Schnellpressendruck der Buchdruckerei von J. C. Mäcken Sohn in Reutlingen. Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen von Dr. Friederich Theodor Vischer, ordentlichem Professor der Aesthetik und deutschen Literatur an der Universität zu Tübingen. Dritter Theil: Die Kunstlehre. Stuttgart. Carl Mäcken, Verlagsbuchhandlung. 1853 . Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen von Dr. Friederich Theodor Vischer, ordentlichem Professor der Aesthetik und deutschen Literatur an der Universität zu Tübingen. Dritter Theil. Zweiter Abschnitt. Die Künste . Zweites Heft: Die Bildnerkunst . Stuttgart. Carl Mäcken, Verlagsbuchhandlung. 1853 . Schnellpressendruck der Buchdruckerei von J. C. Mäcken Sohn in Reutlingen. Inhaltsverzeichniß. Dritter Theil. Die subjectiv-objective Wirklichkeit des Schönen oder die Kunst. Zweiter Abschnitt . Die Künste. Erste Gattung. Die objective Kunstform oder die bildenden Künste . §§. Seite B. Die Bildnerkunst . a. Das Wesen der Bildnerkunst. α. Ueberhaupt 597—606 339—370 β. Die einzelnen Momente . Die äußere Bestimmtheit. Das Material 607 370—377 Polychromie, malerische Hülfen 608 378—384 Postament, Verhältniß zur Umgebung, Größe 609 384—389 Umfang des Darstellbaren In Beziehung auf die allgem. Sphäre des Stoffs; Mensch, Thier 610 389—391 In Beziehung auf die Vielheit der Figuren; Verbindung mit der Baukunst: Giebelfeld, Relief 611 391—394 In Beziehung auf nähere Bezeichnung: symbolische Hülfen, Attribut, Gebärdensprache 612 395—399 In Beziehung auf die Zeit: fruchtbarer Moment, Ungleichzeitiges 613 399—403 Die innere Bestimmtheit. Allgemeines Stylgesetz 614 404—406 Behandlung der menschlichen Gestalt überhaupt; For- derung glücklichen Stoffs, Beschränkung im Indi- viduellen und Geschichtlichen 615 406—409 Gegensatz des direct idealisirenden und des indi- vidualisirenden, naturalistischen Styls 616 410—414 §§. Seite Die Proportionen 617 414—415 Weichtheile, Muskel, Sehnen, Adern 618 415—418 Haupt, Gesichtsbildung, Haar 619 419—421 Nacktheit, Gewand 620 421—425 Die besondern Formen. Ihre Grenze; Verschmelzung im Ideal 621 425—428 Der bestimmte Moment; Ungezwungenheit, Rundheit; Heftigkeit der Bewegung 622 428—430 Ausdruck des Seelenlebens; Affect 623 430—435 Flüchtiges Mienenspiel; Ausdruck subjectiv inner- lichen Geistes 624 435—437 Ruhe der Seele Charakter 625 437—444 Die Composition. Linienverhältnisse, Rhythmus der einzelnen Gestalt 626 444—447 Mehrheit von Figuren; Längerichtung im Relief; lockere, engere Verbindung 627 447—450 Giebelfeld; pyramidale Form. Freie Seulptur; lockere, geschlossene Gruppe 628 450—454 Umfassende, cyklische Composition 629 454 b. Die Zweige der Bildnerkunst. Das Mythische und nicht Mythische. Hauptaufgabe: Götter und Heroen 630 455 Eintheilung nach den Unterschieden: Thier, allgemein Menschliches, Geschichtliches; Schwierigkeit 631 455—460 Eintheilung nach dem Moment und Grade des Um- fangs. Statue, Gruppe; Ruhe, harmlose, ge- spannte Situation 632 461—462 Eintheilung nach dem Unterschiede des Materials und der technischen Behandlung 633 462—463 Unterschied des einfach Schönen, Erhabenen, Ko- mischen 634 463—465 Unterschiede der Verbindung mit andern Auffassungs- Arten der Phantasie 635 465—467 c. Die Geschichte der Bildnerkunst. Die treibenden Gegensätze 636 468—469 α. Die Bildnerkunst des Alterthums . Die orientalische Bildnerkunst 637—638 469—475 Die griechische (und römische) 639—641 475—481 β. Die Bildnerkunst des Mittelalters . Allgemeiner Charakter 642 482—485 Früherer Styl 643 485—487 Späterer Styl 644 487—490 γ. Die moderne Bildnerkunst 645—646 490—496 Anhang. Die verzierende Bildnerkunst. Das leben- dige plastische Kunstwerk 647 497—504 B. Die Bildnerkunst . a. Das Wesen der Bildnerkunst . α. Ueberhaupt. §. 597. D er Uebertritt der Baukunst aus der abstracten Massenbildung in die organi- sche Form durch das Ornament, ihr sichtbares Hindrängen nach Ergänzung durch eine Kunst, welche diese Form ursprünglich und eigentlich nachbildet, ist der Ausdruch der innern Nothwendigkeit eines Fortschritts, durch welchen ihre Be- stimmung, nur ein erster, objectiver, dem subjectiv beseelten Kunstwerk Unter- lage und Stätte bereitender Act der Kunst zu sein (§. 553), wirklich an ihr erfüllt wird. Diese innere Nothwendigkeit, die von anderer Seite im gegen- ständlich nachahmenden Spieltrieb (§. 515, 2. ) sich ankündigt, ist in dem Wesen des Schönen selbst begründet, welches in der reinen Einheit von Idee und Bild besteht und daher die wahre Erscheinung dieser Einheit, die Persönlichkeit (vergl. §. 19), als Aufgabe der Kunstdarstellung setzt. Entspricht die Bau- kunst dem Unorganischen im Gebiete des Naturschönen, so wiederholt sich in dem so geforderten Fortschritte der Kunst der Fortgang des Naturschönen zur beseelten organischen Gestalt . Zuerst eine Bemerkung über den Namen. Plastik bezeichnet eigentlich nur ein Bilden in weichem Stoff, wie solches, nachdem Thon in der hö- hern Kunst nur zum Modelle verwandt wird, zur bloßen Vorarbeit gewor- den ist; die wirklich ausführende Bearbeitung harter Stoffe ist zwar aus- gesprochen in dem lateinischen Namen Sculptur, aber darin ist das Gießen nicht mitbefaßt. Das deutsche Wort Bilden bedeutet ursprünglich: etwas einem Andern Aehnliches hinstellen, und zwar entweder in der eigenen Per- Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 23 son (z. B. Gott bilden = Gottes Wesen an sich darstellen) oder objec- tiv durch ein Nachschaffen, sei es durch innere Thätigkeit blos der Phantasie oder an einem äußern Stoffe. Die erstere, intransitive Bedeu- tung ist verloren gegangen, die zweite, transitive schied im Zeitwort nach und nach die Bestimmtheit der Beziehung auf das nachzuahmende Urbild aus und wurde zunächst, ehe der moderne, ethische und intellectuelle Sinn ein- drang, vorzüglich von dem Herausarbeiten eines greiflichen, gediegenen Stoffes aus dem Groben gebraucht, wodurch er organische Form annimmt, die dann allerdings Nachbild eines Urbilds ist, so daß mittelbar darin immer noch der Begriff der Herstellung eines Aehnlichen liegt. In diesem älteren, volksmäßigen Sinne würde das Wort Bilden ganz eigentlich die Kunst bezeichnen, zu der wir nunmehr übergehen; Bildkunst wäre der rechte Name. Allein im substantiven Gebrauche hat das Wort theils umgekehrt den Sinn der Erzeugung einer Aehnlichkeit zu bestimmt und zu sehr in blos geistiger Anwendung behalten, es bezeichnet das einzelne Gleichniß in der Sprache und Poesie, theils ist seine Bedeutung ohne diese Beziehung zu allgemein, so daß man auch schlechthin ein Gemälde darunter versteht; das per- sönliche Substantiv Bilder ist verloren; dagegen ist durch Gewohnheit das, grammatisch eigentlich unrichtige, Wort Bildner festgestellt und darin jener ältere, gediegene Sinn des Zeitworts Bilden erhalten. Von den verschie- denen Arten der Technik: Formen weichen Stoffes, Hauen, Gießen ist da- bei keine ausgeschlossen, während „Bildhauer“ die erste und dritte aus- schließt. So mag denn stehen: Bildnerkunst, daneben aber auch der grie- chische und lateinische Name nicht abgewiesen sein. — Was nun die Be- gründung des Uebergangs von der Baukunst betrifft, so wäre eigentlich gar nicht zu fragen: wie kommt es, daß nun die Kunst fortgeht zur Nach- bildung der beseelten organischen Gestalt? sondern: wie kommt es, daß sie damit nicht sogleich anfängt? und: wie kommt es, daß sie diese Nachbil- dung zunächst nur in der Beschränkung vornimmt, in welche wir die Bild- nerkunst sofort sich werden eingrenzen sehen? Die erste dieser Fragen er- gibt sich von selbst aus dem Satze, in welchem der §. die Nothwendigkeit des nunmehr sich öffnenden Kunstgebiets einfach aus dem Wesen des Schö- nen ableitet. Das Schöne ist die reine Einheit zwischen Idee und Bild, die wahre Erscheinung dieser Einheit ist die Persönlichkeit, und die Kunst als die Wirklichkeit des Schönen hat daher unmittelbar, so scheint es, diese absolute Aufgabe zu ergreifen. Die zweite Frage ist in der ersten bereits eingeschlossen; denn wenn es die Aufgabe der Kunst ist, das persönliche Leben darzustellen, so scheint dasselbe auch sogleich nach dem ganzen Um- fang seiner Erscheinung erfaßt werden zu müssen, was doch die Bildner- kunst, wie sich zeigen wird, nicht thut. Es drängt sich aber bei dieser zwei- ten Frage noch ein weiterer Anstand auf. Es ließe sich nämlich, so scheint es, eher erwarten, daß die Kunst, wenn sie nun den ersten Schritt thun soll, ihren eigentlichen Stoff, die Persönlichkeit, zu ergreifen, vorerst noch in einem andern Gebiete zögernd verweile, in jenem nämlich, worin sich die Persönlichkeit „erst als eine werdende ankündigt“ (§. 240). Wir ha- ben die landschaftliche Natur als einen Wiederschein persönlicher Seelen- stimmung gefaßt, die Bildnerkunst überspringt sie und nur das Thierleben nimmt sie sich als Vorstufe des persönlichen Lebens zum Stoffe. Die zweite der aufgestellten Fragen sammt diesem weiteren Bedenken, das sich an sie knüpft, wird ihre Beantwortung im Verlauf der Lehre von der Bildnerkunst und Malerei von selbst finden; die erste aber beantwortet sich aus dem Inhalte von §. 553. Die Kunst bedarf, um in das Ge- biet der wahren, vollen Einheit des Lebens einzutreten, eines Ansatzes , eines festen Puncts, von dem sie sich zur freien Schwingung abstößt; die Architektur ist ihr Schwungbrett, um zur Plastik überzuspringen, der befestigte Theil des Schwungbretts ist die Kernform der Architektur, dem elastisch schwebenden Theile desselben entspricht die Decorations-Form, welche schon den Uebergang in die Plastik ankündigt. Im Ornamente, diesem Hinüberblühen in die organische Form, verräth die Baukunst das Reich der reinen Verhältnisse und Linien als die Grundlage alles organischen Lebens und nachdem der Verrath geschehen ist, muß sie nun der Kunst, welche das beseelte organische Leben in Besitz nimmt, wirklich Platz machen. Dieses Platzmachen ist auch ein buchstäbliches: die Baukunst ist ja nur Umschließung eines anderweitig zu erfüllenden innern Raumes, ihr Werk wartet auf diese Erfüllung, sie ist der Vorläufer Johannes, der den Gott- menschen verkündigt. Es ist derselbe Uebergang, wie von der unorga- nischen zur höheren organischen Natur (das vegetabilische Leben als Theil der landschaftlichen Schönheit fällt nach der obigen Bemerkung aus). Dem Urstoffe der Erde wohnte schon der Keim des organischen Lebens inne, die Nachbildung dieses Lebens ist die erste, ursprüngliche Bestimmung der Kunst; aber aus dem Urstoffe schlugen sich zuerst die rohen, festen Massen nieder als Boden und Stätte für das Lebendige, in welchem der Einheits- punct der Seele die unendlich verfeinerte Masse zu seinem Leibe bildet, ebenso schickt sich die Kunst den festen, massigen Bau voran, worauf und worein sie das ideale Abbild des persönlich organischen Lebens stellen wird. Die Erde wartete auf ihren König, den Menschen; der Tempel, das ideale Abbild der Erde, das Bild der Erde, wie sie wäre, wenn der Geist Got- tes ihre zerstreuten Massen in ein begrenztes, geschlossenes Ideal des Raumes, in ein himmlisches Jerusalem zusammengeführt hätte, erwartet das ideale Abbild des Menschen, den Gott. Ja noch ehe er eintritt, streckt sie im Ornament und ebenso in der eigentlichen, an ihre Flächen gehef- teten Plastik (das Relief bildet, wie wir sehen werden, ebenso ein Ver- 23* mittlungsglied mit der Baukunst, wie mit der Malerei) ihre Organe nach ihm aus. Die Erde gesteht in der Erzeugung des organischen Lebens und seines Gipfels, des Menschen, was sie eigentlich ist, nämlich blos er- nährende Unterlage und Stätte für die höheren Wesen; die Baukunst be- ginnt dasselbe Geständniß mit dem Ornamente, verstärkt es mit dem an ihre Flächen enger angeschlossenen Bildwerk und vollendet es, indem sie der freien Statue Platz macht. Der §. geht von diesem Punct aus und dann erst zur unmittelbaren Ableitung der innern Nothwendigkeit des Auftretens der Sculptur über; die Erläuterung hat diesen Gang umge- kehrt. — Es durfte nicht unerwähnt bleiben, daß die Nachbildung des höheren organischen Lebens sich äußerlich durch den Spieltrieb vorbereitet, durch jene Form desselben nämlich, welche als objectiver Nachahmungs- trieb Gegenstände, zunächst zur Ergötzung, in weichen oder harten Stof- fen nachahmt. §. 598. Verschwunden ist mit diesem Schritte die Getheiltheit einer Kunstform, welche in Inneres und Aeußeres zerfällt und von einem gegebenen Zwech ab- hängig ist (§. 555, 1. ); die dunkle Beziehung derselben zu einem Vorbild in der Natur ist klarer gegenständlicher Nachbildung gewichen und an die Stelle bloßen symbolischen Andeutens tritt die eigentliche Darstellung concre- ten Inhalts in der ihm untrennbar selbsteigen angehörigen Form: die Bedeu- tung und ihre Hülle sind in lebendige, sich selbst aussprechende Einheit zusam- mengefaßt. Die Baukunst fanden wir nach zwei Seiten auf ein zunächst Außer- ästhetisches bezogen: nach der einen war sie von dem gegebenen Zwecke, nach der andern von dem Gesetze der Schwere abhängig. Hier handelt es sich zunächst von der ersten dieser zwei Seiten; die Theilung in ein Inneres und Aeußeres fällt unmittelbar mit dieser Abhängigkeit zusammen. Daraus sogleich floß die Schwierigkeit der Lehre von dieser Kunst, der Umweg, der durch eine Reihe verwickelter Unterscheidungen zu dem Puncte führte, wo das Schöne beginnt. Mit diesen Schwierigkeiten hat es jetzt ein Ende; die Bildnerkunst steht auf sich, stellt ein Eines, Ganzes hin. Das blos umschließende Werk der Baukunst faßte ferner die Stoffmasse nur in jene abstracte Linien-Einheit zusammen, für welche im Reiche des Naturschönen kein eigentliches, abgeschlossenes Vorbild zu finden war; wir suchten dunkel umher nach dem Puncte, wo die Phantasie im Schachte des Naturlebens sich geheimnißvoll nach den Grundlagen aller Gestaltung umschaut, sich ahnend in den Prozeß der Krystallbildung versenkt; jetzt ist Licht geworden, das Urtheil ist in diese Nacht des Zusammenwebens von Subject und Object eingetreten, der klare Gegenschlag, worin der Phantasie ein Gegenstand zum Vorbild wird und diese sich ihn nachbildend gegenüberstellt, ist da. Die Erscheinung der Persönlichkeit steht reif, ab- geschlossen vor dem Künstler und erwartet nur die Läuterung von den Schlacken des Naturschönen; er darf nicht mehr zu einer Seele, die anders- woher geliehen wird, aus den Massen des Unorganischen, die in’s unbe- stimmt Weite ausgebreitet, zerworfen und zerstreut umherliegen, die zer- flossenen und abgebrochenen Linien zusammenführen, um sie zu dem Gan- zen zu vereinigen, das jener geliehenen Seele den abstracten Leib, richti- ger das bloße, auf den wahren Leib jener Seele vorbereitende, hinüber- deutende Kleid geben soll. Dieß ist denn zugleich das Ende der bloßen Symbolik. Das Vorbild selbst ist Einheit von Seele und Gestalt. Die Seele selbst ist concret. Die Seele, welche der Baukunst zur Umkleidung gegeben war, zerfiel in zwei Seiten: zunächst war sie auch eine concrete, nämlich die geistige Persönlichkeit des Gottes, auch des zum Staat orga- nisirten, in seinen höheren Würden vertretenen Volkes, der einzelnen Fa- milie oder Person; aber davon fiel nur das allgemeine Element, die un- gefähre Stimmung, also die zweite, unbestimmt allgemeine Seite, der Bau- kunst als Aufgabe für ihre Darstellung zu. Die Bildnerkunst aber er- greift die concrete Seele selbst, den Kern dieser von der Baukunst aus- zudrückenden bloßen Stimmungs-Atmosphäre, unmittelbar als ihren Dar- stellungsgegenstand. Die concrete Seele ist das als Selbstgefühl, höher als Selbstbewußtsein und selbstbewußter Wille in seinem organisch in sich zusammengeschlossenen Leib erscheinende subjective Leben, der bestimmte Gehalt, der eben in seiner Erscheinung sich selbst deutet, sie ist „das sich selbst Bedeutende, sich selber Deutende“ (Hegel Aesth. II. S. 3). Solcher Gehalt, der seine innere Einheit in seiner Erscheinung direct ausspricht, ist das subjective Leben zunächst schon vor aller der näheren Fassung, unter welcher ein Affect, ein sittlicher Zweck, Charakter gedacht wird; das Sub- ject, schon als Seele im unbestimmteren Sinn, ist, gegenüber dem, was die Baukunst andeutet, durchaus bestimmt, indem seine anthropologische Erscheinung der ihm rein eigene, mit ihm gewachsene, mit ihm identische reale Ausdruck aller seiner, obwohl noch nicht in unterscheidender Ent- wicklung auseinandergelegten Fähigkeiten und Kräfte ist. Das Ganze der Glieder, des Ausdrucks ist jene vollzogene innere Zweckmäßigkeit, welche ohne Begriff gefällt, weil diese Vollziehung der dargestellte Begriff selbst ist. Die erwachte, erschlossene Seele aber, die in Thätigkeit gesetzte, zum Charakter der im engeren Sinne bestimmten Persönlichkeit erhobene Seele trägt den nun entfalteten Inhalt in sich als lebendes Gefühl in ihrem Busen, als lebenswarme sittliche Macht, welche sich in der äußern Erscheinung leibhaft ausdrückt durch Bewegung und bleibendes Gepräge. Auch dieser Ausdruck ist direct; es bedarf auch hier keines Umwegs einer Uebersetzung in den förmlich gedachten Begriff, der Begriff ist real in seiner Erscheinung da, ist in ihr Leben geworden und erklärt sich selbst. Auch die Bildnerkunst, indem sie dieß mit sich selbst eine, runde, sich selbst verkündende Ganze wiedergibt, spricht noch nicht eigentlich, aber ihre un- eigentliche Sprache ist, verglichen mit der Sprache der Baukunst, bestimmte Sprache. §. 599. 1. Dieser Fortgang der Kunst gibt sich jedoch nothwendig die Beschränkung eines ersten Schritts, worin sich die unmittelbare Herkunft aus der Baukunst verräth. Er nimmt sich von der Erscheinung der Persönlichkeit nur die feste räumliche Form als Object des tastenden , das Greifliche umspannenden, eben- daher auf einer Grundlage eigentlicher Messung sich bewegenden und dadurch auf die Wissenschaft bezogenen Sehens (§. 404) zu seinem Gegenstand, und die Kunstthätigkeit, in welcher die so organisirte Phantasie sich niederlegt, stellt dieser Auffassung gemäß ihr inneres Bild im harten und schweren Materiale dar; die Bewegung des organischen Gebildes, welche in der Erfassung durch das tastende Sehen mitbegriffen war, fällt in dieser Nachbildung weg, es wird also ein 2. Zeitleben im Raume gefesselt . Das Gebiet des landschaftlichen Schönen wird demgemäß nothwendig übersprungen und dem Bildwerk überhaupt der Raum nicht mitgegeben: die Baukunst gab den Raum und kein Subject für ihn, die Bildnerkunst läßt sich den Raum für ihr Subject wie das aufzeigende Licht von außen durch die Natur oder die Baukunst geben. 1. Die erste der Kunstformen, welche das organische und persönliche Leben darstellen, ist bei allem absoluten Fortschritt noch architekturartig. Es kann mit diesem ersten Schritte noch nicht diejenige Art der bildenden Phantasie in Thätigkeit treten, welche auf das eigentliche, d. h. die Ge- sammtwirkung der Oberfläche in Licht und Farbe erfassende Sehen gestellt ist, sondern erst diejenige, welche auf jenem tastenden Sehen ruht, d. h. auf dem Auge, das durch ein verhülltes Tasten organische Formen in ihrer greiflichen Raumerfüllung umspannt. Es gibt Leute, welche bei allen Dingen auf Farbe, Bewegung, Ausdruck sehen; sie geben bei einer mensch- lichen Gestalt unvollkommen entwickelten, selbst unregelmäßigen, schiefen Wuchs, unedel gebildete Hand, Gesichtszüge von geringer Schönheit der Linie gegen schönen Teint, charaktervollen Blick und Zug, Grazie im Mie- nenspiel gern in den Kauf, ja sie bemerken wohl jene Mängel überhaupt nicht. Diese Naturen sind für die Sculptur, selbst für ihr Verständniß verloren, sofern sie sich nicht durch Uebung und Bildung die Auffassung dieser Kunst bis auf einen gewissen Grad aneignen; das nordische Auge sieht vorherrschend in dieser unplastischen Weise. Andere dagegen lassen sich auch durch die bedeutendsten Vorzüge einer Gestalt, welche in das Gebiet der Farbe und der Mienen, der Bewegung fallen, nie bestimmen, den geringsten Mangel der erstgenannten Art zu übersehen; unfreie Stirne, schlechtgebildete Nase, Mund, Kinn, mangelhaft entwickelter Nacken, flache Brust, gewölbter Rücken, zu kurze oder zu lange Taille, magere Hüfte, Arme und Beine ohne Form und Verhältniß, schlechter Rhythmus des Ganzen fällt ihnen im ersten Blick auf, etwas Schiefes sehen sie von Weitem, kein Reiz der Farbe, keine Tiefe des geistigen Ausdrucks, sofern sie sich nicht in greiflicher Form mächtig ausprägt, täuscht oder beruhigt sie über jene Mängel. Diese sehen mit dem Auge des Bildhauers; seine Phantasie faßt Alles von dieser Seite, ist auf diese Art zu sehen, organi- sirt, er „sieht mit fühlendem Aug’, fühlt mit sehender Hand“. Das Licht ist allerdings für dieses Auge wesentliches Medium, aber nur als das die feste Form aufzeigende, nur als das Mittel, welches vorausgesetzt ist, da- mit der im Sehen verhüllt, vergeistigt enthaltene Tastsinn (vrgl. schon §. 71 Anm.) den Gegenstand in seiner Weise erfassen könne, die Reize des Lichts werden nicht als solche verfolgt, sie führen unmittelbar zur Farbe hinüber, von welcher diese plastische Auffassung abstrahirt. Wir werden die Frage über die Verbindung der Farbe mit dem Bildwerk in der näheren Erörterung der einzelnen Momente aufnehmen; so viel leuch- tet aber schon hier ein, daß dieselbe, in welchem Grade sie der Form mitgegeben werden mag, hier nicht das Wesentliche, die Auffassung Be- stimmende, sondern nur Zugabe sein kann, daß die Auffassung in ihrem Ursprung und Wesen hier jedenfalls die Abstraction von der Farbe, auch wenn sie secundär hinzutritt, in sich schließt. Diese Abstraction widerspricht nicht dem Begriffe einer primitiveren, kindlicheren, sinnlich naiveren An- schauungsweise, auf welcher die Bildnerkunst als die frühere, vor der Malerei auftretende Kunst beruht. Das Kind, der Naturmensch, die Bil- dung, welche Natur bleibt, sieht tastend, greiflich, die Farbe ist ihr nur Ueberzug der gefüllten, kernhaften Form. Es ist doch immer ein Noch-nicht- Erfassen des Ganzen der Erscheinung, wogegen das Erfassen des Ganzen der Erscheinung vielmehr, wie wir sehen werden, in der Kunstdarstel- lung nach anderer Seite eine noch viel schwerere Abstraction bedingt, näm- lich die von der wirklichen Darstellung der festen Form im Raum. Jede Kunst aber leistet in ihrem Gebiete das Vollkommene gerade durch Iso- lirung einer oder mehrerer Seiten der Erscheinung von den übrigen (vrgl. §. 533, 2. ); ihr Mangel ist zugleich ihr Reichthum, ihre Fülle, und ge- rade in der Plastik werden wir sehen, welche Wunder die Kunstweise leistet, deren kindlich klares Auge noch wesentlich auf das Seiende im eng- sten Sinn, das greiflich Solide, warm sich Füllende im Raume geht. Dieses Auge ist nun mit dem architektonischen noch wesentlich verwandt. Es geht nicht mehr auf die im zerworfenen Erdreich verhüllten rei- nen geometrischen Verhältnisse, sondern auf die organisch geschwungene, zur Erscheinung des Individuums abgerundete Form, aber doch auf diese Form als eine in den Raum fest und schwer hineingebaute; diese Form ist als organisch schöne über das exact Meßbare unendlich hinaus, aber sie enthält es doch als wesentliche Grundlage noch in sich. Regelmäßige Verhältnisse machen die Gestalt des lebendigen Individuums noch nicht schön, sind aber der feste Kern, das Knochengerüste seiner Schön- heit; das tastende Sehen ist noch ein wirklich messendes, wiewohl es zu- gleich unendlich mehr ist. Darum eben erblickt der so Sehende jede Schief- heit, jedes Mißverhältniß im Bau einer Gestalt mit einer Schärfe und Raschheit, wie sie dem malerisch Sehenden fremd ist. Geht nun diese Phantasie in Thätigkeit über und schafft sich ihre Kunstform, so tritt das Architekturartige in ihr vollends zu Tage. Wie sie aufgefaßt hat, muß sie auch nachbilden, sie muß, um das räumlich Feste der Form wiederzu- geben, zum schweren, harten Materiale greifen, wie die Baukunst; sie muß zu dem Theile der Arbeit, welche den wahren und vollen Sitz der Schön- heit nachahmt, auf einer Grundlage wirklichen Messens fortschreiten. Die Bildnerkunst theilt daher mit der Baukunst auch dieß, daß sie auf eine bestimmte Wissenschaft , die Meßkunde, bezogen ist, nur nicht so streng, nicht so durchgängig. Ihr vollendetes Gebilde stellt sie in den wirklichen Raum als raumerfüllendes hinein. Hier ist der Ort, die Begriffe des Raums und der Zeit wieder aufzunehmen, wie sie zu §. 534 als gewöhn- liche Kategorie der Eintheilung der Künste angeführt ist. Es leuchtet nämlich auch an der gegenwärtigen Stelle ein, wie unzulänglich dieser Unterscheidungsbegriff ist; die Bildnerkunst fällt nach demselben einfach unter die Künste des Raums, der Zeitbegriff soll erst bei der Musik ein- treten; allein er tritt schon hier ein, nur so, daß er vom Raumbegriffe beherrscht ist. Nur die Baukunst ist rein räumlich, ihr Werk lebt erst im Zuschauer zu einer Bewegung, also einem Zeitleben, der Musik verwandt auf; die Bildnerkunst dagegen hat ein im Raume sich Bewegendes, ein Zeitleben wirklich zu ihrem Vorbild, und die Anschauung, welche dem Schaffen des Bildners zu Grunde liegt, faßt die feste Form wesentlich in dieser Bestimmtheit der Bewegung auf; erst in der künstlerischen Ausfüh- rung muß die wirkliche Bewegung wegfallen, weil sonst entweder die For- derung, daß das Material todter Stoff sein muß (§. 490), nicht erfüllt werden könnte oder eine mechanische Bewegung angewandt werden müßte, welche in das gemein Technische abführt und in diesem Gebiete einen Werth haben mag, vom ästhetischen Standpunkt aber als falsche Art der Naturnachahmung halb unheimlich, halb lächerlich ist (Automaten). Es tritt zu der Abstraction von der Farbe nun eine zweite, die von der Be- wegung. Aber nicht in demselben Sinne wird von der Bewegung ab- strahirt, wie von der Farbe. Diese wird in der Anschauung nicht, we- nigstens nicht als wesentlich mitwiegend, aufgefaßt und sie könnte nach- geahmt werden, wird es aber nicht, wenigstens von einer reifen Kunst höchstens als bloßer Anflug; die zweite wird, in gewisser Beschränkung auf die größeren Bewegungen, wie sich zeigen wird, als ganz wesentlich miterfaßt, denn der lebendige Leib ist eben der sich bewegende, sie kann aber, außer durch völligen Abfall in mechanisches Spiel, schlechterdings nicht nachgeahmt werden. Sie fällt aber darum in der Nachahmung nicht in der Weise weg, wie die Farbe, sondern eine ganz eigenthümliche Ver- bindung von Raum und Zeit tritt ein. Dargestellt wird ein Bewegtes; in dieser Darstellung kann es sich nicht wirklich bewegen, d. h. nicht meh- rere Bewegungsmomente durchlaufen, aber ein Moment der Bewegung wird dargestellt und zwar auch in der ruhenden Gestalt, denn sie muß er- scheinen als eine solche, die sich bewegen kann, muß, will, die sich bewegt hat und wieder bewegen wird, und ob auch die Ruhe zwischen zwei Bewegungen länger andauert, als einen Moment im buchstäblichen Sinne, dieß thut hier nichts zur Sache. In diesem Moment ist die sich bewegende Gestalt ver- steinert worden; sie ist so zu sagen aus dem wirklichen Leben und aus der es spiegelnden Phantasie des Künstlers, wo sie ein Zeitleben fort- dauernder Bewegung führte, in einen bewegungslosen Raum hereinge- sprungen und im Nu verzaubert worden, wie sie eben war. Eigentlich ein märchenartiger Vorgang, das Schicksal Dornröschens; der Königssohn ist die Phantasie des Zuschauers, in welcher auch hier das Bewegungs- lose auflebt, aber wir verfolgen in der erst allgemeinen Aufstellung der Hauptbegriffe diese Seite noch so wenig, als die näheren Gesetze, welche sich aus dieser wunderbaren Combination von Raum und Zeit, dieser be- wegten Unbewegtheit oder unbewegten Bewegtheit für den Künstler ergeben. 2. Das Ueberspringen der Landschaft, schon zu §. 597 angedeutet, ist nun genauer in’s Auge zu fassen. Das landschaftlich Schöne trat in der Lehre vom Naturschönen vor der (thierischen und) menschlichen Schönheit auf; da in dieser die Idee in voller Gegenwart sich adäquate Erscheinung gibt, so steht sie natürlich oben auf der Leiter und jene, weil sie nur dämmernde Spuren und Vorbilder des Geistes darstellt, unten als Anfangssprosse. Man sollte nun meinen, die Kunst, wo sie den Schritt zur Nachbildung concreten Lebens vollzieht, werde zuerst diese erste Stufe des Naturschönen als Stoff ergreifen. Dagegen ist schon zu §. 404 Th. I. S. 380 von dem tastenden Auge ausgesagt, daß die auf es gebaute Phantasie die (thierische und) menschliche, nicht die landschaft- liche sein werde. Es leuchtet nämlich zunächst ein, daß die Bildner- kunst das Landschaftliche nicht darstellen kann ; das unorganisch Schöne, Licht, Luft, Erde ist ein Continuirliches, sie aber vermag ihren Bedingungen gemäß nur die volle, individuell scharf und bestimmt abgegrenzte Gestalt nachzubilden. Das erste Organische, die Pflanze, fällt ebenfalls schon darum weg, weil ja einzelne Pflanzen nicht wohl zur künstlerischen Darstellung kommen können, sondern nur eine Vielheit von Pflanzengebilden, die mit dem plastisch nicht nachahmlichen unorganischen Theile der Landschaft als seine schmückende Ueberkleidung ein Ganzes ausmacht; aber auch abgesehen von dieser Verbindung stellt sich Wiese, Gebüsch, Wald als ein Fortlau- fendes dar, das aus demselben Grunde, wie die übrige Landschaft, bildne- risch nicht darstellbar ist. Die größere einzelne Pflanze, der Baum, kann allerdings in einem Gemälde zwar nicht für sich allein, ohne alle Umge- bung, doch als Mittelpunct und eigentliche Aufgabe des Ganzen auftreten; in der Sculptur ist aber auch das einzelne Gebilde nicht darstellbar, denn es läuft ebenfalls in ein Continuirliches aus durch die, an sich zwar zählbare, dem Auge aber in das unbestimmt Viele überfließende Menge seiner Blätter und Zweige, und so liegt es also in der Bildung der Pflanze an sich, daß sie aus dem Umfang der plastischen Objecte wegfällt. Wenn demnach die Bildnerkunst das landschaftlich Schöne ihren Bedingungen gemäß nothwendig meiden muß und nur mittelbar durch gewisse Aushülfen, von denen seines Orts die Rede sein wird, andeuten kann, so scheint ein Widerspruch zu entstehen zwischen dem Stufengange des Naturschönen und dem des Systems der Künste. Dieser Widerspruch löst sich durch folgende doppelte Erwägung. Das landschaftlich Schöne an sich betrachtet, wie in der That das Leben der Idee in ersten, aber noch starr gebundenen Spu- ren darin angedeutet liegt, ist bereits von der absolut ersten, anfänglichen Kunstform benützt, denn diese, die Baukunst, haben wir ja erkannt als die Idealisirung der unorganischen Natur, zunächst und vorzüglich ihres festen Theils, der Erdbildung und des Krystalls, dann auch des Himmels- gewölbes, entfernter des Pflanzenreichs; die Flächen und Kreis-Ausschnitte des Wassers fanden wir ebenfalls in ihrem Linienreich enthalten. Dagegen wird das landschaftlich Schöne in ein höheres Licht gerückt durch die Seele des Zuschauers, die ihre Empfindungen leihend ihr unterschiebt. Dieser Act gehört einem Geistesleben an, das auf der Stufe vermittelter, einen Bruch mit der Natur voraussetzender Bildung steht, einer Bildung, welche jenseits der naiven Einfalt des tastenden Sehens liegt, das sich an die reife Natur, an ihr zeitiges, fertiges, so zu sagen ausgekochtes Werk als dasjenige hält, worin die zerstreuten Strahlen des Lebens im geschlossenen Bilde gesammelt dem Auge entgegentreten. Es kann dieß hier, wiewohl wir darauf zurückkommen, durch eine Hinweisung auf die gemeine Erfahrung erläutert werden: das ungebunden spielende Schauen, durch das wir auf einem Spaziergang uns zu erfrischen suchen, ist zwar nicht das eigentlich ästhetische, doch diesem verwandt; da sind wir nun nicht jederzeit aufgelegt, uns in die einsame Landschaft zu vertiefen; wir fühlen, daß es einen besonderen Act kostet, diese an der eigenen Brust zum gefühlt fühlenden Bilde zu erwärmen; in manchen Momenten sind wir hiezu nicht innerlich, nicht subjectiv genug gestimmt, wir sehen uns nach Thier- oder Menschengruppen um, die uns den Stoff der Anschauung schon fertig entgegenbringen, so daß wir ihn nicht erst durch erhöhtes Thun des Gemüths gar kochen müssen; sie spielen uns etwas auf, sie neh- men uns das Geschäft ab. Daher übernimmt eine andere Kunstform, die wir als subjectiv gespanntere, über eine Kluft mit der Natur selbstthätiger hinüberwirkende kennen lernen werden, das landschaftlich Schöne in die- sem Sinn als Stoff ihrer Nachbildung. Unsere Darstellung in der Lehre vom Naturschönen hat die hier unterschiedenen Seiten des Ansich und Fürsich noch nicht getrennt, in der Kunst fallen sie auseinander. — Gibt nun die Plastik keine Landschaft, so gibt sie ihrem Werke auch keinen Hintergrund . Es bringt seinen Raum, Luft, Erde, Wasser, Busch und Wald nicht mit, sondern wird in den gegebenen Raum hineingestellt und das Licht, das schon der zu Grund liegenden Anschauungsweise nur als Mittel für das tastende Sehen diente, ist auch für das Kunstwerk nur das aufzeigende Medium, das es sich von außen geben läßt. Auch künst- liche Räume als Umgebung der Gestalt kann die Sculptur nicht darstellen; denn obwohl sie als ein theilweise Geschlossenes erscheinen, geriethe sie doch auch hier in eine Folge der Entfernungen und Vertiefungen hin- ein, die als ein Continuirliches ihren Bedingungen widerspräche. Nicht einmal den nächsten Boden gibt sie mit; das Postament der Statue, wo- von noch besonders die Rede sein wird, ist keine eigentliche Nachahmung desselben. Wie die Landschaft, so wird der künstliche Raum dem Bildwerke von außen gegeben, und zwar vom Architekten. Dieß ist nun zwar eine Umgebung, die von der Kunst geschaffen ist, aber von einer andern, so daß sie nicht als ein Theil desselben Kunstwerks, des plastischen, gelten kann. Doch findet eine Beziehung statt, von der im Verlaufe noch be- stimmter die Rede sein muß, eine Beziehung ähnlich der des bewohnenden Menschen zu seiner Wohnung: da ist nun eben das plastische Gebilde jenes von der Baukunst vermißte, erwartete Subject und es leuchtet nun die besondere Innigkeit in dem Verhältniß beider Künste ein; diese schafft einen Raum und hat keinen idealen Bewohner dazu, jene schafft den idea- len Bewohner und hat keinen Raum für ihn; so greift jede genau in die Lücke der andern. §. 600. 1. Von dem Gesetze der Schwere in ihrem Materiale, dessen stoffartiger Kern mit der Form, welche ihm als geistiger Mantel übergeworfen ist, doch unmit- telbar in keiner Beziehung steht, ist die Bildnerkunst in der Weise abhängig, daß in der Darstellung des organisch frei beherrschten Schwerpuncts jene wirk- 2 liche Schwere noch mittelbar mitwiegt. Dieser Rest von architektonisch structi- ver Bedingtheit äußert sich auch in einer, der Plastik noch anhängenden Spal- tung zwischen Erfindung und Ausführung. 1. Der Nachklang der Architektur in der Plastik ist noch weiter zu ver- folgen; die Schwere des Materials muß zunächst besonders ins Auge ge- faßt werden. In der Baukunst ist diese Eigenschaft als solche wesentlich; diese Kunst ist an sich ein Kampf mit der Schwere, sie soll innerhalb ihrer selbst überwunden werden (§. 557), d. h. man soll dem aus- geführten Werke ansehen, daß das Material schwer ist, die Schwere aber structiv benützt, durch gegenseitige Spannung der Werkstücke zu einer sowohl zweckmäßigen, als auch rhythmisch schön wirkenden Dienstleistung so gezwungen wurde, daß sie dem überlistenden Zwang freiwillig zu fol- gen scheint. Trotz dieser Ueberlistung, ja in ihr und durch sie soll aber die Schwere für das Auge und das in ihm enthaltene Wägen noch in ganzer Kraft da sein, darauf ruht ja eben der im engsten Sinn monu- mentale Charakter dieser Kunst. Das Auge fühlt sich von der bearbeite- ten Oberfläche mitten in den Kern der Werkstücke hinein und vergegen- wärtigt der Phantasie, wie sie lastend aufliegen und doch durch die Kunst ihrer Stellung schwungvoll zu steigen, zu schweben scheinen. In der Bildnerkunst verhält es sich damit zunächst völlig anders: es handelt sich nur von der Oberfläche, wie sie die Bearbeitung darstellt; was hinter ihr im Innern sich befindet, geht die ästhetische Wirkung gar nichts an. Gerade an der Bildnerkunst läßt sich am besten zeigen, was unter dem „reinen Schein“, unter „der Ablösung der auf der Oberfläche hervortre- tenden Gesammtwirkung von den sie bedingenden Theilen der innern Zu- sammensetzung“ (§. 54) verstanden wird, und von ihr ist entnommen, was dort aus Hogarth angeführt ist: man müsse das Kunstwerk so be- trachten, als ob „Alles, was inwendig ist, so rein herausgenommen sei, daß nichts übrig bleibt, als eine dünne Schaale, die man sich aus reinen Linien gebildet vorstellen muß und deren innere und äußere Fläche ganz gleich ist.“ Der Zusatz hebt auch den Begriff einer dünnen Schaale wieder auf; die Form in der Plastik ist vielmehr eigentlich, im Verhältniß zum Material, ein reines Nichts, eine Negation, eine Null, und gerade dieß ist ihre unendliche Position. Schon der naturschöne Körper wird in der plastischen Betrachtung so aufgefaßt, daß es die reine Grenze des Festen ist, um was es sich handelt. Die im Innern des Körpers gäh- renden, kreisenden, webenden, bauenden Kräfte wirken so, daß die Glieder und ihre Bedeckungen überall eben bis zu diesen Puncten sich ausdehnen und hier aufhören, sich nicht weiter in den Raum hinein erstrecken; auf- gefaßt werden gerade nur diese Puncte, Linien; das Körperliche, das sie ausfüllt, wird nur im nicht rein ästhetischen, sondern pathologisch gemisch- ten Eindruck als solches stoffartig mitgefühlt, der Künstler, — man kann nicht sagen, er abstrahire schlechtweg davon: er abstrahirt nicht und ab- strahirt doch; das warme Leben ist in der Oberfläche mitergriffen und zu- gleich, als Empirisches, vergessen; es wird in einem Tasten wahrgenom- men, das nur im Auge ist, es ist kein Begehren da, wirklich zu tasten; der Gliederbau wird durchgefühlt als ein fester, solider und doch schwebt „schlank und leicht, wie aus dem Nichts entsprungen“ vor dem entzückten Blicke die reine Gestalt . So in der Auffassung; entschieden und voll- endet wird dieser, als eine Art von Aushöhlung zu bezeichnende Act in der läuternden, das Ideal herstellenden Phantasie und im Kunstwerk. Es ist auch hier noch ein Nicht-Abstrahiren im Abstrahiren; Marmor zeigt die sammtene Haut, die weichere Musculatur, Erz die härtere athletische Bildung; es wirkt so die innere, körnig weichere oder sprödere Textur des Materials in der Oberfläche mit, aber doch nur als ein Anklang, ein Hauch, der nimmermehr den Zuschauer bestimmt, sich wirklich in den Stoff des Materials hineinzuversetzen. Es bleibt also bei dem „geistigen Mantel“, der, dem Material übergeworfen, das einzig Bestimmende im ästhetischen Eindruck ist; es wird am Stein so lang weggeschlagen, bis eben die Grenzen da sind, welche die schönen Linien bilden; was zurück- bleibt, geht die Schönheit nichts an; bei dem Erzguß ist es zwar umge- kehrt, die flüssige Masse ergießt sich in einen Model, aber das ästhetisch Bestimmende ist, daß sie eben bis dahin und nicht weiter fließen kann und was diesseits der Linie, wo das Erz nicht weiter kann, als nach dem Guß verhärteter Metallstoff bleibt, geht die künstlerische Wirkung nichts an, außer sofern seine Textur eine so oder so bestimmte Art der Oberfläche bedingt. Hat nun also der Bildhauer mit der Materialität des Materials in diesem Sinne nichts zu thun, so geht ihn auch die Schwere des Materials nichts an und er ist darin vom Baukünstler durch eine weite Kluft getrennt. So scheint es zunächst; allein die Sache wen- det sich bei näherer Betrachtung anders. Jene reinen Linien sind und bleiben die Grenzen einer Gestalt, welche — es ist zuerst vom nachgebil- deten, lebenden, naturschönen Körper die Rede — schwer ist. Er soll zur Darstellung kommen als ein beweglicher oder bewegter, und zwar im Sinne organisch freier Bewegung. Diese verhält sich zur Schwere so, daß sie den Schwerpunct frei verändert, sie hebt in der Bewegung ihre Schwere zugleich auf, und bleibt ihr zugleich verfallen. Dieses sein Ver- hältniß zur Schwere sieht man dem Körper in den Linien seiner Formen trotz der Abstraction von den stoffartigen Bedingungen der Schwere wesent- lich an. Fassen wir nun wieder das plastische Kunstwerk in’s Auge, so hat es der Bildner zwar nicht mit der Schwere des Steins, Erzes als solcher zu thun, aber er ist davon abhängig; er muß zusehen, daß sein Bildwerk nicht durch Uebergewicht falle, breche. Es soll sicher in seinem Schwerpuncte ruhen. Das geht zunächst das Werk als Kunstwerk, den schön dargestellten Gegenstand, nichts an; was diesen betrifft, so sehen wir ja an ihm in der genannten Weise organisch beherrschte Schwere, welche mit jener gemein wirklichen Schwere des Materials nichts zu schaffen hat. Allein diese zwei zunächst gegeneinander völlig gleichgültigen Schweren werden nun doch in eine Beziehung zu einander treten; unvermeidlich muß sich eine Uebertragung der einen auf die andern einstellen. Droht der Marmor, das Erz zu fallen oder zu brechen, so haben wir den Ein- druck, als sei die dargestellte Gestalt im Begriff, das Gleichgewicht zu verlieren, zu fallen, einzuknicken; die Schwere, die ihr eigen ist und die sie nur offenbart, indem sie sie frei beherrscht, droht sich dieser Beherrschung zu entziehen und plump gegen die Gestalt zu wirken. Gerade also wie im lebendigen Leib Fleisch und Blut, wie an der Oberfläche des Kunst- werks die Textur der Masse durchgefühlt wird, so in der Stellung des Gan- zen die Schwere derselben. Sie wiegt, vergessen und doch über ihre Ver- gessung hinüber wirkend, im Gesammteindruck mit. Es wird sich zeigen, welche wichtige Bestimmung über das Wesen dieser Kunst und welches Stylgesetz daraus hervorgeht; hier leuchtet ein, daß auch in diesem Punct eine Reminiscenz der Baukunst, ein Architektur-artiges in der Bildnerkunst noch sich geltend macht. Die Kunst ist nicht mehr wie dort auf die Schwere als auf den spezifischen Mittelpunct ihres Wesens gerichtet, aber sie hat es mit ihr zu thun in dem Sinne, daß die nöthige Berücksichti- gung der eigentlichen, rohen Schwere des Materials ihr umschlägt in ein ästhetisches Gesetz der Behandlung des dargestellten Gegenstandes, in wel- cher man jene so mitfühlt, daß sie sich in die organisch zu beherrschende Schwere des schönen Leibes auflöst. 2. An dieser Stelle sind die Verwandtschaftslinien zwischen der Bau- und Bildnerkunst dahin zusammenzufassen, daß in dieser auch noch ein Rest jener Diremtion zwischen dem erfindenden Künstler und dem ausfüh- renden Techniker sich erhält, welche dort in ihrer ganzen Bestimmtheit sich geltend macht und ihren Grund in dem roheren Kampfe hat, welchen die Schwere und Härte des Materials fordert; in der Plastik ist etwas von diesem Kampfe noch übrig, was den Künstler bestimmt, von einem Theile der Ausführung seine Hand zurückzuziehen. Nur von einem Theile: er leitet die Ausführung nicht blos, aber sie hat eine rohere, eine handwerks- mäßige Hälfte, das erste Zuhauen des Steins aus dem Groben; diesen Theil überläßt der Künstler dem bloßen Techniker, obwohl er ihn selbst gelernt haben, verstehen muß. Dagegen macht sich die concrete Ein- heit der Idee und der Form, zu welcher sich die Kunst als Plastik erho- ben hat, schon in dem völlig veränderten Umfang der Vorarbeit geltend: der Künstler entwirft nicht blos einen Riß, sondern er führt ihn auch im Modell aus; es fällt also auf die Seite der Erfindung selbst eine, ob- wohl nur vorläufige, Ausführung, und zwar deßwegen, weil es sich in dieser Kunst von einer durch und durch beseelten Form handelt, welche erfordert, daß sie als Ganzes von der Künstlernatur hergestellt werde, deren erfindender Geist in den fühlenden Finger, unter der Ausführung immer noch abwägend, ändernd, bessernd in Einem ununterbrochenen Flusse übergehen muß. Aber auch die Ausführung kann nicht als Ganzes dem bloßen Techniker überlassen werden; wo das Feinere, der Sitz der Schön- heit in der äußersten Linie, der Hauch des Lebens, der Beseelung beginnt, hat der Künstler selbst die Hand anzulegen. Wenn also in der Baukunst zwei Momente, Erfindung und Ausführung, nur durch das Band der Leitung der letztern von Seiten des Künstlers verbunden, einander gegen- übertreten, sind es hier drei Momente: das erste die Erfindung sammt der vorläufigen Ausführung, das dritte der ächt künstlerische Theil der Ausführung, beide Momente Sache des Künstlers, das zweite der grö- bere anfängliche Theil der Ausführung, geleitet vom Künstler und vorge- nommen nach dem Muster seines Modells mit Hülfe des dem architekto- nischen Messen noch sehr verwandten Mittels des Punctirens. Also hier zwei Extreme, worin der Künstler thätig ist, und diese nehmen das Mo- ment der bloß äußeren Technik, inniger am Bande der Kunst gehalten, in die Mitte. Bei dem Gusse verändert sich die Sache einigermaßen: der Künstler muß das Modell sorgfältiger ausführen, weil er es an den Gie- ßer abgibt, der es nicht, wie dort der Steinmetz, nur theilweise, sondern so vollständig ausführt, daß dem Künstler nur wenig am Einzelnen zu thun übrig bleibt. Das dritte Moment ist daher unbedeutender, das erste umfaßt eine ausführlichere Thätigkeit des Künstlers, das zweite dagegen ist weniger handwerksmäßig, denn der den Guß zurichtende und leitende Techniker muß, wo nicht der erfindende Künstler selbst, doch ungleich mehr Künstler sein, als der aus dem Groben arbeitende Gehülfe des Bildhauers. Dagegen zerfällt die Thätigkeit auf dieser Seite noch einmal in zwei Sei- ten: der Gießer-Meister ist mehr nur leitend und braucht selbst wieder bloße Techniker zu Gehülfen. §. 601. Die Darstellung im festen, dichten Materiale bringt den Vortheil mit sich, daß das Kunstwerk, auch darin dem Bauwerk ähnlich, außer der Hauptseite noch verschiedene Seiten dem umwandelnden Zuschauer darbietet und so eine Vielheit von Kunstwerken in sich schließt; aber sie gebietet auch Sparsamkeit in der Anzahl der zu einem Ganzen verbundenen Gestalten, weil dieselben ein- ander decken. Um Alles zusammenzustellen, worauf zunächst die allgemeine We- sensbestimmung der Bildnerkunst zu begründen ist, muß die Natur der festen Form als dichte und hiemit die Verwandtschaft mit der Architektur noch von einer neuen Seite aufgefaßt werden. Das Feste, Dichte im Raum stellt sich als ein undurchsichtig Vielseitiges dar. Auch darin gleicht das Bildwerk dem Bauwerk. Im Producte der Kunst wird aber immer eine Seite die herrschende sein: es ist im Bauwerke die Fa ç ade, im Bildwerke der Sehpunct, auf den es berechnet ist. Umwandelt man aber dieses, wie ein Bauwerk, so zeigt es einen noch ungleich mannigfaltigeren Reichthum verschiedener Seiten, als jenes, weil die concrete organische Gestalt bei jedem Stücke wesentlich anders und in neuer Weise bedeutend erscheint. Verschiedene Zweige und Aufstellungsarten bringen freilich Beschränkungen mit sich, wir haben aber hier vorerst das Wesentliche aufzufassen. Das plastische Werk wird so zum Inbegriff einer Vielheit von Kunstwerken, aber dafür hat es ein großes Opfer zu bringen: jeder Theil, der für den Zu- schauer hinter einen andern Theil zu stehen kommt, wird von diesem ge- deckt; dieß ist nicht ganz zu vermeiden, die Plastik braucht es nicht ein- mal ganz vermeiden zu wollen , aber der Spielraum des Zulässigen ist eng und seine Enge fordert natürlich sparsame Gruppirung. Wir stellen hier dieses Gesetz erst einfach auf, alles Weitere bleibt den Stellen vor- behalten, wo wir die tieferen Ergebnisse ziehen und wo diese spezieller zu erörtern sind. §. 602. Das innerste Wesen der Bildnerkunst bestimmt sich gemäß diesen Grund- zügen, zuerst von der Seite des Künstlers betrachtet, dahin: in die bildende Phantasie ist nun eine subjective Erwärmung durch die empfindende eingetreten, aber der Strom der Empfindung hält sich beruhigt an das Feste der Gestalt und im Kunstwerke schlägt er sich in der klaren, kalten, gemessenen, gegenständlichen Ruhe der im harten Material nachgebildeten Form nieder, durch welche sich die Gestalt, von allen Beziehungen zu Umgebendem getrennt, scharf und streng in sich abschließt: ein reines Gleichgewicht des Sub- jectiven und Objectiven, eine reine Mitte zwischen der im strengsten Sinn bildenden und empfindenden Phantasie . Wir werden, dieß ist hier vorauszuschicken, als dritte und letzte in der Gruppe der bildenden Künste eine Kunst finden, in welcher die bil- dende Phantasie eben auf dem Puncte steht, sich in die empfindende auf- zulösen. Die Bildnerkunst steht genau in der Mitte zwischen dieser und der Baukunst. Es ist nämlich als ein tieferes, innigeres Einströmen der Empfindung zu begreifen, wenn nun der gefühlte Hauch und Duft des Seelenlebens in seinem Körper als Gegenstand der Kunst ergriffen und der starre Stein zum idealen Abbilde dieses schwungvoll belebten Ganzen beseelt, verklärt, durchwärmt wird. Man kann dieß auch, wie es zu §. 539 mit der nöthigen Verwahrung geschehen ist, als ein erstes Auf- tauchen der malerischen Phantasie in der bildenden bestimmen; das pla- stische Sehen ist ein Sehen seelenvoller Gestalt, bewegtes, fühlen- des Sehen, wie solches in der Malerei von jener Fesslung der bildenden Kunst bereits zu einem schwebenden Scheine sich zu befreien beginnt; aber als tastendes hält es sich noch fest in der räumlichen Fesslung. Diese empfindungs- reiche Erwärmung ist zugleich wesentlich Eintreten des subjectiven Mo- ments (vrgl. zu §. 538); das subjective Leben wird Stoff und in er- höhter, im dargestellten Stoff sich selbst empfindender Weise Organ der Darstellung; verschwunden ist die geometrische Kälte und Nüchternheit des Zweckmäßigen im Architekten und der fühlende Nerv umspannt den von Leben und Seele durchzitterten Gliederbau. Aber mitten im Flusse kühlt sich der glühende Strom der Empfindung ab und legt sich beruhigt um die Bildungen dieses Baues, in welchen seine innere Seele fest und greif- lich sich niederschlägt; dann, wenn der Künstler zum Schaffen übergeht, kry- stallisirt sich der warme Fluß vollends im festen, harten Gebilde, das er dauernd, unbewegt hinstellt; jene Kugel, mit deren Flug wir (Anm. zu §. 550) den Uebergang des Ideals aus der Seele des Künstlers in die des Zuschauers verglichen haben, schlägt in der Mitte des Laufs nicht nur auf, sondern bleibt scheinbar ruhig liegen, bis sie bei der ersten Be- rührung (vom Blicke des Zuschauers) ihre nur verborgene Schwungkraft wieder geltend macht und aufspringt. Dieß Erkalten, dieß Stehenbleiben ist Verfestigung im Objectiven, streng objective Bestimmtheit. Im Bild- ner ist Wärme und nüchterne, messende Kälte, gewichtige Ruhe zu glei- chen Theilen gemischt, daher auch der scheinbare Widerspruch der Erfah- rung, daß in der neueren Zeit der strenge und ernste Skandinavier, der nüchterne Norddeutsche in einer Kunst sich vorzüglich hervorthut, worin im Alterthum der jugendlich frische und affectvolle Grieche der Meister war Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 24 und deren Werk das Weib lebhafter zu fühlen pflegt, als das des Malers. Der Eindruck dieses Werks entspricht denn genau jenem Gleichgewicht von Wärme und Kälte, Bewegung und Ruhe im Künstler. Es stellt ein von innen heraus bewegtes subjectives Leben dar, aber diesem Leben sind in dem Momente, wo es aus sich herausgehen, in Anderes übergehen wollte, die Fäden, die lebenswarmen Beziehungen, welche die wirklich lebendige Gestalt mit der umgebenden und zuschauenden Welt verbinden, durch eine plötzliche Versteinerung durchschnitten, es ist plötzlich einsam geworden und genöthigt, für sich ein Ganzes zu sein; es ruht nun einfach in sich, ist in eine Thatsache verwandelt, die, fertig und vollendet, nach keinem Freund und Feind fragt, die man nehmen muß, wie sie ist, kein Werden mehr, sondern ein Gewordenes, ein Sein . Dieß ist die Ruhe und Abgeschlossenheit der Statue in sich. Bewegtheit des dargestellten Moments und sichtbare Bestimmung, die Phantasie des Zuschauers in lebhafte Thätigkeit zu setzen, ist damit vollkommen vereinbar, und die geistvolle Beweisführung A. Feuerbachs (D. vatic. Apollo) für die Bewegtheit und den lebendig ergreifenden Eindruck als das Hauptziel, worauf der antike Bildhauer arbeitete, hebt, wie wir sehen werden, jene Merkmale nicht auf. Suchen darf allerdings das Werk den Zuschauer nicht, kein Kunstwerk soll es, das Werk dieser Kunst am wenigsten; es will gesucht sein ohne daß es selbst sucht, es trennt sich bei dem ersten Anblick durch eine feste Scheidewand von ihm, es sagt: was geht es mich an, wenn du mich liebst, aber es weiß doch, daß es geliebt werden muß . Die Liebe ist eine ernste, die Statue will wie eine charaktervolle und tiefe weibliche Natur erst verstanden sein, ehe sie geliebt wird; verstehen muß man, was Gliederverhältniß, Rhythmus der Bildung und Bewegung, gewichtiger, durch seinen Leib ergossener Ausdruck ist, ehe die warme Empfindung, die Kunstfreude sich einstellt. Feuerbach sagt (a. a. O. S. 9): „das plastische Kunstwerk ist weniger Seele, als Gestalt; es will mehr begriffen und verstanden, als genossen, mehr beschaut, als empfunden werden“; richtiger glauben wir beides in diesem Verhältniß der Aufeinanderfolge aufzufassen, die dann, da der Genuß immer auf das strenge Verständniß gegründet bleibt, in ein Gleichgewicht beider Mo- mente sich aufhebt. So sehen wir denn im subjectiven Eindruck wie im Werke selbst und im Künstler das Subjective in das Objective versenkt und beide zu gleichen Theilen gemischt, und wir haben hiemit die reine Mitte des Subjectiven und Objectiven in dieser mittleren Kunst unter den bildenden Künsten. Hegel (Aesth. II, S. 359) bezieht diese Bestim- mung unmittelbar auf das Substantielle des Geistes, wie ihn die Bild- nerkunst zur Darstellung bringt; wir fassen die Sache noch nicht in dieser näheren psychologischen Bestimmtheit, sondern begründen diese Sätze nur erst ganz allgemein auf die Darstellungsweise, wie sie mit dem Material gegeben ist, um dieselben erst weiterhin in die Tiefe ihrer Bedeutung zu verfolgen. §. 603. Aus der Festigkeit, der Härte und der durch sie bedingten Schärfe der Umrisse, der Farblosigkeit und Abwesenheit weiterer Umgebung, der Gemessen- heit, der Unbewegtheit, der nothwendigen Sparsamkeit in der Zahl der in einer Darstellung zu verbindenden Gestalten, wodurch diese Kunst zu der Auf- stellung blos Einer Figur als einer ihr besonders entsprechenden Aufgabe hin- gedrängt wird, ergibt sich, daß die Bildnerkunst sehr beschränkte Mittel hat, Häßliches aufzunehmen und in Furchtbares oder Komisches aufzulösen, daß vielmehr für sie das Gesetz der directen Idealisirung entsteht, wonach die einzelne Gestalt schön sein muß . Es fällt bei keiner Kunst so sehr in die Augen, als bei der Plastik, wie jede Beschränkung, welche durch die Darstellungsbedingungen gegeben ist, in eine positive Quelle ästhetischer Vortheile umschlägt, richtiger: wie jede Beschränkung nur die andere Seite einer ursprünglich so gewollten bestimmten Art von Schönheit ist. „Eng zieht sich die Grenze der Sculptur, aber die Schranke führt sie nach oben“ (Tölken Ueber d. Basrelief S. 156). So folgern wir hier ein großes positives Grundgesetz zunächst negativ aus den bisher aufgeführten Grenzen unserer Kunst. Das Häßliche ist ästhetisch gültig, sofern es sich in ein Furchtbares oder in ein Komisches auflöst (vergl. §. 98. 100. 106. 108. 113, besonders aber 148 ff.). Es erhellt nun, wie beschränkt die Mittel der Bildnerkunst sind, Häßliches in dieser Weise aufzulösen, wie beschränkt sie also in der Aufnahme des Häßlichen überhaupt ist. Die Abweichung von der reinen Linie edler organischer Form, sei sie nun ein ursprünglicher Fehler, Absonderlichkeit, grellere Eigenheit angeborner Körperbildung, oder Folge früherer Leiden, oder unmittelbare Wirkung innerer oder äußerer heftiger Bewegung, oder Ausdruck einer zur andern Natur gewordenen Charakter-Verdrehung, muß, in dem harten Materiale verfestet, zur unerträglichen Härte werden; so manche vermittelnde, mildernde kleine Zwischenform fällt in der Be- handlung weg, weil sie der Bestimmtheit und Mächtigkeit des wuchtig festen Materials widerspricht; die Umrisse schneiden sich scharf vom jewei- ligen Hintergrund ab, sie sind durch keine vom Künstler mitgegebene atmosphärische Einhüllung und Local-Umfassung gelockert. Dieß hat wesentlich seinen Grund im Mangel der Farbe; die Farbe löst aber Mißklänge der Linie nicht nur überhaupt, sondern speziell auch dadurch 24* auf, daß sie das Auge auf die geistigen Tiefen des Ausdrucks hinlenkt; die letztere Form der Auflösung nimmt den Umweg durch das Furchtbare, auch nur im weiteren Sinn Erhabene, oder das Komische, und dieses weite Gebiet der ästhetischen Versöhnung mit dem Häßlichen ist denn der Bildnerkunst ebenfalls verschlossen. Positiv verlangt die Baukunst-artige Grundlage fester Maaße ebenfalls eine strenge Grenzlinie in der Ab- weichung vom rein allgemeinen Typus regelmäßig schön entwickelter Men- schengestalt. Die Unbewegtheit ist zwar eine Fesslung bewegter Gestalt, aber es gibt eine Heftigkeit der Bewegung, welche häßlich ist, und durch Fesslung im festen Material ist ja eben eine Reihe weiterer Bewegungs- Momente, wodurch die häßliche sich successiv auflösen würde, ausgeschlos- sen. Wo viele Figuren in eine Handlung vereinigt sind, geht das Auge von der unschöneren, selbst häßlichen weiter zu andern und findet Ersatz; vereinigt sich dieß mit der Farbe, so fällt das Gewicht auf den Ausdruck der Handlung und die Gestalten können, obwohl mehr bedeutend, als im Einzelnen schön, doch zu einem schönen Ganzen zusammenwirken. Die Bildnerkunst ist aber, wie wir gesehen haben, auf Sparsamkeit in der Zahl der in einem Werke verbundenen Figuren angewiesen und gerade an dieser Stelle ist eine natürliche Folge dieses Gesetzes noch zu ziehen: das gegenseitige sich Decken der Theile fällt beinahe völlig weg bei Einer Figur; dieß ist zunächst ein äußerer Grund, warum die Aufstellung nur Einer Gestalt, die Statue, der Bildnerkunst ganz besonders zusagend sein muß. Erst hier heben wir dieß Ergebniß aus §. 