kaiser aufgebracht, das Zimmer verlassen, sich in den Wagen geworfen und aufgebrochen wäre? Und was die Welt dazu sagen würde, wenn Alexander — nach solchem Em¬ barras, scheide, breche? Ob das nicht ein Bruch mit Rußland, mit den Alliirten wäre? Ob Napoleon wenigstens das nicht so ansehn müsse? Ob er mit Gewalt in dessen Arme wolle gestoßen sein?“ Der Legationsrath neigte sich zum Ohr der Fürstin: „Ein moralischer Coup. Irgend eine At¬ trape — um Mitternacht meint man. Worin sie bestehen wird, ist noch Geheimniß.“ „Doch keine Geistererscheinung!“ Die Fürstin sah ihn mißtrauisch an. „Die kämen im Jahre 1805 um zehn zu spät. Und woher wissen Sie es?“ Der Legationsrath beugte sich wieder ans Ohr der Fürstin, als die Thür aufgerissen ward, und der Jäger hereinrief: „Excellenz, Minister Laforest!“ „Laforest!“ hallte es leise wieder von den Lippen; die Gesichter schienen zu erblassen wie vor einer Geister¬ erscheinung. Aber Laforests Eintritt verscheuchte den Eindruck. Ihm voraus sprang ein großes schönes Windspiel; er selbst im eleganten hellen Neglig é ¬ überrock glich mehr einem Engländer als einem Fran¬ zosen; nonchalant und heiter, warf er leicht grüßend seine Blicke im Kreise umher, nachdem er vor der Fürstin sich verbindlich geneigt. „Herr von Laforest in Potsdam — das ist ja eine unerwartete Ueberraschung!“ sagte diese. „Sie meinen, weil Duroc abgereist ist, müßte ich auch Pässe erhalten. Durocs Mission war Krieg, meine Frieden. Der Krieg geht ab, der Friede bleibt. Gnädigste Frau, das ist der Vorzug eines ordent¬ lichen Gesandten, daß er sich um außerordentliche Dinge nicht zu kümmern hat.“ „Herr von Laforest glaubt nicht, daß es zu außer¬ ordentlichen Dingen kommen wird?“ fragte ein russi¬ scher Cavalier. „Ist die Einigkeit hier nicht schon etwas außer¬ ordentliches, mein Herr! Nur in diesem Zimmer allein, welche Physiognomien, welche Parteien sehe ich vereinigt unter der Huld unsrer bezaubernden Wir¬ thin. Ist nicht ganz Potsdam zum Blumenstrauß geworden, ich meine nicht von Federbüschen und Or¬ densbändern, sondern von schönen Gesichtern. Mir ist als wäre ich zum Schluß einer großen Komödie eingetreten.“ „Andre meinen, zum Anfang einer großen Tra¬ gödie,“ sagte die Fürstin. „Das kann ich nicht glauben, Prinzessin. Wirk¬ lich nicht! Würde Seine Majestät Ihr Kaiser darum selbst hergekommen sein? Beginnt man einen Krieg mit rührenden Familienscenen? Nein, nein! Ich leugne ja gar nicht, was zu Tage liegt, man war mit der Absicht, eine Eventualität ins Auge zu fassen, gekommen, aber bei reiferer Betrachtung der Dinge giebt man die mörderische Absicht wieder auf.“ „Excellenz haben vermuthlich die Dinge sehr nahe betrachtet?“ „Ich kam auf dem Umweg über Sanssouci. Das herbstliche Laub giebt eine wunderliche Schatti¬ rung. Sie sollten dahin ein Ausflug machen. Herr von Stein ging an mir vorüber, ohne mich zu sehen. Ich mache nun wirklich nicht Ansprüche ein Menschen¬ kenner zu sein. Aber ein A B C Schüler konnte auf seinem Gesicht lesen, daß seine Kriegsplane nicht durch¬ gegangen sind. Ein Biedermann, ein scharfer Ver¬ stand, mit einem Wort ein Kraftgenie, dieser Herr von Stein. Wirklich schade, daß er ein Ideologe ist.“ „Wie unterscheiden Sie Komödien von Tra¬ gödien?“ fragte etwas spitz die Fürstin. „Das Characteristische einer Tragödie, sagen wenigstens die Aesthetiker, sei, daß die Helden zuletzt isolirt dastehen, im Gefängniß oder am Schaffot. In der Komödie gruppiren sie sich dagegen zum Schluß immer dichter aneinander. Alle heitern und lustigen Figuren die sich durch fünf Acte gesucht, finden sich; die Fältchen und die Runzeln werden ausgeglättet, die Mißverständnisse aufgeklärt. So kommt mir die ganze Weltgeschichte in ihrer jetzigen Entwickelung wie ein großes Lustspiel vor. Früher isolirt, finden sich jetzt nicht mehr die einzelnen Personen, nein ganze Staaten, Völkerschaften, zusammen, die Congresse werden im¬ mer größer. Die Fürsten, die Staatsmänner lernen sich kennen; früher kannten sie nur ihre Schwächen, jetzt ihre Vorzüge; die Mißverständnisse, in der Ferne groß, erscheinen in der Nähe klein. So bahnt sich eine Verständigung an in immer weitern Kreisen, bis wir alle endlich eine große Völkerfamilie sind, einig in Harmonie und Interessen.“ „Haben Sie gute Nachrichten von Ihrem Kai¬ ser? Seine Majestät befinden sich doch in erwünschtem Wohlsein?“ „Er erwartet mit Sehnsucht den Ambassadeur aus Berlin. Sie müssen wissen, Kaiserin Josephine bewundert Kaiser Alexander in der Stille um seine Humanität, seine Ritterlichkeit. Sie möchte ihn gern von Angesicht sehen —“ „Mein Kaiser Alexander ist zu galant, als daß er dem Wunsch einer reizenden Dame nicht gern ent¬ gegen käme.“ „Auf das Entgegenkommen kommt es ja nur an, in allen Dingen.“ „Das fehlte noch, daß uns Napoleon hier über¬ raschte!“ rief unwillkürlich Major Eisenhauch. Der Gesandte schien es gehört zu haben: „Aber nichts von Ueberraschung in so ernsten Dingen. Ein neutraler Ort in der Mitte, der findet sich ja leicht zum Fürstencongreß. Drei, vier edle Monarchen, und noch edlere Menschen, begleitet von schönen Fürstinnen, holden Frauen, in deren Augen der Thau des Mit¬ gefühls für Menschenleiden perlt, und in ihren Hän¬ den ruhend das Schicksal des Continentes! Was giebt es Schöneres? Einen Dichter könnte es begei¬ stern zu einer Ode. Leider sind Diplomaten keine Dichter. Tiras, Attention!“ „Wohin?“ Laforest war aufgestanden, der Hund sprang an ihn herauf: „Wittgenstein ließ mich dringend auf einen Augenblick bitten. Was wird es sein! Eine neue chronique scandaleuse. — Berlin ist von Ihrem Kaiser enchantirt. Weiß man noch gar nichts, wo sein Auge haften blieb?“ „Wohin sehen Excellenz?“ „Prächtig! — Das sind Söhne der Natur, Prinzessin! Besonders der ältere mit dem röthlichen Bart.“ „Ach, die beiden Donischen Kosacken! Seine Be¬ gleiter.“ „Solche Ursprünglichkeit! Das erquickt das Auge. Wie zusammen gewachsen mit ihren Pferden. Kein Blick der Neugier auf die Tausende, welche sie angaffen. Herr von Eisenhauch seufzt — gewiß über unsre Entartung. Ja, von den Söhnen der Steppe könnte wieder frisches Blut in unser Geschlecht kommen.“ „Der Kaiser reitet jetzt wahrscheinlich aus,“ sagte der Kammerherr. „Wenn Kaiser Napoleon uns mit seinem Be¬ such erfreuen sollte, sprach der Major, wird er uns doch auch mit seinem treuen Rustan überraschen.“ „Hier braucht er keine Mamelucken, fiel Laforest rasch ein. Im Vaterlande der Humanität schützt ihn Ruhe und Ordnung. Er hat es oft gesagt, in Ber¬ lin würde er allein, ohne Waffen, ohne Begleitung in der Dämmerung durch die Winkelgassen reiten.“ „Ein ehrenvolles Attest für uns!“ bemerkte St. Real. „Gewiß!“ stimmten alle ein. „Wenn es seine irdische Krone verlöre, hätte Preußen auf die himmlische Anspruch, die den Fried¬ fertigen verheißen ist.“ „Wir sind Feinde, Herr von Eisenhauch,“ wandte sich Laforest zum Sprecher, während die Fürstin zum Fenster hinaussah. „Feinde, aber in Einem kommen Sie doch mit mir überein?“ „Ich gebe nichts auf.“ „Auch nicht die Hoffnung, daß man hier noch Politik machen kann?“ Der Jubel draußen galt dem Erscheinen des ritterlichen Kaisers. Zwei Schritt begleitete die Fürstin den Gesandten; seine Miene schien ihr noch etwas mittheilen zu wollen. „Was soll's noch, Excellenz! Die Orlogfahne flattert.“ „Sie kann wieder abgenommen werden.“ „Jetzt nicht mehr.“ „Aber später.“ „Die Kluft ist zu groß.“ „Ueber die tiefste weiß die Diplomatie Brücken zu schlagen, wenn das Interesse es fordert. Wir sind Feinde, in Einem kommen Sie aber doch mit mir überein?“ „Keine Allianz!“ rief sie mit nervöser Heftigkeit. „Mit den Ideologen oder Germanomanen. Ich bin kein Dichter, aber vielleicht ein Prophet. Ich sehe die Brücke gespannt, die Rußland und Frankreich einst verbindet.“ „Was wollte Laforest eigentlich?“ fragte ein Russe, nachdem der Kaiser vorübergeritten, und die Gesellschaft sich wieder schweigend zusammen fand. „Auf die Frechheit den Hohn setzen!“ rief Eisen¬ hauch. „Belauscht hat er wenigstens nichts, was er nicht schon weiß,“ versicherte Bovillard. Der Legationsrath erwiederte: „Vielleicht nur uns beschäftigt, um unsre Aufmerksamkeit von dem abzuziehen, was wir nicht wissen sollen. Die erlauchte Frau steht in Gedanken versunken?“ „Ueber dem aufgewühlten Chaos hinzutänzeln wie auf Blumenwiesen ist die Kunst dieses Lebens, sagte die Fürstin Gargazin. Wer immer die Risse sähe und die züngelnden Flammen! — Ich liebe die Diplomaten, welche in jeder Situation die Dehors beobachten.“ „Frau Baronin Eitelbach!“ meldete der Jäger. Unausstehlich! schien aus den schwellenden Lippen der sanften Frau geschrieben; aber über die Lippen kamen nur die halb verhallenden Worte: „Auch die jetzt! Und wir stehen auf Kohlen!“ wobei ein stra¬ fender Blick auf den Legationsrath fiel; der aber blieb bis auf ein leises Achselzücken unbeweglich. Es war die Protestation der Unschuld. „Sehr willkommen!“ sagte die Fürstin laut, und als die Gemeldete eintrat, war der Schauer des Un¬ muths von Lippen und Stirn verschwunden, oder versteckt in dem herzlichen Embrassement. „Auch meine liebe Baronin! Ich weiß nicht, ob die Ueberraschung größer ist oder die Freude!“ Siebentes Kapitel. Das Gespenst von Sanssouci. Theilten nur die mit Sternen und Bändern die fieberhafte Stimmung? Auch unter dem schlichten Bürgerrock schlugen warme Herzen, bang, sehnsuchts¬ voll, der Entscheidung entgegen. Nicht alle, vielleicht nicht viele unter den Vielen, aber alle fühlten, was es galt. Wenn nicht das Vaterland selbst, doch seine gefährdete Ehre. Und es war eine mächtige Blut¬ strömung damals, weil der Glaube sie trug, daß sie unerschütterlich stehe am Firmament angefestet mit dem Gestirn, das Friedrichs Ehre heißt. Unter denen, die in den langen Korbwagen aus Berlin gekommen, wußte man gewiß so wenig von dem, was im Schlosse vorging, als die in glänzenden Equipagen und mit blasenden Postzügen herübergerollt, es wußten. Und doch, obgleich ihre Ohren nicht so fein gespitzt, ihre Augen nicht so geschärft waren, um aus dem Schütteln einer Handkrause Schlüsse zu ziehen, was den Mann in dem Augenblick bewegte, der das Hemde trug, obgleich alle die feinern Ver¬ III . 8 mittelungen, Organe und Bezüge ihnen abgingen, welche die Erwählten mit dem in Verbindung setzen, was ihnen als Herz gilt, doch wußten diese Massen weit mehr als jene. Ein Tropfen Blut färbt ein Glas mit Wasser, ein Wort, eine hingestreute Nach¬ richt, durchfliegt, bewegt, entzündet die Massen. Jene üben die Kritik der Phantasie, um ihre Denkkraft zu zersplittern bis zur Nichtigkeit, diese lassen sich be¬ rauschen von einem Wink, Blick, Schall, ohne ihn zu prüfen. Jene legen die Empfängniß auf einen Destilirkolben, der auch den Diamant in Rauch zer¬ setzt, bei diesen fällt sie in den Zauberkessel des Glaubens, und steigt und schwillt zu einem riesigen Dunstphantom in die Lüfte. Warum konnte denn Kaiser Alexander nach Berlin gekommen sein, warum hatte man ihn nach Potsdam feierlich abgeholt? Warum hatten sich die hohen Herrschaften als Familie abgeschlossen? Warum war der Erzherzog Anton da, und die hohe Gene¬ ralität in Gala? Es muß eine systematische Depra¬ vation vorangegangen sein, wenn das Volk bei außer¬ ordentlichen Akten an eine Komödie denken soll. Es war vieles in Preußen vorangegangen, was das Volk geschmerzt, gekränkt, es hatte viele Männer hassen gelernt, und hielt andere für fähig, es täuschen und verrathen zu wollen, aber daß die höchsten Behörden, Minister und Generale, die Regierung in ihrer Ge¬ sammtheit, daß der Hof, der König und der Kaiser ein großes Schauspiel vor ihm aufführe, hinter dem eine andre Wahrheit lauert, als die sichtbare, das hielt damals das Preußische Volk für unmöglich. Es glaubte an die Wahrheit wie an die Ehre seines Staates. Weil es glaubte, war es froh. In der Freude das Maaß der Schönheit beobachten ist nicht allen Völkern gegeben. Die Lustigkeit brach roh heraus. Wenn der Kosack die Peitsche wirbelte, jubelten sie ihn an, sein Hurrah erwiedernd: „Los auf die Franzosen!“ Man reichte den Söhnen des Don die Schnaps¬ flaschen. Die Flaschen gingen auch im Volk von Mund zu Munde. Des alten Fritz Name, der Name Roßbach schallten unter einem Gelächter, daß man¬ chem die schönen Namen in der Gesellschaft leid thun konnten. Das mußte auch Einem so gehen, der sich unter die dichtesten Haufen gemischt; er wollte die Volks¬ stimme hören. Aber Walter van Asten fand nirgend die Volksstimme, die er suchte. Ihm schien die Freude empörend, mit der man dem Kosacken die Hände schüttelte, seine Stiefel, Sporen betastete, den Schweif seines Rosses streichelte. Einer im Haufen machte den Spaßvogel. Mit wankenden Füßen und roth¬ aufgedunsenem Gesicht, mahlte er den Zuschauern, wie Napoleon bei Roßbach laufen würde, wofür schallendes Gelächter und Jubel ihn belohnte. Wo waren denn die Patrioten, die Walter suchte? Er mußte in einer bösen Stimmung sein; wo er ging, wohin sein Auge fiel, sah er nicht was er erwartet. Im Volke Rohheit, blödsinnige Hoffnungen, in den 8* andern verbissene Wuth, militairischen Uebermuth oder Kammerherrngesichter. Auch er hatte auf ein Schauspiel gehofft, aber keine Komödie, auf eines, das aufgehn werde, wie die Blume aus der Knospe, wie die Sonne am Frühlingsmorgen, auf einen Auferstehungstag des Preußischen Volkes. Wenn die Trommel wirbelte, eine Reiterschaar durch die Straßen sprengte, aller Augen nach dem Schlosse sich wandten, wenn dann — die Fenster aufrissen, der König an die Brüstung träte, an der Hand die schöne Königin, zur Seite der ritterliche Freund. Wenn er an die Brust faßte, die Hand zum Schwur gen Himmel hob: „Gott sei mein Zeuge, ich kann nicht anders. Was ich gethan, er weiß es, um die blutige Entscheidung zu sparen. Er wollte sie mir nicht sparen. Mein Volk, es ist kein Krieg um eitlen Vortheil, es gilt die Erhaltung deiner selbst, unsrer theuer errungenen Selbstständig¬ keit, es gilt Preußens mit Füßen getretene Ehre, es gilt den Augenblick, den nichts zurückkauft. Mein Volk, es gilt unser Dasein. Dies Wort ist Krieg und mein Volk wird zu mir stehen!“ — Und das Volk wäre mit einer Stimme, mit einem Laut in des Königs Worte eingefallen. Dann hätten Thrä¬ nen perlen mögen im festesten Auge, dann jeder an die Brust des Andern fallen, dann die Arme sich zum Schwur erheben, ein Laut in die Wolken, nicht Jubel, Freude, Musik, ein Laut der Einigkeit zwischen Fürst und Volk. Die Trommel wirbelte oft, es blieben Präludien. Cavallerieschaaren preschten flimmernd und klirrend durch die Straßen, es war der Wind, der im Aehren¬ felde rauscht. Nur eine Melodie summte alle Vier¬ telstunde ihm in die Ohren, das Glockenspiel auf dem Thurme: Ueb' immer Treu und Redlichkeit Bis an dein stilles Grab, Und weiche keinen Finger breit Von Gottes Wegen ab. Er folgte den welken Blättern, die der Wind vor seinen Füßen trieb; ihm gleich wohin. Er folgte ihnen aus der Stadt, hinaus aufs Feld, auf die Höhen. Ehe er es selbst wußte, stand er auf dem Ruinenberge, der das unter ihm liegende Sanssouci und die noch tiefere Stadt beherrscht. Die Laune des großen Königs baute Trümmerwände eines rö¬ mischen Circus hierher, die Arena sollte das Wasser¬ reservoir werden, aus dem die Fontainen in Sans¬ souci und der Stadt gespeist würden. Das Werk mißlang, und der König gab es auf. Er war müde geworden des Kampfes mit den Menschen und der Natur. Die künstliche Ruine, von Unkraut über¬ wuchert, von aufschießenden Kieferbäumen umstanden, war selbst wieder zur natürlichen geworden. Die eisernen Röhren, zerschlagen, waren als Prallpfeiler an den Straßen benutzt. Walter lehnte sich an eine Arcade. Grau lag Gegend und Stadt vor seinen Füßen; von den ge¬ putzten Menschen drang kein bunter Flimmer über die Dächer, vom Geräusch kein Ton herauf. Er war einsam, nur die Krähen schwirrten um die Kiefern. Kalt die Luft, grau der Himmel, grau war es in ihm. Es war grau nicht seit heute erst. Mit ge¬ schlossenen Augen verfolgte er ein Schauspiel; die Träume seiner Jugend gingen an ihm vorüber. Der Ehrgeiz, der schon in des Knaben Brust gespielt, wie oft hatte er sie geschwellt, wonach hatte er nicht die Hand gestreckt! Was war jetzt sein? Wie vieles davon hatte er, mit männlichem Entschluß, es nie wieder anzusehen, selbst in die Rumpelkammer ver¬ schlossen. Die Dichterlerche wollte wirbelnd in die Lüfte steigen; hatte er nicht geträumt von Lorbeer¬ kränzen und seinen Namen an die Säulen geschrieben gesehen, wo die glänzendsten stehen! Eine Schamröthe flog über seine Wangen. Dann — und dann, es waren Schaumwellen, und er lächelte. Aber er lächelte nicht mehr bei einem andern Gedanken, seine Hand preßte sich krampfhaft an die Brust: Und auch das könnte ein Traum gewesen sein? — Liebt sie dich denn? — Er wollte die Frage, die wie Hammerschläge auf sein Herz pochte, fortdrängen, was gehörte sie hierher! Er glaubte sie heut wenigstens überwältigt zu haben; andre Ge¬ danken hatten ihn hergetrieben. Aber wie neckisches Echo rief sie wieder aus jedem Winkel. Endlich schwieg das Echo, aber er sann einer andern Frage nach, und seine Brust hob sich wieder: War das sträflicher Ehrgeiz, Jugenddünkel? Ist es nur den Adlern erlaubt aus der Wolkenhöhe auf die Erde zu schauen? Dringt des Menschen Geist nicht tiefer in die geschaffenen Dinge, fliegt er nicht höher als der Vogel? Was tiefer, höher! War das Ehr¬ geiz, daß er ein tiefes Uebel des Gemeinwesens er¬ kannt, daß der Drang ihn übermannt, es vor der Welt hinzustellen und zu rufen: Helft, und so könnt ihr helfen! Wie ernst geprüft, studirt hatte er, dann nach vollster Ueberzeugung seine Gedanken ausge¬ sprochen: so klar, deutlich; es mußte ja jedem, der die Augen nicht verschließen will, einleuchten. Und wo er anklopfte, verschlossene Thüren; wo er sprach, lächelte man. Hatte ihn Jemand widerlegt? Man hatte von schönen Gedanken gesprochen, aber wie die Welt sei, blieben es ja doch nur Chimären. „Sie hätten die ganze Welt für eine Chimäre erklärt, wenn der Schöpfer, ehe er das ‚Werde‛ sprach, die klugen Leute befragt hätte!“ Und seine Schrift! War ihm nicht das Seltsame begegnet, daß der Verleger, Herr Mittler auf der Stechbahn, schon nach einigen Tagen, als er sich einige Exemplare zurückholen wollte, ihm lächelnd erklärt, daß sie sämmtlich vergriffen wären? — Ver¬ kauft? Alle bis auf das letzte, und — Niemand in der ganzen Stadt sprach davon! Weil es wenige po¬ litische Schriften jener Zeit gab, erregten sonst auch die unbedeutendern Aufsehen, und von seiner wußte Niemand, Niemand fragte ihn danach, keine Zeitung hatte sie erwähnt! — Sein Auge streifte nach den Krähen hinauf. Dachte er an die Mährchen von den Raben, welche gestohlene Pretiosen in ihre Nester tragen? Da blinkte es allerdings golden in dem Krähenneste zu seinen Häupten, aber es war ein Nachmittagstrahl, der das rauhe Geflecht anröthete. Die Wolken waren ge¬ brochen, und die Sonne goß mit gesparter Kraft ihren Goldschein auf einen Theil der Gegend. Sanssouci mit seinen Metallkuppeln fing den vollsten Strahl auf. Die Schnörkelspitzen der Dächer glühten, es mußte warm werden auf der Terrasse, warm wie ein später Herbsttag es zuläßt, und Waltern fröstelte auf der windigen Höhe. Die Thore waren geöffnet und unbewacht. Die Wege waren mit welkem Laub überstreut. Das Knistern seiner Schritte rief kein lebendes Wesen her¬ bei; wen seine Beine trugen, war nach der Stadt gewandert. Ja, es war laue Luft auf der Terrasse und Walter müde. Er setzte sich auf einen der Steine, unter denen Friedrichs Hunde ruhen. Es stand ein verwitterter Name darauf. Ob unter allen, die jetzt lebten, einer das Thier gekannt, das ihn trug! Und doch hat sein Name Anwartschaft auf Unsterb¬ lichkeit! Die Orangerie war längst in die Glashäuser geschafft, es sah leer, wüst und zerstört aus. Nur einige von den Riesenkürbis, die man nicht der Mühe werth hielt fortzutragen, faulten am Boden. Die hohen, bis zur Erde reichenden Glasfenster des Palastes waren golden von der Sonne angeglüht. Der Reflex des Lichtes blendete ihn, und doch sah er immer wieder hin: „als wären es seine großen Augen!“ Wenn diese Augen herab sähen, wenn sein Geist jetzt in den öden Sälen wandelte! Wenn das zur Strafe an der Schwelle der Ewigkeit dem Größten seines Jahrhunderts dictirt wäre, zurückzukehren als Schemen und zu sehen, hören, einzuschlürfen den Schmerz, wie Staub und Wetter, Moos und Rost seine Schöpfung umzogen! Noch nicht zwanzig Jahre vergangen, und wo war seine Herrlichkeit! Klopfte es nicht an die Fenster, war es nicht sein Finger, der voll Unmuth dagegen hämmerte? — Ach die körperlosen Wesen haben nicht die Macht, sie sind nur der Schwamm, der die Feuchtigkeit der Luft einsaugt, die Aeolsharfe, die vom Winde be¬ wegt wird, die Seele, die den Weltschmerz empfangen muß; aber keine Thräne, kein Wehruf, nicht das Blinken der Augenwimpern ist ihnen vergönnt, ihren eignen Schmerz den Lebendigen kund zu geben! Walter war ein Romantiker gewesen, an Geister glauben, war damals sein errungenes Recht. Aber an Friedrichs Geist glaubten die Romantiker nicht. Das Licht des achtzehnten Jahrhunderts war ein anderes, ein künstliches, selbst verfertigtes von einem nüchternen Geschlechte, blasse Strahlen werfend wie Mond und Nordlicht, keine Wärme verbreitend. So hatten sie gelehrt, so hatte er geglaubt. An einem anderen Lichte müsse der Geist entzündet werden, an einem andern Feuer das Blut erwarmen. Nicht durch die Vernunft, numine afflatur der Geist. So steigt er in die Höhen der Seligkeit, wo das Auge trinkt aus einem Silbermeer der Wahrheit und Gnade, bis es trunken wird von Klarheit und Wonne. So hatten sie gelehrt, und er hatte geglaubt. Dazwischen lagen freilich Jahre, und andre Gedanken hatten wie der Wieder¬ schein eines Weltbrandes in seiner Seele gezückt. Was er noch lehrte, glaubte er nicht mehr, und was er glaubte, lehrte er nicht mehr. — Ist denn nicht alles Licht aus einem Quell, der Funke, den der Titane stahl aus dem verschlossenen Schatz der Ewi¬ gen, und keine Fluthen, die der Himmel herabgießt, löschen es mehr! Dort mattes, frostiges Licht, es wärmt nicht; hier züngelnder Flammenschein, er sengt, ver¬ wirrt dich, sein Feuerhauch verzehrt dich vielleicht. Was ist besser? Seitdem war er aus der Schule ins Leben übergegangen. Er hatte aus der Pflanze, aus dem Stein ihr Licht gezogen; er suchte wieder nach einem, aus dem alle Lichter kommen und das Leuchten in allen Zeiten. — Aber das Licht, das aus Friedrich leuchtete, war ihm ein kalter Schein geblieben. Man sagt, wer ein Romantiker gewesen, wer einmal aus dem Zauber¬ quell getrunken, und aus der Erde die geheimnißvolle Wurzel riß, der höre immer summen und klingen die Zauberweisen, die ewigen Klagen und das ewige Hohngelächter der Natur, die nach Erlösung ächzt; es sei der Venusberg, der sich immer wieder aufthut dem, der aus ihm entronnen: sagen die Verstän¬ digen. Aber ich liebe die Schatten der Wälder, wenn mir zu heiß ward zwischen den Gluthöfen und ihren dampfenden Schornsteinen, unter dem Strahl der Saaten-reifenden Mittagssonne. Dann strecke ich mich auf das schwellende Grün unter ihren Riesen¬ ästen, und lausche dem Vogelgesang, dem Rieseln der Quelle, die an ihren Wurzeln spielt. Die Vögel und die Quellen singen: Und wurden diese Bäume denn geboren, als es Nacht war, weckte nicht auch sie der lebenzeugende Strahl aus dem Schooß der Erde, strebten sie nicht zum Licht und breiteten ihre Wipfel nach dem Sonnenreich! Wehe dem armen ausgebrannten Menschengeschlechte, wenn es auch gar nichts mehr hört von dem Rauschen der Zauber¬ wälder. So dachte vielleicht der ehemalige Romantiker Walter van Asten. Und Friedrichs Erscheinung war ihm wie die eines übelwollenden Gnomen, in eine Welt gesetzt, zu der er nicht paßte. Da saß er auf der Brunnenröhre — das Bild kam ihm wohl von dem bekannten, der König nach dem Tage von Collin — den Dreimaster verschoben auf den schlecht gepuderten Locken und zeichnete mit dem Stocke Fi¬ guren. Der Tabak lag dick auf seiner Schooßweste, die Augen wühlten glanzlos im Sande; er hatte keine für die liebende Theilnahme seiner Genossen, die ängstlichen Blickes um ihn standen. Und wenn dieser Friedrich eine Welt in sich trug, so war es vielleicht eine aus einem andern Jahrhundert, aus andern Zonen über dem Ocean. Er war verfrüht und iso¬ lirt auf dieser Scholle. Die Freunde der Jugend, wenn er deren gehabt, hatten die Wellen der Jahre fortgespült; er saß, ein eigensinniger Greis, der nur auf sich hörte, mißtrauisch gegen Alle, ein Einsiedler in der neuen Welt, die nicht mehr seine war. Seine großen Augen sahen nicht den Wechsel der Geschlech¬ ter, nicht neue Jugend um sich, und andere Ideen, die mächtig sich empor rangen aus dem Deutschen Volke. „Was sähe denn jetzt dies große Auge?“ rief er unwillkürlich laut. Aber als er seines aufschlug, sah er eine Erscheinung. Unsern von ihm auf einem andern Steine saß Friedrich. Uebergebückt, die Locken überschattet von der schiefen Spitze des alten Hutes, zeichnete er mit dem Stock im Sande. — Die Er¬ scheinung verschwand nicht, als Walter die vom Son¬ nenlicht geblendeten Augen rieb; es waren aber nicht Friedrichs Augen, als die Erscheinung den Kopf wandte und ihn fragend ansah. „Des großen Königs Auge, meinen Sie?“ sagte der alte Mann, und ein Seufzer machte sich Luft. Er war ein Militäir aus Friedrichs Zeit, und Wal¬ ter wegen seiner Täuschung zu entschuldigen, wenn nicht schon der Abendsonnenflimmer und die Träume¬ reien es übernommen. Der Typus eines bedeutenden Mannes drückt sich unwillkürlich seinen Dienern und Bewunderern auf. Es giebt Momente, wo zwei Unbekannte sich ihre Gedanken ablesen, ehe sie ein Wort gewechselt. Der Blick und die Physiognomie allein thun es nicht; es ist der Ort, die Stunde, das Licht, die Luftschwere oder deren Leichtigkeit. Sie können Jahre lang sich begegnen, Worte tauschen, und bleiben sich doch fremd, es ist der Zauber des Augenblicks, welcher die Seelen aufschließt. Der Weg zum Gespräch war kurz, wo beide sich entgegen kamen. „Was war denn sein Vaterland, rief der Major, mit dem Stock in die Erde bohrend, als er die Fran¬ zosen lieben lernte, was sie ihm jetzt zum Verbre¬ chen machen! Ich alter Mann lese nicht viel neue Bücher, doch aber einige, und ich lese es mit Schmerz, wie die Jugend den Einzigen richten will. Wie war es denn damals? Sehn Sie um sich, so weit das Deutsche Reich ging, — wie mußte er sie zu sich heran schleppen! Sie liefen ihm dann nach, nur weil er's commandirte. Nun, war's da zu verwun¬ dern, daß er keinen Respect bekam vor den Leuten, die nur auf Commando einen geraden Rücken zeigten, die auf Commando ins Licht blickten, daß er auf die nicht hörte, die ihn nicht verstanden, und wie er alt und grämlich ward, auf Niemand mehr.“ Walter wies auf die Glasthür in der Mitte: „Dort saß der König dieses Landes mit dem herge¬ laufenen Witz aus allen Ländern, und beim schäu¬ menden Glase sprühte von ihren Lippen der Spott über die, welche im Könige ihren natürlichen Anwalt haben sollten.“ „Haben Sie, mein junger Herr, den König da im Saale sitzen gesehen?“ „Nein, entgegnete mit etwas verlegener Stimme Walter. Ich war zu jung, und als ich ihn einmal sah —“ „Ich habe ihn gesehn,“ fiel der alte Officier ein und schwieg einen Augenblick; dann fixirte er den andern. Sie sind kein Junker? Wahrscheinlich ein Gelehrter?“ „Wenn die Menschen durchaus in Stände ge¬ theilt werden müssen, würde man mich dazu rechnen.“ „Verlangen Sie, daß ein Friedrich sich seine Tischgesellschaft aus denen holen sollte, die zum Woll¬ markt kommen? Lieber Gott, mich dünkt, er hatte genug gethan, wenn er ihnen alle Stellen ließ in der Armee, und im Civil ja auch. Nun, an seinem Tisch lassen Sie ihm doch seine Franzosen und Eng¬ länder und Italiener. Die witzigen Seifenblasen beim Champagnerglase wurden ja schon runter ge¬ spült bei der Tasse schwarzen Kaffee.“ „Aber nachdem er den Kaffee getrunken! Er hatte ja sein Volk gebildet! Sie sagten eben, er hatte sie herangeschleppt. Seine Junker lasen ja schon die Pucelle, ihm zum Vergnügen, und wußten kaum, daß eine Jeanne d'Arc gelebt. Homer und Leibnitz waren ihnen unbekannte Größen, aber sie lachten aus Herzenslust über den Candide!“ „Nachgethan hat es ihm Mancher. Aber wie! Daß Gott erbarm! Sollte er die als seinesglei¬ chen in die Arme schließen! Als er aus dem Nichts heraus arbeitete, bei seinem Schöpfungswerke, wer hat ihm da von allen seinen Landeskindern ge¬ holfen!“ „Und was davon ist denn noch!“ sagte Walter und senkte den Kopf. „Es muß doch schon noch etwas sein, entgegnete mit sarkastischem Tone der alte Militair. Denn um der Hunde willen, die unter uns liegen, sind Sie doch nicht hier? Auch kommen darum nicht die vielen Tausende Fremder, die des Jahres die Terrasse be¬ sehen wollen. Drinnen, da hinter den Glasfenstern, ists leer, der Staub wirbelt im Sonnenschein und die Motten nisten in den Polstern. Warum läßt man sie darin? Warum ist denn noch Niemand in dies Haus gezogen, nachdem er es verlassen? 's ist ja so luftig und hübsch. So meinen sie doch wohl, daß drinnen noch etwas ist, davor sie Respect haben, und gehn ihm fein aus dem Wege.“ „Vielleicht die Furcht vor dem Gespenst mit dem Krückenstock,“ warf Walter hin. „Kann wohl sein, nickte der Major und wies nach Potsdam hinunter. Warum kämen sie sonst aus Petersburg und Paris her, und legten ihr Ohr an die Thüren? Selbst der mächtige Kaiser! Warum ständen die gesattelten Courierpferde in den Ställen, um das Ja oder Nein nach Wien und London zu tragen? Um uns doch nicht! Sein Geist ists allein, mein junger Herr Gelehrter, der noch da sitzt; auf den horchen sie, vor dem schüttelt es sie, die Großen und Mächtigen, daß er plötzlich aufstehen könnte, und sich schütteln im Zorn.“ Es war eine Pause eingetreten. Ihre Gedan¬ ken, abwärts schweifend, fanden sich wieder. „'s ist doch was Großes um einen großen Mann! sagte der alte Militair. Was er hinterließ, es läßt sich mit keinem Schwamm auslöschen. Was haben sie gebürstet und gescheuert, die Herren da mit den Jesuitengesichtern! Säuberlich, daß man's nicht merken sollte, aber der Klumpfuß kam doch vor, und das Volk hat ihn gesehen. Wie haben sie seine oeuvres posthumes traktirt, daß es eine Schande ist! Und hier in Sanssouci, jetzt schonen sie die Scheuer¬ magd, aber damals, als noch der Staub seiner Füße dalag, das Buch, darin er gelesen, das letzte Papier, auf dem seine Hand geruht — da hätten seine Ge¬ nerale und Minister auf Sammetschuhen eintreten müssen, mit verhaltenem Athem und zu Protocoll nehmen und Siegel anlegen, daß alles bleibe, wie es gelegen, ein Heiligtum zum ewigen Gedächtniß seines Volkes — aber die Besen haben ja gewirth¬ schaftet, als könnte der Erbe im Todtenhaus es nicht abwarten bis er Hochzeit macht. — Und das sollte noch nicht das schlimmste sein, großer Gott!“ „Was ist denn schlimmer?“ „Daß eine junge Generation aufkam, die ihm vorwirft, daß er nicht Deutsch gedacht haben soll! Kann man denn zerstören, was nicht mehr ist!“ „Mich dünkt der große Mann theilte nur das Loos aller Strebenden, sagte Walter nach einer Pause. Mit Riesenplanen tritt der Jüngling ins Leben, seine Hoffnungen segeln mit dem Morgenroth, die Welt dünkt ihm in seiner Hand ein Bild von Wachs. So schüttelt er die Glieder am frischen Morgen; dann kommt die Mittagshitze und er ruht aus. In der Abendkühle hofft er wieder anzufangen, aber er irrt, die erschöpfte Natur will ihr Recht, der Schlaf senkt sich auf seine Glieder und auch das weiche Wachs ist hart geworden; es schneidet seine wunden Finger. Da wirft er's am Ende fort und sie lachen ihn wohl noch aus, den thörichten Bildner. Und was bleibt ihm! Er hüllt sich in den Mantel der Resignation, und spricht, wenn der letzte Gruß der Abendsonne ihn ruft, Salomonis Wort!“ „ Der , mein Herr, rief der alte Soldat, und wies auf die Pallastthür, der brauchte sich nicht in Ihren Mantel zu hüllen. Ja, einen Mantel schlan¬ gen sie ihm um, daß ihn die Kälte von draußen nicht berührte. In ihm war's warm; seine Werke wärmten ihn, wenn er auf die sah. Dreizehn Bataillen! Nun ja, seitdem sind größere geschlagen worden. Es giebt auch größere Dichter, Philosophen. Andre haben das Volk mehr cajolirt. Das hat er nicht verstanden, auch nicht große Worte machen; er wollte es auch nicht. Dachte vielleicht, was ich gethan , ist denn III . 9 das nicht mehr! Herr, was wir sind und haben, ist sein Werk, unser Name, unsre Straßen, unsre Häfen, unsre Ordnung, unser Respect. Sein Auge leuchtete als Stern den Unterdrückten. Sein Wort, das er donnerte, als der Müller Arnold klagte, dröhnte durch Europa, und es wird durch die Welt hallen so lange sie steht. Sein Wort, daß jeder in seinem Staate selig werden solle, wie er will, Gott Vater im Him¬ mel, kann denn das je vergessen werden!“ „Walte der ! setzte er nach einer Weile hinzu, indem er den Hut von der Stirn nahm, es war wohl um zu verbergen, daß er die Hände im Schooß fal¬ tete. Walte der da oben, daß jetzt sein Geist da unten mitspricht!“ „Amen!“ rief bewegt der jüngere Mann. Der Officier bemerkte es, wie er heftig dabei die Arme verschränkte, und finster in sich schaute. Er warf ihm einen ersten freundlichen Blick zu: „Sein Werk ist doch wohl noch nicht untergegan¬ gen, denn sein Volk lebt noch!“ „Und er zögerte nicht Ja zu sagen, fiel Walter ein, wenn eine halbe Welt ihn zu beschwören kommt.“ „Nein, sagte der Alte jetzt aufstehend, aber der große König hätte sich nicht beschwören lassen, er wäre der halben Welt zuvorgekommen, und hätte den Degen gezogen, und sie beschworen, daß sie ihm folgen mußte. Das ists, da liegt der Unterschied. Wo wir drauf¬ losgingen, siegten wir; wo wir's an uns kommen ließen, zogen wir den Kürzern.