Geister und Geisterseher oder Leben und fruͤhes Ende eines Nekromantisten. Eine warnende Anekdote unsrer Zeit von J. H. Zsch*** . Kuͤstrin , bey Ferdinand Oehmigke . 1789 . Wilhelm Walter Theils aus den eigenen Papieren und Briefen dieses ungluͤcklichen Mannes, theils aus muͤnd- lichen Erzaͤlungen und Nachrichten seiner ehma- ligen Freunde ist diese Geschichte genommen, die, wenn sie auch mit hunderten dieses und des vorigen Jahrhunderts viel Aehnlichkei- ten besizt, dennoch bekannter zu werden ver- dient, und neugierige Forscher zu warnen, sich weder in das Gewebe geheimer Gesellschaften , noch in andere Spiegelfechtereien der Magie verflechten zu lassen. . W ir verlachen herzlich die Albernheiten voriger Zeiten, und doch sind die un- srigen nicht minder reich daran. Wir zaͤlen Mesmers, Gasners, Wunderdoktoren und Proselitenmacher zu unsern Zeitgenos- sen, ungeachtet sich die weisesten Maͤnner, die Hyder des Aberglaubens zu bekaͤmpfen, A 2 das Wilhelm Walter . das Angelegentlichste sein liessen. Wir hat- ten Warnung und unsre Vorfahren statt des- sen Aufmunterung und verdoppelten Reiz; bei ihnen trug jede Wissenschaft, jeder Um- stand, jeder geringe Zufall sein Quantum zur Vermehrung des Hanges zu geheimen Wis- senschaften bei. Alles besas Mysterien, af- fektirte sie wenigstens zu besizzen; alles sprach in dunkeln Reden, die der Zuhoͤrer nur halb verstehen duͤrfte, und der Redner selbst nur halb verstand. Die Theologen traten hin und sprachen: das Gebet wirkt uͤberirrdische Dinge; ent- zuͤkt uns; klaͤrt unsre truͤben Blikke; erhebt zum Anschaun der Gottheit, macht zu Heili- gen; giebt todten ohnmaͤchtigen Gegenstaͤn- den eine magische, verborgene Kraft, Zei- chen und Wunder zu thun. Die Chemisten hingegen benuzten den Hang zum Sinnlichen, welcher tief den Menschenherzen eingepflanzt ist; schufen vielsagende Karaktere; machten durchschimmernde Vorspieglungen luͤstern nach den verborgnen Geheimnissen der Na- tur; Wilhelm Walter . tur; ermunterten tiefer einzudringen in die dunkle Werkstatt derselben; sprachen vom Stein der Weisen, von niegesehenen Schaͤz- zen; vom Schluͤssel zur Herschaft uͤber das aͤtherische Reich der Geister; ruͤmten nahe da- ran zu sein, mit einem Blik die ganze weite Schoͤpfung zu uͤberspannen und zu durch- spaͤhn, und waren vielleicht noch eben so weit von ihren suͤssen Jdealen am Ende ihres Lebens entfernt, als damals, da sie begon- nen noch den Fantomen zu haschen. — Der Astronom schwieg auch nicht, machte auf- merksamer aller Augen auf die Konstellazio- nen des Himmels; enthuͤllte die unbekann- ten, allmaͤchtigen Jnfluenzen der Gestirne auf Laͤnder und Menschenschiksale, weissagte iedermann und den Goͤttern der Erde die Stunde des Todes u. s. m. vorher aus den geheimen Zuͤgen der Sterne; eine halbe Welt bebte, da der Astrolog Stoͤffler 1524 allge- meine Suͤndflut predigte. — Die Alter- thumsforscher fanden in den Schriften und Denkmaͤlern der Vorzeit vorhandne, untruͤg- A 3 liche Wilhelm Walter . liche Spuren, daß die Welt mit noch uner- forschten Mysterien angefuͤllt sei; aus dem Orfeus, Homer, Virgil ꝛc. zogen sie Zau- berspruͤche und behaupteten streng, daß schon Weise im Dunkeln existiret haͤtten, welche die Kraͤfte der Natur in Haͤnden gehabt. — Pilgrimme kehrten von ihren Fahrten heim, erzaͤlten viel von Abentheuern in Hoͤlen; von ihren wunderbaren Schiffarthen; vom Ruͤ- bezal und der Lapplaͤndischen Zaubertrom- mel, — alles horchte, alles staunte, und leichtglaͤubige Unwissenheit, die damalige Philosophie iaͤhnte von Herzen ihr: Amen! dazu. Trete nun einer auf, und spreche, was konnten die guten Leute in solcher Ver- fassung anders thun, als glauben ? — Der Wahn der vergangenen Zeiten hat sich fortgepflanzt bis auf unsre Tage; er naͤhrt sich im Verborgnen noch und wird nicht ausgerottet werden koͤnnen, weil nicht der gemeine Mann allein, sondern auch ge- lehrte Leute ihn zu ihrer geheimen Lieb- lingsbeschaͤftigung machen. — Jch ken- ne Wilhelm Walter . ne einen sehr wuͤrdigen, grossen Gelehrten, welcher selbst zur Steuer des Aberglaubens schrieb, und dennoch mir behauptete, daß Gott ein uͤberirrdisches, unbekanntes Et- was durch alle Koͤrper gegossen haben muͤs- se, durch welches, wer es zu ergruͤbeln faͤ- hig waͤre, man ungeheure Kenntnisse uͤber das allgemeine Ganze zu seiner Selbstver- vollkommnerung erhalten, sich uͤber seine Menschensphaͤre erheben und etwa zu einem naͤhern, vertrauten Umgang mit hoͤhern Wesen faͤhig machen koͤnnte! — — Kein Wunder, daß, wenn selbst Maͤnner bereichert mit Erfarung und weitumfassender Wissenschaft, an solchen truͤglichen Jdeen zu saugen sich nicht erbloͤden, auch andre mit maͤssigen Einsichten darnach forschen, und ihre gesunde Vernunft berauschen, wo nicht toͤd- ten. — Das Beispiel Walters, der nun seit etlichen Jahren schon unter der Erde schlummert, aber dessen Familie noch exi- stirt, mag warnende Lehre den Unerfahr- nen sein! A 4 Er Wilhelm Walter . Er wurde im Jahre 1759 in einer mit- telmaͤssigen Stadt im Reiche geboren; verlor fruͤh seinen Vater und behielt nur seine Mut- ter noch, die ihn zum Studieren bestimmte. Mit der Beihuͤlfe einiger wolthaͤtiger Goͤn- ner, war er in seinem zwanzigsten Jahre nach durchwanderten Schulen, fuͤr die Universitaͤt geschikt; darum saͤumte er nicht laͤnger, son- dern verlies die Vaterstadt und reisete mit geringer Baarschaft nach H**, wo er bald neue Freunde, neue Unterstuͤzzung fand und mit unermuͤdendem Eifer seine Studien fort- sezte. — Er gewann auch fuͤr schoͤne Wissen- schaften und Lektuͤre neuerer Schriftsteller Ge- schmack und Gefuͤl, da er sich bisher auf Schulen nur immer mit Sprachen beschaͤftigt hatte und sich wenig oder gar nicht nach Er- werbung anderer Kenntnisse bemuͤhen konn- te. Besonders gefielen ihm die Feenmaͤrchen Gallands, die Persischen Erzaͤlungen u. s. w. in denen wolthaͤtige Feen die Menschen be- gluͤkken und der Weise durch anhaltendes For- schen es dahin bringt, daß Wesen hoͤherer Art Wilhelm Walter . Art seinem Winke gehorchen, seine Befehle vollfuͤhren, daß er, geschaͤrften Blikkes, sogar die Geschichten der Zukunft aus dem Buche des ewigen Schicksals lesen kann. — Dies gab Walters Fantasie den Stos, gab Sporn und Fittige seinem schmachtenden Geiste; er hing ganz mit seiner Seele an den lieblichen Schimaͤren, und fand sich dann gluͤklich. Seine Notdurft zu haben, muste er fuͤr sei- ne reichern Mitstudierenden Kollegien schrei- ben oder Noten; er lebte immer einsam, ent- sagte allem Vergnuͤgen des akademischen Le- bens; hatte nur einige Freunde und auch von diesen ward er nur aͤusserst selten besucht. Sich also bestaͤndig selbst uͤberlassen, gieng seine ehmalige frohe Stimmung, welche er noch aus den Kinderiahren mit her gebracht hatte, zur stillen Schwermuth uͤber; wenn sein Geist abgemattet war vom ununterbroch- nen Studieren, sezte er sich hin, vergrub er sich in sich selbst, beweinte er sein Schiksal und die truͤben Aussichten in die Zukunft, welche duͤster sich vor ihm hinlagerte, vergroͤs- A 5 serte Wilhelm Walter . serte sein Leiden, welches er nur sich selbst klagte. — Was Leidende in solchen Stun- den allein noch fuͤr ihr Gluͤk halten, und was es vielleicht allein auch nur noch etwa sein kann, ist, daß sie sich beßre Tage, beßre Welten fantasiren. Da ist ewiger Maien- himmel; kein stummer Harm entpreßt ihnen Thraͤnen da; sie fuͤhlen sich selig, und sehen ihre Bruͤder umher gluͤklich. Dies war auch Walters angenemster Trost. Um diese Zeit fieng er an den Tausend und einen Tag, Tausend und eine Nacht, Tausend und eine Viertelstunde , und wie die Konsorten dieser Romanenrace sich sonst noch nennen moͤgen, zu lesen; er empfand dabei ein nie- gefuͤhltes Vergnuͤgen und ergoͤzte sich beson- ders uͤber die dienstbaren Genien und Schuz- geister. Er wuͤnschte sich nicht selten Ala- dins Lampe zu besizzen, und was man sich Suͤsses, Seelenerquikkendes in solcher Lage dabei traͤumen kann, traͤumte sich dann Walter. Er Wilhelm Walter . Er ging bald aber weiter. Sollte es, dachte er oft, nicht irgend moͤglich sein, daß in verborgenen, unbekann- ten Gegenstaͤnden uͤbernatuͤrliche Kraͤfte und Eigenschaften laͤgen? — Der Mensch ist ein so sehr erhabenes Geschoͤpf, sollte er nicht auch Mittel durch seine Vernunft auffinden koͤnnen, wodurch er sich noch eine untere Klasse der Geister, welche vielleicht nur zum Dienste der Sterblichen erschaffen wurden, unterwuͤrfig zu machen vermoͤgte? Und wa- rum sprechen die alten Weltweisen so viel von diesem noch zu wenig besegelten Reiche der Schoͤpfung? Die Kraͤfte ihres Nachsin- nens, welche bei uns auf so vielerlei Wis- senschaften verwandt werden muͤssen, konnten bei ihnen nur einen grossen Punkt zum Ziel der Erforschung waͤlen; viel von denselben widmeten sich also vielleicht ganz nur der Er- werbung grosser, geheimer Weisheit. Ganz wahrscheinlich hatte diese Wissenschaft bei ih- nen schon einen gewissen Grad der Vollkom- menheit erreicht; aber sie wurde vernachlaͤs- sigt Wilhelm Walter . sigt von den Enkeln, deren Aufmerksamkeit allmaͤlig auf mehrere Gegenstaͤnde gezogen, sich zerstreute; wurde von andern wieder, als ein lautrer, lichter Silberquell mit Schlamm verunreint, gemisbraucht, so, daß er ganz endlich vergessen ward und diese erhabene Wissenschaft fuͤr uns verloren ging. (Siehe den Brief eines Landpriesters uͤber die Worte, was heißt es, mit Zungen reden ? in Goͤ- thens Schriften!) Zwar ruͤmten sich in den folgenden Jahrhunderten noch manche den Schaz dieser goͤttlichen Kenntnisse zu besizzen und hatten doch nur leere Worte — aber sollte nicht hin und wieder ein einsamer Denker durch vieles Forschen und Streben wieder gefunden haben das Verlorne? sollte auch mir es nicht moͤglich sein es wieder zu finden, und hoͤhere Einsichten in erhabnern Regionen der erschaffnen Welt zu erklimmen, wenn ich ganz die Kraͤfte meines Verstandes der verlorengegangenen Wissenschaft widme; wenn ich die einzelnen Spuren aufforsche, welche noch hin und wieder vorhanden sind, und Wilhelm Walter . und ihnen mit strenger Vorsicht durch die ver- wilderten Labyrinte folge? — Jch will's — wer weiß es, wozu mich das Schiksal aufge- spart hat; dort bluͤht vielleicht mein Gluͤk, wo dasselbe von mir am wenigsten geahndet wird. — Dies mag ohngefaͤhr ein Abris von Walters Gedanken sein; wie eine Jdee bei ihm aus der zweiten entsprang, und so sich am Ende ein vollkommnes Ganze ausbildete. — Er gab sich von dieser Zeit an alle Muͤhe vor's erste Materialien zu sammeln; keine Buͤcheraukzion, keine alte Bibliothek oder derlei Gelegenheiten aͤltere, seltne Werke auf- zuhaschen, durften ihm bekannt werden, so war er da, sie zu benuzzen. Seine Mitbur- sche pflegten ihn deswegen spottweise den Nekromantisten zu nennen; er aber hoͤrte sie nicht, wandelte entschlossen seine vorgesezte Strasse und offenbarte niemanden etwas von dem, was er sich vorgenommen hatte. — Er besas wirklich nach einigen Monaten eine klei- Wilhelm Walter . kleine, auserlesene Bibliothek von den be- kanntesten Werken, welche die magischen Wissenschaften behandeln, und ich will nur folgende von ihnen, als die vorzuͤglichsten, auszeichnen. Sein Lieblingswerk war vor allen Philosophia occulta des Kornelius Heinr. Agrippa , sonst las er auch fleissig Wiers Buch de praestigiis et incantationibus Man lernt hieraus Geisterbeschwoͤrungen im Grossen und Kleinen, die Hoͤlle wird hierin um- staͤndlich