601 hervor, weil es zusammentretend mit den übrigen jetzt gezogenen Folgerungen und zu- gleich mit ihnen von dem blos äußerlich motivirten Ausgangspuncte zu einer tieferen, positiven, in das innerste Wesen unserer Kunst eindringen- den Bestimmung hinführt. Es folgt nämlich aus sämmtlichen nun ent- wickelten Bedingungen, daß bei so beschränkten Mitteln der Fortleitung des Auges von einer Gestalt zur andern, bei dem Mangel jedes Fort- gangs von der Form zu einem über sie hinausliegenden, durch die Farbe zu gebenden Ausdruck, von der dargestellten Bewegung zu weiteren die einzelne Gestalt schön sein muß : das Auge muß die Schönheit jetzt, hier , auf diesem Puncte finden. Sind auch mehrere Gestalten in einem Werke vereinigt, was ja durch jenes Gesetz der Sparsamkeit nicht ausgeschlossen ist, so wird doch keine derselben einem aus einer sol- chen Summe von Ursachen fließenden obersten Gebote sich entziehen dürfen. Das Häßliche, soweit es in engen Grenzen zulässig ist, wird in einem gewissen Sinne selbst schön sein müssen: selbst, d. h. auch ohne Auflösung in ein geistig Bedeutungsvolles, Furchtbares oder Komisches geistig verwickelter Art. Auch dieser Punct wird sich übrigens im Folgen- den durch weitere Momente näher bestimmen und begründen. Es tritt nun aber mit diesem Gesetze, daß die einzelne Gestalt schön sein muß, ein Styl-Prinzip auf, dessen Kampf mit einem entgegengesetzten uns von hier an durch alle Kunst und als innerste Seele der Bewegung durch die Geschichte der Künste begleiten wird: das Prinzip der directen Idealisirung . Was es bedeutet, ist zunächst im Bisherigen einfach ausgesprochen: das Kunstwerk gibt dem Auge oder Sinn überhaupt nicht auf, von Solchem, was unmittelbar nicht schön oder häßlich ist, fortzugehen zu einem Weiteren und schließlich zu einer Gesammtwirkung, worin es sich zur Schönheit aufhebt; es ist also der Prozeß der Anschauung nach dieser Seite nicht ein vermittelter , sondern ein einfacher . Das Schöne überhaupt ist wesentlich die den trübenden Zufall ausscheidende Zusammenziehung des unendlichen Flusses der Dinge auf Einen Punct: das Reine und Vollkommene soll nicht durch Wechselergänzung der Er- scheinungen im Fortgange sich ergeben, sondern in dieser Erscheinung, nicht anderswo und ein andermal, sondern hier gegeben sein (vergl. §. 52. 53). Dadurch ist an sich nicht ausgeschlossen, daß ein Kunstwerk innerhalb seiner jenen Fortgang dem Schauenden zumuthe, wenn es nur als ganzes Einzelnes schön ist; aber in der Bildnerkunst ist dieß in engere Grenzen eingeschränkt, hier gilt jene Grundbestimmung des Schönen nicht nur vom einzelnen Kunstwerk als einem Ganzen, sondern auch vom einzelnen Ganzen, das nur ein Theil des größeren Ganzen, nämlich des einzelnen Kunstwerks ist. „Die Plastik ist genöthigt, die Schönheit des Weltalls fast auf Einem Puncte zu zeigen“ (Schelling Ueber d. Verh. d. bild. Künste zu d. Natur). Schlechtweg allerdings kann das diesem Prinzip der directen Idealisirung entgegenstehende von der Plastik nicht ausgeschlossen sein, sonst hätte sie keine Bewegung und Geschichte. Die Untersuchung dieses wichtigen Punctes ist unserer weitern Entwicklung vorbehalten. §. 604. Das Wesen der Bildnerkunst als reine Einheit des Subjectiven und Objectiven enthält aber auch die qualitative Grundbestimmung für die beson- dere Weise, in welcher auf dem plastischen Standpuncte das Schöne aufgefaßt und dargestellt wird: die schöne Gestalt erscheint als der Bau der Seele, als ein Gewächse , das die bewohnende Seele getrieben, die Seele als unmittel- bar Eines mit diesem ihrem Glieder-Bau und Wuchs; sie ist einfach die Idealität ihres Leibs, wie dieser ihre Realität. Schan hieraus ergibt sich, daß die Bildnerkunst eine Darstellung vollkommener Naturen ist. Wir wissen jetzt, daß die einzelne Gestalt schön sein muß, jede Kunst hat aber ihre qualitativ eigene Auffassung und Darstellung des Schönen und welcher Art dieselbe in der Plastik sei, ergibt sich, wenn wir den Begriff des reinen Gleichgewichts des Subjectiven und Objectiven heraufnehmen und in seine bestimmte, besondere Wirkung verfolgen, wie dieß in der Allgemeinheit, in der sich §. 602 hielt, noch nicht geschehen ist. Versenkt sich nun in dieser Kunst das Subjective ganz in das Objective, so daß es nichts zu- rückbehält, sondern eben in diesem ganz gegenwärtig ist, so heißt dieß in der nun eintretenden bestimmten Anwendung: Leib und Seele fallen bruch- los in Eines zusammen, „sind wie mit Einem Hauche geschaffen; die Kraft, wodurch ein Wesen nach außen besteht, ist mit der, wodurch es nach innen wirkt und als Seele lebt, vollkommen gleich abgewogen“ (Schelling a. a. O.). Die Bildnerkunst stellt den wahren philosophischen Begriff des Verhältnisses zwischen Seele und Leib in seiner ersten ein- fachen Grundbestimmung verwirklicht dar, wonach die Seele schlechthin die Idealität des Leibs, dieser die Realität der Seele ist. Dieser Begriff vertieft sich in weiterer Entwicklung: die Seele, zum selbstbewußten Geist und Willen erschlossen und gesammelt, hebt sich unendlich über ihre end- liche Erscheinung; aber in dem so zur Reife gediehenen Begriffe darf die Grundbestimmung der Einheit nicht verloren gehen, sondern muß festge- gehalten werden, daß die endliche Erscheinung schlechthin untrennbares Gefäß auch des unendlich über sie gehobenen Geistes bleibt, daß sie den obwohl unendlich über sie hinausgewachsenen Inhalt doch als den ihrigen auch adäquat an sich darstellen muß. Es wird eine Kunst auftreten, welche diesen Bruch und seine Versöhnung in ihr Bereich zieht; die Bildnerkunst aber liegt hinter dieser Spaltung auf dem Boden des ein- fachen Begriffs. Nicht als ob sie nur Kinderseelen darstellte: Geist, Charakter, das Ethische überhaupt kann ihr ja, wie wir dieß in anderem Zusammenhang schon zu §. 598 berührt haben, nicht fehlen, sonst wäre sie nicht Kunst, ja wir werden mit Nächstem sehen, wie gerade dieser Gehalt recht ihr eigen ist; es muß vielmehr Charakter-Gehalt und Alles, was gut und würdig und groß ist, darstellbar sein schon auf dem Boden des einfachen Verhältnisses; welche Bildungsform des psychischen Lebens dieß voraussetzt, wird im folgenden §. ausdrücklich zur Sprache kommen, hier halten wir zunächst einfach den Grundbegriff der Einheit von Seele und Leib fest und bleiben daher bei dem schlichten Ausdruck „Seele“ für das geistige Prinzip. Nicht umsonst haben wir für dessen leibliche Erscheinung das Wort „Bau“ gewählt; er bezeichnet das Architekturartige in der Bild- nerkunst, wie es nun tiefere Bedeutung gewinnt: die Seele erscheint in ihrem Leib als ein Bauendes; mit demselben innern Weben, worin sie ihre geistigen Kräfte entwickelt, baut sie in Einem Schlage auch ihre Glieder; ihr Leib wächst mit ihr, es ist Ein ungetrennt Gewordenes, Gewachsenes; dieß ist der tiefe, feine Sinn des Ausdrucks: Gewächse, den Winkelmann so sehr liebt. Es ist ein Entwirken von innen heraus: „hier lag das Kind, mit warmem Leben den zarten Busen angefüllt, und hier mit heilig reinem Weben entwirkte sich das Götterbild.“ Hier gibt es keine Anmuth ohne die Wellenline schwungvoller Formen, keine Würde mit flacher Brust und schlechten Schenkeln, keinen starken Willen mit dürftigen Muskeln und wenn die Gymnastik vollendet, was die bauende Seele gewoben, so ist sie als Sitte der Ausfluß eben dieser ursprüng- lich naturvollen, so gleichmäßig nach innen und außen bauenden Seele. In diesem Verhältnisse reinen Entsprechens muß der Leib ein rein tüch- tiger, ein mangelloses Organ für alle Zwecke, Bewegungen und Regungen der Seele, die Seele eine durchaus gesunde sein; Beides fordert einan- der. Damit ist die Schlußbestimmung des §. gegeben. „Die Plastik kann ihren wahren Gipfel nur in solchen Naturen erreichen, deren Be- griff es mit sich bringt, Alles, was sie in der Idee oder der Seele nach sind, jederzeit auch in der Wirklichkeit zu sein“ (Schelling a. a. O.). §. 605. Das Seelenleben, wie es der Begriff der Vollkommenheit in diesem Zusam- 1. menhang voraussetzt, ist wesentlich das naive, das sich aus seinem Sinnen- leben nicht in die Tiefen der Innerlichkeit zurückzieht . Diese Naturform des Geistes schließt aber Fülle des ethischen Gehaltes so wenig aus, daß vielmehr jetzt alle technischen Grenzen der Bildnerkunst als positive Kräfte erscheinen, in denen ebensoviele Tugenden des Charakters sich ausprä- gen. Die solide Festigkeit, Schwere, Gemessenheit, farblose Formbestimmtheit, Unbewegtheit wird nun zunächst zum Ausdruck der Gediegenheit, Gewichtig- keit eines Charakters, der im Allgemeinen des sittlichen Lebens, weil er es als sein eigenes in sich trägt, als im Schwerpuncte seiner substantiellen Selbständig- keit ruht und daher der Verewigung durch eine Kunst werth ist, die mit der Architektur den Grundzug des Monumentalen gemein hat. Aus allen 2. diesen Bestimmungen (§. 602—605) ergibt sich nun, daß in dieser Kunst der Standpunct des einfach Schönen der herrschende ist, von welchem aus auch das Erhabene und Komische, wiefern es zulässig ist, behandelt wird. 1. Wir haben die unmittelbare Einheit der Seele und des Leibs als ästhetisches Prinzip der Plastik erkannt. Innerhalb dieser Einheit haben wir nun das Seelenleben von seiner leiblichen Erscheinung wieder zu unterscheiden und den Begriff der Vollkommenheit in dieser näheren An- wendung auf die eine der zwei ungetrennten Seiten zu beleuchten. Die Vollkommenheit der plastischen Natur ist die der ungebrochenen Einfalt des Seelenlebens: dieß ist der psychische Grundzug der Bildnerkunst. Die Seele selbst in ihrem innerlichen Leben hat ihre Sinnlichkeit, die der Reflex des leiblichen Lebens, das nach innen geschlagene leibliche Leben ist, und sie kann sich dieser innern Sinnlichkeit mit ausdrücklichem Bewußt- sein entgegenstellen oder in Harmonie mit ihr bleiben. Nun haben wir als Grundbestimmung aufgestellt, daß die Seele bruchlos in ihrem Leibe erscheine; soll sie dieß können, so darf sie natürlich den Bruch auch nicht in ihrem Innern tragen, muß also als Seele selbst, auch als zum Geist entwickelte Seele ganz Natur sein. Hegel hat dieses psychische Gesetz der Plastik in verschiedenen treffenden Wendungen ausgesprochen: „die geistige In- dividualität, aber als leibliche unerinnerte Gegenwart (Aest. II , 234), — noch kein Zurückgehen des Geistes in seine innerliche Subjectivität als solche (353), — die zwar bestimmte, aber noch nicht zur Innigkeit des subjectiven Gemüths vertiefte geistige Individualität (358. 359), der Geist, der in seine äußerliche Form zwar ergossen ist, ohne jedoch aus die- sem Außereinander in seiner Zurücknahme in sich als Inneres zur Er- scheinung zu kommen“ (359), u. and. ähnl. Es ist also wesentlich eine Persönlichkeit gefordert, die im Elemente der Naivetät webt und lebt; aber schon zu §. 604 mußten wir vorbeugen, daß diese innere Naturbe- stimmtheit der Seele nicht zu enge verstanden werde. Innerhalb dersel- ben muß eine Scheidung eintreten, ohne die ursprüngliche Einheit zu spren- gen. Ein Gebiet harmlos heiterer Naturen ist dadurch allerdings für die Bildnerkunst in besonderer Weite des Umfangs ausgesteckt, aber sie kann nicht darauf beschränkt sein; vielmehr muß gerade der Geist ihrer gesammten technischen Bedingungen sie auffordern, ein höheres Gebiet, das Gebiet des Charakters, in Besitz zu nehmen, aber des Charakters, der immer noch im Elemente jener schönen Unmittelbarkeit verbleibt; es that- sächlich hinzustellen, daß es auch eine Naivetät der Größe, eine Bildung, die Natur bleibt, einen Kampf gegen die Natur gibt, der sich zum Ganzen der Natur affirmativ verhält. Was unter dem Geiste der gesammten technischen Bedingungen zu verstehen sei, sagt der §., indem er ausspricht, daß alle früher aufgeführten Beschränkungen, wie sie im materiellen Dar- stellungsmittel begründet sind, nun zu dieser bestimmtern innern Be- deutung umschlagen. Es ist ein Geist in ihnen, der Ausdruck eines Vollgewichts, der sich zu ungleich Höherem verwenden lassen, die Er- greifung eines ungleich gewaltigeren Stoffs aufdrängen muß, als jene harm- los schönen Naturen. Sagt uns die satte Gediegenheit, welche der Grund- zug der Wirkung der plastischen Mittel ist, daß hier das Bild eines Menschen aus Einem Gusse vor uns stehe, so muß dieser „Eine Guß“ nun großartigere Anwendung gewinnen. Die Sprache selbst zeigt uns den Weg, indem sie, einer in der Natur physiognomisch und mimisch wohl- begründeten Symbolik folgend, dieselben Beziehungen gebraucht für Sinn- liches und Geistiges. Das derb Feste der Form wird denn jetzt zum Ausdruck der Charakterfestigkeit, der sittlichen Gediegenheit, das Gemessene zum Gestrengen der Würde, das Schwere zur innern Gewichtigkeit, die Schärfe der farblosen Form zu der männlichen Bestimmtheit, die nicht ins Unbestimmte zerfährt, sich verflüchtigt, das unbewegt Bewegte zur ehrfurchtgebietenden Selbstbeherrschung; die Schwere aber ist es nament- lich, die wir noch genauer ins Auge fassen müssen. Wir haben in §. 600 gesehen, wie sie, zunächst dem Materiale angehörig, unwillkürlich auf die dargestellte Gestalt so übertragen wird, daß diese als ihres physischen Schwerpuncts vollkommen mächtig erscheinen muß; sie wird nun unwill- kürlich noch tiefer hineingetragen und bedeutet das sichere, nimmer wan- kende Ruhen im sittlichen Centrum des Lebens. Jetzt vereinigt die Bild- nerkunst zwei Einheiten, während sie vorher nur Eine Einheit, die des Seelen- und Sinnenlebens, darstellte; die zweite Einheit ist die der Ein- zelperson mit der Gesammtperson, mit dem sittlich Allgemeinen, dem Guten. Diese zweite Einheit muß aber auch eine naive sein, denn sie erhält ihre Bedeutung durch die erste. Wo aller Geist Naturbestimmtheit hat, sich affirmativ zu seiner Sinnlichkeit verhält, muß auch das Ethische den Charakter der völligen Flüssigkeit, Oeffnung für das umgebende Men- schenleben, der Gemeinsamkeit tragen. Es handelt sich also von einer Welt, worin das Gute selbst sich nicht vereinzelt, wo die Subjectivität nicht jene Ausbildung gewonnen hat, daß sie mit dem zugespitzten Bewußtsein des Fürsichseins dem Leben der Gesellschaft und des Staates, in welchem alles Gute durch Vereinigung der Kräfte sich erwirkt, zunächst isolirt ge- genübersteht und nur nach schwerem Kampf diese Isolirung opfert, dem Allgemeinen als reines Organ sich hergibt, aber auch in dieser Versöh- nung noch das unterscheidende Bewußtsein des nun in der Hingebung selbst befriedigten Ich bewahrt; von einer Welt vielmehr, in welcher, wer irgend gut, edel, geistig bedeutend, groß ist, im Oeffentlichen und Allge- meinen, im Geschichtlichen, im Ganzen einfach lebt und athmet, wie in seiner unentbehrlichen Luft. Das Schwere ist, dieß im Allgemeinen zu bezeichnen, ohne in eine bestimmte Epoche der geschichtlichen Schönheit und des Ideals zu gerathen, was hieher noch nicht gehört; wir können nur sagen: in der Bildnerkunst muß der Charakter dieses Gepräge so ge- wiß tragen, daß, wären auch solche Menschen in der Geschichte nicht möglich, sie doch in dieser Kunst wirklich sein müßten. Es sind substan- tielle Menschen (vergl. die treffend einfache Darstellung Hegels a. a. O. II, 366—369). Der substantielle Mensch hat nun, wie es im Tausche der Liebe geschieht, wo das Herz im Opfer sich verdoppelt wiedergewinnt, indem er sich dem Ganzen ohne Rückbehalt hingab, dieses Ganze in sich herübergenommen, sein inneres Charaktergesetz ist das zum innern der Einzelperson gewordene ethische Gesetz, das einen ganzen, weiten Lebens- kreis beherrscht, er ruht, wenn er einfach auf sich ruht, auf diesem Gan- zen, das er in sich gesogen, er hat so dem kleinen Gewichte seines Ich die Wucht des öffentlichen Lebens, der Weltgeschichte zugelegt, er wiegt Tausende, er ist eine Welt: diesen hohen Sinn hat jetzt der Begriff Ob- jectivität erhalten, in diese tiefe Bedeutung hat sich der Begriff des Schwer- puncts übersetzt, daß er nicht blos das innere Centrum im gewöhnlichen, modern moralischen Sinn des Aufsichstehens eines stetigen Charakters be- deutet, sondern diese Einheit des individuellen Centrums mit der Lebens- sonne eines großen sittlichen Ganzen. Eine solche Persönlichkeit steht an sich schon auf dem hohen Piedestal der Geschichte, sie ist unsterblich, und weil sie es ist, hat eine Kunst, deren Styl gemäß allen seinen technischen Bedingungen architekturartig monumental ist (vergl. §. 560), ihr Bild als Monument hingestellt: sie steht, als wolle sie ewig stehen. Wir wer- den auch in der Malerei noch das Monumentale finden, die Bildner- kunst aber ist ihrem ganzen Wesen nach im intensiven Sinne monumen- tal durch die nun entwickelten Eigenschaften. 2. Es sind jetzt alle Momente zusammengestellt, aus denen hervor- geht, daß der bestimmende Geist in der Bildnerkunst der des einfach Schönen ist. Zunächst folgt dieß ganz allgemein aus der Ungetheiltheit des Geistes- und Sinnenlebens, welche darzustellen diese Kunst durch ihr Wesen bestimmt ist; denn da haben wir ja die Anmuth, in welcher die Sinnlichkeit mit dem sittlichen Impulse frei übereinstimmt. Nun aber hat der gegenwärtige §. gezeigt, daß durch das Grundgesetz naiver Ein- heit aller Kräfte im dargestellten Individuum der Plastik keineswegs das Gebiet des Charakters verschlossen ist. Der Charakter aber kämpft, er kämpft in sich und kämpft nach außen: dieß ist erhaben , und auf das Erhabene ist eine so gewichtig gediegene Kunst ganz besonders gewiesen. Allerdings darf der Begriff des Charakters nicht zu enge genommen wer- den, er begreift auch den sinnlicheren Heroismus des Athleten, des Krie- gers in sich und in diesem Gebiete vorzüglich wird in Gruppen auch das Erhabene des äußeren Kampfes zur Darstellung kommen. Der Kampf kann einem Furchtbaren gelten, das in gewissem Grad häßlich ist, Unge- heuern, Schlangen, Centauren u. s. w. Charakter begreift aber auch sein Gegentheil in sich: das Charakterlose. Es versteht sich, daß dieß in dieser Kunst der Gediegenheit nicht als Lumperei, Schlechtigkeit, Blasirtheit auf- treten kann, wohl aber als ausgelassene, närrische Sinnlichkeit; diese, im Kampf oder ohne Kampf, wird nothwendig komisch sein. Nun aber muß solches Erhabene, häßlich Furchtbare, Komische in dieser Kunst eben- falls in das Licht des einfach Schönen gerückt werden. Dieß ergibt sich aus der Nothwendigkeit, daß überall, auch im Zwiespalte kämpfender Kräfte, die ungetrübte Einheit der Menschennatur in ihrer Einfalt und Anmuth, die Charis in der Eris, im Kampfe selbst die kampflose Schön- heit die Grundlage bleibe. Schon in §. 73 wurde die Grazie im enge- ren Sinne, die des einfach Schönen, von einer solchen unterschieden, die auch dem Erhabenen und Komischen eigen ist. Die Bildnerkunst muß die hohe Grazie des Erhabenen und die ungezogene des Komischen ihrem Grundgesetz entsprechend unmittelbarer, als die anderen Künste, in der Form der einzelnen Gestalt selbst, retten. Der Umfang des Erhabenen und Komischen wird dadurch, wie wir schon gesehen, allerdings an sich verengt, allein so weit es waltet, muß diese keusche Kunst ihren ganzen Zauber, ihr zartestes Styl-Geheimniß entfalten. Wir werden in der spe- ziellen Erörterung der Stylgesetze sehen, wie beschaffen demgemäß die Formenwelt der Plastik sein muß. Klar ist hier vorerst so viel, daß diese Formenwelt ein Inneres ausdrücken muß, das auch im Widerstreit seine Harmonie, die unbewegte Ruhe seiner Tiefe bewahrt, und der folgende §. wird diesen Punct noch einmal auffassen, um zum letzten und höchsten Begriffe zu gelangen. Die vorläufige Ankündigung der hier entwickelten Begriffe, wie sie zu §. 404 Th. II, S. 380 gegeben ist, berührt auch schon den Unterschied der rein menschlichen Phantasie (nebst der thierischen) und der geschichtlichen. Es ist klar, wie die letztere in das individuelle Leben mit einer Derbheit eingehen muß, welche mit dem Prinzip der directen Idealisirung schwer vereinbar ist; die Erörterung dieses wichtigen Punctes bleibt aber mit der ganzen Frage über die bedingte Geltung des Prinzips, das diesem entgegensteht, im plastischen Gebiet ihrem beson- deren Orte vorbehalten. §. 606. Aus diesen Grundzügen der plastischen Schönheit ergibt sich der weitere, daß die dargestellte Persönlichkeit, so wenig sie aus ihrem Sinnenleben sich in subjectiver Innerlichkeit zurücknimmt, ebensowenig bei allem Einlassen in An- deres sich zerstreut, sondern selbstgenugsam in sich bleibt. Damit zusammenge- faßt erhält nun auch das Gesetz der Sparsamkeit in der Zahl der Figuren (§: 601) und das Hindrängen zur Aufstellung blos Einer Gestalt als der ge- mäßesten Aufgabe (§. 603) positive, geistige Bedeutung und Kraft: die Eine Gestalt vertritt das Ganze der Gattung. Zugleich kommt jetzt auch der tiefere Sinn zu Tage, welcher der Weglassung des räumlich Umgebenden (§. 599) zu Grunde liegt: die dargestellte Persönlichkeit ist auf keine Natur außer ihr be- zogen, weil sie die gesammte Natur in sich trägt. Vereinigt dieselbe nun so die Natur und die Menschheit in sich, so ist sie nicht nur ein Ganzes, sondern das Ganze, ist unendliche Persönlichkeit, das Ideal selbst, Einheit des Subjec- tiven und Objectiven im höchsten Sinne. Ein Abglanz dieses Lichts fällt auch auf die Naturen, die ausdrücklich als endliche zur Darstellung kommen. Der §. steigt in drei Schritten zum höchsten Schlußbegriffe vom Wesen der Plastik auf. Zuerst wird dem Satze (§. 605), daß die Per- sönlichkeit, wie sie in der Bildnerkunst sich darstellt, nicht den Ausdruck einer Sammlung tragen kann, die auf eine aus der sinnlichen Lebensfülle zurückgenommene Innerlichkeit hinweist, der andere gegenübergestellt, daß dieselbe ebensoweit vom Ausdruck einer Zerfahrenheit, Zerstreutheit, eines Hingenommenseins von Anderem entfernt sein muß. Es ist dieß nur eine weitere Entwicklung jener Bestimmungen von der Gediegenheit, Gewichtigkeit, von dem Ruhen auf dem eigenen Schwerpunct, von der Substantialität der plastischen Persönlichkeit, es folgt aber auch namentlich aus jenem Darstellungsgesetze, das wir nachher in ein höheres Licht stellen wer- den, daß nämlich der Individualität kein Hintergrund mitgegeben wird, denn es sind die wechselnden Umgebungen mit ihren unendlichen Anre- gungen, welche den Menschen bald so, bald so bestimmend das Element der Zufälligkeit und daher der Zerstreutheit mit sich führen. Eine so in sich geschlossene, ringsum wie mit scharfem Messer abgeschnittene Gestalt wird auch dann, wenn sie in einem Momente aufgefaßt ist, wo sie sich mit etwas außer sich befaßt, mit andern Personen in gemeinschaftliches Thun oder Kampf sich einläßt oder nur aufmerksam auf irgend ein Object hin- gerichtet ist, ja wo sie leidet, doch in ihrem innersten Grunde ungestört einig mit sich erscheinen, es ist kampfloser Kampf, ein Aussichherausgehen, das doch in sich bleibt, ein Einlassen, das sich nicht einläßt, ein Streben, das als Form des Strebens ideal ist, gleichgültig, ob es sein Object er- reicht. Dahin haben wir schon in der Anm. zu §. 602 gedeutet, indem wir sagten, daß mit dem Charakter ruhiger Abgeschlossenheit eine leb- hafte Thätigkeit vollkommen vereinbar sei. Dieser Zug des festen Insich- bleibens widerspricht auch nicht dem in der weiteren Entwicklung aufge- wiesenen Zuge der Naivetät, die frisch im Naturleben webt, ebendaher Auge und Sinn offen hat, sich nicht verschließt, nicht in ein selbstbewuß- tes Ich und geheimes Empfindungsleben zurückzieht. Gerade die punc- tuell auf ihr Ich vereinzelte Persönlichkeit ist diejenige, welche, weil sie nicht im Allgemeinen lebt, von den Theilen des Allgemeinen, die eine wirre Vielheit von Reizen auf sie ausüben, auseinandergezogen wird, unruhig umherfährt; die naturfrisch geöffnete Persönlichkeit ist in der Be- rührung mit diesen Theilen bei sich; sie ist, wenn sie hinaustritt, doch zu Hause, bleibt daher bei aller Bewegung unbewegt in ihrem ruhigen, tie- fen, weltweiten, allgemeinen Grunde. „Allgemein“: dieß Wort erhält nun tieferen Sinn; ein solches Leben im Ganzen verleiht dem so Leben- den die Kraftfülle der Ganzheit; es wird gleichgültig, ob er Dieser oder Jener ist, er ist ein ganzer Mensch, es wird schon strengerer Ernst mit dem Worte: vollkommene Naturen §. 604, der Begriff der Substantiali- tät §. 605 beginnt sich zu einem höheren zu steigern. „Unberührt von der Zwiespältigkeit und Beschränkung des Handelns, der Conflicte und Erduldungen, — störungsloses unparticularisirtes Sein des Geistes, — objective Geistigkeit als in sich fertig und beschlossen, in selbständiger Ruhe, dem Verhalten gegen Anderes entnommen“, so bezeichnet Hegel diese Natur der plastischen Gestalt (a. a. O. II, S. 258. 368. 369). Nun führt eigentlich schon dieß auf den Begriff der absoluten Persönlich- keit; es fragt sich aber vorerst, wie es sich denn verhalte, wenn mehrere Gestalten zugleich aufgestellt sind? Wir verweisen hier nur vorläufig auf das classische Ideal, das viele Götter hat, deren jeder doch die ganze Gottheit ist (§. 437): ein heiterer Widerspruch der Phantasie, der jedoch auch da noch irgendwie möglich sein muß, wo keine Götter mehr geglaubt werden. In der That liegt hier ein interessanter, schwieriger Punct, nicht nur in Beziehung auf die Sculptur, sondern auf alle Kunst. Wir erinnern zunächst an einen Nebenzweig der Kunst, Fabel und Thier- Sage. Diese nimmt von der einzelnen Thierart Ein Exemplar als voll- kommen und daher als Inbegriff aller andern, aber sie führt doch auch wieder andere daneben ein; so ist Reineke der absolute Fuchs, der Fuchs schlechthin, aber es gibt doch noch Füchse außer ihm. Das Denken, in der Sprache dargestellt, ist strenger logisch; es sagt auch: der Mensch, das Thier, der Held, das Pferd u. s. w., der Begriff zieht also die vielen Individuen in Eines, das nur gedacht, nur Abstractum ist, zu- sammen; wird aber die empirische Vielheit ausgesprochen: die Menschen u. s. w., so wird ausdrücklich gesetzt, daß keines derselben dem Inbegriff der Gattungs-Eigenschaften entspreche. Die Kunst dagegen, zunächst im Allgemeinen, abgesehen von der besonderen Natur der Plastik, nimmt die Sache strenger, als solche Zweige, wie Fabel, Thiersage, welche ohne Weiteres neben die Einheit des die Gattung inbegreifenden Individu- ums die Vielheit der empirischen stellen, jedoch darum nicht consequent wie die Logik und die logische Sprache. Die Gattung wird ihr nach dem Grundbegriffe des Schönen (Einheit von Bild und Idee) immer con- cretes Individuum, die empirisch Vielen der Logik gehen in eine Einheit zusammen, die nicht abstract, sondern selbst angeschautes Individuum ist; ein Mensch ist jetzt der Mensch, ein Held der Held u. s. w. Die Frage, ob es neben ihm noch andere Individuen derselben Gattung gebe, ist dadurch halb verneint, halb nur weggeschoben, zugedeckt: nur dieß, denn es bleibt doch immer ein Individuum (unter andern, die eben jetzt nicht da, die vergessen sind). So zunächst, wenn wirklich nur Ein Indi- viduum in einem Kunstwerk aufgestellt wird. In einem solchen aber, das viele Figuren zusammenstellt, sind zwei Fälle möglich. Der eine ist dieser: Ein hervorragendes Individuum und viele unbedeutendere derselben Classe treten nebeneinander. Dieß gleicht dem Verfahren, wie es von der Thier- sage, Fabel angeführt ist: eigentlich sind in dem hervorragenden Einen die andern Vielen so repräsentirt, daß sie neben ihm überflüssig sind; die Phantasie gesteht damit ihren Prozeß, durch den sie das repräsentirende Individuum gewonnen hat, sie gibt das Resultat ihrer Division sammt dem Dividenden. Doch mäßigt die höhere Kunst die- sen logischen Widerspruch dadurch, daß die Masse der Vielen mehr nur als die erläuternde Expansion einer der im Repräsentanten concen- trirten Kräfte erscheint. Der andere Fall ist dieser: es werden mehrere schlechthin bedeutende Individuen derselben Classe zusam- mengestellt, ohne daß darum die Kunst in den Widerspruch mit der Logik tritt wie in dem eben genannten Falle; nämlich jetzt repräsentiren alle diese Individuen den Gattungsbegriff mittelbar dadurch, daß er vorher mehr spezifizirt ist und jedes von ihnen zu- nächst eine der spezifizirten Eigenschaften vollkommen in sich darstellt; zu dieser Eigenschaft verhält sich dasselbe nun ebenso, wie sonst das einzelne schöne Individuum zum Ganzen seiner Gattung; von mehreren Helden z. B. stellt jetzt jeder einen Zug des Heldenthums, dadurch mittelbar das Heldenthum überhaupt und noch mittelbarer die Menschheit dar. In der Plastik nun aber ist die Sache schwieriger, oder, wie man will, einfacher. Hier soll die einzelne Gestalt schön sein, also das Ganze ihrer Gattung mit geringerem Gewichte des Mittel- begriffs dieser oder jener Eigenschaft, Seite derselben in sich darstellen. Der Begriff der Vertretung Vieler oder Aller durch Einen ist hier intensiver. Unbedeutende Individuen kennt sie gar nicht, die leeren Statisten des Dividenden fallen ganz weg. Sie wird aber auch in den bedeutenden Individuen die Gattung in engerem Maaße spezifiziren, da- mit der Umweg zum Vertreten des Ganzen der Gattung vermittelst einer ihrer Eigenschaften kürzer sei. Dieß führt nun auf das Gesetz der Spar- samkeit in der Figurenzahl zurück, womit wir zum zweiten wichtigen Schritte in diesem Stufengange gelangen: ein Rückblick auf §. 601, der, während aus andern technischen Bedingungen die tiefere Bedeutung schon früher gezogen ist, dieser Stelle vorbehalten bleiben mußte, wo sich die Momente zu ihrem vollsten Resultate vereinigen. Die Bildnerkunst ent- geht jenem Uebelstande des sich Deckens der Theile am meisten, wenn sie nur Eine Gestalt aufstellt; wie aber alle äußern Bestimmtheiten dieser Kunst bereits sich in Grundzüge ihres positiven Geistes umgedreht haben, so nun auch diese: der Geist der Ganzheit, in welchem jede Gestalt behandelt wird, tritt als innerer Grund mit dem äußern zusammen, füllt das zuerst nur negativ Motivirte positiv aus und führt so zu dem Ergebniß, daß die Plastik ihr innerstes Wesen am vollsten und reinsten offenbart, wenn sie nur Eine Gestalt hinstellt, welche jetzt der erscheinende Inbegriff aller Kräfte der Gattung, nicht nur ein Ganzes, sondern, mit nur schwachem Gewichte des Mittelbegriffs einer Seite der Gattung, das Ganze der Gattung ist. Stellt sie dennoch mehrere Figuren auf, so be- wirkt, da es zudem nur wenige sind, die genannte Schwäche der Spezi- fizirung, daß dennoch jede die Fülle des Ganzen, daß jede der absolute Mensch bleibt. Die so dargestellte Persönlichkeit ist aber nicht nur das Ganze der Menschheit, sondern auch das Ganze der Welt: dieß zeigt der dritte Schritt des §. Die Bildnerkunst gibt ihrem Werke keinen Raum, keine umgebende Natur mit, zunächst, weil sie es nicht kann; aber ihr Nichtkönnen muß auch hier ein Nichtwollen, richtiger: ein Anderswollen sein. Dieß Anderswollen kann keinen andern Grund haben, als zunächst den, daß sie im höheren organisch lebendigen Individuum und vor Allem im Menschen die ganze Natur sieht, den Inbegriff aller Kräfte und Formen des Daseins, den höchsten Zusammenschluß alles dessen, was in der unorganischen und botanischen Natur in’s Unbestimmte ausgegossen ist. Sie ist nicht ausgegossener, sondern gesammelter, in Einem Gefäße zusammengehaltener Geist. Ihr Gebilde ist nicht auf einen Hintergrund, auf Umgebungen bezogen, weil es dieß Alles in sich eingesogen hat, Alles dieß selbst ist. Nun erhebt sie aber dasselbe mit der oben nach- gewiesenen Intensität zum Ausdruck des Inbegriffs vollkommener Menschheit: vereinigt es so die ganze Menschheit und die ganze Natur in sich, so ist es nichts Anderes, als die Welt selbst, persönlich vorge- stellt, die absolute Person, aller Geist, also alles Subjective, und alle Natur, also alles Objective in Einem. Es ist längst erkannt, daß keine andere Kunst, so wie diese, das Ideal selbst gibt. Dieß ist eigentlich bereits in dem Satze von der directen Idealisirung ausgesprochen und jetzt nur zum ganz erfüllten Nachweise gelangt. — Der Schlußsatz des §. faßt nun einen Punct auf, der mit jenem oben erörterten Widerspruche zusammenhängt, wonach es in aller Kunst, besonders auffallend aber in der Bildnerkunst, von den Gattungen der Wesen je nur Ein vollkommenes, für alle vicarirendes Exemplar und doch zugleich die Vielen gibt. Wir werden diesen, im Wesen der Phantasie und in ihrem Unterschiede von der Logik berechtigt liegenden Widerspruch noch in andere Seiten verfol- gen, namentlich was die Weglassung des Raums und die Beziehungslo- sigkeit zu einer umgebenden Natur betrifft. Der Unterschied der hier vorlie- genden von der oben besprochenen Frage ist jedoch der, daß es sich jetzt von einer Spaltung handelt, die, wie wir sehen werden, verschiedene Zweige der Plastik begründet, welche sich freilich auch vereinigen können, von zwei Stoffwelten, deren relative Scheidung aus der Geschichte der Phantasie hier aufgenommen werden muß: Gott und Mensch, oder Gott und untergeordnetes dämonisches Wesen (z. B. Satyr). Daß es beide Welten nebeneinander gibt, ist eigentlich ein Widerspruch, denn der Gott ist der ideale Mensch. Die Phantasie ist aber auch in dieser Richtung nicht logisch: neben der ausdrücklich und schlechthin idealen Natur, dem Gotte, gibt es realere, in entfernterem, vermittelterem Sinn ideale Naturen. Allein in der Sculptur sind auch diese Naturen dennoch idealer, als z. B. in der Malerei der Mensch neben dem Gott. Der Geist der Behand- lung gibt auch ihnen eine Seligkeit der Genüge, eine Fülle und Sättigung des Daseins, daß sie nach keiner Welt fragen, sondern sich selbst eine Welt, die Welt sind, und selbst im Thiere schauen wir den Inbegriff des voll- kommenen Weltalls, wie er jedem niedrigeren Stoffe im Schönen als Hintergrund eine Unendlichkeit gibt (vergl. §. 17, 3. ) durch die Ge- diegenheit der plastischen Darstellung diesen Hintergrund in einer verkürz- ten Perspective. Ausdrücklich sind als endliche Naturen insbesondere die geschichtlichen gesetzt, denn Datum und Namen weisen sie buchstäblich in das Zeitleben und die Härte seiner Bedingungen. Wir haben die Frage über das Verhalten der plastischen Phantasie zu dem Unterschiede der rein menschlichen und geschichtlichen aufgeschoben, aber so viel muß schon hier einleuchten: was diese Kunst aus der empirischen Geschichte heraus- greift und zu ihrem Stoffe nimmt, wird von ihr in dasselbe Licht der Allgemeinheit heraufgehoben werden, wie die rein menschliche Sphäre, denn: was sie angreift, das wird vergöttlicht. β . Die einzelnen Momente. §. 607. In der speziellen Auseinandersetzung dieses allgemeinen Wesens der Bild- nerkunst kommt zuerst die äußere Bestimmtheit des plastischen Werks, wie solche von der innern relativ zu unterscheiden ist, und als erstes Moment in derselben die Beschaffenheit des Materials in Betracht. Der Körper desselben soll nicht nur der allgemeinen technischen Forderung der Formbestimmtheit und Dauer genügen, sondern auch positiv von solchem Gefüge und Farbenton sein, daß er ähnlich wie die Schwere (§. 600) im ästhetischen Eindruck der reinen Form mitgefühlt wird, ohne doch für sich und für die Schwierigkeiten der Be- arbeitung ein stoffartiges Interesse zu erwecken. Daher ist Thon, Gyps, Holz, Gestein der Urgebirge, farbiger Marmor, Elfenbein, kostbares Metall nur für untergeordnete oder vereinzelte, außerardentliche Kunstwerke dienlich. Die entsprechenden Stoffe sind vielmehr das Erz und der leichter zu bearbeitende Stein von einfachem Farbenton, vor Allem aber der weiße Marmar ; die ersteren eignen sich mehr für die Darstellung reell bestimmter Naturen, dieser für das reine Ideal. Es muß der Ordnung und Klarheit wegen eine Reihe von Momen- ten der äußeren Bestimmtheit von solchen unterschieden werden, die der innern Bestimmtheit der Bildnerkunst angehören. Daß diese Unterschei- dung nur eine relative ist, folgt aus allem Bisherigen und wird sich an jedem einzelnen Momente noch deutlicher zeigen; berechtigt ist sie aber dennoch, denn in der ersten Reihe gehen wir überall von außen nach in- nen, in der zweiten aber fließt jede Bestimmtheit unmittelbar aus dem Innern; jene setzt einen äußern Rahmen fest, der aber überall nach in- nen weist, diese füllt den Rahmen von innen heraus. In der so ange- ordneten genaueren Zerlegung kommt zuerst die äußere Bestimmtheit im engsten Sinne, die Qualität des Materials, an die Reihe. In den Be- dingungen, wie sie der §. aufstellt, unterscheidet sich leicht: ein Zuwenig, eine rechte, positive Mitte und ein Zuviel. Wir nehmen die Mitte, die positive Forderung, sogleich heraus und erklären sie näher. So wie die dargestellte Schwere des organisch Lebendigen mit der gemein realen Schwere des Materials an sich nichts zu schaffen hat, doch aber diese in jener verhüllt mitwiegt, so geht auch Textur und Farbe des Stoffs die darzustellende Form nichts und doch viel an. Das warme Fleisch- und Hautleben, der fließende Gewandstoff kann mit dem todten harten Körper, dem nur ein Schein der lebendigen Form durch eine Bearbeitung, welche seine Grenzlinie bestimmt, übergeworfen werden soll, vorerst nichts zu thun haben. In der That aber haben die äußersten Linien des organisch Lebendigen eine Weichheit, eine Lockerung, einen sammtenen Anflug, der dem tastenden Sehen das warme Leben, seinen Hauch und Athem, seine Geschmeidigkeit, sein nach außen strömendes stilles inneres Gähren zu fühlen gibt, und auch die künstliche Bedeckung wird auf der Oberfläche die innere Fügung des Stoffs kund geben, wodurch das Gewand dem lebendigen Seelenbau beweglich sich anschmiegt und folgt oder ihn als härtere Schaale deckt. Es leuchtet ein, daß diese Bestimmtheit der Ober- fläche durch Meißel und Gußform nicht nachgebildet werden kann, wenn ihnen das Material nicht durch die Art seines Gefüges irgendwie ent- gegenkommt. Die Haut hat aber auch eine gewisse Durchsichtigkeit; die Bildnerkunst kann von derselben, obwohl diese Qualität aus dem Reiche der reinen Form bereits in ein anderes hinüberführt, nicht völlig abstrahi- ren, denn die festen Formen selbst würden anders gesehen werden, wenn nicht jener Schimmer des annähernd Durchsichtigen sich über sie ausbrei- Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 25 tete: eine Weichheit der Uebergänge, eine Milde, ein Hinüber- und Herüberscheinen einer Form in die andere ist über sie ausgegossen, das irgendwie im Werke des Künstlers nachgeahmt werden muß und doch durch Meißel und Gußform allein ebenfalls nicht nachgeahmt werden kann; das Material muß also irgendwie auch hier entgegenkommen. Gehen wir nun noch weiter und sehen auf die eigentliche Farbe, so ist sogleich wohl zu bemerken, daß wir die Frage von der Polychromie hier noch völlig ausschließen und die reine Abstraction der festen Form vorerst als unbe- zweifeltes Grundgesetz annehmen; es kann also nur die Rede sein von einer Farbe ohne Farbe, von einer mittelbaren Andeutung der Farbe, wie man von einem guten Kupferstiche sagt, er gebe die Farbe zu fühlen. Da die Farbe schließlich auf einer, dem Auge nicht mehr wahrnehmbaren, plastischen Bestimmtheit der feinsten Theile der Oberfläche eines Körpers beruht, welche gerade diese und keine andere Lichtwelle an sich bindet, so gibt es auch für das tastende Sehen ein gewisses Gefühl der Farbe. Soweit hat es die Bildnerkunst jedenfalls mit der Farbe zu thun und auch dieser Forderung muß die Qualität des Materials in irgend einem Sinn, den wir noch gar nicht näher bestimmen, entgegen kommen. Die nähere Beleuchtung dieses und der andern Sätze ergibt sich erst, wenn wir nun die verschiedenen Arten des Materials wirklich daran halten. Die zwei andern Feststellungen, welche ein Zuwenig diesseits, ein Zuviel jenseits dieser richtigen Mithülfe des Materials bezeichnen, finden eben hiemit zugleich ihre Erläuterung. Thon und Gyps sind wegen ihrer Weichheit leicht zu formen und nachher verhärten sie sich an Feuer und Luft, allein es läßt sich ihnen nicht genug Schärfe der Formen geben, sie haben zu wenig Härte, Dauer, und man sieht ihnen dieß auch an. Thon hat zudem eine trockene, todte und zugleich zu spezifische Farbe und verlangt ein so völliges Anmalen, wie es jedenfalls, auch wenn ein gewisser Grad von Polychromie zulässig wäre, verworfen werden muß. Nach dem Aufhören der rohen Götzenbilder sank daher das Thonbilden schon bei den Griechen, vereinzelte Ausnahmen und Werke der Zierplastik abge- rechnet, herunter zur Bestimmung der bloßen Vorarbeit , zum Materiale für das bloße Modell. Gyps hat nicht die störende spezifische Farbe, aber ebenfalls todten, trockenen Ton, und da das undurchsichtig Trockene hier weiß ist, so treten alle Formen mit roher Wahrheit hervor, alles Flüssige, Geschmeidige verschwindet (vergl. Feuerbach D. vatic. Opoll S. 174—176). Es ist der kahle, fahle, klanglose Eindruck, den alle erdig breiige, dann verhärtete Substanz macht. Gyps ist daher zum Mittel der bloßen Vervielfältigung oder des ersten Abdrucks der lebendigen Form für Zwecke der Vorstudie heruntergesunken. Holz ist wegen seiner fase- rigen Textur leicht zu schnitzen, aber diese stört den Künstler auch wieder durch Collisionen der Kunstaufgabe mit ihren Lagen, und die Schärfe der Formen ist, wie das ganze Werk, ungleich vergänglicher, als Stein und Metall. Zudem hat es ebenfalls zu viel spezifische, durch Nachdunkeln sich noch verdüsternde Farbe und führt daher zum Vergolden, zum völligen Anma- len. Schon die Griechen gaben es daher, indem sie den Uebergang zum Stein durch die Akrolithen nahmen, auf; nur Feld- und Gartengötter blieben hölzern. Das Holz bleibt aber höchst wichtig für eine prinzipiell als Moment in der Architektur behandelte, dem Ornament entblühende, malerisch aufgefaßte Plastik, und so müssen wir es bei der Geschichte dieser Kunst im Mittelalter wieder auffassen. Man sieht nun, wie diese drei Stoffe diesseits der aufgestellten rechten Eigenschaften liegen: sie ent- sprechen weder den streng technischen (obwohl bereits auch ästhetischen) Forderungen der Schärfe und Dauer, noch auch der feineren eines zum lebenswarmen und seelenvollen Ausdruck leise mitwirkenden Materials; sie sind zu arm. Andere dagegen liegen jenseits: sie sind zu anspruchs- voll. Stein des Urgebirgs setzt durch seine Härte der Bearbeitung Schwierigkeiten entgegen, mit deren Ueberwindung nur eine unreife oder überreife Zeit zu prahlen liebt; gelingt die Ueberwindung völlig, so führt sie nothwendig einen Grad der Glätte mit sich, in welchem der Duft des Lebens zu schillernder Eleganz zerschmilzt, ohne daß doch der Eindruck des Spröden verschwindet. Zudem steht nun aber die Farbe im Miß- verhältniß zur plastischen Aufgabe; das Schwarz des Basalts verdüstert die Lichterscheinung des organischen Lebens; Roth, Grauroth, Grünlich und die wei- teren Farben, worin Porphyr, Granit, auch Basalt, Syenit sich vorfinden, über- springen mehr oder minder die leise, bescheidene Linie, innerhalb welcher die Andeutung der Farbe mit der Nachbildung der festen Form sich vereinigen darf. Dasselbe gilt von schwarzem und farbigem, namentlich mehrfarbigem Marmor. Die Wahl solcher für sich, statt für den dargestellten Inhalt sprechender Stoffe sagte der Vorstufe der Kunst in Aegypten und der Ueppigkeit des römischen Kaiserreichs so wie des achtzehnten Jahrhunderts zu; reife und gesunde Kunst überläßt sie der untergeordneten Tektonik und Zierplastik. Scheinbar spricht dieß bunte Material in richtiger An- wendung nicht für sich, sondern drückt die Farbe des Gegenstandes aus; die Zusammensetzung von Büsten aus verschiedenen Marmor-Arten in der spätrömischen Zeit ist ein Surrogat für die Polychromie; wir werden aber sehen, daß die Polychromie jedenfalls Grenzen hat, welche dieß Surrogat so überschreitet, daß doch das stoffartige Prahlen mit dem Material an sich wieder vorschlägt. Das Elfenbein haben die Griechen in der Pe- riode der schwungvollsten Blüthe ihrer Plastik zu prachtvollen Colossal- werken verwandt. Es nähert sich etwas dem Fleischtone und scheint da- durch unserer Hauptforderung zu entsprechen; allein sein Farbenton ist 25* zugleich wachsartig, todtenhaft, und die völlige Glättung, die sich bei diesem Stoffe von selbst ergibt, verschwemmt die Formen in demselben Schillerglanz, den wir schon oben getadelt. Aus vielen Stücken muß das Gebilde über einem hölzernen Kerne gefügt werden und ist daher sehr vergänglich. Spröd und trocken trotz diesem Glanze bedarf es einer He- bung und Belebung durch ein Material von dem energisch farbigen Glanze des edlen Metalls. Die Verbindung mit Gold liegt schon aus diesem Grund nahe. In Wahrheit aber handelt es sich noch um ein Anderes: nämlich auch hier und gerade hier ganz besonders um den Werth, um die Kostbarkeit des Materials an sich. Wenn die Griechen aus der Zeit vor Perikles die Liebe zu chryselephantinen Werken in die Blüthe ihrer Kunst herübernahmen, so wirkte darin zunächst das nicht rein künstlerische Cultus- Motiv, die Gottheit durch das Kostbarste zu ehren, was man ihr darbrin- gen konnte; zugleich galt es, die großen Siege über die Perser zu ver- herrlichen, den Aufschwung Athens, den Reichthum der Siegesbeute zu entfalten. In diese religiösen, geschichtlichen Bedingungen legte sich nun der erhabenste Kunststyl und wuchs mit ihnen in jenen berühmten Werken des Phidias und Polyklet zu einem Ganzen zusammen, wie ein solches nicht wiederkehren kann; die Nachahmungen in der makedonischen Zeit und bei den Römern trifft aller aus dem strengen Prinzip oben abgeleitete Tadel, dem die großen Meister entweichen, indem sie den bloßen Stoff- werth durch den höchsten Kunstwerth verklären, wie der Adelige, der seinen Geburtsadel in Seelenadel aufhebt. Bildwerke ganz aus Gold oder Silber leiten dagegen den Blick so ungetheilt auf den Stoffwerth, daß eine solche Plastik sich unmittelbar als nicht reine Kunst, als Dienst des Luxus erweist, mag er mehr im Naturell liegen, wie im Orient, oder die Frucht später Ueberbildung sein, wie im römischen Kaiserreich. Ihr wahres Gebiet hat eine solche Technik in der Zierplastik, auf die sich auch die Arbeit in Elfenbein zurückziehen mußte. Als das jenen richtigen Bedingungen entsprechende Material bleibt uns nur Erz und dauerhafter Stein ohne spezifische Farbe , d. h. Steinarten von bescheidenem, grauem, graugrünlichem, gelblichem, röthlichem Tone wie Tuffstein und verschiedene Sandsteine, namentlich aber der rein weiße edle Kalkstein, der im engern Sinn Marmor heißt. Jene Arten gruppiren sich durch ihren gedämpften Farbenton mit dem Erze zusammmen , dem man durch verschiedene Mischungen verschiedenes Colorit geben kann, das aber in den gewöhnlichen Bindungsverhältnissen des Zinns und Kupfers im Allgemeinen einen braungelblichen Ton hat und aus dem gelungenen Gusse mit einem matten goldähnlichen Glanze hervorgeht, dem die Griechen durch eine etwas dunklere Mischung etwas von dem Sonnegebräunten Farbenton der griechischen Körper gaben. Vergoldung von Erzbildern fügt eigentlich dem Kunstwerthe das störende Interesse materiellen Werthes bei; in Prunksälen, wo es darauf ankommt, Reich- thum zu entwickeln, mag sie am ehesten gerechtfertigt sein; durch richtige und wirksame Vertheilung des Matten und Glänzenden wird sie wieder mehr auf den reinen Kunsteindruck zurückgelenkt. Dieses Material ist nun frei- lich ein unendlich edleres, als gewöhnliche Steinarten. Es hat nicht jenen Duft, jenen Anklang des Halbdurchsichtigen an das Fleisch, den wir vom glücklichsten Materiale fordern, aber es liegt etwas Eigenes im Gefühle des Metalls: man möchte in tieferem Sinne sagen, etwas Klangvolles. Indem das Metall seineg ediegene Cohäsion, im energischen, schwungvollen, mutherregenden Klange äußert, gibt es sich dem Gehör als ein Körper kund, der allem Poetischen näher liegt, als der dumpf erdröhnende Stein; dieser Eindruck trägt sich nun auch in das Gesicht über und da wird trotz der spröden Cohäsion, ja durch die feuergehärtete Kraft dieser Sprö- digkeit das Gefühl des Klangvollen zu einem Gefühle des Bewegungs- vollen im leibhaften Gliederbau des Seelenlebens. Zu diesem Eindruck wird allerdings auch eine gewisse Lichtheit erfordert; das schwarzgraue Eisen ist daher ein ungünstiger Stoff und im §. gar nicht besonders aufgezählt. Das Auge fühlt es aber dem erzgegossenen Werke auch an, daß es nicht durch ein Abschlagen von harter Masse, sondern durch ein Einströmen geschmolzener in eine Form entstanden ist (von der neueren Erfindung der Galvanoplastik müssen wir absehen, weil noch zu wenige Proben im Großen vorliegen, um zu bestimmen, wie sich das technische Verfahren dem Auge ästhetisch zu fühlen gibt); dieß fühlbar Bewegte der Entstehung gemahnt mitten in der Erstarrung zu monumentaler Härte an die Blutwärme des Lebens. Mit diesem technischen Prozesse der ars statuaria hängen nun große Vortheile im Umfange des Darstellbaren zusammen: die Größe des Werks ist ungleich mehr in das Belieben des Künstlers gesetzt, als wo er von dem Zufalle des Steinbruchs abhängt; zugleich kann er mehr Leichtes, Dünnes, wie flatternde Gewänder, Locken, ohne Stabstützen ( puntelli ) ausführen, als der Bildhauer; er hat weniger Kampf mit der wirklichen Schwere, da er durch Gewichtverstärkung auf dem einen und Verdünnung auf dem andern Puncte seines hohlen Gusses unvermerkt nachhelfen kann, daher kann er in der Kühnheit der Stellun- gen und Bewegungen so weit gehen, als immer der Geist seiner Kunst ihm gestattet. Man denke an den ausholenden Discuswerfer des Myron, den Apoxyomenos des Polyklet, den Kairos des Lysippus; Leochares wagt einen vom Adler emporgetragenen Ganymed, wo die sichtbare Tragkraft des Adlers den ganz aufgehobenen Schwerpunct ersetzt. In der Mar- mor-Nachbildung erscheint hier alle Kühnheit geschwächt. Dagegen ist nun auch der Mangel des Erzgusses nicht zu übersehen. Der Metall- schimmer soll zwar, wie schon gesagt, ein matter sein; daß aller eigentliche Glanz ästhetisch störend ist, haben wir schon gesehen, und es ist vom Uebel, wenn ein gegossenes Werk durch Ciseliren jene sogenannte Guß- haut verliert, welche ihm den erwünschten gedämpften, nicht völlig glatten Lichtton und Strich gibt: immer aber bleibt ein Grad von Spiegelglanz, worin die Formen zerrinnen, indem von den beleuchteten Theilen zu starke Lichtreflexe in die beschatteten fallen, wodurch bei dunklerem, braunrothem Tone die weniger sichtbaren Formen nicht deutlicher, sondern noch un- deutlicher werden. Dieß nöthigt zu starker Hervorhebung des Details, des Knochens, Muskels, der Sehne (vergl. Feuerbach D. vatic. Opoll S. 174. 175), und eine medizeische Venus erscheint in Erznachbildung glatt und flach. Nimmt man nun alles dieß zusammen, so erhellt, daß der Erzguß auf das stark Ausgesprochene, Härtere, Kühnere, zunächst also das Athletische, Heroische, überhaupt aber auf das realer Bestimmte, vom reinen Ideal durch spezifizirtere Existenz Abliegende, namentlich auf die monumentale Bildnißstatue und auf das Historische, soweit die Bildner- kunst es ergreifen kann, angewiesen ist. Da diese Bestimmung dessel- ben namentlich auch in dem bestimmteren Farbenton ihren Grund hat, so können wir ebendasselbe von dem gewöhnlichen Steine aussagen, freilich nicht mit derselben Kraft, denn sein Farbenton — von den bunteren Stei- nen ist nicht mehr die Rede — hat nie die Wärme des Erztons und das mehr oder minder Fahle desselben wird nicht durch jenen klangvollen Charakter des Metalls gehoben, daher es nahe liegt, ihn wie die Holz- sculptur ganz malerisch zu behandeln und völlig zu färben, wie das Mit- telalter gethan hat. Im Gefüge ist er theils talgig, theils zu grobkörnig. Sehen wir dagegen den reinen weißen Marmor an, so bietet er frei- lich mehrere der Vortheile nicht, die der Erzgießer genießt. Der Erzguß mußte namentlich in der Kühnheit der Stellungen vorangegangen sein, ehe der Bildhauer, doch nicht ohne die sichtbare Hülfe der Gewichtaus- gleichenden, stützenden Baumstrünke und anderer Hülfen, Werke wie die pferdebändigenden Colosse, den borghesischen Fechter, den Laokoon wagen konnte. Dagegen wohnt nun in diesem Materiale ein milder Lichtgeist wie in keinem andern, und schön spricht Tölken (Ueber d. Basrelief u. s. w. S. 137) von der „Unschuld“ des Marmors. Sein reines Weiß drückt die Idealität der Abstraction von allem empirisch wirklichen Blut- und Säfte-Leben, die Erhebung in die Freiheit vom empirisch Sinnlichen aus, ohne doch jene Andeutung der Lebenswärme und des Lebenshauchs, die wir vom Materiale forderten, zu versagen; denn die vorzüglichsten Brüche liefern einen Körper, dessen Weiß mit der Zeit einen Anhauch wie von einem zarten Goldtone annimmt und dadurch sanft an Fleisch und Haut erinnert, so der parische und pentelische Marmor; das Körnige (bei dem parischen Marmor etwas sichtbarer, bei dem pentelischen mehr mit Talk durchzogen) deutet leicht die poröse Natur der Haut an; das Weiß ist glanzlos, die Formen können erscheinen, aber der Anflug von Duchsichtig- keit und das milde Licht nimmt ihnen die Gröbe des Empirischen und entspricht ohne eigentliche Nachahmung dem wirklichen Hauche von Durch- sichtigkeit, den die Haut hat, so wie dem Weichen, Anschmiegsamen der Gewänder. Daher „das sanfte Verhauchen der hellen und dunkeln Par- thieen, die Abstufungen von Licht und Schatten, der sanfte Zauber der Reflexe“ (Feuerbach a. a. O. S. 177) bei dem warmen, fleischigen und doch nicht widrig fettigen Charakter. Winkelmann hat sich geirrt, wenn er Marmor, der von milchiger Masse oder Teige gegossen scheint, für den schönsten hält und annimmt, der parische werde so beschaffen gewesen sein (Gesch. d. Kunst d. Alt. Band 3 S. 100); solcher Mormor wäre gypsartig. Das völlige Glätten des Marmors ist ein geistloses Verfah- ren später Zeit, das jenen körnig gediegenen und doch durchsichtig lichten Seelenhauch in geistlos platte Eleganz verschwemmt. In der guten Zeit hat man den Marmor nach dem Abreiben mit Bimsstein noch einmal mit dem Eisen sanft übergangen, um das Flaumige des Lebens wieder- zugeben und „die äußerste Haut des Laokoon, welche gegen die geglättete und geschliffene etwas rauchlich scheinet, ist wie ein weicher Sammt gegen glänzenden Atlas“ (Winkelmann a. a. O. S. 105). Wenn die Griechen durch die Einreibung von geschmolzenem Wachs den körnig durchsichtigen Charakter des Marmors zuklebten, so war dieß offenbar eine Vorarbeit der Polychromie, von der wir hier noch ganz absehen. Es ergibt sich aus diesem reinen Charakter des Marmors, daß er sich nicht nur für die An- muth, für die weibliche Schönheit, sondern höher für alle Gestalten eignet, die im Mittelpuncte des reinen Ideals stehen, indem das Allgemeine der Natur und Menschheit in ihnen mit dem möglich mildesten Zusatze des Besonderen gemischt ist: der reine Aether des reinsten Seins gegenüber der vom Lichte des Ewigen wohl überströmten, aber in sich vom Erden- dunkel härter bestimmten, isolirteren Existenz der Erzgestalt. Daß im Mar- mor, obwohl er leichter zu bearbeiten ist, als viele andere Steinarten, nicht die kühnen Stellungen möglich sind, wie im Erze, dieß stimmt ganz mit der Ruhe des Ideals; er ist auch nicht so dauernd, als dieses, da- durch ist nahe gelegt, daß dieß zartere Gebilde von schützenden Mauern umfangen sei: der Gott gehört in den Tempel, der eherne Held trotze draußen dem Wind und Wetter und jener edle Rost, die grüne Patine, die sich mit der Zeit um die Bronce legt, zunächst ein Kennzeichen der Aechtheit des Metalls, schmücke die ausharrende Kraft wie das Moos die ehrwürdige, in Stürmen ausdauernde Eiche. §. 608. Jede Zuthat von Farbe zu der Nachbildung der festen Form, welche sich nicht mit gewissen Andeutungen begnügt, ist durch den reinen Begriff der Bildnerkunst an sich ausgeschlossen. Der nähere Maaßstab für die Beurthei- lung dieser Uebertragung der einen Art der Phantasie auf die andere liegt in dem Besonderen der geschichtlichen Zustände der Kunst. Die Bildnerkunst be- darf jedoch immer gewisser Licht- und Schattenwirkungen, welche, obwohl durch ihre eigenen technischen Mittel bewerkstelligt, doch über das rein Plastische hinausgehen. „Zuthat“ bedeutet, nachdem eine schon im Materiale liegende stärkere Farbenwirkung bereits abgewiesen ist, eine Verbindung der Farbe mit dem Bildwerk durch eine ausdrückliche technische Nachhülfe, Mischung im Erzguß, Aufmalen, Einschmelzen. Der §. läßt nur „gewisse Andeutun- gen“ zu; bestimmter konnte der Spielraum im Allgemeinen nicht bezeich- net werden, als durch diesen Ausdruck, der nur die volle und ganze Far- benwirkung deutlich und schlechthin ausschließt. Vom rohen, grellen An- streichen thönerner und hölzerner Cultusbilder, was gewöhnlich mit einem völligen Ankleiden Hand in Hand geht, ist hier nicht die Rede, dieß ist primitives Kinderwerk, das nur im Oriente Gewohnheit blieb; bei Götterbildern war die einfach ungebrochene Farbe symbolisch; im classischen Lande wurde dieß blos vereinzelt bei Cultusbildern beibehalten, welcher ein besonderes Herkommen die Symbolik der Farbe (wie den rothen Anstrich mancher Bachusbilder) und den Puppen-Charakter be- wahrte. Es handelt sich hier von reifer Bildnerkunst und einem solchen Bemalen ihrer Werke, wodurch mit der Nachahmung der festen Form Alles verbunden werden soll, was der Maler an seinem Gegenstande nach- ahmend wiedergibt. Dieß ist nun also streng und einfach abzuweisen. Der Grund für diese Abweichung liegt zunächst schon im wahren Begriffe der Naturnachahmung: die Lebendigkeit der Natur soll nur in einem reinen, nicht in einem gemein täuschenden Scheine nachgeahmt werden, (vergl. §. 379 und §. 513, 2. ) Ein solcher gemeiner Schein entsteht aber, wenn eine Kunstform, die in einem bestimmten sinnlichen Materiale thätig und an dessen Ausschließlichkeit gebunden ist, mit der Wirkung die- ses Materials die Wirkung eines wesentlich andern verbinden will, in- dem sie vergißt, daß das Vollkommene gerade durch die Isolirung der Erscheinungsseiten, durch die Theilung der Arbeit erreicht wird (vergl. §. 