Denkwuͤrdigkeiten und vermischte Schriften von K. A. Varnhagen von Ense . Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften von K. A. Varnhagen von Ense . Dritter Band . Mannheim. Verlag von Heinrich Hoff. 1838 . Druck von Hoff \& Heuser in Mannheim. Inhalt des dritten Bandes. Aus eignen Denkwürdigkeiten. Seite S tudien und Stoͤrungen. Berlin 1807 1 Besuch bei Jean Paul Friedrich Richter 64 Tuͤbingen. 1808. 1809 87 Steinfurt. 1810. 1811 127 Harren und Streben. Prag 1811. 1812 168 Tettenborn 213 Hamburg im Fruͤhjahr 1813 249 Kriegszuͤge von 1813. 1814 382 Studien und Störungen. Berlin 1807 . D as Fruͤhjahr trat mit starken Schritten ein, ohne fuͤr Halle guͤnstigeres Geschick, noch dem in Preußen fortwuͤthenden Krieg eine erwuͤnschte Wendung zu brin¬ gen; wir fuͤhlten Alle, daß ein laͤngeres Abwarten der Dinge fuͤr uns unstatthaft sei, und wir das beginnende Sommerhalbjahr wenigstens so gut als thunlich zu be¬ nutzen haͤtten. Wolf und Schleiermacher wandten die Augen nach Berlin, und zu diesem Orte zogen auch unsre Verhaͤltnisse und Studien uns am staͤrksten hin. Adolph Muͤller wollte in jedem Falle die medicinischen Anstalten dort benutzen; fuͤr mich boten diese reichlich dar, was ich am dringendsten bedurfte, und meinem und Neumann's philologischen und allgemein wissen¬ schaftlichen Trieben war hier, besonders wenn Wolf und Schleiermacher folgten und ihre beabsichtigten Vorlesungen hielten, noch immer mehr bereitet, als auf jeder andern uns bekannten Universitaͤt. Fuͤr uns waren Entschluß III. 1 und Ausfuͤhrung am leichtesten, und so fanden wir Beide uns die ersten auf dem Wege, bei schoͤnem Wetter um die Mitte des April, aus studentischer Vorliebe und aus Sparsamkeit diesmal zu Fuß, welches beides jedoch nur von Halle bis Dessau und von Potsdam bis Berlin vorhielt, denn zwischen Dessau und Potsdam uͤbernahm uns die traurige Oede und muͤhsame Beschwerlichkeit der sandigen, damals noch ungebauten Landstraße zu sehr, und wir bestiegen den Postwagen, der schon lange neben uns fuhr, und jetzt unsrer Reise zwar wenig Be¬ schleunigung, aber doch einschlaͤferndes Ausruhen ge¬ waͤhrte. Wir sahen in Berlin der Reihe nach unsre Freunde mit herzlichstem Willkommen. Leider entging uns nicht, daß der Druck des Krieges in der ganzen Stadt hart fuͤhlbar war, uͤberall zeigte sich Zerruͤttung der Ver¬ haͤltnisse, Verringerung der Huͤlfsmittel, Einschraͤnkung der Lebensweise, dazu die unerschwinglichen Lasten der Kriegsabgaben und der Einquartierung, und eine große Muthlosigkeit in Betreff der Zukunft. Ein knappes und spaͤrliches Wesen, das von jeher an dem Berliner Leben im Gegensatz uͤppigerer Hauptstaͤdte bemerklich wurde, zog sich noch mehr in's Enge und Bange, und stach nur um so widriger gegen das Wohlleben ab, welches die fremden Sieger auf Kosten des bezwungenen Landes fuͤhrten. Auch fuͤr uns selbst wurde dieser Zustand un¬ mittelbar empfindlich, denn so manche Huͤlfsquellen, auf die wir hoffen durften, blieben aus, besonders in Neu¬ mann's Verhaͤltnissen trat voͤllige Ebbe ein, und wir waren beide geraume Zeit auf die Mittel beschraͤnkt, welche mir zukamen, und bei denen fuͤr zwei doch man¬ ches Behelfen noͤthig wurde; wir wohnten und lebten indeß gemeinschaftlich, so gut es ging. Mein Studiren war bald angeordnet. Ich warf mich bei den Unsicherheiten, die ich in unsrer deutschen Welt herrschen sah, nur um so ernstlicher auf die Me¬ dicin, als worin mir Stand und Waffe zum bedenklichen Kampfe des buͤrgerlichen Lebens vor allem gewonnen sein mußte, um demnaͤchst wo moͤglich auch andre Zwecke und Aussichten verfolgen zu koͤnnen. Manche Zwischen¬ stufe, zu welcher ich spaͤter zuruͤckzukehren dachte, fuͤr jetzt uͤberspringend, und im Grunde wirklich genugsam vorbereitet, eilte ich sogleich in die Mitte der ausuͤben¬ den Heilkunde, und machte den klinischen Lehrgang in dem Charit é -Krankenhause mit, außerdem hoͤrte ich bei Willdenow Botanik und Arzneimittellehre, und, damit ich mir an Gruͤndlichkeit nichts erließe, nochmals, ich glaube zum siebenten oder achtenmale, die Osteologie. In bestimmten Stunden trieb ich mit Theremin das Spanische, Englisch und Italiaͤnisch mit andern Freunden, und kein Tag verging, da ich nicht im Homer und in der griechischen Anthologie gelesen und aus der letztern ein paar Stuͤcke metrisch uͤbersetzt haͤtte, welches letztere mir gewoͤhnlich schon zuerst am Morgen, beim Ankleiden 1 * und Fruͤhstuͤcken, ohne Anstrengung gelang. Neumann unterdessen, fuͤr welchen es keine Vorlesungen gab, wandte sich mit angestrengtem Fleiß auf die Uebersetzung der florentinischen Geschichte des Machiavelli, wovon er sich gute Frucht versprach, besonders wenn Johann von Muͤller bewogen werden koͤnnte, wie wir hofften, durch eine Vorrede und Anmerkungen das Buch empfehlend auszustatten. Dieser Grund wirkte stark mit, daß ich mich beeilte, nun auch die persoͤnliche Bekanntschaft des großen Ge¬ schichtschreibers, dem wenigstens damals die herrschende Meinung keinen Lebenden an die Seite stellte, mir nicht laͤnger entgehen zu lassen; die Verstimmung, welche sich mit seinem Namen verbunden hatte, war mir einiger¬ maßen geschwunden, indem die Ersten und Besten der Nation, von denen ich nur Goethe, Wolf und Schleier¬ macher hier nennen will, fortwaͤhrend sein Verdienst hervorhoben und seine Schwaͤche entschuldigten. Ich beschloß, ihn zu besuchen, und zwar gradezu, ohne Empfehlung oder Anfrage, wie mir das schon immer am besten eingeschlagen war. Der Empfang konnte in der That nicht freundlicher sein, und wunderbarerweise fand ich mich ohne es zu wissen schon durch meinen eignen Namen empfohlen. Das hing so zusammen. Der spanische Gesandte in Berlin, General Benito Pardo de Figueroa, ein Mann von gutem Sinn und vielfachen Kenntnissen, hatte die seltne Gabe, seine dichterische Ader in griechische Verse ausstroͤmen zu koͤnnen, und wiewohl weder das Dichterische noch das Griechische von erster Qualitaͤt waren, so blieb doch diese Verbindung eines griechischen Poeten und eines spanischen Generals und Gesandten ein unerhoͤrte Merkwuͤrdigkeit, welche in der gelehrten wie in der vornehmen Welt kein geringes Aufsehen machte. Der General nahm mit liebenswuͤr¬ diger Eitelkeit die Bewunderung auf, die ihm auf diesem deutschen Boden zum erstenmal so recht zu Theil wurde, und ließ sein Licht bestens leuchten, selbst in den hoͤch¬ sten Kreisen, wo seit den Zeiten der Koͤnigin Christina von Schweden die Galanterie schwerlich in dieser Sprache sich hatte vernehmen lassen. Ein griechisches Sinngedicht auf die Schoͤnheit der Koͤnigin Luise hatte in den Ber¬ liner Zeitungen gestanden, und war, aus der geringen Stellung zwischen den gewoͤhnlichen Anzeigen dieses grauen Loͤschpapiers zu dem Glanze des Hofes gehoͤrig emporgezogen worden. Die Ungluͤcksfaͤlle Preußens rauschten uͤber diesen Eindruck hin, und hatten ihn fast verwischt, als ein zweites Gedicht hervortrat, auf schoͤnem Papier mit saubern Typen gedruckt, eine sapphische Ode an den spanischen Dichter Arriaza, gewuͤrzt mit dem Lobe des Friedensfuͤrsten, den auch jener besungen hatte. Wolf bekam das Blatt nach Halle zugesandt, gab es mir als eine Merkwuͤrdigkeit zu lesen, mein technischer Trieb hatte gleich eine Uebersetzung fertig, sie wurde von Wolf eingesiegelt und nach Berlin abgefertigt, wenige Tage vor meinem Aufbruch dahin. Jetzt fand ich hier diese Uebersetzung, zugleich mit einer lateinischen und franzoͤsischen, einem neuen Abdrucke dieses griechischen Originals beigefuͤgt, und Muͤller in hoͤchster Freude be¬ theuerte, ich muͤsse ohne Saͤumen mit ihm den General Pardo besuchen, der uͤber jene Zusendung aus Halle ganz entzuͤckt gewesen, der mich mit offenen Armen empfangen wuͤrde, und der uͤberhaupt ein hoͤchst liebens¬ wuͤrdiger und vortrefflicher Mann, dazu sein ganz be¬ sonderer Freund sei. Ich versaͤumte nicht, Muͤller'n auch alsbald das Anliegen Neumann's zu eroͤffnen, und fand ihn bereitwillig genug, das Unternehmen zu foͤr¬ dern. Mit Innigkeit nnd Ehrerbietung sprach er von Alexander von der Marwitz, den er selbst fruͤher an Wolf nach Halle empfohlen hatte. Eifrig und dringend begehrte er von meinen Studien und Absichten das Naͤhere zu wissen, bot mir alle seine Buͤcher an, und als ich ein Wort von der griechischen Anthologie hatte fallen lassen, freute er sich uͤber die Maßen, holte gleich Brunck's Analekten herbei, schlug mehreres auf, fragte mit Hast und Unruhe, wie ich denn die vielen bedenk¬ lichen Sachen in meinen Uebersetzungen zu behandeln daͤchte, und als ich erwiederte, ich gaͤbe sie unbefangen so wieder, wie sie dastuͤnden, lobte er diese Vorurtheils¬ losigkeit uͤbermaͤßig, und hielt der ganzen Richtung, in Betreff ihrer Wirkungen auf die Freundschaft und Bil¬ dung der Juͤnglinge, eine uͤberschwaͤngliche Lobrede, die mich in ernstes Erstaunen setzte. Eines der aͤrgsten Epigramme, ein Raͤthsel von Straton, las er mit froͤh¬ lichem Wohlbehagen laut vor, und verhehlte gar nicht, was manche gutwillige Seelen, die auf ihre Bescheiden¬ glaͤubigkeit wohl gar recht stolz sein wollten, zu seinen Gunsten hartnaͤckig laͤugneten. Ein schroffer Ernst scheuchte alle diese Anspielungen in tiefe Nacht zuruͤck, und dann erschien wunderbar ein verstaͤndiger Sinn, ein heitres Wohlwollen und ein unendliches Wissen, die in freiem, ungetruͤbtem Gespraͤche sich wuͤrdig darlegen mochten, und in dem Zuhoͤrer die groͤßte Befriedigung, nicht selten sogar Begeisterung erweckten. Sein ganzes Aeußere, die geschwaͤchten entzuͤndeten Augen, die blaͤ߬ liche feine Haut, die fast kindischen Zuͤge des Mundes, die unangenehme schweizerische, mit franzoͤsischen Ein¬ schiebseln durchbrochene Sprache, die Unruhe der Glieder des nicht großen und ziemlich dicken Koͤrpers, alles dieses war dann leicht zu vergessen, weil sein Innres von einem wahren Feuer des Wissens und der Gesin¬ nung doch wirklich ergluͤht war, und die Funken davon mit kraͤftiger Wirkung ausstroͤmte. Die Verehrung fuͤr diese Geisteswuͤrde ließ uͤber die bemitleidenswerthen Unwuͤrdigkeiten, die sich derselben angenistet, wie uͤber Ungeziefer hinwegsehen. Bei dem General Pardo wurde mir die verheißene Aufnahme. Der Mann schwelgte in Liebhaberei zu den alten Sprachen, zur klassischen Gelehrsamkeit, taͤglich hatte er Gelehrte bei sich zu Tisch, und zeigte ihnen sein Wissen, wie er das ihrige begierig annahm. Ließ von dieser Seite eine kleine Schwaͤche sich kaum ver¬ bergen, so zeigte er dagegen von andern Seiten wirklich einen erfahrnen, gescheidten und wohldenkenden Mann. Ein laͤngerer Aufenthalt in Mejico hatte ihn mit man¬ nigfachen Anschauungen erfuͤllt, er sprach lebhaft und offen, die Vorurtheile eines Spaniers hatte er meist abgelegt, und die fuͤr seine fruͤhen Schulstudien beibe¬ haltene Neigung war ihm nur guͤnstig anzurechnen. Ich war mehrmals bei ihm zu Tisch, gewoͤhnlich mit Muͤller, auch mit dem oͤsterreichischen Legationssecretair Grafen von Bombelles, und dem Prediger Catel, meinen Mit¬ uͤbersetzern, spaͤterhin auch mit Wolf. Hier wurde dann nach Herzenslust homerisirt uod pindarisirt, dichterische Vorzuͤge in's Licht gestellt, Eignes und Fremdes mit¬ getheilt, alles mit groͤßter Freiheit. Mein Franzoͤsisch kam mir hier gut zu Statten, weil alles in dieser Sprache vorging, aber auch meine ungefaͤhre Kenntniß des Spa¬ nischen und meine fruͤhere Bekanntschaft mit dem Grafen Casa-Valencia gereichten hier zur Annehmlichkeit. Wurde zuweilen Politik verhandelt, so geschah auch dies ohne viel Zuruͤckhaltung, doch durften dann keine Franzosen gegenwaͤrtig sein, in deren Sinne die Spanier eigentlich sprechen sollten, aber keineswegs alle dachten; zwar Pardo selbst und Urquijo noch so ziemlich, aber der Andalusier Montalbo, der spaͤterhin aus seiner diploma¬ tischen Anstellung zu den kriegerischen Reihen seiner Landsleute gluͤcklich entkam, verhehlte schon damals nicht, daß er ein Feind der Franzosen sei und dem Kaiser Napoleon alles Unheil wuͤnsche. Johann von Muͤller zeigte bei solchen Gelegenheiten eine stets belebte und stets sachenreiche Mittheilung. Ich stritt oͤfters mit ihm uͤber die Angelegenheiten des Tages, und er suchte dann stets einer mildern Beur¬ theilung der franzoͤsischen Sachen Eingang zu verschaffen, fuͤr Napoleon aber sprach er unbedingte Bewunderung aus. Der Anlaß brachte ihn einesmals dazu, daß er seine bei dem Kaiser gehabte Audienz ausfuͤhrlich erzaͤhlte, ungefaͤhr mit denselben Umstaͤnden, welche auch in ver¬ schiedenen spaͤterhin im Druck erschienenen Briefen an¬ gegeben sind. Eines Zuges jedoch, erinnere ich mich, dessen ich nirgend erwaͤhnt finde, und den ich als einen hoͤchst bezeichnungsvollen hier aufbewahren will. Unter den Gegenstaͤnden des Gespraͤchs, erzaͤhlte Muͤller, kam auch Caͤsar vor, in dessen Lob Napoleon eifrig einstimmte; Muͤller bemerkte dem Kaiser, es sei zweifelhaft, welchen Gebrauch Caͤsar, wenn er nicht durch Meuchelmord um¬ gekommen waͤre, von seiner errungenen Obergewalt zunaͤchst wuͤrde gemacht haben, einige Andeutungen gingen darauf, daß er das Innere der Republik neu anordnen wollen, andre hingegen, daß er die Parther zu bekriegen im Sinne gehabt; bis dahin habe der Kaiser ruhig zugehoͤrt, dann aber sogleich rasch ausgerufen: „Il aurait fait la guerre aux Parthes!“ und diese Worte mehrmals heftig wiederholt. Muͤller durfte uns diesen Zug, der allerdings die Stimmung und den Geist Napoleon's sehr bedenklich zu erkennen gab, muͤndlich wohl anvertrauen, doch liegen auch die Gruͤnde nahe genug, welche ihn abhalten konnten, dergleichen waͤhrend des hoͤchsten Schwebens jener Machtverhaͤltnisse schriftlich in die Ferne mitzutheilen. — Adolph Muͤller traf nun auch aus Halle ein, wo er noch im Stillen eilig Doctor der Medizin geworden war. Dieser junge Mann, fruͤher oft geistig schwankend und gesellig zuruͤckhaltend, entfaltete jetzt die herrlichsten Schwingen, und erschien als ein edler, starker, fuͤr das Leben und die Wissenschaft ausgeruͤsteter, frei und sicher umschauender, entschlossen und maßvoll thaͤtiger Arzt und Mensch, der auf der Stelle Gunst und Zutrauen gewann, ja, durch Feinheit und Wuͤrde eines nie feh¬ lenden, und doch stets lebhaften und beseelten Betragens, Liebe und Bewunderung erweckte. Man konnte von ihm sagen, je staͤrker er in die Wirklichkeit des Lebens einging, am Krankenbette beschaͤftigt war, Anstalten besuchte, Verhaͤltnisse anknuͤpfte, desto reiner und kraͤf¬ tiger lebte er in hoͤherer Sphaͤre, und jener Sommer war unstreitig fuͤr ihn eine Zeit ununterbrochenen Gluͤckes, daß durch die Aussicht auf eine Reise nach Paris, so wie auf den kuͤnftigen Aufenthalt in Bremen, wo ihm alles die schoͤnsten Lebenstage versprach, noch erhoͤht wurde. Der Reimer'sche Kreis war ganz von ihm ein¬ genommen; Marwitz, der vom Lande hereinkam, staunte den schnell Emporgestiegenen an, und knuͤpfte innigere Freundschaft mit ihm, Theremin, Wilhelm von Schuͤtz, Bernhardi, wer ihn nur kennen lernte, bewiesen ihm achtungsvolle Aufmerksamkeit. Einige Schaͤrfe und Strenge, die bisweilen aus seiner urspruͤnglich milden, aber durch Fruͤhling und Gluͤck aufgeregten Gemuͤthsart hervorbrachen, verletzten wohl tief, aber nicht lange, da weder Absicht noch Folge dabei zu spuͤren war. Wenig¬ stens verzieh ich ihm gern und leicht, wenn er in solcher Art gegen mich bisweilen sich uͤbernehmen wollte. Bald kam auch Schleiermacher mit seiner Schwester, und kurz darauf Wolf an, so daß der hallische Kreis in Berlin sich gleichsam neu anbaute. Nur Harscher und Bekker fehlten noch, aber auch sie wollten kommen, und aus Frankreich erwartete ich Chamisso'n. Die fort¬ dauernden Kriegsunfaͤlle und die steigende Verarmung stoͤrten den Drang und Sinn geistiger Thaͤtigkeit nicht, sie belebten ihn vielmehr. Wolf bereitete seine Zeitschrift der Alterthumswissenschaft in heitrer, mittheilungsfroher Geschaͤftigkeit vor; Schleiermacher las einer ansehnlichen Zuhoͤrerschaft von Juͤnglingen und Maͤnnern die Ge¬ schichte der griechischen Philosophie, ein geistreiches Kol¬ legium, noch besonders merkwuͤrdig, durch den freien, rednerischen Vortrag, der ohne Stocken in schoͤnem Eben¬ maße gebildeter Sprache klar dahinfloß, ohne daß der Sprechende ein leitendes Heft, oder auch nur, bei so vielen griechischen Stellen, die er woͤrtlich anfuͤhrte, ein aushelfendes Blatt zur Hand gehabt haͤtte. Auch ver¬ saͤumte er nicht die Gelegenheit zu predigen, die sich bald in dieser Kirche bald in jener darbot, und wozu wir uns gewissenhaft immer einfanden, wiewohl uns die fruͤhere hallische Sinnigkeit und Klarheit in dem Redner oftmals zu mangeln schien. Eben so wenig versaͤumte ich die Predigten, welche Theremin damals franzoͤsisch hielt, deren glaͤnzende, rednerische Wirkung wohl nicht uͤbertroffen werden konnte. Die naͤchsten Pfingstferien benutzte ich zu einem Be¬ such bei Fouqu é in Nennhausen, einem bei Rathenau im Havellande gelegenen Gute seines Schwiegervaters, des Herrn von Briest, wohin ich schon laͤngst einge¬ laden war und sehnlich verlangt hatte. In Gesellschaft Bernhardi's, der trotz seiner außerordentlichen Dick¬ leibigkeit sehr gut zu Fuß war, machte ich mich fruͤh¬ morgens auf den Weg, und mit Huͤlfe einer fuͤr die letzten Meilen genommenen Postfuhre kamen wir noch bei guter Zeit daselbst an. Schon unterwegs hatte Bernhardi, der mehrmals dort gewesen und dem ganzen Hause wohlvertraut war, mich mit den Personen und Verhaͤltnissen vorlaͤufig bekannt gemacht. Der Besitzer von Nennhausen war Herr von Briest, ein vortrefflicher, in jedem Betracht ehrwuͤrdiger Mann, von großer, hagerer Gestalt, milder Freundlichkeit und wohlthuendem Ernst. Er hatte noch im siebenjaͤhrigen Kriege mitge¬ fochten, dann als Rittmeister seinen Abschied genommen und sich auf das Land zuruͤckgezogen, wo er in geisti¬ ger und wirthschaftlicher Beziehung ein tuͤchtiges und ertragreiches Leben fuͤhrte. Ein schoͤner Park war durch ihn entstanden, auslaͤndische Baͤume und Gestraͤuche hatte er angepflanzt, und jeden Fortschritt im Landbau fuͤr sich und seine Dorfleute bestens zu benutzen gesucht. Die letztern liebten und ehrten ihn als einen vaͤterlichen Herrn, bei welchem sie in allen Faͤllen guten Rathes und wirksamer Huͤlfe versichert waren. „Von dem Mann, sagte mir ein alter Bauer, hab' ich noch mein Lebtag nichts Ungeschicktes gehoͤrt.“ Der Name von Briest lebte in diesen Gegenden schon von alten Zeiten her in bestem Ruhme; ein Landrath dieses Namens hatte bei des großen Kurfuͤrsten Ueberfall der Schweden in Rathenau zu dem Siege wesentlich mitgewirkt, wie dessen auch Friedrich der Große in den brandenburgischen Denkwuͤrdigkeiten ehrend erwaͤhnt. Jetzt war derselbe Namen auch mit den Vorzuͤgen deutscher Wissenschaft verknuͤpft; in Fichte's und Niethammers philosophischer Zeitschrift hatte Huͤlsen, der eine Zeit lang in Nenn¬ hausen bei seinem Freunde gelebt, philosophische Briefe an Briest drucken lassen. Seine Tochter, Frau von Fouqu é , war eine hohe, glaͤnzende Erscheinung, die aͤußere Schoͤnheit ordnete sich gleichsam als Zugabe dem noch reicheren Glanze des inneren Lebens bei; solche Begabung des Geistes und solch' einnehmende Gemuͤthsfuͤlle finden sich nur selten vereinigt. Auch an litterarischem Talent war Frau von Fouqu é groͤßer, als die meisten ihrer Zeitge¬ nossinnen, die spaͤter mit ihr wetteiferten, und ihr erstes Erzeugniß dieser Art, ein Roman „Rodrich“ wird an kraͤftiger Haltung gewiß von keiner Frauendichtung uͤber¬ troffen. Die Umstaͤnde, welche spaͤterhin dieses Talent dennoch hindern konnten, in seiner ganzen Macht her¬ vorzutreten, und die Ruhmesgebuͤhr, zu der es berech¬ tigt war, von der Welt einzufordern, werden deshalb immer zu beklagen sein! Liebevoll und befriedigend stellte sich daß Verhaͤltniß mit Fouqu é . Wer ihn bloß in spaͤtern Jahren gekannt hat, wird ihm einen tiefen Grund von Edelsinn und Gutmuͤthigkeit nicht absprechen duͤrfen, wenn auch diese schoͤnen Eigenschaften, und sogar seine dichterische Gabe, jetzt von mancher Verbitterung, die ihm das Leben zu¬ gefuͤhrt hat, getruͤbt sind. In jener Zeit aber war der lebhafte, bescheidene, freisinnige und herzliche, von jedem besten Willen beseelte Mann das Bild der reinsten Liebes¬ wuͤrdigkeit. Er sah auf eine zum Theil schmerzvolle Vergangenheit so ergeben zuruͤck, als haͤtte er nichts mehr zu hoffen, und hoffte so frisch und froͤhlich von jedem neuen Tage das Beste, als haͤtte er noch gar nichts erlebt. Seine Dichtung stand auf der Hoͤhe des genußreichsten Hervorbringens, mit jedem kleinen Erfolg um so leichter befriedigt, als es eigentlich auf allgemeinen Beifall nicht einmal abgesehen war. Die uͤppigste Fruchtbarkeit und anmuthigste Leichtigkeit ließen ihm alles zu Gedichten und Reimen werden, was er nur beruͤhrte, und diese Art von Stegreifdichten, die stete Gegenwart und Fluͤssigkeit dieser poetischen Regung und Aeußerung, erhoͤhte fuͤr seine naͤhern Freunde, die das Hervorbringen mit ansahen, den Reiz und die Waͤrme seiner Dichtergebilde, welche, fuͤr sich allein und von ihrem Entstehen getrennt betrachtet, allerdings etwas zu stark in die gruͤnen Blaͤtter geschossen duͤnk¬ ten. Mich aber bezauberte dieser reiche Wachsthum, der sich gleichsam unter meinen Augen entfaltete und mehrte, denn Fouqu é hatte nicht nur ganze Schubladen mit schon abgeschlossenen Handschriften gefuͤllt, sondern in der kurzen Zeit unsrer Anwesenheit sahen wir den Vorrath um große und kleine Stuͤcke bereichert, jeder Tag und jede Stunde, besonders aber regelmaͤßig der fruͤhere Nachmittag, fand Fouqu é zum Schreiben auf¬ gelegt, und dann schrieb er seine Sachen, Lyrisches und Dramatisches, und gleicherweise epische Prosa, fast ohne auszustreichen, ununterbrochen hin, so schnell die Feder laufen mochte. Viele Stunden wurden mit Vorlesen verbracht, andere mit Erzaͤhlungen, ein guter Theil des Tages aber mit Spazierengehen in dem herrlichen Park, welchen der alte Briest noch taͤglich mit Liebe pflegte, ein Wald schloß sich an, eiu dunkelblauer See breitete sich aus, die geringen Anhoͤhen waren wohlbenutzt, und so gab Nennhausen ordentlich den Eindruck einer schoͤnen Gegend. Wir machten auch einigen Besuch in der Nach¬ barschaft, andrer fand sich von daher ein. Die Abende verbrachte man gesellig bei Thee und Abendessen, zwischen welche fuͤr den alten Briest wohl eine Schachpartie sich eindraͤngte, zuweilen auch ergoͤtzte man sich mit Pistolen¬ schießen oder Kegeln, letzteres vorzuͤglich einem alten verkruͤppelten Offiziere aus dem siebenjaͤhrigen Kriege, Herrn von Laßberg, zu Liebe, der bei seinem Freunde fuͤr den Rest seiner Lebenstage großmuͤthige Aufnahme gefunden hatte, und an jenem Spiel besonders Ver¬ gnuͤgen fand. Das Ungluͤck Preußens und die geringen Hoffnun¬ gen, die man von dem damals noch fortdauernden Kriege haben konnte, wurden reichlich durchgesprochen, wie im Gegensatz auch die glaͤnzenden Zustaͤnde und Erscheinungen des preußischen Militairlebens vor dem ungeheuern Fall. Man faßte den eingetretenen Wech¬ sel nicht, man sah die Folgen riesengroß vor sich, und konnte nicht an sie glauben, man wußte in den Weiten der Welt kein Rettungsmittel mehr, denn auch an den Russen verzweifelte man schon, und auf die Oesterreicher wollte man nicht rechnen; aber dennoch meinte man, es koͤnne und muͤsse Alles wieder umgewendet werden, und zwar jetzt und ganz, diese Aufgabe druͤckte sich der Empfindung mit tausend Stacheln unaufhoͤrlich ein. Ein andrer Gegenstand, der uns viel und ernsthaft beschaͤftigte, war Bernhardi's Angelegenheit. Der be¬ deutende Kreis, in welchem er seine schoͤnsten Jahre gelebt, hatte sich allmaͤhlig aufgeloͤst, Friedrich Schlegel war nach Paris gezogen, Wilhelm Schlegel lebte bei Frau von Stael in der Schweiz, Ludwig Tieck in Muͤn¬ chen, aber schlimmer, als aͤußere Trennung hatte Zwie¬ spalt hier die scheinbar so tiefen Bande der Vereinigung zerstoͤrt. — Kaum waren wir von Nennhausen in Berlin zuruͤck, so ergab sich daselbst fuͤr uns die Gelegenheit eines schoͤnen Festes. Wolf konnte nicht in Berlin sein, ohne daß seine ehemaligen Zuhoͤrer aus allen Kreisen der Hauptstadt ihn eifrig begruͤßten, und die eigentlichen Philologen sich fortwaͤhrend um ihn sammelten. Die verschiedenen Generationen seiner Schuͤler lagen zum Theil weit auseinander, Heindorf und Ideler zum Bei¬ spiel standen gegen uns Juͤngste selbst wieder als Leh¬ rer da. Unsre gemeinsame Huldigung ihm aber in dieser Mannigfaltigkeit vereinigt darzubringen, veraberdeten wir ein Mittagsmahl im Thiergarten; Wolf wurde hinge¬ fuͤhrt, wie zu einem gelegentlichen Mittagessen von vier oder fuͤnf Personen, und der treffliche Mann war so uͤberrascht als geruͤhrt, eine so stattliche Versammlung von mehr als dreißig Gaͤsten zu finden, worunter nur zwei oder drei, wie z. B. Buttmann, nicht seine halli¬ schen Schuͤler waren. Eine geistreiche Munterkeit, fern III . 2 von jeder Pedanterei, durchstroͤmte die ganze Gesellschaft, Wolf's heitrer Genius beherrschte die Gemuͤther, man fuͤhlte sich von dem Hauche der gebildeten Vorwelt uͤberall angeweht. Ich aber hatte im Stillen noch eine andre Ueberraschung vorbereitet, zog nun Heindorf und Buttmann in's Vertrauen, und waͤhrend unter saͤmmt¬ liche Gaͤste die Abdruͤcke eines Gedichts ausgetheilt wurden, forderten jene mich auf, dasselbe vorzutragen. Gleich das Motto aus Goethe: „Erst die Gesundheit des Mannes, der, endlich vom Namen Homeros kuͤhn und befreiend, uns auch ruft in die vollere Bahn,“ wurde mit stuͤrmischem Beifall und Klange der Glaͤser aufge¬ nommen, dann las ich mit tiefer Bewegung und freu¬ diger Kraft in die horchende Stille einen Dithyrambus in Galliamben, wie schon ehemals Voß einen an Wolf gedichtet hatte, wozu ich nun in Deutschland das erste Seitenstuͤck lieferte. Nur ein so schwieriges Metrum, einst von Wolf selber als fast unnachahmbar Voss'en zur Aufgabe gestellt, konnte dieser Gelegenheit wuͤrdig entsprechen, sein Schritt und Tanz trugen im Schwunge den nicht allzu klaren und festen Inhalt siegreich dahin, und erregte die schon guͤnstigen Hoͤrer zu ausbrechen¬ dem Jubelruf. Ich war als Verfasser nicht genannt, aber Niemand hatte daruͤber Zweifel, und Wolf richtete an mich, nachdem auf sein Wohlsein nochmals mit Begeisterung getrunken worden, zum Danke zwei vor¬ treffliche Galliamben, die er aus dem Stegreif hersagte, auch hierin also unter seinen Juͤngern sich als uͤber¬ ragender Meister behauptend, denn Galliamben aus dem Stegreife, wem außer ihm haͤtte das nur einfallen duͤrfen! Leider kann ich in meinen Papieren diese beiden Verse nirgends auffinden, und in meinem Gedaͤchtniß nicht vollstaͤndig. Die herrlichste Stimmung dauerte nun fort, viel heiteres und wichtiges Philologische kam zur Sprache, man beredete fester die Herausgabe des Museums der Altertumswissenschaft, und ich weiß kaum ein zweites Fest, das durchgaͤngig in so schoͤnem Ausdruck geistiger Erregung verblieben waͤre. Wenn nicht irgend eine schaffende Richtung sich damit verbindet, so lassen Fleiß und Eifer in den Studien nicht viel Besonderes von sich sagen, das bloße Erler¬ nen stellt sich nur als einfoͤrmige Wiederholung dar. Letzteres war jetzt mein Fall; mir ging eigentlich nirgends ein neues Licht auf, ich suchte mir in bekannten Fel¬ dern nur immer groͤßeres Material anzueignen, ich ver¬ saͤumte die Kollegia selten, und eilte ihnen in meinen Vorbereitungen oft nur allzu weit voraus, was freilich nur um so leichter zur Folge hatte, daß sie gegen den Schluß mir unertraͤglich wurden, und ich sie meist eine Zeit vorher schon aufgab. Die vielen Verhaͤltnisse und Zwischenspiele stoͤrten mich in meinen Arbeiten zuweilen, diese bekamen aber auch neue Frische und Staͤrke durch die Anregungen, von denen ich ergriffen, aber nicht erfuͤllt wurde. Im Gegentheil, mit jedem Tage mehrte 2 * sich mir die Menge der Lebensverhaͤltnisse und der Be¬ schaͤftigungen. Ich hatte den Oberbibliothekar Biester kennen lernen, und dabei von Litteratur und Gelehrten mit ihm so frank und frei gesprochen, als wuͤßte ich gar nicht, daß er einer besondern und sehr bestimmten Parthei in diesem Reiche angehoͤre, und uns junge Poeten in seiner Berliner Monatsschrift bitter recensirt habe; daß ich die Schlegel ruͤhmte, Ficht'n bewunderte, Schleiermacher'n prieß, ließ ihn arge Gesichter schnei¬ den, wenn ich dagegen Wolf hoch verehrte, erheiterten sich seine Zuͤge wieder, und er schmunzelte von Wohl¬ gefallen, als ich uͤber Zacharias Werner mich lustig machte; er schien zu glauben, in der neuen Schule gaͤbe es gar keine Unterschiede, wer ihr angehoͤre, muͤsse es mit Haut und Haar, und jedes dumme Goͤtzenbild gut heißen, das irgendwo in der aͤußern Uebereinstimmung mit dieser Kirche vortrete; er schuͤttelte den Kopf, sprach aber nicht ungern mit mir, und brachte mich auch in die Saͤle der Bibliothek. Ich verfiel unter andern auf die deutsche Litteratur aus den Zeiten des dreißigjaͤhri¬ gen Krieges, und las mich bald mit großer Vorliebe hinein. Die Harsdoͤrfer'schen Schriften eroͤffneten einen Wust halb verarbeiteten poetischen Stoffes, Paul Flem¬ ming, den ich schon fruͤher theilweise gekannt, wurde fuͤr immer eines meiner Lieblingsbuͤcher, unerschoͤpfliche Lust und Nahrung aber gaben mir die Gesichte des Philanders von Sittewald, oder Moscherosch wie der Autor eigentlich hieß, und daneben der bedeutende Roman vom abentheuerlichen Simplicissimus nebst sei¬ nen zahlreichen Anhangschriften in aͤhnlichem Sinn oder von demselben Verfasser, der noch jetzt seinem wahren Namen nach nicht bekannt ist, denn daß Samuel Grei¬ fenson von Hirschfeld nicht der wahre Name, sondern nur wieder ein erdichteter sey, war mir sogleich un¬ zweifelhaft. Die schreckliche Verwilderung in den deut¬ schen Zustaͤnden jener Zeit hielt den Zeiten, die wir selbst erlebten, einen noch troͤstlichen Spiegel vor. Die Lebhaftigkeit und voͤllig ungehinderte Derbheit der Dar¬ stellung that einer Stimmung wohl, die auch aus argen Wirklichkeiten hervorgetrieben war, und Sprache und Schreibart des Buches reizten ein starkes philologisches Interesse auf. Feiner, hoͤher, und auch etwas alter¬ thuͤmlicher, sprach und schilderte Philander; die großen Vorzuͤge dieses Prosaisten ruhten auf gelehrtem Ertrag und frischem Leben zugleich. Ueber den Simplicissimus gedacht' ich eine litterarische Untersuchung auszuarbeiten; sie unterblieb wie so vieles andre, was im Augenblick versaͤumt wird, und wozu spaͤter die Gelegenheit sich nicht wieder findet. Aber ich hatte die Freunde und Bekannte so viel und oft von den Eigenheiten und Ergoͤtzlichkeiten dieser Autoren unterhalten, sie mit so haͤufigen Anfuͤhrungen und Redensarten von dort ge¬ quaͤlt, daß endlich beschlossen wurde, man wolle ein¬ fuͤr allemal sehen, was an der Sache sei. Es wurde ein Abend bei'm Italiaͤner festgesetzt, Schleiermacher, Reimer, Bernhardi, Adolph Muͤller, auch Marwitz und Schuͤtz, wenn ich nicht irre, und noch einige Andere kamen bei Thiermann zusammen, ich gab einige Worte zur Einleitung, und las dann im Simplicissimus von Anfang ein tuͤchtiges Stuͤck, und darauf aus der Mitte sprungweise die wuͤrdigsten Kapitel, mit einer Wirkung und einem Beifall, die ich mir nicht vorgestellt hatte, oft mußt' ich inne halten, um den Jubel und das Ge¬ laͤchter verbrausen zu lassen, man that sich in Floren¬ tinischen Weinen guͤtlich, aber noch mehr in Erschuͤtte¬ rung des Zwerchfells, und besonders an Schleiermacher konnte man recht anschaulich wahrnehmen, was der deutsche Ausdruck: „Eine Lache aufschlagen“ eigentlich bedeuten wolle. Mit gleicher Froͤhlichkeit wurde auch dem Doppelroman ein solcher Abend gewidmet, und wenn manche Hoͤrer, unter welchen nothwendig auch Schleiermacher sein mußte, zu mehrern persoͤnlichen An¬ spielungen eben nicht einstimmen wollten, so wurden sie doch unwiderstehlich in den ironischen Humor fort¬ gerissen, welchen das Ganze gebot, und der vollste, lauteste Jubel wurde selbst den Stuͤcken, die man mi߬ billigte, zu Theil. Ich hatte waͤhrend des Sommers eine rasche Reise nach Hamburg machen wollen; aber es waren dort einige Umstaͤnde grade zu dieser Zeit nicht guͤnstig, und der Besuch wurde auf den Herbst hinaus verlegt, da¬ gegen erhielt ich eine freundschaftliche Auffordernng , in der Naͤhe auf dem Lande ein paar Erholungstage im heißen Sommer zuzubringen. Marwitz waltete in Friedersdorf, dem bedeutenden Rittergute seines Bru¬ ders, der selber fern in Preußen dem schon verzweifel¬ ten Kriege noch mit brennendem Eifer beiwohnte. Un¬ geachtet der Lasten und Leiden vom Feinde, unter wel¬ chen das ganze Land seufzte, war das herrschaftliche Leben auf dem Gute noch reichlich genug ausgestattet, und Marwitz entbot seine Freunde in die gastliche Ein¬ samkeit. Schleiermacher befand sich schon seit mehreren Tagen dort, und zwischen Arbeit und laͤndlichem Ver¬ gnuͤgen sehr behaglich. Nun machten auch Reimer, Adolph Muͤller und ich uns auf, um ebenfalls einige Tage dort zu bleiben, und dann mit Schleiermacher zuruͤckzukehren. Den groͤßern Theil des Weges, so weit wir der Straße nach Frankfurt an der Oder folgten, fuhren wir, den uͤbrigen Theil, linksab uͤber Landwege hin, legten wir zu Fuß zuruͤck, und erreichten durch unerfreuliche Gegend und gewaltige Tageshitze noch fruͤh genug, um durch ein nachtraͤgliches Mittagsmahl uns laben zu koͤnnen, den stattlichen Edelhof, der indeß weniger durch seine Gebaͤude, Gaͤrten und Lust¬ anlagen sogleich in die Augen fiel, als durch seine um¬ liegenden, bis in den Oderbruch hinab sich erstreckenden und vortrefflich bewirthschafteten Laͤndereien seinen gruͤnd¬ lichen Werth nach und nach zu erkennen gab. Marwitz bemuͤhte sich, nach besten Kraͤften den Wirth zu machen, wir lernten seine ganze Liebenswuͤrdigkeit kennen, die Huͤlfsmittel der Gegend, welche wirklich gegen den Oder¬ bruch hin einigen Reiz gewann, das Bemerkenswerthe aus der in Bildern und Denkmalen vergegenwaͤrtigten Geschichte des Hauses, die bestehenden grundherrlichen und landwirthschaftlichen Verhaͤltnisse, alles wurde be¬ trachtet, besprochen; was an Buͤchern und Kunstsachen vorraͤthig war, daneben was Kuͤche und Keller ver¬ mochten, mit Froͤhlichkeit genossen. Nur hatten die ersten Stunden des Zusammenseins leider eine harte, schwere Verstimmung dazwischen zu verarbeiten. Wir brachten naͤmlich die Berliner Zeitung und mit ihr die erste zuverlaͤssige Nachricht von den Bedingungen des am 9. Juli zu Tilsit geschlossenen Friedens mit. Wir hatten schon in Berlin die Sache genug verhandelt, unsern Schmerz und unsre Wuth zur traurigen Fassung hinabgeredet. Nun fanden wir mit unsrer trostlosen Gewißheit uns noch muthigen Hoffnungen, gespannten Erwartungen gegenuͤber. Marwitz und Schleiermacher waren in Niedergeschlagenheit ganz betaͤubt, als sie diese schmachvollen Bedingungen der Reihe nach vernahmen, sie hatten keine Gunst des Siegers gehofft, sondern großen Verlust erwartet, aber auf die Herabsetzung Preußens, auf so ungeheure Abtretungen und Verpflich¬ tungen, in welche man willigen gemußt, auf solches Benehmen, wie Feind und Freund jetzt zeigte, waren sie nicht gefaßt. Alle Plane und Aussichten, die man fuͤr den schlimmsten Fall im Sinne gehabt, waren zer¬ ruͤttet, man sah keinen Boden mehr, denn selbst das unbestimmte Verbleiben der Franzosen auch in den¬ jenigen Laͤndern, welche Preußen wiedererhalten sollte, war schon ausgemacht, und dem klaͤglichsten Zustande kein Ende abzusehen. Der Eindruck war bis zur Be¬ schaͤmung abschwaͤchend, und draͤngte sich zwischen allem Zerstreuenden immer wieder vor, fuͤr uns Ankoͤmmlinge noch besonders peinlich, die wir uns das Mitgebrachte schon im voraus uͤbel genug hatten schmecken lassen! Geisteskraft und Jugendmuth setzten sich aber doch bald wieder so weit in's Freie, daß sinnvolle, forschende Ge¬ spraͤche mit den gewoͤhnlichen Tagesdarbietungen ab¬ wechseln, und auch Scherzreden sich wieder einfinden konnten. Laue Abende der koͤstlichsten Art wurden bei Sterngeflimmer im tiefen Schattendunkel hoher Baͤume weit uͤber die Mitternacht hinaus verlaͤngert, und nie¬ mand mochte an Schlafengehen denken, waͤhrend die reinste Luft die Brust erfrischte, und die edelsten Ge¬ danken uͤber Natur, Welt, Geschichte, Wissenschaft und Poesie ausgesprochen wurden; denn Marwitz hatte den Willen und die Kraft, immer das Hoͤchste und Groͤßte zur Sprache zu bringen, und auch Schleiermacher's oft hartnaͤckige Schweigsamkeit in schoͤnen Redefluß aufzu¬ thauen. Manche Stunde, des fruͤhern Nachmittags etwa, im Garten oder Saal, wurde auch dem Vorlesen gewidmet. Gluͤckliche Uebersetzungen aus griechischen Schriftstellern hatte Marwitz versucht, eigne Abhand¬ lungen philosophisch-geschichtlicher Art verfaßt, dann kamen Sachen von Goethe an die Reihe, der Aufsatz unter andern von den Gemaͤhlden Polygnot's zu Delphi, dessen Inhalt mit Begeisterung gehegt und verarbeitet wurde; der neuste Zuwachs des Doppelromans, der mitgenommen worden war, um nach Zeit und Stim¬ mung ihm vielleicht ein Kapitel zuzulegen, gab auch seinen Theil zur Unterhaltung. So vergingen mehrere Tage in einem wahrhaft erhoͤhten und befriedigten Da¬ sein, dem zuletzt auch das politische Ungethuͤm des heil¬ losen Tilsiter Vertrags nicht viel mehr anhaben konnte. Wenn etwas im Innern dieses kleinen Kreises haͤtte stoͤren koͤnnen, so waͤre es nur eine gewisse unangenehme Reizbarkeit Schleiermacher's gewesen, die er besonders gegen mich zu haben begann, und von der einige schnoͤde Ausbruͤche mir damals zuerst auffielen. Er hatte zwar schon laͤngere Zeit vieles gegen mich, es schien ihn manches zu verdrießen, sowohl in meinem guten als auch in meinem schlechten Vernehmen mit seinen naͤhern Freunden, allein er bezeigte mir es nicht. Jetzt aber ließ er sich in einzelnen Augenblicken unwillkuͤrlich gehen, und suchte mich bisweilen mit meinen Behauptungen so recht eigentlich abzukappen, in manchen Faͤllen gewiß ganz unverdient, so daß wir ihn deßhalb mit Verwun¬ derung ansahen. Ich glaube fast, daß ihm auch meine politische Gesinnung nicht genuͤgt, und manche meiner uͤbermuͤthigen Aeußerungen ihm, jedoch mit groͤßtem Unrecht, den Verdacht gegeben habe, ich koͤnne auch allenfalls zu den Franzosen mich bequemen, und es ist moͤglich, daß ich uͤber seine Niedergeschlagenheit, obgleich mein Schmerz gewiß nicht geringer war, als der seine, mich zu rasch und uͤberlegen hinweggesetzt habe. Seine scharfen Ausfaͤlle, die indeß nur einzeln blieben und sein uͤbriges Benehmen gegen mich nicht aͤnderten, hatten darum keine wirkliche Stoͤrung zur Folge, weil ich sie meist nur abgleiten ließ, und mehr ihre Wunderlichkeit zu begreifen suchte, als ihre Spitzen zuruͤckwerfen wollte. Welcherlei Geringfuͤgigkeiten aber Schleiermacher aufgriff, um seiner bittern Laune gegen mich Luft zu machen, kann folgendes Beispiel zeigen, das mir besonders er¬ innerlich geblieben ist. Mir war im gewoͤhnlichen Ge¬ spraͤch, ganz harmlos und fluͤchtig, als von maroden Soldaten die Rede war, die Bemerkung entschluͤpft, dieser Ausdruck werde im Simplicissimus ganz eigen abgeleitet, naͤmlich von einem Kaiserlichen Regimente Merode, dessen Leute wenig vor dem Feinde, aber so haͤufig auf allen Landstraßen und in allen Quartieren ruͤckwaͤrts zu finden waren, daß, wo man einen solchen Nachzuͤgler antraf, man schon im voraus wußte, der sei von Merode, und man daher die ganze Gattung nur Merodebruͤder genannt habe; diese Bemerkung schal¬ tete sich zwangslos ein, man konnte ihr den Platz goͤnnen, man konnte sie auch fallen lassen, es war ganz gleich¬ giltig. Mit hitzigem Eifer aber fuhr Schleiermacher dagegen los, widersprach der Zulaͤssigkeit dieser Etymo¬ logie, und tadelte mich hart, wie ich nur so aberwitziges Zeug aufstellen koͤnne, da sei ich einmal wieder ohne Sinn und Ordnung verfahren, kurz, ich wurde gleich¬ sam in ein gewaltiges Vergehen gestellt, wodurch zu¬ gleich ein Zusammenhang mit fruͤhern Suͤnden angedeu¬ tet, und mir eine tiefe Zerknirschung aufgebuͤrdet wer¬ den sollte. Ich hatte jene Ableitung indeß gar nicht behauptet, sondern nur erzaͤhlt, aber selbst wenn ich sie heftig und mit Eigensinn verfochten haͤtte, wuͤrde ich mich darum noch nicht als ein strafbarer Beleidiger des Sinnes und der Ordnung gefuͤhlt haben, der auf den rechten Weg muͤsse zuruͤckgescholten werden! Ich sah vielmehr in dieser auffahrenden Hitze einen Mangel sitt¬ lichen Maßes, und die Andern schienen Aehnliches zu empfinden; nachdem ich Schleiermacher'n bescheiden, doch trocken genug erwiedert, er solle das nicht mit mir, sondern mit dem Simplicissimus selber abmachen, setzte sich das Gespraͤch uͤber die Geschichten und Schnurren jenes Romans munter fort. Keine Spur von Ver¬ stimmung haftete, und auch Schleiermacher befand sich leicht wieder im freundlichsten Geleise. Indem ich dieses niederschreibe, faͤllt mir noch ein andres Geschichtchen dieser Art ein, das ich erzaͤhlen muß. Aus dem Lesen altdeutscher Buͤcher waren mir manche alterthuͤmliche Ausdruͤcke und Formen gelaͤufig, und ich brachte sie zuweilen anstatt der gewoͤhnlichern, im Gespraͤch mit an. So sagte ich ohne Umlaut, nicht nur „es kommt,“ was auch bei Andern schon haͤufiger gehoͤrt wird, als „es koͤmmt,“ sondern auch eben so gern „fallt, fahrt, schlagt, tragt,“ wo freilich jetzt Gebrauch und Regel „faͤllt, faͤhrt,“ u. s. w. verlangen. Hieruͤber schalt mich Schleiermacher mit beißenden Worten, ganz unverhaͤlt¬ nißmaͤßig, und um mich recht zu beschaͤmen, meinte er: die Juden spraͤchen so, und es haͤtten schon Leute wegen meines Mitmachens dieser kauderwelschen Art ihn ge¬ fragt, ob ich denn ein Jude sei? Dieser Verdacht aber, der mich ganz niederdonnern sollte, war mir nur zum Vergnuͤgen, ich lachte herzlich daruͤber, und sagte, das sei so was boͤses nicht, und wir beide haͤtten ja gemeinsame Freunde und Freundinnen, von denen wir, weil der Poͤbel sie so schimpfen koͤnne, nicht geringer daͤchten. Diesmal war Schleiermacher der Abgefertigte. Der Sprachstreit uͤber jene Form aber dauerte noch spaͤthin fort, und gab in unsrem Kreise noch mehrmals zu Eroͤrterungen und Neckereien Anlaß, die mich indeß nicht irre machten. Lange nachher, beim Wiedersehen nach einer Abwesenheit, in welcher sich viel an mir ge¬ aͤndert hatte, fragte mich Chamisso mit Lustigkeit: „Sagst Du noch, es fallt?“ — Wie's faͤllt! erwie¬ derte ich. Als wir Gaͤste endlich wieder abziehen wollten, mußte ich dennoch einen tief verstimmenden Eindruck hinnehmen, den ich aber in mir verschloß. Wir hatten zum be¬ stimmten Tag einen Wagen aus Berlin nach Muͤnche¬ berg bestellt, bis dahin wollten wir zu Fuß wandern. Dies aber gab Marwitz nicht zu, sondern noͤthigte uns, fuͤr diesen Theil des Weges sein Fuhrwerk anzu¬ nehmen. Worin aber bestand dieses? Den Wagen freilich gab er selbst, den Vorspann aber mußten die Bauern liefern, vier Pferde wurden eben so viel Land¬ leuten in der Zeit der dringendsten Feldarbeit zur Frohn¬ fuhre fuͤr die Herrschaft abgefordert, und als einige Beschwerde daruͤber und sogar eine halbdreiste Erkundi¬ gung, wie so diese offenbar nicht landwirthschaftliche Leistung jetzt von ihnen gefordert werde, unter den Bauern laut wurde, bedeutete man ihnen gebieterisch, sie sollten „zur Tanzfuhre“ anspannen, denn allerdings waren sie durch ein altes Herkommen verbunden, wenn die Herrschaft zum Tanz fahre, sie mit vier Pferden hin und zuruͤck zu schaffen. Die herrschaftliche Berech¬ tigung war schon druͤckend genug, in diesem Fall aber noch mehr die Anwendung, denn die armen Leute hatten doch klar vor Augen, daß nicht die Herrschaft, und eben so wenig zum Tanze, gefahren wurde! So kamen wir also mit der Tanzfuhre, uͤber die noch genug gescherzt wurde, nach Muͤncheberg, wo wir die guten Leute, die mit ihren Pferden einen ganzen Arbeitstag versaͤumt und dabei moͤglichst knapp vom Mitgenommenen gezehrt hatten, durch reichliches Trinkgeld einigermaßen schadlos hielten. — Berlin empfand von dem Frieden nichts. Eine theil¬ weise Fensterbeleuchtung in mehreren Straßen der Stadt gab mir ein schlechtes Bild duͤrftiger Freude, wo in der That mehr Ursache zum tiefsten Schmerze vorhanden war. Einige preußische Offiziere hatten sich die Be¬ friedigung nicht versagt, ihre bis dahin geaͤchtete Uniform wieder anzulegen, allein schnell belehrte ein strenges Verbot des franzoͤsischen Kommandanten die Voreiligen, daß hier noch niemand sich unterstehen duͤrfe, wieder ein Preuße zu sein. Franzoͤsische Verwaltung, franzoͤ¬ sische Besatzung, die letztere noch die wenigst feindliche, setzten ihr Wesen fort, als habe der Krieg noch nicht auf¬ gehoͤrt, sie richteten sich auf laͤngere Zeit nur noch be¬ quemer und druͤckender ein, und verhehlten es nicht, daß sie nun erst recht alle Huͤlfsmittel des Landes noch erschoͤpfen wollten. Vorstellungen der staͤdtischen Be¬ hoͤrde, der staͤndischen Koͤrperschaften, der Gemeinden, nichts fruchtete, die Lasten stiegen in's Ungeheure. In dieser Zeit des Jammers fuͤhlte man sich gewaltsam auf das geistige Leben hingeworfen, man vereinte und er¬ goͤtzte sich in Ideen und Empfindungen, welche das Gegentheil dieser Wirklichkeit sein wollten. Nicht wenig verstaͤrkt wurde dieser Sinn durch das Wiedererscheinen Fichte's, der von Koͤnigsberg uͤber Kopenhagen nach Berlin unerwartet gegen Ende des August zuruͤckkam. Er hatte geglaubt, nach dem ausgesprochenen Frieden nicht laͤnger schicklich bei der Koͤnigsberger Universitaͤt als Gast verweilen zu duͤrfen, und seinen weitern Be¬ ruf jetzt auf der alten Staͤtte abwarten zu muͤssen. Eine oͤffentliche Thaͤtigkeit freilich war fuͤr den Augenblick nicht abzusehen, auch schloß er sich ganz in die Abge¬ schiedenheit einer mitten im George'schen Garten an¬ muthig gelegenen Wohnung ein, nur bewaͤhrten Freun¬ den zugaͤnglich. Außerordentlich freuten wir uns seiner hellen, kraͤftigen Gegenwart, seiner unerschuͤtterlichen Denkart und seiner festen Zuversicht. Bernhardi, Wil¬ helm von Schuͤtz und ich hielten uns treulich zu ihm. Fichte hatte viel von dem Koͤnigsberger Aufenthalt zu erzaͤhlen, unsre Ansichten und Urtheile uͤber Ereignisse und Personen empfingen neues Licht. Unter andern brachte er die Zeitschrift Vesta mit, welche von ihm selbst anziehende Aufsaͤtze uͤber den Machiavelli enthielt, und uns in den Herausgebern von Schroͤtter und von Schenkendorf zwei eifrige Kaͤmpfer kennen lehrte, von welchen die deutsche Sache sich noch manches versprechen durfte. Auch die Anfaͤnge des nachher so beruͤhmten Tugendbundes oder sittlich-wissenschaftlichen Vereins, wie er eigentlich hieß, lagen hier schon verknuͤpft, wur¬ den aber in vorsichtiger Heimlichkeit nur dunkel ange¬ deutet. Lebhafter und tagfreudiger strahlte uns ein Gedicht an, das Fichte gleichfalls mitgebracht hatte, und mit seinem gewaltigen Nachdruck bedeutend vorlas. Es war eine dem russischen Kaiser bei seinem Einzuge in Koͤnigsberg gedruckt uͤberreichte Ode, worin der Geist Friedrichs des Großen die troͤstlichsten Verheißungen in den staͤrksten Bildern aussprach. Wenn wir Strophen hoͤrten, wie diese: „Doch trifft von niemals fehlendem Bogen, doch Der Rache Pfeil die Ferse Napoleon's, Und waͤr er dreimal, wie sein frevelnd Herz, in der Stygischen Fluth gebadet,“ so fuͤhlten wir die zwiefachen Schauer der poetischen Macht und politischen Kuͤhnheit, und sahen die Poesie, gleich einem Krieger zum Tode geruͤstet, die wirklichsten und unmittelbar naͤchsten Gefahren muthig durchwandern. Denn der ungluͤckliche Palm war um nicht Groͤßeres erschossen worden, und Napoleon's Haß und Grimm sah in dem Feinde niemals einen Edeln, mit dem ein glimpflicheres Verfahren geboten sein koͤnnte, sondern stets nur den gemeinen Gegner, dessen man sich rasch und kurz entledigt. Wir fragten begierig nach dem Verfasser und hoͤrten, als solcher bekenne sich ohne Hehl der Geheime Ober-Finanzrath Staͤgemann in Koͤnigs¬ berg, bisher nur als Dichter in Scherz- und Liebesge¬ saͤngen bekannt, jetzt aber in hoͤherem Schwunge sein gluͤckliches Talent dem Vaterlande weihend, ein vor¬ trefflicher Kopf, auch in Staatsgeschaͤften als solcher geruͤhmt. Wir riefen ihm Heil und Segen zu, und III . 3 gelobten es uns wechselweise, wer von uns die Gelegen¬ heit haben wuͤrde, ihn persoͤnlich zu sehen, solle zu ihm gehen, ihm von dieser begeisterten Stunde sagen, und ihm in unser Aller Namen fuͤr die Freude danken, die wir durch sein Gedicht empfunden. Wir nahmen uͤbrigens Abschrift von diesem, und gaben ihm unter der Hand nah und fern moͤglichste Verbreitung. Ein Kern wackrer Offiziere, die nur auf die Ge¬ legenheit warteten, um fuͤr so viel erlittene und von ihnen selbst grade am wenigsten verdiente Schmach des preußischen Namens eine ruhmvolle Vergeltung zu neh¬ men, gestaltete sich unter den Einwirkungen des Tugend¬ bundes immer fester, und in unserm Kreise konnte mir manches von diesem Streben nicht entgehen, ohne daß man mich unmittelbar aufzunehmen versuchte. Jede gute Gesinnung wurde herbeigezogen und befestigt, jeder gute Wille, jedes einst brauchbare Huͤlfsmittel sorgfaͤltig wahr¬ genommen, dabei der Gang der großen Ereignisse auf¬ merksam beobachtet, und jeder Nachtheil des Feindes begierig hervorgehoben. Dieser vereinten, von so vielen Seiten mit unzerstoͤrbarer Zuversicht und Beharrlichkeit fortgesetzten Arbeit, die in den engsten Schranken und mit den duͤrftigsten Mitteln gegen die Riesenmacht Na¬ poleon's zu wirken unternahm, diesen im Stillen ge¬ naͤhrten und geweckten Kraͤften war es doch zu danken, daß die Flamme des Vaterlandes auch in der groͤßten Verdunkelung nie ganz erlosch, und ihre vorbereiteten Stoffe in der Folge sogleich erfassen konnte. Allein diese Eingeweihten und Entschlossenen waren verhaͤltni߬ maͤßig doch immer nur eine kleine Schaar aus den Tausenden von Offizieren, die durch Zertruͤmmerung des preußischen Heeres dienstlos in die Welt versprengt waren. Die wenigen Truppen, welche Preußen nach dem Frieden von Tilsit in seinen Umstaͤnden noch be¬ halten konnte, bedurften nicht des zehnten Theils der ehemaligen Offiziere, und waren fuͤr den Augenblick sogar uͤberfuͤllt. Die große Menge mußte sich andre Auswege suchen, und es fehlte nicht an merkwuͤrdigen Beispielen, was alles aus einem preußischen Offizier werden koͤnne! Die meisten jedoch wollten oder mußten bei dem gewohnten Handwerke bleiben, und wenn auch die Schande, noch waͤhrend des Krieges ohne Abschied als Meineidige in die Reihen des Feindes uͤbergetreten zu sein, im Ganzen nur auf denjenigen ruhte, die das von dem Fuͤrsten von Ysenburg fuͤr den Dienst Napo¬ leon's aus preußischen Kriegsgefangenen errichtete Re¬ giment bilden halfen, so war doch jetzt, nach geschlosse¬ nem Frieden, der Drang allgemein, wo nicht unter feindlichen, doch unter fremden Fahnen ein Unterkommen zu suchen. Geburt und Verhaͤltnisse, seltener freie Wahl, fuͤhrten eine betraͤchtliche Anzahl in den Dienst des neu¬ gegruͤndeten Koͤnigreichs Westphalen; andre fanden An¬ stellung im Großherzogthum Berg, im Koͤnigreich Sachsen, im Herzogthum Warschau; die suͤddeutschen 3 * Staaten, welche der Rheinbund zu groͤßeren militairischen Anstrengungen noͤthigte, nahmen gern aus der preußi¬ schen Pflanzschule, wo man Zucht und Fertigkeit ein¬ heimisch wußte, die eingeuͤbten Exerziermeister und Dienstordner, deren sie bedurften. Besonders nach Baden und Wuͤrtemberg kamen in dieser Zeit manche Maͤnner, die nachher dort ein ausgezeichnetes Gluͤck gemacht. Ich wuͤßte kaum, daß damals gleicherweise ein Zug nach Oesterreich stattgefunden haͤtte, eine vererbte Abneigung lieh diesem Lande in dem preußischen Sinne noch zu viel Feindliches, das erst ein paar Jahre spaͤter sich einigermaßen versoͤhnen wollte. Wilhelm von Schuͤtz war in dieser Zeit bemuͤht, ideale Erkenntnisse in Dichtung auszubilden, und waͤhlte dafuͤr unter andern die Form des antiken Drama's, die er aber ungluͤcklicherweise nicht den urspruͤnglichen grie¬ chischen Vorbildern absah, sondern den ungenuͤgendsten Uebersetzungen, und namentlich wurde der Sophokles von Ast sein Grund- und Hauptbuch. Die harte, ver¬ renkte Sprache, den in genauer Nachahmung erstarrten Versbau, kurz alle zufaͤlligen Gebrechen dieser einzelnen Uebersetzung, nahm er sich zum Muster, und arbeitete so mit Fleiß und Sorgfalt wahre Mißgebilde aus, die zwar wegen daruͤber schwebender Ideen den Geist im Allgemeinen wohl ansprachen, und insonderheit von Fichte und Bernhardi mit großer Zaͤrtlichkeit aufgenommen wurden, auch durch viele gluͤckliche Bilder und lebens¬ reiche Ausdruͤcke aͤchten Dichtersinn bezeugten, aber doch als wahre Kunstgestalten in keiner Weise bestehen konn¬ ten. Die Tragoͤdie Niobe war schon gedruckt, und sollte, wie im Vertrauen gesagt wurde, einen Strahl der Wissenschaftslehre in sich tragen, von dem man nun erwartete, ob und wie er in den Gemuͤthern leuchten wuͤrde. Schon aber war Schuͤtz mit einer zweiten Tra¬ goͤdie dieser Art, die Graͤfin von Gleichen, weit vorge¬ ruͤckt, und sogar schon mit einer dritten beschaͤftigt, wozu Charlotte Corday die Heldin war, und das Pariser Volk den antiken Chor vorstellte. Ich hatte gleich gegen diese Richtung vieles einzuwenden, besonders auch gegen die metrische Bearbeitung und prosodische Willkuͤr. Da jedoch Schuͤtz, wenn er vom Lande auf kurze Zeit zur Stadt kam, ganz von diesen Dingen erfuͤllt, und mit dem schoͤnstem Feuer seines damals noch jugendlichen Strebens darin thaͤtig war, die Freunde zu heitrer Theil¬ nahme stimmte, und zu mannigfachen Verhandlungen, die niemals unangenehm wurden, den besten Anlaß gab, so hatten wir von seiner verfehlten Arbeit dennoch guͤn¬ stigen Eindruck und erwuͤnschten Ertrag. Seinen klei¬ neren Gedichten, Romanzen und Liedern, konnten wir dagegen groͤßtentheils unsern vollen Beifall widmen, denn obgleich er auch hier die Poesie, bisweilen als bloßes Gefaͤß eines mystischen Inhalts gebrauchen wollte, so wurde ihm doch gegen die Absicht meist freie Poesie daraus, nur konnte er sich von der Sprach¬ quaͤlerei, die ihm der Ast'sche Sophokles angethan hatte, nie ganz erholen. Der Zustand von Berlin wurde indeß taͤglich trau¬ riger, immer mehr Menschen sahen ihre Einkuͤnfte ver¬ siegen, ihre Nahrung knapper werden; die Kassen zahlten nicht, die ausgeliehenen Kapitalien brachten keine Zinsen, uͤberall sah man aͤngstliche Verlegenheit und dringende Noth. Mir kam sehr leicht der Gedanke, daß ich dieser Truͤbsal durch einen raschen Entschluß voͤllig entgehen koͤnne, daß meine Lebensplane mich eigentlich zu einer wirklichen Universitaͤt draͤngten, und daß ein andrer Ort mir in vieler Hinsicht zum Vortheil gereichen muͤßte; hiezu kam der lebhafte Wunsch, meinen hamburgischen Verhaͤltnissen naͤher zu sein, und allen diesen Betrach¬ tungen erschien die Universitaͤt Kiel, welche auch wegen ihrer medicinischen Lehrer sehr geruͤhmt wurde, am gluͤck¬ lichsten zu entsprechen. Als ich die Absicht aussprach, zum Winter dorthin zu reisen, vereinigten sich in Berlin alle Stimmen der Freunde, mir die Sache auszureden. Besonders wurde Schleiermacher ganz liebevoll, verhieß mir in kurzem eine Universitaͤt in Berlin, ruͤhmte meine bisherige Beharrlichkeit, und meinte, wir hallische Ver¬ triebene gehoͤrten doch wesentlich zusammen, und muͤßten so lange als moͤglich vereinigt bleiben. Seine freund¬ lichen Worte, die mir zugleich einen festen Anhalt neu zu eroͤffnen schienen, machten großen Eindruck auf mich, und hatten mich im Grunde gleich gewonnen, wiewohl ich noch keine Zusage ertheilen wollte. Ich behielt mir vor, die voͤllige Entscheidung erst in Hamburg zu fassen, denn dorthin waͤhrend der Ferien zu reisen, ließ ich mir nicht nehmen. Nennhausen lag von diesem Wege nicht zu sehr ab, Neumann wollte mich bis dahin auf einige Tage begleiten, waͤhrend welcher ein ihm geschehener Antrag wegen einer Erzieherstelle zum Schlusse kommen sollte, und Chamisso, der nun doch ernstlicher seine Ruͤckkehr nach Deutschland ankuͤndigte, war schon ange¬ wiesen, zur festgesetzten Zeit bei Fouqu é einzutreffen, um dann mit mir weiter nach Hamburg zu wallfahrten, wo man seiner als willkommenen Gastes schon harrte. Ehe wir uns aufmachten, kam noch unerwartet Freund Harscher von Halle, vorzuͤglich in der Absicht, seinen geliebten Adolph Muͤller noch zu sehen, bevor derselbe in groͤßere Ferne ruͤckte. Sein Erscheinen ver¬ ursachte mir die herzlichste Freude, konnte jedoch mein Vorhaben nicht stoͤren, besonders da er selbst, auch im Falle er fuͤr den Winter seinen Aufenthalt in Berlin zu nehmen sich entschloͤsse, doch vorher nach Halle auf einige Zeit zuruͤckkehren wollte, wohin auch Schleier¬ macher zu reisen gedachte, um seine Auswanderung von dort nach Berlin desto gruͤndlicher abzumachen. Auch Wolf's Tochter sollte von Halle mitkommen, und noch andre Freunde und Freundinnen suchten der nunmehr zum verhaßten, aus preußischer, hessischer, braun¬ schweigischer und hannoͤverscher Laͤnderbeute errichteten Koͤnigreiche Westphalen gehoͤrigen, und ganz verwaiseten Stadt so viel als moͤglich zu entgehen. Harscher zeigte die groͤßte Anhaͤnglichkeit an den hallischen Kreis, und erklaͤrte geradezu, daß er keine andre Heimath habe noch haben wolle, und bei Versetzung jenes Kreises nach Berlin nicht zuruͤckbleiben werde. Jedoch wurden schon damals die Spuren eines Widerstreites merkbar, in welchem er die vertraulichste Innigkeit und die ge¬ spannteste Entfernung wechseln ließ, und beide fast zu gleicher Zeit hegen konnte. Seine krankhaften Zustaͤnde stimmten ihn sehr reizbar, er machte uͤbertriebene For¬ derungen, und lauerte und rechnete argwoͤhnisch, ob und wie sie erfuͤllt wuͤrden, dann warf ihn der Mi߬ muth fast ganz auf sich selber zuruͤck, und seine Vor¬ saͤtze und Zusagen vernichteten und erneuerten sich nach den kleinsten Zufaͤllen. Es war durchaus zweifelhaft, ob er, einmal nach Halle zuruͤckgekehrt, nicht dort blei¬ ben, und anstatt den lebensmuthigen Menschen auf neue Bahn zu folgen, nicht der duͤstern, abgestorbenen Oert¬ lichkeit sich treu erweisen wuͤrde. Im Anfange des Oktobers wanderten Neumann und ich nach Nennhausen, wo wir, ungeachtet franzoͤ¬ sische Einquartierung das Schloß wie das Dorf be¬ laͤstigte, die beste Aufnahme fanden. Ich hatte bei Frau von Fouqu é in der Zwischenzeit sehr gewonnen, und sie bezeigte mir gern die dankbare Neigung, die ich mir durch streitbare Fuͤrsorge fuͤr eines ihrer Buͤcher bei ihr verdient hatte. Neumann und ich lebten mit Fouqu é im schon ge¬ wohnten Stil unsrer freundschaftlichen und litterarischen Angelegenheiten, und lebten eigentlich nur mit ihm; wenig bekuͤmmert um alles andre, was neben uns vor¬ ging. Auch fand ein wackrer Offizier und ehemaliger Kammerad Fouqu é 's, der Rittmeister von Welk sich ein, der bis zuletzt im Kriege mitgewesen, jetzt aber nach dem Frieden in Preußen kein Bleiben mehr fand, und als geborner Sachse fuͤrerst in seine Heimath bei Meißen sich zuruͤckzuziehen dachte. Als der wichtigste Gast aber, durch seine Verhaͤltnisse wie durch seine Per¬ son zur ersten Rolle berechtigt, stand der franzoͤsische Husarenoffizier vor Augen, der mit seiner Schwadron hier einquartiert lag. Er hieß Jules von Canouville, und war von altadeliger Herkunft, welches ihm nicht nur in Nennhausen, sondern auch im neuen Kaiserthum, das noch von Freiheit und Gleichheit getragen war, zu merklicher Beguͤnstigung diente; er brannte leidenschaft¬ lich fuͤr Napoleon's Sache, und setzte auf sie alle Hoff¬ nungen seines Ehrgeizes; uͤbrigens war er von kraͤftig schoͤner Jugend, ungestuͤmer Lebhaftigkeit und leichtsinni¬ gem Uebermuth. Man mußte ihm einige Ungezogen¬ heiten schon verzeihen, um so mehr, als ihm nicht zu verdenken war, daß er sich aus dieser Einoͤde in die glaͤnzende Hof- und Damenwelt von Paris wuͤnschte, und es als eine Art Ungnade bejammerte, daß man ihn, der als Ordonnanzoffizier Berthier's eigentlich die¬ sem zu folgen Anspruch hatte, so lange beim Regimente ließ, wo es nichts mehr zu thun gab; seine Sehnsucht aͤußerte sich mit einer Ungeduld, die fuͤr seine Umgebung wenig Verbindliches hatte, aber freilich in seiner Lage natuͤrlich war. Wir kamen aber leidlich genug mit ihm zurecht, und der Beziehung, daß wir Briefe aus Vertus und Saint-Menehould empfingen, und von dorther sogar einen Freund erwarteten, konnte er seine Theilnahme nicht versagen. Bernhardi's Traum, daß ich in Streit mit der franzoͤsischen Einquartierung ge¬ rathen, erfuͤllte sich nicht; aber durch diese wurden wir doch des Aufenthalts fruͤher uͤberdruͤssig, und waren herzlich froh, als endlich unser Aufbruch durch Chamisso's Ankunft sich festsetzen ließ. Der Freund brachte aus der Heimath die neuesten Nachrichten, Ansichten und Stimmungen des kaiserlichen Frankreichs mit, von denen wir indeß wenig erbaut waren, und er selbst, wiewohl von manchen Eindruͤcken lebhaft angeregt und sogar befangen, wandte willig und entschlossen dem franzoͤsischen Treiben den Ruͤcken zu, um sich ganz und ausschließlich in das Leben deutscher Dichtung und Wissenschaft zu versenken, zufrieden wenn man ihm fuͤr seine Landsleute die Verherrlichung gelten ließ, deren sie als Krieger im sieggewohnten Heere theilhaftig waren. In Fouqué, Chamisso und Canou¬ ville fanden sich die Franzosen der verschiedensten Epo¬ chen und Richtungen hier beisammen, ein R é fugi é , ein Emigrant und ein Kaisersoldat, deren gemeinsames Wesen alle Kluͤfte, welche durch Zeit und Welt zwischen sie eingeschoben lagen, noch immer leicht genug fuͤr den Augenblick uͤberschwebte. Nach kurzem Beisammensein, da die Jahreszeit taͤglich mahnender wurde, ergriffen Chamisso und ich den Wanderstab, empfingen von Fou¬ qu é und Neumann, der am naͤchsten Tage nach Ber¬ lin zuruͤckkehren wollte, noch das Geleit bis halbwege Rathenau, und erreichten mit zweien Maͤrschen Perle¬ berg und die Straße nach Hamburg, die wir, bald der Langsamkeit und des Ungemachs einer Fußreise in die¬ ser Jahreszeit und Gegend uͤberdruͤßig, mit der Post vollends zuruͤcklegten. Hamburg 1807. Die Herrschaft der Franzosen waltete auch hier mit verhaßter, unterdruͤckender Gewalt; ohne weitere Recht¬ fertigung und Anfrage, bloß weil es ihm so gefiel, hatte der franzoͤsische Kaiser sich der Hansestaͤdte be¬ maͤchtigt, hielt sie besetzt, und ließ sie durch seine Pro¬ konsuln druͤcken und aussaugen. Doch dem klugen und gewinnreichen Handelsgeiste waren die List und Gewandt¬ heit der Napoleonischen Polizei nicht gewachsen, und jener fand Beguͤnstigung, Nachsicht und Gewinntheil¬ nehmer in denen selbst, welche mit den strengen Hem¬ mungen und Bewachungen beauftragt waren. Mehr als irgend ein Vorgaͤnger und Nachfolger wurde in dieser Hinsicht der Marschall Bernadotte, Fuͤrst von Ponte-Corvo geruͤhmt und gepriesen, der gerade da¬ mals in dieser nordischen Gegend die von dem Kaiser verliehene Macht sehr mild und nachgiebig ausuͤbte, und fuͤr die Sache der bedraͤngten Stadt und der Kaufleute nicht erst, wie so manche Andre, durch Eigennutz ge¬ wonnen werden durfte, sondern ihr durch freies Wohl¬ wollen und heitere Gutmuͤthigkeit urspruͤnglich geneigt war. Was aber die Macht und den Umfang der fran¬ zoͤsischen Obergewalt diesmal hier uns zum anregend¬ sten und unerschoͤpflichen Reize bezeichnete, war die Anwesenheit spanischer Truppen. Napoleon hatte bei dem ungeheuern Bedarf und den wichtigen Ruͤcksichten seiner wechselnden Kriegszuͤge auch diese Verbuͤndeten aus der abgeschlossenen Heimath auf den Schauplatz der Ereignisse herangebracht, und Spanier fanden sich, zu ihrer eignen Verwunderung, an die Ufer der Elbe und bis zu den Kuͤsten der Ost- und Nordsee ver¬ schlagen. Gegen 20,000 Mann, unter Anfuͤhrung des Marquez de la Romana, erstreckten sich durch Holstein und Schleswig bis nach Juͤtland und auf die Inseln Fuͤhnen und Seeland hinuͤber, wo sie zum Schutze Daͤnemarks gegen die Unternehmungen der Englaͤnder dienen sollten. Das Hauptquartier aber war in Ham¬ burg, und einige Regimenter, sowohl Fußvolk als Rei¬ terei, lagen ebenfalls dort. Nichts war merkwuͤrdiger und eigenthuͤmlicher, als diese Truppen. Einige Kom¬ panien Grenadiere, welche gewoͤhnlich die Ehrenwache bei dem H ô tel des franzoͤsischen Marschalls versahen, konnten im Sinne jedes Militairs fuͤr schoͤn und praͤch¬ tig gelten. Im Ganzen aber mußte man die Vor¬ stellungen, die man sich von andern Truppenanschauun¬ gen gebildet, zum Theil fallen lassen, und die Spanier nach einem, ihnen eignen Maßstabe wuͤrdigen. Muth und Entschlossenheit leuchteten aus jedem Einzelnen kuͤhn und drohend hervor, an der Tapferkeit dieser Leute ließ ihr Anblick nicht zweifeln, und dennoch mußte man sich gestehen, daß diese Truppe sich neben Franzosen und Deutschen, oder gar gegen sie, auf dem Kriegsfelde schwerlich vortheilhaft bewaͤhren wuͤrde; denn schon auf dem Exerzierplatze gab ihre Langsamkeit und Umstaͤnd¬ lichkeit im Handhaben der Waffen, wie ihr geringes Ge¬ schick in Feldbewegungen, zu manchem Scherz und Spott Gelegenheit. Auch ihre Ordnung und Zucht, sowohl in als außer dem Dienste, schien weniger das Ergebniß einer strengen Einrichtung, als vielmehr der freiwilligen Art eines jeden, der sich bequem und laͤssig einer militaͤrischen Gewoͤhnung fuͤgte, die einmal vor¬ handen war. Und hinwieder mußte man die gravitaͤtische Wuͤrde, die stolze, selbststaͤndige Haltung, und das folgerecht durchgefuͤhrte strenge Benehmen staunend be¬ wundern, wodurch dieses Militair sogar die spoͤttischen Franzosen und die pedantischen Deutschen zu ehrender Hochachtung noͤthigte. Gewiß ist es, daß die gemeinen Spanier, einzeln oder geschaart, bei seltsamer und oft mangelhafter Ausruͤstung und Bekleidung, immer den gleichmaͤßigen Eindruck von vornehmen Leuten machten, sie schienen Alle von Adel, auch im niedrigsten Zustande sich bewußt, der besten Verhaͤltnisse werth und faͤhig zu sein. Wirklich ertrugen sie mit großem Anstand und vollkommener Fassung das tiefe Mißgeschick, in welchem sie sich befangen fuͤhlten, denn sie verhehlten es nicht, daß es ihnen eine Schmach sei, nach der Laune eines fremden Herrschers, den sie haßten, wie sie seine Nation verachteten, so in der Welt umherzuziehen, und ihre Unterwuͤrfigkeit zur Schau zu tragen. Mit hohem An¬ theil sahen wir diese edlen suͤdlichen Naturen voll Ernst und Feuer, von denen fruͤher nur vereinzelte Beispiele uns genuͤgen mußten, jetzt in solcher Vielheit und Masse als eine wandelnde Poesie vor unsern Augen, mit Entzuͤcken horchten wir den Klaͤngen der herrlichen Sprache, die auf den Straßen von allen Seiten uns zutoͤnte, und nicht selten die gemeinste Oertlichkeit durch Guitarrenspiel und Gesang veredelten, die unsrer berausch¬ ten Einbildungskraft in dieser Art nur in Granada und Sevilla moͤglich geschienen hatten. Der romantische Zauber dieses spanischen Lebens wirkte nicht auf uns allein, auch die Franzosen empfanden ihn, und wichen gleichsam staunend und betroffen vor ihm zuruͤck, der roheste Hamburger sprach ihn durch Wort und That aus. Die Theilnahme und Vorliebe fuͤr die Spanier, die Achtung und Verehrung fuͤr ihre Nationalitaͤt, die Sorgen und Wuͤnsche fuͤr ihr Wohlergehn, waren all¬ gemein, und in dem erzprotestantischen Hamburg wurden diesmal sogar die haͤufigen Zeugnisse eines strengkatholischen Kirchendienstes, der sich mit dem militairischen Dienste verflochten hatte, weder angefeindet noch verspottet. Wirklich aber betrugen sich diese Fremden auch hoͤchst musterhaft, und ganz im Gegensatz der Franzosen. Stolz, maͤßig, ehrbar, schien auch der gemeine Sol¬ dat nur dahin zu streben, seinem Wirthe so wenig als moͤglich zur Last zu fallen. Groͤßere Unordnungen fielen beinahe gar nicht vor, leidenschaftliche Aufwallungen wurden durch ein ehrendes Wort leicht in Guͤte beige¬ legt. Musik und Gesang waren in jedem Hause will¬ kommenes Vergnuͤgen. Wo naͤhere Verstaͤndigung ein¬ trat, fand sogleich ein politisches Vertrauen Nahrung, man erkannte sich als gleichgesinnt und verbuͤndet im Hasse gegen die Franzosen. War die Gelegenheit guͤnstig fuͤr noch engere Vertraulichkeit, so wurden auch dann die erwuͤnschtesten Eigenschaften nicht ver¬ mißt, und die stille Gluth und der feste Eifer des Spa¬ niers trug uͤber die einnehmende Leichtfertigkeit des Franzosen meist den Sieg davon. Man sah nicht wenige Gestalten und Gesichter von vollkommener maͤnnlicher Schoͤnheit. Unter den Offizieren fanden sich Maͤnner von groͤßter Auszeichnung des Betragens, und der Marquez de la Romana, welcher im Buchladen von Perthes bei dem ersten Besuch eine Auswahl griechischer und roͤmischer Autoren eifrig angekauft hatte, vereinigte mit der feinsten Weltbildung und edelsten Herzensguͤte sogar eine seltene Gelehrsamkeit. Doktor Veit, Perthes, von Reinhold und sein Freund Doktor Georg Kerner bezeigten uns die freundlichste Zuvorkommenheit, und gaben uns wirksamen persoͤnli¬ chen Eindruck, dem wir gern folgten. Die liebevollste Beeiferung aber hatte fuͤr uns der wackre Gurlitt, der uns auch nicht erließ, eine feierliche Mahlzeit bei ihm einzunehmen, und uns auf gut hamburgisch durch eine zahlreiche und ausgedehnte Gasterei ehren wollte. Zur groͤßern Freiheit fuͤr Zeit und Stimmung hatte er den Abend gewaͤhlt, und uͤber zwanzig Personen fanden sich nach und nach ein, brave Maͤnner vom Schulfach, einige Prediger, Aerzte, auch vom Kaufmannsstande ein paar Mitglieder, und nachbarliche Beamte oder Gutsbesitzer aus Holstein; die behaglichste Einrichtung und die geschmackvollste Bewirthung wetteiferten mit einander, und nachdem man sich als gleichgestimmt oder sinnverwandt leicht erkannt hatte, loͤste das Gespraͤch sich aller Fesseln, und nahm die freieste Wendung, ohne je aufzuhoͤren gehaltvoll zu sein. Die Gelehrsamkeit bot aus ihren unerschoͤpflichen Schaͤtzen die feinsten Zuͤge, die witzigsten Anspielungen dar, man erfuhr die bedeutendsten Sachen mit der alten Welt, das lebendige Interesse der neuen aber draͤngte sich immer dazwischen, und ließ keine Pedanterie aufkommen. Gurlitt und der alte Biesterfeld freuten sich an mir als ihrem ehe¬ maligen Schuͤler und der von ihnen ausgegangenen, wohlgelungenen Wirkung. Besonderes Interesse und Gefallen aber hatte Gurlitt an Chamisso's Deutschheit, uͤber deren Grund und Art er in steter Verwunderung blieb, und dessen frische Nachrichten aus Frankreich und eigenthuͤmliche politische Ansicht einen außerordentlichen Reiz fuͤr diese Maͤnner hatte, welche nur gar zu sehr fuͤhlten, daß auch dem geistigen Grund ihres Lebens, dem innern Wesen ihrer Thaͤtigkeit, so gut wie der aͤußern Gestalt ihres Buͤrgerthums, mit jedem Tage bedenklicher die Eingriffe der fremden Herrschergewalt nahten. Daß dieser Franzose den Aeußerungen in Be¬ treff des Kaiser Napoleon keine Ruͤcksicht auferlege, wagte man nicht sogleich vorauszusetzen, sondern ver¬ suchte sich anfangs in allerlei Wendungen, bis man mit frohem Staunen gewahr wurde, man koͤnne mit gutem Vertrauen darin weiter und weiter gehen. Da¬ mit in dieser Hinsicht gar kein Zweifel mehr bliebe, mußte Chamisso selber mich auffordern, die Ode von Staͤgemann vorzulesen, worin der Untergang der Napo¬ leonischen Macht durch Preußen und Rußland geweissaget worden, und die ich in feiner Abschrift bei mir fuͤhrte. Der Eindruck war unbeschreiblich, man bewunderte und III . 4 jauchzte, und trank in den besten Weinen wiederholt die Gesundheit des kuͤhnen Dichters. Chamisso seiner¬ seits fing dann auch eigne Gedichte zu deklamiren an, und nun sollte er umstaͤndlich sagen, wie er zu seinen deutschen Studien gelangt und durch welche Huͤlfsmit¬ tel er darin fortgeschritten sei. Man nahm an seinen Lebensgeschicken, an seiner Person und Eigenart den lebhaftesten Antheil, und Gurlitt insbesondere schien von fuͤrsorglichen Gesinnungen erfuͤllt und bewegt. Waͤh¬ rend er nun mit Zaͤrtlichkeit dem eben so lieben als außerordentlichen Gaste horchte und zusprach, war dieser in das Hersagen von Versen schon verfangen, und zwischen die Antworten, die er zu geben hatte, flocht er gelegentlich die allbekannten Worte ein: „Habe nun ach! Philosophie, Juristerei und Medicin, Und leider auch Theologie Durchaus studirt mit heißem Bemuͤhn.“ Mit steigendem Pathos vorgetragen machte dies gute Wirkung, und das Gedaͤchtniß haͤtte ihn gewiß noch eine weite Strecke so fortfahren lassen, als der liebe Gurlitt, in seinen Alten so trefflich zu Hause, und auch in den Neuern sonst belesen genug, nur gerade mit dem unkorrekten Neusten nicht vertraut, die ganze Tirade fuͤr ein persoͤnliches Bekenntniß aufnehmend, verwundert und antheilvoll mit fast gleichem Pathos, indem er sich mit erhobenen Armen hinuͤberneigte, den Deklamator eilig anrief: „O was! das haben Sie ..?