Sammlung satyrischer Schriften. Dritter Theil. Mit allergnaͤdigsten Privilegien. Leipzig, Jm Verlage Johann Gottfried Dycks. 1752. Vorbericht. E s ist noch gar nicht lange, daß man uͤber den Mangel deut- scher Briefe klagte, und viel- leicht mit gutem Grunde. Man beschwerte sich, daß diese Gegend des deutschen Witzes noch am wenigsten angebaut, oder doch nur hin und wie- der von Pedanten, lateinischen und deut- schen Pedanten, Pedanten vom Hofe und von der Stadt, bewohnt sey. Seit einigen Jahren haben wir nicht mehr Ursache, uͤber diesen Mangel uns zu beschweren. Wir sind mit Brie- * 2 fen Vorbericht. fen und Briefstellern in ziemlicher Men- ge versorgt. Bald werden wir wuͤn- schen, daß unsre Landsleute sich mit ei- ner andern Art von Witze beschaͤfftigen moͤchten. Es ist vielen unter unsern Deutschen sehr gewoͤhnlich, daß ihr Witz langsam und spat erwacht; erwacht er aber auch einmal, so sind sie bis zum Ekel witzig. Der Beyfall, den einige anakreontische Oden verdienten, machte das halbe Land anakreontisch. Man sang von Wein und Liebe, man taͤndelte mit Wein und Liebe, und die Leser gaͤhnten bey Wein und Liebe. Ein Heldengedichte, dessen Vorzuͤge vielleicht erst in hundert Jah- ren den verdienten Beyfall allgemein ha- ben werden, macht zwey Drittheile des Volks episch. Aus allen Winkeln, wo ein Autor schwitzt, kriechen epische Hoch- zeitwuͤnsche, epische Todenfluͤche, epische Wiegen- Vorbericht. Wiegenlieder hervor, und der kleinste Geist flattert, so weit er kann, in die Hoͤhe, um uͤber den geschwaͤrzten Wol- ken rauschend hoch daher zu donnern. Mit den Briefen gehet es uns eben so, und wir sind in Gefahr, bey dieser Art des Witzes noch mehr auszustehn, ie ge- wisser ein jeder glaubt, daß es sehr leicht sey, Briefe zu schreiben, und ie leich- ter es ist, aus allem, was man geschrie- ben hat, einen Brief zu machen. Mit Erlaubniß dieser meiner Her- ren Collegen, will ich hier die Kunst ih- res Handwerks ein wenig verrathen. Sie haben gelesen, daß man einen Brief so schreiben soll, wie man rede; aber weiter haben sie nicht gelesen, sonst wuͤr- den sie gefunden haben, daß man vor- her im Stande seyn muͤsse, vernuͤnftig zu reden und zu denken, wenn man es wagen wolle, vernuͤnftige Briefe zu * 3 schrei- Vorbericht. schreiben. Viele von ihnen reden und denken poͤbelmaͤßig, und wie sie reden und denken, so schreiben sie auch ihre Briefe; sie schreiben sehr viele Briefe, weil ihnen der Mangel des Verstandes den Vortheil verschafft, daß sie mit gro- ßer Geschwindigkeit wenig denken, und viel plaudern. So muß man es machen, wenn man, nach ihrer Art, scherzhafte, freundschaftliche, oder vertraute Briefe der Welt mittheilen will. Der steife und strotzende Witz, den uns die Aus- laͤnder so oft vorwerfen, aͤussert sich be- sonders bey denen, welche fuͤhlen, daß sie gelehrt und belesen sind, auf eine an- dre Art. Sie machen sehr tiefsinnige Abhandlungen von uralten Wahrhei- ten, jagen solche durch alle Faͤcher der Dialektik und Schulberedtsamkeit durch, machen dieses gothische Gewebe mit Sentenzen der Alten erbaulich, und mit schoͤnen Vorbericht. schoͤnen Sinnbildern anmuthig, und wenn sie endlich unter Muͤhe und Angst sechs Bogen zusammen gepredigt haben: so setzen sie daruͤber: Hochedelgebohrner Herr, Hochzuehrender Herr, und vornehmer Goͤnner! den Augenblick wird dieses gelehrte Werk ein Brief! Das ist das große Geheimniß, und der wahre Kunstgriff, dessen sich ein ar- beitsamer Deutscher bedienen kann, wenn er ein gelehrter Briefsteller von vier Quartbaͤnden werden will. Durch dieses vortreffliche Mittel getraue ich mir aus allen Folianten meines Vater- landes Briefe zu machen. Sollte die- ses nicht ein Weg seyn, der asiatischen Banise, welche bey Kennern und an- dern ihren vorigen Werth verlohren hat, zu ihrem alten Ansehn wieder zu * 4 ver- Vorbericht. verhelfen, wenn man nach dem itzigen herrschenden Geschmacke einen Brief daraus machte? Wie das angehn koͤn- ne? Sehr leicht. Wir wollen es ver- suchen: Gnaͤdiges Fraͤulein, Blitz, Donner und Hagel, als die raͤ- chenden Werkzeuge des erzuͤrnten Him- mels, zerschmettern die Pracht der mit Gold bedeckten Thuͤrme, und wie es etwan weiter lautet. Dieses: Gnaͤdiges Fraͤulein wiederholt man auf allen Seiten ein paar mal, so ist es ein Brief, oder der Leser, der es laͤugnen will, muß gar keinen Geschmack, und gar keine gesunden Begriffe von einem Briefe haben. Das will ich doch nicht wuͤnschen, daß sich iemand diesen kriti- schen Fluch muthwillig auf den Hals laden moͤchte, welcher bey andern Gelegenhei- ten schon vielen so schrecklich gewesen ist! Da Vorbericht. Da ich der schreibenden Welt diese beyden Handgriffe bekannt gemacht ha- be: so scheint es fast uͤberfluͤßig zu seyn, weitere Anleitung zu Briefen zu geben. Nun weiß man, wie man artig, ver- traut und geschwind, man weiß auch, wie man gelehrt schreiben solle. Jn diese Classen werden sich, glau- be ich, die meisten Briefe einschraͤn- ken lassen. Allenfalls nehme ich diejeni- gen aus, welche man Amts- und Be- rufsbriefe nennen koͤnnte, und welchen der Kanzleystyl eigen ist. Die Ge- wohnheit rechtfertigt diese Schreibart, und macht sie unentbehrlich. Wer die- sen Kanzleystyl zur Unzeit unterlaͤßt, ist eben so wohl ein laͤcherlicher Pedante, als derjenige, der ihn zur Unzeit braucht. Von dem aͤusserlichen Baue und Wohlstande eines Briefs werde ich nicht viel sagen. Man kann ihn bey einem * 5 Schrei- Vorbericht. Schreibemeister, oder bey einem Copi- sten lernen. Einen Brief zu beschnei- den, einen Brief zu brechen, einen Brief zu uͤberschreiben, sind Sachen, die in ihrer Art wichtig genug, aber auch leicht zu lernen sind. Nur von der Titulatur muß ich noch etwas gedenken. Es ist uns Deut- schen nicht zuzumuthen, daß wir unser gezwungnes und buntes Wortgepraͤnge auf einmal verlassen sollen, mit dem wir die Eingaͤnge unsrer Briefe praͤchtig machen. Am wenigsten wollte ich, daß die witzigen Koͤpfe die ersten waͤren, die- se Gewohnheit laͤcherlich, und das Mein Herr, oder Madame allgemein zu machen. Jhnen wird man es ge- wiß als eine ungesittete Vertraulich- keit, oder eine Verabsaͤumung des Wohlstandes auslegen. Diejenigen, welche durch die Gewohnheit ein Recht haben, Vorbericht. haben, weitlaͤuftige und praͤchtige Ti- tel zu fodern, haben auch allein das Recht, sich davon los zu sagen. Es waͤre zu wuͤnschen, daß sie es nach und nach thaͤten, und dadurch unsre deut- sche Ehrenbezeugungen biegsamer und natuͤrlicher machten. So lange sie sich dieses Rechts nicht selbst begeben; so lange gehoͤren dergleichen verzerrte Ti- tulaturen unter die nothwendigen Un- bequemlichkeiten des Ceremoniels. Jn erdichteten Briefen, und bey unsern Freunden koͤnnen wir das vertraute Mein Herr ohne Gefahr brauchen, und wir thun wohl, wenn wir es in der- gleichen Faͤllen allgemein machen. Jch wollte wuͤnschen, daß sich je- mand die Muͤhe gaͤbe, eine chronologi- sche Geschichte der Complimente und Ti- tulaturen zu schreiben. Jch habe ange- merkt, daß das Laͤcherliche der Titula- turen Vorbericht. turen in eben dem Grade gestiegen, in welchem der gute Gehalt der Muͤnzen gefallen ist. Als wir noch nach zinni- schem Fuße ausmuͤnzten, da war ein Edler ein wichtiger, und verehrungs- wuͤrdiger Mann. Nach und nach stieg man auf Wohledler, auf Hochwohledler, auf Hochedel. Jtzt hat noch nicht ein- mal Hochedelgebohrner den innerlichen Werth, den sonst Edler hatte, und der Himmel weiß, ob wir nicht in funfzig Jahren so hoch hinauf getrieben werden, daß wir denjenigen, den wir vor hun- dert Jahren Edler hießen, alsdann in Gott Vater und Herrn nennen muͤssen. Da ich so viel nachtheiliges von den Briefen, von ihren Verfassern, und von andern dabey vorfallenden aͤusserli- chen Umstaͤnden sage: so werden meine Leser vermuthen, daß ich mich dieses Augenblicks bediene, desto vortheilhaf- ter Vorbericht. ter von mir und meinen Briefen zu sprechen, um auch fuͤr mich das ange- maßte Recht der Autorn zu behaupten, die gemeiniglich nicht eher zu ihrem Lobe schreiten, als wenn sie zehn andre Schriftsteller der Welt verdaͤchtig ge- macht haben. Jch werde es nicht thun. Jch will mich und meine Sammlung dem Urtheile der Leser uͤberlassen, ohne zu flehen, und ohne zu trotzen. Man kann leicht glauben, daß ich als Autor zu viel Empfindung habe, bey diesem Urtheile gleichguͤltig zu bleiben. Der Beyfall der Kenner macht mich stolz; der Beyfall derer, die nicht Kenner sind, macht mir ein Vergnuͤgen. Jch wuͤn- sche mir von keinem von beiden getadelt zu werden, es sey mit Grunde, oder ohne Grund. Jch bin noch kein so ab- gehaͤrteter Autor, daß ich bey dem Ta- del meines Lesers, wer der auch sey, ge- lassen seyn koͤnnte. Die Vorbericht. Die Einrichtung meiner satyrischen Briefe ist ungefaͤhr diese. Jch habe ge- wisse Anmerkungen von dem Laͤcherli- chen, oder Lasterhaften der Menschen gemacht. Diese Anmerkungen habe ich durch Briefe erlaͤutert. Um meinen Le- sern durch die Abwechslung die Sache angenehm zu machen, habe ich hin und wieder diesen Briefen die Gestalt einer zusammenhangenden Geschichte gegeben. Da sie alle nur erdichtet sind, so habe ich besonders in Ansehung der Titulaturen nicht noͤthig gehabt, sorgsam zu seyn. Es ist meine Absicht nicht gewesen, mei- nen Lesern durch diese Sammlung For- mulare in die Haͤnde zu geben, die sie bey andern Gelegenheiten brauchen koͤnnten. Jch wollte es wohl wuͤnschen, daß man in der Welt schriebe, wie man daͤchte; auf diesen Fall wuͤrde mei- ne Sammlung ungemein praktisch seyn, und Vorbericht. und ich wuͤrde vor andern Briefstellern unendliche Vorzuͤge erlangen. Weil man aber in der Welt gemeiniglich an- ders schreibt, als man denkt: so will ich zufrieden seyn, wenn man durch meine Bemuͤhung, und durch mein gegebnes Beyspiel nur so viel lernt, wie man ei- nen Brief verstehen soll, in welchem der Verfasser anders gedacht hat, als er schreibt. Das nachstehende Verzeichniß der in dieser Sammlung befindlichen Briefe wird die ganze Einrichtung des Werks, und meine Absichten naͤher entdecken. Von der Behutsamkeit, die ich ge- braucht habe, auch in diesem Theile mei- ner Schriften weder den Wohlstand zu verletzen, noch iemanden persoͤnlich zu beleidigen, will ich weiter nichts sagen. Die gerechteste Sache wird verdaͤchtig, wenn man sie zu oft, und zu muͤhsam ent- Vorbericht. entschuldigt. Zugleich wuͤrde ich meine Leser beleidigen, wenn ich an ihrer Bil- ligkeit und Einsicht bey aller Gelegen- heit zweifeln wollte. Das einzige, was ich hierbey thun kann, ist dieses, daß ich denen, welche mich und meine Schriften noch nicht kennen, das Glaubensbe- kenntniß meiner Satyre empfehle, wel- ches ich in der Vorrede zum ersten Theile meiner Schriften abgelegt habe Siehe Sammlung satyrischer Schriften, Ersten Theil, und dessen Vorbericht auf der sieben und zwanzigsten Seite bis zum Ende des Vorberichts. . Leipziger Ostermarkt 1752. Gottlieb Wilhelm Rabener. Verzeich- Verzeichniß der in nachstehender Sammlung befind- lichen Briefe und Abhandlungen. S chreiben, eines von Adel an einen Pro- fessor, in welchem einen guten Hof- meister zu waͤhlen gebeten, und ge- sagt wird, was man von ihm fuͤr Faͤhig- keiten verlange S. 10 Antwort des Professors, nebst zwo Taxen von einem geschickten und eilf ungeschick- ten Hofmeistern 13 Empfehlungsschreiben an ein Kammermaͤd- chen, wegen der erledigten Hofmeister- stelle 25 Antwort im Kammermaͤdchenstyle 26 Ein kleiner Roman zwischen einer jungen Priesterwittwe, und einem Herrn Candi- daten. Besteht aus folgenden Briefen: Schreiben der Priesterwittwe an den Can- dida- Verzeichniß. didaten, worinnen ihm ein Wink von dem goͤttlichen Berufe gegeben wird 28 Einladungsschreiben des Kirchenpatrons an den Candidaten 30 Antwort des Candidaten an den Kirchen- patron 31 Dergleichen an die Priesterwittwe. 32 Schreiben der Priesterwittwe an den Kir- chenpatron 33 Dessen lehrreiche Antwort an die Wittwe 34 Ein Oberster empfiehlt seinen Feldprediger zu einem Dorfpfarr 38 Bittschreiben des Feldpredigers an den Ober- sten wegen dieser Sache 40 Ein abgesetzter Schulmeister bittet um einen Schuldienst, und liefert drey Proben von seiner Staͤrke in Gevatter und Hochzeit- briefen 42 Chria Aphthoniana, worinnen um eine Rekto- ratstelle in einem kleinen Staͤdtchen gebe- ten wird 52 Eine praktische Abhandlung von der Kunst zu bestechen, imgleichen sich bestechen zu lassen. Besteht aus folgenden Briefen: Schreiben, wie ein ungewissenhafter Vor- mund den Richter nicht bestechen soll 62 Der- Verzeichniß. Dergleichen, wie ein Rittergutsbesitzer den Commissar nicht bestechen soll 64 Dergleichen, wie ein Kaufmann seinen Rich- ter nicht bestechen soll 65 Eine ungeschickte Art, wie ein Bauer seine gnaͤdige Frau Amtmanninn zu bestechen sucht 66 Schreiben, wie ein ungewissenhafter Vor- mund es machen soll, wenn er den Rich- ter bestechen will 71 Dergleichen fuͤr einen Rittergutsbesitzer an den Commissar 74 Anweisung, wie man einen Richter beym Spiele bestechen kann 77 Formular, eines leeren Briefs allen streiten- den Partheyen zur Warnung geschrieben. 80 Eines ungerechten Richters unpartheyische Antwort darauf 81 Ein Handgriff, wie man einen Richter, den man besticht, die saure Muͤhe ersparen kann, roth zu werden 83 Des Richters Antwort auf den stummen Brief 84 Gebessertes Formular, wie ein Kaufmann seinen Richter bestechen soll. 87 * * 2 An- Verzeichniß. Anleitung, einen Richter mit Holze zu beste- chen 89 Jngleichen mit alten Muͤnzen und Gem- mis 90 Recept, wie eine schoͤne Frau den Richter gewinnen soll 96 Des Richters vielbedeutende Antwort dar- auf 98 Ein Brief, wie man einen Commissar mit der Furcht vor seinen Obern besticht 100 Dergleichen mit der Furcht vor seinem eig- nen boͤsen Gewissen 101 Dergleichen mit der Furcht vor Wechsel- schulden 102 Eine arme gedruckte Wittwe bittet um Ge- rechtigkeit bey ihrem Richter 106 Des Richters Antwort 108 Vier Formulare von der mittelbaren Be- stechung durch die Weiber der Richter, nach ihren verschiednen herrschenden Lei- denschaften 111 Schreiben an einen Amtmann, der viel von der Kuͤche, und nichts von der Amtsstube versteht 118 Dergleichen an seine juristische Tochter, so das Directorium Actorum fuͤhrt 119 Von der Kunst sich bestechen zu lassen, inglei- chen Verzeichniß. chen von einer ganz neuentdeckten compu- tatione graduum 122 Bittschreiben eines jungen Menschen, der zur Zierde des Vaterlandes Rathsherr werden will. 135 Empfehlungsschreiben eines Mannes, der aus Bequemlichkeit Rathsherr werden will 140 Schreiben des bequemen Candidaten 142 Nota. Beide sind aus dem Alciphron getreu- lich uͤbersetzt. Charakter eines juristischen Polyphems 145 Vier Briefe, denen zum Besten geschrieben, die Gerichtsbestallungen suchen 157 Ein Brief von der Gefahr, die man laͤuft, wenn man einen jungen und noch ungeuͤb- ten Mann zum Richter oder Commissar bekoͤmmt 170 Zwey Formulare fuͤr diejenigen, welche in vornehmen Haͤusern Sekretarien werden wollen, um die Hofluft zu gewohnen 174 Roman einer alten Sproͤden. Darinnen sind folgende Briefe enthalten: Schreiben der alten Sproͤden an den Ver- fasser der satyrischen Briefe 181 Der Hofrath R ‒ ‒ wirbt um die Sproͤde 183 * * 3 Ab- Verzeichniß. Abschlaͤgige Antwort der Sproͤden an den Hofrath R ‒ ‒ ‒ 186 Ein medicinischer Doctor wirbt um die Sproͤ- de 189 Zaͤrtliches Schreiben des Herrn Lieutenants an die Sproͤde 192 Abschlaͤgige Antwort der Sproͤden an den Doctor 193 Ein Professor wirbt um die Sproͤde 199 Abschlaͤgige Antwort der Sproͤden an den Professor 202 Herzbrechendes Schreiben der Sproͤden an ihren Lieutenant 204 Des Lieutenants schreckliche Antwort dar- auf 207 Ein Advocat wirbt um die Sproͤde 212 Abschlaͤgige Antwort der Sproͤden darauf 214 Ein Wuͤrzkraͤmer wirbt um die Sproͤde 216 Abschlaͤgige Antwort der Sproͤden darauf 218 Die alte Sproͤde wirbt um ihres Vaters Schreiber 221 Abschlaͤgige Antwort des Schreibers darauf 225 Die alte Sproͤde wirbt um den Hofrath 230 Abschlaͤgige Antwort des Hofraths darauf 232 Die Verzeichniß. Die alte Sproͤde wirbt um den medicinischen Doctor 235 Abschlaͤgige Antwort des medicinischen Doc- tors darauf 237 Die alte Sproͤde wirbt um den Professor 241 Des Professors Frau antwortet der alten Sproͤden, daß ihr Mann schon eine Frau habe 245 Die alte Sproͤde wirbt um den Advocaten 248 Abschlaͤgige Antwort des Advocaten in hoͤch- ster Eil 251 Befehdungsbrief der alten Sproͤden an den Wuͤrzkraͤmer 252 Dessen Antwort an die alte Sproͤde mit Protest 257 Antwort des Verfassers der satyrischen Schriften an die alte Sproͤde 264 Extrafavorable Auswuͤrflung der alten Sproͤden 276 Ein Roman von einer Fraͤulein, die der Großvater, und der Enkel zugleich liebt. Besteht aus folgenden Briefen: Anwerbungsbrief, und vier Postscripte eines alten Cavaliers an ein junges Fraͤulein 278 * * 4 Schrei- Verzeichniß. Schreiben des Enkels an seine Tante 281 Trostschreiben der Tante an den eyfersuͤchti- gen Enkel 282 Der Enkel seufzt 284 Liebeserklaͤrung des Enkels an das junge Fraͤulein 285 Die Tante sagt, daß der Enkel thoͤricht sey 286 Freundschaftliches Schreiben der jungen Fraͤulein an die Tante 288 Der Tante Antwort darauf 291 Schreiben der Fraͤulein an ihren Onkel 293 Antwort des Onkels an das Fraͤulein 295 Der Enkel verzweifelt vor Liebe, und klagt es seiner Tante 296 ‒ ‒ ‒ und klagt es seiner Fraͤulein 298 ‒ ‒ ‒ und klagt es ihrem Onkel 299 Der eyfersuͤchtige Enkel bittet seinen Groß- papa um Erlaubniß, die Fraͤulein heira- then zu duͤrfen 301 Antwort der Tante an den Vetter 304 Dem Vetter wird angst, und er antwortet der Tante 309 Antwort der Tante 309 Antwort des Vetters an die Tante 310 Ant- Verzeichniß. Antwort der Tante 311 Umstaͤndlicher Statuscausaͤ des Großvaters an seine Tochter, daß der Enkel uͤber und uͤber ein Narr sey 312 Schreiben der Fraͤulein an die Tante 315 Schreiben des Onkels der Fraͤulein, an den Großvater 316 Schreiben des Großvaters an die Tochter, worinnen er gesteht, daß der Enkel ein so gar großer Narr doch nicht sey, als er ge- glaubt haͤtte 319 Schreiben des Großvaters an den Onkel der Fraͤulein, welches den Roman aufloͤst 320 Liebestractaten eines rechtschaffnen, aber eigensinnigen Freyers mit einem Frauen- zimmer 326 Das Frauenzimmer fragt ihre Tante um Rath 331 ‒ ‒ ‒ ingleichen ihren Onkel 332 Antwort der Tante 333 Antwort des Frauenzimmers an die Tante 335 Antwort des Onkels an das Frauenzimmer 336 Gutachten einer Freundinn des Frauenzim- mers 338 * * 5 Der- Verzeichniß. Dergleichen 340 Dergleichen 344 Noch dergleichen von einer andern Art 346 Excitatorium des zaͤrtlichen, und eigensin- nigen Liebhabers an das Frauenzimmer 347 Entschluß und Erklaͤrung des Frauenzim- mers an den Liebhaber 348 Eigennuͤtzige Liebeserklaͤrung eines jungen Menschen an eine alte Frau 350 Zaͤrtlicher Liebesbrief einer alten Frau an einen jungen Menschen 353 Liebeserklaͤrung eines Menschen, der zaͤrtlich liebt, aber nicht vernuͤnftig 357 Antwort und freundschaftlicher Korb 358 Liebesflammen eines Pedanten 362 Ehrendienstwillige Antwort darauf 364 Hanns liebt Grethen 365 Grethe Hannsen 366 Ein Buͤrger, der reich und vernuͤnftig ist, wirbt um ein Fraͤulein 368 Ein Fraͤulein, das arm und vernuͤnftig ist, schlaͤgt es ihm ab 371 Ein strotzender Landjunker will seine Liebe an ein reiches Buͤrgermaͤdchen verkaufen 377 Ein Verzeichniß. Ein einfaͤltiges Buͤrgermaͤdchen nimmt den Vorschlag mit demuͤthigem Danke an 381 Ein hochmuͤthiges Buͤrgermaͤdchen nimmt den Vorschlag mit Verachtung an 384 Ein vernuͤnftiges Buͤrgermaͤdchen versichert den gnaͤdigen Junker, daß er ein Narr sey 390 Leben und Thaten eines ehrlichen Bankru- tirers, worinnen folgende Briefe sind: Der ehrliche Bankrutirer will so gnaͤdig seyn, und tausend Thaler borgen 392 Wird unterthaͤnig abgeschlagen 393 Consilium medicum 394 Recept 394 Schreiben des Bankrutirers an den Advo- caten 396 Antwort des Advocaten sehr praktisch einge- richtet 397 Antwort des ehrlichen Bankrutirers an den boshaften Advocaten 400 Schreiben des verjagten Bankrutirers an seinen Sekretair 405 Ein Mahnbrief auf 2000 Thlr. 406 Freundliche Antwort darauf 406 Mahnbrief auf 600 Thlr. ‒ ‒ fuͤr Waaren 407 Trost- Verzeichniß. Trostschreiben darauf 408 Mahnbrief wegen eines Wechselbriefs von 2500 Thlr. ‒ ‒ 408 Fuͤr 2500 Thlr. ‒ ‒ Complimente 409 Wehmuͤthiges Bittschreiben einer verarmten Wittwe, wegen schuldiger 550 Thlr. ‒ ‒ 410 Eine ehrliche Antwort im Ernste 411 Bruͤderliche Drohungen eines Junkers an den ehrlichen Bankrutirer 412 Antwort darauf ziemlich kurz, aber doch deutlich 413 Trotziger Mahnbrief von Hanns Puff und Compagnie 414 Freundschaftliche Antwort darauf 415 Schreiben des Sekretairs an seinen Princi- pal, den ehrlichen Bankrutirer, worinnen die ganze Verwirrung aufgeloͤst wird 416 Fehler, so in diesem dritten Bande zu aͤndern sind. S. 10. Z. 18. von fuͤr vom. S. 18. Z. 8. 258. fuͤr 257. S. 20. Z. 11. 2100. fuͤr 2000. S. 59. Z. 5. Formalien fuͤr Formulare. S. 81. Z. 2. verlangen fuͤr erlangen. S. 122. Z. 19. Hodegetæ, fuͤr Hodogetæ. S. 139. Z. 9. Pagoden fuͤr Bago- den. und Z. 23. ζυδον fuͤr ξύδον. S. 191. Z. 25. ihm fuͤr ihn. S. 184. Z. 11. Jhre fuͤr Jhrer. S. 281. Z. 3. d’ aylhoudi- schen fuͤr alliotischen. S. 280. Z. 4. 1740. fuͤr 1750. Saty- Satyrische Briefe. A D ie Klagen wegen der Kinderzucht sind „so alt, und so allgemein, daß ich nicht „Willens bin, mich gar zu lange da- „bey aufzuhalten. Diejenigen, welche „Kinder haben, beschweren sich mit der groͤßten „Bitterkeit, daß es so viele Muͤhe koste, Jeman- „den zu finden, der den Willen und das Geschicke „habe, die Kinder redlich zu unterweisen, und ver- „nuͤnftig anzufuͤhren. Eben so unzufrieden und „misvergnuͤgt sind auf der andern Seite diejeni- „gen, welche sich, unter dem Titel der Hofmeister „und Jnformatoren, der Unterweisung der Kinder „in Familien unterziehen. Denn von dieser Art „der Kinderzucht rede ich itzt; die Fehler der „oͤffentlichen Schulen verdienen eine besondere Be- „trachtung. Jch glaube, man hat auf beiden „Seiten Ursache sich zu beschweren, und gemeinig- „lich sind beide Schuld daran. „Aeltern, welche die Pflichten der Aeltern „nicht verstehen, und wie viele verstehen sie nicht? „Aeltern, welche in ihrer Jugend selbst keine Er- A 2 ziehung Satyrische Briefe. „ziehung gehabt, und nicht verlangen, daß ihre „Kinder vernuͤnftiger werden, als sie sind, die viel- „mehr nur darauf sehen, daß sie mit einer sorgfaͤl- „tigen Ersparung alles Aufwands dieselben heran „ziehen moͤgen; solche Aeltern verdienen das Gluͤck „kaum, einen geschickten Mann in ihr Haus zu „bekommen, welcher es getreuer und redlicher mit „ihren Kindern meynt, als sie es selbst mit ihnen „meynen. „Kinder, und besonders Kinder, vornehmer „Aeltern zu ziehen, ist die wichtigste, aber auch die „schwerste Arbeit, die man sich vorstellen kann. „Wird sich wohl ein Mann, der Gelehrsamkeit, „Geschmack, und gute Sitten besitzet, so leicht „entschließen koͤnnen, ein Amt uͤber sich zu nehmen, „bey dem so wenig Vortheil, und oft noch weniger „Ehre, allemal aber viel Verdruß und Arbeit ist? „Ein Vater, welcher niemals gewohnt ist, „vernuͤnftig zu denken, ist auch nicht im Stande, „sich vernuͤnftige Vorstellungen von der Verbind- „lichkeit zu machen, die er einem Manne schuldig „ist, der das schwere Amt der Erziehung mit ihm „theilt. Er sieht diesen Mann als einen seiner „Bedienten, und wenn er recht artig denkt, als „den Vornehmsten seiner Bedienten an. Er wird „ihm nicht mehr Achtung erweisen, als er einem „seiner Bedienten erweist; und kann er alsdann „wohl verlangen, daß seine Kinder diesen ihren „Hof- Satyrische Briefe. „Hofmeister mehr ehren sollen? Wie viel ungluͤck- „liche Folgen fließen aus dieser einzigen Qvelle, „wenn die Kinder sich durch das Beyspiel der Ael- „tern berechtiget halten, denjenigen zu verachten, „der ihr Fuͤhrer und Lehrer seyn soll! „Die Besoldung, oder wie es in vielen vor- „nehmen Haͤusern genannt wird, der Lohn, den „man dem Hofmeister giebt, ist so kuͤmmerlich und „geringe, daß ein rechtschaffner Mann unmoͤglich „Muth genug behalten kann, sein sklavisches Amt „mit dem Eifer und der Munterkeit zu verwalten, „die bey dieser Verrichtung so noͤthig sind. „Und, damit der Hofmeister sein Geld ja nicht „mit Muͤßiggehen verdiene, so sind viele so sinn- „reich, daß sie von ihm alle Wissenschaften, und „uͤber die Wissenschaften alle moͤgliche Handdienste „fordern, und es gern saͤhen, wenn er Hofmeister, „und Peruͤkenmacher, und Hausvoigt, und Korn- „schreiber zugleich waͤre. „Koͤnnen dergleichen unbillige Aeltern sich es „wohl befremden lassen, wenn ihre Kinder schlecht, „und niedertraͤchtig erzogen werden, da sie mit „demjenigen, der sie erziehen soll, so niedertraͤchtig, „und eigennuͤtzig verfahren? „Da ich dieses sage, so weis ich, daß ich alle „diejenigen auf meiner Seite habe, denen in adli- A 3 „chen Satyrische Briefe. „chen Haͤusern und andern Familien die Erziehung „und Unterweisung der Jugend anvertraut ist. „Sie werden so billig seyn und mir in demjenigen „auch Beyfall geben, was ich itzt anfuͤhren will. „Sie geben den Aeltern eben so oft, und noch „oͤfter, Gelegenheit, unzufrieden mit ihnen zu seyn. „Viele sind verwegen genug, dieses Amt auf „sich zu nehmen, und die anvertraute Jugend in „Wissenschaften, und guten Sitten zu unterweisen, „welche bey ihrer tiefen Unwissenheit, eine so schlech- „te Auffuͤhrung haben, daß sie selbst noch verdien- „ten, unter der Hand eines Zuchtmeisters zu stehen. „Die Sorgfalt, welche man wegen des aͤußerlichen „Wohlstandes auch in den kleinsten Umstaͤnden „beobachten muß, ist ihnen auf niedern und hohen „Schulen so gleichguͤltig, und wohl oft so laͤcher- „lich gewesen, daß sie es fuͤr brav gehalten haben, „ungezogen zu seyn. Nun kommen sie in ein Haus, „wo rechtschaffne Aeltern eben so sorgfaͤltig verlan- „gen, daß ihre Kinder wohlgesittet erzogen, als „daß sie in Wissenschaften unterrichtet werden moͤ- „gen. Wie empfindlich muß es ihnen seyn, wenn „sie diesem sich selbst gelassenen Hofmeister ihre „Kinder zur Aufsicht anvertrauen sollen, welche „gar leicht, ihrer Jugend ungeachtet, das Unan- „staͤndige an ihrem Lehrer wahrnehmen muͤssen, da „sie dergleichen weder bey ihren Aeltern, noch bey „ihren Bedienten, zu sehen gewohnt sind. Die „Be- Satyrische Briefe. „Bedienten selbst finden ihn laͤcherlich, und er wird „es endlich dem ganzen Hause, da er sich so wenig „Muͤhe giebt, seine Fehler zu verbergen, oder zu „aͤndern. Und dennoch wird eben dieser ungesittete „Mensch die bittersten Klagen fuͤhren, daß man „ihm in diesem Hause nicht mit der Achtung und „Ehrerbietung begegne, die er im Namen seines „Amtes fordert. „Es ist ein Ungluͤck, daß gemeiniglich nur die- „jenigen sich dieser Lebensart widmen, welchen die „Armuth ihrer Aeltern, und ihre niedrige Geburt „die Hoffnung benimmt, ihre Absichten auf etwas „hoͤheres als auf die Erlangung einer Dorfpfarre „zu richten. Es geschieht alsdann gar zu leicht, „daß ihre Auffuͤhrung entweder zu schuͤchtern und „kleinmuͤthig ist, weil sie gewohnt sind, einsam und „im Dunkeln zu leben; oder sie ist zu trotzig und „zu stolz, weil sie zu wenig Gelegenheit gehabt ha- „ben, sich und die Welt kennen zu lernen. Bey- „des sind Folgen, welche ihnen bey der Unterwei- „sung der Jugend nachtheilig sind. Koͤmmt end- „lich dieses noch dazu, daß ihre Absichten allzuei- „gennuͤtzig sind, daß sie die Befoͤrdrung in ein Amt, „ie eher ie lieber zu erlangen wuͤnschen, es geschehe „auch wie es wolle: so wird ihnen die uͤbernommene „Arbeit desto verdruͤßlicher, und die geringste Ver- „zoͤgerung ihrer Hoffnung unertraͤglich fallen. A 4 Aber Satyrische Briefe. „Aber darum getraue ich mir noch nicht, zu „behaupten, daß ein Mensch deswegen, weil er nicht „von armen Aeltern, und nicht von niedriger Ge- „burt herstammt, weil er vielleicht hoͤhere Absichten „seines kuͤnftigen Gluͤcks hat, als eine mittelmaͤßige „Befoͤrderung, weil er nicht einsam und im Dunkeln, „sondern vor den Augen der Welt erzogen worden, „daß, sage ich, ein solcher Mensch stets geschickt „sey, die Jugend zu unterrichten, und vernuͤnftig „zu erziehen. Nein, dieses getraue ich mir nicht „zu behaupten; die Erfahrung wuͤrde mir wider- „sprechen. Man bemerket es nur gar zu oft, daß „diejenigen am meisten ungesittet sind, welche die „beste Gelegenheit gehabt haben, wohl erzogen „zu werden. „Jch kann mir kein lebhafter Vergnuͤgen vor- „stellen, als wenn vernuͤnftige Aeltern, die keine „Muͤhe und Kosten sparen, ihren Kindern eine „anstaͤndige Erziehung zu verschaffen, einen Mann „finden, der bey einer gesitteten Auffuͤhrung ein „redliches Herz und die Geschicklichkeit besitzt, seinem „Amte vollkommen vorzustehen; wenn sie die Fruͤchte „seiner redlichen Bemuͤhungen von Zeit zu Zeit „wahrnehmen; und wenn sie alsdenn eine Gele- „genheit erlangen, das Gluͤck dieses rechtschaffenen „Mannes auf eine vortheilhafte Art zu befestigen. „Jch will hier mit einer Anmerkung schließen, „die ich aus einem lateinischen Buche entlehne, und zwar Satyrische Briefe. „zwar aus einem Buche, das viele von denen Her- „ren nicht gelesen haben, welche doch glauben, „daß sie gelehrt, geschickt, und beredt genug sind, „die Jugend, und kuͤnftig eine ganze Gemeine zu „unterweisen. Es fasset diese Stelle ein unver- „gleichliches Recept in sich, wie man bey der Wah „eines Jnformators, und Hofmeisters verfahren „soll. Wer Kinder hat, und diese Stelle, darum „weil sie lateinisch ist, nicht versteht, der lasse „sich solche von seinem Jnformator verdeutschen, „und gebe ihm dabey genau auf die Augen acht, „ob er sich im Gesichte verwandele. Jst er gelehrt, „und geschickt, und wohlgesittet: so wird er diese „Stelle sehr billig finden. Jst er alles dieses „nicht, so wird er es sehr uͤbel nehmen, daß man „ihm die Erklaͤrung einer so pedantischen Aufgabe, „die sich auf unsere Zeiten gar nicht mehr schickt, „zumuthen koͤnnen. Aber vielleicht versteht er zu „seiner innerlichen Beruhigung so viel Latein nicht, „als noͤthig ist, sie deutsch zu erklaͤren. Hier ist die „ganze Stelle: „De pædagogis hoc amplius, ut aut sint „eruditi plane, quam primam esse curam ve- „lim: aut, se non esse eruditos, sciant. Nihil „enim pejus est iis, qui paulum aliquid ultra „primas literas progressi, falsam sibi scientiæ „persuasionem induerunt. Nam et cedere præ- „cipiendi peritis indignantur et, velut jure quo- „dam potestatis, quo fere hoc hominum ge- A 5 nus Satyrische Briefe. „nus intumescit, imperiose atque interim sæ- „vientes, stultitiam suam perdocent. Nec „minus error eorum nocet moribus. qvin- „tilianvs. „Damit ich nicht das geringste verabsaͤume, „meinen Satz deutlich und begreiflich zu machen, „so will ich ein paar Briefe einruͤcken, welche das- „jenige naͤher beweisen werden, was ich hier, viel- „leicht ein wenig zu ernsthaft, voraus erinnert „habe.„ Hochzuehrender Herr Professor, M eine Jungen wachsen heran, und es ist nun Zeit, daß ich ihnen einen gescheiden Hofmei- ster halte. Bisher habe ich den Schulmeister las- sen zu ihnen gehen; aber er kann sie nicht mehr baͤn- digen. Jch weiß, in welchem Ansehen Sie in Leipzig stehn, und daß Jhr Vorzimmer bestaͤndig vom solchen krummgebuͤckten Creaturen voll ist, welche Hofmeisterstellen, oder Jnformationes su- chen. Lesen Sie mir einen huͤbschen gesunden Kerl aus. Sie wissen es selbst, daß bey mir weder Menschen noch Vieh Noth leiden. Fritze, der aͤl- teste, ist ein durchtriebner Schelm. Er hat einen offenen Kopf, und ist auf die Maͤgde, wie ein klei- ner Teufel; ich darf es den Buben nicht merken las- sen, Satyrische Briefe. sen, daß ich ihn lieb habe; der leichtfertge Schelm! Er ist noch nicht vierzehn Jahr alt, und hat in hu- manioris gar feine principio. Ferdinand, ist meiner Frau ihr Junge. Er ist immer kraͤnklich, und das geringste Aergerniß kann ihm schaden. Das gute Kind will mit lauter Liebe gezogen seyn, und meine Frau hat schon zween Bediente wegge- jagt, die ihm unfreundlich begegnet haben. Das aͤlteste Maͤdchen ist zwoͤlf Jahre. Sie soll noch ein bißchen Catechissen lernen, und hernach will ich dem kleinen Nickel einen Mann geben, der mag sehn wie er mit ihr zu Rechte koͤmmt. Mit dem kleinen Maͤdchen hat der Hofmeister gar nichts zu thun, die behaͤlt die Mamsell bey sich. Sehn Sie nun, Herr Professor, das ist die Arbeit alle. Jch wer- de Jhnen sehr verbunden seyn, wenn Sie mir einen huͤbschen Menschen vorschlagen. Jch verlange wei- ter nichts von ihm, als daß er gut Latein versteht, sich in Waͤsche und Kleidung reinlich und sauber haͤlt, Franzoͤsisch und Jtaliaͤnisch sprechen kann, eine schoͤne Hand schreibt, die Mathimatik versteht, Verse macht, so viel man fuͤrs Haus braucht, tan- zen, fechten und reuten kann, und wo moͤglich, ein wenig zeichnet. Jn der Historie muß er auch gut beschlagen seyn, vor allen Dingen aber in der Wap- penkunst. Jst er schon auf Reisen gewesen; desto besser. Aber er muß sich gefallen lassen, bey mir auf meinem Gute zu bleiben, und sich wenigstens auf sechs Jahre bey mir zu vermiethen. Dafuͤr soll er bey meinen Kindern auf der Stube freye Wohnung Satyrische Briefe. Wohnung haben, mit dem Cammerdiener essen, und jaͤhrlich 50 Gulden bekommen. Zum heili- gen Christe und zur Messe gebe ich nichts; derglei- chen Betteleyen kann ich nicht leiden. Sind die sechs Jahre um, so kann er in Gottes Namen hinge- hen, wohin er will. Jch will ihn sodann an sei- nem Gluͤcke nicht hindern. Mich duͤnkt, die Vor- schlaͤge sind ganz billig. Hat der Mensch Lust zur Wirthschaft, so kann er meinem Verwalter mit an die Hand gehen. Es wird sein Schade nicht seyn, denn er weiß doch nicht, wozu ers einmal brau- chen kann. Jch werde fuͤr Jhre Bemuͤhung er- kenntlich seyn, und bin Hochzuehrender Herr Professor Jhr dienstbereitwilligster ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Hoch- Satyrische Briefe. Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr, E w. Excellenz gnaͤdigst mir ertheiltem Befehle un- terthaͤnigst nachzuleben, habe ich mir Muͤhe gegeben, alle diejenigen subjecta quovis modo zu sondir en, von denen ich geglaubt, daß sie der hohen Gnade nicht ganz unwuͤrdig waͤren, welche Ew. Hochwohlgebohrne Excellenz, als ein wahrer Maͤcenat, und Beschuͤtzer der schoͤnen Kuͤn- ste und Wissenschaften, so großmuͤthig zu offeri- r en geruht haben. Es fehlt nicht an Leuten, wel- che conditiones suchen, aber es ist zu beklagen, daß heut zu Tage junge Leute zu zeitig vornehm seyn, und sich nicht gefallen lassen wollen, durch einen kleinen Anfang den gewissen Grund zu ihrem groͤßern Gluͤcke zu legen. Die wenigen Wissen- schaften so sie etwan besitzen, machen sie so stolz, daß sie unverschaͤmt genug sind, fuͤr ihre kleinen Bemuͤ- hungen, die doch in weiter nichts bestehen, als Kinder zu informiren, so viel zu fordern, daß man dafuͤr gar reichlich drey Bediente in Livrey halten koͤnnte. Jch habe einen jungen Mensch bey mir gehabt, welcher in der That alle diejenigen Faͤ- higkei- Satyrische Briefe. higkeiten besitzt, so Ew. Excellenz bey einem Hofmei- ster fuͤr Dero gnaͤdige junge Herrschaft verlangen. Ueberdieses ist er von einem gesetzten Wesen, tu- gendhaft, und so gar, welches Ew. Excellenz nicht ungnaͤdig vermerken werden, fromm und christlich. Es wird keiner, so wie dieser, vermoͤgend seyn, Dero junge Herren zu wackern Maͤnnern fuͤrs Vaterland, und zur Ehre Dero hohen Hauses zu erziehn. Aber was hilft das? Seine Forderun- gen sind ungeheuer, und Ew. Excellenz sind viel zu einsehend, als daß Sie wider die Gewohnheit Dero hoher Ahnherren so vieles Geld wegwerfen, und dennoch nichts weiter dadurch erlangen sollten, als rechtschaffene Kinder. Wollen Sich Dieselben eine Lust machen, so geruhen Sie gnaͤdig, dessen eigenhaͤndigen Aufsatz seiner laͤcherlichen Præten- sion in der copeylichen Anfuge sub A. zu lesen. Mit einem Worte, ein so theurer Hofmeister ist fuͤr Ew. Excellenz keine Sache. Es sind noch einige andre bey mir gewesen, welche sichs fuͤr eine große Gnade halten, als Hofmeister in Ew. Excel- lenz Dienste zu treten. Sie verstehn freylich das wenigste von dem, was Dieselben verlangen; und ich kann nicht laͤugnen, daß bey den meisten die Auffuͤhrung nicht die beste ist. Jnzwischen kann ich ihnen doch nachruͤhmen, daß sie Leute sind, welche mit sich handeln lassen, und die Ew. Excellenz ge- wiß nicht uͤbertheuern werden. Mehrere Nach- richt davon, werden Sie in der Beylage sub B. von ihnen finden. Ew. Excellenz gnaͤdigsten Disposition die- Satyrische Briefe. dieserhalb bin in Unterthaͤnigkeit ich erwartend. Mein Rath hierbey waͤre, sonder alles unziemende Maaßgeben, ich ließe diese Candidaten alle auf einmal zu mir kommen und sie auf die Hofmeister- stelle licitir en. Demjenigen, welcher am wenig- sten fuͤr seine Bemuͤhung haben wollte, koͤnnte ich sodann gedachte Hofmeisterstelle zuschlagen. Doch uͤberlasse alles zu Dero erleuchtem Ermessen ich ledig- lich, und verharre mit der tiefsten Devotion Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr, Ew. Excellenz, unterthaͤnig gehorsamster Diener ‒ ‒ ‒ ‒ N. S. Wollten Ew. Excellenz die hohe Gna- de haben, und das Stipendium, so Dieselben zu disponir en haben, meinem aͤltesten Sohne gnaͤdig conferir en: so wuͤrde dieses mit der groͤßten Un- terthaͤnigkeit ich Lebenslang venerir en. A. En- Satyrische Briefe. A. E ndesbenannter glaubt, daß er, ohne unbillig zu seyn, fuͤr die von Jhro Excellenz geforderten Bemuͤhungen und Dienste als Hofmeister der jun- gen Herrschaft jaͤhrlich folgendes verlangen koͤnne: 1.) Fuͤr Aufsicht, Unterweisung im Christenthu- me, und in der Lateinischen Sprache uͤberhaupt 50 Thlr. — — 2.) Fuͤr die Franzoͤsische Jnformation monatlich zwey Thaler, thut auf dreyzehn Mo- nate ‒ ‒ ‒ 26 Thlr. — — 3.) Dergleichen im Jtaliaͤ- nischen, zwey Thaler ‒ ‒ 26 Thlr. — — 4.) Als Schreibemeister, mo- natlich einen Thaler, zwoͤlf Groschen ‒ ‒ ‒ 19 Thlr. 12 gl. — 5.) Fuͤr Lection im Rechnen, und in der Mathematik, mo- natlich drey Thaler ‒ ‒ 39 Thlr. — — 6.) Mit den Versen, bittet er, ihn gnaͤdig zu verschonen. 7.) Als Satyrische Briefe. 7.) Als Tanzmeister, monat- lich einen Thaler, und will da- fuͤr die Woche zwo Stunden geben. ‒ ‒ ‒ 13 Thlr. — — 8.) Als Fechtmeister, taͤglich eine Stunde, zwey Thaler, zwoͤlf Groschen. ‒ ‒ 32 Thlr. 12 gl. — 9.) Als Bereuter, auch taͤg- lich eine Stunde, vier Thaler. 52 Thlr. — — und verspricht er hierbey weder Accidentien zu fo- dern, noch sonst einigen Aufwand zu veranlassen. 10.) Fuͤr die Anleitung in der Geschichte, Wap- penkunst und dergleichen, wird weiter nichts ver- langt, und gehoͤrt dieses zum ersten Capitel. 11.) Man hofft, die gnaͤdige Erlaubniß zu erhal- ten, mit der jungen Herrschaft zu speisen, um Gele- genheit zu haben, derselben auch einige Anweisung in der Kunst zu geben, wie sie mit Anstand essen solle, und sich bey der Tafel vernuͤnftig aufzufuͤh- ren habe, welches vielen jungen Leuten fehlt. 12.) Junker Ferdinand muß der Aufsicht und Zucht des Hofmeisters lediglich uͤberlassen bleiben, ohne von der gnaͤdigen Frau geschuͤtzt zu werden, welches man zu seinem eigenen Besten wuͤnscht. B 13.) Bey Satyrische Briefe. 13.) Bey dieser Arbeit wird keine Zeit uͤbrig bleiben, dem Verwalter an die Hand zu gehen, welches durch einen Kornschreiber am besten ver- richtet werden kann. 14.) Nach Verlauf der sechs Jahre hoffet man gnaͤdige Befoͤrderung. Obige Kosten betragen zusammen 257. Thlr. — Es soll weder Treue noch Fleiß gesparet werden, die Pflicht eines Hofmeisters, nach allem Vermoͤ- gen, redlich zu erfuͤllen. Elias Pfaffendorff. B. Verzeichniß derer Candidaten, die sich zur Hofmeisterstelle ange- geben haben. 1.) N. N. Ein junger Mensch, 22. Jahre alt, hat ziemliche Studia. Jch habe ihn aber bey mir zu Tische gehabt, und gefunden, daß er zu viel ißt. Verlangt ausser den zwey ordentlichen Mahlzeiten, annoch Fruͤhstuͤck und Vesperbrod, und uͤber dieses taͤglich drey Kannen Bier. Will 50. Thaler haben. 2.) N. Satyrische Briefe. 2.) N. N. Artium Magister. 40 Jahre alt. Scheint ein gesetzter Mensch zu seyn. Hat schon seit 20. Jahren als Jnformator unter adli- chen Herrschaften gedient, aber niemals laͤnger, als ein Jahr, an einem Orte aushalten koͤnnen. Mag ehedem in seinen Wissenschaften nicht unrecht ge- wesen seyn, doch hat er in diesen 20. Jahren alles wieder ausgeschwitzt. Jnzwischen weiß er immer noch so viel, als Ew. Excellenz junge Herrschaft zu lernen noͤthig hat. Bittet sich uͤber die 50. Gulden freyes Bier und Taback aus, so viel er braucht. NB. Raucht nur Bremer. 3.) N. N. 29. Jahre alt, frisch und gesund vom Koͤrper, der Gottesgelahrheit Beflissener, predigt einen ziemlichen Baß, und besitzet eine große Staͤrke in Postillen. Will mit 50. Gul- den zufrieden seyn, wenn er in 6. Jahren Substi- tute werden kann. 4.) N. N. hat zehn Jahre lang auf Universi- taͤten gelebt, aber noch nicht absolvirt, da er im- mer das Ungluͤck gehabt, relegirt zu werden. Jch glaube, er wird in den 6. Jahren Zeit haben, nachzuholen, was er versaͤumt hat. Er ist ein lustiger Kopf, und wird sich fuͤr Junker Fritzen gut schicken. Bittet flehentlich um Versorgung und Brod, da er sich mit einem Naͤdermaͤdchen versprochen hat. Er ficht. B 2 5.) N. Satyrische Briefe. 5.) N. N. 27. Jahre alt, ist uͤbersichtig, re- det lateinisch und griechisch, kann aber kein Deutsch. Desto besser schickt er sich zu einem Jnformator in ein adliches Haus. Es ist ewig zu bejammern, daß man itzt anfangen will, nicht allein von Ge- lehrten, sondern auch von dem Adel zu verlangen, daß sie die sogenannten deutschen witzigen Schrif- ten mit Geschmack lesen, und Deutsch lernen sol- len. Als wenn ein Deutscher noͤthig haͤtte, Deutsch zu lernen. Quæ! qualis! quanta! Er verlangt c c I I \&ɔ ɔ c H. S. sage 2000. Sesterzen, thut, nach unserer Muͤnze, etwan siebenzig Thaler leich- te Geld. 6.) N. Seines Handwerks ein Poet, schreibt einen fließenden Vers, alles in Reimen, und ist ein Todfeind von den itzigen schweren strotzenden Ge- dichten ohne Reime. Dem Himmel sey Dank, daß es noch hin und wieder Leute giebt, die Ge- schmack haben! Ausser der Mythologie, die er Trotz zehn andern versteht, hat er nichts gelernt. Er hat itzt ein wichtiges Werk unter der Feder, da er alle Sonn- und Festtagsepisteln in Reime bringt, ohne ein Wort vom Grundtexte zu aͤndern, oder zu versetzen. Wenn er damit fertig ist, will er sich ein wenig auf die Humaniora legen. Cor- deri Colloqvia exponirt er ziemlich. Jn Wuͤn- schen ist er unerschoͤpflich. Er erbietet sich, ohne Besoldung zu dienen, wenn ihm fuͤr eine jede Gra- tulation Satyrische Briefe. tulation von zweyhundert Versen baar vier Gro- schen gegeben werden, wobey er es jaͤhrlich we- nigstens auf 80 Thaler zu bringen gedenkt. Er verlangt alle Weihnachten ein abgesetztes Kleid, es mag so alt seyn, als es wolle. Um ein paar ganze Hofen wollte ich Ew. Excellenz selbst fuͤr den armen Schelm, statt des Handgeldes, gebeten ha- ben. NB. Er ist auch witzig, und satyrisch, man moͤchte sich vor Lachen ausschuͤtten. Ew. Excellenz koͤnnen tausend Spaß mit ihm haben. Boͤse wird er nicht leicht, man muͤßte denn seine Verse tadeln. 7.) Da Ew. Excellenz gar wohl bedaͤchtig zu sagen pflegen, daß ein junger Edelmann, der nicht denkt, weit ertraͤglicher sey, als einer, der keinen Hasen hetzen kann: so wollte ich Jhnen wohl N. N. vorschlagen. Er hat wider seinen Willen stu- diren muͤssen, weil es sein Vormund schlechter- dings verlangt; er hat aber vor allen Wissenschaf- ten so einen Abscheu, und dagegen zu den Jagd- hunden eine solche Neigung, daß man seine Mut- ter, so des herrschaftlichen Verwalters Frau gewe- sen, nicht ohne Grund im Verdacht gehabt, daß sie mit ihrem gnaͤdigen Herrn vertraut gelebt. We- nigstens hat sie sich an ihm versehen. Gelernt hat er also wenig oder nichts; aber er ist ein ganzer Jaͤ- ger. Lerchennetze strickt er als ein Meister, und in der ganzen Gegend ist keiner, der den Vogelheerd B 3 so Satyrische Briefe. so geschickt anrichten kann. Er will 50 Thaler, und alle Fuchsbaͤlge. Faͤngt auch Hamster. 8.) N. N. ist kurz, untersetzt, und im Durch- schnitte wenigstens zwey und eine halbe Elle stark, welches er dem fetten Biere zu danken hat. Als er bey mir war, konnte ich nicht erfahren, ob er etwas gelernt hatte, weil er ein wenig taumelte, doch habe ich viele schoͤne testimonia von ihm ge- sehen, die er von Schulen mit gebracht. Jch glaube, wenn er als Hofmeister nicht sonderlich zu brauchen ist, so wird er doch alsdann sehr gut seyn, wenn Ew. Excellenz Gaͤste haben. Denn ob er gleich nur ein schlechter Buͤrger ist, so saͤuft er doch Trotz manchem Cavalier. Er ist mit 50 Gulden zufrieden, wenn er einen Ducaten fuͤr ieden Rausch bekoͤmmt, den er sich trinkt, so oft er die hon- neurs vom Hause macht. 9.) N. N. ein guter, stiller, ehrlicher Mensch. Jch habe ihn zwo Stunden bey mir gehabt, aber auf alle meine Fragen keine Antwort erhalten koͤnnen, als: O ja! Hochedler Patron! Jch glaube, daß er grundgelehrt ist, weil er gar keine Condui- te hat. Ew. Excellenz werden mit ihm anfangen koͤnnen, was Sie wollen, und er wird sich alles ge- fallen lassen. Jch fragte, was er zur Besoldung haben wollte; aber er buͤckte sich sehr tief, und sag- te: Wie sie befehlen, Hochedler Patron! NB. Traͤgt keine Manschetten. 10.) N. Satyrische Briefe. 10.) N. N. Ein suͤsses artiges Herrchen. Jst geputzt, wie eine Puppe, und denkt auch so. Hat vier Jahre in Leipzig studirt, und in vier Jahren keinen Huth auf den Kopf gebracht. Hat sich, wie er sagt, vornehmlich nur auf galante Studien gelegt. Erbietet sich, die junge Herrschaft zu frisiren. Macht Dintenflecke aus der Waͤsche, bohnt Schraͤn- ke, und kann allerhand artige Figuren in Papier ausschneiden. Als ich von ihm wissen wollte, wie viel er an Besoldung verlangte, so machte er ein Ruͤck pas, und sagte ganz klar: Siebenzig Thaler, zu dienen, Jhre Hochedlen! Er gefaͤllt meiner Frau. 11.) Wenn Ew. Excellenz einen Menschen haben wollen, der im Lateinischen, Franzoͤsischen, Jtalie- nischen, und der Historie, im Tanzen, Reiten und Fechten, und in allen moͤglichen Wissenschaften Un- terweisung geben soll, so schlage ich Jhnen N. N. vor. Er versteht zwar von allen diesen nichts, er ist aber meiner Schwester Sohn, und koͤmmt alle Wochen wenigstens zweymal zu mir, mich mit vieler Demuth seiner Devotion zu versichern, um deswillen moͤchte ich ihm gern geholfen wissen. Jch habe ihn zeither, mit gutem Erfolge, jungen Leuten zur Privatinformation vorgeschlagen, welche so bil- lig gewesen sind, ihn monatlich, in Ansehung mei- ner, zu bezahlen, ohne seine Stunden abzuwarten. Er repetirt mit ihnen meine juristischen Collegia, ungeachtet er ein Theologus ist. Achtzig Thaler Besoldung duͤrften wohl nicht zu viel seyn, denn er ist mein Vetter. B 4 Der Satyrische Briefe. „ D er Schleifwege zum geistlichen Schafstal- „le sind so viel, daß jemand dieser Gegend „sehr kundig seyn muß, wenn er es unterneh- „men will, sie alle, oder doch nur die meisten davon „zu beschreiben. Eines der sichersten und gewoͤhn- „lichsten Mittel ist dieses, wenn sich der Candidat „durch das Kammermaͤdchen dem Herrn darstellen „laͤßt. Jch glaube nicht, daß jemand so aberglaͤu- „bisch seyn und hierbey etwas bedenkliches finden „wird. Wider das Recht der Natur laͤuft es we- „nigstens nicht, und die Kirchengeschichte unsrer Zeit „rechtfertigt den Gebrauch. Die Gelegenheit und „der Raum verstatten mir nicht, weitlaͤuftig zu „seyn; ausserdem wuͤrde ich mir Muͤhe geben, zu be- „weisen, daß die Vocation in der Hand eines sol- „chen Frauenzimmers einen doppelten Werth er- „halte. Ein Mann, der Muth genug hat, diesen „Schritt zu wagen; den weder Exempel noch Ver- „nunft abhalten koͤnnen, sich mit einer Person auf „ewig zu verbinden, welche zwar nicht allemal, „doch sehr oft, von einer problematischen Tugend „ist, und gewiß nicht vergessen wird, bey der ge- „ringsten Gelegenheit ihm vorzusagen, daß er durch „sie Schutz und Amt gefunden hat; ein solcher Mann „ohne Gefuͤhle wird gewiß auch in seinem Amte „standhaft, und immer unempfindlich bleiben; und „die groͤßten Verfolgungen, die uͤber sein Amt er- „gehn, Satyrische Briefe. „gehn, werden ihn nicht niederbeugen, da er „weit groͤßere in seinem Hause zu erdulden ge- „wohnt ist. „Diese Betrachtungen bewegen mich, jungen „Leuten wohlmeynend zu rathen, daß sie so bald, „als es moͤglich ist, dergleichen Bekanntschaften „suchen, um sich ihrem Gluͤcke zu naͤhern. Jch „will es beiden Theilen leicht machen, und fuͤr bei- „de ein Formular liefern, wie man sein Herz in der- „gleichen Faͤllen ausschuͤtten muͤsse.„ An ein Cammermaͤdchen. Mademoiselle, D a ich weiß, wie viel Sie zu gewissen Stunden uͤber den gnaͤdigen Herrn vermoͤgen: so glau- be ich, daß ich mein Gluͤck in keine bessern Haͤnde, als in die Jhrigen, empfehlen kann. Jch wuͤnsche mir, an die Stelle des vorigen Jnformators zu kommen; und dieses durch Jhren Vorspruch. Sie werden keine Ursache finden, es zu bereuen, da ich mir vorgesetzt habe, die Hochachtung mit Jhnen zu theilen, welche ich sonst der gnaͤdigen Herrschaft ganz schuldig bin, und da ich mich von meinem Vor- fahren wenigstens dadurch unterscheiden werde, daß ich weder zu muͤrrisch, noch zu pedantisch bin, B 5 Jhnen, Satyrische Briefe. Jhnen bey muͤssigen Stunden auf vielerley Art zu sagen, daß ich sey. Mademoiselle, der Jhrige. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ N. S. Jch bin Magister, drey Ellen drey Zoll lang, sechs und zwanzig Jahre alt, ha- be, wie man mir sagt, einen feinen Fuß, und bin sehr geneigt, zu seiner Zeit in den Stand der heiligen Ehe zu treten. Antwort. Mein Herr Magister, J ch habe mit ihm geredet, mit dem gnaͤdigen Herrn. Er sagte, nein, gewiß nein, ich kanns Jhnen nicht sagen, was er sagte; erst sagte er gar nichts, aber hernach ‒ ‒ ‒ ich werde ganz roth, er kriegte mich beym Kinne, und sagte, wie er immer ganz spashaft ist: He! kleine Hure, willst du dir den Jnformator ‒ ‒ ‒ ich kanns bey meiner Ehre nicht raus sagen; er fragte mich, ob ich Sie kennte? Bey meiner Frau Muhme ha- be ich ihn gestern gesehn, sagte ich, und da sagte ich weiter nichts. Mit einem Worte, mein Herr Magister, es ist so gut, als richtig. Die gnaͤdige Frau moͤchte des Teufels werden; aber es hilft nichts. Der Vorreiter hat ihr des Schulmeisters aͤltesten Sohn vorgeschlagen, und sie hat es auch dem Satyrische Briefe. dem Vorreiter versprochen. Nein, da wird nichts draus. Herr Jemine! das fehlte uns noch, so einen rothkoͤpfichten Jnformator! den sollten wir noch ins Haus kriegen? Machen Sie sich immer fertig. So bald der gnaͤdige Herr wieder einen Anfall von der Kolike kriegt, will ich ihn noch ein- mal daran erinnern. Er ist ein gar zu lieber Herr! Wenn Sie zu uns kommen, das will ich Jhnen nur sagen, daß Sie Sich aus der gnaͤdigen Frau gar nichts zu machen haben. Sie hat noch ein Mensche bey sich, das Maulaffengesichte moͤchte auch gern Cammermaͤdchen heißen. Der vorige Jnformator sagte immer, sie haͤtte schoͤne weiße Zaͤhne; ich denke der Balg wird ihm wohl nach- ziehn, wenn er weg ist. Aber, ich weiß nun nicht, was sie thun wird, wenn sie nun, ich setze nun den Fall, sie bliebe noch da, da nehmen Sie Sich ja vor ihr in Acht, es ist ein boͤses gefaͤhrliches Thier, sie hat ein meschantes Maul. Gott bewahre einen jeden Christen vor ihr; der Nickel! Nun, wie ge- sagt, machen Sie immer ihre Sachen fertig, daß Sie auf Weihnachten anziehen koͤnnen. Jch bin Jhre Dienerinn N. S. Wie Gott will! Jch bin immer noch ein und zwanzig Jahre alt. Unser alter Pfar- rer wird doch nicht ewig leben. Koͤmmt Zeit, koͤmmt Rath. Jhre Dienerinn. Fuͤr das schoͤne Band danke ich; es ist auch ein gar zu niedliches Baͤndchen. Leipzig bleibt wohl Leipzig. Adjeu. Wem Satyrische Briefe. „ W em etwa diese Art, seine Absichten zu „erklaͤren, zu dreist, und nicht fein genug „vorkoͤmmt, den will ich durch den klei- „nen Roman befriedigen, welcher in den nachste- „henden sechs Briefen erzaͤhlt wird. Hat jemand „von meinen Lesern Zeit und Lust, sich selbst im „Briefschreiben zu uͤben, der wird wohl thun, „wenn er den zweyten Theil dazu verfertigt, und „die Neubegierde seiner Freunde befriediget, welche „vielleicht gern moͤchten wissen wollen, ob der Can- „didat die Pfarre wirklich angenommen; ob seine, „und der jungen Wittwe Wuͤnsche erfuͤllt wor- „den; und ob der Kirchenpatron noch oft noͤthig „gehabt, sie uͤber ihren seligen Mann zu troͤsten.„ Schreiben einer Priesterwittwe an den Candidaten. Hochgeehrter Herr Magister, E s hat der gnaͤdige Herr mir befohlen, Jhnen innliegenden Brief zu uͤbersenden. Er betrifft Jhre Befoͤrderung an die Stelle meines seligen Mannes. Sollte die Sache zur Richtigkeit kom- men, so wuͤnsche ich Jhnen im voraus Gluͤck, und besonders dieses, daß Sie des Amts laͤnger genies- sen moͤgen, als mein seeliger Herr, welcher es nur vier Satyrische Briefe. vier Jahre lang verwaltet hat, und dessen Tod mir desto schmerzhafter faͤllt, da er mich nach einem drey- jaͤhrigen Ehestande, in meinem zwey und zwanzig- sten Jahre als eine ungluͤckliche Wittwe verlassen hat. Das Amt ist sehr muͤhsam wegen der star- ken Wirthschaft, die damit verknuͤpft ist, und die ohne großen Schaden nicht verpachtet werden kann. Das Jnventarium betraͤgt wenigstens siebenhun- dert Thaler, und mein seliger Herr wuͤrde sich da- durch unfehlbar ruinirt haben, wenn er nicht mit einem Theile meines Vermoͤgens solches bestreiten, und die Wittwe des Vorfahren befriedigen koͤnnen, welche solches allemal auf einem Brete ausgezahlt bekommen muß. Sollten Sie veranlaßt werden, eine Gastpredigt zu thun: so steht Jhnen mein Haus und Tisch zu Diensten, wenn es Jhnen gefiele, bey mir abzutreten. Faͤnden sich noch einige Schwierigkeiten wegen Jhrer Befoͤrderung: so haben Sie das Vertrauen zu mir, daß ich Jhnen nach Vermoͤgen, und vielleicht mit gutem Erfolge dienen werde, da ich seit vielen Jahren mich der Gnade unsers Kirchenpatrons ruͤhmen kann. Jch erwarte baldige Antwort, und bin Meines Hochgeehrten Herrn ehrendienstwillige, N. Witwe. N. S. Satyrische Briefe. N. S. Jch habe von meinem seligen Herrn, troͤ- ste ihn Gott, ein einziges Kind, und das ar- me Wuͤrmchen ist immer kraͤnklich, daß es wohl nicht lange leben duͤrfte. Was fuͤr Herz- leid muß ich nicht bey allen meinem Gelde als eine ungluͤckliche Wittwe im zwey und zwanzigsten Jahre erleben! Antworten Sie ja bald. Mein Herr, D er Herr Stifftsrath hat mir so viel gutes von Jhnen zu ruͤhmen gewußt, daß ich glaube, kei- ne bessere Wahl treffen zu koͤnnen, als wenn ich Jh- nen die durch den Tod meines Pfarrers erledigte Stelle anbiete. Das Amt ist eines der austraͤg- lichsten; doch muß ich Jhnen auch dieses sagen, daß die meisten Einkuͤnfte in der Wirthschaft bestehen. Es wird noͤthig seyn, daß Sie wenigstens tausend Thaler in Haͤnden haben, um das Jnventarium anzuschaffen. Koͤnnten Sie Sich mit der Wittwe verstehn, daß sie Jhnen das gegenwaͤrtige Jnven- tarium fuͤr ein billiges uͤberließe: so waͤren einige hundert Thaler zu ersparen. Sie ist ein billiges Weib, und ich habe sie allemal als eine gute Frau gefunden. Noch eins will ich Jhnen rathen. Wenn die Sache zur Richtigkeit koͤmmt, so sehn Sie Sich nach einer guten Wirthinn um, welche auf dem Lan- de erzogen ist, und die Haushaltung, besonders die hiesige Satyrische Briefe. hiesige Landesart, wohl versteht, denn darauf koͤmmt viel an, sonst sind sie gleich im ersten Jahre ruinirt. Jch uͤberlasse alles Jhrer Einsicht, denn ich bin kei- ner von denen, welche die Vocationes mit solchen Bedingungen uͤbergeben, die eigennuͤtzig sind, oder dem Candidaten zur Last fallen koͤnnen. Melden Sie mir Jhre Entschließung, und ob Sie eine Gastpre- digt thun koͤnnen. Da ich als Officier wenig auf meinem Guthe, und unverheirathet bin, auch keine eigene Wirthschaft habe, und auf dem Schlosse bauen lasse: so will ich Ordre stellen, daß Sie in der Pfar- re abtreten koͤnnen, wenn Sie die Gastpredigt thun. Die Wittwe wird Jhnen alle Hoͤflichkeit erweisen. Schreiben Sie mir, so bald Sie koͤnnen. Mein Reitknecht soll die Antwort bey der Wittwe ab- holen. Leben Sie wohl! N. S. Sie sind doch nicht schon mit einem Maͤd- chen versprochen? Gnaͤdiger Herr, D a ich groͤßten Theils nur um deswillen Theolo- gie studirt habe, um bald ein Amt, und eine Frau zu bekommen: so sehe ich das Anerbieten Ew. Gnaden, die Austraͤglichkeit des Amts, eine junge Wittwe, mit einem einzigen, und noch dar- zu kraͤnklichen Kinde, ihr Vermoͤgen, und eine ganz eingerichtete Wirthschaft, billig als einen goͤttlichen Beruf Satyrische Briefe. Beruf an. Geschieht es mit Dero gnaͤdigen Er- laubniß, so will ich auf kuͤnftigen Sonntag die Gastpredigt thun, und sodann weitern Befehl von Jhnen erwarten. Jch werde mich bey meinem Amte so bezeigen, daß Ew. Gnaden mit der ge- troffenen Wahl zufrieden seyn sollen; zu Dero gnaͤdigen Protection empfehle mich gehorsamst, und bin ꝛc. ꝛc. Hochgeehrte Frau. J ch habe nicht einen Augenblick noͤthig gehabt, mich uͤber das mir angetragene Amt zu besin- nen. Jch folge dem mir gegebenen Winke mit Freuden, und verlasse mich auf Dero Vorspruch bey dem gnaͤdigen Herrn. Da ich auf diese Art Jhnen lediglich mein ganzes Gluͤck zu danken ha- be: so werde ich mich weiter Jhres wohlgemeyn- ten Raths bedienen; und weil ich mich wegen der starken Wirthschaft, nothwendig bald verheira- then muß: so werde ich keine Frau, als von Jhrer Hand annehmen. Jch weiß, daß Sie bey Jhrer guten Einsicht nach meinem Wunsche waͤhlen, und mich auch auf diese Art gluͤcklich machen werden. Kuͤnftigen Sonntag, so Gott will, ein mehrers. Jch werde alsdann meine Gastpredigt thun, und Gelegenheit haben, Jhnen ausfuͤhrlicher die Ver- sicherung zu thun, daß ich mit wahrer Hochach- tung sey ꝛc. ꝛc. Gnaͤdi- Satyrische Briefe. Gnaͤdiger Herr, E w. Hochwohlgebohrnen Gnaden uͤbersende durch den alten Hanns die Antwort des Herrn Ma- gisters, welche, wie ich aus dem Briefe an mich urtheile, nach Wunsche lauten wird. Jch erkenne mit demuͤthigem Danke die Gnade, welche Sie bey dieser Gelegenheit auf eine so vorsichtige Art gegen mich hegen. Nehmen Sie Sich einer ar- men verlassenen Wittwe ferner an, und seyn Sie versichert, daß ich nach meinem wenigen Vermoͤ- gen nicht unerkenntlich seyn werde. Jch glaube seit sechs Jahren einiges Recht auf Jhre gnaͤdige Vorsorge erlangt zu haben, und alles, was ich wuͤn- sche, ist dieses, daß ich ferner auf Jhrem Gute blei- ben, und so oft als moͤglich Sie muͤndlich uͤberzeu- gen koͤnne, daß ich unveraͤndert sey, Gnaͤdiger Herr, Dero demuͤthige Dienerinn ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ C Kleiner Satyrische Briefe. Kleiner Narr, T hust du doch so demuͤthig und erbar, als wenn wir einander erst gestern haͤtten kennen lernen. Verlaß dich auf mich! Habe ich dich das erstemal mit Ehren unter die Haube gebracht: so will ich dich auch itzt gewiß mit Ehren unter der Haube er- halten. Dein neuer Herr Candidat ist verflucht hitzig. Wer Teufel hat ihn so kirre gemacht? Jch glaube, wenn es nach ihm gienge: so machte er mit dir Hochzeit, ehe er noch die Gastpredigt thaͤte. Er wird auf den Sonnabend anmarschirt kommen. Neige dich fein tief, und werde huͤbsch roth, wenn er dir einen demuͤthigen Buckel macht. Aber, das rathe ich dir, Hanchen, gieb ja wohl auf deine schelmischen Augen acht. Dein schwarzer Ritter, so hitzig er ist, scheint mir kein solcher ehrfurchtsvol- ler Pinsel zu seyn, wie der selige gute Mann, dem ich wohl haͤtte ein laͤngeres Leben wuͤnschen wollen. Laß es gut seyn, wir wollen ihn schon dressiren, wenn wir ihn nur einmal da haben, wo wir ihn haben wollen. Stell dich ja recht zuͤchtig und fromm; wenn er dein Mann ist, kannst du schon wieder ein- bringen, was du itzt versaͤumst. Fromme Witt- wen, boͤse Weiber! Nicht wahr? Kann ich Urlaub erhalten, so komme ich auf den Sonntag fruͤh selbst. Da mußt du recht erschrecken, wenn ich komme. Je! Gnaͤ- Satyrische Briefe. Gnaͤdiger Herr, mußt du rufen, und dich tief tief buͤcken. Thu nur, als wenn du mir die Hand kuͤssen wolltest. Jch werde kein Narr seyn, und es zulassen. Bedaure, daß du nicht im Stande waͤrest ‒ ‒ daß du dir die hohe Gnade nicht versehen haͤttest ‒ ‒ ‒ daß du, da ich dir das erstemal die Gnade meines Zuspruchs goͤnnete, so wenig geschickt ‒ ‒ ‒ daß du bey deinen betruͤbten Umstaͤnden ‒ ‒ ‒ (ge- schwinde fahre nach dem Schnupftuche, und reibe dir die Augen) daß dein seliger Mann ‒ ‒ ‒ (im- mer besser geweint) daß du als eine ungluͤckliche verlassene Wittwe ‒ ‒ ‒ Siehst du, so mußt du recht bestuͤrzt reden, immer von vorne anfangen, und nichts ausreden. Jch will dir zu rechter Zeit in die Rede fallen. „Meine liebe Frau Magi- „strinn (will ich mit einem huldreichen Tone auf „dich herab reden) fassen Sie Sich, es ist Gottes „Wille, und Sie sind eine zu gute Christinn, als „daß Sie unter Jhrem Kreuze murren sollten. „Tragen Sie es, als eine vernuͤnftige Frau, in „Geduld. Der Himmel, der Sie auf eine so „schmerzliche Art betruͤbt hat, wird Sie vielleicht „auf andere Art wieder erfreuen. Sie sind diese „fromme Gelassenheit sich selbst, und ihrem ar- „men Kinde schuldig. Sind Sie bey Jhren „gluͤcklichen Umstaͤnden andern, als eine vernuͤnf- „tige Frau, ein Exempel gewesen: so seyn Sie es „auch itzt bey ihrem Ungluͤcke. Versichern Sie Sich „meiner Dienstbereitwilligkeit auf alle moͤgliche „Art. Der Herr Candidat scheint mir ein ver- C 2 nuͤnftiger Satyrische Briefe. „nuͤnftiger Mann zu seyn, der gewiß keiner armen „Wittwe Unrecht thun wird. Jch werde Jhnen „die Freundschaft, die ich gegen Jhren seligen „rechtschaffenen Mann gehabt, (geschwind wieder „ein bißchen geweint) gewiß niemals entziehn. „Jhre Tugend und ihr Ungluͤck verdienen meine „ganze Vorsorge.„ Nun fahre mir hurtig nach der Hand, oder nach der Weste, was du am er- sten kriegen kannst. Jch werde mich vornehm zu- ruͤck ziehen, und dir die Hand vaͤterlich druͤcken. Siehst du Hannchen, das ist ungefaͤhr der Text zu unsrer Comoͤdie. Spiele deine Rolle ja gut. Jch stehe dir fuͤr das uͤbrige. Je kluͤger dein kuͤnftiger Mann ist, ie lieber wollen wir ihn betruͤgen. Der vorige war, unter uns geredt, ein wenig gar zu dumm. Der Verwalter soll dir Fische und Wildpret geben, so viel du brauchst. Du weißt doch, daß auf dem Schlosse gebaut wird, und kein Zimmer fuͤr mich zu rechte gemacht ist. Weißt du das nicht? Jm Ernste nicht? Freylich wird gebaut. Jch werde den Abend in der Pfar- re bleiben muͤssen. Der Herr Candidat mag oben im Studirstuͤbchen schlafen. Jch will mein Plaͤtzchen schon finden. Verstehst du mich? Nun fuͤhre dich fein schlau auf. Es wird schon gehn. Lebe wohl. Es bleibt beym alten. N. S. Zerreiß den Brief ja, der Teufel moͤchte sein Spiel damit haben. Ein Satyrische Briefe. „ E in sehr wichtiger Beweis von der Groͤße „und Staͤrke unsrer Religion ist gewiß „dieser, daß sie auch an denenjenigen Or- „ten gewaltig und fruchtbar ist, wo die geistlichen „Aemter zu ihrer Schande durch die Vorsorge sol- „cher Maͤnner besetzt werden, welche kaum unver- „nuͤnftiger seyn koͤnnten, als sie sind, wenn sie „auch gar keine Religion haͤtten. „Jch habe schon sonst Gelegenheit gehabt, mei- „ne Gedanken davon bekannt zu machen Siehe Antons Panßa von Mancha Abhandlung von dem Spruͤchworte: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verstand, in der Sammlung vermischter Schriften zum Vergnuͤgen des Verstandes und Witzes. II Th. 33 S. . Da- „mit das Unsinnige desto besser in die Augen falle, „welches diejenigen begehn, die auf eine so unvor- „sichtige Art das wichtige Recht misbrauchen, „welches die Obrigkeit ihren vernuͤnftigern Vor- „fahren gegoͤnnt hat; und damit das Unanstaͤn- „dige denen desto mehr in die Augen falle, welche, „ungeachtet ihrer ungesitteten Lebensart und poͤ- „belhaften Unwissenheit, unverschaͤmt gnug sind, „die ewigen Wahrheiten eine Gemeine zu leh- „ren, die ihnen nicht einmal ihr Vieh zu huͤ- „ten anvertrauen wuͤrde: so habe ich die Zuͤ- „ge in nachstehenden beiden Briefen ziemlich „stark und deutlich gemacht, und von einem ieden „dergleichen Charaktere einen Strich entlehnt, um C 3 meine Satyrische Briefe. „meine Copey recht verabscheuungswuͤrdig zu ma- „chen. Sie werden darum nicht unwahrschein- „lich; ich glaube, daß fast in einer jeden Dioͤces „wenigstens ein Original seyn wird. „Jch habe diesen Eingang etwas ernsthaft „abfassen muͤssen, weil ich hier mit einer Art Le- „ser zu thun bekomme, unter denen verschiedene „sind, welche nebst vielen andern Sachen, die sie „nicht verstehn, auch dieses nicht wissen, was die „Eigenschaft der Satyre und Jronie erfodere, „und daher schon oͤfters auf den ungluͤcklichen „Einfall gekommen sind, mich in ihrem kleinen „unwissenden Herzen, und wohl oͤffentlich, zu ver- „ketzern, wenn ich von dem Thoͤrichten ihres „Standes, und von den unbilligen Absichten ih- „rer Befoͤrderer, in der lachenden Sprache der „Satyre geredet habe, um diejenigen desto ver- „ehrungswuͤrdiger zu machen, welche eine wahre „Zierde ihres Amts, und also ganz anders sind, „als sie.„ Lieber Herr Bruder. E s ist mir recht lieb, daß dein Alter sich abge- fuͤhrt hat. Das verdammte Schmaͤlen hatte kein Ende. Jch weiß nicht, ob die Leute sich ein- bilden, daß wir ihnen darum Amt und Brodt ge- ben, daß sie uns alle Sonntage die bittersten Wahrheiten vorpredigen, und uns dem Teufel in den Rachen schieben sollen. Fuͤr die Bauern ist das Satyrische Briefe. das gut genug, und wenn ich ein Bauer waͤre, so lebte ich vielleicht auch fromm, weil ich sonst nichts zu thun haͤtte; aber fuͤr Maͤnner vom Stande, und fuͤr uns, die wir alte Landedelleute sind, sieht das andaͤchtige Kopfhaͤngen sehr albern aus. Waͤ- re es nach deinem alten Murrkopfe gegangen, so wuͤrdest du ein erbarer, frommer, christlicher Buͤr- ger, und dem ganzen Adel laͤcherlich geworden seyn. Was meynst du, Bruͤderchen, was ist ruͤhmlicher, uͤber der Postille, oder beym Deckelglase einzu- schlafen? Laß die Pfaffen fuͤr uns beten, wir wol- len fuͤr sie saufen. Jeder nach seinem Berufe! Aber auf diese Art fahrt ihr dahin, wie das Vieh, sagte dein Alter. Gut! Wer weiß denn auch, obs wahr ist. Fahren wir, wie unsere Alten, so wol- len wir auch leben, wie unsere Alten. Es waren doch beym Henker ganze Leute, die auf ihren alten Adel hielten. Laͤndlich, sittlich! Ein rechtschaff- ner Deutscher muͤßte sein Vaterland wenig lieben, wenn er deswegen nach Frankreich reisen wollte, daß er Wasser trinken lernte. Aber zum Haupt- werke zu kommen. Du brauchst einen neuen Pfar- rer. Jch will dir einen vorschlagen, das ist ein gan- zer Kerl. Er ist zehn Jahre als Feldprediger bey mei- nem Regimente mit herum gelaufen, und er ist recht, wie ich mir ihn wuͤnsche. Er hat an mich geschrieben, und gebeten, dir ihn vorzuschlagen. Da, lies den Brief selbst. Jch verliere ihn un- gern. Der ist recht nach deinem Herzen. Und wenn du gar nicht in die Kirche kaͤmst, so wird er C 4 nicht Satyrische Briefe. nicht muksen. Gieb ihm alle Wochen ein paar- mal zu fressen, so ist er zahm, wie ein Lamm. Du wirst deine Freude mit ihm haben. Er saͤuft dich und deine hochadlichen Gaͤste alle unter den Tisch, und wenn er die schwarze Kutte ausgezogen hat, so flucht er, wie ein Corporal. Nimm ihn, Bruͤ- derchen, ich rathe dirs, es wird dich nicht gereuen. Gelernt hat er nichts; aber er predigt dir, der Henker hole mich, seinen Stiefel weg, daß es eine Art hat; und der Heuchler steht so fromm da, als wenn er von der Kanzel gen Himmel fahren wollte. Meine Cathrine konnte ihn recht gut lei- den. Jch glaube gar, der Ketzer gieng mir manch- mal ins Gehege! Nun Bruͤderchen, wie gesagt, nimm ihn. Seinethalben magst du leben, wie du willst. Und wenn du heute zum Teufel faͤhrst, so faͤhrt er morgen nach. Es ist ein braver Kerl. Gruͤße mir deine Menscher. Lebe wohl. Gnaͤdiger Herr Obrister, E s ist beym Herrn von ‒ ‒ ‒ eine austraͤgliche Pfarre offen, und ich moͤchte sie gern haben. Kathrinchen sagte, Sie waͤren ein guter Freund von ihm, und koͤnnten mir leicht dazu helfen. Jch bin das wilde Leben uͤberdruͤßig, und moͤchte gern einmal meinen eignen Heerd, und meine eigne Frau haben. Haben Sie die Gnade, und sorgen Sie fuͤr mich. Jch habe gehoͤrt, daß der alte Pfarrer mit seinem Patrone in großer Feindschaft gelebt Satyrische Briefe. gelebt hat; aber die Schuld war seine. Jch ge- traue mir besser mit ihm auszukommen. Jch ken- ne die Herren schon. Wenn er mir giebt, was mir gehoͤrt, so mag er leben, wie er will. Mit Schmaͤ- len und Predigen, halten Sie mirs zur Gnade, macht man euch Herren nicht froͤmmer. Sie sind zu vornehm, als daß Sie uns zu Gefallen fromm und christlich leben sollten. Und, unter uns gespro- chen, aus dem bestaͤndigen Poltern koͤmmt auch nicht viel heraus. Mit den Jahren aͤndert sichs so wohl. Es ist schlimm gnug, wenn die Herren einmal bey Hofe sind, und ein paar Wochen er- bar thun muͤssen: sollen wir ihnen auch das Leben noch sauer machen, wenn sie sich beym Regimente oder auf ihren Guͤtern aufhalten? Jch kenne die Welt besser. Saufen und Huren ist bey Herren von Jhrer Art und Erziehung außer den Ahnen immer noch das einzige, womit sie sich von uns buͤrgerlichem Poͤbel unterscheiden. Halten Sie mir diesen Scherz zur Gnade; ich rede, wie ichs meyne. Sie kennen mich schon. Mit einem Worte, gnaͤdi- ger Herr Obrister, schaffen Sie mir die Pfarre, oder ich trinke nicht ein Glas Wein mehr mit Jhnen. Jn dieser Hoffnung verharre ich mit aller Hochachtung, Gnaͤdiger Herr Obrister, Dero zum Gebethe und unterthaͤnig zu dienen stets willigster N. Feldprediger. C 5 Jch Satyrische Briefe. „ J ch bin uͤberzeugt, daß dem gemeinen Vol- „ke, und besonders dem Landvolke, ein ge- „schickter und fleißiger Schulmeister fast „noch unentbehrlicher sey, als ein gelehrter, und „beredter Prediger. Und dennoch ist man an „vielen Orten bey der Besetzung dieses Amts bey- „nahe noch leichtsinniger, und noch weniger besorgt, „als bey den andern geistlichen Aemtern. Jch „will mich nicht dabey aufhalten. Jch will mei- „nen Schulmeister reden lassen. Noch zur Zeit „ist er nicht befoͤrdert; ich weiß aber ein gewisses „Ritterguth, wo ich ihn in Vorschlag bringen will, „und ich hoffe gewiß, er wird sein Gluͤck daselbst „machen.