Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Vaterländischer Roman von W. Alexis (W. Häring). Vierter Band. Berlin. Verlag von Carl Barthol. 1852. Erstes Kapitel. Ein Mann von zu vielem Sentiment. „Was giebt es Neues?“ rief der Geheimrath Bovillard dem Legationsrath entgegen, und lud, ohne sich im Frühstück stören zu lassen, durch eine Bewe¬ gung den Eingetretenen zum Platznehmen ein. Die Zerlegung eines Kapaunenflügels schien ihm einige Anstrengung zu verursachen. Uebrigens sah Herr von Bovillard gemüthlicher aus als in letzter Zeit; die Runzeln waren gewichen, das Gesicht glänzte, besonders die unteren Theile, das Kinn hatte etwas Charakteristisches, was sich in den Augen wiederspie¬ gelte, obgleich die Lippen erst der eigentliche Aus¬ druck waren. Herr von Bovillard gab heut kein Schauspiel für Andere, sonst würde er die Aermel des Rockes nicht aufgekrämpelt getragen, nicht den Zipfel der Serviette im Halstuch befestigt haben. Er war für sich, der Schmecker mit Bewußtsein, aber der Zutritt eines Freundes, wie Herr von Wandel, störte ihn nicht. Auch dieser nahm mit vollkommener Aisance einen Platz neben dem Esser. IV . 1 „Das Neueste hoffe ich von Ihnen zu erfahren.“ „Da, sagte Bovillard und goß in ein vasen¬ artiges Krystallglas aus der Weinflasche: Prüfen Sie, wie schmeckt es Ihnen?“ „Es schmeckt wie der beste Champagner, schäumt aber nicht.“ „ Non mousseux , neueste Erfindung. Eben aus Epernay mir zugeschickt. Es hat es noch Niemand hier. Darum Discretion. Was sagen Sie dazu?“ „Der Schaum dünkt mich doch die lockende Fahne, unter der der Champagner die Welt erobert hat. Man soll nie ohne Noth seine Fahne aufgeben.“ „Ihre Säuren, Wandel, Ihre Chemie hat Ihnen den Geschmack verdorben. — Ihre Zunge fühlt das Richtige heraus, aber über die Kritik ist Ihnen die petillirender Lust daran vergangen. — Sehn Sie mich an, ich kann mich über die Entdeckung wie ein Kind freuen. — Woran auch sich halten, wenn man nicht bisweilen wieder zum Kinde würde!“ „Die Nachrichten lauten übel, Geheimrath. Na¬ poleon ist ein anderer geworden, seit unsere Truppen in ihre Cantonnements zurückgekehrt. Was er fordert, ist nicht mehr der Schönbrunner Vertrag, heißt es. Ja, man spricht, daß Haugwitz wirklich am 15. Fe¬ bruar diesen neuen, noch demüthigendem Vertrag abschloß. Er liege jetzt dem Könige zur Unterzeich¬ nung vor.“ „Liebster, bester Freund, warum hören Sie dar¬ auf? Sie brauchen es doch wahrhaftig nicht. Ja, es steht schlimm, sehr schlimm, wir werden noch mehr nachgeben müssen, aber wer ändert es? Sie nicht, ich nicht, Niemand. Man muß laviren und abwarten, bis ein glückliches Changement kommt. Wir sind in einen Sumpf gerathen, je mehr wir strampeln, um so tiefer versinken wir. Nur nicht die gute Laune verloren. Hören Sie draußen den Leiermann: Es kann ja nicht immer so bleiben Hier unter dem wechselnden Mond. Da, trinken Sie, oder wollen Sie schäumenden? Ich klingle.“ „Der Wein ist gut, aber er steigt zu Kopf.“ „Nun denken Sie an den armen Haugwitz! wie es in seinem aussehn muß. Kann er dafür? Verdenken Sie's ihm, daß er sich auch aus Paris nicht beeilt zurückzukehren? — Die schnaubende Coterie hier in Reiterstiefeln, die Rüchel, Blücher, die Prinzen! Und das Geschwätz, Gesinge, Gebrüll hinter ihnen.“ Die Gnade Seiner Majestät wird, als schir¬ mender Fittich, ihn vor Outrage bewahren.“ Herr von Bovillard schien bereits in einer behaglichen Weinlaune: „Gewiß. Der König läßt ihn nicht los. Wissen Sie, — eigentlich — eigentlich kann er ihn auch nicht leiden, wie uns Alle nicht, aber — aber das ist es eben. — Trinken Sie doch, Wandel, man kann jetzt nichts Besseres thun. C'est le mystère de notre tems , daß wir unentbehrlich sind. Von der Canaille bis ins Schlafgemach Seiner Majestät, — sie können uns 1 * Alle nicht leiden, möchten uns köpfen, erwürgen, vergiften — von unsern Posten jagen —“ „Wo findet Seine Majestät Staatsmänner —“ Mit einem sehr pfiffigen Blick und einer eigen¬ thümlichen Handbewegung fiel der Geheimrath ein: „Er findet sie schon. Er braucht nur auf die Straße raus zu greifen —“ „Die Lust haben Minister zu sein, ja, aber Männer Ihres Scharfblicks! „Wissen Sie, was Oxenstjerna an seinen Sohn schrieb: Mein Sohn, Du glaubst nicht, etcaetera . Liebster Wandel, warum denn nicht Wahrheit zwischen uns! Wenn wir uns in dem Spiegel sehn — Und doch, — in keinem Stande Freude, und doch — wir bleiben, wir werden bleiben, und Sie und ich, wir wissen, warum wir bleiben. — Auf das Wohl Seiner Majestät des Königs! — Das begreifen Seine reichsfreiherrliche Gnaden, der Herr v. Stein nicht. Voilà le miracle! Wie lange ists nun schon her, daß er uns alle aus dem Sattel werfen wollte! Wenn wir doch Karrikaturmaler hätten! Herr von Stein als Mauerbrecher! Herr von Stein legt den Widder an, erster Moment. Herr von Stein fährt fort, am Bock zu drehen, zweiter Moment. Dritter, vierter, fünfter etcaetera , Herr v. Stein steht noch immer am Bock. Finale: Herr v. Stein schlägt hinten über, er hat einen Bock geschossen. — Aber Sie trinken ja nicht. Vive la bagatelle! — Schnell, was Neues aus der Stadt.“ „Das Duell hat endlich stattgefunden.“ „Beide maustodt?“ „Blut ist geflossen.“ „Hätte nichts geschadet. Warum zanken sie sich! Diese Militair- und Civilraufereien sind mir in der Seele zuwider.“ „Der junge van Asten hat sich ein Renomm é gemacht. Die Officiere glaubten nicht, daß er den Kampf auf krumme Säbel annehmen werde. Der Cornet ist ein Schläger à merveille . Der Gelehrte ging aber drauf los, und die Herren von der Garde- du-Corps stecken jetzt wieder die Köpfe zusammen, denn er trieb seinen Gegner Schritt um Schritt bis in die Büsche.“ „Und das Ende vom Liede?“ „Er war an der Schulter verwundet, cachirte es aber, und als die Secundanten es merkten, hatte er den Cornet schon in eine verzweifelte Position gebracht. Auf einen Hieb flog der Säbel des Officiers zu Boden.“ „Und der Cornet mit?“ „Nur ein Fetzen von seinem Aermel und etwas Fleisch und Blut. Grade genug, um ihn kampf¬ unfähig zu machen, wenn er nicht schon desarmirt gewesen wäre.“ „Und der Held von der Feder versetzte ihm den Gnadenstoß.“ Bewahre! Er senkte die Waffe, trat zurück, und fragte bescheiden die Secundanten, ob nun der Ehre genug geschehen sei? Man hätte es für ritter¬ lich gehalten, wenn —“ „Ein Roturier ein Cavalier sein könnte, unter¬ brach ihn Bovillard. Qu' importe! Er hat gehandelt, wie man uns vorwirft, daß wir handeln, wir nutzen den Vortheil nicht, der uns in die Hände gespielt ward. — Wandel, sie haben vielleicht recht. Vive la générosité! “ „Die Secundanten erklärten, nach einer längern Berathung, die Sache für ausgeglichen. Der Fleck am Aermel, den die Hand gemacht, sei durch den Säbel reparirt.“ „Der ihn loshieb! fiel Bovillard ein und gähnte. Legationsrath, was wären wir ohne den Witz in Ehren- und Staatssachen! Die Welt wäre längst bankrott ohne die Kunst der Auslegung. Der Starke wirft sein Wort wie Brennus Schwert auf die Gold¬ wage; aber der Schwache muß das Körnchen Mutter¬ witz wie der Goldschläger breit schlagen, um die Risse in der Logik und die falschen Raisonnements zu über¬ kleben.“ „Und das Volk gafft doch das Goldblech an, als wär's massiv.“ „Wozu wär's das Volk und wir die Gescheiten! — Um eine Liebschaft war ja wohl die Affaire? Das Mädchen kann gute Geschäfte machen, es kommt en vogue !“ „Mehr Anwartschaft hätte der junge Gelehrte darauf, der, wie man sagt, aus Galanterie, oder wie Einige behaupten, aus Gehorsam für seinen Vater zum Ritter an einer Dame ward, die er nicht liebt.“ „C'est touchant!“ sagte Herr von Bovillard und gähnte noch stärker als vorhin. „Man fängt überhaupt an von ihm zu sprechen, es wäre ein Character. Man spricht aber auch — von Ihrem Herrn Sohn.“ Der Geheimrath, der wirklich müde schien, ward aufmerksamer. Er reckte sich in seinem Stuhl und goß ein frisches Glas Champagner ein, dessen Wir¬ kungen er aber sofort durch ein Glas Wasser pa¬ ralysirte. „Wie befindet sich der Patient?“ „Mon pauvre fils! — Mein lieber Freund, wer macht die Erziehung? Ich habe oft darüber nachge¬ dacht. An guten Beispielen — das war's nicht eigent¬ ich, was ich sagen wollte, aber — das zweite Kind des Lupinus ist nun auch gestorben!“ „Ein merkwürdiges Unglück, was diesen Mann trifft! Doch meinen auch Viele, es wäre ein Glück, für die Kinder nämlich. Bei der verkehrten Erzie¬ hung wäre nie aus ihnen etwas Gescheites geworden.“ „Der Mann! Er Kinder erziehen! Wenn sie nach ihm geschlagen hätten! — Mein Louis, was ich sagen wollte, Heim meinte, es sei keine Gefahr, wenn er sich nur vor Exaltationen hütet.“ „Das wird schwer sein.“ „Das befürchte ich auch. Das Blut seiner Mutter. Was die für Nerven hatte! Ich bin ja bereit, Alles zu thun, — er hat excellente Gedanken, aber ich muß Ihnen sagen, ich habe keine Autorit é . Im Disput gerathen wir immer an einander.“ „Der junge Herr von Bovillard ist noch in andere Dispute verwickelt.“ Wandel sprach es mit kalter Stimme. „Meinen Sie — die alte Geschichte! Der Ge¬ heimrath warf dabei einen forschenden Blick auf ihn. Mein Gott, ich glaubte die Kinderei längst beigelegt.“ „Nur reponirt, meine ich, bis Ihr Herr Sohn die Güte haben wird, einen neuen Termin anzu¬ setzen.“ „Mann von Ihrer Klugheit und Philosoph! ich bitte Sie —“ Bovillard war jetzt aufgesprungen und ergriff die Hand, die Wandel halb zurückzog. „Die Ehrengesetze dieser Welt gehen über die der Klugheit und Philosophie.“ „Er wird zur Einsicht kommen, und Sie sind mein Freund.“ „Und gewiß der Freundschaft jedes Opfer zu bringen bereit, nur nicht meinen unbefleckten Namen.“ „Wer redet davon! Ueberlassen wir den Ca¬ vallerieofficieren den krummen Säbel; wozu sind wir Philosophen! Die diplomatische Kunst wird mildere Lösungsmittel finden, als ein Stück vom Aermel, und vom Fleisch dazu! Liebster Legationsrath, das findet sich ja.“ „Wenn ich als Beleidigter den ersten Schuß hätte, versteht es sich, daß, wo der Sohn meines besten Freundes vor mir steht, ich in die Luft feuere. Ihrem Herrn Sohn bleibt dann überlassen zu zielen, wohin er will.“ Bovillard hatte Wandels Arm an seine Brust gedrückt: „Wir verstehen uns ja. Excentrisch ist er, aber Louis ist kein schlechter Mensch.“ „Wenn ich die Freude erlebte, daß mein Freund Bovillard in seinem Sohne einen nützlichen Staats¬ bürger gewönne!“ „Er schwärmte auch einmal für die gloire Na¬ poleons. Wer weiß, ob diese Phantasien nicht re¬ diviv werden.“ „Er soll jetzt für einen andern Gegenstand schwär¬ men: Die Fürstin Gargazin behauptete neulich confi¬ dentiell, die eigentliche Krankheit der schönen Mamsell Alltag sei nichts anderes als cachirte Liebe. Die Geheimräthin Lupinus ist in ihren Mittheilungen sehr discret. Wenn ich indeß aus einigen hinge¬ fallenen Aeußerungen schließen darf —“ „Sind Sie neidisch, daß mein Junge Glück hat bei den Frauen?“ „Nur ein väterliches Erbtheil. Wie ich höre, frequentirt er auch die Cirkel der russischen Fürstin. Er ist gern aufgenommen. Sollte dies mit den Wünschen und Absichten seines Vaters conveniren?“ „Was geht es mich an! — Aber was geht es denn Sie an?“ „Nicht das Geringste, wenn Ihr Sohn nicht den Namen seines Vaters trüge. Die Fürstin ist eine liebenswürdige, feine, geistreiche Dame, aber sie gilt, mit Recht oder Unrecht, als die geheime Agentin Rußlands, man behauptet, daß sie mit Alexander in in¬ timeren Verhältnissen gestanden. Ich gebe nichts auf diese Insinuationen, aber wer ihren Umgang sucht, wer viel in ihrem Hause erscheint, entgeht dem Verdacht nicht. Das kann in diesem Augenblick bedenklich werden, da Napoleon — Genug, ich weiß, die Besucher des Hotels werden an jedem Abend verzeichnet und dann nach Paris tele¬ graphirt.“ Bovillard lachte auf, indem er jetzt erst die Serviette fortwarf: „Wissen Sie, wer am meisten bei der Gargazin gesehen wird? — Laforest! Con¬ spirirt er vielleicht gegen Napoleon? Vielleicht ist er aber auch nur da um der Mamsell Alltag willen, oder um Comteß Laura. Die ist jetzt auch ein Schooßkind der Fürstin. Duroc war auch bei ihr. Wissen Sie, was ich rausgebracht habe? Sie will die Alltag zu etwas machen, entweder zu einer Pom¬ padour oder zu einer Heiligen. Sie erwartet nur Ordre deshalb aus Petersburg. Werther Freund, unter Freunden reinen Wein, was kümmert Sie mein Sohn bei der Gargazin?“ „Nicht der Sohn, nur die Auslegung, welche man seinen Schritten geben könnte.“ „Sind Sie so sehr um die Auslegung besorgt, welche die Leute den Schritten distinguirter Personen geben? sprach Bovillard, ihn scharf fixirend. Wis¬ sen Sie, wie man Ihre Schritte hier auslegt?“ „Ein unbedeutender Privatmann, der neben sei¬ nen wissenschaftlichen Studien nur als Dilettant in die politischen Kreise dringt, entgeht wohl der Ehre dieses Scrutiniums. „Haugwitz schreibt mir considentiell aus Paris. Für schweres Geld hat er eine Copie der Personal¬ bemerkungen über Berlin erwischt. Hören Sie, da sind doch Dinge drunter! — Haugwitz wird sich hü¬ ten und es drucken lassen. Laforest selbst weiß das nicht alles; es stecken Andere dahinter. Liaisons de¬ couvrirt, die wir nicht ahnen konnten. Sie standen doch mit Eisenhauch in keiner Verbindung?“ „Es bedurfte keines Seherblicks, um die feuer¬ fangende Nähe zu erkennen.“ „Man weiß in Paris, was er vor'm Zubett¬ gehen mit seinem Bedienten sprach, seine Lectüre vor'm Einschlafen, seine Briefe, die er schrieb und wieder zerriß. Ein wahres Glück, daß wir ihn los sind, aber — wissen Sie, was von Ihnen dasteht?‘, fragte Bovillard mit einem schlauen, scharfen Blick. Wandels blaßgelbes Gesicht verfärbte sich nicht, nur ein flüchtiger Glanz belebte das dunkle, kleine Auge, um sofort in ein mocquantes Lächeln über¬ zugehen: „Vielleicht ist es entdeckt, daß auch ich die Cir¬ kel der Gargazin besuche.“ „Pah! Drei Reihen Chiffren, die Haugwitz Se¬ cretair nicht dechiffriren konnte, und dann mit andrer Hand imperatonisch flüchtig daneben geschrieben: „„Wie viel würde er kosten?““ „Sie wollen mich doch nicht stolz machen, Bo¬ villard! Um die nackte Klippe des Ehrgeizes ist mein Lebensschiff gesegelt.“ „So lange sie nackt aussieht. Wenn man aber im Vorbeisegeln zwischen den Riffen eine fette Trift entdeckt, legte mancher wieder bei.“ „Es ist für mich eine durchaus sterile Insel.“ „Wohin denn? Das ist die Frage.“ „Ich verstehe die Legitimation derselben nicht.“ „Ich frage als Freund. Wo hinaus? Man muß doch endlich mit Ihnen in's Reine kommen. — Ich wiederhole Ihnen: mich täuschen Sie nicht. Sie sind kein Saint Germain etcaetera . Sie sind von unserm Fleisch und Blut. Halb nur wie ein Lebemann, halb wie ein Karthäuser in einem Schneckenhaus. Das Leben in Berlin ist theuer, auf Gold sitzen Sie nicht und Gold machen Sie nicht. Sie mögen ein vortrefflicher Oekonom sein, aber Ihre Thüringischen Güter verbessern Sie nicht in der Apotheke des Herrn Flittner. Die Delicen der Wissenschaft gönne ich Ihnen; wer aber den Champagner wie Sie über die Zunge schlürft, will sie nicht wie die Pedanten um ihrer selbst, er will etwas daraus für sich präpari¬ ren. Sie greifen nicht nach dem Monde, aber Sie erscheinen wie er aus der Wolke, um wieder da¬ hinter zu verschwinden. Das ist hübsch, um Kinder zu erschrecken und zu amüsiren, ein Mann will etwas anderes, als Laterna Magika-Bilder auf die Wand werfen.“ „Meine Vermögensumstände, die Niemand kennt, erlauben mir —“ „Sie schweifen ab. Auch ein Crösus will noch mehr. Was wollen Sie? — Daß man das nicht weiß, wirft einen Schatten auf Sie. Wie lange sind Sie schon in Berlin! Ihr parait et disparait ver¬ stärkt den Verdacht; glauben Sie mir, alle Ihre Ge¬ fälligkeiten werden um deshalb falsch ausgelegt, und das ist es, was Haugwitz, ich will nicht sagen, zu Ihrem Feinde macht, aber er hat eine Scheu vor Ihnen, er fürchtet Sie. Mein Gott, wir sind ja unter uns. Wollen Sie sich Napoleon verkaufen, haben Sie sich schon verkauft? Tant mieux , er be¬ zahlt gut. Auf meine Discretion können Sie rech¬ nen. Es sind Viele erkauft, und doch gute Patrio¬ ten. Sie haben nicht einmal eine Pflicht zu bre¬ chen, und — wie gesagt, mich geht's nicht an. L'ami¬ tié surpasse la trahison. Enfin , wir sind ja auch Napoleons Freunde.“ Der Legationsrath hatte die Stirn in Runzeln gelegt. Er stand wie in sich versunken, mit ver¬ schränkten Armen, den Blick, der in weite Fernen zu streifen schien, von dem Manne abgewandt, welcher eben so eindringlich zu ihm gesprochen. Es schien ein Selbstgespräch: „Wer dieses Meteor ergründete! Ob er wirk¬ lich der Wandelstern, der im Kreislauf der Aeonen wiederkehrt, wenn seine Zeit kam, die unsre Schwäche nur nicht ermißt, oder — nur die blitzende Nachterschei¬ nung, der Komet, der seinen Schweif betäubend über unsre Häupter rasselt. Wir stehen gebeugt unte dem Hagel seiner Meteorsteine und —“ Er hielt inne und athmete tief. „Und wer sich selbst getreu blieb, wird auch hier sich nicht übertäuben lassen. — Nein nein — auch diese Sonne von Auster¬ litz hat trübe Flecke. Groß und strahlend, aber je mehr sie der Mittagshöhe sich nähert, um so mehr sehe ich sie schwanken, zittern vor sich selbst. Auch er wird untergehen, indem er sich selbst überhebt. Nur wer fest und bewußt — Ach, mein Gott! fuhr er fort, wie aus seiner Träumerei erwachend. Ich vergaß mich da in Gedanken, die nicht hierher gehören. Groß ist er, aber — sichrer der, der sich an keine Größe lehnt, nur auf sich selbst.“ Der Legationsrath hatte sich verrechnet, wenn er gemeint, auf den Geheimrath damit einen Eindruck zu machen. Dieser hatte sich ruhig ein neues Glas eingeschenkt, und mit derselben Behaglichkeit ließ er es über die Zunge gleiten, die er vorhin an Wandel gerügt oder gerühmt. „Sie wollen also mit Napoleon nichts zu thun haben! Votre plaisir ! Aber, merken Sie sich, Haugwitz ist ängstlich inquietirt. Er giebt Winke, wie man Sie beobachten soll. Wenn Sie also keinen Passe- par-tout von Napoleon in der Tasche haben, —“ „Die Aufmerksamkeit, welche Herr v. Haugwitz meiner unbedeutenden Persönlichkeit schenkt, möchte mir schmeicheln, wenn —“ „Sie keine andre Absichten hätten. Gehn Sie mit sich zu Rath, entscheiden Sie sich, aber bald. Wir sind nun ganz wieder in unsrer Aisance, wenn er zurück ist. — Haugwitz bleibt. — Der König ist seelenfroh, wenn er nichts zu ändern braucht. Es stiefelt sich fort, sagen die witzigen Berliner, und eines Morgens könnte Haugwitz etwas einfallen, — das passirt auch manchmal an einem Feiertage — der Polizeicommissarius klopft an Ihre Thür mit der Bitte, sich schnell anzuziehen, und Sie werden eingepackt. — Da haben Sie die Bescheerung. Man titulirt's höhere Staatsrücksichten, im Grunde genom¬ men ist's nur eine Indigestionslaune. Sie sind ein Mann von großer Klugheit — „Der indeß bei Verbindlichkeiten, die er eingeht, den Charakter und sein Gewissen immer berück¬ sichtigt —“ „ Etcaetera , bravo! sagte der Geheimrath und klopfte ihm auf seine Schultern. Wozu noch Flausen. Das Uebrige wird sich finden. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen — Excüs! — wenn er uns nicht hülfe, die Antipathie zu beschwören. Haben Sie nicht sympathetische Tropfen! A propos ! da fällt mir unser Mirakel ein, unser Liebespaar! Haben wir's da nicht durchgesetzt! Das verloren wir ganz aus den Augen. Wie steht es? — Das ist der Fluch eines Staatsmannes, sein Liebstes muß er opfern dem Dinge, was das dumme Volk — wie steht's, Legationsrath? „Der Dépit amoureux ist eine passagere Er¬ scheinung. Die Gargazin, die uns aus Gefälligkeit beistand, ist der Sache überdrüssig.“ „Die gute Fürstin möchte alle Welt glücklich sehen. Aber Haugwitz — das ists, was ich sagen wollte. Der arme Haugwitz muß jetzt eine Recreation haben, nach so viel Verdruß! Ein, zwei Fliegen stören uns nicht, aber das Fliegengebrumm, wenn wir schlafen wollen, ist fatal. Recht was Exquisites! Strengen Sie Ihren Scharfsinn an, etwas zum Todtlachen, bedenken Sie, es gilt fürs Vaterland.“ „Durch den Aufschub ist die Sache verdorben. Die Gluth der ersten Leidenschaft ist abgekühlt. Sie ist beruhigt, weil er nicht in den Krieg geht. Das Weitere, denkt sie, wird sich finden, oder es wird sich auch nicht finden. Was mit larmoyanten Men¬ schen machen, die von Seelenadel zu sprechen an¬ fangen und von der Läuterung durch Entsagung! Ein Schauspiel für Engel mag es sein, wenn sie sich so par distance im Theater anschauen, die Augen verschwimmen, und um die Lippen ein weh¬ müthiges Lächeln schwebt, aber —“ „Rhabarber und Seelenadel stehn bei mir auf einer Stufe. Ich weiß nicht mehr, wo ich es neulich las: „„Das entnervt die Seelen und Körper: dies verhimmelnde Schwärmen raubt unserm Geschlecht die warmblütige Kraft zur That.““ Und wir brauchen ein rüstiges Geschlecht. Also, theuerster Mann, Ihren ganzen Scharfsinn drauf, fädeln Sie was Neues ein. Man sagt, sie hätte Scheidungsgedanken.“ „Pfui! das ist unmoralisch. Ich meine, man könnte ihr das Unsittliche einer solchen Handlung vorstellen lassen.“ „Wenn nur ein Duell zwischen dem Rittmeister und Baron zu ermöglichen wäre!“ Der Legationsrath schüttelte den Kopf. „Wer dem Baron eine Kugel vor den Kopf schösse, was ich natürlich nur im Scherz sage, thäte übrigens dem Staate einen rechten Dienst.“ „Im Ernst?“ „Sein Tuch, 's ist ein Scandal. Wenn man solche Montur gegen die Sonne ausbreitet, können die Wespen durchfliegen. Ich sagte es ihm neulich. Was antwortete er? Er hätte 's so eingerichtet, daß die Kugeln der Staatskasse keinen Schaden thäten. Ich liebe nicht solchen frivolen Witz in ernsten Dingen. — Sie sind nachdenklich, Wandel? Sie sehn nach der Uhr.“ „Einige nennen ihn einen schlechten Menschen.“ „Pah! Seine Maitressen bezahlt er gut, unser Tuch macht er schlecht. Aber im Grunde genommen, was gehts uns an; wir haben Friede. Noch keinen Einfall?“ „Doch — vielleicht. Bei ihm ist Hopfen und Malz verloren. Wie aber, wenn man sie eifersüchtig machte!“ — IV . 2 „Auf ihres Mannes kleine Liaisons! Was hülfe uns das!“ „Nein, auf den Rittmeister. Er sah neulich die neue Choristin mit dem Operngucker sehr eifrig an. Wenn es gelänge, sie aus ihrer Seelenruhe aufzustacheln! Wenn sie außer sich geriethe, sich fortreißen ließe — “ „Nun, was besinnen Sie sich?“ „Es ist nur ein flüchtiger Einfall — schwierig, aber möglich ist Alles — wenn sie in ihrer Ver¬ zweiflung ihren Mann zu Hülfe zöge.“ „Ça serait le comble du ridicule.“ „Aber nichts Neues. Wie gesagt, Alles noch embryonisch dunkel, aber sie muß jetzt mit dem Ritt¬ meister aneinander. Das ist mir klar; es giebt kein ander Mittel.“ „Wenn es nur zum Rechten führt.“ „Dafür lassen Sie mich sorgen.“ „Wohin so eilig?“ „Zur armen Geheimräthin! Ach, eine Unglück¬ liche! Die bedarf des Trostes.“ „Bleiben Sie mir mit der vom Leibe. Ich kriege Bauchgrimmen, wenn sie mich lange ansieht.“ „Das ist eine unglückliche Frau! Nun auch das zweite Kind!“ „Es waren doch rebutante Geschöpfe. Sie kann sie unmöglich lieb gehabt haben.“ „Der Idealismus weiß von einer Liebe, die gerade das ihm Unangenehme mit zärtlichen Armen umfaßt, einer Liebe, die ihre ganze Innigkeit und Wärme ausströmt auf die Subjecte, welche es am wenigsten empfinden und, statt es zu erwiedern, mit Undank belohnen, eine Liebe, die sich gefällt, immer zu geben und zu opfern, ohne wieder zu nehmen, ja die ihre höchste Befriedigung in der Empfindung sucht, von Verkennung und Undank heimgesucht zu sein.“ „Das ist nicht unsre Sorte von Liebe; nicht wahr, Wandel?“ „Die Welt ist mannigfalt. Bewundern darf man doch die Märtyrer, auch wenn man sich nicht berufen fühlt ihnen nachzufolgen.“ „Par distance! — Warum nahm sie aber die Kinder zu sich?“ „Warum! — Warum nahm sie ihren Mann? Sie hat den Geheimrath nie geliebt. Um ihn zu pflegen. Warum nahm sie die Alltag zu sich? Aus Liebe doch nicht zu dem eigensinnigen Geschöpfe? Mein Herr Geheimrath, Männer wie wir sind über die Ungerechtigkeit der Welt hinaus, wir warten nicht auf Dank, aber erlauben Sie mir, wenn ich die Frau unglücklich nenne, die für die Anstrengungen ihres warmen Herzens, Andre glücklich zu machen, nichts erndtete, als Verkennung.“ „Liebster Legationsrath, entgegnete Bovillard, erlauben Sie mir nichts drauf zu sagen als: les goûts sont différents!“ „Ich wünschte, Sie hätten sie am Schmerzens¬ lager der kleinen Malwine gesehen. Weil sie nicht weinen konnte, das hat man auch getadelt.“ 2* „Die Kinder sollten ihre Erben sein; wer kriegt's denn nun? In ihrer Familie ist Alles ausgestorben. Mit der einen Seitenbranche ist sie spinnefeind.“ „Unnatürliche Feindschaft in Familien! Vielleicht kann man da freundlich zu einer Verständigung ein¬ wirken.“ „Lieber vermacht sie's den Kapuzinern. Und fünfundneunzigtausend Thaler unter Brüdern!“ „Ich glaubte nur achtzigtausend!“ „Vor dem letzten Heimfall. Aber — fünfzehntau¬ send in Obligationen — Sie können sich drauf ver¬ lassen, — fielen auf ihr Theil aus der Concursmasse ihres Onkels. Und man muß doch auch rechnen, was vom Geheimrath dazu kommt, wenn er früher stirbt —“ „Wenn er früher stirbt.“ Wandel hatte es so gedankenlos, oder in Gedanken versunken, gesagt, als er gedankenlos mit seinen Handschuhen gespielt. Er reichte zum Abschied dem Geheimrath die Hand: „Wenn nicht mehr — ich wollte sagen, wenn Sie der verlassenen Isolirten nur ein stilles Plätzchen der Theilnahme in Ihrem Herzen schenken wollten!“ „Bleibt ein ehrenwerther Mann, sprach Bovillard, als er fort war, nur zu viel Sentiment.“ Zweites Kapitel. Wandel muß Politik treiben. Das Haus der Fürstin schien ein offenes. Man kam und ging, zu jeder Tageszeit; man war will¬ kommen und empfangen, ohne angemeldet zu sein, und konnte verschwinden, ohne daß es bemerkt ward. Englischer Comfort schien mit französischer Anmuth und Leichtigkeit gepaart. Aehnliches hatte man in Berlin noch nicht gesehen; man beredete es, aber ge¬ fiel sich darin. Keine Thür war verschlossen, die Wände schienen von Krystall; es ist aber damit nicht gesagt, daß nicht doch manche Thür unter der Tapete versteckt, und der Krystallspiegel eine Wand verdeckte, hinter die zu blicken nicht erlaubt war. Die Fürstin hatte sich neuerdings zu einem längern Aufenthalt eingerichtet. Alle Welttheile hatten ihre Producte, Kunstfertigkeit und Erinnerungen bei¬ gesteuert, um die Zimmer auszuschmücken. Das He¬ trurische und Pompejanische, vor Kurzem die Mode¬ puppe, ward hier paralysirt durch das Chinesische und Hindostanische. Porzellanfigürchen, Pagoden und Pfauenwedel; dazwischen die rein geschnittenen Schön¬ heitslinien eines griechischen Basreliefs, römische Kaiser und Mohrenköpfe auf echten Consolen, neben Federkronen von den Sandwichinseln und urweltlichen Gerippen, Schamanenmänteln und Bogen und Köcher der naturwüchsigen Völkerschaften Sibiriens. Die Ostentation alles dieses Apparates war wenigstens nicht auffällig, ein gewisser Geschmack hatte in der Vertheilung obgewaltet, Licht und Schatten waren gehörig vertheilt, oder vielmehr der Schatten waltete ob, indem das Fensterlicht in den meisten Zimmern durch schwere Vorhänge und Vorsatzstücke gedämpft war. In schwarzen Rahmen hingen zwi¬ schen den andern Raritäten Landschaften in Wasser¬ farben, römische Ruinen, zerstörte Kirchhöfe, Hünen¬ gräber, bemooste Cruzifixe darstellend, über dem Meere hing der Mond in Nebelwolken, oder die Sonne ging auf, und beleuchtete trauernde Gestalten oder Knieende um ein bekreuztes Grab. Auch sah man näher den Thüren bereits einige der schmal geschnittenen Holz¬ bilder, auf deren Goldgrund jene hagern, kindlichen Figuren mit den Unschuldsköpfen sich präsentirten, die erst später in Berlin zur ästhetischen Anbetung kommen sollten. Die modernen Besucher gingen noch ziemlich theilnahmlos an diesen florentinischen Stücken vorüber, während die Mondscheinskreuze, die verdorrten Kränze an den eingefallenen Gräbern manchen Seufzer oder aus schönen Augen eine Thräne lockten. „Der Stufen zur Erkenntniß sind viele, pflegte die Fürstin zu sagen, und deren nur wenige, die, vom Strahl, erleuchtet, sogleich die höchste besteigen.“ In den tiefern Kabinetten verbargen sich oder lockten größere Heiligenbilder, betende oder angebetete Madonnen, Märtyrer, in ihren Verzückungen lächelnd, der Heiland am Kreuz. Da in der verschwiegenen Nische auf einem schwarz mit Silber überhangenen Altar ein Cruzifix von Ebenholz, der Heiland daran feinste lucchesiner Elfenbeinarbeit. Als Piedestal zum Cruzifix diente ein künstlicher dürrer Fels aus Achat, zu Füßen desselben eine kleine Oeffnung, aus der, gespeist von einem verborgenen Wasserreservoir, eine Quelle sprudelte. Das Wasser floß in einen antiken Sarkophag. Antik wenigstens die Vorderseite, deren heidnische Basreliefs freilich wenig mit dem Quell und seiner Bedeutung correspondirten, aber es war eine Antike, ausgegraben auf einem der Güter der Fürstin in der Krimm, und das Heidnische an den Bachantinnen sollte vielleicht durch den frisch hinein gemeißelten russischen Doppeladler purificirt werden. Neben der sinnigen Deutung hatte der sprudelnde Quell auch eine ganz praktische Bedeutung; das kühle mit Epheu umrankte Cabinet ward durch das sprin¬ gende Wasser zur angenehmen Retirade in heißen Sommertagen. In einem der helleren Zimmer, mit Magdale¬ nenbildern an der Wand, der Boden ausgelegt mit reichen orientalischen Teppichen, und schwellende Di¬ vans an den Wänden, saß die Fürstin mit der Ba¬ ronin Eitelbach. Die Märtyrer und andere Heili¬ genbilder in den dunklern Gemächern mochten schlechtere Copien oder Trödelwaare sein, die Magdalenen wa¬ ren vortreffliche Copien nach Correggio, Battoni, Mu¬ rillo und Anderen, in der Größe der Originale und in dem blendenden Farbenglanz, der keine Nachdun¬ kelung sehen ließ. Kostbare Goldrahmen umschlossen diese Stücke, und ihre Gruppirung war so geschickt, daß überall das richtige Licht darauf fiel. Es war das sorgfältigst und elegantest ausgeschmückte Zim¬ mer der fürstlichen Wohnung. „Das Fräulein wollten eben ausfahren, um, wie sie sagten, Luft zu schöpfen, berichtete der Die¬ ner. Wenn aber Durchlaucht befehlen, wird sie sich sogleich zurecht machen und hier erscheinen.“ „Was das Fräulein will, muß geschehen, er¬ wiederte die Fürstin rasch. Man sollte doch jetzt meinen Willen kennen, daß sie nur ihren Wunsch zu äußern braucht, und meine Domestiken haben zu ge¬ horchen. Ist schon angespannt?“ „Zu Befehl, Erlaucht.“ „Da muß ich einen Augenblick zu dem lieben Kinde. Verzeihung, theuerste Baronin, sie erholt sich so schwer. Ich bin sogleich — meine Gedanken bleiben bei Ihnen.“ Im andern Zimmer begegnete ihr der Lega¬ tionsrath: „Schnell einen Liebesdienst. Die Eitelbach drin¬ nen quält mich mit ihrem Liebesleid. Das ist Ihre Sache. Machen Sie ihr bald ein Ende, sonst — ich weiß nicht, was ich thäte, wenn Sie nicht im Spiele wären.“ „Empfinden Erlaucht denn gar keinen Beruf, sich der gequälten Schönen anzunehmen?“ „An langweiligen Menschen hatte ich heute schon genug. Vater und Mutter waren hier, denken Sie, eine Stunde lang! Diese Dankadressen im Kanzleistil, diese bürgerlichen Rührungsgefühle in der Sonntags¬ haube, der ganze Iffland, Kotzebue und Krähwinkel in meinem Hause. Ich möchte doch um solcher Leute willen keine Migraine bekommen; aber jetzt erbarmen Sie sich meiner.“ „Tu l'as voulu, George Dandin! sagt Moli è re,“ sprach der Legationsrath, sich verneigend. „Et je le veux, Monsieur le conseiller!“ „Was denkt Prinz Louis, Erlaucht?“ „Ob der Champagner oder der Rheinstrom eher in die Lethe fließt.“ „Leider flüstern seine Freunde, daß er schon den nächsten Weg auf dem Jamaikanischen Feuerstrom Rum dahin sucht.“ „Der Unglückliche!“ Sie schien die eben gegebene Anweisung an den Legationsrath auf die Eitelbach eben so vergessen zu haben, als sie an der Ecke eines Divans Platz nahm. Ein ernster Zug flog über die Seidenwimpern, die sich geschlossen hatten wie erschreckt vor einem Bilde. — „Vielleicht der letzte Held unter Diesen! — Warum fand er nicht den rechten Weg! — Das ist es nicht. Aber, Wandel, erklären Sie mir's, es ist etwas Niederdrückendes, Entmuthigendes, daß grade dieser Einzige in der großen Misere, diese Feuerseele unter den Nachtvögeln, wie ein losgerissener Stern aus dem Firmament in einen Sumpf stürzen muß!“ „Sie sprachen es aus, Gnädigste, weil Alles versumpft ist.“ „Und Sie sprachen etwas aus, was Sie nicht verstehen, nicht verstehen wollen. — Ich fühlte mich so andächtig gestimmt. Der arme Prinz! Seit die Abberufung des englischen Gesandten bekannt ist, soll er sich in einem erschütternden Zustand befinden.“ „Es befinden sich auch Andere, die nicht Prinzen sind, in unangenehmer Lage. Mehr als hundert Preußische Schiffe sind bereits von den Engländern gekapert. Dem Handel wird dieser theure Frieden theuer zu stehen kommen.“ „Diese Krämerseelen verdienen es, rief die Fürstin. Es war ja ihr stiller Wunsch. Wenn Krämer, Kinder und Narren über ein Land regieren, wehe ihm!“ Es war ein neues Changement in der Fürstin eingetreten; sie fühlte sich zum politischen Disput gestimmt. Wandel kannte die Lineamente in ihrem Gesicht, welche den Wechsel und welche Stimmung sie ausdrückten. Er lehnte sich über einen Stuhl, um ihr zu correspondiren. Vielleicht empfand er auch mehr Neigung zu einer politischen Disputation als zu einer sentimentalen mit der Baronin, vielleicht wollte er sich auf diese präpariren. „Es giebt auch großartige Krämer. Die Eng¬ länder werden bei diesem Weltdisput nicht zu kurz kommen.“ „Ich begreife nicht, wie diese hier ohne Scham¬ röthe lesen können, was sie über ihre Politik urtheilen! rief die Fürstin, in wirklichen Affect gerathend. Diese Noten, die Herr von Reden für Hannover in Re¬ gensburg, Ompteda eben in Berlin übergab! Herr Fox hat im Parlamente gedonnert. Ich habe eine solche Sprache nie gehört.“ „Noten sind Worte auf Papier geschrieben, Erlaucht. Sie lesen sie, antworten, und das Resultat ist Papier auf Papier! Gekaperte Schiffe, das ist etwas Anderes.“ Die Fürstin hatte vom Tische eine englische Zeitung genommen. „Durchfliegen Sie diesen Artikel. Mich dünkt, die Worte schneiden schärfer wie Thaten. Der Prinz soll grade darüber außer sich gerathen sein. Die Lippen schäumend, drückte er die Stirn an die Scheibe, daß sie zerbrach.“ „Er wird auch wieder ruhig werden, sagte Wandel und las: „„Nie hat eine Macht heuchlerischer gehandelt und die Gesetze der Treue und des guten Glaubens frevelnder gebrochen als Preußen. Von ihm kann man lernen, wie man mit Worten schmei¬ chelt und durch Thaten verwundet.““ — „Ists nicht so!“ Der Legationsrath zuckte die Achseln: „Was aus Unentschlossenheit gefehlt und in Thorheit ge¬ sündigt ward, heißt nun sträfliche Hinterlist. — Warum war man unentschlossen und warum handelte man thöricht!“ „Lesen Sie weiter.“ „„Der aufgegebene Krieg gegen Frankreich war ein unwürdiges Geständniß von Schwäche, die soge¬ nannte Verwaltung Hannovers bis zum Abschluß des allgemeinen Friedens überdachter Verrath. Er¬ röthet Preußen nicht vor der Entschuldigung, daß die Wahl der Mittel zur Sicherung seiner Ruhe nach der Schlacht von Austerlitz nicht mehr von ihm abhängig gewesen sei? Ziemt eine solche Sprache einem schlagfertigen Staate, wenn es Ruhm und Vaterland gilt? Ziemt sie vor Allem dem Preußischen, der Friedrichs Siege hinter sich hat, Friedrichs Heer vor sich und zur Seite Rußlands Beistand? Preußen prahlt mit gebrachten Aufopferungen. Ja es hat geopfert seine Unabhängigkeit, seine Pflicht, seine alten Besitzungen, seine treusten Unterthanen und seine zuverlässigsten Bundesgenossen. Preußen hat durch den Schönbrunner Vertrag aufgehört als selbstständige Macht, es kann nur noch existiren unter den Flügelschlägen des französischen oder russischen Adlers.““ „Was sagen Sie dazu?“ „Warum fordert man von Epigonen den Muth der Titanen!“ „Der kleine König von Schweden sperrt ihnen auch die Ostseehäfen, er kapert auch wie die Engländer ihre Schiffe. Man hätte doch nun erwartet, sie würden Schwedisch Pommern nehmen!“ „Man ist befangen im Bewußtsein seines Un¬ rechts, und statt es gut zu machen, indem man es vollendet, verdoppelt man den Fehltritt, indem man ihn halb thut.“ „Das ist Ihre Moral, Wandel. Ich im Gegen¬ theil bewundere den Muth dieser Staatsmänner. Mit welchem Gesichte kann der Mann von Schön¬ brunn vor die Prinzen, vor die Bilder seiner alten Könige treten, vor das Land, vor das Preu¬ ßische Heer, vor Friedrichs Armee? Erklären Sie mir den Muth, Wandel, wie er vor diesem stolzen, hochmüthigen Officiercorps es aussprechen darf: Preu¬ ßen fühlt sich zu schwach, mit dem stärksten Bundes¬ genossen an der Seite einen gerechten Krieg zu füh¬ ren. Können Sie's?“ „Gnädigste Frau, vor wem erröthen, wem Re¬ chenschaft geben! — Wer fordert sie von dem Manne!“ „Und sei es nur vor seinem eigenen Spiegel.“ „Der Spiegel, Gnädigste, ist unser Machwerk; man schleift, färbt ihn, wie man will, man stellt sich vor ihn, wie man Lust hat. Die Hand in der Brust, das Kinn aufrecht, die Blicke funkelnd. Oder die Arme gekreuzt auf der Brust, die Augen nieder¬ geschlagen; der Spiegel ist gehorsam, er giebt Alles wieder. Denken Sie ihn sich so, mit verkniffenen Lippen davor, und er lispelt: er war stark und wir schwach, er entschlossen, und wir wissen nie heut, was wir morgen thun sollen, er hat ein kriegsgewöhntes, siegreiches Heer und wir eines, was den Krieg ver¬ lernt hat. Ein Krieg kostet Blut, viele Menschen, er ruinirt noch mehr Bürger, seine Nachwehen sind furchtbarer als seine Verwüstungen. Alles das sind Realitäten, die Ehre aber ist ein Wahn. Mein Kö¬ nig hat einen Abscheu vor Blutvergießen und ich liebe es nicht. Alle gute Menschen lieben es nicht. Gott auch nicht, er hat den Frieden geboten und Na¬ poleon bietet ihn uns auch. Sind das nicht eben so viele Winke des Himmels! Wofür sollen wir uns schlagen? Für uns doch nicht. Er will uns ja mehr geben, als wir hatten. Für Oestreich etwa, das ver¬ loren hat? Wir sind doch nicht Don Quixoten, um für einen Rivalen uns zu opfern? Oder für das thö¬ rige Gebrause, was man jetzt öffentliche Meinung nennt? Wiegt meines Königs unausgesprochener Wunsch nicht schwerer? Die öffentliche Meinung macht mich nicht zum Minister, sie möchte mich stür¬ zen. Aber sie kann's nicht. Mein König kann mich halten, und er wird es.“ „Von Advocaten des Teufels hab' ich wohl ge¬ hört, sagte die Fürstin, ihn fixirend, nur weiß ich nicht, wer sie bezahlt.“ „Ich halte Excellenz für einen sehr honetten und zuweilen sehr heiligen Mann, der, wenn er den Feind citirt, es gewiß nur thut, um ihn zu beschwö¬ ren. Vielleicht — ich sage, es ist möglich, daß er jetzt in der Stille die Hände vor seinem Bilde, näm¬ lich im Spiegel, faltet, auch vielleicht ein Kreuz schlägt, und aus tiefer Brust seufzt: Ich bin ja nur sein unwürdiges Werkzeug! Gegen letzteres wird denn wohl Niemand etwas einzuwenden haben.“ „Incorrigibler!“ sagte die Fürstin und gab ihm einen leichten Schlag mit dem ausgezogenen Hand¬ schuh, um doch wieder sinnend vor sich niederzublicken: „Und doch, wäre es ein Wesen von Fleisch und Blut, dieses Preußen, ich könnte es beneiden um die Empfindung. So zerknirscht in Demuth niederzufal¬ len in den Staub, an die Brust zu schlagen und zum Herrn zu rufen: Strafe mich um meinen Dünkel und meine Ueberhebung. Das sind die Früchte meiner Saaten, daß ich mich auflehnte gegen Deine Satzung! — Ach nein, sie kennen nicht die Wollust der De¬ muth und Zerknirschung, sie sind alle noch aus Frie¬ drichs Schule, schlechte Schulknaben, sie beten nicht den Herrn, nur ihren Witz an, und sein Gespenst seh ich umherschleichen — das muß eine furchtbare — die fürchterlichste Strafe des Himmels sein: so sein Werk zertrümmert, seine Schöpfung verhöhnt, sein Geist zum Pasquill — und keiner den Muth, in ihrer Erniedrigung die Arme zu erheben: „Herr, er¬ barme Dich unser!“ Herr von Wandel kannte die Fürstin — auch ihre temporellen Visionen. Sie genirten ihn nicht. Die liebenswürdige Frau liebte nicht die G ê ne. Er wartete in Geduld, bis der Paroxysmus vorüber war; er brauchte nicht lange zu warten. „Nun an Ihr Geschäft, sprach sie. Wie lange lassen Sie die arme Eitelbach warten!“ „O dies hat Zeit!“ „Sie würden einen guten Marterknecht abgeben.“ „Ich weiß in der That noch nicht, was ich mit ihr reden soll.“ „Wenn Sie nur die persifliren können, die Sie vorgeben zu lieben, so versuchen Sie es einmal, sich in die Baronin zu verlieben. Ich erlaube es Ihnen.“ „Der Rath ist nicht so übel!“ sagte der Lega¬ tionsrath und verneigte sich tief. „Mit meiner gnä¬ digsten Freundin Erlaubniß will ich wenigstens den Versuch machen.“ Die Fürstin hörte es nicht mehr, sie warf am Fenster der abfahrenden Adelheid Abschiedsgrüße zu. Drittes Kapitel. Herr von Wandel musz sentimental sein. „Unter Heiligenbildern eine Heilige!“ rief der Legationsrath der Baronin entgegen. „Wissen Sie, was mein Mann von Ihnen sagt? replicirte die Baronin? Wie heilig Sie auch aus¬ sähen, Sie wären ein Pfifficus, und er möchte mit Ihnen keine Geschäfte machen.“ „Warum sollte er theilen! Er macht für sich allein die besten.“ „Ihnen traute er nicht über den Weg, meinte er neulich.“ Der Legationsrath zückte lächelnd die Achseln: „Was konnte ich dafür, daß aus der Mäntelgeschichte nichts ward. Meine Absichten waren die besten, meine Demarchen gut, es stieß sich an andern Dingen. — Ja, theuerste Freundin, wie viel ist damit aus¬ gesprochen! Unser Wille mag noch so rein sein, wir thun alles, was wir können, der Himmel selbst scheint uns zu winken, und es wird doch nichts draus. Das ist der unerforschliche Organismus jener höheren IV . 3 Sphärenkreise, in die unser Auge vergebens zu drin¬ gen sucht. Darin finde ich aber eben den merkwürdi¬ gen Unterschied zwischen Ihrem und unserm Geschlecht, ich meine zwischen den Erwählten. Während wir noch immer titanisch nach dem Unmöglichen ringen, findet das edle Weib schon in der Entsagung den höhern Trost. Da erst verklärt sich ihre Liebe zu derjenigen, welche nicht besitzen, nur beglücken will; selbst beglückt, wenn sie den geliebten Gegenstand glück¬ lich sieht in der Liebe zu einer andern.“ Der Legationsrath schien unwillkürlich mit dem Taschentuch über seine Augen zu fahren. Die Ba¬ ronin sah ihn aber sehr scharf an: „Was meinen Sie denn damit? Denn das habe ich Ihnen auch abgemerkt, Sie sagen nichts ohne Absicht.“ „Meine Freundin wird aber darin mit mir einig sein, daß es unter zartfühlenden Seelen besser ist, über gewisse Interessen nur andeutend wegzu¬ gehen, als sie auszusprechen. Wer heilende Wunden muthwillig aufreißt, wird zum Selbstmörder.“ Die Baronin sah ihn so klar an, daß Wandel seine Augen einen Moment niederschlug: „Manche Wunde thut auch wohl, wenn man weiß, daß, der sie schlug, es in guter Absicht that. Sie sind nicht Dohlenecks Freund, leugnen Sie's nur nicht; ich weiß es —“ „Mir ist er eigentlich ganz indifferent, meine Freundin. Wenn er feindliche Gefühle gegen mich hegt, so sind sie ihm wahrscheinlich vom jungen Bo¬ villard beigebracht.“ „Sie meinen auch, wie die Andern, daß es nur Mißverständnisse sind?“ „Von dem, was die Leute sprechen, laß ich mich nie bestimmen.“ „Ja, es ist ein Mißverständniß, sprach sie mit gen Himmel erhobenen Blicken. Es war kein Zufall, ich weiß, daß alle die Kränkungen von ihm absicht¬ lich ausgingen — “ „Ist es möglich!“ „Ja, mein Herr Legationsrath, so gewiß, als Sie hier vor mir sitzen.“ „So abscheulich hatte ich ihn mir doch nicht ge¬ dacht. Und sieht aus, als könnte er keinem Kinde das Wasser trüben.“ „Und seine Seele ist so rein, wie der Spiegel eines Sees.“ „Sie sprechen in Räthseln. — Ich, oder viel¬ mehr ein Freund, glaubten letzthin in Ihren Blicken ein stummes Spiel gegenseitiger Verständigung zu entdecken. So kann man sich täuschen!“ „Sie haben sich nicht getäuscht.“ „Das Räthsel wird immer dunkler.“ „Und immer heller in meiner Seele. Ja, weil der edle Mann sah, wie mein Gefühl für ihn immer heftiger ward, wie ich mich von ihm hinreißen ließ, und weil er mich wahrhaft liebt, darum mit eigner Selbstüberwindung jene Kränkungen und Aergernisse, 3* die mich tief betrübten, um dann mich wieder desto höher zu erheben. Er beleidigte mich, um mich wie¬ der zu mir selbst zu bringen, um mich von meiner Leidenschaft zu heilen. So lebten wir eine lange schmerzliche Weile uns zur gegenseitigen Qual, bis — wir uns verstanden haben. Nun aber haben wir es, und ich bitte es ihm tausendmal im Herzen ab, wie ich ihm Unrecht gethan. Ich glaubte zu leiden, und wie mußte er erst leiden, indem er mir und sich zugleich so unaussprechlich wehe that.“ Wandel, der etwas unaufmerksam gesessen, warf hier einen forschenden Blick auf die Rednerin. Er hatte manches, aber dies grade nicht erwartet. Die Geschichte interessirte auch ihn nicht mehr besonders, oder er war im Nachsinnen, wie er ihr eine andre Wendung beibringe, um ihr wieder ein Interesse abzu¬ gewinnen. Es war die Neugier, wie man in einem empfindsamen Roman plötzlich die Seiten umschlägt, um die Motive eines den Leser überraschenden Sinnes¬ umschlags zu erfahren, mit der er sie rasch fragte: „Und das hat er Ihnen alles gesagt?“ „Kein Wort.“ „Ah, also die Sympathie der Seelen!“ „Warum senken Sie die Augen?“ Er mußte sich gestehen, daß diese Wendung dem, was die Freunde wollten, am wenigsten entspreche: „Oh, das ist ein Thema, rief er, bodenlos, un¬ ergründlich.“ „Sie erschrecken ja beinah.“ „Ich! — Erschrak ich! — Ich stellte mir nur vielleicht die Frage, ob es ein Glück ist, in der Seele des Andern lesen zu können? Oder nicht vielmehr ein Unglück? Fragen Sie sich einmal, ganz aufrichtig, die Hand aufs Herz. Würden Sie wünschen, daß ein Andrer Ihre Gedanken läse wie ein offnes Blatt?“ Er hatte ihre Hand ergriffen und legte sie sanft an ihr Herz. Sie ließ es geschehen, und sah ihm klar in die Augen. Ohne alle Bewegung sprach sie mit heller Stimme: „Ja, es könnte Jeder lesen.“ „Auch der Baron, Ihr Gemahl?“ „Jetzt erst recht. — Im Anfang schoß es mir da über den Kopf. Nachher ward ich zuweilen stutzig, ich schämte mich, wenn der und jener mir jetzt ins Herz sähe, und ich gab mir Mühe, daß ichs mir anders zurecht legte und rechtfertigte, aber nun habe ichs nicht nöthig. Da fiel mir wieder ein, was mal der Prediger sagte: Jedes guten Menschen Herz muß so zugerichtet sein wie ein Glasschrank. Darin ver¬ birgt man nichts, und wer in die Stube tritt, sieht es.“ „Der gute Prediger unterließ nur hinzuzusetzen, meine Freundin, daß wir nicht Jeden in unsre Stube lassen. Die Stube verschließen wir, und der Glasschrank steht nur offen für unsre Freunde, für die, welche wir geprüft, die täglich Zutritt haben. Ja die mögen hineinschauen, und sich der Dinge freuen, die uns erfreuen.“ „Ach, ich weiß Jemand, der würde sich zuknöpfen, wenn man ihm ins Herz sehn wollte!“ „Wer ist das?“ Wandel schien über diese Wen¬ dung des Gesprächs noch weniger erfreut. „Sie sind ein guter Mensch, Herr von Wandel, aber voller Finten. Reden Sie sich ja nicht aus, ich weiß es.“ Er hatte ihre schöne Hand, die über der Divan¬ lehne lag, erfaßt und brückte sie sanft an die Lippen. „Könnten Sie in dies Herz schauen! sprach er seufzend. Finten nennt es meine Freundin. Im¬ merhin! Finten sind Spitzen, aber es sind blutende Spitzen, Dolchstiche, Dornen, die Andre hinein ge¬ drückt. Da ist der einzige, aber ein süßer Trost, daß um diese Dornen Rosen blühten.“ Sie hatte die Hand ruhig seinen Küssen über¬ lassen, und schien verwundert, als er plötzlich aufstand und den Stuhl wegsetzte. „Wohin wollen Sie denn?“ „Nach dem Lande, wo keine Rosen blühen.“ „Jetzt doch nicht gleich?“ „Ich bin keine Stunde sicher, daß nicht die Pässe und Anweisungen aus Petersburg eintreffen, und dann darf meines Verweilens nicht mehr lange sein. Die Academie in Petersburg hat zu meiner Beschämung eine so dringende Vorstellung an Seine Majestät den Kaiser gerichtet, die Untersuchung der Bergwerke für so wichtig erklärt, und meine geringen Kenntnisse so hoch an¬ geschlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehren¬ vollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte.“ „Ihre Verdienste in Ehren, aber — die Gar¬ gazin wird sie wohl recht ausgeschrien haben.“ „Erlaucht hat allerdings auch Güter in Asien, und einige Bergstriche versprechen, wenn mein Auge aus der Ferne sich nicht täuscht, unter geschickter Hand eine ungewöhnliche Ausbeute.“ „Nach Asien wollen Sie, Herr Gott, das ist weit.“ „Bis an die Chinesische Gränze. Sie mögen denken, wie schwere — sehr schwere Opfer es mich kostet!“ „Wie so denn?“ „Muß ich nicht meine eignen Güter in Thürin¬ gen verlassen?“ „Wissen Sie, was mein Mann sagt? — Die möchte er nicht geschenkt haben; wenn sie nicht die Feldsteine zu Klößen kochen lernten, müßte 'ne Kirchenmaus drauf verhungern.“ „Ei, Ihr Herr Gemahl auch Oeconom! Ich hielt ihn nur für einen Speculanten. Für den glücklichsten, weil — er das große Loos gezogen hat.“ Die Baronin lachte ihn recht herzlich an: „Damit meinen Sie mich; mir verbergen Sie nichts. Wenn Sie aber meinen Mann fragen, so sagt er Ihnen, es wäre seine schlechteste Speculation.“ „Ich halte viel auf Ihren Herrn Gemahl. Ueber dem tiefen Schacht von Wissen und Erfahrung spielen wie Schmetterlinge Humor und Witz. Ich weiß seinen kaustischen Witz zu schätzen; weil ich ihn verstehe, verwundet er mich nicht wie Andere, und es thut mir aufrichtig leid, daß unsre verschiedenen Berufsgeschäfte uns so selten zusammen fühlten. — Glauben Sie mir, auch von ihm wird mir die Trennung schwer.“ „Von wem denn sonst noch! Von der Geheim¬ räthin oder der Fürstin! oder — oder — oder“ „Verdiente ich diese Bitterkeit? Die Baronin Eitelbach sieht mich gern scheiden.“ „Nein, weiß Gott, nein, ich plaudre gern mit Ihnen. Ich glaube Ihnen nicht alles, was Sie sagen, aber es hört sich so hübsch an. Es klingt, als ob man mit Ihnen in die Wolken fliegen müßte.“ „Seele mit dem Taubenauge und dem Blick des Adlers, erlauben Sie mir den Bruderkuß auf die Stirn der Schwester zu drücken.“ Sie wehrte ihn, als er im Begriff war es zu thun, sehr entschieden zurück: „Sie sind noch nicht fort. Wenn's so weit ist, wollen wir uns be¬ sinnen.“ „ Einen Wunsch erlauben Sie mir wenigstens, mit den Lippen auf Ihre schöne Hand zu hauchen.“ „Hauchen Sie aber nicht zu lange.“ „Wie Sie in meine Seele blicken, möchten Sie eben so klar in die des Rittmeisters blicken! Jetzt noch nicht, aber später, wenn ich fort bin.“ „Warum denn jetzt nicht?“ „Jetzt hat er genug Beschäftigung mit der kleinen Choristin.“ „Welche Choristin?“ „Die in der Geisterinsel die Herzen entzückt. Sie wissen ja.“ „Sie sind ein abscheulicher Mensch.“ „Vielleicht irre ich mich auch. Sein Neffe, der Cornet, bezahlt sie, und die böse Welt sagt: für seinen Onkel. Doch, wie gesagt, das mag nur Gerede sein. Und wäre es, ists ein Versuch, seinen Schmerz zu betäuben. Das will ich ihm verzeihn. Aber — ich glaube, es ist vielleicht besser, ich schweige.“ „Nein, jetzt ists besser, Sie reden. Das ist eben so abscheulich von Ihnen, daß Sie einen Stachel Einem ins Herz senken, und dann laufen Sie fort. Man quält sich, was es ist, und dann ists am Ende nichts.“ „Auch ich hoffe, daß es nichts ist. Das ist das Opfer, welches ich Rußland und der Wissenschaft bringe, jetzt von so vielen Freunden mich loszureißen, die vielleicht meiner Hülfe bald bedürfen. Einer Ei¬ genschaft rühme ich mich — ich ward frei von Affec¬ ten, ich blicke klar in die Zukunft, in die Seelen der Menschen, die Fältchen und die Schleier derselben täu¬ schen mich nicht. Der Rittmeister ist, ja, ich gebe es zu, was man nennt, ein guter Mensch, aber verschul¬ det, bis über die Ohren verschuldet. Der Krieg konnte ihn retten. Nun bleibt Friede. Er muß alle Anstrengungen machen, sich über dem Wasser zu hal¬ ten. Damals, als es losgehn sollte, überkam ihn ein nobler Impuls; das ist nun vorüber, er ist Mensch, ein armer Edelmann, ein Officier, auf seine Gage angewiesen, von Gläubigern gedrängt, gewis¬ sermaßen von den Umständen zum Aventurier gestem¬ pelt, gezwungen, sein Alles auf eine Karte zu setzen. Lieber Gott, er ist darum kein Bösewicht, daß er alle Rollen spielt, den brüsken, den sentimentalen, sogar den idealen Liebhaber, um eine reiche Frau zu kapern.“ „Sind Sie bei Trost? Ich bin ja verheirathet!“ „Daran denkt ein solcher Aventurier nicht. Er hält Alles für erlaubt, und in der Noth kein Band zu fest. Ich kenne solche Menschen.“ „Jetzt schweigen Sie. Sie mögen viele Men¬ schen kennen, aber den Rittmeister Stier von Doh¬ leneck kennen Sie nicht. Ich könnte Ihnen sehr böse werden, spinnefeind, wenn Sie nicht ein so guter Mensch wären. Darum bitte ich Sie, thun Sie mir den Gefallen und — sein Sie still. Kein Wort mehr davon!“ Er verneigte sich respectvoll: „Ich gehorche dem Befehl, wo ein leiser Wunsch genügt hätte; aber eine Bitte spreche ich im Scheiden aus. Wenn das Traum¬ bild Ihres Glaubens zusammensinkt, wenn Sie sich schwach fühlen, wenn mit Ihrem Vertrauen das Glück des Lebens vor Ihnen zusammenbricht, dann denken Sie, dann rufen Sie mich. Ich werde Ihre Stimme hören, auch wenn hunderttausend Meilen uns trennen, kein Brief mich trifft, keine Taube durch die eisigen Lüfte dringt. Wenn Auguste von Eitel¬ bach gepreßten Herzens in ihrem Kummer meinen Namen nennt, wenn sie schluchzend in die Nacht ruft: Ach, wäre er hier, er könnte mir helfen, dann werde ich Ihren Ruf hören, ob ich im tiefsten Schacht der Bergwerke von Irkutzk dem Licht der Gnomen folge, um die Adern edler Erze zu schürfen, oder einsam schweife auf einem Rennthierschlitten um die kalten Seen Sibiriens — und ich bin bei Ihnen.“ Ohne einen Händedruck war er nach der Thür geeilt. Sie rief ihm nach: „Nach Sibirien gehen Sie?“ „Warum schaudern Sie, gnädige Frau? Es ist warm auch am Eispol, wenn das Blut im Herzen pulst.“ „Ich dachte nur — Ich war in Glogau, als der Erxner, der Raubmörder, nach Sibirien transportirt ward. Was man doch manchmal Närrisches denkt — wenn Sie auch so in Ketten hingeschleppt würden! — So fuhr er auch zusammen, wie Sie jetzt —“ Er verneigte sich noch ein Mal und war ver¬ schwunden. Sie sah ihm aus dem Fenster nach. So in sich versunken hatte sie ihn noch nicht gesehen. Er erwiederte den Gruß zweier Bekannten nicht. „Er hat nur einen Fehler, sprach sie bei sich, er kann den Rittmeister nicht leiden. Aber — aber er wird noch nicht — mit Sibirien hats gewiß noch gute Weile.“ Viertes Kapitel. Ob's edler im Gemüth, die Pfeil und Schleudern Des wüthenden Geschicks erdulden oder — „Thorheit, zu glauben, daß ein Mensch seiner Zeit voraufgeht. Von der Strömung in der Luft werden wir gezogen, wie die Atome dem Athem zufliegen. Es ist das unergründete Gesetz in der moralischen Welt, was den Riesen wie den Zwerg regiert, und die tollste Ironie ist es, der wahn¬ sinnigste Traum unsrer trunkenen Phantasie, zu wähnen, daß wir aus eignem freien Impuls die Welt nur um eine Spanne weiter rücken!“ Zwei Genesende saßen auf einer abgelegenen Bank im Thiergarten, die laue Sommerluft ein¬ schlürfend. Der eine, den Arm in einer schwarzen Binde, — schien seine Krankheit bereits abgeschüttelt zu haben, und das blasse Gesicht röthete sich, wäh¬ rend die Glieder oft elastisch zückten. Es war Walter. Der andre trug keine sichtliche Verwun¬ dung, aber der kräftige Geist schien mit einer physischen Mattigkeit im fortdauernden Kampf, und sein auch bleiches Gesicht blitzte von einer ver¬ rätherischen Röthe, während das dunkle tiefe Auge gespensterhafte Glanzblitze warf. Es war Louis Bovillard; er hatte die obigen Worte gesprochen. „Dem Fatalismus huldigen, dahin also führte unser langer saurer Bildungsproceß, unser Suchen, Tappen, Klimmen! entgegnete Walter. Du mußt bekennen, daß die Türken dies Ziel bequemer haben. — Du bist noch krank.“ Bovillard sah mit seinem glühenden Auge weh¬ müthig auf den Freund: „Was hilft Dir Deine Gesundheit?“ „Daß ich meine Kraft sparte.“ „Wofür? Was hilft der Ameise die Seherkraft der Kassandra, wenn der Stiefel eines Stallknechts sich nur aufzuheben braucht und der Bau ihres Lebens ist zerstört!“ „Gott und Natur sind ewig, und der Mensch —“ „Bleibt ihre erhabenste Creatur, aber ewig wie Herkules am Scheidewege. Da steht: Entsage! und ein himmelblaues Lamm daneben, Dich auf Dornen¬ wegen zur Trübsal zu führen. Hier steht: Genieße! und Fuchs, Wolf und Schlange stehn als Deine Lehr¬ meister dabei.“ Walter hatte längere Zeit vor sich hingeblickt; die Lucubrationen des Freundes hatten ihn nicht gestört: „Wo ist das Allgemeinwohl? das ist die Frage. Sitzt's in den Gipfeln? in den Wurzeln? Wo ist das Mark? Wir fühlen es, wie das Wasser den festen Boden unterspült, die Wurzeln vom Erd¬ reich löst, wir fühlen das Annahen des Sturmes. Und noch wäre Rettung möglich, aber die phleg¬ matische Masse schließt noch die Augen, trunken schreien Einige in die Lüfte, aber sie helfen nicht, nur dem Feinde geben sie ein Zeichen, wie es steht. Die zu Wächtern bestellt sind, zu Baumeistern und Steuerleuten, singen uns Schlaflieder zu. Sie zittern nicht vor der Gefahr draußen, nur vor der Aufregung, welche die Furcht davor im eignen Lager verursacht. Wo nun Einer mit dem besten Willen kommt, wo soll er anklopfen, wo, wenn er sein Gut und Blut hineinwerfen möchte, ist die Büchse, um es aufzunehmen? Das ist die Frage.“ „Was hilft's Dir, wenn Du die rechte Ein¬ gangsthür in ein verrottet Haus findest, wo drinnen nichts mehr zu retten ist.