“ Sie wurden hier unterbrochen. Eine Gestalt am andern Ende der Terrasse war schon eine Weile sicht¬ bar oder hörbar, nur sahen und hörten die beiden im Eifer ihres Gesprächs sie nicht, und der ältliche, sehr wohlbeleibte Mann, der ihnen mit einem weißen Tuche ängstlich winkte, vermochte wegen seiner Körper¬ schwere nicht so schnell heranzukommen. Jetzt aber war er da, und wer er war und was er wollte, er¬ litt keinen Zweifel. 9* Achtes Kapitel. Zwei subalterne Personen drohen den Gang der Geschichte zu ändern. „Kurz, es ist nicht erlaubt, hier auf den Steinen zu sitzen.“ So schloß der wohlbeleibte Mann mit wich¬ tiger Miene eine Strafrede, die seinen Athem er¬ schöpft und sein Gesicht gefärbt hatte. Trotzdem schien sie auf die Beiden keinen Eindruck gemacht zu haben, denn sie sahen sich lächelnd an, als der Beamte mit dem weißen, feinen Taschentuch den Staub, oder ihre Berührung von den Steinen klopfte. Ein Beamter war er, dafür sprach jeder Zoll an dem Mann; nur welche Charge er bekleidete, ist uns nicht aufbewahrt. Ein Beamter nicht in Uniform, aber in Galastaat; einem feinen Rock, der gewiß einst geschmackvoll um den Leib schloß, nur hatte der Körper dem Fortschritt gehuldigt, wäh¬ rend das Tuch conservativ geblieben war. Weiß waren die seidenen Stümpfe, weiß die Weste, und das Jabot stritt mit dem Zopf und der Frisur um die Wette, was glänzender sei; farbig war nur der Rock, roth nur das Gesicht. Sein Blick, als er sich umwandte, schien zu sprechen: „Und Sie sind doch noch hier?“ Walter stand im Schatten, auf das Gesicht des alten Major glühte der rothe Abendstrahl. Es lag wieder Friede darüber ausgebreitet, als er lächelnd sprach: „Vor zwanzig Jahren, als ich auf diese Terrasse kam, führte mich der Wachthabende selbst zum großen König. Ich sah ihn sterben. Nun weist man einen alten Soldaten fort, weil er kam, nur um seinen Geist zu sehen. — Freilich, es kann gefährlich werden, Friedrichs Geist zu sehen!“ Leicht den Hut gegen den jungen Mann lüftend, hatte sich der Invalide umgewandt und war die Treppe hinabgestiegen. „Aber was fällt Ihnen denn ein, Herr Pathe Nähtebusch, sagte Walter plötzlich. Einem alten Soldaten seinen Ruheplatz nicht zu gönnen!“ Als der Beamte, die Hand vorm Gesicht, um die Sonnenstrahlen abzuhalten, den jungen Mann erkannt hatte, machte er eine lebhafte Bewegung. „Aber war ich denn blind!“ Fast schien es, als wollte er ihn umarmen. „Herr Jemine, und das war Ihr Bekannter! rief der Ober-Kastellan, um ihm doch einen Titel zu geben. Herr Nähtebusch winkte und rief umsonst; der Major hörte nicht, oder wollte nicht mehr hören, und es wäre zu viel vom Ober-Kastellan verlangt ge¬ wesen, ihm nachzulaufen. Er hatte eine Constitution, die das nicht ertrug, und er kam aus der Stadt! Was das sagen wollte, werden wir hören. Nicht der Aerger hatte sein Gesicht geröthet; es war die Freude, vielleicht auch der Wein. Herr Nähtebusch hielt auf Connexionen. Sollte die Fama, die ihm nachsagte, daß er ihnen seinen Posten verdankte, jetzt von ihm sagen, daß er einen Bekannten vom Sohne des reichen van Asten fortgewiesen wie einen Vagabunden! Einigermaßen beruhigte es ihn, als er erfuhr, daß Walter den alten Officier hier zum ersten Mal gesehen, es beruhigte ihn aber wie der nicht, daß Walter ihn nicht kannte, nicht einmal seinen Namen wußte, daß er aber vermuthete, er sei ein ausgezeichneter Officier gewesen. Aber wieder beruhigte es ihn, daß er pensionirt sei. — Ein Pensionirter hat selten noch viel Connexionen! Herr Nähtebusch trocknete jetzt den Schweiß von seiner Stirn und athmete auf: „Lieber Herr Pathe, sprach er, lassen Sie sich das eine Warnung sein. Man muß sich mit Niemanden in ein Gespräch einlassen, den man nicht kennt. Man weiß nicht, in welche Verlegenheiten es uns nachher bringt, und junge Leute, erlauben Sie mir's zu sagen, schließen gar zu gern ihr Herz auf.“ Man sah's dem Herrn Ober-Castellan an, daß er das Bedürfniß fühlte, auch seines aufzu¬ schließen; ja, er war in der Stadt gewesen, im Schlosse, man hatte ihn an die Thüre gelassen, als die hohen Herrschaften speisten. „Nicht jeder hatte das Glück gehabt,“ sagte er mit einer still zu¬ friedenen Miene. Er hatte sie essen gesehen. Nach Tische, als der König mit dem Kaiser Arm in Arm umhergingen, und dieser vor Huld und Güte gegen jeden strahlte, hatte der König ihn, den Glücklichen, dem Erhabenen vorgestellt. Denn war es das nicht, als er sagte: „Und das ist der Mann, der in Sanssouci zur Ordnung sieht!“ Alexander hatte darauf etwas französisch erwiedert; was, hatte Herr Nähtebusch nicht verstanden, aber es war gewiß etwas sehr Gnädiges; die Melodie der Worte summte ihm noch in den Ohren. Aufmerksamer hatte Walter dem Schluß der Mit¬ theilungen zugehört. Herr Nähtebusch sprach viel. Wem verdanken Gesandte oft ihre wichtigsten Nach¬ richten? Nicht Räthen und Ministern, dem feinen Ohr der Kammerdiener. Sie glauben also, es ist Alles regulirt und abgeschlossen?“ „Alles!“ entgegnete Herr Nähtebusch, und um sich vollständig zu erholen, nahm er eine lange Prise. „Bis aufs Kleinste. Morgen in der Vor¬ mittagsstunde fahren die hohen Herrschaften nach Berlin zurück in einem Ensemble. Im Rittersaal ist große Tafel. Wissen Sie wohl, es wird vom goldenen Service gespeist. Das kommt aber erst nachher in die Zeitungen. Abends besuchen Hochdie¬ selben im Nationaltheater die Vorstellung der Oper Armida. Bei ihrem Eintritt in die Mittelloge werden Höchstsie durch einen Tusch von Trompeten und Pauken aus den Balconlogen begrüßt, und das ganze Publikum erhebt sich mit einem Vivat, das nicht enden will. Dasselbe wiederholt sich beim Schluß der Oper. Folgenden Tages ist große Wachtparade auf dem Lustgarten. Alsdann besehen Majestäten in zwei achtspännigen Equipagen die Merkwürdigkeiten der Stadt. Mittags ist Diner beim Prinzen Ferdinand in Bellevue. Eine Denk¬ münze auf die glorwürdige Zusammenkunft ist bereits unter dem Prägestock. Der Medailleur, Herr Loos, ist der Verfertiger, und wenn ich übermorgen in die Stadt komme, hat er versprochen, sie mir zu zeigen. Aber das, lieber Pathe, bleibt unter uns.“ Sie waren dabei auf der Terrasse auf- und abgegangen. „Und nach dem Diner bei Prinz Ferdinand?“ „Reisen Seine Majestät, Kaiser Alexander, ab. Die Pferde sind schon bestellt.“ „Und weiter nichts?“ Mit einem ungemein schlauen Lächeln klopfte Herr Nähtebusch auf seine Dose: „Man spricht auch noch von einer kleinen Attrape.“ „Einer kleinen —“ „Wie man's nehmen will! Wenn Majestät der Kaiser auf nächster Station, man sagt in Vogels¬ dorf, eine Erfrischung fordern, wird's im Kruge heißen: die Leute sind alle auf dem Feld oder im Stalle. Der Kaiser wird sich dann in den Kuhstall zu begeben ge¬ ruhen, um einen Trunk frisch gemolkener Milch anzunehmen. Und die Bäuerin, die eben melkt, wird sehr überrascht sein von den vornehmen Gästen, aber S. Majestät der Kaiser werden noch weit mehr überrascht sein, wenn Sie der Bäuerin ins Gesicht sehen, die ihm die Schale reicht. Na was sagen Sie dazu, mein lieber Herr Pathe? — Ich habe aber nichts gesagt, es sind ja nur Conjecturen,“ sagte Herr Nähtebusch und rieb sich die Hände. Sie standen am andern Ende der Terrasse: „Also auf eine Trianon-Scene läuft es aus, das ist ja alles recht schön und gut,“ sagte Walter. Herr Nähtebusch sah den jungen Mann mit einem eindringlichen Blick an. Fast war's ein durch¬ dringender, indem er seine Hand faßte, und wir hatten uns in ihm geirrt. Die Purpurröthe des Echauffements verbarg nur den Psychologen: „Mein lieber Herr van Asten, als Ihr Herr Vater mir die Ehre erzeigte, mich bei Ihnen zum Pathen einzuladen, sagte ichs voraus, das ist ein Junge, der wirds zu was bringen. Ich hatte vorgestern wieder das Vergnügen, mit Ihrem Herrn Vater zu spre¬ chen. Da müssten Ihnen die Ohren geklungen haben.“ „Mein Vater, wissen Sie —“ „Ist ein charmanter Mann, ganz wie sein Sohn, wollte auch immer seine eigenen Wege gehn; nahm was Andere wegwarfen, und warf weg was Andere griffen. Dem Einen glückts, dem Andern nicht. Ja, ja, mein lieber Herr van Asten, wir würden alle warm sitzen, wenn jeder auf seinem Platze bliebe. Verstehn Sie mich, er soll nicht immer sitzen bleiben, er soll auch weiter rutschen, wenn neben ihm ein besserer frei wird. Das findet sich, das kommt jedem, wenn er nur Augen und Ohren auf hat und in der Stille umher fühlt. Aber er muß nicht ungeduldig werden, nicht springen wollen, nicht über die Dächer wegklettern. Merken sie erst, daß Einer ein unruhiger Kopf ist, der kriegt gleich 'nen schwarzen Strich, und sie passen ihm auf die Finger. Wir könnten's alle so gut haben; denn die großen Herrschaften, glauben Sie's mir, meinen's mit uns so gut, wenn wir uns nur nicht mausig machen wollen. Lieber Herr van Asten, ich bitte Sie, was geht's uns denn an, ob sie sich da oben schlagen oder vertragen, und Allianzen schließen oder keine? Thun sie's, gut; thun sie's nicht, für uns ist's auch gut. Es hat jeder in seinem Hause ja genug zu sorgen. Kinder, laßt doch den Potentaten das Regieren und kümmert euch nicht darum. 's hat noch Keiner dabei Seide gesponnen. Der Bauer bleibt ein dummer Bauer, und wer sein Bischen Grütze im Kopfe hat, der bringt sein Schäfchen ins Trockne. Was geht's uns denn an, wenn die andern Schafe versaufen!“ Hatte der Herr Pathe seine Schrift gelesen? „Mein Vater muß sehr freundliche Gesinnungen gegen mich verrathen haben.“ „Das hat er. Das ist ein kluger Mann. Die Jugend muß ihre tollen Hörner ablaufen, hat er gesagt. Ich Dummkopf glaubte, daß man seinen Sohn zum Studieren auf die Universität schickt, hielt meinen deshalb kurz. Und der Junge war nur zu gehorsam, er „püffelte“, gab zu wenig aus, und nahm zu viel ein, nämlich fixe Ideen, sagte der Herr Vater. Nun haben wir die Bescheerung. Das tolle Feuer, was 'raus schwören sollte, steckt noch drin, und's bricht an der unrechten Stelle los. Dem Jungen mache ich keine Vorwürfe, mir mache ich sie.“ „Und der Herr Pathe legten gewiß ein freundlich Wort ein. Will man mich vielleicht noch ein Mal auf die Universität schicken, um das Versäumte nachzuholen?“ „Erlauben Sie mir, ich sagte ihm: das Leben ist ja auch eine Universität. Er kann ja auch hier seine Hörner abstoßen; je toller er drauf los geht, um so eher wird er stumpf. Wie ist er da beim Minister angelaufen. Wird auch noch öfters an¬ laufen! Sind nicht alle Minister so human, daß sie die Rappelköpfe nach Karlsbad schicken. 's ist mancher eingesperrt worden, der sich die Zunge verbrannt hat. Schadet auch nichts. Der Sohn vom Geheimenrath Bovillard, wie oft hat der gesessen! Man kanns gar nicht zählen. Der Vater war so klug, hat sich nicht um ihn gekümmert; nun ist er von selbst zu Kreuz gekrochen. Ist kirr geworden, um den Finger zu wickeln; läßt sich vom Vater parforce schicken, wohin es ist. Und wenn er sich müde geritten hat, dann giebt ihm der Vater 'ne kleine Stelle, sucht ihm 'ne Frau aus, die ein bischen Geld hat. Zuerst in 'ner kleinen Stadt, wo er über den Akten schwitzen muß; ist froh, wenn er nach Hause kommt, 'ne Pfeife raucht bei 'nem Glase Bier, ein Partiechen; Kinder kommen denn auch, die schreien, ein Vater hat doch auch ein Herz. Ach Gott! darüber vergißt er alle krause Ideen; ist froh, wenn's nur bei ihm zu Hause gut geht, und denkt nicht mehr daran, den Staat besser machen zu wollen. Und geben wir acht, mit dem Walter wirds auch so kommen.“ „Verdank ich das alles Ihnen, Herr Pathe?“ rief Walter mit wachsendem Erstaunen. „Wir saßen so traulich bei Herrn Kämper zusammen, wir sechs oder sieben, alles respectable Bürger. —“ „Was! ein Collegium, um über meine Bes¬ serung zu berathen!“ „Wo hat nicht jeder 'nen faulen Fleck im eigenen Hause! Wenn man so beim Bier sitzt, ein Pfeifchen im Munde, spricht man sich gegenseitig Trost zu. Der hat 'nen Sohn, der spielt. Das ist beinah am aller schlimmsten. Da waren wir Alle einig. Das thut mein Pathe nicht; alles, was Recht ist. Er trinkt auch nicht, er läuft auch nicht den Mädchen nach. Na, Jugend hat keine Tugend, darüber sind wir weggegangen. Aber das Theater, was hat das ehrbaren Familien schon für Kummer und Noth gebracht. Erst alle Abend der Herr Sohn ins Parterre. Das kostet Geld, die jungen Leute machen Schulden. Ist aber viel schlimmer, wenn's kein Geld mehr kostet, wenn sie's umsonst haben; dann haben sie Connexionen hinter den Coulissen, das sind die schlimmsten und theuersten Connexionen. Und die Truppe ist einmal abgereist, und der Herr Sohn ist verschwunden. Ja, ja, das ist manchen Eltern so gegangen. Den Kummer haben Sie Ihrem Herrn Vater nicht gemacht. Wissen Sie aber, Einige meinten, das wäre immer noch nicht so schlimm, als wenn ein Bürgersohn sich mit der Politik ab¬ giebt. Da kann man noch mal Director werden, wie der Herr Iffland; der war auch anstän¬ diger Leute Kind. Auf dem großen Welttheater aber „Ist für uns nichts zu holen, fiel Walter ein. Ihre ehrbaren Bürger haben Recht. Erfuhren Herr Pathe sonst noch etwas?“ sprach er zum Abschied die Hand reichend. „Mancherlei! Man wird Heirathsannoncen lesen, über die man sich wundern soll. Mancher Herr Offi¬ cier läßt sich in aller Schnelligkeit copuliren. Lieber Gott, wenns ins Feld geht, will man den Kindern doch einen Vaternamen hinterlassen; das Gewissen schlägt auch unterm blauen Rock. Seine Majestät sind sehr damit zufrieden. — Ach, und wissen Sie schon vom Kriegsrath Alltag?“ „Was?“ „Wird Geheimer Tresorier des Königs, Titel Geheimrath. Da ist auch nur eine Stimme: Der hats verdient! Mit seiner Demoiselle Tochter wird er nun auch höher heraus wollen. Wer verdenkt es ihm?“ „Adieu, Herr Pathe!“ Der Pathe hielt seine Hand fest. Sein schlaues Lächeln schien noch ein Geheimniß zu verstecken. „Heraus damit!“ „Ich sehe einen verlornen Sohn —“ „Wo?“ „Im Comptoir seines Vaters.“ „Und was brachte ihn dahin?“ Der Kastellan hielt beide Hände wie ein Sprach¬ rohr an seines Pathen Ohr, daß es die Bäume nicht hören sollten, und schrie hinein: „Minchen Schlar¬ baum! Sechzig tausend Thaler!“ Ein Mann in mittleren Jahren war während dieses Gespräches in der Seitenallee auf und ab ge¬ gangen. Walter hatte ihn bemerkt, ohne auf ihn zu achten. Der Fremde, sichtlich von einem Gedanken bewegt, hatte die beiden kaum gesehen. Als der Pathe nach jener, wie er meinte, sehr feinen Insinuation rasch fortgeeilt war, hatte sich Walter in die Allee gewandt. Der Sonnenball versank gerade hinter den Brauhausbergen. Walter faßte an seine Brust und aus der wunden Tiefe machte sich das Wort Luft: „Er war müde über Sklaven zu herrschen!“ Der Fremde war hinter einem Baum hervorge¬ treten. In seinem festen, aber zuweilen stürmischen, Schritt hielt er, wie frappirt, inne. Auf Walters Gesicht schien der letzte volle Sonnenschein, der Fremde stand beschattet; ein feingeschnittenes, charakteristisches Gesicht war noch zu erkennen. „Ein Hiesiger?“ fragte der andre rasch. Die Frage war seltsam, es mochte auch ein Be¬ amter sein, der den späten Besucher auf einem nicht erlaubten Wege ertappt zu haben glaubte. Walter antwortete eben so kurz. „Aus der Hauptstadt.“ „Ein Angestellter?“ warf der andre in dersel¬ ben Art hin. „Ein freier Mann,“ sprach Walter jetzt mit fester Stimme. Der andre sah ihn groß an. Walter glaubte die Worte murmeln zu hören: „Das ist ja wunder¬ bar.“ Mehr hörte er nicht, denn beide gingen an einander vorüber. Sie trafen sich zufällig noch ein¬ mal. Der Fremde hatte den Weg verfehlt, indem er einen Ausgang, wo er nicht war, suchte. Walter wies ihn zurecht; es war auch sein Weg. Der Fremde schien durch eine leichte Bewegung zu danken, ohne es für nöthig zu halten ein Wort zu verlieren. So machte es wieder der Zufall, daß sie neben einander gingen. Der Fremde war wirklich ein Fremder in der Mark, wie sein Accent dem kundigen Ohr ver¬ rieth, aber seine Kleidung, obgleich nur ein einfacher blauer Rock, die Sicherheit seiner Bewegungen, das aristokratische Gesicht, verriethen den vornehmen Mann. Er blieb plötzlich stehen und betrachtete einen Gegen¬ stand, der auch Walters Auge fesselte — die Mühle auf dem Berge. Ihr Dach war vom letzten Abend¬ schein schwach angeröthet, ein träger Wind trieb die Flügel. Der Begleiter verstand die stumme Frage, die der andre, über die Schulter blickend, an ihn richtete: „Ja sie ist es.“ Damit schien eine Ver¬ ständigung eingetreten. „Also Einer doch!“ sagte der Herr im Weiter¬ gehen. „Wenn man sie kennte, würde man mehre wissen, die auch Muth gehabt,“ warf Walter hin. „Da man sie aber nicht kennt, so existiren sie nicht für die Geschichte,“ entgegnete jener. „Es existirt manches nicht in der Geschichte, was doch lebte.“ „Was sich nicht geltend gemacht hat, lebt nicht, entgegnete der Fremde scharf. Es hat einmal vege¬ tirt um zu faulen und Dung zu werden für andre.“ Walter entgegnete: „Der Müller von Sanssouci vor seinem Könige wird aber leben bleiben; uns lebt er als Symbol, daß ein Rechtsbewußtsein auch damals im Volke war.“ Er hatte das uns scharf betont. „Wir aber, antwortete der andre, sehen in dem Aufheben, das man von der einen Geschichte machte, nur das Bekenntniß, daß der eine Mann nur eine Ausnahme von der Regel war.“ „Und wo ist die Regel, fragte Walter, nämlich im Deutschen Volke? Ich setze voraus, daß wir Lands¬ leute sind.“ Der Fremde fixirte jetzt zum ersten Mal unsern Bekannten; es war ein scharfer, prüfender Blick, aber ohne Härte. Die Antwort schien ihm nicht zu mißbe¬ hagen. „Das macht die Sache nicht besser hier, sagte er. Die Müller von Sanssouci haben in Preußen keinen Fortgang gehabt.“ „Die Größe des Einen hat sie niedergedrückt. Das vergißt man so leicht im Auslande.“ „Man wundert sich nur, warum sie nicht wieder aufgetaucht sind, nachdem sie von der Größe nicht mehr zu leiden hatten. Sie wiederholten vorhin die Worte des großen Königs, als Sie sich allein glaub¬ ten, warum machen Sie ein point d'honneur draus, was Sie sich selbst bekennen, vor andern zu verber¬ gen! Wo Sie Ihrer Schwäche sich bewußt sind, warum es nicht auch vor andern gestehen. Das würde Vertrauen wecken. Wenn Sie sich den andern Deutschen gegenüber immer in Parade aufs hohe Pferd setzen, so verlangen Sie nicht die brüderlichen Neigungen, um die es doch Einigen, den Bessern unter Ihnen wenigstens, zu thun ist. Wir sind alle schwach, aber wenn wir es uns gegenseitig eingeständen, wür¬ III . 10 den wir auch die Mittel finden, um wieder stark zu werden. Das ists, was Sie vom übrigen Deutsch¬ land trennt, meine Herren Preußen. Uebrigens bin ich jetzt selbst einer.“ „Jetzt wird sichs zeigen!“ rief Walter animirt. „Was?“ „Daß wir eine Schwäche zu bekennen den Muth haben, eine Schuld gegen unsre Deutschen Brüder durch die That auszulöschen. Preußen radirt den Baseler Frieden mit seinem Blute aus den Tafeln der Geschichte.“ „Nichts wird sich zeigen,“ rief der andre heftig. Es kochte etwas in seinem Busen, und schien schon an den Lippen zu sprudeln, aber er unterdrückte es rasch mit einem Seitenblick auf den unbekannten Ge¬ fährten. Die rauhe, heftige, fast dominirende Art, mit der der Fremde seine Aussprüche that, erweckten in Walter die Lust es in selber Art ihm wieder zu geben: „Ich hoffe, daß in der kurzen Zeit, seit Sie ein Preuße wurden, man dem Ausländer nicht so viel Einblicke in unsre Angelegenheiten gegönnt hat, daß ich Ihren Ausspruch als ein Verdict nehmen müßte.“ Der andre war vielleicht betroffen, aber nicht erzürnt, vielmehr verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln: „Haben Sie Einblicke?“ „Keine als die jedem frei stehen, der ein Herz und Augen hat für die Ehre seines Vaterlandes. Sie ist so auffällig verletzt, daß sie eben so auffällig Genugthuung heischt; der Hohn, den man uns zuge¬ fügt hat, den Napoleons Generale noch täglich in Anspach und Baireuth Preußen zufügen, könnten einen Stein ins Leben rufen. Das und noch vieles andre, was hier nicht hergehört, ist mir Bürgschaft.“ „Wofür?“ „Daß endlich der stahlgeborne Entschluß ins Leben springt.“ Der andre ging eine Weile schweigend, dann sagte er ruhig: „Einen Gesandten wird man an Na¬ poleon schicken, ihm Friedensbedingungen stellen und unterhandeln. Wenn Sie wissen was Unterhandlun¬ gen sind, wo Preußische Diplomaten mitsprechen, so stellen Sie danach Ihre Hoffnungen.“ „Diesmal, nur diesmal nicht — rief Walter in Eifer gebracht — es geht nicht, es läßt sich nicht mehr zurückdrängen. Das Volk leidet es nicht.“ „Das Volk, mein Herr! Das weiß ich nicht; ich kenne es wenigstens noch nicht genug, und was ich von ihm kenne, doch — das gehört nicht hierher.“ Sie standen an einem Scheidewege. Der Fremde wenigstens nahm an, daß sie hier scheiden müßten, oder er wollte hier scheiden. Es waren seine Ab¬ schiedsworte: „Dies Volk, mein Herr, mag gut sein, tapfer treu, aber es ist noch zu klein für seine Traditionen. Es hat sich übernommen, und es ist nie gut, wenn man sich den Magen auch mit dem Besten füllt, wenn 10* der Magen nicht Kraft hat es zu verdauen. Dies Volk ist zu vielem gut, es hat auch gesunde Glieder, wenn nur der Kopf da ist, der sie regiert. Das aber bilden Sie sich nicht ein, daß diese Glieder schon reif sind für sich selbst zu stehen. Dafür vergaß der große Mann zu sorgen. Er führte sein Volk in die Welt¬ geschichte ein, und übersah, ihm die Erziehung zu geben, daß es mit Ehren darin bestände. Mit der militairischen Tournure ists nicht gethan; der Knebel¬ bart imponirt nur auf den ersten Anblick, und selbst ist allein der Mann. Er war müde über ein Volk von Sklaven zu herrschen, ja, aber sie sind es ge¬ blieben, weil er ein Lehrmeister war wie der Gelehrte in einer Bauernschule. Glänzende Schulaktus hat er mit ihnen aufgeführt und sie declamiren lassen, was sie nicht verstanden. Friede seiner Asche und Fluch dem, wer einen Stein auf sein Grab wirft, denn Deutschland hat keinen Größern geboren, aber sein Reich, mein Herr, ist die Schöpfung eines Zauberers. Wunderbar groß, zweckmäßig, in einander greifend, erscheint alles, so lange sein Geist darüber waltet. Aber wenn der schlafen geht, vertrocknen die Palmen und Lilien zu Haidekraut und der Pallast versinkt in ein Unkenmoor. Da sehn Sie diese Reihe von Statuen. Kunstwerke, so lange er unter ihnen wan¬ delte, jetzt verwitterte, moosbedeckte Fratzen. Was ist aus seiner Gliederung geworden, in Civil und Militair, was aus dem angestaunten Mechanismus seiner Staatsorganisation? Ein schönes Lied auf einen Leierkasten gesetzt, aber die Melodie bleibt die¬ selbe in Leid und Freud, weil die Hand vermodert ist, die den Mechanismus der Drehorgel umsetzt. So leiert es hier fort, ins andre Jahrhundert die Me¬ lodie des vorigen, bis alle Räder und Gänge ver¬ rostet und voll Staub sind. Dieser Staat Preußen, mein Herr, ist zum Popanz geworden, nicht weil sein Volk Sklaven sind, sondern weil der Zauberer fehlt, der das Uhrwerk wieder aufzieht. Dieser Staat Preußen ist ein Conglomerat von Kraft und gutem Willen, wie man sie selten in der Geschichte sah, aber eine Gliederpuppe, wenn kein neuer Geist hinein¬ fährt.“ Der Mann wandte sich mit einem Kopfnicken rasch um. Zwei Schritt weiter blieb er noch ein Mal stehen: „Wie heißen Sie? Ich möchte Ihre Adresse wissen — wenn ich wieder ein Mal einen so gefälligen Führer in Potsdam brauche,“ setzte er halb lächelnd hinzu, um das Scharfe auszugleichen. Walter hatte keinen Grund seinen Namen zu verschweigen. Er kannte aber genug von der Luft in den hohen Lebensregionen, um nicht zu wissen, daß dieser Name, so laut er ihn aussprach und so deutlich der andre ihn sich wiederholte, schon am Ende der Straße verhallt war. Jener hatte vielleicht erwartet, daß Walter auch ihn bitten werde, den seinen zu nennen, Walter wollte aber nicht bitten. Achtes Kapitel. Der dritte November. Es war Nacht geworden, die große Mehrzahl der Gäste war längst nach Berlin zurückgekehrt. In den öden, todten Straßen bewegten sich nur ein¬ zelne Gestalten; das Ueb' immer Treu und Redlich¬ keit hallte von der Thurmuhr nach wie vor. „Warum stürmt nicht lieber die Brandglocke!“ sprach die Dame, welche, tief in eine Pelzenveloppe verhüllt, am Arm ihres Begleiters an den Häuser¬ reihen ging. Sie gingen nicht in der Abendkühle spazieren, es war rauhe Witterung; sie hielten eine bestimmte Richtung, aber den zarten Füßen merkte man an, daß sie nicht gewohnt waren auf rauhem Pflaster sich zu bewegen. Ein dichter Schleier be¬ deckte das Gesicht der Fürstin. „Weil es noch nicht brennt,“ sagte ihr Begleiter. „Ewiger Zweifler!“ „Ich zweifle nicht, daß die Schwammleine an¬ gezündet ist; aber ein Fußtritt kann sie auslöschen ehe der Funke die Mine faßt.“ „Ich liebe nicht zu calculiren, wenn die Schatten der Verstorbenen durch die Luft vibriren.“ In der Stimme der vornehmen Frau waren Accorde, die ihrem Begleiter, der andrer Ansicht war, den Mund zu schließen schienen. Sie traten in einen Thorweg, oder eine Colon¬ nade zurück, um einer einfachen Hofequipage auszu¬ weichen, die jetzt vorüberrollte. Der Wagen hielt vor der Kirche, wo Seine Gebeine ruhen. Drei dunkle Gestalten konnte man aussteigen sehn. Sie traten in die Kirche, aus welcher ein gedämpftes Fackellicht bei Oeffnung der Thüre vorstrahlte. Die Fürstin drückte krampfhaft den Arm ihres Begleiters. Er glaubte, sie wolle ihn tiefer in den Schatten zurückziehen, um nicht gesehen zu werden: „Man sieht uns wirklich nicht, und wenn es wäre, würden wir nicht die einzigen Zuschauer sein. Ich sah Schatten in der Kirche sich bewegen.“ „Ich auch! rief sie. Es war mir, als sähe ich Seinen !“ Der Legationsrath ging nicht auf die Stimmung ein: „Diese Leute hier ruhten unter ihm wie in Abra¬ hams Schooße. Ich finde es eigentlich undankbar und grausam, daß man ihn citirt, um sich aus einer gewöhnlichen Verlegenheit zu helfen.“ „Ich würde Ihnen verzeihen, wenn Sie sagten selbstmörderisch.“ „Nur christliche Demuth, Fürstin, sie sehn ihren eigenen Unwerth ein.“ „Was ist das grausam, den zu beschwören, der in dem Jenseits keine Ruhestätte gefunden hat! — Hören Sie den dumpfen Ton! Jetzt öffnet man.“ „Und sein Geist steigt ihnen aus der Versenkung entgegen.“ „Sprechen Sie nicht so.“ „Ich möchte wohl wissen, wie der Geist eines Atheisten aussieht.“ „Sahn Sie nie Geister —“ „Man sieht sie nur, wenn man sie citirt; und was unnöthig ist, muß ein Vernünftiger nie thun.“ „Geister erscheinen auch ungerufen.“ „Dann wirft man sie zur Thür hinaus.“ „Die Todtenhand, die auf eine lebendige Brust hämmert, sollte doch überall Einlaß finden.“ „Je nachdem die Brust beschaffen ist.“ „Wandel, ich möchte Sie einem Geist gegenüber sehen.“ „Sie würden keine Veränderung an mir be¬ merken.“ „Sie sahen schon Geister! — rief die Fürstin auf, und ihr Auge glänzte ihn an. Ja, Sie Unbe¬ weglicher, es zückte etwas um Ihr Auge, was ich noch nicht kenne. Sie haben Geister der Todten ge¬ sehen, und vor ihnen gezittert. Sie zittern jetzt —“ „Vor dem Zugwind, sprach er, sich in den Mantel hüllend. — Nun, und wenn ich sie sah, meine Gnädigste, so lernte ich ihnen ins Gesicht sehn, wie ein Mann den erschaffenen Dingen muß, und sie hielten meinen Blick nicht aus, so wenig als der festeste Stoff meine Säuren und den Aether, in dem ich ihn verbrenne. Wenn sie weinten, lachte ich sie an, wenn sie klagten, drohte ich — sie hieltens nicht aus, ich blieb Sieger, und sie sind verschwunden. Meine Gnädige, vor dem Willen verflüchtigt sich der Diamant; wenn die Dinge, die wir Wesen nennen, uns nicht widerstehen, warum die wesenlosen.“ „Kommen Sie, sagte die Fürstin. Der Küster giebt uns das Zeichen.“ Vielleicht sah sie den Küster nicht, aber sie sah Geister. Der Mond warf, zwischen den Wolken vor¬ tretend, ein Streiflicht auf die Stirn ihres Beglei¬ ters, sie konnte den Anblick heut nicht ertragen. Was mußte er sie noch bitten, sich nicht zu beeilen: der Mann, der ihnen für ein ansehnliches Geschenk einen Platz unter dem Siegel der Verschwiegenheit versprochen, werde noch vielen andern dasselbe Siegel aufgedrückt haben: „Und mancher wird die Komödie für acht Groschen sehen.“ Sie waren an die kleine Thür gelangt, welche eine unsichtbare Hand vorsichtig öffnete, um sie ein¬ zulassen. „Sie nicht! rief sie, als er sie hinein führen wollte. Sie gehören nicht hier hinein.“ „Es ist ja nur eine protestantische Kirche,“ flüsterte er ihr ins Ohr. Sie streckte die Hand abwehrend gegen ihn: „Doch — Sie stören mich. — Folgen Sie mir nicht, ich verbiete es Ihnen, Herr von Wandel. Wer nur eine Komödie sehen will, gehört hier nicht hinein.“ „So werde ich Erlaucht wieder an der Thür erwarten.“ „Reisen Sie nach Berlin.“ „Sie können doch nicht allein zurück. Wer weiß ob die Scene Sie nicht afficirt. Soll ich Ihren Jäger mit der Kammerfrau herbestellen?“ Sie schüttelte den Kopf: „Es giebt Momente, wo man das Bedürfniß fühlt allein zu sein.“ Der Legationsrath schien die Frage auch an sich zu stellen, als er draußen mit gekreuzten Armen eine Weile stehen blieb, die Augen in das zerrissene Ge¬ wölk gerichtet. Er hatte sich oft Mühe gegeben, un verwandten Blickes in die Sonne zu sehen, jetzt ver¬ droß es ihn, daß er nicht mal ohne Augenblinken den Mondenstrahl ertragen konnte, so oft er plötzlich aus den Wolken trat, die an ihm vorüber rollten: „Selt¬ sam! Es liegt nur in den Augennerven, in der schwachen Wurzelconstruction der Wimpern. Wenn man sie von Draht machen könnte, müßte man auch dem glühenden Feuerball ins Gesicht sehen. Und diese Frau —“ ein heiseres Gelächter machte sich Luft — „sie spielt mit ihren Illusionen wie der Taschenspieler mit seinen Karten und doch — in der unbewachten Stunde zittert sie als Sklavin vor dem selbst beschworenen Gespenst! Vielleicht des Weibes Natur, sie kann nicht immer wachen. Aber der Mann — ?“ Die Thurmuhr präludirte und die Glocken huben ihr: Ueb immer Treu und Redlichkeit! an. „O süßer Leierkasten, der durch die Welt geht, und uns das Spiel mit den Narren und Phantasten um so vieles erleichtert!“ sprach er, sich langsam fortbewegend. Er lächelte, als aus der Kirche die Orgel mit leisen Schlägen einen alten Choral anhub. Der Orgelspieler war nicht sichtbar, auch die Fackeln, von denen vorhin Erwähnung geschah, brannten nicht officiell, man suchte sie hinter den Pfeilern zu verbergen, gleich wie die Zuschauer, in Mänteln und unscheinbaren Pelzen verhüllt, ein dop¬ peltes Incognito zu bewahren suchten. Unter den Män¬ teln war mancher Stern verborgen, manches Herz pochte hörbar, und das Auge, auf dem Du sonst nur Flattersinn und eitle Lust spielen sahst, durchzuckte hier ein banger Ernst. Die Orgeltöne schienen in der dunkeln Kirche mehr die Stille symbolisch an¬ zudeuten, als daß sie dieselbe unterbrachen. Es war lautlos, ein verhaltener Athem. So war es möglich, daß man jetzt ein Geräusch zu hören glaubte, was man sonst nicht gehört hätte. Es war nicht sein Geist, der durch die Räume schritt, in denen er nie geweilt, sonst würden sie nicht die Köpfe vorgesteckt, nicht sich gebückt und die Hände ans Ohr gelegt haben, um besser zu horchen. „Sie weint,“ flüstert eine Stimme dem Nachbarn zu; „Sie umarmen sich,“ eine andere. Bald ward die feier¬ liche Stille durch das Knarren der Thür unterbrochen; die Gestalten der Neugierigen drückten sich tiefer in den Schatten der Mauervorsprünge. Der Fackelschein ward jetzt officiell. Die Königin und der Kaiser wurden zuerst sichtbar; der König folgte. Louise schien erschöpft, sie drückte jetzt das Taschentuch ans Gesicht. Aber nur einen Moment; dann warf sie einen forschenden Blick auf den ernsten Gatten. Es mußte ein Ernst sein, der ihre Hoffnung stählte. Sie lehnte sich an seine Brust, um sich doch ebenso schnell wieder auf¬ zuraffen. Alexander und der König reichten sich die Hand. Es war ein wichtiger, bedeutungsvoller Hand¬ schlag. Aus der dunklen Stille kam ein Laut, wie der Hauch unsichtbarer Geister; ein Hauch der Verwunderung, Freude, Beistimmuug , wofür jede Sprache zu rauh ist, ihm Ausdruck zu geben. Mit königlicher Würde schaute Louise umher, nicht forschend, nicht misbilligend. Ihr Blick galt den Geistern, welche die Sprache dieses Auges, das selige Lächeln verstanden. Dann reichte sie Alexander wieder rasch den Arm und die drei verließen die Kirche. Als die Wagenthür zuschlug, die Räder auf dem Pflaster rollten, schienen die gebannten kleineren Geister aus ihrer Erstarrung aufzuleben. Sporen klirrten, scharfe Tritte dröhnten auf den Fliesen, Töne, wie wenn das Eis bricht; das Blei auf der Brust war ja gebrochen! Kein Ceremoniell mehr, man schloß sich in die Arme, auch solche, die nicht als Freunde bekannt waren. „Der Bund ist besiegelt.“ Viel mehr Worte hörte man nicht. Es war ein Augenblick nicht zum Sprechen, nur zum Fühlen. An der Thür wurden zwei Militairs zusammen gedrängt, die sich im Leben nicht gern, wie man sagte, begegneten. Sie sahen sich an, und unter ihren ergrauenden Haaren funkelten die Augen sich entgegen; sie drückten sich die Hand. Worte wechselten auch sie nicht. Der eine, aus dessen Mantel eine Husarenuniform zum Vorschein kam, hielt aber beim Hinausgehen unsern Bekannten, den Major Eisen¬ hauch, am Kragen zurück. „Na nu, was sagen Sie, Major?“ „Blücher und Rüchel Hand in Hand, ein gutes Prognosticon. So das gesammte Vaterland, und wir sind am Ziel.“ „Larifari!“ sagte der General. „Vorwärts, eh er sich anders besinnt, das allein thut's. Nur keine stättigen Pferde hinter uns. „Im Volk —“ „Sind viele Esel.“ „Aber das Roß, wenn die Trompete schmettert —“ „Pfeffer mank die Kerben! sagte der General ihm ins Ohr. Daß es sich bäumt, dafür sorgt Ihr; fürs Reiten, dafür sorgen wir, haben Sie mich verstanden?