geschildert, man findet zugleich auch die Zunamen der 572 hoͤllischen Fuͤrsten und der 7405926 geringern Geister. , Alk- tzendi de theoria magicarum artium, Mscrpt. Hieron. Cardani liber de subtilitate, Al- berti Magni liber de mirabilibus; J. Gaffa- relli curiositates inauditae; Trithemii Stega- nographia und viel andre. Unaufhoͤrlich sas er nun bei diesen Schrif- ten; Tag und Nacht verschwendete er bei ihrer Durchlesung, und wirklich glaubte er naͤher seinem Zwekke zu kommen. Man sprach von ihm in der ganzen Stadt, denn er sah sich selbst nicht mehr aͤhnlich; seine Mie- Wilhelm Walter . Mienen waren verzogen und blas; er sprach vor sich selber und mit Muͤhe nur entlokten ihm seine besten Freunde dann und wann ein Wort. — Mit jedem Tage verstaͤrkte sich sein Glaube an Magie und immer tiefer drang er in das Reich derselben ein. Er war fest von der Existenz der Daͤmonen uͤberzeugt; verfocht die Allgewalt der Beschwoͤrungen uͤber dieselben; und wagte selbst einige Schritte weiter noch, als er Vorgaͤnger hatte. — Anderthalb Jahre waren ihm bei diesen Be- schaͤftigungen wie anderthalb Stunden ver- flossen; er fuͤlte sich genug eingeweiht in die grossen Mysterien der Magie und nahm sich sogar vor, um seine Einsichten in die Ge- heimnisse der Geisterwelt thaͤtiger zu zei- gen. — Er wollte den Schatten eines Ver- storbenen aus dem Grabe hervorrufen; eines Verstorbenen, welchen er im Leben persoͤnlich gekannt hatte, und der war sein Vater. Er bestimmte die Sylvesternacht zu diesem schauerlichen Experimente, zu welchem schon alle Vorbereitungen gemacht worden waren. „Den Wilhelm Walter . „Den ganzen Abend uͤber, habe ich, „sag- te er nachgehends in einem Briefe an seinen Freund S**,“ allein auf meinem Zimmer gesessen; gebetet und die Bitten an die heil. Korona durchgeblaͤttert. Jch mus es geste- hen, daß mich ein kalter Graus anwandelte, welches mir doch noch nie geschehen war, als die Kirchenglocke ein Uhr schlug; denn zu eben dieser Stunde wollte und mußte ich die In- cantationes anheben, wenn ich nicht meinen Vorsaz, wie er war, aufgeben wollte. Jch that ein andaͤchtiges Gebet zu dem allerhoͤch- sten Beherrscher der Geister, Menschen und anderen Geschoͤpfe, stund zitternd auf und stieg in den Kreis, welcher schon seit zwo Stunden fertig war. Jch weiß aber nicht, wie mir es ward; denn meine Kraͤfte ver- liessen mich sehr, daß ich kaum die zwote Be- schwoͤrung vollenden konnte. Als ich diese gluͤklich beendiget hatte und ich alle mein Vermoͤgen sammlete, auch die dritte und lezte anzufangen, hoͤrte ich ein fernes, wiewohl vernehmliches Rauschen uͤber den Saal, als wie Wilhelm Walter . wie wenn man einen großen Baum mit sei- nen Zweigen auf dem Erdboden hinter sich her zoͤge, welches Geraͤusch immer naͤher herbei kam, so daß ich fest uͤberzeuget gewe- sen bin, es seye die Anwesenheit eines andern Wesens gewesen, welches durch die Kraft der Beschwoͤrung angezogen worden ist. Aber mich uͤberfiel ein grosser Schrekken, also, daß ich zur Erden stuͤrzte und erst gegen Morgen zu mir selber kam. Weil es um mich dun- kel war und ich mich kaum habe besinnen koͤnnen, legte ich mich uͤber das Bette in den Kleidern und erwachte erst um neun Uhr des andern Tages. Jch fand alles unver- sehrt und das Licht war in der Nacht abge- brannt.“ — — Ohne uns nun damit zu befassen, wel- ches Bewandnis es mit dem Geraͤusche ge- habt habe, wollen wir zu einer merkwuͤr- digern Begebenheit Walters uͤbergehn, der sich noch nicht durch den ersten, fruchtlos ab- gelaufnen Versuch schrekken lies, sondern kuͤh- ner vielmehr noch andre wichtigere Schritte B zu  Wilhelm Walter . zu wagen sich vorgesezt hatte, als urploͤzlich ein Brief aus der Vaterstadt erschien, in welchem er nach Hause gerufen wurde, den lezten Willen seiner sterbenden Mutter anzuhoͤ- ren. — Er saͤumte nicht, brachte seine Geschaͤf- te noch an eben dem Tage, als er die Hiobsbot- schaft erhielt, in Ordnung und machte sich fruͤh des folgenden Morgens zu Fus auf die Reise. Es war am Pfingstmontage Abends ziem- lich spaͤt, als er die erste Tagereise vollbracht, in ein an der Landstrasse belegenes Wirths- haus einkehrte und Nachtlager und Abend- essen verlangte. Der Wirth gewilligte ihm beides und er legte sein Reisebuͤndel ab, luͤf- tete sich, und mischte sich, aufgeheitert durch den schoͤnen Abend und die ungewohnte Lei- besbewegung, zu den Gaͤsten, die bei ihrem Bierkruge viel uͤber Staͤdte und Schloͤsser, Kaiser und Fuͤrsten sprachen, wohinzu er auch sein Scherflein fuͤgte. Der freundliche Wirth ermunterte die ganze Gesellschaft durch seine Wizreden, und davor liessen sich die Gaͤ- ste fein fleissig die Kruͤge fuͤllen. Wal- Wilhelm Walter . Walter aber fiel allen besonders auf, daß er mit seinen Worten so kaͤrglich umging, un- geachtet er ziemlich heiter zu sein schien; der Wirth fragte ihn deswegen offenherzig und Walter beantwortete alles. Jndem aber sprang ein kleines unansehnliches Maͤnnchen, das immer unbemerkt in einem Winkel gesessen hatte, hervor; stellte sich vor Waltern hin; — die Gesellschaft beobachtete ein feierliches Stillschweigen; der Mann im grauen Rokke, mit ungeheurem Hoͤker auf dem Ruͤkken schien etwas sagen zu wollen, aber — er trat wieder zuruͤk, wurde blutrot im Gesicht, sazte sich wieder in den vorigen Winkel und sprach kein halbes Woͤrtchen. Die Anwe- senden verwunderten sich hoch darob; sie sahn sich an; lachten und vergassen des sonderba- ren Schwanks, ohne weiter neugierig dar- nach zu forschen. Aber gemach wurde das Frohgespraͤch leiser — einer nach dem andern nam Ab- schied — es war die Mitternachtsstunde; auch Walter legte sich zur Ruhe und erwachte B 2 fol- Wilhelm Walter . folgenden Tags nicht eher, als bis ihn die Morgensonne durch die runden Fensterschei- ben blendete und Waͤrme uͤber ihn gos. Er gieng zum Wirth, bezalte seine Schuld und wollte schon seiner Strasse ziehn, als ihm leise der Bukklichte im grauen Rokke beim Aermel zupfte und zu ihm sprach: Herr, ein Woͤrtchen mit Jhnen im Vertraun; es soll Sie nicht gereun, wenn Sie etliche Minuten bei mir zu verweilen haben!“ Er fuͤhrte ihn darauf abseits und sagte: Herr, es waltet unter den Menschen ein Gewisses ob, was sie mit einander verbindet, wie mit Demantketten und ihr Leben mit Freude wuͤrzt. — Dies Etwas pflegen wir Sym- pathie zu nennen und eben dies ist es, wel- ches Sie mir beim ersten Augenblik empfal. — Verachten Sie mich nicht wegen meiner aͤrm- lichen Figur etwa, ich bin nicht das, was ich scheine. Empfinden Sie Lust zu wissen, wer ich sei, so folgen Sie mir!“ Walter sah den Fremden schweigend an und konnte sich nicht in die offne Dreistigkeit des- Wilhelm Walter . desselben finden; doch entschlos er sich ihm zu folgen und hies ihm, voran zu gehen; iener that's und er wanderte ihm gedankenvoll nach. Der Wirth zerklopfte seine Fenster- scheiben fast; pfiff, bischte, umsonst; Wal- ter vertieft in seinen Gedanken, hoͤrte die Warnungen des wolmeinenden Wirthes nicht. Der Weg schlaͤngelte sich einem kleinen Luftholze entgegen, und es verflos keine Vier- telstunde, so befanden sich unsre beiden mit- ten in demselben, auf einem gruͤnen Bezirk, dicht mit hohen Baͤumen umgeben. — Der Fremde fing hier an sich zu entkleiden; seinen Hoͤker abzunemen, welcher aus verschiednen Materialien, zwo Schmelztigeln, Zinnble- chen und etlichen Rollen von Louisd'oren be- stand; dann auch ein verpfropftes Glaͤschen hervorzuziehn, in welchem ein haͤslicher stal- gruͤn schimmernder Kaͤfer hausete. Walter sah mit den Aeusserungen des groͤsten Erstau- nens alle dem zu, war eben entschlossen das lange Schweigen durch ein halb Duzzend B 3 Fra Wilhelm Walter . Fragen zu brechen, als iener ihm seiner Muͤ- he uͤberhob. „Sie werden sich freylich uͤber mein son- derbares Betragen gewundert haben, mein Herr; aber die Notwendigkeit heischte es von mir, daß ich uͤber alles dies Jhnen nicht eher als iezt Aufschluß gab. — Mein Na- me ist R**, bin ein geborner, Franzoͤsi- scher Graf; leidenschaftliche Spielsucht mach- te mich arm — ich wurde von meinen Freun- den, nach der Mode unsrer Zeitgenossen, verlassen, da ich ihrer am meisten vonnoͤthen hatte; mir blieb deswegen nichts uͤbrig, als mich schaamvoll in die Einsamkeit zuruͤkzu- ziehn. Hier fing ich an zu schriftstellern, um mir Lebensunterhalt zu erwerben, und vorzuͤglich waren Voltairens Werke, die man bei ihren ersten Ausgaben gierig ver- schlang, hizzig verfocht' und tadelte, neuer Stoff fuͤr die meinen; ob ich den Mann gleich im Herzen verehrte, verachtete ich doch heftig seine Schriften um — mir dadurch ein gutes Honorar zu erwuchern. Unter an- Wilhelm Walter . andern seiner Aufsaͤzze war mir der uͤber die Genien merkwuͤrdiger, als alle; denn er fuͤhrte mich auf ernstere Gedanken. Jch hatte es mir einmal festgesezt dem Voltaire in al- lem zu wiedersprechen; hier mußt' ich nun die Schuzgeister vertheidigen; ich studierte des- wegen alte Folianten von vorigen Jahrhun- derten, um aus ihnen guͤltige Beweise und Gruͤnde zu saugen — aber ich lernte unver- mutet mehr aus ihnen; wurde eingenom- men fuͤr nekromantische und alchemistische Wissenschaften, und die zwoͤlf Jahre, welche ich auf ihr Studium verwandte, haben mich noch nicht gereut, denn sie machten mich zum Gebieter in der Region der Geister, zum Eigenthuͤmer des Lapis philosophorum , zu mehr, als einem Fuͤrsten. Sie werden meinen Worten nicht glauben koͤnnen und doch ist es also; ich ziehe izt in Geschaͤften des hohen Alhaazeel umher Da Kagliostro bei der verehrungswuͤrdigen Frau Graͤfin von Medem sein Gaukelspiel trieb, gab er vor, in Geschaͤften seiner Obern nach Nor- den reisen zu muͤssen. , verkleide B 4 mich Wilhelm Walter . mich in ein schlechtes Gewand, um desto unbelauschter die Falten des menschlichen Herzens erforschen zu koͤnnen. Jch finde Sie hier — ein geheimer, sympathetischer Zug reißt mich fuͤr Sie hin — ich will Sie gluͤklich machen und einweihen in das dunkle Allerheiligste des Mystizismus, wozu Sie schon seit anderthalb Jahren den Grundstein gelegt haben. — Sie staunen, woher ich dies weis? sehn Sie diesen Kaͤfer im Glase, er ist ein ungezogner Daͤmon; der offenbart mir die tiefsten Geheimnisse des Koͤniglichen Kabinets; auch Jhre Schiksale hat er mir kund gethan!“ Daß der Teufel, oder will man ihn feiner be- nennen, der Daͤmon nicht selten das Schiksal hatte in Glaͤsern und Kruͤgen logiren zu muͤssen, will ich meinen Lesern aus folgender, allerdings glaubwuͤrdigen Legende beweisen. Der Teufel und der heil. Lupus waren einander erklaͤrte Feinde, wo sie sich also einen Possen spielen konnten, geschah's, wie man denken kann, nur zu gern. Da einst der Heilige bis in spaͤter Nacht im Gebet verharrete, wurde er auf Anstel- lung des Teufels durstig, so daß er frisches Was- „Mei- Wilhelm Walter . „Meine Schiksale?