Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie; samt buͤndigem Erweis des hohen Vorzugs derselben vor der, heut zu Tage geruͤhmten, natuͤrlichen, maͤnnlichen und erhabenen Dichterey: ans Licht gestellet von einem ehrbaren Mitgliede der Hans-Sachsen- und Froschmaͤusler- Gesellschaft, D. Johann Ernst Philippi. Altenburg, Auf Unkosten des Autoris. 1743. Der preiswuͤrdigen privilegirten Freymaͤurer-Gesellschaft in Berlin. Etiam in hoste laudanda virtus! Hochzuehrende Herren! A n wen soll ich beykommende geringe Blaͤt- ter, die unsere armselige Froschmaͤus- ler-Gesellschaft Dero preiswuͤrdigen gewid- met hat, uͤbersenden, da Jhre Namen vor der Welt verborgen sind? Jch vertraue sie also denen vier Winden des Himmels an, und schmeichele mir, das Gluͤck zu erhalten, daß wenigstens ein einziges von unsern flad- dernden Papieren in Dero Haͤnde fallen werde. Es heisset bey uns: Der Person Freund, und der Sache Feind! Wir wissen, und sehen vor- aus, daß Sie unserer Bemuͤhung, der krie- chenden Poesie aufzuhelfen, Feind seyn muͤssen. Aber dem ohngeachtet tragen wir fuͤr Dero Gesellschaft eine geheime Hoch- achtung. Jch habe die Ehre, im Namen meiner Mitgenossen, mich zu nennen Meiner hochzuehrenden Herren Dresden, den 29 Dec. 1742. gehorsamst ergebensten Diener Philippi, Secretair bey der Froschmaͤusler- Gesellschaft. Jnhalt nachstehender Schriften. D as Vorspiel macht eine erbauliche Antritts- Rede Herrn Toffel Reimfixens in die Froschmaͤuseler- und Hans-Sachsen-Gesellschaft, nach den Regeln des homiletischen Schlendri- ans eingerichtet. Hierauf folgen sieben Probestuͤcken, so ein jeder Candidat, vor seiner Aufnahme in solche Gesellschaft, erst ablegen muß, als: I. Die Reimschmiede-Kunst und kriechen- de Poesie, in Form einer Wissenschaft nach mathematischer Lehr-Art vorgetragen. II. Paralele, oder Vergleichung zwoͤlf krie- chender Thiere mit zwoͤlf Classen kriechender Poeten; wie auch sechs Gattungen von Schmie- den mit sechs Sorten Reim-Schmiede, in Form einer Jnaugural-Disputation abgefaßt. III. Funfzig Maximen, darinnen alle Kunst- griffe und Cautelen der kriechenden Poesie in allen Haupt-Arten von Gedichten, wie auch der ganzen Reimschmiede-Kunst enthalten sind. IV. Dreyßig Fragestuͤcke, so jedem Candi- daten, der in die Froschmaͤuseler-Gesellschaft ein- treten will, zu richtiger Beantwortung vorgelegt werden. A 3 V. Er- Jnhalt nachstehender Schriften. V. Erweis des hohen Vorzugs einer krie- chenden Poesie vor der sogenannten natuͤrlichen, maͤnnlichen und erhabenen Dichterey. VI. Unumstoͤßliche Widerlegung des Hora- zens Buches de arte poëtica, oder der Dicht- Kunst. VII. Etliche Knittel-Gedichte, von großen Dichtern aufgesetzet, auch ein Lob-Gedichte des Knoblochs, samt einer Hans-Sachsischen poeti- schen Zuschrift an den Tit. Hn. Krieges-Rath, D. Knobloch. Das Nachspiel enthaͤlt eine Beschreibung der Formalitaͤten, bey wirklicher Aufnahme maͤnn- licher und weiblicher Personen unter die Mit- glieder der Froschmaͤusler-Gesellschaft, nebst dem auf deren Oberhaͤupter gemachten Ehren- Liedlein. Antritts- Antritts-Rede in der Hans-Sachsen- und Froschmaͤusler- Gesellschaft, handelnd von dem klaͤglichen Verfall und hoͤchnoͤthigen Wiederaufhelfung der Reimschmiede-Kunst und kriechenden Poesie. Meine Herren! E ndlich habe den gluͤcklichen Zeit-Punct er- lebet, in ihre, vor den Augen der Stolzen verborgene, aber an sich hoͤchstwichtige, Gesellschaft aufgenommen zu werden! Wir wollen durchaus allen Vernuͤnftlern, Freyden- kern und starken Geistern Trotz bieten. Wir sind so ehrsuͤchtig nicht, uns praͤchtige Namen von Gesellschaften beyzulegen. Wir bleiben bey der lieben Einfalt. Damit es keinen Rang- Streit abgebe, soll der vormals beruͤhmte deut- sche Poete, Hans Sachse, unser Obermeister, und der ehrliche Froschmaͤuseler unser Anfuͤhrer seyn. Was aus dieser Helden Schriften kann buchstaͤblich dargethan werden, soll unsere Re- gel und Richtschnur verbleiben. A 4 Gewiß, Antritts-Rede Gewiß, wir haͤtten zu den Absichten unserer Gesellschaft keine geschicktere Oberhaͤupter erweh- len koͤnnen, als eben diese. Denn die Reim- schmiede-Kunst ist der groͤßte Endzweck unserer Hans-Sachsen-Gesellschaft, und die kriechen- de Poesie ist das vornehmste Absehen des unter uns aufgerichteten Froschmaͤusler-Ordens. Wir reimen, ehe wir denken. Daher muß die Reimkunst der Dichterey vorangehen. Wir bleiben gern bey der Erde; eben darum wollen wir unsre Poesie nicht hochtrabend, sondern lieber kriechend nennen. Zwar hat der bekannte D. Schwift eine eigene Kunst zu kriechen ans Licht gestellet; aber weil ers damit nicht ernst- lich meynet, sondern allzumerklich spaßet, ge- hoͤrt er auch unter die Bande der großen Dich- ter, deuen wir in der Tasche Schnipgen schla- gen. Wir meynens in voͤlligem Ernste, daß die Reimschmiederey eine besondere Geschick- lichkeit erfordere, und es eine wahrhafte Kunst sey, in der Poesie zu kriechen. Wir koͤnnen aufgepauste Gedanken und ble- hende Worte gar wol leiden. Aber der dahin- ter versteckte Gedanke muß niedrig, niedertraͤch- tig und kriechend seyn. Ein Lahmer kriechet wol ehe auf allen Vieren, in Ermangelung ei- ner Kruͤcke. Wir aber gestatten auch keine Kruͤk- ken; sondern, wenn unsere Gedichte erst lahm und hinkend sind, muͤssen sie sich ganz in den Staub legen, und anfangen zu kriechen. Die Schwulst in unsern Ausdruͤckungen muß sich in in der Froschmaͤusler-Gesellschaft. in eine duͤnne Luft verwandeln, die glatt uͤber der Erde hinwegstreichet. Wann unsere Gedanken Luͤcken haben, wenn sie nicht recht klappen und an einander haͤngen: So thut uns die Reimschmiede-Kunst treffliche Dienste, solche Luͤcken durch gute Flick-Woͤr- ter auszustopfen. Fallen wir von der Hoͤhe unsrer Gedanken in einen tiefen Graben: So fuͤllen wir solchen stracks durch gewisse Fuͤll- Woͤrter aus. Damit es der Taͤndeley mit Vernunft-Schluͤssen nicht beduͤrfe; gestatten wir allen falschen Gedanken und unrecht ange- brachten Touren eine Stelle. Wir geben un- sern Einfaͤllen einen solchen Schwang, daß dar- aus Schwaͤnke und Schnaken erfolgen moͤgen. Eben daher sind wir keine Sclaven, alle Ge- danken mit einander richtig zu verbinden. Wenn wir beym Wetzsteine zu reimen angefangen: So ist es genug, daß wir die herrliche Wahr- heit dran haͤngen, ein darauf geschliffenes Messer schneide. Aber wir tragen kein Bedenken, die Gedanken durch Wortspiele zu verdrehen, und ei- nen ungeschliffenen Menschen den zu nennen, der noch auf keinen Wetzstein gekommen. Das duͤnket uns aber erst ein herrlicher Einfall zu seyn, wenn wir hinzufuͤgen: Jeder von unsern Fein- den sey ein Wetzstein unserer Tugend, weil er sich an uns zu reiben suchet. Wir dehnen auch gern etwas uͤber das Gleich- niß hinaus. Ein scharfer Gedanke wird bey uns ein scharf gewetzter Gedanke genennet; und A 5 wenn Antritts-Rede wenn wir gesaget: Eine Satyre schneide durch Mark und Bein: So thun wir einen Luft- Sprung, um desto tiefer zu fallen, und sagen: Eine Satyre sey das allerschaͤrfste Scheermes- ser. Ja wir wissen den Wetzstein und unser Schneidemesser bey Dingen anzubringen, die weder gewetzet noch geschnitten werden. Wir haben hierin einen beruͤhmten Vorgaͤnger, der zwar sonst unser Feind ist. Aber desto hoͤher ist das Zeugniß eines Feindes zu achten, wenn er uns selber worinn beypflichtet. Jch habe nicht noͤthig, die Stelle erst herzusetzen, weil unsere Absicht ist, niemanden leicht zu nennen, und doch viele zu treffen. Meine Herren gelieben nicht daruͤber boͤse zu werden, daß ich ein langes und breites vom Wetz- steine geschwatzet, da ich doch vom Verfall und Wiederaufhelfung der kriechenden Poesie reden wollen. Auch das gehoͤrt unter die Grund-Ge- setze unserer Gesellschaft: Wenn es uns an Ge- danken fehlet, stehet uns frey, so lange fortzu- kriechen, bis uns wieder ein frischer Gedanke einfaͤllet. Folglich machen wir viel Ausschwei- fungen, und bleiben doch immer auf einem Fleck. Wir tummeln uns im Kreise, reden einerley vielmal, und sehen am Ende, daß wir wieder zu unserm Anfange gekommen. Wir suchen der lieben Einfalt nachzuhelfen, die unsere Ge- danken sonst vergessen moͤgte. Jedoch, ich eile zum Vortrag, da ich ohne ferneren Eingang euren in der Froschmaͤusler-Gesellschaft. euren Liebden in aller moͤglichsten Kuͤrze und Einfalt vorstellen will: Den klaͤglichen Verfall und die hoͤchst- noͤthige Wiederauf helfung der Reimschmiede-Kunst und kriechen- den Poesie. Da mir denn Jm ersten Theile zu erweisen oblieget, daß es wirklich einen so klaͤglichen Verfall gebe. Aber was beduͤrfen wir großes Beweises? Drehen sie die Raͤder ihres historischen Gedaͤchtnisses zuruͤck, und denken an die Zeiten, da der beruͤhmte deutsche Poete Hans Sachse lebte, wie auch der Ver- fasser des Froschmaͤuselers. Jn welchem Anse- hen stunden nicht diese damalige poetische Hel- den? Sahe man sie nicht fuͤr Erzdichter und gekroͤnte Dichter-Haͤupter an? Lase man nicht ihre vollkommene Muster der Reimschmie- derey und kriechenden Poesie mit groͤßtem Ver- gnuͤgen? Wurden nicht Hans Sachsens Ge- dichte auf oͤffentlichen Maͤrkten abgesungen? War wol ein Gelehrter zu finden, der nicht ge- wußt, daß ein Hans Sachse in der Welt sey? Dagegen ist jetzo sein Andenken in Sand; ja was sage ich in Sand? gar in Staub; und was sage ich in Staub? endlich sogar in Was- ser geschrieben, daß er so wenig kenntliche Fuß- tapfen hinterlassen, als ein Schiff vom ersten Range, das auf der See einen Strich zuruͤck gelegt, Antritts-Rede gelegt, und man dessen Spur nirgends siehet. O Jammer! o Elend! daß so große Maͤnner, als Hans Sachse und der Froschmaͤuseler, in solche Vergessenheit gekommen! O ekele Welt! daß, durch die neuerlichen abentheuerliche Na- men: Opiz, Lohenstein, Simon Dach, Flem- ming, Amaranthes, Menantes, Hofmans- waldau, Besser, Canitz; ja wenns noch bey diesen geblieben waͤre! durch noch viel neuere Namen ihre Ohren so verwoͤhnt worden, daß sie, leider! von ihrem Ahnherrn in der deutschen Dichtkunst, dem unsterblichen Hans Sachsen und Froschmaͤuseler, nichts mehr hoͤren moͤgen. Moͤgte man hier nicht ausrufen, und sagen: O tempora, o mores! Nicht nur ganze Orden, als die fruchtbrin- gende Gesellschaft, der Pregnitzer-Orden, der Palmbaum-Orden, sondern auch ganze Ge- sellschaften sind entstanden, die sich bald Red- ner-Gesellschaften, bald geheime, bald deut- sche, bald critische, und warum nicht gar na- sutische und dolhoruckische, genennet haben. Aber das ist vollends bejammernswuͤrdig, daß sonderlich folgende Namen unserm erkiesten Ober- haupte in der Reimschmiede-Kunst und kriechen- den Poesie den letzten Druck gegeben; dagegen aber die uns fatale natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Poesie in Schwang gebracht haben. Halten sie mich, meine Herren, daß ich nicht einen Schwindel im Haupte bekomme, und rei- chen sie mir schleunig den distillirten Frosch- maͤusler- in der Froschmaͤusler-Gesellschaft. maͤusler-Spiritus, der so gut fuͤr alle Schlag- fluͤsse ist, her, weil alles mit mir herumgehet, wenn ich nur unserer Haupt-Gegner Namen nennen hoͤre. Es gehet mir bald, wie jener Dame in der kurzweiligen Schrift: Die Pieti- sterey unterm Reifrocke, welche in Ohnmacht versank, wenn sie ohngefehr die Namen: D. Fecht, Neumeister, D. Mayer ꝛc. nennen hoͤ- ren. Jch aber wollte lieber wuͤnschen, daß die geschwornen Feinde unserer kriechenden Poesie gar nicht geboren waͤren. Welch ein Heer der- selben stellet sich nicht durch das ganze A, B, C uns entgegen. Das A scheint uns eben nicht sonderlich fatal; aber desto gefaͤhrlicher ist uns das B, darunter der gewaltige Gegner, Brocks in Hamburg, vorkoͤmmt. Jch komme aus den Schranken meiner Gedanken, daß ich nicht in der Reihe fortbuchstabiren kann. Wir erzittern vor denen in niedersaͤchsischen Landen beruͤhm- ten Namen: Neukirch, Richey, Mosheim, Pietsch, Weichmann, und dergleichen. Wir beben vor den, unserer kriechenden Poesie so gar sehr sich widersetzenden, obersaͤchsischen Namen: Guͤnther, Koͤnig, Graf Zinzendorf, Rambach, Gottsched, Piccander, Briontes der Juͤngere, samt andern fameusen Namen mehr. Ja sogar vor weiblicher Erzdichterinnen und Feindinnen unserer kriechenden Poesie lieb- lichsten Namen, als: Zieglerin, Gersdorfin, Gottschedin, Brayne, Zaͤunemannin, ꝛc. ꝛc. erstarret das Gebluͤte in unsern Adern! Sollte Antritts-Rede Sollte ich nun wol noch mehrere aussprechen und namhaft machen? Vielleicht koͤnnte ich endlich gar Freund und Feind verwechseln, oder jemand fuͤr unsern Gegner halten, der doch wol gute froschmaͤuslerische Dicht-Gedanken bis- her gehabt, ob er gleich noch kein Mitglied un- serer Gesellschaft gewesen. Denen Regeln der- selben nach soll ich zur Probe drey Namen vor- schlagen, dadurch Dero edle Zunftgenossenschaft einen neuen Zuwachs bekomme; aber ich kann in Wahrheit nicht gut dafuͤr seyn, ob ich mit meinem Vorschlage Freunde oder Feinde unserer Gesellschaft treffen werde. Jndeß will ich lieber unrichtig im Vorschlagen, als ungehorsam in meiner Probeleistung seyn. Daher ich den Hn. D. Knobloch aus Zittau, Hn. D. R .. und Hn. D. Pl .. drey Doctores Iuris und Poe- ten, zu Candidaten vorschlage, solche einzuladen, in Dero loͤbl. Gesellschaft mit einzutreten. Ue- brigens verhoffe ich, meine Herren, den klaͤgli- chen Verfall der Reimschmiederey und kriechen- den Poesie dargethan zu haben. Die Sache ist aus zwey angebrachten Haupt-Beweisen klar: Einestheils aus dem erloschenen Ruhm und mit Grase bewachsenen Andenken unserer erkor- nen Oberhaͤupter, Hans Sachsens und des Froschmaͤuslers, deren Andenken bey uns im Segen ist; und sodann hauptsaͤchlich auch durch die seit etwa zwanzig Jahren aufgekommene neuerliche, mithin schon in sich verdaͤchtige und nach poetischer Ketzerey, ja Dichter-Gifte, schmeckende, in der Froschmaͤusler-Gesellschaft. schmeckende, oder auch riechende, sogenannte natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Dichtkunst, welche, wie die Folge zeigen wird, schnurgerade den Regeln unserer Reimschmiede-Kunst und kriechenden Poesie entgegen stehet. Es sind al- so zwey feindselige Heere gegen einander; aber wir haben leider den Kuͤrzern gezogen! Unsere haͤufigen Zunftgenossen werden verachtet und verspottet. Unsere poetischen Werke werden nicht gut genug geachtet, fuͤr Makeltur gebraucht zu werden. Man beschimpft sie noch viel empfind- licher; welches ich mit wichtigen Zeugnissen darthun koͤnnte, wenn nicht das mir vor die Au- gen gesetzte Stunden-Glas, samt einer auch vor die Ohren dienlichen Erinnerungs-Uhr, naͤmlich einem guten Wecker, mich bewegte, nunmehro auch zum andern Theile unserer Betrachtung zu schreiten, und eurer Liebe, wegen meist verflossener Zeit, nur noch mit wenigen, da- mit sie nicht etwa einschlafen, oder verdrießlich werden, vorzustellen: Die hohe Nothwendigkeit, diesem klaͤgli- chen Verfalle der Reimschmiede-Kunst und kriechenden Poesie wieder aufzu- helfen. Waͤre ich den tausenden Theil so geschickt und sinnreich, als der Verfasser der uͤberaus lustigen und artigen Schrift: Die Nothwendigkeit der elenden Scribenten; so wuͤrde selbst die Son- ne, wenn sie reden koͤnnte, meine Gruͤnde fuͤr uͤberzeugend aussprechen: ja ich wuͤrde Himmel und Antritts-Rede und Erden, wenn sie nur reden gelernt, zu Zeu- gen auffuͤhren koͤnnen. So aber will ich bloß punktweise die Sache beruͤhren. Es ist nothwendig, erstlich, weil durch sol- chen neuen poetischen Geschmack selbst der Re- ligion ein großer Schade und Eintrag geschie- het. Denn da muͤssen nothwendig viele alte Kern-Lieder, als zum Exempel das schoͤne: Ein Kindelein so loͤbelich; item: Amen, nun will ich schliessen dies schlechte Liedelein; desglei- chen das geistreiche Lied: Hilf Gott, daß mirs gelinge, daß ich die Sylben zwinge; samt de- nen darinn mehrmals vorkommenden herrlichen Fuͤllwoͤrtern: Vernimms, ja wohl vernimms und merks, mein Kind, vernimms; denen neuen poetischen Luͤstlingen einen Ekel verursa- chen, wo nicht gar ihnen zum Gespoͤtte dienen, welches nicht genug mit Thraͤnen kann bedau- ret werden! So daß demnach, wenn ich Landes-Herr, oder der naͤchste nach ihm waͤre, ein Gebot wollte ausgehen lassen, daß die altdeutsche und des Hans Sachsens Poesie nahekommende Dichterey an allen Orten, wo sie in Kirchen und Schulen Herkommens, der neuen ausge- kuͤnstelten und ausgekernten, auch sogenannten reinen Poesie, (wer will aber einen reinen Poe- ten finden, da wol keiner ganz rein ist?) weit vorgezogen; die ekelen neuen Poeten durch ge- buͤhrende Zwangs-Mittel zur Hochachtung der Hans-Sachsen-Poesie angehalten, die Stu- denten in der Froschmaͤusler-Gesellschaft. denten vor Besuchung solcher hohen Schulen, wo dergleichen poetisches Gift und Ketzerey ausgestreuet wird, fleißig verwarnet, und die zarte Jugend in den Froschmaͤusler- und Hans- Sachsens-Gedichten treulich unterwiesen, sie aber vor allen irrigen und verdaͤchtigen prin- cipiis einer sogenannten natuͤrlichen, maͤnnli- chen und erhabenen, ja wol gar vollkommnen Poesie, da doch nichts vollkommnes auf der Welt zu finden, alles Fleisses verwahret werden. Die hohe Nothwendigkeit, der Reimschmie- derey wieder aufzuhelfen, erhellet ferner daraus unter uns zur Gnuͤge: Weil wir einmal uns vest vorgenommen, in die Fußtapfen unserer Groß-Eltern und altdeutschen poestischen Ahn- Herren, Hans Sachsens und des Froschmaͤu- selers, zu treten; dagegen die neue Poesie von solcher Bahn abweichet, und einer noch un- mannbaren Jungfer gleichet, von der es kein Wunder, daß sie ihre Keuschheit unbeflecket er- haͤlt, weil sie noch keinen Versuchungen aus- gesetzet worden. Ferner wuͤrde ja die Ehrfurcht, die wir fuͤr unsere, aus freyer Wahl und mit einmuͤthiger Einfalt erkieste, Ober-Meister, Hans Sachsen und den Froschmaͤusler, tragen, merklich leiden, und ihre Asche uns so zu sagen ins Gesichte vor- werfen, wenn wir nicht eifrigsten Fleisses be- dacht waͤren, ihren vormaligen Ruhm wieder herzustellen. B Wo Antritts-Rede in der ꝛc. Wo sollten wol viertens alle Gratulanten, Hochzeit-Reimer, Leichen-Reimer, Geburts- und Namenstags-Reimer, nebst Kindtaufs- und Abendmahls-Reimern, bleiben, oder ihr ehrliches Auskommen finden, wenn es nicht die oͤberste allgemeine Regel der Reimschmiede- Kunst waͤre, und solche in steifer Observanz erhalten werden muͤßte: Daß, wie ein Ora- tor six calax von schwarz und weiß, rechts und links, Himmel und Hoͤlle ohne groß Besinnen muß aus dem Stegereif reden koͤnnen: Also auch einem Poeten unserer Gesellschaft er- laubt sey, auf alles, sollte es auch der Muffel, oder gar ein Floh, oder der Nachtwaͤchter seyn, Reime zu schmieden, die geschmiedeten zu drucken, die gedruckten zu uͤberreichen, fuͤr die uͤberreichten Geld oder Geldes Werth, auch ansehnliche Ehren-Titel, anzunehmen, und kurzum diese unsere in Abnahme bishero gekom- mene brodlose Kunst und verschlagene Waare, ja nicht einmal mehr auf den Jahr-Maͤrkten ge- hende Meister-Gesaͤnge, wieder in Schwang gebracht, und in eintraͤgliche Brod-Kuͤnste, oder doch wenigstens in Credit, daß man was darauf geborget kriege, gesetzet werden moͤgen; dazu denn vielleicht beykommende sieben Probe- Stuͤcke, die ich Jhnen, meine Herren, hiedurch zu uͤberreichen die Gnade habe, nach Dero vorhergaͤngigen hocherleuchteten Censur, etwas beytragen werden. Dixi. Erstes Erstes Probestuͤck. Die edle Reimschmiede-Kunst und kriechen- de Poesie, in Form einer Wissenschaft, nach mathematischer Lehr-Art abgefasset. Erste Erklaͤrung. § 1. Die Reimschmiede-Kunst ist eine Kunst, auf alles und jedes, worauf nur ein Reim zu erfinden moͤglich ist, Reime zu machen, sie moͤgen auch beschaffen seyn, wie sie wollen. 2. Erklaͤrung. § 2. Die kriechende Poesie ist eine Kunst, so niedertraͤchtig und verwirrt zu denken und zu dichten, daß man kaum tiefer kommen kann, samt Verachtung alles dessen, was nicht mit ihren Regeln uͤbereinstimmet. 1. Grundsatz. § 3. Sowol die Reimschmiederey, als kriechende Poesie, ist eine Kunst. 1. Zusatz. § 4. Da nun aber eine Kunst so viel ist, als eine Fertigkeit des Gemuͤthes, die, nebst ge- wissen Regeln, hauptsaͤchlich durch besondere Handgriffe, Gebrauch und Uebung erlernet wird: So finden sich demnach auch bey der Reimschmie- derey und kriechenden Poesie einige Grund-Re- geln, gewisse Handgriffe und fleißige Uebung, ehe man zu einer Fertigkeit darinn gelanget. B 2 2. Zu- Die Reimschmiede-Kunst 2. Zusatz. § 5. Alldieweil nun der Haupt-Begriff, darinn die Reimschmiederey und kriechende Poe- sie mit einander uͤbereinkommen, dieser ist, daß beyde eine Kunst sind: So darf man wahrlich weder einen Reimschmied noch kriechenden Poe- ten fuͤr einen ungeschickten Menschen halten. 2. Grundsatz. § 6. Die Reimschmiederey hat mit Wor- ten, Sylben und Reimen, die kriechende Poesie aber mit Gedanken und Begriffen zu thun. 1. Zusatz. § 7. Die gemeine Vernunft-Lehre be- hauptet zwar, daß man, wenn man redet, vor- her erst richtig denken muͤsse; aber bey der Reim- schmiederey kann man reimen, wenn auch gleich gar kein Gedanke dahinter stecket. Anmerkung. § 8. Ein Reim ohne Jdee klinget uns so lieblich, als ein musicalischer Ton einer Sack- pfeife. Es ist eine Mischung des Rauhen und Sanften. Daß der Gedanke fehlt, klingt et- was rauh; aber die Zierlichkeit des Reims er- setzt diesen Mangel. 2. Zusatz. § 9. Wenn der niedrige Gedanke sich bald in einen Reim zwingen laͤsset, entstehet daraus eine liebliche vorherbestimmte Harmonie zwi- schen der Reimschmiederey und kriechenden Poesie. 3. Zu- nach mathematischer Lehr-Art. 3. Zusatz. § 10. Wenn aber entweder der Reim schon vorhanden ist, ehe noch der Gedanke vestgesetzet worden; oder aber der Begriff im Kopfe zwar ausgehecket, aber sich nicht recht in Reime will ausdruͤcken lassen: heißt solches das Schwere in der Reimschmiederey und kriechenden Poesie; das Leichte aber, wenn beydes, ohne groß Nach- sinnen, einem flugs einfaͤllt. 3. Grundsatz. § 11. Bey der Reimschmiederey hat man vollkommene Freyheit, so gut zu reimen, als der poetische Amboß und Schmiede-Hammer den Reim heraustreiben kann. 1. Anmerkung. § 12. Die gekuͤnstelte Poesie will alle Rei- me nach genauem Sylben-Maasse, Abschnitt, Cesur, Scansion, Fuͤßen und Construction, oder richtiger Wortfuͤgung, abgemessen haben; aber die Reimschmiede-Kunst nimmt sich mehr Freyheit heraus. Man darf ganze Sylben ver- schlucken; braucht die pedes nicht zu zehlen; die Cesur mag fallen, wie sie will: der Reim- schmied faͤllt nie aus dem Gleise; die Constru- ction mag verworfen werden, wie sie will: es schadet nichts. Die Hans-Sachsen-Poesie ist also der menschlichen Natur conformer, wel- che die Freyheit und Ungebundenheit mehr lie- bet, als so genaue Einschraͤnkungen. B 3 2. An- Die Reimschmiede-Kunst ꝛc. 2. Anmerkung. § 13. Die die Poesie in Zwangs-Regeln eingefaßt, haben dadurch ihren Hochmuth ver- rathen, indem sie andern Gesetze vorgeschrieben. Ein Reimschmied aber siehet nur auf seinen ei- genen poetischen Amboß und Schmiede-Ham- mer, dabey er andern die Freyheit laͤßt, sich selber Reime zu schmieden, so gut sie koͤnnen. 3. Anmerkung. § 14. Damit ich keinen Begriff unbestim- met lasse: So verstehe ich durch den poetischen Amboß die Reim-Woͤrter-Buͤcher. Denn aus solchen sucht man sich erst ein paar huͤbsche Reime zusammen, die einige Aehnlichkeit in dem Laute haben; nachher bemuͤht man sich, solche Reime durch den poetischen Schmiede-Ham- mer, oder einen gluͤcklichen Einfall, zusammen zu schmieden, daß sie auf einander passen. Erste Aufgabe. § 15. Wie man sich helfen soll, wenn ein Wort vorkoͤmmt, darauf entweder gar kein Reim, oder doch ein sehr schwerer und un- bekannter ist? Aufloͤsung. Wenn ein Wort ohne ein anders ist, das sich drauf reimt: hat man Freyheit, entweder ein anders zu erwehlen, oder aber einen Flick- Reim anzubringen. Z. E. Auf das Wort Mensch will mir kein Reim einfallen: So rei- me ich also: Nun sagt, was reimet sich auf ensch: So nach mathematischer Lehr-Art. So habe ich wirklich auf Mensch gereimt, oh- ne es selber zu denken. Jst aber ein Reim vorhanden, der gleichwol vielen unbekannt: So muß man ihm mit ein paar drein gegebenen Reimen nachhelfen, bis sich die Leser und Zuhoͤrer dran gewoͤhnen. Z. E. Wenn der geschwaͤrzte Flohr der Einbil- dung zerreißt, klinget etwas hart und undeutlich: So hilft ihm der Reimschmied ohngefehr also nach: Denn wie ein schwarzer Flohr uns das Ge- sicht bedecket, Jst ein Hochmuͤthiger auch in sich selbst verstecket. Da siehet man hernach leicht, warum die Ein- bildung mit einem schwarzen Flohre verglichen worden. Anmerkung. § 16. Die Fuͤll-Woͤrtergen, z. E. lobesan, vernimms, ganz recht, und tausend andre, hel- fen einem Reimschmiede oft geschwinde aus der Noth, daß er ein paar Reime zusammen loͤten kann, die sonst gar nicht schienen mit einander verknuͤpft werden zu koͤnnen. Weil sie auch in viel alten Kirchen-Gesaͤngen vorkommen, hat man sie billig in allen Gedichten fuͤr eine beson- dere Zierde zu schaͤtzen. 1. Lehrsatz. § 17. Ein Reim, den noch kein Dichter vorher gebraucht, ist eine entdeckte neue B 4 Wahr- Die Reimschmiede-Kunst ꝛc. Wahrheit in der Reimschmiede-Kunst, und billig hochzuhalten. Erweis. Die Reimschmiede-Kunst gestattet, auf alles und jedes, darauf nur ein Reim moͤglich ist, solchen anzubringen (§ 1). Da nun die Erfin- dung eines noch nie zuvor vorgekommenen Rei- mes eine Entdeckung neuer Moͤglichkeiten ist: So wird dadurch der Reim-Woͤrter-Schatz vermehret, mithin eine neue Wahrheit ans Licht gebracht; welches das erste war. Da aber eine erfundene neue Wahrheit billig dem Erfinder zu Ehren gereichet und seinen Ruhm vergroͤßert: So hat man also ganz neue und zu- vor nie erhoͤrte Reime allerdings hochzuschaͤtzen; welches das andere war. Q. E. D. Zusatz. § 18. Da nun aber die Reimschmiede-Kunst eine große Verwandtschaft mit der kriechenden Poesie hat (§ 5, 9): So folget, daß auch ein solcher angebrachter neuer niedriger Gedanke, dergleichen noch niemand vorher gehabt, un- ter die neue kriechende Wahrheiten zu setzen und hochzuhalten sey. Anmerkung. § 19. Als eine gute Cautel, dahinter zu kom- men, muß man in Lesung der Poeten geuͤbt seyn, damit man nicht etwas fuͤr einen neuen Reim oder frischen Einfall halte, den doch schon an- dere vorher gehabt. Gewiß der Kuͤtzel und die Freude nach mathematischer Lehr-Art. Freude verringert sich da um ein merkliches, wenn man dieses gewahr wird. Besser waͤre es, andere unterliessen die fleißige Lesung poeti- scher Schriften: So koͤnnte man oft trotzen und braviren, als wenn man etwas aus eigenem Kopfe erfunden, da mans doch andern abge- borget hat. Anderer Lehrsatz. § 20. Es gehoͤrt, bey Lesung der Poeten, ein gesundes Nachdenken, damit man nicht die edle Reimschmiede-Kunst mit der gezwun- genen neuen Dichter-Kunst vermenge. Erweis. Die edle Reimschmiede-Kunst ist frey und ungebunden (§ 11); die neue Poesie aber bin- det sich genau an die Construction, pedes, Ce- sur und Scansion. Wenn demnach ein Reim- schmied sich zu sehr an die pedes, Cesur, Con- struction und Scansion baͤnde: So schluͤge er auf die Seite der neuen Poeten. Da nun aber die neue Poesie und Reimschmiede-Kunst einan- der schnurstracks entgegen (per experient.): So hat man die Poeten genau zu examiniren, auf welche Seite sie geneigt, um zu erforschen, ob es neue Poeten oder edle Reim-Schmiede sind; welches das erste war. Da nun aber, bey Unterlassung solches Nach- denkens, einer endlich selber nicht wissen wuͤrde, ob er ein Reimschmied oder neuer Poete waͤre: So ist die Ungebundenheit in Reimen das Au- B 5 genmerk, Die Reimschmiede-Kunst ꝛc. genmerk, damit nicht die edle Reimschmiede- Kunst mit der gezwungenen neuen Poesie ver- menget werde; welches das andere war. Q. E. D. Andere Aufgabe. § 21. Wie man eine vorkommende poeti- sche Passage genau beurtheilen koͤnne, ob sie unter den Schatz der Reimschmiede-Kunst und kriechenden Poesie, oder aber unter die neue Poesie gehoͤre? Aufloͤsung. Wenn ein Gedanke oder ganzer Reim aus einem solchen Autore entlehnt ist, der schon uͤber- all als ein neuer Poete beruͤhmt ist, auch von uns selbst dafuͤr erkannt wird: So ist die hoͤch- ste Vermuthung, daß er zur neuen Poesie, und nicht zur Reimschmiede-Kunst, gehoͤre. Z. E. wenn er aus der Poesie der Nieder- und O- ber-Sachsen, aus einem Brocks, Richey, Koͤ- nig, Guͤnther, Canitz u. d. m. entlehnet ist. Jst es aber ein eigener Einfall des Verfassers: So loͤse man erstlich den angebrachten Gedan- ken in eine einzele Proposition von subiecto und praedicato auf. Steckt darinn was na- tuͤrliches, maͤnnliches, erhabenes: So ist das Gift der neuen ketzerischen Poesie dahin- ter. Steht er aber, in seiner Entkleidung, mit dem Gesichte zur Erden, oder ist fein nieder- traͤchtig: So gehoͤrt solche Stelle, wenn auch der Dichter sonst unter die neuen Poeten gehoͤrt, in nach mathematischer Lehr-Art. in Absicht auf diese Passage, mit zu den Lieb- habern einer kriechenden Poesie. Die neuen Poeten kuͤnsteln alles zu sehr nach der Vernunft und dem scharfen Witz aus. Sie leiden keinen falschen Gedanken, weder der in sich irrig, noch, in der angebrachten Tour, un- recht gesetzet ist. Sie reden von einem poeti- schen Geschmack, dadurch sie gleich alles kosten, riechen, schmecken und fuͤhlen koͤnnen, was ih- rem sogenannten bon sens und bon goût ent- gegen. Erraͤth man nun nur erst ihre Maxi- men: So halte man die zweifelhafte Passage damit zusammen. Trifft solche mit ihren Ma- ximen uͤberein: So muͤssen wir es fuͤr eine poe- tische Ketzerey halten, ihnen nachzuahmen. Denn je weiter unsere Gedanken von der so be- titelten gesunden Vernunft abweichen; je naͤ- her kommen sie der kriechenden Poesie und Reim- schmiede-Kunst. Man muß endlich bey den Reimen und Ein- faͤllen einen Unterschied unter der ernsthaften und scherzhaften oder burlesquen Poesie machen. Die neuen Poeten, wenn sie badiniren, schei- nen uns nachzuahmen; aber es ist doch ein merk- licher Unterschied zwischen uns und ihnen. Denn unsere Poesie ist schaͤkernd, kollernd, rasend; auch wol plump, geil und leichtfertig. Wir aber heissen es eine scherzende Poesie, da sie doch nie so weit im Scherz gehen, als wir. 4. Grund- Die Reimschmiede-Kunst ꝛc. 4. Grundsatz. § 22. Der Reim mag so schlecht beschaffen seyn wie er will: So thut er doch manch- mal bey der Reimschmiede-Kunst gute Dienste. Anmerkung. § 23. Es wuͤrden manche von unserer Zunft abgeschroͤcket werden, wenn wir ihnen nicht sol- che Freyheit verstatteten. Daher duͤrfen wir 1) die Woͤrter theilen. Zum Exempel auf das Wort Jungfer ist schwerlich ein Reim zu finden: So kann ich den Reim theilen; als: Meine liebe Jungfer, Will sie mir einen Trunk ver- schaffen, den Durst zu stillen, ꝛc. 2) Wir duͤrfen die Woͤrter versetzen, um desto eher einen Reim heraus zu schmieden. Z. E. Trompeten und Krombhoͤrner reimen sich nicht: So versetzt man sie etwa also: So blast auf Peten Tromp, (anstatt Trompeten,) Und spielt auf Hoͤrnern-Kromb. Da reimt sichs. 3) Wir moͤgen nicht so genaue Horcher und leise Hoͤrer seyn, daß eben einerley Buchstaben sich reimen muͤßten; sondern lassen als gute Rei- me paßiren: Z. E. Creuz, reiz; Leid, Freud; Todes, Brodtes, ꝛc. 4) Hilft dis noch nicht zur Zusammenloͤtung zweyer Reim-Zeilen: So verstatten wir, ganz andre Sylben als Reime anzusehen, wenn sie nur nach mathematischer Lehr-Art. nur eine kleine Aehnlichkeit im Laute haben, als z. E. die Milz, das Wild; ein Mensch, ein Hengst; bringt, vermengt; Hosen, Zoten, ꝛc. 5) Aus besonderer Freygebigkeit erlauben wir auch, neue Reime zu machen, die fein trolligt herauskommen, als: Der goͤttingische Sammler Heißt wol mit Recht ein Stammler. Hans ist ein guter Rammler. ꝛc. 6) Die Construction darf nach Gutduͤnken versetzet und verworfen werden, wenn gleich die deutsche Sprache dabey genothzuͤchtiget wird. Z. E. Das hat also gefallen dir, Die Wahrheit anzuzeigen mir. ꝛc. 5. Grundsatz. § 23. Die kriechende Poesie haͤlt mehr von niedertraͤchtigen, als hochtrabenden, Ge- danken. 1. Anmerkung. § 24. Das Wort und der Reim mag im- mer hochtrabend und schwuͤlstig seyn; aber der darunter versteckte Gedanke muß, nach besche- hener Aufloͤsung, oder Verwandlung in einen einzigen Satz, sich in eine duͤnne Luft veraͤn- dern, die, wie ein Nebel, auf die Erde faͤllet. Der Haupt-Begriff (subiectum) muß entwe- der mit dem Neben-Begriffe (praedicato) gar einen Widerspruch haben; oder doch, nach der sogenannten Vernunft-Lehre, sich nicht recht zusam- Die Reimschmiede-Kunst ꝛc. zusammen schicken; und wenn also gleich die Woͤrter sich reimen, mag doch wol ein unge- reimter Gedanke dahinter verborgen liegen. 2. Anmerkung. § 25. Ehe wir sollten einen guten Reim fah- ren lassen, ehe muß sich der Gedanke nach dem Reime dehnen und zerren lassen, sollte auch ein falscher Gedanke herauskommen. Jch ver- stehe hier durch falsche Gedanken nicht sowol die logice irrig sind, sondern unrecht ange- bracht sind. Z. E. eine Schleif-Muͤhle wetzet; aber eine Floͤte auf die Schleif-Muͤhle zu brin- gen, und solche drauf zu wetzen, wird von den neuen Poeten fuͤr einen falschen Gedanken ge- halten. Wir aber duͤrfen sicher also reimen: Jch darf vor dir gar nicht erroͤthen, Du bist ein Wetzstein meiner Floͤten. 3. Anmerkung. § 26. Wenn der Reim hochtrabend klingt, der Gedanke aber abgeschmackt ist: So ist solches recht froschmaͤuslerisch gereimt. Die neuen Poeten nennen es: Phoͤbus und Gali- mathias; welche Woͤrter uns als kauderwelsch vorkommen. Aber wie der Frosch einen Satz, und die Maus einen Sprung thut: Also thut ein poetischer Frosch gewaltige Saͤtze. Er huͤpft vom Berge Libanon bis ins Thal Achor. Eine poetische Maus aber macht treffliche Spruͤnge, und faͤngt bey der Archa Noaͤh an; ehe man sichs aber versieht, ist sie schon bey dem nach mathematischer Lehr-Art. dem vornehmen Patron, dessen Zimmer sie be- schreibet. 4. Anmerkung. § 27. Der Unterschied zwischen einem poeti- schen Frosch und Maus ist dieser. Der Frosch quaͤcket, und thut Satz vor Satz. Die Maus aber springt die Kreuz und die Quehre. Sie quaͤcket auch nicht, sondern fispelt. Ein quaͤc- kender Poete bleibt bey seiner alten Leyer; er bringt einerley immer wieder vor. Eine poeti- sche Maus aber erschnappt bald hie bald da ei- nen andern Speck, und in Satyren bringt sie beissende Stiche an; jener aber plumpt von der Erde in den Teich, oder mit der Thuͤre ins Haus. 5. Anmerkung. § 28. Was die neuen Poeten einen Phoͤbus und Galimathias nennen, gehoͤret unter die groͤßten Zierlichkeiten der kriechenden Poesie und Reimschmiede-Kunst. Denn damit der niedrige Gedanke verstecket werde, blaͤset man die Worte auf, daß er fein groß und erhaben aussiehet. Jch gestehe es, wir sind hier Nach- aͤffer der neuen Poeten. Wir wollen gern so hoch dichten, als wie sie. Weil uns aber die Adlers-Fluͤgel mangeln: So borgen wir dem Jcarus seine waͤchserne ab, und denken bis an die Sonne zu steigen. Rings um uns ist lau- ter Dunst, und der versteckte Gedanke gleicht einem geschwollnen Coͤrper, der oft fuͤr eine natuͤr- Die Reimschmiede-Kunst ꝛc. natuͤrliche Fettigkeit gehalten wird. Die Ga- limathias sind solche verdeckte Reime, daraus der Teufel selbst nicht klug werden kan, was fuͤr ein Gedanke dahinter stecke. Bey der Phoͤ- bus-Poesie erraͤth man wol den angebrachten Gedanken; aber wenn man ihm das umgewor- fene hochtrabende Reim-Kleid abgenommen: So steht er ganz nackigt da, wie ein Satyr, und streckt sich auf der Erde die Laͤnge lang aus. Wenn hingegen solche Begriffe in denen Reimen zusammen geloͤtet werden, da ohn- moͤglich eine Paralele oder Aehnlichkeit heraus- kommt: So ist es ein Galimathias oder ver- wirrter Gedanke. Ein Verruͤckter redt manch- mal was, das wir trefflich hernach anbringen koͤnnen. Ein Besoffener labbert seltsam Zeug unter einander; wir aber koͤnnens in Reime zwingen. Ein unlogischer Kopf, der zu con- fusen Begriffen gewoͤhnt, taugt gut zu unserer Zunft. Denn so wird er manch Galimathias vorbringen. Ein aufgeblasener Kopf, der aber nicht viel nachdenken kann, schickt sich besser zum Phoͤbus oder Frosch-Poeten. Denn, wenn der Frosch unter der Luft-Pumpe sitzt, ist er nicht so dumm, den Athem von sich zu lassen, sondern behaͤlt ihn so lange in sich, bis ihm die Backen zerplatzen. Als der Frosch in der Fabel gern so dick sich ausdehnen wollte, wie der Ele- phante: So zerborste er. Und wenn der Frosch- Poete seine dunstige Einfaͤlle auslaͤsset, mag man nur die Ohren zuhalten. Denn wenn der Dunst nach mathematischer Lehr-Art. Dunst herausfaͤhrt, giebt es einen gewaltigen Knall, und der herausgesprungene Gedanke krie- chet auf der Erde. Erste Erfahrung. § 29. Ein gewisser Poete, der sich einen neu- en großen Poeten zu seyn duͤnkte, hielt sich von einem andern angestochen. Darauf spannte er die Segel seiner Dichterey so weit auf, daß alle vier Winde des Himmels hineinstrichen. Sei- ne Schutzschrift war voller Phoͤbus und Gali- mathias (§ 28, 27). Er that so aufgeblasen, wie der Frosch in der Fabel. Endlich erkannte er, daß er ein wahrhaftes wuͤrdiges Mitglied der Hans-Sachsen- und Froschmaͤusler-Gesell- schaft sey. Seit der Zeit haben wir Friede vor ihm in gebundener und ungebundener Rede ge- habt. 6. Grundsatz. § 30. Die kriechende Poesie ist mit Ver- achtung und Verlachung derer neuen Poeten beschaͤfftiget (§ 2). Dritter Lehrsatz. § 31. Ein solcher satyrischer Poete, der durch seine Stachel-Verse eines guten Lei- mund und ehrlichen Namen zu kraͤnken, ja ihn durch falsche Auflagen um sein zeitlich Gluͤck zu bringen, und vor der Welt zu pro- stituiren suchet, gehoͤrt bey aller seiner Raffi- nesse mit unter die kriechende Poeten. C Erweis. Die Reimschmiede-Kunst ꝛc. Erweis. Wenn die Satyre eines wahrhafte Fehler sinnreich aufdecket, daß, wo er vernuͤnftig ist, er daruͤber schaamroth wird: So gehoͤrt solche unter die Besserungs-Mittel und vernuͤnftige Kunstgriffe der neuen Poeten. Da nun aber ein kriechender Poete nur andre aus Hochmuth verachtet (§ 30, 2), mithin sich allein groß duͤn- ket, folglich aber es ihm um anderer Besserung gar nicht, sondern nur um ihre Beschimpfung, zu thun ist: So handelt er dadurch seinem Cha- racter gemaͤß; welches das erste war. Da nun aber ferner die falschen Auflagen oͤfters leichtglaͤubige Ohren finden, mithin durch spoͤttische Satyren, darinn unerweisliche Be- schuldigungen stehen, einer vor der Welt pro- stituiret werden, und an seiner Wohlfahrt Scha- den leiden kann: So gleichet er hierinn einer stechenden Otter und tuͤckischen Schlange, wenn man ihr gleich nichts zu Leide gethan. Alldieweil nun aber dis kriechende Thiere sind, mithin eine gewisse Aehnlichkeit mit kriechenden Poeten haben: So folget, daß solche heimliche Anstecher, Pasquillanten und Verleumder auch unter kriechende Poeten zu rechnen. Q. E. D. Vierter Lehrsatz. § 32. Ein schmeichelnder poetischer Fuchs- schwaͤnzer verwandelt sich oͤfters in einen kriechenden Wurm. Erweis. nach mathematischer Lehr-Art. Erweis. Ein kriechender Poete ist zwar in ihm selber stolz und ein Großduͤnkel (§ 30, 29); gleich- wol wenn er hoͤhern Respect erzeigen muß, darf er sich solches nicht merken lassen, er moͤgte sonst verspottet, oder auf die Finger geklopfet werden. Diesemnach nimmt er eine Schein-Demuth an, und erniedriget sich oͤfters wie ein Wuͤrm- lein unter den Fuͤßen. Weil er aber doch in- nerlich ein Veraͤchter anderer ist (§ 2): So kuͤtzelt er sich heimlich, daß der Patron, gegen den er sich so erniedriget, so einfaͤltig ist, und sei- ne Fuchsschwaͤnzerey nicht merket. Da nun ein kriechender Poete die Leute entweder oͤffent- lich oder heimlich verlachet, und aber dis ein Fuchsschwaͤnzer thut, indem er entweder offen- bar ironisch lobet, oder heimlich spottet: So gehoͤrt ein fuchsschwaͤnzender Dichter unter die kriechende Poeten, W. Z. E. Dritte Aufgabe. § 33. Einen wahrhaften aufrichtigen poe- tischen Lob-Redner von einem verstellten Fuchsschwaͤnzer zu unterscheiden, mithin ab- zunehmen, ob er zur Froschmaͤusler-Gesell- schaft von Rechtswegen gehoͤre, oder nicht? Aufloͤsung. Wenn ihr an einem aus langem Umgange seine Gemuͤthsfassung abnehmen lernet, daß er von andern hoͤher, als von sich, haͤlt, wahrhaf- tig demuͤthig und bescheiden, auch ein Feind ei- C 2 gener Die Reimschmiede-Kunst ꝛc. gener Lobspruͤche ist: So koͤnnet ihr auch seine auf andre verfertigte Lob-Gedichte fuͤr aufrichtig, mithin ihn fuͤr einen Froschmaͤusler-Feind hal- ten. Laͤßt er aber sonst sich deutlich blicken, daß er viel von sich haͤlt, von sich selber gern redet und hoͤret, auch andere verachtet: So koͤnnet ihr bald auch auf seine poetische Lobes-Erhebun- gen anderer Leute schliessen, daß sie ihm nicht von Herzen gehen, mithin er gut froschmaͤus- lerisch oder antifreymaͤurisch ist. Denn die Freymaͤurer erkennen wir fuͤr lauter heimliche Feinde unserer Gesellschaft, weil wir sie noch auf keiner Tuͤcke haben antreffen koͤnnen. Vierte Aufgabe. § 34. Ob es nicht moͤglich sey, in der Reim- schmiede-Kunst und kriechenden Poesie den hoͤchsten Gipfel der Vollkommenheit zu er- reichen? Aufloͤsung. Wenn ihr, durch vieljaͤhrige Uebung, des Hans Sachsens Reim-Arten und gewisser bit- terer Poeten Stachel-Schriften euch genau ins Gedaͤchtniß druͤcket, und moͤglichst nachahmet: So werdet ihr dem verlangten Gipfel sehr nahe kommen. Es wird, so zu sagen, nur ein Stein- Wurf und eine einzige Brust-Wehr dazwischen seyn, daß ihr den verlangten Berg und Vestung ersteiget; hingegen aber so vollkommen zu wer- den, daß euch kein Reim-Schmied herunter certirte, oder kein kriechender Poete an ernie- drigten nach mathematischer Lehr-Art. drigten Gedanken euch mit der Zeit noch uͤber- traͤfe, kann ich zum voraus nicht wissen: es muͤß- te denn ein neuer großer Poete kommen, der so geschickt Contre-Dame als rechte Dame in Versen zu spielen wuͤßte, so daß er die Regeln der neuen Poesie zum Spaße glatt umkehrte, und sich selbst in einen Pantomimen verlarvte. Andere Erfahrung. § 35. Eine gewisse beruͤhmte Comoͤdianten- Bande stellte einsmal ein lustiges Nachspiel vor, dadurch sich ein anwesender Zuschauer, ein großer Dichter von der neuesten Façon, sehr touchirt befand. Er protestirte und appellirte gegen die weitere Fortspielung dergleichen Nach- spiels, welches er auf sich gemuͤnzet, und sich, selbst darinn agirt zu seyn, einbildete. Seine Appellationen aber wurden verworfen, und es kam darauf ein Gedichte von sechs Bogen von Berlin, unterm Titel eines Vorspieles, darinn er gewaltig herumgenommen ist. Da man nun aus dem, was andern begegnet, billig Regeln der Witzigung sich zu nehmen pfleget: So will ich hiedurch alle loͤblichen Zunftgenossen der edlen Hans-Sachsen- und Froschmaͤusler-Ge- sellschaft verwarnet haben, es nicht mit den Co- moͤdianten zu verderben, weil es nuͤtzliche Werk- zeuge sind, durch solche unsern Gegnern, den neuen Poeten, eins anhaͤngen, und, wenn sie sich daruͤber beleidigt befinden, durch Achtgro- schen-Pasquille noch besser abtrumpfen zu koͤn- C 3 nen. Die Reimschmiede-Kunst ꝛc. nen. Dergleichen Kunstgriffe sind denen krie- chenden Poeten unentbehrlich; weil sie sonst zu ohnmaͤchtig sind, sich an den großen Geistern und Haupt-Dichtern zu reiben. Zusatz. § 40. Es wolle aber niemand hieraus schlies- sen, als wenn die Froschmaͤusler-Gesellschaft ei- niges Antheil an dem herausgekommenen Vor- spiel, vielweniger dem Neuberischen Nachspiel habe. Sie ist zu aufrichtig, als es wie gewisse Personen zu machen, die ihre, gegen ihre Wi- dersacher herausgegebene, Schriften unter dem glorieusen Namen der kleinen Geister verstecket haben, da doch diese vnanimi consensu bezei- get, daß sie daran nicht Theil haͤtten, sondern eine Bande großer Geister dahinter stecken muͤsse. Wir aber wollen nicht mit fremden Federn prangen, ob wir wol nicht abgeneigt sind, allen denen mit Haͤndeklatschen zu applau- diren, die unsere Gegner, die erhabenen Poe- ten, wacker abtrumpfen; maßen wir sodann die Unkosten ersparen, unsere unsatyrische Satyren der Druck-Presse anzuvertrauen. Heischsatz. § 41. Jch hoffe nunmehr, die ganze Reim- schmiede-Kunst und kriechende Poesie nicht nur in Form einer Wissenschaft, sondern auch, mit Beybehaltung aller Grund-Begriffe, die die strengste mathematische Lehr-Art von Er- klaͤrungen, Grundsaͤtzen, Lehrsaͤtzen, Erfah- rungen, nach mathematischer Lehr-Art. rungen, Heischsaͤtzen, Anmerkungen, Zusaͤz- zen, Aufgaben und Aufloͤsungen angiebet, vorgetragen zu haben. Da mir nun nicht be- kannt ist, daß seit dem Ursprunge der Reimschmie- de-Kunst und kriechenden Poesie sich jemand bis Dato gefunden, der solche als eine gelehrte Disciplin tractirt, und noch dazu in die Schran- ken des schweren methodi mathematicae ein- geschraͤnket haͤtte: So verhoffe, es werde eine loͤbliche Hans-Sachsen- und Froschmaͤusler- Gesellschaft mit dem Versuche meines mathe- matischen Beweises, in Betracht, daß ich der erste bin, der diese Bahn gebrochen, vorlieb nehmen, auch das Publicum, wenn dieser Ver- such im Druck erscheinen sollte, mir einigen Dank wissen. Wo aber nicht, ist es mir genug, daß mich mein gethaner Versuch nicht reuet. 