“ Die Kirche war ziemlich geräumt. Nur hinter dem Eingang stand noch eine Gruppe, zwei in Ueberröcke verhüllt, und am äußersten andern Ende kniete eine weibliche Gestalt. Die beiden, durch hohe Halsbinden gegen die Kühlung bis zur Unkennt¬ lichkeit maskirt, schienen die Hinausgehenden die Revue passiren zu lassen. „Ist das nicht Comteß Laura, Vicomte?“ sagte der größere und ältere auf französisch zum jüngeren, nach der knienden Dame lorgnirend, die von ihrer Enveloppe und dem Schleier unförmlich umwallt war. Der Vicomte hatte sich schon auf den Zehen gehoben: „Pardon, Monsieur, Comtesse Laura hat noch zu viele Stationen bis zur Betschwester.“ Die verhüllte Gestalt, aus ihrer Andacht viel¬ leicht durch die Stille aufgeschreckt, erhob sich und rauschte an ihnen mit elastischen Schritten vorüber. Sie hatte die beiden nicht gesehen, diese aber sie trotz der Schleier. „Madame la Princesse!“ rief der Attach é verwundert. „Ihre Sünden müssen sie sehr drücken, sprach der Gesandte, daß sie es nicht verschmäht hat, in einer lutherischen Kirche zu beten.“ „Und gang allein! replicirte der Vicomte. Sie nimmt gern einen andern mit ins Gebet.“ „Disparaissez!“ rief Laforest und winkte ihm, indem er der Dame nacheilte. Der Vicomte ging lächelnd seiner Wege: „Er will sie nicht allein gehen lassen! Monsieur Laforest, man muß es ihm gestehen, übt die Humanität bis zur Outrage. Die Petarde, die ihn in die Luft sprengen soll, in der Tasche, schützt er die Lunte, die sie entzündet, daß der Wind sie nicht ausbläst.“ Wirklich sehen wir auf der Straße den officiellen Minister des Kaisers der Franzosen der nicht officiellen Agentin des Kaisers aller Reußen den Arm anbieten, um sie in ihr Hotel zu geleiten! und sie reicht ihn ihm, nach einem momentanen Zaudern, rasch hin. „Stumm wie die Nacht und bewegt wie die schöne Seele einer Deutschen,“ sagte der Franzose zu seiner schweigenden Begleiterin. „Sagen Sie lieber, Haß und Grimm im Herzen und am Arm des verhaßten Feindes durchs Leben gehen müssen!“ „O wäre ich so glücklich, eine solche Feindin durchs Leben führen zu können.“ „Wer denkt an uns!“ „Ich sehr stark an mich.“ „Das lügen Sie vor sich selbst. Unsere Aufgabe ist's, uns immer selbst belügen, täuschen, unsere glühendsten Gefühle mit einer Eiskruste umgeben, und wenn wir vor Frost zittern wie der Frühling lächeln, in Flitterstaat glänzen, und vom Gefühle unserer Sünde zerknirscht in Selbstzufriedenheit strahlen! Alles für Andere, uns selbst, unser Glück, unsere Buße und Hoffnung hinzuopfern für ein anderes Wesen, einen Begriff, von dem man eigent¬ lich nicht weiß, was er ist. Ins Reich der Seligen kommt der Staat doch nicht.“ „Ich glaube kaum daß ein Platz für ihn da ist: weder unter den Gerechtfertigten, noch unter den Sündern.“ „Und doch Diplomat!“ „Weil er sich selbst ganz verleugnen muß, sollte ja das die himmlischen Thore ihm vor Allen öffnen.“ „Vielleicht, wenn — Excellenz, hat Sie nie das Gefühl durchzuckt, die Sehnsucht durchschauen, vernichtet zu sein, aufzugehen in ein anderes Wesen, zerstampft in Atome, die das andere Wesen ver¬ größern und verherrlichen?“ „O sehr oft, Madame, in den Armen einer liebenswürdigen Frau.“ „Haben Sie nie die Seligkeit der Begeisterung empfunden?“ „Wofür?“ „Wofür? Und Sie kommen aus einer Revolution. Die glutspritzende Lava treibt doch ungeheure Bilder in unsere Lebensnacht.“ „Prinzessin, die Lava ist schon kalt geworden.“ „Sie waren einmal Republikaner!“ „Was waren wir nicht alles! Und eben weil wir so viel gewesen sind, für so vieles geschwärmt, gerast haben, ist wirklich in uns kein Platz mehr für die Begeisterung.“ „Auch nicht für Ihren Kaiser?“ Laforest ließ eine Pause vergehen, bis er ant¬ wortete: „Auch für den nicht. Die Jugend, die Kriegslustigen, wer avanciren will, die meinenthalben. Wir andern — pausiren, wir wissen ja nicht, ob es das Letzte ist. Der einzige Erfahrungssatz, den wir nach Hause trugen aus allen Revolutionen, ist der, daß die Dinge ihren Kreislauf machen, und die höchste Weisheit für die Individuen wäre die, auszurechnen, welches Stadium eintreten wird, wenn es mit uns zu Ende geht. Wer sich darauf präparirte, stürbe glücklich.“ „Um fortgespült zu werden ins Meer der Ewig¬ keit als letzte Schaumflocke, die die Fluth der Zeit auf ihren Wellen trug.“ „Wer wird mit mehr Consistenz hineingespült!“ „Sie belügen sich wieder selbst. Warum hätten Sie sich in die Kirche gewagt, ausgesetzt der Ent¬ deckung! Wenn einer dieser Franzosenfresser Sie erkannte!“ „Habe ich etwa spionirt?“ „Nein, Sie wußten es ohnedem. Aber aus reiner Dienstpflicht hätten Sie das nicht unter¬ nommen. Es war die Abenteuerlust, der ein Motiv zum Grunde liegt, das Sie sich selbst zu verbergen suchen. Ein Wagestück für Ihren Kaiser!“ „Sahen Sie nie am Roulettisch Männer, die selbst nichts mehr zu setzen haben, mit gespannter Aufmerksamkeit das Spiel verfolgen, das sie nichts angeht? Sie pointiren im Geist, eifrig, zufrieden und entsetzt wie die andern. Das Spiel ist ihnen zur Natur geworden.“ III . 11 „Was sahen Sie in der Gruft?“ „Was ich erwartete, ein romantisches Schauspiel.“ „Das zu einem Schluß führt, der Ihnen nicht gefallen darf.“ „Welchen Schluß meinen Sie, Prinzessin? Ich sah nur einen frappanten Aktschluß. Die Zuschauer thaten mir leid, daß sie nicht klatschen durften.“ „Der Schluß des nächsten Aktes wird blutig werden.“ „Vielleicht, vielleicht auch noch nicht. Man muß den nächsten Aktaufzug abwarten.“ „Ich glaube, Sie werden ihn hier nicht ab¬ warten.“ „Das thäte mir um der Gesellschaft willen leid, die ich sehr ungern verlasse.“ „Und was ist der letzte Akt?“ „Der letzte, Prinzessin, wer sieht so weit!“ „Aber Sie sehen etwas vor sich. Sie täuschen mich nicht.“ „Ich sehe allerdings einen folgenden — einen der nicht ausbleiben wird, wenn dieser Ernst wird.“ „Aber er spielt nicht in der Potsdamer Kirche?“ „Doch — es wird auch Nacht sein, — bei Fackelschein seh ich meinen Kaiser in die geöffnete Gruft steigen; hinter ihm seine Generalität. Man wird Friedrichs Sarg öffnen, und Napoleon die Hand des Gerippes ergreifen.“ „Abscheuliche Phantasie!“ „Natürlich nichts als Phantasie! Und er wird sprechen: Großer Geist, vor mir sollst Du Ruhe haben in Deiner Gruft.“ „Napoleon ist kein Freund von Nachtstücken.“ „Je nachdem es ihm convenirt. Glauben Sie nicht, daß der Akt die Bewunderung der Deutschen für ihn erhöhen muß!“ Sie waren an die Thür des Hotels gekommen, wo die Fürsten abgestiegen. „Ich danke Ihnen für die Begleitung, sagte sie. Wir werden uns nicht wiedersehen, — wenigstens bis zu einem nächsten Aktschluß.“ „Warum?“ Er hatte sie die Stufen hinauf geführt, und drückte die nicht verschlossene Thür auf. „Sie haben Ihrem Kaiser von der heutigen Nacht zu berichten. Leben Sie wohl.“ Er drückte ihre Hand an die Lippen; sie zitterte. „Ich möchte Sie noch um einige Details bitten, die mir entgangen sind. Aber Sie stehen in der Zugluft.“ Er zog sie in den Flur, und drückte die Thüre zu. 11 * Neuntes Kapitel. Bekenntnisse schöner Seelen. Als die Fürstin in ihren dichten Zobelpelz gegen die kalte Morgenluft verhüllt, in den Wagen stieg, um in seinen weichen Polstern einer Reihe seltsamer Gedanken Audienz zu geben, war sie nicht wenig betroffen, noch Jemand darin zu finden. Es war zu spät zum Schreien; die Thür war zugeschlagen, die Jäger hatten sich aufgeschwungen und der Wagen rasselte schon über das unebene Pflaster nach dem Berliner Thor zu. Es war übrigens wohl Grund zum betroffen sein, aber nicht zum Schreck, als die weichen Hände der Baronin Eitelbach die der Fürstin erfaßten. Sie bat sie mit einer mit Thränen kämpfenden Stimme um Verzeihung wegen der Attrape, aber sie habe sie sprechen müssen, koste es was es wolle. Deshalb nach Potsdam gekommen, habe sie von Stunde zu Stunde vergebens auf den Augenblick gewartet, mit ihr allein zu sein, und endlich diese kleine List sich erlaubt, um der einzigen Frau, die Theilnahme für sie empfinde, die sie und ihre Leiden verstehe, ihr Herz auszuschütten. Die Fürstin wollte sich mit sich selbst beschäftigen, und die Leiden der Baronin waren ihr unter allen Dingen, mit denen sie sich beschäftigt, in dem Augen¬ blick die allergleichgültigsten. Das schien wenigstens der Seufzer anzudeuten, der aus ihrer Brust sich Luft machte, aber sie drückte die Freundin mit sanfter Innigkeit an diese selbe Brust: „Ach, glauben Sie mir, Leiden schickt der Him¬ mel denen, die er liebt.“ „Aber nicht solche, rief die Schluchzende, wie mir! Ach mein Gott, ich weiß ja nun alles, 's ist mir alles so klar wie was!“ „Was ist Ihnen klar, Liebe?“ „Nichts, sage ich Ihnen, wie ich Ihnen immer gesagt, als ein Mißverständniß. Mein Mops ist mir jetzt ordentlich zuwider; ich könnte ihn vergiften. Aber wer trennt sich gleich von solchem Thier! Er hat nun mal seinen Platz. 's ist die Gewohnheit, sagt mein Mann. Fanchon hat wohl recht, wenn sie singt —“ „Ich verstehe Sie nicht.“ Die Fürstin verstand sie wirklich nicht. „Ich weiß es, ich rede confus, ich verstehe mich ja selbst zuweilen nicht. Aber das mit dem Mops war so gewiß ein Irrthum, er konnte nicht davor, er wußte nicht, daß er meiner war. Es sind boshafte Menschen dazwischen, die haben ihm das arme Thier vor den Fuß geschoben; o ich weiß nicht, ich habe eine Ahnung —“ „Eine Ahnung, Baronin?“ „Aussprechen will ichs nicht, nein gewiß nicht, ich mag Niemand Unrecht thun, aber der Legations¬ rath, ich weiß nicht sein Gesicht, — zuweilen —“ „Was hat Wandel mit Ihrem Mops zu thun!“ „Glauben Sie, daß er sein Freund ist?“ „Des Mopses!“ „Nein Seiner ! Mögen Sie über mich lachen, ich fürchte, der Rittmeister ist nicht frei.“ „So viel ich mich entsinne, sagt man, er sei von seinen Gläubigern etwas genirt.“ „Ach Sie wollen mich nicht verstehen. Er ist zu arglos, gutmüthig, er hat das beste Herz von der Welt, ein Gefühl rein wie ein Kind; mein Gott, Fehler hat jeder Mensch, er hat mir nicht weh thun wollen, aber boshafte Menschen sind dazwischen ge¬ kommen.“ „Oeffnen Sie Ihr reines Herz nicht zu leicht dem Argwohn. Das ist der Wurm, der an unserm Seelenfrieden zehrt. Man täuscht sich, bei einem lebhaften Geiste, so leicht.“ „Dann ist was andres dazwischen gekommen. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich gequält habe, was ich ihm denn gethan haben könnte; Tag und Nacht ließ mir's keine Ruhe.“ „Und Sie haben sich ganz ernst gefragt?“ „Theuerste Fürstin, da blieb kein Fältchen in meiner Seele. Nein, wahr und wahrhaftig, ich that ihm nichts, ich bin unschuldig; es ist was anderes dazwischen gekommen.“ Die Fürstin war in ein Sinnen verfallen, das nicht zu der Art Theilnahme stimmte, welche sie der schönen Frau bisher angedeihen ließ. Sie hatte sich wieder mit sich selbst beschäftigt. So paßte auch ihre Entgegnung nicht ganz zu dem eben Gesagten: „Das ist der Kobold, meine Freundin, der uns alle neckt: es kommt uns allen, bei unsern besten Entschlüssen, unsern edelsten Bestrebungen, etwas da¬ zwischen, worauf wir nicht gerechnet. Da glaubten wir, mit Jahre langen Mühen, mit gesparter Kraft die Hindernisse beseitigt, wir eilten schon mit offenen Armen dem Ziele entgegen, und plötzlich straucheln wir — Gott weiß woran, wir wissen es selbst nicht, an einem Ball, den eine Kinderhand uns zwischen die Füße warf, am Reflex einer Scheibe, und wir glauben eine Mauer, einen Abgrund vor uns zu sehen. Wir müssen über uns lachen, wir ärgern, schämen uns, daß es so sein konnte, aber es ist so, und wir sind vom Ziele ab, wir müssen von neuem anfangen. Die Menschen nennen es Zufall. Nein, meine Freundin, es ist der ewige Dämon, der uns von der Wiege an belauscht bis ans Grab, um, wenn wir schwach werden, uns zu fassen. Dagegen können wir auch nichts, gar nichts. Es ist vielleicht ver¬ messen ihm absolut widerstehn zu wollen, denn mit unsrer Kraft ists nicht gethan. Besser geschehen lassen was wir nicht ändern, und dann desto herzlicher bitten, daß der rechte Helfer bald erscheint, der uns wieder aufhebt.“ Die Baronin hatte in ihrer Gemüthsbewegung nur etwas von dem Monologe aufgefaßt, und es war das, was zu dieser paßte. „Lachen Sie mich aus, aber ich kann nicht da¬ für. Ich habe auch zum lieben Gott gebetet, daß er mir einen Freund schicken möchte, der mir hilft.“ „Sie haben doch so viele, meine Beste!“ „Nein, keinen wo ich Rath holen wollte. Da —“ „Erschien er plötzlich, wo Sie ihn nicht ver¬ muthet.“ „Wenn ich die Augen schließe, und lange da sitze, sehe ich ihn deutlich vor mir, als wenn er leibte und lebte, nein noch deutlicher. Ich zähle die Knöpfe an seiner Uniform. Ich sehe ihn, wenn er den Fi¬ dibus anzündet, wenn er sich aufs Sopha wirft, das Bein auf den Stuhl legt, wenn er gähnt und seufzt und mit der Hand übers Gesicht fährt.“ „Das sind ja interessante Visionen! Aber er¬ lauben Sie mir es zu sagen, diese Wahrnehmungen können doch zuweilen sehr unangenehm werden, wenn eine zarte Frau in die Gar ç onwirthschaft einer Ka¬ serne blickt, und alles das sieht. Es soll da nicht sehr sauber hergehn.“ „Sein Herz ist rein, seine Seele ein Spiegel. Ich kann ohne Erröthen hinein blicken. Was küm¬ mern mich die Aeußerlichkeiten! Er hat in seiner Kaserne keine weibliche Pflege. Da hängt manches am unrechten Ort und geschieht nicht wie es sollte. Er fühlt es wohl, kann sich aber nicht klar darüber machen. Er fühlt, er muß sich herausreißen, weil er sonst unterginge.“ „Das wissen Sie alles?“ rief die Fürstin über die neue Clairvoyance verwundert. Es ging ihr wie der Lupinus: die Eigenschaft, die sie für sich liebte, ward ihr bei andern unbequem. „Ich weiß noch mehr. Ja, er ist — er hat Vertrauen zu mir — er wollte sich mit mir verstän¬ digen — er hat wie ich das Bedürfniß gefühlt das unselige Mißverständniß aufzuklären, er hatte einen männlichen Entschluß gefaßt; mit einem Wort, theuerste Freundin, er wollte an jenem Nachmittage zu mir, weil er es nicht länger in der Ungewißheit aushalten konnte, und da —“ „Kam etwas dazwischen; jetzt verstehe ich Sie! Aber dann läßt sich ja der Schade leicht wieder gut machen.“ „Sieht er mir denn ins Herz!“ rief die Ba¬ ronin. „Man kann ihn langsam sondiren —“ „Langsam! Und es geht los! Er muß mit!“ Sie sah die Fürstin mit stieren Augen an, und jetzt brach das lang Verhaltene unwiderstehlich heraus: „Langsam! und Sie waren zugegen, wo sie den Krieg beschlossen haben. Weiß ich, ob er noch in Berlin ist, wenn wir ankommen? Es sind Couriere mit neuen Marschordres schon diese Nacht abgegangen. Und er geht ohne zu wissen, was mich quält. Nein, er geht mit dem Gedanken, daß ich ihn verspottet. Die erste Kugel kann ihn treffen, und — und in das Jenseits ist er, und weiß nicht —“ „Daß Sie ihn lieben! — Meine theuerste Ba¬ ronin, wenn wir das nur geahnet hätten! Man hielt es für eine flüchtige Passion. Wie hier die Welt ist!“ „Ja diese schlechte Welt kenne ich. Glauben Sie nicht, daß ich mehr weiß? Man hat mit uns ein grausames Spiel getrieben. Man amüsirte sich, mich aufzuziehen, weil er mir damals unausstehlich war. Sie antworteten, ich war ja auch ihm zuwider! Das war recht von ihm. Wie sollte er eine Frau achten, so empfindlich um eitle Thorheiten. Er ist ein Deutscher Ehrenmann, wie die Ritter in alter Zeit müssen gewesen sein. Gnädigste Frau, Sie kennen dieses Gemüth nicht. Mit seinem ruhigen Auge hatte er meine wahren Gefühle erkannt, und das war es, was seinen Sinn änderte. Er sah mich an mit, nen¬ nen Sie's wie Sie wollen, Aufmerksamkeit, Theil¬ nahme, meinethalben Bedauern, Mitleid; seine Blicke verfolgten mich nun, er wollte mich prüfen, und im Augenblick, wo das Licht der Wahrheit durchschlug —“ Die Fürstin wußte in dem Augenblick nichts passenderes zu thun, als daß sie die Baronin an die Brust schloß. Die Baronin interessirte sie sehr wenig, ihr Liebesschmerz noch weniger, am wenigsten aber der Rittmeister, dessen Lob eben beginnen sollte. Durch das improvisirte Embrassement verbarg sie außerdem die Thräne des Mitgefühls, die in ihrem Auge nicht da war, und ersparte sich eine Antwort, die ihr in dem Augenblick nicht convenirte. Sie saßen eine Weile in schweigender Rührung. Bei der Baronin bedürfte es nur des Antippens mit dem Finger, und ihre Bekenntnisse, lange noch nicht erschöpft, brachen von neuem heraus. Dies besorgte die Fürstin, sie schien nur deshalb auf eine Wendung des Gespräches nachzusinnen, welche diesen Ausbruch verhinderte; weil sie aber nur zu gut wußte, wie Gefühle der Art einem Raume mit brennbarem Aether gleichen, wo man kein Licht einbringen darf, da¬ mit nicht alles in Flammen stehe, so schwieg sie lieber ganz. Sie fühlte sich, indeß auch nicht vollkommen sicher auf dem Terrain, denn sie war überrascht, nicht sowohl über die Macht der Leidenschaft, welche die für kalt gehaltene Frau aufregte, als über das Be¬ wußtsein und die Seele, mit welcher sie das Gefühlte aussprach. Wo Diplomaten Bewußtsein und Seele merken, werden sie unsicher, und tappen umher, bis sie mit ihren Fühlfäden die Schwäche entdeckt haben, mittelst deren sie den Gegenstand, der sich ihnen entziehen will, wieder in ihr Netz ziehen. Die Fürstin hatte wenigstens eine unverfängliche Wendung gefunden, als sie, wie aus tiefem Nach¬ sinnen aufseufzend, den Blick gen Himmel, rief: „Und der Krieg ist es, der meine Freundin so erschreckt! Was ist der Krieg anders, als ein Ge¬ witter, das die schwüle Luft reinigt.“ „Mit Menschenblut! Und darunter die Besten. Die Kugel wählt nicht die Schlechten.“ „Wenn nun in der Natur ein solches ver¬ borgenes, furchtbares Gesetz bestünde, das Menschen¬ blut fordert!“ fuhr die Fürstin fort, die sichtlich in ein neues Gedankengewebe sich hinein spann oder zu einem Phantasienflug erhob, der über die Fassungskraft ihrer Gesellschafterin hinaus ging. Sie wollte, obgleich die Wahrnehmung sie interessirte, daß die Leidenschaft auch eine Eitelbach weit über sich erhoben hatte, sich selbst in eine Sphäre erheben, wo jene ihr nicht folgen konnte. „Ja, es existirt dieses Gesetz! Und der Soldaten¬ stand ist der geehrteste, weil er auf diesem großen Gesetz der geistigen Welt beruht. Warum heißt Gott in der Bibel der Herr der Heerschaaren! Es ist das nicht ohne tiefen Grund. Wie herrscht in dem weiten Reiche der lebendigen Natur eine, wir können sagen, gesetzliche Wuth aller Wesen gegen einander! Es giebt keinen Moment in der Zeit, meine Freundin, wo nicht ein lebendes Wesen von einem anderen verzehrt wird. Der Mensch aber ist unter diesen zahllosen Arten von Würgethieren die allerfurcht¬ barste. Er tödtet um zu essen, um sich zu kleiden, sich zu schmücken, ja aus Vergnügen, er tödtet um zu tödten. Der Mensch, dieser entsetzliche Herrscher der Natur, will alles an sich reißen, vom Lamme seine Eingeweide, um eine Harfe widertönen zu lassen, vom Wallfisch seine Barten, um das Mieder des jungen Mädchens zu halten; seine Tafeln sind bedeckt mit Cadavern. Ja, dem Menschen ist in dem unerforsch¬ lichen Rathschluß des Ewigen das Amt gegeben, den Menschen zu erwürgen, und der Krieg ists, der den Spruch erfüllt. Die Erde selbst schreit nach Blut. Das der Thiere genügt ihr nicht, auch nicht das der Schuldigen, das durch das Schwert des Gesetzes vergossen wird. Sie will mehr Blut, reineres. Der Mensch, von einer göttlichen Wuth ergriffen, an der Haß und Zorn keinen Theil haben, rückt ins Schlachtfeld und thut mit Begeisterung, wovor er schaudert. In Erfüllung des großen Gesetzes, das gewaltsame Zerstörung unter den lebenden Wesen fordert, ist die ganze Erde, fortwährend von Blut getränkt, nur ein ungeheurer Altar, auf dem alles geopfert werden muß ohne Ende. Ja, meine Theure, zweifeln Sie daran, wenn Sie die Weltgeschichte durchblättern, wenn Sie die rothen Schlachtfelder überblicken, mit denen der gekrönte Korse die Länder füllt, daß der Würgeengel sie umkreist wie die Sonne, und eine Nation nur aufkommen läßt, um andere zu schlagen! Wenn die Verbrechen sich gehäuft über das Maaß, dann verfolgt mit Hast der Engel, ohne Maaß zu kennen, seinen unermüdlichen Flug. Die sicht- und greifbaren Anlässe erklären den Krieg nicht; jeder kennt ja das Uebel; wenn sie wollten, könnten sie ihm ja leicht vorbeugen. Aber es ist der Durst dieser großen Sünder nach der Strafe, von der sie fühlen, daß sie sie verdienet, sie stürzen darnach, wie die Hirsche zum Quell, um dadurch gesühnt zu werden. Sehen Sie, Theuerste, wenn wir ihn so betrachten, müssen auch die Schrecken des Krieges geringer werden; ja wenn wir uns versenken in den berauschenden Gedanken, daß Er es ist, der von dem sündigen Menschengeschlecht im Augenblick seiner höchsten Noth gerufen, in seiner Donnerwolke eintritt, um die Ungerechtigkeit, welche die Kinder dieser Welt gegen ihn begingen, zu strafen und vernichten, dann wird der Krieg selbst in unsern Augen zu etwas Göttlichem und seine Schrecken schwinden vor dem geängsteten Gemüthe.“ Wir wissen, daß dies nicht die eigenen An¬ sichten der Fürstin Gargazin waren, sondern daß sie dieselben in Petersburg aus dem Munde eines französischen Fanatikers vernommen hatte, der, damals noch wenig beachtet, später aber von so unheilvollem Einfluß ward, noch heute dauernd, aber noch heute zweifelhaft, ob von schlimmerem auf die Völker oder die Fürsten, indem er ihr Thema, die Erblichkeit der Rechte, auf keinen festern Grund zu bauen wußte als auf die Erbsünde der Menschen! Auch die Baronin wußte es nicht, es war ihr auch sehr gleichgültig. Mit der Erde, der Menschheit und ihrer Sündhaftigkeit im Allgemeinen hatte sie nichts zu schaffen, und gewiß auch keine Widerrede dagegen, wenn diese nur durch einen Krieg gesühnt werden könnte. Nur sollte der Rittmeister davon aus¬ genommen sein, denn sie hätte einen Eid darauf abge¬ legt, daß er keine Strafe des Weltgerichts verdiente. Aber indem sie mehr auf die Musik als den Inhalt der Rede gehört, waren doch einzelne Töne in ihre Seele gedrungen, die sie jetzt nachdenklich machten. Sie saß in die Wagenecke zurückgelehnt und klärte vergeblich mit ihrem Taschentuch die Fensterscheibe vom warmen Hauch, der sie immer wieder von neuem beschlug. Die Fürstin meinte, sie wollte ihre Thränen vor ihr verbergen, aber die Baronin suchte nach einem Licht. Von draußen kam es nicht. Es war das bleierne Grau des Novembermorgens, das unerquicklich durch die Kiefern schien. Die Fürstin hatte erreicht was sie vorhin wollte, sie hatte die Baronin zum Schweigen ge¬ bracht; aber die stumme Sprache der Seufzer ward ihr noch peinlicher als die vehementen Liebesklagen, von denen sie sich debarrassirt. Sie drückte sanft die Hand ihrer Begleiterin, sie bedauerte, wenn ihre Phantasieen einen zu tiefen Eindruck auf ihr Gemüth gemacht, auch sei der Krieg ja noch nicht bestimmt erklärt, und wenn er ausbreche, wache ein Auge dort oben über alle, und wisse die Schuldigen von den Unschuldigen zu unterscheiden. „Nur die Schuldigen trifft sein Zorn! Er richtet nicht wie ein menschlicher Richter, der nur auf die offenkundigen Thaten sieht, er prüft die Nieren und sieht das Herz. Mancher, der uns als großer Sünder erscheint, geht vor ihm frei aus, weil sein Herz rein geblieben, nur die Gewalt der Umstände ihn zur That trieb. Dagegen wie man¬ cher, der nichts gethan, was die Sinne fassen, ist schon verdammt, weil er in der Stille seinen sündhaften Regungen nachging, weil er in Gedanken gegen Got¬ tes Gesetze sündigte. Wie leicht lullen wir uns in süße Verstellung ein, es sei nicht schlimm was wir denken; wir lügen uns edle Absichten vor, oder glau¬ ben, es sind ja nur Phantasieen, und wenn es zur Ausführung kommt, so würden wir stark sein und ihnen widerstehen. Ach, meine Liebe, wir sind nicht stark, und Gedankensünden sind oft die schwersten, die wir begehen können.“ Die Fürstin mußte heute selbst so von ihren eigenen Gedanken bedrängt und verwirrt sein, daß ihre diplomatische Kunst sie in dem, was sie laut sprach, zu verlassen schien. Sie hatte nichts von dem neuen peinlichen Eindruck gemerkt, den diese Tröstung auf die Baronin hervorgebracht, die plötzlich sich auf den Boden des Wagens niedersenkte, und die Knie der Fürstin umfaßte: „Ach, ich verstehe Sie, schluchzte die schöne Frau, aber — ich konnte nicht anders.“ „Meine Liebe, Gute, beruhigen Sie sich, sprach die Fürstin, die eine neue Specialbeichte fürchtete, und nichts weniger als Lust hatte, den Beichtvater abzu¬ geben. In solchen großen Welt-Katastrophen hat das Auge droben weniger Acht — ich wollte sagen, es sieht milde und gnädig auf die kleinen Vergehungen herab.“ „Ja, ich liebe ihn, rief die Baronin, und ich bin ja eine verheirathete Frau.“ Also das war es. Mild lächelnd blickte die Fürstin auf die Sünderin herab, und fuhr mit den weichen Fingern über ihre Stirn: „Erinnern Sie sich, wie der verlorne Sohn auf¬ genommen ward!“ „Ich kann ihn doch jetzt nicht verlassen — wenn ich jetzt zurückkehre, raube ich ihm seinen Glauben —“ „An Ihre Liebe. Das ist sehr wahr. Der ver¬ lorne Sohn kehrte auch nicht auf den ersten Anfall von Reue zurück. Würde er so im Hause des Vaters empfangen sein! Er mußte eine furchtbare Schule der Sünde durchmachen, um der Gnade werth zu sein. Wäre er in sich gegangen nach einer leichten Verirrung, und hätte er sich etwa nach einem Trink¬ gelag, einem Verlust im Spiel, einer wüsten Nacht, reuig dem Vater zu Füßen geworfen, es wäre gewiß sehr hübsch und moralisch, aber der Vater, wenn er ein vernünftiger Mann war, hätte ihn aufgehoben und auf die Schulter geklopft und gesprochen: Nun das freut mich, daß Du es selbst einsiehst, künftig wirst Du Dich davor hüten, aber nun mache kein Aufheben davon, daß Du nicht ins Gerede kommst; sei ganz wie vorher, ich werde gegen Dich auch wie immer sein. O meine Freundin, wo blieb da die Seligkeit, die den Sohn, den Vater, das ganze Haus, die Nachbarschaft, erfüllte, jene Seligkeit, um die es sich lohnt gelebt, so viel Qualen ausgestanden III . 12 zu haben! Wie er dalag auf der Schwelle, zerknirscht, gebrochen an Leib und Seele, und nun zückte das Gnadenwort des Vaters wie ein Sonnenstrahl nach langen grauen Tagen, der Himmel that sich auf in seiner Herrlichkeit, als die Arme des Vaters sich öffneten ihn zu umschließen. Er ward ein neuer Mensch, er gesundete an Leib und Seele, alle Welt wußte es, alle Welt freute sich mit ihm und das große Geheimniß der Liebe ward Himmel und Erde offenkundig!“ Es klang wunderschön, die Baronin wußte aber doch nicht, was sie damit machen sollte: „Wenn ich nur wüßte —“ „Weiß Ihr lieber Mann darum?“ fiel die Fürstin ein. „Ach der! — Er würde sich halb todt lachen, wenn er alles wüßte. Es hat ihm schon Spaß ge¬ macht, daß er mich necken konnte.“ „Wenn aber aus dem Spaß doch Ernst würde? Wenn er in eifersüchtiger Laune — es könnte eine unangenehme Scene — eine Scheidungsklage —“ „Ach, da hat er schon eine andre.“ „Die Spanische Tänzerin soll ihm viel Geld kosten.“ „Das meinen Sie! Nein, ich meine die Braun¬ biegler.“ „Die reiche corpulente Wittwe, mit den Edel¬ steinen und Ketten um den Hals! Die muß ja eine fünfzigerin sein!“ „Sie ist ja die Wittwe seines Compagnons — hunderttausend Thaler baar außer dem halben Ge¬ schäft! Wäre Herr Braunbiegler vor acht Jahren ge¬ storben, hätte er mich gar nicht geheirathet, das sagt er mir und jedem tausend Mal. Er hätte das Ge¬ schäft in einer Hand und die Tuchlieferung fürs Militair allein.“ Ein Lächeln schwebte über das Gesicht der Für¬ stin: „So denken die Männer, und von uns fordern sie Hingebung und Treue! — Was ich sagen wollte, es kommt Ihnen also jetzt alles darauf an, den guten Rittmeister von seinem Irrthum zu curiren. Wie wäre es denn — es ist nur ein Einfall — Sie glauben nicht, daß er sich noch einmal auf den Weg macht?“ „Mein Gott, er muß ja ausmarschiren. Das ists ja.“ „Richtig! Wir wäre es denn, wenn Sie sich auf den Weg machten! Ich meine, wenn Sie ihm entgegenkämen, natürlich in allen Ehren. Sie könnten ihn zu sich rufen lassen; das möchte aber falsch aus¬ gelegt werden, und vielleicht käme er auch nicht. Sie müßten etwas recht eclatantes thun, das eblouirt die Männer. Ich hoffe Sie verstehn mich nicht falsch. Wenn Sie ihn in der Caserne aufsuchten, ich meine nicht heimlich, sondern in Ihrer Equipage, den Be¬ dienten hinter sich, die Welt würde das freilich nicht gut heißen —“ „Sie meinten also — ?“ 12* „Ich meine gar nichts, aber wenn Sie einen solchen Schritt sich durchaus nicht ausreden ließen, wenn Sie sich kühn über das Urtheil der Menge wegsetzten, welche die Impulse edler Seelen nie be¬ greift, — ich stelle mir nur eben den magischen Ein¬ druck vor, den dieser heroische Entschluß auf unsern Freund hervorbringen müßte.“ „Ich sollte also direct zu ihm in die Caserne —“ „Um Himmels Willen, Liebste, Beste, verstehn Sie mich nicht falsch. Ich meine nur, bei dem all¬ gemeinen patriotischen Aufschwung, der gerade von den Frauen getragen wird, sinken die gewöhnlichen Schranken. Die Schwester eilt zum Bruder, die Braut zum Bräutigam, man möchte den theuren Scheiden¬ den die letzten Stunden durch verdoppelte Aufmerk¬ samkeit versüßen, man windet ihnen Kränze zum Abschied, und in den Epheu und das Immergrün möchte man schon Lorbeern flechten. Finden Sie das unnatürlich?“ Wenn die Fürstin sich hätte Rechenschaft geben sollen, welches Motiv sie antrieb, würde sie gestockt haben. Herrschsüchtige strengen oft die halbe Kraft an, den Schein hervorzubringen, daß sie nicht be¬ herrschen wollen; Geistvolle, wenn sie von andern in ihren Gedankencombinationen gestört werden, wehren sich die Störung durch lebhaftes Reden ab. Diese äußerste Anstrengung sich nicht zu verrathen, verräth freilich den Schuldigen nur zu oft, es bedarf dazu aber anderer Richter, als Zuhörer, die von ihren eigenen Gedanken absorbirt sind. Die Fürstin wollte von der Baronin loskommen, aber in jeder Wendung, welche sie dem Gespräche gab, verstrickte sie sich aufs neue. Die Intrigue, zu der sie sich aus Gefälligkeit herbeigelassen, war ihr gleichgültig; selbst das Ver¬ gnügen, Eroberungen zu machen, erkaltet, je unbe¬ deutender die Personen, die wir zu erobern ausgingen, im Verlauf der Arbeit uns erscheinen; und wenn sie aus Noth wieder ins Rad dieser Intrigue griff, ge¬ schah es nur aus Rücksicht für Freunde, die ein Diplomat immer abschütteln darf sobald das Interesse es fordert, niemals aber aus Laune. Sie wollte wenigstens das Spiel derselben nicht verderben, darum ein Rathschlag, bei dem ihre Freunde Zeit gewannen, nach ihrem Gutdünken zu handeln. Aber die Fürstin hatte heut Unglück. Der Funke, den sie geschlagen, hatte in der Baronin gezündet. Sie strich über die Stirn und machte Miene aufzu¬ stehn: „Ja Sie haben wieder recht. So muß es sein, ich bin's ihm schuldig. Wenn nur nicht wieder etwas dazwischen kommt!“ Ach wenn doch etwas dazwischen käme! dachte die Fürstin, und der Himmel erbarmte sich ihrer. Ein hefti¬ ger Krach, ein prasselndes Knallen, und der Wagen senkte sich. Im nächsten Augenblick waren die Damen unsanft auf die Seite geschleudert und lagen in der umge¬ stürzten Kutsche, deren Fenster klirrend in Stücke sprangen. Der Kutscher hatte nicht schnell genug einem hinter ihm in Sturmeseil heranpreschenden Sechs¬ spänner ausweichen können. Das Hinterrad des Wagens war vom Vorderrade des nach ihm kom¬ menden erfaßt worden, das Terrain war abschüssig und der Wagen der Fürstin, weiter in die Richtung rollend, gestürzt. Wenigstens ein Rad war ge¬ brochen. Aus der Kutsche des Sechsspänners ertönte ein donnerndes: Halt! Ein Cavalier sprang noch im Fahren heraus, und ehe die Lakaien sich von ihren Sitzen gearbeitet. „Es ist Frauengeschrei!“ sagte ein heranspringender Reiter, der zum Wagen gehörte. „Um so unverzeihlicher!“ rief der Cavalier, und schien zu fordern, daß auch der Begleiter vom Pferde springe, während er selbst, der erste, sich an der umgestürzten Kutsche beschäftigte den obern Schlag zu öffnen. „Sie sind doch nicht verwundet?“ rief die Eitel¬ bach zur Fürstin, die unter ihr lag. „Ich glaube nicht. Man öffnet. Machen Sie Luft.“ Die Eitelbach war rasch zur Hand. Sie erfaßte eine andre Hand, welche sich ihr aus dem geöffneten Schlage entgegenstreckte. Als sie sich hinaufgeschwun¬ gen, umfaßte sie der kräftige Arm des Cavaliers und hob und senkte sie mit einem glücklichen Schwunge auf die Erde. Im nächsten Moment übte der Be¬ gleiter, der rasch aus dem Sattel geglitten, denselben Ritterdienst an der Fürstin. Der Zobelpelz, den sie der empfindlichen Morgenkühlung willen, nicht zurück¬ lassen wollte, machte einige Schwierigkeit. Der Retter und die Gerettete mußten sich übrigens kennen. Als sie aber den andern Cavalier sah, ließ sie den Pelz plötzlich zu Boden sinken, und blieb in respectvoller Entfernung, mit auf der Brust gekreuzten Armen am Wagen stehen. Der Cavalier sprach zur Baronin, die ihren Schreck abschüttelte: „Ich hoffe doch, daß die schöne Frau sich keinen Schaden gethan.“ „Danke für gütige Nachfrage, Ihro kaiserliche Majestät, ich denke, es ist alles noch gut abgelaufen,“ erwiederte sie mit einem Knix, der die Fürstin erröthen machte. Sie sah aber nicht, daß die Baronin dabei auch auf ihre Falbala's sah, die beim Herausheben zerrissen waren. Der Cavalier ließ den wohlgefälligen Blick, mit dem er die Gestalt der schönen Frau maß, jetzt auf ihre Begleiterin gleiten: „Ei sieh da, Prinzessin, das Morgenlicht täuscht. Hoffentlich auch mit dem Schreck davon gekommen, liebe Gargazin.“ Er reichte ihr die Hand, die sie ehrerbietig an die Lippen brachte: „Sire, ein kleiner Unfall ver¬ schafft uns oft ein großes Glück.“ „Aber die Damen können doch unmöglich in der Kälte hier stehen, rief der Cavalier sich umsehend. Wäre in meinem Wagen — Aber es muß sogleich Rath geschafft werden.“ „Eure Majestät, sagte die Fürstin, der Unfall wird leicht zu redressiren sein. Hier ist Hülfe zur Hand.