“ und ihm damit ploͤtzlich den Strom der Rede im offnen Munde stocken machte. Eine allgemeine Stille trat auf einen Augenblick ein, Chamisso war wirklich aus aller Fassung und sah bald Gurlitt, bald mich an, sein Lachen kaum hinunterwuͤrgend, und ich selbst hatte alle Muͤhe, mit guter Art zuerst den lieben Alten zu be¬ deuten, jene Worte seien der Anfang von Goethe's Faust, und worauf ich sie einige Zeilen weiter fuͤhrte, da es ja schiene, so sagte ich, als lasse das Gedaͤchtniß meines Freundes ihn im Stich. So hatte der grund¬ gelehrte Mann zuletzt noch eine zwar sehr verzeihliche Unwissenheit bloßgeben muͤssen, die ihm aber doch em¬ pfindlich blieb, wiewohl bei weitem nicht in dem Maße, als wenn seine Mißkennung irgend einen Spruch aus dem Horaz oder Virgil betroffen haͤtte! Wir haben des reichbelebten, bis tief in die Nacht hinein fortge¬ setzten Gastmahls seitdem noch oft mit frohem und dankbarem Sinne gedacht, und uns dabei immer des drolligen Vorganges gern erinnert, der unsrer Ver¬ ehrung und Zuneigung fuͤr den wuͤrdigen und theuern Lehrer nicht im geringsten schaden konnte. Der Aufenthalt in Hamburg hatte mich im Ganzen wohlthaͤtig erquickt und gestaͤrkt, meinen Muth und meine Vorsaͤtze befestigt, und mir wurde in der heitern Gemuͤthsstimmung der heranruͤckende Abschied minder schmerzlich. Wir fuhren unter Freuden- und Segens¬ 4 * wuͤnschen ab, huͤllten uns gegen das einbrechende Win¬ terwetter in unsre guten Maͤntel, und harrten die lang¬ same Postreise, die uns nach Berlin zuruͤckfuͤhrte, ge¬ duldig aus. Ueberall wo wir durchkamen, sahen wir franzoͤsische Truppen und Verwaltungen zum Ueber¬ wintern in das bedruͤckte Land ausgetheilt; ein trauriger Anblick, der dadurch nicht besser wurde, daß auch die Franzosen dieses Loos ihrerseits gar nicht beneidenswerth fanden, wie uns die Resignirtesten noch im vergeblichen Grimm eifrig betheuerten. Berlin . Eine neue Lebensreihe begann, und fuͤr mich ganz ungewoͤhnlich unter eigenthuͤmlichem Unbehagen, da bisher fast immer bei jedem Abschnitte frohe Stimmung und guͤnstiges Ereigniß mich getragen hatten. Auch half es nichts, daß ich jenes Gefuͤhl mir verlaͤugnen, seine Wirkung durch Fleiß und Geistesmacht aufheben wollte, von allen Seiten haͤufte sich mir eine besondre Widrigkeit, die denn auch nur allzu schnell in mancher¬ lei Mißhelligkeiten sich entladete. Vieles davon lag allerdings in meiner Gemuͤthsart, deren Anlage und Triebe sich in voller Freiheit bewegen durften, anderes aber in meinen Verhaͤltnissen, welche aus Ueberreifem und Unreifem zusammengesetzt, außer allem Gleichge¬ wichte schwankten, und indem sie dieses suchten, bald nach oben bald nach unten uͤbermaͤßig anschlugen. Das Meiste jedoch muß ich dem allgemeinen Zustande an¬ rechnen, der unwiderstehlich den Einzelnen ergriff, wie er die Gesammtheit ergriffen hatte; wohin man blickte, sah man Stoͤrung, Zerrissenheit, nach allen Richtungen nur ungewisse Zukunft, den politischen Kraͤften wider¬ strebten vergebens die geselligen und geistigen, sie mu߬ ten es fuͤhlen, daß der buͤrgerliche Boden, der sie trug, erschuͤttert war. Daß die Universitaͤt Halle niederge¬ worfen blieb, war vielleicht fuͤr keinen Menschen ein so großer Verlust, als eben fuͤr mich; dort haͤtte sich mir in geordneter maßvoller Lebenshaltung und richtig umschraͤnkter Bahn alles vereint, dessen ich bedurfte, und das ich nun in dem großen Weltwirrniß mit weit¬ greifenden und eifrig geschaͤftigen Muͤhen doch nur ver¬ gebens wieder zusammenzufassen trachtete. Denn auch fuͤr die Wissenschaften fehlte jede Einheit und Zusam¬ menstimmung, sie boten sich keiner Uebersicht mehr dar in nothwendig erachteten und doch der Auswahl frei¬ gestellten Lehrgaͤngen, die Lehrer bildeten keine Gruppen mehr, noch weniger die Schuͤler; jeder ging nach Zu¬ fall dem augenblicklichen Gewinne nach, wie der Tag ihn geben wollte. Denn, wie locker auch das Band sein mag, welches die verschiedenartigsten, einander entlegensten Disciplinen, und, in den gleichartigen oder einander naheliegenden, die selten befreundeten und ein¬ stimmigen Lehrer auf unsern Universitaͤten zu verbin¬ den pflegt, so gewaͤhrt doch schon der Rahmen, der alles dieses, wenn auch scheinbar willkuͤrlich und gewalt¬ sam, gleich dem eines Landschaftsbildes, zusammenhaͤlt, einen sichern und beruhigenden Abschluß. Hierin helfen die Mitstudirenden ebenso, und in vielen Faͤllen mehr noch, als die Lehrer, und der Blick auf deren Zahl und Kraft ist dem Studenten nicht weniger belebend und ermuthigend bei seinen Anlaͤufen, als dem Solda¬ ten, der zum Sturme vorschreitet, das Anschauen der Schaaren, die unter namhaften Fuͤhrern zu gleichem Werke vorangehen oder nachfolgen. Aber mir fehlte in diesem Zeitraume durchaus jedes Vorbild, welchem ich haͤtte nachstreben, das mir haͤtte ein Beispiel sein koͤn¬ nen. Die tiefe, erst heimliche, dann mehr und mehr sich offenbarende Verstimmung und Unlust, welche die Folge aller dieser Zustaͤnde war, wurde nur allzu schnell ein mitwirkender Theil derselben, und half sie in dem gegebenen Kreise noch mehr hervorbringen. Ich sah Fichte'n bisweilen, ich sah Wolf, und hielt mit Bernhardi und mit Wilhelm von Schuͤtz fleißige Gemeinschaft. Des letztern Trauerspiel, der Graf und die Graͤfin von Gleichen, mir vom Entstehen her durch fortruͤckende Mittheilung schon vertraut, war jetzt im Druck erschienen, und gab mir zu mancherlei, dem Autor nicht willkommenen Aeußerungen Anlaß, die ich, um sie gegen lebhaften Einspruch besser zu vertheidigen, schriftlich zusammenfaßte, woraus die nachher in der Jenaischen Litteraturzeitung abgedruckte Recension wurde, welche Bernhardi, der als Mitarbeiter oft um Beitraͤge gemahnt wurde, dorthin abschickte und mit Huͤlfe einer aufdringlichen Taͤuschung einschwaͤrzte, indem er die Buch¬ staben rnha zur Bezeichnung waͤhlte, welche der Redaktion als der Kern seines Namens unbedenklich einleuchteten, waͤhrend sie doch eben so, was den grammatischen Gruͤbeleien dieses auch gar gern spielenden Sprachgeistes nicht entgangen war, den Kern meines Namens bilde¬ ten, den sie diesmal auch allein zu bedeuten hatten, welchen aber, als den eines Fremden und Unaufgefor¬ derten, niemand rathen konnte. Die Redaktion war in der Folge, als sich der kleine Streich entdeckte, sehr ungehalten gegen Bernhardi, und fand seine Ausrede unzulaͤnglich, mir aber verschloß sie mit der mißbrauch¬ ten Hinterthuͤre nun auch das Hauptthor um desto sorgsamer. So hatte weder Schuͤtz, dem ich drastisches Talent absprach und nur lyrisches Wesen in diesen an¬ geblich dramatischen Formen zugestand, noch ich selbst, der sich jener kritischen Anstalt schlecht empfohlen hatte, und am wenigsten Bernhardi, dessen Verbindung dort seitdem voͤllig aufhoͤrte, von diesem Versuche viel Ver¬ gnuͤgen, und sogar das Honorar fuͤr die wenigen Blaͤt¬ ter sollte in der Aufrechnung einiger Ruͤckstaͤnde durch die bloße Ziffer verzehrt werden! An sonstigen kriti¬ schen Aufsaͤtzen, z. B. uͤber den Simplicissimus, an Ge¬ dichten, Uebersetzungen aus dem Griechischen, Entwuͤr¬ fen und Bruchstuͤcken zu groͤßeren Arbeiten, bracht' ich in dieser Zeit zu Papier, was mir nicht bewahrt ge¬ blieben ist. Heiterer und kraͤftiger ließ unser Treiben sich an, als im December Schleiermacher mit seiner Schwester und der Tochter Wolf's von Halle zuruͤckkehrte, um nun, moͤge es werden wie es wolle, sich ganz in Berlin festzusetzen. Im Januar 1808 folgte auch Harscher end¬ lich nach, begleitet von Wilhelm von Willisen, einem neuen Freunde, den er in Briefen schon genannt hatte. Fichte begann im December seine Vortraͤge, und ich verfehlte nicht, ihnen beizuwohnen, die in dem run¬ den Saale des Akademiegebaͤudes vor einer zahlreichen Versammlung von Herren und Frauen gehalten wurden. Der treffliche Mann sprach mit kraͤftiger Begeisterung dem gebeugten und irr gewordenen Vaterlandssinne Muth und Vertrauen zu, schilderte ihm die Groͤße der Vorzuͤge, die sich der Deutsche durch Unachtsamkeit und Entartung habe rauben lassen, die er aber gleichwohl jeden Augenblick als sein unveraͤußerliches Eigenthum wieder ergreifen koͤnne, ja solle und muͤsse, und wies dafuͤr als das wahre, einzige und unfehlbare Huͤlfsmittel eine von Grund aus neu zu gestaltende und folgerecht durchzu¬ fuͤhrende Volkserziehung an. Sein strenger Geist ging auf vollstaͤndige Umschaffung unsrer Zustaͤnde aus, wo¬ bei er nichts weiter verlangte, als daß uͤberall das Wesentliche im Sittlichen wie im Geistigen gefoͤrdert und ausgebildet, das Scheinsame und Hohle dagegen aufgegeben und seinem eignen Absterben uͤberlassen wuͤrde, dann, meinte er, werde sich ohne gewaltsame Umkehr, durch bloße Entwicklung, aus dem Vorhandenen und Bestehenden die ganze Kraft und Herrlichkeit, deren die Nation seufzend entbehre, unmerklich und unver¬ hinderlich von selbst hervorbilden. Dabei war er billig genug, seiner sonstigen Art entgegen, welche sogleich alles oder nichts gegen einander stellte, auch jeden ge¬ ringsten Keim des neuen Lebens, jeden theilweisen noch so kleinen Anfang der gebotenen Entwicklung dankbar aufzunehmen und schon mit solchem fuͤrerst begnuͤgt sein zu wollen. Sein geistig bedeutendes, mit aller Kraft der innigsten und redlichsten Ueberzeugung maͤchtig aus¬ gesprochenes Wort wirkte besonders auch durch den außer¬ ordentlichen Muth, mit welchem ein deutscher Professor im Angesicht der franzoͤsischen Kriegsgewalt, deren Gegenwart durch die Trommeln vorbeiziehender Truppen mehrmals dem Vortrag unmittelbar hemmend und auf¬ dringlich mahnend wurde, die von dem Feinde umge¬ worfene und niedergehaltene Fahne deutschen Volksthums aufpflanzte, und ein Prinzip verkuͤndigte, welches in seiner Entfaltung den fremden Gewalthabern den Sieg wieder entreißen und ihre Macht vernichten sollte. Der Gedanke an das Schicksal des Buchhaͤndles Palm war noch ganz lebendig, und machte manches Herz fuͤr den unerschrockenen Mann zittern, dessen Freiheit und Leben an jedem seiner Worte wie an einem Faden hing, und der durch die von vielen Seiten an ihn gelangenden Warnungen, durch die Bedenklichkeiten der preußischen Unterbehoͤrden, welche Verdruß und Schaden fuͤr sich von den Franzosen befuͤrchteten, so wenig wie selbst durch den Anblick eingedrungener franzoͤsischer Besucher, sich in dem begonnenen Werke stoͤren ließ. Man konnte sie nicht ohne Ergriffensein und Begeisterung anhoͤren, diese Reden, welche mit Recht uͤber den Kreis der un¬ mittelbaren Zuhoͤrerschaft hinaus sich als Reden an die deutsche Nation erklaͤrten, als solche weit und tief ge¬ wirkt und seitdem stets als eine der fruͤhesten und staͤrk¬ sten Erregungen der volksthuͤmlichen Anspruͤche und Betriebe in Deutschland gegolten haben. Merkwuͤrdig ist es, daß dieses Werk bei seiner bedeutenden Verbrei¬ tung und Wirksamkeit dennoch seinen unmittelbaren Ab¬ sichten und Vorschlaͤgen keinen Eingang gewonnen bat; nirgends ist auch nur ein Versuch gemacht worden, solche Volkserziehung einzufuͤhren, und wenn einige Schuͤler Fichte's spaͤterhin eine Erziehungsanstalt in seinem Sinne zu gruͤnden suchten, so hat dieselbe doch gar bald, in¬ dem sie sich den gewoͤhnlichen Anforderungen des Tages mehr und mehr bequemte, die besondern Eigenthuͤmlich¬ keiten, worin sie dem Geiste des verehrten Meisters zu huldigen glaubte, wieder abstreifen muͤssen. Von meinen naͤhern Freunden hoͤrten nur Bernhardi und Schuͤtz diese Vorlesungen; die andern hielten sich davon zuruͤck. Daß Harscher, der Fichte'n noch gar nicht gehoͤrt und gesehen hatte, diese Gelegenheit ungenutzt voruͤbergehen ließ, war unverzeihlich; aber Schleiermacher wirkte dabei wenigstens mittelbar ein, er zeigte bei jedem Anlasse nur Abneigung gegen Fichte, spoͤttelte gern uͤber dessen Beginnen, und es reizte ihn weniges so auf, als wenn man Fichte's Geist und Richtung anruͤhmte. Unter den Zuhoͤrern fand sich Ludwig Robert, mit dem ich die fast abgebrochene Bekanntschaft erneuerte, auch seine Schwester Rahel sah ich mit ihm regelmaͤßig eintreffen, und ich widmete ihrer anziehenden Erscheinung die leb¬ hafteste Aufmerksamkeit, wobei doch ein so nah und leicht unter solchen Umstaͤnden sich ereignendes Anknuͤpfen des Gespraͤchs diesmal durch Eigensinn des Zufalls unter¬ bleiben sollte. Ich hoͤrte die Vorlesungen Schleiermacher's uͤber Ethik mit großem Eifer, fand aber nicht die Befriedi¬ gung, die ich, besonders nach Harscher's Anpreisungen, der in diesen mehr sinnreichen als tiefen Schematen lebte und webte, und mit ihnen uͤberall herumleuchtete, hatte erwarten duͤrfen. Das Nachschreiben, womit ich mich quaͤlte, ermuͤdete mich vollends, ich gab dieses sehr bald, und allmaͤhlig auch selber die Vorlesungen auf, welches mir freilich in dem ganzen Kreise nicht zur Empfehlung gereichte. Ueberhaupt regte sich in dieser Zeit zwischen uns viel Absonderndes und Entzweiendes. Eine ziemlich gleichartige, in Zahl der Personen nicht allzu beschraͤnkte und doch gewissermaßen abgeschlossene Gesellschaft bildet alsbald ein Gemeingut von Urtheilen, Empfindungsweisen, Formen und Scherzen des Umgangs, woraus jeder seinen taͤglichen Bedarf ohne Anstrengung nehmen und mit fast unfehlbarem Erfolge verbrauchen kann. Dieses Kotteriewesen, welches so bequem, aber auch so gefaͤhrlich ist, weil es den Geist des Einzelnen fast entbehrlich macht, die Eigenthuͤmlichkeit aufloͤst, und die Stelle nicht einmal, wie doch das Leben in der großen vornehmen Welt noch thut, wenigstens leer laͤßt, sondern sogleich mit Geringem auszufuͤllen sucht, dieser beschleichende Anhauch wurde uns durch Frische der Studien, durch unruhige Jugendkraft, und selbst durch den allgemein ausgebreiteten Ernst der Weltverhaͤltnisse groͤßtentheils abgewehrt; einiges aber quoll dennoch wie durch Ritzen und Spalten in unsrer Mitte hervor, und bethoͤrte uns zu ernstlich-thuendem Spiel. Dieses streifte nahe an heftiger Entzweiung hin, denn wir hielten eifersuͤchtig darauf, jede Zumuthung, die den Schein einer Autoritaͤt haben konnte, schnoͤde zuruͤckzuweisen. So zerstoͤrten wir das Kotterieartige wieder, indem wir es bildeten, und Schleiermacher, der von jeher einen großen Hang gehabt, in unergiebigen Gewohnheits¬ uͤbungen sich bequem zu ergehen, fand sich in seinem Behagen durch uns oft mißmuthig aufgestoͤrt. Doch zu guter Letzt, ehe sie voͤllig verschwand, erhob sich noch Einmal seine ganze Freundlichkeit und Heiterkeit gegen mich, indem er aus seiner Weise fast in die meinige uͤberging, und die Bluͤthe dieser Stimmung mußte so¬ gar ein Gedicht an mich sein! Da ein Gedicht von Schleiermacher an mich jedenfalls etwas Phaͤnomenhaftes ist, so muß ich diese Zeilen hier wohl mittheilen. Der Anlaß war folgender: Ich hatte scherzend erklaͤrt, ich wuͤrde fuͤr die jungen Damen nichts mehr ausschneiden, wenn sie nicht meine Bildchen durch Gegengeschenke erwiederten, wozu sie durch allerlei kleine Handarbeiten leicht Rath finden koͤnnten. Die Forderung galt fuͤr hoͤchst anmassend, und sollte durch einen empfindlichen Streich geruͤgt werden, wobei Schleiermacher die Worte zu liefern uͤbernahm. Sie geriethen ihm aber ganz uͤber Erwartung angenehm und schmeichelhaft. Ich empfing naͤmlich an meinem naͤchsten Geburtstage von unbekannter Hand ein Kaͤstchen, bei dessen Eroͤffnung mir zuerst ein Blatt Papier in's Auge fiel, zierlich beschrieben, Verse, die also lauteten: An Varnhagen . Zum 21. Februar 1808. Dichter lassen gern sich schenken, Freun sich schoͤner Angedenken, Wollen ausgezeichnet sein; Drum empfange heut die Gaben, Welche wir bereitet haben, Freundlich so gedenkend dein. Du verachtest nicht das Kleine, Liebst vielmehr das Zierlichfeine, Drum ist klein, was wir gesandt: — Handschuh erst, daß sie nicht leidet, Die so sauber mahlt und schneidet, Deine kunsterfahrne Hand. Deine Stimme zart und suͤße, Daß nicht fuͤr den Kopf sie buͤße, Sieh ein Muͤtzchen warm und schoͤn! Waͤrmend wird's auch dazu dienen, Wenn die Muse dir erschienen, Die Begeiftrung zu erhoͤhn. Auch ein Jaͤckchen zu der Muͤtze! Glaube nur, es ist dir nuͤtze Bei den Abendstreiferein. Heb' es auf fuͤr schlimmre Tage, Moͤg' es von der Krankheit Plage, Heilend dich sodann befrein! Dichter sind ja arme Teufel, Darum ist wohl sonder Zweifel Dir die Boͤrse groß genug. — Um den Dank dir zu ersparen, Sollst du nimmermehr erfahren, Wer gespielt dir den Betrug. — Die hier benannten Sachen lagen in der That alle zierlich gearbeitet vor Augen, doch uͤberaus klein, zu keinerlei Gebrauch. Die Quelle dieses Muthwills konnte mir nicht zweifelhaft sein, die Geberinnen verrieth ihr Lachen, als ich von meinen empfangenen Geschenken erzaͤhlte, und ganz ernsthaft hinzufuͤgte, ich sei schon damit bekleidet; die List in Tieck's blondem Eckbert half hier gluͤcklich; daß aber Schleiermacher zu dem Scherze mitgewirkt und so huͤbsche Verse dazu gemacht hatte, war denn doch ein auffallendes Zeugniß seiner mir freund¬ lichen Gesinnung, die sich nur unter zufaͤlligen kleinen Bitterkeiten bisher versteckt zu haben schien. Wirklich stellte sich auf einige Zeit ein besonders von seiner Seite zuvorkommenderes Vernehmen ein. Doch kam es zu keiner eigentlichen Erklaͤrung, und die Annaͤherung hoͤrte im Gedraͤnge der Tageswogen bald wieder auf. Auch behielt der Schlußvers jenes Gedichts in so fern Recht, als die Urheberschaft nie ausdruͤcklich eingestanden wurde, wiewohl der Augenschein deutlich genug sprach, und auch das Gedicht noch heutiges Tages seinen Vater nicht verlaͤugnen kann, weßhalb auch seine Aufbewahrung hier um so guͤnstiger verziehen sein mag, da stets merkwuͤrdig bleibt, zu sehen, was ein solcher Mann auf dergleichen verstohlenen Nebenwegen bisweilen gluͤcklich erzielt! — (Hier waͤre, der Zeitfolge gemaͤß, der Abschnitt „Rahel, 1807 “ anzuschließen, der aber schon im zweiten Bande abgedruckt steht.) B esuch bei J ean P aul F riedrich R ichter. B aireuth, Sonntag den 23. Oktober 1808. Heute Vormittag ging ich zu Jean Paul. Harscher war ver¬ stimmt, und wollte durchaus nicht mitgehen, ich glaube, es verdroß ihn zu sehr, seine aͤußeren Anspruͤche gegen seine inneren so weit zuruͤckstehen zu finden, und einen Mann, mit dem er sich geistig auf gleicher Linie fuͤhlte, nur als unscheinbarer Student zu begruͤßen, dessen innrer Werth zufaͤllig noch zu keiner Namhaftigkeit ausgepraͤgt worden. Denn von Jean Paul eingenommen und be¬ zaubert ist er mehr noch als ich, und seinen Wunsch, den Mann wie er leibt und lebt zu sehen, hatte er bisher oft und lebhaft ausgesprochen. Ich bin auch nur ein unscheinbarer Student, aber das ist mir eben recht, und so ging ich getrost hin! Eine angenehme, freund¬ lich neugierige Frau, die mir die Thuͤr oͤffnete, erkannt' ich sogleich als Jean Pauls Gattin an der Aehnlichkeit mit ihrer Schwester. Ein Kind wurde geschickt, den Vater zu rufen. Er kam bald; war auf meinen Besuch durch Briefe aus Berlin und Leipzig schon vorbereitet, und empfing mich sehr liebreich. Als er sich neben mir auf das Sopha niedersetzte, haͤtte ich ihm beinah in's Gesicht gelacht, denn indem er sich etwas buͤckte, sah er genau so aus, wie ihn unser Neumann in den „Ver¬ suchen und Hindernissen“ scherzhaft beschrieben hat, und wie und was er sprach, verstaͤrkte den Eindruck in der¬ selben Weise. Jean Paul ist wohlbeleibt, hat ein volles, gutgeordnetes Gesicht, kleine, feuervoll spruͤhende und dann wieder gutmuͤthig matte Augen, einen freundlichen, auch im Schweigen leise bewegten Mund. Seine Sprache ist schnell, fast eilig, und daher bisweilen etwas stol¬ pernd, nicht ohne einigen Dialekt, der mir schwer zu bezeichnen waͤre, aber ein Gemisch von fraͤnkischem und saͤchsischem sein mag, natuͤrlich doch ganz in der Gewalt der Schriftsprache festgehalten. Ich mußte ihm zuvoͤrderst alles erzaͤhlen, was ich von seinen Berliner Bekannten irgend wußte oder gar zu bestellen hatte. Gern dachte er der Zeit, da er in Berlin als Nachbar von Markus Herz in dem Leder'¬ schen Hause gewohnt, wo ich vor sieben Jahren im Garten an der Spree ihn zuerst gesehen, mit Blaͤttern in der Hand, die man mir als zum „Hesperus“ ge¬ hoͤrig insgeheim bezeichnete. Dies Persoͤnliche, und manches Litterarische, das sich damit verflechten mußte, regte ihn außerordentlich an, und er hatte bald mehr zu sagen, als zu vernehmen. Seine Rede war durch¬ III. 5 aus liebenswuͤrdig und gutmuͤthig, immer gehaltvoll, aber in ganz schlichtem Ton und Ausdruck. Wiewohl ich es schon wußte, daß sein Witz und Humor nur seiner Schreibfeder angehoͤren, und er nicht leicht ein Zettel¬ chen schreibt, ohne daß jene mit einfließen, dagegen sein muͤndlicher Ausdruck selten etwas davon verraͤth, so fiel es mir doch sehr auf, bei dieser bestaͤndigen inneren Be¬ wegung, in der ich ihn sah, und bei dieser Lebhaftigkeit, der er sich uͤberließ, von Witz und Humor keine Spur zu sehen. Sein uͤbriges Betragen glich seinem Sprechen; nichts Vornehmes, nichts Gespanntes, nichts Absicht¬ liches, nichts, was uͤber das Buͤrgerliche hinausginge; seine Hoͤflichkeit war die groͤßte Guͤte, seine Haltung und Art hausvaͤterlich, fuͤr den Fremden gern ruͤcksichts¬ voll, aber fuͤr sich selber dabei moͤglichst ungezwungen. Auch der Eifer, in welchen der Reiz des Besprochenen ihn oͤfters brachte, veraͤnderte doch jene Grundstimmung niemals, nirgends trat Schaͤrfe hervor, nirgend ein Vorstellenwollen, nirgends lauerndes Beobachten und Spaͤhen, uͤberall Milde, uͤberall freies Walten seiner nicht scharfumgraͤnzten Natur, uͤberall offne Bahn fuͤr ihn, und hundert Uebergaͤnge aus einer in die andere, mit voͤllig unbekuͤmmertem Darstellen seiner selbst. Erst lobte er alles, was von neuern Erscheinungen zur Sprache kam, und wenn wir dann etwas naͤher in die Sache kamen, war dann alsbald doch Tadel die Huͤlle und die Fuͤlle. So uͤber Adam Muͤllers Vorlesungen, uͤber Friedrich Schlegel, uͤber Tieck, und Andere. Er meinte, die deutschen Schriftsteller muͤßten sich immer nur an das Volk, nicht an die vornehmen Staͤnde halten, wo schon alles verdorben und verloren sei; und hatte doch eben Adam Muͤllern geruͤhmt, daß der es verstehe, ein gruͤndliches Wort an gebildete Weltleute zu bringen. Er ist uͤberzeugt, daß aus dem Aufschlusse der indischen Welt fuͤr uns nichts zu gewinnen sei, als zu den vielen Dichtungsgaͤrten, die wir schon haben, noch einer mehr, aber keine Ausbeute von Ideen; und doch lobte er einige Minuten vorher Friedrich Schlegels Bemuͤhungen mit dem Sanskrit, als muͤsse ein neues Heil daraus her¬ vorgehen. Er hatte es nicht hehl, daß ein rechter Christ ihm jetzt nur als ein protestantischer denkbar sei, daß ihm eine wahre Verkehrtheit duͤnke, wenn ein Protestant jetzt katholisch werde, und mit dieser Ansicht hatte sich kurz vorher doch die groͤßte Hoffnung vertragen, daß der katholische Geist in Friedrich Schlegel mit dem in¬ dischen vereint viel Gutes wirken werde! Von Schleier¬ macher sprach er achtungsvoll, meinte aber doch, seinen Platon koͤnne er nicht recht genießen, und in Jacobi's und Herder's Seelenschwunge glaubte er viel mehr von jenem goͤttlichen alten Weisen zu spuͤren, als in allem gelehrten Scharfsinne Schleiermachers, was ich freilich nicht ohne starken Widerspruch durchlassen wollte. Fichte, von dessen Reden an die deutsche Nation, gehalten in Berlin unter dem Geraͤusch franzoͤsischer Trommeln, ich 5 * ihm viel erzaͤhlte, war und blieb ihm unheimlich; die Entschiedenheit dieser Kraft aͤngstigte ihn, und er sagte, er koͤnne diesen Autor nur noch gymnastisch lesen, mit dem Inhalte seiner Philosophie habe er nichts mehr zu thun. Jean Paul wurde hinausgerufen, und ich blieb eine Weile mit seiner Frau allein. Auch dieser wußte ich von ihrer Vaterstadt Berlin mancherlei zu erzaͤhlen, und ihre Theilnahme fuͤr dortige Verhaͤltnisse und Personen hatte nach allem, was sie schon mit angehoͤrt, noch eine große Nachlese zu halten. Die Frau gefiel mir unge¬ mein; sanft, fein, sittig, verband sie mit dem schoͤnsten Eindruck der Haͤuslichkeit zugleich hoͤhere Gesellschafts¬ gaben und freiere Welteinsicht, als Jean Paul zu haben schien. Sie wollte sich aber dem trefflichen Mann auch in dieser Beziehung gern unterordnen. Aus allem ging hervor, daß beide Gatten ein recht gluͤckliches Leben zu¬ sammen fuͤhrten. Ihre drei Kinder sind schoͤne, liebliche, frische Geschoͤpfe. Ein Knabe, Max, von fuͤnf Jahren, ist der Liebling des Vaters, der einen kuͤnftigen Kriegs¬ helden in ihm sieht; in der That ist er ganz Kraft und Muth, und auch von Koͤrper ausgezeichnet, ich fuͤhlte die starken Knochen und Sehnen seiner kleinen Arme mit Erstaunen. Zwei Maͤdchen, Emma und Ottilie, aͤlter und juͤnger als der Knabe, sahen sehr lieblich aus, und zeigten, bei schon merkbarer Verschiedenheit der An¬ lagen, das gemeinsame Gute der Eltern unzweifelhaft. Alle drei sind voͤllig unbefangen, ganz frei und ganz kindlich, weniger zum Guten erzogen, als darin aufge¬ wachsen. Ich hatte recht herzliche Freude an ihnen, und sie riefen mir andre liebe Kinder in's Gedaͤchtniß, mit denen ich noch kuͤrzlich zusammen war! Als der Vater wieder eintrat, war es ziemlich spaͤt geworden, ich wollte weggehen, wurde aber nur entlassen, um meinen Reisegefaͤhrten zu benachrichtigen, daß ich nicht mit ihm essen wuͤrde; Harscher zu Jean Pauls Mittags¬ tische mitzubringen, wie ich aufgefordert war, durfte ich nicht hoffen. Fortwaͤhrend gespraͤchig und aͤußerst gutgelaunt ver¬ breitete sich Jean Paul uͤber die mannigfachsten Gegen¬ staͤnde. Ich brachte ihm unter andern auch einen Gruß von Rahel Levin und die bescheidene Frage, ob er sich ihrer noch erinnere? Sein Gesicht strahlte von ver¬ gnuͤgter Heiterkeit: „Wie koͤnnte man ein solches Wesen je vergessen?“ rief er lebhaft aus; „Das ist eine in ihrer Art einzige Person, ich bin ihr von Herzen gut gewesen, und werde es noch taͤglich mehr, denn der Eindruck von ihr waͤchst mit allem, was sonst in mir an Sinn und Verstaͤndniß zunimmt; sie ist die einzige Frau, bei der ich aͤchten Humor gefunden, die einzige humoristische Frau!“ (Jean Paul dachte wohl nicht an Frau von S é vign é , oder war nicht darauf gekommen, ihrer Eigenthuͤmlichkeit den rechten Namen zu geben; denn was die Franzosen an ihr so sehr als Natuͤrlichkeit preisen, ist in den meisten Faͤllen grade das, was wir Humor nennen.) Nun ging er in großes Lob einzelner Eigenschaften ein. Als ich dieses Lob unterbrach, und ihn versicherte, aller Verstand, Klugheit und Witz, die er von Rahel ruͤhme, seien in meinen Augen doch viel geringer, als die Innigkeit und Guͤte ihres Gemuͤths, wunderte er sich nicht, sondern glaubte mir dies gern, und wiederholte nur, jene seien aber ungeheuer groß. Er ruͤhmte sich zweier Briefe von Rahel, und sagte, der eine aus Paris sei mehr als zehn Reisebeschreibungen werth, so habe noch nie jemand die Franzosen und die franzoͤsische Welt auf den ersten Blick eingesehen und karakterisirt; was das fuͤr Augen waͤren, die so scharf und klar gleich die ganze Wahrheit, und nur die Wahr¬ heit, saͤhen! Als ich ihm sagte, wie viele Briefe ich von ihr besaͤße, nicht an mich geschriebene, sondern mir geschenkte, wurde er ganz neidisch; wenn ich in derselben Stadt mit ihm wohnte, sagte er, so muͤßte ich ihm wenigstens zwei Worte aus jedem Briefe mittheilen; das sei ein ungeheurer Schatz, ein einziger; Rahel schreibe vortrefflich, es sei aber nothwendig, daß sie an jemand schreibe, ein persoͤnlicher Anreiz muͤsse bei ihr alles her¬ vorlocken, mit Vorsatz ein Buch zu schreiben werde sie wohl nie im Stande sein. „Ich bin jetzt faͤhiger, fuhr er fort, sie zu verstehen, als damals in Berlin; ich moͤchte sie jetzt wiedersehen! je oͤfter mir von den Be¬ merkungen und Ausspruͤchen, die sie nur so hin zu sagen pflegte, etwas wieder einfaͤllt, je mehr staune ich! Sie ist eine Kuͤnstlerin, sie hebt eine ganz neue Sphaͤre an, sie ist ein Ausnahmswesen, mit dem gewoͤhnlichen Leben in Krieg, oder weit daruͤber hinaus; — und so muß sie denn auch unverheirathet bleiben!“ Er pries mich gluͤcklich, eine solche Freundin zu haben, und fragte mich, gleichsam pruͤfend und meinen Werth messend, wodurch ich, noch so jung, mir das verdient habe? Ich gewann sichtbar in seinen Augen durch diese Beziehung. Als ich am Abend dies alles Harschern wiedererzaͤhlte, war auch dieser ganz benommen von der Macht solcher Aeußerungen, denen er sich doch nur gezwungen beugte, denn wo er die Anerkennung nicht selbst aufgebracht, wo er ihr nur zustimmen mußte, war sie ihm jedesmal schwer und fast peinlich. Montag, den 24. Oktober. Der empfangenen Ein¬ ladung zufolge, stellte ich mich heute Nachmittag fruͤh genug bei Jean Paul ein. Harscher behauptete, noth¬ wendig Briefe schreiben zu muͤssen, und blieb unbeweg¬ lich im Wirthshause. Jean Paul war eben von einem Spaziergange heimgekehrt, die Frau mit dem einen Kinde noch nicht zu Hause. Wir kamen auf seine Schriften, diese bei den meisten Autoren so bedenkliche Saite, welche der eine gar nicht beruͤhrt wissen will, der andre immerfort will klingen hoͤren. Er war dabei so liebenswuͤrdig, wie ich nie erwartet, frei, unbefangen und gruͤndlich in seinem ganzen Wesen. Der Anlaß dieses Gespraͤchs war der neuste Cotta'sche Damen¬ kalender, worin Goethe's „pilgernde Thoͤrin“ und Jean Pauls „Traum einer Wahnwitzigen“ stehen. Es war noch kein Exemplar nach Baireuth gekommen, ich aber brachte von Dresden her eines mit, Jean Paul wuͤnschte es zu behalten, und wies mir in Tuͤbingen bei Cotta den Ersatz an. Solche Phantasieen, sagte er, wie jener Traum eine sei, koͤnne er immerfort schreiben, die Stim¬ mung dazu, wenn er nur gesund sei, habe er ganz will¬ kuͤrlich in seiner Gewalt, er setze sich an's Klavier, phan¬ tasiere da auf das wildeste, uͤberlasse sich ganz dem augenblicklichen Gefuͤhl, und schreibe dabei seine Bilder hin, freilich wohl nach einer gewissen vorbedachten Rich¬ tung, aber doch so frei, daß diese selbst oft veraͤndert wuͤrde. Ganz eben solcher Stimmung folge er, fuͤgte er hinzu, wenn er den Leibgeber oder Schoppe in der hoͤchsten Begeisterung reden lasse, diese Figur sei dann ganz er selber. Noch erfuͤllt von den Bildern jenes Traumes, von der Riesenhaftigkeit der Gedanken, die hier hin und her geworfen werden, und die zu den groͤßten und gehaltvollsten aller Maͤhrchenpoesie gehoͤren, mußte ich nur um so mehr erstaunen, als ich die un¬ erschoͤpfliche Fruchtbarkeit vernahm, mit welcher dem Dichter diese Gebilde zuwachsen. Er hatte sich in dieser Art einmal vorgenommen, eine „Hoͤlle“ zu schreiben, die kein Mensch sollte aushalten koͤnnen, und vieles da¬ von ist wirklich fertig, jedoch nicht fuͤr den Druck be¬ stimmt. Ich fragte nach den „Flegeljahren,“ und hoͤrte zu meiner groͤßten Freude, daß er sie ganz gewiß fort¬ setzen wird; er betrachtet sie wie sein bestes Werk, worin er recht eigentlich wohne , da sei ihm alles heimisch und behaglich, wie eine freundliche Stube, ein bequemes Sopha, und vertraute froͤhliche Gesellschaft. Auch ist er uͤberzeugt, seine eigenthuͤmlichste und wahrste Richtung in diesem Buche befolgt, seine wahre Art gewiß darin getroffen zu haben, andre seiner Buͤcher, meinte er, koͤnnte er mit seinem Talent gemacht haben, in den Flegeljahren aber habe sein Talent ihn selbst ergriffen, auch seien Vult und Walt nur die beiden entgegenge¬ setzten und doch verwandten Personen, aus deren Ver¬ einigung er bestehe. Wir sprachen noch vielerlei uͤber Schriften und deren Abfassung, deren Triebwerke und Huͤlfsmittel. Dabei kamen wir denn auch auf das Darstellen von Gegenden und Landschaften. Jean Paul ist darin em großer Mei¬ ster; kein Wunder, da er von je mit der Natur gelebt, in seinen fruͤheren Jahren oft halbe Tage im Freien zugebracht, Wolken und Luft, Land und Wasser, ja jede Blattwindung und Halmstellung, liebevoll beobachtet, das Groͤßte wie das Kleinste, und zu seiner Erinnerung immer alles aufgeschrieben, so viel dies nur moͤglich war. Er erschrak ordentlich, als ich es wagte, Goethe'n als weniger geschickt in dieser Parthie zu bezeichnen, und erinnerte sogleich an zwei im „Werther“ beschriebene Gegenden und Landschaften, denen in der That die Meisterhaftigkeit nicht abzusprechen ist. Wie aber die Sache anzugreifen sei, welche technische Vortheile es dafuͤr gebe, daruͤber stritten wir eine Weile. Endlich sagte Jean Paul sehr sinnvoll, um eine Gegend dichterisch aufzufassen, duͤrfe der Dichter nicht bei ihr anfangen, sondern er muͤsse die Brust eines Menschen zur camera obscura machen, und in dieser die Gegend anschauen, dann werde sie gewiß von lebendiger Wirkung sein; nichts aber sei todter, als wenn der sich neugierig um¬ sehende Reisende nur den sinnlichen Stoff als solchen erzaͤhle und beschreibe. Jean Paul verlangte, der Dich¬ ter solle auch wirkliche Gegenden doch immer nur aus der Phantasie beschreiben, die allein koͤnne das Richtige und Wahre liefern. So habe er selber schweizerische und italiaͤnische Gegenden, letztere z. B. im „Titan,“ sehr richtig — wenigstens die bewaͤhrtesten Kenner sagten es — geschildert, ohne sie je gesehen zu haben, und auch in Nuͤrnberg, dessen Oertlichkeit in den „Palinge¬ nesien“ bis zum kleinsten Einzelnen vorkomme, sei er erst lange nachher, und auch da nur auf einen halben Vormittag, gewesen. Mir schien eine tiefe Wahrheit in dieser Paradoxie zu liegen, der doch nicht unbedingt beizustimmen war; gilt fuͤr das Bild ein anderes Gesetz, als Messen und Aufzaͤhlen, so muß doch die Phantasie, um Bilder einer bestimmten Wirklichkeit hervorzurufen, wenigstens aͤhnliche Bestandtheile stets als Gleichniß be¬ reit haben. — Das Gespraͤch wandte sich auf die oͤffentlichen An¬ gelegenheiten, auf den Zustand von Deutschland, auf die Machtherrschaft der Franzosen. Mir sind die poli¬ tischen muͤssigen Verhandlungen sehr zuwider, es kommt wenig dabei heraus, man tappt im Finstern, und alles ist meistentheils ganz anders, als man die Sachen ge¬ woͤhnlich im ersten Augenblick wissen kann und behaup¬ ten will. Aber entzuͤckend war es mir, Jean Paul bei solchem Anlasse die reinsten vaterlaͤndischen Gesinnungen aussprechen zu hoͤren, und um dieser Felseninseln willen durchschwamm ich freudig das leere Gefluth unsichrer Nachrichten und schwankender Vermuthungen, das um jene her wogte. Was Jean Paul sagte, war tief, ver¬ staͤndig, herzlich, tapfer, deutsch bis in die kleinste Faser hinein; kurz tausendmal besser als seine „Friedens¬ predigt“, uͤber die wir uns in Berlin geaͤrgert hatten. Ich konnte ihm vielerlei erzaͤhlen, von Napoleon, den er nur aus Bildnissen kannte, von Johannes von Muͤller, uͤber dessen Katastrophe und Karakter er begierig Auf¬ schluß wuͤnschte, von Fichte, dem er jetzt gezwungen seine hoͤchste Bewunderung widmete, von dem Marquez de la Romana und seinen Spaniern, die ich in Ham¬ burg gesehen hatte. Jean Paul zweifelte keinen Augen¬ blick, daß die Deutschen einst gleich den Spaniern sich erheben, daß die Preußen ihre Schmach raͤchen und das Vaterland befreien wuͤrden; er hoffte, sein Sohn werde es erleben, und wollte es nicht laͤugnen, daß er ihn zum Soldaten erziehe. Meine Mittheilungen und An¬ sichten konnten sein Vertrauen nur bestaͤrken; ich brachte ihm Zeugnisse in Menge, wie hohl und schwach die Macht Napoleons in sich selber sei, wie tief und stark die Gesinnung, die ihm entgegenstehe. In diese abge¬ legene Provinz waren viele Thatsachen noch gar nicht hingedrungen, eine Menge von Bezuͤgen waren hier ganz neu. Jean Paul hoͤrte mir begierig zu, und barg sein Entzuͤcken nicht, als ich ihm mehrere Strophen der Ode von Staͤgemann gegen Napoleon hersagte, wobei er doch sorgsam warnte, dergleichen nur vorsichtig mit¬ zutheilen und nicht schriftlich bei mir zu fuͤhren, und allerdings mußte ich zugeben, daß man um weniger schon hier Freiheit und Leben verlieren koͤnne. Aber bald vergaß er selbst seiner Warnung, und wollte eine Abschrift haben. Nun druͤckten wir uns erst recht als gleichgesinnte Freunde die Haͤnde, und tauschten ruͤck¬ haltlos unsre Meinungen aus. Die Spanier machten den freudigen Refrain zu allem, auf sie kamen wir immer zuruͤck. Die Erwaͤhnung der Reden Fichte's brachte uns auf das Erziehungswesen, fuͤr den Verfasser der „Levana“ natuͤrlich ein sehr ergiebiger Gegenstand. Er billigte fast alles, was ich ihm als Ergebniß meiner Erfahrun¬ gen hieruͤber vortrug, und schloß endlich mit dem Satz, daß man nur seine eignen Kinder, aber keine fremden, erziehen koͤnne. Dieses Erziehen der eignen Kinder nun, ich muß es sagen, leistet er auf die vortrefflichste Weise, ich habe es in diesen zwei Tagen so gut erkannt, als ob es hundert gewesen waͤren. Die Kinder sind gluͤcklich, gedeihen in zarter Liebe und gesunder Staͤrke, entwickeln sich nach eigner Art, und fuͤr diese Eigenheit hat Jean Paul das leiseste Gefuͤhl, die sorgsamste Acht und Leitung. Nuͤrnberg, Donnerstag den 27. Oktober. Ich habe noch einiges von meintm letzten Abend in Baireuth bei Jean Paul nachzuholen. — Die Frau war nach Hause gekommen, und nahm an dem letzten Gespraͤche einigen Antheil, entfernte sich aber bald wieder in haͤuslichen Geschaͤften. Die zwei juͤngsten Kinder waren einge¬ schlafen. Ich wollte den lieben Kindern gern ein An¬ denken von mir zuruͤcklassen, setzte mich daher zum Tisch, und begann einige Bildchen fuͤr sie auszuschnei¬ den. Als Jean Paul diese kleine Kinderwelt aus Pa¬ pier ziemlich schnell vor seinen Augen entstehen sah, wurde er selber von Kindergefuͤhlen ergriffen, mit ver¬ gnuͤgter Lebhaftigkeit rief er seine Frau herbei, weckte seine Kinder auf, das dritte hatte sich schon an mich ge¬ schmiegt, und nun sollte ich umstaͤndlich von Allem Rechen¬ schaft geben. Meine kleinen Arbeiten wurden von den Kindern mit Jubel aufgenommen, sie behaupteten, ich sei das Christkindchen, das ihnen Geschenke bringe, und auf die Bemerkung, ich sei aber doch schon so groß, blieb der Knabe dabei, nun ja, ich sei ein großes Christ¬ kindchen, welches Wort den Vater ungemein freute, so daß es mir erst hiedurch auffiel. In solchen Gespraͤchen und Beschaͤftigungen ging ein guter Theil des Abends hin, ich fuͤhlte mich ganz begluͤckt in der Mitte dieser schoͤnen, reinen Familie, die so herzlich gegen mich war, und mich schon keine Fremdheit mehr empfinden ließ. Ich blieb zum Abendessen, gegen meinen Vorsatz, denn ich hatte Harschern versprochen, nicht spaͤt wieder¬ zukommen, da wir am andern Morgen fruͤh abreisen wollten. Die Frau war uͤberaus guͤtig, Jean Paul so traulich und aufgeweckt, daß ich dem beiderseitigen Zureden nicht widerstehen konnte. Bei dem artigen und schon suͤddeutsch reichlichen Mahle herrschte die beste Laune. Unter andern gab uns der Vorfall sehr zu lachen, daß mir Jean Paul eine Empfehlung nach Stuttgart an einen seiner — wie er sagte — herzlichsten Freunde geben wollte, es aber unterlassen mußte, weil er sich durchaus nicht auf dessen Namen besinnen konnte! Von ernsthafter Art hingegen waren die Gespraͤche uͤber Tieck, Friedrich und Wilhelm Schlegel, Bernhardi, Schuͤtz, mit Einem Wort, uͤber die sogenannte roman¬ tische Schule. Jean Paul hatte dieselbe in seiner „Vor¬ schule der Aesthetik“ gleichsam anerkannt, allein aus bloßer Achtung fuͤr Talent und Geist; gegen den eigent¬ lichen Kern jenes ganzen Zusammenhangs hegte er fortwaͤhrend das tiefste Widerstreben. Besonders gegen Tieck war seine Stimmung jetzt von manchen Seiten sehr aufgebracht. Er behauptete, Tieck habe eine ganze Gattung seines Komischen von Bernhardi entlehnt, wie man deutlich aus den „Bambocciaden“ sehe, einen andern Theil habe er seinen, Jean Pauls, Schriften nachgebildet, wie er ihm selber einst eingestanden; dann habe er viel von Shakespear angenommen; sein Ernst¬ haftes und Ruͤhrendes aber sei theils aus alten Volks¬ buͤchern, theils — wie die schoͤnsten Anklaͤnge der „Genoveva“ — aus dem Mahler Muͤller geschoͤpft; die Kunstempfindsamkeit in den „Phantasieen“ und im „Sternbald“ kam auf Rechnung Wackenroder's, und die aͤußerst komische Erzaͤhlung vom Schneider Tunelli sollte fast woͤrtlich aus einem alten Buche wiederabge¬ druckt sein. So kam es uͤber Tieck hier fast zu einem aͤhnlichen concursus creditorum , wie die Schlegel im Athenaͤum muthwillig einen uͤber Wieland eroͤffnet hat¬ ten. Allein ich mußte mich diesem doch sehr ungerechten und uͤbereilten Verfahren entgegensetzen. Die Anklage wegen der Benutzung der Genoveva des Mahler Muͤller sei, konnte ich mit Grund behaupten, von Tieck schon laͤngst siegreich zuruͤckgewiesen. Die Bambocciaden, so wußte ich von Bernhardi selbst, gingen zwar unter dessen Namen, ruͤhrten aber dem bessern Theile nach von Tieck her. Die Nachbildung alter Stoffe, wandt' ich ferner ein, sei von jeher den Dichtern erlaubt gewesen; sie habe nie zum Vorwurfe gereichen koͤnnen, sobald eine neue Schoͤpfung dabei stattfinde, das letztere sei aber bei der Genoveva, dem Oktavianus und vielen andern, ganz unlaͤugbar. Schließlich konnte ich Bern¬ hardi's Wort anfuͤhren, der in den Zeiten feindlicher Spannung einst mit edler Aufrichtigkeit mir das Be¬ kenntniß abgelegt, er moͤge es bedenken wie er wolle, er moͤge sich fragen her und hin, immer bleibe er von der tiefen Wahrheit durchdrungen, immer trete ihm neu die Ueberzeugung auf, daß von allen Anfuͤhrern der romantischen Schule doch nur Tieck der wahrhaft geniale und der sei, von dem man sagen koͤnne, er trage die Gottheit im Busen! Jean Paul wurde nachsinnend, es vergegenwaͤrtigten sich ihm die Vorzuͤge, sein Herz neigte sich ohnehin lieber zum Anerkennen und Bewun¬ dern, und so geschah es bald, wie mir schon gestern mehrmals begegnet war, daß er bei ganz andern Er¬ gebnissen anlangte, als der Beginn hatte erwarten lassen; die Mißstimmung mit allen ihren Gruͤnden und Antrieben verschwand, und Tieck blieb uns ein Dich¬ ter, ein hoher und trefflicher! — Diese Biegsamkeit in Jean Pauls Urtheilen, diese Eingeschlossenheit in bestimmte Gedankenzuͤge, diese klei¬ nen Scheuleder an den Seiten, die ihn nur seine grade Straße vor sich hinsehen lassen, diese augenblickliche Beschraͤnkung und Einseitigkeit, alles dies haͤngt un¬ streitig mit seinen besten Eigenschaften zusammen, und ruͤhrte mich als eine liebenswuͤrdige Schwaͤche, die auch seinem Wesen weniger schaͤdlich ist, als sie es einem andern waͤre, das sich mehr in eingreifendem Handeln und scharfem persoͤnlichen Vortreten gefiele. Jean Paul's Ungerechtigkeit ist nur eine in ihm, nicht in der Welt, sie uͤberschreitet das stille Gehege seiner Privatgedanken nicht. Und die Ruͤckkehr zur Freundlichkeit und Guͤte wiegt hundertmal die kurze Abwendung auf. Ich lernte Jean Paul aus diesen Gespraͤchen mehr kennen, als die Personen, die er besprach. Es ist ein reiner edler Mensch, kein Falsch und kein Schmutz ist in seinem Leben, er ist ganz wie er schreibt, liebevoll, innig, stark und brav. Auch an persoͤnlicher Tapfer¬ keit fehlt es ihm gewiß nicht, und kaͤme die Gelegen¬ heit, so wuͤrde er, ich traue es ihm zu, mit dem Degen schneller bei der Hand sein, als mancher Andre. Als ich mir den trefflichen Mann in seinem Werthe so betrachtete und erwog, schlug mir ploͤtzlich das Ge¬ wissen. Ich mußte an unsern Doppelroman, die „Ver¬ suche und Hindernisse“, gedenken, und an die komische Figur, welche Jean Paul unter diesem seinen Namen und in seiner eigensten Manier darin spielt. Zwar hatte ich grade an dieser Figur den wenigsten Antheil, sie war, ihren besten und eindringendsten Zuͤgen nach, das Werk von Neumann, aber an dem Ganzen war ich doch mitschuldig, und es kam mir wie eine Treu¬ losigkeit vor, von Jean Paul jetzt zu scheiden, ohne III . 6 ohne ihm den Frevel zu bekennen. Ich erzaͤhlte ihm also die Entstehung des Buches, den ungefaͤhren In¬ halt, und daß und wie neben Johannes von Muͤller und Johann Heinrich Voß auch er selber darin vor¬ komme. Er hoͤrte mich ganz gelassen an, freute sich des Scherzes, den er als gut und gelungen anzuer¬ kennen hoffte, und rechnete es mir besonders an, daß ich den Drang gefuͤhlt, ihm davon zu sprechen. Er verstand vollkommen, wie es gemeint war, und begriff die Stimmung, die uns verleiten gekonnt, gerade unsre gefeierten Helden mit dergleichen Muthwillen anzugrei¬ fen; er wisse recht gut, sagte er, daß die Soldaten Caͤsars, die bei dessen Triumphzuge die bekannten Spott¬ lieder sangen, darum doch die tapfersten und treusten blieben, auf die jener sich in Gefahr und Kampf am sichersten verlassen konnte. „Alles, alles aber, rief er aus, kommt darauf an, daß die Sache wirklich gelun¬ gen ist! Das Aesthetische muß euch retten, ist das nicht gut, dann habt ihr auch das Moralische zu verantwor¬ ten; kann ich jenem aber Beifall geben, so nehm' ich dieses auf mich!“ Es gefiel ihm nicht uͤbel, daß auch wir uns selber, wie ich ihm erzaͤhlte, in dem Buche nicht geschont, sondern zu starken Zerrbildern verarbei¬ tet haͤtten. „So ist die Jugend, sagte er lachend, gilt es einen durch den Regen zu jagen, so scheut sie selber die Traufe nicht! Doch wenn die Wirthe denn mit¬ essen, werden die Gaͤste ja wohl auch das Vorgesetzte noch hinunterbringen!“ Von Muͤller und Voß meinte er, sie wuͤrden sich doch sehr aͤrgern, die verstaͤnden nicht so Spaß wie er. Indeß empfand auch er einigen Schreck und Entruͤstung, als er vernahm, daß wir Goethe'n zu necken gewagt, und auch die Figur Wil¬ helm Meisters frevelhaft mißbraucht haͤtten. „Kinder, was habt ihr da gethan! sagte er bedenklich, das haͤttet ihr unterlassen sollen! Goethe ist ein geweihtes Haupt, der steht anders, als alle Uebrigen. Den geb' ich weniger preis, als mich selbst!“ Ich hatte in meinem Bericht die Farben eher zu stark als zu schwach aufge¬ tragen, und freute mich schon, daß Jean Paul das Buch wenigstens nicht schlimmer finden wuͤrde, als er es sich jetzt vorgestellt. Wegen Goethe's suchte ich ihn wieder etwas zu beruhigen. Von diesem sprachen wir nun noch eine Weile, und Jean Paul mit steigender Bewunderung, ja mit einem Schauder von Ehrer¬ bietung. — Das herrlichste Obst war zum Nachtisch aufgetragen. Ploͤtzlich erhob sich Jean Paul, gab mir die Hand, und sagte: „Verzeihen Sie, ich gehe zu Bett! Da es aber noch sehr fruͤh ist, so bleiben Sie in Gottesnamen noch hier und plaudern mit meiner Frau, es wird noch man¬ cherlei vorzubringen sein, was ich nicht aufkommen ließ. Ich bin ein Spießbuͤrger, die Stunde ist da, wo ich schlafen muß!“ Er nahm ein Licht, und sagte gutnacht. Wir schieden in großer Herzlichkeit, und in dem beider¬ 6 * seitigen Wunsche, daß ich kuͤnftig einmal laͤngere Zeit in Baireuth verweilen moͤchte. — Noch eine ganze Weile blieb ich mit der trefflichen Gattin in lebhaftem Gespraͤch, dessen Gegenstand meist Jean Paul selbst war, dann auch mancherlei mir be¬ kannte Verhaͤltnisse, denen sie einen neuen Antheil wid¬ mete. Ich kam spaͤt in unser Wirthshaus, und fand Harscher schon eingeschlafen, merkte noch eilig in meine Schreibtafel die wichtigsten Zuͤge dieses Abends an, und als wir am andern Tage wieder unterwegs waren, fehlte mir fuͤr meinen Begleiter die unerschoͤpflichste und willkommenste Unterhaltung nicht, indem ich ausfuͤhrlich schilderte und besprach, was alles er versaͤumt hatte! — Waͤhrend ich in Tuͤbingen war, kam der sogenannte Doppelroman wirklich an das Tageslicht. Neumann und ich waren doch nicht ohne Besorgniß, wie Jean Paul die Sache aufgenommen habe. Jedoch gelangte zu uns daruͤber keine Kunde. Das Buch, wiewohl erschienen, und hin und wieder angekuͤndigt, fand noch lange Zeit keinen Weg in Jean Pauls Haͤnde. Noch am 20. Maͤrz 1809 richtete er nach Tuͤbingen folgen¬ des Blatt an mich: „Ihre Scheeren-Plastik macht nicht bloß meinen Kindern, sondern auch meinen Freunden und mir große Freude; nur dauert mich bei dieser Zeich¬ nungs- oder Bildungskraft zweierlei; — erstlich, daß sie nicht zu ordentlichen kuͤnstlerischen Zwecken sich ein¬ lenkt, — und zweitens Ihre Augen. Doch letztere noch bei ihrer feinen, kleinen Handschrift. Haben sie denn so viel Augen als Argus, daß sie nach ein Paar weni¬ ger nicht fragen? — Sie sind der groͤßte Augenver¬ schwender, da Sie sogar fremde mitverschleudern. In unserm illitterarischen Baireuth kann ich Ihren Roman nicht bekommen, wenn Sie mir ihn nicht schicken. Ist er gut, so hat meine Persoͤnlichkeit keinen Einfluß auf meine Unpartheilichkeit. Ich wuͤnschte ihn sehr. Gruͤßen Sie Demoiselle Levin, mich koͤnnte sie am besten gruͤßen lassen durch ein Schock voller Bogen. Leben Sie wohl! Ihr Jean Paul Fr. Richter.“ Dieses Briefchen aber traf mich nicht mehr in Tuͤ¬ bingen, sondern irrte in der Welt umher, nach Ham¬ burg, Berlin, Oesterreich und Ungarn, nnd kam erst nach Verlauf eines Jahres, im Maͤrz 1810, zu Prag in meine Hand. Die Welt hatte unterdessen einen neuen Umschwung erlitten, auch mein persoͤnliches Ge¬ schick entscheidende Wendungen erfahren. Nicht jedes fruͤhere Wort war zu behaupten, nicht jede Anknuͤpfung fortzusetzen, Verhaͤltnisse und Richtungen hatten gewech¬ selt. Ich mochte das meinem Sinne schon ferngeruͤckte Buch an Jean Paul nicht mehr schicken, auch waͤre mir in Prag dergleichen noch schwerer aufzutreiben ge¬ wesen, als ihm in Baireuth. Doch unterließ ich nicht, ihm zu antworten, schon um zu bemerken, daß sein Brief grade ein Jahr gebraucht, um von Baireuth nach Prag zu kommen, und dann des sonderbaren Zusam¬ mentreffens wegen, daß ich eben Jean Paul's neuestes Buch, des Doktor „Katzenbergers Badereise“, gelesen, dann mich selber auf einer Badereise mit dem Fuͤrsten Ferdinand Kinsky und dessen Arzte, einem zu meinem Erstaunen wirklich so heißenden Doktor Katzenberger, nach dem Kinsky'schen Badeort Mscheno befunden hatte, und beim Absteigen vom Wagen den Brief Jean Paul's von vorigem Jahre eingehaͤndigt erhielt. Dies alles duͤnkte mich so Jean Paul'sch, daß ich es ihm sagen zu muͤssen glaubte. Hiemit brach der Verkehr ab; neue Reisen und Veraͤnderungen lenkten mich nicht zu ihm. Ich habe ihn leider nicht wiedergesehen. Auch Neumann sah ihn nie. Wir haben nicht erfahren, was er von seinem keck verzerrten, aber dabei meisterhaft aͤhnlichen Bilde geurtheilt hat, ob er sich daran mit heitrer Ueber¬ legenheit ergoͤtzt, oder mit doch reizbarer Empfindlichkeit geaͤrgert. Auch gegen einige unsrer Freunde, welche spaͤter mit ihm in engere Verbindung kamen, hat er nie ein Wort uͤber die „Versuche und Hindernisse“ geaͤußert, vielleicht ist ihm das Buch selbst nie vorge¬ kommen! Nicht zum ersten- noch letztenmale waͤre das Druckenlassen einem geheimen Niederlegen und Verwah¬ ren gleich gewesen, wo der oͤffentlich verborgene Gegen¬ stand auf diese Weise am besten gegen alles Gefunden- und Erkanntwerden gesichert ist! — Tübingen 1808, 1809. T uͤbingen, Anfang Novembers 1808. Da sind wir denn in Tuͤbingen! Am 1. spaͤt Abends, bei vollem Mondschein, der die Berge und ihre vom Herbst wun¬ derkraͤftig gebraͤunte Waldung schoͤn beleuchtete, fuhren wir munter hier ein, und haben in den ersten Tagen die Stadt und Gegend, die Anstalten und zum Theil auch die Menschen, schon zur Genuͤge angesehen. Ob wir recht gethan, hieher zu reisen? Es war eine kuͤhne, frische That, alle Gruͤnde waren dafuͤr, — und doch fuͤrcht' ich schon, daß der Ausgang es als ein unnuͤtzes Abentheuer erscheinen laͤßt. Der Eindruck von manchem Einzelnen war gut, die Gegend ist schoͤn, das Volk unterhaltend, die Maͤnner, die uns anzogen, sind ihres Rufes werth; aber das Ganze wirkt auf uns graͤßlich niederschlagend! Wir haben ganz dasselbe Gefuͤhl, Har¬ scher und ich, da doch sonst unsre Seelenstimmungen weit auseinander liegen, so wie die Gegenstaͤnde ver¬ schieden sind, von denen wir bewegt werden. Diesmal muß also doch etwas in der Sache sein, was uns beide so benimmt und beaͤngstigt; das gute Tuͤbingen will ich nicht grade beschuldigen, aber desto mehr die grelle Versetzung, die wir zu leichtsinnig gewagt, den unge¬ heuren Abstand des Lebens hier von unsrem in Berlin; wir dachten den so leicht zu ertragen, und ich sehe schon, wir beide koͤnnen es nicht! — Fuͤr mich ist das Schlimmste, daß alle die Kaͤmpfe, denen ich entgangen zu sein glaubte, sich hier gerade am heftigsten erneuen. Von allen Seiten bestuͤrmen mich Zweifel und Lockungen! Was ich eigentlich will, was ich im Tiefsten des Her¬ zens will, das ist mir klar und gewiß; aber davon ist nicht die Rede! Die Rede ist davon, daß ich eine Ge¬ stalt finde, in der mein Leben sich das Ziel jenes inner¬ sten Wollens aneignen koͤnne, und da sind so viele Wege, da begegnen mir auf jedem guͤnstige nnd widrige Zeichen. Es ist kein Irrthum, daß ich Arzt werden will, gewiß nicht; dieser Beruf ist mir lieb, und ich kann darin gluͤcklich sein. Aber es liegt in den Um¬ staͤnden, daß ich, um als Arzt zu leben, keinen andern Ort als Hamburg waͤhlen kann, und so lieb mir der Ort an und fuͤr sich ist, so wenig darf ich ihn jetzt fuͤr mich wuͤnschen, — und nun gar der Gedanke, mich fuͤr immer in einer Stadt niederzulassen, die franzoͤsischer Herrschaft unterworfen ist, waͤhrend doch vielleicht — vielleicht! — noch einige Strecken des Vaterlandes sich als freie Deutsche erhalten! Soll man uͤberhaupt in solcher Zeit sich niederlassen? Und was kann man sonst thun? Ich genug! Ich finde nur zu viele Moͤglich¬ keiten, denen ich folgen kann. Zum Kriege kann jeder taugen, und ich also auch; die Gelegenheit wird nicht fehlen, denn Deutschland ist noch lange nicht voͤllig unterjocht, und noch lange nicht voͤllig frei; da muß noch oft zu den Waffen gegriffen werden, kann ich hieran nicht Theil nehmen, so bleibt mir ein entschiede¬ ner Anspruch ewig unbefriedigt. Aber auch geistige Thaͤtigkeit reizt mich, litterarische, auf das gesellschaft¬ liche Leben wirksame; sollt' ich nicht als Schriftsteller leben koͤnnen, und auch hier mitunter die gewuͤnschte Kriegsbahn gegen den Feind eroͤffnet finden? Aber der Augenblick draͤngt; was soll ich waͤhlen, was kann ich ergreifen? Ich kann nichts abwarten, ich habe nur Boden, so fern ich gewaͤhlt habe, und auch da zuerst nur unfruchtbaren! Ob die Fruͤchte dann kommen, oder ausbleiben, das steht dahin. — Ich war bei Cotta, dem ich meinen Empfehlungs- und Kreditbrief uͤbergab. Ich glaubte meinen Augen nicht, als ich nach der Cotta'schen Buchhandlung fragte, und man mich in ein Laͤdchen wies, wo ich mich fast schaͤmte einzutreten; so winzig, eng und schmucklos hab' ich neue Buͤcher noch nie wohnen sehen, alte wohl! Und noch dazu ist dies der Ort, wo die Schiller und Goethe recht eigentlich zu Hause sind, von wo sie aus¬ gehn. Der eine, emsig beschaͤftigte, aber dennoch gut¬ muͤthig aufmerksame Diener, den ich traf, laͤchelte uͤber meine Befremdung, und geleitete mich, da ich den Herrn Doktor sprechen wollte, zwei schmale Stiegen hinauf, in ein enges Stuͤbchen, wo es aber doch etwas elegant aussah, sogar ein Sopha breitete sich hinter einem Tische, das einzige bis jetzt, das ich in Tuͤbingen zu sehen bekommen, denn Studenten und Professoren haben so schwelgerische Gewohnheiten nicht. Cotta trat ein, ein hagrer, aͤltlicher Mann, lebhaft, geschmeidig in eckigen Manieren, in schwaͤbischer Gemaͤchlichkeit rasch; er war prompt, artig und meinen Wuͤnschen zuvorkom¬ mend, hatte aber viel zu thun, daher ich ihn bald wieder verließ. Seitdem war ich auch schon einen Abend bei ihm, wo ich ihn mit seiner Frau und seinen zwei artigen Kindern sah, als freundlichen, liebevollen Hausvater, den daß lustige Toͤchterchen mit klugem Muthwillen in beste Laune setzte; auch die Frau war voll Guͤte, doch sehr gehalten, maßvoll und verstaͤndig, im Praktischen gewiß nicht leicht zu irren noch umzugehen. Ich mußte von Hamburg erzaͤhlen, und machte geflissentlich eine praͤchtige Beschreibung von dem Buchladen meines Freun¬ des Perthes im Jungferstieg, von der reizenden Lage, der schoͤnen Einrichtung, den weiten Raͤumen, und den aufgereihten kauffertigen Vorraͤthen alles Neuen, Werth¬ vollen und Anziehenden in- und auslaͤndischer Litteratur. Ich erweckte keinen Neid, im Gegentheil, das suͤßeste Behagen, daß man hier solchen Glanz nicht noͤthig habe, und in der geringsten Einrichtung sich behelfe. Dabei laͤugnet Cotta seine Mittel nicht, und macht immer neue Unternehmungen, giebt das groͤßte Honerar, kauft Guͤter und Haͤuser, und in seinen Geschaͤften gedeiht alles bestens. Und wie klug spricht er uͤber Litteratur! wie fein und tuͤchtig ist sein Urtheil, wie erkennt er die Talente, wie genau weiß er anzugeben, wo und wie jedes im Publikum Anklang und Erfolg finden kann! So vortrefflich er die buchhaͤndlerischen Interessen ver¬ steht, so sind sie ihm doch gar nicht das Hoͤchste; er hat sein eignes Urtheil, seinen eignen Geschmack. Wir sprachen von Heinrich von Kleist's Penthesilea, die er verlegt hat, er war unzufrieden mit dem Erzeugniß, und wollte das Buch gar nicht anzeigen, damit es nicht gefordert wuͤrde; uͤberhaupt war er gegen die neuere Schule ergrimmt, und von Goͤrres, Achim von Arnim und Clemens Brentano, die in Heidelberg durch die Einsiedlerzeitung ihm uͤbel mitspielen, durfte man nicht reden, ohne daß er die Augenbraunen heftig zusammen¬ zog, und seine Kaͤmpfer Weisser und Haug gegen sie anrief. Auch in politischen Urtheilen fand ich ihn scharf und tuͤchtig, reich an Verknuͤpfungen, voraussehend, unerschrocken, gar wohl als tapferer Offizier zu denken. So sehr wir, besonders in litterarischen Dingen, ent¬ gegengesetzter Meinungen waren, so leicht und friedlich tauschten wir diese aus; ich fuͤhlte gleich ein volles Ver¬ trauen zu ihm, das auch nicht unerwiedert schien. Ich glaube, mir dem Norddeutschen zu Ehren wurde die Hausordnung veraͤndert, und Thee getrunken, um 6 Uhr, dann aber auch unerbittlich geeilt zum Nachtessen, und um 9 Uhr fand ich, daß es hohe Zeit sei zu gehen; um 8 hatte schon der Nachtwaͤchter gerufen; — fruͤher rief er um 7 , aber der jetzige Ortsbeamte wollte es nicht mehr leiden. — Wir finden die Stadt mit ihren Straßen und Haͤu¬ sern abscheulich, ein schmutziges Nest, schwarz, klein, baufaͤllig; die Stuben, die man uns anbietet, sehen schrecklich aus, mittelalterige Fensterchen, schiefe Fu߬ boͤden, klapprige Thuͤren; zwei Stuͤhle, ein Tisch, ein Bett, und einige Naͤgel, um Kleider oder auch sich selbst daran aufzuhaͤngen, sind die Moͤbel. Was man verlangt, ist nicht zu haben, fremd, vom Hoͤrensagen bekannt; man schaͤmt sich, man scheint sich frech, so viele Anspruͤche zu machen. Dagegen ist die Landschaft praͤchtig, das Neckarthal und das Ammerthal laden zu den schoͤn¬ sten Spaziergaͤngen ein, die Huͤgel bieten die reichsten Aussichten, die ganze Gegend hat einen lieblich schwer¬ muͤthigen Karakter. Man zeigt ein Gartenhaͤuschen vor der Stadt, wo Wieland gedichtet haben soll. Wie rei¬ zend faͤnden wir dieses Stuͤck Natur, wie genuͤgend diesen beschraͤnkten Umfang, koͤnnten wir unser berlinisch Leben darin fortfuͤhren! Tuͤbingen, Mittwoch den 16. November 1808. Nun haben wir schon mehrere Bekanntschaften gemacht. Ein Mediziner, der naͤchstens als Arzt in seine Vaterstadt Frankfurt am Main zuruͤckkehrt, klein, gewandt, roth¬ baͤckig, Philosophie und Poesie veraͤchtlich belaͤchelnd, aber eifrig fuͤr's Praktische, streng auf sein Fach ver¬ sessen, und wohlbeschlagen fuͤr's Examen, kurz, einer von der infamen Race, die man hoffnungsvolle Juͤng¬ linge und spaͤter Ehrenmaͤnner nennt, will sich unsrer annehmen, und uns mit dem Neste, wo er sich so gut hat fluͤgge werden lassen, aussoͤhnen. Wir aber wollen nichts mit ihm und seinem Gelichter zu thun haben! Er war uns aber doch schon willkommene Bruͤcke zur Bekanntschaft mit einem andern jungen Mann, mit Justinus Kerner, einem juͤngern Bruder des Arztes in Hamburg, Dichter, von dem einige Lieder in der Ein¬ siedlerzeitung gedruckt sind; er ist ein unschuldiges kind¬ liches Gemuͤth, aͤußerlich vernachlaͤssigt, innerlich dem Hoͤheren zugewandt, wir verstehen uns aber wenig, er kennt nur sein Schwaben. Auch einen Freund von ihm, Ludwig Uhland, ebenfalls Dichter, hab' ich gesehen und gesprochen. — Wir waren bei Kielmeyer und Auten¬ rieth, nun die Maͤnner beduͤrfen unsres Lobes nicht, aber — es ist doch alles anders, als wir dachten. Autenrieth's Klinikum ist vortrefflich, eine lebendige Darstellung, scharfsinnig, eindringlich belehrend; doch die Anstalt ist klein, erst im Entstehen, und er selbst wundert sich, daß Reil und andre solche Rathgeber uns hieher gewiesen haben. Indeß koͤnnten wir sehr zweck¬ maͤßig unser Studium hier vollenden, zu lernen gaͤbe es genug, und Ruhe und Stille zum Fleiß fehlte nicht. Nun wir aber an der Schwelle stehen, zaudern wir, erschrecken, wenden uns ab! Wir verzweifeln an unserm Beruf, an dieser Bahn wenigstens, wo wir von allem Leben, das erfreut und erhebt, abgeschnitten sind. Wir haben schon zuviel gehabt, um jetzt alles zu entbehren, gesellige Anregung, reizenden Umgang, Kunst, große Tagesstoffe der Verhandlung, der Betrachtung. Har¬ scher koͤnnte noch eher sich in Studien einspinnen, seine Ideen koͤnnen auch in der Einsamkeit gesund reifen, er ist weniger auf das Leben in und mit der Welt be¬ schraͤnkt, als ich; beschraͤnkt, das ist der Ausdruck, denn angewiesen darauf ist er vielleicht weit mehr als ich. Aber auch er will es nicht aushalten, will aus diesem Loch, in das wir gefallen sind, sich um jeden Preis hinausretten. Wir haben schreckliche Tage unter wech¬ selseitigen Bekenntnissen, unter Berathen und Ueber¬ legen hingebracht, die innern Strebungen gepruͤft, die aͤußere Umstaͤnde eroͤrtert, die Moͤglichkeiten berechnet; das Ergebniß dieser großen Krisis war: fuͤrerst weg! Was nachher zu thun, das bleibt leider noch verwickelt genug, besonders fuͤr mich, der ich von Ursprung an in widerstreitenden Bezuͤgen gerungen habe, zuruͤckge¬ halten von diesen, fortgerissen von andern, verspaͤtet und verfruͤht zugleich! Harscher nun, so nah der Hei¬ math, wo er doch auch vieles zu ordnen hat, geht in diesen Tagen nach Basel; dort wird er sich besinnen, neue Plane anlegen, die meinigen erwarten. Ich, zu weit von Berlin und Hamburg, bin fuͤr den Winter hier gefangen! Doch sobald meine jetzt erschoͤpften Huͤlfs¬ quellen wieder etwas gewachsen sind, was zum Fruͤh¬ jahr gewiß geschieht, aber auch vielleicht fruͤher, mache mich auf, und eile, wohin das Herz begehrt! Wo das sein wird? Ich weiß es selbst nicht; jeder Ort, jede Lage, jede Thaͤtigkeit ist mir recht, — wenn sich das Eine mir erfuͤllt! Wien steht uns wohl im Sinn, aber auch Paris. Leider schwank' ich nicht allein, Alle schwan¬ ken, und jeder nach andern Richtungen, mit andern Aussichten; wo kein Punkt fest ist, alles nur in fort¬ waͤhrender Bewegung sich gegenseitig bedingen soll, da ist schwer eine Verknuͤpfung zu treffen. Doch gibt uns der neuste Entschluß wieder Muth, wir sind die Stockung im Innern los. Tadelt nur Harscher'n nicht, daß er mich allein laͤßt! Ich selbst habe ihn mit aller Ueber¬ redung dazu gedraͤngt. Auch ich bin dadurch freier. Tuͤbingen, Ende Novembers 1808. Harscher ist laͤngst in Basel, und laͤd't mich ein, zu ihm zu kommen, im elterlichen Hause mit ihm zu wohnen, zu leben. — Hier hat sich Justinus Kerner sehr an mich angeschlossen, und auch Ludwig Uhland hab' ich nun erst recht kennen gelernt. Zwei liebe, herrliche Menschen, aͤchte, urspruͤng¬ liche Seelen, reich begabt mit innrem Leben und aͤuße¬ rem Talent. Mein ihnen durch die Almanachspoesien schon bekannter Name, jene unreifen, vergessenen Ge¬ dichte sind es, die mir diese neuen Freunde verschafft, aus diesem geringen Faden spann sich die schoͤnste Ver¬ bindung. Die uns damals wegen unsres kecken Auf¬ tretens tadelten, dachten nur an den Gewinn der Lit¬ teratur, wir freilich auch, aber der Lebensgewinn ist ein ganz anderer, und wie reich ist uns der aus jenen jugendlichen Strebungen aufgegangen! Ein Trost fuͤr schlechte Poeten, fuͤr schlechte Schriftsteller, aber in der That ein Trost, sobald nur wirklich der Gewinn erlangt wird. — Von Uhland brachte mir Kerner ein ganzes Paͤckchen handschriftlicher Gedichte. Da tauchte mir wirklich die Seele in frische Dichtungsfluth! Seine Lieder sind Goethisch; das heißt aber nicht Goethe'n nachgeahmt, sondern in gleichem Werthe mit dessen Liedern: eben so wahr und rein, so frisch und suͤß! Uhland behilft sich nie mit Worten und Redensarten; nur das Gefuͤhl spricht und die Anschauung, daher ist sein Ausdruck immer aͤcht. Die Natur, die ihn umgiebt, die Vorzeit, deren Sage er verhallen hoͤrt, bezeichnen den Kreis seiner Dichtung, aber sein Geist ist doch aus unserer Zeit, sein Gemuͤth umfaßt die ganze Bildung derselben, und so ist er der Auffassung und Wirkung nach durch¬ aus modern. Seine gedrungene Kuͤrze macht mich bis¬ weilen aufjauchzen. Vaterlands- und Freiheitsliebe durchstroͤmen ihn, und auch dies macht ihn mir werth. Ich schicke euch einige Lieder von ihm, „des Knaben Berglied“ und „die drei Lieder“ gefallen euch gewiß. Auch eine Stelle aus einer Dichtung in Prosa stehe hier; von einer Geliebten wird gesagt: „Sie war der Glanz meiner Jugendtage; des Morgens Morgenstern, des Abends Abendroth. Ein Kuß von ihr! ein Ab¬ schiedskuß! Und sind wir uns nicht bestimmt fuͤr's Leben, so moͤgen wir uns doch bestimmt sein fuͤr einen Kuß. Und draͤngt sich in einen solchen Kuß nicht eines Lebens Lust und Schmach?“ — Umgang hab' ich nicht viel mit ihm, und nur durch Kerner's Vermittelung, denn er ist der entschlossenste, hartnaͤckigste Schweiger, der mir noch vorgekommen, er uͤbertrifft unsern Bekker sogar! keine Verlegenheit, keine Angst wirkt auf ihn, er wartet es ab, was draus werden moͤge, und schweigt. Redet er aber, so ist, was er sagt, gediegen, klar, zweckmaͤßig, und moͤglichst kurz; ohne alle Absicht und Ziererei ist es so, aus freier Natur heraus. Ist das nicht schoͤn? Und so ist der ganze Mensch. Seine Redlichkeit, Hochherzigkeit und Treue preist jeder, der ihn kennt, als unerschuͤtterlich und probehaltig. Er wird naͤchstens die Universitaͤt verlassen, und eine Reise nach Paris unternehmen. Er ist im Ganzen nicht rauh und herb, aber wo er es ist, werden ihn die Franzosen nicht glaͤtten, und gespraͤchig machen noch weniger. — Nun muß ich aber auch von Kerner mancherlei erzaͤhlen! Auch er ist nicht nach unsrer norddeutschen III. 7 Weise gebildet und gespraͤchig, aber den guten Willen hat er, sich anzuschmiegen und mitzutheilen. Mich be¬ ruhigt es, jemand in meiner Naͤhe zu haben, — denn wir wohnen in demselben Hause, — der sich so wohl¬ wollend und theilnehmend bezeigt, und mich freut es jedesmal, wenn der liebe treue Mensch Abends zu mir hereintritt, und an meinem Tische seine Dissertation schreibt, waͤhrend ich an meinen Sachen fortarbeite, als waͤre niemand zugegen. Spaͤter sieht er dann mit Be¬ wunderung, wie ich Thee trinke, anstatt des Schoppen Weins, der den Leuten hier so wohlschmeckt, und wir plaudern dann offen und frei uͤber alles Moͤgliche. Daß mir Tuͤbingen nicht behagt, und daß ich so manche bittre Bermerkung ausstoße, ist ihm eine wahre Herzens¬ kraͤnkung; er sieht wohl meistens ein, daß mein Tadel nicht ohne Grund ist, er erkennt in manchen Faͤllen sogar seine eigne Unzufriedenheit wieder, allein er will ihn doch nicht leiden, und nimmt ihm wenigstens das Bittre, indem er den besten Humor daraus macht. Er hat den lebendigsten Sinn fuͤr Scherz, fuͤr alles Ko¬ mische und Barocke, und eine Art von Leidenschaft, dasselbe ans Licht zu bringen und zu foͤrdern. Da er es mit der Einsiedlerzeitung haͤlt, so hat er deren Geg¬ ner, die Herausgeber des Morgenblattes und Cotta'n selbst, durch manchen launigen Einfall geaͤrgert. Jedoch ist seine Gesinnung, wie die seines Freundes Uhland, durchaus rein, unzerstoͤrbar rechtschaffen, edel, tapfer, und so menschenfreundlich, gutmuͤthig und zutraulich, daß er wohl nie jemanden aus freien Stuͤcken gekraͤnkt, und immer gleich verziehen hat, wo er der Gekraͤnkte war. Fruͤher sollte er in Ludwigsburg die Handlung lernen, dann kam er zur Universitaͤt, er folgte der Be¬ stimmung, die man ihm gab, empfand weder Vorliebe noch Abneigung; er meint, es sei so wenig Freude in der Welt, daß man nur eben etwas — gleichviel was — thun muͤsse, damit die Zeit verstreiche, und so das ganze Leben; den Vortheil hat er, daß, wie ihn nichts sonder¬ lich freut, ihn auch nichts eigentlich schmerzt, und so lebt er munter und harmlos fort. Die vier Jahre, die er nun hier studirt, hat er ohne Anstrengung doch mit großem Fleiße benutzt, außerordentlich viel gelernt, und auch schon Kranke mit Geschicklichkeit und Erfolg be¬ handelt. Sobald er Doktor geworden, reis't er nach Hamburg, und von da nach Kopenhagen oder Wien; auf ihn werden die großen Staͤdte schon wirken! Zu seiner Dissertation hat er Bemerkungen uͤber das Ge¬ hoͤr gewaͤhlt, und deßhalb ganz neue Versuche mit Thieren angestellt. In seiner Stube lebt er mit Hun¬ den, Katzen, Huͤhnern, Gaͤnsen, Eulen, Eichhoͤrnchen, Kroͤten, Eidechsen, Maͤusen, und man weiß was noch sonst fuͤr Gethier, ganz freundschaftlich zusammen, und hat nur seine Noth, Thuͤr und Fenster zu verwahren, daß ihm die Gaͤste nicht entschluͤpfen; ob seine Buͤcher oder Kleider in Gefahr sind, ob ihn ein Thier im 7 * Schlaf anschnopert, oder unversehens aufgeschreckt nach ihm beißt, das kuͤmmert ihn nicht. Seine Versuche sind schlau und sinnreich, und er sucht alle Quaͤlereien zu vermeiden. Ueberhaupt steht er der Natur sehr nah, und besonders ihrer dunklen Seite. Seine Augen haben etwas Geisterhaftes und Frommes; sein Herz kann er willkuͤrlich schneller schlagen machen, aber es ist nicht eben so wieder hemmen; die Erscheinungen, welche neu¬ lich Ritter an Campetti beobachtet hat, die Pendelschwin¬ gungen des Ringes am seidnen Faden, das Umdrehen des Schluͤssels mit dem Buche, und alles dergleichen zauberhaft Magnetisches tritt bei ihm in auffallender Staͤrke hervor. Er selbst hat etwas Somnambuͤles, das ihn auch im Scherz und Lachen begleitet. Er kann lange sinnen und traͤumen, und dann ploͤtzlich auffahren, wo dann der Schreck der Andern ihm gleich wieder zum Scherze dient. Wahnsinnige kann er nachmachen, daß man zusammenschaudert, und obwohl er dies possenhaft beginnt, so ist ihm doch im Verlauf nicht possenhaft dabei zu Muth. In der Poesie ist ihm das Wunder¬ bare der Volksromane, der einfache Laut und die rohe Kraft der Volkslieder am verwandtesten, Dichtungen hoͤherer Art laͤßt er gelten, aber er begehrt ihrer nicht; so spricht er auch mit Vorliebe die rohe Landesmundart, will sie nicht ablegen und verstockt sich wohl gar gegen die Schriftsprache. Der Sinn fuͤr gebildete Kunst tritt zuruͤck; in der Musik hat er sich die Maultrommel an¬ geeignet, und weiß dem geringen und doch wunderlichen Instrument die zartesten und ruͤhrendsten Toͤne zu ent¬ locken. Nun denkt euch noch die einfachste, ganz ver¬ nachlaͤssigte Kleidung, voͤllige Gleichguͤltigkeit gegen die Dinge, mit denen man sich beruͤhrt, vorgebeugte Hal¬ tung, ungleichen, ungraden Gang, eine stete Neigung sich anzulehnen, oder niederzulegen, wie er denn lieber auf einem Stuhl unbequem liegt als bequem sitzt, und bei allem diesen einen doch schlanken, wohlgewachsenen, ganz huͤbschen Jungen, — so habt ihr ein vollstaͤndiges Bild meines Kerner's. — Vor einigen Tagen fuhr ich mit Kerner nach Reut¬ lingen, zwei Stunden von hier, wo die Volksbuͤcher und Volkslieder in Menge gedruckt werden. Der Tag war nicht ganz schlecht, die Landstraße noch gut, unge¬ achtet des vielen gefallenen Regens, und der Posthal¬ ter gab uns sehr gute Pferde. Die Fahrt machte mich ganz heiter, und als wir nur eben zum Thor hinaus im Freien waren, mußte ich in laute Freudenbezeigun¬ gen ausbrechen. Die schwarzblauen Berge stachen scharf gegen den Himmel ab, und die vielgezackten Gipfel durchbrachen mit ihrem dunklen Ernst uͤberall die duͤnnen Wolkenwogen, welche um sie her spielten. Nachdem wir das Neckarthal verlassen, eroͤffneten sich neue schoͤnere Berggegenden, und Reutlingen lag vor uns, am Fuß eines hohen Berges, der die Ruinen der Burg Achalm traͤgt, deren Grafen einst mit denen von Tuͤbingen harte Kriege gefuͤhrt, und zuletzt den kuͤrzern gezogen haben. Schnell waren wir in der Stadt; alles in die¬ sem Schwaben ist so gedraͤngt und nah, kaum ist ein Gegenstand ersehen, so ist er auch schon erreicht! Eine Freude war mir's, nach Tuͤbingen wieder eine solche Stadt zu sehen, die ordentliche Haͤuser hat, sehr gute Straßen, große Kirchen, und eine zahlreiche, be¬ triebsame, wohlhabende Einwohnerschaft, deren Schlag mir huͤbscher vorkommt als der Tuͤbinger, falls nicht die ersten Gesichter mich irre fuͤhrten. An allem sieht man noch jetzt, daß Reutlingen eine freie Reichs¬ stadt war, und daß die Fruͤchte der Freiheit ihr in Handel, Gewerbfleiß, Gemeinsinn und Volksbildung nicht fehlten, denn was da ist, ist von sonst. Die Stadt hat etwa 10,000 Einwohner, die sich durch Arbeitsamkeit auszeichnen, ehemals den eifrigsten Antheil an dem ganz demokratischen Gemeinwesen hatten, und ihre jaͤhrlichen Magistratspersonen frei waͤhlten; daß sie auch kriegerisch in fruͤherer Zeit gewesen, bezeugen die hohen Mauern, festen Thuͤrme, und tiefen Graͤben, welche die Stadt nmziehen. Es war als ob die Leute mir die schmerz¬ lichen Empfindungen ansaͤhen, mit denen der Anblick einer untergegangenen Reichsstadt mich jedesmal erfuͤllt, denn auch hier schuͤtteten sie ihre bittern Klagen uͤber die erlittene Veraͤnderung vertrauenvoll gegen mich aus. Die armen Leute sehen die Franzosen als die allgemei¬ nen Unheilsstifter an, die ehmals Freiheit mit Worten verkuͤndigt, in der That aber uͤberall Herren eingesetzt haͤtten, und nun gaͤbe es gar doppelte Herrschaft, denn die Franzosen druͤckten schwer auf die Fuͤrsten, und diese dann um so schwerer auf das Volk. Im ganzen Rhein¬ bunde herrschte diese Unzufriedenheit, der franzoͤsische Einfluß macht uͤberall die Regierungen dem Volke fremd, und dieses steht nirgends mit ihnen in einer gemein¬ samen, eintraͤchtigen Masse vereint. Wunderbar stellen sich damit die neuen preußischen Anordnungen in Gegen¬ satz, von denen die Leute mit Begier in den Zeitungen lesen, wie den Buͤrgern Antheil an der Verwaltung ihres Gemeinwesens, Wahl ihrer Vertreter, dem ganzen Volke Waffen und Sprache verliehen werden; ja daß zu dem ganzen Volke geredet werden soll, wenn auch meines Beduͤnkens nicht grade durch den besten Mund, doch gewiß im besten Sinne, — die Zeitungen melden von einer Adresse an die Preußen, die der Geheimrath Schmalz beauftragt sei abzufassen. Ich habe hier, wie schon fruͤher in Franken, die regste Theilnahme und ein festes Vertrauen fuͤr Preußen wahrgenommen, dessen Un¬ gluͤcksfaͤlle niemand als letzte Entscheidungen ansehen will. — Es fiel Regen ein, der uns hinderte, die Merk¬ wuͤrdigkeiten der Stadt einzeln durchzugehen. Wir be¬ suchten aber den beruͤhmten Buchdrucker Justus Fleisch¬ hauer, wo wir uns mit Volksbuͤchern und Liedern wohl versahen. Der Nachdrucker, der zunaͤchst am Volke steht, fuͤr dessen Beduͤrfniß wohlfeile und geringe Ausgaben liefert, ist fuͤr Kerner der eigentliche Buchhaͤndler, mehr als der ordentliche, fuͤr Gelehrte und Gebildete sorgende Verleger, und der Name Fleischhauer macht ihm einen bessern Eindruck, als alle Cotta, Goͤschen und Perthes. Er liebt die Nachdrucker, wie man Zigeuner liebt, aus dem romantischen, gesetzlosen Hang im Menschen, wo¬ bei man doch nicht ansteht erforderlichen Falles gegen die Lieblinge es mit der ordentlichen Obrigkeit zu halten. Unser Mann erzaͤhlte, seit die Stadt Koͤniglich gewor¬ den, habe sich sein Absatz ungemein beschraͤnkt, auch duͤrfe mancher beliebte Artikel nicht wieder aufgelegt werden. Auf die Frage, ob bei neuem Abdruck der Volksbuͤcher nie etwas veraͤndert, sondern der alte Text treu wiedergegeben wuͤrde, versetzte der Mann, unsre Meinung mißverstehend, er wuͤrde gern manches aͤndern, aber es sei dazu keine Zeit uͤbrig. „Gottlob! seufzte Kerner, haben Sie nur immer recht viel zu thun!“ Diese warme Theilnahme fuͤr sein gewerbliches Gedeihen nahm der Mann mit geruͤhrter Dankbarkeit auf. Ker¬ ner versprach ihm noch den hier nicht mehr vorfindlichen und uͤberhaupt seltnen Ritter Pontus zum neuen Ab¬ druck, und ich empfahl ihm den in Berlin bei Littfaß herausgekommenen Werther. Er versprach beides zu drucken. Eigentlich haͤlt er uns, die wir doch Tuͤbinger Gelehrte vorstellen, fuͤr etwas naͤrrisch, daß wir uns mit seinem Loͤschpapier befassen, und um seine Ausgaben kuͤmmern. Daß auf unsrer Rechnung der Kaiser Okta¬ vianus wie ein bloßes Format als 8 vian angesetzt war, daruͤber hatte Kerner unendliches Vergnuͤgen! — Die Ruͤckfahrt geschah in dunkler Nacht, bei kaltem Regen, wir fuhren aber gut, und auch das war ein Vergnuͤgen. — Die Briefe von Rahel sind jetzt mein einziger Trost. Was sie mir schreibt, erfuͤllt meine Seele mit Ver¬ trauen und Staͤrke. Mir ist als waͤr' ich erst durch sie zur Tageshelle gekommen, als haͤtte ich bis dahin nur Daͤmmerung gekannt. Besonders ist der aͤltere Briefwechsel, den sie mir geschenkt, reich an starkem Ausdruck des Lebens, aus den hoͤchsten ethischen Stand¬ punkten, in reichster Wahrheitsgluth. Harscher, mit dem ich zuletzt noch viele Blaͤtter las, auch einige aus den neuesten Briefen an mich, wußte nicht genug zu preisen, welch Gluͤck mir geworden, und begriff nicht nach diesem Lesen, besonders nicht, wie ich mich von Rahel habe trennen koͤnnen. — Tuͤbingen, Donnerstag den 1. December 1808. Nach einem zerstreuten, unnuͤtz verbrachten Abend nahm ich den Wilhelm Meister, und las ein ziemliches Stuͤck. O wie wohl that mir die edle, klare, lebendige Dar¬ stellung. Es war als hoͤrte ich eine schoͤne, kraͤftige Troststimme in der Brust, als fuͤhlte ich eine sanfte streichende Hand auf den Augen, als floͤsse der Tag wieder in silbernen Wellen, getruͤbt bisher zur dunklen traͤgen Fluth. Nie hat mich der Meister so entzuͤckt, wie bei dem diesmaligen Lesen, er ruͤhrt mich innig, und reißt mich zu staunender Bewunderung hin; ich entdecke, indem ich die alten bekannten Zuͤge schaͤrfer fasse, tausend neue. Den Stil studir' ich bis in's ge¬ naueste Detail hinein, und mich duͤnkt, daß ich ihn sehr gut kenne. Ich weiß, ihm nichts an die Seite zu stellen, im Deutschen nichts, denn wenn ich in Berlin bisweilen gelten ließ, daß Harscher die Weihnachtsfeier von Schleiermacher als etwas Aehnliches pries, so duͤnkt mich jetzt diese Prosa gegen jene doch nur wie eine affektirte Melina neben der anmuthigen Philine. Und dieser Zauber der Vortrefflichkeit, dieser wunderbare Lichtreiz, erscheint mir am staͤrksten, indem ich darauf ausgehe — ihr werdet es kaum glauben — Schwaͤchen und Luͤcken in dem Buche aufzuspuͤren, die ich auch — werdet ihr es glauben? — reichlich finde und aufzeichne. Es ist aber als ob die Einsicht in diese Schwaͤchen auch die Vorzuͤge heller strahlen machte. Mir ist als wan¬ delte ich an einem Feiertage durch die kunstreiche, ge¬ heimnißvolle Werkstatt des Dichters, saͤhe seine Arbeit auf allen ihren Stufen, vom rohen Stoffe, wie er da¬ liegt, bis zum feinsten Gebild, in das er verarbeitet worden, saͤhe die Werkzeuge und Huͤlfsmittel, deren er sich bedient, und koͤnnte ihm sein ganzes Verfahren absehen, und es so gut wie er machen, — wenn er mir zu allem diesen nur noch ein bischen seinen Kopf und seine Hand leihen wollte! — Verlacht mich nicht, aber meine Sinnesart fuͤhrt mich immerfort in solche Untersuchungen, wobei viel Einzelnes genau zu betrach¬ ten ist; sogar die Uebersicht eines Ganzen und seiner Gliederung gewinn' ich meist nur auf diese Weise, und ich finde nach dem absichtlichen Aufmerken auf das Ein¬ zelne auch mein Verstaͤndniß der ganzen Gestalt und ihrer Bedeutung erhoͤht. — Ich lese aber auch, weil ich ihn doch persoͤnlich kennen gelernt, jetzt viel in Jean Paul Richter. Aus dem Hesperus, den ich eben vor¬ habe, haͤngen eine Menge bunter Papierstreifen, die als Abfall ausgeschnittener Bilderchen auf meinem Tische lagen, als Zeichen und Freudenbaͤnder schoͤner Stellen heraus; die Bilderchen waren fuͤr Jean Paul's Kinder, und so giebt er mir Geschenk fuͤr Geschenk zuruͤck, daß ich beinah sagen kann, diese Stelle sei der Dank fuͤr dieses Bildchen. Wie aus Jean Paul's Zettelkasten, nicht wahr? — Tuͤbingen, Freitag den 9. December 1808. Ich habe mit Kerner einen Abend und eine Nacht verlebt, an die ich gedenken werde. Aus Cotta's Laden hatte ich die eben erschienene Theorie der Geisterkunde von Jung-Stilling mitgebracht, das Titelbild, die weiße Frau vorstellend, machte schon einen unheimlichen Ein¬ druck, und als Kerner Abends zu mir kam, reizte uns der schauerliche Inhalt. Es ist merkwuͤrdig, wie Jung sich zugleich als schlechter Denker und als geschickter Darsteller zeigt. Sein rastloser, glaͤubiger Eifer, die wirkliche Froͤmmigkeit, mit der er schlechthin alles auf den Buchstaben des Christenthums zuruͤckfuͤhrt, alle ge¬ selligen und politischen Ereignisse davon abhaͤngig macht, das Feuer seiner Ueberzeugung, alles dies reißt unsern Glauben auf einen Augenblick hin, und uns're Phan¬ tasie nimmt er auf's ungeheuerste dadurch ein, daß er alles, was fuͤr sie gelten soll, grade als die baarste Wirklichkeit nicht ihr, sondern der sinnlichen Anschauung aufdraͤngt. Wer duͤrfte alles, was er erzaͤhlt, Taͤu¬ schung nennen, aber in einigen Stuͤcken ist doch der plumpe Aberglauben handgreiflich! Die Erscheinungen des Magnetismus muß man am meisten zugestehen, doch sind das dunkle Regionen, mit denen sich der be¬ sonnene, dem Tage zugewandte Geist nicht gern befaßt, sondern sie den Forschern uͤberlaͤßt, die dazu durch Na¬ turanlage beguͤnstigt sind. Jung war Arzt, indeß da¬ von kommt dem Buche nichts zu gut, als daß er bei manchen Wundern zweifelt, und sie als Verirrungen des Aberglaubens verwirft. Aber seine willkuͤrlichen Vorstellungen vom blaͤulichen Dunstkreis der Seele, vom Hades, und andres dergleichen, stellt er als un¬ zweifelhafte Naturwahrheiten hin. Seine Glaͤubigkeit ist ruͤhrend, seine Absicht sehr redlich, nur hat er nicht frische Geisteskraft und scharfen Verstand genug, um die wahre Bahn zwischen Unglauben und Aberglauben zu bestimmen. Diese Bahn bestimmt sich fuͤr jeden Menschen wohl nach eignem Maße. Die auffallende Prophezeihung von Cazotte zum Beispiel, die hier nach Laharpe mitgetheilt wird, hat das Ansehen der groͤbsten Erfindung, der handgreiflichsten Zusammenstellung nach dem Geschehenen, und doch hoͤrte ich einmal von Schleier¬ macher, dem in Halle auf den Grund dieser Geschichte erzaͤhlt wurde, Cazotte habe Scenen der franzoͤsischen Revolution vorhergesagt, die merkwuͤrdige Aeußerung: „Warum nicht? Ein Mensch, der die Biondetta hat schreiben koͤnnen, bei dem ist es nicht unglaublich, daß er auch wirklich habe prophezeihen koͤnnen.“ Diese Biondetta hab' ich nun seitdem gelesen, und finde das Maͤhrchen ein wahres Kleinod, unbegreiflich in der fran¬ zoͤsischen Litteratur des vorigen Jahrhunderts, vielleicht auch in der That spanischen Ursprungs, wie ja schon der Stoff spanisch ist; aber auf mich macht das Stuͤck nicht einen solchen Eindruck, daß ich jener ungeheuern Folgerung beistimmen koͤnnte. Dagegen ist mir eine Geschichte, welche Jung ebenfalls erzaͤhlt, sehr einleuch¬ tend, von einer Frau, die eine Freundin zu sich heran¬ bannt durch den bloßen Willen. Es giebt so etwas; man kann verwandte Sehnsucht fuͤhlen und ihr folgen muͤssen; ich glaube es. Daß nicht jeder, und nicht immer, so leisen Regungen offen steht, ist so natuͤrlich, als daß nicht jeder in einer Symphonie den leisesten Mißton jedes Instruments heraushoͤrt, oder, wie der ausgelernte Spieler, mit den Fingerspitzen ein As und ein Bild unterscheidet. Aber davon will ich eigentlich nicht reden, sondern euch erzaͤhlen wie es uns erging. Wir lasen, und merkten auf, pruͤften, lachten, verwar¬ fen, wurden nachdenklich, und endlich von einer Ge¬ schichte nach der andern so uͤbernommen, durch die wie¬ derholte Terminologie und die sich steigernde Aufdring¬ lichkeit dieses ganzen Geisterspuks dergestalt befangen, daß wir nach Mitternacht todtschlaͤfrig und aufgereizt in banger Verstimmung einander gegenuͤber saßen, und uns von Zeit zu Zeit ansahen, ob wir's auch noch waͤren, und nichts Geisterhaftes ein Spiel mit uns treibe! Wir verwuͤnschten das Buch, billigten die Ba¬ seler Regierung, die es weislich verboten, konnten aber aus der Gewalt seiner Schauer nicht los, fuͤrchteten, einzeln und einsam dieser noch mehr zu verfallen, und beschlossen, die Nacht beisammen zu bleiben; Kerner hatte nur wenige Schritte uͤber einen Flur und eine Treppe hinab zu seinem Zimmer, allein er mochte nicht fortgehen, und ich bat ihn mich nicht zu verlassen. Spaͤt und verstoͤrt schliefen wir ein, und ein unerfreu¬ liches Erwachen trug noch die Spuren der unseligen Lukubration! — Dieses Wuͤrtemberg ist recht die Heimath des Spuk- und Gespensterwesens, der Wunder des Seelen¬ lebens und der Traumwelt. Die Einbildungskraft der Schwaben hat dafuͤr eine außerordentliche Empfaͤnglich¬ keit, ihre Nerven sind nach dieser Richtung besonders ausgebildet. Das Land ist gepfropft voll von Sagen, Prophezeihungen, Wundern, Seltsamkeiten dieser Art. Die Physiognomie des Bodens traͤgt gewiß das Ihrige dazu bei, sie spricht im Allgemeinen das Gemuͤth tief an, man fuͤhlt sich einsam und wie aus der Welt ge¬ schieden in diesen beschraͤnkten Thalstrecken und auf die¬ sen maͤßigen Hoͤhenzuͤgen; uͤberall trifft der Blick auf zerstoͤrte Burgen, einsame Kapellen, man wird an ein vergangnes Leben erinnert, zwischen dessen Truͤmmern sich die Gegenwart kleinlich ausnimmt. Tuͤbingen be¬ sonders hat in seinem Oertlichen etwas Ahndungsvol¬ les, Seltsames, und es giebt Huͤgelecken und Thal¬ windungen, wo man am hellen Mittag irgend eine Unheimlichkeit argwoͤhnen koͤnnte. Sonderbar ist es, daß gegen diese Stimmung des Landes und der Ein¬ wohner die Wirksamkeit des Protestantismus, der hier in den trefflichsten Anstalten und Geistlichen eine un¬ aufhoͤrliche Quelle tief in das Volk dringender Bildung ist, bisher nichts vermocht hat. Kerner ist nun in diesen Richtungen der wahre Ausdruck seines Landes und Volkes, nur emporgehoben aus der untersten Region in eine hoͤhere, wo wissen¬ schaftliche Einsicht und dichterische Phantasie zu dem Volkstuͤmlichen sich mischen. Seine Natur wirkt so entschieden, daß in seiner Gegenwart mehr moͤglich scheint als sonst, daß die Empfaͤnglichkeit andrer Ge¬ muͤther durch ihn waͤchst. Er hat selbst einmal — vo¬ riges Jahr am Weihnachtsabend — etwas Seltsames erlebt. Es war tief im Winter, und er saß mit einem Freunde, einem freisinnigen, aufgeklaͤrten Menschen, Abends bei Licht auf seiner Stube, eine Guitarre lag zur Hand, und er fing an darauf zu spielen. Waͤh¬ rend des Spielens fuͤhlte er eine wunderbare Beklom¬ menheit, die schnell zunahm, er war in einem unbe¬ greiflichen Zustand, den er nie vorher gekannt, ihm fehlte jeder Maßstab und jeder Ausdruck fuͤr seine Em¬ pfindung, die dadurch noch fuͤrchterlicher wurde, daß er ganz deutlich sah, wie sein Freund, von aͤhnlichem Eindruck erfuͤllt, ganz erschrocken uͤber ihn hinaufblickte; jetzt war ihm als druͤcke von obenher eine schwere Masse ihn gewaltsam nieder, und in demselben Augenblicke, als die fuͤrchterliche Angst aufs hoͤchste gestiegen war, sprang der Freund auf, schrie voll Entsetzen: „O Je¬ sus, Kerner!“ und stuͤrzte zur Thuͤr hinaus. Kerner fiel hin, und lag eine Weile besinnungslos, nicht durch den Schreck, wie er ausdruͤcklich sagt, sondern durch die davon unabhaͤngige Steigerung seines innern Zu¬ standes. Als er zu sich kam, verließ er eiligst das Zimmer, und ging einige Zeit im Freien umher; die sternenhelle Winternacht erquickte ihn, und er konnte, als er in seine Stube zuruͤckgekehrt war, ruhig ein¬ schlafen. Am Morgen traf er mit dem Freunde zu¬ sammen, beide waren verlegen, doch endlich erzaͤhlte der Freund, noch ganz angegriffen und erschaudernd vor der Erinnerung, es sei ihm vorgekommen, als habe uͤber Kerner's Kopf, waͤhrend des Spielens, sich eine Gestalt, undeutlich gebildet, und sei dann laͤngs der Wand hingezogen. Kerner wußte nur, daß ihm un¬ endlich weh gewesen, mit den Guitarrentoͤnen seine Angst wie von obenher vermehrt worden, ihm dann ploͤtzlich so kalt, und alles umher licht und hell gewesen sei. Kein aͤußrer Umstand, der zur Erklaͤrung haͤtte dienen koͤnnen, war aufzufinden, das Licht hatte Kerner bei der Wiederkehr erloschen gefunden, die Luft nicht beengt. Sie wußten sich einander keine Rechenschaft von ihrer Empfindung zu geben, die Worte fehlten ihnen; „Mer haͤnn nicks schwaͤtze koͤnne,“ sagte mir Kerner mehr¬ mals, indem er seine Erzaͤhlung beschloß, die ihn selber noch jetzt heftig angriff, und ihm fuͤrchterlich war. Die Empfindung, meinte er, sei so schrecklich gewesen, daß er davon auf der Stelle haͤtte todt bleiben oder wahn¬ sinnig werden koͤnnen; vorher war er sehr lustig und guter Dinge, in den Tagen nachher aber fuͤhlte er sich krank, bekam eine Art von Veitstanz, und mußte laͤn¬ gere Zeit unter aͤrztlicher Behandlung bleiben. Er will auch jetzt noch die ganze Geschichte nur als Krankheit angesehen wissen, und verwirft jede geisterglaͤubige Deu¬ tung, obwohl er die wunderbare Erscheinung sich nicht wegstreiten kann. Fast gereut ihn, die Sache mir er¬ zaͤhlt, und dadurch sie wieder so lebhaft in sich aufge¬ rufen zu haben. Nicht unterdruͤcken kann ich bei dieser Gelegenheit eine sonderbare und artige Maͤhr, die meinen Tuͤbinger III . 