“ „Es ist“, fuhr Walter auf. „Wie hätte dieser Staat so lange bestehen können und leuchten in der Geschichte. Es ist etwas nie da gewesenes, wie dies Regentengeschlecht persönlich auf das Volk einge¬ wirkt hat. Das leugnest Du Dir nicht fort, vom Anbeginn bis heute. Es hat alles, was sein eigen war, Gedanken, Geist, Intelligenz, Thatkraft, Muth, Entschlossenheit, Ausdauer, ausgesprützt in die Adern der rohen, verwilderten Stämme, die es vorfand, die es später mit seinen starken Armen umklammerte, bis sie unter dem warmen schirmenden Druck zu einem Leibe verwuchsen. Wir sollten freudig staunen über das Wunder einer Gärtnerkunst, denn das war es, wo die Fürsten von anderm Stamme, Blut, aus einem fernen, fremden Lande, so sich mit dem Boden, den Boden mit sich amalgamirten; wenn nicht eben die Impfe so wunderbar nachhaltig ge¬ wirkt hätte, daß alles, was auf dem Throne zur Geltung kam, im Volke sich wiederspiegelt und reproducirt, wie die Stärke vorhin nun die Schwächen, wie das Licht, jetzt die Schatten. Ist nun ein Volk von der Vorsehung destinirt, das frage ich mich, sein Licht ausgehn zu lassen, weil von seiner Herr¬ schaft ihm keins mehr leuchtet, sich selbst auszulöschen aus der Reihe der lebendigen Nationen, weil der Druck der Luft von oben, das Miasma, es affirirt! Ist's destinirt, mit allen Mitteln zur Hand, sich nicht selbst curiren zu dürfen?“ „Wenn es ein Affenvolk ist! Und wir sind Alle Affen. Was willst Du mehr von ihm?“ „ Das mehr, was die Erziehung, grade jene seiner Könige es lehrte: selbst zu denken und zu fühlen. Diese Eigenschaften sind nicht fortgespült; sie wuchern geil und lustig fort. Es kam einmal die Sitte von oben herab, die nüchterne, strenge hausbackne Bürgertugend von jenem Soldatenkönig, dann vom selben Throne mit den laxen Sitten und der Frivolität jene eben so nüchterne Aufklärung. Jetzt, wo Frömmigkeit und Gerechtigkeit in mildem Scheine von oben ausstrahlt, wo wir aus einem guten Sinne auf Tüchtiges gehofft, ist's die Unent¬ schlossenheit, die sich auf das Volk ergießt und es zersetzt. Wie, wo soll da geholfen werden! Nein, wer soll helfen, wer die adstringirende Säure gie¬ ßen in die in Auflösung befindliche Masse!“ „Frage lieber, wer ist der neue Prometheus? Denn die Nachkommen des alten verfolgten Revolu¬ tionairs sind im Laufe der Zeit legitime Philister geworden, gute Bürger, die des Nachtwächters Ruf gehorchen: Bewahrt das Feuer und das Licht. Schaff Dir neue Menschen. Mit den alten ist nichts anzu¬ fangen.“ Bovillard war aufgestanden und blickte in die Ferne, wo die Sonne zwischen dem Walde versank. „Thorheit, wiederholte er, zu rühmen, daß wir die Zeit verrücken, die, unser spottend, über uns hin¬ rollt. Der Kriegswagen des Donnergottes, von Sturmrossen gezogen, Festungen zermalmt er und Heere, die für unüberwindlich galten, wie Kartenhäu¬ ser und bleierne Soldaten, und es ist nichts so fest auf Erden, was nicht schon knickt, wo sein schnauben¬ des Gespann heranbraust.“ — Er legte seinen Arm auf Walters Schultern. — „Ich war da, Lieber, ich sah es ja in der Nähe. Unsern Staatsmann sah ich, hei¬ liger Gott! Friedrich und sein großer Ahn, der Kurfürst, müßten im Sarge roth werden, wenn sie das gesehen! Ein Verräther — nein! Man kann nur verrathen, was man weiß. Wenn er sich in den Wagen setzte, zur Conferenz zu fahren, wußte er noch nicht, was er rathen, fordern, sprechen sollte. Napoleon fuhr ihn an. Er schwieg. Napoleon ca¬ jolirte ihm, ging ihm um den Bart. Er schwieg auch. Dies Schweigen soll wirklich den großen Mann anfänglich verwirrt haben, bis er merkte, daß man auch schweigen kann, nicht um zu verschwei¬ gen, sondern weil man nicht weiß, was man wol¬ len soll. Solche Rathlosigkeit, solche Fassungskraft, solcher Mangel an Gedanken und Muth! Der Ver¬ treter des Militairstaates wußte von den militairi¬ schen Operationen nicht, was ein Quartaner in Preu¬ ßen wissen muß, ließ sich einschüchtern, Gott weiß womit, und was Napoleon in seiner Laune einfiel: er ließ sein Heer über Gebirge und Flüsse springen, Schlesien nehmen, Polen revoltiren, daß die Adjutan¬ ten hinter der Thür kaum das helle Auflachen zu¬ rückhielten. Das Heer, geschwächt, blutend, hätte da¬ mals nicht vier Meilen mehr gemacht. Dann, zum Trost, überschüttete er ihn mit Lobsprüchen für seinen guten Willen, seine Einsicht, und unser Mann ward roth vor Freude. — Und in solche Hände legen unsre Fürsten unser Schicksal, und solchem Feinde gegenüber!“ „Die deutschen Fürsten —“ „Laß mich von ihnen schweigen. Was ich auch da sah, wenn eine Nachwelt kommt, wird sie's nicht glauben. Sauve qui peut , das ist das große Schi¬ boleth der Zeit.“ „Und das deutsche Volk?“ IV . 4 „Soll es für die goldne Bulle schwärmen, für Regensburg oder Wetzlar! Schwärmer giebt es, wofür wären wir Deutsche!“ „Auch die Kreuzfahrer waren Schwärmer, und doch eroberten sie Jerusalem.“ „Warte nur, Lieber, wenn die gutgesinnten Bür¬ ger die Straßenjungen gegen sie animiren. Koth auf sie! Mit Recht, sie stören ja die Ruhe. Alle die Volkserhebungen, die man versucht hat, da und dort, um den Erzherzog zu soulagiren, kläglich fielen sie aus, und wenn man Frieden schloß, wie ließ man sie im Stich! die armen Schelme! Was heut Tu¬ gend heißt und Patriotismus, die Diplomatie stem¬ pelt's morgen zum Verbrechen und Hochverrath, wenn's ihr so bequemer ist. Was willst Du da vom armen Volk erwarten! Sie äffen den Fürsten nach, und sie thun Recht. Wer etwas für sich schaffen kann, zugegriffen, so lange es Zeit ist! Die alten Bande sind gelöst. Es giebt kein Recht, kein Gesetz, kein Vaterland mehr. Hasche den Sonnenblick, ge¬ nieße den Augenblick, Du weißt nicht, was morgen kommt. Schöne Mädchen und Cyperwein, Walter, so lange es schmeckt. Preußen that Recht, wir wa¬ ren im Unrecht; es hat den größten Bissen erschnappt. Presse Hannover aus, Du weißt nicht, ob es Dir nicht schon morgen wieder entrissen ist. Schöne Mädchen und Cyperwein! nur nichts von Vaterland, Menschenglück. Phantasmagorien, nichts als Mond¬ scheinillusionen. Im Ernst, Walter! Sieh mich nicht so an. Die alte Zeit ist abgelaufen, aller Widerstand ist Thorheit — der neue Titane zerschlägt dem alten Sonnengott den Karren, die Splitter und Funken fliegen durchs Weltall. Duck Dick in eine Höhle, wenn Du eine findest, und wenn Du lebendig bleibst, gaffe ihm nach, wohin er seinen Feuerball peitscht. Ich weiß es nicht.“ „Und doch, sprach Walter, ihm nachblickend, als er ohne Abschiedsgruß nach der Stadt gegangen, doch würdest Du der Erste sein, wenn —“ Er folgte ihm. Seltsam, als Walter in das Haus des Geheim¬ rath Lupinus trat, sollte er eine Unterhaltung über¬ stehen, die denselben Gegenstand hatte. Er fand den gealterten Mann kränkelnd. Er hustete viel. Walter meinte, das Zimmer sei wohl lange nicht gelüftet, der Bücherstaub habe etwas Drückendes. Der Geheimrath hörte ihn mit Freundlichkeit an. „Gewöhnen wir uns doch daran, das Leben als eine Gewohnheit zu betrachten, dann fällt so Vieles fort, was uns sonst quält und ängstet. Ist nicht der am glücklichsten, der nichts in seiner Lebensweise än¬ dert? Wer immer ändert, stellt damit nur ein Te¬ stimonium aus, daß er nie zufrieden war. Ich weiß es, ich werde sterben, vielleicht bald, aber Sie werden noch lange leben; nun lassen Sie uns von Ihnen reden. Da ist Herr Niebuhr nun angekommen. Er wird bestimmt angestellt, und wahrscheinlich in eini¬ gen Wochen schon ist er Bancodirector mit dem Titel 4* Geheimer Seehandlungsrath. Er hat Ihre Abhand¬ lung über Alba Longa mit Vergnügen gelesen. Er wird ein Mann von Einfluß werden. Jetzt kann ich Sie noch empfehlen, vielleicht bald nicht mehr. Sa¬ gen Sie mir Ihre Wünsche, lieber Walter.“ Auf Walters Gesicht stand die Antwort. Es war ein Thema, was sie oft besprochen. Mit einem vielsagenden Blicke faßte der Kranke die Hand des Gesunden: „Unser Staat ist kränker, als ich bin. Die Re¬ publik liegt in den letzten Zügen, die Scipionen schlummern in ihrer Gruft, die Virtus neben ihnen, unser Actium und Philippi steht vor den Thoren, die Catonen mögen den Giftbecher leeren, es bricht zu¬ sammen, Herr van Asten, ich weiß es auch, und der Cäsar scheint auch schon da, der uns nur nicht behagt. Was bleibt da dem Freien? — Das Exempel, das ihm ein alter Freigelassener ließ.“ Der Geheimrath hatte sich mit Mühe vom Stuhl erhoben, und war, auf einen Stock gestützt, an seine heiligste Bücherwand geschlichen. Einen, Walter wohl¬ bekannten dünnen Band, unscheinbar in altem Leder, nahm er heraus. Es war eine Ausgabe des Horaz, an die er keine fremde Hand ließ; er zeigte das Buch nur seinen Freunden. „Wenns Ihnen schlimm ums Herz wird, hier ist der Trost. Zweifeln Sie, daß Horaz ein guter Patriot gewesen? Ging ihm das Schicksal des Rö¬ mischen Staates nicht ans Herz? Ich sage Ihnen, es schnitt ihm hinein, tiefer, als die Herren Ausleger denken; der Schnitt steht nur zwischen den Versen, und da verstehn sie nicht zu lesen. Was hätte es nun geholfen, wenn er sich ins Schwert gestürzt? Was hatte Rom davon, daß Brutus es that! Horaz warf seinen Schild fort, machte sich auf die Behen¬ digkeit seiner Hacken, und als er stille stand, und sich den Staub abklopfte, sah er, daß der Himmel noch immer blau war und die Sonne so lau und golden auf das schöne Italien schien, als vorhin. Hätte er nun krächzen sollen wie die Eule Tacitus von ihrem alten Thurm, Zeter und Wehe über die Verderbniß der Zeit! Hat Tacitus die Zeit besser gemacht, oder die römischen Sitten, hat er Rom nur einen bessern Kaiser verschafft? Contrair, sie wurden immer schlimmer. Die Bußprediger thuns nicht, und in das Rad der Weltgeschicke greift keiner ein; das geht über die Köpfe der Völker und Königreiche. Ein Narr, wer da glaubt, daß er in die Speiche faßt, ohne zermalmt zu werden und ausgelacht obenein. Horaz schloß Frieden. Hat er darum sein Vaterland verrathen? Sein Vaterland war größer. Ubi bene ibi patria! Er sang: Beatus ille qui procul negotiis — Sein contentam ducit vitam klang wie süße Musik unsern Vätern ins Ohr. Er ließ die laufen, quos curriculo pulverem olympicum collegisse juvat, und freute sich, von Rosen und Epheu umkränzt, am funkelnden Falerner. Er ließ den Augustus regieren, wie er Lust hatte, denn er stand unter dem bessern Regiment der guten Cynera. — Nicht wahr, das ist recht frivol und schlecht von ihm gehandelt! Und so was der Jugend zu predigen! Aber, aber — zwei tausend Jahre beinah vergangen, und Horaz lebt! Die Brutus spuken freilich, in allen Revolutionen, gar tugendhafte Männer, aber was hinterlassen sie? Verfolgungen, Criminalprozesse, Steckbriefe, Aus¬ weisungen, Schaffotte, Bankrotte, ruinirte Familien, Elend — aber wen auch das Rad nach oben trägt, dem Horaz hört er immer gern zu, er hat in aller Welt das Bürgerrecht, der süße Prediger einer Lebensweisheit, die dauern wird, so lange die Welt steht.“ Walter schwieg. Sie hatten auch darüber schon oft sich verständigt, daß sie sich nicht verständigen könnten. Der alte Gelehrte klopfte ihm auf die Schulter: „Will ich Sie denn zwingen, junger Eigensinn! Erinnern Sie sich, wie Morus seine herrliche Biographie des Philologen Reiske anfängt: Omnis vitae Reiskianae ratio fuit, non cedere malis sed audentiorem contra ire! Ist auch ein schöner Spruch und ein klassisches La¬ tein. Meinethalben immer drauf los wie der große Reiske. Erinnern Sie sich aber gelegentlich, daß Horaz auch gesagt hat: Est modus in rebus , sunt certi denique fines . Er hat keine Maxime aufgestellt wie Cicero, daß der Mensch wedeln soll vor der Macht, weil sie Macht ist. Und dann dachte auch wohl der heidnische Philosoph nicht an den Wurm, 's ist an einem anderen, der das Maaß finden, die Gränze stecken soll. Und „Integer vitae, scelerisque purus — das hat dieser selbe Horaz auch gesagt. In meinem Testa¬ ment hatte ich es Ihnen vermacht — diese — ja diese Leydener Silberschrift mit verschlungenen Hän¬ den. Warum so lange warten! Rasch in die Brust¬ tasche, zur Erinnerung an einen alten Mann, der Ihnen wohl wollte.“ Das war etwas Ungeheures — Walter erschrak: „Dies Exemplar, Herr Geheimrath!“ Der Gelehrte drückte es ihm in die Hand: „Dieses, ich weiß keinen bessern, der es nach mir aufhebt. — Es ist freilich nur vom zweiten Abdruck. Ja, wenn es mir gelungen wäre, eines mit dem Todtenkopf zu erhalten! Was habe ich nicht correspon¬ dirt, nach England, Schweden, was habe ich geboten! Der Herr Legationsrath von Wandel, was hat der sich nicht für Mühe gegeben — er hofft noch immer; aber — es war vielleicht ein zu großer Wunsch, und kein Mensch scheidet von dieser Welt, der sagen kann, daß Alles in Erfüllung ging, was er wünschte.“ Den Geheimrath befiel hier ein heftiges Hüsteln. Die Sprache versagte ihm und der kalte Schweiß stand auf seinem blassen Gesicht. Als Walter ihn nach seinem Stuhl führen wollte, stand die Geheim¬ räthin plötzlich da — man konnte glauben, daß sie hinter einer Bücherwand Zeuge des Gesprächs ge¬ wesen. „Verzeihn Sie, Herr van Asten, man muß einen so langen Umgang mit einem theuren Kranken gehabt haben, um seine Wünsche zu verstehen.“ Ihr Blick hatte ihn fortgewiesen, und er ge¬ horcht. Fast machte er sich einen Vorwurf. Hatte ihm der Geheimrath nicht noch etwas sagen wollen? Vielleicht war es das letzte Mal, daß er ihn sah. Aber er hatte schon die Weisung der Geheimräthin überschritten, die aus Vorsorge für den Kranken den Befehl gegeben, Niemand ohne ihr Vorwissen in das Zimmer zu lassen. Er zauderte im Vorzimmer. Der Kranke mußte sich wieder erholt haben, er hörte ihn die vorhin angefangene Ode: Integer vitae, scele¬ risque purus recitiren. War es sein Sterbegesang? Die Geheimräthin schien betroffen, als sie zurückkehrend Walter noch fand. Der Blick, den sie ihm zuwarf, hatte etwas Befremdendes, es war ihm auffällig, daß sie ein Tuch vor dem Munde hielt, welches sie im Augenblick, wo sie ihn sah, fallen ließ. Er glaubte sich zu entsin¬ nen, daß sie schon im Krankenzimmer es an die Lip¬ pen gehalten. Doch es war nur ein Moment gegen¬ seitiger Befangenheit. Sie setzte sich auf ein Sopha, oder ließ sich fallen, und drückte das Tuch an das Gesicht. Ein Schluchzen hörte er nicht. Er sprach einige Worte der Theilnahme, daß die Gefahr wohl nicht so groß sein werde, als man annehme, daß die Natur des Geheimrathes auch schwerere Krankheiten zu überwinden im Stande sei, daß er unter einer solchen Pflege genesen müsse. Den starren, höhnischen Blick, als sie das Tuch wieder sinken ließ, konnte er nie vergessen. „Meinen Sie, Herr Doctor? — Er wird ster¬ ben. Wenn auch nur darum, damit die Leute sagen können, ich hätte ihn schlecht gepflegt.“ „Gnädige Frau, es ist nur eine Stimme, mit welcher Aufopferung Sie für das Schicksal Ihrer Angehörigen sorgen.“ „Sind Sie wirklich noch so jung und harmlos, Herr van Asten? — Sie haben doch auch schon Er¬ fahrungen hinter sich, setzte sie hinzu, und sollten wissen, was auf diese Stimme zu bauen ist. Oder hörten Sie immer nur den lächelnden Anfang, und schlossen vergnügt ihr Ohr, wenn die herzlich Theil¬ nehmenden von ihrem Lobe sich erholten, zuerst in kühler Betrachtung, die sie unpartheiische Würdigung nennen, dann in leisen Bemerkungen, daß bei dem vielen Guten doch auch Schattenseiten sind; endlich wenn die liebrei¬ chen Seelen erkannt, daß sie unter sich sind, öffnen sich die Schleusen und die ätzende Bitterkeit schießt heraus, bis von dem Lobe nichts bleibt, als eine tödtende Wunde.“ „Das Thier im Menschen zu bekämpfen, sind wir auf dieser Erde.“ „Meinen Sie, Herr Doctor! Ich meinte nur, die Klauen und die Stachel unter einer glatten Haut zu verbergen. — Wer leben will, athmen, genießen, rief sie mit einer heiseren Stimme, die nur aus einer zerrissenen Brust kommt, dem rathe ich nicht, die Waffen fortzuwerfen, die ihm die Natur gab.“ „Sie gab uns auch andre — einen Schild, durch welchen die Stacheln nicht dringen.“ „Der Schild, den Sie meinen, heißt Resigna¬ tion. Sind Sie in der That noch so unschuldig, Herr van Asten, oder, ich glaube doch nicht, daß Sie zu den concilianten Gemüthern sich geschlagen haben, die jeden Riß mit einer weißen Salbe heilen möch¬ ten. Nein, ich weiß es, auch Sie stemmen den Kopf gegen eine Mauer — Machen Sie sich doch nicht kleiner, als sie sein wollen, vor — denen, welche Sie von einer besseren Seite kennen gelernt! —“ sprach sie plötzlich aufstehend. Sie war in einer Aufregung, die Walter an ihr neu war. Sie wollte das Zim¬ mer verlassen, aber es war ein Dämon in ihr, der sie sprechen ließ, was sie nicht sprechen wollte. „Das Leben ist ein fortwährender Krieg Aller gegen Alle. Einfaltspinsel oder Betrüger, die von der Humanität faseln. Die stillen, friedlichen Pflan¬ zen haben kein ander Naturgesetz, als eine die andre niederzudrücken. Nur die entfernt stehen auf zwei Gipfeln, die den Saft der Erde, Thau und Licht des Himmels nicht zu theilen haben, mögen mit Liebe coquettiren. Das kann der Mensch nicht. Zwei, die auf zwei Gipfelhöhen stehen, beneiden sich auch in der Entfernung; so fein hat die Natur es gefügt. — Unterbrechen Sie mich nicht, mein Herr, ich statuire gar keine Ausnahmen. Mann und Frau sind doch wenig¬ stens eins, wollten Sie einwenden! Ja! beiden Ehen die im Himmel geschlossen werden. Nur schade, daß bei denen, die wir kennen, der Notar und der Geist¬ liche das Werkzeug waren. Wir leben auf dieser Erde, mein Herr. Ihre dämonischen Säfte, ihr Athem zuckt in unserm Blute, und ihr Princip ist: tödten, in¬ dem wir nach Luft und Leben ringen. Ihre Rechts¬ gelehrten sprechen ja wohl von dem Recht der Noth, wonach von zwei Schiffbrüchigen auf einem Brett der schlauere und stärkere den andern hinabstoßen darf. Die Thoren nennen es einen Ausnahme¬ fall. Es ist die Regel, das Naturgesetz, danach leben Könige und Völker, es gilt allüberall, wo die heiße Sonne auf das blasse Elend scheint, und der blasse Mond spöttisch über die Seufzer lächelt, die aus der heißen Brust zu ihm aufsteigen. Oder gehören Sie zu denen, die das Brett loslassen, und sich von der Welle fortspülen lassen, damit die Creatur am an¬ dern Ende, der edle Nebenmensch, gerettet wird?“ „Ich ward noch nicht in die Versuchung geführt.“ „Wenigstens ehrlich!“ lachte die Geheimräthin. Nein, nur halb ehrlich! Die kleinen Versuchungen, wo Sie unterlagen, haben Sie aus Schonung gegen sich selbst vergessen. Sie zittern nur vor den gro¬ ßen, die noch kommen.“ „Ich will sie abwarten.“ „Mit der Miene eines Stoikers. Aber ich sehe, wie der unterdrückte Ehrgeiz, das getäuschte Ver¬ trauen unter den Fältchen Ihrer Stirn kocht. Sie thun recht daran, Herr van Asten, die Haut recht glatt zu spannen. Aber mich täuschen Sie nicht, so wenig als ich Sie täuschen will. Ja, ich bin im Kriege mit dieser Welt um mich her. Wenn ich nicht schon ganz gemieden, ausgestoßen bin, o glauben Sie nicht, daß es aus Menschenliebe, aus einem Rest von Achtung vor meinen Eigenschaften ist. Die ge¬ sellschaftlichen Rücksichten drücken ihren Stachel auf den zurück, der sie zuerst bricht. Das ist es allein. Darum kommt man noch in mein Haus, darum öff¬ nen sich die Flügelthüren, wo ich erscheine. Darum noch Händedrücke, plötzlich süße Mienen, wie sauer es ihnen auch wird, ein Embrassement! Ich gebe ja noch zu essen, ich habe einen Namen, mein Mann hat einen, meine Väter hatten einen. Andere führen eine glänzendere Tafel, haben höhere Titel, versam¬ meln anmuthigere Gesellschaft um sich, aber die Thü¬ ren könnten sich doch einmal schließen, man könnte hinausgestoßen werden, und dann bin ich gut genug als pis-aller . O die Menschen sind vorsichtige Re¬ chenmeister. Auch sind Einige so gütig, zu meinen, daß ich Verstand hätte, sogar einen scharfen. Ich sehe ihre Schwächen. Das ist Vielen sehr unange¬ nehm. Meine Zunge verwundet auch wohl; es ist meine Natur. Das ist vielen dieser zartgeschaffenen Seelen noch unangenehmer. Da sie mich nicht von der Welt schaffen können, was ihnen das Liebste wäre, versuchen sie, mit mir zu liebäugeln. Und das ist das Gescheiteste. Wen man fürchtet und nicht ver¬ nichten kann, muß man streicheln, bis die Gelegen¬ heit kommt, eine Fallgrube, in die man ihn hinter¬ rücke stößt. Das ist die Politik der Natur; Könige und Kammerdiener, Kluge und Dumme üben sie, und es giebt, die meinen, daß die Welt nur durch sie besteht.“ Wer hatte diese unglückliche Frau bis zu die¬ sem Aeußersten gereizt? So hatte sie sich nie ihm gezeigt. Sie schien seine Gedanken zu lesen: „Hat meine Aufwallung Sie erschreckt? Beru¬ higen Sie sich, mein Herr, ich werde auch wieder ruhig werden. Es ist zuweilen Bedürfniß, sich ge¬ gen Menschen auszusprechen, von denen wir glauben, daß sie uns verstehen.“ Sie war ans Fenster getreten, aber mit einem Umweg und Seitenblick auf den Spiegel, wie Walter, jetzt aufmerksamer, bemerkte. Sie hatte das Fenster geöffnet, um Luft zu schöpfen, aber sie hatte mit dem Tuche rasch die Toilette ihrer Physiognomie gebessert. Als sie sich zu unserm Bekannten umwandte, war das Gesicht ein anderes, die fieberhafte Aufregung war verschwunden, die Augen stachen noch, aber glühten nicht mehr, es war der lauernde, ernste Aus¬ druck, der in ihren Zügen fesselte und abstieß. „Ich gab mich Ihnen eben ganz wie ich bin, Sie konnten das geheimste Fältchen in meiner Seele lesen. Ich überlasse Ihnen, davon Gebrauch zu ma¬ chen, wie Sie wollen, denn ich bin nicht so albern, zu glauben, daß ein Rest von Dankbarkeit und Pietät Sie bestimmen sollte, mich zu schonen. Nein, be¬ urtheilen Sie mich, klagen Sie mich an vor der Welt, wie Sie mich kennen gelernt. Mein unglück¬ licher Mann wird sterben, — den täuschenden Trost der Aerzte weiß ich zu würdigen — er wird sterben, und mich wird man anklagen. Man wird sagen, ja, als es zum Aergsten kam, da schlug ihr das Gewis¬ sen, da pflegte sie ihn, da verließ sie ihn nicht bei Tag und Nacht, da härmte sie sich ab. Warum nicht früher? Und die klugen Leute haben Recht, denn der Schein ist wider mich. Wer sieht denn hinein in das geheime, zwanzigjährige Wehe eines zerrissenen Herzens! Ich verbarg es der Welt; es hat Niemand ein Recht, meine zerrissenen Schuldbücher nachzuschla¬ gen. Das Glück meines Lebens kostete mich der Schein, die Rolle einer Befriedigten zu spielen. Wenn ich nun aufschrie: er war nie mein Gatte! Nein, mein Herr, ich ward ruhig, ich ward sehr ruhig. Sie mögen mich eine Frau schelten, die um ihren Mann sich erst kümmerte, als der Anstand forderte, auf sei¬ nem Todtenbett das Haar vor Schmerz zu raufen. Ich will ihnen auch den Gefallen nicht thun; ich will ihnen auch den Schein lassen, mich kalt, gefühl- und herzlos zu schelten. Meine Trauer will ich in mich verschließen, und eine stumme Bildsäule an sei¬ nem Sarge stehen, damit sie ein Räthsel mehr zu lösen finden. Jeder mag es nach seiner Art. Sie, Herr van Asten, kennen mich nun, in einer unbe¬ wachten Stunde schloß ich mein ganzes zerrüttetes Sein vor Ihnen auf. — Nun suchen Sie sich Com¬ pagnie, die Ihnen gefällt, unter Hohen und Niedern, über mich herzufallen, mich zu zergliedern, verurthei¬ len. Ich bin auf Alles gefaßt.“ „Ich aber nicht darauf, daß Frau Geheimräthin Lupinus mich dazu fähig hält.“ „Fähig, das weiß ich nicht, ich kenne Sie nicht genug. Aber aus Klugheit dürfen Sie vielleicht nicht Compagnieschaft halten. Die gemeinen Seelen müssen, es ist ihre Natur, Krieg führen gegen alles, was sich über ihr Niveau erhebt. Und Sie sind in diesem Kriege. Bleiben Sie in der Defensive, so sind Sie verloren. — Ich weiß es nicht, setzte sie nach einer Weile hinzu, ich kümmere mich nicht darum, ob Sie den Muth haben, Ihren Feinden ins Lager zu dringen.“ Unwillkürlich war Walters Blick auf seinen Arm in der Binde gefallen. „Sie haben den Chevaleresken gespielt, Ihren Gegner am Leben gelassen. Verspielt, Herr van Asten! Wer seinen Gegner nicht vernichtet, hat ihn gestärkt. Hätten Sie Rache genommen, wie die Be¬ leidigung es heischte, ja dann — aber glauben Sie nicht, daß man Sie darum für einen Cavalier hält, weil Sie nach der Mondscheinschrift in dem schwarzen Buch der Cavalierehre gehandelt. Obsolete Dinge! Man zückt die Achseln, ein Gelächter rieselt, wenn die Junkerofficiere von der Affaire erzählen. Der Andre wird jetzt beklagt, Sie — Sie, Walter, werden nicht gefürchtet. Und Sie könnten gefürchtet werden, es war in Ihre Hand gegeben. Es war die einzige Waffe für den Bürgerlichen, glauben Sie mir, ich kenne sie ja, sich Respect zu verschaffen. Die warfen Sie aus der Hand. Was wollen Sie nun thun! Alles, was Ihre feine, scharfe Feder schreibt, kitzelt da keinem die Haut. Sie antichambriren umsonst, Ihre Ideen bleiben Mondscheinsgedanken, denn die Welt bleibt dieselbe, Herr van Asten. Nach jedem Erdbeben, wo einmal die Lohe des Geistes, aus der verschlossenen Tiefe berstend, über die Thäler und Berge wirbelte und die Wolken erleuchtete, wo die Geknebelten Freiheit schrien und Recht, nach jedem solchen Rausch kommen sie wieder zur Besinnung, es zieht sich wieder die Rhinoceroshaut der Gewohnheit um das Pseudotitanengeschlecht, das den Himmel stürmen wollte, und die Menschheitsbeglücker hat man noch immer nachher gekreuzigt und verbrannt, wenn man es nicht für bequemer hielt, sie nur einzusperren und auf dem Stroh verfaulen zu lassen. Die Welt wird nicht anders.“ „Noch würde ich sie geändert haben, wenn ich den Cornet in die jenseitige geschickt. Die Rache baut nicht Häuser, sie zerstört nur. Wehe, wo es gilt, unser zerrüttetes Gemeinwesen wieder heben, wenn die bisher Gedrückten nur daran denken, sich an ihren Unterdrückern zu rächen, wenn nicht alles Persönliche als wesenlos bei Seite bleibt, wenn die Retter nicht mit ernstem, heiligem Willen an die That gehen.“ Man hätte ein chamäleontisches Mienenspiel auf dem Gesicht der Geheimräthin bemerken können, das sich endlich in ein feines ironisches Lächeln um ihre Lippen auflöste: „Sie haben die Prüfung gut bestanden, Herr van Asten; ganz wie ich erwartete. Hoffen wir Alle auf dem Wege der Geduld und Entsagung zu unserm Recht zu kommen. Ich habe Geduld. Nicht wahr! Und ich habe entsagt — sogar dem Glück, verstanden zu werden. Kann man mehr? Leben Sie wohl —“ Sie war gegangen, um an der Thür wieder stehen zu bleiben: „Sahen Sie Adelheid seit Ihrem Ehrenhandel?“ „Sie hatte einen Rückfall, als ich nach meiner Genesung ansprach.“ „Sie werden auch in dieser Entsagung sich einen Lorbeer erwerben können.“ „Wenn ich um den Sinn der Worte bitten darf?“ „Daß Adelheids Sinn, seit sie bei der Fürstin ist, sich geändert hat, brauche ich Ihnen doch nicht zu sagen.“ „Die Fürstin hat so wenig Macht, als irgend eine Frau auf Erden, Adelheids Sinn zu beugen.“ „Freilich, da ein Andrer ihn schon gebeugt hatte.“ „Ich werde mich selbst zu beugen wissen vor dem Unabänderlichen, wenn es entschieden ist.“ „Eine seltsame Bezeichnung für den jungen Bovillard.“ „Bovillard!“ IV . 5 „Liebt, das heißt, er ras't für sie. Nun, das weiß jedes Kind — Sie gewiß auch.“ „Bovillard!“ „Er ist ja auch wohl Ihr Freund. Was thut das! Daß die Fürstin sie deshalb zu sich genommen, daß es eine große Komödie in der Komödie war, ist Stadtgespräch. Daß Adelheid seine Neigung erwie¬ dert und nur krank ist, weil sie es zu gestehen sich scheut, sind öffentliche Geheimnisse.“ Walter hatte an seinen wunden Arm gefaßt, nur um mit der Hand irgend etwas zu fassen. Der furcht¬ bare Schmerz erpreßte einen unterdrückten Schrei, er lehnte sich erblassend an ein Möbel. „Nun, Sie werden heroisch sein. Wer wird Rache nehmen, wenn er beleidigt ist! Und an einem Freund! Uebrigens glaube ich wirklich nicht, daß die Gargazin an Herrn von Bovillard ernstlich denkt. Sie hat wohl andre Plane. — Haben Sie nicht gehört, wann Kaiser Alexander Berlin wieder be¬ sucht?“ Walter hatte nur die Hälfte gehört. Er hatte, respectvoll vor ihr sich neigend, für die gütigen Mittheilungen gedankt; der Kaiser, wie er gehört, werde ein Bad in Asien besuchen. Es sei bei der geschwächten Gesundheit des erhabenen Monarchen wohl recht zu wünschen. Unten an der Treppe faßte er wieder seinen Arm: „Dies Weib! Dies Weib! Gießt sie Gift oder Feuer in die Adern!“ Die Lupinus lachte, als sie allein war, häßlich auf: „Der Wurm sticht doch, wenn er getreten ist, und der verwundete Elephant und Löwe erhebt ein Gebrüll, wovon der Wald erzittert, nur der Mensch prätendirt edel zu sein, wenn er mit einem stummen Seufzer sich zertreten läßt.“ 5 * Fünftes Kapitel. Nur keine Lüge mehr! Es war ein glänzender Gesellschaftsabend im Palais der Fürstin. Aber der Abendstern, der heute glänzen sollte, erschien wie ein erlöschendes Licht, wie eine schöne Statue in Mondscheinbeleuchtung. Es war etwas vorangegangen. „Ein zu heißer Tag!“ sagten die Herren. Die Fürstin lächelte sanft. Man wußte in den flüsternden Gruppen, wes¬ halb die Fürstin die schöne Adelheid in ihrem Hause aufgenommen. Sie sollte es decoriren, wie die schönen Bilder, Statuen und Raritäten an den Wänden es decorirten. Gerade wie die Lupinus vorhin ein sol¬ ches Möbel für ihr Haus gebraucht. Dies hatten die scharfen Zungen schon längst ausgesprochen. Auch mag ein Möbel, eine Ornamentur, die in einem Hause längst ein abgenutzter, alltäglicher Ge¬ genstand geworden, in einem andern durch geschickte Verwendung wieder zu einem der Bewunderung werden. Aber die Fürstin arrangirte nichts, sie ließ Alles gehen, wie es wollte. Das junge Mädchen war nicht wie eine Untergebene, nicht wie eine Tochter, man möchte sagen auch nicht wie eine Freundin, sondern wie eine Herrin aufgenommen, der ein Recht auf dieses Haus und Alles darin zustand. Sie hatte ihre besonderen Zimmer, Diener, sie konnte Besuche empfangen, ausfahren, wie sie Lust hatte. Sie erschien oder blieb aus, wenn Gesellschaft sich versammelte; die Fürstin betrachtete es als Freundlichkeit, wenn sie Theil nahm, und dankte ihr, jedoch mit der Bitte, es nie als ein Opfer zu betrachten, vielmehr ganz ihrem Penchant zu leben. Die Königin Louise hatte wieder gelegentlich den Wunsch geäußert, die schöne Adelheid zu sehen. Der Wunsch einer Königin ist sonst Befehl. Aber als Adelheid die Augen niedergeschlagen und geantwortet hatte: Was soll ich vor der hohen Frau! war die Fürstin ihr mit der liebenswürdigsten Art um den Hals gefallen: „Sie haben Recht, was sollen Sie da! Warum sich einen Zwang anthun. Solche hohe Per¬ sonen werfen in der einen Stunde einen Wunsch hin, um ihn in der nächsten zu vergessen.“ Gegen vertraute Freunde äußerte sie: „Wo die Sonnenblume wuchert, verkäme das Veilchen. Der Gärtner behandelt jede Pflanze nach ihrer Natur. Zwingt man ihr Licht, Erde, Wärme auf, die ihr fremd sind, vergeht sie oder schießt zu einer unnatür¬ lichen Bastardart auf. Und eine Pflanze, die im Zimmer krank war, heilt man nur, wenn man sie dem natürlichen Boden zurückgiebt. Es ist an dem jungen Mädchen zu viel erzogen worden; das rasche, künstliche Einimpfen von Wissenschaft und Grundsätzen hat ihren natürlichen Entwickelungsgang gestört. Diesen muß man wieder herstellen, indem man sie ganz sich selbst überläßt —“ „Und ihren Phantasien“ hatte einer der Freunde geantwortet. Es mußte im Ton ein Vorwurf liegen. We¬ nigstens faßte die Gargazin es so auf, indem sie nach einem Augenblick Nachdenkens entgegnete: „Und warum nicht! Sehnen wir uns nicht Alle zuweilen in die Märchenwelt zurück, wo die Blumen sprechen und die Wälder singen. Ist denn die Unterhaltung am Theetisch so fesselnd, daß wir darum nicht begierig wären, die Stimmen der Vögel zu verstehen! Wir können nicht mehr aus dem Gewühl der Gesellschaft dahin zurück, warum es denen nicht erleichtern, die noch halb im Flügelkleide gehen! Die Phantasie, sich selbst überlassen, schießt giftige Blüthen, will man behaupten. Wie macht denn die Biene den Honig? Keiner lehrt sie, welche Blumen und Kräuter schäd¬ lich, welche den süßen Saft enthalten. Sie nippt den Thau, sie nippt den Duft, sie saugt am Busen der Natur, — der Mensch soll nicht Instinct haben, wollen sie behaupten, weil der Schöpfer ihm einen besseren Mentor mitgab. Die arme Vernunft, und die noch ärmlichere Erziehungskunst! Was präparirt ihm diese für Kreuz- und Querwege, welche philister¬ hafte Musterkarte von eingepferchten Begriffen und Vorstellungen, durch alle die das arme Kind syste¬ matisch hindurch soll auf den Weg zur Vervollkomm¬ nung. O geht mir damit, laßt es springen, wie das Reh im Walde. Verirrt es sich, wird es sich wieder hinausfinden. Nascht es von einer giftigen Frucht, legt es sich unter einen Blüthenstrauch schlafen, der tödtenden Dunst aushaucht, so hat die Natur, die Bergluft, der klare Quell tausend Mittel, das Gift zu paralysiren. Sehn Sie das Bild, hatte sie, auf eine Schilderei zeigend, gesprochen. Das Kind ist am Abgrund eingeschlafen, aber sein Genius wacht neben ihm.“ „Könnte es aber nicht einmal sein, Erlaucht, daß der Genius müde würde von dem ewigen Hände¬ aufhalten? hatte Lombard erwiedert. Was macht denn dann das arme Kind, wenn er einschläft.“ „Es würde unzweifelhaft in den Abgrund stürzen, mein Herr Geheimrath, wo es indeß nicht so düster und schreckhaft sein muß, als der Maler angedeutet, denn ich weiß von sehr geistvollen und liebenswür¬ digen Personen, die in dem finstern Grunde wie zu Hause sind. Das arme Kind —“ „Würde sich auch gefallen, wenn es einmal ge¬ fallen ist, meine gnädigste Frau?“ „Wenn sein Engel erwacht ist, wird er die Arme emporstrecken, und aus den dunkeln Wolken da wird ein Vaterauge blicken, von so glänzender Huld, daß selbst mein Herr von Lombard davon geblendet wäre, und eine lichte Wolke würde sich herabsenken in den Grund, das Kind umschließen, und es sanft in die Lüfte heben.“ „Charmant, Erlaucht, ganz sanft, hatte Lombard gerufen, sanft und langsam, damit es doch noch ein bischen da unten sich umsehn kann, und eine recreirende Erinnerung in die Wolken mitnimmt. Bon Dieu , wie grau hat der Maler sie angelegt! Das sind Wolken, die Regen träufen.“ „Thränen aus schönen Augen“ hatte die Fürstin erwiedert. Es war etwas vorangegangen vor dem Abend, von dem wir sprechen wollten. Die Fürstin war von ihrem Princip gewichen, sie hatte Adelheid ge¬ nöthigt, mit der Baronin Eitelbach eine Spazierfahrt zu machen. Sie wollte die schöne Seele los sein. Adelheid hatte sie als Blitzableiter gebraucht, ohne zu bedenken, ob die elektrischen Zuckungen des Ent¬ sagungsfiebers nicht in den Blitzableiter selbst über¬ gehen und ihn verderben könnten. Die Welt wäre vollkommen, wenn es keinen Egoismus gäbe, sagen weise Leute. Andre meinen, es wäre darin nicht auszuhalten, wenn nicht bisweilen der Impuls der Selbstsucht zerstörend durch die Linien und Netze führe, mit denen uns die berechnende Weisheit zu Zahlen in einem großen Exempel machen will. Es war ein schwüler Sommertag, aber es ruhte sich so weich in den Polstern des offenen, von englischen Federn geschaukelten Wagens, und der russische Kutscher lenkte seine Pferde pfeilschnell durch die schattenreichsten Gänge des Thiergartens. Eine Fahrt, recht geeignet, um seinen Träumen nachzuhängen; die Gedanken konnten spielen, wie die Schatten der Blätter auf den hellen Kleidern der schönen Damen, die, sie wußten selbst nicht recht warum, hier copulirt waren. Die Baronin war eine herzensgute Seele; dessen war sie sich jetzt selbst bewußt, seit die Liebe ihr ein Bewußtsein gegeben. Sie hatte nie hinter dem Berge gehalten, als sie noch nichts mitzutheilen hatte, nämlich aus ihrem innern Leben; seit hier ein Gedanke wogte, und andere erzeugte, die sie für ihr unbestreitbares Eigenthum hielt, erschien es ihr sogar als Pflicht, von diesen Gefühlen und Gedanken auszuschütten. Je schwerer uns eine Errungenschaft ward, um so höher taxiren wir sie, um so mehr halten wir uns berechtigt, daß Andere Belehrung von uns empfangen müssen. Es ist nun einmal aller Autodidacten Art. Adelheid war eine Kranke. Das war eine angenommene Sache, nur war man darüber uneinig, ob ihre Krankheit eine physische oder psychische sei. Die Roheren oder die Gleichgültigen sagten: sie sei so schlecht von der Geheimräthin behandelt worden, oder sie habe sich doch so wenig mit ihr vertragen können, daß sie fortlaufen mußte, und man habe es dann nachher so abgekartet, als hätte die Fürstin sie nur wegen des Nervenanfalls ins Haus genommen. Von dieser erschrecklichen Behandlung oder dem inneren Zwiespalt sei das arme Mädchen krank und schweige nur darüber aus Großmuth und Schonung gegen ihre frühere Wohlthäterin. Vermittelnde sprachen für jene schon erwähnte Tradition, daß die Geheim¬ räthin ihr Verhältniß zu Walter van Asten begün¬ stigt, daß sie ungehalten geworden, weil Adelheid kalt gegen ihn geworden; das habe beide auseinander gerissen. Aber krank konnte sie doch darum nicht sein; nicht aus Verdruß, daß sie die Liebe einer Frau eingebüßt, welche sie nie geliebt, noch Wohlthaten, welche ihr stets drückend gewesen. Genoß sie doch jetzt die volle Liebe und Wohlthaten der liebens¬ würdigen Fürstin in ganz anderm Maaße. Also mußte eine andere Liebe ihrem kranken, unbeschreiblichen Wesen zum Grunde liegen. Und hier war das Feld der Vermuthungen für die Feineren. Sie hatte dem ihre Neigung zugewandt, der sie als Lehrer rasch und glücklich in ein höheres geistiges Leben geführt. Es war eine reine, uneingeschränkte Neigung geblieben, welche sie, von Bewunderung und Dankbarkeit erwärmt oder getäuscht, für Liebe ge¬ halten, bis — ein Anderer erschien, für den ihr Herz anders schlug. Sie war krank geworden, wirklich körperlich leidend, unter Gefühlen, die sie vergebens zu unterdrücken versucht. Da war — es mußte eine Krisis eingetreten sein, die mit einer äußern Begebenheit in Verbindung stand. Sie war in Folge derselben in ein andres gastliches Haus übergebürgert. So weit war den Eingeweihten alles klar. Sie kannten auch den Namen des Zauberers, ihn selbst. Hier aber schoß ein neues Räthsel auf, eine neue Sphynx lagerte sich vor dem Porticus, der in die Salons der Fürstin führte. Louis Bovillard hatte Zutritt. Die Fürstin, die um Alles wissen mußte, nahm ihn, wenn nicht mit Auszeichnung, doch mit zuvorkommender Theilnahme und Güte auf. Er, bis da ein wüstes Genie, das man verloren gab, vermieden, wenn nicht gar aus¬ gestoßen aus der Gesellschaft, ward von ihr nicht nur zu den kleinen Cirkeln und Partien gezogen, sie schien die Fahne über ihn schwenken zu wollen, wenn sie die höchsten und ehrenwerthesten Personen in ihr Haus geladen hatte. Und er ging aufrecht und stolz umher, unbekümmert um die, welche ihn scheuten oder haßten; denen mit ironischem Mitleid sich nähernd, welche vor seiner Berührung erschraken. Bis auf eine feinere Toilette, eine gentilere Haltung schien er hier derselbe Louis Bovillard, auf den man einst auf der Straße mit Fingern zeigte; dieselbe Nonchalance, der¬ selbe kaustische Witz, mit bittern Sottisen, mit einem beißenden und vernichtenden Urtheil, derselbe Uebermuth und dieselbe Rücksichtslosigkeit gegen die, um welche die Gesellschaft sich ehrerbietig gruppirte. Nur wenn Eine erschien, war er ein Anderer. Sein Uebermuth war gebrochen, sein Witz stockte, seine glühenden Augen hafteten auf ihr. Er konnte dem flüchtigen Beobachter, wenn er sie dann wieder zu Boden sinken ließ, wie ein verlegener, junger Mensch bedünken, der zum ersten Mal in eine Gesellschaft tritt. Und doch war Louis Bovillard kein Räthsel. Aber sie, die Eine, welche diese Wirkung auf den tolldreisten Wüstling geübt! Liebte sie ihn, sie, die so ruhig und kalt ihm entgegentrat, wie jedem andern gleichgültigen Gast, seine Verbeugung mit leichter Grazie erwiedernd, um, nach wenigen ge¬ wechselten Worten über Wärme und Kälte, Wetter und Wind, Anderen entgegen zu eilen! Wie war sie da erfreut, schüttelte die Hände, embrassirte die un¬ bedeutendsten und unangenehmen Damen wie nur theure Jugendfreundinnen. Nur daß sie, plötzlich in Ge¬ danken versunken, auf ihre Ansprache zerstreut ant¬ wortete. Sie mußte nicht recht zugehört haben, sie verwechselte die Personen. „Eine verzogene kleine Glücksprinzessin,“ hatte da wohl eine vornehme Dame geäußert, die auf specielle Aufmerksamkeit Anspruch machte. — „Sie ist wohl destinirt, immer die Interessante zu spielen,“ entgegnete eine andere. — „Sie ist krank, und kränker, als wir denken,“ sagte ein Arzt, der berühmte Doctor Marcus Herz, welcher sie seit einiger Zeit aufmerksam zu beobachten schien. Auf die Frage: was ihr fehle? entgegnete er: „Was unserm Staate fehlt, eine heftige Krisis, damit die Krankheit herauskommt.“ — „Welche Krankheit?“ — „Die schwerste, die, welche man vor sich selbst verbirgt.“ Sie liebt ihn doch, sagten die Empfindsamen, denn sie war immer blaß. Das blühende Colorit war verschwunden, die Rosenröthe, die sie überhauchte, ging so schnell vorüber, als sie plötzlich kam. Sie konnte unter andern blühenden jungen Mädchen wie eine Geistererscheinung aussehen. Klopfte man bei der Fürstin vorsichtig an, so schien sie überrascht von der Wahrnehmung. Sie hatte gar nichts bemerkt, da es ihr Princip sei, ein so vom Himmel sichtlich begün¬ stigtes Wesen ganz sich selbst zu überlassen. Schon die Beobachtung wirke störend ein auf eine so eigen¬ thümlich construirte Psyche. Freilich konnte auch sie dem, was zu Tage lag, ihr Auge nicht verschließen, aber sie hatte schnell die Erklärung gefunden. Adel¬ heid war enthusiastische Patriotin. Die Schmach des Vaterlandes drückte ihre Seele. Und Adelheid bestätigte es ja mit Wort und That. Sie begriffe nicht, wie man Bovillard heißen könne! hatte sie einmal ausgerufen, als verlautete, daß der Kaiser der Franzosen dem Geheimrath Bo¬ villard eine Auszeichnung durch seinen Gesandten zu¬ kommen lassen. Jemand, der fein auf den Strauch klopfen wollte, hatte darauf erwiedert, der junge Bo¬ villard theile nicht die Meinungen seines Vaters. „Aber er schwärmt für Bonaparte's Größe!“ hatte sie ruhig erwiedert und sich abgewandt. „Also darum kann sie ihn nicht leiden!“ hatte zu seinem Nachbar der Kammerherr von St. Real gesagt, welcher die Cirkel der Fürstin zu frequentiren anfing, sich aber noch bescheiden im Hintergrunde hielt. Meinen Sie nicht auch, lieber Doctor Herz, daß unsre jungen Mädchen anfangen an Ueber¬ schwänglichkeit zu leiden?“ Der Doctor hatte freundlich nickend seine Hand auf die Schulter des Kammerherrn gelegt: „Wir sind Alle zu Leiden geboren; der Unterschied ist nur, daß die Einen an zu vielen Mängeln, die Andern an zu vielen Vollkommenheiten leiden. Zum Exem¬ pel, die Einen sind zu dumm und die Andern zu klug. Beide Krankheiten sind darin sich gleich, daß beide incurabel sind. Ihre Differenz aber ist, und darin werden Herr Kammerherr mir wieder Recht geben: wer überschwänglich klug ist, leidet nur für sich, der überschwänglich Dumme macht Andre leiden, denn sie müssen ihn anhören.“ Auch die Baronin Eitelbach betrachtete Adelheid als eine Kranke; Adelheid litt an der Krankheit, in deren Ueberwindungsstadium sie sich selbst befand. „Liebe Seele, hatte sie gesagt, ich kenne ja das. Sie sind verliebt, und wollen sich's nicht eingestehen.“ Adelheid war aufgefahren: Sei es denn Zeit, um zu lieben, wo man nur hassen müsse! Sie hatte von der Ehre und der Noth des Vaterlandes gespro¬ chen, warm, wie es aus dem Herzen kam, in solchen Augenblicken dürfe der Mensch nicht an sich denken! Aber sie erschrak über ihre eigenen Worte. Es war eine Rede, geborgt aus einer anderen Stimmung, denn sie hatte ja eben nicht an das Vaterland, sie hatte nur an sich gedacht: Wie sie dort im kurzen Röckchen unter den Platanen gespielt, unter den Brom¬ beersträuchern Hütten gebaut, der kleine grüne Fleck hinter den verkümmerten Tannen war eine Wüste gewesen, die für sie kein Ende hatte. Das Wort Waldeinsamkeit war noch nicht Gemeingut, aber sie hatte die Ahnung und den Begriff. Und dann — durch dieselbe Allee war sie später gefahren, und wenn sie an die forschenden Blicke der Neugierigen dachte, die sie jetzt erst verstand, schoß das Blut ihr zu Kopf! Aber auch die Obristin Malchen und ihre Nichten verschwanden wieder wie neckende Spukgei¬ ster hinter den Gesträuchen, in denen die Sonne ihr Gold aussprenkelte. Wie oft war sie an der Seite der Geheimräthin hier vorüber gerollt. Warum war diese Erinnerung ihr jetzt weit schreckhafter? War¬ um rückte sie in die Ecke des Wagens, als scheue sie vor der Berührung eines Gespenstes? Verdankte sie ihr nicht viel, sehr viel, ihr ganzes geistiges Dasein dem Umgang der klugen Frau, ihren Belehrun¬ gen? Ja, vielleicht war es das, was wie ein Frost¬ fieber ihre Adern durchrieselte. Sie war die che¬ mische Säure gewesen, die aus der jungen Brust die Begeisterung, aus dem Blut die Elasticität gesogen, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Sie wäre untergegangen, das fühlte sie, in dieser kalten, zersetzenden Nähe, und etwas davon war in ihr ge¬ blieben, es beschwerte ihr Blut, es trübte ihren Blick, der Egoismus des Verstandes! Und als diese wechselvollen Schicksale wie die Stäubchen im Sonnenstrahl vor ihrem inneren Auge wirbelten, hatte sie sich gefragt: warum das Schick¬ sal so wunderbar mit ihr gespielt? sie schleudere aus einem Arm in den andern, Menschen und Gewohn¬ heiten tauschend, wie die Bilder aus einer Laterna Magica? Ob sie eine besondere Bestimmung habe, indem sie die Menschen in ihrer Schlechtigkeit kennen¬ lernen sollte? Eine entsetzliche Frage hatte in dem jungen Herzen angepocht: hat die Natur den Men¬ schen auf die Welt gesetzt zur Lüge, oder um nach der Wahrheit zu ringen? Die der Lüge lebten, einen andern Schein um ihr Sein woben, — hatte sie nicht beobachtet, daß grade diese vom Glück ange¬ strahlt waren, gesucht, geschätzt, anerkannt, selbst von denen, welche sie durch und durch erkannten! Die dagegen kein Aushängeschild über ihr Wesen trugen, ihre Gedanken rein aussprachen, grade auf ihr Ziel losgingen, wo hatten sie es erreicht, wie wurden doch ihre Gedanken mißverstanden, anders ausgelegt, höchstens belohnt durch eine laue Anerkennung ihres redlichen Strebens. Aber hinzugesetzt ward: schade, damit wird er nie durchdringen. Es hilft der Welt nichts was er thut. — Was hatte Walter errungen? — Der arme Walter! Und sie! — Sie hatte ihn getäuscht, sie täuschte ihn noch immer fort, sie täuschte sich — sie war in ein Labyrinth der Lüge gerathen. Und wo der Ausweg! Als wolle sie ihn suchen, hatte sie in die Wipfel geblickt, deren Blätter im Abendwinde durcheinander¬ wogten, ohne daß sie nur eins mit den Augen ver¬ folgen können. Da hatte die Baronin jene Worte an sie gerichtet. Und wieder betraf sie sich auf einer Lüge. Sie mußte das Auge vor dem Blick der Eitelbach niederschlagen. So hell und klar sah diese sie aus ihren großen blauen Augen an. Das aus¬ druckslose Gesicht gewann durch das Gepräge der Wahrheit einen Ausdruck, der für sie in dem Moment überwältigend war. „Liebe Alltag, warum zieren Sie sich denn vor mir, sprach die Eitelbach mit dem gutmüthigsten Tone von der Welt. Der Bonaparte mag ein noch so böser, und unser König ein noch so guter Mensch sein, jeder Mensch denkt doch an sich zuerst. „Jeder!“ sagte Adelheid, um nur durch ein Wort ihrer gepreßten Brust Luft zu machen. „So ist es schon. Ich laß mich auch gar nicht mehr irre machen. Krieg mag schon nöthig sein auf der Welt, meinethalben; ich kenne sie aber, die Herren Officiere, alle, und da ist keiner, der nicht an sein Avancement denkt, wenn er sich in den Kragen wirft und grunzt, daß man glaubt, die Seele sollte ihm ausgehn, von des Königs Rock und Friedrichs Ehre, und wenn er dann auf den Hacken Kehrt macht und eine Miene sich geben will — Na, habe IV . 6 Dich nur nicht, denke ich. — Grade wie mein Mann. Wenn der spuckt und über den Frieden lamentirt und sagt: Daran gehen wir zu Grunde! dann weiß ich auch, was die Glocke geschlagen hat. Wenn er die Mantellieferung gekriegt, dann wären wir nicht zu Grunde gegangen und es könnte Friede werden in alle Ewigkeit. So sind die Männer. Sie denken nur an sich.“ „Nicht alle.“ „Nein, Einer nicht. Aber sonst! Ja, wenn das Andre draußen mit ihren Wünschen zusammenpaßt, dann sind sie lichterloh. Das weiß dann zu parli¬ ren und encouragirt sich, bis sie's am Ende selbst glauben, daß es darum ist. Es amüsirt mich, wenn ich sie so höre sich warm reden; aber mich täuschen sie nicht mehr, auch die Klügsten nicht. Ich denke: sprecht Ihr nur, ich weiß doch, was dahintersteckt.“ „Täuschen die Männer nur? Belügen wir uns niemals“? Die Baronin schien nachzusinnen: „Nein, liebe Seele, Engel sind wir auch nicht immer. Wenn mein Mann Feuer schlägt, mancher Schwamm will gar nicht zünden, aber der andre fängt im Augen¬ blick. Der ist weicher, sagt er. So sind wir Frauen, habe ich da gedacht. Wenn ein Funke vom Him¬ mel fiele, bei den Männern hat es gute Weile, aber wir — “ „Lodern rascher auf. Ist das aber gut?“ „Was vom Himmel kommt, ist doch gut. Die Leute sagen nun, Sie könnten den Louis Bovillard nicht ausstehen, weil er den Napoleon einen großen Mann nennt und Gott weiß was. Die Leute sind nicht gescheit. Er thut es nur, um sie zu necken und Sie auch. Und wissen Sie, warum Sie ihm immer den Rücken kehren? Damit er sich nicht einbilden soll, daß Sie ihm gut wären. Und warum Sie im¬ mer so in Extase sprechen, wie Sie die Franzosen hassen? Nur damit die Andern nichts merken sollen, wie Sie verliebt sind.“ „Frau Baronin!“ „Mir machen Sie nichts weiß. Sie sind's bis über die Ohren, und wenn er selbst ein leibhaftiger Franzose wäre, schadet nichts. Und wenn er dem Bonaparte sein General, oder gar sein Spion wäre, da würde Ihr Franzosenhaß so klein, ach, mit dem Theelöffel könnten Sie ihn runter schlucken.“ Adelheids erstaunter Blick sagte: Wie kamst Du dazu? Auch diese stumme Sprache verstand die Erleuch¬ tete: „Und ich weiß auch wohl nicht, was Sie jetzt denken? Daß die blinde Henne auch mal ein Korn gefunden hat. — Denken Sie's immer zu, ich nehm's Ihnen gar nicht übel. Als ob ich nicht wüßte, daß die Andern auch so denken! Das genirt mich aber gar nicht. Haben sie doch gedacht, sie könnten mir Männchen vormachen und mit mir Blindekuh spielen in Ewigkeit. Eine Weile geht's, aber dann fällt die Binde doch runter. Jetzt sollen sie's aber 6* nicht mehr, da gebe ich Ihnen mein Wort. Allzu¬ scharf macht schartig, und hinterm Berge wohnen auch Leute, sagte meine Mutter. Aber warum wickeln Sie sich so in Ihr Shawl? Zu schämen brauchen Sie sich doch nicht, und vor mir am wenigsten, denn ich sage es Jedem grad heraus: Ich liebe und bin glücklich.“ „Und Sie haben doch entsagt!“ Das Verhält¬ niß der Baronin war zum öffentlichen Geheimniß geworden. „Und nun bin ich grade erst glücklich. Ich weiß er liebt mich, und er weiß, ich liebe ihn, und es geht nun einmal nicht.“ „Ist das ein Glück?“ „Muß man denn sich immer ins Auge sehen, die Lippen öffnen und die Hand drücken, um sich zu sagen, daß man sich liebt! Wenn wir noch so weit getrennt sind, sehen wir nicht beide da den Abend¬ stern aufgehen? Brauchen wir uns Briefe zu schrei¬ ben, um uns zu sagen, daß wir uns nie vergessen werden? Ja, ehedem dachte ich wohl, ohne Rosabil¬ lets auf duftendem Papiere, und schöne Präsente ginge es nicht. Ach, wie ist das alles ganz anders! Diese Blicke aus seinen treuen, guten, schönen Augen wer¬ den immer vor mir stehen, wie die Sterne am Him¬ melsbogen. Und ist das kein Glück, daß ich über¬ zeugt bin, auch er sieht mich, wie ich ihn sehe! Auch er wird von falschen Zungen umschwirrt, die mich wie ihn verreden. Aber auch er weist sie zurück! Nein, je weiter Zeit und Ort uns entfernen, um so inni¬ ger wird unser Bund, denn er ist unauflöslich. — Und Adelheidchen, so könnten Sie auch fortlieben und glücklich sein — “ „Und lügen — lügen in Ewigkeit!“ brach es aus der gepreßten Brust. Es war unwillkürlich; die Eitelbach wollte sie nicht zur Vertrauten ihrer Gefühle machen. „Entsagen, Liebe, ist das lügen! Der Besitz tödtet die Freude des Verlangens, hat mir Jemand ins Stammbuch geschrieben. Würde ich ihn lieben, wie jetzt, wenn er vor acht Jahren — Nun ja, wäre er mein Mann, dann würden wir uns vielleicht recht gut sein, aber hätten sich unsre Seelen kennen ge¬ lernt! Die gemeinschaftliche Menage, sagt der Le¬ gationsrath, das tägliche Beieinander stumpft die fei¬ neren, sinnigen Gefühlsfäden ab, nur Verlangen und Entbehrung weckt die edleren Seelenkräfte. Er will's mir auch ins Buch schreiben. Er braucht es nicht, ich fühle es, ich weiß es. Ich ward eine an¬ dere, mein Mann sagt, er kennt mich nicht wieder. Nun bin ich erst froh, ich weiß warum, ich lebe. Wir nicken uns durch die Lüfte einen guten Morgen zu. Wenn ich ausfahre, freue ich mich der frischen Luft; auch ihn kühlt sie ja, wenn er über die Haide sprengt. Abends schüttelt er treuherzig den Kopf und ruft mir Gute Nacht! zu.“ Adelheid faßte krampfhaft den Arm ihrer Be¬ gleiterin: „Soll das Ihr Leben dauern?“ „Herr Gott, wie Sie zittern! — Warum denn nicht.“ „Weil — allmächtiger Gott, ich glaube, der Versucher rauscht in den alten Eichen! Nennen Sie das entsagen?“ „Wie denn sonst! Der Versucher, das weiß ich wohl, mit dem hat die Fürstin es zu thun, er vergiftet das Blut, sagt sie, und der sündhafte Gedanke zehrt an der Seele, ein kleiner Fehltritt sei nichts gegen eine große Gedankensünde. Ach, die gute Gargazin ist eine Russin, sie kennt die Liebe nicht, die sich Alles versagt, und nur für den Geliebten sorgt. So, liebe Seele, würden Sie lieben. Wenn Sie den Herrn van Asten heirathen müssen, weil er Ihr Wort hat, thun Sie's, und er wird gewiß ein guter Ehemann werden, besser als meiner. Aber dann, wenn Sie Ihre Pflicht gethan, wer darf Sie von Ihrem Bo¬ villard trennen, o dann werden Sie selig, unaus¬ sprechlich selig werden.“ Adelheid fühlte einen Schwindel, es schwankte und drehte sich und ihr war, als müsse sie aus dem Wagen springen. Es war aber mehr als eine Empfin¬ dung der aufgeregten Stimmung. Der Kutscher, wie sich nachher ergab, betrunken, hatte den Wagen aus der Seitenallee in die Chaussee umgelenkt, ohne den Charlottenburger Milchkarren, der leer aber lang¬ sam ihm entgegenfuhr, zu bemerken. Die Fuhrwerke waren an einander gestoßen, freilich zum größern Schaden des Karrens, der zerbrochen am Boden lag, die Blechgefäße polterten auf die Straße, aber auch die Equipage hatte sich übergelehnt, und Adelheid war jetzt zu dem gezwungen, wozu vorhin innere Angst sie drängte. Als die Baronin noch um Hülfe schrie, hatte sie, rasch entschlossen, sich schon danach umgesehen, und sie war zur Hand. Zwei einsame Spaziergänger waren von den entgegengesetzten Seiten des Weges auf den Lärm herangeeilt. Adelheid riß ihr Shawl von den Schultern, und warf es dem ihr Nächst¬ stehenden zu. Als er aber die Arme ausbreitete, um ihr herabzuhelfen, fuhr auch ihr ein Schrei über die Lippen, kein lauter in dem allgemeinen Toben und Fluchen, aber laut genug, daß er zweien durchs Herz fuhr, der, welche ihn ausgestoßen, und dem, welcher ihr die Arme entgegenstreckte. Walter van Asten sah, wie Adelheid sich von ihm abwandte und umschlungen vom Arm des Rittmeisters Stier von Dohleneck aus ihrer gefährlichen Lage gehoben ward. Er hatte genug gesehen. Auch die Baronin durchzückte ein Ton, der nur halb über ihre Lippen kam. Sie nahm die Hülfe des jungen Mannes dankbar an: „Ich danke Ihnen, sagte sie, ihr Haar in Ordnung bringend, daß gerade Sie es sind.“ Wir lassen unsere Leser auf der dunkelnden Charlottenburger Chaussee nicht länger verweilen; was geht uns der Lärm, das wüste Gezänk an zwi¬ schen Kutscher, Milchmann, den umstehenden Schieds¬ richtern und Helfern. Ein Rad war gebrochen, in der Equipage konnten die Damen nicht mehr nach Hause fahren. Ihre Retter führten die Erschreckten langsam, bis eine leere Kutsche ihnen begegnete. Adelheid wußte nachher nicht, was der Rittmeister mit ihr gesprochen, sie wußte selbst nicht, ob es der ihr wohlbekannte Rittmeister gewesen, an dessen Arm sie ging. Sie wußte nichts von sich auf dem viertel¬ stündigen Wege. Erst als man sie in den andern Wagen hob, fühlte sie einen Händedruck. Walters Stimme flüsterte fest, aber nicht rauh und kalt: „Zum Abschied, Adelheid! Nun bist Du frei.“ Die Damen hielten ein gegenseitiges Schweigen für die beste Unterhaltung auf dem Rückwege. Adel¬ heid hatte sich fest in ihr Shawl geschlungen, obgleich es eine laue italienische Nacht war und die Baronin ihr Tuch abwarf, um sich nicht zu echauffiren. Das junge Mädchen mußte frieren, ihre Zähne klappten, und es waren wohl Phantasieen, wenn die Baronin oft die Worte hörte: „Nur keine Lüge mehr!“ Sechstes Kapitel. Die Wollust der Märtyrer. Das war dem glänzenden Gesellschaftsabend vorangegangen. Es war noch etwas Anderes vorangegangen — im Souterrain des Hauses. Wer die liebenswürdige Wirthin sah, wie sie mit mädchenhafter Grazie den Gästen entgegeneilte, und über das unerwartete Erscheinen von dem und jenem fast kindlich erfreut schien, konnte an der Wahrhaftigkeit ihrer Empfindungen zweifeln! „Wenn sie es auch nicht so meint, ist es doch angenehm, daß sie es so zeigt!