1. Anmerkung. § 42. Es duͤrfte manche große Poeten, die unsere kriechende Poesie und Reimschmiede-Kunst fuͤr fantastisch und unrichtig halten werden, Wunder nehmen, wie wir uns erkuͤhnen moͤ- gen, die mathematische Lehr-Art, ihrem Er- achten nach, so zu misbrauchen. Gleichwol ste- he ich dafuͤr, daß ich keinen Fehl-Schluß in der vorstehenden Abhandlung begangen. Jch habe alles aus zwo Erklaͤrungen hergeleitet. Es folgt nur so viel, daß nach der mathematischen Lehr-Art alle Saͤtze mit der Definition zusam- men haͤngen, und bloß in der Definition das πρῶτον ψεῦδος stecken koͤnne. C 4 2. An- Vergleichung kriechender Thiere 2. Anmerkung. § 43. Die großen Poeten wuͤrden wohl thun, wenn sie ihre sogenannte natuͤrliche, maͤnn- liche und erhabene Poesie auch nach mathema- tischer Lehr-Art vortruͤgen, sonst behalten wir den Vorzug. Anderes Probestuͤck fuͤr einen Candidaten der Froschmaͤus- ler-Gesellschaft. Vorstellend eine Paralele, oder Vergleichung unterschiedener kriechenden Thiere mit der kriechenden Poesie, wie auch derer Reim- schmiede mit verschiedenen Arten von Schmieden. § 1. Unter dem Speise-Ceremoniel der Juͤden alten Testaments stand auch diese Regel: Alles, was auf Erden kreucht, soll euch ein Greuel und Scheusal seyn. Jch bin zu wenig, es leidet es auch mein Vorhaben nicht, in die Ab- sichten einzudringen, die den allerhoͤchsten Ge- setzgeber bewogen, denen Juͤden das Essen al- ler kriechenden Thiere zu verbieten. Vor ei- nigen hat man gleichsam von Natur Abscheu; aber etliche, als z. E. Frosch-Kaͤulen, werden heut zu Tage fuͤr ein delicates Gerichte gehal- ten. Es ist auch nunmehr dieses ehemalige Ge- setz dergestalt aufgehoben, daß, wenn einer Lust haͤtte, Schlangen und Ottern zu essen, er nicht sowol mit der kriechenden Poesie. sowol eine Gefahr seiner Seele, als vielmehr des Leibes, bedenken muͤßte. Koͤnnte aber sein Magen, wie jene Graͤfin, Spinnen und Ot- tern vertragen, wuͤrde er keine Suͤnde begehen, sich damit, zumal in theurer Zeit, zu saͤttigen. § 2. Jch nehme aber aus diesen Worten: Alles, was auf Erden kreucht, soll euch ein Greuel seyn; Gelegenheit, einem Haupt-Ein- wurfe vorzukommen, und solchen in dieser Ab- handlung abzulehnen, daß die kriechende Poe- sie, wenn sie zumal eine Verwandtschaft mit kriechenden Thieren hat, in ihr selbst was greu- liches sey: also die edle Froschmaͤusler-Gesell- schaft nicht wohl zu thun scheine, daß sie jedem Mitgliede eine besondere Gattung eines kriechen- den Thieres zum Ordens-Zeichen und Merk- mahl der beschehenen Aufnahme in dem daruͤber ausgestellten Signete zutheilet. Ein beruͤhm- ter Naturkuͤndiger in Holland hat allein etliche tausend Arten kriechender Gewuͤrme durch sei- nen großen Fleiß ausfuͤndig gemacht; daß also viele Jahre hingehen, ja die Sinnbilder wol bis ans Ende der Welt reichen werden, ehe die loͤb- liche Froschmaͤusler-Gesellschaft sich erschoͤpfen wird, jedem Mitgliede ein besonderes kriechen- des Thier in seine Ordens-Kette anzuvertrau- en und ihn darnach in vertrauten Briefen zu benennen. § 3. So viel ich aber bereits das Gluͤck ha- be, in die Geheimnisse der edlen Froschmaͤus- ler-Gesellschaft zu dringen, befinde ich, daß sie C 5 sonder- Vergleichung kriechender Thiere sonderlich fuͤr ein Gedrittes von kriechenden Thieren stark portirt ist, als den Frosch, die Maus und die Schlange. Daß die Schlan- ge ein kriechend Thier sey, ist wol ausser Zwei- fel; von dem Frosch und der Maus aber koͤnn- te noch ein Bedenken uͤbrig seyn, wenn nicht der große Naturkuͤndiger Moses solche mit unter die auf Erden kriechende Thiere, meines Be- halts, gesetzet haͤtte. Denn obgleich der Frosch auch im Wasser, ja meistens darinn ist: So wagt er sich doch auch oͤfters aufs flache Land; und weil er mit seinen Hinter-Pfoͤtgen ordent- lich auf der Erde kauert, kann er schon fuͤr ein kriechendes Thier paßiren. Jch bin dem Frosch, sowol wegen seines artlichen Quaͤkens, als der Art sich fortzupflanzen, ungemein gut. Jch ha- be mir fuͤr gewiß sagen lassen, daß, wenn er auf des Weibleins Ruͤcken sitzet, er die Vor- der-Pfoͤtgen um sie herum schlage, und den Saa- men durch solche in deren Brust gehen lasse. Waͤre es an dem, moͤgte man den Frosch fast beneiden, daß die Art, sein Geschlechte fortzu- fuͤhren, so zuͤchtig und galant ist, so daß die weise Natur uns fast herunter gesetzt. § 4. Die Maus ist gewiß auch ein poßir- lich Geschoͤpf, in dessen Bildung der hoͤchste Schoͤpfer viel Weisheit blicken lassen, jedem Geschoͤpfe so viel zu geben, als sein Character erfordert hat. Die Maus ist eben das unter kriechenden Thieren, was der Fuchs unter den vierfuͤßigen ist. Es ist ein naͤschigtes, verschla- genes, mit der kriechenden Poesie. genes, gewandtes, beissendes Thierlein. Die Geschwindigkeit seiner Fuͤßlein schuͤtzet es vor manchem Angriff, obwol die weise Natur ihm zwey Haupt-Feinde gesetzet, den Menschen und die Katze. Die Katze spielt eine Weile mit der Maus, als einem gegen sie ohnmaͤchtigen Fein- de, schlenkert solche in die Hoͤhe, tappet mit der Pfote saͤuberlich nach ihr, um sie zur Flucht zu reizen. Wenn das Maͤusgen aber Reißaus nehmen will, giebt ihr die Katze einen Trebs, und wenn sie des Spielens uͤberdruͤßig, zieht sie ihr die Haut uͤber die Ohren, und verschluckt sie vom Haupte bis auf den Fuß, ausgenommen das Schwaͤnzgen, welches sie selten mitfrißt. Die Menschen stellen allerhand Fallen, die Maus durch den Speck anzulocken, und das einfaͤltige Thierlein, das sich keines Betruges versiehet, sondern seiner Nahrung bey Nachts-Zeit begie- rig nachgehet, wird in der Falle lebendig oder todt gefangen, auch wol noch dazu eines mar- ternden Todes, durch Ersaͤufen, Spiessen, Ver- brennen, von Ergrimmten beleget! § 5. Die kriechende Poesie hat gewißlich mit der Schlange, dem Frosch und der Maus eine große Aehnlichkeit. Die Schlange wird fuͤr ein heimtuͤckisches, giftiges und den Men- schen feindseliges Thier gehalten. Sie stehet bey den Gottesgelehrten in uͤblem Ruf, und heis- set die verfluchte Schlange, die unsere erste all- gemeine Mutter verfuͤhret habe. Derjenige, so der Groͤßte unter denen heisset, die von Wei- bern Vergleichung kriechender Thiere bern geboren worden, nennet die Pharisaͤer Schlangen- und Otter-Gezuͤchte, so ohnstrei- tig den schlechten Credit anzeiget, darinn sie bey ihm gestanden. Diesemnach scheinet es einem unserer Mitglieder Haß und Verfolgung zu erwecken, daß ihm das Bildniß einer Schlange zum Wahrzeichen seines nun fuͤhrenden Senio- rats bey dieser edlen Froschmaͤusler-Gesellschaft zuerkannt worden. Wir heissen ihn den Schlan- gen-Kopf, den kleinen boͤsen Drachen, das lose Otter-Gezuͤchte, und was wir ihm nach unse- rer Froschmaͤusler-Sprache fuͤr kurzweilige Beynamen geben. Aber wir verstehen uns ein- ander schon; und ich hoffe klaͤrlich darzuthun, daß die kriechende Poesie, wenn sie gleich mit der Schlangen-Brut verglichen wird, in sich gar nichts schaͤdliches noch boͤses sey. § 6. Jst nicht die Schlange, nach dem Zeug- nisse des alleraͤltesten und allerehrwuͤrdigsten Bu- ches, listiger, als alle Thiere auf dem Felde? Folglich muß sie auch, ihrem Range und ihrer List nach, allen kriechenden Thieren vorgehen, mithin, wenn die kriechende Poesie einer Schlan- ge verglichen wird, ist solches kein Schimpf- Wort, sondern zeiget diejenige Art der Dicht- kunst an, da man dem andern durch stechende Verse solche Wunden versetzet, daß er daruͤber seinen ohnmaͤchtigen Geist aufgeben moͤgte. Wie hat sich nicht ein gewisses nunmehriges Mit- glied dieser edlen Gesellschaft ehedem gewunden! wie hat er nicht uͤber Ohnmachten, heftige Kopf- mit der kriechenden Poesie. Kopf-Schmerzen und Todes-Angst geklaget, als er einen Versen-Stich von einer unserer Schlangen, ich will sagen, im Finstern schlei- chenden Poeten, uͤberkommen. Was wird das herausgekommene Vorspiel, welches auch von einer listigen Schlangen-Brut ausgehecket worden, nicht in der Brust des darinn Ange- stochenen fuͤr Bauchgrimmen und Magendruͤk- ken erwecken? Wuͤrde dieser beruͤhmte Mann nicht am rathsamsten thun, wenn er sich in un- sere Froschmaͤusler-Gesellschaft begaͤbe, weil wir in solcher mit denen giftigsten Schlangen scherzen und badiniren, ja ihnen alles Gift mit so guter Manier benehmen, daß unter uns keine Schlange die andere gestochen hat? § 7. Der Frosch ist von solchem Ansehen, daß er auch, bey Stiftung der edlen Frosch- maͤusler-Gesellschaft, namentlich ausgedrucket ist. Wenn die Schlange ihren Gift verschos- sen: So haben wir unsere poetischen Froͤsche zum Hinterhalt. Die fangen an zu quaͤken, daß einem die Ohren gellen moͤgten. Jn denen nach Frosch-Art ausgefertigten Gedichten thun unsere kriechende Frosch-Poeten so gewaltige Saͤtze, daß sie ein Roß im Galop uͤbertreffen. Denn unsre Frosch-Poeten koͤnnen in einer einzigen Strophe einen Satz vom Hercules bis auf Carln den Zwoͤlften, und vom Alexander dem Großen bis auf Ludewig den Vierzehn- ten thun. Laßt mich aber den Reuter sehen, der uͤber einen so weiten Graben, als zwischen diesen Vergleichung kriechender Thiere diesen vier Helden ist, mit seinem Springer uͤber- setzen koͤnnte? Unsere Frosch-Poeten wissen, nach Art des beruͤhmten Zittauischen Erz-Dich- ters, Herrn D. Knoblochs, denen Großen bey Namens- und Geburts-Taͤgen so was an- genehmes vorzuquaͤken, daß die Buchdrucke- reyen von solchem Schalle erbeben! Wenn sie auch verliebte Verse schreiben: So ist es so natuͤrlich, als wenn man den Frosch sein Weib- lein careßiren saͤhe! § 8. Die Mause-Poeten sind bey uns in besonderem Werthe. Denn wie die Maus so arg stiehlt, als ein Rabe: Also stehlen unsere Mause-Poeten manchen Einfall aus andern Buͤ- chern, und zwar so verdeckt, daß kein Teufel dahinter koͤmmt. Jst es nun nicht was geschick- tes, wenn man mit so guter Manier mausen kann, ohne daruͤber ertappet zu werden? Dem, der also bemauset wird, entgehet auch nichts. Wir reissen nicht Blaͤtter aus seinen Buͤchern, wie Schurzfleisch im Vatican zu Rom gethan. Wir mausen niemanden seine Manuscripte weg, um sie zu seinem Schaden zu verfaͤlschen, oder sonst zu mißbrauchen. Nein! wir warten ab, bis er sich zu seinen Vaͤtern versammlet hat. Alsdenn bemausen wir seine hinterlassene Vor- raͤthe. Wir fuͤttern uns damit aus, und den Rest lassen wir denen Jungen. Lebt er aber noch, und wir bemausen seine herausgegebene Schriften: So weiß er sich oft so wenig zu besin- nen, daß wirs aus ihm genommen, als jener halb- mit der kriechenden Poesie. halbtrunkene Kanzler auf einer gewissen Uni- versitaͤt, der da meynte, er laͤse uͤber einen an- dern Autor, da es doch sein eigenes Buch war, daruͤber er las, und nach einer vorgelesenen Pas- sage sagte: Hier raisonnirt der Autor wie ein Ochse! § 9. Weil ich aber, vermoͤge der Verfas- sung der edlen Gesellschaft, deren Mitglied ich heute zu werden die Ehre haben soll, uͤber die drey Haupt-Sinnbilder derselben, der Schlan- ge, des Frosches und der Maus, annoch we- nigstens sieben Arten kriechender Thiere ange- ben, und solche mit denen kriechenden Poeten in Vergleich stellen muß: So duͤnke mich keine Katze zu seyn, wenn ich ihnen zuerst eine Art kriechender Thiere namhaft mache, die sie wol schwerlich darunter bisher werden gerechnet ha- ben. Was meynen sie, meine Herren, sollte ein Hund wol ein kriechendes Thier seyn? Sie werden sagen: Das sey der gesunden Ver- nunft und Erfahrung entgegen; denn er laufe uͤber der Erde auf vier Beinen. Jch sage da- gegen mit Gunst: Es laͤufet der Holz-Wurm, die Spinne, der Keller-Wurm und viel andere Gewuͤrme mit wol mehr als vier Fuͤßen uͤber der Erde, und gehoͤren doch unter das kriechen- de Gewuͤrme. Also scheint mir die Folge unse- rer Gegner, die so mit der gesunden Vernunft, ihren fuͤnf Sinnen und der Erfahrung pralen, so lahm zu seyn, als ein angeschossenes Wild. Zudem nehme ich nur zwey Faͤlle an, worinn ich Vergleichung kriechender Thiere ich die Hunde als kriechende Thiere ansehen, mithin die kriechende Poeten mit Hunden ver- gleichen werde; man lasse mich nur ausreden! § 10. Als wir neulich auf der Hasen-Jagd ohnweit Leipzig waren, hatten wir einige Wind- spiele bey uns, die so abgerichtet waren, daß sie auf dem Bauche hinkrochen, bis sie den Hasen, der sie nicht gewahr wurde, sondern fuͤr seines gleichen hielte, in der Grube erwischten. Also giebt es auch unter den kriechenden Poeten sol- che Windspiele und Hasen-Faͤnger, die mit ihrer kriechenden Poesie bey guten treuherzigen Gemuͤthern oft mehr ausrichten, als unsere poe- tische Schlangen, Froͤsche und Maͤuse. Ferner ist es nichts ungewoͤhnliches, wenn ein Hund etwa was versehen, und der Herr spricht: Cou- chi! So streckt sich der Hund auf allen Vie- ren dahin, und kreucht auf dem Bauche zu ihm. Dies thun auch unsere muckerische Poeten. Denn wie dort, bey den Plagen Egypti, in den Grenzen Jsraels kein Hund muckte, oder sich regte: Also lassen auch unsere muckerische Poeten ihre Seelen-Kraͤfte ruhen, und singen nur ihren Vorfahren oder Oberaͤltesten die alten Gesaͤnge, nach der einmal beliebten Leyer, nach. Sie haben aber auch ihre Mucken, wie manche muckische Hunde, die zwar vor ihrem Herrn kriechend auf der Erde liegen; aber wenn sie ein anderer angreift, flugs auf ihn losfahren. Und gewiß, man darf keinen von unsern muckischen poetischen Bullenbeissern sauer ansehen; er wird mit der kriechenden Poesie. wird bald einen Satz in die Hoͤhe thun, und ohne Discretion den andern anpacken, wo er kann. Endlich hat man auf der Jagd wol eher gesehen, daß, wenn ein Jagd-Hund an einen wilden Eber gekommen, und sich nicht inacht genommen, dieser ihm die Pfoten vorm Bauche weggehauen, daß er hernach nolens volens auf der Erde kriechen muͤssen. Dies nennen wir die verhauene und verschossene Poeten. Denn mancher kriechende Poete verliert so bald seine Kraft, daß er nachher zu keiner Hetze wei- ter taugt. Er hat sich mit einmal verschossen; seine Kraft ist weg. Oder es hat ihn ein ande- rer Fleischer-Hund so herumgezauset, daß er sei- nen poetischen Schwanz, ich will sagen, seinen Dichter-Kiel, zwischen die Beine nimmt und Versen-Geld giebet. Zur Zeit der Anfechtung fallen sie abe! § 11. Ein poetischer Jgel ist gewiß auch eine artliche Gattung kriechender Poeten. Der Jgel ist um und um mit Stacheln umgeben; das sind seine natuͤrliche Waffen. Er druckt sich auf die Erde, und wenn er sich einmal her- umdrehet, verwundet er den, so ihm zu nahe kommt. Die Jgel-Poeten stechen aͤrger um sich herum, als die Stachel-Schweine. Sie wagen sich nicht unter die großen Bullenbeisser, und halten nichts von ganzen Gedichten. Aber in Gesellschaften, wenn etwa, bey Auftragung eines Hechtes Leber-Reime in der Reihe her- umgehen, oder bey Ausbringung der Gesund- D heiten; Vergleichung kriechender Thiere heiten; nicht minder bey Hochzeiten, Kindtau- fen, Ausschiessen und andern Assembleen wissen sie ihre Nachbarn, ja auch, wenn sie etliche Ta- feln weit von ihnen saͤßen, so wacker anzustechen, daß das Blut darnach laufen moͤgte. Solche poetische Jgel ziehe ich dem Confect einer Ta- fel weit vor. Sie machen der Gesellschaft eine solche Lust, daß man auf deren Unkosten, die also angestochen werden, sich einen Puckel la- chen koͤnnte, da diese, wegen der blutigen Sti- che, oft uͤberlaut schreyen moͤgten. Sie sind auch beynahe so befreybriefet, als die Hof-Ta- schenspieler, Harlequins in der Comoͤdie, und Scaramuzen in der Oper. Wer mit ihnen Haͤn- del uͤber einem beissenden Scherz und stachlich- ten bon-mot anfangen will, dem widersetzt sich die ganze Gesellschaft. Man spricht, er solle ihnen wieder einen Trumpf versetzen, oder den artigen Stich bis auf einen Tag der Rache verschmerzen. § 12. Wenn ich verzaͤrtelten Ohren von Lesern oder Zuhoͤrern diese Dissertation uͤber- reichte, wuͤrde ich Bedenken tragen, zweyer krie- chenden Thiere allhier zu gedenken, die gleich- wol einen besondern Character gewisser krie- chenden Poeten abbilden. Jch meyne die Floh- und Lause-Poeten. Ein Floh thut gewaltige Spruͤnge; er hintergeht das schoͤne Geschlechte, zu dem er sich am liebsten haͤlt, gar ofte. Jetzt, denken sie, haben sie ihn schon zwischen den Fin- gern, und wollen ihn auf die Folterbank legen, oder mit der kriechenden Poesie. oder wirgeln; aber, ehe sie sichs versehen, ent- wischt er ihnen. Sie sind daher genoͤthiget worden, selbst zwischen dem Altar, auf welchem ihre Marmor-Kugeln als Goͤtzen-Bilder ru- hen, Flohfallen anzulegen, ohne daß dadurch ihr Heiligthum entweihet wuͤrde. Ein Floh- Poete also, oder poetischer Floh, ist bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft ein gewandter Kopf, der sich mit seinen niedertraͤchtigen Einfaͤllen, sonderlich bey dem Frauenzimmer, einzunisten weiß, und ihnen nachher aus dem Garne ent- gehet. Wie manche Jungfer hat den Verlust ihres Kraͤnzleins einem bloßen Gedichte oder Nacht-Staͤndgen zuzuschreiben, weil sie ein poetischer Floh uͤberlistet hat! § 13. Ein Lause-Poete und poetische Laus, mit Gunst zu sagen, ist nicht etwa ein verlauster Kerl. Denn es folgt nicht, daß solcher eben ein kriechender Poete seyn muͤsse, sondern es steckt mancher unserer groͤßten Feinde hinter ei- nem schaͤbichten Kleide. Wie gieng es unserm ehemaligen großen Antagonisten, dem Guͤnther, dessen vier Theile seiner Gedichte von denen Neu- lingen fuͤr Meisterstuͤcke einer fliessenden Poesie ausgegeben werden? Starb er nicht fuͤr Hun- ger und Kummer zu Jena? War er nicht ganz verarmet und verlauset? Aber das verste- he ich nicht unter denen Lause-Poeten. Sie koͤnnen unter einer schamerirten und mit golde- nen Franzen bordirten Weste stecken. Eine poetische Laus ist einer der allerniedrigsten D 2 Poeten, Vergleichung kriechender Thiere Poeten, folglich bey der edlen Froschmaͤusler- Gesellschaft in gar besonderm Werthe. Denn je tiefer einer sich daselbst herunter setzet, und sich, so zu sagen, an Nichtigkeit der Gedanken selber uͤbertrifft, je naͤher koͤmmt er den beyden Ober-Meistern, Hans Sachsen und dem Frosch- maͤuseler. Eine solche poetische Laus war Are- tinus in seinen Zoddel-Gedichten. Denn wenn er anfing Zoten zu reissen, konnte er so wenig sich wieder heraus finden, als eine Laus, die sich einmal in den Grind eingefressen. § 14. Beynahe in gleichem Range stehen mit vorhergehenden die poetischen Mist-Kaͤfer, welche auch sonst, nach Art der Voͤgel, Mist- Finken und Finken-Ritter genennet werden. Sie wuͤhlen mit ihrer Poesie in dem Schlam- me; sie nehmen das Maul fein voll, und reden platt weg vom Hintertheil, vom Priapo, von der weiblichen Schaam ꝛc. so deutsch, als ichs nicht nachsagen darf, weil ich sonst aus der mir zugedachten Stellage von kriechenden Thierlein schreiten und in ein fremd Gehege gehen wuͤrde. Sie steigen bis in die heimlichsten Gemaͤcher, ja bis in die Schorsteine derer Frauenzimmer, und bringen lauter rustige Faͤuste mit zuruͤck. Wie nun ein Feueressekehrer in die Esse kriechen muß; also kriechen auch die poetischen Mist- Kaͤfer an solche Oerter, wovon man sonst gerne das Auge abwendet. Wagen sich diese krie- chende Poeten mit ihren dreisten Einfaͤllen bis in die Liebes-Cabinetter großer Herren: So legen mit der kriechenden Poesie. legen sie ihnen so saftige Reime in den Mund, daß man glauben sollte, sie haͤtten ein Stuͤck aus der Aloysia Sigea uͤbersetzet, oder die Eco- le de filles. Ovidius, Catullus, Tibullus und andere haben in vielen Gedichten gezeiget, daß sie sich auch manchmal in poetische Mist-Kaͤ- for verwandeln koͤnnten. § 15. Der Schmetterling oder Butter- Vogel ist bekanntermaßen erst eine Art Raupen gewesen, und verwandelt sich auch wieder in ein kriechendes Gewuͤrm. Hiermit vergleiche ich unsere Phoͤbus-Poeten, wie sie von unsern Feinden, den neuen Dichtern, genennet werden. Es sind aber poetische Schmetterlinge. Sie steigen in die Hoͤhe, und verwandeln sich doch bald wieder in kriechende Thiere. Sie sind so dreist, uͤber die Welt, uͤber alle Religion, ja uͤber den Ursprung aller Dinge hinweg zu flad- dern. Sie erkuͤhnen sich, Himmel und Erde mit ihren Fluͤgeln zu zerschmettern; aber es ist ein Ungluͤck, daß sie sich meist die Fluͤgel ver- brennen, oder ihnen solche zeitig beschnitten wer- den. Jch weiß nicht, ob der Erfinder des Leib- Liedgens, das nunmehr alle Candidaten in der Froschmaͤusler-Gesellschaft absingen muͤssen, ein solcher poetischer Schmetterling gewesen? Wenigstens duͤrften manche muthmaßen, und sich ereifern, als habe er durch das Liedlein: Hans Sachs so loͤblich ꝛc. einen gewissen alten Kirchen-Gesang hoͤhnisch durchziehen wollen. Weil aber die jetzige Herren Gesellschafter mich D 3 ver- Vergleichung kriechender Thiere versichert, daß solches nur eine Parodie und ein Modell der edlen Hans-Sachsen-Poesie sey, hingegen es in der Religion weder auf einen gu- ten noch schlechten Poeten ankomme, also einer in der, bey verwoͤhnten Ohren fast laͤcherlich klingenden, Hans-Sachsischen Poesie das hoͤch- ste Wesen vielleicht mit mehrerer Demuth und Aufrichtigkeit anreden koͤnne, als mit hochtra- benden pharisaͤischen Gesaͤngen; folglich die Absicht nicht sey, andaͤchtige Seelen zu spotten, wenn sie gleich alle Tage suͤngen: Ein Kinde- lein so loͤbelich ist uns gebohren heute, ꝛc.: So lasse ichs hiebey bewenden, und werde in dem Nachspiele denen gegen uns Eingenomme- nen alle weitere Scrupel benehmen, daß sie eine unschuldige Parodie eines andern ehrwuͤrdigen alten Liedes nicht fuͤr ein Gespoͤtte desselben an- sehen werden. Wir muͤßten uns ja sonst selbst widersprechen. Denn wir eifern ja in rechtem Ernste fuͤr die Beybehaltung der altdeutschen Poesie. Also muͤßten eher unsere Gegner, die neuen Poeten, ein Gespoͤtte mit diesem Gesan- ge treiben, wenn ihnen unser Gedaͤchtniß-Lied- gen auf Hans Sachsen und den Froschmaͤusler, das doch in denen vornehmsten Touren jenem nachgeahmet ist, laͤcherlich vorkommen sollte: Weil aber das mir zugedachte Wahrzeichen kein Schmetterling ist: So lasse ich auch die poetischen Schmetterlinge, wo sie weiter we- gen dieses Lust-Gesanges angefochten wuͤrden, solches selbst verantworten. § 16. mit der kriechenden Poesie. § 16. Die Schnecke gehoͤret wol ausser Streit mit unter die kriechende Thiere. Eine poetische Schnecke ist also ein solcher Poete, der uͤber seinen Einfaͤllen, ehe er sie aushecken kann, lange dichtet und nachsinnet, so daß ihn ein gewandter Kopf im Vorrennen weit uͤber- trifft. Jndessen traͤgt die Schnecke immer ihr Haus bey sich, und holet wol den Elephanten endlich ein, wenn solcher zu lange sich an einen Baum lehnet, allda auszuschnarchen. Die poetische Schnecken sind also unter denen krie- chenden Poeten die bedachtsamsten. Sie plaz- zen nicht flugs mit ihren Gedanken heraus, und gehn mit den Reimen sparsam um, solche auf ein andermal anzuwenden, und nicht mit ein- mal zu verschwenden. Bey Uebersetzungen las- sen sie manchmal gar die reimende Verse weg, da denn ihre Poesie wie ein Zwitter zwischen Prose und Dichtkunst aussiehet, oder einem Castraten gleichet, der gern wollte und nicht kann. Das macht ihre Commoditaͤt, die sie lieben. Daher der Uebersetzer des verlohrnen Paradieses vom Milton in diesem Stuͤcke, und weil das Original sowol, als die deutsche Ueber- setzung, nicht reimende Verse hatte, unter die poetische Schnecken zu rechnen, wenn sie gleich, in Ansehung der Erfindung und des Ausdrucks der Gedanken, zu der uns fatalen Classe erha- bener Poeten gehoͤren. § 17. Jch schliesse meine Abhandlung, und beschreibe nur noch dasjenige Wuͤrmlein, das D 4 die Vergleichung kriechender Thiere die preiswuͤrdige Froschmaͤusler-Gesellschaft mir selbst zugedacht. Jch bin damit voͤllig zufrie- den, und werde suchen, dessen Character kuͤnftig abzudruͤcken. Es haͤlt sich meist auf Spergel- Stengeln auf, hat ein roth Schildgen mit schwar- zen Puͤnktgen, und wird bey uns ein Gottes- kuͤbgen oder Goldammergen genennet. Wenn man es bey dem kleinen Sperr-Maule erwi- schet, summet es, und lispelt gleichsam, wie ein Heemgen oder kleines Heuschreckgen. Jch weiß nicht Ursach zu geben, warum man es im Deutschen ein Gotteskuͤbgen heisset. Jndeß soll der darinn voranstehende große Name mir ein Denkzettel seyn, mit meiner wenigen Poesie bey Gelegenheit auch in der Religion fortzu- kriechen, ob ich etwa durch mein gelindes Sum- men, wenn ich angepacket wuͤrde, manche uͤber- reden koͤnne, entweder Anti-Miltonianer oder Froschmaͤusler zu werden. § 18. Jch war schon im Begriffe, diese Abhandlung zu schliessen. Aber ich darf dieje- nige Art kriechender Poeten nicht zuruͤck lassen, die gewiß auch eine besondere Aufmerksamkeit verdienen. Jch meyne die poetische Maulwuͤrfe. Denn wie ein Maulwurf sich tief in der Erde vergraͤbet, und uͤber sich große Berglein in die Hoͤhe wirft: Also verstecken die poetische Maul- wuͤrfe ihre Gedanken so tief, daß niemand da- hinter kommen kann. Von aussen aber sind solche mit Verschanzungen umgeben, daß man drauf schwoͤre, es waͤren Erfindungen der groͤß- ten mit der kriechenden Poesie. ten Poeten von der neuen Sorte. Die Ga- limathias-Poeten und unsere poetische Maul- wuͤrfe sind gerade einerley. Der Unterschied zwischen ihnen und den Phoͤbus-Poeten, oder, wie wirs nennen, poetischen Schmetterlingen, ist klar. Denn ein Phoͤbus-Poete kleidet einen einzigen kahlen Gedanken in schwuͤlstige Wor- te ein; ein Galimathias-Poete, oder poetischer Maulwurf, aber verstecket viel verwirrte Ge- danken unter einander, und mischet sie wie Kar- tenblaͤtter, daß man nicht weiß, ob ein Wenzel oder Tauß darunter stecke. Ein poetischer Schmetterling oder Phoͤbus-Poete kleidet gleichsam einen Bauch-Wind in einen spani- schen Talar ein; nimmt man den Talar weg, so zerfladdert der leichte Gedanke, wie eine duͤnne Luft. Einen poetischen Maulwurf hin- gegen, oder Galimathias-Poeten, vergleiche mit vier zusammengewachsenen Zwergen, dar- unter man nicht unterscheiden kann, welches ein Buͤbgen oder Maͤdgen ist. Da auch sonst ein Spruͤchwort ist: Talpa est coecior, er ist blinder, als ein Maulwurf: So werden die neuen Poeten unsern poetischen Maulwuͤrfen zum Schimpf nachsagen wollen, sie gestuͤnden selber, daß sie blinder waͤren, als ein Maulwurf. Es gewinnet auch das Ansehen, als ob sie wirk- lich sehr bloͤden Gesichts waͤren, weil sie die Verwirrung ihrer zusammengeloͤteten Begriffe nicht einsehen koͤnnten. Aber sie sind nicht zu verdenken. Denn sie handeln nach dem Cha- D 5 racter, Vergleichung der Schmiede racter, den ihnen die loͤbliche Froschmaͤusler- Gesellschaft gegeben. § 19. Die Reimschmiede-Kunst, welche von der kriechenden Poesie, wie das Kleid von der Person, die es anziehet, oder wie der Leib von der Seele, unterschieden ist, hat ihren be- sondern Character, der sich besser aus der Aehn- lichkeit mit denen Schmieden, als aus dem Reiche der kriechenden Thiere, erlaͤutern laͤsset. Nun giebt es gar viele Arten von Schmieden, naͤmlich Messer-Schmiede, Grob-Schmiede, Klein-Schmiede, Gold-Schmiede, Kupfer- Schmiede und Nagel-Schmiede. Es koͤnnen vielleicht noch mehr Arten von Schmieden seyn; es mag aber bey den angefuͤhrten sechs Gattun- gen sein Bewenden haben. Diese insgesamt werden sich kaum bereden lassen, daß die Reim- Schmiede so nahe Verwandtschaft, ja fast ei- nerley Zunft-Regeln und Jnnungs-Gebraͤuche mit ihnen haben sollten. Jch hoffe aber, klar zu erweisen, daß die Reim-Schmiede mit allen diesen Sorten in eine Paralele koͤnnen gestellet werden; und daß es also poetische Messer- Schmiede, poetische Grob-Schmiede und der- gleichen mehr gebe. § 20. Was ein poetischer Grob-Schmied sey, faͤllt einem leicht in die Augen. Das Wort grob giebt schon die Bedeutung an die Hand. Wer weiß nicht, was ein grober Mensch sey? Die Grob-Schmieds-Poesie ist also eine Art der Reimschmiederey, da man fein maßiv und plump, mit den Reim-Schmieden. plump, oder, gelinder zu sagen, derb weg einem in Reimen sein bescheiden Theil, ja wol ein voll gedruͤckt und uͤberfluͤßig Maaß in seinen Schooß giebt. Sonderlich wenn sich einer mit lustigen Narren-Koͤpfen, die Profeßion von der Schaͤ- kerey machen, auflehnet, und solche an Witz zu uͤbertreffen suchet, verfallen dieselbe leicht auf grobe anzuͤgliche Reden, wie in gebundener, also auch ungebundener Aussprache. Ein poetischer Grob-Schmied ist auch derjenige, der alles Nackete in Reimen deutschweg bey Namen nennet. Z. E. wenn er auf Klotz reimen soll: So reimt er V ..; auf kurz reimt er F ..; auf Zweck reimt er D ..; auf einen Parsch, eine Art Fische, reimt er: Leck mich im A ..; auf much- sen reimt er f ..; welches alles ich nicht ausspre- chen darf, weil sonst unsere poetische Grobschmie- de bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft sich uͤber mich beschweren koͤnnten, daß ich ihnen Eingriff thaͤte; weil sie allein das Privilegium haben, der- gleichen Woͤrter so gerade zu, und ohne Punkte, auszusprechen. § 21. Die poetischen Klein-Schmiede hin- gegen sind die sonderlich, welche in Epigramma- tibus, oder kurzen Denk-Schriften, einem ein Eisen an den Hals zu schmieden pflegen. Die Epigrammata stehen an sich auch bey den neuern Poeten in großem Ansehen, wenn man in we- nig Zeilen artige bon-mots und scharfe Gedan- ken anbringen kann. Aber unsere Klein-Schmie- de fragen nichts nach dem bon-mot und schar- fen Vergleichung der Schmiede fen Witz, sondern lieber, ob sie einem eins ans Bein, oder auf die Brust, versetzen koͤnnen. Z. E. die ekele Flavia wollte ihrem sich angeben- den Amanten Hirsuto nicht flugs die hoͤchste Gunst erzeigen: So machte einer unserer poeti- schen Klein-Schmiede sogleich das Epigramma aus einer tuͤckischen Leichtfertigkeit auf sie: Es haͤtte Flavia die Beingen ausgestrecket, Wenn nicht ein anderer sie kurz vorher belecket. Die poetischen Grob-Schmiede unserer Gesell- schaft haben lange Zeit einen Proceß unter sich gehabt, ob dergleichen Reime, bloß der Kuͤrze wegen, fuͤr die Klein-Schmiede, und nicht auch, wegen des derben Jnhalts, fuͤr die Grob- Schmiede gehoͤrten. Endlich hat die ehrbare Gesellschaft es also entschieden: Sie sollten sich gerade drein theilen. Die eine Haͤlfte des Epi- grammatis solle denen Grob-Schmieden, die andere denen Klein-Schmieden zustehen. Da- her, bey obstehendem Epigrammate, unsere poe- tischen Grob-Schmiede den ersten Vers zu ihrer Zunft gezogen; den andern aber, weil das Be- lecken auch von Kuͤssen und Herzen genommen wird, denen Klein-Schmieden zustehen, ihn in ihrer Lade verwahrlich aufzuheben. § 22. Ein Gold-Schmied suchet vornem- lich von Gold und Silber die Schlacken abzu- sondern, und wenn etwa rein Silber in das Gretz faͤllt, weiß ers schon wieder heraus zu schmelzen. Unsere poetischen Gold-Schmiede brau- mit den Reim-Schmieden. brauchen nicht nur ihren poetischen Schmelz- Tiegel, um anderer Poeten Schlacken zu un- tersuchen, sondern besitzen auch die Kunst, das gediegenste poetische Gold mit Zusatz zu verfaͤl- schen, und es fuͤr markloͤthigt Gold auszugeben. Auch wissen sie so viele gluͤckliche Einfaͤlle ande- rer Poeten ins Gretz zu werfen, daß solche als unnuͤtz angesehen werden. Aber unsere poeti- schen Markscheider gehen dies Gretz genau durch, werfen es nochmals in den Schmelz-Tie- gel, daß durch diese Veraͤnderung sie die Gestalt des reinsten Silbers gewinnen, dafuͤr es auch auf den Messen in denen Buchlaͤden oͤffentlich verkauft wird, und merkt niemand, daß eben die guten Einfaͤlle, die sie bey andern niedergeschla- gen, ihnen erst auf die Spruͤnge geholfen haben. § 23. Ein Nagel- oder Hufen-Schmied ist bey der Reimschmiederey eine unentbehrliche Zunft. Denn unsere poetischen Huf-Schmie- de schlagen nicht nur manchem ein Huf-Eisen auf den Fuß, daß er Versen-Geld geben und zum Thore wandern muß; sondern wissen auch sogar anderer Leute Nasen ein Huf-Eisen kuͤnstlich aufzusetzen. So saget man, wenn einer sich hat ein Maͤhrgen weißmachen lassen: Dem ist ein rechter Huf aufgesetzet. Die poetischen Na- gel-Schmiede koͤnnen ihren Gegnern solche Naͤ- gel in die Lenden anbringen, daß sie daruͤber ohnmaͤchtig werden moͤgten. Ja manchem schlagen sie einen Nagel vor den Kopf, daß man auch im Spruͤchwort saget: Der siehet aus, als Vergleichung der Schmiede als wenn er im Kopfe vernagelt waͤre. Das thun sonderlich unsere satyrische Poeten ( Erst. Probestuͤck, § 31). § 24. Es ist ganz eine bekannte Redens- Art, wenn einer von sich oder andern großspre- cherische Worte fuͤhret, daß man alsdann saget: Der kann recht aufschneiden! Das war ein großer Schnitt! Der fuͤhrt ein langes Messer! So giebt es demnach auch poetische Messer- Schmiede, welche von unsern Gegnern Thra- sones, Großprahler, poetische Windbeutel und Großsprecher genennet werden. Es ist Schade, daß Cicero kein Poete gewesen, und seine Re- den nicht in Reime gesetzet hat; sonst wuͤrde er einer unserer vornehmsten Messer-Schmiede zu nennen seyn! Denn er thut manchmal von sich so gewaltige Schnitte, daß die Balken des roͤmischen Rath-Hauses haͤtten dadurch gespal- tet werden koͤnnen. Unsere kriechende Poeten lassen ebenfalls nicht leicht eine Gelegenheit vor- beygehen, zu ihrem Eigenlobe das poetische Messer zu gebrauchen. § 25. Ein Kupfer-Schmied gehet haupt- saͤchlich mit Zubereitung des Kupfers um; aber auch oͤfters muß er einen Zusatz von Erz und Mes- sing nehmen. Unsere poetischen Kupfer- Schmiede ahmen ihnen in so weit nach, daß sie in ihren Gedichten, wenn das Haupt-Thema nicht zureicht, vielen fremden Zusatz anbringen. So machte jener, sonst große Poete, einem Minister einen Gluͤckwunsch auf seine Wieder- genesung. mit den Reim-Schmieden. genesung. Wer haͤtte nun wol in solchem Ge- dichte suchen sollen, daß er sich mit den Tyran- nen herumkeifen, und dem Minister anmuthen wuͤrde, da er ordentlich anhebet: Sagt, ihr Tyrannen, ꝛc. daß er seinem poetischen unzeiti- gen Eifer und Geschwaͤtze eine halbe Stunde zu- hoͤren solle? Jn Prose ist Cicero, wegen sei- ner allotrischen Ausschweifung, einer der groͤß- ten Kupfer-Schmiede in der Redner-Kunst ge- wesen. Denn wer sollte wol in dessen Rede vor dem Poeten Archius, da er zeigen will, er sey ein roͤmischer Buͤrger, eine ausfuͤhrliche Be- schreibung der litterarum humaniarum, und in der Rede pro Milone, daß solcher den Clo- dium nicht heimlich massacrirt, einen Beweis der Existenz Gottes suchen? Doch genug hievon, ein andermal ein mehrers! Transeant haec, cum caeteris erroribus! Drittes Probestuͤck. Funfzig Maximen und Cautelen, enthaltend alle Haupt-Kunst-Griffe und Geheimnisse der kriechenden Poesie auch Reimschmiede- Kunst. Erste Maxime. Sonst heißt das Spruͤchwort: Poëta na- scitur, non fit. Ein Poete wird gebohren, nicht durch die Kunst gemacht. Wir kehrens um. Ein kriechender Poete und Reim-Schmied aber wird in unserer Gesellschaft nicht gebohren: denn wir Funfzig Maximen wir zeugen keine poetische Kinder; sondern er wird bey uns durch die Kunst dreßiret. 2. Maxime. Wir nehmen witzige und stupide Koͤpfe in unsere Gesellschaft. Jene sind lernbegierig, und fassen alles leicht. Diesen helfen wir durch fleis- sigen Unterricht nach, und stutzen sie zu. 3. Maxime. Auch die vom schoͤnen Geschlechte werden nicht schlechterdings von der Froschmaͤusler-Ge- sellschaft ausgeschlossen, sie moͤgen Fraͤuleins, Jungfern, Weiber, Witwen und noch sonst was seyn. Sie duͤrfen aber nur fuͤnf Probe- stuͤcke ablegen, ehe sie in das Froschmaͤusler- Buch eingetragen werden. 4. Maxime. Man versperret auch unsern Gegnern, denen großen Poeten von der neuen Sorte, nicht den Zutritt zu der Froschmaͤusler-Gesellschaft; vielmehr siehet man sie darinn hoͤchst gerne. Denn sie sind geschickt, uns alle unsere Kuͤnste bald abzulernen, wenn sie nur die Regeln ihrer poetischen Wissenschaft gerade umkehren; im- maßen alsdenn die Regeln einer umgekehrten Poesie, davon die Froschmaͤusler-Gesellschaft Profeßion macht, als wie aufgedecket liegen. 5. Maxime. Denen zur Froschmaͤusler-Gesellschaft Ueber- tretenden, wenn sie einmal im Ruf sind, daß sie natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Poe- ten bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. ten, welches sie durch sieben Zeugen darthun muͤssen, muthet die Froschmaͤusler-Gesellschaft kein Probestuͤck an, sondern ersucht sie nur, die Regeln ihrer natuͤrlichen, maͤnnlichen und erha- benen Poesie in Gedanken gerade umzukehren, und nach solchem Muster, es sey im Scherz oder Ernst, jaͤhrlich ein einzig Gedichte nach froschmaͤuslerischem Geschmacke zu uͤberliefern. Sie haben auch Freyheit, sich selbst ein Sinn- bild zu wehlen, welches sie wollen, es sey aus dem Reiche der Voͤgel oder vierfuͤßigen Thie- re. Daher hat die E. Froschmaͤusler-Ge- sellschaft gewisse Mitglieder, die da freywillig zum Signet einen Strauß, Kuckuk, Wiede- hopf, Loͤwen, Baͤren, Elephanten, ja sogar Esel und Affen, sich erwehlet haben. Wer seinem angenommenen Character, z. E. eines poetischen Strausses, am besten ein Gnuͤge thut, der wird am meisten aͤstimirt; keiner aber aus der Gesellschaft verachtet, weil die star- ken Mitglieder die schwachen tragen und auf- richten. 6. Maxime. Denen in der Hans-Sachsen-Poesie und poe- tischen Kriech-Kunst annoch Ungeuͤbten recom- mandiren wir die fleißige Lesung der Schriften unserer beyden Ober-Meister, Hans Sachsens und des Froschmaͤuslers, wie auch im Gegen- Satze die haͤufigen Gedichte etlicher hochsteigen- der Poeten, als des Hn. D. R ... aus Er- E furt, Funfzig Maximen furt, der das Rothe und Schwarze, samt art- lichen Figuren, so geschickt in Reime zu brin- gen weiß, z. E. poetische Trinkglaͤser, Kannen, Becher, Saͤulen, ꝛc. desgleichen Hn. D. Kno- blochs aus Zittau Gedichte. Denn wenn sie gleich oft mehr als zu erhaben, mithin der krie- chenden Poesie entgegen sind; darf man doch nur jede Strophe in einzele Saͤtze, und diese wieder in poetische Maximen aufloͤsen. Sind solche denn unsern Maximen entgegen: So keh- ren wir selbige nur gerade um, so verwandeln sich solche in gleichfoͤrmige Kunst-Regeln mit de- nen unsrigen. 7. Maxime. Was sehr witzige und lernbegierige Koͤpfe sind, denen geben wir die groͤßten Meister-Stuͤcke un- serer Gegner, der poetischen Helden, in die Haͤnde, rathen ihnen, auf die Spur zu kom- men, diesen und jenen Einfall anzubringen; und wenn wir erst hinter ihre Dicht-Maximen ge- kommen, kehren wir solche nur um: So muͤs- sen nothwendig Modelle einer Hans-Sachsi- schen und kriechenden Poesie herauskommen. 8. Maxime. Eben dieser Methode werde ich mich alhier bedienen, und entweder das, wo unsere Gegner selbst manchmal auf unsere Seite unvermerkt getreten sind, hier zum Grunde legen, weil die Beypflichtung eines Feindes von großem Ge- wichte ist; oder aber ich werde die Gedichte ei- nes bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. nes Brocks und anderer uns fatalen erhabenen Poeten anatomiren, ihre darinn versteckte Kunst- Regeln herausdistilliren; und wenn ich solche gerade umgekehret, werden nothwendig gar sichere Cautelen einer kriechenden Poesie her- auskommen. 9. Maxime. Das erste, woruͤber ein Hans-Sachsen- und kriechender Poete sich die Naͤgel oͤfters zu zer- beissen pfleget, ist die Erfindung des Thematis oder auszufuͤhrenden Satzes. Die Froschmaͤus- ler-Gesellschaft aber gestattet bey denen ihr uͤber- reichten Gedichten alle nur ersinnliche Thema- ta auf alle und jede Faͤlle zu appliciren. 10. Maxime. Folglich kan einerley Thema sowol bey einer froͤhlichen als traurigen Begebenheit durchfuͤhren. Der Held, der in einem Gedichte an einen gros- sen Herrn aufgefuͤhrt wird, kann auch in einem Gratulanten-Vers an einen Kaufmann oder Buͤrgermeister kommen; man giebt ihm nur eine kleine andere Tour, z. E. a contrario, a simili, a dissimili, etc. 11. Maxime. Man darf aus allen Disciplinen in der Welt einen Satz herausnehmen, er sey wahr oder falsch, und ihn in allen Gedichten anbringen, sollte man auch einen Sprung von der Suͤnd- fluth bis auf einen maͤßigen Platz-Regen thun, den man poetisch beschreiben wollte. E 2 12. Ma- Funfzig Maximen 12. Maxime. Wer in der Phoͤbus-Poesie Meister-Stuͤcke bey uns verfertigen will, der darf nur die Goͤt- ter aus des Hesiodi Goͤtter-Zeugung, und die abentheuerlichen Verwandelungen aus dem O- vidio, desgleichen viele Helden-Namen aus dem Homero, und Virgils Libris Aeneidis, nicht weniger aus des Horaz Epischen Oden heraus- nehmen. 13. Maxime. Will einer Galimathias-Poesien bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft uͤberreichen: So nehme er nur die Touren aus den meisten Ro- mainen und Ritter-Buͤchern, wo die Helden so gewaltige Saͤtze thun, auch oft so verwirrt reden, daß kein Teufel daraus klug werden kann. Die gemeinen Opern, Comoͤdien und Trauer- Spiele werden ihm auch genug Materie an die Hand geben, kauderwelsche Touren anzubrin- gen, daruͤber doch der Poͤbel ganz erstaunen wird. 13. Maxime. Die Phoͤbus- und Galimathias-Poesie sind zwey solche Klippen, daran selbst unsere aͤrgsten Gegner, die erhabenen Poeten, manchmal ge- strandet, wenn sie sich in Gedanken zu hoch verstiegen, und von einem Sturm-Winde an diese Klippen verschlagen worden. Das findet man sonderlich in manchen Lohensteinischen und Corvinischen Gedichten. 14. Ma- bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. 14. Maxime. Wer einen poetischen Mist-Kaͤfer in einem Gedichte gern characterisiren moͤgte, darf nur alles so plattzu nennen, wie es die Staupen- Bruͤder und Hallorum zu Halle thun. Er ziehe den Vorhang weg, den die Schamhaftig- keit vor die Zeugungs-Glieder und andere ver- deckte Theile vorgezogen, und nenne jedes so, wie es der Anatomicus, wenn ers mit Namen benennete, thun wuͤrde. 15. Maxime. Jn verliebten Gedichten muͤssen entweder so natuͤrliche Schwaͤnke vorkommen, als in de- nen gemeinen Schauspielen und Romainen, z. E. daß der Amant vor seiner Schoͤne flugs auf die Knie faͤllt, vor ihren Augen sich ums Leben bringen, oder den naͤchsten den besten, der ihm aufstoͤßt, ihr zu Ehren massacriren will; oder so ausstudirt, daß man eigen merke, der Amant habe den Talander, Menantes und andere vorher bemauset, um seine Paßion nach ihrer Vorschrift einzurichten. 16. Maxime. Jn Epischen Gedichten, oder da lauter Hel- den und Heldinnen vorkommen, vergesse man ja nicht, Deum ex machina herbey zu hohlen, oder man bringe aus der tausend und einen Nacht abentheuerliche Begebenheiten und ver- wuͤnschte Schloͤsser vor; oder in Stein verwan- delte ganze Staͤdte; oder Riesen, die bis an E 3 den Funfzig Maximen den Himmel gereicht; Helden, deren einer Zehn- tausend in die Flucht geschlagen; richtig abge- paßte Nothhelfer, da der entfernte Held, in Zeit von wenig Tagen oder Stunden, einen Luft-Sprung von etlichen hundert Meilen her gethan, und gerade die rechte Zeit getroffen, sei- ner nothleidenden Schoͤne, vorhin abgeredter- maßen, annoch zu Huͤlfe zu kommen, ꝛc. Je unmoͤglicher und unnatuͤrlicher die Begeben- heit scheinet, desto mehr frappirt sie die Einfaͤl- tigen, und der kriechende Poete wird fuͤr einen poetischen Hercules gehalten werden. 17. Maxime. Jn Dramatischen Gedichten, da entweder ganze Schauspiele vorkommen, oder doch ge- wisse Sinnbilder, z. E. eines Adlers, Loͤwen ꝛc. auf hohe Haͤupter gedeutet werden, mag man, nach denen Grund-Regeln der kriechenden Poesie, jeder Person, die zur Schau vorkoͤmmt, einen ganz andern Character geben, als er sonst in der Welt hat. Z. E. der aufgefuͤhrte Sclave darf von Staats-Sachen seines Herrn raisonniren; der Harlequin giebt einen gehei- men Rath des Prinzen ab; der Fuͤrst raison- nirt, was das Korn auf dem Markte gelte. Die Prinzeßinn zankt sich mit einem Paar Hu- ren herum; der Amant greift der Prinzeßin untern Rock, daruͤber sie laͤchelt. Der Beicht- Vater sagt dem Feld-Herrn ins Ohr, wie er die Armee en ordre de bataille stellen solle; und hundert andere poßirliche Touren mehr! 18. Ma- bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. 18. Maxime. Jn Trauer-Spielen stelle man jeden Affect so gekuͤnstelt vor, daß man offenbar merke, der duellirende Rival habe z. E. den andern nur in eine mit Blut gefuͤllte Rinds-Blase gestochen; die uͤberwaͤltigte Schoͤne habe nicht mehr Ler- men gemacht, als wenn sie sich an einer Nadel geritzt haͤtte; der sterbende Cato habe, mitten in der Todes-Angst, noch politische Staats- Discurse von Wiederaufhelfung des verfallnen Roms vorgebracht; der toͤdtlich erstochene A- mant habe nach vier und zwanzig Stunden sei- ne Schoͤne wieder bedienet; nebst tausend an- dern abentheuerlichen Abbildungen mehr. 19. Maxime. Jn lustigen Schau-Spielen pflegen die krie- chende Poeten den Harlequin und Scharamuz die Haupt-Person seyn zu lassen; der aber nicht eben sonderlich die Leser und Zuschauer mit scharfsinnigen Spaß-Reden, sondern haupt- saͤchlich mit Zoten, abgeschmackten Fratzen, poͤ- belhaften Ausdruͤcken und ungeschliffenen Re- den ergoͤtzen muß. Doch giebt es auch Sauer- toͤpfe unter denen kriechenden Poeten, die in keiner Oper einen Harlequin, ja sogar die Mu- sic nicht, leiden wollen, weil es nicht natuͤrlich sey, nach der Music mit einem zu reden. Da- fuͤr bringen sie lieber weitgeholte und grillen- faͤngerische Reflexionen aufs Tapet, daruͤber die Zuschauer einschlafen, und da sie verhofft, die E 4 Lebens- Funfzig Maximen Lebens-Geister durch eine angenehme Music und aufgeweckte Lust-Spiele zu erfrischen, muͤssen sie auf den Knoten der Oper genau Acht haben, wie solcher endlich werde aufgeloͤset werden; sonst, wo sie dieses versaͤumen, duͤnket ihnen alles, was vorher aufgefuͤhret worden, als ein dunkles Raͤ- zel und ein verwirrter Handel. 20. Maxime. Historische Poesien muͤssen, nach dem Cha- racter der kriechenden Poesie, entweder fein fa- belhaft, oder schwuͤlstig, oder so matt und trocken, als wenn die Markt-Saͤnger ihre traurige Mord-Geschichten versweise absin- gen, eingerichtet werden. Es schadet auch nicht, wenn ein kriechender Poete vorgefallene Schlachten beschreibet, daß er denen Pulver und Bley, Canonen und Feuer-Moͤrser beyle- get, die zu so einer Zeit gelebet, da man noch vom Pulver und Schieß-Gewehr gar nichts ge- wußt. Beschreibt er die alten Belagerungen: So giebt er solche Modelle von Vestungen an, als Vauban erfunden. Hat seinem Helden, fuͤr großem Angst-Schweisse, etwa die Nase geblutet: So spricht der poetische Fuchsschwaͤn- zer, er habe sich im Blute seiner Feinde gebadet. Er muß große Thaten koͤnnen klein, und kleine groß machen, u. s. w. 21. Maxime. Es ist denen Hohen in der Welt wol eher be- gegnet, daß uͤber ihr gesalbtes Haupt ein Unge- ziefer bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. ziefer hinweggekrochen. So darf denn auch ein kriechender Poete, wenn er Religions-Ge- dichte schreibet, selbst uͤber das allerhoͤchste We- sen, uͤber die natuͤrliche und geoffenbarte Reli- gion, auch sonderlich uͤber die heilige Schrift, hinwegkriechen. Er laͤßt, nach dem Rechte der Schmeiß-Fliegen, seinen ausgelassenen Unrath uͤberall kleben. Er treibt mit den Spruͤchen der heiligen Schrift sein Gespoͤtte. Er spricht von denen darinn vorkommenden Begebenheiten so kurzweilig, daß man daruͤber lachen muß. Er macht es eben so in Versen, als z. E. die an- sehnlichen kleinen Geister es in der Satyre Briontes gemacht, da sie unter andern sagen: Paulus habe seine weite Reise bis in den drit- ten Himmel sparen koͤnnen; er sey so klug wieder zuruͤck gekommen, als er hingereiset. Allen sogenannten heiligen Wahrheiten weiß er ein laͤcherlich Kleidgen umzuhaͤngen; gerade als ob der, dem man mit Gewalt ein Narren- Kleid anleget, auch nothwendig ein Narr in der Haut wirklich seyn muͤsse! 22. Maxime. Die Affen sind gewiß poßirliche Geschoͤpfe, die denen Menschen manche Kurzweil machen, daß man sich oft daruͤber scheckigt lachen moͤgte. Die kriechende Poeten wissen sich auch oͤfters in die poßirlichsten Affen zu verwandeln. Sie affen andern Poeten nach, und wollen bald die- sem bald jenem poetischen Helden nachahmen, E 5 oder Funfzig Maximen oder ihn gar uͤbertreffen. Wenn sie nun auf hohe Haͤupter Lob-Gedichte machen, schuͤtten sie den ganzen Krahm ihrer Gelehrsamkeit aus. Sie lassen es nicht genug seyn, große Herren bey aller Gelegenheit mit Gedichten zu bombar- diren, sondern stopfen auch noch ganze Bogen, nach Art des beruͤhmten Zittauischen Erz-Dich- ters, Hrn. D. Knoblochs, mit haͤufigen An- merkungen aus; so daß es noth thaͤte, der gros- se Herr beriefe einen Land-Tag, sich die darinn vorkommende tiefsinnige Wahrheiten vortragen zu lassen; oder aber er liesse die poetische Anmer- kungen seinen Cabinets-Ministern vorlegen, ihm daraus, wenn sie nichts wichtigers zu thun haͤtten, die Einfaͤlle eines poetischen Affen-Ge- sichts zu referiren. 23. Maxime. Die Gluͤckwuͤnschungs-Gedichte an Stan- des-Personen, Patrone und Goͤnner muͤssen mit lauter Mecaͤnaten und unerwarteten Anreden ausstaffiret seyn. Scheuß, großer Patron, scheuß, scheuß deine holde Stralen, fing jener sich keine Laus duͤnkender Poete an, dem sein Patron, der eben vom Abtritte kam, antwor- tete: Mein Herr, ich wollte wuͤnschen, vor der Minute sein Gedichte gehabt zu haben, vielleicht haͤtte es meinem verstopften Leibe Erleichterung geschaffet. Ein kriechender Poet weiß an sei- nem Patrone nichtswuͤrdige Dinge hoch zu loben, oder ihm Wissenschaften beyzulegen, de- ren bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. ren Namen ihm wie Boͤhmische Doͤrfer vor- kommen. Zuweilen geht er auch mitten im Gedichte von seinem Patron ab, und thut eine Streiferey nach Osten und Westen; da denn der Patron so lange passen muß, bis es dem Poeten, nach einem langen Umschweife, gefaͤllt, seinen Patron zu Ende des Gedichtes wieder anzusprechen, auch sich wol gar auszubitten, daß er ihn, als ein geringes Wuͤrmlein, nicht zertre- ten solle. 24. Maxime. Jn Condolenz-Gedichten weiß ein kriechen- der Poete die Affecten der Traurigkeit also zu unterdruͤcken und bey seinem Patron niederzu- schlagen, daß er sich in die Zunge beissen muß, um nicht uͤberlaut zu lachen. Die Schlendri- ans-Poeten gehen von ihrer alten Leyer so we- nig ab, als die, Jahr aus Jahr ein, hinter ein- ander Lehre, Ermahnung, Strafe und Trost in unverruͤckter Ordnung der Gemeine vorpre- digen. Der verstorbene Anverwandte des Pa- trons wird himmelhoch erhoben, wenn er gleich kaum ein Fuͤllsteingen in der Republic gewesen. Neugebackene Edelleute werden als Helden be- schrieben, in denen das hochadliche Blut ihrer Urahnen walle. Alte abgelebte Matronen wer- den mit der Venus; abgefeimte Coquetten mit der Lucretia; schwarzbraune Gesichter mit der Morgenroͤthe; rothharigte Koͤpfe der Frauen- zimmer mit der Abendroͤthe sehr artlich vergli- chen, ꝛc. 25. Ma- Funfzig Maximen 25. Maxime. Bey Hochzeit-Gedichten ist ein weites Feld, wo sich die kriechende Poeten tapfer lustig ma- chen koͤnnen, zumal, wenn sie Hoffnung haben, auch ein fettes Maul mit von der Hochzeit zu nehmen. Der arme Cupido muß sich in tau- send Gestalten da verwandeln lassen; die Berg- werke geben die artigsten Einfaͤlle ab, daß der Braͤutigam werde bey seiner Braut in den Schacht steigen, und darinn ein- und ausfah- ren. Die vier Jahres-Zeiten geben einen ar- tigen Schwank ab. Der Winter ist gut zum Heyrathen, damit die Braut einen Bettwaͤrmer habe; der Sommer aber, daß ihr der Braͤuti- gam in den Hundstagen das heisse Ober-Bette abnehme, und sich in solches verwandle. Die Namen des Braͤutigams, oder der Braut, ge- ben die poßirlichsten Wort-Spiele ab; nicht minder die Profeßion, die der Braͤutigam, oder der Braut Vater, treibet. Jst der Braͤutigam ein Schneider: So spricht der Poet: Er werde mit seiner Nadel der Braut schon tuͤchtige Knopf- Loͤcher zu machen wissen. Jst er ein Glaser: So werde er ihr am rechten Oertgen Scheiben einsetzen, ꝛc. 26. Maxime. Bey Namens-Tagen weiß der kriechende Poete hundert, und zur Noth mehr oder weni- ger, Personen anzufuͤhren, die eben den Vor- namen gehabt, mit denen sein Patron, dem er gern den Beutel mit Manier fegen moͤgte, ver- glichen bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. glichen wird. Wollen solche nicht zureichen, muß der Name: Augustus, Titus, Trajanus, Carl der Große, oder ein großer Heiliger, oder eine große Schoͤne, herhalten, und sich wider Willen dahin zerren lassen, wohin der Poete will. Auch verschlaͤgt es nichts, wenn gleich verfaͤngliche Gedanken einem dabey ein- kommen koͤnnen. Der Poet setzet voraus, daß man darauf nicht falle. So redete jener eine große Dichterinn also an: Du Sappho unsrer Zeit! ohne zu bedenken, daß die Sappho sich in der tribadischen Lust-Seuche so hervorge- than, daß auch solches in alten griechischen Muͤn- zen noch deutlich abgeschildert zu finden. Will der Bogen nicht voll werden: So hat der krie- chende Poete schon andere Beyhuͤlfen, die Stro- phen-Luͤcken vollends auszufuͤllen. 27. Maxime. Jn Geburts-Tags-Gedichten, wenn etwa auf vornehmer Herren Kinder gluͤckliche Geburt eine Poesie geschmiedet wird, weiß ein Frosch- maͤusler-Poet aus denen Windeln zu weissagen, was fuͤr ein großer Held, Koͤnig, Prinz, Staats- Minister, großer Kirchen-Lehrer ꝛc. dereinst aus ihm werden werde; das arme Kind aber, das wenig Tage darauf verstirbt, jagt dem Poeten keine Schaamroͤthe ab: denn es war nur ein Gedichte, und keine Prophezeyung. Keinem Poeten kann angemuthet werden, fuͤr die Er- fuͤllung seiner poetischen Weissagungen zu ste- hen. Betrifft es aber den Geburts-Tag eines Patrons, Funfzig Maximen Patrons, oder Patroninn: So ist kein merk- wuͤrdigerer Tag im ganzen Calender, als eben dieser, da sein Principal, oder Gebieterinn, zur Welt gebohren wurde; ob sie gleich niemand wuͤrde sonderlich vermisset haben, wenn sie schon gar nicht das Licht der Welt erblicket haͤtten. Es muͤssen auch wol noch die ersten Windeln und die Boye, darinn der jetzige Held ehedem gelegen, hervorgesucht und herausgestrichen wer- den, ꝛc. 28. Maxime. Ein kriechender Poete wird sich nicht leicht so hoch versteigen, die himmlischen Coͤrper poe- tisch zu beschreiben, er muͤßte denn durch sein poetisches Fern-Glas etwa Einwohner im Monden, oder denen Fix-Sternen, oder neue Sonnen-Flecken, oder bedrohliche Cometen, und andere ausserordentliche Luft-Zeichen, be- merket haben. Daß er auch, nach Art eines Brockes in Hamburg, oder Weichmanns im Patrioten, die Geschoͤpfe Gottes auf der Erde an Bluhmen, Baͤumen, Metallen, Stroͤhmen ꝛc. poetisch abschildern sollte, ist dem Geschmacke eines kriechenden Poeten ganz zuwider. Auch die Kunst-Stuͤcke beruͤhmter Kuͤnstler wird er ungern in Reime bringen, weil es zuviel Kopf- brechens machen wuͤrde. Doch eine Statue oder ein Gemaͤhlde zu beschreiben, darinn alles an Menschen und Thieren nackend vorgestellet ist, wird ihm eben nicht sauer ankommen, wenn er bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. er nur jedes Ding bey seinem rechten Namen frey nennen darf. 29. Maxime. Moralische Gedichte, sonderlich die Beschrei- bung der Tugenden und Laster, oder eine leb- hafte Abschilderung derer Genies, Gemuͤths- Neigungen, Affecten und Temperamente sind auch nicht nach dem Geschmacke derer kriechen- den Poeten. Sie koͤnnen sich nicht in so sub- tile Wuͤrmergen verwandeln, die denen Leuten bis ins Gehirn kriechen koͤnnten. Wagt er sich aber ja, dieses oder jenes Gemuͤths-Character abzuschildern: So wird er entweder, wie die Katze uͤber die heisse Kohlen, fluͤchtig hinweg ei- len, oder ganz widerwaͤrtige Begriffe, die nicht bey solcher Gemuͤthsfassung zugleich beste- hen koͤnnen, zusammen reimen; so daß er z. E. eben dem, den er als großmuͤthig beschreiben wollen, die niedertraͤchtigsten Handlungen bey- leget; einen Geizigen anders wo zum Verschwen- der macht, oder gar die Namen umtaufet, und die Laster als Tugenden, die Tugenden aber als Fehler und Laster beschreibet. 