533). Vollkommen zeigt dieß die Wachsfigur und man kann an ihr lernen, was in der gemeinen Täuschung eigentlich enthalten ist: indem sie mit der festen Form das volle Colorit verbindet, überrascht sie im ersten Augenblick durch die Illusion, als trete man vor eine leben- dige Gestalt; bei näherem Hinsehen aber erfährt man, was die Folge ist, wenn die Kunst mit der Natur in dem, was nur dieser eigen ist, in dem Eindruck des unmittelbar Lebendigen wetteifern will, die Kluft wird nur um so tiefer gefühlt, die Unmöglichkeit, sie zu überspringen, kommt nur um so stärker zum Bewußtsein. Dieß bewirken namentlich die ge- färbten Augen: ihr wechselnder Lichtpunct kann nur auf Eine Stelle auf- gemalt werden, trete ich auf eine andere Seite, so fehlt er; Glas und anderes glänzendes Material gibt nicht diesen Lichtpunkt in seiner gesam- melten Intensität, sondern nur den allgemeinen Glanz des Auges wieder. Der Zuschauer wäre nun eigentlich enttäuscht, aber die Täuschung wirkt durch ihre plumpe Gewalt in die Enttäuschung so herüber, daß beide Stimmungen zum Gefühle des Gespenstischen unheimlich sich verbinden: eine lebendigtodte, todtlebendige Larve steht vor uns. Eigentlich ist nun kein Grund, warum nicht auch die wirkliche Bewegung in dieses voll- kommene Abbild aufgenommen werden soll, wie dieß öfters theilweise bei Wachsfiguren, ganz bei Automaten geschieht, an die wir zu §. 599 schon erinnert haben. — Hat nun eine Kunst, die im Uebrigen hoch stand, voll- ständig, d. h. mit Durchführung aller Farbenverhältnisse, wie sie der le- bendige Körper zeigt (es handelt sich hauptsächlich von Incarnat, Ge- wänder sind unwichtiger, Licht und Schatten fallen, als durch die feste Form schon gegeben, natürlich weg), ihre Bildwerke bemalt, so muß dieß seine Erklärung in besondern kunstgeschichtlichen Verhältnissen finden. Gethan hat dieß das Mittelalter, vorzüglich an Schnitzbildern, weniger vollständig bei Statuen in Stein; es ist eine entschiedene Uebertragung der malerischen Phantasie auf die plastische, welche nur darum erträglich ist, weil sie im großen geschichtlichen Zusammenhang eines Kunststyls ihre Stelle hat, den wir in seiner mildernden Rückwirkung auf diesen Ueber- griff seines Orts darzustellen haben. Von der eigentlich malerischen Be- malung ist nun als zweite Stufe zu unterscheiden ein bestimmtes Angeben aller Localfarben, wiewohl ohne Versuch, die feineren Töne und Ueber- gänge, die zärteren Einzelheiten, die Reflexe wiederzugeben, und wir fassen mit ihr sogleich eine dritte Stufe zusammen, welche nicht alle Localfar- ben, sondern nur einige angibt. Da wir die grelle Uebermalung dem Kind- heitszustande unserer Kunst zugewiesen haben, so handelt es sich auch bei der zweiten Stufe nur um einen milden Anflug sämmtlicher Localfarben, ins- besondere des Incarnats. Die erste Stufe gleicht dem Oelgemälde, die zweite einem Steindruck, dessen Ganzes mit nur andeutenden Tönen über- malt ist, die dritte einem solchen, worin nur einzelne Localtöne angege- ben sind, das Uebrige in Licht und Schwarz gelassen ist, wie es aus der Hand des Lithographen kommt. Hätte die griechische Sculptur, nachdem sie das grelle Anstreichen, das sie vom Orient, namentlich Aegypten, über- kam, hinter sich hatte, die erste dieser Verfahrungsweisen sich angeeig- net, so könnten wir hier nicht die beziehungsweise Rechtfertigung in Aus- sicht stellen, wie sie derselben Behandlung des Bildwerks im Mittelalter zu gute kommen muß, wenn wir sie geschichtlich näher betrachten werden. Die Bildnerkunst hatte im classischen Ideal eine Selbständigkeit, durch welche der Uebergriff schreiend hervorgetreten wäre. Es hat sich nun aber mit der Polychromie der griechischen Plastik in der Zeit ihrer Blüthe offenbar so verhalten, daß sie die erste Stufe mied und sich frei zwischen der zweiten und dritten Stufe bewegte, indem der einzelne Künstler wie es ihm passend schien, mehr oder weniger sein Werk dem malerischen Eindruck näherte, wiewohl keiner ihn in seinem ganzen Umfang mit der plastischen Schönheit zu vereinigen suchte. Alle Ergebnisse der neueren Forschung zeigen, daß allerdings die zweite Stufe des Verfahrens sehr gewöhnlich war. Der Hauptbeweis ist dieser: es war, wie aus so vielen Beispielen hervorgeht, selbst in der besten Zeit und nicht blos bei chrys- elephantinen Werken, wie jene des Phidios und Polyklet, deren Edel- stein-Augen bekannt sind, sondern auch bei Erz- und Marmor-Arbeiten verbreiteter Brauch, farbige Augäpfel einzusetzen, die Iris mit Pupille von einem Edelstein oder einem andern dunkeln durchsichtigen Stoffe, das Weiße des Auges war im Marmor gegeben, doch scheint es auch von Elfenbein eingesetzt worden zu sein, bei Erzguß waren Silberblätt- chen gewöhnlich. Dieß läßt offenbar schließen, daß, wo die Spuren sol- cher Einsetzung fehlen, das Auge bemalt war. Mit vollem Rechte macht nun Hittorf gegen Kugler, der dieß zugibt, aber keinen Fleischton an- nimmt, geltend, daß das farbige Auge, wenn nicht zugleich dem Nackten des Körpers ein solcher Ton gegeben worden wäre, unerträglich gespen- stisch ausgesehen hätte. Die Einschmelzung von Wachs in den Marmor, wo er das Nackte darstellte, haben wir schon bezeichnet als ein Verfahren, das als Erstickung der charakteristischen Schönheit dieses Materials nur begreif- lich ist, wenn ihm die Auflegung eines Farbentons folgte. Dann muß- ten aber auch die Lippen eine Andeutung ihres stärkeren Rothes bekom- men; diese war daher schwerlich auf den äginetischen Styl beschränkt, an dessen Werken die Spuren sich bekanntlich finden. Die Haare mußten folgen; Spuren von Vergoldung, von Einfügung aus vergoldetem Metall sind bekanntlich nicht selten. Nun fehlt nur noch die Bekleidung, die, wenn einmal das Uebrige bunt war, gewiß nur weiß blieb, wenn sie weiß erscheinen sollte, übrigens auch dann ihren farbigen Saum erhielt. Gürtel, Schmuck, Waffen u. s. w. ebenfalls bemalt, oder von Erz, ver- goldetem Erz, Gold angesetzt. Diese polychromische Behandlung war nun zwar keine ganz malerische, sie blieb im wichtigsten Theil, im Fleische, bloßer Anflug, aber auch so überschreitet diese zweite Stufe den Spiel- raum, den der §. durch den Ausdruck „gewisse Andeutungen“ offen läßt. Wir können selbst Angesichts der einzig reinen Begabung des griechischen Auges für Erfassung der festen Form als solcher und der herrlichen Voll- endung der Kunst, die auf dieses Auge sich gründete, dieses Urtheil nicht opfern, nicht dem geistvollen A. Feuerbach beitreten, wenn er dem wahren Grundgedanken seiner mehrerwähnten Schrift, wonach die griechische Plastik nicht auf todte Ruhe, sondern auf Leben und Beseelung drang, die beson- dere Anwendung gibt, daß er die malerische Behandlung als „eine zarte Vermittlung des Ewigbleibenden in der Natur mit dem bunten Glanze der Erscheinung, einen sanften Uebergang aus dem geheimnißvollen Tempel der Kunst in das helle Gebiet der Wirklichkeit, eine Lockung auch des blöderen Auges durch den Zauber eines bunten Sinnenscheins zur ernsten Betrachtung des höhern poetischen Scheines“ gegen „eine Theorie, welche jedes stoffartige Interesse als Entwürdigung der Kunst verwehrt“, in Schutz nimmt. Wir suchen einen andern Ausweg, die Vergleichung mit dem griechischen Drama. Die Dichtung und die reine Mimik war hier mit Musik, Gesang, Tanz in einer Weise vermählt, welche uns unmög- lich als Muster dienen kann; die geschichtliche Entwicklung der Kunst hat zu einer Trennung dieser Formen nothwendig geführt. Die großen Tragiker bleiben uns gleich groß, obwohl wir sie darin, daß sie im Sinne dieser Kunst-Verbindung dichteten, nimmermehr nachahmen können, und wie wir von Aeschylos und Sophokles das Bleibende, rein dichterisch Schöne ohne das Recitativ und Gesang und marschartigen Tanz des Chors genießen und unserer Poesie aneignen, so streifen wir den Werken der großen Bildhauer die Farbe ab, die ihnen als vergänglichen, nur in einem besondern Momente der Kunstgeschichte begründeten Anflug ohnedieß die Luft und der Regen ebenso abgestreift hat, wie dem griechischen Tempel. Das lebendige, unmittelbare Ineinander, worin alle Künste zusammen sich bewegten, war ein unendlich fruchtbarer Zustand; wir haben durch die Trennung verloren und gewonnen, wie denn durch alle Trennung der Zweige des Lebens die Fülle naiver Unmittelbarkeit verloren geht und doch das wahre Wesen des einzelnen Zweigs reiner entwickelt wird. Daß gerade die Bildnerkunst diesen Vortheil weniger genießt, als das Drama, hängt mit Hindernissen zusammen, die anderswo liegen; das erkannte Gesetz der Farblosigkeit ist es nicht, was einer Blüthe der Plastik in der modernen Zeit entgegensteht, sondern der mangelnde Boden der Lebensbedingungen und Culturformen. Es bleibt nun die dritte Stufe, das Gebiet der zulässigen Andeutungen, zurück: aufgemalte bunte Kleidersäume, schwacher Ton an einzelnen Gewandstücken, Vergol- dung von Diademen, Attribute, Waffen u. s. w. von Erz, etwa noch An- deutung eines dunkleren Tons an den Haaren. Die Akrolithen, die Ver- bindungen von gemeinem Stein im Hauptkörper mit Marmor an Kopf und Extremitäten, von Holz und Gold, Elfenbein und Gold nebst reichem Farbenschmuck an Scepter, Thron, Schild u. s. w., kann man hieher rechnen. Die Griechen spielten zwischen diesen Andeutungen nach Gutdünken oder Umständen umher und griffen ebenso unbestimmbar nach der zweiten Stufe der Bemalung hinüber. Die Aufstellung einer Statue, der Hintergrund, auf dem sie gesehen wurde, ob bunter oder einfärbiger, die Bemalung des Grundes bei Relief und Giebelfeldgruppe war wohl dabei von be- stimmendem Einfluß. Der bescheidenere Grad, die blos punctuelle An- deutung, Umsäumung, scheint es, was Plinius circumlitio nennt (vergl. O. Müllers Handb. d. Arch. d. Kunst S. 431 Anm. v. Welcker); sie er- scheint zierlich an der Diana aus Herculanum im Museum zu Neapel und wurde durch besondere Techniker, die Enkausten, Vergolder und Bemaler der Statuen besorgt, die natürlich nach Verlangen auch die ausgedehntere Bemalung ausführten. Das Auge konnte in dieser nur punctuellen Andeutung nicht durch farbige Mittel bezeichnet sein, weil das Fleisch auch nicht angegeben war; aber es konnte nach Umständen durch Eingrabung des Randes der Iris und vertiefte Höhlung der Pupille hervorgehoben werden. Einzelne Farben-Andeutungen im Erzguß, Vergoldungen oder Einlegung von Gold, Silber an Schmuck und Waffen gehören zu diesem Systeme des leichteren polychromen Anflugs, nicht aber die Spielerei, durch Zusätze zur Erzmischung die Schamröthe eines Athamas, die Todten- blässe der Jokaste nachzuahmen, am allerwenigsten jene oben erwähnten Augen von Silber und dunkeln Steinen, denen hier kein über das Nackte verbreiteter Fleischton das mildernde Gegengewicht gab, welche daher im Erzguß abscheulich bleiben, und wenn es hundertmal Griechen waren, die sie einsetzten. Im Uebrigen und Ganzen darf das Prinzip der reinen festen Form nicht bis zur Verwerfung und blos historischen Entschuldigung auch dieser dritten Stufe angespannt werden. Wir werden noch auf an- dern Puncten sehen, daß die Abstraction der Plastik keine absolute ist. Ein leichter Traum, eine erblassende Reminiscenz oder, wenn man will, ein erster ferner Strahl der Farbe kann die Form umsäumen, ohne darum ihre wesentliche Wirkung zu zerstören, und so muß es auch dem modernen Bildhauer erlaubt sein, Schmuck, Haare, Waffen zu vergolden, einen Kleidersaum zu bemalen und dergl. Für schlechthin nothwendig hielten aber die Griechen auch diesen Anflug nicht; die Knidische Aphrodite und viele andere berühmte Statuen waren nach ausdrücklichem Zeugniß (Lu- cians Bilder 7) farblos. Es bleibt dabei, daß dieß das eigentliche reine Kunstgesetz ist. — Es handelt sich nun nur noch um die Bildung des Auges bei völliger Farblosigkeit. Es ist wahr, daß gerade hier, wo die Körperlichkeit sich ganz in die Idealität der farbigen Durchsichtigkeit mit dem intensiven Lichtpuncte aufhebt, die Abstraction der bloßen Form zur unerträglichen Härte zu werden scheint. Zunächst jedoch hat der Bild- hauer Mittel, das Auge ohne weitere Beihülfe zu beleben: er legt es tief und beschattet, doch im Schatten schwungvoll rund hervorgewölbt, zwischen den scharf erhöhten Augenknochen, die Nase und den mäßig ver- stärkten Backenknochen (Winkelmann Gesch. d. Kunst Band 2 S. 198 ff.). Eine leise Veränderung in diesen Formen, in den Hügeln und Senkungen umher und in der Höhle, erzeugt die bedeutendste Wir- kung im Ausdruck; die zarten Licht- und Schatten-Uebergänge geben jenen fernen Anschein des Blicks, wie er gerade dem Wesen der Plastik entspricht. Hiezu wirkt aber hauptsächlich die Behandlung des Augen- lids. Es tritt schon in der Natur bei einem glücklich entwickelten Men- schenschlage (vergl. zu §. 318 S. 163) als stark ausgeladenes, fast rund übergewölbtes Gesimse hervor, die Kunst verstärkt dieß und nun gibt die leiseste Linie engerer Zusammenziehung (ὑγρὸν in den Augen der Venus), weiterer Oeffnung u. s. w. die tiefste Veränderung des Ausdrucks. Diese Mittel genügen bei Gestalten, die dem Kreise ruhiger, reiner Idealität angehören. Bei bestimmteren, realer bedingten Naturen aber, nament- lich wenn sie in einer speciellen Situation, einem Zustand entschiedener Erregung, gespannter Thätigkeit aufgefaßt sind, drängt sich das Bedürf- niß einer bestimmteren Andeutung des Auges auf: dieß ist die schon er- wähnte Eingrabung der Pupille und Einritzung des Iris-Randes; streng genommen unplastisch, weil durch eine Vertiefung der Schein eines nicht Vertieften, sondern durch Farbe, Licht und Dunkel sich Hervorhebenden erzeugt wird. Die aufgeregten Köpfe der Colosse von Monte Cavallo wären ohne diesen letzten, Bestimmtheit gebenden Punct nicht erträglich; das Astragalen-spielende Mädchen sieht auf eine bestimmte Stelle, sie be- darf auch solcher Augensterne. Dasselbe gilt von der Bildnißstatue; die Individualität im engeren Sinn fordert ebenfalls diese punctuelle Zusam- menfassung in der Behandlung des Auges. Dagegen das Wesen, das im Aether des Allgemeinen ruhig wohnt und thront, ist nicht ebenso in den Punct der Individualität zusammengefaßt, richtet den Blick nicht so bestimmt auf Einzelnes, ist nicht nach außen so speziell gespannt; da genügen jene feineren Mittel in der Behandlung des Auges und der um- gebenden Parthieen überhaupt. Es ist jedoch schon bemerkt, daß auch diese über das plastische Prinzip in der absoluten Strenge seines Be- griffes hinausgehen; sie sind in Wahrheit bereits malerisch. Solche über die rein plastische Stylisirung hinausgehende malerische Hülfen kann nun aber die Bildnerkunst auch in andern Theilen nicht entbehren. Sie kann die Formen der Muskel und Gewandfaltung nicht schlechthin so behandeln, wie es die ideale Läuterung und Erhöhung des Empirischen in ihren rein allgemeinen Bedingungen mit sich brächte, sie muß auf das Verhältniß der Bildsäule zum Standorte des Zuschauers nach Höhe oder Tiefe, Nähe oder Ferne Rücksicht nehmen; manche Abweichungen von der strengen Proportion, Ungleichheiten der Ausführung, Unregel- mäßigkeiten sind dadurch bedingt, die nur der bemerkt, der den vom Künst- ler perspectivisch berechneten Ort verläßt und das Werk in größerer Nähe, von anderer Seite beschaut. Spezieller muß die Behandlung der Einzel- formen, der Knochen, Muskeln, Gewandfalten vielfach auf einen Schein arbeiten, der malerisch zu nennen ist: Erhöhungen, breite Massen, tiefes Ausmeißeln, Unterhöhlen, scharfes Abkanten müssen dem Auge des Zu- schauers nachhelfen, damit es die Form so sehe, wie sie gesehen sein will, genau betrachtet aber in Wirklichkeit nicht ist, vergl. Feuerbach a. a. O. S. 189 ff. Von einer falschen Uebertragung des Malerischen auf das Plastische, wie wir solche in der Zeit der Manieristen werden eintreten sehen, ist dieses berechtigte und nothwendige Hinüberneigen in den malerischen Schein wohl zu unterscheiden. §. 609. 1. Die Raumlosigkeit des Bildwerks (§. 599) kann nicht in völliger Ab- straction zur Durchführung kommen: ein Postament trennt es vom natürlichen Boden; es steht, da die innere Verwandtschaft mit der Baukunst sich auch als äußere Verbindung geltend macht, zu architektonischer Umgebung, ebenso zu landschaftlicher, in einem Verhältniß der Abhängigkeit, das sich jedoch in das ästhetische einer geistigen Erinnerung des Schauplatzes verwandelt, in wel- 2. chem die dargestellte Persönlichkeit wirkend vorgestellt ist. Das Größenver- hältniß der Statue ist demnach ein relatives, aber nur bis zu einer gewissen Grenze, denn vergleichen mit dem Gegenstande der Nachbildung überschreitet die Bildnerkunst in ihrer monumentalen Bedeutung nothwendig das natürliche Maaß und fügt zu dem Erhabenen der Form das räumlich Erhabene. Größe der Aufgabe und des Maaßstabs der Umgebungen steigert dieß zum Colossalen, das jedoch an dem Gesetze der Ueberschaulichkeit organischer Schönheit seine Schranke hat. 1. Es ist schon zu §. 608 bemerkt, daß sich, wie bei der Frage über die Farbe, so noch auf andern Punkten zeigen werde, wie die Abstraction der Plastik keine absolute sei, und zu §. 606 bereits auch angekündigt, was sich uns nun aufdrängt: es erleidet nämlich auch das Grundgesetz, daß sie ihrem Werke den Raum nicht mitgibt, eine Beschränkung durch das unentbehrliche Postament. Wo das Bildwerk nicht durch seine Ver- bindung mit einem Gebäude erhöht oder, als Relief, enger an dessen Fläche geheftet ist, muß es durch eine eigene Basis über den gemeinen Boden emporgehoben werden. Allein dieser einfache, sparsam gegliederte und verzierte Würfel ist doch nicht blos ein Mittel der Erhöhung, der Trennung vom Empirischen; er ist ein Stück Boden, eine künstliche Ab- breviatur des allgemeinen Bodens, die auch darum nicht fehlen darf, weil ja sonst jene Gewichtigkeit und freie Schwere, die wir ebenfalls vom Sculpturbilde ausgesagt, gar keine Unterlage hätte, gegen welche gestemmt sie sich geltend machen könnte. Es wird sich diese Bedeutung des Posta- ments noch bestimmter erweisen, wenn wir Andeutungen der Landschaft werden hinzutreten sehen. Damit ist jener tiefere Sinn nicht aufgehoben, den wir in der „Raumlosigkeit“ des Bildwerks §. 606 fanden; das Posta- ment darf durchaus nicht in der Weise naturalistisch ausgeführt werden, daß es an die Continuität des allgemeinen Raums erinnert, wodurch die Gestalt, die darauf steht, zu einem von umgebender Natur abhängigen bedingten Einzelwesen würde; es muß wesentlich anspruchlos, darf nichts für sich sein und es bleibt daher bei jenem Begriffe der Totalität, wo- nach die Gestalt ihrem reinsten idealen Wesen nach auch den Raum in sich selbst trägt; es liegt hier einer jener heitern Widersprüche der Phan- tasie vor, vermöge deren einem Geschöpfe des Geistes ein schwacher Schatten dessen, was in ihm an sich aufgehoben, resorbirt ist, doch wie- der äußerlich hinzugefügt wird. Was die Größenverhältnisse der Basis betrifft, so sind sie natürlich ganz relativ; im Allgemeinen läßt sich nur feststellen: es soll nicht zu niedrig sein, sonst hebt sich das Bildwerk nicht gehörig vom empirischen Boden und von den auf ihm wandelnden empirischen Menschen ab; nicht zu hoch, sonst entrückt es die Gestalt in schattenhafte Ferne der Undeutlichkeit, verkürzt sie zu falschen Verhält- nissen, läßt sie zu klein erscheinen. Es kann sich aber das Postament auch zu einer Gliederung entwickeln, welche sich dem Architekturwerke nähert; in Abstufungen nimmt es dann untergeordnete Bildwerke auf, welche auf das oberste als Zielpunct des Ganzen vorbereiten. Es bildet sich so eine cyklische, episch reiche Composition wie an dem herrlichen Friederichs-Denkmal in Berlin. — Allein es handelt sich noch um eine andere Form, in welcher die Reminiscenz einer umgebenden Welt dem, doch in sich totalen, Werke der Bildnerkunst anhängt; als Postament ist diese Reminiscenz vom Künstler selbst ihm beigegeben, jetzt erscheint sie in Form äußeren Hinzutretens. Die Bildnerkunst theilt mit der Baukunst noch die sehr bestimmte Abhängigkeit von einem gegebenen Raume (vergl. §. 560); wie ihr Werk sich ausnimmt, hängt ganz von der Stelle ab, wo es steht. Die Umgebung kann für das Bildwerk selbst wieder eine architek- tonische sein und ist es in den meisten Fällen gemäß jenem tiefen innern Zusammenhang beider Künste, den wir schon hinlänglich beleuchtet haben; auch aus natürlichen äußern Gründen sucht die Plastik durch Umschließung ihr Werk zu schützen; doch tritt dieser Anschluß nicht immer ein, das Bild- werk kann auch unmittelbar in landschaftlicher Umgebung stehen. Zunächst nun ist dieß Verhältniß zur architektonischen oder landschaftlichen Um- gebung ein Verhältniß unfreier Abhängigkeit; diese Unfreiheit kann aber auch hier zu einem freien Motive von Schönheit werden, ja muß es in den meisten Fällen, denn daß man für die fertige Statue den Ort erst sucht, ist der ungewöhnliche, der nicht natürliche Fall. Wird nun aber das Bildwerk für eine bestimmte Umgebung meistens ursprünglich ent- worfen, oder muß es doch mit dieser, wenn sie erst für es aufgesucht wird, stimmen, so scheinen wir in die Malerei hinüberzukommen, welche ihre Figuren für eine solche Umgebung componirt. Allein der unendliche Unterschied bleibt der, daß diese Kunst die Umgebung selbst mitgibt, jene nicht. Daher tritt auch hier wieder der rein ästhetisch begründete logische Widerspruch der Phantasie auf, daß etwas zum ursprünglich Bezweckten hinzutritt, was durch dasselbe an sich eigentlich überflüssig geworden wäre. Die Gestalt erscheint in diesem schönen Widerspruch wie ein Geist, der, den Bedingungen des Daseins entnommen, aus seinem reinen Aether zur Erde herschwebt, um in der bedingten und bedingenden Existenz, die ihn nicht oder nicht mehr bindet, sich mit freier Seligkeit umzuschauen. Dieß „nicht oder nicht mehr“ unterscheidet die im engsten Sinn ideale und die zunächst realer bestimmte Natur. Der Gott ist eigentlich das Weltall selbst, er hat aber eine Welt außer sich hervorgebracht: er thront nun in ruhiger Majestät in ihrem idealen Abbilde, dem Tempel. Vom Standpuncte der strengsten Logik betrachtet wäre schon die Tempel-Auf- stellung ein Widerspruch, denn das absolute Wesen wohnt eigentlich nicht. Doch ist der Tempel eine unendliche Abbreviatur des Naturlebens, ideales Gebilde wie der Gott selbst. Neben diesem idealen Abbild breitet sich das reale Urbild desselben als empirische Natur aus, worin der Gott, als lebendes Wesen vorgestellt, waltet. Eigentlich ist schon diese Vor- stellung des Waltens ein Widerspruch, denn er ist die Natur, sie ist in ihm zum Individuum aufgehoben, also kann sie, streng genommen, nicht neben ihm auch sein. Sie ist aber doch neben ihm; er ist der Geist der Sonne, des Luftraumes, des Meeres, der Erde, diese sind der Körper des Geistes, neben dem der Geist eigentlich nicht überdieß einen besondern, individuellen Körper besitzen kann, er besitzt ihn aber doch und neben ihm breitet sich jener nicht individuelle Körper aus. Wird nun der Gott in Kunstgestalt hineingestellt in diesen seinen Schauplatz, so ist der Wider- spruch noch vollständiger, denn die ideale Zusammenziehung der äußern Natur ist nun im Götterbilde bis zur geschlossenen Verfestigung vollzogen; aber auch dieß hält die Phantasie von ihrem schönen Verdoppeln nicht ab und der Gott in voller Kunst-Erscheinung schaut sich nun um im Schauplatze seines Wirkens, Poseidon thront am Meere, Diana wohnt im Haine und Athene überschaut freundlich schützend, dem Feinde feindlich ihr geliebtes Attika mit den heiligen Oelwäldern, die sie selbst gepflanzt. Untergeordnete Genien, die nicht ebenso wie die hohen Götter aus Na- turgeistern zu sittlichen Wesen erhöht sind, finden ihre Stätte noch bestimm- ter in Hainen, Wäldern, Gärten, an Quellen, Flüssen. Werden nun die höheren Wesen in ihrer ethischen und politischen Bedeutung gefaßt, so führt dieß entweder zur Aufstellung im Tempel, wovon wir schon gespro- chen, oder in einer geöffneten architektonischen Umgebung, und der Sinn der letzteren Aufstellung ist derselbe wie der landschaftlichen: Ackerbau, Gewerbfleiß, Handel, Gesittung, Gesetz, Recht, Krieg, Staat sind im Gotte repräsentirt, dieß übersetzt die Phantasie in die Vorstellung, er habe sie gegründet und regiere sie, und die Kunst errichtet nun sein Bild am Hause des Gerichts, der Erziehung, den Hallen des Markts, auf der Burg; er ist da im Seinigen zu Hause, schaut sich um und ebensosehr bleibt er selbstgenugsam in sich und ist das Alles selbst. So nun auch der Heros, der ausgezeichnete Mensch in seiner ethischen, nationalen Be- deutung: als Sculpturbild ist er verewigt und über den Schauplatz seines Wirkens unendlich hinweggehoben, aber die reine Gestalt verläßt ihren Himmel, verweilt freundlich in den Straßen, Plätzen, wo sie gewirkt; der Krieger hütet Burg und Zeughaus, der Dichter stellt sich am Theater, der Künstler am Kunstgebäude, der Richter am Hause der Gerechtigkeit auf; die Errichtung von Standbildern in Sälen öffentlicher Paläste kann zu dieser nicht geschlossenen Aufstellung gezogen werden, das Heroon ist es eigentlich, was hier dem Tempel entspricht. Die besondere Art der Kämpfe und Leiden eines durch die Sage gefeierten Menschen mag aber auch zur landschaftlichen Aufstellung führen und der vertraute Geisterbesuch kann ohne Verletzung jener idealen Raumlosigkeit selbst so eng auf die wirk- liche Natur bezogen sein, wie jenes Bild des Narcissus, das an die wirkliche Quelle gestellt in ihrem Spiegel sich zu beschauen schien. 2. Wenn aus dieser Beziehung zu umgebendem Raume, sei er ein natürlicher oder geöffnete Architektur oder das Innere eines Tempels, die Relativität der Größenverhältnisse für die Plastik von selbst sich ergibt, so muß sich doch in diesen die Nachbarschaft der Baukunst, ihr Herüber- wirken in die Bildnerkunst auch abgesehen von der äußern Beziehung prinzipiell geltend machen; die verewigende, monumentale Natur, welche sie mit jener gemein hat, muß alle Formen strecken und erhöhen und der Mensch in ihrem Werke gleicht dem Odysseus, welchen, da er aus dem Bade stieg, Athene höher an Gestalt und völliger schuf. Unser Auge Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 26 mißt ja das Bildwerk, wenn auch nicht mit dem Maaßstabe großer, massenhafter Umgebungen, doch immer der umwandelnden Menschen, und wenn ein altes Gesetz gebot, die Statuen der Sieger in den Festspielen nicht über natürliche Größe zu bilden, sondern diese Ehre den Göttern vorzubehalten, so mußte in irgend einem Maaße doch die stylisirende, keine mangelhaft entwickelte Form duldende Kraft der Kunst immer zu einem Uebertreten desselben führen. Ein Werk, das nur natürliche Lebens- größe hat oder unter ihr ist, kann natürlich immer noch ein Kunstwerk sein, denn das Künstlerische liegt ja doch im Qualitativen und wir haben von der großen Wirkung desselben bei sehr kleinem Maaßstabe das Beispiel des Herkules Epitrapezius angeführt zu §. 489, aber ganz in ihrem Wesen ist die Bildnerkunst doch nur, wenn sie die innere Großheit, die in ihrem Style liegt, auch in äußerer Größe so ausdrückt, daß ihr Werk, hinausgestellt in Licht und Luft, oder hineingestellt nicht blos in Prunkgemächer, sondern in erhabene Hallen öffentlicher Gebäude, in jeder Messung mit Umgebendem noch groß und monumental erscheint. Es kann so, wie es eine Kabinetsmalerei gibt, nicht eine Kabinetsplastik geben; diese wird durch die Kleinheit des Maaßstabs blos anhängende Zierkunst, während jene immer noch selbständige Kunst heißen kann. Vereinigt sich nun hier überhaupt die qualitative Erhabenheit der Form mit der quantitativen des Raums, so wird auch, je höher das Wesen einer Gott- heit, desto näher eine Steigerung der Maaße liegen, welche bis in das Colossale geht; es ist dieser innere Grund zunächst für sich zu fassen, denn der Olympische Zeus und das Tempelbild der Athene von Phidias, beide ohne die Basis etwa 40 F. hoch, das colossale Hero-Bild des Polyklet in Argos thronten in Tempeln, deren Verhältnisse mit dem Werke des Bildners in Uebereinstimmung schon ursprünglich entworfen waren. Das Alterthum gönnte solche Ehre den höchsten Landesgöttern und erhabensten Göttersöhnen; in der neueren Zeit wird die Monumentstatue des großen Mannes colossal sein dürfen, ohne dem Vorwurfe vergötternder Schmei- chelei zu verfallen, wie die Kaisercolosse Roms; fein aber bemerkt A. Stahr (Deutsch. Mus. v. Prutz. 1852 N. 9.), daß nicht ebenso für Dichter und Denker das colossale Maaß sich eigne, wie für die prak- tischen Naturen, die an sich schon im Gebiete des Massenhaften, quanti- tativ Erhabenen sich bewegen. Zur Höhe der Aufgabe an sich kann aber nun die Messung mit großen Verhältnissen der umgebenden, nicht ursprüng- lich mit der Statue zusammengehörigen Architektur oder der Landschaft treten und so war es wohl motivirt, daß die Athene Promachos, über 70 Fuß hoch, weit über Land und Meer hinaus ragte. Dagegen muß es auch eine Grenze geben, jenseits welcher eine falsche Uebertra- gung der architektonischen auf die bildnerische Phantasie im Maaßstabe der Größe eintritt. Die Verhältnisse des Bauwerks, weil sie nicht Nachbil- dungen der organischen Schönheit sind, wirken in einer Entfernung des Zuschauers, in welcher organische Formen längst seinem Auge wahrnehm- bar zu sein aufhören; steigt nun ein Bildwerk zu einer Größe hinan wie Bauwerke, so findet er gar keinen Standpunct, seine Formen zu er- fassen, denn in der Nähe überschaut er sie nicht als Ganzes und in der Ferne zerfließt ihm das Einzelne. Der Orient und die spätere griechische Kunst in den Sonnencolossen von Rhodus, namentlich dem größten von 70 griech. Ellen, die römische im Colosse des Nero von 110 F. haben in prunkender Ausschweifung diese Grenze überschritten. §. 610. Der Umfang des Darstellbaren, zunächst nach der allgemeinen Sphäre des Stoffs betrachtet, faßt außer dem menschlichen Leben auch das thierische in sich, dessen edlere Arten zu dem Gediegenen und Ungetheilten des menschlichen Daseins, wie es die Plastik zu erfassen hat, sich wie vorbil- dende Typen verhalten. Freundliche oder feindliche Zusammenstellung des Thiers mit dem Menschen setzt durch den der unmittelbaren Vergleichung ge- gebenen Maaßstab den Unterschied der Kräfte und Formen in gesteigertes Licht. Der §. geht zu einer neuen Seite über, die aber auch unter den Be- griff der äußern Bestimmtheit gehört, wie solcher relativ von dem Begriffe der innern zu trennen ist: zu der Frage nach dem Umfange des Stoffs, ganz im Allgemeinen, in Beziehung auf die Sphären des Naturschönen gefaßt. Die Landschaft ist (§. 599) weggefallen; wir werden jedoch noch einmal auf sie zurückkommen. Das Thier ist bisher neben der Hauptauf- gabe der Bildnerkunst, der Darstellung des Menschen, ohne nähere Be- gründung da und dort als Stoff angedeutet. Es ist zunächst die festge- gossene Compactheit, die abgerundete Bestimmtheit seiner Gestalt und Bewegungen, was dieser Kunst der klaren Form unmittelbar zusagen muß. Wie alle Kunst harmlos nicht unmittelbar auf Gehalt losgeht, sondern von richtigem Blicke geleitet die Formen ergreift, die ihren Styl- bedingungen zusagen, so erfreut sich die Plastik an dem Geschwungenen, Vollen, Runden schon der Linie an sich. Der Kopf einer Taube, Ente, um ganz anspruchlose Beispiele zu brauchen, ist plastisch schön und lädt zum Nachbilden im plastischen Sinn ein. Die höheren Säugethiere, die Vielhufer und Einhufer, die bedeutendsten Pfotenthiere, Katze und Hund, vereinigen eine Fülle solcher schwungvoller Formen; man sehe nur z. B. wenn der Löwe oder der stärkere Hund liegt, die schöne Linie der Hinter- backen, wie sie an der schlanken Einziehung des Kreuzes sich herausschwin- gen. Am Geschlechte der Schaafe mag den Maler die eigenthümliche 26* Stimmung, das Genährige, Dumpfe anziehen, den Bildhauer erfreut die Form eines Widderkopfs schon im Zug ihrer Linien. Die Lehre vom Naturschönen hat überall in kurzen Zügen das Wesentliche angedeutet, auch über den Unterschied der plastischen und malerischen Seite Winke gegeben. Nun aber kann es sich doch auch in der bildnerischen Auffassung um die Form nur in ihrer Einheit mit der seelischen Belebung handeln; das Thierleben ist ein unfreies, bewußtloses, seine körperliche Bildung nur der Ausdruck dieser dunkeln Seele, und da fragt es sich, wie eine Kunst, welche kein Mittel hat, eine Lebensstufe, die in diese Niedrigkeit gebannt ist, durch die Farbe und den Stimmungshauch umgebender Natur in einem gewissen lockernden, dem geistigen Ausdruck nähernden Sinne zu durcharbeiten, dennoch berechtigt und gerufen sei, dieselbe ganz für sich, ja ein einzelnes Thier als würdigen Gegenstand zu behandeln. Geist in Naturform ist Aufgabe der bildnerischen Darstellung, ein in sich ungebro- chenes, ungetheiltes, naives Seelenleben hat sie zur Erscheinung zu brin- gen. Ein solches ist nun im Thiere sozusagen zu vollständig vorhanden. Es ist vielseitig in Empfindungen und Trieben, es zeigt bestimmte Ana- loga mit dem geistigen und sittlichen Leben des Menschen, aber Alles liegt im Schooße bewußtlosen Dunkels gebunden. Dieser Ueberfluß von Natur liegt jedoch für den plastischen Standpunct der richtigen ästhetischen Mitte um so viel näher, als der Ueberfluß von Geist, daß sie gerade mit Vor- liebe bei ihm verweilen wird wie einem sichern Hafen, der sie vor diesem unruhigen Meere des einseitig Geistigen, der sinnlich ausgesogenen, geistig verblasenen Natur schützt. Die richtige Mitte wird eine Menschheit sein, wie wir sie §. 350 von den Griechen ausgesagt haben: „das Individuum athmet Geistigkeit in Form edlerer Thierheit“, vergl. dazu Anm. 3. Ist ebendamit der Grund ausgesprochen, warum das thierische Leben dem menschlichen, wie es die Plastik braucht, näher liegt, als ein überbil- detes menschliches, so heben sich aus dieser allgemeinen Nachbar- schaft auch bestimmte Bilder näherer Analogie hervor. Menschen wie die, von denen Göthe zu sagen pflegte: es ist eine Natur, erinnern häufig an gewisse Thier-Typen, oder umgekehrt, in der Thierwelt treten Typen so ausgeprägter Natur hervor, daß sie wie vorbildend für menschliche Charaktere, als Charakter-Typen erscheinen. Adler, Stier, Eber, Hirsch, Widder, Roß, Löwe, Hund für das Komische, soweit die Bildnerkunst sich in es einlassen kann, Hahn, Eule, Storch, Ziege, Elephant, Bär, Fuchs sind solche Erscheinungen, die gerade durch die einfache Ausschließ- lichkeit, womit ein Analogon sittlicher Eigenschaft in ihnen als Naturnoth- wendiges sich darstellt, sich wie von selbst anbieten, um menschlichen Charak- teren, selbst wie sie in die höchste Idealität als Götter und die diesem zunächst liegende der Genien und Heroen sich erheben, etwas von ihren Zügen zu leihen; ebendaher müssen sie aber auch als Stoffe für sich, worin nun das Analogon als ein selbständiges Ganzes auftritt und die ver- gleichende Beziehung nur leicht umherspielt, der Bildnerkunst zusagen. — Diese Beziehung hebt natürlich den Gegensatz nicht auf und das edelste Thier bleibt zugleich ein unendlich Anderes, Niedrigeres, als der Mensch. Die Bildnerkunst wird daher mit besonderer Liebe den unendlichen Vor- zug in der Aehnlichkeit durch Zusammenstellungen zeigen, worin das Thier als Gefährte, Gespiele, Diener oder als bekämpfter Feind neben den Men- schen tritt; eine Welt von milden und vollen Contrasten und mitten im Contraste von Verwandtschaften wird sich eröffnen. Wenn Herkules den Kretischen Stier bezwingt, so sehen wir in ihm das Stierähnliche, zum menschlich Heroischen erhoben, über die in Formen verwandte rein thierische Erscheinung siegen, wenn er die cerynitische Hirschkuh zu Boden drückt, so meint man ihre zarten, schlanken Glieder unter der in vollem Gegen- satze wirkenden Wucht des gedrungenen Heldenleibs krachen zu hören; aber freundlich tränkt der ruhende Bachus den Panther, in welchem das Heiße, Leidenschaftliche, Formenweiche des Gottes thierisch ausgeprägt ist, und Apollon und Artemis, die hirschähnlich schlanken, spannen das willige Hirschpaar vor ihren Götterwagen. §. 611. Der Umfang des Ausführbaren in Beziehung auf die Vielheit der in einem Werke zu vereinigenden Gestalten erweitert sich durch gewisse Arten engerer Verbindung der Bildnerkunst mit der Baukunst: namentlich die Gruppen der Giebelfelder und das Relief. Da jedoch die Fläche, aus welcher hier die Figuren in minderem oder stärkerem Grade der Erhebung, im Giebel- felde bis zur Ablösung, hervortreten, keineswegs den in die künstlerische Dar- stellung mitaufgenommenen Raum darstellt, welcher, als architektonische oder landschaftliche Umgebung behandelt, es zuließe, in beliebigen Abstufungen der Entfernung nach der Tiefe beliebig viele Figuren aufzuführen und hinter- einanderzustellen, so ist jene Erweiterung eine beschränkte und macht ihre Be- deutung erst in der Frage über die Composttion eingreifender sich geltend. Zu den Formen der engeren Verbindung mit der Baukunst als eines Motivs, wodurch die Strenge des Gesetzes der Sparsamkeit in der Figuren- zahl gemäßigt wird, können wir jene zu §. 609, 1. erwähnte reichere Gruppirung um ein gegliedertes Postament zählen; Aufreihungen vieler Statuen in Sälen, Treppenhäusern, auf Galerieen können auch nach der Idee des innerlich Zusammengehörigen geordnet werden, hier ist aber der Begriff des Zusammengehörigen ein so loser, daß dadurch die Bildnerkunst nach der Seite der Figurenzahl nicht eigentlich erweitert wird; solche Zu- sammenstellungen kommen erst bei der Frage über cyklische Anordnung zur Sprache. Anders verhält es sich, wo das Bildwerk vor eine architekto- nische Fläche auf ein Gesimse gestellt und von einem Rahmen, der es zu einem Ganzen zusammenfaßt, umgeben wird, wie in dem stumpfen Dreieck des Giebelfeldes. Hier kann sich die Sculptur in reichen Gruppen entwickeln, wie in den Giebelfeldern des Parthenon, des Zeustempels zu Olympia, des Athene-Tempels zu Tegea; allein auch diese Erweiterung geht nicht so tief, als es scheint, denn sie fordert zwei Opfer: das der engeren Gruppirung und ebenhiemit das der vielseitigen Schönheit, welche das freistehende Werk dem Umwandelnden darbietet. Alle Bildwerke, die sich an eine architektonische Fläche schließen, sind nur auf Einen Gesichts- punct berechnet und an der nicht sichtbaren Seite nur ganz oberflächlich bearbeitet. Die Figuren des Giebelfeldes können aber auch mit der Fläche noch wirklich zusammenhängen und dieß führt auf die besondere Form der plastischen Darstellungsweise, die wir bisher nur gelegentlich erwähnt haben, das Relief. Diese eigenthümliche Form ist offenbar in Aegypten her- vorgegangen aus eingegrabenen Umrissen, also einem Verfahren des Zeich- nens, das sich mit einem architektonischen Körper dauernder zu vermählen suchte; man ging dann auf zwei Wegen weiter: man nahm das inner- halb der Umrisse Stehengebliebene weg und hatte nun flach vertiefte Fi- guren, die man bemalte; oder man rundete die Formen der Gestalten, die der tiefe, scharfe Umriß zeigte, nach dem Vorbilde der festen Form in der Natur ab und dieser Weg führte zum Relief, denn man hatte nun eine Figur, die, obgleich sie auch noch bemalt wurde, doch innerhalb des Umrisses ihre Formen plastisch aussprach. Es fehlte nur noch, was die Aegypter noch nicht wagten, daß man die Erhöhung zwischen solchen Figuren (sog. Koilanaglyphen) abflachte bis an eine Grenze, die einen umschließen- den Rahmen darstellen sollte, daß man die Ausladung der Figuren nicht auf das Richtmaaß der weggenommenen, jenseits des Rahmens aber be- lassenen Fläche beschränkte, sondern verschiedene Grade der Erhebung je nach dem künstlerischen Bedürfniß ( basso, mezzo, alto ) wählte und end- lich die Bemalung, wo nicht aufgab, doch als freie Zuthat in beliebiger Ausdehnung übte: so erkannte man, daß man in der Plastik selbst, wenn man sie so als aus einer Fläche nicht bis zur völligen Ablösung heraus- wachsen lasse, in gewissem Sinne malen und sich somit unendlich freier bewegen könne, als in der völligen Rundbildnerei. Es war dieß nicht mehr ein eigentliches Malen wie jene den Koilanaglyphen vorangegangene Darstellungsweise, aber die Plastik wies nun durch diese aus einer Art von Malerei an sich schon entstandene Form als ihren Endpunct nach der Malerei hinüber. Und wirklich ist und bleibt das Relief eine Mittelform, die zu dieser Kunst hinführt. Darin liegt nun aber auch eine Versuchung zu wirklicher Vermischung der Grundgesetze zweier Künste, zu einer falschen Uebertragung der malerischen in die plastische Phantasie; die Griechen noch nicht, wohl aber die Römer, noch mehr aber die Künstler des späteren Mittel- alters, der Renaissance- und Rokoko-Zeit erlagen in verschiedenem Sinne dieser Versuchung. Das Grundgesetz der Bildnerkunst wird nämlich im Relief so wenig aufgehoben, daß es nach einer Hauptseite sogar noch strenger wirkt, als in der Rundbildnerei, und nach einer andern zwar eine Erweiterung in sich aufnimmt, jedoch, eben wegen der erhöhten Strenge auf jener Seite, nur zugleich mit einer wesentlichen Hemmung. Das heißt: in der Richtung der Tiefe kann das Relief sogar weniger Figuren miteinander verbinden, als das freie Bildwerk, wohl aber in der Richtung der Länge, hier jedoch auf Kosten der strengeren Einheit der Composition. Der Grund ist dieser: im freien Bildwerke muß der Künstler zwar sparsam sein in Zahl verbundener Figuren, weil sie sonst einander decken, übrigens aber kann er doch seiner Basis einen verhältnißmäßig bedeutenden Um- fang geben und sein Werk kann umwandelt werden; das Werk des Relief- bildners aber kann nicht umwandelt werden und er kann den Mangel der Tiefe nicht durch Annahme verschiedener Grade von Erhebung ergän- zen, sondern im Wesentlichen soll in jedem Relief Ein Erhebungsgrad herrschen, denn er darf nicht meinen, durch die architektonische Fläche, auf welcher er darstellt, nun einen Grund gewonnen zu haben, der ihm die Breite der Basis ersetzte und weiterhin überhaupt einen beliebigen Darstellungs-Umfang in der Richtung der Tiefe darböte. Die Fläche ist nicht der Raum seiner Figuren, die Raumlosigkeit des Bildwerks ist im Relief nicht aufgehoben, die Fläche ist bildnerisch indifferent, geht nur die Baukunst an, ist dem Bildner nur das stoffartige Feste, an das er sein Werk, um die freiere Ausdehnung in die Länge zu gewinnen, anklebt. Was aus der Verkennung dieser Indifferenz der Fläche entspringt, hat Tölken (Ueber d. Basrelief u. s. w.) gezeigt: der geringste Grad der Ausladung, der das Fernste anzeigen soll, läßt das also flach Gebildete doch nicht fern erscheinen, denn es fehlt die Abschwächung der Farben und Tinten, welche diesen Schein erzeugt, und der natürliche Schatten der Figuren, die stärker ausgeladen den Schein des Mittel- und Vorder- grundes hervorbringen sollen, hebt vollends, indem er natürlich weit ge- nug reicht, um auf jenes Flachste noch zu fallen, allen Ferne-Schein auf. Will man nun die vermeintlich gewonnene Tiefe dazu benützen, um Figuren in gedrängten Gruppen, also auch in mehreren Abstufungen hin- tereinander zu verbinden, so verliert immer das Relief der vordern durch das der hintern und schließlich wäre der Bildner genöthigt, die vorderste ganz frei abzulösen, d. h. er wäre aus dem Relief ganz heraus und hätte das Uebrige, was noch Relief sein soll, in seiner Wirkung als solches zerstört. Das Figuren-Gedränge späterer, römischer Reliefs können wir nicht als eine berechtigte zweite Form dieses Zweigs anerkennen, wie neuerdings geschehen ist. Der Bildner muß zufolge diesen Bedingungen seine Figuren so viel als möglich mehr nebeneinander, als in die Tiefe hintereinander treten lassen und obwohl ihm dieß immer noch erlaubt, sie in Kampf oder anderer Hand- lung einander nicht nur gegenüberzustellen, sondern bis auf einen gewissen Grad auch zu verschlingen und so z. B. ein in einzelne Kämpfergruppen aufgelöstes Schlachtgewühl aufzurollen, so wird doch das Natürlichste sein, wenn er als Stoff für seine Darstellung ein reihenweises Auftreten, wie in Prozessionen, wählt. Das Relief ist wesentlich ein Streifen, plastische Entwicklung des bloßen Ornaments, das architektonische Flächen umsäumt, und wohl möglich, daß, wie alle Verschlußzierden auf die Kunst der Weberei zurückweisen (vergl. §. 573 Anm.), so auch jene ältesten ägyptischen Um- risse eine Nachbildung von Gewobenem, Gewirktem, Gesticktem sind, worin wir denn überhaupt den Anfang der Malerei zu suchen hätten. Es ist also namentlich der Fries, dem sich das Relief verbindet; die Me- topen sind einzelne Felder, die aber in ihrer Wiederholung ebenfalls einen Streifen darstellen, und wie an das Bauwerk legen sich solche Streifen an Sarkophage, Throne, Piedestale und an Gefäße, Geräthe (z. B. Schilde), wo sie endlich zu der Kleinheit der Figuren heruntergehen, bei welcher die monumentale Kunst der bloßen Zierplastik weicht. — Wir haben also jetzt das Gesetz der Wenigkeit der Figuren zwar sich erweitern sehen, doch nur in einer Weise, welche uns an der gegenwärtigen Stelle unserer Erörterung geringen Zuwachs zeigt, vielmehr, wie dieß am Anfang dieser Anm. von einer andern Art reicher Figuren-Aufreihung gesagt ist, nach einer Seite, die erst im weitern Verlauf zur Sprache kommen kann, der Composition nämlich, hinweist und zwar jener cyklischen, wo es sich nicht um Ein geschlossenes Kunstwerk handelt, sondern der Zuschauer sich fort- bewegend von Kunstwerk zu Kunstwerk, endlich eine Summe von Kunst- werken zu einem größeren, von Einem fruchtbaren Gedanken beherrschten Ganzen sich zusammenstellen sieht. So folgen sich im Streifen des Relief mäßige Gruppen oder einzelne Figuren, deren keine mit der andern eng verflochten ist, der ganze Streifen gesellt sich zu freiem Bildwerk und beide vereinigen sich mit dem ganzen Bau und seiner übrigen Ausstattung zu einer geistigen Einheit. Das an Figurenzahl so eben Gewonnene ent- flieht uns unter der Hand in die Längenrichtung und läuft in diesen weit- schichtigern Zusammenhang fort. Das Relief hat allerdings seine, wenn auch lockere, Compositions-Einheit, aber als Ganzes im größeren Zu- sammenhang behält es diesen fortleitenden, weiter führenden Charakter. §. 612. Auch in Beziehung auf die nähere Bestimmtheit der Gestalten in Sphäre, Lage, Handlung wäre somit der Umfang der Darstellungsfähigkeit ein sehr beschränkter, wenn die Bildnerkunst nicht durch gewisse mythische und sym- bolische Hülfen, welche die Umgebung anzeigen, durch das Attribut, die Bekleidung, Schmückung, Ausstattung, namentlich aber eine feststehende Ge- bärdensprache den Mangel zu ersetzen wüßte. Aber auch im Gebrauche dieser Ersatzmittel selbst ist die Bildnerkunst sparsam, weil ihr ganzer Geist sie auf das Allgemeine, vom Zufälligen entblößte Wesentliche hinweist, wie es in der Gestalt an sich liegt. Die Bildnerkunst bedarf Surrogate für den fehlenden Hintergrund und die beschränkte Figurenzahl, Abbreviaturen, Auszüge, welche stellver- tretend das Allgemeine, Viele, das die Hauptpersonen umgibt und uns besagen sollte, was sie sind, leiden, thun, durch ein Einzelnes andeuten. Es gilt dieß schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte geschichtliche Form des Ideals, aber es kann auch nicht zur Sprache kommen, ohne sogleich den Blick zu eröffnen in die Entwurzelung der Plastik, wie sie da eintreten muß, wo jenes Prinzip des Vicarirens, des Aussprechens einer ganzen Sphäre durch ein Individuelles, kurz der Act der ästhetischen Zu- sammenziehung in seiner mythischen und symbolischen Form, im Ganzen und Großen erloschen ist; wir werden jedoch Recht und Nothwendigkeit des Beibehaltens dieser Abbreviatur durch eine Rückversetzung in den Standpunct des classischen Ideals in dem Ueberblick über die Geschichte unserer Kunst aufnehmen. In der That ist die Verwendung jener Andeutungen auf dem Puncte, von dem es sich nun handelt, auch bei den Alten nicht der reine und volle Ausdruck ihres mythischen Glaubens. Was zuerst die Ersetzung der ausführlich bezeichnenden Umgebung durch ganze mythische Gestalten betrifft, so ist dieser Gebrauch derselben wohl zu unterscheiden von dem Kunstwerke, wo solche die Hauptpersonen sind, den eigentlichen Zweck der Aufgabe bilden. Ein Flußgott, für sich dargestellt, ist nicht statt des Flusses gesetzt, sondern der Fluß ist in ihm zur Persönlichkeit, zur ganzen, mensch- lichen erhoben; sind aber die Hauptpersonen andere und soll ein Flußgott mit einer wassergießenden Urne daneben oder im Hintergrund nur anzei- gen, daß die Scene an einem Flusse vor sich geht, so gilt jetzt diese Ge- stalt nicht im vollen mythischen Ernste, sondern eigentlich mehr nur alle- gorisch, doch bleibt der Vortheil, daß auch das Allegorische mehr Leben hat, weil die Wärme des mythischen Glaubens im Ganzen und Großen die Grundlage bleibt. So dient nun jetzt eine Localgottheit, ein Genius, ein Gott für die wirkliche Darstellung einer ganzen Landschaft, Hain, Stadt u. s. w., ja die in Wasser sich auflösende Gestalt des Jupiter zeigt auf der Antonin-Säule den Eintritt erfrischenden Regens an. Es handelt sich aber nicht nur von der Scenerie im gewöhnlichen Sinne; auch eine Figuren-Menge soll durch Stellvertretung mit den wenigsten Mitteln ausgedrückt werden. Das Verhältniß kann sich hier verändern: die stellvertretenden Figuren können als die Hauptpersonen, ja als die einzigen auf einem ganzen Kunstwerk erscheinen; aber der Fall ist doch der besondere, daß die Stellvertretung hier ausdrücklicher ist, als in der mythischen Anschauung überhaupt und abgesehen von einer solchen einzelnen Kunstaufgabe. Es genügt nun z. B. Ares für das ganze Getüm- mel der Schlacht, in welchem sein Geist braust, oder einige Helden für die obscure Menge der übrigen Mithandelnden (vergl. dazu die wich- tige Auseinandersetzung zu §. 606): wenige Vorkämpfer fassen ein gan- zes Schlachtbild, wenige berathende Häupter eine ganze Versammlung in sich zusammen und gerne läßt sich die griechische Plastik an einer Drei- zahl von Figuren genügen (vergl. Winkelmann a. a. O. Bd. 2 S. 178). Nicht anders verhält es sich mit den symbolischen Hülfen, d. h. den nicht menschlichen, sondern thierischen, vegetabilischen, mechanischen Gebilden, welche Stand, Beschäftigung, Thätigkeit, Situation, Umgebung stellvertretend für die ausführliche directe Darstellung alles Umgebenden anzeigen. Ein Theil derselben ist nämlich im classischen Ideal eigentlich nicht mehr Sym- bol und noch nicht Allegorie: dieß sind diejenigen Hülfen, welche einer Person unmittelbar und bleibend beigegeben sind, d. h. die Attribute. Sie bestehen aus alten Symbolen, welche mit dem Fortschritt zum Mythischen in Fluß gekommen, in organischen Zusammenhang getreten sind und so die Be- deutung eines thierischen Begleiters, Gespielen, Dieners, einer Waffe, eines Werkzeugs, irgend eines Gegenstands, den man spielend hält, be- kommen haben, wie der Adler des Zeus, der Delphin der Aphrodite, die Schlange des Aeskulap, der Dreizack Neptuns, die Aehren der Demeter u. s. w., vergl. zu §. 434 und die vielen Beispiele in Otfr. Müllers Handb. d. Arch. d. Kunst §. 344. Im gegenwärtigen Zusammenhang aber erscheinen sie mehr allegorisch, d. h. sofern sie die wirkliche Darstellung des Hintergrundes, welcher zugleich die Naturbedeutung eines Gottes dar- stellt (Luftraum, Wasser, Meer u. s. w.), vertreten sollen, sind sie weniger Gegenstand lebendigen Glaubens, als eben andeutende Hülfen, wiewohl im Alterthum noch immer belebt durch das Ganze der mythischen An- schauung. Andere Anzeigungsmittel sind nun entweder getrennt von den dar- gestellten Personen oder, wenn ihnen näher beigesellt oder gar in die Hand gegeben, doch nicht stehende Zugabe, sondern für den einzelnen Fall gewählt, um Ort, Situation, Act zu bezeichnen. In jene Gattung ge- hören die stellvertretenden Stücke eines Ganzen, die partes pro toto: eine Staude für Hain, Wald, Pfeiler für Haus, einzelner Stein für Ge- birge, aufgehängter Teppich für Wohnzimmer u. dgl. Solches tritt nament- lich im Relief auf und scheint dem Satze zu widersprechen, daß hier die Fläche nicht als der zur künstlerischen Darstellung mitgehörige Grund zu betrachten sei; dieß ist aber nur eine weitere Seite jenes berechtigten äst- hetischen Widerspruchs, den wir schon in der Farbe, im Postament, in der Beziehung der Statue zu wirklicher Umgebung gefunden haben (§. 608 Anm. u. 609, 1. ): ein Fingerzeig, ein Schatten, leicht hereinwirkend und an den Grenzen des Prinzips, wonach alles Umgebende und Con- tinuirliche in der individuellen Gestalt aufgegangen sein soll, in leich- tem Spiele rüttelnd. Zur andern Gattung gehört z. B. die Phiale, um einen Opfer-Act, Knotenstock, Syrinx, um Landleben, Palme, um Sieg, Oelzweig, um Hülfeflehen, Tänie, um hohe Ehre, Schattenhut, um Reise und Jagd, runde Mütze, Ruder, um Seefahrt, gesenkte Fackel, um den Tod, Kithar bei Apollo, um ihn als den musischen, Seelenreinigenden, Bogen und Köcher, um ihn als den rächenden Gott, und wieder der ge- spannte oder schlaffe Bogen, offene oder geschlossene Köcher, um den Mo- ment vor, in und nach dem Kampfe zu bezeichnen, und And. Endlich führen wir Solches auf, was unmittelbarer zur Behandlung der Gestalt selbst gehört, hier aber nicht in seiner rein ästhetischen, sondern eben in der blos bezeichnenden Bedeutung. Manches davon fällt auch unter den Standpunct des Attributs, eine hier unvermeidliche Wiederholung. So könnte denn die Plastik nicht auskommen, wenn sie nicht durch Beschaffen- heit, Schnitt, Art der Umlegung oder auch Abwerfung des Gewands, durch Waffen und sonstige Ausstattung, beigelegten oder natürlichen Schmuck, wie z. B. die Behandlung der Haare und dergl., die Zeichen- sprache vervollständigte, mittelst welcher sie die mangelnden malerischen Mittel ersetzt. Chlamys zeigt kriegerische Beschäftigung an, Nacktheit des Manns den Athleten oder den zu energischer Thätigkeit gerüsteten Gott, des Weibes ursprünglich die Situation des Bades, tiefere Gürtung des weiblichen Chiton Amazonencharakter, Gürtellosigkeit Vorbereitung zum Tanz, Obergewand, dem Sitzenden auf die Hüften herabgefallen, bequeme Ruhe, fest umgenommenes Trauer oder ernste Sammlung, wie die vor dem Beginn einer Rede, u. s. w. Da die Griechen meistens die Statuen bemalten, so sprach auch die Farbe des Kleides symbolisch mit (Winkel- mann a. a. O. Bd. 3, S. 11 ff.). Aber auch diese Zeichensprache wurde noch einmal abbrevirt, so daß z. B. ein Helm die ganze Rüstung be- deutete. Am kurzgeschnittenen Haar erkennt man Epheben und Athleten, edler und ruhiger ordnen sich die löwenmähneartigen Locken des Zeus, unruhiger flattern die ähnlichen des Meeresgottes, die weichen und reichen Haarknoten lassen Bacchus und Ariadne erkennen. Alle diese Dinge sind, wie gesagt, auch ästhetische Motive, hier aber fassen wir sie als Kenn- zeichen auf. Wie wichtig dieß Gebiet ist, zeigen namentlich gewisse Auf- gaben im Gebiete des monumentalen Standbilds. Genügt es z. B., wenn, um den Erfinder der Buchdruckerkunst zu bezeichnen, ihm ein paar Typen in die Hand gegeben werden? Wenn den Dichter die Leyer be- zeichnet, wie ist er vom Musiker zu unterscheiden? Wie kann der Dichter vom Dichter, abgesehen von der Individualität, nach Richtung und Gattung seiner Werke unterschieden werden? Fein hat Schwanthaler Jean Paul durch Anlehnung an einen Baumstaum und die Blume am Rocke charakteri- sirt, Göthe thront mit Recht Jupiterartig auf dem Entwurfe der Bettina von Arnim. — Endlich bedarf die Plastik einer reichen, durch Gewohnheit und Uebereinkunft unmittelbar verständlichen Gebärdensprache; vergl. zu §. 339 Thl. 2, S. 214. Diese beschränkt sich natürlich nicht auf die feineren Organe, Angesicht und Hand, sondern es handelt sich in der Plastik auch von den größern Bewegungen der Arme und Beine. So bezeichnet ganz besonders der hinter dem Kopf übergeschlagene Arm bei den Griechen Ruhe und Schlaf und da dieß an die Nachtseite des Seelenlebens, an Traum, Ahnung erinnert, so wird öfters auch der mystische Gott Apollon so ge- bildet; die erhobenen Hände und Arme zeigen den Act der Anbetung, des Flehens an, Stehen mit übergeschlagenem Bein drückt bequemes Sichgehen- lassen aus, wie namentlich bei den Satyrn, Anziehen des einen Knies bei einem gefallenen Krieger Todeskrampf u. s. w. (vergl. Quandt „Zur Aesthetik“, u. s. w. Allg. Monatschr. f. Wiss. u. Lit. Nov. 1852 und Anderes O. Müller a. a. O. §. 335). Natürlich vollendet die über die ganze Gestalt verbreitete Bewegung und Haltung diese Symbolik und so ist z. B. der mild vorgebeugte sitzende Zeus der freundlich Gewährende. Es versteht sich, daß alle bildende Kunst die Mimik im umfassendsten Sinne zur Anwendung bringt, der Bildnerkunst aber ist es eigen, daß sie einer einfacheren, mehr festgestellten Mimik bedarf; der Maler kann z. B. den Zorn durch Bleiche oder Röthe, gepreßte oder emporgedrückte Lippen u. s. w. darstellen, der Bildhauer hat hierin nothwendig ein beschränkteres Alphabet der Bezeichnung, sonst würde er unklar werden und verwirren, weil ihm Farbe, Vielheit bewegter Figuren, Hintergrund fehlt. — Der Schlußsatz des §. sagt nun aber, daß auf diese Ersatzmittel, wenigstens auf die mehr äußerlichen, das Attribut u. s. w., doch kein allzugroßes Gewicht gelegt werden darf; denn es bleibt dabei, daß in der Bildnerkunst eigentlich durch die Gestalt selbst Alles gesagt werden soll, in der sie das Bleibende, Wesent- liche der Gattung in fest abgeschlossener Schärfe hinstellt. Es war z. B. leicht, den Laokoon als Trojaner, als Priester zu bezeichnen, aber die Rhodischen Künstler haben es unterlassen, sicherlich nicht, um uns auf die genre-artige, idyllische Auffassung anzuweisen, die sonderbarer Weise Göthe aufstellt („ein Vater schlief mit seinen beiden Söhnen“ u. s. w. Werke B. 38, S. 41), sondern um die reine Idee des übrigens bekannten My- thus, die Idee eines furchtbaren Göttergeschicks, das einen Vater mit seinen Söhnen zerknickt, frei von allem zufälligen Beiwerk zur Darstellung zu bringen; es war leicht, die Situation des Apollo von Belvedere näher zu bezeichnen, allein der Künstler wollte den reinen Lichtgeist als Zerstörer des Unreinen, Dunkeln, Wilden, Verworrenen, Häßlichen nicht in der ausdrücklichen Einzelnheit eines besondern Kampfes auffassen. §. 