“ „Wir sind bei Stimmingens, rief die Baronin, auf das Gehöft zeigend, das in der Morgendämme¬ rung gegen den dampfenden weiten Seespiegel auf¬ tauchte. Da sind wir gut aufgehoben. Wer bis Stimmingen kam, ist zufrieden.“ Der Cavalier lächelte. Wenn ein großer Mann Zufriedenheit um sich erblickt, ist er selbst zufrieden. Aus der Wirthschaft waren in der That schon rüstige Arme herbeigeeilt, um die gestürzte Kutsche beschäftigt. Ein ältlicher Begleiter, in einen dicken Pelz verhüllt, der sich jetzt aus dem Wagen gearbeitet, machte, mit einer Bewegung der Hand gegen die Uhrtasche, eine bedeutungsvolle Verbeugung: „Meine Damen, sprach der Kaiser, ich bedaure, daß die Stunde, die zur traurigen Staatspflicht ruft, mich zwingt, die angenehmere in Ihrer Gesellschaft abzukürzen. Ich hoffe, daß Ihr Wagen bald wieder hergestellt ist, um das Vergnügen zu haben, Sie in Berlin wieder zu sehen.“ Die huldreichste Vernei¬ gung schloß mit einem Kopfnicken gegen die Fürstin: „Adieu, Gargazin, erkälten Sie sich nicht.“ Noch ein Mal sah der Erlauchte vor dem Einsteigen sich um, und sein Blick galt der Baronin. „Glückselige Frau!“ sagte die Fürstin zur Eitel¬ bach, während sie beide am hohen Rande des Sees auf und ab gingen, die Fürstin wieder in ihrem Zobel, den der Adjutant ihr aufgehoben. Sie zogen den Aufenthalt im Freien der überheizten Wirthsstube und der Gesellschaft darin vor, beide vielleicht von einem innern Feuer erwärmt, während der November¬ wind empfindlich kalt von Spandau her über die weite Fläche des Sees blies. „Warum glückselig jetzt?“ „In Rußland würde diese Frage eine Blasphemie sein. Die Schönheit, auf der das Auge der Maje¬ stät mit Wohlgefallen ruhte, wird glückselig gepriesen. — Aber wie kannten Sie ihn, und auch mein hoher Herr —“ „I wissen Sie denn nicht! Wie sichs in der Königsstraße stopfte, und sie halten mußten, das war gerade vor unserm Hause. Und die ganze Zeit sah er nach meinem Fenster — fünf Minuten oder drei wenigstens kein Auge fort. Es hat uns allen rechten Spaß gemacht.“ „Spaß!“ Die Fürstin erschrak; es kam aber noch ein anderes Gefühl hinzu, wie konnte ihr das verborgen geblieben sein! Niemand hatte es ihr hin¬ terbracht. War sie so schlecht bedient! Die Eitelbach konnte sich täuschen, aber hatte sie nicht selbst Alexan¬ ders Blicke beobachtet! Sie kannte diesen Blick. „Ich begreife Sie nicht, so ruhig sprechen Sie das aus. In Rußland, nein in ganz Europa bliebe keine Frau gleichgültig, die der ritterlichste und liebens¬ würdigste Monarch so ausgezeichnet hat.“ „Ach Sie meinen mich! Nein ich war's ja nicht.“ „Wer denn?“ „Die Mamsell Alltag, die stand im Fenster neben mir.“ „Adelheid Alltag!“ rief die Fürstin, und blieb sinnend stehen, so im Sinnen, daß sie den heran¬ galloppirenden Reiter nicht bemerkte, der sich zum zweiten Mal vom Pferde warf, und an die Damen trat. Es war der Adjutant des Kaisers. „Seine Majestät haben mich zurückgeschickt, meine Damen, mit dem strengsten Befehl Ihnen meine Gegenwart aufzudringen und nicht eher zu weichen, als bis ich ihm rapportiren kann, daß der Wagen so wie alles was Sie wünschen, zur Zufriedenheit der erlauchten Frauen hergestellt ist.“ Die Fürstin mußte nach dem eigenthümlichen und forschenden Blick, den sie ihm zuwarf, zu schließen, in alter und sehr genauer Bekanntschaft mit dem Adjutanten stehen: „Berichten Sie, Prinz, Seiner Kaiserlichen Ma¬ jestät, wie Sie uns sprachlos vor Rührung über diese außerordentliche Gnade gefunden haben. Um uns aber in unsern stummen Dankgefühlen nicht zu stören, bitten wir Sie uns auf der Stelle auch noch zu vertrauen, warum Sie außerdem hergeschickt sind.“ Der Adjutant, wie im Einverständniß mit der Art der Frage, verneigte sich vor der Baronin: „Außerdem wünschten Seine Majestät zu erfahren, wer das junge Mädchen war, welches am Einzugs¬ tage neben der schönen Frau am Fenster stand!“ „Wirklich!“ rief die Fürstin, man glaubte unter dem Zobelpelz ihr Herz gegen die Brust schlagen zu hören, die matt gewordenen Züge ihres feinen Ge¬ sichtes belebten sich, und ihr schwarzes Auge strahlte von einem Glanz, der das graue Morgenlicht be¬ schämte: „Berichten Sie Seiner Majestät, daß was wir wünschen, wenigstens was ich wünsche, zu meiner Zufriedenheit hergestellt sein wird. Vielleicht sage ich Ihnen dann unterweges — Sie chaperonniren doch unsern Wagen? — wer das junge Mädchen ist, vielleicht auch nicht. Je nachdem Sie sich aufführen.“ Zehntes Kapitel. Von Magistratspersonen und ungerathenen Kindern. Die Geheimräthin Lupinus war am Rathhaus vorgefahren und hatte in die Hände des Magistrats eine Gabe von drei hundert Thalern als milden Beitrag zu den Kriegskosten des Staates niedergelegt. Der Magistrat hatte es für nöthig erachtet, durch eine confidentielle Deputation der Geheimräthin für diesen Beweis einer außerordentlichen patriotischen Gesinnung seinen besondern Dank abzustatten. Sie hatte die Herren Büsching, Köls und Gerresheim mit Be¬ schämung, wie sie sagte, empfangen, und ihre Ver¬ wunderung nicht zurückhalten können über einen so Aufsehen erregenden Schritt, und um eine Handlung, welche nach ihrer Meinung die Pflicht von jedem fordere. „Aber Sie waren die Erste in Berlin, die das Beispiel gab, hatte Büsching erwiedert, und vor diesem Beispiel verneigen wir uns.“ „So wünsche ich, meine hochgeehrten Herren, daß das Beispiel von den Nachfolgern verdunkelt und meine obscure Person, und die Kleinigkeit, die ich mitbrachte, bald vergessen werde über die großen Opfer, die andere Reichere, auf den Altar des Vaterlandes niederlegen.“ „Eigentlich hatte sie recht, sagte Gerresheim, als die Herren wieder in den Wagen stiegen. Das schickte sich nicht für eine Corporation wie der Magistrat von Berlin.“ „Was schickt sich denn, und was schickt sich nicht, sagte Köls, wenn das Vaterland in Gefahr ist! Wir mußten aus den Provinzen täglich in den Zeitungen lesen, daß der und der Edelmann seine Rekruten ausstattet, und werthvolle Lieferungen ver¬ spricht, während in der Hauptstadt nicht das geringste geschehen ist. Da war es Pflicht, den ersten besten, der mit einer ansehnlichen Offerte hervortrat, zur Stimulation für die andern zu honoriren.“ „Das ist auch meine Ansicht, schloß Büsching. Es ist mit unserm Gemeindewesen überhaupt nicht wie es sollte. Da muß man manches dem Einzelnen überlassen, was eigentlich nicht an ihm wäre.“ „Unser Räderwerk ist etwas verrostet, das ist richtig,“ stimmte Gerresheim bei. Jener fuhr fort: „Können wir als Corporation etwas thun, um auf das Staatswohl einzuwirken? Weder nach oben, noch nach unten haben wir Einfluß.“ „Ist auch nicht unseres Amtes, Herr College, sagte Köls. Und ich sollte meinen, es macht uns schon genug zu schaffen.“ „Papierstöße in Aktenberge zu verarbeiten! Meines Erachtens wäre in einem wohlgegliederten Staate die Aufgabe des Magistrats einer Stadt wie Berlin eine andere, als im Schlendrian zu vegetiren.“ „Liebster, bester College, keine Neuerungen! Haben wir's nicht gesehen, wohin sie führen. Wenn erst distinguirte Männer im Amt einen Penchant dazu bekommen —“ „Neuerungen! fuhr Büsching dazwischen, was so uralt ist, als es Städte in Deutschland gab. Der Bonaparte freilich macht in seinem neuen Reiche seine Bürgermeister zu Domestiken und den Magistrat zu Pagoden; bei uns aber ist doch we¬ nigstens noch die Fiction, daß wir aus der Bürger¬ schaft hervorgegangen, daß wir ihre Interessen vertreten, oder, wie man jetzt sagt, sie repräsentiren. Traurig genug, daß es nur noch Fiction ist. —“ „Aber, liebster Büsching, warum denn traurig!“ „Es geht ja alles ganz gut so.“ „Jetzt, meine Herren Collegen, es geht zur Noth noch. Aber wenn Gefahr kommt, wie denn dann? Werden seine Präfecten und Maires den Napoleon halten, wenn über Nacht eine andere Gewalt sich zum Herrn aufwirft! Sind wir dem Staat eine Stütze, wenn ein Unglück herein brechen sollte? Wir gingen nicht aus der Bürgerschaft hervor, wir haben keine Wurzel in ihr. Und wenn ein Fremder kommt, uns einsperrt, fortjagt, steht sie rathlos da, ohne Zu¬ sammenhang, Organismus, ohne Willen und Kraft auch nur zum Nothwendigsten. Ja wären wir wie in England. —“ „Keine Neuerungen! unterbrachen ihn beide Collegen wie im Chorus, mit einer Bewegung, als wollten sie sich die Ohren zuhalten. Und Neuerungen in diesem gefährlichen Augenblick, liebster College Büsching!“ „Und wann denn! sagte der College mit Ruhe. Weiß denn Einer von uns, was uns die nächste Zeit bringt! Jetzt ziehen wir ins Feld, vielleicht auch nicht; aber beendet, meine werthen Collegen, ist, auch im glücklichsten Falle, damit die Sache nicht. Gesetzt, was ich aus Herzensgrunde wünsche und glaube, wir schlagen ihn; damit haben wir ihn nicht über¬ wunden. Dies Frankreich hat in seinem größten Elend, und immer im Augenblick, wo wir es für ganz vernichtet hielten, wunderbar neue Kräfte aus sich selbst entwickelt. Es kommt keiner gegen es auf, wenn er nicht auch Neues in sich findet, sich aus sich selbst herausspinnt.“ „Aber der Bürger, liebster Büsching, was soll der damit! Wenn der erst suchen soll, was dem Staate noth thut, ist die Verwirrung voll.“ „Er weiß sich in den kleinsten, eigenen Angelegen¬ heiten nicht zu helfen, setzte der andere hinzu. Ein Spiel in den Händen der Advocaten, möchte er doch noch in der einfachsten Schuld- oder Hypotheken¬ sache von jedem Rath haben. Und er sollte Rath geben!“ „Es ist schlimm, daß es so ist, meine Herrn, aber noch schlimmer, daß, während er von jedem Rath will, er unserm am wenigsten traut. Oder wollen Sie sich darüber täuschen, daß im Volke der Glaube ist, wir betrügen es, wenn wir Erbschaften reguliren, Inventare aufnehmen, Sporteln liquidiren, ja leider selbst, wenn wir Recht sprechen?“ „Das Volk ist einmal dumm, College!“ „Ist es dazu vom Schöpfer destinirt! Oder haben wir es allmälig dumm gemacht, weil wir ihm nicht den geringsten Einblick in unsern Me¬ chanismus gewährten? Es kann in unsere Akten nicht sehen, und wenn, verstünde es nicht einmal unsere Sprache.“ „Friedrich hat etwas davon im Sinn gehabt, was Sie meinen, erwiederte Köls. Ihm und seinen Räthen schwebte der Gedanke vor, daß die Justiz Allgemeingut werden sollte; daher die wunderlichen Verordnungen, wie lange nur ein Prozeß dauern sollte, die Beschränkung des Einflusses der Advokaten, der indirecte Zwang, daß jeder eigentlich seinen Prozeß selbst führen müsse. Wohin hat uns das geführt? Nur auf Widersprüche; denn es war nicht auszuführen, weil das Volk keinen Sinn dafür hatte, weil es nichts davon verstand, kurz weil es nun einmal zu dumm ist.“ „Weil — sagte Büsching und hielt inne — doch das führt uns hier zu weit. Meine Herren Collegen, fühlen Sie denn nicht, daß es einer innigern, festern Gliederung zwischen oben und unten, zwischen allen Theilen, Gliedern und Ständen bedarf, um uns fest in uns selbst zu machen? Wenn ein Feind in England einfiele und London nähme, wäre England nicht verloren, weil in jeder Grafschaft ein Theil des Ganzen lebt, der selbst Lebenskraft hat, weil die Gemeindevorstände aus der Gemeinde hervor¬ gingen, mit ihr zusammenhängen, mit ihr, auf sie gestützt, handeln können. Da rettet sich ein Theil des Staates, der Nation, in die Städte, Graf¬ schaften, von dort aus erhebt sich England wieder. Was aber wäre Preußen, wenn Berlin genommen ist, und der Sitz der Regierung, ehe man die Staatsmaschine retten konnte, mit allem darum und daran, dem Feinde in die Hände fiel? Wo sollte sich ein Widerstand organisiren, wo eine legale Autorität anftreten, wenn ein Schlag den Knoten zerhieb, in dem alle Fäden zusammen liefen, und sie hängen nun lose da. Die Einzelnen möchten zwar gern und sie sind bieder, gut, entschlossen; aber wo ist ein Mann, ein Name, eine Institution, welche eine Kraft, einen Anspruch hat, die Einzelnen um sich zu sammeln. Wir haben keine Aristokratie, keine Magistrate, wie sie sein sollten, gar keine Corporationen mit Einfluß hinter sich, mit Untergebenen, die ihren Füh¬ rern, wenn nicht aus Liebe folgen, doch aus Interesse sich zu ihnen schaaren. Wenn der Schlag fiele, sind wir zersplittert, eine zerstreute Heerde, von der jeder Nachbar, jeder Räuber, was ihm bequem liegt, an sich risse.“ III . 13 „Wir haben unsre Armee,“ sagte Köls. „Und die Armee hat Disciplin,“ setzte Gerres¬ heim hinzu. Mit Disciplin läßt sich alles durch¬ setzen.“ „Auch der Opfermuth, der festhält an einer verlorenen Sache? — Lassen Sie uns abbrechen, meine Collegen, unsre Ansichten finden keine Vereini¬ gung. Wir haben keine Corporationen, Stände, keine Gliederung im Staate, aber wir haben Men¬ schen, gute, tüchtige Menschen, vielleicht Charactere, die nur jetzt verborgen sind, und die Noth weckt noch mehr zur rechten Stunde. Das hoffen wir doch alle, und lassen Sie uns an diesem Glauben festhalten. Darum — “ „Wollen wir auch das Scherflein der Witwe nicht verschmähen; die drei hundert Thaler der Lupi¬ nus sind uns aber lieber,“ fiel Köls ein. „Sie ist ein wenig fanatisch in ihrem Patriotis¬ mus,“ sagte Büsching. „Und —“ setzte Gerresheim hinzu und schwieg plötzlich, bis er die Bemerkung hinwarf: „Die Frau Geheimräthin admirirte vor kurzem noch den Bo¬ naparte mit einiger Ostentation; da ist das Change¬ ment doch auffällig.“ Die drei Herren sahen sich an und mußten sich verstehen. „Es ist doch etwas eigenes mit der Weibernatur, sagte Köls nachdenklich. Wie weit sind sie uns oft vorauf, ich möchte sagen, wie der Blitz, der durch die Nacht leuchtet, und wir sehen den Weg vor uns. Aber dann, wenn wir den Weg einschlagen wollen, haben sie sich plötzlich verloren und wir haben Mühe sie mitzuziehen.“ „Sie thuts auch jetzt nur um von sich reden zu machen, sprach Büsching. Darüber hab' ich mich keinen Augenblick getäuscht. Aber das dürfen wir um Gottes Willen nicht sagen. Hingenommen das Gold, und einen Heiligenschein daraus geschlagen. Zum Zweck ists dasselbe.“ „Es wird mit dem Schein manches Heiligen nicht besser sein, assentirte Köls. Was meinen Sie, Gerresheim?“ „Weiß der Geier, in der Frau ist etwas, was mich anzieht, und abstößt. Als ob ihr Auge mich aushöhlen wollte, und ich fühle mich gedrungen, dann immer tiefer hineinzusehen, um sie wieder auszu¬ holen.“ „Ei, ei, Gerresheim, doch nicht wieder verliebt?“ „Das wäre denn nur wie der Inquirent in seinen Inculpaten, den er zum Geständniß bringen will. Ich kann die Vorstellung nicht los werden, daß ich die Frau einmal vor mir sitzen hätte am grünen Tisch, in einem Glorienschein von erhabener Tugend und philosophischer Resignation. Da steht mir denn der kalte Schweiß auf der Stirn, wie sie auf meine Fragen antwortet. Sie redet sich aus und in mich 'rein, daß ich an mir irre werde. Glau¬ ben Sie mir, das könnte die Frau in solcher Lage, 13* mit ihrem züngelnden Blicke, voll Sanftmuth und doch in die Seele bohrend, mit ihrem feinen Lächeln, mit der unendlichen Milde, die um ihre blassen Todtenlippen schwebt. Sie bedauert mich, sich, die ganze Welt, und Gott weiß was hinter dem Bedauern lauert, Hohn und Haß, Gift und Tod.“ „Gerresheim, ich bitte Sie, ein Mann wie Sie, ein Richter, Criminalist, und solche Phantasieen!“ „Ich weiß es, es ist unrecht, aber wer kann dafür! Sie ist die reputabelste Frau in Berlin, und doch — “ „Was steckt dahinter?“ „Nichts weiter, Büsching, als die Warnung, daß man die Leute nicht zu klug werden lassen darf. Stellen Sie sich das Elend vor, wenn jeder Dieb so fein, gewitzigt, gelehrt und gebildet wäre wie die Geheimräthin Lupinus! Da möchte der Teufel Richter bleiben.“ Während dieses Gesprächs stand diejenige, von welcher die Rede war, am Fenster, und hatte der fortrollenden Kutsche nachgesehen. Das Fenster war geschlossen und die Scheiben belegten sich vom Hauche ihres Mundes. Sie konnte nichts mehr sehen, und nach den Gesetzen der Natur, die wir kennen, nichts hören, als das Fortrollen der Räder. Wer aber ihr Physiognomiespiel beobachtet, hätte glauben mögen, daß sie das Gespräch im Wagen angehört. In ihren Augen stand geschrieben: ich weiß, was Ihr über mich denkt! Ich kann's nicht ändern, aber auch Ihr könnt und sollt mich nicht anders machen als ich bin. Dann flog ein eigenthümliches Lächeln über die Lip¬ pen, welche die Magistratsperson so treffend gemalt hatte. „Der Herr Legationsrath von Wandel lassen ihren Respect vermelden!“ sprach der eintretende Die¬ ner, nachdem ein Zug an der Thürglocke sie aus ihren Gedanken aufgeschreckt. „Ich lasse dem Herrn Legationsrath für seine unerwartete Attention danken.“ Der Bediente ging aber noch nicht, obgleich die Dienerschaft gewöhnt worden zu schweigen, wenn die Geheimräthin mit einer ihrer scharfen Bemerkungen eine Rede abschnitt. Es hatte sich manches in dem Hause verändert, die Geheimräthin schnitt viel öfter, rascher, die Reden ab; sie sprach am liebsten mit sich, und man sah ihr an, daß sie in der Unterhaltung dem mit ihr Redenden nur äußerlich Aufmerksamkeit schenkte, während ihre Gedanken andre Wege gingen. „Ists noch etwas, Heinrich?“ fragte sie als der Bediente nicht ging. Er hieß eigentlich Johann, hatte aber beim Eintritt in den Dienst diesen Namen ablegen müssen. „Herr Legationsrath —“ sagte der Bediente und stockte vor dem Blick der Geheimräthin. „Hat mir seinen Respect durch seinen Bedienten vermelden lassen, wiederholte sie rasch. Weiter hat er mir doch nichts zu sagen?“ „Sie lassen der Frau Geheimräthin sagen, Frau Geheimräthin möchten doch heute Abend ja nicht ver¬ säumen in die Komödie zu kommen. Es wäre näm¬ lich was los. Es wäre nicht um der Komödianten willen, sagte der Mensch, sondern weil die Herren Garde du Corps und von den Gensdarmen die Logen gemiethet, und man wüßte nicht, was draus werden könnte. Frau Geheimräthin möchten aber ja nichts zu andern von sagen, denn es sollte es nicht jeder wissen.“ „Das sagte Ihm alles der Mensch? Vermuthlich schrie er es Ihm von der Treppe zu.“ „Nein Frau Geheimräthin, der Mensch des Herrn Legationsraths waren nur sehr eilig, weil er's noch Vielen ansagen sollte. Sie standen alle auf einer Liste. Darum —“ Die Geheimräthin schnitt diesmal das Gespräch nicht durch ein Wort, sondern durch einen Blick ab. Aber der Blick war schärfer als das Wort. Sie hatte sich auf das Canap é gelehnt, aber sie saß nicht allein. Einst hatte sie aufgeschrien, als sie kleine Schlangen sah, die über das Sopha ihres Arztes züngelten und um seinen Arm sich ringelnd ihm an den Hals glitten. „Fürchten sich nicht, Frau Geheimräthin, hatte Heim gerufen, ohne Anstalt zu machen der fast Ohnmächtigen beizuspringen. Die Schlangen thun Niemand was. Es hat aber andre, die zischen und sind giftig, und Niemand sieht sie!“ Diese Schlangen schienen jetzt neben ihr auf den Kissen zu spielen, um ihren Hals sich zu schlingen und durch ihre immer engere Umklammerung die scheu schielenden Blicke ihrer Augen zu erpressen. Fuhren sie auch zuweilen mit einem nagenden Stich in ihr Herz, so kam wohl daher das plötzliche Auf¬ zücken, das krampfhafte Athmen, das sie sich selbst zu verbergen suchte, indem sie die Hand unwillkür¬ lich an die Brust führte. „Er hat Recht,“ sagte sie, mit Anstrengung sich wieder vom Sopha erhebend, während sie sich doch noch an die Lehne hielt. Aber dann zwang sie sich mit aller Muskelkraft, die dem starken Willen zu Gebote steht, aufrecht zu stehen. „Er hat Recht, wiederholte sie. Das Leben ist und bleibt ein Krieg Aller gegen Alle, und nur der steht fest, der sich zu¬ letzt auf Niemand verläßt, als auf sich. — Auf Nie¬ mand — setzte sie mit Nachdruck hinzu. Denn der beste Bundesgenosse wird der gefährlichste Feind, wenn die Bande zerrissen sind, die ihn an uns fessel¬ ten. Und was sind denn diese Bande, wenn wir sie näher betrachten? Der Leim, der die spröden Fäden schmeidigt und bindet, ist das Interesse, weiter nichts! Die süßeste Liebe, der eifrigste Wissensdrang, wenn wir sie zersetzen, es bleibt nur das Gelüste, das aller¬ feinste, nach Genuß und Vortheil. Die Vaterlands¬ liebe, was ist sie, auf ihre Grundstoffe zerlegt? Ein grober Egoismus! Und dieser Patriotismus, den wir uns vorlügen, jeder sich selbst, in noch stärkerer Dosis dem andern, und der giebt ihn uns wieder zurück, aufgeschwollen, bis das grauenhafte Phantom fertig ist, das Wolkenbild, das unsre Sinne verwirrt, unsre Vernunft uns raubt. Und was bleibt dann? — “ In der Kinderstube war es laut geworden, keine ungewöhnliche Erscheinung. Die Kinder ver¬ übten, wenn sie kaum sich etwas erholt, allerhand Schabernack. Sie neckten, zankten, schlugen sich, und es war mehr als einmal passirt, daß sie in unbe¬ wachten Augenblicken wieder einen frischen Trunk aus dem Quell des Uebels gethan, von dem sie geheilt werden sollten. Charlotte kam aus der Stube, die Enveloppe umgethan zum fortgehen. Sie weinte. „Haben die Kinder Sie wieder nicht in Ruhe gelassen?“ „Ach Frau Geheimräthin, wenn da der liebe Gott nicht hilft, dann weiß ich nicht, wer helfen soll.“ „Warum hilft Sie sich nicht selbst?“ „Ich knuffe sie auch, Frau Geheimräthin, aber Wechselbälger sind gar nicht so schlimm. Nein, seit sie doch in dem Hause sind! Ein vernünftiger Mensch soll doch auch nicht in Rage kommen, denn wer in Rage ist, hat keine Vernunft, ja sonst — ich frage mich immer, womit hat's die liebe gute Frau Ge¬ heimräthin verdient, nämlich die selige, die hatte ja ein Herz wie Zucker, das konnte keine Fliege leiden sehn, und der Fritz wenn er den Maikäfern die Flü¬ gel ausreißt, das ist sein größtes Plaisir. Malwin¬ chen ist stiller, aber die hat's dick hinter den Ohren. Glauben Sie mir's, Frau Geheimräthin, die war's die hat die Medicinpulle in die Mehlspeise gegossen. O Gott, ich kenne sie ja; der Fritz, ja mit reinge¬ polkt hat er in die Speise, aber Fritz ist viel zu wild; der hätte nicht nachher die Pelle, mit Respect zu sagen, so wieder rüber gepellt, daß man's nicht merken that. Und daß so was in einem so reputir¬ lichen Hause vorkommen mußte! Meine Cousine, die Frau Hoflackir, als sie's hörte, schlug die Hände über den Kopf zusammen, und sagte: Charlotte, Du mein Jemine! die Leute hätten ja denken können, sie wären vergiftet und vergeben worden.“ „Das ist ein albernes Gerede.“ „Das sagte ich ja auch. Erstens, das waren vornehme Gäste, und die nennt man nicht Leute , Cousine. Nun Sie müssen wissen, meine Cousine ist jetzt eine sehr respectable Frau, aber sie hat nicht die Bildung gehabt. Da muß man ihr schon so was zu Gute halten. Aber dann sagte ich ihr: Aber, Cousine, wie kannst Du so was nur denken! Ge¬ meine Leute sind rachsüchtig, und da hat schon man¬ cher seiner Frau auf den Kopf geschlagen, und in den Büchern stehts von mancher Frau, die ihren Mann vergeben hat in der Suppe, daß sie ihn unter die Erde kriegte, und hinter der Thür stand schon ein anderer. Aber unter honnetten Leuten kommt so was nicht vor, die wissen sich anders zu helfen. Und wenn's einmal, so macht man auch nicht so viel Ge¬ schrei davon, denn da wärs ja gethan um allen Respect und die Moralität. Nein, alles, was Recht ist, und mein guter Herr, der Geheimrath, in der Seele hat er mir weh gethan, daß er dabei sein mußte.“ „Er machte einen Spaß daraus.“ „Das ist schon richtig, Frau Geheimräthin. Aber glauben Sie, was ein Vaterherz empfinden muß, das ist auch was; man sagt's nur nicht jedem. Ach von meinem Herrn Geheimrath könnte ich Ihnen vieles sagen. Spaßig ja, aber weh thut doch weh. Und die Chocolatenmehlspeise ißt er gerade so gern, und nun muß es 'raus kommen, seine eigenen Kinder sinds, und in dem Hause, wo sie so viel Liebes und Gutes genossen haben! Und vor solcher großen Ge¬ sellschaft, und gerade als man auf die Gesundheit trinken wollte von den hohen Herrschaften. Und die Gesichter!“ „Sie war ja nicht dabei!“ „Aber als hätt' ichs leibhaftig gesehen! Und ich weiß Alles. Vor mir bleibt nichts versteckt, das glauben Sie nur. Wenn Einer zwinkert mit den Augen, und so zusammenfährt, dann weiß ich was die Glocke geschlagen hat. Ich könnte da manches sagen, was ich von meinem Herrn Geheimrath weiß; na da schweigen wir von, denn es schickt sich nicht. Aber wie ich kam, und Malwinchen mir um den Hals fiel, nun wußte ichs, warum sie mit den Augen zwinkerte.“ „Wie war nur das Kind in die Küche gekommen?“ „Du lieber Gott, sie hat einen guten Geruch. Da ging sie denn der Mamsell Adelheidchen so lange um den Bart — das heißt, sie streichelte mit ihren Händchen die blonden Locken, o Malwinchen ist ein Filou, und da müßte Mamsell Adelheid früher aufstehen, wenn sie's merken wollte.“ „Adelheid hat nichts davon gesagt.“ „Ach Frau Geheimräthin, wie wird man Ihnen denn alles sagen, was in Ihrem Hause passirt! Sie haben auch gesagt, der Herr Geheimrath soll Kaffee haben vom zweiten Aufguß, weil's ihn echauffirt; Mamsell Adelheidchen aber läßt ihm vom ersten geben, weil sie gemerkt hat, daß es ihm besser schmeckt. Und der Herr Geheimrath, der nichts merkt, merkts recht gut, und ist still zu. Warum sollte er's auch laut machen; er denkt, dann kann's anders werden. Es geht in jedem Hauswesen so zu, und wer der Klügste ist, soll sich nicht einbilden, daß nicht einer ist, der ihm auf die Sprünge kommt. Jedes Schloß hat ein Loch und jede Mauer eine Ritze, man sieht sie nur nicht, und wer noch so verdämelt aussieht, zuweilen schießts in ihn. Das sage ich meinem Geheimrath auch. Will sich manch¬ mal um Alles kümmern, meine Marktrechnungen nachrechnen. Lieber Herr Geheimrath, sage ich ihm, wenn ich Sie übers Ohr hauen wollte, dann wären Sie der letzte, der's merkt. Er hat auch gemerkt, daß es Malwinchen gewesen war; aber er that nur so, sonst hätte er ja losfahren müssen — und vorm Braten schon, und am Ende hätten Sie ihn die Kinder gleich einpacken lassen. Na, das käme ihm jetzt bequem. Es ist ja auch nicht das erste Mal, bei uns haben sie's schon mal so gemacht. Die Himbeersauce zur Speise rein ausgeleckt, derweil wir asserviren. Was thun sie, damit wir's nicht merken sollen? Sie gießen das große Tintenfaß aus der Registratur 'rein. Ich sahs nicht mal, denn wir hatten Eine zur Aushülfe, so ein Schlesisches Puddel, die schrie: Herr Je — die Tunke ist ja schwarz! Na, die schwarze Brühe merkten wir denn bald. — Und nu's einmal 'raus, soll auch alles 'raus. Das Achtgroschenstück, warum der Hausknecht seinen Jungen so gottsjämmerlich prügelte, der Gottlieb hatte es nicht in die Gosse fallen lassen — das sagte der Junge nur aus Pfiffigkeit, daß er mit den Patschen drin wühlen konnte, und wer half ihm nicht, und derweil er heulte und wühlte, dachte er, kommt 'ne mild¬ thätige Seele, und schenkt ihm was. Sie haben ihm auch was geschenkt, aber die Prügel waren das Meiste. Nein, aus der Tasche hat er sichs stehlen lassen. Und wer hat's ihm stibitzt? — Ich weiß es.“ Ihre Hände mußten die Thränen nicht fassen können, die aus Charlottens Augen stürzten, auch das blaue Tuch, daß sie davor hielt, ward in allen Wendungen naß, und ihr Schluchzen schallte von den Wänden zurück. „Wäre es möglich, Charlotte!“ „'S ist gewiß, Frau Geheimräthin. Es schoß mir gleich was durch den Sinn. Und nachher, wie ich im Stroh suchte unter seinem Bett, da fand ichs — das Achtgroschenstück.“ „Sie hat es dem Hausknecht wieder gegeben!“ „Ich wollte es auch, aber da kriegte mich der Fritz zu packen. Sage ich Ihnen, wie ein Kobold, er kniff mir in die Waden und biß mir in die Finger, und schrie und weinte — nu man hat doch auch ein Herz im Leibe — wer will denn seiner Herrschaft Kinder an den Galgen liefern! — Dem Gottlieb thut man's wieder gut. Die Prügel hat er doch mal weg; schaden ihm auch nichts. Aber von dem Achtgroschenstück, davon ist's ja eben. Zum Kuchenbäcker um die Ecke. Sein ganz Schnupf¬ tuch voll brachte er mit, husch unters Bett, und nun stopften sie. Daran liegen sie ja jetzt wieder. Nein, sage ich doch, das steckt im Blute.“ „Meint Sie?“ „O Du lieber himmlischer Vater, wenn da nicht Einer hilft, der wird mal 'ne Räuberbande, wie's zu lesen steht in den Büchern bei Herrn Vieweg — blutig duster im Walde, und am Ende schleppen sie ihn in Ketten. Na, wenn das mein Herr erlebte?“ „Im Blute, sagt Sie, steckt es!“ „Wer's zu verantworten hat, weiß ich auch, Frau Geheimräthin. Nein, da sind Sie nicht dran Schuld. Im Blute, sagt der Herr Prediger, steckt die Sünde, der Frühprediger meine ich, wo die russische Fürstin allemal hinkutschirt. Ach Frau Ge¬ heimräthin, haben Sie den mal gehört? Das ist gar kein Prediger wie die andern, der donnert von der Kanzel, daß es Einem brühsiedend heiß wird, und 's ist Einem, als ob das liebe Fleisch von den Knochen abginge. Der sagt's uns 'raus, daß die ganze Menschheit in Grund und Boden nichts taugt und keinen Schuß Pulver nicht werth ist. Und das kommt aber nicht von uns, sondern weil wir uns von der Erbsünde losgesagt haben, darum alles das und noch viel mehr Herr Jesus, Frau Geheimräthin, wie malt der Mann das alles, man siehts ordentlich. Man möchte von keinem mehr ein Stück Brod nehmen, so sind sie versunken und verpestet in Eitel¬ keit und Habsucht und Wollust und Hoffahrt. Und das wird auch nicht besser werden, denn die Kinder werden noch immer schlechter als die Eltern, von wegen daß sie's von ihnen lernen, bis der Herr in seinem Zorn wieder eine Sündfluth schickt, oder ein großes Feuer, oder wie er sagt eine Bluttaufe, denn vernichtet müßte das ganze gottlose Geschlecht werden, sagt er, das abgefallen ist vom rechten Glauben an die Erbsünde, und darum wären wir schwächlich und diebisch und neidisch und verredeten, und vergäben einer den andern, und wollten besser scheinen, als wir sind. Und dann streckt er die Arme aus und ruft zum Herrn der himmlischen Herrschaaren, daß er die Kindlein fortnehmen möge in seinem Erbarmen, und er möchte Thränen weinen, daß sie ein Meer würden, sagt der Herr Prediger, und die unschuldigen Kleinen alle darin versöffen, damit sie nicht lernten die Sünden der Eltern, sondern 'rein kämen in den Himmel, wie neugefallener Schnee. Das war nur ein Schluchzen in der ganzen Kirche und ich dachte, o Gott, wenn doch der Himmel so unser Malwinchen und Fritzchen zu sich nehmen wollte. — Und daß nun einmal alles rein aufgewaschen wird, Ihre chinesische Porzellanvase hat Fritzchen auch zerschlagen. Mamsell Adelheidchen hat sie nur so oben mit der schönen Seite auf den Rand gesetzt, daß Sie's nicht merken sollen, und dann will sie's abpassen, wenn Frau Geheimräthin mal bei guter Laune sind. Ja, wenn die Englische Mamsell nicht wäre, dann wäre schon längst ein Malheur passirt.“ Elftes Kapitel. Präparirtes Gift. Charlotte war fort. Ihr Geheimrath hatte sie zur Mittagsstunde erwartet, und „wir haben heut sein Lieblingsgericht,“ hatte Charlotte sich entschuldigt. Die Geheimräthin stand im Krankenzimmer. Es war ein eigenes Lächeln, mit welchem sie die schlafenden Kinder betrachtete. Nicht das des Wohlgefallens, es war nichts Wohlgefälliges in dem Anblick. Es war eine Wisbegier, die, je länger sie über das Mädchen sich beugte, zu einer wollüstigen Empfindung ward. Der Knabe hatte sie weniger interessirt. Auf seinem Gesichte las sie nur rohen Trotz und sinnliche Tücke. In Malwinens Lineamenten schien sie zu studieren. „Sonderbar! lispelten ihre Lippen, welche schalkhafte Ruhe über dem Kindesgesichte! und doch aus allen Grübchen der Schelm vorschießend, der Zerstörungs¬ trieb — in Kinder! So schickt vielleicht die Natur jeden fertig auf die Welt, es ist alles Prädestination, und wir verfehlen nur unsere Bestimmung wenn —“ Sie tippte mit dem Finger über Malwinens Stirn, wie um durch das Gefühl sich zu vergewissern, ob das Auge nicht getäuscht. Die Probe mußte mit der Rechnung stimmen; ihr Lächeln ward intensiver, als plötzlich doch ein Schatten über ihre Stirn flog. Der Schlaf ist ja ein Verräther! Lag nicht der ganze dunkle Trieb für das Auge des Kundigen auf dem Kin¬ desgesicht ausgedrückt! Wenn das mit den Erwachsenen derselbe Fall wäre! Wenn Jeder sich einschließen müßte, vor nichts mehr besorgt, als daß ein Fremder ihm im Schlaf ins Gesicht sehe! — Erschreckt vor dem Gedanken, blickte sie um sich, und — die stille Krankenstube barg den Verräther. Hinter der Fenstergardine saß Adelheid und stickte an der Fahne, mit welcher die Geheimräthin, sie wußte noch nicht wie, das Gouvernement überraschen wollte. „Spielen wir hier die Lauscherin?“ „Was sollte ich belauschen! Ich arbeite an Ihrem Auftrage.“ „Mit verweintem Gesicht? Ich meinte, eine Patriotin wie Du sollte nicht Thränen in die Fahne ihres Königs sticken.“ „Die armen Kinder litten aber wieder so sehr.“ „Und da ist es ein süßes Gefühl, als Schutz¬ engel über die Unschuld zu wachen! Man mag sich für gewisse Leute interessant machen, wenn man immer die Leidende spielt; es giebt aber andere, die durch die Maske sehen.“ Adelheid ward roth, und senkte ihr Auge III . 14 nieder, das entrüstet aufgeblickt. Von der Rede kamen nur die Worte heraus: „Meine Mutter —“ „Das Wort wird Dir wohl täglich schwerer. Aber so lange Du Dich bewogen findest in diesem Verhältniß zu bleiben, ist es doch gut, daß Du Dich vor den Andern bezwingst, Liebe gegen mich zu zeigen.“ „Meine Mutter, Sie martern mich.“ „Das ist unser aller Loos. Wir alle werden gemartert von den Verhältnissen, vom Urtheil der Menschen; bis wir gleichgültig werden, sagen die Leute. Das ist nicht wahr, man wird nicht gleich¬ gültig, wenn man sich nicht schon aufgegeben hat. Nur wer so weit ist, daß er alle Hoffnung fahren ließ, nimmt die Tritte und spitzen Stiche ruhig hin. Wer sich noch fühlt, ruht nicht, bis er Andre wieder martern kann. Sieh mich immerhin verwundert an; es ist so, es ist das Gesetz der Welt.“ „Das Gesetz der Rache!