8 Freund einen Augenblick in fuͤr ihn vorweltliche Bezie¬ hung und Mondscheinnacht versetzt. Seine Mutter, eine gute fromme Frau, die ihren Mann fruͤhzeitig ver¬ loren, fiel vor mehreren Jahren in eine hitzige Krank¬ heit, die sie zwar gluͤcklich uͤberstand, aber von der sie doch eine Schwaͤche behielt. Sie dachte viel und gern an die Vorfaͤlle fruͤherer Lebenszeit, wobei sie leicht aͤngstliche Anwandlungen hatte. So hatte sie mehrmals im Stillen ihren Sohn herbeigewinkt, und ihn sorg¬ faͤltig untersucht, ob er nicht verborgne Schuppen habe, und war immer sehr zufrieden, weder Schuppen noch sonst etwas, das an Fisch erinnerte, zu finden. Der Grund dieser seltsamen Vorstellung blieb lange verbor¬ gen, bis die gute Frau einmal ihrem aͤltesten Sohne Folgendes vertraute. Sie sei eines Abends mit ihrem Manne am Ufer des Neckar spaziren gegangen, und da es am Tage sehr heiß gewesen, so habe ihr Mann Lust bekommen sich zu baden, unterdessen sei sie im Schatten eines nahen Gebuͤsches geblieben. Eine Weile habe sie ihn im Wasser plaͤtschern hoͤren, dann ploͤtzlich aber seinen Huͤlferuf vernommen; im Augenblicke der Noth, nur von dem Einen Gedanken erfuͤllt, zu ihrem Manne zu eilen, sei sie aus dem Gebuͤsch herausge¬ sprungen, und mit allen Kleidern wie sie war in's Wasser gegangen; da habe ihr Mann sie sogleich um¬ faßt und scherzend beruhigt, er habe nur sehen wollen, ob sie ihn so lieb habe. Dann habe er sie zu dem Gebuͤsch zuruͤckgefuͤhrt. Sie aber, da sie einige Zeit darauf in's Kindbett gekommen, habe sich sehr gefreut, daß sie ein huͤbsches Knaͤbchen und keinen Fisch zur Welt gebracht. Der ganze Vorgang war mehr Ein¬ bildung als Wahrheit, in Betreff der Zeit gewiß irrig; allein der Furcht, solcherlei moͤchte doch eine Suͤnde gewesen sein und durch ein Zeichen gestraft werden, konnte die gute Frau, in der Schwaͤche nach der Krank¬ heit, auf Augenblicke sich doch nicht erwehren. Durch Justinus Kerner lern' ich nun auch seinen Bruder Georg, den ich in Hamburg doch nicht auf¬ merksam genug beachtet, naͤher kennen. Dieses Ge¬ schlecht hat eine solche Staͤrke und Fuͤlle von Anlagen, daß sie vertheilt auf die verschiedenen Zweige noch in jedem als besondrer Reichthum erscheinen. Es ist die¬ selbe Kraft, die im einen Bruder Natur und Welt magnetisch und humoristisch erfaßt, und im andern ei¬ nen spruͤhenden Feuergeist fuͤr Staats- und Buͤrger¬ leben erweckt hat; ein dritter Bruder steht als Oberst in wuͤrtembergischen Kriegsdiensten, wo er wegen seines guten Kopfs und tapfren Muthes gleich geschaͤtzt ist. Das Leben Georgs aber, in die franzoͤsische Revolution verflochten, ist durch Frische und Reinheit des Eifers, wie durch Muth und Selbststaͤndigkeit des Willens ein so achtungswerthes als abentheuerliches Karakterstuͤck; eine deutsche Ehrlichkeitsrolle in franzoͤsischen Verhaͤlt¬ nissen und Hoffnungen, die wie billig mit dem Ausscheiden 8 * des Helden endigt. Geniale Zuͤge bezeichnen diese Bahn von Anfang bis zu Ende; einige derselben habe ich mir besonders aufgezeichnet. Es waͤre der Muͤhe werth, daß dieser Mann sein eignes Leben schriebe, wozu doch seine praktische Rastlosigkeit ihn schwerlich gelangen laͤßt. Tuͤbingen, Donnerstag den 29. December 1808. Hier hat sich noch ein Poet eingefunden, mit dem ich bei Cotta einen Abend zugebracht habe. Es ist der Daͤne Jens Baggesen, der mir auf das Wort von Voß, Erhard, und Andern, bisher viel galt, und der mir nun auf sein eignes wenig gilt. Er kommt von Paris, hat gegen Napoleon einen politischen Faust ge¬ dichtet, den er natuͤrlich nicht kann drucken lassen, macht Spottgedichte gegen die deutschen Romantiker, will sogar von Goͤthe wenig wissen, und meint, man sei ein Dichter, wenn man sich selbstgefaͤllig uͤber alles erhebt, und von Voß die Schmiedearbeit deutscher Hera¬ meter gelernt hat! Er ist graͤnzenlos eitel, traͤgt sich immer vor, paßt sich alte Anekdoten und Geschichten an, sucht Effekt darin zu machen, und das laͤuft bis¬ weilen so schal und klaͤglich ab, daß ich mich fuͤr ihn schaͤme. Er thut sehr wichtig damit, daß er die fran¬ zoͤsischen Sachen und die bedeutenden Personen in Paris einigermaßen kennt, spricht von seinen großen Verbin¬ dungen, Planen, sogar Gefahren. Cotta'n hat er ganz fuͤr sich eingenommen, und die Frau gleichfalls. Sie sind beide geschmeichelt durch die Art, wie er sich um ihren Beifall bewirbt, und Cotta findet, daß er Geist und Witz im Uebermaß habe. Ich aber empfehle mich nicht durch meinen Witz, daß ich sage, sein Faust sei doch nur eine Faust in der Tasche! — Baggesen scheint in Stuttgart etwas zu suchen, und einiger Gunst schon versichert zu sein, das wirkt auch bei Cotta mit, wie ich das schon in Betreff Matthisson's gesehen, der die entschiedene Vorliebe des Koͤnigs gewonnen und eine schoͤne Anstellung erhalten hat, weshalb ihm nun von allen Seiten auf die widerwaͤrtigste Weise der Hof ge¬ macht wird, und er in poetischen und litterarischen Din¬ gen ploͤtzlich eine Ministerautoritaͤt sein soll; das Mor¬ genblatt ist da denn eifrig auf dem Platz, und laͤchelt huldigend! — Zu einem andern Dichter hat mich Kerner gefuͤhrt, zu einem Dichter im wahren vollen Sinne, einem aͤchten Meister der Poesie, der aber nicht am Hofe zu suchen ist, noch in Cotta's Abendgesellschaft, sondern — im Irrenhaus. Wie ein Strafschauder traf es mich, als ich zuerst vernahm, Hoͤlderlin lebe hier seit ein paar Jahren als Wahnsinniger! Der edle Dichter des Hyperion, und so manches herrlichen Liedes voll Sehn¬ sucht und Heldenmuth, hatte allerdings eine Uebersetzung des Sophokles in Druck gegeben, die mir ziemlich toll vorgekommen war, aber nur litterarisch toll, worin man bei uns sehr weit gehen kann, ohne grade wahn¬ sinnig zu sein, oder dafuͤr gehalten zu werden. Diese Tollheit zu ruͤgen, war voͤllig erlaubt, und ich hatte mir fuͤr den Doppelroman, zu den uͤbrigen litterarischen Figuren, auch einen Uebersetzer Wachholder ausgedacht, der wie Hoͤlderlin's Sophokles werden sollte. Nur durch Zufall unterblieb es, und wahrlich mir zum Heil! Denn mir waͤre es ein schrecklicher Gedanke, einen Geistes¬ kranken verspottet zu haben, eben so schauderhaft, wie eine Leiche pruͤgeln zu wollen! Wie klaͤglich erscheint das irdische Beginnen, wie ohnmaͤchtig der Haß und die Liebe, gegen das unerreichbar Entruͤckte! wie heili¬ gend der Tod und großes Ungluͤck! Der Scherz gegen Hoͤlderlin haͤtte freilich ihn selber nie beruͤhrt, waͤre nicht boͤse gemeint gewesen, war in seiner Voraussetzung nicht unrecht einmal, und diese Voraussetzung war die argloseste: aber doch ist es mir unendlich lieb, daß die¬ ser Ausfall nicht geschah, ich fuͤhle mich wie einer gro¬ ßen Gefahr, einem tiefen Frevel entgangen. — Der arme Hoͤlderlin! Er ist bei einem Schreiner in Kost und Aufsicht, der ihn gut haͤlt, mit ihm spaziren geht, ihn so viel als noͤthig bewacht; denn sein Wahnsinn ist nicht grade gefaͤhrlich, nur darf man den Einfaͤllen nicht trauen, die ihn ploͤtzlich anwandeln koͤnnten. Er raset nicht, aber spricht unaufhoͤrlich aus seinen Einbil¬ dungen, glaubt sich von huldigenden Besuchern umge¬ ben, streitet mit ihnen, horcht auf ihre Einwendungen, widerlegt sie mit groͤßter Lebhaftigkeit, erwaͤhnt großer Werke, die er geschrieben habe, andrer, die er jetzt schreibe, und all sein Wissen, seine Sprachkenntniß, seine Vertrautheit mit den Alten, stehen ihm hiebei zu Gebot; selten aber fließt ein eigenthuͤmlicher Gedanke, eine geistreiche Verknuͤpfung, in den Strom seiner Worte, die im Ganzen nur gewoͤhnliches Irrereden sind. Als Ursache seines Wahnsinns wird ein schreck¬ licher Auftritt in Frankfurt am Main angegeben, wo er Hofmeister in einem reichen Hause war. Eine zarte liebenswerthe, ungluͤckliche Frau wuͤrdigt den hohen Dichtergeist, das reine Gemuͤth des in seiner Lage ge¬ druͤckten und verkannten Juͤnglings, es entsteht eine unschuldige Freundschaft, die aber dem rohesten Arg¬ wohn nicht entgeht, und Hoͤlderlin wird thaͤtlich mi߬ handelt, sieht auch die Freundin mißhandelt! Das brach ihm das Herz. Er wollte seinen Jammer in Arbeit vergraben, er uͤbersetzte den Sophokles; der Verleger, der den ersten Theil drucken ließ und ausgab, ahndete nicht, daß in dem Buche schon manche Spur des Ueber¬ ganges zu finden sei, der in dem Verfasser leider nur allzubald sichtbar wurde. — Tuͤbingen, Anfang Januars 1809. Ich lebe in der groͤßten Einsamkeit. Ein paar Abende ausgenommen, von denen ich den einen sehr langweilig bei Cotta, den andern angenehm bei Froriep zugebracht, bin ich gar nicht aus dem Hause gekommen. Bei Froriep ist es norddeutsch, Halle und Berlin klingen mir dort nach, ich bin in heimathlicher Luft, auch freuen mich die Kinder sehr, die mich oͤfters besuchen. Man bleibt bei Froriep bis in die Nacht hinein, das heißt bis nach 10 Uhr, freilich auf die Gefahr, als Nachtschwaͤrmer, auf der Straße dem Waͤchter aufzufallen. — Ich warte das Fruͤhjahr ab, weil ich muß; unter¬ dessen laß' ich es an Fleiß nicht fehlen. Ihr glaubt es nicht, was ich alles treibe, die heterogensten Sachen nebeneinander, und nicht aus willkuͤrlichem Wechsel, nein, sie haben alle ihren nothwendigen Bezug in mir, und was nicht Raͤderwerk zum Weiterkommen ist, ist Oel zum Raͤderwerk. Ich habe absatzweise starke medi¬ zinische Arbeiten gemacht, ich habe den ganzen Livius durchgelesen, ich habe Studien zu einem Trauerspiel von unserm Kaiser Heinrich dem Vierten gemacht, und ein paar Novellen, und vielerlei Aufsaͤtze, und unzaͤhlige Briefe geschrieben; mehr aber noch innerlich mit Welt und Leben, mit Entwuͤrfen und Moͤglichkeiten mich abgekaͤmpft. Macht jetzt keine Anspruͤche an mich, laßt mich gehn! Vielleicht erfuͤll' ich kuͤnftig eure Erwar¬ tungen um so besser. — Tuͤbingen, Mitte Januars 1809. Kerner, der nach seiner ehrenvollen Doktorpromotion gleich nach Hause ge¬ reist war, ist wiedergekommen, jetzt aber leider krank. Ich bin die Abende immer bei ihm. Autenrieth ist sein Arzt, und bleibt auch ganze Stunden. Da giebt es die lebhaftesten Gespraͤche: die romantische Schule, die Naturphilosophie, und vor allem das Wunderhorn, wer¬ den schrecklich angegriffen, hartnaͤckig vertheidigt. Auten¬ rieth ist voll schwaͤbischer Phantasie und Laune, da er aber auch großen Verstand besitzt, und der ihn mi߬ trauisch gegen sein Naturell macht, so hat er dieses jenem ganz dienstbar untergeordnet, und nun streiten diese muntern Kraͤfte wider das, was ihnen eigentlich befreun¬ det ist. Ich habe ihm das einmal bewiesen, daß sein Eifer gegen die Volkslieder nur versteckte Freude an ihnen ist, und er lachte sehr vergnuͤgt daruͤber. Ein paar junge Tuͤbinger, Pregitzer und Koͤstlin, nehmen warmen Antheil an diesen Verhandlungen, fuͤr Kerner sind sie staͤrkende Arznei; Uhland schweigt in schroffem Ernst, und seine Gegenwart verhindert uns auch wohl, die streitigen Meinungen allzu stark hervorzurufen. Ich habe aber noch von einem andern Abendgaste zu reden, den ich bei Kerner treffe, abermals einem Poeten, und zwar wieder von ganz anderm Schlag, als die bisher ge¬ nannten; hoffentlich hab' ich mit ihm nun alle Dichter¬ sorten des hiesigen Platzes erschoͤpft. Ich stelle euch den Professor Conz vor. Laßt es euch nicht stoͤren, daß er so aussieht, wie Focks in den „Versuchen und Hinder¬ nissen“ beschrieben ist, er ist doch ein ganz wackrer und guter Kerl! Was kann er dafuͤr, daß er in fruͤhere Jahre fiel, wo es fuͤr Dichtergluth eine andre Heizung gab, als jetzt? Er haͤlt eine sehr gute Vermittelungs¬ linie zwischen Schiller und Voß, weiß Metrum und Reim zu handhaben, hat sich um Kantische Philosophie bekuͤmmert; waͤr' er juͤnger, so machte er Sonette, wuͤßte von Assonanzen, ließe Schelling'sche Formeln in seinen Dichtungen durchschimmern. Conz ist hier der eigent¬ liche Philolog an der Universitaͤt, und wirklich ein gruͤnd¬ licher, auch geschmackvoller Alterthumskenner, eifrig in seinem Fach, und uͤberhaupt fuͤr Schoͤnes und Hohes leicht entzuͤndbar. Da er aber als Anempfinder wenig Festigkeit und Schaͤrfe besitzt, sich theils aus Gutmuͤthig¬ keit, theils aus Schwaͤche, leicht einschuͤchtern laͤßt, so kann er seine Sachen nicht mit dem noͤthigen Ansehn durchsetzen, die Kollegen necken ihn, die Studenten be¬ zeigen sich leichtfertig, zu Hause giebt es auch wohl Schelte, da bleibt denn die Litteratur die einzige Zu¬ flucht, — aber in der herrscht ein neuer Geist, der von ihm und all dem Seinen nichts wissen will! So lebt der Mann hier seit Jahren gedruͤckt und gehemmt, und seufzt nach Menschen, die seine Gegenstaͤnde kennen, seine Richtungen einsehen, sein Streben wuͤrdigen. Un¬ vermuthet findet er mich, mich, liebe Freunde, und nun erwaͤgt, was das heißt! Muß ich es euch Hartsinnigen doch umstaͤndlich eroͤrtern? Nun, so hoͤrt! Er findet einen jungen Mann, der kein Philolog vom Fach ist, aber den Homer und Platon liest, der mit Wolf und und Gurlitt bekannt ist, der den Dichter und Uebersetzer Voß hochschaͤtzt, der die Verdienste metrischer Ueber¬ setzungen wuͤrdigt, dem die Oden Klopstocks vertraut sind, der zum Erstaunen der Anwesenden ganze Reihen von Hexametern und Pentametern hersagt aus einer Elegie, worin die Befreiung Griechenlands durch Bo¬ naparte geweissagt wird, und diese Elegie ist von Conz! Genug, der Mann hat die groͤßte Freude an mir, hat es seit Jahren nicht so gut gehabt, kann alle seine lang¬ verhaltenen Reden an mich richten, ist unerschoͤpflich in Mittheilungen, erzaͤhlt von sich und Andern, fuͤhrt seine eignen nicht recht bekannt gewordenen Schriften an, er sieht, daß er verstanden, daß er gewuͤrdigt wird. Leider traͤgt aber auch dies seltne Gluͤck einen geheimen Stachel von der Nemesis eingepflanzt! Denn, wenn ihr es noch nicht wißt, so erfahret es jetzt, Conz ist der Rezensent in der Hallischen Litteraturzeitung, der unsre Gedichte dort so scharf mitgenommen und her¬ untergerissen hat, und jetzt, da er an mir seine groͤßte Freude, so ganz seinen langentbehrten Mann findet, ist er beschaͤmt und bestuͤrzt wegen jener That, und fragt Kerner'n aͤngstlich, ob ich wohl etwas davon wisse, und fuͤrchtet, daß ich es erfahre! Er hat aber nichts zu fuͤrchten, er ist ja fuͤr sein Uebelthun schon genug gestraft durch die Sache selbst, daß er denjenigen getadelt, den er nun liebt und schaͤtzt, und daß dieser ihn nun doch meidet und flieht; denn er langweilt mich ungeheuer, und verhoͤhnen mag ich ihn nicht, weil er das nicht verdient, und ohnehin schon geplagt genug ist! — Ich ziehe aus der laͤcherlichen Geschichte die lehr¬ reiche Warnung, daß man im Rezensiren vorsichtig sein und bedenken muͤsse, ob man auch nicht den Ort ver¬ unreinige, wo man spaͤter sich werde hinsetzen wollen! — Tuͤbingen, Donnerstag den 16. Februar 1809. Ich konnte heute nicht schreiben, das Fruͤhlingswetter hatte in meine Brust wie in einen jungen Baum seine Un¬ ruhe getrieben; der Tag war ein verkuͤndender, noch nicht selber schoͤn, aber schoͤne Nachfolger verheißend. Ich eilte vor das Thor hinaus, in das freie Neckarthal. Indem ich durch die schmutzigen, engen Straßen ging, und nachher, als ich draußen auf die Stadt zuruͤckblickte, fuͤhlte ich deutlich, daß der Ort mir doch schon lieb geworden, daß ich den Aufenthalt, den ich hier gemacht, und alle Zweifel und Schmerzen, die ich hier durchge¬ kaͤmpft, doch nicht entbehren moͤchte in meinem Leben. — Die nahe Abreise nahm mir heute die Angst, das Thal war mir kein Kerker mehr, der Sinn konnte sich frei ergehen, und sich jedem lieben Eindruck uͤberlassen. Die Luft war warm und still, die Gegend hell, die Land¬ straßen fest und trocken, und sehr belebt. Rings am Himmel stand doch viel Gewoͤlk, aber klein, still, und vielfarbig in mattem Glanz; die Wolken schienen sich nur zu bewegen, um sich in einen zarten weißen Flocken¬ schleier uͤber die Himmelsblaͤue langsam auszubreiten; feine Nedelfaͤden schwammen hoch im weiten Blau, und unten um die fernen Berge loͤste sich das dichtere Ge¬ woͤlk sanft in duftigen Nebe! auf, der spielend heran¬ wogte mit dem Abend. Laͤngs einem Seitenbache des Neckars ging ich eine weite Strecke fort, und freute mich meines Alleinseins, das mir auf Wanderungen immer behagt. Aber angekommen waͤr' ich gern bei lieben Freunden, dieses Ziel fehlte mir! Und so mußt' ich endlich den Ruͤckweg nehmen, und unter allmaͤhligem Verstummen des vorher so lauten Herzens, mich in die Stadt und in mein Zimmer zuruͤckfinden, umduͤstert von dickem Abendnebel, der dicht vor meinen Fenstern die schwarzen Daͤcher uͤberschwebt. Als ich hinausging, sah ich Kuͤrasse schmieden, auf dem Ruͤckwege begegneten mir wuͤrtembergische Reiter. So mahnt auch in dem friedlichen Thal schon manches an Krieg, der sich aus Osten und Westen allerdings in allerlei Zeichen drohend ankuͤndigt! — Ich habe die franzoͤsischen Buͤlletins uͤber den Krieg in Spanien der Reihe nach durchgelesen, und mehr daraus ersehen, als sie zeigen wollen. Naͤher aber, als diese Vorgaͤnge, beruͤhren mich die Nachrichten von den Ruͤstungen in Oesterreich. Dort scheint alles auf einen aͤchten Volkskrieg abgesehen, und Begeisterung und Kraft jeder Art aufzuwachen. Hier, — und wo nicht in Deutschland? — ist die Regierung mit den Franzosen verbuͤndet, das Volk aber ist fuͤr Oesterreich, mit dessen Sache die deutsche ihm diesmal eng verbunden duͤnkt. Die kriegerischen Aussichten machen auch all meine Plane wieder ungewiß. Wo soll, wo kann man hin? wo bleiben? Wie wird es binnen einem halben Jahr in Deutschland aussehen? — In Hamburg find' ich immer weniger, was ich bedarf! Doch will ich es versuchen, nochmals durch die That pruͤfen, ob ich dort meine Staͤtte finde. In Berlin eroͤffnen sich vielleicht neue Aussichten! In Wien stehen sie einladend offen. Meine Wege sind leider stets Umwege. — (Hier waͤren, außer andern, noch nicht mittheilbaren Abschnitten, der Zeitfolge nach die beiden schon im zweiten Bande abge¬ druckten: „Die Schlacht von Wagram“ und „Das Fest des Fuͤrsten von Schwarzenberg“ einzuschalten.) Steinfurt 1810, 1811. G egen das Geraͤusch und den Glanz des Pariser Aufent¬ halts machte die Einsamkeit und Stille, die wir beim Eintritt in Westphalen empfanden, den schneidendsten Gegensatz. Die ganze Beschaffenheit des Landes, die Art wie dasselbe bewohnt und bebaut wird, alles giebt ihm ein stilles, duͤstres Ansehn. Bewaldete Huͤgel be¬ schraͤnken den Blick, in der Flaͤche wechseln Sand und Wald, und Moor und Haide, zwischen denen sich Acker¬ felder muͤhsam hervorarbeiten. Da es keine Doͤrfer giebt, sondern die Bauerhoͤfe vereinzelt liegen, und zwar meist abseits der Straße im Gebuͤsch versteckt, so scheint die Bevoͤlkerung noch geringer, als sie wirklich ist. Wie abgesondert diese Leute von der uͤbrigen Welt leben, ergab sich unter andern in der treuherzigen Neugier, mit der sie uns fragten, ob es denn wirklich wahr sei, was man erzaͤhle, daß der Kaiser Napoleon seine erste Gemahlin verstoßen und zur zweiten eine Tochter des Kaisers Franz bekommen habe! Sie wollten es nicht recht glauben, so wenig wie sie fruͤher an die Siege der Franzosen hatten glauben moͤgen, bis die Einsetzung franzoͤsischer Behoͤrden begreiflich machte, daß das Muͤn¬ sterland wenigstens fuͤr jetzt der fremden Herrschaft unterworfen sei; doch zweifelte keiner, daß uͤber kurz oder lang endlich dennoch Anton Viktor kommen und als Fuͤrst in seine Rechte treten wuͤrde; dieser oͤster¬ reichische Erzherzog war naͤmlich noch zuletzt, als schon die Stuͤrme der Zeit das Land ergriffen hatten, zum Fuͤrstbischof von Muͤnster gewaͤhlt worden, und das Volk hoffte auf ihn wie auf einen Verheißenen, und nannte seinen Namen oͤfter und bedeutsamer, als es vielleicht geschehen waͤre, wenn er wirklich regiert haͤtte. Im Fruͤhjahr, als ich Steinfurt von Boͤhmen aus besuchte, hatte ich mir nicht traͤumen lassen, daß ich im Herbste wiederum dort einsprechen wuͤrde, und zwar von der entgegengesetzten Seite; mir war aber diese Wiederkehr nicht unlieb, und ich hoffte die Muße der naͤchsten Monate fuͤr mancherlei Arbeiten wohl anzu¬ wenden. Steinfurt, oder Burgsteinfurt, wie der Name eigent¬ lich heißt, bis dahin der Hauptort der gleichnamigen Grafschaft, war jetzt ein franzoͤsisches Staͤdtchen, das seinen Maire hatte, dem die fruͤhere Landesherrschaft eigentlich wie die uͤbrigen Einwohner untergeordnet war. Allein die willkuͤrliche Verfuͤgung hatte die tausendfachen Sach- und Namensbezuͤge des auf Jahrhunderte gegruͤn¬ deten fruͤhern Zustandes so ploͤtzlich nicht umwandeln koͤnnen, dieser fruͤhere Zustand war in allem, was das Oertliche betraf, nach wie vor in ungestoͤrter Wirksam¬ keit, und fuͤr den Anschein keine Veraͤnderung merklich, als daß die graͤfliche Leib- und Schloßwache von 50 Mann, welche ehmals bewaffnet und von einem Hauptmann befehligt waren, jetzt ohne Waffen und ohne Offizier, aber doch in ihrer rothen Montur, ihren Dienst ver¬ sahen. Die graͤfliche Familie bewohnte das dicht an der Stadt liegende, von dem kleinen Fluß Aa rings umge¬ bene und ehmals wohlbefestigte Schloß, auf dessen einer Seite der große, praͤchtige, von dem regierenden Grafen mit eifriger Liebhaberei und ungeheuern Kosten ange¬ legte, weit und breit beruͤhmte Lustpark, Bagno ge¬ nannt, sich uͤber einen bedeutenden Raum erstreckte, der mit herrlichen großartigen Spazirgaͤngen, See- und Waldstrecken, maͤchtigen Wasserfaͤllen und Springbrunnen, aber auch mit Grotten, Tempeln, Saͤlen, Kiosken, Moscheen und so weiter, uͤberall erfuͤllt war, und in letzterer Hinsicht den Geschmack einer vergangenen Zeit nicht allzu guͤnstig darstellte. Alles war zum Schau¬ platz eines reichen und feierlichen Hoflebens eingerichtet, zu großen Festlichkeiten, bei welchen die Pracht und Herrlichkeit des Gebieters zur vollen Erscheinung kommen sollte; ein großer Saal war eigends fuͤr die Konzerte erbaut, welche von der Kapelle des Grafen aufgefuͤhrt III. 9 wurden, und in denen neben seinen wohlbesoldeten, aus Italien mit großen Kosten verschriebenen Kammersaͤn¬ gern, auch er selbst bisweilen sich auf der Floͤte hoͤren ließ, die ihm zu solchem Behuf ein Edeldiener auf seid¬ nem Kissen darzubieten hatte; es fehlte nicht an ge¬ raͤumigen Tanz- und Speisesaͤlen, nicht an schicklichen Raͤumen, wo ein Hofzirkel gehalten und die Vorstellung anwesender Fremden mit gehoͤriger Feierlichkeit geschehen konnte; in einer Bucht des See's lagen geschmuͤckte Prachtschiffe bereit, um sowohl die Herrschaft und etwa¬ nige vornehme Gaͤste, als auch begleitende Janitscharen¬ musik, in langsamer Prunkfahrt umherzufuͤhren; an andrer Stelle stieß man auf ein ungeheures Schachbrett im Freien, wo die Spieler zwei entgegengesetzte Buͤhnen bestiegen, und von da aus die bestellten Diener anwiesen, die maͤchtigen Figuren auf die bestimmten Felder hinzu¬ ruͤcken; an hohen Tagen, wo die Wasserfaͤlle stuͤrzten, und die Springbrunnen ihre Strahlen bis uͤber hundert Fuß hoch trieben, durften die Einwohner von Steinfurt und der Umgegend denen von Versailles kaum nachzu¬ stehen glauben. Der regierende Graf liebte nach alter Weise, durch solche Außerordentlichkeiten einen hohen Begriff von der Stellung und Macht zu geben, denen so Staunenswerthes moͤglich war, und er selber fuͤhlte sich so sehr als Mittelpunkt eigner Selbststaͤndigkeit, daß er daruͤber den wirklichen Umfang derselben fast zu ver¬ gessen schien. Nicht nur, daß er Hofstaat und Leib¬ wachen und Beamte und Dienerschaft jeder Art in moͤglichst großer Menge hatte, er war auch bedacht, in allgemeineren Bezuͤgen Land und Unterthanen in einer Art von Staatshaͤuslichkeit zu befriedigen. Er hatte Gemaͤhlde, Muͤnzen, Bildwerke, Alterthuͤmer und Buͤcher in einem eigens erbauten Kunsthause vereinigt; er sandte eingeborne Juͤnglinge, die einige Anlage verriethen, zu ihrer Ausbildung auf Reisen oder auf die Universitaͤt, mit dem Beding, ihre erworbene Geschicklichkeit kuͤnftig im Vaterlande, das heißt im herrschaftlichen Gebiete des Grafen, auszuuͤben; er ging damit um, eine Verfuͤgung zu erlassen, daß niemand im Lande ein Amt erhalten solle, der nicht seine Vorbereitungsstudien auf der Schule zu Steinfurt gemacht habe. So sehr klein war das Gebiet doch nicht; der Graf hatte zu der Grafschaft Steinfurt die betraͤchtlichere Bentheim ererbt, und weil dieselbe an Hannover von dem letzten Besitzer verpfaͤndet war, sogleich die Einloͤsung zu bewirken gesucht, welche jedoch erst durch Frankreich zu Stande kam, indem Napoleon in die Rechte Hannovers getreten zu sein behauptete, und die Loͤsungssumme fuͤr sich einzog; der Graf besaß ferner die Herrschaft Alpen am Niederrhein, in Holland die Herrschaft Batenburg und einen Zoll an der Maas. Bei allem Aufwand war er zugleich ein strenger Haushalter und seinen Vorbildern auch darin aͤhnlich, daß er einen baaren Schatz gesammelt hatte. Sein begruͤndeter Wohlstand und sein strebendes 9 * Ansehn hatten in der That so guͤnstig fuͤr ihn gewirkt, daß bei der Aufloͤsung des deutschen Reichs, als den vormaligen Reichsunmittelbaren nur zweierlei Loose blie¬ ben, entweder zur Oberherrlichkeit erhoͤht in den Rhein¬ bund zu treten, oder zu Unterthanen solcher Beguͤnstig¬ ten hinabgedruͤckt zu werden, es sich in der Meinung sehr natuͤrlich darbot, dem Grafen von Bentheim koͤnne nur das erstere Loos beschieden sein. Die Eroͤffnungen hierzu von Seiten Frankreichs hatten wirklich Statt gefunden, Verhandlungen mit dem Minister Talleyrand waren dem Abschlusse nah, Karten des kuͤnftigen, durch zu mediatisirende Nachbarn sehr vergroͤßerten Gebietes waren schon gezeichnet, die Oberherrlichkeit des Grafen so gut wie anerkannt, als ploͤtzlich eine andre Ansicht in Paris alles bisher Eingeleitete verwarf, und diese Verhaͤltnisse in druͤckender Unsicherheit stocken ließ. Der Graf war sogleich nach Paris gereist, um seine Gerecht¬ same zu vertheidigen, seine Anspruͤche geltend zu machen. Hier wurde er am Hofe Napoleon's mit allen Ehren aufgenommen, und persoͤnlich als ein regierender Herr behandelt, waͤhrend seine sachlichen Anspruͤche immer weniger Ruͤcksicht erfuhren, und die franzoͤsischen Be¬ hoͤrden in seinem Lande immer entschiedener eingriffen. Je unguͤnstiger seine Verhaͤltnisse daheim sich stellten, je weniger mochte der Graf zuruͤckkehren, sondern blieb in Paris, als dem einzigen Orte, wo er noch als regie¬ rend galt, und wo er Hoffnung hatte, es auch wieder zu werden. In dieser Lage hatten wir ihn dort gefun¬ den, reklamirend, protestirend, sollizitirend, Napoleon und seine Minister bei jeder Gelegenheit angehend, in Foͤrmlichkeiten genau und sich nichts vergebend, sonst aber hoͤchst eingezogen und sparsam in seiner Lebens¬ weise. Er hatte den ehmals allgemeinen Gebrauch bei¬ behalten, rothe Absaͤtze an den Schuhen zu haben, und zog dadurch, und durch andre nicht mehr uͤbliche Vor¬ nehmheit in Haltung und Ausschmuͤckung seiner Person, die Blicke auf sich, wenn er im Garten des Palais- Royal spaziren ging, und sein Secretair ihm voran¬ schreiten mußte; allein das Laͤcheln hieruͤber schwand in Vergessenheit, sobald man ihn sprach und naͤher kannte, man fand einen einsichtsvollen, wohlunterrichteten und in seiner Sphaͤre hoͤchst gebildeten und gewandten Herrn, dessen Verstand und Urtheil auch Napoleon selbst alle Gerechtigkeit widerfahren ließ. Auf solchem Fuß blieb er in Paris viele Jahre, waͤhrend er daheim stets un¬ guͤnstiger zu stehen kam, erst als Mediatisirter dem Großherzogthum Berg unterworfen, und zuletzt gar mit Frankreich einverleibt wurde, da er denn, weil ein Unterthan des franzoͤsischen Kaisers keine andern Titel haben konnte, als welche dieser ihm verliehen oder be¬ staͤtigt hatte, nunmehr staatsbuͤrgerlich mit jedem seiner ehmahligen Unterthanen gleichgesetzt war. Unverdrossen harrte er in Paris auf Herstellung oder Entschaͤdigung, bis er endlich den Sturz Napoleon's erlebte, und dar¬ auf spaͤterhin, unter ganz veraͤnderten Verhaͤltnissen, hergestellt in bedeutende Gerechtsame und fuͤr andre durch die Fuͤrstenwuͤrde entschaͤdigt, in die Heimath zuruͤck¬ kehrte. Damals aber, als wir von Paris in Steinfurt an¬ gekommen waren, lag eine solche Wendung der Dinge fast außer dem Bereiche jeder Hoffnung. Die graͤfliche Familie hatte sich, in Erwartung einstiger Wiederkunft ihres Hauptes, mit den obwaltenden Verhaͤltnissen leid¬ lich eingerichtet, und fuͤhrte unter dem Druck und der Einschraͤnkung, welche mehr den Stand des Hauses im Allgemeinen trafen, aber den einzelnen Mitgliedern kaum fuͤhlbar wurden, ein heitres, vergnuͤgtes Leben. Die Mutter, eine geborne Herzogin von Holstein-Gluͤcksburg, vereinigte mit dem lebhaften Bewußtsein ihres Ranges ein menschenfreundliches Wohlwollen und eine muntere Regsamkeit, wodurch ihre Gegenwart auch den juͤngern Personen lieb und werth wurde. Der Erbgraf Alexis, einfach und verstaͤndig, die Weltbewegungen mit hellem Sinn und in dem Lichte der neuern Zeit betrachtend, stand durch biedre Rechtschaffenheit und leutselige Guͤte in allgemeiner Achtung; fuͤr die juͤngern Geschwister sorgte er mit mehr als bruͤderlicher, mit vaͤterlicher Liebe. Eine aͤltere Schwester, Fuͤrstin von Solms-Lich, schon in jungen Jahren verwittwet, befand sich mit ihren vier Soͤhnen zum Besuch anwesend; zwei juͤngere Schwestern, ausgezeichnet durch Bildung, Herzensguͤte, Schoͤnheit, waren noch unverheirathet zu Hause. Ein juͤngerer Bruder, in daͤnischen Kriegsdiensten angestellt, wurde von Kopenhagen erwartet. Juͤngere und aͤltere Gesell¬ schaft bot die Stadt und Umgegend gar nicht sparsam dar: das Hofleben hatte sich allmaͤhlig in ein geselliges bequemes Landleben herabgestimmt, und die Annehm¬ lichkeit und Befriedigung aller Theilnehmenden dabei nur gewonnen. Selbst die Wirthschaftssorge trat als willkommene Thaͤtigkeit in die Vergnuͤgungen des Tages, und bildete freilich einen wunderlichen Gegensatz mit manchen noch beibehaltenen feierlichen Formen; die aus¬ geschmuͤckten Trompeter, welche im Schloßhofe regel¬ maͤßig zur Mittags- und Abendmahlzeit blasend ein¬ luden, riefen freilich manchmal die Hofdamen von der Besorgung der welschen Huͤhner, den Kanzleirath von der Einzaͤhlung der Baumfruͤchte ab, doch wurde selbst dies nur ein Anlaß heitern Scherzes, und erhoͤhte das Bewußtsein, wie frei man sich in solch unentschiednen Zustaͤnden aller beengenden Ruͤcksichten entaͤußere. Der feste Grund innrer Wuͤrde und edler Gesinnung konnte in dieser trefflichen Familie niemals wanken, mochte sie in den stolzen Anspruͤchen eines regierenden Hauses, oder in den bescheidenen einer Gutsherrschaft erscheinen! Einige Jahre vor mir hatte Justus Gruner als junger Gelehrter in Steinfurt eingesprochen, und in seiner nachher gedruckten Reisebeschreibung sowohl das Leben als die Personen umstaͤndlich geschildert; ich fand alles noch ziemlich in demselben Stande, wie er es beschrieben, und mußte besonders in das Lob einstimmen, welches er den graͤflichen Damen ertheilte, wiewohl ich dasselbe weder so schwungvoll noch so empfindsam aus¬ gedruͤckt haben wuͤrde, als Gruner, der sich dieser schon damals veralteten Art noch zu guter letzt mit allem Eifer hingegeben hatte. Die Damen waren wohl an¬ fangs etwas betroffen, ihre Erscheinung, Vorzuͤge, Aeußerungen und nebenher so manches Unerhebliche, oͤffentlich besprochen zu sehen, allein die beseelte Aner¬ kennung und fast leidenschaftliche Verehrung, die der junge Enthusiast ausdruͤckte, besonders wenn er die herr¬ lichen Gesangstimmen pries, die ihn hier entzuͤckt hatten, erwarben ihm Verzeihung fuͤr eine Dreistigkeit, welche offenbar aus bester Meinung hervorging. In der That war sowohl die Fuͤrstin von Solms-Lich, als ihre beiden juͤngern Schwestern, mit großartiger, durch besten italiaͤnischen Unterricht zu hoͤchster Meisterschaft ausge¬ bildeter Stimme begabt, deren maͤchtige Wirkung mit so vielem andern Zauber vereint den Hoͤrer unwider¬ stehlich hinreißen mußte. Das gesellige Leben auf dem Schlosse war anziehend und genußreich; das Bagno bot den taͤglichen Spazir¬ gaͤngen hinreichende Abwechselung, auch Fahrten in die Nachbarschaft wurden unternommen; der Austausch von Meinungen und Erzaͤhlungen war lebhaft, Ernst und Munterkeit fanden unerschoͤpflichen Stoff. Der Sonn¬ tag war nach alter Sitte eine Art Hoftag, die graͤflichen Beamten wurden zur Tafel gezogen, die angesehnsten Herren und Frauen des Staͤdtchens fuͤr den Nachmittag und Abend eingeladen. Dann erschien auch regelmaͤßig der Maire, ein reicher Arzt Doktor Houth, der fruͤher in Holland sein Gluͤck gemacht und darauf der Praxis uͤberdruͤssig hieher sich zuruͤckgezogen hatte; in bequemem Hause und schoͤnem Garten genoß er nach seinem Sinne ruhige Tage, die er durch das ihm auferlegte Amt ungern unterbrochen sah. Er hatte große Kenntnisse, studirte noch immer weiter, liebte Gemaͤhlde und Musik, und war durch Denkart und Geschmack ganz dem Schloß ergeben, wo man hinwieder die freiwillige Unterordnung und Dienstwilligkeit eines Mannes, der durch sein Amt unendliche Verationen ausuͤben konnte, dankbar zu schaͤtzen wußte. Wir machten Ausfluͤge nach Borghorst und nach Langenhorst, zweien Fraͤuleinstiftern, wo uͤber das Schicksal der unverheiratheten alten und jungen Damen, denen nach der Absicht fuͤrsorglicher Vorfahren hier ein beguͤnstigtes Dasein bereitet sein sollte, die eigensten Betrachtungen anzustellen waren. Mir kam es vor, als wenn die aͤltern und juͤngern Damen mit einer Art von Verzweiflung diese Beguͤnstigung genoͤssen, und durch die ihnen gelassene Freiheit auch des letzten Tro¬ stes entbehrten, des Trostes gezwungen zu sein! Mehr aber, als das Schicksal dieser Erwachsenen, zog mich das eines Kindes an, das ich an einem jener Orte kennen lernte. Die Mutter war eine Edeldame aus dem Muͤnster'schen, der Vater ein franzoͤsischer Emi¬ grant, der jene verfuͤhrt hatte, beide waren davonge¬ gangen, und das Kind von der Aebtissin aus Mitleid aufgenommen worden. Bei dem vornehmen und stren¬ gen alten Fraͤulein galt aber die Erziehungsweise, welche Haͤring in seinem Cabanis so lebendig zu schildern ge¬ wußt; das kleine, zarte Maͤdchen wurde mit aͤußerster Haͤrte behandelt, mußte angestrengt arbeiten, bekam nicht satt zu essen, und erlitt bei dem geringsten Ver¬ sehen die grausamsten Strafen; oft blieb es Tage lang an einem finstern Ort eingesperrt. Urspruͤnglich von lebhaftem Naturell, war das arme Luischen doch schon so abgemuͤdet, daß es der haͤrtesten Strafen gar nicht mehr achtete, sondern sie mit dumpfer Gleichguͤltigkeit als unvermeidliches Geschick hinnahm. Um seinen Hun¬ ger zu stillen, stahl es freilich bei jeder Gelegenheit Brot, Zwieback und dergleichen, doch ohne andere Sa¬ chen, als nur Eßwaaren anzutasten. Mehrmals war es schon fortgelaufen, aber immer bald wieder entdeckt und zuruͤckgebracht worden, um die strengste Bestrafung zu erleiden. Dabei klagte dann die Aebtissin, die sich gegen das Kind selbst und gegen Fremde immer einer abgoͤttischen Liebe fuͤr dasselbe ruͤhmte, uͤber die schwaͤr¬ zeste Undankbarkeit, eingeborne Bosheit und tuͤckischen Trotz. Ich sah das arme Kind, das mir im voraus als ein Ausbund von Verderbtheit bezeichnet worden war, und ließ mich naͤher mit ihm ein; es war bleich und mager, die Augen gutmuͤthig, doch unterdruͤckten Blickes, die Gesichtszuͤge schienen im Uebergange zur Verzerrung begriffen, sie mußten mit der Zeit haͤßlich werden, die kleine Stirn war schon wie von Leid und Gram verwuͤstet. Aus reinster Wahrhaftigkeit, die kei¬ ner Heuchelei wie keiner Klugheit faͤhig war, hatte es schon mehrmals, das fuͤnfjaͤhrige Kind, zur Aebtissin gesagt: „Gott! es sterben ja immer Leute, warum stirbst du nicht? Wenn du doch nur erst todt waͤrst!“ Als ich dort war, wollte es nach der Kirchmesse gehen, um die aufgebauten Buden zu betrachten, und sich fuͤr einige durch Stricken verdiente Stuͤber etwas Kuchen zu kaufen, aber ein Regen trat ein, und nun mußte der Ausgang unterbleiben: „Ach! ich moͤchte so durch die Luft hinfliegen!“ sagte es am Fenster stehend, die nun vergeblichen Stuͤber in der Hand, und betruͤbt der vielleicht nicht wieder zu hoffenden Gelegenheit nach¬ blickend; und doch konnte es mir gleich darauf wieder den so grausamen Regen ruͤhmen, daß er gut sei fuͤr's Land und das Korn wachsen mache, das schon so hoch sei, wie das gebreitete Haͤndchen von der Erde auf zeigte. Ich war erschuͤttert von den Eindruͤcken, die ich empfing. Dies war kein boͤses Kind, vielmehr ein liebes, guͤtiges, aber tiefungluͤckliches! Eine Kindheit ohne Liebe und Huͤlfe, freudenlos, verkuͤmmert, allen Wohlthaten entruͤckt, welche die Natur auch der Ar¬ muth noch spendet, und zwischen das Raͤderwerk falscher Begriffe und Bildung geworfen, und ohn' Erbarmen von diesem zerquetscht und zerstoͤrt! Vier Monate spaͤ¬ ter hatte ich in der Wetterau ein anderes Kind zu se¬ hen Gelegenheit, von dem man mir gleichfalls gesagt hatte, es sei ein Beispiel urspruͤnglicher Boͤsartigkeit, die durch keine Mittel sich bezwingen lasse. Die kleine Josephine war nicht, wie Luischen, eine arme Waise, sie lebte im Schoß der Familie, in hoher und reicher Sphaͤre, sie genoß guͤtiger Behandlung, hinlaͤnglicher Freiheit und zweckmaͤßigen Unterrichts; sie hatte nicht zu klagen, aber Alle klagten uͤber sie; ein Mißverhaͤltniß war allerdings vorhanden, und das achtjaͤhrige Maͤdchen konnte dies nicht aufheben. Ich fand auch dieses Kind durchaus nicht boͤse, im Gegentheil heiter und unbe¬ fangen, aber heftig, und, einmal gestoͤrt, unbeugsam hartnaͤckig. Der erste uͤbereilte Ausspruch, sie sei boͤse, war ihr als eine unverdiente Beschuldigung auf die Seele gefallen, und hatte sie zu der Irrbahn getrieben, auf der nun alles sie befestigte, statt ihr die Hand zu reichen, um wieder davon abzukommen. Fuͤr Jose¬ phinen war ein verstaͤndigendes Wort einzulegen; Luischen konnte nur eine Schickung retten, zu der ich nicht das Werkzeug zu sein vermochte! Aber im Schmerz uͤber diese und aͤhnliche mir aufgestoßene Beispiele schrecklicher Kindermißhandlung und Verwahrlosung ging ich einige Zeit mit dem Gedanken um, unter dem Na¬ men einer Paͤdodicee einige Blaͤtter in die Welt zu schicken, an denen sich vielleicht hin und wieder ein truͤbes Loos dieser Art etwas erhellte. Das Vorhaben war indeß zu unreif, um nicht gegen naͤher anliegende Thaͤtigkeit und Beschaͤftigung zuruͤckzustehen. Wir hatten einen der schoͤnen Herbsttage benutzt, um eine Fahrt nach Bentheim zu machen. In großen, schweren, aber je mit sechs Pferden bespannten Kut¬ schen legten wir die drittehalb Meilen schlechten Weges rasch genug zuruͤck. Man faͤhrt uͤber die sogenannte Brechte, eine wuͤste Strecke, die noch waͤhrend des dreißigjaͤhrigen Krieges ein schoͤner Wald war. Das Land wird in dieser Richtung huͤgelig und romantisch, man glaubt sich aus der westphaͤlischen Ebene weit weg in ein Gebirgsland versetzt. Schon von fern sieht man das alte Schloß auf seiner ansehnlichen Hoͤhe aus den großen, wohlhabenden Marktflecken hervorragen, der sich am Fuße des Abhangs hinzieht; dasselbe liegt auf einem weiten Felsenboden, der sich bald mehr bald weniger erhebt, und giebt mit seinen maͤchtigen Mauern und starken Thuͤrmen ein Bild unbezwinglicher Festigkeit. Ganz glaublich hat schon Drusus hier ein roͤmisches Kastell erbaut, um die in dieser Gegend woh¬ nenden Tubanter in Gehorsam zu erhalten, der Ort war zu einem festen Kriegsposten vorzuͤglich geschickt, und weit umher kein aͤhnlicher zu finden. Roͤmische Muͤnzen sind hier oͤfters ausgegraben worden. Der Grundbau des jetzigen Schlosses soll entschieden roͤmi¬ sches Mauerwerk sein, und auch die ganze suͤdliche Steinwand, die von ungeheuern Quadern hoch aufge¬ thuͤrmt die ganze Laͤnge des Hauptbaues glatt abschnei¬ det, wird fuͤr aͤlter als die eigentliche Ritterzeit ge¬ halten. Diese gewaltige Wand duͤrfte keine Sturmlei¬ ter zu fuͤrchten haben, und kaum durch das schwerste Geschuͤtz zu zerbroͤckeln sein; ein runder Thurm, der die suͤdwestliche Ecke bildet, zeigt wirklich an seinen Mauern, die einige Ellen dick sind, die Spuren abge¬ prallter Kanonenkugeln, welche von den Franzosen in fruͤhern Kriegen, als hannoͤversche Truppen sich hier festgesetzt hatten, fruchtlos verschossen worden, nur das Dach wurde zertruͤmmert. Ein viereckiger Thurm auf der suͤdoͤstlichen Seite scheint noch fester, doch hat der Blitz oben auf der Plattform eines der vier steinernen Wachthaͤuschen aufgerissen. Die noͤrdliche Seite ist ohne Thuͤrme, weil der Felsen hier hoͤher emporragt, und durch seine Steilheit jeden Angriff unmoͤglich macht. Ein alter Heidentempel ist auf dieser Seite mit in das Schloß verbaut, man weiß aber nicht, welche Gottheit hier verehrt worden. Durch zwei unterirdische Trep¬ pen, welche durch die Felsen durchgebrochen sind, kommt man hier zu den schoͤnsten Spazirgaͤngen, die schon außer¬ halb der Burgmauer, aber noch ganz auf der Hoͤhe liegen; uralte Baͤume ragen hier empor mit gewaltigen Staͤm¬ men und ungeheuern Wipfeln, Epheu so ausgebreitet und dicht, wie ich es vorher nie gesehen; der ganze Abhang, der sich dann allmaͤhlig zur Ebene senkt, ist mit Baͤumen und Buschwerk reich uͤberwachsen. Von einer hohen maͤchtigen Vormauer eingeschlossen, und ganz noch zur Burg gehoͤrig, liegt oͤstlich ein geraͤumi¬ ger Obstgarten, wo man nach allen Seiten die herr¬ lichste Aussicht hat, nach Steinfurt, und weit in das Muͤnsterland, waͤhrend nach der andern Seite von den Thuͤrmen das Auge tief in Holland eindringt. West¬ waͤrts dicht am Fuße des Schlosses stehen noch einige sonderbare glattgespuͤlte Felsenmassen; die eine, oben flach, wie ein aufrecht stehender runder Pfuͤhl, der von oben zusammengedruͤckt worden, heißt des Teufels Ohr¬ kissen, denn der Sage zufolge hat dieser einmal mit dem Kopf auf diesem Kissen geschlafen, und einige oben bemerkbare Linien gelten fuͤr die Spuren seines dem allzu weichen Stein eingedruͤckten Ohrs. Die Macht des Pflanzenwuchses zwischen all diesen Felsen und Mauern war außerordentlich, seit undenklicher Zeit hatte ihm niemand gewehrt, aus allen Fugen der Steine schoß ellenhohes Gras, Baͤume schwankten an der hohen Mauerbruͤstung, das muͤhsame Menschenwerk war wieder im Uebergange zur Wildniß. Einige Zimmer, zu solchem Behuf leidlich einge¬ richtet, dienten zu uns'rer Bewirthung; wir hielten ein froͤhliches Mahl unter lebhaften Gespraͤchen, denen der Ort und seine Eindruͤcke unerschoͤpflichen Anreiz boten. Nachmittags besuchten wir auch die unterirdischen Ge¬ maͤcher und das Innere der Thuͤrme; seltsame und grausame Gefaͤngnisse zeigten sich, ein tiefes Burgver¬ ließ, in welchem die Hinabgelassenen verschmachten mußten, eine Marterkammer, deren scheußliche Werk¬ zeuge jetzt verrostet umherlagen, aber noch lebte ein alter Mann auf dem Schlosse, der in seiner Jugend sie hatte anwenden sehen. Viele Ruͤstungen, Lanzen, Schilde und Pfeile waren in einem dunkeln Gemach aufgehaͤuft. Eine Anzahl noch ziemlich erhaltener, zum Theil lebensgroßer Bildnisse vergegenwaͤrtigte die ehe¬ maligen Haͤupter dieser hingestorbenen Welt; das Bild der beruͤhmten weißen Frau, die auch hier bei wichti¬ gen Ereignissen, so fern sie die Familie betreffen, und besonders bei Todesfaͤllen ihr Wesen treiben soll, wurde als durch die Zeit zerstoͤrt angegeben, oder sollte aus besondern Gruͤnden nicht gezeigt werden; die uralte kleine Schaffnerin aber, welche behauptete, mehr als zehnmal die schreckliche Erscheinung gesehen zu haben, haͤtte sich allenfalls selber dafuͤr ausgeben koͤnnen, so schauerlich und duͤster war ihr ganzes Wesen. Nachdem wir noch im Wald unfern der Burg eine neuentdeckte reichhaltige Schwefelquelle besichtigt, und einen Blick auf die nahgelegenen ungeheuren Steinbruͤche geworfen, aus deren Steinen unter andern das Rathhaus zu Amsterdam erbaut worden, fuhren wir mit einbrechender Nacht zuruͤck, und kamen durch die dunkle Wuͤste spaͤt und voll schauerlicher Betrachtungen in Steinfurt wie¬ der an, das uns mit seinen Lichtern und bekannten Wohnraͤumen wie der neuste, heiterste Ort erschien. Noch vor Eintritt des Winters kehrte die Fuͤrstin von Solms-Lich mit ihren vier Soͤhnen nach der Wet¬ terau zuruͤck, und die Gesellschaft in Steinfurt wurde merklich einfacher und stiller. Die nasse Witterung er¬ laubte weniger, im Freien zu sein, und man sah sich auf die Huͤlfsquellen winterlicher Unterhaltung beschraͤnkt. Die Aussicht, daß auch wir die Ruͤckreise nach Wien und Prag bald antreten koͤnnten, verhuͤllte sich mehr und mehr, und wir mußten uns darin ergeben, einen Theil des Winters hier abzuwarten. Fuͤr mich und mein Beduͤrfniß war am leichtesten gesorgt, der fruͤhere Abend ging mir in der herkoͤmmlichen Geselligkeit an¬ genehm hin, und wenn diese Pflicht so weit erfuͤllt war, als die Neigung mit ihr Schritt hielt, zog ich mich gewoͤhnlich bei Zeiten auf mein Zimmer zuruͤck, und fing mein arbeitsames Nachtleben wieder an. Die reiche Buͤchersammlung des Grafen war mir zum Gebrauch eroͤffnet, und ich schwelgte in den mannigfachsten Gei¬ stesrichtungen. Große Sammlungen, wie Schloͤzer's Briefwechsel und Staatsanzeigen, las oder blaͤtterte ich durch, und merkte mir durch Auszuͤge vieles an. Ein naͤheres Eingehen in die Geschichte von Westphalen fuͤhrte mir in den langweilig ausgesponnenen Einzeln¬ III. 10 heiten des Geschichtschreibers von Steinen unerwartet mein eignes, lange vergessenes Geschlechtsregister wieder vor die Augen. Franzoͤsische Memoiren las ich in Menge, auch strengere Geschichtswerke und sogenannte philosophische Schriften. Was mich aber mehr als alles anzog und erfreute, und mir fuͤr die ganze Folgezeit eine Quelle tiefster Befriedigung eroͤffnete, war die Be¬ kanntschaft, die ich hier zuerst mit den Schriften des Johannes Tauler machte. Ich fand eine Ausgabe nicht nur der Predigten, von denen ich schon einige Kenntniß hatte, sondern auch des seltneren und wichtigeren Wer¬ kes von der Nachahmung des armen Lebens Christi. Diese mehr wissenschaftlich geordnete Darstellung der mystischen Wahrheiten haͤtte mir nicht zu gelegnerer Zeit kommen koͤnnen. Ich werde spaͤter davon im Zusam¬ menhange naͤher zu berichten haben, und sage hier nur so viel, daß sich mir durch dieses Buch gleichsam die dunkeln Waͤnde aufthaten, um mich in herrliche, weit¬ hin ausgebreitete Landschaft blicken zu lassen! — Alles dies regte mich außerordentlich an, und ich verbrachte nun ganze Naͤchte lesend und schreibend. Hiebei jedoch konnte ich mich nicht erwehren, abermals, wie fruͤher in Tuͤbingen, der oͤrtlichen Stimmung des Landes und der Menschen, unter denen ich lebte, durch besondere Eindruͤcke inne zu werden. Das katholische Westphalen im noͤrdlichen Deutschland steht naͤmlich in aͤhnlichem Verhaͤltnisse, wie das protestantische Wuͤrtem¬ berg im Suͤden; das gleichsam in die Fremde ver¬ sprengte Glaubenswesen scheint die ihm eigenthuͤmlichen Kraͤfte hier zu besonderm Nachdruck zu steigern, und sie in die aͤußersten Auswuͤchse wuchern zu lassen. Da¬ her in beiden Laͤndern, wie die strengste Lehre und der feurigste Eifer, auch der entschiedenste Aberglaube und Wahn sich eingenistet hat. Die Muͤnsterlaͤnder sind beruͤhmt wegen der Staͤrke ihres Kirchen- und Volks¬ glaubens; die wundervolle Nonne von Duͤlmen ist das katholische Gegenstuͤck zu der protestantischen Seherin von Prevorst; Vorhersagungen, Wundergeschichte, Traum¬ verkuͤndigungen, Geisterbegriffe, sind in ganz Westpha¬ len heimisch und verbreitet, wie in Wuͤrtemberg. Und wieder moͤcht' ich einen Theil dieser Hinneigung auf die Art und Weise des Landes, einen andern Theil aber auf den Volksstamm rechnen. Hier ist uͤberdies die vereinzelte Lebensart in einsamer, oft oͤder Natur, und die duͤnne Bevoͤlkerung solchen duͤstern Einbildun¬ gen noch besonders guͤnstig. Zahlreich sind hier die Leute, welche von Gesichten heimgesucht werden, Fern¬ seher, denen Verborgenes offenbar wird, sei es in der Vergangenheit oder Zukunft; ein vereinzeltes Bild stellt sich dar, das aber auf ganze Reihen von Thatsachen schließen laͤßt, so werden Todesfaͤlle, Hochzeiten, Feuers¬ bruͤnste, Gluͤckserhoͤhungen vorhergesehen, besonders aber, und dies hauptsaͤchlich in der neuern Zeit, politische Ereignisse, man sieht fremde Truppen marschiren, deren 10 * Uniform unbekannt ist, oder sieht wegen des Nebels die Mannschaft nicht, wohl aber die Spitzen der uͤber die Schulter schraͤg liegenden Gewehre, die in endlosen Zuͤgen rasch voruͤberziehen; auch schon in Kindern ist dieses Sehen noch nicht wirklicher Dinge haͤufig, man erzaͤhlte einen Fall, wo ein kleines gutartiges Maͤdchen, wegen langen Außenbleibens gescholten, ganz unschuldig sich darauf berufen, sie habe ja so lange still stehen muͤssen, bis all die Kanonen und Pulverwagen vorbei gewesen, und man hatte sie wirklich gesehen, wie sie auf der einen Seite der Straße gleichsam abgewartet, daß der Weg queruͤber frei wuͤrde. Die Menge und Mannigfaltigkeit und stete Wiederholung solcher Ge¬ schichten muß am Ende, wo nicht den Glauben an ihre Wahrheit, doch einen unheimlichen Eindruck, eine Art Ansteckung erzeugen, gegen welche der aufgeklaͤrteste Verstand nicht sicher ist; ich sah manche Personen, die sich durch Bildung weit uͤber solchen Aberglauben hin¬ weg duͤnkten, doch in einem geheimen Winkel der Seele davon ergriffen. Das Schloß zu Steinfurt war nicht frei von truͤben Sagen und Verkuͤndigungen; man fuͤhlte, daß man auf altem Boden des Ritterthums lebte, und diese modern-gefaͤlligen Zimmer mit ihren harmlosen Tagesvorgaͤngen auf duͤstern Gewoͤlben, blu¬ tigen Unthaten und grausem Entsetzen ruhten. Der Gang durch die Schloßkapelle, welcher am spaͤten Abend zur Verbindung mit dem einen Schloßfluͤgel nicht gut vermieden werden konnte, hatte jedesmal etwas Schauer¬ liches, und ein unregelmaͤßiger, mit rothen Ziegelsteinen belegter Vorplatz, der gleichfalls zu durchschreiten war, hat gewiß noch nie einen Fuß zum Verweilen ange¬ lockt. Am unbehaglichsten und stoͤrendsten empfand ich bisweilen den Blick eines der Schloßdiener, den ich oͤfters dabei betraf, daß er mit finsterer Aufmerksamkeit mich anschielte; er war ein langer hagrer Mensch, von blassem truͤben Gesicht, schweigsam in sich gekehrt, und ohne daß man ihm etwas Bestimmtes schuldig geben konnte, fand man ihn nicht sonderlich aufgelegt zum Guten. Die Gabe des Vorhersehens, der Erscheinun¬ gen und Ahndungen des Verborgenen, wurde ihm in hohem Grade zugesprochen, und wegen mancher unan¬ genehmen Vorgaͤnge, wo dieselbe sich auffallend bewaͤhrt haben sollte, vermied man sorgfaͤltig sie herauszufordern. Einige meinten, er trage seine Gabe als ein Ungluͤck, und um seinen Mißmuth zu vergessen, ergebe er sich dem Trunk; der Erbgraf aber meinte kopfschuͤttelnd, der Trunk moͤchte wohl eine der Hauptquellen seiner Gesichte sein, und hielt uͤberhaupt den Mann etwas fester im Augenmerk. Mit den Nachtstunden von jeher vertraut, in anre¬ gender Geistesbeschaͤftigung, und in meinem Innern entschieden der Lichtseite zugewendet, konnt' ich auch hier dergleichen Eindruͤcke wohl abweisen, aber doch nicht voͤllig vernichten. Wie im Fluge streifte mich bisweilen die Unruhe, als wuͤrde ich belauscht, als stuͤnde jemand draußen vor meiner Zimmerthuͤre. Indeß setzte ich meine Lebensweise ruhig fort, und arbeitete allerlei, was mir Vergnuͤgen machte oder auch zunaͤchst Nutzen bringen sollte. Einige Erzaͤhlungen, die ich schon in Tuͤbingen angefangen hatte, schrieb ich um; in manche geschichtliche Stoffe sucht' ich einzudringen. Taͤglich er¬ neute sich mir auch die Aufforderung, meine uͤber Paris aufgezeichneten Merkworte und Andeutungen zu lesba¬ ren Schilderungen auszufuͤhren. Ich machte in dieser Arbeit ziemliche Fortschritte, theilte einiges davon im Vertrauen mit, und erhielt großen Beifall. Aber eines Tages entdeckt' ich, nicht wenig betroffen, daß mir mehrere Blaͤtter fehlten; da ich sehr klein und auch auf kleine Blaͤtter schrieb, so konnten sie allerdings leicht zwischen andre gerathen sein, sich verkrochen und ver¬ irrt haben, aber die sorgfaͤltigste Nachforschung entdeckte keine Spur davon, und wie sie weggekommen sein sollten, blieb ganz raͤthselhaft. Ungluͤcklicherweise ent¬ hielten sie starke Aeußerungen gegen den franzoͤsischen Kaiser, und auch das Poissarden-Lied auf seine Ver¬ maͤhlung nebst den beigeschriebenen Musiknoten, durch welche das eine der Blaͤtter dem Auge sogleich auffal¬ lend erkennbar war. Wer sich jener Zeiten erinnert, dem kann uͤber die Gefahr, solche Papiere verloren zu haben und nicht in sichrer Hand zu wissen, kein Zweifel sein. Und nicht ich allein war bloß gestellt, sondern eine ganze erlauchte und wuͤrdige Familie, die man fuͤr mein Vergehen mitverantwortlich zu machen nicht un¬ terlassen haͤtte. Ich war in aͤußerster Pein, und um nicht noch mehr angstvolle Besorgnisse aufzuregen, ver¬ schwieg ich den Fall auf dem Schlosse gaͤnzlich, ver¬ traute ihn aber, ohne den Inhalt der Blaͤtter voͤllig anzugeben, dem Doktor Houth; dieser wohlwollende Mann nahm aufrichtig Theil an meinem Verlust, wußte aber auch keinen Rath, als den sonderbaren, mit dem er zoͤgernd hervorruͤckte, er wollte den Seher auf dem Schlosse befragen, vielleicht koͤnne der vermittelst seiner Gabe den Ort entdecken, wo die Blaͤtter jetzt seien. Ich mußte an die bekannte Geschichte Swedenborg's denken, und durfte den guten Willen nicht hemmen. Das Ergebniß war auffallend genug; der Seher hatte bei der Frage das Gesicht verdreht, anfangs gar nicht antworten wollen, endlich aber nach schlafaͤhnlichem Hintraͤumen, die kurze Auskunft ertheilt, die Blaͤtter seien weit weg, und sonst war nichts aus ihm heraus¬ zubringen. Diese Andeutung erschloß eine Moͤglichkeit, die mir fruͤher nicht eingefallen war, und jetzt einige Wahrscheinlichkeit gewann; ich konnte die Blaͤtter aus Versehen einem Briefe nach Hamburg oder Berlin bei¬ gefuͤgt haben; doch dieserhalb deutlich anzufragen, war kaum rathsam in einer Zeit, wo kein der Post anver¬ trauter Brief sicher duͤnkte, und je mehr ich es bedachte, je weniger konnt' ich mir jenes Versehen zutrauen. Mehr als diese Ungewißheit aber bekuͤmmerte mich die allgemeine, in welche mein eignes Loos so tief ver¬ flochten war. Daß ein großer Strich des noͤrdlichen Deutschlands, und darin die bisher zu dem Großherzog¬ thum Berg gerechneten Grafschaften Steinfurt und Bent¬ heim, so wie die noch mit einem Schatten von Freiheit bestandenen Hansestaͤdte, nun unmittelbar mit Frankreich vereinigt, und in franzoͤsische Departements umgewandelt wurden, raubte mir die letzte Heimath, welche mir in Hamburg noch geschimmert hatte. Die Nachrichten aus Berlin, die ich nach langem Harren erhielt, waren spaͤr¬ lich und traurig, doppelt traurig fuͤr mich, da sich darin auch eine Unzufriedenheit kund gab, die ich zu verschul¬ den schien, ohne daß ich diesen Schein abwenden, noch die Wirklichkeit genuͤgend aufhellen konnte. Je weniger ich Mittel und Freiheit hatte, fuͤr den Augenblick nach außen handelnd hervorzutreten, um so mehr befestigte sich mein Inneres, und ich wußte und empfand, daß meine Hoffnungen und Vorsaͤtze nicht zu zerstoͤren waren. Der Frost und Schnee des Winters eroͤffneten neue Vergnuͤgungen; das Bagno wurde fleißig besucht, und die Eisdecke des See's zum Schrittschuhlaufen benutzt, woran auch die Damen mit groͤßtem Erfolg Theil nahmen, und wobei man bekennen mußte, daß fuͤr die Schoͤnheit und Grazie der Erscheinung wohl keine andre Uebung diesem schwebenden Wandeln den Preis streitig machen kann. Dem Winterleben durften einige Baͤlle, Musik, Vorlesungen, und selbst kleine dramatische Er¬ goͤtzlichkeiten nicht fehlen, welche letztere, ganz aus dem Stegreif und nur als Spiel des Augenblicks behandelt, gerade hierin ihren Werth hatten. Eine Fahrt nach Muͤnster gab Gelegenheit, sich in dieser merkwuͤrdigen Stadt wiederholt umzusehen. Die Geschichte der Wiedertaͤufer, die ich so eben, zum Theil nach Handschriften, mit Unmuth und Widerwillen bis in ihre Einzelheiten verfolgt hatte, ist hier durch Denk¬ male erhalten, welche jener wahnsinnigen und graͤßlichen Ereignisse wuͤrdig sind, durch die schrecklichen eisernen Kaͤfige am St. Lambertsthurm, in denen die gemarter¬ ten und verstuͤmmelten Koͤrper der drei Hauptwuͤthriche zur Schau aufgehaͤngt worden. Angenehmer weilt die Betrachtung auf den Bildnissen der Gesandten, die einst am westphaͤlischen Frieden hier und in Osnabruͤck arbei¬ teten; es sind darunter die bedeutendsten Physiognomieen, mit denen mancher Geschichtszug sich verwebt. Diese Sammlung sollte durch treue und sorgfaͤltige Nachbil¬ dung vervielfacht werden, damit sie dem Geschichtsfreund uͤberall zu Gebote stuͤnde; ein Wunsch, der sich auch lebhaft bei der von Gleim hinterlassenen Sammlung in Halberstadt aufdraͤngt, wo die zum Theil vortrefflichen Bildnisse seiner Freunde uns die theuersten litterarischen Namen gleichsam persoͤnlich vorfuͤhren. Wir besuchten in Muͤnster den franzoͤsischen Praͤfekten Freiherrn von Mylius, der es in seiner Stellung beklagen mußte, gleich so vielen andern Westphalen auch seinen eignen Bruder noch in oͤsterreichischem Kriegsdienste zu wissen. Wir sahen dann auch die Familie Droste von Vischering, welche in Muͤnster durch ihre altbegruͤndeten Verhaͤlt¬ nisse und strengkatholischen Gesinnungen in hoͤchstem Ansehen stand, und dieses unter den franzoͤsischen Be¬ hoͤrden zu behaupten wußte. Zu dem Grafen Friedrich Leopold zu Stolberg, der, bald nach seinem Uebertritt zur katholischen Kirche, hier hauptsaͤchlich der Familie von Droste wegen seinen Wohnsitz genommen hatte, mochte ich nicht mitgehen; es that mir leid, ihn zu versaͤumen, und doch hatte ich keine Stimmung fuͤr ihn, ich konnte mir sein ganzes Verhaͤltniß zur Welt nur als getruͤbt und verschoben denken. Was die Andern von ihrer mit ihm gehabten Unterhaltung nachher erzaͤhl¬ ten, veraͤnderte diese Meinung nicht. Er zeigte sich von dem staͤrksten Hasse gegen die Franzosen und ganz be¬ sonders gegen Napoleon erfuͤllt; allein wie sehr auch hierbei die Triebfedern rege waren, die er als Deutscher, und wieder besonders als deutscher Graf empfand, so war ihm doch jetzt bei weitem die Hauptsache, daß Na¬ poleon vom Papste in den Bann gethan war, ein Um¬ stand, der damals im Muͤnsterlande, trotz aller Aufsicht der Franzosen, durch die Geistlichen heimlich im Volke recht bekannt und besprochen wurde. Also wenn Napoleon, so durfte man fragen, nur den Papst zufrieden stellte, und dieser etwa, wie er ihn schon kroͤnen helfen, ihm einen geweihten Hut und Degen schickte, so mußten wir andre Augen fuͤr den Feind unsres Vaterlandes haben? Diese Folgerungsart ging mir nicht ein, und ich haͤtte mich schwerlich enthalten, sie durch Anfuͤhrungen, wie die obigen, zu unterbrechen. Stolberg war vortrefflich, wo sein edler Geist und seine reichen Kenntnisse im Feuer der Einbildungskraft und der Gesinnung gluͤhen durften, und wo es auf nichts weiter ankam; zum eigentlichen Denken war er nicht begabt, und was er in dieser Richtung, seinem Naturell entgegen, dennoch leisten wollte, zeigte nur seine Schwaͤche. Das ganze Mißver¬ haͤltniß, in welches er durch diesen Mangel gerathen war, aufzudecken und in seinen Gruͤnden und Folgen zu eroͤrtern, war neun Jahre spaͤter dem alten Voß auferlegt, bei dessen scharfer Anklage und Stolberg's bald nachher erfolgtem Tode ich doch wiederum bereuen mußte, der persoͤnlichen Anschauung des letzten verlustig geblieben zu sein. — Von den unheimlichen Anwandlungen, deren ich fruͤher gedacht, merkt' ich im Verfolg des Aufenthalts in Steinfurt wenig mehr, und sie waren fast erloschen, als meine ihretwegen gefuͤhlte Befangenheit ploͤtzlich auf ein ganz anderes Feld uͤbersprang. Ich hatte eines Abends mich auf mein Zimmer zuruͤckgezogen, war aber noch zu dem Obersten gerufen worden, und verweilte ziemlich lange bei ihm, waͤhrend das Licht bei mir fort¬ brannte, meine Thuͤre aber verschlossen war. Als ich spaͤt wiederkam, erstaunte ich nicht wenig, einen Mann gebuͤckt vor der Thuͤre stehen zu finden, der bemuͤht war, durch das Schluͤsselloch zu sehen. Er war von der Dienerschaft, hatte hier aber nichts zu suchen. Mein ploͤtzliches Erscheinen in seinem Ruͤcken, da er mich im Zimmer glaubte, erschreckte ihn so, daß mein scharfes Fragen nichts aus ihm herausbekommen konnte, sondern nur seine Verwirrung mehrte. Doch war mit dieser Neugier, uͤber der ich ihn ertappt, eine straͤfliche Absicht nicht grade zu verbinden, und ich ließ den Mann mit einem Verweise gehen. Daß ich schon oͤfter auf diese Art belauscht worden, war sehr wahrscheinlich, und leise Bewegung und Menschennaͤhe uͤberhaupt mochten bis¬ weilen auf meine in der Nachtstille empfindlichen Nerven gewirkt haben, da denn, eher als der Sinn, die Ein¬ bildungskraft sich der unsichern Wahrnehmung bemaͤch¬ tigte. Die Entdeckung war mir sehr unangenehm; ich dachte unwillkuͤrlich an die Blaͤtter, die mir weggekom¬ men waren, und quaͤlte mich mit argwoͤhnischen Ver¬ muthungen aller Art. Daß diese nicht ganz ungegruͤndet waͤren, sollte sich bald durch neue Anzeigen bestaͤtigen. Mittlerweile hatten vom Niederrhein und von Hol¬ land her allerlei Bewegungen unter den franzoͤsischen Truppen angefangen, und es war deutlich zu erkennen, daß dieselben allmaͤhlig immer staͤrker nach den noͤrdlichern Gegenden sich zusammenzogen. Das langsame, aber anhaltende und uͤbereinstimmende Fortruͤcken in gleich¬ maͤßigen Richtungen ließ einen noch entfernten, aber entschiednen Zweck vermuthen. Wirklich waren dies erste vorlaͤufige Zuruͤstungen zu dem Kriege gegen Rußland, der in der Seele Napoleon's als unfehlbar vorausgesehn und beschlossen, in den oͤffentlichen Verhaͤltnissen noch unter dem Schein der groͤßten Freundschaft verhuͤllt war, und daher fuͤr grundlosen Wahn erklaͤrt werden konnte. Die Bestimmtheit solchen Ablaͤugnens machte auch die Kundigsten wieder irre, und so wußte man oft ein Ereigniß lange vorher, aber kurz vorher nicht, weil man wieder aufgehoͤrt hatte, es zu glauben. Bei diesen Truppenzuͤgen durch Westphalen kam auch eine Abtheilung durch Steinfurt; ein franzoͤsisches Regiment Jaͤger zu Pferde bezog daselbst fuͤr einige Zeit Quartiere. Diese Gaͤste brachten in unsre Tage einen ganz neuen Schwung; der franzoͤsische Oberst wohnte auf dem Schlosse, er und die meisten seiner Offiziere nahmen an der Gesellschaft eifrig Theil; die Gespraͤche konnten nicht immer unterhaltend sein, und nahmen oft eine nicht angenehme Wendung, denn sowohl der Uebermuth, mit dem die Franzosen von ihren Siegen sprachen, als die Kammeradschaft, die sie uns jetzt aufdringen wollten, waren in gleichem Maße peinlich, und kaum zu dulden. Daß in dieser Zeit mehrere oͤsterreichische Offiziere, aus Westphalen gebuͤrtig, das freundschaftliche Verhaͤltniß zwischen Frankreich und Oesterreich benutzten, um ihre Heimath wiederzusehen, aber hier von den franzoͤsischen Behoͤrden mißtrauisch angesehen und beobachtet wurden, mit den franzoͤsischen Offizieren aber schon mehrmals in widrige Beruͤhrung gekommen waren, konnte auf beiden Seiten die Spannung nur vermehren. Zur Aushuͤlfe, und um weniger Gespraͤche fuͤhren zu muͤssen, wurde das Spiel herbeigezogen. Nachmittags gingen einige Stunden im Billardsaale hin, Abends nahmen Karten oder Schach die Aufmerksamkeit in Anspruch. Indeß traten auch hier bei naͤherem Umgange aus der anfaͤnglichen Gleichmaͤßigkeit die persoͤnlichen Eigen¬ arten sichtbarer hervor. Der franzoͤsische Oberst war nichts als ein Kriegsmann, in seinem Handwerk eifrig und ganz beruhigt, dem Kaiser ergeben soviel als noͤthig war, um nicht zuruͤckzubleiben, uͤbrigens von wenig Bildung, aber sehr bemuͤht, diesen Mangel zu verdecken. Ein paar juͤngere Offiziere wollten bei jeder Gelegenheit ihren Ehrgeiz in der Begeisterung fuͤr den Kaiser be¬ friedigen, einer derselben von altadeliger Geburt, that nicht anders, als sei Napoleon in grader Erbfolge der Fortsetzer der Bourbons. Ein alter Rittmeister gehoͤrte der fruͤhern Revolutionszeit an, hatte zuerst unter Ber¬ nadotte und Moreau gedient, und verhehlte nicht, daß ihn der neuste Zustand der Sachen wenig befriedige. Auf einem Spazirgange schloß er mir sein Herz voͤllig auf, nannte Napoleon den Unterdruͤcker der Freiheit, und verabscheute dessen ganzes Regierungswesen, das uͤberall nur auf rohe Gewalt gegruͤndet sei und auf Entsittlichung hinwirke. Wenn mir bei solchen Reden noch einiges Mißtrauen geblieben war, so mußte dieses voͤllig schwinden an dem letzten Nachmittage vor dem Abmarsch der Franzosen. Ich ging mit dem Rittmeister im Bagno einsam spaziren, der nahe Abschied bewegte ihn, er druͤckte mir die Hand, und versicherte mich, meine Denkart, so weit er sie habe kennen lernen, freue ihn, ja sie gebiete ihm fuͤr mich eine naͤhere Theilnahme. Dann ploͤtzlich uͤberraschte er mich durch diese Anrede: „Sie sind jung, Sie koͤnnen noch viel erleben, bewahren Sie Ihre Denkart fuͤr bessre Zeiten, aber deßhalb auch sich selbst! Sie sind nicht vorsichtig, Sie stuͤrzen sich nutzlos in Gefahr! Was schreiben Sie fuͤr Briefe? Ich will nichts wissen, mißverstehen Sie mich nicht, ich will Sie nur warnen! Hoͤren Sie als Beweis meines Zutrauens, was ich Ihnen mittheilen muß! Als ich neulich in Muͤnster war, fragte mich ein alter Kamme¬ rad, der jetzt in einem hoͤheren Bureau dort angestellt ist, wie es mir in Steinfurt ginge, die Leute dort muͤßten uns recht hassen, und als ich ihn fragte, was ilm zu dieser Meinung bestimme, erfuhr ich, daß man genaue Kundschaft von dort habe, und das Schloß durch allerlei Spuͤrhunde beobachtet werde; man wisse, daß hier gegen die franzoͤsische Regierung gearbeitet, daß ganze Naͤchte hindurch geschrieben wuͤrde. Junger Freund, damit koͤnnen nur Sie gemeint sein, nehmen Sie sich in Acht, Sie wissen nicht, was unsre Polizei fuͤr schaͤnd¬ liche Mittel anwendet. Stellen Sie allen Briefwechsel ein, so lange Sie hier im Lande sind!“ Ich wurde nicht wenig durch diese Mittheilung beunruhigt; zwar Briefe hatte ich nur wenige und sehr unschuldige ge¬ schrieben, aber mir fielen meine vermißten Blaͤtter ein, die ich nun gewiß boͤslich entwandt glauben mußte. Ich sonderte nach dieser biedern und dankenswerthen War¬ nung nun alles Verfaͤngliche in meinen Papieren aus, und was ich nicht verbrennen wollte, brachte ich vor¬ laͤufig in sichren Versteck. Gluͤcklicherweise trat bald nachher auch der Zeitpunkt unsrer Abreise ein, und wir verließen gegen Ende des Januars 1811 diese Gegend, um fuͤrerst einige Wochen in Lich zuzubringen, von wo wir auch Laubach und Utpha in der Wetterau besuchten. Darauf brachten wir kurze Zeit in Frankfurt am Main zu, und reisten dann ohne Aufenthalt, wiewohl nicht ohne Abentheuer, nach Wien. Meine Blaͤtter uͤber Paris, sobald ich sie gluͤcklich nach Oesterreich gebracht, vervollstaͤndigte ich wieder, und nachdem sie von mehreren Freunden mit Antheil waren gelesen worden, forderte sie von mir, im Som¬ mer 1811 zu Toͤplitz, der preußische Minister der aus¬ waͤrtigen Angelegenheiten Graf von der Golz, aus dessen Nachlaß ich sie erst im Jahre 1834 wiedererhielt. Von den entwandten Blaͤttern aber fand ich eine Spur im Jahr 1813 in Hamburg. Man brachte in das russische Hauptquartier Schriften und Buͤcher, die sich in der Wohnung des franzoͤsischen Polizeihaupts Grafen von d'Aubignosc zuruͤckgelassen fanden. In einem alten be¬ staͤubten Pack fiel mir ein Blatt auf, welches ich bald als eine in's Franzoͤsische uͤbersetzte Stelle von mir uͤber Napoleon erkennen mußte, die als Extrait d'une lettre bezeichnet war. Dabei lagen zwei Abdruͤcke der Ode von Staͤgemann an den Kaiser Alexander. Die Nachbarschaft war ehrenvoll, aber auch gefaͤhr¬ lich. Zum Gluͤck waren diese Anklagestuͤcke beiseit ge¬ schoben worden, und jetzt, in unsern Haͤnden, nur Zeugnisse, wie sehr die Zeiten sich veraͤndert hatten! — Frankfurt am Main, den 20. Februar 1811. Mein lieber Fouqu é freut sich, daß er seinen Brief mir in diese Gegend schickt, und wuͤnscht anstatt des Blattes selber hier zu sein. „Das mir sehr liebe Frankfurt! — so schreibt er mir aus Nennhausen, — das mir von langer Zeit wie ein freundliches Weihnachtsbild heruͤber sieht. Der silberblaue Main, mit seinen milden Ufern! Zuletzt habe ich das alles auch im Winter gesehen, und es war dennoch so schoͤn. Doch will ich freilich nicht mit Sicherheit behaupten, wie viel des eignen Lichtes von den Gegenstaͤnden ausging, und wie viel auf sie hinstrahlte aus meiner Juͤnglingsseele, in allem Stolz III. 11 auf den vollbrachten ersten Feldzug, in aller traum¬ umglaͤnzenden Hoffnung auf neue, weit glorwuͤrdigere, in aller romantischen Erwartung unerhoͤrter Abentheuer und Liebesgeschichten. Ich taugte damals nicht viel. Die rasende Selbstheit des Zeitalters mit ihren thoͤrichten Schwindeln hielt mich schlimm besessen; es war nur grade so viel des Rechten und Guten noch in mir wach, als taugte und nothwendig war zur Aussaat in eine bessere Zukunft. Ich dichtete auch wenig, und schlecht, weil ich mir mein Leben selbst zu einem wunderbaren, hoͤchst prahlenden Epos ausspann, aber eben deßhalb leuchteten die wirklichen Umgebungen wie goldne Feen¬ schloͤsser mit Demantengehaͤngen verziert, und, wie ge¬ sagt, ich weiß nicht, ob alles so schoͤn war, als es mir in der Erinnerung mit hellen Farben aufsteigt, sobald einer sagte: Frankfurt am Main!“ — Mit welcher Weh¬ muth erfuͤllt mich der Brief meines Freundes! Wie ganz anders fuͤhl' ich mich jetzt hier, auch nach meinem ersten Feldzug, und auch noch jung (morgen werd' ich fuͤnf und zwanzig Jahr) um nicht des Alters wegen den suͤßen Einbildungen gluͤcklicher Lebensgeschicke ent¬ sagen zu muͤssen! Unwillig von Schmerz und Zorn ergriffen, ohne Ermunterung irgend einer Art, jeder begeisterten Stimmung fremd, in stetem Warten ohne Halt und Ruhe, seh' ich die fluͤchtigen Tage voruͤber¬ gehen. Meine Wuͤnsche fuͤr mich selbst sind bescheiden, aber fast hoffnungslos, ich sehe mich stets auf's neue weitab verschlagen! Und so auch liegt das Allgemeine, fuͤr das ich die kuͤhnsten Wuͤnsche mit festem Vertrauen hege, mir noch in dunkler, dunkler Ferne. Wie jedes deutsche Land und jede deutsche Stadt fruͤher auf eigne Weise die Kraft und das Gedeihen der Nation darstellte, so auch jetzt wieder auf eigne Art spricht jedes Land und jede Stadt den allgemeinen Jammer aus. Welch' verschiedene Bilder geben Ham¬ burg, Muͤnster, Halle, Wetzlar, Hannover, Regens¬ burg, oder Hessen, Baireuth, Tyrol, uͤberall ist es ein andrer, ein eigenthuͤmlicher Verlust, und uͤberall doch nur die eine Ursache dazu, die fremde Herrschaft! Wie traurig steht auch dieses einst so gluͤckliche und stolze Frankfurt da! Die alte Reichsstadt, welche in ihren Mauern ehmals die Wahl und Kroͤnung des Kaisers geschehen sah, froh der Freiheit und des mit ihr ver¬ bundenen Wohlstandes, wie sehr ist sie gesunken! Zwar belebt sind auch jetzt noch die Straßen und Maͤrkte, mancher gute Erwerb ist noch in den Haͤnden der Buͤr¬ ger, ja sogar auch neuer Reichthum entstanden, und der Name der Stadt ist auf das ganze Gebiet eines bedeutenden Großherzogthums ausgedehnt worden; allein der innere Kern deutschen Lebens ist angegriffen, und schwindet taͤglich mehr dahin. Die Verfassung der Stadt war voller Maͤngel und Mißbraͤuche, das giebt jeder Verstaͤndige zu; aber nur aus eigner, einheimischer, freier Entwicklung koͤnnen solche Fehler verbessert werden; 11 * die fremde Hand kann abschaffen, aber nicht heilen, nicht verbessern. Das bezeugen auch hier tausend Kla¬ gen, die laut den Arm des Raͤchers und Befreiers an¬ rufen. So fordert eine strenge Konskription — an sich die gerechteste Maßregel, aber unter dem fremden Joche die schrecklichste — nun auch das Blut der Ungluͤcklichen, das in fremden Schlachten am Tajo und vielleicht an der Wolga soll verspritzt werden, damit die Nachblei¬ benden um so sichrer gefesselt seien! Eine billige Vor¬ stellung der Buͤrger, daß die Befreiung vom Kriegs¬ dienste durch Stellvertreter auf dieselbe Weise, wie es in Frankreich geschieht, eingefuͤhrt wuͤrde, ist mit Haͤrte abgewiesen worden, und die Behoͤrde zieht das Los¬ kaufgeld ein, waͤhrend die uͤbrigen Kriegspflichtigen nun doch die bestimmte Anzahl zum Dienste stellen. So haben es die Deutschen in vielen Stuͤcken schlimmer, als selbst die Franzosen, und ich habe schon von vielen Leuten hoͤren muͤssen, fuͤr das aͤußre Gedeihen muͤßte das Volk wuͤnschen, gleich voͤllig zu Frankreich geschla¬ gen zu werden. Doch ist es wahrlich nicht der aͤußre Vortheil allein, der die Wuͤnsche des Volks bestimmt. Hier ist seit langer Zeit gleichsam ein Stapelplatz des franzoͤsischen Wesens fuͤr Deutschland, unzaͤhlige Bezuͤge reichen nach Frankreich hinuͤber, seit Jahren sind hier franzoͤsische Truppen und Verwaltungen, aber ungeachtet alles dessen hat sich fast nichts von franzoͤsischem Sinn hier festgesetzt, vielmehr eine immer staͤrkere Gegenstem¬ mung erhoben. — Ich habe einem Balle des Casino beigewohnt; die Gesellschaft war zahlreich, alter Adel, Kaufleute, Offiziere von der franzoͤsischen Besatzung. Unter den Frauen waren bildschoͤne Gesichter, die An¬ zuͤge reich und geschmackvoll; man versicherte mit Be¬ stimmtheit, seit fuͤnfzehn Jahren habe keine namhafte Frankfurterin sich mit einem Franzosen verheirathet. Der Gouverneur der Stadt, Graf Tascher, scheint ein gut¬ muͤthiger, muntrer Mensch, er befand sich anspruchslos in der Gesellschaft, und man bekuͤmmerte sich wenig um ihn; aber andre Franzosen wollten sehr als Herren auftreten, und nahmen dem Gouverneur sogar uͤbel, daß er sein Ansehn nicht strenger behauptete. Sehr angenehm war mir die Bekanntschaft des Herrn von Gontard, ehmaligen oͤsterreichischen Oberstlieutenants im Klenau'schen Chevauxlegersregiment, der mich nach vielen seiner alten Kammeraden fragte. Wie ein romantisches Land, von dem wuͤste Meere trennen, lebt in dem oͤster¬ reichischen Heere noch das sogenannte „Reich“ in bestem Andenken, und wiederum steht den Reichern eben so das schoͤne kaiserliche Heer in der Erinnerung, welches in diesen Gegenden so lange Zeit mit wechselndem Gluͤcke gekaͤmpft. Wie viele Frankfurter sprachen mit Entzuͤcken von jenen fruͤhern Jahren! Nun ziehen taͤglich hier unter unsern Fenstern die franzoͤsischen Truppen vorbei, und laͤrmen mit ihren Trommeln und ihrer Musik durch die Straßen. Ich sollte dessen schon gewohnt sein. Ich werd' es nie gewohnt. — Das Denkmal, welches Friedrich Wilhelm II. vor dem Friedberger Thore den dort am 2. December 1792 gefallenen Hessen hat errichten lassen, ist mir noch werther und lieber geworden, als im Fruͤhjahr 1809 , da ich es zum erstenmale sah. Friedrich Wilhelm II. hatte in Kuͤnsten hohen und edlen Geschmack. Die Einfachheit des Ganzen, der viereckige Stein, der auf Basaltschichten ruht, die großen ehernen Sinnbilder, Helm, Schild, Widderkopf und so weiter, alles zusammen macht einen wuͤrdig-ernsten Eindruck, wie selten solche Denkmaͤler pflegen, die gar leicht in der Anlage verungluͤcken. Auch die Namen der Gemeinen stehen auf der ehernen Tafel. Solcher Steine sollte man mehr in Deutschland finden! Sie reden zu allem Volke, waͤhrend Schrift und Er¬ zaͤhlung nur in einem sich stets verengenden Kreise fort¬ bestehen. — Ich will mich abwenden vom Staat und Krieg; Gottlob, das Vaterland hat noch andre Seiten, die nicht gleich jenen beschaͤdigt und verdorben sind. Hier ist Goethe geboren; deß will ich gedenken, und mich freuen! Die ganze Stadt ist mir sein geweihtes Denk¬ mal: hier erbluͤhten die kindlichen Sinne, hier sogen sie zuerst die Lebensnahrung ein, die nachher aus seinen herrlichen Schoͤpfungen uͤber die ganze Nation sich ver¬ breitete; diese Haͤuser hat er betreten, diese Straßen durchwandelt, unschuldig und ahndungsvoll, dieser Glockenschlag toͤnte ihm und maß ihm die Stunden ab, diese Mitbuͤrger umwogten ihn! Wie im Zauberschwunge rauschen alle fruͤhern Auftritte und Begegnisse Wilhelm Meisters neubelebt an mir voruͤber, und die reine, bluͤhende Seele Goethe's tritt daraus hervor. Geliebter Dichter, der du aus deutschem Boden und Leben wie ein Riesenbaum dich erhebst, und den gruͤnenden laub¬ reichen Wald juͤngerer Bildung um deinen maͤchtigen Stamm versammelst, ein Mittelpunkt und Urbild des Vaterlandes, laß mich hier dich in Gedanken als zartes Baͤumchen umfassen, und deine junge Rinde kuͤssen! — Harren und Streben. Prag 1811. 1812. N ach dem wechselvollen Leben, das ich so lange ge¬ fuͤhrt, erschien der herkoͤmmliche Besatzungsdienst und uͤberhaupt der ganze Aufenthalt in Prag sehr beschraͤnkt und einfoͤrmig. Die druͤckenden Zeitlaͤufte machten sich uͤberall fuͤhlbar, der sinkende Werth des Papiergeldes verursachte auf allen Seiten Verlust und Unsicherheit, der gesellige Zusammenhang war schwach, und außer der schroffen Trennung der Staͤnde wirkte hier auch der Unterschied der Volksstaͤmme sehr merklich. Doch stan¬ den die deutsch und die boͤhmisch redenden Eingebornen noch nicht so sehr von einander ab, als von beiden wir deutsche Auslaͤnder, die wir an Sinn, Richtung und Gewohnheiten hier entschieden fremd waren, und trotz manches Bemuͤhens nicht heimisch wurden. Besonders traf dies die zahlreichen Offiziere, welche aus Nord¬ deutschland wegen des Krieges nach Oesterreich gekom¬ men waren, und jetzt im Heere noch fortdienten. Auf einander angewiesen, hielten wir so viel als moͤglich zusammen, erfuhren aber auch, daß die Gleichheit des Aeußerlichen noch lange keine Gemeinschaft bildet. Die mir am werthvollsten gewesen waͤren, hatte der Zufall entfernt, und der Naͤhe und Bereitwilligkeit mancher Anwesenden mocht' ich mich lieber entziehen. Dagegen hoͤrt' ich zwei deutsche Namen jetzt in Prag nennen, nach denen ich fruͤher dort und anderswo vergebens gefragt hatte, und zu welchen ich mich lebhaft hinge¬ zogen fuͤhlte. Der Hauptmann Ernst von Pfuel, mir aus dem Lebenskreise von Nennhausen sehr wohl, aber noch nicht persoͤnlich, bekannt, war der eine dieser Maͤnner; der ehemalige preußische Minister Freiherr vom Stein, geaͤchtet von Napoleon und hochgeehrt von allen deutschen Vaterlandsfreunden, war der andre. Stein war in Berlin durch die franzoͤsische Achts¬ erklaͤrung mitten in seinen Amtsgeschaͤften uͤberrascht worden, und hatte seine Zuflucht nach Oesterreich ge¬ nommen. Hier waren waͤhrend des Krieges seine Hoffnungen und sein Haß heftig angeregt, und auch nach dem Frieden hielten beide sich voll unmuthigen Eifers aufrecht. Er wollte jetzt in Prag moͤglichst ru¬ hig abwarten, wie die Weltereignisse sich ferner ent¬ wickeln wuͤrden; der Ort war zur Beobachtung wohl¬ gelegen, bot vielerlei Huͤlfsmittel, und auch geselligen Anhalt genug fuͤr einen Mann, der durch Geburt und Wuͤrden uͤberall zu den Kreisen der hohen Aristokratie gehoͤrte. Von seiner unbeugsamen Gesinnung, der Schaͤrfe seines Geistes und der ungemeinen Heftigkeit seiner Gemuͤthsart, erzaͤhlte man vielerlei Zuͤge, welche ihm uͤberall, wo der Franzosenhaß gluͤhte, Bewunderung und Zutrauen erwarben, und einen Helden in ihm se¬ hen ließen, auf den das Vaterland einst wuͤrde rechnen duͤrfen. Zwar fanden sich schon damals manche Stim¬ men, welche so raschem Muthe nicht ganz vertrauen wollten, an den Grundsaͤtzen des Staatsmannes vieles tadelten, ihn thoͤrichter Vorurtheile fuͤr alles Alte be¬ schuldigten, und denen die Befreiung Deutschlands weit eher durch maßvolle Klugheit und besonnene Tapferkeit, als durch heftigen Ungestuͤm zu hoffen schien; solche Stimmen riefen dann auch wohl die Umstaͤnde zuruͤck, durch welche Stein in seine jetzige Lage gerathen war, und hoͤchst unzeitig einen Wirkungskreis verloren hatte, der ihm fuͤr seine Zwecke nicht schoͤner geboten sein konnte. Diese Umstaͤnde konnten allerdings seiner Be¬ sonnenheit nicht zum Lobe gereichen; doch waren sie damals nur ungefaͤhr bekannt, der genauere Hergang aber war folgender. Von Koͤnigsberg sollte drr Asses¬ sor Koppe mit Auftraͤgen nach Berlin und weiter in das noͤrdliche Deutschland abgesendet werden. Stein kam von einer Mittagstafel, wo viel getrunken worden war, und fand den schon Reisefertigen, der sich die letzten Befehle erbat; Stein hieß ihn einen Augenblick warten, trat an ein Pult, und schrieb stehend in Eile und Eifer noch an den Fuͤrsten von Wittgenstein einen Brief, den jener empfing, und dann abreiste. Die Sache blieb so gut wie vergessen, als ploͤtzlich die Nachricht kam, Koppe sei von den Franzosen aufge¬ fangen und seiner Briefschaften beraubt worden. In der Unruhe und Besorgniß, welche dies erregte, be¬ kannte der Graf von der Golz, Minister der auswaͤr¬ tigen Angelegenheiten, er sei in großer Angst wegen einiger Briefe, in denen er sich uͤber Napoleon scher¬ zend ausgelassen. „Das war recht dumm von Ihnen!“ fuhr ihn Stein sogleich an; und sodann befragt, was er selber dann fuͤr Briefe geschrieben, versetzte er gutes Muthes: „O was ich geschrieben habe, das duͤrfen die Franzosen alles lesen!