613. Da die bildende Kunst im Nebeneinander des Raums, nicht im Nachein- ander der Zeit darstellt, so kann sie nur Einen Moment in ihrem Werke fesseln, die losere Verbindung des Relief ausgenommen, worin die Plastik die- selbe Gestalt in verschiedenen aufeinander folgenden Acten wiederhalen mag. Der Eine Moment soll aber der fruchtbare , d. h. so beschaffen sein, daß er sich in der Phantasie des Zuschauers rückwärts und vorwärts zu einer Reihe voll- wichtiger Bilder erweitert. Was jedoch die Zusammenstellung verschiedener Per- sonen betrifft, so kann sich die Bildnerkunst vermöge ihrer außerzeitlichen Ideali- tät von der Schranke der Zeitrechnung entbinden. Wir gehen vom Stoff-Umfang zum Zeitumfang des Darstellbaren über. Es ist klar, welcher Widerspruch entsteht, wenn die bildende Kunst es wagen will, in die Kategorie der Zeit, des Successiven überzutreten: dieselbe Figur tritt auf Einem Werke mehreremal auf, verhält sich also nun zu sich selbst als eine andere, steht neben sich selbst. Im innern be- wegten Zeitleben der Phantasie ist es anders, diese führt die Eine Ge- stalt fort durch verschiedene Situationen; im Raume verfestigt verliert sie diese Flüssigkeit, vermöge der sie wieder und wieder auftritt und doch die- selbe bleibt. Doch ist es in der Bildhauerei nicht ebenso das Merkzeichen einer noch ganz im Kindheitszustande befindlichen Kunst, wie in der Ma- lerei, wenn sie jenes Nebeneinander derselben Person wagt; deßwegen nicht, weil auch in Einem Rahmen zusammengefaßt die einzelnen Gruppen selbständiger sind, als in der Malerei; so findet man z. B. die Thaten des Herkules, die Schicksale des Meleager in Einem Werke ver- bunden. Es versteht sich übrigens, daß dieß nur in der loseren Compo- sition des Relief erlaubt sein kann. — Der Eine Moment aber, den alle bildende Kunst zu ergreifen hat, wenn sie ihrem Grundgesetze treu bleibt, soll „fruchtbar“ sein. Wir haben gesehen, daß das Bewegungs- lose und Stumme in der Phantasie des Zuschauers zu Bewegung und Sprache auflebt (§. 550); das leistet natürlich nicht jedes Kunstwerk, der Künstler muß dafür sorgen, daß es danach beschaffen sei. In dem Gebiete der bildenden Kunst, das wir nun betreten haben, soll das Werk natürlich in höherem Sinn aufleben, als in der Baukunst. Aus einer Reihe bewegter Momente des Menschenlebens wird einer gefesselt und dieß soll so geschehen, daß die Phantasie bestimmt wird, sich die weitere Reihe zu entwickeln, der gewählte Augenblick soll so sichtbar ein Ergebniß des Vorhergehenden und ein Keim des Folgenden sein, daß er diese Wirkung mit Nachdruck ausübt. „Wenn ein Werk der bildenden Kunst sich wirklich vor dem Auge bewegen soll, so muß ein vorübergehender Moment gewählt sein: kurz vorher darf kein Theil des Ganzen sich in dieser Lage befunden haben, kurz nachher muß jeder Theil genöthigt sein, diese Lage zu verlassen; dadurch wird das Werk Millionen Anschauern immer wieder neu lebendig sein. — Um die Intention des Laokoon recht zu fassen, stelle man sich in gehöriger Entfernung mit geschlossenen Augen davor; man öffne sie und schließe sie sogleich wieder, so wird man den ganzen Marmor in Bewegung sehen, man wird fürchten, indem man die Augen wieder öffnet, die ganze Gruppe verändert zu finden. Ich möchte sagen, wie sie jetzt dasteht, ist sie ein fixirter Blitz, eine Welle, versteinert in dem Augenblicke, da sie gegen das Ufer anströmt“ (Göthe W. B. 18, S. 41). Der borghesische Fechter parirt eben einen Hieb oder Stich eines Reiters oder einer Amazone, der von linksher gegen ihn geführt wird; man sieht, wie die plötzliche Lebensgefahr ihn genöthigt hat, in äußerster Spannung alle Gewandtheit, Fechterkunst zusammenzuraffen; den linken Fuß zurück, den rechten vorgeworfen, deckt er den weit vorgebeugten Ober- leib und Kopf mit dem Schilde, jede Muskel ist in diesem Augenblicke haarscharfer Entscheidung angespannt. Aber er darf keinen zweiten Hieb abwarten, es gilt nicht nur, sich zu schützen, sondern den gefährlichen Feind zu vernichten; der rechte Arm mit der Lanze streckt sich daher bereits zum Ausholen zurück; in der nächsten Secunde wird der Mann sich wie ein Blitz herumwerfen, mit dem linken Bein ausfallen und den tödtlichen Stoß führen. Welcher Augenblick in einer Reihe von Augenblicken einer bewegungs- reichen Handlung ist nun der fruchtbarste? Man darf nicht so fragen, es können verschiedene Augenblicke höchst fruchtbar sein und von demselben Künstler oder von verschiedenen in verschiedenen Werken gewählt werden. Man pflegt aber Einen Moment auszuschließen, nämlich den der ganzen, äußersten Entladung aller in einer Handlung thätigen Kräfte; nur das Ansteigen zu diesem Gipfel und das Herabsteigen von demselben soll Stoff der Plastik sein; nur „ein ernster und leichter Beginn von Handlung“ oder ein Rückgang vom äußersten Conflicte: „die Sculptur muß nicht so dar- stellen, wie wenn Menschen durch Hüons Horn mitten in Bewegung und Handlung versteinert oder gefroren wären. Im Gegentheil muß die Ge- bärde nur ein Beginnen und Zubereiten ausdrücken, eine In- tention, oder sie muß ein Aufhören und Zurückkehren aus der Hand- lung zur Ruhe bezeichnen“ (Hegel Aesth. B. 2, S. 359 und 403). Diese Einschränkung ist unrichtig; thatsächlich widerlegt sie eben die Gruppe des Laokoon, in welcher, obwohl einer der Knaben noch lebt, doch im Zusammen- brechen des Vaters durch den tödtlichen Biß eben jetzt das Aeußerste des Jammers eintritt; oder, wenn man dieses Werk nicht als Beleg annehmen will, weil es sich an der äußersten Grenze des plastisch Zulässigen be- denklich bewege, die tausend Darstellungen von Kämpfen aus der besten Zeit, wo eben der Gegner durchbohrt, ein Wettlauf entschieden, eine Familie, wie die der Niobe, vom Todesgeschoß ereilt wird, und Gruppen aus späterer, doch noch guter Zeit, wie jener herrliche Gallier in Villa Ludovisi, der stolz und trotzig nach dem siegreichen Feinde das Haupt zu- rückwerfend, nachdem er Frau oder Tochter, die ihm wie eine geknickte Blume im Arme hängt, getödtet hat, sich das Schwert in die Brust stößt. Es sind zwei Gründe, welche schon Lessing für diese Einschränkung an- geführt hat. Der erste ist der, daß ein sogenannter äußerster Moment keine innere Entwicklung eines folgenden Bildes dem Zuschauer mehr ge- statte, so erklärt er eine Darstellung des eigentlichen Schreiens im Laokoon darum für unzulässig, weil dann der Phantasie keine höhere Stufe des Leidens vorzustellen übrig wäre. Laokoon thut, was er kann , er stöhnt, und er leidet bereits das Aeußerste, er wird auch nachher nicht schreien, sondern ein stiller Mann sein. Was übrig bleibt, ist die Vorstellung seines Zusammenbrechens, Todes; ein andermal ist es der Sieg, das heitere Ruhen vom Kampf, und es ist nicht abzusehen, warum das weitere Bild, das der Zauschauer sich entwickelt, nur ein noch höherer Grad furchtbaren Ausbruchs sein soll. Der Bildner muß darin ganz frei sein, er mag das Einemal das Stärkere, Furchtbarere, Aeußerste, das andremal das Rück- schnellen der gespannten Saite, jetzt ein wildes Ansteigen, jetzt ein ruhiges Absteigen unserer eigenen Phantasie zu bilden überlassen. Nicht ein Aeußer- stes überhaupt, sondern ein Aeußerstes besonderer Art ist ihm verboten, ein solches, das aus weiteren qualitativen Stylgesetzen unauflösbar häß- lich ist; davon werden wir an andrer Stelle sprechen. Ebenso verhält es sich nun mit dem zweiten Grunde. Lessing sagt nämlich (Laok. Cap. 3): „Alle Erscheinungen, zu deren Wesen wir es nach unseren Begriffen rechnen, daß sie plötzlich ausbrechen und plötzlich verschwinden, daß sie das, was sie sind, nur einen Augenblick sein können, alle solche Erscheinungen, sie mögen angenehm oder schrecklich sein, erhalten durch die Verlängerung der Kunst ein so widernatürliches Ansehen, daß mit jeder wiederholten Erblickung der Eindruck schwächer wird und uns endlich vor dem ganzen Gegenstand eckelt oder grauet.“ Aber ist denn nicht der Laokoon auch in einem Mo- mente dargestellt, muß sich die Gruppe nicht im nächsten Momente verän- dern? oder Apollo von Belvedere nicht in der nächsten Secunde den Arm sinken lassen, die Diana von Verfailles den Pfeil auflegen und abschießen, Castor und Pollux mit ihren Rossen eine andere Bewegung machen, der Diskobol abschleudern, der Wettläufer Ladas, von dem die Anthologie fürchtet, er möchte der Basis entspringen, den Kranz ergreifen, der ster- bende Fechter zusammenbrechen? Die Bildnerkunst wäre auf einen uner- träglich engen Spielraum begrenzt, wenn es ihr nicht erlaubt sein sollte, das Augenblickliche darzustellen, und wenn aus unserer ganzen Darstellung allerdings folgt, was sich weiterhin näher erweisen wird, daß gewichtige Ruhe ihre schönste Aufgabe ist, so kann sie doch keineswegs ihre einzige sein; die mehr erwähnte Schrift: „Der veticanische Apollo“ von A. Feuer- bach hat zur Genüge gezeigt, daß diese Kunst ebensosehr auf Leben, Be- wegung, Affect arbeitet und auch den vorübergehendsten nicht zu scheuen hat. Es liegt auch hier eine Begriffe-Verwechslung zu Grunde: das Momentane überhaupt wird mit einem Momentanen bestimmter Art ver- wechselt, einem solchen, worin ein Häßliches zum Ausbruch kommt, das in der plastischen Fesslung unerträglich ist und von dem wir gesagt haben, daß es an einem andern Ort zur Sprache kommen wird. Von der bewegtesten Darstellung führt Eine Linie durch unendliche Abstufungen zum Bilde der vollen Ruhe, aber auch dieses erwacht zur Bewegung; der farnesische Herkules hat gekämpft und wird wieder kämpfen, Ariadne ist nach un- endlichen Seelenleiden in Schlummer gesunken und die Ankunft des Gottes wird sie erwecken. Die Zeit ist unendlich theilbar, das Jetzt entflieht uns unter der Hand, der höchste, stärkste Moment ist eigentlich gar nicht zu bestimmen und der Unterschied der Secundenzahl zwischen der schnellsten Bewegung und der steten Ruhe, von der wir keinen Augenblick wissen, wann sie, unendlicher Bewegungskräfte voll, wieder zur wirklichen Be- wegung übergehen wird, nicht zu bemessen. — Haben wir nun hiedurch der Bildnerkunst einen unendlichen Spielraum in der Darstellung des Zeitlebens ausgesteckt, so läßt sich über die Art, in welcher sich diese Weite mit der allgemeinen Bestimmung gewichtiger Ruhe zu vereinigen hat, für jetzt feststellen: fürs Erste soll diese gewichtige Ruhe auch in der äußersten Erregung noch durchscheinen; dieß näher zu verfolgen gehört aber noch nicht hieher; fürs Zweite ist allerdings richtig, daß Darstellung wirklicher, nur nicht lebloser, Ruhe aller der Zustände, worin Körper und Seele mit einem gewissen tenor in einer Stellung und Lage verweilt, das Wesen dieser Kunst einfacher und voller ausspricht, als aufgeregter Zustände; fürs Dritte wird von den drei Momenten: Ansteigen zur höchsten Entladung, diese selbst, Absteigen zur Ruhe, der letzte ihr als directe Aufgabe allerdings mehr zusagen, als die beiden andern; denn der erste hat leicht eine ge- wisse bange, dramatische Gespanntheit, welche zu unruhig, ängstlich wirkt für eine Kunst, die keine weiteren Mittel hat, eine solche Stimmung im Fortgang aufzulösen: ein neuer, positiver Beweis, daß das Bild, welches der Künstler dem Zuschauer zu vollziehen übrig läßt, keineswegs Stärkeres und das Stärkste enthalten muß; vom zweiten ist, wie sich zeigen wird, jene besondere Art der stärksten Entladung, welche häßlich ist und welche allein das höchst Momentane von der plastischen Darstellung ausschließt, allerdings schwer abzuhalten; der dritte aber ist darum besonders geeignet, weil, was vorzustellen übrig bleibt, eben ein Ruhiges, Beruhigendes ist. Bei dieser letzten, der Plastik angemessensten Wahl des Augenblicks hat übrigens der Zuschauer mehr Vorangegangenes, als Folgendes sich ergänzend vorzustellen und dieß ist eine sehr richtige nähere Bestimmung des Satzes im §.; denn gerade diejenige Bewegung bringt das Wogen der Seele in das rechte plastische Gleichgewicht, welche das Heftigere als ein Vorangegan- genes, das Folgende als ein Ruhigeres oder auch Heiteres sich vorzu- stellen hat; der majestätisch und doch freundlich thronende Zeus hat in furchtbarem Götterzorn die Titanen zerschmettert, jetzt wird er sein Menschengeschlecht huldvoll schützen und segnen; Apollo hat geschossen, ruht aus im Siegesgefühl und wird dem Frommen ein guter Lichtgeist sein; die Harmonie alles Schönen steht nicht nur in Aussicht, sondern ist schon da. — Der Schluß des §. hebt noch eine Licenz der Sculptur hervor, wodurch ihre Zeitgrenze sich wesentlich erweitert: sie darf zwar das Successive in Beziehung auf dieselbe Person nicht, oder nur vereinzelt etwa im Relief, in ein Nebeneinander des Raums verwandeln, entschieden aber ist es ihr vergönnt, aufeinanderfolgende Momente derselben Hand- lung ohne Wiederholung der Person wie ein Gleichzeitiges nebeneinan- der zu stellen, und ebenso mag sie entlegene Räume zusammenziehen auf Einen; so führt Pelops die Hippodamia, die Beute des Wagenrennens, obwohl sie bei diesem nicht anwesend ist, schon im Wagen mit sich: der Künstler wollte mit dem Kampfe schon den Erfolg aussprechen. Es gehört dieß gewissermaßen zu den symbolischen Hülfen, den Abbreviaturen des §. 612; das Recht zu dieser Freiheit liegt tief in der Phantasie; die Sage selbst läßt manche ihrer Gestalten nicht altern, andere bleiben ihr immer alt, sie stellt zusammen, was in entfernte Zeiten und Räume fällt, weil sie es eben so und nicht anders bedarf, um ihre poetischen Motive zu entwickeln, und darf das Theater durch successiven Scenenwechsel un- serer Phantasie die windschnelle Versetzung von einem Raum in den an- dern zumuthen, so hat auch die bildende Kunst ihre Freiheiten in der Form des Nebeneinander, welches schließlich durch das Fortrücken des Auges doch auch ein Mindestes von Nacheinander enthält. Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 27 §. 614. 1. Die innere Bestimmtheit der Bildnerkunst ist der Inbegriff der Ge- setze für die qualitative Behandlung des also begrenzten Stoffs in seinen näheren Unterschieden, d. h. der Stylgesetze . Es folgt aus dem Prinzip der directen Idealistrung §. 603, daß hier der Styl der einzelnen Kunst (§. 532) mit dem intensiven Begriffe des Styls als der zur technischen Gewöhnung gewordenen Großheit und Idealität (§. 527) besonders innig und unmittelbar zusammen- fällt. Als allgemeines Stylgesetz ergibt sich daraus die Forderung durchaus 2. völliger und scharf bestimmter , in einfache, wenig gebrochene, schwungvolle Umrisse eingefaßter Formen. 1. Die ganze Unterscheidung zwischen einer äußern und innern Be- stimmtheit ist zu §. 607 bereits als eine nur relative bezeichnet. Wie daher alle unter jenem Begriff erörterten Puncte schon an die Stylfrage rühren, so erhalten sie umgekehrt aus der Erörterung dieser selbst erst vielfach nähere Bestimmung: der Stoff selbst, dessen Umfang erst in seinen äußersten Grenzen angegeben ist, kann sich jetzt erst als eine reiche Welt in der Bestimmtheit ihrer Unterschiede entfalten, die Frage über die Dar- stellung des Momentanen wird sich in eingänglicherer Weise lösen u. s. w. Die eigentliche Aufgabe ist aber jetzt, den Geist der Bildnerkunst, wie er in der Lehre vom Wesen derselben erst in seinen allgemeinen Zügen entworfen ist, in seiner qualitativen Wirkung concret zu entwickeln, zu zeigen, welche bestimmte Formen künstlerischer Behandlung des Stoffs nach seinen verschiedenen Seiten dieser Geist mit sich bringt, und dieß ist die Lehre vom plastischen Styl . Der §. stellt nun zuerst über den Grund- charakter des plastischen Styls einen allgemeinen Satz auf, der aus jenem in §. 603 aufgestellten Gesetze der directen Idealisirung , wonach die einzelne Gestalt schön sein muß, sich ergibt. Es ist zu diesem Zweck auf die allgemeine Kunstlehre zurückzugehen. In §. 532 bedeutete Styl zunächst ohne besondern Nachdruck und positiven Inhalt die Auffassungs- weise der einzelnen Kunst, wie sie sich im technischen Verfahren stehend niederlegt. Dagegen ist der Begriff des Styls mit dem ganzen Gewichte positiven Nachdrucks in §. 527 aufgeführt, aber nur auf den einzelnen großen Meister, abgesehen von irgend einer besondern Kunst, angewandt in dem Sinne, den man mit dem Worte verbindet, wenn man sagt: der und der Künstler hat Styl. Styl in diesem intensiven Sinn ist der Aus- druck einer mächtigen Subjectivität, welche „alles Unbestimmte, Gedrückte, Kleine und Gemeine vom Wesentlichen des Gegenstandes ausscheidet und die der Großheit ihrer Anschauung entsprechenden, in festem Rhythmus schwungvoll bewegten, durch ihren über den Wechsel des Augenblicks erhabenen Charakter monumentalen Formen in der schöpferisch umgebil- deten Technik niederlegt.“ Es ist nun zu zeigen, wie diese nachdrückliche Geltung des Stylbegriffs von der bloßen Anwendung auf den einzelnen Meister übergeht auf eine ganze Kunst, so daß sie die vorher indifferente Bedeutung des Worts (§. 532) mit ihrer ganzen Emphase ausfüllt. Es ist aber eben die Bildnerkunst, bei welcher dieser Uebergang eintritt wie bei keiner andern, und dieß ist es, was aus dem Gesetze der directen Ideali- sirung hier als erster, allgemeiner Satz sich ergibt. In jeder Kunstweise wird nämlich der geniale Meister jene Eigenschaften entwickeln, Styl hat Raphael, Michel Angelo, Mozart, Sophokles, Shakespeare, Göthe, wie Phidias; aber in jeder andern der weiterhin darzustellenden Künste wer- den dieselben auf Umwegen in Erscheinung treten, in der Bildnerkunst dagegen, weil hier die einzelne Gestalt schön sein muß, auf Einen Schlag; dort wird man sie aus Theilen des Kunstwerks, deren keiner für sich diese ganze Großheit offenbart, zusammenlesen müssen, hier werden sie in jedem Theile, sofern er irgend auch für sich ein Ganzes im Ganzen bildet, hervortreten. So auf Einen Punct übersichtlich zusammengedrängt ist diese Großheit wesentlich auch Einfalt. Winkelmann sagt von ihr (a. a. O. Bd. 2, S. 53): „durch die Einheit und Einfalt wird alle Schönheit erhaben, so wie es durch dieselbe Alles wird, was wir wirken und reden, denn was in sich groß ist, wird, mit Einfalt ausgeführt und vorgebracht, erhaben. Es wird nicht enger eingeschränkt oder verliert von seiner Größe, wenn es unser Geist wie mit einem Blicke übersehen und messen und in einem einzigen Begriffe einschließen und fassen kann, son- dern eben durch diese Begreiflichkeit stellet es uns sich in seiner völligen Größe vor und unser Geist wird durch die Fassung desselben erweitert und zugleich mit erhaben. Denn Alles, was wir getheilt betrachten müssen oder durch die Menge der zusammengesetzten Theile nicht mit einmal über- sehen können, verliert dadurch von seiner Größe, so wie uns ein langer Weg kurz wird durch mancherlei Vorwürfe, welche sich uns auf demselben darbieten oder durch viele Herbergen, in welchen wir anhalten können. Diejenige Harmonie, die unsern Geist entzückt, besteht nicht in unendlich gebrochenen, gekettelten und geschleiften Tönen, sondern in ein- fachen, lang anhaltenden Zügen .“ Dieß ist streng plastisch gedacht und wir werden es auf das Einzelne des Styls genau anzuwenden haben. Man vergleiche nun auch den weiteren Theil des §. 532, wo gesagt ist, daß auf den Begriff des Styls, wie er zunächst accentlos den Styl der einzelnen Kunst bedeutet, ein besonderer Accent erst falle, wenn die Auf- fassungs- und Behandlungsweise einer Kunst auf eine andere übergetragen werde: verfolgt man die Anmerkung, die dieß erläutert, so wird man fin- den, daß die Beispiele, wodurch der Begriff Stylisiren erklärt wird 27* (S. 141), sämmtlich eine Erhöhung der Formen im plastischen Sinn, unmittelbar oder mittelbar, enthalten; ein Beweis, daß die Bildnerkunst im vollsten und engsten Sinne als Kunstzweig an sich schon Styl in der intensiven Bedeutung des Wortes fordert. Haben wir nun diesen Satz zunächst aus dem Gesetze der directen Idealisirung abgeleitet, so führt er in höherer Ableitung auf den Begriff der Objectivität, aus welchem schließ- lich auch dieß Gesetz hervorgeht. In der Bildnerkunst ist das Objective dem Subjectiven in vollem Gleichgewichte zugewogen (§. 602); ebenso durchdringt sich die Subjectivität des großen, Stylbildenden Meisters ein- fach mit dem Objecte (§. 527), daher sind seine Stylformen wesentlich monumental und in nachdrücklichem Sinne monumental ist ja eben auch die Bildnerkunst; also leuchtet aufs Neue ein, wie hier der formale und der inhaltsvoll gewichtige Stylbegriff mit besonderer Innigkeit zusammen- fallen. 2. Dieser Grundbegriff vom plastischen Style muß sich nun, da aller Styl ein zur technischen Gewöhnung verfestigter Geist ist, sogleich technisch wenden, und es entsteht uns so das erste, allgemeinste Styl-Gesetz . Der Inhalt dieses Gesetzes ist schon in den fein gefühlten Worten ange- deutet, die wir zu 1. aus Winkelmann angeführt haben. Die innere Ge- diegenheit und Großheit fordert als ihren gleichmäßig herrschenden Aus- druck völlige Massen und ebensosehr scharf bestimmte Theilung derselben; die Völligkeit, das Runde, flüssig und ausgiebig Gefüllte darf nicht die Straffheit und Bestimmtheit der Begrenzungen im Haupt-Umrisse und in den einzelnen Theilen innerhalb desselben auflösen und die Schärfe der Grenzen, die Theilung im Einzelnen darf nicht den schwungvollen, freien, großen Zug der Umrisse zu vielfach brechen. Im ersten Fall entstünde das Schwammige, Breiige, im Zweiten das Kleinlichte, Zerzauste, Ge- knitterte, Gedüftelte, und Beides widersteht in gleichem Maaße den Be- dingungen einer Kunst, deren allgemeiner Stylcharakter, wie wir ihn nun bestimmter erkannt haben, vermöge seiner Objectivität, directen Idealität, monumentalen Großheit durchaus fordert, daß dem fühlenden Auge freie, große, ganze Bahnen eröffnet werden. §. 615. 1. Was nun zuerst die Schönheit der menschlichen Gestalt , als des Hauptstoffs der Bildnerkunst, an sich und noch abgesehen von der Bestimmtheit des darzustellenden Moments, betrifft, so verlangt dieses Stylgesetz als vor- ausgesetzten Stoff gattungsmäßig rein entwickelte Natur- und Culturformen und steckt dadurch der Ausbreitung dieser Kunst über die verschiedenen, in Natur und Sitte begründeten Besonderungen des reinen Gattungs-Typus eine Grenze; namentlich aber verbietet es ihr, tief in die individuellen 2. Formen einzugehen, und fordert bei härtern Abweichungen derselben vom Ur- bilde schöner Menschheit mindestens Gediegenheit und Mächtigkeit der Gestalt. Dadurch ist die Plastik bedeutend beschränkt im Bildniß und in der Darstellung der geschichtlichen Schönheit . 1. In der Anwendung dieses Stylgesetzes ist zuerst die Behandlung der menschlichen Gestalt zu erörtern. Die thierische kann nebenbei zur Sprache kommen. Man blicke nun zurück auf den ganzen Abschnitt von der menschlichen Schönheit in der Lehre vom Naturschönen. Dort ist zu- erst die menschliche Schönheit überhaupt von der geschichtlich bedingten un- terschieden; die Untereintheilungen in der Darstellung der ersteren sind: allgemeine, besondere und individuelle Formen. Unser §. läßt sich auf Alles, was unter diesen Eintheilungen befaßt ist, nur so weit ein, als es der Standpunct mit sich bringt, unter dem er Alles betrachtet; er faßt nämlich die menschliche Gestalt noch abgesehen von besondern Momenten der Bewegung, ausdrücklichen Stimmungen, Lagen, Handlungen, ins Auge. Diese Abstraction ist, wiewohl sie sich nicht absolut vollziehen läßt, noth- wendig, weil die Klarheit erfordert, daß die Frage über das Gebiet der Bewegungen, der innern und äußern, nachher für sich behandelt werde. Die Gestalt kommt nun auch hier keineswegs als ein blos physisches Gebilde in Betracht, wie sie dieß denn überhaupt nicht kann; es geht jedes Ge- setz ihrer künstlerischen Behandlung aus jener Grundbestimmung der ge- diegenen unmittelbaren Einheit von Geist und Sinnenleben hervor, deren Ausdruck in der allgemeinen Erörterung vom Wesen der Sculptur dem Bildner zur Aufgabe gestellt wurde, aber was in dieser Auffassung enthalten ist, muß sich eben ganz in der Form niederschlagen, ganz Gestalt werden und es handelt sich, da nun Alles sich technisch wendet, um Grundge- setze in der Behandlung derselben, welche durch alle besonderen Formen, Zustände, Bewegungen hindurch sich erhalten sollen. Das erste, allge- meine Stylgesetz fordert, wie wir gesehen, große, ganze, ebenso geschwun- gen fließende, als scharf bestimmte Umrisse. Was der Künstler nun immer leisten mag in Erhöhung des Wohlgebildeten, Ausscheidung des Mißge- bildeten in den Formen, die ihm der naturschöne Stoff darbietet: der glückliche, der rechte Stoff ist vorausgesetzt. Dieß versteht sich bei aller Kunst von selbst; die besondere Strenge der Plastik aber erheischt, daß hier ausdrücklich von der Beschaffenheit des Stoffes die Rede sei; es führt dieß hier zu durchaus wichtigen Begriffen, wodurch sich eine Lücke ausfüllt, die wir bei Aufstellung des Prinzips der directen Idealisirung stehen gelassen. Unser Stylgesetz ist aus §. 603 abgeleitet, der das Prin- zip der directen Idealisirung auf die große Beschränktheit der plastischen Kunst in Auflösung des Häßlichen begründet. Als häßlich in der pla- stischen Auffassung haben wir Alles zu Unbestimmte und Zerflossene und ebenso Alles bis zur Zerrissenheit und Kleinlichkeit Getheilte in der Form erkannt. Es wird sich an anderer Stelle zeigen, welche Einschränkungen daraus entstehen für die Aufnahme des naturschönen Stoffs, der in §. 317 — 323 aufgeführt ist (namentlich „Zustände und Altersstufen“); das Nächste und Wichtigste ist, daß wir von diesem Gesichtspuncte zurück- blicken auf das Gebiet, das in §. 324 — 330 unter der Bezeichnung: „besondere Formen“ Racen und Völker, Culturformen und Staatsleben befaßt. Die Bildnerkunst bedarf durchaus zu ihrem Stoff eines Menschen- schlags, dessen natürliche Formen dem reinen Menschentypus an sich und durch die Entwicklung, die sie durch Culturformen und Staatseinrichtung gefunden, so nahe, als möglich, stehen. Es muß jenem Stylgesetze der schwungvoll bestimmten Umrisse durch die Natur und die Volksbildung im größtmöglichen Umfang vorgearbeitet sein; die Malerei ist, wie wir sehen werden, weniger wählerisch, weniger abhängig von einer bestimmten Beschaf- fenheit des umgebenden Stoffs. Alle Bildnerkunst wird aus diesem Grunde den griechischen Typus als ein Muster des höchsten Vorbilds in der Natur für ihren Styl betrachten müssen, denn kein Volk war je im Bau der festen Form so schön und durch Sitte und Einrichtung in dieser Art der Schönheit so glücklich entwickelt. Schon bei den andern Völkern des kau- kasischen Stamms beginnen und wachsen die Verlegenheiten des Bildners und die Völker der andern Racen können nur in untergeordneter Weise, etwa zum Zweck von Contrast-Wirkungen, als Stoff in einem plastischen Kunstwerk auftreten. Mit den Abweichungen beginnt und wächst auch die Ungunst der Culturformen: der Leib auf Kosten des Geistes ange- strengt oder gemästet, oder der Geist auf Kosten des Leibes gebildet, oder endlich ein verdorbenes Ganzes von geistiger Ueberbildung und sinnlicher Feinschmeckerei ausgeheckt. Die Bildnerkunst kann sich nur an Zustände halten, worin der geistige und sinnliche, der individuelle und der dem Oeffentlichen angehörige Mensch in harmonischer Einheit sich entwickelt; alle andern Zustände verschwemmen oder verhärten die Formen oder er- zeugen eine unselige Mischung dieser beiden Arten plastischer Häßlichkeit. 2. Die individuelle Abweichung vom reinen Menschentypus ist etwas Anderes und Weiteres, als die vorhin besprochenen Modificationen, die unter den Begriff des Besonderen im Unterschied vom Einzelnen fallen. Das schönste und in der edelsten Einfalt entwickelte Volk wird in keinem seiner Individuen vereinigt darstellen, was sich als Durchschnittsbildung aus der Vergleichung der Vielen ergibt; der Einzelne weicht von der Race seines Volkes selbst, während er sie darstellt, ebensosehr in unendlicher Eigenheit ab; auch im schönsten Volke sieht kein Individuum dem andern gleich und bei den Griechen selbst finden wir einen Sokrates mit den Froschaugen und der deutschen oder böhmischen Kartoffelnase. Verschlossen kann durch diese Welt von härteren und eigensinnigeren Bildungen das Gebiet des Porträt der Sculptur nicht sein, etwas des Individuellen muß ja selbst der im engeren Sinn idealen Natur, dem Gotte zugewogen werden und auch eine vorzüglich Götterbildende Plastik kann sich der Aufgabe nicht entziehen wollen, zugleich den Zweig der Porträtstatue und Porträt-Büste an- zubauen. Bei Völkern aber, die keine Mythologie mehr haben und daher vorzüglich auf das Bildniß gewiesen sind, könnte es, wenn das Porträt wegfiele, so gut als gar keine Bildnerkunst geben. Diese Völker sind eben die nichtgriechischen, weniger schönen; von solchen härteren National- typen ist in Anm. 1. die Rede gewesen, allein das Nationale und der Grad der Eigenheit der Einzelbildung hängt zusammen, denn die allge- meine Abweichung übrigens gebildeter Völker in ihren Körperformen vom edelsten Menschentypus ist zugleich eine stärkere Ausbildung des Indivi- duellen, wie namentlich bei den Deutschen. Die Bildnerkunst verlangt nun mindestens, daß solche Formen, wo sie in harten und schwunglosen Linien abspringen, doch noch Gediegenheit und Mächtigkeit haben; man sehe z. B. den herben Kopf Kants auf Rauchs Denkmal Friedrichs d. Gr.: er ist bei aller Härte doch in seiner strengen, gedanken- und charak- tervollen, eckig zusammengefaßten Herbigkeit ganz plastisch. Es sind aber unter den „härteren“ Abweichungen auch solche verstanden, wo der Aus- druck „hart“ nur der Abweichung, nicht ihrer Art gilt, nämlich allzuzarte, weiche, wie so häufig bei der weiblichen Bildung nordischen Schlags. Eine Gediegenheit läßt sich jedoch auch bei solchen Formen finden, ein Ausdruck ruhiger Einheit mit sich, innerer Ganzheit und Harmonie kann der Erscheinung der schönen Seele eigen sein, die ihr trotz einiger Ver- schwommenheit und Kleinlichkeit der Formen wieder plastische Haltung, Guß und Fluß gibt. Immer aber hängt es vom Zufall ab, ob ein empi- risches Individuum, auch ein bedeutendes, dem Bildner Formen ent- gegenbringt, wie gerade er sie braucht. Da nun das geschichtlich Schöne von dem allgemein menschlich Schönen sich dadurch unterscheidet, daß bestimmte Personen in ihrer ganzen realen Bedingtheit in Situation und Handlung vor uns auftreten, so erhellt, wie schmal der Spielraum der Sculptur, auch ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, welche der Mangel eines Hin- tergrundes in der plastischen Darstellung mit sich bringt, auf diesem Gebiete sein und in welcher Bedrängniß sich daher eine Kunst befinden muß, welche die Geschichte nicht mehr in den Göttern als ihrem stellvertretenden Auszug anschaut. §. 616. 1. Nach dem Grade, in welchem sich der Bildner auf die individuellen Formen einläßt, entsteht der Gegensatz eines mehr individualisirenden und eines mehr direct idealisirenden Styls. Dieser hält die zarte Linie der milderen Modisication des schönen Normaltypus ein, jenem genügt es, das Ge- diegene und Mächtige der härteren Eigenform künstlerisch noch zu erhöhen; da jedoch durch diese Erhöhung auch die bedeutender abweichende Einzelbildung irgendwie dem reinen Ideale nahe gerückt werden muß, so kann der Gegensatz 2. beider Style kein stark eingreifender sein. Von der individuellen Eigenheit der Gestalt sind gewisse, über alle, auch die glücklichsten, Formen verbreitete Ein- zelheiten, Härten, Zufälligkeiten des Naturschönen zu unterscheiden, durch deren ungebundene Aufnahme der naturalistische Styl entsteht. Der besondere Nachdruck, mit welchem das Wesen der Bildnerkunst empirische Formen auf reine zurückzuführen gebietet, erlaubt jedoch auch dieser Richtung und ihrem Ge- gensatze gegen die streng stylistrende keinen bedeutenden Spielraum. 1. Den Unterschied zwischen der individualisirenden und der natura- listischen Richtung werden wir genauer bestimmen bei der Erörterung der letzteren. Der individualisirende Styl ist derjenige, welcher sich weit und tief einläßt in die Erscheinungsformen des Individuums, wie sie dessen nur sich selbst gleiche Eigenthümlichkeit ausdrücken. Wir stehen aber nicht mehr auf dem Boden des vorh. §.; in diesem war nur erst von dem Stoffe die Rede, wie ihn die Bildnerkunst voraussetzt, jeder Stoff aber muß ja in der künstlerischen Behandlung noch umgebildet, seine Formen müssen da gestreckt, dort zusammengezogen, durchaus zum idealen Schwung erhöht werden. Der individualisirende Künstler also ist nun zwar im Stoffe weniger wählerisch, er läßt sich auch die unschönere Bildung ge- fallen; aber er verlangt nicht nur im Naturvorbilde doch jene Gediegen- heit und Mächtigkeit (§. 615), sondern, nachdem er diese Bedingung im Stoff erfüllt sieht, wird er (zwar nicht nothwendig, denn er kann auch zugleich Naturalist sein, wovon nachher) auch vollständig anerkennen, daß nun erst die Künstlerhand noch das Ihrige thun muß, dieß Ganze im Sinn des plastischen Stylgesetzes zu veredlen. Nur thut er dieß in an- derer Weise, als derjenige, der sich eng und fest an das Prinzip der direc- ten Idealisirung hält. Um diesen Unterschied in sein volles Licht zu setzen, müssen wir auf einen Unterschied in den Gegenständen hinweisen, der schon in §. 606, dann nach anderer Seite im vorh. §. kurz eingeführt ist und freilich seine ganze Bedeutung erst in der Lehre von den Zweigen, dann im Ueberblick über die Geschichte unserer Kunst erhalten wird: den Unterschied der ausdrücklich idealen und der realer bestimmten Naturen. Zu den letzteren gehört natürlich das Porträt und die geschichtliche Dar- stellung, doch auch die Darstellung des Menschlichen in der genreartigen Allgemeinheit ohne ausdrückliche Beziehung weder auf das Göttliche, noch auf das Geschichtliche. Der Individualist wird sich nun natürlich auf diesen Kreis der realer bestimmten Naturen werfen, der Idealist auf den Götterkreis; der Gegensatz wird aber auch historisch auftreten, indem mit Wegfallen des Götterkreises die realer bestimmten Stoffe zur Hauptauf- gabe werden. Dieß sei hier nur erst berührt zu Behuf der Deutlichkeit. Indem nun der Idealist jene Aufgabe ergreift, steht er vor dem plastischen Stylgesetze in seiner ganzen Feinheit und Schärfe. Er soll ausdrücklich ein Schönes von weiter Allgemeinheit der Idee darstellen und diese Idee doch als Individuum. Die Bildnerkunst muß diesen Widerspruch lösen, wie jede andere Kunst, denn in seiner Lösung beruht ja das Wesen des Schönen an sich (§. 30 ff.), aber sie muß es in ihrer Weise: sie darf, zunächst jedenfalls in dem Kreise von Aufgaben, welche der jetzt in Rede stehenden Richtung entsprechen, dem Ausdrucke der reinen Idee von den Zügen der Individualität ungleich weniger zuwägen, als andere Künste. Diese mögen eine sehr ausgeprägte Eigenthümlichkeit der ein- zelnen Erscheinung, die bis zu einem auffallenden Grade des Unregel- mäßigen fortgeht, durch einen bewegten Ausdruck von Genialität dahin lösen, daß dieselbe nur als eine besonders scharfe, durch Einseitigkeit mäch- tige Zusammenfassung der Gattungskräfte in der Tiefe erscheint. Die Bildnerkunst hat dazu, wie überhaupt zur Auflösung des Häßlichen (vergl. §. 603), die Mittel nicht. Sie muß also hereintreten in dieses Gebiet der unendlichen Eigenheit, aber haarscharf an dem Puncte, wo diese in härterer Linie vom reinen Menschentypus abspringt, wieder umbiegen und in eine mildere Modification einlenken, welche zwischen schroffer Vereinze- lung und bloßer Besonderung (Individuum und Art) sich in unendlich feiner Schwebe hält. Diese zarte Abwägung hat Niemand so verstanden wie die Griechen; sie mußte, da sie ihren tieferen Grund in der ganzen mythischen Anschauungsweise des classischen Ideals hatte, schon dort er- wähnt werden s. §. 437 Anm. 2. Man verstärke um ein Haar den Hügel auf Jupiters Stirne, die großen, runden Augen der Here, die hohen Beine des Apollo und der Artemis, die weiche Fülle in der Bildung des Dionysos, den kleinen Kopf und den Stiernacken des Herkules: und sie werden zu herb eigenthümlichen Individuen, sind keine Götter und Halb- götter mehr. Der Individualist dagegen in dem Kreise seiner Aufgaben kann hier ungleich weiter gehen; er wägt denjenigen seiner Stoffe, die dem ausdrücklichen Ideale näher liegen, Heroen, menschlichen Bildungen von genreartiger Allgemeinheit mehr des Individuellen, wie er es aus der Beobachtung entnommen, dem geschmacklos reinen Wasser Winkelmanns (vergl. §. 39 Anm.) mehr vom Salze der Eigenheit des Einzelwesens zu; er tilgt, wo er die empirisch gegebene Individualität nachzubilden oder an der Hand der Ueberlieferung eine Gestalt hinzustellen hat, die ganz den Eindruck eines geschichtlichen Menschen erregen soll, weniger von den im Stoffe gegebenen Einseitigkeiten, relativen Dissonanzen der Form. Allein er kann doch in Aufnahme dieser Züge nie so weit gehen wie der Maler; der von ihm selbst anerkannten Nothwendigkeit, daß auch jenes Gediegene und Mächtige, das wir bei unregelmäßigerer Bildung schon im Stoffe vorausgesetzt haben, noch einer wesentlichen Erhöhung bedürfe, muß er durch einen sehr energischen Act der freien Stylisirung Folge geben. Die Büsten des Sokrates zeigen, wie dieß gemeint ist. Dadurch rückt denn auch der Individualist seinen Gegenstand in eine dem Götter-Ideal noch verwandte Höhe; der erhabene Schwung und Zug der Umrisse, der Ausdruck des Substantiellen, monumental Gewichtigen vereinigt beiderlei Style und es fällt jener „Abglanz des idealen Lichts auch auf die Naturen, die ausdrücklich als endliche zur Darstellung kommen“ (§. 606). Es heißt in der Schlußbemerkung zu §. 603: schlechtweg könne das dem Prinzip der directen Idealisirung entgegenstehende von der Plastik nicht ausgeschlossen sein, sonst u. s. w. Wir haben dieß entgegenstehende Prinzip nun in der Richtung auf das Individuelle gefunden; aber es ist zugleich gezeigt, daß der Gegensatz nur ein schwacher sein kann. Dieser wichtige Punct ist wieder aufzufassen in der Geschichte der Bildnerkunst. 2. Naturalismus und Individualismus sind nicht zu verwechseln, sie sind nicht einerlei; sie werden gerne Hand in Hand gehen, aber nicht nothwendig. Im Naturalisten wiegt das Moment der Anschauung über die umbildende schöpferische Thätigkeit der Phantasie vor, daher ergreift er seinen Stoff so zu sagen mit Haut und Haaren: er nimmt die allerhand Einzelheiten, durch die das Leben seine physiologischen Bedingungen im Aeußern ankündigt (Adern, Sehnen u. dergl.), die Härten und Zufälligkeiten, welche Alter, Stand, Wind und Wetter, Gewohnheit, Situation des Moments dem Menschen aufdrücken und anwehen, Kleinliches, Runzliches, Flatterndes, Spielendes, Nachlässiges und allzu Straffes mit einer Unbe- fangenheit in die Kunstdarstellung auf, welche von einer entgegenstehenden Richtung als Ungebundenheit und Unmaaß verworfen wird. Wer nun so auffaßt und darstellt, dem fallen mit jenen Einzelheiten und Zufällig- keiten, die über alle Naturerscheinung hinspielen und sich ihr ansetzen, natürlich auch die individuellen Züge mit ihrer Einseitigkeit und Unregel- mäßigkeit in die Hand; es scheint daher, der Naturalist sei nothwendig auch Individualist. Allein erstens kommt es ganz darauf an, ob er wirk- lich auch nach dieser Seite aufmerksam ist und wählend den ausdrucks- vollen Eigenformen des Charakters nachgeht; die Richtung auf das all- gemein Naturwahre ist doch eine ganz andere, als die auf das streng individuell Eigenthümliche; er wird sich z. B. sehr bestreben, die bezeich- nenden Züge der Lebensalter, Geschlechter, des Standes wiederzugeben, aber er kann damit seine Aufgabe für abgethan halten und vergessen, daß diese Besonderheiten der Art noch kein Individuum begründen. Eine naturalistisch behandelte Gestalt kann in ihren Grundformen von flacher Allgemeinheit des Typus sein. Die fetten Niederländerinnen des Rubens sind naturalistisch, aber nicht scharf individuell, indem sie einander sehr gleich sehen. Schillers Räuber sind kühn naturalistisch, aber ohne Schärfe der Individualisirung. Die äginetischen Figuren sind, was den Leib be- trifft, in gewissem relativem Sinne naturalistisch, aber die Köpfe ohne alle Individualität. Zweitens: wenn auch der Naturalist auf das scharf Individuelle zugleich geht, so stylisirt er es nicht streng, wie dieß der In- dividualist seiner Richtung gemäß immer noch sehr wohl kann. Rauch hat Friedrich den Gr. und seine Helden, Staatsmänner, Gelehrten, nament- lich jenen Kant, scharf individualisirt und doch energisch stylisirt, F. G. Schadow dagegen alle seine Gestalten, auch die scharf individuellen, na- turalisirt. Der Individualist kann Naturalist sein, der Naturalist kann Individualist sein, aber jener kann ebenso gut auch Stylist sein, dieser ist nicht Stylist, sondern das Stylisiren ist die der seinigen entgegenstehende Richtung. Allein in der Bildnerkunst kann auch der Gegensatz des Natura- lismus und des strengen Styls nur ein schwacher sein, wie der des In- dividualismus und Idealismus. Soweit wie der Maler, kann der Bildner nie in der Aufnahme der Härten und Zufälligkeiten gehen; wie dieser muß er, je kühner er in seiner Ungebundenheit sich ergeht, desto mehr den fehlenden Adel der strengen Linie durch Gewaltheit der Bewegtheit , Hauch der Lebendigkeit ersetzen, aber er kann auch dieß nie in dem Grade wie jener, weil ihm die Farbe und die mitdargestellte Umgebung fehlt. Wir werden in der weiteren Verfolgung der einzelnen Momente die Strenge des plastischen Styls und ebendamit die Enge des hier dem Naturalismus gegönnten Spielraums genauer kennen lernen. Auch diesen Gegensatz werden wir als thätigen Hebel in der Geschichte der Plastik wiederfinden, aber die Kraft, die er auf die geschichtliche Entwicklung äußern kann, wird aus diesen Gründen eine stark beschränkte sein. Wir führen hier nur vorläufig die Einzelheit an, daß es freilich noch in der guten Zeit der griechischen Kunst einen Demetrius gab, der u. A. einen kahlköpfigen, dickbauchigen Alten mit angelaufenen Adern bildete; das galt aber auch für eine Curiosität; Lucian sagt von dieser Figur, sie gleiche einem eigentlichen Menschen: sehr treffend, denn die wahre Bildnerkunst erhebt auch den empi- rischen Menschen, wenn sie ihn nachbildet, durch ihre Stylisirung in das Göttliche; Quintilian hat für den Naturalisten das Wort: nimius in veri- tate. — In ähnlicher Enge des Spielraums bewegt sich der Gegensatz des Naturalismus und der strengen Stylisirung in der Darstellung von Thieren . In Bewegungen, Formen, Behandlung des Fells, der Mäh- nen u. s. w. kann der eine Künstler dem Wurfe des unmittelbaren Natur- lebens so nahe, als möglich, treten, der andere in gemessenerer Ausschei- dung des Einzelnen und Zufälligen bis zu einer architektonischen Bindung der Formen fortgehen, die sich der ornamentartig geometrisirten Behand- lung der Thiere im Wappen nähert, aber auch der erste kann und darf nie in die Einzelheiten der Naturzüge sich so weit einlassen, als Maler oder Dichter. §. 617. In der Behandlung der Grundverhältnisse der Gestalt, wie sie im Knochengerüste gegeben sind, muß die Bildnerkunst gemäß ihrem Stylgesetze ein strengeres Durchschnittsmaaß einhalten, als die Natur; darin macht sich deutlich die Verwandtschaft des tastenden Sehens mit dem messenden (§. 599), ein An- klang der Proportions- und Symmetrie-Gesetze der Baukunst geltend. Hier ist es, wo der in §. 599 aufgestellte Satz von einer Grund- lage eigentlichen Messens im tastenden Sehen an die Reihe der näheren Beleuchtung kommt: dieselbe macht sich geltend in der Behandlung der Proportionen , zu der wir nun übergehen, nachdem die Auffassung der Gestalt im Ganzen und Allgemeinen besprochen ist. Die menschliche Ge- stalt ist an sich ein organischer Bau , das feste, harte Knochengerüste seine Kernform. Diese Kernform steigt in den zwei symmetrischen Säulen der Beine auf, die sich dann zum Becken ausbreiten, von hier schießt die Rückenwirbelsäule empor, wölbt den Korb der Brustrippen an ihren Sei- ten heraus, treibt ebenso symmetrisch das zweite große Paar von Bewe- gungs-Organen, die Arme, mit den Schulterblättern seitlich hervor und schließt sich, in den Halswirbeln fortgesetzt, im Kopfe, zur Kugel ausge- rundet, ab, oder umgekehrt (vergl. zu §. 564, 1. S. 220): das Haupt läßt diesen ganzen Bau als Realisirung der in ihm vereinigten organischen Zwecke ausstrahlen. Es ist dieß im Großen und Ganzen, noch mehr, wenn man die Theile in ihre weitere Gliederung verfolgt, ein völlig rhyth- misches Gebilde, das in zählbaren Takten sich ansammelt, ausbreitet und wieder sammelt (vergl. zu §. 500, 2. , auch Winkelmann über die Drei- zahl a. a. O. Bd. 2, S. 165. 166). Durch dieß rhythmische Leben, das, im Knochengerüste begründet, am Ganzen des Körperbaus mit seinen Ab- sätzen und Einschnitten zu Tage tritt, sind nun die Proportionen wirklich die erste, noch abstracte Grundlage der Schönheit der Composition in Darstellung der einzelnen Gestalt; diese Seite fassen wir aber hier noch nicht weiter auf, sondern die Nothwendigkeit des wirklichen Messens, noch nicht die Poesie daran, welche die Griechen durch ῥυϑμὸς ausdrückten, son- dern das abstract Formale, was die Römer durch die Ausdrücke symmetria, numerus, die Neueren durch Proportion bezeichnen. Die Erstreckungen der Theile in dem Grundgebilde des Körpers müssen ein bestimmtes Ver- hältniß von Maaßen darstellen, das sich in Zahlen ausdrücken läßt. Die Natur wird diese Maaßbestimmung in unendlichen Abweichungen der Völker, Stämme, namentlich aber der Individuen nur als ein Allgemeines aufweisen, das in keinem Einzelnen streng verwirklicht ist, die Kunst muß dieß Allgemeine, das Durchschnittsmaaß finden und festsetzen. Man hat dieß auf die verschiedenste Weise versucht, die Aesthetik kann auf die ver- schiedenen Arten und Resultate der Messung, nach Ellen überhaupt, nach Gesichtslängen und weiteren Bruchtheilen des Gesichts, nach Fußlängen, nach den Achsen der Hauptgelenke (so zuletzt C. Schmidt: Proportions- schlüssel u. s. w.) nicht eingehen; sie überläßt daher die reiche Literatur der speziellen Kunsttheorie zur näheren Prüfung. Das Wesentliche ist, daß, nachdem freilich zuerst das natürliche Augenmaaß ausgeholfen, mit ausdrücklichem Messen und Zählen ein System festgesetzt werden muß. Es kann dieß praktisch geschehen durch Aufstellung eines mustergültigen Werks, von dem die nachfolgende Kunst ihre Maaße entnimmt, eines so- genannten Kanon; aber der berühmte Kanon des Polyklet, der Doryphoros, war bereits ein Werk nicht blos des glücklichen Instincts, sondern des eigentlichen Studiums, das Messen ist also bei der praktischen Norm schon vorausgesetzt. So wenig nun aber das Durchschnittsmaaß empirisch in einem Individuum vollkommen erscheint, ebensowenig kann es, nachdem es durch eine Abstraction gefunden ist, in der Kunst als absoluter Maaß- stab gelten; von der einen Seite wechselt subjectiv die Auffassung: so ging der griechische Kanon von den stämmigeren Verhältnissen des Polykletischen zu den schlankeren des Lysippischen Styls über; nach der andern Seite darf ja dem plastischen Werke die Besonderung des Alters, der Unter- schiede, die durch verschiedene Arten der Thätigkeit u. s. w. entstehen, und die Einzelheit der individuellen Formen nicht fehlen, wodurch nothwendig Ab- weichungen vom schulgerechten Maaßstabe begründet werden. Der Held, Athlet, heroische Halbgott hat breitere Brust, Apollo und Artemis ovaleren Kopf, höhere Beine u. s. w. Nie aber können diese Abweichungen so weit gehen, wie in der Natur, selbst in der Porträtbildung nicht: wodurch denn bereits die Schranken des Individualismus und Naturalismus ihre erste nähere Beleuchtung finden. §. 618. In der Umkleidung der weichen Theile, deren Umriß ein schwungvoll flüssiges Ineinander unendlicher Kreis-Ausschnitte darstellt, soll das Grundgerüste ohne Härte als fester Träger sichtbar sein. Bestimmte Angabe der Hauptabsätze des Organismus, der bedeutendsten Muskel soll sich mit Rundung und Zartheit der Uebergänge so verbinden, daß die Andeutung oder schärfere Ausbildung der den Schwung der Hauptlinien zertheilenden, an die Bedingungen des unmittel- baren Lebens erinnernden untergeordneten Einzeltheile besonderem Stoff, Moment, Material aufbehalten, immer aber in verhältnißmäßig enge Grenzen gewiesen bleibt. Wir schreiten fort in immer concreterer Fassung der menschlichen Ge- stalt unter dem Gesichtspuncte des plastischen Styls. Man blicke nun zurück auf unsere Schilderung derselben §. 317 und stelle sich dann die Frage, was der Bildner in Anwendung des in §. 614, 2. näher bestimmten Grundgesetzes umbildend damit vorzunehmen habe. Das Knochengerüste soll weniger angegeben, als durchgefühlt werden. Es tritt an mehreren Stellen, Ellbogen, Schulter, Knie, Schienbein, Knöcheln u. s. w. ohne Muskel-Umkleidung mit bestimmten Marken zu Tage: diese Formen sollen nicht platt, spitz, knorplig erscheinen, sondern sanft abge- rundet werden; Dürres, Beinernes ist mit der Kunst der Schönheit der breitgeschwungenen Umrisse rein unverträglich; aber diese festen Marken sollen auch nicht zu sehr abgerundet, in süßliche Weichheit verschwemmt werden, wie dieß in der indischen Sculptur der Fall ist. Brustbeine und Rippen sind leicht anzudeuten, starke Anstrengung, Anziehung des Unter- leibs in Angst preßt sie natürlich sichtbarer hervor, wie am Laokoon und borghesischen Fechter; der erstere grenzt scharf an das allzugelehrt Anato- mische. Der Zauber der vollen Schönheit liegt nun aber erst in dem lebensvollen Strome der unendlich ineinander übergehenden Wellen, welche die das Knochengerüste überkleidenden Weichtheile auf der Oberfläche bil- den. In dieses rinnende Wechselspiel der Linien muß der Bildner mit kräftiger Faust theilend eingreifen, indem er die Hauptsysteme schärfer, als die Natur, voneinander absetzt. Wir lassen das Haupt noch bei Seite, das schon die schlanke Einziehung des Halses vom Rumpfe trennt. Das Gefäß des Athmungssystems, die Brust, ist es hauptsächlich, welche sich als die am meisten der Fläche genäherte Partie an der Vorderseite des Körpers darstellt. Der Bildner wird diesen energischen Gegensatz gegen das Runde, hügelig Getheilte durch mächtige Hervorhebung des kraftvoll flach gewölbten Doppelblattes verstärken und durch schärferen Umriß den weich gerundeten Unterleib von ihm sondern. Dieser ist durch scharfe Angabe der Leisten-Linie von den Bewegungs-Organen bestimmt abzu- heben und damit er nicht in das ungetheilt Formlose zerfließe, werden die drei Felder, in die er vom Ende des Brustbeins abwärts zerfällt, von den Weichen-Feldern seitlich eingegrenzt, in deutlichen Einschnitten sich abheben. Der Kugelform, dem volleren Kreisausschnitt nähern sich die Schulter, die den Arm von der Brust absetzt, Hüften und Sitzmuskeln, welche die Beine vorbereiten und umgekehrt zugleich ihren schlanken Zug kräftig ansammeln. Es gilt nun, diese Haupttheile weiter zu theilen, in die Hügelzüge der Muskel zu verfolgen, aber nicht zu weit. Der Bildner muß auch hier das Wesentliche stark hervorheben, das minder Wesentliche ausscheiden oder leicht andeuten. Die Hauptmuskeln müssen machtvoll hervortreten; wie wohlthätig im Großen theilend erscheinen dem Auge namentlich die gewaltigen Schenkelmuskel am Herkules-Torso, am sog. Ilissus im westlichen, dem ruhenden Jüngling im östlichen Giebelfelde des Parthenon! Je bestimmter und markiger der Hauptkörper dieser großen Bewegungshebel angegeben wird, desto nöthiger ist nun auch, daß das Ver- mittelnde, Sanfte, Runde den Härten entgegenwirke, die sonst entstünden. Im Körper ist dieses Vermittelnde namentlich das Fett; es spielt eine stärkereRolle in den weiblichen Formen; ein strenges Maaß ist in dieser ausfüllenden Weichbildung dem Bildner vorgeschrieben, sonst hebt er die markige Be- stimmtheit wieder auf und wird schwammig, eine Rubens’sche Figur wäre in der Plastik höchst eckelhaft; wie wesentlich aber diese überleitende Form ist, wird z. B. an der Wade klar, welche, zu einem Muskelballen ohne Uebergangslinie zusammengezogen, unter die größten Häßlichkeiten gehört. Vermittelnd und überleitend sind, wenn sie sanft angedeutet werden, auch die einzelnen untergeordneten Muskelbildungen; werden sie stärker ausgesprochen, also auch mehr in ihre Einzelheit verfolgt, so wirken sie dagegen als scharf theilendes Moment. Wie sich nun der Bildner hierin verhalten wird, darüber kann im Allgemeinen nur so viel ausgesagt werden: in der Ruhe ist nur durch besondere athletische Entwicklung eines Körpers das stärkere Markiren des Details begründet; die derberen Forderungen des Erzgusses (vergl. §. 607) treffen mit dieser Bedingung zusammen (Her- kules-Ideal des Lysippus); in der angestrengten Bewegung aber, also freilich der Situation, in welcher eben athletische Figuren meist zur Dar- stellung kommen, ist solche Detaillirung durch den Moment an sich gefor- dert; zu starkes Ueberwiegen des Theilenden über das fließend Vermit- telnde wird dann durch die gleichzeitig steigende Kraft der Hauptmuskel, welche das Einzelne beherrschen und zusammenhalten, verhindert. Eigenthümlich schön belebt sich in beiden Fällen die ausgedehnteste Fläche des Körpers, der Rücken (Torso des Herkules, Oeleinreibender Athlet in Dresden u. And.), aber auch der zärtere jugendliche und weibliche Rücken ist ein reiz- volles Feld sanfter Hügel und Senkungen. Noch ferner, als vieles Muskel- Detail, liegt dem Künstler das Hervorheben der Sehnen und Adern; sie erinnern zu unmittelbar an den ganzen Apparat, der zum Leben gehört, namentlich weist die Ader zu hart auf die dunkeln Werkstätten seiner Bildung, Erhaltung und Auflösung; die Homerischen Götter sind „blut- los“. Nur in Momenten der stärksten Anstrengung ist das Hervortreten dieses Apparats gerechtfertigt: so hat der farnesische Herkules, der eben vom Kampfe kommt, aufgequollene Adern, am Torso, der den verklärt ruhenden Halbgott darstellt, sind keine sichtbar. Außerdem mag die Dar- stellung sehr reifer, von Erfahrung gehärteter, durchgearbeiteter, männlicher Persönlichkeit die bestimmtere Andeutung dieser ausprägenden, markirenden Lebensäste mit sich bringen. Im Materiale des Erzes und bei Thierbil- dung verändert sich die Sache; jenes fordert an sich stärkere Ausladung auch dieser Einzelform, das gröbere Thierleben aber ist vorherrschend eine Erscheinung der Kraft und die Röhren seines Lebensstroms wie die Hebel seiner massigen Glieder müssen daher ausdrücklicher hervorgehoben werden. — Etwas Sprechendes, Charakterbezeichnendes haben die Sehnen, Adern, Gelenke, Lineamente der Hand , so wie die Unterschiede ihrer Form über- haupt und namentlich der Fingerbildung (vergl. zu §. 338). Der Bild- ner kann sich aber auf die Charakterformen dieses Gebildes schon darum nicht mit dem Nachdrucke legen, womit der Physiognomiker sie beobachtet, weil in seiner Kunst die sämmtlichen Glieder zum Ausdruck des Charakters mit einem Gewichte mitsprechen, der den vorzugsweise sprechenden Theilen ihre Bedeutung zwar natürlich nicht entzieht, aber doch das Auge nicht so vorherrschend auf sie hinlenkt, wie dieß in einem ganz andern System der Sitte, Bildungsform, Auffassung und Kunstform der Fall ist. Es wird nicht an Modificationen der Hand fehlen, auch ihre Adern werden angedeutet werden bei den härteren Charakteren, im Ganzen aber wird schöne, rundliche Bildung über Angabe der Einzelformen entschieden vor- herrschen. — Was Individualismus und Naturalismus heißt, ist nun schon um einen Schritt deutlicher: beide Richtungen gehen in allen hier erwähnten Formen weiter, als die strenge Richtung auf idealen Styl. — Wir schließen diese Bestimmungen über die Behandlung des Körpers mit den Worten Winkelmanns über den vatican. Apollo (a. a. O. Bd. 4, S. 260): „Ueber die Menschheit erhaben ist sein Gewächs und sein Stand zeugt von der ihn erfüllenden Größe. Ein ewiger Frühling wie in dem glücklichen Elysium bekleidet die reizende Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend und spielt mit sanften Zärtlichkeiten auf dem stol- zen Gebäude seiner Glieder. Gehe mit deinem Geiste in das Reich un- körperlicher Schönheiten und versuche, ein Schöpfer himmlischer Natur zu werden, um den Geist mit Schönheiten, die sich über die Natur erheben, zu erfüllen: denn hier ist nichts Sterbliches, noch was die menschliche Dürftigkeit erfordert. Keine Adern, noch Sehnen erhitzen und regen die- sen Körper, sondern ein himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strom ergossen, hat gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllet.“ §. 619. Der plastische Ausdruch des Gleichgewichts der Kräfte fordert verhältniß- mäßig kleines Haupt ; die griechische Gesichtsbildung (vergl. §. 348, 2. ), welche als die ihm besonders entsprechende bei idealen Gestalten jederzeit mustergültig bleibt, noch mehr die individuelleren Formen bei realer bestimmten Gestalten sind nach denselben Grundsätzen, wie der übrige Leib, zu stylisiren; ebenso hat die Behandlung des Haares weiche Fülle und scharfe Sonderung zu vereinigen. Bei großem Kopf ist entweder das Hinterhaupt und hiemit der Aus- druck des Begehrens, oder das Vorderhaupt und die Stirne, also der Aus- druck des Denkens, oder die untere Parthie des Gesichts, also der des Grobsinn- lichen überwiegend; die Griechen haben daher im Sinne der plastischen Kunst maaßgebend gehandelt, indem sie den Kopf verhältnißmäßig klein bildeten; er spricht mehr, als der ganze übrige Körper, aber er soll hier nicht für sich, nicht auf Kosten desselben sprechen. Warum das griechische Profil mustergültig bleibt für Idealbildungen, ist durch die Charakteristik desselben Th. II , S. 235 dargethan; im plastischen Style muß sich, wie wir gesehen, das schöne Gleichgewicht des Lebens durch volle Linien äußern, und so fällt die Auffassung des griechischen Profils bei O. Müller (a. a. O. §. 329): „der Grundsatz, die Umriß-Linien in einem möglichst ein- fachen Schwunge fortzuführen“ u. s. w., ganz mit jener psychischen zu- sammen. Hier ist daher nur noch von dem zu sprechen, was die Kunst: auch an diesem glücklichsten Stoffe umbildend vorzunehmen hat, und auch hierin bleibt die classische Sculptur Muster, denn sie hat das Stylgesetz der Vereinigung des Völligen und Runden mit dem scharf Getheilten in größter Reinheit durchgeführt. Jenes ist gegeben in dem schönen Oval des Ganzen, der rundbogigen, keine nackte Winkel an den Schläfen zulassenden Umkränzung der niedrigen, sanftgewölbten Stirn durch die Haare, der fein schwellenden Form der Lippen, der markigen Rundung des Kinns, dem kräftigen Kreisausschnitt des Unterkiefers, der sanften, weichen Flucht der Wangen, dem großen, runden Auge; das Scharfe dagegen, das Bestimmte, an architektonische Gemessenheit Erinnernde liegt namentlich in der Schär- fung des fein geschwungenen Superciliarbogens, der energischen Ausladung der Augenlider, der Kantenbildenden Abflachung des Nasenrückens. Von der Behandlung des Auges ist schon zu §. 