“ „Nenne es, wie Du willst. Es giebt nur zwei Gattungen Wesen, Unterdrücker und Unterdrückte. Wo Du hinsiehst, so ist es. Das ist eine Phantasie aus der Vorzeit, daß es freie Menschen gäbe; sie sind von unserer Cultur so ausgerottet wie die wilden Thiergeschlechter. Denn die noch da sind, sind doch schon unterworfene Geschöpfe. Der Mensch hegt und erhält sie, um sie zu fangen, schießen, je wie es ihm beliebt. Der Hirsch, der Hase, ist so sein Eigenthum, daß er schon unverbrüchliche Gesetze für ihn gegeben hat, wie lange man ihn schonen, wann der Vertilgungskrieg losgehn soll. Nach eben solchen Gesetzen schont ein kluger Herr die von ihm abhängig, nicht aus Liebe, nur um seines Vortheils willen. Er spart ihre Kräfte auf, um sie am besten zu nutzen. Der Wurm und der Hirsch lehnen sich vergeblich gegen ihre Ueberwinder auf; unter den Menschen glückt es unterweilen dem Einen und dem Andern, durch List, Ausdauer, frei und Herr zu werden über seine Unterdrücker, und dieser Prozeß ist unsere Geschichte. Aber wenn sie es sind, dann machen die Sieger es nicht besser und anders; sie unterdrücken, quälen und martern wieder, wie sie gemartert wurden. Das ist auch Geschichte, mein Kind. Findest Du es so unnatürlich, daß man lieber sticht als gestochen wird?“ „Ich freue mich, daß ein harmloses Mädchen nicht in Verlegenheit kommt, wählen zu müssen. Die Lupinus lächelte: „Warum unser Verhältniß durch Unwahrheit erschweren, mein Kind. Zwischen uns muß Wahrheit sein. Ich ertrage sie, Du kannst es auch. Du wirst noch mehr ertragen müssen.“ „Mein Gott, was ist denn zwischen uns Wahr¬ heit?“ rief Adelheid, und erschrak, als es über ihre Lippen war. „Du sprichst es eben aus. Wir sind zusammen ge¬ würfelt und passen nicht zu einander. Wir gefallen uns nicht, und müssen doch vor den Menschen die Miene an¬ nehmen, als wenn wir uns liebten. Auf Deinen Lippen 14* zittert die trotzige Bemerkung, ich könnte Dich ja ver¬ stoßen. Dir die Thür weisen. Nein, Adelheid, das kann ich nicht, ich darf es nicht. Die Welt, die mich gestern noch liebkosete, hat sich über Nacht von mir gewandt. Daß ich Dich damals gerettet, ist längst vergessen, so wie Du es vergessen hast. Still, still, ich zürne Dir darum nicht, ich finde es ganz natürlich. Sie sinnen mir an, daß ich Dich nur aufgenommen, um mit dem schönen Mädchen Staat zu machen. Du solltest der Lockvogel sein für eine Gesellschaft, die sonst nicht über die Schwelle der Lupinus gekommen wäre! Nun sei es anders! Man hat sich satt gesehen, man gafft andere Sterne an. Man vernachlässigt mich, spottet meiner hinter meinem Rücken. Wer so einsam dasteht wie ich, von dem wenden sich auch die treuesten Freunde. Merke Dir das, es giebt keine Treue, als wer sich selbst treu ist, und das ist schwer. Die Schule ist lang und hart, ich habe sie durchgemacht. Ich kenne die Welt; einer nach dem andern ihrer bunten, flimmernden Lappenvorhänge fiel nieder, auch einer, der fest schien wie das diamantene Firmament — aber das Firmament ist ja auch eine Illusion! Wenn ich Dir jetzt den Stuhl vor die Thür setzte, hieße es, das sei aus Verdruß, weil Du meine Erwartungen nicht erfüllt, ich wäre Deiner satt. Daß man mich dann tadelte, haßte, ertrüge ich — ich hasse sie ja auch; aber man würde mich aus¬ lachen, und — ausgelacht mag ich nicht sein.“ Die Thränen, die aus der wunden Brust, ein heißer Strom, vorbrechen wollten, gerannen durch die Eiskälte der Rede zu Eis: „Sie haben mir erklärt, warum die Bande, welche Sie an mich fesseln, von Ihnen nicht gelöst werden können, Frau Geheimräthin; aber warum ich sie nicht lösen darf, wenn ich weiß, daß meine Gegenwart für Sie eine störende ist —“ „Das habe ich Dir allerdings nicht gesagt, fiel die Lupinus ein, weil ich es nicht für nöthig hielt. Die Sache ist so einfach. Kann man Liebe erzwin¬ gen? Du liebst mich nicht, und hast mich nie geliebt. Das glänzende Leben in meinem Hause ist Dir nicht mehr neu, oder nicht mehr glänzend; es zieht Dich nicht mehr an. Die Huldigungen, die Du empfängst, würden Dir auch sonst wo nicht entgehen. Hättest Du Dich klug von Anfang an benommen, so wäre Deine Stellung jetzt gesichert, vielleicht eine so glän¬ zende, daß Du auf die mit stillem Mitleid herabsehen könntest, die Du noch jetzt so gütig bist Deine Wohl¬ thäterin zu nennen. Dein übler Stern hat es anders gewollt. Du folgtest einer sentimentalen Regung, und aus einem Gefühl, das Du Dankbarkeit nennst, gabst Du Dich dem Manne zu eigen, an den Dich eine doppelte Täuschung knüpft. Du glaubst ihm Deine geistige Ausbildung zu verdanken, und Du glaubst ihn zu lieben. Mein Kind, wer der Dank¬ barkeit huldigt, ist schon verloren; die Undankbaren sind die glücklichsten, weil sie die freiesten sind. Gutes thun ist nichts als eine Berechnung; die Einen thun es, um einst im Himmel belohnt zu werden, die andern, um hier einen Vortheil zu haben, mit einem kleinen Einsatz speculiren sie auf einen großen Treffer. Auch sie Thoren! Sie täuschen sich immer in dieser Berechnung; wenn die Undankbarkeit des Geschöpfes sie längst belehrt haben sollte, hegen sie dafür noch immer ein Interesse und meinen in einer Art stillen Wahnsinns, ihr Geschöpf werde doch noch ein Mal in sich gehen, und es ihnen lohnen, was sie dafür gethan.“ Die Geheimräthin hielt einen Augenblick inne, es schien, als wolle sie sich an der Wirkung ihrer Rede erfreuen; aber Adelheid stand wie ein Steinbild vor ihr. Darauf hatte sie nichts zu sagen. Dann fuhr sie fort: „Ueber diese Illusion, mein Kind, bin ich wenigstens längst hinaus. Auch Du stehst auf einem Wendepunkt. Du bist selbst so klug, daß Du fühlst, wie Dein Herr van Asten eben nur that was ein geschickter Lehrer soll, den man dafür bezahlt. Er erkannte Dein Talent, und führte Dich auf den rechten Weg. Du hättest ihn, auch ohne Walter, vielleicht später, vielleicht besser gefunden. Deine Bildung ist nicht sein Werk, und noch weniger bist Du sein Geschöpf. Das siehst Du jetzt mit jedem Tage mehr ein, und um deswillen fängst Du Dich an zu schämen über das Uebermaaß von Dankbarkeit, mit dem Du Dich ihm in die Arme warfst. Du liebst ihn auch nicht. Das aber gestehst Du Dir noch nicht ein und lullst Dich vielmehr immer tiefer in die Selbsttäuschung, daß Du ihn lieben müßtest. Etwas Berechnung ist indeß auch dabei. Du möchtest gern von mir loskommen; aber zu Deinen Eltern willst Du auch nicht zurück. In der vornehmeren Stellung, in welche sie gerückt sind, und welche Dir allenfalls den äußern Glanz bietet, an dem Du Dich nun ge¬ wöhnt hast, würdest Du Dich noch weniger behagen; ihre neuen Kreise sprechen Dein ästhetisches Gefühl nicht an. Du bemerkst vielleicht schon manches Lächer¬ liche in den Prätensionen, die sie machen. Als gutes Kind giebst Du Dir Mühe diese Regung zu unter¬ drücken; aber Du würdest sehr unglücklich sein, so¬ wohl in den alten beschränkten Verhältnissen, als in den ausstaffirten neuen. Um aus diesem Dilemma zu kommen, von mir los, und nicht zu Deinen El¬ tern zurück, drängt es Dich, und Du drängst vielleicht auch ihn, daß Walter eine Stellung bekomme, wo er Dich heirathen kann. Mit einer fieberhaften Angst hast Du Dich auf dies Thema geworfen, und machst ihm immer neue Vorschläge, wie er es anfangen soll. Du quälst Dich, ihn, Deine Eltern, seinen Vater, uns alle. Das weißt Du auch recht gut, denn Du weißt, daß Walter an ganz anderes denkt als an Dich und sich, aber Du thust es doch, weil Du in einer Art Fieber bist. Du betrachtest es als eine Destination, Dich als ein Opferlamm, und mit aller¬ hand hochherzigen Vorspiegelungen schilderst Du dann als ein erhabenes Ziel der Selbstverleugnung, was doch nichts ist, als der Nothhafen, wohin der Schiffer in seiner letzten Verzweiflung steuert. Und wenn Du ihn nun geheirathet hast —“ „So getraue ich mir zu, ihm eine gute, treue Frau zu sein.“ „Daran zweifle ich nicht. Aber Du wirst es ihn doch fühlen lassen, welche Opfer Du ihm ge¬ bracht. Du wirst ihm nicht täglich sagen: das und das hätte ich sein können, wenn ich Dich nicht gehei¬ rathet, Ihr werdet Euch nicht immer zanken, noch wird er Dich Abends und Morgens mit verweinten Augen sehen; aber Du kannst Dich nicht enthalten es ihn empfinden zu lassen, was Du empfindest. Augenblicke werden kommen, wo Du Reue fühlst. Je länger Du Dich anstrengst es zu verbergen, je stärker bricht es einmal unwillkürlich heraus. Er ist ein guter Mensch, aber wenn er empfindlich wird, was ich ihm nicht verdenke, bricht es wohl los, nicht ästhetisch, sondern recht irdisch materiell. Hast Du dann Thränen, so ist das noch das beste. Hast Du keine, so schraubst Du Dich zurück in Deine Resi¬ gnation, Du verschließest Dich in die Burg Deines Selbstgefühls. Bist Du erst da isolirt, mein Kind, so begnügst Du Dich bald nicht mehr mit der Ver¬ theidigung, sondern Du machst Ausfälle. Keine Festung hält sich auf die Dauer, wenn der Com¬ mandant nicht die Gelegenheit benutzt, die sich ihm zur Offensive bietet, und dann — dann ist der Kriegs¬ zustand gegen alle erklärt — Du stehst wie ich. Täusche Dich doch nicht, als ob Du nicht jetzt schon darin lebtest! Auf Walter bist Du ungehalten, daß er nicht ernstere Anstalten trifft; da fliegt manches spitze Wort, das durch den süßen Händedruck nicht verwischt wird. Ich hörte schon geschraubte Redens¬ arten zwischen der Mutter und Dir; ihr vergöttert Kind will nicht mehr das flügge Vöglein im Neste sein; sie begreift Dich nicht, aber Du begreifst sie nur zu sehr. Und führst Du nicht etwa gegen mich einen täglichen Krieg? Irgend wie mußt Du es mir doch vergelten, daß Dir mein Anblick zuwider ist. Da begnügst Du Dich, ein harmlos Mädchen, meine häuslichen Anordnungen zu contrecariren, Du soulagirst meinen Gatten in seinen Wünschen, die ich für seinen Gesundheitszustand nicht angemessen finde, Du ver¬ tuschest die Unarten der Kinder hier, und bist ihnen wohl selbst behülflich bei Näschereien, wenn sie auch den Kindern schädlich sind. Wenn ich mit dem Ge¬ sinde zanke, wirkst Du begütigend hinter mei¬ nem Rücken, und umgehst auf unmerkliche Weise, was ich bestimmte. O es ist ein angenehmes Gefühl, von Kindern und Dienstboten als ihr Schutzengel betrachtet zu werden, und während man ihre Liebe eincassirt, ihren Haß gegen andre zu lenken, die nicht so gütig sind, und es nicht sein dürfen, weil sie ihre Pflicht dadurch verletzten. Und wie klug es von Dir ist, es so heimlich zu thun, daß ich keinen Verdruß davon habe! Die chinesische Vase dort ist mir ein theures Andenken aus meinem elterlichen Hause. Wie geschickt hast Du sie auf die Kante des Schrankes gestellt, damit ich nicht täglich den Verdruß habe zu sehen, wie die unartigen Kinder sie zerbrochen haben.“ „Geheimräthin! rief Adelheid erblassend, das ist zu viel!“ „Ich mache Dir keinen Vorwurf; im Gegentheil ich lobe Dich, daß Du zur Besinnung kommst. Kann ich fordern, daß mich jemand lieben soll, und gar um der Kleinigkeit willen, wo auch ich mir gestehe, daß ich es nicht aus Liebe zu Dir gethan, sondern wirklich, weil es mich amüsirte, mein Haus durch ein so schönes Mädchen lebendig zu machen. Vieles, was ich aus Liebe gethan, ward mir schlechter ver¬ golten. Unsre Naturen haben nun einmal keine Sympathie. Du bist mir gleichgültig, ich bin Dir vielleicht widerwärtig. Kannst Du oder ich dafür? Wie ich die angeheuchelten Gefühle der Dankbarkeit betrachte, hast Du eben gehört. Du hast nun schon gelernt, Dich geistig von mir frei zu machen. Das ist ein Fortschritt. Du moquirst Dich über mich, complotirst im Kleinen gegen mich. So wird Dir mein Haus eine gute Schule werden fürs Leben. Fahre fort; so nur lernst Du, wie man mit den Menschen umgehen muß, um — was die andern nennen, frei zu werden. Ich bin die ältere, und sah es zu spät ein. Uebe Dich an mir. Du hast ein langes Leben vor Dir.“ Adelheid stand sprachlos da, als die Geheim¬ räthin langsam nach der Thüre sich entfernte. Sie wandte sich noch einmal um: „Noch eins, was ich von Dir fordern kann. Wir sind nun einmal an einander gekettet. Wir müssen es tragen bis der Zufall die Kette zerreißt. Hüte Dich vor jedem Impuls. Wenn Du etwa auf die Straße stürztest — echauffirt, halbnackt, wie damals — Du verstehst mich, würde es an mitleidigen Seelen nicht fehlen, die Dich wieder aufnähmen. Auch in Sammet und Seide würden sie Dich kleiden; aber nicht aus Liebe zu Dir, nur aus Feindschaft gegen mich, mir einen Possen zu spielen. Nimm Deine ganze Vernunft zusammen, Adelheid. Mir spielten sie den Possen, aber Du müßtest zuletzt doch bezahlen. Wer so oft ein Rolle spielt und mit sich spielen läßt, hat den Credit ver¬ loren.“ Die Thüre klinkte hinter ihr zu. Adelheid stand eine Weile regungslos: „Das Weib! das Weib! rief sie. Das Weib vergiftet mich!“ und warf sich schluchzend auf das Bett. Zwölftes Kapitel. Auch Vater und Sohn. Wenige Minuten nach dieser Scene erhielt Walter van Asten ein Billet seiner Braut, so geeignet ihn aus seiner Ruhe aufzureißen, als es von Adel¬ heids äußerster Unruhe Zeugniß ablegte. Er erkannte in den wild hingesprühten Worten seine besonnene, klare Freundin nicht wieder. Er verstand das ganze Billet nicht, denn zu Anfang sprach es von einem Abgrunde, an dem sie schaudernd stünde, sie strecke vergebens die Arme nach Hülfe aus, dann entzifferte er in den von Thränen ausgelöschten Worten, daß er sie retten könne; aber die Schlußworte widerriefen das Vorangehende. Sie sei in einem Fieberzustand, er möge nicht auf sie hören, sie lassen wo sie sei, sich selbst, ihrem Schicksale überlassen. Wenn sie unterginge, sei es vielleicht das beste für ihn und sie. Gewiß, gewiß, sie werde sich auch dann erholen, die Geheimräthin habe sie nur prüfen wollen, hinter dieser Medusen¬ maske schlüge vielleicht ein gefühlvolles Herz. Sie drang in ihn endlich, nicht zu kommen, sich durch nichts stören zu lassen, was er höre. — Wenn sie das gewollt, warum nur die Nach¬ schrift? Warum hatte sie den Brief nicht zerrissen, einen neuen geschrieben, oder die Absendung ganz unterlassen? Sie befand sich also in einer Aufregung, welche ihr die Besinnung geraubt, und in diesem Zustande hatte ihr Herz nach ihm verlangt. An ihn hatte sie zuerst gedacht, als sie nach Rettung auf¬ schrie. Die Resignation war erst nachher gekommen. Er war aufgesprungen, sein Entschluß gefaßt, nur ihrem ersten Willen zu gehorchen, und eben hatte er den Ueberrock vom Nagel gerissen, als ein zweites Billet von unbekannter Hand ihm überbracht ward. Der Bote war verschwunden, das Wirthsmädchen hatte nicht nach dem Absender gefragt, und der unterzeichnete Name, als er es aufgerissen, war ihm fremd. Jemand, der sich einen Secretair des neuen Ministers nannte, forderte ihn auf, sich morgen in einer Frühstunde bei demselben melden zu lassen, indem Se. Excellenz ihn kennen zu lernen wünsche. Auch hier ein Postscript des Inhalts, daß der Minister bereit sei, ihn schon heute Nachmittag zu empfangen. Die Stunde war benannt, und Walter hätte eben nur Zeit gehabt, seine Toilette darnach einzurichten, wenn er der letzteren Weisung, die fast wie ein Befehl klang, Folge leisten wollen. Was wollte der Minister von ihm? — Natürlich, er hatte seine Schrift gelesen, seine Ansichten hatten ihn angesprochen, er wollte mit dem Verfasser — „Endlich!“ brach es von seinen Lippen, und seine Stirn klärte sich auf, aber der Glanz verschwand schnell wieder. Nach so viel Enttäuschungen vielleicht eine neue! Hatte ihm nicht ein ängstlicher Freund aus der Schulzeit zugeflüstert, daß er aus höheren Kreisen gehört, wie man seine Vorschläge für naseweis halte, daß seine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene. Und bedurfte es für ihn solcher Zuflüsterung, nach der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten Minister gemacht! Zwar, nach seinem Ruf im Publikum, war der neuen Ideen zugänglich, er hege selbst gro߬ artige Plane; aber er sei eigensinnig, hieß es, dringe damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt so gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur warnen wollen. Aus dem Zweifel, ob er den Ueberrock oder den Frack anziehen solle, riß ihn ein neues Klopfen, eine neue Ueberraschung. Sein Vater trat in die Stube. Er war noch nie hier gewesen, aber auf seinem Gesicht ersah man nichts von der Ver¬ wunderung, welche sich auf dem des Sohnes aus¬ drückte, weder eine freudige noch eine betrübte. Er reichte dem jungen Mann die Hand: „Ich muß doch auch mal sehn, wie's Dir geht,“ und setzte sich, wie er¬ müdet vom Wege, auf einen Sessel. „Ein unerwarteter Besuch, mein Vater.“ „Da Du nicht zu mir kommst, um zu sehn, wie's bei mir aussieht, muß ich zu Dir kommen, um zu sehn, wie's bei Dir aussieht. Wir kommen ja sonst ganz auseinander.“ „Das hab ich nie gefürchtet, und Ihr Besuch bestätigt meinen Glauben,“ sagte Walter, während der Vater seine Blicke flüchtig umher schweifen ließ. „Nu das ist ja alles recht hübsch ordentlich. Deine Lectionen müssen Dir auch schon was Er¬ kleckliches eintragen, freilich, und die Schriftstellerei auch! Um wen man sich so reißt, daß man gar kein Exemplar mehr kriegt, und wenn man's mit Gold aufwiegt. Schreibst Du wieder was Neues?“ „Es würde Sie so wenig interessiren als das alte.“ „Du willst, wie ich höre, die Bauern verbessern. Das ist hübsch. Mach nur die Lümmel gescheidt. Du erinnerst Dich wohl nicht mehr, als wir Nieder- Lanken gekauft hatten.“ „Doch, mein Vater. Sie sahen sich genöthigt, es wieder zu verkaufen, weil die Bauern mit den Hofediensten schwierig waren.“ „Weil ich kein Adliger sei, sagten die Schlingel. Weißt Du, wie ich es jetzt machen würde? Ich nähme einen Edelmann als Compagnon.“ „Sie nahmen auch Juden, was manchen an der Börse verdroß.“ „Juden, Heiden, Atheisten, je wie sich's zum Geschäft paßt. Ein Kaufmann muß Augen und Ohren aufhaben. Wo's gilt, schnell zugegriffen, ver¬ legene Waare fortgeschmissen à tout prix . Er muß mit der Zeit fortschreiten. Das thust ja wohl auch?“ „Ich fürchte, die Zeit schreitet über uns fort.“ „Ja, ja, sie hat jetzt lange Beine.“ „Mein Vater, ich kenne Sie, und ich glaube, Sie kennen mich. Sie haben den sauren Weg, der mich erfreut und beschämt, nicht ohne Absicht an¬ getreten?“ „Wer fällt denn gleich mit der Thüre ins Haus? Ich wollte mit Dir vorher ein bischen über Krieg und Frieden discouriren, Europäische Weltverhältnisse. Du bist ja jetzt ein Politiker, und ich hoffe doch noch immer mein Sohn, der mir mit Rath und That zur Hand sein wird, wenn es seines Vaters Wohl gilt.“ „Zum Spotten ist die Zeit zu ernst.“ „Was, spotte ich? Geht einen Kaufmann Krieg und Frieden nichts an? Der Alte stampfte mit seinem Rohr auf den Boden. 's ist Ernst, Herr Sohn. Wenn ein Kaufmann Schiffe auf der See hat, so geht ihn der Sturm sehr viel an; und wenn die Portepeefähndriche bis zu den Generalen hinauf in seinen Büchern stehen, so ist ihm ihr Leben noch viel theurer als dem Vaterlande.“ „Als ein umsichtiger Kaufmann, wie ich Sie kenne, werden Sie Ihre Unternehmungen nach den letzten kritischen Zeitumständen eingerichtet haben.“ „So? hoffst Du das?“ „Sie mußten den Krieg als wahrscheinlich im Auge haben, und Ihre Speculationen, wenn nicht darauf einrichten, doch danach abmessen.“ „Wenn ich nun auf den Frieden speculirt hätte!“ Indem Walter seinen Vater aufmerksam be¬ trachtete, suchte er, ob hinter der barocken Wolke, mit welcher van Asten seinen wahren Gesichtsausdruck zu verbergen wußte, nicht eine andere Stimmung lauere. Doch keiner der schlauen Blicke züngelte zu ihm auf; er saß, die Hände auf den Stock gestützt, seine Augen auf den Boden gerichtet. „So bin ich wenigstens davon überzeugt, daß Sie Ihr Geschäft übersehen haben. Wenn eine Unternehmung Ihnen fehl schlüge, werden sie nicht selbst geschlagen sein. Das Renommee des alten Hauses van Asten und Compagnie — “ „Die ältesten Häuser stürzen beim Erdbeben. Krieg ist ein Erdbeben. Lerne was von mir, was Dir gefallen wird: ein Kaufmann, der immer nur auf Nummer Sicher setzt, hat bald ausgewirthschaftet.“ „Mein Vater, wenn Sie auf den Frieden Ihr Alles setzten, —“ sagte Walter nachdenklich. „So ist wieder Unfriede zwischen uns, fiel der Alte ein, denn Du hast Dein Alles auf den Krieg gesetzt. Ich weiß es.“ „Was ist mein Alles, Vater!“ Der Kaufmann winkte ihm mit der Hand zu schweigen. „Ich weiß es ja, darum kam ich nicht her. Ich will nicht richten mit Deinen heroisch patriotischen Stimmungen, ein guter Geschäftsmann kann auch damit etwas anfangen, wenn die Leute danach sind! Da aber die Leute nicht danach sind, so — habe ich meine Rechnung auf den Friedensfuß gesetzt.“ III . 15 „Und die Armee —“ „Ist auf den Kriegsfuß gesetzt, das heißt der Lieutenant kriegt so und so viel, und der Obrist so viel Zulage. Die bezahlt der Schatz, und wenn Keiner da ist, der Bürger und Bauer. Nun sehe ich aber nicht ab, was der Fuß in Stiefel und Sporen mich bange machen soll, wenn der ganze Leib noch im Schlafrock steckt.“ „Der Schlafrock wird ihnen abgerissen!“ „Bist Du auch dabei?“ Jetzt erst warf der Alte einen seiner schlauen Blicke zu ihm hinauf. „Man will heut in der Komödie ein Paar Raketen in die Luft schicken. Das Sprühen und Prasseln soll ge¬ wissen Leuten die Augen und Ohren öffnen. Wenn sie nun aber absolut nicht sehen und hören wollen! Kinder sollten nicht mit Feuerzeug spielen.“ „Sie wissen, daß wir wirklich das verlassene Hannover besetzt haben.“ „Und wir verproviantiren die Franzosen in Hameln.“ „Aus dieser Zweideutigkeit Preußen herauszu¬ reißen ist jetzt die Aufgabe aller Besseren.“ „Und Du siehst, der König zaudert, wie er vor¬ hin gezaudert. Kaiser Alexander selbst mußte kom¬ men um ihn zu elektrisiren. Nun der Executor fort ist, fallen wir in unsere Natur zurück. Wie sagt doch da der Lateiner von der furca expellas ?“ „Wenn der Degen zu drei Viertel aus der Scheide gerissen ist!“ „So steckt immer noch ein Viertel drin, und das kann man so langsam rausziehen, bis es zu spät und der Krieg an der Donau vorüber ist. Bona¬ parte hat Wien genommen, weißt Du das schon? Die beiden Russischen Heere, unter Kutusow und Buxhövden werden Mühe haben sich um Olmütz zu vereinigen. Die Nachricht kam eben auf der Börse an.“ „Wien genommen! rief Walter. Und Haugwitz?“ „Hat sich von Bonaparte hinschicken lassen, weil in Wien ein Gesandter am besten aufgehoben ist. Der Kaiser hat sehr viel Rücksichten gegen ihn gehabt, fand es unschicklich, daß ein Preußischer Minister und Diplomat sich im Heerestroß mitschleppen lasse.“ „Und Haugwitz ließ sich fortschicken?“ „Was wird er nicht! Er liebt die Commodität. Sehr langsam reist er schon, damit ihm kein Unglück widerfahre. Und hat gewiß Recht gehabt, ein Un¬ glück, was unserm Premierminister zustieße, wäre ja eines für den ganzen Staat!“ „Und er traf ihn —“ „In Brünn gerade bei den Vorbereitungen zu einer neuen Schlacht. Da hatte Napoleon natürlich keine Zeit sich mit ihm zu unterhalten. Wenn ich zur Messe in Leipzig bin und meine Bude vollsteht von Juden, Türken und Armeniern, wo es einen Handel gilt um alle meine Waaren, und die Spitz¬ buben wollen mich übers Ohr hauen, oder ich will sie, was bei einem Kaufmann auf eins rauskommt, 15* und da käme ein lieber Sohn, oder Commis von einem Geschäftsfreunde, den ich zum Teufel wünsche, um sich mir zu präsentiren und mir Freundschafts¬ versicherungen zu machen, oder mir guten Rath zu geben, wie ich mit den Juden handeln soll, glaubst Du, daß ich solchen ungelegenen Gast anhörte? — Ich schmisse ihn zur Thür raus. Nein, Napoleon war höflicher, sagte zu ihm: Lieber, jetzt habe ich keine Zeit, gehn Sie nach Wien, und warten bis ich Zeit habe, dann wollen wir sprechen.“ „Und Haugwitz schüttelte nicht die Toga! Er ließ nicht die zwei Mal hundert tausend Bajonette zwischen seinen Drohworten klirren.“ „Drohworte! Er ist ja ein feiner, gebildeter Mann!“ „Aber sein Auftrag —“ „Kennst Du den? Ich kenne ihn nicht. Es werden hier nicht Zehn, nicht Drei sein, die ihn kennen. So viel man uns schreibt, sprach er als ein tief gekränkter Freund, daß Napoleon die guten wohlmeinenden Rathschläge, die Preußen ihm gegeben, so außer Acht gelassen. O ich zweifle gar nicht, er wird sehr sanft und elegant gesprochen haben — schade, sehr schade, daß Napoleon gerade nicht den Ossian las, sondern sich die Reiterstiefel anzog.“ Walter war auf einen Stuhl gesunken und barg sein Gesicht im Arme. Als der Vater den Seufzer hörte, den er unterdrücken wollte, stand er leise auf und berührte sanft die Schulter des Sohnes: „Mein lieber Walter, Dein Vater hat doch wohl recht gehabt. Wenn wir uns sonst nicht vertrugen, weil Deine Gedanken wo anders hingingen als meine, so mag ich unrecht gehabt haben. Gedanken sind zollfrei, und ich dachte als Kaufmann nur an die Waare. So lange man im Schmetterlingskleide über die bunten Wiesen flattert, da lasse man doch die Kinder spielen. Ich bitte Dich um Verzeihung, daß ich damals meinte, ich könnte Dich mit einem Bind¬ faden leiten, den ich an Deine Flügel band. Aber wenn der Schmetterling sich verpuppt hat, und aus den Gedanken Plane werden, wenn sie die Ideen marktgerecht zurichten und an den Mann bringen wollen, ists was anderes. Nun, sehe jeder, wie er's treibe. Du bist jetzt ein Mann, ein Kaufmann für Dich; wenn Du speculirst, mußt Du so gut wie Dein Vater auf ein Fallissement gefaßt sein. Dein Vater würde sich zu schicken wissen in das, was nicht zu ändern ist, und Du auch; Du bist mein Sohn. — Aber wenn man für den Staat speculiren will, ist das erste, daß man sich die Menschen ansieht, die, für die man speculirt — die Leute, ob sie danach sind? Die Gedanken, o die sind wunderschön. Aber was sind Ideen, ohne Menschen, die sie tragen! Das große Vaterland, o das ist das Erhabenste was es giebt, wer wollte nicht dafür Gut und Blut opfern! Wenn nun aber das Vaterland bloß Erde und Stein wäre und die Menschen ausgestorben? Würdest Du dafür auch Dein Blut dran setzen? Oder die Menschen drin wären alle blind, oder taub, oder Cretins. Ja, ich weiß doch nicht, ob es recht wäre, sich selbst darum hinzugeben, für eine große Blindenanstalt, für ein Taubstummeninstitut, oder gar für ein Haus von lauter Blödsinnigen. Mein lieber Walter, dein Vater hat sich nun durch ein Menschenalter die Menschen angesehen wie sie sind, und darum hat er jetzt auf den Frieden speculirt, und ich glaube, er hat recht speculirt.“ „Diese! rief Walter aufstehend. Ja, die Sie meinen, aber es giebt andere.“ „Wer zweifelt daran! Es giebt überall gute, rechtschaffene, kluge, sogar ausgezeichnete Menschen, es kommt nur eben darauf an, ob die Klugen die Dummen und die Guten die Schlechten überwiegen, oder umgekehrt. Mein Sohn, ich will Dir zugeben, daß Euer recht Viele sind, die fühlen und sagen: so geht es nicht mehr! Da's aber noch immer so geht, so müssen diese Vielen doch immer noch die Schwächeren sein, sie dringen nicht durch, die Andern bleiben am Ruder, und wer am Ruder sitzt, steuert wohin er will, meinethalben ins Verderben; auf den blicken Alle, der entscheidet, auf den kommt es an in welchen Hafen das Schiff treibt. Ist Haugwitz abgesetzt, Beyme fortgejagt, Lombard eingesperrt? Deine Besseren und Edleren schreien freilich überall, es müsse so kommen. Noch aber ist es nicht gekom¬ men. Umgekehrt. Die Prinzen, die Königin, so viele berühmte Generale, der halbe Hof, die Prinzessinnen an ihrer Spitze, cabaliren und verschwören sich bei¬ nahe an den Straßenecken gegen sie, und Lombard trinkt seine Chocolate und sein Weisbier so vergnügt wie vorher, Beyme macht Alles, und was er redet ist des Königs Rede, und Haugwitz ist zu Napoleon geschickt, um — die Rechnung zu arrangiren.“ „Sie gehen vor keinem Bilde Friedrichs vorüber, ohne den Hut abzunehmen, und Vater, so gering schätzt ein Verehrer des großen Königs dessen Volk?“ „Weißt Du noch unsere Tapeten aus Arras? Vor denen habe ich auch großen Respekt. Die da in unserem Eßzimmer stellen den trojanischen Krieg vor. Was hat der Aeneas für schöne karmoisinrothe Knie¬ hosen an! Das Prachtstück ist auch viele Genera¬ tionen in unserer Familie, König Franz I . hat es einmal in einem seiner Schlösser an der Wand ge¬ habt. Darum kriegtet Ihr Kinder auch immer Klapse auf die Finger, wenn Ihr dran polktet. Sind mir auch jetzt nicht feil. Nimm sie aber mal ab und halt sie gegen die Sonne! Wie ein Sieb von den Mot¬ ten! Und bringe sie auf die Messe. Wenn's kein Raritätensammler ist, so frage, was sie Dir bieten. Abgestandene Waare findet auf dem Markt keine Käufer.“ Walter schwieg einige Augenblicke; dann rief er: „Und scheine es heut nur Rost für den Raritäten¬ sammler, ein Geist wie Friedrichs kann nicht wie ein Meteor durch die Weltgeschichte geleuchtet haben, er kann nicht versunken sein ins Meer der Ewigkeit, ohne daß seine Strahlen gezündet und gezeugt haben. Andere Geschlechter müssen kommen, welche, wenn Rost und Schlacke abgeworfen, seinen Geist in seinem Volke wiederspiegeln.“ „Das verstehe ich nun nicht, sagte van Asten, der wieder Platz genommen hatte. Mit der Ewigkeit hat ein Kaufmann nichts zu schaffen. Was er heute einkauft, will er morgen absetzen. Walter, sieh Dich da recht vor, daß Du nicht zu kurz kommst. Das, wie gesagt, ist nun Deine Sache, aber warum kam ich doch gleich? Ja so — wirst Du heut Abend in die Komödie gehen?“ Walter suchte umsonst in dem wieder schlauen Blick des Vaters nach dem Sinn der Frage: „Ich verstehe Sie nicht.“ „Nun ich meine, ob Du auch einen Schwärmer abbrennen wirst? Man spricht von einem wunder¬ schönen Kriegsliede, das sie singen wollen.“ „Ich billige diese Theaterscenen nicht, wo es eine große, ernste und heilige Sache gilt.“ „So! Na das ist mir auch recht lieb, daß Du Dich nicht unter die Offiziere mengst. Die haben es bestellt. Ich glaubte nur von wegen des Liedes, weil Du auch Verse machst. Ins Theater wirst Du aber doch gehen, ich meine ganz simpel?“ „Ich war noch nicht entschlossen.“ „Dann thu's mir zu Gefallen. Aber nicht ins Parterre. Da wird man zu sehr gedrängt. Ich habe Dir schon im zweiten Range Logenbillets genommen.“ „Mir?“ „Dir und der Cousine Schlarbaum. Die muß doch den Spectakel mit ansehen, und hat keinen, der sie führt. Ich, weißt Du, geh' nie ins Theater, da habe ich Dich ihr vorgeschlagen.“ „Also darum —“ Eine flüchtige Röthe belebte Walters Gesicht und ein schmerzlicher Zug ging um seinen Mund. „In dieser Angelegenheit, dachte ich, wären wir im Reinen.“ „Du meinst doch nicht, daß ich meine Puppe einem Taugenichts aufdringen will, der sie nicht mag. Dazu ist mir das Mädchen viel zu lieb, und ihr ganzes Vermögen steckt in meiner Handlung. Wenn sie nun rabbiat würde, wie gewisse Leute, die man gegen ihren Willen verheirathen wollte. Ich kenne Einen, der lief drum aus dem Hause. Wenn sie nun auch aus dem Hause liefe, nämlich mit ihrem Capital, verstehst Du mich, sie kündigte es mir, weil sie sich nicht verkuppeln lassen will.“ Walter lächelte: „Meine Cousine Minchen ist ein viel zu sanftes Mädchen, und liebt ihren Oheim zu innig, um ihr Vermögen ihm zu kündigen.“ „Alle Sanftmuth hat ihre Gränzen, wenns ans Mein und Dein geht. Und — und wenn das Vor¬ mundschaftsgericht — Du fürchtest Dich doch nicht, daß Mamsell Alltag eifersüchtig wird, weil Du Deine Cousine führst? Au contraire , Du schlägst da zwei Fliegen mit einer Klappe. Hat sie Dir schon er¬ laubt, Dich ins Theater, auf die Promenade zu führen? Sieht sie, daß Du ihr zum Trotz ein andres hübsches Mädchen führst, so wird sie vielleicht zuerst maulen, aber dann sich besinnen und nicht mehr, was man so nennt, „ ê te“ sein. — Na wohin denn mit einem Male?“ „Verzeihen Sie mir, mein Vater, dahin, wo meine Pflicht mich ruft.“ „Desto besser. Ich begleite Dich. Gehts zur Mamsell Alltag, so bleib' ich vor der Thür, und warte auf Dich. Was gilt die Wette, ich sehe es Dir gleich an den Augen ab, wenn Du runter kommst, obs oben gut stand oder schlimm.“ Walter verbiß eine Bemerkung, er faßte des Vaters Hand: „Die Zeit ist nicht zum Scherz angethan. Nicht hier, nicht dort. Wenn das aber, was sie von der Cousine sagten, Ernst war, so Vater, schnell und deutlich, was hinter diesem Ernste liegt.“ „Der Ernst, Herr Sohn, daß sie ins Theater will und Du sollst sie begleiten.“ Dabei stampfte Herr van Asten wieder den Stock auf die Diele, ein Zeichen, daß es ernster Ernst war. „Und warum? — Bilde Dir nichts ein. Sie macht sich nichts mehr aus Dir. Du sollst sie begleiten um sie zu beschützen, aus Verwandtschaft und aus sonst was. Sind junge Mädchen nicht neugierig? Werden hübsche Mädchen nicht angegafft? Sind unsre Officiere nicht nach den Mädchen aus? Sind sie nicht unverschämt im At¬ tacqiren. Und willst Du noch mehr wissen? Ein Cornet, oder ist er jetzt Lieutenant von den Gensdarmen, ein Herr von Kickindiewelt, oder wie er heißt, schleicht ihr auf Schritt und Tritt seit letzter Redoute nach. Ein Libertin, ein Taugenichts, ein Verschwender. Minchen ist schüchtern, und hat das Pulver nicht erfunden, das weißt Du auch. Er zieht sie auf, sie weiß nicht zu antworten. Du sollst für sie antworten. Verstehst Du mich? Weißt ja Rath für alles, und wo der Unrath steckt. Nun zeig's mal, nicht mit der Feder, mit dem Maule. Wenn Du spitzig wirst, ist's gut; wenn Du grob wirst, noch besser, 's ist so Einer von denen, die die Beine über die Stuhllehne hängen, und's nicht so genau nehmen, wenn sie einem Bürger auf die Hühneraugen treten. Darum ist es auch für den Bürger gut, wenn er dicke Schuhe trägt. Außerdem hat er sehr viel Geld, also ist er sehr ungeschliffen. Junge, ich bin Dein Vater, und verbiete Dir, Dich in Händel einzulassen. Aber wenn Ihr so von ungefähr an einander geriethet, will ich nichts davon wissen. Du hast in Halle eine Klinge geschlagen, in Deinem Stammbuch steht auf jeder Seite ein Kreuz von Hiebern. Außerdem hatte der Herr Schwertfegermeister die Gefälligkeit, seine Rechnung mir nach Berlin zu schicken. Ich erinnere Dich nun nicht darum daran, daß Du's mir wieder bezahlen sollst, was ich für Dich gezahlt, sondern —“ Walter lächelte: „Sie besorgen, daß ich in Berlin unter meinen Büchern die Kunst vergaß, die ich in Halle betrieb, die Kunst zu handeln. Ich werde Ihrem Befehl gehorchen und Minchen ins Theater begleiten.