„ Hochwuͤrdiger, Hochgelahrter Herr, Gnaͤdiger Herr Lieutenant, U nser Schaͤfer hat mir erzaͤhlt, daß ihr Schul- meister in voriger Woche gestorben ist, und daß Sie bemuͤht sind, diese Stelle, so bald moͤglich, wieder zu besetzen. Da ich in vorigem Jahre den Lerchenstrich von Ew. Gnaden gepachtet, und zwey Gulden mehr gegeben habe, als mein Vorfahr: so nehme ich mir die Freyheit, Ew. Excellenz dienst- freundlichst zu bitten, Sie wollen die hohe Gnade haben und mich zu Jhrem allerunterthaͤnigsten Schulmeister machen. Meine Stimme ist gut, und Satyrische Briefe. und ich getraue mir, die groͤßte Kirche zu fuͤllen. Die Orgel schlage ich frisch, und in Fugen bin ich stark. Jch habe das Ungluͤck gehabt, dreymal ab- gesetzt zu werden; aber meine Feinde sind Schuld dran, und vielleicht waͤre es das letztemal auch nicht geschehen, wenn ich dem Superintendenten zu rechter Zeit einen gemaͤsteten Truthahn geschickt haͤtte. Das erstemal kam es uͤber des Schulzens Frau her. Der Corporal gab mich an; aber er mochte wohl seine Ursachen haben. Es giebt boͤse Leute, die alles zu Bolzen drehn, und ich war noch nicht verheirathet. Das zweytemal war mein eigener Pfarrer Schuld dran. Jch wei- gerte mich, ihm den Priesterrock aufs Filial nach- zutragen; und deswegen machte er dem Kirchen- patrone weiß, ich sey alle Tage im Brandtweine besoffen. Der Himmel ist mein Zeuge, daß es alle Wochen nur ein paarmal geschahe, und noch dazu war es im damaligen Winter grimmig kalt. Das drittemal war ich vollends gar unschuldig. Es fiel dem Superintendenten ein, daß ich in sei- ner Gegenwart catechisiren mußte. Freylich gieng es nicht recht, wie es seyn sollte, und meine Jun- gen wußten mehr, als ich sie fragen konnte; aber der Catechismus ist auch niemals mein Hauptstu- dium gewesen, weil ich mich von Jugend an, aufs Vogelstellen gelegt habe. Soll man deswegen ei- nen ehrlichen Mann absetzen, wenn er das nicht versteht, was zu seinem Amte gehoͤrt? Wie viel Pfarrer und Superintendenten wuͤrden ohne Amt herum Satyrische Briefe. herum laufen, wenn das eingefuͤhrt werden sollte! Wie gesagt, wenn ich in Zeiten geschmiert haͤtte, so waͤre ich wohl besser gefahren. Aber meine Frau wollte nicht dran; sie hatte den Truthahn gar zu lieb. Sehn Sie, gnaͤdigster Herr Lieutenant, das ist nun alles, und davon macht man so ein Aufhebens. Jch denke in Jhr Dorf werde ich mich ganz gut schicken. So viel Jhre Bauerjungen von Gottes Worte brauchen, will ich ihnen doch wohl vorsagen. Fuͤr armer Leute Kinder mag es halbweg seyn. Auf den Respect halte ich; da gebe ich Jhnen mein Wort. Jch will die Jungen zusammen peitschen, sie sollen Oel geben, wenn sie nicht gut thun wollen. Was mir am Christenthume und dem Catechismus ab- geht, das ersetze ich auf eine andere Art. Sie haben keinen Barbier im Dorfe, den Sie doch so nothwen- dig brauchen, da Sie Sich bestaͤndig daselbst aufhal- ten. Das verstehe ich perfect. Jch will Ew. Gna- den umsonst scheren, nach dem Striche und wider den Strich, wie Sie es verlangen, und alles umsonst, dar- auf koͤnnen sich Ew. Excellenz verlassen. Die gnaͤ- dige Frau Gemahlinn ist eine Liebhaberinn vom Brandtweine. Das sage ich Jhnen, so schoͤn muß ihn kein Mensch abziehn, als ich. Meine Frau hat ein besondres Geheimniß, Froschleichwasser zu ma- chen, welches zu einer reinen Haut, und wider die Sommersprossen hilft. Das wird sehr gut fuͤr den aͤltesten Junker seyn, welcher sehr viel auf ein huͤb- sches weißes Gesichtchen haͤlt. Jch glaube, Ew. Mag- nificenz sollen so viel Einsicht haben, und finden, daß sich Satyrische Briefe. sich niemand besser zu Jhrem Schulmeister schickt, als ich. Rechnen und Schreiben ist auch meine Sache nicht; aber was thut das? Jch will mir einen gro- ßen Jungen aus der Gemeine halten, der es an mei- ner statt thut. Jch denke ja wohl, das geschieht in den meisten Aemtern, daß einer den Titel und die Besoldung hat, und einen großen Jungen fuͤr sich arbeiten laͤßt. Was vornehmen Leuten recht ist, das wird doch bey einem armen Dorfschulmeister auch angehn. Mit einem Worte, ich verlasse mich darauf, daß ich den Dienst kriege. Gevatterbrie- fe, und Hochzeitbriefe, das ist mein Werk, die kann ich schreiben, trotz zehn andern! Jch schicke Jhnen von beiden eine Probe mit, die sich gewaschen hat. Wenn Sie mir den Dienst geben, gnaͤdigster Herr Lieutenant, so schenke ich ihnen den besten Lockfinken, den ich habe, einen Reiter, uͤber den nichts geht. Der junge Herr soll meinen Staar kriegen, das ist ein Staar! Er kann Ew. Gnaden in dreyerley Spra- chen einen Hahnrey heißen, und hat mehr gelernt, als mancher Magister. Lassen Sie mir durch Jhren Pachter antworten, gnaͤdiger Herr. Er darf mir nur den Brief mit dem Drescher uͤberschicken. Jch halte mich mit meiner Frau itzt, weil ich keinen Dienst habe, haussen in der Kneipschenke am Anger auf. Und hiermit Gott befohlen. Der ich allstets beharre Gnaͤdiger Herr Lieutenant, Ew. Excellenz allerunterthaͤnigst, treugehorsamst pflichtschuldigster ‒ ‒ ‒ ‒ N. S. Satyrische Briefe. N. S. Meine Frau meynte, ob ich nicht, wenn ich das Schuldienst kriegte, von Ew. Gna- den den Titel als Cantor bekommen koͤnnte? Da bey allen Aemtern die Titulaturen steigen, so moͤchte ich auch nicht gern zuruͤck bleiben. Es wird sich wohl geben. A. Formular zu einem Gevatterbriefe, à 8. gl. — T. T. N achdem es dem großen Gott gefallen hat, mei- ne liebe Hausfrau in Gnaden zu entbin- den, und uns beiderseits Aeltern mit einem jungen Toͤchterlein zu erfreuen, und aber uns, als christli- chen Aeltern, obliegen will, dieses Kindlein dem Herrn vorzutragen, und hierzu christliche Taufzeu- gen zu erbitten, worzu wir Ew. ꝛc. vorlaͤngst in un- ser Herz eingeschlossen haben: Als ergeht an meinen Hochzuehrenden Herrn, und zukuͤnftig werthgeschaͤtzten Herrn Gevatter, mein dienstfreundlichstes Suchen und Bitten, Die- selben wollen Sich gefallen lassen, morgen des Nachmittags um drey Uhr, wird seyn der siebente May, sich allhier einzufinden, dieses christliche Werk zu verrichten, und sodann in unsrer Behau- sung Satyrische Briefe. sung mit Speis und Trank, so viel Gott beschert hat, großguͤnstig vorlieb zu nehmen. Dafuͤr werde ich seyn T. T. Meines Hochzuehrenden Herrns, und zukuͤnftigen werthgeschaͤtz- ten Herrn Gevatters dienstwilligster ꝛc. ꝛc. B. Detto ein Formular, noch etwas feiner; kostet ei- nen Gulden Trankgeld fuͤr den Schulmeister. HochEdler, Vest, und Hochgelahrter, Jnsonders Großguͤnstiger Hochzuehrender Herr Gevatter, Vornehmer Freund, D enenselben kann aus erfreutem Gemuͤthe nicht verhalten, welchergestalt der allgewaltige Gott meine Eheliebste ihrer bisher getragenen weib- lichen Buͤrde heute Morgens um acht Uhr in Gna- den Satyrische Briefe. den entbunden, und uns beiderseits mit einem wohlgestalten jungen Soͤhnlein verehret. Wenn denn solches unser Kindlein gleich an- dern Menschen in Suͤnden empfangen und geboh- ren, und dahero uns Aeltern obliegen will, solches zur heiligen Taufe befoͤrdern zu lassen, dazu aber christliche Mittelspersonen, und Taufzeugen erfo- dert werden, und zu unserm hochzuehrenden Herrn Gevatter das Vertrauen haben, daß Dieselben ne- benst andern dieses christliche Werk auf sich nehmen werden; Als ergehet an Dieselben mein und meiner Eheliebsten dienst- und ehrenfreundliches Bitten, Sie wollen von Jhren vornehmen Geschaͤfften sich so viel abmuͤssigen, sonder Beschwerde morgen des Tages, goͤnnets Gott, gegen drey Uhr in der Kir- che allhier zu erscheinen, obgedachtes unser Kind- lein in der Taufe vortragen zu helfen, darauf mit Jhrer Frau Eheliebste in meiner Behausung einzu- sprechen, und mit den Tractementen, so der liebe Gott an Speise und Trank bescheeren wird, vor- lieb und willen zu nehmen. Solches, wie es Denenselben zu Ehren, mir und meiner Eheliebsten aber zu sonderbarem Gefal- len, und unserm Kindlein zur zeitlichen und ewigen Wohlfarth gereicht; also sind wir es andere Wege zu Satyrische Briefe. zu verdienen, und zu verschulden geflissen, unter goͤttlicher Obhut verbleibende Hochedler, Vest, und Hochgelahrter Herr, Meines Hochzuehrenden Herrn Gevatters, dienstwilliger N. N. C. Formular zu einem Hochzeitbriefe. Hochedler, Vest und Hochgelahrter, Jnsonders großguͤnstig Hochgeehrter Herr, Vornehmer Freund, D enenselben gebe hiermit zu vernehmen, wel- chergestalt uf vorher abgeschicktes Gebet, und darauf erfolgte goͤttliche Fuͤgung, auch mit Genehmhaltung und Einwilligung beiderseits Ael- tern, ich mich unlaͤngst mit Jungfer N. N. Herrn N. N. allhier eheleiblichen juͤngsten Tochter in ein bestaͤndiges Ehegeloͤbniß eingelassen, und solches uf den funfzehnten innstehenden Monats vermit- telst priesterlicher Copulation zu vollziehn ent- schlossen. D Wenn Satyrische Briefe. Wenn denn dabey meinen Hochgeehrten Herrn nebst deren Eheliebste auch gerne sehen und haben moͤchte; als ergeht an Dieselben mein dienst- und ehrenfreundlich Bitten, Sie wollen belieben, Sich so viel von ihren obhabenden vornehmen Verrich- tungen dießmal zu entbrechen, bemeldten Tages in meiner Behausung alhier einzufinden, der prie- sterlichen Trauung beyzuwohnen, und Gott um eine gedeyliche Ehe anzurufen, und sodann nach beschehenem solchen Actu das der Zeit und Gele- genheit nach angestellte Hochzeitmahl zu genießen, und vollenden zu helfen. Wie nun solches zufoͤrderst dem Stifter des heiligen Ehestandes zu Ehren, mir und meiner Verlobten, und beiderseits Anverwandten zu son- derbarem Gefallen und Freundschaft gereicht; al- so bin ich sothane hohe Ehrenerweisung in derglei- chen, und andern Begebenheiten zu verdienen ohn- vergeßlich, maßen unter Gottes Schutz und Ob- hand verharre, Hochedler, Vest und Hochgelahrter, Meines großguͤnstig Hochgeehrten Herrn, allezeit dienstwilliger N. N. Damit Satyrische Briefe. „ D amit ich meine Briefe auch fuͤr diejenige „Art der Gelehrten brauchbar mache, wel- „che ganz anders denken und anders reden, „als Vernuͤnftige denken und reden: so will ich „nachstehenden Brief einruͤcken. Man gebe mir „nur nicht Schuld, daß die Sache uͤbertrieben sey. „Findet man nicht allemal aphthonianische Chrien, „und ist auch nicht allemal auf dem Rande beyge- „setzt, wie der Gedanke im Griechischen oder La- „teinischen heißt, den man vorbringt: so findet „man doch das Wesentliche dieser Pedanterey „sehr oft. Man mache mit einem jeden Briefe, „den ein Pedant mit Fleiß, und, nach seiner Art, „mit Ueberlegung schreibt, die Probe, und zer- „gliedre ihn nach den Regeln der Schulkunst: so „wird man das Steife, und Schematische auch „alsdann finden, wenn sich schon der Verfasser „die Gewalt angethan hat, weder Sentenzen „seiner Alten, die er Weisheit nennt, noch todte „Sprachen, die seine Gelehrsamkeit ausmachen, „darunter zu mischen. Jch bin von dieser Wahr- „heit so uͤberzeugt, daß ich mir gewiß zu behaup- „ten getraue, mein Brief wuͤrde bey dieser Art „Schriftstellern großen Beyfall gefunden haben, „wenn ich ihn nicht durch diesen Vorbericht ver- „daͤchtig gemacht haͤtte. D 2 CHRIA Satyrische Briefe. CHRIA APHTHONIANA. Wird um eine Rectoratstelle in einem kleinen Staͤdtchen gebeten. Hochedelgebohrne Frau, Hochzuehrende Frau Buͤrgermeisterinn, Laus auto- ris \& di- ctum. S okrates, die Zierde Griechenlandes, der Phoͤ- nix seiner Zeit, der Weise, welcher unter den andern Weisen hervor leuchtete, gleichsam als der Mond unter den kleinen Feuern, tanquam inter ignes luna minores, Sokrates, sage ich, den Hochedelgebohrne Frau, Xantippe selbst nicht von seiner philosophischen Hoͤhe herunter zanken konnte; dieser hat sehr wohl und gelehrt gesagt apud Xe- nophontem, memor. Lib. IV. c. I. Αἱ ἀρισται δοκουσαι εἰναι φυσεις, μαλιστα παιδειας δεονται, zu deutsch also lautend: Drum glaubet mir zu dieser Frist, Daß die Natur, so schoͤn sie ist, Dennoch den Unterricht vermißt. Paraphra- sis. Er wollte damit gleichsam andeuten, daß die vortrefflichsten Gemuͤther der Jugend die meiste Zucht noͤthig haͤtten, oder, wie es nach dem eigent- lichen Verstande unsers Grundtextes lauten moͤch- te, Satyrische Briefe. te, daß sie mehr als andre der vernuͤnftigen An- weisung eines gelehrten Schulmannes beduͤrften, und zwar schlechterdings und unumgaͤnglich be- duͤrften, wie das Woͤrtlein δεονται solches klaͤrer, als die Mittagssonne, anzeigt. Denn wie nothwendig ist es nicht, Hochzueh- Caussa. rende Frau Buͤrgermeisterinn, daß man der Na- tur zu Huͤlfe komme, welche nur den rohen Stoff zu großen Geistern schafft, und das uͤbrige der sorg- faͤltigen Ausbildung der Schulleute uͤberlaͤßt. Unrecht, ja dreymal und viermal unrecht thun Contrari- um. diejenigen, welche diese Vorsorge verabsaͤumen, und, da sie der Himmel in ein Amt, quasi in spe- culam gesetzt hat, darauf zu sehn, daß das Beste einer Stadt, und des gemeinen Wesens uͤberhaupt, befoͤrdert werde, dennoch die Sorge fuͤr die Schu- len verabsaͤumen, und die Sache nicht fuͤr so wich- tig halten, allen Stein zu bewegen, damit sie flei- ßige und geschickte Lehrer dahin setzen, und diesen die Unterweisung der Jugend anvertrauen moͤch- ten, die diese Unterweisung desto noͤthiger hat, ie hoffnungsvoller sie ist, και μαλιστα παιδειας δεονται, zu reden aus dem Sokrates, und dessen obange- fuͤhrten Worten. Pferde von der besten Art muͤssen am mei- Parabola. sten durchgearbeitet werden. Sie machen es bey dem edlen Feuer ihren Herren oft am schwersten; D 3 aber Satyrische Briefe. aber desto noͤthiger ist es, sie sorgfaͤltig zuzureiten. Ein traͤges unedles Pferd braucht diese Bemuͤhung nicht; aber es ist auch nur fuͤr den Pflug ge- bohren. Exemplum. Wer war groͤßer, als Dionysius, der zweyte, da er noch Tyrann, und das Schrecken von Si- cilien war? Das widrige Gluͤck konnte ihm den Thron nehmen, aber niemals die Begierde, der Welt zu nutzen. So groß er gewesen war, so wenig schaͤmte er sich doch, die griechische Jugend zu lehren, und mit der Hand, womit er ganze Laͤnder zerstoͤrt hatte, mit eben der Hand suchte er die Kinder der Corinthier zur Weisheit zu fuͤhren. Testimo- nium. Wie ungluͤcklich diejenigen sind, so die Zucht ihrer Kinder verabsaͤumen, das beweisen die trau- rigen Folgen, welche zuerst ihre eignen Familien empfinden, und welche nach diesen das ganze ge- meine Wesen treffen. Diese ungluͤcklichen Aeltern moͤchten sich wohl lassen vom Homer zurufen: Ἀιϑ᾽ ὀφελον ἀγαμος τ᾽ ἐμεναι, ἀγονος τ᾽ ἀπο- λεσϑαι. Epilogus. Sie sehn hieraus deutlich, Hochedelgebohrne Frau, wie noͤthig es ist, daß E. E. Wohlw. Rath dieser Stadt das erledigte Schulrechtorat ungesaͤumt besetze, und mit einem Manne besetze, dessen Standhaftigkeit, dessen Fleiß, dessen Treue, dessen Ansehn, dessen Gelehrsamkeit, dessen weise Ein- Satyrische Briefe. Einsicht in die großen Wahrheiten, die uns So- krates und Homer hinterlassen haben, dessen ‒ ‒ ‒ iedoch, ich sage nichts weiter, Sie werden mich verstehn. Jch habe mich mit meinem Suchen an Sie gewandt, da ich weis, daß Jhr theurer Ehe- gemahl in diesem Jahre unter Jhren auspiciis an der Regierung ist. Erlange ich das Vergnuͤgen, daß Sie mit Jhren vielgeltenden, und erleuchte- ten Fuͤßen in meine Meynung herabsteigen: so bin ich gluͤcklich, und ich weis gewiß, daß sodann der ganze Ehrenveste Rath hinter drein steigt, et ma- nibus pedibusque in Tuam descendit sen- tentiam. Jch verharre in dieser großen Hoffnung ad ex- tremum usque uitæ halitum, Hochedelgebohrne Frau, Hochzuehrende Frau Buͤrgermeisterinn, Ew. Hochedelgeb. gehorsamst, ergebenster, und ehrendienstwilligster N. N. D 4 Es Satyrische Briefe. „ E s ist bey nahe keine Handlung und Be- „schaͤfftigung in der Welt, welche man „nicht in gewisse Regeln gebracht, mit „Grundsaͤtzen befestiget, und mit Exempeln erlaͤu- „tert hat. Wir haben eine Kunst zu lieben, eine „Kunst zu trinken, eine Kunst zu regieren, eine „Kunst zu leben. Mit solchen Kleinigkeiten be- „schaͤfftigt sich unser spielender Witz, wichtigere „Sachen verabsaͤumen wir. Sind wohl alle diese „Kuͤnste dem Menschen so noͤthig, als ihm die „Kunst zu bestechen ist? Jch schaͤme mich, daß „ich der erste seyn muß, der meinen Landsleuten „die Augen oͤffnet, meinen Landsleuten, die so oft „mit einem patriotischen Stolze die Gluͤckseligkeit „ihrer aufgeklaͤrten, und erleuchteten Zeiten ruͤh- „men. Jch will es thun, wenigstens will ich ei- „nen Versuch davon liefern. Es ist mir vielmals „ganz unbegreiflich gewesen, durch welches Schick- „sal ich zu dem Amte verstoßen worden bin, das „ich fuͤhre; nunmehr glaube ich, es einzusehn. Die „Kunst zu bestechen habe ich meine Landsleute „lehren sollen; dazu war mir mein Amt noͤthig. „Jch will diesem deutlichen Berufe folgen. Man „wird meiner Lehre glauben koͤnnen, da ich mit „Ueberzeugung lehre. Der zaͤrtliche Ovid lehrte „die Kunst zu lieben; der feurige Horaz die Kunst „zu dichten; und ich, berechtiget durch mein Amt, „ich lehre die Kunst zu bestechen.„ Es Satyrische Briefe. „Es wird nicht leicht jemand zu finden seyn, „der in seinem Leben nicht wenigstens einmal, es „sey nun als Klaͤger, oder als Beklagter, in die „traurige Nothwendigkeit waͤre gebracht worden, „daß er einen Theil seines Gluͤcks, oder wohl gar „sein ganzes Gluͤck der zufaͤlligen Einsicht des „Richters, und den von dessen Willkuͤhr abhan- „genden Gesetzen Preis geben muͤssen So oft ich in dieser Abhandlung eines Richters erwaͤhne, so oft nehme ich dieses in dem allgemeinsten Verstande und begreife darunter alle diejenigen, denen Amts- oder Commis- sionswegen, oder auf andere Art die Entscheidung, oder auch nur die Untersuchung einer Sache aufgetragen ist. . Und was „ist hierbey wohl noͤthiger, als die Kunst zu beste- „chen? Will er sich auf seine gerechte Sache ver- „lassen, das ist ein leerer Name, ein Wort ohne „Bestimmung. Wer soll entscheiden, ob seine „Sache gerecht ist; da man noch in den wenigsten „Richterstuben einig ist, was Gerechtigkeit sey? „Soll man diese Entscheidung aus den Gesetzen „nehmen? Aber muͤssen die Gesetze nicht so wollen, „wie der Richter will? Oder ist der Richter etwan „wegen der Gesetze da? Vielleicht; aber selten. Jst „es wohl sicher, sich auf die Erfahrung und „billige Einsicht des Richters zu verlassen? Wer „leistet uns die Gewaͤhr, daß der Richter er- „fahren, und billig, und einsehend sey? Es ist „moͤglich, daß er es seyn kenn; doch Sachen, „die moͤglich sind, machen noch keine Wahr- „scheinlichkeit aus; und was dann und wann ge- „schieht, das kann keine allgemeine Regel werden. D 5 Rich- Satyrische Briefe. „Richterstuben werden besetzt, wie andere Aemter; „wollen wir von ihnen mehr verlangen, als von „andern Aemtern? Oftmals, und nur gar zu oft „nimmt der Richter zwey Dritttheile von der ge- „rechten Sache fuͤr sich; in das uͤbrige Dritttheil „theilen sich seine Schreiber, die Advocaten, und „die Partheyen. Was hilft mir bey dieser Pluͤn- „derung die augenscheinlichste Gerechtigkeit, die „auf meiner Seite ist? Wie gluͤcklich bin ich, wie „viel gewinne ich nicht, wenn ich die hohe Kunst „verstehe, einem eigennuͤtzigen und unwissenden „Richter auf eine anstaͤndige Art, und mit gutem „Nachdrucke begreiflich zu machen, daß meine Sache „gerechter ist, als die Sache meines Gegenparts, „oder, im Kanzleystyl zu reden, wenn ich weis, „meinen Richter zu bestechen. „Das ist alles Pedanterey, was der unnuͤtze „Fleiß muͤßiger Rechtsgelehrten von der Erklaͤ- „rung der Gesetze geschrieben hat. Fuͤr wen „schreiben sie dieses? Fuͤr den Richter? Viele von „ihnen lesen nicht einmal die Gesetze, wie sollen sie „Geduld genug haben, die trocknen Erklaͤrungen „zu lesen? Fuͤr die Advocaten? Den wenigsten un- „ter ihnen ist daran etwas gelegen, daß die Ge- „setze deutlich sind. Fuͤr die Partheyen? Was „hilft es den Partheyen, Erklaͤrungen zu wissen, „die dem Richter zu ekelhaft, und den Advocaten „in ihrer Nahrung so nachtheilig sind? Die si- „cherste, die beste, die vortheilhafteste Art, den wahren Satyrische Briefe. „wahren und eigentlichen Sinn der Gesetze seinem „Richter deutlich zu machen, ist die Kunst, ihn „zu bestechen. „Ein Richter wird noch immer, wenigstens „um die Formulare seines Amts zu beobachten, un- „partheyisch, und gewissenhaft thun. Jst er noch „nicht gar zu lange Richter, oder ist er sonst von „einer gemeinen und schlechten Erziehung: so wird „er von Zeit zu Zeit etwas fuͤhlen, das ihm sagt, „es sey unbillig, partheyisch zu seyn. Dieses „ Etwas nennt der Poͤbel Gewissen, und es ist „vielmal fuͤr einen Theil der Partheyen von schlim- „men Folgen. Durch die Kunst zu bestechen er- „leichtern wir unserm Richter diese Unbequemlich- „keit des Gewissens. „Jch verlange aber schlechterdings, daß man „solches als eine Kunst ansehe, und sehr vorsich- „tig dabey verfahre. Man muß die Geschicklich- „keit besitzen, die Gemuͤther der Menschen, und, „in gegenwaͤrtigem Falle, die Leidenschaften eines „Richters zu erforschen. Kein Umstand in seiner „Verwandschaft, in seinem Hause ist zu klein, den „man nicht sorgfaͤltig bemerken und sich zu Nutze „machen muͤßte. Der Angriff muß von der Sei- „te geschehn, wo der Richter uns die Bloͤße giebt, „sonst wird er sich vertheidigen, und der Gegner „wird sich unsere Unvorsichtigkeit zu Nutze „machen. Wie Satyrische Briefe. „Wie die Arten der Bestechung sehr verschie- „den sind, so ist die erste Regel diese: Man muß „sich durchaus nicht merken lassen, daß man be- „stechen will. „Einmal ist der Satz richtig und ausgemacht: „ein jeder will fuͤr einen ehrlichen Mann gelten, „der sich ausserdem sehr viel Muͤhe giebt, es nicht „zu seyn. So niedertraͤchtig unser Richter ist, so „hungrig er ist, sich bestechen zu lassen: so sehr „werden wir ihn beleidigen, wenn wir ihm mer- „ken lassen, daß wir die Absicht haben, ihn zu be- „stechen. Er muß sich schaͤmen, nicht vor sich, „sondern vor uns; er wird den Namen eines un- „partheyischen Richters behaupten, er wird seiner „Natur Gewalt anthun, gerecht zu seyn, um uns „das nachtheilige Vorurtheil zu benehmen, daß er „das sey, was er ist. Er muß befuͤrchten, daß „wir die Einsicht seines Fehlers misbrauchen, und „entweder den Werth der Gefaͤlligkeit nicht erken- „nen, die er uns durch seine Nachsicht bezeigt, „oder ihm gar seinen Fehler oͤffentlich vorruͤcken, „wenn wir etwan eine andre Gelegenheit finden „sollten, mit ihm unzufrieden zu seyn. Diese unge- „woͤhnliche Gerechtigkeit wird ihm sodann desto „leichter ankommen, ie gewisser ein aufmerksamer „Gegner sich unsre Dummheit zu Nutze macht, „und den beleidigten Richter dadurch auf seine „Seite bringt, daß er ihn, wegen seiner uns er- zeigten Satyrische Briefe. „zeigten strengen Gerechtigkeit, auf eine anstaͤndi- „gere und bindigere Art schadlos haͤlt. „Jch habe bey einer andern Gelegenheit be- „zeugt, wie sehr ich wuͤnschte, daß meine Lands- „leute sich gewoͤhnen moͤchten, so zu schreiben, wie „sie denken. Gegenwaͤrtigen Fall nehm ich aus. „Wo die Frage entsteht: ob ich mein Vermoͤgen „derlieren, oder der Wahrheit Eintrag thun will; „da ist die Wahl leicht. Bey einem Richter, wel- „cher die Ehrliebe dergestalt in seiner Gewalt hat, „daß er damit machen kann, was er will; bey „diesem wuͤrde es sehr unvorsichtig seyn, durch die „Wahrheit seine Ehrbegierde zu reizen. Da- „durch, daß ich diesen Fall ausnehme, widerspre- „che ich meinem Satze gar nicht. Eine andre „Sprache ist diejenige, die ich in Gesellschaften, „und im gemeinen Leben rede, da kann ich, da „soll ich die Wahrheit sagen; eine ganz andre „Sprache aber ist der stylus curiæ, da muß ich „dem Herkommen gemaͤß reden, oder, welches ei- „nerley ist, ich muß den Richter zu eben der Zeit, „da ich ihm zeige, daß er ein Schelm ist, versi- „chern, daß ich ihn fuͤr einen unpartheyischen, fuͤr „den billigsten Mann halte. „Damit ich dasjenige deutlicher mache, was „ich hier gesagt habe: so will ich ein paar Briefe ein- Satyrische Briefe. „einruͤcken, wo man dem Richter sagt, daß man „ihn bestechen will. Ein jeder setze sich an die „Stelle des Richters, und pruͤfe sich, was er in „diesem Falle werde gethan haben.„ Mein Herr, J ch will es Jhnen aufrichtig gestehn: Die Kla- gen, die mein ehmaliger Muͤndel wider mich erhoben hat, ist leider gegruͤndet genug. Jch habe einen ziemlichen Theil seines Vermoͤgens theils verwahrloset, theils an mich gebracht. Vielleicht waͤre ich wenigstens vorsichtiger gewesen, wenn ich nicht die Absicht gehabt haͤtte, meine Tochter an ihn zu verheirathen. Dieses wuͤrde meine Sache, und meine Rechnungen, gerechtfertigt haben. Mein Fehler ist es nicht, daß sich diese Ehe zer- schlagen hat. Jnzwischen bin ich ungluͤcklich, daß ich uͤber eine Sache angegriffen werde, da ich mich nicht vertheidigen kann. Es wuͤrde mir dieser Zufall noch empfindlicher seyn, wenn ich mit einem Richter zu thun haͤtte, der zu gewissenhaft waͤre, sich bestechen zu lassen. Jch freue mich unendlich, mein Herr, daß Sie es nicht sind. Sie haben den Ruhm in der ganzen Stadt vor Sich, daß Sie zuerst auf Jhren Vortheil, und hernach auf Jhrer Clienten Sache sehen. Sie werden mir nicht unguͤtig nehmen, daß ich hier eine Sache ge- gen Sie erwaͤhne, die Sie, meines Wissens, nie- mals heimlich gehalten haben. Jn der That ist es Satyrische Briefe. es auch fuͤr Sie kein Fehler. Und waͤre es ja ein Fehler, so wuͤrde die Schuld auf diejenigen fallen, welche Sie in dieses Amt gesetzt, da Sie ihnen nicht haben unbekannt seyn koͤnnen. Mit einem Worte, es ist hier etwas zu verdienen. Mein Advocat, ein Mann, welcher wohl verdiente, Jhr Nachfolger zu seyn, ist uͤberzeugt, daß ich eine un- gerechte Sache habe, und dennoch getraut er sich, durch Deren guͤtige Vermittelung den Proceß we- nigstens zwoͤlf Jahre aufzuhalten, wenn ich tau- send Thaler Gebuͤhren dran wagen wollte. Die- ser Vorschlag scheint mir, unter uns gesprochen, etwas eigennuͤtzig zu seyn. Jch habe es anders ausgerechnet. Von diesen tausend Thalern wuͤr- den ungefaͤhr dreyhundert Thaler an Sie, als Richter, kommen; Sie sollen aber fuͤnf hundert davon haben. Zweyhundert sende ich Jhnen hier- mit auf Abschlag, die uͤbrigen dreyhundert bekom- men Sie sofort, wenn ich den Proceß ohne Weit- laͤuftigkeit gewonnen habe. Jch rede mit einem Manne von Erfahrung; es wird mir also nicht schwer, Jhnen die Billigkeit meines Suchens ver- staͤndlich zu machen. Nehmen Sie es immer ohne Bedenken an. Sie, mein Herr, koͤnnen an Jh- rem ehrlichen Namen nichts weiter verlieren; ich aber kann einen Proceß dadurch gewinnen. Jch verlasse mich auf Jhre billige Einsicht, und bin, Mein Herr, Jhr Diener. Hoch- Satyrische Briefe. Hochgeehrter Herr Commissar, E s ist weiter nichts, als eine Zunoͤthigung von meinen Unterthanen, welche sich durch den Ei- gennutz eines ungewissenhaften Advocaten haben aufwiegeln lassen. Die Sache ist in der That durch die Laͤnge der Zeit, und die Bosheit meiner Gegner sehr verworren. Jch bin erschrocken, da ich gehoͤrt habe, daß die Commission an Sie aus- gebracht worden ist, weil ich weis, daß Sie Sich vielleicht zu allen, nur zu keinem Commissar, schi- cken. Man hat mir von Jhrer Ungeschicklichkeit, und Unwissenheit so viel besondre Umstaͤnde er- zaͤhlt, daß ich untroͤstbar seyn wuͤrde, wenn man mich nicht zugleich versichert haͤtte, daß man Sie mit einer Bouteille Wein, und einer Hand voll Dukaten zu allem vermoͤgen koͤnnte, was man ver- langt. Jch bediene mich dieses Mittels desto lie- ber, da ich es nicht misbrauche, sondern Jhnen nur die Billigkeit meiner Sache deutlich zu machen suche, welche Sie ausserdem so wenig verstehn. Jch erwarte Sie auf den Sonntag bey mir; mei- ne Pferde sollen Sie abholen. Wir wollen uns mit einander satt trinken, und die Sache dabey uͤberlegen. Damit Sie sehen, wie erkenntlich ich seyn will: so mache ich hier einen Anfang mit ei- nem Duzend Dukaten. Es soll nicht das letzte seyn, so Sie von mir bekommen, und fuͤr Jhre Kuͤche will ich sorgen, so lange die Jagd waͤhrt. Sie, Satyrische Briefe. Sie, mein Herr, denke ich doch wohl noch satt zu machen. Jch erwarte Sie also gewiß, und hoffe sodann gegen die Gebuͤhr einen beyfaͤlligen Bericht von Jhnen zu erhandeln, bin im uͤbrigen, Mein Herr, Jhr Diener. Hochzuehrender Herr Kammerrath, J ch habe gehoͤrt, daß Jhnen mein Klaͤger heute fruͤh ein Vaͤßchen Austern geschickt hat. Der dumme Teufel! Er weiß noch nicht recht zu leben, wenigstens verstehe ich die Praxin besser, als er. Austern ohne Wein sind ein ungesundes Essen. Jch habe die Ehre, Jhnen mit einem Feuillet Burgunder aufzuwarten, welchen der Ueberbrin- ger dieses bey Jhnen abzuladen Befehl hat. Jch hoffe, Sie werden nunmehr nicht einen Augenblick mehr zweifeln, daß meine Sache die gerechteste sey; und ich glaube, daß es heute nur Jhr Scherz ge- wesen, da Sie bey der Ankunft der Austern gegen meinen Advocaten gedachten, daß Klaͤger wirklich viel vor sich habe. Sollten Sie wider Vermuthen bey der Sache noch einigen Zweifel finden: so steht beym Austrage derselben noch ein Korb E Cham- Satyrische Briefe. Champagner zu Diensten. Jch thue alles, was moͤglich ist, Jhnen die Augen zu oͤffnen. Faͤllt es Jhnen etwas schwer, den Abschied zu machen: so trinken Sie nur ein paar Boutellien von meinem Weine. Jch stehe Jhnen dafuͤr, die rationes de- cidendi werden sich sodann von sich selbst geben. Unter Erwartung, daß der Burgunder seine gute Wirkung thun werde, verharre ich mit aller Hoch- achtung Hochzuehrender Herr Kammerrath, Dero ergebenster Diener. Gnaͤdige Frau Amtmannin, D er Teufel ist wieder einmal mit euerm Herrn gar los. Das bischen Dahlen wird doch den Hals nicht kosten sollen! Das Mensch sieht gut aus, es ist wahr, und ich traf sie auf der Panse allein an; und da habe ich nun so etwan mit ihr geschaͤkert. Gewiß, Frau Amtmannin, weiter ha- be ich nichts gethan, oder doch nicht viel mehr. Daruͤber haͤtte meine Frau nicht sollen ein solches Larmen machen. Jch kann ja nichts dafuͤr, daß sie Satyrische Briefe. sie haͤßlicher aussieht. Eine runde derbe Magd ist mir freylich lieber. Wir Bauern, wir haben Fleisch und Blut eben so gut, wie vornehme Leute. Und wenn man uͤber so ein bischen Ehebrechen den Kopf verlieren soll: so moͤchte ich wissen, wie un- ser gnaͤdiger Herr Amtmann seinen Kopf so lange durchgebracht hat. Mit einem Worte, Frau Amtmannin, ich sehe die Karte wohl. Mein Guͤtchen sticht euern Herrn in die Augen. Wißt ihr was? ganz kriegt ers so nicht; ich will was uͤbriges thun, es soll mir nicht drauf ankommen. Schelme muß man schmieren. Die Wiese hin- ter euerm Vorwerke hat der Herr Amtmann schon lange gern von mir haben wollen. Jch will sie ihm geben; sie ist unter Bruͤdern zweyhundert Thaler werth. Jch will thun, als wenn ich sie ihm verkaufte. Da bleibt alles huͤbsch in seiner Ordnung. Aber darnach muß er mir auch das arme Mensch aus dem Gefaͤngnisse lassen davon springen. Jch will sie schon wegbringen, daß sie nimmermehr wieder ins Amt kommen soll. Ue- berlegt es immer, gnaͤdige Frau Amtmannin, ich daͤchte nun so, es waͤre ein Vorschlag zur Guͤte. Auf diese Art kriegt ihr die Wiese, und die Unko- sten; und wenn ich zum Schwure kaͤme, sagte mein Advocat, so kriegtet ihr nichts. Lest euch aus, was ihr wollt. Jch naͤhme die Wiese, wenn ich an eurer Stelle waͤre. Gestern habe ich ge- schlachtet, da schicke ich euch ein halbes Rind, das mag ein gutes Wort fuͤr mich einlegen. Kurz und E 2 gut Satyrische Briefe. gut, Gnaͤdige Frau Amtmanninn, befehlt euerm Herrn, daß er mich ungeschoren laͤßt. Er mag immer einmal durch die Finger sehn; er hat es ja beym Schulzen auch gethan. Lebt wohl, Frau Amtmanninn. An die Panse will ich gedenken. Seht immer, wie ihr mir dasmal raus helft. Braucht eure Tochter etwan einen Stein Flachs? Wie gesagt, lebt wohl. Jch bin, Gnaͤdige Frau Amtmannin, Euer Hanns. „Jch will meine Leser nicht fragen, was sie in „dem Falle thun wuͤrden, wenn sie an des Rich- „ters Stelle waͤren, und dergleichen Briefe er- „hielten, wie diejenigen sind, die ich hier ange- „fuͤhrt habe. Jch wenigstens wuͤrde mich sehr „leicht entschließen; und wenn ich einen noch so „starken Trieb empfaͤnde, mich bestechen zu lassen: so Satyrische Briefe. „so wuͤrde ich mir bey einem dergleichen unvorsich- „tigen Antrage doch Gewalt anthun, und Wiese, „und Wein, und Geld, mit einer gerechtigkeitlie-- „benden, und unpartheyischen Mine verachten, um „meinen guten Namen zu retten, und bey einer „bessern Gelegenheit noch einmal so viel zu verdie- „nen. Ein vernuͤnftiger Client, er habe nun ei- „ne gerechte oder ungerechte Sache, wird weit be- „hutsamer gehn, und seinen Zweck auch weit eher „erlangen. Die Leidenschaften der Richter sind „wie die Leidenschaften andrer Menschen. Den „Beyfall eines dummen Maͤcenaten werde ich mir „nicht leichter erwerben, als wenn ich von der „Bewunderung rede, zu der sein Verstand alle „Welt zwingt. Keine Verfuͤhrungen sind dem „Frauenzimmer gefaͤhrlicher, als wenn man ihnen „von dem Werthe ihrer Tugenden, von ihrer „edlen Grausamkeit, und von unsern unstraͤflichen, „und ehrliebenden Absichten vorprediget. Ein ei- „gennuͤtziger, und partheyischer Richter nimmt un- „ser Lob mit offnem Munde an, wenn wir ihm „mit der Hochachtung schmeicheln, die seine vor- „gegebne Billigkeit und Unpartheylichkeit verdie- „nen. Er fuͤhlt es zwar, daß wir nicht wahr „reden; unsre Unwahrheit aber thut ihm so „wohl, daß er sich Muͤhe giebt, zu glauben, es „sey unser Ernst; daß er sich nach und nach selbst „zu bereden sucht, er sey wirklich der billige, und „unpartheyische Mann, von dem wir reden. Er „sinnt bey sich auf eine Entschuldigung, wie er das E 3 Ver- Satyrische Briefe. „Verfahren rechtfertigen koͤnne, wenn er unser Ge- „schenk annehmen wollte. Er sieht, daß es weniger „verdaͤchtig seyn wuͤrde, wenn unsre Sache gerecht „waͤre; er giebt sich also Muͤhe, unsre Sache ge- „recht zu finden. Er wendet sie so lange von ei- „ner Seite zur andern, bis er eine gute Seite fin- „det; an diese haͤlt er sich. Er entschuldiget die „verdaͤchtige Seite, er bearbeitet sich endlich, zu „glauben, daß unsre ganze Sache gerecht sey, und „erfreut sich uͤber diese Entdeckung. Nunmehr „macht er sich ein Gewissen daraus, unsre gerech- „te Sache unvertheidiget zu lassen. Seine theure „Amtspflicht ist nun die vornehmste Triebfeder, „die ihn noͤthigt, sich unsrer anzunehmen; die Ge- „schenke aber sind ein ganz kleiner Nebenumstand, „den er aus lauter Begierde zur Gerechtigkeit „schon anfaͤngt zu vergessen. Wenigstens sieht „er es nur als eine kleine Erkenntlichkeit an, die wir „seiner Unpartheylichkeit schuldig sind, und die er „ohne Bedenken annehmen kann, weil unsre Sa- „che allein die gerechte Sache ist. Wie viel ha- „ben wir gewonnen, wenn wir unsern Richter so „weit bringen koͤnnen, daß er sich Muͤhe giebt, sich „selbst zu betruͤgen; daß er vergißt, er sey besto- „chen! Wie nachdruͤcklich wird er uns unterstuͤ- „tzen, wenn er uns mit einer innerlichen Ueberzeu- „gung unterstuͤtzt! Wuͤrden wir diesen großen „Endzweck wohl erlangt haben, wenn wir ihn „nicht kunstmaͤßig bestochen haͤtten? Damit Satyrische Briefe. „Damit es meinen Lesern bey diesen so unent- „behrlichen Wissenschaften nicht an Exempeln feh- „le: so will ich deren ein paar hier einruͤcken. Es „wird sie ein Jedweder nach seinen Umstaͤnden ein- „zurichten, und zu veraͤndern wissen. Mein Herr, J ch empfinde das Ungluͤck, welches alle redliche Vormuͤnder empfinden, wenn sie undankbare Muͤndel heran gezogen haben. Jch habe mir we- gen meines jungen Vetters weder eine Unachtsam- keit, noch einige Untreue vorzuwerfen; ich habe sein Vermoͤgen redlich, wenigstens so gut, als das meinige, beforgt. Desto mehr muß es mich kraͤn- ken, da ich erfahre, daß dieser junge unbesonne- ne Mensch bey Jhren Gerichten Klage wider mich erhoben hat. Durch einen Zufall, den ich nicht habe vermeiden koͤnnen, sind ein großer Theil mei- ner Privatrechnungen verlohren gegangen, durch welche ich meine Unschuld darthun, und den muth- willigen Zunoͤthigungen meines Muͤndels vordeu- gen koͤnnte. Es wuͤrde mich dieses unruhig ma- chen, wenn ich mit einem andern Richter zu thun haͤtte, als mit Jhnen, mein Herr. Wie gluͤcklich bin ich, da ich weiß, daß mein guter Name, meine zeitliche Ruhe, von der weisen Einsicht eines Man- E 4 nes Satyrische Briefe. nes abhaͤnget, welcher sich seit so vielen Jahren den Ruhm verdienet hat, daß er der gerechteste Mann sey! Sie wissen es, mein Herr, und Sie haben die traurigste Erfahrung selbst gehabt, wie empfindlich es einem rechtschaffnen Vormunde sey, dergleichen undankbare Vorwuͤrfe von der aus- schweifenden Jugend anzuhoͤren. Erinnern Sie Sich einmal dieser Erfahrung, und haben Sie Mitleid mit mir. Eine nachdruͤckliche Zuredung von Jhnen wird diesen jungen Menschen, der von Natur nicht boshaft, sondern nur verfuͤhrt ist, gar leicht wieder in Ordnung bringen. Sein Advocat wird sich seines Unternehmens schaͤmen muͤssen, wenn er aus Jhren Vorstellungen sieht, daß Sie, mein Herr, sein Beginnen verabscheuen. Sie werden mich hierdurch mit einemmale aus ei- ner Unruhe reißen, welche mich viele Jahre hin- durch beaͤngstigen, und mir viel Unkosten verursa- chen koͤnnte. Viele hundert Thaler wuͤrden kaum zureichend seyn, mich eines Anspruchs zu entschuͤt- ten, welcher mir durch den Verlust meiner Rech- nungen sehr gefaͤhrlich wird. Es ist nichts billiger, als daß ich Jhnen eine kleine Versichrung meiner Erkenntlichkeit gebe. Da ich durch Jhre guͤtige und vielvermoͤgende Vermittelung so viel hundert Thaler ersparen kann: so sind beyliegende zwey- hundert Thaler nur ein geringer Anfang derjeni- gen Schuld, die ich abzutragen mir vorgenom- men Satyrische Briefe. men habe. Jch beschwoͤre Sie bey Jhrer Amts- pflicht, bey Jhrer Begierde, unrechtleidenden Personen beyzuspringen, bey dem Ruhme, den Sie Sich bey aller Welt erworben haben, daß Sie ein Feind aller ungerechten Bedraͤngungen, und kostbaren Rechtshaͤndel sind, bey der Hoch- achtung, die ich, und die ganze Stadt fuͤr Sie he- ge, beschwoͤre ich Sie; betruͤben Sie mich da- durch nicht, daß Sie dieser meiner guten Absicht eine unrechte Deutung geben. Sehen Sie diese Kleinigkeiten nicht als etwas an, das mir ge- hoͤrt; sehn Sie es vielmehr als einen Theil desje- nigen an, was Sie durch Jhre Bemuͤhung den Klauen meines ungerechten Gegners entreißen. Dieser unbillige Mensch wuͤrde mir es mit Gewalt abgepreßt haben. Muß ich mich also nicht freuen, wenn ich es in den Haͤnden eines rechtschaffnen Mannes wissen kann, welcher es nur anwendet, das Armuth zu unterstuͤtzen, und unrechtleidenden Personen beyzuspringen? Nehmen Sie es zu die- sem großen Endzwecke an; glauben Sie, daß nie- mand so begierig ist, erkenntlich zu seyn, als ich es bin; retten Sie mich aus den Haͤnden eines ei- gennuͤtzigen Gegners, und ersparen Sie ei- nem jungen unbesonnenen Menschen die Schan- de der Undankbarkeit. Hemmen Sie diesen Rechtshandel, oder zum mindesten helfen Sie mir ohne Weitlaͤuftigkeit zu dem Rechte, E 5 das Satyrische Briefe. das ich habe, und doch schwer beweisen kann. Von einem so erfahrnen, gelehrten, und rechtschaff- nen Manne, als Sie sind, mein Herr, ist dieses noch das wenigste, was ich erwarten kann. Von mir erwarten Sie Hochachtung und Dankbarkeit, so lange ich lebe. Jch bin, Mein Herr, Der Jhrige. Hochgeehrtester Herr Commissar, M eine unruhigen Bauern haben wenig gewon- nen, daß sie die Untersuchung an Sie aus- gebracht haben. Meine Sache haͤtte in keine gluͤcklichern Haͤnde, als in die Jhrigen, fallen koͤn- nen, da Sie ein Mann sind, der Einsicht, Erfah- rung, und Billigkeit hat. Verzeihen Sie mir ein Lob, das ich Jhnen nicht unter die Augen sa- gen sollte, da ich Jhre Bescheidenheit kenne. Es ist das erstemal, daß ich die Ehre habe, an Sie zu schreiben, und es liegt mir daran, daß Sie wissen, wie genau ich Sie dem ungeachtet kenne. Jn der That sage ich nichts weiter, als was mich Jhre Obern von Jhnen weit umstaͤndlicher, und noch weit ruͤhmlicher versichert haben. Darf ich es wohl gestehen, daß ich hohen Orts selbst Anlaß gegeben habe, Sie zum Commissar in dieser Sa- che zu erbitten? Vielleicht ist Jhnen die Arbeit sehr Satyrische Briefe. sehr beschwerlich; aber entschuldigen Sie immer meine Freyheit. Rechtschaffne, und geschickte Maͤnner, wie Sie sind, sucht man auch wider ih- ren Willen. Die Sache ist durch die Laͤnge der Zeit, und die Bosheit der Gegner in der That sehr verworren; aber desto noͤthiger ist mir der Bey- stand eines so unpartheyischen Richters. Jch ver- ursache Jhnen Muͤhe, fuͤr die ich gewiß erkenntlich seyn werde. Sollten Sie etwan baaren Verlag, oder sonst Aufwand noͤthig haben: so uͤbersende ich hier ein Dutzend Dukaten. Dem ungeachtet er- warte ich Jhre Liquidation vollstaͤndig. Bey ei- ner so ausserordentlichen Arbeit, als diejenige ist, muͤssen Sie durch Jhren Fleiß und Unpartheylich- keit den geringsten Schaden nicht leiden. Jch wuͤr- de sehr gern sehen, wenn ich noch vor dem Termine aus der Sache muͤndlich mit Jhnen sprechen koͤnn- te. Meine Pferde sollen Sie abholen. Jch hoͤ- re, Sie sind ein Liebhaber von der Jagd; halten Sie Sich ein paar Tage bey mir auf, wir wollen uns wohl vergnuͤgen. Jch sende Jhnen einen klei- nen Frischling. Sehn Sie einmal, ob es sich nicht der Muͤhe verlohnt, sie zu schiessen. Jch er- warte Sie gewiß. Einen freundlichen Wirth, und ein gutes Glas Wein sollen Sie finden. Jch bin mit der aufrichtigsten Zuneigung, Mein Herr, Jhr Diener. Diese Satyrische Briefe. „Diese beiden Briefe sagen in der That eben „dasjenige, was die sagen, welche ich oben einge- „ruͤckt habe. Sie druͤcken es nur auf eine feinere „Art aus; und ein Richter muß in der That sehr „unempfindlich, oder ganz altvaͤtrisch seyn, wenn „er sich nicht auf diese Art gewinnen laͤßt. „Es giebt noch eine feinere Art, den Richter „zu bestechen. Dieses geschieht im Spielen. „Ein Client hat viel gewonnen, wenn er es dahin „bringen kann, daß er mit seinem Richter ein ho- „hes Spiel spielt. Ein Richter, der sich so weit „verlaͤugnen kann, daß er Geschenke nimmt, wird „gemeiniglich auch bey dem Spiele eigennuͤtzig „genug seyn. Alsdann erfodert es die Klug- „heit, daß wir so viel verspielen, als nur moͤg- „lich seyn will. Wir wagen nichts, wenn er unsre „Absichten auch merkt. Es ist desto besser fuͤr „uns. Er kann keinen anstaͤndigern Vorwand „haben, unser Geld an sich zu bringen, als durch den „Gewinnst; er sucht aber auch weiter nichts, als „einen anstaͤndigen Vorwand, und ist wegen der „Absichten unbekuͤmmert, in denen wir es verspie- „len. Wir werden wohl thun, wenn wir ihm „das Geld, das er gewonnen hat, nicht gleich be- „zahlen. Man schickt es den naͤchsten Morgen „darauf, und thut, als ob man ungewiß waͤre, wie „viel man eigentlich verspielt habe. Bey dieser „Ungewißheit bekoͤmmt man Gelegenheit, ihm „noch einmal so viel zu schicken, als er bekommen sollte. Satyrische Briefe. „sollte. Jch wuͤrde ungefaͤhr diesen Brief dazu „schreiben.„ Mein Herr, S ie werden sich nun nicht mehr wundern, wenn ich Jhnen die Ursache sage, warum ich ge- stern Abends in einer bestaͤndigen Zerstreuung ge- spielt habe. Der Advocat meines Gegners ist bey mir gewesen, und hat mich so lange aufgehalten, bis ich zu Jhnen gieng. Der ungewissenhafte Mann! Seine Bosheit hat neue Waffen erdacht, mich nieder zu werfen. Bey der gerechtesten Sache, die ich habe, kann ich doch der ungluͤcklichste Mann werden. Er macht gar kein Geheimniß daraus, daß er nicht eher ruhen will, bis er mich ganz muͤr- be gemacht. Seine Wut geht so weit, daß er selbst Sie, mein Herr, nicht schonet, und in allen Gesellschaften ungescheut vorgiebt, Sie waͤren der einzige, der sich einkommen ließ, ihn an seinem Rechte zu hindern. Ein solcher Vorwurf muß einen gerechten und unpartheyischen Mann, wie Sie sind, mehr vergnuͤgen, als kraͤnken. Sie also, mein Herr, sind nach dem Bekenntnisse Jhrer und meiner Feinde noch der einzige, der meine gute Sa- che unterstuͤtzt. Wie gluͤcklich bin ich, wenn Sie die Guͤtig- Satyrische Briefe. Guͤtigkeit haben, und sich derselben ferner an- nehmen! Es muß Jhnen natuͤrlich seyn, dieses zu thun, da Sie ein so billiger Mann sind. Wenig- stens wuͤrden es meine Feinde fuͤr eine Frucht ih- rer Drohungen halten, wenn Sie anfiengen, der- selben mit wenigerm Eifer Sich anzunehmen. Nein, das laͤßt sich von Jhnen gar nicht denken. Meine gerechte Sache, und mein gerechter Richter lassen mich dabey ganz ruhig seyn. Jch bin mit unveraͤnderter Hochachtung, Mein Herr ꝛc. N. S. Hier uͤbersende ich meine gestrige Spiel- schuld. Meine Zerstreuung ist so groß gewe- sen, daß ich vergessen habe, wie viel sie ei- gentlich betragen. War es mehr, so bitte mir es zu melden; ich werde es mit Danke zahlen. „Waͤre der Richter wider Vermuthen so groß- „muͤthig, und wollte das Uebrige zuruͤck schicken: „so traue ich einem Jeden zu, daß er so viel Er- „findung haben wird, wahrscheinlich zu behaup- „ten, es sey wirklich so viel gewesen. Leute, die „begierig sind Geld zu nehmen, machen es uns „nicht sauer, wenn wir sie uͤberfuͤhren wollen, daß „sie schuldig sind, es anzunehmen. „Jch Satyrische Briefe. „Jch will hier eines Fehlers gedenken, den vie- „le Clienten begehn, wenn sie dem Richter ihre „Sache empfehlen. Sie haben in der That die Ab- „sicht, erkenntlich zu seyn, wie man es nennt, oder, „legal zu reden, die Richter zu bestechen. Sie ver- „sichern ihn dessen so wohl muͤndlich, als schriftlich; „sie geben ihm aber weder muͤndlich, noch schriftlich „etwas. Dieß ist ein großer Fehler! Et formu- „la cadunt, sagt der Jurist, welches der gemeine „Mann von Wort zu Wort also ausdruͤckt: Wer „nicht gut schmiert, faͤhrt nicht gut! So behutsam „man seyn muß, einem Richter zu sagen, was „man denkt: so ungeschickt ist es doch, ihn nur „mit Versprechungen aufzumuntern. Maͤnner, „die die Gerechtigkeit verauctioniren, muͤssen baa- „res Geld sehen, oder sie sehn gar nichts. Wie „wollen wir ihnen zumuthen, daß sie, was wir „wuͤnschen, thun, und sich nur auf unsre Groß- „muth verlassen sollen? Trauen wir ihnen viel- „leicht nicht, und glauben wir, daß unser Ge- „schenk etwan vergebens angebracht seyn moͤchte? „Es ist moͤglich; aber dergleichen Mistrauen muͤs- „sen wir nicht an uns merken lassen, oder der „Schade ist unersetzlich, den wir uns zuziehn. „Wir muͤssen bey dem Richter etwas wagen, da „wir etwas bitten; der Richter hat nicht Ursache, „bey uns etwas zu wagen. Was soll der Richter „fuͤr einen Vorwand haben, uns an unser Ver- „sprechen zu erinnern, wenn er gethan hat, was „wir wuͤnschten, und wir das nicht erfuͤllen, was „wir Satyrische Briefe. „wir ihm versprochen? Jch will ein Formular von „einem dergleichen leeren Briefe hier einruͤcken, um „meine Leser wohlmeynend davor zu warnen.„ Hochzuehrender Herr Rath und Amtmann, J ch hoffe meine gerechte Sache wird bey dem letztern rechtlichen Verfahren so deutlich gewor- den seyn, daß ich mir nichts gewissers versprechen kann, als einen guten Ausgang des Processes. Jnzwischen weiß ich, wie viel auf Sie ankoͤmmt, um die Cabale meines Gegners zu zernichten, wel- cher so boshaft ist, zu wuͤnschen, daß die Sache wenigstens sehr spaͤt verlohren werde, wenn er sie ja einmal verlieren muͤsse. Jch verlasse mich auf Jhre gute Vermittelung, und auf den Ruhm, den Sie als ein gerechter Mann haben. Die ausser- ordentlichen Bemuͤhungen, die ich Jhnen dadurch verursache, verdienen meine ganze Erkenntlichkeit. Jch wage es noch nicht, itzt einen Anfang damit zu machen, da ich wohl weiß, wie empfindlich ein Mann von Jhrem Charakter seyn muß, wenn ihm etwas angeboten wird, das ihn verdaͤchtig ma- chen koͤnnte, weil andre die guten und billigen Ab- sichten nicht wissen. Helfen Sie mir aus diesem be- schwerlichen Handel. Da ich Jhnen auf diese Art so viel Muͤhe mache, und Jhnen eine Last auf- Satyrische Briefe. aufbuͤrde, die ich nicht von Jhrem Amte, sondern nur von Jhrer Freundschaft erlangen kann: so ist es weiter nichts, als nur ein geringer Anfang mei- ner Erkenntlichkeit, wenn ich Jhnen die Versich- rung gebe, daß ich nach voͤlliger Beendigung der Sache Jhnen wenigstens mit funfzig Dukaten auf- warten, und uͤber dieses mich fuͤr einen bestaͤndi- gen Schuldner von Jhnen erkennen werde. Jch uͤberlasse mich Jhnen mit dem groͤßten Vertrauen, und bin unausgesetzt, Hochzuehrender Herr Rath und Amtmann, Jhr ergebenster Diener. „Ein dergleichen lediger Brief ohne Saft und „Kraft, und ohne den geringsten buͤndigen Beweis, „verdient eine Antwort, wie etwan die folgende ist. Mein Herr, J ch werde mich freuen, wenn Jhre Sache so be- schaffen ist, daß sie zu Jhrem Vortheile aus- schlagen muß. Jch werde nichts thun, als was die Gerechtigkeit erfodert, um das Vertrauen zu ver- dienen, so Sie gegen mich aͤussern. Klaͤger hat aller- F dings Satyrische Briefe. dings viel vor sich, das werden Sie selbst nicht laͤugnen koͤnnen. Jndessen will ich keinen Fleiß sparen, Jhre Hoffnung, so gut es moͤglich seyn will, zu erfuͤllen, und mich bey Jhnen von einem empfindlichen Verdachte zu rechtfertigen, als waͤ- re ich auf die Gerechtigkeit der Sache nur alsdann erst aufmerksam, wenn man mir eine Belohnung von ferne weist. Wodurch habe ich bey Jhnen ein so bittres Compliment verdient? Sie haͤtten es nicht thun sollen, mein Herr; und ich muß ge- stehn, daß mich Klaͤger in diesem Stuͤcke besser kennt. Aber es sey drum; dem ungeachtet will ich Jhnen zeigen, daß diese kleine Beleidigung mich nicht hindert, mit aller Ergebenheit zu seyn, Mein Herr, Jhr Diener ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ „Wir ersparen dem Richter die Muͤhe, roth „zu werden, und uns viel beschwerliche Compli- „mente und Kruͤmmungen, wenn wir ihn beste- „chen, ohne ein Wort im Briefe davon zu sagen. „Es ist auch dieses Mittel das bescheidenste, und „fuͤr den Richter das sicherste, da er kein Bedenken „haben kann, unsern Brief allen zu zeigen, die ihn „sehen wollen, weil sie doch nur den Brief, und „nicht dasjenige sehen, was im Briefe gelegen „hat. Satyrische Briefe. „hat. Seine Antwort an uns ist ihm desto we- „niger gefaͤhrlich, weil nur wir sie verstehen, und „sie fuͤr den dritten Mann ein Raͤzel bleibt. Wenn „ich also meine gerechte Sache durch ein paar „Dutzend Dukaten begreiflich machen wollte: so „wuͤrde ich sie ungefaͤhr mit diesem Briefe uͤber- „senden.„ Herr Commissar, M ein Agent hat mir gemeldet, daß Sie Sich entschlossen haben, in meiner Sache des naͤ- hesten Bericht zu erstatten. Jch empfehle Jhnen nochmals alles aufs beste. Jch verlange weiter gar nichts, als was die Gerechtigkeit haben will. Es wuͤrde ganz vergebens seyn, mehr von Jhnen zu fodern; aber ich kann ruhig seyn, da ich Sie bey dieser Gelegenheit habe als einen Mann ken- nen lernen, der billig und einsehend ist. Alles, was ich bitte, ist dieses, daß Sie die ungegruͤndeten Zunoͤthigungen meiner Unterthanen in Jhrem Berichte so deutlich aus einander setzen, und so gruͤndlich widerlegen, daß alle, die ihn lesen, eben so davon uͤberzeugt werden, als Sie es sind; und daß dem Gegentheile nichts uͤbrig bleibt, die Sache laͤnger zu verzoͤgern. Mein Agent hat Ordre, den Bericht so fort abzuloͤsen, und, wenn Sie es ver- langen, Vorschuß zu thun. Da Sie mir alle Gelegenheit benommen haben, mich dankbar gegen F 2 Sie Satyrische Briefe. Sie zu erzeigen: so kann ich doch wenigstens die- ses nicht geschehen lassen, daß Sie meinetwegen Sich in kostbaren Vorschuß setzen sollen. Jch bin unveraͤndert, Mein Herr, der Jhrige ꝛc. „Wenn nun ein paar Dutzend Dukaten in „diesen stummen Brief gelegt worden: so kann „ihn der Herr Commissar ganz sicher also beant- „worten: Gnaͤdiger Herr, S ie besitzen die Geschicklichkeit, Jhre gerechte Sache so deutlich und uͤberzeugend vorzutra- gen, daß man nicht einen Augenblick anstehen kann, Jhrer Meynung beyzupflichten. Jch habe, so bald ich Jhren Brief erhielt, die Acten noch einmal sorgfaͤltig durchgesehn; und finde in der That, daß die Zweifel, die ich mir machte, so er- heblich nicht sind, als ich vorher meynte. Der Bericht wird morgen abgehen. Sie koͤnnen Sich darauf verlassen, daß er Jhnen nicht nachtheilig ist. Jhr Agent hat ihn abgeloͤst, und mich genoͤthiget, zwanzig Thaler Vorschuß anzunehmen. Gewiß, Gnaͤdiger Herr, Sie sind gar zu sorgfaͤltig, und Jhr Agent fast zu eigensinnig, daß er uͤber diesen Vor- Satyrische Briefe. Vorschuß nicht einmal Quittung von mir anneh- men wollen. Jch werde Gelegenheit suchen, die Sache so einzurichten, daß Sie Jhre Aufmerk- samkeit und Achtung gegen mich nicht einen Au- genblick gereut. Sie haben boͤse verstockte Unterthanen, ein hartnaͤckiges Volk! Noch bis auf diese Stunde habe ich nicht einen Dreyer Com- missionsgebuͤhren von ihnen bekommen koͤnnen. Sie sind eine blinde Heerde, die sich von ihrem ungewissenhaften Advocaten irre fuͤhren laͤßt; fiat justitia, pereat rusticus! Die Leute wollen es nicht besser haben. Jch habe meine schwere Pflicht auf mir; allen kann ich es unmoͤglich recht machen. Jch habe Jhrem Agenten im Vertrauen gesagt, wo er sich wegen des Berichts melden soll. Ein gu- ter Bericht braucht dennoch einen guten Vortrag. Jch weiß, gnaͤdiger Herr, Jhnen darf man eine dergleichen Sache nur halb sagen, so verstehn Sie solche ganz. Jch bin mit der groͤßten Ehrfurcht, Gnaͤdiger Herr, Deren unterthaͤniger Diener ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ F 3 „Das Satyrische Briefe. „Das waͤren also einige Proben, wie man „einen gewinnsuͤchtigen Richter mit Gelde zahm „machen soll. Allemal aber geht das nicht „an. Es giebt unter ihnen Leute, welche von „ihrer Pflicht so enge Begriffe haben, daß man „ihnen, ungeachtet aller nur moͤglichen Behutsam- „keit, dennoch kein baares Geld anbieten darf, „ohne sie zu beleidigen, und uns ihrer bittersten „Empfindlichkeit auszusetzen. Um deswillen ist „es sehr noͤthig, daß man die Denkungsart eines „jeden Richters wohl pruͤfet, ehe man hier einen „Schritt wagt. Nimmt der Richter kein baares „Geld, so bleiben doch noch hundert Wege uͤbrig, „seine theure Pflicht zu uͤberraschen. Jch kenne „einen Mann, welcher sich gewiß sehr unbaͤndig „anstellen wuͤrde, wenn man ihm ansinnen wollte, „funfzig Thaler zu nehmen; und eben diesen ge- „wissenhaften Mann will ich mit einem halben Ey- „mer Wein weiter bringen, als einen weniger „gewissenhaften Richter mit funfzig Thalern. „Nur das baare Geld hat ein so verhaßtes Anse- „hen, und viele sind ihrer Muttersprache so wenig „maͤchtig, daß sie glauben, das Wort sich beste- „chen lassen werde nur in dem Falle gebraucht, „wo ein Richter baares Geld annimmt. Man „mache sich diese Unwissenheit zu Nutze. Es ist „aber noͤthig, daß solches mit eben der Vorsicht „geschehe, die ich in dem vorhergehenden mit vie- „ler Sorgfalt angerathen habe. Ein geschickter „Client muß so erfindsam seyn, daß er fuͤr ein jedes „Geschenk Satyrische Briefe. „Geschenk einen anstaͤndigen Vorwand hat. Da- „mit meine Abhandlung auch in diesem Falle prak- „tisch werde: so will ich einige Exempel mittheilen. „Jch habe oben einen Brief eingeruͤckt, wo der „Beklagte die Austern seines Klaͤgers mit einem „Feuillet Burgunderwein uͤberboten hat. Jch „will dieses Thema noch einmal annehmen.„ Hochzuehrender Herr Kammerrath, M ein Freund in Straßburg hat etliche Piecen Burgunderwein an mich spedirt, und ge- beten, ihm einen Kaufmann dazu zu verschaffen. Jch schicke Jhnen hier zur Probe ein Feuillet, weil ich weiß, daß Sie ein Kenner sind; Sie werden finden, daß er sehr gut ist. Haben Sie die Guͤ- tigkeit und trinken ihn auf meine Gesundheit. Koͤn- nen Sie jemanden erfahren, der eine Parthie davon kaufen will: so werden Sie meinen Freund und mich Jhnen ungemein verbinden. Jch habe von einem sichern Freunde aus Hamburg ein paar Vaͤßchen Austern bekommen; sie sind aber bey itzi- ger warmen Wittrung so schlecht, daß ich mich schaͤmen muß, Jhnen mit so elendem Zeuge auf- zuwarten. Es ist mir nicht allein, sondern allen Kaufleuten so gegangen, die mit der letzern Post Austern erhalten haben. Jch erwarte kuͤnftige F 4 Neu- Satyrische Briefe. Neujahrsmesse etliche Koͤrbe Champagnier, etwas extra feines. Jch bin, Hochzuehrender Herr Kammerrath, Deren ergebenster Diener. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ N. S. Wie steht es denn mit dem Processe? Mein Advocat ist gar zu saumselig. Neh- men Sie Sich meiner an, so viel billig ist. „Etliche Klaftern Holz vor die Thuͤre des Rich- „ters gefuͤhrt, sie, ohne lange zu fragen, abgela- „den, wieder fortgefahren, und sodann erst den „Brief uͤbergeben, thut bey einer geringen Sache „seine gute Wirkung. Was will ein gewissenhaf- „ter Richter in der Angst anfangen, wenn das „Holz einmal da liegt, und niemand mehr da ist, „der es wieder wegfahren will? Jnzwischen muß „man doch diesem Geschenke, so geringe es ist, ei- „nen gewissen Anstrich geben, damit es einen „Werth erhaͤlt, und nicht beleidiget. Vielleicht „geht es auf diese Art an.„ Mein Satyrische Briefe. Mein Herr, E s ist ein Misverstaͤndniß von meinem Verwal- ter gewesen, daß er Jhnen im vorigen Herbste nicht mehr, als eine Klafter Holz, ausgezeichnet hat. Hier sende ich deren noch viere. Ueber den Preis wollen wir uns auf die Ostermesse vereinigen. Jch bin ohnedem noch Jhr großer Schuldner; aber ich werde auf Mittel denken, es nicht laͤnger zu bleiben. Wird denn meine Sache bald zum Berichte reif seyn? Jch wuͤnsche sehr, daß ich endlich aus dem boͤsen Handel kommen moͤge. Mein einziger Trost ist noch dieser, daß ich mit ei- nem ehrlichen Manne zu thun habe, der ein un- partheyischer Richter, und mein Freund ist ‒ ‒ ‒ à propos! ich lasse sechs Mitteleichen faͤllen. Jch habe sie der Frau Liebste zu Jhrem neuen Gar- tenhause versprochen. Aber dafuͤr behalte ich mir die Erlaubniß vor, auf Johanne einen frischen Hering darinne zu essen, wenn es fertig seyn wird. Sie sehn, daß ich nichts umsonst thue. Den Braten bringe ich selbst mit, und fuͤr Wein mag meine Frau sorgen. Jch bin mit der alten deut- schen Redlichkeit, Mein Herr, Jhr guter Freund und Diener ‒ ‒ ‒ ‒ F 5 „Jch Satyrische Briefe. „Jch habe einen guten Freund, der seinen „Proceß mit nachstehendem Briefe gewonnen hat. „So wenig gehoͤrt vielmals dazu, gluͤcklich zu „seyn, wenn man die schwache Seite des Richters „entdeckt hat, und seinem Geschenke, wenn es auch „das wichtigste nicht ist, ein gutes Ansehen zu ge- „ben weiß.„ Hochedelgebohrner Herr, Hochgeehrtester Herr Doctor, M an hat mir gesagt, daß Jhnen in Jhrem schoͤ- nen Muͤnzcabinette noch drey Glockenthaler fehlen. Jch habe die Doubletten davon, und warte Jhnen damit auf. Sie werden mir nicht anmuthen, etwas dafuͤr zu nehmen. Vielleicht haben Sie kuͤnftig einmal einige Stuͤcken doppelt, und erlauben mir etwas davon. Weil Sie ein Kenner sind, so bitte ich mir Jhre Gedanken uͤber beyliegende Gemmam aus. Sie soll vom Kaiser Galba seyn. Das Gesicht giebt es, wenn ich an- ders den Sueton recht verstanden habe. Waͤre diese Gemma, was ich glaube, so verdiente sie wohl einen Platz in Jhrer Sammlung. Bey mir wird sie nicht gesucht, weil ich weder auf alte Muͤnzen, noch alte Gemmas viel halte. Jch habe meinem Gerichtsverwalter befohlen, Jhnen diese Stuͤcken selbst einzuhaͤndigen, wenn er sich die Ehre geben wird, Satyrische Briefe. wird, Jhnen meine Leuterungssache bestens zu empfehlen. Die Bauern misbrauchen die Nach- sicht der Gesetze. Jch bin unveraͤndert Ew. Hochedelgeb. dienstergebenster Diener ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ „Jch koͤnnte noch viel andre Exempel anfuͤh- „ren, wie man seine Geschenke an den Richter „bringen muͤsse, ohne den Wohlstand zu beleidigen. „Aber dieses mag inzwischen genug seyn, weil ich „itzt nicht Willens habe, eine weitlaͤuftige Abhand- „lung, sondern nur einen Versuch von der Kunst „zu bestechen zu schreiben. „Jch wollte wuͤnschen, daß ich gewisse Regeln „geben koͤnnte, wie eigentlich das Verhaͤltniß zwi- „schen der Sache, um derentwillen man den Rich- „ter besticht, und zwischen dem Geschenke seyn „muͤsse. Es ist aber sehr schwer etwas zuverlaͤssi- „ges davon anzugeben, weil die Personen des „Richters, und des Clienten oft ein andres Ver- „haͤltniß ausmachen, und weil noch oͤfter darauf „gesehen werden muß, wie verzweifelt unsre Sa- „che schon ist, die wir retten wollen. „Die Hauptregel ist wohl diese, daß man lie- „ber zu viel, als zu wenig, thue. Bey einem Rich- „ter, Satyrische Briefe. „ter, der nicht gar zu niedertraͤchtig ist, muß we- „nigstens fuͤnf pro Cent von dem Werthe der Sa- „che gerechnet werden, die wir erlangen, oder ret- „ten wollen. Bey einem hungrigen Richter kann „man auch wohl weniger thun. Kleinigkeiten „sind von Zeit zu Zeit noͤthig, um uns bey dem „Richter in gutem Andenken zu erhalten; aber „man muß sie oft wiederholen, und sich nicht zu „sehr darauf verlassen. Wie auf dem Lande alles „wohlfeiler ist, als in großen Staͤdten: so ist es „auch mit der Gerechtigkeit. Man hat mir ei- „nen Gerichtsverwalter genannt, welcher sich mit „einer Kanne Butter blind machen laͤßt; bey uns „ist kaum ein Faß zureichend. „Weil ich einmal auf die Bestechung mit Vik- „tualien komme: so will ich eine ungefaͤhre Tax- „ordnung machen, wie man sich dabey zu verhal- „ten hat. „Wir wollen voraussetzen: der Besitzer ei- „nes mittelmaͤßigen Landgutes von zwoͤlftausend „Thalern wird in Anspruch genommen, daß er „solches durch ein falsches Testament an sich ge- „bracht habe. Damit man nun eine Mitteltaxe „nehmen darf, so soll der Proceß in einer kleinen „Stadt anhaͤngig seyn. Jch setze auch voraus, „daß des Beklagten Sache ziemlich ungerecht sey. „Auf diese bestimmten Faͤlle wuͤrde ich die Taxord- „nung etwan so einrichten: „1.) Satyrische Briefe. „1.) bey Jnsinuation der Klage, dem Amts- „boten einen halben Gulden, und ein Glas Brandt- „wein. Es ist bekannt, wie viel Einfluß vielmals „der kleinste Diener der Gerechtigkeit in einer Sa- „che hat. „2.) bey der Litiscontestation, der Frau „Amtmanninn einen Scheffel Waizen, einen Trut- „hahn, und einen Schinken. „3.) binnen der Zeit, als rechtlich verfahren „wird, erhaͤlt man den Richter durch verschiedne „kleine Gefaͤlligkeiten in der Aufmerksamkeit. „Man richtet sich nach der Jahrszeit; der mittlere „Preis ist eines Gulden werth. „ Nota bene! Den Gerichtsactuar nicht zu „vergessen! „4.) bey Versendung der Acten zum Ver- „spruche Rechtens wuͤrde ich hoͤchstens ein paar „Scheffel Haber, und mehr nicht geben. Es „koͤmmt dabey auf den Unterrichter so gar viel „nicht an, und dennoch muß man ihn in Odem „erhalten. „5.) bis zum Gegenbeweise, wie Nu. 3. „6.) Aber nun geht das Opfern an! Den „Gegenbeweis lege man einem fettgemaͤsteten Och- „sen zwischen die Hoͤrner. Man muͤßte mit einem „Heiden zu thun haben, wenn ihm bey diesem An- „blicke das Herz nicht brechen sollte. „7.) Satyrische Briefe. „7.) der groͤßte Vortheil besteht im Zeugenver- „hoͤren. Ausserdem daß ein Beklagter seine Zeu- „gen noch vor dem Termine gehoͤrig zu zurichten „wissen muß: so ist noͤthig, daß man denjenigen, „der die Zeugen vernehmen soll, die Zunge wohl „loͤse. Niemand, als wer eine gute Kenntniß „der praktischen Rechte hat, kann wissen, wie viel „bey einer vortheilhaften Zeugenaussage auf eine „vortheilhafte Frage ankomme. Pecuniam in tem- „pore negligere, maxima sæpe parsimonia est: „oder, wie es im Deutschen lautet, hier bekoͤmmt der „Amtmann so viel Getreide, daß er noch einen „Ochsen maͤsten kann, und Butter in Menge. „Derjenige, welcher zunaͤchst unter ihm arbeitet, „erhaͤlt ein Baͤllchen feine Leinwand; der dritte in „der Reihe, dergleichen, etwas schlechter; und al- „le Schreiber, wie sie folgen, bekommen ihren An- „theil von der Beute. „8.) bey dem Verfahren, wie bey der dritten „Numer; aber doppelte Dosin. Jnzwischen wird „zum Urthel beschlossen. Erlangt man nun durch „dieses Recept ein gutes Urthel: so wollte ich „wohl rathen, daß man wegen der kuͤnftigen Zei- „ten die ganze Richterstube auf das ererbte, und „durch Urthel und Recht bestaͤtigte Landgut bitten, „und bey dem Leichenessen der Gerechtigkeit nichts „sparen moͤchte, das Wohlwollen des Richters ge- „gen uns zu befestigen. „Aus Satyrische Briefe. „Aus diesem kurzen Plane wird man sehen, „wie man bey dem Fortgange der Sache, oder in „andern Faͤllen, verfahren muͤsse. Es bezieht sich „dieser Plan nur auf die Taxordnung der Viktua- „lien; es versteht sich aber von sich selbst, daß „man in solchen wichtigen Processen zu eben der „Zeit, wo man bey des Richters Frau in der Kir- „che seine Nothdurft vorstellig macht, auch in des „Richters Stube durch baares Geld der Sache „den Ausschlag giebt. „Es sind ausser dem baaren Gelde und den „Viktualien noch andre Arten, einen Richter zu be- „stechen. Eine Vorbitte aus dem Munde einer „schoͤnen Frau macht oft einen uͤberzeugendern Ein- „druck, als zwanzig alte Rechtsgelehrte. Jch un- „terstehe mich in diesem Falle nicht, iemanden et- „was zu rathen. Ein Jeder muß wissen, wie em- „pfindlich er dabey ist, wie viel ihm daran liegt, sel- „nen Proceß zu gewinnen; und wie der Richter „gesinnet sey. So viel bleibt ausgemacht, daß „das Recept probat ist. Jch kenne einen Gerichts- „schoͤsser auf dem Lande, der seinem Edelmanne die „Gerechtigkeit abgepachtet, und den seltnen Ruhm „bis diese Stunde behauptet hat, daß er gegen alle „Bauern unpartheyisch ist, nur diejenigen ausge- „nommen, welche schoͤne Weiber haben. „Jch glaube, es ist bey dieser Sache noch ein „Mittel zu treffen. Ein Frauenzimmer kann oft durch Satyrische Briefe. „durch unschuldige Freyheiten den Eigensinn des „ernsthaftesten Richters brechen. Sollte man „nicht am besten thun, wenn man sich der Will- „kuͤhr seiner Frau uͤberließ? Liebt sie uns, so „wird sie das Spiel hoͤher nicht als auf eine er- „laubte Coqvetterie treiben, und dem Richter hoͤch- „stens unschuldige Freyheiten verstatten; liebt sie „uns aber nicht, ‒ ‒ ‒ ja, meine Herren, da kann „ich ihnen selbst nicht rathen; liebt sie uns nicht, „so wird sie immer Gelegenheit finden, zu thun, „was sie will, ohne allemal darauf zu sehen, ob „sie uns einen Proceß damit gewinnt. „Ohne Jemanden bey dieser bedenklichen Sa- „che etwas zu rathen, will ich hier ein paar Brie- „fe liefern. Der Richter soll von vornehmem, „der Beklagte von geringem Stande seyn. Desto „wahrscheinlicher wird die Sache.„ Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr, J ch unterstehe mich noch einmal, Ew. Excellenz die Sache meines Mannes unterthaͤnig zu em- pfehlen. Die hohen Versichrungen, die Sie mir vor einigen Wochen muͤndlich gaben, sind durch die Bosheit unsers Gegners fruchtlos gemacht worden. Es muß mir dieses desto empfindlicher seyn, Satyrische Briefe. seyn, da ich weiß, daß Ew. Excellenz von der un- gerechten Zunoͤthigung des Klaͤgers uͤberzeugt sind. Man unterfaͤngt sich nunmehr, meinen Mann auch um deswillen doppelt zu verfolgen, da Ew. Ex- cellenz die hohe Gnade gehabt haben, Jhres Schutzes ihn zu versichern. Behaupten Sie, Gnaͤ- diger Herr, Jhr Ansehn, und zugleich die Gerech- tigkeit unsrer Sache. Jch werfe mich Jhnen zu Fuͤssen; lassen Sie Sich die unschuldigen Zaͤhren einer Ungluͤcklichen ruͤhren, welche schon in den ersten Wochen ihres Ehestandes alle die Bitterkeit empfindet, von welcher oft eine Ehe von vielen Jahren ganz befreyet ist. Das Ungluͤck, so mei- nem Manne droht, zwingt mich, durch mein un- gestuͤmes Bitten die Gnade Ew. Excellenz zu mis- brauchen. Nur dasmal retten Sie uns noch! Wie leicht muß es Jhnen fallen, da Sie so groß- muͤthig und gerecht sind. Jch bin dafuͤr mit der tiefsten Ehrfurcht Ew. Excellenz demuͤthigste Dienerinn. „Das versteht sich schon von sich selbst, daß „die Verfasserinn dieses Briefs jung und schoͤn „seyn muß. Ausserdem waͤre es ein sehr leerer und „trockner Brief. Aber eine schoͤne Ungluͤckliche, G die Satyrische Briefe. „die sich thraͤnend zu unsern Fuͤssen wirft, die in „den ersten Wochen ihres Ehestandes so viel Ver- „folgung unschuldiger Weise ausstehen muß; diese, „deucht mich, verdient noch wohl, daß man ihr „also antworte.„ Madame, J hr Ungluͤck ruͤhrt mich. Jch habe mir lassen die Acten vorlegen, ich finde aber verschiedne bedenkliche Umstaͤnde, die, wie es scheinen will, Jhrem Manne sehr nachtheilig sind. Jch werde mich erfreuen, wenn Sie mich uͤberzeugen koͤnnen, daß meine Besorgniß ungegruͤndet sey. Eine muͤndliche Unterredung ist dazu wohl am geschick- testen. Jch bin den ganzen Tag beschaͤfftigt, fruͤh um sechs Uhr aber werde ich noch ungestoͤrt seyn. Jch erwarte Sie in meinem Cabinette. Mein Kammerdiener hat Ordre, Sie durch die Gallerie zu mir zu fuͤhren. Fassen Sie einen Muth. Jch wenigstens will thun, was in meinem Vermoͤgen ist. Leben Sie wohl! „Es setze sich ein Jeder in die Umstaͤnde des „Beklagten. Die Sache ist auf dem Wege ge- „wonnen zu werden. So viel ist gewiß: wird „der Vorschlag angenommen, so kann er versichert „seyn, daß er in einer Stunde mehr gewinnt, als „er Satyrische Briefe. „er in zehn Jahren durch die kostbarste Chicane „nicht erlangt. Soll er seine Frau in das Cabi- „nett schicken? Was soll ich ihm rathen? Gewiß, „das weiß ich nicht; so viel weiß ich, daß ich lieber „Richter, als Beklagter, seyn moͤchte. „Wenn man das Wort bestechen im weit- „laͤuftigern Verstande, und zwar dafuͤr annimmt, „daß es eine Kunst sey, durch welche der Klaͤger „oder der Beklagte sich der herrschenden Leiden- „schaften des Richters unmittelbar, oder durch „andre Penseen dergestalt zu bemaͤchtigen weiß, „daß er ihn auf seine Seite ziehen, und den Pro- „ceß nach seinen Absichten herum leiten, und zu „Ende bringen kann, wenn es, sage ich, in die- „sem Verstande genommen wird: so kann man „gar wohl behaupten, daß ein Richter auch durch „die Furcht bestochen werden koͤnne. Es giebt „deren verschiedne, welche die Welt so wohl ken- „nen, daß sie sich mehr vor ihren Obern, als vor „ihrem Gewissen fuͤrchten. Viele muͤssen stumm „seyn, um bittre Vorwuͤrfe zu vermeiden; noch „andre sind in ihrer Wirthschaft gewissen Zufaͤllen „ausgesetzt, welche sie sehr zahm machen. Von „einer jeden dieser Arten will ich eine Probe geben; „ein billiger Client wird sie nicht misbrauchen, „und kann er es ganz vermeiden, sie gar nicht ge- „brauchen.„ G 2 Mein Satyrische Briefe. Mein Herr, J ch habe gestern Mittags bey Jhro Excellenz, dem Herrn von ‒ ‒ ‒ gespeist. Die Gna- de, welche dieselben seit vielen Jahren auf eine vorzuͤgliche Art mir erzeigt, gab mir Gelegenheit, ihnen von der Verdrießlichkeit Etoͤffnung zu thun, die mir durch den bewußten Hutungsproceß zu- gezogen wird. Jch war so gluͤcklich, Jhro Ex- cellenz von der Billigkeit meiner Befugnisse durch ein kurzes pro memoria zu uͤberzeugen. Sie wunderten sich, wie bey diesen klaren Umstaͤnden die Sache so lange Zeit bey der Commission uner- oͤrtert bleiben koͤnnen. Als ein aufrichtiger Freund von Jhnen, mein Herr, nahm ich Gelegen- heit Jhr Verfahren zu entschuldigen; ich war auch endlich so gluͤcklich, Jhro Excellenz die widrige Meynung zu benehmen, zu welcher sie, wie die- selben sich gegen mich ausdruͤckten, schon seit eini- gen Jahren, und bey verschiednen Gelegenheiten gegruͤndete Ursachen bekommen haͤtten. Haben Sie die Gewogenheit, und beschleunigen den Hauptbericht. Sie sind zu billig, und zu einse- hend, als daß Sie ihn zu meinem Nachtheile ab- fassen sollten. Jch weiß, darauf kann ich mich verlassen. Jch habe Jhro Excellenz Hoffnung gemacht, daß er laͤngstens binnen drey Wochen von Jhnen eingesendet werden wuͤrde. Lassen Sie mich in meinem Versprechen nicht fallen; ich werde gewiß in drey Wochen Jhro Excellenz wie- der Satyrische Briefe. der aufwarten, und sodann das Vergnuͤgen ha- ben, Jhnen zu melden, wie der Bericht aufge- nommen worden ist. Bin ich im Stande, Jhnen hoͤhern Orts zu dienen: so versehn Sie Sich zu meiner Freundschaft aller moͤglichsten Bereitwillig- keit. Jch verharre u. s. w. Hochgeehrtester Herr Amtmann, J ch habe gewisse Nachricht, daß meine Feinde sich Muͤhe geben, einen Befehl zur Revision meiner Casse an Sie auszuwuͤrken. Nun bin ich zwar alle Stunden im Stande, Rede und Antwort zu geben; weil aber dieses Rechnungswesen so weitlaͤuftig ist, weil mir noch verschiedne Belege fehlen, und weil ich aus einer, vielleicht gar zu gefaͤlligen, Nachsicht gegen das Armuth der Con- tribuenten mich in eine ziemliche verwirrte Rest- rechnung eingelassen habe: so erwarte ich von Jh- rer Freundschaft, daß Sie mir, so bald der Be- fehl einlangt, unter der Hand Nachricht geben, und mich nicht uͤbereilen. Jch zweifle an dieser Gefaͤlligkeit nicht einen Augenblick, da ich im Stande bin, auf andre Art erkenntlich zu seyn. Sie sind der billigste, der gewissenhafteste Beamte; das gesteht Jhnen jedermann zu. Aber wuͤrden Sie wohl ganz gleichguͤltig seyn, wenn ich un- vermuthet zu Jhnen kaͤme, und auf Befehl die Vorlegung der Depositengelder verlangte? G 3 Urthei- Satyrische Briefe. Urtheilen Sie hieraus, wie empfindlich auch dem ehrlichsten Rechnungsfuͤhrer eine dergleichen Ue- berfallung seyn muͤsse. Sie verstehn mich doch wohl, Herr Amtmann? Mit einem Worte: Hal- ber Dienst, und ganze Freunde! Eine Hand waͤscht die andre, und ich bin, u. s. w. Hochgeehrter Herr Stadtrichter, J ch will Jhnen die ganze Sache aufrichtig ge- stehn. Die Bekanntschaft, die ich seit vielen Jahren mit dem Manne gehabt, hat eine gewisse Art der Vertraulichkeit zwischen mir und seiner Frau veranlaßt, welche denenjenigen allerdings et- was zweydeutig seyn muß, die mehr neugierig, als billig sind. Es war eine Unvorsichtigkeit von mir, aber weiter war es auch nichts, daß ich bey der Abwesenheit des Mannes laͤnger in ihrem Hau- se blieb, als es vor den Augen der gemeinen Leu- te der Wohlstand zu erlauben schien. Jch schwoͤ- re es Jhnen zu, es ist nicht mehr, als drey, hoͤch- stens viermal geschehn, und jederzeit im Beyseyn ihrer Verwandtinn, welche ihre Jahre und ihre Froͤmmigkeit glaubwuͤrdig machen. Waͤre der Mann bey seiner unerwarteten Ruͤckkunft nicht trunken gewesen: so wuͤrde er sich vernuͤnftiger auf- gefuͤhrt haben. Jch war genoͤthigt, ihm den De- gen aus der Hand zu reißen; denn so weit, glau- be ich, geht die Freundschaft nicht, daß man sich soll Satyrische Briefe. soll erstechen lassen. Dieses aber wird wohl nicht wider die peinliche Halsgerichtsordnung seyn, daß ich in seinem Hause meinen Besuch im Schlaf- pelze, und in Pantoffeln abgelegt habe. Meine Pflicht erfoderte, daß ich eine unschuldige Frau den Haͤnden ihres rasenden Mannes entriß, und sie so lange in mein Haus nahm, bis ich sie mit anbrechendem Tage dem Schutze ihrer Aeltern uͤberlassen konnte. Jhre alte fromme und recht- schaffne Verwandte kann alles, was ich sage, be- zeugen. Sie liegt noch bis itzt auf ihren Knien, und fleht den Himmel an, daß er dem armen Manne seinen verlohrnen Verstand wieder schen- ken wolle. Sehn Sie, Hochgeehrter Herr Stadtrichter, das ist der eigentliche und wahre Verlauf der Sa- che. Muß der Mann nicht unsinnig seyn, daß er uͤber diese Kleinigkeiten solche Bewegung macht, die Obrigkeit wider mich aufzubringen sucht, und so vieles Geld dran setzen will, ein gerichtlicher Hahnrey zu werden. Jch bin allemal im Stande, mich zu rechtfertigen; allein die Freundschaft ge- gen diesen unsinnigen, die Hochachtung fuͤr seine unschuldig gekraͤnkte Frau, und das Verlangen, ruhig zu seyn, ist Ursache, daß ich wuͤnsche ohne Weitlaͤuftigkeit aus der Sache zu kommen. Jch weiß, mein Herr, wie viel Sie uͤber ihn vermoͤ- gen. Reden Sie ihm, als Freund und als Rich- ter, zu, daß er ansteht, seine eingebildete Beleidi- G 4 gung Satyrische Briefe. gung weiter zu ahnden. Erwerben Sie Sich das Verdienst, eine ungluͤckliche Frau mit einem Man- ne auszusoͤhnen, welcher sich uͤbereilt hat, und ei- ne Freundschaft wieder herzustellen, die zwischen mir und ihm so lange Zeit, und bis auf den trau- rigen Augenblick unverbruͤchlich gepflogen worden ist. Sie machen Sich durch diese guͤtige Vermit- telung zwo Familien auf einmal verbindlich, und ich ins besondre werde Gelegenheit suchen, Jhnen in der That zu zeigen, daß ich mit der groͤßten Er- kenntlichkeit sey, Hochgeehrter Herr Stadtrichter, Jhr ergebenster Diener. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ N. S. Jch habe vorige Woche von den Ge- bruͤdern N. N. einen Wechsel auf fuͤnfhundert Thaler an Zahlungsstatt annehmen muͤssen, wel- chen Sie ausgestellt haben, und der auf kuͤnftige Messe gefaͤllig ist. Es ist mir bekannt, daß Jhre Umstaͤnde Sie gegenwaͤrtig schlechterdings hindern, Zahlung zu leisten. Jch verlange auf keinerley Art Jhnen beschwerlich zu fallen. Melden Sie mir Jhre Gedanken in ein paar Zeilen, oder noch besser, erzeigen Sie mir diesen Abend die Ehre, und speisen Sie mit mir in meinem Garten. Wir sind ganz allein. Muͤndlich von allem ein mehrers. „Da, wie ich oben erinnert habe, die Kunst „zu bestechen eine Kunst ist, sich der herrschen- „den Satyrische Briefe. „den Leidenschaften eines Richters zu seinem Vor- „theile zu bemaͤchtigen: so wird es oft eine sehr „vergebne Arbeit seyn, daß man ihn durch Mit- „leiden und Erbarmung zu bewegen suche. Diese „Empfindungen sind allzumenschlich fuͤr einen „Mann, den gemeiniglich sein Amt zu ernsthaft „macht, als daß er bey den Thraͤnen einer Witwe „weinen sollte. Er gewoͤhnt sich hart, um desto „unpartheyischer, und von dieser Seite unempfind- „lich zu seyn; denn wenn er ja empfindlich seyn „soll, so muͤssen die Ursachen dazu gewiß eintraͤg- „lich seyn. Das aber sind die Thraͤnen des Ar- „muths nicht. Man wird mir nicht zumuthen, „dasjenige hier zu wiederholen, was ich so oft ge- „sagt habe. Jch weiß freylich, daß es Richter „giebt, die zum großen Schaden ihrer haͤuslichen „Nahrung ganz anders gesinnt sind, ich weiß auch, „daß diese eine ziemliche Anzahl ausmachen; aber „das weiß ich auch, daß der groͤßte Haufe von „ihnen ganz anders, und gruͤndlicher denkt. Und „nur von diesem groͤßten Haufen rede ich. Die „andern sind Phaͤnomena, die zur Ausnahme ge- „hoͤren. Wieder zur Hauptsache zu kommen! Man „huͤte sich also wohl, dem Richter durch Thraͤnen „und Klagen, und Erzaͤhlung unsers Elends einen „Ekel gegen unsre Sache beyzubringen. Er wird „die Augen wegwenden, um unsern Jammer nicht „zu sehen. Haͤtten wir nicht so gar aͤngstlich und „klaͤglich gethan: so wuͤrde er sich vielleicht noch „einen guten Begriff von unsrer Sache gemacht G 5 „haben; Satyrische Briefe. „haben; da wir ihn aber mit den duͤrftigen Klagen „betaͤuben, so ist er nur unser Richter, und hoͤrt „auf, unser Freund zu seyn. Eine Sache, wel- „che die Erfahrung bestaͤtiget, haͤtte eben nicht „noͤthig, mit Beyspielen erlaͤutert zu werden; „zum Ueberflusse aber will ich es doch thun. Mein Herr, E s wird nun fast ein Jahr seyn, daß ich wegen der tausend Thaler klagen muͤssen, die Herr N. meinem verstorbnen Manne schuldig geblieben ist. Die Billigkeit meiner Fordrung ist klar, und mein Advocat hat mich versichert, mein Beweis waͤre so uͤberzeugend, daß mir die Obrigkeit ohne Weitlaͤuftigkeit zu meinem Rechte verhelfen wer- de. Jch habe, dieses Jahr uͤber, mir und meinen Kindern den nothduͤrftigsten Unterhalt entzogen, um so viel Geld aufzubringen, als noͤthig gewe- sen ist, Jhnen, mein Herr, an Gerichtsunkosten zu entrichten. Nun ist es mir weiter nicht moͤg- lich, einen Groschen daran zu setzen. Jch lebe in der groͤßten Duͤrftigkeit. Stellen Sie Sich, mein Herr, vier unerzogne Kinder vor, die mir am Halse haͤngen, und um Nahrung flehen, welche ich ihnen nicht geben kann. Jch kuͤsse diese klei- nen Ungluͤcklichen, um sie zu beruhigen, und sage ihnen, daß wir unser Gluͤck von den Haͤnden eines gerech- Satyrische Briefe. gerechten und großmuͤthigen Richters erwarten. Die armen Kinder verstehen mich nicht, sie wei- nen, weil sie mich weinen sehen, und kuͤssen mei- ne muͤtterlichen Zaͤhren. Gewiß, mein Herr, Sie haben das Leben von fuͤnf Unschuldigen in Jhren Haͤnden. Schaffen Sie mir Recht! Jch beschwoͤre Sie bey der Zaͤrtlichkeit, die Sie als Vater gegen Jhre Kinder haben. Erbarmen Sie Sich meiner! Verhelfen Sie mir zu dem, was mir gehoͤrt, und lassen Sie nicht zu, daß meine Feinde sich meines Armuths misbrauchen. Ret- ten Sie mich, mein Herr, damit die Thraͤnen meiner Kinder nicht etwan kuͤnftig einmal Jhren Kindern zu schwer werden. Ach, mein Herr, verzeihen Sie mir die Heftigkeit meiner Empfin- dungen! Jch bin ganz ohne Huͤlfe, wenn Sie mich verlassen. Verlassen Sie mich nicht, damit es Jhnen und den Jhrigen bestaͤndig wohl gehe! Jch erbitte dieses auf meinen Knien von Gott, und bin, Mein Herr, Deren demuͤthige Dienerinn. Madame, Satyrische Briefe. Madame, W enn Jhr Advocat die Sache besser versteht, als ich: so wollte ich, daß er an meiner Stelle Richter seyn muͤßte. Haben Sie gerechte Sache, so wird es sich zuletzt schon ausweisen; man muß der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen, wie es sich nach Vorschrift der Gesetze gehoͤrt. Das verstehe ich, und Sie verstehn es nicht, Madame. Mit Thraͤnen und Klagen loͤst man weder einen Bericht, noch ein Urthel ab. Haben Sie kein Geld, so muͤssen Sie keinen Proceß fuͤhren. Hat Jhnen das Jhr Advocat nicht gesagt? Warum haben Sie so viel Kinder, wenn Sie solche nicht ernaͤhren koͤnnen? Meinen Kindern giebt niemand etwas, als was ich verdiene; und was mir gehoͤrt, das lasse ich mir nicht nehmen. Mit einem Wor- te: Sie sind noch fuͤnf Thaler Gerichtsgebuͤhren und baaren Verlag schuldig; und bezahlen Sie die- se binnen acht Tagen nicht: so lasse ich Sie aus- pfaͤnden, oder ich will kein ehrlicher Mann seyn. Jch schwoͤre nicht vergebens, das wissen Sie. Leben Sie wohl. „Jch habe bisher groͤßtentheils nur von der „unmittelbaren Bestechung geredet. Es ist noͤ- „thig, daß ich noch ein Wort von der mittelba- „ren sage, welche einen so großen und wichtigen „Theil von der Historie unsrer Processe ausmacht. „Es gruͤndet sich dieses auf den alten und „wahren Satz, daß eine große Anzahl unsrer „Rich- Satyrische Briefe. „Richter unmuͤndig ist. Sie stehn sehr oft unter „der Vormundschaft ihrer Weiber, oder ihrer „Kinder, oder ihrer Subalternen. Das erste, „was ein vernuͤnftiger Client thun kann, ist dieses, „daß er sich nach dergleichen Umstaͤnden wohl er- „kundiget. Gemeiniglich sind die Weiber der „Richter die erste Jnstanz fuͤr die Partheyen. „Man huͤte sich ja, sie zu uͤbergehen. Jch we- „nigstens bin allemal der Meynung gewesen, daß „es besser sey, den Richter und die Gesetze, als „des Richters Frau, wider sich zu haben. Nach „dem ordentlichen Laufe der Natur hat der Richter „nur in der Richterstube, seine Frau aber im ganzen „Hause, zu befehlen. Der Richter lenkt die Gesetze „nach seinem Gutbefinden, die Frau den Mann „nach ihrem Winke. Ein Richter, er sey auch wie „er wolle, hat doch immer einen gewissen Zwang von „seiner Pflicht und seinem Gewissen: die Frau des „Richters ist durch keine Pflicht gebunden; und „wenn sie sich einmal vornimmt, Recht zu behalten, so „uͤberschreyt sie die Gesetze und alle Rechtsgelehrten. „Was ich hier sage, braucht keinen Beweis, „die Erfahrung lehrt es, und ich will einem jeden, „dem seine gerechte Sache lieb ist, wohlmeynend „rathen, sich nach dieser Erfahrung zu richten. „Besondre Regeln braucht man dabey nicht. Es „gelten hier eben diejenigen, die ich oben wegen der „Richter festgesetzt habe. Man gebe sich Muͤhe, die „herrschenden Leidenschaften der Frau zu erfahren. „So Satyrische Briefe. „So viel herrschende Leidenschaften eine Frau hat, „und man sagt, deren waͤren eine ziemliche An- „zahl: so viel Wege hat man, zu seinem Zwecke zu „gelangen. So viel ist gewiß, mit alten Muͤn- „zen und Gemmis werde ich die Frau eines Rich- „ters nicht verfuͤhren: aber das weiß ich sehr wohl, „daß eine Garnitur Meißnerporcellan, zu seiner „Zeit angebracht, Wunder thut. Ein guter „Freund von mir war durch die Unachtsamkeit sei- „nes Advocaten so ungluͤcklich, daß er seinen Pro- „ceß verlohr. Keine Leuterung, keine Appella- „tion half ihm mehr; er war ganz abgewiesen. „Endlich fand er ganz unvermuthet einen Weg, „sich durch einen reichen Stoff am rechten Orte zu „empfehlen; und da hieß es: Nunmehro aus „den Acten so viel zu befinden ꝛc. „Wer die Kunst recht versteht, den Beyfall „der Frau seines Richters zu gewinnen, der hat „viele Vortheile, die man nicht hat, wenn man „sich nur an den Mann haͤlt. Es macht bey der „Richterinn einen viel staͤrkern Eindruck, wenn ich „nachtheilig von andern Frauenzimmern, und be- „sonders von der Frau meines Gegners rede. Jch „kann es sicher wagen, ihr damit zu schmeicheln, „daß sie ihr weibliches Ansehn uͤber ihren Mann, „und sein Amt behaupte. Jst eine solche Frau „noch uͤber dieses zaͤrtlich; wie viel haben wir ge- „wonnen! Das muß man nicht allemal verlangen, „daß sie schoͤn aussieht. Sieht sie schoͤn aus, desto „besser, Satyrische Briefe. „besser, unser Vortheil ist doppelt. Sieht sie haͤß- „lich aus, wer kann sich helfen; man druͤcke die „Augen fest zu, und verlaͤugne seine Empfindungen. „Wie viel leidet ein Mensch nicht, sein Gluͤck zu „machen! „Weil ich angefangen habe, alle meine Saͤtze „durch Briefe zu erlaͤutern: so will ich es auch „hier thun. Man wird aus einem ieden dieser „Briefe sehen, in welchem Falle er zu gebrauchen „ist; ich habe nicht noͤthig, es daruͤber zu „schreiben.„ Madame, S ie haben voͤllig Recht, die Eitelkeit dieser Frau ist ganz unertraͤglich. Sollte man wohl glau- ben, daß diese Prinzessinn die Frau eines Mannes sey, der mich um sechshundert Thaler ungerechter Weise verklagt, und der so aͤngstlich thun kann, als wenn er mit Weib und Kinde verhungern muͤßte, wenn ihm nicht schleuniges Recht wider mich verschafft wuͤrde? Jch habe mich gestern er- kundiget, wie viel die Elle von den Spitzen koste, mit denen sie sich am Sonntage in Jhrer Gesellschaft so bruͤstete. Wie viel meynen Sie wohl, Mada- me? Sie werden es kaum glauben. Jch bin so gluͤcklich gewesen, noch acht Ellen von dieser Sor- te aufzutreiben. Erlauben Sie mir, daß ich Jhnen Satyrische Briefe. Jhnen damit aufwarten darf. Mich duͤnkt, Ma- dame, sie schicken sich fuͤr Jhren Stand besser, als fuͤr diese Naͤrrinn. Aergert es Sie, daß diese Frau sich anmaßt, eben so kostbare Spitzen zu tra- gen, als Sie tragen, Madame: so vermitteln Sie nur, daß ich meinen Proceß gewinne. Jst das wahr, was mein Klaͤger bey den Acten sagt: so wird ihn sodann die Noth zwingen, die praͤchtigen Spitzen seiner Frau zu verkaufen, um etwas zu haben, wovon er lebt. Jst das aber nicht wahr, was er dem Richter so klaͤglich vorseufzt: so ver- dient der Heuchler, und seine strotzende Frau Jh- re Rache doppelt. Mit einem Worte, Madame, Sie haben itzt diese Familie in Jhren Haͤnden. Sie kennen ihren Bettelstolz; zuͤchtigen Sie ihren Hochmuth, und schaffen Sie dadurch Sich und mir Recht. Von Jhren Haͤnden allein erwarte ich mein Recht, und bin, Madame, u. s. w. Hochzuehrende Frau Amtmanninn, W ird Sie es nun bald gereuen, daß Sie gestern die Parthey von meinem Gegner so eifrig nahmen? Aber vielleicht wissen Sie das noch nicht, was schon die ganze Stadt weiß. Jm Ernste, wissen Sie es noch nicht? Jch will es Jh- nen sagen. Der Mann, welcher nicht einmal so viel Satyrische Briefe. viel Vermoͤgen hat, mir die dreyhundert Thaler zu bezahlen, die ich von ihm aus dem Testamente fodere; der durch den Mangel so weit gebracht ist, daß er sich nicht schaͤmt, mir die Richtigkeit der Foderung zu leugnen; der Mann, der gestern das Gluͤck hatte, von Jhnen bedauert zu werden; dieser Mann hat heute einen Befehl gebracht, daß er den Rang uͤber den Herrn Amtmann haben solle. Sehn Sie, Madame, so bald Sie nun wieder mit seiner Frau in Gesellschaft kommen: so werden Sie Jhren Platz zu nehmen wissen, der Jhnen nach dem Befehle gehoͤrt. Die guten Zeiten sind vorbey, wo die Frau Amtmanninn obenan saß, und alsdann erst Madame. Gewiß, bedauren Sie mich immer ein wenig, ich verliere am meisten dabey. Wird nun der Herr Amtmann wohl noch das Herz haben, mir wider einen Mann Recht zu verschaffen, den die Vorsicht so hoch uͤber ihn und seine Frau erhoben hat? Jch beklage Sie von gan- zem Herzen. Mehr kann ich nicht thun. Bey allen diesen Ungluͤcksfaͤllen, die Sie treffen, bin ich dennoch mit der groͤßten Ehrfurcht, Hochzuehrende Frau Amtmanninn, Jhr gehorsamster Diener. H Gnaͤ- Satyrische Briefe. Gnaͤdige Frau Amtshauptmanninn, E ine Abbitte, und eine Ehrenerklaͤrung ist das wenigste, was ich von Jhnen fodern kann. Koͤnnen Sie mir im Ernste einen so schlechten Ge- schmack zutrauen, daß ich das Gesichte der Kom- merzenraͤthinn fuͤr reizend halten sollte? Die Schmeichleyen, die ich ihr gestern sagte, giengen wenigstens ihr Gesichte nicht an. Koͤnnte ich mir auch so viel Gewalt anthun, sie zu lieben: so muͤß- te es gewiß nur darum geschehen, daß ich mich an ihrem Mann raͤchte, der mich in einen so ver- drießlichen Rechtshandel verwickelt hat. Es ist wahr, die ehrliche Frau verlaͤßt sich auf ihre alten Reizungen so sehr, als ihr guter Mann auf die Gerechtigkeit seiner Sache, die er wider mich aus- zufuͤhren gedenkt; doch will ich hoffen, sie sollen beide verlieren. Dem ungeachtet muß ich geste- hen, die Kommerzenraͤthinn ist eine billige Frau. Sie hat mir gestern ins Ohr gesagt, daß Sie, Gnaͤdige Frau, noch ganz ertraͤglich aussaͤhen, und gesteht, daß Jhre Haͤnde schoͤn sind. Jch kam zugleich auf meinen Proceß zu reden, und that ein wenig stolz auf die Billigkeit meiner Sache. Es kann seyn, sagte sie mit ihrer hohen Mine, aber vielleicht wird sie der Herr Amtshauptmann so gar gerecht nicht finden, wenn ich nur ein- mal Gelegenheit habe, muͤndlich mit ihm davon zu sprechen. Verstehn Sie diese trium- phirende Satyrische Briefe. phirende Sprache, Gnaͤdige Frau Amtshauptman- ninn? Jch will wuͤnschen, daß sie Jhr Gemahl nicht versteht. Unterbrechen Sie diese Cabale. Gewiß eine solche Schoͤnheit, von der vorigen Re- gierung, ist gefaͤhrlich. Jch bitte mir die Erlaub- niß aus, daß ich Jhnen diesen Abend aufwarten, und diejenigen Haͤnde kuͤssen darf, welche das Gluͤck haben, selbst von Jhren Feinden bewundert zu werden. Jch werde in der gebeugten Stellung eines demuͤthigen Clienten gekrochen kommen, wegen meines Rechtshandels Jhren Vorspruch bey Jhrem Gemahl mir auszubitten. Werden Sie wohl, Gnaͤdige Frau, das Herz haben, es mit den hinreissenden Blicken der Frau Kommer- zenraͤthinn anzunehmen, die fuͤr den Herrn Amts- hauptmann desto gefaͤhrlicher seyn muͤssen, da sie schon seit dreyßig Jahren gewohnt sind zu siegen? Jch habe die Ehre zu seyn, Gnaͤdige Frau Amtshauptmanninn, Jhr unterthaͤniger Diener ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ H 2 Mada- Satyrische Briefe. Madame, J ch habe Willens, meinen Nachbar zu verklagen. Von der Billigkeit meiner Klage, und von der Buͤndigkeit meines Beweises bin ich uͤber- zeugt; ich wage es aber doch nicht, ehe und bevor ich weiß, ob es mit Jhrer Zufriedenheit geschieht. Wir wissen es alle, Madame, daß Jhr Mann das Amt hat, Sie aber den Verstand haben, der zu seinem Amte gehoͤrt. Er ist so billig, daß er sich Jhrer Leitung uͤberlaͤßt, und, wie es auch ei- nem gehorsamen Ehemanne gebuͤhrt, nichts thut und ausspricht, als was Sie thun, und zu spre- chen ihm anbefehlen. Stehen Sie meiner Sache bey. Versichern Sie Sich meiner Dankbarkeit, von der das beyliegende Paͤcktchen nichts, als nur eine kleine Probe ist. Geben Sie nur einen Wink, so weiß ich, daß die ganze Richterstube zittert, und Jhr Mann ein beyfaͤlliges Urthel fuͤr mich ab- faßt, noch ehe er meine Klage zu sehen bekoͤmmt. Wie gluͤcklich ist unsre Stadt, Madame, da Sie regierender Stadtrichter sind! Wir bekommen un- ser Gluͤck von Jhnen durch den Mund Jhres Mannes. Der Himmel erhalte diesen noch lange Jahre, damit wir Sie nicht verlieren. Dieses ist, Madame, der aufrichtigste Wunsch Jhres gehor- samen Dieners. Dieses Satyrische Briefe. „Dieses waͤren also einige Formulare, die „man brauchen kann, wenn ein Richter die Ma- „schine der Gerechtigkeit ist, durch welche seine „Frau die Processe der Partheyen nach ihrem „Gutbefinden lenkt. „Jn den Faͤllen, wo ein Richter dieses Di- „rectorium seinen Kindern aufgetragen hat, ver- „faͤhrt man auf eben diese Weise. Jst die Toch- „ter an der Regierung; desto besser! Jch bin in „einem Hause bekannt, wo die Tochter die Amts- „stube, und der Vater die Kuͤche besorgt; wo der „Vater von den gangbaren Rechtshaͤndeln, und „den bey dem Amte vorfallenden Sachen nicht „die mindeste Kenntniß, und die Tochter eben so „wenig Erfahrung von der Kuͤche hat; wo der Va- „ter uͤber der Mahlzeit entweder gar nichts spricht, „oder es doch nur zu entschuldigen sucht, daß das „Essen versalzen ist, die Tochter aber den Gaͤsten „erzaͤhlt, was sie seit fuͤnf Jahren in ihrem Amte „fuͤr casus in terminis erlebt hat. Mit einem „Worte, die guͤtige Natur hat der Tochter den „Verstand in ziemlich reichem Maaße gegeben, den „sie, gewiß aus weisen Ursachen, dem Vater ent- „zogen. Alles dieses desto besser zu erlaͤutern, „will ich ein paar Briefe einruͤcken, die ich vor ei- „niger Zeit an den Vater, und an die Tochter „geschrieben habe. H 3 Hoch- Satyrische Briefe. Hochedelgebohrner Herr, Hochzuehrender Herr Amtmann, A uf dero geehrtestes vom sechzehnten dieses ha- be die Ehre Jhnen zu melden, daß wir heuer bey uns eben so schlechte Eichelmast haben, und was das schlimmste ist, so sagt man, daß an vie- len Orten die Braͤune unter die Sauen gekommen sey. Die Butter will noch nicht wohlfeil wer- den; sieben Groschen ist der genauste Preis. Flachs die Menge! Der Stein aufs hoͤchste zween Thaler. Mit dem Unschlit lassen Sie es immer noch anstehen. Es ist itzt in keinem Werthe. Jch kann es Ew. Hochedelgeb. wohl glauben, daß Sie vielen Verdruß mit den Maͤgden haben. Es ist leider bey uns nicht viel besser; das machen die wohlfeilen Zeiten! Spindeln habe ich Jhnen aus dem Gebirge verschrieben, und ich hoffe Sie itzt besser zu verwahren, als das letztemal. Eine gu- te Freundinn von mir moͤchte auf Weihnachten gern eine gesunde und gute Amme haben; wollten Ew. Hochedelgeb. nicht so guͤtig seyn, und uns eine vorschlagen. Die Frau Obristlieutenantinn ist mit der, die Sie ihr geschickt haben, ganz unge- mein wohl zufrieden. Sie machen Jhnen mich dadurch sehr verbindlich, und koͤnnen gewiß glau- Satyrische Briefe. glauben, daß ich mit der groͤßten Hochachtung sey, Hochedelgebohrner Herr, Hochzuehrender Herr Amtmann, u. s. w. N. S. Jnnliegenden Brief bitte unverzuͤglich an die Mademoiselle Tochter zu uͤbergeben; er betrifft Fatalia! Mademoiselle, N ur dieses einzigemal haben Sie noch die Guͤ- tigkeit und nehmen meine Appellation an. Jch kann mir itzt nicht anders helfen, und Sie haben die geringste Verantwortung nicht dabey, da die letzte rejection sine clausula geschehn. Wie es mit dem Urtheil in Sachen N. contra N. zu- gegangen sey, kann ich gar nicht begreifen. Salvo honore sententionantium ist sehr elend gespro- chen. Es zeigt von Jhrer Unpartheylichkeit, und guten Erfahrung, daß Sie die Leuterung ohne Schwierigkeit zugelassen haben. Zween von der hiesigen Bande haben die Tortur gluͤcklich ausge- standen, der dritte hat bekannt. Sollten Sie Sich H 4 es Satyrische Briefe. es wohl so naͤrrisch traͤumen lassen, daß kein No- tarius bey der peinlichen Frage adhibirt worden ist. Hier sende ich Jhnen die drey constitutiones ineditas, welche sie verlangt. Der zweyte Theil vom Bauernrechte ist schon lange aus der Presse; wissen Sie das noch nicht? Aus dem Oberhofge- richte werden Sie wieder eine Jnhibition kriegen. Lassen Sie es immer einmal drauf ankommen. Ueber beykommende Sportuln bitte mir bey Ge- legenheit Quittung aus. Wir haben noch keinen Ordinarium. Befehlen Sie, daß ich weiter aufs juristische Orakel praͤnumeriren soll? Die Sache wegen des Abzugsgeldes ist wohl gar ins Verges- sen gekommen. Lassen Sie doch noch einmal in Jhrem Archive nachsuchen, ob sich von den bewuß- ten Lehnbriefen gar nichts findet. Jch habe die Ehre zu seyn, Mademoiselle, der Jhrige. N. S. Haben Sie die Guͤtigkeit, und befeh- len dem Papa, daß er den gebirgischen Mann wegen der Butter befriedigt. Jch habe den Verdruß und den Anlauf von den Leuten, und weiß bald nicht mehr, wie ich sie bey der Geduld erhalten soll. „Jn Satyrische Briefe. „Jn denjenigen Gerichtsstuben, wo die De- „mokratie eingefuͤhrt ist, und wo ein Jeder, von „dem Thuͤrsteher an bis zu dem Richter, sein „Votum hat; da ist fuͤr die Partheyen allerdings „eine sehr kostbare Gerechtigkeit. Es gehoͤrt Ge- „duld und Geld dazu, wer hier zu seinem End- „zwecke kommen will. Ein Jeder will an den „Partheyen saugen. Bey solchen Gelegenheiten „muß man es machen, wie Taubmann, dem der „Fuͤrstliche Hof verbothen war, und zwar unter „der Bedrohung, daß man ihn mit Hunden hin- „aus hetzen wuͤrde. Er wagte es doch, er ließ „fuͤr jeden Hund, der ihn anfiel, einen Hasen „laufen, und kam endlich durch diese List zum Fuͤr- „sten, wo er die Sache erlangte, die er wuͤnschte. „Es ist also hier nichts zu thun, als daß man sich „in die Zeit, und in den Ort schickt. Wenn der „gut faͤhrt, der gut schmiert, wie der gemeine „Mann spricht: wie gut muß der fahren, der „so viele schmiert! Besondre Regeln, wie man „sich in diesem Falle zu verhalten habe, lassen sich „nicht geben. Die Hauptregeln sind schon im „vorhergehenden von mir angefuͤhrt worden, und „diese beobachtet man auch in dem gegenwaͤrti- „gen Falle. „Dieses waͤren also die wichtigsten Vorschrif- „ten von der Kunst zu bestechen. Jch mag „nicht weitlaͤuftiger seyn, da ich weiter nichts H 5 habe Satyrische Briefe. „habe thun wollen, als einen Versuch liefern. „Ueberhaupt ist das Werk so wichtig, und von „einem so weiten Umfange, daß ich nicht im Stan- „de bin, es allein zu uͤbersehn. Es wuͤrde mir „lieb, und dem gemeinen Wesen sehr vortheilhaft „seyn, wenn man in allen Gerichtsstuben diese we- „nige Bogen wollte durchschiessen, und von Zeit zu „Zeit die besondern Arten nachtragen lassen, deren „sich vorsichtige Partheyen bedienen, ihre Richter „und Commissarien zu gewinnen. Die Faͤlle, „welche etwan kuͤnftig bey meinem Amte noch vor- „kommen sollten, will ich sehr sorgfaͤltig aufzeichnen. „Wir wollen mit vereinten Kraͤften uns bemuͤhen, „den streitenden Partheyen einen sichrern Weg „zu weisen, als ihnen die ungewissen Gesetze zei- „gen. Bringen wir auf diese Art eine vollstaͤndi- „ge Sammlung zu Stande: so wird sie, wie mich „deucht, mehr, als andre praktische Buͤcher, den „Namen eines Hodogetæ forensis verdienen. „An dieses Werk soll sodann noch ein Anhang „kommen, von der Kunst sich bestechen zu las- sen. Der Plan ist ungefaͤhr dieser: „Das erste Capitel handelt von der Nothwen- „digkeit zu bestechen. Hier wird dasjenige kurz „wiederholt, was ich auf den vorhergehenden „Blaͤttern gesagt habe. „Das Satyrische Briefe. „Das zweyte Capitel handelt von der Billig- „keit, sich bestechen zu lassen. Jch zeige dieselbe „aus dem Rechte der Natur, und fange den Be- „weis von dem suum cuique an. „Das dritte Capitel erlaͤutert dieses aus den „geistlichen und weltlichen Rechten noch mehr. „Jm vierten Capitel fuͤhre ich die besondern „Verfassungen jedes Landes, und „im fuͤnften die geheimen Statuta jedes Amts „und jeder Expedition an. Dieses Capitel ist das „staͤrkste; aber auch das nuͤtzlichste. „Das sechste Capitel handelt eine Controvers „uͤber das Gewissen ab. Dieses Capitel ist eins der „gelehrtesten, weil ich alle nur moͤgliche Antiqui- „taͤten vom Gewissen zusammen getragen habe. „Das siebente Capitel liefert Recepte wider „das Gewissen. „ Nota! Dieses Capitel ist fuͤr alle Staͤnde. „Jch werde mir Muͤhe geben, im achten Ca- „pitel zu zeigen, daß ein Richter schuldig sey, den „Partheyen es leicht zu machen, wenn sie unge- „wiß sind, wie sie es mit Anstand unternehmen „sollen, ihn zu bestechen. Dieses ist ein Con- „sectarium aus dem zweyten Capitel. „Die Satyrische Briefe. „Die letzten sechs Capitel handeln von den Cau- „telen, welche die Richter zu beobachten haben, „wenn sie sich auf eine vortheilhafte Art wollen be- „stechen lassen. Eine der vornehmsten Cautelen „ist diese: Der Richter muß sproͤde thun. Jch „habe diesen Ausdruck von der Coqvetterie ent- „lehnt. Ein Maͤdchen von einem zweydeutigen „Charakter wird ihren Beruf weit gluͤcklicher trei- „ben koͤnnen, wenn sie sich das Ansehen eines tu- „gendhaften und eingezognen Frauenzimmers er- „halten kann. Dergleichen Ausschweifungen, „wenn sie mit Vorsicht geschehn, sind allemal ein- „traͤglicher, und das Publicum bleibt in einer Art „der Ungewißheit, die dem guten Namen des „Maͤdchens sehr vortheilhaft ist. Sie wird, ohne „mein Erinnern, ihre Ernsthaftigkeit so zu maͤßi- „gen wissen, daß sie von dem Wilden und Rauhen „unterschieden bleibt, wodurch die Jugend, und „ihre Freunde zu sehr abgeschreckt werden koͤnnten. „Auf eben diese Art muß sich ein Richter ge- „berden. Er muß es einem aufmerksamen Clien- „ten errathen lassen, daß er gegen Geschenke nicht „unempfindlich sey; und dennoch muß er den Cli- „enten in einer gewissen Art der Ehrfurcht zu er- „halten wissen, daß dieser glaubt, er sey der ein- „zige, dem es gegluͤckt habe, ihn zu bestechen. „Man glaubt nicht, wie sehr dieses den Preis der „Geschenke erhoͤht. Die Partheyen opfern noch „einmal so viel, um durch den ansehnlichen Werth „des Geschenks die Verwegenheit einigermaßen zu Satyrische Briefe. „zu entschuldigen, die sie unternehmen, einen so „unpartheyischen und gerechten Mann zu blenden. „Ein Richter, welcher sich seine Leidenschaften zu „sehr merken laͤßt, welcher die Gerechtigkeit dem „ersten dem besten, der darauf bietet, fuͤr ein gerin- „ges Geld zuschlaͤgt; ein solcher Richter ist selbst „Ursache, wenn der Werth seiner Waare faͤllt. „Ordentlicher Weise bekoͤmmt man fuͤr ein Dutzend „Dukaten so gar viel Gerechtigkeit eben nicht: wie „kann es nun ein solcher Mann bey seinen Colle- „gen, und bey den Nachkommen verantworten, „wenn ihm schon von einem einzigen Dukaten Hoͤ- „ren und Sehen vergeht? „Mit dieser Regel ist noch eine andre sehr ge- „nau verwandt, welche befiehlt, daß man von den „Armen nichts, von den Reichen desto mehr neh- „men soll. Sie folgt aus eben dem Grundsatze, aus „welchem ich die vorhergehende hergeleitet habe, „und hat ausserdem noch einen doppelten Nutzen. „Dadurch, daß ich dem Armen die nichtswurdigen „Kleinigkeiten, so er mir anbietet, mit einer freund- „lichen und mitleidigen Mine wieder zuruͤck gebe, „erheichle ich mir den Ruhm eines frommen Rich- „ters. Den elenden Gulden, den ich dem armen „und nothduͤrftigen Clienten zuruͤck gebe, traͤgt „er mit Thraͤnen und Freuden nach Hause, er wird „nicht ruhen, bis die ganze Nachbarschaft unsre „Großmuth erfaͤhrt, und gewinnt er auch nun- „mehr seinen Proceß nicht, wie er ihn natuͤrlicher „Weise nicht gewinnen kann, da er ein Armer ist: so Satyrische Briefe. „so wird er dennoch die Schuld seinem Richter „nicht beymessen, diesem frommen und unparthey- „ischen Manne, welcher aus großer Liebe zur Ge- „rechtigkeit nicht einmal einen Gulden hat anneh- „men wollen! „Ausser diesem Geruche der Heiligkeit, den ich „mir bey tausend andern Faͤllen wohl zu Nutze „machen kann, habe ich auch diesen Vortheil, daß „der Reiche, wenn er von dem Armen meine Groß- „muth erfaͤhrt, seine Geschenke desto wichtiger „einrichten muß, wenn er nicht Gefahr laufen will, „auch abgewiesen zu werden. Nach den Regeln „der Proportion faͤllt es dem armen Bauer weit „schwerer, eine alte duͤrre Henne zu schenken, als „es seinem Edelmanne faͤllt, den ich durch meine „geruͤhmte Unpartheylichkeit noͤthige, mir den be- „sten gemaͤsteten Truthahn aufzuopfern. Da der „Arme so viel verliert, wenn er auch wenig schenkt: „so ist es ihm zu gute zu halten, wenn er seinem „kleinen Geschenke einen großen Werth beylegt, „und viel Gerechtigkeit dafuͤr verlangt. Erlangt „er diese nicht, so glaubt er, berechtigt zu seyn, „es dem ganzen Dorfe zu klagen, wie himmel- „schreyend sein Richter verfaͤhrt, den er, nach sei- „ner Sprache zu reden, nicht satt und gerecht ma- „chen koͤnnen, ob er ihm schon das Brod in den „Rachen gesteckt, welches er seinen armen Kindern „vom Tische genommen. Ein Reicher hingegen, „wenn er auch durch seine Geschenke den Endzweck „nicht Satyrische Briefe. „nicht erhaͤlt, wird dennoch entweder so billig, „oder so vorsichtig seyn, und die Mittel verschwei- „gen, die er angewendet hat, sein Recht zu behaup- „ten. Diesen Satz habe ich in der Abhandlung „selbst sehr weitlaͤuftig ausgefuͤhrt, da wider ihn „in den meisten Kuͤchen der Richter so groͤblich ver- „stoßen wird. „Ein Richter hat sich wohl vorzusehn, daß er „von denjenigen kein Geschenke nimmt, welche mit „seinen Obern und Vorgesetzten in einiger Verbind- „lichkeit, oder Verwandschaft stehen. Thut er „es dennoch, und ist er dabey nicht vorsichtig gnug, „so ist er auf einmal, ohne Rettung, verlohren; „huͤtet er sich aber, und zeigt er denjenigen, der „ihn bestechen will, einen gerechten Abscheu vor ei- „ner solchen Handlung: so gewinnt er dadurch dop- „pelt so viel, als er dem aͤusserlichen Ansehen nach „durch die Abweisung dergleichen Geschenke ver- „liert. Diese Cautel hat mir Gelegenheit gegeben, „dem Richter sehr weitlaͤuftige Regeln wegen der „Sorgfalt vorzuschreiben, mit welcher er sich gleich „beym Anfange des Processes erkundigen muͤsse, „ob eine der Partheyen auf diese oder jene Art „mit einem von seinen Obern, oder mit denen, die „er sonst zu fuͤrchten hat, in einiger Verbindlich- „keit stehe. Jch habe gewiesen, daß ein Richter „schuldig sey, dieses zu thun, ehe er noch die Kla- „ge liest. Denn in diesen Faͤllen wird die Ge- „rechtigkeit der Sache nicht durch die Beweise der „Par- Satyrische Briefe. „Partheyen entschieden, sondern durch die Actien, „die der eine oder der andre von ihnen bey unsern „Obern hat. Damit ich nicht das geringste ver- „absaͤume, wodurch dem gemeinen Wesen gehol- „fen werden koͤnne: so zeige ich in meiner Abhand- „lung, wie man diese Verbindungen der Parthey- „en durch die gewoͤhnlichen Stammbaͤume ausfindig „machen kann. Jch zeige auch, wie man die „Grade zaͤhlen muß, welches von der gewoͤhnlichen „Art ganz abgeht, weil durch diese Art der Stamm- „baͤume nicht so wohl die Verwandtschaften, als „die politischen Verbindungen der Partheyen mit „den Obern ausfindig gemacht werden sollen. Es „sind in diesem Capitel viele Aufgaben, welche den „Verstand eines jungen Richters uͤben koͤnnen, wenn „er sich die Muͤhe geben will, die Stammbaͤume „daraus zu verfertigen. Die Faͤlle, von denen „ich daselbst rede, habe ich aus solchen Acten ge- „nommen, welche vor den ansehnlichsten Richter- „stuben, und Commissionen ergangen sind. Da- „mit ich den Lesern einen hohen Begriff von der „Wichtigkeit meines Vorschlags beybringe: so will „ich ihnen nur eine von so vielen Aufgaben erzaͤh- „len, die ich angefuͤhrt habe. Es ist folgend. Ca- „jus klagt wider den Sempronius aus einem Te- „stamente, wegen eines Vermaͤchtnisses von fuͤnf- „hundert Thalern. Das Testament hat seine „Richtigkeit. Sempronius raͤumt es selbst ein; „es ist ihm durch wiederholte Urthel auferlegt wor- „den, die fuͤnfhundert Thaler zu bezahlen; alle Appella- Satyrische Briefe. „Appellationen, die er eingewendet hat, sind reji- „cirt, und er ist so weit getrieben, daß bereits der „Termin zur Huͤlfe anberaumt worden. Was „soll Sempronius thun? Soll er bezahlen? Die „Gesetze, die Urthel, die Billigkeit wollen es ha- „ben. Kleinigkeiten! Er hat einen Advocaten, „der Gesetze, und Urthel, und Billigkeit uͤbersieht. „Er bezahlt nicht, und findet einen Weg, daß zu „nochmaliger Untersuchung dieser Sache eine be- „sondre Eommission niedergesetzt wird. Der „neue Commissar, ein Mann von Erfahrung, „wirft die Acten bey Seite, und untersucht, in „was fuͤr einer Verbindung Sempronius mit dem- „jenigen steht, der sein Obrer und Maͤcenat ist. „Er findet die Verbindung also: Sempronius hat „einen Bruder, Titius; die Frau des Titius, Cal- „purnia, hat eine Schwester, deren Mann, Ca- „jus, seinen juͤngsten Sohn, Laͤlius, zum Schrei- „ben und Rechnen angehalten, und so weit gebracht, „daß er in einer gewissen Herrschaft Kornschrei- „ber geworden, und vor drey Wochen die Tibur- „tia, ein Maͤdchen geheirathet hat, das Jhro Ex- „cellenz, der Obre und Maͤcenat des neuerwehl- „ten Commissars, fuͤnf Jahre lang, als ein schoͤnes „und artiges Maͤdchen gefunden hat, und noch al- „so findet. Aus diesem allen fertigt der Commis- „sar seinen Stammbaum, und weil er das nur vor „kurzen verheirathete Maͤdchen als ein documen- „tum noviter repertum billig ansieht: so wird „das bisherige Verfahren aufgehoben, und Klaͤ- J ger, Satyrische Briefe. „ger, Cajus, genoͤthigt, sich mit dem Sempro- „nius zu vergleichen, so gut er kann. Jch bitte „diejenigen von meinen jungen Lesern, welche „sich kuͤnftig als Priester der Gerechtigkeit „wollen einweihen lassen, daß sie die Muͤhe sich „nicht dauern lassen, die Verbindungen dieser „Aufgabe in einen Stammbaum zu bringen. „Jn Sachen von Wichtigkeit, wie diese ist, „kann man nicht zeitig gnug anfangen, sich „zu uͤben. „Bey der Anweisung von der Kunst sich „bestechen zu lassen habe ich endlich auch diese „Regel wiederholt: Ein Richter darf es nicht „gar zu sehr auf die Großmuth seiner Par- „theyen ankommen lassen, und nicht verstatten, „daß ihm die Geschenke nur von ferne gewie- „sen werden. Accipe, dum dolet! Die Er- „kenntlichkeit, die die Partheyen alsdann erst „leisten wollen, wenn der Proceß zu Ende ist, „gehoͤren zu den leeren und unnuͤtzen Compli- „menten. Sie bedeuten nichts mehr, als „das bekannte: Mein Herr, wir wollen se- „hen! welches uns die Großen in ihren Vor- „zimmern machen, wenn wir von ihnen etwas „bitten, das sie uns nicht gewaͤhren wollen. „Ein Client, der in Angst ist, seinen Proceß „zu verlieren, thut in dieser Noth eben so „große, und eben so vergebne Geluͤbde, als „derjenige that, der waͤhrenden Sturms dem großen Satyrische Briefe. „großen Christoph die Wachskerze versprach. „Jch zeige hier, wie alsdann ein Richter den „zaudernden Partheyen es so nahe legen koͤn- „ne, daß sie nicht einen Augenblick anstehen, „ihn zu versoͤhnen. Es giebt mir dieser Um- „stand Gelegenheit, die ganze Abhandlung von „der Kunst sich bestechen zu lassen mit den „bekannten Versen zu schließen: Dum processus ventilatur, dum aegro- tus aegrotatur, Studeas accipere. Nam processu ventilato, et aegroto releuato, Nemo curat soluere! J 2 Jch Satyrische Briefe. „ J ch habe in den Schriften des Plato eine „Stelle gefunden, die mich sehr aufmerk- „sam gemacht hat. Jn der Abhandlung „von der Einrichtung seiner neuen Republik ist er „sehr weitlaͤuftig, wenn er auf die Fehler des Ma- „gistrats zu reden koͤmmt. Bey dieser Gelegen- „heit fuͤhrt er ein attisches Spruͤchwort an, wel- „ches ungefaͤhr so viel sagt, daß einige Raths- „herren in Athen zum Nutzen, andre aber „nur zur Zierde des Vaterlandes zu dieser „Ehrenstelle erhoben worden Τους μεν φασι ἐργῳ ὠφελουντας, τους δε δια το σεμνυνεϑαι ‒ ‒ κοσμον παρεχοντας. Plato. Rep. l. 2. p. m. 413. . Jch habe die- „sen Gedanken ganz neu gefunden; und ich wun- „dre mich, daß seit so viel Jahrhunderten nie- „mand darauf gefallen ist, durch den Ausspruch „eines so weisen Mannes den verjaͤhrten Eigen- „sinn zu besiegen, der sich noch in allen Staͤdten „durchgaͤngig behauptet, und der verhindert, daß „niemand in den Rath kommen kann, als wer die „Geschicklichkeit und den Willen hat, dem Vater- „lande zu nuͤtzen. Wie viele wohlgebildete Kin- „der der Stadt, denen es am Verstande fehlt, „wuͤrden Brod haben, wenn man wenigstens ei- „ne gewisse Anzahl aufnaͤhme, welche nur zur „Zierde des Vaterlandes ernaͤhrt wuͤrden. Man „koͤnn- Satyrische Briefe. „koͤnnte diesen Gedanken noch weiter ausfuͤhren, „und zum Besten einer jeden Republik allgemeiner „machen, wenn man einige zum Nutzen, einige „zur Zierde, einige sowohl zum Nutzen als zur „Zierde, und endlich noch andre in derglei- „chen Aemter aufnaͤhme, welche weder zum Nu- „tzen noch zur Zierde des Vaterlandes gereichten. „So widersinnig dieses letztere klingt; so groß „wuͤrde doch der Nutzen seyn, den man davon zu „erwarten haͤtte. Dergleichen Maͤnner sind in „Aemtern so unentbehrlich, als der Schatten im „Gemaͤlde. Ein Mann, der zum Nutzen des „Vaterlandes dienet, wuͤrde weniger in die Au- „gen fallen, wenn nicht ein College neben ihm saͤße, „der nicht zum Nutzen, sondern bloß zur Zierde „des Vaterlandes geschaffen waͤre. Und dieser „wuͤrde sehr unbemerkt da sitzen, wenn es nicht „noch andre gaͤbe, die weder zum Nutzen, noch zur „Zierde des Vaterlandes gereichten. Dadurch, „daß man bisher niemanden das Ansehen eines „Vaters der Stadt hat zugestehen wollen, als „nur demjenigen, der sowohl zum Nutzen als zur „Zierde des Vaterlandes geschickt ist, durch dieses „Vorurtheil ist es gekommen, daß man so viel „Muͤhe hat, die erledigten Stellen zu besetzen. „Oft sind sie zum unersetzlichen Schaden des ge- „meinen Wesens wegen Mangel geschickter Candi- „daten lange Zeit und wohl ganz und gar unbe- „setzt geblieben; oft hat man seine Zuflucht zu ei- „ner einzigen erleuchteten Familie nehmen, und J 3 durch Satyrische Briefe. „durch Vater und Sohn und Enkel, und Schwie- „gersohn die Gerechtigkeit muͤssen verwalten las- „sen, welche gar leicht zu einer Familiengerechtig- „keit haͤtte werden koͤnnen, wenn wir nicht in den „gluͤcklichen Zeiten lebten, wo die Gesetze mehr „gelten, als eigennuͤtzige Absichten. „Jch wollte, daß ich Gelegenheit geben „koͤnnte, diesen Unbequemlichkeiten abzuhel- „fen. Die Nahrung wuͤrde allgemeiner „seyn; die Aemter wuͤrden viel leichter besetzt, „und viel lustiger verwaltet werden. Ein jeder „wuͤrde in den Stand kommen, dem Vaterlande „zu dienen, wo nicht mit dem Verstande, doch „mit einem wohlgewachsnen Koͤrper, und wo „auch mit diesem nicht, doch wenigstens mit sei- „nem Daseyn. „Jch sollte hoffen, daß meine patriotischen „Vorstellungen einigen Eindruck machen wuͤrden; „aber ich weiß auch leider, wie schwer es haͤlt, ein- „gewurzelte Vorurtheile auszurotten. Vielleicht „giebt man sich nach und nach; vielleicht erleben „unsre Kinder dasjenige, was uns itzt unmoͤg- „lich scheint. „Es versteht sich von sich selbst, daß ich fuͤr „die Nachwelt schreibe. Dieses hat mich bewo- „gen, ein Formular zu entwerfen, wie etwan „in kuͤnftigen, vielleicht sehr spaͤten Zeiten, ein „junger Mensch es anfangen soll, wenn er einen „inner- Satyrische Briefe. „innerlichen Beruf empfindet, zur Zierde des Va- „terlandes ein Rathsherr zu werden. Diejeni- „gen, welche an einer so problematischen Sache, „und an den Sitten der Nachwelt keinen Antheil „nehmen, koͤnnen dieses Formular sicher uͤber- „schlagen, ohne etwas dabey zu verlieren. Die „folgenden zween Briefe sind schon etwas wichti- „ger, und mehr praktisch. Madame, J ch habe das Gluͤck, Jhr Pathe zu seyn. Die- ses giebt mir ein Recht, auf alle diejenigen Aemter Anspruch zu machen, welche durch die Hand Jhres Mannes vergeben werden. Die nur unlaͤngst eroͤffnete Rathsstelle erinnert mich an dieses Vorrecht. Sie wissen, Madame, wie vorsichtig und zaͤrtlich meine Aeltern mich iederzeit erzogen haben. Jhre Sorge, mich durch eine poͤbelmaͤßige Strenge und einen unzeitigen Fleiß zu fruͤh niederzudruͤcken, und zu dem Amte, das ich itzt suche, ungeschickt zu machen, diese liebrei- che Vorsorge meiner Aeltern hat mich in den Stand gesetzt, daß ich itzt bey einem gesunden, wohlgebauten, und gut genaͤhrten Koͤrper das Vermoͤgen, welches ich geerbt, ruhig genies- sen, und die kleinen Spoͤttereyen der Pedan- ten uͤber den Mangel der Gelehrsamkeit und des Verstandes gelassen uͤbersehen kann. Jch weiß, Madame, und Sie wissen es noch J 4 besser Satyrische Briefe. besser, als ich, daß der Mangel dieser beiden Kleinigkeiten mich nicht unfaͤhig macht, dem Amte, das ich suche, wuͤrdig vorzustehen. Zwe- en unter uns koͤnnen allemal Verstand und Ge- lehrsamkeit sicher entbehren, wenn nur der drit- te zugleich in unserm Namen verstaͤndig, ge- lehrt, und fleißig ist. Man hat mich versi- chert, daß dieses Verhaͤltniß fast in allen Aem- tern gemein sey. Jch hoffe, man wird in unsrer Stadt von den Sitten unsrer Vor- fahren, und den allgemeinen Gewohnheiten nicht abgehn. Glauben Sie, Madame, es ist fuͤr die Stadt allemal vortraͤglicher, wenn ihre Vaͤ- ter weniger gelehrt, und besser gebaut sind. Das Ansehen eines starken Koͤrpers bringt beym Volke eine Hochachtung zu wege, die derjenige, welcher zwar verstaͤndig und gelehrt, aber so wohl nicht gewachsen ist, nur selten erlangt. Durch Ansehen und Hochachtung aber wird das Volk regiert, und die Gerechtigkeit ge- handhabt. Es giebt gewisse Faͤlle, wo der Rath paradiren muß, und wo man durch ei- ne Garnitur wohlgewachsner Rathsherren mehr Beyfall und Vortheil erlangt, als durch den pedantischen Troß derjenigen, die incognito, und zugleich fuͤr uns, verstaͤndig und fleißig seyn muͤssen. Dieses sind die Faͤlle, Madame, wo ich hoffe, meinem Vaterlande dienen zu koͤnnen, und wo ich vor Eifer brenne, es zu thun. Jch will meinen Stuhl wohl fuͤllen, und Satyrische Briefe. und meinem Amte Zierde machen. Verlassen Sie Sich darauf. Machen Sie mich, und zugleich mein Vaterland gluͤcklich. Verschaffen Sie mir ein Amt, fuͤr das ich gebohren und erzogen bin. Es kostet Sie nur ein Wort, so erlange ich meinen Wunsch. Dieses eine Wort werden Sie mir doch nicht versagen, Mada- me? Sie thun es nicht, ich weiß es gewiß, und meine einzige Sorge ist diese, wie ich Jh- nen sodann fuͤr Jhre Bemuͤhung meine Erge- benheit lebhaft gnug bezeigen will. Jch bin mit der tiefsten Hochachtung ꝛc. J 5 Weil Satyrische Briefe. „ W eil ich einmal auf dem Wege bin, meine „Belesenheit in den Schriften der alten „Griechen blicken zu lassen: so will ich „nachstehende zween Briefe des Alciphrons ein- „ruͤcken. Alciphr. libr. 1. Ep. 11. 12. p. m. 23. „Um sie unsern Zeiten aͤhnlicher zu machen, so „habe ich sie nach Art der neuern Franzosen, und „besonders des Herrn Prevot, so frey uͤbersetzt, „daß sie dem Originale fast gar nicht mehr aͤhnlich „sind. Die Gewaltthaͤtigkeit, die man auf diese „Art an den Schriften andrer ausuͤbt, wuͤrde oh- „ne das entscheidende Beyspiel der witzigen Fran- „zosen etwas unverantwortliches seyn. Jch be- „halte mir vor, den Nutzen davon bey einer andern „Gelegenheit zu zeigen; itzt muß ich nur so viel er- „innern, daß ich mich bey dieser Freyheit unge- „mein wohl, und bequem befunden habe. „Da ich diese Erklaͤrung vorgesetzt habe, so „will ich hoffen, daß ich gegen die voreilige Weis- „heit eines eigensinnigen Kunstrichters gesichert seyn „werde. Jch werde mir die Muͤhe nicht geben, es „zu beantworten, wenn man mir vorwirft, daß es „unter den Griechen Maͤnner gegeben haͤtte, wel- „che mit der ganzen Welt zu frieden gewesen waͤ- J 5 ren, Satyrische Briefe. „ren, wenn sie Knaster und Bier gehabt haͤt- „ten. Jch wuͤrde es sehr leicht von Wort zu „Wort haben uͤbersetzen koͤnnen; es wuͤrde aber „unsern Zeiten unverstaͤndlich geworden seyn Ὁτε καρδαμον ἐχει και ξυϑον, προςγελων ἁπασι, την παρ᾽ ἑαυτω ἀφϑονιαν τω τροπω δηλων. Alciphr. l. all. . „Wenn mir nicht Mathanasius zuvor gekommen „ist, so bin ich vielleicht der erste, der entdeckt „hat, daß schon bey den Griechen die kleinen pos- „sirlichen Figuren gebraͤuchlich gewesen, die man „auf den Camin setzt, und Bagoden nennt Ὡςπερ τα προσωπα τα κωφα, ἁ ἐπι ταις καμινοις ἱςαμενα ὁρωμεν, προσφιλως ἐπινευον- τες. Alciphr. l. all. . „Ein Beweis, daß dieser Geschmack so gothisch „nicht ist, als man wohl glauben sollte. Ariste- „naͤt braucht eben dieses Wort in einem Briefe „an den Libanius, wenn er von einem stummen „Rathsherrn in Constantinopel redet, der sich bey „seiner Bequemlichkeit alles gefallen ließ, was „man in Vorschlag brachte, und den das ge- „meine Volk um deswillen nur den Jaherrn „nennte Να ι νδρα και ἐπινευτικον. Aristenaet. l. 2. ep. 7. p. m. 74. . Die Anmerkung wird uͤberfluͤssig „seyn, daß es bereits bey den Griechen Wei- „ber gegeben habe, die ihren Maͤnnern das Le- „ben sauer gemacht. Unser Text sagt es mit Satyrische Briefe. „mit klaren Worten; aber es sagen es noch mehr „Texte. Ob ich das Wort: fauler Schlingel: „recht uͤbersetzt habe, will ich von Kennern entschei- „den lassen Γαςηρ ἀργος. conf. Liban. Ep. 493. p. m. 248. . Bey dem zweyten Briefe werden „die Kunstrichter sehr stutzen, wenn sie hoͤren, daß „es in Athen zwoͤlfe geschlagen hat. Der Hahn „kraͤht schon, wuͤrden sie gesagt haben; aber sie „wuͤrden nicht verstanden worden seyn. „Wie leicht ist es doch, gelehrt zu schreiben! „Jch war Willens, nur ein Wort zu meiner Ver- „theidigung zu sagen, und habe eine ganze Seite „voll kritischer Weisheit hingeschrieben. Der „Himmel weiß, wie viel Gewalt ich mir anthun „muß, nicht so gelehrt zu seyn, um meinen Lesern „nicht unertraͤglich zu werden. Was ich gesagt „habe, ist gnug meine Uebersetzung zu retten.„ Herr Buͤrgemeister, E ndlich habe ich einen Mann gefunden, der recht nach Jhres Herzens Wunsche ist. Sie koͤnnen die erledigte Rathsherrnstelle nicht besser besetzen, als mit ihm. Er koͤmmt den ganzen Sommer nicht von seinem Weinberge, und den Winter hindurch nicht vom Camine. Ein Mann, der, wenn er Knaster und Bier hat, mit der ganzen Welt zu- frieden Satyrische Briefe frieden ist! Aus diesem Manne koͤnnen Sie machen, was Sie wollen. Er hilft Jhnen dasitzen, wenn Sie es verlangen, und Sie koͤnnen ihn so heftig begegnen, als Sie wollen, Sie beleidigen ihn ge- wiß nicht. Jch bin Buͤrge fuͤr ihn, daß er Jh- nen niemals widersprechen soll. Zu mehrer Sicher- heit giebt er Jhnen einen Revers daruͤber. Mu- then Sie ihm nur nicht zu, daß er viel reden darf; widersprechen wird er wenigstens nicht. Auf sein Votum koͤnnen Sie sichern Staat machen. Er ist wie die Bagoden von Thon, die man auf den Camin setzt, und die laͤnger als eine Viertelstunde mit dem Kopfe nicken, wenn man nur ein wenig mit dem Finger daran ruͤhrt. Jch empfehle ihn bestens, und bitte mir bald Antwort aus. Er ver- dient Jhr Wohlwollen. Lesen Sie nur seinen Brief, den er an mich geschrieben hat. Koͤnnen Sie Sich einen bessern Collegen wuͤnschen? Vor seiner Frau fuͤrchten Sie Sich nicht. Sie hat ei- nen naͤrrischen Kopf, aber nur fuͤr den Mann; ausserdem ist sie zahm, und sehr gefaͤllig. Jch kenne sie. Es ist ihr nur um den Rang zu thun. Hat sie den erlangt, so wird sie gewiß keine Unru- he in der Stadt anrichten, oder sich einiger Herr- schaft anmaßen. Das koͤnnen Sie der Frau Buͤrgemeisterinn sagen, damit sie nicht ohne Noth argwoͤhnisch, und eifersuͤchtig wird. Folgen Sie mir, mein Herr. Machen Sie diese Maschine zum Rathsherrn. Es wird Sie nicht gereuen. u. s. w. Viel- Satyrische Briefe. Vielgeliebtester Herr Schwager, R athsherr moͤchte ich nun freylich gern werden. Jch habe mir immer so ein Aemtchen ge- wuͤnscht, bey dem man den Koͤrper schonen kann. Sie wissen es, Herr Schwager, ich bin ein wenig langsam und bedaͤchtig, gut, wie ein Kind; alle heftige Bewegungen leidet mein starker Koͤrper nicht. Aber das waͤre recht, wie ich mirs wuͤnsch- te. Meynen Sie nicht, daß ich es werden koͤnn- te? Reden Sie einmal mit dem Herrn Buͤrge- meister. Er soll einen recht frommen, und lieben Collegen an mir haben; mit Willen wenigstens will ich ihn niemals erzuͤrnen, den ehrlichen Mann! Reden Sie einmal mit ihm. Aber sollte er es wohl nicht gern sehen? Je nun, wissen Sie was, Herr Schwager, wenn es auch nicht ist, so mag es das mal bleiben. Jch moͤchte ihn nicht boͤse machen. Reden Sie nur mit ihm. Meine Frau, sie hat auch ihr Koͤpfchen vor sich, wie eine andre Frau, meine Frau spricht immer zu mir: Mann! wird denn nimmermehr nichts aus dir? willst du denn ein ewger fauler Schlingel bleiben? Laß es gut seyn, mein Engelchen, spreche ich zu ihr, es wird sich schon geben! Sehn Sie, Herr Schwa- ger, das waͤre nun so eine Ursache, warum ich mich gern in den Rath wuͤnschte. Der liebe Hausfriede! ‒ ‒ Sie verstehn mich schon. Das Weib- Satyrische Briefe. Weibchen ist gut; nur die fliegende Hitze! die, die, die ‒ ‒ ‒ wie gesagt, Sie verstehn mich schon. Stellen Sie es dem Herrn Buͤrgemeister vor. An gutem Willen, und an Geschicklichkeit soll mir es wohl nicht fehlen. Jch habe eine sehr ver- nuͤnftige Frau; bin ich nur einmal Rathsherr, so kann sie mir mit Rath und That beystehen. Nun es bleibt dabey! Hoͤren Sie einmal, was der Buͤrgemeister dazu sagt. Uebereilen Sie Sich nicht; koͤmmt Zeit, koͤmmt Rath. Jch muß ab- brechen; ich habe schon lange geschrieben, und meine Frau laͤßt mir sagen, ich soll zu Bette gehn. Gute Nacht! Lieber Himmel; es schlaͤgt schon zwoͤlf Uhr ‒ ‒ die Nacht habe ich mir gewiß mit dem vielen Schreiben verderbt. Thun Sie Jhr Bestes, Herr Schwager. Jch gaͤhne mich noch todt. Gute Nacht! Seit Satyrische Briefe. „ S eit der Zeit, daß ich mir vorgenommen „habe, satyrische Briefe zu schreiben, „bin ich von diesem Gedanken so voll ge- „wesen, daß fast eine jede merkwuͤrdige Stelle, die „ich in einem Buche lese, mich auf den Einfall „bringt, einen Brief daruͤber auszuarbeiten. Eben „so gieng mir es mit der Stelle in der Odyssee, „wo ich durch die grausame Freundschaft des Po- „lyphems auf eine empfindliche Art geruͤhrt ward. „Jch wuͤnschte mir, diesen Gedanken in einem „Briefe anzubringen; ich wandte meinen Poly- „phem auf alle Seiten herum, um eine Aehnlich- „keit mit einem Manne zu finden, dessen Cha- „rakter etwas laͤcherliches und tadelnswuͤrdiges „an sich haͤtte. Endlich schuf ich mir eine gewisse „Art eines ungerechten Richters. Jch bewaff- „nete ihn mit einiger Gewalt, Schaden zu thun; „ich baute ihm eine Hoͤhle, aus welcher er das um- „liegende Land schrecken sollte; ich schaltete hin „und wieder kleine Episoden ein, und endlich „ward der Brief fertig, der nachsteht. „Es ist fuͤr einen Verfasser nicht vortheil- „haft, wenn der Leser gar zu genau weiß, was „die Gelegenheit zu einer Schrift gegeben, und „wie sich ein Gedanke aus dem andern entwickelt „hat. Sagt man ihm dasjenige zu zeitig, was er „selbst entdecken sollte, so faͤllt das Unerwartete, „und Satyrische Briefe. „und eben dadurch der groͤßte Theil der Annehm- „lichkeit, weg. „Jch verliere bey dieser Erklaͤrung allerdings, „das sehe ich gar wohl voraus; aber ich habe die- „sen Schaden lieber verschmerzen, als in einen „Verdacht fallen wollen, der mir noch weit em- „pfindlicher seyn wuͤrde. Nunmehr sind meine „Leser uͤberzeugt, wenigstens hoffe ich es, daß „mein ungerechter Richter nur des Polyphems we- „gen erdacht worden. Haͤtten sie das nicht ge- „wußt, wie viel vergebne Muͤhe wuͤrden sie sich ge- „macht haben, das Original zu errathen. Haͤtten „sie auch kein Original dazu gefunden, wie es „denn nicht moͤglich ist, da dergleichen ungerechte „Richter, wenigstens in unsern Landen nicht, „sind, so wuͤrden sie doch mich nicht aus dem „Verdachte gelassen haben, daß meine Satyre eine „persoͤnliche Satyre sey. Nun kann ich ihr Ur- „theil gelassen erwarten. Derjenige Leser muß sehr „verstockt seyn, der dem ungeachtet glauben will, daß „ein solcher Polyphem unter uns wohne. Gnaͤdiger Herr, J st es moͤglich, daß Sie diesen Mann erst itzt haben kennen lernen? und Sie wohnen schon sechs Jah- re in der Gegend, welche unter seiner Ungerechtigkeit seufzt? Aber vielleicht kennen Sie ihn noch itzt nicht einmal recht genau. Jch will ihn malen, nach dem Leben will ich ihn zeichnen. Machen Sie Sich die- se Entdeckung zu Nutze, und huͤten Sie Sich vor ihm. K Er Satyrische Briefe. Er giebt sich Muͤhe zu vergessen, wer er gewe- sen ist, ungeachtet seine Aeltern sich dieses Sohns mehr zu schaͤmen haben, als er sich seines Vaters zu schaͤmen hat, welcher in Armut lebt, und ehr- lich ist. Er hat fuͤr gut angesehn, eine mittelmaͤ- ßige Stadt zu seinem Aufenthalte zu waͤhlen, um seine Verdienste desto merklicher zu machen. Das ist die Hoͤhle, in welcher er die Beute verzehrt, die er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen zusammen raubt. Er hat so eintraͤgliche Begriffe von der Amtspflicht, daß er gerecht ist, nur seinen Vortheil zu machen, und eben dieses Vortheils we- gen zu andrer Zeit die groͤßten Ungerechtigkeiten be- geht. Der Hochmuth ist seine staͤrkste Leidenschaft, eine Leidenschaft, die immer diejenigen am meisten martert, welche die wenigsten Verdienste haben. Er erinnert sich noch, und sagt es allen denen, die es noͤthig zu wissen haben, daß er vor zwanzig Jah- ren neben dem Minister auf dem Canapee gesessen hat. Er wiederholt diesen Umstand so oft als er merkt, daß man an seiner unumschraͤnkten Gewalt zu schaden zweifelt. Ungeachtet dieses Hochmuths ist er noch immer niedertraͤchtig genug, Geschenke zu fodern, wenn man ihm solche nicht so geschwind, als er wuͤnscht, entgegen bringt. Er bestimmt selbst den Werth derselben, wenn er findet, daß sie fuͤr seine Partheylichkeit ein zu geringer Lohn sind. Es ist gefaͤhrlich, von dem Preise abzugehen, den er setzt. So vorsichtig ein andrer Richter ist, um zu verbergen, daß er sich habe bestechen lassen: so muͤhsam Satyrische Briefe. muͤhsam ist dieser, es allen zu sagen, von denen er itzt oder kuͤnftig Geschenke vermuthen kann. Von alle dem, was sein Amt erfodert, versteht er wei- ter nichts, als die Kunst, das nicht zu thun, was er thun soll. Jn seiner Jugend war es in verschied- nen Haͤusern noch Mode, daß vornehme Leute mit der Religion leichtsinnig scherzten, daß sie in ihrem Amte sich aus Bequemlichkeit auf den Fleiß ihrer Untergebnen verließen, von schoͤnen Wissen- schaften veraͤchtlich sprachen, und in den artigsten Gesellschaften auf eine unflaͤtige Art witzig waren. Er ist bey nahe der einzige, der diese poͤbelmaͤßige Mode noch beybehalten hat. Mit der Religion scherzt er leichtsinnig, weil er sich Muͤhe giebt, den traurigen Gedanken von der ernsthaften Folge ei- ner Religion zu seiner innerlichen Beruhigung zu uͤberwaͤltigen. Seine Untergebnen haben die gan- ze Last des Amts bey einem geringen Unterhalte auf sich, weil er zu ungeschickt ist, es selbst zu ver- walten. Jch kenne niemanden, dem es natuͤrlicher laͤßt, von den schoͤnen Wissenschaften veraͤchtlich zu sprechen, als ihm, weil niemand natuͤrlicher dumm ist, als er. Die unflaͤtige Sprache ist seine Mut- tersprache. Er ist stark darinnen, noch staͤrker, als sein Gesinde. Von diesem Witze ist er ein wahrer Kenner, den weiß er zu schaͤtzen. Die Thraͤnen eines nothleidenden Unterthanen ruͤhren ihn bey weiten so nicht, als eine unerwartete Zote; mit dieser kann man ihn gewinnen. Er hat einen Ad- vocaten in seiner Pflege, welcher bey einem jeden K 2 neuen Satyrische Briefe. neuen Processe auf neue Unflaͤtereyen sinnt, und so gluͤcklich ist, durch diesen Witz einen beyfaͤlligen Richter zu behalten. So grausam er gegen die Unterthanen seines Fuͤrsten ist, so ein harter Va- ter ist er auch. Er hat sich zum drittenmale ver- heirathet, und, welches bey ihm fast unglaublich ist, er hat zum drittenmale eine vernuͤnftige Frau bekommen. Wie gluͤcklich waͤre diese Elende, wenn er zum drittenmale zum Wittwer wuͤrde! Sie hat es einmal gewagt, die Thraͤnen einer ge- druͤckten Gemeine sich bewegen zu lassen, und fuͤr sie zu bitten; dieses Mitleiden findet er so wider- natuͤrlich, daß er es sie noch itzt empfinden laͤßt. Seine Kinder sind so tugendhaft und vernuͤnftig, daß sie wohl verdienten, seine Kinder nicht zu seyn. Waͤren sie ihm aͤhnlicher, so wuͤrde er sie mehr lieben. Glauben Sie wohl, Gnaͤdiger Herr, daß man, dieses haͤßlichen Charakters ungeachtet, den- noch fast eine Stunde lang mit Vergnuͤgen in sei- ner Gesellschaft seyn kann? Wirklich kann man es so lange seyn; aber man muß sich seiner Schwaͤche zu bedienen wissen. Jch habe es versucht. Jch ließ mich bey ihm melden, als ein Mann, der die Ehre zu haben wuͤnschte, ihn kennen zu lernen, und ihm seine unterthaͤnige Aufwartung zu ma- chen. Er nahm mich an, nachdem mich ein alter Bedienter, welcher Kutscher, und Gaͤrtner, und Koch und Schreiber zugleich war, an der Trep- pe empfieng, und im Pompe durch drey große Saͤ- le, eine Kuͤche und zwo Vorrathskammern in das Satyrische Briefe. das Cabinett zur Audienz fuͤhrte, wo ich die- ses Geschoͤpfe, das theure Schrecken seiner Bauern, und die Geissel der Gerechtigkeit in praͤchtigem Schlafpelze am Pulte sitzend fand. So dick er ist, denn seine schweren Berufsarbei- ten haben ihm immer noch Zeit gelassen, fett zu werden: so geschwinde sprang er auf, bedauerte, daß er in seinem Nachtkleide uͤberrascht ward, warf zween große Stoͤße Acten uͤber den Haufen, die er seit vielen Jahren zur Parade neben sich ste- hen, und seit vielen Jahren uͤber den Haufen ge- worfen hat, gieng mir mit einer großen geschaͤffti- gen Mine entgegen, und empfieng mich mit Huld und Gnade. Sie koͤnnen wohl glauben, daß bey einem solchen Auftritte kein Compliment natuͤrli- cher ist, als dieses, daß man die Freyheit ent- schuldigt, die man sich genommen hat, einen Mann von solchen Geschaͤfften zu stoͤren. Er nahm es mit der laͤchelnden Mine an, mit der eine alte Jungfer widerspricht, wenn man ihr die Schmeicheley macht, daß sie schoͤn sey. Sein lin- ker Arm hieng nachlaͤßig uͤber das Schreibepult, und die Finger waren geschaͤfftig in verschiednen Schreiben und Suppliken zu wuͤhlen. Er seufzte uͤber sein Amt, uͤber den Anlauf der Leute, uͤber die vielen herrschaftlichen Arbeiten ex officio. Jch war in allen seiner Meynung, und seufzte ergebenst mit. Dieses machte, daß er sein Herz zu mir herab neigte, und mir nach ver- schiednen wichtigen Unterredungen endlich von K 4 großen Satyrische Briefe. großen Veraͤnderungen im Staate ganz im Ver- trauen einen Wink gab. Ein Brief von Jhro Excellenz ‒ ‒ ‒ mehr durfte er nicht sagen. Ein Hofmann, wie er, sagt alles nur halb, und denkt gar nichts dabey! Jn der That wies er mir von ferne einen Brief, und ließ mich sehr vorsich- tig weiter nichts lesen, als: Hochedelgebohrner, Hochgelahrter. Mit einemmale verschloß er ihn ins Pult, brach ab, und sahe mir steif in die Augen. Jch antwortete ihm mit einem beredten Achselzu- cken, schlug die Augen in die Hoͤhe, und laͤchelte. Wir verstunden beyde einander; er, daß ich seine Einsicht in das Zukuͤnftige des Staats bewunderte, und ich, daß er ein Narr war. Nach einer lan- desverraͤtherischen Pause von zwo Minuten, nahm er mich bey der Hand, und sagte: Seria in cra- stinum! und sagte mir vielleicht damit sein ganzes Latein. Womit kann ich Jhnen dienen? mit Un- garischem Weine? mit Champagner? mit Burgun- der? Mit Burgunder doch wohl am liebsten. Bur- gunder, Johann, vom besten, geschwind! rief er seinem Bedienten zu, der von ferne an der Thuͤre stand, und sich die Haare auskaͤmmte. Er kam. Burgunder? Nein, Gnaͤdiger Herr, ein rother Landwein. Jch trank ihn als ein wahrer Patriot, und schlurfte ihn so pruͤfend durch meine Zaͤhne, als der Schmarozer kaum thut, welcher gegen Sie, Gnaͤdiger Herr, niemals mehr Ehrfurcht bezeigt, als wenn Sie Burgunder und Austern haben. Bey dem ersten Glase noͤthigte er mir eine Schmeicheley ab, Satyrische Briefe. ab, die mir nicht schwer ward, weil ich mich darauf gefaßt gemacht hatte; bey dem zweyten erzaͤhlte er mir den ganzen Umfang von seinem Amte, und seufzte noch einmal daruͤber, daß er ein schweres Amt haͤtte. Ein sehr vergebner Seufzer! Denn, wenn es ihm schwer wird, so geschieht es gewiß nur alsdann, wenn er Jemanden gluͤcklich machen soll. Und in diese Umstaͤnde setzt er sich sehr selten, oder er muß wenigstens die Haͤlfte von dem Gluͤcke zu genießen haben. Bey dem dritten Glase ruͤhmte er die Gnade, die das Ministerium fuͤr ihn habe. Das Canapee ward nicht vergessen. Bey dem vierten Glase versicherte er mich seiner Freund- schaft. Verlohnte diese Versichrung wohl die Muͤ- he, vier Glaͤser sauern Landwein zu trinken? Jch verbat mehrern Wein, und schuͤtzte den Gehorsam vor, den ich meinem Arzte schuldig waͤre, einen Ge- horsam, von dem mein Arzt nichts weiß. Er be- schaͤfftigte sich noch fast eine halbe Stunde mit sei- ner Groͤße, und beschloß den letzten Aufzug mit ein paar artigen Unflaͤtereyen. Jch stund von mei- nem Stuhle auf, und entflohe seinem Witze und seinem Weine! Haͤtten Sie mir wohl so viel Geduld zuge- traut, Gnaͤdiger Herr? Jn der That habe ich sie gehabt, und habe sie eine Stunde lang mit Ver- gnuͤgen gehabt; dennoch will ich Jhnen nicht ra- then, mir es nachzuthun. Da ich nicht in der ge- ringsten Verbindung mit ihm, und mit seinem Amte K 4 stehe, Satyrische Briefe. stehe, so war er mir ertraͤglich. Jhnen hingegen wird er es nicht seyn, und Sie wird er eine ge- wisse Hoheit empfinden lassen, die seine Dummheit ehrwuͤrdig machen soll. Am wenigsten wagen Sie es itzt, da Sie in den ungluͤcklichen Proceß ge- rathen sind. Bisher hat er Sie geschont, oder schonen muͤssen, nun sieht er Sie als ein Opfer an, das von seiner Hand sterben soll, das fuͤr ihn geschlachtet wird. Jch bin gar nicht mit dem Ein- falle zufrieden, den Sie gehabt haben, ihn mit dem Eymer Wein zu besaͤnftigen. Dadurch ma- chen Sie ihn nicht menschlich, nicht billig; wenn es hoch koͤmmt, erlangen Sie von seiner Unge- rechtigkeit nur eine kurze Frist. Polyphem war im Begriffe, den Ulysses mit seinen noch uͤbrigen Gefaͤhrten zu fressen. Ulysses gab ihm von sei- nem goͤttlichen Weine. Der ungerechte Cyclop trank davon, er lobte den goͤttlichen Wein; drey- mal trank er davon, und sagte zum Ulysses: Dein Wein ist vortrefflich, mein Freund, dich will ich zuletzt fressen! Haͤtten Sie wohl geglaubt, Gnaͤdiger Herr, daß sich mein Brief so pedantisch schließen sollte? Jch bin mit bestaͤndiger Hochachtung u. s. w. Da Satyrische Briefe. „ D a ich noch auf hohen Schulen war, und „die Welt nicht kannte, ließ ich mir das „Vorurtheil beybringen, es gehoͤre mit „unter die unbemerkten und verzehrenden Krank- „heiten eines Staats, wenn Privatpersonen, als „Besitzer von Doͤrfern und Landguͤtern, zu viel „Freyheit haͤtten, das Recht uͤber ihre Bauern „unter dem Namen der Erbgerichte zu verwalten. „Dieser Wahrheit ein fuͤrchterliches Ansehen zu „geben, stellte man die Moͤglichkeit vor, daß ein „Gerichtsherr ungerecht seyn koͤnnte; daß der Un- „terthan durch diese Ungerechtigkeit, welche noch „immer den Schein einer Legalitaͤt haͤtte, nach „und nach entkraͤftet, und ausser den Stand ge- „setzt wuͤrde, dasjenige zu leisten, was er seinem „Fuͤrsten schuldig waͤre; daß ihm oft nicht Zeit „gelassen, oder daß es ihm doch sehr schwer ge- „macht wuͤrde, wenn er wider dergleichen Unter- „druͤckungen den Schutz der obern Richter anfle- „hen wollte. Man wollte angemerkt haben, daß „dergleichen oͤftere Zunoͤthigungen, und Un- „terdruͤckungen den Unterthanen trotzig und ver- „stockt machten; daß ihm alles verdaͤchtig „sey, was man von ihm fodere, daß er sich „endlich auch in denjenigen Sachen widersetzlich „bezeige, die er und seine Vorfahren zu thun „schuldig gewesen. Der Schade von derglei- „chen Gewaltthaͤtigkeiten falle mit der Zeit dem K 5 Besi- Satyrische Briefe. „Besitzer des Ritterguts selbst ungluͤcklicher Wei- „se zur Last. Er empfinde das Armut seiner „ausgesaugten Unterthanen zu erst, wenn diese un- „vermoͤgend gemacht waͤren, ihm Zinnsen und „Dienste ferner zu leisten. Es sey ganz falsch, „wenn man glaube, daß ein bemittelter Unterthan „nicht zu baͤndigen, und ein Bauer alsdann erst „zahm wuͤrde, wenn er ganz verarmt sey. So „bald er gar nichts mehr zu verlieren habe, so bald „mache ihn die Verzweiflung muthig. Aus Rach- „sucht bemuͤhe er sich nunmehr seinen Gerichts- „herrn durch ungerechte Processe auch zu entkraͤf- „ten, und so viel moͤglich, mit arm zu machen. Es „sey schwer, einen aufgebrachten und rebellischen „Bauer von seinem Gute und aus dem Dorfe „zu verjagen, noch schwerer aber eine ganze Gemei- „ne. Gemeiniglich treffe das Ungluͤck den Ge- „richtsherrn zu erst, daß er durch die Last der Pro- „cesse ermuͤdet, sein Gut verstossen muͤsse. Die- „ses waͤren die gewoͤhnlichsten Folgen von einer „uͤbelverstandnen Herrschaft, und von dem un- „gluͤcklichen Misbrauche der ihnen erlaubten Erb- „gerichte; Folgen, die dem Gerichtsherrn und den „Unterthanen schrecklich, nur dem Gerichtsver- „walter und den Advocaten vortheilhaft seyn „koͤnnten! „Das waren ungefaͤhr die academischen Gril- „len meiner Lehrer. So schimpft ein Armer auf „den Reichthum, eine alte Betschwester auf die „Wol- Satyrische Briefe. „Wollust der Jugend, und ein Professor, der kei- „ne Bauern hat, auf die Gewaltthaͤtigkeit der Ge- „richtsstube. Vielleicht waͤre er der erste, der sie „druͤckte, wenn ihm der Himmel ein Dorf voll Un- „terthanen in die Haͤnde gaͤbe. „Mir sind die Augen aufgegangen, da mich „mein Beruf in die Umstaͤnde setzte, die Natur der „Bauern genauer zu anatomiren, und einzusehn, „wie vortrefflich die Ausbeute sey, welche die Ge- „rechtigkeit giebt. Es waͤre zu wuͤnschen, daß „unsre Erbgerichte despotischer gelassen, und weni- „ger eingeschraͤnkt worden waͤren. Es hebt den „Werth der Ritterguͤter. Jn den Anschlaͤgen „finde ich kein Capitel billiger, als das, von Ge- „richtsnutzungen. Vielleicht waͤre es besser, „und ausdruͤcklicher, wenn man es rechtliche „Contribution, oder Gerichtsbeute nennte; „aber es ist schon genug, daß man weiß, was man „darunter versteht. So viel ist freylich wahr, „wenn der Unterthan in Armut gebracht wird, so „leidet der Gerichtsherr zugleich; aber der leidet „doch nicht, der seine Gerichte verwaltet. Jm „Handel und Wandel muß allemal einer verlieren, „wenn der andre gewinnen soll. Werden die „Unterthanen arm, wird es der Gerichtsherr mit; „gut genug, daß das Geld im Lande bleibt. Der „Gerichtsverwalter, die Advocaten, die obern „Richter, alle die in der Fabrik der Gerechtigkeit „arbeiten, bis auf den untersten Copisten, ge- winnen Satyrische Briefe. „winnen dabey. Es muß gleichwohl eine große „Beruhigung fuͤr den Gerichtsherrn seyn, wenn „er sieht, daß seine widerspaͤnnstigen Unterthanen „durch Hunger gedemuͤthiget sind, gesetzt auch, „daß er dieses Vergnuͤgen nicht eher erlebt, als „wenn er selbst halb verhungert ist. Das Ver- „langen sich zu raͤchen geht uͤber alles. „Man hat es in unserm Lande fuͤr gut ange- „sehn, die Gewalt der Erbgerichte sehr vorsichtig „einzuschraͤnken. Jch, als ein Unterthan, darf „dawider nichts sagen. Jn der That wuͤrde ich „auch nichts neues sagen, da meine Landsleute „schon vor langen Zeiten die vortheilhafte Einsicht „erlangt haben, wie sie diese Einschraͤnkung sich er- „traͤglich machen koͤnnen. Die groͤßte Kunst be- „steht darinne, daß sie die Verwaltung ihrer Ge- „richte einem Manne anvertrauen, der an ihren „Absichten gemeinschaftlich arbeitet. Sie haben „die Wahl, und in dieser Wahl muͤssen sie behut- „sam seyn. Noch ein Vortheil ist dieser, daß sie „von den Sporteln der Gerichtsstuben ihren An- „theil behalten. Es hat einen doppelten Nutzen, „welcher so deutlich in die Augen faͤllt, daß ich ihn „nicht erst erklaͤren darf. „Alles, was ich noch thun kann, ist dieses, daß „ich durch nachstehende vier Briefe meinen Satz „erlaͤutere. Der erste und zweyte Brief zeigt, „wie Satyrische Briefe. „wie ein Gerichtsverwalter seyn muß; der dritte „Brief ist der Gegensatz von diesem, und zeigt, „wie er nicht seyn soll. Dieses desto lebhafter zu „machen, habe ich den vierten Brief hinzu gesetzt. „Jch wuͤnsche, daß meine Leser die guten Absich- „ten erkennen moͤgen, die ich dabey gehabt habe. „Folgen sie meinem Rathe, und bedienen sie sich „der Vortheile, die ich ihnen zeige, mit Ernste: so „gebe ich ihnen mein Wort, es soll in zehn Jah- „ren kein Bauer mehr im ganzen Lande seyn. „Und, o! wie ruhig kann ein Edelmann auf sei- „nem Gute leben, wenn er es so weit gebracht „hat!