608 die Rede gewesen. Nichts würde die Plastik weniger ertragen, als dünne, gekniffene Lippen: diese bezeichnen den in sich verschlossenen, bis an das Kinn zugeknüpften Men- schen; die sanfte Oeffnung derselben charakterisirt den in Offenheit, Freu- digkeit des Daseins und Fülle reiner Sinnlichkeit frei athmenden Menschen; Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 28 sie sind von kräftiger und doch zarter Fülle, und um auch den entfernten Schein des Ansatzes zur Thierschnauze, der in überhängender Oberlippe liegt, zu vermeiden, wird die Unterlippe etwas voller gebildet. Das nordisch moderne Auge ist durch die Gewohnheit, vielgetheilte Formen in der Gesichtsbildung zu sehen, übersättigt wie der Gaumen, der, an stärkere Reize gewöhnt, das Wasser, selbst den reinen Wein verschmäht; daher übersieht es leicht das unendliche Feld der Mannigfaltigkeit in Charakter und Ausdruck, das durch die zartesten Modificationen in diesem rein ab- gezirkten Lande einfacher Hebungen und Senkungen hervorgebracht wird. Es ist übrigens durch die Enge des Spielraums der Individualisirung doch auch härtere, hügelichere, durchgearbeitetere Form nicht völlig abge- wiesen; selbst Jupiter hat jene Wolke über der Nasenwurzel; im idealen Gebiete selbst gibt es realer gefärbte Naturen und die Griechen geben dem komischen Kreise des σιμόν. Der Unterschied der besonderen Formen im Menschenleben (Genre-Gebiet), noch mehr die Darstellung der empi- rischen Individualität, bedingt nun aber bedeutendere Abweichungen von der reinen Linie. Hier ist denn die Hauptstelle, wo die Gegensätze des §. 616 in Kraft treten; die Behandlung des Angesichts ist die eigentliche Wahlstätte des Kampfes zwischen Individualismus, Naturalismus auf der einen, idealem und strengem Styl auf der andern Seite. Wo glückliche und edle Bildung in einem gegebenen Stoffe es zuließ, lösten die Alten die schwierige Aufgabe gerne durch Annäherung an das Ideal einer bestimmten Gottheit; so wird der Kopf Alexanders des Gr. dem des Jupiter ähnlich gebildet, namentlich auch in der Löwen-Mähneartigen Behandlung des Haares . Von diesem ist noch zu sagen, daß hier, wo eine unbestimmte Vielheit der dünnsten Einzelbildungen vorliegt, die Nothwendigkeit des Stylisirens im Gegensatz gegen eine mit ganz andern Mitteln nachbildende Kunst be- sonders deutlich einleuchtet. Schon im Naturvorbilde muß daher der Bildner Haare vorziehen, die sich in Gruppen von einiger Völligkeit sammeln; dieß ist bei gelockten Haaren der Fall, deren Wellen überdieß ein viel freieres, naturfrischeres, lebendiger bewegtes Bild geben, als die straffen, die bei nordischen Völkern so häufig sind und bald zu dünn und fein, bald strohartig hart und struppig erscheinen. Der Bildner muß aber das Haar noch bestimmter in Massen sammeln, als die Natur es thut, und durch scharfe Ränder, tiefe Kehlen Einschattungen hervorbringen, welche diesen pflanzenartigen Wald theilend beleben und malerische Mittel ersetzen (vergl. §. 608 Anm.). Dasselbe gilt vom Barte; der des Jupiter von Otricoli ist von besonders herrlicher Modellirung. Das Haar des Weibes mag in weniger volle Massen gesammelt und welliger bewegt schlangenartig dahinwallen. Straffe, struppige, dünne, mangelhafte Haare bis zur Kahlheit läßt sich der individualisirende und naturalistische Styl frischweg auch gefallen, doch muß auch er sie strenger ordnen und sammeln, als der Maler. — Mit dem Felle des Thiers ist dieselbe Be- handlung vorzunehmen; besonders schön sind die Borsten am florenti- nischen Eber gruppirt. §. 620. Die bildnerische Darstellung der Schönheit der menschlichen Gestalt ist 1. nicht an die Nachtheit gebunden, wohl aber fordert sie ein Gewand , das in Ruhe und Bewegung die Form der Glieder aufzeigt, indem es in seinem Wurfe durchgängig von ihr bestimmt erscheint. Für die Behandlung desselben gilt dasselbe Slylgesetz gleichzeitig völliger Massenbildung und kräftiger Son- derung, wie für den Körper selbst. Bei individuell bestimmten Aufgaben sind 2. auch weniger günstige Trachten, sofern sie nur Charakter haben und kein falsches Bild von den Körperformen geben, plastisch berechtigt. 1. Nacktheit oder Bekleidung ist ebensosehr eine ethische Stoff-Frage, als eine reine Kunstfrage. Die Griechen haben bekanntlich nicht frühe und nicht ohne Motiv völlige Entkleidung bei ihren Bildwerken gewagt. Namentlich bei weiblichen; denn der Mann ist wesentlich handelnd und Handeln war dem Griechen nie ein abstract geistiges, sondern ebensosehr ein sinnliches, von der Gymnastik ausgehendes, bei welcher das Gewand belästigt, und so führte die nackte Darstellung athletischer Figuren nach und nach zur völligen Entblößung der männlichen Göttergestalten und Heroen. Bei der Liebesgöttinn war die Nacktheit ursprünglich durch das Bad motivirt, das selbst wieder kosmogonische Bedeutung zur Grundlage hatte; Kindesnaivetät und weibliche Anmuth ohne höhere ethische Bezie- hung erscheint mit Recht in reiner Naturform; aber Aphrodite selbst, wo sie hohe, bindende Lebensmacht ist, bleibt nicht ganz unbekleidet, wie die Statue von Melos zeigt. Das Gewand könnte zunächst als eines der zufälligen Anhängsel erscheinen, die der Bildner vom Wesentlichen, Ewigen, Naturbleibenden wegzunehmen hat; allein Bildung ist auch Natur, eine zweite Natur, und ihre Formen sind auch wesentlich. Kleidung ist Scham des Geistes an den Theilen seines Leibs, in denen sich sein Ausdruck nicht concentrirt, Kleidung charakterisirt, spricht Inneres, Weise des Thuns, Inhalt, Würde aus. Aber nicht nur dieß; auch abgesehen vom Ethischen ist Kleidung, freilich nicht jede, nicht Hinderniß, daß der Körper erscheine, sondern fortgesetzte, wie in einem Nachhall erweiterte Körperform. Sie zeigt als „Echo der Gestalt“ deren Bildung und Be- wegung auf. Diese Bedeutung kommt nun freilich keiner andern Tracht so zu, wie der griechischen (und römischen); warum sie die absolut 28* plastische ist, geht aus ihrer kurzen Charakteristik zu §. 348, 3. hervor, wozu vergl. die erschöpfende Erörterung in Hegels Aesth. Th. II , S. 405 — 416. Wo dieses Gewand, der wenig genähte Chiton und das ungenäht frei übergeworfene Himation und Chlamys, auf den Gliedern aufliegt, zeigt es deren Schwellung einfach auf, wo es in Falten sich aufwirft, abfällt, sind diese eben durch die Art, wie der andere Theil am Körper aufliegt, durchgängig bestimmt und setzen also diese Ausprägung in bewegter, vervielfältigter, so zu sagen colorirter Weise fort. Bei wirklicher Bewegung verstärkt sich dieß Verhältniß, der Affect fährt gleichsam auch in das Gewand wie eine Art selbständiger Geist, indem die Bewegung in diesem noch nachdauert, auch wenn der Handelnde augenblicklich mit der Bewegung inne hält: das Kleid des Tanzenden setzt, wenn dieser sich augenblicklich ruhiger auf den Zehen wiegt, das Sausen der vorher- gehenden stärkeren Drehungen und Sprünge, das des Kämpfenden die ge- waltsamen Bewegungen fort; man sehe z. B. jenen Satyr auf dem choragischen Denkmal des Lysikrates, der eben einen Baumast abreißt: seine Nebris saust noch im Winde von der Wuth, mit welcher er herangestürzt ist. Es ist die Luft, mit welcher hier das Gewand in Spiel tretend gewisser- maßen selbständig wird, doch nur um das ursprünglich organische Motiv zu erweitern, zu verdoppeln. Das Gewand bleibt jedoch an sich todter Stoff und dadurch ergibt sich das weitere Motiv einer schönen Contrast- wirkung, indem das an sich todte und nur mittelbar beseelte Anhängsel mit dem es belebenden Leibe in ästhetischem Gegensatze zusammenwirkt, und die mancherlei Abbreviaturen (vergl. §. 612), wo eine Chlamys, Nebris, herabgefallenes Himation die Gewandung nur andeutet, wollen zugleich künstlerisch das Nackte durch diese Contrastwirkung heben; man betrachte z. B. den herrlichen Lapithen auf einer der Parthenon-Metopen, der den Centauren am Haare gepackt hat und weit gespreizt, auf die linke Ferse gestemmt ihn rückwärts reißt, um ihm den Kopf zu spalten: das Himation liegt noch leicht auf der rechten Schulter und dem linken Arm und bildet übrigens, hinten herabgesunken, weit ausgebreitet eine große Draperie, auf der sich wie auf malerischem Hintergrunde die gewaltige Kämpfergestalt prachtvoll abhebt. Ein volles, umgenommenes Gewand setzt dagegen reich, stattlich, ehrwürdig den ganzen herrlichen Gliederbau wie durch unzählige Geister, die sein Geheimniß aus allen Falten und Furchen verkündigen, in Musik. In zarterer, fast überverfeinerter Weise geschieht dieß bei den sog. nassen Gewändern, wo nur ganz feine flor- artige Falten zeigen, daß der Körper mit einem höchst dünnen, durchsich- tigen, wie durch Nässe anklebenden Stoffe bekleidet ist; hier steht man so scharf an der Grenze, wo das farbige Durchscheinen einzutreten hätte, daß das Auge unwillkührlich die Farbe ergänzt und das Hinübergreifen in die Malerei (vergl. §. 612 u. Feuerbach a. a. O. S. 198) stärker, als irgendwo sich hervordrängt. — Diese ästhetische Wirkung des Ge- wands liegt nun natürlich nicht im Stoffe allein; die günstigste Tracht verfällt hundert störenden Zufällen, ist in ihren Formen und Falten nie so flüssig und bestimmt, wie es der Künstler bedarf, und es handelt sich also auch hier wesentlich vom stylistischen Verfahren. Dasselbe hat dem bisher durchgängig angewandten Gesetze der Vereinigung des flüssig Freien mit dem streng Getheilten und Gesammelten zu folgen und besonders wird die Behandlung der des Haares verwandt sein; charakterlos geknit- tertes Gefälte ist auszuscheiden, volle Faltenzüge sind in Gruppen zu ordnen, höher zu wölben, tiefer zu unterhöhlen, glattes Aufliegen ist in reinerer Füllung, abfliegender Schwung belebter, bewegter, fortgesetz- ter darzustellen. An den schönsten Gewandfiguren der Alten bildet die Draperie ein wohl componirtes Ganzes wie ein Gedicht: Hauptmassen, untergeordnete Falten von schwereren Faltenzügen beherrscht, Gruppen in Gruppen, dazwischen freies Aushauchen im Faltenlosen. 2. Für rein ideale Gestalten ist die absulute Gewandung, wie sie das classische Alterthum geschaffen, jederzeit ebenso unentbehrlich wie das griechische Profil; wäre sie aber die einzige, so wäre dadurch den neueren Völkern, die vorzüglich auf das, obwohl beschränkte, Gebiet individuell historischer Darstellungen gewiesen sind, fast aller Boden weggezogen. Es mögen auch individuelle Gestalten, so wie genreartige, unter Um- ständen im Widerspruche mit der Tracht, die sie wirklich getragen, im classischen Gewand erscheinen, wofern sie aus den realen Bedingungen ihrer Zeit heraus in den Aether des Reinen und Allgemeinen sich erhoben, darin gelebt und gewebt und sich verewigt haben, wie z. B. große Dichter; denn dieses Gewand hat beinahe aufgehört, das einer bestimmten Zeit zu sein, es ist ebensosehr ein reiner Typus, allgemein menschlich, ideal ge- worden, als es historisch ist, und wen wir „classisch“ nennen, der mag es im Monumente tragen. Dagegen alle realeren Naturen, Staatsmänner, Feldherren, auch geistige, aber dem strengeren Denken zugewandte, wie Philosophen, Kritiker, Erfinder, oder solche, die für ihre Gedankenwelt kühn gehandelt, wie Reformatoren, unverdrossen gewirkt, wie berühmte Lehrer, selbst Dichter, Künstler, wenn sie lebenswärmer, vertrauter auf- gefaßt werden sollen, müssen das Kleid tragen, in welchem sie sich wahr- heitsgemäß bewegt haben. In der That ist die Bildnerkunst ein lebens- wärmeres Wesen, als die Schullehre des Idealismus zugeben will, und der Künstler mag auch hier frisch zugreifen, wenn er nur seine Grenzen kennt. Es verhält sich mit den barbarischen Trachten wie mit dem barbarischen Profil: was dem Stylgesetz in seiner höchsten Strenge nicht entspricht, fällt darum noch nicht weg, sondern fordert den Bildner zum Ringen auf. Eine ungefähre Grenze wird aber zu ziehen, inner- halb derselben ein Ungünstigeres und weniger Ungünstiges zu unterschei- den sein. Die Grenze ist die moderne Tracht, weil sie ein falsches Bild des menschlichen Körpers gibt, vergl. §. 376, 2. ; sie ist mindestens ein Aeußerstes, Ungünstigstes. Jedermann kennt die Noth des Bildhauers, die langen Hosen, welche der Form des Beins folgen, aber an Knie und Knöchel die wahre Linie durch Falten verwirren, die nur vom Schneider herrühren, den Rock oder Frack, der bis an die Hüften dem Körper anliegt, aber schon am Aermel falsche Falten wirft, wie die Hosen, von der Hüfte an aber in reinen Schneiderfalten oder gar abstracten Schwänzen niederhängt, durch Mantel, Talar und dergl. zu verdecken. Man denke sich z. B. jenen sausenden Flug des Gewandes, wo er eine vorangegangene Bewegung anzeigt, auf den Frack angewandt! Dagegen lassen sich durch die Welt von Formen, welche zwischen diesem Aeußersten und der antiken Tracht liegen, zwei Linien verfolgen, welche in verschie- dener Weise plastisch Brauchbares aufzeigen. Nachdem die langen, fließen- den Gewänder des früheren Mittelalters, welche, ob zwar von oben mehr nach dem Leibe geschnitten und genäht, doch noch ihre Herkunft von der classischen Kleidung verrathen und dem Bildner daher höchst willkommen sind, verschwunden waren und nur als Kleid des Festes und der höheren Würde (Talar, Kirchenrock) im Gebrauch blieben, sehen wir das anlie- gende Wams, mit ebenfalls knappem Beinkleid verbunden, sich geltend machen; dieses trennt sich später in Hose und Strumpf, wird eine Zeit- lang weite Pluderhose, dann, wie das Wams, das ebenfalls eine Zeitlang sehr weit getragen wird, wieder eng. Zu dieser Tracht gesellt sich ein wei- ter oder fast freier Ueberwurf, Tappert, Schaube, dann spanischer Mantel, dann wieder kurzer, weiter Rock ohne Taille. Diese ganze Form ist in ihrem anschließenden Theile nicht unplastisch, weil sie nicht störend von den natürlichen Umrissen abgeht; dazu gibt der Ueberwurf, nämlich der Rock ohne Taille, der spanische Mantel den Gegensatz des Freien, Luftigen, Reichen; sehr weites, kurzes Beinkleid und sehr weites Wams aber ist ebenfalls viel brauchbarer, als unsere halbweiten Säcke. Selbst der in die Taille gehende Rock und der Frack der Zopfzeit ist noch so weitschichtig, aus- giebig, daß das Gefälte mehr nach den Stellen motivirt werden kann, wo er auf die ausgeladenere Form des Körpers aufsitzt oder in die eingezogenere einfällt: die Rokoko-Tracht ist auch bildnerisch noch weit günstiger, als die neueste. Die andere Hauptform ist die hartschaalige, mehr architek- tonische: das weite, harte Haus der Rüstung, dann der Steifstiefel mit Küraß; Rock und selbst Frack, militärisch dick gefüttert, wie sie es bei dieser schweren Bewaffnung waren, haben auch solchen hausartigen Charak- ter. Diese ganze Form ist nicht so unplastisch, als sie scheint: die eckig harte Käferschaale gleicht dem gewichtig Schwerlöthigen, was wir bei harten Körper- und Gesichtsformen der Individualität als Ersatz für die Welle der Schönheit forderten, und eine architektonische Starrheit liegt der Plastik weit nicht so fern, als malerisch weiche Formen, die aber ein ironisches Zerrbild der Gestalt geben. Achnlich verhält es sich mit der Nachbildung sehr schwerer Stoffe in jeder Art von Tracht; der schwerste ist noch zu behandeln, sofern er irgend Falten wirft und die Form an- deutet, wie der dünnste und leichteste, so fern er nur nicht im Gefälte charakterlos wie geknittertes Papier erscheint. Auf jene scheinbar so un- günstige Tracht zurück zu kommen, so ist auch der Dreimaster unendlich mehr plastisch, als der modern runde Hut. Rauherer, farbiger betonter Stein oder Erz eignet sich jedoch für diesen Tracht-Typus besser, als Marmor. Reichen Beleg für unsere Sätze gibt das Friedrichs-Denkmal in Berlin. Interessant ist besonders die Debatte über die Göthe- und Schiller-Gruppe, die für Weimar bestimmt ist. Beide Persönlichkeiten würden sich nach der obigen Bemerkung für die ideale Tracht eignen, aber dann müßte die Gruppe von den idealen Kunstformen eines Theaters, eines kleinen Tempels umschlossen sein; zwischen den deutschen Häusern, in der vertrauten nordischen Umgebung wollen wir unsere heimischen Dichter in lebenswahrer Culturform sehen und Rietschel genießt den Vor- theil der günstigeren Rokoko-Tracht, die er bei der Lessings-Statue so glücklich zu verarbeiten wußte. — Die Frauentracht hat im faltenreich langen Rock immer einen Rest von Idealem bewahrt; die übrigen An- hängsel lassen sich, da dieß lange Kleid das Hauptstück ist, ohne Ge- waltsamkeit ausscheiden. §. 621. Die reiche Welt besonderer Formen, zu welchem die allgemeine Schönheit der Gestalt durch die Unterschiede der Natur und Sitte sich entfaltet, hat ihre Grenze für die Bildnerkunst da, wo die Form zu unreif oder unbe- stimmt, durch Leiden oder Alter entstellt, durch mangelhafte Entwicklung ge- hemmt ist. Innerhalb dieser Grenze verlangt das Stylgesetz beziehungsweise Verschmelzung der verschiedenen Formen zu einem Inbegriffe des vollkommenen Lebens, ohne daß doch die Kraft ihres Unterschieds verwischt wird. Die besonderen Formen sind theilweise schon in §. 615 erwähnt; es konnte von der Schönheit der menschlichen Gestalt überhaupt und von dem allgemeinen Prinzip ihrer plastischen Behandlung nicht die Rede wer- den, ohne daß ein erster Blick auf dieses Gebiet geworfen wurde, namentlich auf Menschenracen und Stämme, deren Typus zu weit vom reinen Menschenbild abweicht, und auf entstellende Culturformen, wie wir solche zuletzt bei der Kleidung kennen gelernt haben; ferner hatte dieser erste Ueberblick dort den Zweck, sogleich das Individuelle und die mancherlei Einzelformen, in die sich der Naturalismus in weiterem Um- fang einläßt, heraufzunehmen und die Schmalheit des Spielraums, in welchem diese Richtungen sich bewegen, als wesentliche Bestimmung des allgemeinen Stylgesetzes auszusprechen. Nunmehr ist aber diese reiche Welt, soweit sie nicht dort bereits zur Sprache gekommen, es sind nament- lich die anthropologischen, die in der Sitte, Beschäftigung begründeten Unterschiede, wie sie sich im Körper ausprägen, ausdrücklich zu betrachten und die Grenze genauer zu bezeichnen. Wir haben also vor uns die verschiedenen anthropologischen Zustände: Wachen, Schlaf, Krankheit, Tod; die Altersstufen, den Unterschied der Geschlechter, der Beschäftigun- gen, wie er auch bei vorausgesetzter glücklicher Culturform besteht, worüber durchaus Th. II, C. a. zu vergleichen ist, nur mit dem Vorbehalt, daß wir das tiefere Psychologische, also die Affecte, die sittlichen Motive im Familienleben, den Charakter, wie er sich im Staatsleben und der Welt geistiger Bildung entwickelt, hier vorerst noch bei Seite lassen, weil wir Alles noch unter dem Standpuncte der Ausprägung an der Gestalt als solcher betrachten und von den Momenten besonderer Bewegung noch ab- sehen (§. 615). — Es hat keinen Sinn, an eine Schönheit in abstracto zu denken; es ist Mann, Weib, Kind, Jüngling, Jäger, Hirte, Schiffer, Krieger u. s. w., was dargestellt wird, und die Götter selbst sind geschlechtlich, haben Schicksale, sind Hüter und Schirmherren eines beson- deren Kreises, der ihnen ihr Gepräge mittheilt. Es folgt nun klar aus Geist und Stylgesetz der Plastik, daß das Verschwommene und zugleich dürftig Dürre der ersten Kindheit, daß entstellende Krankheit und die runzliche Gebrechlichkeit des hohen Alters, der Leichnam im Auflösungs- prozeß, daß eine durch Armuth und Hunger, durch Sitzen und Hocken, durch allzurauhe Arbeit gedrückte Erscheinung aus den Stoffen der Plastik wegfällt. Wo die Linie liegt, ist natürlich im Gebiete der Allgemeinheit nicht bei Zoll und Schuh zu bemessen. Der griechische Bildner wagte einen im vergifteten Gewande qualvoll leidenden Herkules, einen Phi- loktet, aber da konnte der Heldenleib doch noch in unzerrissener Formen- fülle dargestellt werden; der Leichnam ist noch schön, so lange der letzte Strahl der Lebenssonne auf ihm ruht und seine Züge erzählen, was er gethan und gelitten, wenige Stunden nachher wird er todter Stoff und plastisch unauflösbare Häßlichkeit. Betrachten wir aber dieses also be- grenzte Gebiet der Mannigfaltigkeit nach seinem positiven Inhalt, so breitet sich eine Fülle des Schönen wie eine herrliche Gebirgswelt vor uns aus. Die Lehre vom Naturschönen hat einen Ueberblick gegeben und wir müssen auf diesen Abschnitt zurückverweisen, da es sich an dieser Stelle wesentlich nur um eine weitere Anwendung unseres Stylgesetzes handelt. Die zwei Momente: Auflösung in das Fließende, Weiche und scharfe Bestimmung, Theilung müssen jetzt mehr im Großen wirken. Es macht sich nun zuerst das zweite dieser Momente geltend: jede Form des Daseins soll in ihren wesentlichen Zügen fest und markig ausgesprochen werden; die Idealität, wie sie im Wesen der Plastik mit so besonderer Ausdrücklichkeit liegt, ist keine Verschwemmung, keine Flach- heit; Kind soll Kind, Mann Mann, Weib soll Weib u. s. w. bleiben; der Künstler hat sich z. B. wohl gehütet, dem Dornausziehenden Knaben und dem Astragalenspielenden Mädchen die rührende Herbigkeit der noch unausgefüllten Formen oder das eifrig Bedachte, ausschließend Vertiefte ihres Thuns, ihres Spiels zu nehmen. Und dennoch fordert jene Idealität, daß eine unmerkliche, feine Welle die Schärfe des Unterschieds ebensosehr flüssig mildere und am Bande der reinen, in ewiger Heiterkeit webenden Schön- heit halte. Der schlangenwürgende Herkules in Neapel ist ganz Kind und doch wie rund und voll schon der künftige Mann mit dem Stierhalse und den mächtigen Muskeln ausgesprochen! Der vaticanische Apollo ist ganz Mann und doch treten die einzelnen Schönheiten der übrigen Götter hier in Gemeinschaft zusammen: „eine Stirne des Jupiter, die mit der Göttinn der Weisheit schwanger ist, und Augenbrauen, die durch ihr Winken ihren Willen erklären; Augen der Königinn der Göttinnen mit Großheit gewölbet und ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten Branchus die Wollüste eingeflößet“ u. s. w. (Winkelmann a. a. O.). Auch Feuerbach (a. a. O. S. 128 — 130) zeigt, wie dieser Apollo etwas Mädchenhaftes hat, ohne weibisch zu sein, wie er weder Kind, noch Jüngling oder Mann, wohl aber Alles zugleich, Kind ohne die Schwächen der Kindheit und Jüngling in der Kraft und Sicherheit des Mannes ist. Falsche Einigung der Gegensätze, das Erzeugniß einer auf lüsternen Reiz arbeitenden, weichlichen Kunst ist die Hermaphroditenbil- dung. So verhält es sich nun auch mit dem besondern Gepräge, das Stand, Beschäftigung aufdrückt. Im griechischen Leben war es nament- lich die, auch auf das weibliche Geschlecht ausgedehnte, Gymnastik, die schon in dem als Stoff gegebenen Menschenstamme das Gattungsmäßige so entwickelte, daß selbst Thätigkeiten, die sonst zur Ertödtung des vollen Sinnenlebens und seiner Erscheinung führen, denjenigen Stempel der Besonderheit dem Einzelnen nicht aufdrückten, der zum plastisch Häßlichen abführt; ebensosehr war aber die griechische Erziehung bedacht, durch Kunst, Dichtung, Beredtsamkeit, Spiel den Einzelnen auch geistig flüssig zu erhalten, zur schönen Persönlichkeit innerlich auszurunden, und die Kunst vollendete, was das Leben vorgearbeitet. Der Naturalist und Individualist hat nun in diesem Gebiete der Besonderheit ein weiteres Hauptfeld für seinen herberen Styl; er wird Jugend und Alter, er wird den Hirten, Jäger, Krieger, Gelehrten durch schärfere Züge vom Ideal unterscheiden; überschreitet er aber die Grenze, so verletzt er das Wesen seiner Kunst und wird gemein. §. 622. Der bestimmte Moment nun, in welchem die Gestalt zur Darstellung kommt, muß durch Ungezwungenheit der Haltung in der Ruhe und Rund- heit jeder Bewegung das streng Gemessene (§. 617) zum Ausdruck der Zufällig- keit und Wärme des Lebens umwandeln. Sofern sie nur nicht die Schönheit der Linie und das, übrigens im Relief minder strenge, Gesetz des festzuhalten- den Schwerpuncts verletzt, ist an sich jede Heftigkeit der Bewegung zulässig. Von der Erörterung der Stylgesetze in Behandlung der Gestalt über- haupt und der besondern Arten der Gestalten gehen wir nun zu dem Punct über, den wir in §. 615 ausdrücklich noch ausgeschlossen und be- sonderer Beleuchtung vorbehalten haben: dem bestimmten Momente, worin die Gestalt aufgefaßt und dargestellt wird. Wir könnten das Ganze unter den Begriff der Bewegung fassen, denn auch der Zustand der Ruhe zeigt noch vorangegangene und nachfolgende Bewegung; todte Ruhe haben nur die Aegyptier dargestellt. Zunächst wird aber die Bewegung als blos sinnliche gefaßt, von der geistigen noch abgesehen. Wir haben in der Strenge der Proportionen einen Rest von Architektur gefunden, der sich in die Bildnerkunst herein erstreckt. Dieser hat sich nun im Wellenspiele der vollen und ganzen Gestalt wohl mit der Weichheit und Flüssigkeit des Lebens bekleidet, aber die wahre und ganze Auflösung des Starren tritt erst mit dem Spiele des Moments ein. Die Haltung der Ruhe darf keine steife sein, wie jene, welche die soldatische Dressur hervorbringt; dem Ausdruck nach wird dadurch das Gleichgewicht der Naivetät zu einem Bilde abstracter Herrschaft des befehlenden Geistes über seinen Körper verkehrt, dem Systeme der Linie nach tritt in einer neuen, ungehörigen Weise das architektonisch Starre und Todte ein, das überdieß gerade die Vorstellung des Fallens erregt, weil die gezwungene Haltung an den mechanischen Schwerpunct so erinnert, daß der Zuschauer das Gefühl hat, die dargestellte Person und sofort die Statue selbst habe Mühe, ihn ein- zuhalten. Der Kopf wird sich leicht zur Seite und nach vornen neigen, der Rücken zartgebogen erscheinen, die symmetrischen Organe, Arme und Beine, in ungleicher Lage sich befinden; insbesondere werden die letzteren bei stehenden Figuren nicht gleichmäßig tragend erscheinen, sondern der Körper sich auf das eine stemmen und dadurch das andere befreien (als Gesetz hat dieß Polyklet festgestellt; „ut uno crure insisterent signa“ sagt Plinius; sog. Standfuß und Spielfuß). Die plastische Natur ist ihrer selbst so sicher, daß sie sich völlig gehen läßt; jeder Zwang ist fern; das freundliche Spiel der Zufälligkeit des Lebens ergießt sich mild und leicht über das Ganze; das Gesetz der légèreté, das schon in §. 33 als ein Grundgesetz des Schönen aufgestellt ist, wird gerade hier doppelt fühl- bar, wo es an seinem Gegentheile, der Strenge der Proportion, zu Tage tritt. Die Darstellung wirklicher Bewegung nun führt uns auf den Be- griff des Momentanen, also zu §. 613 zurück. Dort ist bereits ausein- andergesetzt, daß das Momentane an sich keineswegs der Bildnerkunst widerstrebt, daß der Gegensatz zwischen Ruhe und Bewegung ein rela- tiver ist und daß die schnellste, augenblicklichste, also auch heftigste Be- wegung dem Bildner nicht verwehrt sein kann, sofern nur nicht etwas Anderes, Qualitatives hinzutritt, was dieß Quantitative, den Grad der Beschleunigung und Gewalt, unschön macht. Dieß „sofern nicht“ drückt der gegenwärtige §. durch das „an sich“ aus. Es liegt uns also bis jetzt eine positive Schranke nicht vor, als diejenige, welche in der Forde- rung schwungvoll einfacher Umrisse §. 615 und in der Festhaltung des Schwerpuncts §. 600 liegt. Jene fordert allgemeine Rundheit der Be- wegungen; bei schwächeren, weniger unruhigen gibt sich diese leicht, die heftigen aber reißen die großen Hebel des Körpers mehr excentrisch ab und es wird schwerer, das Spitze, Eckige, Telegraphenartige zu meiden, aber es ist nothwendig. Wir reden hier, wie gesagt, noch nicht vom Affect als Grund der Bewegungen, es gibt auch ohne solchen, namentlich im Tanze, in Leibesübung, Schein-Kampf, gewaltsame Bewegungen genug: die Bacchantinn scheint im wilden Taumel die Glieder wegwerfen zu wollen, der heftige Ausfall des borghesischen Fechters wäre auch ohne die Aufregung ernsten Kampfes denkbar, Myrons Diskobol verkrümmt ge- waltsam die Glieder zum Anwurf, die Ring-Faustkämpfer in Florenz verflechten ihre Glieder zum wilden Knäuel, und doch ist nirgends der Fluß der Linien zerrissen. Die andere Schranke, welche durch die Forde- rung entsteht, daß der Schwerpunct auf überzeugende Weise eingehalten werde, beengt, wie schon zu §. 600 im Allgemeinen bemerkt ist, die Bildnerkunst weniger, als es den Anschein hat: es ist dem Bildner nicht alles „Schwebende, Fahrende, Sausende, Fallende“ (Rumohr Ital. Forsch. Thl. I , S. 91) versagt; aber eine Grenze ist allerdings gesteckt, sie ist da, wo aus dem Verluste des Schwerpunctes nicht eine selbst wie- der in gewissem Sinn schwungvolle, sondern schlechthin unbeholfene Be- wegung hervorgeht, wie das Taumeln des Betrunkenen, das Straucheln des Gestoßenen. Im Relief ist dagegen natürlich auch hier der Umfang des Darstellbaren größer, denn der Grund ist zwar indifferente Fläche, aber doch auch wieder Anklang mitdargestellter Umgebung, Luft, Wassers u. s. w., doch muß den taumelnden Bacchus wenigstens ein gegenge- stemmter Satyr halten, damit ein Gleichgewicht hergestellt sei; Flug und Fall dagegen kommt hier ungehindert zur Nachbildung. §. 623. Die Heftigkeit der körperlichen Bewegung überschreitet aber die Schön- heitslinie der Bildnerkunst dann, wenn in ihr eine Bewegung der Seele aus- bricht, worin ihr inneres Gleichgewicht aufgehoben ist. Das Stylgesetz in seiner Anwendung auf den Ausdruck des Seelenlebens verbietet nicht die Darstellung starker und voller, wohl aber absoluter Affecte , welche in der Gestalt als Verzerrung erscheinen. Je näher ein Stoff dieser starken Form des Häßlichen, desto schwerer die Aufgabe, dieß Häßliche in ein Furchtbares oder Komisches so aufzulösen, daß dennoch dem Gesetze der directen Idealisi- rung Genüge geschieht. Die Frage über das Maaß der Bewegung ist es, die durch natürli- chen Uebergang zur letzten, wichtigsten Seite der inneren Bestimmt- heit der plastischen Darstellung oder des Stylgesetzes führt, zu der Be- trachtung des Ausdrucks in unserer Kunst. Denn jenes Positive, dessen Zutritt erst den wahren Aufschluß über das erlaubte Maaß der äußern Bewegungen gibt, ist der Affect, und so sind wir auf diesen geführt als ersten Punct der Erörterung über den Umfang des psychisch Darstell- baren. Im Affecte schlägt die Seele heraus aus ihrem Innern, fluthet aus ihrem Centrum, ist auf etwas außen Liegendes gewaltsam bezogen; es muß aber durch diese Aufwallung nicht nur die augenblickliche, sondern auch die stetige innere Beschaffenheit der Seele zum Vorschein kommen, und so fassen wir denn das Seelenleben selbst zunächst von außen und gehen fort nach innen. Wie nun im Affecte das Stetige und Bleibende des Seelenlebens sich zu erkennen gibt, indem es durch Bewegung seine Kräfte auseinanderlegt, so wird gleichzeitig alles Bewegende und Beweg- liche im Körper, das in der Einheit der Ruhe schlummerte, in seinem Grunde aufgeregt und tritt in der Form der Ausdrücklichkeit hervor. Es kann gar keine Frage sein, daß die Bildnerkunst ebenso berufen sein muß, dieß aufgewühlte Meer, als die Meeresstille darzustellen; aber ebensowenig kann darüber ein Zweifel sein, daß das Maaß dieser Auf- wühlung für die Plastik seine scharf bestimmte, für den Naturalisten, dem wir auch hier begegnen und dessen Richtung auf diesem Gebiete sich wie- der besonders kenntlich macht, freilich weiter ausgesteckte Grenze hat durch die Enge des Spielraums, der in einer Kunst dem Häßlichen gelassen ist, welche so beschränkte Mittel besitzt, es ästhetisch aufzulösen. Nun sind wir an der Stelle angekommen, wo sich zeigen muß, was jenes Qualitative ist, wodurch die an sich ganz zulässige Darstellung des schlecht- hin Momentanen (§. 613) und der heftigsten Bewegung (§. 622) zum unplastisch Häßlichen wird: es ist ein Aeußerstes der Leidenschaft, d. h. derjenige Grad, worin die Seele völlig aus ihrem Centrum gerissen, also jene Gediegenheit, jenes sichere Insichruhen, jener ethische Schwerpunct eines substantiellen Charakters (vergl. §. 605) verloren und an die Stelle jenes Beisichbleibens im Einlassen in Anderes das Verlorensein seiner selbst getreten ist. Verboten ist nicht das Augenblickliche an sich, sondern das, dessen Anblick nur einen Augenblick erträglich ist. Da erst entsteht ein Widerspruch zwischen dem absolut Flüchtigen und der Feßlung im dauern- den Material. Im Aeußern muß sich der absolute Affect als ein Krampf der Verzerrung darstellen: statt einer „vielstimmigen Harmonie der Kräfte, statt einer nie endenden Kreisbewegung ein einziger schreiender Laut, etwas Maskenartiges; die Züge werden leblos und starr und in der Haltung der ganzen Gestalt, in jeder Gebärde erscheint die Bewegung nur wie das Zucken, die Ruhe wie die Erstarrung eines willenlosen Krampfes“ (Feuerbach a. a. O. S. 60. 61). Wo nun der Moment eines höchsten Ausbruchs so beschaffen ist, da ist natürlich die nächste Auskunft, ihn überhaupt zu vermeiden und den Augenblick vorher oder nachher zu wählen; hier erst hat diese Vorschrift, die wir zu §. 613 als eine vorzeitige auftreten sehen, ihre Geltung. In Griechenland ver- fuhr auch der Maler, plastisch keusch, gerne nach ihr: die Medea des Malers Timomachus kämpft noch mit sich und zieht das Kindermordende Schwert unentschlossen halb aus der Scheide, sein Ajax hat die ent- ehrende That gethan; um so gewisser der Bildhauer: eine Niobe ist schon da angekommen, wo ihr die vom Mythus erzählte Versteinerung mit lösender Geister-Hand das Letzte, Aeußerste der Verzweiflung abnimmt, Laokoon hat wohl einen Augenblick vorher krampfhafter gerungen und die Rondaninische Meduse ist todt. Allein in der That ist es mit dieser Auskunft noch nicht gethan; gerade in diesen drei Beispielen sehen wir einen Moment gewählt, welcher dem Aeußersten, Verzerrenden eines schrecklichen Affects noch so nahe liegt, daß der Künstler, wenn diese Werke dennoch schön sind, offenbar dieß Heiligthum der Grazie durch andere Mittel zu retten gewußt hat, als durch das äußerliche der Wahl des Moments. Ist nun dieß zugegeben, so kann ja die Lösung der Schwierigkeit überhaupt nicht im Stoffe liegen, wir müssen die wahre Auskunft im Kunststyle suchen; seines Zaubers mächtig mag nun der Künstler jenen äußerlichen Ausweg geradezu ganz aufgeben, und er thut es, wie wir aus mehreren Beispielen zu §. 613 ersehen, die den frucht- baren Moment mitten im Toben, im höchsten Ausbruch des Zorns oder Leidens suchen. Wir müssen uns nun klarer machen, was in diesem Falle eigentlich seine Aufgabe ist. Wir haben (§. 603 mit Anm.) er- kannt, daß in der Bildnerkunst in gewissem Sinn das Häßliche selbst schön sein muß. In ein Furchtbares (oder Komisches) muß es zwar auch der Bildner auflösen, aber diesem selbst kann er nicht die ahnungs- volle geistige Tiefe geben, wie es die Mittel anderer Künste erlauben; also bietet ihm dieser Umweg nicht die Rettung aus dem an sich Häß- lichen, wie den letzteren. Daher bleibt ihm, wenn er einmal das Bild des vollen Sturmes wagt, nur der Weg, daß er gleichzeitig „mit der wüthend aufgewühlten Oberfläche des Meeres seine stille Tiefe sehen lasse, d. h. in der höchsten Leidenschaft eine große und gesetzte Seele zeige“ (Winkelmanns berühmte Worte vom Laokoon Werke Bd. I , S. 31). In diesem geistigen Rettungsmittel der Schönheit ist nun das Wahre jener äußerlichen Auskunft erhalten: die innere Kraft der Seele mäßigt die Leidenschaft auf ihrer Höhe so, daß es ist, als wäre diese Höhe schon überstiegen, der äußerste Moment schon abgelaufen und ein späterer ein- getreten. Dieses Mittel muß nun aber, da hier vom Style die Rede ist, in einer bestimmten Behandlung der Formen sich Ausdruck geben. Jedoch sind verschiedene Fälle denkbar: das einemal wird es mehr darauf ankommen, positiv in der Art der ganzen Bewegung die Herrschaft des Geistes über den Affect auszusprechen, obwohl auch dieß nicht in ab- stracter, sondern in der Weise, daß diese Geistesherrschaft selbst wieder wie eine zum Eigenthum der Gestalt gewordene Naturkraft erscheint; das andremal muß der Adel der Form ohne diesen bestimmten Ausdruck dämpfend wirken, und in einem dritten Fall vereinigt sich Beides. Um diese Fälle zu unterscheiden, muß die Sache genauer ins Auge gefaßt werden. Wir sind hier auf die Lehre vom Erhabenen der Leidenschaft und vom Pathetischen im I. Theile (§. 105. 106. 110 — 116) zurückge- führt. Dort sind die Bezeichnungen genauer genommen: Leidenschaft be- deutet sinnlich-seelische Erregung ohne Rücksicht auf das Sittliche des Inhalts, das Pathetische aber das Aufbrausen oder das Leiden des mit ethischem Gehalt erfüllten Willens. Das Erhabene des bösen Willens, das dort in die Mitte zwischen diese beiden Formen gestellt ist, fällt für das Ideal der Plastik nothwendig weg. In der ersteren Form nun ist es überhaupt leichter, die Grazie plastischer Schönheit zu wahren, denn jener ϑυμὸς, halbsinnliche Zorn des Kriegers, Ringers u. s. w. reißt die gediegene Kraft der Seele nicht aus ihrem Centrum, er wüchse denn zu thierischer Wuth an, die der Künstler einfach meidet. In der zweiten Form ist das positiv Pathetische der leichtere Stoff, denn da ist der Wille von der Leidenschaft positiv unterstützt und es ist keine Gefahr, daß der erhabene Lichtgott, der so eben das Ungeheuer getödtet, im strahlenden Siegesgefühl, worin der göttliche Zorn noch über seine Befriedigung ge- mäßigt hinüberwirkt, seine Würde verliere: „von der Höhe seiner Ge- nugsamkeit geht sein erhabener Blick, wie in’s Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus; Verachtung sitzt auf seinen Lippen und der Unmuth, welchen er in sich zieht, blähet sich in den Nüstern seiner Nase und tritt bis in die stolze Stirn hinauf, aber der Friede, welcher in einer seligen Stille auf derselben schwebet, bleibt ungestört und sein Auge ist voll Süß i gkeit, wie unter den Musen, die ihn zu umarmen suchen“ (Winkel- mann a. a. O.). Aber im negativ Pathetischen, wo alle Nerven im äußersten Schmerze zucken und im innersten, verborgenen Grunde der Wille dem Leiden entgegenwirken soll, ohne daß uns doch der Künstler auf den Boden abstracter, moderner, Kantischer Moral versetzte: da wird es schwer, das Maaß zu treffen. An dieser Grenze steht der sterbende Fechter und jene Gruppe in der Villa Ludovisi, wo der stolze Ueberwun- dene seinen und seines Weibes Tod der Knechtschaft vorzieht. Beides sind Barbaren, Kelten, die reine Linie der Schönheit ist nicht ihr Element, kann sie also nicht, wie wir dieß bei andern Stoffen finden werden, im Aeußersten vor Häßlichkeit schützen; es gilt strengen Befehl der Seele über alle niederschlagenden Affecte, dort, damit der Tod durch fremde Hand nicht zum Schauspiele schmählichen Niedertaumelns werde, hier, damit der Tod durch eigene Hand als freies Werk des Willens, nicht der blinden Verzweiflung erscheine. Aber nun sind es zwar barbarische Naturen, doch Naturen, ihr freiestes Wollen kein abstractes, sondern ein gefülltes, kernhaftes, feurig männliches: und so hält sich jener, ehe die Glieder erlahmend zusammenbrechen, noch einen Augenblick mit Helden- anstand, stählern, muskelstraff, ein eherner Mensch, zusammen, so stößt sich dieser, das stolze Haupt nach dem Feinde zurückgeworfen, kurzweg, ohne Scrupel, mit Einem ganzen Entschluß das kurze Schwert in die breite Brust. Trotz dem Mangel des griechischen Profils bewirkt nun aber allerdings auch bei solchen härteren Stoffen der Künstler die wun- derbare Mäßigung des Furchtbaren nicht allein durch den besonderen Vor- satz, im Leiden eine große, männliche Seele zu zeigen. Seine Kunst selbst bietet ihm ein System von Formen, wie sie zum Ausdruck des innern Maaßes und Gleichgewichts der Seele der plastische Styl einmal entwickelt hat; es ist die straffe Fülle, es ist der Schwung des Umrisses, der an sich schon die häßliche Zerwühlung abhält. Dieß gilt nun in seiner ganzen Bedeutung da, wo tiefes Leiden ohne diese ausdrückliche Selbstbeherrschung darzustellen ist, wo dagegen der ideale Stoff den höheren Adel der Form, das griechische Profil mit sich bringt. Hier muß man mit Schelling (Ueber d. Verh. d. bild. K. zu d. Natur) sagen: die Vorschrift, daß der Ausdruck der Leidenschaft zu mäßigen sei, damit die Schönheit nicht leide, ist umzukehren und so auszudrücken, daß die Leiden- schaft eben durch die Schönheit selbst gemäßigt werden solle. In der That ist denn schon das griechische Profil „ein unerschütterlicher Damm, welchen der reißendste Strom der Leidenschaft nie ganz durchbrechen kann“ u. s. w. (Feuerbach a. a. O. S. 52. 54); es ist aber nur die höchste Ansammlung eines Ebenmaaßes, das die ganze Gestalt wie ein edler Panzer einfaßt und gegen die Zerreißung ihrer Formen durch Ueber- maaß der Leidenschaft schirmt. Hieher gehört nun gerade namentlich der Laokoon. Er leidet so schrecklich, daß der Ausdruck des, die physische und moralische Qual niederkämpfenden, Willens in der That weniger in irgend einem besondern Zuge, als in dem ungestörten Adel aller Form und Bewegung, in dem reinen Schwung und der Auge und Sinn beruhigenden Kreisschwingung aller Linien der ganzen Gruppe als ein unsichtbar sichtbar ergossener Geist keuscher Grazie zu suchen ist. In der Niobe treffen gerade diese Mittel des plastischen Styls mit dem oben er- wähnten Vortheile des Mythus zusammen: sie wird im höchsten Schmerze zu Stein und dieser Stein ist der Marmor im Adel seiner Künstlerform. Auch lag hier eine große Erleichterung, vielmehr selbst ein Motiv der Schönheit in der Art des Leidens: tief und entsetzlich, war es doch nicht ein solches, das die Seele häßlich zerreißt, wie Schaam und Reue, es war der Schmerz der Mutterliebe, an sich selber schön und göttlich; der Bildner durfte ihn nur nicht zur wilden Verzweiflung werden lassen, sondern das Auflösende, Hinschmelzende, Hinschwindende darin mit der griechischen Anschauung des Schicksals als eines Unabwendbaren, das der Mensch nach vergeblichem Widerstand mit der Großheit objectiven Noth- wendigkeits-Sinns hinnimmt, zusammenfassen, so stellte er das Urbild der unendlich leidenden, im Leiden noch unendlich erhabenen Mutterliebe vor unser Auge. Es ist aber noch der dritte Fall zu unterscheiden und wir machen ihn sogleich durch Beispiele klar. Der Athamas des Aristonidas erschien von Schaam und Reue, von den Spuren der eben erst gewichenen Wuth, die sterbende Jokaste des Silanion von sittlichem Grauen vor sich selbst im Innersten zerwühlt: das sind andere, häßliche, grasse Affecte; hier vereinigte sich jene Aufgabe, das Zerreißende des Schmerzes durch ausdrückliche Offenbarung der herrschenden Seelengewalt zu dämpfen, mit der andern, allgemeinen, den ganzen Adel der plastischen Form gegen das Widerliche der Seelenzerrüttung in Kampf zu führen und dadurch den Ausdruck dieser zur dünneren Wolke umzubilden, durch deren Schauer- flor die auch in der tiefen Zerklüftung noch große, wie in sich selbst gedoppelte und mit ihrem höheren Selbst über ihrem leidenden Selbst mit ungebrochener Gediegenheit und Mächtigkeit thronende Seele hervor- strahlen zu lassen. Der Triumph aber der Plastik ist die Darstellung eines feindseligen, verderblichen, nahe an die Schauerlichkeit der christli- chen Vorstellung des Bösen streifenden weiblichen Wesens, das eines grassen Todes gestorben ist, dessen Zuckungen auf seinem von Schlangen statt der Locken umringelten Antlitz stehen geblieben sind, einer Todten- maske, deren Anblick den entsetzten Menschen versteinern und welche doch in einer Unendlichkeit von Schauern des Gräßlichen noch schön sein sollte: das Medusenhaupt. Hier konnte kein Ausdruck gegenwärtig wirkender innerer Erhebung die Züge des verröchelnden Ungeheuers adeln; hier war kein anderer Weg, als der, sich an die spätere Sage zu halten, welche die Meduse als schön und von Poseidon der Ehre seiner Um- armung gewürdigt vorstellte; nun entstand die Aufgabe, ein vollendetes Bild jenes im weiblichen Geschlechte nicht seltenen Charakters zu geben: eine Natur, edel angelegt und dieser Adel in den Zügen, wie sie aus der Hand der Natur kommen, fest ausgeprägt, diese Natur gefallen, durch dämonische Leidenschaft verwildert, aber im Falle noch die Erinne- rung jenes Adels bewahrend; in leisen, fast unsichtbaren Spannungen der Haut, Schatten, Hügeln wehen nun die Gespensterschauer des Grassen über diese Züge hin und die stehen gebliebenen Krämpfe eines grausen Todes, wie sie namentlich in den Mundwinkeln und der erschlaffenden Unterlippe spielen, werden wie zu einem Symbole der Selbstvergiftung des furienhaften Weibs, der hippokratischen, brecherischen Luft, in der sie sich und ihre Umgebung erstickt. Die Rondaninische Meduse, durchaus graß und wunderbar schön zugleich, ist einer der höchsten Siege der Bild- nerkunst in ästhetischer Auflösung des Häßlichen. — In das Komische führen Affecte und Zustände grobsinnlicher Art hinüber: Trunkenheit, Wollust, thierische Neigungen jeder Art. Es kommt in der Plastik darauf an, auch ausgelaßnen Naturen Gediegenheit, Fülle, Sicherheit der Berechti- gung zu geben, auch auf sie den Abglanz des Göttlichen zu werfen, was freilich am sichersten geschieht, wenn sie zum Voraus in den mythischen Kreis aufgenommen sind, wie das Gefolge des Bacchus. Die Silene, Satyrn der Alten zeigen dieselbe wunderbare Dämpfung des Gemeinen wie ein Laokoon und eine Rond. Meduse des Furchtbaren, dieselbe wun- derbare Rückführung der Linie vom Abnormen zur Welle der Schönheit. §. 624. Auf der andern Seite schließt der bildnerische Styl ebensosehr ein flüch- 1. tiges Mienenspiel aus, welches nicht die Wirkung einer durch die ganze Gestalt strömenden wesentlichen Empfindung, sondern nur angenblickliches Her- vortreten eines übrigens aus seiner leiblichen Erscheinung zurückgezogenen, in Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 29 2 sich verschlossenen Gemüthes ist. Hiermit fällt, sofern nicht anderweitige sta- tuarische Eigenschaften solche Darstellungen in beschränkter Weise rechtfertigen, das ganze Gebiet von Zuständen und Erregungen weg, welche der subjectiven Innerlichkeit angehören und der Bestimmung in §. 605, 1. widersprechen. 1. Die erste Beschränkung, die des Gebiets der bewegten Physiogno- mik oder der Mimik (vergl. §. 339), folgt deutlich aus der Forderung ganzer und voller Affecte, wie sie eine offene, große, sinnlich-sittliche Seele bewegen. Die Flüchtigkeit an sich wäre es nicht, was hier dem Bildner Grenzen setzt, denn wir haben längst erkannt, daß ihm die Feß- lung des eiligsten Moments, wenn nur kein innerer, qualitativer Grund dagegen spricht, erlaubt ist. Hegel nennt das kleine Spiel der Mienen und Gebärden, von denen hier die Rede ist, das Mienenhafte (Aesth. Th. II , S. 374. 375); er faßt aber das verbotene Gebiet zu weit, denn nicht alles Mienenhafte, nicht jeder flüchtige Strahl oder Schatten inne- rer Seelenregung, der sich in kleineren Bewegungen der Glieder und Gesichtszüge ausdrückt, ist, wie er meint, Ausdruck eines für die plastische Auffassung zu subjectiven Lebens. Es gibt ein Lächeln, ein Nicken, ein Stirnrunzeln, Auf- und Niederziehen der Lippen, das einer ganz gedie- genen, naiven Seele angehört; dasselbe ist wohl zu unterscheiden von jenem mimischen Spiele, wie es der in sich verschlossenen Subjectivität eigen ist, die sich hinter ihre Erscheinung verbirgt, ihr Inneres nicht im Ganzen und Großen herausläßt, sondern nur die Oberfläche, so zu sa- gen die äußersten Spitzen der besonders sprechenden Theile der Gestalt den Eindrücken so weit Preis gibt, daß diese durch ein flüchtiges Zucken, z. B. der Augenlider, der Mundwinkel, der Finger zu sagen scheinen: ich will wohl merken lassen, daß ich Eindrücke, Urtheile habe, aber nur in der andeutenden Weise, die keinen weitern Blick in mein Inneres gestattet. Es ist dieß noch nicht eigentliche Blasirtheit des eitel zugeknöpften Sub- jects und Lorgnettengesichts, der moderne Mensch überhaupt hat im All- gemeinen dieß kurz angebundene Agiren, das hinter der Scheidewand der Verschlossenheit nur leicht und vornehm einen andeutenden Finger hervorstreckt, aber freilich geht es leicht und häufig in jene widerliche Form einer aller Natur und Naivetät entfremdeten Menschenclasse über. Auch der hämische, verschlossene, tuckmäuserische, frivole, böse Mensch, ganz abgesehen von einer allgemeinen Bildungsform der Zeiten, zeigt dieß halbe, abgezwickte Mienenspiel; „dagegen auf dem Gesichte der griechischen Helden zeiget sich kein spitzfindiger, leichtfertiger oder listiger, noch weniger höhnischer Blick, sondern die Unschuld schwebet mit einer zu- versichtlichen Stille auf denselben“ (Winkelmann a. a. O. Bd. II , S. 146). Oeffnet sich ein solches Gemüth der momentanen Stimmung und drückt diese im kleinen Mienenspiel aus, so fühlt man den warmen Strom, der die ganze Seele aufrichtig durchdringt und, wo er anschwillt, im vollen Wellenschlage einer ganzen und gewaltigen Leidenschaft hervorbrechen wird. 2. Die Zurückziehung der Bewegung in’s Innere, die blos theil- weise Erscheinung derselben im Aeußern führt, allgemeiner genom- men, auf das ganze Gebiet derjenigen Gestalt des geistigen Lebens, welche durch das Christenthum und das germanische Naturell, die große moderne Krisis des Bewußtseins sich ausgebildet hat: des gei- stigen Lebens, das sich in seiner Unendlichkeit dem ausdrücklich als endlich gesetzten Ganzen seiner Sinnlichkeit gegenüber weiß und setzt und nur durch diese Negation zur Versöhnung mit seiner eigenen endlichen Realität und der übrigen Welt fortgeht. Es liegt in dieser Geistesform eine Welt von Affecten, von Stimmungen, Eigenschaften, Tugenden, die als Affecte hervortreten können, welche der bildnerischen Darstellung un- endliche Schwierigkeiten entgegenhält. Im religiösen Gebiete Reue, Buße, Zerknirschung, Glaube, Andacht, innige Versöhnung und Liebe, im welt- lich-sittlichen die Gefühle der Ehre, der Treue, der Schaam im verfei- nerten subjectiven Sinn, der Liebe, jener oben bezeichnete abstract mo- ralische Kampf des Willens mit den verschiedensten Affecten: alles dieß geht, streng genommen und die Consequenz des §. 605 straff gezogen, über die Mittel der Sculptur hinaus. Doch ist eine Erweiterung der strengen Grenzlinie denkbar: glückliche Erhaltung von Rechten oder Anklängen einer dem Antiken verwandten Gediegenheit, Großheit, Würde in den Bildungsformen einer Zeit, der dieß innerliche Leben aufgegangen ist, und die Stylbildende Kraft tüchtiger Meister werden auch diesen Stoff in gewissem Grade zu bezwingen vermögen. Das Weitere gehört in die Geschichte. §. 625. Diese sämmtlichen Bestimmungen über die Behandlung der Formen des 1. Ausdrucks führen jedoch schließlich auf den Satz, daß der würdigste Gegen- stand der bildnerischen Darstellung die reine Ruhe und Stille der Seele und ihrer leiblichen Erscheinung ist. Der Charakter , dessen inneres Gleich- 2. gewicht (§. 605) in dieser Ruhe sich offenbart, vertritt ein bestimmtes sitt- liches Moment , und bindet eine nur ihm eigene Mischung der Kräfte dadurch zu ethischer Einheit zusammen. Die individuelle Eigenheit der Gestalt erscheint nun als Eigenheit des geistigen Ausdrucks, ihre Darstellung bleibt aber auch so in verhältnißmäßig enge Grenzen eingeschlossen (vergl. §. 615. 616). Alle nunmehr entwickelten Bedingungen wirken aber dahin zusammen, daß die Bild- nerkunst ihr Wesen am reinsten ausspricht, wenn sie die Erscheinung dieser 29* persönlichen Einheit, ohne ihre Bestimmtheit zu verlöschen, mit dem Aus- drucke der höchsten Einheit des absoluten Lebens durchdringt, worin alle Ge- gensätze schwinden. 1. Die Aufregung der Leidenschaft wickelt die in Seele und Leib ent- haltenen Kräfte ab und zeigt sie dadurch in ihrer Ausdrücklichkeit, das Ganze selbst ist aber dadurch in der Art aufgelöst, daß es aus seinen Theilen als eine aus dem Verborgenen ihrer Empörung entgegenwir- kende Einheit nur mittelbar erkannt wird; der Sieg, die wirkliche Her- stellung des erfüllten, gleichwirkenden Ganzen mag als gesichert, als ver- bürgt erscheinen, wir wollen ihn aber auch vollzogen sehen; die Dishar- monie soll zum Ausbruch kommen, um die Harmonie in ihrem Wesen zu zeigen, die Harmonie selbst aber soll nun auch der Disharmonie ge- genüber in ihrer Wirklichkeit auftreten. Andere Künste nun mögen in der Mehrzahl ihrer Werke Beides verbinden und vom ruhigen Anfang durch die empörte Mitte zum ruhigen Schlusse eigentlich oder uneigentlich, d. h. wirklich in Zeitform oder in einer reichen räumlichen Composition sich fortbewegen; aber in der Sculptur muß nothwendig die Darstellung der wirklichen Ruhe die herrschende sein, weil sie die erste Form der Fort- bewegung gar nicht, die zweite in sehr beschränktem Maaße hat und in der einzelnen Gestalt die Schönheit als Ausdruck des mitten im Sturme ruhigen Meeresgrunds so schwer zu retten ist. Hier gilt es, die Herr- lichkeit der ruhigen See darzustellen, der Meeresstille, die freilich nie eine absolute ist, sondern durch ihr ahnungsvolles Rauschen vergangene und künftige Stürme ahnen läßt, also das Menschenbild in unendlicher Be- weglichkeit und doch in unbewegter Ruhe der Seele. Die große und edle Seele erleidet selten Stürme, ihre Fassung und Ruhe wird stetig und diese Stetigkeit drückt sich in der Bildnerkunst so aus, daß sie in der Mehrzahl der Darstellungen als Stoff auftritt, daß sie der herrschende Gegenstand ist. Wir sind von allen Seiten, von den äußern und innern Bedingungen so bestimmt auf diesen Satz, der daher auch öfters schon ausgesprochen worden, hingedrängt, daß es jetzt nur noch der ausdrück- lichen Aufstellung bedurfte. Der Unterschied ist aber der, daß dieser Satz uns jetzt Resultat ist, daß er aus einer Reihe von Bestimmungen, die ihn aufzuheben schienen, reif und gesichert hervorspringt. Die Ruhe hat nun natürlich wieder ihre verschiedenen Formen und Stufen. For- men: sie ist das einemal mehr sinnlich, natürlich nicht seelenlos, aber doch nicht positiver Ausdruck sittlicher Mächtigkeit der Seele; am nächsten der blos sinnlichen Ruhe liegt der Schlummer, ein behagliches Sitzen, ein Stehen mit angelehntem Rücken, aufgestütztem Arme, oder auch frei mit dem Ausdruck naiver Beschaulichkeit; aber in diese letzteren Formen kann sich ebensosehr der Ausdruck hohen Sinnens, majestätischen Ernstes ergießen. Je weniger dieser tiefere geistige Ausdruck vorwiegt, desto fühl- barer ist, welche Welt von Schönheit, die doch nie blos sinnlich ist, die Bildnerkunst allein schon in ihren Stylformen hat: ein Hingegossensein, eine rhythmische Auflösung der Glieder im Schlummer, so ein reines gan- zes Liegen (Ariadne im Vatican), ein Behagen und Fluß der Formen im bequemen Sitz, Stand (capitolinischer Faun), bereichert oder nicht durch die Musik der Gewandfaltung, — darin liegt eine Welt von ästhe- tischen Reizen, die sich dann erst mit dem tieferen Ausdruck verbinden, wie im sinnenden Mars, Mercur, Apollino. Verschiedene Stufen oder Stadien der Ruhe sind hiemit bereits angedeutet; es sind die Grade, in welchen sie sich der gespannteren Situation nähert oder sich von ihr ent- fernt; der farnesische Herkules z. B. kommt eben vom Kampfe her, der des Torso hat ihn schon vergessen und genießt. 2. Je bestimmter sittlich der Ausdruck in der Ruhe, desto mehr ist sie Ausdruck der gehaltvollen Stetigkeit des Charakters. Von diesem als wesentlicher innerer Grund-Aufgabe der Bildnerkunst ist die Rede gewe- sen in §. 605, aber nur erst in seiner allgemeinsten Bedeutung, und kei- ner der bisherigen Schritte ist bis dahin vorgedrungen, diese Stelle aus- zufüllen: in §. 605, 2. und 616, 1. war von der Eigenheit der individuel- len Formen die Rede und wurde dem Individualismus seine Grenze an- gewiesen; dabei konnte vom ethischen Ausdruck der Gestalt natürlich nicht abstrahirt werden, aber das Gewicht lag auf dem Aeußern, wie es an- geboren ist; dann wurde in die gattungsmäßige Norm der Schönheit die Besonderung durch Unterschiede eingeführt, welche nathropologischer Art sind oder auf der äußern Thätigkeit, auf Culturformen beruhen, §. 621; mit §. 623 trat der Affect auf, der sich in gewissem Sinn zu einem Charakter verfestigen kann, wie z. B. dem grobsinnlichen der Silene. Da wäre jedoch der Begriff des Charakters nur formell gefaßt, so daß er die in einer Persönlichkeit als stetig treibende Macht eingewurzelte Besonderheit der Leidenschaften be- deuten kann (vergl. §. 333 Anm.). Allein auch abgesehen von den nie- drigeren Formen (Neid, Geiz u. dergl.), kann in der Bildnerkunst der Charakter in diesem Sinn eigentlich gar nicht vorkommen, denn hier muß den Mittelpunct des dargestellten Seelenlebens nothwendig immer ein Po- sitives, ein Gutes bilden, der Affect darf nur die Stimmungs-Atmosphäre, worein dieser Kern sich hüllt, das Organ der Ausführung oder beherrschte vorübergehende Trübung desselben sein und auch der trunkene Silen, der Satyr ist geadelt im Sinne der tiefern dem ganzen Dionysischen Kreise zu Grund liegenden Idee, daß der geheimnißvolle Naturgeist in seiner Wirkung auf das Menschenleben ein Wesentliches, ein Gut ist, das, indem es den Menschen über die Sorge und die gemeine Deutlichkeit der Dinge weg- hebt, mit dem Guten zusammenhängt. Es fehlt uns also noch die wahre Ausfüllung des Charakters und sie besteht in nichts Anderem, als einem bestimmten Pathos, einem Streben auf einen wesentlichen sittlichen Zweck, das zum stetigen Grund-Affecte, zur andern Natur geworden ist. Von dieser andern Natur ist die ursprüngliche Natur des Individuums, die geistige und sittliche Anlage zu unterscheiden. Die individuellen Formen der Gestalt, wie sie in §. 615, 2. u. 616, 1. schon zur Sprache gekom- men sind, drücken zunächst dieß Angeborne aus. Das Individuum vor der Charakterbildung vereinigt eine Vielheit geistiger Kräfte in sich, die nach einer Einheit in bestimmter Richtung neigen, aber in der Weise der Zufälligkeit, so daß diese Richtung eine gute sein kann oder nicht und daß sie die Vielheit nicht rein beherrscht, sondern irgend eine einzelne Kraft, ein Trieb in der Weise des unberechenbaren Eigensinns, der Grille, der Absonderlichkeit nebenher für sich sein Spiel treibt. Daher ist diese Ein- heit eine irrationale. Die Charakterbildung aber trägt in diese chaotische Halb-Einheit die wahre Einheit. In andern Künsten nun mag auch der Charakter in diesem intensiven Sinn mit solcher Färbung auftreten, daß ihm neben seinem sittlichen Kern ein unaufgelöster Bruch aus dem Ge- misch der Kräfte vor der Charakterbildung zurückbleibt, daß nicht alle Kräfte an jenen Mittelpunct rein angeschossen sind, daß er in seltsam abspringender Weise mit diesem Bruche gährt und prozessirt. Solche Na- turen aber sind unplastisch; im plastischen Styl soll die ursprüngliche Na- tur der Individualität flüssig und ganz eingegangen sein in die ethische Einheit des Charakters. Das Individuum behält seine nur ihm eigene Mischung der Kräfte, seinen eigenen Ton, seine Farbe, aber der ethische Charakterkern scheint ruhig hindurch und bricht die Farbe nicht in unru- hige, verwunderliche Reflexe und Töne. Dieß soll nun die Gestalt dar- stellen; ihre Eigenheit ist jetzt Ausdruck geistiger Eigenheit in diesem mil- den Sinne; die „zarte Linie der milden Modification“ hat jetzt diese tie- fere Bedeutung erhalten. Im plastischen Ideale hat auch der Gott seine Eigenheit, seine nur ihm eigene Mischung von Kräften, Sinnesrichtun- gen, Willensbestimmungen, die sich zu einem unterscheidenden Stim- mungston seiner Persönlichkeit zusammenmischen, und jene feinen Un- terschiede der Gestalt und Züge, von denen zu §. 