“ Bald nachher las er seinen Brief an den Fuͤrsten von Wittgenstein im Moniteur abgedruckt, und mußte nun den Inhalt, auf den er sich vorher kaum hatte besinnen moͤgen, allerdings fuͤr verfaͤnglich und unbedacht erkennen. Bei dem lautge¬ wordenen Unwillen Napoleon's konnte Stein nicht fuͤg¬ lich preußischer Minister bleiben. Er reichte daher seine Entlassung ein, dachte indeß auch jetzt so wenig an Gefahr, daß er vorlaͤufig nach Berlin zu reisen wagte. Hier aber las er unerwartet im Moniteur ein Decret Napoleon's aus Madrid, durch welches le nommé Stein, als Aufruhrstifter gegen die Franzosen, vogelfrei erklaͤrt wurde. Fuͤr Stein blieb nun nichts uͤbrig, als zu fliehen. Da die Wege nach England versperrt waren, so konnte nur Oesterreich eine sichere Zuflucht bieten. Die franzoͤsischen Behoͤrden hatten bei den preußischen bereits die Auslieferung des Geaͤchteten nachsuchen muͤssen, thaten jedoch nichts, was seine Flucht hindern konnte; in dem Decrete war le nommé Stein nicht auch als der Minister bezeichnet, diese Unbestimmtheit kam ihm zu Statten, er behielt zwei Tage Zeit, seine Anstalten zu treffen, und gelangte gluͤcklich nach Oesterreich. In solchen Faͤllen aber zeigt sich die Aechtheit eines Karakters im glaͤnzendsten Lichte; die wahre Groͤße ist von ihren sie begleitenden Maͤngeln unabhaͤngig, und Schwaͤchen und Irrthuͤmer werden ihr nicht ange¬ rechnet; die Stimme des Volks, von richtigem Gefuͤhl geleitet, haͤlt ihre aͤchten Helden uͤber Unfaͤlle und Mi߬ geschicke empor, und spricht sie los von der Verpflich¬ tung des Erfolgs. Daß Bluͤcher bei Luͤbeck sich mit seinen Truppen gefangen geben mußte, hat ihm in der Meinung nicht geschadet, man sah in ihm nicht minder den Helden, dem die Zukunft anzuvertrauen sei. Eben so koͤnnen wir von Stein sagen, daß die erzaͤhlte Ueber¬ eilung, welche so große Entwuͤrfe und Bereitungen zerruͤttete, ihm in der Meinung eigentlich kaum geschadet hat; man bedauerte das Vorgegangene, laͤchelte dar¬ uͤber, aber die Verehrung und das Zutrauen nahmen nicht ab, im Gegentheil, Stein's Unfall beglaubigte ihn als unwiderruflichen Feind der Franzosen, dem keine Aussoͤhnung moͤglich sei, und dessen Versehen sogar nur den Eifer kund gab, der in jeder auch kleinsten Gele¬ genheit sich selber bloßzustellen kein Bedenken trug. In solchem Ansehen und solcher Wuͤrdigung lebte Stein bei den Besten und Wuͤrdigsten auch in Prag. Er stand mit den vornehmen Familien in herge¬ brachtem Verkehr, hielt sich aber im Ganzen sehr zu¬ ruͤckgezogen, und hatte nur wenig Umgang, der auch selten seinen Anspruͤchen genuͤgen konnte. Denn er machte unausgesetzt die groͤßten Forderungen. Ehrenfest und deutsch wollte er die Menschen, aber auch fein und wohlgesittet, von wissenschaftlicher Bildung, aber auch entschlossen und thatkraͤftig, wo moͤglich noch unterhal¬ tend durch Geist und Witz. Freilich war er selbst dies alles, aber nur selten wurde ihm dergleichen dargebo¬ ten, in Prag nur durch Pfuel, die Grafen von Stern¬ berg, und vielleicht noch zwei bis drei Andere. Er war auch schon zufrieden, solche Eigenschaften theilweise vorzufinden, oder in solcher Richtung den guten Willen. Ich hatte uͤber Paris und Napoleon mancherlei aufge¬ schrieben, war kuͤrzlich durch einen großen Theil von Deutschland gereist, hatte ja auch schon gegen die Fran¬ zosen gefochten, dies alles, wovon Stein hoͤrte und angezogen wurde, verschaffte auch mir die Gunst, daß er mich kennen lernen wollte. Pfuel fuͤhrte mich zu ihm. Der Empfang sollte freundlich sein, die Absicht war nicht zu verkennen, aber trotz derselben gerieth er doch ziemlich schroff und ruͤcksichtslos. Man sah es dem Manne gleich an, daß er ohne viele Umstaͤnde zu ver¬ fahren liebte, und fast nur gezwungen, durch entschie¬ denes Machtansehen, wahre Geisteskraft oder trotzige Selbststaͤndigkeit, einen andern Menschen so gelten ließ, um mit ihm auf einer Art von gleichem Fuße zu ver¬ kehren. Ich werde mich nicht ruͤhmen, gegen Stein irgend eine Positur behauptet zu haben; wie haͤtte ich daran denken und dies mir gelingen koͤnnen. Aber ich kann sagen, daß auch er mir im geringsten nicht im¬ ponirte, und daß ich ihm gegenuͤber meine Selbststaͤn¬ digkeit irgend beschraͤnkt gefuͤhlt haͤtte. Ich fand ihn einfach und ungezwungen, ganz ohne Stolz und Schein, und so war ich ebenfalls einfach und natuͤrlich, ohne andere Unterredung, als welche der aͤußerliche Abstand gebot. Gleich bei dem ersten Besuche, bei Erwaͤhnung mancher politischen Bezuͤge, in dem Urtheil uͤber Per¬ sonen und Schriften, thaten sich merkliche Verschieden¬ heiten der Ansichten hervor, und Stein schien verwun¬ dert, daß ich die meinigen nicht sogleich berichtigen ließ. Doch reizte ihn der Widerspruch nicht unangenehm, und er lud mich lebhaft und dringend zu haͤufigen Besuchen ein. Ich hatte dazu mehr als Einen Antrieb. Meine Verehrung war aufrichtig und unbegraͤnzt; den hohen Werth eines solchen Mannes erkannte ich mit allem Eifer, mit entschiedener Hoffnung kuͤnftigen Erfolgs, sowohl fuͤr die allgemeine Sache, als fuͤr mich insbe¬ sondere. Hier ein naͤheres Verhaͤltniß anzuknuͤpfen schien in meinen Lebenszwecken ganz eigentlich begruͤn¬ det, fruͤher oder spaͤter mußten wir doch in gleichen Richtungen zusammentreffen, und ich konnte mir nicht verhehlen, daß mir dabei nur Ehre und Vortheil er¬ wachsen wuͤrde. Aber ich hatte noch ein anderes An¬ liegen. Fuͤr meine kuͤnftige Laufbahn mußte ich Stu¬ dien unternehmen, die ich fruͤher hatte vernachlaͤßigen duͤrfen, und fuͤr welche mir jetzt in Prag sowohl An¬ leitung als Buͤcher fehlten. Mit voͤlligem Vertrauen hatte ich dem kenntnißreichen Staatsmanne meine Un¬ wissenheit aufgedeckt, und seinen Rath und Beistand erbeten, um auf kuͤrzestem Wege in die Zweige prakti¬ scher Staatskunde einzudringen, deren ich am meisten zu beduͤrfen schien. Sehr bereitwillig sagte er mir Huͤlfe zu, sowohl durch muͤndliche Belehrung, als durch den reichen Vorrath seiner Buͤcher, die er nach Prag hatte nachkommen lassen. So oft ich nun zu Stein kam, hoͤrte ich gleichsam ein Privatissimum uͤber Gegenstaͤnde der Staatswirth¬ schaft, erlaͤutert durch Beispiele aus dem Geschaͤftsleben selbst, wobei zwar keine geordnete Folge herrschte, aber doch die wichtigsten Ansichten und Thatsachen mir auf die lebendigste Weise dargeboten wurden. Seine eigne Lebhaftigkeit riß ihn fort; jede Unkunde, die er wahrzu¬ nehmen glaubte, jeder Zweifel, der sich zu aͤußern wagte, steigerte seinen Eifer und er nahm sich die Geduld, in die ausfuͤhrlichsten Erlaͤuterungen einzugehen. Bei sol¬ cher Gelegenheit fehlte es nicht an persoͤnlichen Bemer¬ kungen, besonders uͤber preußische Staatsbeamte, und die Kritik ihrer Handlungen gab ihm noch mehr Herzenserleichterung, als mir Belehrung, wobei mir nicht entging, daß in der Sache und in der Form seine raschen Ausspruͤche als parlamentarische Opposition oft von außerordentlicher Wirkung haͤtte sein muͤssen. In seinen Lieblingsvorstellungen ganz ritterlich gesinnt, auf einen starken und reichen Adel haltend, war Stein zu¬ gleich der eifrigste Bauernfreund, und wollte den Land¬ mann durchaus frei und selbststaͤndig wissen. In diesem Betreff ruͤhmte er die neue preußische Gesetzgebung, die zwar nicht, wie man fast allgemein geglaubt, von ihm ausgegangen war, aber doch jede Foͤrderung erhalten hatte. Hierbei kam er auf die Verdienste des in Koͤnigs¬ berg verstorbenen Professor Kraus, dessen Schriften er mir gab und empfahl, und den er gegen neuere Angriffe mit Zorn vertheidigte. In Berlin naͤmlich gab damals Heinrich von Kleist deutsche Blaͤtter heraus, in welchen Adam Muͤller den Werth von Kraus sehr herabsetzte, und ihn fuͤr einen bloßen Nachsprecher Adam Smith's erklaͤrte, dessen Grundsaͤtze, als den Gewerbefleiß zum Nachtheil des Adels beguͤnstigend, schon nicht mehr gel¬ ten sollten. Stein aber sagte von Kraus: „Der Mann hat mehr gewirkt und gethan, als diese Herren je ver¬ nichten werden. Die ganze Provinz hat an Licht und Anbau durch ihn zugenommen, seine Belehrung drang in alle Zweige des Lebens, in die Regierung und Ge¬ setzgebung ein. Hat er keine neuen glaͤnzenden Ideen aufgestellt, so ist er dafuͤr auch kein ruhmsuͤchtiger So¬ phist gewesen, und die einfache Wahrheit klar und rein vorgetragen, auf ihren richtigsten Ausdruck gebracht, und Tausenden von Zuhoͤrern erfolgreich mitgetheilt zu haben, ist ein groͤßeres Verdienst als durch Geschwaͤtz und Paradoxieen Aufsehen zu erregen. Aber so verhaͤlt es sich nicht einmal; Kraus war kein Nachbeter, Kraus hatte eine unscheinbare und doch geniale Persoͤnlichkeit, die seine Umgebungen maͤchtig ergriff, er hatte Blitze neuer Einsichten, großer Anwendungen, und setzte uns durch sein unerwartetes Urtheil oft in Erstaunen. Wenn er indeß sein A. B. C. vortrug, suchte er das B. nicht hinter das C. zu setzen, und eine solche Neuerung als geistreich auszuschreien. Lesen Sie seine Schriften, klar und einfach ist da alles, und mehr brauchen Sie fuͤr jetzt nicht. Nebenher lesen Sie mir auch die Franzo¬ sen, um zu vergleichen und zu pruͤfen, die Leute haben auch was gethan!“ Wenn Stein so eiferte, gerieth seine Stimme und Gebaͤrde in eine eigene Art von Zitterung, wobei er die Augen zudruͤckte, und die Worte zuletzt kaum noch ausklingen ließ. Aber wie traf gleich darauf sein Blick groß und durchdringend den Zuhoͤrer, wel¬ III. 12 chem er dann jeden geheimen Widerspruch auf dem Gesichte las, und mit neuem, oft hartem und verletzen¬ dem Anlauf entgegen drang! Mit ihm ein Gespraͤch zu haben, war ein steter Kampf, eine stete Gefahr, wie konnte man sicher sein, durch eine ploͤtzliche Wendung sich feindlich behandelt zu sehen, weil es ihm beliebte, den grade Anwesenden, mochte dieser auch ganz ein¬ stimmig sein, sich als Widersacher vorzustellen; und dies ohne uͤblen Willen, ohne persoͤnliche Absicht, und ohne irgend einen bleibenden Eindruck in ihm selber. Dies gab dann auch dem Umgange Stein's einen eignen Reiz und ließ die Erregung, in welche sein Gespraͤch versetzte, eher aufsuchen, als meiden; wie denn insbe¬ sondere der Kaiser Alexander spaͤterhin von diesem ruͤ¬ stigen und derben Wesen, das sich den hoͤchsten Per¬ sonen gegenuͤber nur etwa durch einen Zusatz von Laune maͤßigte, ganz bezaubert war, und fuͤr Stein eben so große Zuneigung als Bewunderung empfand. Durch Stein wurde ich auch mit mancherlei Zusam¬ menhang der politischen Dinge bekannt, der mir bisher entgangen war. Ich bekam Aufschluß uͤber allerlei, was in Berlin und im noͤrdlichen Deutschland vorbe¬ reitet wurde, und sah nun Weg und Feld mit zahl¬ reichen Faͤden uͤberkreuzt, die beim Weiterschreiten nicht unbeachtet bleiben durften. Stein hatte thaͤtige Ver¬ bindungen beibehalten, und war von allem, was in Berlin vorging, genau unterrichtet. Scharnhorst und Gneisenau waren die Maͤnner seines Herzens. Naͤchst ihnen ruͤhmte er Niebuhr, den er als praktischen Staats¬ beamten und als gruͤndlichen Gelehrten gleich sehr schaͤtzte, und dessen Buch uͤber die Geschichte Rom's er mir zuerst mittheilte, wobei er in aller Bewunde¬ rung des Scharfsinns und der Gelehrsamkeit doch be¬ dauerte, daß Niebuhr eigentlich kein Deutsch schriebe, sondern im Deutschen immer Englisch werden wolle, durch dessen fruͤhes und eifriges Studium er seinen Stil verdorben habe. Von den deutschen Gelehrten dachte er im Ganzen nicht vortheilhaft; doch lobte und empfahl er die Schriften von Heeren als gruͤndlich und praktisch, und besonders pries er Fichte'n wegen seiner Reden an die deutsche Nation; die Philosophen mochte er sonst wenig leiden, und erklaͤrte die damaligen neue¬ sten geradezu fuͤr verruͤckt. Auch Schleiermacher's phi¬ losophische Religion war ihm zu geistreich und in Be¬ treff der Rechtglaͤubigkeit mehr als verdaͤchtig. Große Stuͤcken hielt er auf Justus Gruner, von dessen Muth und Gewandtheit im Geheimkriege der preußischen Be¬ hoͤrden gegen die franzoͤsische Polizei und Herrschaft die merkwuͤrdigsten Beispiele erzaͤhlt wurden. Von ihm wird spaͤter noch die Rede sein. Hatte ich bei diesen Unterweisungen und Aufschluͤs¬ sen mich nur belehren zu lassen und fuͤgsam und dankbar zu erweisen, so gab es dagegen andere Gegenstaͤnde, bei welchen mir eine thaͤtigere Rolle zugewiesen war. 12 * Um seine viele Stunden wuͤrdig und zugleich fruchtbar auszufuͤllen, hatte Stein ein ernstes Studium der fran¬ zoͤsischen Revolution vorgenommen, er wollte diesen Ereignissen, aus welchen die Geschicke der Welt noch unmittelbar herabstroͤmten, Einmal auf den Grund se¬ hen, ihre starken und schwachen Seiten kennen. Die damals erreichbaren Huͤlfsmittel lagen auf seinen Tischen, er las die Schriften aller Partheien, und scheute die großen Baͤnde des Moniteur nicht, um die oͤffentlichen Verhandlungen aus der Quelle zu schoͤpfen. Seine Gespraͤche lenkten natuͤrlich jedesmal auch auf diesen Gegenstand ein, uͤber den seine Empfindungen und An¬ sichten auszusprechen er am liebsten selbst eine Redner¬ buͤhne bestiegen haͤtte. Jeder meiner Besuche fand ihn fortgeschritten, in dem Geschichtsgange, und ich konnte die Eindruͤcke jeder Epoche genau wahrnehmen. Sein Haß gegen die Revolution war graͤnzenlos, besonders in den ersten Zeiten, wo noch so oft durch wenige Maßregeln und einige Entschlossenheit alles haͤtte ge¬ wendet werden koͤnnen. Die Franzosen von 1789 wa¬ ren ihm schon die jetzigen, die Republikaner schon die von Napoleon unterjochten und den Deutschen schmach¬ voll aufliegenden Kaiserlichen Kriegsknechte; die Vor¬ gaͤnge, in denen das Volk siegte, erfuͤllten ihn mit Grimm, er haͤtte dem Hof, den Ministern, den Gene¬ ralen noch jetzt seine Kraft und Entschlossenheit leihen moͤgen. Wenn Mirabeau und Lafayette einige Gnade bei ihm fanden, so war es, weil sie solche Kraft, die sie zuerst gegen den Hof wandten, zuletzt auch der Volksmeinung entgegensetzten. Sonst verwarf er alle Theilnehmer der Revolution in ein- und dieselbe Ver¬ damniß. Ich stimmte ihm hierin nicht bei, und faßte uͤberhaupt die Ereignisse mehr in ihrer Besonderheit auf, suchte sie aus ihren eigenthuͤmlichen Umstaͤnden und Antrieben zu erklaͤren, und wollte eine unabwendbare Entwickelungsfolge in ihnen sehen. Stein fand dies kleinliche Geschichts-Sachwalterei, wollte von genauen Erwaͤgungen wenig hoͤren, und hielt sich als Mann der That und des Kampfes an den kurzen Entscheid: alles dort druͤben sei der Feind, und der muͤsse in Summa geschlagen und vertilgt werden. Jedesmal hatten wir hieruͤber Streitigkeiten. Ich gab zu, daß im Schweben der Schlacht kein Unterschied zu machen sei, aber nach dem Kampfe folge die Ge¬ schichte wie ein Lazareth, wo man auch den Feind scho¬ nend behandle und wohl Ruͤcksicht nehme, ob er aus Wahl und Absicht oder Zufall und Zwang es gewor¬ den sei. Ich war in der franzoͤsischen Revolutionsge¬ schichte, besonders in den Anfaͤngen, nicht unbewandert, und konnte manche Thatsache, manchen Charakterzug anfuͤhren, welche Stein nicht ganz verwerfen durfte; bisweilen ließ er sich den Widerspruch gefallen, wie er denn uͤberhaupt mit jeder Entschiedenheit artiger um¬ ging, als mit feigem Nachgeben, welches er gewoͤhnlich mißhandelte. Allein ich stand in jedem Betracht hier zu sehr im Nachtheil, um diese Eroͤrterungen zu lieben, welche doch jedesmal den ganzen Umgang auf's Spiel setzten. Verschweigen wollt' ich meine Meinung nicht, aber sie ganz herauszusagen war oft kaum thunlich. Ich erinnre mich, Einmal gereizt und gedraͤngt zu Stein gesagt zu haben, er sei ein Reichsfreiherr, ein Adlicher und Vornehmer, und habe als solcher im gegebnen Fall ein bestochenes Urtheil. Ich erschrack, als ich diese Kuͤhnheit ausgesprochen. Stein aber schwieg einen Au¬ genblick, wurde ganz gelassen, und sagte mit mildem Ernst und großer Wuͤrde: ich machte ihm da einen Vorwurf, der einigen Schein habe, jedoch um mir zu zeigen, daß er ihn im Allgemeinen doch nicht so ganz verdiene, wolle er mir beispielsweise nur sagen, daß, wenn er auch zu dem aͤltesten Adel gehoͤre, und in adlichen Gewoͤhnungen und Ansichten herangewachsen sei, doch die eigentlichen vertrauten Freunde, die er in seinem Leben gehabt, freilich aber spaͤter wieder habe aufgeben muͤssen, beide buͤrgerlich gewesen; „Nicht wahr?“ fuͤgte er hinzu, „das haben Sie wohl nicht gedacht?“ Meine Beschaͤmung konnte mich so sehr nicht beugen, daß nicht der Anblick des trefflichen und in solchen Momenten wahrhaft liebenswuͤrdigen Mannes mich noch mehr erhoben haͤtte. Eines Tages aber fand ich ihn wieder uͤber dem Moniteur und ganz ungewoͤhnlich aufgeregt. Er sprach mit Lebhaftigkeit uͤber die Revolution, aber schimpfte nicht. Er war zu dem Nationalkonvent gelangt, und hier, wo sein Haß den Gipfel erreicht haben mußte, wo die Verurtheilung und Hinrichtung Ludwigs des Sechzehnten, die gehaͤuften Graͤuel und Schrecknisse aller Art ihn empoͤren mußten, sah er sich zu staunender Bewunderung hingerissen durch die ungeheure Kraft und beispiellose Macht, mit welcher der Wohlfahrtsaus¬ schuß das innere Frankreich beherrschte, und nach außen allen Feinden siegreich die Spitze bot. Diese gewalt¬ samen Maßregeln, diese furchtbare Strenge und fast uͤbermenschliche Thaͤtigkeit, imponirten ihm, diese waren seines Wesens und Geschmacks, solche haͤtte er selber jetzt zur Rettung Deutschlands gegen die Franzosen anwenden moͤgen. Wie kraͤftig diese Leute gewesen, was sie alles geleistet und durchgesetzt, hoͤrte er nicht auf zu preisen, und hielt eine begeisterte Lobrede auf jenen Ausschuß, den er mir vorwarf nicht gehoͤrig zu erkennen. Denn freilich konnt' ich auch diesmal ihm nicht beistimmen: manche Vorgaͤnge der Revolution waren mir in guͤnstigem Licht erschienen, ich hatte die erste Nationalversammlung bewundert, die talentvollen Girondisten beklagt, aber von fruͤhster Zeit waren mir die Jakobiner und ihre Graͤuel zum Abscheu, und die Groͤße eines Danton und Robespierre nur schauderhaft. Schon bei dem naͤchsten Besuche hatte auch Stein von seiner Bewunderung nur noch Abscheu, und im weitern Verfolge der Revolutionsgeschichte fand ich ihn nur noch Einmal besonders aufgeweckt, als er zu den Unfaͤllen des Direktoriums gekommen war, wo es ihm wohl¬ that, seinem Hasse auch einmal volle Verachtung bei¬ mischen zu koͤnnen. Man wird mir zugeben, daß ich durch diese Gespraͤchsbegleitung des Stein'schen Stu¬ diums einen Kursus uͤber die neuere Zeitgeschichte ge¬ macht, wie er nicht leicht wieder vorkommt! Mehr, als mit meinen muͤndlichen Aeußerungen war Stein mit meinen schriftlichen Aufsaͤtzen zufrieden, in denen ich einen Theil meiner Reisewahrnehmungen niedergelegt hatte. Er trieb mich unaufhoͤrlich zum Schreiben an, zum Schreiben im deutschen Sinn, zum Schreiben gegen die Franzosen. Es koͤnne nicht genug in dieser Art geleistet werden, und der Augenblick, meinte er, wo dergleichen gedruckt worden koͤnne, werde schon kommen. Er freute sich, daß Graf Schlabren¬ dorf, von dem ich viel hatte erzaͤhlen muͤssen, durch sein Buch uͤber Napoleon diesem den groͤßten Schaden gethan, und die Augen der Welt enttaͤuscht habe, er freute sich der Blaͤtter Arndt's, die zu ihm gelangt waren. Jede feindliche Aeußerung gegen das fran¬ zoͤsische Kaiserthum that ihm durchaus Genuͤge. Ueber¬ haupt blieb das Vernehmen, so lange sein Aufenthalt in Prag dauerte, ziemlich ungestoͤrt. Spaͤterhin wurde der Abstand in Meinungen nicht nur, sondern auch in Rang und Stellung allzu trennend. Seine Heftigkeit hab' ich als auf mich persoͤnlich gerichtete nie erfahren, wohl aber oft peinlich bestanden, wenn er sich wider Andre tobend ausließ. Stein's Raschheit und Ungestuͤm hing ganz mit seiner koͤrperlichen Organisation zusammen. Er fragte mich einmal nach der Zahl meiner Pulsschlaͤge, und hielt mir dann lachend die Hand hin, ich solle die seinigen einmal zaͤhlen. Es waren uͤber hundert in der Minute. Dies, versicherte er, sei von jeher sein ge¬ woͤhnlicher Puls, bei dem er sich vollkommen wohl¬ befinde. Er schien selber diese Eigenheit als einen Freibrief der Natur anzusehen, der ihm schon erlaube, etwas lebhaftere Aufwallungen zu haben, als andere Menschen. Bei Gelegenheit Stein's, auf den ich in der Folge noch oft zuruͤckkommen muß, hab' ich auch eines Staatsmannes zu erwaͤhnen, den ich in Prag einigemal mit ihm zusammen sah. Dieser war der ehemals mainzische Domherr Graf Friedrich von Sta¬ dion, Bruder des oͤsterreichischen Staatsministers, zu¬ letzt oͤsterreichischer Gesandter in Muͤnchen. In vielem Betracht war er das Gegentheil von Stein, ruhig, milde, tiefen und zarten Sinnes, dabei welt- und geschaͤftskundig im groͤßten Stil; an Rechtschaffenheit aber und edler Gesinnung stand er wohl mit Stein zu vergleichen, so wie an Entschlossenheit und Kraft, wo es galt besonnen und nachhaltig auf einen bestimmten Zweck hinzuwirken. Die Wendung der oͤffentlichen An¬ gelegenheiten hatte ihn von den Geschaͤften entfernt, und er befand sich, wie Stein, zu stiller Betrachtung und Erwartung verurtheilt. Sie achteten und liebten einander beide, und wenn man sie zusammen sah, so verschieden an Gestalt und Art, aber beide so edel und tuͤchtig, so einfach und durchbildet, dann konnte man die wuͤrdigste Vorstellung von deutschem hohen Adel fassen, dem diese beiden Maͤnner so ausgezeichnete Ver¬ treter waren. Nur allzuschnell erlitt dieser belehrende und unter¬ haltende Umgang eine Unterbrechung. Schon fruͤher eingeleitete Geschaͤfte veranlaßten, daß ich zu deren Betreibung nach Wien geschickt wurde. Ich hatte den Erzherzog Karl, die Generale Grafen von Radetzky, Fuͤrsten Aloys von Liechtenstein, Grafen von Neipperg, und viele andre Personen hoher Stellung und Wirk¬ samkeit, anzugehen, und es geschah meist mit gluͤckli¬ chem Erfolg. Dem Grafen von Metteruich fand ich mich auf's neue verpflichtet durch das ausgezeichnete Wohlwollen, das mir seit Paris bei ihm unveraͤndert fortbestand. Ich war begluͤckt, meine Freunde Willisen und Meyern wiederzusehen, besuchte eifrig das Hum¬ boldt'sche Haus, versaͤumte das Arnstein'sche nicht, hatte oͤftere Gespraͤche mit Gentz, mit Friedrich Schlegel, und fand in der Wiener Gesellschaftsfluth, welche der Jahreszeit gemaͤß eben am hoͤchsten stand, alte und neue Bekannte in Menge. In Betreff der allgemeinen Stimmung, welche richtig aufzufassen mir besonders angelegen war, erschien mir merkwuͤrdig, wie hier das Leben zwei verschiedene Richtungen, die keiner Vereinigung faͤhig schienen, ganz friedlich zusammenflocht. Der aͤußerlichen Geltung nach war alles in Freundschaft und Buͤndniß mit Frank¬ reich, der oͤffentliche Ausdruck hievon war uͤberall ohne Widerstreit angenommen; in den Gesinnungen aber trat durchaus das Gegentheil hervor und alle nicht unmit¬ telbar jenen Ausdruck angehoͤrigen Regungen strebten offenbar in entgegengesetzter Richtung. Daß der Zwang jenes aͤußerlichen Verhaͤltnisses nicht dauern solle, daß er abgeworfen werden muͤsse, daruͤber herrschte all¬ seitiges Einverstaͤndniß und zweifellose Zuversicht. Nur uͤber den Zeitpunkt und Anlaß konnten die Meinungen verschieden sein, daraus einige Partheiung entstehen. Die Kriegsmaͤnner und die geschaͤftslos Wartenden, wie Stein, Stadion und viele Andre, waren ungestuͤm; die aber im Drange des Tages Ringenden fuͤhlten die Nothwendigkeit klugen Zoͤgerns. Der Minister der aus¬ waͤrtigen Angelegenheiten hatte hier die schwierigste Auf¬ gabe, die er bewundernswuͤrdig loͤste, indem er die fremde Gebuͤhr und eigne Aufrichtigkeit in freier und ruhiger Haltung zu vereinigen wußte. Im Schreiben herrschte große Vorsicht, und man vermied, in Briefen die politischen Gegenstaͤnde zu beruͤhren; die muͤndliche Mittheilung aber war frei und kuͤhn, und hatte in der That wenig zu fuͤrchten, da ein Verraͤther oder Ange¬ ber in diesem Gedraͤnge gleichartiger Gesinnung schnell erstickt worden waͤre. Die Nachrichten aus Spanien von den Unfaͤllen der Franzosen konnten in England nicht freudiger aufgenommen, die Hoffnungen fuͤr Oester¬ reich und Deutschland nirgends eifriger genaͤhrt werden, als in diesen Lebenskreisen, und die Aussicht eines Krieges zwischen Frankreich und Rußland erhoͤhte die Spannung der Gemuͤther durch die wichtigen Fragen, welche dieser Fall fuͤr Oesterreich zur Entscheidung bringen mußte. Einen solchen Krieg an der Seite der Franzosen mitmachen zu sollen, duͤnkte Vielen uner¬ traͤglich, waͤhrend Andre behaupteten, im Vertrauen auf ein kuͤnftiges Ziel duͤrfe man keine Verlaͤugnung scheuen, und muͤsse jede Zwischenstufe getrost betreten. So ru¬ hig, wie jetzt, ließen sich aber diese entgegengesetzten Meinungen damals nicht ansehen und verfolgen; in ihnen lag allerdings die Moͤglichkeit, welche auch wirk¬ lich geworden, daß Maͤnner, welche noch eben als Waf¬ fenbruͤder denselben Fahnen angehoͤrten, kuͤnftig unter feindlichen mit dem Degen einander gegenuͤber stuͤnden, und so war es natuͤrlich, daß in diesem Zwiespalt viel¬ fach Anklage und Mißtrauen wechselseitig ausgesprochen wurde. Der Gedanke, in russische Dienste zu treten, keimte schon in manchem Gemuͤth, und besonders die Deutschen aus dem sogenannten Reich, welche nicht durch Geburt dem oͤsterreichischen Kriegsdienste verbun¬ den waren, glaubten sich nicht verpflichtet, diesem in allen seinen Wendungen zu folgen. In dieser Zeit kam die Nachricht von der Geburt des Koͤnigs von Rom nach Wien, und das, wie nicht zu laͤugnen war, unabsehbar folgenreiche Ereigniß brachte die mannigfachsten Eindruͤcke hervor. Die Gegensaͤtze, welchen die damalige Epoche verfallen war, traten in das hellste Licht. Die in den persoͤnlichen Verhaͤltnissen gegruͤndete aͤchte Theilnahme durfte niemand anzugrei¬ fen wagen; die amtlichen Freudenbezeigungen und Fest¬ lichkeiten wurden dagegen um so feindlicher behandelt. Ich selbst, durch des Grafen von Metternich ausdruͤck¬ liche Fuͤrsorge, wohnte dem großen Feste bei, durch welches der franzoͤsische Botschafter Otto die Geburt des franzoͤsischen Thronerben feierte, und wo der kai¬ serliche Hof und hohe Adel Wiens in groͤßtem Glanz erschien; allein von achthundert Eingeladenen waren doch kaum sechshundert erschienen, und nachdem sich der Kaiser entfernt hatte, verschwand auch ein merklicher Theil von diesen. Fuͤr mich aber hatte dies Fest noch einen besondern Gegensatz in einem andern, von dem ich wußte und absichtlich erzaͤhlte. Waͤhrend ich, mir selber sonderbar genug, am 20. Mai bei dem franzoͤsi¬ schen Botschafter das Fest des Koͤnigs von Rom mit¬ machte, war in Prag fuͤr den 21. zur Feier des Jah¬ restags der Schlacht von Aspern, ein Fest bereitet, dessengleichen man nicht gesehen hatte. Mein Oberst, gesinnungsvoll und freimuͤthig, hatte es gerade in die¬ ser Zeit gelegen und zweckmaͤßig erachtet, dem neusten Zustande der Dinge das Andenken dieses noch so fri¬ schen Sieges entgegenzuhalten, den man fast geflissent¬ lich vergessen zu wollen schien. Er gab daher seinem Regimente, welches in jener Schlacht mit Auszeichnung gefochten, ein militairisches Fest, an welchem, da die schoͤnen oͤffentlichen Anlagen an der Moldau, der Bub¬ netsch oder Baumgarten genannt, der Schauplatz wa¬ ren, die ganze Stadt Prag Theil nahm. Frei und selbststaͤndig schaltend, hatte er das Ungewoͤhnliche nicht gescheut, und es erregte frohes Staunen und lauten Beifall, daß, die Gemeinen hier in eine Ehrengenossen¬ schaft gezogen wurden, zu welcher meist nur die Offi¬ ziere sich abzuschließen pflegen. Einige Soldaten, welche von Aspern her die Ehrenmuͤnze im Knopfloche tru¬ gen, wurden von dem Obersten und den Stabsoffi¬ zieren in offnen Wagen abgeholt, mußten obenan sitzen, und bekamen auch an der Tafel die Ehrenplaͤtze. An der Bewirthung fehlte es nicht, an Trinkspruͤchen, An¬ reden und Gesaͤngen eben so wenig; die vortreffliche Musik der boͤhmischen Regimenter ist bekannt, und so bedarf es keiner Versicherung, daß der Eindruck des Festes weit uͤber dessen Anlage hinausging, und das eine Regiment nicht mehr sich selbst, sondern das ganze Heer und Volk zu vertreten schien. Die frische Kraft und Munterkeit dieser Ausfuͤhrung gefiel allgemein, und selbst hoͤhern Ortes wurden die kuͤhnen Eigenheiten, welche doch gewaltig von dem Geiste der Zeit zeugten, mit Laͤcheln belobt. Bei meiner Ruͤckkehr nach Prag fand ich noch al¬ les erfuͤllt von dem erlebten Schauspiel, und manche meiner juͤngern Kammeraden so aufgeregt, daß sie er¬ warteten, ich muͤsse von Wien wo nicht schon die Kriegs¬ erklaͤrung, doch die Gewißheit mitbringen, daß ein Ausbruch nahe sei, und man hoffen duͤrfe, naͤchstens wieder gegen die Franzosen ins Feld zu ruͤcken. Ich konnte ihnen freilich von allem diesem nichts, sondern nur berichten, wie ich ein Fest zu Ehren des Koͤnigs von Rom mitangesehen, worauf denn die Kriegserwar¬ tungen sich fuͤr den naͤchsten Sommer noch in die friedlichen Aussichten auf die herkoͤmmlichen Waffen¬ uͤbungen verwandeln mußten! Ich fuͤr mein Theil aber war auch dieser gluͤckli¬ cherweise uͤberhoben, und konnte seit langer Zeit wieder zum erstenmal einem ersehnten Zusammensein mit Rahel entgegeneilen. Schon in Dresden dacht' ich sie zn finden, allein, da sie dort binnen mehreren Tagen nicht eintraf, so eilte ich nach Berlin, um sie abzuholen. Ich fand sie mit ihren Gefaͤhrtinnen schon ganz reise¬ fertig, und geleitete sie darauf nach Toͤplitz, wo wir den besten Theil des Sommers in schoͤner Muße zu verbringen dachten. Die Schilderung des dortigen Aufenthalts wird sich kuͤnftig einschalten lassen. Hier sei nur in Kuͤrze ge¬ sagt, daß der Fuͤrst von Ligne und die Fuͤrstlich Clary'sche Familie, der Herzog von Sachsen-Weimar, die Graͤfin von Waldburg-Truchseß, gewesene Oberhofmeisterin am westphaͤlischen Hofe zu Kassel, der Fuͤrst von Windisch¬ graͤtz und der Graf von Trogoff, Graf und Graͤfin von der Golz aus Berlin, Frau von Crayen, die Graͤfin von Schlabrendorf, Frau von Grotthuß und viele Andre, deren Namen sich diesen anschließen, eine ziemlich bunte Gesellschaft bildeten, in welcher es lebhaft genug her¬ ging. Clemens Brentano besuchte mich; Fichte und Friedrich August Wolf kamen; die Graͤfin von der Recke brachte Tiedge'n mit; Beethoven konnte trotz seiner Wildheit uns nicht entgehen; nur Goethe blieb leider aus, auf den wir gehofft, und Gentz und Marwitz, die zu kommen versprochen hatten. Die politischen Be¬ zuͤge wurden in der scheinbaren Zerstreuung nicht ver¬ gessen, sondern im Gegentheil vielfach angeknuͤpft und fortgeleitet. In mir befestigte sich der Entschluß, den Kriegsdienst, der schon uͤberall die Gefahr brachte, mit den Franzosen als Verbuͤndeter ziehen zu muͤssen, bei erster Gelegenheit zu verlassen, und mir wo moͤglich eine andre Laufbahn in Preußen zu eroͤffnen. Gegen die Mitte des Septembers reiste Rahel nach Dresden, wo Marwitz sie erwartete, und dann nach Berlin zuruͤck. Der Abschied brach mir das Herz, nur die gewisse Zuversicht, alles zu einem dauernden Wie¬ dersehen zu lenken, gab mir den Muth, diese Tren¬ nung zu ertragen. — In Prag erwarteten mich vielfache Arbeiten. Der Umgang mit Stein erneuerte sich, und befoͤrderte wie fruͤher meine Studien und Vorsaͤtze. Allein ich hatte mancherlei Hindernisse zu bekaͤmpfen, und blieb von vielen Zufaͤlligkeiten abhaͤngig. Die seltsamsten Neben¬ dinge draͤngten sich in meine ernsten Beschaͤftigungen. Ich hatte Beethoven einen Operntext versprochen, einen andern, den er schon bearbeitete, sollte ich verbessern; aͤußrer Ruͤcksichten wegen uͤbersetzte ich den Britannicus von Racine in deutsche Jamben, und obwohl ich in acht Tagen damit fertig war, und mehr Gewinn davon zog, als von irgend einer andern litterarischen Arbeit, so reute mich doch die schoͤne Zeit, die ich lieber an¬ ders haͤtte verwenden moͤgen. Zu Hormayr's Archiv, zu Fouqu é 's und Neumann's Musen gab ich litterari¬ sche Beitraͤge, die mich ebenfalls zwar nicht viele, doch immer einige Zeit kosteten. Eine kleine Sammlung von Stellen aus Rahel's Briefen, welche, da sie groͤ߬ tentheils Goethe'n betreffen, Cotta nicht ohne dessen Erlaubniß drucken wollte, gab Anlaß in Weimar an¬ zufragen, woraus mir die erste unmittelbare Beruͤhrung III . 13 mit Goethe entsprang, dessen Wahrheit und Dichtung eben erschienen war, und mich neu mit ihm erfuͤllt hatte. Den Zerstreuungen der Geselligkeit, des Thea¬ terbesuchs, der Spazirfahrten konnte ich nicht entgehen, und mußte mich damit troͤsten, auch diese Vergnuͤgun¬ gen manchen ernsten Gewinn tragen zu sehen. Beethoven, der von Toͤplitz in Begleitung seines und meines Freundes Oliva nach Wien zuruͤckreiste, hielt sich nicht lange in Prag auf; dagegen kam Cle¬ mens Brentano in der Absicht, den ganzen Winter hier zu verleben, und goͤnnte mir taͤglich seine zwar uͤberaus erfreuende, aber, wie ich zu meinem Schaden erfahren sollte, auch gefaͤhrliche Gesellschaft; gefaͤhrlich, insofern sie das tiefste Vertrauen hervorlockte, ohne diesem doch Sicherheit zu gewaͤhren. Ich machte Be¬ kanntschaft mit der Graͤfin von Pachta, der Jugend¬ freundin Rahel's, und mit dem Professor Meinert. Auch den beruͤhmten Altmeister der slavischen Sprach¬ forschung, Abb é Dobrowsky, lernte ich naͤher kennen. Dagegen hatte es wenig Anreiz, die boͤhmischen Großen in ihren Haͤusern aufzusuchen, weit belohnender war es sie in dem gastfreien Hause des Schauspieldirectors Liebich zu treffen, wo außer der Bluͤthe der eigentli¬ chen Theaterwelt, in welcher besonders die Damen, Auguste Brede und Julie Loͤwe, beide durch Schoͤnheit und Talent und die erstere auch durch eine seltene Geistesbildung hervorragend, zu bemerken waren, auch die ausgezeichnetsten Personen aus der hoͤhern Gesell¬ schaft sich einfanden, und wo uͤberhaupt ein eben so anstaͤndiger als ungezwungner Ton herrschte. Ich uͤbergehe hier eine Menge von Erscheinungen, Wirren und Entwicklungen, welche zum Theil den reichsten Stoff romantischer Lebensbilder darboͤten, und eile zunaͤchst nur die Zuͤge fluͤchtig zu erfassen, welche mit der Wendung der politischen Angelegenheiten in Zusammenhang stehen. Der Winter war mir trotz aller Zerstreuungen doch groͤßtentheils in Stille und Fleiß vergangen. Mit dem Fruͤhjahr wurden die Aussichten zum Kriege zwischen Rußland und Frankreich immer deutlicher, und setzten alles in unruhige Bewegung. Die Uebungen frischer Thaͤtigkeit wurden vorgenommen; die Reitbahn, der Fechtboden, die von dem Grafen zu Bentheim mit thaͤtigster Beihuͤlfe Pfuel's errichtete Schwimmschule, wurden fleißig besucht. Die groͤßten Zweifel und Ueber¬ legungen aber kaͤmpften in den Gemuͤthern, welchen Antheil bei den bevorstehenden Ereignissen der Einzelne in den jetzigen Verhaͤltnissen hoffen koͤnne, welche neue er waͤhlen duͤrfe? In Prag hatten sich die staͤrksten Maͤchte und Antriebe zum Hasse gegen Napoleon zu¬ sammengehaͤuft. Der Kurfuͤrst von Hessen-Kassel lebte dort als Vertriebener, mit vielem Anhang und seinem groͤßtentheils geretteten Schatze, voll Trotz und Ver¬ trauen auf einen Umschwung der Dinge, und stets 13 * bereit, zu einem solchen aus allen Kraͤften mitzuwir¬ ken. Von Stein ist schon gesprochen. Karl von No¬ stitz, Pfuel, und noch andre Norddeutsche, die sich hier zusammenfanden, waren nur zum Kriege gegen die Franzosen in oͤsterreichischen Dienst getreten, und kei¬ neswegs geneigt, nun an der Seite der bisherigen Feinde zu fechten. Franzoͤsische Emigrirte der beharr¬ lichsten Art, und meist in oͤsterreichischem Kriegsdienst, unter ihnen der Fuͤrst von Rohan, der Major von Trogoff, der Marquis von Favras, Sohn des im An¬ fange der Revolution hingerichteten Vertrauten Mon¬ sieurs's nachherigen Koͤnigs Ludwigs des Achtzehnten, hatten hier ihren Aufenthalt; deßgleichen ein Korse, der Hauptmann Pozzo di Borgo, Neffe des beruͤhmten Diplomaten und wie dieser voll bittern Hasses gegen den allgewalt'gen Landsmann. Die Zahl solcher Un¬ zufriednen mehrte sich mit jedem Tage. Aus Sachsen traf der Major von Bose ein, dann der Oberst Ruͤhle von Lilienstern. Von Berlin nahm der bisherige Po¬ lizeipraͤsident Justus Gruner hieher seine Zuflucht; aus Hamburg kam als Fluͤchtling unter fremdem Namen der Buchhaͤndler und Schriftsteller Bran, welchen der Marschall Davoust wegen Uebersetzung und Bekannt¬ machung der spanischen Aktenstuͤcke des Cevallos wollte erschießen lassen; er dankte seine Rettung nur dem Um¬ stande, daß die Leipziger Polizei, kopfschuͤttelnd uͤber den unglaublichen Namen Bran, den das franzoͤsische Verfolgungsschreiben angab, sich fest einbildete, der Mann muͤsse Brand heißen, und daher einen Mann dieses Namens festnehmen ließ, wodurch der nur allzu richtige Bran gewarnt wurde, und eh' der Irrthum aufgeklaͤrt war, nach Boͤhmen entwich. Daß Preußen in seiner Lage nur mit Frankreich sich verbuͤnden koͤnne, war laͤngst ausgemacht. Bald wußte man auch mit Sicherheit, daß eine oͤsterreichi¬ sche Huͤlfsmacht mit den Franzosen vereint sein wuͤrde. Eine allgemeine Besorgniß zeigte sich, welche Regi¬ menter dies Loos treffen wuͤrde, dem entgehen zu koͤnnen als das groͤßte Gluͤck erschien. Selbst als man vernahm, der tapfre und hochverehrte Fuͤrst Karl von Schwarzenberg bringe den Umstaͤnden das Opfer, und werde den Oberbefehl uͤber diese Truppen annehmen, sah man weniger auf dieses Beispiel, als auf das ent¬ gegengesetzte des Generals von Wintzingerode, des Ma¬ jors von Tettenborn, des Generals Grafen von Wall¬ moden, welche den Abschied schon genommen hatten oder nehmen wollten, um in russische Dienste zu treten. Mittlerweile hatte der franzoͤsische Kaiser von allen Seiten seine und seiner Verbuͤndeten Schaaren zusam¬ mengezogen, und der ungeheure Heereszug waͤlzte sich unaufhaltsam durch Preußen und Polen gegen Ru߬ land hin. Napoleon selbst kam mit seiner Gemahlin nach Dresden, wohin der Kaiser und die Kaiserin von Oesterreich, welche seit kurzem in Prag eingetroffen waren, sich nun ebenfalls verfuͤgten. Waͤhrend dieser Zusammenkunft, auf welche die Augen der Welt ge¬ richtet waren, hatte Prag eine nicht geringe Bedeu¬ tung, als ein so naher Sammelort entgegengesetzter Strebungen, als Beobachtungsposten englischer und russischer Agenten, und, bei solcher Naͤhe, gleich wohl nicht im Bereich der Macht und Willkuͤr Napoleons. Dies letztere werde in einem Vorgange, der unter unsere Augen geschah, so auffallend als troͤstlich offenbar. Durch die wachsenden Anstalten zum russischen Kriege, die Groͤße und Wichtigkeit des Kampfes, der sich ankuͤndigte, war das Gemuͤth Stein's in heftige Bewegung gesetzt, die Ankunft und Gegenwart Gru¬ ner's, der oͤfters heimlich zu ihm kam, hatten ihn noch mehr aufgeregt, und wo und wann man ihn nun se¬ hen mochte, immer fand man seine Stimmung auf gleicher Hoͤhe gereizt und leidenschaftlich. An ein ru¬ higes Gespraͤch war nicht mehr zu denken. Von Arndt, der sich nach Rußland gefluͤchtet hatte, war der zweite Theil seines Geistes der Zeit erschienen, und Stein, wahrscheinlich der Einzige in Prag, war im Besitz der Druckbogen. Aus diesen las er mit gesteigertem Aus¬ druck die heftigsten Steilen laut vor, doch selten brachte er eine ganze Seite zu Ende, so stark ergriffen ihn Zorn und Freude, und so heftig fuͤhlte er den Drang, selber dazwischenzureden. „Seit Burke, rief er aus, ist nichts von so aͤchter politischer Beredsamkeit erschie¬ nen, von so eindringlicher Wahrheit!“ Diese Schreibart empfahl er mir zur Nachahmung: „Auf diesem Weg, schrie er mich an, moͤgen Sie sich versuchen, thatsaͤch¬ liche Wahrheit, nicht metaphysische Phrasen! Verstehen Sie mich, Herr Methaphysikus?“ Durch was ich die¬ sen Titel mir verdient haben mochte, weiß ich nicht, aber Stein bezeichnete mich noch in der Folge mehr¬ mals so, und ich behielt davon lange Zeit eine Art Kriegsnamen, der freilich nicht eben kriegerisch lautete. Doch meinte er es keineswegs uͤbel mit mir. Er hielt mich unverbruͤchlich der guten Sache zugethan, und sprach Erwartungen aus, zu deren Erfuͤllung er mich nur staͤrker anspornen wollte. Schließlich meinte er, in einer Zeit, wo so viele Hunderttausende sich einander die Haͤlse zu brechen eben im Begriff waͤren, sei es besser gar nicht zu schreiben, sondern selber mit loszu¬ schlagen. Waͤhrend der Zusammenkunft der beiden Kaiser in Dresden war Stein doch besorgt, die Franzosen moͤch¬ ten seine Auslieferung fordern, oder die oͤsterreichische Behoͤrde, vielleicht um jenes zu vermeiden, ihn den Augen des Feindes in groͤßere Ferne entruͤcken wollen. Diese Besorgniß mußte auf's hoͤchste steigen, als er unerwartet von Seiten des russischen Kaisers die Ein¬ ladung empfing, ohne Saͤumniß nach Rußland zu kom¬ men, und dort eine bedeutende, zunaͤchst auch fuͤr die deutschen Verhaͤltnisse wichtige Wirksamkeit zu uͤberneh¬ men. Stein war ohne viel Besinnen sogleich entschlos¬ sen, seine Familie sollte in Prag bleiben, er selbst machte sich reisefertig; aber die Sache hatte nicht ganz geheim bleiben koͤnnen, und einige Tage gingen jedenfalls noch in unerlaͤßlichen Anordnungen hin. Aengstlich blickten wir waͤhrend dieser Tage nach Dresden hin, jeder Au¬ genblick brachte Gefahr, das Vorhaben Stein's konnte angezeigt werden, der Befehl ihn zu verhaften seiner Abreise zuvorkommen. Einmal in der Gewalt des Feindes, war sein Leben schwerlich zu retten. Stein selbst bestand diese Krisis mit voller Kenntniß der Ge¬ fahr, doch in unerschuͤtterter Seelenstaͤrke. Dabei ver¬ hehlte er sich nicht, welch zweifelhaften Schicksalen er entgegenging. Wurden die Russen uͤberwunden, so war er fuͤr immer auch der letzten Zuflucht, die ihm in Deutschland noch geblieben war, beraubt, fuͤr immer von den heimathlichen Verhaͤltnissen, Besitzungen, Huͤlfs¬ mitteln, ja sogar von seiner Familie getrennt, und selbst Rußland vielleicht gewaͤhrte keine Freistaͤtte mehr fuͤr ihn. Doch nichts aͤnderte seinen Entschluß. „Wun¬ dern Sie sich nicht, — sagte er zu einem Bekannten, der im Vertrauen war, — daß ich auf gut Gluͤck, wie ein junger Mensch, eine neue ungewisse Bahn antrete! Wer sein Vaterland verloren hat, der ist nothwendig ein Abendtheurer. Ich habe keine Wahl; ich muß Frei¬ heit und Vaterland am Ende der Welt suchen!“ Um die Mitte des Mai reiste er ab. Als wir nach einiger Zeit hoͤrten, er sei durch Maͤhren und Galizien gluͤck¬ lich nach Rußland gelangt, athmeten wir auf, denn noch immer hatten wir gefuͤrchtet, noch unterweges moͤchte ein Ungluͤck ihn anhalten. Seine Abreise machte einen ungeheuern Eindruck; daß man in Rußland an ihn gedacht hatte, gab einen hohen Begriff von der dortigen Einsicht und Umfassung, man sah in der rus¬ sischen Sache nun auch die deutsche, sie war in Stein gleichsam anerkannt und einverleibt. Die oͤsterreichischen Behoͤrden hatten die Sache ru¬ hig geschehen lassen; als in Dresden das Geschehene ruchtbar wurde, ließ der franzoͤsische Kaiser mehr Ver¬ wunderung als Verdruß daruͤber aus, und that ver¬ aͤchtlich, als sei im Grunde nichts daran gelegen. Ein großer und verhaͤngnißvoller Irrthum, der schwer zu buͤßen war! Stein's Anwesenheit in St. Petersburg war ein außerordentliches Gewicht auf der russischen Seite; sein Ansehn und Einfluß wirkten auf die Be¬ schluͤsse des Kaisers, auf die Stimmung der hoͤchsten Kreise, und uͤberhaupt auf die Maßregeln und Anstal¬ ten des Krieges mit unwiderstehlicher Gewalt. In den schlimmsten Augenblicken, als die Franzosen in Moskau eingezogen waren, wankte sein Muth und seine Staͤrke nicht. Sein beredter Haß fachte zum Widerstande, zur Ausdauer an. Unter den Maͤchten, durch welche Na¬ poleon gestuͤrzt worden, wird Stein immer in erster Reihe zu nennen sein. — Inzwischen erreichte die Zusammenkunft in Dresden ihr Ende, Napoleon eilte seinem schon an die Grenzen Rußlands vorgeruͤcktem Heere nach, und der Kaiser und die Kaiserin von Oesterreich nebst der Kaiserin der Fran¬ zosen kamen nach Prag, wo zu Ehren der geliebten Herrscher und des fremden hohen Gastes alles ein fest¬ liches Ansehen gewann, und der Krieg und alle poli¬ tische Sorge und Befangenheit eine Zeit lang vergessen schien. Der Graf von Metternich strahlte in allen Vor¬ zuͤgen seiner Persoͤnlichkeit, und waͤhrend er mit hellem Blicke die großen Moͤglichkeiten, die sich fuͤr ganz Eu¬ ropa nunmehr aufschloͤssen, erfaßte und erwog, die Ver¬ bindungsfaͤden sorgsam in der Hand hielt und zurecht legte, schien er nur mit heitern und angenehmen Din¬ gen beschaͤftigt, nur bedacht, die Vorkommenheiten des Tages mit Wuͤrde und Anmuth gelassen abzuthun. Ich hatte das Gluͤck, ihn fast jeden Tag zu sehen, und nie werd' ich besonders die herrlichen Abende bei ihm auf dem Hradschin im Pallaste des Fuͤrsten von Lobkowitz vergessen, wo eine kleine Gesellschaft in voͤlliger Unbefan¬ genheit und Gleichheit, die selbst durch die Gegenwart des Großherzogs von Wuͤrzburg kaum gestoͤrt wurde, sich bis in spaͤte Nacht der anmuthigsten Unterhaltung erfreute, und geistreiches Gespraͤch mit vortrefflicher Musik abwechselte. Der Kapellmeister Paͤr, zum Ge¬ folge der Kaiserin Marie Louise gehoͤrig, setzte sich zum Fortepiano und phantasirte; mit ihm wetteiferte der Freiherr von Kruft, aus der oͤsterreichischen Staats¬ kanzlei, der gleichfalls ein Meister war; bisweilen spiel¬ ten sie beide zugleich, und suchten durch zwiefaches Im¬ provisiren ein Ganzes hervorzubringen, eine geniale Uebung, wobei sie einander die Gedanken an den Au¬ gen absahen, aus ersten Andeutungen ganze Richtun¬ gen errathen mußten, und durch Begegnen, Meiden, Einlenken, Wiederfinden, Loslassen und Zusammenstim¬ men, eine gespannte Theilnahme und oft die außeror¬ dentlichste Wirkung hervorbrachten. Die Theilnahme an solchen Vergnuͤgungen hemmte jedoch den Fortgang der Entwuͤrfe nicht, zu denen die Zeitumstaͤnde immer dringender aufriefen. Ich war entschlossen, den oͤsterreichischen Dienst zu verlassen, von Pfuel und Willisen wußte ich dasselbe, und wenn meine Lage und Verhaͤltnisse mir den Weg nach Rußland fuͤr jetzt versperrten, so war auch Norddeutschland ein wei¬ tes Feld, auf welchem, in moͤglichen Faͤllen, mancherlei zu unternehmen sein konnte. Hierin bestaͤrkte mich Gruner, der nach Stein's Abreise etwas thaͤtiger her¬ vortrat, aber nun auch schon mehr Aufmerksamkeit weckte, und sich beobachtet und gefaͤhrdet wußte. Er war in Berlin der Mittelpunkt weitverzweigter Verbin¬ dungen, und als Leiter der hohen Polizei im Besitz großer Mittel und Kundschaften gewesen. Die gefaͤhr¬ lichsten fraͤnzoͤsischen Spaͤher waren in seine Schlingen gerathen und spurlos verschwunden; seine List wie seine Verwegenheit brachten den Franzosen großen Schaden, aber diese erkannten ihn laͤngst fuͤr ihren Feind, und als, in Folge des Anschlusses von Preußen an Frank¬ reich, franzoͤsische Truppen auf Berlin marschirten, durfte er deren Eintreffen nicht abwarten, legte sein Amt nieder und entwich nach Boͤhmen. Er stand mit den russischen Behoͤrden in thaͤtigem Vernehmen, und hielt in ganz Deutschland seine gleichgesinnten Verbuͤn¬ deten rege. Sein großer, klug angelegter und bei sei¬ nen Huͤlfsmitteln gar nicht unausfuͤhrbarer Plan war, im Ruͤcken der franzoͤsischen Heere, sobald diese weit genug in Rußland vorgedrungen waͤren, uͤberall ihre Kriegsvorraͤthe in Brand zu stecken, jede Nachfuhr zu hemmen, besonders aber die Pulverwagen auffliegen zu lassen. Daß er in Prag ungestoͤrt bleiben durfte, die gelungene Ueberkunft Stein's, und die guͤnstige Stim¬ mung, die er uͤbernll antraf, machten ihn aber allzu sicher, er pruͤfte nicht genug, wem er sein Vertrauen schenken duͤrfe, und besonders unvorsichtig war sein Briefwechsel. Das Beispiel Stein's haͤtte ihn warnen sollen, allein er ging in Leichtsinn nur weiter. Er hielt seine Briefe noch fuͤr ganz sicher und ihre Geheimschrift fuͤr unentdeckt, als schon laͤngst fremde Augen sie durch¬ liefen, den Inhalt erforschten, und den ganzen Zusam¬ menhang einsahen. Vergeblich wurde er gewarnt, er glaubte seinen Beobachtern uͤberlegen zu sein, und ih¬ nen, wie er sich ausdruͤckte, eine Nase gedreht zu ha¬ ben. Eine Unterredung mit dem Grafen von Metter¬ nich, mehrere vertrauliche Besprechungen mit dem Ge¬ neral Freiherrn von Koller, anstatt ihn zur Besonnen¬ heit zuruͤckzurufen, regten nur seinen Uebermuth an. Die oͤsterreichische Regierung sah den Zeitpunkt kom¬ men, wo sie ihn nicht mehr wuͤrde schuͤtzen koͤnnen; die franzoͤsischen Behoͤrden in Berlin, in Hamburg, hatten gegen ihn die schaͤrfsten Angaben in Haͤnden, jeden Au¬ genblick mußte man erwarten, seine Auslieferung be¬ gehrt zu sehen, und mit so triftigen Gruͤnden und ge¬ bieterischem Drange, daß man nicht wuͤrde widerstehen koͤnnen. Um ihn zu retten und groͤßeres Ungluͤck zu verhuͤten, kam man den Franzosen zuvor, Gruner wurde unerwartet von oͤsterreichischer Seite verhaftet und als Staatsgefangener nach Peterwardein abgefuͤhrt; seine Papiere und Gelder entgingen auf diese Weise den Franzosen ebenfalls. Er selber hat in der Folge dies Begegniß als eine Wohlthat anerkennen muͤssen, behielt aber doch eine bittre Erinnerung dabei, welche der erste Eindruck in ihm hinterlassen hatte. Uns Andern, die wir gleich ihm des Schluͤssels noch entbehrten, verursachte dies Verfahren große Betroffen¬ heit und Sorge. Wir hielten unsre Absichten mehr verschwiegen, und suchten jeder seinen Weg fuͤr sich allein. Der Graf von Metternich kannte meine Wuͤn¬ sche, in Preußen angestellt zu werden, und wiewohl er verbindlichst aͤußerte, mich lieber in Oesterreich be¬ halten zu wollen, bot er mir doch von freien Stuͤcken seine wirksamste Empfehlung bei dem preußischen Staats¬ kanzler an. Auch empfing ich diese von ihm, noch be¬ vor er Prag verließ, wo er auch nach der Abreise des Hofes noch einige Zeit verblieben war. Seltsam genug hatte ich auch schon von Gruner ein solches Empfeh¬ lungsschreiben an Hardenberg, und ein drittes sollte mir auf die guͤnstigste Weise durch Wilhelm von Hum¬ boldt zu Theil werden. Diesen naͤmlich hatte ein hoͤchst erfreuliches und erwuͤnschtes Ereigniß, die Ankunft des Koͤnigs von Preußen in Prag, von Wien hieher geru¬ fen, und dasselbe ruͤckte mich ploͤtzlich allen preußischen Verhaͤltnissen naͤher, als es Briefe und Empfehlungen vermocht haͤtten. Mein Oberst erhielt den angenehmen Auftrag, den Koͤnig bei Besichtigung der Stadt und Umgegend zu begleiten. Willisen, der vor kurzem von Wien angekommen war, und bei mir wohnte, war hiebei mitthaͤtig, und als das Schlachtfeld, wo Schwe¬ rin gefallen war, beritten wurde, zeigte er so klare Kenntniß und sichern Ueberblick, daß ihm die groͤßten Lobeserhebungen zu Theil wurden. Ich vernahm fuͤr mich gnaͤdige Aeußerungen, die meinen Wuͤnschen die beste Hoffnung gewaͤhrten. Nachdem der Koͤnig zum Gebrauch des Bades nach Toͤplitz abgegangen war, gedachten Willisen und ich nun auch ernstlich unsrer Abreise nach Berlin. Dabei stieg indeß nunmehr manches Bedenken auf, an welches fruͤher nicht gedacht worden war. Die Franzosen und ihre dienstbaren Helfer, deren es damals unter den Deutschen leider viele gab, waren endlich auf die Per¬ sonen und Betreibungen, welche von Prag ausgingen, aufmerksam geworden, besonders beunruhigte sie der Kurfuͤrst von Hessen-Kassel, der alles zu unterstuͤtzen bereit schien, was im noͤrdlichen Deutschland gegen die Franzosen unternommen werden mochte. Die franzoͤ¬ sische Heeresmacht verlor sich in immer groͤßere Ferne, im Ruͤcken lagen große Landstriche fast entbloͤßt, der Einbruch einer kleinen feindlichen Schaar konnte die groͤßte Verwirrung anrichten. Man hatte die kuͤhnen Zuͤge Schill's, des Herzogs von Braunschweig-Oels, den Streifzug des Lieutenants von Katt, den Aufruhr¬ versuch des westphaͤlischen Obersten von Doͤrnberg, noch in gutem Andenken. Unter diesen Umstaͤnden wurden die franzoͤsischen Gesandtschaften, die Polizei- und Kriegs¬ beamten, zu groͤßter Wachsamkeit und Strenge ange¬ wiesen; der Mittelpunkt aber aller polizeilichen Aufsicht fuͤr das ganze noͤrdliche Deutschland war der Graf d'Aubignosc in Hamburg, mit welchem die Behoͤrden in Dresden und Berlin fleißige Verbindung unterhiel¬ ten. Pfuel hatte sich zuerst aufgemacht und Prag ver¬ lassen. Sein Ziel war Rußland, aber der Weg, den Stein noch hatte nehmen koͤnnen, war jetzt verschlossen, und ihm blieb nur der groͤßere Umweg uͤber Daͤnemark und Schweden. Ernst und schweigsam, hatte er sein Vorhaben nicht unnoͤthig mitgetheilt, und suchte dasselbe mit groͤßter Klugheit auszufuͤhren. Aber schon war er jenen Behoͤrden verkundschaftet. Durch kluge List ent¬ kam er in Hamburg den Nachstellungen des Grafen d'Aubignosc, der ihn aber um so sicherer in Kopenha¬ gen zu fangen meinte, und deßhalb einen Befehl dort¬ hin ergehen ließ. Psuel traf zwar fruͤher als dieser dort ein, aber die Weiterreise war ohne neue Paßun¬ terschrift unmoͤglich, und diese zu erlangen, bedurfte es der wenigen Stunden, die er als Vorsprung uͤber sei¬ nen Verfolger gewonnen hatte. Die koͤstliche Zeit ver¬ strich, und schon war er entschlossen, das Wagestuͤck zu unternehmen, sich in den Sund zu werfen und so die schwedische Kuͤste schwimmend zu erreichen, als sein Freund, der oͤsterreichische Gesandte von Buol, den er mitten in der Nacht aufstoͤrte, noch im letzten Augen¬ blick Mittel fand, ihm die Paßunterschrift vor Tages¬ anbruch zu verschaffen, worauf er sich bei Helsingoͤr einschiffte, und schon mit gutem Winde die Wogen durchschnitt, als der nacheilende Verhaftbefehl ankam. Dieser Vorgang, welcher uns in der Hauptsache sogleich bekannt wurde, gab uns viel zu denken, besonders weil wir befuͤrchten mußten, daß derselbe Verrath, der ihn betroffen, auch uns nicht verschonen werde. Dieser Verrath, falls eine spaͤtere Vermuthung sich bestaͤtigt faͤnde, waͤre den begleitenden Umstaͤnden nach einer der schaͤndlichsten, die je veruͤbt worden, und ich unterlasse da¬ her, einen so argen Verdacht naͤher anzudeuten. Jedoch reisten wir nach der Mitte des August endlich getrost ab. In Toͤplitz, wo wir uns dem Koͤnig von Preußen auf's neue vorstellten, und deßhalb ein paar Tage ver¬ weilten, widerfuhr mir eines der wunderbarsten und wichtigsten Begegnisse. Ich empfing eine bestimmte und ausfuͤhrliche Warnung, meine Reise nicht fortzusetzen, der franzoͤsische Gesandte Graf von Saint-Marsan in Berlin sei angewiesen, Pfuel's, meine und meines Rei¬ segefaͤhrten Ankunft sogleich nach Hamburg an d'Au¬ bignosc zu melden, uns auch in keinem Falle weiter reisen, sondern verhaften zu lassen; wir seien saͤmmtlich beschuldigt, Aufstaͤnde gegen die Franzosen anstiften zu wollen, Pfuel sei zwar gluͤcklich entkommen, desto schaͤr¬ fer aber werde man nun mit uns verfahren. Dies alles hatte der Graf von Saint-Marsan selbst versichert! Aus welcher Quelle jedoch mir diese Mittheilung kam, ziemt mir noch zu verschweigen, obwohl die menschenfreundlichste Absicht, mit Gefahr eigner Bloßstellung ausgefuͤhrt, mich zur treuesten Dankbarkeit verpflichtet hat, fuͤr welche der lauteste Ausdruck eine Befriedigung waͤre! — Wir kaͤmpf¬ ten eine Zeit lang, und uͤberlegten Gefahr und Gewinn; da jedoch unsre naͤchsten Zwecke wirklich harmlos waren und nicht uͤber Berlin hinausgingen, keinerlei Beweis gegen uns moͤglich sein konnte, und selbst unsre Eigenschaft als III. 14 oͤsterreichische Offiziere uns schuͤtzen mußte — wir hatten kluͤglich nur Urlaub genommen, und gedachten den Ab¬ schied nach Umstaͤnden einzureichen, — so ließen wir uns nicht abschrecken, sondern setzten unsre Reise fort, und gelangten auch ungehindert nach Berlin. Die preußische Hauptstadt war von franzoͤsischen Truppen besetzt, und wir meldeten uns herkoͤmmlich bei dem Marschall Augereau und bei dem Komman¬ danten General Durutte, gleicherweise bei der preußi¬ schen Behoͤrde. Ungeachtet des guten Anscheins, mit dem wir aufgenommen wurden, bemerkten wir bald, daß man uns beobochtete, welches wir uns indeß nicht besonders anfechten ließen. Nach einigen Wochen wollte Willisen seine Eltern bei Magdeburg besuchen, hatte aber kaum das westphaͤlische Gebiet betreten, als er verhaftet und auf das Kastell nach Kassel abgefuͤhrt wurde. Nur dies erfuhr man uͤber ihn, und weiter nichts. Durch diesen Vorfall wurde natuͤrlich auch meine Lage gespannter und bedenklicher, ich durfte nicht wagen, den Umkreis der Stadt zu uͤberschreiten. Von den Kaͤmpfen und Mißgeschicken, die ich hier zu beste¬ hen hatte, den Hoffnungen und Aussichten, die sich abwechselnd erhellten und verdunkelten, werd' ich viel¬ leicht kuͤnftig eine Schilderung versuchen, die durch das Eigne einer solchen Uebergangszeit wohl anziehend wer¬ den koͤnnte. Ich erwaͤhne hier nur, daß ich an dem Hause des oͤsterreichischen Gesandten Grafen Stephan von Zichy den sichersten Anhalt fand, bei dem Staats¬ kanzler Freiherrn von Hardenberg die guͤnstigste Auf¬ nahme genoß, ja sogar von dem Grafen von Saint- Marsan durch Einladungen ausgezeichnet wurde. Doch ungeachtet alles guten Anscheins blieb ich in der schwie¬ rigsten und bedenklichsten Lage, gehemmt bei jedem Schritt, in jeder Thaͤtigkeit. Obgleich in glanzvoller Geselligkeit, verlebte ich einen traurigen Winter. Mein Trost war Rahel, in deren Naͤhe zu sein mir alle Widrigkeiten uͤberwog. Ein andrer Trost erschien, und bildete sich zu immer helleren Hoffnungen aus, als der Brand von Moskau kund wurde, die Siegesrufe der Franzosen verstummten, die Nachricht von ihrem Ruͤck¬ zug und Verderben erscholl, und dieses endlich vor Au¬ gen erschien in den jammervollen Truͤmmern des gro¬ ßen Heers. Die Russen ruͤckten siegreich heran, uͤber¬ schritten die Oder und standen schnell vor Berlin, wo der Oberst von Tettenborn mit seinen Kosaken im er¬ sten Anlaufe den Feind einige Stunden durch die Stra¬ ßen jagte, nach wenigen Tagen aber die verstaͤrkten russischen Truppen entschieden einruͤckten. Aus peinlichem Zwang aufathmend, im vollen Ge¬ fuͤhl der Freiheit und neuen Lebens eilte ich zu Tet¬ tenborn. Ich fand hier Pfuel als Major vom Gene¬ ralstabe angestellt. Wir Alle freuten uns des Wieder¬ sehens. Mein Verhaͤltniß war schnell entschieden, Tet¬ tenborn nahm mich sogleich als Hauptmann fuͤr den 14 * russischen Dienst in Anspruch, und vertraute mir seine auf Hamburg gerichtete Unternehmung. Ich war zu allem bereit, aber ich war auch schon in preußischen Kriegsdienst berufen, und hatte zunaͤchst Depeschen der preußischen Behoͤrde als Kourier nach Breslau zu uͤber¬ bringen, wo der Koͤnig, der Staatskanzler und die uͤbrigen Haͤupter der Geschaͤftsfuͤhrung sich schon seit einiger Zeit aufhielten. Da die Sache der Russen und Preußen hier schon fuͤr ein- und dieselbe erklaͤrt war, so hatte mein Anliegen keine Schwierigkeit. Breslau war zum Kriegsheerd geworden, alles stammte von Eifer, Waffen und Kampf war das allgemeine Ver¬ langen. Auch von diesen Tagen wird kuͤnftig noch ei¬ niges Naͤhere zu berichten sein. Ich sah auch Stein hier wieder, zwar auf dem Krankenbette, aber auch krank noch in voller Kraft! Ich eilte nach Berlin zuruͤck und von da nach Ham¬ burg, welches Tettenborn mittlerweile schon gluͤcklich erreicht und besetzt hatte. Bevor ich nun zur Schilde¬ rung der Kriegsereignisse uͤbergehe, denen ich in den Jahren 1813 und 1814 beigewohnt, moͤge mir erlaubt sein, von dem tapfern Anfuͤhrer, dem ich das Gluͤck gehabt als einer seiner Adjutanten anzugehoͤren, etwas ausfuͤhrlicher zu reden, und dessen fruͤhere Lebensver¬ haͤltnisse und Thaten kuͤrzlich hier einzuschalten. Tettenborn. D as Leben der Kriegsmaͤnner hat den eignen Reiz, daß neben dem Talente hier hauptsaͤchlich der Karakter wirkt, der so frei und schnell nirgends hervortritt, als im Aufruf aller Kraͤfte des innern und aͤußern Men¬ schen, im Kriege; nirgends erscheint entschiedener der Vorzug einer starkausgepraͤgten und schnellguͤltigen Per¬ soͤnlichkeit, von der zuletzt doch fast alles in den Er¬ eignissen des Lebens abhaͤngt, indem sogar das, was man Gluͤck zu nennen pflegt, meist nur der Inbegriff der Wirkungen ist, die aus dem dunkleren Zusammen¬ hange der Eigenschaften aufsteigen. Ein Beispiel sol¬ cher Betrachtung bietet auch der Lebenslauf des tapfren Generals, von dem wir jetzt und fernerhin zu reden haben, und der unter den Befehlfuͤhrern in den denk¬ wuͤrdigen Kriegen der Jahre 1813 und 1814 als einer der eigenthuͤmlichsten und bedeutendsten anzuerkennen ist. Friedrich Karl Freiherr von Tettenborn wurde am 19. Februar 1778 geboren. Sein Vater war fruͤher dem oͤsterreichischen Kriegsdienste gefolgt, wo der Name Tettenborn schon aus aͤlterer Zeit in gutem Andenken stand, hatte dann diese Laufbahn verlassen und als Markgraͤflich badischer Jaͤgermeister in der Grafschaft Sponheim eine seinen Wuͤnschen gemaͤße Anstellung erhalten. Als in der Folge Napoleon mit gewaltsamer Willkuͤr die Forderung durchsetzte, alle in dem Umfange seiner Herrschaft auch vor derselben Gebornen duͤrften nur ihm dienen, wurde statt dieses Geburtsorts ein anderer vorgeschoben, naͤmlich das Stammgut Tetten¬ born in der Grafschaft Hohenstein, und diese Angabe pflanzte sich irrthuͤmlich fort, nachdem ihr Zweck laͤngst aufgehoͤrt hatte. Nur bis in sein sechstes Jahr blieb der junge Tettenborn auf dem linken Rheinufer und kam dann nach Rastatt, wohin sein Vater als Ober¬ jaͤgermeister war befoͤrdert worden. Er empfing im vaͤterlichen Hause sorgfaͤltigen und nach damaliger Weise gruͤndlichen Unterricht, der sogar zu gelehrter Bildung fuͤhren sollte, wiewohl bald sichtbar wurde, daß dies nicht die Richtung sei, zu welcher die unlaͤugbar guten Anlagen sich neigten. Aber auch in der spaͤteren, frei gewaͤhlten Bahn, unter ganz veraͤnderten Lebensum¬ staͤnden, bewaͤhrte sich die Wirkung dieses ersten Un¬ terrichts als guter Gewinn. Dasselbe gilt von dem Einflusse frommen Sinnes und Beispiels, welche durch die Mutter auf den Knaben wirkten; sie war eine ge¬ borne Graͤfin von Arz, eigentlich Arzio, eines Geschlechts im suͤdlichen Tyrol. Guͤnstig war dem Jugendleben auch das Amt und Streben des Vaters, dem das ba¬ dische Land die groͤßten Anlagen und Pflanzungen dankt, wo denn die Gelegenheit und Aufforderung sich unun¬ terbrochen darbot, in freier Natur zu verweilen und umherzustreifen. In seinem dreizehnten Jahre, als er groß und wohl¬ gebildet herangewachsen war, wurde der Knabe an den Kurfuͤrstlichen Hof nach Mainz geschickt, und daselbst unter die Pagen des Kurfuͤrsten aufgenommen. Noch lebt in mancher Erinnerung die Pracht, Festlichkeit und gesellschaftliche Bewegung, welche damals den Main¬ zer Hof auszeichneten und die Stadt erfuͤllten; in heitrer Sorglosigkeit lebte man den taͤglich wechselnden Ver¬ gnuͤgungen, ungestoͤrt von dem Geiste der Pruͤfung und des Widerspruchs, der gegen die alten Zustaͤnde schon allgemein erweckt war, hier aber hoͤchstens als ein neuer Reiz der Unterhaltung eingelassen wurde. Auch die drohende Nachbarschaft der weiter und weiter schreitenden franzoͤsischen Revolution, und der schon aus¬ gebrochene Krieg machten auf die leichtsinnige Ueppig¬ keit wenig Eindruck, als ploͤtzlich um so furchtbarer im Herbste 1792 die unerwartete Annaͤherung der Fran¬ zosen alles aus dem Taumel aufschreckte. Bei dem Erscheinen des Generals Custine fluͤchtete der Kurfuͤrst mit seiner Geliebten und seinen Guͤnstlingen eilig nach Aschaffenburg, der uͤbrige Hof stob auseinander, und hat sich groͤßtentheils nie wieder zusammengefunden. Tettenborn sah noch die franzoͤsischen Truppen in Mainz einziehen, und kehrte wenige Tage darauf in das vaͤ¬ terliche Haus nach Rastatt zuruͤck. Die Wendung der Ereignisse schien auf weit hinaus die bisherigen Verhaͤltnisse zu verwirren, auf deren Herstellung zu warten dem Vater thoͤricht schien; und um den Sohn seine Zeit gleich wieder zweckmaͤßig an¬ wenden zu sehen, sandte er ihn schon im naͤchsten Jahre nach Waltershausen, um sich unter der Leitung des beruͤhmten Bergraths Bechstein den Forstwissenschaften zu widmen. Hier blieb er jedoch nicht lange, sondern bezog noch im naͤmlichen Jahre die Universitaͤt Goͤttin¬ gen, welche er in Folge einer jugendlichen Uebereilung bald wieder mit Jena vertauschen mußte. Von hier rief ihn unvermuthet die Nachricht nach Hause, daß sein Vater erkrankt sei, den er auch nicht mehr am Leben fand. Seine unbezwingliche Neigung zum Kriegs¬ dienste, bisher nur muͤhsam unterdruͤckt aus Ruͤcksicht fuͤr den Vater, der in seinem angesehenen und eintraͤg¬ lichen Amte den Sohn zum Nachfolger zu haben wuͤnschte, brach nun, da kein Einspruch mehr ihn hindern konnte, indem auch seine Mutter schon fruͤher verstorben war, mit aller Heftigkeit aus: er verließ die angefangenen Studien, und trat gleich im Jahre 1794 als Kadet bei dem Joseph Kinsky'schen, spaͤterhin Klenau'schen, Chevauxlegersregiment in das oͤsterreichische Heer. Hier begann fuͤr den sechzehnjaͤhrigen Tettenborn eine Laufbahn, die seinen militairischen Eigenschaften alle Gelegenheit zur Entwicklung bot, und fuͤr ihn reich an persoͤnlicher Auszeichnung wurde. Daß oͤster¬ reichische Heer, welches den Karakter eines durch meh¬ rere Jahrhunderte ohne Unterbrechung fortbestandenen Kriegswesens bis auf den heutigen Tag bewahrt, ver¬ einigt mit den daraus fließenden, besonders nach innen hoͤchst bezugreichen Vortheilen zugleich die einer stets frischen, durch neue, und nach der Lage der Graͤnzen sehr verschiedene Kriege, unaufhoͤrlich geuͤbten Erfah¬ rung. Seine Zusammensetzung aus den mannigfachen Elementen, welche die oͤsterreichischen Erblande in gluͤck¬ lichem Verhaͤltnisse dazu lieferten, empfing noch einen erwuͤnschten, und besonders geistig unschaͤtzbaren Zusatz durch den Umstand, daß so geraume Zeit hindurch die¬ ses Heer fuͤr alle Deutschen zugleich als das Heer ihres Kaisers, und sonach als ihre eigentlich vaterlaͤn¬ dische Kriegsmacht dastand, welcher die besten Kraͤfte des sogenannten Reichs in jeder Weise zustroͤmten. Der eigenthuͤmliche Geist, der sich aus dieser Mischung er¬ hoben, beurkundet sich in vielen Zeichen, die wohl un¬ laͤugbar als Deutsche anzuerkennen sind. Die unzer¬ stoͤrbare Selbststaͤndigkeit innerer Ordnung, die große Kraft der Wiederherstellung, die Vernachlaͤssigung des bloßen Scheins, die Sparsamkeit aͤußerer Belohnun¬ gen, und die daher in den untern Graden angehaͤufte Thatfuͤlle und Verdienstlichkeit, dies alles bildet eine breite und feste Grundlage, auf welcher die dennoch durchgedrungene Auszeichnung nur um so glaͤnzender sich erhebt. Das Regiment, in welches Tettenborn getreten war, stand in den Niederlanden gegen die Franzosen, und nahm ruhmvollen Antheil an den Kriegsthaten, durch welche die Oesterreicher und Preußen damals fuͤr sich selbst wohl Ehre genug erfochten, fuͤr die Sache ihrer Herrscher aber, bei dem Mangel an gehoͤrigem Zusammenwirken, keine bleibenden Erfolge gewinnen konnten. Einzelne Kompagnieen Fußvolk, eine Schwa¬ dron Reiter, ja bloße Patrouillen, kaͤmpften sehr haͤufig einer zehnfachen Uebermacht entgegen, hielten sie auf, warfen sie zuruͤck, oder wagten wohl selbst den Angriff; der Ruf, den manche Regimenter in solchen Vorfaͤllen erwarben, und die Anspruͤche, welche die eigne und die oͤffentliche Meinung an sie machten, graͤnzten oft an die romantischen Erzaͤhlungen fruͤherer Zeit. Die Feld¬ zuͤge im Ganzen waren darum nicht weniger ungluͤck¬ lich, und die Hauptvortheile meist auf der Seite des Feindes; aber eine bessere Schule des Kriegs, eine an persoͤnlichen Aufgaben und Erfahrungen reichere, als das oͤsterreichische Heer in jener Zeit darbot, konnte schwerlich nochmals zu finden sein. Nach wenigen Monaten zum Lieutenant befoͤrdert, fand Tettenborn haͤufige Gelegenheit, seinen Muth zu bewaͤhren und vielfache Kunde des Felddienstes einzu¬ sammeln. Die Reiter zogen gern mit ihm aus, der als Fuͤhrer entschlossen und gewandt, und als Kaͤmpfer jedem Gemeinen ein Muster war. Die Wagstuͤcke und Erfolge des kleinen Kriegs, von denen die Geschichte nichts zu melden pflegt, haben fuͤr die betheiligten Truppen oft mehr Werth, als manches groͤßere Ereig¬ niß; in ihnen begruͤndet sich am sichersten die persoͤn¬ liche Schaͤtzung, der Ruf des Mannes und der Waffe. Der Gang der damaligen Feldzuͤge in den Nieder¬ landen und am Rhein ist bekannt. Tettenborn folgte dem Wechsel derselben in den Bewegungen seines Re¬ giments, dem wenig Ruhe gegoͤnnt war, und das wir, nach manchen Begegnissen, im Jahre 1799 bei dem Heere des tapfern Erzherzogs Karl wiederfinden. Von den zahlreichen Vorfaͤllen, welchen Tettenborn hier mit Aus¬ zeichnung beiwohnte, heben wir nachfolgende Zuͤge aus, welche ihn insbesondere angehn. In dem Treffen bei Frauenfeld hatte das Regi¬ ment Kinsky einen harten Stand, und bewies gegen den uͤberlegenen Feind auf unguͤnstigem Boden die aus¬ dauerndste Unerschrockenheit. Viele seiner trefflichsten Offiziere wurden getoͤdtet oder verwundet. Die Fran¬ zosen hatten das oͤsterreichische Fußvolk aus einem vor¬ liegenden Walde verdraͤngt, und dadurch die auf der Straße vorgeruͤckten Truppen in die Flanke genommen; der Augenblick war dringend, und forderte schleunigst Huͤlfe; da ließ Tettenborn eine halbe Schwadron ab¬ sitzen, und stuͤrmte zu Fuß mit dieser Mannschaft den Wald, aus welchem der Feind, bestuͤrzt durch den un¬ erwarteten raschen Angriff, eiligst hinausgetrieben wurde, so daß die kleinere Schaar den Raum wieder einnahm, den die groͤßere nicht behaupten gekonnt! Drei Tage darauf, bei dem Gefechte von Winterthur, machte die Schwadron Tettenborns den Vortrab, und wurde von den Franzosen, die vor der Stadt sechs Stuͤcke Geschuͤtz auf¬ gepflanzt hatten, mit heftigem Kartaͤtschenfeuer empfan¬ gen, das sogleich mehrere Leute niederstreckte; er aber besann sich keinen Augenblick, und sprengte an der Spitze seines Zuges geradezu auf die feindlichen Kano¬ nen an; schon waren die Artilleristen, welche ihr Ge¬ schuͤtz wacker vertheidigten, im Handgemenge groͤßten¬ theils niedergemacht, als die Franzosen zur Unterstuͤtzung derselben mit zahlreicher Reiterei ungestuͤm hervorbra¬ chen, und die oͤsterreichische wieder zuruͤckwarfen; Tet¬ tenborn's Pferd, von einem Kanonier durch Saͤbelstiche verwundet, stuͤrzte in diesem Augenblicke zwischen die Kanonenpferde nieder, er selbst lag zu Boden und schien verloren, umgeben von feindlichen Husaren, die nach ihm hieben und schossen, und ihn wenigstens ge¬ fangen nehmen wollten, als die Tapferkeit seines Ritt¬ meisters, des nachherigen Generals von Meyer, ihn noch eben zu rechter Zeit aus dieser großen Gefahr wieder befreite. Nach Beendigung des Feldzuges in der Schweiz ruͤckte der Erzherzog Karl rasch an den Oberrhein, und nahm die damals noch wohlbefestigte Stadt Mannheim mit Sturm. Der Feind hatte sich mit einem Theile seiner Truppen noch außerhalb der Festung behaupten wollen, und mußte erst in diese zuruͤckgetrieben werden; dies geschah durch eine Reihe hitziger Angriffe, in welcher die Reiterei die besten Dienste leistete, und besonders in einem scharfen Gefecht am Neckarauer Wald das franzoͤsische Fußvolk voͤllig zer¬ sprengte und großentheils niedermachte, wobei Tetten¬ born sich so sehr hervorthat, daß er oͤffentlich dafuͤr belobt wurde. Bei dem Sturme, der sodann auf die Stadt geschah war er einer der Ersten, die durch die aufgehauenen Thore in die Stadt eindrangen, und machte in den Straßen noch eine Menge Gefangnen, waͤhrend die Hauptmasse der Franzosen fechtend die Rheinbruͤcke gewann, und sich aus der Stadt auf das jenseitige Ufer zog. Als der General von Kray den Oberbefehl des oͤsterreichischen Heeres uͤbernommen hatte, und dieses zum Ruͤckzuge vom Rhein gegen Ulm genoͤthigt wurde, zeigte Tettenborn beim Nachtrab in haͤufigen Gefechten seinen Muth wie seine Geschicklichkeit. Bei Biberach hielt er so standhaft gegen den andringenden Feind, daß er in zwei Stunden drei Pferde unter dem Leibe ver¬ lor. Nicht minder zeichnete er sich in dem Gefechte bei Ried-Eschingen aus, am Tage der Schlacht von Engen. Nach dem Treffen von Neuburg aber empfing er von dem General Grafen von Giulay den besondern Auf¬ trag, mit einer eigends hiezu ausgewaͤhlten Abtheilung Chevaurlegers und Husaren, die Truppenschaar, welche gegen Landshut ging, seitwaͤrts zu begleiten, und die Bruͤcken der Isar zu zerstoͤren. Indem er diesen Auf¬ trag bestens vollzog, hatte er Gelegenheit noch einen andern wichtigen Dienst zu leisten, der den Bewegun¬ gen des Heeres wohl zu Statten kann; er hielt sich neun Tage zu Freisingen gegen den sehr uͤberlegenen Feind, der seine Angriffe oft erneuerte, aber durch das muthige und geschickte Benehmen Tettenborns getaͤuscht, ihn fuͤr staͤrker hielt als er war, und nicht das Aeußerste wagen wollte. Endlich, nach hartnaͤckiger Gegenwehr, dennoch gezwungen, Freisingen zu verlassen, nahm Tet¬ tenborn seine Richtung gegen Muͤnchen, wo gleich eine neue Ausfuͤhrung seiner wartete; denn, kaum in dor¬ tiger Gegend angekommen, erblickte er jenseits der Isar eine betraͤchtliche Anzahl franzoͤsischer Packpferde einher¬ ziehen, — es waren die des Generals Lecourbe —, sogleich suchte er fuͤnf seiner entschlossensten Reiter aus, schwamm mit diesem kleinen Haͤuflein durch die reißende Isar, und stuͤrzte mit solchem Ungestuͤm auf die staͤrkere Bedeckung, daß diese ihr Heil in der Flucht suchte, und ihm alles zur Beute ließ, mit welcher und meh¬ reren Gefangenen er ungestoͤrt auf das andre Ufer zu¬ ruͤckkehrte. Bei großen Ungluͤcksfaͤllen, durch welche ein ganzes Heer zerruͤttet oder vernichtet wird, und deren Ursache fast immer nur in den hoͤchsten Anordnungen liegt, ist man nur wenig geneigt, auch bei den Besiegten tapfre Aus¬ zeichnung anzuerkennen, und die Vorgaͤnge, in welchen diese sich zeigt, werden kaum beachtet. Aber gerade in solchen Ungluͤcksfaͤllen treten Muth und Tapferkeit einzelner Schaaren und Anfuͤhrer meist am entschiedensten auf, und ohne dem Ganzen eine andere Wendung geben zu koͤnnen, setzen sie dem Unheil Schranken, und bringen im Kleinen zum Theil wieder ein, was im Großen ver¬ loren worden. Auch in dem ungluͤcklichen Feldzuge, der zur Schlacht von Hohenlinden fuͤhrte, traten solche Aus¬ zeichnungen und Leistungen zahlreich und mannigfach hervor, hauptsaͤchlich durch die leichten Truppen, welche in kleinen Gefechten fast immer die Oberhand hatten. Tettenborn war in solchen Gelegenheiten besonders thaͤtig und erfolgreich Bei der genannten Schlacht, deren Ergebnisse die franzoͤsischen Berichte noch immer mit den uͤbertriebensten Zahlen ausschmuͤcken, war Tetten¬ born einer der Letzten, die am spaͤten Abend das Schlacht¬ feld verließen; er kaͤmpfte in der tapfern Nachhut, welche den Ruͤckzug des linken Fluͤgels deckte; warf den an¬ dringenden Feind mehrmals zuruͤck, und leistete uͤber¬ haupt so gute Dienste, daß ihm daruͤber die beson¬ dere Zufriedenheit der hoͤchsten Befehlshaber bezeigt wurde. Er war inzwischen zum Rittmeister und Schwa¬ dronskommandanten vorgeruͤckt, und kehrte aus dem Felde mit dem Ruf eines tapfern und kuͤhnen Offiziers in die Friedensstation nach Boͤhmen zuruͤck. Er hatte seinen Namen so vortheilhaft bekannt gemacht, daß man die groͤßten Erwartungen von ihm hegte. Auch im Frieden wußten seine persoͤnlichen Eigenschaften die guͤn¬ stige Aufmerksamkeit eines großen Kreises zu fesseln, waͤhrend er in dem engeren des Regiments die Zunei¬ gung und das Wohlwollen aller Kammeraden im hoͤch¬ sten Grade genoß. Der freie Jugendmuth, der uͤberall das Beste anspricht, die rege Kraft, welche dem Ge¬ nuß uͤberlegen bleibt, die heitre Unbefangenheit, welche ihr Vertrauen auf Gluͤck und Gelingen selten betrogen sieht, und selbst dann jeder Sorge und Zagheit wider¬ steht; dazu eine großmuͤthige Hingebung fuͤr Andre, ein erfreulicher, heitrer Umgang, eine bei starkem per¬ soͤnlichen Auftreten desto einnehmendere Leutseligkeit, eine glaͤnzende Erscheinung, und eine Freigebigkeit ohne Graͤnze und Ruͤcksicht: dieser Verein von wirksamen Eigenschaf¬ ten konnte nicht ohne die groͤßten Erfolge bleiben, fuͤr welche die glaͤnzende Geselligkeit von Prag und Wien, das reiche Landleben der boͤhmischen Großen, dann auch Dresden, und selbst Berlin, den abwechselnden Schau¬ platz boten. Frauengunst, Spiel, jugendlicher Ehrgeiz, alles, was Ernst und Freude des Militaͤrlebens ge¬ waͤhren, mußte hier vielfache Abentheuer wecken, welche in der Weise franzoͤsischer Denkwuͤrdigkeiten behandelt, den Stoff der anziehendsten Erzaͤhlungen geben koͤnn¬ ten! Auch an neuen Proben eines Muthes, den viele Kenner von dem Muthe auf dem Schlachtfelde fuͤr sehr verschieden halten, fehlte es in solchem Lebensge¬ wirre nicht, und auch in diesem Betreff wurde Tetten¬ born's Namen mit groͤßter Auszeichnung genannt. Un¬ ter den angesehenen Befreundungen, die ihm zu Theil wurden, war auch die mit dem Prinzen Louis Ferdi¬ nand von Preußen, der sich bei einem Besuche in Boͤh¬ men uͤberall große Zuneigung erwarb, mit den oͤster¬ reichischen Offizieren als Kammerad lebte, und in Tettenborn ebenso sehr den tuͤchtigen Krieger wuͤrdigte, als er in ihm den heitern Lebensgenossen liebte. Diese Befreundung wurde noch inniger, als Tet¬ tenborn im Jahre 1804 mit einem Auftrag an den oͤsterreichischen Gesandten Grafen von Metternich nach Berlin geschickt wurde, und hier mit dem Prinzen, den er auch schon auf dessen Landsitze besucht hatte, in taͤglichen vertauten Umgang lebte, den die Zeitumstaͤnde durch die Kriegsgesinnung, welche sich in Preußen, wie Oesterreich regte, nur noch staͤrker beseelten. Von die¬ sem Aufenthalte Tettenborn's in Berlin wird ein be¬ sondrer Zug erzaͤhlt, den wir unverbuͤrgt wiedergeben, wie wir ihn gehoͤrt, indem er auch als Sage bezeich¬ net ist. Tettenborn hatte naͤmlich in Berlin die nicht unbetraͤchtliche Erbschaft eines im Preußischen verstor¬ III. 15 denen Verwandten erhoben, und sollte, bevor er wie¬ der abreiste, von dem außer Landes gehenden Vermoͤgen das uͤbliche Abzugsgeld bezahlen; er aber, verwundert uͤber eine solche Forderung, fand dieselbe um so unge¬ reimter, als er keinesweges mehr im Falle war, sie erfuͤllen zu koͤnnen, er bewies, daß er von der ganzen Erbschaft nicht das Geringste mitnehme, sondern waͤh¬ rend seines kurzen Aufenthalts den vollen Betrag, man sagte zwanzig tausend Thaler, sofort verbraucht und ausgegeben, und also das Geld im Lande gelas¬ sen habe! Im Jahre 1805 erhob sich Oesterreich aufs neue zum Kriege gegen die Franzosen, und sah bekanntlich durch wiederholte Unfaͤlle seine Hoffnungen abermals getaͤuscht. Tettenborn war mit einem Theile des vor¬ mals Kinsky'schen jetzt Klenau'schen Regiments, bei welchem er stand, in Ulm geblieben, waͤhrend der andre Theil unter dem Obersten sich nach Bregenz gezogen hatte. Mehrere Streifzuͤge und Rekognoszirungen, die ihm aufgetragen wurden, fuͤhrte er zur groͤßten Zu¬ friedenheit aus. Als aber der Oberbefehlshaber des Heeres, General von Mack, in unbegreiflicher Ver¬ blendung befangen, und dann ploͤtzlicher Muthlosigkeit hingegeben, zuletzt in Ulm kein andres Heil mehr sah als in der Uebergabe, da wußte sich ein Theil des Heeres dieser Schmach gluͤcklich zu entziehen. Der Erzherzog Ferdinand faßte den kuͤhnen Entschluß, mit dem Theile der Reiterei, der unter solchen Umstaͤnden noch in der Eile zusammenzuraffen war, durch den Feind durchzubrechen und nach Boͤhmen zu entkommen. Tettenborn genoß bereits eines solchen Vertrauens, daß zur Fuͤhrung des Vortrabs niemand faͤhiger schien als er, und der entscheidende Schlag, der Durchbruch der franzoͤsischen Umzingelung, wurde von ihm gefuͤhrt. Mit außerordentlicher Geschicklichkeit und heldenmuͤthi¬ ger Anstreugnng gelang das ganze Unternehmen, wel¬ ches im Ruͤcken der franzoͤsischen Heere von steter Gefahr begleitet war, bis endlich, nach mehreren Ge¬ waltmaͤrschen und hitzigen Nachtrabsgefechten, die boͤh¬ mische Graͤnze erreicht wurde. Tettenborn hatte das Gluͤck, auf diesem Zuge die vollkommene Zufriedenheit des Erzherzogs sowie des die Reiterei befehligenden Fuͤrsten Karl von Schwarzenberg zu erwerben. Ihm wurde sogleich ein neuer Auftrag ertheilt, die Deckung der Straße, die uͤber Waldmuͤnchen nach Boͤhmen fuͤhrt. Mit der ihm anvertrauten Truppenschaar, groͤ߬ tentheils Reiterei, wußte er sich in der Oberpfalz durch geschickte Bewegungen und einzelne gluͤckliche Gefechte mehrere Wochen zu behaupten, und zwischen Amberg und Waldmuͤnchen die franzoͤsischen Streifpartheien mehr¬ mals zuruͤckzuwerfen, bis der General Baraguay d'Hil¬ lers uͤber 8000 Mann gegen ihn heranfuͤhrte, ihn zum Ruͤckzug nach Boͤhmen noͤthigte, und darauf selbst in Boͤhmen einzudringen suchte. Tettenborn verzweifelte 15 * nicht, im eignen Lande auch dieser Uebermacht die Spitze bieten zu koͤnnen. Er rief zwischen Pilsen und Klentsch alles Landvolk zu den Waffen, ließ in allen Doͤrfern die Sturmglocke laͤuten, und wagte nun den ihm sechsmal uͤberlegenen Feind anzugreifen, der, durch diese Kuͤhnheit und den gutgeleiteten Aufstand geschreckt, sich zuerst nach Klattau zuruͤckzog, und bald darauf Boͤhmen voͤllig verließ. Nach erfolgtem Frieden wurde Tettenborn durch die Nachricht uͤberrascht, daß die unter seinem Befehl gestan¬ denen Offiziere der Regimenter Klenau und Rosenberg fuͤr ihn das Theresienkreuz verlangt haͤtten, eine Aus¬ zeichnung, welche in Oesterreich von den hoͤchsten Per¬ sonen als das koͤstlichste Kleinod militaͤrischer Ehre erstrebt, und nur dem anerkanntesten Verdienst ertheilt zu werden pflegt, auch noch jetzt ebenso selten als werth gehalten. Besondere Bedingungen beschraͤnken die Verleihung dieses Ordens, auf den nur derjenigen Tapferkeit Anspruch gestattet ist, welche vor dem Feinde sich durch Thaten ausgezeichnet, die weder durch aus¬ druͤcklichen Befehl noch durch unerlaͤßliche Pflicht gebo¬ ten waren. Das zur Pruͤfung der Anspruͤche und Zeugnisse versammelte Ordenskapitel erkannte die For¬ derung der Offiziere fuͤr Tettenborn als voͤllig begruͤn¬ det an, und sprach ihm einstimmig den Orden zu. Mit neuem Ruhm und neuen Vortheilen kehrte er wieder zu den Beschaͤftigungen des Friedensdienstes und in den Glanz der Hauptstaͤdte Prag und Wien zuruͤck, wo er in den angesehensten Kreisen nur immer guͤnstiger bemerkt wurde. Im Jahre 1808 geschah ihm der Antrag, den Fuͤrsten von Schwarzenberg, der als oͤsterreichischer Botschafter nach St. Petersburg ging, als erster Adjutant und Botschaftskavalier zu begleiten. Tettenborn sah hier eine neue Laufbahn eroͤffnet, fuͤr die er schon vielfach vorbereitet war, und die ihn maͤch¬ tig anziehen mußte; er willigte ein, empfing noch vor der Reise den Kaiserlichen Kammerherrnschluͤssel, holte den Fuͤrsten, der schon voraus war, in Wilna ein, und kam mit ihm gegen Ende des Jahres in St. Peters¬ burg an. Der dortige Aufenthalt war durch die poli¬ tischen Verhaͤltnisse mit sehr schwierigen Ruͤcksichten verknuͤpft, und forderte große Kunst des Benehmens; wenn dem Fuͤrsten von Schwarzenburg unbestritten der Ruhm gebuͤhrt, bloß durch sein persoͤnliches Verdienst alles bewirkt zu haben, was damals am russischen Hofe fuͤr Oesterreich noch zu erlangen war, so darf seine in derselben Hinsicht fuͤr Tettenborn vielfach ausgesprochene Zufriedenheit ein um so bewaͤhrteres Zeugniß auch fuͤr diesen sein. Als im Mai 1809 die Nachricht von dem Ausbruche des neuen Krieges zwischen Oesterreich und Frankreich in St. Petersburg eingetroffen war, wurde Tettenborn von dem Fuͤrsten mit besondern Auftraͤgen als Kourier zu dem Hauptheere gesandt, welches unter dem Erzherzog Karl inzwischen den glorreichen Sieg bei Aspern erkaͤmpft hatte, und einer neuen Schlacht auf dem Marchfelde entgegensah. Diese erfolgte nach mehreren Wochen, die Schlacht von Deutsch-Wagram. Wir haben schon anderwaͤrts erwaͤhnt, daß Tettenborn fuͤr seine Tapferkeit und Auszeichnung in dieser Schlacht durch den Erzherzog Karl auf dem Schlachtfelde zum Major befoͤrdert, sein Name in dem amtlichen Bericht ruͤhmlichst genannt, und ihm die Deckung des Ruͤckzu¬ ges, den die Oesterreicher in bester Ordnung gegen Znaym nahmen, uͤbertragen wurde. Nach wenigen Tagen wurde bei diesem Orte schon wieder eine zwei¬ taͤgige Schlacht geliefert, welche aber durch den inzwi¬ schen abgeschlossenen Waffenstillstand unterbrochen wurde. Auch in dieser Schlacht aͤrntete Tettenborn die ausge¬ zeichnetsten Lobspruͤche sowohl des Erzherzogs Karl als auch des Generals Grafen von Bellegarde, welcher den ersten Heertheil der Oesterreicher befehligte, zu dem das Regiment Klenau gehoͤrte. Bei der Unterhandlung des Waffenstillstandes wurde Tettenborn von dem Erzher¬ zoge, der großes Vertrauen in seine persoͤnlichen Gaben setzte, mehrmals an den Fuͤrsten von Neuchatel und an Napoleon selbst, wodurch der Abschluß auf vortheilhafte Bedingungen sehr gefoͤrdert wurde. Nach dem Wiener Frieden ging der Fuͤrst von Schwarzenberg als oͤsterreichischer Botschafter nach Paris, und Tettenborn begleitete denselben in gleicher Eigen¬ schaft wie fruͤher nach St. Petersburg. In neueren Zeiten ist wohl selten eine Botschaft von solchem Glanze, solch reicher Zuruͤstung und bedeutendem Ansehn, und zugleich von so ruhiger Wuͤrde und großartiger Einfach¬ heit gesehen worden. Alle Deutschen fanden in dem Schwarzenbergischen Hause ihren sichern Anhalt, ihr vertrautestes Zusammensein, waͤhrend zugleich das aus¬ gesuchteste Prachtleben hier den Preis vor allen fran¬ zoͤsischen und fremden Haͤusern behauptete. Mit wel¬ cher Weltkunde, Klugheit und Anmuth sich Tettenborn in diesen Verhaͤltnissen bewegte, kann schon aus dem bisher Mitgetheilten ermessen werden; er war in dem tiefsten Vertrauen des Fuͤrsten, und wurde zu den in¬ nersten Geschaͤften zugezogen, außerdem aber lag ihm ein großer Theil der aͤußern Darstellung und des man¬ nigfachen persoͤnlichen Hervortretens ob, zu welchem diese großen Verhaͤltnisse unaufhoͤrlich Anlaß gaben. Mit Gewandtheit loͤste er die schwierige Aufgabe des fortgesetzten Umgangs mit den Franzosen; er hatte aͤu¬ ßerlich das beste Vernehmen mit den Großen des Ho¬ fes, den anspruchsvollen Frauen und eitlen Guͤnstlin¬ gen, ohne daß er jemals zu Schmeicheleien seine Zu¬ flucht genommen, oder die deutschen Gesinnungen, die ihn beseelten, durch Verlaͤugnung beleidigt haͤtte. Die¬ sen Leuten durch trotzige Festigkeit Achtung und Scheu einzufloͤßen, war die einzige Art mit ihnen fertig zu werden. Sie versuchten einigemal, die schroffe Selbst¬ staͤndigkeit zu beugen, doch da dies nicht gelingen wollte, wie Manche zu ihrem Schaden erfahren mußten, so beeiferten sie sich nun um so mehr, dieselbe anzuerken¬ nen. Napoleon selbst, der gegen Tettenborn immer Abneigung empfand, und dies wenig verhehlte, ließ ihn am Ende gelten. In diese Zeit faͤllt das durch seinen Ausgang un¬ gluͤcklich beruͤhmte Fest des Fuͤrsten von Schwarzenberg, wo mehrere der angesehensten Personen verbrannten, und viele durch die Flammen schwer beschaͤdigt wurden. In der ersten Bestuͤrzung konnte manchem der Anwe¬ senden wohl der Gedanke von Verrath aufsteigen; ein franzoͤsischer General, von solchem Argwohn ergriffen, wandte sich heftig an Tettenborn mit einer unziemlichen Frage; doch dieser, empoͤrt durch den Verdacht und er¬ fuͤllt vom Drange des Augenblicks, faßte statt aller Antwort den dreisten Frager an bei den Schultern, und schleuderte mit zuͤrnender Kraft ihn ruͤcklings zu Boden. Napoleon, Zeuge des Ursprungs und der Aus¬ breitung des Feuers, war von jedem Mißtrauen ent¬ fernt, und glaubte vielmehr die Anstrengung und Beei¬ ferung, welche mehrere Mitglieder der Botschaft bei dieser Gelegenheit auch fuͤr seine und der Kaiserin Sicherheit bewiesen hatten, besonders belohnen zu muͤs¬ sen. So empfing denn auch Tettenborn den Orden der Ehrenlegion. Napoleon's persoͤnliche Stimmung aber wurde damit nicht guͤnstiger. Im Gegentheil ging er oͤfters darauf aus, auch an Tettenborn, wie an so viele Andere, die ihm nicht gefielen, unangenehme und verwirrende Fragen zu richten, die ihm aber auch oͤfters unangenehm er¬ wiedert wurden, und dies im Augenblicke meist unge¬ straft, weil Napoleon wohl schreckende Worte, aber nicht den Witz zuruͤckspielende fuͤhrte. Als er den Befehl gegeben hatte, daß an seinem Hofe auch die Militaͤr¬ personen, welche bisher in ihrer dienstmaͤßigen Uniform erschienen waren, nur in franzoͤsischer Hofkleidung er¬ scheinen durften, und dies auch die fremden Gesandt¬ schaften traf, wollte Tettenborn, der von dem Regi¬ mente Klenau zu den Husaren von Radetzky versetzt worden war, mit der Uniform doch nicht zugleich den unersetzbaren Schnurrbart aufopfern, und erschien mit diesem in der neu vorgeschriebenen Hofkleidung; Na¬ poleon aͤrgerte sich druͤber, und redete ihn hoͤhnisch mit den Worten an: „Ein Schnurrbart ist doch recht laͤcherlich bei diesem Rock!