“ Aber er konnte nicht ahnen, wie diese Augen, aus denen Wohlwollen und Güte blitzten, vor einer Stunde auf ein anderes Schau¬ spiel, ich sage nicht lächelnd geblickt, aber theilnahmlos, stier. Auch das paßte nicht, vielleicht mit der Wollust eines gesättigten Raubthiers, das seines Opfers Blut fließen sieht. Der Kutscher hatte es allerdings verdient. Mit einer milderen Züchtigung wegen des ersten Unfalls auf der Potsdamer Chaussee davon gekommen, rief sein Ungeschick heute auf der Charlottenburger die exemplarische Strafe hervor, welche der Haus¬ hofmeister ihm dictirt. Auf Ordnung muß ein Herr und eine Herrin im Hause halten. Es war die Ordnung, daß der dienstvergessene Leibeigne von zweien andern eine Lection empfing, deren Maaß nur unsere Begriffe und die Kraft unsrer Nerven übersteigt. Auch daß die Herrin zugegen war, um nach Handhabung der Ordnung zu sehen, verstieß nicht absolut gegen die Sitte. Nur daß sie, mit ver¬ schränkten Armen an der Kellerthür stehend, so lange zusehen konnte, ohne mit den Augenwimpern zu zücken, ohne auf die Wehlaute des Zerfleischten ein Halt zu rufen, daß um ihre Lippen ein eigenthüm¬ liches Lächeln schweben konnte, während ein selt¬ samer Glanz in ihren Augen leuchtete und ihre Stirn wie vor Freude sich röthete, das mußte einen be¬ sondern Grund haben. Es hatte auch einen. In Gedanken versunken, in Phantasieen, die sie interessiren mußten, schien sie eigentlich, was geschah, vergessen zu haben. Sie hatte auch den fragenden Blick des Kochs aus der Ukraine übersehen, der einen Augenblick inne hielt, in der Meinung, es sei genug. Ein Sklave darf keine Meinung haben; als sie nicht gewinkt, fuhr er mit dem Stallknecht in der Arbeit fort. Die Herrin hatte es zu verantworten; er und der Kalmück waren nur die Werkzeuge, vielleicht die willigen. Der Zoll von Herrendienst, den sie dem Kutscher abentrichteten, war gewiß nur eine Vergeltung für viele ähnliche, die jener bei andrer Gelegenheit ihnen geleistet. Es hätte schlimmer werden können, wenn nicht der französische Kammerdiener der Fürstin zugeflü¬ stert: „Madame la princesse, je crains que les cris de la bête ne pénètrent pas oreilles de Made¬ moiselle Alltag. Elle fait sa toilette tout près de l'es¬ Da war die Fürstin aus ihren Träumen erweckt worden. Etwas unangenehm, schien es. Die Alltag durfte nichts hören. Sie hatte den Executoren rasch gewinkt, inne zu halten; sie wollte ungehalten sein, daß man sie nicht früher aufmerksam gemacht, aber sie sagte, der Anblick sei rebutant. Sie hatte etwas von pauvre homme hingeworfen, und Anweisung gegeben, ihn gut zu pflegen, damit er bald wieder seinen Dienst verrichten könne. Und sie hatte noch eine unangenehme Ueber¬ raschung gehabt. Der Kammerdiener hatte ihr auch etwas vom Herrn Legationsrath zugeflüstert, was sie damals überhört. Oben fand sie ihn in einer An¬ wandlung von Ohnmacht auf dem Kanap é . „Possen! oder was ist das?“ fragte sie ver¬ wundert, als er sich durch die Tropfen erholt, die sie aus ihrem Flacon gesprengt, und er selbst ein Fläschchen entkorkte, um durch das Einathmen wieder zum vollen Gebrauch der Sinne zu kommen. „Ich kann kein Blut sehen, sagte er. Sie wissen es.“ „Starker Mann!“ „Stärkere leiden an Idiosynkrasieen.“ „Wer seinen Freund zum Rendezvous auf zwei Kugelmündungen ladet!“ Es blieb zweifelhaft, ob die Bemerkung ironisch gemeint war, ihr Blick verrieth es nicht. Ihre Gedanken waren noch an¬ derswo. „Die Kugel bringt den Tod, dem Andern oder mir. Ich fürchte weder diese Frage zwischen Sein und Nichtsein, noch das Eingehn in das Nichtsein. Aber das Blut ist eine unvertilgbare Essenz, sprach er schaudernd, und sprang auf. Ich kann nicht dafür, daß meine Natur so ist, noch begreife ichs, warum die ewig gebährende Mutter diese Anomalie in ihrem großen Schöpfungswerk zuließ. Ich wische alle Tinten, Farben spurlos aus, aber warum wider¬ steht dieser häßliche rothe Saft, warum wird er so oft zum Verräther —“ „Weil der Himmel das warme Blut in unsere Adern goß, rief die Gargazin, als den köstlichen Saft, in dem wir uns berauschend einen Vorschmack seiner Seligkeiten trinken mögen. Das begreifen Sie freilich nicht, Mann von Marmor.“ „Den Rausch begreif ich, Erlauchte Frau, auch den Rausch in Blut. Aber nicht, verzeihen Sie, wenn es durch Geißelhiebe aus dem — Rücken einer elenden Creatur gepeitscht wird. Alles, was man ohne Zweck thut, ist meiner Natur ent¬ gegen.“ „Der Zweck! Curios! Fragen Sie meinen Haushofmeister. Der Mensch hat es verdient.“ „Daß Sie sich selbst strafen, und Ihren besten Kutscher zerschlagen lassen, damit er sechs Wochen nicht auf dem Bock sitzen kann, wenn je wieder?“ „Ich war in einer animosen Laune. Wer wider¬ steht einem Impuls?“ „Darum war ich um meine Erlauchte Freundin besorgt, denn der Exceß in der Bestrafung könnte in diesem Staate unangenehme Folgen haben.“ „Die sich redressiren lassen.“ „Gewiß, es bleibt indeß immer sehr unan¬ genehm, wenn man seine Kräfte zum Redressiren von Vergangenem verwenden muß. Die Meinung, das Publikum übt eine Macht, die wir durch den Widerstand nur intensiv stärker machen. Wenn es hieße, die Fürstin Gargazin hat ihren Leibkutscher zu Tode prügeln lassen, so würde man die Gerichte wohl zum Schweigen bringen, weil Sie die Fürstin Gargazin sind, auch für die Oeffentlichkeit würde die Wissenschaft Atteste bereit haben, daß der Kutscher an einem organischen Fehler gestorben ist, aber das Todesröcheln des Zerfleischten möchte doch etwas Leichengeruch in den harmonischen Duft hauchen, den der Liebreiz einer Natalie Gargazin um sich gezaubert.“ Sie schwieg, aber ihre Lippen schwellten sich unmerklich zu einem süßen Lächeln. Von dem Ge¬ sprochenen hatte sie wohl nur einen Theil gehört. Mit wieder auf der Brust verschlungenen Armen, wie vorhin, sprach sie: „ Sie sahen den Tod und ich das Leben, Sie das Entsetzen und ich — ich, was kann ich dafür, daß ich anderer Natur bin, Herr von Wandel! Pawlowitsch wird nicht sterben, diese Ge¬ schöpfe haben eine andre Natur. Sie kennen das nicht. Er ist mein treuster Diener. Meinen Sie, daß er mich weniger lieben wird, weil ich ihn züch¬ tigen ließ? Wenn er genesen ist, versichere ich Sie, wird er mit verdoppelter Devotion sich auf die Erde werfen, meinen Rocksaum küssen und bei seinem Hei¬ ligen für mich beten. Und ich, ich theile diese Ge¬ fühle der Anhänglichkeit für das Geschöpf. Ich em¬ pfand die Geißelschläge mit. — Lachen Sie nur! Das verstehen Sie eben nicht. Sie können auch bei der Abbildung eines Martyriums lachen, oder wen¬ den dem schönsten Bilde aus Ekel den Rücken. Mich ergreift immer eine unbeschreibliche Wonne bei diesen Qualen, mein Blut wallt, mein Körper empfindet sie mit; dieses sprützende Blut, ich sehe es schon in Rosen und Lilien verwandelt, diese Röthe des äußer¬ sten Schmerzes auf den Wangen, der Todesschweiß, die verzückten Augen, die krampfhaften Verrenkun¬ gen, mir werden es lauter Schönheitslinien, und wo Sie Zerrissenheit und Untergang sehen, durchschauert mich schon Harmonie und Vollendung.“ „Das heißt ein Läuterungsprozeß in procura geführt, sagte der Legationsrath, oder er dachte es vielleicht nur, denn die Fürstin, in sich versunken, schien auf seine Erwiederung kaum zu achten. „Wenn man nur dem Geschöpf diese Ueberzeugung auch ein¬ impfen könnte, so würden seine Schauer, die, wie ich glaube, gemeinerer Art sind, sich gewiß auch in eine wollüstige Empfindung auflösen.“ „Sie würden es!“ rief die Fürstin. „Wer sagt Ihnen, daß sie es nicht schon sind! Er leidet für seine Herrin, die er anbetet, er leidet durch ihren Willen, und er kennt kein höher Gesetz. Diese Leib¬ eigenen sind glücklicher als wir, mein Herr Legations¬ rath von Wandel. Wie das Animal, die Pflanze, stehen sie dem Ursprünglichen näher. Und wir rin¬ gen unser Leben durch vergebens nach dem Paradie¬ seszustande zurück, in dem sie existiren. Wie die Lilie auf dem Felde, wie der Vogel im Busch, freuen sie sich der Sonne, die sie bescheint, sie legen ihr Haupt nieder auf den grünen Rasen unter seinem Himmel, oder auf die Bank, die man ihnen am Ofen gebaut. Sie denken nicht, sie sorgen nicht auf den andern Tag; Speise und Trank ihnen schaffen, ist unsere Aufgabe. Sie kennen unsre Pein und unsre Qua¬ len nicht, unsre Zerrüttung und Zerrissenheit steht ihnen fern. Sie würden sie so wenig begreifen als der Herr von Wandel, warum der Erlöser für uns gelitten hat, warum in Natur und Welt es so gefügt ist, daß immer ein Anderer für den Schuldigen lei¬ det, daß es Sündenböcke gab im alten Testament, Märtyrer und Heilige, die den Ueberschuß ihrer gu¬ ten Werke uns als Erbe ließen. Diese Sklaven singen und lachen, während wir, die Erwählten, die tausend Nadel- und Dolchstiche empfinden, die Welt und Verhältnisse täglich in unser Herz drücken, und wir müssen dazu ein lächelnd Gesicht machen, auch wenn wir in krampfhafter Pein vergehen möchten. Was ist das bischen Noth dagegen, das unsre Laune ihnen bereitet; die schöpferische Laune, die heute quält und morgen dafür entzückt.“ „Warum stehen Sie in Gedanken verloren? hub sie nach einer Pause wieder an; ihre Verzückung, wie es schien, hatte sich gelöst. Sie ließ die Arme sinken, und sah ihn fast mitleidig an. „Sie armer Mann, was ich Sie bedaure in dem hochmüthigen Mitleid, was Sie in dem Augenblick über die Schwärmerin empfinden mögen.“ „Ich bedauerte nur erwiederte er, daß die Gott¬ heit, die wir uns als männliches Wesen denken, kein Weib ist. Wie viel schöner würde ihre Welt sein.“ „Ihr Spott kann mich nicht mehr beleidigen. Sie thun mir so unendlich weh, weil jede Entzückung Ihnen versagt ist. Aber ich appellire an Ihren Ver¬ stand. Womit wollen Sie die Welt zusammenhal¬ ten? Diese Masse, diesen Pöbel, das Chaos von kriechendem Gewürm, das fliegen möchte und nicht aufrecht gehn kann! Wer soll sie bändigen, fesseln, wenn keine eherne Faust, umspielt von süßen Him¬ melslichtern, da ist, keine beseligende Illusion; diese gemeinen, rohen, selbstischen Creaturen, die aus Hab¬ sucht Einer auf den Andern stürzen, sich zerreißen, verzehren möchten. Sie kratzen sich die Augen aus, damit der Bruder nicht schärfer sieht, sie verschlingen die Vorrathskammern, die ihren eignen Winter sichern sollten, damit die Mitmenschen nicht im Vollen leben. Täuscht Sie der Popanz Humanität, den die After¬ weisen an ihren papiernen Gesetzeshimmel malen, und Jeder stellt dem Andern ein Bein, und Gift auf der Zunge, Erbschleichern, Betrug, Raub, Bruder¬ mord lauert unter der Lämmermaske dieser Alltags¬ gesichter.“ „Der Popanz täuscht mich nicht, Prinzessin, sagte Wandel. „Mich täuscht überhaupt nichts. Ja, könnten wir sie alle wieder als eine Horde Leibeigene ein¬ pferchen in die dumpfen Ställe alter Gewohnheiten, — Schade nur, daß es auch eine Illusion ist, und wenn — die Priester würden sich untereinander auch auffressen.“ „Hoffen Sie noch auf die Vernunft“, fuhr die Fürstin fort, die ihn wieder nur halb gehört. „Die Göttin, die sie in Frankreich auf die Altäre hoben, hat doch zu aller Welt geschrieen: ‚seht, wie albern und ohnmächtig ich bin!‘ Oder hoffen Sie's mit dem Geist, der wie ein Blitz aus dem Himmel in das Gewürm wetterleuchtet. Wie oft fuhr er nieder in diesem Deutschland, in Philosophen und Gesetzgeber, in verstockte Mönche, Stubengelehrte und Fürsten auf dem Thron. Was hat er gezündet, gewärmt und gefruchtet! IV . 7 Die dumpfen Ställe der alten Gewohnheit hat er in Brand gesteckt, aber die Unglücklichen, daraus Ver¬ triebenen, wo fanden sie ein anderes, helleres, wär¬ meres Obdach! Feuersbrünste hat er angefacht, Wäl¬ der und Haiden verzehrt, aber wo nur eine Fackel angezündet, die in der Nacht leuchtet, welche immer darauf wieder eintrat. Da lobpsalmen die alten Wei¬ berstimmen in den nüchternen Kirchen den Herrn, daß er die Gräuel des Aberglaubens und der Finsterniß verscheucht hat, aber wo blieb ihr Licht, das ihnen leuchtete, durch den finstersten Wald des Zweifels ihnen den Weg zeigte, wo ihr Haus, das die Müden und Beladenen aufnahm, wo das Geläut der Him¬ melsglocken, die sie mit Engelszungen in Schlaf ein¬ lullten, wo der Schlafpelz, die weiche Bärenhaut, in die sie sich hüllten, und alle Sorgen waren ver¬ gessen! Wo in aller Welt können diese Verirrten, Heimathlosen, anklopfen in ihren Aengsten, ihrer Zerrissenheit, um den Trost zu finden, den nur die Gewißheit giebt! Was hilfts ihnen, wenn sie sich von des Teufels Krallen gepackt fühlen, und der gelehrte Herr mit den Päffchen setzt die Pfeife fort, um vor¬ nehm herablassend der armen Creatur mit rationa¬ listischer Saalbaderei zu demonstriren, daß der Teufel wahrscheinlich nicht existirt. Um etwas Gewisses, Festes, Sicheres schreien sie, und er setzt ihnen eine Schüssel Schlangeneier vor, aus denen, statt eines, tausend Zweifel schlüpfen!“ Diesmal war es der Legationsrath, welcher nicht Acht gegeben. Er hatte mit seinen Augen einen Punkt fixirt, und packte plötzlich den Arm der Fürstin am Handgelenk: „Ein Blutfleck!“ Der Aermel ihres Mousselinekleides trug unver¬ kennbar die Spuren eines darauf gesprützten Tropfens. „Ich habe es wirklich nicht gesehen.“ „Aber Andere werden es sehen. Um des Him¬ mels willen wechseln Sie das Kleid, ehe es Jemand bemerkt. Adelheid —“ „Interessiren Sie sich so für das Mädchen?“ sprach die Fürstin, der die Unterbrechung nicht uner¬ wünscht zu kommen schien, indem sie den befleckten Aermel mit den Fingern prüfte. Es war ein eigner Ton, in dem sie fragte, der baare Gegensatz zu dem Affecte, in welchem das Vorige gesprochen war. „Nicht im geringsten. Ich interessire mich für den Gegenstand, der Ihr Interesse erregt hat. Da ich Ihre Absichten ahne, muß ich wünschen, daß jeder Nebelfleck, der Ihren Anblick vor den Augen der Unschuld trüben dürfte, entfernt würde.“ Sie sah ihn scharf an: „Sie sind die Uninteressirt¬ heit selbst. Und doch — zuweilen fällt vor meinem Auge Ihre schöne Hülle ab wie Staub und Moder, und das nackte Gerippe starrt mir entgegen; das Herz von chemischen Agenzien zernagt. Aber glauben Sie nicht, daß ich erschrecke. Ich betrachte gern die Natur in ihrem geheimsten Schöpfungsprozeß, wie sie ihr Schönstes und Bestes muthwillig selbst ver¬ 7* nichtet. O immer zu, die Natur ist eine elende Kam¬ merzofe des Mysteriums, aus dem die Gnade leuchtet. Immer zu, mein Freund, sich selbst verzehrt, bis der Durst brennend, unerträglich wird! Dann verlangen auch Sie nach dem Quell. O welche Kämpfe wird es Ihnen kosten, wie wird diese Stirn rollen vor stol¬ zem Zorn, wie diese Riesenbrust toben vor unaus¬ sprechlicher Pein, wie werden Sie wüthend mit der Faust dagegen schlagen, ringend einen Gigantenkampf mit dem Selbstbekenntniß, bis — bis der Riese kra¬ chend zu Boden stürzt, und wie ein Kind an der Mutter Brust liegt! Wie werden Sie schlürfen, unersättlich an dem Born der Gnade!“ „ Mais en attendant ?“ sagte der Legationsrath. „Rührt Sie denn nicht Adelheids Schönheit?“ „Daß ich nicht wüßte.“ „Mir unerklärlich, mein Herr großer Sünder. Anfänglich hielt ich es für Verstellung, Sie wollten mich täuschen. Jetzt haben Sie mir nicht allein die Beruhigung gegeben, sondern auch das Räthsel zurück¬ gelassen, daß das Mädchen Sie kalt läßt. Ist sie Ihnen eine zu vollkommene Schönheit?“ „Kunstkenner gehen auch an vollendeten Meister¬ werken vorüber.“ „Weil nur die sie interessiren, fiel sie ein, die Mängel haben. Ist's der Egoismus des kritischen Sinnes, der immer corrigirend schaffen möchte?“ „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sagen Sie, eine Antipathie gegen was man reine Unschuldsseelen nennt. Es überkommt mich ein Frösteln in Gegen¬ wart solcher jungen Mädchen.“ „Ich begreife es, weil ich es mitfühle. Aber —“ „Sie selbst kajoliren die Nymphe.“ „Sie wissen, warum.“ „Und eben deshalb wundre ich mich, daß Sie dem jungen Bovillard den Zutritt in Ihr Haus er¬ leichtern.“ Die Gargazin sah ihn schadenfroh an: „Für die Naivheit möchte ich Sie küssen.“ „Sie protegiren ihn nicht?“ „Wenn man Erz schmelzen will, braucht man Feuer.“ „Wenn man aber das Feuer über den Kessel schlagen läßt, kann es leicht kommen, daß das Erz überläuft und verdorben wird.“ „Qu'importe! sagte die Fürstin und stäubte an dem Fleck am Aermel. Was nennen Sie verdorben werden?“ „Ich scheue nicht vor einem gewagten Spiel, aber ich frage mich vorher, ob der Vortheil das Ri¬ siko lohnt?“ „Was geht Sie meine Rechnung an! Einen Stein kann man nicht schmelzen, man sprengt ihn oder wartet, bis der Blitz ihn spaltet; das Erz kann man aber so lange glühen und wieder zerglühen lassen, bis man es zu der Form geschmeidig findet, die man ihm geben will. Wollen Sie sich in Adel¬ heid verlieben, Ihre Künste an ihr versuchen, ich habe nichts dagegen, ich will nicht eifersüchtig sein. Sie liebt ihn, ich meine Bovillard, das ist ihre Krank¬ heit, die verborgene, die an ihr zehrt. Sie muß her¬ aus, die Krisis ist nothwendig; darum wird sie kom¬ men, ohne daß wir etwas dazu thun. Verstehen Sie mich, wir lassen die Natur walten.“ „Und dann?“ „Wenn Sie die Bibel läsen, würden Sie wis¬ sen, man soll nicht für den andern Morgen sorgen. Sein Sie heut Abend liebenswürdig, Herr Lega¬ tionsrath.“ „Ich bin nicht ganz disponirt.“ „Sie sollen es sein. Sie können es sein. Herr von Bovillard hat nur zwei Augen, und die gehören jetzt nicht ihm.“ Die Wagen fingen an vorzurollen; die Fürstin verschwand mit dem wiederholten Befehl: „Sein Sie liebenswürdig!“ — Sie hatte kaum Zeit, ihre Toi¬ lette zu ändern, aber Niemand hat den Blutfleck an ihrem Aermel gesehen. Siebentes Kapitel. Was sagen Sie zu meiner Frau? Das war dem glänzenden Gesellschaftsabend vor¬ angegangen. Der Abendstern, der heute glänzen sollte, sag¬ ten wir schon, erschien aber wie ein erlöschendes Licht. Die Töne, welche im Souterrain das Ohr zerrissen, waren nicht zu Adelheid gedrungen, und wenn einer, so ahnte sie nicht den Grund; es war für sie nur in der Luft das dumpfe Accompagnement ihrer eige¬ nen zerrissenen Gedanken. Nie war ihr eine Toilette schwieriger geworden. Sie dachte, so müsse einem Verurtheilten zu Muthe sein, wenn er sich zum letz¬ ten Gange ankleidet. Zum Glück war die Aufmerksamkeit heute nicht auf die blasse Adelheid concentrirt; sie richtete sich vielmehr auf eine andere Erscheinung, von der man sagen durfte, daß sie in voller Blüthenpracht war. Aus einiger Entfernung sah die junge Dame an der Thürecke wie ein liebliches junges Mädchen aus, dem die Scham die Wangen röthet, die Augen schlägt sie nieder in holder Befangenheit. So schüch¬ tern stand die Gazellengestalt, halb bedeckt von dem Oleanderbosket, das aus irdenen Töpfen in maleri¬ scher Unordnung um den mit Epheu umhangenen Thürpfosten duftete. Die schöne Blüthe zitterte vor jeder Berührung, wenn wir die Begegnung, die An¬ sprache der älteren Damen, welche die Thür passirten, so nennen sollen. Das Wechselgespräch war immer sehr kurz; man konnte glauben, zur Zufriedenheit des jun¬ gen Mädchens, das vielleicht erst seit Kurzem in die Gesellschaft eingeführt war, und der Boden unter ihr brannte, vor Angst, daß sie einen Verstoß begehe. Wenn man einen Schritt näher trat, verwan¬ delte sich die Achtzehnjährige allerdings in eine voll¬ blühende Zwanzigerin, die Moosrose ward zur vol¬ len Centifolie. Aber schön blieb sie, man konnte un¬ willkürlich rufen: wunderschön! Wem das dunkle, schwimmende Auge zwischen den schwarzen Brauen und den rothen, anmuthig schwellenden Pfirsichwan¬ gen einen Blick zuwarf, mußte von Stein sein, wenn er nicht gerührt ward. Und war sie nicht eine Zau¬ berin, eine Armida? Zwischen den Oleandertöpfen schossen eine weiße und eine Feuerlilie in die Höhe, und bunte Glaslampen, damals etwas in Berlin Unbekanntes, warfen ihr Zauberlicht auf die Blumen und das schöne Mädchen, das sich auf ihnen zu wie¬ gen schien wie eine Titania, Grazie jede Bewegung. Wie sie mit den Blumen in ihrer Hand spielte, die sie vielleicht in Gedanken von einem Strauch ge¬ pflückt; das war kein gewöhnliches Fächerspiel, das die Verlegenheit verbergen soll und die fehlenden Worte ersetzen. Es war die Sicherheit einer Köni¬ gin, die den Herzen zu gebieten weiß, unbesorgt um ihre Herrschaft. Wenn sie die sanft geworfenen Lip¬ pen öffnete und die schönen Zähne im Gespräch zeigte, konnte man schwören, wenn man auch kein Wort verstand, daß sie eine witzige Replik, eine glück¬ liche Bemerkung hinwarf. Sie konnte auch abferti¬ gen, und man mochte ebenso schwören, daß die Vie¬ len, die mit ihr eine Unterhaltung anknüpften, aus Lust oder aus Gelegenheit, ihr nicht genügten. Wenn man indeß noch einige Schritte näher trat, — doch wir können unsre eigenen Beobach¬ tungen sparen, wo eine Gruppe Herren, an der Thür gegenüber, sich die ihrigen schon mittheilten. „Was hat sie denn heut für ein Roth auf,“ sagte ein Garde-Officier. „Wer?“ „Comteß Laura. Das blinkert ja wie eine Car¬ moisinmuschel.“ „Neuste Josephinenschminke, liebster Graf, drängte sich der Baron Eitelbach an sein Ohr. Bei Herrn Arnous vorige Woche frisch aus Paris. Die von der Oper sind außer sich, ist ihnen zu theuer. Was kann der Schönheit zu theuer sein, sage ich.“ „Und greifen in die Tasche.“ Der Baron hielt allerdings beide Hände in den Seitentaschen, und es klimperte etwas von Gold, aber er zuckte die Schultern: „Fürs ganze Corps de Ballet ! Na, hören Sie, das bringt mir ein ganzes Regiment nicht auf. Alles was recht ist.“ „Sie sparen's für Ihre Frau Gemahlin.“ „Ein sublimer Einfall von Ihnen Graf, wahr¬ haftig ein sehr sublimer. Wie sie blaß aussieht ge¬ gen die Laura! Aber sie will sich nicht schminken. Partout nicht mehr.“ „Hat's auch nicht nöthig,“ sagte ein dritter Intimus. „Meinen Sie? — Ich sage Ihnen, die Schminke bringt 'ne Revolution hervor. Das ist ein Geschicke zu Arnous, aber — die alte Voß und — na warten Sie nur, ich kann sie Ihnen alle nennen, die schon von haben. Sind ihrer nicht viel; aber passen Sie acht, eh' vierzehn Tage um sind —“ „Wenn die Männer die Thränen auf den Wan¬ gen sehn, sagte der dritte Intimus, greifen sie doch in die Tasche, und wenn das Roth pures Gold wäre.“ „Gold, ein charmanter Einfall! rief der Baron. Wenn's Mode würde, echtes Gold auf die Backen! Bei Gott, ich gäbe was drum; wie die Weihnachts¬ äpfel. An den Backen sähe man's den Frauen an, was ihre Männer werth sind.“ „Eine Taille, auf Ehre doch, wie 'ne Wespe, sagte der Garde-Officier. Ich sollte meinen, wer sich so schnürt, brauchte sich gar nicht zu schminken.“ „Und Füßchen, 'ne Pariserin könnte sie benei¬ den,“ meinte der Dritte. „Das tänzelt nur so auf dem Boden.“ „Was für welche hat meine Frau dagegen! Sehn Sie mal,“ rief der Baron und nahm eine Prise. „Eine Heroine muß nicht auf Tänzerfüßen stehn.“ „Heroine! charmanter Einfall. Meine Auguste eine Heroine. Wie sie mit einander parliren! Ich versichere Sie, auf Ehre, meine Frau spricht jetzt wie ein Buch. Immer Schiller im Munde. Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall, Erzeugt in dem Hirne des Thoren! Damit weckt sie mich alle Morgen. Bei Gott, 's ist wahr. Macht Alles die unglückliche Liebe.“ „Schade, Baron, daß Sie sich nicht auch un¬ glücklich verlieben können.“ „Warum kann ichs nicht?“ „Weil Sie zu reich sind. Wer Geld klimpern läßt, ist immer glücklich in der Liebe.“ „Sie sind ein charmanter Mensch, aber was soll mir die unglückliche Liebe?“ „Sie könnten dann auch einmal mit der Tugend in Berührung kommen.“ „Was hab ich von der Berührung?“ „Tugend vermehrt den Credit.“ Der ganze Körper des Barons zückte in der nicht wohl zu beschreibenden Bewegung eines Ge¬ sättigten, welcher gleichgültig eine Schüssel vorüber¬ gehen läßt, an der die Blicke der Hungrigen noch verlangend schweben. Er bedurfte nicht mehr Credit, als er besaß. Aber auch der Satte lächelt, wenn seine Gäste die Speisen loben, die er ihnen vorge¬ setzt. Der Baron von Eitelbach lächelte wohlgefällig über die Bewunderung, welche man der Schönheit seiner Gemahlin zollte, während man ihre Reize mit der der Comteß verglich. Zum Vortheil der ersteren; es waren Kenner, die hier urtheilten. Auf den Hacken sich wiegend, die Hände noch immer in den Taschen, die breite Unterlippe aufgeworfen, hatte er gleichgültig die Gesellschaft im andern Zimmer ge¬ mustert, während sein Ohr doch bei der Unterhaltung blieb, als er es für schicklich hielt eine Diversion zu machen: „Sehn Sie mal, wie die Alltag eingepackt hat. Gar nicht wieder zu erkennen.“ „Etwas blaß, äußerte der dritte Intimus. Das kann seine Ursachen haben.“ „Man hat zu viel Geschrei von ihr gemacht.“ Der Baron hatte es gleich gesagt. Das Kennerauge des dritten Intimus ließ sich nicht täuschen. „Vorübergehende Indisposition. Frisch begossen und die Blume ist wieder in voller Pracht.“ Ueber die Indisposition lächelten die Kenner; der Baron fühlte sich geistreich gestimmt; er nannte die unglückliche Liebe eine Klippe für die Schönheit. Lob erndtete er dafür nicht, denn die Aufmerksamkeit der Andern war wieder auf die schöne Comteß gerichtet. „Auf wen mag sie nur vigiliren?“ „Sie ist unruhig.“ „Warum steht sie aber wie eine Schildwacht an der Thür?“ „Muß wohl seinen Grund haben. — Halt! sehn Sie schon wieder —“ Die drei Kenner rückten die Köpfe noch näher zusammen. Die Comteß hatte während des Gesprächs mit der Baronin nochmals durch die Thürritze geblickt. „Das muß man doch rauskriegen. Welcher Magnet steckt in der andern Stube?“ Wie der Zunächststehende sich auch auf den Spitzen seiner Schuhe erhob, konnte er doch nur einen Theil des Zimmers übersehen. Da kam plötzlich ein anderer Gegenstand aus demselben, und mit vielen Verbeu¬ gungen durch die beiden Damen schlüpfend, erreichte er die beobachtende Gruppe. Der Geheimrath Lupinus von der Vogtei war gewiß nicht gefährlich, für das Auge keiner galanten Dame, die noch auf Jugend Anspruch macht; aber je schärfer das Auge der Liebe ist, um so blinder wird es für die Gefahr, die von Beobachtern droht. Das schlaue Gesicht des Geheimraths verrieth, daß er Neuigkeiten geangelt, und seine freudige Miene, daß er den Markt erreicht, wo er sie absetzen konnte. „Rathen Sie!“ sprach er, sich die Hände reibend. „Das lohnte noch der Mühe.“ „Ein neuer Gegenstand?“ „Funkelnagelneu.“ „Raus mit der Sprache. Was wissen Sie?“ „Sehr viel. Die letzte Aventure wird nur ver¬ tuscht, aber parole d'honneur , Sie können sich drauf verlassen, sie ist so —“ „Sie meinen die mit der Schildwacht — der Kerl kann doch nicht hier sein!“ „Ist eingestiegen, Herr Baron, so gewiß ich vor Ihnen stehe. Herr Graf verziehn die Miene, in der Garde hat man sich das Wort gegeben, nicht davon zu sprechen. Nun ich schweige in Devotion, wenns verboten ist.“ „Was gehts mich an, sagte der Officier mit einem nicht zu unterdrückenden Schmunzeln, und wenn der Grenadier dafür Spießruthen laufen müssen, so wüßt er doch, wofür.“ „Dazu ists aber nicht gekommen. Die Disci¬ plin hat aus Galanterie ein Auge zugedrückt.“ „Sie hat ihn wirklich ins Fenster gewinkt?“ fragte der dritte Intimus. „In den Communs, Sie wissen doch in Pots¬ dam die kleinen holländischen Häuschen neben dem Marmorpalais.“ Der Geheimrath sprach es, mit vorgehaltener Hand, dem Fragenden fast ins Ohr. Er mußte es aber mit solcher Kunst accentuiren, daß es auch den beiden Andern nicht entging? „Ja, warum hat man für Cavaliere und Hofdamen so niedrige Fenster gebaut, ça ne coûte qu'un pas ! Warum duf¬ teten die Linden so süß in der lauen Nacht? Warum schlugen die Nachtigallen so verführerisch? Warum stellt man einen jungen Grenadier, sechs Fuß hoch wie ein Apollo, vor das Kammerfenster einer schönen Hofdame? Warum schien der Mond so sehnsüchtig und beleuchtete den jungen Mars. Da ist gar nichts bei zu verwundern, und eigentlich trägt Niemand die Schuld, denn Gott bewahre, daß er ins Fenster ge¬ klettert wäre, so ein sechsfüßiger Kerl braucht nur den Fuß aufzuheben, so ist er drin.“ „Und?“ „Das einzige Unglück war, daß die Uhren in Potsdam nicht stimmten, denn als die Ablösung kam, hatte es drinnen noch nicht voll geschlagen.“ „Dem Glücklichen schlägt keine Stunde.“ „Superbe Bemerkung des Herrn Domherrn. Die Esel — verzeihen Herr Graf, es war wohl nur der betrunkene Unterofficier, machten Lärm, und — wie gesagt, wenn nicht glücklicherweise der junge Prinz Hohenlohe bei der Patrouille gewesen wäre — Man deckte den Mantel der Liebe über die Affaire, schmiß den Unterofficier, weil er in der Betrunkenheit einen falschen Rapport gemacht, auf achtundvierzig Stunden ins Cachot, seine Kerls waren Stockpolen, die nicht deutsch sehen und hören können, man zeigte ihnen den Bambus, wenn sie sich einfallen ließen etwas auszuschwatzen, was sie nicht verstehen, übrigens ein Paar Louisd'or Schmerzensgeld — Ah, Prinz Hohen¬ lohe hat wie ein Cavalier gehandelt.“ „Und doch wußte mans, ehe der Morgen in Potsdam graute, schon in allen Wachtstuben.“ „Meine Herren, sagte der Gardeofficier in ver¬ traulich officiösem Ton, Discretion! Man wußte es auch schon am andern Morgen in Berlin, aber auf der Wachtparade gab man sich das Wort — Ich rathe auch Ihnen —“ „Discrétion pour jamais! rief der Geheimrath, den Finger an den Lippen. Ihro Majestät die Kö¬ nigin darf nichts davon erfahren, wandte er sich zu den Andern. Die liebe Comteß, es ist doch ein gar zu charmantes Kind, und bei Licht besehen, was ist es denn? Eine Vision, die Phantasie einer lauen Juninacht — “ „Aber nicht die erste, schmunzelte der Baron, in der Dragonercaserne wissen sie auch davon zu er¬ zählen.“ „Mon cher baron, l'amour règne partout , aber Was bei Mondenlicht gesponnen, Verrinnt beim Licht der Sonnen.“ „Der Kerl aber, der Grenadier, ist nach War¬ schau in ein Regiment gesteckt, sagte der Officier. Und er war nicht von Mondenschein gewebt, das versichere ich Sie.“ „Monsieur le comte , die Erscheinung im Zim¬ mer ist auch schwarz von Kopf bis Fuß, ordentlich spectre-artig, nahm der Geheimrath wieder das Wort. Das blasse Gesicht in der weißen Hand, ruht er auf dem Sopha, den Clacq auf dem Schooß, die Beine unnachahmlich hingestreckt, die andre Hand im Knopf¬ loch am Herzen, als wenn er eine tiefe Wunde ver¬ stecken will. Soll ich Ihnen noch das schwarze Haar beschreiben, in dem zuweilen diese selbe Hand wühlt? — Nein, die Augen sind noch dunkler. Schade nur, daß sie nicht ein einziges Mal nach der Thürritze gerichtet sind, um die andern schwarzen Augen zu sehen, die sehnsüchtig durchblicken. Je vous assure , wenn die sich begegneten, die einmal Funken zusam¬ men schlügen, Stahl und Feuerstein —“ „Hohl Sie der Kuckuck, Geheimrath, wer ist's?“ „Impertinent!“ sagte eine herzutretende Dame. „C'est affreux,“ die andere. „Il joue l'Anglais!“ erwiederte jene. Beide kamen durch die bewußte Thür; die Baronin aber, am Arm die schöne Laura führend, mit ihnen zugleich. „Warum ereifern Sie sich, meine Damen! Mir und Comteß Laura ist's vorhin auch so passirt. Er merkte uns erst, als wir uns neben ihm auf's Sopha setzten, und dann redete er uns für Andere an. Nicht wahr, Comteß?“ „Er ist zerstreut,“ sagte die Comteß und war es selbst. „Haben wir's ihm übel genommen? — I Gott bewahre. Wenn mich Einer nicht sehen will, laß ich ihn stehn.“ „Aber, gnädige Frau, wer ist er denn, daß er sich so etwas herausnehmen darf?“ „Ach Gott, vom jungen Bovillard ist man weit mehr gewohnt. Erinnern Sie sich noch —“ „Doch werden Sie mir zugeben, daß Damen IV . 8 in einer Gesellschaft wie diese mehr Conduite von Herren voraussetzen dürfen, wenn sie dahin ge¬ hören .“ Der letzte Satz ward von den feinen Lippen sehr scharf betont.“ „Wen die Fürstin eingeladen hat, der gehört doch her.“ „Mein Mann meinte, erwiederte die Andre, die noch nicht Lust hatte von ihrem hohen Pferde zu steigen, es gehöre doch ein eigner Tie dazu, einen Menschen von dem Renomm é ihrer Soci é t é auf¬ dringen zu wollen. Mein Mann ist sonst gar nicht scrupulös, und gegen unsre erlauchte Wirthin fällt es mir auch nicht im entferntesten ein, damit etwas gesagt zu haben. Sie wird wohl ihre Gründe haben, warum sie Leute zusammen bittet, die nicht zusammen gehören.“ „Beste Frau Staatsräthin, erwiederte die Eitel¬ bach, wozu wären denn die Gesellschaften, als daß sich die zusammenfinden, die noch nicht zu einander gehören. Wenn man immer nur alte Bekannte sähe, das wäre ja langweilig.“ „Philosophie, wie sie auch ist, im Münde einer schönen Frau, erwiederte die Staatsräthin mit süßem Lächeln, ist immer liebenswürdig. Nur begreife ich nicht, wenn der junge Herr von Bovillard so viel zu denken hat, warum er seinen Pens é e's grade in einer Gesellschaft nachgeht.“ „Wissen Sie, wie mir eine Gesellschaft vorkommt, entgegnete die Eitelbach? Als wie eine Komödie, wo jeder anders aussieht und anders spricht als ihm zu Muth ist. Uns werfen sie vor, daß wir uns putzen und schnüren und auflegen und ausstopfen — Ihr Herren mögt immer laut lachen, ich seh's doch, wie Ihr's innerlich thut. Das genirt mich gar nicht, denn die Männer spielen mehr Komödie als wir. Ach Gott, wenn sie sich präpariren, liebenswürdig zu scheinen, um Einer die Cour zu machen, wo sie's gar nicht so meinen. Und wenn Einer vornehm thut, als hätte er eine Elle verschluckt, oder gelehrt redet, als wär's ein Buch, da möchte ich ihn immer fragen: warum quälst du dich denn? Wenn du 'raus bist, stöhnst du doch auf und schlenkerst mit den Armen, als wenn du den engen Rock aufreißen wolltest, und denkst: Gott sei Dank, daß es aus ist. Warum hast du denn angefangen, warum bist du nicht gekommen, wie du bist, und hast gesprochen, wie dir der Schnabel gewachsen ist.“ Der Baron Eitelbach rieb sich vergnügt die Hände: „Was sagen Sie zu meiner Frau, Frau Staatsräthin?“ „Sie wird doch Ausnahmen machen. Sie ist nicht so grausam, uns alle zu verdammen.“ „Da ist Einer wie der Andre. Jetzt merk ich's nur erst, aber ich habe es längst gewußt.“ „Ihren Herrn Gemahl werden Sie wenigstens ausnehmen?“ Die Baronin schien sich zu besinnen, indem sie 8 * ihn anblickte. Ihre Antwort begann mit einem lang gezogenen „Na! — Das ist wahr, ein Petit-Maitre will er nicht sein, und die Cour macht er auch nicht, nämlich in Gesellschaften, und spricht auch nicht, als ob er die Weisheit mit Löffeln gegessen hätte, denn er macht sich nichts aus den Gelehrten, aber —“ Das „Aber“ der schönen Frau, als sie inne hielt, schien lautlos von allen Lippen wiederholt, nur ihr Gemahl rief es laut lachend: „Aber, Auguste, nur raus damit!“ „Aber, rief sie rasch, mein Mann thut jetzt, als wenn er wünschte, daß ich Alles ausplaudern sollte, weil er so thut, als ob er sich nichts draus machte. Nachher zu Hause, und im Wagen schon, würde er mir das Kapitel lesen: Aber, Auguste, wie konntest Du wieder! Sehn Sie, wie er das Kinn im Hals¬ tuch versteckt. Er möchte Sie glauben machen, daß er sich vor Lachen ausschüttet, aber — aber ich will keine Komödie vor Ihnen aufführen.“ Das Urtheil über die Baronin lautete heute sehr verschieden. „Wer hätte es von ihr gedacht! sagte die Dame, welche wir als Staatsräthin angeredet hörten. Früher nicht den Mund geöffnet, ohne eine Betise zu sagen, und wirft jetzt mit Sottisen um sich!“ — „Ich weiß aber nicht, engegnete die andere, ob mir das rohe Tuch nicht lieber war als die neue Appretur im Lagerhause.“ „Die sie indeß gewiß nicht dem Bügeleisen ihres Mannes verdankt, fiel die erste ein. So lange sie neu ist, wird ihre Neuheit frappiren; ich fürchte aber, daß es mit dem Glanze gehen wird, wie mit dem Tuche ihres Gemahls: nach den ersten Regen¬ güssen wird es fadenscheinig.“ Die Urtheile der Männer lauteten günstiger. Einige gingen so weit, zu behaupten, sie hätte ihren Verstand nur cachirt oder ihr Mann ihn nicht auf¬ kommen lassen, wogegen Andere wollten, er sei viel¬ leicht grade durch die Reibung mit ihm ins Leben gerufen. Die Feineren lächelten: es war ja die Wirkung der Liebe. Die Flammen hatten eine Eis¬ kruste oder Bleirinde gesprengt. „Schade, daß sie nicht mehr jung genug ist, um eine Gurly zu spielen,“ schloß Einer. „Also doch auch sie eine Rolle,“ entgegnete ein Anderer. „Sie hörten ja, daß sie keine Ausnahmen statuirt.“ Den eigentlichen Vortheil zog Comteß Laura von dem Disput, wenn es ein Vortheil war, daß sie über dem neuen Gegenstand der Unterhaltung dem scharfen Scrutinium entschlüpfte. Achtes Kapitel. Nationalität. In einem andern Zimmer sah man Staats¬ männer, Gelehrte und Künstler sich um die Wirthin bewegen. Die Zeitverhältnisse, die Politik, waren in das Gespräch gezogen, aber mit jenem Takt, der alles Bestimmte und Persönliche ausschloß. Eine jener Stimmen war hier erklungen, die damals nur wie vereinzelte Accorde, Trompetenstöße aus einem mythischen Lande, in das Gewirr des Tages schmetterten, um später zu einem rauschenden Orgelton zu werden. Nicht daß nicht schon im Volke, unter einzelnen Gelehrten, in den Universitäten und Schulen, der Ruf der Nationalität vibrirte, den später die Arndt und Andre zu einem mächtigen Schlachtruf für die deutsche Nation erhoben, aber in den höheren Kreisen der Gesellschaft verstummten diese Töne, erstickten diese Luftzuckungen noch immer an einer ganz andern Luftatmosphäre. Man hörte sie an, nicht ungefällig, aber vornehm Beifall lächelnd, wie man eine neue, überraschende Erfin¬ dung betrachtet, deren glänzende Erscheinung man zwar bewundert, aber ihre Wirksamkeit und Dauer¬ haftigkeit bezweifelt. Man hatte nachdenklich einem Redner zugehört, welcher gesprochen von der Heiligkeit, einem Volke anzugehören, von dem Recht auf Sprache, Sitte, eigenes Wesen, ja von der Pflicht desselben, für dieses höchste Gut sein Alles einzusetzen. Eine Nation, die gegen diese Pflicht gleichgültig werde, habe schon das Anrecht auf ihre Existenz eingebüßt. So weit ward der Sprecher verstanden, die Damen hatten Verse aus der Jungfrau von Orleans und Tell citirt. Aber als er weiter ging, und nicht sowohl den Haß gegen alles Französische, nicht allein gegen Bonaparte und seine Soldaten, gegen die Revolution und die Jacobiner empfahl, worin man ihm bei¬ gestimmt haben würde; als er es als noch heiligere Pflicht forderte, daß der Einzelne wie das Ganze sich versenke in das, was deutsche Art und Wesen sei; daß nur dann, wenn wir dieses wieder rein hergestellt in der Sprache, unsern Gewohnheiten, unsrer Denkweise, wenn wir ganz wieder zurückgekehrt zur eigenthümlichen Anschauungsart unsrer Väter, das Fremdartige, was durch Jahrhunderte sich in unser Blut gefressen, abstreifend und ausmerzend, daß nur dann Rettung sei für unsre Nation von der Fremd¬ herrschaft: da hörte man wohl belobende Phrasen; die meisten aber verstanden es nicht, Andere schwiegen, noch Andre schüttelten den Kopf. Der Redner hatte eine noch kühnere Hypothese aufgestellt: nur in der Nationalität sei die Wurzel der Kraft, um der Tyrannei zu widerstehen. Der corsische Riese, der mit den Flügeln des Vogels Rock die Welt umspanne, wisse, was er thue, indem er das Ureigene der Nationen erdrücke, um sie in eine Allgemeinheit von gleicher Farbe, gleicher Prägung zu stampfen. Das ermatte den Lebensnerv; woran solle die Begeisterung, der Patriotismus sich klammern, wenn ein Pfeiler nach dem andern der alten heiligen Erinnerungen, der Töne und Bilder zerbreche, an denen wir uns als Kinder gehalten. Das unscheinend Unbedeutendste sei da von Wichtig¬ keit, ein altes Lied, es dünkt uns ohne Sinn, ein Sprüchwort, eine Ruine, ein dunkler Winkel, den ein Geist, eine Sage umschwebt, eine Gewöhnung, die uns albern erscheint. Alles sei doppelt bedeutend, was als Heftnadel gelten könne, um ein Volk zusammenzuhalten, in einem Augenblick, wo Alles hinarbeitet, es zu zersplittern und sein Tichten und Trachten in allgemeine Begriffe von Wohlergehen und Glückseligkeit aufzulösen. Er ging noch weiter: nur den Nationen, welche diese ihre Nationalität festgehalten, winke die Palme des Sieges. Nicht seine Insellage schütze Albion, sondern das ehrenwerthe Festhalten an den alten Sitten und Gesetzen. So sah er in Spanien eine Mauer, an welcher des Eroberers Ehrsucht scheitern müsse, er erwartete von den Basken in den Pyrenäen, daß sie die Standarte der heilig ge¬ haltenen Volksrechte erheben würden, er blickte nach Rußlands Steppen, wo eine Völkerwiege des Ur¬ eigenen braue, aber seine Stimme wurde bewegt, als er von dem theuren, deutschen Vaterlande sprach, einem Volk, das sich selbst zerrissen und sich nicht wieder finden könne, das wie Kinder, die Muscheln am Meer sammeln, alles Neue, Fremde, Glänzende aufgreife, das wie ein Schwamm die Feuchtigkeit der Luft einsauge und seine schönsten Eigenschaften zu selbst¬ mörderischer Thätigkeit auspräge. Mit seltner Empfäng¬ nißkraft begabt, drängt seine Natur es dazu, alles Große zu bewundern, aber sein böser Geist wolle, daß es nur das Fremde bewundert; wo die eigne Größe Anerkennung fordert, erschrecke es scheu, kalt, ängstlich und im Mißtrauen an sich selbst zergehe die schönste Kraft. Der Redner, ein junger Mann von hoher Ab¬ kunft, hatte einen doppelten Fehler begangen. Er hatte begeistert gesprochen; die Begeisterung gehört in keinen Salon. Er war selbst gerührt worden; das war ein Fehler unter allen Umständen. Er hatte aber auch sein Auditorium nicht berechnet, und das war unverzeihlich. Er befand sich in Fried¬ richs Hauptstadt, in einem Kreise von Würdenträgern und ausgezeichneten Männern, die sich für Träger der Monarchie des großen Königs hielten, diese selbst aber für so fest, gesichert und in gutem Stande, daß es nur einiger Ausbesserungen bedürfe, aber keines Fundamentalbaues. War nicht seine ganze Rede ein indirekter Angriff gegen die Schöpfung des Einzigen? Wo war denn die Nationalität hier, die er als einzigen Anker, der Zukunft und Ver¬ gangenheit zusammenhalte, anpries! Wo das ureigene deutsche Element? Friedrich, der mit dem Degengriff und der Feder zerstörend in das Zer¬ fallende hineingegriffen, hatte eine Schöpfung hin¬ gestellt, die der Gegenwart angehörte. Freilich hatte er diesen Vorwurf in seinem Sinne nicht deutlich ausgesprochen, noch begriffen es Alle, aber man fühlte es. Ein peinliches Schweigen war eingetreten. Einige Damen lobten hinter dem Rücken das sonore Organ des Redners; leise, aber laut genug, daß er es hören konnte. Man begegnete ihm mit großem Respect, aber — es galt seinem Stande. Der junge Mann fühlte sich unbehaglich, er verschwand bald; er war noch zu Hofe geladen. Dennoch hatte seine Rede einen Eindruck hin¬ terlassen. Ob die Fürstin das Lob der Nationalität, die Hoffnung auf Rußland, für ein Compliment genommen! „Was sagen Sie dazu?“ sprach sie, aus ihrem Nachsinnen erwachend, als ihr Blick auf einen Mann fiel, dessen Stirn, Auge, Haltung, den Künstler nicht verkennen ließ, der sich mit dem Stolz des Bewußtseins in dem Kreise bewegte, welcher an Stand und Geburt weit über ihm stand. Aber sein Blick, seine Sprache, die Nonchalance seines Wesens bekundete, daß er sich, wenn nicht ihnen gleich, doch frei und unberührt von der Präponderanz dieser Ge¬ burts- und Standesvorzüge fühlte, ohne doch in das umgekehrte Extrem zu verfallen, einer brusken Nicht¬ achtung. Er hatte der Rede des jungen vornehmen Mannes mit zugehört, anfangs aufmerksam, dann hatte er mit dem Kammerherrn von St. Real eine Marmorgruppe betrachtet, und schien ihn jetzt auf einige Fehler derselben aufmerksam zu machen. „Ich habe die Eloquenz admirirt, entgegnete der Künstler. Ueberhaupt, wenn in den Schulen etwas dafür gethan würde, möchte die art rhétorique auch in Deutschland Progressen machen.“ „Ich meine, was Sie zur Sache sagen. Was halten Sie von der Nationalität, Schadow? Ein Künstler muß darüber ein Urtheil haben.“ „Meine gnädige Fürstin, entgegnete der Bild¬ hauer, wenn man die Menschen nackend auszieht, so sieht Einer aus wie der Andere, und wir Scülpteurs haben's eigentlich nur mit nackten Men¬ schen zu thun.“ „Aber die Racen sind anders gebildet. Wo wären die Götterbilder der Griechen, wenn ihre Phidias und Praxiteles nur nackte Hottentotten gesehen hätten.“ „Ich parire darauf, wenn Phidias sich nur eine hübsche Hottentottin ausgesucht, er würde auch eine Venus zu Stande gekriegt haben, die unsre Amateurs admiriren müßten. Und was die Racen betrifft, so ist unsre deutsche auch eben keine Schönheit gewesen. Nach den Descriptions der Hi¬ storiker und den Sculpturen an den Säulenbildern waren unsre barbarischen Vorfahren barbarisch häßlich.“ „Die Cultur also hat die Racen veredelt. Das ist Ihre Meinung?“ „Sie könnte noch immer etwas mehr thun, als sie gethan hat; indessen wir Künstler dürfen es nicht zu genau nehmen. Wo wir nichts finden, borgen wir, hier einen Arm, da ein Bein, eine Hüfte, eine Schulter —“ „Und das Beste thun Sie selbst hinzu, die Harmonie. Die Kunst ist Stückwerk, wie Alles unter dem Monde, der Geist muß in die Formen fahren, um ihnen eine Seele zu geben. Aber Sie wollen mich nicht verstehen, und verstehen mich doch. Die Griechen waren eine Nation, die Römer —“ „Die Juden sind auch eine, fiel Schadow ein, und doch rümpft man in der Soci é t é die Nase.“ „Ich will Ihre Meinung wissen, Schadow, sagte die Fürstin mit entschiedenem Tone. Ihre Moquerien ein ander Mal.“ „Wenn man meine Sculpturen so gütig ist zu rühmen, sagte der Künstler, ist's jetzt so Mode, ein Schwanzende dran zu setzen, daß wir uns von der französischen Imitation losreißen müßten. Ich habe auch nichts dagegen; wer frei stehen kann, mag sich losreißen, aber ein Kind gebiert sich nicht selbst. Es ist dazu eine Mutter und ein Vater nöthig, und die mußten wieder Väter und Mütter haben. Meine ersten Väter waren die französischen Maitres, die der grand Frédéric herberief. Was fängt die junge Welt jetzt an gegen sie zu schwätzen! Auch meine Jungens, der Rudolf und Wilhelm, thuns, seit sie den Mund aufthun können, als müßte es so sein. Habe auch nichts dagegen, denn Schwatzen gehört zum Leben, aber ich lache so im Stillen, was wäre ich denn, und was wäret Ihr und wir Alle ohne die Franzosen! Und die Fran¬ zosen ohne die Italiener, und die ohne die Römer und Griechen. Und die Griechen vielleicht ohne die Aegypter und so weiter.“ „Sie mögen Recht haben.“ „Da wollen sie jetzt auf Goldgrund malen, lange Engelsgesichter mit Wickelkinderleibern und in Schleppkleidern, und das nennen sie deutsch, weil sie vor vierhundert Jahren, als das Gold noch wohlfeiler war, die Leinwand so angestrichen haben. Als ob der Fiesole und die Florentiner so gemalt hätten, wenn sie damals schon Besseres gesehen.“ „Sie springen ab. Ist die Nationalität Ihnen gar nichts?“ „Das Kleid, was der Mensch sich anlegt, weil wir nun einmal nicht nackt gehen sollen. Sie sagen, es schickt sich nicht, ich aber meine, weil wir zu eitel sind. Weiter nichts, um unsre Gebrechen und Un¬ schönheiten zu bemänteln, legen wir Cotillons, Sur¬ touts und Redingoten an. Und gar nicht nach un¬ srer Wahl, wie wir's von unsern Voreltern über¬ kommen haben. Wir ändern nur den Schnitt. Und von wem kommt der? So weit Sie zurückgehn, aus Paris. Nehmen Sie mir Stück für Stück vom Leibe, was vom Auslande stammt, und ich würde wirklich mich nicht unterstehen, in dem Kostüm, was die Na¬ tur mir läßt, vor Euer Erlaucht stehn zu bleiben. Was ist's nun mit der Nationalität anders, gnä¬ digste Frau, verschieden geschnittene und gefärbte Röcke um dieselben Menschen. Freilich pressen enge Schuhe den Fuß der Chinesinnen klein, und der des Türken wächst plump in seinen weiten Pantoffeln, aber der Fuß bleibt Fuß, und mit der Sohle treten sie in Grönland auf und in Constantinopel. Ist der Franzos ein Andrer, weil er mehr auf den Zehen geht, und wir mehr auf den Hacken? Wo wir nun Alle bettelarm wären, und zottig umherlaufen mü߬ ten in unsrer Blöße, lohnt sich's da, um den Schnitt und das Kostüm uns zu hassen? denn weiter ist die Nationalität nichts.‘ „Einem Bildhauer vergebe ich diese Naturauf¬ fassung. Aber Sonne, Clima, Luft wirken verschie¬ den auf die Creatur. Die Nationen sind verschieden in Gemüthsart, Intentionen, das können Sie nicht abstreiten.“ „Ja, in jedem Lehrbuch steht's, daß der Fran¬ zose leichtes Blut hat, der Spanier schwarzes, der Italiener heißes, der Deutsche warmes. Der Fran¬ zos ist leichtfüßig und eitel, der Italiener zän¬ kisch und rachsüchtig und der Deutsche keusch und treu. Eigentlich brauchte man nur an den Puls zu fassen, und gleich hätte man weg, von welcher Na¬ tion Jemand ist. Schade nur, Prinzessin, daß ich in Italien die liebsten Menschen fand, von warmem Blut und dem besten Herzen, fleißig, em¬ sig, rechtschaffene Familienväter und treue Freunde. Sollte ich sie darum hassen, oder die Franzo¬ sen, weil Montesquieu und Rousseau, weil Buf¬ fon und Laplace Franzosen waren, oder alle Deutsche darum lieben, weil sie alle grad, ehrlich, Män¬ ner von Wort, Biedermänner und keusch wie Jo¬ seph sind?“ Herr Schadow hatte dabei wie zufällig den Blick auf den Kammerherrn von St. Real ruhen lassen, welcher etwas unruhig ward. Es giebt Thiere und Menschen, welche das Fixirtwerden nicht vertra¬ gen. Die Fürstin, sichtlich im Innern bewegt, nahm das Wort: „Sie haben Recht, die Nationalität ist auch nur ein Götze, geknetet und angestrichen aus Leim und Koth, aus Träumen und Blut. Aber, Herr Schadow, ein schön geformtes Götterbild bleibt's, schöner als Ihre Apollo und Jupiter!“ Der Meister hatte eine Prise genommen: „Ja, die Kostüms sind recht hübsch, ich zweifle gar nicht, daß der Patriotismus einst eine Rolle spielen wird.“ „Wie wir Alle!“ sagte die Fürstin, indem ihr Blick die Gesellschaft überflog. Die Eitelbach und Laura gingen vorüber; sie nickte ihnen zu, aber ihre Gedanken waren mit Anderm beschäftigt, und die Worte kaum an den Bildhauer und den Kammerherrn gerichtet, so wenig als an den Rittmeister Dohleneck, der eben aus dem andern Zimmer auf sie zuschritt. Sie sprach mit sich selbst. „Wir Alle spielen eine Rolle, vor Andern oder vor uns selbst. Wenn wir uns doch darüber nicht täuschen wollten! Schadow hat Recht, was ist denn unser eigenstes Eigenes? Die Scene, wo wir auf¬ treten, das Licht, das uns anleuchtet, das Kleid, das sich an unsre Glieder schmiegt, es übt Einfluß, es macht uns erst zu dem, was wir scheinen; das Lä¬ cheln der Lippen, es ist angeblasen vom Augenblick, der Stimmung; Alles, was wir zu besitzen glauben, ist Geborgtes, und wir nur Molusken, die Farbe und Ge¬ stalt annehmen von der Flüssigkeit, die sie einsau¬ gen, Schmetterlinge, denen der Blüthenstaub den Duft leiht, und der Finger des Knaben entfärbt sie wieder; Irrlichter sind wir, schaukelnd in der Vibra¬ tion der Luft, und unsere thörichtste Rolle, es ist die unverschämte Lüge, wenn wir wahr zu sein glauben.“ „Dazu, meinen Einige, wären wir auf der Welt,“ entgegnete der Meister. „Schadow, haben Sie nie die ungeheure Leere empfunden, dies gähnende, graue Mißbehagen der Creatur?“ „Niemals, meine Gnädigste.“ „Ich kann den Trinker begreifen, der ausstürzt Becher über Becher, immer feurigern Wein, es ist die Moluskensehnsucht nach einer Existenz, nach der Verkörperung des Geistes.“ „Wenn ich den brennenden Durst empfinde, den Erlaucht meinen, sagte Schadow, dann knete ich ihn in Thon, und meißle ihn in Stein.“ „Und das todte Werk vor sich, sind Sie befriedigt?“ „Da ist's heraus, fix und fertig, was mich plagte, nach allen Regeln steht's vor mir, und ich bin frei.“ „Glücklicher — Unglückseliger! Bis Sie wieder von Neuem geplagt werden.“ „Dann schaff ich's von Neuem aus mir raus.“ „Und käme eine andre Zeit, die alle diese Regeln zusammen würfe?“ „Dann habe ich für meine geschaffen und damit genug gethan.“ War das Zustimmung, war es Schadenfreude, oder wo kam der Funke her, der plötzlich über ihr Gesicht zückte: „Und Sie haben Recht. Wir, wir hier leben ja Alle nur für unsre Zeit. Nur unsre Rolle gut durchgespielt, das ist die Aufgabe. Harmonie hineinbringen müssen wir, nicht die IV . 9 aus den Sphären, die bringt schrillende Dishar¬ monieen. Die Harmonie des Scheins. Sie schaf¬ fen, was heute gilt, der Componist, was heut die Ohren kitzelt, der Philosoph, der Politiker, — ach, mein Gott, wohin verirrten wir uns, lieber Schadow, schwärmen und philosophiren, heißt das nicht aus der Harmonie unsrer Rolle fallen, und unsre lieben Gäste blicken verwundert nach uns.“ Neuntes Kapitel. Sie hassen. Der Rittmeister von Dohleneck hatte die Fürstin in Beschlag genommen: „Ein Wort nur, gnädigste Frau, eine Bitte!“ „So dringend?“ „Ja. — Sie sind ihr Schutzengel.“ „Ich ein Engel! Wen beschütze ich? —“ „Auguste — die Baronin Eitelbach!“ corrigirte er sich. „Ach so! Eine schöne Frau hat überall Schutz¬ engel. Jeder Cavalier ist es.“ „Die Comteß Laura hat sie an ihren Arm gepackt, und schleppt sie wie ihr Opfer mit sich. Sie ist zu arglos, zu gut, sie begreift nicht, daß diese Compagnieschaft ihrem Ruf schadet. Es verdrießt mich schon den ganzen Abend, aber —“ „Da ist ja ihr Gemahl, der Baron.“ „Der! —“ „Er ist freilich ein seltsamer Freigeist.“ „Was schiert er sich um seine Frau und ihren Ruf. 9 * Er freut sich, daß sie mit einer vornehmen, bei Hofe gern gesehenen, Dame intim scheint.“ „Dann sprechen Sie doch selbst mit ihr. Sie wissen ja, wie gut sie von Ihnen denkt.“ „Erlauchte Frau, Sie wissen, wie wir —“ „Das hätte ich beinahe vergessen. Kinder, was trübt Ihr Euch das kurze Schmetterlingsleben durch Scrupel. Was hilft Euch die Pein? Wenn Ihr Euch auch noch so ehrbar grüßt, so kalt an einander vorübergeht, dem bösen Leumund entgeht Ihr doch nicht. Am wenigsten Sie, Dohleneck, wenn Sie sich der lieben Frau zum Ritter aufdringen, wie Sie jetzt thun.“ Der Rittmeister war um einen halben Schritt zurückgetreten, wäre es keine Dame und nicht die Fürstin gewesen, hätte er die Hand vielleicht an den Degen gelegt. Er erkannte schnell seine Position. „Gnädigste Fürstin, ich wollte keinem Cavalier Anspielungen gerathen haben, die der Ehre meiner tugendhaften Freundin zu nahe träten. Aus Ihrem Munde nehme ich dankbar die Worte als eine freundliche Warnung.“ Sie blickte ihn mit einer herzgewinnenden Freundlichkeit an: „Die arme Laura! Da scheut Ihr Herren der Schöpfung Euch nicht, um einer Frauen Ehre zu erhöhen, die von andern zu ver¬ giften. Ist das ritterlich, Herr von Dohleneck? Was sie von meiner Laura schwätzen und plaudern, was geht es mich an!“ — „Sollten Sie nichts gehört haben?“ — „Ich kam als Fremde her, ich bin es noch, ich nehme die Personen, wie ich sie finde, was in der Gesellschaft von Traditionen umgeht, kümmert mich nicht. Sollte ich bei allen Gästen, die mich mit ihrem Besuch beehren, danach mich erkundigen, so weiß ich wirklich nicht, ob mein Salon nicht leer bliebe. Ueberdem sagten Sie selbst, daß der Hof sie protegirt, ich sollte meinen, das sei genug, um dem Vor¬ wurf zu begegnen, der in Ihrer Bitte für mich liegt.“ Aber der Rittmeister hatte Succurs bekommen. Herr von Fuchsius und eine Hofdame waren hin¬ zugetreten. Auch der Legationsrath schloß sich der Gruppe an. Die Hofdame hatte Zweifel, ob der Hof die Comteß noch länger halten werde, seit der letzte Scandal laut geworden. Herr von Fuchsius wußte, daß der König sehr aufgebracht sei, und der Legationsrath, daß die alte Voß das Ohr der Königin belagere, welche noch die meiste Prädilection und Entschuldigungen für die schöne Comteß hätte. „Auch die alte Voß! wiederholte mit einem eigenen Lächeln die Wirthin. Da ist ja eine völlige Verschwörung gegen ein armes Mädchen, das sich nicht vertheidigen kann. Ich verstoße wohl schon, wenn ich es versuche?“ „Ihre Erlaucht wollen gütigst vermerken, sagte die Hofdame, es ist noch nichts darüber ausgesprochen. Bis jetzt ist sie recipirt, und Fürstin Gargazin können sie ohne Gefahr bei sich sehen.“ „Sie würden mir einen großen Gefallen er¬ weisen, liebe Almedingen wenn Sie mich davon avertirten, sobald ich es nicht mehr darf.“ „Sobald man ihr die Thüre weist; Erlaucht können sich darauf verlassen, daß ich mit der ersten Nachricht zu Ihnen fliege.“ Die Fürstin drückte ihr verbindlich die Hand: „Von Ihrem Eifer bin ich überzeugt. Bis dahin hat es aber wohl noch einige Zeit?“ „Es sind vielleicht doch nur Mißverständnisse,“ warf der Legationsrath hin. „Oder sie bessert sich auch. Man muß ihr nur Zeit lassen,“ meinte Herr von Fuchsius. „Ein zehn — fünfzehn Jahr, murmelte der Legationsrath, dann macht sich das von selbst.“ „Macht mir das junge Reh auf der Maienwiese nur nicht scheu, sagte die Fürstin. Wenn Ihr ihr beständig von der Arglist und Tücke der Menschen vorerzählt, glaubt Ihr, daß Ihr sie dadurch schützt. In ihrer Angst und Verwirrung läuft sie von selbst in's Netz.“ Das junge Reh stand plötzlich unter ihnen. Laura hatte wohl nur durch das Zimmer gewollt, denn der Glanz ihres Auges verrieth nicht, daß sie gelauscht, noch von dem, was hier über sie gesprochen worden, eine Ahnung hatte. Auch verrieth die Miene der Fürstin nichts von Betroffenheit, als sie die Flüchtige erhascht, und den Arm um ihre Schulter, wie eine Mutter um ihr Lieblingskind, schlang. „Haben Ihnen nicht die Ohren geklungen? Wenn Sie wüßten, was wir gesprochen, würde Laura bis über die Ohren roth werden.“ Die Comteß meinte, es wäre sehr heiß. „Nun möchte der Wildfang gleich an's Fenster stürzen, um sich zu erkälten. Nein, Comteß, hier ist ein Familienrath, ich stelle die Mutter vor, und alle diese Freunde werden mir beistehen Sie zu hüten.“ „Ich bin Ihnen sehr obligirt — “ „Aber das Kind weiß selbst, was ihm am Besten ist! Nicht wahr? So lese ich Ihre Gedanken, die geheimsten auch, aber — ich verrathe nichts. Ist sie nicht ein Feenkind, wandte die Fürstin sich zu den Andern; da ist doch kein verborgenes Fältchen, nichts Angelerntes, nichts von Verstellung. — Sehn Sie in dies Gazellenauge; nur etwas zu munter noch, leichtsinnig, flatterhaft, ein Schmetterling, der lauter Honig naschen möchte, aber mit der Zeit pflückt man Rosen, mit der Zeit wird sie auch den rechten Weg finden. Ach das macht sich Alles von selbst. — Sehn Sie! Jetzt sollte ein Maler diesen Augenniederschlag, diese Grübchen am Kinn malen. Herzens-Engels¬ kind —“ Die Fürstin wollte sie embrassiren, aber statt des Feenkindes mit den Pfirsichwangen stand ein blasses, scharfgeschnittenes Gesicht vor ihr, statt des blühenden Hauptes mit dem phantastischen Lockenbund eine eng anschließende Haube mit Spitzen, und statt der Gazellenaugen, die gutmüthig und gedankenlos umherschweiften, fuhr ihr ein stechendes kleines Augen¬ paar entgegen. Die Geheimräthin Lupinus war ungemeldet eingetreten. „Mein Gott, welche Ueberraschung!