616, 1. Beispiele ge- geben wurden, drücken nun diese Charakter-Eigenheit aus. Keine andere Gottheit gleicht z. B. einer Here, einer Athene. Jene ist Mitherrscherin über Götter und Menschen, wesentlich aber Vorsteherin der Ehe, diese die Gottheit der ächt menschlichen Civilisation und des Kampfes für sie; jene aber ist zugleich stolz, launisch, eifersüchtig, zeigt die Schwächen des Weibes mit der Majestät ihres Geistes in unvergleichlich eigener Weise zusammengemischt und in diesen Schwächen klingt zugleich die ursprüng- liche Naturbedeutung des wechselnden Erdlebens hindurch; diese hat das Herbe, Kalte der spröden Jungfräulichkeit, dem eine atmosphärische Be- ziehung zu Grunde liegt, und dieß löst sich durch eine zarte, tiefe, un- nachahmliche Uebertragung in den Geist eines ruhig ernsten Sinnens, in die bildlich verstandene klare Kühle des Denkens und der Wissenschaft auf. So nun auch der plastisch erfaßte realer bestimmte Charakter: er zeigt eine schärfer eigenthümliche Mischung der Kräfte und Formen, aber die Mischung bleibt auch hier flüssig, nichts ist in sie aufgenommen, was in die Sonderbarkeit des unauflösbar Eigenen hineinführte. Der Krieger z. B., insbesondere in der Porträtdarstellung, erscheine mehr wild oder mehr fein, sinnend auf Schlachtpläne oder losschlagend, zeige mehr Härte oder auch Weichheit, die verschiedensten Mischungen sind möglich, aber keine erlaubt etwas Närrisches, Grillenhaftes, barbarisch Seltsames. So verhält es sich, wenn man die spezielle Einheit des Charakters nach der Seite der in ihr gebundenen Vielheit betrachtet; aber eben so wesent- lich ist die Beziehung der speziellen Einheit auf die höchste Einheit. Mit- ten in der Einseitigkeit muß das Individuum jenen Charakter der Allge- meinheit haben, worin die Gegensätze, welche die Welt zerreißen, Denken und Wollen, Wollen und Sollen, Geist und Natur getilgt sind. Natür- lich nach Maaßgabe der verschiedenen Kreise der Darstellung. Das aus- drücklich, im engern Sinn ideale Wesen, der Gott, athmet, ohne seine Besonderheit zu opfern, im reinen, wolkenlosen Aether des Unendlichen: „sowohl den Ernst und die Arbeit, als die nichtige Lust, die das leere Angesicht glättet, ließen die Griechen aus der Stirne der seligen Götter ver- schwinden, gaben die Ewigzufriedenen von den Fesseln jedes Zweckes, jeder Pflicht, jeder Sorge frei und machten den Müßiggang und die Gleichgültig- keit zum beneideten Loose des Götterstandes: ein blos menschlicherer Name für das freieste, erhabenste Sein. Sowohl der materielle Zwang der Naturgesetze, als der geistige Zwang der Sittengesetze verlor sich in ihrem höheren Begriffe von Nothwendigkeit, der beide Welten zugleich umfaßte, und aus der Einheit jener beiden Nothwendigkeiten ging ihnen erst die wahre Freiheit hervor. Beseelt von diesem Geiste löschten sie aus den Gesichtszügen ihres Ideals zugleich mit der Neigung auch alle Spuren des Willens aus, oder besser, sie machten beide unkenntlich, weil sie beide in dem innigsten Bunde zu verknüpfen wußten. Es ist weder Anmuth, noch ist es Würde, was aus dem herrlichen Antlitz einer Juno Ludovisi zu uns spricht; es ist kei- nes von beiden, weil es beides zugleich ist. Indem der weibliche Gott unsere Anbetung heischt, entzündet das gottgleiche Weib unsere Liebe, aber indem wir uns der himmlischen Holdseligkeit aufgelöst hingeben, schreckt die himmlische Selbstgenügsamkeit uns zurück. In sich selbst ruhet und wohnt die ganze Gestalt, eine geschlossene Schöpfung, und als wenn sie jenseits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerstand; da ist keine Kraft, die mit Kräften kämpfte, keine Blöße, wo die Zeitlichkeit ein- brechen könnte“ u. s. w. (Schiller Ueber d. ästh. Erz. d. Menschen. Br. 15). Der Halbgott, der unbestimmtere (Gebiet des Genre) und der ge- schichtlich bestimmte Mensch (Porträtgebiet) entfernen sich stufenweise von diesem reinen Gleichgewicht ihrer persönlichen Einheit mit der absoluten, aber der Geist der Plastik muß dennoch auch sie in dieses Element tau- chen und jener Abglanz, von dem in §. 606 die Rede war, läßt zwar dem bestimmten Wollen dieser Naturen eine Haltung stärkerer Einseitig- keit, aber es ist die Gleichmäßigkeit, die Ruhe im Sturm, es ist der Aus- druck des objectiven Sinns, der das Schicksal ohne Widerrede hinnimmt und dadurch mit ihm Eins wird, mit dem Sein des Ewigen in Eins zu- sammenwächst, was auch sie in einer ununterbrochenen Linie an die All- heit des Göttlichen knüpft. — Nun erst ist Bedeutung und Grenze des Individualismus in das volle Licht gestellt. Er mag innerhalb seines Spielraums näher oder ferner um die Grenze schweifen, wo in herbe- rer Form die irrationaler gemischte Eigenheit des Charakters sich aus- drückt, aber jenseits der feinen Grenzlinie liegt das Unplastische. Wir sind so von allen Puncten aus auf die allgemeinen Sätze zu- rückgeführt, die wir der Entwicklung der einzelnen Momente vorangeschickt haben. Sie sind nicht wiederholt, sondern ausgeführt, ausgefüllt worden. Zum Schlusse können wir nun auf den Begriff des Charakteristi- schen zurückblicken, der um seiner Vieldeutigkeit willen als ein verwir- render bezeichnet ist in §. 39. Charakteristisch könnte man selbst die all- gemeinen Züge der Gestalt nennen, denn Charakter kann auch den reinen Gattungstypus bedeuten; doch hat man bei diesem unbestimmten Begriffe vielmehr das im Auge, was wir genauer Individualismus und Natura- lismus nennen. Es handelt sich in dieser Streitfrage um das Ganze des Kunstgebiets und dieß ist eigentlich die Verwirrung. Schon zu §. 39 ist gesagt, daß das Besondere und Einzelne ganz verschieden wiege in den verschiedenen Grundformen des Schönen, Zeitaltern des Ideals und Kün- sten. In der Bildnerkunst nun wiegt der reine Gattungstypus stärker, als die besondern und einzelnen Formen; wer sich also gegen das Cha- rakteristische erklärt, fühlt plastisch. Schelling (Ueber d. Verh. d. bild. K. g. d. Natur) hat über diesen Begriff Tiefes und Geistvolles ausge- sprochen: die Bestimmtheit in der Natur und als lebendiger Charakter der Individualität ist nie eine Verneinung, sondern stets eine Bejahung; wer das Wesen ergriffen, darf auch die Härte und Strenge nicht fürch- ten, denn sie ist Bedingung des Lebens; die Natur dringt auf Bestimmt- heit, Verschlossenheit, ehe sie zur Milde der Vollendung fortgeht; daher muß auch der Künstler erst im Begrenzten treu und wahr sein, um im Ganzen vollendet und schön zu erscheinen; da gilt es, mit dem Natur- geiste zu ringen, nicht in schlaffem und weichlichem, sondern in starkem und muthigem Kampf; anhaltende Uebung der Erkenntniß desjenigen, wo- durch das Eigenthümliche der Dinge ein Positives ist, muß ihn vor Leerheit, Weichheit, innerer Nichtigkeit bewahren, eh er es wagen darf, durch im- mer höhere Verbindung und endliche Verschmelzung mannigfaltiger For- men die äußerste Schönheit in Bildungen von höchster Einfalt bei unend- lichem Inhalt erreichen zu wollen; nur durch die Vollendung der Form kann die Form vernichtet werden ; die schnell erlangte äu- ßere Harmonie ist innerlich nichtig; Lehre und Unterricht haben der geist- losen Nachahmung schöner Formen, der Neigung zu einer verzärtelten, charakterlosen Kunst entgegenzuwirken; jene erhabene Schönheit, wo die Fülle der Form die Form selbst aufhebt, ist (nach Winkelmanns Wort vom geschmacklosen Wasser) allerdings charakterlos, aber sie ist es, wie wir sagen, daß das Weltall keine bestimmte Abmessung habe, weil es alle in gleicher Unendlichkeit enthält, oder daß die Kunst der schöpferischen Natur formlos sei, weil sie selbst keiner Form unterworfen ist; die Ver- einigung der höchsten Fülle von Formen mußte in den griechischen Bil- dern der vollkommensten oder göttlichen Naturen von der Art sein, daß die niedrigeren Eigenschaften unter höhere und alle zuletzt unter Eine höchste aufgenommen wurden, in der sie sich zwar als besondere gegen- seitig auslöschten, dem Wesen und der Kraft nach aber bestanden, so daß das Charakteristische in der hohen und selbstgenügsamen Schönheit den- noch ununterscheidbar fortwirkte, wie im Krystall, ist er gleich durchsichtig, die Textur nichts destoweniger besteht: jedes charakteristische Element wiegt, wenn auch noch so sanft, mit und hilft die erhabene Gleichgültigkeit der Schönheit bewirken; charakteristische Schönheit ist die Schönheit in ihrer Wurzel, aus welcher dann erst die Schönheit als Frucht sich erheben kann; das Wesen überwächst wohl die Form, aber auch dann bleibt die Form als das Charakteristische die noch immer wirksame Grundlage des Schönen. Dann unterscheidet er aber verschiedene Künste und gibt der Malerei den weiteren Spielraum zu. Von der Thierdarstellung ist noch zu sagen, daß hier an die Stelle der menschlichen Charaktertypen, wie sie in individueller Bestimmt- heit ein sittliches Pathos vertreten, verschiedene Thiergattungen mit den Unterschieden der Alter, Geschlechter, der Affecte und Thätigkeiten treten. Das allgemein Ideale, was in der Menschenbildung die Härte der Be- stimmtheit auflöst, ist hier der Ausdruck der organischen Naturkraft über- haupt, die sich mit ihrer Wellenbildung über alle Schroffheit der beson- dern Thierbildung hinlegt, in der Sättigung und Rundung der Form jede an den mütterlichen Schooß des Naturganzen hinüberleitet und jene Stimmung erregt, die im A. Test. ausgesprochen ist, da der Herr alle seine Werke beschaut und siehe da! sie waren sehr gut. §. 626. 1. Die Composition drückt in der Bildnerkunst ihr inneres Leben we- sentlich in Linien-Verhältnissen aus. Die hier auf’s Neue sichtbare Verwandtschaft mit der Baukunst tritt ferner darin hervor, daß Ueberordnung und Unterordnung sich vielfach in Unterschiede des Größenmaaßes verwandeln und daß in dem Gegenübergestellten (§. 497, 1. ) architektonische Symmetrie 2. anklingt. In der Hauptaufgabe der Sculptur, der einzelnen Bildsäule , wo dieß Größenverhältniß seine Anwendung bei dem Attribute findet, entwi- ckelt die Composition ihre Thätigkeit nach sämmtlichen Momenten (§. 495 — 501) am Gliederbau, der Haltung und Bewegung der Gestalt. 1. Das Bildwerk ist nicht eine Licht- und Schatten-Einheit, denn das Licht ist ja hier nur das aufzeigende Medium, in welches die wirklich raum- füllende Gestalt hineingestellt wird; das natürliche Licht wechselt und zeigt die Schönheit nach verschiedenen Seiten, das Bleibende in diesem Wech- sel ist das Formenleben, wie es in der Linie als der Grenze des Festen ausgesprochen ist. Darstellung der Kraft, Ruhe, des Leidens, der Geistes- form, des Charakters: alles Innere geht in dieses Linien-Leben heraus, findet darin seinen Ausdruck, wird in diesem körperlichen Niederschlage, seinen Wellen, Zügen, Flächen, dem Gesammtbilde des Divergirenden und Convergirenden, Ansteigenden und Absinkenden, Eingetieftem und Erho- benen durchgefühlt. Die Linie ist daher hier ganz ein von qualitativem Leben durchdrungenes Quantitatives, und zwar anders, als in der Bau- kunst, wo sie nur andeutet. Jene Symbolik der Linie (vergl. §. 564) ist nicht aufgehoben; es herrscht insbesondere die runde mit der dort aus- gesprochenen Bedeutung, sie liegt auch der Mimik der Bewegungen zu Grunde; aber das Symbolische ist zugleich unendlich überwunden, indem es in den Formen des Leibes lebt, welcher der innewohnenden Seele als ununterschieden eigenes Organ angehört, und indem ein unendliches In- einander von Linien die Bedeutung der einzelnen in dieß Ganze so auf- hebt, daß sie für sich nicht mehr zu verfolgen ist. Es handelt sich aber nicht nur von dem einzelnen Körper, sondern ebenso von dem Rhythmus in einer Verbindung mehrerer, wo denn das innere Leben der Gruppe in einer reicheren Musik von Linien sich verkörpert. — Ist nun dieses Linien-Leben ein qualitatives, so tritt doch im Qualitativen selbst noch einmal das Quantitative auf, indem Dignitäts-Grade sich in Größen- Unterschiede übersetzen, wie dieß einer Kunst natürlich ist, welche, obwohl zum Erhabenen des geistigen Ausdrucks fortgeschritten, doch das Erhabene des Raumes (vergl. §. 609, 2. ) als eine wesentliche Bestimmtheit fest- hält. Diese Rückführung eines innern Verhältnisses auf ein äußeres soll allerdings nicht mehr schlechthin herrschen wie in der orientalischen Kunst, namentlich in Aegypten, wo nicht nur der Gott, sondern auch der König neben dem Volke wie ein Riese erscheint; es ist nicht ein stehen- der Werth des Gegenstands an sich, sondern die Absicht des Kunstwerks, die Bedeutung dahin oder dorthin zu legen, was dieselbe bestimmt. So zeigt die der Natur widersprechende verhältnißmäßige Kleinheit der Thiere in den Herkuleskämpfen, der Gruppe von Monte Cavallo und wo solche als Attribut verschiedener Götter auftreten, daß hier kein Bildwerk beab- sichtigt ist, das ebensosehr Thierstück als Menschendarstellung sein soll, und ebenso die Kleinheit menschlicher Figuren, daß sie nur Attribut sind, wie Nike auf der Hand des Zeus, oder daß überhaupt auf ihnen in diesem Zusammenhang nicht der Nachdruck liegt. Eine andere Seite dieses quantitativen Ausdrucks für ein Qualitatives ist die Höhers tellung des Bedeutenderen, das dann den natürlichen Mittelpunct bildet, zu dessen Seiten Untergeordnetes, das sich zueinander als ein Nebengeord- netes verhält, sich gegenübersteht; letzteres Verhältniß wird sich dem Auge als ungefähr gleiche Höhe darstellen, und wir sind hiermit eigentlich so- gleich zur pyramidalen Linie geführt, die wir aber erst weiterhin auffassen werden. Dieß Alles ist Anklag oder Nachklang des benachbarten Gebie- tes der Baukunst. Die Symmetrie hat freilich noch eine andere Bedeu- tung, als die der entsprechenden Größe, Höhe, darüber s. im folg. §. 2. Die einzelne Figur ist das Hauptgebiet der Bildnerkunst, dieß folgt aus §. 606; sie entfaltet sich mehr in der Gruppe, aber sie zeigt ihren ganzen Reichthum gesammelt in der Statue; es verhält sich dieß zu ein- ander wie Affect und Ruhe, vergl. §. 625, 1. Ueberordnung, Unterord- nung und Nebenordnung, Contrast, seine Vorbereitung, Motivirung, Lö- sung, Rhythmus und Bestimmtheit der Begrenzung: alles dieß ist nun am Linienleben des Wunderbaues der Gestalt an sich zu entwickeln. Diese sämmtlichen Momente sind eigentlich schon an sich im Stoffe gegeben von der großen Compositionsmeisterinn, der Natur, der Bildhauer hat sie in seiner Weise zum Idealen zu erheben. Das an sich rhythmische System der Proportionen (vergl. §. 617) verschärft er zum festen Generalbaß des Concerts der lebendigeren Theile: unter dem übergeordneten Haupte gruppiren sich symmetrisch die gleichen Seiten des Rumpfs und die Paare der Bewegungsorgane; das Verhältniß aller Erstreckungen nach Länge und Stärke untereinander, das schlank Aufgeschossene und das breit Ge- wölbte, das frei Gedehnte und in Gelenken Vereinigte bildet den starken Tact, Grundton und Tempo zu dem Vollen und Entfalteten des Baues mit seinen Muskeln, Bedeckung und allen feineren Bildungen. Alle Theile unter sich stellen ein reiches Leben von milden und starken Con- trasten, von harter Kraft und schutzloser Weichheit, Fläche, Eintiefung, Welle dar, aber Alles bereitet in der organischen Herauswicklung des einen Gliedes aus dem andern sich gegenseitig vor, Eines motivirt das Andere, Eines löst das Andere auf und führt überleitend weiter; die „unendliche Kreisbewegung“ in sämmtlichen überkleidenden Weichtheilen mildert alle Härten, übergießt Alles mit dem Flusse des wärmeren, volle- ren Rhythmus. Obwohl nun die Kunst alle diese Momente durch jene Stylisirung, die wir schon kennen, erhöht und klärt, so würde doch das Ganze zu einem todt Symmetrischen, weil es durchschnitten in zwei ganz gleiche Hälften zerfiele, wenn nicht der Bildner durch das Spiel der Be- wegung eine neue Welt von freien Contrasten zugleich einführen und lösen würde. Die Natur thut dieß auch, aber in zufälliger, roher, ver- worrener oder eckig hart gemessener Weise. Es tritt jetzt Alles, was wir über die Behandlung der Bewegung §. 622 gesagt, unter den Stand- punct der Composition, des ausdrücklichen Rhythmus-Gesetzes, und ist darnach zu ergänzen. Der Bildhauer hebt nun die unbelebte Symmetrie auf und führt in die so gebildeten Eontraste eine neue Symmetrie ein. Dieß gilt hauptsächlich von den Bewegungsorganen: vergleicht man Arm mit Arm, so wird die ursprüngliche Symmetrie sich in Contraste auflö- sen, indem der eine gehoben, aufgestützt, der andere gesenkt oder, die stär- kere Bewegung des ersteren begleitend, schwächer gehoben, zurückgeworfen ist; Fuß mit Fuß: so ist der eine aufgestemmt, vorgeworfen, der andere spielend vorgesetzt, übergeschlagen, zurückgeworfen; vergleicht man Fuß und Arm derselben Seite, so ist auch hier Contrast: der Fuß schreitet, der Arm hängt ruhig, der Fuß fährt zurück, der Arm vor und in die Höhe, der Fuß ruht, trägt ruhig, der Arm handelt. Geht man nun vom Arm der einen Seite zum Fuße der andern, also über das Kreuz, so werden sich diese Contraste irgendwie in einer Symmetrie lösen, etwa, wo es zwanglos geschehen kann, so, wie im Gange des Pferdes, das den Vorder- und Hinterfuß der entgegengesetzten Seiten gleichzeitig hebt: z. B. rechter Fuß, linker Arm aufgestemmt, linker Fuß, rechter Arm nachlässig spielend, oder es wird sich statt der kreuzweisen Aehnlichkeit der Lage und Stellung eine große Linienflucht darstellen, welche von einer Seite nach der andern hinüber geht und zwar natürlich nicht von einer zweiten ähn- lichen quer durchschnitten wird (sonst entstünde das Kreuz der Wind- mühlenflügel), wohl aber auf der andern Seite ein Gegengewicht findet, wie z. B. bei dem borghesischen Fechter eine große Linie vom zurückge- worfenen linken Fuß zum emporgehaltenen linken Arm und zum Kopfe geht, wogegen auf der andern Seite der Unterschenkel des vorgeworfe- nen rechten Fußes und der zurückgestreckte rechte Arm parallele Linien bilden, welchen der Oberschenkel des ersteren das Gegengewicht gibt. Eine ähnliche große Hauptlinie geht von rechts unten nach links oben durch die Figur des Laokoon. Dieß sind nun die unter dem Namen Contrapost bekannten Contraste der entgegengesetzten Gliederlagen. Die Contraste gehen aber tief ins Einzelne als Antagonismus der Muskeln, des Passiven und Activen, des halb und ganz Aetiven. Aber auch dieser durch das Einzelne fortgeführte Contrast enthält schon an sich auch seine Lösung, denn der sogenannte Antagonismus ist ja lebendige gegenseitige Unter- stützung, Wechselwirkung, und die künstlerische Abrundung aller Bewegun- gen hebt überdieß den Augenschein des Widerstreits auf in jenen Einen Lebensstrom, der durch das Ganze ergossen im Haupte, das, selbst geneigt, gewendet, zur Auflösung der todten Symmetrie wesentlich mitwirkt und, ob- wohl ohne Anspruch tyrannischer Beherrschung, die Bewegung des Gan- zen im Seelenspiegel des Ausdrucks zur höchsten Einheit concentrirt. Wir haben nur das Wesentlichste hier angedeutet; die Modificationen sind un- endlich wie die Erfindung; es können sich auch die gegenüberstehenden Organ-Paare oder die Organe derselben Seite ähnlich bewegen, dann tritt im Gleichen ein milderer Contrast des Ungleichen ein, der irgendwie zugleich jene Kreuz-Linie herstellt. Die Organe sind ja selbst getheilt in ihre drei größeren, in die untergeordneten und feinsten Gelenke, der lei- seste Unterschied der Bewegung auf der einen Seite gegenüber der ande- ren oder unten gegen oben zieht die ganze benachbarte Muskelgruppe mit sich und so verliert sich der Faden des Bestimmbaren in dem reichen Gewoge der Formen. §. 627. Löst nun die Bildnerkunst diese Einheit in eine Mehrheit von Fi- guren auf, so ergibt sich zunächst im Relief die Längerichtung des streifenförmig Angeordneten. Die Composition ist hier vorerst eine lockere, welche ihre Figuren ohne weitere Verbindung, als die Beziehungen der Sym- metrie des gegenüberstehenden Aehnlichen, aneinanderreiht; sodann eine leben- diger vereinende, worin nicht nur einzelne Gestalten, sondern ganze Gruppen untergeordnete Einheiten bilden und alle jene Momente §. 495—501 in reicherer Mannigfaltigkeit sich geltend machen; endlich eine enger verflechtende, geschlossene, handelnde Gruppen bildende, die sich auf quadratische Felder zu- sammenzieht. Mehrheit von Figuren ist eigentlich Auflösung der göttlichen Einheit in die Vielheit; mehr darüber im Abschnitt von den Zweigen. Warum wir von der Längen-Composition der an die Architektur im engsten Sinn angeschlossenen Sculptur, dem Relief, beginnen, wird der Fortgang zeigen. Wir haben hier das Prinzip des Neben- oder Hintereinander in Reihenform. Die einzelne Figur wird zur untergeordneten Compositions- Einheit. Das Uebergeordnete wird hier noch nicht höher stehen, sondern nur entweder vornen am Anfang der Reihe, oder mitten, oder als abschließendes Bedeutendstes zu hinterst. Es unterscheiden sich nun ver- schiedene Formen der innern Verbindung dieser Reihen. Die lockerste Verbindung ist bloße Zusammenstellung ohne alle Handlung. Hier ziehen sich die Momente der Composition ganz architektur-artig in den bloßen Begriff der Symmetrie zusammen. Die Figuren selbst sind verschieden in Charakter, Formen, Kleidung, wohl auch in Bewegung, doch nicht bedeu- tend; dieß ist die einzige Form des Contrasts, die zunächst freilich weit über dem Architektonischen steht; die allgemeine Einheit, die über diese Ver- schiedenheit herrscht, ist nur der Begriff der gleichen Gattung: 12 Götter, 9 Musen, Grazien, die irgendwie zusammengehören, Heroen, die etwas gemeinschaftlich ausführen wollen oder ausgeführt haben, u. s. w., und diese Einheit bethätigt sich nicht anders, als in der Gemeinsamkeit des Aufmarschirens. Zwischen diesen zwei Enden, der Einheit und Vielheit, liegt nun kein concreteres Band, als das der Symmetrie, die hier allerdings nicht mehr blos quantitativ ist, sondern in einem Gegenüber des Aehn- lichen besteht, so daß entweder fortlaufend je zwei Figuren, getrennt durch eine mittlere, die selbst wieder einer dritten entspricht, sich entsprechen, oder die ganze Reihe durch eine bedeutendere Figur, wie Zeus in der Mitte zwischen den Göttern, Apollo unter den Musen, in zwei Seiten getheilt wird, die einander entsprechen und etwa selbst wieder überdieß in der ersteren Weise symmetrisch belebt sind. An einer reicheren, be- wegteren Form, wo schon lebendige Verbindung eingetreten ist, kann man sich dieses Gegenüber, das sich doch auch in ihr forterhält, klar machen, wenn man z. B. sieht, wie in der Aegineten-Gruppe dem gefallenen Griechen in der einen Winkelspitze der gefallene Troer in der andern, dem knieenden Lanzenkämpfer der knieende Lanzenkämpfer, der knieende Schütze dem knieenden Schützen, der anlaufende Speerschütze dem anlau- fenden Speerschützen mit so geringem Unterschied entspricht, daß nur der troische Bogenschütz erst schießt, während der griechische schon abgeschossen hat u. s. w., bis endlich in den zwei letzten Figuren zu Seiten des Mittelpunkts, der Athene, die Symmetrie der nicht mehr symmetrischen Handlung, wo ein Held den Gefallenen aufzuheben sucht, Platz macht. Die innige Verbindung, die wir an diesem Beispiel einer Kämpfergruppe schon theilweise vorausgenommen, tritt nun, doch zunächst noch schwächer, ein, wenn die zusammengestellten Figuren etwas Gemeinschaftliches wirk- lich vornehmen, aber nichts, was sie in bewegter Weise mit einander verflicht, sondern vielmehr nur Reihenartige Gesammtbewegung mit sich bringt, wie Tanz, bacchischer Zug, Prozessionen, Triumphzug. Es tritt nun ein reiches Leben von Werth-Unterschieden (z. B. zuschauende Götter und Menschen), von Art-Unterschieden, wie auf dem Parthenon- Friese Geschlechter, Lebensalter, Würden, Mensch und Thier u. s. w. ein; auch ist es nicht blos ein einförmiges Aufziehen, die Figuren wenden sich zu einander, sind so und anders beschäftigt, der Gegensatz des Zuschauens zum Handeln begründet eine vollere Mitte, die Symmetrie hört nicht auf, aber je höher die Werke an Kunstentwicklung stehen, desto belebter und reicher sind die Verschiedenheiten der übrigens entsprechenden Seiten; ja die Haupt-Aufgabe ist, eine Darstellung, die an sich eintönig wäre, durch Contraste zu beleben, wodurch die herrschende Einheit des gemeinschaft- lichen Thuns erst zum Rhythmus wird. Allein dieser gründet sich wesent- lich erst darauf, daß nun ein Weiteres zwischen die Einheit und die Viel- heit tritt: untergeordnete Einheiten mit ihrer Vielheit, einzelne Gruppen, ja in kleineren Gruppen wieder ein Unterschied größerer und kleinerer; die großen Gruppen z. B. im Parthenon-Friese, bestehend aus dem Zuge der Jungfrauen, Reiter, Wagenlenker, sondern sich wieder in die näher zusammengestellten, in Gespräch u. s. w. zueinander gewandten Figuren, und nun erst tritt als die letzte Einheit in diesen Einheiten die einzelne Figur in das Auge, jede wieder in anderem Motiv aufgefaßt; aber der ganze durchschnittene und getheilte Zug bewegt sich gemeinschaftlich fort zu dem Ziele, wo dem Priester der Peplos überreicht wird. In dieser Fülle gilt es ebensosehr, nicht zu wenig zu geben, namentlich den Raum gleichmäßig zu benützen, als nicht zu viel, sondern mit dem Schlusse wirklich abzuschließen. Ein Aufzug, Tanz, ist in gewissem Sinne auch eine Handlung, doch sind alle theilnehmenden Personen nicht eigentlich aufeinander, sondern unmittelbar auf ein Gemeinschaftliches bezogen; die dritte und innigste Form der inneren Verknüpfung tritt erst ein, wenn in eigentlicher Handlung innigere gegenseitige Beziehung der Betheiligten zur Darstellung kommt. Dieß eben ist noch nicht der Fall in jenen loseren For- men: die Aufziehenden und Zuschauenden unterhalten sich zwar unter- einander u. drgl., aber nur nebenher. Die ruhigere Weise der durchge- führten Form wechselwirkender Handlung ist eine Zusammenstellung Be- rathender, Spielender, der stärkere und lebhaftere Wettkampf, Jagd, kriegerischer Kampf, und es ist klar, daß die Längencomposition nirgends so voll und stark in Contrasten und ihrer Auflösung auftritt, als im letzteren Stoffe. Feurige Bewegung bildet nun den Rhythmus des Gan- zen, der aber selbst wieder seinen Gegensatz in der Ruhe zuschauender, schützender Götter in sich aufnehmen kann, welche dann zugleich die Mitte für ein symmetrisches Gegenüber bilden. Der Kampf zerfällt nothwendig in kleinere Gruppen; jede bildet für sich einen starken Contrast der Kräfte und Linien, der sich aber in einem Anklang von Symmetrie zu- gleich auflösen wird, in welchem jene Contraposte der einzelnen Figur (§. 626) sich nun als eine Wechsel-Ergänzung von Linien in mehreren Figuren entfalten. Die Gruppen selbst aber stehen eine zur andern in dem Verhältniß des Gegensatzes und zugleich der wechselseitigen Ergän- zung, also der belebten Symmetrie, so daß z. B. hier ein Grieche eine Amazone besiegt, dort umgekehrt, oder mit weniger Contrast so, daß die ähnlichere Gruppe der ähnlicheren, aber in divergirenden Linien ent- spricht. Das Ganze hat sich nun doch in selbständigere Gruppen aufge- löst; jede derselben ist tiefer verbunden, verflochten, während vorher die aufgelösten Einzelfiguren sich enger als Ganzes in ihrer Gesammtheit zu- sammenschlossen. Es ist daher ein Herausstreben aus der Längen-Com- position sichtbar, und dasselbe verwirklicht sich in dem getrennten einzelnen Felde, das nur Eine Gruppe darstellt, in der Metope namentlich (Rund- felder gehören mehr zur Zierplastik, Halbrundfelder, wenn sie architekto- nisch groß sind, zur Gattung der Giebelfelder). Die Längencomposition zieht sich nun zur quadratischen zusammen, d. h. richtiger, die Art der gegebenen Fläche hat keinen Einfluß mehr auf die Composition, sondern diese ordnet wie ein freies Sculpturwerk nur noch den Bedingungen folgend, die sich überhaupt aus der Anheftung an die Fläche ergeben, ihre sparsamen Gruppen. §. 628. 1. Die Composition, die ihr Werk von der Fläche löst, aber noch an ihre architektonische Flucht anschließt, hat im Dreiecke des Giebelfelds den günstigen Rahmen für sämmtliche Hauptmomente ihrer Rhythmusbildenden Thä- tigkeit, worin Ueberordnung und symmetrische Unterordnung sich in der pyra- midalen Form entfaltet. Diese ergibt sich als die der Bildnerkunst überhaupt 2. entsprechende aus §. 626 und herrscht auch in der freien Sculptur . Doch tritt auch in der letzteren das Prinzip der reihenartig lockern Länge-Compo- sition neben dem der engern, von lebendiger Situation und Handlung bis zur engsten Verflechtung fortschreitenden und eine rein geschlossene Einheit von Con- trasten bildenden wieder hervor. 1. Die von der Fläche losgetrennte und doch ihrer Flucht folgende Sculptur ist ganz die Mitte zwischen der völlig freien und dem Relief; sie hat von diesem die Eigenschaft, daß die Figuren nur von Einer Seite zu sehen, wenigstens strenger nur auf Eine berechnet sind, also den Einen Plan und die Längsrichtung, von jener zunächst die volle Ausführung, nur natürlich mit Vernachlässigung der Rückseite, und die geschlossenere Com- position. Diese Geschlossenheit gründet sich aber hier auf ein von außen Gegebenes, die stumpfe Dreieckform des Giebelfelds, denn dessen Schmuck ist es ja natürlich, wovon es sich hier handelt. Da wird denn, wie ge- rufen, von außen hinzugebracht, was ohne dieß Zubringen die Bildner- kunst auch aus sich entwickeln müßte. Wir haben nämlich zu §. 626 ge- sehen, wie jene Uebersetzung des qualitativ Bedeutenderen in ein quan- titativ Größeres nothwendig auch nach der Höhe wirken muß, wie nun, wenn das Uebergeordnete sich erhebt, das Untergeordnete, das sich zu einander als Nebengeordnetes verhält, in verschiedenen Abstufungen zwang- los symmetrisch zur Seite tritt, und damit ist die Pyramidalform, natür- lich nicht in geometrischer Regelmäßigkeit, gegeben; im Giebelfeld aber bringt die Baukunst diesen Rahmen entgegen, zugleich erlaubt die aus- gedehnte Fläche innerhalb desselben eine größere, figurenreichere Compo- sition, als die ganz freie Plastik diese entwickeln kann, und zwar eine ge- schloßnere, als im Relief, wiewohl eine weniger geschloßne, als in dieser. Das symmetrisch Nebengeordnete kann nun an sich kleiner sein, als die Mitte, wie Menschen gegenüber einer Gottheit (z. B. die Helden der Aegineten-Gruppe neben Athene), Kinder neben der Mutter (Niobe-Gruppe), oder durch Sitzen, Knieen, Liegen dem sich verengenden Dreieckschenkel angepaßt, oder Beides zugleich. Auch bloße Füllfiguren, wie ein liegen- der Flußgott, um das Local zu bezeichnen, wohl auch bloße Stücke sol- cher, wie das aufsteigende und niedertauchende Gespann des Helios im östlichen Parthenongiebel, mögen dienen, den äußersten Winkel zu besetzen. Die Composition kann nun eben wieder die losere oder die inniger ver- bindende, untergeordnete Gruppen in Gruppen bildende sein: bloße Zu- sammenstellung oder Handlung; die Handlung im Mittelpunkt, die Zu- schauer umher wie im westlichen Tympanum des Parthenon, wo Athene, die Rosse bändigend, mit dem zurückfahrenden Poseidon die schön divergi- rende mittlere Gruppe bildet, während auf den Seiten die Gruppen der Zuschauer in verschiedenen Graden der Theilnahme sich abstufend nach den Winkeln des Dreiecks hin absinken; oder ein Herrschen, Schützen in der Mitte, Handeln, Kämpfen auf den Seiten; oder Kampf, Bewegung überall, am stärksten in der Mitte. Auch ein Auf- und Absteigen ist wohl motivirt, wie über der Trinkhalle zu Baden die zur labenden Nym- phe aufsteigenden Kranken, die herabsteigenden Verjüngten; ein sehr schöner Gedanke. Neben dieser äußern Symmetrie der Höhenmaaße herrscht aber, je belebter eine solche Composition, desto kräftiger auch die innere und greift durch milden oder starken Contrast als ein freies Entsprechen der Figuren und Gruppen auf den Seiten und durch die Mittelgruppe selbst hindurch. 2. Die freie Plastik wäre durch die Nothwendigkeit, das sich Decken ihrer Formen zu vermeiden, auf einen engen Spielraum eingegränzt, wenn sie Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 30 nicht auch in ihrer Art eine Längen-Composition hätte: Zusammenstellung von Figuren, die durch ein deutlich erkennbar Gemeinsames vereinigt, aber nicht in eigentlicher Handlung verflochten sind, doch auf Einer Ba- sis, oder zwei solche locker verbundene Gruppen auf zwei Basen sich sym- metrisch entsprechend. Solcher Art war die Zusammenstellung und Ge- genüberstellung achäischer und troischer Helden zu Olympia in zwei Halbkreisen und die turma Alexandri von Lysippus. Diese Form der Composition, die so geeignet wäre, große historische Ideen monumental zu entwickeln, ist viel zu sehr vergessen; Zusammenstellungen geschichtlicher Charaktere, die Einer Sache angehören, Einer großen Idee dienen, wä- ren gerade für unsere historisch gesinnte Zeit der rechte Stoff für reiche Monumente und der rechte Ersatz für den Olymp. Einige nähere Wech- selbeziehung werden die Statuen allerdings auch hier haben müssen, da- mit sich diese Form von der noch lockereren, der Aufstellung von entsprechen- den Statuen auf verschiedenen Postamenten, wie z. B. der Rossebändi- genden Dioskuren, und der bloßen Vereinigung verwandter Darstellun- gen durch Einen Raum, Saal, Halle, Grabgebäude unterscheide; sie werden sich wie im Gespräch begriffen zueinander wenden, sich zum Kampfe anfeuern u. s. w., dürfen überhaupt nicht allzusehr getrennt stehen; ein größerer Zwischenraum gemeinschaftlicher Basis würde selbst Figuren, die sich zueinander wenden, nicht zu Einem Werke zusammen- fassen, denn es fehlt die Scenerie, die das Theater hinzugibt (vergl. Schleiermacher Vorles. über d. Aesth. S. 591. 592), an dessen Aufstellun- gen übrigens die auseinandergezogene Composition allerdings erinnert. Die architektonische Gruppirung an einem Denkmal (vergl. §. 609, Anm. 1. ) ist verwandt, aber schon enger ansammelnd. Die schwierigste Leistung der Bildnerkunst ist nun aber die freie Gruppe. Zunächst er- weitert sich die Einheit zur Zwei; die Pyramidalform kann sich noch nicht entwickeln, die Zusammenfassung der Zwei kann nur in der Bewe- gung, im Ausdruck liegen. Die losere Form ist die, wo zwei Figuren zusammengestellt sind, die sich nicht zu einander wenden, sondern nur von derselben Stimmung beherrscht sind, wie z. B. die Gruppe von Ildefonso; da ist der Contrast noch mild und sanft, seine Auflösung nur der durch das Ganze gehende Zug und Geist. Bewegter wird die Gruppe, wenn die Gestalten in freundlichem Affect (Amor und Psyche) oder gemein- schaftlich traurigem (Gruppen der Abschiednehmenden Ehegatten) oder ge- mischtem (Orestes und Elektra) sich zueinander kehren, sich fassen, um- armen, oder gar in feindlicher Erbitterung, furchtbarer Handlung bei schrecklichem Leiden sich bekämpfen, verschlingen, aneinander klammern u. s. f. Die engste Form ist das Symplegma, wie in dem Ringerpaare zu Florenz, wo Glied gegen Glied, Muskel gegen Muskel sich wie zum Antagonismus der Formen in Einem Leibe zusammendrängt; eigentlich ist aber doch mehr künstlerischer Gegensatz vorhanden, wo ein vollerer Un- terschied von Stufen der Handlung und zugleich Formen des Lebens die Figuren in der Verschlingung zugleich auseinander hält, wie in der mehrerwähnten Ludovisischen Gruppe das Auge von der schlaff nieder- hängenden schon getödteten Frau oder Tochter zu dem straffen, wilden, eben erst sich tödtenden Mann aufsteigt, um wieder zu jener milderen Form gerührter niederzusteigen, so daß dieses mildere Bild des Todes zugleich als Vorbereitung und Lösung zu dem gewaltsameren im Manne sich verhält. Gegensatz von Thier und Mensch im Kampf oder freund- lichen Verkehr bietet starken, aber weniger tiefen Contrast. Die vollere Gruppe wird sich naturgemäß zur Dreizahl der Figuren neigen, weil in dieser die Hauptmomente der Composition: Ueberordnung mit symmetrischer Unterordnung, Vorbereitung, höchster Gipfel, Lösung und darin das volle Le- ben und die Versöhnung der Contraste mit der ganzen Einfachheit und Spar- samkeit, welche diese Kunst fordert, sich entwickeln lassen; bei den Alten ging auch hierin das Schauspiel voran (vergl. Winkelmann G. d. K. Band 2, S. 178). Die Gruppe des farnesischen Stiers ist bekanntlich durch spätere Zuthat überladen. Kindergestalten, Thiere oder halbthierisch mythische Wesen werden am ehesten eine Gruppe über die Zwei- oder Dreizahl vermehren können (die berühmte große Gruppe des Skopas: Achilles und Thetis von Meeresgottheiten nach der Insel Leuke geführt, war wohl in aufgelöster Composition gehalten). Die Pyramidalform tritt nun aus den nachgewiesenen Gründen in Kraft; man darf aber da- bei nicht an gleich volle Geltung aller Seiten einer vielseitig vorgestellten Pyramide denken, vielmehr ist nur Eine Seite die vollgültige, denn gerade hier kehrt in gewissem Sinn der Standpunct des Reliefs wieder: die Gruppe ist nämlich zwar bestimmt, umwandelt zu werden und eine Viel- heit schöner Gruppen zu entfalten, aber doch auf Einen Gesichtspunct vor allen berechnet und daraus ergibt sich, daß sich die Figuren von der Hauptseite als ein Nebeneinander präsentiren müssen, wie angelehnt an eine verticale Fläche; auch wird nur so erreicht, daß sie sich wenig mit den Gliedern decken; es ist dieß natürlich auch bei der Gruppe von nur zwei Figuren der Fall, aber es drängt sich erst hier in seinem Nachdruck auf, indem die in der Dreizahl begründete Pyramidalform wieder an das Giebelfeld erinnert, das dem Relief zunächst steht. Ein näheres Bild des rhythmischen Lebens in solcher Composition ist zu §. 500, 1. am Bei- spiele der Laokoongruppe gegeben. In der des farnesischen Stiers sehen wir zwei active Gestalten, tiefer, halbliegend zwischen ihnen die passive der Dirke; über ihr, die Pyramidenspitze bildend, bäumt sich der Stier, er bildet gegen sie den vollen Contrast des thierisch Wilden zu dem weib- 30* lich Menschlichen, Leidenden, die Brüder den nicht so schroffen, doch schnei- dend starken der strafenden Härte, beide unter sich den mildern der bloßen Beihülfe (Amphion) und der grausamen Ausführung (Zethos); der Zug der Linien geht stark von links nach rechts (vom Zuschauer) aufwärts von der schönen doppelten Wendung der Dirke nach dem Stier empor; dieser Bewegung arbeitet Zethos entgegen, der bemüht ist, den Stier am Strick herzureißen, und sich daher von rechts nach links hinüberdrückt und dort den Anklang des Pyramidalen auf der einen Seite herstellt, während Amphion auf der andern den Stier an Horn und Maul haltend sich mit gespreizten Beinen anstemmt und so, die Linien-Bewegung auf diesem Puncte fest abschließend, die Ausfüllung der Pyramide vollendet. §. 629. Durch den Anschluß an die Baukunst wird es möglich, die verschiedenen Arten: einzelne Figur, Relief, angelehnte und ganz freie Gruppe zur Entwick- lung einer inhaltsvollen Idee in einem cyklischen Ganzen zu verbinden. Das Hauptband der cyklischen Composition ist das Relief, auf dessen fortführenden, überleitenden Charakter schon §. 611 Anm. hingewiesen ist; es tritt nun mit den andern Formen zur Entfaltung eines umfassenden Künstlergedankens zusammen. Eines der herrlichsten Beispiele solchen gro- ßen Gesammtwirkens ist der Parthenon: die Metopen mit ihren Darstel- lungen des alten Athene-Cultus, der Thaten der Athene und des Erech- theus, der Kämpfe für Civilisation und Menschlichkeit gegen wilde Wei- bervölker und Halbthiere, die Theseus und seine Gefährten unter ihrem Schutze vollbracht, die Giebelfelder mit dem Bilde des ersten, Staunenerre- genden Erscheinens der Athene unter den Göttern, ihres Sieges über das noch ungebändigte Pferd, dann hineinleitend zur Erscheinung der Göt- tinn der Panathenäenzug des Cellafrieses und endlich die Herrliche selbst im Heiligthum; nicht zu gedenken der Propyläen, des Nike-Tempels, des Erechtheums, des Waldes von Statuen umher, was Alles auf den Ge- nius aller Bildung und Intelligenz und der Tapferkeit für die großen Zwecke prachtvoll hinwies. Die freie Gruppe fand, weil sie eigentlich die Gottheit in das Viele auflöst, seltener ihre Stelle da, wo diese in ihrer ungetheilten Majestät thronen soll, nämlich mitten im Heiligthum; doch gab es ja auch Tempel für zwei und mehrere vereinigte Götter, nur ist dabei immer eine ruhige Gruppe vorausgesetzt; übrigens kann sie auch vor den Tempel in’s Freie treten, sie kann den Festraum des Palastes, der ebenso die verschiedensten Darstellungen zum Ausdruck Einer großen (politischen, ethischen) Idee zu vereinigen vermag, Vorhaus, Säulenhof schmücken. Auf Gallerieen kann noch eine Menge von einzelnen freien Sta- tuen hinzutreten und einen umfassenden Gedanken weiter fortführen. b. Die Zweige der Bildnerkunst . §. 630. Die Bildnerkunst ist durch ihr innerstes Wesen so bestimmt an die zweite Stoffwelt (vergl. §. 417) gewiesen, daß der Eintheilungsgrund des Mythi- schen und nicht Mythischen alle andern Eintheilungsgründe hier besonders au- genfällig durchkreuzt (vergl. §. 541). Ihre höchste Aufgabe ist die Darstel- lung des idealen Abbilds der Welt im Kreise der Götter und Heroen . Die Aufstellung dieser Sätze geht genau aus der Darstellung des Wesens der Plastik hervor, vergl. insbesondere §. 606. Sie ist wesent- lich Götterbildende Kunst, weil ihre Gestaltungsweise die ausdrück- lich ideale, direct ideale ist. Wo Götter geglaubt werden, schlägt sich die Idee des Einen Göttlichen in einen Kreis idealer Personen auseinander, welche die verschiedenen Gebiete des Daseins stellvertretend in sich dar- stellen, und diese Personen gewinnen ihre Individualität in der Weise, wie sie im Allgemeinen §. 437 und eingehend in das künstlerische Ver- fahren §. 616, 1. und 621 aufgewiesen hat. Untergeordnete Genien, Halbgötter führen hinüber zur Sage, welche aus der wirklichen Men- schenwelt Einzelne herausgreift, an den Götterkreis knüpft und so im Heroenkreise das Band zwischen dem idealen Spiegelbilde des Lebens und dem neben ihm gleichzeitig noch als Stoff des Ideals bestehenden Leben herstellt. Jedes weitere Eingehen würde den folgenden §§. vorgreifen oder schon bestimmter in den geschichtlichen Abschnitt hinausführen. Was unter dem Durchkreuzen der weitern Eintheilungsgründe verstanden sei, wird sich alsbald zeigen. §. 631. Diese Durchkreuzung zeigt sich sogleich bei der Eintheilung, die sich auf 1. die Stoff-Unterschiede der Phantasie (§. 403) gründet: das landschaft- liche Gebiet wird schon durch die zweite Stoffwelt verdrängt; der Thierdar- 2. stellung gesellt sich ein Kreis phantastisch zusammengesetzter Bildungen bei; das ganze Gebiet des allgemein Menschlichen , wie es über die Unter- 3. schiede der Formen, Sitten, Stimmungen bis hinauf zur Charakterdarstellung sich ausbreitet (Genre), zerfällt in eine mythische und nicht mythische Auffas- sung, doch so, daß immer diese sich jener nähert; das Geschichtliche endlich, 4. d. h. die in Handlung gesetzte Porträtdarstellung, wird von dem Mythischen auf einen schmalen Spielraum gedrängt, aber auch stellvertretend ersetzt und die Art dieses Ersatzes bewirkt zugleich, daß der Gegensatz zwischen dem allgemein Menschlichen und Geschichtlichen flüssig wird. 1. Wir beginnen die weitern Theilungen mit derjenigen, die ihren Grund hat in den Unterschieden der Phantasie, wie sie im Ganzen und Großen auf eines der Hauptgebiete der ursprünglichen Stoffwelt bezogen sind. Zuerst tritt das Landschaftliche auf; §. 599 hat die technischen Gründe gezeigt, warum es aus der Sculptur wegfällt; nun aber handelt es sich nicht mehr von technischen Hindernissen, sondern von einem positiven in- nern Grund, und zu diesem führt das, was zu §. 612 von andeutenden Hülfen zur Bezeichnung der Landschaft gesagt ist. In der That aber ist derselbe schon zu §. 437, 1. ausgesprochen: „Der Gott sog die Landschaft in sich auf“ u. s. w., und dann in der letzten, tiefsten Bestimmung über das Wesen der Persönlichkeit in der bildnerischen Darstellung §. 606. Die technischen Hindernisse sind die frei gesetzten Schranken einer Kunst, die keine Landschaft braucht, weil sie dieselbe als Seele des Gottes schon hat. Drücken wir denselben Satz psychologisch aus, so erhellt, daß eine auf naive Einheit des Geistes und der Natur gewiesene Phantasie nicht die sentimentale Beziehung zu der landschaftlichen Schönheit haben kann, welche eine gegensätzliche Spannung zwischen jenen beiden Welten und einen daraus fließenden Reiz voraussetzt; ebendiese Form des Geistes sieht aber die gesammte Natur im Menschenbilde zusammengefaßt und das ideale Menschenbild ist der Gott. 2. Die Fabelwesen, worin Thier und Mensch, Thier und Thier zusammengesetzt war, Centauren, Meer- und Flußgötter, Faunen, Greife u. s. w., sind Ueberreste symbolischer Bildungen in der höhern Stufe des Mythus. Diese Ueberreste sind aber ein großer Vortheil für eine Kunst, welche für alles Ungefüge, Wilde, Unheimliche, furchtbar oder komisch Häßliche eine eigene Ablagerungsstelle bedarf, wo es, aus dem rei- nen Kreise des geläuterten Menschlichen ausgeschieden, eine Art besonde- rer Idealität für sich entwickeln kann. Den einmal ergriffenen Stoff gilt es denn ebenso auf die Schönheitslinie zurückzuführen, wie jene schwächern Ueberbleibsel der Symbolik: die Hörner-Reste des Bacchus u. s. w. Alle Verbindung fremdartig organischer Formen ist eigentlich unschön; die Griechen haben aber die Verbindungsstellen, z. B. den Punct, wo Men- schenleib und Thierleib in einander übergeht, in so schön geschwungenen Linien behandelt, daß man das Unnatürliche vergißt, ja in die Täuschung einer wirklichen Erweiterung der Naturreiche versetzt wird. Es ist jedoch nicht blos von den Alten die Rede; die Bildnerkunst wird für alle Zeit solcher Wesen bedürfen aus demselben Grunde, warum ihrer die Grie- chen bedurften: aus dem Grunde der Nothwendigkeit der oben genannten Ablagerung, die sich mit dem Prinzip symbolischer Abbreviatur einer gan- zen Sphäre von Erscheinungen, Vorstellungen vereinigt. Was die wirk- lichen Thiere betrifft, so wird es immer Künstler geben, die vorzüglich auf diese Sphäre durch ihr Talent bezogen sind, woneben sie von der menschlichen Sphäre etwa namentlich noch das Heroische ergreifen, wie ein Myron bei den Alten, ein Kiß in der neuern Zeit. Einzelne mögen auch ihre Kraft mehr in einzelnen Thierarten haben. 3. Das Thierbild ist bereits Genrebild, so wie es sich nicht um Darstellung bestimmter, von der Sage vermeldeter Thiere handelt, son- dern Formen, Bewegungen, Gewohnheiten, Charakter einer Thierart an sich Zweck der künstlerischen Darstellung sind. Da aber der Mensch Haupt- gegenstand der Kunst, insbesondere der Bildnerkunst ist, so denkt man bei dem sogenannten Genre mehr an das menschliche Leben. Eigentlich umfaßt nun dieser Zweig allen und jeden Stoff, sofern darin der Mensch nicht dargestellt ist in Personen und Momenten, die entweder die wirk- liche Geschichte oder die für Geschichte gehaltene Sage und Mythe aufge- zeichnet, in dem Gedächtniß der Menschen festgestellt hat. Wenn man meint, diese negative Grenzbezeichnung umfasse positiv ein zu weites Gebiet, so ist dieß nur deßwegen, weil man die höhern Kräfte des menschlichen Le- bens, sofern sie nicht in Thaten sich Ausdruck gegeben, die in die Gedenk- bücher der eigentlichen Geschichte sich eingegraben, einem höhern Zweige zuzuweisen gewohnt ist, eben dem mythischen nämlich, den man dann in Weise des entsprechenden Bewußtseins wie eine Art höherer Geschichte ansieht. Dieß ist Irrthum; dieser höhere Theil der allgemeinen Stoffe kommt vielmehr, wo das Bewußtsein mythisch bestimmt ist, zweimal vor, im Mythus und außer dem Mythus. Die Sache verhält sich so: Genre heißt eigentlich ein Allgemeines, Gattungsmäßiges, und es begreift in sich jede Lebensform, seien es mehr anthropologisch die Formen der Alters- stufen, Zustände, Geschlechter, oder mehr bezüglich auf Sitte das Thun und Treiben, Genuß, Spiel, momentane oder stehende Beschäftigung, also das Gebaren der Stände, oder ernster bewegtes Spiel, d. h. Kampf- spiel, oder Zustände und Handlungen der Empfindung in Liebe, Ehe, Familie, Freundschaft, oder gewaltsamer Affect, z. B. im kriegerischen Kampfe, oder Erhebung der Seele im Gottesdienst, oder endlich der Cha- rakter und seine Kämpfe in jedem Sinn, auf jeder Stufe: Alles dieß, so groß oder klein es sein mag, in seiner ganzen Eigenthümlichkeit be- lauscht und so dargestellt heißt Genre. Dieses umfassende Gebiet hat nun aber einen großen Theil seines Stoffes an zwei andere abgeben müssen. Das eine ist die Geschichte, in deren Annalen ein Theil der Erscheinungen des immer gleich fließenden Lebens sich mit Namen und Zahl einzeichnet. In der geschichtlichen Handlung kommt an sich nichts Anderes zur Er- scheinung, als das Allgemeine, die gattungsmäßigen Kräfte des Men- schen, allein der Unterschied ist eben, ob sie sich zu der Spitze der That zusammenfassen, welche sich geschichtlich verewigt, oder nicht. Nun kön- nen allerdings geschichtlich bekannte Menschen auch in Momenten darge- stellt werden, wo sie nichts von dem thun, was die Geschichte von ihnen aufgezeichnet hat, sondern nur allgemein Menschliches an ihnen zur Er- scheinung kommt; dann aber ist es doch nicht reines Genre, was ent- steht, sondern ein Gemischtes, von welchem bei der Malerei näher die Rede sein wird. Diese, ganz objectiv begründete, Seite des Stoff-Ab- flusses ist es aber nicht, was uns im gegenwärtigen Zusammenhang be- schäftigt, sondern das andere der Abzug-Gebiete, Sage (auf die Geschichte zurückweisend, worauf sie ruht) und Mythus. Der höchste, edelste Ge- halt aus jenem ursprünglichen Stoffgebiete ist von den Völkern vor aller Geschichte im Mythus hypostasirt. Wir sind nun diesem noch heute nicht so entwachsen, daß er uns nicht das Genre-Gebiet entschieden verengte, indem wir mythische Gestalten durch eine gewohnte Verwechslung zur Geschichte schlagen. So gilt z. B. im romantischen Ideal, das im modernen noch nicht ganz ausgeschieden ist, ein Weib in verschiedenen Momenten be- schränkterer Aeußerung des Charakters für Genre, dagegen das reine Weib, das als Braut, Frau, Mutter, Jungfrau bleibt, für ein beson- deres, zwar transcendentes, aber doch geschichtliches, nämlich Maria. Daneben kann aber doch ein Maler auch ein Weib darstellen so hoch und rein im Ausdruck, daß sie werth wäre, eine Maria zu sein, und nur gewisse Attribute, ständige Bezeichnungen fehlen, sie dazu zu machen; also wird der Stoff neben der Ausleihung an den Mythus auch wieder be- halten und kommt so zweimal vor. In der Plastik nun sind ebenso alle Götter, Genien, Heroen ein Stoff, der eigentlich dem Genre in dieser an sich richtigen Ausdehnung des Begriffes angehört, aber der Glaube, daß sie leben oder gelebt haben, zieht sie hinweg aus diesem Gebiete zu einem jenseitigen Kreis, der eine Art höherer Geschichte darstellt. Und diese Anschauung ist hier so stark, daß diese Kunst auch die weniger ge- wichtigen Formen und Zustände des Lebens in der Gediegenheit und Schönheit ihrer Naivetät nur dann zu würdigen glaubt, wenn sie die- selben an Heroen, Halbgöttern, Göttern darstellt, was dann eben nicht Genre heißt, sondern ein Gemischtes ist, wie oben von ebenso aufgefaß- ten geschichtlichen Stoffen gesagt worden. Es kommt z. B. darauf an, den Mann zu belauschen und nachzubilden, wie er sich darstellt, wenn er Thiere in der Jagd bezwingt, das Pferd bändigt, oder das Weib, wie es in’s Bad steigt, sich schmückt: aber es ist nicht ein unbestimmter Je- mand, sondern Meleager, die Dioskuren, Aphrodite; das Tüchtige, was die schöne Menschen-Natur in allen diesen Situationen entwickelt, das Bleibende, Gattungsmäßige heißt göttlich und gilt nun nicht mehr als bloßes Genre. In der romantischen Kunst ist dieß nicht so, nur das Höhere, Geistige ist vom Zweige des Genre weggezogen in das mythische Gebiet hinüber. Als Ethos, Pathos im Sinn des Charakters führt aber auch die Plastik das höhere Geistesleben in der Form einer bestimmten Gottheit auf. Dennoch unterscheidet auch sie. Sie stellt dieselbe Form, Situation, Be- schäftigung, die sie unter dem Namen einer Gottheit, eines Heros auf- zuführen liebt, ein andermal auch ohne diese höhere Autorität, allgemein rein menschlich dar. Da fühlt man denn erst ganz deutlich, wie hier Alles auf die feine Belauschung des bleibend Eigenthümlichen einer Le- bensform: Kind, Jungfrau, Jüngling, Mann u. s. w., Fischen, Jagen, einen Dorn aus dem Fuß Ziehen, sich mit Oel Salben, Sandalen Anle- gen, eine Ehrenbinde als Sieger Umlegen u. s. w. ankommt. Es liegt tief in der plastischen Anschauung, daß die einfachsten, harmlosesten, schein- bar rein sinnlichen Aeußerungen, Zustände des Menschen als etwas Rech- tes, Gutes, Wesentliches behandelt werden. Unter den Neueren hat da- für namentlich Göthe das Gefühl gehabt, man vergl. die homerisch schöne Stelle über das Wasserholen in Werthers Leiden und die Aeußerung über das naive Motiv einer alten Gemme, worauf ein Greis einen Knaben trin- ken läßt, Eckerm. Gespr. Th. I , S. 113. Immer jedoch wird auch die ge- wöhnliche Natur, welche nicht von der für Geschichte gehaltenen Sage und mythischen Vorstellung verzeichnet ist, so würdig und mackellos be- handelt, daß sie zum Olymp erhoben scheint, und diese vergöttlichende Kraft der Bildnerkunst, wie sie schon in §. 606 und dann an verschie- denen Stellen wieder ausgesprochen worden, ist Ursache, daß man in dieser Kunst von Genre überhaupt nicht zu sprechen gewohnt ist. 4. Daß das Geschichtliche in schmale Grenzen eingeschränkt ist, wurde in §. 615 aus der nothwendigen Enge des Spielraums abgeleitet, den das Individuelle hat; es kommt dazu als weiteres Hinderniß die nöthige Sparsamkeit der Figurenzahl §. 601 und der mangelnde Hintergrund §. 599. Allein auch in Beziehung auf dieses Gebiet ist hier nicht mehr von den Hemmnissen, welche die technische Bedingung und das Stylge- setz in den Weg legt, sondern von dem Positiven die Rede, was an die Stelle des Verdrängten tritt. Dieß ist wiederum der Mythus; die zwei Ableitungsbette, worein nach der vorhergehenden Anm. das Genregebiet einen Theil seines Stoffes abgibt, vereinigen sich in der Plastik so, daß eben diesem fast Alles zufließt. Es ist höchst merkwürdig, wie im Al- terthum der Mythus, insbesondere die Heroensage, namentlich für die Geschichte vicarirt; z. B. die Perserkämpfe, ein doch so günstiger Stoff, werden selten dargestellt, statt ihrer, symbolisch stellvertretend, die Troer- kämpfe oder die Kämpfe des Theseus, Herkules mit Centauren, Ama- zonen, Unthieren u. s. w., und die letzteren treten auch wieder als Vor- bild statt der Troerkämpfe auf. Erst später wird Alexander mit seinen Begleitern und Thaten, werden die Kämpfe mit Galliern, dann in Rom häufiger die Kriegsthaten der Legionen u. dgl. eigentlich dargestellt. Die Weltgeschichte ist aber nicht nur in den Heldensagen, sondern in den Göt- tern selbst dargestellt; sie sind die Prinzipien aller Natur und alles Men- schenlebens, ihre wenigen Handlungen ein allbezeichnender Auszug der- selben, und wenn Apollo und Artemis die Niobiden vernichten, so ist dieß die ewige Tragödie von der gestraften menschlichen Ueberhebung. — Der Baustein der eigentlich geschichtlichen Darstellung ist die Bildnißstatue. Die Lehre von der Malerei wird diese Bestimmung des Porträt tiefer erörtern. In ihm wird das moderne Ideal den Ersatz für die ihm ent- zogene Stellvertretung der Geschichte durch den Mythus zu suchen haben: großartige Zusammenstellungen geschichtlicher Standbilder werden neben dem dehnbareren Relief dieß Gebiet der Geschichtsdarstellung, das in der geschlossenen Gruppe so eng ist, erweitern müssen. In demjenigen Ideal aber, welches der wahre Boden für die Entwicklung der Bildnerkunst aus ihren innersten Gesetzen ist, also schließlich doch in der ihrer Natur streng treu bleibenden Bildnerkunst selbst wird nun durch dieses Stellver- treten des Mythus für die Geschichte zugleich die Grenze zwischen dem allgemein Menschlichen und Geschichtlichen ebenso eine fließende, wie die zwischen Genre und Mythus. Wenn ich z. B. die Perserkämpfe durch Heroenkämpfe mit den Troern oder Kämpfe eines Theseus, Herkules mit Ungeheuern darstelle, so wird doch am Ende ungewiß, ob es mehr Zweck ist, jene bestimmte hellenische That darzustellen, oder nur allgemein edel entwickelte, götterähnlich gediegene Menschheit aufzuzeigen, wie schön und herrlich sie sich offenbart im Kampfe mit rohen Kräften. Der eigentliche Gegenstand wird verallgemeinert in anderer Weise, als jede Kunst dieß an allen einzelnen Stoffen vollzieht, indem sie im Concreten eine ewige Idee zur Erscheinung bringt: das historisch Bestimmte wird aufgelöst, seine Formen sind nicht mehr individuell im engern Sinne des geschichtli- chen Datums, sondern gattungsmäßig individuell, und dieß ist eben Genre. Somit sind wir zur vorhergehenden Sphäre zurückgeführt: das Genre löst sich in Vergötterung auf, das Geschichtliche, indem es im Mythischen seinen Stellvertreter findet, weist durch diesen auf das Genre zurück, und so ist und bleibt die Götterdarstellung die Mitte, in welche alle Zweige einfließen, die sie alle durchsichtig wie ein Krystall enthält und nur zu zweifelhafter, schmaler Existenz neben dieser ihrer idealen Vertre- tung entläßt: die „Aristokratie der Gestalt“ (§. 62) im edelsten Sinne des Worts. §. 632. Nach dem Moment und Grade des Umfangs , in welchem ein Stoff ergriffen wird (§. 