“ fragte Walter erstaunt. B 5 Ohne Wasser verlangte, welches man ihm gab. Der schlaue Feind benuzte diese Gelegenheit in den heiligen Mann fahren zu koͤnnen; kroch hurtig in den Krug um von ienem mit dem Wasser verschlukt zu werden; welcher aber Unrath wit- terte, den Krug mit seinem Kissen bedekte und — so den armen Teufel gefangen hielt! die ganze Nacht must' er drinnen heulen; erst am Tage lies er ihn heraus, auf daß er sollt zu Schanden werden vor jederman, die weilen er ihn heim- lich betriegen hette woͤllen — O kranker Moͤnchs- kopf! siehe Casp. Finckii Cen t ur. II legendo- rum papisticorum p. 64. — So wie sich unsre Damen izt Puzzen und neue Moden von Paris und Lion verschrei- ben, verschrieb man sich ehmals kleine Teufel- chen ( spiritus Familiares , Geheimgeister) aus Jtalien, Frankreich und Spanien. Die alten Skribenten behaupten einhellig, daß auf solche Art, leider! viel dergleichen Thierchen nach Deutschland gekommen sein. Phil. von Sitt- waldt (im Ruperto experto ) erzaͤlt uns, daß, als er mit zwei jungen von Adel nach Jtalien reisete, einem von diesen von einem guten Freun- de 12 Kronen gegeben worden waͤren, von daher einen allerliebsten Daͤmon mitzubringen. — — Jm Jahre 1450 wollte ein Augspurgischer Kaufmann sogar aus Teufeln einen Handlungs- zweig Wilhelm Walter . Ohne eine Antwort zu geben faßte der Nekromantist, oder aus welchem Lichte er dem guten Walter in dem Augenblik sonst erschienen sein mag? die Hand desselben, sah ihm ernst, mit starren durchdringenden Blikken in's Auge, stand zwei Minuten lang unbeweglich vor ihm und begann darauf mit halbleiser, feier- licher Stimme unsern Novize in der Magie sein Leben ohne des mindesten Umstandes zu ver- zweig machen und (eigne Worte des Autors) solche saubere Dingerchen in Glaͤsern wie Flie- gen oder Ameisen auf die Leipziger Messe ver- senden . Allein ahndete es ihm oder sagten es ihm seine Teufelchen selbst, daß er dieser Kraͤme- rei willen Verantwortung haben duͤrfte, es un- terblieb. — — Zeiler berichtet uns (in seiner Schazkammer goͤldner Sendschreiben p . 813.) unter andern mit vertraulicher Miene, daß wei- land ein Edelmann in der Pikkardie bei Villiers Koßeret einen s piritum Familiarem in einem Ringe gehabt habe, welchen er sehr sklavisch hielt, weil er ihn von einem Spanier glaubte zu theuer gekauft zu haben. Da er ihn endlich gar ins Feuer warf fuhr der Teufel aus dem Ringe in den Herrn Ritter, und dieser ward toll. Der Diable boiteux des Herrn le Sage war gewis auch von der Race. — Wilhelm Walter . vergessen, durchaus historisch und kronologisch- richtig zu erzaͤlen und dann ihm, zu noch groͤs- serm Staunen des leztern, seine kuͤnftigen Be- gebenheiten zu weissagen, die theils noch sehr unwahrscheinlich, theils auch schon sehr wahrscheinlich waren. Walter war ausser sich — zweifelnd stand er da, ob er den guͤtigen, freund- schaftlichen Mann, welcher fuͤr ihn, als ei- nen Unbekannten, so viel that, umarmen, oder dem grossen unendlich weisen Mann vol- ler Ehrfurcht zu Fuͤssen fallen sollte. „ Flammel, Lulle und Trevisano haben den Stein der Weisen, fuhr iener laͤchelnd fort, nachdem sie uͤber ein halbes Jahrhun- dert vergebens darnach suchten, gefunden — auch ich besizze das grosse Geheimnis, halte es aber vor das geringste von allen denen, mit wel- chen mich die hohen Unsterblichen begabten — denn nur den Ungeweihten, den niedern Poͤ- bel kann todtes Gold blenden, und der Wei- se macht nur in so fern davon Gebrauch, als er es bedarf, seine Absichten bei den Sterbli- chen  Wilhelm Walter . chen zu erreichen denn diese sind in seinen Augen dem groͤsten Theile nach nur Mario- netten auf der Buͤhne — man zieht den Fa- den, und sie bewegen sich! — Jch kenne Jhre duͤrftigen Umstaͤnde, mein Herr, und eben deswegen bin ich so frei Jhnen diese Rolle von Louisd'oren zum Geschenk anzu- bieten; bedienen Sie sich derselben nach ihrer Lage und ihren Beduͤrfnissen, ohne dabei den Geber zu vergessen.“ Der entzuͤkkte Juͤngling warf sich in eben diesem Augenblikke dem Grosmuͤthigen zu Fuͤssen — er dankte ihm tausendmal fuͤr sei- ne Liebe und weinte. R** hob ihn aber sanft- laͤchelnd auf; verbat sich ieden Dank, form- te seinen Hoͤker wieder, zog den entstellen- den Graurok an, nam Waltern bei der Hand und fuͤhrte denselben aus dem Walde. Unterwegs sprachen sie beide viel von uͤberirrdischer Lebensweisheit und Geisterun- terwerfung — Walter lernte aus diesem Gespraͤche doppelt soviel, als er seit andert- halb Jahren aus seinen Folianten gelernt hatte. „Es Wilhelm Walter . „Es sind Dinge zwischen dem Mond und der Erde, sprach R** unter andern, von denen, wie Hamlet sagt, unser Kompendium nichts weis. Er hat Recht! — Freund, sollten Jhnen die Schuppen vom Auge gerissen, soll- te Jhnen die Welt in ihrer wahren Gestalt, unbeschleiert, gezeigt werden, sie wuͤrden ausrufen: Himmel, was sind wir; wie tief gesunken; wie große Sklaven der Unvollkom- menheit; wie tief beugen wir uns unter ei- nem Tyrannischen Joche, welches wir mit jeder Stunde abwerfen koͤnnten — und welchen unbeschreiblich hoͤhern Grad irrdischer und geistiger Vollkommenheit koͤnnen wir erlangen!“ „Aber warum, wenn ich fragen darf, gegenredete Walter, zeigen die Weisen nicht ihren Bruͤdern die Mittel, durch welche man dies Joch abzuschuͤtteln vermoͤgte?“ „Lieber Freund, dies erfordert unnenn- bare Vorbereitungen, die nur dem bekannt sind, welcher mit seinem Blik das allgemei- ne Ganze auf einmal uͤberfluͤgeln kann. Ne- men Wilhelm Walter . men Sie einen Knaben und zeigen Sie ihm die grossen Vortheile der Algebra fuͤr den menschlichen Verstand — wird er Sie ver- stehn? — Erst durch viele verworne Zuͤge und muͤhsame Wege fuͤhren Sie ihn zum Anschaun und zur großen Erkenntniß. — Die geometrischen Anfangsgruͤnde ihm also beizubringen, gilt die mehrste Muͤhe. — Schade, daß nur zu oft die mehrsten, bei aller ihrer Neugierde das Allerheiligste der Magie zu erkennen, dennoch auf dem Pfade dahin ermuͤden.“ „Jch wuͤrd' es unmoͤglich!“ „Wol, mein Herr, ich begleite Sie mit zu Jhrer Vaterstadt; bestehen Sie die Pruͤfungen, find ich Sie als ein wuͤrdiges Subiekt fuͤr die mystische Weisheit, so sein Sie uͤberzeugt, ich werde Sie an meiner Hand dahin leiten. — Aber keine neu- gierige, vorwitzige Frage — nur Glau- be und That macht hier gluͤkklich! denn ich wuͤrde sie Jhnen mit nichts andern beant- worten koͤnnen, als was man dem Knaben ant- Wilhelm Walter . antwortet, wenn er fraͤgt: wozu der viele unnuͤtze Wirwar von diesem und ienem? ich will nicht dies, sondern die Algebra lernen. Erst am Abend des folgenden Tages ka- men beide in der Heimath an — Walter eilte zu seiner Mutter und fand sie schon ge- storben. Seine Gefuͤle fuͤr andre Gegenstaͤnde auser der heiligen Magie, und wenn sie die auffallendsten, ruͤhrendsten in diesem Erdele- ben gewesen waͤren, waren durch seinen al- zugrosen Hang nach dem einzigen, Grosen ganz abgestumpft — er konnte nicht weinen, nicht Mitleid empfinden; troknen Auges sah er sie auf dem Stroh liegen — er ging von ihr und durchsuchte die hinterlassene Erb- schaft, welche an baarem Gelde in 200 Rthlr. bestand. Er war zufrieden; und waͤr es noch weniger gewesen, er haͤtte sich das nicht kuͤmmern lassen — so sehr war er hingerissen fuͤr sein Jdeal, nach dem all sein Streben ging, nach welchem er immer und vergebens haschte, wie in der Fabel der Knabe nach dem Regenbogen. Er lies seine Mutter zur Erde Wilhelm Walter . Erde bestatten, und wollte, nachdem er sich endlich aus den Unruhen, welche ihm das Begraͤbnis erregte, gerissen hatte, schon wi- der zuruͤk nach H** gehn, um da die be- gonnenen Studien zu enden, als er ploͤzlich, ohne darnach sich bemuͤht zu haben, vom Magistrat zum Stadtsekretair gemacht wur- de. — Er war's zufrieden und suchte sich durch Treue und Fleis dieses Amtes werth zu machen; lies von H** seine magische Bibliothek heruͤberkommen und lebte von nun an seine Tage suͤsser und behaglicher in der kleinen Vaterstadt, als ie. Was den Nekromantist anbetrift, so lies er sich anfaͤnglich bei ihm nur sehr selten sehn — allein, da Walters haͤusliche Um- staͤnde erst zur bessern Ordnung gediehen waren, wurden seine Visiten haͤufiger und dem Stadtsekretair von Tage zu Tage ange- nehmer. R** ging itz nicht mehr wie auf seiner Reise im grauem Kittel und mit dem Goldmacherhoͤker; sondern zu Walters Ver- wunderung ungemein wolgekleidet; er trug ein Wilhelm Walter . ein blaues Kleid mit schmalen, goldnen Tres- sen; auf der Seite einen Stuzzerdegen und Chapeau-bas. Er war in den vornemsten Gesellschaften willkommen; hatte mit den er- sten Magistratspersonen einen sehr vertrauten Umgang und that, als haͤtte er sie schon seit langer Zeit gekannt. So sehr Waltern dies auffiel, wollte er doch nie durch eine Frage dem raͤtselhaften Magiker seine Neugierde verraten; sondern begnuͤgte sich damit, wenn iener ihn nur recht oft besuchte und in der geheimen Wissenschaft unterrichtete Von Tage zu Tage fuͤhlte er sich voll- kommner, ward aber auch tiefsinniger; selten sprach er, arbeitete bestaͤndig in einem verschlossenen Zimmer; sprach sehr wenig mit andern, vieles aber vor sich. Er schrieb vieles von seinen Experimenten und Selbst- erfarungen nieder, aber in einer ganz unbe- kannten Sprache und Schrift, und damit auch nichts von diesem etwa in ungerechte Haͤnde sich verirrte, so warf er es iedesmal sorgfaͤltig — ins Feuer. C „Das Wilhelm Walter . „Das ganze Weltall betracht' ich izt, sagte er einmal, aus einem ganz andern Ge- sichtspunkte; das Wesen meiner Seele; die hohen Eigenschaften des dreieinigen Gottes; die geheimen Kraͤfte der Natur; die sichtbare und geistige Welt, alles liegt unverhuͤllter vor meinen Blikken. Alle Dinge sind von der Gottheit selbst durch ein uͤberirrdisches Band zusammengekettet; ieder Sterbliche ist darin ein Glied und ein Sterblicher kann daher die Kette der ganzen menschlichen Gesellschaft willkuͤhrlich in Bewegung sezzen. Es liegt in der heiligen Werkstatt der Natur eine Substanz verborgen, welche mit zum Ur- stof aller Elemente gehoͤrt, in den Tempera- menten aller Sterblichen wohnt und nur von dem hermetischen Weisen ausgefunden wer- den kann. Dieses Wesen ist von Gott durch alle moͤgliche Koͤrper gewebt; kann von den Geistern empfunden werden und haͤlt die ganze Koͤrperwelt wie Glieder eines Leibes zusammen. Es aͤussert sich oft, ohne daß wir es wissen. Wenn z.B. ein Mensch im To- des Wilhelm Walter . deskampfe ringt und seine Seele halb losge- rissen von ihrer Huͤlle ist; dann kann sie sich einer andern Seele fuͤlbar machen, welche dadurch sehr beaͤngstigt wird und dies pflegen wir Ahndungen zu nennen. Diese Ahndun- gen entstehen durch den sympathetischen Zu- sammenhang aller Glieder in der Koͤrper- welt , in welcher das eine nicht leiden kann, ohne daß das andere den Schmerz mit empfindet. — Eben hierdurch koͤnnen Er- scheinungen bewirkt werden, die schlechter- dings nicht zu laͤugnen sind, weil sie sich auf zuviel glaub- und merkwuͤrdige Erfahrungen gruͤnden; eben hierdurch kann man sich uͤber sich selbst und zum Umgang andrer denken- den, freien Wesen erhoͤhen , welche noch etwa mit in dies sympathetische Band verflochten sind. Der Weise, welcher nun den Weg gefunden hat, wodurch er sich dem Urquell von diesem allen naͤhert, aus welchem er zu- gleich auch die wahren Mittel, sich aller in den Stoffen der Welt ausgestreuten sympa- hetischen Kraͤfte nach eigenmaͤchtigem Willen C 2 zu Wilhelm Walter . zu bedienen schoͤpfen kann, der hat eine hohe Staffel der magischen Weisheit erstiegen; kann aller Herzen nach seinen Absichten lenken; kann im Verborgenen den wichtigsten Einflus auf das Wol einer halben Welt haben; kann die groͤsten Revoluzionen in den Staaten er- zeugen; kann selbst Geister von der niedern Klasse, durch Beruͤhrung dieses sympatheti- schen Bandes unaufhoͤrlich an seinen Willen fesseln, welches sonst auf keine andre Art moͤglich ist. — Moses lebte lang im Ver- borgenen, ehe er aufstand um einen ganzen Staat