30. Maxime. Wenn ein kriechender Poete sich mit seines gleichen, oder niedrigern, in poetischen Brief- Wechsel einlaͤsset, bleiben es meistens Anecdo- ten, die kein Buchhaͤndler des Papiers und Druckes werth achten will. Aber die loͤbliche Froschmaͤusler-Gesellschaft besitzt eine Samm- lung von etlichen tausend poetischen Briefen, die von Funfzig Maximen von lauter kriechenden Poeten geschrieben wor- den. Sie haͤlt solche als einen geheimen Schatz unerkannter Wahrheiten, und ist zu neidisch, solche public zu machen. Es ist genug, daß sol- che nach denen, in dem ersten Probestuͤck auf mathematische Art vestgestellten, Grund-Re- geln, desgleichen dem Character derer im an- dern Probestuͤck angegebenen zwoͤlf Arten krie- chender Thiere und sechs Sorten von Schmie- den vollkommen gemaͤß sind; und werde ich in denen folgenden zwanzig Maximen die Sache, wo nicht in voͤlliges Licht, doch wenigstens in Licht und Schatten, zu setzen, mir angelegen seyn lassen. 31. Maxime. Ein poetischer Frosch quaͤket alle Voruͤber- gehende, und wer ihm am ersten in den Wurf koͤmmt, mit seinen Reim-Gedichten an; es mag nun dem andern gefallen oder verdriessen. So wenig der Frosch sich daran kehrt, ob es dem Vorbeygehenden gelegen sey, seinem Gequaͤke zuzuhoͤren: So wenig fragt auch ein poetischer Frosch darnach. 32. Maxime. Eine poetische Maus stenkert am liebsten die Anecdoten oder unherausgegebene Poesien an- derer durch, oder auch solche Poeten, die durch die Laͤnge der Zeit schon wieder in Vergessenheit gekommen. Solche bemauset er, wo er kann, und giebt es fuͤr seine eigenen Einfaͤlle aus. Ver- stehet bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. stehet er Sprachen: So machet er die Unwis- senden weiß, was er z. E. aus einem Moliere, Tasso, sonderlich aus den englischen und grie- chischen Poeten uͤbersetzet, als waͤre es auf sei- nem eigenen Bete gewachsen. Wer ihn ver- raͤth, an dessen Ehren-Ruhm sucht er was ab- zunagen, wie die Maus am Brodte. 33. Maxime. Eine poetische Schlange versetzet entweder dem, der sie reizet, oder auch, wie es ihr ein- koͤmmt, giftige Stiche. Sein Wahlspruch ist: Calumniare audacter, semper aliquid haeret. Bezuͤchtge einen hart, und red ihm Boͤses nach; Der angehaͤngte Fleck ist ihm schon eine Schmach. 34. Maxime. Ein poetischer Jgel passet die Gelegenheit fleißig ab, durch kurze Stachel-Reime dem, dem er uͤbel will, einen Trebs zu versetzen. Weiß er etliche laͤcherliche Histoͤrgen von ihm, wenn es auch noch Fehler einer laͤngst verstri- chenen Jugend waͤren, er wird sie ihm im ho- hen Alter, da er sie vorlaͤngst abgelegt, noch vorruͤcken. Weiß er keine: So richtet er an- dere nach sich, und denkt, sie stehen hinter der Thuͤre, wohinter man ihn selber oͤfters noch stehen siehet. 35. Maxime. Ein poetischer Hund ist entweder ein grim- F miger Funfzig Maximen miger Bullenbeisser, oder heimtuͤckischer Dachs- Hund, oder ein kurzweiliges Moͤppelgen. Die letztere Art koͤnnen unsere Gegner noch am ersten vertragen; denn sie haben keine Zaͤhne zu beissen. 35. Maxime. Ein poetischer Floh uͤberraschelt einen mit seinen angebrachten Stichen oft, ehe man sichs versiehet; und wenn man im Begriff ist, ihn zu erhaschen, huͤpft er davon, und laͤßt sich nicht in die gestellte Floh-Falle locken. 36. Maxime. Eine poetische Laus suchet sich gern bey an- gesehenen Familien, oder dem Poͤbel, einzuni- sten; und wenn sie sich einmal in den Grind eingefressen, wird man sie schwerlich wieder her- ausbringen: man muͤßte sich denn selber die Haa- re knapp verschneiden lassen. 37. Maxime. Ein poetischer Mistkaͤfer kriechet, euch zu gefallen, wenn ihr ihm die Muͤhe bezahlet, in ein heimliches Gemach, oder wird ein Wahrsa- ger aus dem Urin-Glase, oder versinkt selber so tief in den Schlamm, daß er sich nicht wieder heraushelfen kann. 38. Maxime. Ein poetischer Schmetterling fleucht um ein brennend Licht, gleich einer Muͤcke, so lange her- um, bis er sich die Fluͤgel verbrennet, oder ihm solche in den Tollhaͤusern beschnitten werden. 39. Ma- bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. 39. Maxime. Eine poetische Schnecke laͤsset sich gern seine Gedichte voraus bezahlen, nimmt sich aber ge- nug Zeit, solche auszuhecken. Setzet ihr von ihm ab: So nimmt er sein poetisch Geraͤthe auf den Ruͤcken, und kriecht zu eurem Feinde hin- uͤber. Daher mancher Poete derjenigen Co- moͤdianten-Bande, welcher er noch etliche Jah- re zuvor Schau-Spiele fuͤr schweres Geld ver- fertiget, nach der Zeit heftig feind wird, und, gleich der Schnecke, die Spuren seines verschuͤt- teten Schaums, ich meyne verspruͤtzter Dinte und Galle, zuruͤck laͤsset. 40. Maxime. Ein poetisches Heuschreckgen huͤpfet bald da bald dorthin; und wenn es gleich keine Zaͤhne hat, scharf zu beissen: So gibt es doch gewands- weise, und an solchen Orten, wo mans gar nicht vermuthen sollte, seine Fußtapfen zu er- kennen. Es schonet auch weder Freund noch Feind, sondern huͤpft auf des Nachbars Feld, wie die Heuschrecke. 41. Maxime. Ein poetischer Maulwurf weiß sich in seinen eigenen Gedanken so tief zu vergraben und zu verschanzen, daß ihr ihm schwerlich dahinter kom- men koͤnnet. 42. Maxime. Huͤtet euch, daß ihr nicht in die Haͤnde eines poetischen Grob-Schmiedes verfallet; er wuͤr- F 2 de Funfzig Maximen de euch sonst unter seinem harten Amboß, ver- mittelst seines eisernen Schmiede-Hammers, so breit schlagen, daß ihr wuͤnschen wuͤrdet, euch nie mit ihm aufgenommen zu haben. 43. Maxime. Ein poetischer Klein-Schmied und poeti- scher Jgel sind solche zwey gewaltige Hudler und lose Schaͤlke, daß ihrs selber drauf wagen koͤn- net, welcher unter beyden der gewandteste und durchdringenste sey. 44. Maxime. Wenn jemand, der in der Welt keine son- derliche Figur gemacht, gern seinen Namen bey der spaͤten Nachwelt in ruhmvollem Andenken erhalten wissen wollte: So darf er nur denen poetischen Messer-Schmieden (2. Probestuͤck, § 24,) etwas vermachen, die werden ihn schon nach seinem Tode in einem Leichen-Gedichte so herausstreichen, daß die Nachkommen das Wah- re und Falsche nicht werden unterscheiden koͤnnen. 45. Maxime. Kehret euch nicht daran, wenn unsere poeti- sche Gold-Schmiede gleich anderer Gedichte ins Kretz schlagen. Suchet das darunter steckende Silber durch anderweitige Umschmelzung heraus: So werdet ihr noch damit prangen, und es auf den Messen in den Buchlaͤden gut anwenden koͤnnen. 46. Maxime. Wenn ihr Lust habt, jemanden ein Huf auf- setzen bey der Froschmaͤusler-Gesellschaft. setzen zu lassen: So gebt nur unsern poetischen Huf-Schmieden ein gut Wort, und bezahlet ihnen ihre Reimschmiede-Arbeit, sie werden euch ein so gutes Huf-Eisen schmieden, daß es auf den andern genau passen wird. 47. Maxime. Moͤgte jemand gern eines andern Arbeit ver- faͤlschen lassen, wie dem Briontes mit seinem Schaͤfer-Gedichte in denen Sottises champê- tres begegnet ist, dagegen er das richtige Ori- ginal in die Sottises galantes, nach der Edition des Ciceronianischen Windbeutels zu rechnen, setzen lassen: So begruͤße er nur unsere poeti- schen Kupfer-Schmiede, die werden ihm so viel unaͤchten Zusatz dazu thun, daß es fuͤr die Ar- beit eines ganz andern Autoris durchgaͤngig pas- siren wird. 48. Maxime. Jn der Froschmaͤusler-Gesellschaft wird der gewaltige Zwischenraum applaniret, den die neuern Poeten zwischen dem Hypsos und Ba- thos, oder der Hoͤhe und Tiefe der Gedanken, machen. Denn wir gestatten, von der Hoͤhe einen Sprung auf geraden Reim-Fuͤßen in die Tiefe, und einen Voltigir-Sprung aus der Tiefe wieder in die Hoͤhe zu thun. Damit auch die poetischen Gedanken nicht daruͤber den Hals brechen; haben wir eigne Strick-Leitern, und andere Maschinen, einem, der zum Schwei- mel geneigt ist, aus der Hoͤhe in die Tiefe stuf- F 3 fenweise Dreyßig Fragestuͤcke fenweise herabsteigen zu helfen. Aber die Luft- Springer haben doch bey uns den Vorzug. 49. Maxime. Damit der poetische Woͤrter-Schatz reichlich vermehret werde, nehmen wir in unsere Reim- schmiede-Kunst franzoͤsische, lateinische und ita- liaͤnische Reim-Endigungen auf, ertheilen ih- nen das Buͤrger-Recht, und achten sie fuͤr eine Zierlichkeit, z. E. incommodiren, accommodiren, recommendiren, abouchiren, accompagniren, ꝛc. 50. Maxime. Die Zunft-Meister der Froschmaͤusler-Ge- sellschaft werden nicht eifersuͤchtig daruͤber, wenn sie von ihren Lehrlingen in der kriechenden Poe- sie uͤbertroffen werden. Viertes Probestuͤck. Beantwortung derjenigen dreyßig Fragestuͤk- ke, welche jedem Candidaten, vor seinem Eintritt in die Froschmaͤusler-Gesellschaft, vorgeleget werden. 1. Frage. Was verlanget der Herr Candidat? Antwort. Ein Froschmaͤusler zu werden. 2. Frage. Was heißt ein Froschmaͤusler? Antwort. Ein Poete, der sich alle Bemuͤhung giebet, der fuͤr einen Froschmaͤusler. der kriechenden Poesie und Reimschmiederey auf- zuhelfen. 3. Frage. Weiß der Herr Candidat, was ein Jambi- scher Vers heisset? Antwort. Wenn unter zwey Sylben der Accent auf die andere Sylbe faͤllt, als z. E. Es ist- mein Herz- in dich,- o schoͤ-nes Kind, verliebt. 4. Frage. Binden sich denn unsere Reimschmiede dar- an, daß in Jambischen Versen eben der Accent auf die andere Sylbe fallen muͤsse? Antwort. Nein; es klingen die holpernde und stol- pernde Verse manchmal recht artlich, sonder- lich, wenn man beschreiben will, wie einer vom Parnasso herunter gekollert, oder uͤber einen Stein des Anstoßes gestolpert. Z. E. Wenn Herr-Doctor-Knobloch-gleich hart- gar oft-mals reimt: So ist- dennoch- sein Vers- ganz vest- zu- sammn-geleimt. 5. Frage. Weiß der Herr Candidat, was ein Trochaͤi- scher Fuß in Versen ist? Antwort. Wenn unter zwey Sylben auf der ersten der Accent liegt, und solche schwer, die andere leicht und gleichsam nachgebend, ausgesprochen wird, als: F 4 Ach Dreyßig Fragestuͤcke Ach Cu-pido,- ach der- Lose,- hat mich- jaͤm- mer-lich ge-peitscht. 6. Frage. Sollten aber die Froschmaͤusler nicht das Recht haben, auch in trochaͤischen Versen den Accent, wie bey den jambischen, zu ver- setzen? Antwort. Ja, das stehet ihnen frey. So wuͤrde es bey E. Froschmaͤusler-Gesellschaft hoffentlich fuͤr ei- nen guten trochaͤischen Vers paßiren: Herr Gott-sched, du-Erz-Po-ete! Wetze-deine-muntre-Floͤte! Mach dem-Pasquill-des Vor-spiels doch Durch dein-Messer-ein gros-ses Loch! 7. Frage. So wird dem Herrn Candidaten ohne Zwei- fel auch bewußt seyn, was dactylische oder springende Verse heissen? Antwort. Ja, ich weiß gar wohl, was ein Dactylus sey, naͤmlich, wo der Accent auf die erste Sylbe faͤllt, worauf zwey leichte Sylben angehaͤnget werden, z. E. Liebliche-freundliche-reizende-Augen, Duͤrfte ich-Flammen aus-selbigen-saugen. 8. Frage. Duͤrfen die dactylischen Verse bey der Frosch- maͤusler-Gesellschaft nicht manchmal stol- pern, als wenn sie uͤberruͤcklings schluͤgen und die Treppe herunter purzelten? Ant- fuͤr einen Froschmaͤusler. Antwort. Warum das nicht? Es gibt was zu lachen, wenn der Vers manchmal stolpert, sonderlich, wenn man aus dem Hypsos einen Sprung ins Bathos thun will, als: Herrscher drey-Reiche, Be-sieger der- Feinde! Lege dich-sanfte zur-Maitresse-heinte! 9. Frage. Die Poeten schwatzen vieles von langen und kurzen, naͤmlich Vers-Arten; macht man nicht das Frauenzimmer roth, wenn man ihnen so vieles vom langen und kurzen vor- saget? Antwort. Sind es Weiber, oder Witwen, denen man poetische Lectiones giebt: werden sich solche an den langen und kurzen Vers-Arten nicht stoßen; die Jungfern aber verstehen freylich nicht, was das fuͤr Dinger sind: Ein langes Vers-Genus, ein kurzes Vers-Genus. 10. Frage. Wie koͤnnte man es nun dem Frauenzimmer leicht machen, daß sie bald verstuͤnden, was ein langer, und hingegen ein kurzer Vers sey? Antwort. Sie muß lernen genau zaͤhlen. Wenn viel Sylben auf einander folgen, wird es ein lan- ger Vers; sind es aber weniger Sylben, heißt es ein kurzer. Z. E. F 5 1) Ein Dreyßig Fragestuͤcke 1) Ein langer jambischer, oder alexandri- nischer, Vers ist dieser: Ach du- Cupi-do du- schaff mir- doch ei-nen Frey-er, Denn mei-ne Jung-ferschaft- sperrt sich- in mei-nem Schley-er. Ein kurzer jambischer Vers ist z. E. Lisett-gen, hast- du bra-ves Geld; Nehm ich- als Frau- dich mit- ins Feld. Aus Gegeneinanderhaltung dieser beyderley Arten Reime wird ja ein Frauenzimmer, ohne großes Nachgruͤbeln, wol sehen, welches ein langer, und welches ein kurzer Reim sey. 2) Ein langer trochaͤischer Vers ist dieser: Ach Frau-Mutter-auf dem-Balle-hat ein- Frey- er- mich er-tappt, Und mir- mein jung-fraͤulich-Kraͤnzgen,- eh ichs- dachte,- wegge-schnappt. Ein kurzer trochaͤischer Vers aber ist: Sproͤde- Schoͤne,- meine- Klagen Werden,- wenn ich- sterbe,- sagen: Dieser- hat mich- treu ge-liebt. Hier wird ein Frauenzimmer und Einfaͤltiger ebenfalls ohne groß Kopfbrechen leicht begreifen, daß die ersten beyden Verse lang, die drey an- dern kurze trochaͤische Verse sind. 3) Ein langer dactylischer Vers ist z. E. Englische-Stimme, du- laͤssest dich- hoͤren; Willst du, Si-rene, mein-Herze be-thoͤren: Ein kurzer dactylischer Vers aber ist dieser: Niedliche- Kuͤsse Schmecken gar- suͤße. Drucket auf- marmorne-Huͤgel, Weil sie noch- veste, das- Siegel. Sucht fuͤr einen Froschmaͤusler. Sucht die Milch-Jnsel, Sonst seyd- ihr ein Pin-sel. Hier giebt es abermals der Augenschein und die Sylben-Zahl, welches lange Dactyli, und welches hingegen kurze heissen. 11. Frage. Haͤlt es die Froschmaͤusler-Gesellschaft fuͤr ei- ne Schuldigkeit, sich an die drey Vers- Arten, die jambische, trochaͤische und da- ctylische, zu binden, oder suchet sie auch andere Arten in Schwang zu bringen? Antwort. Es laͤsset sich sonderlich die sapphische und he- roische Vers-Art der Lateiner gar wol bey der deutschen Poesie anbringen, als z. E. 1) Probe von sapphischen Reimen: Willst du- mich lie-ben,- sage mirs- geschwin-de, Oder- ich ge-he- heute zur- Selin-de, Dem so- galan-ten- angeneh-men Kin-de, Wo ich sie- finde. 2) Eine Probe nach Art lateinischer heroi- scher Verse: Der Ja-cob scher-zet mit- seinem- Weibe Re- becke; Liebliche- Phillis- komm und- gehe mit- mir in die- Hecke, Oder auch- tritt mit- mir dort- an die- finstere- Ecke. Jch sehe nicht, warum dergleichen Arten Ver- se nicht zum Scherz und Zeitvertreibe angehen sollten. Die E. Froschmaͤusler-Gesellschaft wird wohl thun, wenn sie, trotz denen neuen Poeten, viel neue Vers-Arten bekannt machen, und Dreyßig Fragestuͤcke und den Geschmack der Leser luͤstern machen wird. 12. Frage. Jst dem Herrn Candidaten bewußt, was ein Oden-Genus sey; und wie will er solches unsern Froschmaͤuslerinnen beybringen? Antwort. Jch will zu ihnen sagen: Es sey eine Abwech- selung von acht bis zehn Zeilen einsylbigter und zweysylbigter Reime, die man nach eigenem Gut- duͤnken versetzen kann, als: So ist- dein Her-ze fel-senhart, Du Aus-bund al-ler un-srer Schoͤ-nen! Willst du- denn mei-ne Lie-be hoͤh-nen: Jch hat-te dir- mein Herz- gespart. Doch ists- dein Ernst- es zu- verschmaͤ-hen: So sa-ge mirs- nur rund- heraus: So will- ich zu- der Nach-barn ge-hen, Und nen-ne dich- ein Schel-len-Tauß. 13. Frage. Die andern Poeten aber reden nur von maͤnn- lichen und weiblichen Reimen; ist das nicht abgeschmackt geredet? Antwort. Was wir einen einsylbigten Reim nennen, heissen sie einen maͤnnlichen; vermuthlich da- her, weil eine Mannspersonen nur ein einziges Appetits-Jnstrument bey sich fuͤhrt; die zwey- sylbigten Reime aber heissen sie gewiß darum weibliche Reime, weil das Frauenzimmer son- derlich zwey reizende Waffen besitzet: Die Bruͤste, und den Jrrgarten der Liebe. Man muß fuͤr einen Froschmaͤusler. muß es ihnen durch Exempel erlaͤutern, was maͤnnliche und weibliche Reime sind: So ver- stehen sie es desto leichter. 1) Z. E. lauter maͤnnliche Reime, oder, da der End-Reim einsylbigt ist: Du bist- ein rech-ter Gro-bian, Sprach juͤngst- ein Weib- zu ih-rem Mann, Jch seh,- du kannst- die Kunst- nicht recht, Du triffst- das rech-te Fleck-gen schlecht. Jch geh- zum Nach-bar Ce- ridon, Der pfeift- aus ei-nem bes-sern Ton. 2) Lauter weibliche Reime, oder, da der End-Reim allezeit zwey Sylben hat, als: Was re-dest du,- du lo-se Vet-tel, Was ma-che ich- mit dei-nem Bet-tel: Es ist- ein’ aus-gepauck-te Drum-mel, Meynst du,- als wuͤßt- ich nicht- den Rum-mel: Du magst- zum Co-ridon- nur schlen-dern, Jch wer-de mich- darum- nicht aͤn-dern. Jn der ersten Probe sind lauter einfache End- Sylben, als: an, Mann; recht, schlecht; don, Ton. Jn der andern Probe lauter dop- pelte oder zweysylbige End-Reime, als: Vettel, Bettel; Drummel, Rummel; schlendern, aͤn- dern. Jenes heissen maͤnnliche, dies weibliche Reime. 14. Frage. Schicken sich die trochaͤischen oder jambischen Verse besser zu Oden; oder gilt es gleich viel, man nehme, welche man wolle? Antwort. Man haͤlt dafuͤr, zu Trauer-Orden schickten sich die trochaͤischen Verse besser; zu Freuden- Oden Dreyßig Fragestuͤcke Oden aber die jambischen. Aber es trifft nicht zu; man kann freudige trochaͤische Oden und traurige jambische Oden machen, nachdem die Umstaͤnde vorfallen. 1) Probe einer traurigen jambischen Ode: Jch armer Hahnrey sitze nun! O haͤtte ich niemals gefreyet! Was soll ich nun im Alter thun, Weil man mir in die Ohren schreyet: Jch solle doch die Hoͤrner decken, Man koͤnne sie am Haupte sehn! Ach! wuͤßt ich solche zu verstecken! Jch muß zu einem Doctor gehn. Mich deucht, dieser Anfang einer Ode klingt traurig genug, und sollte ganz beweglich klin- gen, wenn Traversen dazu gespielt wuͤrden. 2) Probe einer freudigen, lustigen und aufgeweckten trochaͤischen Ode: O ihr alten schoͤnen Thaler, Seyd willkommen, seyd gekuͤßt! Mein alt Weibgen ist der Zahler. Ja, wenn die Runkunkel wuͤßt, Wie ich sie nur bloß gefreyet, Daß ich ihre Thaler haͤtt; Glaub ich, daß sie mich anspeyet, Und scheidt sich vom Tisch und Bett. Jch glaube nicht, daß etwas trauriges in die- ser Ode sey, es muͤßte sie denn des Poeten al- tes Weib ohngefehr zu Gesichte kriegen, oder absingen hoͤren; ich glaube aber, sie wuͤrde eher daruͤber rasend, als traurig, werden. 15. Frage. Schicken sich dactylische Verse nicht zu Oden; oder darf man nicht wenigstens in einer Ode fuͤr einen Froschmaͤusler. Ode mit jambischen und trochaͤischen Ver- sen abwechseln? Antwort. Es koͤmmt auf den Liebhaber an, und ist an sich unverwehret. Denn wer hat die neuern Poeten geheissen, so strenge Reim-Gesetze vor- zuschreiben. Man kann also per licentiam poëticam nicht nur die Vers-Arten unter ein- ander versetzen, sondern auch lange Fuͤße zu kur- zen, und kurze zu langen machen; der Abschnitt des Verses kann auch wegbleiben, wie es die Lateiner bey elegischen Versen oft thun; als: 1) Probe einer dactylischen Ode: Jhr scheinet, ihr lieblichen Sterne, Zwar jetzo im Dunkeln von ferne: Doch gebt ihr genugsames Licht, Mein Liebgen am Fenster zu sehen, Jch seh sie im Hemdgen da stehen, Und denket das Naͤrrgen, ich saͤhe sie nicht. 2) Probe versetzter jambischer und trochaͤi- scher Verse: Jamb. Jch sterbe, wo du mich nicht liebest, Troch. Schaue doch mein banges Herz! Lindre, Schoͤne, meinen Schmerz. Jamb. Wenn du mich gleich in Stuͤcken hiebest, Wuͤnsch ich, daß ich dein Herz erweich. Troch. Doch nein, nein, der stirbt nicht gleich, Jamb. Den Liebes-Kuͤtzel plagt. Mein Leid hab ich dir gnug geklagt, Willst du mich nicht anhoͤren? Troch. Nun so will ich auch verschwoͤren, Daß mich je Cupidens Reich Jamb. Bestricken soll, Drum lebe wohl! Trennt Dreyßig Fragestuͤcke Trennt uns ein himmlisches Geschick: So wuͤnsch ich beyden Gluͤck! Troch. Fahre hin, mit deiner Tuͤck! 3) Probe, da lange Fuͤße kurz, und kurze lang gemacht, auch die Abschnitte, oder Ce- sur uͤbergangen wird. Die Pudel-Koͤpfe finden manchen Freyer, Denn man gedenkt, Pommade ist ja ziemlich theuer, Und Puder auf jeden Tag kostet leicht vier Dreyer, Das macht woͤchentlich einen halben Gulden, Entweder macht die Jungfer Schulden, Oder es macht jaͤhrlich ein Capital, Nach 6 pro Cent aufs wenigste nach unsrer Zahl, Als drey hundert Thaler, die Schuhe nicht drein gezaͤhlt, Noch Struͤmpf, Contuschen, Roͤcke, Wam- ster, Hauben, Lebt sie von Jnteressen, kann man glauben, Daß ihr an zehn tausend kaum hundert Thaler fehlt. Bey dergleichen Art Versen muß man gar nicht scandiren, sondern, wie die Franzosen in ihren Gedichten, sich nicht so genau ans Syl- ben-Maaß binden, also da wir sonst so gern alle franzoͤsische Moden nachahmen, warum sollten wir nicht auch unsere deutsche Verse so fluͤchtig weg lesen, als wir bey franzoͤsischen Reimen thun. 16. Frage. Was haͤlt der Herr Candidat von der poeti- schen Regel, daß man weder in einen Vers lauter einsylbigte Woͤrter, noch allzustar- ke fuͤr einen Froschmaͤusler. ke Elisiones, oder verschluckte Sylben hin- einbringen solle? Antwort. Wenn man selbst derer, die unsre Gegner sind, poetische Schriften genau durchgehet, wird man oft ganze Zeilen einsylbigter Woͤrter darinn finden, auch daß ihnen manche Sylben in der Kehle stecken bleiben. Es macht beydes oft ei- nen Spaß. Z. E. Den Mann, die Frau, den Knecht, die Magd, den Sohn, die Schnur, Die bitt ich heut zum Schmauß auf Bier, Brodt und Kaͤs nur. Desgleichen: Jch, du, er, wir, ihr, sie, wir gehn all in den Vers. Glaubt er das Ding noch nicht: Nun, nun, mein Herr, laß ers! 17. Frage. Was haͤlt der Herr Candidat von den Bout- rimes, oder End-Reimen; machen nicht solche einen rechten Spaß, und zeigen an, wer ein fixer Reim-Schmied sey, oder nicht? Antwort. Jch habe manchen tausend Spaß, sonderlich mit witzigen Frauenzimmern, gehabt, wenn wir uns einander so naͤckische End-Reime auf- gegeben, als wir nur gekonnt, und hernach drauf gesonnen, solche alle unter einen Huth zu brin- gen. Z. E. ich gab einsmal folgende Reime aus: Wurst, Durst; Kranz, Schwanz; Muͤtze, G Pfuͤtze; Dreyßig Fragestuͤcke Pfuͤtze; Haus, Maus; Sieb, Dieb: So fuͤllte ich solche folgendergestalt aus: Lisettgen isset gerne Wurst; Mit Brandtwein stillt sie bloß den Durst; Sie weiß nichts mehr vom Jungfer- Kranz; Sie lobet den Paruken- Schwanz; Sie liebet eine rauche Muͤtze; Ohnlaͤngst trat sie in eine Pfuͤtze; Jhr Maͤulgen ist als wie ein Sieb; Die Liebe ist ihr aͤrgster Dieb. Eine aus der Gesellschaft aber reimte, großen- theils auf gut grobschmiedisch, also auf eben solche vorstehende Reime: Mein Herr! ihr seyd als wie Hans Wurst, Jhr sauft, und stillt nicht meinen Durst; Euch steht nicht der Magister- Kranz; Jhr seyd ein Huͤndgen ohne Schwanz; Jm Bett seyd ihr wie ein’ Schlaf- Muͤtze; Jhr tretet gern in fremde Pfuͤtze; Der Beutel ist bey euch ein Sieb; Jhr stehlt die Herzen, wie ein Dieb. Das Thema war gluͤcklich durchgefuͤhrt; nur etwas zu plump und zweydeutig, weil es der Person, die es anging, ins Gesichte vorgelesen wurde. 18. Frage. Was faͤllet der Herr Candidat fuͤr ein Ur- theil von quodlibetischen Gedichten; und wo sind solche am besten anzubringen? Antwort. Ein Quodlibet ist entweder eine Mischung vieler Historiettgen, da also niemand das Ge- dichte recht verstehet, als wem die Geschichten bekannt fuͤr einen Froschmaͤusler. bekannt sind; oder es ist ein Mischmasch aben- theuerlicher verstaͤndlicher Begebenheiten, wenn man z. E. beschreiben will, wie toll es in der Welt zugehe; oder endlich ein Mischmasch verwirrter Phoͤbus-Ausdruͤcke und Galima- thias. Die erste Art wird fuͤr satyrisch, die andere fuͤr zeitvertreibend, die letzte Art fuͤr naͤrrisch gehalten. Jn allen Arten brauchet man gemeiniglich das Hans-Sachsen-Genus, oder da lauter weibliche Reime sind, da sich immer zwey und zwey unmittelbar auf einan- der reimen, als: 1) Probe eines verdeckten Quodlibets, da- zu der Schluͤssel derer angebrachten Historiet- ten fehlt: Ja freylich! wenns nur ein Paar Schuh, und nicht ein mehrers, kostet: So waͤr bey Jungfer Marcipill mein Eisen nicht ver- rostet. Du guter Stax! betreug dich nicht! du wolltest Pfirs- ken langen. Hans findet eine taube Nuß, der Kern ist ihr entgan- gen. Du alter Besen fegst nicht mehr, geh, geh nur, du Runkunkel; Still, still; die Mutter sieht es nicht; der Mond scheint, es ist dunkel. Ey seht mir doch die Großmuth an, der schenket mir sechs Dreyer! Nun ja, wo nicht gar den Hans Wurst, der waͤr ein bessrer Freyer. 2) Probe eines zeitvertreibenden Quodli- bets, das jeder verstehen kann: G 2 Jhr Dreyßig Fragestuͤcke Jhr Junggesellen, hoͤrt mich an: Greift nicht nach tauben Nuͤssen! Die Dorgen laͤßt sich vom Galan bereits auf Abschlag kuͤssen. Die Fieckgen thut so zipperlich, als haͤtt sie nie gena- schet; Ey, ey, die Jungfer Fiedlemich hab ich beym Knecht erhaschet. Geh weg, du alter Ehe-Geck, ich mag nicht deine Possen! Mein alter Graubart ist gewiß mit Hasen-Schrot ge- schossen. Jch bin ein junges muntres Weib, und habe keine Kinder, Macht mir doch einen Zeitvertreib. Pack dich, du ar- mer Suͤnder! 3) Probe eines verwirrten Quodlibets, daraus kein Teufel den Zusammenhang der Gedanken errathen kann: Potz Pliederwitz! Du Geckelmann! Ey Jungfer Marcipille! Wie theuer kostet euer Latz? Was macht die mit der Spille? Geh, Gretschelfuß! Mein Herr, mit Gunst! ey schaut mir doch den Affen! Hans Wurst, vergreif dich nicht an mir; ich weise dich zum Pfaffen. Du, altes Leder! taugst nicht mehr zu Schuhen oder Struͤmpfen. Der Wenzel sticht; mein kleiner schlaͤft; leiht mir von euren Truͤmpfen. Da stehet nun der alte Gaul! Frau, dein Mann ist marode. Vor Liebe stirbt ein Jungfer-Ding. Sing, Liesgen, eine Ode. 19. Fra- fuͤr einen Froschmaͤusler. 19. Frage. Was sind des Herrn Candidatens Gedanken von Teller-Reimen, oder da man einen Reim unter einen Teller schreibet, und alle die Reihe herum so lange fortreimen, bis kein Reim mehr darauf zu erfinden ist? Antwort. Jch ziehe solche Lust weit allen Helden-Liedern vor. Denn es kommt Zeug zusammen, da alle Schmiede-Hammer E. loͤblichen Froschmaͤus- ler-Gesellschaft nicht zureichen wuͤrden, solche Gedanken alle zusammen zu loͤten. Es muß aber jedem ein eigner Reim aufgegeben, und solche hernach zusammen abgelesen werden: So kommen oft recht poßirliche Einfaͤlle zusammen. Z. E. der Teller-Reim sey: Freyer. Ausfuͤhrung durch alle erfindliche Reime: Jch glaub es selbst, die Dorilis haͤtt gerne einen Freyer. Der guten Fieckgen ihr Galan hat mehr nicht, als zwey Eyer. Ey! hoͤrt mir doch den Pfaffen an, das ist ein rechter Schreyer! Fuͤr Liesgens ganze Jungferschaft gaͤb ich nicht einen Dreyer. Die Weiber werden itzt wohlfeil, die Jungfern aber theuer. Charmirt denn unser Witwigen sogar auch unterm Schleyer: Jch geh, mein Braͤutel, auf dich los, als wie ein Falk und Reiher. Steht euch, mein Herr, das Weib nicht an, geht, ap- pellirt nach Speyer. G 3 Da Dreyßig Fragestuͤcke Da geht ein alter Hahnrey hin; so hole mich der Geyer. Braucht ihr etwa ein frisches Pferd: So geht zum Pferde- Leiher. Es war ein großer Doctor einst, der hiesse Doctor Meyer. Ein Geizhals denkt nur an das Geld und sein Korn in der Scheuer. Heut aͤß ich gerne einen Hecht, holt ihn aus jenem Weyher. Mein Herr! nur noch acht Groschen her, sonst thu ichs nicht, verzeih er. Es schmeckt ein alter rheinscher Wein wol besser, als ein neuer. Jch kenn ein artlich Dingelgen, ihr Vater hiesse Beyer. Du bist mir auch der rechte Kauz, Damon bleibt mir getreuer. Vorm Jahre golt die Jungferschaft, wie viel gilt sie denn hener: Mein altes garstig runzlich Weib spielt ihre alte Leyer. Der geht im Degen recht galant, und ist doch nur ein Braͤuer. Gewiß, ich haͤtt es nicht gedacht, Claringen hat viel Feuer. Was wett ich, Jungfer Liebeskind thut mirs fuͤr einen Zweyer! Jhr schicket euch auf jedes Pferd, mir aber wirds viel saͤuer. 20. Frage. Geben nicht auch die Losungs-Reime eine besondere Kurzweil ab; und verstehet der Herr Candidat, was wir dadurch meynen? Antwort. Meines Behalts nimmt man ein poetisches Spruch-Kaͤstgen, in dessen ersten Fache die Manns- fuͤr einen Froschmaͤusler. Mannsperson oder das Frauenzimmer einen Vers herausziehet, darauf stehet, von was Stan- de die Liebste oder der Liebste seyn werde, ob von adlichem, buͤrgerlichem oder Bauern-Stande? Aus dem andern Fache: Wie alt? Ob er ein Junggesell oder Witwer, und ob man eine Jung- fer, Witwe oder Hure bekommen werde. Jm dritten Fache stehen Reime: Ob die Liebste oder der Liebste werde schoͤn oder garstig aussehen? Jm vierten: Ob das Geliebte werde reich oder arm feyn? Jm fuͤnften: Ob es geschlanken Leibes, oder puckligt, mit einer Kruͤcke, mit ei- nem abgeschossenen Beine, ohne Nase, und oh- ne sonst was seyn? Jm sechsten Fache: Von was Gemuͤths-Eigenschaft? Ob das Geliebte ehrgeizig, geldgeizig, oder wolluͤstig seyn werde? Ob es werde extra gehen? Ob es sich im Ehe- stande tapfer halten werde, oder nicht? Ob Kinder werden kommen, oder einer ein Hahnrey werden? Jm siebenten Fache: Wie das Ge- liebte mit dem Vornamen heissen werde? Jm achten Fache: Mit welchem Buchstaben sich der Geliebten Geschlechts-Name anheben wer- de? Wenn nun viele in der Gesellschaft sind, und einer aufschreibt, was in jedem Fache ein jedes gezogen, koͤmmt oft ein poßirlich Progno- sticon heraus. Z. E. einer zog durch alle acht Faͤcher folgende Reime: 1 Bey einem Jaͤger werd ich einst mein Lieb ausspuͤ- ren; Nur gut, ich bins gewohnt, in Wald und Thal zu gehn; G 4 Auch Dreyßig Fragestuͤcke Auch werd ich ihre Hand zu meiner Buͤchse fuͤhren, Und sagen: Liebes Kind, dir soll kein Leid geschehn, Die Kugeln sollen bloß vorm Loche liegen bleiben, Jch will in deiner Fluhr mir schon die Zeit ver- treiben. 2 Auf eine Jungfer hatt ich mich zwar sehr gespitzt, Doch ihre Jungferschaft ist ziemlich abgenuͤtzt; Das Schicksal winket mir, ich solle mich nicht graͤ- men, Und lieber eine Hur, als Mode-Jungfer, nehmen. 3 Ein haͤßlich Raben-Aas soll ich ins Ehbett fuͤhren, Und mir, man denke nur, noch disfalls gratuliren. 4 Mein Weib wird einst nicht reich, vielmehr so blut- arm seyn, Daß ich mich fast besinn, ob ich sie wolle freyn. 5 Ey was? ein puckligt Weib? Doch, hat sie so viel Thaler, Als wie ihr Puckel wiegt: So mache ich sie kahler. 6 Ein Brandtwein-Bluͤhmgen ist mir einst zur Eh bestimmt, Wofern ich dieses weiß, ein Schelm, der solche nimmt. 7 Ein Urselgen soll mich einst Schatz und Liebsten nennen, Komm, liebes Urselgen, ich wuͤnsche dich zu kennen. 8 Vom X nennt sich mein Weib: So heißt sie wol Xantippe; Wenn sie nun nach mir schmeißt, kriech ich in eine Klippe. Jch halte dafuͤr, daß die meisten von diesen Rei- men nach froschmaͤuslerischem Geschmacke, das ist, fein saftig und zweydeutig eingerichtet, mithin sehr wohl gesetzet sind. 21. Frage. Wie sind die Leber-Reime am besten einzu- richten, weil zumal mancher druͤber lange schwitzt, fuͤr einen Froschmaͤusler. schwitzt, ehe er deren etliche zu Markte bringen kann? Antwort. Der gewoͤhnliche Schlendrian von Leber-Rei- men ist dieser, daß man den ersten Vers also anfaͤngt: Die Leber ist vom Hecht; hierauf macht man einen Gegensatz von andrer Thiere Lebern, es sey nun vierfuͤßiger oder kriechender Thiere, oder Gevoͤgel. Alsdenn reimt man was drauf, so ist der Leber-Reim fix. Zur Probe will ich etliche Dutzend Leber-Reime fuͤr die Ungeuͤbten hersetzen, daß sie einige Modelle haben, als: 1 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einem Kater: Sagt mir, Herr Nachbar, doch, seyd ihr zum Kinde Vater: 2 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einem Hum- mer: Der Erden Phoͤbus wacht, der meine liegt im Schlummer. Oder auch: 3 Es macht der Liebes-Gott manchem sehr vielen Kummer. 4 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einer Otter: Ein Leipzger Maͤdgen ist das Gelbe in dem Dotter. 5 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einem Geyer: Mein liebes Dorigen, nehm sie mich doch zum Freyer. 6 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einer Katze: Jch stehle keinen Kuß, daß Fieckgen mich nicht kratze. Oder auch: 7 Herr Nachbar! seine Faust gleicht einer Baͤren- Tatze. Oder: 8 Ein Maͤulgen gebe ich itzt meinem Ehe- Schatze. G 5 Oder: Dreyßig Fragestuͤcke Oder: 9 Jm Sommer brauch ich gern ein Maͤdgen zur Ma- dratze. 10 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einem Finken: Herr Nachbar, bring ers zu, ich moͤgte gerne trin- ken. Oder: 11 Ein Pfal im Fleische haͤlt gar oftermals vier Schinken. 12 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einem Heng- ste: Es prahlet mancher gern, sein Degen sey der laͤngste. 13 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einer Gans: Wie manche kaufte sich gern einen Jungfer- Kranz. Oder: 14 Stax schlendert wie ein Hund mit einem kurzen Schwanz. 15 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einem Schwein: Die Maͤdgen halten sich am Obertheile rein. Oder: 16 Mein angenehmes Kind! ich bin nunmehro dein. Oder: 17 Ach! duͤrft ich, Dorilis, dein Oberbette seyn! 18 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einem Staar: Viel Jungfern sind verliebt, das ist gewißlich wahr. Oder: 19 Die Jungferschaft ist itzt bey pfluͤcken Maͤdgen rar. Oder: 20 Nicht wahr, ich werde noch mit dir, mein Kind, ein Paar. Oder: 21 An alten Weibern ist wol schwerlich ein gut Haar. 22 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einer Katz: Mit Gunst, ich gebe ihr, Frau Nachbarn, einen Schmatz. 23 Die Leber ist vom Hecht, und nicht vom Wiedehopf: Jch denke, wie ich itzt mir meinen Magen stopf. 24 fuͤr einen Froschmaͤusler. 24 Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einer Schmerl: Ein schoͤnes Weib gilt mehr, als wie die schoͤnste Perl. 22. Frage. Es giebet auch Raͤthsel-Reime, wie sind sol- che auf gut froschmaͤuslerisch einzurichten? Antwort. Sie muͤssen fein zweydeutig gesetzet werden, daß man sie allemal auch aufs Liebes-Spiel, und die dazu gehoͤrige Haupt-Theile, deuten kann. Z. E. ein halb Dutzend Raͤthsel zur Probe: 1 Unten rund, und oben spitz, Jn der Mitte hat es einen Ritz. Jst ein Kirch-Thurm, der in der Mitte ein Kaploch, oder Fenstergen, hat. 2 Rath, rath: Es siehet ringsrum rauch, Und hat ein Loch, das sehr im Brauch. Jst eine Parucke. 3 Oben rauch, und unten rauch, Jn der Mitte laͤuft der Saft heraus. Jst ein solches Auge, das starke Haar- Wimpern hat. 4 Von Bergen steigt man in das Thal, Der Weg zum Pfoͤrtgen ist gar schmal. Jst eine Vestung mit einem Einlaß- Pfoͤrtgen. 5 Vier Schinken an einem Stiel Machen das beste Spiel. Jst Spadille und noch vier Matadors, als Manille, Pasta, Ponto, Roy. 6 Es will gar oft gedrucket seyn, Sonst dringt der Stempel nicht hinein. Jst eine Presse, Formen abzudrucken. 23. Frage. Dreyßig Fragestuͤcke 23. Frage. Wie sind die heute zu Tage uͤblichen Devisen nach den Regeln der Hans-Sachsen- und kriechenden Poesie am fuͤglichsten einzu- richten? Antwort. Es wird ein Zettelgen mit einem Paar deut- schen oder franzoͤsischen Reimen in ein Gebacke- nes von Kraft-Mehl verstecket, das unterschie- dene Figuren vorstellet, z. E. einer Thee-Tasse, Pflaume, Pfirschken-Kerns, Stiefels, Schu- hes, Birn, Apfels, Kirsche, und was die De- visen-Becker alles angeben. Damit es nun was zu lachen gebe, muͤssen die Devisen fein leichtfertig, zweydeutig, oder auch stachlicht eingerichtet seyn: So heissen es froschmaͤusle- rische Devisen. Sind sie aber so trocken weg, daß kein Witz dahinter steckt: So heissen es Hans-Sachsen-Devisen. Z. E. I. Probe von froschmaͤuslerischen, zwey- deutigen und stachlichten Devisen, als: 1 Jch spitze mich auf einen Mann, Weil ich es nicht erwarten kann. 2 Jch freye bloß des Geldes wegen, Jch weiß das Geld schon anzulegen. 3 Jch halte, glaubt mirs, viel von Voͤgeln, Von Reiten, Fechten, Schacht und Segeln. 4 Von Huͤgeln steig ich gern ins Thal, Wenn gleich der Fußsteg ziemlich schmal. 5 Jch liebe mehr nicht, als nur eine, Doch frag ich, hat sie eine reine, Jch meyne Liebe, gegen mich: 6 Jch fuͤr einen Froschmaͤusler. 6 Jch treffe in das Schwarze gern, Jch schieß vorm Dorf, und in die Fern. II. Probe von einem halben Dutzend Hans- Sachsen-Devisen, als: 1 Erkenne doch die Liebe mein, Und raͤume mir dein Herzgen ein. 2 Mein herzallerliebstes Maͤdgen, Frage nicht, ob ich was kann: Ach! bey deinen weissen Waͤdgen Koͤmmt mir flugs ein Luͤstgen an. 3 Grieta, allerliebstes Schaͤtzle, Du laͤßt mir gar keine Ruh, Hat dein Herze nicht ein Plaͤtzle Jrgend als wie zwey Paar Schuh: Je, so laß mich auf der Spitze Nur ein wing darnieder sitze. 4 Lisettgen, nimm doch mich, Denn einzig lieb ich dich. Jch schwoͤr bey meiner Meesen-Pfeife Jch will an keiner mich vergreife. 5 Ein Gruͤbgen im Backen, Ein Schelmgen im Nacken, Von Herzen getren, Es bleibe dabey. 6 Gib, Kind, mir entweder deine, Deine Liebe, die ich meyne, Oder ich mag sonsten keine. 24. Frage. Was haͤlt der Herr Candidat von Gesund- heits- oder Trink-Reimen, wie sind solche auf gut froschmaͤuslerisch abzufassen? Antwort. Wenn einem ein Glas Wein zugebracht wird, daß, indem der andre einem den Pocal-Deckel uͤberreichet, und den Pocal indeß austrinkt, man sich Dreyßig Fragestuͤcke sich auf einen Vers gefaßt halten muß; ist es gut, daß man zum voraus auf einige Reime stu- dire, weil sie einem sonst nicht flugs einfallen moͤgten. Die neuen Poeten aber verlangen, daß man aus dem Stegereif reimen, und wol noch dazu in der Jnwention, darinn der Nach- bar angefangen, die Gesundheit weiter fortbrin- gen solle. Aber da moͤgte es bey manchem ha- pern, daß er sich lange besinnen muͤßte. Dar- um reime er, so gut er kann, als: 1 Jch darfs nicht vor den andern wagen, Sonst wollt ich dir, mein Kind, was sagen. 2 Jch liebe eine Brunette, Ausgenommen eine Coquette. 3 Wofern der Tod mein Weib hinrafft, Kauf ich mir eine Jungferschaft. 4 Von Kuͤssen eil ich gern aufs Kissen, Jch halte nichts von tauben Nuͤssen. 5 Ein jung Weib und ein treuer Freund, Nebst Geld und Gut, mir lieblich scheint. 6 Es lebe der Wirth mit seinem Gemahl, Jch schmause drauf los, weil ich nichts bezahl. 25. Frage. Koͤnnen nicht auch die Studenten- und an- dere Chemper-Liedgen auf gut froschmaͤus- lerisch eingerichtet werden? Antwort. Ach ja! die meisten Chemper-Lieder sind mit Hans-Sachsen-Reimen und kriechenden Ein- faͤllen ausgespickt, z. E. das Studenten-Liedgen: Das ist ein brav Student, Der alles recht erkennt, Was eitel, was eitel; Hat er kein Geld im Beutel: So fuͤr einen Froschmaͤusler. So hat er doch ein Herz, Das achtet allen Schmerz Fuͤr eitel, fuͤr eitel. Unter andern kommt folgende vollkommen frosch- maͤuslerische oder schlammigte Passage in sol- chem Liedgen vor: Denn bringt er auf die Bahn Den großen Dulcian, Und spielet, und spielet, Bis sie den Kuͤtzel fuͤhlet; Er sitzt im Sattel vest, Und stoͤhret in das Nest, Er zielet, er zielet. Die E. Froschmaͤusler-Gesellschaft besitzet eine wichtige Sammlung von aufgekauften Chem- per-Liedern, die auf oͤffentlichen Maͤrkten und in Winkel-Laͤden bey kleinen Buͤcher-Kraͤmern verkauft werden, welche als nuͤtzliche Modelle, die Reimschmiede-Kunst und kriechende Poesie mehr zu perfectioniren, koͤnnen gebrauchet werden. 26. Frage. Was verstehet der Herr Candidat durch die Kyauische, oder lorkende, und Borkes- Poesie? Antwort. Es wird erzehlet, daß der aufgeweckte ehe- malige Graf Kyau einsmals in Vorschlag ge- bracht, eine Praͤmie darauf zu setzen, wer den allerzotigsten Vers herausbringen koͤnne; da er denn alle andre herunter certiret, und den Preis bekommen, weil er also gereimet: Zwischen dem A .. und der V .. ist ein Damm, Jn Dreyßig Fragestuͤcke Jn beyden stecket vieler Schlamm: Sollte nun dieser Damm zerreissen, Wie wuͤrde der A .. die V .. besch ... : Ein andermal hat eben dieser Herr von Kyau also den hoͤchstseligen Koͤnig bey einer gewissen Tour angeredet: Gegruͤßet seyst du, Landes-Gott, Jetzt treten herein mit Schimpf und Spott Ein Narr, eine Hure und ein Hundsfot. Eine dergleiche Art zu reimen aber, sonderlich die erste saftige, ist die hoͤchste Stuffe der Grob- schmieds- und Mistkaͤferischen Poesie. (S. anderes Probestuͤck, § 14.) Sie heisset auch die lorkende Poesie; denn, wenn einer mit der sogenannten Sau-Glocke laͤutet: So sagt man: Der kann recht lorken! Wie man auch ein Mast-Schweingen maͤnnlichen Geschlechts pfle- get einen Bork zu nennen: Also ist die Borkes- Poesie so viel als ein Mischmasch lauter Zo- ten, die denen zuͤchtigen Ohren als unflaͤtig vor- kommen, jedoch genug Liebhaber bey gewissen Personen vom Stande und dem Poͤbel finden. Weil auch einer unserer staͤrksten Gegner der Brockes in Hamburg ist: So ist, mit einer kleinen Versetzung der Buchstaben, die Bor- kes-Poesie der Poesie eines Brockes gerade ent- gegen gesetzet; indem diese zwar auch in viel Ge- heimnisse der Natur dringet; aber die Bor- kes-Poesie wuͤhlet im Schlamme und heimli- chen Gemaͤchern. Man pfleget auch endlich zu sagen: Das war eine rechte Grumpe! das war eine derbe Broke! also koͤnnte man hier- nach fuͤr einen Froschmaͤusler. nach der lorkenden Poesie auch andre Beyna- men geben. Doch heisset sie, zur Ehre des Erfinders, die Kyauische, sonderlich, weil er den Preis ehedem davon getragen, daß er in hoc genere carminum die andern Reim- Schmiede und Poeten uͤbertroffen habe. Wir uͤberlassen aber unsern poetischen Mist-Kaͤfern und Grob-Schmieden, sich in der Kuͤhsaui- schen oder Kyauischen Borkes-Poesie hervor- zuthun. 27. Frage. Was verstehet der Herr Candidat wol durch den poetischen Koller? Antwort. Es ist eine Spruͤchworts-Rede, wenn man saget: Der hat den Koller! Man sagt es ei- gentlich von Pferden. Ein kollrigt Pferd ist entweder sonnenstutzig, daß es toll wird, wenn es stark von der Sonnen-Hitze, oder in heissen Tagen von den Stech-Fliegen gestochen wird; oder es ist stoͤckisch, und bleibt eine Weile auf einem Flecke stehen, man mag es spornen wie man will, ehe man sichs aber versiehet, reißt es mit einem aus, und hebt einen aus dem Sattel; oder endlich ist es scheu, daß es sich vor jedem rauschenden Blatte und am Wege liegenden Steinhaufen ꝛc. entsetzet, da ihm der Koller ankoͤmmt, daß es entweder einen weiten Satz auf die Seite thut, oder sich mit einem im Kreise herum tummelt, daß man schwindlich werden moͤgte. Nach diesen drey Arten des Pferde- H Kollers Dreyßig Fragestuͤcke Kollers kann man auch den poetischen Koller in drey Haupt-Classen eintheilen. Es giebt 1) sonnenstutzige Poeten, die in denen Hunds- tagen zu reimen am aufgelegtesten sind; 2) stoͤk- kische, oder tuckmaͤuserische, die sich mit ihrer Poesie eher nicht herauswagen, bis sie den rech- ten Mann, der sie reizet, vor sich sehen. Zu andrer Zeit wuͤrden sie sich poetische Schnipgen schlagen lassen. Aber, wenn man ihr empfind- lich Puͤnktgen trifft, kriegen sie den Koller. 3) Die lichtscheuen Poeten heissen bey unsern Gegnern Pasquillanten, weil sie mit ihren mas- siven Auflagen so in den Tag hinein kollern, daß, wenn es nach der Zeit herausgekommen, mancher solcher kollernden Poeten auf den Ve- stungs-Bau, oder in ein Tollhaus, gebracht worden. Jch kenne einen guten Freund, der das Malheur hatte, faͤlschlich fuͤr einen melan- cholischen Kopf ausgeschryen, und ohne die geringste Untersuchung in ein dergleichen Haus gebracht zu werden. Es diente ihm aber dazu, daß er alldort viele kollernde Poeten kennen lernte, uͤber deren kollrigte Einfaͤlle er manch- mal herzlich lachen muͤssen. Unsere Gegner, die großen Dichter, gerathen manchmal in ein sol- ches poetisches Feuer, das vom poetischen Kol- ler nur ein Haar breit entfernet ist. Jch be- halte mir vor, mit der Zeit den andern Theil dieses ganzen Werkes herauszugeben, dessen Ti- tel seyn duͤrfte: Aehnlichkeit vieler Stellen in den groͤßten Poeten voriger und jetziger Zeit fuͤr einen Froschmaͤusler. Zeit, mit den Regeln der Reimschmiede-Kunst und kriechenden Poesie. Voritzo aber will nur soviel sagen: Exempla sunt odiosa! 28. Frage. Gerathen nicht auch die Froschmaͤusler-Poe- ten zuweilen so gut in eine Ecstasin poëticam und Enthusiasmum poëticum, oder poeti- sche Entzuͤckung, als wie ihre Gegner; und wie differirt die poetische Enthusiaste- rey vom poetischen Koller? Antwort. Die poetischen Traͤumer, wenn sie wachend solche Dinge dichten, die einem kaum im Trau- me einkommen, oder wenn sie solche Traͤume in Reime zwingen, davon man ganz deutlich mer- ken kann, daß es ihnen nur so getraͤumet, schrei- ben ordentlich in Ecstasi poëtica. Sie sind auf den Helicon und Parnaß entzuͤckt gewesen, wo ihnen der Hypocrenen-Saft in den Kopf gestiegen, und der Goͤtter-Trank des Apollo mit seinen neun Musen sie trunken gemacht. Jn der poetischen Entzuͤckung pflegt man auch wol, weil ein anderer Affect, z. E. der Traurig- keit, praͤdominiret, die liebsten Schooß-Kinder uͤbel anzulassen. So ist ja die Poesie ein Mi- gnon der Poeten; und doch schrieb jene poeti- sche Feder in einem gewissen Trauer-Gedichte: Verwuͤnschte Dichter-Kunst! Verhaßte Poesie! Das arme Schooß-Kind, die Poesie, sahe ihre Mutter mit Bestuͤrzung uͤber diesen Ausdruck H 2 an; Dreyßig Fragestuͤcke an; befand aber, daß solche in einer poetischen Entzuͤckung lag, und eben in solcher ihres lie- ben Schooß-Kindes vergessen, ja solches ver- wuͤnschet hatte. Wenn man die ehemalige Promotions-Gedichte des Leipziger Professors Ernesti aus dem Lateinischen in deutsche Verse uͤbersetzte, wo er eines jeden Lebenslauf zugleich in die Ausfuͤhrung eines moralischen Thematis mit hineinbrachte, wuͤrde man sehen, daß solche groͤßtentheils in einem Enthusiasmo poëtico geschrieben worden. Z. E. er gratulirte einem neugebackenen Magister, und wollte mit beruͤh- ren, daß er bey dem sel. D. Pfeiffer Collegia gehoͤrt; sein Haupt-Thema aber war, die vie- lerley Arten des Kreuzes in der Welt zu be- schreiben: So schmiedete er beydes also zusam- men: Pfeiffero magno dorsi incuruatio crux est. Dem großen Pfeiffer ist sein Puckel auch ein Kreuz. Haͤtte es ein anderer geschrieben, wuͤrde man es fuͤr eine Raillerie, daß der ehrliche Mann sehr klein und stark ausgewachsen gewesen, ange- nommen haben; aber von dem Professore poë- seos wußte man schon, daß es ihm nur zu thun war, es mit hinein zu bringen, daß der Candi- dat bey D. Pfeiffern hauptsaͤchlich Collegia ge- hoͤrt habe. Die poetische Enthusiasterey ist von dem poetischen Koller eben so unterschieden, als zwey widerwaͤrtige Affecten. Laͤuft es auf hoͤchst- getrie- fuͤr einen Froschmaͤusler. getriebene anmuthige Fantaseyen hinaus: So hat der Poete in ecstasi oder Entzuͤckung gele- gen. Faͤngt er aber an zu strampeln, zu schnau- ben, zu toben, und treibet die Ausdruͤckungen unangenehmer Empfindungen aufs hoͤchste: So saget man, er habe den poetischen Koller gehabt. 29. Frage. Sind nicht die froschmaͤuslerischen Abend- Staͤndgen eine Mischung der poetischen Entzuͤckung und des poetischen Kollers? Antwort. Es scheinet beym ersten Anblicke sehr schwer, ja ohnmoͤglich zu seyn, daß zwey so widerwaͤrti- ge Affecten, als die Entzuͤckung und der Kol- ler, sollten zugleich Statt finden. Aber weil in solchen Faͤllen eine Mischung des Angenehmen und Unangenehmen oͤfters bey dem ist, der das Staͤndgen bringet; indem es ihm angenehm, wenn er seine Schoͤne am Fenster siehet; unan- genehm, daß er nicht in ihrer Schlaf-Kammer ist: So lassen sich also in solchen Faͤllen die poe- tische Entzuͤckung und der poetische Koller ganz wohl zusammen reimen. Ja eines bietet dem andern die Hand. Denn wenn dem Amanten der Koller einkoͤmmt, daß er nicht bey seiner Schoͤne im Bette seyn kann: So macht er sich, wenn solches geschaͤhe, zum voraus die suͤßesten Vorstellungen, und geraͤth also in eine poetische Entzuͤckung. Erholt er sich aber daraus, und uͤberlegt, daß die kleine Gefaͤlligkeit, da seine H 3 Schoͤne Dreyßig Fragestuͤcke Schoͤne sich aus dem Bette bemuͤhet, und an das Fenster getreten, nicht so viel Thaler werth sey, als das Staͤndgen gekostet; oder aber er wird gar gewahr, daß sie entweder sein Staͤnd- gen im Schlafe nicht hoͤret, also er es ihr ver- gebens wuͤrde gebracht haben; oder wo sie es auch hoͤret, dennoch es ihm verdrießlich faͤllt, wenn sie so commode ist, im Bette liegen zu bleiben, und ihn vorm Fenster passen zu lassen: So kann sich natuͤrlicher Weise seine vorherige Entzuͤckung in einen Koller verwandeln, daß er mit den Jnstrumenten zu rasen anfaͤngt, um sie aus dem Schlafe zu erwecken, oder ihr durch den Jnstrumenten-Laut zu verstehen zu geben, sie solle sich am Fenster praͤsentiren. 