„ Gnaͤdiger Herr, J ch sage es Jhnen aufrichtig, zu Jhrem Gerichts- verwalter schickt sich niemand besser, als ich. Sie haben so gesunde Begriffe von der Gewalt uͤber Hals und Hand, und Beutel Jhrer Unter- thanen, daß ich mich freue, unter Jhrer Anfuͤh- rung diesen elenden Geschoͤpfen den Nachdruck un- serer Gerechtigkeit fuͤhlen zu lassen. Wenn ich die Sache recht ansehe, so finde ich, daß die Bauern nicht fuͤr sich, sondern fuͤr ihren Edelmann geschaf- fen sind. Jch weiß, daß man es bey uns nicht oͤffentlich sagen darf, und daß auf dem Catheder noch Satyrische Briefe. noch hin und wieder der Satz behauptet wird, daß die Bauern, und der Gerichtsherr, beyde Unter- thanen eines Fuͤrsten sind. Jch weiß diese theo- retische Wahrheiten gar wohl. Wir koͤnnen es geschehen lassen, daß sich die Gelehrten auf hohen Schulen, um ein paar milzsuͤchtige Schriftsteller, damit beschaͤfftigen. Genug, daß wir unter uns die Erfahrung haben, welche allen diesen Pedante- reyen widerspricht. Was wir noch thun koͤnnen, um vor den Augen des gemeinen Volks den aͤusser- lichen Wohlstand zu behaupten, das ist dieses, daß wir die Bauern niemals anders, als mit der streng- sten Legalitaͤt, pluͤndern. Darf ich es wohl wa- gen, Gnaͤdiger Herr, Jhnen zu sagen, daß ich eben darinne meine Staͤrke habe? So bald ich Jhnen diejenigen Lehrer nenne, die mich auf hohen Schu- len zur Gerechtigkeit eingeweiht haben; so bald werden Sie weniger an meinem Vorgeben zwei- feln. Wollen Sie noch mehr Beweis haben? Davor habe ich mich sehr gehuͤtet, was man gruͤnd- liche Rechtsgelehrsamkeit nennet. Cautelen sind mein Hauptstudium gewesen, und ich war im Stande, Gesetze zu verdrehen, ehe ich noch wußte, was Novellen hießen. Die erste Probe meiner Geschicklichkeit waren einige Hurenprocesse, die ich gluͤcklich ausgefuͤhrt habe. Jch war noch kein Jahr ein Advocat, als mir schon zweymal die Pra- xis untersagt wurde. Meine Unerschrockenheit, mit welcher ich die Obern, und die Richter, zum besten meiner Clienten, beleidigte, brachte mich vier Wochen Satyrische Briefe Wochen ins Gefaͤngniß. Sie koͤnnen wohl glau- ben, Gnaͤdiger Herr, daß mich diese Vorfaͤlle sehr beruͤhmt gemacht haben, und es ist bey nahe keine ungerechte Sache, die ich nicht vertheidigen muß, und gewiß ruͤhmlich vertheidige. Fragen Sie ein- mal in meiner Gegend nach, mit welchem Eifer ich meine Gerichtsbestallungen nutze. Es giebt gewisse Handgriffe, durch welche man das Ver- moͤgen der Unterthanen an sich ziehen, und dennoch der gerechteste Mann seyn kann. Es sind Geheim- nisse, die ich nicht sagen kann, die ich aber zu Jh- rem guten Vergnuͤgen ins Werk setzen werde, wenn Sie mir die Stelle uͤberlassen sollten, um die ich bitte. Fragen Sie den Herrn von ‒ ‒ ‒ dessen Gerichte ich verwalte. Er wird Jhnen sagen, wie weit ich es in einem Jahre gebracht habe. Seine Bauern sind alle zu Grunde gerichtet; itzt arbeite ich noch an dem Schulzen, und ich hoffe, ihn nach der Erndte auch an den Bettelstab zu bringen. Es ist wahr, der Herr von ‒ ‒ ‒ hat zugleich sein ganzes Vermoͤgen verstritten, und er ist durch die Processe in Ansehung seines Standes weit aͤrmer geworden, als seine Bauern; aber was thut das? Er hat Recht behalten, seine trotzigen Bauern sind gedemuͤthiget, und ich habe dabey ein ziemliches Vermoͤgen verdient. Verhungert der Herr von ‒ ‒ ‒ so ist es mein Fehler nicht; es ist ein Fehler der theuren Gerechtigkeit, fuͤr die er zum Maͤrtyrer geworden ist. Jch habe weiter nichts gethan, als was er verlangt, und was mein Amt erfodert hat. Sie Satyrische Briefe. Sie sollen es erfahren, Gnaͤdiger Herr, daß es nicht ruhmredige Versprechungen sind, die ich thue, Jch erwarte Jhren Entschluß, und bin u. s. w. Gnaͤdiger Herr, E s ist freylich eine schlimme Sache, daß die Lan- desobrigkeit dem Gerichtsherrn die Bauern nicht ganz Preis gegeben, sondern den kleinen Dorfmonarchien gewisse Grenzen gesetzt, und ver- ordnet hat, daß die Gerechtigkeit durch besondre Personen unpartheyisch verwaltet werden soll. Es laͤuft allerdings wider den Stand der natuͤrlichen Freyheit, und wider die weisen Absichten der Na- tur, welche das Wild und die Bauern zum Nu- tzen und zum Vergnuͤgen des Junkers geschaffen hat. Aber was ist zu thun? Einer hoͤhern Ge- walt muß man nachgeben. Genug, daß noch Mittel uͤbrig sind, dieser hoͤhern Gewalt auszuwei- chen. Sie haben, Gnaͤdiger Herr, bestaͤndig die- ses zu Jhrer Regel gehabt, daß derjenige, dem Sie, nach den Landsgesetzen, die Verwaltung der Ju- stitz anvertrauen muͤssen, so unwissend, als moͤglich, sey, um ihre willkuͤrlichen Ausspruͤche desto besser zu behaupten. Da ich nicht glaube, daß Sie itzt erst von dieser guten Regel abgehen werden: so mache ich mir Hoffnung, die erledigte Stelle als Gerichtsverwalter bey Jhnen zu erlangen. Jch bin so dumm und unwissend, als Sie es wuͤn- schen Satyrische Briefe. schen koͤnnen. Da ich die Rechtsgelehrsamkeit niemals anders, als handwerksmaͤßig gelernt habe: so kann es mir nicht schwer fallen, so zu denken, wie Sie befehlen. Sie, Gnaͤdiger Herr, sollen mein erstes Gesetze seyn. Jn der That sind mir die uͤbrigen Gesetze desto gleichguͤltiger, je weniger ich mit ihnen bekannt bin. Nur das einzige bitte ich, daß Sie mich auf Jhre Kosten wider hoͤhere Obrigkeiten vertreten, wenn mein Verfahren als unguͤltig angefochten werden sollte. Sie erlangen durch mich noch einen Vortheil, den Sie nicht uͤberall finden. Man hat ein Spruͤchwort, ich weiß aber nicht in welcher Sprache, daß diejenigen Advocaten die groͤbsten sind, die am wenigsten ver- stehn. Glauben Sie, Gnaͤdiger Herr, ich bin fuͤr zween Advocaten unwissend, und fuͤr dreye grob. Es wage es niemand, Sie und Jhre Ge- rechtsame anzugreifen; ich will ihm so unbeschei- den begegnen, daß er wenig Ehre davon haben soll. Muß ich Strafe geben, so verlasse ich mich auf Jhr baares Geld. Sollte es gar bis zum Gefaͤngnisse kommen, so werden Sie mich auf eine billige Art schadlos halten; aber Abbitte und Ehrenerklaͤrung will ich ex officio thun, ohne etwas dafuͤr zu verlan- gen. Scheinen Jhnen diese Bewegungsgruͤnde nicht wichtig genug, mir Jhre Gerichte anzuvertrauen? Jch will Jhnen noch einen Vorschlag thun. Jch will die Beute mit Jhnen theilen. Die Gerichts- sporteln sollen zur Haͤlfte Jhre seyn, wenn Sie mir nur erlauben, noch einmal so viel von Jhren L Bauern Satyrische Briefe. Bauern zu erpressen. Ueberhaupt finde ich die- se Art in Compagnie zu sporteln sehr billig. Den Gerichtsverwalter muntert es auf, hungriger zu seyn, als er sonst seyn wuͤrde, den Gerichtsherrn aber noͤthiget es, nachsehender zu seyn, weil er ausserdem allemal die Haͤlfte verlieren wuͤrde, wenn er gerechter waͤre. Noch ein Vortheil faͤllt mir ein, den Sie, Gnaͤdiger Herr, durch mich erlangen. Cavaliere von Jhrer Art und Erziehung sind niemals witziger, als bey Tische, und in Gesellschaft des benachbarten Landadels. Wie noͤthig ist es alsdann fuͤr Jhren Witz, daß Jemand mit an der Tafel sitzt, den Sie ohne Verantwortung mishandeln koͤnnen. Jch ver- stehe Spas, Gnaͤdiger Herr. Fuͤr jede gnaͤdige Grobheit, die Sie mir sagen, werde ich mich mit einer Boutellie Wein bezahlt machen, das soll meine ganze Rache seyn. Da ich auf Jhren Be- fehl mein Gewissen, und meinen ehrlichen Na- men daran wage, warum sollte ich mich nicht fuͤr eine Boutellie Wein, Jhnen zu gefallen, zum Narren machen lassen. Wollen Sie mir die Gnade erzeigen, und mei- ner Bitte statt geben, so werden Sie sehen, wie unermuͤdet ich mich beeifern werde, meine theure Pflicht zu erfuͤllen, und zu seyn ꝛc. Gnaͤ- Satyrische Briefe Gnaͤdiger Herr, E s hat mich Herr ‒ ‒ ‒ gebeten, ihn bey Ew. Gnaden zu empfehlen, da er gehoͤrt hat, daß Sie die erledigte Schoͤsserstelle auf Jhren Guͤtern wieder zu besetzen im Begriffe sind. Sie sehen es selbst ein, Gnaͤdiger Herr, daß dieses Amt einen gelehrten, einen ehrlichen, und einen arbeitsamen Mann haben will. Es ist schwer, alle drey Tugenden beysammen anzutreffen; und wer sie beysammen besitzt, der wird gemeiniglich so sehr geschaͤtzt, und so sorgfaͤltig gesucht, daß er sich kaum entschliessen duͤrfte, ein Amt, wie das Jhrige, anzunehmen, welches ihn vom Hofe, und von aller Gelegenheit, sein Gluͤck weiter zu treiben, entfernt. Ew. Gnaden kennen mich zu gut, als daß Sie glauben sollten, ich stellte Jh- nen die Sache um deswillen so schwer vor, damit ich die Verdienste meines Candidaten desto gelten- der machen koͤnnte. Er besitzt wirklich alle die Ei- genschaften, die ich oben gefodert habe, er weiß es aber selbst so wenig, daß er immer zweifelt, ob er auch geschickt genug sey, dem Amte so vorzustehn, wie er ihm vorzustehen wuͤnscht. Diese Furcht- samkeit, vielleicht aber auch ein vernuͤnftiges Ver- langen, gluͤcklich und ruhig zu bleiben, entfernen ihn vom Hofe. Er wuͤnscht, als ein ehrlicher Mann, und unbekannt, auf Jhrer Herrschaft zu sterben. Wollen Sie eine genauere Nachricht L 2 von Satyrische Briefe. von seinen Verdiensten haben? Er hat seine Ju- risprudenz als ein Gelehrter erlernt. Er weiß den Grund der Gesetze, und versteht bey den dazu er- foderlichen Sprachen die Geschichte der Rechts- gelehrsamkeit in ihrem ganzen Umfange. Dieses unterscheidet ihn von einem praktischen Schmierer und Rabulisten. Er hat sich Muͤhe gegeben, die Anwendung der Gesetze, und die besondre Verfas- sung des Landes sich bekannt zu machen. Durch eine fleißige Uebung hat er diese Geschicklichkeit er- langt, und vielen vor dem Richter beygestanden, die ihn um seine Huͤlfe gebeten. Dieses unterschei- det ihn von den theoretischen Pedanten. Er ist so ehrlich, daß er keine Sache annimmt, ohne von ih- rer Billigkeit uͤberzeugt zu seyn; daß er einem nothleidenden Armen lieber dient, als einem Rei- chen, der Gewalt thut; daß er es sehr selten zu ei- nem weitlaͤuftigen Processe kommen laͤßt, und daß er es so gleich im Anfange zu einem billigen Ver- gleiche zu bringen sucht, wenn ihn nicht die Haͤrte des Gegners, oder der Eigennutz des Richters dar- an hindert; mit einem Worte, er ist so ehrlich, Gnaͤdiger Herr, daß er in fuͤnf Jahren gewiß ver- hungern muß, wenn er fortfaͤhrt, als Advocat sei- nen Unterhalt zu suchen. Jch erinnere mich ver- schiedner Gelegenheiten, wo der Richter so wohl, als sein Gegner, sich einen sehr schlechten Begriff von seiner Geschicklichkeit gemacht, und gar ge- zweifelt haben, ob er wirklich ad praxin admit- tirt Satyrische Briefe. tirt sey, weil er weder in der Richterstube, noch in seinen Schreiben heftig geworden, sondern sein Recht mit der groͤßten Gelassenheit, und ei- nem gesitteten Anstande vertheidigt, ohne den Gegner zu schimpfen, oder dem Richter bittere Vorwuͤrfe zu machen. Es wird nun zehn Jahre seyn, daß er die Gerichtsbestallung zu ‒ ‒ ‒ uͤbernahm. Es war an diesem Orte seit funfzig Jahren zur Gewohnheit geworden, daß die Herr- schaft und die Unterthanen einander durch ewige und kostbare Processe entkraͤfteten. Jn der That befanden sich die Unterthanen in den kuͤmmerlich- sten, und verzweifeltsten Umstaͤnden; und seit die- sen funfzig Jahren waren zwo Herrschaften genoͤ- thigt worden, das Rittergut zu verkaufen, um sich aus diesen Processen, und von ihrem voͤlligen Untergange zu retten. Als mein Candidat zur Gerichtsverwaltung kam, so beneideten ihn we- gen dieses Gluͤcks viele, welche glaubten, er wer- de dieses Amt so nutzen, wie es seine Vorfahren genutzt hatten. Allein auch dazu war er zu ehr- lich. Seine erste Sorgfalt gieng dahin, wie er sich beym Gerichtsherrn ein gewisses Ansehn er- werben moͤchte, welches sich diejenigen gar leicht erwerben, die geschickt und redlich sind. Auf der andern Seite gab er sich Muͤhe, das Zutrauen der Unterthanen zu gewinnen, und ihnen zu zeigen, daß er ein unpartheyischer Richter sey. Er erlangte beides. Wie leicht muß es einem L 3 Manne Satyrische Briefe. Manne, den die Gerichtsherrschaft fuͤr redlich, den die Unterthanen fuͤr unpartheyisch halten, wie leicht, sage ich, muß es einem rechtschaffnen Manne fallen, alle die Verbitterungen und Pro- cesse zu heben, welche die Herrschaft und die Un- terthanen zugleich ungluͤcklich machen. Kaum waren zwey Jahre verflossen, als er alle Streitig- keiten vom Grunde aus verglichen hatte. Seine Vorsicht hat bis itzt neuen Jrrungen vorzubeugen gewußt. Durch seine vernuͤnftige Vorstellungen hat er seinem Edelmanne begreiflich gemacht, daß die Bauern Menschen, und in unserm Lande keine Sklaven sind. Er hat den wunderbaren Satz be- hauptet, daß ein verarmter Unterthan viel unru- higer und gefaͤhrlicher sey, als ein bemittelter. Die Bauern hingegen hat er durch sein Ansehn, und, wo es noͤthig gewesen, mit Nachdruck zu ihrer Schuldigkeit angehalten. Nunmehr sehen sie es ein, wie gluͤcklich sie bey dieser Ruhe und Eintracht sind. Sie arbeiten an der Erhaltung derselben mit ihm gemeinschaftlich, und werden reich. Jn vorigen Zeiten war dieses Dorf das Geheege verschiedner hungriger Advocaten, wel- che den Stolz der Gerichtsherrschaft und den Trotz der Unterthanen misbrauchten. Seit acht Jah- ren sind sie verscheucht; sie vermeiden so gar diesen Ort, in welchem sie nunmehr verhaßt sind, und eilen misvergnuͤgt von ferne vorbey, wie ein Wolf vor einer Heerde, welche unter der Wachsamkeit ihres Hirten, und der Treue seiner Hunde ruhig ist. Ver- Satyrische Briefe. Verzeihen Sie mir, Gnaͤdiger Herr, daß aus meinem Empfehlungsschreiben eine Predigt von der Gerechtigkeit wird. Jch habe mich vergessen; es gereut mich aber nicht, denn ich weiß, daß Sie eben das Vergnuͤgen empfinden, den Charakter ei- nes ehrlichen Advocaten zu lesen, das ich empfinde, da ich ihn schildere. Jch freue mich, daß ich die Gelegenheit in den Haͤnden habe, Jhnen das Ori- ginal zu verschaffen. Sie werden es als eine Pro- be meiner Achtung fuͤr Jhre Person, und meiner Aufmerksamkeit fuͤr Jhr Bestes ansehen, und zu- gleich Jhnen mich verpflichten, wenn Sie diesem ehrlichen Manne, den ich Jhnen empfehle, durch die gebetne Befoͤrderung Muth machen, ferner ehrlich zu seyn. Jch verharre mit unterthaͤniger Hochachtung, u. s. w. Antwort. Hochzuehrender Herr Doctor, W ir kennen einander zu gut, als daß ich Jh- nen meine Gedanken nicht aufrichtig sagen sollte. Jst das alles Jhr wahrer Ernst, was Sie mir schreiben? oder haben Sie Jhren Brief nur um deswillen so erbaulich eingerichtet, daß ihn die studirende Jugend ins Latein uͤbersetzen, und die schoͤnen Bluͤmchen und Sentenzen mit ro- ther Dinte unterstreichen soll, um sie desto beque- L 4 mer Satyrische Briefe. mer auswendig zu lernen? Fuͤr einen Mann, der die Welt kennt, wie Sie, schreiben Sie wirklich zu pe- dantisch. Jhr Candidat mag ein ehrlicher Mann seyn, ich glaube es, vielleicht wuͤrde er auch in Deutschland ein großer und angesehner Mann ge- wesen seyn, wenn er zu Hermanns Zeiten gelebt haͤt- te; aber was soll man itzt aus ihm machen? Wie sa- tyrisch sind Sie, wenn Sie sagen, daß ein gelehrter, ein ehrlicher, und ein arbeitsamer Mann so sehr ge- schaͤtzt, und so sorgfaͤltig gesucht werde! Gestehn Sie es nur, Sie sind ein wenig boshaft, und Jhre Lebhaf- tigkeit verleitet Sie zuweilen so weit, daß Sie Sich vergessen, und Sachen sagen, die Jhnen bey Jhren Collegen nicht viel Ehre machen wuͤrden, wenn Sie sollten gedruckt werden. So ein frommer und bil- liger Schoͤsser wuͤrde mir meine Unterthanen in kur- zer Zeit zu muthig werden lassen. Der Bauer fuͤhlt sich, er schwillt, so bald er mehr als einen Kittel hat. Rustica gens, optima flens, et pessima ridens! Sehn Sie, Herr Doctor, daß ein alter Kammerjunker auch noch Latein versteht, so gut wie ein Professor? Mit einem Worte, ich habe fuͤr Jhren Candidaten alle die Hochachtung, die man fuͤr eine altvaͤtrische Tugend hat; aber brauchen kann ich ihn zu nichts. Kann ich ihm ausserdem dienen, so soll es mit Vergnuͤgen gesche- hen. Zween Tage vorher, ehe ich Jhren Brief erhielt, hatte ich mich schon mit einem neuen Schoͤs- ser versehen. Er ist noch sehr jung, er versteht gar nichts; aber er wagt es, mir tausend Thaler vor- Satyrische Briefe. vorzuschiessen, von denen er nimmermehr einen Haͤller wieder sehen soll. Jnzwischen will ich doch als ein ehrlicher Mann mit ihm handeln, und ihm zu lassen, daß er sich, so gut er kann, von meinen Unterthanen bezahlt mache. Jch habe fette Haͤm- mel darunter, die mag er nutzen, bis er satt und be- zahlt ist. So viel gewinnt er allemal dabey, daß ich ihm nicht auf die Finger sehen werde. Die Gerichtsstube will ich mit einem geschickten Actuar besetzen. Wenn der Verstand hat, so braucht der Schoͤsser keinen. Sehn Sie, mein Herr, das ist mein Plan. Sie muͤssen ihn billigen, wenn Sie unpartheyisch seyn wollen. Jch wollte wuͤnschen, daß ich Jhrem ehrlichen Candidaten sonst helfen koͤnnte. Was meynen Sie, wenn ihn das Land auf gemeinschaftliche Kosten ernaͤhrte, und den Fremden als eine Raritaͤt fuͤrs Geld sehen ließe? Aber das muͤßte er sich gefallen lassen, daß er nach seinem Tode ausgestopft, und zum Wahrzeichen auf die Universitaͤtsbibliothek gesetzt wuͤrde, daß sich andre an ihm spiegeln koͤnnten. Halten Sie mir diesen Scherz zu gute, Sie wissen es wohl, ich spa- se gern; und wenn ich an einen guten Freund schrei- be, wie Sie sind, so nehme ich mir kein Blatt vors Maul. Leben Sie wohl. Schicken Sie doch auf die Messe Jhren Candidaten zu mir. Jch moͤchte doch zum wenigsten gern sehen, wie er aussaͤhe. Es ist mir dergleichen Geschoͤpfe noch niemals vor- gekommen. Bis dahin leben Sie wohl. Jch bin Jhr alter guter Freund u. s. w. L 5 Von Satyrische Briefe. „ V on dem Briefe, der itzt folgt, weiß ich „nichts zu erinnern. Er erklaͤret sich oh- „ne eine Vorrede. Haͤtte ich ihn vor „zehn Jahren geschrieben, so wuͤrde ich vielleicht „wegen einiger Stellen in den Verdacht gefallen „seyn, als machte ich auf mich selbst eine Satyre. „Nunmehr bin ich uͤber diese Besorgniß weg. Das „wird wohl nicht noͤthig seyn zu erinnern, daß die „Satyre in diesem Briefe nicht allgemein ist, und „nur diejenigen trifft, welche dergleichen Vorwuͤr- „fe verdienen. Eine Erinnerung, die ich muͤde „bin zu wiederholen, und die ich vielleicht fuͤr ei- „nen unachtsamen, und argwoͤhnischen Leser nicht „oft genug wiederholen kann!„ Gnaͤdiger Herr, J ch bin in der That ganz andrer Meynung, als Sie sind. Sie glauben viel gewonnen zu ha- ben, daß Sie, bey dem Processe mit Jhren Unter- thanen, die Commission an einen jungen Mann auszubringen Gelegenheit gefunden, der zum er- stenmale in dergleichen Geschaͤfften gebraucht wird. Sie irren Sich gewiß, Gnaͤdiger Herr, wenn Sie Sich Hoffnung machen, ihn, als einen ungeuͤb- ten, und noch unerfahrnen Mann, nach Jhrem Willen zu lenken. Mich hat es die Erfahrung gelehrt, Satyrische Briefe. gelehrt, daß gemeiniglich niemand gefaͤhrlicher sey, als ein junger Commissar. Seine Begriffe von der Pflicht sind noch zu wenig ausgearbeitet. Da er noch niemals dergleichen Auftrag gehabt, so glaubt er, er arbeite itzt vor den Augen des Hofs, und des ganzen Landes. Ein amtsmaͤßiger Hoch- muth, und das Verlangen, sein kuͤnftiges Gluͤck zu empfehlen, macht ihn strenge. Er versteht nur das Finstre und Schwere der Pflicht, und vergißt die Billigkeit daruͤber. Er ist hart gegen den Un- terthan, um ein treuer Diener seines Fuͤrsten zu scheinen. Die Gesetze sind ihm noch zu neu, als daß er sie genau kennen sollte. Er weiß es noch nicht, daß dergleichen Gesetze eben so wohl zum Besten des Landes, als dazu gegeben sind, die Rechte des Fuͤrsten zu schuͤtzen. Ueberzeugen Sie ihn, daß er gefehlt, daß er die Gesetze nicht recht verstanden hat: so wird ihm sein junger Stolz nicht verstatten, es einzusehn. Auf Jhre Unko- sten wird er seine Meynung behaupten. Ein Com- missar muß sehr unrecht haben, wenn er davon uͤberfuͤhrt werden soll. Sie werden ihn beleidi- gen, wenn Sie ihn durch Geschenke auf Jhre Sei- te bringen wollen. Vielleicht nimmt er sie kuͤnf- tig an; itzt darf er es noch nicht thun, ohne seinem kuͤnftigen Gluͤcke, und dem Ansehn zu schaden, in das er sich durch seine Gerechtigkeit setzen will. Er weiß es, daß Sie Selbst Gelegenheit gegeben haben, daß er zum Richter in Jhrer Streitigkeit gewaͤhlt worden ist. Eben das ist die Ursache, Gnaͤ- Satyrische Briefe. Gnaͤdiger Herr, warum ich so viel boͤse Folgen fuͤr Sie befuͤrchte. Jst Jhre Sache ungerecht, so wird er sich freuen, es Sie nachdruͤcklich empfin- den zu lassen, daß er einer ungerechten Sache feind sey. Haben Sie Recht, so ist es fuͤr Sie noch weit gefaͤhrlicher. Er wird alle Kraͤfte daran se- tzen, Jhnen Jhr Recht streitig zu machen, um bey Jhrem Gegner, und andern, den Vorwurf zu vermeiden, daß er partheyisch, und um deswillen auf Jhrer Seite sey, weil Sie selbst ihn zum Rich- ter vorgeschlagen haben. Keine Partheylichkeit ist gefaͤhrlicher, als diejenige, welche die Richter begehen, um unpartheyisch zu scheinen. Was ich hier sage, das schreibe ich aus einer Ueberzeu- gung, die mich die Erfahrung gelehrt hat. Ein alter Richter, ein Mann, dem schon oft die Untersuchung der Streitigkeiten aufgetragen worden, ist bey seiner Erfahrung vorsichtig, ge- lassen, gegen beide Theile gefaͤllig, und nachsehend. Sein Ehrgeiz ist beruhigt. Hat er geirrt, so giebt er nach, weil er so oft Gelegenheit gehabt hat, zu sehen, wie leicht es einem Richter moͤglich sey, sich zu irren. Er wird zur Ungebuͤhr nicht strenge seyn, weil er weiß, daß das Gluͤck seines Fuͤrsten allein auf dem Wohlstande der Unterthanen beruht. Niemals wird er behutsamer seyn, als wenn er ei- nen Vorschlag thun, oder ein Gutachten geben soll, von welchem oft das Wohl einer ganzen Ge- meine abhaͤngt. Er weiß es, daß noch die Uren- kel Satyrische Briefe. kel die ungluͤcklichen Folgen eines uͤbereilten, und zu hitzigen Urtheils empfinden. Die Seufzer der Nachwelt bewegen ihn schon itzt; er ist aufmerk- sam, und unpartheyisch, damit nicht sein Anden- ken noch in spaͤten Jahren verflucht werde. Wird es Sie nunmehr bald gereuen, Gnaͤdiger Herr, daß Sie auf den Einfall gekommen sind, sich die Unwissenheit eines jungen Richters zu Nu- tze zu machen? Ueberlegen Sie, was ich Jhnen so aufrichtig geschrieben habe, und aͤndern Sie es noch, wenn es moͤglich ist. Niemand ist strenger, als ein junger Raths- herr, der als Richter die galanten Suͤnden bestra- fen soll, die er gestern selbst begieng, da er noch nicht Rathsherr war; Niemand ist grimmiger, als ein junger Officier, der in Friedenszeit zum erstenmale vor den Augen seiner gnaͤdigen Ma- ma, und Fraͤulein Schwester commandirt; Nie- mand ist partheyischer, als ein junger Commissar, der zum erstenmale Gelegenheit sucht, zu zeigen, daß er gerecht sey! Drey Geschoͤpfe, Gnaͤdiger Herr, vor denen ich alle meine Feinde warne! Jch werde mich freuen, wenn ich erfahre, daß Sie meine Freymuͤthigkeit nicht beleidigt hat. Jch hoffe die- ses von Jhrer Freundschaft, und bin ꝛc. Jch Satyrische Briefe. „ J ch habe die billige Absicht, den Nutzen „von meinen Briefen allgemein zu machen. „Bisher habe ich groͤßtentheils nur fuͤr die- „jenigen gesorgt, welche in der kleinen buͤrgerli- „chen Welt ihr Gluͤck suchen. Hier will ich noch „zween Briefe fuͤr diejenigen einruͤcken, welche „sich an den Hof wagen wollen. Sie sind so „deutlich, daß ich nicht noͤthig zu sagen habe, „wovon sie handeln. Meine Leser werden es bey „dem ersten Anblicke finden.„ Mein Herr, G eben Sie noch nicht alle Hoffnung auf. Nun bin ich endlich auf dem Wege, mein Gluͤck zu machen, und ein Mann von Wichtigkeit zu wer- den. Seit acht Tagen habe ich Jhrem Rathe ge- folgt, und was Sie mir gerathen haben, ist die Stimme der Natur gewesen, denn ich finde mich ungemein leicht darein. Am Montage habe ich mit dem Cammerdie- ner Bruͤderschaft getrunken. Die ganze Anti- chamber ist schon auf meiner Seite, und der kleine Laͤufer, welcher die Gnade hat, Jhro Excellenz Narr zu seyn, faͤngt an, eifersuͤchtig auf meine wi- tzigen Einfaͤlle zu werden, und glaubt, Jhro Ex- cellenz wuͤrden sich halb todt lachen, wenn sie mei- ne Satyrische Briefe ne Schwaͤnke hoͤren sollten. Arbeit genug fuͤr ei- nen Tag, aber auch Ruhm genug! Dienstags legte ich den Grundstein zu meinem Gluͤcke. Kennen Sie das Maͤdchen, welches an- faͤngt, dem Gnaͤdigen Herrn gleichguͤltig zu werden, da sie es seit fuͤnf Jahren nicht gewesen ist? Jch brauchte mehr nicht, als zwo Stunden, sie auf meine Schmeicheleyen aufmerksam zu machen; Sie hat uͤber das Herz ihres Herrn immer noch Gewalt genug, um mein Gluͤck zu unterstuͤtzen, und Jhro Excellenz sind so erkenntlich, daß sie wuͤnschen, das Gluͤck dieses Maͤdchens auf eine dau- erhafte Art zu befestigen. An der Mittewoche habe ich ein Amt angetre- ten, welches zwar in der Welt kein Aufsehn macht, aber auf meiner Stube wichtig genug ist. Diesen und den folgenden Tag brachte ich zu, ver- schiedne Clienten zu versichern, daß ich mir ein un- gemeines Vergnuͤgen daraus machen wuͤrde, ih- nen bey aller Gelegenheit zu dienen. Jch weiß nicht mehr, wer sie waren. Am Freytage hat mich mein Schneider aus- gebildet, und ich haͤtte wahrhaftig in mir das nicht gesucht, was ich nunmehr wirklich in mir finde. Gestern habe ich einige von meinen alten Glaͤu- bigern abgewiesen, und funfzehnhundert Thaler aufs neue geborgt. Jch borgte sie mit einer sehr guten Satyrische Briefe. guten Art, und ich glaube der Kaufmann soll mich verstehn. So klug ist er wenigstens, daß er sie von mir nicht wieder fodern wird. Funfzehnhun- dert Thaler ist eine Kleinigkeit; aber bedenken Sie, mein Herr, daß ich laͤnger nicht, als seit sechs Tagen bey Hofe bin. Heute fruͤh bin ich in der Kirche gewesen. Meine Weste that ihre gute Wirkung. Der Pre- diger gefiel mir nicht so, wie vor acht Tagen, da ich noch kein Hofmann war. Wenn ich nicht irre, so predigt der Mann zu pedantisch. Fuͤr den Poͤ- bel mag er ganz erbaulich seyn. Seine christlichen Tugenden treten so buͤrgerlich einher. Bewun- dern Sie immer diesen Einfall; er hat mir heute viel Ehre in der Kapelle gemacht. Morgen ist der zweyte Feyertag, um deswillen werde ich zur Ader lassen. Leben Sie wohl. Es ist meinem neuen Stan- de gemaͤß, daß ich meine alten Freunde nach und nach vergesse. Gewiß vergesse ich Sie zuletzt; ich will aber doch thun, was mir moͤglich ist. Ver- suchen Sie es uͤber acht Tage. Begegnen Sie mir. Jch werde Sie ansehen, ein paar große Augen machen. Jch soll Sie kennen, mein Herr, werde ich sprechen. Sie werden mir Jhren Na- men sagen; ich werde, als vom Traume erwachend, zuruͤck springen, Sie umarmen, und ohne ihre Antwort zu erwarten, mich aus Jhren Armen los reissen, weil mich hoͤchstdringende Geschaͤffte noͤthi- Satyrische Briefe. noͤthigen, nach Hofe zu eilen; mein Bedienter wird Jhnen meine Wohnung sagen. Gruͤssen Sie mei- ne Freunde; aber, ich bitte Sie, ja incognito. Jch halte sie hoch; aber die Zeiten aͤndern sich. Der Hof giebt auf alle meine Bewegungen acht. Wie gesagt, gruͤssen Sie die ehrlichen Leute, wenn ichs recht uͤberlege, habe ich eben nicht Ursache, mich ihrer zu schaͤmen. Leben Sie wohl. Jch habe die Ehre zu seyn, Mein Herr, Deren dienstwilliger Freund. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ N. S. Vornehme Leute pflegen des Wohlstands wegen gemeiniglich an einem oder mehrern Theilen der Religion zu zweifeln. Geben Sie mir einen guten Rath, an welchem zweifle ich? Jch daͤchte, weil ich erst an- fange, mich in der Welt zu zeigen, ich zwei- felte noch zur Zeit nur an der Hoͤlle. Koͤmmt Zeit, koͤmmt Rath. Was mey- nen Sie? M Gnaͤdi- Satyrische Briefe. Gnaͤdiger Herr, D a Ew. Gnd. die Mine einer Excellenz ma- chen, und um deswillen noͤthig finden, bey der uͤbrigen Equipage auch einen Sekretaͤr mit zu halten: so wuͤnschte ich mir wohl, diese Stelle zu erlangen. Jch weiß, daß ich dabey weiter nichts zu thun habe, als der gnaͤdigen Frau ihre Waͤsch- zeddel abzuschreiben, den Verwalter einen Esel zu heißen, und den Schuldleuten auf ihre Mahnbrie- fe in den gnaͤdigsten und freundlichsten Ausdruͤ- ckungen zu sagen, daß sie nicht bezahlt werden sol- len. Jch glaube daher, Geschicklichkeit genug zu haben, diesem Amte vorzustehn, und ich will, mit Huͤlfe einer reichen Weste, in dem Vorzimmer so wichtig thun, daß man glauben soll, Ew. Gna- den arbeiteten in Jhrem Cabinette am allgemeinen Frieden. Da ich weiß, Gnaͤdiger Herr, daß Sie zuweilen ein wenig hitzig sind: so will ich ver- sprechen, es mit aller Geduld auszuhalten, wenn Sie mir erlauben wollen, daß ich zu meiner Schadloshaltung, so oft Sie in Jhrem Zimmer gegen mich hitzig sind, im Vorzimmer gegen die- jenigen grob seyn darf, die weniger sind, als ich, oder die bey Ew. Gnaden etwas zu suchen haben. Sie werden kein Bedenken finden, mir dieses zu erlauben, da es in den meisten Vorzimmern der kleinen Potentaten, wie Ew. Gnaden sind, Mo- de ist. Um den Gehalt werden wir uns verglei- chen. Satyrische Briefe. chen. Jch sehe hauptsaͤchlich auf die Ehre, und verlange daher zum Anfange mehr nicht, als zwey- hundert Thaler, bey freyer Bekoͤstigung und Woh- nung. Dieses aber bitte ich mir zugleich unter- thaͤnig aus, daß alle diejenigen Gelder, welche Ew. Gnaden aufborgen, durch meine Haͤnde gehn. Jch werde Jhnen dadurch Jhre Muͤhe sehr erleichtern. Denn da Sie die hohe Absicht haben, laͤngstens in zehn Jahren einen Jhrem Stande gemaͤßen Bankerutt zu machen: so ge- traue ich mir, es in fuͤnf Jahren so weit zu brin- gen, daß ich einige tausend Thaler erworben ha- be; daß Jhre Glaͤubiger betrogen, und Ew. Gna- den ein Bettler sind. Jch bin mit unterthaͤniger Hochachtung ꝛc. M 2 Jch Satyrische Briefe. „ J ch will meinen Lesern hier einige Brie- „fe mittheilen, die mir von einer unbe- „kannten Hand zugesendet worden sind. „Die Erfindung, seinen Lesern auf dergleichen „Art ein Geheimniß im Vertrauen zu sagen, „ist so neu nicht, daß ich ohne Sorge seyn „sollte, ob man es nicht auch fuͤr eine solche „Erfindung halten werde. Jch muß mir al- „les gefallen lassen. Weil aber in diesen „Briefen so viel Wahrscheinlichkeit enthalten „ist; weil die traurige Geschichte, die man dar- „innen findet, sich so oft, ob wohl mit ver- „schiednen Umstaͤnden zutraͤgt; und weil ich „selbst bey dem Schlusse eine ziemlich ernst- „hafte Lehre und Vermahnung bekomme: so „wird man die Gefaͤlligkeit haben, und glau- „ben, daß diese Briefe nicht erdichtet sind. „Jch koͤnnte einem jeden die Originale vor- „legen; es soll aber niemand ein Recht haben, „sie von mir zu fodern, als solche Frauen- „zimmer, welche sie zu ihrer Besserung brau- „chen. An Satyrische Briefe. An den Verfasser der satyrischen Briefe. Mein Herr, W enn es wahr ist, was man mich versichert, daß sie kuͤnftige Messe den dritten Theil Jhrer satyrischen Schriften heraus geben, und darinne eine Sammlung verschiedner Briefe der Welt mittheilen wollen: so nehme ich mir die Freyheit, fuͤr diejenigen um eine Stelle zu bit- ten, die ich Jhnen hier zu uͤbersenden die Eh- re habe. Es ist dieses die einzige Gelegen- heit, mein Gewissen zu beruhigen, da ich durch mein uͤbereiltes Exempel viele meiner Mitschwe- stern auf die Eitelkeit gebracht habe, eben so kostbar, und laͤcherlich zu thun, als ich gethan habe, und da ich zugleich hoffe, daß viele, die es noch nicht gethan haben, sich desto eher kuͤnftig vor diesen Fehlern huͤten werden. Damit Sie alles desto besser verstehn, so muß ich Jhnen melden, daß mein Vater ein fuͤrstlicher Beamter gewesen ist, welcher die Kunst verstanden, reich zu thun, da er es nicht war; und welcher sich das gewoͤhnliche Vergnuͤgen machte, in Gesellschaft der benachbarten Adlichen, das Geld, das er von den Bauern erpreßt hatte, M 3 zu Satyrische Briefe. zu verthun, um sich bey seinen Gaͤsten ein gewisses Ansehn zu erwerben, welches nicht laͤnger dauerte, als der Rausch, den sich seine hochadlichen Gaͤste bey ihm trunken. Da es einem jungen von Adel so wenig kostet, einem Buͤrgermaͤdchen, das noch so ziemlich gebildet ist, Schmeicheleyen vorzusa- gen: so koͤnnen Sie wohl glauben, wie sehr dieses meiner natuͤrlichen Eitelkeit gefiel, und ich ward so thoͤricht, ein iedes Compliment fuͤr einen zaͤrtli- chen Seufzer zu halten. Jn Gedanken war ich schon gnaͤdige Frau, und um meiner neuen Wuͤr- de keine Schande zu machen, gewoͤhnte ich mich, alle diejenigen veraͤchtlich anzusehn, welche, nach meiner Meynung, der Himmel in seinem Zorne ohne Ahnen erschaffen hatte. Dieses ist die wahre Qvelle aller meiner Thor- heiten. Wie sehr bin ich fuͤr meinen Stolz gede- muͤthiget worden! Alle Gelegenheiten, welche mir gegeben wurden, mich zu verheirathen, stieß ich auf eine uͤbermuͤthige Art von mir, da es nur buͤrgerliche Haͤnde waren, die man mir anboth. Hier sind die Briefe, und meine Antwort darauf, nach ihrer chronologischen Ordnung. Wie un- vernuͤnftig habe ich gehandelt! Schrei- Satyrische Briefe. Schreiben des Herrn Hofraths R ‒ ‒ ‒ an die Mademoiselle F ‒ ‒ ‒ „ D er Tod meiner Frau, welche vor einem Jah- „re gestorben ist, hat mich in die Nothwen- „digkeit gesetzt, fuͤr eine ziemlich weitlaͤuftige „Wirthschaft, und fuͤr die Erziehung zweyer Kin- „der zu sorgen, wovon das aͤlteste acht Jahre ist. „Mein Amt, das ich habe, ist mit so vieler Unruhe „verknuͤpft, daß ich mich nicht im Stande sehe, „meinen haͤuslichen Angelegenheiten laͤnger, wie „bisher, allein vorzustehn, ob ich schon aus Liebe „zu meinen Kindern wohl wuͤnschte, den ganzen „Tag auf ihre Zucht und Unterweisung wenden „zu koͤnnen, da ich, wenn ich mir als Vater nicht „etwa zu viel schmeichle, so viel gutes in ihren „jungen Gemuͤtern zu finden glaube, welches die „Hoffnung sorgfaͤltiger Aeltern mit der Zeit reich- „lich belohnen wird. Es ist um deswillen eine „meiner wichtigsten Sorgen, wie ich diesen guten „Kindern den Verlust ersetzen moͤge, den sie durch „den Tod einer vernuͤnftigen und liebreichen Mut- „ter so fruͤh erlitten haben. Die Gelegenheit, die „ich gehabt, Jhren Herrn Vater seit langen Jah- „ren zu kennen, ist Ursache, daß ich mir von Jh- „nen, Mademoiselle, nichts anders, als den Cha- M 4 „rakter Satyrische Briefe. „rakter eines vollkommen tugendhaften und arti- „gen Frauenzimmers habe vorstellen koͤnnen; und „ich habe in der letztern Ostermesse in Jhrer Ge- „sellschaft gefunden, daß Jhre Vollkommenhei- „ten meine Vorstellungen weit uͤbertreffen. Er- „lauben Sie also, Mademoiselle, daß ich aus „Verlangen, mich selbst gluͤcklich zu machen, und „das Gluͤck meiner Kinder zu befestigen, Jhnen „sage, daß ich Sie aufrichtig, und mit Hochach- „tung liebe, und nichts auf der Welt so sehr wuͤn- „sche, als einige Hoffnung Jhrer Gegenliebe zu er- „langen. Sie allein, Mademoiselle, sind vermoͤ- „gend, mir das Andenken eines Verlustes verges- „send zu machen, welcher mir in der That bis „itzo noch empfindlich ist. „Da meine Wahl so vorsichtig ist, so koͤn- „nen sie glauben, daß meine Liebe vernuͤnftig und „dauerhaft bleiben wird. Mein Amt, und mei- „ne uͤbrigen Umstaͤnde sind eintraͤglich genug, Jh- „nen alles dasjenige zu verschaffen, was Jhr „Stand erfodert. Es wird im uͤbrigen auf Sie „ankommen, unter welchen Bedingungen Sie „mir Jhre Hand uͤberlassen wollen; denn ich ver- „lange, daß Sie auch nach meinem Tode noch „gluͤcklich seyn sollen. Haben Sie die Guͤtigkeit, „und melden Sie mir, ob ich hoffen darf; denn „so werde ich nicht einen Augenblick anstehn, Jh- „rem Herrn Vater von meiner Absicht Nachricht „zu geben. Unter Erwartung einer gewuͤnsch- „ten Satyrische Briefe. „ten Antwort bin ich mit der groͤßten Hochach- „tung, Mademoiselle, Dero den 22 May 1736. ergebenster Diener R. ‒ ‒ ‒ Wie meynen Sie, mein Herr, daß ich diesen Brief aufnahm? Jtzt, da ich Zeit habe, ihn ge- laßner zu uͤberdenken, finde ich in der That alles drinnen, was man von einem vernuͤnftigen Lieb- haber fodern kann. Damals aber dachte ich ganz anders. Er kam mir frostig und altvaͤtrisch vor, und ich glaubte nichts, als die letzten Flam- men eines verliebten Wittwers wahrzunehmen, wel- cher aus Liebe zu seinen armen Waysen zu guter letzt noch einmal zaͤrtlich thut, um fuͤr sie eine gute Waͤrterinn zu erfreyen. Unendlich reizender und schaͤtzbarer waren mir die Schmeicheleyen ei- nes jungen von Adel aus der Nachbarschaft, der mich seit fuͤnf Jahren versicherte, daß ich schoͤn, und seine Goͤttinn sey. Sagte der Herr Hofrath wohl so etwas, und hat er wohl mit einem Worte an meine Schoͤnheit M 5 gedacht, Satyrische Briefe. gedacht, auf die ich doch meinen ganzen Werth setzte? Dieser von Adel war Lieutenant, und ich bildete mir ein, daß er mir bey einigen unschuldi- digen Freyheiten, die ich ihm dann und wann er- laubte, nicht undeutlich zu verstehen gaͤbe, er wolle mich heirathen, so bald er eine Compagnie haben wuͤrde. Ein Soldat, ein Hauptmann, ein zaͤrt- licher Hauptmann ohne Kinder, war der nicht ei- nem bejahrten Hofrathe, und ernsthaften Wittwer mit zwey Kindern vorzuziehn? Jch sollte es wohl glauben, wenigstens glaubte ich es damals. Jn der That hatte ich unter den suͤssen Traͤumen eines adlichen Gluͤcks schon mein vier und zwanzigstes Jahr herangebracht; aber ich war auch keine Stun- de mehr sicher, daß mein zaͤrtlicher Herr Lieute- nant nicht Capitain wuͤrde. Sollte ich mich selbst an diesem Gluͤcke hindern? Jch that also, was ei- ne Naͤrrinn, wie ich, thun konnte, und schrieb an den Hofrath folgenden Brief. Mein Herr, „ E s ist in der That eine große Schmeicheley fuͤr „meinen Vater, daß Sie ihm den Besitz einer „frommen und christlich erzognen Tochter zuge- „stehn. Es wuͤrde Jhrer gesetzten und ernsthaf- „ten Liebe nachtheilig seyn, wenn Sie weniger auf „die Tugend, als auf die aͤusserlichen Vorzuͤge „eines Frauenzimmers saͤhen; und ich habe die „Ehre, Sie zu versichern, daß ich noch nieman- den Satyrische Briefe. „den gesehn habe, der so erbaulich, und exempla- „risch liebt, als Sie, mein Herr. Jhre Person, „und Jhr Amt verdienen meine ganze Hochach- „tung; ich glaube aber, daß ich noch zu jung und „flatterhaft bin, um mich nach dem ehrwuͤrdigen „Muster Jhrer seligen, und noch im Grabe herz- „lich geliebten Frau zu bilden. Jch bin gewiß „uͤberzeugt, daß uns bey einer genauern Verbin- „dung niemals Materie zu Gespraͤchen fehlen wuͤr- „de, da Sie so unerschoͤpflich sind, wenn Sie auf „die Verdienste Jhrer seligen Frau zu reden kom- „men, von denen der groͤßte Theil Jhres Briefs „angefuͤllt ist. Jhre hoffnungsvollen Waysen „verdienen allerdings Jhre ganze Zaͤrtlichkeit. Es „waͤre unbillig, wenn ich dieselben um einen Theil „bringen wollte. Jn der That finde ich bey mei- „nen itzigen Umstaͤnden noch keinen Beruf Kin- „derfrau zu werden, zu welchem wichtigen Amte „Sie mich, vor so vielen andern, ausersehen „haben. Die Offenherzigkeit ist noch eine Tu- „gend von mir, die Sie in der letzten Oster- „messe nicht wahrgenommen haben. Sie koͤn- „nen glauben, daß es mein ganzer Ernst sey, „wenn ich mir die Ehre gebe, Jhnen zu sagen, „daß ich sey, Mein Herr, ‒ ‒ ‒ ‒ am 13ten Brachmonats 1736. Jhre Dienerinn F ‒ ‒ ‒ Sie Satyrische Briefe. Sie koͤnnen Sich vorstellen, daß der Herr Hofrath die Lust verlohr, noch einmal um so ein naͤrrisches Ding, als ich war, anzuhalten. Er verheirathete sich anderwaͤrts, und ich war mit mei- nem und seinem Entschlusse wohl zufrieden. Es vergieng mehr als ein Jahr, ohne daß sich Je- mand um meine Liebe ernstlich bewarb. Denn die kleinen zaͤrtlichen Klaͤffer rechne ich nicht, wel- che um mich herum sprangen, und seufzten. Jch sahe ihre Seufzer als eine Art Sporteln an, wel- che mir eben so wohl gehoͤrten, als meinem Va- ter die Sporteln, die ihm seine gedemuͤthigten Bauern brachten. Jch wuͤrde unzufrieden gewe- sen seyn, wenn mich nicht diese kleinen suͤssen Ge- wuͤrme angebetet haͤtten. Jch wußte sie aber mit der Majestaͤt einer Goͤttinn so zahm, und so sehr in ihrer Tiefe zu erhalten, daß sich keiner un- terstand, zu vertraut zu reden; und es kostete mich nur ein Machtwort, nur einen gebietrischen Blick, so waren sie in ihr erstes Nichts verwandelt. Jch brauchte sie, die Zaͤrtlichkeit meines Lieutenants in der Bewegung und lebhaft zu erhalten, von dem es mir schien, daß er zuweilen desto kaltsinni- ger ward, je vertrauter ich gegen ihn that. Es hatte seine gute Wirkung, und folgender Brief brachte ihn auf einmal ganz wieder zu mir. Made- Satyrische Briefe. Mademoiselle, „ D ie langwierige Krankheit Jhres Herrn Va- „ters hat mir ein Gluͤck verschafft, das ich „nicht zu schaͤtzen weiß. Bey den oͤftern Besu- „chen, die ich, als sein Medicus, ablegte, hatte „die Sorge fuͤr seine Gesundheit, wenn ich es auf- „richtig gestehn darf, nicht so viel Antheil, als das „Verlangen, Sie, Mademoiselle, zu sehn. Sie „haben mir es oft angemerkt, daß ich zerstreut war. „Sie dachten, es geschaͤhe aus Sorge fuͤr die „bedenklichen Umstaͤnde Jhres Herrn Vaters: „Sie dachten falsch. Vielmals bin ich mehr mit „mir beschaͤfftigt gewesen, als mit dem Pulse des „Kranken, den ich in Jhrer Gegenwart zu hal- „ben Stunden mit einer horchenden Mine hielt, „um das stille Vergnuͤgen zu haben, Sie unbe- „wegt anzusehn, wenn Sie, ohne ein Auge von „mir zu verwenden, mit einer kindlichen Zaͤrtlich- „keit den schrecklichen Ausspruch aͤngstlich erwarte- „ten, den ich uͤber das Leben, oder die Gesund- „heit Jhres Herrn Vaters thun wuͤrde. Ent- „schuldigen Sie, Mademoiselle, eine Verwegen- „heit, die sich in der That mit nichts, als Jhrer „Schoͤnheit, und meiner aufrichtigen Hochach- „tung gegen Sie entschuldigen laͤßt. Da ich so „offenherzig bin, alles dasjenige zu gestehn, was „mir als ein Fehler ausgelegt werden koͤnnte, wenn „Sie weniger billig und guͤtig waͤren, als Sie sind: Satyrische Briefe. „sind: so wage ichs, ein Bekenntniß abzulegen, „welches fuͤr mich das wichtigste ist, daß ich je- „mals thun kann. Jch bin ein solcher Verehrer „Jhrer Schoͤnheit und Tugenden, daß ich nichts „weiter als Jhre Erlaubniß erwarte, Sie von der „Hand Jhres Herrn Vaters zu meiner bestaͤndi- „gen Freundinn mir zu erbitten. Soll meine Lie- „be gluͤcklich seyn? Jch erwarte Jhren Ausspruch. „Sehn Sie nicht so wohl auf mein Vermoͤgen „und meine Einnahme, die zureichend sind, Jh- „nen und mir alle Bequemlichkeit zu verschaffen. „Sehn Sie auf meine redliche und heftige Nei- „gung, und machen Sie denjenigen nicht ungluͤck- „lich, welcher nichts so sehr wuͤnscht, als die Er- „laubniß zu haben, Jhnen zeitlebens zu sagen, „daß er mit der zaͤrtlichsten Hochachtung sey, Mademoiselle, am 3ten Februar 1738. der Jhrige D. Z. ‒ ‒ ‒ Was meynen Sie, mein Herr? Das war doch ein andrer Brief, als der von dem trocknen Hofrathe. Glauben Sie, daß mir ein Liebha- ber gleichguͤltig seyn konnte, dessen Person ganz ertraͤg- Satyrische Briefe. ertraͤglich, dessen Amt und Einkuͤnfte gar ansehn- lich waren; der eine so zaͤrtliche Liebeserklaͤrung, wie Sie in seinem Briefe finden, nach allen Re- geln der Rhetorik herauswurgte; und der, nach seinem eignen Gestaͤndnisse, von meiner Schoͤnheit geblendet, das Maul offen behielt, wenn er mich bey meines Vaters Krankenbette sahe? Jn der That wuͤrde ich kein Bedenken ge- habt haben, meinen zaͤrtlichen Arzt aus seiner Entzuͤckung zu reissen; aber, der Herr Lieutenant, Jhre Gnaden, der zukuͤnftige Herr Capitain, und vielleicht kuͤnftig gar einmal Jhre Excellenz, der Herr General! Sollte ich dieses Gluͤck so muth- willig verscherzen? dieses Gluͤck, das mir so moͤg- lich und nah zu seyn schiene! Es ist wahr, bey nahe ward mir die Zeit lang. Jtzo haͤtte ich in meinem sechs und zwanzigsten Jahre Frau Docto- rinn werden koͤnnen, und wer leistete mir die Gewaͤhr, daß ich in meinem dreyssigsten Frau Hauptmanninn seyn wuͤrde? Aber hatte ich nicht eben um deswillen einen Hofrath vergebens seufzen lassen? Sollte ich mich nun einem Doctor in die Arme werfen? Jch faßte einen Entschluß der fein war, und gluͤcklich ausschlug. Jch schrieb an meinen Lieutenant, und meldete ihn den Antrag meines Liebhabers. Jch ließ ihm unter der Hand errathen, daß ich nicht ungeneigt sey, einen An- trag anzunehmen, der fuͤr meine Umstaͤnde so vor- theilhaft zu seyn schiene. Da ich auf den Punkt unsrer alten Liebe und Bekanntschaft kam: so schrieb Satyrische Briefe. schrieb ich so unschluͤßig, und verwirrt, daß er wohl merken konnte, was ich fuͤhlte, und meynte; ich gestund ihm aber, daß ich allerdings thoͤricht gewesen waͤre, mir mit einem Gluͤcke zu schmei- cheln, das fuͤr mich zu groß sey. Es sey mein Un- gluͤck, und immer mein Fehler gewesen, die Auf- richtigkeit andrer nach meinem redlichen Herzen zu beurtheilen. Er sollte mir daruͤber keinen Vor- wurf machen, ich faͤnde selbst, wie unuͤberlegt ich gehandelt haͤtte. Waͤre es sein Ernst gewesen, unsre Freundschaft zu einer naͤhern Verbindung zu bringen: so wuͤrde er schon lange Gelegenheit ge- habt haben, es zu thun. Jch wollte dem unge- achtet niemals aufhoͤren, seine Freundinn zu seyn; er moͤchte dafuͤr mein Freund bleiben, und mir itzo als mein aufrichtiger Freund rathen, was ich dem Doctor fuͤr eine Entschliessung melden sollte. Jch erhielt den folgenden Tag von dem Lieutenant die- sen Brief. Mein englisches, mein allerschoͤnst es Lottchen! „ D er Donner soll dem verfluchten Qvacksalber „die Knochen entzwey schmeissen, wenn er „sich noch einmal untersteht uͤber Jhre Schwelle „zu schreiten, oder eine Zeile an Sie zu schreiben! „Ein allerliebstes Kind, wie Sie, mein Lottchen, „ist fuͤr keinen solchen griechischen Mistfinken ge- macht. Satyrische Briefe. „gemacht. Rund vorbey, Herr Doctor, der „Bissen ist fuͤr ihn zu fett! Bedenken Sie, Lott- „chen, was Sie thun? Hat Jhnen die Natur „darum so schoͤne Haͤnde gegeben, daß sie Pillen „damit drehen sollen? Wollen Sie ihren goͤttli- „chen Mund von einem elenden Kerl kuͤssen lassen, „der den ganzen Tag das Uringlas vor der Nase „hat? Pfuy, Lottchen, Sie riechen schon nach „todten Koͤrpern; gewiß, Sie riechen schon dar- „nach! Was wird kuͤnftig werden, wenn Sie „selbst mit helfen muͤssen Hunde wuͤrgen, oder ar- „me Suͤnder anatomiren? Wie ist es moͤglich ge- „wesen, daß Sie nur einen Augenblick haben „zweifeln koͤnnen, Jhren krummbeinigten Liebhaber „mit einer langen Nase heimzuschicken? Schicken „Sie ihn den Augenblick fort, folgen Sie mir! „Sie verdienen ein besseres Gluͤck, verstehn Sie „mich, Schoͤnstes Lottchen, ein bessres Gluͤck! „Morgen Nachmittage werde ich bey Jhnen seyn. „O wie viel habe ich Jhnen da zu sagen, recht „viel zu sagen! Leben Sie wohl. Jch kuͤsse Sie „tausendmal in Gedanken; Stirne, Augen, Ba- „cken, Mund, Brust, Hand, alles kuͤsse ich Jh- „nen, und Jhrem Wurmkraͤmer breche ich noch „seinen griechischen Hals. Leben Sie wohl.„ Dieser Brief setzte mich ganz ausser mir. Bey der naͤrrischen Eigenliebe, die ich fuͤr mich, meine Schoͤnheit, und Verdienste hatte, hielt ich ihn fuͤr eine voͤllige Liebeserklaͤrung, fuͤr einen N Eh- Satyrische Briefe. Ehcontrakt, und ich weiß selbst nicht wofuͤr. Steht wohl von allen diesem ein Wort darinnen? Nicht ein Wort. Wie blind sind wir Maͤdchen, wenn wir uns einmal von den albernen Schmeiche- leyen der verfuͤhrerischen Mannspersonen fangen, und uns von einer Liebe einnehmen lassen, von der uns unser Stand, und die Vernunft abhalten sollte! Mein Lieutenant kam, wie er versprochen hatte. Er sagte mir tausend laͤppische Sachen vor, die mir damals sehr wichtig vorkamen. Jch muß- te mich in seiner Gegenwart hinsetzen, und an mei- nen Liebhaber folgenden Brief schreiben. Hochzuehrender Herr Doctor, „ W enn Sie Sich auf den Puls nicht besser ver- „stehn, als auf die Herzen der Maͤdchen: „so sind Sie ein ziemlicher Pfuscher. Die Sor- „ge fuͤr die Gesundheit meines Vaters hat mir „Jhre Gegenwart etliche Monate uͤber ertraͤglich „gemacht. Nun ist er wieder gesund, Sie sind „fuͤr Jhre Muͤhe bezahlt; haben Sie weiter ei- „nen Anspruch an ihn, oder soll er seine Gesund- „heit mit seiner Tochter erkaufen? Nein, Hocher- „fahrner Herr Doctor, dieser Kauf waͤre zu theu- „er. Der Himmel erhalte meinen Vater bestaͤn- „dig gesund! Blos darum wuͤnsche ich es, da- „mit er Jhnen nicht vom neuen eine Wohlthat zu „dan- Satyrische Briefe. „danken habe, fuͤr die Sie Sich so wohl bezahlt „zu machen suchen. Jch werde ihm Jhre große „Aufmerksamkeit auf einen kranken Vater und „seine gesunde Tochter zu ruͤhmen wissen, damit „er erfaͤhrt, warum er etliche Wochen laͤnger „das Bette hat huͤten muͤssen. So gelehrt Sie „seyn moͤgen, so wenig bin ich im Stande, sie zu „leiden. Ein Liebhaber, der nach Mosch, und „Ambra riecht, ist mir laͤcherlich. Aber Seufzer, „die nach Rhabarber, und Essenzen riechen, sind „mir gar unertraͤglich. Sind Sie boͤse, im Ernst „boͤse? Geschwind nehmen Sie Cremor Tartari, „oder sonst so was niederschlagendes ein; Sie „werden am besten wissen, was wider den Zorn „hilft. Jch weiß, was wider die aufwallende Lie- „be gut ist. Nichts besser, als ein Brief, wie die- „ser. Recipe, mein Herr; frisch hinunter ge- „schluckt, und ein Glas Wasser darauf! Wohl „bekomme es dem Herrn! Jch bin ‒ ‒ ‒ am 8ten Februar 1738. Jhre Dienerinn, F ‒ ‒ ‒ Haͤtten Sie wohl geglaubt, mein Herr, daß ein Frauenzimmer, welches sich schmeichelt, Erzie- N 2 hung Satyrische Briefe. hung zu haben, im Stande gewesen waͤre, einen so unhoͤflichen und rasenden Brief zu schreiben? Aber was thut nicht eine Naͤrrinn, wie ich war? Jch schrieb ihn in Gegenwart meines Hochwohl- gebohrnen Lieutenants. Er hatte seinen Arm um meinen Nacken geschlagen, da ich ihn schrieb, und er kuͤßte mich fuͤr ieden allerliebsten artigen Gedan- ken, wie er meine groben Einfaͤlle nennte. Jch war damals so wohl zufrieden mit mir und meinem Ritter, daß ich nicht weiß, wozu mich seine Zaͤrt- lichkeit gebracht haͤtte, wenn er noch ein wenig mehr verwegen, und ich nicht besorgt gewesen waͤre, durch eine zuvertraute Gefaͤlligkeit die Hochachtung zu verlieren, in der ich ihn gegen mich erhalten muß- te, wenn meine Absichten auf ihn ernsthaft bleiben sollten. Er liebte mich einige Monate feuriger, als iemals, und als ihn eine heftige Krankheit uͤber- fiel, merkte ich erst, wie stark meine Liebe zu ihm war, die ich ihm nunmehr weder selbst sagen, noch andern entdecken durfte. Jn dieser aͤngstlichen Ungewißheit blieb ich laͤnger, als ein Jahr, und ich war bey dieser Unruhe so unbesorgt auf mich selbst, daß ich nicht wußte, was um mich herum vorgieng, ob ich damals Anbeter hatte, oder nicht. Jch weiß es in der That nicht. So viel weiß ich, daß mir um diese Zeit Niemand mit einem schriftli- chen Antrage beschwerlich fiel. Er wuͤrde schlimm angekommen seyn. Endlich ward mein Lieute- nant wieder gesund. Seine Krankheit hatte ihn sehr muͤrrisch, und verdruͤßlich gemacht. Wenig- stens Satyrische Briefe. stens gab ich es seiner Krankheit Schuld, das er bey unsrer ersten Zusammenkunft ziemlich gleich- guͤltig gegen mich that. Er erholte sich nach und nach, gegen mich aber blieb er immer gleichguͤltig. Wie unruhig ward ich Thoͤrinn! Ganz unvermu- thet erhielt ich die Nachricht, er sey nach Dresden gereist, um die Sachen wegen seiner Compagnie in Ordnung zu bringen. Nach Dresden zu reisen, ohne mir ein Wort davon zu sagen, ohne Abschied zu nehmen, ohne mir zu sagen, daß er sich dem gluͤcklichen Augenblicke nunmehr nahe, wo er mei- ne Liebe und Bestaͤndigkeit kroͤnen koͤnne? Konnte ein Gedanke fuͤr mich grausamer seyn, als der, welcher natuͤrlicher Weise aus diesen Vorstellungen fliessen mußte? Und doch war ich immer noch so leichtglaͤubig, daß ich mir einbildete, nur aus Lie- be zu mir, nur um mich nicht zu kraͤnken, sey er oh- ne Abschied, und in der Stille fortgereist; um mir eine ganz unerwartete Freude zu ma- chen, habe er mich nicht wollen wissen lassen, wie nahe er seinem Gluͤcke sey. Mit ausgesperr- ten Armen sahe ich im Geiste meinen treuen Lieb- haber zu mir zuruͤck fliegen, und sein neues Gluͤck als Hauptmann mit mir theilen. Aber warum schrieb er mir nicht? Schreiben haͤtte er zum we- nigsten gekonnt. Das hieß ich die Zaͤrtlichkeit aufs hoͤchste treiben. Nun ward ich argwoͤhnisch, und unruhig. N 3 Mitten Satyrische Briefe. Mitten in diesen kritischen Umstaͤnden verblen- dete der Himmel einen Professor, daß er um mich warb. Mein Vater sagte, er waͤre ein gelehrter Mann. Es kann seyn. Aber ein gelehrter Pro- fessor, und ein Capitain, den man liebt, sind zwo ganz unterschiedne Creaturen. Er hatte ein gu- tes Auskommen, und ich wußte, ungeachtet aller Muͤhe, die ich mir gab, an ihm weiter nichts aus- zusetzen, als daß er zwey und vierzig Jahre alt war. Ein Maͤdchen von acht und zwanzig Jahren haͤtte sich daran nicht stoßen sollen! So? Wer hat Jhnen denn gesagt, mein Herr, daß ich damals acht und zwanzig Jahre alt war? Um diese Zeit sind die Frauenzimmer in ihren ste- henden Jahren, und ich war seit fuͤnf Jahren be- staͤndig drey und zwanzig Jahre alt gewesen. Jhr Einwurf taugte also nichts. Lassen Sie mich mei- nen Roman weiter erzaͤhlen. Die alten Roͤmer moͤgen sich vermuthlich an die Vaͤter gewendet ha- ben, wenn sie sich in die Toͤchter verliebt hatten; wenigstens machte es mein Herr Professor so. Er arbeitete an meinen Herrn Vater folgende gelehrte Schrift aus. Hoch- Satyrische Briefe. Hochedelgebohrner Herr, Hochzuehrender Herr Commissionrath, Vornehmer Goͤnner. „ E w. Hochedelgeb. mit gegenwaͤrtigen Zeilen ge- „horsamst aufzuwarten, verbindet mich die „unterthaͤnige Hochachtung, die ich gegen Dero „vornehmes Haus noch bis itzt unveraͤndert hege. „Es wird nunmehr ungefaͤhr funfzehn Jahre seyn, „daß ich das Gluͤck hatte, von Jhnen als Jnfor- „mator Jhrer lieben Jugend so viele Wohlthaten „zu genießen, die mir bestaͤndig unvergeßlich seyn „werden. Wie geschwind sind diese Jahre ver- „strichen, und wie vielen Veraͤnderungen sind wir „mit denselben unterworfen! Jch kann ohne inni- „ge Regung noch itzt nicht an den schmerzlichen „Verlust gedenken, den Sie vor zehn Jahren durch „den unvermutheten Hintritt Jhrer im Leben so „zaͤrtlich geliebten, und nunmehr in Gott sanft „ruhenden Frau Eheliebste erlitten haben. Ge- „wiß, wenn Gottesfurcht und Tugend den Men- „schen unsterblich machten: so wuͤrde diese wohl- „selige Frau vor andern verdient haben, niemals „zu sterben. Aber ihre unveraͤnderte Liebe zu „Ew. Hochedelgeb. ihre vernuͤnftige Bemuͤhung, „die ihr anvertrauten Liebespfaͤnder dem Schoͤp- „fer zur Ehre, sich zur Freude, und der Welt „zum Besten zu erziehn; ihre Sorgfalt, die N 4 „Pflich- Satyrische Briefe. „Pflichten einer Christinn zu erfuͤllen; ihre Liebe „gegen den armen und nothleidenden Naͤchsten, „diese und noch unzaͤhlich andre Tugenden, ma- „chen sie unsterblich, wenn auch das Jrdische von „ihr laͤngst verwest ist. Ew. Hochedelgeb. verzei- „hen, daß ich diese schmerzhafte Wunde wieder „aufreisse, welche eine Zeit von zehn Jahren nicht „voͤllig zuheilen koͤnnen. Meine Thraͤnen sollen „den Schmerz lindern, Thraͤnen der Dankbarkeit „und Freundschaft, redliche Thraͤnen. Sie sind „Zeugen der Hochachtung. Wie gluͤcklich sind „Sie noch, Hochzuehrender Herr Commiss ion- „rath, da Sie der muͤtterlichen Sorgfalt dieser „rechtschaffnen Frau die Erziehung einer tugend- „haften Tochter zu danken haben, die Jhnen „durch die Aehnlichkeit ihrer Gesichtszuͤge zwar „bestaͤndig das Andenken ihres Verlusts verneu- „ern muß; deren gottesfuͤrchtiger und frommer „Wandel aber, nebst andern loͤblichen Eigenschaf- „ten, Jhnen auf der andern Seite diesen Verlust „wieder zum groͤßten Theile ersetzt. Erinnern „Sie Sich, Hochedelgebohrner Herr, wie ver- „gnuͤgt Sie bey dem gluͤcklichen Besitze Jhrer se- „ligen Frau Eheliebste waren, und stellen Sie „Sich dabey einmal vor, wie gluͤcklich Sie denjeni- „gen machen, welchen Sie wuͤrdigen, mit einer „so liebenswuͤrdigen Tochter zu vereinigen. Ein „Gluͤck, auf welches niemand Anspruch machen „darf, als der es zu schaͤtzen weiß, und den die „Begierde, dessen wuͤrdig zu werden, mit der groͤß- ten Satyrische Briefe. „ten Hochachtung und Dankbarkeit gegen Ew. „Hochedelgeb. verbindet. Fehlen mir, Hochedel- „geb. Herr, andre Vorzuͤge, so sind es doch Hoch- „achtung und Dankbarkeit nicht, die ich mir strei- „tig machen lasse. Verdiene ich itzt die Ehre noch „nicht, ihr Schwiegersohn zu seyn: so wird mein „Bestreben unermuͤdet seyn, mich so aufzufuͤhren, „daß Sie diese Wahl kuͤnftig nicht gereuen kann. „Ein Wink von Jhnen wird mich so dreiste ma- „chen, Jhrer Hochzuehrenden Jungfer Tochter „diese meine tugendhafte Neigung, und christliche „Absicht zu eroͤffnen. Kommen Sie durch Jh- „ren Vorspruch meiner Bloͤdigkeit zu Huͤlfe, und „empfehlen Sie mich einer Person, die ich uͤber al- „les in der Welt schaͤtze. Sie haben bey meiner „Befoͤrderung den ersten Grund zu meinem Gluͤ- „cke gelegt, machen Sie es vollkommen. Sie „verbinden mich auf diese Art Jhnen doppelt. Jch „werde dafuͤr mit unwandelbarer Devotion seyn, Hochedelgebohrner Herr, Hochzuehrender Herr Commissionrath, Meines Hochzuehrenden Herrn und vornehmen Goͤnners ‒ ‒ ‒ am 5ten May 1740. gehorsamst ergebenster Diener, N. N 5 Die- Satyrische Briefe. Dieser Brief brach meinem Vater das Herz. Der Herr Professor hatte ihn auf der schwachen Seite angegriffen; denn er war wider die Ge- wohnheit der meisten Maͤnner so schwach, daß er niemals ohne zaͤrtliche Empfindlichkeit an den Tod seiner Frau denken konnte. Die Person des Herrn Professors, seine Gelehrsamkeit, seine gu- ten Einkuͤnfte waren ihm bekannt. Vielleicht kam auch dieses dazu, daß er sich die Last, eine erwachsne Tochter zu huͤten, vom Halse schaffen wollte. Er redete mir sehr ernstlich zu, ich sollte den Vorschlag annehmen. Sein hohes Alter, seine uͤbrigen Umstaͤnde mußten ihm dazu dienen, mich zu bereden. Jch wußte auf alles eine Ant- wort, und wenn ich nicht weiter konnte: so gab ich ihm zu verstehn, daß ich mich entschlossen haͤt- te, gar nicht zu heirathen. Ein naͤrrischer Ent- schluß, meynte mein Vater; er war aber auch nicht so ernstlich gemeynt. Vierzehn Tage brachte er zu, mich zu bekehren; immer war seine redliche Muͤhe vergebens. Endlich bat ich mir vier Wo- chen Bedenkzeit aus. Jch erhielt sie, und wen- dete diese Zeit dazu an, ohne Vorwissen meines Vaters dem Herrn Professor folgende Antwort zu uͤberschicken. Mein Herr, „ A uf Befehl meines Vaters habe ich die Ehre, „Jhnen fuͤr die wohlgemeynte Condolenz we- „gen Satyrische Briefe. „gen des Ablebens seiner vor zehn Jahren ver- „storbnen Frau ergebenst zu danken. Mein Vater „ist mit mir einig, daß Sie ihr die beste Leichen- „predigt gehalten haben; und ich ins besondre bin „uͤberzeugt, daß Sie mehr geschickt sind, verstorb- „nen Frauenzimmern Lobreden zu halten, als den „itztlebenden Schmeicheleyen vorzusagen. Haͤt- „ten Sie um meinen Vater selbst anhalten wollen, „so wuͤrde dieses freylich der beste Entschluß ge- „wesen seyn, sich an ihn selbst zu wenden. Da „Sie aber mir die Ehre zugedacht hatten, so haͤt- „te ich wohl den Antrag von Jhnen unmittelbar „erwartet. Mit Jhrer Erlaubniß, ich glaube, „Sie, mein Herr, sind ein Beweis, daß man „fromm, ehrbar und gelehrt seyn kann, und doch „nicht zu leben weiß. Jch danke Jhnen fuͤr Jh- „re christliche Absicht unendlich. Jch finde Be- „denken, meinen alten Vater zu verlassen, dessen „Jahre Wartung und Vorsorge brauchen. Kann „ich in meinem Leben das Gluͤck nicht haben, die „Versichrung Jhrer Liebe anzunehmen: so wuͤn- „sche ich mir doch nichts mehr, als die Ehre, daß „Sie mir nach meinem Tode die Abdankung hal- „ten. Sie sind der erbaulichste Leichenredner, „den ich kenne, und ich bin dafuͤr mit unwandel- „barer Devotion, Mein Herr, ‒ ‒ ‒ ‒ am 20sten des Brachm. 1740. Jhre Dienerinn, F ‒ ‒ ‒ N. S. Satyrische Briefe. „N. S. Sie werden nicht noͤthig haben, mir oder „meinem Vater zu antworten. Er denkt „itzt an nichts, als an den Tod seiner seligen „Frau.