“ „Nu begleite ich Dich, wohin Du willst,“ sagte vergnügt der Vater. An der Thür hielt er den Sohn beim Rockzipfel: „Walter, 's ist 'ne schlimme Zeit geworden, und sie muß besser werden, oder sie wird noch schlimmer. Sind die im blauen Rock 'ne andere Race Menschen? Stammen nur die Junker von Adam und wir andern fielen nebenher von der Bank? Jeden Tag wird Ihr Uebermuth größer. Darum ein Mal drauf los! Trumpf auf Trumpf. Nicht mit Federkielen, die Feder wird stumpf, je spitzer Ihr schreibt. Sie lesens nicht, oder sie lachen drüber. Aber —“ Es blieb ein Gedankenstrich. An der Hausthür setzte er noch etwas hinzu: „Und darum ists auch gut, daß Friede bleibt. Wenn sie die Franzosen schlagen, dann wär gar nicht mehr mit ihnen aus¬ kommen. Jetzt sprudeln sie vor Uebermuth, aber daß man sie nicht brauchen will, und ohne sie fortzu¬ kommen meint, ist ein guter Dämpfer.“ Walter war anderer Ansicht, aber es war nicht der Augenblick, um die des Vaters zu bekämpfen. Ueber die im Hintergrunde liegende Absicht desselben war er nicht in Zweifel. Er zürnte ihm nicht, daß er von einem Plane, der ihm ans Herz gewachsen, nicht lassen konnte; aber es stimmte ihn wehmüthig, daß der Vater mit unerschütterlicher Festigkeit einem unerreichbaren Ziele nachging. Unerreichbar, weil Walter in seinem Willen sich eben so klar und un¬ erschütterlich dünkte. Aber das Intermezzo, oder die kleine Intrigue, die der Vater spielte, erheiterte ihn, weil er sie durchschaute, und sich in ihrem Netze fangen zu lassen nicht besorgte. Der hübschen Cousine hatte er den Muth so unbefangen entgegen zu treten wie immer; einem unverschämten Angriff gegen die¬ selbe zu begegnen, dünkte ihm eine nicht der Rede werthe Kleinigkeit; des Vaters Meinung über den Militair¬ übermuth theilte er, wenn gleich das Uebel ihm weder so tief noch so groß schien und er am wenigsten das Mittel gut hieß, welches dieser angedeutet. Eine leise Wolke des Unmuths spielte aber doch um seine Stirn, als der Vater seinen Antrag motivirte. Es war eine Wahrheit in des Alten Worten, und der Schatten einer empfundenen Wahrheit spielte in sein Gemüth, als van Asten von seinem Sohne eine That forderte, um zu beweisen, daß sein Geist nicht in der Forschung untergegangen sei. Je lächerlicher ihm die Probe schien, um so mehr empfand er den Vorwurf. Als an der Ecke sich ihre Wege schieden, sprach er: „Schlimm ist die Zeit, mein Vater, aber sie ist es schon lange. Was wir können, dürfen wir nicht zeigen, und was wir zeigen, ist nicht was wir wollen. Eine gründliche Kur thut uns allen Noth, die Kur, die uns wieder zu Menschen macht, den Bürger zum Bewußtsein erweckt, warum er es ist; den Staat zu dem, daß er Männer bedarf, nicht Automaten. Ist dies Bewußtsein da, dann werden sich auch die Männer finden.“ „Also Du willst jetzt noch nicht mit zur Cousine?“ „Zur Theaterstunde bin ich in ihrer Wohnung.“ „Grüß mir die Mamsell Alltag. — So ein affairirter Mensch! Muß Trost und Hülfe da bringen und da auch, bei hübschen Mädchen. — A propos! rief der Vater den Sohn zurück, was das Bewußt¬ sein anlangt, wärs nicht besser, wenn die Bürger es zuerst kriegten? Wenn da erst viele, wie Du zu sagen beliebtest, Männer geworden, dann käme der Staat, meine ich, von selbst zum Bewußtsein, daß er ihrer bedarf. Denke ein Bischen darüber nach!“ Der Alte war fort. Als Walter in die Jäger¬ straße einbog, rollte der Lupinussche Wagen heran. An der Seite der Geheimräthin saß Adelheid, geputzt wie ihre Pflegemutter, aber ihre Wangen schienen vor Freude zu glühen, wie er sie nie gesehen. Als die Damen ihn erblickten, lächelte die Geheimräthin ihn schelmisch an, und wandte sich mit einer lieb¬ kosenden Bewegung zu ihrer Pflegetochter. Es kam ihm sogar vor, als küßten sie sich; gewiß hörte er, als der Wagen vorüberrollte, ein lautes Gelächter. „Was war das!“ rief er. „Ein Herz und eine Seele nach diesem Brief! Und sie ruft mich nicht heran, wo sie sehen muß, daß ich zu ihr will.“ Er starrte dem Wagen nach, wie in Erwartung, daß er halten, Adelheid sich herausbiegen und ihn rufen werde. Er wartete umsonst. Der Wagen war ver¬ schwunden. Walter hatte recht gesehen und gehört. Aber man kann als Augenzeuge ein Factum beschwören, und hat doch ein falches Zeugniß abgelegt. Walter hatte nicht das kurze Zwiegespräch belauscht, was die Geheimräthin mit Adelheid vorher gepflogen, nicht die Komödie, die sie ihr zur Pflicht machte. Die Wangen des jungen Mädchens glühten allerdings, aber sie waren vorhin todtenblaß und die Röthe war die Schminke, welche die Geheimräthin selbst ihr aufgelegt. „Die Welt braucht nicht zu wissen, was wir wissen,“ hatte sie gesagt. Dreizehntes Kapitel. Ein Präludium. Das Nationaltheater bot heut einen feierlichen Anblick. So gefüllt hatte man es seit lange nicht gesehen. Es war nicht Ifflands Kunst noch Flecks Genie, auch nicht die Anmuth der Unzelmann, der spätern Bethmann, oder die bezaubernde Stimme der Schick, was dieses Publikum angelockt. Es war kein glänzendes im gewöhnlichen Sinne, obwohl Gold und Silber von den Uniformen flimmerte, und aus den Gesichtern der Zuschauer ein eigenthümlicher Glanz strahlte, der der gespannten Erwartung, aber auch ein etwas, was die Mehrzahl voraus wußte. Daher die schlauen, lauschenden Blicke, ein vergnüg¬ tes Zublinzeln, ein Zuverstehengeben, daß man un¬ terrichtet sei. Kein glänzendes Publikum, was man in Ber¬ lin so nannte, sagen wir; denn weder der Hof war zugegen, noch ein hoher Gast, dessen Anwesenheit immer die Neugier anzieht. Im Gegentheil fehl¬ ten gerade die ausgezeichnetsten Männer, die man sonst im Theater zu sehen pflegte, und die, welche zu dem regierenden Kreise in näherer Beziehung stan¬ den. Man vermißte aber auch mehre eminente Per¬ sönlichkeiten, welche zu diesen Kreisen nicht gehörten, sondern sich ihnen feindlich gegenüber stellten. Wenn sie es waren, die das Schauspiel angeordnet, hielten sie es für schicklich, wenigstens den Schein zu ver¬ meiden, und verbargen sich in der Tiefe der damals sehr dunkeln Logen. Nicht der Schauspieler und der Darstellung we¬ gen schien dieses große, lebhafte Publicum versam¬ melt, sondern seiner selbst willen. Es wollte sich eine Darstellung geben. Auf dem Zettel stand an¬ gekündigt Babos: „Puls.“ Um dieses feinen, psy¬ chologischen Schauspiels willen hatte nicht das Offi¬ cierscorps für die Wacht- und Quartiermeister der Regimenter Gensd'armen verschiedene Logen im er¬ sten und zweiten Range gemiethet, noch sah man deshalb im Parterre und auf dem Amphitheater Gruppen Infanteristen und Husaren, jede von 10 bis 12 Mann um ihren Unterofficier versammelt. Auch saßen untersprengt in anderen Logen zwischen geputzten Damen und aristokratischen Herren gemeine Soldaten in ihrer Commisuniform, ein damals weit grellerer Contrast und unerhörter Anblick. Die „ho¬ netten“ Leute erschraken sonst vor der Berührung mit der blauen Montur. Und so geschickt, aber doch nicht glücklich hatte man das bürgerliche Publikum mit dem Militair im ganzen Hause vermischt, denn wer Augen III . 16 hatte, sah die Absicht. Man wollte sie aber auch nicht verbergen, nur einen luftigen Schleier darüber werfen. Volksschauspiele zu arrangiren war die Zeit in Preußen noch nicht gekommen. Auf dem Komödienzettel stand aber hinter dem Baboschen Puls: „Auf vieles Begehren Wallensteins Lager von Friedrich Schiller.“ „Hatte man denn kein patriotischeres Stück?“ schien der Sinn der Frage, die Jemand im Parterre sei¬ nem Nachbar zuflüsterte, der zu den Eingeweihten in Beziehung stehen mußte. „Es ist weder preußisch¬ noch deutschpatriotisch.“ — „Aber militairisch“, antwor¬ tete ein Dritter. — „Es wäre doch schlimm, meinte jener, wenn wir den Franzoson nichts entgegen zu setzen hätten“ — „Als soldatesken Stolz! ergänzte der Dritte. Ein Schelm giebt mehr als er hat!“ Babos Puls ward mit mehr Aufmerksamkeit gegeben, als gehört. Die Pulsschläge im Parterre waren zu heftig, um den sanften auf den Brettern folgen zu können. Es blieb still trotz des Meister¬ spiels der Darstellenden. Aber doch schlugen nicht alle Pulse auf ein Ziel. Es war so viel zu sehen, viele sahen sich, die sich niemals hier getroffen. Woran sollten die Soldaten denken, die in diesen Räumen zum ersten Mal standen, kerzengrad, auf Commando und des neuen Commando gewärtig. Das Spiel da oben war für sie ein Schattenspiel an der Wand in unverständlichen, gleichgültigen Hie¬ roglyphen, die auf ihren glotzenden Gesichtern nicht den geringsten Eindruck machten. Auch vor der Schlacht schlagen nicht alle Pulse nur der Entscheidung entgegen. Die Karte, der Wür¬ fel und ein schönes Auge machen das Blut so leb¬ haft pulsiren, als der erste Trommelwirbel, das erste Pfeifen der Kugeln. Es waren viele schöne Augen in den Logen, und viele junge Officiere observirten. „Sie schminkt sich aber nie,“ sagte ein Kuirassier. „Sie ist geschminkt!“ rief der Cornet. „Sie ist echauffirt. Sieh doch, wie ihre Arme zittern. Ihre Finger hämmern ja wie im Krampf auf die Brüstung.“ „Ihre gelben Locken fangen schon an wie Bind¬ faden runter zu hängen. Ist das etwa auch ein Beweis, daß sie nicht geschminkt ist?“ Der andre observirte schärfer mit dem Ausruf: „Donnerwetter, sollte ich mich irren! Sie changirt nicht Farbe, und doch zuckte sie zusammen, als die Lupinus ihr was ins Ohr sagte.“ „Was gilt die Wette?“ wiederholte der Cornet. „Besser, wer entscheidet sie, fiel der andre ein, wer schafft den Beweis?“ „Schicken wir eine Untersuchungs-Deputation an sie,“ sprach ein Dritter. „Wolfskehl wäre dabei, in den Schminkangelegenheiten hat er gründliche Studien bei Comteß Laura gemacht.“ „Stellt Einen Posto, rief der Cornet, drüben hin, der sie nicht aus dem Auge läßt, und einen An¬ 16* dern hinter ihr. Wenn die Rührung losgeht, dann Attention! Der drüben, ob's unter dem Auge weiß, der hier, ob das Tuch roth wird.“ „Ein trefflicher Operationsplan! Wolfskehls mi¬ litairisch Genie entwickelt sich immer mehr.“ „Am Ende fangen die Weiber gar nicht an zu weinen?“ „Und wozu das alles, sagte der Kuirassier. Da müßt Ihr Euch doch den Mund wischen. Die Person hat nun mal was, daß man nicht weiß, was es ist; zudem Beschützer an allen Ecken. Man weiß nicht, wo man anstößt, wenn man zugreift.“ „Grad das könnte mich tentiren, rief der Cor¬ net. 'S ist nur, sie ist nicht nach meinem Gout.“ „Wolfskehl liebt nur das Bornirte. Da oben sitzt die neuste, die er auf den Zug hat.“ Man schaute nach der Loge im zweiten Range, nicht aber mit Discretion, wo Walter van Asten hinter seiner Cousine stand. „Wer ist denn ihr Beschützer?“ „Das Pockengesicht! Irgend ein Schulfuchs.“ „Vielleicht ihr Erkorner — oder Destinirter. Er behandelt sie mit vieler Aestimation.“ „Sieht mir grade aus wie Einer, der Lust hat, sich einen sanften Rippenstoß appliciren zu lassen, wenn ich Lust bekäme, dem Mädel den Arm zu bieten. Wollt Ihr pariren, er dankt mir nachher an der Treppe —“ „Wofür?“ „Die Ehre, daß ich seinen Schatz geführt. Hol' mich der Geier, er soll's!“ Der zornfunkelnde Blick eines ältern Officiers in militairischem Reitüberrock, der mit verschränkten Armen an einem Pfeiler stand, begleitete das „Pst!“ welches er den Schwätzern zurief, ohne seine Stel¬ lung zu verlassen. Sie schwiegen unwillkürlich. Nur der Cornet ließ seinen Säbel klirren: „Wer ist denn der Bramarbas?“ Beide Begleiter zischten ihm ein bedeutungsvol¬ les „Pst!“ in die Ohren. „Mit dem ist nicht gut Kirschen essen!“ „Aus der Provinz einer! So ein Comman¬ dant aus Krähwinkel vielleicht. Soll der sich unter¬ stehen, einem Officier von der Garde Raison zu lehren?“ „Der unterstände sich noch mehr, flüsterte der Kuirassier. Um Gottes Willen sei still, Fritz, 's ist der Obrist York aus Mittenwalde. Der hat selbst mit dem alten Fritz angebunden.“ Nicht alle Pulse schlugen gleich. „So in sich versunken, Herr Geheimrath?“ fragte Herr von Wan¬ del, der in eine nebenstehende Loge trat, den Geheim¬ rath Bovillard, welcher sein Opernglas erhob, um es wieder abzusetzen und mit dem Taschentuch zu wischen. „Ich bin nicht disponirt.“ „Das werden Sie doch nicht zeigen wollen!“ „Ich zeige mich. Was kann man in meiner Lage Besseres thun.“ „Sie hatten in letzter Zeit vielen Verdruß? Herr von Fuchsius hat Sie verlassen, sich ange¬ schlängelt an die neu aufgehende Sonne —“ „Wohl bekomm' es ihm. Wenn die Sonne ein Stein ist, hört sie auf zu glänzen.“ „Haben Sie Nachricht von Ihrem Herrn Sohn?“ „Haugwitz hat ihn aus Wien mit einer Depeche um Verhaltungsbefehle hierher geschickt; das wissen wir aus anderer Quelle. Er scheint unterweges auf¬ gehalten oder aufgefangen zu sein.“ „Was den Vater allerdings nicht gut disponirt; indeß wird der Sohn des Geheimrath Bovillard vor Napoleons Augen immer Gnade finden.“ „Auch wenn er von dieser Komödie hört! sagte Bovillard noch leiser. — In welchem Winkel mag sich Laforest versteckt haben?“ „Sie wollen doch nicht das Theater verlassen? — Ich bitte Sie, Geheimrath. Was ist's! Ein bischen Trommeln, Singen und Geschrei werden sie ertragen können — “ „Wenn nur nicht drüben die Lupinus säße! Ich kann das Gesicht nun einmal nicht ausstehen. Ist denn das 'ne Larve oder ein Gesicht?“ „Sie hat, glaube ich, Verdruß gehabt, mit ihren Dienstleuten oder ihrem Pflegekinde. Sie ist aller¬ dings etwas blaß.“ „Diese kleinen, feinen, stechenden Korallenaugen! Wandel, ich versichre Sie, wenn ich ihrem Blick be¬ gegne, ist mir's, als wenn ein gläserner Dolch mir ins Herz bohrt.“ „Leiden Sie oft an solchen Visionen?“ „Begreif es einer, warum ich an einen Kirchhof denken mußte.“ „Hier?“ „Und sie wie das weiße Bild des Todes. Wen sie ansieht und küßt, der müßte sterben.“ „Ihre Lectüre echauffirt Sie, theuerster Freund. Dieses junge Genie, der Chateaubriand, reizt die Phantasie auf. Unwillkürlich beschwört er Geister, die für unsre Atmosphäre nicht passen. Ich möchte Ihnen dagegen als calmirende Lectüre ein treffliches Buch empfehlen, welches eben erschienen ist, — Wagners Gespenster. Lesen Sie darin vorm Ein¬ schlafen einige Geschichten, Sie werden davon eine vortreffliche Wirkung empfinden. Es konnte kein besseres Gegengift gegen die romantischen Schwärme¬ reien gerade jetzt auftreten, wo selbst bei den Fran¬ zosen —“ Er konnte nicht ausreden. Der Geheimrath war über die hintern Stühle geklettert und zur Loge hinaus. Wandel, der rasch gefolgt, ließ ihm in der Conditorei ein Glas Zuckerwasser bereiten, in das er Hoffmannstropfen goß. „Nichts als ein Schwindel, theuerster Geheim¬ rath, begreiflich, wenn Sie an die Eventualitäten des Krieges dachten. Da sieht man wohl Leichen und Kirchhöfe. Wie mancher dieser exaltirten Mili¬ tairs wird kalt und stumm auf dem Schlachtfeld liegen, wenn ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Auch vielleicht um Ihren Sohn waren Sie besorgt. Das combinirt sich alles so natürlich bei einer nervösen Complexion. Wenn Sie sich erholt, lassen Sie uns zurückkehren.“ „Das Mädchen ist hübsch, aber die Augen, wie gläsern. Wenn das Wachsbild nun unter ihren Ar¬ men schmilzt!“ „Das wäre unnütz!“ „Was reden Sie?“ „Ich weiß es selbst nicht, wahrhaftig, Bovillard. Ihr Unfall hat mich consternirt. Es ist nicht Be¬ sorgniß um Sie — aber Sie sollten Hufeland be¬ fragen, wenn diese Anfälle sich wiederholen. Indeß — erlauben Sie mir Ihren Puls. — Da intonirt das Orchester schon das Reiterlied. Ja, ja‚ Sie leiden an den Nerven. Sie glauben nicht, was die Be¬ schäftigung des Geistes da hilft. Man muß sich zuweilen peinigen und sich in Zerstreuungen stürzen. Sie arbeiten zu viel, Sie lebten auch vielleicht in letzter Zeit zu solide. Ueberwinden Sie sich, und kehren zurück. Täuschte ich mich, im Mantel dort, das war Laforest. Er ist es.” „Ein interessantes Stück, der Puls? sagte der Gesandte im Vorübergehen. Nicht wahr, meine Herren? — Wenn doch die Staatskunst auch solche Aerzte zur Hand hätte, die am Pulsschlag ihrer Kranken die geheimen Intentionen der Völker erkennten!“ „Welchen Auslegungen Sie sich aussetzen, wenn Sie fortgehen, wo ein Laforest zu bleiben wagt, sprach Wandel dringend zu Bovillard. Bedenken Sie die Stimmung im Publikum, theuerster Freund! Lom¬ bard selbst hat einen Beitrag für die Militairmusik geschickt.“ Der Geheimrath Bovillard wollte bleiben, dies deutete wenigstens der stumme Händedruck an, als er aufstand: „Wenn nur das Weib fortginge!“ Aber als er die Thür des Conditorsaales öffnete, kam ihm gerade dieses Weib, welches er vermeiden wollte, entgegen. Die Lupinus führte ihre Pflege¬ tochter am Arm. Ein scharfer Kennerblick mußte unter der Röthe von Adelheids Wangen die tiefe Blässe entdecken. Sie wankte am Arm ihrer Führerin, deren Anstrengungen, es zu verbergen, vergebens waren. Als Bovillard zurückprallte, kaum von den Ein¬ tretenden gesehen, eilte eine neue Zeugin herbei: „Mein Gott, was ist ihr!“ rief die Fürstin Gargazin. „Nichts als übergroße Hitze! Ein Glas Limo¬ nade, Herr Reibedanz! Das wird dem Uebel ab¬ helfen.“ „Sie ist krank, das sind convulsivische Bewe¬ gungen!“ rief die Fürstin. „Adelheid wird Ihnen das Gegentheil betheuern, wenn sie sich erfrischt hat,“ sagte die Geheimräthin, indem sie mit einiger Heftigkeit das Glas dem jungen Mädchen an die Lippen hielt. Adelheid nippte, aber das Glas fiel auf die Erde, sie selbst knickte zusammen und wäre selbst ge¬ fallen, wenn die Fürstin sie nicht aufgefangen, und mit dem hinzuspringenden Bovillard auf ein Canap é gebracht hätte. Die Lupinus hatte sich diesen Augenblick entgehen lassen, indem sie mit dem Le¬ gationsrath ein rasches Gespräch in stummen Blicken gewechselt. Wandels ernster Blick schien tief eindrin¬ gend, die Geheimräthin hielt ihn nicht aus, und als sie die Augen gesenkt, hörte sie die Worte ins Ohr geflüstert: „Was soll diese Komödie! Ich hoffe hier ist nichts vorgefallen, was Sie bereuen müßten!“ Sie wollte die Lippen öffnen, als Adelheids unter¬ drückter, unartikulirter Schrei die Aufmerksamkeit der Hülfeleistenden auf den Gegenstand der Theilnahme wieder zog. „Es muß doch etwas mehr als die Hitze im Hause sein,“ bemerkte die Fürstin mit einem eignen Ton. Bovillard fragte: War sie vielleicht zum ersten Mal im Theater?“ Er setzte hinzu, die Blicke der jungen Officiere, die eben nicht mit Schonung sie fixirten, möchten sie afficirt haben. „Ein Flacon!“ rief die Geheimräthin. Die Fürstin, neben Adelheidknieend, hielt es ihr bereits an das Gesicht. „Sie wird sich wieder erholen.“ Die Lupinus wandte sich zum Legationsrath: „Mein Gott, was zaudern Sie! Eines Ihrer Haus¬ mittel, die Sie stets bei sich führen.“ „Meine einfachen Mittel wende ich nur an, wo mir der eigentliche Grund der Krankheit nicht un¬ bekannt blieb.“ Die Geheimräthin hatte sich wieder gefunden: „Der eigentliche Grund der Krankheit kann denen nicht unbekannt sein, die von dem überschwänglichen Gemüth des jungen Mädchens unterrichtet sind. Patriotin bis in die äußersten Fibern ihrer Seele, hat sie seit vierzehn Tagen an einer Fahne für un¬ sere Garnison gestickt, und mich und sich um ihre Nächte betrogen. Erst heute Morgen entdeckte ich es, und es hatte leider eine lebhafte Scene zur Folge, die ich jetzt bereue, und zu der mich doch die Pflicht für die Gesundheit des Mädchens trieb. — Man hat etwas mehr zu sorgen für fremde als für eigene Kinder,“ setzte sie mit einem feierlichen Tone, der Resignation oder des gekränkten Bewußtseins, hinzu. „Um dem Gerede der Leute zu entgehen,“ sagte die Fürstin. „Auf Dank rechne Niemand, der Pflichten über¬ nimmt, die über seine Pflicht gehen,“ bemerkte der Legationsrath. „Aber wir Alle sind Ihnen dankbar, fiel die Fürstin besänftigend ein, für die geschickte Weise, wie Sie das Kind, und noch zu rechter Zeit, aus der Loge führten. Ich bewunderte Madame Lupinus wirk¬ lich, und, Gott sei gelobt, es hat gar kein Aufsehen erregt. — Sie athmet.“ „Aber noch geschlossene Augen.“ „Mein Hotel ist so nahe, liebe Geheimräthin, ich würde mir ein Vergnügen machen, selbst sie dahin zu schaffen. Eine Portechaise steht im Flur. Mein Kammerdiener fliegt dahin — wenn —“ „Wenn Madame Lupinus, fiel der Legationsrath rasch ein, nicht die Hoffnung hegte, daß die junge Dame sich noch erholte, um an ihrer Seite zur Vor¬ stellung zurückkehren zu können. Und die Hoffnung scheint mir begründet.“ „Ich würde es mir nie vergeben, dem Kinde ein Vergnügen zu rauben, nach dem ihr Herz sich sehnt.“ Der Legationsrath hatte rasch aus seinem Etui ein Fläschchen geholt, welches er der Fürstin über¬ reichte: „Drei Tropfen in den Händen gerieben, und damit in Intervallen über die Schläfe gefahren. Nur der Luftdruck, nicht Berührung!“ Er war ehrerbietig zurückgetreten, ohne auf die Frage: „Warum nicht Sie selbst?“ zu antworten. Die Ouvertüre begann schon. „Ich begreife Sie nicht,“ sagte leise die Lupinus, an deren Seite er sich gestellt, während der Geheim¬ rath Bovillard der Fürstin beistand. „Noch weniger ich den Zusammenhang hier, entgegnete er im selben Tone. Was ging hier vor?“ „Sie sah eben ihren Liebhaber. Sie hatte ihn vor dem Theater erwartet, so glaube ich wenigstens aus ihren Reden in der Extase schließen zu dürfen. Sie hatte ihm geschrieben, ihn zu sich geladen. Und statt zu kommen —“ „Sah sie ihn an der Seite eines hübschen Mäd¬ chens, dem er viele Aufmerksamkeit erwies.“ „Ist das nicht Grund genug, Herr Legations¬ rath?“ Wandel zuckte die Achseln: „Unter andern Ver¬ hältnissen. Erlauben Sie mir indeß zu glauben, daß es hier kein Grund ist. Doch bin ich beruhigt, und verzeihen Sie, wenn ich es vorhin nicht schien. Das erste Gesetz der Wissenden; meine Freundin, ist, sich zu hüten vor dem Unnöthigen, wo das Nothwendige schon unsere ganze Geisteskraft beansprucht. Wir dür¬ fen nicht spielen mit den Dämonen, wie diese hier thun; sie vertragen es nicht. Sie gehorchen uns nur, wenn wir das eiserne Auge nie von ihnen lassen und mit einem Stahlarm sie pressen — auf das Noth¬ wendige hin. Von Phantasten und Jongleurs reißen sie sich los, und schlagen sie mit den zerrissenen Fesseln nieder.“ Im Theater ward es laut. Ein Theil des Publikums schien durch Summen und Singen die kriegerischen Töne der Ouverture zu accompagniren. „Mein Gott, — wenn sie doch jetzt — wir versäumen etwas!“ rief die Lupinus, es war aber nicht das Verlangen, nach dem Theater zurück zu kehren. „Wie sanft sie athmet!“ sagte die Fürstin. „Debarrassiren Sie sich von ihr. Es ist am Ende doch das Gescheidteste!“ flüsterte Wandel der Geheim¬ räthin zu. Sie blickte ihn fragend an. „Sie be¬ zweifeln, daß ich als Ihr Freund spreche. Mein Rath sollte Ihnen beweisen, daß ich es bin. Ich sage nicht, daß Sie eine Natter sich im Busen erzogen haben, aber in dem Mädchen ist etwas Dämonisches. Bil¬ dete sie sich nach Ihnen? Schlug nur einer Ihrer Rathschläge an? Sie müssen sich gestehen, daß das Mädchen unberührt blieb, gleichviel ob im Guten oder Bösen. Aber Sie sind nicht mehr Herrin Ihrer selbst, seit dieses Gewicht an Ihnen hängt, ihr kluges Auge, ihr scharfes Ohr Ihre Schritte und Tritte, ich möchte sagen, Ihre Gedanken belauscht. Fast erkenne ich meine stolze, sichere Freundin nicht wieder, wenn ich die Rücksichten sehe, die sie auf ein in jeder Be¬ ziehung untergeordnetes Wesen nimmt. Aber sie ist nicht, sie kann nicht untergeordnet sein ihrer Natur nach, das ist eben das Dämonische, was ein frei denkendes Wesen nicht neben sich dulden dürfte. Bringt sie nicht Unglück in jedes Haus, in das sie tritt! Dort — hier. Ueberrechnen Sie die Verlegenheiten, in die Ihre Güte gegen Adelheid Sie gestürzt, und ziehen Sie den Schluß, welches von beiden Uebeln größer ist, daß die Welt wieder einmal acht Tage über Sie lästert, oder — daß Sie frei, Sie selbst wieder sind. Wählen Sie das Kleinere, und ergreifen die erste Gelegenheit.“ Die Ouverture schloß mit Anklängen aus dem Dessauer Marsch. „Sie richtet sich auf, sagte Bovillard. O eine wahre Patriotin!“ Herr Reibedanz rief zur Thür herein: „Machen Sie schnell, meine Herrschaften, der Vorhang geht auf.“ „Sie muß mit, sprach die Geheimräthin. Sie hat die Kraft, sich selbst zu genügen.“ „Ich glaube auch, sagte die Fürstin. Herr von Bovillard, unterstützen Sie ihren Arm, sie will auf¬ stehen.“ „Bovillard!“ wiederholte Adelheid mit der süßen Stimme einer Träumenden, die aus einem lieblichen Traum erwacht, und erhob sich. „Geliebtes Kind!“ sprach die Geheimräthin, ihr entgegen tretend. Aber derselbe Traum mußte auch bittere Er¬ scheinungen ihr vorgegaukelt haben, denn als ihr Auge auf die Pflegemutter fiel, welche die Arme gegen sie ausbreitete, stieß sie dieselben mit einer krampfhaften Bewegung zurück. Das träumerische Auge veränderte seinen Ausdruck, ein Entsetzen wie mit Zorn gemischt schien aus der tiefsten Seele aufzusteigen und lieh dem Augapfel einen Glanz, vor dem man erschrak. Wie kam dieser Blick in das Auge einer Jungfrau! Die Fürstin hatte eben so rasch es bemerkt, als sie mit der huld¬ vollsten Freundlichkeit Adelheid unterfaßte: „Bovil¬ lard, geben Sie ihr den Arm, wir führen unsre Patientin.“ „Sie träumte noch den Dessauer Marsch und sah die Franzosen vor sich,“ sagte der Geheimrath. „So ist sie! Voller Laune und Phantasie!“ be¬ merkte die Lupinus an Wandels Arm. „Wie unsre Zeit und diese Menschen, entgegnen er. Nichts, wohin wir sehen, als Phantasie und kein Entschluß.“ Vierzehntes Kapitel. Wallensteins Lager. Kaum ließ sich während der Darstellung das Mitspielen des Publicums zurückhalten. Die Iffland, Unzelmann, Mattausch, Herdt, Bessel, Gern, Labes, Kaselitz erschienen in ihren Waffenröcken und Wehr¬ gehenken nicht wie Schauspieler, welche das Bild einer zweihundertjährigen Vorzeit den Zuschauern hinzaubern wollten, sondern wie Repräsentanten die¬ ser Zuschauer selbst, die, jedem Kunstausdruck, jedem Verse, der auf das Ergreifen der Waffen deutete, zujubelnd, ihre eigene kriegerische Stimmung aus¬ hauchten. Das war ein Bravorufen, Klatschen, so kräftig, sonor, wie man es in diesen, der ernsten Kunst geweihten und damals heilig gehaltenen Räumen sel¬ ten gehört. Der Kunstenthusiasmus erlaubte sich in Berlin wohl Thränen und Entzückungen, auch Ver¬ zückungen, aber noch nicht mit dem Feuer zu spie¬ len, das er später verschwenderisch über seine Lieb¬ linge ausschüttete, einen flammenden Glorienschein, der oft zur verzehrenden Flamme werden sollte für den Ruf des Gefeierten. III . 17 Das Reiterlied war gesungen; tiefe Spannung auf allen Gesichtern, ein banges Schweigen in dem gedrängt vollen Hause. Da trat Kaselitz als Dra¬ goner von Piccolomini vor, und vertheilte ein ge¬ drucktes Lied zum Lobe des Krieges unter seine Cameraden. Die Pappenheimer, die Panduren, Il¬ los Kroaten, alle verstanden Deutsch zu lesen, das Or¬ chester hub an, und nach der Schulzeschen Melodie: „Am Rhein, am Rhein!“ ward ein Lied gesungen, von dem überlebende Zeitgenossen uns versichern, daß es gewirkt wie ein Tyrtäischer Kriegsgesang. Das Publicum erhob sich. Man streckte die Arme nach der Bühne, um den Text zum Mitsingen zu erhal¬ ten, die Schranken des Orchesters fielen. Da aber regnete es schon von gedruckten Blättern aus dem Amphitheater. Das Parterre stimmte ein, Jubel oder Rührung, es war zweifelhaft, was größer war. Die Damen in den Logen wehten mit den Tüchern; ernsten Männern, bei deren gefurchtem Gesicht man einen Eid hätte ablegen mögen, daß sie nie geweint, standen Thränen im Auge. Die letzte Strophe mußte wiederholt werden. „Das ist ein Lied!“ — „Das ein Gesang!“ — „Ein Dichter!“ — Von Mund zu Munde ging sein Name geflüstert hin: „Es sind der Herr Major von Kne¬ sebeck!“ Dort schrie Einer dem Andern zu: „Donner und Wetter, der Knesebeck ein Dichter!“ Man wollte, man mußte sich näher kommen. Die in jener Zeit nicht so strenge Billetordnung ward gebrochen, man be¬ suchte sich in den Logen, schüttelte sich die Hände; aus den Logen ging man ins Parterre, und unver¬ sehens hatten einige Allzeitfertige aus Brettern und Stühlen eine Art Treppe nach der Bühne gebaut. Das Stück war ja zu Ende, nur den Vorhang hatte man herunterzulassen vergessen — oder auch nicht vergessen. Während junge Enthusiasten hinaufspran¬ gen, den Schauspielern die Hände zu schütteln, wink¬ ten Andere den Darstellern, herabzukommen. Bald sah man Iffland in seiner stattlichen Armatur als Wachtmeister im Kreise der Officiere, seiner Freunde. Er spielte nicht den Wachtmeister, er war es. Er war ein Patriot von Herzen, und von Herzen redete er feierliche Worte von Aufopferung und Treue. Seine ungen Verehrer drängten sich, ihm in die Hand zu schlagen, als Gelöbniß, daß sie leben oder sterben wollten für König und Vaterland. In der Erhebung des Augenblickes fand Nie¬ mand darin Seltsames, daß der Schauspieler den Ernst des Lebens repräsentirte; aber auch heitere Scenen mischten sich in diesen heroisch theatralischen Ernst. Es hat sich von je an gefügt, seit es Offi¬ ciere gab und Juden, daß beide in gewissen Ver¬ hältnissen zu einander stehen, Verhältnisse, die, in der Jugend sehr intim, sich oft erst im Alter lösten, zuwei¬ len auch gar nicht. Da sah man einen bekannten jü¬ dischen Handelsmann, welcher später, vielleicht auch damals schon, den Namen Gans führte und für einen witzigen Mann galt, an den Armen zweier Lieute¬ 17* nants umherstolziren, oder besser er umschlang sie mit seinen Armen, und den Begegnenden versicherte er, in diesen beiden Freunden opferte er seine theuersten Erinnerungen dem Vaterlande! Unzel¬ mann, als Trompeter, streifte am Arm eines hüb¬ schen Cavallerieofficiers durch das Parterre. Wer dafür noch Sinn hatte, blickte neugierig verwundert nach. Der junge blonde Officier nahm das spöttische Lächeln seelenvergnügt hin, Unzelmanns komische Miene deutete aber an, daß ihn der Sinn nicht ver¬ letze. „Unzelmann und Quast Arm in Arm!“ — „Unzelmann spielt heute seine Frau.“ Er rief den Spöttern nach: „„Beschämte Eifersucht““ wird nicht mehr gespielt, meine Herren,“ — „denn Eifersucht ist das größte Ungeheuer!“ replicirte ein junger Schön¬ geist, der die alten Spanier studirte. „Und gegen das größte Ungeheuer, fiel der Schauspieler eben so schnell ein, ziehen unsere bra¬ ven Truppen. Auch „Menschenhaß und Reue,“ meine Herren, wird nicht mehr gegeben, denn wir brauchen allen Menschenhaß gegen die Franzosen.“ „Und, setzte ein dritter Witzbold hinzu, ein Lump, wer nicht sein Bestes und sein Schlechtestes mit seinem Alliirten theilt.“ — Anspielungen, die damals Jeder verstand, auch viele Jahrzehnde nachher hat sich die Erinnerung erhalten; nicht werth um ihrer selbst willen, aber von Werth zur Charakteristik einer Zeit, die längst von den Springfluthen der Geschichte fort¬ gespült und von ihrem mächtigen Strome auf immer verschüttet scheint. Nicht die Frivolität ist begraben, aber in dem luftigen Kleide von damals darf sie sich der Gesellschaft, in keinem ihrer Kreise, mehr zeigen. — Enthusiasmus, wohin man sah, aber es fehlte noch etwas; ein Schluß, der dem Anfang entsprach, ein Siegel auf die fertige Urkunde gedrückt. Wozu die ganze Aufregung ohne ein Ziel? Aus dem Theater sind später Revolutionen hervorgegangen, aus der „Stummen von Portici“ stürzten die berauschten Zu¬ schauer, um die Funken des Bühnenfeuers als Brand auf den Markt zu tragen. Dazu war hier nicht der Ort, nicht die Zeit, nicht die Menschen. In den ge¬ schlossenen Theaterräumen hallte der Ruf: „Krieg! Krieg! Zu den Waffen!“ trefflich; aber wären sie hinausgestürzt, was dann? Wie klein wäre die Zahl gewesen, wie bald zerstreut auf den breiten Straßen! Hätte jeder sich gern in der Gesellschaft der andern erblickt, derer, die vielleicht ihnen da zuströmten? Und was sollten sie thun? Vor das Palais des Königs rücken, dort Fackeln schwingen, wild schreien: Krieg! Krieg! Was würde dieser König, der, dem Ungewöhnlichen, Exaltirten abhold, seine Person scheu von aller Repräsentation zurückzog, zu einem brül¬ lenden Haufen sagen, der ihn zu einer Handlung zwingen wollte, die er vielleicht schon beschlossen hatte! Würde es nicht grade das Mittel gewesen sein, das Wort, das sich von den Lippen lösen wollte, in die tiefste Brust zurück zu schrecken? Er mußte zürnen, und erzürnen wollte Niemand den geliebten Monarchen. Aber etwas mußte geschehen, das fühlte Jeder. So konnte man nicht auseinander gehen. Die Logen¬ schließer hatten unter den Enveloppen der Damen Blumenkränze gesehen; oder waren es schon Lorbeer¬ kränze? Auf irgend ein Haupt sie zu drücken, dazu waren sie doch mitgenommen. Aber wo war das Haupt, wo der Eine, der eine solche Masse wecken, begeistern, führen konnte? — Wohl gab es Einen, einen noch jugendlichen, genialen Prinzen vom kühnsten Geiste und bewährtem Muthe. Sein Schwert hatte Franzosenblut getrunken, ritterlich hatte er sich mehr als einmal in die Schaaren der Feinde geworfen und — dem unüberwundenen Helden hätte man alle seine Schwächen vergeben, er wäre der Mann des Volkes gewesen, und wäre er vorgesprungen, da auf eine Erhöhung, und hätte den Degen blitzen lassen im Scheine der Theaterflammen, nur wenige kräftige Worte, — möglich war es, daß es ein Ernst ward, dessen Folgen Niemand berechnet. Aber diesen Einen fesselten Rücksichten, er knirschte im verhaltenen Grimm in seinen vier Wänden; er zückte den Pallasch, um ihn wieder in die Scheide zu stoßen, er sah nach den Wolken, und lauschte auf den Gallop eines Pferdes, ob es die Ordonnanz war, die das heiß ersehnte Wort brachte. Er hatte sein Wort geben müssen, heut nicht im Theater zu erscheinen. „Scharf geschliffen und von vorn herein die Spitze abge¬ brochen, damit der Stahl nicht verwundet.