30. Frage. Was heisset wol endlich die poetische Schlaf- sucht und Ohnmacht? Antwort. Wenn der Poete von gar vielen Reimen so matt und entkraͤftet ist, daß man aus seinen Ver- sen errathen kann, er sey daruͤber eingeschlafen, oder habe andre mit seiner Poesie eingeschlaͤfert: So ruͤhret solches von einer poetischen Schlaf- sucht her. Wenn aber der kriechende Poete alle seine Pfeile gegen seinen Gegner verschossen, und dennoch solcher ihm das Feld noch nicht raͤumen will, sondern so trotzig ist, ihm seinen poetischen Helm, darauf er sich verließ, zu neh- men, und ganz darnieder zu legen, oder in die Flucht zu schlagen, daß er aus dem Athem koͤmmt, wenn fuͤr einen Froschmaͤusler. wenn er weiter in Reimen mit seinem zu starken Gegner anbinden wollte: So versinket er ganz natuͤrlicher Weise in eine Ohnmacht, und man sagt: Er habe sich nun ganz verschossen! Fuͤnftes Probestuͤck eines Candidaten der Froschmaͤusler- Gesellschaft. Bestehend in einem buͤndigen Erweise des hohen Vorzugs der Reimschmiede-Kunst und kriechenden Poesie vor der sogenann- ten natuͤrlichen, maͤnnlichen und erhabe- nen Dichterey. § 1. Auf einen unbekannten Feind loszuge- hen, moͤgte unhoͤflich und gefaͤhrlich seyn. Man muß billig erst seinen Gegner kennen, ehe man ihn anpacket. Wollte man blindlings drauf los stechen, ohne zu untersuchen, ob derjenige, den man vor sich habe, Freund oder Feind sey: So koͤnnte es einem gehen, wie jenem unvor- sichtigen Liebhaber. Der wollte seine Schoͤne, von Halle aus, zu Merseburg besuchen. Die- se war indessen, nebst ihrem Bruder und Vet- ter, auf eine Kirmiß gefahren. Da hatte sich ihr Bruder einen Rausch getrunken, und der Kutscher war auch besoffen, daß er ohnweit Skopa nahe am Wasser umwirft, daruͤber der Schoͤnen Bruder so en rage koͤmmt, daß er den Kutscher toͤdtlich verwundet. Die Schoͤne eilet H 4 in Vorzug der kriechenden Poesie in fliegenden Haaren bey dunklem Mondscheine zu Fuße nach Hause. Jhr Amant weiß nicht, daß sie es ist; sondern, weil ihm der Trunk und der Mond die Augen blenden, siehet ers fuͤr ein spuͤckend Gespenst an, und loͤset, ohnweit dem Gelender, wo es so abschuͤfrig hinunter gehet, eine Pistol auf sie. Zu gutem Gluͤcke streift ihr die Kugel beym Kopfe vorbey, und er erkennt sie an der Stimme. So koͤnnte mirs auch gehen, wenn ich meine poetische Gegner in der Furie flugs angreifen, und nicht erst die Streit-Punk- te, nebst den Kampf-Gesetzen des vorhabenden Turniers mit meinen Gegnern ohne Bitterkeit abreden wollte. Es soll auch hier heissen: Der Person Freund, und der Sache Feind. Jch nehme auf mich, die Reimschmiede und kriechen- de Poeten zu vertheidigen. Wer hierinn nicht mit mir ist, der ist wider mich. § 2. Was ist denn nun wol die neue so be- rufene natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Dichtkunst? Es gehet mir beynahe so, wie vor zehn Jahren dem Wittenbergischen Professori eloquentiae, Rath Kromeyer. Der hatte des damaligen Haͤllischen Professors der deut- schen Redner-Kunst, D. Johann Ernst Phi- lippi, Jnaugural-Programma von der heroi- schen Beredsamkeit zu Gesichte bekommen, und schrieb nach der Zeit an diesen Haͤllischen Red- ner: Er moͤgte ihm doch sagen, was die heroi- sche Beredsamkeit fuͤr Regeln habe; er sey nun wol dreyßig Jahre Professor eloquentiae, und habe vor der erhabenen Dichterey. habe noch nie hinter die eloquentiam heroicam, so sich an keine Regeln binde, kommen koͤnnen. Dieser verwiese ihn auf die Aufloͤsung der Ge- danken in denjenigen Reden, die fuͤr Meister- stuͤcke einer heroischen Beredsamkeit paßirten. Er gab selbst nach der Zeit sechs deutsche Reden heraus, und setzte auf das Titel-Blatt: Nach den Regeln einer natuͤrlichen, maͤnnlichen und heroischen Beredsamkeit ausgearbeitet. Das war Wasser auf die Muͤhle der Gesellschaft der kleinen Geister, die diesen Haͤllischen Redner in der Lob-Rede: Briontes der Juͤngere, ar- tig herum nahmen. Als dieser hernach seinen Cicero Windbeutel, samt einem Anhange von acht Vertheidigungs-Schriften gegen so viel Scarteken herausgab, erklaͤrte er sich wol etwas in der Schutz-Schrift: Gleiche Bruͤder, gleiche Kappen, was er durch die natuͤrliche, maͤnnliche und heroische Beredsamkeit ver- stuͤnde; er behielt sich aber vor, mit der Zeit sei- ne eigene Grund-Saͤtze davon ans Licht zu stellen, welches aber zur Zeit nicht geschehen. Vielmehr ist die ehemals angelegte neue Pro- fessur in der deutschen Beredsamkeit mit ihm gleichsam gebohren und gestorben. Auch hat dieser ehemalige Hallische Redner so ausseror- dentliche Stuͤrme eines widrigen Gluͤcks nach der Zeit ausgestanden, daß er nicht Zeit gehabt, an die Edirung seiner versprochenen Grund-Saͤtze einer natuͤrlichen, maͤnnlichen und heroischen Beredsamkeit zu gedenken. Ja, ohnerachtet H 5 derselbe Vorzug der kriechenden Poesie derselbe nunmehro seinem Advocaten-Metier wieder nachgehet, und anbey Secretair E. Loͤbl. Froschmaͤusler-Gesellschaft ist, mithin ich, als ein Candidate derselben, nichts zu seiner Verun- glimpfung beytragen werde, wird er doch selbst nicht in Abrede seyn, daß, wer den Zusammen- hang seiner erlebten Fatalitaͤten nicht weiß, sich von ihm ein seltsam Portrait mache, wo nicht gar sein Name manchem verhaßt vorkoͤmmt. Da nun aber obgenannter Haͤllische Redner den Ausdruck von einer natuͤrlichen, maͤnnli- chen und heroischen Beredsamkeit am meisten, wo nicht am ersten, gebraucht hat; dieser aber noch unter die neuen Redner gehoͤrt, die denen alten den Rang nicht streitig machen koͤnnen: So erhellet schon hieraus der Vorzug der alten Reimschmiede-Kunst und uralten kriechenden Poesie vor denen so neuen Woͤrtern einer na- tuͤrlichen, maͤnnlichen und erhabenen Dich- terey. § 3. Ja, wenn es nicht ungewoͤhnlich, daß man eine an sich gute Distinction alsdenn ver- wirft, wenn der Name dessen, der sie aufs Ta- pet gebracht, oder sich deren am meisten bedie- net, verhaßt wird: So darf ich nicht mich weiter erst herauslassen, warum, bey angefuͤhr- ten Umstaͤnden, die Distinction unter einer na- tuͤrlichen, maͤnnlichen und heroischen Poesie eine Sache sey, die sich kurzum fuͤr unsere Geg- ner nicht schicke, sich deren zu gebrauchen. Denn der Hr. D. Philippi, der solche am meisten ehe- mals vor der erhabenen Dichterey. mals als ein Haͤllischer Redner im Munde ge- habt, ist nun auf unsere Seite getreten, und hat solche Distinction an unsre Froschmaͤusler- Gesellschaft freywillig abgetreten; folglich koͤnn- ten eher wir uns derselben bedienen. Weil wir sie aber als eine Novitaͤt in das Archiv unse- rer Gesellschaft geleget, bis mit der Zeit eine Antiquitaͤt und edle Reliquie daraus werde: So gehen also unsere Gegner in unser Gehege, wenn sie sich dieser Benennung bedienen, und ihre Dichtkunst eine natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene benamsen. § 4. Jch will einen Versuch thun, ob ich hinter die Geheimnisse kommen koͤnne, was die neuern Poeten durch eine natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Poesie verstehen. So viel die er- habene Dichterey betrifft, ist es schon aus den Worten klar, daß solche unserer kriechenden Poesie schnurgerade entgegen gesetzet sey. Denn kriechen schickt sich nicht zu dem, was erhaben ist; und dasjenige, was wirklich in die Hoͤhe steiget, das stehet nicht in der Tiefe. Also sind hier zwey Extremitaͤten, die einander aufheben. Ein erhabener Poete kann kein kriechender Dichter, und ein kriechender Dichter kann kein erhabener Poete seyn. Es sind incompatibilia, oder Dinge, die sich mit einander nicht vertra- gen, noch zusammen verbinden lassen. Noch mehr, es ist eine solche natuͤrliche Antipathie und Feindschaft zwischen erhabenen und krie- chenden Poeten, daß der kriechende sich inacht nehmen Vorzug der kriechenden Poesie nehmen muß, damit er nicht dem erhabenen un- ter den Absatz kommt, und solcher ihn, gleich ei- nem kriechenden Wuͤrmlein, wo nicht vorsetz- lich, doch wenigstens ohngefehr, zertritt. Hin- gegen ist auch der erhabene Poet nicht gesichert, daß nicht der kriechende uͤber sein Haupt hinweg, gleich gewissen Arten von Ungeziefer, kriechet. Ja, die erhabenen und kriechenden Poeten stehen gegen einander in terminis contradictoriis, oder daß einer dem andern ins Gesicht wider- spricht. Sie haben also jeder solche Grund- Begriffe, die dem andern als verkehrt und falsch vorkommen. Der erhabene Poete verwirft die Maximen eines kriechenden Poeten eben daher, weil sie aufs Niedertraͤchtige abzielen; und hin- gegen der kriechende Poet haͤlt die Regeln eines erhabenen Poeten fuͤr eine poetische Ketzerey, weil er glaubt, er muͤsse fein auf der Erde blei- ben, so koͤnne er nicht tief fallen; wer aber so hoch klettre, stehe alle Augenblicke in Gefahr, aus der Hoͤhe herab und in einen Abgrund zu fallen. Denn zwischen der Hoͤhe und aͤusser- sten Niedrigkeit eines Gedanken ist eine solche Kluft, die sich nimmer ausfuͤllen laͤsset. Ein niedertraͤchtiger Gedanke kann nimmermehr zu einem erhabenen werden; er faͤllt allezeit, wenn man ihn auch wie einen Stein in die Luft treibet, wieder nach dem Mittel-Punkte seiner Schwere zu. Der erhabene Gedanke kann nie zu einem kriechenden werden; denn durch seine Adlers-Natur schwingt er sich allezeit wie- der vor der erhabenen Dichterey. der in die Hoͤhe, wie das gedaͤmpfte Feuer, wenn es Luft bekoͤmmt. § 5. Aus dem angefuͤhrten erhellet nun so viel bereits zur Gnuͤge, daß die erhabenen und kriechenden Poeten gegen einander zwey Schlacht-Heere formiren, die stets mit einan- der zu Felde liegen, einander scharmuziren, at- taquiren und zu uͤberwaͤltigen suchen. Der er- habene Poet, wenn er ja den Kuͤrzern zoͤge, hat die freye Luft vor sich, sich immer hoͤher zu schwingen, daß ihm der kriechende poetische Wurm nicht nachkommen koͤnne. Der krie- chende Poete aber hat auch von der vorsichtigen Natur seine Frey-Staͤdte und Retirade-Oerter erhalten, naͤmlich die Fels-Loͤcher und Kluͤfte der Erden, sich dahinein, gleich einer verscheuch- ten Maus, zu verbergen. Es ist also auch an keine Union oder Frieden zwischen erhabenen und kriechenden Poeten zu gedenken. Denn bey andern Friedens-Geschaͤften geben beyde Theile nach, und lassen etwas von ihren An- spruͤchen gegen einander schwinden; oder auch, sie verwechseln die Gebiete, und tritt einer dem andern was von seinem ab, dagegen er sich in ein ihm gelegeneres Stuͤck Land des andern setzet. Aber der erhabene Poete kann so wenig von sei- nen Anspruͤchen gegen den kriechenden was fal- len lassen, als ihm auch nichts von seinem Re- vier abtreten. Es wuͤrde sonst eben so heraus kommen, als wenn die Maus mit dem Fische accordiren wollte, der Fisch solle auf der Erde, und Vorzug der kriechenden Poesie und die Maus wolle im Wasser leben. Beyder Natur leidets nicht. Wollte der kriechende Poete sich hoch versteigen: So wuͤrde er in der Luft nicht Athem holen koͤnnen, auch bald den Schwindel bekommen. Wollte hingegen der erhabene Poete anfangen zu kriechen: So wuͤr- de ihn seine Leichtigkeit bald heben, und er der dicken ausduͤnstenden Erden-Luft nicht gewohnt werden koͤnnen. Diesemnach wird jeder Leser erkennen, daß, weil ich die Partie der kriechen- den Poeten, als ihr Sachwalter und Geschaͤfts- fuͤhrer, auf mich genommen, wenn die Sache vor dem Berg-Gerichte des Apollo zum Pro- ceß kommen sollte, wir nicht alle beyde den Pro- ceß gewinnen, sondern eine Part solchen noth- wendig verspielen muͤsse. § 6. Weil ich aber noch zur Zeit meinen eigenen Mann nicht habe, wie jener Schwabe im Treffen sagte, der das Gewehr niederstreckte, und meynte: Man solle ihm seinen Mann wei- sen, mit dem er anbilden solle, da er denn sich vielleicht in Guͤte mit ihm wuͤrde setzen koͤnnen, daß es des Schiessens, Hauens und Stechens nicht beduͤrfe: So gleiche ich also einem Par- theygaͤnger oder Husaren, der da eine Streife- rey in des Feindes Avant-Garde, oder auch ei- nen Satz in die Arriere-Garde thut, und, was er geschwinde niederschlagen oder erbeuten kann, fuͤr sich selbst behaͤlt. Sollte ich aber von vie- len dieserhalb angefochten werden: So ist es denen Kampf-Regeln gemaͤß, daß hoͤchstens nur ein vor der erhabenen Dichterey. ein poetischer Goliath oder Riese gegen uns auftrete, und einen von uns heraus fordere; da ich denn vielleicht Herz genug habe, auf etliche Schleuder-Steine, weil ich ihm sonst nicht an den Kopf wuͤrde kommen koͤnnen, es mit ihm anzunehmen. So wird auch wol nach mir ein anderer kommen, der groͤßer ist, als ich, und dessen Schuh-Riemen ich aufzuloͤsen nicht wuͤr- dig bin. Denn unsere Froschmaͤusler-Gesell- schaft gehet stark darauf um, etliche wichtige Deserteurs von der Gegen-Partie aufzufan- gen, oder auch einige poetische Helden, als Hn. Pr. G .. und Hn. D. Kn .. moͤglich- sten Fleisses zu persuadiren, in unsere Gesellschaft uͤberzutreten. Daher will ich zwar nicht victo- riam ante triumphum singen; aber doch auch nicht, vor Anfang der Schlacht, die Fahnen weggeben, als ob ich mich besorgte, daß mir solche moͤgten genommen werden. § 7. Doch da ich hin und her gesonnen, ob denn gar kein Mittel sey, mit denen erhabenen Poeten, wo nicht in ein gutes Vernehmen und voͤlliges Verstaͤndniß zu kommen, doch wenig- stens einen Waffen-Stillstand zu treffen, und dadurch zu verhuͤten, daß sie nicht etwa, da un- sere Schlacht-Ordnung noch nicht recht regulirt ist, uns uͤberfallen, und unter die Fuͤße bringen: So sind mir drey Mittel eingefallen, damit wir als ehrliche Buͤrger neben einander wohnen, und unsere Sache ohne Schwerdtstreich aus- fuͤhren, mithin jeder in seinem Gebiete ruhig und sicher Vorzug der kriechenden Poesie sicher wohnen koͤnne. Es trifft sich ja oft zu, daß ein Paar Feinde in einerley Hause wohnen. Sie stellen sich aber, als wuͤßten sie nicht von einander. Der eine wohnet im oͤbersten, der andere im untersten Stockwerke. Sie vermei- den sorgfaͤltig, daß sie einander nicht in den Wurf kommen. Gehet der oͤberste bey des an- dern Thuͤre vorbey: So stellt sich solcher, als sey er nicht zu Hause, und hoͤre ihn nicht. Der unten wohnt, hat nicht leicht etwas im oͤbersten Stockwerke zu verrichten, also treibt ihn kein Fuͤrwitz hinauf. Auf solche Art toleriren sie einander unter einerley Dach, ohne sich an ein- ander feindselig zu vergreifen. Gießt aber ja der von oben etwas herunter, das dem, der un- ten wohnet, molestirt: So ruft der wol in die Hoͤhe ein Paar derbe Worte, er solle es kuͤnftig bleiben lassen; aber die Nachbarn im mittlern Stockwerke lassen die beyden erhitzten Zins- Haͤhne nicht zusammen: So bleibet Friede im Hause. Auf diesen Schlag bin ich gesonnen, die erhabenen Poeten nicht in ihrem oͤbersten Stockwerke anzugreifen. Wenn ich aber zei- gen werde, es sey besser, auf der Erde zu woh- nen, weil man da nicht so viel Treppen steigen duͤrfe: So hat der, der hoch wohnet, dagegen den Vortheil, daß er freyere Luft geniesset, und die Erden-Duͤnste ihm nicht so in die Nase steigen, als dem andern. § 8. Der andere Weg, wie sogar erhabe- ne und kriechende Poeten mit einander friedlich umgehen vor der erhabenen Dichterey. umgehen koͤnnen, ob sie gleich beyderseits ganz contraire Meynungen haben, ist dieser: Es nimmt der erhabene Poete den kriechenden auf seinen Ruͤcken, sackt ihn da auf, und faͤhret mit ihm in die Hoͤhe, nachher bringt er ihn durch einen geschwinden Flug wieder in die Tie- fe, und setzet ihn sanft auf die Erde. Wollte der erhabene Poete gern wissen, wie es im Ab- grunde aussehe: So klettert der kriechende Poe- te so weit bergan, als er Luft holen kann; als- dann leihet er dem erhabenen Poeten seinen Ruͤk- ken zum Sattel, laͤßt ihn auf solchen vest an- schnuͤren, daß er nicht von der Luft, wegen sei- ner Leichte, herausgehoben werde, und alsdann bringt ihn der kriechende Poete in die Tiefe. Er zeiget ihm alle Gemaͤcher des Bathos. Er fuͤhret ihn in die finsteren Keller derer Grob- und Klein-Schmiede. Endlich kriecht er mit ihm, wenn ers ausdauren kann, in die Abgruͤn- de der versinkenden Dichter, sie moͤgen nun in einen Schlamm, oder in einen leeren Raum versinken. Wird dem erhabenen Poeten uͤbel: So loͤset der kriechende geschwinde den Sattel- gurt auf, und der erhabene Poete hebet sich au- genblicks aus der Tiefe in die Hoͤhe. Dieses ist die Ursache, warum die kriechenden Poeten manchmal einen hohen Gedanken einstreuen, der doch nicht auf ihrem Mistbeete gewachsen, sondern sie ihn bey obbeschriebener Luftfahrt, als einen erwischten Raub, mit herunter gebracht; desgleichen, warum manchem erhabenen Poe- J ten Vorzug der kriechenden Poesie ten zuweilen etwas vom Bathos anklebet, wel- ches nirgends anders als daher koͤmmt, wenn sie zur Lust in die Abgruͤnde gestiegen, und all- da sich etwas angeleget, das sie unvermerkt mit in ihr erhabnes Revier gebracht, und es ver- kannt oder verwechselt haben. Ja in der Bur- lesquen-Poesie erniedriget sich ein erhabener Poete auf eben die Art so freywillig, als dort der große Koͤnig Darius geschehen ließ, daß seine Maitresse ihm die Krone vom Haupte nahm, sich solche aufsetzte, und der Koͤnig sie noch dazu mit lachenden Augen, daß es ihr so wohl liesse, oͤffentlich angaffte. Oder aber es kann auch von einem, der menschlichen Natur leicht anwan- delnden, Schwindel herruͤhren, wenn denen erhabenen Poeten etwas schweimlich wird, auch selbige wol gar, wenn sie manchmal sich gar zu hoch verstiegen, endlich eccentrisch werden, oder aus ihrem Gleichgewichte in einige Tiefe ver- fallen, bis sie sich nach und nach wieder heben, und in ihrem erhabenen Thier-Kreise in gera- der Bewegung fortruͤcken. § 9. Die dritte Moͤglichkeit, eine Tole- ranz unter erhabenen und kriechenden Poeten einzufuͤhren, und den Ausbruch in oͤffentliche Feindseligkeiten dadurch zu verhindern, ist, wenn jede Part ihre eigene Waare lobet, ohne des andern namentlich herunter zu machen. Wie es im Handel und Wandel taͤglich geschiehet, daß jeder Kramer seine Waare herausstreichet, dadurch er eben nicht saget, des andern sey nichts nuͤtze: vor der erhabenen Dichterey. nuͤtze: Eben so kann ein kriechender Poete und Reim-Schmied seine Kunst erheben, und ihr ein Faͤrbgen anzustreichen suchen, ohne dadurch den erhabenen Poeten zu affrontiren. Wahr ist es, je tiefer unsere Poeten kriechen, je mehr entfernen sie sich von der Hoͤhe, und sehens also leicht fuͤr einen Affront an, wenn einer die Hoͤ- he der Gedanken lobet; aber die erhabenen Poeten sind hierinn etwas großmuͤthiger, daß, wenn auch wir sie wegen ihres hohen Fluges beneiden sollten, sie uns doch wegen unsers Ba- thos nicht beneiden, sondern goͤnnen, alle Kluͤfte und Abgruͤnde zu unserer Behausung einzuneh- men, wenn wir uns nur nicht erkuͤhnen, in ihr Revier zu kriechen, und allda einzunisten, oder, gleich einer Schlange, unsere Eyer auf einem hohen Felsen auszubruͤten, oder an die Sonne auf erhabenen Gebirgen zu legen, um von solcher ausgebruͤtet zu werden. Denn sie wollen gern reine Luft behalten. Wuͤrden aber unsere Eyer in der Hoͤhe ausgebruͤtet: So kaͤme doch nur lauter Geschmeiß von Butter-Voͤgeln und Muͤcken heraus, das den freyen Durchstrich der Luft hemmte, also die erhabenen Poeten incom- modirte, sonst sie uns einen Theil Luft, den sie entbehren koͤnnten, wol allenfalls gutwillig ab- treten wuͤrden, obzwar die ihnen aufsteigende poetische Blaͤhungen die besondere Eigenschaft haben, daß sie nicht aufwaͤrts steigen, sondern, weil sie schwerer sind, als ihre andere fluͤchtige und feurige Gedanken, sich nach dem Bathos J 2 herab Vorzug der kriechenden Poesie herab senken, mithin zu unserer Atmosphere, oder dicken Luft-Kreise, herab steigen, folglich von uns aufgefangen, und in unseren Flaschen auf- gehobener poetischer Blaͤhungen verwahrlich beybehalten werden koͤnnen. § 10. Endlich habe ich vorlaͤufig mit eini- gen unserer muckischen Poeten conferirt, die mir einen Anschlag entdecket, der auf eine Hiuterlist und Conspiration hinauslaͤuft. Nun bin ich zu aufrichtig, solchen sogleich anzubringen. Aber es ist großmuͤthig genug, wenn ein Feind seinen Gegner verwarnen laͤsset, sich vor diesen und jenen Embuscaden inacht zu nehmen. Kehrt sich nun jener nicht dran, sondern verachtet die Warnung: So kann er sich hernach nicht be- schweren, wenn man ihn uͤberrumpelt. Der mir untern Fuß gegebene Anschlag ist dieser: Man solle suchen, einem erhabenen Poeten ei- nen Schlaf-Trunk beyzubringen, alsdann auf sein Revier kriechen, und ihn an die Spitze eines Felsen waͤlzen. Geschaͤhe es nun, daß er in sol- cher Schlaf-Trunkenheit zu uns herab in unser Bathos-Revier kollere, solle man ihn sogleich mit schweren Fesseln belegen, damit er nicht wie- der sich in die Hoͤhe schwinge. Wuͤrde er nun bey den Seinen vermisset: So wuͤrden sie sich nicht so tief erniedrigen koͤnnen, ihn mit Gewalt unsern Haͤnden zu entreissen, auch eher glauben, daß er hoͤher gestiegen, als so tief zu uns herab gesunken. Liesse er sich nun bereden, auf unsere Seite zu treten: So waͤre er so gut, wie ein Janit- vor der erhabenen Dichterey. Janitscharen-Aga gegen die Christen, anzu- sehen. Verlange er aber seine Freyheit: So muͤsse er sich entweder mit großen Kosten ran- zioniren, oder aber wir behielten ihn in Ketten, und entzoͤgen also den erhabenen Poeten einen wichtigen Officier zu Fuß, oder zu Roß. Jch habe sie nun verwarnet! Sie nehmen sich inacht! § 11. Nachdem ich mich nun solchergestalt gegen die listigen Anlaͤufe der erhabenen Poeten, als unsere staͤrksten und formidabelsten Wider- sacher, verwahret habe, um desto sicherer unsere unterirdische Bollwerke durch Miniren bedecken, und die sich dran wagende in die Luft sprengen zu koͤnnen, weil sie ohnedem gern in der Hoͤhe seyn wollen, also nichts auf unserm Sprenkel zu thun, noch, ohne unsere Bewilligung, das Recht haben, in die Tiefe zu fahren, immaßen! wir, seit den Zeiten des Hans Sachsens und Frosch- maͤuslers, im Posseß sind, daß das Bathos uns zustehe, und wir befugt sind, so tief unter uns zu graben, als die Bergleute in dem Schacht: So hoffe, mit wenigem die Vorzuͤge unserer Tiefen vor den Hoͤhen der poetischen Highfliers, oder Hochsteiger, zu zeigen. Alles hohe We- sen und Erhebung der Gedanken und Sinne des Herzens ist schon etwas, das der Religion zu widerstreiten scheinet. Wie sehr sind nicht aber die erhabenen Poeten groͤßtentheils in sich selbst verliebt, wenn sie mit ihren Gedanken so hoch fahren koͤnnen. Sie setzen sich gleichsam in ihnen selber auf den Gipfel eines erhabenen J 3 Berges, Vorzug der kriechenden Poesie Berges, oder Thrones, und wenn sie von da in die tiefen Thaͤler herab schauen, koͤmmt ihnen alles, was darinn ist, wie kleines Gewuͤrme vor. Die hohen Begriffe, die sie sich von den Sachen machen, verleiten sie leicht, auch von sich selbst und ihrer ausnehmenden Geschicklich- keit sehr hohe Gedanken zu fassen. Was wis- sen sie sich nicht gemeiniglich, wenn sie zumal eine große Leibes-Laͤnge, wie der erhabene Poete zu Leipzig, haben, fuͤr ein grand air zu geben, wenn sie auf der Straße gehen, daß man auch sie fuͤr wuͤrdige Modelle angesehen, sie auf oͤffentlicher Schaubuͤhne, zur Nachahmung eines großmuͤthigen Ganges und hochinto- nirter Geberden, aufzufuͤhren. Es sind die erhabenen Poeten großentheils stolze Geister, und wenn ein Stein waͤre, der ihnen im Wurf laͤge, sie machten eher eine Capriole druͤber hin- weg, als aus dem Tummelplatze ihrer hohen Gedanken zu schreiten. § 12. Von diesen gefaͤhrlichen Versuchun- gen nun, sich in der Hoͤhe seiner Gedanken zu uͤbersteigen, und von derselben, als auf der Spitze eines jaͤhen Felsen, auf die niedrigen mit Ver- achtung herab zu schauen, sind die kriechenden Poeten sehr gesichert, mithin haben sie vor den erhabenen einen besondern Vorzug. Denn wie sollte sich einer, der auf der Erde kriechet, einbilden, er schwebe hoch in der Luft? Er muͤßte seines Verstandes beraubet seyn, wenn er die Tiefe fuͤr eine Hoͤhe, und den Abgrund seines vor der erhabenen Dichterey. seines Bathos fuͤr einen Longinischen Berg- Pallast ansehen wollte. Er kann wol eine in- nige Zufriedenheit mit seinem niedrigen Stande haben; er kann sich selber gefallen, daß er so poßirlich kriechet; aber er kann sich doch und wird sich nicht einbilden, er stehe auf dem Gipfel des Helicons, und rufe von da herunter: Nun sehet alle auf mich! Ein kriechender Poete hat hiernaͤchst diesen Vortheil, daß er bey Gott und Menschen nicht leicht so verhaßt werden kann, als ein erhabener, der sich in seiner Groͤße, so zu sagen, nicht selber fassen noch uͤberschauen kann. Die Religion ist ihnen feind. Der Schoͤpfer hat einen Graͤuel an solchen Ueber- muͤthigen und Aufgeblasenen. Er laͤßt sie an- laufen, daß sie von ihrer eingebildeten Hoͤhe in eine wahrhafte Tiefe des Elendes verfallen. Er uͤberlaͤsset sie manchmal dem Schwindel ih- rer Gedanken, bis sie ruͤcklings einen jaͤhlingen Sturz in den Abgrund thun. Er laͤsset gesche- hen, daß sie so offenbare Sottisen manchmal begehen, daß selbst die kriechende Poeten sie her- nach nicht einmal unter sich leiden wollen, weil sie vorher von diesen Stolzen uͤber die Achsel an- gesehen und fuͤr nichts gehalten worden. Ein hochmuͤthiger Poete kann auch einen andern hochmuͤthigen nicht einmal neben sich, geschwei- ge uͤber sich, vertragen. Daher ist unter zwey erhabenen Poeten ordentlich heimliche Piquan- terie. Einer macht den andern herunter, und setzt sich, wenigstens in Gedanken, weit uͤber J 4 ihn. Vorzug der kriechenden Poesie ihn. Sie koͤnnen nicht wahre Freunde seyn, sondern einer wird den andern bey Gelegenheit einhauen und verfuchsschwaͤnzen. Keine Lobes- Erhebung des andern wird ihm von Herzen ge- hen; sondern wo der andere hoͤher am Stande, flattirt er ihm wol mit Worten, aber im Herzen hat er das Lob-Gedichte auf sich selbst gemacht; er hat sich selber abgeschildert, und kuͤtzelt sich heimlich, daß der andere, auf den die poetischen Schmeicheleyen aͤusserlich gemuͤnzet sind, solche auf sich deutet. Doch manchmal lobt ein Ehr- geiziger den andern, damit er von jenem desto mehr wieder herausgestrichen werde. § 13. Ein kriechender Poete ist dem Haß und Neide anderer nimmer so ausgesetzet, als ein erhabener. Denn eben das aͤrgert einen Ehrgeizigen, wenn sich ein anderer uͤber ihn er- hebet, da er doch meynet, das Recht zu haben, weit uͤber ihn zu sitzen. Der Eigenduͤnkel al- so, da jeder seine eigene Groͤße nach dem ver- groͤßerten Maaß-Stabe, des andern aber nach dem verjuͤngten ausmisset, beweget ihn, daß er gleichsam bey sich spricht: Was willst du, Kerl, dich doch mit mir in Vergleichung stel- len? Jch bin ja ein weit groͤßerer Poete, und in allem weit qualificirter, als du! Her- unter mit dir, laß mir die Oberstelle; denn solche gehoͤret mir von Rechtswegen. Sei- ne eigene Vollkommenheiten kommen ihm also unter dem Vergroͤßerungs-Glase der Eigen- liebe, womit er solche betrachtet, nothwendig groͤßer vor der erhabenen Dichterey. groͤßer vor, als des andern, die er noch dazu mit dem Fernglase der Verkleinerung uͤber- schauet. Wie auch ein englisch Microscopium die kleinsten Puͤnktgen groß vorstellet: Also wird ein Erforscher seiner eigenen Groͤße nicht leicht ein Puͤnktgen von sich selber uͤbergehen, das er nicht sorgfaͤltig betrachtet, es hernach durch einen optischen Reflexions-Spiegel nochmals beschauet, und, so zu reden, sich selber in einem Spiegel stehen siehet, sich vom Haupte bis auf den Fuß ausmisset, und das Urtheil faͤllet, er sey um viel Zolle groͤßer, als der andere. Gleich- wie aber ein Fernglas auch die merklichen Groͤs- sen wegen der Entfernung unkenntlich macht: Also wird ein ehrgeiziger und sich selbst groß duͤnkender Poete uͤber des andern Geschicklich- keiten, die er nur als von weitem und mit einem Ruck ansiehet, geschwind hinweg eilen, auch sich nicht die Muͤhe geben, jenen, wie sich, punkts- weise und nach seiner wahren Groͤße auszu- messen; daher er sich nothwendig aͤrgern muß, daß, da ihm der andere, den er so in der Ferne und nur ganz legérement besehen, so gar klein gegen sich vorkoͤmmt, jener dennoch vorgeben will, er sey groͤßer. Da aber ein kriechender Poet seine eigene Niedrigkeit gestehet, und sich so tief herunter setzet, daß er sich auch nur mit kriechenden Thieren und Gewuͤrme vergleichet: So ladet er nimmer so viel Haß auf sich, als jener. Man beneidet ihn auch nicht so, als die erhabenen Poeten. Denn wenn deren Fuͤrtreff- J 5 lichkeiten Vorzug der kriechenden Poesie lichkeiten so hell in die Augen strahlen, daß einer solche an sich nicht befindet, und er ist gleichwol hohen Muthes: So muß er sich uͤber den an- dern aͤrgern. Denn er schaͤmt sich, daß der- selbe solche Vorzuͤge besitzet, die er ihm nicht disputirlich machen kann. Diese Schaam sez- zet ihn in einen Eifer, es jenem nach oder zuvor zu thun. Siehet er aber, daß seine Bemuͤhung vergebens ist: So verwandelt sich der Gemuͤths- Affect in eine Wut, und diese in einen giftigen Neid. Hingegen aber, wer wird wol einen daruͤber beneiden, daß er auf der Erde kriechet? Kein kriechender Poete wird auch den andern beneiden. Denn sie sind auf gleicher Ebene. Ein Gewuͤrm weichet dem andern aus, das ihm begegnet; so auch ein kriechender Poete dem an- dern. Sie beneiden auch nicht leicht die erha- benen Poeten. Denn weil sie sich gluͤckseliger duͤnken, wenn sie auf der Erde bleiben, als wenn sie hoch in die Luft steigen: So haben die erhabenen Poeten vor ihnen wol Friede. Doch wenn sie ihnen nicht einmal das Bißgen Erde lassen wollen, da sie, die erhabenen Poe- ten, die ganze Luft fuͤr sich frey haben, sich so hoch zu schwingen, als sie nur selbst wollen: So koͤnnen sich die kriechenden Poeten doch nicht gar ins vacuum verweisen lassen, weil sie doch wis- sen, daß sie ein Etwas sind, das in einem ge- wissen ποῦ sich aufhalten muͤsse. § 14. Ein besonderer Vorzug, den die krie- chende Poeten vor den erhabenen haben, ist auch dieser: vor der erhabenen Dichterey. dieser: Daß die Reimschmiede-Kunst und krie- chende Poesie in sich ganz leicht, wenigstens lange nicht so schwer ist, als die erhabene Dicht- Kunst. Sie duͤrfen sich nicht die Naͤgel zer- kauen, den Angstschweiß zum Kopfe ausbrechen lassen, noch des Nachts stark lucubriren, um einen hohen Gedanken heraus zu bringen, wie jene thun muͤssen. Denn weil das Niedrige viel gemeiner, als das Hohe, und das Hohe sehr seltsam ist, so daß man in allen Staͤnden viel Kriechendes, und selbst in den Pallaͤsten oft praͤchtige Niedertraͤchtigkeiten antrifft: So wird es einem nicht zu sauer, dasjenige in Reime zu bringen, was einer immer vor Augen hat, als sich mit seinen Gedanken uͤber alles hinweg zu schwingen, und auch den Hazard zu stehen, aus unserer Atmosphere in eine utopi- sche Welt-Kugel zu verfallen. Man uͤberlege nur, wenn ein erhabener Poet seinen Helden herausstreichet, was er ihm oft fuͤr Dinge bey- leget, die jenem nie in den Sinn gekommen, und er die Namen solcher ausnehmenden Hel- den-Tugenden nicht einmal nennen hoͤren. So ist es auch in sich muͤhsamer, viele Gedanken unter einen einzigen scharfen Gedanken zu fassen, als einen magern Gedanken so auszustaffiren, daß er wenigstens wie ein ausgestopfter Mas- darm aussiehet, da das Fuͤllsel oft eine andere Art Fleisches ist, als die von einerley Daͤrmen gemachte unterschiedliche Wuͤrste. Die krie- chenden Poeten halten also viel von Ausdeh- nung Vorzug der kriechenden Poesie nung der Gedanken; die erhabenen aber von deren Zusammenfassung. Jene sind handveste Platten-Hauer; diese kuͤnstliche Pitschier-Ste- cher. Jene sind Kurken-Maler und Waͤnde- Anstreicher; diese Portraits-Maler und Migna- tuͤrer. So muͤhsamer es nun ist, etwas en mi- gnature zu zeichnen, und hingegen etwa eine Kirch-Mauer zu illuminiren: So viel Vor- theile haben die kriechenden Poeten vor den er- habenen voraus. Wahr ist es, ein kriechender Poete stutzet, wenn er siehet, daß ein erhabener Poete in einer Zeile mehr saget, als er, der kriechende, in einem ganzen Bogen; aber ein ganzer Bogen wird ihm doch, nach der heuti- gen herunter gesetzten und stark moderirten Vers-Taxe, wol theurer bezahlt, als jenem sein einziger scharfer Gedanke, daraus man viel Bogen Verse machen koͤnnte, wenn man ihn in seiner wahren étenduë ausdehnen wollte. § 15. Zur Erlaͤuterung des vorigen gebe ein Exempel. Es schreibet ein gewisser großer Dichter, dem wir mit aller Hochachtung zuge- than sind, weil er auch manchmal artige Knit- tel-Verse gemacht, mithin dadurch bezeiget hat, daß er unserer Hans-Sachsen-Poesie nicht ganz abgeneigt sey; wie denn oben (im dritten Pro- bestuͤck, § 5,) ausdruͤcklich erinnert worden, daß wir großen und erhabenen Dichtern alsdann nicht feind sind, wenn sie nur, im Jahre wenig- stens einmal, ein Knittel-Gedichte aufsetzen. Dieser erhabene Dichter nun, den ich in petto habe, vor der erhabenen Dichterey. habe, setzet in seinem fuͤrtrefflichen Anno 1726 bey Einweihung der Koͤnigl. Pohln. und Chur- saͤchs. Ritter-Academie zu Dresden abgelesenen Gedichte, unter andern magnifiquen Ausdruͤk- kungen, sonderlich der so lieblich dahin rau- schenden unaffectirten Lobes-Erhebung des unsterblichen Friederich Augusts des Großen, glorwuͤrdigster Gedaͤchtniß, von dem damaligen Graf Wackerbarth, als dirigenden Minister solcher neuangelegten Ritter-Academie, unter andern schoͤnen Ausdruͤckungen, ihm zum Lobe: Von dem es in der That, und ohne schmei- cheln heißt: Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath lau- ter Geist! Es sind nur zwey Zeilen, die aber eine solche Menge von Gedanken in sich fassen, wenn man genau evolviret, was da sagen wolle, im Felde lauter Herz, und im Staats-Rath lau- ter Geist zu seyn, daß z. E. das Thema: Ein Held, der im Felde lauter Herz ist; wenigstens einen ganzen compressen Bogen erfordern wuͤr- de, solches recht auszudruͤcken; und das andere Thema: Ein Minister, der im Staats-Rath lauter Geist ist; abermals von so weitem Um- fange ist, daß ich wuͤnschen moͤgte, es machte sich ein großer Dichter daran, und fuͤhrte es aus. Denn wir kriechende Poeten koͤnnten wol diese zwey schoͤnen Themata dem Erfinder ab- stehlen, und sie zur Ueberschrift von ein paar Bogen Gedichte machen; aber der Titel wuͤrde alsdann Vorzug der kriechenden Poesie alsdann nur gelesen und gelobet, die Ausfuͤhrung aber fuͤr hoͤchst mager gehalten werden. § 16. Doch, damit ich eine Probe gebe, wie die kriechende Poeten meines gleichen es ma- chen, wenn wir eine schoͤne verdeckte Quelle entdecken, und daraus verstohlen schoͤpfen, her- nach es fuͤr eine Ausgeburt unsers eigenen Kop- fes ausgeben: So koͤnnte man, in einem Lob- Liede auf den ehemaligen großen Feld-Herrn Eu- genium, eine gluͤckliche Parodie in zwey Zeilen machen, und dem sinnreichen obigen Verfas- ser also nachreimen: Von dem es in der That auch nach dem Tode heißt: Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath lauter Geist. Denn mancher Feld-Herr und Staats-Rath wuͤrde nicht wohl zurechte kommen, wenn er nicht aus denen Lebens-Beschreibungen dieses unvergeßlichen Helden und großen Staats-Man- nes annoch ersehen koͤnnte, wie Eugenius im Felde lauter Herz, und im Staats-Rath lau- ter Geist gewesen. Wollte man aber diese schoͤ- ne Passage auf eine Person, die noch lebte, deu- ten, und von der man sagen koͤnne, daß sie ein Heros in sago et toga, ein großer General und zugleich großer Staats-Minister sey: So wuͤrde ich nicht weit im A B C buchstabiren duͤr- fen, um auf denjenigen hohen Namen zu kom- men, da sich obige Reime sehr natuͤrlich also parodiren liessen: Von vor der erhabenen Dichterey. Von dem es in der That und ohne Schmei- cheln heißt: Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath lauter Geist. Aber die niedrigen Poeten duͤrfen sich nicht er- kuͤhnen, so große Namen im Munde zu fuͤhren; noch vielweniger aber wuͤrde es ihnen ungenossen ausgehen, wenn sie dergleichen unverbesserliche Gedanken denen erhabenen Dichtern abborgen und mit fremden Federn, gleich dem Vogel in der Fabel, prangen wollten. Wollen wir krie- chende Poeten aber aufrichtig seyn: So wuͤr- de es uns ohnmoͤglich fallen, in einem gestopf- ten Bogen Verse so viel zu sagen, als in der einen Zeile enthalten ist: Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath lauter Geist! Folglich ist es ja fuͤr die kriechende Poeten ein ausnehmender Vortheil, wenn sie die Kunst, in wenig Worten sehr viel zu sagen, als eine in sich hoͤchst muͤhsame und beschwerliche vorstel- len. Denn es studire mancher Tag und Nacht, ob er einen so gluͤcklichen Einfall herausbrin- gen werde. Dagegen aber muͤssen die kriechen- de Poeten es als leicht vorstellen und herausstrei- chen: Mit viel Worten wenig zu sagen; wo- durch sie sich von erhabenen Dichtern eben di- stinguiren. § 17. Ein Großes voraus haben ferner die kriechende Poeten vor den erhabenen in Erfin- dung und Ausfuͤhrung eines Thema. Es wuͤrde Vorzug der kriechenden Poesie wuͤrde laͤcherlich klingen, und hoͤchstens nur fuͤr eine Burlesque paßiren, wenn man auf niedrige Vorwuͤrfe ein erhaben Gedichte ma- chen wollte. Die Sache muß in sich hoch und erhaben seyn, sonst laͤsset es, als wenn man ei- nem Bauer wollte ein Staats-Kleid anlegen. Da nun aber die Zahl der erhabenen Vorwuͤr- fe gegen die Anzahl der gemeinen sehr geringe ist: So kann also ein erhabener Poete sich mit seiner Poesie kaum den tausenden Theil so weit heraus wagen, als ein kriechender. Wie laͤ- cherlich wuͤrde es klingen, wenn einer auf einen Floh ein erhabenes Gedichte aufsetzte? Aber ein kriechender Poete darf auf Ratten und Maͤuse Gedichte machen, wenn er was davon hat. Ein erhabener Poete kann sich nicht an einen tyrannischen Fuͤrsten, unerfahrnen Staats-Rath, unvorsichtigen Feld-Herrn, pedantischen Gelehrten, schlechten Kraͤmer noch weiter herunter wagen. Denn alles dieses faͤllt, seiner Natur nach, ins Niedrige. Denn ein Tyranne ist die niedrigste Classe der Regen- ten, und so weiter. Wenn nun der erhabene Poete arm ist, wird er eine brodlose Kunst be- sitzen, und mit solcher betteln gehen muͤssen. Aber ein kriechender Poete und Reim-Schmied hat das Recht, so weit in die Tiefe herabzustei- gen, als er kann, und auf alles zu reimen, wor- auf nur ein Reim erfindlich ist ( Erstes Probe- stuͤck, § 1, 2, 3, 6). Daher kann sich dieser, wo nicht manchen Ducaten, doch wenigstens manchen vor der erhabenen Dichterey. manchen Groschen, eher verdienen, als jener. § 19. Ein erhabener Poete wird sich schaͤ- men, fuͤr seine Gedichte Geld zu nehmen, oder in den Verdacht der Betteley zu verfallen. Er macht auch seine Poesie nicht so gemein, son- dern hebt sie nur fuͤr große Kenner und Lieb- haber auf. Ein Reim-Schmied aber macht es, wie Hr. D. Knobloch in Zittau, und reimt auf alles, was ihm in den Wurf koͤmmt. Hat er nicht noͤthig, ums Geld Verse zu machen: So wird er, der Reim-Schmied, desto frey- gebiger seyn, seinen poetischen Queersack aus- zuleeren. Er stopft ihn aus anderer Gedichten schon wieder voll, und wird des Reimens we- der satt noch muͤde. Er fragt auch, wo er ein Bißgen ruhmsuͤchtig ist, nichts darnach, ob er dem Patron oder Fuͤrsten, auf den er Reime schmiedet, gelegen komme, oder nicht? Denn er reimt nicht des Patrons oder Fuͤrstens wegen, sondern sein selbst wegen, weil er mit der Reim- sucht besessen ist. Er verlacht die undankbare Welt, die an der Menge seiner Gedichte, wo- mit man die Elbe endlich bedecken koͤnnte, einen Ekel und Ueberdruß bekoͤmmt. Er flattirt sich, wenn seine itzige Patrone sagen: Der Herr haͤt- te mit seiner Poesie zu Hause bleiben koͤnnen; es werde die Nachkommenschaft hierinn er- kenntlicher seyn, und seiner Asche annoch den Tribut der Hochachtung abtragen, den sie ihm in seinem Leben verweigert. Wenigstens wird mancher Ballen Makeltur fuͤr die Nachwelt K auf- Vorzug der kriechenden Poesie aufgehoben, und dadurch sein Name immer mit fortgewelzet. § 20. Weiter ist es kein Geringes voraus, das der Reim-Schmied vor den erhabenen Poeten in Absicht auf die Amplification oder Erweiterung eines Thematis hat. Die erha- benen Poeten haben sich selber durch ihre ver- drießlichen Einschraͤnkungs-Regeln die Fluͤgel um ein gut Theil beschnitten. Sie verwerfen manche Arten von Amplificationen schlechthin; bey andern wollen sie praecise diese Tour der Gedanken, und keine andere, angebracht wissen. So verwerfen sie durchaus die Amplificatio- nem a contrario in terminis terminantibus, daß ich so rede. Sie sagen, es wuͤrde uͤbel ste- hen, und einen auf falsche Neben-Gedanken verleiten, wenn man z. E. einen Buͤrgermeister in Versen loben, und den Anfang ab antithesi machen wolle, was ein boͤser, fauler, tuͤcki- scher, mit Gelde bestochener Buͤrgermeister sey; darauf in applicatione a contrario mit dem Aber hinten nach kommen, und sagen wolle: Das bist du aber nicht. Sie meynen, es klin- ge eben so, als wenn einer in prosa spraͤche: Es giebt manchen Schlingel, Baͤrenheuter und ꝛc.; aber das ist der Herr nicht! Wuͤrde das, sagen sie, wol eine sonderliche Caresse seyn? Hingegen die Reim-Schmiede nehmen alles bey der Erde und vorm Maule weg. Nichts ist so weit hergeholt, es kann durch den poetischen Schmiede-Hammer zusammengeschlagen wer- den, vor der erhabenen Dichterey. den, daß es sich auf einander reimt. Sollte der Hammer nicht zureichen: So nehmen sie die Vortheile der Zusammenloͤtung von Stahl und Eisen, Kupfer und Meßing, Zinn und Bley dazu. Ja, wenn dis noch nicht zureichet, ei- nen Gedanken recht abzudreschen: So ist ein poetischer Dreschflegel zur Reserve; daher in den Buchlaͤden so viel abgedroschen Zeug zu finden, das ist, das schon unzehligmal durch alle praedicamenta durchgereimt worden, und dennoch sich wieder ein neuer Reim-Drescher findet, der es nochmals nachdrischet. Spricht man zu ihnen: Das sey ein laͤngst ausgepeitsch- tes Thema; eine ausgepeitschte Amplification: So kehren sie sich daran so wenig, als Ovidius in seiner Jugend, da ihn sein Lehrmeister daruͤ- ber peitschte, daß er, wo er stand und gieng, poetisirte, auch mitten unter den Schlaͤgen den Vers sagte: Desine, praeceptor, post haec non car- mina dicam! Lehrmeister, hoͤrt nur auf, ich will nicht weiter reimen! § 21. Die Poeten von der hohen Classe sagen: Es kaͤme oͤfters viel auf den rechten Ort an, wo der poetische Gedanke zu stehen komme. Er verliere alle grace und Gewicht, wenn er an einer unrechten Stelle angebracht worden. Auch muͤsse der Einfall seine rechte Tour, Schwang oder Wendung haben, sonst entstehe eine Misdeutung oder falscher Ge- K 2 danke. Vorzug der kriechenden Poesie danke. Der Reim-Schmied aber bekuͤmmert sich um solche Subtilitaͤt nicht. Er meynt, es gelte gleichviel, ob ein gebratener Hase in einer thoͤnern oder zinnern Schuͤssel liege. Das Bier schmecke eben so gut, man moͤge es gleich vor dem Zapfen wegtrinken, oder erst in einen be- schlagenen Krug giessen. Wenn man nur zur Schuͤssel kommen koͤnne: So moͤge sie nahe oder weit ab stehen, das verschlage nichts. Dage- gen behaupten die erhabenen Dichter, es sey z. E. ein Fehler, seinen Patron im Gedichte eine Weile passen zu lassen, und eine Streiferey da und dorthin zu thun; vielmehr muͤsse man ihn immer im Augenmerke haben, und kaum schrittsbreit von ihm weichen, so lange man mit ihm redet. Jn einem Epischen Gedichte, wenn man Helden auffuͤhret, sey es unrecht angebracht, wenn der Bauer oder Gaͤrtner ein langes und breites daher schwatze, wie er sein Feld bestelle, oder Baum-Schulen anlege. Wenn es schoͤn Wetter sey, muͤsse man nicht Donner und Blitz, Platzregen und Sturmwin- de ins Gedichte bringen, und dadurch den Pa- tron, der gern ausfahren wollte, nicht zu lan- ge aufhalten, daß ihn etwa der Platzregen noch uͤbereile; da sonst, wenn das Gedichte solche Ausschweifungen weggelassen, der Patron noch trocknes Fußes haͤtte bis zum Rath-Hause kom- men koͤnnen! Der erhabene Poete saget: Es sey eine falsche Tour, wenn einer im Gedichte sich stelle, als marschire er schon ab; nachher thue, vor der erhabenen Dichterey. thue, als habe er noch was vergessen, das ihm nun wieder erst beyfalle, wie jenem Gesandten, der den Kayser so lange aufhielte, daß, als der Redner eine neue Tour vom Alexander dem Großen vorbrachte, der Kayser sagte: Er glau- be, Alexander werde unterdeß wol gespeiset haben, ehe er was weiters vorgenommen. Aber kein Reim-Schmied bindet sich an so enge Schranken. Er reimt, wies ihm ins Maul faͤllt. Er fragt nicht: Obs klappt? ob sichs schickt? ob der Gedanke nicht verfaͤnglich? Es ist genug, wenn sichs nur reimt, der Leser moͤge sich das beste herausnehmen, wie es jener Pfar- rer thun sollte, der eine Leichen-Predigt im Kopfe hatte, und des Bauren Sohn fragte: Was seines Vaters letzte Worte gewesen? Worauf dieser lange herum sanne, endlich her- ausplatzte, und sagte: Je, Herr Magister, mein Vater sprach: Hans, gib mir den Nachtschir- bel her! Kann sich nun der Herr Magister, fuhr Hans fort, was draus nehmen, so thue ers! So wenig ich nun darnach frage, weil ich mich in die Stelle und den Character krie- chender Poeten einmal gesetzet, ob dieses Hi- stoͤrgen allhier seine rechte Stelle habe, und sich zu meiner vorhabenden Abhandlung schicke: So deutlich werden daraus meine Leser abnehmen, wie ich durch die wirkliche That meinen uͤber- nommenen Character auszudruͤcken suche, naͤm- lich so kauderwelsch unter einander allhier zu schreiben, als es die Reim-Schmiede in ihren K 3 Gedich- Vorzug der kriechenden Poesie Gedichten zu machen pflegen. Jch glaube, ich wuͤrde sehr unnatuͤrlich handeln, wenn ich ei- nen kriechenden Poeten beschreiben, und nicht selber par compagnie mitkriechen, oder ihm nachkriechen wollte; so wie ich oben, da ich die schlammigten Poeten beschrieben, selbst in ihre Pfuͤtzen habe treten, und es nicht achten muͤs- sen, von dem aufspruͤtzenden Unflathe mit be- spruͤtzet zu werden. (S. viertes Probestuͤck, 23, 25 und 26 Frage. ) § 22. Die kriechenden Poeten haben auch ein Großes vor den erhabenen voraus, daß sie ruͤckwaͤrts und vorwaͤrts kriechen duͤrfen, wie die Krebse; bald traben, bald galoppiren, wie die Pferde; bald Luft-Spruͤnge, bald seitwaͤrts einen Satz thun, wie die kollernde Schimmel. Dagegen soll, nach der erhabenen Poeten Re- gel, der Dichter allezeit in gradem Gleise blei- ben; nicht eher seinen poetischen Gaul anspor- nen, als wenn er allzuschlaͤfrig trabet; nicht ei- nem Reuter gleichen, der uͤber die Graben setzet, oder mit einem Sprunge vom Felsen ins Thal stuͤrzet. Er solle vielmehr stuffenweise auf- und niedersteigen, damit eine Gleichheit in seinem Gedichte sey, und man nicht denke: Jtzt habe der Poete geraset; nun sey er schlaftrunken worden; itzt habe er eine Bouteille Wein beym Versemachen gesoffen, bald darauf den Durst mit duͤnnem Biere geloͤschet; itzt sey er im Thal Josaphat gewesen; bald habe ihn der Teufel, oder sonst ein poetischer Geist, durch die Luft auf vor der erhabenen Dichterey. auf die Zinne des Tempels gestellet, ohne erst die Treppe hinaufgestiegen zu seyn. Aber ein kriechender Poete verstellt sich in einen Sprin- ger, damit man nicht merken solle, daß er krie- che. Er affectirt einen wachsamen Hund, der aber traͤumet, und im Schlafe aufbelfert. Jtzt flieget er aus der Tiefe in die Hoͤhe, damit jeder Leser sehe, der hohe Einfall sey nicht aus seinem Kopfe entsprungen, sondern anderswo entlehnet. Folglich sey er aufrichtiger, als mancher erha- bener Poet, den man nicht auf seinem poeti- schen Diebstahle wegen Gleichheit des Styls ertappen koͤnne, ob er gleich sich vieler Gedanken von seines gleichen erhabenen Dichtern zu nutze gemacht. Mithin stecke eine Arglist dahinter, wenn die erhabenen Poeten so einen gleichen Styl fuͤhrten; damit man naͤmlich nicht merken solle, wo sie aus fremden Brunnen geschoͤpfet und in andern Teichen gekrebset. Zudem erfor- dere es oft die Natur der Sache, stehenden Fus- ses einen schnellen Affect anzunehmen. Z. E. wenn einer in seiner Gelassenheit Abends stella- tim gegangen, und er purzelte daruͤber in ein Schlamm-Loch: So werde er sich bald alteri- ren; mithin muͤsse auch der Poete geschwinde den Affect veraͤndern, und augenblicks von ei- nem rasenden Zorne sich in die sanfte Stille eines der Allersanftmuͤthigsten versetzen koͤnnen. § 23. Die erhabenen Poeten steigen von der natuͤrlichen zur maͤnnlichen, und von dieser erst zur erhabenen Beredsamkeit. Jch aber K 4 komme Vorzug der kriechenden Poesie komme hier ruͤckwaͤrts, von der Beschreibung der Vortheile eines kriechenden Poeten vor einem erhabenen, nunmehro erst auf die Vortheile vor einem maͤnnlichen