zu veraͤndern; er studierte die gehei- men Werke der aͤgyptischen Weisen, welche sich damals fast einzig nur, angereizt durch das Vorspiel der Kaldaͤer, die sehr viel am Hofe galten, der heiligen Magie gewidmet hatten. Dann trat er auf, und lies den Voͤlkern seinen verborgenen Einflus fuͤh- len. — Jesus Christus wurde erst kurz vor seinem dreisigsten Jahre etwas merkwuͤrdi- ger; seine Geschichte vor dieser Zeit ist uns unbekannt, wahrscheinlich verlebte er sie in- nerhalb Wilhelm Walter . nerhalb seines Zimmers, umringt von den Werken aller auslaͤndischer Weltweisen. Er hat in der Zeit besonders auch die Juͤdische Kabala studiert, und sie von den vielen Feh- lern und Unreinigkeiten derer Unwissenden ge- saͤubert; durch sie lernte er die ganze Fuͤlle des Goͤttlichen Namens und die grosen Ge- heimnisse seiner Eigenschaften; durch sie er- hob er sich hoͤher, indem er den wahren Geist derselben nachforschte und sich nicht an die Zeremonien und niedern Zusaͤzze der Unver- staͤndigen band; durch sie gewann er den grosen Einflus auf Menschen und Religions- verbesserung. Auch Apollon von Tyana war ein Geschwister der heiligen Magie, nur auf ei- ner etwas niedern Stufe, denn Christus. — — Das grose Mysterium und den lichtlosen Pfad dahin zu finden, ist nicht so sehr schwer . Man mus zuerst die geheimen Werke der Philoso- fen und deren reinen Sinn studieren; iede seiner Leidenschaften daͤmpfen, seinen Willen brechen, sich kalt und fuͤhllos gegen alle Ereignisse machen, keine Wuͤnsche nach irrdi- C 3 schen  Wilhelm Walter . schen Gluͤk kennen, Freude und Traurigkeit wegbannen und uͤberhaupt so viel als moͤglich sich von menschlichen Schwachheiten reinigen. Dann vorzuͤglich iede Arten von Menschen- karaktern ausforschen, pruͤfen und durch strenge Fasten sich vollkomner machen um der Gemeinschaft andrer Wesen theilhaftig zu werden.“ — — Walter konnte nicht ermuͤden immer tiefer einzudringen; iedes Hinderniß, welches sich ihm in den Weg lagerte, war ihm nur Sporn es zu uͤbersteigen, statt daß er davor zuruͤk wich. — An einem Sonntage Nachmittags kam R** mit einer ungewoͤhnlichen Heiterkeit zu ihm; erzaͤhlte dies und das, fragte um ver- schiedene Sachen und rief endlich aus: „Freund, Sie sind mein! Sie sind gepruͤft von mir — ich fuͤhre Sie eine Stufe hoͤ- her! — Zwar noch nicht die allerhoͤchste werden Sie besteigen; aber doch sollen Sie unendlich zufrieden mit ihrer baldigen Wuͤr- de sein.“ „Wie Wilhelm Walter . „Wie so, mein Herr? — ich wuͤste nicht wie sehr ich Jhnen dankbar sein wuͤrde, wenn Sie Jhr hohes Versprechen, welches Sie mir bei unserer ersteu Bekantwerdung tha- ten, hielten?“ „Jch will Sie in einen Orden, in wel- chem die groͤsten Weisen Geweihte sind, hin- fuͤhren — Sie sollen ein Freimaurer wer- den.“ „Lang hab ich mich darnach gesehnt, die Geheimnisse dieses grosen Orden zu wis- sen. — Vielleicht fuͤhrten sie mich naͤher zum einzigen Zwek.“ „Daran zweifeln Sie nicht!“ „Doch hab ich gefunden, daß es in un- sern Tagen der sogenannten Winkellogen sehr viel geben soll“ — — „Leider!“ „Und woran erkennt man nun die Aecht- heit derselben?“ „Sie werden es erfahren, wenn sie mit Aufmerksamkeit meine Worte anhoͤren wollen. Wol der Menschheit und Selbsterhebung ist C 4 die Wilhelm Walter . die grose Absicht des Ordens, welcher in den fruͤhesten Zeiten schon seinen Ursprung nam, aber nach und nach, besonders in den Jahrhunderten der allgemeinen Unwissenheit so tief sank durch die Jgnoranz seiner Glie- der, daß nur in wenigen Logen noch die ein- zige hohe Weisheit, zu welcher man sich in siebenfachen Staffeln emporarbeitet, zu fin- den ist. Die Loge der Dreifaltigkeit ist die, zu welcher ich mich zaͤle, und welche noch das wahre, heilige Arkanum besizt — ich will Jhnen von ihrer innern Einrichtung nur folgendes wenige sagen, damit ich Sie in den Stand sezze, sich einen klaren Begrif vom Zwekke und der Wuͤrde derselben bilden zu koͤnnen. — — Die Welt ist anizt also beschaffen, daß man nur den Mann nach Kleidern und Titeln zu schaͤzzen pflegt; bei- des sind dem wahren Weisen Taͤndeleien, aber mehr sind sie ihm alsdann , wenn sie zu Mitteln werden, wodurch grose Jdeen zur Wirklichkeit gebracht werden . Die ge- weihten Bruͤder der Dreifaltigkeit uͤben also ge- Wilhelm Walter . gegen sich die erste Pflicht der Menschheit, Liebe aus; und befoͤrdern sich selbst allmaͤlig zu des Staates unentbehrlichsten Posten, denn von hier aus erhalten sie zugleich fuͤr ihre edeln Absichten einen ausgedehntern Wir- kungskreis. Sie wurden z.B. Stadtsekretair; doch will ich es Jhnen diesen Abend noch be- weisen, daß es durch uns geschah. — Die- ser Orden ist durch Jtalien, Frankreich, Deutschland, Daͤnnemark und Polen verbrei- tet und in drei Graden abgetheilt , zu wel- chen man nicht durch andre erhoben wird, sondern sich selbst mit anhaltendem Fleis im Forschen der urersten Warheit empor- schwingt, wozu die aͤltern Logenbruͤder nur Fingerzeig und Anweisung geben. Der hoͤch- ste Grad der Dreifaltigkeit ist von den we- nigsten Gliedern besezt; aber die Geheimnisse, welche dort enthalten sind, uͤbersteigen den Glauben des Eingeweihten. — Jhre Kent- nisse begraͤnzen die Kentnisse eines Engels ; sie sizzen bald am Staatenruder, bald ver- borgen in einer willkuͤhrlich erwaͤlten einsa- C 5 men Wilhelm Walter . men Huͤtte. Sie kennen das Wesen der Gott- heit und beherrschen die menschlichen Herzen am Zaume der Temperamente ; die ver- schwiegensten Geheimnisse der goͤttlichen Schoͤpfung sind vor ihren Augen aufgethan; sie haben eine magische Gewalt uͤber die Geister ieglicher Klasse bis zur untersten Engelklasse hinan: sie sind faͤhig ihre Seele aus den Nerven des Koͤrpers zu ziehen und in andre Regionen erscheinen zu lassen: sie wissen um den Urquell aller menschlichen Sprachen, ihre Worte sind nicht artiku- lirte Toͤne und dennoch mit uͤberirrdischer Kraft versehen, so daß sie von Maͤnnern ie- des Volkes verstanden werden koͤnnen; sie sehn die Zukunft allwissend vorher, ohne astrologische Thorheiten deswegen zu Huͤlfe zu nemen, denn sie uͤbersehen den ganzen Zusammenhang aller vergangenen Begeben- heiten mit einem Blikke und sehen daraus so untruͤglich sich Folge um Folge entwikkeln, wie wir es voraus wissen, daß, wenn wir ein Saitenspiel beruͤhren, es toͤnen mus. Mit Wilhelm Walter . Mit einem Worte, lieber Walter, ihr Geist ist zu Geheimnissen gelangt, die zu bezeich- nen die deutsche Sprache zu unfaͤhig ist, und es der heiligen Sprache der grossen Frei- maurer selbst bedarf. — Jm zwoten Grade der Dreifaltigkeit stehen wir; doch giebt es auch in diesen noch unzaͤlige hoͤhere oder nie- dere Stufen. Uns liegt die Propagazion des Ordens ob und unsre Mitbruͤder empor- zuhelfen; wir muͤssen in das fuͤrstliche Ka- binet, in die Weinschenke des Poͤbels und in das Sinedrium der Klerifei dringen; wir muͤssen ieden Misbrauch im Staate ausspuͤ- ren und mit vereinten Kraͤften ihn abzukeh- ren streben; wir kennen das Jntresse der Monarchen; kennen die Zal der Weisen in einem Volke; kennen ihre Talente und Faͤ- higkeiten, ihre Karaktere und Schiksale, so daß wir uns, ohne uns ihnen zu entdekken, ihrer nach unsern geheimen Absichten bedie- nen und die dem Orden faͤhigsten auswaͤ- len. — Nie mit Gewalt, sondern immer im Verborgnen und allmaͤlig suchen wir gro- sen Wilhelm Walter . sen Uebeln, welche zum Schaden des allge- meinen Menschenwols sind, zu wehren und wenn auch funfzig und mehrere Jahre daruͤ- ber verfloͤssen. Wir besizzen Geheimnisse, doch der eine mehr, der andre weniger; alle streben wir die Gesezze der Natur und Pfade der heiligen Magie zu erforschen. — Unsre Religion ist: sich weiser und andre gluͤkli- cher zu machen; keine andere kennen wir; sie ist verfeinert genug und doch besizzen die Glieder des ersten Grads der Dreifaltigkeit eine noch heiligere, bessere. Wir sind daher weder Lutheraner, noch Arianer, noch Ka- tholiken, noch Mennoniten, doch ist es uns Pflicht, daß sich ieder oͤffentlich zu einer Haupt- sekte bekennt. Religion ist das Gaͤngelband, in welchem man von Anbeginn her Voͤlker lei- tete, und dieienige ist dem grossen Haufen die angenemste, welche des meisten Zeremo- niels voll ist, daher die Katholische noch immer die groͤßte Zal der Anhaͤnger besizt. Diese ist die tuͤchtigste von allen das Volk im Zaum zu halten, daß es nicht in trun- kenen Wilhelm Walter . kenen Ausscheifungen seinem eignen Wol auf Jahrhunderte schade, wenn wir dieser besonders also nebenbei mit aufzuhelfen uns bemuͤhn, so helfen wir das Gluͤk des Volkes empor. — Denn zu grosse Aufklaͤrung des gemeinen Mannes ist, wie ieder Vernuͤnftige es weis, Gift fuͤr den Staat. — Um unsern Wir- kungskreis zu erweitern, nemen wir auch aus der Mitte des Volks Mitglieder an, die wir aber zum dritten Grade bestimmen, welche von wenigen, oder gar keinen My- sterien wissen und mit leeren, auffallenden Zeremonien und den fuͤrchterlichsten Schwuͤ- ren an uns gekettet werden. — Wir kennen zu genau den Karakter des gemeinen Hau- fens; wir koͤnnen von ihm nicht verraten werden, weil er keine Geheimnisse kennt und doch ein suͤsses, wiewol eitles Vergnuͤgen da- ran findet, mit denselben zu pralen und sie zu verfechten. Mehr sag ich Jhnen nicht, ob es mir gleich nicht verboten worden ist — empfinden Sie aber Hang zu unsern Orden uͤberzugehen, so entdekken Sie sich.“ Wal- Wilhelm Walter . Walter, der bis dahin still und ernst die Worte seines Freundes anhoͤrte, strekte seine Hand aus und sagte: „topp! ich bin euer.“ — Die glaͤnzenden Vorspieglungen von magischer Vollkommenheit; sein grosser Hang nach allem was Geheimnis hies; seine melankoli- sche Laune verfuͤhrten ihn zu diesem Schritt — er nannte den Tag den gluͤklichsten seines Lebens, ungeachtet er der Quell alles seines erfolgenden Ungluͤks war. — Der Abend kam und R** fuͤhrte seinen Rekruten in die versammelte Loge, welche erst sehr spaͤt in der Nacht wieder auseinan- der gelassen wurde. Zwar kann man nicht mit Gewisheit sagen, was Walter hier that, und vielleicht zu thun gezwungen war, doch mus seine Sucht nach Mysterien hier volle Befriedigung erhalten haben; denn er kam ausserordentlich froh zu Hause, lies sich Licht anzuͤnden und arbeitete in seinem Studier- zimmer die Nacht hindurch bis an den fol- genden Morgen. — War er vorher ein Schwaͤrmer gewesen, so war er's iezt dop- pelt; Wilhelm Walter . pelt; — traͤumend nur verrichtete er die Geschaͤfte, welche sein Amt von ihm heischte; er kannte keinen seiner Freunde und Bekann- ten mehr; lag Tag und Nacht unter seinen mystischen Schriften vergraben — und kei- ner, als etwa R**, welchen er gewoͤhnlich den Vertrauten der Geister zu nennen pfleg- te, hatte Zutritt zu ihm. Laͤnger vermochte aber seine Natur, die ohnedem nur von sehr wandelbarer Konsi- stenz war, nicht die unendlichen Strapazen, Fasten, Nachtwachen, Geistesanstrengungen zu ertragen; sie erlag und er verfiel in eine schwere Krankheit, welche zulezt in ein hiz- ziges Fieber uͤberging. Jedermann verzwei- felte an seinem Leben, nur er blieb ruhig und behauptete von seinem Genius zu wissen, daß er noch nicht sterben wuͤrde; man nam zween Aerzte zur Wiederherstellung seiner Gesund- heit an — es verflossen zwei Vierteliahre, ehe es sich mit ihm zur Bessrung anlies und er wollte in dieser Zeit oft Erscheinungen von Daͤmonen gehabt haben. Ge- Wilhelm Walter . Gemach aber kehrten seine verschwun- denen Kraͤfte wieder