„ Und was meynen Sie wohl, mein Herr, in welcher Absicht ich diesen Brief schrieb? Jch woll- te meinem alten Liebhaber ein freywilliges Opfer bringen. Aus diesem Entschlusse, den ich wider den Rath und Willen meines Vaters faßte, sollte er urtheilen, wie bestaͤndig meine Liebe, und wie billig es von ihm sey, diese nunmehr zu belohnen, da er in den Stand gekommen, es nach seinem und meinem Wunsche zu thun. Mit der naͤchsten Post schrieb ich ihm diesen Brief. Mein Herr, „ K oͤnnen Sie wohl von mir itzt was anders „erwarten, als die bittersten Vorwuͤrfe? „Gewiß, Sie haben sie verdient, hundertmal ver- „dient, und dieses itzt mehr, als iemals. Erst „sind Sie grausam und werden krank, um mich „ein ganzes Jahr zu aͤngstigen. Endlich werden „Sie wieder gesund, aber nicht zu meiner Beru- „higung; nein, um mich auf eine neue Art zu „qvaͤlen. Sie verreisen, ohne mich es wissen zu „lassen, ohne mir zu erlauben, daß ich Jhnen bey „dem Abschiede die zaͤrtlichste Versichrung meiner „Freund- Satyrische Briefe. „Freundschaft, meiner bestaͤndigen Liebe, gaͤbe. „Wie viele wichtige Sachen hatte ich ihnen zu „sagen, tausend wichtige Sachen, auf die meine „ganze Ruhe ankoͤmmt! Jst fuͤr mich etwas wich- „tigers, als wenn ich Jhnen sage, daß ich Sie „liebe? Und kann ich ruhig seyn, wenn ich nur den „mindesten Verdacht habe, an Jhrer Liebe zu zwei- „feln. Sie fliehn, Grausamer? Fliehn Sie einen „traurigen Abschied zu vermeiden? Wie wenig „kennen Sie die Liebe, die Sie mich doch selbst ge- „lehrt haben! Es wuͤrde mich Thraͤnen gekostet ha- „ben; aber ich haͤtte sie in Jhren Armen geweinet. „Jch wuͤrde sie beschworen haben, Jhre Ruͤckkunft „zu beschleunigen. Wie viel zaͤrtliches haͤtten Sie „mir dabey sagen koͤnnen, das ich sonst gewohnt „bin, von Jhnen zu hoͤren! Glauben Sie wohl, „daß ich Jhnen wuͤrde eine Reise widerrathen „haben, welche Sie thun, um Jhr Gluͤck auf „diejenige dauerhafte Art zu befestigen, die Sie „so oft, und so oft meinetwegen, gewuͤnscht ha- „ben? Kommen Sie, eilen Sie zuruͤck, ich er- „warte Sie mit der zaͤrtlichsten Ungeduld. Das „haͤtte ich doch nicht geglaubt, daß ich Sie so „heftig liebte! Kommen Sie, damit ich Jhnen „vom neuen sagen kann, daß ich Sie ewig lie- „ben werde. „Wissen Sie denn auch, mein irrender Rit- „ter, in welcher Gefahr Sie Jhre trostlose Prin- „zessinn verlassen haben? Drachen und Riesen schwaͤr- Satyrische Briefe. „schwaͤrmen um mein Schloß herum, mich zu ent- „fuͤhren. Tapfrer Roland! Eilen Sie, diese „Ungeheuer zu verjagen. Glauben Sie nur nicht, „daß ich scherze! Lesen Sie den eingeschloßnen „Brief. Er ist von einem fchwarzen Ritter aus „dem Koͤnigreiche Latium, welcher auf Abentheuer „ausgieng, und den ich mit meinem Schwerdte „kecklich erwuͤrgt habe. Ja, mein Herr, konn- „ten Sie von Jhrer zaͤrtlichen und ewig treuen „Charlotte einen andern Entschluß erwarten, als „den, welchen Sie aus dem andern Briefe sehm „werden? Fuͤr diesesmal bin ich der gedachten „Gefahr gluͤcklich entkommen. Werde ich im- „mer Muth und Kraͤfte genug dazu haben, wenn „Sie mich laͤnger verlassen? Eilen Sie! Bey „Jhrer Liebe beschwoͤre ich Sie, eilen Sie, und „sagen Sie mir, daß meine Sorge vergebens ge- „wesen ist. Was ich Jhnen dafuͤr sagen werde? „Daß Sie mein bester Freund sind! Daß ich Sie „unendlich liebe! Daß ich ganz die Jhrige bin! „Soll ich Jhnen noch mehr sagen? Gut, ich will „Sie kuͤssen, tausendmal will ich Sie kuͤssen. „Wie unruhig ist man, wenn man liebt! Leben „Sie wohl.„ Wie gefaͤllt Jhnen dieser Brief, mein Herr? Koͤnnte ein Maͤdchen, ohne den Wohlstand ganz zu beleidigen, deutlicher, als ich, sagen, was sie wuͤnschte, und was sie hoffte? Nun erwartete ich meinen Liebhaber auf den Fluͤgeln der Liebe. Jch wußte, Satyrische Briefe. wußte, daß er die Compagnie bekommen hatte. Jch war dem gewuͤnschten Augenblicke nahe, dem ich zehn Jahre entgegen gesehn hatte. Jede Mi- nute, die ich vergebens auf ihn wartete, schien mir ganze Tage zu seyn. Er kam nicht. Es verstrichen vier Wochen, ohne daß ich von meinem Ungetreuen eine Zeile Antwort bekam. Endlich erhielt ich einen Brief von ihm. Urtheilen Sie von meinem Schrecken, als ich folgendes las. Mademoiselle, „ J ch erinnere mich der angenehmen Augenblicke „sehr wohl, da ich das Vergnuͤgen hatte, in „Jhrer Gesellschaft zu seyn. Glauben Sie Ma- „demoiselle, daß wir Officiere denen Maͤdchen „unendlichen Dank schuldig sind, welche bey un- „sern muͤßigen Stunden, deren wir sehr viele ha- „ben, sich gefallen lassen, unsre Schmeicheleyen an- „zuhoͤren, und sie zu beantworten. Außer die- „sem Zeitvertreibe wuͤrde es fuͤr uns auf dem Lan- „de und in kleinen Staͤdten nicht auszustehen seyn, „wo man so wenig Gesellschaft findet, die unserm „Stande gemaͤß ist. Jch glaube, Sie, als eine „alte gute Freundinn und Bekannte von mir, „werden mir es goͤnnen, wenn ich Jhnen melde, „daß ich eine Compagnie unter dem Regimente „des Herrn Obristen von ‒ ‒ ‒ bekommen ha- „be, und gestern so gluͤcklich gewesen bin, mich „mit seiner Fraͤulein Tochter zu vermaͤhlen. Sie ist Satyrische Briefe. „ist, wie Sie wissen, aus einem guten Hause, „vom alten Adel, nur siebzehn Jahre alt, bild- „schoͤn, und nicht ohne Mittel. Jch empfehle „meine Frau zu Jhrer Freundschaft, wenn ich „wieder in Jhre Gegend kommen sollte, welches „so bald noch nicht geschehen duͤrfte. Jch habe „ihr so viel Gutes von Jhnen gesagt, daß sie „sehr verlangt, Sie kennen zu lernen. Versi- „chern Sie Jhren Herrn Vater meiner Hochach- „tung. Was macht der alte rechtschaffne „Mann? Es ist mir wohl bey ihm gegangen. „Der Lieutenant von ‒ ‒ ‒ ist an meine Stelle „gekommen. Er hat mich gebeten, ihm Bekannt- „schaften zu machen. Werden Sie wohl die Ge- „faͤlligkeit fuͤr mich haben, Mademoiselle, und „ihm diejenige Freundschaft goͤnnen, mit der Sie „mich so lange Zeit gluͤcklich gemacht haben? Er „brennt vor Verlangen, mit Jhnen bekannt zu „werden; so viel Gutes habe ich ihm von Jhnen „erzaͤhlt. Er wird Jhnen gefallen, es ist ein sehr „artiger, und lebhafter Mensch. Jch muß ab- „brechen, weil ich den Augenblick auf meines „Schwiegervaters Gut reise. Jch kann also „weiter nichts sagen, als daß ich mit aller Erge- „benheit bin. Mademoiselle, Dresden am 8ten August 1740 der Jhrige. N. S. Satyrische Briefe. „N. S. Die an mich uͤbersendeten Briefe folgen „hier mit ergebenstem Danke zuruͤck. Meine „Frau hat sich uͤber den Ausdruck bald todt ge- „lacht, wo Sie den armen Professor einen Rie- „sen aus dem Koͤnigreiche Latium nennen. Le- „ben Sie wohl.„ Das war also, mein Herr, der letzte Auftritt von der klaͤglichen Comoͤdie, in der ich eine so naͤr- rische Rolle gespielt hatte! Jch bin nicht im Stan- de, Jhnen die Empfindungen zu beschreiben, die ich beym Durchlesen dieses Briefs fuͤhlte. Zorn, Wut, Schaam, Rache, alles empoͤrte sich in mir. Jch fiel auf die verzweifeltsten Anschlaͤge, mir Recht zu verschaffen, oder mich selbst auf ewig vol- lends ungluͤcklich zu machen. Jch fluchte dem Himmel, meinem ungetreuen Verraͤther; ich fluch- te mir selbst. Dieses alles geschah in einer Rase- rey von zwo Stunden. Endlich brachen die Thraͤ- nen aus, und ich kam einigermaßen wieder zu mir. Jch Verlassene! Jch ungluͤckselig Verlassene! dach- te ich bey mir selbst. Jst das die Belohnung einer zehnjaͤhrigen Treue? Jst das die Erfuͤllung der Eidschwuͤre, und der theuersten Versichrung? Und der meyneidige Boͤsewicht triumphiret noch in den Armen meiner Feindinn, seiner Frau, uͤber meine leichtglaͤubige Einfalt? Straft der Himmel dieses Verbrechen nicht, so muß er ungerecht seyn. So ungefaͤhr schwaͤrmte ich. O Jch Satyrische Briefe. Jch zankte mit dem Himmel, und haͤtte doch mir allein den Vorwurf machen sollen, daß ich so naͤrrisch gewesen, den Schmeicheleyen eines Men- schen zu glauben, dessen Stand uͤber den meinigen war, der bey seinen Jahren mit seiner Lebensart durch die Gewohnheit gerechtfertiget, und von der Welt gebilliget wird, wenn er ein hochmuͤthi- ges Buͤrgermaͤdchen, eine Naͤrrinn, wie ich, betrog, sie zum Zeitvertreib um ihren guten Namen brach- te, oder zum Spase, auf bestaͤndig ungluͤcklich machte. Wie vielmal hatte ich ehedem uͤber die Thorheit derer gelacht, welche sich auf eine solche Art verfuͤhren lassen! Haͤtte ich nicht besser auf meiner Hut seyn sollen? War ich etwan vorneh- mer, schoͤner, reicher, als andre, die sich in der- gleichen Ungluͤck gestuͤrzt hatten? Keins von al- len. Der Hochmuth machte, daß ich fuͤr moͤg- lich hielte, bestaͤndig geliebt, und immer angebe- tet zu werden. Es ist schaͤndlich, wenn Maͤnner, die es fuͤr ihr erstes Gesetz halten, ihre Ehre zu vertheidigen, auf eine so unehrliche Art ein unschul- diges Maͤdchen ungluͤcklich machen, und oft eine ganze Familie in Schande bringen. Ein Maͤd- chen aber, das sich von ihnen bestricken laͤßt, ver- dient weniger Mitleid, da sie haͤtte an dem Exem- pel andrer lernen koͤnnen, daß man ihr nur dar- um schmeichelte, um einiges Vergnuͤgen zu haben, und sie auf eine lustige Art elend zu machen. Nun Satyrische Briefe. Nun fielen mir alle diejenigen vernuͤnftigen Lieb- haber ein, deren redliche Absichten ich auf eine so hochmuͤthige und sproͤde Art von mir gewiesen hatte. Wie grausam war ich an ihnen geraͤchet! Konnte ich mir wohl itzt dergleichen Gelegenheiten wieder versprechen, da meine Jahre zunahmen, da der jugendliche Reiz meiner Schoͤnheit anfieng zu verschwinden, da mein Vater auf der Grube gieng, und sein Tod mir die duͤrftigsten Umstaͤnde droh- te? Konnte ich mich nunmehr wohl entschließen, geringern Personen meine Hand zu geben, als die waren, denen ich sie verweigert hatte? Jch faßte nun im ganzen Ernste den grausamen Entschluß, nimmermehr zu heirathen. Jch ward ziemlich be- ruhigt, da ich das Herz gehabt hatte, so ein ver- zweifeltes Geluͤbde zu thun, und es vergieng eine ziemliche Zeit, ehe ich merkte, daß ich mich selbst hintergangen haͤtte. Dieser unerwartete Streich von meinem Ungetreuen hatte mich so hart getrof- fen, daß ich in eine langwierige Krankheit fiel. Jch brauchte fast zwey Jahre, ehe ich mich voͤllig wieder erholte, und es geschahe endlich nicht an- ders, als mit dem gaͤnzlichen Verluste meiner noch uͤbrigen Schoͤnheit. O! haͤtte ich sie zehn Jahre eher verlohren, vielleicht waͤre ich vernuͤnftiger ge- wesen, vielleicht waͤre ich itzt nicht so ungluͤcklich! Jch weiß nicht, wie es kam, daß sich nach ei- niger Zeit ein junger Rechtsgelehrter zu mir verirr- te, und sich einbildete, daß er mich noch lieben koͤnn- O 2 te. Satyrische Briefe. te. Vielleicht hatte die Hoffnung, meinem Vater mit der Zeit in seinem Amte zu folgen, oder sonst eine staͤrkere Kundschaft in seiner Praxis durch mich zu erlangen, mehr Antheil an seiner Zaͤrtlich- keit, als meine Person. Er schrieb an mich: Mademoiselle, „ D enenselben vermelde in hoͤchster Eil, daß ich „nach reifer der Sachen Ueberlegung und ein- „geholtem Rath von meinen Freunden ernstlich ge- „meynet bin, mich zu veraͤndern, und nach nun- „mehro erfolgtem Absterben meiner seligen Frau „Mutter meine Wirthschaft selbst anzufangen. „Die Kuͤrze der Zeit, und meine dringenden Ver- „richtungen hindern mich, Jhnen umstaͤndlichere „Anzeige zu thun, wie viel ansehnliche Gelegenhei- „ten mir in hiesiger Gegend, mich zu verheirathen, „angebothen worden. Wann aber ich das Ver- „gnuͤgen gehabt, bey dem unlaͤngst vor Jhres „Herrn Vaters Amtsgerichten abgewarteten Ter- „mine in Sachen George Fruͤhauffen, contra „Casper Baldigen, in puncto den Gemeinebroͤm- „mer betrl. Dieselben kennen zu lernen, und ich ei- „ne besondre Zuneigung gegen Sie bey mir ver- „merkt; Als habe mir die Freyheit nehmen wollen, „Dieselben meiner billigen, und in goͤttlichen und „weltlichen Rechten gegruͤndeten Absichten zu „benachrichtigen, mit angehengtem Suchen, Sie „wollen Satyrische Briefe. „wollen meine Bitte nicht rejicir en, und mir „erlauben, daß ich das Gluͤck habe, mit aller le- „galen Ergebenheit zeitlebens Dero gehorsamster „Diener zu seyn. Da Sie, Mademoiselle, bey „meiner Liebe allerdings die erste Jnstanz sind, so „habe Bedenken getragen, bey Dero Hochzuehren- „dem Herrn Vater eher in Schriften dieserhalb ein- „zukommen, bis ich weiß, ob Sie meinem ergeben- „sten petito hochgeneigt deferir en, als warum ich „nochmalen instanter, instantius, instantissime „bitte. Diesen Augenblick kommt ein Oberhof- „gerichtsbothe, mit einer Inhibition; ich werde „daher genoͤthigt, abzubrechen, und habe nicht „Zeit, etwas weiters hier zu sagen, als daß ich „mit der groͤßten Hochachtung unablaͤßlichen sey, Mademoiselle, Dero ‒ ‒ ‒ am 9 Januar. 1743 Raptim. Ipse concepi! ganz ergebenster Diener, K. L. M. Adv. immatr. et Not. Publ. Cæs. a Sen. Lips. Creat. et coram Regim. Elect. Confirm. m. p. O 3 Haͤtte Satyrische Briefe. Haͤtte ich diesen ungeschickten und pedantischen Brief etliche Jahre eher bekommen: so wuͤrde ich ihn gewiß, ohne mich lang zu besinnen, unter den Tisch geschmissen haben. Jtzt war ich gedemuͤthiget genug, daß ich ihn zweymal durchlas, und un- schluͤssig blieb, was ich thun wollte. Die Ge- luͤbde, mich niemals zu verheirathen, fieng nach und nach an, mich zu gereuen. Mein Vater lag mir alle Tage in den Ohren, und er haͤtte, glau- be ich, lieber gesehn, ich waͤre selbst auf die Hei- rath ausgegangen. Jch wies ihm den Brief. Er gestund, der Herr Advocatus immatriculatus sey ein Narr, er meynte aber auch, daß ich nicht die erste, und nicht die letzte Frau seyn wuͤrde, die einen Narren heirathe. Es kostete mich viel Ue- berwindung, und doch war ich im Begriffe, auf Befehl meines Vaters diesem geschaͤfftigen Liebha- ber Hoffnung zu geben, als ich, vielleicht zu mei- nem Gluͤcke, noch bey Zeiten erfuhr, daß eine Magd, mit der er auf Universitaͤten zu vertraut gelebt haben mochte, ihn auf die Ehe verklagen wollte. Jch war bey allen meinem Ungluͤcke noch immer boshaft genug, mich daruͤber zu freuen, und ich ergriff diesen Vorwand mit beiden Haͤnden, mich von ihm loszureißen, und mit meiner gewoͤhn- lichen Bitterkeit ihm also zu antworten. Mein Herr, „ W as Dieselben in hoͤchster Eil mir wegen der „legalen, und in allen Rechten gegruͤndeten Gesin- Satyrische Briefe. „Gesinnung gegen meine Wenigkeit unterm 9ten „Januar a. c. in Schriften vorzutragen, gelieben „wollen, solches habe daraus allenthalben mit meh- „rern ersehn. Nun wuͤrde mir zwar eine besonde- „re Ehre seyn, Jhrem petito geziemend zu defe- „rir en; Wenn aber ich in glaubwuͤrdige Erfah- „rung gebracht, daß allem Ansehen nach zu Dero „werthesten Person und Liebe ein Concurs des „schierstkuͤnftigsten ausbrechen moͤchte, und mein „Vater in Sorgen steht, daß ich wegen meiner „juͤngern, und nicht dinglichen Rechte und An- „spruͤche an Sie gar leicht leer ausgehn, oder doch „in die letzte Classe locirt werden duͤrfte; Als ha- „be Kraft dieses, allen meinen An- und Zuspruͤ- „chen, wie sie Namen haben moͤchten, hiermit zu „Vermeidung unnoͤthigen, und auf geldsplittern- „de Weitlaͤuftigkeit abzielenden Processes aufs „feyerlichste renunciren sollen, wollen und moͤgen, „mit der Versicherung, daß ich nicht gesonnen bin, „einer Magd diejenigen Rechte streitig zu machen, „welche sie noch von den Universitaͤtsjahren her zu „behaupten vermag. Die ich fuͤr die Person De- „nenselben zu billigen Freundschaftsleistungen stets „geflissen bin: Als Meines Hochgeehrtesten Herrn ‒ ‒ ‒ am 30ten Januar 1743. Dienstbereitwillige F ‒ ‒ ‒ O 4 Das Satyrische Briefe. Das war also wieder ein Liebhaber weniger. Jch glaube, es mochte nach und nach bekannt wor- den seyn, wie gefaͤhrlich es sey, mir eine Liebeser- klaͤrung zu thun; denn es meldete sich in zwey Jah- ren kein Mensch, ob ich schon anfieng meiner Natur mit Farben, und anderm Putze zu Huͤlfe zu kom- men. So leichtsinnig ich in jungen Jahren war, so wenig hatte ich mich doch iemals uͤberwinden koͤnnen, eine freye und verbuhlte Auffuͤhrung anzu- nehmen. Nunmehr aber hielt ich es fuͤr noͤthig, zu coquettiren, da ich wahrnahm, daß ich anfieng, auf der Gasse und in Gesellschaften unbemerkt zu bleiben. Jch zwang mich, lebhaft zu seyn, ich ward gegen Vornehme und Niedrige gefaͤllig, mit einem Worte, ich ward zahm, und doch konnte ich niemanden ruͤhren, der mir vorseufzte. Jch glau- be, ich wuͤrde es ihm nicht sauer gemacht haben. So hochmuͤthig aber war ich doch noch, daß ich mich nicht gar zu weit unter meinen Stand verhei- rathen wollte. Sie koͤnnen es daraus sehn, mein Herr. Es kam einem Landkramer ein, mich zu lieben. Wuͤrden Sie mir wohl dazu gerathen ha- ben? Lesen Sie seinen Brief. R ‒ ‒ den 7. May 1745. Ehren und viel Tugendsames Frauenzimmer! Salut. „ H iernebenst sende ich Denenselben im Namen „und Geleite Gottes per Fuhrmann Hannß „Goͤrgen und Gespann von Reichenbach ein Paͤck- „tel Satyrische Briefe. „tel mit allerley Wuͤrz und andern Waaren, ge- „merkt als in margine, zur Fracht 14. Pfund wie- „gend, und ist alles content bezahlt. Sie werden „guͤnstig erlauben, daß ich Jhnen damit ehrenfreund- „lich aufwarten thue. Anlangend meine Hochach- „tung und Liebe gegen Sie, deren ich Sie auf letz- „term Jahrmarkt avertirt, so bin ich noch immer „derselben Meynung, und thue ich mir gar hoͤchlich „ gratulir en, wenn Sie mich Deren Gegenliebe wuͤr- „digen, und mir aviso geben wollen, ob ich es wa- „gen darf, bey dem Herrn Papa mich Jhrentwegen „zu melden. Es soll dieses so gleich geschehn. Den „Ranzen, und emballage, worinnen beyfolgende „Waaren eingeschlagen sind, wird der Fuhrmann „bey seiner Ruͤckreise wieder abfordern. Bitte „solche costy mit ein paar Zeilen zu uͤbergeben. „Gott verhelfe Jhnen salvo. Denen empfohlen, „verbleibe, und bin Ehrn und viel Tugendsames Frauenzimmer Deren Dieser Brief zukomme Der ehrn und viel tugendsamen Jungfer N. N. Dienstwilligster Freund N. Nebst einem Paͤcktel gezeichnet. zu eignen Haͤnden zu uͤbergeben. franco par tout. großguͤnstig in N. O 5 „Sehn Satyrische Briefe. Sehn Sie, mein Herr, das war doch noch ein reeller Liebhaber, und der erste, der seinen foͤrm- lichen Liebesantrag mit einem Geschenke begleitete. Aber das war mir erschrecklich, daß ich in einem Marktflecken vor dem Laden stehn, und Schwefel- faden verkaufen sollte, da ich zu stolz gewesen war, einen Hofrath zu heirathen. Sie wissen wohl, was sich in kleinen Staͤdten die Tochter eines fuͤrstlichen Dieners fuͤr ein Ansehn zu geben weiß: sollte ich nun meinen Rang und Stand so sehr verlaͤugnen, und in R ‒ ‒ ‒ eine elende Wuͤrz- kraͤmerinn werden? Mein Vater fuͤhlte es selbst, wie ungleich diese Heirath sey, und befahl mir, ei- ne abschlaͤgige Antwort zu ertheilen. Jch that es auf folgende Art: Ehrenvester, Fuͤrnehmer, Jnsonders großguͤnstig Hochgeehrter Herr. Salut. „ D essen geehrtestes vom 7. passato ist mir, nebst „dem Raͤnzlein, wohl worden, welches ich „danknehmend zuruͤck schicke, und meinem groß- „guͤnstigen Herrn dafuͤr verbunden bin. Beliebe „es der Herr à conto zu stellen. Mag annebenst „demselben nicht verhalten, daß ich mich uͤber „meines Hochgeehrten Herrns Ansinnen gar hoͤch- „lichen erfreuen thue. Weil aber mein Vater Be- „denken traͤgt, mich von sich zu lassen, so kann ich Satyrische Briefe. „ich demselben in dessen freundlichen Bitten so „fort nicht fugen. Meine Freunde glauben uͤber „dieß, daß ich mit meinem Reifenrocke in Jhrem „Wuͤrzladen nicht Raum haben werde. Sie hof- „fen, es werde Jhnen nicht an Gelegenheit feh- „len, eine Frau zu bekommen, wenn es auch „gleich keine Tochter eines Commissionraths sey. „Unter Gottes Schutz verbleibende, Ehrenvester, Fuͤrnehmer, Jnsonders großguͤnstig Hochgeehrter Herr, Dessen gute Freundinn und Dienerinn. Dieses war die letzte Kraft meines jungfraͤuli- chen Stolzes, und nunmehr kam die Reihe an mich, gedemuͤthiget zu werden. Hier faͤngt sich der zweyte Theil meines Romans an. Wie traurig ist diese Veraͤnderung fuͤr mich! Mein Vater starb. Was ich befuͤrchtet hatte, geschahe, und noch weit mehr. Er verließ kein Vermoͤgen, es meldeten sich so gar verschiedne Glaͤubiger, und man fand in seinen Rechnungen viele Unrichtigkei- ten, welche machten, daß auch die Caution zu- ruͤck behalten ward. Ueberlegen sie es einmal, mein Herr! Ein Maͤdchen von drey und dreyßig Jahren ohne Aeltern, ohne Vermoͤgen, dasjenige zu Satyrische Briefe. zu bestreiten, was zum nothduͤrftigsten Unterhalte erfodert wird; ein Maͤdchen, welches sich durch Jhren Hochmuth alle zu Feinden gemacht hatte, welches so bequem, und vornehm erzogen, und itzt von allen verlassen, und nicht geachtet war; mit einem Worte, eine alte Jungfer ohne Geld, oh- ne Schoͤnheit, ohne Freunde, und, deutsch zu reden, ohne Verstand, ist so ein Maͤdchen nicht eine erbar- menswuͤrdige Creatur? Was sollte ich anfangen? Zwey Jahre hatte ich mich unter meinen Verwand- ten aufhalten, und fuͤr die kleinen Gefaͤlligkeiten, die sie mir, als ein Allmosen, erwiesen, viel Demuͤthigung erfahren muͤssen. Sie wurden mich uͤberdruͤßig, und sie sagten mir es deutlich, daß sie wuͤnschten, ich moͤchte mich entschließen, sie zu verlassen. Wo sollte ich hin? War ich nicht bey diesen kuͤmmerlichen Um- staͤnden zu entschuldigen, daß ich einen Schritt wag- te, der eine Folge meiner großen Verzweiflung war, der mich bey allen, die meine Noth nicht wußten, ver- aͤchtlich, und laͤcherlich machte, und dessen ich mich gewiß noch itzt schaͤmen wuͤrde, wenn mich nicht mein Ungluͤck so abgehaͤrtet haͤtte, daß ich weiter nicht im Stande bin, mich uͤber eine Niedertraͤchtigkeit zu schaͤmen. Mein Vater hatte ein armes Kind zu sich zur Aufwartung, als Jungen, genommen, und ihn end- lich zum Schreiber herangezogen. Er mochte bey dem Absterben meines Vaters ungefaͤhr dreyßig Jahre alt seyn. Seine Person war sehr unansehn- lich, Satyrische Briefe. lich, seine Sitten verriethen seine schlechte Ankunft, und die Livrey, die er lange Zeit getragen hatte. Dieser Mensch, welcher wenigstens funfzehn Jahre meines Vaters demuͤthiger Johann gewesen war, sollte itzt das unerwartete Gluͤck haben, die stolze Tochter seines ehmaligen Herrn zur Frau zu be- kommen, damit sie nicht vor Hunger sterben moͤch- te. Glauben Sie nur, mein Herr, daß mich dieser bittre Entschluß viel Selbstverlaͤugnung gekostet hat. Dieser Mensch hatte sich bey dem Leben mei- nes Vaters so wohl vorzusehn gewußt, daß er ei- nige hundert Thaler sammeln, und sich die Gnade eines vornehmen Mannes erwerben koͤnnen, der ihm, als mein Vater gestorben war, den Geleits- einnehmerdienst in einem kleinen Orte an der Gren- ze verschafft; einen Dienst, der etwan zweyhundert Thaler eintragen mochte. Jch hoͤrte, daß er noch unverheirathet sey, und ich schrieb nachstehenden Brief an ihn, welcher mich viel Thraͤnen kostete, ehe ich ihn zu Ende brachte. Wie kruͤmmte sich mein Hochmuth! Mein Herr, E s ist eine von meinen angenehmsten Beschaͤffti- gungen, wenn ich itzt an diejenige Treue, und Ergebenheit zuruͤck denke, welche Sie, mein Herr, ge- gen meinen seligen Vater funfzehn Jahre lang auf die unverbruͤchlichste Art bezeigt. Dieser rechtschaffne Vater, Satyrische Briefe. „Vater, welcher so vorsichtig, als dienstfertig „war, hat sich niemals in seiner Wahl betrogen. „Der erste Blick, den er auf Sie that, entdeckte „ihm alles das Gute, und die lobenswuͤrdigen „Eigenschaften, welche den Werth Jhrer Seele „ausmachten. Er eilte, Sie aus dem Mangel „zu reissen, welcher Sie in dem Hause Jhrer ar- „men Aeltern niederdruͤckte; er nahm Sie zu sich, „und liebte Sie bis an sein Ende, als sein eignes „Kind. Da er mich bestaͤndig mit Jhrem from- „men christlichen Wandel, mit Jhrer Treue, mit „Jhrem Fleiße, und mit der Hoffnung unter- „hielt, die Sie zu Jhrem kuͤnftigen Gluͤcke von „Sich blicken liessen: so wuͤrde ich vielleicht viel- „mal Gelegenheit gehabt haben, uͤber die Liebe „meines Vaters gegen Sie eifersuͤchtig zu werden, „wenn ichs nicht fuͤr einen Theil meiner Schul- „digkeit angesehen haͤtte, Jhren Verdiensten „Recht widerfahren zu lassen. Der unvermu- „thete Tod meines Vaters hinderte ihn, dasjeni- „ge zu Stande zu bringen, was er sich zu Jhrem „Besten vorgenommen hatte. Alles, was er „thun konnte, war dieses, daß er wenig Stun- „den vor seinem Ende mir sagte, wie nah ihm „dieses gienge, wie sehr er Sie liebte, und wie „aufrichtig er wuͤnschte, daß ich mich entschließen „moͤchte, Jhnen, mein Herr, diejenige Freund- „schaft zu erzeigen, die er Jhnen fuͤr Jhre redli- „che Dienste schuldig zu seyn glaubte. Er sagte „dieses, und noch vielmehr, als er starb. Der redliche Satyrische Briefe. „redliche Vater! Seit diesem betruͤbten Absterben „sind mir seine letzten Worte niemals aus den Ge- „danken gekommen, ob ich schon keine Gelegen- „heit gehabt habe, Jhnen, mein Herr, etwas „davon zu eroͤffnen. Die gluͤckliche Veraͤndrung „Jhrer Umstaͤnde sehe ich als eine Wirkung des „letzten Seegens meines Vaters, und als eine „Belohnung Jhrer Verdienste an, die Jhnen den „Weg zu demjenigen weitern Gluͤcke bahnt, des- „sen Sie so wuͤrdig sind. Jch bezeuge Jhnen „meine aufrichtige Freude daruͤber, welche Jhnen „vielleicht nicht ganz gleichguͤltig seyn kann, da „Sie, wie ich hoffe, noch itzt nicht aufgehoͤrt ha- „ben, ein Freund von meines Vaters Hause zu „seyn, und da ich bereit bin, dem Wunsche mei- „nes sterbenden Vaters, und, wenn ich so sagen „darf, seinem letzten Willen aufs sorgfaͤltigste „nachzuleben, und es Jhnen zu uͤberlassen, wie „genau diejenige Freundschaft unter uns seyn soll, „welche mir mein Vater noch auf dem Tod- „bette so nachdruͤcklich empfohlen hat. Jch glau- „be, diejenige Achtung und Gefaͤlligkeit verstan- „den zu haben, welche Sie mir, mein Herr, in „meines Vaters Hause die letztern Jahre uͤber „bey verschiednen Gelegenheiten gezeigt. Jch „lebte damals unter der Gewalt eines Vaters, „und es stund bey mir nicht, Jhnen zu eroͤffnen, „wie geneigt ich sey, diese Achtung zu vergelten. „Sie Selbst, mein Herr, waren nach der Art aller „tugendhaften Gemuͤther in diesem Falle zu bloͤde, „und Satyrische Briefe. „und glaubten, ob wohl ganz ohne Ursache, mei- „nen Vater zu beleidigen, der Sie als sein Kind „liebte, und damals schon Jhr Vater war. Sein „Tod hat auf beiden Seiten den Zwang aufgeho- „ben. Sie haben keine Ursachen mehr, bloͤde zu „seyn, und ich stehe unter keiner Gewalt mehr, „welche mich abhalten koͤnnte, Jhnen zu sagen, „wie hoch ich Sie schaͤtze. Es wird auf Jhrem „Ausspruche beruhen, wie weit ich in meiner Hoch- „achtung gegen Sie gehn darf. Jch wenigstens „wuͤnsche mir nichts mehr, als die bestaͤndige „Freundschaft eines Mannes, welcher wegen sei- „ner Tugend und Verdienste der einzige ist, der „einzige unter allen, den ich lieben kann, und des- „sen Gegenliebe mir dennoch unschaͤtzbar seyn wuͤr- „de, wenn mich auch der Befehl meines Vaters „nicht verbaͤnde, Sie darum zu ersuchen. Jch „werde aus Jhrer baldigen Antwort sehn, ob ich „in meinem Zutrauen auf Jhre redliche Freund- „schaft zu voreilig, und meinem seligen Vater „gar zu gehorsam gewesen bin. Jch habe die Eh- „re mit aller Hochachtung zu seyn, Mein Herr, ‒ ‒ ‒ am 6. August, 1747. Jhre Dienerinn, F. Das Satyrische Briefe. Das war also meines Vaters Johann, der dickkoͤpfige dumme Junge, wie ich ihn sonst be- staͤndig nennte, der war es, den ich itzt unter der Versichrung meiner Hochachtung bitten, und bey der Asche meines Vaters beschwoͤren mußte, er moͤchte doch das Werk der Barmherzigkeit, und der christlichen Liebe an mir armen verlassenen Wayse ausuͤben, und mich, so bald als moͤglich, zu seiner gehorsamstergebensten Frau machen, und eine Hand annehmen, von der er in vorigen Jah- ren so viel Nasenstuͤber, und Ohrfeigen bekommen hatte. So elend meine Umstaͤnde waren, so viel Stolz hatte ich doch noch uͤbrig zu glauben, daß mein angebeteter Johann dumm genug seyn wuͤr- de, mit beiden Haͤnden zu zugreifen, und das Gluͤck, so ich ihm an den Hals warf, fest zu hal- ten. Aber wie aͤndert sich doch alles mit der Zeit! Der dumme Johann war kluͤger als ich wuͤnschte. Lesen Sie seinen Brief, und urthei- len Sie von meiner Beschaͤmung. Hier ist er von Wort zu Wort. Mademoiselle, „ E s haͤtte mir keine Erinnerung empfindlicher „seyn koͤnnen, als diejenige ist, auf welche Sie „mich in Jhrem Briefe zuruͤck fuͤhren. Der Tod „Jhres seligen Herrn Vaters, eines Mannes, den „ich noch im Grabe als meinen Goͤnner und Ver- „sorger verehre, dieser Tod hat mich so viele Thraͤ- P „nen Satyrische Briefe. „nen gekostet, und meine Wehmuth wird verdop- „pelt, da Sie, Mademoiselle, mir sein Wohlwol- „len gegen mich auf eine so lebhafte Art abschil- „dern. Wie elend wuͤrde ich itzt seyn, wenn er „mich nicht aus dem Staube gerissen, mir so vie- „le Jahre meinen Unterhalt gegeben, und mich zu „demjenigen Amte geschickt gemacht haͤtte, das „ich itzt verwalte! Jch waͤre der undankbarste, und „nichtswuͤrdigste Mensch von der Welt, wenn ich „diese Wohlthat iemals vergessen wollte. Meine „Hochachtung gegen Sie, die bis in den Tod dau- „ern wird, ist das einzige, was ich als eine Art ei- „ner geringen Wiedervergeltung anbieten kann. „Meine Armuth, und mein geringer Stand hin- „dern mich, mehr zu thun. Die Freundschaft, de- „ren Sie mich versichern, ist das wichtigste auf der „Welt, das ich mir wuͤnschen kann. Haͤtte ich „mir wohl iemals einbilden koͤnnen, daß Jhr seli- „ger Herr Vater so viel unverdiente Liebe gegen „mich hegen wuͤrde, daß er noch auf dem Todbette „Jhrer Freundschaft mich empfehlen sollte? Und „Sie, Mademoiselle, sind so geneigt, mich dieser „Freundschaft zu wuͤrdigen? Eine Ehre, deren ich „mich am wenigsten versehen haͤtte. Sie haben, „so lange ich in Jhres Herrn Vaters Hause gewe- „sen bin, mir nicht die geringste Gelegenheit gege- „ben, auf einen so stolzen Gedanken zu fallen, und „ich bin immer ganz trostlos gewesen, wenn ich „aus Jhrem Bezeigen gegen mich zu sehn glaub- „te, daß Sie mich des Wohlwollens, das Jhr „Herr Satyrische Briefe. „Herr Vater gegen mich aͤusserte, ganz fuͤr un- „wuͤrdig hielten. Jch glaubte in diesen letzten „zwey Jahren nach seinem Tode von Jhnen ganz „vergessen zu seyn. Wie edel und großmuͤthig ist „Jhr Herz, welches so viel Antheil an meinem „kleinen Gluͤcke nimmt, und mir erst itzt den letz- „ten Willen des seligen Herrn Vaters auf eine so „verbindliche Art eroͤffnet! Sie bieten mir Jhre Freundschaft an. Jch „wuͤrde deren unwuͤrdig seyn, wenn ich solche fuͤr „etwas anders, als eine Versichrung Jhres schaͤtz- „baren Wohlwollens annehmen wollte. Jch ha- „be Sie iederzeit als die Tochter meines Goͤn- „ners verehrt, und es wuͤrde mir leid seyn, wenn „Jhr Vorwurf gegruͤndet waͤre, und ich die letz- „tern Jahre uͤber wirklich Gelegenheit gegeben „haͤtte, Jhnen meine Hochachtung verdaͤchtig zu „machen. Goͤnnen Sie mir, Mademoiselle, fer- „ner Jhren Schutz und Wohlwollen. Es wird „dieses der groͤßte Ruhm fuͤr mich seyn, da Sie „bey Jhren Jahren, und bey Jhrem reifen Ver- „stande die Welt so wohl haben kennen lernen. „Jch wage es, noch eine kleine Bitte zu thun. Es „findet sich eine Gelegenheit, mich mit der Toch- „ter eines benachbarten Verwalters zu verbinden. „Es ist dieses tugendhafte Maͤdchen das einzige „unter allen, das ich lieben kann. Jch bin aber „ihren Aeltern und in der hiesigen Gegend so un- „bekannt, daß sie noch angestanden haben, einen „fremden Menschen gluͤcklich zu machen. Jch P 2 „habe Satyrische Briefe. „habe mir die Freyheit genommen, mich auf Jhr „Zeugniß, Mademoiselle, zu berufen. Der „Vater wird auf kuͤnftige Messe Gelegenheit su- „chen, Jhnen aufzuwarten. Sagen Sie ihm, „daß Sie mich Jhres Wohlwollens wuͤrdig hal- „ten. Das ist der groͤßte Lobspruch fuͤr mich, „und mehr brauche ich nicht, gluͤcklich zu werden. „Wie leicht muß es Jhnen ankommen, mein „Gluͤck zu befestigen, da Sie Selbst so edel den- „ken, und so geneigt sind, dem Befehle eines ster- „benden Vaters nachzukommen! Jch werde da- „fuͤr mit aller Demuth und Ehrfurcht, die ich Jh- „nen und der Asche Jhres Herrn Vaters schuldig „bin, unveraͤndert seyn, Mademoiselle, Jhr gehorsamster Knecht. ‒ ‒ ‒ ‒ Wie meynen Sie, mein Herr, war das nicht ein niedlicher Korb? Sollten Sie dieses wohl fuͤr die Schreibart eines dummkoͤpfigen Johanns hal- ten? Waͤre er nur in seiner Antwort grob und un- bedachtsam gewesen: so haͤtte ich doch zum wenig- sten das Vergnuͤgen gehabt, ihn einen Esel zu heißen. Aber was sollte ich itzt thun, da er auf allen vieren gekrochen kam, und mir mit Demuth, Ehrfurcht und Hochachtung sagte, daß ich eine Naͤrrinn Satyrische Briefe. Naͤrrinn waͤre? Jch nahm mir vor, meinen Ver- druß zu verbergen, und seinem Schwiegervater, wenn er das Zeugniß abholen wuͤrde, die groͤßten Lobeserhebungen von ihm vorzusagen. Aber es kam niemand, der mein Gutachten wissen wollte, und ich muß glauben, daß auch dieses nur eine boshafte Erfindung war, mich abzufertigen. Jch ungluͤckliches Maͤdchen! Was sollte ich nun thun? Meine Freunde wurden immer treuherziger. Je laͤnger ich ihr Brod aß, ie deutlicher sagten sie mir, daß sie wuͤnschten, ich moͤchte nun bald vor eine andre Thuͤre gehen. Aber vor welche? Das wußten sie nicht, und ich noch weniger. Jch hatte Gelegenheit gehabt, die Schwe- ster meines ersten Liebhabers, des Herrn Hofraths R ‒ ‒ ‒ kennen zu lernen. Die Bekanntschaft half mir weiter nichts, als daß ich erfuhr, seine zwote Frau sey ihm vor einem halben Jahre auch wieder gestorben. Es gehoͤrte eine Unverschaͤmt- heit dazu, diese Nachricht sich zu Nutze zu ma- chen; aber fuͤr ein Frauenzimmer, das demuͤthig genug gewesen, dem Schreiber ihres Vaters ihr Herz anzubieten, und welches nicht vor Scham ge- storben war, da sie eine abschlaͤgige Antwort von ihm erhalten hatte; fuͤr ein solches Frauenzimmer war die Entschließung nicht zu schwer, einen ver- schmaͤhten Liebhaber um Gegenliebe anzuflehn. Jch schrieb an den Hofrath: P 3 Mein Satyrische Briefe. Mein Herr, „ J hre Frau Schwester, welche mir die Ehre „Jhrer Freundschaft goͤnnt, haͤtte mir keine „betruͤbtere Nachricht sagen koͤnnen, als die von „dem Tode ihrer seligen Frau. Es ist nun zu „spaͤt, Jhnen mein aufrichtiges Beyleid zu versi- „chern. Es wuͤrde eine Grausamkeit von mir „seyn, Jhre Betruͤbniß uͤber einen Verlust zu er- „neuern, der einem Manne, welcher so edel „denkt, und so vernuͤnftig liebt, als Sie, mein „Herr, nicht anders, als hoͤchst empfindlich fal- „len muß. Sie haben voͤllig den Charakter eines „ehrlichen Mannes. Die Welt und ich haben „hiervon unzaͤhlige Proben; mir aber wird beson- „ders diejenige unvergeßlich seyn, da Sie Selbst „vor einigen Jahren schriftliche Gelegenheit gege- „ben haben, mich davon zu uͤberzeugen. Wie „gluͤcklich waͤre ich, wenn es damals bey mir ge- „standen haͤtte, mir solche zu Nutze zu machen! „Jch liebe meinen verstorbnen Vater noch itzt im „Grabe zu sehr, als daß ich mich uͤberwinden „kann, Jhnen die Ursachen zu sagen, die mich „daran hinderten. Jch will es eine Uebereilung, „eine persoͤnliche Verbitterung, oder sonst eine „Haͤrte nennen, die ihn bewog, mich zu zwingen, „Jhnen wider die Empfindung meines Herzens zu „antworten. Mein Ungluͤck wuͤrde doppelt seyn, „wenn Sie bisher in den Gedanken gestanden, als waͤre Satyrische Briefe. „waͤre ich ohne den strengen Befehl meines Vaters „vermoͤgend gewesen, einen so thoͤrichten Entschluß „zu fassen. Lassen Sie mir Gerechtigkeit wider- „fahren, glauben Sie, daß ich von Jhren Ver- „diensten, und von meinem Gluͤcke besser geur- „theilt habe. Jtzt bin ich frey. Jch habe keinen „Vater mehr, der mich hindern kann, gluͤcklich „zu werden. Zweifeln Sie noch an der Hoch- „achtung, die ich gegen Sie gehabt, an den Thraͤ- „nen, die es mich gekostet, durch den Zwang un- „dankbar zu seyn, an dem Verlangen, Jhre „Freundschaft und Achtung zu verdienen; zwei- „feln Sie noch an einem von diesen allen: so will „ich, wider die Gesetze meines Geschlechts, einen „Schritt thun, der Sie uͤberzeugen soll, wie un- „billig Sie zweifeln. Jch will Jhnen sagen, daß „ich Sie liebe, daß ich Sie itzt noch eben so sehr „liebe, als damals; daß ich mir kein Gluͤck mit „einer so zaͤrtlichen Unruhe wuͤnsche, als dieses, „die Jhrige zu seyn. Redete ich mit einem Man- „ne, der weniger vernuͤnftig und einsehend waͤre, „als Sie, mein Herr, sind: so wuͤrde ich mich „schaͤmen, meine Neigung und Liebe so offenher- „zig zu bekennen, und beide Jhnen anzubieten. „Sie sind zu gerecht, als daß Sie dieses zu mei- „nem Nachtheile auslegen sollten. Goͤnnen Sie „mir die Ehre, mir schriftlich zu sagen, ob meine „Hoffnung und mein Zutrauen zu Jhnen unge- „gruͤndet gewesen ist. Mein Herz sagt mir, daß „es nicht seyn werde; und mein Herz hat mich P 4 „noch Satyrische Briefe. „noch niemals betrogen. Jch bin mit aller er- „sinnlichen Hochachtung, Mein Herr, ‒ ‒ ‒ ‒ am 18. des Heumonats 1748. Jhre Dienerinn. Aber dasmal log mein Herz doch, und noch mehr, als ich gelogen hatte. Der Herr Hofrath war zu meinem Ungluͤcke vernuͤnftig. Jch bekam mit dem naͤchsten Posttage folgende Antwort. Mademoiselle, „ S ie verbinden mich Jhnen durch das aufrichti- „ge Beyleid uͤber den Tod meiner seligen „Frau. Jch habe viel verlohren, und ich glaube, „daß ich diesen Verlust niemals wieder ersetzen kann. „Es ist sonst mein Fehler gewesen, andern mit Er- „zaͤhlungen von den Vorzuͤgen und Verdiensten „meiner verstorbnen Frau beschwerlich zu fallen; „ich habe mich aber seit zwoͤlf Jahren von dieser „Schwachheit so sehr erholt, daß ich Jhnen, Ma- „demoiselle, weiter nicht ein Wort davon sagen „will. Die Versichrung von Jhrer Freundschaft „und Jhrem Wohlwollen wuͤrde mir zu einer an- „dern Zeit noch unschaͤtzbarer gewesen seyn, als „Sie mir itzt ist, da ich uͤber den Tod meiner recht- „schaffnen Frau in meinem Gemuͤthe noch nicht „so Satyrische Briefe. „so ruhig bin, daß ich im Stande waͤre, ein Ver- „gnuͤgen ganz zu schmecken. Der Unwille Jhres „seligen Herrn Vaters ist mir in der That eine un- „erwartete Nachricht; er hat diesen, so lange er „gelebt, wenigstens sehr sorgfaͤltig zu verbergen ge- „wußt, und ich habe Proben seiner Freundschaft, „die mir niemals Gelegenheit gegeben haben, dar- „an zu zweifeln. Dem sey, wie ihm wolle, so „thun Sie doch alles, was man von einer vernuͤnf- „tigen und wohlgezognen Tochter verlangen kann. „Bey seinem Leben sind Sie, wider die Empfin- „dungen Jhres Herzens, gehorsam gewesen, und „auch nach seinem Tode reden Sie von der unbil- „ligen Haͤrte eines Vaters mit einer Maͤßigung, „die Jhnen zur Ehre gereichen muß. Jch habe „von den Pflichten der Kinder gegen die Aeltern „so strenge Begriffe, daß ich glaube, Kinder sind „schuldig, auch nach deren Tode, ihre Befehle, „so wundersam sie auch scheinen moͤgen, aufs ge- „naueste zu befolgen. Hat Jhr Herr Vater ge- „glaubt, es werde Jhr Gluͤck nicht seyn, wenn „Sie die Meinige wuͤrden: so muß er, als „ein vernuͤnftiger Mann, so wichtige Ursachen ge- „habt haben, daß ich mich auch itzt nicht ent- „schließen kann, Sie zu einem Ungehorsame zu „verleiten. Die Verheirathung meiner beiden „Toͤchter, die vor zwoͤlf Jahren noch unerzogne „Kinder waren, wuͤrden mich in den Stand se- „tzen, Jhnen, Mademoiselle, meine Hand anzu- „bieten, ohne den Vorwurf zu besorgen, daß ich P 5 „es Satyrische Briefe. „es in der Absicht thaͤte, eine Kinderfrau fuͤr sie „zu suchen. Jch fuͤhle aber meine Jahre, die „mich oft so muͤrrisch machen, daß ich niemanden „anmuthen kann, mit mir so viel Geduld zu ha- „ben, als meine Kinder gegen mich bezeigen, die „bey mir im Hause sind, und mich aufrichtig lie- „ben. Hier erwarte ich meinen Tod gelassen, „und was ich noch wuͤnsche, ist dieses, daß es „Jhnen wohl gehen moͤge. Jch bin mit beson- „drer Hochachtung, Mademoiselle, Jhr ergebenster Diener. Sehn Sie, mein Herr, das war also wieder nichts. Jch glaube der Hofrath mußte meinen unbesonnenen Brief, den ich vor zwoͤlf Jahren an ihn geschrieben, noch aufgehoben haben. Wenig- stens hatte er ihn Punkt fuͤr Punkt beantwortet, und ich gestehe es, daß ich noch mehr Vorwuͤrfe verdiente. Was half es mir also, daß ich meinen Vater unschuldiger Weise mit ins Spiel mischte? Wieder eine Thorheit mehr! Nunmehr war ich ganz von meinen Freun- den verlassen. Sie hatten mich von sich gestoßen. Jch kann es wohl so nennen, denn sie waren end- lich, da ich gutwillig nicht weichen wollte, hart ge- gen mich gewesen. Jch zog in ein kleines Staͤdt- chen, wo ich von dem Ueberreste meines geringen Ver- Satyrische Briefe. Vermoͤgens so kuͤmmerlich leben mußte, als man es nur denken kann. Zu meinem Ungluͤcke traf ich den Doctor in diesem Staͤdtchen an, welcher mich ehedem auch geliebt hatte. Er befand sich in so reichlichen Umstaͤnden, daß ich wuͤnschte, es moͤchte ihm wieder einfallen, daß ich ehedem schoͤn ausgesehen haͤtte. Er flohe meine Gesellschaft auf alle Art, gleichwohl war er, wie ich erfuhr, immer noch so bescheiden, daß er nichts Boͤses von mir re- dete. Jch hielt dieses fuͤr ein gutes Anzeigen, und bildete mir ein, er glaube vielleicht, ich sey noch eben so wild, als sonst. Haͤtte er es nur versucht! Er that es nicht. Es war mir auch nicht moͤg- lich ihn zu sprechen, denn er vermied alle Gesell- schaften, wo er glaubte, daß er mich finden wuͤr- de. Endlich kam ich auf den Einfall mich krank zu stellen. Jch ließ ihn unter diesem Vorwande bitten, mich zu besuchen; allein er entschuldigte sich, ich weiß nicht mehr, womit, und schickte mir seinen Collegen. Aus Verdruß ward ich nun im Ernste krank, und weil ich ihn gar nicht zu mir bringen konnte, so schrieb ich an ihn: Mein Herr, „ E s ist etwas hartes, daß Sie eine Kranke ver- „lassen, die ihr Vertrauen auf Sie ganz allein „gesetzt hat. Waͤre ich Jhnen auch ganz unbe- „kannt, so wuͤrde Sie doch Jhr Amt verbinden, „gefaͤlliger gegen mich zu seyn. Jch habe einmal die Satyrische Briefe. „die Erhaltung meines Vaters Jhrer Geschicklich- „keit und Sorgfalt zu danken gehabt. Bin ich „Jhnen seitdem so gleichguͤltig geworden, daß Sie „Sich die Muͤhe nicht geben wollen, von mir, we- „gen meiner eignen Person, eine gleiche Verbind- „lichkeit zu verdienen? Sie waren in vorigen Zei- „ten aufmerksam auf mich, und wenn Sie mir nicht „zu viel geschmeichelt haben: so hatte ich das Gluͤck, „Jhnen zu gefallen. Jch verwahre Jhre schrift- „liche Versicherung davon noch sehr sorgfaͤltig; und, „so oft ich sie durchlese, empfinde ich einen gewissen „Stolz in mir, welcher sich durch das billige Ur- „theil der Welt rechtfertiget, die von Jhrem Ver- „stande und Jhrer Einsicht uͤberzeugt ist. Eine „Person, die Sie fuͤr Jhre Freundinn, und ich fuͤr „vernuͤnftig hielt, die aber uns beide betrogen hat, „war Ursache, daß ich mich verleiten ließ, Jhr „freundschaftliches Suchen zu misbrauchen, und „Jhnen eine Antwort zu schreiben, deren ich mich „noch mehr schaͤmen wuͤrde, wenn ich nicht wuͤßte, „daß sie in den Haͤnden eines vernuͤnftigen Man- „nes waͤre. Jch verlange meinen Fehler nicht zu „entschuldigen, den ich sonst der Bosheit unsrer „gefaͤhrlichen Freundinn ganz zur Last legen koͤnn- „te. Jch will es gestehn, ich habe mich uͤbereilt, „und ich kann es Jhnen gar nicht verdenken, wenn „Sie seit der Zeit geglaubt haben, ich sey Jhrer „Freundschaft und Liebe unwuͤrdig. Verlangen „Sie noch mehr Reue uͤber ein Vergehen, das ich „alle Stunden bereue, wenn ich daran gedenke? „Kom- Satyrische Briefe. „Kommen Sie zu mir, Sie sollen die Versichrung „davon aus meinem eignen Munde hoͤren. Jch „will Jhnen sagen, wie hoch ich Sie halte; ja, „wenn es meine Krankheit erlaubt, so will ich Jh- „nen aufs verbindlichste sagen, daß ich Sie liebe. „Jch biete Jhnen meine Hand an, zum Zeichen „meiner aufrichtigen Versoͤhnung. Besuchen Sie „mich. Wollen Sie mich nicht als Jhre Freun- „dinn besuchen, so besuchen Sie mich als eine „Kranke, der Sie Jhren Zuspruch nicht abschla- „gen koͤnnen, ohne doppelt ungerecht zu seyn. „Jch erwarte Sie diesen Nachmittag. Jch bin „sehr krank. Leben Sie wohl.„ Die Hoffnung, meinen zaͤrtlichen und geliebten Arzt zu sprechen, machte, daß ich meine Krankheit weniger fuͤhlte, als sonst, und daß ich mit einer ver- liebten Ungeduld auf die Stunde wartete, in der ich mich mit ihm auszusoͤhnen hoffte. Wie sehr betrog ich mich! Er kam nicht, und schickte mir an seiner statt diese grobe und beleidigende Ant- wort: Hochzuehrende Jungfer Lieutenantinn, „ D aß Sie eine Naͤrrinn sind, das habe ich lan- „ge gewußt; aber das haͤtte ich mir niemals „traͤumen lassen, daß Sie auch eine so dreiste und „unverschaͤmte Naͤrrinn waͤren, als ich es nun „erfahren muß. Wie koͤnnen Sie es wagen, „mich an Jhre Grobheit zu erinnern, die ich zu ver- gessen, Satyrische Briefe. „gessen, mir, aus Hochachtung gegen Jhren seli- „Herrn Vater, alle Muͤhe bisher gegeben habe. „Damit ja kein Laster uͤbrig bleibt, dessen Sie „Sich nicht schuldig machen: so erdenken Sie auch „eine rechte derbe, und ungeschickte Luͤgen. Wer „war denn die gefaͤhrliche Freundinn, die Sie und „mich betrog? Jhr herzallerliebster Lieutenant „war es. Jhres Vaters Johann muͤßte blind, „oder mehr verschwiegen gewesen seyn, wenn ich „nicht haͤtte erfahren sollen, daß Sie den unbe- „scheidnen Brief in seinen Armen an mich geschrie- „ben. Nein, Mademoiselle, was fuͤr den Lieu- „tenant zu schlecht ist, das ist auch fuͤr mich nicht „gut genug. Jhr herrliches Recept wider die Liebe „hat seine unvergleichliche Wirkung gethan. Es „ist seit der Zeit, als ich es so frisch hinunter ge- „schluckt, mir nicht einen Augenblick eingefallen, „Sie hoch zu achten, geschweige zu lieben. Was „bin ich doch mit allen meinen Arzeneyen fuͤr ein „Pfuscher gegen Sie! Jch verwahre Jhren Brief „noch sehr sorgfaͤltig, als ein sichres Gegengift „wider alle Liebe, dafern mir es ja wider Ver- „muthen einmal einfallen sollte, mich zu erinnern, „daß sie vor eilf Jahren, eine schreckliche lange „Zeit, schoͤn und reizend gewesen sind. Sie koͤnnen „leben oder sterben, wie es Jhnen gefaͤllt. Aber „bleiben Sie immer leben. Jch gebe Jhnen mein „Wort, daß ich Sie niemals sprechen werde. Jch „rieche immer noch nach Rhabarber und Essenzen. „Erinnern Sie Sich wohl, wie sehr Jhnen sonst davor Satyrische Briefe. „davor ekelte? Der Himmel erwecke Jhnen doch „bald wieder einen Officier, der sich uͤberwinden „kann, den traurigen Rest Jhrer Schoͤnheit zu „bewundern. Ein guter dauerhafter Lieutenant „wird das beste Recept wider Jhre Krankheit seyn. „Koͤmmt dieser nicht, so rathe ich Jhnen, nehmen „Sie den ersten den besten Musketier. Es hilft „gewiß, oder ich muß mein Handwerk gar nicht „verstehn. Nicht wahr das ist die beste Kur? Le- „ben Sie wohl, und helfen Sie Sich so gut, als „Sie koͤnnen. Alles was ich thun kann, ist die- „ses, daß ich sage, ich sey, Mademoiselle, vom Hause, am 8. Januar 1749. Jhr Diener. Gewiß, mein Herr, das war zu arg! Es stund ihm frey, mich nicht zu lieben; aber dazu hatte er kein Recht, mich auf eine so plumpe Art zu beleidigen, und mir Vorwuͤrfe zu machen, die man der geringsten Weibsperson zu sagen sich schaͤmen muß. Allein, was wollte ich anfangen? Es war noch eine sehr große Barmherzigkeit von ihm, daß er meine Schande nicht in der Stadt ausbreitete, sondern mir seine Grobheiten nur ins Ohr sagte. Dieser unerwartete Zufall war mir so schrecklich, daß meine Krankheit anfieng, gefaͤhr- lich zu werden, und ich war genoͤthiget, einige Mo- nate Satyrische Briefe. nate das Bette zu huͤten. Weil man aber wenig Exempel hat, daß Leute vor Schaam und Liebe gestorben sind, so erhielt ich mich auch, und ward nach und nach wieder gesund. Jch fieng an ein- sam zu leben, ich vermied alle Gesellschaft, und es ward mir leichte, dieses zu thun, weil Niemand kam, der mir solches auszureden Lust hatte. Mitten in dieser Klosterzucht, da mich mein Ungluͤck zwang, der Welt und der Liebe großmuͤ- thig zu entsagen, erfuhr ich, daß der Professor in Halle, der bey meinem Vater um mich geworben hatte, noch unverheirathet sey. Es geht den al- ten Sproͤden, wie den Goldmachern. Je laͤnger sie betrogen werden, ie groͤßer wird ihre Hoffnung, daß sie doch endlich zu ihrem Zweck gelangen wer- den. Jch stellte mir es, als etwas sehr moͤgliches, vor, daß der Professor aus Verzweiflung, mich nicht bekommen zu haben, gar nicht geheirathet haͤtte, daß er vielleicht noch itzt uͤber meine Haͤrte untroͤstbar sey, und daß er gewiß vor Freuden taumeln werde, wenn er erfahren sollte, daß ich mich mitleidig entschlossen haͤtte, ihn aus seinem traurigen Junggesellenstande zu reißen. Aber was sollte ich meiner ehemaligen Thorheit fuͤr einen An- strich geben, um mir einen Theil der Schaam zu ersparen, die von meinem itzigen Unternehmen auf mich zuruͤck fallen mußte? Die Erfindung war nicht mehr neu, die Haͤrte meines Vaters ins Spiel zu mischen. Jch hatte gefunden, daß es gefaͤhrlich sey, die Schuld auf eine boshafte Freun- Satyrische Briefe. Freundinn zu schieben. Jch entschloß mich zu ei- nem Mittel, welches gewiß noch unverschaͤmter, als die ersten beiden Einfaͤlle, war. Lesen Sie nur diesen Brief. Mein Herr, „ H aben Sie etwan Ursachen gehabt, auf mei- „nen Vater unwillig zu seyn: so lassen Sie „diesen Unwillen wenigstens mich nicht empfinden. „Er ist vor einiger Zeit gestorben, und er starb „bey nahe untroͤstbar, da er kein Mittel hatte, „Jhnen einen Jrrthum zu benehmen, der seiner „Freundschaft so empfindlich war. Jch will mir „Muͤhe geben, diesen rechtschaffnen Vater wenig- „stens im Grabe noch bey Jhnen zu rechtfertigen. „Es wird Jhnen nahe gehen, wenn Sie erfahren, „wie unrecht Sie gethan haben, einen Mann zu „hassen, der Sie als seinen vertrautesten Freund „liebte. „Erinnern Sie Sich wohl, mein Herr, ei- „nes Briefs, da Sie mir die Ehre anthaten, bey „meinem Vater um mich anzusuchen? So sauer „meinem Vater der Entschluß ward, mich von „sich zu lassen: so wenig war er doch Willens, mich „an einem Gluͤcke zu hindern, das er fuͤr das groͤßte „hielt, welches ich mir in dieser Art wuͤnschen koͤnn- „te. Er stellte mir Jhr Ansuchen vor. Er gab „mir zu erkennen, wie vortheilhaft es fuͤr mich sey, „von einem so frommen, christlichen, und rechtschaff- Q nen Satyrische Briefe. „nen Manne, von seinem Freunde, geliebt zu wer- „den. Er las mir mit Thraͤnen die Stellen aus „Jhrem Briefe vor, wo Sie seiner seligen Frau „auf eine so edle Art gedenken. Er bat mich, Jh- „nen meine Hand zu geben. Er befahl mir es „endlich ernsthaft, und mit ziemlicher Heftigkeit, „da ich wegen meiner natuͤrlichen Bloͤdigkeit, und „wegen der Unentschluͤssigkeit, die uns Maͤdchen „eigen ist, ihm so geschwind nicht antworten woll- „te, als er es verlangte. Endlich sagte ich ihm, „daß ich nun keinen Zweifel mehr faͤnde, welcher „mich hinderte, Sie, mein Herr, meiner Hochach- „tung und Gegenliebe zu versichern. Er umarm- „te mich thraͤnend, der redliche Vater! Jch muß- „te mich so fort zu ihm setzen, und Jhnen, mein „Herr, diese Versichrung schriftlich thun. Jch „that sie, und ich muß Sie, mein Herr, noch itzt „um Verzeihung bitten, wenn diese Erklaͤrung „nicht in der feinen und geputzten Art abgefaßt „war, die mir, als einem stillen, und in der Welt „ganz unbekannten Maͤdchen, allerdings fremde „seyn mußte. Jch ließ mein Herz reden. Mein „Herz empfand Hochachtung und Liebe gegen Sie. „Jch sagte dieses in meinem Briefe. Vielleicht „sagte ich es gar zu treuherzig und deutlich. Viel- „leicht habe ich mir dadurch Jhre Verachtung zu- „gezogen. Jch bin ungluͤcklich, wenn dieses ist; „aber nur mein redliches, mein offnes Herz macht „mich ungluͤcklich. Mein Vater schloß diesen „Brief in den seinigen ein. Jch erinnere mich des- sen Satyrische Briefe. „sen noch wohl. Er war voll von Versichrungen „der Freundschaft. Er schwur Jhnen eine ewige „Zaͤrtlichkeit. Wie sorgsam und liebreich empfahl „er mich Jhrem Wohlwollen! So freundschaftli- „che, so liebreiche Briefe, mein Herr, haͤtten ja „wohl eine Antwort verdient. Und doch erhielten „wir keine, obschon mein Vater noch einmal dar- „um bat, der es oͤfter nicht thun konnte, weil er „fuͤhlte, daß er beschaͤmt war, und ein großer Theil „des Schimpfs auf mich fallen mußte. Wie „konnten Sie, mein Herr, einen so redlichen „Freund sterben lassen, ohne ihm zu sagen, wo- „mit er Sie beleidiget hatte? Er starb endlich, und „hatte das Gluͤck nicht, als ihr Freund zu sterben. „Wie unruhig hat ihn dieses noch in seinen letzten „Tagen gemacht! „Jch kann mich unmoͤglich uͤberwinden, laͤn- „ger zu schweigen. Gewiß, mein Herr, ich waͤre „eines so rechtschaffnen Vaters ganz unwuͤrdig, „wenn ich mir nicht Muͤhe geben wollte, ihn noch „im Sarge bey einem Freunde zu rechtfertigen, den „er fuͤr seinen besten, fuͤr seinen einzigen Freund „hielt. Nur dieses bitte ich von Jhnen, mein „Herr, sagen Sie mir, sagen Sie mir es aufrich- „tig, womit hat Sie mein Vater beleidiget? Was „waren die Ursachen einer so unerwarteten Kalt- „sinnigkeit? Womit verdiente ich eine solche Ver- „achtung, die mich vor den Augen der ganzen „Stadt laͤcherlich machte? Jch will meinen Vater „nicht entschuldigen, wenn er nicht zu entschuldi- Q 2 gen Satyrische Briefe. „gen ist; aber vielleicht war es nur ein Misver- „staͤndniß. Vielleicht war es ein Streich von mis- „guͤnstigen Freunden, die Jhre Leichtglaͤubigkeit „misbrauchten. Vielleicht haben Sie Unrecht, „mein Herr! Treiben Sie Jhre Empfindlichkeit „und Rache nicht zu weit. Wuͤrdigen Sie mich „einer Antwort. Jch habe noch eben die Hoch- „achtung gegen Sie, wie vormals, und, darf ich „es wohl sagen, noch eben die Liebe, welche Sie „so schlecht belohnten. Ja, mein Herr, Jhnen „zu zeigen, wie rechtschaffen Sie mein Vater ge- „liebt, wie hoch ich Jhre Freundschaft schaͤtze, wie „unschuldig meine Zaͤrtlichkeit von Jhnen beleidi- „get worden; Jhnen dieses alles zu zeigen, biete „ich Jhnen itzt vom neuen selbst die Hand an, die „Sie durch meinen Vater verlangten. Wollen „Sie mich noch einmal beschaͤmen? Die Freund- „schaft meines Vaters, meine eigne Liebe zu Jh- „nen, beide verdienen eine Antwort. Jch er- „warte sie mit der ersten Post, und bin, Mein Herr, ‒ ‒ ‒ ‒ am 10. des Christmonats 1749. Jhre Dienerinn. Wie gefalle ich Jhnen, mein Herr? Steigt nicht meine Unverschaͤmtheit mit iedem Briefe. Nun nahm ich mir vor, den Brief gar zu laͤugnen, den ich ehedem, wider meines Vaters Wissen, an den Satyrische Briefe. den Professor geschrieben hatte. Er war fromm, und fast ein wenig gar zu fromm. Dieser Schwaͤ- che wollte ich mich bedienen. Konnte es nicht moͤglich seyn, daß mein Brief untergeschoben, und meine Hand von boͤsen Leuten nachgemalet war? Jch wollte den Professor zweifelhaft machen. Haͤt- te ich ihn einmal so weit gehabt, daß er angefan- gen zu glauben, es habe sich die Bosheit neidischer Leute mit ins Spiel gemischt: so hoffte ich gewon- nen zu haben, und ihn so weit zu bringen, daß er an mich schreiben, oder gar zu mir kommen sollte. Alsdann haͤtte es mich ein paar kleine Thraͤnen geko- stet, die zu ihrer Zeit beredter sind, als alle goldne Spruͤche der griechischen und roͤmischen Weisen. Das war mein Plan. Jm Geiste war ich schon Frau Professorinn. Jch ward es nicht. Mit dem naͤchsten Posttage kam ein Brief; aber was fuͤr einer? Lesen Sie einmal. Wie widrig ist mein Schicksal! Mademoiselle, „ M ein Mann, welcher unbaß ist, hat mir auf- „getragen, Jhnen den richtigen Empfang „Jhres Briefs vom zehnten dieses zu melden. Er „laͤßt Jhnen durch mich aufs heiligste zuschwoͤren, „daß er noch itzt niemals ohne die groͤßte Hochach- „tung an Jhren seligen Herrn Vater gedenken „koͤnne. Aber das ist ihm alles unbegreiflich, was „Sie von einem Misverstaͤndnisse, von verlohren Q 3 gegang- Satyrische Briefe. „gegangnen Briefen, von der Unruhe des Herrn „Vaters auf seinem Todbette, und ich weiß nicht, „von was fuͤr gefaͤhrlichen Cabalen mehr, schrei- „ben. Er hat das Vergnuͤgen gehabt, Jhren „Herrn Vater noch ein Jahr vor seinem Ende auf „der Messe zu sprechen, und ihn in seiner Freund- „schaft unveraͤndert zu finden. Dieser Umstand „muß Jhnen, Mademoiselle, vermuthlich bey „der Anlage Jhres Briefs unbekannt gewesen seyn. „Mein Mann verlangt nicht, dieses weiter zu un- „tersuchen, und er hat mir befohlen, davon abzu- „brechen, weil er glaubt, eine naͤhere Entdeckung „werde Jhnen eben nicht vortheilhaft seyn. So „viel laͤßt er sie versichern, daß er noch immer be- „reit sey, Jhnen nach Jhrem Tode die Abdan- „kung zu halten. Jch weiß nicht, was er damit „meynen muß; aber vielleicht ist es Jhnen ver- „staͤndlich. Er vermuthet, daß es nicht noͤthig „sey, Jhnen den Schluß Jhres Briefs zu beant- „worten, da ich, als seine Frau, noch so gesund „und munter bin, daß ich die Ehre habe, in sei- „nem Namen an Sie zu schreiben. Mir, fuͤr „meine Person, ist es ungemein vortheilhaft, daß „ich einen Mann habe, der von so einem artigen „und erfahrnen Frauenzimmer aufgesucht wird. „Jch liebe ihn nun doppelt, ob ich gleich eifersuͤch- „tig genug bin, um zu wuͤnschen, daß dergleichen „verliebte Anfaͤlle nicht zu oft auf ihn gethan wer- „den moͤgen. Jch moͤchte ihn verlieren, oder „doch nicht allemal die Erlaubniß von ihm bekom- men Satyrische Briefe. „men, auf die Liebesbriefe zu antworten, die so „herzbrechend sind, wie der Jhrige. Fuͤr dieses „mal bin ich mit aller Hochachtung, Mademoiselle, Jhre Dienerinn. „N. S. Mein Mann bittet sich ein paar Zeilen „uͤber den richtigen Empfang dieses Briefs „aus, weil er in großen Sorgen steht, die „Post moͤchte noch eben so unrichtig gehn, „wie im Brachmonate des tausend sieben „hundert und vierzigsten Jahres.„ Also war der Professor verheirathet! Konn- te er mich wohl tiefer demuͤthigen, als daß er mir durch seine Frau antworten ließ? Keine Vor- wuͤrfe sind uns Frauenzimmern bittrer, als die uns von Frauenzimmern gemacht werden. Jch empfand diese Wahrheit itzt doppelt, und doch mußte ich alles verschmerzen, so sehr ich auch in der vorigen Hoffnung betrogen, und vom neuen beschaͤmt war. Alle diese ungluͤcklichen Versuche schreckten mich doch nicht ab, mein Gluͤck mit gewaffneter Faust zu verfolgen. Was ich von meinem Vater geerbt hatte, das bestund in einigen kostbaren Pro- Q 4 cessen, Satyrische Briefe. cessen, und einer ziemlichen Summe aussenstehen- der Sporteln, die ich mit der groͤßten Strenge einzutreiben suchte, um zu zeigen, daß ich meines Vaters Tochter sey. Es konnte dieses ohne Wi- derspruch nicht geschehn, und fast in allen Sachen diente der Advocat wider mich, der mich seiner Lie- be ehedem in dem zaͤrtlichsten Canzleystil so eilfer- tig versichert hatte. Gemeiniglich ist es bey an- dern Advocaten der Eigennutz, welcher sie erhitzt, fuͤr die Sache zu kaͤmpfen, zu welcher sie gedun- gen sind; bey diesem aber kam noch ein Bewe- gungsgrund dazu, die Rache. Er verfuhr un- barmherzig mit mir. Jch sann auf ein Mittel, ihn zahm zu machen, und, damit er recht zahm wer- den sollte: so setzte ich mir vor, seine Frau zu wer- den. Jch fiel ihn mit den Waffen des Eigennu- tzes, und der Liebe an, und hielt meinen Sieg fuͤr gewiß. Jch schrieb ihm: Mein Herr, „ J ch uͤbersende Jhnen mit diesem Boten die Un- „kosten, deren Bezahlung mir in dem letzten „Urthel zuerkannt worden ist. Sie koͤnnen glau- „ben, mein Herr, daß der Verlust einer so an- „sehnlichen Rechtssache mir nicht so empfindlich ist, „als der Eifer, mit welchem Sie Klaͤgern wider „mich gedient haben. So gewiß ich auch von der „Billigkeit meiner Sache uͤberzeugt war: so we- nig Satyrische Briefe. „nig konnte ich mir doch vom Anfange an ein gu- „tes Ende versprechen, da ich an Jhnen einen „Mann wider mich hatte, dessen Geschicklichkeit, „Erfahrenheit in Rechten, und unermuͤdete Be- „gierde, seinen Clienten redlich zu dienen, mir „und aller Welt bekannt war. Jch habe Sie um „deßwillen iederzeit hoch geschaͤtzt; und diese Hoch- „achtung hat sich auch itzt vermehrt, ungeachtet „ich mit meinem Schaden erfahren habe, wie „gluͤcklich derjenige ist, dessen Sache Sie verthei- „digen. Waͤre ich mehr eigennuͤtzig, als billig, „so wuͤrde ich Jhnen einen Eifer nicht vergeben „koͤnnen, den Sie wider mich, eine bekannte und „aufrichtige Freundinn von Jhnen, wider mich, „die Tochter eines Mannes, der auch Jhr alter „und rechtschaffner Freund war, so hitzig aͤussern. „Erinnern Sie Sich derjenigen Zeit gar nicht „mehr, da ich das Gluͤck hatte, von Jhnen ge- „liebt zu werden? Ein Gluͤck, das mir schon da- „mals unendlich kostbar war, so wenig es auch „Jhre Umstaͤnde litten, Sich mit mir auf diejeni- „ge Art zu verbinden, welche unsre Freundschaft „haͤtte dauerhaft machen und Jhre Liebe belohnen „koͤnnen! Mir wenigstens sind diese vergnuͤgte „Zeiten noch immer unvergessen, und ob Sie mir „schon die Gelegenheit benommen haben, Sie auf „eine genauere, und vertraute Art zu lieben: so „ist doch meine Hochachtung gegen Sie noch im- „mer so stark, daß ich glaube, auch unter ihren „Amtseifer gegen mich, den Freund noch zu er- Q 5 kennen Satyrische Briefe. „kennen, dessen Wohlwollen mir so schaͤtzbar ge- „wesen ist. Jch nehme um deßwillen meine Zu- „flucht zu Jhnen; Sie koͤnnen mir eine Huͤlfe „nicht abschlagen, zu der Sie Jhr Amt verbindet. „Sie werden aus den Beylagen diejenigen ge- „gruͤndeten und ansehnlichen Anspruͤche sehn, wel- „che ich in der Verlassenschaft meines Vaters be- „kommen habe. Erzeigen Sie mir die Gefaͤllig- „keit, und fuͤhren Sie meine Sache aus. Die „Caution von dreytausend fuͤnfhundert Thalern, „die mein Vater stellen muͤssen, ist mir noch nicht „zuruͤck gezahlt. Es hat mir nur an einem so er- „fahrnen und geschickten Manne gefehlt, als Sie „sind, so wuͤrde ich sie schon laͤngst wieder bekom- „men haben. Geben Sie Sich die Muͤhe, meh- „rere Umstaͤnde bey mir muͤndlich zu erfahren: so „werden Sie sehn, wie leicht es Jhnen sey, mir „Recht zu verschaffen. Jch trage alle Kosten „willig, und werde Jhnen funfzig Thaler zu Be- „streitung des baaren Verlags zustellen, so bald „ich die Ehre habe, Sie bey mir zu sehn. Durch „Jhre Bemuͤhung hoffe ich, ein Vermoͤgen zu be- „kommen, welches gar ansehnlich ist. Jch werde „dieses Gluͤck Jhnen allein zu danken haben, und „ich glaube verbunden zu seyn, es mit Jhnen zu „theilen, wenn Sie Sich entschliessen koͤnnten, „mich zu versichern, daß Jhre Liebe und Freund- „schaft gegen mich unveraͤndert sey. Ein Mann, „dem ich mein ganzes Gluͤck in seine Haͤnde uͤber- „gebe, hat ein billiges Recht, auch auf mein Herz Satyrische Briefe. „Herz Anspruch zu machen. Jch erwarte Jhre „Antwort, und bin mit aller Hochachtung, Mein Herr, ‒ ‒ ‒ ‒ am 13 May 1750. Jhre Dienerinn, F ‒ ‒ ‒ Diese erwartete Antwort kam sehr geschwind. Sie lautete also: Mademoiselle, „ W egen der uͤbersendeten Unkosten folgt inn- „liegende Qvittung. Jhr Communica- „tum sende angeschlossen zuruͤck. Jch habe nicht „Willens, mich mit Jhren Sachen zu vermengen. „Jch mag Jhr Geld nicht, und noch weniger Jhr „Herz. Besinnen Sie Sich noch auf den Con- „curs? Leben Sie wohl. Jch muß ins Amt. „Es ist bey nahe zwoͤlf Uhr. Jch bin Jhr Diener K. L. M. „N. S. Verschonen Sie mich mit Jhren Briefen, „oder schreiben Sie nicht so weitlaͤuftig. „Die Zeit ist edel; ich habe mehr zu thun. „Sie werden dem Boten lohnen. à Dieu. Nun Satyrische Briefe. Nun war von meinen alten Liebhabern nie- mand mehr uͤbrig, als der ehrendienstwillige Wuͤrzkraͤmer in R ‒ ‒. Sollte ich noch einen An- griff wagen, da ich so oft schimpflicher Weise ab- gewiesen war? Aber war ich nicht schon bey aller Schande abgehaͤrtet? Was konnte ich weiter ver- lieren, wenn ich mich auch von meiner Hoͤhe bis in den Kramladen meines ehemaligen Freyers her- abließ? So weit hatte ich mich schon gefaßt, daß ich den Reifenrock vor der Thuͤre ausziehen wollte, damit ich Platz darinnen haͤtte. Was fuͤr Ueber- windung kostet es einem Frauenzimmer, ehe sie sich, dieses zu thun, entschließt! Aber wie sollte ich es anfangen? Sollte ich von meines Liebhabers Ver- stande, von seinen großen Verdiensten, von mei- ner Liebe zu ihm, sollte ich von Pflicht und Ge- wissen reden? Was meynen Sie, mein Herr? Das sind wohl ordentlicher Weise die Sachen nicht, die einen Kaufmann weichherzig machen. Vom Gel- de konnte ich nicht viel sagen: das waͤre sonst wohl der buͤndigste Schluß gewesen. Jch wagte eine ganz neue Art zaͤrtlich zu seyn. Jch setzte ihm den Degen an die Brust, und bat ihn ganz demuͤthig um sein Herz. Hier haben Sie meinen Fehdebrief. Mein Herr, „ G ewiß, Sie misbrauchen meine Geduld. Da „ich mir seit fuͤnf Jahren Muͤhe gegeben, „Sie zu ihrer Schuldigkeit zuruͤck zu bringen, da alle Satyrische Briefe. „alle diese Muͤhe, alle meine freundschaftlichen Brie- „fe vergebens gewesen: so sehe ich mich genoͤthi- „get, ein Wort im Ernste mit Jhnen zu reden. „Erinnern Sie Sich wohl Jhres Briefs vom 7 „May 1745, in welchem Sie mich baten, ich „moͤchte mich entschließen, die Jhrige zu werden? „So schwer es meinem Vater, und meinen Freun- „den ankam, ihre Einwilligung zu geben: so ge- „neigt war doch ich dazu. Jch meldete Jhnen „die Zweifel meiner Verwandten, zugleich gab „ich Jhnen deutlich genug zu verstehen, wie an- „genehm mir ein Antrag sey, der von einem Man- „ne herkam, an dessen Redlichkeit und billigen „Absichten zu zweifeln, ich nicht Ursache hatte. „Jch uͤberwand endlich die Zweifel meines Vaters „und meiner uͤbrigen Freunde. Sie gaben ihre „Einwilligung dazu, die ich Jhnen ohne Verzug „meldete, und Jhr Anerbieten aufs feyerlichste „annahm. Haͤtten Sie diejenigen Pflichten, die „ein ehrlicher Mann fuͤr unverbruͤchlich haͤlt, nicht „genoͤthiget, mir zu antworten: so haͤtten es we- „nigstens die Pflichten des Wohlstands thun sol- „len. Beide waren bey Jhnen nicht stark genug, „eine Antwort zu erpressen. Jch schrieb in eini- „gen Wochen darauf noch einmal an Sie. Jch „wiederholte dieses zum drittenmal da sich eine „Gelegenheit fuͤr mich fand, die ich, so vortheil- „haft sie auch war, doch ausschlug, um Jhren „Wunsch zu erfuͤllen, und mich mit Jhnen zu ver- „binden. Noch erhielt ich keine Zeile Antwort. Jch Satyrische Briefe. „Jch uͤberwand mich noch einmal, den letzten Ent- „schluß von Jhnen zu erfahren, aber auch dasmal „umsonst. Jch kann Jhnen durch eine Bescheini- „gung aus dem Postamte beweisen, daß alle diese „Briefe richtig abgegangen sind. Wie bin ich im „Stande, Jhnen das Misvergnuͤgen deutlich ge- „nug zu beschreiben, das ich empfand, da ich er- „fahren mußte, daß Sie der billige und aufrichti- „ge Mann nicht waͤren, fuͤr den ich Sie gehalten „hatte! Jch wagte noch den letzten Versuch, und „schickte am verwichnen Markte eine Freundinn „an Sie, welche muͤndlich dasjenige wiederholen „sollte, was ich Jhnen so oft schriftlich, und ver- „gebens, versichert hatte. Aber auch diese Freun- „dinn ließen Sie nicht vor Sich, und sie kam „unverrichteter Sache zuruͤck. Wahrhaftig, mein „Herr, das hieß meine Geduld aufs hoͤchste trei- „ben. Jch verlange von Jhnen, mein Herr, eine „anstaͤndige Genugthuung. Melden Sie mir, wes- „sen ich mich zu Jhnen zu versehn habe. Jst Jhr „gegebnes Wort, meine Freundschaft, meine „Liebe zu Jhnen, ist Ehre und Gewissen nicht vermoͤ- „gend, Jhnen Jhre Pflicht und Schuldigkeit begreif- „lich zu machen: so muß es der Richter thun. Es „geschieht sehr ungern, mein Herr, daß ich diesen „Entschluß fasse; aber meine Ehre verlangt ihn. „Jch habe Jhre Verbindung in meinen Haͤnden. „Die weltliche Obrigkeit soll mir Recht schaffen, „da Jhr Herz zu meyneidig ist, es zu thun. Ver- „langen Sie eine Frau, mein Herr, die Sie red- Satyrische Briefe. „redlich, die Sie zaͤrtlich liebt, die blos durch Jh- „re aufrichtige Gegenliebe gluͤcklich zu werden ver- „langt, die ihr ganzes Wohl von Jhren Haͤnden „erwartet, die Geld und Vermoͤgen genug hat, „Jhre Anfmerksamkeit zu verdienen, verlangen „Sie dieselbe: so sollen Sie wissen, daß ich eine „Freundinn bin, die alle Beleidigungen vergißt, „die auf den ersten Wink Jhnen folgen und Sie „ewig lieben will. Sind Sie noch hart, und „unempfindlich, so sollen Sie erfahren, daß ich „mein Recht suchen werde. Jch habe es schon „einem Advocaten aufgetragen, welcher durch den „weltlichen Arm Sie zwingen soll, redlich zu seyn. „Er soll nicht ruhen, bis er Sie billig, oder ganz „ungluͤcklich gemacht hat. Wollen Sie nicht mit „mir gluͤcklich seyn, so sollen Sie es auch nicht „ohne mich bleiben. Meine Rache soll keine „Grenzen haben. Die ganze Welt soll erfahren, „wie strafbar es sey, ein Maͤdchen zu betruͤgen, „dessen Stand, dessen Erziehung, dessen redliches „Herz mehr Achtung verdient, als Sie, Undank- „barer, gegen mich bezeigt haben. Jch lasse Jh- „nen die Wahl, mein Herr, wollen Sie mit mir „gluͤcklich leben, oder wollen Sie ohne mich an „den Bettelstab gebracht seyn? Bis an den Bet- „telstab! Eher ruhe ich nicht. Wie vergnuͤgt „waͤre ich, wenn es mir erlaubt waͤre, einen „Mann zu lieben, welcher die Kunst verstanden „hat, mein Herz zu gewinnen, meine ganze Hoch- „achtung zu erlangen; einen Mann, den zu lie- ben, Satyrische Briefe. „ben, ich mein Gluͤck, und meine Hoffnung auf- „geopfert habe. Fuͤrchten Sie Sich vor der Ver- „zweiflung eines beleidigten Frauenzimmers. „Noch itzt redet meine Liebe fuͤr Sie; bald aber „wird sie muͤde