“ Die Gargazin spielte hier keine Rolle, als sie mit den geöffneten Armen zurück fuhr. Es war eine vollkommene natürliche Ueberraschung; denn sie war jedes andern Besuches gewärtig, als der Lupinus, die zwar zu ihren Soireen ein für alle Mal formell eingeladen, aber noch nie gekommen, auch nie er¬ wartet war. Ob sie aus Nachlässigkeit der Domestiken ungemeldet bis in das Zimmer gedrungen, ob die Fürstin im Eifer des Gespräches die Meldung nicht gehört, lassen wir unentschieden, aber Thatsache war, daß sie unbemerkt mitten im Zimmer stand und der Wirthin in dem Augenblick sich näherte, als die Comteß durch eine Seitenbewegung sich den Armen der zu gütigen Fürstin entwunden hatte. Alle waren überrascht; nur die Ueberraschende schien sich in der Wirkung, die ihre Erscheinung her¬ vorrief, zu gefallen. Sie hatte etwas gestört, vielleicht zerstört, eine Gruppe voll Liebe und Einigkeit. Die Lust, welche das Zerstören veranlaßt, wird von Vielen als eine Wollust geschildert. Die Lupinus war eine andere geworden, als wir sie kennen gelernt. Die bunten Farben waren aus ihrer Kleidung verschwunden, aus ihren Zügen der Liebreiz, der noch fesseln konnte, während die Schärfe derselben zurückschreckte. Ihre Augen konnte man nie eigentlich schön nennen, aber es lag zuweilen etwas Schmachtendes, Sehnsüchtiges darin, was mit dem lauernden Aufblitzen versöhnen mochte. Man bedauerte sie, man las die Unbefriedigung, welche als Unruhe in ihr aufzückte. Diese Unruhe schien einer eiskalten Ruhe gewichen. Schien , sagen wir, so lange sie Herrin über sich blieb, aber in Momenten zückte das Feuer der Unruhe wieder heraus, ihr Auge schoß Blitze, die wehe thun konnten, vor denen ein sanftes Auge sich unwillkürlich schloß, wie ein keusches Gemüth vor einem Anblick, den es nie gesehen, und doch hat es die Empfindung, daß es so etwas nicht sehen darf. Und doch, wie schnell war die Ruhe wieder über das Gesicht ausgegossen und ein Lächeln schwebte um die Lippen, das ein Maler vielleicht mit dem einer Heiligen verglichen, die unter Folterqualen zu den Umstehenden spricht: Es schmerzt nicht. Die Fürstin und die Geheimräthin hatten einen Versuch gemacht sich zu embrassiren, ein Versuch, der, an irgend etwas gescheitert, in einem wiederholten Händeschütteln sich aufgelöst. „Ich werde Ihnen das nie vergessen, da ich weiß, was Sie mir bringen,“ waren die nächsten Worte der Gargazin, und die Freude schien auf ihr Gesicht zurückgekehrt, als sie den neuen Gast neben sich auf's Canap é gezogen. Ihr Auge streifte über die Andern hin, es lag darin ein gütiger Befehl an die Freundesgruppe, sich aufzulösen. Die Hofdame hatte sich mit dem Regierungsrath schon fortgeschlichen. Der Comteß nickte sie zu: „Geben Sie Ihren Arm getrost dem guten Rittmeister. Ich versichere Sie, Comteß Laura hat keinen bessern Freund als Herrn von Dohleneck.“ „Ich weiß, was ich Ihnen bringe, hatte die Geheimräthin erwiedert. In das Haus der Freude eine Trauergestalt, aber die Pflicht der Dankbarkeit geht über diese Rücksicht.“ „Dankbarkeit? rief die Fürstin mit einem er¬ staunten Blick, indem sie die Hand der Geheimräthin an sich zog. Sie stehen noch immer, Herr von Wandel, wollen Sie nicht neben uns Platz nehmen, meine Freude theilen. — Madame Lupinus spricht von Dankbarkeit!“ „Nur von einer Pflicht, gnädigste Fürstin, die ich so lange aufgeschoben. Sie haben sich meiner Pflegetochter wie eine wahre Mutter angenommen.“ „Ach das! — Ich bitte Sie, kein Wort davon.“ „Gönnen Sie mir das Wort. Ja, ich bekenne es, ich bringe ein Opfer, um endlich auszusprechen, was ich über Ihre Handlungsweise denke.“ „Egoismus, nichts als Selbstsucht! Weil Adel¬ heid mir gefällt, weil ich mein Haus, meine Gesell¬ schaften durch Ihre Schönheit schmücken will.“ Die Fürstin fühlte ihre Hand sanft gedrückt: „Warum das wiederholen, was der Pöbel über uns urtheilt. Adelheids blühende Jugend gehörte nicht in mein Krankenhaus. Sie erkannten es — und — ich gestehe es Ihnen, im ersten Augenblick schmerzte mich die Art, wie das theure Kind mir entführt ward; jetzt preise ich den Himmel, daß er es so gefügt hat, und — daß er Ihnen den raschen Entschluß eingab.“ Die schönen Seelen verstanden sich; das vorhin versuchte Embrassement erfolgte wie von selbst. „Einen Fingerzeig des Himmels wollen Sie darin erkennen, sagte die Fürstin. Ich kann noch immer nicht umhin, mir einen Raub vorzuwerfen.“ „Lassen wir den Streit darüber, gnädigste Frau. Adelheid gehört in Ihr Haus, es ist meine aufrich¬ tige Meinung. Der Legationsrath kann bezeugen, wie oft ich es aussprach. Bei mir wäre sie ver¬ kommen.“ „Sie spricht nur mit der größten Liebe von dem Guten, was sie durch meine Freundin erfahren.“ „Es thäte mir leid um das Kind, wenn sie un¬ wahr würde.“ „Warum so selbstquälerisch. Sie wissen selbst, bis zu welcher Verirrung das Dankbarkeitsgefühl sie trieb.“ „Und doch hat sie mich nicht ein einziges Mal besucht.“ Das hatte die Geheimräthin nicht sagen wol¬ len; es war heraus, ehe sie es verschlucken konnte, und, was schlimmer, die Fürstin hatte es aufge¬ fangen. „Sie sind leidend, sprach sie mit bewegter Stimme. Und Sie überwanden sich, verließen Ihr stilles Asyl, und — Ich weiß ja, wie ich dieses Opfer zu schätzen habe.“ Die Geheimräthin war wieder ganz Herrin über sich geworden: „Doch ist es nicht ganz so. Warum zwischen uns eine Verheimlichung! Ueberwindung kostet es mich, ja, sehr große, diese Festkleider wieder anzulegen. Ich erwarte auch nicht Erheiterung, noch suche ich Zerstreuung, denn ich betrachte es als eine Pflicht gegen mich selbst. Sie sehen also, mein Opfer ist reiner Egoismus.“ „Wie Sie sich da wieder täuschen wollen! Sie thun es um der Gesellschaft selbst willen, Sie er¬ kennen die Pflicht, daß wir nicht uns, daß wir für Alle leben sollen.“ „Oder sie für uns!“ rief eine Stimme in der Geheimräthin, die aber diesmal auf den Lippen erstarb. Die Gargazin mußte den Sinn verstanden haben, so leuchtete ein Blick sie an; es war ein merkwürdiges Verständniß zwischen beiden Frauen. Sie liebten sich gewiß nicht, aber zum Haß war für die Fürstin kein Grund. Sie sah sich um, ob Niemand lauschte. Der Legationsrath war un¬ schädlich, er bildete eine Schutzmacht gegen die Andern. „Wir verstehen uns, glaube ich, besser, als wir einen Ausdruck dafür finden, hub die Fürstin an, der Lupinus näher rückend. Was ist uns die Ge¬ sellschaft? — Ich setze voraus, daß wir beide jetzt über die kleine Rivalität recht herzlich im Innern lachen, ich meine die, welche die Leute uns anlügen. Ich gebe auch zu, daß in der Lüge etwas Wahres war. Wir spielten Schach mit einander, weil sie uns dazu nöthigten, zwangen. Genug, wir haben gespielt. Weiter war es nichts.“ „Und Euer Erlaucht gewannen.“ „Die Erlaucht hatte nichts damit zu schaffen. Wir gingen unserm Penchant nach, und in einem Punkte stießen wir an einander.“ „Ich gebe keine Gesellschaften mehr. Mein Haus ist ein Haus der Trauer geworden, mein guter Mann —“ „Wird gewiß unter solcher Pflege genesen. Wer redet davon! Wir wollen ja nur unsre Gedanken über das Wesen der Geselligkeit einklingen lassen. Lieben wir sie etwa um ihrer selbst willen? Um daraus Belehrung, Trost, Hülfe zu schöpfen? Sind wir lüstern wie die unsterblichen Götter im Olymp, die den Opferduft der Menschen mit Wohlgefallen einschlürfen sollen? Oder ist es bei uns die Nei¬ gung, das Verlangen, mit unsers Gleichen zusammen zu sein? Sehn Sie, wie unser Freund lächelt. Nicht wahr, das brauchen wir beide nicht, wir haben Ressourcen in uns, um uns vor der Einsamkeit nicht zu fürchten.“ „Ich lächle nur, sagte Wandel, weil Sie von „„Ihres Gleichen““ sprechen.“ „Und mit Ihrer Bosheit treffen Sie es. Wir zaubern das um uns, was uns doch nicht entgeht. Weil wir unter Thoren leben müssen, verschaffen wir uns einen kleinen Hof von allen Thorheiten um uns her. Wer dreist einer Gefahr entgegen geht, hat sie halb überwunden. Eine Welt en miniature sollen unsre Salons bilden. Was im großen, wirk¬ lichen Leben uns anwidert, das erscheint uns auf dieser Bühne gefälliger, weil wir damit spielen, es regieren zu können meinen. Am Ende bilden wir uns ein, dieser Mikrokosmus ist unser Werk, und wir hätten alle diese Puppen uns zum Vergnügen ausgestopft und in Scene gesetzt.“ „Man muß nur nicht die Drahtfäden merken lassen,“ sagte der Legationsrath. „Zum Vergnügen! fiel die Geheimräthin ein, die aufmerksam gefolgt. Wo wir wissen, wie Einer den Andern verredet, hier mit Lob ihn überschüttet, um, wenn er ihm den Rücken gedreht, ihn zu ver¬ spotten; wissen, wie die mit Honiglippen uns Ku߬ hände zuwerfen, gegen uns cabaliren. Hier drückt ein Beamter dem andern die Hand, und empfiehlt sich seiner Gewogenheit, während die Entlassung oder Versetzung des zweiten schon in der Kanzlei ist, und er hat sie betrieben, um in seinen Posten zu rücken. Wo sie uns schön und geistreich finden, um sich nach¬ her vor Lachen auszuschütten, daß wir es geglaubt! Die Tugend in Aller Munde, und die Kuppleraugen schleichen um, ihre Opfer sich auszusuchen. Nur die absolute Mittelmäßigkeit ist sicher, denn was hervor¬ ragt, worin es sei, ist den Pfeilen ausgesetzt. Sie zumeist, die wähnen, sie zu regieren. Man preist Ihr Zauberfest, man erhebt es beim Abschied in den Himmel, aber ehe sie nur in den Wagen springen, klagen sie über die Langeweile. Zurücksetzung, gemischte Gesellschaft, daß die Wirthin es nicht verstanden die Gäste zu placiren, sie klagen vielleicht über Hochmuth, Anmaßung, über das Essen und Trinken auch, Gott weiß worüber nicht. Ich begreife, wie man mit diesen Puppen spielen, aber wie es ein Vergnügen sein kann, das bleibt mir ein Räthsel.“ „Ihre Kritik geht über die Gesellschaft hinaus, sagte der Legationsrath. Das Räthsel ist die Welt — “ „Und wehe, wer nicht mit ihm spielen kann, rief die Fürstin aufstehend, denn neue Gäste waren im Vorzimmer eingetreten. Wer auf diesem bunten, beweglichen Teppich nicht mit den Füßen einer Tän¬ zerin wandelt, hier über Gegenstände springt, dort sie fortstößt wie Glaskugeln, der ist verstrickt, er ist verloren.“ „Es giebt noch einen andern Weg — wo man fest stehen kann —“ entgegnete die Geheimräthin, in¬ dem sie auch aufstand. Es war ein Metallklang in der Stimme, wie ein Grabgeläut. „ Den Weg, unterbrach die Fürstin, den Weg haben Sie doch nicht gefunden!“ Sie blickte ihr forschend in's Auge; als die Lu¬ pinus antworten wollte, rief die Gargazin, wie von etwas überwallt: „Sie hassen! — O unglückliche Frau, der Haß ist ein zu fürchterliches Spiel für uns; der Haß hat einen unergründlichen Fonds, Sie wissen nicht, was da herauskommt aus der gähnenden Kluft — selbst der Schmetterling flattert nicht lange darüber — “ Sie ward unterbrochen. Ein freudiges Ach mußte sich aus ihrer Brust ringen, um eine andere Erscheinung zu begrüßen, wir wissen nicht, wen? Es ist uns auch gleichgültig; der unerwarteten Er¬ scheinungen, die alle aus dem Fonds ihrer Liebe mit einem gleichen Ton der freudigen Ueberraschung be¬ willkommt wurden, waren viele. Die Lupinus aber hätte, noch nicht in die Gesellschaft eingeführt, allein gestanden, wäre nicht der Legationsrath gewesen. Im Nebenzimmer arrangirte man Spieltische, es wurden schon Karten umgereicht. „Werden Sie spielen?“ fragte Wandel. „Werden Sie reisen?“ entgegnete die Geheim¬ räthin. „Ich riethe Ihnen eine Karte zu ergreifen.“ „Und ich Ihnen zu reisen.“ „Warum?“ „Aus demselben Grunde, weshalb Sie mir zur Karte rathen. Man ist der Mühe überhoben zu antworten, wenn man fürchtet gefragt zu werden.“ „Gilt der Haß, dem Sie die Gesellschaft geweiht, auch mir?“ „Ich bin es müde, Räthsel zu lösen.“ „Im Augenblick, wo Sie den Schlüssel fanden?“ „Um auf einen neuen Verschluß zu stoßen. Viel Glück, Herr Legationsrath, in Rußland.“ „Will ich, gehe ich denn dahin?“ „So wollen Sie Jemand damit täuschen?“ „Meine Feinde. — Kennen Sie meine Feinde?“ „Nicht alle — Einige.“ „Verlangen Sie, daß ich die Sorgen, unter deren Wucht ich meine Freundin erliegen sehe, noch durch Mittheilung von Verhältnissen erhöhe, die nur mich allein betreffen! Nicht mich allein — nein, gewiß nicht, ich bin der letzte — aber Niemand, der mir persön¬ lich theuer ist.“ „Ihre Sachen sind gepackt, Extrapostpferde stehen für Sie täglich im Hofe des französischen Attach é bereit.“ „Das ward Ihnen bekannt?“ „Durch Zufall.“ Er sah sich um: „Wenn Sie eines Morgens hörten, daß ich über Nacht aufgegriffen, über die Gränze geschleppt ward, und wenn am andern Abend die Nachricht käme, daß er mich füsiliren ließ, so würden Sie den Grund der Vorsicht wissen.“ „Wer?“ „Napoleon.“ „Da würden Ihre Pferde doch nicht beim Vi¬ comte Marvilliers stehen.“ „Der Löwe sucht nach dem Raub nicht in seiner Höhle.“ „Aber der junge Attach é !“ IV . 10 „Wenn ich Ihnen sagte, daß er darum weiß, wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther werden, lieber — scheiden.“ Er hatte sich halb umgewandt, um rasch die Hand der Geheimräthin zu ergreifen: „Leben Sie wohl,“ lispelte er. „Nur Eines, — ist Ihr Leben in Gefahr?“ „Noch nicht, aber — Gütiger Gott! Die pein¬ liche Erwartung einer Entscheidung, in der ich täglich schwebe, verschließt mir die Lippen, wenn ich sie öffnen müßte, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Nie¬ mand, Sie am wenigsten an. Im Gegentheil, Sie haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht schen¬ ken, ganz Recht; verdammen, Sie mich als Lügner, der die Pflicht hatte zu sprechen, und wenn er den Mund öffnen sollte, ihn verschließt, als kaltherzigen Intriguanten, der mit den Gefühlen spielt, der edle Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben Recht, aber — wenn es vorbei ist, widmen Sie mir eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß ich nicht anders handeln durfte.“ „Wandel! sie hielt inne — Wann, — wann kommt die Entscheidung?“ „In einer Woche, vierzehn Tage — höchstens ein Monat, wenn aus Warschau —“ „Aus Warschau?“ „Ich betheure Ihnen, es ist nur eine Vorsichts¬ maßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie so oft, in Luft und Wind.“ „Wer ist in Warschau?“ „Entfiel mir das Wort! — Ich bin ver¬ wirrt —“ „Das muß Entsetzliches sein, was Sie außer sich bringt.“ „Was ist entsetzlich, Freundin, in diesen Welt¬ krisen! Seine Hand zitterte in der ihren. Ihr Scharf¬ blick errieth es. Nun bin ich in Ihre Hand gegeben. Mein Leben hängt von Ihnen ab. Gehen Sie zu Laforest und — “ „Sie phantasiren. Als ob er nicht wüßte, daß Sie mit der Russischen Diplomatie verhandeln.“ „Auch daß man mich verstrickt, nennen Sie es Zufall, in ein Netz gezogen, dessen Zipfelende die Bourbonen halten; daß Ludwig XVIII . wieder in Polen ist, daß Dinge in Frankreich vorbereitet wer¬ den; daß in Napoleons nächster Umgebung Personen gewonnen sind; daß ihm die Flaschen mit dem Keller¬ siegel, die er mit sich führt, nichts helfen; daß die Suppe, die er kostet, das Geflügel, das er in den Mund führt —“ „Schweigen Sie, um Gottes Willen, schweigen Sie —“ „O ich möchte Alles, was man mir eingefüllt, ausgießen, es zersprengt meine Brust; denn bei Gott, nur mein böses Glück, nicht mein Wille hat mich hier verstrickt. — Ich fühle mich schon erleichtert, daß ich eine Mitwisserin habe, bei der mein Geheimniß wie im Sarge ruht —“ 10* „Man wird auf uns aufmerksam werden, daß wir uns so lange absondern.“ „Sie haben Recht, und ich die Beruhigung, daß wenn ich plötzlich verschwinden sollte — Ihr Verdacht mir nicht wie ein ängstlicher Schatten auf der Heer¬ straße nachschleppt — “ „Um Gottes Willen, meinen Sie, daß Sie diese Nacht schon verschwinden müssen.“ „Ich meine nichts, ich weiß nichts; ich sollte meine Lippen verfluchen, daß sie zum Verräther wur¬ den, aber mir ist wohl zu Muthe, wohl wie einem Kinde, das seinen ersten Fehltritt beichtete. Nein, nein, es war wohl nur die Angst, erpreßt durch Ihre Drohung.“ „Warum stürzten Sie sich in diese Lage?“ „Warum bin ich ein Mensch!“ „Reißen Sie sich los — wenn es sein muß, reisen Sie auf der Stelle fort!“ „Ich lebte nur für Andere. — Nein, nein, ich weiß es, ich bin nöthiger hier. Ich will für Andere leben — Sein Sie unbesorgt — Nur um etwas Geduld flehe ich noch — o könnten Sie in mein Inneres blicken — Pflichten hier, Pflichten dort, Verlockungen — aber — sein Sie überzeugt, als Mann, als Sieger werde ich daraus hervorgehen.“ „Man kommt.“ „Ein Freundesrath — “ „Ich werde Sie nicht bemerken, wenn Sie ver¬ schwinden.“ „Heiter! meine Freundin. Es war sehr gut, daß Sie herkamen, aber Sie kamen als Trauerge¬ stalt. Sie freuten sich des Eindrucks. Um des Himmels Willen, mit Geistererscheinungen darf man nicht spielen. Fort die Trauer, einige bunte Bänder, stimmen Sie ein in den frivol geistreichen Ton. Man muß mit ihnen tänzeln, die Gargazin hat Recht. Sie hat erkannt, daß Sie hassen. Das kann schlimm werden. Werfen Sie die Maske ab, nicht hastig — lassen Sie sich allmälig erheitern durch die liebens¬ würdige Gesellschaft. Da bringt man Ihnen eine Karte, nehmen Sie, spielen Sie, mit wem Sie wollen, es sind alles Puppen; aber nicht zerstreut.“ Die Eitelbach präsentirte der Geheimräthin eine Karte: „Wollen Sie?“ „Mit dem größten Vergnügen.“ „Ihnen präsentire ich keine Karte, denn Sie mogeln, sagt mein Mann.“ Damit ging die Baronin schnippisch am Le¬ gationsrath vorüber, der scherzhaft die Finger nach einer Karte gespitzt hatte. „Sie wird immer schöner,“ sagte eine Stimme hinter dem Legationsrath. „Kann man schöner werden, wenn man eine vollkommene Schönheit ist,“ entgegnete Herr Schadow. Zehntes Kapitel. Der verlorne Sohn und die heilige Magdalene. Das Spiel war zu Ende. Die Geheimräthin hatte allein gewonnen, und bedeutend. Sie war ge¬ sprächig, sehr liebenswürdig gewesen. Jetzt sah sie neben sich nur verdrießliche Gesichter. Wenn sie noch heiter und aufgeweckt blieb, legte man es ihr als Freude über den Gewinnst aus, den die andern Mit¬ spieler berechneten. Sie war rasch aufgestanden, um mit der Lorgnette die Bilder an der Wand zu be¬ sehen. Es war hoch gespielt worden. Der Kammerherr hatte ansehnlich verloren. Er zankte sich mit seinem vis-à-vis über einige Points. Die Wechselreden wurden so anzüglich, daß die Baronin Eitelbach die Herren bitten mußte, sich zu menagiren. Der Kam¬ merherr warf dem Andern einen maliciösen Blick zu, den jener, den Stuhl heftig fortrückend, durch ein Murmeln erwiederte: wer krumm ginge, könne auch nur krumm handeln. Der Kammerherr gehörte zu denen, welche das Glück haben, zuweilen taub zu sein. Die Baronin hatte ihre Börse ausgeschüttet: „Mehr habe ich nicht; mein Mann muß zahlen.“ — „Das geht immer so, wer Glück in der Liebe hat,“ sagte der Baron, verdrießlich die lange Börse ziehend. „Ich verbitte mir alle Gemeinplätze,“ hatte sie er¬ wiedert. Er wollte nicht glauben, daß sie so viel verloren haben könnte, als sie angab, sie warf ihm den B ê tezettel hin, er rechnete, wollte zanken, es war aber Niemand mehr da, mit dem er zanken konnte. Indem er die Geldstücke hinwarf, zischelte er der Baronin etwas in's Ohr. Sein Auge begleitete dabei den Rittmeister. Sie ward hochroth, stand rasch auf und warf ihm mit einer Replik einen verächtlichen Blick zu, um ihm daraus den Rücken zu kehren. Auch an andern Tischen war Uneinigkeit wegen der Berechnung. Ueberhaupt schien die von poetischem Duft umwobene Harmonie, welche vorhin geherrscht, etwas zerrissen. Ein erwarteter Gast war noch nicht da. Der Duft der Speisen drang schon verlockend aus den Souterrains, aber es — sollte noch ge¬ wartet werden; der Prinz Louis hatte diesmal be¬ stimmt seine Gegenwart versprochen. Einigen Herren schien dies sehr unangenehm. Man fragte, ob er denn überhaupt kommen werde? Jemand meinte, die Anwesenheit des Geheimrath Lupinus dürfe Seine Hoheit schwerlich locken. Ein besternter Herr entgegnete lächelnd: „Das würde wohl nicht der einzige Gegenstand sein, der einem Königlichen Prinzen hier nicht lockend vorkäme. Man muß gestehen, wenn man die Soci é t è über¬ fliegt, daß unsere gute Prinzessin mit asiatischem Geschmack eine kleine Völkerwanderung zusammen¬ getrieben hat.“ „Sie liebt die Quodlibets, aber das Kostüm ist gewählt,“ sagte die Almedingen. Herr von Fuchsius spielte auf den neulichen Vorfall des Prinzen mit dem zweiten Lupinus an. Die Hofdame hatte davon reden gehört, sie wußte auch, daß man bei Hofe choquirt gewesen, sie hatte aber noch nichts Näheres erfahren können, und war so begierig wie der Be¬ sternte, es zu erfahren. Man zog sich in eine Fenster¬ nische zurück. „Eine der Plaisanterien Lombard's, die gar nichts auf sich gehabt hätte, wenn nicht der Humor des Prinzen eine Bombe hineinwarf, die unter einem entsetzlichen Eclat platzte. Ihnen ist bekannt, daß Seine Königliche Hoheit Lust bekamen, sich in die Humanitätsgesellschaft aufnehmen zu lassen.“ „Was er nur in all den Gesellschaften sucht!“ sagte die Almedingen. „Man sagt den Geist, den er — an einem an¬ dern Ort nicht finden kann. Ob es ihm in der Hu¬ manitätsgesellschaft gelingt, laß ich auf sich beruhen. Die Aufnahme ist sehr einfach durch ein Ballottement erfolgt, in dem noch Niemand durchfiel. Nur eine schwarze Kugel war in der Urne, die sich seltsamer¬ weise bei jeder Aufnahme findet. Beim Receptions¬ diner neulich scherzte der Prinz darüber, und äußerte, er möchte wohl den kennen, der ihn aus der geehrten Gesellschaft hinaus ballottiren wollen. Lombard, der bei sehr guter Laune war, ärgerte sich gerade über den Geheimrath, der zu eifrig eine farcirte Fasanen¬ brust tranchirte, auf die er vielleicht selbst reflectirt hatte. Er flüsterte mit ernsthafter Miene, die Augen auf Lupinus gerichtet, dem Prinzen etwas in's Ohr, und, die Achseln zückend, schloß er halb laut: er ist sonst ein braver Mann, man begreift nicht, wie er dazu gekommen ist. Der Prinz starrte lachend den Regenten der Vogtei an, und wenn er es nicht selbst bemerkt, so flüsterten seine Nachbarn es ihm in's Ohr. Nun hätten Sie den unglücklichen Geheimrath sehen sollen. Ein Schauspiel für Götter, wie er auffuhr, Messer und Gabel fallen ließ, kreideweiß, der Stuhl hinter ihm fiel nieder. Man kann buchstäblich sagen, die Augen gingen ihm über, und die Stimme versagte ihm. Er wehte sich mit den Händen Luft zu. End¬ lich brach es los. Ein Gefangener am Marterpfahl bei den Irokesen, sah er alle Augen auf sich gerichtet, und der Prinz hatte die Grausamkeit, mit dem Ernst eines Generals beim Kriegsgerichte ihn unverwandt anzustarren. Nun, meine Damen und Herren, die Beredtsamkeit des Geheimrath Lupinus mögen Sie sich denken. Nachdem er die Wolken der unerhörten, fürchterlichen Verleumdung zu zerstreuen gesucht, kam er auf sein theures Ich zu sprechen, natürlich fran¬ zösisch, welches von der Muttermilch an nur in De¬ votion für das Königliche Haus sich gesäugt. Nach vielen Endlich — Aber — Rückfällen — Wiederho¬ lungen — gerieth er in eine Art dithyrambischen Schwunges, und aus der Kehle oder der Brust kam ein Lobgesang auf das Königliche Blut, das so rein und heilig, wie es im Herzen pulst, durch alle Glie¬ der fließe, daß jeder Tropfen davon reiner sei, wie der Purpur des Morgenrothes. — Alle sahen auf den Prinzen, der bis da mit unveränderter Miene den Mann angeschaut, — er mochte eine Viertelstunde gesaalbadert haben, — als er rasch aufstand, das gefüllte Glas in die Hand nahm und die Lippen öffnete. Ringsum gespannte, bange Erwartung. „Mais — riefen Seine Königliche Hoheit, eine kleine Pause — c'est assez!“ — Kein Wort weiter. Sie stürzten das Glas runter, stampften es auf den Tisch und conversirten mit ihrem Nachbar weiter über die Trüffelpastete.“ Der Besternte, einem fremden Hofe angehörig, schwellte sichtlich von einem innern Behagen, das er zu verbergen sich Mühe gab, während die Hofdame erblaßt war: „Entsetzlich! Und —?“ „In der Gesellschaft war eine Todtenstille, Je¬ der sah auf seinen Teller.“ „Und der unglückselige Prinz?“ „Aß mit großem Appetit. Vielleicht dachte er nach, ob die Gesellschaft eines so genialen Einfalls werth war. Lupinus saß, was man in Berlin sagt „wie übergossen.“ Er ließ alle Schüsseln vorübergehn.“ „Unglaublich!“ riefen beide Zuhörer, jeder dachte etwas andres. „Daß solch ein Mensch sich nicht vernichtet fühlt,“ sagte die Almedingen. „Weshalb, meine Gnädigste?“ „Weil er die Ursach war, daß ein Prinz von Geblüt sich selbst vergaß. Wenn eine solche Gewis¬ senslast auf mich drückte, ich wüßte doch nichts an¬ ders, als daß ich mir das Leben nehmen müßte.“ „Die Gewissen sind verschieden, entgegnete Fuch¬ sius. Das ist eine wunderbare Gabe Gottes. Herr Lupinus gehört zu der großen Klasse Menschen, die man wie die Frösche mit Keulen in den Sumpf stampfen mag, sie stecken die Köpfe doch wieder raus.“ Das zarte Gefühl der Almedingen erlaubte ihr nicht länger dem Gespräche zuzuhören. Als sie ge¬ gangen, sagte der Besternte: „Mich dünkt, zu dieser Klasse gehört die Majorität der Menschen.“ Der Regierungsrath erwiederte: „Wenigstens, wenn die Keulenschläge, die sie täglich empfangen, sie zur Besinnung ihres Unwerths brächten, wäre die Welt eine andere, als sie ist.“ Die Nachricht lief um, der Prinz werde gar nicht kommen. Es seien Depechen vom Rhein höchst betrübenden Inhalts eingelaufen, darauf er zu Hofe berufen. „Und sie läßt noch nicht serviren!“ seufzte ein Präsident, die Uhrkette ziehend. Die noch nicht serviren ließ, hatte während des¬ sen die Goldstücke vom Spieltisch eingesammelt und, nachdem sie dieselben in Papier gewickelt, in den Pompadour der Geheimräthin gleiten lassen. „Wollen Sie mich bestechen?“ „Ich könnte Sie doch nur belohnen wollen, daß Sie meinen Abend durch Ihre Heiterkeit geschmückt.“ „Ich bin schon belohnt durch den Genuß, den mir Ihre Picturen gewähren. Von wem ist dieser verlorne Sohn?“ „Von einem Spanier. Ein Ribera, sagt man; Einige wollen gar von Murillo. Betrachten Sie diese Schwielenhaut, diese Kruste von Schmutz, man sieht ordentlich die verschiedenen Lager, auf denen er sich gewälzt.“ — „Ich bewundere nur das Gesicht. Aufgedunsen wie von der schlechten Nahrung, aber wie glüht das Auge!“ „Einige finden Aehnlichkeit mit Prinz Louis Ferdinand.“ „Wie blaß, bemerken Sie, Erlaucht, bei dieser Beleuchtung. Ich möchte eher an den jungen Bo¬ villard erinnert werden.“ „In der That. Die schwarzen Brauen, auch im Kinn. — Warum ist diese herrliche Parabel nicht weiter geführt! Wir sehen nur die Vaterfreude. Wenn auch die Geliebte seiner Jugend die Arme dem Verlornen entgegen breitete, wie viel rührender wäre die Geschichte.“ „Sie könnte auch aus Verzweiflung verloren, vielleicht die Magdalene selbst geworden sein.“ „Das ist eine geistreiche Combination, ein ge¬ nialer Gedanke!“ „Da hebt ja schon eine heilige Magdalene die Arme ihm entgegen. Wenn man die zwei Rahm¬ stücke ausschnitte, wäre es ein Bild. Dieselbe Größe, dieselbe Färbung.“ „Ueberraschend! Worauf Sie mich aufmerksam machen!“ „Erlaucht haben viele Magdalenenbilder! Wo¬ hin ich sehe — “ „Hier Battoni, da Correggio; da ist auch ein Murillo — den liebe ich weniger — dort ein Carlo Dolce, ein Van der Werf, Guido Reni. Von ge¬ schickten Malern copirt; ich gab ihnen meist selbst Anleitung.“ „Seltsam, sagte die Geheimräthin, ich erinnere mich keiner Magdalene von Raphael.“ „Der divino maëstro hatte sich so ganz der Ma¬ rienverehrung hingegeben! Für mich hat der Mag¬ dalenencultus etwas Berauschenderes. Leben wir nicht Alle der Erde näher, keimt nicht das Veilchen aus ihrer dumpfen Verborgenheit, athmet die Nelke nicht ihre Würze, fühlt unsre Brust sich nicht wun¬ derbar geschmeichelt vom Duft der Nachtschatten! Die Marien bewundern, die Magdalenen begreifen wir. Wenn die ewige Jungfrau ihren Arm um uns legt, müßte es, dünkt mich, die Empfindung wie eines vom Blitz Getroffenen sein; wenn die heilige Magdalene ihn sanft um uns schlingt, o wie anders, wie gern würden wir uns von ihr heben lassen, schweben durch die Wolken, die sich öffnen, denn sie flüstert uns Bal¬ samworte zu: auch ich kannte Deine Schmerzen und Deine Wonnen.“ „Raphael sucht, gnädigste Frau, neben dem Ideal der Schönheit immer auch die Naturwahrheit; nun will man in diesen reizenden Magdalenen —“ „O, ich kenne diese Kritik, unterbrach die Gar¬ gazin. Um der Wirklichkeit zu genügen, die sie Wahr¬ heit nennen, soll man die Magdalenen mit blassen Lippen, abgehärmten Wangen und erloschenen Augen malen. Das wird ein büßendes Weib, aber keine Heilige, die schon den Vorschmack der himmlischen Wonnen empfindet. Nein, eine Magdalene, die zur himmlischen Glorie sich aufschwingt, sie ist keine her¬ untergekommene Dirne aus den Kloaken irdischer Ge¬ meinheit, sie muß, indem ihr Auge die Himmels¬ wonnen kostet, was ihr dort geboten wird, noch mit dem vergleichen können, was sie zurückläßt. Dies schöne Haar, die reizende Figur, die süße Lippe und der wogende Busen, dies Alles, was wir sehen und was entzückt, muß auch ihr noch gefallen, sie muß sich mit Schmerzen davon trennen, und doch giebt sie es mit Vergnügen hin für die Schönheit und Wonne, die sie nur sieht. So denke ich sie mir wie einen Geist, der, schon frei im Aetherlichte empor¬ schwebend, noch einmal in die verlassene Hülle zu¬ rückgekehrt ist, um, nach des Dichters Worten, noch einmal mitzufühlen Schmerz und Qual.“ „Ich könnte sie mir anders denken, sagte die Lupinus vor sich hinblickend. Doch das gehört nicht her.“ „Jede neue Anschauung ist mir willkommen. Für mich ist die Magdalene der eigentliche Inbegriff des Mysteriums der göttlichen Liebe.“ „Hat sie denn wirklich geliebt, sagte die Ge¬ heimräthin. Mich dünkt, ihre Art von Liebe konnte nicht zum Glauben führen!“ „Weil sie changirte?“ „Ja, wäre sie eine Sultanin gewesen, die ihre Lieblinge sich wählte und entließ, um endlich ihr Ideal zu finden. Aber sie ist doch gedacht als ein armes Mädchen. Hat nun ihr Fonds von Liebe ausgereicht, um alle die fortzulieben, die mit Seufzern und Schwüren kamen, mit Betheurungen und Gluth, die Lieder und Geld zu ihren Füßen streuten, und gähnend fortgingen, um nicht wieder zu kommen? Vielleicht ward sie auch gemißhandelt, und von denen, die sie wirklich zu lieben geglaubt; ihre edelsten Empfindungen, wenn sie sich zu äußern wagten, wurden verspottet. Und das durch Monden, Jahre wiederholt. Solchen Fonds von Erfahrungen hinter sich, Täuschungen darf man es nicht mehr nennen, erwarten wir von ihr etwas anderes als Verach¬ tung, Bitterkeit gegen das ganze Geschlecht! Ich könnte sie mir denken als eine Intriguantin, welche ihre Lust dann findet, die Männer gegen einander zu hetzen, als eine Brandstifterin, eine Semiramis, eine Amazonenkönigin, die die Brandfackel in Länder und Städte wirft —“ „Vielleicht auch als Brinvilliers — das ist das richtige Argument des Verstandes, meine theure Frau. Das wahrhaft von der Liebe erfüllte Gemüth — Was ist Ihnen?“ „Nichts — ein vorübergehender Stich vom langen Sitzen.“ „Die Liebe sucht nichts, die Liebe findet Alles, fuhr die Fürstin mit süßer Stimme fort. Wer nur ein Ohr dafür hat, nicht muthwillig es schließt, wo der Spring unter der grünen Tiefe rauscht, aus Furcht, daß er zu furchtbar vorbricht. O die Thörigen! Sehen Sie da den Rittmeister und die Eitelbach! Wo alles sich findet, was sich nur suchen will, gehen sie wie Wachspuppen einander vorüber.“ „Mich dünkt, Adelheid und der junge Bovillard thun das auch.“ „Kinder, die Versteck spielen.“ „Ich glaubte, sie in Feuer und Flamme zu finden.“ „Im hellen Zimmer jagen, im dunkeln fangen sie sich.“ „Mamsell Alltag ist blaß.“ „Unter den vielen Geschminkten.“ „Der Marmorausdruck ihres Gesichts —“ „Geliehen, theuerste Frau! Was das arme Kind sich Mühe giebt, ihr Gefühl uns zu verbergen, die tausend Nadelstiche, die das kleine Herz durch¬ bohren! Solche widernatürlichen Affecte rächen sich.“ „Aber eine mütterliche Freundin, wie Erlaucht, wird der Leidenden zu Hülfe kommen.“ „Da darf kein Fremder helfen wollen. Wahr und wahrhaftig nicht. Die Natur findet ihren Weg und die Knospe bricht auf, wenn die Blume reif ist.“ „Schade nur, wenn das arme Mädchen sich wieder täuschte!“ sagte die Lupinus nach einer Pause. „Wie meinen Sie das?“ „Der junge Herr von Bovillard ist zwar, was man nennt, in der Gesellschaft wieder ehrlich ge¬ macht, aber — ein Sort kann er ihr doch nicht machen. Ich glaube schwerlich, daß man ihm eine Anstellung gäbe, wie jetzt die Dinge stehen. Sein Vater hat auch nicht mehr den früheren Einfluß. Der alte Alltag würde mit der Mariage ebensowenig zufrieden sein.“ Ein vornehmes Lächeln schwebte um die Mund¬ winkel der Fürstin: „Daran habe ich wirklich nicht gedacht.“ „Hat Ihre Majestät noch das Verlangen, Adelheid zu sehen?“ „Die Königin hat wirklich an Anderes zu denken. Da fällt mir ein, in der Magdalene, die hier die Arme, nach Ihrer glücklichen Entdeckung, dem ver¬ lornen Sohn entgegen hält, findet Schadow Aehn¬ lichkeit mit unsrer Adelheid.“ Die Geheimräthin lorgnettirte: „Der Schnitt des Gesichtes, aber — ich möchte eher eine Ver¬ wandtschaft mit der Comteß Laura entdecken.“ IV . 11 „Wie fein wieder Ihr Blick, Sie sind eine geborne Kunstkennerin. Merkwürdig, Laura ist fast ganz so costümirt. Wir wollen die schönen Mädchen uns herrufen, um zu entscheiden, wer ein näheres Anrecht darauf hat, eine Heilige zu werden.“ Die schönen Mädchen waren nicht im Mag¬ dalenen-Zimmer. In dem Cabinet hinter den Feuer¬ lilien stand Adelheid, an derselben Thürpfoste, wo die Comteß gestanden; fast in derselben Stellung, auch sie blickte durch die Thürritze, theilnahmlos, zerstreut, wenn Vorübergehende sie anredeten. Die Gargazin und die Lupinus sahen sich be¬ deutungsvoll an. Es war nicht Zeit mehr zu feinen Beobachtungen. Das war kein eitles Spiel einer Koketten, die auf neue Eroberungen sinnt, die sich im Gedanken vor dem Spiegel schmückt und, in der Phantasie ihr eigen Bild malend, sich fragt: „wirst du ihm so gefallen?“ Sie athmete nicht, sie zitterte nicht, aber der Rand des Blumentisches, den sie krampfhaft faßte, hätte, wenn er Empfindung gehabt, einen eiskalten Druck empfunden. Sie wußte nicht, daß ihr Lockenbund sich etwas gelöst und eine Flechte, sie entstellend, auf die Seite fiel, sie fühlte den Boden unter sich brennen, und ihr war eiskalt zu Muthe; nur schoß es zuweilen glühend heiß durch die Adern, und gegen die Augen drängte es wie ein Strom, der einen Ausweg sucht, aber die Wächter haben die Schleusen zugezogen. Die Gargazin drückte die Hand ihrer Begleiterin und flüsterte ihr in's Ohr: „Die Knospe bricht; heut entscheidet es sich.“ Zu mehr war nicht Zeit. Gruppen drängten sich um einige spät Ange¬ kommene. Prinz Louis kommt nicht, lautete die eine Botschaft. Ein Zweiter wußte von der eingelaufenen Nachricht: der französische Kaiser habe Districte und Orte am Rhein besetzt, die unzweifelhaft zu Preußen gehörten, und mit dem Uebermuth der Reunions- Kammern sie für französisches Staatsgut erklärt. Der Ministerrath war nach dem Palais berufen. Man hatte auch Generale in äußerster Erhitzung dahin stürzen sehen. Einige wollten wissen, man werde über Nacht dem französischen Gesandten die Pässe zustellen. Die Fürstin rief nach dem Geheim¬ rath Johannes von Müller. Er war nicht mehr in der Gesellschaft; schon vor einer halben Stunde war er abberufen. Eine andere Botschaft aus dem Hause der Geheimräthin: der Herr Geheimrath befinde sich in heftigem Fieber und phantasire, indem er wun¬ derbare Namen anrufe. „Will denn Alles heut den schönen Abend uns stören!“ Die Geheimräthin war nicht der erste Gast, wel¬ cher Abschied nahm. Die Geheimräthin hatte eine Ahnung den ganzen Abend durch geplagt. Ihr sei, versicherte sie, als wenn ein furchtbares Gewitter, ein Erdbeben im Anzuge sei. 11* „Um so größer war Ihre Gefälligkeit, den gan¬ zen Abend die Heitere gespielt zu haben —“ Dafür hatte die Fürstin sie weiter begleitet, als die Etiquette forderte, vielleicht billigte: „Ich möchte von Ihnen den Muth lernen, wie man bei einem Erd¬ beben lächelt.“ Die Fürstin lächelte aber nicht, als sie zurückkehrte, man konnte vielmehr ein leichtes Schaudern bemerken: „Ich hoffe, es war das erste und letzte Mal.“ Ein Ver¬ trauter, wie Wände und Möbel es sind, vor denen man nichts verbirgt, aber sie erwiedern das Vertrauen nur durch Schweigen; ein russischer Cavalier hatte den Herzenserguß gehört und wagte darauf zu fragen: „Warum behandelten Erlaucht die Frau mit der Auf¬ merksamkeit?“ „Weil ich sie fürchte, hatte die Fürstin dem Mö¬ bel erwiedert, weil — ich muß Wandel fragen.“ „La table est servie!“ meldete der erste Kam¬ merdiener. Auch Wandel war verschwunden. Der erste Gast war jetzt der Präsident, die vornehmeren waren fort: „Es wird doch auch diesmal nur blinder Lärm ge¬ wesen sein!“ sagte die Fürstin. „Gewiß, entgegnete der Präsident, indem er ihr respectvoll den Arm reichte. Man wird schon wieder ein Auskunftsmittel finden, und wir können —“ „Ruhig essen, Herr Präsident. Meine Herren, führen Sie die Damen, unsre Ordnung ist zerrissen — wie es sich findet.“ Die Ordnung war zerrissen, die Tischgänger wurden gepaart, wie Niemand es erwartet hatte. Wir haben Louis Bovillard in dieser Soir é e nur einmal in's Auge gefaßt, und auch da nur durch die Vermittelung anderer Augen. Vielleicht verloren wir nichts. Den vernichtenden Titanenhumor, der ihn für Viele interessant machte, ließ er nur noch selten spielen. Was gehörte er in die Gesellschaft! War er doch auch vielleicht entwichen in einem lan¬ gen Siechthum! Was der Strömung der Zeit an¬ gehört, wird heut von ihr auf der Woge hoch getragen, daß es die Wolken ansprützt, um morgen im Ab¬ grund zu versinken. Der Kothurn, den wir heut be¬ wundern, morgen belächeln wir ihn. So liefert die Tragödie von gestern immer Stoff zur Komödie von heute. Louis Bovillard sahen wir durch die Thürritze als Träumer. Im Costüm des englischen Spleen hatte er einige alte Damen verletzt. Die jungen mochte er nicht verletzen wollen, denn er war plötzlich ein Anderer geworden. Er war in ihrem Kreise voll Laune, Witz, liebenswürdig vom Wirbel bis zur Zeh, aufmerksam auf jede Neckerei, die er in dem Tone wiedergab, von dem sie ausging. Was hatte ihn so verwandelt? Die Liebenswürdigkeit der jungen Da¬ men oder die steinernen Gesichtszüge, die Adelheid ihm zeigte? Man kann ja nicht immer in einer Ge¬ sellschaft den Träumer spielen, sonst wird man lang¬ weilig; und Adelheid mochte das auch denken, denn nichts verrieth, daß sie sich über diese Veränderung wunderte. Man hatte in dem lustigen Zimmer Pantomi¬ men aufgeführt beim Klange des Klaviers. Aber Louis mußte längst vergessen haben, um was er am Instrumente saß. Er träumte wieder, denn er hatte sich in Accorde vertieft, die wohl zu einem schauerlichen Liede von Novalis oder Tieck paßten, aber nicht zu der harmlosen Situation aus der jüngsten Reichardschen Oper, noch zu den Scherzen des Suchens nach der Musik. Hatte die junge Gesellschaft das gemerkt? denn sie war allmälig verschwunden vor den dumpfen, langaushallenden Tönen, die er den Tasten ent¬ lockte. Nur Eine war hinter dem Klavier sitzen geblieben, und als er die Phantasie mit einem Ton¬ schlage schloß, der wie ein tief aufseufzender Meeres¬ stoß gegen das Eis brach, respondirte ein Ton der Bewunderung aus ihrer Brust. „Das war zu göttlich! Eigentlich verdiente es einen Kranz!“ Comteß Laura war aufgesprungen, und ehe der Fortepianospieler es sich versah, fuhr ihr weicher Arm um seine Schulter und steckte das Bouquet feuriger Nelken, das sie in der Schürze ge¬ tragen, rasch ihm an die Brust. Als er den Arm fassen wollte, um den Dank auf die Hand zu hau¬ chen, war die Nymphe entschlüpft. Das Unglück aber wollte, daß der Zipfel ihres garnirten Tuches an seinen Rockknopf sich genestelt. Das Tuch war lang, und erst in der Mitte des Zimmers ward sie inne, daß sie an ihn gefesselt war. „Sie zerreißen mein Tuch.“ Er zog sie langsam an sich. „Was wollen Sie?“ — „Sie strafen, daß Sie entfliehen wollten.“ Sie mußte ihr Tuch mehr lieben, als die Strafe fürchten, sonst hätte sie doch das Tuch losge¬ lassen und wäre entflohen. Als er ihr jetzt entgegen sprang, um sie zu stra¬ fen, erschreckte ihn nicht ihr leichter Schrei, mit dem sie dem strafenden Arm sich zu entwinden suchte, sondern — eine Erscheinung. Adelheid stand zwi¬ schen der Thür und ihm, die Hand an's Herz ge¬ preßt, als fühle sie einen Schmerz, blaß, mit Geister¬ augen, wie eine Bildsäule. „Meine Herren, schnell den Arm den Damen!“ riefen mehre Stimmen, als durch die offene Thür der Zug zum Speisesaal vorüberging. Sans gêne , Jeder, wer ihm zunächst steht.“ Ob er, ob die Comteß das Tuch vom Knopfe losgenestelt, wissen wir nicht, aber es mußte losge¬ macht sein, denn Bovillard fand kein Hinderniß mehr, als er der ihm Nächststehenden den Arm öffnete. Es machte sich von selbst, es ging nicht anders, ohne einen Verstoß. Es war Adelheid, die der Strom auf ihn zudrängte, während er die Comteß fortschob. Auch sie mußte, sie stand ihm zu rechts. Aber sie weinte. Eigentlich bebte nur ihre Brust. „Ihre Schlußaccorde — es war mir, als ob — als ob etwas sprang —“ „Darf ich — ?“ rief die näselnde Stimme des Baron Eitelbach zur Comteß, ohne sich zu tief zu neigen. Sie sah ihn einen Augenblick von oben bis unten an, und steckte dann ihren Arm in den seinen mit einem: „qu'importe!“ Es machte sich auch von selbst. Es waren die letzten Gepaarten. Drei Paare folgten einander zu Tisch, von denen Keiner am Abend erwartet, daß der Zufall ihn zu dem Andern führen würde. Die zwei sahen wir eben; ihnen voran ging der Rittmeister Stier von Dohleneck und die Baronin Eitelbach. Spottvögel verglichen sie mit Kerzen auf einem Armleuchter. Eilftes Kapitel. Ein belauschtes Intermezzo. Im Vorzimmer des neuen Ministers stand Walter van Asten. Es war vieles vorgefallen, was diese Audienz, um die er nicht nachgesucht, immer wieder aufgeschoben hatte. Der Minister war einmal zum Könige berufen gewesen, eine dringende Conferenz hatte sich ein ander Mal in die Länge gezogen. Man hatte ihm hinaus sagen lassen, es thue dem Minister sehr leid, aber um ihm seine Zeit nicht zu rauben, werde Excellenz ihm einen andern Tag bestimmen lassen. Am heutigen war Walter mit frohem Herzen aus dem Hause gegangen. Nicht weil ein entfernter Bekannter, der sich plötzlich seinen Freund nannte, heut Morgen zu ihm gestürzt war, mit der frohen Kunde, die er vom Schwager des Bruders eines Kanzeleibeamten gehört, daß derselbe seine Brochure auf dem Arbeitstisch des Ministers liegen gesehen. Seine Schrift hatte Walter fast vergessen. Was war es jetzt Zeit zu Organisationen! Wenn man im Mittelalter eine Glocke goß zu Ehren einer Stadt, opferten die Reichen von ihrem Silber, daß sie einen schönen Klang gewinne, so war der Glaube. Wenn aber das Erz im Guß war, überkam eine fieberhafte Lust Alle, man griff in die Läden und trug, was man kostbares entbehren konnte, hinzu; ja, auch was man nicht entbehren konnte, und in der Opferlust sah man arme Wittwen, alte Mütterchen, hinzustürzen, um ihren letzten Löffel in den Kessel zu werfen. Ihr Herz jauchzte, und die Thräne rollte über die ver¬ trockneten Runzeln, wenn sie ihr theures Silberstück schmelzen sahen. Zur Glorie der Stadt! Und wenn ihre Gebeine längst moderten, lebte, athmete, tönte ihr Opfer den Nachlebenden in der Luft, im Silber¬ klang der Glocken. Eine ähnliche Empfindung war es, mit der Walter heut sich auf den Weg gemacht. Er hatte kein Silberstück zu bringen; in dem Augenblick fühlte er Alles werthlos, was er gedacht, geschrieben, sich selbst wollte er opfern. Gleichviel was man mit ihm anfinge. Es war kein anderer Impuls in ihm als die Lust des Atoms, sich aufzulösen in das Allgemeine. Nur rasch wünschte er die Operation. Es ist ja Alles vergänglich; auch der tiefste Seelenschmerz, von dem wir nie zu genesen glauben, ist nur ein bitterer Rausch, der sich verflüchtigt. Wie furchtbar er auch die Brust des Ruhigen, Verschlossenen durchwühlt, so, in stillen Augenblicken, daß er die Sonne unterge¬ sunken sieht, um nirgend wieder aufzugehen, auch der Schmerz arbeitet doch nur wie Alles, was Odem hat, bis — sein Athem ausging! Dann — ja dann, was uns ins Auge fällt, der Abendstern oder ein Abenteuer, ein Problem oder ein Bild aus dem Alltagsleben, Hitze oder Kälte, Hunger oder Durst, die Neugier oder die Müdigkeit, sie erregen neue Wünsche, neue Anstrengung, neue Arbeit, neues Leben. Was wäre auch das menschliche, wenn es an einem Schmerz schon verblutete, und jedem sind der Schmer¬ zen so viele zugemessen! Die Sonne der Liebe, die so wunderbar bei ihrem Aufgang in sein graues Leben gestrahlt, war versunken, — freilich er hatte schon lange ihr Licht immer matter, immer kälter werden sehen, aber so plötzlich untergesunken, so dunkel, unheimlich war auf ein Mal die Nacht, daß mit ihr Alles versunken schien, was er gebaut, geträumt. Für sich, was sollte er da noch bauen, schaffen, wollen? Wozu? Was er für sich erstrebt, es hatte ja keinen Zweck mehr! Ehre! Wo war denn Ehre überhaupt zu gewinnen! Eine Existenz! Brauchte er um die zu ringen? Ein dampfender Schlund schien sich vor ihm zu öffnen, in den er, ein anderer Curtius, unverzagt gestürzt wäre. Er hatte den Kanonendonner bei den Revuen gehört, das Geprassel des Pelotonfeuers. Wenn das Ernst ward, die breite Brust den dampfenden Batterieen entgegen zu halten, müßte es nicht Lust sein! Der Minister ließ ihn lange warten. Seine Excellenz waren in eifrigem Gespräch mit einem vor¬ nehmen Besuch. Wenn sie sich der Thüre näherten, schallten Worte und ganze Sätze zu ihm; dann, die Klinke an der Hand, machten sie wieder Kehrt, es schien neues Oel in die Flamme gegossen, und indem sie sich tiefer in's Zimmer entfernten, gingen die Worte in unarticulirte Töne über. Er glaubte den Titel seiner Schrift zu hören. Er konnte sich aber auch getäuscht haben. Er näherte sich unwillkürlich dem Tische, worauf die letzte Lectüre des Ministers lag. Obenauf seine Schrift. Sie war an vielen Stellen eingeknifft. Er sah dicke rothe Striche, Ausrufungs- und Frage¬ zeichen. — Also doch darum! Sie hatte die volle Aufmerksamkeit des ausgezeichneten Mannes erregt. Mußte er sich nicht vorbereiten? Er trat zaudernd noch näher. Da stand ein Bravo! dick neben einer Stelle. Sein Herz klopfte. Schon griff seine Hand nach dem Buche, als die Thür aufsprang, und der Minister seinen Besuch hinaus begleitete. Sie bemerkten ihn im Eifer der Unterhaltung nicht; der Fremde mochte zur englischen Gesandtschaft gehören, sie sprachen englisch. „Mylord, Preußen ist durch den neuen Vertrag ohne Schwertstreich aus der Reihe der europäischen Mächte gestrichen, Sie können's in hundert Schriften lesen, sprach der Minister. Was verlangen Sie noch von uns!“ „Und doch hat Seine Majestät, Ihr König, Laforest's Antrag nicht gewillfahrt,“ sagte der Eng¬ länder. „Weil der unverschämte Mensch forderte, er solle Lombard für etwas belohnen, wofür —“ „Sie und ich ihm einen andern Lohn gönnen, fiel der Gesandte ein. Indessen hatte Lombard nichts gethan, als was Seine Majestät billigen mußten, er hatte Haugwitz während dessen Abwesenheit ver¬ theidigt, das heißt, den Vertrag, den der König selbst ratificirt hat.“ „Die Patrioten hätten Lombard in Stücke zerrissen, wenn man ihn noch decorirte und be¬ schenkte.“ „Seine Majestät hörten auf die Stimme des Volkes, aber auch auf die Ausfälle des Moniteur. Um Napoleon zu genügen, hat man den Baron Hardenberg entlassen.“ „Kämmerchen vermiethen,“ warf der Minister hin. „Excellenz, nichts desto weniger muß ich Ihnen bekennen, daß mein Cabinet grade dies am wenigsten versteht. Und wenn mein Cabinet, das englische Volk begreift es nicht.“ „Giebt die Diplomatie niemals mit der einen Hand, um mit der andern, zu nehmen?“ „Nicht in Krisen, wo man nicht weiß, ob man noch Zeit hat, den ausgestreckten Arm zurück¬ zuziehen.“ Der Minister, der eine Weile vor sich hinge¬ blickt, zückte mit den Achseln: „Und doch irren Sie, Mylord, die Uhren auf dem Continent gehen lang¬ sam. Die Stunde ist noch nicht so weit vorgerückt.“ „Seiner Majestät Uhr ging rascher, als Sie uns Hannover nahmen, Ihre Häfen uns verschlossen.“ „Weil Napoleon schneidend auf die Ausführung des Vertrages drang. Er stand mit dem Hammer des Auctionators da.“ „Und jetzt mit dem Lictorenbeile, Excellenz. Er legt den Vertrag aus, wie es ihm gefällt. Er hat vor der Zeit Ihre Besatzung aus Wesel ver¬ drängt. Der Commandirende derselben hat, beinah ausgehungert, in seiner abgeschnittenen Lage um die zurückgelassenen Vorräthe bitten müssen. Murat, der neu creirte Großherzog von Berg, hat, auch nach dem schmählichen Vertrage, unbestreitbar preußische Bezirke, Alten, Essen, Werden besetzt. Er zieht die Kassen ein, requirirt für die Magazine, setzt Beamte ein und ab. Der Kaiser bleibt, aller Remon¬ strationen ungeachtet, herrisch dabei. Ihr Staat ist so absolut isolirt, daß er von Frankreich abhängig sein muß, und doch genügt das Napoleon nicht. In seinem Uebermuthe spielt er mit Preußen wie der Tiger mit seinem Opfer, ehe er es zerreißt. Wozu Schonung, er spricht es deutlich aus gegen Jeden, der es hören will, nicht vor seinen Ministern, vor seinen Stallknechten ruft er: was Rücksichten gegen einen Staat, der so tief in der öffentlichen Meinung sank, daß er nirgends Freunde hat; daß die es waren am lautesten vor Schadenfreude lachen werden, wenn er zusammen stürzt. Napoleon sucht Krieg, er will Krieg, er provocirt ihn —“ „Und findet lämmermüthige Geduld, fiel der Minister unerwartet ein. Mit ironischem Lächeln setzte er hinzu: Sollte Seiner Majestät, dem Kaiser der Franzosen, da nicht am Ende selbst die Geduld ausgehen!“ Der Britte fixirte ihn: „Eine Maske, Excellenz, thut zuweilen ihre Dienste, wenn man sich noch verstellen kann; wenn man aber sich so deployirt hat, daß der Feind alle Schwächen und Hülfsmittel kennt, ist es zu spät. Und wenn sie es noch länger hin¬ halten, Ihr Volk hält es nicht länger aus.“ „Kennt man das auch in Paris!“ sagte der Minister mit einem eigenthümlichen Tone, zwischen tiefem Ernst und leichtem Spott. „Ihre Staatsmänner zählen noch nach Jahren, hub der Britte wieder dringender an. Ich nach Monden, Wochen, vielleicht nach Tagen. Wissen Sie hier nichts von den Verhandlungen mit den deutschen Fürsten im Westen und Süden? Um das Reich Karls des Großen zu stiften, müssen die Wittekinde vorher im Staube liegen. Er darf auch den Schein eines Sachsenreiches nicht dulden. Wüßten wirklich Ihre Staatsmänner nichts davon, verschlössen sie in unglaublicher Verblendung ihr Ohr, oder glauben sie noch, ihr Veto einzulegen, wenn Alles abge¬ macht ist?“ Der Minister war bewegt, nicht durch die letzte Mittheilung des Engländers. Er hatte nur bis jetzt seine Stimmung durch Einwendungen in iro¬ nischem Tone zu verdecken gewußt. Wie tief er in eignen Gedanken versenkt war, beweist der Umstand, daß er das Vorzimmer vergaß, und Walter nicht bemerkte, obschon dieser keinen Versuch gemacht, sich zu verbergen. Der Engländer mochte ihn gesehn, aber für einen Vertrauten, zum Haus gehörig angesehen haben; auch setzte er vielleicht nicht voraus, daß ein Sekretair die englische Sprache verstand. Der Minister ging unruhig einige Schritte auf und ab. Walter hielt es sogar für seine Pflicht, durch ein Geräusch seine Anwesenheit zu verrathen, aber ohne seinen Zweck zu erreichen. „Wir wissen noch mehr, Mylord, sprach der Minister, vor dem Britten stehen bleibend. Eine Revolution ist im Ausbruch, eine Revolution, welche allen, die gewesen sind, die Krone aufsetzt. Sie spielt in der Hofburg zu Wien. Der Steuermann springt in den Rettungskahn, Fahrzeug und Volk sich selbst den Wellen überlassend. Franz II . legt die römische Kaiserwürde nieder, er will seine deutschen Provinzen los und ledig erklären von allen Pflichten gegen das Reich. Das Reich mag an der nächsten Klippe zerschellen, damit Oestreich gerettet wird.“ „Mich dünkt, einen preußischen Staatsmann sollte diese Nachricht nicht erschrecken,“ sagte ruhig der brittische Diplomat. „Wenn er aus Herzbergs Schule ist! Wir fragen, hat er ein Recht dazu, darf er preisgeben ein ihm anvertrautes, heiliges, das höchste Amt der Nation, der Christenheit, ohne die zu befragen, die durch freie Wahl es ihm auftrugen? Das deutsche Volk behält das unveräußerliche Recht auf sein Dasein.“ Der Britte fixirte ihn: „Sprechen Eure Reichs¬ freiherrliche Gnaden da als preußischer Minister?“ Im Staatsmann arbeitete ein Feuer fort, er hörte nicht den Einwand: „Das ist der Fluch jener französischen Revolution, die aus dem nackten Begriff schöpfte, und in den Hexenkessel roher Begriffe Alles einwarf, Todtes, Lebendiges, Ungebornes und Ver¬ westes, aber auch das Heiligste und Gerechteste. Was blieb denn noch über, woran wir uns halten, wo der Vielfraß Zeit Alles aufzehrte, als das Vaterland! Zersetzen wir auch das auf seine Knochen und Fa¬ sern, dann Valet die letzte Sprungkraft, die uns aus dem Schlamm aufreißt. Ohne daß wir an Deutschland festhalten, ist kein Hessen und kein Sach¬ sen, ja, kein Preußen und kein Oestreich. Sie, My¬ lord, wenn ich nicht irre, rühmen sich Walliser Ab¬ kunft, was hält denn Ihr großbritannisches Reich zusammen, als daß es Eins ward, Britten und Sach¬ sen, Sachsen und Normannen, Engländer und Schot¬ ten, selbst das widersträubende Irland hat der Na¬ tionalsinn mit eisernem Arm an die gemeinsame Brust geklammert. Wäre es Bonaparte damals ge¬ lungen, hätte er Ihre Schiffe gesprengt, Ihre Strand¬ batterieen durchbrochen, Ihre Armee geschlagen, Lon¬ don genommen, hätte er die Mythe in's Leben und IV . 12 die Kronen von Frankreich und England auf eines, sein Haupt gesetzt, hätten Sie sich genügen lassen mit einem kleinen Walliser Reich, oder Pic¬ tenreich? Zerfallen und zerfahren war Ihr schöner germanischer Staat, wenn der Nationalsinn kein Herz mehr hatte, von dem alle Adern ihr Blut empfin¬ gen. Uns hat man die Adern unterbunden, seit Jahrhunderten das Blut abgezapft und in andre Ka¬ näle es zu leiten gesucht, und doch wallt und strömt es immer wieder nach dem Herzen hin. Es sucht es, und kann's nicht finden, das ist seine Oual , aber es muß, es wird es wieder finden, oder — der deutsche Name ist ausgestrichen aus der Geschichte.“ „Und in England, wollten Sie sagen, fuhr der Britte, ohne aus seiner Gelassenheit zu kommen, fort, als der Minister plötzlich inne hielt, daß die getrennten Stämme dies Herz erst gefunden haben. Richtig; es war ein glücklicher, aber ein künstlicher Prozeß. Die Fusion des Blutes ist hergestellt, aber der Stempel darauf ist das Interesse. Das sollten Sie doch nicht vergessen, Sie lesen es ja auch in allen Journalen und Schriften. Ja, Excellenz, wir dürfen uns nicht darüber täuschen, es ist das In¬ teresse, was uns zusammenfügte und hält, ein Band, das Napoleon durch seine Continentalpolitik täglich fester macht. Aber wenn wir sehen, daß die Conti¬ nentalmächte, in deren Interesse es lag, mit unserm zu gehen, ihr eignes vergessen, wenn wir sie schwan¬ ken sehen von einem Tage zum andern, ihre Ent¬ schlüsse ändern, dann — mein Herr, wir sind Kauf¬ leute, Phantasieen und Fanatismus, zu manchen Ge¬ schäften gut, um den Impuls zu geben, tragen wir in unserm Contobuch nur unter dem Riscontro ein. Napoleon ist ein großer Speculant, er setzte bisher Alles auf eine Karte; so lange trauten wir ihm nicht. Seit er aber im fortdauernden Gewinnen und sich immer consequent ist, dürfte England dahin kommen, ihn als einen solidern Kaufmann zu betrachten, mit dem es sich wohl einmal auf ein Geschäft einlassen könnte.“ „Pitts Nachfolger werden und können sich auf eine Associ é schaft mit Bonaparte niemals einlassen.“ „Alle Vorstellungen täuschen, sobald die Rech¬ nung ein andres Facit giebt.“ Der deutsche Staatsmann sah ihn scharf an: „Mylord, ich habe mir die Achtung vor dem Cha¬ rakter bewahrt, auch in der Politik — und ich glaube, nie falsch gerechnet zu haben. Ein wirklicher Cha¬ racter stimmt mit den Gesetzen der Mathematik. Die Maske ist zu durchsichtig. Wo könnte England gewinnen?“ „Wenn es die schwankende, haltungslose Politik derer, die seine Freude sein müßten und es nicht sind, sich selbst überläßt, und mit dem starken Feinde ein einfaches Geschäft macht, Zug um Zug?“ Der Britte sah sich vorsichtig um. Indem sein Blick auf Walter fiel, dämpfte er die Stimme. Es war ein stilles Zwiegespräch von einigen Secunden. 12 * Der Minister horchte, den Kopf etwas vorgebeugt, zu, bis er ihn wieder in die Höhe warf. Er war ein ganz Andrer geworden, alle Unruhe und Agita¬ tion war fort. Sein Auge lachte sogar etwas höh¬ nisch, als er mit lauter Stimme sprach: „Daß er die Proposition machen ließ, bezweifle ich gar nicht, wenn er aber England Hannover zu¬ rück anbot, so kenne ich die klugen Kaufleute in der Downingstreet zu gut. Fehlgeschossen, Ihr greift nicht nach dem Danaergeschenk. Wie! Eine Heerde Euch schenken lassen, und wenn sie Euch gehörte seit Abrahams Zeit, aber um Haide und Stall haben sich Wölfe gelagert! Wollt Ihr sie annehmen unter der Condition, daß Ihr die Wölfe nicht bekriegen dürft, daß Ihr Eure Lämmer unter der Aufsicht der Raubthiere scheert und die Wolle holt? Glaubt Ihr zu besitzen, was nur auf einem Vertrage beruht, und wenn der Wolf hungrig ist, wollt Ihr ihm das Pa¬ pier entgegen halten? Nimmermehr, Mylord, lehren Sie mich von Ihren Staatsmännern nicht kleiner denken, nicht an sie den Maßstab von diesen hier an¬ legen! Ja, sei es, das Interesse allein trennt und verbindet, und darum bleibt England uns verbün¬ det, wie gut oder wie schlecht wir's ihm gelohnt. Und doch rechne ich nicht darauf — ich habe gelernt, auf nichts mehr zu rechnen, ich rechne allein — doch das gehört nicht hierher. Im Uebrigen, Mylord, jetzt ist es Sommer, aber Bonaparte fängt erst im Herbst Krieg an.