“ worauf Tettenborn rasch und trotzig versetzte: „Vielmehr dieser Rock bei einem Schnurrbart!“ Eine Antwort, die doch nicht jedem und nicht jedesmal so folgenlos hingegangen sein moͤchte! — Tettenborn reiste einigemal bei wichtigen Anlaͤssen von Paris nach Wien. Niemals aber wurde diese Reise schneller ausgefuͤhrt, als da er die Nachricht von der Niederkunft der Kaiserin Marie Louise zu uͤberbringen hatte, und die hundert und zwanzig Stunden von Paris nach Straßburg reitend zuruͤcklegte, und dann zu Wa¬ gen in solcher Eile weiter, daß er die ganze Reise bin¬ nen vier Tagen und zehn Stunden vollendete. Man sprach allgemein von diesem Reiterstuͤck, und gedachte dabei aͤhnlicher, die dem Herzoge von Alba und Karl dem Zwoͤlften von Schweden nachgeruͤhmt werden. Doch die Zeit nahte schon, in welcher solchen Kraͤf¬ ten und Anstrengungen das ernstere Kriegsfeld sich wie¬ der eroͤffnen sollte. Laͤngst schon erkannte man, daß ein Krieg zwischen Frankreich und Rußland unvermeid¬ lich sei, und Tettenborn konnte fruͤher als Andre vor¬ aussehen, daß Oesterreich diesmal nicht als Feind gegen Napoleon auftreten werde. Er aber wollte nicht in den Fall kommen, mit den Franzosen zu dienen, sondern gegen sie fechten. Er fand sich demnach im Fruͤhjahr 1812 bewogen, ungeachtet seiner glaͤnzenden Stellung und seiner versprechenden Aussichten, seinen Abschied einzureichen, und begab sich, nach kurzem Aufenthalte in Wien, wo er unter Kammeraden und Hoͤheren mehr Billigung und Zustimmung fand, als sich oͤffentlich zei¬ gen durfte, uͤber Ungarn nach Rußland, wo er schon ruͤhmlichst bekannt war, und mit offnen Armen em¬ pfangen wurde. Tettenborn trat in das russische Heer als Oberst¬ lieutenant ein, und wurde zu dem General Freiherrn von Wintzingerode gesandt, der mit ansehnlicher Trup¬ penstaͤrke die Straße von Twer zu decken hatte. Bei diesem General, als einem ebenfalls im oͤsterreichischen Dienste gewesenen Waffenfreunde, durfte er die guͤn¬ stigsten Verhaͤltnisse erwarten, allein ungluͤcklicherweise war derselbe kurz vorher in franzoͤsische Gefangenschaft gerathen, aus der erst spaͤter die Kosaken ihn wieder befreiten, und der General Kutusoff, Neffe des Feld¬ marschalls, hatte den Befehl uͤber jene Truppen uͤber¬ nommen. Dieser General galt allgemein als ein star¬ ker Widersacher aller Fremden im russischen Dienst, aber sonst als ein rechtschaffner, wohldenkender Mann und als ein ausgezeichneter tapfrer Krieger. Seine Abnei¬ gung gegen die Fremden schien anfangs auch gegen Tettenborn zu walten, nach einiger Zeit aber, als meh¬ rere Gefechte vorgefallen waren, nahm er schon eine guͤnstigere Gesinnung an, und wurde zuletzt, im Ver¬ folge des Feldzugs, der theilnehmendste und thaͤtigste Anerkenner eines Verdienstes, das sich unter seinen Au¬ gen so trefflich bewahrte, und dem er Gerechtigkeit zu versagen nicht faͤhig war. Nach dem Abzuge der Franzosen von Moskau ruͤckte Tettenborn mit dem Vortrabe der Kutusoff'schen Trup¬ pen zuerst wieder daselbst ein, wo unter rauchenden Truͤmmern alle Graͤuel der Verwuͤstung und Aufloͤsung fortdauerten, denen nicht ohne Kampf Einhalt zu thun war. Unmittelbar darauf erhielt er die Befehlfuͤhrung eines abgesonderten Truppentheils, und den allgemeinen Auftrag, dem Feind auf seinem Ruͤckzuge allen moͤgli¬ chen Abbruch zu thun. Er that dies mit solchem Er¬ folg, lieferte so gluͤckliche Gefechte, und nahm dem Feinde so viele Gefangene, daß ihm der Oberbefehls¬ haber, um diese Vortheile zu vergroͤßern, die unterha¬ benden Truppen ansehnlich mehrte. Hiedurch war Tet¬ tenborn in den Stand gesetzt, die wichtigsten Dienste zu leisten, da die Umstaͤnde jenes ewig denkwuͤrdigen Ruͤckzugs dem entschlossenen Anfuͤhrer einer fliegenden Truppe solche Unternehmungen moͤglich machten, deren Schwierigkeiten, in gewoͤhnlichen Kriegsverhaͤltnissen, fuͤr ganze Heeresabtheilungen unuͤbersteigbar sein konn¬ ten. Wir sahen Tettenborn fruͤher durch abgeseßne Reiter einen Wald angreifen und einnehmen; bei dem Bach Plisse lieferte er das Gegenstuͤck dazu, indem er den Uebergang, den ein franzoͤsisches Bataillon hart¬ naͤckig vertheidigte und dadurch das Vorruͤcken der Rus¬ sen hemmte, an der Spitze einer Schwadron Husaren mit dem Saͤbel in der Faust erzwang, und das feind¬ liche Fußvolk saͤmmtlich gefangen nahm. Tag fuͤr Tag griff er den Feind auf dem weiteren Ruͤckzuge bis zur Beresina unermuͤdlich an, draͤngte dessen Flucht, und nahm ihm Kanonen, Pulverwagen, Gepaͤck, und be¬ sonders viele Gefangne. Er wurde sodann nach Lepel entsandt, um die dort aufgestellten baierischen Truppen zu uͤberfallen, die er aber schon abgezogen fand. Zu Kobilnicki und in der Umgegend, machte er alle noch zuruͤckgebliebenen feindlichen Truppentheile gefangen, und setzte darauf mit angestrengter Eile seinen Marsch nach Wilna fort, wo er spaͤt am Abend mit ermuͤdeten Rei¬ tern anlangte, aber dennoch sogleich die Vorstadt weg¬ nahm, und daselbst uͤber 3000 Franzosen gefangen nahm. Wilna war der Hauptort fuͤr die Franzosen gewor¬ den, wohin die ganze Ruͤckzugsmasse des Heeres sich draͤngte, und daselbst, in Hoffnung vorhandener Huͤlfs¬ truppen und großer Vertheidigungsanstalten, das er¬ sehnte Ziel zu finden waͤhnte, wo dem schrecklichen, durch Kaͤlte, Hunger und Schwert rastlos andringen¬ den Verderben endlich Einhalt geschehen wuͤrde. Doch diese Hoffnung war eitel; auch hier war keine Rettung bereitet, und an dauernden Widerstand gegen die ver¬ folgenden Russen nicht zu denken; der Ruͤckzug mußte, unter fast ebenso verzweiflungsvollen Umstaͤnden wie bisher, immer fortgesetzt werden, und kaum, daß die Weichsel noch eine Schutzwehr scheinen konnte. Aber wenn auch auf keine Weise Wilna gegen russisches Fu߬ volk lange haltbar war, so fanden sich doch fuͤr den Augenblick so zahlreiche franzoͤsische Truppen, wenn gleich in Unordnung, dort zusammen, so große Huͤlfs¬ mittel und Vorraͤthe dort angehaͤuft, daß der Feind, bis das russische Fußvolk herankam, leicht Zeit gewin¬ nen konnte, sich in bessern Stand zu setzen, die nicht zu rettenden Vorraͤthe zu zerstoͤren, und besonders die Truppenmenge, jetzt fast nur aufgeloͤste Haufen, aber doch immer herstellbar in geordnete Kriegerschaaren, an die Weichsel zuruͤckzuschaffen. Daher war es fuͤr den ganzen Feldzug von aͤußerster Wichtigkeit, hier dem Feinde keinen Augenblick zur Besinnung zu lassen. Tettenborn, nur die Nachtheile des Verzuges im Auge habend, ließ sich durch keine Schwierigkeit abschrecken, sondern trotz des fast allgemeinen Zweifelns und Abra¬ thens beschloß er ungesaͤumten Angriff, und noch vor Anbruch des Tages stuͤrmte eine Kompagnie Fußjaͤger, die er auf Schlitten hatte nachkommen lassen, die naͤch¬ sten Thorposten, nach deren Bewaͤltigung er von zweien Seiten mit 3 Kosakenregimentern und 4 Schwadronen Isum'scher Husaren in die Hauptstraßen eindrang, wo einige noch zusammenhaltende franzoͤsische Bataillone anfangs ihm herzhaft entgegenruͤckten, bald aber, um¬ gangen und von allen Seiten angegriffen, theils das Gewehr strekten, theils im Fliehen niedergemacht wur¬ den. Der Angriff hatte den Feind dergestalt uͤberrascht, daß die Gegenwehr ohne Plan und Umsicht nur nach Zufall geschah, und die ganze Stadt binnen kurzer Zeit in den Haͤnden der Russen war. Zum Theil hatten die Juden, welche uͤberall in Polen gegen die Franzosen heftig entbrannt waren, diese waͤhrend des Gefechts im Ruͤcken angegriffen und entwaffnet, so daß sie ganze Schaaren als ihre Gefangne ablieferten. Der Verlust, den die Franzosen durch diesen uner¬ warteten Schlag erlitten, war ungeheuer. Sie verlo¬ ren in Wilna 48 Kanonen, 7 Fahnen, 6000 Gefangne, ungerechnet 24,000 Kranke, die in den Spitaͤlern la¬ gen, ferner außerordentliche Vorraͤthe von Kriegsbe¬ duͤrfnissen aller Art. Der letzte Anhalt des zerruͤtteten Heeres auf dieser Seite war verloren. „Von diesem Zeitpunkte hauptsaͤchlich, sagt Napoleon in seinen dem General Montholon diktirten Bemerkungen begannen die großen Verluste dieses Feldzuges, und nichts konnte unvorhergesehener sein, als dieses Ereigniß von Wilna.“ Tettenborn uͤbergab die Stadt dem General Tscha¬ plitz, der mit dem Vortrabe des Admirals Tschitschakoff herangeeilt war, und ruͤckte gleich am folgenden Tage gegen den Niemen vor, um die Verbindung des Mar¬ schalls Macdonald, der noch bei Mitau stand, mit dem Koͤnige Murat, der in Koͤnigsberg die zerstreueten Truppen sammelte, zu unterbrechen. In dieser Gegend stieß Tettenborn auf preußische Truppen, mit welchen es aber, da man sich gegenseitig gute Gesinnung zu¬ traute, zu keinem ernstlichen Gefechte kam; nach einigen Scharmuͤtzeln erhielten sie Befehl, sich uͤber den Niemen zuruͤckzuziehen, und Tettenborn ging ungehindert nach Tilsit vor, wo die Einwohner ihn mit begeistertem Ju¬ bel empfingen. Nach einigen weiteren leichten Gefech¬ ten zwischen Tilsit und Ragnit hob der inzwischen von dem General von Yorck mit den russischen Befehlsha¬ bern eingegangne Waffenstillstand auch diesen Anschein von Feindseligkeit zwischen den Russen und Preußen auf, diese letztern trennten sich von den Franzosen, und Tettenborn konnte nun den Marschall Macdonald, der seinen Ruͤckzug uͤber Koͤnigsberg ohne Aufenthalt fort¬ setzte, mit groͤßtem Nachdruck verfolgen. In Koͤnigsberg aber wurde Tettenborn durch eine Rose am Fuß, die als Folge der uͤberstandenen Be¬ schwerden und der strengen Kaͤlte dieses außerordentli¬ chen Winterfeldzugs ihn befallen hatte, mehrere Tage im Bette gehalten. Zugleich waren auch wegen Wei¬ terverfolgung der Franzosen allerlei Bedenken eingetre¬ ten. Schon am Niemen hatten die Russen Halt ma¬ chen wollen, dann sollte die Weichsel das unuͤberschreit¬ bare Ziel sein, indem die Besorgniß waltete, man moͤchte die Staͤrke und Ueberlegenheit, die sich gegen den eingedrungenen Feind gezeigt hatte, mit jeder zu¬ nehmenden Entfernung von den russischen Graͤnzen wie¬ der einbuͤßen. Allerdings waren die Truppen, welche unmittelbar hinter dem Feinde her waren, ihn draͤngten und jagten, nur gering an Zahl, und auch die uͤbri¬ gen, in weiten Abstaͤnden nachfolgenden, hatten durch Gefechte, Maͤrsche, Entsendungen vielfache Schwaͤchung erlitten. Die Franzosen hingegen waren nun ihren un¬ ermeßlichen Huͤlfsquellen wieder naͤher, geboten uͤber ganz Deutschland, und der Besitz aller festen Plaͤtze von der Weichsel bis zum Rhein gewaͤhrte ihnen uͤberall Sicherheit, ihre geretteten Heerestruͤmmer zu sammeln und mit neuen Zuschuͤssen aus dem Innern Frankreichs und seiner Bundeslaͤnder zu verstaͤrken. Alle diese Be¬ trachtungen jedoch konnten gegen die Macht der That¬ sachen nicht bestehen; das Verderben des Feindes offen¬ barte sich mit jedem Augenblicke vollstaͤndiger und ver¬ zweifelter, Furcht und Schrecken gaben willig auf, was die Waffen vielleicht nur schwer errungen haͤtten, an Widerstand im offenen Felde war nicht zu denken, die Flucht ging unaufhaltsam fort, die Verfolgung stuͤrzte fast gezwungen in den leeren Raum. Unter solchen Umstaͤnden, zu welchen sich die lautwerdende Stimme des deutschen Volksgeistes und die guten Aussichten diplomatischer Thaͤtigkeit gesellten, empfingen die russi¬ schen Truppen neuen Befehl vorzugehen, und den Er¬ eignissen blieb uͤberlassen, wie und wo sie ihr Ziel fin¬ den moͤchten. In Folge dieser veraͤnderten Ansicht erhielt nun Tettenborn, der inzwischen Oberst geworden war, von dem General Grafen von Wittgenstein den Befehl, mit den ihm anvertrauten Truppen uͤber die Weichsel zu gehen, und so weit vorzudringen, als es die Umstaͤnde zuließen. Tettenborn empfand hieruͤber so große Freude, und fuͤhlte sich so gluͤcklich, der erste zu sein, der seinen deutschen Landsleuten als Verkuͤndiger der Befreiung von der Franzosenherrschaft erscheinen sollte, daß er un¬ geachtet seines Fußuͤbels unverzuͤglich von Koͤnigsberg aufbrach, und seinen Marsch uͤber Konitz und Soldin bis zur Oder fortsetzte. Noch hielten zwar ansehnliche franzoͤsische Truppenschaaren sich auf dem rechten Ufer der Oder, die Festungen waren alle stark besetzt, und III. 16 die Hauptstaͤrke der Russen noch weit zuruͤck; allein Tettenborn beschloß dennoch, auf das linke Ufer der Oder vorzuruͤcken, um dem Feinde hier keine Zeit zu neuen Maßregeln zu lassen und die bereits angeordne¬ ten zu hintertreiben. In Wrietzen, wo der Uebergang geschah, traf der Oberstlieutenant Konstantin von Benkendorf, welcher den Vortrab Tettenborn's befehligte, ein westphaͤlisches Bataillon, nahm dasselbe nach geringem Widerstande gefangen, und Tettenborn empfing gerade beim Ueber¬ gehen uͤber den Fluß als gutes Vorzeichen zwei eroberte Fahnen. Er ruͤckte nun rasch gegen Berlin vor, wel¬ ches der Marschall Augereau noch mit 10,000 Fran¬ zosen und zahlreichem Geschuͤtz besetzt hielt. Dieser sandte den General Poinsot mit etwa 2000 Mann bis Werneuchen, drei Meilen von Berlin, den Russen ent¬ gegen, um sie von der schon durch mancherlei Gaͤh¬ rung bewegten Hauptstadt noch abzuhalten. Die Fran¬ zosen hatten keine Reiterei, die Russen kein Fußvolk, und so mußten beide Theile mit großen Schwierigkei¬ ten kaͤmpfen, indem jene das freie Feld nicht behaup¬ ten, diese hingegen den Angriff der Ortschaften und festen Stellungen nicht unternehmen konnten. Tetten¬ born wollte jedoch nicht vergeblich so weit vorgedrun¬ gen sein; noch jenseits der Oder, doch schon in der Naͤhe, streifte mit einer fliegenden Schaar der General Tschernyscheff, diesen forderte Tettenborn auf, sich mit ihm zu einer gemeinschaftlichen Unternehmung zu ver¬ einigen, und fand bereitwilliges Gehoͤr. Tschernyscheff ging mit seinen Kosaken und Husaren uͤber die Oder, vereinigte sich mit Tettenborn bei Landsberg, indem dieser den General Poinsot bei Werneuchen durch einige zuruͤckgelassene Posten uͤber seinen Abmarsch noch einige Zeit getaͤuscht erhielt, und beide Anfuͤhrer ruͤckten nun vor Berlin. Die beabsichtigte Ueberrumpelung dieser Stadt wurde jedoch durch unguͤnstige Umstaͤnde verzoͤgert, und dann brachte der Zufall sie nur theilweise zur Ausfuͤhrung. Die Russen waren nicht lange in Pankow angekom¬ men, als eine starke franzoͤsische Rekognoszirung vor¬ ruͤckte, welche zuruͤckzutreiben Tettenborn sogleich einige Kosakenregimenter vorfuͤhrte. Der Feind gerieth in Unordnung, und suchte schnell das Thor von Berlin wieder zu erreichen; Tettenborn aber drang in rascher Verfolgung dahin nach, uͤberwaͤltigte die Thorwache, und sprengte mit seinen Reitern rasch in die Stadt, die alsbald nach allen Richtungen von Kosaken um¬ schwaͤrmt und unerwartet der Schauplatz kriegerischer Auftritte war. Tettenborn selbst ruͤckte bis auf den Alexanderplatz, wo sich einiges franzoͤsische Fußvolk wieder gesammelt hatte, und einen geordneten Wider¬ stand lebhaft unterhielt. Inzwischen hatten die Kosaken schon im ersten Augenblick gegen 500 Gefangene und viele Beutepferde fortgefuͤhrt, jagten zum Schrecken 16 * der uͤberraschten Franzosen und zum Jubel der Ein¬ wohner durch die Straßen sogar der Friedrichsstadt, und obgleich die Franzosen in Berlin noch gegen 8000 Mann stark waren, einzelne Truppenabtheilungen schon vorher unter dem Gewehr, und auf mehreren Plaͤtzen und Bruͤcken Kanonen aufgepflanzt standen, so war doch die Bestuͤrzung des Feindes so groß, daß diese Anstalten nutzlos blieben; ganze Salven aus dem Kleingewehr gingen in die Luft und wenn das Geschuͤtz losgebrannt wurde, war gewiß kein Kosak mehr in der Richtung desselben. Die Unruhe des Volks brach auf mehreren Punkten unverhohlen aus, und konnte jeden Augenblick den Franzosen verderblich werden; jedoch fehlte ein entschlossener Anfuͤhrer, der die Gesinnung zur That gemacht haͤtte. Weil nun den eingedrunge¬ nen Kosaken von den russischen Truppen, die vor der Stadt geblieben waren, keine Unterstuͤtzung kam, so gewann der Marschall Augerau die noͤthige Zeit, seine Truppen in der Wilhelmsstraße zusammenzuziehen, und ruͤckte mit zahlreichem Fußvolk und Geschuͤtz heran, wodurch Tettenborn, nachdem er drei Stunden sich in der Stadt behauptet hatte, endlich zum Weichen ge¬ zwungen wurde. Er zog fast ohne Verlust wieder auf das freie Feld, wohin der Feind, ungeachtet seiner Uebermacht, nicht zu folgen wagte. Der kuͤhne Handstreich war in der Hauptsache zwar nicht gelungen, machte aber fuͤr die russischen Waffen den vortheilhaftesten Eindruck, und zeigte, welchen Er¬ folg man haͤtte hoffen duͤrfen, wenn von allen Seiten mit gleicher Entschlossenheit, wie von der einen, waͤre eingewirkt worden. Allgemein galt das Unternehmen fuͤr einen der glaͤnzendsten Reiterzuͤge, wie denn auch der Kaiser Alexander zum Zeichen seiner Zufriedenheit den St. Wladimirorden zweiter Klasse mit schmeichel¬ haften Ausdruͤcken an Tettenborn senden ließ. Der ganze Ueberfall kostete wenige Kosaken, die einzeln in den Straßen verirrt, sich zuletzt abgeschnitten fanden; ein tapferer und liebenswuͤrdiger Offizier, Wilhelm von Blomberg, der auch schoͤne dichterische Gaben hatte, war gleich im ersten Anreiten durch eine Kugel getoͤd¬ tet worden. Die Franzosen verschwiegen ihren Ver¬ lust, allein die Gefangenen konnte man in Pankow angehaͤuft sehen, wohin die Berliner, trotz der fran¬ zoͤsischen Wachsamkeit, in den naͤchsten Tagen schaa¬ renweise stroͤmten. Nachdem der Marschall Augereau den General Poin¬ sot von Werneuchen wieder an sich gezogen hatte, hielt er Berlin und das linke Ufer der Spree noch mehrere Tage besetzt, um die Truͤmmer aufzunehmen, welche der Vicekoͤnig Eugen von der Oder zuruͤckbrachte, wo¬ durch die franzoͤsische Macht in und um Berlin auf 16,000 Mann stieg. So verstaͤrkt, und wieder mit einiger Reiterei versehen, wagten die Franzosen nun oͤftere Ausfaͤlle, und vor den Thoren fielen taͤglich blu¬ tige Gefechte vor, in welchen die letzten Ueberbleibsel franzoͤsischer Gardereiterei von den Kosaken uͤbel zuge¬ richtet wurden. Dieser Zustand dauerte fort, bis das russische Fußvolk uͤber die Oder gegangen war und gegen Berlin heranruͤckte, auf welche Nachricht die Franzosen theils nach Magdeburg, theils nach Wittenberg abzogen. Tettenborn ruͤckte an der Spitze seiner Truppen in die Stadt, wo die Einwohner ihn mit groͤßten Freuden¬ bezeigungen empfingen; die Kosaken warfen sich sogleich auf den abziehenden Feind, dessen letzte Zuͤge sie noch innerhalb der Stadt erreichten, und blieben in bestaͤn¬ diger Verfolgung hart auf seinen Fersen. Der Gene¬ ral Graf von Wittgenstein langte mit russischem Fu߬ volk an, und traf die kraͤftigsten Anstalten zur weitern Kriegsfuͤhrung. In Berlin mußte Tettenborn abermals das Bette huͤten, weil die Rose bei der schonungslosen Anstren¬ gung wieder schlimmer geworden war. Dies hinderte ihn jedoch nicht, mit rastlosem Eifer neuen Unterneh¬ mungen nachzuhaͤngen. Schon fruͤh hatte sich das Au¬ genmerk der Russen auf Hamburg gelenkt; außer den militaͤrischen Gruͤnden, die einen Zug dorthin anriethen, waren auch politische Absichten vorhanden, unter wel¬ chen die nahe Einwirkung auf Daͤnemark, die Eroͤff¬ nung der unmittelbaren Verbindung mit England, und selbst der Eindruck, welchen die Befreiung der wichti¬ gen Handelsstadt in St. Petersburg machen mußte, sehr in Betracht kamen. Die unzufriedene Stimmung der Hamburger war bekannt, so wie auch der schwache Zustand der franzoͤsischen Macht in jenen Gegenden, wo man einen aͤußeren Angriff noch gar nicht erwar¬ tete. Jedoch wuͤrde dieser Zug nach Hamburg, so zweckmaͤßig und guͤnstig er auch erschien, wohl nicht zur Ausfuͤhrung gekommen sein, waͤre nicht in Tetten¬ born zugleich der tuͤchtigste und bereitwilligste Fuͤhrer vor Augen gewesen, der kein Bedenken trug, sich mit einer kleinen Schaar auf vierzig Meilen weit von der Hauptstaͤrke zu entfernen, und sich in eine Verwicklung von Ereignissen einzulassen, deren Wendung niemand absehen konnte. Er legte seine Entwuͤrfe vor, eroͤrterte die Aufgaben, die sich darbieten konnten, zeigte die Maßregeln, die er auszufuͤhren dachte, und alles wurde gutgeheißen und angenommen. Er empfing die noͤthi¬ gen Befehle und Vorschriften, und an der Spitze von 4 Kosakenregimentern, 2 Schwadronen Isum'scher Hu¬ saren, 2 Schwadronen Kasan'scher Dragoner, und 2 Stuͤcken leichtes Geschuͤtz, verließ er am 12. Maͤrz Berlin, und ruͤckte rasch gegen Mecklenburg vor. Ein schreckender Ruf, der die Zahl der Truppen ungeheuer vergroͤßerte, ging vor ihm her und erhoͤhte ebenso den Muth der Freunde, als er den des Feindes nie¬ derschlug. Wir gehen jetzt zu der naͤheren Betrachtung derje¬ nigen Ereignisse uͤber, welche diesen Zug und seine Folgen darstellen, und bemerken nur noch, daß die Erzaͤhlung, sowohl der hamburgischen Sache als auch der ferneren Kriegszuͤge Tettenborn's nicht erst neuer¬ lich aufgesetzt, sondern groͤßtentheils noch im Laufe der Begebenheiten selbst niedergeschrieben, und schon in den Jahren 1813 und 1814 gedruckt worden ist. Im We¬ sentlichen diese fruͤhere Auffassung beizubehalten, schien um so noͤthiger, als eine vollstaͤndige Ueberarbeitung schwerlich Statt finden koͤnnte, ohne zugleich die Ur¬ spruͤnglichkeit zu gefaͤhrden, welche vielleicht den ganzen Werth unserer Darstellung ausmacht. Hamburg im Fruͤhjahr 1813 . D ie Geschichte der Tage, in welche wir jetzt eintreten, schien anfangs in dem Aufstehen anderer Staͤdte und Laͤnder Deutschlands, wozu damals Hoffnung und Aus¬ sicht war, sich wiederholen zu muͤssen, und Hamburg keinen Anspruch zu haben, in der allgemeinen Erhebung mehr zu bedeuten, als ihm nach Verhaͤltniß der Lage und Kraͤfte zukam. Nachdem aber das Beispiel dieser Stadt ohne Nachahmung geblieben, und ihr allein das Loos geworden, fuͤr ihre kuͤhne Entschlossenheit die schweren Geschicke zu erdulden, welche wie ein großes Trauerspiel die Theilnahme der Zeitgenossen heftig auf¬ regten, so steht auch ihre Geschichte waͤhrend dieser Zeit als ein eignes, abgeschlossenes Ganzes da, und gewinnt einen hoͤheren von den allgemeinen Ereignissen fast un¬ abhaͤngigen Werth. Der Verfasser konnte nicht ohne die tiefste Bewe¬ gung des Geistes und Herzens diese Entwicklungen be¬ trachten, die unter seinen Augen vorgingen, und ihm die wesentlichen Momente aller Volkserschuͤtterungen vorfuͤhrten; er faßte fruͤh den Gedanken, sich einen An¬ theil an diesen Vorgaͤngen, da zur eingreifenden That das bloße Wollen nicht genuͤgt, wenigstens durch Ueber¬ lieferung und Ausbreitung zu erwerben. Von diesem Vorsatz konnte der Schmerz uͤber den unerwarteten Ausgang ihn eine kurze Zeit ablenken, die obige Be¬ trachtung aber, wie viel wichtiger um diese Ereignisse geworden, und die verworrnen und falschen Ansichten, welche sich verbreiteten, mußten ihn darauf zuruͤckfuͤhren. Denn das Urtheil der Menge wie der hervorragen¬ den Einzelnen schwankte in entgegengesetzten Irrthuͤ¬ mern, und die Unwissenheit entstellte wie die Luͤge mit verlaͤumderischen Zuͤgen das edle Bild dieser vaterlaͤn¬ dischen Thatsachen. Auch konnte nicht so leicht die Wahrheit inmitten so vieler Leidenschaften und Mei¬ nungen durchbrechen, denen insgesammt das Licht der klaren Einsicht fehlen mußte. Denn alles, was den Staat betrifft, verweilt bei uns Deutschen groͤßtentheils in der Heimlichkeit stiller Verhandlungen, und ihrem Wesen nach koͤnnen die Gruͤnde und Triebfedern dessen, was sichtbar wird, nur wenigen Eingeweihten bekannt sein; die Vorgaͤnge in und bei Hamburg machten hie¬ von keine Ausnahme, sie erfuhren uͤberdies einen Zu¬ sammenfluß der ungewoͤhnlichsten Verwicklungen, wie in so kurzer Frist und so engem Raume sich selten vereinigt finden. Der Verfasser aber war so gluͤcklich, einen Standpunkt zu haben, der ihm in das Innere und Aeußere einen gleich freien Blick gewaͤhrte, und die Erforschung des Einzelnen wie die Uebersicht des Ganzen erleichterte; und wenn er auch die waͤrmste Theilnahme bekannte, so durfte er sich doch von allen Vorurtheilen frei fuͤhlen, welche grade hier den Sinn so vielfaͤltig befangen hielten. Wer selbst eingeweiht ist in dem ganzen Zusammenhang, wird leicht erkennen, wie fern der Verfasser es ist; wer aber bloß Augen¬ zeuge der Erscheinungen war, der moͤge von der Wahr¬ heit ihrer Darstellung einen guͤnstigen Schluß auf die Wahrheit der andern Angaben machen, welche der Pruͤ¬ fung minder offen stehen. Die Spannung, in welcher der Anfang des Jahres 1813 die Gemuͤther durch das ganze noͤrdliche Deutsch¬ land fand, hatte in rascher Stufenfolge sich auf's hoͤchste gesteigert, aus der dumpfen Erwartung mußten heftige Bewegungen hervorbrechen. Der Haß gegen die fran¬ zoͤsische Herrschaft war durch alle ersinnliche Maßregeln der Strenge, der Beschraͤnkung, der Arglist und Ver¬ fuͤhrung, mehr genaͤhrt als zuruͤckgedraͤngt worden, und zeigte sich offner und unruhiger, je naͤher die jammer¬ vollen Reste des in Rußland untergegangnen Heeres den Anblick einer Niederlage brachten, fuͤr welche weder Erfahrung noch Einbildungskraft einen Maßstab hatten; die Berichtigung, anstatt, wie sonst, auf geringere An¬ gaben zuruͤckzufuͤhren, fand nur immer zu steigern und hinzuzuthun: ein weit groͤßeres Verderben hatte Na¬ poleon seinem eignen Heere gebracht, als jemals einem fremden. Jetzt fuͤhlte jederman, daß auch fuͤr Deutsch¬ land der Augenblick der Freiheit gekommen sei; nur wie er zu ergreifen waͤre, lag noch in dunkler Ungewißheit. Besonders hatten diejenigen Landschaften, welche in franzoͤsische oder westphaͤlische Departements verwandelt waren, den groͤßten Anreiz, ihre Bande abzuwerfen, doch, ihrer Fuͤrsten beraubt, ohne Zusammenhang und Vertrauen, fuͤhlten sie zu sehr ihre Vereinzelung und Schwaͤche, um selbststaͤndig die Waffen zu ergreifen. Desto sehnsuͤchtiger blickten sie auf die Annaͤherung der siegreichen Russen. Gleichwohl eilte der ungeduldige Eifer der Unter¬ druͤckten diesem Zeitpunkt auch zuvor. Im franzoͤsischen Gebiete selbst, in einer Stadt, welcher die russische Huͤlfe damals noch sehr entfernt war, in Hamburg, wo die franzoͤsische Herrschaft recht im Gegensatze mit dem vorigen Freiheitsgluͤck die unertraͤglichste Qual und Lebenshemmung geworden war, brach am 24. Februar, bei einem unbedeutenden Anlaß am Altona'er Thor, der langverhaltene Grimm furchtbar aus. Eine große Menschenmasse, die sich wegen aufreizender, von den franzoͤsischen Douaniers mit barscher Strenge ausge¬ fuͤhrter Durchsuchungen angehaͤuft hatte, drang endlich im Gefuͤhl ihrer Kraft, auf diese verhaßten Diener der fremden Gewalt kuͤhn und entschlossen ein, uͤberwaͤl¬ tigte und entwaffnete sie, zertruͤmmerte das Wachthaus, und riß eine lange Reihe starker Palissaden, welche zur Absperrung dienten, in einem Augenblicke nieder. Der siegesfrohe Haufen tobte sodann wuͤthend durch die Straßen der Stadt, rief den Franzosen Tod und Ver¬ derben, suchte die franzoͤsischen Beamten auf, die schon groͤßtentheils geflohen oder versteckt waren, stuͤrmte deren Wohnungen, zerschlug besonders die Zeichen der Kaiserschaft, und rief Schmaͤhungen und Fluͤche gegen Napoleon und seine Helfer aus. Weil jedoch in der bewegten Menge weder Einheit und Plan war, noch ein Anfuͤhrer auftrat, der ihr beides haͤtte geben koͤn¬ nen, so verlor sich der Tumult nach und nach in dem Dunkel der Nacht. Gleich am folgenden Tage gingen Gewerb und Handel, als waͤre nichts vorgefallen, in gewohnter Ordnung ruhig wieder ihren Gang. Einige daͤnische Husaren, die auf dringendes Ansuchen der vom ersten Schrecken aufathmenden Franzosen in die Stadt geruͤckt waren, wirkten zur Beruhigung mit, indem sie den Behoͤrden zum Schutz dienten, ohne sich dem Volke feindlich zu bezeigen. Dieses erkannte auch sogleich ihre Gesinnung, benahm sich friedlich gegen sie, und zeigte ausdruͤcklich, daß es sie von der Sache der Franzosen trenne. Die letztern durften sich nicht allzu dreist her¬ vorwagen, oder liefen Gefahr, beleidigt und angefallen zu werden. Daß auch im untersten Volke bei dieser Feindseligkeit noch ein anderer Trieb walte, als rohe Widersetzlichkeit und Pluͤnderungslust, mußten selbst die franzoͤsischen Beamten zugestehn, und dies verdroß und beschaͤmte sie am meisten, ein allgemeiner Haß machte sich Luft, dies war nicht zu verhehlen noch zu beschoͤ¬ nigen. Keine Verletzung des Eigenthums, keine Mi߬ handlung, keine Ausschweifung hatte der Poͤbel began¬ gen, die nicht lediglich gegen die Franzosenherrschaft gerichtet gewesen waͤre, ja beim Pluͤndern einiger Kas¬ sen hatten Leute von zerlumptem Ansehn die vollen Beutel jubelnd auf die Straße unter die Menge aus¬ geworfen, und das Geld wurde in den folgenden Tagen groͤßtentheils wieder eingeliefert. Im Vortheil bestehender Einrichtung und geordne¬ ter Wirksamkeit, wußten sich die Franzosen mit kluger Vorsicht doch noch im Besitze der Macht zu erhalten, und bald wieder die Oberhand zu nehmen. Sie zogen die angesehensten Buͤrger zu Rath, uͤbertrugen diesen manche Maßregeln und Anstalten, und vertrauten theil¬ weise der Buͤrgerschaft sogar die Waffen wieder, die man ihr fruͤher mit sorgsamer Strenge abgenommen hatte. Die Buͤrger fuͤgten sich zwar ungern in solda¬ tische Ordnung, zumal sie wohl fuͤhlten, daß ihre Be¬ waffnung weniger ihre eigne Sicherheit, als die der franzoͤsischen Gewalt bezwecke, doch nahmen sie die aufgedrungenen Waffen meist in der Hoffnung an, sie bald auch nach eignem Sinne und wider den nicht zweifelhaften wahren Feind zu gebrauchen. Einstweilen aber mußten sie dessen Macht und Ansehn verstaͤrken helfen; dies geschah in solchem Maße, und Mißtrauen und Zweifel hatten so zugenommen, daß die Franzosen sogar wagen durften, eine Anzahl von Schlachtopfern, welche als Raͤdelsfuͤhrer des Aufruhrs gelten mußten, aus der untersten Volksklasse herauszugreifen, und nach kurzem Verfahren sogleich erschießen zu lassen. Hiedurch aber wurde das Volk aus der Betaͤubung, in die es verfallen war, wieder aufgeschreckt, und einen Tag spaͤter haͤtte keine Hinrichtung wiederholt werden koͤn¬ nen. Eine furchtbare Gaͤhrung braus'te nun immer¬ fort, bald lauter, bald dumpfer; die Lage der Fran¬ zosen wurde taͤglich bedraͤngter und angstvoller, sie fuͤhl¬ ten, daß sie weder auf die daͤnischen Huͤlfstruppen, noch auf die hamburgische Buͤrgerbewaffnung sonderlich rechnen durften; franzoͤsische Truppen waren nirgends in der Naͤhe, und aus der Ferne nicht zu hoffen. Ueberzeugt, dem Kaiser diesen wichtigen Platz nicht erhalten zu koͤnnen, und doch wieder voll Furcht, ihn zu fruͤh aufzugeben, schwankten sie in wechselnden Ein¬ druͤcken des Schreckens, des Grimms, der Hoffnung und des Zagens, und durften zuletzt nicht einmal Fort¬ sendungen wagen, die dem Volke das Bild eines na¬ hen Abzugs zu sehr vergegenwaͤrtigt haͤtten. Die Loͤsung dieses gespannten Zustandes ruͤckte indeß von außen mit beschleunigten Schritten jeden Tag naͤher. Schon am 14. Mai war Tettenborn an der Spitze einer vorausgeeilten Kosakenschaar in Ludwigslust ein¬ getroffen, und hatte durch sein kluges, ruͤcksichtvolles, aber auch entschlossenes Betragen den Herzog von Mecklenburg-Schwerin sogleich bestimmt, das franzoͤsi¬ sche Bundesverhaͤltniß augenblicklich aufzugeben und sich fuͤr die Russen und Preußen zu erklaͤren. Dies erste Beispiel eines deutschen Fuͤrsten, der die aufgedrungene Fremdherrschaft abzuwerfen wagte, und fuͤr die Frei¬ heit und Ehre des Vaterlandes sich jeder Gefahr un¬ terzog, zeigte dem ganzen noͤrdlichen Deutschland, was zu thun sei, und wirkte besonders auch in Hamburg auf die Gemuͤther, welche den Tag nicht fern sahen, der auch ihre Entscheidung fordern wuͤrde. Nach diesem erlangten Gewinne zog Tettenborn sogleich weiter, und war mit seinem Vortrab am 15. Maͤrz eben in Lauenburg eingeruͤckt, als ihn dort eine Meldung traf, welche fuͤr den Augenblick die ganze Bewegung stocken machte, ja sogar zweifeln ließ, ob nicht der ganze Zug auf Hamburg schon als geschei¬ tert anzusehen sei. Waͤhrend naͤmlich Tettenborn durch Mecklenburg gegen Hamburg vordrang, war gleichzeitig der franzoͤ¬ sische General Morand auf dem Marsche durch dieses Land gegen die Elbe hin, und beide Marschlinien mu߬ ten hier zusammentreffen. Morand kam mit 2500 Mann Fußvolk, einiger aus Douaniers bestehender Reiterei nebst 16 Stuͤcken Geschuͤtz, aus Schwedisch-Pommern, welches er auf erhaltenen Befehl geraͤumt hatte, und seine Staͤrke war hinreichend, den Marsch der Russen voͤllig aufzuhalten. In Moͤlln angekommen, und durch den Anblick einiger hier nicht vermutheten Kosaken stutzig geworden, ließ er seine Truppen ploͤtzlich Halt machen. Ihn im Ruͤcken stehen zu lassen, durfte Tet¬ tenborn nicht wagen, ihn anzugreifen war der einzige Rath, doch die Ausfuͤhrung jedenfalls mißlich, da nur Reiterei ihm zu Gebote stand. Morand indeß wartete dies nicht ab, sondern wandte sich, in der Ungewißheit uͤber die Staͤrke und Absicht der Russen, noch waͤhrend der Nacht mit allen seinen Truppen nach Bergedorf, wo sich die franzoͤsischen Beamten aus Hamburg mit den Douaniers und sonstigem Anhang, welche in der gaͤhrenden Stadt den Eingebungen der Furcht nicht laͤnger widerstanden hatten, mit ihm vereinigten. Die Franzosen standen demnach zwischen die Russen und Hamburg vortheilhaft eingeschoben. Ihnen aber woll¬ ten die Vortheile ihrer Stellung keineswegs einleuch¬ ten. Morand glaubte sich stark genug, die von jenen schon ganz aufgegebene Stadt noch als guten Zufluchtsort behaupten zu koͤnnen, und wollte dorthin marschiren; allein die Daͤnen, besorgt, daß Holstein nicht der Schau¬ III. 17 platz der Feindseligkeiten wuͤrde, hatten bereits mit 300 Mann und vielem Geschuͤtz ihre Graͤnzen besetzt, und weigerten den Durchzug durch ihr Gebiet, uͤber welches die Hauptstraße fuͤhrte; die Nebenstraße hinge¬ gen durch die hamburgischen Niederungen des Billwaͤr¬ ders schien den Franzosen unrathsam. Unter diesen Umstaͤnden mußte Morand sich wenig¬ stens in Bergedorf und den Vierlanden behaupten, und da er inzwischen auch erkundet, daß die Russen nur Reiterei haͤtten, so sandte er am naͤchsten Morgen 500 Mann mit 8 Kanonen nach Escheburg, den von Lauenburg heranruͤckenden Russen entgegen. Tetten¬ born ließ durch den Oberstlieutenant Konstantin von Benkendorf sogleich den Feind angreifen und den gan¬ zen Tag bis zur Nacht unaufhoͤrlich beunruhigen. Die Gegend war den Russen sehr unvortheilhaft; von Esche¬ burg bis Bergedorf ist ein einziger Engweg, den der Feind besetzt hielt, und dessen linke Seite nach dem Elbufer, des niedrigen und zerschnittenen Bodens we¬ gen, fuͤr Reiterei unzugaͤnglich, die rechte Seite aber nur in weitem Bogen zu umgehen war. Der Eifer und die Gewandtheit der Kosaken ersetzte bald den Nachtheil dieser Umstaͤnde. Tettenborn ließ eine An¬ zahl absitzen und zu Fuß mit dem Feinde plaͤnkeln, sie schlichen durch das Gebuͤsch ganz nah zu den feindli¬ chen Kanonen, deren Kartaͤtschenschuͤsse sie geschickt ver¬ mieden, und dann mit Hurrahgeschrei verhoͤhnten, sie selbst aber nahmen die franzoͤsischen Kanoniere zum Ziel und toͤdteten deren viele. Waͤhrend diese Kosaken den Feind in der Fronte beschaͤftigten, sandte Tettenborn eine andere Abtheilung auf Umwegen nach Bergedorf, wo Morand seine Haupt¬ truppe beisammen hielt; die Feldwachen, keines An¬ griffs gewaͤrtig, wurden uͤberfallen, und flohen in Unordnung bis in die Stadt, wo sie alles mit Schrecken und Bestuͤrzung erfuͤllten; die Franzosen mußten ihre nach Escheburg vorgeruͤckte Mannschaft vernichtet glau¬ ben. Als nun gar noch Kosakenzuͤge sich in der rech¬ ten Flanke zeigten, welche den Weg nach der Elbe hin zu sperren drohten, meinte Morand dies nicht abwar¬ ten zu duͤrfen; er hatte schon in der Nacht sein Gepaͤck beim Zollenspieker uͤber die Elbe geschickt, am 17. Maͤrz ganz in der Fruͤhe brach er selbst mit allen Truppen in derselben Richtung auf, um sich auf das linke Elbufer zuruͤckzuziehen. Tettenborn folgte ihm auf dem Fuße nach, und draͤngte ihn dergestalt, daß eine Vier¬ telstunde von Zollenspieker die Franzosen Halt machen mußten, und auf einem querlaufenden Deich eine Bat¬ terie von 6 Kanonen aufpflanzten, welche den einzigen Deich, auf welchem die Russen nachruͤcken konnten, durch lebhaftes Feuer bestrichen. Aber auch hier saßen viele Kosaken ab, nahmen die Buͤchse zur Hand, und unter¬ hielten das Gefecht, bis Tettenborn seine beiden Kano¬ nen auf dem Deiche trotz des feindlichen Feuers vor¬ 17 * fahren ließ, von denen jedoch nur die eine zum Feuern kam, denn der Feind, nun gar Geschuͤtz bei den Russen wahrnehmend, verlor die Lust weitern Widerstandes, suchte eiligst die Boote zu erreichen, die zur Ueberfahrt bereit standen, verlor aber durch die nun um so hitziger ansprengenden Kosaken noch viele Leute, und mußte ihnen auch die 6 Kanonen uͤberlassen, welche schon ein¬ geschifft waren, doch nicht mehr abfahren konnten. Der Weg nach Hamburg war nun frei, und auf dem rechten Elbufer kein Franzose mehr. Die Ein¬ wohner dieser Stadt und der umliegenden Gegend hat¬ ten die zwei Tage fortdauernden Kampfes in freudig¬ banger Erwartung und ungeduldiger Hoffnung zuge¬ bracht. Einzelne Reiter aus der Stadt hatten schon in der Gegend von Escheburg sich bei den Russen ein¬ gefunden, waren Zeugen der gluͤcklichen Gefechte ge¬ wesen, und hatten zuruͤckkehrend durch ihre Erzaͤhlun¬ gen die ganze Bevoͤlkerung zu den Ausbruͤchen der leidenschaftlichsten Freude aufgeregt, welche durch die kurze Anwesenheit einer schon am 17. in die Stadt gedrungenen Streifparthei Kosaken noch staͤrker ent¬ flammt wurde. Der Maire und seine Beistaͤnde aus der Buͤrgerschaft sandten nun dem russischen Befehls¬ haber Abgeordnete entgegen, ihn zur Besetzung der Stadt einzuladen und ihm deren Wohl zu empfehlen. Tettenborn empfing diese Abgeordneten Nachmittags in Bergedorf, als er eben nach Beendigung des Gefechts gegen Morand dahin vorgeruͤckt war. Sie legten drin¬ gend ihre und ihrer Mitbuͤrger Wuͤnsche vor, durch ihn das Joch der franzoͤsischen Herrschaft von ihnen genommen zu sehn. Hier war es, wo Tettenborn durch Einsicht und Karakter den fuͤr Hamburgs Frei¬ heit und Selbststaͤndigkeit entscheidendsten Anspruͤchen die Bahn eroͤffnete, und fuͤr die deutsche Sache uͤber¬ haupt das nachahmenswuͤrdigste Beispiel hervorrief, in¬ dem er den Abgeordneten erklaͤrte, die Russen koͤnnten allerdings das Begehrte thun, sie koͤnnten es aber auch unterlassen, und Hamburg als eine dem Feinde abgenommene Stadt behandeln; das Letztere sei viel¬ leicht fuͤr die russischen Waffen vortheilhafter, allein dergleichen Erwaͤgungen duͤrften hier nicht gelten, die russische Sache sei mit der deutschen verschwistert, und diese fordre, daß die Hamburger selbst ihre Freiheit herstellten; sie moͤchten daher unverzuͤglich die franzoͤsi¬ schen Behoͤrden abschaffen, ihre ehemaligen eignen wie¬ der einsetzen; er werde die Stadt nicht eher als Freund betreten, bis dies geschehen waͤre. Mit dieser Antwort sandte er die Abgesandten, unter denen einige vorma¬ lige Rathsherren waren, nach der Stadt zuruͤck. Kaum war hier Tettenborn's Erklaͤrung kund geworden, als ihr auch schon genuͤgt war. Die Mairie, und was noch sonst von franzoͤsischen Formen bestand, wurde abgeschafft, die alte Verfassung wieder eingesetzt, Rath und Buͤrgerschaft zusammenberufen und die Freiheit der Stadt oͤffentlich verkuͤndigt. Neue Abgeordnete wur¬ den an Tettenborn gesandt, um ihn von dem Gesche¬ henen zu benachrichtigen; diese erst erkannte er als wahre Hamburger an, und versprach ihnen seines Kai¬ sers Schutz und Beistand. Am Mittage des 18. Maͤrz hielt Tettenborn seinen Einzug in die Stadt. Nie gab es ein groͤßeres Fest; das ganze Dasein einer ungeheuern Bevoͤlkerung verlor sich in das Eine Gefuͤhl der wiederkehrenden Freiheit, und alles Gewicht der Erinnerung vieljaͤhrigen Ungluͤcks und Leidens fiel an diesem Tage von den aufgerichte¬ ten Gemuͤthern ab. Aus allen Tiefen, wohin er sich hatte verbergen muͤssen, drang der Ausdruck der wah¬ ren, langverhaltenen Empfindungen maͤchtig hervor, und wurde zum lauten Ruf der Begeisterung. Solche Lei¬ denschaft und Herzensgewalt, wie in diesem Volksjubel sich offenbarte, hatte keiner der Anwesenden je gesehn, noch den Deutschen als moͤglich zugetraut. Jeder auch minder bedeutende Umstand dieses Tages wurde durch die unaussprechliche Innigkeit und Liebe, welche alles durchdrang, ruͤhrend und groß. Bis zwei Meilen von Hamburg waren dreißig Buͤrger zu Pferde den russi¬ schen Truppen entgegengekommen, und zogen sodann mit lautem Jubel vor ihnen her, um sie in ihre Stadt einzufuͤhren. Je naͤher man dieser kam, desto ansehn¬ licher wurde die Schaar dieser Begleiter, desto lauter und begeisterter toͤnte ihr unaufhoͤrlich erneuertes Hur¬ rahrufen, das in der bei jedem Schritt zahlreicher ver¬ sammelten Volksmenge wiederhallte. Eine Ehrengarde zu Pferde stand an dem sogenannten Letzten-Heller, wo der Nebenweg, den die russischen Truppen von Ber¬ gedorf herkamen, wieder in die durch das daͤnische Gebiet abgeschnittene Hauptstraße faͤllt, in Parade auf¬ marschirt, und setzte sich an die Spitze des voranrei¬ tenden Zuges, dem sich weiterhin die Schuͤtzengilde anschloß. Gaͤrten, Landhaͤuser und Alleen, die sich weit vor die Stadt hinaus erstrecken, waren von einer un¬ geheuern Menge Menschen besetzt, ein unabsehbares Gewimmel breitete sich, wohin die Augen blickten, ver¬ wirrend aus. Immer neue Wogen von Hurrah und Lebehoch kamen dem annaͤhernden Zuge entgegen, waͤh¬ rend zu beiden Seiten und weit im Ruͤcken das Ge¬ schrei mit Heftigkeit fortdauerte. Zwischendurch vernahm man den Gesang der Kosaken, die ihre vaterlaͤndischen Lieder angestimmt hatten. Vor dem Thore empfing Tettenborn von den Abgeordneten des Raths und der Buͤrgerschaft die Schluͤssel der Stadt. Im Thore selbst bekraͤnzten ihn weißgekleidete Maͤdchen mit Blumen, indem sie ihn als Retter und Befreier willkommen hießen, unter lautem Beifallrufen des Volks. Jetzt stieg der Jubel und die Begeisterung auf den hoͤchsten Gipfel. Das Gedraͤnge in der Stadt nahm uͤberhand. Die Fuͤlle der Menschen war nur Eine große Fluth, die, wie ein langsamer Strom in seinen Ufern, durch die engen Straßen fortruͤckte, und jeden Augenblick schwellend stockte. Alle Glocken laͤuteten, Freudenschuͤsse aus Flinten und Pistolen dauerten ununterbrochen fort, alles war trunken und außer sich vor Entzuͤcken. „Vivat Kaiser Alexander, unser Erretter, unser Erloͤ¬ ser!“ und „Hurrah“ und „Vivat Tettenborn! Vivat Wittgenstein!“ und „Heil den Russen, den Kosaken“, und „Heil“ und „Lebehoch“ ohne Zahl schallte durch die Luͤfte, daß alles davon erzitterte. Aus den Fen¬ stern wehten Fahnen und Flaggen; Frauen und Maͤd¬ chen schwangen weiße Tuͤcher; Huͤte mit gruͤnen Zwei¬ gen sah man auf Degenspitzen und hohen Stangen getragen, oder jauchzend durch die Luͤfte geschleudert. Man draͤngte sich, mit Gefahr zertreten zu werden, zwischen die Pferde, bekraͤnzte sie mit gruͤnen Zweigen und Blumen, die zum Theil aus den Luͤften gepflogen kamen, ja man kuͤßte selbst die Pferde im Uebermaße des Gluͤcks. Man sah weinen und lachen vor Freude, Alt und Jung die Haͤnde zum Himmel erheben, Be¬ kannte und Unbekannte einander umarmen und begluͤck¬ wuͤnschen, mit seinem Todfeinde wollte sich jeder ver¬ soͤhnen um dieses Tages willen, eine allgemeine Bru¬ derliebe hatte die Menschen ergriffen. In mehreren Straßen waren Brustbilder des Kaisers Alexanders aufgestellt und mit Lorbeere bekraͤnzt, vor jedem der¬ selben hielt Tettenborn still, senkte den Degen, und brachte seinem Kaiser ein Hurrah, das jauchzend von dem Volke wiederholt wurde. Unter tausend verschie¬ denen Ausbruͤchen berauschten Entzuͤckens gelangte er bis zu seiner Wohnung, wo der Jubel ununterbrochen fortwaͤhrte. Ungemein erhoͤhte den Eindruck, daß keine große Kriegsmacht, sondern eine kleine Schaar, kein fremder Fuͤrst oder Feldherr, sondern ein Deutscher, ein ritterlicher Anfuͤhrer wunderbarlicher, niegesehener Reiter, die mehr seinem Heldenmuth als seinem Befehl anzugehoͤren schienen, diesen Strom des uͤberwogenden, unerschoͤpflichen Willkommens empfing; es schien die Zeit wiedergekehrt, wo von Wenigen, wo von Einem die groͤßten Dinge vollbracht wurden. Die Stadt war Abends erleuchtet; auch hier erfand der Eifer des begei¬ sterten Volks alle nur ersinnlichen Mannigfaltigkeiten, um den Antheil an dem allgemeinen Entzuͤcken, jeder auf besondere Art, darzuthun. Im Schauspiel wieder¬ holte sich das rauschende Getuͤmmel des Beifalls, sobald Tettenborn mit seinen Offizieren in der ihm bereiteten Loge erschien; alle Zuschauer, auch die Frauen, stan¬ den auf, und sangen feierlichst das Lied: „Auf Ham¬ burgs Wohlergehn“, worauf nun erst das Schauspiel beginnen konnte; es war ein Gelegenheitsstuͤck, das unzaͤhligemal bei jeder leisen Anspielung durch unge¬ heuern Beifall unterbrochen wurde. Die beruͤhmte, und in Hamburg besonders beliebte Schauspielerin So¬ phie Schroͤder trat mit der russischen Kokarde auf und wurde stuͤrmisch beklatscht. Als Tettenborn das Schau¬ spiel verließ, spannten ihm die Buͤrger die Pferde aus, und zogen ihn mit Jubelgeschrei nach Hause, wo sie ihn auf ihren Schultern aus dem Wagen trugen. Er hatte seinen schoͤnsten Tag erlebt; er war der Held des Volks geworden, sein Name schallte weit im Land um¬ her und uͤber die See hinuͤber. Am folgenden Tage erschienen sogleich zwei Be¬ kanntmachungen, durch welche Tettenborn auf hoͤhern Befehl den Hamburgern freie Schiffahrt und Handlung ankuͤndigte, dagegen alles franzoͤsische Eigenthum anzu¬ geben und einzuziehen befahl. Die gefuͤllten Douanen¬ speicher, welche fuͤr mehr als 400,000 Thaler eingezo¬ gener Waaren enthielten, uͤbergab er der Stadt, damit das nachzuweisende Eigenthum den ehemaligen Besitzern unentgeltlich zuruͤckgegeben wuͤrde. Die alte Regierung der Stadt, die nun als eine freie und selbststaͤndige Macht angesehen wurde, erhielt den Auftrag, dieses Geschaͤft, so wie alle andern, ihr Inneres betreffenden Einrichtungen, zu uͤbernehmen. Durch dieses uneigen¬ nuͤtzige Verfahren erwarb Tettenborn auf die Dankbar¬ keit der Hamburger neue Anspruͤche, und uͤberall wurde sein Name gepriesen und sein Ruhm verherrlicht. Daß es seine Nachtheile hat, dem Volke als ein zu großer Wohlthaͤter zu erscheinen, haben viele alte und neue Beispiele dargethan, allein wir ruͤhmen doch immer die, deren edler Trieb solche Klugheit verachtete. Unmittelbar nach diesen Anordnungen wandte Tet¬ tenborn sogleich die ganze Kraft seiner Thaͤtigkeit auf die Werke des Krieges und die neuen Streitkraͤfte, die hier geschaffen werden sollten. Die Ruͤcksicht auf den Feind durfte keinen Augenblick vernachlaͤssigt werden, die Mittel, ihn zu bekaͤmpfen und die Voͤlker zum be¬ waffneten Aufstande gegen ihn zu bringen, blieben das Wichtigste und Erste, was vor allem andern noͤthig war. In Hamburg konnte man, durch den Schein der Gegenwart verfuͤhrt, sich leicht der Taͤuschung hin¬ geben, daß von den Franzosen gar nicht mehr die Rede zu sein brauche, und ein großer Theil der Einwohner folgte nur allzusehr diesem Wahne, der uͤberhaupt in Deutschland großen Raum gewonnen hatte, und an die Stelle des fruͤhern Glaubens an die Unuͤberwindlichkeit der Franzosen getreten war. Worauf es aber in diesen Zeiten ankomme, und wohin zunaͤchst die vereinigte Kraft aller Gutgesinnten sich zu wenden habe, eroͤffnete Tettenborn gleich am 19. Maͤrz durch folgenden Auf¬ ruf: „Hamburger! Ihr loͤstet die unter der franzoͤsischen Regierung bestandenen Behoͤrden auf, noch ehe die rus¬ sischen Truppen euer Gebiet betraten, und setztet die alten herkoͤmmlichen Behoͤrden wieder ein. Diese maͤnnliche und wuͤrdige That, womit ihr das Werk eurer Rettung begonnen, und euch dem ganzen Deutschland als Beispiel aufgestellt habt, macht euch der Zufriedenheit meines erhabenen Kaisers und der Achtung der russischen Nation werth. Nicht in eine neufranzoͤsische, sondern in eine altdeutsche Stadt fuͤhrtet ihr uns ein, und so nur durften wir euch als Bruͤder begruͤßen. Euer Jubel bei unserm Einzuge in eure Stadt hat jeden unter uns tief bewegt; doch, ihr deut¬ schen Maͤnner und Bruͤder! eure Freude wird nur als¬ dann die wahre Bedeutung gewinnen, wenn ihr Hand mit anlegt an das große Werk der Befreiung Deutsch¬ lands. Zu den Waffen demnach, wenn die Unter¬ druͤckung eine Schmach war; zu den Waffen fuͤr Va¬ terland und Recht! Noch ist das Werk der Rettung nicht vollbracht, und darum denke keiner bis dahin an Erholung und Genuß. Das ehrenvollste Geschaͤft ist jetzt, das Schwert zu ziehen und die Fremdlinge vom deutschen Boden zu verjagen, die bereits dreihundert Meilen weit von den siegreichen russischen Heeren ver¬ folgt werden. Schande und Schmach fuͤr jeden, der in dieser verhaͤngnißvollen Zeit, wo um die hoͤchsten Guͤter der Menschen gefochten wird, die Haͤnde in den Schoß legt. Noch Einmal also: zu den Waffen! zu den Waffen! Unter dem Schutze meines erhabenen Kai¬ sers werdet ihr euch unter eignen Panieren versammeln, und ich freue mich, daß mir das Loos beschieden, euch zuerst gegen den Feind zu fuͤhren, und Zeuge eurer Tapferkeit zu sein. Tettenborn.“ Er kuͤndigte hierauf dem Rath und der Buͤrger¬ schaft an, daß er, dem Auftrage seines Kaisers zufolge, eine hanseatische Legion aus freiwilligen Jaͤgern zu Fuß und zu Pferde errichten werde, die als Bundestruppen der Hansestaͤdte fuͤr die Dauer des Krieges mit den Russen und Preußen vereinigt fechten sollten. Die Aufforderung, sich zu dieser Legion zu melden, erging unter dem 20. Maͤrz, und zugleich wurde ein aͤhnlicher Aufruf an die Stadt Luͤbeck erlassen, wo unterdessen der Oberstlieutenant von Benkendorf mit einigen rus¬ sischen Truppen eingezogen, und mit gleicher Begei¬ sterung und Freude, wie in Hamburg, aufgenommen worden war. Der Zulauf, um sich unter die Freiwilligen ein¬ schreiben zu lassen, war außerordentlich. Nach wenigen Tagen schon betrug die Zahl der eingeschriebenen meh¬ rere Tausend, doch mußten von diesen manche, weil Kraͤfte und Alter nicht immer dem Eifer entsprachen, abgewiesen werden. Viele angesehene junge Leute, die der sorgfaͤltigsten Erziehung genossen hatten, und in uͤppiger Lebensweise aufgewachsen waren, sah man hier als Gemeine eintreten. Manche, die kurz vorher durch große Summen sich von der franzoͤsischen Konskription losgemacht, und Stellvertreter gekauft hatten, eilten mit Freuden, sich jetzt selbst unter die Waffen zu stellen. Tettenborn hatte gleich anfangs den Herren des Raths erklaͤrt, daß er mit allen Geldverhaͤltnissen, die bei Errichtung der Legion vorkommen wuͤrden, nichts zu thun haben wolle, sondern bloß anzeigen werde, was zur Ausruͤstung der Truppen noͤthig sei, die An¬ schaffung selbst aber der Stadt uͤberlasse. Es wurden daher durch Rath- und Buͤrgerschluß 200,000 Thaler als vorlaͤufige Summe fuͤr die Kosten der Einrichtung bewilligt, und einer eigends dazu bestellten Kommission die Verwendung uͤbertragen. Wer irgend von den Summen, welche Hamburg von jeher zu politischen Ausgaben verwendet bat, unterrichtet ist, und da weiß, mit welch aͤußerster Leichtigkeit Millionen aufgebracht, und in den schon ungluͤcklichen Zeiten noch Hundert¬ tausende hingegeben wurden, die man zu ersparen nicht einmal den Versuch machte, der wird uͤber die Gering¬ heit jener angewiesenen Summe erstaunen, zumal wenn man bedenkt, welchen Zweck und welchen Gewinn fuͤr Hamburg es hier galt. Es ist bemerkenswert, daß der Rath sogar nur die Haͤlfte jener Summe anfaͤng¬ lich in Anregung brachte, und grade die Buͤrgerschaft, welche sie zahlen sollte, die vorgeschlagene Summe ver¬ doppelte. Aber freilich zeigte sich schon hier, noch mehr aber in der Folge, ein Unterschied der Gesinnung, der die nachtheiligsten Wirkungen aͤußerte, und wohl ein¬ gesehn, aber nicht abgeaͤndert werden konnte. Die Anordnungen aller Art wurden von den alten Behoͤr¬ den so unzulaͤnglich und langsam betrieben, daß ganze Tage der kostbarsten Zeit verloren gingen, und nichts zu Stande kommen wollte. Hindernisse wurden ange¬ fuͤhrt, Schwierigkeiten eroͤrtert, Besorgnisse gezeigt, Sicherungen verlangt und Anstoͤße genommen, wo, am rechten Ende gefaßt, und mit klarem Sinne angesehn, die Sache von selbst gehen mußte. Tettenborn hatte mit unsaͤglicher Muͤhe und Anstrengung uͤberall selbst anzuordnen und zu befehlen, mußte in die kleinsten Einzelnheiten der Ausruͤstungen eingehn, und am Ende aller Arbeit doch durch das Ansehn der Gewalt bei jenen Behoͤrden durchdringen. Die entschiedene Sprache, die bei diesen Gelegenheiten gefuͤhrt wurde, half auf einige Zeit, und brachte regsamere Thaͤtigkeit hervor. Die folgenden Worte uͤber die inneren Verhaͤltnisse Hamburgs werden darthun, wie sowohl jene Unannehm¬ lichkeiten, als auch manches andere Uebel, das sich spaͤter entwickelte, tief in der Sache begruͤndet waren. Die Hamburger waren ein wirklich freies Volk, der Obrigkeit aus Wahl und mit Bewußtsein unter¬ geben, und durch einen kraͤftigen Gesetzeszustand bei der gluͤcklichsten Verfassung erhalten. Die Unabhaͤngig¬ keit konnte jedem Einzelnen, sobald er es wollte, das Gefuͤhl des persoͤnlichen Geltens erhoͤhen, sie mußte ihn auf sich selbst, auf sein eignes Wirken und Wollen, vorzuͤglich anweisen, uud dadurch seinen Karakter kraͤf¬ tigen. Die Hamburger sind daher auch von allen Zei¬ ten her, vor andern Großstaͤdtern, beherzt und kuͤhn gewesen, zum Raufen aufgelegt, und auch der Geringste, weit entfernt, sich etwas bieten zu lassen oder ohne Noth zu dulden, ist zu dreisten Ruͤckwirkungen stets bereit, wie denn im Auslande allgemein der Hambur¬ ger als grob verschrieen ist. Die starken Arbeiten, der Matrosenverkehr, und die Wohlhabenheit, trugen saͤmmt¬ lich dazu bei, diesen Sinn zu naͤhren. Diese Unterlage bildete sich bei dem Mittelstande in eine große buͤrger¬ liche Tuͤchtigkeit aus, die sich auf mannigfache Art of¬ fenbarte, in gewoͤhnlichen Zeiten durch strenge Ehrbar¬ keit des Lebens, und durch musterhafte bis zum Eigen¬ sinn getriebene Rechtschaffenheit im Handel, in bedraͤng¬ ten Umstaͤnden durch große Aufopferung, in diesen letzten Zeiten durch den außerordentlichen Eifer mit wel¬ chem man Hand anlegte, und die Sache des Vater¬ landes fuͤhren half. Ueberhaupt waren die Gedanken der Hamburger von jeher auf den Staat gerichtet, und zwar weniger auf die aͤußern Verhaͤltnisse desselben, als vielmehr auf dessen innere, stille Einrichtungen, die nirgends so eigen¬ thuͤmlich, reichlich, zweckmaͤßig waren, als in dieser nur durch kuͤnstliche Vereinigung rastloser Thaͤtigkeiten bestehenden, an sich landarmen, zum Theil auf mora¬ stigen Inseln unter vielem Ungemach zusammen ge¬ draͤngten Stadt. England mit den anlockenden Bewe¬ gungen seines politischen Lebens lag hier den Blicken nah; Frankreichs Veraͤnderungen fanden hier vorur¬ theilsfreiere Beurtheilung; die Kraft altdeutscher Staats¬ einrichtungen war hier laͤnger lebendig geblieben, und mit Einem Worte, was unsre Zeit grade am meisten bedurfte, politischer Sinn fand sich vielfach vorbereitet und angesammelt. So hatte auch Hamburg immer eine große Menge praktischer Maͤnner und edler Pa¬ trioten, deren erfolgreiche Thaͤtigkeit das Gemeinwesen herrlich foͤrderte, und ein unendlich nuͤtzliches Wirken im stillen Leben des vaterstaͤdtischen Kreises verbarg; das Andenken der Reimarus, Sieveking, Kirchhof, Buͤsch, und vieler Andern, die diesen aͤhnlich waren, lebte selbst in diesen Zeiten der Zerstoͤrung und des Leichtsinnes noch fort. So viel Vortreffliches fand sich in Hamburg vor, so viel Großes war moͤglich durch die nun zum Ausbruch freier Thatkraft wieder berufene Gesinnung, waͤre nicht dies alles großentheils gelaͤhmt, ja wohl gar zerstreut und vernichtet worden durch einen Umstand, der nicht ungluͤcklicher haͤtte sein koͤnnen! Die Sache verhielt sich, wie folgt. Als noch vor dem Ein¬ zuge der russischen Truppen die freie Verfassung her¬ gestellt wurde, war es wohl bei klugen und einsichts¬ vollen Maͤnnern zur Sprache gekommen, ob denn so unbedingt die alte Verfassung wieder anzunehmen, und die Leitung der Dinge grade denselben Haͤnden, die sie ehemals gefuͤhrt hatten, zu uͤbergeben sei. Es galt hier die folgenreiche Entscheidung zwischen der Wahl eines ganz neuen Senats und der Wiedereinsetzung des alten, dessen Mitglieder zum Theil auch unter den Franzosen dieselben Aemter, wie vorher, nur mit dem Unterschiede, daß sie franzoͤsische Formen hatten, ver¬ III . 18 walteten. Das Ansehn und Herkommen sprach fuͤr letzteres, die Erwaͤgung dessen, was zu leisten sei, fuͤr jenes, die Furcht, im ersten Augenblick solcher lebhaf¬ ten Bewegung das Gewicht fruͤhern Ansehns und Ge¬ wohnheiten nicht entbehren, und die Hoffnung, nach und nach die gewuͤnschten Aenderungen dennoch herbei¬ fuͤhren zu koͤnnen, entschieden zuletzt fuͤr die unbedingte Einfuͤhrung der alten Verfassung mit allen noch vor¬ handenen ehemaligen Mitgliedern derselben. Der groͤßte Theil der Senatoren war alt und schwach, der Ge¬ schaͤfte entwoͤhnt, und ohne Neigung, sich aufs neue damit zu befassen. Die wenigen Bessern hatten nicht Kraft genug, die gesammte Last der Arbeiten zu tra¬ gen, und waren ohnedies auf ihre neue politische Rolle kaum vorbereitet; so kam es denn, daß alles, was die ausuͤbende Gewalt betraf, wie aus einer andern Zeit herbeigeholt, ohne Sinn fuͤr die Beduͤrfnisse der Gegen¬ wart, ohne Geist fuͤr ihre Leitung blieb. Ebendasselbe galt von dem Kollegium der Oberalten, und den an¬ dern Ausschuͤssen der Stadt, so wie von den Anfuͤhrern der Buͤrgerwachen; nirgends fand sich unter den wirk¬ lich in der alten Verfassung Angestellten ein Mann, der, kraft seiner Stelle und seines Amtes, mit uͤber¬ wiegendem Nachdruck gehandelt und gewirkt haͤtte. In der Buͤrgerschaft war Frische, Lebendigkeit und Eifer, in den Behoͤrden Nichtigkeit, Besorgniß und Unfaͤhig¬ keit. Alle Versuche, dies zu verbessern, mußten ver¬ geblich sein, so lange nicht der Senat erneuert wurde, eine Maßregel, die niemand vorzuschlagen eilte, und deren Ausfuͤhrung allerdings viel Mißliches haben mochte. Es war also eine Regierung vorhanden, die wenig von dem erfuͤllte, was man von ihr erwartete. Der rus¬ sische Befehlshaber mußte sie anerkennen, sich an sie wenden, mit ihr verhandeln, mittlerweile selbst alles befehlen und einrichten, was von ihr haͤtte ausgehen sollen. Wenn bei manchen Dingen hinreichend ist, daß man sie geschehen mache, gleichviel, ob gern oder un¬ gern, so giebt es dagegen unendlich viele, bei denen ohne den persoͤnlichen guten Willen und Eifer des Aus¬ uͤbenden nichts erreicht wird. Es ist unmoͤglich, den Menschen das Innere zu befehlen, und grade das In¬ nere nur konnte hier wirken, grade die freie Neigung und Kraft mußte die hier obliegenden Arbeiten verrich¬ ten helfen, um ihr Gelingen moͤglich zu machen. Statt dessen ergab sich, so oft mit den Behoͤrden zu unter¬ handeln war, Beschwerde, Verdruß, Unordnung und Unzulaͤnglichkeit, ja selbst hin und wieder, doch zur Ehre der Stadt sei es gesagt, selten, ausdruͤcklich und unverkennbar uͤbler Wille. Diese Muͤhseligkeiten und Hindernisse erfuhren nicht allein die fremden Militair¬ personen, sondern auch die trefflichen Buͤrger, die mit lebhafterem Eifer sich das Wohl des Ganzen angelegen sein ließen, und hiebei nicht ohne Gesetzmaͤßigkeit wir¬ ken wollten. So geschah es, daß die ganze Stadt, 18 * ohne ihr Verschulden, oft unvortheilhafter erschien, als die Gesinnung und Bereitwilligkeit der Einwohner ver¬ diente, und daß die Moͤglichkeit großer Kraftwirkungen in der Ungunst solcher Umstaͤnde fast erloͤschen mußte. Statt im Bewußtsein ihrer wiedergekehrten, und von den Russen anerkannten Selbststaͤndigkeit frei und kraͤf¬ tig zu handeln, wagte der Senat kaum, die Verant¬ wortlichkeit dafuͤr zu uͤbernehmen, daß er das Befoh¬ lene ausgefuͤhrt hatte; statt mit Daͤnemark, mit Eng¬ land und Preußen unverzuͤglich eigne, zur Befestigung der vaterstaͤdtischen Sache nothwendige Verbindungen anzuknuͤpfen, brachte er nach langem Zaudern kaum die Abgeordneten an den Kaiser Alexander auf den Weg. Man koͤnnte noch vieles anfuͤhren, was eben so ver¬ saͤumt worden ist, wenn nicht an diesem schon genug waͤre. Der Senat war und blieb in allen Stuͤcken hin¬ ter den Forderungen zuruͤck, welche der Drang der Zeit ihm auferlegte, und daher fanden die mannigfachen, schoͤnen Kraͤfte nirgends Einheit und Zusammenhang. Eine Frist von sechs Monaten haͤtte in lebendiger Ent¬ wickelung das Zerstreute sammeln und ordnen, das Verwahrloste aufnehmen koͤnnen, und nach und nach waͤre die gewuͤnschte Einheit entstanden; diese Zeit wurde den Hamburgern nicht gewaͤhrt. Hierin lag etwas Ver¬ haͤngnißvolles. Nach der großen Schuld, die hier auf die Umstaͤnde faͤllt, kann man nur die geringere Schuld noch den Menschen zurechnen. Wir kehren zu den Arbeiten zuruͤck, die jetzt in Hamburg alle Thaͤtigkeit in Anspruch nahmen. Aller Schwierigkeiten ungeachtet, ging die Errichtung der hanseatischen Legion rasch vorwaͤrts. Die theils dem Feinde abgenommenen, theils als altes Eigenthum der Stadt vorgefundenen Kanonen gaben Veranlassung auch eine Abtheilung Artillerie zu errichten und der Legion einzuverleiben. Man verschrieb die fehlenden Waffen aus England, man erbaute Lavetten und Pulverwagen, errichtete ein Laboratorium, sorgte fuͤr die Bespannung, ließ Waffen aller Art verfertigen und ausbessern, schaffte die uͤbrigen Ruͤstungsstuͤcke so gut als moͤglich herbei. Die sonst an Huͤlfsmitteln so reiche Stadt bot deren fuͤr die militaͤrischen Beduͤrfnisse unglaublich wenige dar; manche Gegenstaͤnde mußten unter großen Schwierig¬ keiten aus dem Daͤnischen herbeigeschafft werden; die Unbekanntschaft mit allen kriegerischen Anordnungen und Beziehungen setzte jedem Schritte unausweichliche Hindernisse entgegen, die nur durch unermuͤdete Auf¬ sicht und unverdrossene Selbstbemuͤhung endlich wegge¬ raͤumt werden konnten. Es fehlte sehr an gedienten Offizieren, gaͤnzlich an Unteroffizieren fuͤr die neuen Truppen, Vorschriften und Anleitungen zum Dienst und zur Uebung wurden daher um so noͤthiger und man eilte dieselben abzufassen. Außer den Hanseaten bildete sich nach Tettenborn's Befehl und Anleitung ein Bataillon Lauenburger in Ratzeburg unter dem hannoͤverschem Major von Berger, auch diese waren aber groͤßtentheils ohne Waffen. Ein anderes Batail¬ lon aus den Herzogthuͤmern Bremen und Verden wurde auf gleiche Weise in Stade zusammengebracht. Der Oberst Graf von Kielmannsegge warb hannoͤversche Jaͤger. Inzwischen hatte sie in Haarburg, Luͤneburg, Stade, und in dem ganzen Striche Landes laͤngs der Elbe bis Bre¬ men, ein Aufstand gebildet, der Befehle, Waffen, Un¬ terricht und Huͤlfe von Tettenborn forderte, und so viel moͤglich erhielt. Verlaufene franzoͤsische Soldaten, Doua¬ niers, ja sogar Gendarmen und Offiziere wurden von diesen Leuten taͤglich als Gefangene nach Hamburg eingebracht, wobei es jedesmal die groͤßte Muͤhe kostete, die Wuth des erbitterten Poͤbels zu baͤndigen, der be¬ sonders den Douaniers mit Koth und Steinen arg zusetzte. Von Zollenspieker, aus dem Billwaͤrder, Och¬ senwaͤrder und den Vierlanden kamen wackre Maͤnner, die sich erboten, den Landsturm in ihrer Gegend ein¬ zurichten und anzufuͤhren; sie erhielten Befugniß und Unterweisung. Auch in diesen Landschaften gab es oft mit der Schwaͤche und Besorglichkeit der Behoͤrden zu kaͤmpfen, und Schwierigkeiten zu behandeln, die nicht immer ohne Strenge zu beseitigen waren. Ueberall traten die alten Beamten wieder in Wirksamkeit, die meisten hatten auch bei der franzoͤsischen Regierung ihre Dienste fortgesetzt, und veraͤnderten mit dem neuen Eintausch ihrer alten Titel nicht immer die inzwischen eingesogenen fremden Gesinnungen; in einem kleinen Umkreise waren die Behoͤrden verschiedener Laͤnder, die Rechte mannigfacher Oberherren zu beruͤcksichtigen. Die Gegenstaͤnde der Schiffahrt und des Handels, obgleich uͤbrigens ganz den Verfuͤgungen der hamburgischen Re¬ gierung anheimgestellt, mußten doch in vielem Betracht die Einwirkung des russischen Befehlshabers ansprechen, der die Ausruͤstung zweier Kaper, und anderer, theils bewaffneter, theils zum Transport von Pferden einge¬ richteter Schiffe betreiben ließ. Eine andre Beschaͤftigung gab die anbefohlene und mit aller Strenge ausgefuͤhrte Einziehung des franzoͤ¬ sischen Eigenthums, und die sorgfaͤltige Aufmerksamkeit, welche auf die zahlreichen Franzosen gewendet werden mußte, die sich, zum Theil von aͤlterer Zeit her in Hamburg und der Umgegend aufhielten, und denen viel Gesindel aus allerlei Nationen beizurechnen war, das waͤhrend der franzoͤsischen Herrschaft und in ihrem Dienste sich hier eingenistet hatte. Dieses alles auszukehren, haͤtte eine laͤngere Zeit erfordert, da besonders die Be¬ voͤlkerung Hamburgs eben so gemischt, als die Oertlich¬ keit in und außer der Stadt uͤberaus verworren und schwer zu beaufsichtigen ist. Hiezu kommt noch, daß die hamburgische Regierung, nach der großartigen Weise freier Staaten, die Fremdenpolizei von jeher laͤssig be¬ trieben hatte, und die Russen dies Fach ganz allein versehn mußten, ohne Mitwirkung und Huͤlfleistung dazu bestimmter Beamten. Der nichtswuͤrdigsten Verraͤther, die das oͤffentliche Urtheil einstimmig als solche bezeich¬ nete, waren eine große Anzahl vorhanden, vornehme und geringe, arme und reiche; gefaͤhrlicher noch mußten die versteckten sein, deren Treiben weniger bekannt ge¬ worden war. Die Untersuchung der auf mancherlei Angebungen verhafteten Personen nahm viele Zeit weg, war muͤhsam und blieb doch meistentheils ungenuͤgend. Die entschiednen Schelme, Kundschafter und Knechte der Franzosen, die schaͤndlichen Werkzeuge ihrer Erpres¬ sungen, wurden, hoͤherem Befehl gemaͤß, auf dessen strenge Ausfuͤhrung besonders der Minister vom Stein im Hauptquartier des russischen Kaisers unerbittlich be¬ stand, zur Aussetzung an der franzoͤsischen Kuͤste be¬ stimmt. Manche gaben zwar vor, dort ihren gewissen Tod zu finden, weil auch die franzoͤsische Regierung sie als Feinde verfolge; andre wollten ihren Haß gegen Napoleon jetzt durch die groͤßten Schmaͤhungen dar¬ thun; franzoͤsische Emigranten, die sich den Gewaltha¬ bern Napoleon's zu den niedrigsten Diensten verkauft hatten, meinten eiligst ihre adliche Geburt und royali¬ stische Gesinnung wieder geltend zu machen; Stein aber wollte von keinen Ruͤcksichten hoͤren, keine Unterschiede, ja kaum eine genaue Pruͤfung gestatten. Ungefaͤhr dreißig Personen wurden wirklich eingeschifft und an der hollaͤndischen Kuͤste gelandet. Allein schon die zweite Sendung unterblieb, und nach dem ersten Schrecken regte sich der franzoͤsische Anhang nur um so thaͤtiger, wie denn bald der Feind von allem, was vorging, die schnellste Kundschaft empfing. Die groͤßte Strenge, der furchtbarste Schrecken waͤre hier vonnoͤthen gewe¬ sen, um das Uebel auszurotten, und selbst blutige Schauspiele haͤtte man nicht tadeln koͤnnen. Aber man fing schon an, eine moͤgliche Umkehr der Dinge zu beruͤcksichtigen; man wollte nicht kuͤnftige Rache her¬ ausfordern, berief sich auf Menschlichkeit und Gro߬ muth, und erlangte von dem Kaiser Alexander die Zuruͤcknahme der anbefohlnen Strenge. Nicht zu be¬ rechnen ist, wieviel die Gelindigkeit, welche darauf in allen Maßregeln eintrat, der hamburgischen Sache ge¬ schadet hat. Nachdruͤckliches Verfahren versichert die Gemuͤther und beruhiget den Geist; und um der Gu¬ ten willen mehr, als wegen der Schlechten, ist in Staatssachen beharrliche Strenge nuͤtzlich. Die Sache Hamburgs aber erforderte unnachlassende Kraft, ge¬ schlossene, unerdringliche Festigkeit; jede Luͤcke, jede Weichheit oͤffnete dem Feinde den Eintritt. So geschah es auch hier. Der Eifer der Untergeordneten ward irr und erschlaffte, sobald er von obenher geringern Ernst zu sehen meinte. Viele sonst wohlgesinnte Maͤnner, den Zustand des Kriegs und der Empoͤrung, in dem sie sich befanden, verkennend, wollten schon uͤberall den Maßstab ruhigen Friedens anlegen, und mußten aus ihrem Wahn bisweilen hart aufgeruͤttelt werden. Inzwischen hatte der englische Major von Kenzin¬ ger von Helgoland aus mit einigen hundert Mann Kuxhaven besetzt, und den Aufstand der Bauern bei Bremerlehe, so viel in seinen Kraͤften stand, unter¬ stuͤtzt. Tettenborn setzte sich sogleich mit ihm in Ver¬ bindung, und erfuhr zu seinem Leidwesen, daß von Helgoland vor einiger Zeit alle vorraͤthig gewesenen Gewehre wieder nach England abgefuͤhrt worden, ein beklagenswerther Zufall, dessen Nachtheil durch nichts ersetzt werden konnte. Jedoch eilte Tettenborn, die mit England aufgeschlossene Verbindung moͤglichst zu benutzen, und schickte einen russischen Offizier, den Ritt¬ meister von Bock, dem er einen donischen Kosaken zur Begleitung gab, mit Briefen an den Prinzen-Regen¬ ten und an den russischen Botschafter nach London, wo die Erscheinung eines Kosaken, des ersten, den man je dort gesehen, die außerordentliste Aufregung machte. Der nahen Nachbarschaft wegen mußten die Daͤnen die ganz besondere Aufmerksamkeit der Hamburger so¬ wohl als der Russen auf sich ziehen. Das Verhaͤltniß zu Daͤnemark behielt, ungeachtet der bezeigten Annaͤ¬ herung des Kabinets zu der russisch-preußischen Sache, zwei schwierige Seiten, die so viel als moͤglich umgan¬ gen werden mußten. Die Russen naͤmlich waren Ver¬ buͤndeten der Englaͤnder und der Schweden, von denen die ersteren wegen der alten Beleidigungen, die letztern wegen der Absichten auf Norwegen, den Daͤnen gleich verhaßt waren. Die Schifffahrt auf der Elbe konnte ohne die Einwilligung der Daͤnen nicht stattfinden, die Verbindung mit den englischen Schiffen mußten sie wenigstens nicht zu hindern versprechen. Die verschlun¬ genen Graͤnzen zwischen dem hamburgischen und daͤni¬ schen Gebiete trennten beide laͤngst nur dem Namen nach, der maͤchtige Lebensverkehr ging daruͤber hin, und diesen zu erhalten waren Verguͤnstigungen und stillschweigende Uebereinkuͤnfte unentbehrlich. Der Kom¬ mandant von Altona, Oberstlieutenant von Haffner, bot hiezu bereitwillig die Hand. Nur im Betreff der verlangten Entfernung vieler von Hamburg nach Altona gezogenen Franzosen, die dort frei das Geschaͤft des Ausspaͤhens trieben, waren alle Vorstellungen und Be¬ schwerden lange fruchtlos, und das nachtheilige Trei¬ ben dauerte, ungeachtet des von daͤnischer Seite endlich ertheilten und oft wiederholten Versprechens, bis zu Ende fort. Die uͤberwiesenen Kundschafter, die in Hamburg seitdem noch oft ergriffen wurden, waren saͤmmtlich von Altona hereingekommen. Die thaͤtige Mitwirkung der Schweden zu dem Kriege gegen Napoleon war laͤngst erwartet; sie schien nun bald erfolgen zu muͤssen, und es war wichtig, von allem, was in diesem Betreff vorging, fruͤhzeitig un¬ terrichtet zu sein, um davon zum Besten der ham¬ burgischen Angelegenheiten jeden Vortheil schnell wahr¬ zunehmen. Tettenborn knuͤpfte deßhalb die noͤthigen Verbindungen an und widmete diesen Verhaͤltnissen die groͤßte Aufmerksamkeit. Eine dringende Verhandlung wurde gleichzeitig mit dem Herzog von Mecklenburg-Schwerin gepflogen. Tet¬ tenbborn stellte dem Herzog lebhaft vor, wie wichtig es fuͤr ihn sei, daß Hamburg gehoͤrig behauptet wuͤrde, und weil der fast gaͤnzliche Mangel an Fußvolk hiebei sehr bedenklich war, so ersuchte er ihn, das Bataillon Grenadiere, welche in Ludwigslust ihm zur Leibwache dienten, nach Hamburg ruͤcken zu lassen. Der Herzog willfahrte, und stellte das 500 Mann starke Bataillon, die einzige Truppe, die ihm seit den Verlusten im russi¬ schen Feldzuge noch geblieben war, unter der Anfuͤh¬ rung des Obersten von Both zu Tettenborn's Ver¬ fuͤgung. Alle diese zahlreichen und mannigfachen Geschaͤfte, die in unendliche Verwickelungen und Einzelnheiten uͤbergingen, lasteten mit vielen andern ganz auf Tet¬ tenborn, der seine militairischen, unmittelbar den Feind betreffenden Aufgaben mit diplomatischen Maßregeln, mit den Geschaͤften so verschiedener Errichtungen, mit den Ruͤcksichten fuͤr mannigfache Regierungen und Voͤl¬ ker, mit der Entscheidung politischer und sogar kauf¬ maͤnnischer Faͤlle, mit dem bald schonenden, bald stra¬ senden Anregen laͤssiger Behoͤrden, mit Verhoͤren, Ver¬ abredungen und Berichten, in unaufhoͤrlichem Wechsel und Drang der Arbeit verbinden mußte. In seinem Hauptquartier arbeitete vom fruͤhen Morgen bis in die spaͤte Nacht die rastloseste Thaͤtigkeit, und er selbst war stets das Vorbild unermuͤdlichen Eifers und angestreng¬ ter Hingebung. Er entzog sich den Huldigungen, die ihm von allen Seiten entgegenkamen, den begeisterten Ehrenbezeigungen des dankbaren Volkes, das auf den Wegen, wo man ihn zu sehen hoffte, ungeduldig und meist vergebens harrte; ihn beschaͤftigten ausschließlich die ernsten Aufgaben, welche sich hier uͤberreich zusam¬ mendraͤngten. Mit treffender Urtheilskraft und schneller Findung wußte er das Nothwendige einzusehen und herbeizufuͤhren, die Umstaͤnde zu benutzen, Hindernisse zu entfernen, das Unerwartete zu verarbeiten. Die reifste Ueberlegung konnte selten Treffenderes liefern, als die erste Eingebung des Augenblicks gewoͤhnlich schon dargeboten hatte. Eine große Anzahl ausgezeichneter Offiziere hatten sich bei Tettenborn eingefunden, theils durch seine Per¬ soͤnlichkeit und den Ruf seines Namens angezogen, theils durch die Sache selbst, welche er unternommen hatte, ihm zugefuͤhrt. Sein Kriegsgefolge vergegen¬ waͤrtigte die aͤltesten deutschen Zeiten, wo freiwillige Anschließung mehr als verpflichteter Dienst die Trup¬ pen ihrem Anfuͤhrer verband. Außer den russischen Offizieren, welche seiner Truppenschaar und seinem Stabe unmittelbar angehoͤrten, dem Rittmeister von Lachmann, den Majors von Gunderstrup, von Lasch¬ kareff, und Andern, gab es deren viele, welche von ihren Vorgesetzten die Erlaubniß erhalten hatten, den Krieg in seinem Gefolge mitzumachen, junge Russen aus den angesehensten Familien, ein Graf von Gurieff, ein Fuͤrst Gagarin, ein Graf von Pahlen, der Graf Friedrich von Nesselrode, zwei Freiherrn von Schilling, der Marquis de la Maisonfort, ein Graf Orurk, ein Freiherr von Berg; aus Oesterreich kamen die ehema¬ ligen Regimentskammeraden Tettenborn's, Freiherr von Droste-Vischering und Freiherr von Herbert, beide sei¬ nethalb in russische Dienste tretend; aus Oldenburg der Graf von Muͤnnich, aus Hannover ein Graf von Har¬ denberg, Rittmeister von Wenckstern, aus Hoya, aus Hessen der Graf Karl von Hessenstein, aus Mecklen¬ burg ein Graf von Bothmer, ein Herr von Bluͤcher und viele Andre noch aus den benachbarten Laͤndern. Besonders zahlreich waren die Preußen, unter ihnen stand obenan der Freiherr von Canitz, Adjutant des Generals von York, ein ausgezeichnet kriegskundiger und tapfrer Offizier, der in hoͤherem Auftrage diesen Kriegszug begleitete; der Rittmeister von Bismark aus Schoͤnhausen; ein Rittmeister von Hobe; ein Herr von Klitzing aus der Priegnitz; Herr von Hochwaͤchter aus Pommern, und noch Viele, deren Namen zum Theil spaͤter zu nennen sein werden. Der schwedische Husa¬ renlieutenant Albert von Stael, Sohn der beruͤhmten Schriftstellerin, von seinem General mit einem Auf¬ trage nach Hamburg gesandt, erlangte die Erlaubniß, einstweilen bei Tettenborn bleiben zu koͤnnen. Manche dieser Offiziere fanden Anstellung bei den neuen Trup¬ pen; der Graf Joseph von Westphalen, schon laͤngere Zeit in diesen Gegenden auf solche Gelegenheit har¬ rend, half die hanseatische Reiterei errichten, zu deren Anfuͤhrer er bestimmt wurde; sein Bruder Rudolph, der als Domherr seine Aussichten zu katholischen Kir¬ chenwuͤrden aufgab, trat ebenfalls bei dieser Truppe als Offizier ein. Die Hanseaten mußten doch immer noch den groͤßten Theil ihrer Offiziere aus ihrer eignen Mitte nehmen, und es fehlte nicht an wackren jungen Maͤnnern, die sich hiezu eigneten. Mehrere derselben traten in den Stab und das Gefolge Tettendorn's; Eduard Sieveking, ein trefflicher junger Mann, so ge¬ bildet als tapfer; Noodt, aus einem Kandidaten der evangelischen Kirche zum thaͤtigen Kriegsmann umge¬ wandelt; Philippsborn, ausgezeichnet durch raschen Muth und scharfen Blick; Behrens aus Luͤbeck, mit kriegs¬ technischen Kenntnissen ausgeruͤstet; Redlich und Boͤhm, junge wackre Reiter voll Eifer und Thaͤtigkeit. Diese zahlreiche und glaͤnzende Gesellschaft vermehrte sich ab und zu noch durch den Besuch von Offizieren, welche, andern Truppenschaaren angehoͤrend, hier zeitenweise sich aufhielten, und an den Unternehmungen und Ge¬ fechten Theil nahmen; der russische Major von Grabbe, ein heldenmuͤthiger hoher Kriegsgeist; die Hauptleute von Kiel und Alexander von Rennenkampff, beide aus¬ gezeichnet im Kriege, wie in Litteratur und Kunst; dann der aus oͤsterreichischem in russischen Dienst her¬ uͤbergekommene Major Karl von Nostiz, welcher auch hier den schon erworbenen Ruhm bewaͤhrte; der Prinz Adolph von Mecklenburg-Schwerin; ferner Alexander von der Marwitz; der Graf von der Groͤben, und noch Andre, welche theils aus dem Wallmoden'schen, theils aus dem Doͤrnberg'schen Hauptquartier sich einfanden. Fuͤr die Mannigfaltigkeit und den Drang der Fuͤr¬ sorgen und Geschaͤfte, welche hier zusammenkamen, waren jedoch der Gehuͤlfen immer noch zu wenige, be¬ sonders da die Mehrheit derselben auf persoͤnliche Lei¬ stung vor dem Feinde angewiesen war; hierin aber ließen die Kosaken wenig zu thun uͤbrig, und die neuen Truppen mußten erst ausgebildet werden. Fuͤr die schwierigeren Aufgaben des Anordnens, Einrichtens, der Verwaltung, der stets erneuerten Unterhandlungen und Ruͤcksprachen, der Ermittlung von Huͤlfsquellen, des Wahrnehmens der Vortheile und Ruͤcksichten, welche sich aus den taͤglich wechselnden Umstaͤnden ergaben, fuͤr alle diese Geschaͤfte und Arbeiten blieb nur eine geringe Anzahl von Personen uͤbrig; Canitz und Droste hatten in dieser Hinsicht großes Verdienst; hauptsaͤch¬ lich aber stand der Major Ernst von Pfuel in aller Kraft und Tuͤchtigkeit an Tettenborn's Seite, und griff mit den ihm eignen großen Faͤhigkeiten in das Ganze dieses bewegten Treibens foͤrdernd ein. Ihm lag besonders die Errichtung des hanseatischen Fußvolks ob, fuͤr welches er auch eine gedraͤngte Exerzier- und Dienstvorschrift zu entwerfen unternahm. Leider mu߬ ten manche Geschaͤfte, welche hoͤherer Leitung und Auf¬ sicht bedurft haͤtten, dem guten Willen der damit Be¬ auftragten uͤberlassen bleiben, und wo dieser nicht ausreichte oder gar fehlte, traten Uebelstaͤnde ein, welche nicht sogleich sichtbar und auch dann nicht immer ab¬ zustellen waren. Tettenborn hatte in diesem Betreff, wie jeder Leitende in solchen Umstaͤnden, die schlimm¬ sten Erfahrungen zu machen, und manche Nachlaͤssig¬ keit und Ungebuͤhr kam erst dann zu seiner Kenntniß, wenn es zur Abhuͤlfe zu spaͤt war. Dies war beson¬ ders der Fall hinsichtlich der freiwilligen Beitraͤge fuͤr die hanseatische Legion, deren Kasse einem ehemaligen preußischen Kriegsrath Oswald sehr zweckmaͤßig anver¬ traut schien, aber von diesem auf die frechste Weise veruntreut wurde. Aller Vorsicht und aller Strenge konnte es nicht gelingen, in einem solchen Gewirr von Menschen immer die Guten auszuwaͤhlen und die Schlech¬ ten zu entfernen. Ermuthigend fuͤr Tettenborn und allem Begonne¬ nen foͤrderlich war die aus dem großen Hauptquartier III. 19 eingehende Nachricht, daß der Kaiser Alexander ihn mit den schmeichelhaftesten Lobspruͤchen zum Generalmajor ernannt habe, und alles bisher Angeordnete und Ein¬ geleitete unbedingt gut heiße. Die bei den neuerrich¬ teten Truppen angestellten Offiziere wurden unbedingt in dem ihnen verliehenen Range bestaͤtigt, und den russischen Offizieren, deren Ehren- und Feldzeichen ih¬ nen zu tragen erlaubt wurde, voͤllig gleichgestellt. In der hamburgischen Buͤrgerschaft zeichneten sich Ludwig von Heß und Friedrich Perthes durch ihren Vaterlandseifer aus. Ersterer, als patriotischer Schrift¬ steller vortheilhaft bekannt, war fruͤher in schwedischen Diensten Offizier gewesen, lebte aber seit vielen Jah¬ ren in Hamburg eingebuͤrgert. Fruͤheren, schon in Berlin empfangenen Anregungen gemaͤß, trug ihm Tet¬ tenborn die Errichtung und Fuͤhrung einer Buͤrger¬ garde auf, die, durch Rath- und Buͤrgerschluß bestaͤ¬ tigt, endlich nicht ohne Widerstand der ehemaligen Buͤrgerwachen, wobei die gaͤnzliche Spaltung nur durch nachdruͤckliche Maßregeln verhindert wurde, zu Stande kam. Sie wurde in 6 Bataillons, jedes zu 1200 Mann, abgetheilt; eine Anzahl wohlhabender Buͤrger dienten zu Pferde; spaͤterhin wurde, außer dem hanseatischen, auch staͤdtisches Geschuͤtz errichtet, dessen Dienst von Buͤrgern, welche sich demselben freiwillig widmeten, versehen wurde. Jeder Buͤrger vom achtzehnten bis zum fuͤnfundvierzigsten Jahre sollte zu dieser Garde gehoͤren, die von Offizieren aus ihrer Mitte befehligt, und zunaͤchst zur Vertheidigung der Stadt bestimmt wurde. Als ein eigenthuͤmlicher Kopf wußte Heß die Gemuͤther, auch ohne aͤußerliche Beredsamkeit, durch gluͤckliche Gedanken kraͤftig zu fassen, und fuͤllte eine geraume Zeit die Luͤcken, welche die Neuheit der Sache uͤberall uͤbrig ließ, durch geistigen Antrieb aus, bis spaͤterhin leider das Sinken seiner persoͤnlichen Kraft dem allgemeinen Sinken der Meinung weniger nach¬ folgte als voranging. Ihm kraͤftig zur Seite stand Friedrich Perthes, ein edler deutscher Mann, voll be¬ weglichen Geistes, der in einem lautern und empfin¬ dungsreichen Gemuͤth wurzelt. Seine unermuͤdliche Thaͤtigkeit im Anregen, Berathen, Ausgleichen und Zurechtsprechen, wirkten mehr, als aͤußerlich in die Au¬ gen fiel. Die anerkannte, untadliche Rechtschaffenheit des Mannes, und die ihm eigne Maͤßigung im Han¬ deln, hatte schon fruͤher seinem stillen Thun großen Einfluß bei den Mitbuͤrgern, seiner Person Zuneigung und Vertrauen bei den Wohlgesinnten und Edlen ver¬ schafft. Als einen wackern Foͤrderer der deutschen Sache muͤssen wir auch hier den geschaͤfts- und staatskundigen Bankier Dehn aus Altona nennen, dessen vielfache Kenntnisse und einflußreiche Verbindungen großen Vor¬ theil brachten. Nicht vergessen duͤrfen wir hier des Eifers, womit fast alle hamburgischen Prediger in ihren Kanzelreden die Sache des Vaterlandes zu foͤrdern 19 * suchten; ihr Wirken konnte in Hamburg um so kraͤf¬ tiger anregen, als hier die Religion und ihre Diener von jeher in großem Ansehn standen. Auch einige andre oͤffentliche Bemuͤhungen sind dankbar anzuerken¬ nen. Ein Rechtsgelehrter, Doktor Beneke, gab eine kleine Schrift unter dem guten Titel „Heergeraͤthe fuͤr die hanseatische Legion“ heraus, geschichtliche, aͤußerst zweckmaͤßige Nachrichten, verbunden mit edlen Ermah¬ nungen; die Grundsaͤtze und Abfassung sind gleich mu¬ sterhaft, und wir tragen kein Bedenken, diese Schrift fuͤr eine der besten zu erklaͤren, welche diese Zeitbege¬ benheiten hervorgerufen haben. Der Verfasser einer andern Schrift, „Patriotische Beherzigungen“ betitelt, ist nicht bekannt geworden; auch sie enthaͤlt viel Vor¬ zuͤgliches. Ein Liederbuch fuͤr die hanseatische Legion, aus alter und neuer Zeit gesammelt, lieferte Runge, der Bruder des gleichnamigen Kuͤnstlers, durch dessen fruͤhen Tod die Kunst wie seine Freunde einen schmerz¬ lichen Verlust erlitten. Der unzaͤhligen Flugschriften, Tageblaͤtter und Lieder von unterm Range erwaͤhnen wir nicht. Alte Zeitungen lebten wieder auf; den „Unpartheiischen Korrespondenten“ mit dem hergestell¬ ten hamburgischen Waffen begruͤßte der Dichter Leopold Graf zu Stolberg durch eine feurige Ode. Neue Blaͤt¬ ter traten hervor. Unter diesen war der „Deutsche Beobachter“ besonders heftig, und hatte unter allen deutschen Blaͤttern wohl die meiste Kuͤhnheit. Pfuel und Canitz gaben Beitraͤge. Man hielt sich schadlos fuͤr den erlittenen Zwang, und las eifrig die dargebo¬ tenen Schriften. In Luͤbeck wiederholte sich beinahe jedes, was in Hamburg geschah; die geringere und weniger zusam¬ mengesetzte Volksmenge gestattete dort ruhigere Ueber¬ sicht, und der Ordnungsgeist und die Tuͤchtigkeit der Einwohner zeigte ihre vortheilhafte Wirkung auch in den jungen Kriegesschaaren, welche die Stadt zur han¬ seatischen Legion beitrug, und welche sich an Haltung und Auswahl sogar vor den Hamburgern auszeichne¬ ten. Den dortigen Zustand im Allgemeinen giebt fol¬ gendes Schreiben des Oberstlieutenants Konstantin von Benkendorf an Tettenborn zu erkennen: „Mein Herr General! Indem ich die Ehre habe, Ihnen die noch offenen Listen uͤber den Fortgang der hiesigen Ruͤstun¬ gen einzusenden, kann ich mir das Vergnuͤgen nicht versagen, Ihnen auch im allgemeinen die erfreulichsten Berichte uͤber die Stimmung und den Eifer der hie¬ sigen Einwohner mitzutheilen. Die Zahl derjenigen, welche sich freiwillig zu den Waffen gestellt haben, und die hoffentlich in kurzem uͤber tausend begreifen wird, koͤnnte zwar schon allein den guten Geist beweisen, der in Luͤbeck herrscht, und so kraͤftige Anstrengungen her¬ vorbringt; allein auch auf jede andre Art, oͤffentlich und im Stillen, hat sich die Vaterlandsliebe und der Sinn fuͤr edle Hingebung bewaͤhrt, welche man von einem braven und der Freiheit noch nicht allzu lange ent¬ woͤhnten Volke erwarten konnte. Die schoͤne Begei¬ sterung fuͤr die gute Sache hat sich nicht minder wirk¬ sam in der Summe sowohl, als in der Art der frei¬ willigen Gaben bezeigt, die noch taͤglich fuͤr die neuen Bewaffnungen zustroͤmen, und zu welchem besonders die Frauen mit ausgezeichnetem Eifer beigetragen ha¬ ben, indem sie ihren letzten Schmuck darbrachten, des¬ sen aͤußerliche Zierde sie freilich nie so schmuͤcken konnte, wie die edle Gesinnung, die sie demselben entsagen hieß. Ich bekenne mit Freuden, daß ich alle Ursache habe, mit dem, was gegenwaͤrtig geschieht, zufrieden zu sein, und daß ich das feste Vertrauen hege, die genommenen Maßregeln und die eifrige Thaͤtigkeit der Buͤrger immer wirksamer werden zu sehen. Ich sage Ihnen, mein Herr General, den lebhaftesten Dank fuͤr den gluͤcklichen Auftrag, den sie mir ertheilt haben, die ersten Schritte dieser frohen Bewegungen einzuleiten. Ich habe die Ehre u. s. w. Benkendorf.