seyn, es zu thun. Wenn ich be- „trogen werden soll, so ruhe ich nicht, bis sie ganz „ungluͤcklich sind. Hier haben Sie Liebe und Ra- „che. Waͤhlen Sie Sich! Jch gebe Jhnen vier „Wochen Zeit, laͤnger nicht. Bedenken Sie „Jhr eignes Wohl. Jch bin, Mein Herr, ‒ ‒ ‒ ‒ am 27. des Christmonats 1750. Jhre Dienerinn, F ‒ ‒ ‒ Haͤtte ich wohl vor fuͤnf Jahren glauben koͤn- nen, daß ich in so traurige Umstaͤnde kommen wuͤrde, einen Mann mir mit Feuer und Schwerdt zu ertrotzen, und die Obrigkeit um Huͤlfe anzu- flehn, daß sie einen Wuͤrzkraͤmer in R ‒ ‒ zwin- gen moͤchte, mich zur Frau zu nehmen? Es war mein Ernst zwar nicht, die Sache so weit zu treiben, und ich wuͤrde vielleicht wenig ausgerichtet haben; aber es war schon schlimm genug, daß ich mich so grimmig anstellen mußte, einen Mann zu schre- cken, den ich sonst so veraͤchtlich von mir gewie- sen hatte. Jch hoffte, er wuͤrde aus Furcht vor einem Processe mit Sacke und Packe angezogen kom- Satyrische Briefe. kommen, mich zu erloͤsen. Allein er kam nicht, und ich erhielt an seiner Stelle folgenden demuͤthi- genden Brief: „ W as? ich sollte wider meinen Willen eine „Frau nehmen? Schwaͤrmt Sie, Mamsell, „oder hat Sie den Teufel im Leibe? Manntolle „muß Sie zum wenigsten seyn, sonst haͤtte Sie „einen so rasenden Brief nicht geschrieben. Das „will ich doch sehn, wer mich zwingen soll, ein „Mensch zu heirathen, das mich vor fuͤnf Jahren „auf eine so sproͤde Art von sich gewiesen hat! „Jch weiß den Henker von Jhren Briefen, und „von Jhrer Freundinn, die Sie an mich geschickt „hat. Das sind alles Luͤgen, kurz, derbe Luͤgen, „versteht Sie mich? Mit Jhrem Advocaten! dar- „uͤber lache ich. Wir haben in unserm Staͤdtchen „auch Advocaten, so schlimm als der Jhrige kaum „seyn kann. Sie mag nur kommen, wenn Sie „Lust hat. Jhn will ich zur Treppe herunter „schmeissen, und Sie durchs Fenster, wenn Sie „mitkoͤmmt; versteht Sie mich? Die Obrigkeit „muß mir Recht schaffen, so gut wie Jhr. Mit „dem weltlichen Arme koͤmmt Sie mir gleich recht. „Verklage Sie mich. Gut! wir wollen sehn, „wer das meiste Geld daran zu setzen hat, ich oder „Sie? So einen verlaufnen Nickel will ich wohl „noch aushalten. Jch denke, Sie soll das Geld „zu Brode brauchen, daß der Advocat nicht viel „davon schmecken wird. Und wenn Sie mich bis R untern Satyrische Briefe. „untern Galgen braͤchte, so mag ich Sie nicht. „Jch wuͤrde mich doch selbst hengen muͤssen, wenn „ich Sie als Frau am Halse haͤtte. Das waͤre doch „was schreckliches, wenn ein ehrlicher Mann in sei- „nem eignen Hause vor einer Frau nicht sicher seyn „koͤnnte, und das erste das beste Mensche heirathen „muͤßte, das sich in Kopf setzte, mit Ehren unter „die Haube zu kommen! Jns Spinnhaus ge- „hoͤrt so eine Drolle, wie Sie ist. Geh Sie zum „Teufel, und lasse Sie ehrliche Leute unge- „schoren! Jch denke, Sie soll mich verstehn. „Lebe Sie wohl, wenn Sie kann. Jch bin Jhr „Narr nicht. R. am 5. Januar 1751. ‒ ‒ ‒ ‒ Haben Sie wohl in Jhrem Leben gehoͤrt, daß ein Liebesbrief mit einem so groben Proteste zuruͤck geschickt worden ist? Jch sah nun wohl, mit wem ich mir hatte zu schaffen gemacht, und daß dieser der Mann nicht waͤre, welcher sich durch Advocaten und Richter schrecken, oder durch Dro- hungen betaͤuben ließ, zaͤrtlich zu werden. Die Lust vergieng mir, mein gutes Geld aufs Spiel zu setzen, und mich einem Manne aufzudringen, der Herz genug zu haben schien, seine liebste Haͤlf- te zum Fenster herunter zu werfen. Jch ließ mei- nen Satyrische Briefe. nen Vorsatz fahren, und nun bin ich ohne Rath und Trost. Was soll ich armes Maͤdchen an- fangen! Wissen Sie was, Herr Autor, erbarmen Sie Sich meiner! Nehmen Sie mich zu Jhrer Frau! Sie sind noch unverheirathet; Sie sind fast in meinen Jahren, oder doch nicht viel aͤlter; Sie haben ein Amt, das mich und Sie ernaͤhren kann. Eine alte Jungfer ist ja wohl einen alten Junggesellen werth. Jch daͤchte, Sie naͤhmen mich immer. Was meynen Sie? Machen Sie mir den Vorwurf nicht, daß ich in meinen jungen Jahren sproͤde gewesen bin, daß ich bey zuneh- menden Jahren mich allen meinen Bekannten an- geboten habe, und daß mich die Verzweiflung zu Mitteln getrieben hat, die eben nicht die gewissen- haftesten zu seyn scheinen. Es waͤre unbillig, wenn meine Offenherzigkeit mir bey Jhnen schaden sollte. Sie kennen mich nun von aussen und von innen. Wer weiß, ob Sie kuͤnftig mit Jhrer Frau nicht noch mehr betrogen werden, als mit mir? Wir wollen einander unsre Fehler nicht vorwerfen. Vielleicht haben Sie auch Fehler. Viele Maͤd- chen werden um deßwillen zu alten Jungfern, weil sie, wie ich, in ihrer Jugend zu sproͤde gewesen sind, und an allen Liebhabern etwas zu tadeln ge- funden. Aber wo kommen denn die alten Jung- gesellen her? Jn jungen Jahren lieben sie zu flat- terhaft. Sie glauben, alle Maͤdchen waͤren nur fuͤr sie geschaffen, und es brauche keine Muͤhe wei- R 2 ter, Satyrische Briefe. ter, als daß sie die Hand zum Fenster heraus streckten: so wuͤrden gleich zehn Maͤdchen kom- men, und sich daran halten. Jst diese Eitelkeit nicht eben so laͤcherlich, als die unsrige? Mit zu- nehmenden Jahren merken sie, daß man sich nicht um sie zankt, und daß die große Vorstellung von der Wichtigkeit ihrer Person groͤßtentheils eine eit- le Einbildung gewesen ist. Nun fangen die Her- ren aus Verzweiflung an, Boͤses vom Frauenzim- mer, von Jungfern und von Weibern zu reden; und sind sie gar Schriftsteller, wie Sie, hochzu- ehrender Herr Autor: so schreiben sie Boͤses, und spotten uͤber unser Geschlechte. Das nennen sie Satyren, die nur aus Liebe zur Wahrheit, und ihren armen Nebenchristen zu bessern, gedruckt werden. Aber, unter uns gesprochen, geschieht es nicht aus Begierde, sich wegen der Verachtung zu raͤchen, die das Frauenzimmer gegen ihre gro- ßen Verdienste hat blicken lassen? Jch denke, Sie sollen mich verstehn, sagte mein Wuͤrzkraͤmer. Endlich ruͤcken bey den Mannspersonen die trauri- gen Jahre der Verzweiflung und des Eigennutzes heran. Wie alt waren Sie, mein Herr? Jch glaube, ich hatte es oben ausgerechnet, daß Sie fast so alt sind, als ich. Wie gesagt, die Jahre des Eigennutzes. Man sieht sich nach einer rei- chen Frau um. Sie mag aussehn, wie sie wolle, sie mag alt oder jung, in gutem oder boͤsem Rufe seyn, wenn sie nur Geld hat. Bisweilen sind die Herren so gluͤcklich, den Schatz mit dem Drachen zu Satyrische Briefe. zu heben, der darauf liegt; und nun koͤmmt gewiß die Reihe an sie, gedemuͤthigt zu werden. Alle Spoͤttereyen uͤber das weibliche Geschlecht werden sodann denen Herren reichlich vergolten, die in ih- rer Jugend zu muthwillig, zu unbestaͤndig geliebt, und nur eigennuͤtzig gewaͤhlt haben. Eine Frau, die sich und ihren Reichthum fuͤhlt, die uͤberzeugt ist, daß sie bey der Wahl ihrem Gelde alles zu danken hat; eine solche Frau waͤre thoͤricht, wenn sie ihren Mann mehr lieben wollte, als ihr Geld. Jn der That geschieht es auch sehr selten. Es kommen zuweilen noch andre Umstaͤnde dazu, die euch, stolze Herren, zahm machen. Es giebt Ga- lanterien, die im Ehestande nicht leicht unvergolten bleiben, wenn die Frau nur einigermaßen ertraͤglich aussieht, oder wenigstens einen guten Kerl ehrlich bezahlen kann. Jch bin keine Freundinn von per- soͤnlichen Satyren, diese Tugend habe ich Jhrer Vorrede zu danken; und wenn Jhnen diese Pre- digt zu bitter vorkoͤmmt, so bin ich nur aus all- gemeiner Menschenliebe bitter, wie Sie, mein Herr. Jch sage auch nicht, daß es schlechterdings so kommen muͤsse. Am wenigsten ist das meine Meynung, daß ich Jhnen, Hochgeehrtester Herr Autor, die Nativitaͤt stellen wollte. Davor be- wahre mich der Himmel! Das ist gar nicht meine Absicht. Jch sage nur so ‒ ‒ ‒ verstehn Sie mich, ‒ ‒ ‒ wie soll ich mich recht ausdruͤcken? so ungefaͤhr, daß es doch wohl bey Jhnen auch einmal moͤglich seyn koͤnnte. Und wenn es nun R 3 so Satyrische Briefe. so moͤglich seyn koͤnnte, so sehe ich nicht, warum Sie nicht eben so lieb mich, als eine andre, heira- then wollten, mit der Sie eben so gut betrogen wer- den koͤnnten. Wir schicken uns gar vortrefflich zusammen. Jch moͤchte gar zu gern einen Mann haben; und Sie, mein Herr, verstellen Sie Sich nur nicht, man sieht es Jhnen an den Augen an, Sie moͤchten auch gern eine Frau. Vielleicht wollen Sie nur ein recht reiches Maͤdchen. Es kann seyn. Aber wissen Sie denn, ob ein recht reiches Maͤdchen auch Sie haben will? Gesetzt aber, Sie bekaͤmen eine, nach Jhrem geizigen Wunsche, (denn ein wenig geizig sind Sie, das koͤnnen Sie nicht laͤugnen,) sind Sie deßwegen gluͤcklich? Wohl schwerlich, oder es muͤßte alles nicht wahr seyn, was ich oben gesagt habe. Jch bin ja auch nicht ganz ohne Mittel. Machen Sie nur meine Caution frey. Vielleicht haben Sie eher Gelegenheit, es dahin zu bringen, als ein an- drer. Und wenn ich gar nichts mitbraͤchte, so bringe ich Jhnen doch neun Expensbuͤcher von mei- nem seligen Vater mit, worinnen noch ein großer Schatz von unbezahlten Sporteln steckt. Spor- teln sind wohl das nicht, wovor Jhr zartes Ge- wissen erschrickt, oder ich muͤßte Sie, und Jhre Collegen, gar nicht kennen. Sie koͤnnen ja meine Sporteln mit den Jhrigen eintreiben lassen, und wenn auch alle Bauern zu Grunde gehen sollten. Es thut ein jeder, was seines Amts ist. Der Um- stand wegen meines Vermoͤgens waͤre also aufs reine gebracht. Satyrische Briefe. gebracht. Wegen meiner Liebe lassen Sie Sich noch weniger leid seyn. Wenn man in Jhren Jahren heirathet, so ist dieses gemeiniglich der letz- te Punkt, wonach man fragt. Aber ich glaube auch, daß ich das Herz habe, Sie zu lieben. Wie weit wird man nicht durch Noth und Kummer ge- bracht! Ein Frauenzimmer, das sich schon so viel in der Welt hat muͤssen gefallen lassen, als ich, wird nicht viel Ueberwindung mehr brauchen, einem Manne nachzugeben, der eigensinnig, oder, wie man es gemeiniglich nennt, accurat und hypochon- drisch ist. Ein Fehler, den man Jhnen auch schuld giebt, werthester Herr Autor! Gestehn Sie es nur aufrichtig, Sie sind auch eifersuͤchtig. Die Herren sind es am meisten, die es an andern Maͤn- nern am wenigsten leiden koͤnnen. O, mein aller- liebster Herr Autor! wie vergnuͤgt wird unsre Ehe seyn! Jch bin wirklich durch die Jahre, durch Noth und Krankheit von meiner ehmaligen Schoͤn- heit so weit herunter gekommen, daß Sie meinet- wegen nicht einen Augenblick in Sorgen seyn duͤr- fen; und da ich, wie Sie wissen, eben kein Geld habe: so fehlen mir die Mittel, das durch Wohl- thun zu ersetzen, und mir zu verschaffen, was ich durch meinen todten Reiz nicht erlangen kann. Mit einem Worte, unsre Ehe ist, als wenn sie im Himmel geschlossen waͤre. Jch erwarte Jhre Er- klaͤrung mit Schmerzen. Jch werde alle meine bisherige Noth vergessen; fuͤr die gluͤcklichste Per- son in der Welt werde ich mich halten, wenn ich R 4 die Satyrische Briefe. die Jhrige seyn kann. Jn dieser Hoffnung bin ich mit der zaͤrtlichsten Hochachtung, die sich den- ken laͤßt. Hochzuehrender Herr Autor, ‒ ‒ ‒ ‒ am 26. Heumonat 1751. Jhre aufrichtigste und ergebenste Dienerinn, F ‒ ‒ ‒ Antwort des Autors an die Mademoiselle F ‒ ‒ ‒ Mademoiselle, D ie Ehre ist ganz unerwartet, welche Sie mir zugedacht haben. Es kann in der That nichts schmeichelhafter fuͤr mich seyn, als daß ein so versuchtes Frauenzimmer, welches alle Schulen durchgeliebt hat, und mit ihrem zaͤrtlichen Herzen zwanzig Jahre haussiren gegangen ist, sich endlich auf mich besinnt, und ihren verliebten Brandbrief bey mir einwirft. Bey allen meinen Fehlern, die Sie mit so vieler Einsicht an mir wahrgenommen haben, bin ich doch nicht undankbar. Kann ich Jhre Satyrische Briefe. Jhre Liebe nicht so fort auf die Art erwiedern, wie Sie es verlangen: so will ich doch auf eine andre Art gewiß erkenntlich seyn. Und vielleicht ent- schliesse ich mich dennoch, der Jhrige zu werden. Wenn ich ja einmal mit einer Frau betrogen wer- den muß, wie Sie gar gruͤndlich angemerkt haben: so ist es in der That am besten, daß es durch Jhre guͤtige Besorgung geschieht. Ein Ungluͤck, das man voraus weiß, ist nur halb so empfindlich, als ein unerwartetes Ungluͤck. Noch zur Zeit bin ich freylich nicht aufs aͤusserste gebracht; aber viel- leicht bin ich dem traurigen Augenblicke nahe, wo ich mich aus Verzweiflung entschliesse, Jhre Hand anzunehmen. Lassen Sie mir Zeit, Mademoi- selle, mich recht zu besinnen. Jch will es mit dem Publico uͤberlegen. Die Sache ist fuͤr mich von Folgen, und wichtig genug. Sollten Umstaͤnde kommen, welche mir an- riethen, Jhre Liebe zu verbitten: so habe ich mich doch auf ein andres Mittel besonnen, Sie aus Jhrer Jungfernoth zu reissen, und Jhnen ein Gluͤck zu schaffen, das Jhnen fehlt. Was mey- nen Sie, Mademoiselle? Jch will sie ausspielen! Ja, ja, im ganzen Ernste, ausspielen will ich Sie, und zwar auf die vortheilhafteste Art von der Welt. Haben Sie nur Geduld, meinen Plan anzuhoͤren. Ein jeder buͤrgerlichen Standes, der seit zehn Jahren in hiesigen Landen muthwillig bankrut gemacht hat, und ein jeder, der binnen den naͤch- sten zehn Jahren auf diese legale Art andre um ihr R 5 Ver- Satyrische Briefe. Vermoͤgen bringen will, soll gezwungen seyn, um Sie zu wuͤrfeln. Der Einsatz ist der zehnte Theil von demjenigen, was er von seinem Glaͤubiger gewonnen hat, oder zu gewinnen ge- denkt. Die Einlage geschieht binnen dato, und dem letzten des Wintermonats kuͤnftigen Jahrs. Mit dem ersten des Christmonats werden die Buͤ- cher geschlossen, und den letzten desselben, als am Tage Sylvester, wird auf oͤffentlichem Markte, im Beyseyn eines alten Notarien, und sieben alter Zeugen, allerseits Junggesellen, gewuͤrfelt. Jch habe einen freyen Wurf. Mich deucht es ist bil- lig. Wer die meisten Augen wirft, hat die Ehre, Jhr Braͤutigam zu seyn. Hat er schon eine Frau, so behalten Sie die erste Hypothek auf sein Herz; und er ist schuldig, Jhnen die gesammte Einlage, als die Sie zur Mitgabe bekommen, mit sechs pro Cent so lange zu verinteressiren, bis entweder sei- ne Frau stirbt, oder er Gelegenheit gefunden hat, Sie vom neuen auszuspielen. Jn diesem Falle bleibt Jhnen die erste Einlage; die neue, die nur halb so stark seyn soll, als die erste, wird zum Ca- pital geschlagen, und derjenige, der Sie ausspielt, bekoͤmmt drey Quart Provision, behaͤlt aber kei- nen freyen Wurf. So geht es immer fort, bis Sie an einen Mann kommen, der keine Frau hat, und dieser ist schuldig, Sie zu heirathen. Erlauben Sie, Mademoiselle, daß ich Jh- nen die Billigkeit meines Plans ein wenig deutli- cher zeige. Viel- Satyrische Briefe. Vielleicht sind Sie unzufrieden, daß ich die Jnteressenten nur auf den buͤrgerlichen Stand ein- schraͤnke? Dieses kann gar wohl moͤglich seyn, wenn Sie Jhre alte Neigung zum Adel noch nicht verlohren haben sollten. Aber lassen Sie Sich es immer gefallen. Es ist billig. Wollte ich die von Adel mit dazu ziehn, so wuͤrde der Zulauf zu groß seyn. Viele von guten Haͤusern wuͤrden sich an ihrer Ehre Schaden thun; denn es ist ein groͤß- rer Vorwurf, ein Buͤrgermaͤdchen zu heirathen, als einen muthwilligen Bankrut zu machen. Jch kenne ein Fraͤulein, das mit Jhnen einerley Cha- rakter, und einerley Schicksal hat. Fuͤr diese he- be ich die von Adel auf, und wenn es mit Jhrem Projecte gut ablaͤuft, wie ich hoffe: so will ich dieses Fraͤulein kuͤnftge Ostermesse uͤber ein Jahr auf eben diese Art in Auerbachshofe, unter der Garantie des Herrn von ‒ ‒ ‒ ausspielen. Das bin ich allenfalls zufrieden. Sollten Sie naͤmlich einem verheiratheten Manne zufallen, und es will Sie einer von Adel, gegen einen billigen Rabatt, an sich kaufen: so soll es ihm frey stehn; nur soll er nicht gezwungen seyn. Beruhigen Sie Sich! Es wird gewiß nicht an Liebhabern fehlen, die es fuͤr vortraͤglicher halten, durch buͤrgerliches Geld sich vor der Unbescheidenheit ihrer Glaͤubi- ger, und vor dem Hunger zu schuͤtzen, als unter dem stolzen Glanze der sechzehn Ahnen kuͤmmerlich zu darben. Das waͤre also eins! Fuͤrs Satyrische Briefe. Fuͤrs zweyte: Daß ich nur von denen rede, die muthwillig bankrut machen, das ist billig. Es giebt Faͤlle, die den redlichsten Mann ungluͤcklich machen koͤnnen. Sollte dieser noch ungluͤcklicher werden, und gezwungen seyn, Sie, Mademoiselle, zu heirathen? Das waͤre grausam! gewiß gar zu grausam! Ein ehrlicher Mann, der bankrut macht, gewinnt nichts dabey. Wovon soll er also die Einlage thun? Ueberhaupt verlieren Sie wenig dadurch. Die Exempel sind auch so gar haͤu- fig nicht. Warum ich, drittens, zehn Jahre gesetzt habe, das hat diese Ursache. Wer einmal einen vernuͤnftigen Bankrut mit Vortheil gemacht hat, dem wird diese Nahrung gewiß so gut gefallen, daß er ihn wenigstens alle zehn Jahre wiederholt. Kann er es binnen zehn Jahren nicht so weit brin- gen: so ist er entweder zu ungeschickt, oder er hat weder Geld noch Credit mehr, oder er ist so aber- glaͤubisch gewesen, wieder ehrlich zu werden. Bey allen diesen Leuten ist nichts zu verdienen. Es ist, Viertens, ein vortrefflicher Einfall von mir, daß ich diejenigen mit dazu ziehe, die sich Muͤhe geben, in den naͤchsten zehn Jahren muth- willig bankrut zu werden. Ueberlegen Sie es einmal selbst. Alle Jahre steigt die Anzahl dieser Gluͤcklichen. Wenn Sie, Mademoiselle, die Progressionsrechnung verstuͤnden: so wollte ich Jhnen darthun, daß binnen zehn Jahren fast zwey Drittheile unsrer vorsichtigen Mitbuͤrger das Ver- Satyrische Briefe. Vergnuͤgen haben wuͤrden, das uͤbrige Drittheil um das Seinige zu bringen. Sehn Sie einmal unsre Kaufleute, aber die Kaufleute nicht allein, sehn Sie auch andre Staͤnde an! Wie bearbeiten sich die meisten von ihnen, ihren ehrlichen Namen mit sechzig bis siebenzig pro Cent Gewinnst zu ver- lieren! Geben Sie auf unsre handelnde Jugend, auf die Soͤhne derjenigen alten Kaufleute Achtung, welche altvaͤtrisch genug waren, ehrlich zu sterben. Bey den itzigen schweren nahrlosen Zeiten, bey den hohen Abgaben, uͤber die man sich beklagt, bey dem klaͤglichen Verfalle der Handlung, wissen die- se jungen Herren die vornehme Kunst, mit der be- sten Art von der Welt, in einem Jahre unnoͤthi- ger Weise mehr zu verschwenden, als ihre wirth- schaftlichen Vaͤter bey den gluͤckseligsten Zeiten in fuͤnf Jahren zur bequemen Unterhaltung fuͤr sich, und die Jhrigen, brauchten. Sollten diese Herren, diese Hoffnung des Vaterlandes, nicht im Stan- de seyn, in zehn Jahren alles dasjenige zu ver- thun, was ihre Vaͤter in funfzig Jahren gesamm- let haben? Rechnen Sie einmal selber nach, wie gluͤcklich Sie seyn werden, wenn alle diese Herren, groͤßtentheils recht artige Herren, um Sie wuͤr- feln, und Jhnen den zehnten Theil ihrer Beute ge- ben muͤssen. Aber dieser Entwurf ist von mir nicht Jhrentwegen allein, Mademoiselle, nein er ist selbst dieser bankruten Nachwelt zum Besten ge- macht worden. Gemeiniglich fehlt es diesen Leu- ten an Ungluͤcksfaͤllen, welche sie angeben sollen. Jch Satyrische Briefe. Jch glaube, derjenige, der Sie erwuͤrfelt, braucht weiter keinen Ungluͤcksfall, als diesen, daß er die Ehre hat, Jhr Mann zu seyn. Er hat ein Recht, seinen Glaͤubigern mit der ehrlichsten Mi- ne von der Welt zwanzig pro Cent weniger, als sonst, zu bieten. Ein doppelter Vortheil fuͤr ihn! Zwanzig pro Cent mehr zu gewinnen, und doch noch ehrlich auszusehn! Daß ich, fuͤnftens, nur von denen rede, die auf ei- ne legale Art andre um das Jhrige bringen, das geschieht, um die muthwilligen Bankrutirer von denjenigen zu unterscheiden, welche die Reisen- den auf der Straße pluͤndern, oder die Uhren aus der Tasche ziehen. Es war noͤthig diesen Unter- schied zu bestimmen, der ausserdem sehr schwer in die Augen faͤllt. Raͤuber und Diebe gehoͤren an den Galgen; jene aber, wenn sie es recht zu ma- chen wissen, in allen Gesellschaften oben an. Sie sehn wohl, Mademoiselle, wie viel Ehre Sie in Jhrem kuͤnftigen Ehestande zu erwarten haben. Sechstens: Vielleicht scheint es uͤberfluͤßig, zu sagen, daß die vergangnen und kuͤnftigen Bank- rutirer gezwungen werden sollen, um Sie zu wuͤrfeln, da ich mir Muͤhe gegeben habe, zu er- weisen, wie vortheilhaft es fuͤr dieselben seyn koͤn- ne. Sie muͤssen wissen, Mademoiselle, daß die- jenigen das Aeusserliche der Ehrlichkeit am sorg- faͤltigsten zu erhalten suchen, welche sich die meiste Muͤhe Satyrische Briefe. Muͤhe geben, nicht mehr ehrlich zu seyn. Jch will es lieber wagen, den ehrlichsten Mann einen Schelm zu heißen, er wird es nicht so hoch em- pfinden, als ein muthwilliger Bankrutirer. Um deßwillen wird es noͤthig seyn, Zwang zu brau- chen. Die Richterstuben muͤssen angewiesen wer- den, ein zuverlaͤssiges Verzeichniß dererjenigen ein- zusenden, die seit zehn Jahren muthwilligen Bankrut gemacht haben, wobey ich voraus setze, daß der Richter weder Vetter noch Schwager von dem Bankrutirer ist, und waͤhrend des Concurses kein Geschenke von ihm bekommen hat. Die kuͤnftigen Bankrutirer aber kann man dadurch zwingen, daß, wofern sie sich itzt nicht zur Einla- ge bequemen, sie aller heilsamen Beneficien der Bankrutirer auf ewig verlustig und gewaͤrtig seyn sollen, nach der Gerechtigkeit der Gesetze gestraft zu werden. Sie haben gar nicht Ursache, diesen Zwang fuͤr eine Grausamkeit zu halten, da sie es so billig befinden, durch vielerley Mittel ihre Glaͤu- biger zu zwingen, daß sie ihre Einwilligung dazu geben muͤssen, sich von ihnen bevortheilen zu lassen. Jch glaube endlich, siebentens, nicht, daß Sie, Mademoiselle, dabey eine Schwierigkeit finden werden, wenn ich Sie auf diese Art der ganzen bankruten Welt Preis gebe, und Sie dem Gluͤcke der Wuͤrfel uͤberlassen will. Wenn ich Sie anders aus Jh- ren Briefen recht habe kennen lernen: so muß es Jhnen Satyrische Briefe. Jhnen gleichguͤltig seyn, was Sie fuͤr einen Mann kriegen, wenn es nur ein Mann ist. Aber ich thue noch mehr: ich verschaffe Jhnen zugleich so viel Vermoͤgen, daß Sie ein gegruͤndetes Recht bekommen, Jhrem kuͤnftigen Manne es nachdruͤck- lich fuͤhlen zu lassen, was das sagen wolle, eine reiche Frau zu heirathen. Machen Sie einmal einen Ueberschlag von Jhrem kuͤnftigen Reichthume. Wir wollen se- tzen: Jn die erste Classe kommen die, so seit zehn Jahren muthwillig bankrut gemacht haben. Auf iedes Jahr rechne ich vier, solche Bankrute. Je- den Bankrut zu 25000 Reichsthalern. Sie sehn, wie billig ich bin, da es bekannt genug ist, daß vier Bankrute nicht zureichen, und daß 25000 Thaler fuͤr einen Bankrutirer gar nichts heißen. Die kleinen Schurken, welche sich die Muͤhe neh- men, ihren ehrlichen Namen nur fuͤr ein paar tau- send Thaler hin zu geben, verdienen nicht einmal in Ansatz gebracht zu werden. Wir wollen sie unter die uͤbrigen mit einrechnen, welche das Handwerk besser verstehn, und die, wenn sie ih- ren guten Namen dran wagen, es doch nicht un- ter 25000 Thalern thun. Solchergestalt betra- gen die vier Bankrute auf ein Jahr 100000 Tha- ler — —. Jch will den billigsten Accord neh- men, der seyn kann, und sehr selten geschlossen wird. Jch will setzen, daß der muthwillige Bankrutirer mit den Glaͤubigern theilt, und sie nur um die Haͤlfte betruͤgt. Satyrische Briefe. betriegt. Wenn er so großmuͤthig ist, und funf- zig pro Cent giebt, so thut er mehr, als man ver- langen kann. Es betraͤgt also die Beute von ei- nem Jahre 50000 Thaler — —. Hiervon den zehnten Theil zur Einlage genommen, thut auf ein Jahr 5000 Thaler — — und auf alle zehn Jah- re zusammen f unfzigtausend Thaler. Was mey- nen Sie Mademoiselle? Muͤssen Jhnen nicht die Augen vor Freuden uͤbergehn, wenn Sie sehn, wie muͤhsam ich bin, Sie reich und gluͤcklich zu machen? Aber das heißt alles noch nichts gegen den Vortheil, den Sie aus der zwoten Classe ziehn werden. Wir wollen das zum Fusse behal- ten, daß jeder Bankrut 25000 Thaler stark ist, und bey jedem auf 50 pro Cent accordirt wird. Wir wollen aber nach den Regeln der Wahr- scheinlichkeit, die ich oben bey dem vierten Punkte angefuͤhrt habe, voraus setzen, daß sich kuͤnftig alle Jahre die Bankrute verdoppeln. Der muß die Welt gar nicht kennen, wem die- ses unwahrscheinlich vorkommen soll. Nach den Regeln dieser Verdopplung kommen im Jahre 1753 acht Bankrute, im naͤchsten Jahre sechzehn, in dem darauf folgenden zwey und dreyßig Bankrute; und sofort. Damit Sie die Rich- tigkeit meines Plans desto besser einsehn moͤ- gen: so sende ich Jhnen zugleich die Tabel- le, die ich dem Publico zur Nachachtung bekannt machen will. Wie viel meynen Sie wohl, daß Jhr Antheil betrage? Weniger nicht S als Satyrische Briefe. als 10230000 Rthl. — — Hierzu die 50000 Thaler aus der ersten Classe, thut in Summa / 10280000 Thaler. Jch bin vor Freuden ganz ausser mir! Das haͤtte ich selber nicht gedacht! Es uͤberfaͤllt mich ein zaͤrtlicher Schauer, wenn ich bedenke, daß Sie ein so reiches Frauenzimmer sind, und daß es so ungewiß ist, ob ich hernach das Gluͤck ha- ben kann, der Jhrige zu werden. Sollte Sie das Schicksal an einen verheiratheten Bankru- tirer bringen, so belohnen Sie meinen Eifer. Es wird alsdann bey Jhnen stehn, ob Sie mich zu dem beneidenswuͤrdigsten Sterblichen unter der Sonne machen wollen. Jch vergesse alle Jhre Abentheuer, vom Hofrathe an bis auf den Wuͤrzkraͤmer; so gar vom Lieutenante weiß ich nicht ein Wort mehr. Daran gedenke ich vollends gar nicht, daß Sie ein Frauenzimmer sind, welches, allem Ansehen nach, dem kuͤnfti- gen Ehemanne bey der geringsten Beleidigung beide Augen auskratzen wird. Es gehe mir, wie es der Himmel beschlossen hat. Wer woll- te sich dadurch abhalten lassen, ein Maͤdchen mit zehn Millionen und 280000 Thlr. — — zu hei- rathen? So verliebt bin ich in meinem Leben noch nicht gewesen, als ich in diesem Augenbli- cke bin. Ja, Mademoiselle, alt, krumm, lahm, bucklicht, blind, verbuhlt, herrschsuͤchtig, und aber- Satyrische Briefe. aberglaͤubisch, alles moͤgen Sie seyn; seyn Sie nur die Meinige. Jch beschwoͤre Sie bey Jh- ren 10280000 Thalern! Lieben Sie mich! Wuͤr- digen Sie mich alsdann Jhrer Hand. Glauben Sie, daß ich mit der groͤßten Unruhe, die sich bey einer zaͤrtlichen und eintraͤglichen Liebe denken laͤßt, den gluͤcklichen Augenblick erwarte, da ich die Erlaubniß haben soll, mich den Jhrigen zu nennen. Bis dahin bin ich mit der tiefsten Ehrfurcht, Mademoiselle, Dero Leipzig, den 4. August 1751. ganz gehorsamst ergebenster Diener, der Autor. S 2 Plan Plan der extra-favorab len Auswuͤrflung einer alten Sproͤden. A. Erste Classe. B. Zwote Classe. Satyrische Briefe. „ D ie große Haͤlfte des menschlichen Ge- „schlechts liebt gemeiniglich in jungen „Jahren von ganzem Herzen und naͤr- „risch, in reifen Jahren eigennuͤtzig, und im Alter „laͤcherlich. Es gehoͤrt keine große Philosophie da- „zu, diese Wahrheit einzusehn. Man darf nur „ein wenig auf die Handlungen der Menschen, „und, wenn man recht gruͤndlich davon uͤberzeugt „seyn will, vornehmlich auf sich selbst Achtung ge- „ben Eine kleine Untersuchung seiner eignen „Neigungen wird machen, daß man von den Feh- „lern andrer gelinder urtheilt. Jch will hier mei- „nen Lesern einige Briefe vorlegen, in denen der „Charakter eines zaͤrtlichen Greises der wilden „und unruhigen Liebe eines jungen Menschen ent- „gegen gesetzt ist. An beiden sieht man den „Grund eines ehrlichen Herzens, und einer edlen „Denkungsart. Bey allen dem Laͤcherlichen, das „sie durch ihre Leidenschaften verrathen, verdie- „nen sie einige Nachsicht. Jch wuͤnsche, daß mei- „ne alten Leser eben so anstaͤndig fehlen moͤgen, „wenn sie ja die Liebe einmal uͤberraschen sollte. „Meine jungen Leser koͤnnen sich die Hochachtung „der Welt gewiß versprechen, wenn sie das Herz „haben, von ihren fluͤchtigen Ausschweifungen, so „geschwind, wie mein Original, zu ihrer Schul- „digkeit zuruͤck zu kehren. Laͤcherliche Exempel „erbauen nicht allemal so sehr, als tugendhafte. S 3 Die- Satyrische Briefe. „Dieses hat mich veranlaßt, eine Mischung des „Laͤcherlichen und Tugendhaften zu machen. Viel- „leicht ist meine gute Absicht nicht ganz vergebens. „Jch werde mich erfreuen, wenn ich erfahre, daß „ein Alter aufgehoͤrt hat, laͤcherlich zu seyn; und „daß ein Juͤngling sich gehuͤtet hat, es zu werden. „Die Person der Tochter des verliebten Greises „war zu diesem Auftritte noͤthig. Jch brauchte „sie, die wilde Hitze eines jungen Menschen zu „daͤmpfen, und ihn in der Hochachtung zu erhal- „ten, die er seinem alten Vater, so laͤcherlich auch „dieser liebte, dennoch schuldig blieb. Dieses „konnte niemand thun, als ein Frauenzimmer, „deren Jahre und Tugend ihn zur Ehrfurcht „zwangen. Jch habe mir Muͤhe gegeben, den „Charakter der Fraͤulein, welche vom Großva- „ter, und Enkel zugleich geliebt worden, so „edel und vorzuͤglich zu bilden, als es nur hat „moͤglich seyn wollen. Jhre Schoͤnheit und Tu- „gend entschuldigen das Laͤcherliche eines alten „Liebhabers, und das Thoͤrichte eines zaͤrtlichen „Juͤnglings. Was ich hier gesagt habe, kann „als ein kurzer Vorbericht meines kleinen Ro- „mans angesehn werden. Jch will meine Leser „nicht laͤnger aufhalten. Gnaͤdiges Fraͤulein, J ch habe ein Amt, welches mir einen ansehnli- chen Rang in der Welt verschafft. Zwey- tausend Satyrische Briefe. tausend Thaler Renten und funfzehnhundert Tha- ler Besoldung machen, daß ich bey einer vernuͤnf- tigen Wirthschaft sehr gemaͤchlich leben kann. Meine Kinder sind alle versorgt, und haben ihr Brod. Jch bin noch munter genug, daß ich das Herz habe, Jhnen meine Hand anzubieten. Jh- re eingezogne Lebensart, und Jhr tugendhafter Charakter vermehren diese Hochachtung, die ich gegen Sie hege, und ich vergesse dabey, daß Sie nur sechzehn Jahr alt sind. Vielleicht wuͤrde ich behutsamer seyn, Jhnen meine Neigung zu eroͤffnen, wenn ich Sie nicht fuͤr zu vernuͤnftig hielte, als daß Sie durch den kleinen Unterschied der Jahre, der zwischen uns beiden ist, sich sollten abschrecken lassen, Jhr Gluͤck zu befestigen, und mich zugleich zu dem gluͤcklichsten Ehemanne zu machen. Seit dem Altrannstaͤdtischen Frieden habe ich die Lebhaf- tigkeit nicht empfunden, die ich itzt empfinde, da ich Jhnen sage, daß ich Sie liebe. Entschließen Sie Sich bald, und wo moͤglich, zu meinem Vor- theile. Jch werde kuͤnftige Woche ins Carlsbad reisen, eine kleine Krankheit zu heben, die sich oh- nedem bald verlieren muß, da sie mir schon zwan- zig Jahr beschwerlich gewesen ist, und die in der That weiter nichts ist, als eine Folge meines fluͤch- tigen, und feurigen Gebluͤtes, ungeachtet mein ungeschickter Medicus es fuͤr eine fliegende Gicht halten will. Lassen Sie mich nicht ohne die Hoff- nung wegreisen, daß ich bey meiner Ruͤckkunft die Erlaubniß haben werde, Jhnen mit der zaͤrt- S 4 lich- Satyrische Briefe. lichsten Hochachtung zeitlebens zu sagen, daß ich sey, Gnaͤdiges Fraͤulein, ‒ ‒ am 1. May 1750. Jhr gehorsamster Diener. N. S. Gegen meine Tochter, die Hofraͤthinn, gedenken Sie nichts von meinem Vorschlage. Jch weiß, daß Sie eine vertraute Freundinn von ihr sind; aber sie moͤchte Jhre Vertrau- lichkeit misbrauchen. N. S. Mein Enkel, den Sie kennen werden, und der ein gutes Kind ist, wird Jhnen die- sen Brief zustellen. Jch habe ihn beredt, es betraͤfe Jhre Vormundschaftsrechnungen. Lassen Sie Sich nichts gegen ihn merken. Ungeachtet er nur achtzehn Jahre alt ist, so ist er doch schlau genug, mehr zu errathen, als ich ihm noch zur Zeit will wissen lassen. N. S. Die Juwelen von meiner seligen Frau habe ich noch alle, und sie duͤrfen nur neu gefaßt werden. Die rechtschaffne Frau! Jn ihrem ganzen Leben hat sie mich nicht ein einzigsmal betruͤbt; und wenn ich auch der eifersuͤchtigste Mann von der Welt gewesen waͤre: Satyrische Briefe. waͤre: so haͤtte ich doch bey ihr nicht die ge- ringste Gelegenheit gehabt, es zu seyn. Noch eins! Was halten Sie vom alliotischen Pulver? Jch finde es ganz gut. Gnaͤdige Tante, M ein Großvater hat mir diesen Morgen einen Brief gegeben, den ich der Fraͤulein L ‒ ‒ in ihre eignen Haͤnde zustellen soll. Er sagte mir, daß er sehr wichtige Vormundschaftsrechnungen be- treffe; dieses sagte er mir mit so viel Zaͤrtlichkeit, und einer so muntern Mine, daß ich stutzig ward, und mich vielleicht verfaͤrbte. Jch vermuthe es daher, weil er mich fragte, was mir fehle. Er nennte mich sein bestes Kind, und redte von der vortrefflichen Fraͤulein, und ihrer wichtigen Vor- mundschaftssache mit so vielem Feuer, daß ich im- mer mehr argwoͤhnisch ward. Sagen Sie mir, Gnaͤdige Tante, machen die Vormundschaftssa- chen so lebhaft? Und macht dieses die Fraͤulein in seinen Augen so goͤttlich, und vortrefflich, daß sie ihn hat lassen ihre Rechnungen calculiren? Jch weiß nicht, was ich denken soll? Erinnern Sie Sich der jugendlichen Sorgfaͤltigkeit, die unser Großvater seit einigen Wochen in seinem Anzuge gezeigt; einer gewissen Pracht in seiner Equipage, die uns gleich in die Augen fiel, weil sie ungewoͤhn- lich war. Er ist geselliger, als er iemals gewesen ist, und itzt faͤllt mir ein, daß er vorgestern die S 5 Fraͤu- Satyrische Briefe. Fraͤulein aus der Oper fuͤhrte, in die er seit der Großmutter Tode nicht gekommen ist. Was soll ich von diesem allen denken? Sie haben, Gnaͤdige Tante, mehr als einmal uͤber die Aufmerksamkeit mit mir gescherzt, die ich gegen die Fraͤulein bey aller Gelegenheit gezeigt. Jch habe niemals die Gewalt uͤber mich gehabt, Jhnen zu gestehn, daß ich die Fraͤulein liebe, daß ich sie uͤber alles in der Welt liebe. Jch bin gezwungen, es nunmehr zu gestehn. Ja, Gnaͤdige Tante, uͤber alles in der Welt liebe ich die Fraͤulein. Aber was rathen Sie mir? Wie soll ich mich verhalten, daß ich an mir selbst nicht zum Verraͤther werde, daß ich die Hochachtung nicht beleidige, die ich meinem Groß- vater schuldig bin, und daß ich das ungluͤckliche Vertrauen nicht misbrauche, das er bey dieser Ge- legenheit in mich gesetzt hat? Jch werde der Fraͤu- lein den Brief nicht eher uͤbergeben, bis ich Ant- wort von Jhnen habe. Vetter, J hr habt ein schweres Amt uͤbernommen. Jch glaube, daß Jhr nicht ganz ohne Grund arg- woͤhnisch seyd. Vielleicht koͤnnte ich Euch noch mehr sagen, aber ich mag Euch das Herz nicht schwer machen. Alles, was Jhr thun koͤnnt, ist dieses, daß Jhr den Befehl euers Großvaters aus- richtet. Habt Jhr nicht Herz genug, den Brief der Fraͤulein selbst zu uͤbergeben, so schickt ihn die- sen Satyrische Briefe. sen Abend zu ihr. Jch werde ganz allein bey ihr seyn, und Euch morgen mehr Nachricht geben koͤnnen. Also habt Jhr es doch endlich gestehn muͤs- sen, daß Jhr die Fraͤulein liebt? Eure Wahl muß gewiß vernuͤnftig seyn, weil Jhr mit dem Großvater einerley Geschmack habt. Jch wuͤnsche euch Gluͤck dazu. Wahrhaftig, eine so liebenswuͤrdige Groß- mutter ist werth, daß man ihr die Haͤnde kuͤßt. Ar- mer Vetter! Jhr dauert mich, aber nur ein wenig. Warum seyd ihr so mistrauisch gegen mich gewe- sen, und habt mir niemals gestehn wollen, daß Jhr die Fraͤulein liebt. Vielleicht haͤtte ich Euch diese Unruhe ersparen koͤnnen; denn fuͤr eine Tan- te schickt es sich doch wohl am besten, wenn sie ein wenig kuppelt. Eure Aeltern haben Euch in sol- chen Umstaͤnden verlassen, daß Jhr es wohl haͤt- tet wagen koͤnnen, lauter zu seufzen; und Euren Jahren haͤlt man eine zaͤrtliche Thorheit zu gute. Wie gluͤcklich haͤttet Jhr werden koͤnnen! Aber nun ist alles aus. Jhr bekommt Eure Prinzess inn zur Großmutter, und ich meine beste Schwester und Freundinn zur Mama, und das alles durch Eure Schuld. Jch daͤchte, Vetter, Jhr verzweifeltet ein Bißchen. Jhr seyd ja ein Poet, ihr koͤnnt sin- gen, Jhr seyd ein ungluͤcklicher Liebhaber, und in euerm Garten ist ein Echo. Was wollt ihr mehr? Betaͤubt einmal die Felsen mit einer herzbrechenden Arie, in der Melodie: da der Großvater die Großemutter nahm! Jch moͤchte Euch von ferne zusehn, wie es Euch laͤßt, wenn Jhr aus Liebe Satyrische Briefe. Liebe verzweifelt. Wie gefaͤllt Euch mein Trost? Aber ein Wort im Ernste. Uebersendet der Fraͤu- lein den Brief; seyd vorsichtig, verlaßt Euch auf mich, und wenn auch alles wider Euern Wunsch laufen sollte: so vergeßt doch niemals, daß Euer Großvater ein rechtschaffner Mann ist, der mich und Euch zaͤrtlich liebt. Lebt wohl. Gnaͤdige Tante, E s ist ein erschrecklicher Trost, den Sie mir ge- ben, und der Scherz ist bey nahe zu bitter, mit dem Sie mir mein Ungluͤck vorwerfen. Jch will der Fraͤulein schreiben. Jch will ihr den Brief zuschicken. Wahrhaftig, ich kan ihn nicht selbst uͤberbringen. Aber was soll ich ihr schrei- ben? Daß ich mit der zaͤrtlichsten Unruhe ‒ ‒ ‒ daß mein Großvater ‒ ‒ ‒ daß ich schon lan- ge zeither ‒ ‒ ‒ Gnaͤdige Tante, ich weiß nicht, was ich schreiben soll. So unruhig bin ich noch niemals gewesen. Jch will gar nichts schreiben, oder doch sehr gleichguͤltig. Es waͤre wohl am besten, ich uͤbergaͤbe den Brief selbst. Aber nein, das wage ich nicht. Mein Compli- ment wuͤrde noch zerstreuter seyn, als mein Brief. Gnaͤdige Tante, ich verlasse mich auf Sie. Sie koͤnnen viel thun. Sie sind bey dem Fraͤulein, wenn sie den Brief bekoͤmmt. Reden Sie fuͤr mich. Wie schwer ist es, einen Großvater zu eh- ren, der mein Nebenbuhler ist! Bey seinen Jah- ren, Satyrische Briefe. ren, Gnaͤdige Tante, bedenken Sie einmal! und ein so vernuͤnftiger Mann! Aber ich vergesse, daß er mein Großvater ist, daß er mich zaͤrtlich liebt. Jch muß abbrechen, um seine Liebe nicht zu belei- digen. Jch warte mit der groͤßten Unruhe auf den morgenden Tag, und bin ꝛc. Gnaͤdiges Fraͤulein, D ie Vormundschaftsrechnungen, die mein Groß- vater, der das beneidenswuͤrdige Gluͤck er- langt hat, mit der groͤßten Hochachtung, die man Jhren Verdiensten schuldig ist, und mit den zaͤrt- lichsten Empfindungen, die eine Wirkung Jhrer Schoͤnheit sind, und von denen ich so lange zeit- her, ob ich es gleich niemals wagen duͤrfen, an- ders, als in stiller Ehrfurcht zu bewundern, und schon dieses fuͤr eine Verwegenheit gehalten, wenn meine Augen einen Theil derjenigen Unruhe verra- then, die ich empfinde, und welche mich, Gnaͤdiges Fraͤulein, hindert, Jhnen innliegende Vormund- schaftsrechnungen nebst dem Briefe von meinem Großvater selbst zu uͤberbringen. Jch kann also weiter nichts thun, als Sie, Gnaͤdiges Fraͤulein, mit der groͤßten Hochachtung versichern, daß ich zeitlebens seyn werde ꝛc. Vetter, Satyrische Briefe. Vetter, H abt Jhr denn Euern Brief an das Fraͤulein wieder durchgelesen, ehe Jhr Jhn zugesiegelt? Gewiß, Vetter, so verwirrt schreibt man nur im hitzigen Fieber. Bald fange ich an, Euch im Ernste zu bedauern. War das der gleichguͤltige Brief, den Jhr an das Fraͤulein schreiben wolltet? Jch glaube, eine foͤrmliche Liebeserklaͤrung haͤtte nicht wunderbarer seyn koͤnnen; wenigstens ist die- ses gewiß, daß wohl noch niemals eine Vormund- schaftsrechnung mit einer so zaͤrtlichen Verwirrung uͤbergeben worden ist. Der Großvater hat sich schlecht vorgesehn, daß er Euch zum Postillion angenommen; und Jhr haͤttet entweder dieses Ge- schaͤffte gar verbitten, oder gegen den Großvater billiger seyn sollen. Zu Eurer Bestrafung moͤch- te ich Euch bey nahe nicht sagen, was Euer Brief fuͤr eine Wirkung gethan hat. Das Fraͤulein er- brach ihn in meiner Gegenwart. Es war schon spaͤt, da er ankam; denn eine Vormundschafts- rechnung zu uͤbersenden, und seine Meynung so deutlich vorzutragen, wie Jhr gethan habt, dazu gehoͤrt freylich Ueberlegung und Zeit, und es war immer noch viel, daß Jhr Abends um neun Uhr fertig werden koͤnnen. So bald sie Eure Unter- schrift sahe, stutzte sie. Ein Brief von Jhrem Vetter, Madame, sagte sie, und ward roth. Merkt wohl auf diesen Umstand, Vetter, Jhr koͤnnt ihn so wohl zu Eurer Beruhigung, als zu Eurer Satyrische Briefe. Eurer Demuͤthigung auslegen, wie Jhr wollt. Sie las Euern Brief einmal, sie las ihn zweymal durch, sie schuͤttelte mit dem Kopfe. Vormund- schaftsrechnungen? sagte sie, von dem Herrn Großvater? durch Jhren Vetter? Einen Brief, wie diesen? Davon verstehe ich nicht ein Wort, Madame, und gab mir den Brief in die Haͤnde. Sie schien bestuͤrzt, aber doch schien sie nicht un- willig zu seyn. Sie laͤchelte, als sie mir den Brief gab. Ein Frauenzimmer, das bey einem Briefe von einem jungen Herrn laͤchelt, ist so gar erbittert nicht! Merkt Euch dieß, Vetter. Mit Euerm Briefe war ich geschwind fertig. Jch gab auf ihre Augen acht, und wartete, was sie fuͤr Minen bey dem Briefe von unserm Vater machen wuͤrde. Sie erblaßte. Der Brief zitterte in ih- rer Hand, sie stund auf, trat ans Fenster, und steckte den Brief ein, ohne ein Wort zu sagen. Jch ließ ihr ein wenig Zeit, sich zu erholen. Wie stehts, Fraͤulein, sagte ich endlich, sind die Nach- richten von den Vormundschaftssachen so verdrieß- lich? Wie kommen sie mir vor? Alles was sie mir antwortete, war dieses, daß sie zu mir kam, mir die Hand druͤckte, und Thraͤnen in den Augen hatte. Morgen sollen Sie alles erfahren, Ma- dame; ich bin ganz ausser mir; ich brauche Jhre Freundschaft itzt mehr, als iemals. Jch schreibe Jhnen morgen; heute kann ich nicht ein Wort sa- gen. Bleiben Sie meine Freundinn, verlassen sie mich nicht. Sie war so bewegt, daß es mir selbst Satyrische Briefe. selbst nahe gieng. Jch eilte von ihr, um sie in der Freyheit zu lassen. Nun erwarte ich einen Brief von ihr. Lebt wohl, Vetter, und seyd heute vorsichtiger, als gestern. N. S. Diesen Augenblick erhalte ich den Brief von dem Fraͤulein. Der gute Alte! Bey allen seinen Fehlern bleibt er doch ein recht- schaffner Vater. Vetter, seyd klug! Die Sache wird ernsthaft. Gnaͤdige Frau Hofraͤthinn, J ch muß Jhnen ein Anliegen eroͤffnen, welches ich gegen Sie am sorgfaͤltigsten verschweigen soll; wenigstens hat man mir ausdruͤcklich verbo- ten, Jhnen etwas davon zu sagen. Es ist mir unmoͤglich, diesem Verbote nachzuleben. Die Sache ist fuͤr mich zu wichtig, sie allein zu uͤberle- gen; und ich befuͤrchte, meine Freundschaft und mein Zutrauen gegen Sie zu beleidigen, wenn ich Jhnen aus einer Sache ein Geheimniß machen wollte, auf die meine Ruhe, und mein ganzes Gluͤck anzukommen scheint. Lesen Sie den ein- geschloßnen Brief von Jhrem Herrn Vater. Wer- den Sie Sich nunmehr wohl noch wundern, daß ich gestern abends so unruhig, und ganz ausser mir war? Was soll ich auf diesen unerwarteten Antrag ant- worten? Meine Gluͤcksumstaͤnde sind allerdings nur mittelmaͤßig. Man zeigt mir eine Gelegen- heit Satyrische Briefe. heit, solche auf eine ansehnliche Art zu verbessern. Der Rang, zu welchem man mich erheben will, ist vielleicht nicht eine von den geringsten Bewegungs- ursachen; wenigstens ist er in dem Briefe die erste, auf die man mich weist. Soll ich alles dieses ab- schlagen, und mir doch nicht den Vorwurf eines unvernuͤnftigen Eigensinns zuziehn, vor welchem man mich stillschweigend zu warnen scheint? Wird man in der Ehe dadurch gluͤcklich, daß die Person, die man waͤhlt, den Charakter eines rechtschaffnen Mannes vor den Augen der ganzen Welt behaup- tet: so kann man sich gewiß nicht gluͤcklicher ver- heirathen, als mit Jhrem Herrn Vater. Was soll ich thun? Sollte mich nicht meine Jugend noch entschuldigen, an ein so ernsthaftes Buͤndniß zu denken, als die Ehe ist? Werde ich aber diese Entschuldigung brauchen koͤnnen, ohne in den Ver- dacht zu kommen, daß mir die hohen Jahre Jhres Herrn Vaters den Antrag zuwider gemacht haben? Ein Verdacht, der mir um deßwillen doppelt em- pfindlich seyn muß, weil er den Muthwillen junger Leute zu Spoͤttereyen reizen, bey Jhrem Herrn Vater aber die Achtung ganz vertilgen wird, die er gegen mich, ohne daß ich es verdiene, zu haben scheint. Kann ich hierbey wohl gleichguͤltig blei- ben, da mir so viel daran gelegen ist, das Wohl- wollen eines Mannes zu erhalten, der den Ruhm eines billigen, eines vernuͤnftigen, eines einsehenden Mannes sich seit so langen Jahren eigen gemacht hat? Nehme ich aber den Antrag an, wie sehr stelle T ich Satyrische Briefe. ich mich den bittern Beurtheilungen der Welt bloß! Wird man mir wohl das Recht widerfahren las- sen, daß ich ihm meine Hand gegeben, weil er ein billiger, ein einsehender, ein vernuͤnftiger Mann ist, oder wird man nicht vielmehr glauben, daß der Ei- gennutz mich bewogen, einen Schritt zu thun, von dem mich nach dem Urtheile der richtenden Welt meine Jugend, und sein Alter haͤtten zuruͤck halten sollen? Wie ungluͤcklich waͤre ich, Gnaͤdige Frau, wenn ich mir itzt bey dieser Unentschluͤssigkeit nicht Jhren freundschaftlichen Rath versprechen koͤnnte? Als Schwester liebe ich Sie itzt, Gnaͤdige Frau. Nehme ich das Anerbieten Jhres Herrn Vaters an, was soll ich unsrer Liebe alsdann fuͤr einen Na- men geben, ohne daß er bey meinen jungen Jahren laͤcherlich wird? Gewiß, daran darf ich nicht den- ken; ich schaͤme mich vor mir selber. Jch glaube itzt den Brief von Jhrem Vetter besser zu verstehn, als ich ihn gestern Abends verstand, da ich Jhnen solchen zu lesen gab. Vielleicht ist ihm schon et- was von der Sache bekannt, und eine dergleichen Handlung von einem Großvater kann einem Enkel allerdings nicht gleichguͤltig seyn, wenn er auch auf weiter nichts sieht, als auf den Verlust eines Theils der gehofften Erbschaft. Jch habe verschiedne Ur- sachen, Sie zu bitten, daß Sie gegen ihn weder von dem Antrage des Herrn Vaters, noch von mei- nem Briefe etwas gedenken. Wir wollen ihm ei- ne Unruhe ersparen, welche vielleicht vergebens seyn wird. Beschleunigen Sie Jhre Antwort, Gnaͤdige Frau. Satyrische Briefe. Frau. Jch werde nicht eine Minute ruhig seyn, bis ich solche habe. Rathen Sie mir, aufrichtig rathen Sie mir, und, wo moͤglich, so, wie ich wuͤnsche. Jhr Rath soll den Ausspruch thun. Setzen Sie Sich an meine Stelle. Was wuͤrden wohl Sie thun? Jch bin ꝛc. ꝛc. W as ich thun wuͤrde, mein gutes Fraͤulein? Das weiß ich in der That selbst nicht. Sie sind ein allerliebstes Maͤdchen. Jch glaube nicht, daß ausser Jhnen noch ein Frauenzimmer in der Welt seyn kann, welches dem wunderbaren Einfalle mei- nes redlichen Vaters einen so freundschaftlichen An- strich geben wuͤrde. Aber gestehen Sie es nur, gestehen Sie es wenigstens aus Freundschaft zu mir, daß man auch mitten unter den Schwachhei- ten meines alten Vaters den vernuͤnftigen, den rechtschaffnen Mann erblickt. Es wuͤrde seiner Einsicht wenig zur Ehre gereichen, wenn er gegen Jhre Person, und gegen Jhren tugendhaften Cha- rakter weniger Hochachtung bezeigt haͤtte. Er ist von Jhren Verdiensten so uͤberzeugt, daß er sich und seine Jahre vergißt, um Jhnen seine Hand an- zubieten. Der rechtschaffne Alte! Was ihn vor den Augen der Welt laͤcherlich machen koͤnnte, das macht ihn vor meinen Augen immer ehrwuͤrdiger. Waͤre mein Vater dreissig Jahre juͤnger, so wuͤrde ich aus Liebe zu ihm, und aus Freundschaft gegen Sie, mir alle Muͤhe geben, Sie zu bereden, daß T 2 Sie Satyrische Briefe. Sie ihn in seinen Wuͤnschen gluͤcklich machten. Da dieses nicht ist, so kann ich in der That nichts dazu sagen, ohne Jhren zaͤrtlichen Geschmack zu be- leidigen, und auf der andern Seite meinen Vater an einer Hoffnung zu hindern, auf der sein ganzes Gluͤck zu beruhen scheint. Sie haben Recht, Fraͤulein, voͤllig Recht, daß zu einer vergnuͤgten Ehe noch etwas mehr gehoͤrt, als die Wahl einer vernuͤnftigen Person. Allerdings muß eine naͤhere Gleichheit in Jahren dabey seyn. Die Urtheile der Welt lassen Sie Sich an nichts hindern. Die Welt urtheilt allemal anders, als wir handeln; und Sie moͤgen Sich entschliessen, wozu Sie wol- len, so werden Sie allemal getadelt werden. Fol- gen Sie Jhrer Neigung, so werden Sie die gluͤck- lichste Wahl treffen. Fragen Sie Jhren Onkel, den Obersten. Er ist mit meinem Vater so ver- traut, und im uͤbrigen so vernuͤnftig, daß er in die- ser Sache am besten rathen kann. Meinem Vet- ter will ich nichts sagen; aber das bitten Sie ihm ja ab, daß Sie glauben, der Eigennutz werde ihn bey dieser Sache unruhig machen. Er hat seine Fehler, Fraͤulein, sehr große Fehler; aber eigen- nuͤtzig ist er nicht. Wenn ich ihn recht kenne, so glaube ich, er wuͤrde Jhnen von unserm und seinem Vermoͤgen noch weit mehr wuͤnschen, als Sie durch einen Ehecontrakt von seinem Großvater erlangen koͤnnen. Verlassen Sie Sich darauf, ich will ihm nichts von allem sagen. Wie gefaͤllig sind Sie, liebes Fraͤulein, daß Sie dem guten Menschen so viel Satyrische Briefe. viel Unruhe ersparen wollen! Das verdient eine besondre Erkenntlichkeit. Aber ich will ihm nichts sagen, auf mein Wort. Der arme Vetter, wie unruhig wuͤrde er sonst seyn! Darf ich es wissen, was Jhnen Jhr Onkel antwortet: so melden Sie mir es, so bald es seyn kann. Jch liebe Sie mit der vollkommensten Zaͤrtlichkeit einer aufrichtigen Schwester; und ich glaube, daß ich Sie nicht zaͤrt- licher lieben koͤnnte, wenn Sie auch meine Mama waͤren. Denn vermuthlich war dieses das fuͤrch- terliche Wort, welches Sie in Jhrem Briefe meyn- ten, und doch das Herz nicht hatten, es auszuspre- chen. Leben Sie wohl. Mein Vater hat sich entschlossen, seine Reise zu beschleunigen. Er will schon morgen ins Carlsbad gehen, um desto eher gesund und jung wieder zuruͤck zu kommen. Koͤn- nen Sie es denn gar nicht uͤbers Herz bringen, den guten Alten ein wenig zu lieben? Ueberlegen Sie es. Gnaͤdiger Onkel. E s hat mir der Herr Cammerrath von ‒ ‒ ‒ ei- nen Heirathsantrag gethan, durch den ich mei- ne zeitlichen Gluͤcksumstaͤnde ansehnlich verbessern, und zu einem Range in der Welt gelangen koͤnnte, um den mich vielleicht viele beneiden wuͤrden. Die Verdienste des Herrn von ‒ ‒ ‒ und sein redliches Herz machen sich mir durch diesen Vorschlag noch weit kenntlicher, als sie mir bisher gewesen sind. T 3 Wollte Satyrische Briefe. Wollte ich bey meiner Verheirathung auf weiter nichts sehen, als auf diese Umstaͤnde: so wuͤrde ich nicht einen Augenblick noͤthig haben, mich zu besin- nen. Allein meine Jugend ist eine der wichtigsten Ursachen, welche mich unschluͤssig macht, die Hand eines Mannes anzunehmen, die ich vielleicht mit besserm Anstande in kindlichem Gehorsam, als bey einer genauern Verbindung aus Zaͤrtlichkeit kuͤssen wuͤrde. Jch werde die Urtheile der Welt wider mich erregen, und niemals im Stande seyn, die Vorwuͤrfe zu beantworten, die man mir mit guter Wahrscheinlichkeit, und doch allemal unschuldig machen wird. Versagen Sie mir, Gnaͤdiger Herr, bey diesen zweifelhaften Umstaͤnden Jhren vaͤterli- chen Rath nicht. Sie sind bey Jhrem Alter und Jhren Erfahrungen besser, als ich, im Stande, die Wichtigkeit einer Entschluͤssung einzusehn, von der mein ganzes Gluͤck abhaͤngt. Jch bin ruhig, da ich mich Jhrer Liebe und Vorsorge versichert hal- ten kann. Jhre Einsicht wird mir das ersetzen, was mir bey meiner Jugend fehlt. Vergessen Sie nicht, daß ein Maͤdchen von sechzehn Jahren dem ehrwuͤrdigen Alter des Herrn Cammerraths viel leichter Ehrfurcht, als Liebe versprechen kann; so weiß ich gewiß, daß Jhr Ausspruch nach meinem Wunsche ausfallen wird. Jch uͤbersende Jhnen seinen Brief, und bin mit der vollkommensten Hoch- achtung, u. s. w. Liebes Satyrische Briefe. Liebes Fraͤulein, J ch werde wohl nicht noͤthig haben, dich um eine deutlichere Erklaͤrung deiner Meynung zu bit- ten. Jch glaube, dich zu verstehn. Wenn ich auf weiter nichts sehn wollte, als dich angesehn, und reich in der Welt zu wuͤnschen: so wuͤrde ich dir ernstlich anrathen, die Hand des Herrn Cam- merraths anzunehmen. Aber ich will dich auch gluͤcklich in der Welt wissen; und das moͤchtest du schwerlich bey ihm werden, da du bey deinen Jah- ren eher seine Enkelinn, als seine Frau, seyn koͤnn- test. Was muß der ehrliche Greis gedacht haben, da er dir einen solchen Brief geschrieben hat! Jch sehe sein ganzes Herz darinnen. Er ist ein recht- schaffner Mann; er ist in einen Fehler gefallen, der auch bey rechtschaffnen Leuten eine Uebereilung bleibt. Aber so seyd ihr Maͤdchen. Jhr ver- fuͤhrt Juͤnglinge und Greise; und der Teufel ist euch nicht klug genug, so alt er ist. Jm uͤbrigen verlasse dich auf mich. Du sollst ihn wider deinen Willen nicht zum Manne kriegen. Jch habe die- sen Nachmittag eine nothwendige Reise auf meine Guͤter zu thun. Jn acht Tagen komme ich zu- ruͤck, und hernach will ich selbst an den alten Cam- merrath schreiben, und ihm meine Meynung ganz treuherzig sagen. Er ist billig, ich vermag etwas uͤber ihn, und ich hoffe die Sache so einzurichten, daß er sich selbst begreifen wird, ohne auf dich einen Widerwillen zu werfen. Lebe wohl. T 4 Gnaͤ- Satyrische Briefe. Gnaͤdige Tante, S ie halten es also wirklich fuͤr moͤglich, daß ich wegen meines Schicksals vier Tage in Unge- wißheit, und doch ruhig bleiben koͤnne? Zweymal habe ich vergebeus um die Erlaubniß angesucht, Jhnen aufzuwarten, und da ich mir endlich diese Erlaubniß selbst gegeben: so schienen Sie, Gnaͤdige Tante, uͤber meine Dreistigkeit auf eine ganz unge- woͤhnliche Art so misvergnuͤgt, daß mich Jhre ernst- haften Vorwuͤrfe noch unruhiger machten, als ich vorher war. Jch verlange ja nichts mehr zu wis- sen, als dieses, ob ich gluͤcklich, oder ungluͤcklich seyn soll. Jch glaube, diese Frage ist natuͤrlicher Weise fuͤr mich so wichtig, daß ich solche thun kann, ohne der Hochachtung zu nahe zu treten, die ich Jh- nen schuldig bin, und ohne die Pflichten zu beleidi- gen, die mein Großvater von mir fodern kann. Wie sehr verbittern Sie mir eine Pflicht, die ich von meiner ersten Kindheit an mit Vergnuͤgen beobachtet habe, und die mir itzt zum erstenmale unertraͤglich wird, da man sie zu hoch treibt! Jch glaube, Gnaͤdige Tante, mein Großvater und ich sind in diesem Falle als zwo fremde Personen anzu- sehn, wovon eine jede das Recht haben muß, ihre Absichten zu verfolgen, so gut es moͤglich ist. Und ich glaube, mit Jhrer gnaͤdigen Erlaubniß, daß ich noch mehr Recht dazu habe, als er. Meine Ab- sichten auf das Fraͤulein sind gewiß aͤlter, als die seinigen, und hat er derselben seine Liebe eher und deut- Satyrische Briefe. deutlicher entdeckt, als ich: so hat er etwas gethan, wovon ihn seine Jahre haͤtten abhalten sollen, und woran mich meine Bloͤdigkeit, und eine unzeitige Bescheidenheit gehindert hat. Es mag blos auf den Ausspruch der Fraͤulein ankommen, ich bin es ja zufrieden; nur das ist zu hart, daß man mich hindern will, der Fraͤulein meine Liebe eben so deut- lich zu entdecken, als es mein alter Großvater ge- than hat. Was will sie fuͤr einen Ausspruch thun koͤnnen, wenn sie davon nichts weiß. Mein Groß- vater haͤlt seine Absichten vor mir am geheimsten; vielleicht moͤgen sie alle wissen, nur ich noch nicht. Dieses Mistrauen will ich mir zu Nutzen machen. Jch kann also dem Großvater sagen, daß ich das Fraͤulein liebe, weil es mir ganz unbekannt ist, daß er sie liebt; und dem Fraͤulein kann ich meine Hand anbieten, da ich nicht weiß, daß es mein Vater ge- than hat. Halten Sie etwan, Gnaͤdige Tante, die- sen Einfall fuͤr zu verwegen? Vielleicht. Aber es ist nun zu spaͤt, mir solchen auszureden. Jch habe schon an den Großvater, an das Fraͤulein, und an den Obersten von ‒ ‒ ‒ deßwegen geschrieben. Hier haben Sie eine Abschrift von den Briefen. Entschuldigen Sie, Gnaͤdige Tante, eine Uebereilung, wenn es eine ist, die nunmehr nicht geaͤndert wer- den kann. Vielleicht waͤre ich vorsichtiger, und gelaßner gewesen, wenn man sich gegen mich et- was weniger geheimnißvoll bezeigt haͤtte. Die Umstaͤnde, in die man mich gestuͤrzt hat, verdienen Mitleiden. Entziehn Sie mir solches nicht, Gnaͤ- T 5 dige Satyrische Briefe. dige Tante. Jch wuͤrde ganz ohne Trost seyn, wenn Sie mich nur einen Augenblick an Jhrem unveraͤnderten Wohlwollen zweifeln ließen. Das koͤnnen Sie nicht thun; Sie sind zu guͤtig dazu, ich weiß es, und werde dafuͤr niemals aufhoͤren, zu seyn u. s. w. Gnaͤdiges Fraͤulein, J ch wage es, Jhnen eine Sache zu entdecken, die Jhnen nicht mehr so unbekannt seyn koͤnnte, wenn Sie die Guͤtigkeit gehabt haͤtten, seit einigen Monaten auf meine zaͤrtliche Achtung gegen Sie etwas aufmerksamer zu seyn. Jch liebe Sie, un- endlich liebe ich Sie. Lassen Sie Jhren Verdien- sten Gerechtigkeit wiederfahren, und glauben Sie, Gnaͤdiges Fraͤulein, daß ich die Heftigkeit meiner Neigung gegen Sie noch mehr Jhrem tugendhaf- ten Charakter als Jhrer Schoͤnheit zu danken habe; so groß auch die Vorzuͤge sind, die Sie durch die letztere vor vielen Jhres Standes und Jhres Ge- schlechts erlangt haben. Dieses ernsthafte Bekennt- niß wuͤrde manchem Fraͤulein uͤbertrieben klingen; bey Jhnen aber darf ich diesen Vorwurf nicht be- fuͤrchten. Sie sind von dem Werthe der Tugend, die Jhnen selbst so eigen ist, uͤberzeugt; wie viel habe ich bey Jhnen gewonnen, wenn ich Sie uͤber- zeugen kann, daß auch ich diesen Werth kenne! Jch kann es alsdann sichrer wagen, Jhnen mein Herz und meine Hand anzubieten. Durch den Tod mei- ner Satyrische Briefe. ner Aeltern bin ich in den Stand gesetzt, frey zu waͤhlen; und ich habe Niemanden, als meinen Großvater, welcher ein Recht hat, mir Regeln vorzuschreiben. Dieser ehrwuͤrdige Greis liebt mich aufrichtig; und da ihm sein hohes Alter nicht zulaͤßt, an etwas anders, als an seinen Tod, und an das Gluͤck seiner Kinder zu denken: so wird er sich unendlich erfreuen, wenn er erfaͤhrt, daß ich auf dem Wege bin, ewig gluͤcklich zu werden. Jch weiß, wie hoch er Sie schaͤtzt. Und wie ruhig wird dieser gute Alte seinem nahen Tode entgegen sehn, wenn er hoffen kann, daß ihm eine so liebenswuͤr- dige Tochter die Augen zudruͤcken soll! Goͤnnen Sie mir, Gnaͤdiges Fraͤulein, ein Gluͤck, welches ich durch Hochachtung, und bestaͤndige Zaͤrtlichkeit kuͤnftig zu verdienen suchen will, wenn ich auch itzt dessen noch nicht wuͤrdig seyn sollte. Lassen Sie mich hoffen. Mehr verlange ich itzt nicht. Wie schwer wird es mir seyn, dieses Versprechen zu hal- ten! Erinnern Sie mich daran, so oft ich es ver- gesse. Sie werden mich sehr oft erinnern muͤssen. Aber lassen Sie mich nicht zu lange hoffen, ohne mich ganz gluͤcklich zu machen. Jch erwarte dieses Gluͤck von Jhren Haͤnden, die ich tausendmal kuͤsse, und bin, u. s. w. Gnaͤdiger Herr Oberster, D ie Freundschaft, die Ew. Gnaden gegen mei- nen Großvater hegen, macht mir Hoffnung, daß Satyrische Briefe. daß ich nicht vergebens bitten werde, wenn ich mich Jhrem gnaͤdigen Wohlwollen empfehle. Jch weiß, wie sehr Sie Sich allemal freuen, wenn Sie sehn, daß es unsrer Familie wohl geht. Schmeichle ich mir wohl zu viel, wenn ich Jhnen entdecke, daß itzt mein ganzes Gluͤck in Jhren Haͤnden steht? Jch liebe die Fraͤulein von L ‒ ‒. Jch wuͤnsche mir das Gluͤck, mich auf ewig mit ihr zu verbinden. Ein Wunsch, der fuͤr mich fast zu verwegen seyn wuͤrde, wenn ihn nicht ihre Tugend und Schoͤnheit rechtfertigten. Meine Gluͤcksumstaͤnde sind Ew. Gnaden bekannt. Meine Jugend hindert mich nicht, an eine Heirath zu gedenken, da ich bey mei- nem Vermoͤgen weiter nicht Ursache habe, ein Gluͤck in der Welt zu suchen. Jch wuͤrde es nicht besser finden, und dennoch durch diesen Verzug in Ge- fahr kommen, das groͤßte Gluͤck zu verlieren, das ich mir iemals wuͤnschen kann. Alle, die das Fraͤu- lein kennen, sind von ihren Verdiensten uͤberzeugt. Dieses macht mich unruhig. Mein Großvater, dessen hohes Alter, und schwaͤchliche Gesundheit mich alle Tage in die traurige Furcht setzt, ihn zu verlieren, wird weit ruhiger sterben, wenn er mit seinen abgelebten Haͤnden vor seinem Ende dieje- nige noch als Tochter seegnen kann, deren ruͤhmliche Eigenschaften und Vorzuͤge Jhnen, wie ich glaube, bekannt genug sind. Wie zufrieden muß der letzte seiner Tage seyn, wenn er sieht, daß mich der Him- mel durch diese Verbindung weit gluͤcklicher gemacht hat, als er mir iemals bey aller seiner Zaͤrtlichkeit wuͤnschen Satyrische Briefe. wuͤnschen koͤnnen! Jch habe dem Fraͤulein meine Neigung entdeckt; sie wird ohne Jhren Ausspruch sich zu nichts entschliessen. Unterstuͤtzen Sie mein Bitten, Gnaͤdiger Herr. Jch werde mit unermuͤ- deter Sorgfalt alle Gelegenheit suchen, Jhnen zu zeigen, daß ich mit unterthaͤniger Hochachtung sey ꝛc. Gnaͤdiger Großpapa, S ie hatten allerdings Ursache, mir bey Jhrer Abreise meine Zerstreuung und Unruhe vorzu- halten. Ausser der Besorgniß fuͤr Jhre Gesund- heit, welche mir bey einer so beschwerlichen Reise, und bey Jhren hohen Jahren in Gefahr zu kom- men schien, hatte ich allerdings noch ein Anliegen, welches meinen innerlichen Kummer verrieth. Es geschah damals nicht aus Mangel eines kindlichen Vertrauens, daß ich diesen Kummer vor Jhnen verbarg. Jch bin von Jhrer vaͤterlichen Liebe uͤber- zeugt genug, und die Art, mit welcher Sie Jhre Kinder lieben, ist mehr die Zaͤrtlichkeit eines ver- trauten Freundes, als die Ernsthaftigkeit eines be- jahrten Vaters. Mein Anliegen war zu wichtig, als daß ich haͤtte gelassen seyn koͤnnen; und bey Jhrer Abreise war ich noch ungewisser, als itzt, ob ich in meinen Absichten gluͤcklich seyn wuͤrde. Er- innern Sie Sich, Gnaͤdiger Großpapa, wie oft Sie gewuͤnscht, mich noch vor Jhrem Ende verheira thet zu sehen. Sie haben mir mehr als einma vor Satyrische Briefe. vorgestellt, wie noͤthig es sey, meine Guͤter selbst zu verwalten, und meine Jahre auf dem Lande in Ruhe zuzubringen, ohne mich um das zweydeutige Gluͤck des Hofs zu bemuͤhen, oder im Kriege mein Heil zu versuchen. Sie haben den Einwurf nie- mals gelten lassen, daß ich noch zu jung sey, ruhig zu leben. Sie waren so guͤtig mich zu versichern, daß Sie bey Jhrem Alter Sich kein groͤßres Ver- gnuͤgen vorstellen koͤnnten, als die Familie desjeni- gen noch zu sehen, der der einzige Erbe Jhres Na- mens sey. Jch halte es fuͤr einen Theil meiner Pflicht, alles zu thun, was Jhnen ein Vergnuͤgen machen kann. Diese Vorstellung hat bey mir alle die Zweifel uͤberwunden, welche mir sonst so wichtig schienen. Jhr Alter, Gnaͤdiger Großpapa, die taͤg- liche Abnahme Jhrer Kraͤfte, die schreckliche Be- sorgniß, Sie unvermuthet zu verlieren, da Sie der Himmel uns nunmehr zwey und siebenzig Jahre er- halten hat; alles dieses ist Ursache, daß ich mir vorgenommen habe, Jhren Wunsch und mein Gluͤck zu beschleunigen. Jch wuͤrde trostlos seyn, wenn ich mir vorwerfen koͤnnte, eins von beiden gehindert zu haben. Nein, Gnaͤdiger Großpapa, da ich das Zeugniß eines gehorsamen Sohnes von Jhnen so oft erhalten habe, so mag ich auch itzt nicht Gelegenheit geben, diesen Titel zu verlieren, auf den ich stolzer bin, als auf mein ganzes Vermoͤ- gen, und auf meinen Adel. Jch will mich verhei- rathen. Jch habe mir eine Person ausgesehn, die Jhrer vaͤterlichen Liebe wuͤrdig ist. Jhr Stand, und Satyrische Briefe. und ihre Schoͤnheit sind das vornehmste nicht, was mich zu diesem Entschlusse bewogen hat. Jhre Tugend ist es, ihr unvergleichlicher Charakter. O waͤre ich itzt bey Jhnen, Gnaͤdiger Großpapa, um Jhnen die Haͤnde zu kuͤssen; um Jhnen alles zu sagen, was ich fuͤhle, da ich dieses schreibe; um ein Zeuge von den vaͤterlichen Thraͤnen zu seyn, die Sie, ich weiß es gewiß, die Sie uͤber das Gluͤck Jhres Enkels vor Freuden fallen lassen; Jhres Enkels, der Jhre ganze Liebe hat, und an dem Sie den Seegen Jhres Gebets noch bey Jhrem Leben erfuͤllt sehn! Jch schreibe in einer wahren Entzuͤckung, aus Liebe zu Jhnen, meinem besten Vater, dem liebreichsten Greise in der Welt, und aus Liebe zu meinem Fraͤulein, meinem englischen Fraͤulein! Kann man sich wohl anders ausdruͤcken, wenn man von der Fraͤulein von L ‒ ‒ ‒ redet? Jhre Person ist Jhnen nicht unbekannt; aber soll- ten Sie ihre Gemuͤthsart, ihre vortreffliche Ge- muͤthsart so kennen, wie ich sie seit etlichen Mona- ten kennen zu lernen Gelegenheit gehabt: Sie wuͤr- den mit gefaltnen Haͤnden mir vom Himmel ein Gluͤck erbeten helfen, dessen ich in der That kaum wuͤrdig bin; und das, wenn mir es der Himmel giebt, mir nur Jhrentwegen, nur als eine Beloh- nung Jhres redlichen Herzens, und zur Erhoͤrung Jhres Seegens, Gnaͤdiger Großpapa, gegeben wird. Sie sehn mein ganzes Herz; aber wem wollte ich es auch lieber entdecken, als Jhnen? Jch habe an die Fraͤulein geschrieben, auch an ihren Onkel. Noch Satyrische Briefe. Noch zur Zeit habe ich von beiden keine Antwort. Jch finde Ursachen zu hoffen, daß die Fraͤulein nicht abgeneigt ist. Ein Umgang von etlichen Monaten hat mich sie kennen lehren, und ich weiß, daß mein Brief nicht gleichguͤltig aufgenommen ist. Sie wird es aber doch auf den Ausspruch ihres Onkels ankommen lassen. Nur eins befuͤrchte ich noch. Jhr Onkel glaubt, sie sey zum Heirathen noch viel zu jung. Jch glaube es nicht, Gnaͤdiger Großpapa, und ich hoffe, Sie werden meiner Meynung seyn. Da ich nur zwanzig Jahre alt bin, so ist ein Fraͤu- lein von sechzehn Jahren fuͤr mich wohl nicht zu jung. Waͤre ich aͤlter, so wuͤrde ich mich aller- dings schaͤmen, ihrem Onkel zu widersprechen. Jch bitte Sie, Gnaͤdiger Großpapa, an den Herrn Obersten zu schreiben; Jhr Vorspruch giebt der Sache auf einmal den Ausschlag. Eilen Sie, das Gluͤck Jhres Sohnes zu beschleunigen; ein Gluͤck, von dem mein Leben, und meine ganze Wohlfahrt abhaͤngt. Der Himmel lasse dafuͤr Jhre Jahre geseegnet, und Jhr Alter seyn, wie Jhre Jugend. Dieß ist der Wunsch Jhres Enkels, welcher Jhnen mit kindlicher Hochachtung die Haͤnde kuͤßt. Vetter, N un kommt Jhr mir abscheulich vor. Es ist mein Ernst, glaubt es mir, mein ganzer Ernst. Wenn die Liebe einen jungen Menschen zum Nar- ren macht: so lache ich uͤber ihn, oder bedaure ihn auch, Satyrische Briefe. auch, nachdem er es verdienet. Aber wer aus Liebe boshaft, und zum Heuchler wird, der verdient meinen Abscheu. Sonder Zweifel seyd Jhr mit Eurer Weisheit sehr zufrieden, daß Jhr auf die gluͤckliche Erfindung gefallen seyd, die Fraͤulein, die ohnedem unruhig genug ist, noch mehr zu beunru- higen, und Euern alten redlichen Vater zu einer Zeit zum Zorne wider Euch zu reizen, wo seine Cur eine vollkommene Gemuͤthsruhe verlangt, wenn sie nicht zu seinem Tode ausschlagen soll, und wo der arme Vater doppelt ungluͤcklich seyn muß, da er keinen vertrauten Freund um sich hat, der ihn troͤ- sten kann, und da auch sein ungerathner Sohn von ihm entfernt ist, dessen Reue, denn ganz verstockt seyd Jhr wohl noch nicht, dessen Reue uͤber ein so thoͤrichtes Beginnen ihn wieder beruhigen koͤnnte. Wie wenig versteht Jhr Euer eignes Gluͤck! Jch vermied die Gelegenheit, Euch zu sprechen, zu der Zeit, da ich wirklich fuͤr Euch arbeitete, da es aber noch zu fruͤh war, Euch etwas davon zu entdecken. So klug Jhr Euch zu seyn einbildet, so wenig seyd Jhr es, Vetter, so bald Eure Leidenschaften in Bewegung kommen. Die Fraͤulein, und ich, hat- ten den Onkel unvermerkt auf unsre Seite gebracht. Gleich nach seiner Ruͤckkunft wollte er an unsern Vater schreiben, und ihm von seiner Liebe abrathen. Sein Rath ist vernuͤnftig, und freundschaftlich; unser alter Vater, ihr wißt es wohl, ist ein recht- schaffner Mann, und von Einsicht. Er wuͤrde seine Uebereilung erkannt haben; er wuͤrde den U Ober- Satyrische Briefe. Obersten, und die Fraͤulein gebeten haben, sie zu vergessen, und Niemanden etwas davon zu entde- cken; ich und Jhr haͤtten davon nichts gewußt; nach einiger Zeit haͤtte es Euch frey gestanden, um die Fraͤulein anzusuchen; Euer Vater wuͤrde selbst dazu geholfen haben, und die Fraͤulein haͤtte, ohne den Wohlstand zu beleidigen, Euch eine Hand an- bieten koͤnnen, die frey war. Kurz, alles waͤre nach Wunsche gegangen. Jch sage Euch dieses, Euern Stolz zu demuͤthigen. Alle meine freund- schaftlichen Absichten habt Jhr durch Eure unbe- dachte Hitze verderbt. Die Fraͤulein muß Euch meiden, da Jhr Euch so oͤffentlich zum Nebenbuh- ler Eures Großvaters aufwerft. Vom Onkel koͤnnt Jhr wohl nicht verlangen, daß er Euch mehr lieben soll, als seinen alten Freund, unsern Vater; und dieser zaͤrtlich liebende Vater muß Euch hassen, da er noch nicht Zeit gehabt hat, sich von seiner Schwachheit zu erholen, und da er Euch als die einzige Hindrung seiner Absichten ansieht, durch welche er gluͤcklich zu werden glaubte. Kann Euch der Haß eines Vaters, welcher Euch mehr, als sich selbst, liebte, gleichguͤltig seyn? Habt Jhr noch einige Empfindung der kindlichen Liebe, faͤllt es Euch noch zuweilen ein, wie zaͤrtlich dieser beleidigte Vater gegen Euch war, seyd Jhr noch ein Mensch: so muͤßt Jhr erschrecken, wenn Jhr bedenkt, daß Jhr mit eigner Hand, die der ungluͤckliche Vater Euch beym Abschiede so liebreich druͤckte, ihm das Herz durchbohrt. Denn das ist die gewisse Folge, die Euer Satyrische Briefe. Euer uͤbereilter Brief haben wird. Er ist mehr, als uͤbereilt, er ist boshaft, und tuͤckisch. Jhr be- maͤchtiget Euch im Anfange des Briefs seines Her- zens, da Jhr ihn an seine Liebe, an Eure Jugend, an sein Verlangen, Euch