“ Zwölftes Kapitel. Ein Plagiarius wird entdeckt. Walter hatte auf den ersten Blick in dem Mi¬ nister den Mann erkannt, mit dem er zufällig in Sanssouci zusammengetroffen war — nicht zu seiner Ueberraschung; eine leise Ahnung war schon früher in ihm aufgestiegen. Dennoch fühlte er sich ange¬ nehm berührt. Er war bei dem ausgezeichneten Manne eingeführt, er kannte den Minister, der Mi¬ nister ihn, er durfte hoffen von einer vortheilhaften Seite; so waren die ersten lästigen Formalien be¬ seitigt. Nachdem der Engländer gegangen, durchschritt der Minister noch einmal das Vorzimmer. Die Mittheilungen des Britten beschäftigten ihn, die Lip¬ pen bewegten sich, die Hände spielten ein Pantomi¬ menspiel, als er sich jetzt rasch nach dem Tische umkehrte. „Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?“ fuhr es heraus, als er Walter erblickte, und um die Au¬ genbrauen wölbten sich gefährliche Runzeln. „Euer Excellenz haben mich beschieden.“ „Wer — Sie sind doch nicht?“ „Mein Name ist Walter van Asten. Wenn keine Verwechselung unterlief, ward ich von Excellenz erwartet.“ Der Minister sah ihn von oben bis unten an. In den Runzeln der Augenbrauen sammelte sich ein Gewitter des Zornes, aber während um die Lippen ein spöttischer Zug bemerkbar ward, glänzte in den Augen, die ihn scharf durchbohrten, etwas von Mitleid mit Verachtung gemischt. „Sie — Sie haben das da — er griff nach Walters Brochure, und indem er sie mit zwei Fingern verächtlich aufhob, hielt er sie ihm plötzlich mit beiden Händen vor's Gesicht, um sie eben so rasch wieder auf den Tisch zu werfen. — Das haben Sie ge¬ schrieben — ich meine, Sie haben es drucken lassen?“ „Ich habe keinen Grund es zu leugnen.“ „Und mir unterstehen sie sich diese Schrift zu unterbreiten?“ „Ich erfuhr erst heut, daß Eure Excellenz von meiner Schrift Notiz genommen.“ „Der Rittmeister Dohleneck ist Ihr Freund?“ „So viel ich weiß, steht er zu meinem Vater in Verhältnissen.“ „Doch noch etwas Bescheidenheit, durch den Papa und die Freundschaft mir in die Hände zu spielen, wozu Ihnen selbst die Unverschämtheit abging. Gut gespielt, mein Herr, Sie können sich rühmen, daß ich Sie einen Augenblick für ehrlich hielt.“ „Wenn meine Ansichten oder meine Darstellung Euer Excellenz Mißfallen erregten, so glaube ich wenigstens diese Behandlung nicht verdient zu haben, da ich mich Ihnen damit nicht aufgedrängt habe. — Wenn Euer Excellenz mich nur deshalb rufen ließen, setzte er nach einer Pause hinzu, so glaube ich jetzt entlassen zu sein.“ „Unversch — Ihre Ansichten! Herr, in drei — hat ein Plagiarius Ansichten? Kann ein Dieb sagen, der einen Kasten aus dem offnen Fenster stahl, daß ihm die Sachen darin gehören, wenn er sie in seiner Spelunke in Schränke und Fächer gestellt hat?“ Walters Blut stürzte gegen seine Brust, er preßte die Lippen, seine Stirn glühte, und wie ein eiskalter Strahl fuhr es ihm zugleich vom Wirbel bis zur Zeh: „Was haben Euer Excellenz mir zu befehlen?“ Er sprach es mit fester Stimme, aber es war der letzte Moment der Fassung. „Scheeren Sie sich zum — wo Sie hergekommen, und unterstehen sich nicht, mir wieder unter Augen zu treten.“ Der Minister hatte mit halber Wendung ihm den Rücken gekehrt. „Ich werde nicht gehen, hörte er hinter sich eine klar tönende Stimme. Denn darum haben, darum können Excellenz mich nicht herberufen haben. Ich gehe nicht, weil ich es mir schuldig bin, und ich gehe nicht, weil ich es Euer Excellenz schuldig bin. Ich habe ein Recht, vor Ihnen gerechtfertigt zu werden, wir der Minister ein Recht hat, vor mir gerechtfertigt zu stehen, und wäre ich die unterste menschliche Creatur in diesem Staate.“ Der Freiherr sah ihn über die Schulter an: „Im Mundwerk ein Virtuos wie im Stil; aber ich liebe nicht Virtuosen, ich will Charaktere. Was haben Sie vorzubringen? Kurz!“ „Daß hier ein Mißverständniß sein muß.“ „Es ist Alles klar. Mit abgeschriebenen Ge¬ danken wollen Sie sich brüsten. Gehn Sie zu andern Staatsmännern. Ich will Ihnen den Ge¬ fallen thun und Sie vergessen. Verstanden? Ganz vergessen! Machen Sie da Ihre Fortune. Aber, junger Mann, wem es ernst ist um das Vaterland, und wo es sich handelt um seine heiligsten In¬ teressen, da dulde ich keine Escroquerie.“ Es war nicht mehr die Gluth der Entrüstung und des Zornes, es war eine lösende Wärme, welche unsern Bekannten aus seiner Erstarrung in's Leben rief. Hier war ein Mißverständniß. Er fühlte sich so muthig wie je. Der Minister, der, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, gegangen war, und schon die Thüre in der Hand hielt, hörte den entschiedenen Tritt des Andern hinter sich, er hörte ein Halt ihm zurufen! Vielleicht wäre der Dreiste ihm in's andere Zimmer gefolgt, wenn er nicht an der Schwelle Kehrt gemacht. Vorhin hatte Walters Stimme ihn sanfter gestimmt; der klare, ruhige Blick, die gesetzte Haltung, mit der er ihn jetzt ansah, hemmte noch einmal das Gewitter, das im Losbruch, entweder gegen einen unerhört Unverschämten oder gegen einen Unschuldigen. Das klare blaue Auge sprach für die Unschuld. „Excellenz, ich weiß, was ich begehe, und weiß, daß ein Klingelzug, ein Rufen aus Ihrem Munde, über mein Loos entscheidet. Lassen Sie mich durch Ihre Diener hinauswerfen, in's Gefängniß schleppen, mir den Prozeß machen wegen Attentats gegen einen höhern Staatsbeamten im Dienst. Ich will nichts ableugnen, und weiß, daß es mehre Jahre Festung, meine Carriere kosten kann. Dennoch! — So heilig Ihnen Ihr unbescholtener Ruf ist, so heilig mir meine Ehre. Der Staatsmann, den ich nicht mit den übrigen verwechsle, der die Dinge nach ihrem Werthe prüft und die Menschen nicht nach ihrem Kleid und Namen, er hat mich, den er freundlich in sein Haus lud, hier in seinem Hause einen Plagiarius gescholten, er hat mich des Dieb¬ stahls, der Escroquerie gezüchtigt. Ich habe ein heiliges Menschenrecht, dafür Rechenschaft zu fordern. Von Andern würde ich sie nicht fordern, die in brutalem Dünkel den Untergebenen nicht fähig halten zu denken, was sie nicht selbst gedacht; von Euer Excellenz fordre ich sie, und Sie werden sie mir gewähren. Wessen Gedanken habe ich entwendet, wessen Schrift nachgedruckt? wen habe ich um seinen Vortheil betrogen? Diese Schrift, die Ansichten darin, falsch oder richtig, sind meine. Ich bin auf Tadel gefaßt, ich werde auch Verspottung zu ertragen wissen, aber ich will mein Recht als Eigenthümer.“ Er hatte das Heft vom Tische ergriffen. Der Minister sah ihn mit einem durchdringenden Blicke eine Weile an, aber während der Zorn noch auf den Lippen schwebte und den untern Theil des Gesichtes durchzückte, glätteten sich schon die Falten der Stirn und unter den Brauen wurden die Augen klar; ja ein spöttisches Lächeln fing an sich über die Mund¬ winkel zu legen. „Die Gedanken, mein Herr, sind meine .“ Walter hielt zum ersten Male den Blick nicht aus, er senkte seine Augen; der Blick wurde ganz sarkastisch. „Meine eigenen, wiederholte der Minister in einem Tone, der dem Blick entsprach. Ihre Artigkeit wird doch nicht Beweise fordern?“ „Und wäre das, mein Gott!“ „So wäre das noch keine große Sünde. Ge¬ danken können sich begegnen, Gedanken fliegen durch die Luft. Der Eine, arglos, im Eifer des Gesprächs, läßt sie über die Lippen, und sie vibriren von Ohr zu Ohr, bis der letzte Horcher sie in Worte faßt und sie für die seinen hält, weil er sie zu Papier bringt. Diesen Diebstahl will ich Ihnen verzeihen, aber —“ Darauf war Walter allerdings nicht vorbereitet gewesen, aber ein Blick auf das Exemplar der Druck¬ schrift in seiner Hand gab ihm den Muth zurück. Er hielt das dicke Bravo! mit Rothstift dem Minister entgegen: „Hier fanden Excellenz —“ „Einen meiner Gedanken ausgeführt, wie es mir gefiel. Nein, ich bekenne, mehr. Was ich erst flüchtig hingeworfen, auf eine andere Zeit die Aus¬ führung versparend, fand ich so entwickelt, es bekam Hand und Fuß, es ward durch die Wendung ein neuer Gedanke. Es überraschte mich, und ich war froh, daß Jemand mich verstanden hat, in meinem Sinn gedacht, weiter gedacht als ich —“ „Gott sei Dank!“ brach es von Walters Lippen. Er vergaß in dem Augenblick seine Stellung, selbst die peinliche Lage, in der er sich noch eben befand. Er zückte mit der Hand, als wolle er nach der des Ministers greifen. „Gott sei Dank, ich bin gerecht¬ fertigt. Diese Wendung werden Sie mir doch als Eigenthum lassen!“ Indem der Staatsmann ihn unverwandt an¬ blickte, schien die Wolke von vorhin sich wieder auf seinem Gesicht zu sammeln, aber es war eine Magie, um nicht zu sagen Sympathie in Beider Augen, welche den Ausbruch des Gewitters noch nicht zuließ. „Auch die darauf folgenden Seiten? Sehn Sie nach.“ Walter blätterte. Sie waren mit Rothstift an der Seite von oben bis unten angestrichen. „Es ist nur die Entwickelung jener Wendung des Gedankens. Ich glaube, sie ist folgerichtig und nicht unglücklich.“ „Ich glaube es auch,“ sagte der Minister. Es wetterleuchtete wieder. Er sprach rasch in abgestoßenen Sätzen: „Also Ihre Entwickelung? — Mit Ihren Fingern geschrieben? — Zweifle ich nicht. — Und der Rittmeister, Ihres Vaters Freund, hat nicht mit Ihrem Wissen gehandelt? — Ich will es glauben. — Kennen Sie den Regierungsrath Fuchsius? — Still! Es kommt nichts darauf an. — Die Verlegenheit will ich Ihnen sparen. — Gedanken fliegen nicht allein durch die Lüfte, auch durch die Finger von Abschreibern. — Sind Sie ein Clairvoyant? Ja, ich hörte, aus der romantischen Schule. — Sahen Sie die Ausführung, Seite für Seite, Satz für Satz, Wort für Wort durch die Mauer schimmern? Sie schrieben vermuthlich um Mitternacht, beim Vollmond. Sagen Sie ja. Auf eine Illusion mehr kommt es einem Romantiker nicht an, und wir scheiden in Freundschaft. Ich kann Sie noch als einen ehrlichen Menschen mir aus dem Sinn schlagen, wenn Sie mir ehrlich versprechen wollen, künftig zu wachen, wenn Sie über Dinge schreiben wollen, die Sie zu verstehen glauben.“ „Ich bin kein Oedipus, Excellenz, und stehe sprachlos vor dieser Sphynx.“ Der Minister nahm ihm die Brochure aus der Hand, aber indem er demonstriren wollte, zerdrückte er sie in der Heftigkeit seiner Gesticulation. „Als ich sie vorgestern in die Hand bekam, war ich entzückt. Der Anfang superbe. Das Vorwort ist von Ihnen, das kann ein Geschäftsmann nicht. So wollte ich die Verordnung vor's Publicum ge¬ bracht, so eingeleitet. Selbst die Perücken, durch die ich mich schlagen muß, würden einigen Respect vor dieser Ueberzeugungskraft, vor dieser Gesinnung in blühender Sprache, die zum Herzen dringt, gewinnen. Das kommt von Ihnen? Nicht?“ „Wenn nicht ein unsichtbarer Geist es mir ein¬ gab, der sein Eigenthum reclamirt.“ „Machen Sie Ihre Sache nicht schlechter, als sie ist, junger Mann. Gestehen Sie offen Ihren Fehl¬ tritt ein. Von da ab hat der Teufel der Eitelkeit Sie geplagt — Wort für Wort abgeschrieben.“ „Von wem?“ „Ich will's noch glauben, daß Sie das Original selbst nicht kannten.“ Der Minister war, mit einem stummen Wink, daß der Andere ihm folge, in sein Arbeitszimmer getreten. Vom Schreibtisch nahm er ein sauber mundirtes Promemoria und reichte es Walter: „Lesen Sie! die Ausarbeitung des Herrn von Fuchsius, welche dieser geschickte Arbeiter auf die von mir ihm angegebenen Ideen entwarf, ganz zu meiner Zufrie¬ denheit, ganz in meine Ideen eingehend.“ Walter las, blätterte, überflog mit steigender Verwunderung. Das Thema dasselbe, die Einleitung die formelle eines geübten Geschäftsmannes, die Ein¬ theilungen fast die nämlichen mit seiner Schrift, dann eine Ausführung — es war fast Wort für Wort die seine — nur der rhetorische Schluß ein anderer im Aktenstil. Er ließ das Papier sinken. Ein Lichtstrahl zückte durch das Zimmer und auch in seine Seele: „So ist der Streit nur um die Priorität!“ „Der Streit ist entschieden, fiel der Minister scharf ein. Meine Gedanken über die Regeneration des Bauernstandes sind älter als — was geht das Sie an! Fuchsius theilte ich sie Ende des vorigen Jahres mit, wir hatten darüber Gespräche, seit sechs Monaten ist er mit der Ausarbeitung des Promemoria beschäftigt, stückweise kannte ich die Arbeit schon früher, in ihrer vollendeten Gestalt legte er sie mir vor drei Monaten vor. Ihre Brochure trägt die Jahres¬ zahl 1806 auf der Stirn. Die Sache ist damit zu Ende.“ Der Minister schien etwas zu erwarten. Wäre er ein König gewesen, die Stirn mit dem orientali¬ schen Nimbus umstrahlt, hätte man meinen sollen, er erwarte, daß der Andere zerknirscht ihm zu Füßen stürze, sich seiner Gnade ergebend. Aber er war ein deutscher Mann, ein Freiherr im schönsten Sinne des Wortes; er erwartete, daß der moralische Eindruck den jungen Mann erschüttern, zu Boden werfen werde, dann verkündete ein gütiger Zug um die Au¬ gen, daß er Gnade walten ließ für den Verirrten. Der Minister war kein Moralist, sonst würde er ge¬ sprochen haben, daß ein freies Bekenntniß, eine un¬ verhüllte Beichte die Hälfte der Schuld lösche, und der Weg zur Läuterung sei. Wenn etwas davon auf seinen Lippen schwebte, ward es zurückgedrängt durch die aufrechte Haltung des Andern. Er begeg¬ nete nur dem Blick des Selbstbewußtseins. „Sie wollen nicht?“ — Eine Bewegung deutete dem jungen Mann an, daß er entlassen sei. Walter verbeugte sich und ging. Der Minister schien es nicht erwartet zu haben: „Sie haben mir nichts mehr zu sagen?“ wandte er sich noch ein Mal um. „Seit Sie mir zu sprechen verboten haben. Ich würde sonst, was Excellenz vielleicht entgangen, be¬ merklich gemacht haben, daß es Buchhändlerart ist, auf Druckschriften, die am Ende eines Jahres er¬ scheinen, die Jahreszahl des folgenden zu setzen; daß ferner unter meinem Vorwort das Datum steht, an dem ich die Schrift vollendet, und das war schon in der Mitte vorigen Jahres, also ehe Euer Excellenz Herrn von Fuchsius die Aufgabe stellten; ferner, wenn es in einer so unwichtigen Angelegenheit darauf an¬ käme, könnte ich durch den Buchdrucker mein Manu¬ script, durch das Zeugniß von Freunden darlegen, wie ich die betreffenden Stellen bereits Anfang vori¬ gen Jahres niedergeschrieben hatte. Ich könnte auch bemerken, daß aus einer gedruckten Schrift, welche beinahe ein Jahr circulirt, sich leichter Auszüge machen lassen, als aus einer schriftlichen, die im Bureau eines Ministers unter dem Siegel der Amts¬ verschwiegenheit bewahrt ist.“ „Halt! Die sämmtlichen Excemplare Ihrer Schrift sind aufgekauft und makulirt worden, ehe sie in's Publicum kamen.“ „Wer that das!“ rief der Erstaunte. „Ihr eigner Vater. Weil er es bereute, ließ er mir das letzte Exemplar durch Herrn von Dohleneck zustellen.“ „So könnte ich schließlich darauf aufmerksam machen, sagte Walter, daß ich mit dem Herrn Regie¬ rungsrath in durchaus keinen Relationen stehe.“ „Kennen Sie Herrn von Fuchsius,“ unterbrach ihn der Minister, der schon in der Mitte der Rede mit eigenen Gedanken beschäftigt schien. „Man rühmt ihn als einen unserer befähigtesten jüngern Beamten, dem eine glänzende Carriere be¬ vorsteht.“ „Ich frage, ob Sie ihn kennen? Persönlich? Schickten Sie ihm wirklich kein Exemplar? Wissen Sie, daß er keines besessen?“ Als Walter den Mund öffnete, schoß wieder ein Lichtstrahl durch das Zimmer. Er erinnerte sich, als er bei jenem andern Minister eine Audienz erhalten, daß Herr von Fuchsius damals aus dem Zimmer gegangen, daß dem Minister kurz zuvor ein Vortrag über die Schrift gehalten sein mußte. In dem ernsten Moment fuhr ein Lächeln über sein Gesicht. Er erinnerte sich, daß Fuchsius, als er durch's Vor¬ zimmer an ihm vorüber ging, eine Druckschrift aus der Tasche sah! „Herr Regierungsrath von Fuchsius!“ meldete in dem Augenblick der Amtsbote. „Soll warten!“ sagte der Minister. „Im Bureau!“ rief er dem Boten nach. Er schien mit Gedanken beschäftigt, als er, die Hände auf dem Rücken, aus dem Fenster sah. War Walter vergessen? Hatte der Staatsmann angenom¬ men, daß er gehen müsse? Sollte er jetzt gehen? Sich räuspern? Plötzlich wandte er sich um. Er hatte ihn nicht vergessen, aus dem Pult riß er ein Concept, und warf es hin: „Versuchen Sie sich daran. Hier auf der Stelle. Da ist Papier und Feder. — Eine Aus¬ arbeitung — ganz nach Ihrem Sinne — an die Lineamente brauchen Sie sich nicht zu halten; da ist viel dummes Zeug darin. — Eine Stunde haben Sie Zeit. Ich habe Geschäfte, die mich wohl noch länger abhalten.“ IV . 13 Dreizehntes Kapitel. Blicke aus eines Ministers Fenster in's Volksleben. Die Thür schlug hinter ihm zu. — War das eine Rechtfertigung, daß der Minister dem jungen, ihm fremden Manne das Heiligthum seines Arbeits¬ zimmers mit den offen stehenden Schränken überließ? Walter konnte wieder lächeln, als aus einem halb geöffneten Schubfach ein Körbchen mit Goldstücken ihm entgegenblitzte. Da lag auch ein versiegeltes Packet mit der Aufschrift: „Nach meinem Tode zu verbrennen.“ Vornehme Leute haben oft eigne Vor¬ stellungen, wie sie die von ihnen verletzte Ehre ihrer Untergebenen herstellen. Jedenfalls war es nur eine halbe Rechtfertigung; der Minister wollte ihn durch die neue Aufgabe prüfen, ob er im Stande sei, selbstständig Gedanken zu entwickeln und auszuar¬ beiten. Das Concept, das ihm übergeben war, enthielt flüchtige, von des Ministers Hand hingeworfene Sätze, etwa folgender Art: Was allgemeine Stim¬ mung, wenn kein gesetzliches Organ dafür existirt! — Jeder Minister ausschließlich in seinem Geschäfts¬ kreise — ein König oder Gliederpuppe. Fehlt jedes Element, den König aufzuklären über den wahren Status. — Geheime Kabinetsräthe! — Dahinter war ein dicker Dintenklecks. Der Schreiber hatte mit der stumpfen Feder aufgestaucht. Absolut nicht mehr möglich. Aut — aut ! — Fein anzufangen. — Dum¬ mes Zeug! So Hardenberg nach heutiger Conferenz. Blücher würd's besser verstehen. — Dahinter einige Striche, Federproben, Eselsohren! Daraus ein Promemoria entwerfen! Aller¬ dings das Zeichen eines großen Vertrauens. War Excellenz Denkweise so bekannt, daß er aus Chiff¬ ren und Hieroglyphen ein System construiren konnte? Oder hatte er ihn absichtlich in ein Labyrinth gesetzt, um ihn auf bequeme Weise los zu werden, wenn er den Ausgang nicht fand? Feder und Papier waren zurecht gelegt, aber Gedanken sollen dem Schreiben vorausgehen. Sie im Promeniren zu sammeln, war die Stube zu klein. Und es war drückend heiß. Er lehnte sich aus dem Fenster, um Luft zu schöpfen. Die Nachmittagssonne brannte von dem wolkenlosen Horizont auf die brei¬ ten Straßen Berlins. Die geputzten Spaziergänger, die nach dem Thiergarten eilten, suchten die schmale Schattenseite. Er hörte ihre Gespräche. Nicht Einen, der nicht dem Andern zurief: „Das ist mal heiß!“ Jener machte die Bemerkung: Anno 99 wäre es doch noch heißer gewesen. — „Ja, ja, so geht's!“ 13* schlossen zwei Bekannte mit einem deutschen, viel¬ sagenden Händedruck ein Gespräch, in welchem sie sich eben nichts zu sagen gewußt. — „Schlechte Zei¬ ten!“ — „Wenn nur Friede bleibt!“ — „Meinen Sie? — Ja — ja — wer weiß!“ — „Hab ich's Ihnen nicht immer gesagt, es geht oder es geht nicht.“ — „Ja, wenn nicht der Bonaparte wäre!“ — „'Ne sappermente Wirthschaft!“ — „Na, man wird ja sehen.“ — „Und das Bier auch immer schlechter.“ — „Saure Gurkenzeit, Herr Gevatter!“ — „Die armen Komödianten! rief eine geputzte Dame. Nein, an sol¬ chem Tage spielen zu müssen!“ — „Und Belmonte und Constance!“ — „Und in Pelzen, hu, einem schaudert!“ — „Und wie leer wird es sein!“ — „Vor leeren Bänken spielen müssen! Ich kann mir gar nichts Schauderhafteres denken. Das ruinirt ja die Kunst!“ — Hinter den Geputzten schlenderte wie ein Opfer¬ thier, nicht eins, das erst gebraten werden sollte, sondern das schon gebraten war vom Sonnenbrand, ein junger Bursch im Sonntagsrock. Der Mund offen, die blaßblauen Augen unter den glatt herab¬ hangenden Stirnhaaren der Ausdruck eines Mini¬ mum von Seele. Plötzlich aber belebten sie sich von Pfiffigkeit; halb pustete, halb pfiff er, und war seit¬ wärts gesprungen nach dem Straßenbrunnen. Rasch klirrte die Plumpe, und seine Lippen schlürften aus Herzenslust an dem dick vorsprudelnden Wasserstrahl. Warum mußte er es so laut machen, daß die Schwe¬ stern sich umsahen: „Aber Karl, Potz Wetter, wie unanständig!“ — „Nein, Mutter, sieh! der Karl! der Junge hält doch nie auf Reputation. Als ob er von 'ner Schusterfamilie wäre! Wie ein lebendiger Stra¬ ßenjunge!“ — „Warte nur, wenn der Vater!“ — „Du kriegst ja draußen Weißbier, Karl,“ rief die Mutter. „Wenn nur die wirklichen lebendigen Stra¬ ßenjungen es nicht gehört hätten. Es schnalzte und grinste: „Straßenjungen! Wer sind denn Eure Stra¬ ßenjungen!“ — „Und wer sind sie denn! Aus der Fischerstraße!“ — „Wenn man sie nicht kennte! Die näht Pantoffeln zu. Selbst Schuster!“ — „Und die Andre — Schneidermamsell bei den Komödianten!“ „Dicke thun hilft nichts.“ — Hätten die geputzten Damen nur geschwiegen! Aber sie schwiegen nicht. Sie mußten ihre Ehre vertheidigen. Die Straßen¬ jungen ließen sich in Berlin nicht überschreien. Die corpulente Mutter ermahnte ihre Töchter, sich mit dem „Kropzeug“ nicht abzugeben. „Selbst Krop¬ zeug!“ war das Echo. Das war natürlich nicht zu ertragen. Die Frau rief aus Leibeskräften nach ihrem Manne: ob er das dulden wolle, seine Frau Kropzeug genannt! Der Mann schien sonst voraufgeschickt, das jüngste Kind auf dem Arm, damit die Ehre der geputzten Familie nicht compromittirt werde. Sein blauer Ueberrock mit dem hochstehenden Kragen, in den der Kopf beinahe versank, die groben Knie¬ stiefel und das weit aus ihnen vorblickende Pfeifenrohr paßten allerdings nicht zur Eleganz des weiblichen Theils der Familie, und man durfte an¬ nehmen, daß er sich bei Hofjägers an einen aparten Tisch setzen müsse. Aber in der Noth hört solche Distinction auf. Während der Mann zurückkeuchte, so hastig, daß der Pfeife die Spitze abbrach, und er jetzt vollkommen Grund hatte zum Zorn, hatte der Auftritt schon eine andre Physiognomie angenommen. Fritz war von den Schwestern animirt worden. Daß einer der Straßenjungen sich dicht vor sie gestellt und die Zunge „geblökt,“ durfte er doch nicht dul¬ den. Der Thäter lag auf dem Boden, und Fritz auf ihm, es war indeß zweifelhaft, ob er nicht bald unter ihm liegen würde. Da war es eben so natür¬ lich, daß der Vater mit dem zerbrochenen Pfeifen¬ rohr darunter sprang. Es war auch nicht mehr Ge¬ schrei, kaum mehr das, was man in Berlin ein Aufgebot nannte, es war das nächste daran. Vor¬ übergehende standen schon, wie es sich schickt, entwe¬ der still, oder nahmen Theil, als ein Einspänner um die Ecke bog und den Knäuel in etwas trennte. Es waren anständige Leute auf dem Wagen, der Herr Hoflackirer und seine Frau mit ihrer Cousine Charlotte, deren Vaternamen uns noch immer ein Geheimniß blieb. Anständige Leute flößen Achtung ein, besonders, wenn sie Wagen und Pferde haben. An¬ ständig will Jeder sein. Der Herr Hoflackirer hatte aber seinen Rock geknöpft und trug seinen Hut wie ein vornehmer Mann, auch kutschirte er selbst, und das Gestränge glänzte, wenn auch nicht von Silber, doch von etwas, was wie Silber aussah. Hätte er nun die Peitsche knallen lassen, und ein donnerndes Wort gesprochen von Auseinander! und Ruhe und Ordnung, und hätte den Wagen durchrollen lassen, dann wäre Alles gut gewesen; aber er fragte: „Was ist denn hier los?“ Und seine Damen erkundigten sich noch eifriger. Bei dem Durcheinander von Ant¬ worten schien der Streit jetzt erst recht anzufangen. Wenn man nicht darüber in's Reine kam, wer aus¬ geschlagen habe, was weniger darüber, wer ausge¬ schimpft hatte? Die Frau Hoflackir schien für die geputzten Damen mehr Sympathie zu empfinden, während ihre Cousine die armen Jungen in so fern in Schutz nahm, als man nicht gleich losschlagen müsse, wenn Einer mit der Zunge blökt. Wenn die Damen im Wagen schon verriethen, daß sie im In¬ quiriren nicht geschickt waren, so viel weniger der Herr Hoflackir, der sich einige Blößen gab, welche auch von diesem Auditorium gefühlt wurden. Schwierig war allerdings seine Stellung, wenn er außer den Parteien auch noch den Meinungszwiespalt zwischen seinen Beisitzerinnen schlichten sollte; man soll sich aber nicht zum Richter bestellen, wenn man nicht das Zeug dazu hat, sagte nachher ein ehrbarer Mann. Die Frau Hoflackir mußte durch eine sehr un¬ anständige Geste eines Straßenjungen in ihrem Zartgefühl verletzt sein, denn sie schrie auf, wie ihr Mann auch dazu komme, unter dem Pöbel sie zur Schau zu halten! Hatte sie dabei unglücklicherweise auf die geputzten Schwestern ihren Blick gerichtet, denn diese — der Zorn macht blind, — nahmen den Affront auf sich. „Pöbel! Wer ist denn hier ihr Pöbel!“ griffen aber ein zehn Stimmen zugleich die Be¬ leidigung auf. Jetzt war es an Charlotten, auch die ihre zu erheben: „Und wer sind Sie denn, meine Damen, wenn ich fragen darf? Das ist meine Cousine, die Frau Hoflackir, und der Herr Hoflackir, mein Cousin, hat immer nur mit anständigen Leuten zu thun.“ — „Sie meinen wohl, wir wären nicht anständig,“ schrie die eine Geputzte, die den im Streit ihr herabgerissenen Hut wieder auf das glühende Gesicht gesetzt hatte, nur nicht ganz in der vorigen Fa ç on. — „Da müßte doch die Polizei mitsprechen!“ rief die Zweite. — „Die Polizei, rief Charlotte, die kennt ihre Leute, und weiß, wer sich Abends, wenn er aus der Tanzstunde nach Hause geht, von Re¬ ferendarien in Conditorläden führen läßt.“ — „In Con¬ ditorläden! Das ist eine ausverschämte Lüge! Das sollen Sie mir vor dem Criminal beweisen, meine Dame. Der Herr Referendar invitirten mich, aber ich sagte: das würde sich wohl nicht schicken, Herr Re¬ ferendar! Und wir sind da nicht hineingegangen.“ — „Es kommt mir auch gar nicht darauf an, wo Sie die Rosinen gegessen haben,“ replicirte Charlotte mit einem sehr feinen Blick. — Die zweite Schwester hielt die Höflichkeit nicht mehr für angebracht: „Und woher Sie die Rosinen in Ihrem großen Munde haben, weiß man auch!“ — „Ja, manche Leute, fiel Charlotte ein, manche Leute haben einen sehr großen Mund, und sehen Wunder wie aus, Sonntags vor'm Brandenburger Thor, wo sie keiner kennt, aber vor'm Hamburger Thor kennt man sie auch.“ — „Vor'm Ham¬ burger Thor!“ schrie die Eine. „Vor'm Hamburger Thor! wiederholte die Andre! Da hätte man Sie ja raus ge¬ schmissen, Knall und Fall, wenn's nicht der Herr Wacht¬ meister gewesen wäre.“ — „Mit Schmiedegesellen geben wir uns allerdings nicht ab, trumpfte Charlotte drein, die sind uns zu rußig!“ — „Sie ist ja eine Köchin!“ fuhr die jüngste auf. „Eine Geheimrathsköchin! Und eine für Alles!“ Die ursprünglichen Parteien waren auf¬ gelöst, vermischt; es gab nur einen gemeinsamen Kampf gegen die im Wagen Sitzenden. Wer die allgemeine Lachlust gegen sich hat, ist verloren. Wie schwer der Herr Hoflackir auch zur Empfindung zu dringen war, denn die Frau Hoflackir mußte ihm mit der Faust in den Rücken pauken, damit er nur merkte, daß sie ohnmächtig ward, jetzt glaubte er fluchen zu müssen. Es geschah zwar mit einer ge¬ waltigen Bierstimme, aber weder mit den rechten Ausdrücken, noch mit der rechten Folge. Zuerst Flüche aus dem Stall, dann Gründe. Ein Donnern, das mit dem Säuseln des Windes endet, verfehlt seine Wirkung. Im Hohngelächter der Buben blieb ihm nur das letzte Mittel, nach der Polizei zu rufen, und er schwor, so wahr er Seiner Majestät Hoflackirer wäre, wolle er sie Alle durch die Bank in die Stadtvoigtei schmeißen lassen. Ehe sich Einer dessen gewärtigte, war Charlotte plötzlich vom Sitz aufge¬ sprungen, hatte sich übergelehnt, dem Schwager Zügel und Peitsche entrissen, und ließ mit einem: „Platz!“ die Peitsche knallen. Das muthige Pferd, des langen Geredes sichtlich überdrüssig, bäumte sich mit einem Satz, der dem Wagen zwar einen Stoß versetzte, daß die Frau Hoflackir ihre Ohnmacht ver¬ gessen mußte; aber der Peitschenhieb hatte auch den gor¬ dischen Knoten zerhauen, den zu lösen dem Herrn Hoflackir am schwersten geworden wäre. Der Haufe, der auf die Rodomontade schon zu Thätlichkeiten Miene machte, flog auseinander, und Kies und Funken stoben. „Kikelkakel Polizei! rief Charlotte, als sie Zügel und Peitsche dem verdutzten Herrn Schwager wieder in die Hand warf. Darum lohnte sich's auch!“ Die aus der Ohnmacht erwachende Frau Hoflackir stöhnte: das komme davon, wenn man sich mit gemeinen Leuten einlasse. — „Gemeine Leute, das geht schon, entgegnete Charlotte, deren Herz jetzt warm wurde, und ihre Zunge löste sich. Aber wenn gemeine Leute wollen gebildet thun, Cousine, das ist um die Cre¬ pance zu kriegen. Die Schmiedetöchter da an der Panke, Hufschmied war er für die Fuhrleute und Bauern! Aber seit er den Knopfladen in der Stadt angenommen, da sollte es oben raus. 'Ne Mamsell läßt sich auch gleich machen, habe ich oft zu meinem Geheimrath gesagt. Das kostet Geld und Bildung, mit 'nen Paar Redensarten und 'nem langen Plun¬ derkleid ist's nicht gethan. Da mußten sie in die Komödie, vom Tanzboden in's Corps de Ballet. Ging's nicht so, dachten sie, geht's so. Das kennt man ja. Und Airs geben sie sich, wenn ein Officier mal auf der Redoute: „Meine Damen!“ gesagt hat. Als ob man nicht wüßte, wie sie mal barfuß laufen mußten und Reisig auf der Hucke tragen, das ist noch keine Sünde nicht, aber pfui, wer sich schämt, was er gewesen ist. Und gegen den Vater wäre auch gar nichts zu sagen, wenn er nicht so schreckliche Manieren hätte. Man merkt doch gleich den Grob¬ schmied raus. Und wo er zuschlägt, wächst kein Gras. Aber er ist doch mal ihr Vater, und gestohlen hat er auch nicht. Aber die Mutter, na, lieber Gott, wenn man von der erzählen wollte! Unter der Haube ist sie nun mal, aber von vorher weiß man Geschichten. Gott bewahre mich, daß ich was sagte. Wer Allen die Haube vom Kopfe reißen wollte, die jetzt hochmüthig thun, und auf Andere schief runter sehen, da hätte man viel zu thun. Einer den Andern verreden, das ist die Schlechtigkeit der Menschheit, und bis das nicht abgeschafft ist, Cousin, da können Sie mir glauben, ist's nichts in der Welt. Ich weiß das ja von meinem Geheimrath. Da möchte Einer den Andern runter bringen. Katzenfreundlich vor den Augen, und wenn sie sich den Rücken gedreht haben, pfui! Da stellt Einer dem Andern das Bein, und noch weit höher hinauf. Und wenn er gefallen ist, da drücken sie ihm die Hand und thun, als ob sie die Augen wischen, aber wenn er sich wieder setzen will, Prostemahlzeit! sie sitzen schon auf dem Stuhl. Der König hat's anders haben wollen, aber sie haben ihm gesagt, es geht nicht. Sire, haben sie gesagt, wollen Sie die Menschen anders machen, als sie sind? Solch ein seelensguter König! Wenn's nur nach dem ginge! Ja, ich sollte mal drei Tage lang König sein, Cousin. Ich wollte die Menschen schon anders machen. Krieg, wollen Sie jetzt haben, soll er machen. Warum Krieg! Brauchen wir Krieg? Wenn wir Krieg brauchen, haben wir ihn ja draußen, so viel wir wollen. Der Bonaparte macht ihn, sagt mein Geheimrath und die Andern. Misch Dich nicht in was Dich nichts angeht. Und unsere propern Soldaten, was haben wir davon, wenn wir sie todtschießen lassen? Aber's wird doch Krieg. Passen sie acht, es geht los.“ Einmal auf dem Einspänner, mußten wir ihn doch bis an's Thor begleiten. Wir zweifeln nicht, daß Charlottens Lunge, die das auf dem damaligen Berliner Straßenpflaster vermocht, auch draußen auf dem weichen Erdreich des Thiergartens noch lange fortgefahren ist. Ob ihre politischen Deductionen zur Belehrung des Hoflackirerschen Ehepaares bei¬ getragen, lassen wir auf sich beruhen, sie verschafften ihnen aber den Vortheil, nichts von den Spitzreden zu hören, die unter lautem Hohngelächter ihnen nachschallten. Hier war nur eine Partei zurückgeblieben, man möchte sagen, eine Herzensseligkeit, und die geputzten Mamsellen fielen sich mit den Straßenjungen um die Wette in's Wort, um den Fortgerollten etwas Krän¬ kendes nachzuschicken. Der Zorn, wenn er auch nicht mehr trifft, muß sich selbst genügen. — Nein, wenn solche Leute sich was herausnehmen wollen, die nichts sind! — Wer unter der Gassenjugend kannte nicht die Geheimraths Charlotte! Wenn die anfängt, müssen die Fischweiber unterducken. — Ja, mit den Fisch¬ weibern mag sie Trödel anfangen, da ist sie unter ihres Gleichen, aber sich unterstehen, anständige Per¬ sonen auf der Straße zu attaquiren! — Eine Köchin so aufgedonnert, ein Scandal, was die Polizei ver¬ bieten müßte. — Die Polizei fragt freilich nicht, wo eine Köchin ihr Umschlagetuch her hat. — Vom Wachtmeister hat sie es gewiß nicht erhalten! — Wenn Charlotte sich noch einbildete, daß der Geheim¬ rath sie heirathen würde, hier auf der Straße war es eine ausgemachte Sache, daß sie die Rechnung ohne den Wirth gemacht. — Und ihre Cousine, mit der sie so groß that! — Ja, wenn man nicht Alles wüßte, wenn man sie nicht gekannt hätte! — Ja, der Herr Hoflackir war ein honetter, proprer Herr, der auf sich was hielt. Immer adrett. Er zahlte baar. — Der arme Hoflackir, daß er sich von der Person herumkriegen lassen! — Aber es war ihm schon recht, warum war er ein solcher Schafskopf! — Die Wage des armen Hoflackirs ward immer leichter. Arbeiten verstünde er, das müßte man ihm lassen, aber sonst — ein Einfaltspinsel. — Und ohne die Weiber was wäre er! — Barfuß, die Stiefel auf dem Rücken, war er durch's Hallesche Thor eingewandert. Aus dem Voigtlande! Ja, wenn seine Meisterin nicht ein Auge auf ihn geworfen! Und wie hatte er es ihr vergolten! — Aus dem Voigtlande mußte er her¬ kommen, um Andern das Verdienst wegzuschnappen, und dann will er noch Polizei spielen über Berliner Stadtkinder! Himmelschreiende Anmaßung! Der honette, propre, adrette, immer baar zah¬ lende Herr Hoflackirer wäre gewiß noch schlimmer geworden, hätte nicht die Polizei jetzt wirklich mit vielem Geräusch versucht, die Gruppirung auseinander zu treiben. Sie jagte sich mit den Gassenjungen. Die anständigen Leute ersuchte sie auseinander zu gehen, denn je weniger jetzt zu sehen war, um so mehr drängten sich, um noch zu sehen, was Andre vor ihnen gesehen hatten. Die ursprünglichen Tumul¬ tuanten waren längst entwischt, und die ehrbare Fa¬ milie des weiland Hufschmied, jetzigen Knopfhändlers, schon auf dem Wege nach dem Hofjäger, wo sie, nach einigen Nachrichten, die wir aber nicht verbürgen wollen, sich mit der des Hoflackirers verständigte, indem sie herausfanden, daß es nichts als ein Mi߬ verständniß gewesen, was sie an einander gebracht. Unter den ehrbaren Bürgern war sehr ernsthafter Disput über den Vorfall. Um so besseres Streiten, als kaum Einer von denen, die stritten, noch mit Augen gesehen, um was es sich stritt. In einem Punkt nur waren Alle einig: Warum war die Polizei nicht früher gekommen? „War denn die Polizei überhaupt nöthig?“ sagte der Begleiter einer ältlichen Dame, der etwas Fremd¬ artiges an sich hatte. Er war aus Amerika nach einem langen Aufenthalt daselbst in seine Vaterstadt zurückgekehrt. Man sah ihn verwundert an. „Haben Sie denn da keine Polizei?“ — „Wo man sie braucht. Was sich von selbst schlichtet, dazu ruft man sie nicht.“ Die ehrbaren Männer schüttelten den Kopf: Es war ja ein Scandal! „Doch nur für die, welche sich um solche Bagatellen stritten.“ Aber es ward ein Auf¬ lauf; es hätte noch schlimmer werden können. Einer mußte doch beispringen. „Hätten die Nachbarn und ehrbaren Bürger sich nicht selbst helfen können, wenn es ihnen zu arg ward.“ Man verstand ihn nicht. Das wäre noch hübscher, ehrbare Bürger um so was zu incommodiren! Die meisten Nachbarn meinten, es liege an der Unvollkommenheit der Gesetze, man solle andere machen; nur waren sie verschiedener An¬ sicht über das wie: den Straßenjungen sollte ver¬ boten werden auf der Straße zu schreien, verlangte der Herr Tabackskrämer drüben. Der Schullehrer meinte: den Frauenzimmern müßte untersagt sein, in einem Putz auf der Straße zu erscheinen, der über ihren Stand ginge, denn daher komme doch die ganze Geschichte. Ein Dritter: man solle nicht Jedem er¬ lauben, auf der Straße zu plumpen, denn das sei der eigentliche Quell. Man kam zu keiner Einigung. Als die Leute erfahren, der Mann sei ein Ameri¬ kaner, erregte er den Respect, welchen in Berlin Alles beansprucht, was weit her ist. Mehre der ehrbaren Leute, die zugleich auch wißbegierig waren, umringten ihn mit bescheidenen Fragen über amerikanische Ein¬ richtungen. Einer, der ihm aufmerksam und bei¬ stimmend zugehört, sagte: „In alledem, mein geehrter Herr, mögen Sie Recht haben, aber ich frage Sie, wenn Sie keine Schilderhäuser und Schildwachten in Amerika haben und keine Polizeicommissare und Sergeanten, wer reißt denn den Handwerksburschen die Pfeifen aus dem Mund?“ — „Niemand.“ — „Ja, mein Gott, wie kann denn aber da Ordnung in Amerika sein!“ Die guten Bürger schüttelten den Kopf. Die ältliche Dame, welche sich von dem Amerikaner führen ließ, und zu ihm in dem Verhältniß einer Bekannten oder Verwandten stehen mochte, die, einst seine müt¬ terliche Lehrerin, die langen Jahre vergißt, welche den Knaben zum Mann erhoben, sagte mit der Feier¬ lichkeit überlegenen Wissens und doch mit dem gut¬ müthigen Lächeln einer mütterlichen Freundin, die Verirrungen sanft aufnimmt, weil wir Alle irren: „Du wirst überall Ungläubige treffen, mein lieber Friedrich, wenn Du von den Vorzügen Deiner neuen Welt da drüben sprichst. Und Dir selbst wird, wenn Du Dich nur wieder zurecht findest, auch das Auge auf¬ gehen, daß in keinem Staate so väterlich für das Wohl der Bürger gesorgt ist, als in dem unseren. Nur in dem Einen hast Du Recht, da ist es besser bei Euch, daß sie die Kirchen heizen! — Ja, ich habe es immer gesagt, wenn die Obrigkeit dafür bei uns sorgte, was hätten die Leute dann noch zu klagen! — Nun, wer weiß, wenn ich die Augen schließe, kommt man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier haben immer an Anderes zu denken, was ihnen wichtiger scheint, darüber vergessen sie das Nächste.“ — „An diesem heißen Augusttage ist es doch wohl nicht das Nächste, liebe Tante,“ entgegnete der Amerikaner. — „Wenn wir aber nicht im Sommer für den Winter sorgen, dann ist es im Winter zu spät. Im Winter aber denken sie, nun, es ist ja noch Zeit, es kommt ja der Sommer. So wechseln Winter und Sommer und es geschieht nichts.“ Es war eine bekannte alte Dame der Residenz, gleich geschätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Fröm¬ migkeit, als wegen ihres klaren Geistes. Nur war sie ebenso bekannt wegen dieses Steckenpferdes, das ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Ar¬ muth fühle sich erst recht, wenn sie in ihren Lumpen in den kalten Gotteshäusern stehe, wogegen die Verlassenen und Gedrückten mit einem ganz anderen Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenschen aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des Lebens geharnischt sei, wo ein Hungernder auf den ersten Angriff fällt. So wußte sie zu beweisen, daß aus dem Heizen der Kirchen nicht allein christlich IV . 14 frommer Sinn, allgemeine Menschenliebe, sondern auch Zufriedenheit, Selbstbescheidung und Gehorsam gegen die Obrigkeit, kurz ein glückliches, vollkom¬ menes Gemeinwesen entspringen müsse. Man nannte sie ein Original; Einige aber meinten: ist nicht jedes denkende Wesen mehr oder minder ein Original, das von einer gehegten Vorstellung nicht lassen kann, sie nährt, und von ihrer Realisirung das Wohl der großen und kleinen Kreise abhängig wähnt, in denen sein Gedanke sich bewegt? Glaubt nicht jeder ein Radicalmittel zu wissen, schüttelt er nicht be¬ denklich den Kopf, wenn die Regierer und Lenker andere Mittel ergreifen, seines ignorirend, und ist nicht der ganze Complex dieser Sinnenden, Den¬ kenden und Thätigen doch eigentlich das Corpus der geistigen Menschheit, welches, aus wie vielen Irrthümern es auch bestehe, die Trägen und Stumpf¬ sinnigen mit sich fortreißt in dem großen Ent¬ wickelungsprozeß der Menschheit? Die Straße war wieder still geworden und Walter saß am Schreibtisch. Er schlug die Augen nieder. Es war eine ermattende Luft. Er schüttelte die Träume ab, aber die Wirklichkeit kehrte als Traumbild zurück. Eine Seite stand fertig geschrieben, als er die Feder wieder fortlegte und sich zurück¬ lehnte: „Lohnt es sich denn um dieses Volk! Will es anders sein, als es ist! Weiß es, was es wollen muß, um aus der Dumpfheit der Existenz —“ Er trat noch einmal an's Fenster. Vierzehntes Kapitel. Blicke aus eines Ministers Fenster ins innere Leben. Es war nicht grade kühler geworden, aber die Sonne prallte nicht mehr vom Pflaster und den hellen Häusermauern zurück. Sie war hinter das Dach eines hohen Gebäudes gesunken. Ein vor¬ nehmeres Publicum bewegte sich langsam zum Thore hinaus. Da ging sein Vater, im Arm den Rittmeister von Dohleneck. Seltsame Freundschaft vom neusten Datum! Er lächelte über das Gerücht, das der Witz der Berliner Börse erfunden: sein Vater wolle ihn enterben, weil er keine Schulden gemacht, um den Rittmeister zu adoptiren, der viel Schulden hatte; denn die Firma Walter van Asten verdanke ihren Credit denen, die keinen hätten. Ihre Schuldigkeit sei es daher, das Schuldenmachen zu begünstigen. Er wußte nun, was seinen Vater und den Officier auf's Neue verband. Es war kein an¬ genehmer Gedanke. Er wollte nicht durch einen Vater, noch weniger durch einen Gensdarmen-Ritt¬ meister, es war sein Stolz gewesen, nur durch sich 14* empfohlen zu sein. „War das nicht auch vielleicht Phantasie, fuhr er aus seinen Träumen auf, eine fixe Idee, wie die der guten alten Oberkirchenräthin! Bewegen wir uns nicht alle in einem großen Ge¬ spinnst, über das wir nie hinausfliegen, wie wir uns auch anstrengen! Wir sehen nur nicht das Gängelband, an dem man uns führt. Ja, Alle sind wir eingeführt in die Kreise, wo wir wirken sollen; der durch seinen Namen, Herkunft, der durch die glatten Wangen, das Geld des Vaters, es war ihm mitgegeben, als er geboren ward. Der ruft den Schneider, den Coiffeur, den Tanzmeister zu Hülfe. Sie lesen, bilden sich, um zu wirken. Was wäre unser ernstestes Studium, wenn uns nicht doch, als endliches Ziel, ein Wirkungskreis vor Augen stände, der uns gefällig machen soll, uns unter den Menschen erhebt, einen Einfluß verschafft! Warum nun, wo wir immerfort Hülfe suchen müssen, um die Lücken unseres dürftigen Ichs auszufüllen, die von uns stoßen, die man uns darreicht, die von selbst da ist! Das Netz, das uns umschlingt, heißt Con¬ nerionswesen. Ist's nicht in unsre Natur eingeimpft, bedingt durch unsre Gesellschaft, unser Gemeinwesen, lag es nicht ausgeprägt in unserm zünftigen, deutschen Sippschaftswesen? Der Sohn schlüpfte in die Kund¬ schaft, Rüstung, die Lehen seines Vaters, die Gesetze drückten ein Auge zu, die Freundschaft half und die Gewohnheit machte die Vererbung zu einem Recht. So überall. Wir sehen freilich Lumpe auf diesem Wege steigen, wo das Verdienst zur Thür hinausgewiesen wird. Warum läßt es sich ausweisen? Warum greift es nicht zu den Mitteln, welche die Vorsehung ihm bot! Ist das nicht vielmehr Hochmuth, vielleicht der impertinenteste Dünkel, sich nur selbst genügen zu wollen? Sollen wir nicht klug sein wie die Schlangen! Und was Klugheit! Grassirt nicht unter diesen Menschen die Manie zu protegiren! Sie locken uns; wir brauchen nur zuzugreifen. Es ist der Kitzel des Stolzes und der Armseligkeit derer, die aus sich nichts machen können, Andre zu erheben, die sich ihnen fügen, ihren Launen schmeicheln, in ihre Gedanken hineinlügen. So entstanden Schulen, künstlerische, philosophische, religiöse, so erwuchs das Königthum zu der mythischen Größe. Man erhob sich, weil man Kleinere unter sich groß werden ließ. Man unterließ den Pyramidenbau, weil man inne ward, daß man doch nicht über die Wolken dringe; aber je mehr Abstufungen man zu seinen Füßen betrachtete, um so erhabener dünkte man sich selbst. Es ist ihr Spielzeug, warum erfassen wir es nicht, und lassen sie spielen zu unserm Zwecke!“ Die Baronin Eitelbach fuhr vorüber. Der Ritt¬ meister grüßte sie in feierlich militärischer Haltung. Sie erwiederte den Gruß in derselben Art. Er sah seinen Vater lächeln. Es war ja ein Allerwelts¬ geheimniß. Was hatte die halben noch im Nebel¬ schleier verborgenen Dirigenten zu dem frevelhaften Spiel veranlaßt? Man nannte hochgestellte Personen. Was hatten sie für ein Interesse, daß zwei sich ver¬ liebten, die bis da eine Abneigung gegen einander empfanden, eine verheirathete Frau von unbescholte¬ nem Ruf und bekannt wegen ihres Phlegmas, und ein Officier, dessen Passionen im Strom des Alltäg¬ lichen nie dem Siedegrad nahe gekommen waren? Was anderes, als die Sättigung, welche die Buhle¬ rin endlich zur Kupplerin macht! Der Kitzel, mit den Gefühlen Anderer zu spielen, wo die eigenen ver¬ siegt und ausgebrannt waren, die dämonische Luft, über das Loos Anderer zu schalten und walten, gleich¬ viel, ob mit ihrer Freiheit ihre Stellung in der Welt, ihre Ehre, ihr Seelenfriede und ihr Le¬ bensglück verloren ging. So mehr Vergnügen, je schwieriger die Aufgabe war. In der Anstrengung die Hindernisse überwinden, stählt die Kraft. Und diesen mächtigen Antrieb zum Bösen, sollte man ihn wegwerfen, wo man ihn zum Guten angreifen und nutzen kann. Der Wagen war vorübergerollt. Sein Blick fiel auf eine Fensterreihe, schräg dem Hotel gegen¬ über. Ein Theil dieser Fenster war mit grünen Ja¬ lousieen verschlossen; sie schienen nicht erst heute gegen den Sonnenbrand herabgelassen, der dicke Staub darauf sprach von einem langen Verschluß. Das ganze Haus sah still und öde aus wie eines, worin Krankenluft wehte. Ein Leiterwagen mit Strohbun¬ den kam langsam herangefahren. Er hielt seitwärts. Man streute das Stroh sorgsam auf das Pflaster vor dem Hause. Jetzt rollte vor einem der Mittel¬ fenster die Jalousie langsam auf, eine weibliche Ge¬ stalt sah auf die Arbeiter hinaus. Die Geheimräthin Lupinus gab den Leuten Anweisungen, die er nicht hörte. Sie hatte wieder ein Tuch vor dem Munde und wehte sich frische Luft zu. — Man nannte die Lupinus eine unglückliche, schwer vom Schicksal heim¬ gesuchte Frau. Man rühmte sie wegen der stoischen Ruhe, mit welcher sie die harten Unfälle, die Schlag auf Schlag sie trafen, ertrug. Sie widmete sich Tag und Nacht der Pflege des kranken Gatten, und mußte von ihren Bekannten an die Pflicht erinnert werden, zuweilen auch an sich selbst zu denken. Die Zufälle des Geheimraths sollten besonderer Art sein, und er seine Pflegerin durch wunderbare Phantasieen plagen. Von alledem merkte man nichts, wenn sie in der Gesell¬ schaft erschien. Sie sprach von dem, was ihr bevor¬ stehe, mit Ruhe und Fassung. Sie mache sich keine Illusionen, wenn auch die Aerzte ihr Trost zusprä¬ chen; mit einem Seufzer fügte sie hinzu, sie habe in ihrem Leben die Trugschlüsse dieser Wissenschaft hin¬ länglich kennen gelernt. Sie citirte gern Stellen aus Mendelssohns Plato. Was sei denn das Leben anders, als ein Gefängniß oder ein Wachtposten, aus dem die Seele sich hinaussehnt, nach Befreiung oder Ablösung. Sie blickte auch wohl nach den Sternen, und schien über sich selbst zu lächeln, wenn sie in zwei kleinen, die sie bezeichnete, die lieblichen Kinder zu sehen glaubte, die unter ihrer mütterlichen Pflege in das Jenseits entschweben müssen. Halten Sie mich um deswillen nicht für eine Schwärmerin, setzte sie mit einem sanften Händedruck hinzu, dazu bin ich verdorben. Meine Freunde sagen so oft, daß ich es am Ende glauben muß, ich sei eine Phi¬ losophin. Die Leidenschaften, die uns verwirren und aufregen, wer kann von sich rühmen, daß er sie ganz bewältigt, um zu der Ruhe der Seele zu gelangen, welche uns zu wahrhaft Freien macht! Bin ich nicht eine schlechte Philosophin, wenn ich nicht einmal so weit über mich Herr ward, wie mein guter Mann? Er sieht seiner Auflösung mit der Ruhe des Gerechten entge¬ gen, froh wie ein Kind jeden Augenblick genießend, der ihm noch geschenkt ist; der Sonnenstrahl, der in sein Zimmer fällt, preßt ihm ein Lächeln aus, er weht mit der Hand durch die Sonnenstäubchen; er streichelt dem Kater über den Rücken: was wird aus Dir nach meinem Tode werden? Er kann noch scherzen: ob man nicht Versorgungsanstalten für treue Hausthiere einrichten solle? Mein Herz blu¬ tet bei diesen Scherzen, und das sollte eine Philoso¬ phin nicht. Sie sollte auch nicht mehr hoffen, wo der Verstand ihr sagt, daß hinter der Hoffnung ein Strich gemacht werden muß. Ich kann es noch nicht, sprach sie, sich plötzlich abwendend, das Tuch am Ge¬ sicht, da sehen Sie, was ich für eine Philosophin bin! Die Geheimräthin Lupinus ward allgemein be¬ wundert, aber man fröstelte bei dieser Bewunderung und man vermied sie. Walter hatte scharfe Augen. Das Gesicht kam ihm heut besonders spitz vor. Sie schielte ja. Fiel nicht ihr Blick seitwärts über die ganze Straße? Wie kam ihm die Vorstellung von einem Brennglas, das in der Ferne zünden soll? Er hatte niemals Zuneigung für sie empfunden. Er hatte sich ehemals selbst darum getadelt, denn er glaubte, es sei nur die Abneigung, welche kluge Männer so oft gegen kluge Frauen empfinden, aus Hochmuth oder aus Eifersucht. Er hatte diese Gefühle damals bekämpft, er hatte sich zur Freundlichkeit gezwungen gegen eine Frau, die sie ihm selbst gezeigt und später seinen Dank beanspruchte. Sie hatte seine Geliebte gerettet. Das war längst Vergangenes. Er erröthete so¬ gar bei der Erinnerung, wie er ihren Launen ent¬ gegengekommen war. Junge Männer, wenn sie eines unpassenden Benehmens sich erinnern, gäben im Au¬ genblick dieses Unbehagens einen Theil ihres Lebens darum, die Erinnerung auszulöschen. Was ging ihn jetzt die Lupinus an? Und doch stand ihr vol¬ les Bild vor seiner Seele; das, welches im Spiegel sich wiedergiebt, und das, was kein Glas und kein Metall aufnimmt. — Wie oft hatte er im Gespräch über ernste wissenschaftliche Gegenstände die Schärfe ihres Verstandes, ihre Phantasie im Combiniren be¬ wundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier gleich darauf die Anschauung überzog, eine ätzende Substanz, welche die eben noch blühenden Farben verzehrte; aus dem Gemälde ward ein blasser Kupfer¬ stich. Er war nie erhoben durch ihr Gespräch, er ging nie froh von ihr. Was wollte diese Frau? Jetzt eine Philosophin, die das Firmament durch¬ dringen will nach dem Ewigen; jetzt schien ihre Brust sich zu heben von Hochgefühlen für Vaterland, Frei¬ heit, für die Heroen der Menschheit. Fand sie eine Schranke, eine eiserne Wand, vor der sie zurücksank nach verzehrendem Kampf? — Nein, ihre Flügel schienen schon erlahmt, wenn die Zuschauer fort¬ sahen. Und dann wie das Vogelgeschlecht, das auch Flügel hat, aber nie in die Wolken sich erhebt, flat¬ terte sie im Frivolen, Eitlen, gehoben von keinem andern Drang als dem der Gefallsucht. Tausende, die nach dem Interessantsein haschen, zufrieden, wenn irgend etwas als vorzüglich anerkannt wird, sei es auch nur eine Lieblingsarie am Klavier, ein kleiner Fuß, ihr feines Whistspiel. Wo blieb sie denn stehen, woran hielt sie sich? fragte er sich. Wäre sie sich selbst genug? Auch die Vorstellung, von Allen verkannt zu sein, es ist eine bittere Wollust, aber sie mag zur Säule werden, auf die zuletzt allenfalls eine Säulenheilige klettert und in schwindelndem Stolz auf das Gewühl herabsieht. Aber — nein, dazu pulste ihr Blut zu ruhig. Der holde Wahnsinn spielte nicht um ihre Schläfe, sie, jeden Augenblick die sich bewußte Beherrscherin ihrer Worte, ihrer Mienen. Wußte sie ja sogar, daß sie den Männern nicht gefiel, daß Frauen vor ihren Lieb¬ kosungen erschraken. Gefühlvolle erkältete ihr Ge¬ spräch, Geistreiche fühlten sich gelähmt. Nur ganz Beschränkte waren durch ihr Wohlwollen geschmeichelt, nur solche geriethen in Entzückungen über ihren Geist, die von ihr sich heben und tragen lassen wollten, und auch diese nur so lange, bis sie ihrer nicht mehr be¬ durften. Und auch das wußte die Unglückselige! Wohin er blickte, was sie gelten wollte, sie erreichte es nicht. Schwärmte sie für Napoleon, studirte sie Plato, begeisterte sie Fichte, erglühte sie für die Schönheitsformen des Alterthums, war sie plötzlich von patriotischen Gefühlen für die Ehre des Vater¬ landes erweckt, war sie die liebevolle Pflegerin des kränklichen Gatten? Nichts von alledem! Walter hatte mathematische Beweise dafür. Sie schloß jetzt wieder die Jalousieen. Die spitzen Finger der magern Hand waren noch sichtbar, wie sie sich mühten eine Schlinge an einen Wandnagel zu befestigen. Es gelang nicht so schnell. Das Spiel der einsamen Hand hatte etwas Unheimliches für Walter. Was wird sie nun drinnen in der dunkeln Stube anfangen? Handarbeiten? Sie nahm sie nur vor, wenn Fremde da waren, gewisse angefangene Stücke, die er gut kannte, Stickereien, Nähtereien, die aber nie fertig wurden. Würde sie sich an's Bett des Kranken setzen, den Schweiß von seiner Stirne wischen, seine magere Hand liebevoll streicheln? Er glaubte durch die Mauer zu sehen, daß sie es nicht that. Er hätte eine Wette darauf gewagt, daß sie mit Schaudern vom Kranken sich abwandte. Vielleicht ergriff sie eine Lectüre? — Was sollte sie lesen? Und am Krankenbett! Da lagen gewisse Bücher, Mendelssohns Plato, Tiedge's Urania, Fichte, Schleier¬ macher, aufgeschlagen oder mit Zeichen unter ihrem Arbeitstisch. Je nach dem Besuch, der sich meldete, ward eines auf den Tisch gelegt. Die Geheimräthin galt für eine sehr belesene Frau, sie sprach mit Geist über die Novitäten, die — sie nicht gelesen hatte. Walter hatte sie für sie lesen, ihr den Inhalt vor¬ tragen müssen. O er wußte Bescheid im Hause; und wie viel hatte ihm Adelheid mitgetheilt! — Ein Schmerz, ein Gedanke, ein Blitz zückte durch seine Brust. Was hat sie mit Adelheid gewollt? — Nicht drei Tage waren vergangen, und sie hatte sie gequält, alle ätzende Schärfe des Verstandes auf das Kind der Natur ausgegossen. Was war denn ihre Absicht? Sein Herz pochte immer heftiger. Ein Möbel, den Schmuck des Hauses, den man ankauft, um Gäste anzulocken, verdirbt man nicht, man bemüht sich nicht, ihm die natürliche Farbe, seinen Glanz zu rauben. Aber hatte nicht diese Frau — Adelheid hatte es nie ausge¬ sprochen, in ihrem Stocken, ihrem Zittern hatte er es gelesen. Mein Gott, was hatte sie gewollt! — Dunkle Bilder wogten vor seiner Stirn — der Legationsrath, sein räthselhaftes Verhältniß zur Lupinus! Hatte sie einen Kuppelhandel treiben wollen? — Nein, ver¬ giften — sie vergiften. Aber warum, womit? Weil Unglückliche den Anblick von Glücklichen nicht ertragen können? Weil der Adel einer reinen gottgeschaffenen Seele zum beständigen Vorwurf für die wird, welche diesen Adel eingebüßt. Es war plötzlich eine Ueber¬ zeugung, die ihn durchdrang. Aber war es nur Instinct gewesen, oder hatte sie systematisch gearbeitet? Mein Gott, ist es denn möglich, daß eine Frau systematisch an ein solches Geschäft geht! Es war wohl nur ein Gebilde des Argwohns, und doch — alle ihre Handlungen — und boten Erfahrung und Geschichte ihm nicht hundert Beispiele einer solchen Verführungslust bloß aus dem Gelüst zu verführen! Wie man dem Tobsüchtigen Wasserstürze giebt, hatte sie auf alle ihre warmen Gefühle einen Eisguß ge¬ schüttet. Das junge warme Herz, ja es sollte syste¬ matisch erkalten, vor der Zeit absterben, — nicht an eignen bitteren Erfahrungen, an denen einer egoisti¬ schen Seele, die nicht mehr Liebe, Glauben, Hoffnung kannte. Ein blühendes Geschöpf, von der Natur mit allen Frühlingsregungen begabt, wollte sie zum aus¬ gebrannten Vulcan machen. War sie das selbst? — Nein, etwas lebte doch in der Frau, ein geheimes Feuer — Haß, Neid, eine stille Wollust des Egois¬ mus. Eine kaltherzige Egoistin ist zu Allem fähig — So wollte sie Adelheid präpariren, zu einer Mitsün¬ derin, einer Verlorenen, Trostlosen. Und er selbst! — Stand er ohne Schuld da! Hatte ihn nicht längst eine Ahnung überschlichen, daß die Lupinus dies beabsichtigte? Und hatte er die Ahnung nicht aus dem Sinn geschlagen, und aus Eigennutz? War es nicht sein Wunsch gewesen, daß seine Braut dort aushalte, weil er in diesem Hause freien Zutritt hatte, weil in letzter Zeit wenigstens die Geheimräthin seinen Wünschen entgegen zu kom¬ men schien, weil er unter andern Verhältnissen, in einem andern Hause für seine Hoffnungen fürchten mußte? Darum hatte er, zwar nicht gegen seine Pflicht gehandelt, aber doch — die Gedankensünde begangen. Selbst ein Egoist, wagte er Andere anzuklagen! Da rollte die Equipage der Fürstin vorüber, im Fond diese mit Adelheid, auf dem Rücksitz saß Louis Bovillard. Die Fürstin schien zu schlummern. Adelheid und Louis sahen nichts, sie sahen nur sich. Der Wagen war verschwunden, eine Erscheinung. Ein „Gott sei Dank!“ löste sich aus Walters Brust, vielleicht von seinen Lippen. Er fühlte eine wohlthätige Transpiration. Das Schicksal hat es so, es hat es vielleicht zum Besten gefügt. Ja, im Conto¬ buch stand noch seine Schuld auf der Seite „Soll,“ aber sie war ausgeglichen auf der Seite „Hat.“ Er hatte nichts mehr. Seine Geliebte war die Geliebte eines Andern. Sie war gerettet, und er — verloren? Nein, er war nur frei geworden, um sein ganzes Ich, ohne Egoismus, hinzugeben einer andern Geliebten, dem Vaterlande, der Idee, als deren letztes Ziel in der Ferne — Deutschlands Errettung vom Fremdjoche schwebte. Mit Eifer setzte er sich an den Schreibtisch, und seine Arbeit förderte sich. Er war fertig, als der Minister eintrat. Funfzehntes Kapitel. Alles für einen Andern. Die verfinsterte Stirn des Ministers, mit welcher er eingetreten, erheiterte sich nicht, als er das Papier durchlas. Er flog es nur noch über, als er es auf den Tisch fallen ließ. „Das ist nichts, — gar nichts.“ „Euer Excellenz Ideen —“ „Die Ausführung taugt nichts. Dilettanten¬ arbeit für Herrn Merkel in den Freimüthigen. Oder an die Zeitung da in Leipzig. Wir arbeiten hier nicht für die elegante Welt.“ Walter hielt den Hut schon unter dem Arm, und verbeugte sich, den Entlassungswink anticipirend. „Empfindlich! Das taugt nicht für die Staats¬ carriere.“ „Da meine Schrift nichts taugt, kommt wohl darauf nichts mehr an.