zuruͤck, so daß er wieder umher gehn und vernuͤnftig denken konnte; allein die Aerzte untersagen ihm die gewohn- te Lektuͤre, auch sorgten seine Freunde davor, daß ihm keines seiner alten Buͤcher vor die Augen kam; ia, man ging soweit, alles was nur mystisch roch und mit unverstaͤnd- lichen Karakteren bemalt war, in's Feuer zu werfen. Man suchte das Angedenken der- selben aus seiner Seele zu reissen, R** wur- de gar nicht mehr zu ihm gelassen; man las ihm Schriften wider Magie und Nekroman- tie vor; machte allenthalben die Freimaͤu- rer laͤcherlich; suchte ihn zu zerstreuen und seinen Stoizismus durch Freude und Scherz zu verbannen. Es gelang ihnen in der That endlich, daß er selbst theilnehmend und em- pfindsam gegen Freundschaft und Liebe und seine Seele fuͤr Harm und Wonne empfaͤng- lich wurde. Er lachte, kos'te — fing sogar an unterweilen auf Mystik zu spoͤtteln und die Geheimnisse der Magie ein Schatten- spiel Wilhelm Walter . spiel an der Wand zu nennen. Jn solch einer Stunde brachte man ihm es bei, wie man mit seiner Bibliothek verfaren haͤtte; allein diese Nachricht war Donnerschlag in seine Seele. Er aͤusserte zwar seinen Ver- drus uͤber diese That nicht; doch sahe man es wie sehr er sich bemuͤhte ihn in seinem Busen zu verbergen. An eben dem Tage verlies er zum erstenmale wieder nach der halbiaͤh- rigen Krankheit seine Wohnung; er that ei- nen Spaziergang nach einem oͤffentlichen Ort des Vergnuͤgens, ausser der Stadt; ver- traͤumte da in der heimgekehrten, spleene- tischen Laune den ganzen Tag und dachte am spaͤten Abend noch nicht wieder an die Ruͤkkehr. Es war schon dunkel; der Mond schien sehr hell am wolkenlosen Himmel, als er eine herrliche Lindenallee heraufgewandelt kam, und, ungestoͤrter seinen tiefsinnigen Betrachtungen nachzuhaͤngen, sich auf eine bequeme Rasenbank sezzen wollte. Aber o! wie sehr erstaunte er, als er den ver- gessenen Freund R** unverhoft erblikte, D nur Wilhelm Walter . der nur wie von ohngefaͤhr hier zu liegen schien. Angedonnert stand er vor ihm, wollte sprechen und die Worte starben ihm auf den Lippen, iener aber zog ihn bei der Hand ne- ben sich nieder, uͤberstroͤmte ihn mit seinen Feuerkuͤssen, und machte ihm zaͤrtliche Vor- wuͤrfe. — Alle Szenen der Freundschaft verflossener Tage kehrten nun vor Waltern zuruͤk, er umarmte seinen alten Liebling und kuͤßte ihn innig wieder. „Jch glaubte, Freund, Sie wuͤrden schon in das Reich der Schatten hinuͤber ge- wandelt sein und mus Sie noch hier sehen? desto besser; wie stehts mit den Fortschritten auf dem Pfade der hoͤhern Weisheit?“ Walter schwieg betroffen still. „Sie scheinen mich nicht zu verstehn kontinuirte iener spoͤttisch: — Walter, Wal- ter! nimmer haͤtt ich geglaubt, daß sie so wankelhaft sein und lass auf einer so himmli- schen Bahn werden koͤnnten, die sie schon halb zuruͤckgelegt hatten. Verheelen Sie mir alles Wilhelm Walter . alles und ich weis doch soviel was mir ge- gruͤndete Ursach giebt auf Sie recht boͤse zu sein. Sie haben sich durch das Gewaͤsch un- wissender Laien bethoͤren, durch truͤgliche Sofismen unverstaͤndiger Menschen blenden lassen; haben die Heiligtuͤmer der Magie verachtet, und sind — zum Narren moͤgt' ich sagen, herabgesunken. Jhr Leute glaubt nicht eher, bis Engel vom Himmel steigen und Zeichen und Wunder thun; darum kom- men Sie mit, ich will Jhnen beweisen, durch Thatsachen es beweisen, daß die Mysterien der Magie mehr, als Schattenspiel sind.“ Jndem fuͤhrte er ihn in eine naheste- hende Laube zog Pergamentblaͤtter aus seiner Tasche und fing an die Hieroglyphenschrift derselben mit lauter Stimme abzulesen, wo- bei er einen Kreis um sich zog, in welchem er mit seinem Stokke unterschiedne astrono- mische Zeichen schrieb. Walter war noch kaum von seinem Erstaunen zu sich selbst ge- kommen und stand harrend da, wie die Sa- che verlaufen wuͤrde. Jndem wehte es kalt D 2 durch Wilhelm Walter . durch die Laube; es schien, als wuͤrde sie dann und wann von einem matten Schimmer erhellt; ploͤtzlich rollte es wie ein fernes Don- nerwetter uͤber ihn weg, es grauste ihm das Haar vor Entsezzen und vor seinen Augen schwebte eine sonderbare Figur, halb dunkel, halb licht, die immer anderthalb Schritt um- den magischen Kreis that. R** redete sie zwar an, doch hoͤrte man keine Antwort zu- ruͤk; sie glich einem Frauensbilde aus den 13ten und 14ten Jahrhundert, in verschliessener, altfraͤnkischer Tracht, das Gesicht schien nur halb hinter dem grauen Schleier hervor. — Zuweilen sah sie sich um und hob die linke Hand empor, in welcher sie einen Zettel, oder dergleichen, hielt; der Nekromantist frag- te, wer sie waͤre? was sie in der Hand truͤ- ge? ob sie etwas verlangte? — Der Schat- ten starrte ihn aber mit holen Augen an, wandte sich und ward in eben dem Augen- blikke unsichtbar. So sehr wahrscheinlich sich auch diese wunderbare Begebenheit erklaͤren liesse, so wollen Wilhelm Walter . wollen wir doch hiebei nicht laͤnger saͤu- men; ein ieder Leser mag sie sich selbst aus- einander sezzen Jch kann nicht umhin, diese Gelegenheit zu benuzzen eine aͤhnliche Geschichte meinen Lesern mitzutheilen, die mich sehr frappirte und auch wahrscheinlich eines ieden Aufmerksamkeit rege machen mus. Da ein beruͤmter Mann, der noch izt lebt in iuͤngern Jahren auf dem hallischen Waisenhause studierte, erhielt er von einem seiner Lehrer die Freiheit, die Bibliothek desselben durchsuchen und nach Wunsch gebrauchen zu duͤrfen. Er nam mit Freuden das Anerbieten an und fand unter andern des Lehrers Stammbuch, in wel- chem er nach einigem Durchblaͤttern auf ein son- derbares Bild sties. Dasselbe stellte naͤmlich drei iunge Maͤnner vor, in deren Mitte eine Men- schengestalt, ganz rot bekleidet, mit hoher, spizzer Muͤzze, gelben Pantoffeln und langen roten Absaͤzzen stand. Unter dem Bilde war geschrieben: gedenk Bruder, des Mannes mit den roten Hakken ! unser Schuͤler bat sei- nen Lehrer um Aufschlus uͤber das sonderbare Ge- maͤlde und iener, anfaͤnglich etwas ungehalten auf den neugierigen Blaͤtterer, sagte ihm folgendes: “Er wird, wie es anizt unter unsern iungen Ge- ien Mode ist, uͤber das, was ich ihm erzaͤlen werde, freigeisterisch laͤcheln; aber sei Er ver- sichert, Wilhelm Walter . hatte sie den Effekt, welchen der Nekromantist durch sie hervorbringen wollte. — Er um- armte sichert, daß ich ihm keine Luͤgen sage und daß fuͤrwahr in der Natur Dinge verborgen sind, bei denen unser Verstand stille steht. Jch legte mich in meinen Studenteniahren nebst noch einigen guten Freunden auf Nekromantische Wissen- schaften, um zu erforschen was dahinter sei. Da wir dies Studium lange genug getrieben zu haben glaubten, wollten wir mit dem Zitiren der Geister einen Versuch machen und bestimm- ten uns hiezu die heil. Krist Nacht. — Wir kamen vor dem Thore in einem nahen Walde zusammen und fingen die Beschwoͤrungen getrost an, weil wir wusten, daß nichts darauf erfolgen konnte. Unvermuthet aber stand ein starker Mann unter uns, grade so gekleidet, wie auf dem Bilde hier. Wir erschraken, glaubten un- sern Augen nicht, was sie sahen, und einer war so kuͤhn nach den langen Pantoffelhakken zu fassen, worauf die Erscheinung ploͤtzlich ver- schwand und wir erschrokken nach Hause eilten. Zum Beweis, fuhr der Lehrer fort, daß nicht alles so ganz unwahr ist, was Maͤnner leugnen die sich nicht darauf legten, naͤher die Sache zu erforschen: so will ich ihm Seine Schiksale profezeien ꝛc. „Hierauf fing er an unserm Ge- waͤhrsmanne Dinge vorherzusagen, die, ob sie gleich damals sehr unwahrscheinlich waren, in dieser Stunde mehrentheils schon in Erfuͤllung ge- Wilhelm Walter . armte ihn, bat viel um Verzeihung, gelobte Besserung an und erbat sich zugleich von ihm ein Geschaͤft, welches er, gleichsam als zur Busse seiner Vergehung, im Namen des ganzen Ordens vollbringen koͤnnte. R** versprach's ihm und trennte sich, nach man- cher Drohung und Warnung von dem guten Walter, der, taub an allen Sinnen, nach Hause taumelte und nur halb wuste, ob er traͤume oder wache? — Nach etlichen Tagen kam R** mit einer ziemlich ernsten Miene zu ihm und faͤdelte D 4 das gegangen sind. Auch sich selbst weissagte er die Hauptbegebenheiten seines Lebens; z.B. daß er noch weit in die Welt verschleudert und kei- nes natuͤrlichen Todes sterben wuͤrde. — Jn der Folge ward er nach Rusland, und von da von Jhro Maiestaͤt der Russischen Kaiserin nebst andern Gelehrten zu Schiffe nach den noͤrdlichen Kuͤsten Siberiens geschikt das Land zu messen, aufzu- nemen und von seinem natuͤrlichen Zustande Bericht abzustatten. Vier Jahr nachher erhielten die El- tern dieses Mannes die Nachricht, daß ihr Sohn auf dieser Farth wegen der Kaͤlte sich zu sehr dem Brantewein ergeben, und von zu vielem Genus desselben iaͤmmerlich gestorben sei. Wilhelm Walter . das Gespraͤch so ein, daß Walter nach eini- gen gleichguͤltigen Fragen und Antworten dasselbe von selbst auf den Hauptpunkt wen- den muste, um welchen sich izt alle seine Ge- danken und Empfindungen drehten. „Wie stehts, Bruder, haben Sie sich Muͤhe ge- geben fuͤr mich ein Geschaͤft des Ordens aus- zuwuͤrken?“ — „Jch hab es gethan, nur be- fuͤrcht' ich, antwortete iener, daß es fuͤr Jhre Schultern zu schwer sei.“ — „Zu schwer? sobald es fuͤr meine Kraͤfte nur an Moͤg- lichkeit graͤnzt, uͤbernehm ich's. Entdekken Sie mir's.“ R** raͤusperte sich sehr bedenklich, starr- te ihn darauf zwei ganze Minuten an und sagte: Sie haben in Jhren Gesichtslinea- menten einen fatalen Zug! doch scheint es mir vielleicht anizt nur also — ich liebe Sie und Sie koͤnnen unmoͤglich ein Teufel sein. — Hoͤren Sie an! Unser Orden hat anizt ein grosses, sehr grosses Vorhaben zur Ausfuͤh- rung vor sich; der Befehl dazu kam uns von dem ersten Grade der Dreifaltigkeit, und es er- Wilhelm Walter . erfordert zu dieser wichtigen Operation ver- schiedener sehr geschikter Maͤnner Huͤlfe. — Sie sind erlesen einer von diesen zu sein, und im Namen des hohen Abstrals der uner- forschlichen Gottheit, im Namen Allaazeels kuͤndige ich Jhnen an, sich hiezu wuͤrdig zu machen. Der erste Schritt dazu ist, daß Sie sich einer grossen Pruͤfung freiwillig un- terwerfen; bestehen Sie diese, so wird man Jhnen wichtigere Plaͤne zur Ausfuͤhrung uͤber- geben, wodurch Sie sich ewig gluͤklich ma- chen und einen hoͤhern Grad der Dreifaltig- keit erschwingen koͤnnen. Fast sollt' ich Sie beneiden, wenn ich nicht ein Maurer und Jhr Bruder waͤre; aber dauren sollten Sie mich, wenn Sie die Stunden der Pruͤfung zu ertragen, zu schwach waͤren. Dann, wis- sen Sie's nur, dann sind in der Welt ge- nug Dolche fuͤr Sie geschliffen und Aqua- toffanaflaͤschgen gefuͤllt !“ „Und worin besteht diese Pruͤfung?“ „Der Orden wird Jhnen Briefschaften und Geheimnisse anvertraun; damit muͤssen Sie D 5 nach Wilhelm Walter . nach W.... reisen und bei der dortigen Loge gewisse Geschaͤfte gut und gluͤklich expediren.“ „Nicht mehr?“ „Spielen Sie nicht, lieber Walter, den Grospraler ! — mir graut schon izt!