verheirathet zu sehn, an Euern ehemaligen Gehorsam erinnert. Jhr ma- let ihm die Person, die Jhr Euch ausgesehn habt, so vortrefflich und tugendhaft, als er sie Euch wuͤn- schen kann, und alsdann erst, da Jhr seine ganze Zaͤrtlichkeit in Bewegung gebracht habt, da der gute Greis gewiß schon vor Freuden uͤber das be- vorstehende Gluͤck seines liebsten Kindes geweint hat, alsdann erst nennt Jhr sein Fraͤulein von L ‒ ‒ ‒. Kann ein beleidigter Feind grausamer seyn, als sein Sohn gegen ihn ist? Was war Eure Absicht, ihn auf einer ieden Zeile an sein Alter zu erinnern? Zit- terte Euch die Hand nicht, da Jhr die Jahre des Fraͤuleins mit Euren Jahren verglicht, und glaub- tet, daß Euer Verlangen ungereimt seyn wuͤrde, wenn Jhr aͤlter waͤrt? Seyd Jhr allein so scharfsich- tig, daß Jhr euch einbildet, andre wuͤrden diese Vergleichung nicht verstehn? Und waret Jhr wohl unverschaͤmt gnug, zu wuͤnschen, daß andre und Euer Vater diese Bitterkeit verstehn moͤchten? Vetter! Seyd Jhr bey dem Vorwurfe der Ehre und der Menschenliebe taub: so seyd Jhr es gewiß auch, wenn ich Euch an die Pflichten der Religion erin- nern wollte. Es fehlt nur ein einziger Schritt noch zu Euerm voͤlligen Verderben. Jch erschrecke, so oft ich den Schluß Eures Briefs lese. War U 2 Euch Satyrische Briefe. Euch die Schrift nicht heilig gnug? Eure Bosheit vollkommen zu machen, mußte selbst das Gebet zu einem bittern Vorwurfe dienen. Ach thoͤrichter Vetter! Euer Alter sey nicht wie Eure Jugend! Wie sehr wuͤnsche ich Euch das! Wie sehr wuͤnsche ich, daß Jhr niemals Ursache haben moͤget, mit Schrecken an den Misbrauch dieses Wunsches zu denken! Fast schaͤme ich mich Eurer. Verlangt nicht, mit mir zu sprechen, bis wir Briefe von un- serm Vater bekommen haben, und bis ich sehe, ob ihn Eure Thorheit das Herz bricht. Das haͤtte ich von Euch nicht geglaubt. Der redliche Vater! Jch bin itzt zu ernsthaft, Euch zu sagen, was ich von Euerm Briefe an das Fraͤulein halte. Er ist ein Mischmasch von Pedanterie und Taͤndeley. Das Fraͤulein muͤßte wenig Geschmack und Ein- sicht haben, wenn er ihr ertraͤglich seyn sollte. Jch schaͤme mich, das Fraͤulein zu sprechen. Wie sehr liebte ich Euch, Vetter, ehe ich Euch kannte, ehe ich noch wußte, zu welchem Grade der Bosheit Jhr faͤhig waͤret! Jch mag Euch nicht sehn, durchaus nicht, bis ich Briefe vom Vater habe. Vielleicht lebt er itzt nicht mehr, da ich dieses schreibe. Jch weine! Seyd Jhr wohl verstockt gnug, gleichguͤltig zu bleiben, da Eure Thorheit mich zu Thraͤnen zwingt. Nehmt diesen Brief auf, wie Jhr wollt. Jch fuͤhle es, daß ich Euch doch noch liebe. Liebte ich Euch we- niger, so wuͤrde ich gelaßner schreiben. Jch war die Euch zaͤrtlich liebende Schwester. Gnaͤdige Satyrische Briefe. Gnaͤdige Tante, S ollen denn auch Jhre Bedienten Zeugen von meiner Schande seyn? Viermal bin ich gestern bey Jhnen gewesen. Sie haben verboten, Nie- manden vor Sich zu lassen. Jch lese es in den Au- gen aller, die im Hause sind, daß sie von meiner Uebereilung wissen. Gnaͤdige Tante, bringen Sie mich nicht zur Verzweiflung. Jch habe einen Feh- ler begangen; ich schaͤme mich dessen; ich sehe es ein, wie unrecht ich an meinem Vater gehandelt habe; ich glaubte es nicht. Jch hielt es fuͤr ein unschuldiges Mittel, mein Gluͤck zu befoͤrdern. Jch liebe meinen Vater unendlich, noch diesen Au- genblick liebe ich ihn so sehr, als iemals. Es war keine Bosheit, nein Gnaͤdige Tante; Unvorsichtig- keit, eine Thorheit war es, die von der Liebe und Jugend herkam. Verdient denn diese Thorheit, daß Sie mir Jhre Liebe entziehn wollen? daß Sie mich in einer Unruhe lassen, die alle Angst ei- nes Missethaͤters uͤbertrifft? Haben Sie denn noch keinen Brief von meinem Vater, von meinem be- leidigten Vater? Ja! Beleidigt habe ich ihn, aber aus Thorheit, nicht aus tuͤckischer Bosheit? Er- lauben Sie mir, zu Jhnen zu kommen. Jch bin ausser mir! Vetter, W ie sehr freue ich mich uͤber Eure Unruhe! Noch seyd Jhr nicht ganz verlohren. Jhr U 3 wuͤr- Satyrische Briefe. wuͤrdet weniger fuͤhlen, wenn Jhr verstockt waͤret. Gebe doch der Himmel, daß Eure Reue nicht zu spaͤt sey! Der Augenblick wird es entscheiden, da ich Briefe von unserm Vater bekomme. Bis ich diese habe, kann ich Euch unmoͤglich sprechen. Gebt Euch keine vergebne Muͤhe. Weder Euch, noch sonst einen Menschen lasse ich vor mich. Mei- ne Bedienten wissen die Ursache nicht. Traut mir die Ueberlegung zu, daß ich ihnen eine Sache nicht sagen werde, die ich vor meiner vertrautesten Freundinn geheim halten muß. Auf den Abend erwarte ich Briefe mit der Post. Jhr sollt den Augenblick Nachricht davon haben. Gott lasse sie vergnuͤgt lauten! Wie sehr werde ich mich er- freuen, wenn meine Sorge vergebens gewesen ist, und wenn ich keine Ursache behalte, mich zu schaͤmen, daß ich Euch so aufrichtig geliebt habe. Gnaͤdige Tante, J n diesem Augenblicke koͤmmt die Post. Lassen Sie nach Briefen fragen, und reissen Sie mich aus einer Beaͤngstigung, die mir unertraͤglich wird. Jch zittre, wenn ich daran gedenke, daß unser guter Vater krank oder wohl gar ‒ ‒ ‒ Nein, das glaube ich nicht; das wird der Him- mel nicht thun. Es war ja nur eine jugendliche Thorheit. Sollte die so hart bestraft werden, als die groͤßte Bosheit? Wie sehr muß ich fuͤr meine Thorheit leiden, und wie groß muß die Angst ei- nes Satyrische Briefe. nes Menschen seyn, der aus Vorsatz boshaft ge- wesen ist! Der Augenblick, in dem ich die Briefe von Jhnen bekomme, muß mein kuͤnftiges Schick- sal entscheiden. Lebt er, ist er noch gesund; wie froh will ich dem Himmel danken! Jch will mich aller Strenge geduldig unterwerfen, die mein Vater uͤber mich beschlossen hat. Nimmermehr will ich ihn wieder beleidigen, den rechtschaffnen Vater! Soll- te er gar todt seyn; o, Gnaͤdige Tante, diesen Gedanken kann ich nicht ertragen! An dem Tode des zaͤrtlichsten Vaters Ursache seyn, Jhre Liebe verlieren, und dem Fraͤulein veraͤchtlich werden, das entschuldiget die groͤßte Verzweiflung. Mein Entschluß wird schrecklich seyn; aber es ist mir auch alsdann unertraͤglich, laͤnger zu leben. Jch erwarte die Briefe mit Zittern. Vetter, D er Vater lebt noch. Er ist gesund. Hier ist sein Brief. Er ist geschrieben, daß Jhr ihn lesen sollt. Es wird Zeit dazu gehoͤren, seine Lie- be wieder zu gewinnen, die Jhr ganz verloren habt. Jch glaube, er wuͤrde noch heftiger seyn, wenn er vermuthen koͤnnte, daß Jhr und ich etwas von seinen Absichten auf die Fraͤulein wuͤßten. Noch zur Zeit haͤlt er Euch fuͤr unartig und dumm. Wuͤßte er so viel, als ich, so wuͤrde er Ursache ha- ben, Euch fuͤr boshaft zu halten. Macht Euch den Fehler zu Nutze, den Jhr begangen habt. U 4 Seyd Satyrische Briefe. Seyd kuͤnftig kluͤger. Bemuͤht Euch, das Herz Eures Vaters wieder zu gewinnen. Es kostet Euch ein großes Opfer; aber ich kann Euch nicht helfen. Das Fraͤulein ist unbaß, ich werde sie morgen be- suchen. Lebt wohl, und glaubt, daß ich Euch liebe. Frau Tochter, M eine Reise ist, Gott Lob! gluͤcklich gewesen. Jch bin am fuͤnften dieses hier angekommen, und habe so gleich meine Badekur angetreten, wobey ich mich wohl befinde. Jm rechten Fusse habe ich seit einigen Tagen ziemliches Reissen. Es koͤnnte wohl gar das Podagra werden. Je nun, nun! Vielleicht lebe ich hernach noch zwanzig Jahre laͤn- ger, und bin desto muntrer, wenn es vorbey ist. Aber aufs Hauptwerk zu kommen. Was fuͤr ein Narr ist unserm Jungen, meinem Enkel, in den Kopf gestiegen! Lies einmal seinen Brief, Frau Tochter, den ich gestern von ihm bekommen habe. Des Himmels Einfall haͤtte ich mir eher versehn, als so einen albernen Streich von dem Buben. Kaum habe ich den Ruͤcken gewandt, so wird das Naͤrrchen verliebt, und weißt du wohl, in wen? Jn die Fraͤulein von L ‒ ‒ ‒ Jch sehe wohl, ich muß dem Jungen wieder einen Jnformator halten, daß er in die Schule geht, sonst wird er zu muthwillig. Bedenke nur einmal, Frau Tochter, der Limmel ist kaum neunzehn Jahre alt, und will schon eine Frau haben, und was das laͤcherlichste ist, bloß aus Satyrische Briefe. aus Hochachtung fuͤr mich will er eine Frau haben, damit ich das geschwinde Vergnuͤgen haben soll, in meinem zwey und siebenzigsten Jahre zu erfahren, wie meine Urenkel aussehn. Jch glaube, Frau Tochter, der Bube ist betrunken gewesen, da er an mich geschrieben hat. Wenn habe ich ihm denn gute Worte gegeben, daß er sich verheirathen soll? Meine selige Frau hat wohl ein paar mal davon gesprochen, ich habe wohl auch ein Wort davon laufen lassen, es kann seyn; aber die Fraͤulein von L ‒ ‒ ‒ ist keine Sache fuͤr ihn, schlechterdings keine Sache. Das Maͤdchen ist gut genug, es ist wahr, sie ist gut erzogen, ein frommes christliches Maͤdchen, und sieht ganz reinlich aus; aber sie ist fuͤr ihn viel zu jung. Was soll sie mit so einem Laffen anfangen, der selber noch eine Kinderfrau braucht? Und wenn die Fraͤulein ja heirathen will, so wird ihr der Oberste schon einen feinen vernuͤnf- tigen Mann aussuchen, der in seinen besten Jahren ist, und die gute junge Fraͤulein vollends heran zie- hen kann. Jhr Vermoͤgen ist auch, unter uns ge- sprochen, nicht das staͤrkste, und Fritze muß eine Frau mit Gelde haben, da er nichts gelernt, und kein Amt hat, folglich nichts verdienen kann; denn fuͤr einen Muͤssiggaͤnger ist er noch lange nicht reich genug. Aber so machen es heut zu Tage unsre junge Herrchen. Wenn sie ein paar Doͤrfer voll Bauern, und sieben Haare im Kinne haben: so denken sie, sie sind reich und alt genug, Papa zu werden. Hernach setzt sich der Taugenichts auf U 5 sein Satyrische Briefe. sein Gut, und wird der vornehmste Bauer im Dor- fe. Zu meiner Zeit, o! da wars ganz anders! Jch war ein maͤßiger Bursche von dreyzehn Jahren, als mich mein Vater seliger, der Oberstwachtmei- ster, mit nach Wien nahm. Da half ich Wien entsetzen, und schlug den Tuͤrken. Das gieng warm zu, Frau Tochter. Die Strapazzen, und was ich in folgenden Jahren ausgestanden habe, haͤtte Fritze nimmermehr ausgestanden. Jch war schon vier und zwanzig Jahre alt, als mir mein Vater eine Frau gab. Jch will Fritzen schon auch eine geben, wenn es wird Zeit seyn; aber die Fraͤu- lein von L ‒ ‒ ‒ nicht. Sage es dem Limmel! Jch weiß nicht, Frau Tochter, seit welcher Zeit hat denn der Bengel lernen die Nativitaͤt stellen? Woher weiß er denn, daß ich bey meinen hohen Jahren nicht lange mehr leben kann? Zwey und siebenzig Jahre, und die noch nicht einmal voͤllig, sind bey meinem gesunden und starken Koͤrper ja kein so erschrecklich hohes Alter; und meiner seli- gen Großmutter Bruder hat in seinem drey und siebenzigsten Jahre noch taufen lassen. Die Zeit mag Fritzen schrecklich lang werden, daß der Groß- vater so ein zaͤhes Leben hat. Mit einem Worte, Fritz ist ein Narr, sag es ihm; und damit er klug werde, so habe ich mich entschlossen, daß er drey Jahre auf Reisen gehen soll. Er kann seine Sa- chen darnach einrichten. So bald ich zuruͤck kom- me, soll er fort. Er soll uͤber Wien, wo ich meine erste Campagne gethan habe, nach Jtalien, und so- dann Satyrische Briefe. dann weiter, und damit der Junge unterwegens keinen Schaden nimmt, so will ich ihm meinen alten Kammerdiener mitgeben. Koͤmmt er nach drey Jahren wieder heim, und ich habe ihn in ein feines austraͤgliches Amt gebracht: so mag er sich eine Frau nehmen, ich bins zufrieden, aber die Fraͤulein von L ‒ ‒ ‒ nicht. Er kann eine huͤbsche reiche Wittwe freyen. Es wird ihm auch gut thun, wenn er einen Thaler Geld mit kriegt. Die Zeiten sind schwer! Nun, wie gesagt, Frau Tochter, er kann sich reisefertig halten. So bald ich komme, muß er fort. Laß ihn den Brief lesen. Es wird so gut seyn, als wenn ich ihm selber geantwortet haͤtte. Lebe wohl, und antworte mir bald. N. S. Jch habe ein paar Tage vor meiner Abreise der Fraͤulein von L ‒ ‒ ‒ gewisse Rechnun- gen zugeschickt. Ob sie solche wohl muß be- kommen haben? Erinnere sie daran. Viel- leicht antwortet sie ein paar Zeilchen. Sie darf den Brief nur unfrankirt gleich auf die Post geben. Jch moͤchte nur wissen, wie Fritze auf die Fraͤulein gefallen waͤre. Der Laffe! Gnaͤdige Frau Hofraͤthinn, J ch befinde mich etwas leidlicher, und bitte mir nunmehr die Ehre Jhres Zuspruchs aus. Mein Onkel hat an den Herrn Kammerrath geschrieben; hier Satyrische Briefe. hier ist eine Abschrift von seinem Briefe. Jch bin sehr wohl zufrieden, daß die Sache allem Ansehn nach besser ausschlaͤgt, als ich anfangs hoffen koͤn- nen. Diese Unruhe waͤre also groͤßtentheils uͤber- standen, aber ich befinde mich in einer neuen. Jch verlange sehr mit Jhnen zu sprechen. Wie gluͤck- lich ist man, wenn man eine so vertraute Freundinn hat, als Sie sind, Gnaͤdige Frau! Jch misbrauche Jhre Liebe; aber ich weiß mir nicht zu helfen. Kommen Sie bald. Jch bin, u. s. w. Hochwohlgebohrner Herr Cammerrath, Hochgeehrter Herr Bruder, W enn sich der Herr Bruder noch wohl befindet, so wird es mir sehr lieb zu vernehmen seyn. Jch befinde mich, dem Himmel sey Dank, fuͤr meine Jahre ganz wohl. Jm uͤbrigen hat die Fraͤulein von L ‒ ‒, meine liebe Base, mich avertirt, daß mein Hochzuehrender Herr Bruder eine christliche Absicht auf das Maͤdchen habe. Dessen freue ich mich nun gar sehr, und danke dem Herrn Bruder herzlich fuͤr das freundschaftliche Zutrauen zu mei- ner Familie, und namentlich zu dem guten Kinde. Sie ist fromm und wohl erzogen, und eine gute Wirthinn, die ihren Mann einmal in Ehren halten wird. Allermeist aber kann ich dem Herrn Bruder nicht verhalten, daß das Maͤdchen fast zu jung ist, in den heiligen Ehestand zu treten. Sie wird kaum noch Satyrische Briefe. noch sechzehn Jahre seyn, und das, deucht mich, ist fast zu jung, eine Woͤchnerinn zu werden. Man macht die guten Dinger vor der Zeit alt, und sie kommen in das Ehestandskreuz, ehe sie recht anfan- gen zu leben. Wie ich denn dem Hochgeehrten Herrn Bruder nicht bergen mag, daß die Fraͤulein sehr schwer daran geht. Sie ist von so gutem jugement, daß sie des Herrn Bruders Verdienste vollkommen einsieht. Sie gratulirt sich gar hoͤch- lich, wie es denn auch billig ist, der Ehre, die ihr angetragen wird, und sie hat mich versichert, daß sie sich nichts mehr wuͤnsche, als mit der Zeit einen Mann zu haben, der so rechtschaffen und edel gefin- net sey, als der Herr Bruder. Nichts minder sieht sie wohl ein, wie groß das Gluͤck in Ansehung der zeitlichen Umstaͤnde sey, das ihr angetragen wird. Unbeschadet diesem allen ist sie von dem Gedanken nicht abzubringen, daß sie noch zu jung sey. Wenn aber ich es sehr ungern sehe, daß sie sich in den Kopf gesetzt hat, vor ihrem zwanzigsten Jahre nicht zu heirathen: so waͤre dieses ungefaͤhr mein unvorgreiflicher Rath, man ließe das Maͤd- chen vollends heran wachsen. Jst sie zwanzig Jah- re, und der Herr Bruder bleibt auf seiner Mey- nung, eh bien, vielleicht giebt sichs hernach eher. Der Herr Bruder ist bey seinen Jahren noch mun- ter, und vigoureux, und wird dieser gebetenen dilation gar wohl deferir en koͤnnen. Es laufen hier keine fatalia, wie in foro. Selbst beliebigem Gutachten uͤberlasse dieses alles, was ich hier wohl- meynend Satyrische Briefe. meynend schreibe. Posito aber, der Herr Bruder faͤnde Bedenken, seinem Suchen zu inhærir en, und glaubte, daß bey mehr zunehmenden Jahren es be- quemer, und seinem Alter anstaͤndiger waͤre, un- verheirathet zu bleiben, und den Rest seiner Tage in Ruhe zuzubringen, und das Wohl seiner lieben Kinder, die den Herrn Bruder mit vieler Aufrich- tigkeit verehren, fernerweit als ein zaͤrtlicher Va- ter zu besorgen, die auch denselben pflegen und warten, als es fuͤr einen guten ehrlichen Vater ge- hoͤrt, und rechtschaffnen Kindern allenthalben eig- net und gebuͤhret; posito also, sage ich, es vergien- ge dem Herrn Bruder die Lust, sich wieder zu ver- maͤhlen: so wird es mir lieb seyn, wenn Er fuͤr mich und die Meinigen die gute Meynung behaͤlt, und der Fraͤulein huld und gewogen bleibt, wie es denn dieselbe verdient, und es weiter zu verdienen suchen wird. Der ich den Herrn Bruder goͤttli- cher Obhut empfehle, und nach abgelegtem guten Wunsche zu einer ersprießlichen Badekur, und gluͤcklichen Wiederkunft mit alter deutscher Treue unablaͤßlichen beharre, Hochwohlgebohrner Herr Cammerrath, Meines Hochgeehrten Herrn Bruders dienstwilliger Freund und Diener. N. Frau Satyrische Briefe. Frau Tochter, S ende dem Herrn Obersten von ‒ ‒ ‒ innlie- genden Brief unverzuͤglich zu. Es liegt mir daran. Jn acht Tagen hoffe ich, so Gott will, zuruͤck zu kommen. Jch bin seit etlichen Tagen nicht gar zu wohl gewesen. Das Reissen in Glie- dern wird immer heftiger. Die hiesigen Aerzte sind alle der Meynung, es sey eine fliegende Gicht. Jch haͤtte es doch nicht gedacht. Die bestaͤndige Mattigkeit ist das, was mir am meisten beschwer- lich faͤllt. Der Appetit ist schlecht, und der Schlaf unruhig. Mit einem Worte, ich fuͤhle meine Jahre. Das Alter ist selbst eine Krankheit, sag- ten unsre Vaͤter. Wie Gott will! Jch bin alle Stunden bereit. Der Himmel bringe mich nur wieder gesund zu Euch, damit ich meine Kinder vor meinem Ende noch seegnen kann. Sage es Fritzen, er soll nlcht auf Reisen gehen, ich habe mich an- ders entschlossen. Wenn es geht, wie ich wuͤn- sche, so habe ich einen Weg vor mir, ihn gluͤcklich zu machen. Muͤndlich ein mehrers. Gruͤsse Fritzen. Der Junge waͤre gut genug, wenn er nur kluͤger waͤre. Vielleicht giebt es sich mit den Jahren. Wie nachsehend sind doch die Aeltern gegen die Fehler ihrer Kinder! Wenn die Fraͤu- lein noch nicht an mich geschrieben hat, so kann es Anstand haben, bis ich zuruͤck komme. Jch werde Satyrische Briefe. werde sie wohl bey Jhrem Onkel sprechen. Jch bin, Liebe Frau Tochter, Dein redlicher Vater. N. S. Fritze soll sich zwey reiche Kleider machen lassen, und neue Livrey fuͤr die Bedienten. Wenn ich komme, daß alles fertig ist. Lebe wohl. Hochgebohrner Herr Oberster, Hochgeehrtester Herr Bruder, D ie Schwierigkeiten, welche das Fraͤulein von L ‒ ‒ ‒ gefunden hat, mich ihrer Gegenlie- be zu wuͤrdigen, vermindern die Hochachtung im geringsten nicht, die ich gegen sie hege. Sie sind ihrem Alter und ihrer Einsicht so anstaͤndig, daß ich sie doppelt verehren muß. Haͤtte sie meinen Wunsch erfuͤllt, so waͤre ich gewiß der gluͤcklichste Mann geworden; ihr Gluͤck aber wuͤrde immer noch unvollkommen gewesen seyn, da mich meine Jahre zu ernsthaft machen, ihre Liebe zu vergel- ten. So ungerecht bin ich nicht, daß ich mein Gluͤck dem ihrigen vorziehen sollte. Der Herr Bruder sind ein neuer Beweis, wie unschaͤtzbar ein vernuͤnftiger Freund sey. Jch sehe meine Ueber- eilung Satyrische Briefe. eilung ein, die ich begangen habe. Sie erinnern mich auf eine sehr bescheidne Art meines Alters, und der Pflicht, die ein Greis bey seinem heran- nahenden Ende zu beobachten hat. Jch will Jhr Vertrauen zu verdienen suchen, und mich einer Lei- denschaft entschlagen, die mir bey meinen Jahren nicht mehr anstaͤndig ist. Jch verwandle die Lie- be, die ich gegen das tugendhafte Fraͤulein hegte, in eine vaͤterliche Zaͤrtlichkeit. Diesen einzigen Fehler halten Sie mir zu gute, daß ich zu eifersuͤch- tig bin, den Besitz dieses liebenswuͤrdigen Kin- des iemanden anders als meinem Enkel zu goͤnnen. Jch weiß, daß er sie anbetet. Er verdiente nicht mein Sohn zu seyn, wenn er anders daͤchte. Es ist mir unbekannt, ob das Fraͤulein guͤtig genug ist, seine jugendlichen Fehler zu uͤbersehn, und ob sie sich entschliessen kann, einen Menschen zu lieben, der weiter keine Verdienste hat, ihrer wuͤrdig zu seyn, als diese, daß er den Werth ihrer Tugenden und ihrer vorzuͤglichen Eigenschaften empfindet. Nehmen Sie Gelegenheit, Hochgeehrtester Herr Bruder, die Neigungen des Fraͤuleins zu untersu- chen. Das Vermoͤgen, welches mein Enkel von seiner Mutter ererbt hat, ist gar ansehnlich. Jch werde ihn, wenn ich lebe, in noch beqvemere Um- staͤnde zu setzen suchen. Jch will ihm einen anstaͤn- digen Rang kaufen. Sterbe ich einmal, so faͤllt der groͤßte Theil meines Vermoͤgens wieder auf ihn. Aber ich will haben, daß er mir noch bey meinen Lebzeiten fuͤr meine Vorsorge danken soll. X Fuͤr Satyrische Briefe. Fuͤr das danken uns die Kinder selten, was wir ihnen durch unsern Tod lassen muͤssen, weil wir es nicht aͤndern koͤnnen. Diejenigen Wohlthaten ge- niessen wir selbst mit, die wir ihnen bey unserm Leben erweisen. Kann sich mein Enkel eine groͤ- ßere Wohlthat wuͤnschen, als die, um welche ich fuͤr ihn bitte? Er haͤlt es selbst fuͤr die groͤßte, ich weiß es. Machen Sie ihn, und zugleich mich gluͤcklich, Werthester Herr Bruder. Wir wol- len das Vergnuͤgen unsrer Kinder befestigen, weil wir beide noch leben. Vielleicht hat uns der Himmel unsre hohen Jahre nur um deswillen so lange gefristet, daß wir an diesem Gluͤcke gemein- schaftlich arbeiten sollen. Jch denke ganz ruhig an meinen Tod, wenn ich mir vorstelle, daß ich in den Armen dieser zaͤrtlich geliebten Enkelinn sterben soll. Lassen Sie diese mir so angenehme Vorstel- lung nicht vergebens seyn. Eilen Sie, meine Bitte zu erfuͤllen. Sie wissen nicht, wie lange Sie bey Jhren Jahren noch im Stande sind, es zu thun. Jch wenigstens fuͤhle mein Alter alle Tage mehr. Meine Mattigkeit, und andre Be- schwerungen erinnern mich stuͤndlich an den letzten wichtigen Schritt, den wir zu thun haben. Jch werde meine Ruͤckreise beschleunigen, und mit Un- geduld den Augenblick erwarten, da ich von Jh- nen erfahre, ob sich das Fraͤulein entschliessen kann, meinen Enkel gluͤcklich zu machen, und einem red- lichen Vater, der sie so zaͤrtlich liebt, seine Bitte, vielleicht seine letzte Bitte, zu gewaͤhren. Der Him- Satyrische Briefe. Himmel lasse unsre Kinder geseegnet seyn. Das Gebet eines Vaters bleibt nie unerhoͤrt. Es wird ihnen wohl gehen, und sie verdienen es auch. Wir wollen uns lieben, Herr Bruder, bis wir sterben. Unsre Kinder sollen von uns lernen, was Freundschaft sey, damit sie uns auch im Grabe noch seegnen. Dieses schreibe ich mit der wahren Hochachtung eines alten Freundes, und bin, Hochwohlgebohrner Herr Oberster, Meines Hochgeehrtesten Herrn Bruders ergebenster Diener. ‒ ‒ ‒ N. S. Es wird mir lieb seyn, wenn Sie, und die Fraͤulein vergessen, daß ich die Ueber- eilung begangen habe, sie auf eine andre Art zu lieben, als es itzt geschieht. Jch wuͤrde Sie bitten, gegen keinen Menschen etwas davon zu gedenken, wenn ich nicht wuͤßte, daß Sie auch ohne meine Bitte so gefaͤllig waͤren, meine Schwachheit zu be- decken. Gruͤssen Sie die Fraͤulein in mei- nem Namen tausendmal. Wie sehr ver- langt mich bey Jhnen zu seyn! Die guten Kinder! Es gehe ihnen ewig wohl! X 2 Bey Satyrische Briefe. „ B ey Vernuͤnftigen ist es eine der vornehm- „sten Regeln in der Freundschaft, daß „man Niemanden zu seinem vertrauten „Freunde waͤhle, dessen Charakter, dessen Fehler „und Tugenden man nicht vorher sorgfaͤltig ge- „pruͤft hat. Man behaͤlt zwar stets die Freyheit, „sich von seinem Umgange zuruͤck zu ziehen, wenn „man findet, daß er die Hoffnung nicht erfuͤllt, „die man sich von seiner Aufrichtigkeit gemacht „hat; allein der Vorwurf ist dennoch bitter, und „unsrer eignen Ruhe nachtheilig, wenn wir er- „fahren muͤssen, daß wir zu leichtglaͤubig, oder „doch nicht vorsichtig genug gewesen sind. „Jch habe mich vielmal gewundert, wie es „kommen muͤsse, daß man bey dem Heirathen, „bey dieser wichtigsten, und fast unzertrennlichen „Art der Freundschaft, so wenig Sorgfalt bezeigt, „vernuͤnftig zu waͤhlen. Es waͤre diese Vorsicht „besonders um deswillen sehr noͤthig, da gemei- „niglich von beiden Theilen alle Sorgfalt ange- „wendet wird, einander zu hintergehn, und seine „Fehler zu verbergen. Unsre Vorfahren haben „in gewissen Handlungen drey Hauptmaͤngel fest- „gesetzt, welche den Kauf unguͤltig machen, wenn „sie verschwiegen worden sind. Sollte der Eh- „stand nicht wichtig genug seyn, daß man ihrer „auch wenigstens drey festsetzte, durch welche die Ver- Satyrische Briefe. „Verbindlichkeit von beiden Theilen aufhoͤrte, so „bald sie verschwiegen wuͤrden? „Jch gebe hiermit allen verheiratheten Perso- „nen, beiderley Geschlechts, die Freyheit, und „ersuche sie darum, daß eine jede drey Fehler auf- „setzen moͤge, von welchen sie glaubt, daß sie so „wichtig seyn koͤnnten, die Ehe zu trennen. Es „wird diese Nachricht zu einem Schluͤssel so vieler „ungluͤcklichen Ehen dienen, und ich werde Gele- „genheit bekommen, aus allen Fehlern zusammen „drey der wichtigsten auszusuchen, und es an sei- „nem Orte in Vorschlag bringen, daß sie durch „ein Landesgesetz fuͤr zureichend erklaͤrt werden „moͤchten, als Hauptmaͤngel alle Verbindung des „Ehestandes aufzuheben. Mein Verleger hat „Ordre, die Aufsaͤtze anzunehmen; ich werde sie „sodann mit Verschweigung der Namen und Orte „zusammen drucken lassen, und einen Vorschlag „thun, der dem gemeinen Wesen nicht anders als „vortheilhaft seyn kann, wenn er das Gluͤck ha- „ben sollte, die Achtung der Obern zu verdienen. „So viel muß ich noch erinnern, daß unver- „heirathete Personen kein Recht haben sollen, der- „gleichen Fehler in Vorschlag zu bringen. Sie „haben gemeiniglich zu viel Vorurtheile, und ich „wuͤrde muͤssen gewaͤrtig seyn, viele wichtige Klei- „nigkeiten anzuhoͤren. „Da ich die Hoffnung nicht habe, daß mein „patriotischer Einfall so bald zu Stande kommen, „und als ein allgemeines Gesetz eingefuͤhrt werden X 3 moͤch- Satyrische Briefe. „moͤchte: so wuͤrde ich gern sehen, wenn meinẽ „Mitbuͤrger sich wollten gefallen lassen, ihre Lie- „besbriefe, statt der bisherigen Seufzer und Flam- „men, und verstellten Schmeicheleyen, so einzu- „richten, daß sie ein wahres und redliches Be- „kenntniß ihrer Fehler waͤren. Wie viel ungluͤck- „liche Ehen wuͤrden wir weniger haben, wenn „dieses geschaͤhe! „Jch gebe hier eine Probe von einem so auf- „richtigen Bekenntnisse. Die uͤbrigen Briefe, die „angedruckt sind, erlaͤutern dasjenige noch weiter, „was ich von dieser Materie oben gesagt habe. „Wenn ich die Aufsaͤtze einmal der Welt bekannt „mache, welche wegen der drey Hauptmaͤngel im „Ehestande bey mir einlaufen werden: so will ich „zugleich einen reichen Vorrath von Formularen „fuͤr alle Staͤnde und Arten der Liebhaber beider- „ley Geschlechts liefern, wie sie einander von ihren „Fehlern beyzeiten Nachricht geben sollen. Das „Werk wird, wenn ich anders die Welt kenne, „ziemlich weitlaͤuftig ausfallen. Es soll auf Vor- „schuß gedruckt werden, und ich will zu mehrer „Erbauung die Namen derjenigen vordrucken „lassen, welche darauf praͤnumeriren. „Hier sind die versprochnen Briefe. Mademoiselle, J ch liebe Sie mit der groͤßten Hochachtung. Bey den Vorzuͤgen, die Sie so schaͤtzbar ma- chen, Satyrische Briefe. chen, und bey meiner Gemuͤthsart, ist nichts na- tuͤrlicher, als daß ich Sie ewig zu lieben wuͤnsche. Geben Sie mir Jhre Hand: so glaube ich der gluͤck- lichste Mann auf der Welt zu seyn. Vielleicht wundern Sie Sich uͤber meinen unregelmaͤßigen Antrag. Meine Offenherzigkeit ist Schuld dar- an, und die Sache, die ich bitte, ist mir gar zu wichtig, als daß ich in dem Romanstyle darum bitten sollte. Jch lasse Jhnen acht Tage Zeit, Jh- re Erklaͤrung zu thun; laͤnger halten Sie mich nicht auf, ich ersuche Sie mit aller der Zaͤrtlich- keit, die ich gegen Sie empfinde. Mein Alter, meine Person, meine Gluͤcksumstaͤnde sind Jhnen bekannt; aber vermuthlich meine Fehler nicht. Jch will so offenherzig seyn, und Jhnen diese sagen. Jch bin eigensinnig, sehr eigensinnig, Made- moiselle. Sie koͤnnen die Ordnung in meinem Hauswesen einrichten, wie Sie wollen, und wie es meine Umstaͤnde leiden; allein uͤber diese Ordnung muß unveraͤndert gehalten werden. Jch muß eine jede Stunde voraus wissen, wenn ich essen, schlafen, arbeiten, und mich ver- gnuͤgen soll. Die Veraͤndrung einer einzigen Stunde bringt mich auf die ganze Woche in Un- ordnung. Jch werde Jhnen nichts an Putz und Bequemlichkeit mangeln lassen, was Jhr Stand erfodert, und meine Einkuͤnfte erlauben. Aber es wohnen in meiner Gasse Maͤnner, welche noch einmal so vornehm, und noch einmal so reich sind, als ich. Werden Sie das Herz haben, die Wei- X 4 ber Satyrische Briefe. ber derselben praͤchtiger ausgeputzt zu sehen, und ihren groͤßern Aufwand zu bemerken, ohne eine gleiche Pracht, und eben so viel Aufwand zu ver- langen? Gewiß, Mademoiselle, ich wuͤrde es Jhnen abschlagen, und alsdann wuͤrden mich we- der Bitten noch Thraͤnen erweichen. Nur aus Liebe zu Jhnen wuͤrde ich nein sagen. Es ist keine Thorheit kostbarer, als die Thorheit, es de- nen gleich zu thun, welche vornehmer, und reicher sind, als wir. Wenn man sein ganzes Vermoͤ- gen daran gewendet hat, um Vernuͤnftigen zehn Jahre laͤcherlich zu werden: so ist man die uͤbrige Zeit des Lebens Vernuͤnftigen und Unvernuͤnfti- gen veraͤchtlich, wenn sie sehen, daß uns die Ar- muth hindert, laͤnger thoͤricht zu seyn. Wenn Sie meine Frau sind, so verlange ich, daß Sie Sich eben so viel Muͤhe geben, mir durch einen reinlichen Anzug zu gefallen, als Sie Sich in den ersten Tagen unsers Ehestandes geben werden. Eine Frau, welche sich mehr fuͤr die Welt, als fuͤr ihren Mann putzt, verraͤth eine Sorglosigkeit, welche ihrem Manne empfindlich, und der Welt verdaͤchtig seyn muß. Eifersuͤchtig bin ich nicht; aber ich werde es gern sehen, wenn Sie Jhre Auf- fuͤhrung so vorsichtig einrichten, als wenn Sie den eifersuͤchtigsten Mann von der Welt haͤtten. Meine Bedienten sind gewohnt, von mir als freye Menschen, und nicht als Sklaven gehalten zu wer- den. Es scheint mir unrecht, ihnen ihre Armuth empfinden zu lassen, da sie gemeiniglich keinen Feh- ler Satyrische Briefe. ler weiter haben, als diesen, daß sie nicht so reich sind, wie wir. Jch glaube nicht, daß es Jhnen schwer fallen wird, Sich eben so glimpflich gegen sie zu bezeigen, da dieses das bequemste Mittel ist, die Hochachtung und Treue der Bedienten zu gewin- nen. Noch unzufriedner bin ich uͤber diejenigen Herrschaften, welche sich zu ihren Bedienten allzu- vertraulich herablassen. Man giebt ihnen eine Freyheit, deren sie sich mit der Zeit gewiß mis- brauchen. Jch werde Jhnen sehr verbunden seyn, wenn Sie zu keiner Zeit vergessen, daß Jhr Auf- wartmaͤdchen niemals Jhre vertraute Freundinn ist. Bemaͤchtigen Sie Sich der Herrschaft in der Kuͤche. Jch verlange nicht, daß Sie selbst kochen sollen; aber das verlange ich, daß das Ge- sinde Sie fuͤr eine vernuͤnftige Wirthinn, und nicht fuͤr ein erwachsnes Kind haͤlt, welches nur da sitzt, um sich fuͤttern zu lassen. Jch habe einen sehr armen Vater, welcher ein redlicher Greis, aber kraͤnklich, und ein wenig einfaͤltig ist. Ge- trauen Sie Sich wohl, ihn so zu lieben, wie Jh- ren eignen Vater? Jch werde es von Jhnen ver- langen. Das Vermoͤgen, welches mir der Him- mel bey meiner Handlung gegeben hat, das hat er mir vermuthlich darum gegeben, um diesem redli- chen Manne sein Alter ertraͤglich zu machen. Es wuͤrde mir nahe gehen, wenn Sie anders daͤchten; und ich wuͤrde es nicht zulassen, gewiß nicht, Ma- demoiselle. Auf diesen alten redlichen Vater bin ich stolz, und meine Freunde koͤnnen mir niemals X 5 empfind- Satyrische Briefe. empfindlicher schmeicheln, als wenn sie diesem gut- herzigen Alten in seiner schlechten Kleidung eben die Achtung bezeigen, die man einem angesehnen Grei- se vom Stande schuldig ist. Wie sehr werde ich Sie lieben, Mademoiselle, wenn Sie Sich gewoͤh- nen koͤnnen, diesen guten Alten zu lieben! Noch eins. Jch kann mir nicht hitzig widersprechen las- sen. Jch habe nicht allemal Recht, es ist wahr; aber ich sehe es gern, wenn man mir Zeit laͤßt, die- ses selbst einzusehn. Jch sehe es sehr bald ein, und alsdann schaͤme ich mich doppelt, so wohl uͤber meine Uebereilung, als uͤber die Nachsicht meiner Freunde, die ich gemisbraucht habe. Sehen Sie wohl aus allen diesen Umstaͤn- den, Mademoiselle, daß ich die ungewoͤhnliche Ab- sicht habe, Herr im Hause zu seyn? Es ist eine sehr altvaͤtrische Mode, aber ich will sie doch bey- behalten wissen. So viel kan ich Jhnen inzwi- schen versichern, daß so gewiß ich Herr im Hause zu seyn verlange, so gewiß will ich auch, daß mei- ne Frau Frau im Hause seyn soll. Diese Ver- sichrung muß Sie beruhigen. Was meynen Sie, Mademoiselle? Getrauen Sie Sich, einen Mann zu heirathen, der alle diese Fehler hat? Glauben Sie, dem ungeachtet gluͤck- lich mit ihm zu leben? Jch bitte mir binnen acht Tagen Jhre Antwort aus. Entschliessen Sie Sich dazu, so bin ich der gluͤcklichste Mensch. Koͤnnen Sie Sich nicht entschliessen, so werden Sie Satyrische Briefe. Sie mir bey meinem aufrichtigen Gestaͤndnisse we- nigstens nicht Schuld geben, daß ich Sie habe be- truͤgen wollen. Leben Sie wohl. Jch bin ꝛc. R ‒ ‒ ‒ Hochzuehrende Tante, H err R ‒ ‒ ‒ hat mir einen Antrag gethan, welcher eine genauere Ueberlegung wohl zu verdienen scheint. Noch bin ich unschluͤßig, ob mir schon die offenherzige Art, mit welcher Herr R ‒ ‒ ‒ sich erklaͤrt, besonders gefaͤllt, und viel Gutes verspricht. Jch uͤbersende Jhnen sei- nen Brief, und bitte mir Jhren guten Rath, so bald als es moͤglich ist, aus. Die muͤtterliche Lie- be, welche Sie bey andern Gelegenheiten gegen mich geaͤussert haben, laͤßt mich hoffen, daß Sie mir von ganzem Herzen rathen werden. Jch wuͤrde itzt meine verstorbne Mutter mehr als ie- mals vermissen, wenn mir nicht Jhre Wohlgewo- genheit ein Recht gegeben haͤtte, meine Zuflucht zu Jhnen zu nehmen. Jch habe meinen Onkel, und einige meiner Freundinnen des Wohlstands wegen zugleich mit zu Rathe gezogen: aber auf Jhren Ausspruch, Hochzuehrende Frau, werde ich es allein ankommen lassen, da mein Onkel, wenn ich es wagen darf zu sagen, ein wenig gar zu sorgsam ist, und meine Freundinnen gar zu leicht- Satyrische Briefe. leichtsinnig sind. Jch bin mit der Zaͤrtlichkeit ei- ner gehorsamen Tochter, Hochzuehrende Frau, Dero ꝛc. Hochzuehrender Onkel, E s ist mir, wie Sie aus innliegender Abschrift sehen werden, von dem Herrn R ‒ ‒ ‒ ein Vorschlag zu einer Heirath gethan worden. Da auf dieser Wahl mein ganzes zeitliches Gluͤck be- ruht: so sehe ich mich genoͤthiget, den guten Rath eines Mannes zu suchen, welcher die Welt so wohl kennt, als Sie, und von dessen guͤtiger Vorsorge ich so uͤberzeugt bin, als von der Jhrigen. Sie haben als Onkel die Gewalt mir zu befehlen; und desto williger werde ich Jhnen bey dieser Gelegen- heit folgen, da ich Jhnen mit nichts als mit der Bitte beschwerlich falle, mir Jhren guten Rath zu ertheilen. Jch bitte, die Antwort zu beschleuni- gen, und verharre ꝛc. Liebe Base, D u bist ein gluͤckliches Maͤdchen, daß Du die Achtung und die Zuneigung eines Mannes hast Satyrische Briefe. hast erlangen koͤnnen, welcher so einsehend und vernuͤnftig ist, als Dein Braͤutigam. Wie gluͤck- lich wuͤrden unsre Ehen seyn, wenn es eingesuͤhrt waͤre, daß junge Leute einander ihre Fehler ent- deckten, anstatt daß sie sich alle Muͤhe geben, einander durch Schmeichleyen solche zu verbergen, und sich auf beiden Seiten zu betruͤgen! Der Schritt, den Du itzt thust, ist der wichtigste Schritt, den ein Frauenzimmer in ihrem ganzen Leben thun kann. Und doch ist man gemeiniglich bey keinem so leichtsinnig, als bey diesem. Die Uebereilung von einer Minute ist der Grund zu einem Misver- gnuͤgen, das oft viele Jahre dauert, und sich nicht eher endiget, als mit dem Tode. Alle unsre Ein- sicht, welche wir Frauenzimmer zu haben glauben, ist gemeiniglich nicht hinreichend, die Verstellung ei- ner Mannsperson zu uͤbersehn, welche sich um unsre Gegenliebe bemuͤht. Jn andern Faͤllen sind wir scharfsichtig genug, nur in diesem nicht, wo sich Vorurtheile, Eigennutz, und andre Leiden- schaften einmischen, die uns desto leichter blenden, ie kluͤger wir uns zu seyn duͤnken. O wie viel hast Du gewonnen, Liebe Tochter, daß Du alle Feh- ler Deines kuͤnftigen Mannes schon itzt besser kennst, als sie manche Frau an dem ihrigen nicht kennt, mit dem sie wohl schon viele Jahre in einer mis- vergnuͤgten Ehe gelebt hat! Alle die Fehler, die Herr R ‒ ‒ ‒ von sich selbst sagt, sind Tugen- den, weil er sie gesteht; und sein Eigensinn, wenn es anders ein Eigensinn ist, verspricht einer ver- nuͤnfti- Satyrische Briefe. nuͤnftigen Frau ein wahres Gluͤcke, und ein dauer- haftes Vergnuͤgen. Kannst Du Dir wohl mehr wuͤnschen, als einen Mann, der um deßwillen Herr im Hause seyn will, damit er Dir bey Freun- den und Bedienten das Ansehn der Frau vom Hause behaupten kann? Wie unvernuͤnftig han- deln unsre Weiber, welche die Groͤße ihres An- sehns auf die Verachtung ihrer Maͤnner bauen wollen! Der Vorwurf faͤllt allemal auf sie zu- ruͤck, daß sie bey dem Verstande, mit dem sie sich bruͤsten, keine kluͤgre Wahl getroffen, und einen Mann genommen haben, dessen sie sich schaͤmen muͤssen. Die Entschuldigung, daß sie der Eigennutz dazu gebracht hat, gilt hier nichts, oder es muͤßte moͤglich seyn, daß man ei- nen thoͤrichten Fehler mit einer noch groͤßern Thor- heit entschuldigen koͤnnte. Laß Dich das nicht abschrecken, daß er Dir so deutsch heraus sagt, wie weit er dir den Aufwand und Staat zulassen will. Waͤre er weniger billig, und haͤtte er nicht Willens, als ein ehrlicher Mann zu sterben: so wuͤrde er diese Vorsicht nicht brauchen. Er hat Recht. Es ist keine Thorheit abgeschmackter, als wenn man sich durch einen uͤbermaͤßigen Aufwand denjeni- gen gleich setzen will, welche ihr Stand uͤber uns erhebt. Vornehmern werden wir laͤcherlich; de- nen, die uns gleich sind, veraͤchtlich; nicht einmal den Poͤbel blenden wir. Verlohnt es sich wohl der Muͤhe, sein Vermoͤgen zu verschwenden, um den Namen einer Naͤrrinn zu erkaufen? Es ist die- ses Satyrische Briefe. ses ein Fehler, den Weiber von demjenigen Stan- de, in welchen Du treten sollst, sich immer vor- werfen lassen muͤssen, und immer mit Grunde. Nimm ihn, Liebe Tochter, gieb ihm Dein Wort, so bald Du kannst. Das ist mein Rath. Bloß um deßwillen verdient er Deine ganze Hochachtung und Zaͤrtlichkeit, daß er Muth genug hat, vor den Augen der ganzen Stadt mit seinem alten gu- ten Vater so groß zu thun, dessen geringen Her- kommens sich vielleicht ein andrer schaͤmen wuͤrde, der nicht so vernuͤnftig waͤre, als Dein Liebhaber. Wie gewiß kannst Du seyn, daß er Dich auch im Alter noch zaͤrtlich lieben wird, da er mitten unter den Schmeicheleyen, die er Dir als Liebhaber sagt, mit einem so edlen Trotze Deine Hochachtung fuͤr seinen Vater von Dir verlangt. Was fuͤr Liebe und Ehrfurcht kann sich Dein Braͤutigam kuͤnftig von seinen Soͤhnen versprechen, da er selbst ein so tugendhafter Sohn ist! Mit einem Worte, Du bist gluͤcklich. Gieb ihm Deine Hand. Dein Verstand, und Deine gute Auffuͤhrung verdienen dieses Gluͤck. Lebe wohl mit ihm! Maͤdchen, ich kann mich der Thraͤnen nicht enthalten. Lebe ewig wohl! Jch liebe Dich als Mutter. Hochzuehrende Tante, V on einer so liebenswuͤrdigen Freundinn konnte ich mir nichts anders, als einen so aufrichtigen Rath, und die zaͤrtlichsten Wuͤnsche versprechen. Jch Satyrische Briefe. Jch habe dem Herrn R ‒ ‒ ‒ geantwortet. Er wird, wie ich hoffe, mit meiner Erklaͤrung, die er vom neuen ziemlich treuherzig gefodert hat, zufrie- den seyn. Werde ich bey meiner Ehe gluͤcklich, so werde ich es durch Sie, Hochzuehrende Frau. Jch sende Jhnen meine Antwort, und zugleich einige Briefe von meinem Onkel, und einigen Freundin- nen mit, die ich mir zuruͤck ausbitte. Sie lieben mich alle, ich weiß es; aber wie sehr unterscheidet sich diese theils eigennuͤtzige, theils flatterhafte Liebe von der muͤtterlichen Zaͤrtlichkeit, die Sie, Wertheste Tante, gegen mich bezeigen. Jch kuͤsse Jhnen da- fuͤr die Haͤnde; der Himmel lasse mir sie noch viele Jahre kuͤssen! Wie gluͤcklich werde ich seyn, wenn ich der Vorsorge einer so guͤtigen Mutter bestaͤndig versichert seyn kann! Auf kuͤnftigen Sonnabend werde ich Sie besuchen. Vielleicht begleitet mich Herr R ‒ ‒ ‒ zu Jhnen. Er muß Sie kennen ler- nen. So viel er sich auf seinen alten Vater zu gute thut, so stolz bin ich auf meine liebe Tante. Jch bin mit der kindlichsten Hochachtung, Hochzuehrende Frau, Dero ꝛc. Liebe Base, D er Antrag ist vortheilhaft, nimm ihn immer an. Jch habe mich nach seinen Umstaͤnden erkun- Satyrische Briefe. erkundigt. Er steht gut. Wenigstens funfzig- tausend Thaler hat er im Vermoͤgen, und ist ein guter Wirth. Wenn er nur noch Pferde und Wagen abschaffte. Er koͤnnte alle Jahre dreyhun- dert Thaler ersparen, thut an Capital à 5 pro Cent sechstausend Thaler. Denke einmal an, Base, was das sagen will, und zwar bey einer Handlung, wie die seinige, wo er das Capital wenigstens auf zwanzig pro Cent nutzen kann. Sieh, wie weit Du es bringst. Mannichmal kann eine Frau viel sagen, wenn sie es recht anfaͤngt. Auf seine Bedien- ten wendet er auch zu viel; die Leute leben wie die kleinen Herren. Viel Arbeit, und maͤßig Futter macht gute Leute, sagte mein seliger Vater immer. Nun er mag das halten, wie er will, es geht mich nichts an, und was mich nicht brennt, loͤsche ich nicht. Wie gesagt, nimm den Mann! Aber das sage ich dir, fange es klug an; es wird Dein Schade nicht seyn. Eine gute Ehestiftung ist das Haupt- werk. Schmiede das Eisen, weil es warm ist. Jtzt thut er alles, was Du verlangst. Wenn er Dich einmal hat, hernach mußt Du nach seiner Pfeife tanzen. Du wirst mich wohl verstehn. Jch will Dir meinen Advocaten schicken, der weiß, wo die Zaͤume haͤngen. Du bringst ihm siebentausend Thaler mit. Laß Du Dir dreyßigtausend Thaler dagegen vermachen. Stirbt er ohne Kinder ‒ ‒ was meynst Du wohl, ob das geschehn wird? Nun albernes Maͤdchen, daruͤber mußt Du nicht roth werden; wie gesagt, stirbt er ohne Kinder, so Y muß Satyrische Briefe. muß das ganze Vermoͤgen an Dich fallen, schlech- terdings an Dich, dafuͤr sorge ja, denn Du bist seine Frau. Was gehn Dich seine armen Freunde an? Der alte Vater wird doch auch nicht ewig leben, und Du kannst hernach noch allemal thun, was Du willst. Es ist besser, seine Freunde sehn Dir in die Haͤnde, als Du ihnen. Die Zeiten werden immer schlimmer, sieh Dich ja wohl vor. Steuern und Gaben steigen. Der Einnahme wird immer weniger; und was soll hernach eine arme Wittwe anfangen, wenn ihr der Mann gestorben ist? Die Freunde sind alsdann immer die schlimm- sten. Wie gesagt, heirathe ihn in Gottes Na- men; es ist eine gute Parthie. Mein Advocat soll dir noch mehr sagen. Jch muß auf die Boͤrse gehn. Lebe wohl. N. S. Die dreyßigtausend Thaler laß Dir in fein- silbrigen Zweydrittheilen verschreiben. Je spaͤter Dein Mann stirbt, desto mehr thun sie hernach; denn das Agio steigt, Gott Lob! alle Tage. Schwesterchen, B ist Du toll? Du wirst doch den eigensinnigen Mann nicht heirathen wollen! Das wird einmal ein zaͤrtlicher Ehmann seyn, der schon als Liebhaber so deutsch von der Leber weg spricht, ehe er noch weiß, ob Du ihn haben willst. Das stuͤn- de Satyrische Briefe. de mir an, daß ich mir auf eine so gebietrische Art sollte Lebensregeln vorpredigen lassen. Es wun- dert mich, daß Dein zaͤrtlicher Tyrann nicht gleich das Maaß mit geschickt hat, wie weit Dein Reif- rock seyn soll, wenn Du das Gluͤck hast, seine un- terthaͤnig gehorsamste Frau zu werden. Alles von der Welt lasse ich mir gefallen. Aber das mag sich mein kuͤnftiger Mann ja nicht unterstehn, daß er mir vorschreiben will, was ich fuͤr Kleider tra- gen soll. Dafuͤr ist er mein Mann, und nicht mein Schneider. Hat er das Herz nicht, eine Frau zu ernaͤhren, welche so viel braucht, als ich: so mag er mich nicht nehmen; oder, wenn er mich doch nimmt, so soll er sehn, wie ich ihm den Kopf will zurechte setzen. Was hilft uns denn unser Eingebrachtes? Geben wir das um deßwillen hin, daß wir die hohe Ehre haben, Frau zu werden? Sachte, vielkuͤhner Ritter! Heut zu Tage spielt man die Romane anders! Ein Maͤdchen, das dem Manne tausend Thaler zubringt, hat das Recht, ihm alle Jahre tausend zu verthun. Da- fuͤr hat er auch eine Frau, die ihm Ehre macht. Soll ich mich um deßwillen nicht so praͤchtig hal- ten, als meine Nachbarinn, damit mein Mann ehr- lich bleibt? Wo koͤmmt denn diese neue Weishelt her? Laß es seyn, Schwesterchen, daß der Mann zum Teufel geht, und bankrut macht: was scha- det das der Frau? Und wenn alle Glaͤubiger be- trogen werden, so gewinnt doch die Frau, oder sie muß es sehr dumm anfangen. Aber Dein Mann Y 2 ver- Satyrische Briefe. verliert ja seinen ehrlichen Namen dabey? Aber warum denn? Bey uns wohl nicht, Schwester- chen. Es ist niemand ehrlicher, als ein muthwillig bankruter Kaufmann, und niemand gluͤcklicher, als seine Frau, die ihn dazu gebracht hat. Wie altvaͤtrisch bist Du! Mit einem Worte, Dein Lieb- haber mag seyn, wie er will, fuͤr mich waͤre er nicht. So lange ich noch nach meinem Kopfe leben kann: so lange mag ich noch nicht ins Zuchthaus. Thue, was Du willst, mit meinem Willen sollst Du den alten Jesus Syrach nicht heirathen. Deßwegen wollen wir nicht sitzen bleiben; ich gebe Dir mein Wort. Fuͤr unser Geld koͤnnen wir uns einen Mann kaufen, wie wir ihn haben wollen, einen feinen geduldigen, und gehorsamen Mann: das lasse ich eher gelten. Lebe wohl und uͤbereile Dich nicht. Jch bin Deine aufrichtige Freundinn ꝛc. Jungfer Muhme, J hr Herzensbaͤndiger scheint ein allerliebster Pe- dant zu seyn. Was muß er mit seiner Ord- nung sagen wollen, die er so einfoͤrmig gehalten wissen will, daß ihm nicht eine Viertelstunde ver- ruͤckt wird? Der haͤtte sollen einen guten Schul- rektor in einem kleinen Staͤdtchen abgeben, wo die Knaben von fruͤh um sechs Uhr an bis auf den Abend um zehn Uhr nach dem Takte der Ruthe sich anziehen, lernen, essen, trinken, und schlafen muͤssen, und das heute wie gestern, und morgen wie Satyrische Briefe. wie heute. Unmoͤglich ist es Jhr Ernst, daß Sie diesen schematischen Mann heirathen wollen. Ver- zeihn Sie mir diesen Ausdruck; mein Bruder nennte ihn so, und lachte erschrecklich dazu. Es muß wohl ein artiges Wort seyn; denn mein Bru- der ist witzig, wie der Henker! Wie gesagt, Jhr Ernst kann es unmoͤglich seyn, oder Sie sollten mich sehr dauern. Bedenken Sie einmal, was soll das fuͤr eine Zucht werden? Einen Tag, wie den andern, bestaͤndig ordentlich, das ist ja gar unertraͤglich! Soll ich Jhnen einmal wahrsagen? Wollen Sie wissen, wie es gehen wird? Hier ha- ben Sie Jhren Lebenslauf: Fruͤh um sechs Uhr steht die junge Frau auf, nachdem sie dreymal gegaͤhnt, und zweymal die Augen gewischt hat. Sie zieht sich an, und zwar gleich reinlich und sorgfaͤltig, damit sie das seltne Gluͤck hat, ihrem theuern Gemahle zu gefallen. Es wundert mich, Liebe Jungfer Muhme, daß Jh- nen Jhr Liebhaber nicht auch vorgeschrieben hat, wie lang der Morgenseegen seyn soll. Wie leicht koͤnnten Sie laͤnger beten, als er es ausgerechnet hat, daß Sie beten sollten. Weiter: Um sieben Uhr wird Thee, oder Caffee ge- trunken, drey, hoͤchstens vier Tassen, mehr nicht, junge Frau, bey Leibe nicht mehr, daß ja die Wirthschaft nicht in Unordnung geraͤth. Mit dem Schlage achte muß auch das Fruͤhstuͤck ver- zehrt, und alles wieder abgeraͤumt, und an seinen Ort gesetzt seyn. Y 3 Um Satyrische Briefe. Um acht Uhr geht der Mann auf die Schrei- bestube. Er kuͤßt Sie zum Abschiede, und geht! Sehn Sie nun, Jungfer Muhme, darauf koͤnnen Sie also sichre Rechnung machen, daß wenn er Sie den ersten Tag fruͤh um acht Uhr gekuͤßt hat, so kuͤßt er Sie das ganze Jahr lang fruͤh um acht Uhr. Betraͤgt in einem Jahre, richtig gerechnet, dreyhundert und fuͤnf und sechzig Kuͤsse zum Fruͤh- stuͤcke, und wenn wir ein Schaltjahr haben, noch einen Kuß mehr. Von acht bis zwoͤlf Uhr haben Sie Zeit, Jh- re Wirthschaft zu besorgen, und, wie Jhr zukuͤnf- tiger Eheherr sehr tiefsinnig sich ausdruͤckt, sich der Herrschaft in der Kuͤche zu bemaͤchtigen. Um zwoͤlf Uhr koͤmmt er heim. Sorgen Sie ja, daß Sie fein nach Rauche riechen, und Rus am Arme haben, damit er die gute Wirthinn sieht. Aber vor allen Dingen sorgen Sie, daß das Essen mit dem zwoͤlften Schlage auf dem Ti- sche steht. Bis um zwey Uhr wird gegessen, und wie ich hoffen will, nichts gethan, als Caffee getrunken. Um zwey Uhr geht er wieder an seine Arbeit, und Sie gehn ins Bette. Denn so ein Barbar wird er doch nicht seyn, daß er Jhnen dieses ver- wehren wollte. Schlafen kostet ja kein Geld, und wenn Sie schlafen, so widersprechen Sie auch nicht; zween Hauptpunkte, die Jhr Sittenpredi- ger sehr einzuschaͤrfen sucht! Bis um sieben Uhr also thun Sie, was Jhnen gefaͤllt, und dieses wer- den Satyrische Briefe. den wohl die einzigen Stunden seyn, wo Sie im Stande der natuͤrlichen Freyheit leben, wie mein Bruder zu sagen pflegt. Um sieben Uhr erscheint der Herr vom Hau- se wieder, und versichert die Frau vom Hause sei- ner Gunst und geneigten Willens zuvorn. Um acht Uhr koͤmmt das Abendessen unver- zuͤglich. Um neun Uhr, denn so lange, und laͤnger nicht, darf man bey Tische sitzen, wird die Tafel aufgehoben, vielleicht gebetet; und sodann erhebt sich der Herr mit seiner huldreichen jungen Frau zum Camine, eine Pfeife Tabak zu rauchen, und sie zu examiniren, wie sie heute ihre Stunden ein- getheilt hat. Es schlaͤgt zehn Uhr. Geschwind die Pfeife ausgeklopft, ausgezogen, zu Bette gegangen, und hernach — — — was weiß ichs! Vermuth- lich alles nach Stunden und Minuten, damit wir ja nicht in Unordnung kommen. Fruͤh um sechs Uhr wieder aufgestanden, und sodann ut supra, spricht mein Bruder. Nun, Liebe Jungfer Muhme, wie gefaͤllt Jh- nen der Lebenslauf? So ordentlich geht die Son- ne nicht auf und unter. Muß so ein Ehstand nicht schoͤn seyn? Aber das rathe ich Jhnen, wenn Sie einmal in die Wochen kommen sollten, daß Sie Sich ja an die Stunde binden, die er Jh- nen setzt; sonst bringen Sie ihn um alle seine Ordnung. Y 4 Jm Satyrische Briefe. Jm Ernste, Jhr Liebhaber ist unertraͤglich. Wenn Sie es gut mit Sich Selbst meynen, so flech- ten Sie ihm ein niedliches Koͤrbchen, und schicken Sie ihn heim. Das verdient der Eigensinn. Jch verharre Jhre Dienerinn ꝛc. ꝛc. Liebe Schwester, D as muß ich gestehn! So offenherzig habe ich noch keinen Liebhaber gesehn! Eine ganz neue Mode, sein Gluͤck zu machen, wenn man seine Fehler beichtet! Das wolle der Himmel nicht, daß das Ding unter uns Maͤdchen Mode werde! Was meynst du wohl, Schwester, daß ich zu mei- nem Amadis sagen sollte? Soll ich etwan spre- chen: „Jch habe die Ehre, Jhnen zu sagen, daß „ich ein Maͤdchen bin, welches einen Mann haben „moͤchte, und wenn er auch noch duͤmmer waͤre, „als Sie, tapfrer Amadis. Jch gebe Jhnen meine „Hand, um mich dem jungfraͤulichen Zwange zu „entreissen, und als Frau thun zu koͤnnen, was „ich will. Jch habe den Fehler, daß ich keine „Mannsperson hasse, ob ich gleich nur einen auf „einmal heirathe. Jch kann nicht leiden, daß „Sie mir widersprechen, denn Sie sind der Mann, „und ich bin ein schwaches Werkzeug. Jch wer- „de Jhnen nicht mehr verthun, als ich brauche; aber Satyrische Briefe. „aber ich brauche sehr viel, um andern Weibern „nichts nachzugeben. Jch werde alle Tage in „Gesellschaft gehn, damit mir Jhre bestaͤndige „Gegenwart nicht zur Last wird. Sorgen Sie „fuͤr Geld zum Spielen, damit Sie Ehre von mir „haben. Wenn ich erst spaͤt in der Nacht nach „Hause komme, so schlafen Sie nur ruhig. Jch „bin muͤndig, und kann mir selbst rathen. Fuͤr „die Wirthschaft werden Sie sorgen, denn Sie „sind Herr vom Hause. Jch habe Sie geheira- „thet, um eine Frau zu seyn, und Sie, mein „Herr, haben die Ehre, daß Sie mein Mann „sind, um mich zu ernaͤhren; wie Sie das moͤglich „machen, das ist meine Sorge nicht. Dieses sind „meine Fehler, Zaͤrtlicher Amadis; besinnen Sie „sich, ob Sie dem ungeachtet Sich getrauen, mit „mir gluͤcklich zu leben.„ Wie gefaͤllt Dir das, Schwester? Sollte ich so treuherzig seyn? Jch weiß wohl, wie ich bin, was braucht es mein Lieb- haber zu wissen. Er wird es Zeit genug erfahren, wenn er mich am Halse hat. Du denkst vielleicht, Schwester, was fuͤr ein gluͤckliches Maͤdchen Du bist, daß Du so einen treuherzigen Beichtsohn zum Freyer hast. Glaub es nur nicht. Das sind die schlimmsten, die sich so aufrichtig stellen. Wage es einmal, wenn er Dein Mann ist, und wirf ihm seine Fehler vor! Habe ich Dir es nicht gesagt, wird er sprechen, daß ich diesen Fehler habe, warum hast Du mich genommen? Aber das ist das schlimm- ste noch nicht. Hat dein Mann das Herz, so viel Y 5 Fehler Satyrische Briefe. Fehler von sich selbst zu sagen: wie wird er Dir die Ohren reiben, wenn er Deine Fehler kennen lernt! Das waͤre mir unertraͤglich. Wenn ich schon Frau bin, und Kinder ziehe, soll ich da noch erst mich selbst ziehen und hofmeistern lassen? Nein, Herr Mann, das lasse er bleiben, oder es laͤuft nicht gut ab! Mit einem Worte, Schwester, uͤberlege, was Du thust, und mache Dich nicht ohne Noth un- gluͤcklich. Lebe wohl. Liebe Jungfer Gevatterinn, J ch weiß nicht, was ich Jhnen rathen soll. So viel ist gewiß, ich moͤchte lieber des Herrn R ‒ ‒ ‒ Vater oder Bedienter seyn, als seine Frau. Er verlangt von Jhnen gar zu viel, gewiß gar zu viel. Mein seliger Mann, troͤste ihn Gott! haͤtte mir so kommen sollen, wie Jhnen Jhr Liebhaber begegnet; mit Fuͤssen haͤtte ich ihn getreten, den Hund! Es kann unmoͤglich ein gutes Ende nehmen, da er schon so fruͤh anfaͤngt, die Klauen sehen zu lassen. Das wolle der Himmel nicht, was soll daraus werden! Wir armen Weiber! Wir haben die ganze Wirth- schaft, und die Kinder auf dem Halse, wenn unsre Maͤnner aus dem Hause gehen, und vornehmen, was sie wollen. Sollen wir nicht zu Hause un- sern Willen haben, da wir ohnedem halbe Skla- vinnen sind? Ueberlegen Sie es wohl, Jungfer Gevatterinn, bey Jhren Jahren und bey Jhrem Gelde Satyrische Briefe. Gelde koͤnnen Sie allemal waͤhlen, wie Sie wol- len. Der junge Herr P ‒ ‒ ‒ wird außer sich seyn, wenn er es erfaͤhrt. Sie koͤnnen es nicht verantworten, daß Sie dem armen P. ‒ ‒ ‒ be- staͤndig so sproͤde begegnet haben. Verstand hat er freylich nicht, aber desto besser fuͤr seine kuͤnftige Frau. Hat er doch Geld, und wenn der Vater stirbt, so will er Baron werden, und den Pfeffer- kram aufgeben. Denken Sie einmal! Frau Ba- ronessinn! Gnaͤdige Frau Baronessinn! Wie das klingt! Und wenn Sie den Herrn R ‒ ‒ ‒ hei- rathen, so heißt es Frau R ‒ ‒ ‒ schlechtweg, und wenn es hoch koͤmmt, so koͤmmt eine Frau Commerzraͤthinn heraus. Wie gesagt, uͤbereilen Sie Sich nicht. Es waͤre ewig Schade um Sie. Jch bin ꝛc. N. S. Wissen Sie denn auch, daß Jhr Herr R ‒ ‒ ‒ schon vierzig Jahre alt ist? Mademoiselle, J ch habe neulich vergessen, Jhnen noch einen Fehler von mir zu sagen. Es ist dieser, daß ich sehr ungeduldig liebe, wenn ich liebe; und daß ich sehr unruhig bin, wenn ich in vierzehn Tagen die Erklaͤrung noch nicht erhalten kann, die ich mir binnen acht Tagen ausgebeten. Haben Sie die Guͤte, melden Sie mir Jhre Entschließung. Auf der Welt wuͤnsche ich mir nichts so sehr, als Jhre Gegenliebe. Jch werde vielleicht untroͤstbar seyn, wenn Satyrische Briefe. wenn Sie mir eine abschlaͤgliche Antwort geben; aber ich schaͤtze Sie zu hoch, als daß ich Jhnen den geringsten Zwang anthun sollte. Erklaͤren Sie Sich frey. Bin ich ungluͤcklich genug, Sie nicht zur Frau zu bekommen: so lassen Sie mir wenig- stens die Hoffnung, daß Sie mich fuͤr Jhren Freund annehmen wollen. Jch werde das ewig seyn, und mich aufrichtig freuen, wenn es Jhnen allezeit so wohl geht, als es Jhre Tugend verdient. Jch bin der Jhrige, R ‒ ‒ ‒ Mein Herr, V ielleicht wuͤrde ich Jhnen geschwinder geant- wortet haben, wenn ich nicht so viel Hochach- tung fuͤr Sie haͤtte. Jch habe Zeit gebraucht, um zu uͤberlegen, ob ich das Zutrauen verdiene, welches Sie gegen mich aͤussern. Der Rath meiner naͤch- sten Anverwandten schien mir in einer so wichtigen Sache noͤthig zu seyn. Eine unvorsichtige Ent- schließung wuͤrde vielleicht der erste Fehler gewesen seyn, den Sie an mir billig zu tadeln gefunden haͤt- ten. Diejenigen von meinen Freunden, auf deren Einsicht ich mich verlassen kann, versichern mir so so viel gutes von Jhnen, mein Herr, daß ich mich nicht laͤnger bedenken darf, Jhnen meine Hand an- zubieten. Jch thue es mit der Empfindung einer Person, welche wuͤnscht, durch Jhre Liebe gluͤcklich, und Jhrer Zuneigung immer wuͤrdiger zu werden. Jch bin ꝛc. Jch Satyrische Briefe. „ J ch hoffe, ich will mich mit der Erfahrung „schuͤtzen, wenn ich behaupte, daß viele aus „Neigung lieben, aber aus Eigennutz heira- „then. Wenigstens haben diejenigen kein Recht, „mir zu widersprechen, welche sich mit einem Frau- „enzimmer verbinden, die, nach dem ordentlichen „Laufe der Natur, ihre Großmutter seyn koͤnnte. „Diese Liebhaber der Alterthuͤmer gewinnen in der „That sehr viel, wenn man ihnen Schuld giebt, „daß ihre Verbindungen aus Eigennutz geschehen. „Waͤre dieses nicht, so wuͤrde man sie gar fuͤr naͤr- „risch halten; und ich glaube nach der Art, wie die „heutige Welt denkt, ist es immer ruͤhmlicher, ei- „gennuͤtzig, als naͤrrisch zu seyn. Jch bin also nicht „wider diese Art der Ehen. Dieses nur scheint mir „unleidlich zu seyn, daß man dergleichen Frauen- „zimmern, welche ohnedem ihr Alter aberglaͤubisch „macht, so viel von Liebe, und zaͤrtlichen Empfin- „dungen vorschwatzt. Es ist unbillig, ihre Leicht- „glaͤubigkeit zu misbrauchen. Jch will ein For- „mular geben, wie man in dergleichen Faͤllen seuf- „zen muͤsse. Ein jeder, der es braucht, wird es „nach seinen Umstaͤnden zu veraͤndern wissen. Jn „der Hauptsache werden wir immer einig seyn, wenn „wir anders aufrichtig seyn wollen.„ Mada- Satyrische Briefe. Madame, D a ich nur fuͤnf und zwanzig Jahre alt bin, und Sie gestern in Jhr sieben und funfzigstes ge- treten sind: so wird mich die ganze Welt fuͤr einen Narren halten, wenn man erfaͤhrt, daß ich mich habe uͤberwinden koͤnnen, Jhnen zu sagen, daß ich Sie liebe, und Sie um Jhre Gegenliebe bitte. Waͤre ich einer von den jungen leichtsinnigen Men- schen, welche auf weiter nichts sehn, als auf die Jahre, und auf ein frisches bluͤhendes Gesicht: so wuͤrde ich mir selbst diesen Vorwurf der Thorheit machen. Aber nein, Madame, meine Liebe ist gruͤndlicher, und ernsthafter. Außer dem daß Sie, ungeachtet Jhrer Jahre, noch immer das muntre und frische Wesen beybehalten, das Sie in vorigen Zeiten schoͤn und reizend gemacht haben mag: so besitzen Sie gewisse Vorzuͤge, Madame, die Jhren Werth unendlich erhoͤhn. Jedes Jahr, das Sie zu alt sind, koͤnnen Sie mit tausend Thalern ab- kaufen; und Sie kommen mir bey dieser Rechnung kaum als ein Maͤdchen von sechzehn Jahren vor. Jch schwoͤre Jhnen also bey Jhrem Gelde, und bey allem, was mir ehrwuͤrdig ist, das ich Sie und Jhre Vorzuͤge aufs heftigste liebe. Entschliessen Sie Sich die Meinige zu seyn. Jch glaube, Sie werden bey Jhren Umstaͤnden mehr nicht von mir verlangen, als Ehrfurcht und Geduld. Diese ver- spreche ich Jhnen. Da Sie so vernuͤnftig sind, Mada- Satyrische Briefe. Madame, so traue ich Jhnen zu, daß Sie meine Geduld nicht misbrauchen, und zum laͤngsten in sechs Jahren Anstalt machen werden, mich in die Umstaͤnde zu setzen, daß ich den schmerzlichen Ver- lust einer so ehrwuͤrdigen Frau als ein betruͤbter Wittwer zween Monate lang beweinen, und so- dann, durch Huͤlfe Jhres Geldes, mir ein junges Maͤdchen waͤhlen kann, in deren Armen ich das je- nige empfinde, was ich itzt nicht fuͤhle, und welche mich vergessen laͤßt, daß ich mir die Gewalt ange- than habe, zu seyn, Madame, der Jhrige. Jch Satyrische Briefe. „ J ch habe mich schon oben erklaͤrt, in wie „weit ich es entschuldige, wenn junge „Mannspersonen alte Weiber heirathen. „Laͤcherlich sind sie mir immer, das kann ich „nicht laͤugnen. Sind sie aber nur mit ihrem „guten Vortheile laͤcherlich, und machen sie nur „Anstalt, daß ihre bejahrten Schoͤnen sich zu rech- „ter Zeit abfuͤhren: so werden sie etwas haben, „womit sie sich uͤber die Spoͤttereyen der Welt troͤ- „sten koͤnnen. Sie kommen mir wie diejenigen „vor, die vor dem alten Bilde einer Heiligen knien, „das schon ihr Großvater angebetet hat. Werden „sie erhoͤrt, so ist es schon gnug, nur darf diese „Andacht nicht zu lange dauern. Oft fehlen wir „in unsrer Hoffnung, und alsdann ist das Ungluͤck „nicht zu uͤbersehn. Jch habe einen Freund, wel- „chen seine Schulden noͤthigten, auf diese verzwei- „felte Art zaͤrtlich zu thun. Er hat sein Ungluͤck „zwanzig Jahre mit ziemlicher Gelassenheit ertra- „gen. Schon dreymal hat er alles eingekauft, „was zur Trauer eines Wittwers gehoͤrt, und drey- „mal hat sich seine fuͤnf und siebenzigjaͤhrige Phyl- „lis entschlossen, wieder gesund zu werden, und „vom neuen aufzuleben. Er hat mich gebeten, nach- „stehenden Brief bekannt zu machen, damit er sich „bey denen entschuldige, welche ihm die ungleiche „Heirath mit einer fuͤnf und funfzigjaͤhrigen Wittwe „ehedem als eine Thorheit haben auslegen wollen. Er Satyrische Briefe. „Er wuͤnscht, daß sich andre an seinem „Exempel spiegeln, und sich auf die Sorgfalt der „Aerzte nicht zu sehr verlassen moͤgen, welche nicht „allemal im Stande sind, einen Koͤrper zu toͤd- „ten, bey dem die Liebe alle heilsame Arzneyen „entkraͤftet. Hier ist der Brief, welcher der „Grund zu seinem Ungluͤcke war. Kann man „wohl so unempfindlich seyn, und solchen Reizun- „gen widerstehn? Mein Herr, J ch weiß in der That nicht mit Gewißheit zu sa- gen, wie alt ich eigentlich bin. Nach mei- nem Taufscheine bin ich etliche und funfzig Jahre. Jch kann mir aber nicht anders einbilden, als daß sich der Kuͤster verschrieben haben muß; denn nach meinen Kraͤften, nach der Begierde, die Welt zu genießen, und nach dem Verlangen, Jhnen, mein Herr, zu gefallen, nach allen diesen Umstaͤnden zu urtheilen, bin ich unmoͤglich aͤlter, als dreyßig, hoͤchstens sechs und dreyßig Jahre. Jch bin auf dem letzten Balle ungemein mit Jhnen zufrieden gewesen. Sie haben bey Jhren zwanzig Jahren etwas so gesetztes, und maͤnnliches, welches alle meine Aufmerksamkeit verdient. Die andern jun- gen Herren flatterten um die Maͤdchen herum, die weder zum Lieben noch zum Taͤndeln alt genug, und viel zu jung sind, vernuͤnftig mit sich reden zu las- sen. Jch werde es ewig nicht vergessen, mit wel- Z cher Satyrische Briefe. cher Achtung Sie mir den ganzen Abend hindurch begegneten. Jch war die erste, die Sie zum Tan- ze auffoderten, und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich Sie versichre, daß ich bey aller Jhrer Bescheidenheit die lose Sprache Jhrer Augen ver- standen, und Jhr ganzes Herz gesehen habe, als Sie mir die Hand zum erstenmale kuͤßten. Fast sind Sie noch ein wenig zu furchtsam. Jch will Jhrer Schuͤchternheit auf dem halben Wege ent- gegen kommen. Jch will Jhnen sagen, daß ich Sie liebe. Urtheilen Sie, wie jung mein Herz seyn muß, da es mit dem Jhrigen einerley fuͤhlt. Wie gluͤcklich werde ich seyn, wenn ich, bey einer genauern Verbindung mit Jhnen, mich wegen derjenigen Jahre schadlos halten kann, in denen ich an der Seite eines abgelebten muͤrrischen Man- nes ganz trostlos seufzen muͤssen. Meine Aeltern zwangen mich, ihn zu heirathen, weil er Vermoͤ- gen hatte; ich konnte ihn aber aller, Bemuͤhungen ungeachtet, dahin nicht bringen, daß er seines Le- bens uͤberdruͤßig geworden waͤre. Dreyßig Jahre, koͤnnen Sie es wohl glauben, dreyßig Jahre lebte er noch, und nur mir zum Trotze ist er nicht eher, als vor fuͤnf Jahren, gestorben. Jch bin ganz frey, und besitze, ausser einem zaͤrtlichen Herzen, Geld genug, Sie gluͤcklich zu machen. Wollen Sie meine Hand annehmen? Hier ist sie. Es koͤmmt auf Sie an, wie viel Sie verlangen, Sich einen Rang zu kaufen, und eine anstaͤndige Equipage anzuschaffen. Mit wem ich mein Herz theile, mit dem Satyrische Briefe. dem theile ich auch mein Vermoͤgen. Mit der Zeit soll beides ganz Jhre seyn. Waͤren Sie weniger bloͤde, so wuͤrde ich mehr behutsam seyn, Jhnen meine Empfindungen zu entdecken. Jhre Liebe ist mir unschaͤtzbar; wie groß wird das Ver- gnuͤgen noch alsdann seyn, wenn kuͤnftig einmal, der Himmel gebe, so spaͤt, als moͤglich, die Zei- ten kommen, die uns bey einem herannahenden Alter noͤthigen, unsre Liebe in eine ernsthafte Freundschaft zu verwandeln! Jch brenne vor Ver- langen, Jhre Entschliessung aus Jhrem Munde zu hoͤren. Jch werde auf den Abend zu Hause seyn. Wie jugendlich schlaͤgt mein Herz, da ich dieses schreibe! Jch zittre, aber nur vor Vergnuͤ- gen zittre ich. Wie entzuͤckend wird der Augen- blick seyn ‒ ‒ ‒ Nein, mein Herr, mehr kann ich nicht sagen. Bey nahe vergesse ich, daß ich ein Frauenzimmer bin. Mit einem Worte, ich liebe Sie. Pressen Sie mir kein offenherziger Be- kenntniß ab. Jch liebe Sie, und bin ganz die Jhrige. Z 2 Die Satyrische Briefe. „ D ie Menschen sind so sinnreich, daß sie viel- „mal ihren groͤßten Thorheiten einen „frommen Anstrich zu geben wissen. Bis „auf die uͤbereilten Ehen erstreckt sich diese Art „der Andacht. Viele heirathen, ohne zu uͤberle- „gen, ob sie im Stande sind, den unentbehrlichen „Aufwand zu bestreiten, welchen eine Wirthschaft „erfodert. Sie sehen die Noth voraus, in die sie „sich und die ihrigen stuͤrzen; sie koͤnnen aber der „Liebe nicht widerstehn. Und weil sie in andern „Handlungen vernuͤnftig genug sind, nichts unbe- „sonnenes zu unternehmen: so suchen sie sich zu be- „reden, daß diejenige Thorheit, zu welcher sie sich „itzt anschicken, eine Art von guten Werken sey, „wo sie ihr christliches Vertrauen auf die goͤttliche „Vorsorge an den Tag legen, und den Himmel, „so zu sagen, bey seinem Versprechen fest halten „wollen, damit er Anstalt mache, sie zu ernaͤhren. „Sie beten, und beten vielleicht andaͤchtig. Aber „auch eine Thorheit, die man mit Gebet anfaͤngt, „bleibt dennoch eine Thorheit, und zieht oft die „ungluͤcklichsten Folgen nach sich, welche in dem „gegenwaͤrtigen Falle desto empfindlicher sind, ie „weniger wir uns vorwerfen wollen, daß die „Schuld unser sey. Wir wollen den Himmel „zur Verantwortung ziehn. Wie leicht wird uns „das Herz, wenn wir iemanden finden, dem wir „unsre Uebereilung Schuld geben koͤnnen! Ein leicht- Satyrische Briefe. „leichtsinniger Thor flucht auf das Schicksal; ein „frommer Thor seufzt uͤber den Himmel. Beide „sind Thoren! „Da diese unvorsichtigen Verbindungen nicht „ungewoͤhnlich sind: so werden sich vielleicht Leser „finden, welche sich nachstehende zween Briefe zu „Nutze machen koͤnnen.