“ — Andre gab es wohl, die von demselben Feuer glühten, Namen von ehernem Klang und altem Ruhm; sollte man aber die Kränze auf eisgraues Haar drücken? Warum nicht lieber auf Friedrichs Büste. Aber etwas mußte geschehen; die Gährung war zu groß, um sich zu verlaufen. „Es lebe der König!“ rief eine Stimme. Tausend riefen es nach. Das Orchester intonirte den neuen Volksgesang, der so rasch Allgemeingut geworden, und das feierliche: „Heil Dir im Siegerkranz, Retter des Vaterlands!“ hallte wie besänftigend durch den hohen Raum des Schau¬ spielhauses. Eine der kleineren Logenthüren klappte zu und ein Mann, vor dem sich der Schließer respectvoll neigte, eilte im Surtout die Treppe hinunter. „Das alte Lied! sagte sein jüngerer Begleiter, es war Herr von Fuchsius; es klang hier mir wie eine Ironie.“ „Alles Theater, alles gemacht, alles nichts, und daraus wird im Leben nichts!“ erwiederte der andre. „Seine Excellenz der Herr Minister von Stein!“ flüsterten sich die Logenschließer zu. Aber als das Lied durch neue Hochs, dem Könige gebracht, unterbrochen wurde, klappte wieder eine Logenthür, eine Stimme theilte den Vornesitzenden etwas mit, diese sprachen nach links und rechts, und bald lief es wie ein Lauffeuer durch die Logen: Die Gar¬ nison marschirt! — Die Berliner Garnison rückt aus! Soll das den letzten Drucker geben! schien des Ministers Blick zu seinem Begleiter zu sagen, wäh¬ rend der Lärm drinnen sich wieder steigerte. Ein Vorübergehender las den Sinn der ungesprochenen Worte und erwiederte dem Manne, den er nicht kannte: „Sie können es ganz gewiß glauben, mein Herr, diesmal ist es Ernst. Die Kriegskasse ist schon fertig, und das Feldlazareth wird gepackt. Ich habe einen Vetter, der dabei ist.“ „Und ich habe es selbst angeordnet,“ lächelte der Minister seinem Begleiter zu. „Soll man sie um ihren Glauben beneiden, oder bedauern?“ Fünfzehntes Kapitel. Am Altar des Vaterlandes. Was bis hier geschehen, davon finden wir die Hauptzüge wenigstens in den öffentlich gewordenen Berichten. Die Zeitungen gedenken des denkwürdigen Abends; aus ihnen sind jene Züge schon in die Geschichtsbücher übergegangen. Es fiel aber an dem Abende noch manches vor, wovon sie schweigen. Ein großer Theil des Publikums hatte sich bereits entfernt. Die Begeistertsten empfanden noch das Bedürfniß, sich Muth und Hoffnung zuzureden. Hier schüttelte man sich die Hände; hier schloß man sich in die Arme; hier unterhielt man sich von Vortheilen, welche die Oestreicher errungen haben sollten, von dem und jenem französischen General, der verwundet sei; dort von einem Volksaufstande, der sich irgendwo vor¬ bereite, von dem ungeheuren russischen Heere, was aus dem Innern Asiens heranwälze. In bewegten, bangen Zeiten knüpft die Hoffnung aus dem Sonnen¬ stäubchen, aus den Spinnfäden in der Herbstluft Taue für ihre Anker! Da lief schon längst ein Gerücht durch die ent¬ fernten Gruppen, daß ein Courier mit wichtigen Nachrichten angekommen sei, aber er und sein Pferd, gleich erschöpft, seien auf dem Markt gestürzt. Der Commandant, welcher des Weges gekommen, habe ihn auf der Straße vernommen, und sei mit den Depechen sogleich nach dem Palais geeilt. Ein kleiner Mann mit sehr wichtiger Miene, den man früher schon bei allen Gruppirungen bemerken konnte, schwang sich jetzt auf eine Logenbrüstung und schrie: „Es ist richtig, meine Herren, der Courier ist da! Er hat sich beim Fall den Fuß verstaucht — er kommt direct vom Schlachtfelde — ich sah ihn selbst — sie führen ihn jetzt am Schauspielhaus vorbei.“ Sogleich war an der Thür ein Gedrang; man wollte hinaus, um sich von der Wahrheit zu über¬ zeugen. Die Entfernteren riefen: holt ihn herein! — Was er auf der Straße aussagen dürfe, könne er doch auch dem Publicum erzählen. „Wenn uns Merkel nicht wieder eine Finte aufbindet!“ sagte ein Mann in mittleren Jahren, mit lebhaften dunkeln Augen, der, seiner Kleidung nach, dem geistlichen Stande anzugehören schien; das Bleistift und Pergament in seiner Hand deutete aber auf einen Berichterstatter für eine Zeitung, was er auch wirklich war, der französische Prediger und Professor Catel, damals, und noch lange nachher, Redacteur der Vossischen Zeitung. „Diesmal hat Merkel die Wahrheit gesagt, liebster Catel, bemerkte sein Nachbar. Der Courier ist da, auch ich sah ihn, und was ich durch das Gedränge gehört sind so wunderbare Dinge, daß Sie Ihre Zeitung über¬ morgen damit füllen können.“ — „Sie verlangen doch nicht von mir, daß ich Mirakel schreiben soll! entgegnete Catel. Das ist weder meines Metiers, noch meiner Zeitung. Rebus in arduis aequam ser¬ vare mentem .“ „Ist zwar ein schöner Wahlspruch, entgegnete der andere, aber es giebt doch Ausnahmen.“ „Die sich doch wieder auf eine Regel zurückführen lassen. Alle Bewegung sinkt auf ihr Niveau oder Maaß zurück und die Gesetze dieses Maaßes sind die Kunst. Und das sahen wir an diesem Abend. Iffland hat sich wieder selbst übertroffen. Sehen Sie — — Sehen Sie ihn da, Feuer und Flamme für den Krieg, er ist der Soldat, den er vorhin ge¬ spielt, ich glaube, wenn ihn Seine Majestät, der König, in die Linie beriefe, so würde er auch da vor den Rotten wie ein Meister der Kriegskunst da¬ stehen. Und nun betrachten Sie, mit welcher classi¬ schen Ruhe er auch dieses Feuer menagirt! Und vor¬ hin im Puls, das war kein Spiel, das war wieder ein Ernst, eine Wahrheit, eine Kunst, die uns an der menschlichen Natur irre machen könnte. Ohne Zweifel war er von den Auftritten, die nun folgen sollten, nicht allein unterrichtet, sondern er hat sie mit arrangirt, er lebte in dem Gedanken, und wo merkte man es ihm an! Ich habe ihn genau beobachtet. Da war jedes Fältchen der Weste, jeder Knopf wie sonst. Wie er mit der Rechten den Puls des Patien¬ ten fühlte, zählte er mit den Fingern der Linken auf dem Rücken die Schläge. Das werden Wenige be¬ merkt haben. Er that es auch nicht für's Publikum, für sich, um sich selbst zu genügen. Diese Ruhe, diese Herrschaft über Leidenschaft und Welt, ist es, was den Künstler macht. Ich hätte nur einen Wunsch jetzt —“ „Doch nicht, daß Iffland selbst ins Feld ziehen soll!“ „Nein, ich möchte ihn Talma gegenüber sehen. Jeder, bin ich überzeugt, würde den andern bewun¬ dern, jeder vom andern lernen wollen.“ „Französisches Feuer und ein Classiker im Blute!“ bemerkte ein Dritter. „Von der Colonie! sagte der Andre. Die besten Preußen und gute Deutsche, und doch alle ein tendre für Bonaparte.“ Ein Jubel und Hallo kündigte hier an, daß der Courier ins Theater gezogen war. Noch sahen ihn die Wenigsten, aber Stimmen schrieen schon: „Vic¬ toria! Ein Sieg, ein ungeheurer Sieg! Hoch lebe der König! hoch Preußen!“ Umsonst sträubte sich der junge staubbedeckte Mann, dem man die äußerste Erschöpfung von einem ange¬ strengten Ritte ansah. Sein Gesicht war blaß, nur zuweilen von einer flammenden Röthe überflogen. Er sprach lebhaft, aber mit Anstrengung zu den um ihn Stehenden. „Meine Herren, es ist ein Irrthum, ich bin nicht selbst der Träger der erwünschten Nachrichten. Ich habe vergebens draußen schon gegen die Auszeichnung protestirt, aber man hört mich ja nicht. Meine De¬ pechen vom Minister Haugwitz enthalten nichts, noch können sie etwas von der Nachricht enthalten, die Sie, die wir alle wünschen, daß sie auf Wahrheit beruhe. Meine Depechen, wie meine eigne Kenntniß der Dinge, sind von Wien, von weit älterem Datum. Ich wußte mich, um nicht aufgefangen zu werden, auf Nebenwegen durchzuschlagen, ich mußte weite Um¬ wege machen, und ich wiederhole Ihnen, daß es nur ein Gerücht ist, was ich an der sächsischen Gränze zuerst hörte. Was verlangen Sie von mir, daß ich es hier öffentlich mache! Ich kann nichts sagen, als daß ich von andern gehört, was diese wieder gehört.“ Die in den Logen und dem hintern Parterre hatten natürlich nichts von dieser Protestation gehört. Unisono schrie, tobte, forderte man, daß der Courier laut spreche; was hier gut sei, müsse es für alle sein. „Hier sind keine Verräther! Keine Spione.“ — „Auf das Proscenium!“ — „Sie müssen jetzt, Bo¬ villard, rief Jemand, der ihn kannte, oder man läßt es uns entgelten.“ Der Erschöpfte ward von zwei Männern unter den Arm gefaßt und auf die Bretter fast hinauf ge¬ rissen. Uebrigens herrschte kaum ein Unterschied mehr zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum. Selbst von den angesehensten Damen standen schon mehre auf der ersteren. Schauspieler hatten einen Altar herangetragen, der vielleicht aus der vorigen Opern¬ darstellung noch hinter den Coulissen stand. Er diente dem Erschöpften, der sich von seinen Beglei¬ tern losgemacht, zur Stütze. Sein Auge rollte, als suche er in der Luft nach Worten, während es den Umstehenden nicht entging, daß seine Glieder fieber¬ haft zitterten. Jetzt fuhr er mit der Hand über die Stirn; um die Erinnerung zu sammeln, glaubten Einige, Andre versicherten nachher, er sei gestanden, als habe er ein Gespenst gesehen. Da rief er plötz¬ lich aus voller Brust: „Sieg! Sieg verlangen Sie aus meinem Munde. — Wenn wir an uns selbst glauben, Deutsche Männer, müssen wir ja siegen! Warum nicht dort!“ — Ein Händeklatschen, ein brüllender Applaus: „Sieg! Ein Sieg! — Weiter! — Wo?“ — „In Mähren, hinter Brünn — eine Schlacht, sagen sie, ist geliefert, blutig, wie keine seit Menschengedenken — drei Tage hätte sie gewüthet — drei Kaiser standen sich gegenüber — drei Mal ging die Sonne blutroth auf — am dritten —“ Alles hörte bang, mit angehaltenem Athem, während der Sprecher nach Luft zu schöpfen schien. — „Am dritten hat man ihn gesehen — Bonaparte — in der Mitte von nur drei Reiterregimentern, die ihn mit ihren Leibern schützten — sich durchschlagend nach Baiern — sein Heer, sein großes Heer —“ „Was ist ihm!“ riefen die Nächststehenden. Bo¬ villard beugte und stützte sich, wie um sich zu halten, oder etwas zurückzudrängen, auf dem Altar. Durch die weiten Räume aber brauste es: „Hurra! — Victoria!“ — „Kränzt den Siegesboten!“ rief die Fürstin, die Treppe herauf steigend. „Kränzt ihn!“ wiederholten weibliche Stimmen. Die Kränze waren da, aber das Publikum wollte vorher den ganzen Freudenbecher ausgeschüttet wissen: „Sein Heer — wo ist sein Heer?“ „Fragt die Erynnien! — Eine Blutlache —“ Diese Worte konnte man auf dem entferntesten Amphitheater verstehen, so scharf schnitten sie durch die Luft, doch ohne den sonoren Metallklang von vorhin. Dann hörte man einen Fall, einen Schrei der Umstehenden, Töne des Jammers, Einige wollten ein Auflachen gehört haben. Sehen, was vorge¬ fallen, konnten natürlich nur die Nächststehenden; indem man, um zu sehen, herandrängte, verbarg man die betreffenden Personen. Von Mund zu Munde ging es, der Bote der Siegeskunde war am Altar des Vaterlandes niedergesunken, aber mit voller Ehre. Ein junges Mädchen, schön wie keine in Fiebergluth, hatte sich mit dem Kranz über ihn erhoben, aber als sie ihm denselben auf die Stirn drückte, als er ihre Hand ergriff, stürzte es ihm aus dem Munde, ein rother Blutquell, und er war hingesunken, ohne die Hand loszulassen. Sechszehntes Kapitel. Eine Entführung. So viel wußte man bis in die entferntesten Winkel, aber in der Masse verschwand das Persön¬ liche vor dem sturmbewegten Gefühl. Man begnügte sich nicht mehr mit einem Händedruck, auch Leute, die sich nicht leiden mochten, stürzten sich in die Arme: „Das Vaterland ist gerettet!“ — „Zuge¬ schlagen. Nun ihm das Garaus gemacht!“ — „Drauf los! — Tod allen Franzosen!“ „Davon werden sie auch nicht sterben!“ brummte der Officier, welcher vorhin York genannt wurde, der sich jetzt Luft nach dem Ausgange machte, während die Tücher der Damen ihm fast um die Ohren schlu¬ gen: „Wenn überhaupt die Geschichte wahr ist.“ „Sie stießen, sagte sein Begleiter, den armen Herrn Merkel beinahe um, der die Nachricht frisch aufnotirt, um sie noch warm in seinen Freimüthigen zu setzen.“ „Hol' sie alle —“ entfuhr es dem Oberst, als seine Aufmerksamkeit durch eine andere Scene in Anspruch genommen wurde. Walter van Asten führte seine Cousine durch das Gedränge. Einer der jüngeren Offiziere, deren Geschwätz der Oberst vorhin durch seinen zornfun¬ kelnden Blick zum Schweigen gebracht, benutzte den Augenblick, wo Walter sich bückte, um den Pompadour aufzuheben, der dem jungen Mädchen aus der Hand gefallen war. Er drängte sich zwischen beide und wußte den Arm der Dame in seinen zu schieben: „Mein schönstes Fräulein, Sie hatten einen Führer, der den Weg nicht kennt. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen den nächsten zeige.“ Minchen Schlarbaum's Arm hing wirklich am Arm des Offiziers, als ob es so sein müsse, aber ihr Mund öffnete sich so weit als ihr Auge groß ward. „Mein Gott, verzeihen Sie, das ist ja mein —“ „Ihr Pompadour,“ fiel der Cornet ein. „Da — nehmen Sie ihn rasch. Ich hoffe, daß der — Herr da ihn für Sie aufgelangt hat.“ „Und ich, Herr Cornet von Wolfskehl, hoffe, sagte Walter, daß Sie nur in der Trunkenheit der Freude meine Cousine mit — Jemand Ihrer Be¬ kanntschaft verwechselt haben. Für eine andre Trun¬ kenheit würde ich Rechenschaft fordern.“ „Was! — Spricht da einer von Rechenschaft — ich habe mich wohl verhört,“ näselte der Cornet zu den Cameraden, die still lächelnd in der Nähe stan¬ den, als er schon Walters Hand an seinem Arm fühlte. Es war noch eine sanfte Berührung. III . 18 „Ich, Cornet Wolfskehl, sagte Walter in einem Tone, der noch dem Druck seiner Hand entsprach. Auf der Stelle ersuche ich Sie so höflichst als drin¬ gend, Ihrer Wege zu gehen, da ich meinen vollkom¬ men kenne, den ich gehen muß und werde, wenn Sie den Platz nicht augenblicklich verlassen.“ „Herr — fuhr der Cornet auf — wer sind Sie in drei —“ und hatte doch den Arm der Dame fahren lassen. Walters Blick hatte etwas herrisch durchdringendes. Auch auf den übermüthigen Jüng¬ ling hatte er unwillkürlich einen Eindruck gemacht. „Jemand, dem es leid thäte, sich an dem Rock des Königs vergreifen zu müssen, der aber keinen Augenblick zaudern würde, wenn — jemand, der nicht der Ehre werth ist ihn zu tragen, darunter steckte.“ „Was! — Unterfängt sich die Ca —“ „Halt!“ donnerte die Stimme des älteren Of¬ ficiers dazwischen. „Meine Herren Officiere, wenn der Civilist da zu dem Frauenzimmer gehört, ist er im Rechte.“ Dulden wir das! schien der zu den Cameraden gewandte Blick des Cornets zu sprechen. „Herr Obrist, er hat unsre Uniform berührt.“ „So wird er Ihnen Rede zu stehen haben, warum,“ entgegnete der Obrist. „Herr Jesus, um Gottes Willen keinen Scan¬ dal! schrie Minchen Schlarbaum. Da ist ja Herr Professor Catel, der kennt meinen Cousin.“ In dem Augenblick ward aber die Aufmerksam¬ keit wieder auf den allgemeinen Gegenstand der Theil¬ nahme gelenkt. Wie wenn ein Vorhang zu beiden Seiten aufrollte, hatten sich die Personen, welche um den Courier gestanden, nach beiden Seiten vertheilt, um der stürmischen Forderung des übrigen Publikums zu genügen. Bovillard lag auf dem Boden, das umkränzte Haupt vom Theaterarzt gestützt, während seine ausgestreckte Rechte die Hand des jungen Mäd¬ chens noch immer gefaßt hielt, welche den Kranz ihm aufgedrückt. Diese kniete, entweder durch ihre Lage dazu genöthigt oder aus eigener Bewegung, daneben. Von der Fieberröthe fluthete nichts mehr auf ihrem Gesicht; es war todtenblaß, nur die großen schönen Augen starrten auf den Jüngling zu ihren Füßen. Sie selbst schien der Hülfe zu bedürfen, denn die Fürstin hielt sie umfaßt. Die Wallensteinschen Krie¬ ger, auf ihre langen Degen gestützt, standen im Halb¬ kreis wie eine Wache. Es war nicht Arrangement, es hatte sich von selbst so gemacht. Wer den Rest Spiritus auf dem Altar entzündet, dessen blaue Flammen spärlich durch das Halbdunkel der verlöschen¬ den Oellampen in die Höhe leckten, ist nie ermittelt. Der Anblick war überraschend, das erste Schwei¬ gen des Publikums verrieth, daß es den Sinn und Zusammenhang nicht begriff. Es wußte nicht, ob es noch jubeln dürfe, ob trauern solle? Eigentlich wußte es Niemand; was seit letzt geschehen, ging über alles Arrangement hinaus, bis die Gefühle der Einzelnen, wie kleine Blutadern in einem großen 18 * erstarrten Körper, pulsirten. Die Theilnahme war verschieden. Eine Stimme rief aus der Mitte heraus: „Ah c'est pittoresque! C'est vraiment antique et classique!“ „Aber er stirbt ja wirklich!“ schrieen Andere. Der Classicismus mußte in dieser Versammlung noch eingewurzelt sein, denn es fand sich Jemand, der seine Zuhörer an das erhabene Beispiel aus dem Alterthum erinnerte, wo der Bote einer Siegesnach¬ richt im Augenblick, wo er sie überbrachte, aus Er¬ schöpfung zu den Füßen seiner Mutter todt nieder¬ stürzte, und die Mutter ward um deshalb als die glücklichste Frau im ganzen Hellas gepriesen. Herr Herklotz, der Theaterdichter, man vermuthet, daß er es gewesen, hatte mit Iffland einige Worte geflüstert, und dieser, heute in andauernder Aufre¬ gung, hatte schon den breitkrämpigen Hut gezogen, und war an die Lampen getreten zu einer neuen pa¬ triotischen Ansprache, muthmaßlich aus jener Ver¬ gleichung geschöpft, als Major Eisenhauch ihn sanft am Arm faßte: „Um Gottes Willen, Herr Director, bedenken Sie, da ist der Vater des Sterbenden.“ Der Geheimrath Bovillard, in einem Gespräch mit St. Real begriffen, hatte erst spät seinen Sohn erkannt. „Mais enfin, grand Dieu, c'est donc mon fils!“ rief er händeringend zu denen, die ihn abhal¬ ten wollten, sich auf die Bühne zu stürzen, und ar¬ beitete sich durch das Gedränge. „Mais, mon cher conseiller , rief der Geheim¬ rath Lupinus, der, seinen Arm unterfassend, ihm nacheilte, il ne mourra pas. Nous admirons ce ra¬ vissement d'amour paternel suprême. Oh! c'est touchant. Mais considérez, mon ami, votre état et surtout votre caractère. Vous êtes philosophe! — Et il ne mourra pas, assurément, ce n'est qu'un échauffement passager. C'est jeune homme, un épanchement patriolique, l'amour paternel le guérira!“ Es arbeitete sich noch Jemand während des¬ sen durch das Gedränge, doch mit einem andern Ungestüm. Auch nach ihm streckten sich unwillkür¬ lich Arme aus, als wollten sie ihn zurückhalten. Weshalb Walter van Asten plötzlich dem Officier, dem er noch eben die Zähne zu weisen so große Lust gezeigt, den Rücken gekehrt, weshalb er seine Cousine, zu deren Schutz er aus sich selbst herausgeschritten schien, stehen ließ, weshalb er unbekümmert um beide ins dichteste Gewühl sich gestürzt, daß er im nächsten Augenblick ihnen allen verschwunden war, das wu߬ ten die freilich am wenigsten, welche sich am laute¬ sten darüber verwunderten. Ein Hohngelächter der Officiere brach plötzlich aus. Der Obrist drückte verächtlich den Hut auf die Locken: „Ist's ein sol¬ cher, so lassen Sie den Patron nur laufen.“ „Er hat vielleicht Jemand gesehen, der seiner Hülfe noch mehr bedarf,“ antwortete Professor Catel auf Minchen Schlarbaums erstaunten Blick, und bot ihr rasch seinen Arm, während die Officiere zu einer Art Kriegsrath zusammengetreten waren. „Redestehen!“ — „Nimmermehr.“ — „Die Peitsche dem Poltron!“ „Meine Herren, sagte der Obrist im Abgehen, wenn er den Rock des Königs angefaßt und sich falvirt hat, ehe er Rede stand, ob er nicht nur einen Fleck drauf abklopfen wollte, so schickt sichs weder Satisfaction von ihm zu fordern, noch für Sie den Bütteldienst zu übernehmen. Das ist nun meines Erachtens allein Sache der Polizei und der Justiz, und vor der Hand können Sie's ruhig einem Wacht¬ meister und Sergeanten überlassen. Empfehle mich Ihnen.“ Der Geheimrath Bovillard hatte sich über sei¬ nen kranken Sohn werfen wollen, aber vernünftige Freunde ihn zurückgehalten, weil es sich mit seiner Würde nicht vertrage, weil das vor dem Theater- Publikum eine Scene aufführen hieße, weil sein Sohn in keiner Lebensgefahr sei, weil jeder Affect die Lage desselben verschlimmern könne. Der Ge¬ heimrath Bovillard war den vernünftigen Vorstellun¬ gen zugänglich, und für den öffentlichen Anstand hatte er immer das feinste Gefühl. Um so besser, als man seinen Sohn bereits auf demselben Ruhebett, auf welchem bei der Darstellung des Puls der kranke junge Graf gelegen, fortgetra¬ gen hatte. Dabei mußte sich noch einiges ereignet haben, was die Umstehenden beschäftigte. Man hatte seine Hand aus der des jungen Mädchens losreißen müssen, so fest hielt er sie gefaßt. Sie war darauf — von der Anstrengung und dem physischen Schmerz, sagten die Verständigen, zu Boden gesunken. Ob in einer Ohnmacht oder einem Starrkrampf, darüber stritt man; die zum letzteren hinneigten, behaupteten, sie sei schon vorhin, als sie noch aufrecht saß, in einem Starrkrampf gewesen. Andere vermutheten noch Anderes, und Iffland flüsterte zu Bethmann: „Ich besorge, daß man uns auf unserem Grund und Boden eine Komödie aufgeführt hat, während wir hier dem Publikum einen Ernst vorspielen wollten.“ Während er lauter als nöthig Anordnungen gab, den Vorhang fallen zu lassen, und deutliche Winke, daß es Zeit wäre das Schauspielhaus zu räumen, erhob sich ein neuer Lärm im Orchester. „Als hätte sich heut Alles gegen unsere Ord¬ nung verschworen!“ rief Iffland, von daher zurück¬ kehrend. „Gönnen Sie der Freude etwas Tumult, Herr Director.“ „Ein Civilist hat sich gegen einen Officier ver¬ gangen. Sie arretiren ihn eben. Als ob ein Tag, der in Allen nur einen Gedanken hervorrufen sollte, zur Aufwärmung dieser leidigen Streitigkeiten zwi¬ schen den Ständen geeignet wäre.“ „Es soll sonst ein ganz anständiger Mensch sein.“ „Desto schlimmer, rief Iffland. Wenn die Vernünftigen nicht einmal ihre Affecte am Altar des Vaterlandes zügeln! Was erwarten wir dann vom Pöbel!“ „Die Affecte werden immer ihr Recht behal¬ ten, erwiederte Herr von Fuchsius. Und wenn Ihr eine Staatsordnung auf Menschen ohne Leiden¬ schaften und Schwächen bauet, so habt Ihr auf Sand gebaut. In einer Zeit, wie unsre, Herr Director, hilft uns nur, wenn wir den Affecten alle Schleusen öffnen. Der Organismus ist zu systematisch ver¬ schlammt. Die Künste der Ordnung reichen nicht aus. Nur ein Ueberfluthen des Stroms kann uns aus der Lethargie erretten.“ „Wenn sie sich zanken, ists doch ein Beweis, daß sie noch leben!“ setzte Major Eisenhauch hinzu. „Sie lebt! sagte der Arzt, welcher für Adel¬ heid herbeigerufen war und noch immer ihren Puls hielt. Ihr Leiden scheint mir nur psychisch; eine Folge von zu lange verhaltenen Gemüthserschüt¬ terungen. Nach dem Zwange rächt sich die Na¬ tur. Die äußerste Ruhe thut ihr zunächst noth. Auf die Bretter aber, dünkt mich, gehört die Kranke nicht.“ Damit war vor Allen Herr Iffland einverstan¬ den. Er hatte bereits eine Portechaise kommen lassen. Zwei Soldaten, noch in Wallensteinschen Waffen¬ röcken, versprachen rüstige Träger zu sein. „Aber wohin?“ fragte der Director, nachdem Adelheid unter Beihülfe des Arztes und der Fürstin in die Portechaise gehoben war. „Gleichviel! In das nächste befreundete Haus,“ sagte der Arzt. „Das ist mein Hotel.“ Die Fürstin gab, nach¬ dem sie einen schnellen Blick nach der Geheimräthin geworfen, die nöthigen Anweisungen: „Leise aufge¬ treten, keine Erschütterung. Für einen guten Lohn verpflichte ich meinen Kammerdiener.“ Die Lupinus sah weder den Blick, noch die Ab¬ führung der Portechaise. Eine Reihe riesiger Pap¬ penheimer hatte eine Wand dazwischen gebildet. Aber auch ohne diese Kuirassiere würde sie in dem eifrigen Gespräche mit dem Legationsrath es schwerlich ge¬ sehen haben. Er hatte sie schon vorhin fast mit un¬ ziemlicher Heftigkeit bei der Hand ergriffen und in die Coulissen gezogen. „Ich verstehe Sie nicht. Sie selbst drangen darauf, daß ich kündigen sollte.“ „Und heut bietet Moldenhauer fünf Procent, wenn Sie die Kündigung zurücknehmen. Schlagen Sie ein! wiederhole ich. Jede Hypothek 20,000 Thaler! Bedenken Sie! Einen so unerwarteten Gewinn! Sie wären rasend, ihn von der Hand zu weisen.“ „Aber wenn die Kapitale selbst darüber ver¬ loren gehen! Noch gestern schrieben Sie mir: Kündigen Sie.“ „Noch vor einer Stunde hätte ich es gethan.“ „Und jetzt, — wo Preußen losschlagen muß —“ „Es schlägt nicht los.“ „Napoleon vernichtet ist —“ „Er ist nicht vernichtet.“ „Trägt ein Ariel Ihnen Botschaften durch die Luft?“ „Ja, in Gestalt einer Taube, die zu Herrn von Marvilliers auf Laforest Hinterdach niederflog.“ „Die Schlacht —“ „Ist geliefert, flüsterte er näher an sie tretend ihr ins Ohr. Das Blut floß in Strömen. Die Russen total geschlagen, Oestreich verloren, dem Sieger auf Gnade und Ungnade überliefert —“ „Entsetzlich! Wo? — Wie?“ „Wenn man den Namen in dem rasch ge¬ kritzelten Zettel richtig liest, heißt es Austerlitz, wo Europas Schicksal entschieden ward. — Die Schlu߬ folge überlaß ich Ihnen.“ „Und diese Menschen in ihrem Siegesrausch!“ „Was gehen diese Menschen Sie an! Denken Sie an sich, und ergreifen, was der Moment Ihnen bietet. Es wäre möglich, daß Moldenhauer schon morgen Mittag den wahren Verlauf erfährt. Des¬ halb beschied ich ihn auf morgen früh zu Ihnen. Ein Notar ist avertirt, daß wir ihn auf der Stelle rufen. Moldenhauer wird Sie als Engel segnen, denn er hält sich als Kaufmann ruinirt, wenn Sie auf die Kündigung bestehen. Sie zaudern natürlich etwas, bis —“ „Und wenn wir uns doch verrechneten!“ „Das Einmaleins ist nicht unerschütterlicher als der moralische Egoismus der Staatskunst. Stürzt sich das Lamm in den Rachen des Löwen, der vom Blute der Hunde träuft?“ — „Aber —“ „Wird, kann, darf Preußen jetzt losgehen? Das frage ich Sie, und es bedarf nicht Ihres Scharfblicks, um ein entschiedenes Nein zu antworten. Selbst wenn diese Mannequins nicht am Ruder säßen, ein entschlossener, zornsprühender König auf dem Throne — jetzt wäre es Thorheit — Thorheit ist Alles — aber es wäre mehr als das — Verbrechen, Wahn¬ sinn — es ist eine Unmöglichkeit.“ „Doch Napoleon könnte —“ „Aber wird nicht. Er ist zu vorsichtig, um die Verzweiflung herauszufordern, und zu geschwächt durch solchen Sieg, um auf einen gerüsteten Staat sich zu werfen; zu klug, um nicht andre Vortheile von einem Feinde zu erpressen, der die Dummheit hat, an einem politischen Gewissen zu laboriren, und das Unglück, daß es ihn drückt. Wenn der Löwe satt vom Blut ist, läßt er die Lämmer weiden, und spielt auch mit ihnen, daß sie zutraulich werden, bis er wieder Hunger bekommt. So weit dürfen wir nicht rechnen.“ „Es wird dunkel!“ rief die Geheimräthin; man fing an die Lampen auszulöschen. — „Mein Gott, wo ist Adelheid?“ Der Wachtmeister aus Wallensteins Lager war ihr entgegen getreten. „Beruhigen Sie sich, Madame. Die Demoiselle ist in sichrer Obhut fortgebracht, die Frau Fürstin Gargazin —“ „Hat sie Ihnen am Ende entführt,“ lachte Wandel. Ein Kammerdiener der Fürstin stand in der Coulisse, um der Geheimräthin die Thatsache, nur mit andern, schöneren Worten zu melden, und wenn sie es für nöthig fände, die Kranke zu besuchen, das ganze Hotel zu ihrer Disposition zu stellen. Ein Zusatz lautete indeß, daß die Aerzte jeden Besuch für lebensgefährlich beim Zustande der Kranken erklärt. Als die letzte Spiritusflamme auf dem Altar aufzückte, ging die Geheimräthin an Wandels Arm rasch fort. Sie standen am Ausgang. Links führte der Weg zur Fürstin, rechts nach der Jäger¬ straße. „Sie ist Ihnen entführt. Wollen Sie ihr nach¬ laufen? Mich dünkt, es ist heute genug Komödie gespielt. Ueberlassen Sie das solchen, die zu nichts Besserem taugen. Wozu einen Schmerz heucheln, den Sie nicht empfinden. Mich dünkt, Sie könnten dem Himmel danken, wenn Sie das Mädchen auf die Weise wirklich los werden.“ „Aber was wird die Welt sagen?“ „Die hat fürs erste anderes Spielzeug. Nachher findet sich leicht eine plausible Fabel.“ Die Geheimräthin ging nicht in das Hotel der Fürstin. Das Publikum drängte hinaus. „Herr Professor Catel, sagte Merkel triumphirend, werden Sie uns übermorgen wieder eine neue spanische Fabel von Yriarte in der Vossischen bringen?“ „Herr Doctor Merkel, erwiederte Catel, wenn nur nicht Ihre deutsche Wahrheit, die aus Ihrer Brieftasche heraus will, bis sie in den Freimüthigen kommt, zur Fabel wird!“ „Halt! Halt! rief eine Stimme am Ausgange. Das Wichtigste“ — „Was denn?“ — „In der ro¬ mantischen Unruhe vergaß man die Ankündigung, was morgen gegeben wird.“ — Es war ein Häuflein Muthwilliger, das überall die Gelegenheit zur Unruhe willig ergreift. „Ordnung muß sein, trotz der Politik!“ — „Theater muß hier sein, wenn auch draußen Schlachten sind.“ Man pochte und schrie: „Die morgende Vorstellung! Rasch, fix raus.“ Ein Unterbeamter des Theaters blickte scheu durch die Coulissen, und erklärte demüthig einem hochverehrten Publikum: Herr Director Iffland und alle Regisseure hätten sich schon entfernt, ohne eine Anweisung hinterlassen zu haben. Das vermehrte erst den Lärm, das Publikum wollte sein Recht. Plötzlich sprang ein junger elegant gekleideter Mann vom Par¬ terre auf die Bühne, verneigte sich und sprach: „Morgen: „„Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, Originallustspiel aus dem Fran¬ zösischen in drei Akten.““ Hierauf: „„Heute roth, morgen todt, politische Burleske in einem Akt.““ Zum Schluß: „„Ende gut Alles gut, Schauspiel aus dem Eng¬ lischen des Shakspeare.““ Applaus begleitete das Impromptu. Es war ein Kammergerichts-Referendarius, man nannte seinen Namen. Seine Freunde jubelten über den Genie¬ streich. Es gab viel Gerede darüber in allen Cirkeln der Stadt. Aeltere Männer, die Räthe des Gerichtes, schüttelten den Kopf: In diesem politischen Treiben ginge Sitte und Ordnung zu Grunde. Siebzehntes Kapitel. Die Patrioten trennen sich. „Was thun Sie, Herr von Eisenhauch!“ „Was die Ehre mir gebietet.“ „Keine Uebereilung, die Sie bereuen könnten.“ „Ich bereue nur, daß ich zu lange vertraut.“ „Wenn jetzt die Freunde des Vaterlands zu¬ rücktreten —“ „Wer sagt, daß ich zurücktrete, Herr von Fuch¬ sius!“ Der Major hielt in der Arbeit inne, die ihn ganz zu beschäftigen schien. Er packte hastig an einem Felleisen, während ein anderes schon vom Die¬ ner zur Thür hinausgetragen ward. Waffenstücke, Hut und Mäntel hingen umher und zwei Pferde stampften am Hause vor einer leichten Reisekalesche. Es schien nichts Heimliches, was hier verhandelt ward, denn der Major mäßigte nicht seine Stimme, wenn die Diener eintraten, noch sprach er leiser, wenn sie die Thür beim Fortgehen offen ließen. „Wer sagt, daß ich zurücktrete! Ich verzweifle nicht an unsrer Sache , mein Herr, auch noch nicht an unserm Vaterlande , und ich verzweifle auch nicht an diesen hier, denn man kann nur verzweifeln, wo man noch hoffte.“ „Major —“ „Nicht mehr in preußischem Dienst. Meinen Abschied, der jetzt ausgefertigt wird, haben Sie die Gefälligkeit und schicken ihn mir nach, oder ver¬ brennen ihn. 'S ist gleichgültig.“ „Wohin?“ „Nach Oestreich, so lange noch da ein Funken glimmt. Nach Rußland, England, Spanien, wohin es sei, wo Herzen schlagen, Männer athmen, welche noch ein Gefühl für Schande haben.“ Fuchsius hatte die Thür zugedrückt. Es war ein Absteigequartier und ihm schien die Unterhaltung nicht geeignet, um von andern Hausbewohnern be¬ lauscht zu werden. Aber Eisenhauch rief in der Ar¬ beit: „Wenn es Sie nicht genirt, was mich betrifft, mögen Napoleons Spione Alles hören.“ „Nur ein Wort. Großfürst Constantin und Fürst Dolgorucki sind hier. Noch ist nichts verloren, Sie belagern den König, sie dringen in ihn, daß Preußen ein entscheidendes Wort spreche.“ Eisenhauch lachte auf. „Lachen Sie nicht. Keine Sprache ist hier so wirksam, als die russische.“ „Sagen Sie, als die der Furcht. Als ich bei Ihrem Minister den Abschied forderte, drückte er mir die Hand ans Herz, wenigstens an den Platz, wo eins schlagen sollte.“ „Und —“ „Sie kommen meinem Wunsch zuvor, versicher¬ ten mich Seine Excellenz, denn Ihres Bleibens wäre hier doch nicht länger. Napoleon würde Ihre Aus¬ lieferung fordern, und Sie ersparen uns durch Ihren hochherzigen Entschluß die Unannehmlichkeit, Sie aus¬ weisen zu müssen. — Von einer Uebereilung, Herr von Fuchsius, ist daher, wie Sie sehen, nicht die Rede. Ich fliehe, damit man mich nicht einsperrt, ich mache mich bei Zeiten aus dem Staube, damit man mich nicht verfolgt.“ Fuchsius hatte sich, das Gesicht bedeckend, auf das Kanap é gesetzt. „Und doch wage ich zu behaupten, sagte er, während der Major im Packen fortfuhr, Sie über¬ eilen sich. Vergönnen Sie mir, mich mit der Ruhe gegen Sie auszusprechen, die ich mir erst sammeln muß, vielleicht als ein Produkt Ihrer Unruhe. Wo schöpft nicht der Trostlose Trost! — Haugwitz's Auf¬ träge, als er nach Brünn abreiste, waren auf keine Niederlage berechnet. Die Klugheit gebot ihm, wie die Dinge standen, zu verschweigen, was er unter andern Umständen sprechen sollte.“ „Und ließ sich, ehe die Dinge standen, wie sie stehen, mit einem gnädigen Zornblick nach Wien complimentiren. Ließ sich mit einem Schnalzen, wie ein Hund, bei Seite schieben, damit Napoleon bei III . 19 Austerlitz ungestört schlagen konnte. Sah vom Ste¬ phansthurm mit einem Fernrohr nach Mähren, um seine Worte abzuwiegen, je nachdem, ob er zum Sie¬ ger oder zum Besiegten zu sprechen hatte. Höll' und Teufel — verzeihen Sie, mein alter Freund — ich weiß auch, was Diplomatie ist, aber Macchiavell ist ein Stümper vor solcher Politik. Die Reise nach Mähren wird ein Brandfleck bleiben in der Preußi¬ schen Geschichte, ich fürchte, er zerlöchert das ganze Buch. Der boshafteste Feind hätte nichts Schlim¬ meres ersinnen können. Doppelzüngigkeit ist ein mil¬ des Wort. Doppelsinnigkeit! eine doppelte Sinnlosig¬ keit, denn man weiß heute nicht, ob uns Oestreich und Rußland mehr hassen, oder Napoleon mehr ver¬ achten muß. — Wissen Sie's zu vertheidigen?