“ „Man darf nicht der Empfindlichkeit nachhängen, wenn man sich berufen fühlt, für das Gemeinwesen thätig zu sein.“ „Mir ward eben der Beruf abgesprochen.“ Der Minister hatte, ohne ihm zu antworten, das Papier wieder in die Hand genommen, und klopfte, indem er sprach, mit der umgekehrten Hand darauf. „Dürfte“ — „sollte“ — „wagte!“ Wie soll das wirken! Das gleitet an den blasirten Ohren vorüber, wie eine obligate Flöte, die den Waldsturm accom¬ pagniren will. Das Gleichniß vorn, machen Sie ein Gedicht daraus. Diesen hier muß man derb, Schlag auf Schlag, die Nothwendigkeit vor's Auge führen. Da ist ein guter Passus, aber die Worte auch wieder viel zu gehobelt. Und wie sollen sie die Anspielung verstehen? Mit der Trompete ihnen in's Ohr blasen, es ist noch immer sanftere Musik als die Kanonen.“ Walter äußerte etwas davon, daß die Stellung eines Anfängers, der kaum in das Geschäftsleben ge¬ blickt, ihm nicht erlaube, sich sofort in die Stellung des Ministers gegen seine Collegen, oder gegen die Majestät des Königs selbst zu finden. „Das glaube ich gern, sagte der Minister, der, sichtlich erschöpft und mit andern Gedanken beschäftigt, sich auf das Ruhebett geworfen. Man muß Vieles erst lernen.“ Walter wartete noch immer auf das Zeichen der Entlassung. Der Minister blätterte in einem Notizbuch. Hatte er ihn vergessen? Plötzlich sprach er: „Setzen Sie sich und schreiben!“ Walter folgte mechanisch. „Nein, hier neben mir; ich will Ihnen in's Gesicht sehen.“ Der Minister sah ihm, kaum zwei Schritt entfernt, in's Gesicht. War das wieder eine seiner eigenthümlichen réparations d'honneur , oder sollte es eine neue Prüfung sein? Der Minister dachte an beides nicht. Er übersann ein Thema, mit dem er nicht fertig werden mochte, er steckte das Gedenkbuch wieder in die Tasche: „Es ist gut, ein ander Mal.“ Was sollte das heißen? — Er bestimmte ihm einen andern Tag. Nein, morgen; überhaupt erwarte er ihn jeden Tag um die und die Stunde. Weshalb? Wozu? „Die Form Ihrer Anstellung wird sich später finden. Die Branche, für die Sie sich eignen, muß sich erst ermitteln.“ Walter sah ihn in stummer Verwunderung an: „Eben war ich auf's Schmerzlichste in meiner Ehre gekränkt—“ „Das ist ausgeglichen, fiel der Andere ein. Sie wollen Ihre Freiheit aufgeben, sich dem Staats¬ dienst widmen. Ich nehme Ihr Anerbieten an. Wie gesagt, bis sich etwas Bestimmteres findet, betrachte ich Sie als meinen Privat-Secretair. Ich kann in vielen Dingen Ihre Feder gebrauchen.“ „Ich bin noch nicht gereinigt. Nach einer so schweren Anklage muß der Angeschuldigte auf einen klaren Richterspruch bestehen.“ „Sind Sie so punktiliös? Ich sprach mit Fuchsius. Die Sache klärt sich einfach auf. Während IV . 15 er in der Bearbeitung meines Entwurfs war, kam ihm Ihre Schrift zu Händen.“ „Er räumte ein — ?“ „Daß er sie benutzt hat.“ „Wer gab ihm ein Recht dazu?“ „Er hielt die Schrift für eine preisgegebene, verschollene — machen Sie das mit ihm aus.“ „So entblödete er sich nicht, eine fremde Arbeit für die seine auszugeben.“ „Er entnahm Ihnen nur die Entwickelung der Gründe, die Ausführung —“ „Drei Viertel seiner Schrift —“ „Unter andern Verhältnissen würde auch ich es nicht gut heißen. Hier galt es, eine schwierige Arbeit bald und zum Zwecke tauglich herzustellen. Die suprema lex , das salus reipublicae . Warum doppelt schreiben, was einmal zum Zweck genug ist!“ Der Minister wollte den Regierungsrath gerecht¬ fertigt sehen; es wäre von Walter thöricht gewesen, jetzt mit Hartnäckigkeit auf seiner Meinung bestehen. Er gab sie nicht auf, aber er schwieg, weil er auf des Staatsmannes Stirn andre Gedanken gelagert sah. „Ich brauche Jemand, auf den ich mich ver¬ lassen kann, der, offenen Kopfes, fähig ist, im Umgang, in der Gesellschaft sich geltend zu machen. Verstehen Sie, Jemanden, der nicht mit der Thür in's Haus fällt, was man mir wohl zum Vorwurf macht, der das Metall der Gesinnung in eine ge¬ fällige Form zu schmelzen weiß. Nicht ein Haarbreit darf er aufgeben, aber den Widerstößen soll er eine gewisse Elasticität entgegensetzen. Ich muß ihn brauchen können, nicht zu förmlichen Missionen, für die Form ist Vorrath die Fülle, aber zu gelegentlichen. Keinen Spion, aber er soll die Sinne wach haben. Keinen — der Minister hielt inne, und als er Walters sich röthende Stirn bemerkte, kam er schnell dem Mißverständniß entgegen. Er muß von Geburt sein, einen Namen haben, der ihm überall Eingang verschafft, auch am Hofe. Das ist das Traurige, daß die Minister nie mit voller Kraft nach außen und nach innen wirken können, daß sie der Vermittler, Unterhändler bedürfen, nennen Sie's immerhin Kundschafter, die sie mit dem Hofe, den höchsten Personen in Rapport setzen und zugleich den Kabinetsräthen aufpassen. Jammervoll, unnatürlich ist es, ein Kraftzersplittern, was die besten In¬ tentionen erlahmt, aber es ist nun mal so, und gegen ein Gift braucht man ein Gegengift.“ „Unter den Männern von Geburt werden Excellenz eine reiche Auswahl haben.“ Der Staatsmann verstand den kleinen Parir¬ hieb, aber mit einem vornehm leichten Aufzücken ging er über etwas hinweg, was zu beachten er nicht für werth hielt. „Die besten sind geschulte Puppen, wenn redlich, steif wie ein Wegweiser. Sie machen Front dahin, wo sie vor zwanzig, dreißig Jahren den Feind sahen; daß die Dinge sich verändert, daß er jetzt von den 15* Flanken, vom Rücken droht, ist ihnen nicht begreiflich zu machen. Friedrichs Schule hat sich schlecht be¬ währt. Ueber das Militair rede ich nicht, nur vom Civil. Da stehn die Posten, wo man sie hingestellt, sich brüstend, daß sie die Stelle nie um einen halben Fuß breit verlassen, aber unaufmerksam, wenn die Contrebande drei Schritte von ihnen bei hellem Tage über die Grenze dringt. Was geht es sie an, sie thun ihre Pflicht! Wenn die dumpfe Tugendtreue, eigentlich nur Bequemlichkeit, sie auszuhalten drängt, so wäre ihre höhere Tugend und Treue, ihre Be¬ fehlshaber aufmerksam zu machen, daß man ihre Kräfte besser verwende. Vor dieser Anmaßung, Ueberschreitung ihres Dienstes, erschrecken diese Men¬ schen wie vor einer Sünde gegen den heiligen Geist. Mag das Vaterland untergehen, wenn sie nur an ihrem Schilderhaus präsentirten. So nicht Einer, nein, Alle, keine Freiheit des Urtheils, keine selbsteigene Bewe¬ gungskraft. Je besser diese Normalpreußen geschniegelt, gebürstet und geschnürt sind, so kleiner der Kern des Menschen darin. Ja, in Manchem, wenn man ihn auf¬ hülft, ist's hohl, das Mark in die Rinde geschossen.“ „Die Klage der Patrioten ist doch, daß von dieser Schule sich nur zu Viele frei gemacht,“ ent¬ gegnete Walter. „Wo aus dem Leibe die Seele längst entwichen ist, was wundern wir uns über die Ueberläufer zum andern Extrem? Diese Ungebundenheit, Frechheit, Lascivität in der Meinung und den Sitten, preise man sie immerhin als Geistesfreiheit, Aufklärung und Liberalität, es sind nur die Symptome einer Auflösung —“ „Vor der Gott uns bewahre!“ fiel Walter ein. „Und nicht bewahren wird, wenn wir nicht selbst etwas dazu thun, wenn wir nicht —“ Der Minister war aufgesprungen, er unterbrach sich selbst gewalt¬ sam. Daß er so weit in der ersten Stunde des Ver¬ trauens gegen seinen neuen Bekannten gegangen, schien diesem ein besseres Zeichen der Ehrenrettung. „Kennen Sie den Legationsrath Wandel?“ fragte der Minister plötzlich. „Er ist ein Ausländer.“ „Ausländer! — Mit einem Lächeln fuhr der Minister fort: Scheint doch dieser Staat destinirt, von Ausländern seine Impulse und seine ausgezeich¬ neten Männer zu empfangen. Schwerin war ein Schwedisch Pommer, Keith ein Britte, Derfflinger ein Oesterreicher; auch ist der wackere Blücher ein Mecklenburger, Hardenberg ein Hannoveraner. Mo¬ ses Mendelssohn stammt auch nicht aus den Mar¬ ken, und die Väter eines guten Theils unsrer Diplomatie, unsrer Staatsmänner und Officiere wußten vor den Dragonaden in ihrer Normandie und Provence kaum von der Existenz eines Lan¬ des, das Brandenburg heißt. Vergessen Sie auch nicht, junger Mann, daß die Hohenzollern aus Franken oder gar aus Schwaben sind. Einge¬ wanderte, wenn Sie wollen, ich hielt sie für mehr, für Eroberer, — wie der Nilstrom Aegypten er¬ obert hat.“ „Man sagt, Herr von Wandel sei im Thürin¬ gischen angesessen. Noch Andre geben ihm die Nie¬ derlande oder eine dänische Colonie zum Vater¬ lande.“ „Meinethalben Island oder Teneriffa, wenn — Man muß sich gewöhnen, Preußen anders zu betrachten, als nach dem Naturprozeß. Nation und Staat waren hier nicht eins, sie wurden es. Es kostet auch mich zuweilen Mühe, von den mitgebrach¬ ten Vorstellungen zu lassen. Aber es geht nur so, nicht anders, oder Alles zerfällt. Es war allein der Geist dieser großen Fürsten, der das Verschiedene, Fremdartige aneinander kittete, einen Hauch hinein¬ goß. Diesen Geist muß man lebendig erhalten, im¬ mer wieder wärmen die junge Tradition, damit sie nicht alt wird. Finden wir innerhalb unserer Grenzen nicht den Licht- und Wärmestoff, so greifet nach draußen. Was anderwärts Verbrechen, hier ist es erlaubt, Gebot der Nothwendigkeit, der Selbster¬ haltung.“ „Ich habe nicht die Ehre, Herrn von Wandel näher zu kennen.“ „Das Mysteriöse, womit er sich umgiebt, schreckt die Menschen zurück. Ich mag die nicht tadeln, welche sich hier vor den Blasirten verschließen. Eine eiserne Maske vor's Gesicht, um die warmen Puls¬ schläge des Herzens nicht zu verrathen!“ „Man gesteht ihm ebenso die Gabe zu fesseln zu, als abzustoßen.“ „Charaktere und ernste Sitte bedarf die Nation; der Staat darf es nicht so genau nehmen. Eine Libertinage, die nicht die publiken Sitten verletzt, darf ich übersehn. Er weiß das Siegel des Anstan¬ des darauf zu drücken. Er beobachtet scharf, hat merveillöse Kenntnisse, Takt, mit seiner Suada ent¬ lockt er Geständnisse, ohne selbst etwas zu verrathen, er ist bei den Frauen beliebt, eine fast unerläßliche Eigenschaft eines Diplomaten, den man brauchen will,“ setzte der Minister lächelnd hinzu. „Seine Liaisons mit der Fürstin Gargazin sind Stadtgespräch.“ „Die sind in diesem Augenblick nicht hinderlich. Und zudem kann Haugwitz ihn nicht leiden, er fürch¬ tet ihn. Das spricht zu seinen Gunsten.“ „So haben Excellenz bereits entschieden —“ „Wenn er Feuer in der Brust sich bewahrt hat. Er muß noch glauben können, wenn er nicht mehr lieben kann, hassen doch aus Herzensgrunde, das Schlechte, Erbärmliche, die Verrätherei, das Schön¬ thun mit dem Fremden; er muß noch hassen können, denn wer nur im Sumpfe fortschwimmt mit der Resigna¬ tion, endlich doch zu ertrinken, paßt nicht für mich.“ „Er gilt als in intimem Connex mit den Män¬ nern der Lombardschen Clique.“ „Wissen Sie, ob er diese Creaturen nicht nur belauschen, durch Gefälligkeiten ihre innerste Natur, wenn sie eine haben, ihre geheimsten Gedanken her¬ auslocken will? Wissen Sie, ob hinter dieser anschei¬ nenden Indifferenz, diesem blasirten Weltbürgerthum nicht ein Haß glimmt, wie ich ihn wünsche? Ja, dahin sind wir gekommen: bis der Deutsche nicht hassen lernt, aus vollem Herzen hassen, bis er seine philanthropischen Schwärmereien, jenen Allerwelts¬ gerechtigkeitssinn, ohne sich selbst je gerecht zu wer¬ den, nicht durch Kasteiungen und Blut sühnt, bis er nicht wieder zum Egoisten wird, ist Deutschland ver¬ loren.“ „Ich glaube, Excellenz, in diesen Studien be¬ findet sich unser Volk.“ „Studien! Da liegt das Elend. Studien vor einer Krisis! Der Haß, der seine Verwünschungen in's Firmament speit, thut es nicht, der Weltsturm treibt die Dünste fort, ehe es zum Gewitter kommt. Handeln! Und bis dahin ließen wir's kommen, daß wir nicht mehr offen handeln dürfen; die Tugend, die Thatkraft muß sich verbergen, hinter einer Larve agiren. Schlimm, daß es ist, aber es ist. Wir brauchen die Tugenden der Brutus, behüte uns Gott vor ihren Dolchen, aber jener zähen Festigkeit, die ihre Gefühle nicht bei jedem Gegenstand aufflackern läßt, sondern sie verschließt, im Stillen nährt, bis der Augenblick der That kam. Weshalb preisen wir jenen Mann, mit dem unsere Geschichte anfing? Spielte der römische Rittmeister in Rom den deut¬ schen Patrioten, radotirte Arminius in den Kaffee¬ häusern über Deutschlands Unglück, sang er Lieder zur Guitarre, zum Ruhm seines unvergänglichen Vaterlandes, damit die Römerinnen dem blondhaari¬ gen Schwärmer Bravo klatschten? Er schwieg und hatte die Augen auf, er schwieg und diente, um zu lernen, er schwieg und sammelte Haß und Haß, bis es ein Stock ward, den Feind zu zermalmen. — Wir sind herabgedrückt, entwürdigt, bis zu dieser Lage, fuhr der Minister nach einer Pause fort; aber noch schlimmer als die wirkliche Thatsache, wenn wir sie uns zu verbergen suchen. Offen es uns selbst eingestanden, das ist der erste unerläßliche Schritt zur Rettung. Mir graut vor diesem Bramarbasiren, vor diesem Cornetsdünkel. Ich liebe die stillen Men¬ schen, die sich des Urtheils enthalten, weil ich denke, sie könnten doch Vernünftiges denken, wo die lauten Denker nur Unsinn zu Tage bringen.“ Der Minister hatte ausgesprochen. Er ging noch in Aufregung umher, aber sein Blick forderte unsern Freund auf, seine Meinung auszusprechen. „Einige, dünkt mich, sind still aus Ueberzeugung, weil ihre Ansicht nicht verstanden würde, Andere aus Furcht, die Mehrzahl aber, meine ich, aus Specu¬ lation, um sich nicht zu compromittiren, wenn die Dinge anders ausschlagen, als sie berechnet hatten.“ „So kennen Sie Wandel?“ fragte der Minister scharf, vor ihm stehen bleibend. „Ich sehe ungern in dies unbewegliche Gesicht.“ „Das stimmt mit Fuchsius. Weiter!“ „Ich kenne ihn wirklich nicht, Excellenz.“ „Weiter!“ sprach der Minister. „Wenn der tiefste Grund des Menschen sich auf dem Gesichte irgend ein Mal abspiegelt, so erschrecke ich, daß ich nie einen Zug auf seinem sah, der den Menschen verrieth. Die Diplomatie mag andere Ge¬ setze haben, ich aber könnte dem nie vertrauen, der stets Herr ist über sich. Wer alle Gefühle und Lei¬ denschaften kostete, wie Mithridates die Gifte, um sich ihrer zu erwehren, hat den göttlichen Menschen in sich getödtet. Wer den Ausdruck für Liebe, Haß, Furcht, Ehrgeiz, Lüsternheit und Habgier bis zum unkenntlichen Schattenspiel überwunden hat, scheidet für mich aus der Reihe der sinnlichen Geschöpfe. Ohne Sinnlichkeit kann ich mir aber keine Sittlich¬ keit denken, und keinen Charakter, der nicht die Sitte zum Fundament hat.“ Der Minister sah ihn eine Weile an. Die Schärfe seines Blickes ging in Wohlgefallen über. Er klopfte ihm auf die Schulter: „Wir werden uns näher kennen lernen. — Aber — ich will ihn doch noch nicht aufgeben. Ich glaubte indeß das in ihm zu entdecken, was ich hier nirgend finde. Dies un¬ ausstehliche Sichspreizen und Knistern, um vorneh¬ mer scheinen zu wollen, als man ist, macht für mich diese Menschen um zehn Prozent schlechter, als sie sind. Wir wollen ihn auf die Probe stellen, Sie sollen mir behülflich sein.“ „Als Kundschafter!“ „Ihr Vater steht mit ihm in Relationen, wie Fuchsius mir mittheilte. Ein guter Kaufmann giebt nur Credit dem, der Credit hat.“ „Auch ein Kaufmann ist Illusionen unterworfen.“ „Das sollen Sie ermitteln, mit Fuchsius sollen Sie sich darüber verständigen. Fuchsius hat Anti¬ pathieen gegen Wandel. Das muß ein Staatsbeamter sein lassen, ich meine persönliche Antipathieen. Aber er will Renseignements haben, erinnere ich mich recht, aus den Niederlanden, daß häßliche Schatten ihm folgen. Irgendwo hat ein Glücksritter — es ist ein Entführungsroman, mit Tod, Erbschleicherei und so weiter gekuppelt, — für Romane habe ich keinen Sinn, Fuchsius wird Ihnen das Nähere mittheilen. Aber auch er mag in seinem Argwohn zu weit gehen. — Haben Sie Bedenken?“ „Ich kenne bis jetzt weder den Roman noch die Wahrheit.“ „Oder wissen Sie ein taugliches Subjekt? Ein feiner Beobachter, oder ein blitzendes Talent. Auch Sarkastik oder Humor wären treffliche Eigenschaften, Feuer, wenn auch mit etwas Qualm, das die Salonmenschen hinreißt. Mag er auch sonst ein ver¬ lorener Sohn sein, wenn er nur kein verlorener Sohn für's Vaterland ist. Es giebt viele verlorene Söhne, die nur eines Impulses bedürfen, damit das erstickte Feuer aus der Schlacke auflodere. Englands erste Staatsmänner gingen diesen Weg, aus einem Rou é ward ein Charles Fox. — Sie denken an Jemand. Sinnen Sie nach. Er darf nicht scheuen, die Stellung anzunehmen. Es ist ein Sort. Den Rathscharakter, mit einem ansehnlichen Gehalt, habe ich, um der Form zu genügen, für ihn bereit; die eigentlichen Dienste ergeben sich mit der Zeit. Morgen sehen wir uns wieder. — Jetzt gehen Sie in's Bureau, und besprechen sich mit Herrn von Fuchsius.“ Walter trat einen Schritt zurück: „Excellenz, eine erste Bitte, und wenn sie mir abgeschlagen würde, meine letzte, erlassen Sie mir diese Conferenz. Ich kann nicht mit Herrn von Fuchsius — dienen.“ Die Brauen des Freiherrn zogen sich zu¬ sammen, die Augen wurden kleiner, ohne die Schärfe ihres Blickes zu verlieren. Er warf einen Gegen¬ stand, den er in der Hand hielt, auf den Tisch. „Soll ich etwa ihn um Sie aufgeben! — Herr, ihn kenne ich, Sie noch nicht.“ Er wandte sich wieder, um nach einigen Schritten zurückzukehren. Das Ungewitter war verzogen und die Stirn ward heiterer, als er zum zweiten Mal die Hand auf Walters Schulter legte: „Junger Mann, Sie müssen noch viel lernen. Glücklicherweise nur, was jeder Fant, der ein Jahr in der Routine ist, an den Fingern weg hat. Ist ein Staatsmann ein Gott, ein Deukalion, daß er seine Menschen sich machen kann, wenn ihm die nicht gefallen, die ihm das Schicksal zuweist? Er hat genug gethan, wenn er jeden an den Platz stellt, den er füllt. Findet er nur das heraus, ist er schon weise. Den er zum Steineklopfen braucht, von dem darf er nicht fordern, daß er Nähnadeln spitzt. Und wen er zum Schatzmeister gemacht, und seine Läden bleiben verwahrt, soll er ihn fortjagen, weil er sich einmal einfallen ließ, in seines Herrn Sonntagsrock auf der Promenade zu stolziren? Hab ich etwa hier Vorrath, daß ich nur zu wählen brauche? Wollte ich Alle um solches Vergehen fortjagen, so könnte ich vom Thürsteher bis zum ersten Geheimrath die Geschäfte allein übernehmen. Herr von Fuchsius ist jung, und sieht in die Zukunft, er denkt an's Va¬ terland und denkt richtig, soll ich ihn zum Teufel schicken, weil er nebenher auch an sich denkt? Fordere vollkommene Menschen, und Du wirst als Eremit zu Grabe gehen. Kein Wort mehr davon. Die Ehre meiner Beamten, die ich mir bildete, ist meine Ehre. Es kann Ihnen auch einmal zu Gute kommen.“ Jetzt war Walter entlassen. An der Thür blieb er stehen. „Ich wüßte —“ Er stockte; es schickte sich nicht mehr. „Preßt es die Brust, heraus damit —“ „Einen Mann —“ „Der geeignet. Nennen Sie ihn. Ich sann eben auch nach.“ „Er ist mein Freund —“ Walter stockte. „Desto besser.“ „Ja, ich kann aus vollem Herzen sagen, er ist der Mann, wie Excellenz ihn suchen.“ „Sein Name?“ „Wird ihn hier nicht empfehlen.“ „Wenn es ein guter ist?“ „Der Sohn des Geheimrath von Bovillard.“ „Der Tolle?“ „Louis von Bovillard. Für sein Herz, das für's Vaterland schlägt, sag ich gut. Das erstickte Feuer kann aus der Asche zu einer Flamme aufglühen, wenn er an eine edle Schmiede kommt.“ Walter blickte zweifelnd auf den Minister, der nachdenkend stand: „Senden Sie ihn zu mir, ich glaube, Sie haben gut getroffen. Er hat seine Wiener Mission mit mehr Eifer ausgeführt, als Haugwitz wünschte. Aber —“ „Euer Excellenz Bedenken sollen mir Befehle sein.“ „Nein — der alte Bovillard hat ja seinen pro¬ vencalischen Adel renoviren lassen. Es sind die Bovillard Maitres de Ceris é . Ich danke Ihnen, Herr van Asten, daß Sie mich an ihn erinnert haben. Ueber wen diese Menschen hier entrüstet sind, muß kein gewöhnlicher Mensch sein. — Bringen Sie ihn mir. — Ist er noch mit seinem Vater über¬ worfen? Gleichviel. Die Bovillard de Ceris é waren schon in den Kreuzzügen genannt, und was mehr ist, wahrscheinlich von reiner celtischer Abkunft. Fast unbegreiflich, wie ein solches Mondkalb von Vater da hinein kam. Schicken, bringen Sie ihn bald. — Da erinnere ich mich, dem jungen Mann wird eine fixe Anstellung jetzt sehr gelegen kommen.“ „Um die Aussöhnung mit dem Vater zu er¬ leichtern?“ „Nein, die Gargazin sagte mir neulich, er ist so gut wie verlobt mit einem schönen jungen Mädchen, eine Beaut é der Stadt, es wäre aber viel Jammer von beiden Seiten, weil nichts daraus werden kann. Nun kann ja etwas daraus werden. Wie gesagt, führen Sie ihn zu mir, und freuen sich, daß Sie Ihres Freundes Glück machen.“ „Ich freue mich,“ entgegnete Walter mit voller Stimme, aber sie klang wie ein Grabesgeläut, und entfernte sich. Sechszehntes Kapitel. Theorie und Praxis des Egoismus. Als Walter aus dem Hause trat, war es nicht mehr so heiß, daß er darum die Weste sich aufreißen mußte. Er wollte auch nicht Kühlung, der schwere Athemzug bedeutete etwas anderes. Er eilte nach Louis Bovillards Wohnung. Noch eine schwere Last von der Brust und dann war er frei. Die Vorübergehenden dünkte der junge Mann mit der gerötheten Stirn, dem stieren Blick, der nicht um sich sah, nicht auswich, ein Trunkener; sie wichen ihm aus. Er hörte nicht das Rollen der heim¬ kehrenden Wagen, nicht den Tambour, der den Zapfen¬ streich schlug, er hörte überall nur ein dumpfes Grabgeläut. Auch den Wagen der Fürstin sah er nicht, die doch dicht an ihm vorüber fuhr. Er hörte nicht Adelheids Stimme, mit einem so schelmischen Silber¬ klang, wie auch wir seit den Tagen ihrer kindischen Lust sie nicht gehört. Es waren Nachtigallentöne mit Lerchengewirbel, in denen sie der Wonne, die die Brust sprengte, Luft machte, nur Accorde, aber wer, der ihr in's Auge sah, verstand sie nicht! So sahen wir es niemals glänzen, lachen; sie neckte den ernsten Geliebten, sie war Muthwillen und Ausgelassenheit. Louis Auge glänzte auch, dunkel schön, nur auf sie den Blick gerichtet, aber den Zug des Muthwillens, des Uebermuths, der feinen Ironie, die sonst um seine Lippen spielten, in seinen Augen blitzten, suchte man umsonst. Die Fürstin, in ihre Wagenecke gedrückt, sah mit stillem Lächeln dem Spiele zu. Walter sah und hörte nichts. Auch die im Wagen bemerkten ihn nicht. Es war für Beide gut. Je näher er dem Hause kam, so langsamer ging er. Nicht daß er unschlüssig geworden, er sann nur über die Weise, wie er dem Freunde sein Glück mittheilen wolle, ohne seinen Stolz zu ver¬ letzen, ohne ihn auf immer zum Sklaven der Dankbarkeit gegen sich zu machen. Wußte, ahnte Bovillard, daß er der Räuber grade an seinem Glücke war? Er hatte Grund zu glauben, daß es Bovillard bis jetzt verborgen geblieben, und er scheute eine Scene, die das Verhältniß enthüllte. Er war in einer heroischen Stimmung, und wünschte sie durch einen Auftritt nicht gedämpft, der ohne sentimentale Regung nicht abgehen konnte. Oben auf der Treppe hörte er eine zänkische Frauenstimme, er glaubte sie zu kennen; eine andere IV . 16 schüchterne, die er nicht kannte. Eine Mädchengestalt kam ihm, die Treppe herab, entgegen; ihre bestaubte Kleidung, ihr schwankender Tritt schien von Er¬ müdung, vielleicht nach einer weiten Fußwanderung zu sprechen. Ihr Gesicht sah er nur halb, sie hielt das Taschentuch vor. Als sie ihm rasch vorüber war, brach das unterdrückte Weinen deutlich heraus. Unten noch eine Weile zaudernd, stürzte sie nach einem noch heftigern Aufschluchzen zur Hausthür hinaus. Die Wirthin kannte Waltern. Der Herr von Bovillard war nicht zu Hause, aber er könne wohl jeden Augenblick kommen. Als Walter seinen Wunsch ausgesprochen, ihn zu erwarten, hatte sie kein Be¬ denken, ihm die Wohnung aufzuschließen und Licht anzuzünden. „Denn, setzte sie schmunzelnd hinzu, ich weiß wohl, wen ich einlassen darf, und wer mir nicht mehr über die Schwelle darf. Nein, machte mir die Person nicht ein Lamento. Der Herr van Asten müssen's ja noch gehört haben. Aber, wenn sie noch mal kommt, laß ich die Polizei rufen.“ „Wer ist sie?“ Die Wirthin verzog noch spitziger den Mund: „Ja, wer wird sie sein! — Sie wird keine andere geworden sein, als sie damals war, wir aber sind andere geworden, und das müßte solche Person doch bedenken. Und diese vor Allem. So nobel und honorig haben Herr von Bovillard sich gegen sie benommen, daß es ihre verfluchte Schuldigkeit wäre, nun uns nicht mehr zu belästigen. Aber nein —“ Walter wollte nichts davon hören, aber die Frau wollte noch reden. Sie achtete sein abwehrendes Zeichen nicht. „Nein, Herr van Asten, von dieser grade ist's ausverschämt. Sie hat dazumal hinten im Stübchen auf dem Hofe gewohnt, das ihr der gnädige Herr chambregarnirt hatte. Gott weiß, was er für einen Narren an ihr gefressen. Sie ließen zwar mal fallen, das Mädchen hätte Ihnen das Leben gerettet. Na, was das sein wird, kennt man schon. Ein paar Ritze hat sie allerdings an der Schulter. I Gott, solche Mädchen lassen sich auch nicht gleich für Einen todtstechen. Ich kenne sie ja. Ist's nicht der, so ist's ein Anderer.“ Waltern durchzückte eine Erinnerung. Erst später hatte er den Zusammenhang der Geschichte gehört. Da war es, wo Louis Adelheid zuerst gesehen! Mit einem Seufzer, den die Frau nicht hören sollte, warf er sich auf das Kanap é . Die gute Frau hatte ihn aber doch gehört. „Sie haben schon Recht, über solche Undank¬ barkeit muß man seufzen. Er hatte sie von Kopf bis Fuß gekleidet. Sie hatte ja keinen ganzen Strumpf auf dem Leibe, als sie aus dem Prison kam. Und dann, wie's nu genug war, hat er ihr Geld auf den Weg mitgegeben, ich will gar nicht sagen, wie viel, denn ich weiß es nicht; aber wenig war's nicht, denn das Halsband von der seligen Frau Mutter und die emaillirte Uhr gingen drum zum 16* Pfandjuden, dem alten Joel. Er hat's mir selbst gezeigt, nämlich der alte Joel; er war kein übler Mann, und schund die jungen Leute nicht so, wie jetzt sein Sohn. Aber geben mußten wir's, da hätte auch gar keine Raison geholfen; denn er hat ein gar zu gutes Herz. Diese Ohrringe habe ich auch von ihm, aber Alles in Ehren. Als Sie von Ihrer großen Reise retournirten, und krank wurden, ich habe ihn gepflegt, rechtschaffen, das kann ich wohl sagen, und der alte Herr Geheimrath haben's auch ge¬ sagt: wenn sein Sohn immer mit so rechtschaffenen Weibspersonen zu thun gehabt hätte! Jetzt sind wir nun, Gott sei Dank, besser situirt, und wenn uns mal was fehlt, brauchen wir nicht zu dem Juden¬ schinder.“ „Das ist schon lange her, daß er das Mädchen fortschickte?“ unterbrach Walter, eigentlich nur um den Redefluß zu unterbrechen. „I freilich, das war ja — warten Sie mal — nun, das thut nichts zur Sache — richtig, wie sie ihn todtschießen wollten, er ward aber nur ein¬ gesperrt. Das Mädchen machte da noch Spektakel, nämlich, das muß ich sagen, ganz in der Stille. Sie weinte auf ihrer Kammer, daß es zum Herz¬ brechen war. Manchmal glaubte ich doch, sie würde — wenn ich sie aufrichtete, sank sie zusammen. Mein Kind, das hilft doch nun mal nichts, sagte ich, raus mußt Du, fort mußt Du. — Und da packte sie ihre paar Sächelchen in's Bündel. Na, wenn ich denke, wie sie die Treppe runter ging, und unten blieb sie noch stehen und japste nur so. Ich sagte: „Nu sieh Dich nicht mehr um, Julchen; ein paar Schritt noch, dann ist's vorbei. Und komm mir nicht wieder nach Berlin. Und wenn Du ihn sonst wo sehen solltest, untersteh Dich nicht, und sieh ihm nicht in's Gesicht, sonst riskirst Du, er läßt Dich greifen und Du kommst in's Spinnhaus. Da ist's eklich. Das ist Louis nicht im Stande, sagte die impertinente Person, und da schupste ich sie zur Thür raus. Aber in aller Güte.“ „Sie hat ihn geliebt?“ „Mein lieber, guter Herr, was wird sie nicht! Ein neues schwarz seidenes Kleid hatte er ihr gekauft.“ „Und seitdem hat sie ihn nicht wieder gesehen?“ „Gott bewahre, was denken Sie? — Heute morgen zuerst, da war ich nicht zu Hause, er auch nicht. Und kommt wieder! Ich war wie aus den Wolken gefallen! Na, ich habe ihr denn aber auch das Kapitel gelesen. Jetzt, wo der Herr Vater sich wieder hat nobilitiren lassen, — wir haben noch nicht das neue Schild an der Klingel, aber ich hab's bestellt. — Jetzt untersteht sich das ausverschämte Mädchen, meinen Herrn in Disreputation zu bringen. Jetzt, mein Kind, wenn er so was will, wird er sich's anderwärts suchen, sagte ich.“ „Und sie?“ „Na, Sie können wohl denken. Thränen haben die immer parat.“ „Nicht Alle. Was wollte sie? —“ „Was wird sie wollen! — Lieber Gott, man hat doch auch ein Herz, wenn's auch solche Menschen nicht verdienen, und da ließ ich sie denn hier am Tische kritzeln. Da liegt ja das Schnitzel. Aber ich ließ sie nicht aus den Augen, keinen Augenblick. Stibitzt hat sie nichts, obgleich ich ihr nachsagen muß, reine Finger hatte sie immer.“ „Sie sah wie eine Unglückliche aus.“ „Das mag schon sein, mein Herr van Asten, muß man aber Andere darum unglücklich machen wollen, wenn man's selbst ist! Jetzt kann man wohl davon sprechen, unser junger Herr ist ein Bräutigam; wenn's auch noch nicht declarirt ist, das weiß jedes Kind. Freilich, der alte Herr Geheimrath wollen nicht recht dran, denn die Mamsell hat nichts, das ist wahr, und sie sagen auch, er könnte sie nicht gut ansehen, weil sie bei der Lupinus Kind im Hause gewesen, und da überfrieselt's ihn immer, weil er die nicht ausstehen kann. Aber was thut das! Mein junger Herr frägt auch nicht, was der Papa will, und eine Frau, die schön ist, hat schon manchem Mann mehr eingebracht, als volle Kasten. Das spricht sich ganz anders, und wenn auch dem Mann nicht, der jungen schönen Frau hilft man doch gern, besonders die alten Herren. Das weiß man ja. Der Geheimrath von ihr, nämlich ihr Vater, der will auch noch nicht recht dran, so heißt es. Was nicht ist, kann ja noch kommen. Eine gute Anstellung, mein Gott, da müßte mein Herr keine guten Freunde haben, und jetzt, wo er von altem Adel gemacht ist, da kommt das ja von selbst. Und wer ist denn der alte Geheimrath Alltag! Jetzt freilich, so lang läßt er das Uhrband raus hängen, und wenn er zu Königs fährt, sitzt er wie eine Elle im Glaskasten; aber man müßte ja nicht wissen! Mein Seliger, als der Kanzleidiener war, da war der alte Alltag noch Schreiber, so Supernumerar. Einen Rock hatte er, von seinem Vater, der war dreimal gewandt, und wie lief er Winters, um sich warm zu machen! Hätte Einer ihm gesagt, daß seine Tochter mal solches Glück machen könnte, Du meine Güte! — Ein Esel, mit Respect zu sagen, wär er ja. — Uebrigens, und wenn's die nicht ist, so ist's 'ne Andere. Unter den ersten Fräuleins kriegt er sie, wenn's sonst nicht ist, und darum ist es so schlecht und boshaft von der Person, daß sie kommen muß, und meinen Herrn in's Gerede bringen, jetzt, wo er so solide ist, 's ist gar nicht zu sagen, wie.“ „Die Per — ich meine das unglückliche Mädchen macht doch nicht etwa selbst Ansprüche?“ Ein unbeschreibliches Erstaunen malte sich auf dem Gesichte der Frau Wirthin. Worte fand sie nicht sogleich, bis die ganze Wucht ihrer Gedanken in der Silbe Die ! sich concentrirte. Walter war beruhigt, wenn er überhaupt der Beruhigung be¬ durfte; aber er wollte Ruhe haben, nämlich von der Gegenwart des geschwätzigen Weibes befreit sein. Sie ging in einen weinerlichen Ton über, indem sie ihren Drahtleuchter ergriff. „Viele haben schlecht von ihm gedacht, das weiß ich, denn die Welt ist auch schlecht, und Jugend muß austoben; und wer weiß, wer besser ist, ob der alte Herr, oder mein junger. Und wie's bei den vornehmsten Geheimräthen aussieht, Herr Jesus, lieber Herr van Asten, bei diesen vornehmen Herr¬ schaften, da ist ja eine Zucht, daß mal der Gott sei bei uns drein schlagen möchte. Er thut's auch noch, glauben Sie's mir, und die Julchen, die wir auf der Straße nicht ansehen mögen, ist nicht schlechter, als viele von den vornehmen Damen in Brüsseler Spitzen. Wenn die sich schämen wollten, man sieht's nur nicht, weil sie so dick geschminkt sind. Jugend muß austoben, sonst kommt's nachher, aber dann einen Strich gemacht. So hab' ich's auch meinem Seligen gesagt: nu sei zufrieden, was Du hast, und um was rückwärts ist, da hast Du Dich nicht zu kümmern. Mein guter Herr, nun ja, tolle Streiche genug. Nüchtern ist er nicht immer nach Haus ge¬ kommen, und ist allerdings auch sonst nicht immer nach Haus gekommen, und den Regenschirm hat er im Theater aufgespannt, dafür ward er arretirt, und er ist oft arretirt worden, aber wenn sie Alle in's Prison bringen wollten, die's verdient haben, da ist der König nicht reich genug, um Gefängnisse zu bauen. Und wenn ein Armer kam, da blieb kein Groschen in der Tasche. — Und nun hat er sich ge¬ bessert, und ich wollte ja Jeden zur Treppe runter schmeißen, der sich mausig machte und ihm vorhielte, was sonst geschehen ist. Das ist jetzt vorbei, mein Herr! würde ich sagen. Und alle seine Freunde müßten das sagen, denn ich bin nur eine arme Frau, und verstehe mich viel darauf, wie sie da parliren und mit den Augen zwinkern. Aber Freundschaft ist Freundschaft. Und wer ein rechter Freund ist, der muß seinem Freunde Alles hingeben, auch sein Lieb¬ stes. Das ist Freundschaft, und wenn Alle so thä¬ ten, dann wäre die Welt gut.“ ,Ob sie dann wirklich gut wäre!‘ dachte Walter, als er allein war. Wenn wir den Egoismus aus¬ gerottet, wie die Raubthiere, wie ein schädlich Un¬ kraut, ob sie die vollkommene würde, von der wir träumen! — Sprang der erste Schiffer in den schau¬ kelnden Kahn, um den Vater zu retten, wie die Idylle erzählt, oder war's ein Kaufmann, ein Ver¬ folgter, ein Räuber, der sein Leben retten, der Früchte, Gold, Mädchen, Sklaven von den reichen, im goldnen Meere dämmernden Inseln holen wollte? Und fing das Menschengeschlecht wirklich an mit einer Idylle, so war es eine kurze; ein sanfter Hauch der Engel, der am rauhen Hauch der Elementargeister erstarrte. Die kurze Idylle war aus, und die lange Geschichte fing an — mit Brudermord. Wir Alle aber sind nicht die Kinder der Idylle, sondern die Erzeug¬ ten der Geschichte. Der Egoismus führte uns über die Meere, gründete Staaten, erhob Könige auf den schwindelnden Thron, schuf Republiken, er trieb uns in die Schachte der Erde, in die Lüfte auch, daß wir den Lauf der Gestirne berechneten. Alles, Alles, wir wollten Gold machen und fanden, nicht Regenwür¬ mer, die Künste, die uns zu Gebietern der Natur erhoben. — Und dieses mächtige Movens unsers Da¬ seins sollten wir ausrotten, ausbrennen, wie den Nerv in unsern Zähnen, damit wir nicht mehr Zahnschmer¬ zen haben! Thorheit, die materia peccans bleibt, und wirft sich nur auf andre Theile, edlere vielleicht. Eman¬ cipiren sollten wir uns wollen, von unsrer Bildung, aus der Geschichte, die uns machte, heraus uns zwängen in ein wesenloses Dasein, in das Traum¬ leben einer schönen Phantasie, das nie existirt hat, nie existiren wird. Und doch fordern es Religion und Philosophie, beide, schroff und mild je nachdem; aus dem Gewissen, weil es verderbt ist, sollen wir uns in's Vage setzen, den Reiz ertödten, der uns über das Thier erhob, zu den wunderbaren Erfindungen trieb, das Menschengeschlecht zu seinen großen Tha¬ ten inspirirt hat. Und grade, die sich am höchsten dünken über das Thier, die fühlen wieder den Drang, den Feuerathem in der Brust, mit Flügeln wollen sie in den Aether schweben, göttergleich sein, sich verges¬ send, nur für das All, und — sind aus Koth! Er ging mit sich unzufrieden auf und ab; er griff nach dem Zettel auf dem Tisch und warf ihn wieder hin. „Was wird sie ihm schreiben! — Er soll sie wieder lieb haben, ihr Geld geben!“ Warum warf er das Papier so verächtlich fort? War das ein specieller Egoismus, den er nach der Vertheidi¬ gungsrede für den generellen verwerfen mußte? Er hatte sich mit unterschlagenen Armen an die Fensterbrüstung gestellt. Er bereute nicht, daß er der Geliebten entsagt, nicht, daß er sie dem Freunde überließ, ohne Klage, nicht, daß er ihn noch außer¬ dem in den Stand setzen wollte, sein Glück zu ge¬ nießen; das lag hinter ihm als abgethane Noth¬ wendigkeit. Er war ein deutscher Denker, klar wollte er sich machen, warum er gegen ein Princip gehandelt, das er sich eben künstlich entwickelt. Weil sie ihn nicht mehr liebte, weil sie ihn vielleicht nie geliebt? Diesen einfachen, natürlichen Grund schien er bei Seite zu schieben, und fand den wahren nur in dem Drange, sich dem Vaterlande ganz hinzuge¬ ben. Was ist die Wahrheit einer Ueberzeugung? Der höchste Verstandesrausch, über den wir nicht hin¬ auskönnen: „Wo wir dies endliche Ziel im Irdischen fanden, sollen wir stehen bleiben, darauf alle unsere Gedanken, Kräfte werfen. Und es giebt keinen hö¬ heren Begriff, als das Vaterland. Wir haben hu¬ manistisch, philanthropisch auch dies zu zersetzen ver¬ sucht, und wohin hat es uns geführt! In ein Meer von schwimmenden Inseln und Fata Morganen. Wenn wir unser Schiff herantrieben, landen wollten, verschwanden die Thürme und Berge in die Wolken, die Gärten der Armida wurden schillernde Sumpfpflan¬ zen, die der Sturm auseinander wehte. Keine dieser Ideen, wie auch vom Morgenroth gefärbt, gewann einen Leib, den wir umarmen, keine ward eine Säule, ein Fels, an die wir uns im Sturme klammern konnten. Der edle Schiller traf das rechte Wort: Die angebornen Bande knüpfe fest. An's Vaterland, an's theure, schließ Dich an, Das halte fest mit Deinem ganzen Herzen! Hier sind die starken Wurzeln Deiner Kraft; Dort in der fremden Welt stehst Du allein, Ein schwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt. Nur das Vaterland ist die Eiche, an die wir uns klammern können, nur sie hat das Recht, Opfer von uns zu fordern, das höchste, letzte auch, uns selbst. Die tausend Götzen sonst haben keines. Ihnen ge¬ genüber tritt das volle, heilige Recht des Ichs ein.“ Louis kam noch nicht zurück. Das Talglicht auf dem Tische brannte immer düsterer. Sein halb ver¬ kohlter Docht beugte sich in einer Wölbung immer höher über die Flamme. Walter hatte aufmerksam dem Verbrennungsprozeß zugesehen, ohne sich gemu¬ thet zu fühlen, nach der Putzscheere zu greifen. Er brauchte kein Licht. Das ewige Gleichniß der Kerze und des Lebens gaukelte vor ihm in den matten Schwingungen der Flamme. Da fiel das dicke schwarze Knopfende von der eigenen Schwere herab auf den Zettel; der noch glimmende Schweif fing an in das mürbe Papier ein Loch zu sengen. Walter löschte, ehe es ein Brand ward. Dabei mußte er den Zet¬ tel wieder aufnehmen. Die Schriftzüge verriethen keine ganz ungebildete Hand, sie flogen über das Papier. Er fing an zu lesen, und hörte erst auf, als es zu Ende war. „Du mein Alles! Ja, die böse Frau hat Recht, Du darfst mich nicht wiedersehen. Die Frau ist nicht böse. Wer Dich lieb hat, ist gut. Wer Dir Schmerzen sparen will, ist ein Engel. Nein, Du sollst mich nie mehr sehen. — Vergieb mir, Du mein einzig Ge¬ liebter, daß ich darum kam. Nur darum — mein Kopf brennt mir, ich weiß nicht, was ich schreibe. Ich sah Dich nur unglücklich, nun wollte ich Dich glücklich sehen. Ist das auch eine Sünde! — Es sollte meine einzige letzte Freude sein. Mit einer einzigen Freude aus der Welt gehn, ist das zu viel gefordert! — Sie sagte — ach Gott, ich klage sie nicht an. Wahr und wahrhaftig, Louis, bei Allem, was Dir theuer ist, glaube mir, ich kam nicht, um von Dir zu pressen, nicht um Dein Glück zu stören — ich Dich stören! — Und Du sollst mich auch nicht für eine ausverschämte Person halten, die Dich aus¬ sog und es lüderlich verbracht hat, und wenn das Geld fortgerollt, kommt sie wieder. Glaube ihr nicht, Louis, und darum schon muß ich Dir schreiben. Ich vergebe ihr auch das, denn sie hat's nicht gesehen, wie ich damals aus dem Thor wankte. Ich glaubte, die Luft würde es gut thun, aber die Luft that's nicht gut. Irgendwo, ich habe den häßlichen Ort vergessen, blieb ich liegen — nein, ich wollte da nicht — draußen auf der Landstraße aber fiel ich um, da hoben sie mich auf einen Leiterwagen und fuhren mich rein, in ein großes Haus. Ach, die häßlichen Gesichter, wie sie sich stritten! Der Bürgermeister war sehr zornig, er wollte mich wieder aufladen las¬ sen und zur Stadt hinaus, Gott weiß wohin. Sie fluchten. Ich habe Dich fluchen gehört, aber so nicht. Einer schrie, das gäbe eine Untersuchung und mache noch mehr Kosten. Aber wie kommen wir zu der Last! schrieen sechs Andre. Sie müssen's uns ja ver¬ güten auf Heller und Pfennig! — Eigentlich müßte der Abdecker auch solche kriegen! lachte Einer. — Louis! Louis! ich lag da, sinnlos, starr, wie ein ge¬ fallen Thier, um das die Raubvögel sich streiten. Wer das erlebt — der hat kein Recht mehr auf dieser Welt. Und ich sollte noch Dein Glück stören wollen! Endlich hieß es, man muß doch was finden, wo sie hingehört, und dann hätten sie mich wieder auf den Karren geladen, und das hätte ich nicht ausgehalten; es wäre wohl so am Besten gewesen. Aber als sie drauf suchten, fanden sie Dein Geld. Hätte ich schreien können: es gehört ja Dir! hätte ich es ihnen fortreißen können! Aber ich konnte keinen Finger rühren, keinen Laut rausbringen. Da ward es stille; sie schmunzelten und führten wieder häßliche, lustige Reden. Der Inspector sagte, die wolle er schon gut und lange pflegen. Da ward mir das Haar gescho¬ ren, da stürzten sie kaltes Wasser über den Kopf mir, o es war doch immer so heiß! Da sah ich immer Dich, wenn mir wohler ward. Du zücktest die Ach¬ seln und sagtest: Sie ist doch auch eine Creatur Gottes. Ach, Du warst nur wie ein Nebel auf dem Berge. Wärst Du in Person da gewesen, Du hät¬ test Ihnen wohl gesagt, daß sie's sanfter machten, die rohen Männer, die mich bei den Armen und Beinen in den Badekübel warfen. Es that weh, aber ich fühlte es ja nur halb. „Ich ward gesund. Gott weiß wozu. Sie gaben mir ein langes Papier, das war meine Rechnung, und den Geldbeutel, der war ganz klein geworden. Louis, ich hatte noch keinen Groschen davon ausge¬ geben. Ich wanderte nun nach meiner Vaterstadt. Unterwegs habe ich nicht an Dich gedacht, nur an meinen alten Vater, und was ich ihm sagen wollte, wenn ich vor ihm auf die Knie stürzte. Ich wußte es Alles auswendig. Ich hab's ihm aber nicht ge¬ sagt. — Als ich durch's a Thor kam, trugen sie ihn heraus. Ich stieß einen Schrei aus, sie stießen mich fort. Ich lief ihnen nach. Als sie die Bahre auf dem Kirchhof niedersetzten, drängte ich mich durch; da warf ich mich auf die Knie, wollte es dem Todten sagen, was ich dem Lebendigen nicht mehr sagen konnte. Da haben sie mich erkannt. Da wiesen sie mit den Fingern auf mich, und zischelten. Dann murrten sie laut. Endlich sah ich Gesichter, o Herr Gott, dem Bürgermeister und dem Inspector seine, die waren freundlicher, hätten sie doch nur laut ge¬ flucht! Aber der Herr Prediger that es. Als mich der Büttel am Armgelenk gefaßt und aufgerissen — an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich we¬ nigstens, da durfte ich knieen — da hörte ich des Herrn Predigers Rede. Mich ließen sie keine Erde ihm in die Grube nachwerfen, aber auf mich warf der Herr Prediger — das kann ich nicht wieder schreiben. Und es war nicht wahr — ich habe mei¬ nen Vater nicht umgebracht! — Und die Blicke nach¬ her, wie sie an mir vorübergingen! Gott sei Dank, dann ward es frei, der stille Abend, da lag ich über seinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht, in seinen Blättern säuselte es wie süße Lieder, und ich schlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem Frieden weckte. Um die Mauer schlich ich von hin¬ ten nach dem Hause, wo er starb, wo ich geboren bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum letzten Mal sehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der Brust, kam und sagte — ach, was er mir sagte, ich weiß es nicht: von lüderlichem Gesindel und auf die Finger sehen, und hinausbringen, und ich hätte kein Heimathsrecht mehr! „Nein, Louis, ich habe keine Heimath; wie ich da am rauschenden Wasser stand, da sahen keine rothen Gesichter heraus vom Bürgermeister, und nicht die häßlichen spitzen der Bürgerfrauen — und da — da hörte ich, daß Du glücklich wärst — ich wußte es schon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich Dich gesehen, und die Herrschaften, die im Wagen vor der Schenke schwätzten, derweil ihre Pferde Muth tranken, und ich trank auch Muth, sie sagten mir nichts Neues — und da stach es mich, und trieb mich, Dich wollte ich noch einmal glücklich sehen. — Und das hab ich nun auch aufgegeben, da ich weiß — —“ Hier waren einige Zeilen von Thränen verwischt. „Das Geld brauchst Du nicht — das kümmert mich auch nicht mehr, — und mich wirst Du verges¬ sen — aber wenn ich nur etwas wüßte, was Dir recht lieb wäre, ich wollte Alles thun, mir einen Finger abschneiden, mich wieder verkaufen, wenn ich nur wüßte — Und nicht wahr, das war nicht un¬ recht von mir. Manche hat sich betrunken, ehe sie in's Wasser sprang. Ich wollte ja nur Dich noch einmal sehen, Dich sehen, wenn Dein schön Auge so recht aus voller Seele lacht. — Nein, ich werde es nicht mehr sehen — Lebe wohl, Du mein Alles —“ Die Unterschrift war wieder von den Thränen ausgelöscht. Aber dahinter noch einige kaum lesbare Zeilen: „Aber ich muß Dich sehen — hilf mir Gott, wenn ich mein Wort breche. Wenn Du in die Kirche gehst mit ihr. Ganz von ferne — sieh Dich nicht um, Du wirst mich nicht entdecken. Trinken muß ich den Strahl aus Deinem Auge, und dann —“ Die letzten Worte gingen in ein fieberhaftes Gekritzel über. Walter war von der Lecture aufge¬ regt; aber sein Entschluß schnell gefaßt. „Es giebt doch etwas auch neben dem Vater¬ lande, um was der Mensch sein Höchstes einsetzt, IV . 17 sich selbst. Und wo ist der Sittenrichter, der es kalt verdammt?“ Er nahm das Papier, falzte es und that es in seine Brieftasche: „Ich will ihr Testamentsvollstrecker sein. Wenn sie nur etwas wüßte, was ihm recht lieb wäre, was sie zu seinem Heile thun könnte! Ich übernehme es für sie. Sein Liebesglück darf durch diese Erinnerung nicht vergiftet werden. Was könnte er ihr helfen, ohne ihre Liebe zu erwiedern! Sie bleibe vor ihm verschwunden, spurlos. Die Wirthin werde ich instruiren. Was er — ohne Liebe, aus Erbarmen für sie thun könnte, kann ich ebenso gut.“ Seinen Vorsatz, auf Louis Rückkehr zu warten, um mündlich der Ueberbringer der frohen Botschaft zu sein, gab er jetzt auf. Der Freund weilte zu lange bei seinem Glück. Er nahm Papier und Fe¬ der und theilte ihm kurz und klar, was seiner warte, was von ihm gefordert werde, mit. Er stellte sich in den Hintergrund und ließ den neuen Minister selbst den sein, der zuerst sein Auge auf Louis Bovillard geworfen, für sich die bescheidene Rolle eines um Rath Befragten vindicirend, welcher nur aus vollem Herzen die Eigenschaften bestätigen können, welche der Minister bereits in ihm entdeckt. Siebzehntes Kapitel. Ein volles Bekenntnisz. Im Hause der Fürstin hatte sich seit jenem Gesellschaftsabend Vieles ereignet, von dem wir nicht Zeuge waren; es drückte sich auf den Physiognomien ab. Adelheid war heut beim Theetisch eine Hebe; sie ging nicht, sie schwebte. Sie schien fortwährend zu singen. Man hörte es nicht, aber man fühlte es. Ihr Gesicht hatte einen andern Ausdruck. Der Legationsrath bemerkte es gegen die Fürstin. „Ei! sagte die Gargazin mit einem besondern Blick. Ich glaubte, dafür hätten Sie keine Augen?“ „Für die Schönheit!“ „Nur für die, welche Sie zergliedern können. Adelheid giebt das den Reiz, was Sie nicht lieben, die Harmonie der Seligkeit.“ „Ein Nebelbild!“ Wandel blickte dabei scharf aber ruhig auf Louis Bovillard, der in sich versunken im Fauteuil aß, und die Theetasse mit einem verstohlenen Kuß auf die Hand hinnahm, welche sie ihm reichte. Die 17* Beiden hätten das Gespräch kaum gehört, auch wenn es laut geführt worden. Wer sich aber wundert, den Legationsrath auch in dem kleinen Kreise zu er¬ blicken, in dem Louis Bovillard ihm gegenübersitzt, dem sagen wir, daß in der Stadt ein Gerücht umlief, daß zwei Cavaliere neulich in der Jung¬ fernhaide ihre Pistolen versucht; es sei kein Blut geflossen, aber einige dürre Zweige wären abgefallen. Was ging Louis der Legationsrath noch an; auch der Legationsrath hatte an anderes zu denken. Er war heut nur auf eine Viertelstunde gelegentlich angesprochen, nachdem die Familie aus dem Thier¬ garten zurückgekehrt. „Was geht Sie das an!“ replicirte die Fürstin, ihre Stickerei wieder vornehmend. „Alles Leben ist ein Traum!“ rief der Le¬ gationsrath nach einer Pause. Die Fürstin hielt die Nadel an: „Fallen Sie nicht aus der Rolle, Herr von Wandel?“ „Welcher?“ „Die Sie die Güte haben, vor sich selbst auf¬ zuführen. A propos , ich bemerke, Sie fangen an wenig zu essen und vom Glase nur zu nippen. Das ist für Berlin zu spät, man kennt Sie einmal als Gutschmecker. Sparen Sie sich die Rolle der St. Germain für Sibirien. Sie können sich dort mit einem Schamanenzauberer associiren. Vielleicht kommen Sie in einer ganz neuen Incarnation nach Europa zurück.“ Wandel bewunderte die Laune der Fürstin und die Farben ihrer Stickerei. Sie stieß halb muthwillig seine Hand fort. „Mir ist immer bange, wenn Sie etwas an¬ fassen, daß die Farbe ausgeht. Haben Sie nicht wieder eine chemische Tinktur an der Hand kleben?“ „Erlaucht vergessen, daß die Chemie die schönsten Färbestoffe präparirt.“ „Bis sie nicht die Schminke erfindet, die einen Todten lebendig macht, geb' ich nichts auf Ihre Wissenschaft.“ „Sie fordern zu viel. Den Schein des Lebens herzustellen, gilt doch für das höchste —“ „Was sie geleistet hat, fiel die Fürstin ein, und eben darum hasse ich sie. Eine scheinbare Tugend, ein scheinbarer Reichthum, ein anscheinend blühender Staat, und Alles übertünchte Gräber — durch Ihre Chemie. — Was fixiren Sie Adelheid's Freund?“ Wandel senkte die Augen: „Hippokratische Züge.“ „ Qu'importe ! Schmeckt der Blumenhonig den Schmetterlingen darum weniger süß, weil sie nur ein Schmetterlingsleben führen?“ „Der Schmetterling weiß freilich nicht, wie lang sein Lebensfaden ihm zugemessen ist, aber — der Legationsrath beugte sich näher zur Fürstin — aber, ich kann Ihnen nicht verhehlen, man begreift meine erlauchte Freundin nicht. Sie begünstigen das Ver¬ hältniß, und thun nichts, ihm eine Zukunft zu sichern.“ „Was heißt Zukunft?“ „Der alte Bovillard stellt sich auf die Hinter¬ füße. Seit er die Flasche alten Weins, die seinen provencalischen Adel enthält, entkorkt, ist der Duft ihm in's Gehirn gestiegen. Er will nichts für seinen Sohn thun. Mamsell Alltag's Vater ist eben so närrisch von seiner neuen Würde benommen. Am Hofe hat man noch einen Degout gegen den jungen Wüstling. Wenn Niemand etwas für sie thut! Verschaffen Erlaucht ihm bei Ihrer Legation eine Stellung, und er — ich meine, er ist vernünftig genug ge¬ worden, um zu wissen, was der Begriff Vaterland werth ist.“ „Haben Sie für nichts Anderes zu sorgen?“ sagte die Fürstin, wieder mit ihrer Arbeit beschäftigt. Der Legationsrath griff gedankenlos nach dem Hut. Es kam zwischen Seufzen und Gähnen heraus: „Wenn man nur nicht so viel Gefälligkeiten übernommen hätte!“ „Und sich nicht so rücksichtslos für seine Freunde und Freundinnen opferte!“ fiel die Gargazin ein. „Spotten Sie nur! Mir wird der Kopf zu¬ weilen wüst.“ „Dafür haben Sie ja Arkana zur Hand.“ „Die larmoyante Liebelei des Rittmeisters und der Baronin ennuyirt die Freunde.“ „Les Georges Dandins l'ont voulu.“ „Nun soll ich die Platoniker wieder auseinander bringen, oder vielmehr aneinander. Man wünscht ein Gezänk, wobei sie sich in die Haare geriethen, einen Eclat, einen coup de main , eine Pulverexplosion.“ „Ich auch, sagte die Fürstin. Die Luft wird unerträglich schwül.“ „Der Mann, der Baron, ist zu gar nichts zu gebrauchen. Das ist das Schlimme.“ „Die Baronin scheinen Sie seit einiger Zeit wirklich in Affection genommen zu haben.“ „Ich?“ „Pardon! Ich vergaß, daß Sie keine Affectionen haben. Gehen Sie morgen wieder zur Lupinus.“ „Die unglückliche Frau bedarf des Trostes.“ „Der Mann wohl nicht?“ „Er ist in Momenten so glücklich. Er kann sich über das Geringste, was seinen Phantasieen schmeichelt, wie ein Kind freuen. Ein alter Einband, eine neue Lesart, die er entdeckt zu haben glaubt. Auch meine erlauchte Freundin würde ihre Lust daran haben, denn man kann sagen, es schwebt gewissermaßen schon die Glorie der Erlösung um seine Stirn. Lange wird er es nicht machen. Da ist es denn Pflicht seiner Freunde, was sie vermögen, die letzten Augenblicke ihm zu versüßen.“ „Die Luft im Krankenhause soll abscheulich sein. Nehmen Sie sich in Acht.“ „Die Geheimräthin ist zu eifrig in ihrer Pflege, zu excentrisch, um immer die gehörige Vorsicht zu beobachten. Sie erinnern sich, bei dem Jean Paul¬ feste, wie Adelheid beinahe verbrannt wäre.“ Die Fürstin sah über die Arbeit starr vor sich hin: „Es ist etwas eigenes, das Kapitel von den Sympathieen und Antipathieen.“ „Von den Sympathieen haben wir das corpus delicti vor uns,“ lächelte Wandel, auf das Liebes¬ paar blickend. „Aber die Antipathieen haben etwas Monströses, sagte die Gargazin, weil wir sie mit allem Ver¬ stande uns nicht zu erklären wissen. Giebt es einen Gegensatz zum Magnet, einen Stein, der abstößt?“ „Feuer und Wasser mischen sich nicht.“ „Das ist es nicht, was ich meine. Das eine löscht doch, das andere durchglüht das andere. Aber wer erklärt diese innere Seelen- und Körperangst, die ein vernünftiges Wesen oft vom ersten Erblicken an gegen das andere empfindet? den angebornen Widerwillen, den geheimen Schauder, wo gar kein vernünftiger Grund da ist?“ „Doch vielleicht der Kitzel zu Paradoxieen! Das häßlich zu finden, was Andre entzückt, fordert der Widerspruchsgeist von selbst auf, der gerade begabten Naturen eigen ist.“ „Warum fürchtet sich Haugwitz vor Ihnen?“ Wandel schien etwas betroffen. Er wollte von dem Unglück sprechen, von geheimen Feinden ver¬ redet zu werden, wo ein Ehrenmann sich nicht ver¬ theidigen kann, weil ihm die Anklage selbst unbekannt blieb. Das war es nicht, was die Fürstin meinte. „Warum hat Louis Vater einen angebornen Widerwillen gegen die Lupinus? Ich weiß, er hat diese Antipathie. Er kann sie weder sich noch Andern erklären. Solch eine magische Scheu zieht sich durch's Leben, unzertrennbar von unsrer Persönlichkeit, wie wir von unserm Schatten. Was ist das nun? Ich, von meinem Standpunkte, könnte es mir deuten; aber ich wünschte Ihre Ansicht zu kennen. Sie Rationalist, Ihre Wissenschaft muß wenigstens vor sich selbst Alles zurechtlegen können, was in der Natur erscheint.“ Wandel hub an von den sich anziehenden und den sich abstoßenden Kräften, von den Stoffen, die als Wärmeableiter dienen, er ging zur Electricität über und stand beim Blitzableiter, ohne daß wir wissen, wie weit er sich in die Wolken, und von ihnen herab wieder in die psychische Welt versenkt hätte, als ihn die Fürstin abermals unterbrach. Möglich, daß er nicht ohne Absicht in die Doctrin sich verlor, weil er wußte, daß die Fürstin nie auf¬ gelegt war, Vorlesungen anzuhören, und er in dem Augenblicke noch weniger, sie zu halten. „Warum ist sie auch mir zuwider?“ „Zwei Sonnen vertragen sich nicht am Himmel, pflegte man zu sagen. Aber von Rivalität kann nicht mehr die Rede sein, wo die eine unterging.“ „Wenn ich Ihnen auch zugestände, daß ein solches Gefühl einmal da war, das ist es nicht. Es ist etwas Anderes. Ich kann mit ihr Komödie spielen, aber nachher überfröstelt es mich, wie Jemand zu Muthe sein muß, der erfährt, daß er mit einem von der Pest Inficirten Hände geschüttelt. Nach jenem letzten Abende erschien sie mir im Traum. Ihre kostbaren Kleider fielen in Lumpen, eines nach dem andern, ihr vom Leibe. Ich schrie auf, ich floh vor dem scheußlichen Gerippe. Ich war plötzlich aus dem Bette, und es stand noch immer vor mir, ja, es dauerte eine Weile, als ich schon die Augen mit Gewalt aufgerissen hatte, bis es in den Boden versank. Was ist das? Erklären Sie's mir.“ „Vielleicht die polarische Attractionskraft der Gegensätze. Wir träumen das Gegentheil von dem, was wir fühlten, dachten, erlebten, liebten. Das ist der Inhalt der Traumbücher. Die Geheimräthin ist immer sehr gewählt gekleidet, sie spricht und denkt ebenso, alles Rohe und Nackte überkleidend.“ „Darum erschien sie mir roh, nackt, scheußlich! — Wandel, ich möchte Sie einmal im Traum sehen.“ Der Haushofmeister war schon eine Weile näher getreten, als er sich jetzt über den Stuhl der Fürstin neigte und einige Worte ihr in's Ohr flüsterte. Die Fürstin ließ die Arbeit sinken; sie stützte den Kopf im Arm. Die verbissenen Lippen sprachen von einer unangenehmen Nachricht. Der Haushofmeister flüsterte sie auch dem Legationsrath zu: „Er ist eben verschieden!“ — „Le pauvre diable! sprach Wandel, die Achseln zückend. Hat er noch viel gelitten? Ich meine, hat er noch wie neulich phantasirt?“ — „Er warf sich noch einige Male unruhig, kreuzte sich, wiederholte den Namen der Fürstin, japste ein paar Mal auf, als wollte er etwas sagen. Solchen Kutscher kriegen wir nicht wieder!“ hatte der Haushofmeister erwiedert. „Warum mußte auch jetzt grade diese Störung kommen!“ sagte der Legationsrath und beugte sich über den Lehnsessel der Fürstin. „Wissen Sie, theuerste Freundin, mich schaudert doch zuweilen vor der Leibeigenschaft.“ Sie blickte verwundert zu ihm auf. „Ihre beredte Vertheidigung hat mich allerdings von der Naturnothwendigkeit des Institutes über¬ zeugt. Ich erkenne, welche unaussprechliche Wohlthat sie für diese Geschöpfe, Familien, ja diese ganzen Völkerschaften ist, die sich über ihre Naturdumpf¬ heit nicht erheben mögen. Ja, es ist ein berauschendes Gefühl für die von Gott dazu Erwählten, für diese Armen, Verlassenen, Urtheilunfähigen ihr Alles zu sein, Vater, Mutter und Vormund, für sie zu fühlen und zu denken, die Sorgen für unser eigen Wohl hintanzusetzen, um für Hunderte und Tausende von Seelen zu sorgen, welche die Vorsehung in unsre Hand legte. Von dieser Seite erscheint auch mir die Institution eine wunderbare, heilsame, aber der Exceß der Gefühle von der andern Seite hat doch etwas Bedenkliches.