“ Mehr sagte er nicht, sondern brach schnell das Gespraͤch ab und lenkte es auf andre unbedeutende Dinge. — Es verstrichen eini- ge Wochen, ohne daß Walter mehr erfuhr; indeß beschaͤftigte er sich aͤmsig mit seinem Lieblingsstudium, und war bald eben so sehr wieder darinnen versunken, als vor seiner Krankheit. Er gruͤbelte nach unerforschten Geheimnissen, weihte sich taͤglich mehr ein in den grossen Tempel der heiligen Magie, schwebte mehr in der Geister- als Koͤrper- welt umher und waͤre bei seinen spekulativen Betrachtungen wieder zum ehmaligen, un- empfindlichen Narren geworden, wenn die Loge nicht bald ihre Hauptsizzung gehalten und ihm darin gewisse geheime Auftraͤge an eine Loge zu W... gegeben haͤtte, die man von ihm aber niemals hat erfahren koͤnnen. Er Wilhelm Walter . Er muste zu Anfang des Julymondes abreisen und zwar unter dem Vorwande, seine Gesundheit durch Veraͤnderung der Luft zu befoͤrdern. Sein Amt ward in dieser Abwesenheit von einer andern Magistrats- person verwaltet. Binnen acht Tagen war er zu W... — — Er miethete sich sogleich in den ersten besten Gasthof ein; erhielt sein eignes Zim- mer und, da er am folgenden Tage von ei- nem Logenbruder erfuhr, daß der Orden erst uͤber 8 Tagen grosse Sizzung halte, nam er sich vor in dieser Zeit die Merkwuͤrdigkeiten von W..., die ihm so sehr geruͤmt worden waren, in Augenschein zu nehmen. Er besuchte auch wirklich alle oͤffentliche Plaͤzze, Gebaͤude, Bibliotheken, Gaͤrten u. s. w. und war nur selten uͤber eine Stunde am Tage zu Hause. Eins Abends sas er in Gedanken veloren in einem der schoͤnsten Gaͤrten der Stadt, als sich ihm ein artiges, innges Maͤdchen nahte, welcher frohe Unschuld aus den Mie- nen laͤchelte. — Sie sezte sich frei neben ihn hin, Wilhelm Walter . hin, taͤndelte ein Weilchen mit ihrer Busen- schleife, dann mit ihrem Faͤcher, endlich sagte sie zu dem hermetischen Weltweisen: „Mein Herr, Sie sind ganz in ihren Fantasien ver- tieft; sie moͤgen freilich sehr schoͤn sein, aber erlauben Sie, daß ich Sie ein paar Minu- ten in denselben stoͤre.“ Walter hatte sie noch nicht bemerkt, und fuhr zusammen, da er sie gewahr ward. „Ei warhaftig, ich sollte fast glauben, sagte das mutwillige Maͤdchen, Sie fuͤrch- teten sich vor mir; bin ich denn so gar haͤslich?“ Walter fand nichts weniger, als dies an dem Maͤdchen, vielmehr schien es in sei- nen Augen das Gegentheil. Sein truͤber Humor ward auf einmal heiterer; seine muͤrrische Philosophenlaune wandelte sich zur galanten Gefaͤlligkeit um; vielleicht hoffte er bei dieser Schoͤnen neue Karakterzuͤge und geheime Falten des menschlichen Herzens zu entdekken, durch welche er zu dem grossen Urquell der allgemeinen Sympathie geleitet wuͤrde Wilhelm Walter . wuͤrde, denn er verwirrte sich gar zu schnell mit ihr in ein Gespraͤch, aus welchem er sich hernach eben so wenig herauswikkeln konnte, als wenn er mit dem dreifaltigen Markis R** uͤber die magischen Koniunkzionen aller vorhandenen Substanzen disputirt haͤtte. Das Frauenzimmer hat eine besondre Forsche den Ton eines Gespraͤchs unvermerkt nach Willkuͤhr zu stimmen — es weis sich geschmeidig an die Jdeen der unbiegsamern Maͤnner zu schmiegen und sie nach ihren Ab- sichten zu modeln, ohne daß diese nur einen Gedanken an Verdacht hegen — es durch- spaͤht mit einem fluͤchtigscheinenden Blik die Tiefen und geheimen Winkel der Maͤnnerher- zen und kann in den ersten Minuten der ersten Konversazion schon den Karakter derselben ausstudieren. — Diese Wissenschaft des schoͤ- nen Geschlechts, welches vielleicht die einzige ist, worinnen sie die maͤnnlichen Weisen, und haͤtten sie auch drei Universitaͤten bezogen oder waͤren sie Mitglieder dreier Akademien, uͤbertreffen, findet man besonders in grossen Staͤdten und bei Wilhelm Walter . bei gewissen Demoisellen, denen der vinaigre de virginité Unglaublich ist es fast, wie hoch Luxus und Ueppigkeit in unserm Jahrhundert stieg; wie sehr man sich bemuͤhte den Reiz der Wollust zu erhoͤhn und dennoch den Schein unverlorner Tu- gend zu erhalten strebte. Der Vinaigre de vir- ginité mag Beweis davon sein und mancher ehr- liche Mann wurde durch ihn getaͤuscht. Die Kunst die verlorne Jungfrauschaft des Maͤdchens wiederherzustellen, geht schon uͤber unser Saͤku- lum hinaus; denn im Jahre 1635 erschien zu Amsterdamm eine bogenstarke Piece in duodez unter dem Titel: Des remedes de rendre la Vir- ginité à une Filie, par Cupido . Der Autor em- pfielt: La vapeur d'un peu de vinaigre, ou l'on aura jetté un Fer ou une brique rouge; la de- coction adstringente de gland, de prunelljes sauvages, de myrrhe, de roses de Provinz, et de noix de cyptés, l'onguent adstringent de Fernel, les eaux distillées de myrrhe, ces sont tous de remédes, qui resserent les parties na- turelles des Femmes qui sont trop ouvertes . Der Heilige Hieronimus wußte ganz gewis noch nichts von dieser schoͤnen Kunst, welche wahr- scheinlich Frankreich zum Vaterlande hat; denn einst schrieb er an ein iunges Maͤdchen Eustochian uͤber die Worte in der heiligen Schrift: die Ruthe Jsraels ist gefallen und keiner ist der sie aufhebe, folgendes: Jch gestehe es frei, wer- thes nicht gar unbekannt ist, zur voͤl- Wilhelm Walter . voͤlligen Reife gediehen. Man darf von mir nicht erwarten, daß ich hier den Grund an- gebe, warum? und wodurch? sondern ich gehe zu meinem Paͤrchen zuruͤk, welches ich in der vertraulichsten Situazion auf der Ra- senbank finde. Das Obige mag dem Leser indeß ein Wink sein, aus welchem Gesichts- punkte man Walters schoͤne Gesellschafterin betrachten muͤsse, welche den gutherzigen Kleinstaͤdter schon schlau in ihre Nezze ver- strikt und von ihm herausgelokt hatte, daß er Freimaurer sei, und an die W....sche Loge geheime Depeschen habe. — Es ist doch sehr unartig von Jhnen, daß Sie mir auch keine Sylbe ent- dekken wollen — warum machten Sie mich neugierig? Wal- thes Maͤdchen, daß Gott, obwohl er allmaͤch- tig ist einem Frauenzimmer die Jungfrau- schaft welche sie einmal verloren hat, nicht wiedergeben kann; er kann ihr die Suͤnde vergeben, aber nicht wiedergeben die Blume der Maͤdchenehre, welche sie sich hat rau- ben lassen .“ Wilhelm Walter . Warum? ich abtheure es Jh- nen heilig, Mamsell, daß dies schlechterdings nicht meine Absicht war. (scherzend.) Ha, ich kenne die lo- sen Maͤnner — ihre Betheurungen sind mir nur immer so, so! Beim heilgen Himmel! bei mir nicht — denn ich mus Jhnen sagen, daß ich mehr, als mancher andre an Recht und Pflicht gebunden bin. A ha! warlich weil sie ein Freimaurer sind; wenn alle Mitglieder Jhres Ordens so wenig galant, als Sie sind, so wuͤrd' ich den ganzen Maurerorden hassen. Auch mich? (indem er schuͤchtern ihre Hand fasst und druͤkt.) Nicht anders, mein Herr — machen Sie Jhr Vergehn den Augenblik gut — sonst werd ich Sie verlassen. Nein, bleiben Sie, meine Schoͤne, und sagen Sie mir, womit soll ich's? Maͤdch . Wilhelm Walter . J nun, mit dem Gestaͤndnis, was das vor Geheimnisse sind, die Sie an die hiesige Loge uͤberbringen muͤssen? Allein, warum dringen Sie so sehr in mich dieselben zu erfahren? Weil, — weil — weil ich glaubte, Sie wuͤrden unmoͤglich einem neu- gierigen Maͤdchen, welches — Jhnen doch — nicht ganz boͤse ist, eine so geringe Bitte ab- schlagen koͤnnen. Fuͤrwahr, keine Minute wuͤrd' ich saͤumen Sie Jhnen zu gestehen, wenn — ich es wagen duͤrfte. O wagen Sie's nur immer, ich gebe Jhnen meine Erlaubnis! (raͤuspert sich.) (boͤse und weinerlich.) So werden Sie sich nicht erbitten lassen? — wol! aber warten Sie nur; ein Maͤdchen, wie ich, weis sich immer zu raͤchen, so unbekannt wir uns auch noch sind. (bittend.) Liebe! E Maͤdch . Wilhelm Walter . (schlingt ihren Arm um ihn.) Herr Walter, darf ich nichts — nichts! hoffen? (kuͤsst sie trunken.) Machen Sie mich nicht wanken! So haderten beide noch eine Viertel- stunde hindurch; das Maͤdchen bestand ei- gensinnig darauf die Geheimnisse zu wissen und Walter, eingedenk der Worte seines N**: es sind Dolche genug geschliffen und Aqua- rofanaflaͤschchen gefuͤllt ! hielt sich iederzeit wieder ihre meisterhaft angelegten Bestuͤr- mungen standhaft. Sie stand endlich auf und er fuͤhrte sie am Arme einigemal durch den Garten und dann nach der Stadt. Der Abend war zu schoͤn; der Mond gos sein Silber so liebreich uͤber die verworrenen, abendlichen Gruppen; der Wind wandelte kuͤhl und leise und die Strassen wimmelten von Spaziergaͤngern, so, daß unsre beiden es einstimmig vor Suͤnde hielten, sich fruͤher zu trennen, als es der Wolstand gebot. Sie schlenderten also, im- mer in ihrem vorigen Gespraͤch verloren, ruhig vor- Wilhelm Walter . vorwaͤrts und dialogisirten sich unvermutet in ein enges Gaͤschen hinein. „Wie kom- men wir hieher?“ rief sie und spielte die Ver- wunderte — „hier ist meine Wohnung; — wollen wir noch einmal umkehren? — nein, Sie kommen auf etliche Augenblikke noch zu mir hinauf; nur hurtig!“ rief's und zog den beginnenden Abentheurer hinter sich her in ein niedliches Haus, welches von innen noch netter in's Auge fiel. — Sie oͤffnete ihm ihr Zimmer, bat ihn sich zu sezzen, zuͤndete Licht an, hing ihre Enveloppe ab und lagerte sich nach einem Weilchen in dem allerliebsten Neglige auf einer Bergere neben ihn. „Sie muͤssen verzeihen, sagte sie, ich liebe Kom- moditaͤt! nun lassen sie uns beginnen, wo wir zulezt in unserm Plaudern abbrachen — zuvor erfrischen Sie sich.“ Sie langte Wein und einen Teller Konfekt hervor, fuͤllte ihm selbst das Glas und sprach hernach mit einer liebenswuͤrdigen Schuͤchternheit, die nur noch mehr wirkte, was ihre Worte vermeiden machen sollten: „Es ist schon spaͤt; die Uhr E 2 zeigt  Wilhelm Walter . zeigt uͤber halb neun, und wenn man wuͤßte, daß eine iunge Mannsperson allein bei mir auf meinem Zimmer waͤre, und kein Mensch hier sonst im Hause sei — ich glaube die Leute wuͤrden recht was Uebels von mir den- ken. Doch lass' sie!“ sezte sie hinzu und warf sich laͤchelnd neben den verwandelten Schwarz- kuͤnstler hin, der auch deswegen nicht boͤse ward, daß er noch einige Zeit in solcher an- genehmen Gesellschaft verzoͤgern duͤrfte. Der Wein machte ihn lebhaft und ge- schwaͤzzig, er schaͤkerte und nekte und sie un- terlies nicht wolbedaͤchtig zu gewissen Augen- blikken ihr altes Liedchen von vorn an zu repetiren. Hier werf' ich iedem meiner Leser die kri- tische Gewissensfrage auf, was er in dieser Lage gethan haben wuͤrde? — man denke sich eine iunge schlanke Dirne, im schoͤnsten Rei- ze ihrer Jugendbluͤte; schoͤn gebaut, verfuͤh- rerisch in ihren Reden, mit wollustschwerem Blikke um ein Geheimnis bittend, welches sie heilig zu verschweigen beschwor, (obgleich Frauen- Wilhelm Walter . Frauenzimmerschwuͤre in causa silentii nur Nothschwuͤre sind, welche man brechen zu duͤrfen glaubt ohne Suͤnde zu begehn!) Jch bin uͤberzeugt man wuͤrde eben das fuͤlen, was iener Paladin empfand, als er eine nakte Nymfe (obgleich die unsre mehr, als nakt war,) fand, und er sie Wie Ros' und Lilie, wie Milch und Blut, Vom feinsten Teint und etwas abgemattet Suͤs schlummern sah, halb in der lichten Flut Halb auf dem weichen Lager, Bluͤt umschattet. — Jhr Schwanenbusen stieg, als schwellte Zaͤrtlichkeit Und Liebe ihn, gewekt von Fantasien Des Traums; und schoͤner sah man einer Maid Noch nie die kleinen Rosenwangen gluͤhen; Und Amoretten spielten unsichtbar, Bald in des Busens Schnee, bald in des Hauptes Haar. Nun denkt euch unsern guten Paladin, Dastehend, gierig ieden Reiz verschlingend Mit einem Blik der, durch des Baches Spiegel dringen d Erspaͤhte, was in der Kristallflut schien: Bald auf des Busens elastischen Huͤgel, Umseufzt von kuͤlender Weste Fluͤgel, Die iungen purpurnen Rosenknospen, da Von einem Liebesgotte hingepflanzet, sah; Bald wie die Wellen, die der Nymfe Naͤhe fuͤhlten, Wolluͤstig um der Schenkel Ruͤndung wuͤhlten. E 3 Bald Wilhelm Walter . Bald