“ Der Regierungsrath sagte nach kurzem Schwei¬ gen: „Nein! — Ich überlasse Ihnen das volle Ver¬ dammungsrecht über das, was geschehen ist. Aber es ist noch nicht Alles geschehen!“ „Der zweite Basler Frieden ward in Schön¬ brunn geschlossen, zehntausend Mal schmäliger als der erste. Wollen Sie ihn noch durch einen dritten überbieten lassen!“ „Der Vertrag von Schönbrunn ist noch nicht ratificirt, Herr von Eisenhauch. Bis er es ist, las¬ sen Sie uns, lassen Sie mich wenigstens hoffen. Wir sollen Anspach an Baiern abtreten, Cleve, We¬ sel, Neuschatel an Frankreich, und erhalten dafür das Danaer-Geschenk, die Erlaubniß Napoleons, uns an Hannover schadlos zu halten. Mein Herr, lassen Sie uns hoffen, daß wir diesen Brocken, an dem der Adler ersticken soll, nicht annehmen! Unser Militair knirscht vor Wuth und Erbitterung, es ist ein schlag¬ fertiges Heer; zum Kriege ausgerückt. Soll es ohne Krieg zurück? Hören Sie, wie man laut ruft, von den Prinzen und Generalen bis zu den Unteroffizieren und Gemeinen: des Staates Ehre ist verpfändet; die Minister haben sie verkauft, an uns ist es, sie wieder einlösen! Rußland operirt offen, geheim. Hat Oest¬ reich keine Stimme an unserm Hofe? Es ist still erbittert, wie nie zuvor. Horchen Sie durch die Straßen, in den Wirthshäusern, es ist nur eine Stimme: Noch ist der Augenblick zu handeln! Hören Sie in jeder Gesellschaft, wo zwei, drei zusammen stehen, die Wuth gegen Haugwitz. Es ist kein Tadel mehr, es ist ein allmächtiges Gefühl, das kaum mehr Worte findet. Männer mit weißem Haar spucken beim Namen des Mannes. Er hat Preußens Ehre verkauft! Ein Glück für ihn, daß er nicht hier ist. Die Männer der Klicque getrauen sich nicht bei hellem Licht über die Straße; man würde —“ „Vielleicht einen Stein aufheben, rief Eisenhauch, den Koffer zuwerfend, aber ehe man ihn wirft, würde man sich besinnen, es sei doch vernünftiger ihn nicht zu werfen. Der Stein könnte ja ein Loch in den Kopf werfen und den Kopf doch nicht öffnen. Was man würde, könnte, möchte, dürfte, das ist alles vor¬ trefflich, was man weiß, ist die Weisheit selbst, aber 19* der Haken ist, daß man nicht thut, was man könnte, möchte, dürfte, und daß, was man weiß, die Er¬ kenntniß zu Schanden wird an der Gespensterfurcht vor dem Entschluß.“ „Ich gebe Ihnen ja alles zu, aber jetzt ist die Volksstimme wie ein Strom, der seine Eisdecke bricht. Die Wuth kennt keine Zügel mehr nach dieser Ent¬ täuschung. Alle Wuth ist blind, wollen Sie mir einwerfen, aber diese ist intensiv und kritisch zugleich. Das ist ein neues Symptom. Man fragt: Warum mußte Haugwitz so lange zaudern? Warum reiste er so langsam? Warum ließ er sich wie ein Junge in Brünn behandeln? Warum wie eine petite femme , die man bei der Schlacht nicht braucht, nach Wien schicken? Was würde Friedrich zu solcher Vollstreckung seiner Befehle gesagt haben? Seinen Kopf hätte es einem solchen Abgesandten gekostet. Dem Grafen wird es den Kopf nicht kosten, und man fragt schon jetzt, warum? Man wird es immer dringender fragen. Wie lautete sein Auftrag, der ihm so zu handeln erlaubte? Warum reist er so langsam zurück, als er langsam hingereist ist? Warum darf er blumenreiche Zeitungsartikel in die auswärtigen Blätter senden, die uns in den Wahn einlullen sollen, seine Mission sei geglückt, er habe nur ausgerichtet, was sein König ihm aufgetragen? Wer ist hier der Betrogene, wer der Verräther? Klimpert französisches Geld in seiner Tasche, oder ist er der stumme Dulder, der eines An¬ dern Schuld heroisch auf seine Schultern nimmt? Das, Major, fragt man, man fragt es laut, und Männer fragen es, vor denen unsre Höchsten Respect haben.“ „Aber was hilft die schärfste Frage, auf die ich keine Antwort bekomme?“ „Preußen sucht zu vermitteln. — Lachen Sie nicht. Zu anderer Zeit würde ich mit Ihnen lachen, jetzt ist es das einzige Mittel, um Zeit zu gewinnen. Der König ist rathloser denn je in diesem Gedränge der Parteien und Leidenschaften. Man hat mit Lord Harrowby negociirt, daß die englische Legion, die bei Stade gelandet, einstweilen in Hannover nicht vor¬ rücken soll. Obrist Pfuel ist an Haugwitz gesandt; er soll den Abschluß hinhalten, er soll Seine Majestät den König als Vermittler der ganzen europäischen Wirren in Vorschlag bringen. Er soll den Gedanken an einen großen, allgemeinen Fürstencongreß anregen, auf dem alle streitigen Fragen entschieden würden, und in diesem Augenblick ist auf dem Palais eine Sitzung der Minister, die schon mehr als ein Mal stürmisch wurde — “ „Und in süßem Frieden endete,“ unterbrach Eisenhauch. „Sie wissen davon? Ich flog nur, als ich von Ihrem Entschluß erfuhr, Sie aufzusuchen.“ „Pfuel ist zurück. Er traf unterweges den zu¬ rückkehrenden Haugwitz, und hielt, nach den Mit¬ theilungen desselben, seine Mission nicht mehr für nöthig. Wird man nun Pfuel den Kopf zu Füßen legen? — Ei bewahre! Er handelte nach Rücksichten und Intentionen, die unser beschränkter Verstand nicht begreift. Heut in der Ministersitzung, nachdem die Köpfe warm geworden, man die patriotischsten Reden gehört, ist man zum Beschluß gekommen: Kein Krieg! Denn Krieg ist ein großes Uebel, dessen Folgen Nie¬ mand absieht.“ „Widersprach denn Niemand!“ „Sie weinten sogar. Das treue Anspach fahren zu lassen! — Nun, Baiern wird ihm auch ein gütiger Herr sein! — Aber Hannover den Engländern neh¬ men, unseren besten Verbündeten! Man tröstete sich mit dem schönen Gedanken: es kann ja nicht immer so bleiben, darum muß es einmal besser werden. Einstweilen soll aber alles so bleiben, bis — hören Sie — bis zum allgemeinen Frieden! Dann werden alle Völker, Fürsten, sogar die Staatsmänner ver¬ nünftig werden. Die Engländer auch; sie werden um des allgemeinen Besten willen Hannover frei¬ willig abtreten.“ Der Regierungsrath sprang auf: „Beim Himmel, es ist nicht Zeit zu Epigrammen!“ „Bittre Wahrheit, liebster Fuchsius. Der Sturm im Ministerrath ging in ein sanftes Adagio aus. Man schwärmte, da man nicht Muth hatte, für sich selbst zu handeln, wie es nothwendig, für das Wohl der allgemeinen Menschheit!“ „Und Stein — auch Hardenberg?“ „Ueberstimmt. Und weil sie überstimmt, fügten sie sich. Man darf doch nicht gegen den Strom schwimmen. Es gab sanfte Händedrücke, beinahe kam's zu Umarmungen.“ „Finis Germaniae!“ seufzte der Rath. „Gott bewahre! Der Fisch Germanien kann noch lange zappeln. Tausend Harpunen ihm ins Herz, sein Blut ins Meer verspritzt, er lebt doch, er ist eine geduldige Bestie und schnappt immer wieder nach jedem neuen glänzenden Köder, den ihm ein listiger Nachbar hinwirft. Will er nicht, so braucht er nur zu drohen, dann frißt er doch.“ „Genug! Leben Sie wohl!“ „Nein, Bester, jetzt wird sich erst der eigenthümliche Glanz der Staatskunst entfalten. Nichts thun, und wenn man in der Klemme steckt, sich justificiren und glorifici¬ ren, daß man die Hände in den Schooß gelegt. Warten Sie nur auf die herrlichen Staatsschriften und Zei¬ tungsartikel. Das wird salbungsvoll riechen. Mit Humanität und Philosophie und Christenthum wird man dem Volk beweisen, daß die Weisheit selbst nicht weiser hätte handeln können. Die guten Bürger werden sich die Augen wischen vor Rührung, und das „Heil dir im Siegerkranz“ wird noch einmal so schön klingen, als wenn der König gesiegt hätte. Man wird auf uns hetzen, die wir gehetzt haben, bis das Volk es glaubt, daß wir nur ehrgeizige, unruhige Köpfe waren. Sie glauben nicht, was dies Volk glaubt, wenn man ihm sagt, daß wir seine Fleisch¬ töpfe am Feuer verrücken wollten. Man wird anrüchig werden, wenn es heißt, daß man zur Kriegspartei gehört hat. Salviren Sie sich bei Zeiten. Spitzen Sie Ihre Feder, auch Sie werden Artikel für den Frieden schreiben müssen.“ „Nimmermehr! — Ich nehme meinen Abschied.“ „Das hat mancher gesagt, und bleibt doch, — aus höherer Staatsraison. Weshalb auch um solche Bagatell, als eine Meinung ist, seine Existenz aufs Spiel setzen!“ „Herr von Eisenhauch!“ „Nichts Persönliches! Gott bewahre! Die Per¬ sonen verschwimmen, wie die Charaktere, in diesem Mengelmuß. Da thut der Beste am Besten, wenn er still mitschwimmt. Wo steht denn geschrieben, daß wir nicht niederträchtig denken, nicht feig handeln sollen? Nur einen Brei sollen wir darum kneten, einen Firniß des Anstandes. — Und dann, ja man muß sich für eine bessere Zukunft conserviren.“ Der Regierungsrath blickte ihn ernst wehmüthig an: „Wir gingen so lange mit einander! Sollen wir so scheiden!“ „Ein zerronnener Traum! Preußen hatte die Aufgabe, Deutschland zu retten, es hat sich nicht selbst zu retten gewußt. Den letzten Rest seiner öffentlichen Ehre hat es geopfert, selbst den Rest der Ehrlichkeit, auf die es sich brüstete, warf es in den Tiegel.“ Der Rath ging im Zimmer auf und ab; er sah nicht, was auch dem Militair entging, daß ihr lautes Gespräch einen Vorübergehenden angelockt, der an der Schwelle der geöffneten Thür stehen blieb. „Unterscheiden Sie wenigstens die Nation von — denen, die Sie brandmarken.“ „Wer ist die Nation? Wo sitzt sie? Wo schlägt ihr Herz, wo drück ich ihre Hand? Das ist die ungeheure Täuschung, daß wir dieses Conglomerat von Gliedern für einen organischen Körper ansahen. Hier, wo alle Adern zusammenfließen sollen, glaubte ich das Herz gefunden zu haben. Was fand ich! Zwei Racen, man sollte meinen, von verschiedener Abstammung, Sprache, Hautfarbe, wie Niebuhr die Römer seciren will. Zwei Racen, die sich ausweichen, verachten, hassen, Militair und Civil genannt! Dies Militair knirscht freilich, aber was hilft uns das Knirschen der Maschine mit knarrenden Rädern! Dieser Koloß ohne Elasticität kann noch zermalmen, nicht mehr retten, befreien, weil ihm der Odem fehlt. Der Mensch, der Mann, der Bürger, ja der Ritter selbst, ging unter in der vielgelobten Disciplin. Da sollen wir Kämpfer, Paladine suchen für die ewigen Güter der Nation, wo Gefühl dafür, Be¬ wußtsein, der feurige Wille zum Verbrechen ward! Ein Paar elende Creaturen, gehaßt, verachtet von Allen, selbst von denen nicht geliebt, in deren Stim¬ mungen sie sich einhüllen, um sie im Schlaf zu beherrschen, die sind wichtiger als dieses mächtige Heer. Was ist nun dieser gewaltige separirte Theil der Nation, den man als ihr andres Selbst im Auslande betrachtet, wenn sein zornschnaubender Hauch nicht mal diese Lumpenmänner fortbläst!“ „Die Nation besteht nicht allein aus dem Militair.“ Der Major war sonst kein Mann von vielen Worten, aber, wenn eine Schleuse geöffnet, hältst Du das Wasser nicht zurück. Die Feuersäule, die ein Haus ergreift, sprüht mit dem trocknen Ge¬ müll auch Gebälk und Steine in die Luft. „Ich kenne nun auch die Andern. Durch das Geflimmer der Worte sah ich ihre Wahrheit. Viel buntes Glas, einige böhmische Steine und wenige Diamanten; durch die gut geschliffenen Gläser glänzt es von fern wie ein Eldorado. Große Versicherungen und kleine Thaten, ein beständiges Streben nach dem Höchsten, aber der Weg führt durch Moor und Sandsteppen des Albernen und Frivolen. Auf Stel¬ zen vor Freund und Feind, und wenn sie die Thür zuschlossen, spotten und lachen sie über sich selbst. Gedanken, große und schöne, aber wie Irr¬ lichter; sie erblassen schon auf der Lippe. Vom Boden habt Ihr Euch gelöst, der dürftigen Na¬ tur, die Euch der Himmel anwies. Ihr konn¬ tet wie Sturmvogel Euch andre Regionen suchen, aber nun flattert Ihr, von Euren ermatteten Adlern verlassen, zwischen Himmel und Erde und wißt nicht, wohin. Ueberall vor Rücksichten scheuend, zittert Ihr vor Eurer eignen Kraft. Um's Euch nicht zu ge¬ stehen, woran Ihr krankt, am Glauben an Euch selbst, hüllt Ihr Euch in Wolkenpalläste und klam¬ mert Euch an Systeme, die beim nächsten Sturm¬ wind zerrissen sind. Dies Scheinleben ist das Zehr¬ fieber, das Euren Staat vom Wirbel bis zur Zeh entnervt. Eine angezündete Fackel wollten sie neu¬ lich schleudern, ein Weltbrand sollte es werden, aber sie waren zufrieden mit Kolophoniumblitzen. Da, in den Flammenzückungen dieses verunglückten Thea¬ terabends konnte man die ganze Misere erkennen. — Auf dem Theater sollte die Welt zurecht gelegt wer¬ den, und mit Recht, denn diese Welt ist nur eine Theatervorstellung. Man spielt sich selbst und ist zufrieden, wenn man gut gespielt hat.“ Fuchsius hatte mit verschränkten Armen und verbissenem Munde schweigend zugehört. Jetzt öff¬ nete er ihn, aber, was er sagen wollte, schien er rasch zu verschlucken. Tonlos sprach er: „Sie aber sind noch nicht zu Ende, Major. Ich erwartete, daß Ihre Philippica auch die Schlit¬ tenpartie der Gensdarmen der Nation auf ihr Schuld¬ conto schreiben würde.“ „Ist denn seit vierzehn Tagen von Besserem die Rede? Ist Mark und Niere durchschüttert von der Satire des Weltgeschickes, daß man auf den Brettern den Krieg spielte, derweil er draußen im Blute von Austerlitz schon ersäuft war, daß man über einen Sieg jubeln konnte, tagelang noch die Blätter Lorbeern den Russen zuschmeißen, derweil in den unterrichteten Kreisen Jeder vom Gegentheil wußte? Nichts von Erschütterung. Man hatte von Wichtigerem zu plaudern: ob der Blutsturz des jun¬ gen Herrn Bovillard ein gefährlicher oder nur ein bischen Bluthusten war? Ob seine ganze Lügenpost nur eine Intrigue, um seiner Geliebten in einer in¬ teressanten Situation nahe zu kommen? Ob die Madame Lupinus im Recht ist oder die Gargazin? O wer da den Einblick gewönne in dies höchst in¬ tricate wichtige Ränkespiel der beiden Frauen! Ob die Lupinus, wie ihre Freunde sagen, wirklich die Tugendwächterin war für die hübsche Mamsell All¬ tag? Ob sie das junge Mädchen bewacht und be¬ wahrt hat vor der Leidenschaft für den jungen Wüst¬ ling, und ob sie nur in edler Entrüstung zurückwich, als die Sache zu einem öffentlichen Scandal um¬ schlug? Andre wissen ja wohl, sie hätte sie wie ein Cendrillon behandelt, ein moralischer Vampyr, mit Basiliskenblicken das Blut der Jugend und Phan¬ tasie dem Kinde ausgesogen, und es sei ein wahres Glück, daß die Fürstin sie ihr entrissen, ehe das herr¬ liche Geschöpf ein moralisches Skelett ward. Dann der wichtige Streit, ob ihre Ohnmacht Verstellung war, ein abgekartet Spiel, und ob ihr Bräutigam, der junge Gelehrte, nicht vielleicht absichtlich von den Officieren gereizt worden, ob es nicht auch Intrigue ist, daß er sich vergessen mußte, daß man ihn arre¬ tiren durfte, als er seiner Braut zu Hülfe sprang? O worüber sondern sich nicht die Parteien am Thee¬ tisch: ob der junge van Asten den Cornet wirklich am Arme gepackt oder ob er nur seinen Aermel berührt hat, ob der Cornet sich mit ihm schlagen darf oder — Gott weiß was, ich weiß nur, Herr Regierungsrath, eine Regierung ist glücklich, die Unterthanen von so subtilem Verstande hat, die nach jedem Köder sprin¬ gen, den man ihnen hinwirft. Hannibal vor den Thoren, und sie streiten, ob die Gans in Moll oder Dur gegakkert hat, als Vrennus stürmte!“ „Und das Resultat, Herr Freiherr von Eisenhauch?“ „Daß Deutschland auf den Neumond hoffen mag, auf einen Kometen, auf die Sturmbraut, mei¬ nethalben auf Napoleons Großmuth, auf Alles, nur nicht auf Preußen.“ Fuchsius hatte seinen Hut ergriffen: „Wenn eine Epidemie herrscht, lohnt es, dünkt mich, nicht der Mühe, zu untersuchen, wer der Kränkste ist. Leben Sie wohl. Wir sind Alle krank, Major, sehr krank. Preußens Genius verzeihe Ihnen, was Sie spra¬ chen, wenn Sie einen gesündern finden.“ Er hörte nicht mehr die Worte, die mit sonorer Stimme durch die offene Thür in das Zimmer schallten: „Herr Major, eine Beleidigung, dem Staate zugefügt, trifft auch jeden Bürger.“ Den Hut auf dem Kopfe, den Stock in der Hand, der krampfhaft auf dem Boden hämmerte, stand der Major Rittgarten auf der Schwelle. Un¬ ter seinen grauen Wimpern schossen die Augen zorn¬ funkelnde Blicke auf Eisenhauch. Beide mochten sich als Hausgenossen kennen, ohne in nähere Berührung getreten zu sein. „Was ich sprach, war nicht an Major Rittgar¬ ten gerichtet.“ „Noch hoffe ich, daß Sie den Einwand machen, daß er bei offener Thür Sie belauschte.“ „Was ist Ihr Wunsch?“ „Der Staat, den Sie geschmäht, kann nicht von Ihnen Rechenschaft fordern. Ich fordere sie, ein alter Militair, der unter Friedrich focht und bald dahin geht, wo sein großer König sie von ihm fordern wird.“ Mit dem Mitleid der Achtung blickte der jün¬ gere Militair den älteren an: „Ich ehre Ihren Schmerz und achte Ihren Muth; beide aber nicht als Legitimation, den Handschuh für ein Etwas mir zuzuwerfen, was Sie nicht persönlich betrifft.“ „Sie haben das Preußische Militair beleidigt, die Ehrenkränkungen meiner Brüder nehme ich auf mich. Sie haben das Preußische Volk geschmäht, dies treue, gute, rechtliche Volk. Sein Blut rinnt, wenn auch langsam, doch zu heiß noch in meinen Adern, um mit diesem unge¬ rächten Fleck vor meinen König zu treten. Ihre Antwort?“ „Nur eine Frage: war, was ich sagte, unwahr?“ „Zu der Frage haben Sie kein Recht. Sie sind nicht Richter. Nicht unter diesem Dache, nicht auf die¬ sem Boden, der sie gastlich aufnahm, dürfen Sie das Volk schmähen und den Fürsten, dem das Volk ver¬ traut. Und wenn ich Ihnen antwortete, verstehen Sie meine Sprache nicht.“ „Das klingt als wirkliche Herausforderung!“ „Die es ist.“ „Eh' der Verklagte antwortet, muß er die Klage kennen. Treten Sie für jene Officiere ein, die ich meinte? Vertreten Sie jene Eitlen, Schwachen, Nichtigen — “ „Ich sagte Ihnen darauf schon meine Meinung.“ „Aber unter Ehrenmännern, ehe man zum äußer¬ sten Ernst schreitet, sucht man Verständigung über das, worüber der Streit ist. — Sie haben mich vor¬ hin angehört, ich sprach im Zorn. Lassen Sie mich jetzt auch Sie anhören, ich will auch Ihren Zorn ruhig hören.“ „Kennen Sie unser Volk? Wenn Sie an einem Kranken seine Geschwüre zählen, kennen Sie darum sein Herz und seine Nieren? — Wer justificirt und glorificirt sich denn in seiner Schande? Das Preu¬ ßische Volk etwa? — Wer schreibt die salbungsvoll duftenden Staatsschriften? — Söldlinge, oft Fremd¬ linge, die das Volk aus Grund der Seele verachtet. Wen treffen Ihre Epigramme? Spielen die braven Herzen, die in Pommern und Ostpreußen, in Schle¬ sien und Westphalen für des Vaterlandes Ehre schlagen, in Berlin Theater? Sie zucken die Ach¬ seln! Wo haben Sie es gefunden, daß das Volk niederträchtig denkt und feig handelt? Sie ha¬ ben nicht herausgehört das stumme Zähneknirschen, die blutenden Herzschläge, als sie den letzten Rest, wie Sie meinen, seiner Ehre und Ehrlichkeit in den Tiegel warfen. Die warfen hinein als schlechte Ver¬ walter, was sie aufgegriffen. Aber nicht die Herzen des Volkes. Die hat es ihnen nie zum Aufbewah¬ ren gegeben, die hat es aufgehoben für eine bessere Zeit. Es ist kein Rest da, sage ich Ihnen, der volle Stock von Ehre und Ehrlichkeit liegt noch in unsrer Brust. Wer ist die Nation, wo sitzt sie, fragen Sie? Wer hat sie denn schon aufgesucht in ihrem Heilig¬ thum? Wer hat denn schon dies Volk gefragt, wer hat es gerufen? Der große Kurfürst einmal, und da kam es, Friedrich rief es sieben Mal, und sieben- Mal stand es da mit Gut und Blut. Diese — ha¬ ben es nicht gerufen, weil sie es nicht wagen, sie zittern vor dem Geist, den sie aufrufen könnten, vor dem ihre Erbärmlichkeit in Staub und Spreu ver¬ sänke. Aber rufen sie es einmal, bei dem rechten Namen, auf den es hört, mit dem rechten vollen Ton, der in Mark und Nieren schmettert, und es kommt. Dann, mein Herr, gebe ich Ihnen mein Wort, wird es nicht vor Denen scheuen, die seine Fleischtöpfe verrücken wollen; es wird glauben, ja, nicht an die schönen duftenden Reden der Herren am Ruder, an seine Bestimmung wird es glauben, an die Stimme der großen Fürsten aus der Gruft, und selbst wird es seine Fleischtöpfe ausschütten für Alle, die für das Vaterland streiten wollen!“ Eisenhauch machte eine Bewegung, als wolle er die Hand des Veteranen ergreifen. Aber dieser blieb in sei¬ ner festen Stellung; die Hand umklammerte den Stock. „Wir sind ein ander Geschlecht, fuhr er ruhi¬ ger fort, als Sie draußen; ja es ist so, das Warum kümmert Sie und mich heut nicht. Wenn wir krank wurden, können wir uns nur selbst heilen; Ihre Aerzte thun es nicht, sie verstehen unsre Na¬ tur nicht. Aber etwas, mein Herr, sollten Sie ken¬ nen. Die Blätter der Geschichte lehren es. Wenn wir am tiefsten erniedrigt schienen , die Welt uns verloren gab , dann grade schnellten wir in Jugendkraft zur vorigen Große .“ „Wem gab denn die Natur ewige Jugend!“ „Sie sagen, wir haben uns vom Boden gelöst, auf dem wir wuchsen, und flattern haltlos zwischen Himmel und Erde, weil wir nicht Muth haben, vorwärts ins Blaue uns zu stürzen. Ich geb's Ihnen zu. Aber wir haben Vertrauen; noch haben wir's, Herr Major. Der Fürst vertraute dem Volke, das Volk dem Fürsten. So lange das Band hält, ist Preußen nicht verloren. Wie oft traten Retter auf, als die Noth am größten, die Klügsten keine Aussicht sahen, die Muthigsten ver¬ zweifelten. Man sagt, daß der große König Gift in seinem Ringe trug. Gebraucht hat er es nicht. Nicht bei Collin, nicht in der Nacht von Hochkirch, nicht, als er mit seinem Häuflein, wie der Manns¬ felder durch seine Staaten irrte. In sich selbst und aus der Verwüstung heraus fand er sich wieder. Und in welcher andern Wüste rettete, schuf der Große Kurfürst seinen Staat! Wo überall, wie von Gott geschickt, unerwartet, der David auftrat, der die III . 20 Goliath niederwarf, wo diese Rettungen aus Zerwürfniß und Elend recht eigentlich die Quintessenz unserer Geschichte sind, warum da glauben, daß sie jetzt zu Ende sind? Warum nicht festhalten an dem, daß zur rechten Zeit der rechte Mann sich wieder einfindet. Wir sind jetzt erniedrigt, ja, dupirt vor aller Welt, vor uns selbst am meisten, ein Sumpf von Fäulniß, überdeckt mit einem Flimmer von Eitelkeit und Hoch¬ muth — aber es gab noch verwüstetere Geschlechter vor uns, und Gott gebe, daß nicht noch verwüstetere nach uns kommen.“ Eisenhauch sah, einen Schritt zurücktretend, dem alten Mann feierlich in's Gesicht: „Sie fordern von mir Genugthuung?“ „Und mitleidig blicken Sie auf meinen schwa¬ chen Arm. Wenn er den Degen nicht mehr führen kann, ist er doch noch stark, um die Pistole zu heben, und stark genug ist der Greis, mein Herr, der Mün¬ dung Ihres Feuerrohrs in's Auge zu sehen.“ Eisenhauch hatte ein Pistolenpaar in der Hand, aber er warf sie in den Kasten: „Ich nehme Ihre Forderung an, aber — für später . Jetzt haben andere Missionen das Vorrecht. Mein Herr, ein großes Schlachtfeld breitet sich vor uns aus. Ob morgen, ob nach Monaten, ob nach Jahren die Hunderttausende, zum Morden bereit, sich gegenüber stehen, darauf kommt es nicht an. Aber es muß kommen. Geblutet muß werden, ge¬ brannt, vertilgt, und der Sturm muß fegen durch die verpesteten Winkel. Fragen Sie sich, die Hand auf der Brust, ob's die Winkel allein sind, ob das Miasma nicht auf den Heerstraßen weht, in den Schlössern und Städten, ob's in den Schreibestuben und Wachtstuben die Brust dem Redlichen nicht zu¬ sammenschnürt. Draußen im Reiche ist es zusam¬ mengebrochen. Was da liegt, faul und morsch, je¬ dem Kinde ist's klar. Hier ist noch ein gleißender Firniß darum. Aber reißt die Schale ab, Herr, Sie zittern selbst, Sie ahnen oder Sie wissen, was dar¬ unter, ich will nicht noch einmal Ihren Schmerz sta¬ cheln. Ich aber sehe vor mir, wenn auch dieses letzte stolze, thurmreiche Schloß zusammenstürzt, nur Ver¬ wesung, eine unermeßliche Leichenwüste. — Herr Ma¬ jor, ein letztes Wort: wenn der Tod seine Fackel über uns Alle schwingt, wenn Deutschlands, Preu¬ ßens, Oestreichs Name ausgelöscht ist, dann ist auch unser Streit begraben — ein Höherer mag richten, wer mehr gefehlt. Wenn aber Gott entschieden hat, daß es in Deutschland noch ein Volk giebt, nicht reif zum Helotenstamm, und Preußen ist dies einzige Volk — dann, mein Herr — stehe ich Ihrer Kugel.“ 20* Achtzehntes Kapitel. Innerlich Lachen an einer Berliner Börse. An der Berliner Börse war ein Plakat an¬ geschlagen. Der Freiherr von Hardenberg hatte der Kaufmannschaft eröffnet, daß Preußens Lage von der Art sei, daß nun alle Besorgnisse für Handel und Verkehr gehoben wären, indem es Seiner Majestät dem Könige gelungen, „„ den Frieden auf genügende Art zu behaupten .““ Jeder möge daher, im vollen Vertrauen auf die Fürsicht einer Regierung, die kein ander Ziel habe als das Wohl ihrer Unterthanen, seinen Geschäften und Unter¬ nehmungen nachgehen. Außer dieser amtlichen Be¬ kanntmachung mehre Avertissements von Seiten des Börsenvorstands: Der Graf von Haugwitz sei als außerordentlicher Preußischer Gesandter in Paris mit vieler Freundlichkeit empfangen worden. Ferner: Der König berufe den größten Theil seiner Truppen in ihre Cantonnirungen zurück und danke ihnen für ihre bewiesene Treue. Man sah vergnügte Gesichter. Sie sprachen sich ins Ohr. Vielleicht hatten sie Rücksichten, daß sie nicht laut sprachen. Einige riefen auch Bekannte aus dem Publikum, die über den Lustgarten gingen, heran, und mit ihnen ward noch stiller, vertraulicher conversirt. Von diesen ging dann auch mancher, nach einem herzlichen Händeschütteln, mit erheitertem Gesicht von dannen. Andere aber gingen, die Hände auf dem Rücken, den Kopf gesenkt, schweigend fort. Der und jener schüttelte wohl den Kopf und wandte dem Andern hastig den Rücken, um sich aus dem Getümmel zu verlieren. Wie Viele froh waren und wie Viele betrübt, ist nie gezählt worden. Einer saß auf einem der Steinpfeiler nach dem Lustgarten hinaus. Es war ein sonniger Tag, und in seinem dicken Kalmuckrock mochte er wohl den Winter vergessen. Sein Gesicht sah aber nicht aus, als ob ein lauer Maienwind darüber streife, es glich den blätterlosen Zweigen der Platane, die weiß angelaufen vom Morgenreif sich über ihm leise wiegten. „Na Sie, hören Sie mal, Sie können doch nur lachen, sagte ein Herantretender. Warum denn wie ein Eisbär, Herr van Asten?“ „Ich lache auch, Herr Baron, Sie sehn's nur nicht, ich lache innerlich.“ Des Barons beide Hände klimperten in den Seitentaschen mit Geld: „Ich glaube, Sie wären caput gewesen mit allen Ihren Forderungen an's Militair.“ „Caput werden heißt ja wohl den Kopf ver¬ lieren?“ „Halten Sie Ihren fest.“ „Mancher hält's für ein groß Unglück, Herr Baron.“ „Das will ich meinen!“ „Mancher aber meint, man könnte auch ohne Kopf leben.“ „Sie Bonmotiseur, Sie! Warum lachen Sie denn aber nur innerlich? Meine Frau sagt, man kann äußerlich lachen, und weint innerlich. Das begreife ich. Ein ästhetisches Gemüth ist immer sen¬ timental. Das bin ich nicht, Sie sind's auch nicht, van Asten — Aber, wissen Sie, was mir ent¬ gangen ist?“ „Ihre Operntänzerin? Davongelaufen?“ „Nein, keine Plaisanterie! Haben Sie nichts davon gehört? Sie habens im Kriegsministerium ausspintisirt, daß der Infanterist im Winter auch friert. Mäntel sollten sie kriegen — wenn's zum Krieg ge¬ kommen wäre, nämlich — Na nu, was sagen Sie? Ich hatte schon ein Dutzend neue Stühle eingerichtet. Soll ich nun für die Kalmucken weben lassen?“ „Für die Franzosen, Herr Baron, die nehmen das Tuch auch ungeschoren.“ „Ohne Spaß, van Asten; ich hätte 'nen guten Schnitt bei gemacht.“ „Liebster Baron, Sie sind ein excellenter Fabri¬ kant und guter Kaufmann, aber erlauben Sie mir, Sie huldigen zu sehr den Phantasien. Ich meine, Sie sind zu leicht exaltirt von Ideen. Mäntel für die Infanterie! Ich bitte Sie, hatten Friedrichs Mus¬ ketiere Mäntel? Man hat Ihnen was aufgebunden. Erfindungen eines neuerungssüchtigen Kopfes! Hohle Theorien! Und unsere Regierung! Liebster Baron!“ „Die Franzosen haben ja schon Mäntel!“ „Desto schlimmer! Wer wird denn denen was nachmachen wollen!“ „Pfifficus Sie!“ sagte der Baron und spielte mit seinen großen Berloquen. Die Sonne schien eben so wohlgefällig mit seinen Brillantringen zu spielen. „Na, nu sagen Sie aber mal, warum lachen Sie denn innerlich?“ „Daß wir so 'nen schönen Frieden haben, und sogar auf genügende Art .“ „Wer Sie nicht verstände! Was geht's uns an, sage ich.“ „Das sage ich auch, Herr Baron.“ „Ihre Forderungen in Hannover kann Ihnen nun Schulenburg Kehnert eintreiben. Mit dreiund¬ zwanzig Bataillonen und fünfundzwanzig Schwa¬ dronen rückt er ein. Wollen Sie noch mehr Executoren?“ Ein Dritter, der hinzutrat, sagte: „Wir haben doch nun eine zusammenhängende Gränze gewonnen. Anspach konnten wir nicht schützen; um Hannover brauchen wir nur den Arm auszuspannen.“ „Nicht zu weit, fiel van Asten ein. Das Tuch des Herrn Baron reißt sonst an der Achsel.“ Das Gespräch war allgemein geworden. Ein Vierter sagte: „Was hilft alles Umarmen, wenn kein Herz uns entgegen schlägt! Der Hannoveraner liebt uns nicht, und die Anspacher ringen die Arme, daß wir sie aufgeben. Sie haben ein Schreiben geschickt, daß man sie, die treusten Söhne des Vaterlandes, nicht vom Vaterherzen reißen solle.“ „Sehr schön gesagt, sagte Baron Eitelbach im Abgehen zu einem Begleiter. Sehr rührend, würde meine Frau sagen. — Was gehn mich die Anspacher an! — Der alte van Asten könnte mich dauern, wenn er nicht solchen heillosen Schnitt gemacht. Hat auf den Frieden speculirt. Glauben Sie mir, Dreißig¬ tausend gebe ich für seinen Abschluß. Pfiffig ist er, aber warum hat er seinen Sohn so erzogen! — Ein Civil muß das Militair gehn lassen. Wofür ist des Königs Rock! Ist nun in der Bredouille. Kann sehn, wie er ihn rauszieht. Thut mir wahrhaftig leid, der Mann. Ja, warum hat er ihn nicht besser erzogen! Das kommt davon.“ „Was ist Ihre Meinung, Herr Mendelssohn?“ fragte ein jüngerer einen älteren Kaufmann von sehr klugem Gesicht. „Wir sind weder dreist genug, das trügerische Geschenk zu behalten, noch stark genug, es von uns zu weisen, darum ergreifen wir den beliebten Mittelweg, wir suchen den Schein zu retten und den Gewinn auch.“ „Aber wir haben den Schönbrunner Vertrag ratificirt.“ „Wir ratificiren nichts, wir statuiren nur Pro¬ visorien, um uns eine Hinterthür zu lassen. Und indem wir den Vertrag modificiren, heben wir ihn eigentlich auf. Bis zum allgemeinen Frieden soll alles zwischen Preußen und Frankreich bleiben, wir sollen keins der versprochenen Länder räumen, Han¬ nover nur besetzen, und hoffen, daß die Engländer bis dahin ein Einsehen bekommen und uns um Gottes Willen bitten, doch Hannover zu nehmen.“ „Was die Nachwelt dazu sagen wird! Die treuen fränkischen Lande fortzuschleudern, ohne Besinnen und Reukauf, und die Gegengabe dafür nur mit Vorbehalt anzunehmen!“ „Die Nachwelt hat kein Conto in unserm Buche.“ „Aber was schreiben wir auf unseres?“ „Das angenehme Gefühl, daß wir edel gehan¬ delt haben.“ „Und was Napoleon dazu sagen wird!“ „Sie hören's ja. Er hat Haugwitz „„mit einer Freundlichkeit empfangen, die eine günstige Deutung erlaubt.““ „Ob sie nicht erröthen, indem sie es bekannt machen?“ „Schamröthe ist eine Illusion der Vergangenheit.“ „Aber Napoleon!“ „Er lacht auch innerlich, wie unser Herr van Asten. Aber was ist mit ihm da!“ „Ein Cavallerieofficier auf der Börse! Geht die Welt unter!“ Der Officier war der Rittmeister Stier von Dohleneck. Es war eine kleine Aufregung. Der Rittmeister schüttelte in einer Art Extase dem Kauf¬ mann die Hand, fast schien es, er fühle sich in Ver¬ suchung, ihm um den Hals zu fallen, aber das schickte sich nicht. Der Kaufmann war aufgestanden, er hatte die Hand des Officiers noch ein Mal ergriffen, sie gedrückt, dann fahren lassen und war auf den Stein zurückgesunken. Der Rittmeister war wieder fortgeeilt. „Ein braver Mann, der Herr von Dohleneck.“ Es waren frohe Gesichter. Wie sollte es auch nicht; seine Botschaft war eine frohe und van Asten ein geachteter Mann auf der Börse. Bald wußten Juden und Christen den Inhalt: das Ehrengericht der Officiere hatte sich endlich dahin geeinigt, daß der junge Walter van Asten an jenem Abende nur in einer entschuldbaren Affection mit dem Cornet in Conflict gerathen, ohne seinen Stand kränkende In¬ tention, daß er seinen Arm nur berühren wollen, um ihn auf etwas aufmerksam zu machen, und allein durch den Stoß eines Nachbars habe er sich an dem Arm festhalten und damit durchaus nicht den Rock des Königs attentiren wollen. Die Sache wäre also eine reine Privatsache zwischen dem Cornet und dem Kaufmannssohne, letzterer aber, angesehen, daß in niederländischen Familien unter dem vorgesetzten van nicht selten alte adlige Abkunft sich cachire, auch der junge Walter nicht erweislich hinter einem Ladentisch stehend gesehen worden, eine Person, von dem ein Cavalier, in Anbetracht der Umstände und der Me¬ riten seines Vaters, ohne sich etwas zu vergeben, Satisfaction fordern möge. Das Zeugniß des Cornets selbst hatte diesen Spruch, an den Niemand vorhin geglaubt, veranlaßt. Wer anders als sein Oheim, der Rittmeister, war das bewegende Motiv gewesen! „So belohnt sich eine gute That,“ raunte ein Freund dem Vater zu. „Ein braver Mann, der Rittmeister!“ wiederholte der Chor. „Na, nu können Sie auch äußerlich lachen, Herr van Asten, sagte der wieder hinzugetretene Baron — der Friede, der Schnitt und der Herr Sohn ohne Criminal und Prison davon gekommen. Was wollen Sie mehr!“ „Lache ich denn nicht!“ rief der Alte und lachte, so laut, daß die Davongehenden noch auf dem Lust¬ garten sich verwundert umblickten. „Es ist des Glücks nur zu viel! Das Zahlbrett voll zum Einstreichen, ein Friede, der uns genügt, und so viel Patriotismus an der Börse, und alles in Ruhe und lauter Ord¬ nung im Lande, und mein Sohn — mein Sohn kriegt die Erlaubniß, von den Herren Officieren sich 'ne Kugel durch den Kopf jagen zu lassen! — Verzeihn Sie, meine Herren, wenn ich genug gelacht habe, daß ich auch ein bischen weine, denn das große, unverdiente Glück habe ich alter Esel mir selbst an¬ gerichtet.“ Druck von Eduard Krause in Berlin.