“ Sie verstand ihn nicht. „Was hat diesem Menschen den Tod gebracht, nachdem er in der Genesung so vorgeschritten, der Arzt hatte zuversichtlich seine völlige Heilung versprochen, als die Angst, Gewissensbisse kann man sagen, daß er so lange nutzlos liegen mußte, ohne die Güte seiner Herrin durch seine Dienste erwiedern zu können. Wie durchzückte es ihn, als er hörte, daß Eure Erlaucht einen Berliner Kutscher interimistisch angenommen. Er biß sich in die Lippen und ballte die Hand, daß ein Anderer, ein Fremder, seine ge¬ liebte Herrin fahren sollte. Wir verbargen es Ihnen, er sprang nachher heimlich auf, kleidete sich an, und war schon auf dem Wege nach dem Stall. Wir kamen noch zur rechten Zeit. Als man ihn wieder in's Bett brachte, überfiel ihn der Paroxys¬ mus; er phantasirte nur von Peitsche und Pferden, er umklammerte sein Kopfkissen, wie man Einen erwürgt, und nannte es Christian. Nenne man es Eifersucht, Brodneid, es war etwas Edleres, meine ich, aber von da ab gab der Doctor die Hoffnung auf. Es thut mir leid, von einem Todten es zu sagen, aber der Mensch hat sich selbst umge¬ bracht. Ein Selbstmord aus Pflichtgefühl. Diese Excesse des Gefühls, Sie mögen mich darum tadeln, aber ich kann sie nicht gut heißen. Etwas Egoismus ist jeder Creatur nothwendig, oder sie hört auf zu existiren. Selbsterhaltungstrieb und einige vernünftige Ueberlegung wären Sie auch Ihren Leibeigenen einzuimpfen ihnen und sich selbst schuldig.“ Die Fürstin warf ihm einen dankbaren Blick zu. Es giebt Momente, wo ein Kluger von einer groben, handgreiflichen Lüge angenehmer berührt ist, als von einer feinen, die wie ein lauer Abendwind sich als Wahrheit in sein Herz zu schmeicheln sucht. Ihr zweiter Blick war auf die Andern gerichtet; aber sie waren schon verschwunden. Es war ihr lieb: „Adel¬ heid darf nichts davon erfahren,“ sprach sie, zum Haushofmeister sich umwendend. „Sie sind nun ganz d'accord , wir Sie es wün¬ schen?“ warf der Legationsrath hin. „Heut im Thiergarten scheint die letzte Scheide¬ wand gefallen.“ „Welche?“ „Die Affection für ihren Lehrer. Sie haben Recht, Wandel, es giebt auch Excesse einer geistigen Leibeigenschaft.“ „Ich hielt diese für überwunden seit jenem Abend.“ „Das Bekenntniß der Liebe stöhnte noch immer unter den Fußklammern des Gewissens. Was der Mensch sich selbst quälen kann! Sie hat ihm be¬ kannt, wen sie um seinetwillen geopfert, das hat einige Thränen, Schluchzen, platonische Herzschläge verursacht, denn die Rivalen waren Freunde, aber sie sind auf gutem Wege.“ Des Haushofmeisters Verbeugung war eine Frage, welche die Fürstin verstand. „Wollen Sie mit mir — den guten Paulowitsch sehen?“ fragte die Fürstin den Legationsrath. Wandel schien ungewiß, welche Antwort sie er¬ wartete: „Man hat es der Geheimräthin Lupinus verdacht, daß sie die Leiche ihres Dieners wie die eines Familiengliedes pflegte und schmückte. Es ist hierorts nicht Sitte.“ „Man muß sich in die des Ortes fügen, sagte befriedigt und laut die Fürstin, und richtete den Blick nach oben. Ich werde den treuen Paulowitsch noch oft sehen. Den irdischen Qualen enthoben, schwebt sein verklärter Geist in die Räume des Lich¬ tes. Ob es da Hohe und Niedere, ob Herren und Leibeigene giebt, ob wir Alle wie Atome in der Se¬ ligkeit verschmelzen, die nichts Gesondertes duldet, Alle Accorde in dem großen Hallelujah, Glockentöne in der ewigen Harmonie!“ Sie sprach es, sich selbst anregend, mit silber¬ reiner Stimme. Aus dem andern Zimmer respon¬ dirte das Klavier, in Phantasien, die der Stimmung entsprachen; ein ernster Grundton, wie das Wogen des Meeres, aber wie Schaumwellen sprützte die Freude dann und wann auf. Es war Adelheid. Wandel hatte, um der Stimmung auch zu ent¬ sprechen, die Hände vor sich gefaltet. Als die Für¬ stin es bemerkte, trat sie an ihn und riß seinen Arm zurück: „Das sollen Sie nicht. Sie können gehen.“ Er schien einen andern Befehl erwartet zu ha¬ ben, aber mit einer spitzen Stimme wiederholte sie: „Gute Nacht, Herr von Wandel, ich will im Thomas a Kempis lesen. Die Lecture interessirt Sie nicht.“ Als der Legationsrath langsam die Hintertreppe hinunter über den Hof ging, sah er auf dem Bal¬ con, der nach dem Garten führte, Louis Bovillard auf einer Bank ruhend. Unter Myrthen- und Oran¬ genstöcken schien er, den Kopf im Arme, auf die Töne im Zimmer zu lauschen. Oder auch nicht. Als der helle Mondenstrahl, hinter einer Wolke vorkommend, auf sein Gesicht fiel, wäre der Beobachter vor dem finstern Ausdruck erschrocken, wenn es in Wandels Art gelegen hätte, zu erschrecken. Er dachte, mit einem schlauen Blick auf den dunkeln Garten, wohin eine leichte Treppe vom Balcon führte, das ist ja ein betrübter Anfang zu einer Wonnescene, als mit einem letzten Aufschlag das Spiel endete und der Klavierdeckel zufiel. Wandel empfand so wenig ein Interesse, das zu belauschen, was auf dem Balcon vorgehen würde, als für die Pens é en der Fürstin bei der Lecture des Thomas a Kempis, oder bei den Ge¬ danken, die über das Buch hinwegflogen: „Groß ist Salomo! sprach er, die Hofthür hinter sich zudrückend. Unter der Sonne geschieht nichts Neues. Und das Mirakel ist nur, daß sie um dasselbe Elend immer wieder von vorn anfangen!“ Nur die Nachtvögel hörten das Liebesgeflüster unter den Myrthen und Orangen. Der Mond be¬ gleitete es durch die Laubengänge des Gartens. Er lächelte nicht, er seufzte nicht; auch er hörte ja nur, was er durch Tausende und Tausende von Jahren gehört. Er kennt die stille Sprache des sanften Hände¬ drucks, was der Athemzug sagt, was die Locke spricht, die sich auf die Schulter senkt, wofür der Hauch aus der tiefen Brust keine Worte findet. Der Mond kennt alle Sprachen der Welt von Anbeginn, und weiß, daß keine ausreicht, um den Gefühlen der Liebenden Worte zu geben, nachdem sie Alles gesungen und gesagt, was sich singen und sagen läßt. Es waren keine Mondscheinsgedanken, die durch die verschlungenen Hände und Arme von Herz zu Herzen vibrirten. Es waren aber auch nicht Stürme, nicht Blitze, die aus Vulkanen zücken. Die Lieben¬ den schwebten auf den geglätteten Wegen, wie abend¬ lich ein Nachen über den spiegelglatten Fluß zum Ufer schwebt. Aber vorher, als die Sonne noch hoch stand am Himmel, hat der Kahn, unter Gesang und Rudergeplätscher, mit Wind, Sonnenbrand und der bewegten Fluth gekämpft. Davon ruhen sie jetzt aus, schweigend, es ist eine Stille, dem Verständniß, der Erinnerung geweiht. In den einsamen Gängen des Thiergartens erst hatte Louis erfahren, wem er sein Schönstes geraubt. Es war eine Gewitterwolke am klaren Horizonte; aber der dunkle Schatten, der auf seine Stirn fiel, zeigte die Gegend ringsum nur um so lachender. Welche Bekenntnisse entlockte er der Gelieb¬ ten! Darum ihre Kälte, Scheu; und nun hatte ein Wort sie freigegeben, Alles gelöst, sie wollte ihm Alles geben, was sie so lange ihm vorenthalten. Und was hatte er denn dem Freunde geraubt? Sein Schönstes, ja, aber nicht sein Alles. Hatte nicht Adelheid gestern einen Brief empfangen von Walter, einen freundlich heitern, eine Urkunde war es, worin er das ihm anvertraute köstliche Gut, wie er es nannte, der Eigenthümerin zur freien Disposition zurückstellte. Mit welchem Scharfsinn hatte er aus¬ einandergesetzt, daß er nie ein Recht darauf gehabt, daß es höchste Undankbarkeit sei, was die Dankbar¬ keit im überströmenden Gefühl des Augenblicks auf den Altar legt, als verfallen anzunehmen, als un¬ widerrufliches Eigenthum. Hatte er nicht klar aus¬ einandergesetzt, daß er nicht die Eigenschaften besitze, um Adelheid so glücklich zu machen, wie sie verdiene, dahin, in die glänzenden Höhen sie zu fühlen, wozu ihre Schönheit, Natur, die sichtliche Fügung des Him¬ mels sie bestimmt. Er sei ein stiller, sinnender Mann, sie berufen zu glänzen. Sein Verdienst wäre viel¬ leicht, daß dieser Glanz ein echter werden müsse, daß er sie gehütet vor dem Flitter und Schimmer, daß er die Hochgefühle einer deutschen Jungfrau in ihr geweckt; darauf sei er stolz; aber hatte er sich nicht zugleich angeklagt, daß er diese Ueberzeugung gewalt¬ sam unterdrückt, daß er so lange sich getäuscht, daß er, schon mit dem Bewußtsein, wie ihre Liebe nur Achtung sei, ein Pflichtopfer, sich fort und fort ge¬ täuscht, es könnten doch andre Gefühle für ihn zum Durchbruch kommen, und daß nicht ein freies Opfer von seiner Seite, sondern erst ein Zufall, ein Im¬ puls des Momentes, die lange Kette des Truges ge¬ sprengt habe? Und hatte er nicht endlich versichert, IV . 18 auch er fühle sich jetzt frei, glücklich, sie dürfe um ihn nicht sorgen, denn er sei nun zurückgegeben der heiligen, ernsten, höchsten Pflicht des Mannes, ganz seinem Vaterland zu leben. Mit Begeisterung hatte Adelheid den Brief vor¬ gelesen, dort auf der unter Brombeeren und Ham¬ butten versteckten Birkenbank, während der Wagen der Fürstin langsam auf der Chaussee auf und ab rollte. „Nun bist Du doch zufrieden,“ hatte sie gesprochen, und mit der Hand die Falten aus seiner Stirn geglättet. Er hatte geschwiegen, und seine Zufriedenheit in einem Kuß auf ihren Arm gehaucht. — Jetzt fuhr sie wieder mit der Hand über seine Stirn: „Kalt und feucht! Die Abendluft könnte Dir schaden!“ Die Nachtvögel zeigten ihnen den Weg. Sie flatterten, an die hellen Scheiben der Glasthür die Köpfe stoßend. Trüb brannte das Licht im kleinen Gartenzimmer. Sie hatten sich noch so viel ohne Zeugen zu sagen. Es war still im Hause, nur aus dem Souterrain tönte dumpfes Geflüster der Leute, die Fürstin saß in ihrem Armstuhl und hörte über den Thomas a Kempis nicht, wie Adelheid durch die Thür blickte. Aber als sie zurückkehrte, hörte auch Louis nicht ihr Kommen. In sich zusammenge¬ sunken, saß er auf dem kleinen Kanap é . Es war nicht die Erwartung, von der der Dichter gesungen. Erst ihr Arm, der sich sanft um seinen Nacken chlang, erweckte ihn. „Noch immer —Walter! Ist das recht!“ sprach sie. „ Der ist glücklich!“ seufzte Louis. „Glücklich!“ Sie blickte ihn vorwurfsvoll an. „Ist's die Lerche nicht, die in den Morgen¬ nebeln nach der Sonne steigt. Ist's der Träumer nicht, der die ganze Menschheit an die Brust schließen möchte! Ich möchte sie lieber erwürgen!“ „Sprich nicht so. Das ist der Rest Deiner Krankheit.“ „Vielleicht ein anderer Rest! — Er blickte starr vor sich nieder. Bin ich nicht ein Feuerbrand, bestimmt, was er anrührt, zu zerstören! Sie hatten's mir verhehlt, aber ich erfuhr es, als ich geboren ward hab ich meine Mutter umgebracht. Der Zer¬ störungstrieb war die Mitgift an meiner Wiege, und hat sie nicht in meinem Leben lustig gewuchert! Meinen Vater — doch davon still. Ich ward ein wüster Mensch auf der Universität, nicht ganz so schlecht als Andere, aber indem ich gegen die Schlechten losging, ward ich ein Störenfried unter den Guten. Die Guten sagen, um das Leben gut zu machen, muß man sich vertragen lernen, auch mit dem Schlechten. Ich habe es nie gelernt. — Ich habe in's Leben gerast. Ich wollte Niemand vernichten, und wie Viele habe ich zertreten. Kennst Du denn mein Leben, Adelheid? Soll ich das Alles heraus¬ ziehen aus dem Sumpfe, denn zwischen uns muß Wahrheit sein. Wie sie mich aus den Häusern ge¬ stoßen, auf der Straße mir auswichen, mit den Fingern auf mich gezeigt, bis —“ 18* „Bis Du Dich selbst aufrafftest!“ „Nein, bis ich auch Dich in's Verderben riß — damals — bis ich auch den einzigen, den treusten, wahrsten Freund nun um sein Heiligthum betrügen muß. Was ich berühre, opfere ich. Soll ich es hinnehmen, wie die Götter der Alten an dem rauchenden Blut der ihnen geschlachteten Menschen sich weideten! Was ist's denn in mir, frage ich, dies düster glühende Auge, das Zücken meiner Lippen, der nie gestillte Durst meiner Seele, daß mir das Beste, Köstlichste aufbewahrt ist! — Nun ich siech bin, trostlos hinter mir, trostlos vor mir, willst Du blühendes, junges, reines Leben Dich an den morschen Stamm ranken, ich soll, muß Dich zerstören, weil Du mein bist. — Ja, Walter hat Recht, nicht für ihn, aber Du bist auch nicht für mich.“ „Für wen denn?“ sprach sie, und der Ernst, der aus Louis Worten hauchte, schien plötzlich auf sie übergegangen. Aber Louis Ernst war ein düsterer, ihre Worte waren ein sonorer Metallklang. Er hatte es nicht gesehen, wie sie in krampfhafter Erschüt¬ terung den Arm von seiner Schulter zurückgezogen hatte, und das Gesicht mit beiden Händen bedeckte. So setzte sie sich in die andere Ecke des Sopha's, und eine Pause trat ein. „Weinst Du? Habe ich Dich gekränkt, Adelheid?“ „Ich weine nicht, sagte sie im selben Tone, und Du kannst mich nicht beleidigen. Ich dachte nur über mein Schicksal nach, und — bei Deinen Worten brach es heraus, ach, von so lange her! Louis, das Schicksal schleudert mich ja in Deine Arme. Was würde ich denn, was bin ich? O mein Gott, es ist schrecklich, wenn die Binde so mit einem Mal von den Augen fällt!“ „Du bist die gefeierte —“ „Puppe von — ich weiß nicht wie Vieler. War ich denn nicht herausgerissen aus dem Schooß meiner Familie, dem Glück, der Bildung, für die ich geboren war, haben sie nicht Alle an mir gear¬ beitet, mich zu erziehen, der Eine so, der Andere so, um aus mir zu machen, was ich nicht war, um mich zuzustutzen zu etwas, sie wußten selbst nicht, was, aber ihr Ziel haben sie Alle erreicht, die vielen Künstler, ich bin wie der Vogel, den man aus dem Neste nahm, und buntes Gefieder ihm anklebte. Die, denen das Gefieder gehört, erkennen ihn doch nicht an, sie spotten still über den Eindringling, aber zu den Seinen darf er auch nicht zurück. Er gehört da nicht mehr hin.“ „Welche Phantasieen, meine Adelheid!“ „Ich sehe nur zu klar, und nur zu lange ließ ich mich von der süßen, eitlen Gewohnheit einschläfern, daß ich die Augen nicht aufschlug, daß ich die Stimme nicht hörte, die im Innern immer deut¬ licher rief. Jenes abscheuliche Weib — o sie war noch die Beste, sie wollte mich nur einfach verderben; da war ich unschuldig; wie der Vogel, der aus dem Neste flattert, fiel ich in das Netz, das sie aus¬ gespannt. Aber die Andre, o mein Geliebter, ich fühle das Gift, daß sie in meine Adern sprützte, es schleicht noch jetzt, es zehrt noch.“ „Die Geheimräthin wollte Dir wohl!“ „Sie will, sie kann Niemand wohl wollen, glaube es mir, Louis. Sie hat kein Herz; darum wird ihr unwohl, wo ein Herz warm schlägt. Ich las von einem Gespensterthier, das Nachts sich auf die Schlafenden legt und das Blut ihnen aussaugt. Sie saugt auch das Blut aus, mit ihren spitzen Reden, ihren spitzen Blicken. Ich wäre schlecht geworden, Louis, das fühle ich, ich ward schon eine Andre, wie ein in Eis getauchtes Tuch warf sie's um die Brust, wenn edlere Empfindungen auf¬ zückten.“ „Was wollte sie mit Dir?“ „Martern will sie, sie muß martern, was glück¬ licher ist. Sie konnte den Kanarienvogel quälen, wenn er zu lustig schmetterte; sie beneidete das arme Thier im Käfig, sie marterte ihre Domestiken, ihren Mann, sich selbst auch, wenn sie sich ertappte, daß sie lebhafter gewesen, als sie scheinen wollte. O Lieb¬ ster, es ist entsetzlich, wenn ich daran denke, ein Traum, und mich schaudert, er ist vielleicht noch gräßlicher, als ich zu träumen wagte!“ „Und alle Welt bewundert sie.“ „Die Welt hat Recht. Diese Frau und dieser Mann dazu —“ „Welcher?“ „Der Legationsrath. — Sie sind beide — hohl, verrathe mich nicht, Louis, ausgehöhlte Gespenster. Sie haben alles menschliche Gefühl aus sich gesogen, gepreßt. — „„Man muß die Empfindungen und Re¬ gungen, die uns stören, aus sich heraus destilliren,““ hörte ich ihn einmal sagen, und das haben sie, sie haben daraus präparirt die schöne Glätte, den glän¬ zenden Firniß, den die Welt bewundert.“ „Mein Gott, woher kam Dir die Erkenntniß?“ „Weiß ich's? Sie hielten mich für das Schoo߬ kind, das man ausputzt, in den Armen schaukelt, mit Glanz und Süßigkeiten nährt, von dem man alles Unangenehme fern hält, auch die Gedanken — und die Gedanken kamen doch, von selbst — ich war unaussprechlich unglücklich!“ „Dich mißhandelt?“ Sie nickte: „Es waren unsichtbare, feine Geißel¬ schläge, die Luft fühlte sie kaum. Wie ein feiner, ätzender Staub auf die Lunge geworfen.“ „Und Du mußtest es dulden?“ „Wie schließt man das Auge vor dem Zücken des Blitzes, das blaue Licht schießt durch die geschlosse¬ nen Lider. — Ich mußte es dulden, ohne ihr entfliehen zu können, und es war mir auch nicht erlaubt zu klagen. Und ich mußte immer lügen — lügen von unermeßlicher Dankbarkeit; wenn ich es nicht ausgehalten wäre ja das Urtheil der Welt über mich zusammengebrochen —“ Er warf, die Hände faltend, sein Gesicht in ihren Schooß: „Und daran war ich schuld!“ „Nein, klage Dich nicht an. Es war eine Kette von Bestimmungen. Aber untergegangen wäre ich in der Lüge, das fühle ich. Je größer sie ward, so kälter schlug's mir an's Herz.“ „Gott sei Dank, eine Frau, die warm fühlt, nahm Dich zu sich.“ Adelheid war aufgestanden. Sie schüttelte den Kopf. Eine hohe Röthe überzog ihr Gesicht, als sie sich zu ihm umwandte, die Hände sanft auf seine Schultern legte und seine Augen küßte: „Laß uns davon nicht sprechen, Liebster.“ „Du zweifelst an der Güte der Fürstin?“ „Meine Augen wurden geöffnet, wunderbar klar liegt es vor mir; Blicke, um die mich Niemand be¬ neiden darf. Das ist die entsetzliche Schule der Lupinus. Nein, mein Geliebter, laß uns davon schweigen.“ „Auch hier nicht glücklich?“ „Ich werde glücklich, denn ich werde wieder ich selbst.“ Er blickte sie fragend an. „Bin ich denn mehr, als ich dort war! Da wollte man den seltenen Vogel in ein Bauer sperren, dort flatterte ich an einer unsichtbaren Kette, hier läßt man mich frei fliegen, weil man weiß, ich kann nicht entfliehen. Ich habe ja kein Haus, wohin. Eine Leibeigene bin ich, nicht anders als die da unten auf den Bänken schlafen müssen. Jeden braucht man, wozu er gut ist, und so lange er dazu gut ist. Mich staffirt man aus mit allem Glanze, so lange es sich lohnt. Wenn ich nicht mehr hübsch bin, nicht mehr singen, Musik machen, nicht mehr tanzen kann, nicht mehr muntere Antworten gebe, nicht mehr die Her¬ zen entzücke, dann wirft man mich fort wie jedes andre unnütze Werkzeug. Sie hat so wenig ein Herz für mich, als die Lupinus. Und die Andern! Sehe ich denn nicht, wie man mich abschätzt? Gehöre ich zu diesen Erwählten? Fühle ich nicht unter ihren Complimenten und schmeichelnden Reden heraus, was ich ihnen bin, was ich ihnen wäre ohne den geliehenen Lustre? Rümpfen diese vornehmen Damen nicht die Nase, wenn ihre Töchter mich einladen, mich mit ihren Freundschaftsversicherungen überschütten? Zittern die Mütter nicht, wenn die Söhne mir zu viel Aufmerk¬ samkeit erwiesen? Nahte sich mir denn mit ernster Absicht in der langen Zeit nur ein edler Mann aus diesen Kreisen? Herr von Fuchsius ist ehrlich genug: er trat bald zurück, weil ich kein Vermögen besitze. Die Andern sagen es nicht, aber ich lese ihre Ge¬ danken. Mitten im Zauberwirbel der Geselligkeit, der Pracht und rauschender Lust, bin ich eine Fremde, mitten in den Schaaren, die mich umdrängen, eine Gemiedene. „Wer wird sie denn nehmen!“ hörte ich eine vornehme Dame zu einer andern flüstern, nach¬ dem sie vorher nicht Worte genug gefunden, mir Schönes zu sagen. „Sie ist doch nur eine Gesell¬ schafterin, erwiederte die Andre; ein vornehmer Lock¬ vogel.“ — „Und mit solchen Ballschönheiten geht's bald zu Ende.“ — „Dann kommt zuletzt doch noch Einer, der erste Beste, setzte die Andre tröstend hinzu. Und unter der Haube ist unter der Haube.“ „Warum hört Adelheid auf das Geschnatter!“ „Weil ich es hinter ihrem geschlossenen Munde lesen würde. Ja, ich bin eine Gebrandmarkte — erschrick nicht, Louis, vor dem Wort, es ist nicht so übel, es sind viele Bessere als ich, ich könnte zuwei¬ len sogar stolz darauf sein. So stolz, daß ich auch meine Gleichen suche. Brauchst Du noch Beruhi¬ gung um Deinen Freund, so wisse, ich hätte jetzt Waltern nicht mehr die Hand gereicht. Er war mein Mentor, mein Schutzengel, er hob mich, ihm danke ich, daß ich nicht unterging in dem Sumpfe; aber nun steht er mir auch so hoch da, daß ich den stil¬ len, reinen Strom seines Lebens durch meine Be¬ rührung nicht trüben, nicht stören darf und will. — Du bist mein Retter. Wir haben uns nichts vorzu¬ werfen, wir sind beide Fremde, Mißverstandene, Ge¬ miedene, Ausgestoßene, und unsre Herzen schlagen zu einander. Das hinter uns lassen wir ruhen, und blicken — wir flüchten beide — in eine bessere Zu¬ kunft.“ „Wie Du selbstquälerisch Dich erniedrigst, sprach er, ihre Hand an sein Herz drückend. Wenn der gerechte Richter die Wage hält, ist die Schwere Deiner Schuld wie die Flaumfeder, die in der Luft sich wiegt.“ „Die Welt ist kein gerechter Richter; sie wägt auch nicht die Schuld, sie wägt nur die Verhältnisse ab. Auch der gerechte Richter fragt, was ich bin, nicht was ich hätte sein können. Was bin ich denn! Nicht hier, nicht dort eine Wahrheit! Ein halbes Kind, her¬ ausgerissen aus dem elterlichen Hause, lernte ich tän¬ zeln, ehe ich gehen kennte, Komödie mußte ich spielen, ehe ich von dem etwas wußte, was ich spielen sollte. Ehe ich eigen gedacht, empfunden, gelebt, lernte ich reflectiren. Die schlichte Bürgerstochter, plötzlich gestoßen in Kreise der ersten Geister und der vornehmen blasirten Men¬ schen, mußte ich Angelerntes hersagen. Louis, erschrickst Du nicht, wie ich rede! Ist das die natürliche Sprache eines zwanzigjährigen Mädchens! Soll, darf sie reflek¬ tiren, wie ein Mann, der die Lebensschule durchgemacht hat! Ich erschrecke oft vor mir selbst; ich schaudere, wenn ich in den Spiegel sehe. So haben sie mich heraufgeschraubt zu einem unnatürlichen Dasein. Ich frage mich oft in Stunden der Verzweiflung: kann mich wer so lieben? wer sich mir vertrauens¬ voll hingeben? Statt eines kindlichen Mädchens eine, die die Schlechtigkeit der Menschen im tiefsten Grunde kennen gelernt —“ „Aber unberührt von ihr blieb. Deine schöne Natur hat gesiegt.“ Sie strich ihm die Locken aus der Stirn: „Sei ehrlich! Wäre es Dir nicht lieber, wenn ich ein Kind wäre, das arglos, neckisch, vertrauensvoll sich in Deine Arme würfe? So zerdrücke ich oft eine stille Thräne, wenn ich im Hause bin, wo ich nicht mehr zu Hause bin, wenn die jüngern Schwestern mich mit neugierigen Fragen bestürmen, über die ich lächeln muß. Wäre ich wieder so! ruft es, aber ich möchte doch wieder nicht so sein, ich könnte nicht wieder so sein, — es ist eine Kluft gerissen, und ich gehöre nicht hierhin, nicht dorthin. Das ist der Fluch —“ „Nicht Deiner Schuld.“ Sie blickte sinnend vor sich und schüttelte lang¬ sam den Kopf: „Wenn mein Herz blutete und springen wollte unter der schillernden Maske, log ich nicht, indem ich nicht aus der Rolle fiel? Mischte nicht da etwas Falschheit sich unwillkürlich in mein Denken und Thun? Ich log mir Entschuldigungs¬ gründe vor. Die Phantasie ist unerschöpflich. Ich log mir vor die Vortrefflichkeit meiner zweiten Mutter, der Gesellschaft, der Welt, bis es nicht mehr ging, bis das Bewußtsein herausplatzte. War es keine lange Lüge, die ich auch mit Dir gespielt? Schon da an dem schrecklichen Orte! Dein Blick hatte mich verwundet, aber die Wunde that nicht weh. Hatte sich Dein Gesicht mir nicht eingeprägt! Es durch¬ schauerte mich mit Angst, als Du mich verfolgtest, aber es war eine bange, süße Angst, bis an jenem Abend, wo Du —“ „Da schon! Entzückendes Bekenntniß!“ Sie nickte, die Hände vor'm Gesicht. „Ja, da schon, wie ich Dich mit kaltem Mitleid von mir stieß, Dir verzieh unter der Bedingung, daß Du mich nicht wieder sähest, als ich Dir sagte, ich könne Dich nie lieben, es war schon eine Lüge. Ich preßte das Feuer mit aller Gewalt in die Brust zurück. Ich log mir vor, daß es nur Mitleid sei, daß ich Dich verabscheue, und ich log weiter. Es war die Angst vor Dir, vor mir selbst, ich wollte mich retten aus dem Strudel, aus dem Hause, Selbstsucht war's, als ich an Walters Brust bekannte; ja es war Liebe, aber nicht ihr Sonnenschein, ein süßes Mondenlicht, die Liebe der Achtung, der Dankbarkeit, der Be¬ wunderung. Jahre sind über diese Lüge hingegangen, sie machte mich bitter, unzufrieden, ich mußte mich selbst verachten, und — ist das keine entsetzliche Schuld, daß ich zwei Jahr das Lebensglück des edelsten Mannes erschüttern mußte. — Schuld gegen Schuld, Geliebter, wir haben beide zu büßen und gut zu machen. Einer muß sich am Andern stützen, auf¬ richten, — Einer dem Andern Muth zusprechen. Das Leben hinter uns begraben wir und fangen beide ein neues an.“ Achtzehntes Kapitel. Der Weg zum neuen Leben. Von der düster brennenden Kerze war ein ver¬ glimmendes Dochtstück nach dem andern gefallen; hier ohne Schaden auf die Marmorplatte des Tisches. Auch war es nicht dunkel im Zimmer, der Mond und das dämmernde Morgenlicht erhellten es. „Das ist mein Vaterland,“ murmelte Louis, in das Licht starrend. Adelheid fühlte wunderbare Kraft; er schien zerknickt. Mit wie leuchtenden Blicken er auch ihren Reden zugehört, das Leuchten verschwand allmälig, das Auge ward matt, ein wehmüthiges Lächeln spielte um seinen Mund, und die Augenwimpern senkten sich wie die eines Einschlummernden. Und sie hatte doch, eine begeisterte Prophetin, gesprochen. Den Weg zum neuen Leben hatte sie ihm gezeigt — es gab nur einen — das Vaterland. Die angebornen Bande knüpfe fest. An's Vaterland, an's theure, schließ Dich an, Das halte fest mit Deinem ganzen Herzen! Hier sind die starken Wurzeln Deiner Kraft; Dort in der fremden Welt stehst Du allein, Ein schwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt. Und das eine Vaterland war ein größeres geworden. Es war nicht heut erst der Gegenstand ihres Ge¬ sprächs. Warum hatte Louis immer durch ein stilles Nicken, was eben so gut dem schönen Munde und den schönen Worten galt, geantwortet? Er seufzte tief auf: „Wo ist denn Deutschland?“ „Ich spreche nicht von dem Traum hinter uns, Lieber, sagte sie lächelnd, nicht vom Kyffhäuser und der Kaiserherrlichkeit. Du moquirst Dich darüber. Das deutsche Vaterland liegt vor uns —“ „Das Walter Dir malte,“ unterbrach er. „Walter und Hunderte und Tausende, unsere Edelsten!“ „Was in der eignen Brust des Schwärmers lebt, überträgt er auf die Millionen Creaturen, in denen nichts lebt, als der Gedanke, wir sie morgen satt werden.“ „Als wüßte ich nicht, wie Du voriges Jahr in edler Begeisterung selbst Deinen Vater auf¬ wecktest!“ „Damals! seitdem — Gieb die Hoffnung auf. — Dies Volk erwacht nicht wieder, es ist kein Volk. — Deutschland ist ein Traum der Dichter!“ „Und eben floß Palm's Blut dafür. Es raucht zum Himmel.“ „Und ist übermorgen vergessen.“ „Ueberall knirscht die verhaltene Entrüstung, Greise, Knaben, schwache Frauen, kannst Du ihre Stimmen verleugnen, die Thränen der Wuth, die am stillen Heerde geweint werden!“ „Ich hörte sie, ich sah mehr als Du; sie schnitten Pfeifen aus dem Rohr, mit den Trompeten sollten sie's aufnehmen, sie sprangen auf die Bänke, Einige, und ihre Fäuste zerdrückten in der Luft den Eroberer; die Andern brüllten dazu und stampften das Seidel auf das Brett. Wenn man uns nur ruft! Pamphlete über Pamphlete, von den Kanzeln donnerte es, Schmähworte, Verwünschungen — heute! — Ueber¬ morgen sah ich sie wieder, er war als Sieger ein¬ gezogen. Sie hatten die Dächer ausgehoben, ihn zu sehen. In den Schänken war auch nur eine Stimme — der Bewunderung: die herrlichen Bärenmützen, die Bärte der Sappeurs, nein, das war ganz anders als bei uns. Die Einquartierung so liebenswürdig, sie hatte nicht den Teller zum Fenster hinaus ge¬ worfen, sie hatte ein Kind auf den Armen gewiegt; o es waren prächtige Menschen, verleumdet, sie hielten Mannszucht. Die Jungen, die die Pfeifen geschnitten, machten ihre Exercitien nach. Wo gab es bei den Deutschen einen Tambour-Major!“ „Das ist ein Pasquill auf den Pöbel überall.“ „Der in Frankreich war ein anderer. O, die gepuderten Ehrenmänner! Gute Deutsche, sangen sie Claudius Rheinweinlied, und die Augen gingen ihnen über, aber — aber nachher sah ich sie anders. Die Verhältnisse waren ja auch anders. So lange es ging, war es gut, was aber nicht mehr geht, ist nicht mehr gut. Man muß nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen wollen. Wer nicht bei Zeiten nachgiebt, hat nachher das Zusehen. Und im Grunde genommen, was ist es denn, was ein guter Bürger braucht? Ruhe und Ordnung, Handel und Wandel. Dafür zahlt er seine Steuern. Was kümmert's ihn, an wen!“ „Sind die Krämer die Nation?“ „Wenn Du Pöbel, Alltagsseelen und Kaufleute davon nimmst, was bleibt vom Volk? O, erinnere mich nicht daran. Ich habe auch die Andern kennen gelernt. Da in den Ameisenhaufen, wie sie rannten, Einer über den Andern, um zu retten — sich ! Das war ein Wirbelsturm der Angst, wer zuerst ankomme. Nur die Fahne des Vaterlandes brauche es aufzupflanzen, meinten unsere Freunde, ein Trompeter daneben, und die Deutschen würden in hellen Haufen heranbrausen, Waffen! schreien. Die gute Fahne wäre zur Vogelscheuche geworden, sie wären in ihre Verstecke gelaufen, wie vor einem Pestzeichen. Nein, ich hörte Hüons-Horn, der Kaiser der Franzosen stieß hinein, und sie tanzten sich rasend, todt. Wer das mit ansah, Adelheid, dieses Kriechen, Antichambriren, diese Botschaften IV . 19 der kleinen Hohen und Höchsten, wie sich jeder ent¬ schuldigte, seine Veneration auf dem Präsentirteller vor dem Unüberwindlichen hinhielt, wie er den Andern fortstieß, verredete, denuncirte, wie er, kaum daß er die Unterwerfung unterzeichnet, auch schon um die Belohnung petitionirte; wie sie, die Stolzen, Hoch¬ gemuthen, mit Ahnen von Odin und aus dem Cheruskerwalde, seinen Satrapen um die gestickten Rockschöße tänzelten, froh eines Händedrucks, und wenn sein Vater auch ein Stallknecht gewesen! Ihre Elsteraugen verschmerzten auch einen Sporentritt um die Erlaubniß, mit zugreifen zu dürfen, wo sie ausgeschüttet lagen, zu Füßen des Giganten, die Klöster, Stifte, Städte, Schlösser, Abteien. O, wie er lächelte, das gelbe, schöne Gesicht mit den klugen durchdringenden Augen, als er mit der Fußspitze ihnen die Erlaubniß zustieß, und sie stürzten hin und rafften. „Waren das meine Feinde!“ sprach der Apoll mit dem Satanslächeln. Wer das sah —“ „O weh, seufzte Adelheid mit abgewandtem Gesicht, er hat auch den Glauben an sein Vaterland verloren.“ „Klage die Grüfte an! sprach er dumpf vor sich hin. Die da haben's verschuldet.“ Sie sah ihn mit tiefer Wehmuth an, und eine helle Thräne fiel aus ihren Wimpern. Sie galt nicht dem Vaterlande. Saß er nicht da wie eine schöne Ruine, ein Verschwender am letzten Rest seiner Habe! — Mit geknicktem Glauben und ohne Hoffnung! Aber er war ja noch krank!“ „Der Erzherzog Karl war einst Dein Held! Noch lebt er.“ „Es lebt nur Einer, rief er aufstehend — er, der Gigant, vor dem diese Misere daliegt, wie das Blachfeld vom höchsten Thurm gesehen. Er wird ihr Wohlthäter werden, nicht wie unsere Philanthropen faseln, nicht weil er sie erheben, verständiger, besser, glücklich machen, weil er die Qual ihres Daseins enden wird. Wer, die nicht leben können, schnell sterben läßt, ist ihr Wohlthäter. Sein Sieges¬ wagen mit schnaubenden Rossen wird über die Staaten und Throne rasseln, und die zerbrochenen Scepter liegen wie Spreu an den Landstraßen. Was bauten sie die Throne nicht fester, warum stahlen sie der Sonne den Schein, um ihre Kronen zu vergolden! Beim feuchten Herbstwinde kommt das schlechte Metall zum Vorschein. Was brauchten sie die Stäbe nicht als weise Richter, warum als Korporalstöcke! Warum ward die Weisheit schimmlig, die Kraft stockig? Ihnen geschieht Recht und den Völkern. Zum Kehraus wird geblasen, mit Posaunen, Pauken und Kanonen. Er ist der Mann dazu, seine Seele Stahl. Die Weichherzigen, die Gemüthlichen haben ausgespielt; die Menschheitsthränen sind in den Sumpf gefallen, aus dem kein reiner Bach mehr entspringt; es muß wettern, blitzen, donnern, daß das Unterste sich zu oberst kehrt. Meine Seele jauchzt, 19* ein Weltgericht ist im Anzug und das neue Evan¬ gelium in Blut und Brand getauft.“ Adelheid erschrak nicht, es zückte ein Freuden¬ strahl in ihrem Auge. Das war ja das Schütteln eines Fiebers. Louis zitterte, indem er den Rock vor der Morgenluft sich zuknöpfte; aber ein hitziges Fieber bringt eine Krisis hervor, das schleichende nur ist ohne Hoffnung. Stahl war noch in dieser Seele. „Du bist für ihn begeistert?“ sprach sie rasch. „Du bist ein freier Mann, fuhr sie fort, als er schwieg. Senke nicht den Blick, ich erschrecke nicht darüber, ich freue mich, daß Du begeistert bist. Louis Bovillard, ist das französische Blut in Dir erwacht? Du begehst dann kein Verbrechen, wenn Du das erworbene Land Deiner Väter abstreifst, wo Dich nichts mehr fesselt. Du kehrst zurück in das Land Deiner Vorfahren. Siehst Du da nur Leben, Rettung, für einen großen Gedanken, für Dich, o so zaudere nicht, aber offen, ehrlich, kehre dahin zurück, zu ihm, den Du für einen Heros und Heiland hältst, schlürfe den Feuerathem ein aus seiner mächtigen Brust, diene ihm, wie Du willst, Du wirst in jeder Gestalt willkommen sein, und lebe auf als Mann. —“ Er schwieg noch immer. — „Dein Vater hat es Dir ja leicht gemacht. Er hat seine französischen Erinnerungen wieder an's Licht gezogen, so etwas gefällt jetzt an Napoleons Hofe“ Er schwieg noch immer, dann brach es heraus: „Ich kann ihn aber nicht lieben.“ „Aber, Louis, Du bist ein Mann. Ein Mann muß lieben oder hassen; in wetterschweren Zei¬ ten darf er nicht die Hände in den Schooß legen, abwarten, was kommt. Mein innig Geliebter, Du darfst nicht unter die Alltagsmenschen versinken. Dein edles Selbst darf nicht untergehen in dem Schwarm, den Du verachtest; nein, aufrichten sollst Du Dich, stärken am Anblick der Jämmerlichen, deren Unent¬ schiedenheit das Elend über uns gebracht. Du mußt Dich entscheiden; hast Du gewählt, o dann wird der Funke wieder sprühen, er wird Dich drängen zum Handeln. Wo Du wählst, ich folge Dir.“ Er hielt seine Hand auf ihre Stirn: „Wäre ich Sachse gewesen, und hätte den großen Karl bewun¬ dert, ich glaube doch nicht, daß ich gegen mein Volk streiten könnte.“ Ihr Auge blickte ihn freudig an. „In dieser Luft bin ich, sind meine Väter ge¬ boren, in diesen Sitten, Gewohnheiten sogen sie das Leben ein, zeugten ihre Kinder. Wir erwarben ein Vaterland, und es hat uns erworben. Ich hätte in den Reihen der Sachsen gestritten, Adelheid, auch wenn ich gewußt, daß Karl sie zertreten mußte.“ Sie hatte gesiegt, er war wieder gewonnen, dop¬ pelt gewonnen. Es waren Momente der Seligkeit, die Feder und Farbe umsonst zu malen versuchen. Die Morgenluft wehte schon frisch in's Zimmer, als sie die Balconthür öffneten, die ersten Vögel erhoben ihre zwitschernden Stimmen in den dunkeln Gebüschen und ein röthlicher Streifen färbte den östlichen Ho¬ rizont. Im Himmel und in den Büschen war noch Poesie. Die gefiederten Sänger brauchen nicht für morgen zu sorgen. Der himmlische Vater speist sie, aber von denen, welchen er Verstand gab, fordert er, daß sie selbst ihre Speisung suchen. Es galt, für Louis einen Wirkungskreis zu suchen, und auf die Poesie folgte ein langes prosaisches Gespräch. Es geht nun einmal nicht anders im Leben. „Du glaubst nicht, wie mich der Gedanke an¬ widert, für diesen Staat zu arbeiten, mich hineinzu¬ werfen in einen Topf, wo der Zufall die Loose zieht, zum Werkzeug herzugeben, wo Keiner weiß, was er will, und Niemand, wessen Wille gilt. Ja, wär's in Oestreich, im kleinsten Lande, wo sie den Muth haben sich zu gestehen, was sie wollen. Und wär's das absolut Schlechte, die Gewißheit ist ein Trost.“ Sie war beredt, sie hatte Trost auch dafür. Oestreich lag auf den Tod verwundet, wo war das deutsche Land, wie er es wünschte! Preußen konnte in diesem Augenblick Alles wieder gut machen, es stand da wie berufen, einzutreten in die große Ge¬ schichte. Durfte da Einer seiner Söhne sich losrei¬ ßen, in der Fremde kämpfen wollen? Sie hatte Schillers dreißigjährigen Krieg eben gelesen. Sie erinnerte daran, wie die letzten Ritter für die gei¬ stige Freiheit von einem Fürsten und einem Heer, wenn diese geschlagen, zu dem andern übergingen, und mit dem letzten Häuflein, das noch im Felde stand, kämpften sie unverzagt, ohne die Hoffnung zu lassen — und die Hoffnung ließ auch sie nicht zu Schanden werden. Das Kämpfen mit dem Schwert war jener Zeit für den, der nicht dafür geboren oder dazu gezwun¬ gen war, ein noch fremder Gedanke. Es gab viele Wege, dem Vaterlande sich zu widmen. Der gefun¬ dene sollte zugleich der zu ihrer Verbindung sein. Adelheid erröthete nicht vor dem Gedanken, daß sie ihr Glück daran knüpfte. Wer nicht zugleich an den theuren eigenen Heerd denkt, dessen Liebe zum Vater¬ lande ist ein Feuer, das in den Schlott prasselt und keine Wärme zurückläßt, hatte Walter gesagt. — Es lag wieder kraus vor ihnen, sie konnten den Weg nicht finden. Die Fürstin wollte sich damit nicht be¬ fassen; Adelheid wußte nicht, weshalb, denn sie glaubte nicht an den vorgeschützten Grund: eine Fremde dürfe sich nie in die innern Angelegenheiten eines Staates mischen. „Die Verwendung meines Vaters würde einen Preis kosten, rief er unwillig, für den ich alle Aemter der Welt fortstieße.“ Aber soll uns das kümmern! schienen Beider Blicke sich zu sagen. Sie hatten die Hände in einander geschlungen zum Ab¬ schied. Da röthete sich plötzlich wunderbar Adel¬ heids Gesicht, als sie eben gesprochen: „Muth, Lieber, wir haben uns ganz gefunden, das Uebrige wird sich von selbst machen. Wer weiß, was Du zu Hause findest!“ Die Röthe kam aber nicht vom Blut; es war der erste Sonnenstrahl, der durch die Büsche schoß. Sie nahmen es als ein gutes Omen. Adelheid führte ihren Freund auf dem Wege, den vorhin Wandel genommen, durch das Souter¬ rain nach der Hofpforte. Als sie die steinerne Wen¬ deltreppe hinab waren, kam ihnen Lichtschein entge¬ gen. In der Mitte des Flurs lag eine Leiche, die Diener hatten Kerzen darum angezündet. Sie starr¬ ten zurück. „Eine Leiche!“ Adelheid unterdrückte einen Schrei. In dem Augenblick ward ihr Name oben von der Fürstin gerufen. „Wir müssen scheiden!“ — „Bei einer Leiche! Das ist ein böses Omen, Adel¬ heid.“ — „Ein gutes! rief sie an seinem Halse. Auch der Tod soll uns nicht erschrecken, auch der Tod nicht trennen!“ Die Fürstin war sehr blaß. Mit gläsernen, durchwachten Augen starrte sie das junge Mädchen an, aber nicht verwundert, sie noch wach zu finden. Sie fragte auch nicht, woher sie komme. Es war eine innere Bewegung, als sie Adelheid an sich drückte und sie bat, bei ihr zu wachen, oder auf dem Sopha zu schlafen. Sie hatte gelesen, das Buch war ihr entfallen, und sie hatte böse Träume gehabt, oder Visionen, wie sie sagte. Man sah, sie fürch¬ tete sich in der unheimlichen Einsamkeit des grauen¬ den Morgens. Adelheid wollte die Kammerfrau wecken. Die Fürstin schüttelte den Kopf: „Thun Sie es diesmal selbst mir zu Liebe.“ Sie zitterte heftig, als Adelheid sie entkleidete; sie hatte nie die Fürstin zittern gesehen. Auch war sie seit lange nicht so zärtlich gewesen. Als sie ihr zum Schlafengehen die Hand drückte, sprach sie: „ A propos , ich vergaß Ihnen zu sagen, die Königin hat sich wieder durch die Voß nach Ihnen erkundigen lassen. Bereiten Sie sich vor, bei nächster passender Gelegenheit werde ich Sie der Majestät vorstellen. Sie werden ihr sehr gefallen.“ Die aufsteigende Sonne konnte nicht durch die schweren Jalousieläden in das dunkle Zimmer dringen, sonst hätte sie auf dem Sopha ein sehr frohes Gesicht gesehen. Das Lächeln blieb, als Adel¬ heid einschlief. Sie hatte sich bis heut vor der an¬ gekündigten und immer wieder aufgeschobenen Vor¬ stellung vor der Königin gescheut. Heut träumte sie, daß Engel sie zu ihr führten. Als Louis Bovillard in sein Zimmer trat, goß die Tageskönigin ihr erstes volles Roth durch das Fenster. Alle Gegenstände waren purpurn, am leuch¬ tendsten aber sein Gesicht, als er in dem Goldschein Walters Brief las und überlas. Er mochte zuerst glauben, es sei ein Traum. — Er zerdrückte eine Thräne, die sich über die Wimpern schleichen wollte, riß das Fenster auf, schlürfte die wonnige Morgen¬ luft ein und warf sich dann lächelnd auf's Sopha. Es war am späten Vormittag, als er erwachte, aber sein Gesicht lächelte noch immer. Neunzehntes Kapitel. Verfallene Wechsel. Wer nicht beobachtet sein will, verhängt seine Fenster. Wer Geheimes schafft, verstopft auch die Schlüssellöcher. Das weiß ein Dummkopf, aber den Klügsten, welche den Luftzug berechneten, der durch ein Mauseloch dringen mag, passirt wohl, daß sie vergaßen, den Schlüssel in der Thür umzudrehen. — Weise sagen, wenn den Klugen das nicht zuweilen passirte, wär's in der Welt nicht auszuhalten; die Affecte, die sie unbesonnen handeln lassen, seien das Salz, welches das Leben vor der Fäulniß schützt. Behaupten doch noch Weisere: wenn alle Menschen verständig wären und Charakter hätten, müsse die Welt vor lauter Reibung in Flammen aufgehen. Der Legationsrath von Wandel wollte heut ge¬ wiß nicht beobachtet sein. Er war in seinem Labo¬ ratorium, eine kleine alte Küche nach dem Hofe hin¬ aus, die, unbenützt zum gewöhnlichen Gebrauch, an seine Zimmer stieß. Es war kaum nöthig gewesen, die Fenster mit Matten zu behängen; durch ihre, alle Farben schillernden, mit Staub und Spinne¬ weben umzogenen Scheiben wäre kein Blick ge¬ drungen. Hier durfte kein Diener Ordnung schaf¬ fen, keine Aufwärterin den Staub wegkehren. Es ward Niemand eingelassen, außer bei besonderen Ge¬ legenheiten der Assessor und Apotheker Flittner, der Geheimrath Hermbstädt und andre bekannte Chemiker. Aber dann hatte die Küche ein etwas veränder¬ tes Ansehen. Um irgend ein glänzendes Experiment zu zeigen, waren Töpfe, Tiegel fortgestellt, es war der übrige Apparat mehr theatralisch geordnet. Auch wurden ein Gerippe, und zwei Frauenbilder, die an der Wand hingen, beseitigt. Wahrscheinlich saß auch der Legationsrath nicht ganz in dem Kostüm wie heute vor der Retorte — in Hemdsärmeln, weiten Unterbeinkleidern, um den Kopf einen turbanartigen Bund gewickelt, auf der Nase eine große Brille mit Ohrenklappen, und mit einem seidenen Halstuch, das über die Lippen und halb über die Ohren ging. In dem einen Tiegel kochte ein Stoff. Er schob das Tuch höher und drückte den Turban tiefer in die Stirn, wenn er mit einem Spahn darin rührte, und neue Ingredienzien hinzuthat. Alsdann schien er dem Kräuseln des Rauches, der sich in den Schlott verlor, mit Aufmerksamkeit zu folgen. Das erste Experiment mußte geglückt sein, das Residuum des Tiegels ward in eine Retorte gethan, und der Lega¬ tionsrath sah dem Entwickelungsprozeß des Gases mit einem stillen Vergnügen zu. Darauf deutete wenigstens der halb verzogene Mund und der schlaue Blick des halb schielenden Auges, während er auf dem Schemel zurückgelehnt saß, ein Bein über dem andern wiegend. Sein Blick fiel aber auch auf die beiden Frauen¬ bilder. Wie er mit den Augen zwinkerte, schien er mit ihnen ein eigenthümliches Gespräch zu führen. Seine Lippen bewegten sich, er gesticulirte mit den Händen. Ein Diagnostiker hätte vielleicht bemerkt, daß ihm die Unterhaltung einige Anstrengung kostete. Wenn er noch schärfer sah, würde er aber auch bemerkt haben, daß es Wandels Absicht war sich zu etwas zu zwin¬ gen, was ihm Pein verursachte. Es giebt eine Wol¬ lust, die auch den Schmerz aufsucht. Die beiden Bilder waren in Wasserfarben, beide schöne Frauengesichter. Die Aeltere, blaß und kränk¬ lich, hatte einen schmachtenden Blick; die jüngere Nußbraune schaute mit ihren funkelnden Augen kecker in die Welt hinein. Wandel schien sich lieber mit der Aelteren zu unterhalten, als einer genaueren Ver¬ trauten. Wohl nickte er der Jüngeren und warf ihr auch eine Kußhand zu, aber es war, als ob er das Funkeln ihrer Augen nicht lange ertrug. Er schlug zuweilen seine Augen nieder. Beide waren unzwei¬ felhaft Schwestern, dem wohlhabenden Stande an¬ gehörig, wie ihre reichen Kleider, nach der Mode der vergangenen Jahrzehnde, andeuteten. Seine Lippen flüsterten, Laute, freilich nur für die Geister, welche im Sonnenstrahl als Stäubchen sich schaukelten, aber auch der Dichter darf sie hören: Schöne Molly, warum ließest Du nicht den Vor¬ witz! Deine Kohlenaugen funkelten vielleicht noch, munterer als auf dem Bilde, und Dein Leib wäre so wonnig und voll, denn Du hattest Anlage zum Embonpoint, als Deine arme Schwester da täglich magrer und dürrer wird. Wenn ich nicht mit Draht hülfe, fiele sie auseinander. — Arme Angelika, Dir konnte ich nicht anders helfen. Hadre mit der Na¬ tur, daß sie Dir keinen bessern Brustkasten schuf. Du dankst mir auch, daß ich Deine Schmerzen schneller endete. Ja, ich weiß es, Angelika, wir sind Freunde geblieben — wenn die Wolke durch den Mond streift, und Du mir im Nebelgeriesel einen feuchten Kuß auf die Wange hauchst, es ist ein Kuß des Dankes und der Liebe. — Ich versichere Dich auch, ich habe Dich geliebt. Du warst sanftmüthig, voller Erge¬ bung, eine Schwärmerin freilich, aber klug genug, von einem Manne nicht mehr zu fordern, als er geben kann. Ein Mann hat viele Ausgaben, das sahest Du ein. Und darum Dein schönes Testament, das wahrhafte Zeichen einer schönen Seele, obgleich ich gestehen muß, daß ich es eigentlich dictirt hatte. — Um dieses Testamentes willen wirst Du mir ewig unvergeßlich bleiben! — Nein, ohne Spaß, das Andre seitdem ist alles Spaß, Du gabst Alles für mich auf, in Brüssel Deinen Mann, in Paris Dich selbst. Mit solcher Aufopferung, Entsagung, solchem Fana¬ tismus hat mich keine geliebt. Um deswillen ver¬ sprach ich Dir, was Du in der Fieberhitze des Todten¬ bettes fordertest — das letzte heilige Gelöbniß, Dich auch im Tode nicht von mir zu lassen. Vernünftige Menschen würden es eine unsinnige Plackerei nennen! Ich habe Dich verstanden — nicht Dein Geist, das ist eben Alfanzerei! — aber Deine Materie, was sich von Dir erhalten ließ, soll mich umschweben. Ein bescheidener Platz am Nagel. Nein, mehr. So hast Du meinen Muth geliebt, der sich nicht scheute, Dich schneller ausleben zu lassen, Du wolltest, daß ich an diesem Anblick die Nerven immer mehr stähle, wenn sie schwach würden, immer mehr Herr über jene Em¬ pfindungen würde, die der Mensch sein Erbtheil nennt. Wenn Du Deine Augen aufschlagen könntest! Wie hat das Recipe gewirkt. Ich schüttle Deine Hand, klapperndes Gebein. Ich fürchte mich nicht vor Dir, vor nichts! Und doch schienen seine Kniee beim Niedersetzen nicht ganz so fest, als das Todtengerippe an der Wand noch hin und her rasselte, bis es die vorige Ruhe gewonnen. Er biß sich in die Lippen. Dann schlug er das Auge zum andern Bilde auf: Die Schelmin! — Noch sehe ich Dich, Du aller¬ liebstes Geschöpf, wie ich Dich am Schlüsselloch er¬ tappte. War es denn Lüge, als ich Dir die Kehle zuhielt und den Mund mit Küssen erstickte. Ich liebte Dich ja, das war Wahrheit. Nur Dir zu Liebe hätte ich's? Was ging's Dich an, ob das auch Wahr¬ heit war? — Du wardst glücklich, selig in meinen Armen. Die todte Schwester hinderte es so wenig, als die kranke es gehindert hatte. — Sie wußte es, sie hat sehr viel gewußt, ehe sie starb, und mich darum nicht minder geliebt. — Eine Närrin, Molly, eine abscheuliche Thörin warst Du, Du hättest noch lange glücklich sein können, wer weiß wie lange! Denn Du hattest die Kunst Dich zu conserviren, Du wärst witzig geblieben und hättest meinen Geist auf¬ gefrischt — ich hätte Dir wirklich nachgesehen. — — Aber Du bekamst Gewissensbisse — Thorheit, es war zu spät, meine liebe Molly; es war auch nur die Angst, daß es Dir wie Angelika erginge. Das wollte ich Dir verzeihen, liebes Mädchen, aber so dumm zu sein, daß Du es nicht bei Dir behieltest, daß Du es mir in einer schwachen Stunde vertrau¬ test! Das war die größte Sünde, die der Mensch begeht, die Sünde gegen sich selbst, und Du mußt gestehen, das verdiente schon die Strafe. Nachher ward der kleine Schelm pfiffig. Allen meinen Küssen, Seufzern widerstandest Du, Du wolltest kein Testa¬ ment machen. Ich verdenke es Dir nicht. Es ver¬ längerte dein Leben, und mich zwang es zur Ver¬ schwendung. Mußte ich nicht meine ganze Liebenswür¬ digkeit auf Dich ausschütten, mußte ich nicht allen zarten Saiten meines Daseins süße Töne entlocken, um Dich nur zum Schweigen zu bewegen? Mein Kind, das hat mich viel Anstrengung gekostet, denn Du warst mir sehr gleichgültig geworden, und mir entging darum eine schöne Irländerin, auf die ich mein Aug' geworfen. Nachher schwiegst Du nicht — Du schriebst einen Brief — Du schriebst Dir selbst Dein Urtheil — darüber kannst Du nicht klagen. Aber ich — Er verzog das Gesicht und ballte die Faust ge¬ gen das Bild: Der Brief — den ich fand, ist zu Aschenstäubchen aufgelodert, aber es stand darin von einem andern Briefe, der meiner Wachsamkeit ent¬ schlüpft war — Molly! Molly! — Sein Gesicht be¬ kam einen furchtbar häßlichen Ausdruck; die Zähne fletschten zwischen den zurückgekniffenen Lippen wie die Hauer eines Ebers, die Augen sprühten das grün¬ liche Feuer einer wilden Katze. Aber der Paroxys¬ mus der Wuth und Angst war schnell vorüber, die aschgraue Urnenruhe lagerte sich wieder auf dem gelben Gesichte, die Finger entklammerten sich. — Possen! In einem Dutzend Jahren und nicht zum Vorschein gekommen! Feuer — Regengüsse — Feuch¬ tigkeit — Staub und dünnes Briefpapier! — Lacht Ihr, daß ich mich noch zuweilen ängstigen kann! — Mes dames! was wollen Sie? Ich beweise Ihnen ja das vollste Vertrauen — Ja, Sie sehen Alles. Sie brauchen jetzt durch kein Schlüsselloch zu obser¬ viren, ich verhänge nicht einmal Ihr Gesicht. Was verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? — Mes dames de Bruckerode, je vous assure, que tout ce que vous voyez n'est que moutarde après dîner, rien qu'un dessert maigre après un repas délicieux. — Wirklich, Angelika — das waren andre Zeiten, andre Genüsse, voller Empfindung, Sympathieen, Leiden¬ schaften. Was ist es jetzt? Asche! Damals glühende Kohlen! Calculatorische Geschäfte! Wo sind Deine süß schmollenden Lippen, meine Molly? So etwas giebt es nicht mehr. Deine ängstlichen Blicke, als Du die Chocolate trankst, ich mußte vorher nippen, und dann, o das war Wonne! O und Du, meine Angelika, Du hattest nicht genippt. Fest mich an¬ blickend, ohne Angst, Vorwurf, nur das tiefe See¬ lenverständniß im Auge, leertest Du die Schaale, und drücktest mit der feuchten kalten Hand meine. Du hattest mich verstanden, ich Dich. Ils sont passés , ces jours de fête !“ „Schönen guten Morgen, mein lieber Herr Ge¬ heimer Legationsrath!“ unterbrach eine heisere Ba߬ stimme diese Schwärmereien des Einsamen, und vor ihm stand der Kaufmann van Asten. Es war so, — keine Erscheinung der Traum¬ welt. Der alte van Asten war der letzte Mann, der in ein Traumgewebe gepaßt hätte. Trotz seiner schwe¬ ren rindsledernen Schnallenschuhe war er unbemerkt durch die beiden Zimmer gekommen, und drückte jetzt die Thür hinter sich zu, während dem Legationsrath die Binde vom Kinn rutschte, und er, aufspringend, an der Lehne des Stuhles sich hielt. „Na wie geht's Ihnen denn, mein lieber Herr von Wandel. Haben sich ja so lange nicht sehen lassen. Ist das Freundschaft?“ IV . 20 Der Turban und die Brille waren vom Kopf des Legationsraths verschwunden, eine Operation, die ihm Zeit ließ, seine Fassung wieder zu gewinnen. So war es; man merkte nichts von Bestürzung, kein Zittern mehr, es war das feste, eiskalte Gesicht, mit den durchforschenden Augen, als der Legationsrath den Kaufmann anredete. „Wie kommen Sie hierher?“ „Durch die Thüre. Herr Legationsrath hatten vergessen, den Schlüssel umzudrehen. Sehen Sie mal, liebster Herr von Wandel, in unsern unsichern Zeiten! Wie viel Gesindel schleicht um. Hätten ja Ihren Sopha forttragen können. Sie hätten's in Ihren Meditationen nicht gemerkt. Aber ich habe hinter mir zugeschlossen; wir können jetzt ganz sicher sein.“ „Tausendmal Vergebung, mein theuerster Freund, daß Sie mich in diesem Kostüm und hier — Kom¬ men Sie in meine Wohnstube. Diese unerwartete Freude —“ Er wollte ihn unter den Arm fassen; eben so schnell aber hatte der Kaufmann einen Schemel vor die Thür gestellt und darauf Platz genommen. Wo van Asten einmal Platz genommen, hätte es anderer Kräfte bedurft ihn wieder fortzubringen. Breitbeinig saß er, die Füße fest auf den Boden, die Arme auf den Stock gestützt. Der Stock schon hatte etwas Respect gebietendes, er schien mit Blei ausgegossen, als er auf die gebrannten Fliesen sank. „Werde mich ja nicht unterstehen, Sie zu deran¬ giren. Wo ich Sie finde, sind mir Herr Legations¬ rath lieb. Und Geschäfte sind Geschäfte.“ „Die können warten!“ „Wenn Sie nun auf dem Sprunge ständen, den Stein der Weisen zu finden. Da kommt's auf den Augenblick an. Silberblick heißt's ja wohl? Müßte ich mir den Vorwurf machen, daß ich die Menschheit um eine köstliche Erfindung betrogen hätte.“ „Wie Sie wollen! sagte Wandel und nahm auf dem Stuhle Platz, so nachlässig, wie seine innere Aufregung erlaubte, den Rücken dem Heerde zuge¬ kehrt, ein Bein über das andre streckend. Wie der Kaufmann in seiner Positur dem Rath den Weg durch die Thür versperrte, schien dieser den zum Heerde zu verbarrikadiren. Den Stein der Weisen suchen nur die Thoren, und Gold —“ „Hat ein Philosoph nicht nöthig. Und was Sie sonst präpariren, geht mich nichts an. Im Geschäft Geheimnisse unter Brüdern.“ „Doch nicht unter uns, Herr van Asten, lächelte der Legationsrath. Sie werden mich auslachen. Ich versuche, eine kostbare Schminke zu präpariren.“ „I, sehn Sie mal! Sind eben aus Paris auf der Stechbahn ganze Kisten angekommen. Er¬ schrak, wie ich bei Herrn Arnous den Preis auf dem Conto-Current las.“ „Eben deshalb versuche ich, ob ich diese soge¬ nannte Josephinenschminke billiger nachbilden kann. Die vornehmen Damen sind wie toll danach, der 20* Preis ist nur zu exorbitant. Sie soll, doch das will ich erst versuchen, einen angenehmen, natürlichen Duft verbreiten, ohne der Haut schädlich zu werden. Deshalb haben die ersten Chemiker der Akademie sich für die Kaiserin Josephine an die Aufgabe ge¬ macht. — Thorheiten, nicht wahr, Herr van Asten, aber was wäre das Leben ohne Thorheiten! Ich habe die Schwäche, daß ich meinen Freunden und Freundinnen zu gefällig bin; aber ich plaudre nicht gern davon, wenigstens nicht, bis es geglückt ist. Es ist auch eine kleine Ueberraschung damit im Spiel. Darum, auf Ihre Verschwiegenheit rechne ich.“ „Wie auf den Tod. Sie sind ein braver Mann, Herr Legationsrath. Der Kaufmann ließ seine Augen im Laboratorium wandern. Was sind denn das für Frauenbilder?“ „Wären Ihnen die Züge vielleicht bekannt?“ fragte Wandel, ihn scharf fixirend. „Kam nie aus Berlin heraus. Aber das sind keine deutschen Frauenzimmer.“ „Welcher Kennerblick! Die Aeltere eine Schwe¬ din, die Jüngere eine Italienerin.“ „So! so! Ich hätte sie für Schwestern gehalten, und sie kommen mir so niederländisch vor. Sie müs¬ sen nämlich wissen, ich bin auch aus flämischem Blute.“ Der Legationsrath verzog faunisch das Gesicht: „Ich strenge mich vergebens an, eine Aehnlichkeit zwischen Ihnen und den Damen zu entdecken.“ „So wenig als zwischen mir und dem Skelett da. Wollen Herr Legationsrath das etwa auch schmin¬ ken? — War auch wohl eine Dame?“ „Ich führe es mit mir zu anatomischen Studien. Schon seit länger. Ich kaufte es einmal von einem Todtengräber, ich erinnere mich wirklich nicht, wo.“ „Gleichviel! Der Tod ist jetzt umsonst, und Leichen wohlfeil. Aber die italienische und die schwe¬ dische Schwester, das müssen ein paar hübsche Mäd¬ chen gewesen sein. Gönne es Ihnen, Recreations der Jugend, geht mich nichts an.“ Die umschweifenden Blicke schienen je mehr und mehr den Legationsrath in eine unbehagliche Span¬ nung zu versetzen. Er kämpfte sichtbar mit einem Ent¬ schluß, der ihm ebenfalls schwer ward, aber es brach her¬ aus: „Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?“ „Eine kleine Geschäftssache.“ „Welche, theuerster Freund? Doch nicht —“ „Ein kleiner Wechsel —“ „Richtig! Der Legationsrath schlug sich an die Stirn. Der ist aber erst in acht Tagen fällig!“ „Freut mich, daß Sie sich so genau erinnern. Ich habe immer gesagt, Sie sind ein prompter Mann. Ja, in acht Tagen, fünftausend Thaler.“ „Die Sache ist mir sehr erinnerlich — zu Ende der Hundstage, aber ich glaubte, Sie hätten die Bagatelle längst abgegeben.“ „Auch geschehen, mir aber wieder zurückcedirt. Hat viele Herren gehabt; das macht sich wohl so im Geschäft.“ Als der Kaufmann sein Taschenbuch aus der Brust zog, wobei er aber etwas sorgsamer zu Werke ging, als an jenem Abend, wo er die Wechsel vor dem Rittmeister auf den Tisch ausstreute, fiel Wan¬ del ihm in's Wort: „Aber lassen wir das nachher. Die Sache ist ja kaum der Rede werth. Wie geht es jedoch Ihnen? Sie sehen nicht ganz wohl aus. Daß die Partie Ihres Herrn Sohnes rückgängig ward, konnte Sie doch nicht touchiren. Er ist im Gegentheil in sich gegangen und hat beim neuen Minister eine kleine Stellung angenommen. Ich parire, er wird ein ver¬ nünftiger Mensch werden.“ „Kann sein. Söhne kosten immer Geld, so oder so; ob sie vernünftig sind oder toll.“ „In jenem Zustande wird er auch die vernünftige Partie, welche ein geliebter Vater für ihn ausgesucht, nicht länger von der Hand weisen.“ „Kann sein, kann auch nicht sein. So oder so. Hilft auch nichts, wenn Krieg wird. Es weiß Niemand, wo den Andern der Schuh drückt, mein Herr Geheimer Legationsrath.