“ Mittlerweile hatte Tettenborn die Haͤlfte seiner Rei¬ terei uͤber die Elbe auf der Straße nach Bremen vor¬ gesandt. Der franzoͤsische General Morand, der ohne Noth sich mit seinen Truppen bis zur Weser zuruͤck¬ gezogen hatte, schien seinen Fehler wieder gut machen zu sollen, und ruͤckte, vermuthlich auf ausdruͤcklichen hoͤheren Befehl, wieder gegen die Elbe vor, indem er sogar die Absicht aͤußerte, auch Hamburg wieder zu besetzen. Die Kosaken schwaͤrmten um das geschlossene Fußvolk herum, und neckten und beunruhigten dasselbe, ohne jedoch seinen Marsch hindern zu koͤnnen. Sie zogen sich nach Maßgabe des feindlichen Anmarsches zuruͤck, und der Feind kam wieder in die Gegenden, welche gegen ihn die Waffen ergriffen hatten. Die Nachricht von der Annaͤherung der Franzosen erregte in Hamburg Bestuͤrzung und Sorgen, Gefluͤchtete vom linken Elbufer verbreiteten Angst und Schrecken; man hatte sich zu sehr dem Taumel des Gluͤcks uͤberlassen, um nicht auf solche Wechsel, wie jetzt ploͤtzlich als moͤg¬ lich erschienen, gaͤnzlich unvorbereitet zu sein. Diese niederschlagenden Eindruͤcke wirkten zu heftig und zu allgemein, als daß man nicht haͤtte versuchen sollen, ihnen den Trost, den man mit Wahrheit geben konnte, in wenigen beruhigenden Worten zu sagen. Tetten¬ born ließ am 27. Maͤrz folgenden Aufruf anschlagen: „Hamburger! Einige unter euch scheinen beunruhigt uͤber das Anruͤcken der Franzosen von Bremen her, ich finde daher noͤthig mit euch zu reden, damit ihr wißt, um was es sich handelt. Der Feind, der sich ohne Grund vom linken Elbufer bis Bremen zuruͤck¬ gezogen hatte, ruͤckt wieder, wie vorauszusehen war, auf der Straße von Bremen vor, um die Bewegun¬ gen auf dem platten Lande zu daͤmpfen. Doch er wird die Bewegungen auf dem platten Lande nicht daͤmpfen, sondern nur noch mehr zu seinem Verderben aufregen! Die Sturmglocke geht im ganzen Lande; von allen Seiten ziehen die Bauern, von Offizieren geleitet und von 600 Kosaken unterstuͤtzt, heran gegen den Feind. Es ist dieselbe Abtheilung, die ich vor zehn Tagen uͤber die Elbe geworfen habe, und auch jetzt bin ich allein hinreichend, um allen ihren Unternehmungen die Spitze zu bieten. Hamburger! ihr werdet 20,000 Feinde nicht zu fuͤrchten haben, wenn ihr muthvoll seid, und bereit das Eurige zu thun. Die wenigen Hunderte, ohne Reiterei, und bald von allen Seiten umringt und ge¬ aͤngstigt, duͤrfen euch nicht beunruhigen. Der Feind ist nicht im Stande etwas zu unternehmen. Um so weniger, da die Generale Tschernyscheff, Benkendorf und Doͤrnberg bereits am 25. dieses Monats uͤber die Elbe gegangen sind, alle diesseits gestandenen feindli¬ chen Vorposten aufgehoben, und ihre Vorposten bereits bis Salzwedel vorgeschoben haben.“ Niemals hat sich eine Versicherung dieser Art glaͤn¬ zender bewaͤhrt. Man vertraute zwar den gegebenen Hoffnungen gern, niemand aber konnte eine solche Er¬ fuͤllung erwarten, wie die war, welche alsbald erfolgte! Da man erfuhr, daß bei den Truppen des Generals Morand viele Sachsen befindlich, so erließ Tettenborn einen Aufruf an sie, der sie zum Uebergehn aufforderte, und also lautete: „Sachsen! Hoͤrt was ich euch sagen werde: ihr seid betrogen und verrathen! Die Fran¬ zosen schleppen euch im Lande herum, hierhin, dorthin, um das Landvolk zu schrecken, das in gerechter Wuth uͤber die von den Franzosen erlittenen Mißhandlungen uͤberall die Waffen ergreift; sie schleppen euch herum, um unter euerm Schutze sich selbst vom Untergange zu retten. Ihr seid von tausend Kosaken und Jaͤgern umringt, und schon laͤutet die Sturmglocke im ganzen Lande. Alles, was deutsch ist, steht auf; und ihr nur wollt noch fechten fuͤr eure Unterdruͤcker, und gegen die welche euch befreien wollen? Ihr wißt nicht, was vorgeht; die russischen und preußischen Heere ruͤcken bereits unaufhaltsam in eurem Vaterlande vor; in Dresden sprengte Davoust eure schoͤne Bruͤcke aus Muthwillen, um sich an den Einwohnern zu raͤchen, die dem General Reynier die Fenster eingeworfen und einige drohende Reden gegen uͤbermuͤthige Franzosen ausgestoßen hatten. Ueberall flieht der Feind aus eurem Vaterlande, alle Gegenden verheerend, durch welche er zieht. Jetzt bedenkt und erwaͤgt! Wollt ihr noch fech¬ ten gegen uns, so ist Untergang, schmaͤhlicher Unter¬ gang euer Loos; denn jeder Deutsche, so hat der Kai¬ ser, mein Herr, befohlen, der mit den Waffen in der Hand gefangen wird, soll nach Sibirien geschickt wer¬ den. Wollt ihr dagegen nicht fechten fuͤr eure Feinde, so werdet ihr an uns eure Bruͤder finden.“ Der Zeitpunkt schien guͤnstig, um die zwar schon eingeleitete, aber noch auf Schwierigkeiten stoßende Er¬ richtung der Buͤrgergarde rasch durchzusetzen, und in dieser Absicht erschien em 29. Maͤrz abermals eine Be¬ kanntmachung an die Einwohner Hamburgs, deren unruhige Besorgniß schon wieder einigermaßen in thaͤ¬ tigen Eifer erloschen war und nur durch wenige Uebelge¬ sinnte noch genaͤhrt wurde; sie lautete: „Geruͤchte, wie die, welche gestern in Umlauf waren, liefern einen untruͤg¬ lichen Probestein des Muthes und der Festigkeit des Volks. Hamburger! ich habe den eurigen bewaͤhrt ge¬ funden, und ich lobe das Vertrauen, welches ihr in die Maßregeln setztet, die von mir zur Sicherheit der Stadt genommen waren. Eure Selbstvertheidigung darf sich jedoch nicht auf ein augenblickliches Aufgebot, das nur im Momente der Gefahr stattfindet, gruͤnden, sondern muß gehoͤrig vorbereitet und geordnet sein. Damit ihr Vertrauen zu euch selbst gewinnt, soll die Buͤrgergarde unverzuͤglich organisirt werden. Eilet, euch einschreiben zu lassen, eilet, ein maͤchtiges Bollwerk gegen jeden vorruͤckenden Feind aufzustellen! Heß ist euch zum Anfuͤhrer gesetzt, vertraut ihm, wie er euch vertraut. Das große Ziel der Befreiung im Auge, muß jeder mit seiner ganzen Kraft es zu erreichen bei¬ tragen, und Hamburg muͤsse unter allen Staͤdten des sich befreienden Deutschlands groß, wuͤrdig und kraft¬ voll geruͤstet dastehn.“ Bevor jedoch der Erfolg dieser Anordnungen gegen den Feind wirksam werden konnte, uͤbereilte diesen, unter welchem leider die Sachsen mitbegriffen blieben, ein rasches Verderben. Der englisch-hannoͤversche Ge¬ neral von Doͤrnberg, eine aus Russen und Preußen gemischte Schaar von etwa 2000 Mann befehligend, war schon am 14. Maͤrz bei Werben uͤber die Elbe gegangen, hatte sich aber vor der feindlichen Ueber¬ macht, die sich von Magdeburg aus gegen ihn wandte, wieder auf das rechte Elbufer zuruͤckziehen muͤssen. Inzwischen war General Morand mit 3000 Mann und 11 Kanonen uͤber Tostaͤdt nach Luͤneburg vorgeruͤckt, wo die Einwohner kurz vorher unter dem Beistand von 50 Kosaken eine franzoͤsische Schwadron, welche die Stadt besetzen wollte, mit den Waffen in der Hand zuruͤckgetrieben hatten. Ein hartes Schicksal schien de߬ halb die ungluͤckliche Stadt zu erwarten, und keine Huͤlfe sie retten zu koͤnnen. Die Franzosen waren kaum eingeruͤckt, als sie auch schon die Schlachtopfer aussuchten, die ihrer Rache fallen und am 2. April Vormittags erschossen werden sollten. General von Doͤrnberg hatte sich aber mit Tschernyscheff und Alexan¬ der von Benkendorf vereinigt, war auf's neue uͤber die Elbe gegangen, und gegen Luͤneburg stracks im An¬ zuge. Sie trafen eben zu rechter Zeit ein, um die Sache des Feindes zu hindern, und griffen ihn mit Ungestuͤm an. Die Franzosen wehrten sich tapfer, doch als General Morand toͤdtlich verwundet worden, und nirgends ein Ausweg zu ersehen war, streckten die uͤbri¬ gen das Gewehr. Tettenborn hatte dem Feinde 600 Ko¬ saken in den Ruͤcken geschickt, und ihm dadurch jedes Entkommen unmoͤglich gemacht. Ein vollstaͤndigerer Sieg und ein glaͤnzenderes Gefecht koͤnnen wohl schwer¬ lich gefunden werden. Die Truppen hatten die groͤßte Tapferkeit bewiesen, und den durch Zahl und Stellung staͤrkern Feind nicht nur geschlagen, sondern vernichtet. Die Einwohner selbst hatten abermals an dem Gefechte Theil genommen, und mehrere Franzosen niedergemacht. Man ruͤhmte auch die Unerschrockenheit eines Luͤnebur¬ ger Maͤdchens, Johanna Stegen genannt, die im hef¬ tigsten Feuer den preußischen Jaͤgern Pulver und Blei zugetragen hatte. Der Sieg Doͤrnbergs bei Luͤneburg verbreitete in Hamburg die außerordentlichste Freude, die zaghaftesten Gemuͤther wurden wieder beruhigt, man faßte wieder Vertrauen und neuen Eifer fuͤr die Sache des Vater¬ landes. Dieser Ausgang brachte alles schnell wieder in Bewegung, was in der Erwartung und Ungewi߬ heit desselben gestockt hatte. Jetzt erst glaubten sich endlich auch die an den Kaiser abgeordneten beiden Rathsherren mit Sicherheit auf die Reise begeben zu koͤnnen. Indeß mußte der diesmal gescheiterte Versuch der Franzosen, sich wieder an der Niederelbe festzusetzen, die Besorgniß begruͤnden, daß ein solcher sich guͤnstiger wiederholen koͤnnte; uͤberhaupt aber gewaͤhrte der Gang der Kriegsereignisse in Sachsen nicht mehr die glaͤnzen¬ den Hoffnungen, welche man vor einiger Zeit gehegt hatte, Deutschland baldigst bis an den Rhein befreit zu sehen. Unter solchen Umstaͤnden konnte auch Ham¬ burg noch große Gefahr zu bestehen haben, und wurde es noͤthig, die rasche Eroberung der Kosaken durch ge¬ diegene Vertheidigungsmittel zu behaupten. Da die Hauptstaͤrke der Russen und Preußen in Sachsen keine Truppen mehr abgeben konnte, so blieb Tettenborn auf die Mittel angewiesen, die er selber noch erst her¬ vorrufen sollte. Außer den 500 mecklenburgischen Gre¬ nadieren, die sein persoͤnliches Uebergewicht ihm geschafft hatte, erlangte er noch mit Muͤhe, daß ihm der preu¬ ßische Hauptmann von Lucadou mit 200 Mann zuge¬ schickt wurde. Die hannoͤverschen Truppen, die sich unter Tettenborns Schutz und Beistand eiligst zu bil¬ den angefangen hatten, waren entweder noch nicht fer¬ tig, oder die schon fertigen die Elbe weiter hinauf ge¬ zogen, wo sich unter dem Oberbefehl des Generals Grafen von Wallmoden ein besonderer Heertheil des kuͤnftigen Nordheeres bilden sollte. Unter diesen Um¬ staͤnden verdoppelte Tettenborn seinen Eifer, die han¬ seatischen Truppen baldigst ins Feld zu stellen. Ham¬ burg lieferte 2 Bataillons und 6 Schwadronen, Luͤbeck 2 Schwadronen und 600 Mann zu Fuß. Das erste Bataillon wurde dem Hauptmann von Stelling anver¬ traut, das zweite dem Hauptmann von Gloͤden, die 600 Luͤbecker bildeten mit den 200 Preußen des Haupt¬ manns von Lucadou unter dessen Anfuͤhrung das dritte hanseatische Bataillon. Die Reiterei der Hanseaten be¬ trug gegen 1000 Pferde; die erste Schwadron, von ihrem Rittmeister Godefroy befehligt, uͤbte der Ritt¬ meister von Herbert ein, und fuͤhrte sie auch zuerst gegen den Feind in einem gluͤcklichen Streifzug jenseits der Elbe. Ein Buͤrger von Hamburg, Namens Hanfft, hatte auf eigne Kosten eine ganze Schwadron ausge¬ ruͤstet, meistens Schlaͤchtergesellen, weil er selbst ehemals Schlaͤchtermeister gewesen war; weil er jedoch zur Be¬ fehlfuͤhrung nicht taugte, so wurde er nur als Stabs¬ rittmeister angestellt, und dadurch sein Ehrgeiz mehr gekraͤnkt als befriedigt. Auch an Geschuͤtz wurde ge¬ dacht, und es gelang zwei Batterieen zu errichten, eine von 6 Stuͤcken zu Fuß, welche dem Hauptmann Wertheim, und eine reitende von gleicher Anzahl, welche dem Hauptmann Spooreman uͤbertragen wurde; außer diesen beiden Offizieren, die sich willig angeboten, waͤre kein dritter dieses Fachs zu finden gewesen! Eben so hielt es schwer, die noͤthigen Artilleristen zur Bedienung der Kanonen zusammenzubringen, da hier unmoͤglich, wie bei andern Waffen, bloße Neulinge eintreten durf¬ ten. Beinahe alle Gegenstaͤnde der Bewaffnung und Ausruͤstung fehlten, und waren nur mit unsaͤglicher Muͤhe und großen Kosten zusammenzubringen. Nicht allein, daß es an Gewehren mangelte, auch sogar Pi¬ stolen und Saͤbel waren nicht in hinreichender Anzahl aufzutreiben; in der Eile wurden fuͤrerst Piken fuͤr das Fußvolk ausgetheilt; auch einige Schwadronen empfin¬ gen statt der Saͤbel nur Lanzen, welche sie nachher aus Wahl beibehielten. Die Buͤrgergarde, gleichfalls fuͤrerst nur mit weni¬ gen Gewehren, und groͤßtentheils nur mit Piken ver¬ sehen, wurde fleißig geuͤbt, und fing nach und nach an, sich in das ungewohnte Neue zu finden, und der Ernst der Sache draͤngte schnell alle die Spielereieu und Laͤcherlichkeiten zuruͤck, welche bei solchen erst im Entstehen begriffenen Anstalten kaum zu vermeiden sind. Herr von Heß griff die Sachen entschieden und tuͤchtig an, und leistete Außerordentliches. Waͤren unter allen diesen Bewaffneten nur 1000 Mann Preußen oder andre deutsche Soldaten von einiger Dienstkenntniß und Kriegserfahrung gewesen, so haͤtte sich das Neue, dem es nur an Unterricht und Muster fehlte, bald an dem Alten erziehen und ihm gleichartig werden koͤnnen. Allein die Mannschaft, welche den Hanseaten und der Buͤrgergarde zum Vorbild und Anhalt dienen konnte, war der Zahl nach zu gering, und uͤberdies auch selber schon groͤßtentheils anderweitig gebraucht. Die Bewegung des General Morand, die mit der Niederlage bei Luͤneburg geendigt hatte, war in der That nicht so ganz planlos gewesen, als sie beim ersten Anblick scheinen mochte. Es zeigte sich gleich darauf, daß sein Vorruͤcken gemeinschaftlich mit andern Trup¬ pen, welche von der Elbe kamen, angeordnet und Luͤ¬ neburg zum Vereinigungspunkte bestimmt gewesen war. General Montbrun ruͤckte mit 4000 Mann, denen der Marschall Davoust an der Spitze der Haupttruppe fol¬ gen sollte, am 4. April in Luͤneburg ein, wo er aber statt des General Morand nur die Spuren seiner Nie¬ derlage fand. Doͤrnberg hatte sich naͤmlich nach Boitzen¬ burg zuruͤckgezogen, um den dortigen Uebergang uͤber die Elbe, den der Feind wohl haͤtte mit seiner Macht versuchen koͤnnen, zu vertheidigen. Hamburg sah sich auf's neue bedroht, die Stadt war offen, zwar mit Waͤllen umgeben, aber die Brustwehren und Thore waren abgetragen, und die Bruͤcken uͤberall unter¬ daͤmmt; es fehlte an Geschuͤtz, die Besatzung bestand fast nur aus Reiterei. Die Einwohner kamen in große Bewegung; man hatte durch die fruͤhere Unruhe schon gelernt, daß Hamburg der Schauplatz kriegerischer Er¬ eignisse werden koͤnne, und daß man auf ernsthafte Pruͤfung gefaßt sein muͤsse. Der Muth und Eifer der Bessern war mit diesem Gedanken vertraut, und zwei¬ felte nicht, sich gegen den verhaßten Feind durch eigne Kraft zu behaupten. Tettenborn versaͤumte keinen Augenblick, die Maßregeln zu treffen, welche die Um¬ staͤnde erfordeten und zuließen. Die Truppen wurden in Bereitschaft gesetzt, die gefahrvollsten Punkte be¬ wacht, und wo Ueberschwemmungen moͤglich waren, diese so weit vorbereitet, daß sie auf den ersten Wink eintreten konnten. Gluͤcklicherweise waren in diesen Tagen einige tausend Gewehre aus England angekom¬ men, und konnten sogleich vertheilt werden. Die drei hanseatischen Bataillone wurden nun voͤllig bewaffnet; auch 3000 Mann der Buͤrgergarde empfingen Flinten, die uͤbrigen mußten sich noch ferner mit Piken behelfen. Der Major von Berger, der mit seinem Bataillon in Ratzeburg nur auf Waffen gewartet hatte, setzte sich sogleich nach deren Empfang in Marsch gegen die Elbe. Das erste hanseatische Bataillon marschirte nach Berge¬ dorf, das dritte nach dem Zollenspieker, waͤhrend das zweite noch in Hamburg blieb. Auch einige hanseatische Reiterei ruͤckte schon aus; die erste Schwadron unter der Leitung des Rittmeisters von Herbert. Beim Zol¬ lenspieker kamen am 6. April die ersten hanseatischen Truppen mit den Franzosen in's Gefecht. Eine Ab¬ theilung von 20 luͤbeckischen Schuͤtzen nebst 10 Drago¬ nern zu Fuß waren uͤber die Elbe gegangen, um Nach¬ richt von dem Feinde einzuziehen. Sie stießen beim ersten Dorfe auf etwa 80 Mann franzoͤsischen Fußvolks, mit welchen sie ein lebhaftes Geplaͤnkel anfingen, worin die Franzosen einige Leute verloren und zwei Luͤbecker verwundet wurden. Der Feind wagte sich trotz seiner Ueberlegenheit fast gar nicht hervor, und die Hanseaten gingen unverfolgt und ohne weitern Verlust uͤber die Elbe zuruͤck. Die Kosaken hatten ebenfalls fortdauernd gluͤckliche Scharmuͤtzel, und taͤglich sah man in Ham¬ III . 20 burg Gefangene und Ueberlaͤufer, bald in groͤßerer, bald in geringerer Zahl einbringen. Der Feind fand nicht rathsam, an der Elbe zu verweilen, wo zahlreiche Streifparteien in seinem Ruͤcken jeden Augenblick seine Verbindungen unterbrachen, und ihm bei jedem uner¬ warteten Angriff das Beispiel des General Morand schreckend vorschweben mußte. Er zog sich von dem Ufer zuruͤck. General Montbrun raͤumte am 9. April Luͤneburg, und der Marschall Davoust ging mit allen seinen Truppen hinter die Aller zuruͤck, deren Bruͤcken er sorgfaͤltig hinter sich abbrach. Den groͤßten Theil der russischen Reiterei nebst 2 hanseatischen Schwadro¬ nen und 2 russischen Kanonen, sandte hierauf Tetten¬ boru unter Anfuͤhrung des Oberstlieutenants von Ben¬ kendorf gegen die Weser uud bis vor die Thore von Bremen. Viele einzelne Unternehmungen und Plaͤn¬ keleien, die immer gluͤcklich ausfielen, uͤbten die neuen Truppen, die mit den Kosaken vereint den Dienst ver¬ sahen, und hielten den Feind in Unruhe. Man hatte jedoch bei dieser Gelegenheit eingesehen, wie nothwendig es sei, Hamburg vor einem ersten An¬ fall zu schuͤtzen, und war bedacht, die Stadt in ordent¬ lichen Vertheidigungsstand zu setzen. Diese Aufgabe war nicht klein. Tettenborn ließ durch den Major von Pfuel die Oertlichkeit genau in Augenschein nehmen, und die Punkte bestimmen, wo Schanzen angelegt wer¬ den sollten. Die erste Vertheidigungslinie war die Elbe selbst, mit ihren vielen Inseln, vom Zollenspieker bis Haarburg, allein bei einer Ausdehnung von vier Meilen blieb es schwer, jeden Punkt derselben mit so wenigen Truppen zu besetzen, und es war zu vermu¬ then, daß es dem Feinde bei wiederholten Angriffen gelingen muͤsse, irgendwo durchzubrechen. Die ganze Gegend besteht aus Niederungen, die durch Deiche gegen Ueberschwemmungen geschuͤtzt, und mit unzaͤh¬ ligen Graͤben durchschnitten sind. Der ganze Billwaͤr¬ der konnte unter Wasser gesetzt werden, und die zweite Vertheidigungslinie bilden, in welcher die Stellung am Eichbaum von besonderer Wichtigkeit war. Die Haupt¬ sache blieb aber immer die naͤchste Vertheidigung der Stadt durch ihre Waͤlle und durch einige vorliegende Werke, die theils aus alter Zeit uͤbrig waren, theils erst errichtet wurden. Der Hammerbrook, der ganz uͤberschwemmt wurde, machte von dieser Seite Ham¬ burg unangreifbar, so lange die Bruͤcken uͤber die Bille vertheidigt wurden, und hier waren die besten Vorkeh¬ rungen getroffen. Ueberall an den bedrohten Stellen wurden Schanzen aufgeworfen und einiges Geschuͤtz aufgestellt, das, so unzulaͤnglich es auch war, doch der Vertheidigung ein gutes Aussehn gab; der Haupt¬ wall erhielt seine Brustwehr wieder, so wie auch die Außenwerke an dem Steinthore; die Eingaͤnge wurden durch Schanzen gedeckt, die unterdammten Thorbruͤcken wieder in ihren ehemaligen Zustand gebracht, indem 20 * man die Erde in tiefen Einschnitten wegnahm, und so den Graben herstellte. Auch auf der sogenannten Fed¬ del, einer Insel jenseit des Grasbrooks, stiegen Schan¬ zen empor. Alle diese Arbeiten wurden mit Eifer betrieben und bis zu Ende thaͤtig fortgesetzt, so daß man uͤber das, was in der kurzen Zeit fertig oder doch der Vollendung nahe war, nicht genug erstaunen konnte. Die Fran¬ zosen selbst, so gern sie die Anstalten der Russen ver¬ kleinert und geschimpft haͤtten, konnten nicht umhin, das Geleistete oͤffentlich zu loben. Außer dem Major von Pfuel hatte der Hauptmann Schaͤffer, ein vorzuͤg¬ licher Genieoffizier, das groͤßte Verdienst um diese Sache; in dem weiten Bereich dieser Befestigungen ordnete er alles selbst an, fuͤhrte die bestaͤndige Auf¬ sicht, und leitete alles mit eben so großem Eifer, als bewaͤhrter Geschicklichkeit; ohne sich seiner Leistungen zu uͤberheben, wirkte er im Stillen mit unermuͤdeter Anstrengung fort, und war nicht allein geschaͤftig, die Schanzen gegen den Feind anzulegen, sondern auch sie gegen ihn zu vertheidigen, wie er denn auf der Insel Wilhelmsburg, auch außer seinem Beruf, freiwillig unter die vordersten Plaͤnkler in's heftigste Feuer ging. Zu gleicher Zeit war auch die Unzulaͤnglichkeit der Buͤrgergarde vielfach zur Sprache gekommen, und die wohlgesinnteren Buͤrger selbst wuͤnschten nichts eifriger, als sie geregelt und in strengerem Dienst unterrichtet zu sehn, um sie aus dem ungewissen Schwanken zu reißen, in welches die Unwissenheit uͤber das, was zu thun sei, und wie man sich in eintretenden Faͤllen zu benehmen habe, sie immer auf's neue versetzen mußte. Friedrich Perthes war hiezu besonders thaͤtig, und in¬ dem er kraͤftig zur Einigkeit rieth und wirkte, und seinen Freund Heß auf alle Weise unterstuͤtzte, war er zugleich bedacht, von einer andern Seite zu ersetzen, was diesem fehlte. Man bedurfte eines einsichtsvollen, kriegserfahrenen und dienstkundigen Offiziers, der mit Heß gemeinschaftlich an der Spitze stehen, und die Formen, die zu militairischer Brauchbarkeit unentbehr¬ lich sind, nach und nach einfuͤhren sollte. Tettenborn konnte keinen seiner Offiziere diesem Geschaͤft ganz hin¬ geben, dem nur wenige im Stande waren vorzustehen, und das auch niemanden anlocken konnte, der schon an seinem militairischen Platze stand. Um so gluͤcklicher war es, daß grade derjenige, welcher durch Herz und Geist und Kenntniß dazu am meisten erwuͤnscht sein mußte, wenigstens zum Theil diesen Auftrag erhielt. Der Hauptmann von Canitz wurde bestimmt, Heß mit Rath und That an die Hand zu gehen. Dies geschah mit dem besten Erfolg, und es wurde geleistet, was nur immer in der kurzen Zeit und unter diesen Um¬ staͤnden moͤglich war. Freilich waͤre zu wuͤnschen ge¬ wesen, daß er ganz und gar den Oberbefehl uͤber diese Buͤrgergarde uͤbernommen haͤtte, allein eben so sehr schien der Geist dieser Anstalt einen Hamburger, und einen Buͤrger, zum Anfuͤhrer zu erheischen, als das Verhaͤltniß eines preußischen Offiziers nicht wohl auf¬ fordern konnte, sich einer solchen Aufgabe zu unter¬ ziehen. Canitz verfaßte jedoch, außer dem wohlthaͤtigen Einfluß, den er im allgemeinen ausuͤbte, fuͤr die Buͤr¬ gergarde eine schriftliche Anweisung, wie sie sowohl vor dem Feinde als auch in jedem andern Dienste sich zu verhalten habe, und legte so den Grund zu einer Anordnung und Brauchbarkeit, die leider nicht Zeit behielt, sich voͤllig zu entwickeln. War in diesem Zweige der hamburgischen Angele¬ genheiten vieles, was den treuen Freund der vaterlaͤn¬ dischen Sache bekuͤmmerte, und nach Mitteln aussehn ließ, das Gehemmte zu foͤrdern, das in falscher Rich¬ tung Schreitende zu berathen, so mußte in andern Zweigen, die nicht so unmittelbar mit der russischen Behoͤrde zusammenhingen, und durch deren Antrieb gekraͤftigt werden konnten, der Mangel an lebhafter Regsamkeit und geordnetem Eingreifen zu wahrer Ver¬ wirrung werden, fuͤr welche man vergebens sich nach Huͤlfe umsah. Es wurde bei dieser Gelegenheit zum Erstaunen offenbar, wie karg unter die Menschen die Gabe staatsordnender Einrichtungen und die Faͤhigkeit zu gesetzgeberischer Wirksamkeit vertheilt sind. Jeder weiß, was noth thut, jeder erkennt den Fehler wo es gebricht, jeder fuͤhlt sich willig zum Guten zu helfen; aber oͤffentliches Auftreten, entschlossenes Anfangen und Fortreißen der Genossen wird durch tausend Umstaͤnde des buͤrgerlichen und geselligen Lebens gehindert, so daß es dann immer an dem Ersten fehlt, ohne welchen die zahlreichen Zweiten und Dritten sich in ungenutzter Anlage verlieren. Der Mangel an sittlichem Halt in den Begriffen und die Abwesenheit fester Grundzuͤge in den Gemuͤthern des Volks hindern jede durchgrei¬ fende Maßregel Einzelner, die nicht von Gewalt, ja von Schrecken begleitet ist. Eine Hoffnung jedoch, diesem Uebel in der Folge abgeholfen zu sehen, zeigte sich auch fuͤr Hamburg in der gemeinsamen Verwaltungsbehoͤrde, welche der Kai¬ ser von Rußland und der Koͤnig von Preußen fuͤr das noͤrdliche Deutschland einsetzten, und der Leitung des Ministers Freiherrn vom Stein uͤbertrugen. Die Lage der Dinge forderte laut einen solchen Mann, in dessen starker Seele der Eifer fuͤr die vaterlaͤndische Sache zu heftiger Leidenschaft geworden war. Sein untadlicher Wandel und die Reinheit seiner Gesinnung gaben ihm das Recht furchtloser Strenge und Wahrheit gegen jederman. Als seine Gehuͤlfen nannte man die treff¬ lichsten Maͤnner. In Hamburg hegten mehrere ange¬ sehene Einwohner den Wunsch, es moͤchte der preu¬ ßische Geheime Staatsrath Niebuhr als Beauftragter der Maͤchte dort erscheinen; in seiner fruͤhern Stellung als Bankdirektor zu Kopenhagen hatte er den Ruf großer Geschaͤftskenntniß und strenger Rechtschaffenheit erworben, und wiewohl er seitdem in Preußen aus aller Staatsthaͤtigkeit zuruͤckgetreten war, um sich ganz seinen gelehrten Arbeiten zu widmen, so hatte er doch diese bei dem ersten Schimmer der bessern Hoffnungen wieder verlassen, in Berlin ein neues Tagblatt den preußischen Korrespondenten gegruͤndet, und suchte kraͤf¬ tigst im vaterlaͤndischen Sinn einzuwirken. Mit Per¬ thes, Heß, mit Dehn in Altona, und vielen Andern, stand er in freundschaftlichen Beziehungen; es war die Rede davon, aus eignem Antrieb ihn zu berufen, da er denn, an der Spitze solchen Zutrauens, leicht die Bestaͤtigung abseiten der Maͤchte wuͤrde empfangen ha¬ ben. Das Geruͤcht nannte bald auch andre preußische Staatsbeamte, denen die Verwaltung der Hansestaͤdte abseiten Stein's zugedacht sein sollte, und mit Wohl¬ gefallen wurde der Name Staͤgemann vernommen; allein die Ernennung verzoͤgerte sich, und fiel endlich auf keinen der Genannten, sondern auf den russischen Geheimen Rath von Alopeus, den aͤltern der beiden Bruͤder, einen Mann von starkem Karakter und von großem Ruf in der Diplomatik, der aber selbst be¬ kannte, sich in seiner neuen Bestimmung noch ziemlich fremd zu fuͤhlen. Er war zum Kommissarius fuͤr die deutschen Laͤnder noͤrdlich der Elbe bestellt, traf aber in einer Zeit ein, wo Hamburg schon taͤglich in Gefahr schwebte, und er blieb daher in Mecklenburg, wo er spaͤterhin sich der hamburgischen Sachen zwar anneh¬ men wollte, jedoch ohne Frucht und fast schon ohne Gegenstand. Fuͤr Hamburg fiel also diese wichtige Huͤlfe, welche sich aus der Stein'schen Verwaltungs¬ behoͤrde haͤtte ergeben koͤnnen, durch die anfaͤngliche Saͤumniß und die nachherigen Umstaͤnde gaͤnzlich aus. Inzwischen hatte Tettenborn von Seiten der Daͤ¬ nen immer groͤßere Annaͤherung erfahren, sie bewarben sich fortdauernd um die Freundschaft der Russen, und suchten dieselbe durch zuvorkommende Gefaͤlligkeit zu verdienen. Nicht nur die Russen und Hamburger, sondern auch die Englaͤnder selbst, fanden die Elbschiff¬ fahrt vollkommen frei, sogar von Altona segelten Schiffe nach England ab, das Kriegsverhaͤltniß zwischen Daͤne¬ mark und England schien vergessen; auch spaͤterhin, als die Elbe wegen der franzoͤsischen bewaffneten Fahrzeuge nicht mehr sicher war, ging der Postenlauf nach Eng¬ land durch Holstein bis zum Ausfluß der Elbe ohne irgend ein Hinderniß. So war auch an die daͤnischen Behoͤrden in Holstein der Befehl von Kopenhagen er¬ gangen, die von den Russen wiedereingesetzten hanseati¬ schen Obrigkeiten anzuerkennen, und mit ihnen als solchen in Verkehr zu treten. Noch entschiedener be¬ zeigte sich die freundschaftliche Gesinnung der Daͤnen durch die vertrauliche Eroͤffnung, welche Tettenborn abseiten der daͤnischen Befehlshaber empfing, daß sie angewiesen seien, alle ihre dortigen Truppen, sobald der General es verlange, ihm zur Besetzung von Ham¬ burg und Luͤbeck anzubieten. Was mit dieser letztern Zuvorkommenheit gemeint sei, erklaͤrte sich bald durch ein Schreiben des Fuͤrsten Sergius Dolgoruky, der am 23. Maͤrz mit besondern Auftraͤgen des Kaisers Alexander in Kopenhagen ange¬ kommen, und mit dem daͤnischen Kabinet in rasche Verhandlung getreten war. Der Kaiser, wohlgesinnt fuͤr Daͤnemark, hatte wie uͤberall so auch hier den Weg der Guͤte und Ausgleichung versuchen wollen, und sei¬ nen Abgesandten beauftragt, dem daͤnischen Hofe fuͤr den Verlust von Norwegen, der durch die fruͤheren mit Schweden geschlossenen Vertraͤge wider Daͤnemark aus¬ gesprochen war, reichliche Entschaͤdigung zu verheißen, im Falle Daͤnemark gleich auf der Stelle dem franzoͤ¬ sischen Bund entsagen und seine Waffen mit denen der Russen und Preußen vereinigen wollte. Der daͤnische Hof war auf diese Eroͤffnung eingegangen, und wuͤnschte sich in der Aussicht auf jene Entschaͤdigung zunaͤchst der Hansestaͤdte zu versichern. Der Fuͤrst Dolgoruky, erfreut uͤber das schnelle Gelingen seiner Unterhandlung, und voll Eifer, der Sache der Verbuͤndeten einen im Augenblicke so bedeutenden Zuwachs von Streitkraͤften zuzuwenden, sagte den Daͤnen die einstweilige Besetzung von Hamburg und Luͤbeck zu, und forderte demgemaͤß Tettenborn auf, ungesaͤumt die beiden Staͤdte den daͤ¬ nischen Truppen zu uͤberlassen, und dagegen deren un¬ mittelbare Mitwirkung gegen die Franzosen zu gewaͤr¬ tigen. Tettenborn, hoͤchst betroffen uͤber eine Zumu¬ thung, welche den Fortgang des so gluͤcklich begonnenen Werkes der Befreiung ploͤtzlich zu hemmen, das Bei¬ spiel des Aufstandes gegen den Feind fuͤr das uͤbrige Deutschland zu vernichten, und alle Huͤlfsquellen diesen Gegenden fuͤr den Augenblick in fremde Haͤnde zu lie¬ fern drohte, war weit entfernt, hierauf so schnell ein¬ zugehen. Er wußte, daß des Kaisers Absicht nicht sei, die kaum hergestellte Freiheit und Selbststaͤndigkeit der Hansestaͤdte gefaͤhrden zu lassen, er durchschaute die Sache in allen ihren Beziehungen, sowohl politischen als militairischen, und versagte einen Schritt, welchen auszufuͤhren er sich nicht einmal fuͤr befugt halten durfte. Er antwortete dem Fuͤrsten Dolgoruky, daß er eine Sache von solcher Wichtigkeit nicht ohne un¬ mittelbaren Befehl seiner Kriegsobern entscheiden koͤnne, und uͤberdies das Geforderte dem Vortheile des Kai¬ sers und seiner Verbuͤndeten keineswegs gemaͤß halte. Er befoͤrderte sogleich einen Eilboten in das große Hauptquartier, um uͤber diesen Vorgang zu berichten, und die wahre Lage der Dinge dort wuͤrdigen zu lassen. Was er vorausgesehen hatte, geschah; der Kaiser Alexan¬ der belobte Tettenborn's richtige Ansicht und kluge Zu¬ ruͤckhaltung, und empfahl ihm die fernere Behauptung der beiden Staͤdte; der Fuͤrst Dolgoruky, so wurde hinzugefuͤgt, sei in seinem Eifer, wenn auch in bester Absicht, zu weit gegangen, und seine mit dem daͤni¬ schen Kabinet genommene Abrede wurde als ein Ueber¬ schreiten seiner Vollmachten fuͤr unguͤltig erklaͤrt. Den daͤnischen Befehlshabern, welche nach den von Kopen¬ hagen empfangenen Weisungen nun immer zudringlicher ihren Beistand anboten, und sich bereit erklaͤrten, Ham¬ burg und Luͤbeck mit ihren Truppen zu besetzen, dankte Tettenborn mit großer Hoͤflichkeit fuͤr ihr Anerbieten, von welchem er sich vorbehielt Gebrauch zu machen, sobald die Umstaͤnde, die jedoch in diesem Augenblicke noch nicht dringend waͤren, es erheischen wuͤrden. So sahen sich die Daͤnen, welche gemeint hatten ihre Be¬ reitwilligkeit nur zeigen zu duͤrfen, um eiligst in den Besitz der beiden wichtigen Staͤdte zu gelangen, jetzt nur auf weiteres Abwarten verwiesen, und durch ihr eignes Wort sich zu denjenigen Leistungen verpflichtet, die abgesondert von dem vorausgesetzten Gewinn ihnen nur eine bedenkliche Last seyn konnten! Das daͤnische Kabinet verfolgte indeß, ungeachtet das Ausweichen Tettenborn's einige Verstimmung ver¬ ursachte, seine neue Richtung mit thaͤtigem Eifer. Daͤ¬ nemark schien in der That, den Verbuͤndeten ange¬ schlossen, nach eigenem Willen eine große Rolle uͤber¬ nehmen zu koͤnnen, sich gewissermaßen die Stelle und das Verdienst, welche fuͤr Schweden offen standen, noch vor diesem aneignen, und bei guͤnstiger Wendung des Krieges die groͤßten Vortheile hoffen zu duͤrfen. In diesem Sinne wurden ungesaͤumt die noͤthigen Schritte gethan. Der Graf Karl von Moltke wurde an den russischen Kaiser, der Graf Joachim von Bernstorff mit umfassenden Vollmachten nach London abgefertigt, um Daͤnemarks Beitritt zu dem Bunde gegen Frank¬ reich anzubieten, und auf moͤglichst vortheilhafte Be¬ dingungen abzuschließen. Tettenborn empfing von bei¬ den Unterhaͤndlern auf ihrer Durchreise durch Hamburg die besten Zusicherungen uͤber die Entschiedenheit jenes Beitritts, und uͤber den Nachdruck, mit welchem der¬ selbe ausgefuͤhrt werden wuͤrde; sie wiederholten eifrigst das Anerbieten daͤnischer Huͤlfstruppen, und in gleichem Sinne lauteten die fernern Briefe des Fuͤrsten Dolgo¬ ruky aus Kopenhagen, so wie die Erklaͤrungen des Generals von Wegener und des Oberstlieutenants von Haffner, welche wiederholt versicherten, sie haͤtten Be¬ fehl, ihre Truppen auf das Verlangen Tettenborn's vorruͤcken zu lassen. Einen unangenehmen Eindruck machten neben diesen Versicherungen einige freilich aus untergeordnetem Betrieb hervorgegangene Versuche, un¬ ter den Einwohnern von Hamburg den Wunsch anzu¬ regen, daß die Stadt sich in den Schutz und die Ob¬ hut Daͤnemarks begeben moͤchte, wobei denn die Ge¬ sinnungen und Absichten der Russen mehrfach verdaͤch¬ tigt, und auch die Verhandlungen des Fuͤrsten Dolgo¬ ruky in mancherlei Entstellungen absichtlich verbreitet wurden. Es war nicht zu verwundern, wenn aller¬ dings manche Hamburger unter solcherlei Geruͤchten und Vorstellungen einiges Bedenkliche aufgriffen, und mit der Zuversicht auch den Eifer sinken ließen. Doch von andrer Seite wurde derselbe wieder um so staͤrker angefacht. Waͤhrend alles dieses vorging, begann es naͤmlich an der obern Elbe, nach einem langen, damals un¬ begreiflich duͤnkenden, und gewiß hoͤchst nachtheiligen Stocken der Kriegsbewegungen, nach und nach lebhaft zu werden, und alles deutete auf ein nachdruͤckliches Vorruͤcken der Heere. Die Schweden, die noch zoͤger¬ ten, die Daͤnen, die bereit standen, beide schienen kaum noch einigen Theil an dem Feldzuge gewinnen zu koͤn¬ nen. Das, was geschehn war, schien uͤber das, was bevorstand, zu taͤuschen. Die nordischen Huͤlfstruppen konnten der, wie man meinte, anderweitig genugsam verbuͤrgten Sicherheit Hamburgs ein uͤberfluͤssiger Zu¬ wachs erscheinen, die Aufstaͤnde in den Laͤndern jenseits der Elbe versprachen einen ungeheuren Stoff zur Bil¬ dung neuer Kriegsvoͤlker, wie damit auch im Mecklen¬ burgischen, in Hamburg und Luͤbeck thaͤtig fortgeschrit¬ ten wurde. Diese und aͤhnliche Betrachtungen moͤgen wohl Ursache gewesen sein, daß man nicht fuͤr noͤthig hielt, neue Truppen nach der untern Elbe abzusenden, indem nur etwa 150 Mann preußischer Dragoner un¬ ter dem Major von Schill, einen Bruder des bei Stralsund gebliebenen, als einziger Nachschub ankamen. Dagegen traf am 17. April der Generallieutenant Graf von Wallmoden in Hamburg ein, der den oͤsterreichi¬ schen Kriegsdienst mit dem großbritannischen vertauscht hatte, aber auch dem russischen angehoͤrte, und die Bestimmung erhalten hatte, einen Heertheil des Nord¬ heers zu befehligen, der aus verschiedenen Bundes¬ truppen zusammengesetzt werden sollte. Der Ruf seiner Auszeichnung in fruͤhern Feldzuͤgen, seines hellen Blicks in die Staatsverhaͤltnisse, seiner tapfern Entschlossenheit vor dem Feind, und der edlen Eigenschaften seines Ge¬ muͤths, war ihm vorausgegangen, und vielmals wurde sein Name in Deutschland mit großen Erwartungen genannt. Er fand keine andern Truppen vor, als die wenig zahlreichen Abtheilungen Tettenborn's, Doͤrn¬ berg's und Benkendorf's, und die neuerrichteten, kaum voͤllig ausgeruͤsteten und jedenfalls ungepruͤften Schaa¬ ren, welche wenigstens einer Beimischung alter Trup¬ pen bedurft haͤtten, um an diesen einen festen Anhalt zu finden. Da jede jener Abtheilungen in ihrer Weise thaͤtig war, und schon ihre durch den Augenblick gebo¬ tene Aufgabe hatte, so war an Zusammenziehen dieser Kraͤfte nicht zu denken, und eben so wenig an eine strenge Einheit des Oberbefehls, da auf allen Punkten die Umstaͤnde schnell wechselten, und rasche Maßregeln forderten. Wallmoden erkannte diese Lage der Dinge und wollte nicht stoͤrend in sie eingreifen; er ließ Tet¬ tenborn die hamburgische Sache in der angefangenen Art fortfuͤhren, und begab sich nach Lauenburg und weiter hinauf an der Elbe, von wo er spaͤter einige gluͤckliche Zuͤge gegen den General Sebastiani und den Marschall Davoust unternahm. Tettenborn, der haͤufig den Uebungen der Fußvoͤlker beiwohnte, und sowohl die Hanseaten und Buͤrger¬ garden, als auch die Arbeiten an den Festungswerken fast taͤglich in Augenschein nahm, hatte auch den Feind nicht aus den Augen verloren, sondern eine starke Schaar Reiterei nebst zwei russischen Kanonen unter Anfuͤhrung des Oberstlieutenants Konstantin von Ben¬ kendorf gegen die Weser vorgeschickt. In Bremen war seit dem 27. Maͤrz mit Napoleon's besondern Auftraͤ¬ gen der General Vandamme angekommen, und sollte in die vom General Carra-Saint-Cyr nur laͤssig be¬ triebene Kriegsanstalten groͤßere Thaͤtigkeit bringen. Das Erscheinen der Russen und Hanseaten so nah vor den Thoren setzte ihn in Wuth, allein da ihm wenig Reiterei zu Gebote stand, so konnte er nichts ausrich¬ ten. Die kleinen Gefechte fielen stets zum Vortheil der Russen aus. Fast taͤglich wurden aus dortiger Gegend Gefangene nach Hamburg eingebracht. Mit Ungeduld sah Tettenborn dem Tage entgegen, an wel¬ chem er an der Spitze der neuen Fußvoͤlker ausmarschi¬ ren koͤnnte, um das dem Feind so lang uͤberlassen geblie¬ bene und unter seinen Mißhandlungen seufzende Bremen ebenfalls zu befreien und als Hansestadt wiederherzustellen. Man hatte unablaͤssig und mit unsaͤglicher Anstren¬ gung an der Ausbildung dieser Truppen gearbeitet; in der Erwartung, sie in kurzem so weit gefoͤrdert zu sehn, daß sie dem Feind entgegengefuͤhrt werden koͤnn¬ ten, wurde am 21. April in der großen St. Michaelis- Kirche die feierliche Weihe der Fahnen angeordnet, die von edlen Hamburgerinnen kunstreich und praͤchtig ge¬ stickt worden waren. Der ehrwuͤrdige Senior der ham¬ burgischen Prediger, Doktor Rambach, verrichtete die Feierlichkeit in Gegenwart Wallmoden's und Tetten¬ born's, des Senats, und einer großen auserlesenen Versammlung, unter Paradirung aller in Hamburg an¬ wesenden Truppen. Die allgemeine Stimmung machte den Tag zu einem ruͤhrenden und begeisternden Feste, und die vaterlaͤndische Gesinnung wurde hier durch die frommen Eindruͤcke kirchlicher Gebraͤuche gesteigert und befestigt. Auch das fuͤr die Einwohner der Hansestaͤdte eingefuͤhrte Zeichen des rothen Kreuzes im weißen Felde wurde nun immer haͤufiger am Hut getragen, und bald ohne irgend ein Gesetz so allgemein, daß sich nie¬ mand ohne dasselbe zeigen durfte. Als eines besondern Ausdrucks der Gesinnungen der Hamburger fuͤr Tetten¬ born muͤssen wir hier noch gedenken, daß demselben durch einstimmigen Beschluß des Senats und der Buͤr¬ gerschaft das Ehrenbuͤrgerrecht ertheilt wurde, eine Aus¬ zeichnung, welche seit dem tausendjaͤhrigen Bestehen der Stadt auf diese Weise vor ihm niemandem wider¬ III . 21 fahren war. Der Senator Bartels, dessen Muth und Thaͤtigkeit in diesen drangvollen Tagen vielfach voran¬ stehen mußten, erließ an Tettenborn bei Uebersendung des Buͤrgerbriefs ein Schreiben, welches ihm spaͤter den Grimm der Franzosen und die Aechtung von Sei¬ ten des Marschalls Davoust zuzog. Vandamme indessen, da er die russischen Truppen keinen ihrer haͤufigen Vortheile mit Nachdruck verfol¬ gen sah, urtheilte bald, daß es ihnen noch ganz an Fußvolk mangeln muͤsse, und wollte daher den Schimpf, von einigen Kosaken und Hanseaten auf Bremen be¬ schraͤnkt zu sein, nicht laͤnger ertragen. Er ruͤckte mit etwa 3000 Mann zu Fuß und 6 Kanonen am 22. April gegen Ottersberg vor, und draͤngte die ausgestellten Posten bis Rothenburg auf den Haupttrupp zuruͤck, indem die plaͤnkelnden Kosaken wohl wie fruͤher die dichten Massen des Fußvolks umschwaͤrmen, aber nicht durchbrechen, und also deren Marsch nicht aufhalten konnten. Allein kaum hatte Benkendorf bei Rothen¬ burg die Zuruͤckgedraͤngten aufgenommen, als er sogleich mit seiner ganzen Reiterei, unterstuͤtzt von zwei Kano¬ nen, die vorgedrungenen Franzosen ungestuͤm anfiel, sie in die Flucht warf, und unausgesetzt bis vor die Thore von Bremen verfolgte, unter bestaͤndigem Kartaͤtschen¬ feuer, das rasch vorruͤckend die fluͤchtigen Reihen lich¬ tete und dem Feinde gegen 300 Mann toͤdtete und verwundete, waͤhrend die Reiterei ihm uͤber 100 Ge¬ fangene und alles Gepaͤck wegnahm, das derselbe mit sich gefuͤhrt hatte. Die hanseatische Reiterei hatte an diesem Gefecht ruͤhmlich Theil genommen, und die gute Vorbedeutung, die man daraus fuͤr das Betragen des hanseatischen Fußvolks nehmen konnte, wurde eine Auf¬ forderung mehr, dasselbe bald auf die Probe zu stellen, und etwas Ernstliches damit gegen den Feind zu un¬ ternehmen. Den Tag darauf ging eine saͤchsische Ab¬ theilung, 50 Mann stark, mit ihrem Offizier an der Spitze, von den Franzosen zu den Russen uͤber, indem sie erklaͤrten, fuͤr die deutsche Sache fechten zu wollen. Die Mannschaft ruͤckte mit Waffen und Zeug unter Anfuͤhrung ihres Offiziers in Hamburg ein, wo sie alsdann dem zweiten Bataillon der Hanseaten einver¬ leibt wurde. Der fruͤher erlassene Aufruf an die Sach¬ sen war also doch nicht ganz fruchtlos geblieben, wie sehr auch befestigtes Vorurtheil dem Offizier, und viel¬ fache Hindernisse anderer Art dem Soldaten diesen kuͤhnen Schritt des Uebergehens erschweren mochten. Die vielen Deutschen, welche Vandamme unter seinen Truppen hatte, waren eben so gestimmt wie diese Sach¬ sen, und man mußte nur eilen, ihnen die guͤnstige Gelegenheit zu bieten, durch welche die Gesinnung zur That werden konnte. Die kleinen Gefechte dauerten inzwischen fort; ohne Unterlaß wurden Gefangene ein¬ gebracht, und eben so oft solche, die von den Land¬ stuͤrmern und bewaffneten Buͤrgern ergriffen waren, 21 * als solche, die sich den Kosaken hatten ergeben muͤssen. Unter den erstern befanden sich haͤufig Offiziere, und unter andern ein Adjutant des Marschall Davoust, Namens Lachelle. Doch konnten diese Vorgaͤnge nicht hindern, daß der Feind, im Bewußtsein des großen Uebergewichts an Fußvolk und Geschuͤtz, eine entscheidende Bewegung unternahm, welche die Russen zwang, das linke Elb¬ ufer fuͤr jetzt aufzugeben. Gluͤcklicherweise wurden diese fruͤhzeitig von dem feindlichen Vorhaben unterrichtet. Der hannoͤversche Postmeister zu Soltau hatte einen franzoͤsischen Kourier, der sich als Ueberbringer wichti¬ ger Befehle ankuͤndigte, todtgeschlagen und die Papiere desselben nach Hamburg an Tettenborn abgeliefert. Aus diesen ergab sich, daß der Feind gesonnen sei, die bei Luͤneburg durch Morand's Niederlage vereitelte Bewe¬ gung zweier von verschiedenen Seiten auf einen und denselben Punkt vorruͤckenden Truppenabtheilungen in groͤßerem Maßstabe zu wiederholen. Der Marschall Davoust ruͤckte mit 12,000 Mann von der Weser ge¬ gen Luͤneburg vor, waͤhrend der General Sebastiani mit 8000 Mann von der mittlern Elbe her gegen Giff¬ horn marschirte. Die saͤmmtlichen verbuͤndeten Trup¬ pen in diesen Gegenden waren nicht einer einzelnen dieser feindlichen Abtheilungen gewachsen, um so weni¬ ger also den vereinigten, und die vorgeruͤckte Reiterei mußte daher, um nicht abgeschnitten zu werden, un¬ gesaͤumt von der Weser zuruͤck auf das rechte Elbufer gezogen werden. Der Rittmeister von Herbert war mit 100 hanseatischen Reitern und 250 Kosaken am 27. April noch in Ottersberg, und zog sich, von 4000 Mann und 4 Kanonen angegriffen, auf den Oberst¬ lieutenant von Benkendorf nach Rothenburg zuruͤck, wo abermals ein sehr glaͤnzendes Gefecht Statt hatte, in welchem der Feind mit großem Verlust zuruͤckgetrieben und verfolgt wurde. Allein da die Franzosen indessen schon Luͤneburg besetzt hatten, so mußten die Russen von Rothenburg ihren Ruͤckzug gegen die Elbe neh¬ men. Dieser geschah ohne Verlust, in groͤßter Ord¬ nung; nur eine kleine Anzahl zerstreut gewesener Ko¬ saken konnte Haarburg nicht mehr gewinnen, sondern mußte sich zu Stade einschiffen, und gelangte auf diese Art am 30. April nach Hamburg. Damit der Feind nicht versuchte nachzufolgen, wurden die vorhandenen Fahrzeuge so viel als moͤglich auf das rechte Elbufer heruͤbergezogen oder zerstoͤrt, die Inseln und Ueber¬ gangspunkte aber durch ausgestellte Posten bewacht, hin und wieder sogar durch aufgefahrnes Geschuͤtz gesichert. Der Marschall Davoust hatte sich nun wirklich mit dem General Sebastiani vereinigt, und beide blieben einige Zeit in der Gegend von Haarburg und Luͤne¬ burg unschluͤssig stehen; da sie aber den schwierigen Elbuͤbergang nicht zu unternehmen wagten, und ihre wohlersonnene aber vereitelte Bewegung keinen weitern Zweck haben konnte, so kehrte der General Sebastiani mit seinen Truppen wieder nach der Gegend von Mag¬ deburg zuruͤck, der Marschall Davoust hingegen behielt mit seiner Hauptmacht Luͤneburg und Winsen besetzt, von hieraus die wichtigsten Elbuͤbergaͤnge bewachend und bedrohend, und sandte zugleich abwaͤrts nach Stade und Kuxhaven starke Schaaren, um sich dieser Orte zu versichern. Der englische Major von Kenzinger be¬ gab sich mit seiner Mannschaft von Kuxhaven an Bord der daselbst liegenden Kriegsschiffe. Von jetzt an trat fuͤr Hamburg die verhaͤngnißvolle Zeit ein, da von Tag zu Tag in unaufhaltsamer Ent¬ wicklung sein Untergang naͤher kam, der nun durch den stets mit neuen Mitteln erneuerten Widerstand noch eine Zeit lang aufgehalten wurde, bis die Erschoͤpfung dieser Mittel mit der Vermehrung derer des Feindes in groͤßtem Mißverhaͤltnisse stand, und laͤngere Gegen¬ wehr zuletzt unmoͤglich machte! Bei der großen Ue¬ bermacht der Franzosen konnte man nicht hoffen, durch Angriffe die Vertheidigung kraͤftig zu fuͤhren, man sah sich auf die trostlose Vertheidigung der bloßen Abwehr beschraͤnkt, und fuͤr lange Zeit darauf angewiesen, alle Bewegungen und Anstalten nur nach denen des Fein¬ des abzumessen. Die Franzosen naͤherten sich der Elbe mit großer Vorsicht; es vergingen einige Tage, ehe Davoust sein Hauptquartier uͤber Winsen hinaus nach Haarburg zu verlegen wagte. Tettenborn hatte, wie schon erwaͤhnt, mit aller Sorgfalt Schiffe, Kaͤhne und Boote von dem jenseitigen Ufer auf das diesseitige schaffen lassen, um dem Feinde den Uebergang wenigstens zu erschweren, aber freilich konnte die weite Strecke des Ufers von Kuxhaven bis Haarburg, mit allen Inseln, Fluͤssen und Kanaͤlen, nicht so beaufsichtigt werden, daß nicht Schiffe versteckt geblieben, oder von der daͤnischen Seite wieder hinuͤbergegangen waͤren; in einer auf den Verkehr zu Wasser seit Jahrhunderten eingerichteten Gegend, wo fast jeder Anwohner des Stroms ein Schiffer ist, und selbst die taͤglichen Beduͤrfnisse des Lebens von den Bauern zu Schiffe nach den Maͤrkten gefuͤhrt werden, ließ sich um so weniger in der kurzen Zeit eine genuͤ¬ gende Maßregel verfuͤgen, als man an die meisten Orte nur den Befehl, nicht aber Leute ihn auszufuͤhren, schicken konnte, und ein großer Theil des Ufers, das daͤnische der ganzen Laͤnge Holsteins nach, der russischen Anordnung nicht Folge zu leisten brauchte. Dessenun¬ geachtet hatten die Franzosen in der ersten Zeit große Muͤhe, auch nur einige Kaͤhne zu finden, und als sie deren eine geringe Zahl versammelt hatten, sahen sie dieselben gleich darauf durch eine von Tettenborn zu diesem Handstreich ausgesandte Abtheilung Mecklenbur¬ ger abgeholt. Sie ließen jedoch nicht nach, sich deren neue zu verschaffen, und an dem Eifer, womit sie die¬ selben zum Theil auf Wagen aus den innern Fluͤssen herbeifuͤhrten, konnte man entnehmen, auf wie ernst¬ liche Unternehmungen es abgesehen war. So hatten sie unter andern auch aus der Este eine Anzahl Schiffe gefuͤhrt, und Leute aus der umliegenden Gegend ge¬ preßt, um dieselben nach Haarburg zu bringen. In der Nacht des 5. Mai's schifften abermals etwa 100 Meck¬ lenburger unter der Anfuͤhrung ihres Obersten von Both dahin, stiegen unter dem feindlichen Feuer an's Land und stuͤrzten auf die Franzosen los, die mit Hin¬ terlassung einiger Todten und Verwundeten die Flucht ergriffen. Man setzte die gepreßten Leute in Freiheit, und sie entliesen sogleich voller Freuden in ihre Hei¬ math, die Schiffe aber, einige 20 an der Zahl, wur¬ den weggefuͤhrt. Ein Schiffer, der einen Franzosen zur Aufsicht hatte, damit er nach Haarburg schiffte, sperrte ihn, als er seekrank wurde, in die Kajuͤte ein, und meinte, da doch die Franzosen sagten, sie wollten nach Hamburg gehen, so waͤre es wohl am besten, diesen gleich dorthin zu bringen. Unter solchem wie¬ derholten Verdruß und vielfacher Muͤhe brachte der Feind doch einige Fahrzeuge endlich zusammen, baute aber, da sie nicht hinreichten, zu gleicher Zeit Floͤße, die zum Uebersetzen von Truppen dienen sollten. Der Marschall Davoust war inzwischen nach Bremen zu¬ ruͤckgekehrt und hatte dem General Vandamme die Lei¬ tung der Sachen uͤberlassen. Tettenborn's Aufgabe war, Hamburg auf das aͤus¬ serste zu vertheidigen, und er hatte von Anfang laut erklaͤrt, daß er hiezu fest entschlossen sei. Sein Ent¬ schluß wurde zwar von manchen Seiten getadelt, auch von sonst Kriegskundigen, die nur das Unmilitairische der Stellung in's Auge faßten. Allein die Wichtigkeit des Platzes, die Verpflichtung gegen die Einwohner, und die aus dem großen Hauptquartier empfangenen Weisungen durften kein Zuruͤckweichen erlauben, so lange nur noch die Moͤglichkeit des Behauptens fort¬ dauerte. Demnach ordnete Tettenborn folgende Ma߬ regeln an. Der groͤßte Theil der Reiterei wurde aus der Stadt, wo sie nur hindern konnte, und im Fall eines Ungluͤcks verloren war, hinausgezogen und auf das Land verlegt. Das Fußvolk, in allem etwa 3300 Mann stark, wurde folgendermaßen vertheilt. Das erste hanseatische Bataillon besetzte die Insel Wilhelms¬ burg, das zweite die Stellung beim Eichbaum und dem Ochsenwaͤrder, das dritte den Zollenspieker und die Hooper Schanze; jedes dieser drei Bataillone zaͤhlte ungefaͤhr 600 Mann. Das Lauenburger Bataillon von 700 Mann war in Bergedorf und beim Zollenspieker vertheilt; ein Bataillon aus Bremen und Verden, nur etwa 300 Mann, ruͤckte ebenfalls nach Bergedorf, wel¬ ches der einzige Verbindungspunkt war, der mit Wall¬ moden offen blieb, und fuͤr den Fall eines Ungluͤcks gesichert sein mußte. Die hannoͤverschen Jaͤger, kaum 100 Mann, verstaͤrkten das Bataillon Hanseaten auf der Insel Wilhelmsburg. Zur Besetzung der Stadt Hamburg selbst blieb nur das Bataillon Mecklenbur¬ ger, 700 Mann stark, von denen jedoch zwei Compag¬ nieen gleichfalls nach Wilhelmsburg beordert waren, und dann noch ungefaͤhr 3000 Buͤrgergarden uͤbrig, denn nur so viele hatte man von 7200 eingeschriebenen gehoͤrig bewaffnen koͤnnen. Von dem schweren Geschuͤtz, das sich auf der hamburgischen Admiralitaͤt noch vor¬ raͤthig gefunden, waren zwei Vierundzwanzigpfuͤnder auf Lavetten gebracht, und einer beim Zollenspieker, der andere auf der Spitze von Wilhelmsburg gegenuͤber Haarburg, so wie an jedem dieser Punkte noch zwei leichtere Kanonen und eine Haubitze aufgepflanzt wor¬ den. Auch Schiffe hatte man eiligst ausgeruͤstet und bemannt; ein Kutter von 6 kleinen Kanonen lag bei Haarburg, ein anderes Schiff von eben so vielen Ka¬ nonen beim Zollenspieker, die haarburgische Jacht von 8 Kanonen dicht vor dem Hafen. Die Seeleute, welche sich auf diesen Schiffen befanden, waren eben so we¬ nig, wie ihre Anfuͤhrer, mit dem Kriegsdienste ver¬ traut, und dieser Umstand verminderte sehr den Ge¬ brauch einer Waffe, bei der, mehr als bei jeder andern, Kenntniß und Urtheil den tapfern Muth unterstuͤtzen muͤssen. Die Ueberschwemmungen wurden bereit ge¬ halten, die Schanzarbeiten unablaͤssig fortgesetzt. Tet¬ tenborn saͤumte nicht, die ploͤtzlich bedraͤngt gewordene Lage von Hamburg sowohl an Wallmoden und in das Kaiserliche Hauptquartier, als auch nach London und Stralsund zu berichten, an welchem letzteren Orte stuͤnd¬ lich der Kronprinz von Schweden erwartet wurde, dessen Truppen schon groͤßtentheils in Mecklenburg stan¬ den, und den Franzosen der Zahl nach wohl die Spitze bieten konnten. Aus England erwartete man eine An¬ zahl Kanonierschaluppen, die zur Beherrschung der Elbe und ihrer Inseln unentbehrlich und von Tettenborn dringend gefordert worden waren; zwar konnte ihre Ankunft durch die Daͤnen bei deren noch zweifelhaften Verhaͤltnisse zu England erschwert, aber selbst durch die Kanonen der Festung Gluͤckstadt nicht ganz gehin¬ dert werden, und man durfte hoffen, daß die daͤnischen Befehlshaber in Holstein, welche von der Sendung des Grafen von Bernstorff nach London unterrichtet wa¬ ren, den Englaͤndern nicht allzu große Schwierigkeiten machen wuͤrden. Von der Hoͤhe des St. Michaelisthums ließ Tet¬ tenborn jede Bewegung der Franzosen genau beobach¬ ten; man sah ihren Uebungen und Anstalten zu, und zaͤhlte im voraus jedes Stuͤck Geschuͤtz, das sie in ihre Batterien auffuͤhren wollten. Noch glaubte er sie durch Scheinangriffe hinhalten zu koͤnnen, und ließ bald ihre Uebungen durch Kanonenschuͤsse stoͤren, bald mitten in der Nacht vierundzwanzigpfuͤndige Kugeln in ihr Lager senden, und sogar kleine Abtheilungen wieder uͤber die Elbe setzen, und die Gegend beunruhigen. Am 6. Mai fruͤh ging ein Theil des zweiten hanseatischen Batail¬ lons, von dem Ochsenwaͤrder aus, auf das jenseitige Ufer; noch ehe dies voͤllig erreicht war, sprangen die jungen Leute ungeduldig aus den Kaͤhnen in's Wasser, und wateten dem Deiche zu, den der Feind sehr gut besetzt hatte; der ungestuͤme Angriff warf ihn aber auf seine Unterstuͤtzungsposten zuruͤck, wo das Gefecht an¬ derthalb Stunden lang mit hartnaͤckiger Tapferkeit von den Hanseaten fortgesetzt ward, die sich vor dem uͤber¬ legenen Feind erst dann zuruͤckzogen, als sie sich ver¬ schossen hatten. Ihr Verlust war gering, er bestand in 2 Todten und 10 Verwundeten, waͤhrend der Feind durch die Ueberraschung und anfaͤngliche Flucht viele Leute verloren hatte. Der Wechsel des Krieges wog aber diese kleinen Vortheile bald wieder durch eben solche Nachtheile auf, welche durch keine Achtsamkeit und Sorgfalt voͤllig zu vermeiden sind. Durch einen ungluͤcklichen Zufall ging so der bei Haarburg aufgestellte Kutter verloren, in¬ dem waͤhrend der Ebbe, da er auf dem Grund lag, einige Franzosen herangeschlichen und hinaufgeklettert waren, wo sie die schlafende Wache niedermachten und die Besatzung gefangen nahmen. Damit dieses Schiff den Franzosen, welche dasselbe sogleich stark besetzten und flott zu machen suchten, nicht gewonnen bliebe, so schoß man es durch den auf der Wilhelmsburg aufge¬ pflanzten Vierundzwanzigpfuͤnder voͤllig zusammen, und toͤdtete oder verwundete zu gleicher Zeit einen großen Theil der Besatzung, deren Klagegeschrei man verneh¬ men konnte. Auch das Schloß Haarburg wurde mehr¬ mals beschossen und mit Granaten beworfen, weil man das franzoͤsische Hauptquartier darin vermuthete; der Versuch, es in Brand zu setzen, wollte jedoch nicht gelingen. Es fand kein Zweifel daruͤber Statt, daß Hamburg sich in einer hoͤchst bedrohenden Lage befaͤnde; die fran¬ zoͤsischen Truppen sah man mit jedem Tage sich ver¬ mehren, und nach Maßgabe dieser Vermehrung sich zu einstlicherern Unternehmungen bereiten. Sie waren mei¬ stens ungeuͤbte neue Soldaten; doch dieser Umstand traf leider die Truppen, denen die Vertheidigung Ham¬ burgs oblag, in groͤßerem Maße, und war bei den Franzosen, die wegen ihrer Zahl und Stellung die Angreifenden sein mußten, durch die Kraͤftigung, welche der Angriff gewaͤhrt, einigermaßen aufgewogen. Der Fuͤrst Dolgoruky, der in diesen Tagen aus Kopenha¬ gen in Hamburg eintraf, versicherte zwar, die Daͤnen wuͤrden niemals zugeben, daß die Franzosen wieder nach Hamburg kaͤmen; allein es war Tettenborn nicht verborgen geblieben, daß die Daͤnen, verdrießlich uͤber die vereitelte Hoffnung, die Hansestaͤdte an sich zu bringen, noch immer in Ungewißheit schwankten, und manche zweideutige Schritte thaten, indem sie mit den Franzosen neue Verbindungen suchten. Die Einwoh¬ ner Hamburgs, welche von den Freuden und den Ge¬ nuͤssen der Freiheit staͤrker und staͤrker auf die Arbeiten und Drangsalen derselben hingewiesen wurden, bezeig¬ ten noch immer Eifer genug, doch war es natuͤrlich, daß viele derselben, hellsehend oder mißtrauisch, an dem Ausgange dieser schwierigen Verhaͤltnisse zweifelten, an¬ dere sogar jede Rettung fuͤr unmoͤglich hielten; die spaͤterhin immer zahlreicheren Auswanderungen, beson¬ ders der Frauen und Kinder, fingen schon in dieser Zeit an; sie konnten jedoch nicht auffallend sein, weil um Hamburg her das naͤchste holsteinische Gebiet mit Landhaͤusern besaͤet ist, die das Eigenthum von Ham¬ burgern sind, und jetzt eben auch, wie gewoͤhnlich fuͤr den Sommer bezogen wurden. Viele Schiffe, befrach¬ tete und leere, segelten aus dem Hafen, wenn auch nur bis Altona, um dort sicherer zu sein. Der Han¬ del stockte voͤllig, die meisten Gewerbe ruhten, und alles dachte nur an Waffen und Krieg, vorzuͤglich in der untersten Voklsklasse, die sich besonders thaͤtig und muthvoll zeigte, und keine andre Meinung, als die der hartnaͤckigsten Gegenwehr, aufkommen ließ. Die Ge¬ walt, womit der Donner des Geschuͤtzes unwillkuͤrlich das Gemuͤth in furchtbare Einbildungen versetzt, uͤbte jedoch auch hier ihre zauberhafte Wirkung haͤufig aus, und ein hallender Kanonenschuß brachte anfangs die ganze Stadt in Unruhe und Bedenklichkeit; die Be¬ hoͤrden dachten wenigstens das Geld zu retten, und stellten jede Auszahlung, oft der dringendsten Beduͤrf¬ nisse, vorsichtig ein, bis man nach und nach einiger¬ maßen erkannte, wie unwirksam und nichtsbedeutend oft die heftigsten Kanonaden sind. Das Vertrauen der Einsichtigern sank noch mehr, als die Nachrichten aus Sachsen nur ein langsames Vorruͤcken der verbuͤndeten Heere, und bald eine blu¬ tige Schlacht meldeten, die zwar als ein Sieg ver¬ kuͤndet wurde, aber doch das Zuruͤckgehen der Sieger zur Folge hatte. Verbunden mit diesen Nachrichten wirkte die Thatsache, daß der schon bis Bremen zu¬ ruͤckgedraͤngt gewesene Feind wieder im Angesichte von Hamburg stand, verwirrend und niederschlagend. Man wußte, daß Rußland und Preußen thaͤtig mit Oester¬ reich unterhandelten, und alle Hoffnung hatten, das Buͤndniß gegen Napoleon durch diese Macht verstaͤrkt zu sehen. Allein bis zur Ungeduld ermuͤdete das Zoͤ¬ gern, welches inzwischen alle Unternehmungen traf; man begriff die Nachsicht und Schonung nicht, welche hinsichtlich des Beitritts von Sachsen Statt fand, und man klagte laut, daß selbst die Aufrufe und Anreden an Volk und Truppen, fruͤher so reichlich ausgetheilt, jetzt verstummten. Die Unterhandlungen schienen sich verderblich zu durchkreuzen; die Fuͤhrung der Heere glaubte man, wenn sie auch in guten Haͤnden sei, doch wieder in allen den Hindernissen befangen, durch welche so oft die gemeinsamen Unternehmungen vereitelt wor¬ den. Auch glaubte man keine Buͤrgschaft der Aus¬ dauer zu erblicken, und fragte sich, was bei einem Frieden, der etwa jetzt geschlossen wuͤrde, irgend Guͤn¬ stiges fuͤr Hamburg zu erwarten sey? Uebelgesinnte suchten selbst die Absichten der Verbuͤndeten zu ver¬ daͤchtigen, die Unterhandlungen des Fuͤrsten Dolgoruky in Kopenhagen wurden zur Sprache gebracht, und es fehlte nicht an Leuten, welche geradezu behaupteten, Hamburg und Luͤbeck seien schon Eigenthum der Daͤ¬ nen, und man scheute sich nicht, angesehene Namen zu nennen, um dergleichen zu erhaͤrten. Diese Zwei¬ fel und Unsicherheiten wirkten in Hamburg und in der ganzen Umgegend hoͤchst verderblich; an die Stelle des fruͤheren Eifers trat aͤngstliches Zuruͤckhalten, ja Manche suchten im Stillen mit dem Feinde sich abzufinden, waͤhrend die Meisten doch zu weit vorgeschritten wa¬ ren, um solchen Ausweg auch nur versuchen zu koͤn¬ nen. Die englischen Behoͤrden hielten fuͤr noͤthig, um bei den hannoͤverschen Unterthanen nicht alle Lust zur Theilnahme am Kriege ersterben zu sehen, in die Zei¬ tungen eine Bekanntmachung einruͤcken zu lassen, die aus hoͤherem Auftrag die Zusicherung ertheilte, daß England niemals in die Abtretung Hannovers willi¬ gen wuͤrde. Durch diese allgemeine Bezuͤge mußte natuͤrlich auch Tettenborn sich mehr oder minder gehemmt fuͤhlen. Wirklich hatten die verbuͤndeteu Maͤchte, von ernsten Erwaͤgungen geleitet, und besonders auch durch die mit Oesterreich angeknuͤpften Verhandlungen bewogen, unter sich den Grundsatz festgestellt, daß in Deutschland fernerhin keine Aufstaͤnde und Volksbewegungen ange¬ stiftet, sondern der Eifer und die Kraft der Voͤlker nur nach Maßgabe des Vorruͤckens der Heere unter der Obhut geregelter Verwaltung benutzt werden soll¬ ten, weßhalb denn auch in den Laͤndern, welche im Ruͤcken der franzoͤsischen Heere oft ganz von Truppen entbloͤßt nur eines Anstoßes zum Ergreifen der Waffen bedurften, ein solcher nicht versucht, sondern im Gegen¬ theil die schon entzuͤndeten Flammen eher gedaͤmpft wurden. Aber dieses oͤffentlich auszusprechen, waͤre kaum thunlich gewesen, besonders da fuͤr die Franzosen die Volksaufstaͤnde das groͤßte Schreckbild blieben, und Hamburg großentheils durch dies nur sich noch erhielt. Nur selten im Falle, den Hamburgern sichre und troͤst¬ liche Nachrichten mitzutheilen, nicht befugt, ihren Eifer noch heftiger anzufachen, und nicht willens ihn zu taͤu¬ schen, sah auch Tettenborn sich genoͤthigt, in dieser Zeit, wo man Aufrufe und Bekanntmachungen am meisten erwartete, mit solchen keineswegs freigebig zu sein. Wir weisen auf diese Umstaͤnde hin, weil Unkun¬ dige ihm jene Unterlassung zum Vorwurf gemacht haben. In dieser Lage der Dinge wurde die Stadt ploͤtz¬ lich durch die Nachricht erschreckt, daß der Feind auf Wilhelmsburg gelandet sei, und indem er die fluͤchti¬ III. 22 gen Schaaren vor sich hertreibe, mit Macht gegen Hamburg vorruͤcke. Die Insel Wilhelmsburg hat einen flachen Marschboden, der uͤberall von Wassergraͤben durchschnitten ist, so daß man sich mit Truppen und Geschuͤtz nur auf den Deichen bewegen kann, welche rings in mancherlei Bogen die Insel vor der Fluth schuͤtzen, und selbst diese sind bei schlechtem Wetter kaum zu befahren. In Betracht dieses Umstandes hatte Tettenborn die suͤdliche Spitze der Insel, wegen ihrer Entlegenheit von aller Unterstuͤtzung, als durchaus un¬ haltbar gegen einen ernsthaften Angriff im voraus preis¬ gegeben, und weil man doch einmal, um die Elbe und Haarburg zu bestreichen, das Geschuͤtz dorthin hatte bringen muͤssen, wo es weder zu retten noch zu ver¬ theidigen war, die Vorkehrung getroffen, daß die Ka¬ nonen, im Falle sie zuruͤckzulassen waͤren, auf der Stelle unbrauchbar gemacht werden koͤnnten. Als der guͤn¬ stigste Ort fuͤr den Widerstand war der noͤrdliche Theil der Insel und die sogenannte Feddel ausersehn, wo auch an Verschanzungen thaͤtig gearbeitet wurde. Als daher in der Nacht vom 8. zum 9. Mai der General Vandamme, unter Beguͤnstigung der Dunkelheit, mit¬ telst zusammengebrachter Floͤße eine starke Truppen¬ macht, deren 5500 Mann bei Haarburg versammelt standen, uͤbersetzen und auf Wilhelmsburg landen ließ, mußte der Oberst Graf von Kielmannsegge, welcher auf der Insel den Befehl fuͤhrte, seine vordern Posten auf die Feddel zuruͤckziehen, und seinen eigentlichen Widerstand dort erst anheben. Allein der Feind hatte ungluͤcklicherweise die aͤußersten Feldwachen in straͤflicher Ruhe uͤberrascht, und war deßhalb schneller herange¬ kommen, als man von seiner Landung benachrichtigt war. Die Unordnung und Verwirrung, welche dadurch unter den jungen und unerfahrnen Truppen entstand, und bald, nach einigem vergeblichen Schießen, in uͤber¬ eilte Flucht uͤberging, konnte den Verlust der ganzen Insel nach sich ziehen, da eine geraume Zeit das Be¬ muͤhen der wenigen Offiziere, die fuͤr solche Faͤlle Er¬ fahrung und Kenntniß hatten, vergeblich blieb, und in dem wirren Getuͤmmel haͤtte selbst die Feddel von dem Feinde genommen werden koͤnnen. Doch wagten die Franzosen nicht, so rasch vorzugehen. Tettenborn, der sein Hauptquartier auf dem Grasbrook hatte, sandte nach Wilhelmsburg 2 Kompanieen Mecklenburger zur Unterstuͤtzung, und den Rittmeister von Canitz, der die Leitung der Sachen uͤbernahm; dieser sammelte die zer¬ streute Mannschaft, stellte ihre Reihen her, und floͤßte ihnen durch seine eigne Festigkeit neues Vertrauen und neuen Muth ein; dann setzte er sich an die Spitze der Mecklenburger, ermahnte sie mit kurzen, scharfen Wor¬ ten, und fuͤhrte sie voran zum Angriff, die Hanseaten folgten. Alles ruͤckte im Sturmschritt vor, und ehe man zum Handgemenge kam, warf sich der Feind eiligst in die Flucht, die er durch Anzuͤnden einiger 22 * Haͤuser und einer Muͤhle zu decken suchte. Waͤhrend des Verfolgens traf Canitz unerwartet den daͤnischen Oberstlieutenant von Haffner, der als Parlementair zu den Franzosen gegangen war, angeblich um sie zu be¬ nachrichtigen, daß die Daͤnen ihnen nicht gestatten wuͤr¬ den, sich wieder in den Besitz von Hamburg zu setzen. Er war von ungefaͤhr 20 Franzosen umgeben, mit denen er in die Haͤnde der Russen fiel, und dies Zwi¬ schenereigniß veranlaßte einen kurzen Waffenstillstand, waͤhrend dessen man sich wechselseitig erklaͤrte. Der Oberstlieutenant von Haffner wurde sogleich freigegeben, die ihn begleitenden Franzosen aber gefangen genom¬ men, weil auch auf deren Seite einige Hanseaten, die dem Stillstande vertraut hatten, hinterlistig waren fest¬ gehalten worden. Der Feind wurde darauf wieder unter das Feuer seiner jenseitigen Kanonen verfolgt, und in weniger Zeit die ganze Insel gereinigt, bis auf die suͤdliche Spitze, die von dem feindlichen Ge¬ schuͤtz bestrichen wurde. Dies Gefecht hatte dem Feinde an Todten, Verwundeten und Gefangenen gegen 300 Mann gekostet. Die Hanseaten und Mecklenburger hatten 150 Mann verloren, worunter 13 Offiziere. Die Kanonen, altes hamburgisches Geschuͤtz, waren vernagelt zuruͤckgelassen worden. Die Franzosen hatten gleichzeitig einen Angriff auf den Ochsenwaͤrder gemacht, und fingen an, hier sich allmaͤhlig auszubreiten, indem sie die 600 Hanseaten, welche dort aufgestellt waren, zuruͤckdraͤngten. Tetten¬ born beorderte auf diese Meldung das Lauenburgische und das dritte hanseatische Bataillon von Bergedorf und dem Zollenspieker her dem auf Ochsenwaͤrder ge¬ landeten Feind in die rechte Flanke; diese Truppen griffen lebhaft an, und die Franzosen, welche abge¬ schnitten zu werden fuͤrchteten, widerstanden nicht lange, sondern schifften sich mit einem Verlust von 200 Mann wieder ein, indem ihre Batterieen auf dem jenseitigen Ufer ein heftiges Feuer machten, um den Ruͤckzug zu decken. Die Hanseaten hatten hier etwa 150 Mann verloren, worunter 7 Offiziere. Diese beiden Gefechte waren gluͤcklich geendigt wor¬ den, allein der gute Erfolg konnte nicht die Einsicht taͤuschen, die sich aus den beiden Vorgaͤngen fuͤr die Hamburger ebensowohl, als fuͤr Tettenborn und seine Offiziere in der Schwaͤche und Mißlichkeit der ganzen Lage eroͤffnet hatte. Dem Feinde konnte diese Lage wenigstens nicht ganz verborgen geblieben sein, er durfte ohne bedeutenden Nachtheil denselben Versuch hundert¬ mal wiederholen, der ihm nur Leute, woran er Ueber¬ fluß hatte, kostete, waͤhrend auf der russischen Seite auch der Sieg die schon so geringe Truppenzahl ver¬ mindern, und ein einziger Unfall beim Zollenspieker, Ochsenwaͤrder, oder auf Wilhelmsburg, die Stadt auf's Spiel setzen mußte. Tettenborn meldete seine Lage durch Kouriere auf's neue, an allen Orten, wo er glaubte Huͤlfe und Unterstuͤtzung zu erlangen, waͤhrend er zugleich eifrig daran dachte, die vorhandenen Mittel in sich selbst zu verstaͤrken. So abgeneigt von jeher alle Kriegsleute sind, den Befehl von Landstuͤrmen, Aufgeboten und andern, mehr durch Willen und Eifer, als Zucht und Uebung, bestehenden Bewaffnungen zu uͤbernehmen, so gab doch Tettenborn sich der Noth¬ wendigkeit des Augenblicks willig hin, und versuchte, sich auf die Buͤrgergarden zu stuͤtzen, die seinem Wunsche allerdings begierig entgegenkamen, und laut begehrten, an der Vertheidigung der Stadt Theil zu nehmen, ja gegen den Feind auszumarschiren. Heß hatte in der kurzen Zeit dennoch eine gewisse Ordnung und Haltung eingefuͤhrt; der Ernst und das Gewicht der Ueberlegung ihres Zustandes entfernten jeden Uebermuth, und mach¬ ten Gesetzmaͤßigkeit und Eintracht wuͤnschen und foͤrdern. Sie mußten dem Feinde furchtbar sein, da dem ein¬ zelnen Soldaten der Volksaufstand schrecklicher und ver¬ derblicher ist, als geregelte Truppen, und da jedem bekannt war, daß diese Buͤrger genug gegen ihren ehemaligen Herrscher verbrochen hatten, um wohl zu fuͤhlen, welche Strafen sie abzuwehren haͤtten. Die neuen Vorkehrungen fanden schnell Gelegenheit sich zu bewaͤhren. Nachdem es naͤmlich den Vormittag des 10. Mai's ruhig geblieben war, entstand ploͤtzlich gegen Mittag ein großer Allarm, es hieß, die Franzosen waͤren 7000 Mann stark in Billwaͤrder eingedrungen, und ruͤckten gegen das Steinthor. Die Trommeln gingen in allen Straßen, die Sturmglocken wurden gelaͤutet, Reiter sprengten hin und her, alles eilte zu den Waffen, Schaaren von Fluͤchtlingen, mit Weibern, Kindern und Gepaͤck zogen zu den Thoren hinaus, und schlugen groͤßtentheils den Weg nach Altona ein, wo man sich einstweilen am sichersten glaubte. Die Buͤrgergarden eilten auf auf ihre Waffenplaͤtze, und fanden sich jetzt zum Ernste zahlreicher ein, als jemals zuvor zu den Uebungen. Es war ein herzerhebender Anblick, diese wackern Buͤrger mit Muth im Blick, das Gewehr oder die Pike in der Hand, aus ihren Haͤusern hervorstuͤrzen, durch die Straßen eilen, und bei ihren Bataillons eintreten zu sehn. Das friedliche, gewerbfleißige, uͤppige Hamburg schien statt des Goldes jetzt nur Eisen zu haben! Wie alles bereit stand, und gegen den Feind zu marschiren dachte, ergab sich, daß der Laͤrm bloß durch einen unbedeutenden Scharmuͤtzel, bei dem einige Schuͤsse gefallen, veranlaßt worden, und kein Franzose mehr diesseits der Elbe sei. Tetten¬ born war unterdessen nach dem sogenannten Letzten Heller hinausgeritten, wo der bedrohte Punkt zu sein schien, und hatte persoͤnlich alle Maßregeln angeordnet, um der etwanigen Gefahr zu begegnen. Ein Bataillon Buͤrgergarden wurde nach dem Grasbrook, ein anderes bis zur blauen Bruͤcke beordert, wo sie gleich alten Truppen unter freiem Himmel biwakirten. Jedoch blieb alles