Dichter. Jch kann hier vom Groͤßern aufs Kleinere schliessen. Hat der kriechende Poet und Reim-Schmied so gar ein vieles vor den erhabenen Poeten voraus, viel- mehr vor den maͤnnlichen, die dem Bathos um eine Stuffe schon naͤher sind, als jene. Aber in der Froschmaͤusler-Gesellschaft, wo das Frauenzimmer gleiches Recht des Beytritts hat, wird diese Distinction unter einer maͤnnli- chen und weiblichen Poesie ganz verworfen; zumal wir z. E. an der ehemaligen Erfurtischen großen Dichterinn, der Jungfer Zaͤuneman- nin, eine recht maͤnnliche Poetinn gehabt, als die sich manchmal in Manns-Kleider verkleidet, ein Rappier einem praͤsentiret, zu Pferde mit Sporen gesessen, und einen starken Fußgaͤnger abgegeben, daß sie auch bey solcher Marsch- Route fuͤr etlichen Jahren das Ungluͤck gehabt, zu ertrinken. Lebte sie noch, wir wuͤrden sie, in unsere Gesellschaft einzutreten, allen Fleisses einladen. Denn man hat ihren Gedichten nach- gesaget, an vielen Orten gucke ein masquirter Mann, er heisse nun Guͤnther, oder Kunad, oder Ruhekopf, oder Langenau, oder Boͤrner, oder Briontes der Juͤngere, oder sonst wer hervor. Sie dichte an vielen Orten zaͤrtlich; aber nicht maͤnnlich und gesetzt. Ein Frauen- zimmer moͤge auch so eine große Dichterinn seyn, als vor der erhabenen Dichterey. als sie wolle, brauche sie doch nicht ihren Na- men darunter zu setzen, daß sie ein Frauenzim- mer sey, es verrathe sich uͤberall aus dem Styl. Sie sey nicht geschickt, einen Mann vorzustel- len; der Reifenrock gucke unter allen Gedichten hervor. Sie dichteten manchmal erhaben; aber die Frauenzimmer-Pantoffeln koͤnne man auch sehen. Dagegen koͤnne auch ein maͤnnlicher Dichter nicht so zaͤrtliche und tendre Ausdruͤk- kungen aufs Tapet bringen, als ein poetisches Frauenzimmer. Guͤnther habe ein großes Kunst- Stuͤck in tendrer Beschreibung des ehelichen Beyschlafes abgeleget; aber wenn eine Mada- me von Steinwehr, die den Ehestand dreymal probirt, es poetisch beschreiben sollte, wuͤrde es noch dreymal tendrer geklungen haben. § 24. Durch obige Distinction also, die ich hier widerlege, und andere critische Glossen, wird demnach der Saame der Zwietracht zwi- schen dem maͤnnlichen und weiblichen Geschlech- te nur mehr ausgestreuet. Daher hat E. Loͤbl. Froschmaͤusler-Gesellschaft, en faveur des schoͤnen Geschlechts, die Distinction unter der maͤnnlichen und weiblichen Poesie ganz unter ihren Gliedern annulliret und aufgehaben. Es mag dem Frauenzimmer eine Mannsperson ein- helfen oder nicht, es heisset ein schoͤnes Gedichte. Wir sagen auch von der Frauenzimmer Gedich- ten, daß sie wohl gesetzet, daß ein gesetztes We- sen darinn so gut stecke, als bey Gedichten von Mannspersonen. Denn sie haben sich wenig- K 5 stens Vorzug der kriechenden Poesie stens so gut, als die Maͤnner, nieder gesetzet, wenn sie solche gefertigt. Und was will das sagen: Die maͤnnliche Poesie habe ein mehr gesetztes Wesen? Soll es so viel heissen, als daß den Frauenzimmern das Kalb-Fleisch le- benslang anhange? daß sie zum schaͤkern gebo- ren? daß ihre Gedanken nie zu solcher Reife kaͤ- men, als der maͤnnlichen Dichter? daß sie das Erhabene und Galante nie in rechter Dosi und Proportion zu mischen wuͤßten? sondern ent- weder in die Schmetterlings- oder Phoͤbus- Poesie verfielen, oder sich als eine auf dem Can- nabee schmachtende Schoͤne abschilderten, die gern einen Zeitvertreib haben wolle? Sollte es wahr seyn, daß, wenn sie den Affect der Liebe abschilderten, sich selber dabey so sehr lebhaft beschrieben, daß man aus dem Gedichte deutlich saͤhe, sie muͤßten selbst in einer verliebten Ohn- macht kurz zuvor gelegen haben, da sie solches aufgesetzet? Jst es nicht was schoͤnes, daß sie uns in die Geheimnisse ihres Herzens so merk- lich sehen lassen, wenn sie mit solcher Aufrich- tigkeit sich ganz ausleeren. Welche Schreib- Art wuͤrde wol den Vorzug haben, etwa die, da der Herr Professor Gottsched seiner Liebsten die vernuͤnftigen Tadlerinnen dediciret, und so vornehm mit ihr thut, daß, wenn sie im Ehebette auch so fremd gegen einander thun, ohnmoͤglich daraus Kinder kommen koͤnnen? Oder aber, wenn diese große Dichterinn, zur Erkenntlich- keit, ihrem Liebsten auch ein Buch dediciren sollte? Wuͤrde vor der erhabenen Dichterey. Wuͤrde nicht darinn Zaͤrtlichkeit, Feuer, Aech- zen, Umarmung, Ermattung und der suͤße Tod deutlich abgeschildert seyn? Wuͤrde nicht solches weit natuͤrlicher klingen, als wenn sie ihm eine große Lob-Rede halten, und so un- bekannt sich gegen ihn stellen wollte, als ob sie noch nie erfahren, was ehliche Caressen waͤren? Also darf kein Dichter auf seine maͤnnliche Be- redsamkeit trotzen, und solche der weiblichen vorziehen wollen. § 25. Die großen Dichter unserer Zeit ge- ben unserer Froschmaͤusler-Gesellschaft ein Schwert in die Hand, das wir stark gegen sie brauchen, und weil es bereits gewetzet, treff- liche Kreuzhiebe damit gegen sie, bey besorgli- chem Angriffe, thun koͤnnen. Setzen sie nicht die burlesque Poesie der maͤnnlichen entgegen? Nun aber gehoͤrt solche weder zur erhabenen, noch natuͤrlichen. Nicht zu jener, es waͤre denn selber zur Badinerie, z. E. wenn ich an ei- ne Schoͤne, mit der ich mich schon verstuͤnde, schriebe: Der Liebe Angel-Stern, Compaß zu meiner Magnet-Nadel, und dergleichen hohe Gedanken. Zur natuͤrlichen Poesie aber ge- hoͤrt die Burlesque auch nicht. Denn ob sie wol nicht unnatuͤrlich ist, sondern es bey jedem Einfalle ganz natuͤrlich hergehet, wie man von einem aufs andre koͤmmt: So nimmt man doch in scherzhaften Gedichten vieles ganz anders, als was die Worte sagen. Man bringet bons- mots hinein, dahinter logice oft falsche Schluͤs- se Vorzug der kriechenden Poesie se und erschlichene Wahrheiten stecken. Z. E. wenn ich also reimte: Es ist ein neu Patent, die Jungfern sollen freyn: So wird denn Fieckgen auch dahin bemuͤ- het seyn, Sich, dem Edict gemaͤß, zur Heyrath zu bequemen, Es duͤrfte das Patent sie sonst in Strafe nehmen. Wenn einer nun diese Einfaͤlle auf eine frey- suͤchtige Jungfer machte, waͤren die in diesen vier Zeilen angebrachte Touren alle burleskisch, aber zugleich falsche Gedanken. Denn wo ist denn so ein Patent heraus? Und wenn sie gern heyrathen moͤgte, bedarf sie nicht erst eines En- couragir-Patents, sondern sie wuͤrde selber je eher je lieber freyen, wenn sich nur eine anstaͤn- dige Person faͤnde. Auch waͤre es logice falsch, daß sie in solchen Umstaͤnden aus Furcht der Strafe, wenn sie nicht heyrathen wuͤrde, sich dazu entschloͤsse. Jndeß koͤnnte Fieckgen nicht uͤber so ein Scherz-Gedichte boͤse werden. Denn waͤre sie witzig, wuͤrde sie wol die darunter ver- steckte Pillen merken. Waͤre sie aber nicht frey- suͤchtig, wuͤrde diese Tour nur so viel sagen, als wenn man in prosa zu einer im Scherze spraͤche: Mademoiselle, sie werden nun bald zum Ehestande schreiten muͤssen. Wenn sie nun fruͤge: Warum? und man versetzte: Darum, weil ein Patent heraus ist, daß alle schoͤne Maͤd- gen vor der erhabenen Dichterey. gen binnen Jahres Frist heyrathen, oder in Strafe fallen sollen: So waͤre es ein aufge- weckter Spaß, der zu vielem weitern Scherz Anlaß geben koͤnnte. § 26. Da nun also die burlesque Poesie nicht zur natuͤrlichen, wo lauter Beschreibun- gen nach dem Leben, und keine Fictiones, sind, vielweniger zur erhabenen Poesie gehoͤret: So muͤssen die neuen Poeten entweder solche zur maͤnnlichen rechnen, der sie doch solche entgegen setzen, mithin sich selber widersprechen, oder aber die Distinction unter einer maͤnnlichen und un- maͤnnlichen Poesie, damit nicht etwa gar ein Zwitter herauskomme, fahren lassen. Sie wollen sich zwar helfen, und sagen, die scher- zende kriechende Poesie verfalle ins Schaͤkern, Haseliren und Narrentheiding. Jhre bur- lesque Poesie aber schreite nie aus den Schran- ken der Bescheidenheit. Es sey bloß eine Art ingenieuser Einfaͤlle, da die maͤnnliche Poesie mehr judicieuse Gedanken habe. Allein es ge- hoͤrt oft mehr iudicium discretiuum zu einem rechten Scherz, daß er nicht ins Plumpe oder Niedertraͤchtige falle, als wenn man eine Sa- che plattweg fein ernsthaft oder maͤnnlich be- schreibet. Daher koͤmmt ein Reim-Schmied besser weg, wenn er bald ernsthaft thut, bald schaͤkert, bald kollert; bald trotzet, bald ra- set, bald zu Kreuze kriechet; bald labbert, bald zweyzuͤnglet, bald zuplumpet. Denn wie es die Menschen wirklich machen, daß der eine erst lange, Vorzug der kriechenden Poesie lange, wie die Katze um den heissen Brey, ge- het, ein anderer aber dreister ist, und geschwin- de zutebset: Also muß ein Reim-Schmied es auch in Reimen abschildern, sonst komme ein un- gesalzener und trockener Scherz heraus. Die- semnach wird ein Reim-Schmied lieber alle Dicht-Kunst eintheilen in eine ernsthafte und kurzweilige. Die ernsthafte ist entweder auf der Erde hinkriechend, oder fallend, wenn man aus der Hoͤhe ins Bathos faͤllt, und aus der Tiefe in die Hoͤhe geschleudert wird. Die kurz- weilige Poesie aber ist entweder schaͤkernd oder kollernd. Jenes bey angenehmen, dieses bey piquirenden Begebenheiten. § 27. Jch eile zum Ende, und braucht es also keiner großen Widerlegung, daß die Reim- schmiede-Kunst und kriechende Poesie ein Gros- ses auch vor der sogenannten natuͤrlichen Poesie habe. Die neuen Dichter sagen: Es koͤnne ein poetischer Gedanke natuͤrlich seyn, ob er gleich noch nicht zur Stuffe eines maͤnnlichen und er- habenen gestiegen sey. Jeder erhabener Ge- danke sey zugleich natuͤrlich und maͤnnlich; aber umgekehrt folge es nicht. Da aber die Reim- schmiede-Kunst ihr poetisches Reich zu erweitern sucht: So nimmt sie auch das unnatuͤrliche, unwahrscheinliche, unmoͤgliche, abgeschmack- te und schamrothmachende mit in ihren Be- zirk. Bey der letzten Sorte beschreibt ein Reim- Schmied jedes Ding mehr als zu natuͤrlich; dagegen ein Poet von der neuen Facon einen Vorhang vor der erhabenen Dichterey. Vorhang oder Flohr davor ziehet. Jch frage aber: Ob das natuͤrlich sey, wenn ich ein Ding so beschreiben soll, wie es vor mir lieget, und es hat keinen Flohr, der gewisse Theile verdek- ket, ich wollte aber sprechen: Es sey ein Flohr davor? Daher unsere Grobschmieds-Poeten ihre derben Einfaͤlle so lange auf den Amboß bringen, bis die Ohren der Zuhoͤrer angewoͤhnet werden, den rauhen Schall zu hoͤren. Die phantastischen Reim-Schmiede aber folgen ei- ner ungemessenen ausschweifenden Einbildungs- Kraft. Es schicken sich in die Gedichte der krie- chenden Poeten solche abentheuerliche Erdich- tungen, die alle Contes de Fées und tausend Viertelstunden weit uͤbertreffen. Muß man die Reime zwingen, daß es oft heisset: Reim dich, oder ich freß dich: Warum sollte man nicht auch die Einfaͤlle zwingen, einem zu Ge- bote zu stehen? Die Gedanken duͤrfen sich nicht zusammen reimen, sondern nur die Syl- ben. Daher hat keine Wissenschaft ein so wei- tes unumschraͤnktes Gebiete, als ein Reim- Schmied und kriechender Poete. Sechstes Probestuͤck. Eine unumstoͤßliche Widerlegung von des Horaz Buche de arte poëtica. Es gehet mir, meine Herren, hart an, daß ich mich mit dem laͤngst vermoderten Horaz nun noch erst herum tummeln, und seine Urne, als den Widerlegung des Horaz den Aufbehalt seiner Asche, ruͤhren soll. Doch ich halte mich nicht an seinen Coͤrper, vielweni- niger seine Seele, von der ich nicht weiß, wo ich sie suchen oder ausgattern soll, sondern bloß an sein Buch de arte poëtica. Jch habe vor ein zehn Jahren, oder wie lan- ge es ist, bey dem damals lebenden Assessore des Schoͤppenstuhls, D. Reichhelm, eine erstaun- liche Collection von allen nur zu habenden Edi- tionen des Horaz gesehen; und ist es Schade, daß solche, nach erfolgter Verauctionirung sei- ner Bibliothec, so sehr zerstreuet worden, da schwerlich ein anderer Gelehrter sich die Muͤhe genommen haben wird, alle nur moͤgliche E- ditionen und Handschriften von des Horaz Schriften, so viel deren zu haben, aufzutreiben. Meine Erstaunung aber wuchs um ein merkli- ches, da mir der selige Mann ein mit großem Fleiße mundirtes Manuscript wies. Es war solches eine in den zierlichsten deutschen Versen beschehene Uebersetzung der zwoͤlf Buͤcher Ae- neidos des Virgils, und auch aller Gedichte des Horaz. Er hat wol dreyßig und mehr Jah- re daran gearbeitet, ehe er es in so vollkomme- nen Stand gesetzet. Er hat nie den Ruhm ei- nes großen Dichters gesucht; aber er verdient den Ruhm eines der groͤßten Dichter. Weil wir die Verstorbenen nach ihrem wahren Wer- the schaͤtzen: So ist alles, was ich hier anfuͤh- re, mein purer Ernst. Zudem hat er alles auf Conto seines Originals uͤbersetzt. Er gehet den de arte poëtica. den Gedanken des Horaz genau nach, und ist ein getreuer Dollmetscher. Folglich muß mans ihm noch Dank wissen, daß er viel schwe- re Stellen in solch Licht gesetzet, daß man den Horaz verstehet, wo er vorher unverstaͤndlich war. Weil also seine Uebersetzung accurat und in zier- lichen deutschen Versen gesetzet ist, koͤnnen wir dem D. Reichhelm ohnmoͤglich im Grabe feind seyn, noch ihn widerlegen wollen; sondern es ist bloß der Horaz selbst, mit dem wirs zu thun haben, und man kann ihn um desto eher in seiner Bloͤße attaquiren, da er so deutlich uͤber- setzet ist. Meines Wissens hat der Herr Am- brosius Haude in Berlin den Reichhelmischen Erben 80 Rthlr. fuͤr das Manuscript geboten, die es aber, so viel ich vernommen, fuͤr 150 Rthlr. nach Hamburg verkaufet, oder vielleicht noch das Original-Concept besitzen. Sie muthen mir, meine Herren, nicht an, daß ich des Horaz Buch de arte poëtica, bey der vorhabenden unumstoͤßlichen Widerlegung desselben, von Stuͤck zu Stuͤck durchgehen und refutiren solle. Muß man denn einen Gegner eben wie eine Vestung tractiren, da man erst weitlaͤuftige Circumwallations-Linien macht, hernach approschiret, darauf die Trenscheen er- oͤffnet, Batterien aufwirft, Stuͤcke pflanzet, und Fuß vor Fuß avanciret? Nein, ich werde es hier mit dem Horaz machen, wie es bey der ersten Belagerung der Stadt Praag ergangen. Sie ward mit stuͤrmender Hand erobert. Jch L werde Widerlegung des Horaz werde mir des Horaz Buch wie einen Gewap- neten vorstellen, dem man mit einer einzigen Kugel vor den Kopf das Lebens-Licht ausbla- sen kann. Jch mache einen Syllogismum in forma probante, welcher ein rechter Treffer auf den Scheitel des Horaz waͤre, falls er noch lebte. Jch schliesse also: Was der Horaz selber hoͤchst tadelt, das muß man, nach aller Horazianer Ausspruch, auch tadeln. Nun aber schreibet er selbst: O imitatorum seruum pecus; und tadelt also die Nachahmer, so daß er sie auch mit sclavischem Vieh vergleichet; folglich wuͤr- de er uns neue Poeten, wo er noch lebte, fuͤr sclavische Bestien halten, wenn wir seine Imi- tatores seyn, mithin auch, wenn wir aus seinem Buche de arte poëtica uns Regeln der Nach- ahmung in der Dichterey ziehen wollen. Waͤren wir nun ein seruum pecus, wenn wir seine Imitatores wuͤrden: So soll er vor uns wol Friede haben, daß wir nicht suchen wer- den, ihn zu imitiren. Er mag seine poetische Weisheit immer fuͤr sich behalten. Was nuz- zet aber sein Buch de arte poëtica, wenn man die Dicht-Kunst nicht draus lernen soll? Zu nichts; man muͤßte denn ihm nachahmen duͤr- fen. Denn er hat nicht eines andern Dicht- Kunst beschrieben, sondern was ihm selbst als dichtermaͤßig vorgekommen. Setzet er nun einen so starken Trumpf darauf, daß er die imi- tatores schlechtweg ein seruum pecus heisset: So de arte poëtica. So gilt es auch auf die imitatores seiner artis poëticae. Wollte man sagen, er rede nicht von den imi- tatoribus uͤberhaupt, daß diese alle ein seruum pecus waͤren; sondern dieser Ausdruck seruum pecus sey eine idea accessoria subiecti, oder daß er nur von sclavischen Nachaͤffern rede: So ist dis eben, was ich sage, daß wir es fuͤr eine sclavische Nachaͤffung halten, uns an seine re- gulas artis poëticae zu binden. Jch trete nunmehro, meine Herren, ab, und hoffe, meinen Gegner Horaz mit seinem eignen Schwerdte erleget zu haben. Doch sie lachen, meine Herren, und weisen mich mit ihren Au- gen, auf den Tisch zu sehen, wo lauter mathe- matische Thier-Kreise abgezeichnet zu finden. Jch merke, dis wolle so viel sagen, als: Jch haͤtte mich bloß in einem Kreise herum gedre- het, und, wie es die Lateiner nennen, so ich aber nicht deutsch zu geben weiß, eine petitionem principii begangen. Da ich also schon im Begriffe war, abzutre- ten, sehe mich genoͤthiget, noch ein wenig Stand zu halten, und mit ein paar Worten darzu- thun, daß ich entweder keine petitionem prin- cipii begangen, oder aber es erlaubt sey, solche zu machen. Jch besinne mich nun, es siehet fast so aus, als habe ich eins durch das andre be- wiesen. Denn ich habe hinter der Hand, oder per obliquum, behauptet, Horaz sey zu ver- werfen: ratio, weil er selbst es verwirft, einen L 2 zu Widerlegung des Horaz zu imitiren. Nun koͤnnte man mir einwerfen: Er tadle nicht jede Jmitation, sondern nur die seruilem. Die imitationem masculam aber nehme er tacite aus. Jch versetze dawider: Es gebe keine imitationem masculam. Denn ent- weder bemause man ihn, wenn man ganze Stel- len ausschreibt, oder es klappt nicht recht, wenn man parodiret; folglich ist alle imitatio serui- lis, oder eine sclavische Nachaͤffung. Jch sehe eine neue Einwendung voraus. Man wird mir ein in meinen Schluͤssen begangenes noch anderes Sophisma beymessen, naͤmlich ei- ne fallaciam a dicto secundum quid ad dictum simpliciter. Horaz rede nur von sclavischen Nachaͤffern; ich aber mache alle Nachahmer zu einem sclavischen Vieh. Jch behaupte dage- gen: Horaz rede gar zu uneingeschraͤnkt: O imi- tatorum seruum pecus! welches man ja nicht suͤglicher uͤbersetzen kann, als entweder nach den Worten: O du knechtisches Vieh derer Nach- ahmer! oder aber nach den Gedanken: O ihr sclavischen Nachaͤffer anderer! Er will also, so viel ich einsehe, es nicht untaxirt lassen, wenn man sich einen andern, wer es auch sey, zum Muster genauer Nachahmung vorsetzet. Es sey entweder affectirt, wenn man einen andern imitire; oder dem andern ungelegen, wenn er ehrgeizig sey: Also praͤtendire er, daß man ihn wol bewundern, aber nicht nachahmen solle. Nun fragen wir Reim-Schmiede und kriechende Poeten nichts darnach, ob unsere Nachahmung anderer de arte poëtica. anderer affectirt herauskomme, oder die Origi- nale, denen wir nachahmen, sichs fuͤr einen Schimpf achten, daß, anstatt ihnen nachzuflic- gen, wir ihnen nachkriechen, mithin von der Nachahmung derselben weit ab sind; aber die erhabenen Poeten bekommen doch dadurch ihre Lection, daß, wenn sie sich zu genau an irgend eines Poeten Muster baͤnden, sollte es auch selbst Horaz seyn, sie ein seruum pecus imitatorum seyn wuͤrden. Noch ein Sophisma scheinet hinter meiner Dollmetschung von den angefuͤhrten Worten des Horaz zu stecken. Man nennet das ein Sophisina in diuisione, wenn man diejenige Idee zum praedicato einer Proposition referiret, die zum subiecto haͤtte geschlagen werden sollen. Also sey hier der Satz eigentlich dieser nicht: Imitatores sunt seruum pecus. Denn so waͤ- re die Idée eines serui pecoris das praedica- tum von dem subiecto, oder imitatoribus; son- dern eben diese idea: pecus seruum, gehoͤre, als eine Neben-Jdee, ja als eine idea limitans, zum subiecto, naͤmlich imitatorum, so daß Ho- raz so viel sagen wollen, als: Illi imitatores, qui sunt seruum pecus, sunt reprehendendi. Aber auf diese Art haͤtte Horaz das ganze prae- dicatum verschlucket. Denn wenn ich nun spraͤche: O ihr sclavischen Nachaͤffer anderer! O ihr plumpes Vieh bey Nachahmung anderer! So waͤre es doch keine vollstaͤndige Proposi- tion, wo man nicht zu diesem subiecto wenig- L 3 stens Widerlegung des Horaz. stens in mente ein subiectum supplirte. Wer kann uns aber dafuͤr gut seyn, ob Horaz die J- dee seruum pecus habe als eine accessoriam et restringentem subiecti, naͤmlich imitatorum, angesehen wissen wollen; oder ob er nicht viel- mehr den Satz im Kopfe gehabt: Vos imita- tores estis seruum pecus. Jhr Nachahmer seyd ein sclavisches Vieh. Haͤtte er dieses sa- gen wollen: So ist mein Schluß richtig: Sind alle Nachahmer ein sclavisch Vieh, also auch die Nachahmer des Horaz poetischer Dicht- Kunst. Und gewiß, es laͤßt sich kaum einer imitiren, wo man sich nicht in Gedanken an seine Stelle setzet, ihm auf dem Fuße nachgehet, und seinen Character auszudruͤcken suchet. Die- ses habe ich mir nun, in Ansehung ihrer poeti- schen Meisterstuͤcke, meine Herren, zu thun vor- genommen, wenn gleich Horaz mich hundert- mal ein seruum pecus hiesse! Siebentes Probestuͤck. Etliche, nach den Regeln der Reimschmiede- Kunst und kriechenden Poesie geflissentlich eingerichtete, poetische Meisterstuͤcke. Vorerinnerung. Jch haͤtte von Rechts wegen bey E. loͤblichen Froschmaͤusler-Gesellschaft annoch zwey poeti- sche Proben uͤberreichen sollen, darunter die ei- ne ein Knittel-Gedichte, oder Hans-Sachsen- Poesie, die andere ein specimen von kriechen- der Poetische Meisterstuͤcke. der Poesie gewesen waͤre. Weil ich aber, bey den sechs vorhergehenden Probestuͤcken, schon so viel Arbeit und Zeit-Aufwand gehabt: So ist der Secretair obiger Gesellschaft fuͤr mich por- tirt gewesen, und hat in Vortrag gebracht: Daß die beyden poetischen Meisterstuͤcke, die ich hierdurch uͤberliefere, per imputationem mora- lem dafuͤr angenommen werden moͤgten, als wenn ich sie selber aufgesetzt. Das erste ist ein Knittel-Gedicht, welches gewiß einer muß gemacht haben, der kein ge- meiner Reim-Schmied gewesen. Es sind fast alle Regeln der Reimschmiede-Kunst und krie- chenden Poesie mit Fleiß darinn angebracht, und lautet, wie folget: W enn mich etwan Unmuth und Grillen Daheime wollen plag’n und trillen: So pfleg ich dann ganz saͤuberlich Auf das Land zu erheben mich, Vergeß daselbst das widrig Gluͤck Und mein leidiges Geschick, Welche sind Geschwister Hur-Kinder, Martern mich alle beyd’ nicht minder, Lassen mich stehn, woll’n mich nicht dingen, Lassen mirs in keinem Stuͤck gelingen; Sondern plagen und nagen mich baß, Als wenn ich waͤr ein Raben-Aas. Wenn ich nun so daran gedenk, Fehlt wenig, daß mich nicht erhenk; Jedoch, weil es verbothen ist, Auch nicht fein stehet, wenn ein Christ Jst aufgeknuͤpft mit einem Strang, Und haͤngt so da die Laͤnge lang: So bleibe ich denn immer leben, Thu mich zu gut’n Freund’n begeben, L 4 Sowol Poetische Meisterstuͤcke. Sowol in als ausser der Stadt, Wie sich noch neulich begeben hat, Daß ich drauß’n in Loschowitz Hielt ein Paar Tage meinen Sitz, Und fuhr darnach wieder zuruͤck Mit einer Schiffs-Frau kurz und dick, Jst vielen Leuten wohl bekannt, Wohnt draussen an der Elben Strand. Sie erzehlet mir manch alte Maͤhr, Als wenn es gestern geschehen waͤr, Sprach unter andern auch zu mir: Jch sollt anitzt zusehen hier, Wie der Elb-Fluß da waͤr so klein, Als er wol moͤgt gewesen seyn, Da wir gehabt die blaue Noth, Zu viel Fleisch und zu wenig Brod: Meynt, da die Schweden hier gewesen. Thaͤt ferner den Planeten lesen, Sagt: Es waͤr ein so truckner Sommer, Macht Schiff- und Muͤllern großen Kommer, Auch andern ehrlichen Leut’n mehr. Ein boͤs Zeichen muͤßt regieren sehr, Etwan Saturn, od’r Scorpion, Daß der Gift fiel herab davon. Der Mond haͤtt auch viel schlimm Ausfluͤß, Wie ihr Calender gaͤb Zeugniß, Verkuͤndigte viel Wunder-Dinge, Daß der Himmel voll Jammer hienge. Von Krieg, Pest, theurer Zeit und Tod Waͤr duͤrrer Somm’r gewiß ein Bot, So auch kleine Wasser prophezey, Welches sie oft erfahren frey; Und macht davon so viel Gerede, Daß ich dacht: Haͤtte dich der Schwede! Sie ist gleich also vielen Leuten, Die meynen, gleich muß was bedeuten, Wenn Hunde heulen, Katzen mauen, Oder dicke Nebel zu schauen, Wenn Poetische Meisterstuͤcke. Wenn Winde wehn und regnet viel, Wenns Wasser waͤchst, steigt uͤbers Ziel, Wenn Sonn und Monden etwan roth, Legen sie’s aus von Krieg und Tod; Wenn Wolken wunderlich gethuͤrmt, Alsdenn viel Ungeluͤck herstuͤrmt; Wenn etwan auftrit ein Comet, Mit seinem Schweif gar praͤchtig geht: So schreyen sie gleich aus Mirakel, Guck’n in Gottes Tabernakel, Halten alles fuͤr Wunder-Zeich’n, Denk’n die Deutung zu erreich’n. Da solche Thoren besser thaͤten, Laͤsen Mosen und die Propheten, Auch der Evangelisten Schaar, Die koͤnnen besser sagen wahr, Die sprechen: Wenn herrscht Suͤnd und Schand: So strafe Gott ein solches Land. Wo man ab’r leb in Ehrbarkeit: So schon uns Gott mit Plag und Leid. Das ist die rechte Prophezey; Das andre ist nur Phantasey, Das alte Weib’r, Kinder und Gecken Jn ihrem Kalbs-Gehirne hecken, Und plagen damit ehrlich Leut, Wie mir geschehn zu dieser Zeit: Denn ich mußt solches mehr anhoͤren, Bis wir thaͤten zu Lande kehren, Da mußt sie schweigen wider Will. Wie es denn giebt der Weiber viel, Die immer in das Gelag nein waschen, Und brauch’n also ihre Maul-Taschen, Daß man davon wird als wie taub, Jn die Haͤnd mir kommen ist der Glaub. Darum spricht jener weise Mann: Daß der stark sey, so schweigen kann. Auch Syrach und Fuͤrst Salomon Schreiben mit Fug und Recht davon: L 5 Daß Poetische Meisterstuͤcke. Daß die Zung zwar ein kleines Ding, Daran doch’s Menschen Wohlfahrt hieng. Mancher hat erobert Thurm und Mauren, Muß letzt um seine Zunge trauren. Drum Schwatzen und Plaudern bringt Elend; Schweigen hat niemals einen geschaͤndt. Sonderlich das lieb und schoͤne Geschlecht Weiß ihre Zung zu brauchen nicht recht: Plappern, plerren, waschen und reden, Wenn sie mit Schweigen besser thaͤten. Doch giebt es auch gar viele Maͤnner, Die von ihrer Zung nicht seyn Herr, Machen viel Wort, und sagen nicht viel, Die taug’n nicht ein’n Birnen-Stiel. Als ich nun so erloͤset war Von dieser augenscheinlich Gefahr, Zu verlieren auf eines mein Gehoͤr, Wenn die Fahrt haͤtt gedauret mehr: So gieng ich heim in meine Stube, Da kam zu mir mein Knecht und Bube, Sprach: Es stuͤnd dort an meiner Thuͤr Ein Mann, der kaͤm ihm ehrlich fuͤr, Saͤh ehrbar aus, waͤr schwarz bekleidt, Haͤtt eine Krause lang und breit, Mit Seif und Laugen weiß gewaschen, Und einen Brief in seiner Taschen. Jch ließ ihn bald zu mir rein kommen, Damit sein Antrag werd vernommen. Bin nicht, wie viel hochmuͤthig Leut, Die thun, als haͤtten’s nicht der Zeit, Thun als was rechts, verstecken sich, Mit ihn’n zu sprechen ist schwerlich; Machen sich gar groß und viel zu schaffen, Und sind der Vornehmen ihre Affen; Wollen, als wie die großen Herrn, Mit jedermann nicht sprechen gern; Meynen, es sey verkleinerlich, Wenn sie so viel erniedern sich; Blasen Poetische Meisterstuͤcke. Blasen die Backen; strotzen den Ranz; Denk’n, sinds selber gar und ganz. Hochmuth und Geiz sind von den Dingen, Die jedermann in Abscheu bringen. Ein jeder des Hoffaͤrt’gen lacht, Ob er gleich wird von ihm veracht. Drum Demuth ist ein zierlich Tugend, Schmuͤckt Mann und Weib, Alt’r und Jugend, Jch mich derselben auch befleiß, Verdien damit auch Ehr und Preis. Obwoln Kayserlich Majestaͤt Mir unverdient die Gnade thaͤt, Macht mich durch ein Palatinus Zus Roͤmischen Reichs Notarius. Bin auch ein kuͤnstlich Advocat, Dien meinem Naͤchsten fruͤh und spat, Darf frey bey hiesiger Canzeley Rechts-Sachen fuͤhren ohne Scheu, Jst manchem Kautzen nicht vergoͤnnt, Ob er sich gleich die Schuh abrennt. Doch diese Ehren mannigfalt Verhindern mich in keiner Gestalt, Daß ich nicht Demuth lieben sollt. Denn was bey Erzen ist das Gold, Das ist die Tugend der Demuth, Schad niemand, ist zu vielen gut. Deswegen, wie ich hab verstahn, Daß an der Thuͤre waͤr ein Mann, Ließ ich ihn alsobald hertreten. Er kam mit zierlichen Geberden, Sah aus, als wie ein geistlich Ritter, Es war der Grab- und Hochzeit-Bitter, Sprach zu mir mit maͤnnlicher Stimm: Mein Herr Notarius, vernimm, Wie ich anitzt bin hergesandt Von Braut und Braͤut’gam, wohlbekannt, Bitten sich aus seine Beywohnung, Wenn man sie fuͤhret zur Trauung; Darnach Poetische Meisterstuͤcke. Darnach soll er nebst andern Gaͤsten Mit Speis und Trank sich weidlich maͤsten: Denn in des Rathes Breyhan-Haus Wird zugericht ein Hochzeit-Schmaus; Kann dabey lustig lachen und scherzen, Die Jungfern, wenn sie wollen, herzen; Machen auch sonsten gute Schwier, Trink’n guten Wein und frisches Bier, Das man herbringt von Gavernitz, Loͤscht aus den Durst, vertreibt die Hitz, Und was er sagte noch vielmehr, Der Ehre mich bedankte sehr, Ließ machen ein schoͤn Compliment, Wie Braut und Braͤut’gam wohl bekennt. Darauf so fiel mir jaͤhling ein, Wie ich der Braut, so schoͤn und fein, Unlaͤngst mit Hand und Mund versprochen: Daß, wenn ihr Kraͤnzlein werd zerbrochen, Wollt ich mit Vers und Dichterey Auch schmuͤcken ihre Hochzeit frey. Nun weiß ich wol zu dieser Frist, Was ehedem geschehen ist: Wie ich mir vormals eingebildt, Als koͤnnte ich gar huͤbsch und mild Die Wort in Vers und Reime zwingen, Und schoͤn Poeterey vollbringen; Wie ich denn in mein juͤngern Jahren, Ob ich der Sach gleich unerfahren, Reimte die Laͤnge und die Queer, Meynt was fuͤr ein Poet ich waͤr, Hielt mich fuͤr Phoͤbus Spieß-Gesellen, Dacht, ich koͤnnt fein Gedichte stellen. Wie denn insonderheit die Jugend Hat dieses Laster und Untugend, Vermeynen, alles zu verstehn, Und habn die Sache kaum gesehn, Bildn sich gar groß Dinge ein, Wollen gelehrt und altklug seyn, Protzen, Poetische Meisterstuͤcke. Protzen, prangn und bruͤsten sich, Denken, alle Leut itzt sehn auf dich. Und so gehts zu in allen Staͤnden, Wo wir uns in der Welt hinwenden, Jeder denkt, er habs erwischt, Da man ihn heimlich doch auszischt; Man lacht geheim ins Faͤustgen nein, Daß Thoren meynen klug zu seyn: Denn Weisheit wird bey ihn’n geacht, Als kaͤm sie ohnvermerkt die Nacht, Wenn sie dort schnarchen, schlafn und rastn, Und kroͤch in ihrn Narren-Kastn, Als wie eine Maus in eine Fall, Mach sie verstaͤndig uͤberall. Und dieses ist die wahr Ursach, Warum ich keinen Vers mehr mach: Denn ich trag daran keinen Zweifel, Was ich dicht, taugt nichts, wie der Teufel. Bin nicht, wie manche junge Laffen, Die, gleich als die poßirlich Affen, Halten ihr Kind fuͤr huͤbsch und fein, Da es doch nur Meer-Katzen seyn. Jedoch, weil Wort und Zusag halten Gar wohl anstehet Jung und Alten: So hab ich dieses ausgedacht, Und einen Bogen voll gemacht. Schickt sichs nicht gut: So reimt sichs doch. Jch hab viel mehr gesehen noch, Das sich noch wenger reimt und schickt, Und wird doch immer hingedruͤckt. Jch meyn, soll gut genug noch seyn, Den Bratn huͤbsch zu wickeln drein, Auch Kuchn und Aepfel einzupacken, Und das Confect hinein zu sacken; Weil doch von meistn wird gedacht, Daß man darzu die Reime macht. Das macht, ihr Haupt ist wuͤst und leer, Wie es bey der Erschaffung waͤr; Daher Poetische Meisterstuͤcke. Daher haben sie nur Spott daran Mit Sachen, die sie nicht verstahn. Doch, wenn ich laͤnger schreib Moral, Schreib ich von hier bis Portugal, Und auch noch wol eine Ecke druͤber, Weil mir darob kommt an das Fieber, Und werde ich gar sehr erbost, Wenn mir so ein Laßduͤnkl aufstoßt, Meynt, er hab all Weisheit gefressen, Da andre Leut doch mehr vergessen, Als er, sein Vatr und ganz Geschlecht Habn ihr Tage gelernet recht. Doch hier will ich nunmehr abbrechn, Und letzlich ein fein Wuͤnschlein sprechn, Thu mich daher gar zierlich wenden Mit Hofmaͤnnisch gefaltnen Haͤnden Zur lieben Braut und Braͤutigam, Die heut beginn’n einen neuen Stamm, Und fangen an nun Haushaltung, Sind zufrieden mit Gottes Schickung, Der sie zusammen hat gebracht, Wie ers mit Ev’ und Adam macht. Jch hoff, sie sollens auch so machn, Und nicht vergessen Scherzn und Lachn, Wie Jsaac thaͤt mit Rebecca, Als man von ferne ihm zusah. Jch wuͤnsch daher an diesem Tag: Daß ganz abweich all Noth und Plag; Hingegen moͤge Gottes Segen Auf ihr Haus und die Jhr’gen regen, Und zwar so haͤufig und Brets-dick, Daß alles Boͤs davon erstick; Der Neid mit seinen gift’gen Laffen, Der mache ihnen nichts zu schaffen; Der Himmel laß ihr Thun gelingen, Daß sie Frucht hundertfaͤltig bringen; Und obschon um ein großes minder, Schadt nicht, weil nicht gut seyn viel Kinder, Sie Poetische Meisterstuͤcke. Sie plappern, schreyn, kluchzen und schnarr’n, Daß man moͤgt werden fast zum Narr’n, Sie machen den Kopf wuͤst und toll, Wenn davon das Haus gar zu voll. Drum wen’g und gut ist ein Sprichwort, So itzo auch anher gehort. Daher an diesen Hochzeit-Tagen Wuͤnsch ich es auch mit Herz und Magen Und meinem ganzen Eingeweid: Der liebe Gott geb stete Freud! Gewiß, es kommen in vorstehendem Hans- Sachsen-Gedichte artige Treffer vor, und laͤßt sich mit Lust lesen. Uebrigens habe nachgedacht, warum man wol dergleichen Gedichte Knittel- Verse nenne? Kaͤme die Bedeutung vom Wor- te Knittel: So hat man zwey Spruͤch-Woͤr- ter in der deutschen Sprache, die sich darauf in etwas appliciren lassen. Das eine lautet: Wenn man mit Knitteln unter die Hunde wirft, weldet sich der getroffene. Das heißt in hypothesi: Man kann in Knittel-Reimen einen so gut railliren, als in einer foͤrmlichen Satyre. Hiernaͤchst ist ein ander Spruͤch- Wort: Der Knittel ist nicht weit vom Hun- de. Denn man laͤßt sie oft mit einem Knittel am Halse laufen. So hat denn auch ein scher- zender Poete seinen Knittel am Halse, das ist, er muß nicht aus den Schranken eines Dich- ters gehen, damit er nicht auf die Finger geklop- fet werde. Nun fuͤge ich noch das andere Meister-Stuͤck hinzu, welches ein, à dessein, nach den Regeln der Poetische Meisterstuͤcke. der kriechenden Poesie, von einem unserer Mit- glieder, dem kleinen Schlangen-Kopfe, auf- gesetztes Lob-Gedichte auf den Knobloch ist, samt einer, in Hans-Sachsen-Reimen verfer- tigten, Zueignungs-Schrift sothanen Lob-Ge- dichtes an Tit. Hn. D. Knobloch, vornehmen Rechts-Consulenten und beruͤhmten Dichter in Zittau, auch, dem Vernehmen nach, ernannten Krieges-Rath, sed nescio vbi? Jch habe nicht die Ehre, ihn von Person, sondern nur aus seinen haͤufigen Gedichten zu kennen. Er wird es nicht uͤbel nehmen, daß, da wir dis ganze Werkgen der preiswuͤrdigen Freymaͤurer-Gesellschaft in Ber- lin dediciret, wir dis letzte Gedichte seinem poeti- schen Namen besonders weihen. Nach der sehr guten Meynung, die ich insonderheit von ihm ha- be, und nach dem eingefuͤhrten Gebrauch E. Loͤbl. Froschmaͤusler-Gesellschaft, habe ich, in meiner Eintritts-Rede, ihn, nebst noch zweien andern wuͤrdigen Poeten, vorgeschlagen, alle drey zu ersu- chen, in unsere kurzweilige Gesellschaft zu treten. Sollte ich nun mit meinem wohlgemeynten Vor- schlage, wie man spruͤchwortsweise redet, den blos- sen schlagen: So wuͤrde ich daruͤber sehr erroͤthen. Wir hoffen daher, er werde Scherz und Ernst zu discerniren wissen, und uns auf diese oͤffentliche Einladung einer Antwort wuͤrdigen, oder solche an den, bey der ersten Dedication sich nennenden, Secretair unserer Gesellschaft uͤbersenden. Jch rede ihn, im Namen eines meiner getreuen Mitge- huͤlfen, also an: Kunst- Kunstbewaͤhrtes Quodlibetisches Lob-Gedichte auf den Knobloch, ein, sonderlich bey Juden, hochgehaltenes Kraͤutrig. Samt einer Zuschrift an (S.T.) Herrn D. Knobloch, weltberuͤhmten Poeten und hoch- bestallten Krieges-Rath, aufgesetzt in kunstreichen Hans-Sachsen-Reimen von Hans Reimschmidten, Baccalaureus in der Dicht-Kunst. Freyberg, 1742. M Ganz gehorsamste Zuschrift an den weltberuͤhmten Poeten und hoͤchst gluͤcklichen Reim-Erfinder, auch hochbestallten Krieges-Rath, (S. T.) Herrn Doctor Knobloch, aus Zittau; in vormals beliebten, nunmehro aber altfraͤnkischen, Hans-Sachsen-Reimen, demuͤthigst abgefaßt von Hans Reimschmidt, aus Sachsen, gekroͤnten Baccalaureus in der Dicht-Kunst. D u in der Reim-Kunst großer Mann! Du Erz-Poete unsrer Zeiten! Haupt-Dichter! welchem ich nicht kann, Noch will, den Ehren-Ruhm abstreiten; Jch, ja ich armer Coridon, Such einen großmaͤchtgen Patron; Lies hier mein Knoblochs-Lob-Gedicht, Jch habe es an Dich gericht, An Sie, Herr Kriegs-Rath, wollt ich saan. Nun geht mein rechtes Reimen an, Nach des Hans Sachsens guter Art, Die sonsten hochgehalten ward. Es Zuschrift. Es fließt mir da besser mein Vers, Als hochtrabend, mir glaube Ers. Herr Doctor, ich gaͤb alles weg, Wenn jemand mir zeigte den Steg, So schoͤn zu reimen, als mein Herr: Denn ich trage laͤngstens groß Ver- langen, als Baccalaureus Der Dicht-Kunst, die ich ruͤhmen muß, Daß ich etwas von Seiner Kunst Nachmachen koͤnnte, ohne Dunst. Herr Doctor, Kriegs-Rath, ich es wag, Weil man mir oftermals gesagt, Man soll ein Muster nehmen vor Von Jhm, ich sag es Jhm ins Ohr. Jch hab mir Seine Vers gekauft, Und manches alhier umgetauft, Das ist, ich bringe vieles an, Davon ich nicht verschweigen kann, Jch habe es von Jhm geborgt; Nun habe ich dabey besorgt, Jch, Dichts-Kunst-Baccalaurcus, Moͤgt heissen Plagiarius, Das heißt, der aus den Schriften stiehlt, Unds fuͤr seine Arbeit ausgiebt; Damit mirs nun nicht auch so geh: So sag ich Jhme, sonder Weh, Was guts an meinm Gedichte ist, Das dank ich Jhm zu jeder Frist. Nur hab ich auch aus meinem Kopf, Um nicht zu seyn ein armer Tropf, Etwas eigenes zugethan, Er seh es nur, Herr Doctor, an. Jch bin auch schluͤßlich im Gemuͤth Sein willger Diener Freyberg, am Maͤrtens-Tage, 1742. Hans Reimschmied. M 2 Quod- Quodlibetisches Lob-Gedichte auf den Knobloch, ein Kraͤutrig, das sonderlich die Juden sehr gernè essen. 1. K nobloch schmeckt gut, bey meiner Seel: So sprach juͤngst Mauschel Jsmael; Er stank nach Knobloch, wie ein Bock, Jn seinem abgeschabten Rock. Er kam aus dem entlegnen Polen, Sich bey uns; nein, aus Halberstadt, Recht guten Knobloch abzuholen, Weil man da solchen oͤfters hat. 2. Knobloch schmeckt kausch, ich bleib dabey: So machte Esther ein Geschrey, Des Rabbi Großbarts Eheweib; Ja, sie schrieb den hochschwangern Leib Der Kraft des edlen Knoblochs-Krautes Jm Ernste zu, und sprach: Da kaut es, Es schmeckt wie suͤße Marcipan, Mir ists so lieb, als wie mein Mann. 3. Hier that nun zweyer Zeugen Mund Des Knoblochs Lob mir erstlich kund. Jch haͤtte sonst nicht dran gedacht; So aber hatt ich darauf Acht. Jch konnt ein Thema nicht erfinden, Denn alles war schon durchgereimt; Jch saß gleich unter Leipzigs Linden, Man hatte Verse angeleimt: 4. Zu Lob des Knoblochs. 4. Zu wissen, (so war es gesetzt) Daß, welcher seinen Witz gewetzt, Und auf den Knobloch ein Gedicht Aufsetzet, das gut eingericht, Dem geb ich dafuͤr zwey Ducaten, Nebst einem fetten Schweine-Braten, Den habe ich schon zugeschickt, Und ist mit Knobloch wohl durchspickt. 5. Halt! zwey Ducaten, dachte ich, Sind schon der Muͤh werth, sicherlich, Daß man dafuͤr den Knobloch lobt, Wenn gleich der Neid dawider tobt. Man giebet heut fuͤr ein Gedicht So leichte zwey Ducaten nicht. Ein Braten geht noch oben drein, Gewiß, der schmecket auch ganz fein! 6. So thu ich denn dagegen kund, Und schwoͤre hier mit Herz und Mund: Woferne niemand mich absticht: So geb ich dies mein Lob-Gedicht Vom Knobloch fuͤr zwoͤlf ganze Batzen; Denn zwey Ducaten ists nicht werth, Nur wird der aus der Schul nicht schwatzen, Der mir so weniges verehrt. 7. Nun geht das Lob vom Knobloch an: Der Knobloch staͤrket Frau und Mann; Der Knobloch ist dem Magen gut; Der Knobloch machet frischen Muth; Der Knobloch taugt bey jedem Essen; Den Knobloch soll man nicht vergessen; Der Knobloch stinkt, und nutzt doch sehr, Der Knobloch ist in großer Ehr. M 3 8. Er- Nachspiel. 8. Erregt euch ein Proceß die Gall, Der Knobloch hilft euch uͤberall. Haͤtt ein jung Weibgen gern ein Kind, Der Knobloch hilft dazu geschwind. Hat einer Grimmen in dem Bauch, Der Knobloch hilft dawider auch. Der Knobloch hilft zu allen Sachen, Und auch sogar zum Versemachen. Nachspiel, oder Kurze Nachricht von den Ceremonien bey Aufnahme eines neuen Candidaten oder Candidatin in die Hans-Sachsen- und Froschmaͤusler- Gesellschaft allhier. N achdem ich vorstehende sieben Probestuͤcke uͤberreichet, und E. Loͤbl. Froschmaͤusler- Gesellschaft solche ein acht Tage in Deliberation gezogen: So wurde mir, zur wirklichen Auf- nahme, gerade der Tag angesetzt, den die Gesell- schaft hochfeyerlich begehet, weil ihr erkohrnes Oberhaupt, der weyland beruͤhmte deutsche Poe- te, Hans Sachse, an solchem Tage ehedem gebo- ren worden, dessen Ehren-Gedaͤchtniß, unter ei- ner eigenen Composition, sowol beym Anfange als Schluß der Assemblée, vornemlich durch ge- meinsame Absingung des folgenden, ihm zu Ehren gefertigten, Liedleins, bey uns celebrirt wird. Wir Nachspiel. Wir haben einen eigenen Marsch darauf com- poniren lassen; es kann aber auch nach der Me- lodie des erbaulichen Morgenliedes: Wie schoͤn leuchtet der Morgenstern am Firmament des Himmels fern, ꝛc. gesungen werden, und lautet also: Hans Sachs! Hans Sachs so loͤbelich, Jst uns geboren saͤuberlich Von seiner Mutter heute. Unser lieber Froschmaͤuseler War ein Poet, fuͤrtrefflicher, Als wir verdorbne Leute. Zucket, ducket! Jhm zu Ehren laßt uns hoͤren; Holt die Leyer, Auch die Sackpfeif zu der Feyer! Nach beschehener Absingung wurden mir Hans Sachsens Buͤcher, nebst dem Froschmaͤuseler, in Schweins-Leder eingebunden, vorgeleget. Jch mußte von der einen Ecke des Bandes uͤber die an- dere mit dem Daumen und kleinen Finger hinweg spannen, ob ichs uͤberspannen koͤnnte. Weil aber niemand die Hand so weit ausdehnen kann: So muß jedes Mitglied bey der Aufnahme angelo- ben, daß, so wenig er diese Buͤcher uͤberspannen koͤnne, so wenig wolle er aus den Schranken der Reimschmiede-Kunst und kriechenden Poesie weichen. Darauf wiese man mir die Froschmaͤuseler- Bibliothec, darinn lauter Scribenten in prosa und ligata vorkommen, die etwas kriechendes, M 4 oder Nachspiel. oder auch Hans-Sachsisches, an sich gehabt; da denn manche große Namen, wegen gewisser Froschmaͤuslerischer Stellen, so in ihren Schrif- ten stehen, mit in solcher Bibliothec, jedoch in einem besondern Repositorio, zum Zeichen, daß sie in den uͤbrigen Chapitren ganz von uns abgingen, zu finden waren. Weil mir nun Vorhaltung geschahe, daß ich, durch Aussprechung des Na- mens: Briontes der Juͤngere, wie auch durch etliche Passagen, zu Anfange des fuͤnften Pro- bestuͤckes, ein jetzig Mitglied dieser Gesell- schaft zu merklich verrathen, jedoch wegen des re- cipirten Wahlspruchs: Honny soit, qui se chan- ge! die Sache nicht mehr zu aͤndern und zu cor- rigiren stehe: So verstand ich mich zu einem selbst- beliebigen Beytrage, zu Augmentirung sothaner Bibliothec. Nach diesem ward, aus der Naturalien-Kam- mer, ein mit einer Maus zusammengewachsener Frosch gebracht, als ein recht natuͤrlich Ebenbild der Froschmaͤusler-Gesellschaft. Jch mußte solche in die rechte und linke Hand nehmen, zum Zeichen, daß ich angelobte, lebenslang gut frosch- maͤuslerisch gesinnet seyn zu wollen. Denen ein- tretenden Frauenzimmern wird noch eine andere Curiositaͤt zur Beruͤhrung vorgelegt, davon ein mehrers, wenn unsere Amarinthe de Feaux- Esprit ihre Probestuͤcken in Druck geben wird. Jch weiß also nichts mehr hinzu zu fuͤgen, als mei- nen Lesern noch zu sagen: Si vales, bene est, ego valeo! D. P. Zwey hundert Waximen von dem gesunden Witz und guten Geschmacke in allen Theilen der Gelehrsamkeit, wie auch D. I. E. P. Vier und zwanzig Louverts, als ein Gratial fuͤr den Herrn Baumeister des Tempels vom guten Geschmacke. Egregiam vero laudem, et spolia ampla refertis Tu, templumque tuum, magnum et memorabile no- men! virgil. 