540), theilt sich die Bildnerkunst zunächst in Statue und Gruppe . Nachbildungen blas des Haupttheils der Gestalt, Herme, Büste, Maske, ordnen sich der Statue unter. Diese stellt die Persönlichkeit in Ruhe, harmloser oder gespannter Situation dar und ebenso die Gruppe ihre Mehrheit von Gestalten. Zu den vorhergehenden Eintheilungen verhält sich diese so, daß alle verschiedenen Stoffe in der einen oder andern Form auftre- ten können, die Gruppe aber in ihrem tiefsten Begriff die in Handlung ge- setzte Gottheit ist. Wir nehmen die Eintheilungsgründe für die Zweige aus §. 539 ff. bei jeder Kunst in der Ordnung auf, wie sie aus dem Wesen derselben sich am natürlichsten ergibt; so hier aus §. 540, nachdem ebendaher der Eintheilungsgrund für den vorh. §. entnommen ist, zunächst den weitern des Umfangs und Moments. Der Unterschied im Grade des Umfanges, worin der Stoff ergriffen wird, begründet denn hier die Zweige: Statue und Gruppe. In der Malerei ist ein solcher Unterschied auch vorhan- den, aber nicht Zweigbegründend, denn hier versteht sich von selbst, daß gewisse Stoffe in der Regel durch eine Mehrheit von Figuren zur Dar- stellung kommen, und das Entscheidende ist daher das Gebiet des Stof- fes, nicht der Umfang seiner Eingreifung; in der Sculptur dagegen sa- hen wir die Eintheilung nach Gebiets-Unterschieden des Stoffes schwan- ken, jede derselben kann ebensogut in der Form der Statue, als der Gruppe auftreten, und daher macht sich dieser formelle Theilungsgrund eingreifender geltend. Was nun die Statue betrifft, so tritt auch ein Theil ihres Ganzen als Kunstwerk für sich auf, nämlich Kopf und Brust auf ein Pfeilerstück gestellt in der Herme , ohne dieses Pfeilerstück in der Büste , Relief des Gesichts ohne Brust, ursprünglich für Anfügung an eine Fläche bestimmt, dann auch mit Brust auf einer kleinen Basis, in der Maske . Die Herme zeigt noch die Entstehung der Bildsäule aus dem Pfeiler: Kopf und Brust ist ausgeschlüpft, das Uebrige steckt noch im Ei. Es leuchtet ein, daß diese Kunstformen, worin blos der im höch- sten Sinn sprechende Theil zur Darstellung kommt, sich vorzüglich für Nachbildung solcher Persönlichkeiten eignen, in denen Geist und Charak- ter weniger in der Richtung ausgebildet erscheint, daß damit eine gleich- mäßige Entwicklung des Körpers verbunden ist: Philosophen, Redner, Künstler, Dichter, Staatsmänner. Bei dem Heros wollen wir die Ener- gie auch in den Gliedern dargestellt sehen. Hiemit wäre diese fragmen- tarische Behandlungsweise besonders auf das Porträt angewiesen; die Alten haben aber auch Götter so dargestellt, weil sie ihnen als lebende Wesen galten, von denen man ein Bildniß machen könne, und bei dem Gotte freilich war das Antlitz unbeschadet der wesentlich mitsprechenden Bedeutung des übrigen Körpers in höherer Weise Inbegriff des ganzen Ausdrucks, als bei dem Athleten und Heros. Außerdem gab es Stoffe, wo der Mythus und das Kunst-Interesse die bloße Darstellung des An- gesichts mit sich brachte, wie das Medusenhaupt. — Der andere Einthei- lungsgrund ist der des Moments , den die Kunst ergreift. Hiezu vergl. was über die Stufen der Situation §. 336 Anm. 1. gesagt ist; was zu §§. 613. 622. 623. 625, dann in der Lehre von der plastischen Com- position, namentlich §. 628, 2. hervorgehoben wurde, beleuchtete densel- ben Punct in anderem Zusammenhang. Die Bildsäule kann die Persön- lichkeit auffassen in unbewegter Ruhe des in sich webenden, wurzelnden, gesättigten Charakters, oder in harmloser Situation, fortgehend zu einer Thätigkeit, die keine Spannung, keinen ernsten Kampf in sich schließt, sondern bald mehr eigentliches Spiel, bald mehr harmlose Beschäftigung ist, oder in Anfang, Mitte, Ende einer gespannten Situation, d. h. eines ernsten Kampfes. Die zweite Person oder Thier, Ungeheuer wird durch die Phantasie des Zuschauers ergänzt. Die Gruppe durchwandelt dieselben Stufen, nur daß die erste, die der Ruhe, schon spezieller be- stimmt ist, indem sie eine vorangegangene Zusammenbewegung, Vereini- gung der Figuren voraussetzt. — Fragt man nun, wie sich die vorlie- gende Eintheilung zu denen der vorh. §§. verhalte, so bleibt es bei der obigen Bemerkung: sie läuft neben denselben ganz selbständig her; Sta- tue und Gruppe, Ruhe, harmlose und gespannte Situation können Gott oder Mensch (und Thier), Genre oder Geschichte darstellen. Erwägt man aber, daß im tiefsten Sinn alle Bildnerkunst Götterdarstellung ist, so er- scheint, wie schon früher gesagt ist, hier aber ausdrücklich hervorgestellt werden muß, die Statue als der in sich beschlossene, in seiner Einheit verharrende, die Gruppe als der in Vielheit aufgelöste und in Hand- lung gesetzte Gott, dort der gesammelte, hier der ausgegossene Gottes- geist. Wir werden sehen, wie sich die Malerei auf die zweite dieser Be- stimmungen wirft. Am reinsten und schärfsten tritt sie ein in jenen Wer- ken, die den Menschen in Gottgesendetem tragischem Leiden darstellen, ei- nem Laokoon, einer Nioliden-Gruppe; der entfernte Gott ist in seinem Handeln gegenwärtig. §. 633. Dagegen steht der Unterschied des Materials und der technischen Behandlung (§. 540), welcher letztere hier der des Relief, des an die architektonische Fläche angelehnten und des ganz freien Bildwerks ist, in viel- facher Beziehung zu den vorhergehenden Eintheilungen. Der Unterschied des Materials und der Technik ist wichtig genug, eine ausdrückliche Zweigtheilung zu begründen; er ist kein bloß äußerli- cher, sondern steht in tiefer Beziehung zu den Gegenständen und zu dem Gegensatze der Statue und Gruppe. Der Unterschied des Materials zwar tritt nur in Beziehung zu den Gegenständen, denn der Form-Unterschied der Statue und Gruppe verhält sich dazu gleichgültig; verschiedenes Ma- terial kann beiden Formen dienen. Wie innig die erstere Beziehung ist, wie ganz verschiedenen Stoffen roherer Stein, Erz, Marmor zusagt, ist in §. 607 hinreichend auseinandergesetzt. Der Unterschied von Relief, angelehnter und ganz freier Plastik berührt sich dagegen vielseitig mit sämmtlichen vorangehenden Eintheilungen. Es ist klar, daß das Relief selten eine vereinzelte Gestalt geben wird; es geschieht dieß in der Maske, in Porträtköpfen vom Profile an Monumenten, in Wandverzierenden Medaillons, wohl auch in ganzen Figuren; im Ganzen und Großen aber ist ja das Relief und das angelehnte Bildwerk (hauptsächlich Giebelfeld- schmuck) natürlich eine Form der Gruppirung, wie denn aller Anschluß an die Baukunst an sich schon die Bestimmung umfassender, in Vielheit aufgelöster Entfaltung einer Idee in sich schließt. Ebendaher werden diese Formen zwar gerne in Darstellung ruhiger Situationen sich bewe- gen, aber ungleich mehr wird ihnen doch bewegte Situation, reiche Hand- lung zusagen; wogegen die freie Plastik in der Gruppe so viele Schwie- rigkeiten zu überwinden hat, daß sie ungleich mehr auf die einzelne Ge- stalt, also auf die Ruhe angewiesen ist. Was nun das Verhältniß zu den Gegenständen an sich betrifft, so ist klar, daß zwar von einer aus- schließenden Vertheilung derselben an Relief und freie Bildnerei nicht die Rede sein kann, allein der Begriff der ausdrücklichen Unendlichkeit im Gott wird doch natürlich mehr zum freien oder nur angelehnten Bild- werk führen, wogegen die hinlaufenden Streifen und Felder des eng an- geschlossenen, d. h. das Relief mehr für menschliche und heroische, halb- göttliche oder, soweit sich solche zu entwickeln vermögen, eigentlich ge- schichtliche Stoffe sich eignen. §. 634. Der Unterschied der Arten der Phantasie, wie sie in §. 402 aufgeführt sind, kann in der Bildnerkunst nur schwach hervortreten; das einfach Schöne ist so sehr der bestimmende Standpunct (vergl. §. 605, 2. ), daß das Erha- bene und Komische sich zwar geltend macht, doch (vergl. §. 603) nicht mit der Entschiedenheit, um Zweige zu begründen. Indessen hat jenes mehr Spiel- raum, als dieses; äußerlich tritt es im Colossalen hervor. Der §. zieht nur aus Solchem, was schon ausgeführt ist, das Er- gebniß, indem er einen weitern Eintheilungsgrund für die Kunstzweige aus §. 540, den dieser auf §. 402 gründete, aufnimmt. Daß das Er- habene eine größere Rolle spielt, als das Komische, hat darin seinen Grund, daß sein Prozeß, wie aus der Metaphysik des Schönen hervor- geht, ein weniger verwickelter, weniger geistig reflectirter ist, als der des Komischen. Wir haben gesehen, wie es als Erhabenes der Kraft, der mehr sinnlichen Erregung, der tieferen Leidenschaft, des Charakters auf- tritt; in den Scenen tiefen Leidens, im Conflicte mit ewigen Mächten erhebt es sich auch zum Tragischen; allein nicht nur bleibt ihm die ganze Unendlichkeit geistiger Höhe und Tiefe verschlossen, welche der mittelal- terlichen und noch mehr der modernen Welt der geistigen Innerlichkeit sich aufgethan hat, sondern auch der classischen Tragödie konnte die Plastik nicht in alle Formen des Schrecklichen folgen, z. B. nicht in das Ganze des Seelenleidens eines Oedipus. Daß das Erhabene in den äußern Maa- ßen der Kunstdarstellung als Erhabenes des Raums sich geltend macht, ist in §. 609 erörtert, und soweit mag der Gegensatz zwischen ihm und dem einfach Schönen gewissermaßen als ein Zweigbegründender gefaßt werden, als dadurch das Colossale und nicht Colossale unterschieden wird. Das Wesentliche aber bleibt die Rückführung selbst des Furchtbarsten zur anmuthsvollen Schönheits-Linie des einfach Schönen; dieses Stylgesetz ist stärker, als der sächliche Gegensatz des Schönen und Erhabenen, der ebendeßwegen nicht hier eine geschlossene Gattung anmuthiger, dort eine geschlossene Gattung erhabener Werke mit der Bestimmtheit eines Unter- schieds von Zweigen entwickeln kann. Das Komische hat ebenfalls ver- schiedene Stufen; im bacchischen Kreise, auf den es sich im Alterthum hauptsächlich warf, tritt es in den Satyrn gewöhnlich nur als gedämpf- ter, fein gemilderter Anstrich von Gemeinheit, als fühlbarere Rohheit in einer derberen Form der Satyrn, wie dem betrunken schlafenden, Wein- dunst schwer ausathmenden barberinischen, noch gröber, wilder, entfessel- ter in den Silenen, Panisken oder eigentlichen Faunen auf. Dieß und Aehnliches kann ein komisches Genre genannt werden und entspricht un- gefähr der niederländischen Genremalerei; allein der Unterschied ist doch ein unendlicher, wenn man bedenkt, wie hoch die Plastik selbst diese Stoffe stylisirt und wie z. B. selbst der barberin. Faun immer noch eine vollkommene, eine göttliche Natur ist. Die Komödie gab Stoffe zu man- chem sehr kecken Relief. Allein das Keckere mußte sich nicht nur, gemäß den Gesetzen einer Kunst der greiflichen Form, auf dem Boden der Posse halten (vergl. Th. I , §. 188 ff.), sondern konnte in ihn auch nicht die Schärfe des Witzes und Humors einfließen lassen, wie das Mittelalter, ja selbst die griechische Komödie als Poesie und Mimik es that, sondern war überhaupt ein seltneres Wagniß und wird es auch bleiben. Die „Raserei des Pallagonia“ bleibt Raserei und selbst die anhängende Kunst- form, die Satyre, bringt es bei der Plastik nicht dahin, den besondern Zweig der Caricatur zu schaffen, wie die Malerei. Die französischen Chargen bleiben vereinzelte Curiositäten. §. 635. Durch diese verschiedenen Gebiete zieht sich endlich ein Unterschied hin- 1. durch, welcher auf einer Verbindung der bildenden Phantasie mit der em- pfindenden und im engsten Sinne dichtenden Phantasie (vergl. §. 404) beruht. Derselbe tritt jedoch nur als eine erste Andeutung auf, die sich noch keine feste Gestalt zu geben, also ebenfalls keine stehende Eintheilung zu be- gründen vermag. Eine andere Weise der Mischung zwischen diesen Arten der 2. Phantasie fällt theils mit den Unterschieden der Composition und technischen Be- handlung zusammen, theils wird sie wichtig für die Geschichte der Bild- nerkunst. 1. Es muß nun der Theilungsgrund für die Zweige, der in §. 539 aufgestellt ist und auf §. 404 zurückführt, aufgefaßt und der Deutlichkeit wegen die Benennung der Zweige der Dichtkunst vorausgenommen wer- den: episch, lyrisch, dramatisch. Die epische Poesie ist Ausdruck einer Versetzung der dichtenden Phantasie auf den objectiven Boden der bil- denden Kunst, die lyrische auf den subjectiven der Musik, die dramatische der intensivsten Ergreifung ihres eigenen Bodens, des subjectiv-objecti- ven. Gibt es eine epische Plastik, so ist dieß Ausdruck des innigsten Ver- weilens dieser Form der bildenden Kunst auf ihrem eigenen, dem objec- tiven Boden, womit aber zugleich gesagt ist, daß sie ihn auch verlassen kann, indem sie bereits subjectiver beseelt ist, als die Baukunst; gibt es eine lyrische, so ist dieß eine Mischung der bildenden Phantasie mit der empfindenden; gibt es eine dramatische, mit der intensivsten Form der dich- tenden. Aber gerade daraus, daß wir die deutliche Bezeichnung aus der Poesie entlehnen müssen, geht hervor, daß es in der Sculptur einen sol- chen Unterschied erst in sehr unbestimmter Weise geben, daß er sich erst als eine zarte geistige Linie zeigen wird, die schwach an die Oberfläche tritt, um die Concentrirung zu bestimmtem Formen-Unterschied erst in einer ungleich geistig durcharbeiteteren Kunst-Gattung zu suchen. In der That kann dieser Unterschied erst da ein Zweigbegründender werden, wo mit jeder seiner Formen das ganze Verfahren in Anlage, äußerer Größe, technischer Form sich verändert, wie dieß eben in der Poesie der Fall ist. Dennoch sind die Anklänge merklich: episch im engern Sinn, innerhalb des allgemeinen epischen Charakters der Bildnerkunst, sind alle plastischen Darstellungen, worin der Mensch als Naturkind in seinen anthropologi- schen Unterschieden, oder als Kind der Sitte, der Gewohnheit, als wir- kend in Massen, überhaupt als zuständliches Wesen erscheint. Episch ist der Affect selbst des Charakters, sofern nur sein Thun mehr naiv, na- tional ist, in gemeinschaftlichen Formen der Bildung und des Wollens sich ungetheilt bewegt, als zu der schneidenden Spitze der That in einem tiefen Prinzipien-Conflict sich zusammenfaßt. Was das Verhältniß zu der Kunstform betrifft, so verbindet sich das Epische vorzüglich mit dem Relief. Lyrisch sind solche Werke, worin die Bildnerkunst, so weit sie es vermag, vertiefte Empfindungs-Momente irgend einer Art oder Einkehr des Gemüths in sich darstellt: die sinnenden Musen, der träumerische Apollino, die Abschiednehmenden Ehegatten so vieler Grabsteine, die mehrfach vorhandene tief elegische Reliefgruppe: Orpheus von Eurydice scheidend in der Un- terwelt, die Amor- und Psyche-Gruppe auf dem Capitol, die Ildefonso- Gruppe, Orestes und Elektra in Villa Ludovisi; Beispiele, die wir zum Theil in anderem Zusammenhang schon angeführt haben. Dieser Zusam- menhang war die Lehre von der Composition; dem Ausdruck der lyri- schen Stimmung sagt mehr die Statue, die Gruppe von nur zwei Fi- guren, das quadratische Relief, als die figurenreiche Gruppe, das lang- gezogene Relief und das Giebelfeld zu. Dramatisch in verschiedenen Stu- fen ist die Darstellung eines ernsten, nicht blos kriegerischen, sondern sitt- lichen, in scharfer Schneide des Moments ausbrechenden Conflicts, so- wohl der That, als der Leiden, die daraus fließen. Unter den Kunst- formen entspricht dieser Aufgabe am meisten die freie Sculptur, weniger, doch immer noch das Giebelfeld, am wenigsten das Relief; auch die ein- zelne Statue kann einen solchen Moment darstellen, wie der vaticanische Apollo, am meisten aber findet dieses Gebiet seinen Ausdruck in der rei- cheren, geschlossenen Gruppe; der Laokoon und die Gruppe des farnesi- schen Stiers gehören hieher; Giebelfeld: die Niobidengruppe. Es erhellt jedoch aus dem Wesen der Bildnerkunst, daß sie nur vereinzelt und in bedingter Weise diesen Boden straff spannender Bewegtheit betreten kann; das Lyrische ist ebenfalls niedergehalten durch den wesentlich bestimmenden Ausdruck der Objectivität; das Epische bleibt der herrschende Grundton. 2. Noch sind zwei andere Weisen, worin sich die Grundbestimmende Art der Phantasie mit andern Arten verbindet, hervorzuheben. Dabei handelt es sich auch von jenen nähern Unterschieden der Phantasie, welche innerhalb der bildenden auftreten und die großen Zweige derselben, Baukunst, Bildhauerei, Malerei begründen. Das Relief nämlich neigt, wie wir gesehen, zur Malerei hinüber als Darstellung auf einer Fläche, in anderem Sinn, durch ihre Bewegtheit nämlich, die Gruppe, wiewohl diese durch ihren Aufbau, sowohl angelehnt im Giebelfeld, wie auch als freie, in gewissem Sinn auch mehr architektonisch ist. Rein plastisch ist die Statue; wo sie als Karyatide, Telamon die Stelle der Säule ver- tritt, ist auch sie natürlich wieder mehr architektonisch. Dichterisch dage- gen kann man die große cyklische Composition nennen. — Sieht man nun aber nicht auf die bleibenden Unterschiede, sondern auf die geschicht- liche Entwicklung der Kunst, so werden, abgesehen von diesen relativen Uebertritten auf den Boden einer andern Kunstweise, die einfach außer- halb Lob und Tadel jederzeit bestehen, Mischungsverhältnisse vor uns auftreten, die eine ganz andere Beziehung haben, nämlich solche, worin die Kunst des tastenden Sehens entweder rein auf ihrem eigenen Boden bleibt, oder theils auf berechtigte theils auf unberechtigte Weise sich auf den Standpunct der messenden oder malerischen, oder auf den Stand- punct der empfindenden, auch der dichtenden Phantasie wirft und danach den Styl in ganzen Perioden bestimmt (vergl. §. 541). Es wird sich aber sogleich zeigen, daß dieß nicht der einzige Hebel der geschichtlichen Bewegung ist. Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 31 c. Die Geschichte der Bildnerkunst . §. 636. Der Geschichte dieser Kunst liegt als bewegende Hauptursache die ver- schiedene Stellung der Glieder des Gegensatzes: directer Idealismus und In- dividualismus, Naturalismus zu Grunde. Der Gegensatz zwischen einem mehr architektonischen oder malerischen oder empfindungsvollen (auch dem Dichterischen genäherten) und einem rein plastischen Style, der in dieser geschichtlichen Be- wegung ebenfalls wirkt, fällt mit demselben theilweise, nicht völlig zusammen, ebenso der Gegensatz von Würde und Anmuth. Mit diesen Gegensätzen der Anschauung und Behandlung geht ein anderer, der sich auf die Gegenstände, nämlich auf den Grad der Ausdehnung über die ursprüngliche Stoffwelt bezieht, Hand in Hand. Die Entwicklungsstufen innerhalb einer Hauptperiode (vergl. §. 531) wiederholen in verschiedener Folge diese Hauptgegensätze. Sinn und Fruchtbarkeit dieser Sätze kann sich nur in der wirklichen Verfolgung der Hauptmomente der Geschichte der Sculptur erweisen, die übrigens kurz sein wird, da diese Kunst so besonders entschieden mit einer geschichtlichen Form der Phantasie, dem classischen Ideale, zusammenfällt, daß die Darstellung ihres Wesens bereits von selbst zu einer Darstellung der griechischen Bildnerkunst und einer Aufzeigung der Gründe geworden ist, warum sie in den andern Hauptperioden der Kunstgeschichte nicht in ihrer Reinheit sich entwickeln kann. Hier ist nur zu bemerken, daß der erste Satz des §. dem nicht widerspricht, was über den schmalen Spiel- raum des Individualismus und Naturalismus §. 416 gesagt ist. Es han- delt sich um ein Maaß der Einlassung des Naturtreuen in Bewegung und Formen, der Eigenheit individueller Charaktergestalt; gerade weil dieses Maaß ein sehr feines, die Linie eine sehr zarte ist, entstehen aus scheinbar unbedeutenden Schwankungen die großen geschichtlichen Unter- schiede; ist die Schwankung nur etwas zu stark, wird nur etwas zu viel Naturwahrheit und Schärfe der Eigenform eingelassen, so läuft das Ge- fäß über, d. h. die Reinheit der bildenden Kunst ist gestört und nur ander- weitige Momente rechtfertigen die so entstandene Kunstform als eine histo- risch bedeutende, stylistisch gültige. Umgekehrt werden wir es bei der Ma- lerei finden: zu wenig Naturwahrheit und Schärfe der Eigenform ver- letzt ihr Wesen. Wie sich nun dieser Hauptgegensatz zu den weitern im §. aufgeführten verhält und was mit dem theilweisen Zusammenfallen u. s. w. gemeint ist, das eben wird sich in der wirklichen Geschichte zeigen. Zu der Bezeichnung: empfindungsvoller Styl fügt die Parenthese: auch dem Dichterischen genähert; ein Styl, der eine bedeutende, subjective, der Musik, der lyrischen Poesie verwandte Bewegtheit hat, wird mehr oder minder auch in bestimmterer Weise an die Dichtung, insbesondere das Drama, anklingen, was wir an einzelnen Stellen berühren werden. α . Die Bildnerkunst des Alterthums . §. 637. Der Dualismus der orientalischen Phantasie läßt keine reine Ent- wicklung der Bildnerkunst zu. Durch die Halbheit des Fortgangs von der Symbolik zum Mythus fällt die ursprüngliche Stoffwelt außer und neben die zweite und ebendaher entbehrt diese der Individualisirung und wärmeren Natur- nachbildung in Bewegung, Handlung, Ausdruck; positiv aber dringt in sie das Häßliche als unorganische Formenverbindung ein. Das Erhabene tritt als über- triebene Herrschaft des Colossalen, als Prunk in Darstellung und Material auf. Die Bildnerkunst scheidet sich nicht rein von der Baukunst und verbindet sich grell mit der Farbe. Der Typus wird nicht überwunden; schwungvoller An- klang reinen und hohen Styls befreit sich nicht von den Härten und Ungeschick- lichkeiten, mit denen eine im rein äußerlichen Sinn höchst vollendete Technik ihn verbindet. Alle diese Sätze fallen in die Hand, wenn man auf die geschicht- liche Darstellung des Orients §. 343 ff. und das Bild seiner Weltan- schauung §. 426 ff. zurückgeht und damit zusammenhält, was über die Architektur als diejenige Kunst, auf welche diese Form der Phantasie vor- züglich angewiesen war, und ihren Charakter im Orient §. 578 ff. ge- sagt ist. Sogleich findet nun ein Theil der Bestimmungen des vorh. §. seine geschichtliche Erläuterung, so zwar, daß man zunächst zwei derselben in ein bestimmtes Verhältniß treten sieht. Nämlich: die Aufgabe ist, des Naturwahren und Individuellen in das rein allgemeine Normalbild der Gattung so viel aufzunehmen, als nöthig ist, um ihm Lebenswärme und Mannigfaltigkeit zu geben. Dieß ist aber nicht möglich, wenn die Göt- ter nur halb mythische Wesen, d. h. vorgestellte Menschen, halb bloße 31* Symbole sind. Da kann sich kein Kreis von Götter-Individuen bilden, die sich durch Charakter-Ausdruck unterscheiden und wahrhaft in Hand- lung treten. Hiemit ist von dem ersten Satz in §. 636 Anwendung ge- macht: das direct Ideale und das Individuelle, Naturwahre können sich nicht zur Schönheit durchdringen. Nun nehme man die weiter unten fol- gende Bestimmung des §. 636 herauf, welche den Grad der Ausdehnung über die ursprüngliche Stoffwelt als weiteres geschichtliches Bewegungs- Moment einführt, und halte sie an die orientalische Phantasie, wie die- selbe von der Abstraction des Absoluten sich mit voller Sinnlichkeit in die Welt des Endlichen und Sinnlichen stürzt: so begreift sich (vergl. auch §. 428), daß neben den unbelebten, starren Götterbildern eine reiche Nachbildung des Thierischen, allgemein Menschlichen (Genre) und des Geschichtlichen treten wird. Diese ist es denn, die Alles übernimmt, was dem Götterkreis an Individualismus und Naturalismus abgeht; sie wird nur desto umfassender, desto porträtschärfer sein, je weniger die Fülle der Nai- vetät und die Deutlichkeit der Anschauung sich in das ideale Göttergebiet ergießen kann. Nun sind die Götter ohne menschlichen Ausdruck und dem Menschlichen fehlt jener „Abglanz der rein idealen Natur“, den wir wie- derholt gefordert haben; jene sind conventionell, ideal im leblos strengen Sinne des Worts, Genre und Historie aber ist überraschend treu, natur- wahr, bewegt, lebendig ohne Idealität; dieser Stoff saugt jenem die Le- benswärme, jener diesem die höhere Seele aus, ohne sie darum für sich zu gewinnen. Man erkennt also bereits eine bestimmte Weise des Ver- hältnisses, in welches jene zwei Bestimmungen des §. 636, nämlich die über den Gegensatz des Idealismus und Naturalismus, Individualismus und die nachher aufgestellte über den Umfang der Ergreifung der ur- sprünglichen Stoffwelt, zu einander treten. So sehen wir denn bei den Assyrern, Persern, Aegyptern neben Götterbildern, von denen wir zunächst nur das Negative sagen, daß ihnen außer der Unterscheidung der Geschlechter jede Mannigfaltigkeit der Lebensformen abgeht, daß man kaum die Altersstufen erkennt, daß jede nähere Bestimmtheit durch das Attribut ersetzt wird, daß keine fühlende Seele ihre unbewegten, ewig gleichen Züge belebt, eine reiche Plastik, namentlich in Reliefform, sich ausbreiten, welche das thierische und das menschliche Leben in den mannig- faltigsten Formen: Geschäfte des Landbaus, Gewerbes, Spiel aller Art, Jagd, Krieg, Rechtspflege, Triumphzug, Anbetung des Königs, Got- tesdienst mit der frischesten Naivetät, Lebendigkeit, Feuer, scharfem Auge auffaßt, die Physiognomien verschiedener Völker, die Formen der Lebens- alter, Geschlechter sammt Eunuchen, Lust und Leiden, die eigenthümliche Körperbewegung in allem Thun, ja Individuum von Individuum durch sichtliche Porträtzeichnung kenntlich unterscheidet: die Paläste, Gräber, Tempel ein reicher Teppich, der eine bunte, wimmelnde Welt vor uns ausspannt; aber während Rumpf, Hand, Fuß lebt, Haltung und Bewe- gung auf das Feinste belauscht ist, ist der Gesichtsausdruck immer der gleiche; es ist Copie des Lebens ohne Idee, ohne das Gefühl, daß es der Nachbildung nur dann werth ist, wenn der Künstler seinen Vollge- halt in die einzelne Erscheinung zu legen weiß; ein reiches Genre ohne Geist. Viele Darstellungen sind geschichtlich, aber die Geschichte erhebt sich nicht zu ihrer Würde, sondern bleibt Chronik, bildlicher Ersatz für die Buchstabenschrift. Man hat in Aegypten noch neuerdings eine Menge ganz naturalistischer, überraschend charakteristischer Werke der Plastik auf- gefunden, wie man sie neben den conventionellen Götterbildern gar nicht für möglich halten sollte. Mit besonderem Verständniß und mit der naiv- sten Beobachtung sind bei Assyrern, Persern, Aegyptern namentlich auch die Thiere aufgefaßt. — Nun aber äußert sich die Symbolik, wie sie auf halbem Wege zum Mythus stehen bleibt, im Götterbilde auch positiv als Häßlichkeit, vergl. §. 427 Anm. 2. : menschliche und thierische Organe werden verbunden, menschliche vervielfältigt, gerade das Menschlichste am Menschen, das Haupt, wird mit Vorliebe dem thierischen geopfert, wäh- rend der Grieche in den halbsymbolischen Wesen, die er beibehielt, nie das Haupt, nur untergeordnete Organe mit thierischen vertauschte. Die Fratze ist im Orient allgemeines Vorrecht des Gottes. — Die Vergröße- rung über das natürliche Maaß haben wir in §. 609 als wohlbegründet im Wesen der Bildnerkunst, doch das eigentlich Colossale nur unter ge- wissen Bedingungen als berechtigt erkannt; der Orient, aus dem schon in §. 430, 2. ausgesprochenen Grunde, liebt die Colosse ohne besonderes, in der Aufstellung gegebenes Motiv und der quantitative Ausdruck für das qualitativ Bedeutendere (vergl. §. 626) tritt insbesondere in der Riesen- gestalt der Könige als geistlose Verwechslung der innern Würde mit blo- ßer Würde des Standes auf. Der Prunk statt wahrer Erhabenheit wirft sich theils auf die Darstellung, theils auf ihr Material. Bei den Göt- terbildern ist die erstere Form der äußern Pracht statt des Ausdrucks in- nern Adels schon dadurch motivirt, daß den fehlenden Ausdruck um so mehr äußere Zugaben der Bezeichnung ersetzen müssen: reicher Schmuck und Putz aller Art; wo die Götter meist nackt oder in engen Gewändern gebildet sind, in Aegypten, wenigstens reicher Kopfputz; bei den mensch- lichen Darstellungen ergibt sich dieß schon aus der Prachtliebe des orien- talischen Lebens. Die andere Form sucht absichtlich die Schwierigkeiten auf, welche hartes Urgestein, Basalt, Granit, Porphyr u. s. w. darbie- tet, prunkt mit dem Sieg und mit dem Stoff an sich, anderswo mit edlen Metallen, Goldblech über einem hölzernen Kern u. s. w. Erzguß dage- gen ist nicht ausgebildet. Wie der vorzügliche Beruf der symbolischen Phan- tasie zur Baukunst das Werk der Plastik zu dieser herüberzieht, vgl. §. 578, Anm. 2. Dieß Hinüberschwanken der Architektur in die Plastik ist ebenso- gut auch als Hinüberschwanken dieser in jene zu fassen; schon die Herr- schaft des Colossalen, die reihenweise Aufstellung ist architekturartig, das Ueberwuchern des Relief, namentlich des ganz flachen, versenkten (vergl. §. 611) ebenfalls ein Ueberfluß des Anschlusses an die Baukunst; die Sculptur liebt es aber durchaus, auch ihr selbständigeres Werk an Pfei- ler, Säulen zu lehnen, wo sie es nicht wirklich ungetrennt aus Einem Materialstück mit diesen beläßt oder zudem kraus mit dem Ornament verschmelzt, wie die indische Pagode; ja sie ahmt die primitive Baukunst nach, die den natürlichen Fels behaut, wie in der colossalen Sphinx von Ghizeh. Weist dieß Verwachsensein zweier Künste bereits auf die unent- wickelte Einheit der Kräfte im orientalischen Leben hin, so klebt nun die Sculptur auch mit der Malerei zusammen, die freilich selbst wieder nur An- strich ist, also bloßer Architektur-Bemalung nahe liegt; denn die Poly- chromie beschränkt sich nicht auf bloßen Ton, sondern überzieht alles Bild- werk mit ungebrochenen Farben, insbesondere aus symbolischen Gründen das Götterbild; die Koilonaglyphen aber sind an sich schon in engerem Sinn malerisch, als das eigentliche Relief, das zwar auch in Aegypten neben ihnen auftritt; diese Wandüberkleidung ist, wie nach der einen Seite architektonisch, nach der andern in ihrer Buntheit eine Reminiscenz der Teppichweberei und Stickerei. — Mitten in diesen Schranken fehlt es zwar nicht an jenem großen Zug der Linie, an jenem Schwunge, der den Styl bildet, aber es bleibt bei Ansätzen, sie können nicht durchdrin- gen; das Harte, Schüchterne, Kindische, Linkische, Willkührliche wird, zwar ohne förmliches Priesterverbot, durch die Scheue festgehalten, die eingelassene Freiheit des subjectiven Lebens in Stoff und Künstler möchte zur Frivolität führen: eine ächt, streng religiöse Kunst. So bleibt z. B. in Assyrien und Persien die Seitenstellung der Füße bei Vornstellung des Gesichts im Relief, in Aegypten die durchgängige bloße Profilstel- lung, also die Unkenntniß der Verkürzung und somit überhaupt der Per- spective, so daß eine vertieft darzustellende Mehrheit von Figuren in Reihen übereinander tritt, bei allen betheiligten Völkern die ängstliche Regelmäßigkeit in Behandlung gewisser kleinerer, dünnerer, feinerer Ein- zelformen wie Haare, Federn, Kleider-Falten: eine kindliche, auch wie- der an die Architektur erinnernde Ueberstrenge in der an sich allerdings nothwendigen Stylisirung dieser Dinge. Die Technik ist also die nicht völlig beseelte; nicht an der gemeinen Technik fehlt es: die Ungeschicklich- keit des Kinderstandpunktes ist mit der größten Geschicklichkeit fixirt und der Meißel nur zu bewundern. Also hier im Grund eine weitere Form des Dualismus: Geist und Technik fallen auseinander. §. 638. Eine Ausnahme von der Trennung beider Stoffwelten machen die In- dier ; Leben und Bewegung tritt daher hier in das Götter-Ideal selbst ein; unter den weitern Gegensätzen des §. 636 fällt ihrer Plastik in gewissem Sinne die Anmuth und das Malerische , den Assyrern, Persern, Aegyp- tern dagegen das Architektonische und die Würde zu; bei den Letztern herrscht mehr das streng Gemessene der Proportion, bei den Assyrern und Persern die Kraft des Muskels. Den Indiern ging in dem knochenlosen Pantheismus ihrer traum- haften Phantasie die ursprüngliche Stoffwelt grenzenlos in die zweite über; hier kann von jenem Auseinanderfallen nicht die Rede sein. Knochenlos ist aber auch ihr Styl. Davon nachher; wir kehren die Folge des In- halts des §. zunächst um und führen den herben Styl zuerst auf, weil dem Wesen nach in der Plastik das Harte und Feste das Erste und zu Grund liegende ist. Der assyrisch-persische und ägyptische Styl berechtigt zur ge- meinschaftlichen Befassung unter den Begriff der Würde. Bei den Aegyp- tern ruht sie zunächst in der fast völligen Bewegungslosigkeit der Statue, bei den Assyrern und Persern in der gravitätischen Feierlichkeit, dem ge- haltenen tenor der Bewegung, selbst der stärkeren im Streite, nament- lich aber der hier besonders beliebten Prozessionsbewegung. Wir ver- gleichen dabei freilich verschiedene Stoffe, denn dort handelt es sich namentlich von Götter-Statuen, hier, bei der ungleich sparsameren, in symbolischen Thieren und phantastisch halbthierischen Menschengestalten be- stehenden Mythologie, vorherrschend von der Darstellung des Menschen, namentlich des Königs und seiner Verehrung, seinen Handlungen und Zerstreuungen, die nicht in Statuen, sondern in Reliefs auf uns gekom- men ist; allein der Kunstcharakter liegt in den angegebenen Zügen. In der ernsten, todtenhaften Ruhe der mit angeschlossenen Armen und knapp zusammengestellten Beinen thronenden oder mit einem Beine kaum merk- lich vorschreitenden, den Kopf steif gerade haltenden Gestalten der ägyp- tischen Kunst sehen wir nun zugleich mit geometrischer Strenge die Pro- portion durchgeführt, dagegen die Muskel an der schlanken Bildung nicht ausgesprochen; es herrscht das Grundgerüste, also das Architektonische. Von den weitern Gegensätzen, die §. 636 aufführt, tritt also hier mit der Würde ein in speziellerem Sinn architekturartig auffassender Styl zu- sammen und zwar vorzüglich in dem conventionell idealen Kreise, der das Individuelle und Naturalistische ausschließt, den Götterbildern. Da- gegen füllt sich das Gerüste in den breiteren, volleren Formen der kräf- tigen Männergestalten Assyriens und Persiens, die Organe der Hand- lung und Bewegung, Arm und Bein, werden höchst gewaltig mit schar- fer Angabe der Muskel, auch der Gelenke, namentlich des Knies, gebil- det. Es ist dieß in gewissem Sinn immer noch architektonisch, verglichen mit dem obersten der Gegensätze in §. 636 ein erster Schritt nach dem Naturalistischen hin, doch nicht nach dem Individuellen, denn diese Be- handlung kehrt in conventioneller Gleichheit des Styles wieder. Alle diese Völker bilden nun in ihrem plastischen Styl einen vollen Gegensatz gegen die Indier. Hier herrscht in der Bildung der Gestalt an sich die Welle des Runden, also eigentlich die Fettbildung, die Knochengerüst und Muskel fließend überkleidet; wie sehr das Weiche gesucht wird, zeigt ins- besondere die schlanke Hüfte und das breite Becken der weiblichen Gestalt. Man kann diesen Charakter des Runden, Wellenförmigen, Weichen als Anmuth bestimmen, wenn man vom tieferen Wesen derselben, das im Seelen-Ausdruck sich offenbart, absieht; doch liegt auch ohne diesen im edlen Flusse der Formen ein Reiz, der nicht blos sinnlich ist, und zudem fehlt das Spiel der Bewegung nicht. Im ruhigen Stande ist schon die Mannig- faltigkeit der Contraste vorhanden, der Kopf zur Seite geneigt, die Arme ge- löst, die Hände natürlich zufällig hängend oder spielend, die Hüfte nach einer Seite ausgebogen und auf den einen Fuß gestemmt, während der andere ruht; selbst die Verkürzung ist hier verstanden: die Füße sind nicht bei Vornstellung des Gesichts nach der Seite gestellt; nun tritt aber auch eigentliche, entschiedene, starke Bewegung auf, die Götter, Genien, Geister sind im herrschenden Hautrelief in leidenschaftliche, phantastische Handlung gesetzt, es stellt sich dabei mehr Composition, eine Ahnung schönerer Gruppen- bildung ein; aber die Bewegung hat keinen innern Halt, weil Knochen, Sehne, Muskel hinter dem Weichen verschwindet, und man meint, die Figuren wollen die Glieder von sich werfen. Man erkennt in dieser auf- lösenden Atmosphäre einen Zug zum Malerischen und Empfindungsvollen; zugleich ist durch diese wärmere Bewegtheit in das Ideale etwas Natu- ralistisches eingedrungen und in gewissem Sinn dieser Gegensatz sammt dem des leblos Göttlichen und belebten blos Menschlichen gelöst, aber das Individuelle fehlt auch hier und der letzte Gegensatz ist ja nicht ver- mittelt, sondern verschwemmt, denn wir haben gesehen, daß der göttliche und menschliche Kreis zwar ineinander scheinen, aber doch auseinander- gehalten sein sollen (§. 630). — Der §. hat das Indische wegen des Charakters ursprünglicher Unterscheidungslosigkeit, der in der ganzen Welt- anschauung liegt, vorangestellt; geschichtlich stellen die drei geschilderten Style keinen innern Verlauf dar; der indische steht für sich, der assyrisch persische und der ägyptische sind verwandt, doch ohne tieferen gegenseiti- gen Einfluß. Daher sehen wir lauter Einseitigkeiten: der Weichheit fehlt die Kraft, der Kraft die Weichheit, der geometrisch strengen Gemessenheit fehlen beide. Soll wahre Kunst entstehen, so muß Ein Volk diese Rich- tungen in natürlicher Folge ausbilden und dann vereinigen: mit dem fe- sten Maaße beginnen, die kräftige Bestimmtheit der einzelnen Formen hin- zufügen und endlich Alles mit Weichheit überkleiden, so, daß alle diese Momente zu einem concreten Ganzen zusammentreten, aus dessen reifer Fülle der geistige Ausdruck auftauchen kann. §. 639. Die griechische Phantasie war eine so entschieden plastische, daß die Darstellung des Wesens der Bildnerkunst mit der Darstellung seiner geschichtli- chen Erscheinung bei dem griechischen Volk in einer Weise zusammenfällt, welche der Zukunft fast keinen weiteren Entwicklungsstoff übrig ließ. Die griechische Plastik wägt dem Ideale so viel Individualismus und Naturalismus zu, als es erträgt, vereinigt Würde und Anmuth und unterscheidet deutlich zwei Kreise, einen göttlichen und einen menschlichen, die aber lebendig ineinander übergehen. Was sich in der ganzen Lehre von der Bildnerkunst auf jedem Schritte aufgedrängt hat, ist hier endlich ausdrücklich herausgestellt. Man vergleiche, was vom Leben der Griechen §. 348 — 351 gesagt ist, und fasse dann diese reale Grundlage mit der ganzen Darstellung des classi- schen Ideals der griechischen Phantasie §. 434 ff. zusammen, so erscheint die nun entwickelte Lehre vom Wesen der Bildnerkunst nur wie eine Ueber- setzung jener auf so absolut günstiger Grundlage aufgeblühten Weltanschauung der Griechen in eine wirkliche Kunstform, oder umgekehrt der Begriff die- ser Kunstform mußte bei jenem so beschaffenen, so anschauenden Volke seine wahre Wirklichkeit finden. Der wahre Fortschritt vom Symbole zum Mythus, der dem Menschen vertraute, auf Grundlage einer Natur- bedeutung ein höchstes Sittliches in sich lebendig darstellende Gott, der Kreis der Götter-Individuen, die Genien- und Heroenwelt, wodurch sich dieser Kreis leicht und flüssig an die ursprüngliche Stoffwelt knüpft, die frei ästhetische Ueberwindung des Typus, die nun erst wahrhaft im Gebiete der menschlichen Schönheit heimische Idealbildende Phantasie, das Gesetz, daß hier die einzelne Gestalt schön sein muß , das sich (§. 437) zunächst allgemein aus dem ächt mythischen Standpuncte ergab, die musterhafte Einheit von Inhalt und Form, wie sie schon dem innern Bilden eines solchen Volkes eigen sein mußte: alles dieß be- gründete uns die Bestimmtheit dieser Phantasie als einer tastend se- henden (§. 439), wodurch bereits das Gesetz, daß in diesem Ideale die einzelne Gestalt schön sein muß, seine nähere, doch erst psychologische Be- stätigung erhielt und ebenso der Satz sich herausstellte, daß der herrschende Standpunct das einfach Schöne sein werde. Die Gegensätze nun, die wir in §. 636 als die treibenden Reize der Geschichte der Plastik aufge- führt haben, erscheinen durch die wirkliche Darstellung jenes Ideals in dieser Kunst als gelöst in einer Weise, die nicht übertroffen werden kann. Es ist uns aus der Reihe derselben jetzt der zweite an die Spitze getreten: der Gegensatz zwischen einem mehr architektonischen oder mehr malerischen, empfindungsvollen und einem rein plastischen Style. Der griechische ist rein plastisch und hat vom Architektonischen, Malerischen, subjectiv bis zum Dramatischen hin Bewegten eben nur so viel, als je- derzeit und nothwendig im Unterschiede gewisser Zweige liegt (vergl. §. 635). Damit ist aber zugleich gegeben, daß eben die Griechen genau jene feine Linie treffen, bis zu welcher diese Kunst in die reine Gattungs- form das Individuelle und das Naturtreue einlassen kann, also ist zu- gleich der in §. 636 zuerst aufgestellte Gegensatz in ein reines Gleichge- wicht aufgehoben. Ebenso sind die weiteren Gegensätze zugleich aufgestellt und gelöst: die Würde hat Anmuth und die Anmuth Würde; ferner: es gibt neben dem reinen Ideale der Götterwelt ein Genre, eine Porträt- bildung und einen gewissen Kreis geschichtlicher Darstellungen; aber nicht ist auf der einen Seite eine conventionell symbolische Idealität, auf der andern ungeistige Naturwahrheit und Individualität zu Hause, sondern das oft geschilderte Band hält beide Welten flüssig zusammen und ge- stattet namentlich dem Geschichtlichen nur sparsame Ausdehnung. §. 640. Werden hiemit die in §. 636 aufgestellten Gegensätze im reinsten Sinne gelöst, so treten sie dennoch innerhalb der griechischen Bildnerkunst selbst in ein wechselseitiges Spiel, dessen Bewegung jene Entwicklungsstufen des Styls be- gründet, die jeder Kunstperiode eigen sind (vergl. §. 531). Im strengen und harten , zugleich noch typischen Style tritt neben ägyptischer Strenge und assy- rischer Kraft eine kindische Form der Anmuth auf, welche noch nicht die hö- here Einigung jener Eigenschaften mit der indischen Weichheit zeigt, wozu die griechische Kunst berufen war; die weitern Gegensätze fallen noch auseinander. Es versteht sich, daß jene Versöhnung der Gegensätze keine todte sein kann. Es ist Bewegung im Gefäße, das flüssige Ineinander der Kräfte, das in ihm enthalten ist, schwankt, aber es schlägt keine Welle über den Rand. Diese bewegte und doch sichere Beschließung im Gefäße der Einheit ist aber am Anfang noch nicht erreicht. Wir haben die Entwicklungsstufen des Styls innerhalb der Kunstperiode gerade an dem schlechtweg belehrenden Muster der Geschichte der Bildhauerei bei den Griechen in §. 531 dargestellt und auf das tiefere Gesetz verschiedener Entwicklung und Durchdringung des Objectiven und Subjectiven zurück- geführt. Jetzt ist nur übrig, diese Stufen in Kürze concreter zu zeich- nen; das tiefere Gesetz findet eben dadurch seine nähere Beleuchtung. Die herbe Objectivität des strengen und harten Styls gibt sich nun zu erkennen als die ägyptisch architekturartige Gemessenheit in der strengen Proportion, bewegungslosen Haltung mit fest an den Leib geschlossenen, nur langsam sich lösenden Armen und ebenso geschlossenen Beinen, deren zunächst nur eines zum mäßigen Vorschritte sich entschließt; die assyrisch- persische Kraft in den überstarken Muskeln der gedrungenen Körper; die Bewegung, wie sie dann zuerst gewaltsam eindringt im heftigen Sprung, im Gang auf dem Ballen, haben Aegypter, Assyrer und Perser in nicht geringerem Feuer auch gehabt in ihren Darstellungen aus dem menschli- chen Leben. Die steife Regelmäßigkeit in Anordnung und Behandlung der Haare und Falten ist ebensogut orientalisch, insbesondere assyrisch- persisch, und gehört zum Architekturartigen wie die noch unbelebte Sym- metrie in Gruppen. Als besonderer Ausdruck der noch mangelnden Ge- schicklichkeit fehlt auch die Seitenstellung der Füße bei Vornstellung des Kopfes nicht. Auch hier wird äußere Einwirkung des Styls jener Völ- ker auf die Anfänge griechischer Kunst nicht mehr bezweifelt. Die Grie- chen hatten nun die Aufgabe, zu vereinigen, was im Oriente getrennt blieb, also die ägyptische und assyrisch-persische Kraft und Würde zu ver- mählen mit der indischen Weichheit, Welle der Bewegung, Anmuth; hierin jedoch mußten sie ihren eigenen Weg gehen, auf diesem Puncte ist nicht von wirklichen Einflüssen, sondern nur von einer innern Analogie die Rede. So entwickeln sie zunächst noch gleichzeitig mit jener harten Gemessenheit und gewaltsamen Kraft jene tänzerhafte, der Orchestik ent- lehnte Grazie, jenes zierliche Anfassen der Gewänder mit den Finger- spitzen u. s. w., einen ersten kindischen Versuch der Anmuth, die, noch neben der Härte und ebendarum selbst noch hart, für sich ihre ersten Schritte wagt. Ganz merkwürdig ist nun aber der Weg der allmählichen Befreiung von diesen unreifen Formen, die auch in Griechenland eine fromme Scheu, ein Gesetz des Typus bewirkend, lange befestigt und nach erreichter Reife für Cultuszwecke, zum Theil auch aus Manier, im hieratischen oder archaistischen Style noch festhält. Es erhält sich nämlich auf diesem Wege der Befreiung bis zum letzten Schritte, der zwischen die Aeginetengruppe und das Auftreten des Phidias fällt, ein doppelter Dualismus. Erstens: man wagt wie im Orient nicht, den Gott in naturwahrer Lebendigkeit zu bilden, wohl aber den Menschen ; also fällt der göttliche und menschliche Kreis auseinander, jener bleibt im starr conventionellen Sinn ideal, obwohl nicht oder nur kurz und ganz vereinzelt im Sinn der symbolisch häßlichen Formenzusammensetzung wie im Morgenland, diesem dagegen fällt der Naturalismus zu. Zweitens: man behandelt den Menschen mit überraschend scharfer, lebendiger Na- turtreue, aber nur die Gestalt, ausgenommen den Kopf; dieser behielt in allen Situationen das immer gleiche typische Lächeln und die gleiche Ge- sichtsbildung; also hier Naturalismus ohne Individualismus (wovon etwa nur schüchterne erste Versuche der Porträtbildung auf Stelen und And. eine Ausnahme machen). Die Götter haben weder Individualität (denn die bloße Bezeichnung durch Attribute ist keine), noch Naturtreue, die Menschenbilder diese ohne jene. Inzwischen erweitert sich der Kreis der Stoffe durch die Ausbildung einer Heroenwelt, wie sie in diesem Reich- thum kein orientalisches Volk hatte, und ist so wenigstens im Stoffe das Zwischenglied zur flüssigen Verbindung beider Welten gegeben. Das Co- lossale herrscht von Anfang nicht in dem Uebermaaße wie im Orient und die Lösung von der Baukunst tritt früher und völliger ein. §. 641. Der hohe oder erhaben schöne Styl steht im Mittelpuncte des We- sens der Plastik; doch muß es eine reichere und freiere Ausbildung der An- muth, des empfindungsvoll oder malerisch Bewegten, des Tragischen und Ko- mischen und eine Erweiterung der Stoffwelt geben, die noch fest am Bande der bildnerischen Schönheitsgesetze bleibt: der einfach schöne, reizende und rührende Styl ist von demselben noch gehalten, zieht aber eine naturalistische, individualistrende, über die geschichtlichen Stoffe sich erweiternde, selbstbewußte Richtung nach sich, welche die feine Linie überspringt und der, in der römi- schen Welt sich vollendenden, Auflösung des plastischen Styls, die zugleich Rückfall in orientalische Formen ist, das Thor öffnet. Der Styl der ethischen Hoheit, wie ihn in Attika Phidias mit sei- nen Schülern Agorakritos und Alkamenes, im Peloponnes namentlich ein Polyklet ausgebildet, ist zu §. 531 in seinen Grundzügen schon dargestellt. Seine Würde ist keineswegs anmuthlos, sondern jene „ erhabene Gra- zie“, wie sie Winkelmann nennt; eine mäßige Neigung zum Colossalen geht mit der vorherrschenden Darstellung der höchsten Götter-Ideale Hand in Hand; das keusche Maaß des Naturalistischen und Individuellen of- fenbart sich als jener „Duft der Belebung“, der alle Form herausführt in die warme Fülle der Natur und ihrer süßen Nachlässigkeit und doch nie gemeine Natur, immer unendliche Natur vor uns enthüllt; das In- dividuelle ist insbesondere in das Götterideal eingedrungen als Grundlage eines Kreises scharf und doch nie bis zur Verhärtung der einseitigen Eigenheit unterschiedener Götterpersönlichkeiten. Neben der hohen Ruhe dieses Ideals breitet sich die volle Bewegtheit der Handlung aus in Relief und Gie- belgruppe; Schwung und Bewegung, in gewissem Sinn also das Male- rische kommt hier zu voller Entfaltung und die Composition ist entwickelt in dem Reichthum und der Gesetzlichkeit, wie sie oben dargestellt worden ist. Die zwei Kreise treten auseinander, neben den göttlichen legt sich der rein menschliche in Fest-Aufzügen, Tänzen, Kämpfen, belebten Sce- nen aller Art; Porträtbildungen treten auf und sparsam wird neben sei- ner Stellvertretung durch das Sagenhafte der wirkliche Stoff der Ge- schichte (z. B. in den Perserkämpfen des Nike-Tempels) ergriffen. Nicht im höchsten Sinne, dem des erhabensten Götter-Ideals, wird der Styl der Würde ausgebildet von den peloponnesischen Meistern; sie wenden sich mehr dem menschlich Starken in Heroen- und Athletenbildungen (auch der Thierbildung) zu; so neben Polyklet (der nur durch seine Here jener attischen Richtung angehört) namentlich Myron. Hier ist nun nicht nur der Stoffkreis erweitert, sondern auch mehr Naturalismus, aber doch noch von einer Strenge und Gewichtigkeit gehalten, welche den Charakter des hohen Styls bewahrt. Bleiben wir bei unserem öfters gebrauchten Bilde, so erscheint dagegen der Inhalt des Gefäßes im Style der Praxiteles und Skopas , wie er zu §. 531 in seinen Grundzügen ebenfalls schon geschildert ist, ungleich schwankender bewegt von reizendem, leichtem Wel- lengekräusel bis zur heftigsten Aufwühlung, die ihn aus seinem Becken zu reißen droht. Die Vorliebe zum Aphrodite- und Apollo-Ideal zeigt den Uebergang von der Herrschaft der Würde zur Herrschaft der Anmuth, zugleich dringt aber Affect und Leidenschaft in vorher ungekannter Stärke ein, Werke wie die Niobidengruppe, die sterbende Jokaste von Sila- nion erschüttern das Herz in seinen innersten Tiefen; mit der Welt der Leidenschaft wird auch die des Komischen entfesselt und knüpft sich an den dionysischen Kreis. Aber die Anmuth hat noch Würde, der Götter- kreis ist das Herrschende und Bestimmende, die Leidenschaft bewahrt den Adel des innern Gleichgewichts, das Komische ist zu plastischer Mäßigung abgedämpft: Alles zu freierem Spiel entlassen und doch am Bande des reinen Styls festgehalten, das Band sehr verlängert, aber noch nicht zer- rissen. Diese Bereicherung, diese verstärkte Bewegung ist denn zugleich eine innigere Versetzung der bildnerischen Phantasie mit einer Beimischung der malerischen, musikalischen, lyrischen, namentlich aber auch der dra- matischen, und doch auch so betrachtet bleibt das rein plastische Gefühl fest auf seinem Boden stehen. Was nun die letzte, zunächst noch stylvolle und an die dritte Stufe sich in engem Uebergang anknüpfende, dann all- mählich abwärts führende Stylbildung betrifft, so sind zwei Seiten an ihr zu unterscheiden, von denen die zweite mitten in die Hauptfrage über alle weitere Geschichte unserer Kunst hineinführt. Die Hinwendung zu jener Anmuth im engeren Sinn, die von der erhabenen Grazie als eine be- sondere Gestalt sich unterscheidet und nach und nach in den falschen Reiz übergeht, die Entfeßlung eines Grads von Affect, der haarscharf an der Grenze des Plastischen hingleitet, zu einer bewußten, theatralisch gemah- nenden Beziehung auf den Zuschauer (die bezeichnenden Werke vergl. zu §. 531 S. 137) ist die eine Seite. Nun aber ist zugleich eine ganz spe- zifische Erweiterung des Stoffes durch die Lysippische Schule eingetreten: der unmittelbar, in voller Nähe gegebene geschichtliche Stoff ist, neben einem vielfältigeren Genre, in einem vorher unbekannten, als unzulässig betrachteten Umfange in die Kunst hereingezogen worden; den vielen Por- trätbildungen, namentlich Alexanders d. Gr., so wie den Gruppen aus seiner Geschichte folgen dann weiter jene Keltenschlachten der Schule von Pergamon; dieß ist die andere Seite. Wir sehen dabei von der Schmei- chelei ab, ebenso vom Style, der zunächst noch rein plastisch, vergöttli- chend bleibt und sich diese Reinheit namentlich auch in der Fortbildung des Herkules-Ideals bewahrt. Im Schluß der Anm. zu §. 531 durfte in dieser Wendung ebensosehr der Keim eines neuen, wie die Auflösung eines bestehenden Ideals, erkannt werden, denn da handelte es sich von allen Künsten, und wiefern die Plastik hier aufhöre, mustergebendes Beispiel zu sein, war nicht der Ort zu verfolgen. Jetzt aber, da wir das Wesen dieser Kunst erörtert haben, leuchtet ein, daß in ihrem Gebiete das stärkere Aufkommen des Genre, des Bildnisses und der Profange- schichte nicht auf ein neues, der Zukunft vorbehaltenes Ideal so hinaus- deuten kann, wie wir bei der Malerei finden werden, wenn sie sich zwei- mal am Schluß einer Hauptperiode, der antiken und dann der mittelal- terlichen, ebenso dem weltlichen Gebiet öffnet. An dieser Frage nun hängt die fernere Geschichte der Bildnerkunst; die Oeffnung nach dem weltlichen Gebiete führt weiter und weiter bis zu dem götterlosen modernen Ideal: kann in diesem eine wesentlich Götterbildende Kunst wie die Plastik eine neue Blüthe oder nur eine Nachblüthe treiben, oder hat sie überhaupt noch Lebensfähigkeit? Nach Allem, was in der Lehre vom Wesen und den Zweigen derselben entwickelt ist, können wir nun bereits so viel sagen: sie wird noch leben können, aber nur mit Einem Lungenflügel. Das Ge- fäß ist jetzt übergelaufen: was noch darin ist (Götterbildende Plastik, so- fern ein Rest von ihr im entgötterten Ideale möglich bleibt), ist zu wenig, und was hinausgesprungen (profanmenschliche, profangeschichtliche), ist nicht mehr gefaßt. Es handelt sich aber wesentlich zugleich vom Style. Mit diesem Hinausgreifen in die streng realen Stoffe wird derselbe natürlich in die Länge nicht die Reinheit bewahren, die er in der Lysippischen Schule noch hat, er wird in einem Grade individualisirend und natura- lisirend verfahren, der über die feine Linie hinausgeht, welche wir die- ser Richtung gezogen. Die Griechen auf heimischem Boden halten immer noch treuer am Stylgesetze, auch die Schule von Pergamon, wiewohl die gute Zeit schwerlich jene barbarischen Keltenphysiognomien in selbständiger Aufstellung gewagt hätte. In Rom aber, nachdem schon der etruskische Styl einen härtern Naturalismus und eigenthümliche Porträtartige Schärfe gezeigt, greift, nachdem die Bildnerkunst aus Griechenland nach Italien verpflanzt ist, der griechische und einheimische Künstler nicht nur mit weit offener Hand in die nächste geschichtliche Stoffwelt (namentlich ihre Kriegs- geschichte als Gegenstand des Relief), sondern läßt sich in die Zufällig- keiten der Natur, unedlere Culturformen und die Einzelnheiten indivi- dueller Bildung in einem Umfang ein, der auch nach dieser Seite Thür und Thor weit hinaus über das reine Stylgesetz öffnet. Wir haben ge- sagt, diese Entlassung auch der Formen vom strengeren Bande werde na- turgemäß mit jener Erweiterung des Stoffs eintreten; dagegen werden wir im Mittelalter allerdings finden, daß sich ein harter Individualismus und Naturalismus trotz der fast ausschließlichen Herrschaft mythischer Stoffe ausbildet; da hängt aber die Sache überhaupt anders zusammen; für das Alterthum, das prinzipiell mythisch anschaute, war das Ideal der Gottheit auch das Band des strengen Styls und lockert sich erst mit dem Nachlasse des Bandes auch dieser. Für die neuere Zeit aber trifft der Mangel eines Olymps und die Nothwendigkeit des Zugs zum Naturalismus und Individualismus so zusammen, daß das Fortleben der Plastik gleichzeitig durch beide Ursachen in Frage gestellt wird, wofür dagegen aus anderweitiger Quelle eine gewisse beschränkte Her- stellung des idealen Kreises, zugleich eine Restauration des idealen Styls und dadurch eine Mäßigung des Individualismus und Naturalismus er- möglicht wird, welche die Lage dieser Kunst wieder günstiger stellt, als im Mittelalter. Das Alterthum aber hatte doch immer noch seine Göt- ter und das Bestehen des idealen Kreises sammt dem Nachklang der An- schauungsweise, die ihn geschaffen, erhielt noch spät Reste des reinen Stylgesetzes in Kraft, die den Künstler mit einer gewissen Sicherheit führ- ten; selbst der Fettkopf eines Domitian ist noch plastisch antik behandelt und ein Aeußerstes, wie runzlichte alte Weiber mit hängenden Brüsten, ist selten. Die Ueppigkeit und die Mengung der Religionen führt erst den völligen Zerfall des plastischen Sinnes herbei, der zugleich Rückfall in den Kindheitszustand der symbolischen Formgemische, der Herrschaft des Colossalen, des Prunks mit kostbarem Material und in die Virtuosität der bloßen Technik ist. β . Die Bildnerkunst des Mittelalters . §. 642. Die Formen des Lebens und der Cultur im Mittelalter, die ganze Be- stimmtheit der romantischen Phantasie, welche daraus hervorging, führt mit Nothwendigkeit zu einer Innerlichkeit des Ausdrucks, einem Grade des Indi- vidualismus und Naturalismus, einer Auflösung des Ideals, das allerdings eine ausgebildete zweite Stoffwelt enthält, in eine geschichtliche Vielheit von Gestal- ten, die aufeinander und auf eine umgebende Natur bezogen sind, wodurch die Gesetze des bildnerischen Styls überschritten werden, dagegen das Ma- lerische , das empfindungsvoll Bewegte, auch das Dichterische eindringt und der Unterschied eines weltlichen Kreises von dem göttlichen Kreise seine Bedeu- tung und plastische Kraft verliert. In den zwei Abschnitten des zweiten Theils haben wir Alles bei- sammen, woraus auch hier das schon reife Ergebniß von selbst abfällt. Das Geschichtliche in §. 354 ff.: die rohe, hart individuelle Form der diese Weltperiode begründenden, auch den Völkern lateinischer Abstam- mung und Bildung ihr Blut und Naturell beimischenden germanischen Nationalität bei tiefer Geistigkeit der Anlage, der innere Bruch im Bil- dungsgange derselben durch Aneignung ganz fremder Elemente: der alten Bildung der römischen Welt, des Christenthums, der fortdauernde Rest objectiver Lebensform mit dem aufblühenden Geiste der Innerlichkeit zu schillerndem Zwielicht verbunden, der Gegensatz von Adel und Volk, Kirche und Welt, die phantastisch bunten Culturformen, — dieß ist zunächst eine Stoffwelt, deren unplastische Natur gegenüber den in §. 615 geforderten Vorbildern unmittelbar einleuchtet. Der Geist des Ideals, das die so beschaffene Welt sich gebaut hat, ist ein Geist der Innerlichkeit, vergl. §. 450, daher des über die Form unendlich hinausgehenden Ausdrucks §. 453, und dieß widerspricht dem plastischen Stylgesetze nach §. 605 und 624, ein Geist der in der ganzen Schärfe ihrer Bestimmtheit als berechtigt gesetzten Individualität, also der physiognomischen Behandlungs- weise (§. 454), die sich von den unplastischen Härten des umgebenden Menschenstoffs nicht abwendet, und dieß ist speziell gegen das Stylgesetz §. 