ganz ruhig. Die Daͤnen, ungeachtet sie bei diesen Ereignissen lauer geworden waren, und eine Ver¬ aͤnderung in den Absichten ihres Hofes voraussehn konnten, hatten gleichwohl noch keinen Gegenbefehl er¬ halten, und sollten ihrem Versprechen gemaͤß zur Ver¬ theidigung Hamburgs beitragen; Tettenborn, durch¬ drungen von der Einsicht in die Unzulaͤnglichkeit seiner eignen Mittel, und ohne Hoffnung deren groͤßere noch zu rechter Zeit von andrer Seite zu bekommen, nahm von dem entstandenen Tumult Anlaß, die Daͤnen zur Huͤlfleistung aufzufordern, die er freilich nur in der aͤußersten Noth begehren wollte, weil zu befuͤrchten stand, daß die hereingezogenen Truppen nicht wieder hinauszubringen sein wuͤrden; aus gleichem Grunde, um nicht ganz in ihre Haͤnde zu gerathen, wurde auch nur eine maͤßige Truppenzahl gefordert, da schon der Eindruck daͤnischer Uniform gut auf die Buͤrger und unangenehm auf die Franzosen wirken mußte. Tetten¬ born hatte die Unterhandlungen daruͤber mit dem Oberst¬ lieutenant von Haffner in Altona, und mit dem Ge¬ neral von Wegener, der in der Gegend von Schiffbeck etwa 3900 Mann befehligte, angefangen, und trotz dem, daß nicht wenige Schwierigkeiten gemacht wur¬ den, so weit gefuͤhrt, daß der General von Wegener endlich Abends auf dem Letzten Heller persoͤnlich er¬ schien, und alles Verlangte zu leisten versprach. Am folgenden Tage, den 11. Mai, blieb alles ruhig. Es kam ein franzoͤsischer Parlementair, der Oberstlieutenant Revest, vom Generalstabe des Gene¬ rals Vandamme, auf der Elbe am Eingange des Ha¬ fens an, und wurde von dort unter Begleitung zweier Offiziere nach dem Baumhause gebracht. Sein Ver¬ langen, den General Tettenborn zu sprechen, wurde ihm rund abgeschlagen, daher er sich bequemen mußte, ein Schreiben vom General Vandamme abzugeben, und seinen muͤndlichen Auftrag den beiden Offizieren zu sagen. Er begann mit der prahlerischen Erwaͤhnung des Siegs, welchen Napoleon bei Luͤtzen erfochten habe, und schloß mit der Aufforderung, daß die Russen Ham¬ burg, um diese wichtige Stadt nicht der Verwuͤstung auszusetzen, durch Vertrag uͤbergeben sollten. Einige zurechtweisende Antworten brachten ihn bald außer Fas¬ sung, und er wußte nun in seinem Aerger bloß uͤber die lange Zeit zu klagen, die er auf Antwort warten mußte, da man sein Schreiben nach dem Letzten Heller hatte schicken muͤssen, wo Tettenborn dasselbe erst bei seiner Wiederkehr von einer Besichtigung vorfand, und dann sogleich beantwortete. Gegen Abend fuhr der Parlementair ab, nicht ohne Schauder uͤber den An¬ blick des zahllos am Hafen wimmelnden Volkes, das in seiner Wuth kaum zu zuͤgeln war. Als es dunkel geworden, kam er unvermuthet zuruͤck, unter Betheu¬ rungen, daß die Franzosen ihn jetzt nicht mehr erken¬ nen, und vom Ufer aus das Boot in Grund schießen wuͤrden, worauf man ihm denn bewilligte, auf dem Blockhause zu bleiben, von wo er am andern Tage nach vielem ungebaͤrdigen Betragen uͤber Wilhelmsburg nach Haarburg zuruͤckkehrte. Das Volk bezeigte ein großes Vergnuͤgen daruͤber, daß ihn Tettenborn nicht hatte sprechen wollen, und obgleich uͤber seine Sen¬ dung nichts bekannt gemacht wurde, so war es doch bald ruchtbar, daß seine Aufforderung schnoͤd' abge¬ wiesen worden. Den 11. Abends ruͤckten nun wirklich die Daͤnen in Hamburg ein, zur unbeschreiblichen Freude der Ein¬ wohner, die sich nun schon ganz gerettet und fuͤr im¬ mer gesichert glaubten; ein Bataillon nebst 10 Kano¬ nen zog auf den Grasbrook, ein anderes wurde auf dem Hamburgerberg aufgestellt, ebenfalls von einer Batterie unterstuͤtzt, waͤhrend andere Truppen sich bei Bergedorf versammeln sollten, um den Zollenspieker im Auge zu behalten. Mit unglaublichem Eifer wurde fuͤr die Daͤnen von den Buͤrgern gesorgt; nur daß sie im Biwak lagen, sonst konnten sie Gaͤste scheinen, die man eingeladen, um sie zu bewirthen, so reichlich wurde ihnen an Speise und Getraͤnken das Beste dargereicht. Sie erschienen als gute Nachbaren, die in der Noth huͤlfreich bei der Hand sind, und die brave Mannschaft hatte in der That keinen andern Wunsch, als nun wirklich einmal auf die Franzosen loszuschlagen, mit welchen sie durch einen verabscheuten Bund, der ihren Groll eben so sehr heimlich genaͤhrt, als oͤffentlich zu¬ ruͤckgehalten hatte, so lange Zeit vereinigt geschienen. Um die Daͤnen gleich in die Sache thaͤtig einzu¬ fuͤhren, und ihre Anwesenheit bestens zu benutzen, wollte Tettenborn am folgenden Tage einen allgemeinen An¬ griff auf die Wilhelmsburg machen, wozu auch einige Kompanieen Buͤrgergarden sich freiwillig erboten. Hier aber zeigten sich gleich die Bedenklichkeiten der daͤni¬ schen Anfuͤhrer; sie hatten bei Bewilligung der Huͤlfe nach den fruͤher erhaltenen Befehlen gehandelt, die sie jetzt, bei so sehr veraͤnderten Umstaͤnden, gegenuͤber den wieder zum Angriff herangeruͤckten Franzosen, nicht mehr in ganzem Umfang auszufuͤhren und doch auch nicht ganz zu unterlassen wagten; sie sahen wohl, daß Tettenborn ernstlich vorhabe, sie mit in den Krieg hinein zu verwickeln, und zu Maßregeln zu treiben, die in Kopenhagen gemißbilligt werden konnten; doch wollten und durften sie auch nicht unnuͤtz dastehn, waͤh¬ rend selbst die Buͤrger in's Feuer gingen, und so stell¬ ten sie denn, nach vielem Verhandeln, die Bedingun¬ gen fest, daß ihre Truppen, ihr Geschuͤtz und ihre Ka¬ nonenboote vertheidigungsweise aus ihren jetzigen Stel¬ lungen dem Feinde wehren wuͤrden, nach Hamburg vorzudringen; daß aber nur zwei Kompanieen auf Wil¬ helmsburg hinuͤbergeschifft werden sollten, um die dor¬ tige Besatzung zu verstaͤrken. Die letztere Beschraͤnkung blieb wenigstens noch geheim, und ließ denn doch fuͤr Freund und Feind die Thatsache sichtbar werden, daß die Daͤnen gegen die Franzosen kaͤmpften, und schon um deßwillen befahl Tettenborn, sobald die zwei Kom¬ panieen uͤbergesetzt waren, rasch zum Angriff vorzu¬ ruͤcken. Dies geschah von der Feddel her mit großem Ungestuͤm; Daͤnen, Mecklenburger, Hanseaten, Buͤr¬ gergarden, alles wetteiferte an Tapferkeit, und eine franzoͤsische Brigade leichter Truppen unter dem Ge¬ neral Gengould wurde in die Flucht geschlagen. Ge¬ neral Vandamme eilte hierauf selbst herbei, und stuͤrzte mit der Division Dufour auf die Verbuͤndeten, die in zu lebhaftem Verfolgen ihre Ordnung nicht genug be¬ wahrt hatten, und nun, von der großen Uebermacht gedraͤngt, sie so schnell nicht wiederfinden konnten. Das Gewehrfeuer war sehr heftig, kaum eine Viertel¬ stunde hielten die kleinen Schaaren den Andrang der großen Massen zuruͤck, dann aber mußten sie den Ruͤck¬ zug nach der Feddel nehmen. Hier war eine Kanone auf dem Deiche aufgepflanzt, die aber den Feind nicht beschießen konnte, weil die eignen zuruͤckkommenden Truppen den Weg versperrten. Eine Schanze lag seit¬ waͤrts des Deiches, um die Ruͤckkehrenden aufzuneh¬ men, die von hieraus dem Feinde, der auf dem Deiche marschiren mußte, jedes weitere Vordringen untersagen, und sich gegen eine viel groͤßere Uebermacht halten konnten. Ungluͤcklicherweise ergriff der Schrecken des ploͤtzlich herangenaheten Gefechtes eine Anzahl von eini¬ gen hundert Schanzarbeitern, die aus der Schanze auf den Deich und eiligst ruͤckwaͤrts nach dem Ueberschiffungs¬ platze flohen, ihr Hinausdringen hinderte die Truppen sich in die Schanze zu werfen, vermehrte die Verwir¬ rung, und riß endlich alles in uͤbereilte Flucht fort; die Truppen, anstatt die Schanze zu besetzen und von dort aus den Feind zu hemmen, suchten nur die Schiffe zu erreichen, um nach dem Grasbrook zuruͤck zu ge¬ langen. Man machte den Daͤnen den Vorwurf, die Flucht begonnen zu haben, wenigstens hatte Tetten¬ born sie mit Absicht an die Spitze des Angriffs geord¬ net; die Hanseaten waren die letzten, welche das Feld raͤumten, und verloren am meisten, unter andern ihren Bataillonsfuͤhrer, der mit einer Anzahl seiner Leute in die Schiffe nicht mehr aufgenommen werden konnte und gefangen wurde. Auch die Daͤnen und die Buͤr¬ ger hatten einige Mannschaft verloren; einige Daͤnen aber, die von den Franzosen gefangen worden, schickte der General Vandamme zuruͤck, indem er behauptete, Frankreich sei mit Daͤnemark nicht im Kriege. Das verlorne Geschuͤtz war von geringem Werthe. Unterdessen hatte auch das zweite hanseatische Ba¬ taillon von dem Ochsenwaͤrder wieder nach Wilhelms¬ burg uͤbergesetzt und gleichfalls die Franzosen ange¬ griffen, suchte besonders nach dem Ueberschiffungspunkte der Franzosen zwischen Haarburg und Wilhelmsburg vorzudringen, um sie abzuschneiden und sie den andern, von der Feddel andringenden Truppen entgegen, zwi¬ schen zwei Feuer zu bringen. Der Anfang war unge¬ mein gluͤcklich; bald aber drang auch hier der Feind, der inzwischen durch eine ganze Brigade, deren Anfuͤh¬ rer ein in franzoͤsische Dienste getretener Fuͤrst von Reuß war, mit großer Uebermacht auf die Hanseaten ein, die eine Stunde weit bis zu ihrem Landungsplatze in guter Ordnung und unter bestaͤndigem Feuern zuruͤck¬ wichen; hier aber konnten die Schiffe die ganze Mann¬ schaft nicht auf Einmal uͤbersetzen, sie fuhren mehrmals hin und her, und holten immer mehrere Leute ab, die noch auf dem Wasser fleißig feuerten, waͤhrend die Zu¬ ruͤckbleibenden entschlossen gegen den Feind Stand hiel¬ ten, der sie von allen Seiten umgab, und ihnen zu¬ rief, sich zu ergeben. Mit dem Ruͤcken gegen das Wasser, im Angesicht und zu beiden Seiten die feind¬ liche Uebermacht, blieb ihnen, als sie sich verschossen hatten, kein Ausweg uͤbrig. So fiel auch der Anfuͤh¬ rer dieses Bataillons mit etwa 300 Mann in feind¬ liche Haͤnde. Der traurige Ausgang dieser Gefechte ist nicht zu verwundern, wenn man die Uebermacht der Franzosen, die selbst aus den Berichten des Generals Vandamme, wo nur von Brigaden und Divisionen die Rede ist, hervorgeht, und gegen welche auf unsrer Seite, alles mitgerechnet, hoͤchstens 2000 Mann gefochten, in An¬ schlag bringt, und doch lag es nur an einigen Zufaͤllen, die oft im Kriege so bedeutend werden, und sich nicht beherrschen lassen, daß nicht der Tag zum Nachtheil der Franzosen endigte. Da der Feind jetzt Meister der ganzen Insel Wil¬ helmsburg und der daran stoßenden Feddel war, so konnte er aus dieser Naͤhe die Stadt mit Granaten und Bomben bewerfen, und es war vorauszusehn, daß dies eine große Bestuͤrzung hervorbringen wuͤrde. Die beiden hanseatischen Bataillons waren groͤßtentheils auf¬ gerieben, der Ueberrest erschoͤpft und zerstreut. Der uͤble Erfolg verbreitete allgemeinen Mißmuth; die Buͤr¬ ger hatten Augenblicke der Entflammung, wo sie be¬ gehrten die Feddel und Wilhelmsburg wieder zu neh¬ men, allein in ihrer Unkunde des Kriegs quaͤlten sie sich neben diesem Muthe auch wieder mit tausend Mei¬ nungen und Besorgnissen unnuͤtz ab. Ueberall waren gefahrvolle Posten, viele darunter von hoͤchster Wichtig¬ keit, und keiner konnte hinreichend mit Truppen besetzt werden, auf deren kriegsgeuͤbte Festigkeit waͤre zu rech¬ nen gewesen. Die geringste Unternehmung des Fein¬ des, die jetzt gelang, konnte entscheidend werden. Zwar legten einige daͤnische Kanonenboote sich zwischen die Inseln und die Stadt, allein der Wechsel der Ebbe und Fluth hinderten sie, zu den guͤnstigen Stellen hin¬ zudringen, und sie konnten nur einen Theil der vielen Uebergangspunkte bestreichen. Tettenborn behielt sein Hauptquartier auf dem Grasbrook, und ließ hier, der Feddel gegenuͤber, einige Batterieen errichten; ungefaͤhr 1000 Buͤrgergarden und eine Abtheilung Mecklenburger nebst den Daͤnen biwakirten ruͤckwaͤrts davon. Als Befehlshaber auf dieser Seite wurde der Oberst von Both bestellt. Auf dem Hamburgerberge standen Buͤr¬ ger mit ihrem Geschuͤtz, und die Daͤnen mit dem ihri¬ gen; der Oberstlieutenant von Gunderstrupp vom Isum¬ schen Husarenregiment fuͤhrte hier den Befehl. Das Bataillon von Bremen und Verden, unter Anfuͤhrung des Majors von Busch, wurde nach dem Stadtdeiche gezogen, und ihm ebenfalls Buͤrger zugegeben, von denen auch eine starke Abtheilung zur blauen Bruͤcke geschickt wurde. Den Hafen, die Thore, das ganze Innere der Stadt hatten die Buͤrger besetzt. So war die Lage der Dinge nach dem ungluͤcklichen Verluste der Insel, nicht eben troͤstlich, doch nicht ganz ohne Hoffnung. Allein sie sollte nicht lange mehr so verbleiben, und gleich an demselben 12. Mai, wo das zwiefache Gefecht Statt gefunden hatte, erhielt Tettenborn eine Nachricht, die nicht unheilbringender haͤtte sein koͤnnen. Der daͤnische Abgesandte Graf Joachim von Bernstorff war in England gar nicht angenommen, sondern schnoͤde zuruͤckgewiesen worden, indem das englische Kabinet er¬ klaͤrte, mit Daͤnemark nur im Einverstaͤndnisse Schwe¬ dens unterhandeln zu wollen. Die Wirkung einer sol¬ chen Abweisung war leicht zu berechnen, es stand zu erwarten, daß Daͤnemark nun auf’s neue sich an Frank¬ reich anschließen, oder, wenn nicht dies, doch auf jeden Fall seine Truppen zuruͤckziehen wuͤrde; in fuͤnf bis sechs Tagen konnte der Befehl dazu eintreffen, denn der Graf von Bernstorff war bereits zu Gluͤckstadt an’s Land gestiegen und auf dem Wege nach Kopenhagen. Diese schreckliche Voraussicht so lange als moͤglich ge¬ heim zu halten, um bis auf die letzte Stunde der daͤ¬ nischen Truppen noch versichert zu bleiben und die Buͤrger nicht allen Muth verlieren zu lassen, mußte des Generals erste Sorge sein, die zweite auf Mittel zu sinnen, den unabwendbaren nahen Verlust durch irgend eine neue Huͤlfe zu ersetzen. Die dringendsten Berichte sandte er an Wallmoden und in das große Hauptquartier; allein in letzterem mußte die entlegene hamburgische Sache gegen dringend nahe Angelegen¬ heiten zuruͤckstehen, und Wallmoden hatte den gemesse¬ nen Befehl, seine ganze Aufmerksamkeit auf die mitt¬ lere Elbe und die Gegend von Magdeburg zu wenden. Der Kronprinz von Schweden war noch nicht ange¬ kommen, Briefe und abgesandte Boten erwarteten ihn in Stralsund. Unter diesen Umstaͤnden blieb nichts anderes uͤbrig, als zu versuchen, ob nicht die schwedi¬ schen Truppen, die in Mecklenburg, den Kronprinzen abwartend, stillstanden, zur Rettung Hamburgs herbei¬ zuziehen waͤren. Tettenborn wandte sich an den Ge¬ lll . 23 neral Doͤbbeln, der mit einer schwedischen Division am naͤchsten stand, und schilderte demselben die bedraͤngte Lage Hamburgs mit der Aufforderung, in dieser Noth Huͤlfe zu leisten; allein die Unterhandlung zog sich in die Laͤnge und blieb noch unentschieden. Die Franzosen saͤumten indeß nicht, ihre Fortschritte zu benutzen, und neue zu versuchen. Nachdem sie sich auf der Wilhelmsburg festgesetzt und von dieser Seite der Stadt nahe gekommen waren, trachteten sie auch den Uebergang beim Zollenspieker zu erzwingen, wo¬ durch Bergedorf und die einzige Verbindung zwischen Tettenborn und Wallmoden bedroht worden waͤre. In der Nacht des 13. Mai's, nachdem die Hooper Schanze auf dem jenseitigen Ufer von den Hanseaten schon fruͤ¬ her hatte geraͤumt werden muͤssen, landeten etwa 220 Franzosen unter einem heftigen Kanonenfeuer auf einer kleinen Elbinsel beim Zollenspieker, um zum weitern Uebergang vorlaͤufig festen Fuß zu fassen. Der tapfre Major von Berger hatte aber nicht sobald ihren Lan¬ dungsplatz in der Dunkelheit entdeckt, als er Bretter uͤber einige Boote werfen und 200 Mann Hanseaten und Lauenburger unter dem Hauptmann von Lucadou dahin uͤbersetzen ließ. Die Kaͤhne des Feindes waren grade zuruͤckgekehrt, wahrscheinlich um andere Truppen nachzuholen. In dieser Lage war ihm kein Ruͤckzug moͤglich, und gezwungen unterhielt er anderthalb Stun¬ den das heftigste Gewehrfeuer, dann aber stuͤrmten die Hanseaten und Lauenburger, von ihrem tapfern An¬ fuͤhrer ermuntert, mit gefaͤlltem Bajonet hervor, wor¬ auf die Franzosen die Waffen wegwarfen und sich ge¬ fangen gaben. Mehrere, die sich durch Schwimmen retten wollten, ertranken, uͤber 70 waren getoͤdtet, die uͤbrigen, worunter 40 Verwundete, gefangen. Der Verlust der Unsern betrug 24 Mann, worunter 2 Offi¬ ziere. Diesem verungluͤckten Versuche ließen die Fran¬ zosen hier keinen zweiten folgen; man begnuͤgte sich ge¬ genseitig, von Zeit zu Zeit das Geschuͤtz auf einander spie¬ len zu lassen, wo unsre vierundzwanzigpfuͤndigen Kugeln dem Feinde großen Schaden verursachten, und unter an¬ dern ein paar Schiffe voll Franzosen, die sich vom Ufer in die Mitte des Stroms gewagt hatten, in Grund bohrten. Der Wechsel von Bestuͤrzung und Freude, den diese Vorfaͤlle erregten, erhielt alles in unruhiger Span¬ nung; die nahe Bedraͤngniß fuͤhrte aber, bei allen Stuͤr¬ men der Gedanken und Gemuͤther, immer auf's neue zu der ungewoͤhnlichsten Thaͤtigkeit. Die Zahl der Ar¬ beiter an den Waͤllen wurde verdoppelt und verdrei¬ facht. Die Buͤrgergarde raffte die Leute von den Straßen dazu weg; ohne Waffen durfte sich kein Mensch mehr blicken lassen; die Thore wurden genau bewacht, Pferde und Wagen zum Dienste der Stadt zuruͤckge¬ halten, kein Mann hinaus gelassen, damit sich niemand der Schanzarbeit und den Waffen entzoͤge; wer im geringsten verdaͤchtig schien, wurde angehalten und auf 23 * die Hauptwache gefuͤhrt, die bald mit Verhafteten an¬ gefuͤllt war. Alles dieses thaten die Buͤrger aus eig¬ ner Bewegung mit dem groͤßten Eifer, der freilich oft genug sich in unnoͤthiger und verkehrter Thaͤtigkeit ab¬ muͤdete; zum Verwundern ist es, wie bei dieser Masse von Bewaffneten, die zum Theil ohne Befehl und Aufsicht blieben, und aus allen Volksklassen zusammen¬ getreten waren, waͤhrend so vieler heftigen Anlaͤsse, nichts Ausschweifendes noch Unwuͤrdiges, keine Beleidigung noch Unordnung vorfiel. Der General mit dem groͤ߬ ten Theil seiner Offiziere, alle Truppen und die mei¬ sten Buͤrgergarden, befanden sich außerhalb der Stadt, der Senat und die uͤbrigen Behoͤrden hielten sich zu¬ ruͤckgezogen, keine Regung ging in dieser Zeit von ih¬ nen aus, keine Absicht oder Gesinnung wurde von ih¬ nen in diesen stuͤrmischen Tagen kund gegeben. Das, was sie nothgedrungen besorgen mußten, die Verpfle¬ gung der Truppen unter andern, geschah mit der groͤ߬ ten Unordnung, auf manchen Posten litt die Mann¬ schaft uͤber vierundzwanzig Stunden lang Mangel, in einer Stadt, wo alles in Fuͤlle und die Zahl der Trup¬ pen hoͤchst gering war; sogar die eignen Mitbuͤrger die unter tausend Ungemach auf entlegnen Posten stan¬ den, wurden haͤufig vergessen. Außerdem waren die Sendungen von Lebensmitteln beim Abgehen meist groͤ¬ ßer, als beim Ankommen. Unter solchen Umstaͤnden mag die Stadt das Vierfache dessen bezahlt haben, was wirklich verbraucht worden ist. Eine allgemeine Unzufriedenheit aͤußerte sich laut und heftig gegen diese Unordnung. Gegen einzelne Personen wurden Beschul¬ digungen ausgesprochen, welche zwar grundlos, aber darum nicht minder gefahrvoll waren. Besonders ver¬ daͤchtigte man die wieder eingetretenen Mitglieder des Senats, welche auch unter den Franzosen Aemter ge¬ fuͤhrt hatten. Fuͤr Tettenborn's Verhaͤltniß und Lage war dies alles hoͤchst beschwerlich und nachtheilig. Am 14. Mai glaubten die Vorposten bei anbre¬ chendem Tage durch den Nebel große Massen franzoͤsi¬ schen Fußvolks auf der Feddel zu sehn, die gegen das Ufer marschirten, um sich einzuschiffen, sogar Kanonen meinte man zu erkennen, und als diese Meldung sich in der Stadt rasch verbreitete, hielten die Einwohner jetzt den nachdruͤcklichsten Angriff auf den Grasbrook, der kaum noch zu vertheidigen schien, fuͤr gewiß, ja die Waͤlle der Stadt selbst sah man schon in den Haͤn¬ den des Feindes. Die Sturmglocken und Trommeln riefen die Einwohner zu den Waffen, waͤhrend das Fluͤchten der Wehrlosen nach Altona und auf das Land das Getuͤmmel vermehrte. Die Batterieen der Buͤrger auf dem Grasbrook donnerten unaufhoͤrlich, und grau¬ senvolle Ungewißheit, ob der Feind schon gelandet sei, ob er vordringe, machte den Zustand der Einwohner verzweiflungsvoll. Die Allarmplaͤtze waren jedoch mehr als jemals von Bewaffneten erfuͤllt, indem auch solche, die sonst den Dienst meiden mochten, sich jetzt einfan¬ den. Als der Nebel verging, sah man keinen Feind auf der Feddel, die Franzosen lagen ruhig hinter den Deichen, und von Batterieen fand sich keine Spur. Indeß wurde auch in den folgenden Tagen, da alles still blieb, und der Feind sich begnuͤgte, seine kuͤnftigen Angriffe vorzubereiten, niemand der Ruhe froh, son¬ dern alles lebte in angstvoller Erwartung, die von dem kleinsten Anlaß in heftige Bewegung gesetzt wurde. Das Ungluͤck, das sich naͤherte, kuͤndigte sich den ge¬ spannten Gemuͤthern in finsterer Schrecklichkeit an, die Mittel, es abzuwehren, lagen zu sehr vor Augen, als daß jetzt nicht ihr Mißverhaͤltniß unwidersprechlich ein¬ geleuchtet haͤtte, und die ruhigen Daͤnen erschienen eben durch dieses Ruhigbleiben schon als eine unzulaͤngliche, unzuverlaͤssige Huͤlfe; daß Tettenborn, bei seinem kuͤh¬ nen nnd kriegsmuntern Geiste, mit den Daͤnen keinen Angriff unternehmen sollte, schien undenkbar, und da dennoch der Angriff auf Wilhelmsburg unterblieb, so konnte man die Ursache nur in dem Nichtwollen der Daͤnen suchen, welches die Hamburger auf das schlimmste zu deuten alle Ursache hatten. Und doch wußten die Meisten nur halb, wie die Sachen standen, und konn¬ ten die Folgen der unerwarteten Ruͤckkehr des Grafen von Bernstorff noch nicht uͤbersehen. In manchen Augenblicken schmeichelten sie sich wie¬ der mit der Fortdauer der daͤnischen Huͤlfe, mit der Annaͤherung der schwedischen, mit herbeieilender russi¬ scher oder preußischer Verstaͤrkung, mit dem bei Groß- Goͤrschen von den Russen und Preußen erfochtenen Siege und dessen zu hoffender Nachwirkung, auch auf die Verbesserung des Zustandes an der Niederelbe; waͤhrend der Eingeweihte laͤngst von allem diesen wenig oder nichts hoffen durfte, sondern von allen Seiten nur immer mehr und mehr eine verhaͤngnißvolle Wen¬ dung der Dinge herannahen sah. Die ungluͤcklichen Menschen aus ihrer Taͤuschung, sofern diese noch be¬ stand, zu reißen, verbot die Klugheit, um nicht die letzte geringe Kraft zu laͤhmen; sie absichtlich darin zu befestigen, waͤre ein grausames Spiel gewesen, das doch nicht lange haͤtte bestehen koͤnnen. Unter diesen Umstaͤnden schien das Beste, ganz zu schweigen, und nur die Thatsachen reden und wirken zu lassen, da die Triebfedern zur verzweifeltsten Gegenwehr nicht erst in den Gemuͤthern erweckt zu werden brauchten, sondern jedem Bewußtsein gluͤhend eingedruͤckt waren. Die in den Zeitungen mitgetheilten Nachrichten von dem Vor¬ ruͤcken der schwedischen Truppen an die Elbe, und andre dergleichen Angaben, waren nicht auf die Ham¬ burger, sonder auf die Franzosen berechnet, die uͤber Altona unsre Tagesblaͤtter bekamen, und durch solche Vorspiegelungen allerdings langsamer und vorsichtiger wurden. Es erschien kein Aufruf, kein Tagesbefehl, der Versprechungen gegeben oder gefordert haͤtte, man konnte nur sagen, was nicht noͤthig war zu sagen, denn der Wille und die Gesinnung bedurfte keiner Be¬ arbeitung, sondern nur Vertrauen auf sich selbst und auf nahen Beistand; letzterer mußte fremden Maͤchten durch kluges und gluͤckliches Unterhandeln gleichsam abgezwungen, ersteres in dem gaͤhrenden Volke selbst entwickelt werden, und freilich ist eine Bevoͤlkerung von 150,000 Menschen ein Stoff, aus dem sich un¬ endliche Kraͤfte entwickeln koͤnnen; wo ein solcher ge¬ geben ist, darf man nichts fuͤr unmoͤglich halten, man mußte wenigstens abwarten, was fuͤr Mittel noch an das Licht treten wuͤrden, denn was ein Volk thun wird, laͤßt sich nicht berechnen noch vorhersehn, und man durfte Hamburg nicht aufgeben, so lange es sich nicht selbst aufgab. Die Buͤrgergarde war der kleinste Theil des Volks. Sie war durch den anhaltenden Biwak waͤhrend einer regnigten Zeit, und durch den vielen, von ihr aus großem Eifer sogar uͤbertriebenen Dienst, nach wenigen Tagen erschoͤpft, und unzufrieden begehrten Viele nach Hause. Es waͤre den Meisten recht lieb gewesen, von Tettenborn angefuͤhrt mit gan¬ zer Macht sich in offnen Kampf zu stuͤrzen, und in blutiger aber kurzer Entscheidung Tod oder Freiheit zu suchen; allein solcherlei Ausfuͤhrung war weder rathsam noch moͤglich. Die Oertlichkeit einer uͤberall durch¬ schnittenen Gegend, die an unzaͤhligen Stellen bewacht werden mußte, durch Wasser, Daͤmme, Schiffe, Haͤu¬ ser uͤberall bedingt, gestattete durchaus keine Anwen¬ dung großer Massen, noch selbst deren Vereinigung unter persoͤnlichen Oberbefehl, und so legten die Um¬ staͤnde den Hamburgern grade den haͤrtesten Theil des Kriegs auf, der mehr im standhaften Ertragen unauf¬ hoͤrlicher Muͤhsale und Beschwerden, und im willigen Hingeben an die Einzelheit geringfuͤgiger Leistungen, als in den Anstrengungen der Schlacht und den begei¬ sternden Zustaͤnden der Gefahr besteht. Tettenborn sah nur zu bald erfuͤllt, was er vor¬ ausgesehn hatte; kaum war man in Kopenhagen von der Abweisung, die der Graf von Bernstorff in Eng¬ land erfahren hatte, unterrichtet, als auch sogleich an die daͤnischen Truppen der Befehl abgesandt wurde, sich zuruͤckzuziehen und Hamburg seinem Schicksale zu uͤberlassen; dieser Befehl traf am 18. Mai in Hamburg ein, und sollte sogleich ausgefuͤhrt, sowie den Franzosen dies angezeigt werden. Tettenborn bestuͤrmte den Ge¬ neral von Wegener und den Oberstlieutenant von Haff¬ ner mit Vorstellungen und Ermahnungen, um sie we¬ nigstens zu einem Aufschub in Vollstreckung jenes Be¬ fehls zu bewegen; die Eroͤrterung der Lage Daͤnemarks gegen die Verbuͤndeten, die von daͤnischer Seite schon veruͤbten Feindseligkeiten gegen Frankreich, das noch eben erst auf Wilhelmsburg vergossene daͤnische Blut, die Ehre der daͤnischen Truppen und ihre eigne Be¬ stuͤrzung uͤber diese schnelle Umkehr, kurz alles, was die persoͤnliche Gesinnung und die Kunst der Ueber¬ redung nur immer darbot, wurde angewandt, um we¬ nigstens vierundzwanzig Stunden zu gewinnen, die denn endlich auch zugestanden wurden, mit dem Ver¬ sprechen, daß erst nach deren Ablauf die Franzosen daͤnischerseits von dem Zuruͤckziehn der Truppen benach¬ richtigt werden sollten. Diese kurze Frist benutzte Tet¬ tenborn, um auf's neue Eilboten an den General Doͤb¬ beln zu senden, so wie an alle die Orte, von denen fuͤr Hamburg zwar nicht in diesem Augenblick, aber doch spaͤter Huͤlfe zu erwarten war, und fuͤr welche die Nachricht dieser Veraͤnderung große Wichtigkeit ha¬ ben mußte. Als endlich am 19. Abends, da es schon dunkel geworden war, die daͤnischen Truppen wirklich abzogen und von dem Grasbrook und Hamburgerberg ihr Geschuͤtz wegnahmen, verwandelte sich aller noch uͤbrige Muth in trostlose Niedergeschlagenheit. Die Meisten gaben alle Hoffnung auf, die Stadt, die so¬ gar mit der Huͤlfe der Daͤnen nicht gegen die große Uebermacht des Feindes sicher gewesen war, nun ohne solchen Beistand noch laͤnger zu behaupten. Zwar ver¬ kuͤndigte Tettenborn unmittelbar darauf die Annaͤherung der Schweden, die der General Doͤbbeln inzwischen wirklich versprochen hatte zu schicken, allein theils hielt man diese noch fuͤr entfernt, theils hatte ein durch die lange Gewohnheit entstandenes Gefuͤhl ihrer Lage die Hamburger in dem nachbarlichen Beistand der Daͤnen eine viel ausdauerndere Sicherheit hoffen lassen, die allerdings, wegen der Naͤhe von Altona und wegen des ganzen holsteinischen Elbufers, durch Daͤnemarks eignen Vortheil noch besonders verbuͤrgt schien. Um die Sache auf das aͤußerste zu bringen, gaben auch so¬ gleich in derselben Nacht die Franzosen ihre Kunde von dem Abzug der Daͤnen dadurch zu erkennen, daß sie die Stadt aus Kanonen und Haubitzen heftig beschossen, indem ihre Batterieen auf der Feddel in der Zwischen¬ zeit trotz des hindernden Regens fertig geworden wa¬ ren. Der Schaden, den sie anrichteten, war nicht be¬ traͤchtlich, und auf einen kleinen Theil der Stadt be¬ schraͤnkt, waͤhrend aͤngstlicher Schrecken, den der naͤcht¬ liche Donner des Geschuͤtzes und der Anblick der hoch in den dunkeln Luͤften fliegenden Granaten verursachte, die ganze Stadt erfuͤllte. Seinen eignen Kraͤften allein uͤberlassen, schien Hamburg in dieser furchtbaren Nacht einem nachdruͤcklichen Angriff erliegen zu muͤssen, den man jeden Augenblick erwartete. Die Wachsamkeit war uͤberall verdoppelt, die Posten verstaͤrkt, alle Offi¬ ziere in Thaͤtigkeit; ohne großen Verlust sollte der Feind nicht eindringen, so gewiß auch seine große Zahl von Truppen ihm dies am Ende sichern mußte; den eingedrungenen konnte man hoffen in den Straßen noch zu bekaͤmpfen, vielleicht zu vertilgen. Allein der An¬ griff unterblieb, und auch das Beschießen der Stadt, das den Kriegsleuten uͤberhaupt wenig bedeutet, und das aus den Batterieen auf dem Grasbrook noch ziemlich erwiedert wurde, hoͤrte gegen Morgen auf. Der Tag fand viele Hamburger schon auf der Flucht, Altona war uͤberfuͤllt mit Ausgewanderten, die zum Theil ihre be¬ sten Habseligkeiten mit sich fuͤhrten; tief im Holsteini¬ schen, in Kopenhagen sogar und London, suchten viele ihre Zuflucht gegen die Rache des Feindes, der sich, ihrer Meinung nach, diesmal nicht auf Hamburg be¬ schraͤnken, sondern auch nach Altona und den naͤchsten daͤnischen Gebietstheilen uͤbergreifen wuͤrde. Den ganzen folgenden Tag, wie auch die Racht, und wieder den folgenden Tag, blieb alles ruhig. Un¬ begreiflicherweise versuchten die Franzosen waͤhrend die¬ ser ganzen Zeit keinen Angriff, ja hielten sogar mit dem Beschießen inne, da doch keine Zeit ihnen guͤnsti¬ ger sein konnte, als diese, wo die entbloͤßte Stadt ih¬ nen beinahe preisgegeben stand. Sie muͤssen aber schlecht unterrichtet gewesen sein, oder vielleicht den Daͤnen noch nicht getraut haben, die allerdings nicht alle die Ge¬ sinnungen ihrer Regierung theilten. So vergingen diese Tage unter aͤngstlichem Harren, die Besorgniß stieg desto hoͤher, je laͤnger die Huͤlfe ausblieb, und mit Schrecken dachte man daran, daß der Feind nicht lange uͤber den Zustand der Stadt getaͤuscht bleiben koͤnne. Endlich erschien der ersehnte Augenblick, uud am 21. Abends langten drei schwedische Bataillons, die der General Doͤbbeln abgesandt hatte, unter dem General von Boye bei Hamburg an, zwei davon ruͤckten sogleich durch die Stadt nach dem Grasbrook und dem Ham¬ burgerberge, waͤhrend das dritte zur Erhaltung der Verbindung in Bergedorf stehn blieb. Tettenborn war ihnen vor das Steinthor entgegengeritten, wo eine Ab¬ theilung der Buͤrgergarde aufmarschirt stand, und eine große Menge Volks die ankommenden Retter mit Ju¬ belgeschrei empfing. Man athmete wieder freier, und glaubte, nachdem man diese Tage gluͤcklich uͤberstanden, fuͤr die Zukunft weniger befuͤrchten zu duͤrfen. Auch war es die hoͤchste Zeit, daß diese Truppen ankamen, denn gleichsam als ob der Feind durch irgend einen wunderbaren Einfluß nur eben so lange zuruͤck¬ gehalten worden sei, bis ihm wieder frische Truppen entgegengesetzt werden koͤnnten, erneuerte er grade in dieser Nacht seine Angriffe, und auf so kuͤhne Weise, daß, wenn er gleiches Wagestuͤck in anderer Richtung versucht haͤtte, die groͤßte Gefahr fuͤr die Stadt daraus entstanden waͤre. Die hamburgische Jacht lag unfern des Hafens in der Elbe vor Anker, und hatte außer den Seeleuten etwa 30 Mann Hanseaten zur Besatzung. Die Franzosen aber schifften ungefaͤhr 170 Mann in eine Penische und 16 Boote ein, um waͤhrend der Nacht dieses Schiff wegzunehmen. Sie ließen ihre Fahrzeuge leise stromab treiben und kamen geraͤuschlos und unbe¬ merkt in der Dunkelheit an das Schiff. Die Hansea¬ ten griffen eiligst zu den Waffen, und vertheidigten sich eine halbe Stunde lang mit heftigem Gewehrfeuer; allein die franzoͤsischen Seeleute benutzten ihre große Ueberzahl, und waͤhrend ein Theil von ihnen durch Feuern die Besatzung beschaͤftigte, erstieg eine andre Abtheilung das Schiff; sie nahmen die Hanseaten ge¬ fangen, kappten die Anker, und fuhren mit aufgespann¬ ten Segeln davon. Indessen hatte der Tag angefan¬ gen zu daͤmmern, und man sah nun auf der ganzen durch das naͤchtliche Schießen allarmirten Linie am Ufer was geschehen war. Der Feind mußte nahe vorbeise¬ geln, und gerieth in das Feuer von drei Batterieen und zwei Bataillons, welches ihn dergestalt bestuͤrzte, daß er nicht allein der Gegenwehr, sondern auch der Lenkung des Schiffes vergaß, das alsbald auf den Sand lief. Jetzt wurde das Feuer noch moͤrderischer, da jeder Schuß sein festes Ziel hatte. Die Franzosen warfen sich in die Boote, um ihr Heil in der Flucht zu su¬ chen, allein mehrere dieser Boote wurden in Grund gebohrt, die uͤbrigen, von Todten und Verwundeten erfuͤllt, entkamen mit genauer Noth. Die Jacht wurde darauf wieder genommen, die Hanseaten befreit, und dagegen viele Franzosen, die sich darauf verspaͤtet hat¬ ten, gefangen gemacht. Der Verlust des Feindes be¬ trug 132 Todte und Verwundete, waͤhrend die Han¬ seaten nur 13 Mann verloren hatten hatten. Als die Fluth zuruͤckkehrte, brachte man die Jacht in den Ha¬ fen. Ein so nahes und heftiges Gefecht hatte wieder die ganze Stadt in Bewegung gebracht, man glaubte den Feind auf dem Hamburgerberg gelandet, und dankte Gott, daß den Abend vorher die Schweden angekom¬ men waren. Der gute Ausgang der Sache konnte nicht ganz fuͤr den Schrecken und die Besorgniß, die man ausgestanden hatte, schadlos halten, man sah im Grunde nichts gewonnen, sondern nur einen Verlust abgewen¬ det, vielleicht auf nur kurze Zeit, und erhielt die be¬ unruhigende Einsicht, wie viele Bloͤßen die hamburgische Vertheidigung dem Feinde zu benuͤtzen lasse, die einzeln wohl zu decken seien, aber durchaus nicht alle zugleich. Die Franzosen begannen auch bald aufs neue, die Stadt zu bombardiren, und beschossen sie die ganze Nacht vom 23. auf den 24. mit der groͤßten Lebhaf¬ tigkeit, doch ohne sonderlich Schaden zu thun; das Feuer wurde, noch ehe es recht ausbrach, jedesmal gluͤcklich geloͤscht; die Geschuͤtzkugeln und Bombenstuͤcke verwundeten einige Buͤrger in den Straßen, die auf¬ gestellten Truppen erlitten keinen Verlust. Am meisten fuͤrchtete man fuͤr das ungeheure Theemagazin auf dem Deiche, allein zum Gluͤck richteten die Franzosen ihr Geschuͤtz nicht dahin, und man gewann Zeit, die Ton¬ nen in die Ebene zu rollen und Haardecken und Erde daruͤber zu werfen, bei welchem Geschaͤft ein junger Mann Namens Fluͤgge den unerschrockensten Muth und kundigsten Eifer bewies. Tettenborn war bald auf dem Grasbrook, bald auf dem Hamburgerberg, bald in der Stadt, um alles selbst zu leiten und anzuordnen, und die Thaͤtigkeit jeder Art durch seine Gegenwart zu be¬ beleben. Er hatte die Truppen der entgegengesetztesten und jetzt gegen einander feindlich gestimmten Voͤlker nach einander zu dem Einen Zweck der Vertheidigung Hamburgs gluͤcklich herangezogen, und er durfte hoffen, jetzt, da das Schlimmste uͤberstanden war, die Stadt fernerhin behaupten zu koͤnnen, und, wenn nur erst Zeit gewonnen, auch groͤßere Unterstuͤtzung nach und nach ankommen zu sehn. Dann konnte die Stadt, selbst bei weiterem Ruͤckzuge der Hauptheere, ein fester, in sich geschlossener und mit allen Vortheilen der See¬ verbindung ausgestatteter Waffenplatz fuͤr die Verbuͤn¬ deten werden, der sogar bald im Stande sein konnte, eine Belagerung auszuhalten. Allein das Betragen der Daͤnen, die taͤglich mit den Franzosen eifrige Ver¬ handlungen pflogen, erweckte schon jetzt Bedenklichkei¬ ten, die alle diese Aussichten zu vernichten drohten. Die naͤchsten Tage waren zwar wieder ruhig, aber die duͤstre Erwartung, in der alles schwebte, goͤnnte niemanden sich in dem Genusse dieser Ruhe zu erholen. Man mußte bestaͤndig in Bereitschaft stehen, die Buͤr¬ gergarden waren anaufhoͤrlich im Dienst, ein großer Theil des Volks durch Schanzarbeit, die mit Anstren¬ gung fortgesetzt wurde, unablaͤssig beschaͤftigt. Man sah kein andres Gewerbe mehr, als das Bezug auf den Krieg hatte, niemand ging ohne Waffen, aller Ver¬ kehr und Erwerb stockte; da die biwakirenden Buͤrger von der Stadt verpflegt werden mußten, so wurde der Dienst zuletzt fuͤr die aͤrmeren Einwohner die Quelle des Lebensunterhalts. Die Daͤnen hatten inzwischen das Einruͤcken der Schweden in Hamburg, von wo sie in zehn Minuten nach Altona marschiren konnten, als fuͤr sich gefaͤhrlich betrachtet, und ihre Truppen mit allem Geschuͤtz aus Altona zuruͤck nach Blankenese gezogen; sie thaten aͤngst¬ lich, als haͤtten sie einen feindlichen Ueberfall zu fuͤrch¬ ten, und als waͤren in Gemeinschaft der Schweden ihnen jetzt auch sogar die Russen unsicher. Die Schwe¬ den ihrerseits zeigten Besorgniß wegen der Daͤnen, welche durch Staͤrke und Stellung allerdings im Vortheil wa¬ ren. Diese Besorgniß griff auch der Kronprinz von Schweden sogleich auf, der endlich am 17. in Stral¬ sund angekommen war, und meinte, die schwedischen Truppen fanden sich in Hamburg gleichsam in einen Sack eingeschlossen. Er mißbilligte das eigenmaͤchtige Benehmen des Generals Doͤbbeln, und sandte unver¬ zuͤglich den General Lagerbrinke nach Hamburg, um die Schweden von dort sogleich wieder abzurufen. Selt¬ same Verwickelung der Verhaͤltnisse, daß hier Daͤnen und Schweden in feindlicher Entgegensetzung zum Un¬ heil Hamburgs doch nur das Gleiche thaten. Gegen die Mißverhaͤltnisse der beiden nordischen Maͤchte, die sich auf diesem Punkte begegneten, mußte das Schicksal III . 24 der einzelnen Stadt verschwinden, und diese im Wider¬ streit fremder Politik erliegen. Die schwedischen Trup¬ pen marschirten am 25. Mai Abends wirklich von Hamburg ab. Welche Bestuͤrzung unter den Ein¬ wohnern, welche Niedergeschlagenheit unter den Trup¬ pen dadurch entstand, ist kaum zu beschreiben. Es gehoͤrte der ausdauernde Muth und die beharrliche Ge¬ sinnung Tettenborn's dazu, um nach diesem zweiten Fehlschlagen, das er in seinen unternehmenden Anstren¬ gungen erfuhr, nicht ganz zu verzweifeln; aber der Schmerz selbst, von dem sein Inneres bei diesen Vor¬ gaͤngen zerrissen war, wurde ihm zum neuen Anreiz, seine Thaͤtigkeit zu verdoppeln, seine Kraft zu spannen, und gegen alle zum Untergang verschworne Gewalten eines hartnaͤckigen Geschicks wenigstens eben so hart¬ naͤckig zu ringen. Die dringensten Vorstellungen gingen an den Kron¬ prinzen von Schweden, dem die Wichtigkeit dieser Stadt, ihre jetzige Lage und ihr bevorstehendes Ungluͤck an's Herz gelegt wurde, um ihn zur Rettung derselben zu bewegen; fuͤr ganz Deutschland konnte Hamburg ge¬ rettet das beste, verloren das abschreckendste Beispiel werden. Auch die besondre Theilnahme, die der Kron¬ prinz fuͤr diese Stadt aus fruͤherer Zeit, da er als Marschall Bernadotte in den angenehmsten Verhaͤltnis¬ sen mit den Einwohnern gestanden, noch haben mußte, wurde in Anspruch genommen. Der Senat hatte an den Kronprinzen alsbald nach seiner Landung die Ab¬ geordneten Parish, Gries und Karl Sieveking gesandt; der letztere, damals in noch sehr jungen Jahren, zeigte schon die großen Vorzuͤge des Geistes und Karakters, welche er seitdem in seiner ehrenvollen Laufbahn staats¬ maͤnnischen Wirkens zum Wohl und Ruhm seiner Va¬ terstadt vielfach dargethan. Der Kronprinz hoͤrte die Vorstellungen der Abgeordneten theilnehmend an, ver¬ mied aber jede bestimmte Zusicherung. Allein selbst im guͤnstigsten Falle, wenn er alles gewaͤhrte, was in sei¬ ner Macht stand, mußten viele Tage hingehen, bevor die Huͤlfe eintreffen konnte, die mit jeder Stunde, welche dieser Zustand fortdauerte, Gefahr lief, zu spaͤt zu kommen. Es blieb daher nichts uͤbrig, um nur einigen Halt in die Sachen zu bringen, als von Wall¬ moden Verstaͤrkung zu beziehn. Dieser sandte ein preußi¬ sches Bataillon, welches zwar nicht sehr stark war, aber aus Kerntruppen bestand, bei Luͤneburg das Gefecht ruhmvoll entschieden hatte, und in dem Oberstlieute¬ nant von Borck sich des tapfersten Anfuͤhrers ruͤhmen konnten. Am 27. Mai traf das Bataillon in Hamburg ein, und brachte einen neuen Schimmer von Hoffnung fuͤr die Einwohner mit, welche dieser Truppen endlich glaubten gewiß sein zu koͤnnen. Wunderbar genug blieb auch jetzt, nach dem Ab¬ zuge der Schweden, wie fruͤher der Daͤnen, der Feind ganz ruhig, und wagte keinen Angriff, ja ließ sogar 24 * im Bombardiren der Stadt nach. Er dachte auf eine leichtere Art zu deren Besitz zu gelangen, als durch einen Angriff, dessen Erfolg doch immer zweifelhaft war, und der auch im Gelingen eine große Menge Leute kosten mußte. Die Daͤnen waren das Mittel, welches ihnen dies alles ersparen sollte. Die Unter¬ handlungen zwischen Altona und Haarburg wurden taͤglich lebhafter; der Praͤsident von Kaas war aus Kopenhagen angelangt, um in das Hauptquartier Na¬ poleon's zu reisen, und hielt sich unterwegs in Haar¬ burg eine Zeit lang bei dem Marschall Davoust auf; was man von den gepflogenen Unterhandlungen erfuhr, deutete nicht allein auf Annaͤhern, sondern auf ein voͤl¬ liges Anschließen Daͤnemarks an Frankreich. Bei dem vertrauten Verkehr zwischen den Nachbarstaͤdten, die sich in vieler Hinsicht als Eins betrachteten, und denen die kaufmaͤnnischen Verbindungen ein engeres Band blie¬ ben, als das, womit jede einer andern Regierung an¬ gehoͤrte, waren die geheimsten Verhandlungen der Daͤnen in Hamburg bekannt, man sprach laut davon, daß letztere mit den Franzosen vereinigt die Stadt angrei¬ fen, oder dieselbe auf glimpfliche Weise doch einstwei¬ len besetzen und den Russen nur freien Abzug gestatten wuͤrden, und so sahen die ungluͤcklichen Hamburger aus denselben Truppen, die noch eben ihre Bundesgenossen und Beschuͤtzer gewesen, ploͤtzlich drohende Feinde wer¬ den, und zwar um so gefaͤhrlicher, als man nach die¬ ser Seite die wenigsten Vorkehrungen getroffen hatte, da die Freundschaft der Daͤnen sich hoͤchstens in Neutra¬ litaͤt schien veraͤndern zu koͤnnen. Gegen die Franzosen waren die an der Elbe aufgeworfenen Befestigungen auch bei noch fortdauernder Arbeit schon haltbar, da der Strom sie deckte; von dem Lande her boten die noch unvollendeten tausend Bloͤßen. Ein andrer Umstand erweckte noch bedenklichere Sorge. Nach dem großen Verbrauch in der letzten Zeit fing nun das Pulver an zu fehlen; der Vorrath reichte fuͤr das Kleingewehr nur noch auf einige Tage hin, fuͤr das Geschuͤtz auf den Waͤllen nur auf wenige Schuͤsse. Dies alles, und die Erwaͤgung, daß, wie auch der Krieg enden moͤge, Daͤnemark fuͤr Hamburg immer der naͤchste Nachbar bleiben wuͤrde, von dessen Haͤnden die Stadt fortdauernd Unheil oder Heil schon durch die Beherrschung der Elbe zu gewaͤrtigen habe, machte die Einwohner gaͤnzlich ver¬ zagen, auch gegen diesen Feind mit aͤußerstem Trotze aufzutreten. Heß, als Befehlshaber der Buͤrgergarde, der schon lange mit abwechselndem Erfolg gegen die mannigfaltigen Stimmungen gekaͤmpft hatte, und zum Theil von ihnen niedergebeugt war, erschien bei dem General, und machte ihm foͤrmlich die Anzeige, daß auf die Buͤrgergarde ferner nicht zu rechnen sei, und sie namentlich gegen die Daͤnen nicht fechten wuͤrde. Die Hamburger befanden sich allerdings in einer fuͤrchterli¬ chen Lage; ohne alle Moͤglichkeit der Aussoͤhnung mit Napoleon, bedraͤngt und bombardirt von der Uebermacht eines rachesinnenden Feindes, sahen sie eine Stuͤtze nach der andern weichen, eine Hoffnung nach der andern verschwinden, und nirgends einen aufrichtigen Freund erscheinen. Muth und Entschlossenheit sind es meist nur bedingungsweise, daß der Einzelne wisse und vertraue, auch die Andern, und wo nicht Alle, doch die Meisten, seien ihm gleichgesinnt. Diese Ueberzeugung fehlte, und sie zu erregen waͤren Huͤlfsmittel noͤthig gewesen, vor denen die Besonnenen zuruͤckschauderten. Ein begeisterter Volksheld aber, der die dunkeln Kraͤfte der Waffen an's Licht zu rufen und zugleich zu leiten gewußt haͤtte, erstand nicht. Die Entbrannteren sahen alle auf Tettenborn, und erwarteten seinen Anstoß; allein er konnte heldenmuͤ¬ thige Entschluͤsse wohl foͤrdern, aber nicht vorschreiben. Es waͤre schoͤn gewesen, dies gutgesinnte, eifrige Volk, dessen Aufstand gegen die Franzosen ein so großes Bei¬ spiel gegeben, durch hinlaͤngliche Kriegsmacht, wo moͤg¬ lich vorwaͤrts an der Weser schuͤtzen und vertheidigen zu koͤnnen, und ihm den Wiedergewinn der Freiheit in un¬ getruͤbtem Gluͤcke beschieden zu sehen, die verbuͤndeten Maͤchte und ganz Deutschland haͤtten ihm solches Wohler¬ gehn freudig gegoͤnnt; allein das Geschick hatte nun ein¬ mal seine haͤrtesten Loose hier ausgeworfen und dem Orte selbst, wo das kuͤhne Wagniß hervorgetreten, waren auch alle Ungluͤcksfolgen desselben zugetheilt. Es war jetzt, gleichviel durch wessen Schuld, mit Hamburg auf das aͤußerste gekommen, wo es nur noch galt, sich bis zur Verzweiflung zu wehren, und lieber unterzugehen, als sich zu ergeben. Aber obgleich der Reichthum und Wohlstand der Hamburger nicht in ihren Wohnsitzen besteht, die ohne Freiheit wenig werth sind, und die Betriebsamkeit, die Kenntniß und das Vertrauen des Handels, ihr wahrer Reichthum, sie uͤberall hinbegleitet haͤtten, so schauderten dennoch alle vor dem Gedanken, ihre Stadt den Flammen zu uͤberantworten, und dem Feinde zum Gegenstande seiner Wuth nur als eine rauchende Brandstaͤtte zuruͤckzulassen. Als Tettenborn ihnen nichts mehr zu bieten hatte, als rothe Fahnen und Pechkraͤnze, zogen sich die Unseligen zuruͤck, fuͤr die es eine Wohlthat, nicht Grausamkeit, gewesen waͤre, wenn man, sogar wider ihren Willen, das Heldenwerk Rostopschin's wiederholt haͤtte. Tausende haben es seitdem bereut, nicht diesen Untergang gewaͤhlt zu ha¬ ben, allein es war noͤthig, daß erst die Wiederkunft der Franzosen mit allen Graͤueln der uͤberlegtesten, langsamen Zerstoͤrung ihnen jene schnelle wuͤnschens¬ werth machte! Noch einmal erschien fuͤr Hamburg ein guͤnstiger Sonnenblick, um dann ganz und fuͤr lange Zeit von seinem Himmel zu verschwinden. Der Kronprinz von Schweden hatte Hamburgs Schicksal zu Herzen genom¬ men, und endlich den Abgeordneten der Stadt seinen unverzuͤglichen Beistand zugesagt; am 27. Mai kam der General von Rosen von Seiten des Kronprinzen zu Tettenborn, um demselben den Anmarsch neuer schwedischer Truppen anzukuͤndigen. Ein Theil dersel¬ ben sollte in Hamburg selbst einruͤcken, die Hauptmasse aber Wallmoden's Heertheil zu einer kraͤftigen Unter¬ nehmung auf das linke Elbufer und gegen Haarburg verstaͤrken, um die Franzosen durch diesen Angriff im Ruͤcken zu noͤthigen, von ihrem Angriff auf Hamburg abzulassen. Nichts konnte erwuͤnschter sein, und schon war alles abgeredet, als noch der General von Boye eintraf, um wegen der schwedischen Truppen von den Daͤnen, durch welche sie in Hamburg jeden Augenblick eingeschlossen werden konnten, eine Sicherstellung zu verlangen. Er forderte nur, daß die daͤnischen Gene¬ rale sich verpflichteten, jede Aenderung ihres neutralen Verhaltens gegen die Schweden achtundvierzig Stun¬ den fruͤher anzuzeigen, ehe sie thaͤtig einschritten. Mit diesem Auftrage ging der General von Boye am 29. Mai selbst nach Altona, und Tettenborn schug alle ihm durch Eifer und Klugheit eroͤffnete Wege ein, seinen persoͤnlichen Einfluß auf die Entschlie¬ ßungen der daͤnischen Befehlshaber geltend zu machen. Waͤhrend dieser Verhandlungen hatten die Franzosen die mehrtaͤgige Ruhe durch einen unerwarteten raschen Angriff wieder unterbrochen. Sie waren fruͤh vor Tages Anbruch am 29. von Wilhelmsburg aus nach dem Ochsenwaͤrder uͤbergegangen, hatten die schwachen Posten des lauenburgischen Bataillons daselbst uͤberall zuruͤckgedraͤngt, und sich bereits in dieser Insel sehr ausgedehnt und theilweise festgesetzt, ehe die Meldung davon an Tettenborn gelangte. Dieser eilte sogleich dorthin, und fuͤhrte die zuruͤckgewichenen, aber durch sein Erscheinen gleich ermuthigten Truppen persoͤnlich gegen den Feind vor, und ließ sie eine guͤnstige Stel¬ lung nehmen, wobei er sich lange Zeit dem heftigen Kugelregen der feindlichen Plaͤnkler aussetzte. Da je¬ doch die Franzosen hier mit Macht uͤbergegangen wa¬ ren, und weiter vordringen zu wollen schienen, um die Russen von dieser Seite abzuschneiden, so ließ er schleu¬ nig das Bataillon Preußen aus der Stadt in die wich¬ tige Stellung beim Eichbaum marschiren, um diese so lange zu behaupten, bis der von Wallmoden auszu¬ fuͤhrende Angriff den Feind von selbst hier wieder zum Ruͤckwege noͤthigen wuͤrde; er selbst nahm sein Haupt¬ quartier bei der Billkirche. Die Lage war mißlicher als je; um dem Angriff im Ochsenwaͤrder zu begegnen war die Stadt entbloͤßt worden; wurde diese angegriffen, so konnte man nichts dahinschicken, was nicht anderswo eine Luͤcke gelassen haͤtte, und so blieb nur auf die ungewisse Hoffnung zu rechnen, daß die Franzosen ihren Angriff auf die Stadt selbst noch nicht machen wuͤrden. Mit Ungeduld erwartete man die Ankunft der Schweden und die ver¬ langte Zusicherung der Daͤnen; von beiden Seiten er¬ hielt Tettenborn zugleich Nachricht. Die Schweden, statt in Bergedorf einzutreffen, hatten sich tiefer in das Innere des Landes zuruͤckgezogen; die Daͤnen da¬ gegen waren vorgegangen, und standen schlagfertig in Altona und in Schiffbeck, so daß ihre Stellung eben so drohend erschien, als ihre Absicht feindlich zu ver¬ muthen war, sie brauchten nur noch einen Schritt zu thun, um Hamburg selbst und alle dortigen Truppen unrettbar einzuschließen. Auf das Verlangen des Generals von Boye hatte der, statt des abgerufenen Generals von Wegener in Holstein jetzt den Befehl fuͤhrende Generalmajor von der Schulenburg geantwortet, nur zwei Stunden vor¬ her, ehe er zu Feindseligkeiten uͤberginge, wuͤrde er die Anzeige davon machen. Zugleich erhielt man durch wohlunterrichtete Personen die Gewißheit, daß zwischen den Daͤnen und Franzosen ein Vertrag abgeschlossen, und die daͤnische Kriegsmacht in Holstein ganz den Verfuͤgungen des Marschalls Davoust uͤberlassen sei, daß also jeden Augenblick ein foͤrmlicher Angriff, von ihnen selbst, oder uͤber das daͤnische Gebiet von den Franzosen, zu erwarten stehe. Der schwedische General erklaͤrte hierauf, in diesem Fall hieße es die schwedischen Truppen, die nach Hamburg kaͤmen, gradezu dem Feind als Gefangene uͤberliefern, und ihre ruͤckgaͤngige Bewegung, schon durch das Vorgehen der Daͤnen ver¬ anlaßt, koͤnne nur fortzusetzen sein. Unter diesen Um¬ staͤnden, bei der Mißstimmung der Buͤrgerschaft, dem Mangel an Schießbedarf der geringen Truppenzahl, der Entfernung der Schweden und Feindlichkeit der Daͤnen, mußte Tettenborn, der noch immer außerhalb der Stadt bei der Billkirche dem stets sich verstaͤrken¬ den Feinde kaͤmpfend entgegenstand, in der Nacht auf den 30. Mai dem Major von Pfuel nach Hamburg den Befehl senden, die Stadt zu raͤumen, und mit den wenigen dort noch befindlichen Truppen durch den Billwaͤrder den Ruͤckzug nach Bergedorf anzutreten. Der Senat hatte schon fruͤher aus eignem Antrieb die Uebergabe der Stadt berathschlagt, und sandte jetzt Abgeordnete nach Altona, um die daͤnische Vermittelung zu erbitten. Heß loͤste durch eine schon fuͤr solchen ungluͤcklichen Fall im voraus gedruckte Bekanntmachung die Buͤrger¬ garde foͤrmlich auf, die der That nach schon nicht mehr beisammen war, und sich in den letzten Tagen nur in sehr geringer Zahl auf den Sammelplaͤtzen eingefunden hatte. Die angesehensten Einwohner, besonders solche, die sich auf irgend eine Weise fuͤr die Freiheit Ham¬ burgs hervorgethan hatten, befanden sich zum Theil schon im Daͤnischen, theils begaben sie sich jetzt dahin. Der Abzug der Truppen, ungefaͤhr 800 Mann, ge¬ schah in aller Stille und mit der groͤßten Ordnung, einige Schuͤsse, welche die Franzosen gegen Morgen von der Feddel gegen die Stadt thaten, wurden noch von den Batterieen auf dem Grasbrook beantwortet. In Altona wurde der Generalmarsch geschlagen, und die daͤnischen Truppen setzten sich in Bewegung. Waͤhrend des Zuges durch den zwei Meilen langen Engweg des Billwaͤrders sah man der ganzen Laͤnge nach daͤnische Truppen mit zahlreichem Geschuͤtz aufge¬ stellt, die Kanoniere mit brennenden Lunten bei den Kanonen, die hinter unzugaͤnglichen Verhauen laͤngs der Graͤnze die Landstraße bestrichen. Eine Stunde spaͤter haͤtten sie vielleicht schon Befehl zum Angriff gehabt, und das kleine Haͤuflein waͤre in den Engen des Billwaͤrders vernichtet oder gefangen worden. Der General von der Schulenburg band sich auch nicht an die zugesagte zweistuͤndige Aufkuͤndigung, sondern fing die Feindseligkeiten sogleich an; die Daͤnen ruͤckten in Hamburg ein, und verfolgten durch das Steinthor den Nachtrab der Russen, nahmen 4 hanseatische Reiter gefangen, und wechselten noch am Abend mit den Ko¬ saken bei Bergedorf einige Schuͤsse. Von Bergedorf an machte das preußische Bataillon die Nachhut, und der Tag sollte nicht vergehn, ohne die Franzosen noch daran zu erinnern, daß nicht ihre Tapferkeit Hamburg wieder gewonnen habe. Bei der Nettlenburger Schleuse waren sie in zahlreicher Menge auf Stegen und geleg¬ ten Brettern uͤbergegangen, und draͤngten die preußi¬ schen Plaͤnkler zuruͤck. Der Oberstlieutenant von Borck eilte dahin, setzte sich an die Spitze seiner tapfern Leute, redete sie kraͤftig an, und setzte ein hartes Wort darauf, wenn einer von ihnen einen Schuß thaͤte; so stuͤrzten sie mit gefaͤlltem Bajonet auf die Uebermacht des Fein¬ des, und warfen alles nieder, was ihnen auf dem Wege war. Es fiel kein Schuß, der Feind verlor uͤber 400 Mann, von denen ein Theil durch Bajonet und Kolben, ein Theil im Wasser umkam, nur wenige ret¬ teten sich uͤber den Fluß zuruͤck. Von den 80 Preu¬ ßen, die dieses Heldenstuͤck ausgefuͤhrt, wurde nicht einmal einer verwundet, zum Beweise, daß es die Truppen schonen heißt, wenn man sie mit dem Bajo¬ net angreifen laͤßt. Tettenborn kam ohne weiter verfolgt zu werden und ohne irgend einen Verlust am 31. Mai nach Lauen¬ burg, wo er an die Truppen Wallmoden's angelehnt stand, und ehe wieder von der einen oder andern Seite etwas begonnen wurde, die Nachricht des abgeschlosse¬ nen Waffenstillstandes erhielt. Wie es der Stadt Ham¬ burg erging, nachdem die Daͤnen den Franzosen Platz gemacht hatten, moͤge ein Augenzeuge erzaͤhlen, dem zu einer solchen Schilderung der erbitterte Schmerz Kraft giebt, und der nicht scheut die herzzerreißende Wirkung solchen vaterlaͤndischen Trauerspiels wie Phry¬ nichus in verwuͤnschendem Danke zu erfahren. Kriegszuͤge von 1813 und 1814. I ch glaube weder Unnuͤtzes noch Unwillkommnes zu thun, wenn ich die ferneren Kriegsereignisse, denen ich als Augenzeuge beigesellt gewesen, mit treuer Wahr¬ heit und freiem Urtheil zu schildern versuche. Denn war auch diese Kriegsbahn nicht die eines der Haupt¬ heere, noch selbst eines großen Heertheils, sondern nur einer maͤßigen Truppenzahl, so darf sie doch durch die Selbststaͤndigkeit des Anfuͤhrers, und durch die Leistun¬ gen und Erfolge, welche von ihr ausgingen, an Wich¬ tigkeit und Anreiz mit mancher hoͤheren in gleiche Reihe treten. Sie gewaͤhrt eines der eigenthuͤmlichen Bilder, aus denen das Gesammtbild dieses ganzen Krieges sich zusammensetzt, der auf unsrer Seite kaum als eine Ein¬ heit aufgefaßt werden kann. Aber noch eine andere Wahrnehmung kommt uns hier zu Statten! Sallustius sagt, er habe bei Betrachtung der roͤmi¬ schen Thaten und Schicksale oft uͤberlegt, wodurch wohl am meisten unter so großen Erschuͤtterungen und Ge¬ fahren der Staat erhalten und gerettet worden, und er bekennt, die Kraft und Trefflichkeit weniger einzel¬ nen Maͤnner habe dies vollbracht. Auch die deutsche Geschichte hat solche Zeiten, welche ganz durch das Da¬ sein einzelner Helden getragen werden, so die Zeiten Friedrich Wilhelms des großen Kurfuͤrsten, so die Friedrichs des Großen. Aber voͤllig das Gegentheil von solcher Erscheinung zeigt sich in dem letzten Befreiungs¬ kriege, wo der Ruhm der Ereignisse, durch welche die deutsche Sache in so hartem und gefahrvollem Ringen gluͤcklich emporgehalten worden, kein einzelnes Haupt findet, auf welches er in ganzer Fuͤlle sich niedersenken koͤnnte. Viele haben Theil an ihm, edle Fuͤrsten, tapfre Feldherren, einsichtsvolle Staatsmaͤnner, doch eben de߬ halb nennt er sich nach keinem ausschließlich, sondern schwebt als namenloses Eigenthum in hoher Gemein¬ schaft uͤber der ganzen Nation. Bei dieser Eigenthuͤmlichkeit des vergangenen Krie¬ ges, daß der Trieb und die Macht des Ganzen nicht bloß in einem großen Hauptquartier zusammengedraͤngt, sondern mit dem geistigen Gehalte der Zeit in den ganzen Umfang der Bewegung ausgebreitet erscheint, und fast in jedem Bestandtheile gleichartig sich wieder¬ findet, bei dieser Eigenthuͤmlichkeit darf die abgesonderte Erzaͤhlung einer einzelnen Reihe von Kriegsereignissen, auch selbststaͤndiger auftreten, als dies der Fall waͤre, wenn wir aus den Feldzuͤgen Caͤsar's, Friedrich's oder Napoleon's eine solche Nebenreihe darzustellen haͤtten; in den letztern ist die Person des Oberfeldherrn die feste Mitte alles Wichtigen und Bedeutenden, und jede Besonderheit nur eine Ausstrahlung von dort; hier um¬ gekehrt stroͤmen die Strahlen aus dem Umkreise zu einer solchen Mitte zusammen, zu der sogar auch Bluͤ¬ cher und Schwarzenberg nur ihren Beitrag geben. Und wo es einmal nur Beitraͤge gilt, da darf auch der, welchen die nachfolgenden Blaͤtter schildern, sich den namhaften anschließen. Der Fall Hamburgs machte den erschuͤtternden Be¬ schluß einer Reihe von Kriegsereignissen, welche der freudigen Zuversicht, die sie anfangs erweckt hatten, im Fortgange nicht entsprachen, sondern die vaterlaͤn¬ dischen Hoffnungen bald wieder zu bangen Zweifeln herabstimmten. Die Schlachten von Groß-Goͤrschen und Bautzen, die Gefechte bei Magdeburg, Halle und Hay¬ nau, hatten das verbuͤndete Heer mit frischem blutigen Lorbeer bereichert, aber doch wieder zuruͤckgefuͤhrt zu den Ufern der Oder, von woher die Schaaren erst kuͤrzlich gegen den schon fernen Feind ausgezogen waren, der jetzt mit angestrengter Raschheit wieder nah, und gleich in Schlesien wieder eingedrungen war. Die Schlachten selbst waren fuͤr den Feind kaum Siege zu nennen, aber in seinen Haͤnden sah man erstaunt alle Fruͤchte des Sieges, eingenommene Laͤnder, be¬ zwungene Voͤlker, bestaͤrkte und neue Bundesgenossen. Das russische Heer mußte besorglich gewahr werden, welch neue Wechselfaͤlle so fern von der Heimath ihm zu bestehen waren; die preußischen Truppen konnten die im Ruͤcken liegenden Landesstrecken ermessen, welche fast sicher der Schauplatz, aber nur ungewiß die Mit¬ tel des weiteren Krieges darboten. Die Schweden harrten, an die Kuͤsten der Ostsee zuruͤckgezogen, auf den Abschluß der zum Theil schwierigen Bedingungen, unter denen sie dem Bunde gegen Napoleon beitraten; ihre Huͤlfe schien uͤberdies fuͤr jetzt durch den neuen Feind aufgewogen, den grade sie am meisten uns in den Daͤnen erweckt hatten. Oesterreich ruͤstete, aber sein Beitritt zu dem Bunde war noch keineswegs erklaͤrt, und die schwebende Ungewißheit erregte Unruhe und Sorgen. Der Feind, wieder im Besitz von Sachsen und einem Theile Schlesiens, bot in aller seiner Macht unterworfenen Laͤndern die gewaltigsten Anstrengungen auf, und seine Heere wuchsen taͤglich an Zahl und Ver¬ trauen. Mißlich und gefahrvoll stand die zusammen¬ gesetzte Befehlsmacht der Verbuͤndeten dem kriegerischen Alleingebieten des furchtbarsten Schlachtengewinners ge¬ genuͤber, dem das Gluͤck wieder zu laͤcheln schien. Eine dumpfe Verzweiflung war uͤber das noͤrdliche Deutsch¬ land ausgebreitet; das Verhaͤngniß schien die Anstren¬ III. 25 gungen und das Flehen der Bedraͤngten zu verwerfen, und den franzoͤsischen Kaiser nach kurzem Zuͤrnen wie¬ der als geliebten Sohn aufzunehmen; mit dem Fall von Hamburg wurde der letzte Aufflug der bestuͤrzten Hoffnungen gefesselt. Aber dennoch waren Muth und Kuͤhnheit in den Kriegern nicht ermattet, sondern lebten hoffnungslos fast um so stolzer fort, und in unsern Reihen wuͤnschte jeder nur die Fortsetzung des Krieges, und wollte ihn lieber an die Ufer der Duͤna zuruͤckgeworfen, als hier an der Elbe durch klaͤglichen Frieden geendet sehen. In diesem Sinne bereitete sich alles zu hartnaͤckigen, erbitterten Kaͤmpfen. Tettenborn hatte in der Behauptung Hamburgs das Aeußerste geleistet; er hatte Streitkraͤfte geschaffen, erborgt, erzwungen, gegen die auf diesem Punkte zu¬ sammengehaͤuften Schwierigkeiten unablaͤssig und oft mit wunderbarem Erfolg angekaͤmpft, und erst am Rande des Unterganges die ihm anvertraute Schaar ohne Ver¬ lust wieder zuruͤckgefuͤhrt; nur Unkundige mochten die Zumuthung laͤngerer Vertheidigung gegen ihn aufstel¬ len, die Maͤnner vom Kriegeshandwerk hatten jede mi¬ litairische Obliegenheit dazu schon laͤngst verneint. Der Kaiser Alexander sandte ihm zur Anerkennung seiner verdienstvollen Ausdauer den St. Annenorden erster Klasse mit den schmeichelhaftesten Ermunterungen. Der beste Trost lag in dem Gedanken an neue Kaͤmpfe und Unternehmungen, zu denen Tettenborn, jetzt nicht mehr hinter Waͤllen und Graͤben eingeengt, sondern mit sei¬ ner Reiterei wieder im freien Felde, und seinem eigent¬ lichen Elemente zuruͤckgegeben, sich entschlossen anschickte. Er hatte in den naͤchsten Tagen nach der Raͤumung Hamburgs seine Truppen bei Lauenburg zusammenge¬ zogen, und seine Vorposten gegen Bergedorf und die Graͤnze von Holstein vorgedraͤngt. In Boitzenburg standen die wenig zahlreichen Truppen Wallmoden's. Der Feind hatte eine große Ueberlegenheit an Mann¬ schaft und Geschuͤtz, denn obwohl die Angaben in der wieder franzoͤsischen hamburgischen Zeitung die Anzahl der eingeruͤckten Franzosen prahlerisch uͤbertrieben, so befanden sich doch in Hamburg, nach sichern Nachrich¬ ten, die uns von dorther nie fehlten, wenigstens 10,000 Mann, gewiß das Vierfache der Unsrigen, und was in diesen der entschlossene Eifer, das konnte in jenen fuͤr den Augenblick der Uebermuth des gelunge¬ nen Erfolgs wirken. Die Beihuͤlfe der Daͤnen ver¬ mehrte die Zahl des Feindes ins Unbestimmte, und verlieh ihm zugleich Reiterei, an der es ihm bis dahin gefehlt hatte. Wir sahen in der That auch alsbald daͤnische Husaren gegen uns erscheinen, und mit den Kosaken und hanseatischen Reitern plaͤnkeln, und ob¬ wohl die daͤnischen Truppen uͤberhaupt nur mit Wider¬ willen sich den franzoͤsischen verbuͤndet sahen, so machte doch das, nach alter Erfahrung, in dem strengen Gange 25 * kriegerischer Verhaͤltnisse keinen Unterschied, und die Daͤnen fochten gegen uns wie die Franzosen, denen untergeordnet zu sein sie sich bald gewoͤhnten. Haͤtte Tettenborn bloß den Eingebungen des Augenblicks fol¬ gen wollen, so wuͤrde ihm, nachdem die Daͤnen sich so rasch in Feinde verwandelt hatten, voͤllig frei gestanden haben, mit aller Reiterei sogleich in Holstein einzufal¬ len, das Land zu uͤberschwemmen, die Truppen zu zer¬ streuen oder zu entwaffnen; wie leicht jenes Einbrechen geschehen konnte, hat das Gelingen des spaͤtern, viel schwierigern Versuchs gezeigt. Allein er wollte die hoͤhern Entscheidungen abwarten, die erst den Gesichtspunkt aufstellen mußten, aus welchem das neue Verhaͤltniß der Daͤnen zu behandeln sei. Dieses verzoͤgernde Ab¬ warten, und die Hoffnung, daß die Schweden jetzt in jedem Fall lebhafter den Krieg betreiben wuͤrden, in welchem sie ihre eigentlichsten Feinde nicht laͤnger als Gegner vermissen sollten, erhoͤhte die Spannung nach dieser Seite außerordentlich. Die Franzosen hatten kaum einige Tage damit zu¬ gebracht, sich in dem ungluͤcklichen Hamburg festzu¬ setzen und ihre vorhabenden Zerstoͤrungen zu beginnen, als sie auch ernstere Versuche machten, in das Lauen¬ burgische einzudringen, durch dessen Besetzung wir nach ihrem Sinne noch in Frankreich waren. Tettenborn sah die Unmoͤglichkeit, dem Vorruͤcken zahlreichen Fu߬ volks auf die Dauer mit Vortheil zu widerstehen, da die Einengung dieses Landstrichs zwischen der Ostsee und dem Elbstrom nicht erlaubte, den Feind mit der Reiterei, durch rasche Angriffe auf seine Flanken und kuͤhne Einfaͤlle in seinen Ruͤcken, zu aͤngstigen und auf¬ zuhalten, die einzige Art dieses gegen eine Uebermacht, der man von vorn nicht gewachsen war, moͤglich zu machen. Auf der andern Seite konnte man berechnen, daß der Feind, dessen Hauptmacht sich noch nicht un¬ bedingt von Hamburg entfernen konnte, nicht weiter als bis in den Anfang Mecklenburgs streifen wuͤrde, wo er zu der natuͤrlichen Hemmung, welche die Gefahr groͤßerer Entfernung ihm auferlegte, uͤberdies noch an der Elbe auf die Truppen Wallmoden:s, und laͤngs der Ostsee auf die Schweden treffen mußte, von wel¬ chen, obgleich sie bis jetzt nicht vorgingen, doch nicht zu erwarten war, daß sie sich ohne Gefecht noch wei¬ ter zuruͤckziehen wuͤrden. Es schien daher das Beste, diese Gegend ganz aufzugeben, und die Truppen, die hier in erfolgloser Vertheidigung unnuͤtz wuͤrden, ander¬ waͤrts nuͤtzlicher zu verwenden. Den Spielraum, den das rechte Elbufer versagte, bot das linke desto herrli¬ cher dar, und der nicht rastende Unternehmungsgeist Tettenborn's nahm sogleich dorthin sein Augenmerk, um in das Hannoͤversche und Braunschweigische einzu¬ fallen, durch kuͤhne Streifzuͤge gegen die Weser und den Harz den Feind zu beunruhigen, und, zu rascher Wendung bereit, dessen Stellung an der Oberelbe und Niederelbe im Ruͤcken gleicherweise zu bedrohen. Bevor jedoch dieser Zug unternommen werden konnte, wurden wir ploͤtzlich durch die Ankunft eines franzoͤsi¬ schen Offiziers uͤberrascht, der in Begleitung eines russi¬ schen aus dem großen Hauptquartier kam, um auf der ganzen Linie die Feindseligkeiten, zufolge eines geschlos¬ senen Waffenstillstandes, einzustellen; er traf in dem Augenblicke ein, als die Franzosen von mehreren Sei¬ ten gleichzeitig zu einem ernsthaften Angriff auf unsre Vorposten anruͤckten. Hatte die nachtheilige Wendung der Ereignisse die Gemuͤther tief betruͤbt, aber nicht den Kriegsmuth erschuͤttert, der den Sieg, wenn er sonst nirgends zu finden waͤre, im Tode aufzusuchen bereit war, so erfuͤllte dagegen die Nachricht des Waf¬ fenstillstandes auch die Muthigsten mit Bestuͤrzung, und wurde gleich der Nachricht einer Niederlage ange¬ nommen, gegen welche alles Ungluͤck im Felde nur gering erschien. Lieber geschlagen werden, als zu fech¬ ten aufhoͤren, war die Gesinnung aller Krieger. Die Bedingungen schienen im Ganzen vortheilhaft genug, doch in Ruͤcksicht auf Hamburg konnten sie nur auf's neue den unseligen Schmerz aufreizen, den der Ver¬ lust dieser besten deutschen Stadt uns tief eingedruͤckt hatte. Breslau zu raͤumen, hatten die Franzosen ein¬ gewilligt; fuͤr Hamburg waͤre die gleiche Bedingung moͤglich gewesen, allein weder Freund noch Feind wußte bei den Hauptheeren schon dessen Fall; die geringste Kunde hinwieder, welche uns von dem geworden waͤre, was dort verhandelt wurde, haͤtte diesen Fall verhuͤten koͤnnen, denn die Stadt waͤre bei der Aussicht, daß der Waffenstlllstand nach acht Tagen die erschoͤpften Kraͤfte abloͤsen wuͤrde, eine so kurze Zwischenzeit hin¬ durch gegen alle Uebermacht noch zu behaupten gewesen, und hart an der Grenze des Verderbens gerettet worden. Damit dieser Schmerz noch erhoͤht wuͤrde, mußte auch erst in Lauenburg ein Schreiben des russischen Staats¬ sekretairs Grafen von Nesselrode eintreffen, welches voraussetzte, Tettenborn sei noch in Hamburg, und ihn benachrichtigte, der Kaiser wuͤnsche die Stadt um jeden Preis gerettet, und solle daher der General Graf von Wallmoden noͤthigenfalls sein gesammtes Fußvolk hineinwerfen, bei der dringenden Eile aber habe er diese Zeilen selbst, nach dem Willen des Kaisers, als den Befehl dazu anzusehen. Eines oder das andere, dieses Schreiben, oder jene Nachricht von dem Waffen¬ stillstande um einige Tage fruͤher, und Hamburg war in der That gerettet, und blieb in ruhmvollem Stolze fortan unser, denn der Waffenstillstand haͤtte hier alles geliefert, dessen man bedurfte, Zeit zur Befestigung der Stadt, zur Uebung der Truppen und Buͤrger, zur Anschaffung von Pulver, zur Ankunft angemessener Verstaͤrkung, zur Entscheidung der daͤnischen und schwe¬ dischen Verhaͤltnisse. Zufolge gegenseitiger Uebereinkunft wurde die russi¬ sche Waffenstillstandslinie von dem Ausflusse der Trave vorwaͤrts Ratzeburg, Moͤlln und Lauenburg an die Elbe gezogen, die franzoͤsische lief vor Luͤbeck und Bergedorf hin, die zwischen beiden Linien eingeschlossene Strecke wurde fuͤr neutral erklaͤrt, und sollte von beiden Thei¬ len unbesetzt bleiben. Die Neigung der Franzosen zur gewaltsamen Anmaßung und zur Uebertretung der Ver¬ traͤge, so oft nur, nicht einmal immer ihr Vortheil, sondern bloße Laune aus Gewohnheit sie dazu anreizte, blieb waͤhrend aller wechselnden Zustaͤnde des Krieges immer dieselbe, und auch hier wurden sie nicht muͤde das neutrale Gebiet zu betreten und auszubeuten, und sich uͤber Verletzungen von unsrer Seite zu beschweren, so wenig auch jemals Anlaß dazu war. Tettenborn beantwortete ihre Beschwerden mit verachtendem Schwei¬ gen, und ließ ihre thatsaͤchlichen Eingriffe durch den seine Vorposten befehligenden General Denisoff kraͤftig zuruckweisen. Er selbst nahm sein Hauptquartier in Boitzenburg. Waͤhrend dieses langen und verlaͤngerten Waffen¬ stillstandes entwickelten und gestalteten sich die Kraͤfte der Verbuͤndeten in außerordentlichen Anstrengungen zu großem Umfang und innerer Staͤrke, denen selbst Napoleon mit seiner ungeheuern Thaͤtigkeit in den schon voͤllig auf den Krieg berechneten Verwaltungsmitteln seines großen Reichs, wie die Folge gezeigt, nicht gleiche entgegenzusetzen vermocht hat. Allein die zer¬ streuten Zuruͤstungen der Verbuͤndeten ließen sich, be¬ sonders im Anfange, nicht gleich so troͤstlich uͤbersehen und ermessen, und man durchlebte in großer Besorg¬ niß diese Waffenruhe, die man von dem Feinde besser, als von uns selbst benutzt zu sehen fuͤrchtete, und die, neben der Aussicht eines zweifelhaften Kriegs, auch die Moͤglichkeit eines schlechten Friedens durch fort¬ dauernde Unterhandlungen festgebannt hielt. Ja die besten Hoffnungen derjenigen, welche der Beharrlichkeit der Fuͤrsten und dem Eifer der Voͤlker alles zutrauten, wurden durch das Baͤngliche und Schwankende, dem jeder Buͤndnißkrieg ausgesetzt ist, oft gelaͤhmt und zweifelhaft. Die preußischen Ruͤstungen gaben das Beispiel ein¬ muͤthiger Staͤrke und heldenmuͤthiger Anstrengung, wie sie seit dem Anfange des franzoͤsischen Freiheitskrieges nicht waren gesehen worden; die Zahl der Bewaffne¬ ten wurde zu einer Hoͤhe gebracht, auf der sie nur durch die weisesten Maßregeln der Regierung und die allseitige Hingebung des Volks erhalten werden konnte; die Zweckmaͤßigkeit der Anordnungen und die Fuͤlle der Leistungen gaben den preußischen Ruͤstungen in tiefer Stille einen so sichern und reichen Erfolg, daß man bald mit Staunen Groͤßeres geschaffen fand, als man hatte bereiten sehen. Der Anmarsch russischer Verstaͤr¬ kungen dauerte unaufhoͤrlich fort: darunter fand sich auch die russisch-deutsche Legion, die nach der Nieder¬ elbe bestimmt war. Die Schweden machten nun wirk¬ lich einen Theil unsrer Streitmacht aus, da der Kron¬ prinz von Schweden den Oberbefehl eines zusammen¬ gesetzten Bundesheers, in welchem Wallmoden's Trup¬ pen einen Heertheil, und in diesem die Truppen Tet¬ tenborn's eine besondere Schaar bildeten. Englische Truppen landeten an der mecklenburgischen Kuͤste. In Mecklenburg selbst wurde die Einrichtung einer Land¬ wehr und eines Landsturms, nach dem Muster der preußischen mehr betrieben als ausgefuͤhrt, der geringe Umfang des Landes, die Ungewohntheit kriegerischer Anstalten, und selbst die Stoͤrungen durch die Anwe¬ senheit so vieler fremden Truppen, ließen den wieder¬ holt gegebenen Befehl des Kronprinzen von Schweden wenig wirksam werden; bessern Fortgang hatte die Er¬ richtung und Vermehrung des eigentlichen Militairs, dem es spaͤterhin nicht an Gelegenheit fehlte, sich aus¬ zuzeichnen. Ueber Oesterreich und den Gang der an¬ geknuͤpften Verhandlungen lag noch ein Dunkel aus¬ gebreitet, welches vertrauenvolle Zuversicht jedoch bald hell und heller eroͤffnet zu sehen hoffte. Der Kronprinz von Schweden, dessen Nichttheil¬ nahme an dem Kriege Napoleon's gegen Rußland sich um die Russen das groͤßte Verdienst erworben hatte, sollte nun, zur Theilnahme an dem Kriege gegen Na¬ poleon uͤbergehend, sich denselben mit groͤßerm Dank von den uͤbrigen Voͤlkern erwerben. Fuͤr die Verzich¬ tung auf die Wiedererlangung des unverschmerzten Finn¬ lands war den Schweden von England und Rußland der kuͤnftige Besitz Norwegens zugesichert, eine Zusiche¬ rung, welcher nun auch Preußen beizutreten veranlaßt war. Wenn die Staatskunst hier sich zu Maßregeln gedrungen fuͤhlte, die einen Fuͤrsten seines rechtmaͤßigen Besitzes willkuͤrlich berauben sollte, so kann man zur Entschuldigung anfuͤhren, daß der daͤnische Hof schon ein Jahr vorher gewarnt und benachrichtigt worden war, zu welchen Bedingungen sich Rußland, wenn Daͤnemark fortfuͤhre dem franzoͤsischen Buͤndniß treu zu bleiben, gegen Schweden verpflichten muͤsse, weil Ru߬ land bei dem bevorstehenden gewaltigen Kampfe nicht beider nordischen Maͤchte zugleich unversichert bleiben koͤnne. Das daͤnische Kabinet schien auch in der That, nach dem Untergange des großen franzoͤsischen Heeres in Rußland, sich den Russen und Preußen in dem Maße naͤhern zu wollen, als das Gluͤck sich von den Franzosen entfernte. In der Hoffnung, wegen Nor¬ wegen eine guͤtliche Ausgleichung treffen zu koͤnnen, und Daͤnen und Schweden gemeinschaftlich der guten Sache zuzufuͤhren, hatte der Kaiser von Rußland die daͤnischen Annaͤhrungen wohlwollend aufgenommen, und die preußische Regierung fand unter diesen Umstaͤnden den Abschluß mit Schweden nicht zu uͤbereilen. Allein der Kronprinz von Schweden fand hierin einen bedenk¬ lichen Anschein, der ihm desto unangenehmer war, als eine große schwedische Parthei nur ungern die Bezie¬ hungen zu Frankreich aufgegeben sah, und sich zu einem Mißtrauen berechtigt glaubte, das erst durch den Er¬ folg widerlegt werden sollte. Die Bluͤthe der schwedi¬ schen Kriegsmacht war nach einer stuͤrmischen Ueber¬ fahrt in Pommern gelandet, zu einem Kriege bestimmt, in welchem Schweden nur auf Kosten Daͤnemarks ge¬ winnen konnte; die Aussicht, durch das geringste Ver¬ sehen jene, fuͤr Schweden nicht wie fuͤr andere Laͤnder ersetzliche, Schutzwehr des Landes verlieren zu koͤnnen, ohne Norwegen zu gewinnen, forderte zu einer Sorg¬ falt auf, die allerdings verbot sich in rasche Thaͤtigkeit vorschnell einzulassen. Die Truppen, welche schon auf dem Meere gelitten hatten, beisammen zu halten und das Weitere abzuwarten, schien unerlaͤßlich, wenn nicht Schwedens eigne Sicherheit gegen Daͤnemark auf's Spiel gesetzt werden sollte. Der Kronprinz stand in doppelter Eigenschaft da, als schwedischer Thronfolger und als Feldherr; als jener sah er sich wegen des Vor¬ theils seines Landes wenig beruhigt, als dieser seinen Erwartungen wegen des Bundesheeres, dessen Ober¬ befehl ihm zugesagt war, nicht entsprochen. Schweden sah sich aller seiner Hoffnungen beraubt, seine ganze Bedeutung in diesem Kriege verloren, wenn nicht Daͤ¬ nemark der Feind der Verbuͤndeten blieb, sondern mit diesen und also auch mit Schweden in friedliche Ver¬ haͤltnisse trat. Das Benehmen der Daͤnen, welche Hamburg hatten fallen lassen, und dadurch allgemeinen Haß auf sich zogen, kam den Wuͤnschen der Schweden nur allzuguͤnstig entgegen, und wurde von ihnen eif¬ rig benutzt. Aber auch die Schweden hatten Hamburg retten koͤnnen, und es im Gegentheil verlassen, und mußten dieserhalb harte Beschuldigungen erleiden. Diese wur¬ den am staͤrksten laut, als man das harte Geschick des Generals Doͤbbeln erfuhr, welcher auf den Huͤlferuf Tettenborn's in der groͤßten Noth drei schwedische Ba¬ taillons nach Hambuurg hatte vorruͤcken lassen, ohne durch hoͤhere Befehle dazu ermaͤchtigt zu sein. Er war von der Befehlfuͤhrung abgerufen und vor ein Kriegs¬ gericht gestellt worden; waͤhrend des Waffenstillstandes kam nebst andern zahlreichen Widerwaͤrtigkeiten, zu denen die Ruhe Zeit gab, auch diese traurige Angele¬ genheit zum Spruche. Vergebens zeigte der General Doͤbbeln den ganzen Zusammenhang der Verhaͤltnisse und das Dringende der Aufforderung, vergebens berief er sich auf die edeln Triebfedern, die ihn auch diesmal bestimmt hatten, wie schon fruͤher, da er, gleichfalls ohne Befehl, zweimal das Vaterland zu retten gehol¬ fen, vergebens entbloͤßte er seinen von Wunden zer¬ schmetterten Schaͤdel, um zu zeigen, welches Haupt man zu verdammen im Begriffe sei; er wurde zum Tode verurtheilt, und der entruͤstete Mann vernahm nur mit Unwillen, daß ihm das Leben geschenkt und er zur Festung begnadigt sei. Er hatte der Form nach unstreitig gefehlt; aber wer in seiner Stellung, — so urtheilten damals die tapfersten und hoͤchsten Kriegs¬ maͤnner, — der Aufforderung Tettenborn's im Stande gewesen waͤre, nicht Folge zu leisten, der waͤre viel¬ leicht ein kluͤgerer Soldat gewesen, als der General Doͤbbeln, aber kein groͤßerer Ehrenmann. Waͤhrend im Ruͤcken vielfache Beschaͤftigung auf eine ereignißvolle Zukunft deutete, kamen taͤglich traurige Boten aus Hamburg als lebendige Zeugen einer jam¬ mervollen Gegenwart an, mit welcher wir uns in so naher Beruͤhrung fuͤhlten. Die Verhaftungen, Unter¬ suchungen und Bedruͤckungen nahmen kein Ende, und die Franzosen zeigten unverhohlen, daß diesmal sogar die Gelderpressungen nicht bloß Gelb, sondern eigent¬ lich den Untergang der armen Stadt zum hauptsaͤch¬ lichsten Zwecke hatten. Die besten Maͤnner des ganzen Gemeinwesens wurden geaͤchtet; jeder Hamburger war durch einen oder den andern Artikel der grausamen Rachverfuͤgungen Napoleon's der Willkuͤr scheuslicher Schergen verfallen; die reichsten Leute konnten durch kein Geld, die ehrwuͤrdigsten weder durch Amt noch Alter sich vor der Schanzarbeit schuͤtzen, zu der man sie gewaltsam hinzog, um sie dem schaͤndlichsten Hohn und mißhandelndem Spott bloßzustellen. Wer konnte, wanderte aus; taͤglich erschienen Buͤrger, zum Theil mit Frauen und Kindern, die sich gluͤcklich durchge¬ schlichen hatten, und begaben sich tiefer in das Meklen¬ burgische, wo sich ein Haͤuflein hamburgischer Buͤrger¬ garden um Perthes und Metlerkamp zu versammeln anfing; ihre Klagen uͤber den unerhoͤrten Druck und die schnoͤde Mißhandlung, uͤber das gewaltsame Zerstoͤ¬ ren der Haͤuser, ihre Schilderung des Umhauens aller Baͤume und des Verwuͤstens der Gaͤrten, gaben das traurigste Bild eines oͤffentlichen Ungluͤcks, das in je¬ dem einzelnen Leiden die Oberhand hatte. Die Unterhandlungen Oesterreichs waren inzwischen dahin gediehen, daß seine Verbindung mit Frankreich immer loser, die mit Rußland und Preußen immer fester wurde, und endlich selbst dem Feinde, der hier zum erstenmale die unangenehme Wahrheit absichtlich hinter Taͤuschungen sich selbst verhehlen zu wollen schien, kein Zweifel mehr uͤber den nahen Zeitpunkt bleiben konnte, der die oͤsterreichischen Heere den russischen und preußischen gesellen wuͤrde. In dieser Voraussetzung erhielten unsre Anstalten zur Wiedereroͤffnung des Kriegs erneuerte Kraft und Zuversicht, und die Bildung und Aufstellung der Heere wurde in Gemaͤßheit des neuen Zuwachses bedingt und angeordnet. Aus guten Gruͤnden hatte man, um die Wahrnehmung abgesonderter einzelner Ruͤcksichten und Vortheile bei den verbuͤndeten Heeren dem hoͤheren Gesichtspunkt des allgemeinen Vortheils so viel als moͤglich unterzuordnen, die Truppen der verschiedenen Heere vertheilt, deren kein einziges aus den Truppen bloß Eines Volkes bestand. Am mannigfaltigsten war diese Mischung bei dem Nordheer unter den Befehlen des Kronprinzen von Schweden, welches aus Russen, Preußen, Schweden, Englaͤndern, Hanseaten und an¬ dern deutschen Kriegsvoͤlkern zusammengesetzt war, und dies wieder am meisten in dem Heertheile Wallmoden's, unter dessen Befehl, nebst den abgesonderten Truppen einzelner Laͤnder, auch die zusammengemischten von ganz Deutschland in der russisch-deutschen Legion sich befanden. Ein solcher Koͤrper war ohne Zweifel in dem Grade weniger beweglich und zuverlaͤssig, als ihm Festigkeit und innere Einheit fehlten. Auch Tettenborn, welcher von russischen Truppen bei der neuen Verthei¬ lung nur vier Kosakenregimenter behalten, und seine russischen Dragoner, Husaren, Jaͤger und Kanonen anders wohin abgegeben hatte, bekam statt dieser jetzt preußische Truppen, naͤmlich die gesammte Lutzow'sche Freischaar, welche aus allen Waffengattungen bestand, und ein neuerrichtetes preußisches Bataillon Jaͤger. Wallmoden hatte die schwierige Aufgabe, mit hoͤchst geringen und unzuverlaͤssigen Kraͤften das Vorruͤcken der Uebermacht des Marschalls Davoust, dem zugleich die daͤnischen Huͤlfsvoͤlker untergeordnet waren, mit moͤglichster Anstrengung aufzuhalten und zu laͤhmen. Tettenborn empfing die Bestimmung, hiebei mit seinen Truppen dem Feind am naͤchsten zu sein, und nach eigner Einsicht und Kuͤhnheit zu verfahren. Wir koͤnnen nicht umhin bei dieser Gelegenheit, da wir der Luͤtzow'schen Freischaar erwaͤhnt haben, einige Worte uͤber diese mannigfach beurtheilte Truppe hier einzuschalten. In der freien Gesinnung, welche die Rettung des Vaterlandes unter jeder Gestalt und auf alle Weise erringen wollte, waren viele treffliche Leute schon fruͤhe zusammengetreten, und obgleich groͤßten¬ theils Preußen, so hatten sie doch in der Erwaͤgung, daß preußische und deutsche Gesinnung, die jetzt eins waren, in manchen Faͤllen wieder gesondert scheinen koͤnnte, vorzugsweise die deutsche erwaͤhlt. Diese Ge¬ sinnung herrschte bei Stiftung der Freischaar, an deren Spitze der Major von Luͤtzow gestellt wurde. Bei der Aussicht, daß der groͤßere Theil Deutschlands sich in allgemeinem Aufstand erheben wuͤrde, duͤnkte eine solche Schaar der Kern, um welchen ein großes deutsches Heer sich zu unabhaͤngiger Streitmacht versammeln konnte; und in der That moͤgen solch glaͤnzende Er¬ wartungen vielen Mitgliedern der sogenannten schwar¬ zen Schaar um so lebhafter vorgeschwebt haben, als diese Freischaar in der Auswahl und Menge trefflicher junger Leute eher die Offiziere eines kuͤnftigen Heeres, als die Gemeinen einer vorhandenen Truppe zu besitzen schien. Der Ausdruck „schwarze Erde,“ welcher hin und wieder bei dieser Schaar vorkam, erinnerte mit III . 