4. Aeneid. Freystadt, 1743. Dem Wohl-Edlen und Kunst- erfahrnen Herrn, Herrn Critico Incognito, weitberuͤhmten Baumeister des Tempels vom guten Geschmack, widmen nachstehende zwey hundert Maximen und vier und zwanzig Couverts, als ein bescheiden Essen, Leipzig, den 31 May, 1743. Dessen gute Freunde, Cordatus Pallatin, und Hans Carl Gutschmecker. Zwey hundert Regeln und Maximen vom gesunden Witze, dem Wohlklange und guten Geschmacke. Erstes Hundert. I. E in gesunder Witz, oder bon sens, der Wohlklang und gute Geschmack koͤnnen nie von einander getrennet werden; son- dern sind drey Schwestern, die sich einander freundlich herzen. II. Der bon sens, oder gesunde Witz, be- urtheilet, was wohl klinge, und gut schmecke. Wenn nun etwas mit dem guten Geschmacke und dem Wohlklange uͤbereinkoͤmmt: So kann man sicher auf den vorhandenen gesunden Witz schliessen. III. Wer eine Sprache aus dem Grunde ver- stehet, der hoͤret gleich, ob eine Redens-Art gut klinge; sein zartes Gehoͤr beurtheilet alsofort, was falsch und unrein ist. Eben so ist der ge- sunde Witz der genaue Aufmerker, ob etwas dem Wohlklange und guten Geschmacke gemaͤß sey, oder nicht. IV. Der gesunde Witz ist hauptsaͤchlich eine Gabe der guͤtigen Natur; doch kann er durch die Wissenschaften und den Umgang mit beaux Esprits, Zwey hundert Maximen ꝛc. Esprits, oder scharfsinnigen Koͤpfen, und Lesung ihrer Schriften, mehr poliret werden. V. Der gesunde Witz siehet auf die Rich- tigkeit der Gedanken; der Wohlklang auf deren netten Ausdruck; der gute Geschmack auf die daher entstehende Ruͤhrung des Her- zens. VI. Die Wahrheit, und der Geschmack der- selben, sind zwey gar unterschiedene Dinge. Jst nun der Geschmack verdorben: So wird einem das Wahre fuͤr falsch, und das Falsche als wahr vorkommen. VII. Ein wirkliches Gut, und die Empfin- dung oder der Geschmack eines wahrhaften Gu- res, ist ebenfalls von einander oft weit unter- schieden. Die verkehrten Leidenschaften des Herzens, und die vorgefaßten Meynungen eines unaufgeklaͤrten Verstandes, machen, daß man- chem das wahre Gute gar nicht nach seinem Ge- schmacke ist. VIII. So weit die Menschen in den Gemuͤths- Neigungen von einander unterschieden sind: So weit gehen sie auch im Geschmacke von einander ab. Was daher nach dem Geschmacke eines Narren ist, das wird einem weisen Manne ei- nen Ekel verursachen; und was dem Weisen gut schmeckt, das wird einem Thoren uͤbel zu verdauen seyn. IX. Die Liebe, der Haß und die Gleichguͤl- tigkeit haben einen großen Einfluß in den Ge- schmack. Eben der Einfall, der nach eines gusto ist, Zwey hundert Maximen ist, weil er von einem Freunde oder angesehenen Manne, herruͤhret, wuͤrde ihm unschmackhaft vorkommen, wenn ihn sein Feind oder ein un- angesehener Mann vorgebracht haͤtte. X. Manche Schriften der Gelehrten, die das Ungluͤck haben, in uͤblem Rufe zu stehen, wuͤr- den fuͤr die herrlichsten Gedanken angepriesen werden, wenn nur ein beruͤhmter Name davor stuͤnde; hingegen auch wuͤrden viele Schriften großer Maͤnner einem anstinken, wenn ein verhaßter Name solchen vorangesetzet waͤre. Der Credit, darinn ein Scribent stehet, giebt oft den schlechtesten Gedanken das trefflichste Ansehen. XI. Es ist etwas ohnmoͤgliches, und eine Thorheit, zu verlangen, daß alle Menschen ei- nerley Geschmack haben sollen. Wie die Na- tur einen Unterschied unter denen Sachen und Personen gemacht: Also auch in dem Geschmak- ke. Daher koͤnnen zwey einen ganz widrigen, und doch beyde einen guten Geschmack haben. XII. Wie derjenige, der gern Saures isset, darum nicht einen bessern Geschmack hat, als der gern Suͤßes kostet, sondern den einen das Suͤße so empfindlich ruͤhren kann, als den an- dern das Saure; eben so kann einer, der ernst- haften Gemuͤthes ist, mehr Geschmack an ernst- haften Sachen finden; dagegen dem, der eines lustigen scherzhaften Gemuͤthes ist, die aufge- weckten badinirenden Einfaͤlle mehr gefallen. Gleichwol kann man nicht sagen, daß einer von beyden vom gesunden Witze, ꝛc. beyden einen bessern oder verdorbenern Geschmack habe; sondern man muß auch hier sagen: Je- des Ding nach seiner Art. XIII. Ein durchdringender Verstand, der durch schnelle Einsicht das Verdeckte in den Ge- danken leicht aufdecken kann, wird an tiefsinni- gen bon-mots einen Geschmack finden, da hin- gegen einer, der lange erst nachdenken muß, bis er den rechten Sinn erraͤth, leicht einen Ekel daran bekommen wird. XIV. Wo also die Natur selbst die Gaben des Verstandes verschiedentlich ausgetheilt hat, muß kein Vernuͤnftiger einen andern in dem ta- deln, was seinem natuͤrlichen gusto gemaͤß, des andern Naturell aber entgegen ist; vielmehr koͤn- nen beyde in ihrer Art einen guten Geschmack haben. XV. Wenn hingegen auf der einen Seite eine wirkliche Schwaͤche des Verstandes ist: So muß der Schwachkoͤpfige und im Denken Langsame den nicht tadeln, der mit seinem schnel- len Witze in die Tiefe eines Gedanken flugs dringet, die dem andern verborgen bleibt. Der Scharfsinnige hingegen muß auch den, der we- niger Witz und Geschmack hat, nicht verachten. Denn beydes sind Talente der weisen und frey ausspendenden Natur. XVI. Wenn aber des einen Geschmack aus einem Jrrthume oder Laster herruͤhret, ist er nothwendig verdorben, und also tadelnswerth. Also wenn ein keusches Gemuͤth keinen Ge- schmack Zwey hundert Maximen schmack an Zoten, unzuͤchtigen Bildern und Stellungen findet, zeiget es einen richtigen gu- ten Geschmack an; einen verdorbenen aber, wer sich an solchen Dingen belustiget, und damit kuͤtzelt. XVII. Es giebt Wahrheiten, die von keinem sonderlichen Gewichte noch Nutzen sind. Wer nun daran einen besondern Geschmack findet, und sie denen noͤthigern und nuͤtzlichern Wahr- heiten vorziehet, der verraͤth damit seinen ver- dorbenen Geschmack. XVIII. Es giebt Kuͤnste und Wissenschaften, die sich fuͤr gewisse Staͤnde und Lebens-Arten schicken. Wer aber nicht in solchem Stande lebet, noch dergleichen Profeßion sich fuͤr ihn ei- gentlich schicket, gleichwol sie seinem eigenen Stande und Beruf vorziehet, der hat einen un- richtigen Geschmack. Z. E. wenn ein Fuͤrst wollte einen Schul-Gelehrten oder Handwerks- Mann abgeben; oder ein Gelehrter wollte Re- geln fuͤr Cabinets-Minister schreiben: So haͤt- ten beyde einen verkehrten gusto. XIX. Wer eines andern Schriften unpar- teyisch beurtheilen will, der komme ja nicht mit einem widrigen Affecte daruͤber, wenn der Au- tor etwa sein Feind ist, oder in keinem großen Ansehen stehet; sonst wird er wenig Geschmack an dessen besten Gedanken finden; sondern, wenn er seines Feindes Schriften lieset, thue er, als wenn sie sein bester Freund geschrieben haͤtte. Hat sie aber sein Freund aufgesetzt: So thue er vom gesunden Witze, ꝛc. er im Gemuͤthe, als ob er den schaͤrfsten Gegner vor sich habe. XX. Wenn einer vor einer Schrift einen großen Namen siehet: So besinne er sich auf einen Scribenten, der einen verhaßten Namen hat, und thue, als ob solcher davor stuͤnde. Spricht nun sein Verstand dennoch das Urtheil, daß die Gedanken des Verfassers schoͤn sind: So wird er schwerlich gegen den guten Geschmack pecciren. XXI. Hingegen auch, wenn vor einer Schrift ein verhaßter oder verdaͤchtiger Name stehet: So stelle er sich einen angesehenen Mann vor, als ob der solche Schrift gemacht. Giebt nun da sein Verstand gleichwol den Ausschlag, daß die Gedanken des Verfassers mager, schluͤpfrig, leichtsinnig, unuͤberlegt und ohne bons sens sind: So wird er schwerlich einem unrichtigen Ge- schmacke folgen. XXII. Einen richtigen Geschmack zu erhalten, muß man zuvoͤrderst die saͤmtlichen Kraͤfte des Verstandes wohl uͤberlegen; denn jede besondre Kraft hat auch einen besondern Geschmack. XXIII. Wer von Natur ein Talent zu in- genieusen Einfaͤllen hat, dessen Geschmack wird auch mehr darauf gehen, als auf tiefsinnige ju- dicieuse Wahrheiten. Daher z. E. die Franzo- sen, wegen ihres witzigen Naturels, zu denen bons-mots aufgelegter sind, als die Spanier, oder Englaͤnder. N XXIV. Zwey hundert Maximen XXIV. Ein scharfes iudicium findet mehr Geschmack an soliden, und durch starke Be- weise oder Vernunfts-Gruͤnde vestgestellten Wahrheiten, als an lebhaften Einfaͤllen eines aufgeweckten Kopfes. XXV. Wer sein Gedaͤchtniß gern mit Auf- hebung solcher Gedanken bemuͤhet, die andere gehabt, der wird mehr Geschmack an Lesung fremder Schriften finden, als seinen eigenen Ge- danken nachzuspuͤren. XXVI. Einer, der von Natur eine starke Jmagination hat, wird selten an solchen Wahr- heiten einen Geschmack finden, die per intel- lectum purum und durch abstracte Jdeen muͤs- sen begriffen werden. Er wird uͤberall Bilder, und was Sinnliches, suchen; wo er das nicht antrifft, ist es seinem natuͤrlichen Geschmacke entgegen. XXVII. Solche gluͤckseligen Koͤpfe, die einen sehr lebhaften Witz, dabey aber auch durch- dringendes iudicium und starke Jmagination haben, wie z. E. Leibnitz, Wolf, Lock, Neu- ton, Cartesius ꝛc. besitzen einen hohen und sich weit erstreckenden Geschmack. XXVIII. Ein Gemuͤth, das uͤber alle ge- meine Vorurtheile erhaben ist, und nichts fuͤr wahr oder gut annimt, als was es durch voͤlli- ge Ueberzeugung und uͤbereinstimmende Erfah- rung dafuͤr erkannt hat, besitzet einen hohen oder ungemeinen Geschmack. XXIX. Ein Gemuͤth, das seine eigene wah- re vom gesunden Witze, ꝛc. re Groͤße ohne Zusatz noch Mißtrauen abzumes- sen, und seinen eigenen Geschmack so richtig, als etwa eines andern, zu beurtheilen vermag, gehoͤrt zu den wahrhaften starken Geistern und Leuten von dem feinsten Geschmacke. XXX. Ein Gemuͤth hingegen, das alle seine Kraͤfte fuͤr sehr hoch und unvergleichlich an- siehet; des andern aber aus Hochmuth oder Neid geringe schaͤtzet, hat einen vollkommenen Ge- schmack der Eigenliebe und des Selbstduͤnkels. XXXI. Die den Spott-Geist haben, duͤn- ken sich meistens große Geister und Leute von dem feinesten Geschmacke zu seyn, da es doch oͤfters sehr elende unbrauchbare Stuͤmper sind. XXXII. Welche vom Spott-Geiste besessen sind, taugen zu keinen ernsthaften Verrichtun- gen, noch zu Saͤulen des gemeinen Wesens. Die Religion, Staats-Klugheit, buͤrgerliche Gesetze, ja alles wird ihnen laͤcherlich und kurz- weilig vorkommen; welches ihren hoͤchstver- dorbenen Geschmack anzeiget. XXXIII. Wer die Geschicklichkeit, einen an- dern scharfsinnig anzustechen, denen soliden Wissenschaften der Gottes-Gelehrsamkeit, Rechts-Wissenschaft, Arzeney-Kunst und Welt- Weisheit vorziehet, der bezeiget selbst damit sei- nen verdorbenen Geschmack. XXXIV. Wer da meynet, es reichen alle Gruͤnde der Vernunft und Schrift nicht zu, einen von der Gewißheit der Religion zu uͤberzeu- gen, der verraͤth seinen verdorbenen Geschmack. N 2 XXXV. Zwey hundert Maximen XXXV. Ein epicurischer Mensch, der nicht uͤberlegt, ob er sich zeitlich und ewig ungluͤckselig mache, oder nicht, hat von seiner eigenen Wohl- fahrt den allerverdorbensten Geschmack. XXXVI. Wer in Sachen, das ewige Wohl oder Uebel betreffend, nicht mit eigener Empfin- dung schmecken, sondern nur andern nachko- sten will, der hat einen sehr unsichern und miß- lingenden Geschmack. XXXVII. Ein eigensinniger verwoͤhnter Geschmack ist dieser, wenn einer fordert, daß sich alles nach seinem Kopfe richten, und gerade so denken soll, wie er. XXXVIII. Ein verzaͤrtelter verwerflicher Geschmack ist der, welchem nur das gefaͤllt, was mit denen bey weichlicher Auferziehung und Ju- gend-Hitze eingesogenen sentimens uͤberein- koͤmmt; da ihm denn alles zuwider, was solchen entgegen ist. XXXIX. Wem in der Erziehung die ankle- benden Fehler des Verstandes und der verkehrten Leidenschaften nicht abgewoͤhnet werden, dessen verdorbener Geschmack thut dem gemeinen Wesen desto mehr Schaden, je mehr er aͤusser- lichen hohen Stand, Rang und Ansehen hat. XL. Daher ein Prinz, der von ruchlosen, schmeichlerischen, lasterhaften Hofmeistern und Raͤthen umgeben ist, einen so verdorbenen Ge- schmack bekommen kann, daß Land und Leute daruͤber ins Verderben gerathen. XLI. Die genaue Ueberlegung und richtige Erfin- vom gesunden Witze, ꝛc. Erfindung, was die Natur einem jeden Wesen, Stande und Sache fuͤr einen Character beyge- legt habe, kann einem in vielen Dingen, so weit die menschliche Einsicht gehet, zu einem unbe- truͤglichen Geschmacke verhelfen. XLII. Also, wer uͤberzeuget ist, daß Gott, nach seinem allerrichtigsten Verstande, ohnmoͤg- lich irren, und, nach seiner vollkommensten Treue, ohnmoͤglich etwas Falsches fuͤr wahr, und was Boͤses fuͤr gut ausgeben, mithin uns ohnmoͤglich betruͤgen koͤnne, der wird einen in- nigsten Geschmack an dem finden, was Gott entweder in die Natur eingepraͤget, oder beson- ders geoffenbaret hat. XLIII. So sehr demnach die Geheimnisse der Natur und goͤttlichen Offenbarung den na- tuͤrlichen Geschmack weit uͤbersteigen: So ein ehrerbietiges Vergnuͤgen wird doch derjenige daran finden, der einen rechten Geschmack von der Religion hat. XLIV. Wer hingegen die Maxime im Kopfe hat, alles zu verwerfen, was er nicht deutlich einsiehet, der hat einen sehr verderbten Ge- schmack, und ist ein ohnfehlbarer Narr, wenn er in hohen Wuͤrden stehet, oder macht sich selbst ungluͤcklich, wenn er von Hoͤhern dependiren muß. Denn die werden oͤfters sagen: Sic vo- lo, sic iubeo. Jch will keinen Raisonneur, sondern bereitwilligen Gehorsam haben. XLV. Doch verrathen auch die Hoͤhern ih- ren verderbten Geschmack des Hochmuths, N 3 wenn Zwey hundert Maximen wenn sie allenthalben blinden Gehorsam for- dern, oder Ausspruͤche thun, ohne die geringste Ursache anzugeben. Der allerhoͤchste Gott, der doch am befugtesten waͤre, einen blinden Ge- horsam zu fordern, suchet gleichwol die Men- schen auch durch genugsame Gruͤnde zu uͤber- fuͤhren. XLVI. Das aber weichet von dem guten Geschmacke eines Gesetzgebers ab, wenn er, in denen Gesetzen selbst, viel raisonniret; denn das sollte er denen Gesetz-Lehrern uͤberlassen. Sein Character aber ist, zu gebieten, und nicht, zu disputiren. XLVII. Wenn sich ein Richter in der hoͤch- sten Jnstanz nicht recht sicher weiß, daß seine Ausspruchs-Motiven in sich solide sind: So thut er besser, bloß den Ausspruch zu thun, als rationes decidendi anzugeben. Denn manch- mal ist der Ausspruch in sich richtig, obwol nicht aus den angegebenen rationibus decidendi. XLVIII. Nach dem Logischen Geschmacke hat jeder Satz seine innerliche Wahrheit und Gewißheit. Daher faͤllt er nicht allezeit uͤber den Haufen, wenn gleich die Raison, daraus er hergeleitet worden, falsch ist. Aber nach dem richterlichen und Advocaten-Geschmacke darf man das in sich richtigste Urthel als verwerflich angeben, wenn es auf unrichtigen rationibus decidendi beruhet. XLIX. Jede Wissenschaft hat ihre eigene Art des Vortrages. Wer diesen Character nicht vom gesunden Witze, ꝛc. nicht genau beobachtet, der verfaͤllt in einen uͤb- len Geschmack. L. Also mag z. E. der Mathematicus seine Saͤtze durch Erklaͤrungen, Grundsaͤtze, Lehrsaͤtze, Aufgaben und dergleichen, durchfuͤhren. Wer aber sich dieses Vortrages bedienen wollte, wenn er eine Sache vor Gerichte vorzutragen haͤtte, von dem wuͤrde man sagen, daß er einen laͤcherli- chen und ungereimten Geschmack besaͤße. LI. Wer also der Schreib-Art nicht maͤchtig ist, darinn jede Wissenschaft am fuͤglichsten vor- getragen wird, der wage sich nicht an deren Be- schreibung; sonst wird man seinen unrichtigen Geschmack bald abmerken, z. E. wenn er in Rechts-Sachen nicht den stylum curiae ver- stehet. LII. Alle Wissenschaften, die aus untruͤgli- chen Anfangs-Gruͤnden (principiis) durch eine unumstoͤßliche Folge koͤnnen hergeleitet werden, erfordern einen gesunden Geschmack von der analytischen und synthetischen Methode. LIII. Daher kann man die Haupt-Gruͤnde der Gottes-Gelehrsamkeit, Rechts-Wissenschaft, Arzeney-Kunst und Welt-Weisheit nach ma- thematischer Lehr-Art vortragen; und wenn es gleich neu waͤre, ist es doch nicht gegen den bon sens, oder guten Geschmack. LIV. Die Ausfuͤhrung einer Wissenschaft durch die vier caussas, als efficientem, forma- lem, materialem und finalem, ist so sehr trok- ken und gezwungen, daher ausser dem heutigen Gusto der gelehrten und galanten Welt. LV. Zwey hundert Maximen LV. Man muß auch den genium seculi wohl bedenken. Denn jetzo ist manche Art des Vortrages schmackhaft, die vielleicht unsern Vorfahren abgeschmackt geschienen, und un- sern Nachkommen sehr verwoͤhnt vorkommen duͤrfte. Nach diesem gusto des jetzigen Seculi luxuriantis pflegen sich insonderheit auch die Buchhaͤndler zu richten; daher manche Schar- teke itzt stark gehet, die zu einer andern Zeit wuͤrde des Verlags nicht werth geachtet wor- den seyn. LVI. Wer sich gegen die allgemeine Obser- vanz und eingefuͤhrten Gebrauch, oder gar den durchgaͤngigen Wohlstand und sensum com- munem polirter Nationen auflehnet, der muß entweder sonst schon ein Mann von sehr hohem Ansehen seyn, um durch den Damm eingerisse- ner allgemeiner Vorurtheile und Foiblessen hindurch zu brechen; oder man wird sagen, daß er mit seinem singulairen Geschmacke zu Hause bleiben, und sich nicht selber prostituiren solle. LVII. Wer einer hohen Schreib-Art sich bedienen will, da doch die Sache, die er abhan- delt, in sich gemein und niedrig ist, der wird fuͤr einen Menschen von laͤcherlichem Geschmacke gehalten werden. LVIII. Aufgeblasene Worte, dahinter kahle oder kriechende Gedanken stecken, verrathen einen naͤrrischen Phoͤbus-Geschmack. LIX. Wer viel verwirrte Gedanken in unverstaͤndliche Worte zusammen raffet; der verraͤth vom gesunden Witze, ꝛc. verraͤth seinen laͤcherlichen Galimathias-Ge- schmack. LX. Jn Lobes-Erhebungen an einen Großen, oder Patron, dessen Fehler oder gar Laster zu loben, verraͤth einen sehr niedertraͤchtigen Ge- schmack. LXI. Ein anmuthiger Vortrag ist der, wo das Tiefsinnige mit dem Lebhaften, das Ernst- hafte mit dem Scherzhaften, das Ausschweifen- de mit dem Kurzgefaßten, in einer guten Pro- portion abwechselt; folglich ist es dem guten Geschmacke am naͤchsten. LXII. Die Neugierde ist den Menschen an- geboren. Je mehr solche gestaͤrket wird, oder einer an ihm selbst wahrnimmt, daß er einen Zuwachs auserlesener Gedanken bekomme, und merklich profitire, oder in der Erkenntniß zunehme; je mehr wird es nach dem allgemei- nen gusto seyn. LXIII. Daher sind lebhafte Geschicht-Buͤ- cher, kuͤnstlich ausgesonnene Romanen, wun- derbare Abentheuer, scharfgewuͤrzte Wochen- Schriften nach dem Geschmacke der meisten Ge- lehrten und Liebhaber der Wissenschaften. LXIV. Man hat sich aber dabey inacht zu nehmen, daß sich nicht die Neugierde in einen straͤflichen Vorwitz verwandle. Also, wer gern großer Herren und Minister Handlungen durch- ziehet, und daruͤber critisiret, der kann wol nach dem Geschmacke der Vorwitzigen geschrieben haben; aber sich selbst durch seinen unzeitigen N 5 Kuͤtzel Zwey hundert Maximen Kuͤtzel und uͤbersteigenden Geschmack viel Un- gelegenheit zuziehen. LXV. Ein uͤbertriebener Geschmack, der in die Pedanterey und Grillenfaͤngerey verfaͤllt, ist derjenige, wenn einer die klaͤrsten Grund- Wahrheiten noch erst durch spitzfindige Beweise weiter durchtreiben, oder durch viele Umschweife und allotria sich auf sein Haupt-Thema spielen will. Diesen Fehler trifft man in vielen Reden des Cicero, und vielen Stellen des Virgils, Horazens und anderer poetischen Helden an. LXVI. Je mehr der Vortrag von dem Na- tuͤrlichen abweichet, je mehr entfernt er sich vom guten Geschmacke. Je tiefer auch einer in das Bathos, oder in niedertraͤchtige, vulgaire, poͤ- belhafte und nichts importirende Gedanken ver- sinket, je mehr verletzet er den Wohlklang, mit- hin auch den guten Geschmack. LXVII. Ein Jedermanns-Tadler muß ent- weder ein sehr großer bel Esprit seyn; oder aber, wenn er selbst so ofte schlaͤgelt, als der Verfas- ser der Schrift vom Tempel des guten Ge- schmacks, wird man von ihm sagen: Er ver- stehe selber noch nicht, was gut oder uͤbel schmecke. LXVIII. Eine Wissenschaft durch Maximen, ungezwungene Regeln und kurze deutliche Saͤtze vorzutragen, reizet den Geschmack der Leser und Zuhoͤrer. LXIX. Sinnbilder, Devisen, Ueberschriften und Apophthegmata vergnuͤgen den Geschmack; nur vom gesunden Witze, ꝛc. nur muß man solche als eigene Gedanken vor- tragen, und nicht sprechen: Jener malte das und das, und setzte die oder die Ueberschrift dar- uͤber. Denn solches ist dem gusto unsers itzi- gen seculi entgegen. Man schmelze vielmehr das Sinnbild und die Ueberschrift in einen ein- zigen an einander haͤngenden Gedanken. Z. E. ein richtiger Verstand gleichet einer accura- ten Minuten-Uhr, vermittelst der man alle falsche Pulse anderer Uhren beurtheilen, und allenthalben das rechte Gleichgewichte beob- achten kann. Dieses wird ohnstreitig besser klingen, als wenn mans so ausdruͤckte: Jener malte eine Uhr, und setzte daruͤber: Jn der Anzeige richtig, im Gewichte gleichhaltend. LXX. Alles, was in der Aussprache hart klinget, die Ohren verletzet, sehr undeutlich ist, oder allzuviel vorgekauet wird, daß dem Leser nichts uͤbrig bleibet, selber dabey zu denken, ist dem guten Geschmacke entgegen. LXXI. Doch muß man einen Unterschied un- ter den Personen und Sachen machen. Schwe- re tiefsinnige Sachen erfordern oft, daß, da- mit sie begriffen werden moͤgen, durch mehrma- lige Umschreibung erst verstaͤndlich gemachet werden. Hat man mehr einfaͤltige, als wiz- zige, vor sich: So weichet es vom guten Ge- schmacke nicht ab, einerley mehrmals zu wieder- holen, damit man ihrem schwachen Gedaͤcht- nisse nachhelfe; dagegen einem witzigen Kopfe einen Ekel verursachen wuͤrde, wenn ihm das, was Zwey hundert Maximen was er leicht begriffe, vielmals eingeblaͤuet wuͤrde. LXXII. Sachen, die ihrer Natur nach ernst- haft sind, muͤssen nicht scherzhaft, oder durch Spoͤttereyen vorgetragen werden; daher der gravitaͤtische Geschmack den Vorzug behaͤlt. LXXIII. Es bringet wenig Ehre, wenn ei- ner uͤberall sich zu lustigen Einfaͤllen dringet. Man urtheilt, es schicke sich ein solcher besser auf die Schaubuͤhne, als in ein ansehnlich Amt. Es giebt Arten von Kuͤtzel, die selbst dadurch ekelhaft werden, wenn man sie in Uebermaasse brauchet. Wer immer railliret, bonmotisiret und schaͤkert, den haͤlt man fuͤr einen Menschen von leichtsinnigem Geschmacke. LXXIV. Wer an solchen Orten, wo er al- ler luͤsternen Ausschweifungen seiner Fantasie uͤberhaben seyn koͤnnte, und die Gedanken in Schranken halten sollte, sich dennoch zweyden- tiger Redens-Arten bedienet, da der verdeckte Verstand zuͤchtige Ohren beleidiget, oder dem Gesichte eine Schaamroͤthe abjaget, der verraͤth seinen leichtfertigen und geilen Geschmack. Es gehet einem da, wie mit allzuluͤsternen Spei- sen, daran einer bald Ekel bekoͤmmt. LXXV. Ein Lehrer der Religion soll billig den Character eines Gesandten Gottes aus- druͤcken; folglich handelt er gegen den bon sens, wenn er auf dem Lehrstuhle keifet, prahlet, Hi- stoͤrgen erzehlt, spottet, Maͤhrgen vorbringet, und sich in Wort-Kriegen vertiefet. LXXVI. Ein Gesandter, der fuͤr einen gros- sen vom gesunden Witze, ꝛc. sen Herrn redet, handelt gegen den guten Ge- schmack, wenn er schulfuͤchsische Chrien, und Realien des oratorischen Schlendrians, oder der Gymnasiasten Schwaͤtze-Kunst einstreuet. Sein Vortrag muß so abgefaßt seyn, wie sein hoher Principal, seinem Character gemaͤß, selbst reden wuͤrde. Daher beduͤrften die gesammle- ten Reden großer Herren und vornehmer Mi- nister in sehr vielen Stellen einer Verbesserung; dagegen in denen Mercurs, so in Holland sonst herausgekommen, viel Meisterstuͤcke eines bon sens vorkommen, und werth waͤren, daß aus allen hundert Baͤnden eine deutsche Uebersetzung derer darinn eingeruͤckten merkwuͤrdigsten Ha- ranguen von einem, der der franzoͤsischen und deutschen Sprache gleichmaͤchtig waͤre, unter- nommen wuͤrde. LXXVII. Das Ceremoniel und die behoͤri- gen Titulaturen muß ein Gesandter, ja ein je- der Redner und Scribent, wohl inacht nehmen, sonst man ihm einen unrichtigen Geschmack beylegen wird. LXXVIII. Die angebrachten verdeckten Schoͤnheiten, oder solche scharfsinnige wohlge- setzte Gedanken, dabey man dem Leser oder Zu- hoͤrer zutrauet, solche durch eigenes Nachsinnen entdecken und aufloͤsen zu koͤnnen, gehoͤren zu dem reizenden Geschmacke in allen Wissen- schaften. Daher werden rechte bons- mots hochgeachtet, weil der andere dadurch heimlich flattirt wird, daß er einen großen Witz besitze, solche geschwind und gluͤcklich zu errathen. LXXIX. Zwey hundert Maximen LXXIX. Scharfsinnige Jnsinuationen, und was man das Zaͤrtliche und Galante nennet, reizen den Geschmack ungemein, sonderlich in Briefen. Daher die Briefe eines Voltaire, Balzacs, Bourseaults ꝛc. und anderer großen beaux Esprits, alle Talanders, Menantes und dergleichen Briefsteller weit an gutem Geschmak- ke uͤbertreffen. LXXX. Wenn einer merket, daß man einem andern die feinen Gedanken abgestohlen, oder wenigstens ohne einige Veraͤnderung abgeborget habe: So verlieren solche einen großen Theil der Annehmlichkeit, den sie behalten wuͤrden, wenn man daͤchte, der Autor habe sie aus dem eigenen Schatze guter Gedanken hervorgelanget. LXXXI. Die meisten Oratorischen Figu- ren haben ihren eigenen bestimmten Sitz. Wenn man sie aus ihrer Stelle verruͤcket, wie auf Schulen geschiehet, da oͤfters Jmitationen auf ganz widrige obiecta aufgegeben werden, ver- liehren sie allen bon sens. LXXXII. So lassen sich z. E. viel oratorische Figuren, welche bey traurigen Begebenheiten gluͤcklich angebracht werden, nicht ohne Gefahr, ins Laͤcherliche zu verfallen, bey froͤhlichen Be- gebenheiten anbringen. Die Spoͤtter aber verdrehens, und wenn sie einen laͤcherlich machen wollen, parodiren sie die traurigen Fi- guren auf Schnaken und Kurzweile; da denn das Laͤcherliche bloß in ihrer verkehrten Paro- dirung oder Nachahmung stecket. LXXXIII. vom gesunden Witze, ꝛc. LXXXIII. So viel es unterschiedene Vor- wuͤrfe bey der Redner-Kunst giebt, so viel giebt es auch besondere Regeln des guten Ge- schmacks. Daher die Hof- die Canzel- und die Schul-Reden ihre eigene Gesetze des bon sens haben. LXXXIV. Nach den Regeln des guten Ge- schmacks muß man sorgfaͤltig verhuͤten, daß man den Leser oder Zuhoͤrer nicht auf falsche Gedan- ken, unrichtige Auslegung, und daß ers uͤbel empfinde, verleite. LXXXV. Wer dem Affecte, den er bey dem andern erregen will, gerade entgegen handelt, oder seinen Gedanken eine unrechte Tour giebet, der aͤussert damit seinen verwechselten Ge- schmack. Also, wenn der Redner Ursache haͤt- te, den, so er anredet, zu besaͤnftigen, und er bringt ihn durch heftige Ausdruͤcke, polternde Worte und hitzige Geberden in Harnisch: So handelt er gegen seinen Character, mithin gegen den Wohllaut und guten Geschmack. LXXXVI. Diesemnach ist das Spruͤchwort so uneben nicht: Ein Loth Mutterwitz und practische Klugheit sey besser, als ein Centner Gelehrsamkeit ohne Geschick, solche recht an Mann zu bringen. LXXXVII. Man muß auch die Verfassung der Republic ansehen, darinn einer stehet. Wer also z. E. heute zu Tage in unsern monarchischen Republiken mit solcher Dreistigkeit reden wollte, als ehedem Cicero in der roͤmischen, democrati- schen, Zwey hundert Maximen schen, der wuͤrde gegen den bon sens handeln, und auf die Finger geklopfet werden. LXXXVIII. Haͤmische Stiche, grobe an- zuͤgliche Reden, argwoͤhnische Beschuldigungen und luͤgenhafte Erdichtungen sind dem Character eines honnêt- homme entgegen, mithin auch gegen den bon sens, oder guten Geschmack. LXXXIX. Alle gefaͤhrliche Ausdruͤcke, da- durch sich einer die Hohen in der Welt zu Fein- den machen, oder angesehene Maͤnner reizen kann, an eines Ruin zu arbeiten, werden wider den bon sens eingestreuet. Denn das ist ein Narr, wer sich muthwillig ungluͤcklich machet. XC. Hingegen aber ist es nicht dem guten Geschmacke entgegen, uͤberwitzigen Großduͤnk- lern und fantastischen Spoͤttern nach Gelegen- heit die Kolbe zu lausen, und ihnen ihre Schwaͤ- chen aufzudecken. XCI. Wenn einer in einer Schrift ohne Namen mit Bedacht einen ganz andern Cha- racter annimmt, als er fuͤr sich selbst sonst hat: So muß man ihn billig nach dem angenomme- nen Character beurtheilen. Hat er solchem ein Gnuͤge gethan: So stimmt seine Schrift mit dem bon sens uͤberein. Doch muß die Klug- heit den Ausschlag geben, daß man nicht einen laͤcherlichen Character annehme, oder abbilde, damit nicht die Laͤsterer einen in die Pfanne druͤ- ber hauen. XCII. Wer eine solche Profeßion hat, wie Moliere, oder andere beruͤhmte Comoͤdianten, der vom gesunden Witze, ꝛc. der zeiget seinen guten Geschmack an, wenn er einen Pantomimen natuͤrlich ausdruͤcken kann; aber z. E. einem Geistlichen wuͤrde nicht wohl anstehen, Opern oder Comoͤdien zu schreiben. XCIII. Der poetische gute Geschmack dif- feriret ebenfalls nach den unterschiedlichen Arten von Gedichten. Man muß einem Epischen Gedichte eine andere Tour geben, als z. E. ei- nem Schaͤfer-Gedichte, oder Hochzeit- Car- mini, oder Trauer-Ode. Weil aber bald eine Schrift im Druck erscheinen duͤrfte, unter dem Titel: Regeln der Reimschmiederey und krie- chenden Poesie; da man nur per inuersionem auf das Schoͤne und Wunderbare in der Poe- sie schliessen kann: So werde mich bey dem poe- tischen Geschmacke nicht weiter aufhalten. Die nachstehenden vier und zwanzig Couverts wer- den auch einige Erlaͤuterung des poetischen bon sens geben. XCIV. Der gute Geschmack in den Kuͤn- sten der Malerey, Bildhauer-Kunst und Kupfer- stechen bestehet in der Gleichfoͤrmigkeit der Ab- druͤcke mit ihren Originalien, und in den Regeln des Ebenmaßes. Jst nun das Urbild schoͤn und regelmaͤßig: So wird auch eine natuͤrliche Ab- schilderung desselben in die Augen fallen, und nach eines gusto seyn. Es haben aber alle diese Kuͤnste ihre besondere Regeln, die hieher nicht gehoͤren. XCV. Die uͤbrigen Kuͤnste, als geschickte Maschinen, Uhrwerke, Glockenspiele, Auszie- O run- Zwey hundert Maximen rungen von Juwelen, und dergleichen, haben auch ihren eigenen gusto, der doch oft auf die Mode ankoͤmmt; und weil die Moden von An- beginn der Welt fast unendlich differiren: So ist auch der gusto hierinn fast unzehligen Veraͤn- derungen unterworfen. XCVI. Doch ist es wol bey der Kleider- Tracht ein verderbter Geschmack, wenn er nach großer Eitelkeit und zu Reizung der Geil- heit eingerichtet; der Buͤcher-Geschmack ist verderbt, wenn einer mehr auf atheistische, schwaͤrmerische, ketzerische und geile Schriften, als auf solide, haͤlt. Der Meublirungs-Ge- schmack ist verderbt, wenn einer uͤber seinen Stand, oder in kostbaren Baggatellen, gros- sen Aufwand machet. XCVII. Der gute Geschmack bey den Hand- werken ist meistens zunftmaͤßig. Denn was als ein Meisterstuͤck von Kennern gelobet wird, darf niemand leicht tadeln. XCVIII. Es giebt auch unter den Bauren Leute von Witz und gutem Geschmacke, son- derlich in Haushaltungs-Sachen und Ackerbau. XCIX. Fuͤr Ungluͤckselige ist der beste Ge- schmack, wenn sie in ihrem Elende, sonderlich da sie in unverschuldete Fatalitaͤten gerathen, gelassen, geduldig und großmuͤthig sind. Wer sich aber durch sein widrig Schicksal uͤberwaͤl- tigen laͤsset, zeiget damit an, daß er von dem, denen Menschen so heilsamen, Creuze noch we- nig Geschmack bekommen habe. C. Ein vom gesunden Witze, ꝛc. C. Ein redliches Gemuͤth, das allen Men- schen wohl will, und alle Foiblessen, so der menschlichen Natur anhangen, mitleidig an- siehet, besitzet einen, heute zu Tage sehr ra- ren, Geschmack. Das andere Hundert Practischer Maximen vom hohen und gemeinen Geschmacke in allen Theilen der Weltweisheit. CI. S o weit der erhabene Flug eines Adlers von dem niedertraͤchtigen Kriechen eines Ge- wuͤrmes entfernet ist: So weit ist auch der hohe Geschmack von dem gemeinen, oder poͤbelhaf- ten, unterschieden. CII. Der hohe Geschmack findet sich nicht allezeit bey Leuten von hoher Geburt, Range und Ansehen; dagegen giebt es manche gemeine Leute, die, in ihrer Art und Metier, einen fuͤr- trefflichen und ungemeinen Geschmack besitzen. CIII. Der Geschmack derer Hof-Leute sollte billig durchgaͤngig ein erhabener Geschmack seyn, weil die wichtigsten und erhabensten Din- ge bey Hoͤfen getrieben werden; aber es giebt genug Hof-Leute, die sich in ihren Sentiments und Maximen wie Leute von der schlechtesten Sorte auffuͤhren. O 2 CIV. Zwey hundert Maximen CIV. Der erhabene Geschmack gehet mit lauter erhabenen Vorwuͤrfen um, und betrach- tet solche durch einen weitaufgeklaͤrten Verstand. Der niedrige Geschmack aber verwandelt sogar die erhabensten Sachen in unansehnliche Bag- gatellen. CV. Der wahrhaftig erhabene Geschmack gleichet der Suͤßigkeit einer in ihr selbst saftigen Melone oder Pfirschke; der entlehnte Geschmack aber, der Dinge ausputzet, und als erhaben aus- giebet, die doch in sich gemein und niedrig sind, gleichet den Kuͤnsten der Koͤche, die ein mageres Wildpret brav ausspicken, damit es ein appe- titlich Ansehen bekommen moͤge. CVI. So weit eine natuͤrliche Schoͤnheit von einer geschminkten entfernet ist, und jene vor dieser einen Vorzug hat; eben so weit ist der wahrhaftig hohe Geschmack von dem hochge- triebenen unterschieden. CVII. Die wahre Hoͤhe der Gedanken glei- chet einer Schoͤnheit, die, wie eine ausgehauene Ceder, in schlanker Taille vor einem stehet; die falsche Hoͤhe des Witzes aber gleichet einem auf- gedunsteten Leibe, oder einer theatralischen Nymphe, die auf Stelzen gehet. CVIII. Was nach den Regeln des erhabenen Geschmackes abgefasset ist, frappiret das Herz eines jeden, der es hoͤret, oder lieset; hingegen verfaͤllt die uͤbertriebene Vorstellung einer Sa- che gar oft ins Laͤcherliche und ins Erbarmens- wuͤrdige. CIX vom gesunden Witze, ꝛc. CIX. Wie es mehr Reizung erwecket, wenn eine wahrhafte Schoͤnheit nur ihr Angesicht, Haͤnde und Busen sehen laͤsset, die uͤbrigen Glied- maßen aber verdecket: Also ist bey dem erhabe- nen Geschmacke auch etwas verdecktes, das der andere durch scharfes Nachsinnen erst heraus- bringet, und diese versteckte Schoͤnheit machet den Vortrag desto durchdringender und herz- ruͤhrender. CX. So wenig eine zuͤchtige Schoͤne sich vor jedermann ganz entbloͤßen, noch sich voͤllig nackend zeigen wird: So wenig wird einer, der einen hohen Geschmack besitzet, solchen lieder- lich verschwenden, und bey Dingen, die, ihrer Natur nach, niedrig sind, sich nicht die Muͤhe nehmen, erhabens Gedanken anzubringen. CXI. Es ist keine Nation, die den hohen Geschmack fuͤr sich allein gepachtet haͤtte; auch ist kein Volk so barbarisch, daß es nicht unter solchem etliche geben sollte, die einen fuͤrtrefflichen bon sens besitzen. CXII. Doch pfleget man eine Nation dar- nach zu benennen, nachdem die meisten Koͤpfe entweder munter, aufgeweckt, lebhaft, feurig, und von hohem Witze sind; oder aber, wenn die meisten traͤge, langsam, stumpf, matt, und nur von gemeinem Witze sich befinden. CXIII. So sagt man daher, daß der Fran- zose einen lebhaftern Geschmack habe, als ein Spanier. Der Englaͤnder hat eine natuͤrliche Neigung zum hohen Geschmacke. Der Jta- O 3 liaͤner Zwey hundert Maximen liaͤner haͤlt viel auf verdeckte Schoͤnheit der Ge- danken. Der Deutsche hat den Geschmack gleichsam in seiner Hand, nachdem er durch gu- ten Unterricht abgerichtet ist, oder große Vor- gaͤnger findet, denen er gerne nachahmet. CXIV. Man muß Deutschland, sonderlich in Ober- und Nieder-Sachsen, den Ruhm las- sen, daß es, seit einer Zeit von etwa zwanzig Jahren, viel witzige Koͤpfe hervorgebracht, die einen ausnehmenden Geschmack in allen schoͤnen Wissenschaften, sonderlich der Beredsamkeit und Poesie, von sich blicken lassen. CXV. Hamburg und Leipzig sind zwey Werkstaͤte in Deutschland, da der reine Ge- schmack hoch gebracht, und von den ehemaligen Maͤngeln sehr gereiniget worden. Die Poesie und Redner-Kunst scheinet an beyden Orten den Gipfel der Vollkommenheit erreicht zu haben. CXVI. Feine Satyren haben einen großen Eingang, edle Gemuͤther vor solchen Foiblessen des Gemuͤths zu verwahren, die an andern mit scharfsinnigem Nachdrucke gestrafet worden; und ein edles Gemuͤthe, das sich durch solche Sa- tyren getroffen findet, ist so weit entfernet, sich daruͤber zu entruͤsten, daß es vielmehr seinen Geg- nern verbunden ist, die mit ihm so umgehen, als ein kluger Jngenieur, der dem Commendanten einer Vestung anzeiget, wo sie ihre Schwaͤche habe. Denn dadurch lernet er, sie von dieser Seite desto besser zu verschanzen, und gegen den feindlichen Angriff vester zu verwahren. CXVII. vom gesunden Witze, ꝛc. CXVII. Jch lobe demnach hier oͤffentlich den sinnreichen Verfasser der Lob-Rede, Brion- tes der Juͤngere, und von der Nothwendig- keit der elenden Scribenten. Er hat in sol- chen Schriften wie ein vorsichtiger Feind ge- handelt, der eine Vestung nicht an der staͤrk- sten, sondern schwaͤchesten, Seite attaquiret; auch sich zuweilen stellet, als achte er seinen Geg- ner geringe, vor dem er sich doch heimlich scheuet. CXVIII. Jst es billig, auch selbst an dem Feinde die Tapferkeit zu loben: So mag man dem Herrn Professor Gottsched zu Leipzig es zum Ruhme nachsagen, daß er, durch seinen Eifer, dem guten Geschmacke der Deutschen aufzuhelfen, viele gereizet habe, sich um einen bessern Geschmack zu bekuͤmmern, als vor zehn Jahren noch in Deutschland gewesen. CXIX. Es wuͤrden die Jenaischen, und an- derer Universitaͤten Gelehrten, sonderlich auch zu Goͤttingen und Halle, wohl thun, wenn sie sich die Streitschriften, die gegen den Herrn Pro- fessor Gottsched und D. Philippi herausge- kommen sind, besser, als bisher, zu Nutze mach- ten, um ihren halb guten und halb verdorbe- nen Geschmack darnach zu verbessern; damit ganz Deutschland eine Kennerinn des feinsten Geschmackes heissen moͤge. CXX. Dem alamodischen Geschmacke ist es zuzuschreiben, daß man die ganze Gelehr- samkeit nach den vier Facultaͤten, der theolo- gischen, juristischen, medicinischen und philosophi- schen, eintheilet. O 4 CXXI. Zwey hundert Maximen CXXI. Es giebt aber manche solche, von der Natur voraus begabte, Koͤpfe, die sich nicht in die Schranken einer einzigen Facultaͤt ein- schliessen lassen, sondern mit ihrem weit ausse- henden Witze durch die Schoͤnheiten aller Haupt- Wissenschaften durchdringen, oder wenigstens eine gluͤckliche Streiferey in eine andere Disci- plin thun, davon sie nicht hauptsaͤchlich fait machen. CXXII. Es hat mancher, als von ohngefehr, einen so gluͤcklichen Einfall in einer Wissen- schaft, daß die, so davon hauptsaͤchlich Profes- sion machen, wol nimmer darauf gefallen waͤren, wenn nicht ein solcher Universal-Kopf, der alle Wissenschaften ins Große uͤberschauet, ihnen erst auf die Spruͤnge geholfen, und solche frucht- bare Wahrheiten angegeben haͤtte, daraus sie hernach mit halb so leichter Muͤhe tausend andere nuͤtzliche Wahrheiten haben erfinden und herlei- ten koͤnnen. CXXIII. Es waͤre ein Uebermuth und Thor- heit, die Zahl bestimmen zu wollen, welche Ge- lehrte in der Welt fuͤr wahrhafte Universal- Koͤpfe (§ 122) zu halten waͤren. Denn eben der, der sich heraus naͤhme, solches zu bestim- men, muͤßte noch hoͤher seyn, als die alle, die er dafuͤr angaͤbe; weil er, wenn sein Urtheil zu- traͤfe, eine Fertigkeit besitzen muͤßte, alle Uni- versal-Koͤpfe en gros zu uͤberschauen. Kein Weiser aber wird von sich sagen, oder also urthei- len, daß andre von ihm denken muͤßten, er halte sich fuͤr den allerweisesten. CXXIV. vom gesunden Witze, ꝛc. CXXIV. Diesemnach haben die allgemei- nen Buͤcher-Raisonneurs, die sich unterwin- den, alle herauskommende Schriften, in allen vier Facultaͤten, mit ihrer Critic anzutasten, sich wohl vorzusehen, damit man nicht von ihnen billig denken muͤsse, daß sie entweder die groͤßten gelehrten Windbeutel und Marktschreyer, oder die eingebildesten Fantasten in ihnen selber sind. Denn wer vermag alle Maͤngel in allen Wissenschaften anzuzeigen, wenn er nicht alle Disciplinen aus dem Grunde verstehet? Doch koͤnnen sie sich durch eine tuͤchtige Brustwehre bedecken, wenn sie, bey ihrer Critic, nur das nicht vergessen zu sagen: Uns duͤnket so; oder: Nach unserm wenigen Urtheil, ꝛc. CXXV. Jndeß muß man es denen Verfas- sern gelehrter Journale, als: La Bibliotheque choisie, Bibliotheque raisonnée, Bibliotheque germanique, Journal des Savans, Acta Eru- ditorum, Goͤttinger gelehrter Zeitungen, und dergleichen critischen Schriften, zum Ruhme lassen, daß sie, durch ihre theils gruͤndliche, theils aufgeweckte, theils beissende Critic, vie- len Fehlern der Scribenten abgeholfen, manche gebessert, und manche in Harnisch gebracht ha- ben, die hernach durch ihre ausgelassene gelehrte Wuth manchem Leser das Vergnuͤgen verschaf- fet, auf beyder Unkosten zu lachen. CXXVI. Eine aufrichtige Critic kann in einer gemeinen Schreib-Art aufgesetzet seyn, die ihr die Anmuth und Lebhaftigkeit benimmt; da- O 5 gegen Zwey hundert Maximen gegen kann eine gehaͤßige Critic in reizender Schreib-Art abgefasset seyn, daß, wenn man nicht wohl Acht auf sich hat, einer dadurch wie angestecket wird, auch wol einen Unschuldigen anzufeinden. CXXVII. Es giebt Schriften, die die Reli- gion durch eine solche Tour angreifen, die, in ihr selbst betrachtet, admirable und unverbes- serlich ist, obgleich die Absicht des Schriftstel- lers haͤmisch und ruchlos gewesen. Da hat man sich also vorzusehen, daß man sieh nicht durch den einnehmenden Geschmack der schoͤnen Schreib-Art verleiten lasse, die wahre Religion selbst fuͤr verdaͤchtig oder niedertraͤchtig zu halten. Man bedaure also den Mißbrauch schoͤner Ge- danken, und lobe die angebrachte sinnreiche Art zu denken. CXXVIII. Gleichwie eine Schoͤnheit da- durch aufhoͤret, eine wahre Schoͤne zu seyn, wenn sie sich gleich von vielen debouchiren liesse: Also koͤnnen gottlose und lasterhafte Gedanken doch in einer schoͤnen Schreib-Art eingekleidet seyn; da man also die genothzuͤchtigte Wahr- heit beklagen, das Sinnreiche aber in dem Aus- drucke solcher Gedanken dennoch loben muß. Doch ist es besser, ein einfaͤltiger weiser Mann, als ein scharfsinniger Thor, zu seyn. Unge- uͤbten aber werden dadurch Fallstricke geleget, sich durch die einnehmende Schreib-Art zu La- stern verleiten zu lassen. Denn die Luͤsternheit des, zu Ausschweifungen ohnedem geneigten, Herzens vom gesunden Witze, ꝛc. Herzens wird dadurch sonderlich gestaͤrket, wenn lebhafte Abschilderungen im Gemuͤthe entste- hen, dahinter sich die verbotene Reizungen, als hinter einer Scheide-Wand, verstecken. CXXIX. Ein gesunder Witz und guter Ge- schmack findet drey Haupt-Arten von Wahr- heiten. Etliche sind, ihrer Natur nach, so hoͤchst- noͤthig zu wissen, daß man ohne solche fuͤr keinen vernuͤnftigen Menschen angesehen werden kann. Diese heissen die Wahrheiten vom obersten Range. Hierauf folgen, in natuͤrlicher Ord- nung, diejenigen, welche nach der jetzigen Be- schaffenheit der Menschen unentbehrlich, oder doch sehr nuͤtzlich sind. Das heissen die Wahr- heiten vom andern Range. Endlich giebt es gewisse Huͤlfs-Wahrheiten, dadurch man zu einer oder der andern Haupt-Wahrheit desto leichter gelanget, und diese heissen die Wahrhei- ten vom dritten oder untersten Range. CXXX. Diesemnach koͤnnte man die ganze Gelehrsamkeit, wenn man den gewoͤhnlichen Schlendrian der vier Facultaͤten beyseite setzte, eintheilen in die Wissenschaften der Wahrheiten von der ersten, andern und dritten Classe; oder der oͤbersten, mittleren und untersten Gattung. Wer nun eine Wahrheit, die, ihrer Natur nach, zur untersten oder mittlern Classe gehoͤret, fuͤr eine Wahrheit vom oͤbersten Range haͤlt, der verraͤth seinen falschen Geschmack; eben so, wer eine Wahrheit vom oͤbersten Range nur fuͤr eine von der mittlern oder niedrigsten Sorte ansiehet. CXXXI. Zwey hundert Maximen CXXXI. Die Wissenschaft, sich zeitlich und ewig gluͤckselig zu machen, begreifet Wahrhei- ten vom oͤbersten Range. Folglich ist die Er- kenntniß des allerhoͤchsten Wesens und der wah- ren Religion eine Wissenschaft der hoͤchsten Clas- se; daher derjenige, der solche gering achtet, sei- nen verdorbenen Geschmack merklich veroffen- baret. CXXXII. Wer nicht im Stande ist, in de- nen noͤthigen Wahrheiten einzusehen, was wirk- lich wahr, oder falsch sey, der kann fuͤr keinen vernuͤnftigen Menschen gehalten werden. Folg- lich gehoͤret die Aufklaͤrung des Verstandes, da- durch man eine Fertigkeit erlanget, richtig zu denken, zu den Wahrheiten vom oͤbersten Ran- ge (§ 129). Wer demnach seinen Verstand in Jrrthum und Ungewißheit stecken laͤsset, und meynet, daß solches nichts auf sich habe, der verraͤth dadurch seinen verkehrten Geschmack. CXXXIII. Wer sich nicht in den Stand setzet, eines andern Vortrag auf uͤberzeugende Art in ihm selber zu unterscheiden, was wahr oder falsch sey, sondern sich die Maxime in den Kopf setzet, das fuͤr wahr oder falsch zu halten, was ihm der andre dafuͤr ausgiebt, der verleug- net den Adel seiner Seele, wird ein wahrhafter Mucker oder Kriecher mit seinem Verstande, stehet in bestaͤndiger Gefahr, durch Einfalt oder Betrug eines andern verfuͤhret zu werden, und hat einen ekelhaften Geschmack, indem er das bloß nachkaͤuet, was ihm ein anderer vorgekaͤuet hat. CXXXIV. vom gesunden Witze, ꝛc. CXXXIV. Die Wissenschaft, aus uͤberzeu- genden Gruͤnden darzuthun, warum das recht sey, was Gott und ein vernuͤnftiger Geist thut oder laͤsset, ist, ihrer Natur nach, hoͤchst edel und wichtig. Daher die Wissenschaft des all- gemeinen Rechtes in der ganzen Natur billig zu den Wahrheiten vom oͤbersten Range gehoͤret. Die Erkenntniß von dem unumschraͤnkten Rechte Gottes ist die Stuͤtze aller wahren Re- ligion, und der staͤrkste Bewegungs-Grund, das hoͤchste Wesen zu ehren, zu lieben, und ihm zu gehorchen. CXXXV. So lange hingegen der Mensch nicht wahrhaftig uͤberzeuget ist, daß Gott nicht nur die hoͤchste Macht, sondern auch das hoͤch- ste Recht besitze, wird er entweder unwillig seyn, Gott zu gehorsamen, oder gar tuͤckisch und re- bellisch. Beydes aber zeiget an, daß ein solcher Mensch noch keinen rechten Geschmack von der wahren Religion habe. CXXXVI. Die Erkenntniß von der Ein- richtung des Weltgebaͤudes, von den Geistern, von der Seele des Menschen, und von den Kraͤf- ten der Natur, ist zwar, in ihrer Natur, nicht so hoch, daß einer ohne solche nicht koͤnnte ein vernuͤnftiger Mensch seyn; aber sie ist doch an ihr selbst edel und reizend. Daher die Cosmo- logie, Pnevmatic, Anthropologie und Physic zu den Wahrheiten vom andern Range billig ge- hoͤret. Wer sich aber um diese Sachen mehr in der Absicht bekuͤmmert, um seiner Neugierde dadurch Zwey hundert Maximen dadurch ein Gnuͤge zu thun, als hingegen, sei- nen Schoͤpfer daraus desto mehr ehren und lie- ben zu lernen, der bezeiget damit seinen unor- dentlichen Geschmack. Doch geht es an sich an, daß einer ein großer Naturforscher und Weltweiser seyn kann, der doch ein Atheiste in der Haut ist. Ein solcher gleichet derjenigen Art von Gemuͤths-Verruͤckten, die nur bey ei- nem gewissen Punkt eine verletzte Einbildungs- Kraft haben, in andern Dingen aber voͤllig richtig denken. Man nennet es einen Wahn- witz, oder Abweichung von dem allgemeinen bon sens in gewissen Punkten. CXXXVII. Wenn der Mensch sich unpar- teyisch erforschet, findet er an sich und andern eine Unvermoͤgenheit und Ohnmacht, das Wah- re und Falsche, Gute und Boͤse durchgaͤngig zu treffen, nebst einer Luͤsternheit, sich gegen das Regiment der Vernunft zu empoͤren, und manch- mal etwas vorzunehmen, das er zu andrer Zeit anfeindet und verwirft. Daher ist die Erkennt- niß der Tugend und Laster, auch der natuͤrlichen Zuneigung zu Jrrthum und Untugend, eine, nach der jetzigen Beschaffenheit des Menschen hoͤchst nuͤtzliche, ja unentbehrliche, Wissenschaft; mithin gehoͤrt solche zu den Wahrheiten vom andern Range. Waͤren aber keine Laster in der Welt, welches seyn wuͤrde, wenn man voll- kommen vernuͤnftig waͤre: So beduͤrfte man auch nicht dieser Wissenschaft; dagegen die Er- kenntniß Gottes, die Richtigkeit des Verstan- des, vom gesunden Witze, ꝛc. des, und die Beobachtung dessen, was recht ist, nicht bloß nach der jetzigen Beschaffenheit der Menschen, sondern ewig und unveraͤnderlich zu dem Wesen eines vernuͤnftigen Menschen ge- hoͤret. CXXXVIII. Jrrthum und Untugend ist was boͤses, weil es der Wahrheit und Tugend wi- derstreitet, und also nicht beydes zugleich kann gut seyn. Die Quelle hievon haben einige faͤlschlich in Gott, andere in einem ewig boͤsen Wesen, das sie Gott entgegen gesetzet, gesuchet. Beydes zeiget einen verkehrten Geschmack von der Natur der Dinge an. Waͤre ein Wesen, das, vermoͤge seiner ewigen Natur, solche Wir- kungen hervorbraͤchte, die wir boͤse Handlungen nennen: So thaͤte es dennoch recht. Denn nach seiner ewigen Natur konnte es nicht an- ders handeln; mithin waͤre es unrecht, ihm an- zumuthen, anders zu handeln, als es seine ewi- ge unveraͤnderliche Natur mit sich braͤchte. Das andere Wesen aber, das, vermoͤge seiner ewigen Natur, gerade dem entgegen handelte, was jenes thaͤte, handelte ebenfalls recht. Da- her kann unter zweyen ewigen Wesen, die ein- ander entgegen handeln, keines boͤse genannt werden, so wenig das Feuer darum boͤse ist, daß es den Kraͤften und Wirkungen des entge- genstehenden Elements, des Wassers, zuwider ist. CXXXIX. Es waͤre ein Ungluͤck in der Na- tur, wenn ein ewig guͤtiges Wesen durch die contrebalancirende Kraft eines ewigen feindseli- gen Zwey hundert Maximen gen Wesens bestaͤndig gehemmet, oder endlich gar uͤberwaͤltiget wuͤrde; doch koͤnnte man nicht sagen, daß eines gegen das andere unrecht ver- fuͤhre. Denn beyde handelten nach ihrer ewi- gen unveraͤnderlichen Natur. Welches also dem andern an Kraͤften uͤberlegen waͤre, es zu uͤberwaͤltigen, das thaͤte es de iure. Aber es waͤre ein falscher Geschmack, wenn man sich so fuͤrchterliche Vorstellungen machen wollte, als wenn es einen ewigen Teufel wirklich gaͤbe. CXL. Wenn ein ewiges Wesen vorhanden ist, ehe noch Geschoͤpfe da sind: So zeiget es an, daß die Kraft, dadurch es von Ewigkeit ge- wesen, und sich in ewiger Dauer erhaͤlt, eine hoͤhere sey, als diejenige Kraft, dadurch es sich gegen Geschoͤpfe guͤtig erzeiget. Daher erken- net der menschliche Verstand nicht deutlich, ob die moralische Guͤtigkeit eines Wesens eben nothwendig zu der Kraft gehoͤre, dadurch es ewig da ist; mithin scheinet es an sich nicht unmoͤg- lich, daß ein Wesen koͤnnte durch eine ewige ei- gene Kraft existiren, wenn es gleich gegen andere Wesen keine guͤtige Zuneigung haͤtte. Eben daher kann der bloße menschliche Verstand nicht entscheiden, ob die in einem Wesen herrschende Feindseligkeit gegen andere Wesen ein Hinder- niß sey, daß es nicht koͤnne ewig da seyn; da doch ein ewig Wesen vorhanden, das in sich von Ewigkeit durch seine Dauers-Kraft gelebet, ehe noch Geschoͤpfe vorhanden gewesen, denen es Guͤte erzeigen koͤnnen. CXLI. vom gesunden Witze, ꝛc. CXLI. Die Kraft, dadurch ein ewiges We- sen ewig da ist, ist eine andere, als die Schoͤp- fers-Kraft, so daß es nicht bloß dadurch ewig da ist, weil es die Kraft hat, eine Welt zu schaf- fen. Vielmehr ist die Kraft, dadurch es ewig vorhanden, ehe es noch eine Welt schaffet, in ihr hoͤher, als die ganze Fuͤlle der Schoͤpfers- Kraft. Denn diese bringet nur endliche Wesen hervor; dagegen zu einem ewigen Daseyn eine unendliche und unermeßliche Kraft gehoͤret. Weil nun die Schoͤpfers-Kraft eine andere ist, als die Kraft der ewigen Existenz: So kann der menschliche Verstand aus ihm selber nicht ent- scheiden, ob zur Kraft der ewigen Existenz auch eben erfordert werde, daß es eine Schoͤp- fers-Kraft zugleich besitze. Vielmehr wuͤrde ein Wesen von unendlicher Kraft schon seyn, wenn es auch nur ihm selbst zur ewigen Existenz genug waͤre, wenn es gleich nicht eine Welt schaffen koͤnnte. Umgekehrt ist es wol wahr, daß ein Wesen, das allen andern Dingen das Seyn giebt, auch zugleich ewig da seyn muͤsse, weil es sonst, wenn es einmal waͤre ein Nichts gewesen, sich nicht haͤtte selber zu einem Wesen machen koͤnnen; aber der Schluß folgt nicht: Welches Wesen durch seine eigene Kraft ewig da ist, das muß nothwendig auch Geschoͤpfe her- vorbringen, oder die Kraft dazu besitzen. CXLII. Ja, da der menschliche Verstand einen undeutlichen Begriff von derjenigen Kraft hat, dadurch ein Wesen von ihm selber ewig da P ist: Zwey hundert Maximen ist: So kann man aus bloßer Vernunft nicht darthun, daß eben nur ein einziges ewiges We- sen moͤglich oder vorhanden sey, sondern, wenn wirklich ein Wesen in ihm selber eine ewige Kraft haben koͤnnen, die zu seiner Existenz hinlaͤnglich gewesen, koͤnnte ja wol an sich auch ein ander Wesen eben so eine hohe Kraft besitzen, durch sich selber ewig da zu seyn. Ob also gleich, zu Erklaͤrung des ganzen Welt-Gebaͤudes, eine einzige Gottheit zureichend ist: So wuͤrde man doch, nach bloßer Vernunft, fuͤr nicht unmoͤg- lich halten, daß noch andere ewige Wesen waͤ- ren, denen aber diese Welt nichts angienge. Gleichwol waͤre es ein uͤberschreitender Ge- schmack, wenn einer, wie die Heiden, darum mehr Gottheiten glauben wollte, weil wir nicht begreifen koͤnnen, warum gerade nur ein einig Wesen von Ewigkeit solche Vorzuͤge habe, daß es ohne allen Anfang bestaͤndig da gewesen? Jch fuͤhre aber solche hochgetriebene Maximen an, damit man desto mehr die Nothwendig- keit der goͤttlichen Offenbarung erkenne, und der heiligen Schrift glaube. CXLIII. Wenn wir nun aber aus Gottes Wort wissen, daß nur eine einzige Gottheit wirk- lich sey, auch ausser Gott kein ewig Wesen, Gott aber in seiner Natur kein grimmiges feind- seliges Wesen, sondern, als Schoͤpfer der gan- zen Welt, alle seine Geschoͤpfe in Verhaͤltniß gegen sich betrachte, mithin sie, als Meisterstuͤcke seiner Allmacht, auch liebe; das Boͤse auch nicht einen vom gesunden Witze, ꝛc. einen ewigen Ursprung habe, sondern in der Zeit entstanden sey: So ist doch bisher die Lehre vom wahren Ursprunge und eigentlicher Beschaf- fenheit des Boͤsen den Weltweisen ein Gordia- nischer Knoten gewesen, den einige große Ge- lehrte, als Leibnitz, Bayle, Wolf, Haller, samt andern, aufzuloͤsen getrachtet, aber, so viel man aus ihren Schriften ersiehet, noch nicht das letzte Ziel erreichet, sondern ein weiteres Nachsinnen uͤbrig gelassen haben. CXLIV. Da der menschliche Verstand besser zurechte kommt, wenn er sich Einheiten vor- stellet, als wenn er unzehlbare Vielheiten mit einmal zusammen nimmt: So stelle man sich Gott als die eine Einheit, und die Welt als die andere Einheit vor. Aus der ganzen Welt neh- me man nur einen einzigen vernuͤnftigen Geist, oder stelle sich vor, als wenn nichts vorhanden waͤre, als nur Gott, und ein einziger erschaffe- ner Geist. Dieser erschaffene Geist hat eben darum, weil er erschaffen ist, nichts mehr, als die Kraft, die ihm Gott gegeben. Der er- schaffene Geist hat also nichts eigenes, als was von Gott ihm zugetheilt worden. Er besitzet, ausser der anerschaffenen Kraft, keine weitere, sondern, wenn ich ihm alles das entnehme, was er von Gott hat, ist er ein Unding, und ein Nichts. Es kommen demnach alle Veraͤnde- rungen, alle Gedanken und Neigungen, die der erschaffene Geist von sich auslaͤßt, aus der an- erschaffenen Kraft her. Alle seine Handlungen P 2 muͤssen Zwey hundert Maximen muͤssen aus dieser Kraft aufgeloͤset werden, und uͤber solche besitzet er nichts m̃ehr. Wollte man nun sagen, er mißbrauche sich seiner Kraft: So hat der erschaffene Geist keine aparte Kraft uͤber die anerschaffene, dadurch er sich