616. In diesem Ideale muß nicht mehr die einzelne Gestalt schön sein, theils weil das Auge von der Form zum tieferen Ausdruck fortgeht, theils weil durch die Anerkennung jedes Individuums in der Berechti- gung seiner unendlichen Eigenheit eine Vielheit in das Kunstideal einge- führt ist, deren Einzelne sich in der Gesammtwirkung ergänzen (§. 455), und das Häßliche, das hiedurch eindringt, löst sich in neu eröffnete Tie- fen des Erhabenen und Komischen auf (§. 457): Alles im vollen Gegen- satze gegen §. 603. Das Ascetische der Behandlung §. 456 kommt dazu, die Härte der Formen zu vollenden. Aus dem Allem ist schon in §. 458 der Schluß gezogen, daß das romantische Ideal vermöge seiner empfin- dungsvollen Grundstimmung architektonisch, unplastisch, malerisch, lyrisch sei. Dieses Ideal hat nun zwar noch einen Mythenkreis, aber es ist der Mythus einer Zeit, die eigentlich keinen mehr haben sollte, vergl. §. 447 — 449. Damit erklärt sich, was in der Anm. zu §. 642 vor- läufig gesagt ist. Die transcendenten Gestalten dieses nachgebornen My- thus sind nämlich nicht wie die griechischen Götter, Halbgötter, Heroen gefüllte Inbegriffe eines ganzen Lebensgebiets mit Einschluß eines Krei- ses des Naturlebens, sondern sie gelten ganz wie empirisch-historische Menschen, die in aller Bedingtheit des Lebens existirt haben und existi- ren. Die mythischen Wesen des classischen Ideals gelten auch als wirk- lich athmend und lebend, aber doch ist es nicht eigentlich trockener Ernst damit, sie stehen mitten in den Lebensbedingungen über denselben; es gibt neben ihnen eine Geschichte und Natur, und doch wieder nicht, denn je- des von ihnen ist das Ganze derselben. Hier aber ist es dogmatischer Ernst mit der Behauptung der geschichtlichen Existenz, es gibt eine Ge- schichte und Natur neben den mythischen Wesen und diese sind in ihre sirenge Bedingtheit hineingezogen, was ja sogleich auf die malerische Behand- lung, viele Figuren, umgebenden Raum und Hintergrund führt (vergl. Burkhardt Andeutungen z. Gesch. d. chr. Sculptur Kunstbl. des Morgenbl. 1848 Nr. 33. 35). Mit dieser Auffassung im Sinne der Bedingtheit der Existenz ist die naturalistische Behandlung, die sich uns schon aus der Anschauungsweise dieser Phantasie überhaupt ergeben hat, auch in die mythische Gestaltenwelt eingeführt. Ueberblickt man diese, so macht der Gott Vater eine Ausnahme, er kann nicht unter diese Auffassung treten, ist aber auch kein griechischer Gott, sondern als absolute geistige Einheit des ganzen Kreises eigentlich plastisch undarstellbar; weil er aber doch noch Person ist, welcher consequent andere Götterpersonen gegenüberste- hen müßten, nur daß die Consequenz durch die Einzigkeit auch wieder abgeschnitten ist, so wird er dennoch auch dargestellt, doch in der Plastik selten, da ihr die Schwierigkeiten in diesem Stoffe sich besonders aufdrängen müssen. Der heilige Geist ist nur allegorisch darstellbar. Die Engel scheinen sich zu reiner plastischer Schönheit zu eignen, allein in dem Grade, in wel- chem sie feste Gestalt annehmen, kommt der Widerspruch des Glaubens an sie mit der Allgegenwart Gottes zum Bewußtsein. In Maria liegt Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 32 trotz der Aufgabe, tiefe Innerlichkeit der Seele darzustellen, vielleicht mehr plastischer Stoff, als in irgend einer der Gestalten dieses Kreises, weil selbst das tiefste Leiden in die Fülle ihrer Anmuth nicht den tiefen nega- tiven Bruch wirft, wie in die männliche Natur. Ganz aber bewährt sich unser Satz an der Vorstellung vom Sohne. Christus soll ganz Gott und ganz historischer Mensch sein. Beide vereinigten Seiten machen die Auf- gabe unplastisch, denn ein plastischer Typus kann nur entstehen, wo das Ganze der Gottheit blos mittelbar durch vollkommene Darstellung eines bestimmten Moments aus der Fülle des Göttlichen zur Darstellung kommt; die ganze Menschheit, die doch in einem empirisch Einzelnen dargestellt sein soll, schließt zwar alle Vollkommenheit des Menschen ein, aber eben- falls jede Kraft der Einseitigkeit, die zu einem Typus nöthig ist, aus und begreift zugleich alles Leiden des Menschen, alle Bedingtheit, alle Ab- zehrung des Sinnlichen, allen härtesten Naturalismus und Individualis- mus in sich. Wird Christus als Heros in Fülle des leiblichen Daseins dargestellt, so ist er heidnisch, im christlichen Sinn ungeistig aufgefaßt; wird er ascetisch, arm an Gestalt, herb empirisch dargestellt, so ist er ein unvollkommner Mensch und für die geistige Unendlichkeit des Ausdrucks, wie sie sich dann in den vorzüglich sprechenden Theilen ansammeln soll, hat der Bildhauer keine zureichenden Mittel. Sind dennoch erhabene und höchst rührende Christus-Gestalten ausgeführt worden, so sind dieß Bilder eines tief leidenden und im Leiden großen Menschen und daß die- ser Mensch der absolute Mensch und der ganze Gott sei, das ist nur die Vorstellung, die der Zuschauer hinzubringt. Der romantische Kreis hat über- haupt wenig Typen: zu dem schwankenden der Gestalt Christi noch die plastisch bestimmteren der Apostel Petrus, Paulus, Johannes und einiger Propheten; in der zugleich innerlich geistigen und geschichtlich empirischen Anschauung kann sich ein plastischer Typenkreis gar nicht verfestigen. Der transcendente Kreis ist aber unendlich reich, ja er hat gar keine Grenze, die ganze Welt fließt ihm ohne Ende zu. Die Gottheit ist in die Geschichte eingetreten und die Geschichte löst sich in der Gottheit auf. An die heilige Geschichte schließt sich als vereinzelter besonderer Einfallspunct des Göttlichen in die Geschichte die Legende, an diese theils vorbereitend auf das Christenthum, theils seinen Eindringungen untergebreitet die ganze Profangeschichte, und jeder fromme Mensch oder vielmehr Jeder, der nur irgend etwas From- mes thut, die Kirche schützt und beschenkt, vermehrt den unendlichen Ge- staltenkreis. Was nicht dem Himmel zufließt, stürzt der Hölle zu und der Ausdruck der Innerlichkeit müßte hier zu einem Abgrunde des geistig Furchtbaren werden, den aber der Bildner ja auch nicht geben kann. Der Gegensatz zweier Kreise, eines göttlichen und eines profanen, kann in dieser Auffassung kein fruchtbarer, kein Hebel interessanter Entwicklungs- kämpfe der Sculptur werden: kein Fortschritt zu stärkerer Ausdehnung des Genre, dann der Porträtbildung und des eigentlich Geschichtlichen kann hier verschiedene Styl-Perioden scharf begrenzen, denn wenn der anfangs ärmere transcendente Gestaltenkreis mehr und mehr Stoff aus der Welt ansetzt, so wird damit kein ursprünglich gestellter Gegensatz zwischen aus- drücklich idealen und realer bestimmten Naturen aufgelöst, indem jene von Haus aus ja ganz empirisch aufgefaßt sind, und umgekehrt gibt es kein weltlich Selbständiges, es gibt keine Geschichte (vergl. dazu §. 451) oder, wie man will, es gibt solcher zu viel. Dieß ist genauer zu betrachten. In Griechenland fällt ein Abglanz der Götternatur auf die rein mensch- liche; die Sphären sind getrennt und flüßig vereinigt. Im Mittelalter scheint dasselbe der Fall zu sein, aber sowohl die Trennung, als die Ver- einigung hat einen andern, der bildnerischen Schönheit ungünstigen Sinn. Sie sind getrennt: die Welt ohne Gottheit ist zu selbständig, ist selbstisch, gottverlassen in nichtigem Eigensinn, muß erst im Innersten gebrochen werden, ist daher unschön; das Göttliche aber abgesehen von seinem Eintritt in die Welt hat keine oder nur ganz schattenhafte Gestalt. Sie sind ver- einigt: das Göttliche hat die Menschengestalt mit ihrer ganzen energischen Bedingtheit, allen Mängeln und Gebrechen angenommen und löst sich fortwährend in die Vielheit des ganzen Weltlebens sammt seinen Zufäl- ligkeiten und Häßlichkeiten auf; weder das Göttliche, wenn es in die Welt sich niederläßt, noch das Weltliche, wenn es in das Göttliche emporge- rückt wird, wird dadurch plastisch ideal. Beide Welten schillern inein- ander, sind eine die Doppelgängerinn der andern und weder leiht die eine der andern Vollkommenheit des Fleisches, noch die andere der einen Fülle unmittelbaren, naiven Geisteslebens. §. 643. Das Mittelalter bewahrt aber theils durch Ueberlieferung einen Rest antiken Formgefühls, welcher längere Zeit bei allen in seiner Kunstgeschichte betheiligten Vöthern, fortwährend bei dem romanischen Volke der Italiener sich erhält; theils entwickelt sich, nachdem jener Rest in byzantinischer Härte und Trockenheit erstarrt ist, bei den germanischen Völkern ein Styl, welcher die erstarrten Formen mit einer Seelen-Anmuth belebt, die zwar Ausdruck einer vertieften innern Welt, aber immer noch naiv und in sich gediegen ist und sich mit weichen und flüssigen Formen des Körpers und der Gewandung zu einer allerdings noch plastischen Einheit verbindet. Mit einem folgenden wesentlich verschiedenen Style stehen diese Kunstformen im Gegensatz eines relativ mehr rein plastischen, idealen, weniger weltlichen gegen einen mehr malerischen, naturalisirenden, individualistrenden, stärker in das Geschichtliche übergreifen- den Styl. 32* Das Mittelalter bewegt sich also doch auch durch die in §. 636 aus- gesprochenen Gegensätze, es sind trotz dem im vorh. §. Aufgestellten noch verschiedene Proportionen, in denen die Styl-Elemente sich mischen, mög- lich; aber wenn im Alterthum der Weg zu dem, was zuerst die Lysippi- sche Schule ausbildet, der Weg der Auflösung seines Kunstideals ist, so werden wir dagegen im Mittelalter das Umgekehrte finden: die zweite Form, die der folg. §. zu schildern hat, widerspricht zwar dem Prinzip der besondern Kunstgattung der Plastik, entspricht aber nur um so voll- kommener dem Ganzen des romantischen Ideals. Vor uns liegen nun zunächst die Entwicklungsstufen, die trotz ihrem bereits malerischen Cha- rakter noch einen Rest plastischer Idealität gemein haben: der altchristliche Styl, wie er, aus den Anfängen blos symbolischer Darstellung, die den Anfängen der Plastik im Orient entsprechen, sich herausarbeitend von den Resten unmittelbar überlieferter classischer Form zehrt, seine Erstar- rung im Byzantinischen, dem doch eine gewisse Feierlichkeit und statuari- sche Würde nicht abzusprechen ist, seine Neubelebung im sogenannten ro- manischen (Ende des zehnten bis Anfang des dreizehnten Jahrhunderts), dann die innigere Beseelung in dem neuerdings so bezeichneten germani- schen Style (bis in die ersten Jahrzehnte des vierzehnten Jahrhunderts). Die zwei letztgenannten Style fließen aber fast unmerklich ineinander über: was man noch zum romanischen Style rechnet, hat bereits, wenigstens in Deutschland, schon etwas von dem Ausdruck tiefer Seelenmilde, der mit dem germanischen Styl eindringt, und die schlanken Gestalten, die weiche Haltung, Biegung, die langgezogenen, flüssig runden Falten des letzteren kommen umgekehrt aus jener Erfrischung des Formensinns durch An- schauung der Antike und gleichzeitige Naturstudien, wie sie in Deutschland merkwürdiger Weise noch früher, als in Italien, eintraten, so Herrliches in Wechselburg und Freiberg im Erzgebirge leisteten und den romanischen Styl begründeten. Das Wichtigste ist, daß man in diesem zu neuer, tie- fer Innigkeit beseelten romanischen Styl, den man den germanischen nennt, nun die Probe geliefert sieht, wie der Ausdruck der tiefsten Demuth und der ganzen Welt der Affecte, die in §. 624 als eine subjectiv innerliche von der Bildnerkunst nach dem strengsten Maaßstab ausgeschlossen ist, in einer gewissen Einschränkung doch noch ein plastischer Stoff sein kann: nämlich in Einschränkung auf Affecte milder Art. Auch dieß wurde in §. 624, Anm. 2. schon vorgesehen. Es ist die vollständige Hingebung an die Kirche und die von ihr gebotene Geisteswelt, die das noch streng gebundene Mit- telalter in diesen weichen Zügen mit den seitlich geneigten Köpfen aus- drückt, ein weibliches Seelenleben der Demuth; die Seele des Weibs bleibt in völliger Hingebung der Liebe ruhig sich selbst gleich, füllt mit dem Ich des Geliebten ihr eigenes in einem Gleichgewichte, das bei aller Innerlichkeit doch wieder Naturstimmung, naiv und somit auch plastisch ist: in diesem Licht erscheint hier die ganze Welt der Charaktere; sie ha- ben ihr Centrum außer sich, aber in einem vollen Tausch der Liebe wohnt es sich ihnen wieder ein; da ist kein Eigensinn, der erst zu brechen, keine rohe Kraft, die nicht schon ganz in die Gottes-Minne aufgelöst wäre. Die Gesichtsformen sind nicht die antiken, aber sie sind weich und sanft und wir haben zu §. 615, 2 vorbereitend schon angedeutet, daß es auch eine Gediegenheit sanfter Art bei zwar unregelmäßigen Formen geben könne, die immer noch plastisch sei. Die fließende Gewandung endlich thut noch namentlich das Ihrige, den einfach großen Linienzug der Um- risse zu sichern, den alle Bildnerkunst fordert. So bewahrt denn dieser Styl noch eine plastische Idealität, die uns der Nothwendigkeit über- hebt, alle die entschuldigenden Rücksichten, welche bei den Verstößen der mittelalterlichen Bildnerkunst gegen das plastische Stylgesetz in Rechnung kommen, schon hier geltend zu machen. — Die Italiener verharrten nun zwar länger im byzantinischen Typus, erst in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts tritt Nicola Pisano auf, der durch liebevolles Studium der Antike und Naturbeobachtung den Schritt vollzieht, der in Deutschland schon in jenen sächsischen Sculpturen vollzogen erscheint. Dagegen er- kennt man in allem weiteren Fortgange, daß dieses romanische Volk von Haus aus etwas vom classischen Formgefühle bewahrt; der Ausdruck wächst nicht zu der Innigkeit wie im sog. germanischen Style, aber alle For- men bilden sich in classisch gefühlter Weise durch und, was das Wich- tigste ist, die Italiener gehen nicht in den grundverschiedenen Styl über, der jenem sog. germanischen in Deutschland folgt und vermöge seines In- dividualismus und Naturalismus spezifisch mehr malerisch zu nennen ist. Das Malerische dringt bei ihnen zunächst auf einem andern , nicht so tief gehenden Puncte ein, auf dem es sich zwar in Deutschland auch geltend macht: der nächste §. wird denselben aufzeigen. Wir haben also den Gegensatz eines reiner plastischen und mehr malerischen Styls in dop- pelter Weise: er erscheint als ein nationaler, worin sich die Italiener und die Deutschen, doch vollständig erst in der Kunstweise der folgenden Pe- riode, gegenüberstehen, successiv geschichtlich dagegen durchlaufen ihn auch die Deutschen selbst in ihrer Kunstgeschichte. §. 644. Im durchgebildeten ächt mittelalterlichen Style geht diese Anmuth zwar nicht ganz verloren, wird aber zum bloßen Momente eines Ganzen, worin der Individualismus und Naturalismus in dem nun erst zu einer reichen geschichtli- chen Welt auseinandergezogenen Kreise des Ideals mit einer Härte, einer Entfaltung des Furchtbaren und Komischen, einer Eckigkeit der Formen, das Malerische der Composition in perspectivischer Behandlung des Relief mit einer Bestimmtheit herrscht, welche auf den ersten Blick als bloße Manier und Ver- irrung erscheint. Allein nicht nur erhält sich auch jetzt noch ein Rest statuari- scher Würde und Gediegenheit, sondern die ganze Kunstgattung verzichtet durch die Art ihres Anschlusses an die Baukunst auf Selbständigkeit, ergänzt diese in einem dichterischen Cyklus und bedeckt die harte Wahrheit ihrer Formen durch völlige durchgeführte Polychromie, mit welcher die ornamentistische Hal- tung des Ganzen wieder versöhnt. Der neue Styl tritt zuerst in Flandern, hier bereits im vierzehnten Jahrhundert, auf und ist ohne Zweifel von hier in Deutschland einge- drungen. Das bunte Altarschnitzwerk wurde niederländische Arbeit genannt (vergl. Gesch. der deutsch. Kunst v. E. Förster Th. 2, S. 17). Dieser Styl könnte als gothisch bezeichnet werden, weil man bei dem Gothischen doch vorzüg- lich an das nordisch Eckige, stachlicht Individualisirte zu denken gewohnt ist. Wir haben uns bereits dagegen erklärt, daß er als Abfall vom Ideal aufgefaßt werde. Der Zug des Mittelalters war ein anderer, als der des Alterthums; was im Zusammenhang antiken Entwicklungsganges Fall war, ist im Mittelalter Steigen. Freilich setzt dieß eine andere Kunst- gattung als das Bett voraus, worin das wesentlich verschiedene Ideal des Mittelalters seine Höhe erreicht: die Malerei; aber überall reißt die vorzüglich herrschende, das Ideal einer Zeit aussprechende Kunst die andern Künste mit sich fort und in die Scharte, die dadurch den aus ihrem Wesen flie- ßenden Stylformen geschlagen wird, dringt versöhnend und entschädigend eben jener Zug des Ganzen mit seiner hohen Berechtigung. In Grie- chenland konnte die Malerei und Poesie neben dem herrschenden Zuge zu plastischer Idealität keineswegs den Styl entwickeln, in welchem sich erst die Fülle des Wesens dieser Künste zeigt, aber wir bewundern sie doch, weil wir vom plastischen Grundgefühle fortgerissen die Mängel der Entwicklung mit der Vollkommenheit der plastischen Kunst durch eine Ue- bertragung decken. Das mild Schöne des anmuthigen romanisch-germa- nischen Styls ist übrigens in diesem herben Style nicht geradezu ver- schwunden; wir erinnern nur an Ein Beispiel, die herrliche betende Ma- ria der Kunstschule zu Nürnberg, wo selbst der weiche Faltenfluß nicht fehlt. Auch in Christusbildern dringen vereinzelt wieder ideale Bildun- gen durch, im Ganzen aber herrschen grobe nordische Körper- und Ge- sichtsformen, eckige Bewegungen und Falten, die Trachten der Zeit tre- ten rücksichtslos neben den idealen Gewändern der höheren Typen auf, der Künstler greift nach den härtesten Zügen individueller Eigenheit, durch- wandelt unplastisch den Himmel und die Hölle der Affectenwelt des christ- lichen Gemüthslebens und sprudelt mit oder ohne Satyre den tollsten Humor aus, der namentlich auch die Thiergestalt, für deren normale For- men dem Mittelalter in interessantem Gegensatz gegen das ganze Alter- thum der Sinn abgeht, zu phantastischen, meist symbolischen Gebilden verzerrt. Jene empirisch geschichtliche Vielheit, Hereinziehung der ganzen Geschichte A. und N. Testaments, Reichthum der Legende, Anknüpfung der profanen Historie an die heilige, figurenreiche bewegte Handlung, das Mitdarstellen der ganzen Umgebung (§. 642) dringt jetzt erst ein und sprengt das vorher noch geschlossenere, in Gestalten sparsamere Ideal auseinander. Das Mitdarstellen des Hintergrunds, der Umgebung fin- det natürlich im Relief statt und die unberechtigt malerische, perspectivi- sche Behandlung desselben ist jener in der Anm. zu §. 643 erwähnte Punct, worin auch die Italiener ganz über das Plastische hinausgehen; das Relief überspringt denn seine Grenzen bis zur völligen Nachahmung von Räumen, wo man in ein bewohntes Inneres hineinsieht. Vor Allem nun ist zur gerechten Würdigung dieses Styls geltend zu machen, was wir ebenfalls zu §. 415, 2. vorbereitend schon aufgestellt haban: rauhe, harte, eigensinnig individuelle Formen können noch plastisch sein, wenn sie Gewaltigkeit, wenn sie die Gediegenheit des Mächtigen und Großen tragen. Das Mittelalter bewahrt, auch in Deutschland, aus den Zeiten heidnischer Naturkraft immer noch einen Zug vollwiegender, in sich un- getheilter, ungebrochener Menschheit, der selbst die Härte barbarischer Form plastisch adelt; man sehe nur z. B. die Großheit des Styls in mehreren von Ad. Krafts Stationen zu Nürnberg oder den Kopf Christi am Oelberge vor der S. Leonhardskirche in Stuttgart. Was durch diese Großheit nicht entschuldigt ist — und es ist wahr, daß sie weder da, wo sie ist, mit allen Härten versöhnt, noch überhaupt allgemein hervor- tritt, sondern das deutsche Wesen auch hier neben dem Großen ungeschickt wahllos nach dem ganz Platten greift — das wird gedeckt zunächst durch die Beziehung zur Baukunst. Ihrem Zuge folgt diese Bildhauerei viel unselbständiger, als im Alterthum: von der selbständigeren Aufstellung an den Fa ç aden, in den Vorhallen zieht sie sich mehr und mehr in die Hohl- kehlen der Portale, wo die Statuen von der Architektur sogar in schiefe Aufstellung gedrängt werden, unter Baldachine, in Tabernakel an und auf Strebepfeilern, Tragpfeilern, zwischen das Ornament der Chorstühle, Sacramentshäuschen, Lettner zurück und geht so im Zuge der architekto- nischen Bewegung als eine Art vollerer Sprache des Ornaments auf. Vom Altare vorher von der Malerei verdrängt nimmt sie als Schnitz- werk einen Theil desselben wieder ein und liebt hier wie am Chorgestühl und andern geschützten Stellen das weichere Holz, womit der herrschende ornamentistische Charakter noch bestimmter ausgesprochen ist. In dieser Stellung, als eine verstärkt ausblühende Ornamentik, wird sie in neuem Sinn malerisch, nämlich eben als Blüthe einer an sich schon in gewissem Sinn malerischen Architektur; aber auch dichterisch, indem sic das Epos der religiösen Phantasie noch beziehungsreicher, als im griechischen Tem- pel, namentlich allerdings auch in den Zusammenstellungen der Statuen am Portal mit dem Relief seiner Bogen-Füllung, entfaltet und aus- spinnt. Einzelne Gebäude, wie der Campanile zu Pisa, geben die An- knüpfung zu einem Ueberblick über die ganze Weltgeschichte. — Ist nun der Styl der Bildnerkunst hier an sich schon ein malerischer geworden, so ist es nur natürlich, wenn die vollkommene Bemalung auch wirklich hin- zutritt; die eckig harten Formen bedürfen hier der Farbe zu ihrer Milde- rung, wie in Wirklichkeit eine interessante, aber nicht normal schöne Ge- sichtsbildung nicht ohne Farbe gefällt. In der Holzschnitzerei ist zudem die Farbe schon durch die Trockenheit des Tons, den das Material hat, nahe gelegt. Hier ist es denn, wo das Bemalen bis in die Einzelnhei- ten der Adern hinein völlig wie in der selbständigen Malerei durchgeführt wird, in einem Umfang also, wie ihn die Alten niemals kannten. Den- noch stellt sich der gespenstische Eindruck der Wachsfigur (vergl. §. 608 Anm.) nicht ein: die viele Vergoldung, die Aufstellung zwischen reichem Ornament, der Glanz der Oelfarbe läßt es nicht zur geistlos unheimlichen Illusion kommen und was man raffinirter Absicht der gemeinen Täuschung nicht verzeiht, sieht man der Naivetät, welche die Künste vermischt, bei der übrigen Reinheit des Gefühls und Genialität gerne nach. Diese Ge- nialität tritt z. B. in den Schnitzwerken der Syrlin in hoher Vollendung hervor; es ist hier ein Schwung, eine Wärme der Belebung, welchem dem zwar in Formen reiner plastischen Styl der Italiener in selbständiger Höhe gegenübersteht. γ Die moderne Bildnerkunst . §. 645. 1. Die reine plastische Form wird nach classischem Vorbild in Italien er- neuert, zuerst mit einem noch der mittelalterlichen Innigkeit angehörigen Aus- druck naiver Anmuth, wobei das Malerische mehr nur in der Relief-Compo- sition (vergl. §. 644) sich behauptet. Eine Verbindung dieser gereinigten Form mit einem gemäßigten charaktervollen Individualismus und Naturalismus tritt als Andeutung eines neuen Styls vereinzelt auf. Bald aber dringt das Ma- 2. lerische in einem andern Sinn ein, nämlich als leidenschaftliche Bewegtheit, welche allmählig in eine aller plastischen Ruhe widersprechende Manier der höch- sten subjectiven Aufgeregtheit bei völlig zerblasen behandelten gemein natura- listischen Formen, bald mehr im Sinne der falschen Energie, bald des lüster- nen Reizes übergeht und von Italien aus, anfangs vorzüglich in decorativen Anordnungen thätig, sich allerwärts verbreitet. Neben der zweiten Stoffwelt des Mittelalters und des Alterthums ist es vorherrschend die Allegorie, worin sich diese Manier bewegt. 1. Das reine Formgefühl, wie es schon um die Mitte des fünfzehn- ten Jahrhunderts bei den Italienern sich wieder entwickelt, ist eine neue Belebung jenes reiner plastischen Sinnes, den wir schon §. 643 in dem Naturell dieses Volks gefunden haben, durch die nun erst mit vollen Mitteln des Verständnisses in ihrem wahren Wesen erkannte Antike. Das ächt classisch Plastische wird restaurirt: Renaissance. Bei einem Lorenzo Ghiberti und Luca della Robbia tritt dieses Gefühl in der ganzen rüh- renden und lieblichen Jungfräulichkeit eines ersten warmen Wiederaufath- mens hervor. Einen Zug naiver Innigkeit theilen diese Meister noch mit der Zeit des sogen. germanischen Styles. Dabei tritt jene malerische Behandlung des Relief bei den Italienern allerdings gerade jetzt erst in ihrem ganzen Umfang auf, dafür entschädigt aber die edle Grazie der Figuren, nirgends mehr, als in den herrlichen Bronce-Thüren des L. Ghiberti. In Deutschland sehen wir die ersten Spuren des Einflusses der Italiener mit diesem Zuge verbunden z. B. bei Veit Stoß; die clas- sisch gereinigten Formen treten nun aber da und dort in eine Mischung mit einem andern Zuge, dem männlichen, dem stark naturalistischen und individuellen, der jetzt durch sie gemäßigt wird, ohne daß er doch das Maaß einhält, auf welches er in der Zeit der reinen antiken Bildner- kunst nach dem strengen innern Stylgesetze beschränkt war. Diese Art von Mitte zeigt sich nirgends merkwürdiger, als in den Werken Peter Vischers; deutlich liegt der Einfluß der Italiener vor Augen, der aber eine nordisch bestimmtere, charaktervolle Markirung des Natürlichen und Individuellen nicht auszulöschen vermocht hat. Vorzüglich am Sebaldus- grab tritt dieser Styl in den Apostelgestalten, dem kleinen Standbilde des Künstlers, noch mehr und besonders lehrreich in den Reliefs auf. Das Gänsemännchen von P. Labenwolf steht auch in der Linie dieser Richtung. Sonst sind es vorzüglich Monumental-Statuen, welche diesen gereinigt charakteristischen Styl darstellen; auch in Italien finden wir ihn z. B. an der Reiterstatue des B. Colleoni in Venedig von Andrea del Verocchio. Wir werden auf die Bedeutung dieser Erscheinung, auf die wichtige Styl- frage, die mit ihr gegeben ist, zurückkommen. In der späteren Renais- sance fehlt es nicht an Werken, die in dieser Richtung liegen, energischen Ritter- und Landsknechtgestalten als Wappenhalter, Ehren- und Grab- Monumente, selbst der Rokoko hat noch schöne historische Büsten; allein es bemächtigt sich der ganzen plastischen Kunstrichtung zunächst ein an- derer Zug. 2. Man blicke zurück auf die geschichtlichen Formen des ausgehen- den Mittelalters §. 362 ff., dann der ersten Gestaltungen der neuen Zeit §. 366 ff., die Entfeßlung des Individuellen, Subjectiven, die Jagd wilder Leidenschaften, welche darauf folgt, die geschweiften, luftigen, be- wegten Culturformen neben der noch nicht aufgegebenen hartschaaligen Ritterrüstung; später, nachdem die centralisirende Monarchie ihren mo- dernen Thron in Frankreich aufgerichtet, den Sinnenkitzel der eiteln Auf- klärung mit seinen Formen; man vergleiche dann die Gestaltung der Phan- tasie selbst auf diesen geschichtlichen Grundlagen, die „empfindsam gereizte, gewaltsam schwülstige, subjectiv willkürliche“ Stimmung der Italiener zur Zeit des restaurirten Katholizismus (§. 473), die völlige Ausbildung dieser Geistesform zur Effecthaschenden Selbstbespieglung und frivol galanten Süßigkeit, wie sie in Frankreich vollendet wird (§. 476) und auch mit der Sentimentalität, die übrigens in Deutschland in tieferer Bedeutung reagirend auftritt (§. 477), sich verbindet: diese Stimmungen reißen denn nothwendig die Bildnerkunst aus allem Gleichgewicht heraus. Frühe schon gibt in Italien ein Donatello den gereinigten Formen etwas von dem leidenschaftlichen Wurf, welchen dann M. Angelo zu jener Ueber- kraft, jener feurig bewegten „Hinwendung nach etwas außen Liegendem“ (vergl. Burkhardt a. a. O.) steigert, die bei ihm selbst noch so genial groß ist, durch die Genialität ihre Verletzung des plastischen Styls recht- fertigt, aber unnachahmlich doch zur Nachahmung reizt und die Manier einleitet. Das Malerische ist also jetzt in einer neuen Bedeutung eingedrun- gen: neben erworbener Kenntniß der plastischen Form-Schönheit beherrscht es nicht mehr blos die Composition im Relief, sondern als Affect den Ausdruck und die Bewegung. Es ist darin ein so bewußtes Wirken auf Eindruck, daß man diese Erregtheit auch eine dramatische nennen kann, und an die Poesie ist man überdieß dadurch erinnert, daß diese Plastik namentlich decorativ auftritt; d. h. sie folgt nicht mehr dem Zuge der Ar- chitektur im Großen und Ganzen, diese ist ja jetzt nicht mehr die gothische, aber sie schmückt mit sinnreichen Anordnungen, Reliefs, zahlreicher Sta- tuetten einzelne Theile derselben, insbesondere Grabmäler im Innern, und sucht darin eine cyklisch beziehungsreiche Einheit von wirklichen Darstel- lungen und allegorischen Beziehungen; dieß ist nicht mehr ornamentistisch, sondern eine freie, planmäßig überlegte Anordnung, wobei der Bildhauer auch das Architektonische, an das er diese Auszierung heftet, für seinen Gesichtspunct selbst componirt. Zur völligen Auflösung aller plastischen Gesetze wird die Manier des leidenschaftlich Bewegten, dramatisch Fort- gerissenen durch Bernini ausgebildet. Das plastische Gleichgewicht, die Ruhe in sich ist rein weg, ein auswärts liegender Magnet scheint an allen Enden auf die Gestalt zu wirken und sie aus ihrem Centrum herauszu- wirbeln, auch in die Gewänder und in die Haare fährt es wie ein zerzausen- der, aufwühlender Wind. Eine besondere Form, die neben dem heroischen Auffahren herrscht, ist der Ausdruck ekstatischer Verzücktheit, wie ihn über- haupt der aufgeregte Katholizismus nach der Restauration pflegt. Neben dem Schwulste der falschen Kraft wird nun aber auch die Süßigkeit und der lüsterne Reiz der falschen Grazie aufgenommen und zu einem Zweige dieser Nichtung ausgebildet. Daß die Formen an sich, obwohl man seit der Renaissance das plastisch Schöne wieder erkannt hat, in dieser Herr- schaft der Manier ebenfalls aus Rand und Band gehen müssen, erhellt von selbst; ein neuer Naturalismus dringt ein, nicht mehr der tüchtig herbe des Mittelalters, sondern ein gemeiner, vom zufälligen Modell entnom- mener: „Bernini suchte Formen, aus der niedrigsten Natur genommen, gleichsam durch das Uebertreiben zu veredeln und seine Figuren sind wie der zu plötzlichem Glück gekommene Pöbel“ (Winkelmann G. d. K. B. 2, S. 43). Der Muskel wird zum aufgedunsenen Ballen, die erhitzte Ader schwillt und wo das Weiche gesucht wird, zittert das schwammige Fett. Diese Manier hat sich wie der frühere Styl der noch tüchtigeren Re- naissance von Italien aus vor Allem nach Frankreich verbreitet; hier wird das Theatralische, was an sich schon in ihr liegt, durch die den Franzosen ihrem Naturell nach eigene Richtung auf solchen seiner Wir- kung selbstgefällig bewußten Effect, hier besonders auch das Süße und der falsche Reiz auf seine Höhe getrieben. An bedeutenden Talenten, die innerhalb der Verirrung Geniales leisten, fehlt es jedoch weder hier, noch in Deutschland, wohin diese Formen, wie über Spanien und Eng- land, sich verbreiten (Schlüter). Was nun die Stoffwelt betrifft, so wird wohl im Einzelnen das geschichtliche Leben selbst in Monumental-Sta- tuen und einfach menschlichem Genre mit frischer und kräftiger Hand er- griffen; es ist zu 1. erwähnt, daß selbst der Rokoko sich namentlich noch durch schöne historische Büsten auszeichnet; das Wichtigere aber ist, daß diese Epoche kein Bewußtsein davon hat, wie unvereinbar ihre Manier mit den Gegenständen der zweiten Stoffwelt ist, daß sie vielmehr ihren höchst subjectiven Geist ohne Scrupel in die vom naiven Glauben ge- schaffene, objectiv ernste mythische Gestaltenwelt des Mittelalters und frei- lich hart daneben in die seit der Renaissance mit Begierde aufgegriffene antike Götter- und Heroenwelt hineinschüttet und außerdem, daß diese Gestalten in ihrem Bewußtsein zu bloßen Allegorien geworden sind, im heißen Treibhaus ihrer aufgeregten und doch hohlen Phantasie eine über- quellende neue Allegorienwelt hervortreibt. Die Unnatur wird hier über- haupt doch mit einer gewissen Naivetät betrieben. §. 646. Die neue Zeit kehrt zum wahren Verständnisse der Antike und des bild- nerischen Stylgesetzes zurück; allein durch die kritisch vollzogene Auflösung des Mythus und die vollendete Ungunst der Culturformen ist sie im Gebiete des ausdrücklich Idealen und selbst des allgemein und rein Menschlichen auf den schmalen Raum der Reproduction durch künstlerische Rückversetzung eingeschränkt. Dagegen entwickelt die moderne Bildnerkunst ein größeres Maaß eigener Le- benskraft im Gebiete des geschichtlich Monumentalen, worin jener Ansatz eines mittleren Styls zwischen dem classisch reinen und dem naturtreuer individuali- sirenden (§. 645, 1. ) als ein der Fortbildung fähiger Keim sich erweist. Die Auflösung der zweiten Stoffwelt ist in §. 466 ausgesprochen. Die Sculptur ist aber eine wesentlich Götterbildende Kunst; die Reinheit der Form im Sinne der directen Idealität, wonach die einzelne Gestalt schön sein muß, setzt ja Götter voraus. Im Begriffe der Versöhnung der Subjectivität mit der Objectivität, der als das Wesen des modernen Ideals aufgestellt ist, liegt allerdings auch dieß, daß wir die Natur der transcendenten Wesen, nachdem wir nicht mehr in die Illusion ihrer wirk- lichen Existenz verwickelt sind, erst recht erkennen und verstehen; auch ist in und zu §. 466 zugegeben, daß wir sie unter Anderem auch noch müssen bilden dürfen, so wie im Schluß der Anm. zu §. 444 die Unent- behrlichkeit der Allegorie in der bildenden Kunst bereits angedeutet ist. Ganz ohne Götter und Allegorien kann die stumme Bildnerkunst, wo sie eine inhaltsvolle Idee in der Abbreviatur Einer Gestalt oder weniger Gestalten ausdrücken soll, gar nicht auskommen. Allein dieß ist kein wahres Leben, keine Kunstwahrheit mehr; es ist eine formale Restauration; vollends die Bildung neuer transcendenter Wesen führt zu Lügen, wie die einer Bavaria, wo die stylvolle Ausführung eines inhaltlosen, rein hohlen Gedankens den peinlichsten Widerstreit der Empfindung erregt. Ueber die vollendete Ungunst der Culturformen vergl. §. 376, 2. Sie hat uns auch den Boden des Genre, wo es gilt, schöne und glücklich ent- wickelte Menschheit in ihren allgemeinen Zügen ohne historisches Datum im Abglanze der Götterschönheit darzustellen, auf äußerst schmale Gren- zen eingeengt. Wir sehen kein Nacktes, kein frei fließendes Gewand, keine schönen Spiele mehr. Ein Fischer, eine Fischerinn, ein Ballon- schläger, eine Amazone u. s. w., das tritt oft glücklich gelungen, aber in kümmerlicher Vereinzelung auf. Das Auge sieht aber überhaupt nicht mehr plastisch, die Phantasie ist nicht mehr plastisch gestimmt, dieß ist schon in §. 468 ausgesprochen. Unter diesen Umständen hat die Rückführung unserer Erkenntniß zur wahren Anschauung der Antike, vermittelt durch den großen Winkelmann, dann durch die Wiederauffindung antiker Kunst- werke aus der besten Zeit griechischer Sculptur zu keiner neuen Blüthe dieser Kunst führen können. Wohl ist, nachdem Canova zwischen die Ausläufer des Berninischen Styls und die Erneuerung der reinen pla- stischen Schönheit in die Mitte getreten, ein Dannecker der letzteren schon näher gekommen war, der große Regenerator Thorwaldsen erschienen, wohl sind ihm bedeutende Künstler, namentlich auch in Deutschland, gefolgt, aber es bleibt dabei, daß in dem idealen Gebiete Alles blos Reproduc- tion durch geistvolle Rückversetzung in ein entschwundenes Phantasie- und Kunstleben ist, ähnlich wie eine gelungene Aufführung griechischer Dramen auf unseren Bühnen. Die ideal schöne Form bleibt für uns eine Restau- ration wie der Olymp. Dagegen sucht nun der §. mit Rückweisung auf §. 645, 2. eine Linie zu bezeichnen, auf welcher die moderne Sculptur mit vollerer Kraft fortzuleben die Aussicht hat, in einem Zustande, worin (um bei einem schon gebrauchten Bilde zu bleiben) der eine Lungenflügel, der ihr geblieben, so erstarkt, daß der Verlust des andern verschmerzt wird. Wir werden in andern Künsten deutlicher bestimmen können, von was es sich hier handelt; wir werden in der Poesie sehen, wie es einen Styl geben muß, der Shakespeares Naturalismus und Individualismus mit dem Princip classisch idealer Schönheit zu einem Dritten, Höheren ver- einigt, worin die Verirrungen und Barbarismen jenes nordischen Styl- princips sich ausscheiden, während seine Charakterschärfe in der Läuterung sich erhält. Nicht ebenso bestimmt können wir von der Bildnerkunst aus- sagen, daß sie auf dieß Ziel loszusteuern habe; zu tief liegt in ihrem Wesen die direct ideale Schönheit, als daß ein solcher mittlerer Styl zwischen dem Antiken und Mittelalterlichen, dem Südlichen und Nordischen, wenn sie ihn findet, nun eine volle Blüthe dieser Kunst genannt werden könnte. Aber etwas ist daran; jener Styl Peter Vischers hat etwas von Shakespeare; es muß dahinaus eine zwar nicht schwunghaft reiche, aber doch tüchtige Zukunft liegen. Die besten Werke eines Rauch, Schwan- thaler, Rietschel liegen, nachdem J. G. Schadow mit einem stylistisch unge- bundneren, aber warmen Naturalismus vorausgegangen, auf diesem Wege einer Durchdringung geschichtlich herberer, individuell charaktervoller Formen mit einem Stylgesetz, das sie doch im Sinne strengerer Großheit und reineren Maaßes bindet, als dieß die gothische Zeit, dann auf andere Weise die späte Renaissance und der Rokoko that. Es handelt sich vorzüglich um Denk- mal und Grabmal, im Material um das Erz, in der Composition um Relief, Statue und namentlich Statuengruppe, wie wir denn insbeson- dere auf den Werth der aufgelösten Gruppe in der Art jener Lysippischen turma Alexandri zu §. 628, 2. hingewiesen haben. Die Geschichte er- setzt, so weit sie kann, den Mythus, der geschichtliche Held den sagenhaf- ten, die Fülle großer Menschen den Gott, der seinen Geist über sie ausgegossen. Anhang . Die verzierende Bildnerkunst. Das lebendige plastische Kunstwerk. §. 647. In mannigfachen Uebergängen aus der untergeordneten Tektonik (§. 596) 1. heraustretend ergreift die Bildnerkunst das Zweckmäßige, um es zu verschö- nern (vergl. §. 546); insbesondere legt sie sich als umgekehrtes oder eigent- liches Relief an kleine Flächen in der Stein- und Stempelschneidekunst. Diese Zierplastik bringt zwar auch ganz freie Werke hervor, die aber vermöge der Kleinheit ihres Maaßstabs nur zur schmückenden Aufstellung dienen. Eine 2. Bildnerkunst in lebendigem Naturstoff (§. 548) ist die Gymnastik , nicht als Uebung, sondern als vollendete Fertigkeit, die im festlichen Spiele, ins- besondere durch Wettkampf, aufzeigt, wie sie die leibliche Erscheinung zum le- bendigen Kunstwerke durchgebildet hat. 1. Wie die Baukunst als untergeordnete Tektonik mit ihren unend- lichen Ornament-Formen, so dringt nun die Bildnerkunst in das unmit- telbare Leben ein, dient ihm als blos anhängende Schönheit, quillt an allen Orten wie ein unter dem rauhen Boden der Nothdurft verborgenes Leben hervor und scheint, indem sie in unendlichen Bildungen auf- sproßt und das Harte, das Nackte umrankt, dem erfreuten Auge sagen zu wollen, daß die organische Form und vor Allem ihr Höchstes, der schöne Mensch, das Geheimniß der Erde ist. Wir nehmen hiemit als Aufstellungsgrund für den ersten Zweig blos anhängender Kunstform auch hier zuerst die Verschönerung des Zweckmäßigen aus §. 546 auf. Zum Zweckmäßigen gehört auch das Angenehme, das als ein Ueberschuß des Zweckmäßigen zu fassen ist: die Zierplastik schmückt nicht nur Solches, was einem geforderten Zwecke dient, sondern auch Solches, was an sich über- flüssig und selbst bereits Schmuck, Mittel zum schöneren Lebensgenuß ist. Das Gebiet, das hier vor uns liegt, ist schon in §. 596 2. berührt, ja betreten, denn es gibt keine feste Grenze zwischen der untergeordneten Tektonik und der Zierplastik, weil jene im Ornament wie die Architektur im Großen bereits in die Nachbildung organischer Form hinüberblüht. Wir sahen das Plastische auftauchen, wo die runde Linie herrscht, ein- treten, wo die Zierrath Organisches nachbildet, ausdrücklicher in dem Grade sich herausarbeiten, in welchem ein Geräth, Schmuck u. s. w., namentlich vermöge seiner Kleinheit, ganz in organische Formen sich auf- lösen läßt. Die feine Symbolik, durch welche der ächte Künstler Zweck und Bedeutung des Gegenstands ausspricht, ist dort in Anm. 2. bespro- chen. In das Gebiet dieser anhängenden Plastik gehört denn namentlich ein Miniatur-Relief, das sich an kleine Flächen legt. Zunächst zum Zwecke des Siegelns wird auf eine harte Fläche ein kleines Bildwerk vertieft eingegraben: ἔντυπον, ἔγγλυφον, intaglio; ein umgekehrtes Relief, das im Abdrucke zum eigentlichen wird. Erst in der späteren Zeit des Luxus fing man im Alterthum an, diese Siegel an Ringen zu tragen. Hier pflegte man denn vor Allem edle Steine zu wählen, denn die Zier- plastik legt mit Fug und Recht einen Werth auf die Kostbarkeit des Ma- terials und das Siegel sollte ja nun zugleich Schmuck sein (daher: Gem- men); bei Aermeren vertrat Glas die Stelle (Pasten). Als Beispiel freien Spiels mit Analogien im Ornamente mag hier noch angeführt werden, daß die Griechen die Fassung des Steines in Gold, da ihnen dabei der in der Schleuder ruhende Stein einfiel, gewöhnlich in dieser sinnreichen Form behandelten. Bei diesen Arbeiten galt es nun, im kleinsten Maaßstabe, bis zu dem Grade, wo das Werk mit der Lupe gesehen sein will, im härtesten Material, also mit den größten technischen Schwie- rigkeiten doch die reinste Kunstform zu entwickeln, und die Griechen haben diese Aufgabe in unerreichter Vollendung gelöst, wiewohl die Kleinplastik des Luxus begreiflichermaßen nicht in der Epoche des hohen, sondern erst des schönen, rührenden Styls (Skopas und Praxiteles) gewöhnlich wird und ihre volle Ausbildung erst zur Zeit des Lysippus durch einen Pyrgoteles erhält. Je mehr nun bloßer Schmuck, desto mehr wird die eingetiefte Form zwecklos und tritt in der makedonischen Zeit an die Stelle des Eingeschnittenen das eigentliche Relief: ἐκτυπον, ἀνάγλυφον, cameo; bei durchsichtigem Stein erschienen aber, gegen das Licht gehalten, auch die Intaglien als Relief. Verschiedengefärbte Lagen des Edelsteins, namentlich Onyx, wurden, wie neuerdings die innere Schichte gewisser Muscheln, zu einem Anfluge von Polychromie benützt. Dieß kleine Re- lief dient nun nicht mehr blos als Ring, sondern wird an kostbarem Ge- räthe, wie Bechern, Leuchtern u. s. w. angebracht, eine Sitte, die na- mentlich auf das frühere Mittelalter überging; unsere Zeit liebt es an Brochen u. dgl. Es gehört nun diese kleine Welt mit allem verzieren- den Werke des Bildners, namentlich dem größeren Relief, das an Ge- fäßen, Waffen, Geräthe aller Art im verschiedensten Material durch ver- schiedene Arten der Technik sich anschmiegt, in Ein Gebiet zusammen, sie fordert aber diese besondere Hervorhebung, weil wunderbar bei so kleinem Maaßstabe die griechische Künstlerhand den ganzen Stoff der Sage, Mythologie, Genre, Porträt in den herrlichsten Stylformen wie durch einen unendlich verkleinernden Spiegel gebrochen und dieß niedliche ideale Spiegelbild, leicht tragbar, daher den Menschen auf Tritt und Schritt begleitend auf die unmittelbarste Wirklichkeit geworfen, so zu sagen in die engste Ritze derselben getrieben hat. Einem äußern Zweck enger ver- schwistert bleibt diese kleinste Plastik als Stempelschneidekunst, welche die Münze zum Kunstwerke bildet; obwohl der blos äußere Zweck auch hier verschwindet, wenn die Münze nicht Verkehrsmittel ist, sondern zum An- denken an große Ereignisse, zur Ehre bedeutender Menschen geprägt wird (Medaillon). Wir haben den hohen Schwung, die Energie des Geprä- ges, wodurch die griechische Kunst, besonders in Sicilien, auch auf diese metallischen Flächen den verkleinerten Wiederschein ihrer stylvollen Ideal- welt gezaubert hat, bekanntlich nicht wieder erreicht. — Ganz frei von unmittelbarer Anlehnung wird die Zierplastik in kleinen Figuren, die zum Schmuck auf Schränke, Tische, kleine Consolen aufgestellt werden; sie bleibt aber auch hier bloße Zierplastik, weil solche Dinge von Producten der Zweckmäßigkeit zwar gelöst, aber doch nur zur Ausschmückung der- selben in beliebiger Aufstellung bestimmt, daher auch klein, beweglich, portativ sind. Allerdings beginnt die Zierplastik, wie zu §. 609 gesagt ist, eigentlich schon da, wo das Werk die natürliche Größe nicht über- steigt oder auch nur mäßig unter sie herabgeht, allein wenn die Kunst einmal die schwungvolleren Größen-Verhältnisse aufgibt, da beeilt sie sich lieber, durch völlige Kleinheit des Maaßstabs zu zeigen, daß hier nicht monumentaler Boden ist. Bei diesem Kleinwerk ist der Künstler eben- falls berechtigt, den Werth des Materials ganz wesentlich mitwirken zu lassen, da in allem nur Anhängenden solche Rücksicht ihr gutes Recht hat: edle Metalle, Elfenbein, edle Hölzer mögen durch Glanz und Farbe das Auge reizen und erfreuen. Daneben darf die Kunst hier füglich auch als Kunststück auftreten, nur fordern wir, daß sie zugleich Kunst bleibe und Styl zeige. Auch dieß verstand Niemand mehr, als die Griechen, die in der sog. Mikrotechnik bis dahin gingen, daß sie Viergespanne bildeten, die eine Fliege bedecken konnte und die doch in Formen plastisch schön waren, wie jene mikroskopischen Gemmenbilder. In neuerer Zeit hat sich die Rokoko-Periode, deren Manier in diesem Gebiete noch am gefälligsten ist, sehr fruchtbar in Zierfiguren erwiesen, namentlich im Ko- mischen viel Niedliches und Ergötzliches hervorgebracht. Natürlich darf in der Zierplastik das Komische sich freier entfesseln, satyrisch als Cari- catur auftreten und so das Moment in Wirkung setzen, das in §. 547 als Grund der Aufstellung eines besondern Zweigs ausgesprochen ist; allein zu einem eigentlichen Zweige darf es die Bildnerkunst auch hier Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 33 nicht treiben, vergl. die Anm. jenes §. Die neueste Zeit versieht das ausschmückende Bedürfniß vorherrschend durch mechanische Nachbildungen. Dieses Moment, das im §. 549 als einer der Eintheilungsgründe für die anhängenden Zweige aufgeführt ist, haben wir hier im §. nicht be- sonders aufgeführt, es wird erst in der Malerei wichtiger; in der Pla- stik ist der Abguß und Abdruck von Kunstwerken mittelst verkleinernder Formen in Gyps, Thon, Glas, Erz, Kupfer, Eisen, Zink, Gutta- Percha, Wachs, Papierbrei u. s. w. bis zu Tragant und Zucker herun- ter nur ein Mechanisches, das freilich in der letzten Ueberarbeitung zum Theil noch der feineren, künstlerisch gebildeten Hand bedarf, dessen Werth aber nicht verkannt werden soll, denn dieser Nebenzweig vervielfältigt das Kunstwerk, streut es in das Leben, in die Wohnung des Bürgers und wirkt so zur Verbreitung des ästhetischen Sinnes, zur Veredlung des Daseins. 2. Wir haben die Gymnastik an andern Stellen des Systems in doppelter Beziehung schon aufgeführt: als Mittel , die menschliche Schön- heit zu entwickeln, damit der Künstler Gestalten vorfinde, wie er sie braucht (vergl. §. 330. 615), dann aber auch als eine Thätigkeit, die in ihrer Ausübung unmittelbar der Kunst Stoffe , Gruppen, Scenen darbietet, sowohl in ihrer gewöhnlichen (vergl. §. 348 Anm. 2. ), als auch nament- lich in ihrer festlichen (§. 329). Die letzte Form nehmen wir jetzt wie- der auf, aber in anderer Bedeutung, nämlich nicht als Stoff für die Kunst, sondern als ein Schauspiel, ein Kunstwerk für sich: die Gymna- stik, die nicht den Leib als Seelen- und Charakter-Organ erst bildet, sondern die gewonnene Bildung desselben rein aufzeigt, so daß dieß Auf- zeigen Selbstzweck ist, tritt nun auf als eine lebendige Plastik, die nur darum blos anhängende Kunstform ist, weil sie in lebendigem Naturstoffe darstellt. Hier macht sich also dasjenige Moment geltend, das in §. 548 als Grund eines besondern Zweigs anhängender Kunst aufgestellt ist. — Die Gymnastik, welche die Schönheit aufzeigt, die sie als Uebung aus- gebildet hat, ist Spiel , d. h. Thätigkeit um der Thätigkeit willen mit blos scheinbarem Zweck, Thätigkeit als reine Form, aber ein durch die Kunst erhöhtes Spiel. Sie tritt zunächst auf als reine Aeußerung des gewöhnlichen Spieltriebs, als harmlose Ergötzung, die nicht auf Zu- schauer berechnet ist. Hievon ist sodann eine zweite Stufe zu unterschei- den: die Gymnastik als ernste, zwecksetzende Uebung, die aus dem Spiele das Geeignete ausscheidet, um es eben für ihren Zweck zu verwenden. Daneben erhält sich das ursprüngliche Spiel als eine Nachbarform der Gymnastik, welche mehr und weniger ist, als diese: mehr, weil sie zweck- los ist, ein freier Selbstgenuß des aus Geschäft und aus bloßer Befrie- digung der Sinnlichkeit zur harmonischen Bewegung seines einfachen, ungetheilten Wesens entlassenen Menschen, des Menschen in seiner reinen und hohen Kindheit; weniger, weil die Gymnastik als ernstes, Zweck- setzendes Mittel erst eintreten muß, um die höhere, dritte Stufe möglich zu machen, nämlich das Spiel in der gesättigten Bedeutung, welches mit der Absicht, daß es geschaut werde, eine große Entfaltung der gewonne- nen Kraft, Gewandtheit, Schönheit künstlerisch anordnet und diesem Schau- spiele den gewichtigen Ernst der tieferen Bedeutung verleiht: daß eine Gemeinde, ein Volk seine Kraft, seine Fülle und Schönheit sich selbst zeige, darin seiner nationalen Tüchtigkeit sich bewußt werde und die pfle- gende, segnende, schützende Gottheit als den innern Genius eines allsei- tig und harmonisch entwickelten Volkslebens gegenwärtig anschaue. Das Spiel der ersteren, zufälligeren Art verhält sich dazu wie die wildwach- sende Blume zum wohlgeordneten Strauß, zu einem paradiesischen Gar- ten; doch empfängt es von dieser höheren Form selbst auch Rhythmus und Reichthum. Die Griechen waren unendlich erfinderisch in solchen harmlosen Spielen, die bei uns mit aller übrigen Frische des Lebens mehr und mehr verkommen, und das Ballspiel der Nausikaa und ihrer Gefährtinnen mit taktmäßiger Bewegung und Gesang mag uns sagen, wie auch solche kindliche Belustigung zum kleinen Kunstwerke wird. Mit dem Verfall der Volksfeste haben wir aber auch die höhere Form, das nationale Festspiel so sehr eingebüßt, daß wir die frei ästhetisch sich auf- zeigende Gymnastik eigentlich nur noch in der Aftergestalt kennen, wo sie von Kunstreitern, Gauklern, Seiltänzern um Geld gezeigt wird. Da hat die Gymnastik ihre ethische Bedeutung verloren; sie gilt nur als körperliche Virtuosität, wie denn die neuere Zeit überhaupt gewohnt ist, sie auch in ihrem Uebungszweck nur physisch aufzufassen, ein Beweis, daß ihr der Grundbegriff, der Begriff des Bandes, abhanden gekommen ist. Die Gymnastik ist in ihrem innersten Wesen kein sinnliches, sondern ein gei- stig sittliches Thun, indem sie den Leib als bloßen Stoff tödtet , um ihn zum Organ und Bilde des bewohnenden Geistes zu beleben , und indem sie den Leib des Einzelnen als einzelnen Stoff tödtet, um ihn zum organischen Gliede des Volks-Ganzen in seiner Gesammtbewegung, we- sentlich auch der wehrhaften zu erwecken. Sie quält und schüttelt daher die träge Masse recht tüchtig, damit sie nicht zum faulen Ballaste des Geistes, zum isolirten Klumpen werde, und die Asceten der falschen Re- ligion, wie die negativen Moralisten und überhaupt alle Barbaren der Bildung bedenken nicht, daß der Leib, der aus Verachtung des Sinnlichen gymnastisch nicht durchgearbeitet, nicht ausgewickelt wird, genau ebenso zum Sumpfe herabsinkt, worin die roheste Sinnlichkeit sich ausheckt, wie der Leib des grobsinnlichen Menschen in üppiger Blüthe verwesend den un- sterblichen Geist mit seiner Verfaulung ansteckt. Nimmt nun der Geist vermittelst dieser Durcharbeitung seinen Leib erst an sich, so scheint er auch erst dadurch wahrhaft aus ihm heraus und die Gymnastik ist so das Band , welches die Einheit schafft im Wesen des Menschen, und diese Einheit ist Schönheit. Die Barbaren der Bildung bedenken auch dieß nicht, daß die Schöpfung der Schönheit, zu welcher der Wille durch all- seitige Ausbildung den Leib entfaltet, Pflicht ist, indem das Sittengesetz dem Menschen nicht freistellt, ob er dem Mitmenschen in seiner Gestalt ein Zerrbild der Menschheit aufzeigen will oder ein wahres Bild. Die Griechen wußten wohl, was sie thaten, wenn sie die Schönheit wie eine Tugend ehrten; sie wußten wohl, daß, wo Geschlecht auf Geschlecht be- müht ist, den Körper zu dem auszubilden, was er sein soll, die Formen sich allgemein zu der Reinheit entwickeln müssen, die der Einzelne durch den Adel seines innern Lebens und die besondere künstlerisch gymnastische Arbeit zur volleren Schönheit zu erheben wirklich fähig ist. Die Gym- nastik ist also wesentlich die Thätigkeit, worin der Wille die sinnliche Er- scheinung des Menschen durch seine bildende Arbeit als die Realität seines Geistes setzt, sie ist die Kunstschöpfung des sinnlichen Daseins, absolute Grundbedingung im Versöhnungsprozesse der Persönlichkeit, worin sie ihre Gegensätze, Geist und Leib, zur Harmonie erhebt (vergl.: D. Gymnastik d. Hellenen u. s. w. von Otto Heinr. Jäger ). Hier aber haben wir die Gymnastik nicht unter dem Standpuncte der Pflicht, unter den sie unbedingt zu stellen ist, sondern als die schon vollzogene Kunstschöpfung des Leibes zu betrachten, welche ihr Werk im festlichen Schauspiele auf- zeigt. Das Aufzeigen wäre jedoch zu sehr bloße Form, wenn nicht ein Reiz des Zweckes, ein Sporn für den Gymnastiker hinzuträte, wie solcher in dem Eifer, seine Aufgabe zu lösen und Beifall zu gewinnen, noch nicht in hinreichender Kraft enthalten ist: das Aufzeigen muß Kampf sein, aber nicht ernster Kampf, sondern Wettkampf um einen Ehrenpreis, sei es, daß der Wetteifer nur darin besteht, daß Mehrere gleichzeitig dieselbe Uebung ausführend darstellen und jeder den andern zu über treffen sucht, oder daß sie im Scheine feindlichen Kampfs gegeneinander sich an- greifen und zu über winden streben (wie im Ringen u. s. w.); beides umfaßt der Begriff der Agonistik. Ausgeschlossen ist nicht Gefahr, denn ohne diese gibt es keine Gymnastik, aber rohe Form und bitterer, bluti- ger Ernst; das Athletenwesen mit seinem wilden Faustkampf und Ring- faustkampf (Pankration) war Ausartung der Agonistik, die römischen Gla- diatorenspiele reine Scheuslichkeit. Es wäre nun eine schöne Aufgabe, in einer Aesthetik der Gymnastik alle Hauptformen derselben so aufzu- führen, daß an jeder gezeigt würde, wie sie zunächst vorzüglich einen Theil des Organismus und diesen Theil in anderer Richtung und Weise, als jede andere, in Anspruch nimmt, von da aus aber die Bewegung über die ganze Gestalt verbreitet; es entstünde eine Reihe schöner Bil- der, das Bild des Läufers, Springers u. s. w.; dann wäre darzustellen, wie in den combinirteren Uebungen diese verschiedenen Bilder sich verei- nigen und das Einzelne würde nun zum Systeme eingesammelt; einen gediegenen Grund für eine solche Anschauung der Gymnastik hat die ge- nannte, nur in der Darstellung zu sehr überfruchtete Schrift von Jäger gelegt. Wir geben nur eine flüchtige Uebersicht, wobei wir von Allem absehen, was nur Vorschule ist. Erstens: Einzelthätigkeit ohne Kampf, d. h. ohne (scheinbar) feindliches Messen der Kräfte. Bewegung in die Höhe oder Höhe und Weite zugleich: freier Sprung (hauptsächlich die Füße betheiligt), Stabsprung (Arme mitbetheiligt), beides über Hinder- nisse oder ohne solche. Bewegung in die Weite: Lauf (wieder hauptsäch- lich die Füße betheiligt), frei oder mit Hindernissen (d. h. mit Sprung über Gräben u. s. w., mit Tragen von Waffen, Fackeln verbunden), hiezu Schwimmen, wo mehr die Arme wirken; Verbindung der Vor- wärtsbewegung mit den Kräften des Thiers oder mit einem mechanischen Mittel oder mit beiden zugleich: Reiten, Schiffen, Fahren. Wurf mit dem Stein, Ball (schönes Ballone-Spiel in Italien), Diskus, Schleuder, Speer, Unterschied der Schönheit in Kern- und Bogenschuß; der Fort- schritt zu erleichternden Mechanismen bricht der gymnastischen Schönheit ab, so zuerst Pfeil und Bogen, dann Armbrust, dann vollends das Schieß- gewehr. Zweitens: Kampf als scheinbar feindliches Messen der Kräfte; ohne Waffen: Ringen, Betheiligung aller Glieder (der Faustkampf fällt nach Obigem weg); mit Waffen: Schwert oder Degen auf Hieb oder Stoß oder beides; Lanzenstoß zu Fuß, zu Pferd (Turnier), zu Schiff (Schiffer- stechen). Einfach vereinigten die Griechen in ihrem Pentathlon (Lauf, Sprung, Wurf des Diskus, des Speers, Ringen) die wesentlichen For- men, um die Vollendung des Organismus nach allen Seiten zu entfalten, und der Pentathlet war zwar nie in Einer Form so stark, wie der, wel- cher sich nur in ihr zeigte, aber er war durch diese Allseitigkeit der edelste, vollendetste, geehrteste, schönste Wettkämpfer. Drittens: Gesammtbewe- gung und Kampf von Massen; hier tritt ein neues Element, das zwar in Griechenland auch bei den andern Formen nicht fehlte, mit Nothwen- digkeit ein, nämlich das Rhythmische, denn Massenbewegungen, Evolu- tionen, Figurenzeichnen im Großen mit einer geordneten Menschenmenge, die zugleich einen Kampf mit Waffen darstellt oder nicht, setzt wesentlich die Leitung durch Tact und Tempo der Musik voraus. Dieß ist nun aber bereits Orchestik und gehört in den Anhang zur Musik. Wir haben einen Rest der rhythmischen Massenbewegung in der militärischen Evolu- tion und dem Scheinkampf kriegerischer Massen, wie er auch abgesehen vom Uebungszweck als Schauspiel veranstaltet wird, aber es ist ein dürf- tiger Rest, weil der taktische Zweck das freie Spiel der Figuren aus- schließt; übrigens ist klar, daß die Einübung des Einzelnen zur kriegeri- schen Gesammtbewegung in unserer Zeit darum so schwer ist, weil wir sonst keine rhythmischen Massenbewegungen kennen. In aller Gymna- stik bleiben die Griechen ebensosehr mustergültiges Ideal wie in der reinen, selbständigen Bildnerkunst, und ihre großen Festspiele glänzen selbst in der schwachen Vorstellung, die wir davon haben, als unerreichtes Bild der höchsten nationalen Herrlichkeit. Das Geschichtliche gibt in Vollstän- digkeit J. Heinr. Krause : Olympia oder d. großen olymp. Spiele u. s. w. D. Gymnastik u. Agonistik der Hellenen. D. Pythien, Nemeen u. Isth- mien. — Endlich muß noch ein weiteres anhängendes Gebiet mit einem Wort erwähnt werden: das Handwerk, das den Körper bekleidet, denn es setzt plastischen (zugleich freilich auch malerischen) Sinn voraus. Auch Pferdeschmuck will mit ästhetischem Gefühl behandelt sein; das wußten die Orientalen, die Griechen, das Mittelalter, und weiß der heutige Orientale besser, als die stumpfe Mode unserer Zeit und Welt.