“ „Ich bin simpel Legationsrath,“ lächelte Wandel. „Sie sind ein geborner Geheimer. Ja, wenn Sie das wüßten, Sie müßten aber noch mehr wissen.“ Wandel hatte unverwandt das etwas schwer zu studirende Gesicht des Kaufmanns beobachtet, und glaubte darauf gelesen zu haben, was ihm Ruhe gab. Der Mann war innerlich bewegt. Plötzlich griff er nach seiner Hand, oder vielmehr nach dem untern Arm, es ist aber möglich, daß der treuherzige Freundesdruck auch der Wucht des Stockes galt, den er mit dem Arme schüttelte und sehr schwer fand. Mit einer Stimme, der Wiederhall eines vollen Her¬ zens, sprach er: „Herr van Asten, Sie drückt etwas. Ich bedaure, daß es mir nicht gelungen, Ihr volles Vertrauen zu erwerben. Könnten Sie an der Brust eines Freundes Ihren Kummer ausschütten, schon das würde Sie erleichtern. Ein unbefangener Freund sieht aber oft klarer, und Auswege und Mittel, die dem selbst Bedrängten entgehen. Mein Gott, sollte der drohende Krieg — aber ich schweige —“ Mit voller Ruhe erwiederte der Kaufmann: „Geheimes will ich Ihnen gar nichts sagen, aber was die ganze Börse erfahren hat, das können Sie auch wissen. Wir hatten für 10.000 Thaler Weine aus Bordeaux bestellt —“ „Wir? — Ah, das ist das kleine Compagnon¬ geschäft mit Seiner Excellenz. Sie exportirten da¬ für Holz und Bretter von Seiner Excellenz Gütern.“ „Wissen Sie das auch? — Schadet nichts.“ „Das Schiff muß jetzt in Stettin angekom¬ men sein.“ „Ist! — Mit Weinen, delikaten Weinen — volle La¬ dung zum Werth von 100.000 Thalern unter Brüdern.“ „Hunderttausend! Eine Null zu viel.“ „Da liegt es, das Geheime, mein Herr Lega¬ tionsrath. Nur eine einzige Null zu viel bei der Bestellung. Der Casus ist klar — ein Schreibfeh¬ ler. Wer ihn beging, ist gleichgültig. Der Zufall kann einen Artillerielieutenant auf den Kaiserthron bringen, und der Zufall ein großes Reich stürzen, warum nicht auch ein großes Handlungshaus.“ „Es beweist nur, welchen Credit Ihre Firma in Bordeaux haben muß.“ „Es beweist, daß Einem auch der Credit den Hals zuschnüren kann.“ „Ich begreife Ihre Lage, die Waare ist für den Augenblick nicht abzusetzen, sie übersteigt weit den mo¬ mentanen Bedarf. Alles schränkt sich ein. Indeß wird jetzt Ihr Credit sich beweisen. Ihre Freunde werden sich zeigen.“ „Haben sich schon gezeigt.“ „Sie werden Ihnen beispringen.“ „Sind schon gesprungen. Kommen lauter kleine Wechselchen zurück. Werden noch mehr kommen.“ „Excellenz der Minister —“ „Pst! Excellenz sind ja kein Kaufmann, lassen mich nicht vor. Verdenk's Ihnen auch nicht, sind ja nicht in die Gilde eingeschrieben. Wollten nur ge¬ legentlich eine kleine Chance mitmachen. Alles cordial, mündlich. Setzten großes Vertrauen in mich, was ich sehr ästimire. Wenn wir den Profit gemacht, war's ja beim alten van Asten, ob er die Hälfte auszahlen wollte. Verklagt hätte er mich nimmer.“ „Aber er setzte den Werth seiner Hölzer auf's Spiel.“ „Wird kein Narr gewesen sein! Auf Höhe dessen hatte er sich vorher auf mein Haus in der Span¬ dauerstraße intabuliren lassen. Jedes Kind sieht nun ein, daß ich mit Excellenz nicht die Schuld eines Schreibfehlers halbiren kann, und Excellenz haben zwar einen vortrefflichen Magen, aber die Hälfte von meinem Wein trinkt auch er nicht aus.“ Eine Pause trat ein. Der Legationsrath blickte mit verschränkten Armen vor sich nieder: „Ihre Lage ist traurig, aber nur wer sich selbst aufgiebt, ist verloren. Die Weine unter dem Steuer¬ verschluß, gleichviel ob hier oder in Stettin, sind ein todtes Kapital, welches das größte Haus ruiniren könnte. Darüber täusche ich mich nicht; täuschen Sie sich auch nicht, mein Freund. Wechselprolongationen auf den Credit eines einmal erschütterten Hauses, Moratorien, die Ihre Gönner Ihnen verschaffen möchten, sind mißliche Auskunftsmittel. Selbst müssen Sie sich helfen.“ „Ich denke schon daran.“ „Nichts Kleines. Um Gotteswillen das nicht. Ein Verschwender, der die Groschen zusammenzu¬ scharren anfängt, ist verloren. Er muß auf's Neue verschwenden, um die Verschwendung zu verstecken. Das todte Kapital muß flüssig gemacht, der Wein ausgetrunken werden. Das können Sie durch Ihre Verbindungen — ich sage Ihnen, es ist möglich.“ Der Kaufmann sah ihn pfiffig an: „Etwa eine Kabinetsordre extrahiren, daß Jedermann zur Stär¬ kung seiner Gesundheit täglich ein Viertelchen Medoc trinken soll? Medoc ist nicht Salz, Herr Legationsrath.“ „Noch heut das ausführbar, was unter Friedrich dem Großen noch möglich gewesen wäre. Aber Andres ist ausführbar — Größeres — erschrecken Sie nicht; man könnte indirect die Leute zwingen, wenn man direct auf das höchste Ziel lossteuert. Wäre Ihr Medoc nicht ein Kapital, das zwei- drei¬ hundert Prozent eintrüge, wenn Sie es an einer Nordküste lagern hätten, wo Napoleons Continental¬ sperre schon Kraft hat? Wird die Schifffahrt ge¬ schlossen, sind Sie wieder ein Crösus.“ „Alle Zeichen deuten, daß wir Krieg anfangen.“ „Alle Zeichen sind trügerisch, wo kein Wille ist. Noch schwankt die Waage. Die Kriegspartei scheint nur schwer, weil die Stimmen der Schreier das Feld behaupten. Mit Geschick ließen sich Stimmen ge¬ winnen, die diesen Officieren und Gelehrten die Wahrheit sagten, wohl verstanden, im Interesse des großen, wohlhabenden Bürgerthums. Abschreckende Gemälde von den Drangsalen eines Krieges, wie er auf alle Stände zurückwirkt, Handel, Industrie, Ackerbau auf Jahrzehnde zurückbringt. Ihnen vor¬ gestellt, wie auch im günstigsten Falle der Bürger durch den Krieg nichts gewinnt als erhöhte Ab¬ gaben! Die Kriegspartei ist thätig mit ernsten und Spottliedern, mit Pasquillen, mit fulminanten Tiraden! Warum werfen die Freunde des Friedens nicht einige Tausende zum selben Zwecke hin, an die Zeitungsschreiber, die Journalisten. Man kann viel damit machen, ich versichere Sie.“ Der Legationsrath mußte schnell an den glotzenden Augen des Kaufmanns bemerken, daß er ihn auf ein Terrain geführt, wohin dieser ihm nicht folgte: „Die Schriftsteller machen nicht den Krieg.“ „Sie haben Recht, man sagt, die Kabinette machen ihn. Wer sind die Kabinette? Menschen mit Neigungen, Schwächen, Leidenschaften, Ansichten. Balancirend hierhin, dorthin, bald auf die Stimme der Furcht, der Vorliebe, zuweilen auf die des Publikums hörend. Ihr gütiger Monarch will nicht den Krieg, das Kabinet auch nicht. Er wird beiden aufgedrängt von den leidenschaftlichen Parteien, vom Interesse früher alliirter Mächte. Preußen steht aber jetzt allein. Diese Alliirten sind innerlich erbittert, ihre Beihülfe zweifelhaft, der Krieg kann sehr un¬ glücklich ausschlagen. Die Kabinetsräthe sehen es ein, der König möchte den Frieden erhalten, und wenn sie doch das Wort Krieg aussprechen, ist's, weil sie gezwungen werden, weil sie keine Unterstützung gegen die jungen Schreier und Fanatiker finden. Mein Herr van Asten, warum treten denn nicht die Pa¬ trioten zusammen, ich meine die, welche Mittel haben, warum unterstützen sie nicht das Kabinet? Das ist noch möglich. Fragen Sie sich doch, was es gilt? Bleibt Friede, bleibt er nur durch eine Allianz mit Napoleon, es giebt nichts Drittes. Krieg mit ihm oder Anschluß. Im letzten Falle Beitritt zu seinem Continentalsystem, die Häfen sind gesperrt, und Ihr Bordeauxwein, ohne Concurrenz, ist wenigstens dreihunderttausend Thaler werth. Nun rech¬ nen Sie, wenn Krieg wird, wenn es nur bleibt, wie es ist! Ihr Wein ein todtes Kapital, Ihre Gläubiger lebendige Quälgeister, Ihr Haus erschüttert, vielleicht — Man schätzt Sie auf über zweihunderttausend, wenn indeß Ihre Activa nichts werden, Ihre Passiva — ich schweige davon. Aber in solchem äußersten Fall muß der Mann das Aeußerste wagen. Und sind Sie allein in dem Falle? Verabreden Sie sich, schießen Sie zusammen. Lucchesini, Haugwitz, Lombard, sie Alle sind ja zugänglich, die freundlichsten Menschen. Sie erwarten ja nur, daß man sie unterstützt, gewichtige Stimmen aus dem Publikum. Schaffen Sie, wo¬ mit man ihnen hilft, um den Schreiern den Mund zu stopfen. — Mit hunderttausend Thalern über¬ nehme ich's.“ Der Kaufmann verstand jetzt, aber er war sicht¬ lich von einer Vorstellung betroffen, die ihn schwindlig machte. Das Argument des Legationsraths hatte etwas Verführerisches, die Verhältnisse waren, wie er sie schilderte, aber er erschrak zuerst vor dem Ge¬ danken, daß ein einfacher Bürger sich unterfangen dürfe, in das Schicksal eines Staates einzugreifen, dann, daß er dies sein könne; zuletzt, wenn er die angenehme Maske von der Sache fortzog, erschrak er, denn was war die patriotische Operation — ? Van Asten war ein rechtlicher Mann. „Mein theuerster Herr! sprach der Legationsrath wieder mit der gewohnten Ueberlegenheit des vorneh¬ men Mannes, und auch sein Kostüm hinderte ihn nicht, die Situation, die er liebte, einzunehmen, ein Bein über das andere, den Hinterkopf mit der Lehne, die Finger der rechten Hand mit sich selbst spielend. Mein theurer Herr, wenn wir uns doch gewöhnten, die Verhältnisse zu betrachten, wie sie sind. Was sind die Menschen in ihrer Massenhaftigkeit anders, als Heerden zweibeiniger Geschöpfe, bestimmt, von Anderen, die klüger sind, geleitet zu werden. Sie wären ja wie die Schaafe, unglücklich, wenn sie kei¬ nen Bock hätten, der ihnen vorspringt. Oder hul¬ digen Sie dem Perfectibilitätsglauben, daß dieses Con¬ volut von Dummköpfen einmal Vernunft bekommen kann? Daß sich dann Alles von selbst machen werde, was jetzt die Gescheiten für die Anderen denken und abthun? Nicht einmal zu der Einsicht kommen sie, trotz der Erfahrung von so viel tausend Jahren, daß sie nicht klüger werden, als die vor ihnen waren. Lieber Herr, ich bitte Sie, wo hat die Menge denn ein Urtheil, nur über die gewöhnlichsten Dinge? Sehn Sie in's Theater, wie sie ängstlich werden, bis eine Autorität den Mund aufthut, damit sie sein Urtheil nachsprechen können. Verständigen wir uns doch nur darüber, was sind sie denn weiter als unsre Packesel; und darüber ist allein die Frage, wer ihnen seine Last aufpackt, und wer den Esel schlägt. Wozu stifteten sie Freimaurerorden, Gemeindeordnungen, eleu¬ sinische Geheimnisse, Constitutionen, als zur Handhabe, wie man die Lastträger am besten dressirt: die Fahne, die Feuersäule, das Schiboleth, darauf kommt's ja nicht an. Als der Herrschaft der Könige in Frank¬ reich das Garaus gemacht schien, wäre nichts dagegen zu sagen gewesen, denn daß das Volk sich selbst be¬ herrschen sollte, war nichts als eine schöne Chimäre, wenn nur die klugen Leute, welche die Könige vom Thron gejagt, sich unter einander verständigt hätten, wie sich in die Macht theilen! Das ist das Unglück, daß die Klugen darüber nie in's Klare kommen. Fra¬ gen wir uns: Wer hat denn überhaupt in der Welt geherrscht? Einige wenige Könige, die Genies waren oder Feldherren aus Passion; das waren seltene Aus¬ nahmen. In der Regel waren es kluge Minister, schlaue Favoriten, noch schlauere Maitressen. Sie herrschten um so sicherer, je feiner sie es zu verstecken wußten. Oder wollen Sie nach Klassen gehen? Die Hohenpriester fingen an, dann kamen die Könige, dann militairischer Adel, dann Priester, Könige und Feudalritter im bunten Gemisch, bis die Könige wie¬ der glaubten das Oberwasser zu haben; da nahmen es ihnen die Philosophen. Das Schiboleth, früher Glauben geheißen, hieß nun Aufklärung. Wer weiß denn, wenn die Klugen inzwischen nichts Anderes er¬ finden, ob der Mysticismus, der Pfaffenglaube die Herrschaft der Aufklärung nicht wieder ablöst! Dem Volke kann das ganz gleichgültig sein. Bei allem diesem Wechsel bleiben sie und werden bleiben, was sie von Anbeginn waren, Heerden, Knechte, Sklaven, Contribuenten für die Regierer; aber bei allem die¬ sem Wechsel, mein theuerster Freund, ist nur das beständig, daß die Pfiffigsten das Heft in der Hand behalten. Nun sehe ich aber nicht ab, warum die reichen Leute nicht einmal den Priestern, Rittern und Philosophen das Geschäft abnehmen, warum sie nicht auch einmal pfiffig sein und regieren wollen? Sie ahnen nicht, mein werther Herr, welche Macht in Ihren Comtoirstuben, Ihren Wechseln, in Ihren Fe¬ derstrichen ruht, durch welche Sie Welttheile verbinden. Im vollen Ernst, Ihnen, den großen Kaufleuten, Fabrikanten blüht die künftige Weltherrschaft entgegen. Sie haben die ersten Kenntnisse von allen Vorfallen¬ heiten, mit einiger Umsicht berechnen Sie, was in der Welt gilt und gelten wird, Sie haben die Sprache, die alle Welt versteht, das Geld. Geld brauchen die Staaten zum Kriege, zum Frieden. Wenn Sie nur etwas abgeben, sich etwas verständigen wollten, etwas mit den Ackerbau treibenden Herrschaften, etwas mit den Herren von der Feder, es braucht da nur kleine Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten, ein klein wenig auch mit den Ideen, welche, was man nennt, beim Volk im Schwunge sind, so prophezeie ich Ihnen, Sie, die Herren von der Industrie, werden bald die wahre, reelle, effective Universalmonarchie in Händen haben, wie die großen Handelsherren in dem kleinen Venedig ehedem, wie im großen England und im noch größern Amerika jetzt schon und in Zukunft noch mehr. Sie, Theuerster, fingen ja schon an. Bravo! Ihre Associ é schaft en commandite mit der Excellenz war eine großartige Idee, nur muß man sich von den vornehmen Herren nicht über's Ohr hauen lassen. Wenn Sie geschickt agiren, haben Sie den Herrn ja noch jetzt in Händen, er muß jeden Eclat vermeiden, während Sie vis-à-vis de rien Alles ein¬ setzen müssen. Also, Courage, für Frieden und Ruhe Alles dran gesetzt, Frieden und Ruhe, welche die Nation und Ihr König wünschen. Also warum nicht frisch und kühn, ein Auge zugedrückt und in die Tasche gegriffen!“ Herr van Asten griff auch in die Tasche, aber nur um seine Brieftasche vorzuholen. Er war wäh¬ rend der langen Rede wieder seiner Herr geworden: „Weil mir ein Sperling in der Hand lieber ist, als eine Taube auf dem Dache. Weil mein Fuß zu dick ist, um ihn in Diplomatenschuhe zu stecken. Weil ich auf glattem Boden nicht gehen kann, und weil ich in der Schule gelernt habe, daß, wer besticht, eben so ein Schurke ist, als wer Bestechung nimmt. — Hier ist Ihr erster Wechsel.“ Das Bleistift, welches die Brieftasche verschlossen, zwischen den Zähnen haltend, zog der Kaufmann den Papierstreifen heraus. „In acht Tagen stehe ich zu Dienst, entgegnete Wandel mit einem Versuch zu lächeln. Pressirt es so, Herr van Asten?“ „Mich nicht. Glaubte vielleicht, daß es Sie pressi¬ ren würde, den Wechsel einzulösen.“ „Zeigen Sie. Sollt' ich mich im Datum geirrt haben!“ Der Kaufmann hielt den Wechsel seitwärts in die Höhe. Sein Bein und Stock blieben die Barriere. „Sie haben ja wohl gute Augen. — Sehen Sie? — Sie sehen vielleicht nicht Alles. Ich auch nicht. — Die Schrift ist blaß. Herr Legationsrath, seit acht Tagen wird sie jeden Tag blässer, und in acht Tagen hätte ich einen weißen Papierstreifen in der Tasche. Ist das nicht curios?“ Wandel hielt die Hand vor's Gesicht, um besser zu sehen. Plötzlich drehte er sich auf den Hacken um, und sank auf den Stuhl zurück mit einem lauten Auflachen. Van Asten verlor keine seiner Bewegungen aus dem Auge. „Das ist curios.“ „Nur curios, Herr Legationsrath?“ „Waren Sie besorgt, daß ich den Wechsel um deswillen nicht honoriren würde?“ „Besorgt eigentlich nicht, Herr Legationsrath, ich ließ nur, als ich's merkte, vom Notar eine vidimirte Abschrift nehmen, und den curiosen Fall ad proto ¬ collum vermerken.“ „Die Geschichte wird immer hübscher. Ich hatte damals eine sympathetische Dinte präparirt, und tauchte wahrscheinlich aus Versehen die Feder beim Ausfüllen des Wechsels hinein. Wollen Sie gefälligst herge¬ ben, der Schade ist im Moment reparirt.“ Er stellte eines der Kohlenbecken vom Heerde auf den Fenstersims. IV . 21 „Wie Sie wollen, lächelte der vornehme Mann, als van Asten das Papier hinter seinen Rücken hielt. Probiren Sie selbst, eine Sekunde leise über den Kohlendampf und die natürliche Schwärze ist wieder hergestellt.“ Der Kaufmann besann sich einen Moment. Er schien seine Position nicht verändern zu wollen, bei der Operation am Fenster hätte er dem Rath den Rücken wenden müssen. Er überreichte ihm den Wech¬ sel, von dem er ja eine vidimirte Copie besaß, strengte aber jetzt wo möglich seine Augen noch mehr an, jede Bewegung des Andern zu verfolgen. Wandel fuhr nur leicht ein paar Mal über das Kohlenbecken und reichte den Wechsel, ohne ihn selbst anzusehn, zurück: „Prüfen Sie jetzt selbst.“ Die Schrift stand wieder schwarz da, aber das Papier schien sehr mürbe geworden. „Soll ich Ihnen vielleicht einen neuen Wechsel schreiben? — Sie scheinen etwas ängstlich. — Ich vergebe Ihnen, ein Kaufmann soll vorsichtig sein. Mit dem größten Vergnügen.“ Er schob aus dem Winkel einen kleinen Tisch mit Schreibzeug hervor, bestimmt, um seine Notate bei den chemischen Experimenten zu machen, und — schrieb. Van Asten hatte zu dem Anerbieten weder ja gesagt, noch nein. Er benutzte den freien Moment, sich umzuschauen. Es war ein stiller Sonntag Nach¬ mittag, das ganze Haus schien in's Freie ausgeflogen, er war auf der Treppe Niemand begegnet. Im Hofe knarrte nicht der Brunnen, keine Stimme; man hörte nur das Zwitschern der Sperlinge, in der Küche das Picken des Holzwurms in dem alten Gebälk. Van Asten war auch ein muthiger Mann, aber ihm war eigen zu Muthe, wenn sein Blick auf das Ge¬ rippe fiel, auf die eisernen Geräthschaften, die eben so viel Waffen werden konnten. Waren nicht auch vielleicht auf dem Heerde, in den Tiegeln und Destillir¬ kolben geheime Waffen! Wenn der Koch mit dem Löffel daraus auf ihn sprützte, mochte nicht eine Essenz darin enthalten sein, die ihn betäubte, ihn selbst im Augenblick blaß machte wie die Schrift auf dem Wechsel? Waren nicht die Blicke, die der Schreibende seitwärts dann und wann auf ihn gleiten ließ, auch Waffen! Der Kaufmann stand hinter seinem Schemel, den darauf gestemmten Stock noch fester in die Hände pressend. An einer schwarzen Tafel standen mit Kreide arithmetische Figuren, darunter Berechnungen, die des Kaufmanns Aufmerksamkeit anzogen, große Zah¬ len addirt. An der einen Ecke: 80.000 + 15.000 - 40 Jahr p. p. + + + zu viel. Summa: 95.000 - 40 Jahr p. p. + + + zu viel. an der andern: 90.000 + 28 Jahr - Verstand. p. p. 90.000 180.000 + 28 Jahr - Verstand. ??? 21* Der Legationsrath war fertig und hielt ihm die Schrift hin: „Wollen Sie probiren — englische Im¬ mortell-Dinte, neueste Erfindung von Parry — es ließe sich darin ein Geschäft machen. Um alle Simulation zu vermeiden, habe ich unter heutigem Datum acceptirt.“ „Wollen Herr Legationsrath noch gefälligst da¬ runter notiren: Duplicat des an dem und dem ac¬ ceptirten Solawechsels.“ „Wozu, theuerster Mann, wir tauschen die Pa¬ piere aus und damit ist die Sache abgemacht.“ „Möchte gern den ersten Wechsel auch behalten, nur aus Curiosität, von wegen der sympathetischen Dinte. Geschieht Ihnen ja kein Schade dadurch, lieber Herr Legationsrath. Können noch, der Sicher¬ heit wegen, hinzubemerken: Duplicat u. s. w., wodurch der Primawechsel außer Kraft gesetzt ist. Weiter nichts. Bin ein Raritätensammler, und trenne mich nicht gern von Seltenheiten.“ Wandel war in die Höhe gesprungen, wie der Tiger beim Geräusch des herangeschlichenen Jägers. So funkelte auch sein Auge, als er krampfhaft die Stuhllehne preßte. Der Stuhl in seiner Hand hätte zur Waffe werden können, aber nicht gegen den, der ihm gegenüber stand. Die markigen Hände des Kaufmanns umklammerten den Stock, sein Kinn lehnte sich darauf und seine hellblauen Augen fielen ohne Blinkern auf die gelbglühenden des Andern. „Was wollen Sie noch?“ fragte Wandel. „Sie haben noch einen Wechsel von mir accep¬ tirt, auf Höhe von zehn Tausend Thalern.“ „Der am vierzehnten October fällig ist, mein Herr.“ „Weiß es, wir könnten aber vielleicht noch ein Geschäftchen machen. Schreiben Sie mir noch ein solches Duplicat — der Wechsel wird auch blaß.“ Wandel verkniff die Lippen. Nach einer Pause sagte er: „Wie Sie wünschen.“ „Ist mir lieb, daß Sie so gefällig sind; den Verfalltag wünsch ich nur etwas anders. Schreiben Sie gütigst: acceptirt zum ersten September.“ „Herr! Das sind nicht vierzehn Tage.“ „Weiß es.“ „Das könnte mich derangiren.“ „Würde mir sehr leid thun.“ „Das ist unverschämt.“ „Kann sein. Ein Kaufmann muß die Con¬ juncturen benutzen. Ist sich Jeder selbst der Nächste, darin werden Sie mir Recht geben.“ „Ihre Gründe, Herr van Asten! Durch das Duplicat verschwindet jede Besorgniß wegen der Dinte.“ „Gründe wollen Sie! So viel Sie wollen: bis zum vierzehnten October kann Krieg ausgebrochen, Sie können todt, bankerott, Sie können nach Asien und Sibirien gereist sein. Ich könnte Ihnen noch viel mehr Gründe sagen, der Hauptgrund aber ist, ich will mein Geld haben.“ „Das ist ein sehr verständlicher, mein Herr van Asten. Wenn ich mich recht besinne, könnte ich mich dazu bestimmen lassen. Ich erwarte Rimessen aus Thüringen, die jeden Augenblick eintreffen müssen. Indessen, Kaufmann gegen Kaufmann — dies un¬ beschadet unserer Freundschaft — was geben Sie für die Gefälligkeit?“ „Die Wechsel für's Geld.“ „Und die Prima für die Anticipation?“ Beide sahen sich durchdringend an. Beide wa¬ ren Kaufleute durch und durch in dem Augenblick, die durchbohrenden Blicke wurden milder, die Dro¬ hung schmolz in ein Lächeln. Wandel schrieb auch den zweiten Wechsel um, und nachdem van Asten ihn sorgsam geprüft, tauschte er beide neue Wechsel gegen die beiden Primawechsel aus. Von dem geschraubten Ton vorhin merkte man nichts mehr. Die Unterhaltung floß noch einige Augen¬ blicke über gleichgültige Dinge, wie zwischen Geschäfts¬ männern, die eine unangenehme Disharmonie durch freundliches Entgegenkommen verlöschen wollen. Van Asten versicherte, daß er ihre Differenz schon so gut wie vergessen habe, Wandel lobte es, wer erfolgreich leben wolle, müsse an die Zukunft und so wenig als möglich an die Vergangenheit denken. Auch vor Raritäten müsse man sich hüten, sie würden am Ende ein todtes Kapital, in welchem unser Lebensstock immer sparsamer, dünner wird. „Da! — er riß aus einer Lade unter der schwarzen Tafel eine Partie Papiere hervor — was habe ich davon, daß ich diese Assignate zwölf Jahre aufhob, eine halbe Million, und darüber!“ „Freilich jetzt nur Raritäten, sagte nachdenklich der Kaufmann. Kein Gläubiger ist mehr so dumm, sie für Activa anzusehen. Vor fünf bis sechs Jahren konnte man wohl noch etwas darauf erschwindeln.“ „Fidibus,Theuerster! Zum Feueranmachen brauche ich sie.“ „Ueber eine halbe Million! Na — sie werden Ihnen auch nicht so viel gekostet haben.“ „Es kommt darauf an,“ entgegnete der Legations¬ rath mit einem eigenen Zücken um die Lippen. „Was haben Herr Legationsrath denn da an der Tafel ausgerechnet? Thaler und Verstand ist ein curioses Additionsexempel.“ „Phantasiebelustigungen! Vielleicht Geschäfte, die ich vorhabe.“ „Das sind hohe Summen.“ „Ich habe größere Geschäfte gemacht.“ „Das Facit des einen ist fünf und neunzig Tau¬ send, das des andern hundert und achtzig Tausend ohne den Krimskrams dran von unbekannten und irratio¬ nalen Größen.“ „Sie sind ein unbefangener Mann, aber von glück¬ lichem Takt. Beide Geschäfte kann ich nicht zusammen machen. Es gilt die Wahl. Zu welchem rathen Sie?“ „Wenn ich hundert und achtzig Tausend machen kann, ziehe ich sie fünf und neunzig Tausend vor.“ „Ich auch, lachte der Legationsrath. Nur habe ich die achtzig Tausend so gut wie in der Hand; beim andern Geschäft aber sind Schwierigkeiten zu überwinden; es ist, würde der Engländer sagen, ein steeple chase mit Hindernissen.“ „ Sie winden sich durch, Herr Legationsrath.“ „Ich nehme es als ein gutes Omen an, lächelte Wandel. Wir scheiden doch als Freunde.“ „Wie vorher.“ Der Legationsrath hatte den Kaufmann bis zur Thür begleitet. „Nun sehen Sie, da wir als Freunde scheiden, und Sie sich so honett gezeigt, ist ein Dienst des andern werth. Sie haben mich gerettet, ich gesteh's Ihnen, für den Moment. Und aus purer Gefällig¬ keit! Der alte Asten ist aber kein Bettler. Er nimmt nichts umsonst. Also erstens dafür: tiefste Verschwiegenheit; von mir hört keiner eine Sylbe. Zweitens eine Maxime: ein Kaufmann darf nicht zu viel Speculationen auf ein Mal vor sich haben. Wenn er zu lange wählt, entschließt er sich zu spät. Sieht er zu eifrig nach der Taube auf dem Dache, so fliegt ihm auch der Sperling aus der Hand. Merken Sie sich das; rasch zugegriffen. Und drittens ist mir schon lange für Sie was eingefallen. Machen Sie sich doch an Madame Braunbiegler. Das wäre eine Partie für Sie. So reich wie dick. Hundert¬ zwanzig Tausend unter Brüdern. Der alte Braun¬ biegler verstand's. Lauter solide Hypotheken und Pfandbriefe. Und die halbe Fabrik! Unter uns hun¬ dertfunfzig Tausend wenigstens. Und Sie, mit Ihrer Chemie, können das Tuch noch dünner strecken. Zu¬ gegriffen! Ein Bischen Schwierigkeiten, aber Sie kriegen sie.“ Die Treppen dröhnten unter den schweren Trit¬ ten des Kaufmanns, er sah nicht mehr die Blässe auf dem Gesicht des Legationsrathes; nicht wie er in die Küche zurück wankte, nicht wie er, an der Thürpfoste stehen bleibend, das kalte Gesicht mit beiden Händen bedeckte. Da verließ ihn seine Kraft. Ihn schwin¬ delte, es drehte sich um ihn wie im Kreise, die Bil¬ der, das Gerippe, die Retorten. Er fletschte die Zähne, die Augen traten aus den Höhlen, er ballte die Faust gegen die Bilder: „Lachen Sie nur, „Mes dames de Bruckerode!“ Dann wankten die Knie. Der starke Mann sank auf den Schemel, es war auch ihm zu viel gewesen. Die Retorte fiel von der Erschütterung vom Gestell und verschüttete ihren In¬ halt in die Kohlen, der Staub wühlte auf, die Bilder bewegten sich, das Gerippe rasselte an der Wand. Zwanzigstes Kapitel. Eine Spinne in ihrem Netz gefangen. „Sie kommen so vergnügt von ihm?“ empfing die Geheimräthin den eintretenden Legationsrath. Er sah allerdings anders aus, als wir ihn neulich ver¬ ließen. In sorgfältiger Toilette und Coiffüre, ein Ordensband am Knopfloch, ein anderes, das sich unter dem Halstuch versteckte, schien er mehr zum Besuch bei Hofe als im Krankenzimmer ajustirt. Es ist indeß zu bemerken, daß er seit Kurzem seiner Klei¬ dung eine Sorgfalt widmete, welche seine Freunde in der letzten Zeit vermißt hatten. Der Kleidung entsprach der heitere Gesichtsausdruck. „Wie haben Sie ihn gefunden?“ setzte die Lupinus hinzu. „Wie meine Freundin mich findet vergnügt.“ Sie blickte ihn verwundert an. „Sie wissen, daß er in seiner Collection eine seltene Ausgabe des Horaz nicht besitzt, die mit verschlungenen Händen und einem Todtenkopf unter dem Druckort.“ „Leyden, Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, Initialen von der und der Form, unterbrach ihn die Lupinus; ich habe es oft genug hören müssen. Er hatte alle Commissionäre in Requisition gesetzt und große Summen geboten, immer umsonst.“ „Und jetzt hat er sie.“ „Wie ist das möglich! Sie selbst sagten, die Ausgabe wäre nicht mehr aufzutreiben.“ „Um einem Sterbenden einen letzten heitern Augenblick zu machen, dünkt mich, ist Alles möglich und — erlaubt.“ „Erlaubt!“ wiederholte die Lupinus betonend, und blickte ihn fragend an. „Es thut mir leid, daß Sie nicht zugegen wa¬ ren. Wie seine Augen aufblitzten; er traute ihnen kaum, und hatte auch gewissermaßen Recht. Bekannt¬ lich ward diese Ausgabe in Leyden während der schweren Belagerung der Stadt gedruckt. Die Setzer waren einer nach dem andern auf den Mauern ge¬ fallen. Die Typen wurden zu Kugeln umgeschmol¬ zen. Aber der Factor, der Letzte in der Druckerei, hatte selbst sein Letztes daran gesetzt, diesen Horaz, die Ehre der Officin, zu vollenden. Mochte dann die Freiheit, der Protestantismus, Holland, die Stadt Leyden untergehen, wenn nur die Leydener Horaz¬ ausgabe für die Nachwelt lebte. Von allen seinen Typen, die schon als Kugeln um die Schanzen pfiffen, hatte er nur soviel sich losgebettelt, um den Titel noch zu drucken, er selbst Setzer, Drucker. Da, im Vor¬ gefühl seines Schicksals, setzte er unter die Jahreszahl und das Wort Leyden einen kleinen Todtenkopf. Nur eine geringe Zahl Exemplare hatte er abgezogen, da verließen ihn die Kräfte. Er sank um, mehr vom Hunger als von der Arbeit erschöpft. Die Soldaten drangen ein, auch die letzten Buchstaben fortzuneh¬ men, als die Glocken der Stadt ertönten. Der Ent¬ satz war gekommen. Leyden ward frei, der Factor starb zwar am selben Tage, auch der größte Theil der Bürgerschaft war von Hunger, Seuchen, Kugeln fortgerafft, aber er starb mit frohem Gesicht — seine Horazausgabe, Leydens Ehre, war gerettet. — Ist es nicht ein rührendes Kapitel aus der Geschichte der Menschheit? Erhebt es nicht das Gefühl, daß ein armer Setzer für eine Idee sein Leben daran setzte und glücklich starb!“ „Allerdings, aber —“ „Wer glücklich starb, hat glücklich gelebt. Es waren nur fünf und neunzig Exemplare des Titels mit dem Todtenkopf gedruckt. Sie sollten das Ehren¬ denkmal für den Patrioten bleiben. Der Magistrat ließ die übrigen Titel mit einer Aenderung abziehen. Auch sie sind von hohem Werth; die aber mit dem Todtenkopf und dem Todtenschweiß des Armen un¬ schätzbar. Sie wurden an hohe Potentaten verschenkt, sie finden sich jetzt nur in den Königlichen Bibliotheken von Schweden Gustav Adolf führte sein Exemplar im Felde immer mit sich —, England, Dänemark. Durch die Einnahme von Breda kamen mehrere nach Spanien. Man hielt es in Holland für eine große Calamität. Bei den endlichen Friedensverhandlungen gab dies manchen Anstoß. Die Generalstaaten gaben sich umsonst alle Mühe, die Exemplare zurück zu er¬ halten. Später sind durch die Verführung des Gel¬ des und die Macht des Handels auch Exemplare nach Amerika gegangen.“ „Von daher haben Sie keins bezogen.“ „Gewiß nicht, sie sind auch gar nicht mehr im Handel.“ „Sie haben ihm ein nachgemachtes Exemplar gebracht.“ Mit einem weichen Lächeln drückte er ihre Hand: „Finden Sie das Unrecht, Freundin, wenn ich seit Wochen ein solches Titelblatt nachbilden ließ! Es kostete einige Mühe, Druckerschwärze und Papier dem Braun des Alterthums ähnlich zu vergelben, allein die geschickte Unger'sche Officin überwand alle Schwie¬ rigkeiten. — Er ist so glücklich wie jener Setzer in Leyden, ein letzter Sonnenstrahl fiel in den Dämmer¬ schein seines Lebens. Schadet es ihm, daß es nur eine Illusion ist! Was ist denn unser Aller Glück anderes. Sind nicht alle unsere frohen Stimmungen auch nur das Product von Illusionen! Die frohen, meine Gönnerin, wie die bösen. Die Wahrheit finden wir nur in uns selbst, wenn wir alle Täuschung abgestreift.“ „Ihre Leydener Geschichte, so rührend sie ist, erinnert mich nur zu sehr an die Kindheit des Menschen¬ geschlechts. Ueber diese naiven Zustände von Ehre sollten wir doch hinaus sein!“ Sie saßen auf dem Kanap é derhalb dunklen Stube. „ Sollten ! rief er, sich in die Ecke zurück leh¬ nend, und wir sind immer nur Kinder wie am ersten Tag. Nur das Spielzeug wechseln wir, oft auch nur wie es in Familien mit beschränkten Mitteln geschieht. Die Mütter nehmen ihren Kleinen die Puppen und Soldaten allmälig fort, an denen sie sich das Jahr durch satt gespielt, um sie ihnen frisch lackirt und neu angezogen zu Weihnachten wieder zu schenken. Die klügsten Kinder merken es nicht. So das ganze Menschengeschlecht. Nur die Erwählten kommen mit sich in's Klare. — Ja, wenn sie so weit sind, wenn alle Nebel, Dämmerscheine, chromatische Täuschungen, Vorurtheile gesunken, wenn sie wissen, ihre Kreise und sich selbst zu beherrschen, wenn sie sich das Zeugniß ablegen können, daß sie durch nichts sich beirren lassen, keine Mißgriffe thun, rein und grad auf ihren Zweck hinsteuern, — dann — das muß ein Göttergefühl eigener Art sein.“ Die Geheimräthin senkte in ihrer Sophaecke den Kopf: „Wer kann das von sich sagen!“ „Ich kenne eine Frau, die es kann!“ Er sah vor sich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut im Benehmen des Legationsrathes. So weich sein Ton, so sanft vorhin sein Händedruck, so geschmeidig, fast herzlich sein ganzes Benehmen; aber er sah sie nicht an, er streckte nicht die Hand aus, um sie auf ihren Arm zu legen, er saß isolirt wie ein Träumer, und nur durch das Medium der Töne waren sie in Berührung. „Die Klügste kann sich darin täuschen!“ Er schien es nicht gehört zu haben. Er legte den Arm auf die Lehne, und seine Finger häm¬ merten gedankenlos auf das polirte Ebenholz, wäh¬ rend seine Augen jetzt an der Decke hafteten. „Mögen Sie sich immerhin momentan isolirt fühlen, was ist das gegen das beruhigende Gefühl, wie ein Gott in Ihren Kreisen gewaltet zu haben. Sind nicht, seit Sie mit sich klar wurden, Ihre Wünsche in Erfüllung gegangen; ich meine, ist nicht Alles geschehen, was Sie für gut, für nothwendig erachteten? Jenes undankbare Mädchen, das wirklich Ihr Lebensglück störte, mußte Sie verlassen, ohne daß Sie der geringste Vorwurf trifft. Man entführte sie Ihnen, die Menschen bedauern Sie sogar wegen der hinterlistigen Art, wie es geschah, ohne zu ahnen, welche Wohlthat Ihnen damit widerfuhr. Damit wurden Sie zugleich die lästigen Gesell¬ schaften los, die Sie hinderten, ganz sich selbst zu leben. Wie oft fand ich meine Freundin in Sorgen um das Schicksal des kränklichen Bedienten. Was stand dem armen Geschöpf bevor, sobald Sie sich seiner nicht mehr annehmen konnten? Bettelstab, Hospital! Da hat Gott seiner sich erbarmt, ihn zu sich genommen. Gott nimmt sich aber nur da der Menschen an, wo er ihren ernsten Willen, ihre an¬ gestrengte Thätigkeit sieht, sich selbst zu helfen. — Wie belohnten jene unartigen Kinder Ihre mehr als mütterliche Aufmerksamkeit! Ich darf Ihnen wohl sagen, man verdachte es Ihnen, daß Sie sich selbst diesen verwahrlosten Geschöpfen opferten. Man hielt es für eine Art Ostentation, man meinte, Sie wären auf die Sprünge der Fürstin Gargazin gekommen. Das sind die Urtheile der Menschen! Kann ein Vernünftiger noch davor Respect haben! Sie lernten nur zu bald, daß für diese Unglückseligen nichts Besseres sei, als — wenn auch ihrer eine unsichtbare Hand sich erbarme. Diese so früh verdorbenen Kinder wären ja unter der Aufsicht des nichtigen, läppischen Vaters, unter der Erziehung dieser Köchin in Grund und Boden verworfene Geschöpfe geworden. Und am Ende hätte Sie noch ein Vorwurf getroffen. Aber das Unkraut konnten Sie nicht mehr aus¬ ziehen, Sie nicht mehr Weizen säen. Verzeihung, daß ich so offen es ausspreche, auf die Gefahr hin, Sie zu beleidigen, die Kinder mußten sterben.“ „Mußten —“ wiederholte mehr fragend als trumpfend die Geheimräthin. „Ja, theuerste Frau, sagte er mit Nachdruck. Ich habe es mir oft überlegt. Hätten Sie einen Vortheil davon gehabt, daß sie starben, wäre eine Erbschaft im Spiel gewesen, dann war es anders. Was jetzt die Leute sagen, darauf kommt es nicht an.“ Sie schielte, innerlich bebend, zu ihm hinüber, wagte aber die Frage: „was sagen denn die Leute?“ nicht über die Lippe zu bringen. „Die Geschichte der Medea halte ich für eine unglücklich erfundene Fabel, fuhr er in derselben Ruhe fort. Eine Mutter ihre Kinder schlachten, um ihren Geliebten zu retten! Das wäre eine Verirrung der Natur. — Ja, wer über diese Empfindungen hinaus ist; ich könnte mir eine Medea denken, ohne die brennende Gluth des Südens, eine, deren Blut eiskalt geworden, eine Seherin des Nordens, die abgerissen, abgeschüttelt hat alle die Fibern und Blutadern, die sie mit den Lebendigen zusammen¬ halten, eine Norne, welche im ehernen Becher die Loose der Menschen schüttelt; wer fallen muß, der fällt, sie kann nicht weinen, sie kann nicht lächeln, es muß. — Sind wir nicht Alle auf diesen Prozeß an¬ gewiesen, ist es nicht der natürliche des Daseins? Das Blut wird mit den Jahren kälter, was uns in der Jugend entzückte, gleichgültig. Unsere Träume, Phantasieen, Projecte belächeln wir. Werden die Menschen mit Runzeln liebenswürdiger? Wir erken¬ nen ihre Schwächen, die Ideale sind längst gesunken, ihre Eigenheiten treten heraus, sie werden uns wider¬ wärtig. Nein, nicht widerwärtig, Freundin, nur gleichgültig. Wir hören eine Todespost verwundert an: Hat der noch gelebt, wir dachten, er sei längst todt! Wir sterben mit, wo Alles um uns stirbt, und lassen darum sterben, was nicht leben kann! Einer weniger, der Anderen in die Quere kam, Einer we¬ niger, der mit verbrannten Flügeln nach der Sonne flattern wollte! Wem sind sie denn nicht verbrannt? Wir sind allzeit bereite Todtengräber — aus Mitleid, Adepten der Nothwendigkeit. — Das ist weit natür¬ licher als die andere Erklärung, daß wir's aus Neid wären, aus Haß, Haß gegen die ganze Menschheit. Ist denn die Menschheit werth, daß wir sie hassen? IV . 22 So wenig als unserer Liebe. Allerdings lehrt uns der Instinkt, zu stechen, wo wir gestochen werden. Sticht uns ein Größerer, stechen wir den Kleineren. Dagegen ist nicht anzukämpfen, es ist das Naturgesetz der Creatur. Wo wir's überwinden, ist Unnatur; die Verweichlichung der Moral, die wir umsonst Re¬ ligion taufen, es bleibt Verkehrtheit, die sich rächt. Aber nur nicht aus Haß, Erbitterung; wir spielen mit Tod und Leben, wie man mit uns spielt; die Folterschrauben, die man uns ansetzt, probiren wir an Andern, um zu erfahren, wie viel ein Mensch aus¬ halten kann. Das führt zu einem Ziele; der Haß ist immer eine irrationale Potenz, die in's wüste Blaue treibt, wo Niemand das Ende absieht. Pfui Blut¬ rache! pfui, das alte mosaische: Zahn um Zahn! Wem hat es genutzt, und alles Unnütze ist Verbrechen. Dagegen begreife ich sehr wohl, was der Alltags¬ mensch Rache nennt, und was doch weiter nichts ist als der Schuß nach einem Ziele. Napoleon hat Palm erschießen lassen. Er hat Recht gethan, man soll ihn fürchten. Die Schriftsteller sollen sich nicht unterstehen, ihn unangenehm zu kitzeln. Dies Recht hat Jeder — sich furchtbar, sich gefürchtet zu machen. Aber mit Klugheit, mit Vorsicht es benutzt! Nicht Jeder ist Napoleon, aber Jeder kann wie die kleine Spinne aus seinen eigenen Säften ein Netz sich weben, um die zu fangen und verderben, die sich in seine Region drängen. Haben Sie einmal die Spinne beobachtet? Es ist für mich ein furchtbares Thier. Da liegt sie still, zusammengekauert, ich möchte sagen, fromm, im Centrum ihres Kreises, sie scheint zu schlafen, aber sie ist nur pensiv, sie brütet über ihr ungerechtes Loos. Warum gab die Natur den Flie¬ gen, Bremsen, Mücken, Wespen Flügel? Sie flat¬ tern, spielen in den Lüften ein gedankenloses Spiel, sie naschen an den Blumen, sie schlürfen den Sonnen¬ schein. Die Spinne ist stiefmütterlich behandelt, sie, die arbeitsame, denkende Schöpferin, muß an Mauern kriechen, in Winkeln ihr Gehänge spinnen, aus ihrer besten Kraft, nur um sich zu halten, zu existiren. Sie ist gescheut, verachtet. Soll sie nicht dem Schicksal, dem ungerechten, zürnen, nicht Grimm im Herzen tragen! Beim Allmächtigen, meine Freundin, welcher Gerechte fordert das von ihr! Sie fügt sich in das Unabänderliche, sie wartet und lauert; einmal kommt doch der Augenblick, um das Gefühl der Rache zu kühlen. Dann — auch dann stürzt sie noch nicht wie eine Harpye auf ihr Opfer los. Sie scheint fort¬ zuschlafen, bis der unbesonnene Wildfang sich in das Netz verwickelt hat, strampelt. Dann — Was ich plaudere! — Da halte ich Sie ab von der Pflege des armen Kranken. — Es wird ja ohnedem nicht mehr lange dauern. — Sollte der Krieg losbrechen, ach Gott, eine wahre Wohlthat, wenn der liebe Gott den Dulder früher zu sich nimmt. Denken Sie den armen Gelehrten, wenn der Feind einrückte! Oder Berlin wird gestürmt; welches Loos, wenn er mit seinem noli turbare circulos meos dem französischen 22* Chasseur entgegenträte. Im besten Fall, es ist Na¬ poleons Art, alle Einwohner einer eroberten Stadt müssen zum innern Schutz in die Nationalgarde treten. Stellen Sie sich den Geheimrath vor mit dem Gewehr auf dem Rücken, einen Säbel an der Seite! — Nein, aus Liebe für ihn muß man ihm bald den ewigen Frieden wünschen. — A propos , ich vergaß, womit haben Sie denn vorhin geräuchert?“ Die Geheimräthin hatte vielleicht mit ganz andern Empfindungen auf dem Sopha Platz genommen. Sie ahnte nicht, daß eine Schreckensstunde ihres Lebens nahte. In ein laues Bad, umduftet mit Wonne¬ gerüchen, glauben wir geführt zu werden, und sie haben uns in ein kaltes Sturzbad gelockt. O das ist nichts, wo es mit einem Mal herabrauscht, aber wenn man uns festgebunden, und tropfenweis, stärker und stärker, fällt es auf unsern Schädel, endlich öffnet sich das ganze Reservoir — Sie versuchte zu ihm aufzusehen, aber sie ertrug nicht den eiskalten, durchbohrenden Blick. „Wie meinen Sie das?“ „Ich meine, welche Ingredienzien schütteten Sie in die Kohlenpfanne? Denn daß Sie räuchern, da¬ gegen ist nichts zu sagen, es ist vielmehr nothwen¬ dig. Der Staub, die Ausdünstungen, der Kater¬ geruch, es hat Alles zusammen genommen etwas Eblouirendes. Es muß dagegen gewirkt werden. Aber Vorsicht, meine Freundin, man muß sich gegen den Verdacht im Voraus schützen.“ Sie wollte aufstehen; sie sank auf's Kanap é zurück. „Mit nichts, als was ich von Ihnen habe,“ sprang es aus der gepreßten Brust. „Sie meinen die kleine Apotheke, meine Gönnerin, die ich Ihnen aus Herrn Flittners Apotheke zum Haus¬ bedarf zusammenstellen ließ. Die wird vor jedem Me¬ dicinalcollegium die Prüfung bestehen. Es sind die un¬ schuldigsten Mittel, wenn man sie unschuldig gebraucht. Freilich, wenn man sich vergreift, dann stehe ich für nichts. Wasser das beste Heilmittel, man kann auch mit Wasser ermorden.“ Ein zweiter Versuch, aufzuspringen, scheiterte an der Schwäche ihrer Knie; aber sie lehnte sich zurück und die Kraft hatte sie gewonnen, ihm starr in's Gesicht zu sehen. — O dies unveränderliche Gesicht! War es auch nur eine Muskelbewegung, die eine Auf¬ regung, Furcht, Schadenfreude, Mitgefühl verrieth! So hätte er eine Liebeserklärung machen, so ein Todes¬ urtheil aussprechen können. Er erfaßte die Spitze ihrer Hand: „Verständigen wir uns doch! Das Nothwendige erkenne ich an. Wo der Bruch da ist, der zur Auflösung führt, soll der Wahrhaftige nicht Salbe darüber streichen. Er muß sich in das finden, was nun einmal nicht zu än¬ dern ging; ich kann es auch nicht tadeln, wenn er der Nothwendigkeit einen Schritt entgegen that. Aber — “ „Bei allen Mächten, warum foltern Sie mich? – –“ „Opiate, narkotische Mittel, alle Säfte aus Ve¬ getabilien dunsten und verdunsten, wie Veilchen und Rose duften und verduften. Sie lassen Materielles nicht zurück, wogegen alles Mineralische ein Residuum, einen Satz, einen Ausschlag zurückläßt. In wie ver¬ änderter Form es auch sei, die Wissenschaft findet ihn. Wenn wir doch diese wohlthätige Weisung der Natur nie aus dem Auge ließen! Das Lebendige im Pflanzen- und animalischen Leben ist bestimmt, zu blühen, reifen, um sich dann zu verflüchtigen, damit es, im Aether scheinbar verschwimmend, irgend wo wieder ansetzt zu neuem Leben. Diese Aussicht kann uns angenehm berühren, zu welchen Träumen giebt sie nicht Stoff! Aber erschrecken kann es uns nicht. Dagegen repräsentirt der Stein, das Metall die irdische, niederdrückende Schwere. Wir mögen den Stein noch so hoch in die Luft schleudern, er kehrt wieder zurück. Er kann uns auf die Brust fal¬ len, unser Fuß stolpert daran, und wenn wir ihn zerreiben zu Pulver, Staub, er fällt wieder auf die Lunge, und bei der Section findet ihn der Arzt.“ Die Geheimräthin hatte sich jetzt aufgerafft; mit beiden Händen an die Sophalehne sich haltend, sah sie über die Schultern auf den Sprecher zurück: „Welche Verständigung, — was wollen Sie?“ „Ich, für mein Theil, meine Gönnerin, was kann ich wollen! Was könnte ich bezeugen? Gar nichts! — Daß ich bei Herrn Flittner auf Ihren Wunsch eine Hausapotheke entnahm! Das ist Alles dort in die Bücher eingetragen. Eine exacte Apo¬ theke. — Und wer sagt denn, daß das Physikat zu einer Obduction zu schreiten sich veranlaßt finden wird! Reine Vermuthungen von mir. Nur in Ihrem Interesse, ein Freund stellt sich oft das Schlimmste vor. Denn wer in aller Welt draußen wird auf die Ver¬ muthung kommen, weil in diesem Hause so kurz hinter einander bedenkliche Todesfälle eingetreten sind, daß hier eine ungesunde Luft ist, aus irgend einer nicht ergründe¬ ten Ursache. Die Polizei hat jetzt an Anderes zu denken.“ „Aber wenn — wenn sie daran dächte!“ „Da sind tausend Möglichkeiten, wie man ihr ein X für ein U macht.“ „Aber wenn man Sie —“ „Sie meinen, wenn man mich als Zeugen auf¬ riefe. Frau Geheimräthin, das ist eigentlich eine Beleidigung. Zweifeln Sie, daß ich gegen mein Herz reden, und nicht meine höchste Achtung vor Ihrem Charakter aussprechen würde?“ „Nach meinem Charakter würde man nicht fragen.“ „Man wird Thatsachen fordern. Was kann ich denn über Thatsachen aussagen! Daß die Kinder näschig waren, daß sie zugriffen, wo sie nicht soll¬ ten; daß sie in ihrer Naschgier eine schädliche Speise vom höchsten Küchenbrett holten. Oder wird man mich inquiriren, ob ich den Geruch in der Kranken¬ stube abscheulich fand? Da würden die Experten sich nicht mit Meinungen befassen. — Doch, was ich Ihnen zu sagen vergaß, es war sehr klug, daß Sie dem todten Johann den Blumenkranz so tief in die Stirn drückten. Da kam ein häßlicher blauer Fleck über der Schläfe zum Vorschein —“ Es war der entsetzlichste Blick, den wir von ihr sahen — nein, den sahen wir hier noch nicht. — Es war einer, der einen Abschnitt im Leben bedeutet. Mit solchem warf der Wütherich den Schlüssel zum Hungerthurm, worin er seinen Feind gesperrt, in den Fluß, mit solchem scheidet man von der Hoffnung, man stößt den Kahn zurück in's Meer, der uns an die Wüste trug, um darin zu verschmachten. Aber ein Blick war's, wie ein Eisendruck, der die erschlaff¬ ten Nerven plötzlich stählt. „Herr Legationsrath, was fordern Sie von mir?“ „Fordern — ich!“ „Ihre Principien verbieten Ihnen, etwas Unnützes zu thun. — Kurz, schnell, damit wir in's Reine kommen.“ „Ich wollte Sie weder ängstigen, noch deran¬ giren — nur eine kleine Bitte. Eine Zahlung von fünf¬ tausend Thalern übermorgen genirt mich, weil mir eine Deckung aus Hamburg ausblieb. Sie haben wohl die Güte, mir mit den fünftausend, welche Sie asser¬ viren, augenblicklich beizuspringen, bis meine Rimessen aus Thüringen ankommen.“ „Ich — ich werde sie Ihnen schicken.“ „Wozu Dritte impliciren — es giebt so leicht Nachfragen. Nur eine Feder, meine Gönnerin, um die Schuldschrift aufzusetzen.“ Sie wankte an den Secretair; die Goldrollen aus dem verborgenen Fach lagen auf der Platte. Sie wies stumm darauf hin. Er machte das Zeichen des Schreibens. „Wozu das?“ „Es ist doch der Ordnung wegen.“ Um ihm zum Schreiben Platz zu machen, trug sie die Rollen auf einen andern Tisch. Die Rollen waren schwer, ihre Glieder waren wie gebrochen. Eine entglitt ihr, einige Goldstücke rollten umher, die sie aufzuheben sich bückte. „O mein Gott, Sie geben sich meinetwegen so viel Mühe!“ rief er, auf dem Stuhl sich umwendend, schrieb aber weiter. Er wandte sich wieder um: „Wie wollen Sie es mit den Zinsen gehalten haben?“ Sie antwortete nicht. „Es ist doch wegen Lebens und Sterbens, ver¬ ehrte Freundin. Ich würde sechs Procent schreiben, aber Sie könnten, da Sie nicht kaufmännische Rechte haben, dadurch in Ungelegenheiten kommen. Sehr möglich auch, daß der Zinsfuß in dieser Krisis noch steigt. Ich setze daher lieber: je nach dem höchsten Börsensatz.“ Sie winkte ihm Schweigen mit einem krächzen¬ den Hohngelächter. Er schrieb weiter. Was schrieb er noch! Er war aufgestanden und hatte ihr mit einer verbindlichen Verbeugung den Schuldschein überreicht. Sie warf ihn auf den Tisch, ohne ihn anzusehen. Jetzt war nichts mehr von Angst, Scheu, Ban¬ gigkeit in diesem Gesichte, es wogte ein wildes Feuer in der Brust, ihre Augen vermieden ihn nicht, sie sah mit einer Art böser Freude auf ihn: „Was ist Ihnen noch sonst gefällig? — Da ist der Schrank mit meinem Silberzeug — dort meine Geschmeide, Ketten, Ohrringe — meine Juwelen. Da im Korb die Schlüssel zum ganzen Hause. Er¬ brechen Sie, nehmen Sie fort, was Sie Lust haben.“ „Ich erkenne Ihre Güte, unter welcher Form sie sich auch ausspricht. In Bezug darauf habe ich mir noch eine zweite Bitte erlaubt. Zum ersten September läuft ein Wechsel auf mich von zehntausend Thalern ab. Nur für den unerwarteten Fall, daß meine Ri¬ messen auch bis dahin nicht einträfen, wünschte ich mich hier sicher zu stellen. Für Frau Geheimräthin Lupinus liegen funfzehntausend Thaler auf der See¬ handlung disponibel. Ich habe mir erlaubt, ein Cessionsinstrument auf Höhe von zehntausend dort aufzusetzen. Zugleich ein eventuelles Recipisse. Wenn Sie die Cession gefälligst unterzeichnen, befreien Sie mich, ich gestehe es, von einer momentanen Verlegen¬ heit. Momentan, sage ich, denn — er lächelte — meine Aussichten sind gut. Es kostete nur den Entschluß zu einem sehr glücklichen Geschäft, dessen Chancen so gut wie in meiner Hand liegen. Glauben Sie mir, ich bin sicher auf höher als diese Bagatelle.“ „Wie hoch schätzen Sie sich, mein Herr?“ Der Hohn in der Frage berührte ihn nicht. „Auf über zweihunderttausend Thaler, meine Gnädige,“ antwortete er freundlich und überreichte ihr die eingetauchte Feder. Sie warf sich auf den Stuhl, sie überlas, ohne zu lesen, sie schrieb ihren Namen darunter; zu seiner Befriedigung, indem er ihr über die Achsel sah, deut¬ lich genug. Sie stand auf, sie sah, sie hörte nichts mehr, quer durch das Zimmer wankend, stürzte sie auf's Sopha. Thränen, um zu weinen, fand sie nicht, die Augen brannten unter den vorgehaltenen Händen. Endlich ward es ein krampfhaftes Schlucken, Schluchzen, ihre Füße klappten auf dem Boden, ihre Brust hob und senkte sich, sie holte Luft. Wandel falzte das Papier und steckte es in die Brieftasche, die Goldrollen hatten in den Taschen nicht rechten Platz. Er schlang um einen Theil sein seidenes Tuch, legte das Pack in den Hut und wollte leise zur Thür hinaus, als — ihm ein anderer Gedanke kam. Er saß neben der Lupinus, als sie die Augen aufschlug. „Noch martern!“ rief sie zusammenzuckend. „Nein, war die Antwort mit fester Stimme, nur zu stählen wünschte ich meine Freundin.“ „Das Wort nicht mehr aus Ihrem Munde! Kennten Sie, was Erbarmen heißt, bäte ich Sie, mir aus den Augen, aus meiner Nähe! Ein Todten¬ gerippe könnte mit seinen hohlen Augen mich nicht so entsetzlich anstarren.“ „Denken Sie, ich wäre eines, lächelte er. Ich habe ein solches stets neben mir — eine einst heiß geliebte Freundin. Wenn ich verzweifeln wollte, das Blut gegen die Stirn preßte, wenn ich einen dummen Streich zu begehen im Begriff war — dumm sind alle Handlungen, deren Impuls im Blute liegt — dann drück ich ihr die Knochenhand, ich presse mich an ihre Brust, sie muß neben mir ruhen, und ich werde gesund, Sie war ein liebliches Wesen, das nur den Impulsen des Herzens folgte, sie kannte keinen andern Regulator ihrer Handlungen, und — was ist sie nun? — Ein Traum ihr Leben, nur ihre Treue, Hingebung war mehr — sie, im Tode, giebt mir Kraft im Leben, sie gießt Eisen in mein Blut, Stahl in meine Nerven. O erheben Sie sich, so dürfen wir nicht scheiden.“ „Die Kette ist gesprengt — auf ewig.“ „Wenn uns die Verhältnisse auseinanderreißen, warum denn in Feindschaft? — War denn unsre Freund¬ schaft auf Affecte begründet? — Ruhe ist die erste Pflicht, um in einem Schiffbruch nach dem Kahn auszublicken, der uns retten kann. Ich bewunderte Ihre klare Ruhe und Klugheit, die Ihnen die Entschlossenheit gab — wie lange handelten Sie in dieser Consequenz, und nun soll die Aufwallung eines Augenblicks —“ „Wo die Hölle sich vor mir aufthut —“ „Gut, nennen Sie es Hölle, mich einen Dämon, Teufel, weil ich nach derselben Consequenz handle, wie meine Freundin gehandelt hat. Aber wer in die Hölle steigt, um in dem Bilde, was Sie beliebten, zu bleiben, würde dort sehr einsam leben, wenn er nur mit Heiligen umgehen wollte. Wir selbst sollen uns das Ziel sein, aber die Association ist das Mittel. — Ist das undenkbar, daß wir uns gegenseitig noch Hülfe leisten könnten! Weil Sie mir jetzt halfen — meinethalben helfen mußten, — können Sie nie in die Lage kommen, wo Sie von mir Hülfe erwarte¬ ten? — O still, meine Freundin, ich weiß, was die¬ ses Aufathmen sagen soll: Sie stürzten lieber in den Abgrund, als sie von mir annehmen! Ich lasse die¬ sem natürlichen Gefühl sein Recht, wie die Alten schreien mußten, um ihren Schmerz loszuwerden. Schreien Sie, meine Freundin, innerlich, weinen Sie, wenn Sie wieder Thränen finden, verfluchen mich! Nichts von Resignation, Vergebung edler Seelen; ein Palliativ, was die Natur abschwächt. Nein, erge¬ hen Sie sich in Ihrem ganzen Haß, aber dann — dann bedenken Sie, daß wir Beide uns kennen, daß der Zufall in der Welt eine bedeutende Rolle spielt, daß, wo kein Thron mehr sicher steht, die sicherste Stellung im Leben es nicht mehr ist, daß Fälle denkbar sind —“ Sie sah ihn scheu an: „Sie meinen —“ „Ich gebe nichts auf Ahnungen, aber — einen Wunsch, eine Weisung laß ich Ihnen zurück, als letztes Angebinde. Sie haben sich stark gezeigt, blei¬ ben Sie es, wenn das Unglück da ist. Welches Recht haben diese Menschen, die wir kennen, über uns? Etwa uns in's Herz zu schauen! Der Pöbel! Wer in aller Welt giebt ihnen das: unsre innersten Gedanken auszufragen? In's Gefängniß mögen sie den Freien schleppen, auf den Rabenstein uns schlei¬ fen, nicht uns zwingen, daß wir uns selbst verrathen und verdammen. Das Recht hat keiner Mutter Sohn, er stehe so hoch er will. Der Pöbel kann uns nicht, wir können ihn , wenn wir fest bleiben, überwinden. Die Märtyrer wurden mit Recht Heilige, nur daß sie thöricht waren, sich für Andere martern zu lassen. Wir würden es für uns. Sie versprechen es mir, Schwester im Bunde, ewig zu schweigen, ich schweige auch. Darauf einen Bruderkuß!“ Er war fort; seine letzten Tritte verhallten auf der Treppe. Sie hörte die Hausthür öffnen, zuschlagen. Aber er war noch bei ihr. Sein Bruderkuß brannte jetzt wie Feuer, jetzt wie Eis. Sie war gebrandmarkt, der Druck des Stempels drang von der Stirn bis in's Herz; sie fühlte ihn von den Fingerspitzen bis zur Zeh. Warum bin ich ein Weib! lachte es in ihr. Vergeltung! — Ohnmacht! — So viel kleine Opfer, und der Dämon selbst, sein Hohngelächter zitterte in der Luft, er umschwirrte sie, unerreichbar. — Und hätte er zu ihren Füßen gelegen, ohnmächtig, ge¬ bunden, woher denn Marterwerkzeuge nehmen, die ihren Rachedurst gestillt! Welche Schmerzen konnten das Maaß ihrer Schmerzen ausgleichen! — Und durfte sie's? — Ein Laut, ein Schrei, ein Wort des Ge¬ marterten, und die Klingeln und Glocken hätten in den Lüften geklungen, geklungen bis an's Ende der Welt, wo Gerechtigkeit ist. — Wo ist denn Gerechtigkeit! – – „Nein, sie war noch an ihn gekettet an einer feinen, unsichtbaren Stahlkette — jede Rachezückung und sie vibrirte wieder, electrisch, in ihm, er hob die Faust — nein, er lachte sie nur an, mit seinen Hayfischzähnen: Wenn mich, vernichtest Du Dich! — Zu entsetzlich, er war, er blieb ihr unsichtbarer Bundesgenoß. — Wer in diese Strudel trieb, muß eine Säule finden, woran er sich aufrecht hält. — Ein Todtengerippe! Was ist ein fühlloses Todten¬ gerippe Schreckliches mit einem verglichen, was die Augen noch rollen kann in den Höhlungen? Ja, sie bedurfte solches Stahlgusses, solcher Stärkung, des glühenden Eisens, das zur Wollust werden kann, wenn es den Nerv in dem nagenden Zahne aus¬ brennt. Sie stürzte in das Krankenzimmer. Ja, das war noch schrecklicher als ein Gerippe an der Wand. Er stand aufrecht. Wie die letzte Flamme in einem verglimmenden Feuer auflodert, spielte der letzte Athem in dem lebendigen Knochen¬ mann. Er mußte furchtbar gespielt haben. Da lagen zerschlagene Gläser, Geschirre, die kostbaren Horaz¬ bände auf die Erde geworfen; ein dicker Staub wirbelte durch das Sonnenlicht, das ohnedem nur dunstig durch die trüben Scheiben drang, wie eine dumpfe abendliche Kirchenbeleuchtung durch gelbe Scheiben. Auch die Decke vom Schreibtisch halb herabgerissen, und der Kater oben, mit gekrümmtem Rücken und orangeglühenden Augen, spinnend. Was hatte das ruhige alte Thier in diese Unruhe versetzt! Hatte er, vom Schmerz ergriffen, diese Ver¬ wüstung angerichtet? Körperliche Schmerzen waren es nicht. Diese schienen überwunden. Das Gespenst, den Schlafrock weit auf, ein Gerippe darunter, so wankte er auf die Frau zu. Die Brust schlug noch — heftig, in den Skeletthänden hielt er ihr ein Buch entgegen. Das Buch zitterte durch die Luft. Das war ein wüster Blick in dem Auge, sein letzter, das war ein Schrei aus tiefer Brust, auch sein letzter: „Weib! es ist falsch — Alles falsch!“ „Alles ist falsch!“ antwortete sie tonlos. Er hatte nicht mehr die Antwort gehört. Er lag auf der Diele, er hatte ausgelitten. Der Kater war vom Tisch gesprungen und bäumte sich über den Leichnam. Die Geheimräthin irrte in der Stube umher und konnte den Spiegel nicht finden. Als sie ihn ge¬ funden, konnte sie nichts drin sehen. Sie rieb und rieb, aber der Spiegel blieb blind. „Mein Gott, ich muß doch die Wahrheit sehen!“ rief sie, und suchte nach einem Tuche. Jetzt meinte sie, der letzte Hauch sei abgerieben. Sie sah sich und sie sah sich nicht. „Allmächtiger!“ —!“ schrie sie auf und preßte die Hände über ihren Scheitel. Diese Bewegung sah sie, aber sonst nur Umrisse. Umsonst quollen die Augäpfel aus den Höhlungen hervor. Mit einem neuen, entsetzlichen Schrei fuhr sie zurück. Die Gestalt im Spiegel fuhr auch zurück: „Ich bin ja hohl!“ Es war ein heulender Ton. Ihr Diener fand sie nachher halb auf der Erde liegend, den Kopf auf's Sopha gefallen. Sie sträubte sich verzweifelt, als man sie in's Bett bringen wollte, und rief ein Mal über das andere, man werde gewiß nichts finden. Druck von Eduard Krause in Berlin.