eines Dinges mißbrauchen koͤnnte. Eigentlich also mißbraucht er seine Kraft niemals; aber es kann wol solche nicht hinreichend seyn, dasjenige zu praͤstiren, was er praͤstiren wuͤrde, wenn er mehr Kraft haͤtte. CXLV. Spraͤche man also: Der erschaffe- ne Geist hat in dem oder jenem unrecht gethan: So laͤßt sich solches nur in Verhaͤltniß gegen andere Wesen sagen, die naͤmlich, wenn sie mehr Kraͤfte gehabt, auch anders wuͤrden gedacht und gethan haben. Wollte man aber sagen, er ha- be sich nicht durch die anerschaffene Kraft die- ser und jener Dinge unrecht gebraucht, sondern durch seine eigene Schuld: So muͤßte man zu- voͤrderst annehmen, daß der erschaffene Geist annoch uͤber die anerschaffene Kraft eine be- sondere eigene habe, die ihm zur Schuld ange- rechnet werden koͤnne. Da aber dieses ohn- moͤglich: So folget eben daraus, daß es lauter Reden ohne richtigen Begriff sind, wenn man ein so langes und breites bisher von der Freyheit, und deren Mißbrauch, von Selbstverschuldung, von Selbstverderbung, oder daß ein Geschoͤpfe sich selber habe frevelhaft verdorben, und andern solchen Alfanzereyen, geschwaͤtzet. Wer aber der Wahrheit einen rechten Geschmack ab- gewinnet, vom gesunden Witze, ꝛc. gewinnet, der lernet aus dem angefuͤhrten hand- greiflich, daß, weil Gott kein wahres Boͤse schaf- fen, kein Geschoͤpf aber auch sich selber boͤse machen, sondern bloß sich der anerschaffenen Kraft gebrauchen kann, alle unrechte Handlun- gen aus keiner boͤsen Quelle kommen, sondern nur Abschilderungen sind, wie weit die einge- schraͤnkten Kraͤfte zureichen. CXLVI. Die Ohnmoͤglichkeit nun, daß ein Geschoͤpf uͤberall so vollstaͤndige Einsicht haben koͤnne, als Gott, ist die Quelle so vieler Be- vuën, die ein Erbtheil der menschlichen Natur sind. Je weniger Verstands-Kraͤfte, je mehr Jrrthum; je weniger Triebe in der Natur, je matter die Neigungen. Daß aber auch der Mensch solche Dinge nicht einmal weiß, die er doch auf erhaltenen Unterricht fassen lernet, zei- get an, daß der Mensch theils unter den Fesseln der Allmacht liege, die ihm Zeit und Punkt be- stimmt, wenn sich seine Seele regen soll; theils in den Banden der Ohnmacht, da Gott, nach seiner unumschraͤnkten Gewalt, uns gewissen feindseligen Kraͤften anderer Wesen uͤberlaͤßt, die unsern Verstand gefangen nehmen, bis er sich Gott ganz ergiebet. CXLVII. Viele halten sich fuͤr Leute von ei- nem gar hohen Geschmacke, wenn sie alle Teu- fel verlachen, und fuͤr Maͤhrgen halten koͤnnen. Aber ich halte den Teufel fuͤr das allerkunst- reichste Paradoxon in der ganzen Natur. Gott siehet in ihm einen Abdruck solcher Gedanken, P 3 die Zwey hundert Maximen die in Gott hoͤchst gerecht, bey dem Teufel ein Wahnwitz sind. Gott denkt von sich selber: Jch bin der Weiseste, Maͤchtigste, Souverain- ste, Jndependenteste, und der Unaufhoͤrliche. Dis denket der Satan von sich auch. Also siehet Gott in ihm den Abdruck seiner Gedan- ken, welches Gott als ein Lust-Spiel vorkoͤmmt. Gott stellet zugleich an dem Satan allen ver- nuͤnftigen Geschoͤpfen ein lebendig Bild vor, daß ein Geschoͤpf mit aller seiner Kraft gegen Gott ohnmaͤchtig sey. Gott wird ihn auch nicht ei- gentlich strafen, sondern nur zeigen, wie tief er ihn erniedrigen koͤnne. Jch erstaune uͤber die- sem goͤttlichen Lust- und Schatten-Spiele! CXLVIII. Wenn man vorstehende Grund- Saͤtze tief zu Herzen nimmt, bekoͤmmt man ei- nen deutlichen Begriff von Wahrheit und Jrr- thum, Tugend und Laster, Gutem und Boͤsen. Alles, was Gott saget, gebietet und wirket, ist in sich gut. Alles, was die abtruͤnnigen Ge- schoͤpfe thun, ist unrichtig, mangelhaft, verwerf- lich. Handlen gleich alle untere abtruͤnnige Geister nach den Gesetzen der Bewegung, die ihnen der oͤberste abtruͤnnige Geist eingepflanzet: So setzet doch Gott sein angenehmes Schatten- Spiel fort, daß er dem Satan manchen ent- reisset, die andern auf eine andere Oeconomie aufhebet. Der oͤberste abtruͤnnige Geist aber handelt nach den Gesetzen der goͤttlichen Enan- tiometrie, oder des Gegen-Satzes, gleich als spraͤche Gott: Versuche alle dein Heil, ich gebe dir vom gesunden Witze, ꝛc. dir so viel Kraft und Nachsicht, als ich einem Geschoͤpfe, ohne mich der Gottheit zu begeben, irgend verstatten kann; aber am Ende wirst du und alle Welt erfahren, daß kein Geschoͤpf es mit dem ewigen Gott aushalten koͤnne, sondern entweder in sein vorig Nichts zuruͤck fallen, oder sich endlich vor ihm demuͤthigen muͤsse. Die Quelle also aller Touren des oͤbersten abtruͤnni- gen Geistes ist kein wirklich boͤses principium, sondern daß die Macht Gottes ihn in gewissen Grund-Begriffen mit einem Wahnwitze beleget hat. Gott verfaͤhret freylich mit denen abtruͤn- nigen Geistern so, als er verfahren wuͤrde, wenn sie selbststaͤndige Wesen waͤren, die sich gegen Gott feindselig auffuͤhreten. Dieses kommt aus dem unumschraͤnkten Rechte Gottes, mit sei- nen Geschoͤpfen frey umzugehen, um alle Arten seiner goͤttlichen Macht kund zu thun. Weil aber Gott die ewige Liebe ist, wird er endlich allen Geschoͤpfen, die er zur Lust gedemuͤthiget hat, hinlaͤnglichen Ersatz thun. Wer es fas- sen kann, der fasse es! CXLIX. Es ist eine recht wunderbare Ein- richtung in der menschlichen Seele, daß sie durch Furcht und Hoffnung, mithin durch Strafen und Belohnungen, von vielen Lastern abgezo- gen und zur Tugend gewoͤhnet wird. Ob auch gleich in jedem Menschen ein zureichender oder uͤberwichtiger Grund aller seiner Handlungen ist, sonst keine zur Wirklichkeit kaͤme, wenn nicht ein Uebergewichte in der Seele waͤre, da es P 4 denn Zwey hundert Maximen denn in eben den Umstaͤnden nicht moͤglich ist, daß sie anders agiren sollte: So wird doch durch vorherstehende Grund-Begriffe von der goͤttli- chen Enantiometrie, die in den Geschoͤpfen zu ersehen, nichts an den eingefuͤhrten Begriffen von Verbrechen und Strafen benommen. Denn wenn gleich der, so etwas verbricht, in solchen Gemuͤths-Umstaͤnden gestanden, die das Ueber- gewichte gegeben haben: So dienet doch seine Abstrafung entweder zu seiner eigenen Besserung, oder aber andern zur Nachhelfung, daß sie einen desto tiefern Eindruck bekommen, welcher sonst nachgeblieben waͤre, wenn nicht so ein Beyspiel abgestrafter Verbrechen ihnen vorgekommen waͤre. Will man aber die Sache in einen ho- hen Begriff fassen: So sind alle am Leben ge- strafte Verbrecher eigentlich Schlacht-Opfer der hoͤchsten Gewalt uͤber den lebendigen Odem; und eben der Mensch, der itzo als ein Uebelthaͤ- ter abgestrafet wird, wuͤrde solche That unter- lassen haben, wenn seine Seele sich in einem andern Coͤrper befunden haͤtte. Diese Vor- bestimmung aber der Ordnung, darinn jeder Mensch auf die Schaubuͤhne der Welt kommt, oder wieder abtritt, dependirt lediglich von der freyen Vorsehung Gottes. Die Comoͤdien und Tragoͤdien, die Gott bey Regierung der Welt verhaͤnget, haben einen schwereren Auf- loͤsungs-Knoten, als unsere Schauspiele; aber es haͤnget alles im Ganzen fuͤrtrefflich an ein- ander. CL. vom gesunden Witze, ꝛc. CL. Diesemnach gehoͤrt die Wissenschaft, die Handlungen der Menschen zu bestimmen, da- mit sie in der Republik einander nicht beeintraͤch- tigen, und, wo solches geschehen, Ersatz gesche- he, auch wol die unrechte That nach Befinden bestrafet werde, oder mit einem Worte, die Rechts-Gelehrsamkeit, zu denen Wahrheiten vom andern Range. Zur oͤbersten Classe kann man sie nicht rechnen, weil sie nur nach dem statu hominum praesenti eingerichtet sind. Waͤren wir alle vollkommen vernuͤnftig, wuͤrde man nicht wissen, was laesiones in lure waͤ- ren. Man wuͤrde keine Processe haben; denn jeder wuͤrde gleich wissen, was recht waͤre, oder doch durch deutlichen Vortrag sich flugs uͤber- zeuget finden. Es ist aber die Rechts-Wissen- schaft nach der jetzigen Beschaffenheit der Men- schen hoͤchst nuͤtzlich, und einem Richter der Strei- tigkeiten unentbehrlich. CLI. Der menschliche Leib uͤbertrifft an kuͤnst- licher Zusammensetzung alle Maschinen in der Welt. Der Umlauf des Gebluͤtes ist so ein Meisterstuͤck der Natur, daß die Bewegung un- aufhoͤrlich fortgehen koͤnnte, wenn nicht durch Speise und Trank, auch andre Zufaͤlle, solches kuͤnstliche Triebwerk nach und nach zerstoͤret wuͤrde. Die Unwissenheit nun in der zu hal- tenden Diaͤt, wie viel naͤmlich zum Ersatz der abgehenden Kraͤfte noͤthig sey, desgleichen die Einfuͤhrung solcher Theilgen ins menschliche Ge- bluͤte, die es inflammiren, oder aber ins Stok- P 5 ken Zwey hundert Maximen ken bringen, ist die Quelle aller Krankheiten. Auch kommen von aussen manche gewaltsame Anfaͤlle durch Verletzung der Gliedmaßen. Da- her gehoͤren die Wissenschaften der Medicin, oder innern Cur, und der Chirurgie, oder aͤusseren Heilungs-Mittel, zu den Wahrheiten vom an- dern Range, oder die nach jetziger Beschaffen- heit der Menschen noͤthig und nuͤtzlich sind. Bey dem Stande vollkommener Vernunft aber wuͤr- de man weder Aerzte noch Barbierer beduͤrfen. CLII. Der sittliche Gebrauch ganzer Voͤlker, die Regeln der Humanitaͤt und der Betrug arg- listiger Menschen haben die Politic erfunden. Weil nun solche ebenfalls nach dem itzigen Zu- stande der Menschen, da man bald mit Klugen, bald Narren, bald Aufrichtigen, bald Falschen, bald mit denen von dieser Profeßion, bald einer andern, zu thun hat, noͤthig, ja unentbehrlich ist: So gehoͤrt solche gleichergestalt zu den Wahr- heiten von der mittlern Gattung (§ 129). Sie ist entweder die Staats-Politic, oder kluge Ein- richtung eines ganzen Staates, nach derjenigen Verbindung, darinn die hoͤchste Gewalt des Landes, sie sey nun bey einem oder mehrern, mit denen ihr Untergebenen, wie auch aller Staͤnde des gemeinen Wesens, unter einander stehen; oder aber die Privat-Politic, welche anweiset, wie man sich gegen Hohe, seines Gleichen und Niedere, gegen Einheimische und Fremde, Fein- de und Freunde, ja gegen alle Menschen, auf- fuͤhren muͤsse. CLIII. vom gesunden Witze, ꝛc. CLIII. Die Gemuͤther der Menschen sind so gar mannigfaltig, daß es in der Ausuͤbung schwer ist, sich in alle Leute zu schicken. Doch werden als Leute von gutem Geschmacke und politer Conversation diejenigen gehalten, die leutselig, bescheiden, keine Großsprecher, demuͤthig, freund- lich, dienstfertig, schlau, treuherzig, aufgeweckt, scharfsinnig und tugendhaft sind. Es ist ein so wunderbarer Gegensatz unter den Menschen, daß mancher das liebet, was der andere hasset; dieser etwas hochachtet, was dem andern als gering vorkoͤmmt; einer etwas billiget, das der andere tadelt. Hier ist nun der Klugheit gemaͤß, wenn man bey Leuten ist, vor denen man Re- spect brauchen muß, mit seinem Urtheile zuruͤck zu halten, bis man jene ausgeforschet. Kom- men wir mit ihren Maximen uͤberein: So wer- den wir nach ihrem Geschmacke seyn. Gehen sie von uns ab, und wir wissen uns kluͤglich zu ver- stellen: So werden wir selten dabey uͤbel fahren. CLIV. Mißtrauen, Argwohn, Eifersucht, schicken sich besser fuͤr Leute von niedertraͤchti- gem Geschmacke, als edle Gemuͤther. Ein heimtuͤckisch Gemuͤth ist im Umgange unleidlich, und man trauet ihm niemals. Ein redlich Herz wird wol wegen seiner allzugroßen Aufrichtigkeit heimlich manchmal verlachet; aber man versie- het sich doch zu ihm kein Boͤses. Die haͤmi- schen Gemuͤther denken zwar, sie haben die Klugheit bey allen Zipfeln; aber sie werden schwerlich einen einzigen guten Freund haben, und Zwey hundert Maximen und ein Haͤmischer hasset den andern, ob er ihm schon am Gemuͤthe gleich ist, dennoch innerlich oͤfters aufs aͤusserste. CLV. Das weibliche Geschlecht ist groͤßten- theils zur Schwatzhaftigkeit, Eitelkeit, Fanta- sie in Kleiderputz, Luͤsternheit und Wankelmuth geneigt. Doch giebt es auch manche von einem fuͤrtrefflichen Witze, guten Geschmacke und maͤnnlicher Tapferkeit. Ueberhaupt aber wer- den Leute von feinem Geschmacke mit dem schoͤ- nen Geschlechte gern umgehen. CLVI. Die Aussuchung der Freunde erfor- dert einen gar vorsichtigen Geschmack. Ein wohlgespickter Beutel kann dir viel Freunde er- wecken. Eine reichlich gedeckte Tafel noch meh- rere. Die aufstoßende Noth aber wird man- chem weisen, wie duͤnne wahre Freunde gesaͤet sind. Ein Freund zeiget eben nicht dadurch sei- nen guten Geschmack der Freundschaft, wenn er, unter dem Scheine der Aufrichtigkeit, sei- nem Freunde grob begegnet, ihm solche empfind- liche Vorruͤckung thut, als kaum ein Feind thun wuͤrde, oder ihm kleine Fehler hoch aufmutzet. Wohl dem, der in solchen Vortheilen stehet, daß er sich weder um viel Freunde bewerben, noch Feinde fuͤrchten darf. Ein stilles geruhiges Le- ben in einem mittelmaͤßigen Stande uͤbertrifft alle Finessen und Cabalen, darein sich viele, die fuͤr Leute von ausserordentlichem Discernement und ausnehmendem Geschmacke angesehen seyn wollen, einflechten, auch gar oft hinters Licht fuͤh- ren lassen muͤssen. CLVII. vom gesunden Witze, ꝛc. CLVII. Der beste Geschmack im Ehestan- de ist, wenn gleiche Gemuͤther, und gesunde auch noch in der Bluͤte seyende Leiber sich mit einander vereinigen. Wo aber Luͤsternheit und Eifersucht einreisset, kann ein Ehegatte leicht ei- nen verwoͤhnten Geschmack bekommen, und sich nach fremder Speise umsehen. Es ist ein Geschmack des Eigensinnes, mit seinem Weibe um die Herrschaft streiten; denn wahre Liebe weiß von keiner Herrschaft, sondern gemein- schaftlicher Gefaͤlligkeit, alles zu thun und zu lassen, was es dem andern an den Augen anse- hen kann. Die Brumm-Baͤre, Kalmaͤuser und Buͤcher-Wuͤrmer, die ihre schoͤnen jungen Weiber Braach liegen lassen, haben einen wunderlichen Geschmack. Es hat alles seine Zeit; und wer immer uͤber den Buͤchern knau- stern will, sollte lieber gar nicht heyrathen. Da- her that jene rasche Frau nicht unrecht, daß sie, mit Aufhebung ihres Appetits-Roͤckgens, zu ihrem Mann sagte: Mann, hier ist das Cor- pus Iuris, da solltest du fleißiger in lesen, als in deinen alten Staͤnkern! CLVIII. Ein redlicher Buͤrger des gemeinen Wesens findet keinen Geschmack an Aufwie- gelung, Ohrenblaͤserey, Verunglimpfung der Obrigkeit, noch weniger an solchen Lastern, da- durch die oͤffentliche Ruhe und Sicherheit des gemeinen Wesens gestoͤret wird; am allerwe- nigsten aber an Aufruhr, Rebellion und Landes- Verraͤtherey. Die buͤrgerliche Honnettetaͤt er- strecket Zwey hundert Maximen strecket sich auch so weit, daß man nach solcher keinen Geschmack an liederlicher Gesellschaft, Saufgelachen, Laͤrmen, Unzucht, Schwaͤchung der Jungfrauen und Ehebruch findet. Wer solche Dinge fuͤr Kurzweil oder Galanterie haͤlt, hat noch nicht einmal den Geschmack von dem, was ein honnêt-homme sey. CLIX. Die Unempfindlichkeit der stoischen Weltweisen, nach welcher man alle schmerzhaf- te Empfindungen nichts achten, und die Natur gegen alle widrige Zufaͤlle verhaͤrten soll, ist eine Anzeige eines gar rauhen Geschmacks. Wer von keinem Zufalle, der ihm selbst begegnet, ge- ruͤhret wird, ist nothwendig noch viel haͤrter und unempfindlicher, wenn andern dergleichen schmerzliches widerfaͤhret. Ein solcher Hartkopf aber schicket sich besser in die Wuͤsten, daß er versuche, sich von wilden Thieren verletzen zu lassen, und seinen Schmerz zu verbeissen, als daß er im gemeinen Wesen die Menschen in un- empfindliche Steine verwandeln wollte. Es sind auch solche stoische Weltweise schlechte Aus- uͤber ihrer austéren Moral. Man mache nur Mine, daß man sich uͤber sie aufhalte, sie wer- den bald daruͤber empfindlich genug werden. CLX. Weder die Tollkuͤhnen, noch die Ver- zagten, haben einen gesetzten Geschmack. Der Gefahr, der man entgehen kann, sich unbedacht- samer Weise selbst in den Wurf zu geben, ist keine Herzhaftigkeit, sondern Verwegenheit. Die wahre Herzhaftigkeit bestehet in dem uner- schrockenen vom gesunden Witze, ꝛc. schrockenen Muthe, die Verhaͤngnisse der alles lenkenden Vorsehung getrost uͤber sich ergehen zu lassen. Ein Verzagter hingegen glaubt ent- weder keine goͤttliche Vorsehung, oder aber, weil er lasterhaft ist, fuͤrchtet er sich vor der Strafe der erzuͤrnten Gerechtigkeit. Jedoch ein Herz, das da weiß einen gnaͤdigen Gott zu ha- ben, wird in widrigen Zufaͤllen die Gemuͤths- Gegenwart nicht fallen lassen, und also weder kleinmuͤthig seyn, um nicht das Regiment der Vorsehung zu tadeln, noch verwegen, um den Character der Gottesfuͤrchtigen nicht zu pro- stituiren. CLXI. Die Gemuͤths-Gegenwart (Pré- sence d’Esprit) ist eine Universal-Tugend, ohne welche man zu keinem erhabenen Geschmacke in keiner Wissenschaft gelangen kann. Sie begreifet eine schnelle Gemuͤths-Fertigkeit, uͤber sich selbst zu reflectiren. Man ist alsdann gleich- sam ein Aufmerker seiner selbst, ein Zeuge von beschehener genauer Untersuchung der Wahrheit, und ein unpartheyischer Richter, daß man solche gefunden. CLXII. Die Gemuͤths-Gegenwart ma- chet, daß man alle seine Gedanken, Reden und Thaten am Zuͤgel, auch gleichsam am Schnuͤr- gen hat, so daß man im Stande ist, aus dem Stegereif einen schoͤnen Einfall, guten Rath und loͤbliches Unternehmen auszusinnen. Man beherrschet sich durch die Gemuͤths-Gegenwart selber, und haͤlt vermittelst derselben alle aus- schwei- Zwey hundert Maximen schweifende Leidenschaften in behoͤrigen Schran- ken. CLXIII. Wie ein wachsamer Soldate, wenn er im Felde auf dem Posten stehet, des Nachts alle Voruͤbergehende anschreyet, und, wenn es ein Feind ist, gleich Feuer giebet: Also examinirt einer, der die Gemuͤths-Gegenwart besitzet, alle seine aus- und eingehende Gedanken. Will sich nun eine Leidenschaft gegen die Vernunft empoͤren: So giebt er gleich Feuer darauf. Er haͤlt die aufsteigende Wallung des Gemuͤthes in Schranken. Er besitzet sich selbst, und laͤuft mit einem uͤberdenkenden Urtheile allen seinen aufsteigenden Affecten auf dem Fuße nach. Ue- bereilt ihn nun ja etwa der Zorn, oder eine an- dere Leidenschaft: So recolligirt er sich doch bald wieder. Er daͤmpfet die Gemuͤths-Entzuͤn- dung durch Vorstellung, daß er Meister uͤber sich selbst seyn, auch andrer Schwachheiten nicht so hoch empfinden, noch sich uͤber andrer Ver- gehungen zu sehr entruͤsten muͤsse. CLXIV. Ohne die Gemuͤths-Gegenwart (Pré- sence d’Esprit) wird einer auch an denen ihm erzeigten Gutthaten keinen rechten Geschmack finden. Ein leichtes Gemuͤth vergisset der Wohlthat bald, und achtet solche wenig. Ein erkenntliches Gemuͤth aber hat solche in stetem Andenken, und verbindet damit einen Trieb der Dankbarkeit. Die Wohlthaten, die einem dankbaren Gemuͤthe erzeiget werden, sind bey ihm, als in einer Schatzkammer, verwahret. Nichts vom gesunden Witze, ꝛc. Nichts ist ihm so angelegen, als sich inacht zu nehmen, damit er seinem Wohlthaͤter ja nichts zum Verdruß thue. Jrrt er nun manchmal gleich in seiner Einsicht: So ist er doch nicht im Stande, den Wohlthaͤter vorsetzlich zu be- leidigen. Auch wenn er hoch steiget, wird er die im niedrigen Stande ihm erzeigte Gutthaten in desto verpflichteterm Andenken behalten. CLXV. Die Wissenschaft, allgemeine Be- griffe anzugeben, deren man sich in allen Thei- len der Gelehrsamkeit bedienen koͤnne, gehoͤrt unter die Huͤlfs-Wahrheiten, mithin zu der dritten Classe, oder den Wahrheiten vom un- tersten Range. Sie sind nicht um ihrer selbst willen, sondern dadurch die Begriffe in den hoͤ- hern Wissenschaften zu erleichtern. Also wenn einer z. E. gleich uͤberhaupt wuͤßte, was eine Substanz, ein Zufaͤlliges, eine Absicht, ein Mittel, oder dergleichen, bedeute: So wuͤßte er doch aus solchen Huͤlfs-Woͤrtern nicht, was nun z. E. der finis der Theologie, Jurisprudenz, Medicin ꝛc. sey; sondern er muͤßte solches aus solchen Disciplinen selbst erlernen. Jndeß aber, weil alle practische Wissenschaften ihre fines oder Absichten haben, ist es gut, wenn man uͤber- haupt einen Begriff bekoͤmmt, was durch fines verstanden werde. CLXVI. So ist demnach die ganze Meta- physic eine Huͤlfs-Disciplin, um mit denen darinn erlernten Grund-Begriffen in andern Haupt-Wissenschaften desto besser fortzukom- Q men. Zwey hundert Maximen men. Wer aber in diesen allgemeinen Begrif- fen bestehen bleiben, und nicht die Wahrheiten vom oͤbersten und andern Range fassen wollte, der waͤre wie einer, der sich immer mit einer Meß-Schnure schleppte, ohne solche wirklich an- zulegen, noch etwas darnach auszumessen. CLXVII. Die kuͤnstliche Logic, in so fern sie Vortheile anweiset, sich von den Sachen de- sto leichtere Begriffe zu machen, Urtheile abzu- fassen, und Schluͤsse auszusinnen, oder zu be- urtheilen, gehoͤrt auch zu den Wahrheiten vom untersten Range. Jn so ferne aber darinn selbst die wesentlichen Kraͤfte des menschlichen Verstandes und die Regeln der Rechtdenkung vorgetragen werden, gehoͤret sie zu den Wahr- heiten vom oͤbersten Range. Es sind aber vie- le tausend Menschen, die richtig denken und ur- theilen, wenn sie gleich ihr Lebtage keine kuͤnst- liche Logic erlernet haben. CLXVIII. Wer in der kuͤnstlichen Logic die abstrahirten Begriffe uͤbertreibet, und, anstatt einer vernuͤnftigen Anatomie des Verstandes, ihn gleichsam zersplittert und zerpitzelt, der hat einen so laͤcherlichen Geschmack, als wenn ei- ner, bey Beschreibung eines Pallastes, alle Qua- dersteine und Balken daran zehlen wollte. Sol- che Staͤubleins-Gruͤbler und Zerlaͤsterer des gesunden Witzes muß man fuͤr Wuͤrmer hal- ten, die in ihren eigenen Grillen sich selber ver- graben, und in ihrem eigenen Spinnegewebe sich versitzen. Lernt er aber die Logic gar deswegen, um vom gesunden Witze, ꝛc. um einen Sophisten und spitzfindigen Verleum- der abzugeben: So ist er wie eine Hornisse, die ihren Stachel nicht zum Einsammlen des Honigs, sondern zu heftigem Anstechen derer gebrauchet, die ihr zu nahe kommen. CLXIX. Die Wissenschaft der Sprachen gehoͤret ebenfalls zu den Huͤlfs-Wahrheiten, mithin zu der dritten Classe. Eine Sprache an sich ist eine Mischung unterschiedener Laute, die eine gewisse eingefuͤhrte Bedeutung haben. Also liegt in der Sprache selbst keine Realitaͤt. Aber weil keine Wahrheit vom ersten oder an- dern Range einem andern kann fuͤglich beyge- bracht werden, als vermittelst der Sprache; hingegen einer dis, der andere jenes besser ver- stehet: So kann also einer, der mehrere Spra- chen weiß, sich dadurch die Erkenntniß wichtiger Wahrheiten desto mehr erleichtern. CLXX. Die grammaticalischen, philolo- gischen und critischen Sprach-Schriften sind besondere Huͤlfs-Mittel zu Erleichterung der Sprach-Wissenschaft. Da nun aber alle Sprach-Wissenschaft nur zu der untersten Classe der Wahrheiten gehoͤret (§ 169): So verraͤth der seinen pedantischen Geschmack, der sich auf die Sprach-Critic mehr einbildet, und solche hoͤher schaͤtzet, als die reellen Wissenschaften. CLXXI. Das Lesen der Buͤcher ist gut und heilsam, um sich daraus einen Vorrath noͤ- thiger und nuͤtzlicher Wahrheiten einzusammeln. Wer aber nichts thut, als auswendig lernen, Q 2 ohne Zwey hundert Maximen ohne selber ein gruͤndlich Urtheil vom Wahren und Falschen faͤllen zu koͤnnen, der ist ein leben- dig Woͤrter-Buch und eine klingende Schelle, oder ein lebendiges Buͤcher- Repositorium, auf welchem ganz widerwaͤrtige Schriften neben einander stehen koͤnnen, dazu der Entscheider fehlet. CLXXII. Die Beredsamkeit ist eine Fer- tigkeit, seine Gedanken in einer Sprache nicht nur rein, sondern auch deutlich und schoͤn aus- zudruͤcken, daß man von der vorgetragenen Wahrheit lebendig geruͤhrt wird. Wer aber keine reelle Wahrheiten aus der ersten und an- dern Classe hat, wird sich entweder mit andrer Gedanken behelfen muͤssen, oder einen gelehr- ten Waͤscher abgeben, der sixcalax von allem plaudert, was ihm ins Maul koͤmmt. Der groͤßte Redner, in so fern er ein Redner ist, ste- het nur in der untersten Classe der Gelehrten. Traͤget er aber Wahrheiten vom ersten Range oratorisch vor: So gehoͤrt er unter die Gelehr- ten vom oͤbersten Range. Nicht der Rede- Vortrag, sondern die Wichtigkeit der vorgetra- genen Sache macht den Unterschied zwischen großen und kleinen Gelehrten. CLXXIII. Die Poesie ist eine Huͤlfs-Wis- senschaft, gruͤndliche Wahrheiten in wohlge- schlossenen Reimen nachdruͤcklich und lebhaft vorzutragen. Sind nun die Sachen, so in Reimen vorgetragen werden, niedrig, gemein, laͤppisch und leichtfertig: So ist die ganze Poe- sie vom gesunden Witze, ꝛc. sie eine Rhapsodie und Reimschmiederey. Werden wichtige Wahrheiten nicht mit dem gehoͤrigen Feuer und Nachdrucke in Reime ge- faßt: So ist es eine kriechende Poesie. Wer- den aber entweder wichtige, oder schlechte Wahr- heiten in schwuͤlstige Worte, oder ein kahler Ge- danke in poetische Luft-Blasen eingewickelt: So heißt es eine Dunst-Poesie, und poetischer Phoͤ- bus, oder Galimathias. Diesemnach gehoͤrt die Poesie an sich zu der untersten Classe der Gelehrsamkeit, und bekoͤmmt einzig das Ge- wichte und den Adel von den Materien, die in wohlklingende Reime gesetzet werden. CLXXIV. Wer die Poesie dazu mißbrau- chet, um sein haͤmisch Gemuͤthe gegen andere auszulassen, mithin die Grenzen eines vernuͤnf- tigen Straf-Gedichtes uͤberschreitet, der ist ein gedoppelter Narr. Einmal, daß er die Poesie nothzuͤchtiget, und ihren Absichten zuwider handelt. Sodann, daß er die Galle seines Gemuͤths so boshaftig verspruͤtzet. Er gleichet dem, der einen goldenen Pocal dazu mißbrau- chet, daß er einem andern darinn Gift praͤsen- tiret. CLXXV. Wer zur Poesie nicht von Na- tur aufgelegt ist, und doch mit Macht ein Poete seyn will, der hat einen uͤberwitzigen Geschmack. Er koͤmmt mir vor, als wenn ein Lahmer woll- te einen Tanzmeister, oder ein Pfarrer einen Scaramuz in der Comoͤdie abgeben. Es gehet einem wahren Gelehrten dadurch nichts ab, wenn Q 3 er Zwey hundert Maximen er gleich keinen einzigen Vers sein Lebetage ge- macht haͤtte. So wenig einer mit verhauenen Fingern das Clavier oder die Theorbe spielen kann: So wenig soll sich einer zur Poesie drin- gen, wenn ihm die Natur das Talent versagt hat, in Einfaͤllen gluͤcklich zu seyn, und auf un- gebundene Art die Reime zu verbinden. CLXXVI. Der wahre poetische Geschmack erfordert einen scharfsinnigen Kopf, geschwinde Einfaͤlle, verdeckte Schoͤnheiten, lebhafte Vor- stellungen, paradoxe und unerwartete Gedan- ken, eine edle Dreistigkeit in Ausdruͤcken, und ein Feuer, das den Leser und Zuhoͤrer in Be- wegung setze. Die Poesien der Ober- und Nieder-Sachsen, die Gedichte eines Brocks, Richeys, Weichmanns, Koͤnigs, Canitzens, Bessers, Pietschens, Neukirchs, Opitzens, Hallers, Gottscheds, Picanders, Guͤnthers, Madame von Steinwehr, oder vormaligen Madame von Ziegler, Loͤberinn, Zaͤuneman- ninn, ꝛc. enthalten einen fuͤrtrefflichen poeti- schen Geschmack. Doch verlassen auch die groͤß- ten Poeten unterweilen ihre Staͤrke, und nei- gen sich manchmal zum Bathos, oder auch Phoͤ- bus; welches sie leicht verbessern wuͤrden, wenn sie ihre Gedichte nochmals uͤbersehen sollten. CLXXVII. Der Verfasser des hamburgi- schen Patrioten hat die Eigenschaften des wah- ren poetischen Geschmacks auf sinnreiche Art dadurch vorgestellet, daß er die reine Poesie ei- ner hellen Quelle vergleichet, die ganz anmuthig dahin vom gesunden Witze, ꝛc. dahin rauschet, und liebliche Wasser-Faͤlle hat. Sie ist kein reissender Strohm, kein aus dem User schreitendes Meer, kein truͤber Timpel, kei- ne Grube voll Schlamm-Wasser; sondern eine helle Crystall-Quelle, oder wie ein hellpolirter Brenn-Spiegel mit einem richtigen Brenn- Puncte. CLXXVIII. Wer den Mustern großer Poe- ten durchgaͤngig ohne Pruͤfung eines jeden Ge- danken folget, der thut es entweder aus blinder Nachahmung, oder aber er haͤlt die Sonnen- Makel fuͤr Zierathen. Wie man aber z. E. bey den Reden des Cicero die Nettigkeit seiner Worte von den Touren seiner Gedanken wohl unterscheiden muß, weil er manchmal wie ein Sophist und Windbeutel raisonniret: Also muß man auch die bey großen Dichtern einge- schlichene Fehler zwar uͤbersehen, und sie wegen solcher kleinen Flecken nicht herunter machen, oder beissend anstechen; aber doch auch nicht solche Fehler zu Mustern der Nachahmung vorstellen. CLXXIX. Noch weniger aber darf man sich an das Gewaͤsche eines Stuͤmpers kehren, der etliche schoͤne Gedanken andern abgestohlen, und die Quelle verschweiget, daraus er Wasser ge- schoͤpfet; was er aber aus seinem eigenen Ge- hirne dazu gethan, ganz mager und erbaͤrmlich aussiehet, so daß die gebrauchte Schreib-Art einander so ungleich ist, als wie z. E. in der Schrift: Tempel des guten Geschmacks; da Q 4 die Zwey hundert Maximen die Gedanken sehr schlecht an einander hangen, indem einige schoͤn und gruͤndlich, andre aber recht laͤppisch und abgeschmackt sind. (S. die 24 bescheidene Essen. ) CLXXX. Man muß auch vor den poetischen Hohn-Sprechern nicht erschrecken, noch sich durch ihre Spoͤttereyen irre machen lassen. Sie tadeln manchmal eines andern unnachahmliche Kunst-Stuͤcke, oder schmaͤhlen auf einen Scri- benten, den sie heimlich bestehlen, aber darum losziehen, daß man ihren gelehrten Diebstahl nicht merken solle. Zuweilen ist es auch aus Aergerniß, daß sie unvermuthet bey andern ei- nen gluͤcklichen Einfall finden, der ihnen ohnge- fehr auch eingefallen, und sich damit so viel ge- wußt, wie jene Amme des Dauphins, die den Preis behalten, daß sie die milchreichste Brust habe, und daruͤber fuͤr Freuden des Todes ge- blieben. Es kitzelt mancher sich ausserordentlich uͤber diesen oder jenen habenden Einfall. Fin- det er aber, daß solchen laͤngst vor ihm schon ein anderer gehabt: So geraͤth er uͤber die Frucht seines Leibes in Wuth, und zerschmettert sie an einem Steine. Er erstickt also seinen eigenen Einfall lieber in der Geburt, als daß er solchen an andern loben sollte. Manchmal aber duͤnkt er sich auch schrecklich viel damit, wenn er etwa einmal plumperweise auch so einen Einfall be- koͤmmt, als er in großer Dichter Poesien nach- her findet. CLXXXI. Die Krieges-Kunst ist eine Huͤlfs- vom gesunden Witze, ꝛc. Huͤlfs-Wissenschaft bey der Staats-Klugheit. Denn da diese die Absicht mit hat, den Staat vor feindlichem Angriff und innerlichem Aufruhr zu bedecken: So braucht man dazu Armeen, zu Wasser und zu Lande, zu Roß und zu Fuß. Man braucht auch Gewehre und Geschuͤtze; da- her die Canonir- und Artillerie-Wissenschaft erfordert wird. Man braucht auch Vestungen, oder greift feindliche an; wozu die Jngenieur- und Fortifications-Kunst Anleitung giebt. CLXXXII. Die Unkosten des Staats zu be- streiten gebrauchet man einer Wissenschaft zu Einhebung und Vermehrung landesherrlicher Revenuͤen, welches die Cameral-Wissenschaft heisset. Da schlagen nun viele besondere Wis- senschaften ein, als der Bergwerke und Salz- Quellen; der Muͤnze und des Gepraͤges; des Postwesens; der Forste mit Jagd und Wal- dung; der Grund-Steuern, Contributionen und Accisen; der verpachteten Aemter und Cammer-Guͤther; und der eigenen Menagerie des Fuͤrsten, wenn er Laͤndereyen, Vorwerke, Viehzucht, Aecker, Wiesen, Muͤhlen, eigene Fabriken und Manufacturen besitzet, nebst Zoͤllen, Geleiten, Schoß, und andern oͤffent- lichen Abgaben. CLXXXIII. Die Haushaltungs-Kunst ist eine Huͤlfs-Wissenschaft, sich ehrlich fortzubrin- gen, gut Gewerbe zu haben, und etwas zu gewin- nen. Dahin gehoͤret Ackerbau, Gaͤrten, Vieh- zucht, Handel und Wandel, guter Ueberschlag der Q 5 Ein- Zwey hundert Maximen Einnahme und Ausgabe, hauswirtliche Menage und eine ehrliche Profeßion. CLXXXIV. Unter die Huͤlfs-Wissenschaf- ten gehoͤret auch sonderlich die Historie, oder An- merkung gegenwaͤrtiger und vergangener Ge- schichten. Solche theilt sich wieder in drey beson- dere Disciplinen, als die Kirchen-Historie, die weltliche Historie und die gelehrte Historie. So giebt es auch eine Universal- und Special-Histo- rie. Die Lebens-Beschreibungen großer Hel- den, Monarchen und beruͤhmter Gelehrten, wenn sie in magnifiquer Schreib-Art und pragmatisch abgefasset sind, haben einen reizenden Geschmack. CLXXXV. Der reiche Vorrath an geschrie- benen und gedruckten Buͤchern hat große Herren, Universitaͤten, Collegia, Ministros und ansehnli- che Gelehrte veranlasset, ganze Bibliotheken zu sammlen. Die Wissenschaft ansehnlicher Buͤ- cher-Saͤle ist also auch eine besondre Huͤlfs-Wis- senschaft, und dienet dazu, wenn man eine Schrift recht vollkommen abfassen will, aus großen Bibli- otheken den benoͤthigten Stoff, sonderlich wenn es historische, diplomatische und Rechts-Sachen be- trifft, zu sammlen, und zu erkennen, was schon an- dere vorher in der abzuhandelnden Materie praͤsti- ret haben. CLXXXVI. Die Mathematic bestehet aus vermischten Wahrheiten, deren etliche zur ober- sten Classe (§ 129), andere zur mittlern, die mei- sten zu den Huͤlfs-Wahrheiten, oder der letzten Classe, gehoͤren. Also ist die demonstrative Lehr- Art vom gesunden Witze, ꝛc. Art der Mathematicorum in dem Wesen der Vernunft gegruͤndet, und gehoͤret hiernach zu den Wahrheiten vom oͤbersten Range. Eben so, wenn man die Astronomie in der Absicht erklaͤret, um aus dem ganzen Weltgebaͤude darzuthun, daß nothwendig ein Gott sey. CLXXXVII. Die Arithmetic ist eine Huͤlfs- Wissenschaft der Cameral-Wissenschaft und Haushaltungs-Kunst. Die Geometrie, oder Feldmeß-Kunst, ist der Grund bey Anlegung re- gulairer Gebaͤude und Vestungen. Auch wer- den die Streitigkeiten unter Feld-Nachbarn dar- aus entschieden, oder auch, wenn der Strohm sei- nen Gang verlaͤsset, und einen andern Alveum suchet. CLXXXVIII. Die Optic, Catoptric, Di- optric und Perspectiv, welche alle mit Licht und Schatten, auch Verfertigung kuͤnstlicher Glaͤser und Spiegel umgehet, thut der Mahler- und Zeichnungs-Kunst besondere Huͤlfe. CLXXXIX. Die Mechanic lehret die Kraͤfte der Bewegung, des Steigens und Fallens, kuͤnst- licher Maschinen, die mit leichterer Muͤhe das ver- richten, wozu sonst viel Menschen-Haͤnde wuͤrden erfordert werden. Applicirt man die Grund-Re- geln der Maschinen auf das ganze Weltgebaͤude: So ist solches eine große Maschine; und selbst in dem Wesen jeder Maschine lieget der Begriff, daß sie sich nicht selber zusammengesetzet, noch von E- wigkeit da seyn kann; folglich kann man aus den Gesetzen der Mechanic darthun, daß nothwendig ein Zwey hundert Maximen ein Gott sey. Auch zeigt die Mechanic, in Vergleich mit der organischen Structur leben- diger Coͤrper, daß in allen lebenden Geschoͤpfen et- was mehrers, als ein bloßer Mechanismus, sey, obgleich vieles auf mechanische Weise zugehet. CXC. Die Aerometrie erklaͤret die Kraͤfte der Luft, und sonderlich die Wirkungen der Luft- Pumpe. Die Hydraulic zeiget die Kraͤfte des Wassers an, und aller fluͤßigen Materie, auch was jeder Coͤrper an seiner Schwere verliere, wenn er in fluͤßiger Materie schwebet. Sie ist der Grund aller kuͤnstlichen Spring-Brunnen, Wasser-Lei- tungen und Druck-Werke, das Wasser mit Ge- walt in die Hoͤhe zu treiben. Sie erlaͤutert auch die Lehre vom Umlaufe des Gebluͤts in lebendigen Coͤrpern. Die Pyrotechnie gehet mit den Kraͤf- ten des Feuers um, und ist eine besondere Huͤlfs- Wissenschaft der Krieges-Kunst. Denn sie leh- ret mit Geschuͤtz umgehen, und das Schießpulver also zu gebrauchen, daß die groͤßten Vestungen koͤnnen durch Feuer-Moͤrser, Bomben, Feuer-Ku- geln und Canon-Kugeln ruiniret werden. Sie lehret auch kuͤnstliche Lust-Feuer, Jlluminationen und Entzuͤndungen durch Fermentation anzu- geben. CXCI. Die Trigonometrie und Sphaͤric, oder Ausmessungs-Kunst aller eckigten und run- den Flaͤchen, wie auch, wenn man die ganze Exten- sion, den Umfang und Jnhalt eines angegebenen hohen oder auch ausgefuͤllten Coͤrpers wissen will, ist eine Huͤlfs-Wissenschaft bey der Geometrie, Astro- vom gesunden Witze, ꝛc. Astronomie, Gnomonic, Geographie und ganzen Mathematic. CXCII. Die Bau-Kunst ist im menschlichen Leben zur Erhaltung bequemen Dachs und Fachs sehr nuͤtzlich. Sie begreift drey besondere Disei- plinen, als die Architectur, welche ganze Pallaͤste und Gebaͤude angiebet; die Krieges-Baukunst, welche lehret Vestungen zu machen und Lager zu verschanzen; und denn die Schiffs-Baukunst, ohne welcher kein Handel und Wandel zur See, dabey doch der groͤßte Profit ist, koͤnnte getrieben werden. CXCIII. Die Astronomie erklaͤret das an einander in schoͤnster Ordnung haͤngende erstaun- liche Weltgebaͤude; den richtigen Lauf der Ge- stirne, sonderlich der Sonnen und des Monden, dadurch Zeiten, Jahre, Monate und Tage bestim- met werden. Die Gnomonic ist eine besondere Disciplin, welche lehret, kuͤnstliche Sonnen-Uh- ren, und Abrichtung des Magneten, zu Anweisung der Himmels-Gegenden zu machen. Die Geo- graphie bezeichnet den Umfang der Erd-Kugel, die Lage der Laͤnder, Staͤdte und Haupt-Fluͤsse, mithin ist sie eine besondere Huͤlfs-Wissenschaft fuͤr Seefahrer und reisende Passagiers. CXCIV. Die Algebra ist die Wissenschaft aller Verhaͤltnisse und Groͤßen gegen einander, bis sie ins Unendliche laufen. Man giebt darinn den Alphabet-Buchstaben eine gewisse Bedeutung von einer angenommenen Groͤße, und erfordert gar subtile Koͤpfe, die algebraischen Ausrechnungen zu verstehen. CXCV. Zwey hundert Maximen CXCV. Nach den mathematischen Wissen- schaften ist die Cryptographie, oder Chifrirungs- und Dechifrirungs-Kunst auch heut zu Tage ei- ne bey hohen Standespersonen sonderlich im Schwange gehende Wissenschaft, und lehret auf verdeckte Art zu schreiben, durch Verwandlung ei- ner Schrift in abgeredte Zahlen, oder versetzte Buchstaben, oder verworfene Lese-Arten, daß man sie ohne Schluͤssel nicht fuͤglich lesen kann, wie auch, wenn solche Chifer-Schriften gefunden oder aufgefangen werden, wie man hinter ihren Jnhalt kommen koͤnne. CXCVI. Die Zeichnungs- und Maler- Kunst, desgleichen das Kupferstechen, Bild- hauen, Bildgiessen, Steinschneiden, und im Feuer emailliren, sind curieuse Wissenschaften, die anmuthig in die Augen fallen, und die Natur nachahmen. Die Meister in solchen Kuͤnsten werden oft hoͤher geschaͤtzet, als Gelehrte vom oͤbersten Range. CXCVII. Die Music, sowol die Singekunst, als auf Jnstrumenten zu spielen, hat viel Reizen- des fuͤr die Ohren. Einige finden mehr Geschmack am rauschenden Getoͤne der Trompeten, Pauken, Waldhoͤrner, Orgeln und Posaunen; andere an den sanften Toͤnen einer Laute, Clavecimbels, Cy- ther, Traverse, Floͤte und Violine. Die Vir- tuosen in der Music bekommen oft staͤrkere Pensio- nen, als die Gelehrten von der obersten Classe. CXCVIII. Alle Kuͤnste und Handwerker sind Hilfs-Wissenschaften zur Bequemlichkeit des mensch- vom gesunden Witze, ꝛc. menschlichen Lebens. Sie sind fast unzehlbar. Und weil die Gelehrten so zahlreich sind, daß man- cher lange harren muß, ehe er ein Amt bekoͤmmt: So waͤre es nicht undienlich, wenn die Mode ein- gefuͤhrt wuͤrde, daß ein Gelehrter, wie ehedem bey den Juden die Rabbinen, auch eine Kunst oder Handwerk mit lernte, um sich dessen bis auf erfol- gendes Amt zu gebrauchen. CXCIX. Es giebt auch entbehrliche Kuͤnste, die dennoch genug Liebhaber finden, weil der Ge- schmack vieler Menschen auf Kurzweil, Gaukeley und Begierlichkeit erpicht ist. Dahin gehoͤren die Luftspringer und Seiltaͤnzer, Taschenspieler, Comoͤdianten, Gluͤcksbuͤdener, Lotterie- und A- ctienkraͤmer, nebst Karten- und Wuͤrfelspielern. Endlich giebt es fuͤrwitzige und unsichere Kuͤnste, daran doch manche einen Geschmack finden, als die Goldmacher-Kunst; Astrologie, oder Wahr- sagerey aus dem Gestirne; die Chiromantie; Punctir-Kunst; weisse Kunst, oder Umgang mit guten Geistern; die schwarze Kunst, oder Be- schwoͤrung boͤser Geister; das Vestemachen; Cry- stallgucken; die Befragung der Wuͤnschel-Ru- the, und dergleichen falschberuͤhmte Kuͤnste, die oͤfters entweder eine Beruͤckung von boͤsen Gei- stern, oder eine Begierde, die Leute ums Geld zu schneiden, hinter sich haben. CC. Jch schliesse mit den Worten eines ehema- ligen großen Mathematici und Weltweisen vom ersten Range, des Hn. von Tzschirnhausen, wel- cher in seiner Medicina mentis et corporis an einem Orte Zwey hundert Maximen ꝛc. Orte also schreibet: Quicunque saltem termi norum et distinctionum occurrentium signifi- cationem cognitam habet, tantumque nouit, in quot disciplinas diuidi soleat, quot sectae in hac a principio vsque ad nostra tempora floru- erint, et similia; infimvm saltem philosophiae gradvm obtinuisse censendus, ac nullo modo realis philosophvs appellandus erit, sed ver- balis potius; siquidem philosophi realis no- men illi saltem competit, qui ad tantum perue- nit cognitionis gradum, vt re ipsa obseruet, in sva potestate esse, quidquid incognitum, sed humano tamen intellectui peruium est, pro- prii ingenii svi viribvs in lucem producere. Das sind eben solche Universal-Koͤpfe, die ihnen selbst zu Erfindung der Wahrheit genug sind, und die Haupt-Wissenschaften en gros uͤberschauen koͤnnen. Jch muß hier abbrechen; denn mein naͤchster Nachbar, Herr Hans Carl Gurschmecker, win- ket mir, daß er im Begriffe sey, die Tafel zu decken, und die 24 Couverts, die er dem neuen Hn. Bau- meister des Tempels vom guten Geschmacke, als ein bescheiden Essen, zugedacht hat, ohne An- stand aufzutragen. Er hat mir die 200 Maximen in die Feder dictiret, und ich ihm die Beschreibung seiner 24 Schau-Essen; folglich werden wir uns beyde gerade drein theilen, wenn dem geneigten Leser entweder die Maximen, oder die Schau- Essen, besser gefallen sollten. Scherz Scherz bey Ernst. Oder: Hans Carl Gutschmeckers, Mund-Kochs der Loͤbl. Froschmaͤusler-Gesellschaft, vier und zwanzig Couverts, oder verdeckte Gerichte, als ein bescheiden Essen, zu einem Gratial fuͤr den ingenieusen Herrn Baumeister des Tempels vom guten Geschmacke, aufgetragen. R Virgil. 5. Ecclog. Cur non, mopse, boni quoniam conuenimus ambo, Tu calamos inflare leves, ego dicere versvs, Possemus? TAVBMANNVS, Epigrammat. Lib. II. pag. 372. Nec plene me scire satis, nec scribere plane, marcvle, versiculis spargis vbique tuis. marcvlvs est plagii convictvs nuper; an hoc est Sat plene et plane, Marcule, posse loqui? Ganz kleine Vorrede. Jhr Freunde vom guten Geschmacke! E ine Hoͤflichkeit ist der andern werth. Der Herr Criticus Incognito hat, in seinem Tempel des guten Geschmacks, einiger mei- ner Goͤnner und Freunde Erwehnung gethan. Zum schuldigen Gratial dafuͤr verehre ich ihm, als ein bescheiden Essen, folgende vier und zwanzig Couverts, oder verdeckte Schau-Ge- richte. Er hat darunter das Auslesen, wel- ches am besten nach seinem Geschmacke seyn moͤgte. Weil ich aber, meiner Profeßion nach, ein Koch bin: So ist es wider meine Gewohn- heit, lange Vorreden zu machen; sondern ich trage meine Tractamenten flugs auf. Wer Belieben hat, kann anbeissen; wer keinen Ap- petit hat, kann es stehen lassen: es verdirbt nicht, und koͤmmt nicht um! Vom Hause, den 17ten Junius, 1743. Hans Carl Gutschmecker, Mund-Koch E. Loͤbl. Froschmaͤus- ler-Gesellschaft zu Liebenseeburg. R 2 Erstes I. Eine zerfahrne Eyer-Suppe. Erstes Couvert. Eine zerfahrne Eyer-Suppe. D a ich, bereits vor mehrern Jahren, bey ei- nem gewissen großen Koͤnige als Mund- Koch gestanden: So hoffe, einigermaßen im Stande zu seyn, vom guten Geschmacke ur- theilen zu koͤnnen. Jch habe drey Haupt-Oer- ter bemerket, wo sich der gute Geschmack aͤus- sert. Bey den Tafeln großer Herren; denn da muͤssen alle Gespraͤche sehr fein herauskom- men, damit nicht denen hohen Gaͤsten der Ap- petit verderbet werde. Ferner in den Cabinet- tern vornehmer Minister; denn wenn der hohe Minister auf der Serviette speiset, muß sich der gemeine Geschmack ganz entfernen. Endlich sind die oͤffentlichen Speise-Haͤuser, Coffee- Haͤuser, Opern-Haͤuser und große Joachims- Thaͤler der Sammel-Platz, wo Leute von gu- tem Geschmacke zusammen zu kommen pflegen. Daß aber die Gelehrten, gleich uns, vom guten Geschmacke auch reden wollen, haben sie bloß uns Koͤchen abgeborget. Denn wir sind ohnstreitig Leute von dem allerfeinsten Ge- schmacke. Doch sind wir nicht so albern, daß wir den guten Geschmack, den wir in der Kuͤ- che lernen muͤssen, sollten in einem Tempel su- chen. Gleichwol ist ein neuer gelehrter Mar- ketenter aufgestanden, der hat einen eigenen Tempel erfunden, wo man den guten Geschmack lernen soll. Jch zweifle, daß sich die Tempel dazu I. Eine zerfahrne Eyer-Suppe. dazu schicken. So was ist noch nicht erhoͤrt! Es ist rar, merveilleux und erstaunlich, daß ein Tempel die Stelle einer Garkuͤche vertreten soll! Nennet mit einen alten oder neuen Scri- benten, der von Geschmacks-Tempeln gespro- chen! Der Einfall hat nicht seines gleichen, und uͤbersteigt den gemeinen Horizont des menschlichen Witzes! Der gute Geschmack und der Begriff eines Tempels ist weiter von einander, als das Ey- weiß in einer zerfahrnen Suppe aus einander gedehnet und von dem Dotter abgesondert ist. Der Titel einer jeden Schrift ist wie das erste Gerichte, oder die Suppe. Wer nun die Suppe nicht einmal recht zurichten kann, oder so einen laͤcherlichen Titel aussinnet, daß er von Geschmacks-Tempeln redet, was soll der wol fuͤr einen Verstand vom guten Geschmacke haben? Cape tibi hoc, et arrige aures, Pamphile! Anderes Couvert. Vorkost von Stockfisch. Es haltens manche Standes-Personen und Leute von gutem Geschmacke also, daß sie, nach der Suppe, erst einen kleinen Grund durch eine Vorkost, die brav widerhaͤlt, legen, dazu ein gepfluͤckter Stockfisch nicht undienlich ist. Beynahe dachte ich, es stuͤnde dergleichen auch vor mir, da ich uͤber das neumodische Schild, R 3 oder II. Stockfisch. oder Traiteur-Zeichen, das mir neulich in der W .... Buchhandlung aufstieß, meine Verwunderung dem naͤchsten Nachbar zu er- kennen gab. Es will mir durchaus noch nicht in den Kopf, eine Marketender-Bude, ja wenn es auch die allersauberste und magnifiqueste Kuͤ- che waͤre, einen Tempel des guten Geschmacks zu nennen. Allein ich merke wol, das neuge- malte Schild, das der curieuse Baumeister des Tempels vom guten Geschmacke sich selber er- dacht, soll ihm bey dem Poͤbel ein Ansehen ma- chen, oder die großen Geister sollen denken: Hier ist des Herrn Tempel, der Leute von gutem Ge- schmacke recht zu bewirthen weiß! Aber, meine Herren, die mir bisher die Ehre gethan, und meine aufgesetzten Gerichte sich wohl schmek- ken lassen, kehren sie sich nicht an diesen neuen Windbeutel. Sein vorgegebener Tempel des guten Geschmacks ist ein bloßes Karten-Haus, von ohngefehr vierzehn Blaͤttern zusammenge- setzet; ich schwoͤre aber drauf, er wird kein Pri- vilegium auswirken koͤnnen, seinen zusammen- geraffelten Kuͤchen-Kram und Melange-Bou- tique einen Tempel vom guten Geschmacke nennen zu duͤrfen. Wer von fuͤrtrefflichem Geschmacke ist, der denke nicht, in einem Tem- pel einen bessern Geschmack bekommen zu wol- len; und wer noch gar nicht weiß, was gut schmecke, oder was dazu gehoͤre, ein Mann von gutem Geschmacke genannt zu werden, der denke ja nicht, daß er in einen Tempel ge- hen II. Stockfisch. hen muͤsse, um solches da erst zu lernen! Will er aber einen rechten Geschmack von der Leicht- glaͤubigkeit bekommen: So halte er sich zu sol- chen Geistlichen, die viel mit Glaubens-Sa- chen umgehen. Meines Ortes will ich nicht prahlen, daß ich vollkommen wisse, was gut schmecke, ohnerachtet ich schon vor zwoͤlf Jah- ren ein privilegirter koͤniglicher Leib-Koch ge- wesen, und aus langer Erfahrung weiß, daß ein Tempel des guten Geschmacks eben so ein Mischmasch ungereimter Jdeen sey, als wenn einer in meiner Garkuͤche zum andern Couver- te wollte Stockfisch fordern, und ich wollte ihm einen Fisch bringen, dabey aber auch einen Stock auf die Schuͤssel legen. Man nennet das sonst ein Galimathias, wenn zwey Jdeen in der Ver- bindung abgeschmackt werden. Dis trifft hier zu. Man weiß wol, was ein guter Geschmack sey; aber wenn das Wort Tempel dazu koͤmmt: So moͤgte man die Raths-Herren zu Nuͤrn- berg erst fragen: Was denn ein Tempel des guten Geschmacks fuͤr ein Ding, und ob der, so diesen Namen erfunden, nicht selber ein Stock- fisch sey? Drittes Couvert. Ein Ragout von Wildpret. Unsere gemeinen Ragouts sind rechte Misch- masche von Gerichten. Denn da liegt oft ein Stuͤckgen maͤnnliches Fleisches vom Schoͤpse, bald ein Stuͤckgen weibliches von einer Haͤsinn R 4 in III. Ein Ragout. in einer Schuͤssel zusammen. Gerade so ein appetitliches Hasen- und Schoͤps-Ragout traͤ- get der neue Speise-Wirth in seinem Tempel des guten Geschmacks auf. Jch muß doch nun einmal mich angewoͤhnen, seine Garkuͤche einen Tempel zu nennen, ob mir gleich das Wort wol zehnmal im Halse, wie ein Knoͤchel- gen, oder eine Graͤte, stecken geblieben. Aber weil er sich recht viel damit weiß, und auf al- len Seiten seinen so betitelten guten Ge- schmacks-Tempel anpreiset: So will ich hin- fort bey dieser seiner Benennung bleiben, ohne ihm im geringsten dadurch einzugestehen, daß er einen guten Geschmack gehabt, da er diesen Titel seiner Schrift gegeben. Alle Jdeen, die einen wahrhaften bon goût haben, oder rich- tige schoͤne Gedanken sind, lassen sich in allen politen Sprachen nach den Worten ausdruͤk- ken. Wenn aber ein Ausdruck in allen ga- lanten Sprachen nicht klappen will, und ei- nen undeutlichen Begriff wenigstens enthaͤlt: So ist solcher gewiß und ohnfehlbar unrichtig. Nun sagt sonst kein Deutscher: Das ist ein Tempel von gutem Geschmacke; auch kein Fran- zose: C’ est un Temple de bon goût; auch kein Lateiner: Templum sensus recti; ja man versuche es in italiaͤnischer, englischer, spani- scher und sogar ulanischer Sprache; es wird mich keiner verstehen, wenn ich vom Tempel des guten