sah den kleinen halbgeoͤffneten Mund, Jn dem zwo dichte Reihn der schoͤnsten Perlen schimmern ; Bald ein Paar Waden, nett und rund Gedrechselt aus dem Grund des Baches flimmern: Bald sich des Marmorleibes Gliederbau Jn seinen schoͤnen Theilen kunstgenau Mit allen Praͤdikaten detaillirte Und was noch mangelte, hinzu sich fantasirte — Kurz, malt euch ganz die Gruppe, sie und ihn: Und sagt, was fuͤhlte hier der eisigste Paladin Aus einem noch ungedrukten, romantischen Ge- dichte: die Helmaiden , erstes Buch. Jch wollte darauf wetten, man wuͤrde Geheimnis, Geheimnis sein lassen — her- plaudern was man auf dem Herzen haͤtte und sich davor den Minnesold des schoͤnsten Maͤd- chens erkaufen. — Mancher Leser wird frei- lich zuͤchtiglich laͤugnen; allein dem gebuͤrte, wenn anders Narrenzuͤnfte Wer es weis, daß er ein Narr sei, ist es schon weniger, als der, welcher es von sich nicht glaubt. Jn den Tagen unsrer Vaͤter war Offenherzigkeit noch keine Schande und da ge- stand man es gern; errichtete sogar, worauf der Herr Verfasser der Walterschen Biografie vielleicht anspielt, im J. 1381 einen grossen Nar- ren noch so Sitte, als Wilhelm Walter . als im vierzehnten Jahrhundert, waͤren, eine feierliche Bestallung zum Oberaufseher uͤber des Grosherrns naktes Serail, mit Lebens- strafe, wenn er sich vergaffte. Und Walter? — ich gesteh es, war — Mensch, doch zugleich Weiser! — Er be- E 4 haup- ren-Orden , in welchen sehr viel Hohe eintraten. Graf Adolf von Kleve stiftete ihn; er hatte iedesmal seinen Koͤnig, seine 6 Ratsherrn, Fi- nanziers, Schazmeister, Maitres de Plaisirs, Kastellane, Feldmarschalle u. s. w. Sobald man einen vornehmen Thoren auswitterte, sandte man ihm die Bestallung zu irgend einer Charge, welche seiner Narrheit angemessen war, zu. Nie- mand durfte sich der Aufname weigern, wollte er sich nicht noch groͤssern Ungelegenheiten und Satyren Preis geben; so ward mancher gros- pralender Junker, dem seine Heldenthaten be- staͤndig die Zunge beschaͤftigten zum General- feldmarschall, ein alter Gek zum Hofnarren, ein abgefeimter Heuchler zum Pater u. s. w. er- hoben. Das auf den Kleidern eingestikte Or- denszeichen war ein Pikkelhering mit halbro- ter, halb silbergestikter Kappe, gelben Schellen, schwarzen Schuhen, einer goldnen Schuͤssel in der Hand, voller Obst. Jm Klevischen Archive soll sich noch ein Brief befinden, den die Stifter des Narrenordens ( Respublicae babinensis ) saͤmtlich mit ihren Namen unterzeichnet haben. Wilhelm Walter . hauptete sein Geheimnis, selbst da die schoͤne Priesterin der Zythere ihm ihr Alles Preis gab und davor auch Alles zu gewinnen hoff- te. — Umsonst! es ward Nacht und Wal- ter lag immer noch in den Armen, am Busen der wolluͤstigen Phryne, und sanft streute Morfeus uͤber ihn seine Schlummer- koͤrner aus. Er erwachte erst sehr spaͤt am folgenden Morgen und fand alles um sich her dunkel. Er stand auf, tappte erstaunt umher und konnte sich seine Begebenheiten bei allem Nachsinnen nicht erklaͤren! denn was er bei dem matten Stral des Tageslichtes, welches oben durch die Dekke in diagonaler Richtung in sein unbequemes Behaͤltnis herein brach, erkannte, hatte mit einem fatalen Kerker die seltenste Aehnlichkeit. — Er betastete, ganz aus seiner stoischen Fassungskraft gehoben, die Waͤnde und fand feuchte, ausgeschlagene mit Spinneweben uͤberflorte Mauern, an welchen hin und wieder ein einsames Hals- eisen nebst Zubehoͤr hing, welches durch die Be- Wilhelm Walter . Beruͤhrung ihm schauerlich durch die Ohren klirrte. Auch eine Thuͤr fand er in einem Winkel, die fuͤr ihn aber so wenig zur Aus- flucht diensam war, als eine Eisenmauer. Niemals hatte er sich noch in solcher Situa- zion befunden; zwischen bestaͤubten Buͤchern hatte er den groͤsten Theil seines Lebens hin- durch vegetirt; sein Herz sehnte sich nimmer nach Abentheuern und anizt auf einmal in einer Sfaͤre, die, wer weis wie viel Delin- quenten schon, beatmet hatten, verlassen und sich keines ruͤgeheischenden Verbrechens be- wust! Hier sank gaͤnzlich der durchaus er- schuͤtterte Stoizismus seines Geistes von sei- ner Existenz herab, der sich doch in dem Studierzimmer so standhaft erhalten hat- te; — Angsterpresste Thraͤnen befluteten izt die Wangen des hermetischen Weisen und in banger Verzweiflung rang er die Haͤnde, welche einst durch magische Karaktere das Geisterreich in Schrekken sezten. Nachdem er genug geweint, genug ge- iammert hatte, ohne daß er dadurch Huͤlfe E 5 ge- Wilhelm Walter . gewann, sezte er sich hin auf den Boden, wo er nicht all zu sumpfigt war, den Zu- sammenhang seiner Begebenheiten pragma- tisch durchzudenken, ob er nicht irgend eine Grundursach seiner traurigen Metamorfose hervorklauben koͤnnte. Keine Thraͤne rann nun mehr, er ward, bei allem Ungluͤk, still, wie es einem Weltweisen anstehet, denn — er konnte nicht mehr weinen. Er blieb den ganzen Tag allein; man schien von ihm und seinem Auffenthalt in der Welt nichts zu wissen; alles war weit um ihn her tod und schweigend, daß er fast ver- zweifelte. Die Nacht trat herein, mit ihr erschien ein leiser Schlaf und der ehrliche Ge- fangene benuzte denselben, um sich einiger- maassen des tristen Aufenthalts und seines nagenden Hungers vergessen zu machen. Es war kaum Morgen, als er von ei- nem fuͤrchterlichen Kerl aus dem Schlaf ge- wekt wurde, der ihm Brod und eine Flasche Bier zum Fruͤhstuͤk brachte, dann ihn nach genossner Malzeit mit sich hinaus auf einen ge- Wilhelm Walter . geraͤumigen einsamen Hofplaz fuͤhrte, von dem verschiedne Pforten und Thuͤren den Ausgang machten. Es ward geklingelt — der mannhafte Kerkerretter sties den duldenden Weisen sehr unschiklich einer kleinen Thuͤr zu, von der eine schmale steinerne Windeltreppe Waltern in einen langen Saal brachte, uͤber welchen er ging und in ein angenemes Zim- mer hereintrat. — „Mein Freund!“ fing sogleich ein an- sehnlicher, vornehm gekleideter Herr an, der neben einem Pater sas: „wir bedauern Jhr Schiksal, welches sie sich selbst zuzogen; thuen Sie das noch, um es etwas zu mindern, und gestehen Sie ohne Ruͤkhalt die Ursach ihres Auffenthalts allhier — widrigenfalls noch Mittel vorhanden sein werden, Jhren Mund zu eroͤfnen!“ — Walter schwieg betroffen; bat mit seinen Blikken Gnade! „Sie haben eine hiesige Buͤrgerstochter verfuͤhrt; der Vater hat Sie bei Jhrem Ver- Wilhelm Walter . Verbrechen ertappt und unsern Haͤnden uͤber- liefert!“ Erschrokken stammelte der arme Jnquisit zwei Woͤrter, der sich dessen nicht versah und aͤngstlich die Haͤnde rang. „Sie haben sich gegen die Verfuͤhrte ei- niger Worte von geheimen Auftraͤgen an hie- sige verborgne Gesellschaften verlauten las- sen — wir verlangen dieselben rein und un- geheuchelt zu wissen!“ — Dieses, gesprochen mit einem donnern- den, furchtbaren Ton, dekontenenzirte Wal- tern ganz. Demungeachtet laͤugnete er doch alles leztere noch mit ziemlicher Hartnaͤkkig- keit; wandte dies und ienes vor, und be- hauptete weder von geheimen Auftraͤgen noch den Gesellschaften zu wissen. Allein es fruchtete nicht! — „Wir sind, sprach unter andern der Jnquisitor, voͤllig von dem uͤberzeugt, dessen wir Sie bezuͤchtigen; wir besizzen Jhre Briefschaften, Jhr Alles in Haͤnden — wozu denn noch die weither- geholten Entschuldigungen und Vertheidi- gungs- Wilhelm Walter . gungsgruͤnde, die erkuͤnstelten, maskirten, kniffigen Wendungen und Ausfluͤchte? Ent- dekken Sie den geheimen Orden, geben Sie der Warheit die Ehre und leisten Sie als ein braver Mann dem Staate eine grosse Pflicht. — Wir kennen keinen, fuͤr den Staat und die allgemeine Ruhe gefaͤhrlichern Skorpion, als derlei heimliche Brut, wel- che im Dunkeln umherschleicht, Proseliten macht, Raͤnke schmiedet, sich in alle Larven, alle Wuͤrden, alle Aemter hineinschmiegt, den Saamen der Jrreligion ausstreut indem sie Aufklaͤrung zu predigen luͤgt; die nur Ver- wandte ihres Gelichters liebt und andere ehr- liche Leute hintansezt; die sich zu grossen Po- sten im Reiche unter einander befoͤrdert, in- des oft der weisere Mann in Armut darben mus, blos weil er sich nicht zu ihrer Fahne bekannte. Wie gings mit den Jesuiten? die- se spielten ihre Rollen anfangs im Dunkeln; allmaͤlig erhuben sie ihr tuͤkkisches Haupt, ver- dekt von der Demut Schleier; sie gewannen die Gemuͤter des Volks, besoldeten Spione, lies-  Wilhelm Walter . liessen iede Mine sprengen; stahlen dem Mo- narchen den Zepter aus der Hand und lies- sen ihm nur die Krone; lenkten das Jntresse des Staates zu ihrem eignen Jntresse; zogen die Faden der Regierung abwechselnd zu ih- rem Vortheil an und bauten in der Nacht an dem grossen Werke einer allgemeinen Hie- rarchie. — Muͤhsam hat man das Unkraut ausgerissen, indes doch unaufhoͤrlich noch die zerrissnen Wurzeln fortwuchern und neue Sproͤslinge nur mit fremdscheinenden Blaͤt- tern liefern. Jeder geheime Orden ist Gift des allgemeinen Voͤlkergluͤks, der Staaten- ruhe; darum, mein Freund, entdekken Sie, was Sie wissen und ranzioniren sich Jhr Le- ben! — Oder koͤnnen Sie vor Gott dem Allwissenden, vor dem alle Scheinmaͤntel und Selbstvertheidigungen blendender Sofis- men, als Spinngewebe zernichtet werden, ihre gaͤnzliche Unwissenheit von einem Orden und seinen Mitgliedern beschwoͤren, so knuͤ- pfen Sie in Gottes und unserer Gegen- wart Jhre Zeitlichkeit an den Jammer einer un- Wilhelm Walter . unendlichen Ewigkeit, wenn Sie falsch schwuren!“ Pause! — es war schreklich, was der Mann so feierlich-ernst daher sprach; auch Walter zitterte; sein Gewissen uͤberredete ihn fast Gott und dem Reiche diesen verlangten Dienst zu leisten, aber doch blieb er stoͤrrig, sobald er nur die Kraͤfte seines Geistes gesam- melt, und an die grossen Geheimnisse seiner Loge zuruͤkgedacht hatte. Sie verlangte auch Standhaftigkeit in der Pruͤfungsminute, und diese Minute ist izt da, sprach er bei sich selbst, ist izt da, und ich bin standhaft, um mich der hohen, heiligen Weisheit ganz wuͤr- dig zu machen; verlache das Jrrdische, und der Schwur der dienstwilligen Zunge, bei dem das Herz schweigt, kann nur fuͤr den Bigotten, fuͤr Ungeweihte der grossen Er- kentnis zur Fessel werden. — „Jch schwoͤre!