26 absichtlicher Bedeutung an die rothe Erde der Vehme, und wies auf einen ausgebreiteten Wirkungskreis hin. Allein der Gang der Begebenheiten war der Entwicke¬ lung dieser Bestrebungen durchaus nicht guͤnstig, und die verbuͤndeten Maͤchte selbst wollten lieber den lang¬ samen Beitritt der Rheinbundfuͤrsten abwarten, als die rasche Kraft der Voͤlker zur augenblicklichen Theilnahme aufrufen. Der Sammelplatz allgemeiner deutschen Ge¬ sinnungen mußte dadurch bald veroͤden, und den oͤrtli¬ chen nachstehen, die den Bayern, den Rheinlaͤnder, den Westphalen, in seinem eignen Kreise zu den Waffen rief; die Luͤtzow'sche Schaar, eben so wie die deutsche Legion, kam dadurch um ihre politische Bedeutung, und behielt bloß, gleich andern Truppen, eine mili¬ tairische. Jedoch wurde es schwer, jener Bedeutung so¬ gleich zu entsagen, und ein unzufriedener Mißmuth uͤber die getaͤuschte Erwartung bezeichnete noch lange ihr nicht gaͤnzliches Erloͤschen. Als bloße Truppe betrachtet, zeigte die Luͤtzow'sche Schaar aber bald unvereinbare Elemente; die herrlichsten Juͤnglinge und Maͤnner, aus den Staͤd¬ ten groͤßtentheils den Studien und Staatsaͤmtern ent¬ zogen, oft noch in der Unschuld und Begeisterung hoͤherer Bildung, fanden sich neben den rohesten Ge¬ sellen, denen Wildheit uͤber Freiheit ging, und unter verschmitzten Heuchlern, welche in den Schein des Va¬ terlandseifers ihre Raubsucht huͤllten. Daher die zahl¬ losen Klagen uͤber Gewaltsamkeiten aller Art, die man von den sogenannten Schwarzen wollte erlitten haben. Daher aber auch die Begeisterung, welche andere Mit¬ glieder dieser Schaar an vielen Orten erweckten. Allein auch die Bessern, die sich hier vereint fanden, waren nicht an guͤnstiger Stelle; was vertheilt auf ganze Re¬ gimenter als erfrischender Geist wirken konnte, verlor sich hier in sich selbst laͤhmender Gleichartigkeit. Kein Wunder, wenn unter solchen Umstaͤnden die auf bloß militairische Verwendung beschraͤnkte Schaar auch in dieser bei aller Tapferkeit doch den aus Landvolk beste¬ henden Feldregimentern nicht gleichkam, da, naͤchst der Tapferkeit, hauptsaͤchlich die koͤrperliche Kraft und Aus¬ dauer bei dem Krieger in Betracht kommt. Die Luͤtzower aber waren williger zu jeder Anstrengung und Ent¬ behrung, als faͤhig. Die Zeit des Waffenstillstandes naͤherte sich ihrem Ende, und die gespannten Gemuͤther ergriff lebhaftere Thaͤtigkeit; auf solchen Entscheidungen, wie jetzt ganz nahe waren, hatte unsere Sache noch nie gestanden! Der Kronprinz von Schweden gab dem Nordheer in der Mark Brandenburg eine solche Stellung, daß die Hauptstadt Berlin gegen den ganzen Lauf der Elbe hin umgeben, und vor dem Feinde, er mochte von Suͤden oder von Westen andringen, gesichert war. Seinen aͤußersten rechten Fluͤgel an der Niederelbe gegen Holstein bildete Wallmoden, unter dessen Befehlen die russischen Generale von Tettenborn und von Arentschildt, 26 * die englischen Generale von Doͤrnberg und Lyon und der schwedische General von Vegesack standen, welcher letztere jedoch im voraus besondere Weisungen erhalten hatte, die ihn von dem uͤbrigen Heer einigermaßen trennten, wie er denn im Fall eines Ruͤckzuges mit seinen schwedischen und den mecklenburgischen Truppen sich laͤngs der Ostsee nach Stralsund ziehen sollte, waͤh¬ rend den andern Abtheilungen fuͤr solchen Fall die Rich¬ tung nach Berlin gegeben war. Diese saͤmmtlichen Truppen Wallmoden's betrugen ungefaͤhr 25,000 Mann, die man am Tage der Schlacht unter dem Gewehr zu haben rechnen konnte. Das Geschuͤtz betrug kaum 40 Kanonen, die nicht alle im besten Stande waren, ja zum Theil noch erwartet wurden. Da nach den Anordnungen des Kronprinzen auf dieser Seite kein heftiger Angriffskrieg Statt finden konnte, so war im voraus bestimmt, daß man der Uebermacht des Fein¬ des, sobald sie vordraͤnge, langsam weichen und sich in den oben angegebenen Richtungen fechtend zuruͤck¬ ziehen sollte. Dem gemaͤß, um die Stecknitz dem Feinde einigermaßen streitig zu machen, wurden vor Lauenburg noch in den letzten Tagen des Waffenstillstandes auf vortheilhaften Anhoͤhen drei Schanzen eiligst angelegt, und mit der Nacht vor dem Wiederausbruch der Feind¬ seligkeiten gluͤcklich vollendet. Eine neue Bruͤcke uͤber die Stecknitz bei Lanz versicherte die ruͤckwaͤrtige Ver¬ bindung dieses Postens; die sumpfigen und buschreichen Ufer erschwerten jeden andern Uebergang. Wallmoden verlegte sein Hauptquartier von Grabow nach Hage¬ now, Tettenborn das seinige von Boitzenburg nach Buͤ¬ chen, und vertheilte seine Truppen auf der Linie von Moͤlln nach Lauenburg, welche beide Staͤdte er nebst den Schanzen bei letzterer besetzt hielt. Seine Staͤrke betrug etwa 3000 Mann Fußvolk, 4 Kosakenregimen¬ ter, zusammen beinah 1500 Pferde, und ungefaͤhr 400 Pferde von der seit dem Ueberfalle bei Kitzen nicht wieder ergaͤnzten Reiterei von Luͤtzow; einige Stuͤcke leichtes Geschuͤtz waren wenig brauchbar. Noch am 16. August wußte man bei uns nicht, ob die Feindse¬ ligkeiten wirklich ausbrechen wuͤrden, oder der Waffen¬ stillstand verlaͤngert waͤre, keine Anzeige, kein Befehl deßhalb war eingetroffen, und der Zweifel wurde erst am folgenden Tage durch die That gehoben, indem die Franzosen die Feindseligkeiten wirklich anhoben. Am 17. August um Mittag bekam Tettenborn die Nachricht, daß der Feind von Hamfelde, mit 3000 Mann, worunter auch Daͤnen, und 6 Kanonen, durch das bisher neutrale Gebiet gegen Moͤlln vorruͤcke, und bald darauf, daß derselbe mit betraͤchtlicher Staͤrke auch gegen Lauenburg im Anzuge sei. Sogleich wurden Patrouil¬ len von Buͤchen rechts und links vorgeschickt, um den Feind in seinen Flanken zu beobachten. Durch Nach¬ laͤssigkeit einiger Posten aber wurde auch gleich an die¬ sem ersten Tage das bei Moͤlln aufgestellte Kosaken¬ regiment uͤberfallen, und von diesem Punkte, jedoch ohne den geringsten Verlust, zuruͤckgeworfen, sonderbar ge¬ nug, da seit Jahr und Tag bei diesen Truppen der¬ gleichen weder geschehen war, noch in der Folge je wieder geschah. Der Feind verfolgte jedoch auf dieser Seite seinen augenblicklichen Vortheil nicht. Desto ernsthafter war sein Andringen bei Lauenburg, wo zwei Bataillons Jaͤger und ein Kosakenregiment den Feind empfingen. Die Jaͤger verließen ihre Schanzen und begegneten dem Feinde auf freiem Feld, warfen ihn nach einem hitzigen Gefecht, ungeachtet seiner Ueber¬ zahl, zuruͤck, und uͤberließen ihn den Kosaken zu wei¬ terer Verfolgung; von beiden Seiten blieben viele Leute. Den Tag darauf verstaͤrkte der Feind seinen Angriff und ruͤckte mit 5 Bataillons und 3 Kanonen an, zwei der letztern wurden bald unbrauchbar gemacht, und waͤh¬ rend aus den Schanzen unsere Kanonen feuerten, bra¬ chen die Jaͤger und Schuͤtzen abermals in das freie Feld hinaus, und schlugen sich den ganzen Tag mit dem uͤberlegenen Feinde herum, der endlich im Walde Schutz suchen mußte, nachdem er, vorzuͤglich durch die unter dem braven Hauptmann Riedel den Luͤtzowern gesellten Tyroler Schuͤtzen, uͤber 400 Mann verloren hatte. Die Unsrigen hatten 100 Todte und Verwun¬ dete, worunter 11 Offiziere, die bei jeder Gelegenheit mit entbranntem Muthe vorangingen. Noch am naͤm¬ lichen Abend versuchte der Feind durch einen neuen Angriff mit dem Bajonett die Schanzen wegzunehmen, und wurde nochmals blutig zuruͤckgewiesen; da jedoch seine ganze Macht nachruͤckte, und die Truppen zum Angriff sich stuͤndlich vermehrten, so gelang es ihm am folgenden 19 . in der Fruͤhe des Morgens die Hart¬ naͤckigkeit der Unsern zu uͤberwaͤltigen, und er nahm die Schanzen mit Sturm, wobei wir gegen 200 Mann verloren. Auf diese Art Meister der beiden Fluͤgel¬ punkte unsrer Stellung an der Stecknitz, drang der Feind endlich auch gegen die Mitte nach Buͤchen vor, wo er aber die Bruͤcke zerstoͤrt fand, und ebenfalls auf hartnaͤckigen Widerstand stieß. Tettenborn hatte sich be¬ reits nach Gresse zuruͤckgezogen, ließ aber den Ueber¬ gang noch durch den Rittmeister Grafen von Bothmer mit 50 Kosaken vertheidigen, welche der Feind durch anhaltendes Kanonenfeuer bis auf den Abend, wo sie abzuziehen Befehl hatten, vergebens zu vertreiben suchte. Nachdem die Franzosen sich nun aller Uebergaͤnge uͤber die Stecknitz bemeistert hatten, konnten sie ungestoͤrt und rasch vorgehen; allein Tettenborn blieb mit seinen Kosaken immer hart an ihnen, beunruhigte sie so sehr auf allen Seiten durch unaufhoͤrliches Plaͤnkeln, und goͤnnte ihnen so wenig Raum sich vorwaͤrts aufzustel¬ len, daß sie nur in ganzer Masse, wo das Fußvolk und selbst das Geschuͤtz an der vordersten Spitze immer zur Hand sein mußte, langsam vorzugehen wagten. Unter bestaͤndigem Geplaͤnkel von allen Seiten, wobei der Feind gegen die abgesessenen Kosaken jedesmal Ge¬ schuͤtz auffuͤhrte, um sie zu vertreiben, und jedes kleine Gefecht durch Kanonendonner verherrlichte, zogen wir uns langsam und ohne Verlust uͤber Gresse, Badekow und Schildefelde nach Vellahn, wo Tettenborn fruͤh am 21. August eintraf, und weil es ihm unertraͤglich fiel, mit seinen tapfern Truppen vor dem zaghaften, aber uͤbermaͤchtigen Feinde noch weiter zuruͤckzugehen, so wollte er hier dem Feinde, dessen von Buͤchen und Boitzenburg heranziehende Abtheilungen hier vereinigt uͤber 25,000 Mann betragen mußten, kaͤmpfend Stand halten. Der Marschall Davoust war selbst an der Spitze der Vorruͤckenden, hatte aber in vier vollen Ta¬ gen nur wenige Meilen zuruͤckgelegt, seine Reiterei wagte er kaum zu zeigen, alle seine Truppen machten gleichsam Vorposten, Kanonen wurden Plaͤnkler. Wir konnten dieses Uebermaß von Vorsicht um so weniger begreifen, als wir aus aufgefangenen Briefen wußten, daß Napoleon den Marschall Davoust angewiesen hatte, die Truppen Wallmoden's als neu errichtete und schlechte gar nicht fuͤr bedeutend anzusehen. Die Gegend von Vellahn hat Hoͤhen und Wald; hinter diesen legte Tettenborn, nach getroffener Ver¬ abredung mit Wallmoden, der sein Hauptquartier in Klodran genommen, und den General von Doͤrnberg in die linke Flanke des Feindes vorgeschoben hatte, auf die zweckmaͤßigste Weise Reiterei und Geschuͤtz in Ver¬ steck, um im rechten Augenblick unerwartet hervorzu¬ brechen; das Dorf Bellahn wurde ganz mit Jaͤgern be¬ setzt, waͤhrend vor demselben ein Theil der Kosaken ebenfalls versteckt hielt, und der andere Theil den Feind unter bestaͤndigem Plaͤnkeln herbeilockte. Sein Vor¬ ruͤcken geschah jedoch an diesem Tage noch langsamer als gewoͤhnlich, und erst spaͤt am Nachmittage verkuͤn¬ digten Kanonenschuͤsse seine Annaͤherung. Durch diese Zoͤgerung des Feindes mußte die Reiterei Doͤrnberg's zu fruͤh erscheinen, und eher gesehen werden, als Zeit zum Angriff war. Die Franzosen wandten ihre Auf¬ merksamkeit sogleich auf ihre linke Flanke, und das Gefecht entspann sich zuerst mit einem Bataillon der russisch-deutschen Legion, das von den Husaren der englisch-deutschen Legion, und 4 Kanonen unterstuͤtzt wurde. Diese Truppen schlugen den Angriff, ungeach¬ tet des feindlichen Kartaͤtschenfeuers, tapfer zuruͤck. Aber die Hauptsache war versaͤumt, und die Erwartung, den Feind zur vorbereiteten Niederlage naͤher zu locken, blieb getaͤuscht. Unter diesen Umstaͤnden nahm Tettenborn 3 Kosakenregimenter zusammen, und sprengte, er selbst der Erste, unter lautem Hurrah, auf die Franzosen ein, die in großer Ausdehnung und Anzahl hier zuerst wieder sich in Plaͤnkler aufgeloͤst hatten, und bei die¬ sem lebhaften Angriff in Menge niedergestochen wur¬ den. Auch Wallmoden fand sich persoͤnlich hier ein, und ermunterte, mit Tettenborn vereint, die Kosaken durch das muthigste Beispiel zu kuͤhner Verfolgung, die auch beinah eine Stunde Wegs fortdauerte, unge¬ achtet des Kartaͤtschen- und Kanonenfeuers, und der Bataillonsmassen, welche den Fluͤchtigen zu Huͤlfe ka¬ men; ungefaͤhr 400 Franzosen blieben auf dem Platze, lauter Fußvolk, weil die Reiterei aͤngstlich zuruͤckgehal¬ ten und von jenem zur Sicherheit in die Mitte genom¬ men war. Die ganze Linie des Feindes war im Feuer, das bis in die spaͤte Nacht dauerte; unsre Truppen behielten ihre alte Stellung bei Vellahn, und hatten das Feld weit vor sich hin gesaͤubert; denn der Feind, stutzig geworden, zog sich in der Nacht noch weiter zuruͤck. Dieses Gefecht, in welchem hoͤchstens 5000 Mann gegen mehr als 20,000 gestanden hatten, so ruhmvoll als erfreulich fuͤr die Unsern, zeigte dem Feinde, was er von den neuen Truppen, die er verachten sollte, unter solchen Anfuͤhrern zu erwarten habe. An den folgenden beiden Tagen harrten wir ver¬ gebens, daß uns der Feind nach Toddin, wo unsere Truppen hoͤchst vortheilhaft aufgestellt waren, nachfol¬ gen, oder uns bei Hagenow, wohin wir sodann zogen, angreifen sollte. Er nahm seine Richtung links auf Wittenburg, und von da weiter auf der Straße nach Schwerin, waͤhrend nur einzelne Abtheilungen sich unsern Plaͤnklern entgegenstellten, und nach lebhaftem Kano¬ niren gleichfalls in jener Richtung abzogen. Kaum war Tettenborn von dem Einruͤcken des Feindes in Wittenburg unterrichtet, als er sogleich Partheien in den durch diese Seitenbewegung eroͤffneten Raum schickte, die im Ruͤcken des Feindes Gefangene machten, Fuh¬ ren wegnahmen und Boten auffingen; ein Kosakenre¬ giment blieb bei Wittenburg selbst an die Hauptmasse der feindlichen Truppen dicht angeschlossen, und beob¬ achtete deren kleinste Bewegung. Eine andere Abthei¬ lung wurde nach Schwerin und von da vorwaͤrts auf der Straße nach Wittenburg dem Feinde entgegenge¬ schickt, der schon in dieser Richtung vorruͤckte und mit jener Abtheilung, die sich beobachtend zuruͤckzog, fast zugleich in Schwerin ankam, gleich zuerst mit etwa 10,000 Mann, dann mit den uͤbrigen Truppen, deren gesammte Staͤrke uͤber 30,000 Mann betrug, und sich zwischen den Seen bei Schwerin lagerte. Tettenborn ging nun selbst mit allen Kosaken und der Luͤtzow'schen Freischaar in den Ruͤcken des Feindes, und auf derselben Straße, welche dieser genommen, uͤber Wittenburg ihm nach gegen Schwerin, allein der Feind hatte keine Truppenabtheilung zuruͤckgelassen, son¬ dern alles eifrig beisammen gehalten, und den Nach¬ trab fleißig mitgenommen, so daß die Hoffnung, diesen zu uͤberfallen, fehlschlug. Doch machten wir zahlreiche Gefangene, die von allen Seiten eingebracht wurden, und hemmten durch diesen Marsch die Verbindung des Feindes mit seinem Ruͤcken, indem wir zugleich alle noͤthigen Nachrichten uͤber ihn einzogen. Von Warsow aus wurde der Major von Luͤtzow mit einer starken Parthei nach Trebbow abgesandt, um den Feind ganz zu umstellen, und ihm auch von dieser Seite alle Nach¬ richt abzuschneiden. Dieser letztere Zweck erhielt durch die Lage des Augenblicks die hoͤchste Wichtigkeit. Waͤh¬ rend naͤmlich der Marschall Davoust mit allen Trup¬ pen in gedraͤngter Stellung am Schweriner See stand, und nach jeder Richtung die leichte Umzaͤumung, welche die Kosaken dicht um ihn gezogen hatten, durchbrechen konnte, um mit seiner Uebermacht etwas Entscheiden¬ des auszufuͤhren, so daß man mehr als gewoͤhnlich behutsam sein mußte, um ihn nach keiner Richtung unbemerkt einen Marsch gewinnen zu lassen, kam die Nachricht bei uns an, daß die franzoͤsische Hauptmacht aus Sachsen gegen das Heer des Kronprinzen von Schweden hervorgebrochen sei, und dieser in der Naͤhe von Berlin bei Teltow alle Truppen zusammenziehe, um eine Schlacht zu liefern, deren Vorspiel schon begon¬ nen habe. Da zugleich auch von Magdeburg aus eine betraͤchtliche Truppenstaͤrke auf der Straße nach Berlin im Anmarsch war, und der Kronprinz weder seine ver¬ sammelten Truppen vor der nahen Schlacht schwaͤchen, noch in seiner Flanke die gefaͤhrliche Bewegung des Feindes ungestraft geschehen lassen durfte, so sandte er an Wallmoden den Befehl, den Marschall Davoust zu verlassen, und schleunigst nach der Elbe gegen den aus Magdeburg vorgedrungenen Feind zu marschiren. Tet¬ tenborn sollte mit seinen Truppen stehen bleiben, und den Marschall Davoust uͤber den Abmarsch der andern zu taͤuschen suchen. Wallmoden setzte sich sogleich am 25. August in Bewegung. Alle Anordnungen wurden der Schwierigkeit dieser neuen Lage gemaͤß getroffen, und unter andern auch das Gepaͤck weiter in's Land zuruͤckgesandt. Tettenborn zog sich uͤber die große Ebene bei Schwerin aus dem Ruͤcken des Feindes wie¬ der rechts in die Fronte desselben, sowohl um nicht die Ruͤckzugsstraße gegen Berlin und das Heer des Kronprinzen zu verlieren, als auch um die schoͤne und vollkommen offne Ebene, welche sich von Schwerin ge¬ gen Ludwigslust unuͤbersehbar ausdehnt, auf den Fall eines Treffens fuͤr seine Reiterei vor sich zu haben; er nahm sein Hauptquartier in Fahrbinde, wo Baͤume und Buschwerk die Ebene zu unterbrechen anfangen, die zwischen dem Feind und den Unsrigen liegend jede Angriffsbewegung sogleich entdecken ließ, auch im un¬ wahrscheinlichen Falle, daß die dicht um die feindlichen Lager gezogenen Kosakenposten uͤberfallen und ver¬ sprengt wuͤrden. Der Marschall Davoust hatte waͤhrend der Abwe¬ senheit Wallmoden's also nur hoͤchstens 5000 Mann vor sich, von welchen er sich, der jetzt mehr als 40,000 Mann hatte, die spaͤterhin nach authentischen Listen bis zu 51,000 Franzosen, ohne die 10,000 bis 15,000 Daͤnen, anwuchsen, gluͤcklicherweise in der Enge halten ließ; er ahndete so wenig, was bei uns vorging, daß er noch aͤngstlicher als vorher sich auf seine Stellung beschraͤnkte. Eine kuͤhne Bewegung von seiner Seite in diesem Augenblick, und ein rasches Vordringen durch die Priegnitz in die Mark Brandenburg, haͤtte, in Verbindung mit den andern Bewegungen der Franzosen von Wittenberg und Magdeburg her, fuͤr Berlin hoͤchst gefaͤhrlich, ja bei Davoust's Truppenzahl fuͤr den Feld¬ zug auf dieser Seite entscheidend werden koͤnnen, we¬ nigstens wuͤrden ihm Tettenborn und Wallmoden, wenn ihm auch nicht gelungen waͤre sie zu schlagen, immer ruͤckwaͤrts haben weichen muͤssen, und der Kronprinz, von allen Seiten bedroht, ja fuͤr seinen Ruͤckzug nach Stralsund besorgt, haͤtte mit seinen geringen Kraͤften schwerlich Stand halten koͤnnen. Allein Tettenborn loͤste gluͤcklich die Aufgabe, von deren Wichtigkeit er durchdrungen war, und diese bangen Tage gingen vor¬ uͤber, ohne daß der Feind unsere Lage erfahren haͤtte. Keine Nachricht drang zu ihm, kein Kourier fand einen unbesetzten Weg, uͤberall schwaͤrmten Kosaken, deren Anzahl durch ihre stete Bewegung unberechenbar groß erschien; die Patrouillen des Feindes, welche sich in die nur wenig von dem Lager entfernten Doͤrfer wag¬ ten, wurden jedesmal angegriffen, verjagt, und ließen immer mehrere Gefangene zuruͤck; so gewann es den Anschein, als wenn wir, weit entfernt, einen Angriff zu fuͤrchten, vielmehr selber anzugreifen bereit waͤren. Diese gespannte Lage dauerte jedoch nicht lange; schon am 26. August kam die Nachricht von dem Siege des Kronprinzen bei Groß-Beeren, und den Tag darauf kehrte auch Wallmoden mit seinen Truppen zuruͤck, da der Kronprinz nach der gewonnenen Schlacht be¬ reits andere naͤherstehende Truppen in die Gegend von Magdeburg absenden konnte. Unbeschreiblich, und vielleicht zu sehr vergessen ist der Eindruck, welchen diese erste Siegesnachricht in den Gemuͤthern hervorbrachte; der Krieg hatte sich fuͤr uns jetzt gleich im Anfang mit Gluͤck eroͤffnet, das seitdem der Gefaͤhrte unserer Waffen blieb, und nur bisweilen zu schlummern schien, um desto herrlicher aufzuwachen. Die Rettung Berlins, die spaͤter noch Einmal durch den General Buͤlow bei Dennewitz gelang, hatte dem Siege durch die Theilnahme einer dankbaren Menge einen erhoͤhten Glanz verliehen. Zwar nur Preußen waren zum Kampfe gekommen, aber der Kronprinz hatte mit kriegskundiger Einsicht seine ganze Staͤrke in der kuͤrzesten Zeit auf den bedrohten Punkt so ver¬ sammelt und aufgestellt, daß der Feind die Unmoͤglich¬ keit des Gelingens einsah, und die Schlacht nicht auf das aͤußerste kommen ließ, sondern, mit der Niederlage eines Theils seiner Truppen zufrieden, die uͤbrigen gar nicht in's Gefecht brachte. Auch unsere Stellung ge¬ gen den Marschall Davoust gewann nun eine andere Ansicht, sein Vordringen konnte weder so gefaͤhrlich, noch unserer fernerer Ruͤckzug so nachtheilig werden, da jenes keine andern Bewegungen mehr unterstuͤtzte, und dieser bei jedem Schritt auf groͤßere Verstaͤrkun¬ gen fuͤhrte. Unsere Partheien fuhren fort, den Feind nach allen Richtungen zu belaͤstigen und seine Wirksamkeit einzu¬ engen. Der Major von Luͤtzow uͤberfiel bei Wittenburg einen großen Zug franzoͤsischer Wagen, nahm ihn, und machte viele Gefangene; die uͤbrige Mannschaft der Be¬ deckung wurde groͤßtentheils niedergehauen. Bei diesem Gefechte buͤßten wir auch Einige der Unsrigen ein, un¬ ter ihnen den jungen Grafen von Hardenberg und den Lieutenant Theodor Koͤrner, letzterer bekannt durch die gluͤckliche Dichtergabe, welche ihn inmitten aller Ab¬ wechslungen des Kriegslebens nie verließ. Er war von Wien, wo er in gluͤcklichen Verhaͤltnissen lebte und noch gluͤcklicheren entgegen sah, dem fruͤhsten Waffen¬ rufe gefolgt, und nebst vielen seiner saͤchsischen Lands¬ leute in die Luͤtzow'sche Freischaar getreten, wo er so¬ wohl wegen seines frohherzigen Umgangs und heitern Dichtergeistes, als wegen seiner heldenmuͤthigen Tapfer¬ keit allgemeine Liebe erworben hatte. Bei Kitzen durch mehrere Saͤbelhiebe in den Kopf gefaͤhrlich verwundet, dachte er zu sterben, und in der That verschob seine Genesung nur auf kurze Zeit den ihm zugedachten Tod. Mit eifriger Eile hatte er sich bei seinen Waffengefaͤhr¬ ten wieder eingefunden, mit ungestuͤmer Verwegenheit stuͤrzte er bei dem ersten Begegnen auf den Feind, und fiel, von vier Kugeln in den Leib getroffen, todt vom Pferde. Seine Lieder konnten der Gegenwart genuͤ¬ gen, seine Gesinnung allen Zeiten; ein Gedicht von Staͤgemann feiert das Andenken von beiden mit milder Ueberlegenheit. Noch ein anderer Offizier von unschaͤtz¬ barem Werthe, der Hauptmann Schaͤffer, dessen wir schon Gelegenheit fanden zu erwaͤhnen, verdient, daß sein Name nicht sogleich vergessen werde; er war in diesen Tagen auf einem Streifzuge jenseits der Elbe, wo er, obgleich Ingenieuroffizier, und durch keinen Beruf dazu verpflichtet, mit kampfbegierigem Muthe auf den Feind eindrang, bei Dannenberg von einer Flintenkugel getoͤdtet worden. Inzwischen hatte der Marschall Davoust den Ge¬ neral Loison gegen Wismar abgeschickt, und dieser, nach mehrern Gefechten mit dem General von Vegesack, die Stadt besetzt. Die Beute war nicht so ansehnlich, als man erwartet hatte, desto betraͤchtlicher sollten die Gelderpressungen ausfallen, die sich der General Loison daselbst nebst der schnoͤdesten Behandlung der Einwoh¬ ner erlaubte. Eine Unternehmung auf Rostock, wo große Waarenlager aufgehaͤuft waren, reizte die unbe¬ friedigte Raubsucht, und ein Versuch, dahin vorzudrin¬ gen, wurde sogleich gemacht. Allein der General von Vegesack schlug die Franzosen bei Neu-Bukow, und warf sie wieder auf Wismar zuruͤck, welches sie darauf III. 27 ebenfalls fruͤher raͤumen mußten, ehe die verlangten Geldsummen vollstaͤndig gezahlt waren. Bei Schwerin hielt der Feind sich fortwaͤhrend ganz ruhig in zwei Lagern, bei Neumuͤhlen und Wittenfoͤr¬ den, an welchem letztern Orte die Daͤnen gesondert standen, da sie auf Maͤrschen und in Gefechten mit den Franzosen gemischt erschienen. Die Patrouillen, die der Feind in die nahgelegenen Doͤrfer nach Lebens¬ mitteln, vorzuͤglich nach Vieh, ausschickte, bestanden immer aus Fußvolk, ja bisweilen aus ganzen Ba¬ taillons, hinter welchen Geschuͤtz folgte, das bei jedem Angriff der Kosaken sogleich vorgefahren wurde und zu feuern anfing. Tettenborn verlegte sein Haupt¬ quartier nach Orthkrug, naͤher Schwerin, um den Feind enger zu beschraͤnken, und noch mehr zu beunruhigen und zu necken. Nicht genug, daß er von hier aus fortfuhr durch Partheien in klug gewaͤhlten Richtungen die ganze ruͤckwaͤrts gelegene Gegend durchstreifen zu lassen, auch in dem Lager selbst ließ er dem Feinde von nun an keine Ruhe. Nacht fuͤr Nacht wurden seine Posten angegriffen, zuruͤckgeworfen und in das Lager gesprengt. Durch die Papiere, welche ein auf¬ gefangener Kourier bei sich gehabt, ersah man, daß der Feind in bestaͤndiger Besorgniß war von uns ernst¬ haft angegriffen zu werden, und daher die nordwaͤrts des Schweriner Sees vertheilten Truppen zuruͤckrief, um seine ganze Staͤrke beisammen zu haben. Seine Posten zog er aus Vorsicht alle ein, damit dieselben nicht aufgehoben wuͤrden. Tettenborn ließ nunmehr mit den Kosaken Jaͤger zu Fuß ausruͤcken, damit der Feind auf den Vorposten Fußvolk saͤhe, und ließ jede Nacht die feindlichen Lager alarmiren. Die Jaͤger schlichen bis auf dreißig Schritt zu den Wachtfeuern hinan, durch Dunkelheit und Gebuͤsch gedeckt, und schossen ihre Buͤchsen ab, der Laͤrm durchdrang sogleich das ganze Lager, und mitten durch hoͤrte man das Gewimmer der Verwundeten. Die Unsern streuten die Zeitungsblaͤtter mit den Nachrichten von den gluͤcklichen Fortschritten der verbuͤndeten Heere auf den feindlichen Wachtplaͤtzen aus, und zogen sich vor Tag wieder auf ihre Posten. Der Major von Luͤtzow wurde mit einer Parthei nach Boitzenburg gesandt, welchen Ort aber noch vor seiner Ankunft der Feind in eiliger Flucht verließ. Der Major von Arnim hatte mit der han¬ seatischen Reiterei bei Vicheln einen guten Angriff ge¬ macht, und den Feind geworfen. Durch alle diese gluͤcklichen, zwar kleinen, aber durch ihre Menge zu bedeutendem Vortheil anwachsenden Unternehmungen, wurde der Feind immer mehr und mehr eingeschuͤchtert, und wagte zuletzt aus Zaghaftigkeit sich zu keinem Ge¬ fecht mehr hervor. Seine Lage wurde noch bedenkli¬ cher durch den Mangel an Nachrichten, der so groß und so peinlich war, daß der Marschall Davoust sogar ein Kind aus Schwerin nach der Berliner Zeitung 27 * ausschickte, ohne in diesem Falle gluͤcklicher zu sein, als in andern. Der Dichter Friedrich Ruͤckert hat diese Abgeschiedenheit des Marschalls in Schwerin durch ein scherzhaftes Lied artig besungen. Ein mit dem Kourier, der ihn uͤberbringen sollte, aufgefangener Brief der Marschallin Davoust an ihren Gemahl gab durch seinen merkwuͤrdigen Inhalt ebenfalls Anlaß zu scherzhafter Belustigung. Die Begierde sich mit dem Feinde zu messen, war durch das Betragen desselben bei unsern Truppen taͤg¬ lich staͤrker entbrannt, es schien eine Schande, den nicht anzugreifen, der sich vor unserm Angriff so offen¬ bar fuͤrchtete. Auch Tettenborn bedurfte der groͤßten Selbstuͤberwindung, um nicht die ruhige und zoͤgernde Haltung, die ihm vorgeschrieben war, zu uͤberschreiten; und Wallmoden selbst bezeigte haͤufig Lust, dem Geg¬ ner eine Schlacht zu liefern, und traf mancherlei dahin zielende Anordnungen, die er aber jedesmal zu rechter Zeit noch zuruͤcknahm; denn die Ueberzahl des Feindes, seine gute Stellung, und sodann die Zusammensetzung unsrer Truppen, waren Gruͤnde, die bei jeder neuen Erwaͤgung mehr Gewicht zu erlangen schienen, um von jedem Hauptschlage abzumahnen. Auch blieb es bei diesem Zaudern, und es wurde nichts unternommen, bis endlich der Feind Miene machte, sich staͤrker gegen Rostock hinzuziehen, worauf Wallmoden uͤber Krivitz nach Warin zu marschiren beschloß, um mit dem Ge¬ neral von Vegesack vereinigt dem Feinde zu begegnen, waͤhrend Tettenborn fortfahren sollte, Schwerin zu beobachten. Wallmoden, bekannt als ein erfahrner Kriegsmann von scharfem Verstand und gelassenem Urtheil, hatte in dem Ergebniß seiner Gruͤnde unter den vorhandenen Umstaͤnden vollkommen Recht; wir erlauben uns aber, bei dieser Gelegenheit uͤber die Neuheit der Truppen einige Bemerkungen einzuschalten, welche sich schon in fruͤherer Zeit aufgedrungen und waͤhrend dieses Kriegs nur bestaͤtigt haben. Wenn Truppen neu sind, so ist dies ein Uebel, das man beruͤcksichtigen muß, sobald es ein ernsthaftes Unternehmen gilt; aber das Uebel ist noch viel groͤßer, wenn die Truppen neu bleiben, und dies Uebel kann der Feldherr entfernen, denn ihm liegt ob, durch seinen Geist die feste Gemeinschaft zu bilden, die aus verschiedenartigen Voͤlkern Ein Heer, aus unversuchten Neulingen gepruͤfte Soldaten, mit Einem Worte, aus schlechten Truppen gute macht. Allein die meisten neuerrichteten Truppen, besonders die sogenannten Legionen, haben immer eine schlechtere Rolle gespielt, als sie durch ihren innern Werth ver¬ dienten, weil das Behandeln der Begeisterung und des Volkssinnes in unserer Zeit und Nation noch wenig reif, und durch militairische und politische Vorurtheile gestoͤrt war. Selbst die Thatsachen scheinen nicht lehr¬ reich genug, und es erhaͤlt sich, trotz der uͤberzeugen¬ den Erfahrung so vieler Kriege und auch dieses letzten, eine militairisch-vornehme Abneigung gegen Landwehren und neue Bewaffnungen, welche sich doch, wenn ein großer Antrieb sie zu aͤchtem Eifer entflammt, noch immer mit Erfolg den besten altgeuͤbten Heeren ent¬ gegenstellt haben. Freilich gehoͤrt Zeit zur Bildung und Uebung des Soldaten, und beide duͤrfen ihm nicht fehlen; allein Begeisterung und Volkssinn kuͤrzen die Lehrzeit bis auf ein oft erstaunenswuͤrdiges Minimum ab, wie sich dies ehemals bei den Franzosen, und jetzt neuerdings eben so bei den Preußen, erwiesen hat. Mit diesen letztern jedoch war der groͤßte Theil der Truppen Wallmoden's nicht zu vergleichen, als deren Neuheit schwerer zu vernichten und deren Unzusammen¬ hang kaum aufzuheben war. Fruͤh am 3. September erhielt Tettenborn in Orth¬ krug die Meldung, daß der Feind um Mitternacht Schwerin gaͤnzlich verlassen und der Marschall Davoust mit allen Truppen den Weg uͤber Gadebusch ruͤckwaͤrts nach der Stecknitz eingeschlagen habe. Die Posten, die er hatte stehen lassen, um seine Bewegung zu ver¬ decken, wurden sogleich angegriffen, uͤber den Haufen geworfen, und groͤßtentheils gefangen gemacht. Wall¬ moden, der auf der entgegengesetzten Seite des Schwe¬ riner Sees nach Warin in Marsch war, wurde durch Eilboten von dem Vorgegangenen benachrichtigt, in¬ zwischen aber alle einzelnen Abtheilungen der Truppen schleunigst zum Vorruͤcken befehligt; der Rittmeister von Herbert folgte mit einem Kosakenregiment dem Feinde auf dem Fuße uͤber Gadebusch nach, der Rittmeister Graf von Muͤnnich, ebenfalls mit einem Kosakenregi¬ ment, suchte demselben die Flanke abzugewinnen, der Oberst Graf von Kielmannsegge ruͤckte mit seinen han¬ noͤverschen Jaͤgern von Neuhaus nach Boitzenburg vor, die gesammten uͤbrigen Truppen Tettenborn's wurden von ihm selbst unverzuͤglich in gerader Richtung nach Wittenburg in Marsch gesetzt. Er traf mit Wallmo¬ den in Schwerin zusammen, wo das Volk sie mit dem groͤßten Jubel empfing, und in der brausenden Auf¬ wallung einen der Einwohner, der sich von den Fran¬ zosen zum Spion hatte brauchen lassen, beinah zum Tode mißhandelte, so daß man denselben mit Muͤhe der Volkswuth entriß, und zur Untersuchung gefan¬ gen setzte. Der Marschall Davoust hatte den Schwerinern ge¬ sagt, der Kronprinz von Schweden habe bei Berlin einige Vortheile erlangt, dies veranlasse ihn, eine feste Stellung ruͤckwaͤrts zu nehmen, man moͤge sich wohl huͤten, darin eine Flucht zu sehen, er wuͤrde fruͤher wiederkommen, als man vermuthe. Zugleich hatte er ein Blatt mit Neuigkeiten von den Heeren in Sachsen und Boͤhmen drucken lassen, worin die Gefechte bei Dresden und das Eindringen der Franzosen in Boͤh¬ men, von welchen auch wir Nachricht erhalten hatten, auf das vortheilhafteste geschildert waren. Er hatte jedoch nicht einmal die Vertheilung dieses Blattes ab¬ gewartet. Die Nachrichten, die durch einen Zufall dies¬ mal zu ihm gelangt waren, begannen allerdings mit Vortheilen, die aber zu Niederlagen gefuͤhrt hatten, und diese erschreckten den Marschall Davoust dergestalt, daß er seine aͤngstliche Lage nicht laͤnger auszuhalten vermochte, sondern ploͤtzlich, von Furcht ergriffen, die Stecknitz wieder zu gewinnen eilte. So beschloß dieser Feldherr seinen mecklenburgischen Feldzug, in welchem er den Kriegsruhm, den er etwa mitgebracht hatte, voͤllig und fuͤr immer einbuͤßte, und mit seiner be¬ traͤchtlichen Streitmacht einer geringen Truppenschaar gegenuͤber zum Gespoͤtte wurde. Napoleon hatte ihm, so lautete die Sage, zur Belohnung der Thaten, die er ausfuͤhren wuͤrde, im voraus das Herzogthum Meck¬ lenburg bestimmt, allein er selbst schien nicht genugsa¬ mes Vertraun auf diese Schenkung zu setzen, um in jeder Verheerung des Landes schon sein Eigenthum beschaͤdigt zu glauben; die Franzosen hatten ungestraft alle Pluͤnderungen und Ausschweifungen begangen; die schlimmsten Klagen aber fuͤhrte man uͤber die Daͤnen, welche von den franzoͤsischen Behoͤrden durch mangel¬ hafte Verpflegung absichtlich genoͤthigt wurden, ihren Bedarf unordentlich und gewaltsam herbeizuschaffen. Die daͤnischen Gefangenen, welche wir gemacht, klagten alle bitter hieruͤber. Der Feind hatte inzwischen durch seinen naͤchtlichen Marsch mehrere Stunden Vorsprung gewonnen, und wurde erst jenseits Gadebusch erreicht, wo die Kosaken seinen Nachtrab angriffen, und unter bestaͤndigem Plaͤn¬ keln bis Groß-Turow verfolgten, wo der Feind sich widersetzte, um nicht seinen Ruͤckzug in eine voͤllige Flucht ausarten zu lassen. Tettenborn erfuhr in Wit¬ tenburg am 3. September, daß von Gadebusch unge¬ faͤhr 2000 Franzosen, welche mehrere Kanonen bei sich fuͤhrten, nach Zarrentin gezogen waren, deren Absicht nur sein konnte, durch Gewinnung der suͤdlichen Spitze des Schaalsee's die Kosaken zu verhindern, den um die noͤrdliche Spitze geschehenden Ruͤckzug in der Flanke zu beunruhigen. Sogleich eilte Tettenborn am folgen¬ den Morgen mit etwa 1000 Jaͤgern und Kosaken und 3 leichten Kanonen gegen jene Schaar, die aber bei seiner Annaͤherung Zarrentin schon wieder verließ, und den Weg nach Moͤlln einschlug. Erst auf den Hoͤhen hinter Gudow stellte sie sich zum Gefecht, das durch Kanoniren eroͤffnet wurde, waͤhrend dessen unser Fu߬ volk anruͤckte, und der Haupttrupp desselben in Zar¬ rentin eintraf. Man schlug sich mit Erbitterung, und der Feind, welcher durch unsere Jaͤger aus den Hecken und Buͤschen des offneren Feldes bald vertrieben war, schien sich in dem Walde behaupten zu wollen, beson¬ ders da er bald merkte, daß er mehr und besseres Ge¬ schuͤtz als wir habe. Aber eine ploͤtzliche und rasche Bewegung, welche Tettenborn mit einem Kosakenregi¬ ment in die rechte Flanke des Feindes ausfuͤhrte, ent¬ schied diesen sogleich, seinen Ruͤckzug auf Moͤlln eilig fortzusetzen. Der Major von Luͤtzow erhielt den Auf¬ trag, ihn zu verfolgen, und drang bis vor die Thore von Moͤlln, wo der Feind eine Verstaͤrkung von 3 Bataillons erhielt, und nun wieder vorruͤckte. Man schlug sich bis spaͤt Abends, mit abwechselndem Gluͤck, und beiderseitem Verlust. Tettenborn hatte inzwischen auch eine Parthei gegen Buͤchen gesandt, und diesen Posten, so wie nordwaͤrts die Doͤrfer Kogel und Sa¬ lem, dem Feinde abgenommen, der aber noch zum zweitenmale daraus vertrieben werden mußte, ehe wir sie behaupten konnten. Der Feind, welcher seine Rei¬ terei gegen die unsere nicht zu zeigen wagte, verlor deßhalb bei jeder solchen Gelegenheit eine Menge Leute, die versprengt und fluͤchtig den raschen Kosaken nicht entgehen, und in ihrer eignen Reiterei keine Huͤlfe finden konnten. Waͤhrend der folgenden Tage dauerten diese ein¬ zelnen Postengefechte lebhaft fort, ohne daß weder die Unsrigen noch die Franzosen eigentliche Fortschritte mach¬ ten. Doch hatte der Feind auf diesem kurzen Ruͤck¬ zuge bloß durch Tettenborn gegen 500 Mann an Ge¬ fangenen, und in den Gefechten eine nicht geringere Anzahl an Todten und Verwundeten verloren. Unser Verlust mochte uͤber 200 Mann betragen, worunter viele der besten Luͤtzow'schen Jaͤger. Auch in der Rich¬ tung von Luͤbeck war der Feind durch die hanseatische Reiterei mit vielem Gluͤcke verfolgt und bis an die Thore der Stadt gejagt worden, wo, schon im Zuruͤck¬ reiten nach dem letzten Angriff, noch der tapfere Ma¬ jor von Arnim durch eine Kanonenkugel getoͤdtet wurde, ein Verlust, den die von ihm gefuͤhrte hanseatische Rei¬ terei schmerzlich empfand. Inzwischen waren auch die Truppen Wallmoden's nach und nach angelangt; allein die Verfolgung hatte bereits ihr Ziel gefunden, und der Feind den ernsten Entschluß gezeigt, die Stecknitz mit Anstrengung zu vertheidigen, weßhalb er auch je¬ den unsrer Versuche auf Moͤlln mit aller Macht ver¬ eitelte. Das Hauptquartier des Marschalls Davoust befand sich in Ratzeburg, wo er sich, wie in Schwerin, der durch Seen und sumpfiges Uferland geschuͤtzten Stellung erfreute, und zwar weniger bedroht, aber eben so unthaͤtig blieb. Der Beobachtungskrieg, auf welchen sich bald alles, was der Feind wollte und wir konnten, hier beschraͤn¬ ken mußte, zeigte eine truͤbe Aussicht, die sich unbe¬ rechenbar ausdehnte, und sowohl den Anfuͤhrern, als den Truppen, mit jedem Tage laͤstiger wurde; in un¬ ruhiger Spannung erspaͤhte man eine Gelegenheit zu kraͤftiger Unternehmung, und gab scharf Acht, ob irgend eine Bewegung des Feindes jene Gelegenheit herbei¬ fuͤhren moͤchte. Die vielen einzelnen gluͤcklichen Gefechte hatten die allgemeine Kampfbegierde mehr gereizt, als gestillt, und man fand in dem Benehmen des Feindes die dringendste Aufforderung, seinen freiwilligen Ruͤck¬ zug in eine gezwungene Flucht zu verwandeln. Allein die Franzosen ruͤhrten sich nicht, und der Marschall Davoust begnuͤgte sich in seinem ruhigen Aufenthalt zu Ratzeburg mit der Anordnung unbedeutender Streife¬ reien, die selten uͤber eine halbe Stunde weit gescha¬ hen und meistens uͤbel abliefen. Wallmoden und Tettenborn hatten schon fruͤh ihr Augenmerk auf das linke Elbufer gerichtet, wo ein offnes Feld fuͤr rasche Unternehmungen sich darbot, und wohin die Hoffnung theilweiser Aufstaͤnde im Hannoͤver¬ schen mahnend zu rufen schien. Auch konnte der Mar¬ schall Davoust, sobald wir auf dieser Seite nachdrucks¬ voll vorgingen, unmoͤglich in Hamburg und an der Stecknitz ruhig bleiben, sondern mußte fuͤr seine Ver¬ bindung, mit Frankreich sowohl, als mit den franzoͤsi¬ schen Heeren, hoͤchst besorgt werden, und deßhalb irgend eine Gegenwirkung versuchen, zumal noch nicht der Zeitpunkt gekommen war, wo er sich auf sich selbst beschraͤnken und darein ergeben durfte, innerhalb seiner Bollwerke eingeschlossen zu sein. Daß er unser Weg¬ gehen aus Mecklenburg zu neuem Vordringen benutzen wuͤrde, war nicht zu befuͤrchten, da das Land, auch ohne Truppen, sich durch die Gefahr, welche der Feind in seinem Entfernen von Hamburg sah, hinlaͤnglich ge¬ schuͤtzt, und uͤberdies durch die in jedem Fall zuruͤck¬ bleibenden Truppen des Generals von Vegesack eine gute Stuͤtze fuͤr seine Landwehr und seinen Landsturm fand. Zufolge dieser Erwaͤgungen verlegte Wallmoden schon am 6. September sein Hauptquartier nach Doͤ¬ mitz, wohin sich auch alle unsere Truppen in Marsch setzten. Kleine Abtheilungen Jaͤger hatten schon seit einiger Zeit gegenuͤber von Doͤmitz groͤßere und kleinere Streifzuͤge tiefer in das Hannoͤversche gemacht, und die Stadt Dannenberg fast ohne Unterbrechung besetzt ge¬ halten. Der Feind, um alle seine Streitkraͤfte an der Stecknitz zu vereinigen, hatte diese Seite ganz ent¬ bloͤßt. In diesen Tagen jedoch sandte der Marschall Davoust ein Bataillon nach Luͤneburg, dem aber keine zahlreicheren Truppen, wie man anfangs vermuthen wollte, nachfolgten. Tettenborn war der Meinung, die Stadt Doͤmitz, welche nicht ohne Befestigung war, zum Mittelpunkte der Bewegungen zu machen, eine Bruͤcke daselbst uͤber die Elbe zu schlagen, einen star¬ ken Bruͤckenkopf auf dem jenseitigen Ufer anzulegen, und dann mit gesammter Macht uͤber die Elbe zu setzen, die Stellung an der Stecknitz aber einstweilen nur be¬ wachen zu lassen. Jenseits traf man entweder auf den Marschall Davoust, im Fall er auf unsere Bewegung auch uͤber die Elbe ginge, und konnte ihm, da er seine Macht wegen der Besetzung Hamburgs mehr, als wir die unsrige, getheilt haben mußte, mit vortheilhafter Aussicht eine Schlacht liefern, oder man hatte, im Fall er sich nicht ruͤhrte, freie Hand zu den wichtigsten Un¬ ternehmungen. Wallmoden ließ in der That alles zu dem Bruͤckenbau in Bereitschaft setzen, und schickte groͤ¬ ßere Partheien auf Kundschaft uͤber die Elbe hinuͤber. Weil aber in diesen Tagen die feindlichen Posten bei Ratzeburg wieder etwas lebhafter wurden, und groͤßere Abtheilungen, mit Geschuͤtz versehen, auf mehrern Punk¬ ten vorzuruͤcken versuchten, so kehrte er selbst mit allen Truppen am 12. September nach Zarrentin an den Schaalsee zuruͤck. Tettenborn, welcher seit dem Ge¬ fechte vei Gudow und Moͤlln bald in Granzin, bald in Boitzenburg und Zarrensdorf gestanden, war schon Tags vorher in Zarrentin eingetroffen. Ein Versuch, dem Feinde eine seiner vorgeruͤckten Partheien zu uͤber¬ fallen und abzuschneiden, wurde durch die Vorsicht der Franzosen vereitelt, die sich immer fruͤh genug zuruͤck¬ zogen, und dann vollkommen ruhig blieben. Sie in ihrer ganzen Stellung anzugreifen, konnte niemand, der die Lage der Dinge gehoͤrig vor Augen hatte, thun¬ lich finden. Wallmoden hatte uͤberdies mit manchen innern Hem¬ mungen zu kaͤmpfen, die aus den hoͤheren Verhaͤltnissen herabkamen. Die Befehle, welche derselbe von dem Kronprinzen von Schweden erhielt, gesellten zu den vorhandenen Hindernissen oft neue; die Klarheit der eigentlichen Absicht und die Strenge der kriegerischen Aufgabe glaubte man bisweilen darin zu vermissen, und statt derselben nur ein Gewebe dunkler Vorstellun¬ gen zu finden. Sie alle zu befolgen, war schon we¬ gen der Widerspruͤche unmoͤglich, sie auch nur theil¬ weise auszufuͤhren immer mißlich. Diese dem Ober¬ befehlshaber haͤufig vorgeworfene Unbestimmtheit findet gleichwohl wieder eine Entschuldigung in seinen eignen hoͤchst peinlichen Verhaͤltnissen; sein persoͤnliches Gewicht war zusammengesetzt aus dem der verschiednen Maͤchte, deren Bundesgenosse er war, und jeden Augenblick mußte er dieses bei denen selbst geltend machen, die es ihm verliehen; die Schweden sahen mißtrauisch auf die kuͤnftigen Vortheile, welche sie durch vorausgeleistete Dienste erst eintauschen sollten; die russischen und preu¬ ßischen Generale, welche unter dem Oberbefehl des Kronprinzen standen, zeigten offenbaren Widerwillen gegen dies Verhaͤltniß, das bald in lauter Mißhellig¬ keiten bestand, und in gemischten Ruͤcksichten die Macht eines gebietenden Feldherrn sehr beschraͤnkte. Der Kron¬ prinz, um dieser Abneigung so wenig als moͤglich Wirk¬ samkeit zu lassen, mochte seine eigentlichen Absichten und Wuͤnsche nicht im voraus immer preisgeben, son¬ dern glaubte sie gewisser auszufuͤhren, wenn er erst im Augenblicke selbst, wo die Gelegenheit es forderte, sich mit fester Bestimmtheit ausspraͤche, bis dahin aber alles in dunkler Unsicherheit schweben ließe. Wir muͤs¬ sen zugestehen, daß er im Ganzen dieser Kriegfuͤhrung nie des richtigen Scharfblicks, der besonnenen Vorsicht und des persoͤnlichen Muthes bei irgend einer Gelegen¬ heit entbehrt habe; seine theilweisen Anordnungen aber weckten oft Unzufriedenheit und Widerspruch, denen nicht immer durch die That zu begegnen war. Seine Betheiligung in diesem Kriege uͤberhaupt zeigte sich allerdings sehr verschieden von derjenigen, zu welcher die deutschen Gemuͤther aufgefordert waren; allein seine Freiheisgesinnung und sein Haß gegen Napoleon ver¬ banden ihn der deutschen Sache dennoch nahe genug. In diesen Tagen hatten wir die umstaͤndlichen Nach¬ richten von den an der Katzbach, bei Kulm und bei Dennewitz erfochtenen Siegen empfangen, und die un¬ beschreibliche Freude, welche sie erregten, wurde uns nur dadurch verbittert, daß wir uns gegen die siegrei¬ chen Waffenbruͤder noch so sehr zuruͤck fuͤhlten, und der traurige Beobachtungskrieg uns wenig Aussicht zeigte, gleich ihnen dem Feind entscheidende Schlaͤge beizubringen. Zwar konnte die Laͤhmung und Festhal¬ tung des Marschalls Davoust und seiner uͤberlegenen Macht leicht ein eben so großes Verdienst und ein nicht geringerer Vortheil fuͤr das Ganze duͤnken, als irgend einem andern Heertheil von gleicher Truppenstaͤrke zu erwerben vergoͤnnt gewesen war, und in der That empfingen Wallmoden und Tettenborn aus der Naͤhe und Ferne die Gluͤckwuͤnsche aller Kriegskundigen uͤber die bisherigen Leistungen, welche auf dieser so sehr gefaͤhrdeten Seite noch keinen Augenblick wirklicher Ge¬ fahr hatten aufkommen lassen; allein sie selbst waren dadurch nicht befriedigt, so wenig als die kampfbegieri¬ gen Truppen, denen die Wichtigkeit des Geleisteten nicht den Glanz ersetzen mochte, der von groͤßeren Waffenthaten ausgeht. Mit desto lebhafterm Eifer wurde daher die Gelegenheit ergriffen, die sich endlich zu zeigen schien, in Einer Unternehmung an Tapferkeit und Ruhm zu vereinigen, was bisher in unzaͤhligen theilweisen Erfolgen vereinzelt und zerstreut geblieben war. Durch aufgefangene Papiere erfuhren wir, daß der Marschall Davoust den General Pecheux mit einer fran¬ zoͤsischen Division von 7000 Mann auf das linke Elb¬ ufer sende, um aufwaͤrts gegen Magdeburg das Land von unsern Partheien zu saͤubern, welche taͤglich ver¬ wegner wurden. Es blieb zweifelhaft, ob diese Ab¬ sendung nur diesen Zweck habe, oder auch eine Ver¬ staͤrkung der Truppen in Magdeburg beabsichtige. Die fruͤhere Bewegung Wallmoden's nach Doͤmitz scheint den Marschall Davoust zu dieser Maßregel, die fuͤr uns nicht besser gewaͤhlt sein konnte, verlockt zu haben. Der Entschluß Wallmoden's war sogleich gefaßt. Der General von Vegesack blieb mit seinen Truppen zur Bewachung der Stecknitz zuruͤck, er hatte sein Haupt¬ quartier in Grevismuͤhlen; damit der Feind auf den Vorposten keine Veraͤnderung bemerke, und uͤber den Abmarsch getaͤuscht bliebe, ließ Tettenborn auch ein III. 28 Kosakenregiment auf der Ebene zwischen Buͤchen und Moͤlln zuruͤck; einige Bataillons Luͤtzower, die hansea¬ tische Legion und das zweite Husarengiment der russisch- deutschen Legion besetzten die uͤbrige Gegend zwischen Roggendorf und Boitzenburg. Das hanseatische Fu߬ volk war naͤmlich nun, nachdem es durch englische, diesmal jedoch nur spaͤrliche, Aushuͤlfe sich einigerma¬ ßen erholt hatte, auch wieder brauchbar befunden und in die Linie vor den Feind gezogen worden; mit Un¬ recht hatte man seit dem Wiederbeginn der Feindselig¬ keiten diese Truppe vernachlaͤssigt, sie hatte sich bisher immer trefflich geschlagen, und schlug sich auch jetzt wieder, nach so vielen herabstimmenden Erfahrungen, dennoch mit ausgezeichneter Tapferkeit. Am 13. und 14. September marschirten wir uͤber Vellahn, Langenheide und Luͤbtheen nach Doͤmitz, wo die Truppen sich sammelten und noch am Abend des 14. uͤber die Elbe gingen und nach Dannenberg vor¬ ruͤckten. Tettenborn fuͤhrte die Vordertruppen, ließ sogleich vorwaͤrts gegen den Wald, die Goͤrde genannt, den Feind ausspaͤhen, und sandte, um sich in seinen Flanken zu sichern, rechts und links Partheien gegen Bleckede und Uelzen. Der Feind war, laut der ein¬ gezogenen Nachrichten, bis zur Goͤrde gekommen und hatte mit unsern Kosaken geplaͤnkelt. Man schaͤtzte ihn auf 8000 Mann, nebst 8 Stuͤcken Geschuͤtz; die Ein¬ wohner des Landes leisteten uns durch Zutragen von Nachrichten und Verschweigen unserer Anwesenheit ge¬ gen den Feind die trefflichsten Dienste, die Franzosen erfuhren durchaus nichts, was sie nicht durch Patrouil¬ len, zu welchen ihnen die Reiterei fehlte, abreichen konnten. Wir erwarteten am folgenden Tage, der Feind wuͤrde vorruͤcken und in sein Verderben hinein¬ gehen, weßhalb unsere Truppen hinter den Anhoͤhen; welche sich wellenfoͤrmig uͤber die Gegend erstrecken, verdeckt aufgestellt blieben. Allein wir warteten den ganzen Tag vergebens; der Feind, schon stutzig durch das unvermuthete Zusammentreffen mit Kosaken, hatte Halt gemacht, und schien sich besinnen zu wollen. Der General Pecheux, durch die fruͤhere Bewegung unsrer Truppen gegen die Elbe irre gefuͤhrt, hatte dem Mar¬ schall Davoust wissen lassen, daß es sehr gefaͤhrlich sei weiter vorzugeben; dieser, sich der Anwesenheit Wall¬ moden's in Zarrentin versichert haltend, hatte jenem uͤber seine zaghaften Besorgnisse hart und mit kraͤnken¬ den Worten geantwortet, als deren Folge wir spaͤter¬ hin die uͤberaus hartnaͤckige Tapferkeit, mit welcher er Widerstand leistete, zu erkennen glaubten. Die Kosaken hatte er als die Vorlaͤufer mehrerer Truppen angesehen, aber die Ruhe des ganzen Tages und der darauf fol¬ genden Nacht benahm ihm diese Vermuthung wieder, und waͤhrend zweimal vierundzwanzig Stunden blieb dem Feinde jede Kunde unserer Naͤhe gluͤcklich ver¬ borgen. Selbst wenn irgend jemand aus verraͤtherischer 28 * und gewinnsuͤchtiger Absicht dem Feinde haͤtte Nachricht bringen wollen, so wuͤrde er unsern Kosaken in die Haͤnde gefallen sein, welche mit meisterhafter Geschick¬ lichkeit einen weiten Strich Landes in großem Umkreis voͤllig abschlossen. Am 16. September fruͤh um vier Uhr brachen wir endlich mit allen Truppen von Dannenberg auf, und ruͤckten gegen die Goͤrde vor, in der Hoffnung, dem Feinde in dieser Richtung zu begegnen; der Marsch blieb durch die zwischenliegenden Huͤgel und Waldge¬ buͤsche gaͤnzlich verdeckt, und eben so nachher die Stel¬ lung, die wir vor dem Anfange des Waldes nahmen, um den Feind zu erwarten. Allein er ruͤckte keines¬ wegs vor, sondern blieb in seiner Stellung ruͤckwaͤrts des Jagdschlosses Goͤrde, welches er mit Jaͤgern besetzt hielt, auf einer vortheilhaften Anhoͤhe vor dem Dorfe Oldendorf, sandte gegen die vorgeschickten Kosaken einige Plaͤnkler aus, und als jene, um die seinigen zu ver¬ locken, sich zuruͤckzogen, ließ er sie nicht verfolgen, son¬ dern zog auch die seinigen wieder ein, und man hoͤrte schon kaum noch hin und wieder einen Schuß fallen. Als wir bis Mittag vergebens gewartet hatten, beschloß Wallmoden den noch uͤbrigen Theil des Tages zu benutzen, und den Feind anzugreifen. Wir hatten je¬ doch noch ein gutes Stuͤck zu marschiren, und konnten erst gegen 2 Uhr Nachmittags zum Angriff kommen. Tettenborn eroͤffnete das Gefecht; Abtheilungen Kosaken sprengten, indem sie rechts durch Thaͤler und Schluch¬ ten, links durch die Waldungen drangen, gegen die Flanken des Feindes vor, umschwaͤrmten denselben ploͤtz¬ lich von allen Seiten, und machten ihm von diesem Augenblick unmoͤglich, nach irgend einer Richtung klar zu sehen; keine Streiferei, keine Erkundung konnte er vornehmen. Die preußischen Jaͤger warf Tettenborn kinks in den Wald, ließ sie von Kosaken seitwaͤrts am Rande begleiten, und dann rasch gegen den Feind anruͤcken, der sich bei dem Jagdschlosse stark gesetzt hatte, und zwar anfangs bestuͤrzt wich, bald aber in großer Ueberzahl das Gefecht mit Erbitterung im Walde erneuerte; der General Pecheux befand sich in Person daselbst. Tettenborn war unterdessen vor die Haupt¬ stellung des Feindes mit einer Abtheilung Kosaken und Luͤtzow'scher Reiter und 4 hanseatischen reitenden Kano¬ nen geruͤckt, und griff dieselbe in der Front an. Der Donner des Geschuͤtzes ließ den General Pecheux nicht laͤnger in Zweifel, daß die Sache diesmal ernsthaft abge¬ sehen sei. Er sammelte seine Schuͤtzen so viel als moͤglich aus dem Wald, wo das heftige Gefecht kaum noch zum Vortheil der Unsrigen erhalten worden war und mehrmals zum Nachtheil geschwankt hatte, und suchte in gedraͤngter Masse uͤber eine ebne Strecke die Anhoͤhe zu gewinnen, wo sein Geschuͤtz aufgepflanzt war, und ein uͤberlegenes Feuer gegen das unsere rich¬ tete. Der Hauptmann Spooreman von der hanseati¬ schen Artillerie schoß gut und schnell, und richtete zuletzt, unbekuͤmmert um das feindliche Geschuͤtz, mit großer Kaltbluͤtigkeit seine Schuͤsse in jene Masse Fußvolk, wo man das Einschlagen der Kugeln wahrnehmen konnte, sie kam, nicht ohne großen Verlust, fluͤchtig und zer¬ streut auf der Anhoͤhe an. Waͤhrend man sich hier auf diese Weise schlug, und einige englische Kanonen den hanseatischen zur Unterstuͤtzung herbeikamen, so daß das unausgesetzte Feuer des Feindes nun mit gleichem beant¬ wortet werden konnte, und bald uͤberboten wurde, fuͤhrte der Oberst von Pfuel eine von dem General von Arentschildt befehligte Brigade der russisch-deutschen Legion und 6 Kanonen links auf einem Umwege durch die Goͤrde, um dem Feind in den Ruͤcken zu kom¬ men; ihm war aufgetragen worden, zuerst nur das Fußvolk durch den Wald zu fuͤhren, die Kanonen aber am Eingange zuruͤck zu lassen, und sie erst spaͤter, wenn das Fußvolk aus dem Walde vorgeruͤckt und ihr Gebrauch vonnoͤthen sei, nachkommen zu lassen. In Betracht aber der spaͤten Tageszeit und des weiten Weges durch den Wald, nahm derselbe die Kanonen vielmehr an die Spitze seines Marsches, und beschleu¬ nigte die Truppen selbst soviel als moͤglich. Der Feind stand trotzig in seiner Stellung auf einer gutgewaͤhlten Anhoͤhe, um welche eine weit abgeflachte Vertiefung sich bogenfoͤrmig hinzog, sein Feuer war vortrefflich, sein Fußvolk zeigte sich unerschrocken, und der im Walde verspaͤtete Theil desselben setzte in unserer linken Flanke ein heftiges Geplaͤnkel lebhaft fort. Der Tag war schon weit vorgeruͤckt, die Zeit verging in wechselseiti¬ gem Schießen, und die rasche Kraft unseres Angriffs litt Gefahr gaͤnzlich zu stocken, und sich in ein gewoͤhn¬ liches Kanonieren, das nichts entscheidet, aufzuloͤsen. Die uͤbrigen Truppen Wallmoden's hatten den weiten Weg noch nicht zuruͤckgelegt, und Pfuel brach noch immer nicht aus dem Walde im Ruͤcken des Feindes hervor; er fand die Raͤume und Schwierigkeiten groͤßer, als man sie angegeben hatte, und ohne seine verstaͤn¬ dige Eile waͤre er erst mit anbrechender Daͤmmerung erschienen. Jetzt aber, im dringenden Augenblicke, ver¬ kuͤndigten Kanonenschuͤsse vom Rande des Waldes uns und dem Feinde seine Ankunft, gleich darauf sah man das Blinken der Gewehre, und die Bataillons auf¬ marschiren; die Stellung des Feindes, der jetzt gaͤnz¬ lich umgangen war, wurde nun im Ruͤcken und von vorn mit entscheidendem Erfolg beschossen, und sein Geschuͤtz bald zum Schweigen gebracht. Pfuel erstuͤrmte ein Dorf, das der Feind in seinem Ruͤcken besetzt hatte, und drang immer naͤher heran. Jetzt auch erschienen die uͤbrigen Truppen, die bisher noch zuruͤckgewesen waren, auf dem Kampfplatz, und verstaͤrkten den Angriff in der Front und in der linken Flanke des Feindes. Die Kosaken machten einen allgemeinen Angriff auf die noch uͤbrigen Plaͤnkler, von allen Seiten ruͤckten unsere Truppen zum Sturm vor. Der General Pecheux hatte, sobald er sich umgangen und von der Straße nach Luͤneburg abgedraͤngt ohne Hoffnung eines Ruͤck¬ zugs sah, den Entschluß der verzweifeltsten Gegenwehr gefaßt, und in seinen Soldaten dieselbe Gesinnung erweckt. Die Franzosen standen mit unerschuͤttertem Muthe, und unterhielten ein moͤrderisches Gewehrfeuer, indem sie zugleich aus ihren noch brauchbaren Stuͤcken Kartaͤtschen in unsere Reihen schmetterten. Der Major von Luͤtzow sprengte mit seinen Reitern auf das feind¬ liche Fußvolk an, wurde aber durch eine Kugel in den Leib schwer verwundet. Der General von Doͤrnberg war inzwischen herangeruͤckt, und erneuerte den Angriff; zwei Massen, auf welche der Oberstlieutenant Karl von Nostiz (jetzt russischer Generallieutenant) bekannt durch seine ruͤcksichtlose Unerschrockenheit, an die Spitze einiger Schwadronen Husaren eindrang, wurden zusam¬ mengehauen, gefangen; eine dritte Masse erlitt gleiches Schicksal durch den Oberstlieutenant von der Golz. Immer noch wehrten sich die Franzosen mit groͤßter Entschlossenheit, ihr Gewehrfeuer toͤdtete uns viele Leute. Aber immer naͤher drangen die Unsern vor, preußische Jaͤger eroberten stuͤrmend die letzte Haubitze des Fein¬ des, unsere Kanonen feuerten von allen Seiten in seine Reihen, die schon durch kein eignes Geschuͤtz mehr vertheidigt wurden. Unter diesen Umstaͤnden suchte der General Pecheux mit dem Rest seiner Truppen auf seiner linken Flanke gegen die Elbe hin sich zu retten, und zog sich von Anhoͤhe zu Anhoͤhe. Allein hier sollte seine Niederlage erst recht vollstaͤndig werden. Wall¬ moden an der Spitze der Truppen drang unausgesetzt vor, und ermunterte im heftigsten Kugelregen die Sei¬ nigen durch das Beispiel heldenmuͤthiger Ruhe. Der Major von Berger fuͤhrte sein Bataillon an der Spitze der Sturmmassen zum Bajonetangriff. Tettenborn sprengte mit seinen Kosaken heran, und brachte eiligst alles reitende Geschuͤtz hart an die schon ungeordneten Reihen des Feindes, der jetzt nicht mehr Stand hielt; kaum hatte sich das immer schwaͤcher werdende Haͤuf¬ lein mit einem Kriegsmuthe, der uns Bewunderung und Mitleid abnoͤthigte, auf einem neuen Huͤgelrande wieder gestellt, als es auch schon durch das Feuer unsrer Kanonen, die in groͤßter Naͤhe nachfuhren, jedes¬ mal niedergeschmettert und wie weggehaucht war. Hiezu kam der Schrecken, den die hier zuerst in diesem Kriege gebrauchten Congreve'schen Brandraketen als etwas Neues und Unerhoͤrtes in den Franzosen erregten; das unaus¬ loͤschliche Feuer, das sausend durch die Luͤfte fuhr, ver¬ brannte mit weitem Spruͤhen alles, was in seinen Bereich kam, bis zuletzt eine zerspringende Granate noch zerschmetterte, was jenes verschont hatte. Es waren in der That einige Franzosen durch dieses Feuer verbrannt worden, und die Fluͤchtlinge klagten in den Ortschaften, wo sie durchkamen, mit Entsetzen uͤber das Anwenden dieser hoͤllischen Erfindung. Uns jedoch schien die Wirkung der Kanonen noch groͤßer und siche¬ rer. Der Einbruch der Nacht nahm die geringen Reste des Feindes in schuͤtzendes Dunkel; und in wegloser Waldung, die unsere ohnehin ermuͤdete Reiterei endlich vom Verfolgen abhielt, setzte er die Flucht fort. Der General Pecheux selbst und 600 Mann waren entkom¬ men, und gewannen noch in selbiger Nacht Luͤneburg, wo sie nur kurze Zeit ruhten und dann nach Ham¬ burg aufbrachen. Die ganze Division von 7000 Mann war vernichtet, alle Kanonen, 8 an der Zahl, genom¬ men, alles Gepaͤck in unsere Haͤnde gefallen. Die Niederlage konnte, außer daß der oberste Befehlshaber entkommen war, nicht groͤßer sein. Der General Pecheux verzweifelte, und vergoß auf der Straße in Luͤneburg Thraͤnen uͤber sein schmachvolles Ungluͤck, das wegen des großen Heldenmuthes, mit welchem die Schuld des gewarnten, aber starrsinnig beharrenden Vorgesetzten durch den Tod so vieler Tapfern gebuͤßt worden, in wirklich tragischer Gestalt erschien, und dem ungluͤckli¬ chen Feind unsere Hochachtung und unser Mitgefuͤhl zu Begleitern gab. An Todten und Verwundeten verlo¬ ren die Franzosen in diesem Treffen bei der Goͤrde uͤber 2500 Mann, die uͤbrige Mannschaft war gefangen oder zerstreut, noch nach vier Tagen schleppten die Bauern aus dem Walde viele Versprengte herbei, die theils dort verwundet liegen geblieben, theils sich dahin verkrochen hatten. Tettenborn ließ bestens fuͤr die Ver¬ wundeten sorgen und durch den verdienten hanseatischen Stabsarzt Doktor Redlich ihnen alle aͤrztliche Huͤlfe zukommen, welche die Umstaͤnde gestatteten. Unter den Gefangenen befand sich ein polnischer General, ein franzoͤsischer Oberst, die beiden Adjutanten des Generals Pecheux, und viele Offiziere, die groͤßtentheils in Spa¬ nien gedient hatten, und zu den Truppen in Deutsch¬ land versetzt worden waren. Ein sehr ausgezeichneter franzoͤsischer Offizier, Major Ville, war auf dem Schlacht¬ felde an seinen Wunden gestorben. Wir verloren in diesem Treffen an Todten und Verwundeten gegen 1000 Mann. Wallmoden hatte durch eine Kanonen¬ kugel ein Pferd unter dem Leibe verloren, Tettenborn das seinige zweimal wechseln muͤssen; diese beiden Gene¬ rale nebst dem General von Doͤrnberg hatten die Gefahr vielleicht begieriger aufgesucht und verwegener heraus¬ gefordert, als man den Feldherrn gewoͤhnlich erlauben will; zwar haben die Gruͤnde, welche man anzufuͤhren pflegt, um die Anfuͤhrer in der Schlacht unnoͤthiger Gefahr zu entruͤcken, vieles fuͤr sich, allein wir geste¬ hen offen, daß die ausgezeichnete persoͤnliche Tapferkeit ein zu schoͤner und edler Theil des Kriegsruhms ist, als daß ihn selbst der oberste Anfuͤhrer dem gemeinen Soldaten ganz uͤberlassen duͤrfte; und alle aͤchte Feld¬ herren haben wenigstens nicht verschmaͤht, immer mit Lust und Eifer den Ruhm zu erneuern, den zu erwer¬ ben schon nicht mehr noͤthig war; und ist es nicht schon ein Vorzug, im Fall, wie wohl zu geschehen pflegt, der Ruhm des Feldherrn streitig gemacht wuͤrde, doch den eines tapfern Kriegers zu behalten? Wir brachten die Nacht in der Goͤrde zu, wo Wall¬ moden die Meldung erhielt, daß der Marschall Davoust, vielleicht unterrichtet von der geringen Staͤrke der ihm entgegenstehenden Truppen, sowohl gegen Boitzenburg als gegen Zarrentin im Vorruͤcken sei. Auf diese Nach¬ richt schickte Wallmoden gleich am folgenden Tage den groͤßten Theil seiner Truppen uͤber die Elbe zuruͤck, er selbst nahm sein Hauptquartier in Dannenberg. Tet¬ tenborn aber blieb in der Goͤrde, wo noch immer Gefangene eingebracht wurden, und mancherlei Erfolge der ausgesandten Partheien abzuwarten waren. Der Rittmeister von Herbert war bei Luͤneburg vorbeige¬ gangen, und hatte auf der Straße nach Celle einen heftigen Scharmuͤtzel mit einer Abtheilung Franzosen, die groͤßtentheils zu Gefangenen gemacht wurden. An der Elbe war alles ruhig, wenige Versprengte von dem Treffen bei der Goͤrde wurden in Bleckede aufgefan¬ gen, mehrere in den Waldungen. Ueber Uelzen hinaus waren einzelne Partheien weit ins Land gestreift, ohne irgend etwas vom Feinde erfahren zu koͤnnen, das ganze Land bis Braunschweig und Hannover lag offen da. Der Lieutenant von Schimmelpfennig war gera¬ dezu auf Luͤneburg gegangen, und in die Stadt, welche der Feind in groͤßter Eile fruͤher befestigt, aber mit Uebereilung verlassen hatte, ohne Widerstand eingeruͤckt. Auf diese Nachricht brachen wir am 18. September aus der Goͤrde auf, und marschirten nach Dalmburg, wo das Fußvolk und die Kanonen zuruͤck blieben, waͤhrend Tettenborn mit den Kosaken weiter zog und noch den¬ selben Nachmittag Luͤneburg erreichte. Unverzuͤglich sandte er von hier aus den Rittmeister von Herbert in der Richtung von Tostaͤdt auf die Straße von Hamburg nach Bremen; dieser ließ den Lieutenant von Hoch¬ waͤchter auf die Straße von Hamburg nach Celle vor¬ gehen, wo derselbe sogleich einen Scharmuͤtzel gegen Gendarmen und Douaniers zu bestehen hatte, mit großer Tapferkeit den Feind warf, und mehrere Gefangene machte. Andere Partheien ruͤckten schnell nach Winsen vor, und besetzten an der Elbe Artlenburg, Brackede und Honsdorf, Lauenburg gegenuͤber. Die Stadt Luͤneburg wurde auf das sorgfaͤltigste verschlossen und bewacht, um den Feind uͤber unsere Staͤrke in voͤlliger Ungewißheit und Taͤuschung zu erhalten. Durch dieses Vorruͤcken und Aussenden von Partheien erhielt unser bisheriger Stand gegen den Feind ploͤtzlich eine ganz andere Wendung; seine Hauptverbindung ruͤckwaͤrts mit Bremen sah er bedroht und erschwert; seine Stellung an der Stecknitz in der Front durch Truppen bewacht, die wenigstens stark genug waren, um jeden Streifzug zu verbieten, und in der Flanke auf dem linken Elbufer durch Truppen beunruhigt, deren Staͤrke er nicht zu schaͤtzen, aber, nach allen Anordnungen, die er machen sah, fuͤr sehr bedeutend halten mußte; die Hauptmasse der Truppen Wallmoden's stand im Hintergrunde, und konnte nach Willkuͤr auf der einen oder der andern Seite der Elbe das Uebergewicht geben. Jeder Irr¬ thum, jedes Versehen des franzoͤsischen Feldhern konnte entscheidend werden, und ihn zur Raͤumung des Feldes zwingen. Inzwischen erhielten wir auf dem naͤchsten Wege uͤber Bleckede die Nachricht, daß der Feind, sobald er Boitzenburg besetzt gesehen, auf dieser Seite Halt gemacht, auf der andern aber nach dreistuͤndigem hefti¬ gen Gefecht Zarrentin genommen habe, worauf die Unsern auch Boitzenburg verlassen haͤtten. Allein der Feind zog sich auch von Zarrentin bald wieder zuruͤck, und nach Boitzenburg kam er gar nicht, so daß seine ganze Angriffsbewegung ein bloßer Scheinversuch blieb, sei es nun, daß er gleich anfangs nur einen solchen beabsichtigt habe, oder durch die Besetzung Luͤneburgs und die Bewegungen Wallmoden's von seiner fruͤhern Absicht abgebracht worden. Weil aber dennoch die Franzosen an der Stecknitz in mancherlei Bewegung blieben, befuͤrchtete Wallmoden ein neues ernsthaftes Vordringen derselben in das Mecklenburgische, und rief auch Tettenborn ungesaͤumt nach Dannenberg zuruͤck, um sodann bei Doͤmitz auf das rechte Elbufer uͤberzu¬ gehen. Alle ausgesandten Partheien wurden demzu¬ folge nach Doͤmitz beschieden, mit Ausnahme der von dem Rittmeister von Herbert befehligten, und einer andern, die unter dem Lieutenant von Schimmelpfen¬ nig in Luͤneburg zuruͤckblieb; denn Tettenborn wollte wenigstens so lange als moͤglich die Eifersucht des Feindes nach dieser Seite rege erhalten, und traf alle Anstalten, um ihn noch ferner zu taͤuschen und zu irren. Am 20. September Mittags marschirten wir von Luͤneburg ab, nahmen die in Dalenburg stehen gebliebenen Truppen unterwegs mit, und langten Abends in Dannenberg an. Die Bewegungen des Feindes hatten sich inzwischen aufgeklaͤrt, sie waren eine Folge der Besorgnisse, welche die Unsrigen ihm erregt hatten, und die Franzosen, weit entfernt, etwas Kuͤhnes vor¬ zuhaben, zogen zahlreiche Verstaͤrkungen von Luͤbeck und Ratzeburg nach der Elbe, um Lauenburg und die Hooper Schanze gehoͤrig zu besetzen, und einem Angriff von dieser Seite widerstehen zu koͤnnen. Wir kehrten daher nach erhaltenem Gegenbefehl am 21. September sogleich wieder nach Dalenburg zuruͤck, wo das Fußvolk und das Geschuͤtz abermals stehen blieb, und ruͤckten am folgenden Tage mit der Reiterei wieder nach Luͤneburg. Die verschiednen Partheien zogen wieder an die Elbe und gegen Haarburg aus, und nahmen zum Theil ihre vorigen Stellungen wieder, bevor noch der Feind deren Entbloͤßung bemerkt oder benutzt hatte. Luͤneburg wurde nunmehr der Hegeort, aus dessen Mitte dem Feinde unendliche Anlaͤsse zu Verdruß, Be¬ sorgniß, Nachtheil und Zweifel zustroͤmen sollten, fuͤr deren Groͤße man aus seinen Gegenwirkungen eine Art von Maßstab finden konnte. Seine Truppen wurden bald gaͤnzlich auf Haarburg und die Hooper Schanze beschraͤnkt, die Kosaken uͤbten wieder einen Theil ihrer alten Schreckensmacht aus, und niemals wagten die Franzosen ohne die groͤßte Ueberzahl ihnen die Spitze zu bieten; uͤberhaupt hatte die Niederlage des Generals Pecheux, die im ganzen Lande noch vergroͤßert herum¬ getragen wurde, den Muth des Feindes sehr geschwaͤcht, und das Vertrauen des Volkes zu unsern Waffen neu belebt. Die Luͤneburger verbrannten mit großem Jubel auf oͤffentlichem Markte die Adlerzeichen der franzoͤsischen Herrschaft, die saͤmmtlichen Schriften der Douanen, und dieses Freudenfeuer dauerte mehrere Tage. Nicht geringen Eifer bewiesen die Einwohuer in Aufsuchung versteckter Franzosen und Anzeigung franzoͤsischen Eigen¬ thums. Außer unserm eignen Siege brachten wir auch die ersten Nachrichten von den fortdauernden Schlaͤgen, welche der Feind auf allen andern Seiten zahlreich erlitten hatte; diese Nachrichten hatte man den Truppen wie den Einwohnern mit strenger Sorgfalt vorenthal¬ ten, und erdichtete dafuͤr untergeschoben; sie wurden daher mit unglaublicher Freude und Begierde aufge¬ nommen. Da in dem ganzen Lande bis an die Weser und uͤber Hannover hinaus von dem Feinde nur wenig zu sehen war, und seine Behoͤrden ohne Truppen we¬ nig vermochten, so war bald alles mit den Kriegs¬ berichten uͤberschwemmt, die in Luͤneburg zur Befriedi¬ gung des ungestuͤmen Verlangens mehrmals gedruckt wurden, und der Feind sah bis an den Harz und die Ems seine muͤhsamen Taͤuschungskuͤnste zu Schanden gemacht. Am beschwerlichsten wurden ihm jedoch die unaufhoͤrlichen Streifzuͤge unserer Partheien, die bald hier bald dort ploͤtzlich erschienen, sich vereinzelten und sich wieder zusammenfanden, und jedem feindlichen Begegnen gewachsen oder verschwunden waren; sie fingen Kouriere, Posten und Zufuhren auf, machten alle franzoͤsische Verwaltung unmoͤglich, schnitten Nach¬ richten ab und verbreiteten deren, uͤberfielen kleinere Truppenabtheilungen auf dem Marsch und in den Quar¬ tieren, und beunruhigten die ganze Gegend. Da ihre Beweglichkeit stets in Ungewißheit uͤber ihre Staͤrke ließ, und wenn man alle Kosaken, die an demselben Tage an verschiedenen Orten gesehen worden waren, zusammenrechnete, eine unglaubliche Zahl herausbrachte, so vermehrte dies nur die Schwierigkeit, etwas gegen sie zu unternehmen. Der franzoͤsische General von Osten marschirte von Haarburg mit Fußvolk und Ge¬ schuͤtz gegen die Streifereien, welche der Rittmeister von Herbert nach Buxtehude und Welle fuͤhrte, allein die Franzosen richteten nichts aus; bei Hitfeld entstand III. 29 ein heftiges Gefecht, worin sie eine Anzahl Gefangene verloren, worauf die Uebrigen im Schrecken nach Haar¬ burg zuruͤckflohen. Waͤhrend auf der einen Seite un¬ sere Patrouillen bis Celle kamen, drangen andere bis Zeven vor, um den Kourieren, die zwischen Hamburg und Bremen gingen, aufzulauern, so daß diese endlich zu dem Umwege uͤber Stade und Bremervoͤrde, ja sogar uͤber Ritzebuͤttel und Bremerlehe genoͤthigt wur¬ den. Von dem franzoͤsischen Obersten Grafen von Salm- Kyrburg, der zufolge der Briefschaften eines aufgefan¬ genen Kouriers mit 400 westphaͤlischen Reitern einen Partheigang gegen uns machen wollte, war nichts weiter zu erfahren. Etwas besser hielt sich der Feind zunaͤchst der Elbe; die Besatzung von Haarburg war bis auf 4000 Mann verstaͤrkt worden, und die Hooper Schanze und der Zollenspieker wurden mit mehrern Bataillons besetzt; auch wir hatten inzwischen gegen 300 Jaͤger aus Da¬ lenburg herangezogen, und konnten den Angriffen, die der Feind von dieser Seite wagte, die Spitze bieten. Bei Winsen, Artlenburg und Honsdorf schlug man sich beinahe taͤglich, und der Feind verlor durch die wieder¬ holten nachtheiligen Gefechte im Ganzen sehr viele Leute; wir hatten in manchen dieser Scharmuͤtzel keinen Mann verloren, und der Feind allein an Gefangenen wohl 50 bis 60 Mann eingebuͤßt. Bei einem solchen Ge¬ fechte war im Dunkel der Nacht ein franzoͤsischer Offi¬ zier mit 6 Mann versprengt worden, und wurde erst einige Tage nachher im Walde aufgehoben und nach Luͤneburg gebracht; er hatte die Absicht gehabt, sich durch naͤchtliche Maͤrsche bis nach Magdeburg durchzu¬ schleichen, und war so uͤberzeugt von der Niederlage unsrer Heere, daß er den Tagsbefehl, worin der Mar¬ schall Davoust den Truppen das Einruͤcken Napoleon's in Berlin anzeigte, als eine Neuigkeit an Tettenborn uͤberreichte, und mit dem Achselzucken der Zuversicht hinzufuͤgte: „Aber, es hat Leute gekostet, viel Leute!“ — Ein Adjutant des Generals Vichery, der Ueberbringer wichtiger Befehle war, wurde durch den Rittmeister von Herbert gefangen genommen. Unsere Mittheilun¬ gen dagegen gelangten durch diesen letztern sicher bis zu den englischen Schiffen, die vor der Muͤndung der Elbe lagen. Einen Hauptverdruß machte den Franzosen in Ham¬ burg die Zeitung aus dem Feldlager, die in Luͤneburg ihren Anfang nahm. Die Begierde der Einwohner nach unsern Nachrichten von dem großen Kriegsschau¬ platze machte es uns zur Pflicht, die Hauptsachen jedes¬ mal schleunig durch den Druck mitzutheilen, um solchem Eifer moͤglichst zu entsprechen. Das Zustroͤmen von guten Neuigkeiten noͤthigte in kurzem zu einer Reihe¬ folge von Druckblaͤttern, die von selbst eine Art von Zeitung bildeten, und nur eines gemeinschaftlichen Na¬ mens bedurften. Die durch unsern Zweck erzeugte Ruͤcksicht auf die Oertlichkeit der naͤchsten Gegend machte den Marschall Davoust bald zu einem Hauptgegenstaude dieses Blattes, welches, mit dem Hauptquartier Tet¬ tenborn's seinen Erscheinungsort wechselnd, und unent¬ geltlich ausgetheilt und versandt, in kurzem eine unge¬ heure Gunst und Nachfrage fand. Es fehlte nicht an satirischen Ausfaͤllen, in welchen die gute Laune unsers Hauptquartiers sich ergoß, und zu denen mehrere Offi¬ ziere, und unter andern auch Jahn, der bekannte Turn¬ lehrer, der als Hauptmann bei den Luͤtzow'ern stand, ihre Beisteuer gaben. Die Franzosen waren bisher gewohnt, solche Feindseligkeiten allein auszuuͤben, und geriethen ganz außer sich, als man ihnen nicht das Gleiche, sondern Besseres bot, und ihr erschoͤpfter Witz nichts mehr zu finden wußte, um die treffende Wahr¬ heit zu entkraͤften, mit welcher der Marschall Davoust hier bald als der Vandale Gaͤnserich, bald als Robinson und Hermite de Ratzebourg bezeichnet wurde. Diese Zeitung hat uns seitdem uͤberall hinbegleitet, nach Bre¬ men und Daͤnemark, bis sie zuletzt in Frankreich mit dem 16. Stuͤcke, das die fremde Sprache angenommen hatte, aufhoͤrte, und noch ihr letztes Wort der Mar¬ schall Davoust blieb. Wir haben der litterarischen Ne¬ bensache hier vorzuͤglich deßhalb gedacht, um in Tetten¬ born das nach unsrer Meinung nicht geringe Verdienst anzuerkennen, daß er mit kraͤftigem Muthe auch in dieser Weise offen und fuͤr immer mit dem Feinde gebrochen, und keine Moͤglichkeit einer Aussoͤhnung sich habe vorbehalten wollen, die er unter jeder Bedin¬ gung zu verschmaͤhen fand, waͤhrend manche oͤffent¬ liche Blaͤtter durch Ruͤcksichten und Glimpf aller Art noch sorgfaͤltig diese Moͤglichkeit zu erhalten bedacht waren. Nicht unerwaͤhnt vorbeigehen duͤrfen wir hier das Maͤdchen von Luͤneburg, Johanna Stegen, welche am Tage des Treffens, in welchen der General von Doͤrn¬ berg den Sieg uͤber den General Morand hier erfocht, mit hochherzigem Muthe den preußischen Jaͤgern, die sich verschossen hatten, inmitten des Gefechts Patronen in ihrer Schuͤrze zutrug. Als die Franzosen endlich wieder Meister von Luͤneburg wurden, hatte sie sich verstecken muͤssen, und auch spaͤterhin noch manche Be¬ drohung, manche Haͤrte von Seiten der Fremden und sogar mancher Einheimischen erfahren muͤssen, bis sich die Erinnerung ihrer That nach und nach in der Stille des untergeordneten Lebens verlor. Tettenborn aber ließ sie aufsuchen und zu Tische einladen, als eine wuͤrdige Kriegsgenossin; ihr Betragen war hier eben so unbefangen sittsam, als es dort unbefangen muthig gewesen war. Um sie nicht neuer Rache des Feindes auszusetzen, wurde sie, die bald entschlossen war, alte Verhaͤltnisse gegen neue zu vertauschen, mit fuͤr sie guͤnstiger Aussicht nach Berlin befoͤrdert. Es ist ein Zeichen des Geistes, der unsern Krieg belebte, daß auch Weiber aus edlem Triebe sich zu dem Kampfe berufen glaubten, der sonst nur Maͤnnern obliegt; eine Erscheinung, die schwerlich in andern, als wahrhaften Volkskriegen, gefunden wird, und unwidersprechlich die gerechte Sache zu erkennen gibt. Wir nennen bei dieser Gelegenheit noch Eleonoren Prochaska, ein Maͤd¬ chen aus Potsdam, die der Ruf der Waffen und des Vaterlandes ihrem stillen Lebenswandel entfuͤhrte, und unter dem Namen August Renz in unentdeckter Ver¬ kleidung den Luͤtzow'schen Jaͤgern beigesellt hatte. Sie war gleich im Anfang des Treffens bei der Goͤrde durch einen Schuß verwundet worden, allein das hel¬ denmuͤthige Maͤdchen war nicht bloß als Maͤdchen, son¬ dern waͤre auch als Mann ausgezeichnet gewesen, und ging nicht aus dem Gefecht, bis ein zweiter Schuß in den Schenkel sie noͤthigte, beides, das Gefecht und ihre Verkleidung zu verlassen. Sie entdeckte sich einem Offizier, durch dessen Vermittlung sie alle moͤgliche Schonung und Huͤlfe erlangte. Allein nach wenigen Tagen starb sie an ihren Wunden, beklagt von allen ihren Kameraden, deren Liebe und Achtung sie in hohem Grade besessen hatte. Die Nachrichten von unsern großen Heeren meldeten fortdauernd die gluͤcklichsten Vortheile, die von allen Seiten uͤber den aus Boͤhmen, Schlesien, und der Mark Brandenburg schon ganz nach Sachsen zuruͤck¬ gedraͤngten Feind erfochten waren. Große und zahl¬ reiche Streifschaaren zogen in seinem Ruͤcken und auf seinen Flanken ungestraft umher, und besuchten Braun¬ schweig und sogar Kassel, gegen welchen letztern Ort der Kronprinz von Schweden den General Tschernyscheff mit 3000 Pferden vorgeschickt hatte. Die Nachricht, daß Baiern dem großen Bunde beigetreten, kam ebenfalls in diesen Tagen. Alles dies forderte zu kuͤhnen Unter¬ nehmungen auf, denen die großen Ereignisse immer festere Grundlage boten. Der Marschall Davoust hatte seine Hauptstaͤrke jetzt an die Elbe gezogen, und im Ochsenwaͤrder, beim Zollenspieker und bei Lauenburg versammelt; er schien aͤußerst besorgt wegen eines An¬ griffs auf Haarburg, dessen Befestigung er eilig ver¬ mehren ließ. Bei dieser Lage der Dinge ersuchte Wall¬ moden den Kronprinzen von Schweden, die Stecknitz bloß durch den General von Vegesack beobachten zu lassen, da der allgemeine Zustand der Sachen kein Vor¬ dringen des Feindes mehr auf dieser Seite zu befuͤrch¬ ten gab, ihm selbst aber zu erlauben, nach Hannover vorzugehen, wo alles nur auf sein Erscheinen wartete, um sich gegen den Feind zu bewaffnen. Allein der Kronprinz war keineswegs damit einverstanden; und was er in Ruͤcksicht des Marschalls Davoust wohl bewilligt haͤtte, mochte er wegen der Daͤnen nicht zu¬ gestehen. Diesen war bisher noch kein bedeutender Nachtheil beigebracht, und ihm dem Schweden doch vor allem daran gelegen, diese Feinde nicht laͤnger un¬ angetastet in seinem Ruͤcken zu lassen, wenn er, wie er schon am Ende Septembers ankuͤndigte, uͤber die Elbe ginge, um sich nach Halle und Leipzig zu wenden. Er sandte daher an Wallmoden den Befehl, vielmehr einen Versuch an der Stecknitz zu machen, wo moͤglich die Daͤnen von den Franzosen zu trennen, und jene, von welchen man wußte, daß sie bei dem ersten Anlaß sich hinter die Eyder zuruͤckziehen wuͤrden, gesondert anzu¬ greifen. Wallmoden rief in Gemaͤßheit dieses Befehls Tettenborn abermals von Luͤneburg auf das rechte Elb¬ ufer zuruͤck, und wollte seine Truppen bei Gadebusch zu einer kraͤftigen Angriffsbewegung versammeln. Tet¬ tenborn ließ bloß den Rittmeister von Herbert und Lieu¬ tenant von Klitzing mit einer ziemlichen Anzahl Kosaken in und bei Luͤneburg zuruͤck, ging am 5. Oktober bei Bleckede auf Kaͤhnen, die er fruͤher hatte zusammen¬ bringen lassen, uͤber die Elbe, und marschirte nach Boitzenburg. Gleich der folgende Tag war zu einem allgemeinen Angriff bestimmt; allein der Marschall Da¬ voust hatte diesmal die Sache nicht unrecht vorherge¬ sehen, und schleunig alle Truppen aus dem Ochsen¬ waͤrder wieder an die Stecknitz gezogen, so daß die natuͤrliche Schwierigkeit, welche die sumpfigen Ufer der Stecknitz jedem Uebergange entgegensetzten, durch die zahlreiche Staͤrke des Feindes zur Unmoͤglichkeit wurde. Die ganze Sache lief auf ein heftiges Kanoniren hin¬ aus, das bei Buͤchen den ganzen Vormittag des 6. Ok¬ tobers andauerte, ohne irgend etwas in der Stellung der beiderseitigen Truppen zu aͤndern. Auch in den folgenden Tagen blieb alles in dem alten Zustande; der General von Vegesack machte einen Angriff auf die ihm gegenuͤber stehenden Vorposten, bei welchem die hanseatische Reiterei sich sehr tapfer auszeichnete, allein ohne einen Erfolg zu bewirken. Ein trefflicher hanseati¬ scher Offizier, der junge Godefroy aus Hamburg, war unter den Gebliebenen. Auf's neue der Langenweile eines Beobachtungs¬ kriegs, dem man nimmer entfliehen zu koͤnnen schien, uͤbergeben, mochte Tettenborn nicht laͤnger einen Zu¬ stand ertragen, der allen seinen Eigenschaften wider¬ sprach, und seine ausgezeichnetsten Gaben beinahe unnuͤtz ruhen ließ. Die Nachricht, daß Bluͤcher mit dem schle¬ sischen Heer uͤber die Elster gegangen sei, und den Feind fortwaͤhrend hart bedraͤnge, so wie alles Andere, was man von der obern Elbe erfuhr, belebte immer auf's neue die Aussicht auf gluͤckliche Partheigaͤnge, die gerade jetzt an der Zeit zu sein schienen, waͤhrend die Heere des Feindes noch das Feld hielten, und doch ihr Ruͤckzug schon unvermeidlich duͤnkte. Der Zug des Generals Tschernyscheff nach Kassel und die glaͤnzende Einnahme dieser Stadt hatte Schrecken und Bestuͤrzung weithin verbreitet; allein durch staͤrkere, von Frank¬ furt her im Anmarsch befindliche franzoͤsische Trup¬ pen bedroht, waren die Russen von Kassel wieder aufgebrochen, und eilten, indem sie ganz rechtshin zur Seite auswichen, die Bruͤcke bei Doͤmitz zu ge¬ winnen, um gleich wieder uͤber die Elbe gehen zu koͤnnen. (Der Verfolg im vierten Bande.)