Geschmacks rede; oder, wenn einer gern sich speisen lassen moͤgte, ich zu ihm sagen wollte: III. Ein Ragout. wollte: Der Herr gehe in den großen Jochims- Thal, da ist ein Tempel des guten Geschmacks; anstatt zu sagen: Da ist ein guter Speise-Wirth, ein guter Traiteur, ein guter Gast-Hof, ein gut Speise-Haus; welches alles das kleinste Kind verstehen wuͤrde. Diesemnach kann ich den Ausdruck: Tempel des guten Geschmacks, mit nichts anders, als einem Ragout von Schoͤpsen- und Hasen-Fleisch, vergleichen. Denn wie jedes, fuͤr sich gekocht, ganz gut schmeckt, nachdem der Liebhaber ist, hingegen zahm und Wildprets-Fleisch sich, nach den Regeln der Koch-Kunst, nicht in eine Schuͤssel schickt: Al- so ist der Ausdruck vom guten Geschmack ein ganz feiner Begriff; desgleichen das Wort Tempel, wenn es allein stehet, oder wenn der ehemalige Hallische Redner D. P. sagte: Der eroͤffnete Tempel der Ehren, der Tempel der Vorsehung, der Tempel der Venus, u. d. g. Denn solche Redens-Arten sind durch den ein- gefuͤhrten Woͤrter-Brauch bereits voͤllig in Anfnahme. Aber ein guter Geschmacks-Tem- pel steht in keinem Woͤrter-Buche, noch einem einzigen guten Scribenten. Daher ist es ein vollkommenes deutsches Ragout von widrigen Speisen, als suͤßen und sauren, zahmem Fleisch und Wildpret, gekochtem und gebratenem. Es ist so viel, als wenn ich meinen Herren Gaͤ- sten wollte Rebhuͤner auftragen, und ringsher- um gebratene Sperlinge, anstatt der Lerchen oder Kramsvoͤgel, legen. Daher hoffe ich R 5 nicht, IV. Ein Gehacktes. nicht, daß man die Gerichte, die in dem so pos- sirlichen Tempel des guten Geschmacks aufge- tragen, denen kochmaͤßigen vorziehen werde. Viertes Couvert. Ein Gehacktes mit Rosinen und Kapern. Wenn wir Koͤche ein Gerichte, das an sich nicht gar zu appetitlich ist, als z. E. Lunge, Kaldaunen, Flecke, Fuͤße und dergleichen, so zurichten wollen, daß es von gutem Geschmak- ke werde: So machen wir draus ein Gehack- tes. Z. E. ein Lungenmus mit kleinen Rosi- nen, eine Gallert, Gaͤnse-Klee, Schoͤpsen-But- ten mit Kraut, ꝛc. Ein solches Gehacktes hat der neue Traiteur im eroͤffneten Tempel des guten Geschmacks, anstatt gebratener Fasa- nen, oder anderer in sich reizender Speisen, aufgetragen. Er liefert uns ein Gedichte, das er in viel kleine Stuͤckgen zerhackt hat. Er hat sich einer neuen Erfindung bedient, oder vielmehr um ein altes, kahles, und durch den gemeinschaftlichen Demuͤthiger, wie ihn der Autor nennt, als unschmackhaft erklaͤrtes Zu- gemuͤse eine neue Bruͤhe gegossen. Was ist naͤmlich bekannter und abgedroschener, als daß man auf einer Seite eine Reihe Verse hinschrei- bet, darauf Sterngen bey etlichen Passagen macht, eine Linie unter den Text zieht, und die Sterngen-Passagen in gewissen Anmerkungen erlaͤutert? Bey dieser Methode konnte man nun doch den Vortheil haben, daß, wenn die Noten IV. Ein Gehacktes. Noten gescheidt, die Verse aber ungereimt wa- ren, man den Text konnte fahren lassen, und sich an die Noten halten; waren aber die Ver- se gut, und die darunter stehende Anmerkung so, als des Verfassers der Noten uͤber die Zer- stoͤhrung Jerusalems: So konnte man die andaͤchtige Geschichte in einem Striche fortle- sen, ohne sich an die Noten zu kehren. Aber der neue Traiteur im Tempel des guten Ge- schmacks ist listig. Damit man durchaus den Text seiner Verse nebst den Noten lese, hat er die Sterngen, Zahlen und Buchstaben, wo- durch man sonst die Noten oder Anmerkungen vom Texte unterscheidet, meistens weggelassen; hingegen prosam und ligatam glatt an einander gesetzet, und sein Gedichte also zerhackt, daß itzt ein Fleck Verse, gleich darauf ein Fleckgen An- merkungen koͤmmt, jedoch ohne Kennzeichen, daß es Noten sind, sondern beydes wie Text aussiehet, und noch dazu mit großen Lettern gedruckt ist, damit der Autor es durchaus nicht verrathe, daß es Text-Noten sind, als dazu man sonst kleinern Druck zu nehmen pfleget. Aufdaß sich aber der Verleger nicht etwa be- schweren moͤgte, daß dieser verkappte Noten- Druck zu viel Platz nehme: So ist dafuͤr der Text, oder das ganze Gedichte, mit sehr kleiner Corpus-Schrift gedruckt, zum Merkmahl, daß die Verse doch das eigentliche Corpus, die dran geflickte prosaische Flecke aber so gut als An- merkungen sind. Wenn also kuͤnftig ein Dich- ter, IV. Ein Gehacktes. ter, der gerne gelehrte Anmerkungen unter sei- nen Gedichten anbringet, wie z. E. der beruͤhm- te Herr Kriegs-Rath Knobloch zu thun ge- wohnt ist, die Leser uͤberlisten wollte, daß sie Text und Noten lesen muͤßten, sie moͤgten wol- len, oder nicht: So mache er nur auch so ein Zerhacktes, wie unser neuer Speise-Kuͤnstler im Tempel des guten Geschmacks gethan, und setze itzt ein paar Strophen Verse, gleich drauf in einem Striche die Anmerkungen, und loͤte sie durch ein paar Flick-Formeln mit dem fol- genden neuen Stuͤcklein von ein paar Versen zusammen; diesen fuͤge er, in gerader Reihe, und daß er ja die Sterngen, Zahlen und Buch- staben, oder das verdammte Wort Anmerkung weglasse, ein Fleck Prosa wieder an: So wird ein voͤlliges Lungenmus herauskommen. Man koͤnnte es auch ein Zwitter-Gerichte nennen, welches bey uns Koͤchen das heißt, wenn in ei- ner Schuͤssel Gekochtes und Gesottenes, oder Gesottenes und Gebratenes liegt. Denn wo zugleich prosaischer und metrischer Text ist, gereimt und ungereimt: So ist es noch mehr, als ein gehackt Lungenmus. Es ist ein Zwit- ter, weil es weder pure Prose, noch pure Poe- sie ist. Fuͤnftes Couvert. Eine Potage von Huͤhnern. Ein Traiteur ist oft uͤbel dran, wenn Leute von allzuverschiedenem Geschmacke in sein Spei- V. Potage von Huͤhnern. Speise-Haus kommen. Was dem einen gut schmecket, das stehet dem andern gar nicht an. Einer will Saures, der andere Suͤßes haben. Einer harte, der andere weiche Speisen. Einer verlangt Huͤhner mit Potage, dafuͤr der andere gerade einen Ekel hat. Einer will lieber das Hinterviertel einer Gans, der andre lieber den Fluͤgel, oder von der Brust. Gleichwol hoͤrt man unter vernuͤnftigen Gaͤsten nicht, daß einer den andern daruͤber hohnecke, oder auslache, wenn er sich gerade was anders geben laͤsset, als der andere. Darum traͤgt eben der Wirth vielerley auf, oder schreibt mancherley Gerichte an die Speise-Tafel, damit jeder essen koͤnne, was ihm beliebet. Dieser universellen Koch- und Geschmacks-Regel entgegen traͤgt der neue Traiteur in seinem sogenannten Tempel des gu- ten Geschmacks nur ein einzig Gerichte auf, naͤmlich Huͤhner mit Potage, und wer nicht dieses einzige Gerichte essen will, oder andere Gerichte gegessen hat, den erklaͤrt sein critischer Magen glatt weg fuͤr einen Menschen von uͤb- lem Geschmacke. Zwar er redet ja von Red- nern und Dichtern, Alten und Neuen, von Pro- feßions-Poeten und Passagieren in der Poesie, von Gottesgelehrten, Weltweisen und Juristen, von Schweizern, Sachsen, Schlesiern, Ham- burgern und Preussen; aber ich bleibe dabey, er will durchaus haben, alle seine Gaͤste sollen Huͤhner mit Budasche, wie jener Traiteur an- statt Potage schrieb, essen. Denn alle diese einge- VI. Spiegel-Karpfen. eingestreute obige vielerley Namen sind bloß wie das Mengsel der Potage, dazu man ja auch vielerley nimmt, als Morgeln, Castanien, Bien- gen, Bluhmen-Kohl, Krebse, Wurzeln, Kloͤs- sergen, ja wol Rosinen und Mandeln. Gleich- wol bleibt es eine Huͤhner-Potage. So laͤßt sich der gute Geschmacks-Tempel-Herr auch allzudeutlich merken, daß er alle Arten von Schmecken auf eine einzige will reducirt wis- sen, und sein Apollo, der den Ausspruch uͤber die Magens thut, die gern vielerley gegessen, muß entweder zu armselig oder zu geizig gewe- sen seyn, daß er allen auferleget, sich an einem einzigen Gerichte satt zu essen. Sechstes Couvert. Spiegel-Karpfen. Die Schmerlen sind an sich gute schmack- hafte Fische; aber ein rechter fetter Spiegel- Karpfen ist doch mehr werth, als wol hundert Stuͤck Schmerlen. Der neue Garkoch ruͤh- met in seinem Tempel des guten Geschmacks etliche Redner und Poeten, die zwar mit guten schmackhaften Schmerlen koͤnnen verglichen werden, aber doch nicht an die Groͤße der Spie- gel-Karpfen, die ich auftrage, gelangen. Un- ter denen Dichtern ruͤhmt er fast am meisten den Opitz und Haller in der Schweiz. Ob nun zwar beyde ganz gute Dichter sind: So reichen sie doch denen Dichtern vom obersten Range kaum das Wasser. Denn was ist wol Opitz und VII. Geraͤucherte Zungen. und Haller gegen einen Brockes, Richey, Weichmann, Johann Ulrich von Koͤnig, Pietsch, Neukirch? und noch etliche, die ich zur Reserve habe, wenn etwa meine Herren Gaͤste, anstatt der Karpfen, lieber Forellen, oder Hechte, oder Lachse, aufgetragen haben wollten. Jedoch es ist mehr Ehre fuͤr die weg- gelassene große Dichter, daß sie in solchem bau- faͤlligen Tempel gar nicht stehen. Siebendes Couvert. Geraͤucherte Rinds-Zungen. Wenn ich meinen Gaͤsten gute geraͤucherte Rinds- oder Schoͤpsen-Zungen vortrage, fin- den sich dazu viel Kenner des guten Geschmacks. Wollte ich ihnen aber Jgel-Zungen, oder von Stachel-Schweinen vorsetzen, wuͤrden sie mich uͤbel anlassen. Der neue Tempel-Bauer hin- gegen, der sich selbst fuͤr einen Kenner des fein- sten Geschmacks ausgiebet, traͤget, in seinem Tempel, lauter Jgel- und Stachel-Schweins- Zungen auf. Man lese nur alle seine stache- lichte Ausdruͤcke, insonderheit da er Huͤbnern, D. P. und den sel. D. Rodigasten, (s. die neue Staats-Zeitungen zu Dreßden vom 16ten Jan. 1743,) durchnimmt. Sonderlich zieht er auf Huͤbnern los, und hat es Ursach. Denn wenn er gleich allen Buchhaͤndlern in Ober- und Nieder-Sachsen Geld zugaͤbe, seinen Tem- pel des guten Geschmacks, oder andere Char- tequen, zu verlegen: So wuͤrden doch so viel Exem- VIII. Lenden-Braten. Exemplarien nicht vergriffen werden, als der einzige Gledirsch mit denen Huͤbnerischen weltbekannten Schriften gethan hat. Achtes Couvert. Lenden-Braten. Lenden-Braten werden von manchen Ken- nern des guten Geschmacks fuͤr eine Delica- tesse gehalten. Daher setze ich sie auch auf mei- ne offene Tafel von vier und zwanzig Couver- ten, oder verdeckten Gerichten. Hingegen aber Lenden-Hiebe zu geben, oder so sehr ge- saͤuerte, uͤbersalzene und angebrannte Speisen aufzutragen, daß einer Seitenstechen, und Magendruͤcken, oder Sodbrennen, nothwen- dig davon bekommen muß, ist nicht kochmaͤßig zugerichtet. Gleichwol hat der neue Koch, in seinem Tempel des guten Geschmacks, die meisten seiner Bruͤhen zu sehr versalzen, allzu scharf gewuͤrzet, und uͤberfluͤßig gesaͤuret. Dahin gehoͤrt sonderlich die haͤmische Passage, als wenn D. P. und Rodigast seinen Weg nach Waldheim genommen; da doch ersterer unter die Moͤrder gefallen gewesen, die ihn mit Gewalt dahin geschleppt; er aber, bereits vor einem halben Jahre, ihren Klauen gluͤck- lich entrunnen; D. Rodigast aber nie nach Waldheim gekommen, sondern in Dreßden ehrlich gestorben. (S. Dreßdner Zeitungen.) Nun heißt es zwar sonst: Liuor post fata quiescit. Aber der neue Baumeister decket bey seinem IX. Pastete mit Schnepfen. seinem neuen Tempelbau sogar die Graͤber auf, und laͤßt die Todten nicht ruhen. Wie soll man ihn also nennen? Er kan sich sei- nen Namen selber auschifriren. Neuntes Couvert. Pastete mit Schnepfen. Schnepfen gehoͤren ohnstreitig unter die Leckerbissen, zumal wenn sie in eine schmack- hafte Pastete eingeschlagen sind. Jch behal- te mir vor, bey anderer Gelegenheit zu erklaͤ- ren, was, nach der geheimen Sprache E. Loͤbl. Froschmaͤusler-Gesellschaft, alle hier theils angefuͤhrte, theils noch zu benennende vier und zwanzig Couverts oder verdeckte Schau-Gerichte eigentlich sagen wollen. Die meisten Leser werden es mit sehenden Au- gen uͤberlesen, und doch nicht verstehen, wo- hin ich hauptsaͤchlich ziele. Doch lasse ich mir voritzo genuͤgen, eine Paralele mit denen Gerichten anzustellen, die der neue Baumei- ster in seinem Tempel des guten Geschmacks zur Schau aufsetzen lassen, weil er selbst die Kocherey nicht recht verstanden. Denn Tem- pel aufbauen, und uͤber den Geschmack rai- sonniren, sind zwey gar unterschiedliche Din- ge. Anstatt der Schnepfen nun traͤgt er Schnepfen-Koth auf, welcher auch von vie- len fuͤr eine grosse Delicatesse gehalten wird, weil er gut schmecket. Dahin gehoͤren die saftigen Stellen aus dem Guͤnther, Racheln S und X. Gebratener Reh-Ruͤcken. und andern, welche anzufuͤhren er gar wohl haͤtte uͤberhoben seyn koͤnnen. Es laͤßt eben so, als wenn ich den Gaͤsten wollte stinkend Fleisch aufsetzen, und sagen: Dis schmeckt uͤbel; also werden die Herren aus dem Ge- gensatze abnehmen, was gut schmecke. Jch halte aber, meine Herren Gaͤste wuͤrden als- denn zu mir sagen: Narr, eben darum, weil es uͤbel schmeckt und anstinkt, mußt du es nicht aufsetzen, und uns den guten Ge- schmack verderben! Zehendes Couvert. Gebratener Reh-Ruͤcken. Armselige Koͤche, die sich nicht ganze Stuͤcke von Wildpret zulegen koͤnnen, tragen doch zuweilen ein paar Portionen gut Wildpret auf, die sie entweder von denen Silber-Waͤ- schern bey großer Herren Tafeln, weil es Auf hub oder Ueberbleibsel gewesen, erkaufet, oder zu einem andern ansehnlichen Traiteur erst selber geschickt, und etliche Portionen ho- len lassen, damit sie an ihre Speise-Tafeln setzen koͤnnen: Reh-Ruͤckeu, Fasanen, Schwein- Widpret ꝛc. Gerade eben so hat es der neu- aufgekommene Koch in dem Tempel des gu- ten Geschmacks gemacht. Er hat etliche sehr schoͤne Gedanken sowol in seinem zerhackten Gedichte, als eingeflickten Prosa. Aber er hat portionenweise bey andern geholet, und ich will ihm keine Roͤthe abjagen, diejenigen zu XI. Poͤckel-Fleisch. XII. Frische Austern. zu nennen, bey denen er sich Raths erholet hat. Herr Professor Gottsched hat ihm ohne Zweifel eingeholfen! Eilftes Couvert. Poͤckel-Fleisch. Dem Magen eine Veraͤnderung zu machen, ist gewiß das Poͤckel-Fleisch sehr gut. Es muß aber fein frisch seyn, und nicht etwa zu Ham- burg allzulang in Faͤssern gelegen haben. Der neue Traiteur aber traͤgt in seinem Tempel des guten Geschmackes viel alt verlegen Poͤk- kel-Fleisch auf. Er critisiret uͤber Maͤnner, deren Namen schon laͤngst wieder vergessen sind. Er moquirt sich uͤber die Wort-For- scher, und ist doch selber einer von den schaͤrf- sten Wortfuchsern, weil er genau nachgruͤ- belt, was ein Pfuydichan und Schweizer- Woͤrter seyn. Er sagt auch: Philippi habe den Weg seitwaͤrts nach Waldheim genom- men, da es doch schon uͤber drey Jahr ist, daß er solche Fantasten, wie der Autor im Spiegel, antreffen kan, alldort zur Lust beob- achtet hat. Zwoͤlftes Couvert. Frische Austern. Der neue Gast-Wirth im Tempel des gu- ten Geschmacks mag mirs uͤbel nehmen oder nicht, ich muß dasmal ein Wortspiel anbrin- gen, weil er in seinem zerhackten Gedichte so S 2 sehr XIII. Gefuͤllte Tauben. sehr mit den Gedanken spielet. Kenner des guten Geschmacks wissen gar wohl, was Au- stern vor ein delicat Essen sind. Aber von austeren oder sauertoͤpfischen Leuten wird man nicht viel bon mots herauslocken. Ein sol- cher austerer Kopf ist auch unser neuer Gast- Herr. Er hat sich uͤber seinem Tempel-Bau des guten Geschmacks so sehr vertiefet und uͤberson- nen, daß E. Loͤbl. Froschmaͤuseler-Gesellschaft ihn ehestens einladen wird, in ihre Gesellschaft zu treten, um, nach beschehenem Schnitte an den Ohren, ihm die austeren Minen, wo- mit er seine Critik vorbringet, abzugewoͤhnen. Dreyzehendes Couvert. Gefuͤllte Tauben. Durch das Fuͤllsel bekommen die magern Tauben ein Ansehen, als wenn sie sehr fett waͤren. Dieses Kunststuͤckes hat sich auch der neue Speisemeister in dem Tempel des guten Geschmacks bedienet. Er streichet manche Scribenten von der mittlern Sorte als solche Helden heraus, vor denen alle Pro- fessores der Poesie und Beredsamkeit erbe- ben, und sich in den Staub vor sie legen muͤs- sen. Allein seine Worte sind aufgepauste Tauben. Nehmet das Fuͤllsel weg, sie wer- den ganz mager erscheinen. Wenn die obge- dachte Regeln der Reimschmiede-Kunst und kriechenden Poesie erst ans Licht getreten seyn werden, wird der Autor finden, daß man sei- ne XIII. Gefuͤllte Tauben. ne meisten Maximen allda in Regeln gebracht. Spraͤche ich gleich itzo, er raisonnire manch- mal wie ein poetischer Schmetterling, er quaͤke wie ein poetischer Frosch, er paußte sich auf, wie ein poetischer Maulwurf, er mache so ein Geprassel, wie ein poetischer Messer-Schmied: So wird doch weder er noch meine Leser mich voͤllig verstehen, bis E. Loͤbl. Froschmaͤusler-Gesellschaft gedachtes Manuscript als ein Woͤrterbuch ihrer gehei- men Sprache wird herausgegeben haben. Auch in der Republik der redenden Wuͤrmer von der vierten und siebenden Classe, die ein ander Mitglied gedachter Gesellschaft aus dem Englischen uͤbersetzet hat, werden die Pfuscher von Koͤchen, und die gemischten Pro- feßioner, auch Allermanns-Tadler, mit dem- jenigen Namen benennet, den ihnen die Na- tur an die Stirne gegraben. Bis dahin stehe der Geschmacks-Tempel-Bauer in Geduld. Damit aber gleichwol gescheidte Leser erken- nen, daß mich kein Neid oder Bitterkeit an- treibe, dem neu-aufgestandenen Kuͤchenmei- ster die ihm noch gar sehr fehlende Wissen- schaft derer rechten Koch- und Geschmacks- Regeln mit guter Manier vorzuhalten, oder, gleich dem Wurm-Saamen, in einem Saͤft- gen beyzubringen; will ich zur Probe ein paar Dutzend Redens-Arten, die in seinem zer- hackten Gedichte des sogenannten Geschmacks- S 3 Tem- 24 unschmackhafte Reden Tempels vorkommen, alhier mit dem Kuͤchen- Messer anatomiren. Solche sind: 1. Die deutsche Leyer ruͤhren, p. 3. heißt ihm so viel, als ein beruͤhmter deutscher Poe- te seyn. Poßirlich genung gegeben! 2. Der Dichter entfuͤhrt sein Feuer dem Himmel. Mein! was ist das geredt? Die Poeten sollen nun gar Diebe seyn, die dem Himmel das Feuer entwenden, das doch so sehr hoch in den Blitzen versteckt ist, daß der ohnmaͤchtige Poete aus seinem Geschmacks- Tempel nicht dahin steigen kan. 3. Der Dichter entfuͤhrt sein Feuer dem Himmel, wie Prometheus. Jst ein durch- aus falscher Gedanke. Denn versteht ers vom poetischen Feuer; so ist Prometheus nie als ein Poete, der Feuer gehabt, beschrieben; dasjenige Feuer aber, welches Prometheus entwandt zu haben von den alten Poeten er- dichtet worden, schickt sich schlecht zu dem poetischen Feuer; denn dis stiehlt man ja nicht dem Himmel ab, wie Prometheus dem Jupiter das Feuer soll gestohlen haben, son- dern der Poete hat es schon in sich, und laͤßt es ausbrechen; aber der Autor hat andre nach sich gerichtet. Er will lieber den gelehrten Dieben oder Plagiariis das Wort reden, als sich selber schelten. 4. Dem Himmel das Feuer schlau, doch fromm, entfuͤhren. Der Verfasser hat wol gedacht, was vor Witz in dieser Ver- glei- in dem Tempel des guten Geschmacks. gleichung stecke; aber es ist ein Galimathias. Denn ein frommer Diebstahl ist so viel, als eine schlaue, doch fromme, Hure. 5. Der Dichter durch der Musen Lehre. Welch deutsch Mutter-Kind redet so kauder- welsch? Der Autor will so viel sagen, als: derjenige, der durch den Unterricht der Mu- sen ein Dichter geworden. Dieser Gedanke ist an sich nichts apartes, auch dem Spruͤch- worte entgegen: Poëta nascitur, non fit. Gesetzt aber, der Gedanke waͤre untadelhaft: So spricht man doch nicht im Deutschen: Ein Dichter durch der Musen Lehre. Da- her moͤgte man sagen: Reim dich, oder ich stoß dich die Treppe hinunter, daß du mit dei- nen Einfaͤllen die Beine zerbrichst! 6. Nicht der, der was schwimmt und fliegt, was lauft und kriechet, was glaͤnzt und scheint, was schmeckt und riechet, in ei- nen starren Vers gerafft. Wer des fuͤr- trefflichen Brockes irrdisch Vergnuͤgen in Gott gelesen, wo er das Wunderbare der Geschoͤpfe Gottes und der Sinne in patheti- sche Verse gebracht, der wird sich schwerlich bereden, daß ein After-Poete, der jenem gros- sen Dichter die Schuh-Riemen aufzuloͤsen nicht wuͤrdig ist, sich erkuͤhnen duͤrfen, ihn heimlich anzustechen. Denn wer hat sonst die goͤttliche Weisheit an denen niedrigen Ge- schoͤpfen, als Voͤgeln, Fischen, Gewuͤrmen, ꝛc. desgleichen die Weisheit Gottes in Einrich- S 4 tung 24 unschmackhafte Reden tung der fuͤnf Sinne poetisch beschrieben, als eben Brockes? Jst es denn unrecht, das, was schwimmt, fleucht, kriechet, in Verse zu bringen? Jst es gegen den guten Ge- schmack, das, was glaͤnzt, scheinet, geschmeckt und gerochen wird, poetisch abzuschildern? Fuͤhre dich ab, poetischer Marketender! die Bruͤhe treufelt dir am Barte herunter; wi- sche das fette Maul erst ab, ehe du es so voll nimmst, beruͤhmte Dichter mit deinem Gei- fer zu bespruͤtzen! Doch nein, ich eifere nicht fuͤr den grossen Brockes, sondern brachte nur eben eine oratorische Figur, die Apostro- phe, an. 7. Nicht Hofmann und nicht Lohenstein. Hier giebt der Kuͤchenmeister einen Fleischer und Scharfrichter ab, der dem Namen Hof- mannswaldau, den er in Gedanken hat, glatt den Rumpf beym Kopfe wegnimmt. Denn kein Hofmann ist unter den Dichtern bekannt, auf den sich des Autoris ganze Passage schick- te; also soll es Hofmannswaldau seyn. Aber packe ein, poetischer Criticus; Hofmanns- waldau, Lohenstein, und der Reimschmied im Tempel des Geschmacks differiren toto coelo von einander! Du reichest jenen nicht das Wasser! 8. Kurz, eben dieser Opitz sagte einsmahls des Nachts im Traume zu mir, ich sollte mit ihm den Tempel des guten Geschmacks be- suchen. p. 4. Das ist Opitzen nicht in den Sinn in dem Tempel des guten Geschmacks. Sinn gekommen. Und gesetzt, daß er ihm den Einfall vom Geschmacks-Tempel zu dan- ken haͤtte: So haͤtte Opitz eben so seltsam vorgeleyert, als der neumodische Poete ihm nachleyert. Denn ich bleibe dabey, ein Tem- pel schickt sich gar nicht zu dem Begriff von gutem Geschmacke. Er haͤtte eher sagen moͤ- gen: Gasthaus des guten Geschmacks, oder des Apollo Garkuͤche, darinn der gute Ge- schmack gelernet wird; aber einen Tempel in der Absicht zu bauen, um den guten Geschmack darinn zu aͤussern, ist noch keinem einzigen Baumeister, weder von der alten corinthi- schen, dorischen, jonischen und thessalischen Baukunst, noch neuen Tempelbauer, er baue nun mosaisch, oder grotesco, oder italienisch, oder hollaͤndisch, oder deutsch, bis Dato ein- gekommen. Trolle dich also, du neumodi- scher Baumeister, mit deinen Bau-Rissen zu denen Spittel-Weibern von achtzig Jahren, die nicht mehr schmecken koͤnnen, was gut oder schlimm sey. 9. Dis ist ein Ort, wovon jedermann re- det, und darum sich die Reisenden nicht sehr bekuͤmmern. Solch unschmackhaft Zeug soll Opitz im Traune dem Verfasser vorgesagt haben. Es ist aber a ) ein Widerspruch in diesen Worten. Denn wenn jedermann vom Geschmacks-Tempel redet: So ist es falsch, daß sich die Reisenden sehr wenig dar- um bekuͤmmern. b ) Jst unverstaͤndlich, daß S 5 die 24 unschmackhafte Reden die Reisenden sich um den guten Geschmack nicht sehr bekuͤmmerten. Auf diese Art, moͤgte man auch denken, habe der Autor in seinem Leben viel gereiset. 10. Es wird dienlich seyn, daß du in der Naͤhe einen Gott betrachtest, dem du dienen willst. Hier nennet er den einen Gott, den er gleich darauf einen Meister nennet, und man wird doch am Ende nicht klug, wer sein Gott und Meister eigentlich sey. 11. Du willst ihn deinen Meister nennen; er ist es, oder solls doch seyn. Stell dich bey seinem Tempel ein; alsdenn wirst du ihn besser kennen. Jch frage alle unparteyische Leser, ob in diesen vier Reimen ein sonderli- cher Witz sey? Es sind blosse Reimschmieds- Einfaͤlle, und kann es der Bauer nicht anders machen, als, wenn der Gott des guten Ge- schmacks in einem Tempel saͤsse; so muͤste er freylich hineingehen, um ihn kennen zu lernen! Heißt dis nun der bon sens, wenn man so gemein redet, daß die vom Poͤbel eben so schwaͤtzen? Denn auch der Bauer, wenn man ihn fruͤge: Wo kann man euren Pfarr kennen lernen? wuͤrde antworten: Gieht in de Kerche oder Gottshus, da werdt ihr ihn kennen lernen. Heißt das nun scharfsinnig? 12. Vater der deutschen Musen, ich bin etwas schwaͤtzhaft. Da hat der Herr wahr geredt; er gesteht seine eigene Schan- de. Er schwaͤtzt in den Tag hinein, wies ihm ins in dem Tempel des guten Geschmacks. ins Maul koͤmmt. Notetur haec phrasis non semper occurrit! 13. Ein andrer, der nichts glauben kann, wird meiner Reiserzehlung lachen. pag. 5. Der Herr hat sich sein richtig Prognosticon selber gestellet! Er hat Materie gnug an die Hand gegeben, auf seine Unkosten zu lachen. 14. Noch mehr, vielleicht will man gar wissen, wo des Geschmackes Tempel steht. Das braucht keines Kopfbrechens, noch daß er den gleich darauf genannten goͤttlichen Poe- ten erst bemuͤhe, ihm im Schlafe daruͤber ein Oracul auszustellen. Opitz wuͤrde, wenn er noch lebte, sprechen: Ein Geschmacks-Tem- pel ist nirgends zu finden, als in deinem an- bruͤchigen Gehirne, du fantastischer Tempel- Bauer! 15. Geschaͤhe es auch, daß man sich ein wenig deswegen uͤber mich aufhielte. Ey, Monsieur, nicht nur ein wenig, sondern recht stark. Er legt einem so viel Quaderstuͤcken seines nur erst in Gedanken abgerissenen, aber noch nicht aufgefuͤhrten Tempels in den Weg, daß man sich Tritt vor Tritt dabey aufhalten muß, weil man doch gern fuͤr die vier Groschen, die sein Tempel-Riß kostet, was reelles haben moͤgte. Doch die Actien sind seitdem gefallen. Jn denen dresdnischen Staats-Zeitungen stehets, daß der Geschmacks- Tempel nun fuͤr zwey Groschen zu haben sey. 16. 24 unschmackhafte Reden 16. Von dem ein Witzling jetzt mit Fleisse sich entfernet. pag. 6: Was fantasiret der Tempel-Bauer? Was ist denn Witzling vor ein Ding? Jst es etwa ein Witzher? wie jene Jungfer gerne wissen wolte, was ein Witzher sey, weil ihr Schulmeister ihr gesagt: Penis heisse ein Witzher. Jst es auch in rei- ner Poesie vergoͤnnt, die Construction zu ver- werfen, und, anstatt zu sagen: Von dem sich ein Kluͤgling mit Fleiß entfernet, auch noch dazu mit Einflickung eines Fuͤllwoͤrt- gens jetzt, also die Worte zu versetzen: Von dem ein Witzling jetzt mit Fleisse sich entfer- net. Gewiß, wenn Opitz sich keinen ge- scheidtern Lehrpurschen, dem er seine Ge- schmacks-Tempel-Risse vorlegen koͤnnen, aus- zusuchen gewußt, als den Verfasser, dem ers im Traume soll beygebracht haben, wird Opitz wenig Credit mehr behalten. Aber zu gutem Gluͤck hats ihm nur so getraͤumet; Opitz hin- gegen schlaͤft so sanfte und b este, daß es ein Pseudo - Opitz muß gewesen seyn, der dem Tempel-Baumeister erschienen. 17. Jch sahe, die ein atque durch ein et, modo Minellii, zum Trost der Christenheit recht freudenreich erklaͤrten. Was sind das nicht vor abgeschmackte Scherz-Reden? Und wie jaͤmmerlich muß sich der vorhergegangene Reim: Schweiß und Muͤh, durch den dar- auf folgenden: modo Minellii, verhunzen, stu- priren, und, nach den Regeln der Reim- schmie- in dem Tempel des guten Geschmacks. schmiederey, zusammenloͤten lassen? O du armseliger Belehrer des guten Geschmacks! lerne doch erst selber ohne großen Schweiß und Muͤhe, ein paar Reime, die gut klap- pen, auf einander zu fuͤgen! Aber hier magst du wol dich viel wissen, daß du den herrlichen Einfall: modo Minellii, hast mit Schweiß und Muͤh zusammen reimen koͤnnen! Jch schwoͤre darauf: Kein Buchhaͤndler haͤtte dei- ne Charteque verlegt, wenn du nicht Geld uͤber Geld zugegeben, damit nur der uͤbel- gerathene Witzling, wie du pag. 6. sagtest, zur Welt kaͤme! 18. Wollt ihr nie zum Geschmack und seinem Tempel gehn? Wir? schrien sie, wahr- lich, nein, es ist ein Hirngespinste! Aber- mahls: Notetur haec phrasis, non semper occurrit! Der Autor gestehet hier selber zu, daß sein Geschmacks-Tempel ein bloßes Hirn- gespenste sey; folglich habe ich ihm vorhin sub No. 14. nicht Unrecht gethan. Undeutsch aber sind die Worte: Wollt ihr nie zum Geschmacke gehn? 19. Wir gruͤbeln, forschen nach, und sez- zen in ein Licht, was andre sonst gedacht; wir aber denken nicht. pag. 7. Das soll ein sehr feiner Stich auf die Criticos seyn. Weil er aber selber durchgaͤngig einen Cri- ticum agirt: So muß er entweder zugestehen, daß er selbst nicht Gedanken gehabt, da er andere beurtheilet, oder aber, daß einer gnung zu 24 unschmackhafte Reden zu denken habe, um des andern Gedanken voͤllig zu treffen, sonderlich wenn er so confus schreibt, als bisher vom Verfasser deducirt worden. 20. Wir sollten die beyden erhitzten Geg- ner (Gronowen und Fellern) entscheiden. Gewiß, der Autor hat große Jdeen von sich. Er sagte kurz vorher: Die saͤmmtliche Her- ren Critici haͤtten ihn und seinen Reisegefaͤhr- ten umringet, und gebeten, zween ihrer be- ruͤhmtesten Criticorum aus einander zu setzen. Aber mein! wie kan der Autor solch elend Zeug erdichten? Es ist den Criticis nie in die Gedanken kommen, einen so erbaͤrmlichen Schiedsrichter zwischen Gronowen und Fel- lern zu erwehlen. Jedoch er kann sich gut heraushelfen. Er sagte oben pag. 4. es habe ihm nur so getraͤumet. Aber ich wollte ihm rathen, er lernte erst besser traͤumen, oder belaͤstigte die so schon mit Chartequen gnug uͤberhaͤufte Buchlaͤden nicht auch noch mit sei- nen abgeschmackten Traͤumen. 21. Kaum waren wir hundert Schritte fortgegangen. Ein Scribent, der, wie der Autor, die kleinsten Fehlet anderer hoch auf- mutzet, und infallible Regeln eines vollkom- menen Geschmacks geben will, muß billig auch von jedem seiner gethanen Schritte Re- chenschaft und rationem sufficientem angeben koͤnnen. Warum sagt er also, daß er eben hundert Schritte von den Criticis sich entfer- net in dem Tempel des guten Geschmacks. net gehabt, da ihm eine griechische Uebersez- zung des Virgils angeboten worden? Ein Uebersetzer gehoͤrt billig noch zu denen Criti- cis; wenigstens ist er nicht hundert Schritte von ihnen entfernt. Jedoch, er eilet zu sei- nem Geschmacks-Tempel. Daher nimmt er ein hundert oder tausend geometrische Schrit- te voraus, um einen guten Vorsprung zu ha- ben, daß ihm keiner im Laufen vorkomme. 22. Wollte uns ein ander Gelehrter noͤ- thigen, in einer poͤbelhaften Ansprache seine Schrift zu lesen. Der Autor bezeigt hier ei- nen Verdruß gegen poͤbelhafte Ausdruͤcke, deren er sich doch selber gnug in seiner Schrift bedienet hat. Auch ist es wol dem gelehrten Verfasser, der die Wahrheit der christlichen Religion zu der Zeit schon vertheidiget gehabt, ehe er gewußt, daß nach ihm ein so poßirli- cher Tempelbauer aufstehen wuͤrde, nicht zu Gemuͤthe gestiegen, ihn zu Lesung seiner Schrift noͤthigen zu wollen. Daß er sich aber daruͤ- ber auf haͤlt, wenn man ex testimonio hostis contra hostem disputirt, ist er viel zu wenig, solche Methode zu tadeln. Wie viel große Gelehrte haben nicht die Wahrheit der christ- lichen Religion sogar aus heydnischen Schrif- ten zu bevestigen sich angelegen seyn lassen, z. E. Humphrey, Prideaux, Grotius, Hue- tius ꝛc. Warum sollte man also nicht auch viel richtige Auslegungen der Rabbinen ge- gen die anfuͤhren koͤnnen, die zwar das al- te 24 unschmackhafte Reden te Testament, aber nicht das neue, anneh- men? 23. Da er wol eingesehen, daß die Gruͤn- de aus der Vernunft und der goͤttlichen Of- fenbarung, deren man sich bisher wider den philosophischen Muthwillen der starken Gei- ster bedienet, nicht zureichend waͤren, selbi- gen zu zaͤhmen. Hier verraͤth der Schrift- steller, wes Geistes Kind er sey. Denn er nennt die, so die christliche Religion attaqui- ren, starke Geister, da es doch sehr schwache Koͤpfe sind. Er treibt selber Muthwillen, da er seinen benannten starken Geistern einen philosophischen Muthwillen beyleget. Er raisonnirt untheologisch, und nach Art der Religions-Spoͤtter, daß er spricht: Alle Gruͤn- de der Vernunft und goͤttlichen Offenbarung waͤren nicht hinreichend, die starken Geister oder Religions-Feinde zu zaͤhmen. Reichen nun alle Gruͤnde nicht bey Leuten seines Schlages zu: So ist der beste Rath, man schaffe sie in ein Tollhaus, da sie ungestoͤrt ihren Muth- willen auslassen duͤrfen. Jch habe derglei- chen Religions-Spoͤtter bey meiner Durch- reise durch Waldheim angetroffen. Sie la- gen an der Kette; da mogten sie labbern, was sie wollten. Sie sagten z. E.: Die gan- ze Bibel sey ein Maͤhrgen von der Tonne; Christus sey eine Fabel ꝛc. Aber man hielt es ihrem verruͤckten Gehirn zu gute, und strafte sie nicht darum, daß sie so schwaͤtz- ten. in dem Tempel des guten Geschmacks. ten. Das merke sich der Autor zur Witzi- gung. 24. Noch andre theilten allerley Wochen- schriften aus, ‒ ‒ sie kehrten aber alle dem Tempel des guten Geschmacks den Ruͤcken zu. Hier verraͤth der Autor entweder seine Unbelesenheit, daß er von allen Wochen- schriften schwaͤtzet, als wenn sie vom guten Geschmack abwichen, da doch z. E. der Spe- ctateur, Guardian, Baggatelle, Patriot, Freydenker, und mehr andre Wochenschrif- ten mehr bon sens in einem Blate haben, als der Verfasser auf 40 Seiten gezeiget; folglich haͤtte er mit Ausnahme reden sollen, wenn er sie gelesen; oder aber er verraͤth seinen eignen uͤblen Geschmack, daß ihm keine einzige Wo- chenschrift gefallen. Es geht ihm, wie einem Febricitanten, der da meynt, weil er den Ge- schmack verlohren, und ihm alles widrig schmecket, als waͤren andre, die die Lecker- bissen loben, von verdorbenem Geschmacke. Nun ziehe einer eine Proportions-Regel, da ich in blossen acht Seiten schon vier und zwan- zig unschmackhafte Redens-Arten gleich beym ersten Aufstoß angetroffen, wie hoch die uͤbri- ge Anzahl erst steigen wuͤrde, wenn ich alle vierzig Seiten so durchnehmen wollte. Doch es sey zur Probe an 24 genung. Will er sich daran nicht begnuͤgen lassen, kann er kuͤnftig noch 24 neue Brocken bekommen, die T ich XIV. Ein wilder Schweins-Kopf. ich vorjetzo noch zur Reserve behalte! Ein gewisser großer Mann sagte gar: Jch sollte mich mit so einem dummen Kerl gar nicht einmahl einlassen. Vierzehendes Couvert. Ein zugerichteter wilder Schweins- Kopf. Kenner des guten Geschmacks wissen, oh- ne meine weitlaͤuftige Anpreisung, daß ein recht zugerichteter wilder Schweins-Kopf auch ein delicat Gerichte sey. Aber wenn aus zahmer Schweine Daͤrmen, ohne sie vorher recht sauber zu waschen, Bratwuͤrste gemacht werden, vergehet einem wol der Ap- petit. Dergleichen Bratwuͤrste traͤgt der neue Mundkoch an vielen Orten auf; unter andern auch kurz vorher, da er denen von ihm genannten starken Geistern, oder Reli- gions-Spoͤttern p. 8. das Wort redet, und alle Wochen-Schriften fuͤr abgeschmackt er- klaͤret. Jch werde mich nicht bemuͤhen, sei- nen uͤbrigen Unflath aufzuruͤhren, damit ich nicht meinen Lesern einen Ekel verursache, oder es mir nach dem Sprichworte ergehe: Quodsi cum stercore certo, vinco, seu vincor, sem- per ego maculor! Jch habe noch andre Cou- verts uͤbrig, und will es, wie er p. 11. schreibt, kurz machen. Funf- XV. Fricassee von Kalbfleisch. Funfzehendes Couvert. Fricassee von Kalbfleisch. Wenn man die harlequinische Passage p. 10. von den Worten an: Zwoͤlf Affen von dem großen Hassen, unpartheyisch anatomirt, siehet man, daß der Autor sich gleichsam selbst in eine Fricassee von Kalbfleisch verwandelt. Wenigstens springt er da herum, wie die jun- gen muthwilligen Kaͤlber, oder wie die muͤs- sigen Hengste, die das Futter sticht. Endlich, spricht er, sey er zum Tempel des Geschmacks gelanget. Weil er nun sich elf Seiten herum getummelt, ehe er alda angelanget seyn will, muͤssen wir ihm seine Spruͤnge und Fehltritte, die er unterwegens gethan, zu gute halten. Aber er faͤllt bald mit der Thuͤre ins Haus, da er kaum an die Schwelle seines geruͤhmten Tempels gekom- men. Denn da er hoch fliegen will, stol- pert er gewaltig. Er spricht p. 10: Den ve- sten Grund zu diesem Gottheits-Sitze hat Griechenland schon ehedem gelegt. Lieber Leser, sage mir aufrichtig, verstehest du diese Phoͤbus -Rede? Aber er versinket noch tie- fer, da er fortfaͤhrt: Der die von Zeit zu Zeit erhoͤhte Spitze zuletzt bis an die dunkeln Wol- ken traͤgt. Ja wol muß sein Einfall bis an die dunkeln Wolken getragen worden seyn, welche verhindern, daß man nicht sehen kann, T 2 was XVI. Gedaͤmpft Rindfleich ꝛc. was er mit diesem hochtrabenden Geschrey sagen wolle. Jst etwa das seine Meynung: Der Tempel des guten Geschmacks sey nun zu seiner vollkommenen Groͤße gelanget: So haͤtte er diesen natuͤrlichen Gedanken nicht durch solche Wort-Ballonen erst bis in die dunkle Wolken schleudern sollen. Je hoͤher der gute Geschmack steiget, je lichter wird es, und die dunkeln Wolken werden zer- streuet. Sechszehendes Couvert. Gedaͤmpft Rindfleisch mit Lorbeern und Wacholderbeern. Wenn mir eine Stelle gefallen hat, wor- inn der Autor zeiget, daß er noch nicht alle gesunde Schmecke verlohren: So ist es son- derlich die elfte und zwoͤlfte Seite; ausge- nommen die eingeflickte prosaische Stelle. Denn was ist das vor Deutsch: eine weit- schweifige Beschreibung? Man spricht wol: weit ausschweifende, aber weitschweifig schickt sich besser fuͤr die Roßkaͤufer, wenn sie die Pferde mit weiten Schweifen besehen. Was soll ferner der Einfall sagen: Er habe Gele- genheit, eine umstaͤndliche Beschreibung der Baukunst bey dem Geschmacks-Tempel an- zubringen, wenn er Lust haͤtte, ungelesen zu bleiben? Dieser Anhang ist vollkommen verwirrt. Denn eben das suchet und wuͤn- schet XVII. Gebratener Haasen. schet man in seiner Schrift, daß, da er einen so neumodischen Tempel angegeben, er einen vollstaͤndigen Riß davon dem Leser mitgetheilt haͤtte, zumal er hintenher eine von ihm in der Note p. 31. genannte Nebencapelle, nemlich den Tempel der Freunoschaft, angeflicket; da man wahrlich nicht siehet, was der gute Geschmack mit der Freundschaft vor eine Con- nexion habe. Man siehets wol, der Autor ist zum Scherzen nicht gebohren. Sein Ba- diniren hat weder Saft noch Geschmack. Siebenzehendes Couvert. Gebratener Haasen. Ein gebratener Haase in der Schuͤssel ist un- streitig von besserm Geschmack, als ein leben- diger Haase auf der Schaubuͤhne. Als ei- nen solchen fuͤhrt sich beynahe der Autor auf der 13 und 14 Seite auf. Denn wie hasi- lirt er nicht da ungescheut, daß er also reimet: Das sind, Gott gebs! die großen Geister, im Schreiben Flink, im Tadeln Meister. Wie schickt sich doch immer hier die Brocke: Gott gebs? Er hat gewiß das andre Gebot ver- gessen! Wer redet ferner also: Jm Schrei- ben flink seyn? Er hat vielleicht sagen wol- len: Zum Schreiben leicht fertig seyn; so hat er sich ja selber abgeschildert. Die Worte aber: im Tadeln Meister, und selbst zum Schreiben noch zu jung, mag er mit guͤldnen T 3 Buch- XVII. Gebratener Haasen. Buchstaben uͤber seinen Geschmacks-Tempel setzen, oder denken, der Kuckuck rufe seinen eigenen Namen aus. Denn er tadelt ja alle, und schlaͤgelt doch selber so unzaͤhlige mal; daher gebe ihm seinen eigenen Einfall in opti- ma juris forma zuruͤck: Und selbst zum Schrei- ben noch zu jung, und selbst zum Tadel reif genung. Jn dem zweymaligen und selbst liegt zwar so wenig Pathesis, als jener Pfarr in dem Woͤrtlein ιδου, ιδου, ecce, ecce, siehe, siehe, suchte; doch mag es cum caeteris er- roribus durchwischen. Auch sagt man nicht in reinem Deutsch: Der ist zum Tadel reif genug, wenn es so viel heissen soll, als: Der ist selber tadelnswehrt. Jedoch auch dieser Solœcismus mag mit drein gehen, gleich dem naͤchst drauf folgenden: Das sind des Witzes Widersacher. Mein! welcher Obersachse hat so geredt: Der ist des Witzes Widersacher? Jedoch propter rythmum sequentem konnte der Widersacher nicht wegbleiben. Denn der Schluß-Gedanke charmirte ihn gar zu sehr, da er schreibet: Das sind des Phoͤbus Lustigmacher, und darauf reimt sich Wider- sacher. Nun frage ich alle Kenner der deut- schen Sprache, was ein Lustigmacher des Phoͤbus vor ein Ding sey? Soll es heis- sen: die so schwuͤlstig schreiben, und doch elende Gedanken dahinter verstecken, wie die Phoͤbus-Redner thun: So hat er sich zwar selber XVIII. Ein Kalbes-Kopf. selber verdeckt abgemahlt; gleichwol ist es auch gar zu kauderwelsch geredt, sich und sei- nes gleichen des Phoͤbus Lustigmacher zu nennen. Jch rathe ihm nochmals, er lasse das Badiniren bleiben, damit es nicht hase- lantisch herauskomme. Achtzehendes Couvert. Ein appetitlicher Kalbes-Kopf. Jener Page hoͤrte bey der Tafel seines Herrn sagen: Die Sternseher haͤtten kein Gehirn im Kopf. Als er nun darauf einen Kalbs-Kopf auftragen sollte, naschte er unter- wegens das Gehirn heraus, und da ihn sein Herr zur Rede setzte, wo denn das Gehirn hingekommen, antwortete der Page: Es war ein Sternseher, woruͤber sein Herr lachte. Jch weiß nicht, wo der Autor sein critisch Gehirn muß hingethan haben, da er die Pas- sage p. 13. von dem gemeinschaftlichen Demuͤ- thiger L.. anfuͤhret. Er weiß gewiß noch nicht, daß solcher nun ein aufrichtiger Goͤn- ner des D. P. den er daselbst ansticht, sey. Der Autor hat Ursache, den Scepter des ge- meinschaftlichen Demuͤthigers in Zeiten zu kuͤssen, damit er nicht etwa auch in dessen Zucht-Ruthe falle. Es ist aber auch ganz falsch, daß Philippi und Rodigast sich ganz leise auf der Seite davon geschlichen, und sich selbst auf den Weg gewandt, der nach Wald- T 4 heim XVIII. Ein Kalbes-Kopf. heim fuͤhrt. Es muß dis dem Autor nur so getraͤumt haben; sonst wuͤrde er einen Unter- scheid zwischen dem heimlichen davon schlei- chen und gewaltthaͤtigen Entfuͤhren machen. Gnade ihm der Himmel, daß er nicht so eine Fatalitaͤt erlebe; er wuͤrde gewiß ohne Schiff- bruch seines Verstandes nicht acht Tage dort aushalten; da Philippi die waldheimischen Narren-Comoͤdien ganzer zwey Jahre gelas- sen mit angesehen, und die seinetwegen gehal- tene Acta gnuͤglich darlegen, daß auch große Leute sich im Decretiren uͤbereilen, und ei- nen, der manchem was haͤtte von seinem Ver- stande abzugeben vermogt, auf boͤser Leute Verleumdung und unterlassene Erkundigung der Sache, fuͤr hoͤchstmelancholisch halten koͤnnen, weil in dem Rescript gestanden: den D. P. genau zu verwahren, daß er sich oder andern am Leben keinen Schaden thaͤte; welches aber die waldheimischen Offician- ten alsofort fuͤr so uͤberfluͤßig gehalten, daß sie ihn gar nicht genau verwahrt, sondern zu einem Magister und Obrist-Lieutenant flugs auf die Stube gethan, auch der Medi- cus attestirt hat, daß dem D. P. die ganze Zeit seines Daseyns nichts am Verstande gefehlet, ausser, daß er einsmals eine große Ohnmacht gehabt. Bey welchem Zufall seine damalige Cameraden in der Angst ihm ein ganz Glas opische Tropfen eingefuͤllet, davon er etliche Tage XIX. Ein Spanferkel. Tage schlaftrunken geworden, und, wie der traͤumende Tempelbauer, eine Weile getraͤu- met hat. Neunzehendes Couvert. Ein wohlzugerichtetes Spanferkel. Mir ist, als wenn solches von dem neuen Mundkoch in einer Schuͤssel aufgetragen und vor mir stehen saͤhe, wenn ich die Passage des Autoris pag. 13. vom kleinen dicken Franzo- sen lese. Er grunzet daselbst und pag. 14. wie ein spanisch Ferklein, dem das Messer an die Kehle gesetzt wird. Der von ihm beschrie- bene Cerberus hat ihm die Zaͤhne gewiesen; aber wie er gesehen, daß er nicht einmal recht Deutsch reden koͤnne, also ihn das nicht an- gehe, was er, der Cerberus, mit den Deut- schen auszumachen gehabt, hat er ihn, wegen seines anmuthigen Grunzens, mit durchpas- siren lassen. Er will auch in der Stern-No- te pag. 14. dem Voltaire eins an die Waden versetzen, daß er ihm den Tempel des guten Geschmacks vor der Nase zugeschlossen habe. Vielleicht hat Voltaire gedacht, es moͤgten die deutschen Oui-oui- Rufer mit in den Tem- pel wischen, und in dem Kehrig wuͤhlen, des- sen der Autor pag. 27. gedenket, daher er die Thuͤre mit Bedacht verschlossen, um ihnen das Einlaufen zu verwehren. T 5 Zwan- XX. Eine Carbonade. Zwanzigstes Couvert. Eine Carbonade oder Grilliade. Wenn die weichen Schoͤps-Ribben erst gekochet, hernach uͤber den Rost gebraten werden, pflegt mans, nach der Koͤche Mund- art, eine Carbonade oder Grilliade zu nennen. Dergleichen hat sich der Autor in der Stelle pag. 15. selber zugerichtet, und mag ganz sich er- lich auf sich selbst deuten, da er spricht: Der Hochmuth und der Neid hat diese Brut ge- zeuget, die Unverstand verwoͤhnt, und Bos- heit unterstuͤtzt; die nun auf das Verdienst mit Haß und Grobheit blitzt, (siehe das acht- zehende Couvert) darob der dumme (hier wol- le Autor cum actu reflexo sich und seinen Tem- pel im Spiegel beschauen) raast; dazu der Kluge schweigt. (Man kan klug seyn, und muß nicht eben zu allen Narrheiten der Eigen- duͤnkler schweigen.) Weil doch den starren Stolz, gebt auf die Beyspiel (des Baumei- sters von dem Geschmacks-Tempel ) acht! der strafende Satyr (diese Ehre will ich mei- nem Gegner lassen, ein strafender Satyr oder heßlicher Wald-Faune zu seyn) zuletzt geschmei- dig macht. Das hoͤffe ich an dem Autor noch zu erleben, so bald er diese Couverts wird gekostet haben. Er hat das Auslesen und Wechsel! Ein XXI. Gebratene Lerchen. Ein und zwanzigstes Couvert. Am Spieß gebratene Lerchen. Die lustigen Stellen p. 16. 17. sind so schmackhaft, als bey uns zu Michael im gros- sen Jochims-Thale zu Leipzig eine Schuͤssel mit Spieß-Lerchen. Er hat sogar die Platz- Majors und Saͤnftentraͤger mit in seinen Geschmacks-Tempel gebracht, als welche das Leibwort haben: Platz! Platz! oder: vorge- sehn! vorgesehn! Und es haͤtte ihm selber billig einer vorrufen moͤgen: Platz, Platz vor den Wohledlen und Kunsterfahrnen Bau- meister des Geschmacks-Tempels. Denn sonst hat ihm Huͤbner und Neukirch, die er pag. 16. 17. ansticht, den Platz so verrennt, daß jener Schriften in allen Buchlaͤden noch werden aufgesucht werden, wenn sein Tem- pel-Riß das Schicksal erleben duͤrfte, endlich in den Kram-Laͤden als ein tuͤchtiger Um- schlag der abgewogenen Pfeffer-Waaren ge- braucht zu werden; wiewol ich glaube, wenn man seine Schrift pulverisirte, werde solche, weil sie sehr gepfeffert ist, indem man, nach beschehener Durchlesung, sich die dafuͤr ge- zahlte vier Groschen fast reuen laͤsset, mit der Zeit vor spanischen Pfeffer paßiren. Hat nun Neukirch zu viel Ambra in seinen Ge- dichten, wie der Autor pag. 18. vorgiebt: So ist doch solcher, wegen seines lieblichen Ge- ruchs, XXII. Ein westphaͤlischer Schinken. ruchs, des Aufhebens weit wuͤrdiger, als da der Autor seine Schrift mit allzu vielem Pfeffer uͤberstreuet hat. Zwey und zwanzigstes Couvert. Ein guter westphaͤlischer Schinken schmeckt mir besser, als alle die Einfaͤlle des neuen Kuͤchenmeisters pag. 18. 19. 20. 21. Er saͤuget Muͤcken, die man, wenn der Schin- ken nach dem Aufschnitte noch inwendig gut ist, nicht aͤstimirt, wenn sie sich gleich auf die aͤusserste Haut ansetzen, und solche beschmeis- sen. Er versteht sich auch treflich auf die phi- losophische Rang-Ordnung, daß er pag. 22. seinem geruͤhmten poetischen Helden eine Stel- le zwischen Lucrez und Leibnitzen anweiset. Wenn er noch spraͤche: zwischen Baylen und Leibnitzen, oder Wolfen und Buͤlfingern: So daͤchte man, sein Held habe diese beyde Erforscher des Uebels, das in der Natur seyn soll, an Tiefsinnigkeit uͤbertroffen. Was aber Lucrez bey Leibnitzen solle, weiß ich nicht. Er schickt sich zu ihm, wie Schinken zur But- termilch. Drey und zwanzigstes Couvert. Ein Aufsatz mit Confect. Die Madame Neuberinn wird dem Herrn Speise-Wirth im Tempel des Geschmacks viel Obligation wissen, daß er ihr pag. 23. Con- XXIII. Confect. Confect vorsetzet. Vielleicht erlangt er die Ehre, wenn er sich nennet, zum Gratial, eben ein solch Vorspiel zu erhalten, als ohnlaͤngst auf den großen Poeten P. G. dessen Namen er, aus Bescheidenheit und Demuth, ganz verschwiegen, weil er ihm mit Blutfreund- schaft vielleicht verwandt ist, auf der Schau- buͤhne und im Druck herausgekommen. Die Stellen pag. 24. 25. sind auch Confect, das meist so wieder von der Tafel koͤmmt, wie es hinaufgesetzt worden; das heißt, man laͤßt es in seinem Werthe, und begnuͤget sich an solidern Speisen. Denn ein Bildgen mah- len, stechen oder hauen zu koͤnnen, erfordert wol Geschicklichkeit; aber wenn man den gu- ten Geschmack bis dahin ausdehnen will: So haͤtte der Autor noch gar viel Classen des guten Geschmacks machen sollen; z. E. der mathematische Geschmack, der wolfische Ge- schmack, in puncto des artlichen Gedichts der Harmoniae præstabilitae; der Hof- Gout; der richterliche Geschmack; der medicinische Gusto, wenn z. E. eine Jungfer sich will aus dem Harn-Glase wahrsagen lassen, ob sie schwanger sey; der philosophische Geschmack in der Methaphysic, Jure naturæ, Logic, Phy- sic ꝛc. der theologische Geschmack, da die Frage auszu machen: Ob nicht die Herren Geistlichen, weil sie immer mit Glaubens- Sachen umgehen, vor allen andern zum leich- ten XXIV. Obst. ten Glauben geneigt sind? ꝛc. Sed manum de tabula, ich eile zum Beschlusse. Vier und zwanzigstes Couvert. Eine Schuͤssel mit Obst. Wenn man mitten im Winter noch frisch Obst, als Weintrauben, Aepfel, Pergamot- ten ꝛc. auftragen kann, reizet es fast mehr den Geschmack, als wenn es im Sommer und Herbst in aller Haͤnden ist. Diese Cautel recommendire dem Traiteur im Tempel des Geschmacks. Er traͤgt von pag. 25. bis 40. noch viel Gerichte auf; aber sie kommen mir vor, wie gedoͤrrete Pflaumen und gebackne Hutzeln. Ehe seine Schrift unter die Presse kommmen koͤnnen, ist mancher Einfall in- dessen eingeschrumpfet. Er lege sich also fein kuͤnftig lauter frisch Obst zu, oder das doch wenigstens so inacht genommen worden, daß es der Frost nicht unschmackhaft machen moͤ- ge. Sed sat prata biberunt! Es ist Zeit, von der Tafel aufzustehen, und Billiard zu spielen.