“ sagte er gefasst und man entband ihn des schreklichsten, ausgekuͤnstelten Eides. — — Er glaubte nun frei zu sein von allem; allein man lies ihn wieder zuruͤkfuͤhren in das vorige Wilhelm Walter . vorige Gefaͤngnis und mit Brod und Bier speisen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er nach diesem noch oͤftre, aͤhnliche Verhoͤre uͤberstehen, ia, wie ganz gewis aus seinen Briefschaften hervorscheint, selbst Foltern aushalten muͤssen , nichts desto weniger lokte man ein Gestaͤndnis aus ihm hervor. — Ein ganzer Monat verstrich beinah, ohne daß Walter ie nur Hoffnung zu einer Be- freiung in sich naͤhren durfte. Er war ab- geschnitten von allem menschlichen Umgange; sas Tage und Naͤchte eingemauert in dem Mittelpunkt der Erde, wo er vergeblich sich im Rufen und Wehklagen ermuͤdete, denn keines Menschen Gehoͤr reichte so tief hinunter. Und die Ursach, welche man vorgab, war, daß er einen falschen Eid geschworen, und ein unschuldiges Maͤdchen verfuͤhrt habe. — Seine Vorstellungen wurden ungehoͤrt ab- gewiesen. Eines Tages trat sein eisenvester Huͤter abermals zu ihm herein und fuͤhrte ihn, wie immer, mit wenigen Umstaͤnden zu dem obi- gen Wilhelm Walter . gen Stuͤbchen. — Hier sahe er — Gott! wer schildert sein Erstaunen! — den lieben Freund R** nebst seinen Jnquisitoren auf einem Sofa sizzen. Walter wollte schon schaamvoll nach einer Pause zuruͤktreten, aber R** ging laͤchelnd auf ihn zu, und zog ihn an seine Brust, an seinen Mund. — Waltern traten Thraͤnen in die Augen; mit stummer Wehmut druͤkt er des Freundes Hand, als flehte er, ein Vorwort fuͤr ihn einzulegen. — „Jch werd es nicht mehr lange hinbringen koͤnnen; die vielen Qualen haben meine Ge- sundheit getoͤdtet — machen Sie mich los von diesen; ich will dankbar sein und alles Jh- nen, wenn sie es noch nicht wissen, nachher erzaͤlen,“ — dies lispelte er ihm verstolen bei der Umarmung ins Ohr, allein R** erwiederte lachend: Jch weis mehr denn du, braver Junge! du bist frei, diese Herren sind deine Bluts- und Seelenfreunde, und zum Allerheiligsten der grossen Mystik , der ewigen, allumfassenden Weisheit hast du ei- nen Riesenschritt gethan! — F Ein Wilhelm Walter . Ein Traͤumender stand der Befreite da, lies sich bruͤnstig von seinen vorigen Richtern umarmen, ohne mit Gegenumarmungen ver- gelten zu koͤnnen. Sein Erstaunen laͤhmte tausend Fragen auf der Zunge — er glaubte getaͤuscht zu werden, R** aber nam seine Furcht von ihm, indem er ihn mit sich in seine sehr praͤchtige Wohnung fuͤhrte. Hier versah ihn iener mit seiner, rein- licher Waͤsche und Kleidung; staͤrkte ihn mit Suppen und Weinen, lies ihn ausruhen einige Tage und in einem vertraulichen Ge- spraͤch entdekte er ihm folgendes: „Jch haͤtt es nimmer geglaubt, daß du soviel zu ertragen faͤhig waͤrst; aber wol dir, daß du es konntest; denn izt bist du benei- denswuͤrdig gluͤklich. — Du bist gepruͤft und der Verschwiegenheit unsers Ordens treu fun- den worden; deine Leiden werden dir tau- sendfach verguͤtet werden — nun will ich dir uͤber die verworrenen Szenen, seit deiner Abreise aus der Vaterstadt, Licht streuen. — Du reis'test ab, und deiner Pruͤfung entge- gen; Wilhelm Walter . gen; die hiesige Loge war von dir schon laͤngst berichtet, und von allem, was mit dir zu unternemen sei. Das iunge Maͤdchen welches dir den fatalen Streich spielte, war erkauft und wider dich abgeschikt; sie mußte deine Wege und Gaͤnge mit strengen Augen beobachten; dich ins Nez lokken und in die Falle stuͤrzen. Du gingst, wie gewuͤnscht; ein guter Schlaftrunk hinderte, daß du nicht eher, als in dem Gefaͤngnisse erwachtest; deine Sachen wurden eingezogen und du mustest von einigen Deputirten der Loge die Jnquisitionen uͤber dich dulden, welche deinem Gedaͤchtnis noch nicht entfallen sein werden. Man wandte iedes Mittel an den Grund deiner Treue zu erforschen, die dir izt die Liebe der Obern und unserer Logen gewann. Erprobte Verschwiegenheit ist zu dem wich- tigen Geschaͤfte vonnoͤten, welches dir von Seiten unsers Ordens uͤbertragen werden wird. Jzt wollen wir Hand in Hand den Pfad der geheimen Magie wandeln; mit groͤster Bequemlichkeit sollst du ihre Myste- F 2 rien Wilhelm Walter . rien studieren; du bist nahe an dem grossen Punkt, welcher dich unendlich erhebt, denn der groͤste Fels ist uͤberstiegen!“ — Jn diesen Tagen erhielt Walter 500 Thaler im Golde geschikt, ohne zu wissen, von welcher Hand; es stand fuͤr ihn ein schoͤner Englaͤnder in R**s Stall mit kost- barem Sattelzeug; die nobelsten Gesellschafen waren fuͤr ihn offen; geistliche und weltliche Herren und Grosse unterhielten sich oft stun- denlang mit ihm. Eine solche von der ehe- maligen so auffallend verschiednen Lebensart, konnte ihn leicht, mit dem, was er vorher gelitten hatte aussoͤhnen, wenn es nur eben- fals seine wankende Gesundheit vermocht haͤtte, welche durch die haͤufig eingeschlukten Kerkerduͤnste, durch den Harm, durch Nacht- wachen, Abmattungen, unbekannten Leiden heftige Alterazionen und so weiter, den lez- ten, fuͤrchterlichsten Stos erhalten hatte. Er wohnte oft der W.....schen Logen- session bei, und scheint darinnen iedesmal einer vorzuͤglichen Ehre genossen zu haben; er Wilhelm Walter . er erhielt von allen Seiten herrliche Geschenke, nichts aber war ihm intressanter als die selt- nen Werke einiger Adepten und Theurgen , welche er mehrentheils von seinem Freund R** bekam, der auch hier eine sehr glaͤn- zende Rolle spielte. — Jndes sehnte sich unser Freimaurer heftig nach der Vaterstadt, um dort den geheimen Wissenschaften ungestoͤrter obliegen und seiner einsinkenden Gesundheit pflegen zu koͤnnen. Er eroͤfnete dem Freund und Bruder sein Vorhaben, allein wie sehr bestuͤrzte Walter, als er im Namen der ganzen Dreifaltigkeitsloge den Auftrag einer wichtigen Reise zum Nuzzen des Ordens er- hielt. — Es ist sehr ungewis zu welchem Endzwek die Reise unternommen werden solte, weil man in Walters Papieren nicht eine Spur davon antrift. Zuverlaͤssiger laͤsst sich etwa bestimmen, daß er nach einem deutschen Fuͤrsten- hofe habe verschikt werden und dort zum Besten des Ordens ( oder des Katholizismus ?) wirken sollen. — Mit einem Worte, er verweigerte den Schritt, indem er hiezu sich zu wenig F 3 kuͤhn Wilhelm Walter . kuͤhn, und geschikt hielt, auch seinen schwaͤch- lichen Koͤrper vorschuͤzte. — Er hatte die- serwegen mit R** manchen Wortwechsel, welcher aber bald beigelegt wurde, nachdem ihm von dem Orden Konzession gegeben war, nach Hause kehren, und sein Amt sowol als seine Gesundheitsumstaͤnde besorgen zu duͤrfen, doch mit dem Beding, sobald sich leztere ver- bessern wuͤrden, das nur aufgeschobene Ge- schaͤft zu vollbringen. Walter kam in seiner vaͤterlichen Woh- nung an, bleich, entstellt und bestaͤndig truͤbe. Seine Worte waren mit einem gewissen Un- willen begleitet, welcher ieden aus seiner Gesellschaft vertrieb, ihn in kurzer Zeit ein- sam, sein Haus aber zur Einsiedelei machte. — Er korrespondirte unterdessen fleisig mit R**, der sich noch immer in W.... befand; las und schrieb; bearbeitete auch ein Werk fuͤr den Druk, von welchem ich nur noch einige Frag- mente aufgefunden habe. Er betitelte es: „ Gestaͤndnisse eines ehrlichen Erdenbuͤr- gers, der sich der geheimen Wissenschaften beflis . Wilhelm Walter . beflis .“ Der Herr Verfasser dieser Biografie ist so guͤ- tig gewesen uns von den Fragmenten dieses paradoxen Werks Kopien zu uͤbersenden. Wir sagen ihm noch einmal unsern Dank und ver- sichern, sollten sie den Kunstrichtern und dem Publikum nicht unwilkommen sein, in einer Fortsezzung unsrer Narrenkronik , Gebrauch davon zu machen. — Hierin kramt er nun all seine Kent- nisse aus; spricht ziemlich heterodox von Gott- heit, Menschenseele, Menschenwesen und Uni- versum; schildert die Verhaͤltnisse des Geister- reichs mit dem Menschen und in wie fern unser Geist mit seinen Bruͤdern (den Geistern) hoͤhrer Gattung Umgang haben koͤnne. Zuweilen hat er kein Unrecht; er sezt sich oft uͤber herr- schende Vorurtheile hinweg und baut sich neue Systeme zusammen; wagt kuͤhne Hypothesen und spinnt Gedanken, auf die Kristus und Schrift nur einen Fingerzeig warfen in's Unendliche hinaus. Doch hat er sein Opus- kulum nicht vollenden koͤnnen. Das Uhrwerk seines Koͤrpers war einmal zerstoͤrt und gerieth durch die anhaltende siz- zende Lebensart und Geistesanstrengung von F 4 neuen  Wilhelm Walter . neuen ins Stokken. Symptome seiner vo- rigen Krankheit zeigten sich nur zu deut- lich. — Freunde riethen ihm einen erfahrnen Arzt anzunemen, daß er nicht im Sommer seines Lebens eine Welt verlassen muͤsste, in der er noch Nuzzen schaffen sollte und koͤnnte aber er verwarf Vorstellungen und Bitten; bestimmte sein Testament; bereitete sich ernst- lich zum Tode und betete oft zu Gott. — „Warum quaͤlt ihr mich, sprach er einst zu denen, welche ihm Arzenei empfalen; wozu all die Medizin, da ich meines Todes gewis bin? geht zum Arzt und fragt ihn, ob er die Sonn in ihrer Bahn aufhalten koͤnne? — meine Stunde ist vorhanden, in der ich auf- geloͤset werden soll — es wird kein Mond verfliessen: so ists geschehn — lange sah ich das voraus!“ — Da man sich bemuͤhte ihn von diesen duͤstern Gedanken loszureissen, sagte er mit kaltlaͤchelnder Miene: Es ist unendlich seltsam, daß ihr Menschen nicht des Augenbliks ge- denken moͤget, der es doch am meisten ver- dient! Wilhelm Walter . dient! Mitternachts zwischen ein und zwei Uhr wird der meinige sein!“ — — Er hatte wahr geredet. Sorgfaͤltig sammlete er vorher alle Papiere und Briefe die ihm von grosser Wichtigkeit schienen und warf sie mit eignen Haͤnden in die Flam- me. — Er bekam fieberhafte Zufaͤlle, welche doch aber abwechselnd waren. Jn einer ruhigen Stunde lag er auf dem Bette, als ich einst zu ihm hereintrat und mich nach seinem Befinden erkundigte; er atmete ausser- ordentlich schnell und mit gebrochnen Worten bat er mich, einen Brief an seinen Freund R** zu W.... zu schreiben. Jch sezte mich und er diktirte folgendes Wenige: „Die Krankheit ist gestiegen bei mir und ich lasse Jhnen darum noch durch eine fremde Hand mein leztes Lebewol schreiben. Jch danke Jhnen von Herzensgrunde fuͤr iede Gefaͤlligkeit, welche Sie mir bei Lebzeiten erwiesen, der Sie mein einziger Freund wa- ren. Leben Sie wol fuͤr dieses Zeitliche. Jch hoffe Sie wieder zu finden. Die Ant- F 5 wort Wilhelm Walter . wort ersparen Sie nur, weil sie mich nicht mehr lebend treffen wuͤrde. Das Uebrige ist besorgt!“ — Fuͤnf Tage nachher, Mitternachts und ¾ auf zwei Uhr, im ein und dreissigsten Jahre seines Lebens gab er in einem sanften erquiklichen Schlummer den Geist auf, nach- dem er vorher zwei Tage heftig im hizzigen Fieber gerungen hatte. Dies ist das traurige Leben eines Man- nes, welcher izt in andern Welten lebt; des- sen Karakter ohne Falschheit und Stolz war; der den Armen viel gutes that (wie er z.B. sein ganzes Vermoͤgen am baaren Gelde dem Armeninstitute seiner Vaterstadt vermachte;) der herrliche Anlagen und Talente besas und doch nicht die Pflichten eines redlichen Er- denbuͤrgers ganz in Erfuͤllung brachte. Kei- ner bezweifle die Avthentizitaͤt dieser Ge- schichte, und sollte man es wuͤnschen, meinen Namen, den ich guter Gruͤnde willen nicht oͤffentlich nennen mag , zu wissen verlangen, so will ich ihn privatim nennen dem, welcher aus Wilhelm Walter . aus rechtlichen Absichten mich darum, durch irgend einen Kanal, ersucht, oder ersuchen laͤsst, um ganz die Warheit der Geschichte zu verbuͤrgen. — Walters Familie lebt noch, doch will ich weder das Staͤdtlein, noch einige Freunde des ungluͤklichen Walters namentlich bekannt machen, weil sie mir zwar seine Lebensumstaͤnde, so weit man sie weis, doch nicht ienes, zu publiziren erlaubten. Ein Wort der Warnung moͤgen diese Blaͤtter, welche Walters Leben fassen, fuͤr dieienigen sein, welche, wie er, nur suchen den Hang zur Magie zu befriedigen. Es ist traurig, daß in unsern hellen Tagen noch des Gasners, Kagliostros und Walters im dunkeln so viel leben; daß so mancher ehrliche Mann sein Hab und Gut im Schmelz- tiegel auffliegen laͤsst, oder seine Hirnfasern bei dem mysterioͤsen Unsinn der Magie und Goetie anstrengt. Unsre Gelehrten waͤhnen die Flekken des Aberglaubens ganz hinweg, und das achtzehnte Jahrhundert zur spie- gel- Wilhelm Walter . gelhellen Flaͤche polirt zu haben, allein noch sind dunkle Flekke vorhanden, die man, ehe sie fuͤrder um sich wuchern und einmal eine zweite Finsternis zeugen, wegzuschaffen hat. — Bigotterie, Fanatismus und Aber- glaube sind noch in vielen deutschen Staͤdten herrschend und geheime Gesellschaften schlei- chen sich nur zu oft unter der Kappe der Freimauͤrerei ein! — — Ungenanter .