„ Mademoiselle, J ch habe einige Jahre her das Vergnuͤgen ge- habt, durch einen oͤftern Umgang den Werth Jhrer Tugenden, und die Vortrefflichkeit Jhrer Gemuͤthsart kennen zu lernen. Da ich und Sie uͤber die ersten Jahre weg sind, in denen man die Empfindungen der Liebe gar leicht einer fluͤchtigen Uebereilung Schuld giebt: so kann ichs wagen, Jhnen meine Zaͤrtlichkeit zu entdecken, und Sie zu versichern, daß ich es fuͤr mein groͤßtes Gluͤck in der Welt halte, der Jhrige zu seyn; und daß ich dieses mit einer so reifen Ueberlegung schreibe, daß ich uͤberzeugt bin, dieses Gluͤck wird mir nach vielen spaͤten Jahren noch eben so schaͤtzbar seyn, als es mir itzt ist. Was fuͤr ein Himmel muß ein Ehstand seyn, wo sich die Liebe auf Tugend gruͤn- det, und wo man sich von beiden Theilen Muͤhe giebt, die Hochachtung gegen einander immer neu zu erhalten, und taͤglich zu vermehren! Diese selt- ne Gluͤckseligkeit kann ich mir von niemanden in der Welt versprechen, als von Jhnen, Mademoi- Z 3 selle Satyrische Briefe. selle; und ich meines Orts muͤßte aller Empfindun- gen der Menschheit unwuͤrdig seyn, wenn ich das Geringste versaͤumen wollte, Jhre Gluͤckseligkeit eben so vollkommen zu machen, als ich die meinige zu sehn wuͤnsche. Kann ich hoffen, in meinen Wuͤnschen gluͤcklich zu seyn? Das macht mir keine Sorge, daß mein Amt sehr wenig eintraͤglich ist; daß Sie selbst kein Vermoͤgen besitzen; und daß ich kei- ne so nahe Hoffnung vor mir sehe, wie diesem Mangel der zeitlichen Gluͤcksumstaͤnde abzuhelfen seyn moͤchte. Es kann nicht fehlen, eine so tugend- hafte Liebe, wie die unsrige ist, laͤßt der Himmel nicht unbelohnt. Er wird uns Wege zu unsrer Verbessrung zeigen, die wir als einen Seegen unsrer vernuͤnftigen Absichten ansehn koͤnnen. Gesetzt aber auch, unsre Umstaͤnde verbesserten sich nicht; gesetzt, wir lebten kuͤmmerlich: o wie viel haben wir vor tausend Familien voraus, da uns unsre aufrichtige und zaͤrtliche Liebe nicht Zeit laͤßt, an unsern Mangel zu denken. Jch wenigstens, Ma- demoiselle, ich traue mir, bey Wasser und Brod der vergnuͤgteste Ehmann zu bleiben, wenn ich das Gluͤck habe, der Jhrige zu seyn. Antwort. N ein, wahrhaftig nein, mein Herr, das ist meine Religion nicht. So hoch ich Sie schaͤ- tze, und so lieb ich Sie als einen meiner besten Freunde habe: so wenig kann ich mich entschliessen, als Satyrische Briefe. als Frau im Namen Gottes mit Jhnen zu hun- gern. Glauben Sie mir, es geschieht nicht aus Leichtsinn, daß ich so schreibe. Sie kennen mich. So lebhaft ich bin, so ernsthaft bin ich auch, wenn ich an eine Verbindung denke, deren Folgen so wichtig sind. Jch bin uͤberzeugt, daß Sie der rechtschaffenste Mann von der Welt sind, daß Sie mich aufrichtig lieben, daß Sie alles daran wagen wuͤrden, mich gluͤcklich zu machen; daß unser Eh- stand ein wahres Muster einer vernuͤnftigen Ehe seyn wuͤrde. Das alles weiß ich. Aber, mein Herr, aus Hochachtung gegen Sie, aus wahrer Freundschaft, verstehn Sie mich wohl, aus bloßer Liebe zu Jhnen, mag ich Sie nicht zum Manne ha- ben. Glauben Sie denn, daß unser Ehstand nur vier und zwanzig Stunden dauern soll? Und glauben Sie denn, wenn man vier und zwanzig Stunden Wasser und Brod gegessen hat, daß man sich nicht ein wenig Fleisch und Zukost wuͤnscht. Bey einem leeren Magen kann sichs unmoͤglich lan- ge zaͤrtlich lieben. Stellen Sie Sich einmal vor, daß wir in christlichem Vertrauen auf die Vorsorge des Himmels Mann und Weib sind; daß Sie an diesem Ende der Stube sitzen, und ich an dem an- dern; daß Sie nichts zu essen haben, und daß mich hungert; daß ich aus Liebe zu Jhnen recht satt thue, und daß Sie aus zaͤrtlicher Gegenliebe den Kopf traurig stuͤtzen, und unruhig nachdenken, wo Sie etwas zu essen fuͤr Jhre verhungerte Haͤlfte, fuͤr Jhr anders Jch hernehmen sollen: was fuͤr ein Himmel Z 4 der Satyrische Briefe. der Ehe wird dieses seyn? Je mehr wir einander lieben, ie bekuͤmmerter muͤssen wir seyn, wenn wir sehen, daß es uns an den unentbehrlichsten Noth- wendigkeiten fehlt. Wissen Sie wohl, was ich thun wuͤrde, wenn Sie alsdann mein Mann waͤ- ren? Jch wuͤrde mir die aͤusserste Gewalt anthun, mich alle Mittage um zwoͤlf Uhr mit Jhnen zu zan- ken, mich bis aufs Schlagen mit Jhnen zu zanken, und Sie so lange zu reizen, bis Sie im Zorne zu mir spraͤchen: Da, verhungre Bestie! Wie ruhig waͤre meine Liebe gegen Sie, wenn Sie alsdann meine Noth nicht fuͤhlten, wenn Sie vor Aerger- niß vergaͤßen, daß Jhre liebe Frau nichts zu essen haͤtte, wenn ich den Kummer, unsern Mangel zu empfinden, ganz allein litte! Was wollen wir uns unser Leben so schwer machen! Der Himmel will uns alle ernaͤhren, es ist wahr; aber das versprach der Himmel zu der Zeit, da wir noch nicht so viel brauchten, wie itzt, und da die Eitelkeit der Men- schen viel tausend unnoͤthige Dinge noch nicht er- sonnen hatte, die in der Welt, worinn wir nun sind, ganz unentbehrliche Dinge geworden sind. Noch eins faͤllt mir ein. Koͤnnen wir durch unsre uͤber- eilte Zuversicht nicht andre auch ungluͤcklich ma- chen? Als ein unverheirathetes Frauenzimmer soll- te ich zwar zu bloͤde seyn, dieses zu sagen; aber aus Furcht zu hungern sage ich alles, was mir ein- faͤllt. Mit einem Worte, ich glaube gewiß, daß es eine Art der Grausamkeit sey, wenn junge Leu- te sich verheirathen, ohne zu wissen, wie sie ihren Nach- Satyrische Briefe. Nachkommen den nothduͤrftigen Unterhalt und die noͤthige Erziehung geben sollen. Damit wir einander recht zaͤrtlich und exemplarisch lieben koͤn- nen, sollen deßwegen unsre armen Kinder verhun- gern, oder dem Vaterlande zur Last seyn? Wis- sen Sie was? Sie fuͤr Sich haben zu leben, ich fuͤr mich auch; aber beide zusammen haben wir kein Brod. Wir wollen leben, wie bisher. Jch liebe Sie als einen vernuͤnftigen und rechtschaffnen Freund; und Sie lieben mich als Jhre Freundinn. Dabey soll es bleiben, und wir wollen niemals eher zusammen kommen, bis wir zu Hause uns satt ge- gessen haben. Unser Umgang wird immer ver- gnuͤgt, immer tugendhaft bleiben, und wir wer- den den dauerhaften Vortheil haben, daß wir bey unsrer Freundschaft nicht unruhig sind. Sind Sie mit meiner Antwort zufrieden? Wie schwer wird es mir, eine Sache auszuschlagen, die ich bey andern Umstaͤnden fuͤr mein groͤßtes Gluͤck halten wuͤrde! Leben Sie wohl. Z 5 Da Satyrische Briefe. „ D a die Natur allen Thieren den Trieb zu „lieben eingepflanzt hat: so fuͤhlen ihn auch „die Pedanten, und oft fuͤhlen diese ihn „mehr, als vernuͤnftige Geschoͤpfe, weil man aus „der Zergliedrungskunst will wahrgenommen ha- „ben, daß diejenigen Creaturen am bruͤnstigsten „sind, die am wenigsten denken. Jch will meinen „Lesern eine Art von dergleichen Schulseufzern mit- „theilen. Es waͤre zu wuͤnschen, daß sie alle so „beantwortet wuͤrden, wie ich diesen beantwortet „habe. Auf diese Art wuͤrde sich das schmutzige „Geschlecht der Pedanten weniger vermehren.„ Hochzuehrende, und Werthgeschaͤtzte Jungfrau! W enn ich Jhnen sage, daß die Sonne zum Er- waͤrmen, der Vogel zum Fliegen, und der Mensch zum Lieben erschaffen ist: so sage ich Jhnen eine Wahrheit, von der der wilde Scythe so sehr, als der vernuͤnftig denkende Grieche, uͤberzeugt war. Amor omnibus idem! Die weise Natur hat dem Menschen einen Trieb eingepflanzt, welchen er Liebe nennt, und der auf die Vermehrung seines Ge- schlechts abzielt. Ohne diesen Trieb wuͤrden die großen Absichten der muͤtterlichen Natur nicht be- stehn, und die Welt wuͤrde in ihr erstes Chaos zuruͤck fallen, wenn die Menschen nicht liebten. Jch, Satyrische Briefe. Jch, Hochzuehrende, und Werthgeschaͤtzte Jung- frau, ich, der ich minima particula, ein kleiner Theil, dieses Ganzen bin, ich fuͤhle diese Triebe der Natur mehr als jemals, da ich das Gluͤck gehabt, Sie kennen zu lernen. Jch halte es fuͤr meine Pflicht, dieser Stimme zu folgen. Sie wuͤrden rebellisch seyn, wenn Sie diesen Trieben der Natur sich widersetzen, und nichts fuͤhlen wollten, da Sie doch zu eben diesen großen Absichten so fuͤhlbar ge- bohren sind. Lassen Sie uns denn, Werthgeschaͤtzte Jung- frau, diese Triebe vereinigen, und, so viel an uns ist, hindern, daß die Welt nicht zur Wuͤste werde. Sie heißen Dorothea, denn Sie sind eine wah- re Gottesgabe; und da ich Theodor heiße: so wird es uͤberfluͤssig seyn, zu beweisen, daß wir beide fuͤr einander geschaffen zu seyn scheinen. Jener malte eine Sonnenblume, mit der Ue- berschrift: Sequitur suum! Wie dieser ist die Sonne: So bist du meine Wonne! anzudeuten, daß ein Verliebter niemals seinen ge- liebten Gegenstand aus den Augen lasse, sondern sich, gleich einer Sonnenblume, nach demselben be- staͤndig wende und kehre. Glauben Sie, Hochzu- ehrende Jungfrau, daß ich niemals meine eheliche Pflicht aus den Augen lassen, sondern mit unver- wandten Augen nach Jhnen, wie ein Schiffer nach dem Polarsterne, sehn, und mir Muͤhe geben wer- de, Satyrische Briefe. de, Jhnen durch meinen Wandel ad oculum zu demonstrir en, daß ich bis zu dem letzten Hauche des Lebens, ja, wo moͤglich, noch laͤnger, voll Hoch- achtung, Liebe, und Ergebenheit sey, Hochzuehrende und Werthgeschaͤtzte Jungfrau, Meiner Hochzuehrenden und Werthgeschaͤtzten Jungfrau, gehorsamster, und ehrendienstwilliger, N. Antwort. Mein Herr, E s ist ein großer Fehler von meinen Aeltern, daß sie mich haben Dorothea nennen lassen. Weil ich aber auch Johanne, und Sie Casper heißen: so mache ich mir ein Gewissen daraus, die Natur in ihrer Ordnung zu stoͤren, und mit Jhnen ein Buͤnd- niß einzugehn, welches mir nicht den großen Ab- sichten der muͤtterlichen Natur gemaͤß zu seyn scheint. Jch weiß nicht, was ich thun wuͤrde, wenn Sie ein vernuͤnftig denkender Grieche waͤren, und ich eine wilde Scythinn; so viel aber weiß ich, daß ich es lieber zufrieden bin, wenn die Welt in ihr erstes Chaos zuruͤck faͤllt, als wenn ich mich, gleich einer Sonnenblume, nach Jhnen wenden und kehren soll. Jene malte einen kleinen Korb, mit der Ueberschrift: Mein Herr, Jhre Dienerinn. Unter Satyrische Briefe. „ U nter tausend gluͤcklichen Vorzuͤgen, die der „Bauer vor vielen Vornehmen genießt, „ist auch dieser, daß er meistentheils ver- „nuͤnftig, vorsichtig, und uneigennuͤtzig liebt. „Es ist wahr, er faͤngt gemeiniglich da in der Lie- „be an, wo wir aufhoͤren; aber dieses ist ein neuer „Vorzug fuͤr ihn, und wenn er weniger seufzt, so „ist er auch weniger laͤcherlich. Er uͤberlegt, ob „er eine Frau ernaͤhren kann. Er sucht sich eine „Frau, die ihm in seiner Narung helfen soll. Er „sorgt, daß seine Kinder gesund und arbeitsam er- „zogen werden. Ein wenig Eifersucht erhaͤlt die „Liebe neu und lebhaft; und auch dieses Vergnuͤ- „gen fehlt dem Bauer nicht. Zur Abwechslung „will ich ein paar Briefe einruͤcken, welche zeigen, „wie unschuldig man in den Huͤtten liebt.„ Grethe, D u bist ein flinkes Mensch. Jch habe es in der Heuerndte gesehen, wie Dir die Arbeit frisch von der Faust gieng. So eine Frau moͤchte ich haben! Willst Du mich, so schlag ein. Jch habe ein bezahltes Haͤuschen, funfzig Guͤlden baar Geld, und der gnaͤdige Herr ist mir auf ein ganzes Jahr Arbeiterlohn schuldig. Er wird mich schon bezah- len, wenn er Geld kriegt. Wir wollen uns red- lich und ehrlich naͤhren, und fuͤr unsre Kinder wird sich Satyrische Briefe. sich auch Brod finden, wenn sie arbeiten lernen. Was meynst Du, Grethe? Nimm mich, ich bin Dir gut. Thue mir nicht so schoͤn mit Nachbars Christeln. Stecke den Brief nur hinter den Back- ofen, ich will ihn schon finden. Jch bin Dir recht gut. Hanns, J nun nun! Kann ich Dich doch wohl nehmen, wenn ich Dir gut genug bin. Wir wollen beten und arbeiten, es wird schon gehn. Fuͤr die Kinder ist mir nicht leid; armer Leute Kinder brau- chen nicht viel. Jch kriege von meiner Mutter noch zwanzig Guͤlden raus, und ein Ehrenkleid. Sonst habe ich nichts. Ein neues rothes Mieder habe ich noch mit weißen Knoͤpfen, und einen ge- henkelten Thaler. Wir wollen einander in Got- tes Namen nehmen. Brod wollen wir wohl ver- dienen. Jch scheue die Arbeit nicht. Mit Dei- nem Christel! Jch habe seit dem Pfingstbiere nicht mit ihm geredt. Du schierst mich nur. Sage ich Dir doch auch nichts von der großen Hofmagd. Du kannst mit meiner Mutter reden. Jch muß auf die Froͤhne. Rede nur mit der Mutter. Es Satyrische Briefe. „ E s giebt gewisse Vorurtheile, welche durch „die Zeit und Gewohnheit dergestalt ge- „rechtfertiget worden sind, daß es eine „Nothwendigkeit ist, sich ihnen zu unterwerfen, „und daß man von derselben nicht abgehn kann, „ohne sich den Urtheilen der Welt, und vielen dar- „aus erwachsenden Verdrießlichkeiten bloß zu stel- „len. Diese privilegirten Vorurtheile aͤußern sich „nirgends staͤrker, als bey den Ehen, wenn eine „von den beiden Personen sich unter ihren Stand „verheirathet. Diese Ungleichheit des Standes „ist sehr schwer zu bestimmen, da gemeiniglich ein „jeder glaubt, er sey besser, als sein Nachbar. „Ein reicher Bauer, der die Tochter eines armen „Tagloͤhners freyt, wird das ganze Dorf und alle „Bauerpatricien wider sich aufbringen. Die Buͤr- „ger machen unter sich eine unendliche Abtheilung „der Grade ihres Standes, und sind ganz trost- „los, wenn einer von ihnen diese willkuͤhrliche „Rangordnung uͤbertritt. Bey niemanden faͤllt „es mehr in die Augen, als bey dem Adel. Und „dieser hat, meines Erachtens, auch noch das „meiste Recht, wider solche ungleiche Heira- „then zu eifern, da mit dem Adel verschiedne we- „sentliche Vorzuͤge verbunden sind, welche durch „dergleichen Verbindungen entweder ganz weg- „fallen, oder doch Verwirrungen machen muͤssen, „wenn man sich derselben, diesem ungeachtet, fer- ner Satyrische Briefe. „ner anmaßen will. Die Exempel sind so gar „haͤufig nicht, daß ein reicher Buͤrger sich mit ei- „nem armen Fraͤulein verbindet. Es ist nicht zu „laͤugnen, daß dergleichen Ehen oft auf beiden „Theilen vergnuͤgt und gluͤcklich ausschlagen; und „dennoch glaube ich, daß beyde Theile viel dabey „wagen. Sind die zaͤrtlichen Monate des Eh- „standes vorbey, so kann es leicht geschehn, daß „den Mann eine Wahl gereut, durch welche seine „Reichthuͤmer nicht vermehrt worden sind. Sei- „ne Frau aber muß sehr vernuͤnftig und billig seyn, „wenn ihr nicht von Zeit zu Zeit der Rang ihrer „Vorfahren, und der demuͤthigende Gedanke ein- „fallen soll, daß die Vorwuͤrfe ihrer Verwand- „ten gegruͤndet sind. Jch will Gelegenheit neh- „men, dieses in nachfolgenden zween Briefen wei- „ter auszufuͤhren.„ Gnaͤdiges Fraͤulein, D ie Gelegenheit, die ich seit zwey Jahren ge- habt, Sie kennen zu lernen, und durch einen taͤglichen Umgang Jhre Vorzuͤge und Tugenden einzusehn, macht mich so dreist, Jhnen eine Er- klaͤrung zu thun, die Sie Sich vielleicht itzt am wenigsten vermuthen. Sie betrifft die Hochach- tung, die ich gegen Sie hege, und das Verlangen, das ich habe, durch die Erlaubniß, Sie zu lieben, und ewig der Jhrige zu seyn, gluͤcklich zu werden. Jch weiß die Einwuͤrfe, Gnaͤdiges Fraͤulein, die Sie Satyrische Briefe. Sie machen koͤnnen, und die ich gewiß befuͤrchten muͤßte, wenn ich von Jhrer billigen Denkungsart nicht besser uͤberzeugt waͤre. Die Verbindung einer Fraͤulein mit einem aus buͤrgerlichem Stande wird nur denenjenigen uͤber- eilt vorkommen, welche von meiner zaͤrtlichen Ach- tung fuͤr Jhre Person, und von Jhrer Einsicht, die Sie uͤber die kleinen Vorurtheile der Welt er- hebt, unrechte Begriffe haben. Meine Vorfah- ren haben immer den Ruhm gehabt, ehrliche Leu- te zu seyn. Sie waren in der Stadt, wo sie wohn- ten, von einigem Ansehn. Sie sind zwar alle nur Buͤrger gewesen, aber tugendhafte Maͤnner, und ich darf mich keines einzigen schaͤmen. Das Gluͤck, welches meinem Vater in der Handlung zufiel, brachte ihm die Bekanntschaft, und das Vertrauen der groͤßten Familien zu Wege. Jch bin der einzige Erbe seines hinterlaßnen Vermoͤ- gens, welches mir uͤberfluͤssig Gelegenheit verschafft, auf eine beqveme, und sehr anstaͤndige Art zu le- ben. Was mir noch an meinem zeitlichen Gluͤ- cke mangelt, ist der Besitz einer so vernuͤnftigen, und tugendhaften Person, als Sie sind, Gnaͤdiges Fraͤulein. Da Sie weder Aeltern noch nahe Ver- wandte haben: so beruht mein Gluͤck bloß auf Jh- rer Wahl, und auf Jhrem Ausspruche. Darf ich hoffen? Wird es Jhnen schwer fallen, denjenigen gluͤcklich zu machen, der es ohne Sie nicht seyn kann? Verlangen Sie Gnaͤdiges Fraͤulein, daß ich mir die adlichen Vorzuͤge, welche die Natur A a meinen Satyrische Briefe. meinen Voraͤltern versagt hat, durch Geld erlau- gen soll? Aber werde ich Sie deßwegen aufrichti- ger lieben, als es itzt geschieht? Werde ich, da Sie so billig sind, in Jhren Augen mehr Verdien- ste erlangen? Jch glaube keins von beiden. Ver- langen Sie es schlechterdings: so will ichs thun: aber, ich gestehe es, ich thue es ungern. Nicht darum, daß ich es denenjenigen uͤbel auslegte, wel- che es fuͤr noͤthig hielten, sich in den Adel einzukau- fen; keineswegs. Es giebt Faͤlle, wo der Adel eine Belohnung auch fuͤr buͤrgerliche Tugenden ist: und sie ist noͤthig, auch andre aufzumuntern, sich um ihr Vaterland verdient zu machen. Jch, Gnaͤdiges Fraͤulein, ich habe um mein Vaterland keine Verdienste weiter, als ein redliches Herz, und die Reichthuͤmer meiner Aeltern. Auf das erste bin ich stolz; aber eine so allgemeine Pflicht, als diese ist, redlich zu seyn, giebt uns noch kein Recht, eine so wichtige Belohnung, als die Erhe- bung in den Adelstand ist, dafuͤr zu fodern. Auf meinen Reichthum hingegen habe ich gar nicht Ur- sache stolz zu seyn. Es ist ein Gluͤck, das der nichtswuͤrdigste Mensch erlangt haben wuͤrde, wenn er meines Vaters einziger Sohn gewesen waͤre. Kann ich es also wohl wagen, mich unter den Adel zu draͤngen, ohne den Vorwurf zu verdienen, der denen, die zu dieser vorzuͤglichen Wuͤrde gelangen, gemeiniglich, und nur zuweilen ohne Grund, ge- macht wird? Die von Adel, welche vernuͤnftig sind, wuͤrden mit meiner Eitelkeit Mitleiden haben; die aber, Satyrische Briefe. aber, welche nicht vernuͤnftig sind, wuͤrden mich fuͤr einen laͤcherlichen Thoren halten, und mich verachten. Die von buͤrgerlichem Stande wuͤrden das sagen, was man in dergleichen Faͤllen immer sagt; und immer sagt man mehr boͤses von andern, als gutes. Sie wuͤrden mich als einen Mann ansehen, der sich ihrer schaͤmte. Ein Buͤrger der Vermoͤgen und Ansehn hat, ist zu stolz, als daß ihm die Gesellschaft eines neuen Edelmanns ohne Verdienste ertraͤglich seyn sollte. Was fuͤr ein ungluͤckseliges Mittelding zwischen den Adlichen und Buͤrgerlichen wuͤrde ich alsdann seyn! Jene wuͤr- den mich verachten, und diese vermeiden. Ra- then Sie mir wohl, Gnaͤdiges Fraͤulein, daß ich mir einen solchen Vorwurf so theuer erkaufen soll? Und dennoch will ich es thun, wenn Sie mir es rathen. Die Urtheile der ganzen Welt werde ich nicht achten, wenn ich dadurch das Gluͤck erlange, daß Sie mich Jhrer Liebe wuͤrdigen. Jch erwar- te Jhren Ausspruch mit Ungeduld. Auf diesem beruht meine ganze Zufriedenheit. Lassen Sie mich nicht zu lange in der traurigen Ungewißheit, ob ich es wagen darf, zu sagen, ich sey Gnaͤdiges Fraͤulein, der Jhrige. Mein Herr, J ch muß mich schaͤmen, daß ich noch bis itzt in einer Sache unschliessig bin, die mir von einem A a 2 so Satyrische Briefe. so vernuͤnftigen Manne und auf eine so anstaͤndige Art angetragen wird. Jch kenne den Werth Jh- res Herzens. Meine Hochachtung gegen Sie ist staͤrker, als eine gemeine Hochachtung. Jch glau- be, sie koͤmmt der Liebe sehr nahe. Jch will diese Empfindung fuͤr eine Liebe halten, die ich der Tu- gend schuldig bin. Mit Jhrer Hand bieten Sie mir so viel Vortheile des Gluͤcks an, welche staͤr- ker sind, als ich iemals hoffen koͤnnen; und welche allein stark genug seyn wuͤrden, ein jedes Frauen- zimmer, das nicht reicher ist, als ich, zu einem geschwinden Entschlusse zu bringen. Mit einem Worte, ich kann nicht vernuͤnftiger, und zugleich vortheilhafter lieben, als wenn ich Sie liebe, mein Herr. Und dennoch bin ich so schwach, mich durch die kleinen Vorurtheile der Welt unschliessig machen zu lassen, uͤber welche, wie Sie mir schmei- cheln, ich erhoben seyn sollte. Meine Begriffe von dem wahren Werthe des Adels sind den Jh- rigen ganz aͤhnlich. Der Adel giebt denen, die ihn verdienen, einen ansehnlichen Vorzug, und er vermehrt die Schande dererjenigen, welche sei- ner, und ihrer Ahnen unwuͤrdig sind. Ein Buͤr- ger, der durch seine Verdienste um das Vaterland sich selbst diesen Vorzug erworben, hat das Recht, von mir mehr Hochachtung zu fodern, als ein ad- licher Taugenichts, den ein blinder Zufall aus ei- nem alten Hause hat lassen gebohren werden. Auch darinn bin ich mit Jhnen einig, daß ein ieder buͤr- gerlichen Standes nicht behutsam genug seyn kann, Satyrische Briefe. kann, die Rechte des Adels auf sich zu bringen, die Jhn, wenn er es nicht schon vorher ist, weder vernuͤnftiger, noch tugendhafter machen. Jch we- nigstens wuͤrde fuͤr Sie, mein Herr, nicht einen Augenblick mehr Hochachtung haben koͤnnen, als ich itzt habe, wenn Sie gleich in diesem neuen Glanze zu mir kaͤmen, in der Hand das kostbare Pergament, und auf einer jeden Seite zwey Ah- nen haͤtten. Da ich vom Adel so billig urtheile: so koͤnnen Sie wohl glauben, daß mir nichts ab- geschmackter vorkoͤmmt, als der laͤcherliche Hoch- muth der kleinen adlichen Seelen, welche alle an- dre, und die vernuͤnftigsten Maͤnner verachten, weil sie buͤrgerlichen Standes sind. Diese Crea- turen haben wohl Ursache, auf die Vorzuͤge der Geburt zu trotzen; denn wenn diese nicht waͤren, so wuͤrden Sie oft gar nichts haben, womit Sie sich von den niedrigsten, und unedelsten Poͤbel unterscheiden koͤnnten. So wahr dieses alles ist, und so gewiß ich von dem uͤberzeugt bin, was ich hier sage: so gewiß ist es doch auch, daß wir in einer Welt leben, die durch Vorurtheile regiert wird, und die zu alt ist, als daß Sie sich durch uns eines bessern sollte belehren lassen. Diese mit Vorurtheilen eingenommene Welt ist so unbil- lig, daß Sie die Heirath einer Fraͤulein mit einem aus buͤrgerlichem Stande schwerlich entschuldigen wird, wenn auch dieser nach so angesehn, und der vernuͤnftigste Mann waͤre. Jst dieser Mann reich und das Fraͤulein arm: so wird ein Theil des Vor- A a 3 wurfs Satyrische Briefe. wurfs mit auf sie fallen, und man wird sich Muͤhe geben, ihre Absichten verdaͤchtig, und wenigstens eigennuͤtzig zu machen. Was hat sie alsdann fuͤr Mittel in Haͤnden, ihre Unschuld zu vertheidigen? Und wie empfindlich muß ein solcher Vorwurf seyn, den man nicht ablehnen kann! Werden ihre eig- nen Verwandten billig genug seyn, ihren Ent- schluß zu rechtfertigen, oder wird es Jhnen nicht immer einfallen, daß sie etwas gethan, das ein Fraͤulein von altem guten Hause nicht haͤtte thun sollen? Es sind Vorurtheile, mein Herr, sehr laͤ- cherliche Vorurtheile, sie haben Recht; aber sie sind doch allgemein, und um deßwillen allemal gefaͤhrlich. Muͤssen Sie es nicht gestehn, mein Herr, daß dieser Fehler nicht dem Adel allein eigen ist? Er ist unter denen vom buͤrgerlichen Stande noch viel staͤrker. Jch will nur ein Exempel anfuͤhren. Ein Doctor ist ein Buͤrger, ein Handwerksmann auch. Was fuͤr Bewegungen erregt das in der buͤrgerli- chen Welt, wenn ein Doctor die Tochter seines Schusters heirathet! Alle Caffeegesellschaften, alle Wochenstuben schreyen Ach und Weh uͤber diese widernatuͤrliche Verbindung. Haben Sie immer die gefaͤllige Nachsicht gegen die Thorheiten meines Standes, welche sich durch die Thorheiten des Jh- rigen so lange rechtfertigen, bis beide vernuͤnftiger denken, und billiger urtheilen lernen. Es ist einem Fraͤulein wohl erlaubt, einen Mann buͤrgerlichen Standes hoch zu achten, und seine aufrichtige Freun- dinn zu seyn, wenn man ihr gleich nicht erlauben will, Satyrische Briefe. will, sich genauer mit ihm zu verbinden. Jst eine solche Freundschaft ohne Tadel nicht einer Liebe vorzuziehn, welche so bitter getadelt wird? Hat dieser Mann Vermoͤgen, ist er wegen seines ehrli- chen Charakters in der Stadt angesehn: wie gluͤck- lich kann er ein Buͤrgermaͤdchen machen, das arm, aber tugendhaft ist! Die ganze Welt wird seinen Entschluß preisen; Adliche und Buͤrgerliche muͤssen ihn wegen seiner Großmuth hochachten; die Fa- milie, welche er in so vortheilhafte Umstaͤnde ge- setzt hat, wird ihn seegnen und ehren. Hat ein Fraͤulein das Gluͤck, seine Freundinn zu seyn: so wird sie es nunmehr doppelt seyn muͤssen, da ihm seine vernuͤnftige Wahl so viel Ehre macht. Sehen Sie, mein Herr, daß sind ungefaͤhr meine Zweifel, die ich itzt habe, und die ich Jh- nen nicht so offenherzig sagen wuͤrde, wenn ich Sie weniger liebte. Lassen Sie mir noch eine kurze Bedenkzeit; ich will mich hernach naͤher erklaͤren. Das koͤnnen Sie inzwischen gewiß glauben, daß ich mit der groͤßten Hochachtung unveraͤndert sey die Jhrige. N. S. Fuͤhren Sie mich heute in die Comoͤdie. Es wird uͤber unsern Text ein sehr erbauliches Stuͤck gespielt, das die Madame Gottschedinn zur Ver- fasserinn hat. Jch erwarte Sie gewiß. Sie sol- len auf den Abend mit mir speisen, und mir sa- gen, wie es Jhnen gefallen hat. Hier ist der Co- moͤdienzettel. Bis auf Wiedersehn. A a 4 Es Satyrische Briefe. „ E s ist nicht zu laͤugnen, daß oftmals ein „Frauenzimmer buͤrgerlichen Standes „durch ihre Tugenden und ihre gute Auf- „fuͤhrung das Gluͤck verdient, sich mit einem vom „Adel zu verbinden. Traͤgt ihre Schoͤnheit et- „was dazu bey, so ist es fuͤr sie ein Vorzug mehr; „und sie verdient doppelte Achtung, wenn ihr Ver- „moͤgen so ansehnlich ist, daß sie ihren Mann auch „auf dieser Seite gluͤcklich machen kann. Die „Erfahrung lehrt uns, daß dergleichen Ehen „vielmal der Grund einer dauerhaften Zufrieden- „heit sind. Wenn beide Theile mit Vernunft „waͤhlen, und mit Zaͤrtlichkeit sich lieben: so ha- „ben sie ein Recht, alle die Spoͤttereyen großmuͤ- „thig zu verachten, welche von dem Poͤbel daruͤ- „ber ausgestoßen werden. „Was ich hier angefuͤhrt habe, ist die Schutz- „schrift von dem, wovon nachstehende Briefe han- „deln. Sie gehn diejenigen nichts an, welche „vernuͤnftig sind; und sie koͤnnen nur die beleidi- „gen, welche ein Recht haben, sich fuͤr die Origi- „nale dazu aufzuwerfen. Sie werden sich wohl „selbst melden; noch zur Zeit kenne ich sie nicht, „und ich werde mich sehr erfreuen, wenn meine „Leser sich uͤberzeugen koͤnnen, daß es dergleichen „Originale nirgends gebe. Jch will den Vorwurf „gern leiden, daß meine Charakter unwahrscheinlich „sind. Was ich als Autor dabey verliere, das ge- winne Satyrische Briefe. „winne ich auf der andern Seite als ein aufrichtiger „Patriot wieder. Mademoiselle, J ch habe Jhnen einen Vorschlag zu thun, der Jhnen Ehre macht. Mein Vater heirathete ein blutarmes Fraͤulein aus einem uralten Hause. Mein Großvater vermaͤhlte sich mit der Barones- sinn von ‒ ‒ ‒ deren Vorfahren zu Kaiser Frie- drichs des Rothbarts Zeiten zum heiligen Grabe als Ritter reisten. Von meinem Urgroßvater ist es bekannt, daß er sich nicht entschliessen konnte, eine reiche Graͤfinn zu heirathen, bloß darum, weil ihr Vater ein Kaufmann gewesen war. Er nahm ein armes Fraͤulein, welche von so gutem Adel war, daß sie selbst den Beyfall des Herzogs erhielt. Mit einem Worte, alle meine Vorfahren sind so vorsichtig gewesen, daß sie nicht unter ihren Stand geheirathet, und niemals ihren Adel mit buͤrgerli- chem Blute befleckt und vermengt haben. Und dennoch habe ich so viel Ueberwindung, Jhnen, Mademoiselle, zu sagen, daß ich Sie liebe, und dieses in der ernstlichen Absicht, Sie zu meiner Ge- mahlinn zu nehmen. Jch gebe mich der Verach- tung des ganzen Adels bloß, ich weiß es wohl; aber ich kann es nicht aͤndern. Ein Buͤrgermaͤd- chen zu heirathen: das will viel sagen! Sonst war ich der erste, der gegen dergleichen widernatuͤrliche Ehe eiferte. Aber Noth bricht Eisen! Meine A a 5 Um- Satyrische Briefe. Umstaͤnde zwingen mich zu diesem verzweifelten Entschlusse. Was ich von meinem Vater geerbt habe, das ist ein altes adliches Blut, und neue Schulden. Die drey Guͤter, von denen ich mich schreibe, gehoͤren meinen Glaͤubigern. Jch stehe in Gefahr, kuͤnftige Messe eine traurige Figur zu machen, wenn ich mich nicht durch Jhre Liebe ret- te. Sie haben Geld, und ich den Stand; wir wollen unsre Vorzuͤge mit einander theilen, so fehlt es uns beiden nicht an dem, was wir brauchen. Jch will die Schande Jhrer geringen Herkunft mit meinen alten Pergamenten zudecken. Erlau- ben Sie mir dafuͤr, daß ich mit Jhren Wechseln mich gegen die Grobheit meiner Glaͤubiger schuͤtze. Jch mache Sie zu einer gnaͤdigen Frau; ist es wohl unbillig, daß Sie mich dagegen bey meinen Ritterguͤtern erhalten? Waͤre eine Moͤglichkeit, daß ich Jhr Geld, ohne Sie, bekommen koͤnnte: so koͤnnen Sie mir heilig glauben, daß ich Jhr Geld allein, und Jhre Person nicht verlangen wollte. Aber ich weiß es schon, das thun Sie nicht; und ehe ich Jhr Geld misse, so will ich mir lieber gefallen lassen, Jhre Person zugleich mit zu nehmen. Glauben Sie nur nicht, daß Sie mir zu viel aufopfern. Jch wage meinen guten Na- men, den Ruhm aller meiner Ahnen wage ich dar- an, der Jhrige zu werden; koͤnnen Sie mir wohl dieses mit Jhrem Gelde zu theuer bezahlen? Noch etwas muß ich Jhnen sagen. Da sie buͤrgerlich erzogen worden sind: so haben Sie vielleicht die ge- meinen Satyrische Briefe. meinen Vorurtheile, daß mich unsre Ehe verbin- den wuͤrde, Sie mit Hochachtung und aufrichtig zu lieben, und daß Sie ein Recht erhielten, in oͤf- fentlichen Gesellschaften, und in Gegenwart des ganzen Landadels mir, als Jhrem Manne, auf eine vertraute Art zu schmeicheln; keins von bei- den. Bin ich Herr von Jhrem Vermoͤgen, so habe ich, was ich gesucht. Von Jhrem Herzen verlange ich nicht Herr zu seyn, ob ich gleich will, daß Sie von mir, als Jhrem Manne, Befehl an- nehmen. Das bitte ich Sie, vergessen Sie Sich in Gesellschaften nicht. Hochachtung und Ehr- furcht gehoͤrt mir. Eine vertraute Zaͤrtlichkeit wuͤrde den Vorwurf rechtfertigen, den mir der Adel machen kann. Am besten wird es seyn, wenn Sie, so viel moͤglich, die Gesellschaften vermeiden, die uͤber Jhren Stand sind. Es wird Jhnen an Umgange nicht fehlen, da ich Willens bin, von Jhrem Gelde eine ziemliche Anzahl Bediente zu er- naͤhren. Meines Pfarrers Frau ist ein ganz fei- nes Weib, zu der koͤnnen Sie Sich halten. Ein Umgang mit Jhres gleichen wird Jhnen am besten anstehn. Bey meinen Unterthanen heißen Sie immer gnaͤdige Frau. Wenn ich vom Hofe ab- kommen kann, will ich Sie dann und wann besu- chen. Es wuͤrde oͤfter geschehen, wenn Sie schoͤ- ner aussaͤhen; aber, mit Jhrer Erlaubniß, Sie se- hen sehr haͤßlich aus. Es sey drum! Sind Sie doch reich, und fuͤr eine Buͤrgers Tochter sehn Sie immer ertraͤglich genug, zumal da Sie Jhr Schnei- der Satyrische Briefe. der so wohl zu kleiden weiß. Sehn Sie, Made- moiselle, ich sage es Jhnen, wie mirs ums Herz ist. Mein Kammerdiener hat Befehl, nicht eher von Jhnen wegzugehn, bis er mir Antwort bringt. Ungeachtet Jhrer schlechten Erziehung traue ich Jhnen doch so viel Einsicht zu, daß Sie das Gluͤck erkennen werden, welches ich Jhnen entgegen tra- ge. Machen Sie Sich nicht vor der Welt laͤcher- lich, und schlagen Sie eine Ehre nicht aus, die nicht alle Tage koͤmmt. Unsre armen Kinder dau- ern mich; denn ohne Kinder wird es doch nicht ganz abgehn, das sehe ich schon. Jhre Mutter wird Jhnen ein ewiger Vorwurf seyn, und ich bin freylich Schuld daran. Wer kann sich helfen? Sie muͤssen uͤber die Unbescheidenheit meiner Glaͤu- biger schreyen, welche mich so weit treiben. Was ist zu thun? Sie moͤgen sich durch die Welt brin- gen, so gut es angehn will; koͤnnen Sie doch studi- ren, dazu sind Sie noch immer gut genug. Gott Lob! ich und alle meine Vorfahren haben niemals studirt. Pedanterey ist unser Familienfehler nicht, hol mich der Teufel! nicht, das sage ich Jhnen, Mademoiselle! Lesen und schreiben kann ich so ziem- lich; aber einen Hasen will ich Jhnen hetzen, Trotz dem besten Jaͤger, und wenn ich die Aufwartung habe, so mache ich auch der Antichamber Ehre; das koͤnnen Sie mir glauben. Jch wuͤßte in mei- nem Leben nicht, wenn ich so viel geschrieben haͤtte, als itzt an Sie; aber was thun die Liebe und der Glaͤubiger nicht. Das will ich nimmermehr ver- gessen Satyrische Briefe. gessen, was mich dieser Brief fuͤr Ueberwindung gekostet hat. Kurz, antworten Sie bald, und so, wie ich wuͤnsche. Es soll Sie nicht gereuen. Jch bin Jhr Diener ‒ ‒ ‒ ‒ Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr, D em Himmel sey tausendmal Danck, der Sie auf den gluͤcklichen Einfall gebracht hat, mich zu einer gnaͤdigen Frau zu machen. Das ist alles, was ich mir in meinem Leben wuͤnschen kann. Als ich noch jung und unverstaͤndig war, da wuͤr- de ich zufrieden gewesen seyn, wenn ein feiner er- barer Buͤrger gekommen waͤre; da ich aber aͤlter und verstaͤndiger ward: so that ich bey mir selbst ein Geluͤbde, daß ich niemanden, als einen Edel- mann heirathen wollte. Sie glauben nicht, Gnaͤ- diger Herr, was fuͤr ein naͤrrischer Hochmuth un- ter der Buͤrgercanaille ist! Eine Doctorsfrau, de- ren Mann vielmal das liebe Brod nicht hat, wird sich nimmermehr uͤberwinden koͤnnen, der Frau des reichsten Kaufmanns den Rang zu geben. Mir ist es am Sonntage so gegangen, daß die Tochter eines Professors, welche ihrer seligen Mutter Braut- kleid anhatte, sich uͤber mich draͤngte, ungeachtet der Satyrische Briefe. der Stab von meinem Stoffe acht Thaler kostete. Das will ich ihr gewiß empfinden lassen, habe ich nur einmal die Gnade, Jhre Gemahlinn zu seyn. Mit Freuden uͤberlasse ich Jhnen meine Hand und mein ganzes Vermoͤgen. Nun sehe ich erst, wie viel Dank ich meinem weisen Vater schuldig bin, wel- cher aus liebreicher Vorsorge bey seinen Schaͤtzen verhungerte, um seiner einzigen Tochter ein so an- sehnliches Vermoͤgen zu hinterlassen, welches mich wuͤrdig macht, Jhre Gemahlinn zu werden. Wenn es wahr ist, was man meinem Vater Schuld gegeben, daß er den groͤßten Theil seiner Reichthuͤmer von dem Landadel zusammen gewu- chert hat: so halte ich es fuͤr eine Art des billigen Wiederersatzes, Jhnen, Gnaͤdiger Herr, solche Preis zu geben. Jch lasse mir alle die Bedingun- gen gefallen, unter denen Sie mir Jhre Hand an- bieten. Jch will alle die vornehmen Gesellschaften meiden, in denen Sie Sich meiner zu schaͤmen ha- ben. Die Vorwuͤrfe, die mir von adlichen Da- men gemacht werden, will ich in Demuth ertra- gen, wenn ich nur dafuͤr die Freyheit behalte, an- dern Weibern, die geringer sind, als ich, und Jh- ren Unterthanen, es empfinden zu lassen, daß ich gnaͤdige Frau bin. Das einzige bitte ich Sie noch, erlauben Sie mir, daß ich in der Messe, unter der Bedeckung von vier bis fuͤnf Bedienten mich durch den Landadel draͤngen darf. Jch hoffe Jhnen, und Jhren Ahnen mit meinem Reifrocke Ehre zu machen; und begegnet mir eine von mei- nen Satyrische Briefe. nen alten buͤrgerlichen Bekannten: so will ich von meiner gnaͤdigen Hoͤhe mit einer eben so stolzen Mine auf diese elende Creatur herab sehn, als wenn meine Vorfahren das heilige Grab auch haͤt- ten erobern helfen. Mit einem Worte, Sie sol- len Jhre Freude an mir haben, und Jhre Wahl soll Sie gewiß nicht gereuen. Jch erwarte einen Aufsatz von Jhren Schulden, damit ich die Glaͤu- biger auf die Zahlung vertroͤsten kann. Jch habe Vermoͤgen genug, sie zu befriedigen; und Sie koͤnnen nehmen, so viel Sie zu Jhrem Staate brauchen. Jch sehe es zwar im voraus, daß mein ganzes Vermoͤgen mit der Zeit wird verloh- ren gehn, und daß mich Jhre Schulden, und Jhr Aufwand in kuͤmmerliche Umstaͤnde bringen wer- den; aber es sey drum. Es ist immer ruͤhmlicher, wenn man als Gnaͤdige Frau hungert, als wenn man mit buͤrgerlichen Haͤnden Allmosen austheilen kann. Jch erwarte die Ehre Jhres Zuspruchs, um Jhnen muͤndlich zu sagen, daß ich mit der groͤßten Hochachtung sey, Gnaͤdiger Herr, Jhre demuͤthige Dienerinn. N. S. Koͤnnte die Hochzeit nicht noch vor der Fasten werden? Es ist hernach gar zu lange bis auf Ostern. Ant- Satyrische Briefe. Antwort von einem andern Jnhalte. Gnaͤdiger Herr, U rtheilen Sie selbst, wie groß mein Verlangen seyn muß, adlich zu werden, da mich nicht einmal Jhr Brief hat beleidigen koͤnnen, so grob und poͤbelmaͤßig er auch abgefaßt ist. Jch verzei- he Jhnen diese Kleinigkeiten, um bey meinen großen Absichten desto gluͤcklicher zu seyn. Da ich schon so lange vergebens auf einen dergleichen ernsthaften Antrag gewartet habe: so greife ich itzt mit beiden Haͤnden zu, ohne auf Jhre Person zu sehn, die zu einem Manne, und wozu ich Sie brauchen will, gut genug, im uͤbrigen aber ganz unertraͤglich ist. Nehme ich die hohe und unver- schaͤmte Mine aus, die Sie haben: so finde ich gar nichts, was Sie von den Livreybedienten unterscheiden koͤnnte. Selbst in den praͤchtigsten Kleidern behalten Sie den Anstand eines Kutschers, und Sie haben noͤthig, allen Leuten, wie Sie es in dem Briefe an mich gethan, sehr umstaͤndlich zu sagen, wie sorgfaͤltig Jhre Aeltern sich gehuͤtet, ihr adliches Blut mit keinem Buͤrgerblute zu be- flecken; sonst wuͤrde, wenn man dieses nicht weiß, Jhre selige Frau Mutter in einen Verdacht kom- men, der ihr weniger Ehre machte, als ihrem Vorreiter. Jhre Auffuͤhrung, Gnaͤdiger Herr, mag vielleicht zu manchen Zeiten der Antichamber Ehre machen, wie Sie mich versichern; ausserdem aber Satyrische Briefe. aber gewiß keinen Gesellschaften. Es ist uͤberfluͤ- ßig, die Leute muͤhsam zu uͤberfuͤhren, daß Sie nicht studirt haben. Nicht allein dieses sieht man Jhnen sehr wohl an, sondern auch das, daß Sie niemals etwas gelesen, niemals, wenigstens nicht mit Jhrem Willen, in vernuͤnftiger Gesellschaft gewesen, mit einem Worte, daß Sie nicht fuͤr die gesittete Welt, sondern fuͤr einen Strick Hunde gebohren sind. Was Sie noch von dem Poͤbel unterschei- det, und Jhre vornehme Absichten behaupten kann, ist dieses, daß Sie im Begriffe stehn, bankrut zu werden. Sehn Sie, Gnaͤdiger Herr, ich sage es Jhnen auch, wie mirs ums Herz ist; und wenn ich das Gluͤck habe, die Jhrige zu seyn, sollen Sie noch mehr erfahren. Ungeachtet dieses nachthei- ligen Charakters, den Sie haben, und den ich mir von Jhnen machen muß, bin ich dennoch nicht eine Minute unschluͤssig, Jhnen meine Hand zu geben. Genug Sie sind von Adel, und so ein Mann fehlt mir. Ein Buͤrger, welcher wohl er- zogen, vernuͤnftig, im Umgange artig, in seinen Handlungen redlich, in seiner Nahrung gluͤcklich und sorgfaͤltig, in seiner Liebe uneigennuͤtzig, und zaͤrtlich, in der ganzen Stadt angesehn ist; ein sol- cher Buͤrger wuͤrde mich vielleicht zur gluͤcklichsten Frau machen koͤnnen; allein bey allen diesen Vor- zuͤgen ist er doch nur ein Buͤrger, und diese Ge- schoͤpfe kann ich durchaus nicht leiden. Von mei- ner ersten Kindheit an, konnte man mir nicht em- pfindlicher schmeicheln, als wenn man mich im B b Scherze Satyrische Briefe. Scherze, kleines Fraͤulein, hieß. Bey zunehmen- den Jahren fiel dieser Scherz freylich weg; aber ich ersetzte den Verlust dadurch, daß ich mir selbst Muͤhe gab, mich zu uͤberreden, es sey nichts, als ein uͤbereiltes Versehn von der Natur, daß sie mich in meiner buͤrgerlichen Aeltern Hause hatte lassen gebohren werden, und ich sey vom Himmel zu nichts geringerm, als zu einer gnaͤdigen Frau, be- stimmt. Durch Lesung einiger Romane kam ich vielmals auf den wahrscheinlichen Zweifel, ob ich nicht die Tochter eines Lords, eines Marquis, oder sonst eines vornehmen Cavaliers, und nur wegen einiger politischen Absichten unter dem ver- deckten Namen des Buͤrgers, der mein Vater heißt, in seinem Hause unerkannt erzogen sey. Dem sey, wie ihm wolle; ich mag es itzt nicht un- tersuchen. Es moͤchte mir sonst einfallen, daß ich mich weit unter meinen Stand verheirathe- te, wenn ich die Jhrige wuͤrde. Die Zeit wird mir zu lang, auf eine gluͤckliche Entwick- lung des Geheimnisses von meiner Geburt zu warten. Sie sollen mich haben, und wenn mein Vater ein Reichsgraf waͤre. Aber mit Jhrer Erlaubniß, die Bedingungen, die Sie mir vorschreiben, werde ich mir nicht alle gefallen lassen. Daß Sie mich zur Pfarrfrau, und zu Jhren Bauern verbannen wollen, daraus wird nichts. Buͤrgerliche Gesellschaft habe ich in mei- nem Leben nicht leiden koͤnnen, nun werde ich nicht erst anfangen, mich daran zu gewoͤhnen. Es konn- te Satyrische Briefe. te mir keine groͤßre Beleidigung widerfahren, als wenn man mich in Zusammenkuͤnfte, oder auf Baͤlle bat, wo nichts als buͤrgerliches Geschmeiße, und fuͤr mich keine von Adel waren. Sollte ich mich kuͤnftig so wegwerfen, da ich wirklich eine gnaͤdige Frau bin? Glauben Sie mir, daß ich zu leben weiß, und daß mir der Umgang mit denen von Adel nichts neues ist. Jch habe Grafen zu Anbetern gehabt, mit Baronen bin ich so vertraut gewesen, als ich kaum mit Jhnen werden kann, und eine ganze Menge junger Edelleute habe ich lassen vergebens seufzen, gegen die ein solcher Dorf- junker, wie Sie sind, gar nichts heißt. Verlas- sen Sie Sich auf mich, man soll mir in der vor- nehmsten Gesellschaft meine Erziehung nicht ansehn; aber dergleichen Gesellschaft will ich besuchen, schlechterdings will ich sie besuchen, und wenn Sie, Gnaͤdiger Herr, mit allen den altadlichen Damen in leinwandnen Andrienen, rasend daruͤber wuͤr- den. Urtheilen Sie hieraus, ob ich geneigt bin, mir viel von Hochachtung und Ehrfurcht, von Be- fehlen und Gehorsam vorschwatzen zu lassen. Das unterstehn Sie Sich nur nicht, oder ich will Jh- nen Jhren hochadlichen Kopf zu rechte setzen. Daruͤber aber gebe ich Jhnen mein Wort, und das will ich heilig halten, daß ich Jhnen weder zu Hause noch in Gesellschaften auf eine vertraute Art schmeicheln werde. Es wuͤrde mir sehr empfindlich seyn, wenn Sie es thun wollten. Das unter- stehn Sie Sich nur nicht Gegen alle Cavaliere B b 2 werde Satyrische Briefe. werde ich zaͤrtlicher thun, als gegen Sie. Von allen, nur von meinem Manne nicht, will ich mir Schmeicheleyen lassen vorsagen; mit der halben adlichen Welt will ich coquettiren, mit einem Worte, ich will mich so auffuͤhren, daß man glau- ben soll, ich sey aus dem aͤltesten Hause. Nur machen Sie mir keine Schande, und lassen Sie Sich es etwan einfallen, eifersuͤchtig zu werden. Pfuy, das waͤre sehr buͤrgerlich! Eben um deß- willen heirathe ich Sie, daß ich die Freyheit ha- ben will, Sie oͤffentlich zum Hahnrey zu machen. Heirathete ich einen guten ehrlichen Buͤrger: so wuͤrde ich es nur koͤnnen in der Stille thun, und dieser poͤbelmaͤßige Zwang ist mir zuwider. Da ich einen so vornehmen, und Jhrem Range an- staͤndigen Entschluß gefaßt habe: so koͤnnen Sie gewiß glauben, daß ich mich nicht kraͤnken werde, wenn Sie die Drohungen wahr machen, und mich nur sehr selten besuchen. Desto besser! Habe ich Jhren Namen, und Jhr Wappen, so koͤnnen Sie hingehn, wohin Sie wollen; Sie sind mir ganz uͤberley. Lassen Sie Sich unsre armen Kinder nur nicht dauern. Sie sollen an den wenigsten Ursache seyn, auf mein Wort! Dafuͤr lassen Sie mich sor- gen, das ist meine Sache; und ich werde Jhnen eine so anstaͤndige Erziehung zu geben wissen, daß sie Jhnen ganz unaͤhnlich seyn sollen. Was mein Vermoͤgen anbetrifft: so ist es ganz zu Jhren Diensten. Jch will alle Jhre Schuldleute bezah- len, Jhre Guͤter will ich frey machen; aber Jhre Guͤter Satyrische Briefe. Guͤter sollen dafuͤr meine seyn; ich will allein an die Stelle aller Jhrer Glaͤubiger treten. Fuͤhren Sie Sich vernuͤnftig und bescheiden gegen mich auf, wie es sich fuͤr einen Ehmann gehoͤrt: so sol- len Sie die Erlaubniß behalten, zu thun, als waͤ- ren die Guͤter noch Jhre. Sie sollen der oberste Volgt seyn, und den Unterthanen befehlen, was ich fuͤr genehm halten werde. Kommen Sie aber auf den ungluͤcklichen Einfall, meine guͤtige Nach- sicht zu misbrauchen: so schwoͤre ich Jhnen bey Jh- rem Ahnenstolze, ich will grausamer mit Jhnen verfahren, als alle Jhre Glaͤubiger verfahren sind. Der Ehcontrakt soll so eingerichtet werden, daß ich allemal das Recht behalte, Sie aus meinen Guͤtern zu werfen, und eher will ich nicht ruhn, bis ich Sie zum Arrest gebracht habe. Mit ei- nem Worte, es steht bey Jhnen, ob Sie gluͤck- lich oder ungluͤcklich seyn wollen. Waͤhlen Sie, was Sie am besten finden. Unsre Vermaͤhlung kann vor sich gehn, wenn es Jhnen gefaͤllt. Je eher, ie lieber! Bis dahin, und laͤnger nicht, bin ich mit der groͤßten Zaͤrtlichkeit, und mit demuͤthiger Hochachtung, Gnaͤdiger Herr, Jhre unterthaͤnige Dienerinn. N. S. Jch erwarte durch Jhren Kammerdiener Antwort. Der Mensch hat etwas, das mir gefaͤllt. B b 3 Dritte Satyrische Briefe. Dritte Antwort von den vorigen beiden ganz unterschieden. Mein Herr, J hr Kammerdiener hat mir einen Brief von Jh- nen uͤberbracht, welcher vermuthlich nicht an mich, sondern an eine andre Person gerichtet ist. Jch glaube nicht, daß ich mit meiner Auffuͤhrung Jhnen Gelegenheit gegeben habe, so nachtheilig von mir zu urtheilen, und mir so unanstaͤndige Vorwuͤrfe zu machen, welche die gemeinsten Weibspersonen beleidigen muͤssen. Jch halte es fuͤr kein Ungluͤck, die Tochter eines ehrlichen Buͤr- gers zu seyn. Jch waͤre meines rechtschaffnen Va- ters unwuͤrdig, wenn ich mich meiner Geburt schaͤmen wollte. Unter den vielen Verdiensten, die Jhnen fehlen, ist allem Ansehn nach die Be- scheidenheit eins der vornehmsten. So schlecht die Begriffe sind, die Sie Sich von meiner buͤr- gerlichen Erziehung machen: so wohl bin ich doch im Stande, diesen Fehler an Jhnen wahrzuneh- men. Jch bin niemals so stolz gewesen, auf eine Verbindung zu hoffen, die uͤber meinen Stand ist; aber dazu bin ich doch noch zu stolz, daß mir Jhr Antrag ertraͤglich seyn sollte. Das Vermoͤgen, das ich besitze, und welches in Jhren Augen mei- nen ganzen Werth ausmacht, wuͤrde ich sehr uͤbel anwenden, wenn ich mir dadurch das bittre Gluͤck erkaufen wollte, die Frau eines Edelmanns zu werden, Satyrische Briefe. werden, dessen Liebe so eigennuͤtzig, und dessen Denkungsart so unedel ist. Ueberlegen Sie es wohl, mein Herr, ob Sie nicht Ursache haben, mit meinem Entschlusse wohl zufrieden zu seyn. Jh- ren vornehmen Anverwandten erspare ich den Ver- druß, sich meiner zu schaͤmen, da es denselben weit ruͤhmlicher seyn muß, wenn ihr Vetter mit unbeflecktem Adel im Gefaͤngnisse verhungert, als wenn er sich am Tische seiner buͤrgerlichen Frau satt essen kann. Sie selbst vermeiden die großen Gewissensbisse, die Nachwelt mit halbadlichen Kin- dern zu verwahrlosen. Jch bin im Begriffe, ei- nem Jhrer staͤrksten Glaͤubiger meine Hand zu ge- ben. Es wird dieses in gewisser Maße zu meiner Beruhigung dienen, wenn ich Sie mit der demuͤ- thigen und gebeugten Mine eines boͤsen Schuld- ners vor einem Manne-stehen sehe, dessen Frau Jhnen ehedem veraͤchtlich genug gewesen ist, ihr die empfindlichsten Grobheiten vorzusagen. So bald Sie im Stande seyn werden, einzusehn, daß Sie diese Vorwuͤrfe verdient haben: so bald wer- de ich mir ein Vergnuͤgen daraus machen, Sie auf- richtig zu versichern, daß ich mit aller Hochach- tung sey, Mein Herr, Jhre Dienerinn. B b 4 Heut Satyrische Briefe. „ H eut zu Tage ist dieses wohl unstreitig eine „der groͤßten Nahrungen, daß man Geld „borgt, und es nicht wieder bezahlt. „Sie ist dergestalt allgemein worden, daß, da sie „sonst nur ein Vorrecht der Kaufleute war, „sich nunmehr auch der gemeinste Mann darauf „legt. Selbst die Gelehrten, und ehrwuͤrdige „Maͤnner, haben sich dieses Vortheils bemaͤchti- „get. Es hat mich dieses veranlaßt, einige For- „mulare zu verfertigen, wie man Geld borgt, wie „man mahnet, und wie man durch eine bescheidne „Antwort seine Glaͤubiger hintergehn kann, oh- „ne noͤthig zu haben, sie zu bezahlen. Weil ich „aber doch gern saͤhe, daß meine Landesleute so „ehrlich waͤren, als es ohne ihren merklichen Scha- „den geschehen kann: so habe ich in nachstehenden „Briefen meinem Schuldner den Charakter eines „Mannes gegeben, welcher zwar im Aufborgen „leichtsinnig, und bey seiner Wirthschaft unvor- „sichtig, im Grunde aber ein ehrlicher Mann „ist.„ Mein Herr, E s haben mich verschiedne gute Freunde gebeten, daß ich ihnen die Ehre erzeigen, und einige tausend Thaler von ihnen borgen moͤchte. Jch habe es allen abgeschlagen, weil ich Niemanden ver- Satyrische Briefe. verbunden seyn will, als Jhnen, mein Herr. Mein Sekretair hat Ordre, tausend Thaler von Jhnen in Empfang zu nehmen, die ich diesen Abend brauche. Es ist eine Kleinigkeit, die ich aber als eine besondre Probe Jhrer Freundschaft gegen mich ansehe, und sie so hoch schaͤtzen werde, als wenn Sie mir in der wichtigsten Sache gedient haͤtten. Sie koͤnnen Sich wegen des Wiederersa- tzes auf mein Wort verlassen. Wollen Sie noch sichrer seyn, so sollen Sie meinen Wechsel haben. Jch diene Jhnen bey andern Gelegenheiten mit Vergnuͤgen, u. s. w. Antwort. E w. Gnaden haben Jhr Zutrauen so oft gegen mich geaͤussert, daß ich billig Bedenken tra- gen muß, es zu misbrauchen. Jch bin nicht im Stande, Jhnen mit den verlangten tausend Tha- lern zu dienen, ohne meine uͤbrigen Freunde eifersuͤch- tig auf mich zu machen. Davon bin ich uͤberzeugt, daß ich mich auf Jhr hohes Wort so sehr, als auf Jhren Wechsel, verlassen kann. Sie werden mich davon noch mehr uͤberfuͤhren, wenn Sie die Gnade haben, und Jhrem Sekretair befehlen wol- len, daß er diejenigen zweytausend Thaler an mich bezahle,, welche in der letzten Messe verfallen sind. Es wird mich dieses im Stande erhalten, Jhnen bey einer andern Gelegenheit wieder zu dienen. Jch bin mit der groͤßten Ehrfurcht u. s. w. R ‒ ‒ ‒ B b 5 Herr Satyrische Briefe. Herr Bruder, D enke, wie mirs geht. Jch verlange von dem verfluchten Juden, dem Kaufmanne N. tau- send Thaler. Jch habe sie mit der artigsten Art von der Welt verlangt, und der Schurke hat mir es nicht allein abgeschlagen, sondern mich auch noch um zweytausend Thaler gemahnet, die ich ihm schul- dig bin, und die ich schon lange vergessen hatte. Er ist diesen Morgen bey mir gewesen, und droht mit dem Arreste. Sey so gut, und strecke mir die zweytausend Thaler vor, bis auf kuͤnftigen Wollmarkt. Jch will Dich redlich bezahlen. Jch erwarte diese Freundschaft von Dir gewiß, da Du auch weißt, wie einem zu Muthe ist, den die Wechsel verfolgen. Unterschreib wenigstens mei- nen Wechsel mit; vielleicht giebt mir der Hund noch ein halb Jahr Nachsicht. Unterschreiben wirst Du doch? Das wird ein Cavalier dem an- dern nicht leicht abschlagen. Lebe wohl, und antworte geschwind. Antwort. Herr Bruder, K urz von der Sache zu kommen; ich habe kein Geld, und so lange ich nicht besoffen bin, un- terschreibe ich mich fuͤr Niemanden. Das ist eben unser Ungluͤck, daß wir Cavaliere fuͤr einander mit Freuden unterschreiben, und mit Angst bezahlen muͤssen. Satyrische Briefe. muͤssen. Unter hunderten werden funfzig durch diese unuͤberlegte Treuherzigkeit bankrut. Wer sein Vermoͤgen selbst verschwendet, genießt doch noch etwas dafuͤr; wer sich aber mit verbuͤrgt, der muß in eines andern Namen verhungern. Nimm mir diese Predigt nicht uͤbel. Du kennst mich; und wenn ja eins seyn soll, so ist es besser, Du wirst itzt ein wenig auf mich verdrießlich, da ich Dir es abschlage, als wenn Du kuͤnftig mein Todfeind wer- den solltest; und das wuͤrdest Du gewi ß wenn ich mein Geld von Dir wieder haben wollte. Du dauerst mich von ganzem Herzen, Herr Bruder, bey meiner Seele, von ganzem Herzen; aber wie soll ich Dir helfen? Geld habe ich nicht, das weißt Du, dazu bin ich zu vornehm, und uͤber ein halbes Jahr, wenn wir bezahlen sollten, haͤtte ich gewiß eben so wenig Geld. Was wollten wir hernach beide anfangen, da Du itzt allein nicht weißt, was Du machen sollst? Es ist schlimm genug, daß wir den christlichen Wuchrern so viel gute Worte ge- geben muͤssen, wenn wir Geld borgen; laß ihn Dir nun wieder gute Worte geben, bis Du ihn be- zahlst. Rechnen das die Schurken fuͤr nichts, daß wir sie unsrer Freundschaft versichern, ihnen alle unsre Dienste anbieten, uns vor ihnen buͤcken und demuͤthigen, wenn wir ihnen die Gnade erzei- gen, und ihnen fuͤr zweytausend Thaler ein Blaͤttchen Pappier geben. Haͤtten sie nicht mehr Geld, als wir, und brauchten wir nicht das nothduͤrftig, was sie uͤberfluͤssig haben: so woll- ten Satyrische Briefe. ten wir der Buͤrgercanaille wohl anders begegnen. Laß ihn eine Weile laufen, er wird es schon uͤber- druͤssig werden. Fuͤrchtest Du dich vor dem Wech- selarreste? Du wirst kein Kind seyn! Wer so viel schuldig ist, wie Du, der, daͤchte ich, sollte das Handwerk besser verstehn. Verstehst Du es nicht, so rede mit meinem Advocaten, der wird Dich es lehren, und wenn Du es verlangst, so soll er die Sache so herum drehen, daß Dir Dein Glaͤubiger noch Abbitte und Ehrenerklaͤrung thun muß. Ein guter Advocat ist allemal besser, als baar Geld! Jst es unrecht? Gut, da laß ihn dafuͤr sorgen, und faͤhrt er zum Teufel, so faͤhrt einer mehr hin! Das schadet Dir nichts. Dafuͤr ist er ein Advocat, daß er wissen muß was Rechtens ist. Lebe wohl, es wird schon gehn! Hochgeehrter Herr Doctor, D er Herr Oberstlieutenant von ‒ ‒ ‒ hat mir Sie als einen sehr geschickten Advocaten an- geruͤhmt. Jch brauche Jhre Huͤlfe Der Kauf- mann N. hat einen Wechsel von mir auf zweytau- send Thaler, die ich nicht bezahlen kann, und doch bezahlen soll, wenn ich nicht Arrest haben will. Was soll ich thun? Hindert Sie Jhre Krankheit, selbst zu mir zu kommen: so schreiben Sie mir we- nigstens ein paar Zeilen, und geben mir einen gu- ten Rath. Jch will erkenntlich seyn. Leben Sie wohl. Gnaͤ- Satyrische Briefe. Gnaͤdiger Herr, A us der Sache wollen wir bald kommen. Koͤn- nen Sie schwoͤren? Jn einer Viertelstunde kann man zehn Wechsel abschwoͤren. Jch weiß, das ich mit einem Cavalier rede, der die gemeinen Vorurtheile nicht hat, die man den Poͤbel laͤßt; sonst wuͤrde ich nicht so gerade zu mit Jhnen reden. Jch verlange gar nicht, daß Sie einen falschen Eid thun sollen. Sie sollen nur bey dem Eide etwas anders denken, als der Klaͤger denkt, und als Sie gefragt werden. Sie schwoͤren alsdann kei- nen falschen Eid, sondern nur den Eid nicht, den man von Jhnen verlangt hat. Wie man das ei- gentlich mache, das will ich Jhnen muͤndlich sa- gen, wenn ich die Gnade habe, Jhnen aufzuwar- ten, denn ich denke uͤbermorgen wieder aus zu gehen, so Gott will, und mein Medicus. Sollten Die- selben wider alles Vermuthen, nehmen Sie mir es ja nicht ungnaͤdig, daß ich dergleichen von ei- nem so artigen Hofmanne denke, sollten Sie wi- der alles Vermuthen, ein Bedenken dabey finden, und, in der Sprache des gemeinen Mannes zu reden, zu gewissenhaft dazu seyn, so wollen wir es an einem andern Ende angreifen. Wie alt sind Ew. Gnaden gewesen, als Sie den Wechsel uͤber die 2000 Thlr. ausstellten? Und wenn nur noch zwo Minuten an fuͤnf und zwanzig Jahren fehlen: so soll Herr N. nicht so viel ‒ ‒ ‒ kriegen. Das wird Jhnen doch keine Gewissensbisse machen, wenn Satyrische Briefe. wenn Sie Sich des Rechts bedienen, das Jhnen die Gesetze geben? Haben Sie Jhren Namen ganz unter dem Wechsel ausgeschrieben? Jch wollte, es fehlte was, und wenn es auch nur ein D. fuͤr ein T. waͤre, es sollte Jhren Glaͤubiger warm genug machen. Koͤnnen Sie Sich wohl noch erinnern, ob Sie die 2000 Thlr. baar, und in den Sorten, worinnen Sie verschrieben worden, ausgezahlt be- kommen; oder haben Sie gute Sorten gegen schlechte verschrieben? Hat Jhnen der Kaufmann etwan Waaren daran gegeben, oder unter dem Titel von Provision, Agio und dergleichen viel ab- gezogen? Besinnen Sie Sich ja recht. Jhre Christenpflicht, und die Gesetze verbinden Sie, auf diesen Fall dem Wuchrer nicht nachzusehn, son- dern ihn andern zum Exempel zu zuͤchtigen. Jch habe verschiednemal diesen casum in terminis vor dem Consistorio mit gutem Erfolge ausgefuͤhrt. Koͤnnte nicht etwan Jhr Sekretair den Wechsel vorher zu sehen bekommen? Das waͤre ein Mei- sterstreich! Er muͤßte ihn den Augenblick in Stuͤ- cken zerreissen, und zum Fenster hinaus werfen. Was will der Kaufmann hernach mit dem Sekre- tair anfangen? Verklagen? Dafuͤr lassen Sie mich sorgen. Es soll ihm dreytausend Thaler ko- sten, ehe er die 2000 Thlr. wieder kriegt. Man wirft dem Richter eine Hand voll Ducaten an den Kopf, so ist er blind und taub. Kurz, dafuͤr las- sen Sie mich sorgen; und was Jhr Sekretair thut, das ist nicht Jhre Suͤnde. Gefallen Jhnen alle diese Satyrische Briefe. diese Vorschlaͤge nicht: so will ich Jhnen noch ei- nen andern thun. Recognosciren Sie den Wech- sel nicht. Wenn ihn die Gerichte produciren, so stellen Sie Sich so trunken, daß Sie weder reden noch sehen koͤnnen. Sie gewinnen doch wieder ei- nige Stunden Luft; koͤmmt Zeit, koͤmmt Rath. Wenn alle Straͤnge reißen, so weiß ich noch ein Mittel; aber das ist freylich ein verzweifeltes Mit- tel. Jch habe es bey andern Gelegenheiten mit gutem Vortheil gebraucht. Mit einem Worte, Gnaͤdiger Herr, ich will Sie naͤrrisch machen, so bald es Jhnen gefaͤllt. Befehlen Sie nur. So naͤrrisch, daß Sie selbst nicht wissen sollen, wie Sie daran sind. Noch eins. Was meynen Sie, wenn ich Jhnen von Jhrem Glaͤubiger einen Wech- sel auf dreytausend Thaler schaffe, die er von Jh- nen geborgt hat? Den Augenblick sollen Sie den haben. Mein Schreiber kann alle Haͤnde nach- malen; und wie man die Siegel nachdruckt, das verstehe ich. Jch mag das Ding ansehn, von wel- cher Seite ich will, so gefaͤllt mir dieser Vorschlag am besten. Haben Sie doch nicht noͤthig, ihn auf die 3000 Thlr. zu verklagen; es ist genug, wenn Sie ihm zu eben der Zeit mit dem Arreste drohen, da er sich gegen Sie unnuͤtze macht. Und treibt er die Sache gar zu weit; gut, so muß er sie bezahlen; geben Sie ihm seine 2000 Thlr. davon, und wenn Jhnen das dritte tausend auf dem Gewissen liegt, so geben Sie es nur mir, ich will mit meinem Gewissen schon zu rechte kommen. Wenn Satyrische Briefe. Wenn ich Zeit haͤtte: so wollte ich Jhnen noch mehr Wege vorschlagen, wodurch Sie Sich ret- ten koͤnnen. Lesen Sie Sich inzwischen hier aus, was Sie wollen. Jch bin allemal zu Jhren Dien- sten. Jch erwarte Jhren Entschluß, und bin mit aller Hochachtung ꝛc. N. S. Jch wollte wohl sehen, daß ich morgen zu Jhnen kommen koͤnnte; aber ich habe von vielen Jahren her allemal Dienstags meinen Fasttag, und arbeite vor der Son- nen Untergang nicht. Jch halte dieses Geluͤbde so heilig, daß ich es nicht breche, und wenn ich hundert Dukaten zu verdie- nen wuͤßte. Es ist auf die Mittewoche noch Zeit genug. Ueberlegen Sie es in- zwischen. Das Abschwoͤren des Wech- sels waͤre gewiß das beste Mittel. Wie Sie wollen, Gnaͤdiger Herr! Hochgeehrter Herr Doctor, J ch will es Jhnen aufrichtig gestehn. Von al- len Jhren Vorschlaͤgen, die Sie mir gethan haben, gefaͤllt mir nicht ein einziger. Sie sind sehr praktisch, es ist wahr; und ich glaube gewiß, daß es hundert Personen von meinem Stande giebt welche niedertraͤchtig genug sind, derglei- chen Mittel zu ihrer Rettung zu ergreifen. Jch mache Jhnen deswegen keinen Vorwurf. Die unbestimmte Art, mit der ich Sie um Jhren Bey- stand Satyrische Briefe. stand ansprach, und mit der Sie vielleicht von vie- len angesprochen worden sind, die, wie Sie Sich ausdruͤcken, so poͤbelmaͤßig gewissenhaft nicht sind, als ich es bin; diese freye Art, sage ich, hat Jhnen vermuthlich ein Recht gegeben, von mir eben so nachtheilig als von andern meines gleichen zu den- ken, und mir Vorschlaͤge zu thun, uͤber die ich mich in ihrem Namen schaͤmen muß. Die unruhigen Umstaͤnde, in denen ich mich diese Messe wegen verschiedner druͤckenden Schul- den befinde, haben mir Gelegenheit gegeben, uͤber mich selbst ernsthafter nachzudencken. Jch finde es, daß ich von meinen ersten Jahren an leicht- sinnig genug gewesen bin, Gelder aufzuborgen, ohne zu wissen, ob ich iemals im Stande seyn wuͤr- de, sie wieder zu bezahlen, und ohne mich durch die- sen Gedanken lange zu quaͤlen. Die vernuͤnftige Vorsicht meines Vaters, die ich in meinen akade- mischen Jahren Geiz nannte, gab mir das, was zu einer standesmaͤßigen Auffuͤhrung und zu mei- nem Studiren gehoͤrte, uͤberfluͤßig, dasjenige aber nur nothduͤrftig, was ich zu meinen Nebenvergnuͤ- gen brauchte. Jch gerieth in eine Gesellschaft jun- ger Leute, welche, ihrem Range nach, weniger wa- ren, als ich, und gleichwohl mehr Aufwand ma- chen konnten. Ein uͤbelverstandner Ehrgeiz noͤ- thigte mich, es ihnen gleich zu thun. Dieses konn- te ich nicht thun, ohne Schulden zu machen, und ich fiel einigen Wuchrern in die Haͤnde, welche mei- ne Thorheit zu ihrem Vortheile misbrauchten. Die- ses stuͤrzte mich von einer Schuld in die andre. Jch C c hatte Satyrische Briefe. hatte mir vorgenommen, sie redlich zu bezahlen. Jch that es auch wirklich bey dem Tode meines Vaters, dessen Verlassenschaft aber so ansehnlich nicht war, daß ich es ohne meine Unbequemlichkeit haͤtte thun koͤnnen. Die Gelegenheit, die ich fand, bey Hofe mein Gluͤck zu machen, noͤthigte mich zu einem Aufwande, der uͤber meine Kraͤfte gieng. Jch borgte vom neuen, und bey ieder Stufe, die ich hoͤher stieg, verwickelte ich mich in neue Schulden. Diejenigen, die mir itzt Geld vorstreckten, waren groͤßtentheils eben so ungewissenhaft, als diejenigen Wuchrer, welche mich auf Schulen gepluͤndert hat- ten. Mit einem Worte, eine jede Schuld noͤthigte mich, eine noch schlimmere Schuld zu machen, um mich von jener zu befreyen; und ich wagte alles dar- an, um den Ruhm nicht zu verlieren, daß ich ein ehrlicher Mann sey. Nunmehr bin ich aber so weit getrieben, daß ich nicht mehr weiß, wie ich mich ret- ten soll. Sehn Sie, mein Herr, das ist die wahre Ge- schichte meines Ungluͤcks, und die Genealogie aller meiner itzigen Schulden. Jch habe sie Jhnen mit Fleiß so umstaͤndlich geschrieben, damit Sie nicht allein Gelegenheit haben sollen, von mir besser zu denken, sondern auch von andern Cavaliern eine bil- ligere Meynung zu fassen, die, wie ich, ihre Schul- den nicht bezahlen koͤnnen, und die oft bey dem red- lichsten Herzen, das Sie haben, bankrut werden muͤssen. Sie werden nach und nach eingeflochten, bis Sie ganz verlohren gehn. Die Ungerechtigkeit ihrer Glaͤubiger, unrichtige Begriffe von der Ehr- begier- Satyrische Briefe. begierde, eine Unachtsamkeit in ihrer Wirthschaft, und die traͤumende Hoffnung auf ein unerwartetes Gluͤck, das Sie retten soll; dieses sind die gemein- sten, und wichtigsten Ursachen an dem Umsturze der groͤßten Haͤuser. Von denen rede ich nicht, welche muthwillige Betruͤger sind, und deren sind sehr viele; nur von denen rede ich, die, wie ich, unvorsichtig ge- nug, aber doch ehrlich sind. Nun stellen Sie sich einmal vor, wie sehr ich durch Jhren Brief muß gedemuͤthigt worden seyn, da ich sehe, daß Sie mich fuͤr einen Betruͤger, und nicht fuͤr einen verungluͤckten Mann ansehen, wel- cher ein Mittel sucht sich zu retten, ohne sein Gewis- sen und seine Ehre zu verlieren. Und beides muͤßte ich verlieren, wenn ich nur einen einzigen von Jhren Vorschlaͤgen annaͤhme. Es gehoͤrt wirklich eben so wenig Verstand da- zu, einen verstellten Eid zu leisten, als wenig Ver- stand noͤthig ist, iemanden dergleichen anzurathen. Da ich noch in der ersten Classe saß, sahe ich diese Weisheit schon ein, und mein Praͤceptor, so ein- faͤltig er auch war, uͤberfuͤhrte mich doch, daß der- gleichen Kunstgriffe auch den niedrigsten Poͤbel schaͤndeten. Jhnen, als einem Rechtsgelehrten, darf ich das nicht weiter erklaͤren, und da Sie ein Christ sind, der Gott zu Ehren alle Wochen einmal fas- tet: so werden Sie besser, als ich, uͤberzeugt seyn, wie abscheulich dergleichen betruͤgrische Eide sind. Jch weiß die Gesetze wohl, die uns von der Verbindlichkeit des Wiederersatzes lossprechen, wenn man in einem gewissen Alter geborgt hat; aber das C c 2 weiß Satyrische Briefe. weiß ich auch, daß uns in gewissen Faͤllen die Eh- re dazu verbindet, wenn es gleich die Gesetze nicht thun. Die Vorsicht der Gesetzgeber war noͤthig, die Bosheit derjenigen zu steuern, die sich unsers ju- gendlichen Unverstandes bedienen, um etwas zu ge- winnen; wider diejenigen aber duͤrfen wir uns die- ses Mittels nicht bedienen, die uns als ehrliche Leu- te geholfen haben, wir setzen uns sonst in eine Classe mit den Wahnwitzigen und Verschwendern, fuͤr welche die Gesetze auf eben die Art gesorgt haben. Bin ich in meinem fuͤnf und zwanzigsten Jahre nicht eben so verbunden ehrlich zu seyn, als im sechs und zwanzigsten? Der Taufschein wird mich wider mein ehrliebendes Gewissen nicht schuͤtzen, wenn es mich auch wider den Richter schuͤtzt. Mit einem Worte, dergleichen Rechte der Unmuͤndigen sind meistentheils nur eine Zuflucht der unbesonnenen Jugend, welche ohne Verstand borgt, oder der Be- truͤger; beides mag ich mir nicht vorwerfen lassen. Was soll ich von Jhren uͤbrigen Mitteln sagen, die Sie mir vorschlagen? Befreyt mich eine unvoll- kommne Unterschrift von der Verbindlichkeit, die ich haben wuͤrde, wenn ich auch gar nichts unterschrie- ben haͤtte? Seinem Glaͤubiger den Wechsel mit Gewalt aus den Haͤnden zu reissen, ist eine Art ei- nes Raubes, die das Rad verdient, und nicht den Beyfall der vernuͤnftigen Welt, wenn auch diese ver- nuͤnftige Welt nicht einmal ehrlich waͤre. Ueber den Vorschlag, mich naͤrrisch zu machen, will ich mich nicht erklaͤren. Sie haͤtten verdient, daß Satyrische Briefe. daß ich Jhnen die Antwort durch meinen Bedien- ten geben ließ. Der Einfall, einen falschen Wechsel auf den Namen meines Glaͤubigers zu schreiben, ist nur Jh- rer werth, und mir zu abscheulich, als daß ich noch ein einziges Wort davon sagen sollte. Jch bin niemals so fest Willens gewesen, mei- nen Glaͤubiger, der mir redlich gedient hat, auch red- lich wieder zu bezahlen, als itzt, da ich aus Jhrem Briefe sehe, wie niedertraͤchtig man seyn muß, wenn man es nicht thun will. Was ich wuͤnsche, ist dieses, daß niemand von meinen Freunden in so verzweifelte Umstaͤnde gera- then moͤge, sich Jhrer Huͤlfe zu bedienen. Leben Sie wohl. Herr Sekretair, J ch bin ungluͤcklich, ohne Huͤlfe ungluͤcklich! Alle meine Schulden sind mit einem male aufge- wacht. Sie verfolgen mich, und ich muß noch die- sen Abend vor ihnen fliehen. Wollte Gott, ich koͤnn- te mich vor mir selbst verbergen! Jch schaͤme mich meiner, und das Verlangen, alle meine Glaͤubiger zu bezahlen, und ehrlich zu bleiben, entschuldigt mich weder bey mir selbst, noch vor den Augen der Welt. Sie werden bey dem Herrn Oberstlieutenant er- fahren, wo ich mich aufhalte. Beschleunigen Sie Jhre Ruͤckreise, Sie moͤgen die Sache zu Stande gebracht haben, oder nicht. Jch lege Jhnen alle die Mahnbriefe bey, die gestern und heute an mich ge- kommen sind. Sie finden bey einem jeden meine C c 3 Ant- Satyrische Briefe. Antwort. Wie sehr bin ich gedemuͤthigt, daß ich habe muͤssen die Sprache der boͤsen Schuldner an- nehmen! Beruhigen Sie meine Glaͤubiger, so gut Sie koͤnnen. Sie sollen alle bezahlt werden, alle ehrlich bezahlt werden; aber gerechter Gott! wenn? womit? Das weiß ich nicht! Jch Un- gluͤcklicher! Kommen Sie zuruͤck! Geschwind kommen Sie zuruͤck! Jch muß fort. Gnaͤdiger Herr, N un kann ich Jhnen nicht laͤnger nachsehn. Die 2000 Thlr. muß ich morgen auf den Abend haben, oder ich bediene mich der Mittel, die Sie wissen. Jch thue es ungern; aber ich werde selbst gedraͤngt. Sie haben mich von einem Tage zum andern aufgehalten. Laͤnger kann ich nicht nachsehn, ohne meinen Credit selbst zu verlieren. Das werden Sie mir nicht zumuthen. Machen Sie Sich keinen Schimpf; und wenn Sie es doch thun, so geben Sie mir die Schuld nicht. Jch erwarte mein Geld ohne Verzug, und verharre mit unterthaͤnig- ster Hochachtung Ew. Gnaden u. s. w. R ‒ ‒ ‒ Antwort. Mein Liebster Herr R ‒ ‒ ‒ E s ist billig, Sie sollen bezahlt werden. Laͤngstens auf den Freytag fruͤh. Bis dahin haben Sie noch Satyrische Briefe. noch Geduld. Jch soll morgen Geld haben, das mir ein guter Freund schuldig ist. Sie haben mir als ein ehrlicher Mann gedient, und ich habe den Wil- len, als ein ehrlicher Mann zu bezahlen. Jch bin mit meinem Pachter ungluͤcklich gewesen, es waͤre sonst schon vor der Messe geschehn. Waren es nicht Louis blanc, die Sie mir vorstreckten? Jch glau- be, ja; gut, Sie sollen sie haben, oder doch wenig- stens das agio. Was thun Sie gegen Maxdor? Schicken Sie nur auf den Freytag fruͤh zu mir, und den Wechsel mit. Jch werde Jhre gefaͤllige Nachsicht niemals vergessen, und Jhnen dienen, wo ich kann. Leben Sie wohl. N. S. Koͤnnen Sie einen hollaͤndischen Brief auf 500 Thlr. brauchen? Gnaͤdiger Herr, D ieselben erhalten durch meinen Ladendiener den Auszug fuͤr die ausgenommenen Stoffe, und andre Waaren. Es wird Jhnen nicht schwer fal- len, die kleine Post an 600 Thlr. zu bezahlen. Meine Freunde haben mir gerathen, es gerichtlich zu suchen, weil ich so oft vergebens darum bitten muͤssen. Es wuͤrde mir leicht seyn, es auszufuͤh- ren, da Sie die Rechnung schon unterschrieben ha- ben; ich will es aber nicht gern thun, um Jhnen das Vergnuͤgen zu lassen, daß Sie Jhre gegebne Ca- valierparole ohne richterlichen Zwang erfuͤllen. Jch bin mit unveraͤnderter Ehrfurcht Ew. Gnaden u. s. w. C c 4 Mein Satyrische Briefe. Mein Herr, J hre Freunde kennen mich und Sie nicht, sie wuͤr- den Jhnen sonst billiger rathen. Jch will es Jhnen nicht vorruͤcken, daß Sie mir den Preis der Stoffe zu hoch angesetzt haben; es ist einmal ge- schehn, und ich habe mich dazu bekannt. Sie sol- len der erste nicht seyn, dem ich etwas schuldig blei- be. Jch erwarte Sie auf den Freytag Nachmit- tage. Sie werden wohl Doppien nehmen? Ha- ben Sie diese Messe etwas neues von Stoffen? Bringen Sie mir welche mit, so schoͤn Sie solche haben. Jch bezahle baar. Es soll zu einer Messe fuͤr meine Frau. Nur nicht gar zu bunt. Ver- stehen Sie mich? à Dieu. Gnaͤdiger Herr, M ein Advocat wird Jhnen gesagt haben, daß der uͤber die Juwelen ausgestellte Wechselbrief an 2500 Thlr. an der Peterpaulmesse gefaͤllig gewesen ist. Sie haben mich bis auf heute vertroͤ- stet, und ich nehme mir die Freyheit, mich unterthaͤ- nig zu erkundigen, um welche Stunde ich Jhnen aufwarten darf. Sie wissen noch, Gnaͤdiger Herr, wie genau Sie gehandelt haben, und koͤnnen gewiß glauben, daß ich nicht fuͤnf Thaler daran verdiene. Destoweniger wird mir es zuzumuthen seyn, laͤnger nachzusehn, da die ganze Summe mein baarer Verlag ist. Brauchen Sie sonst diese Messe etwas, so werden Sie gnaͤdig befehlen, und ich werde Jh- nen damit dienen, so bald ich meine 2500 Thlr. von Jhnen bekommen habe. Sollte mein Advocat sich diesen Satyrische Briefe. diesen Morgen bey Jhnen melden: so sagen Sie ihm nur, daß die Sache bis gegen Abend Anstand haͤtte. Weisen Sie ihm allenfalls diesen Brief, da- mit er nicht nach der Ordre verfaͤhrt, die ich ihm gestern Abends gegeben habe. Er war heute fruͤh nicht zu Hause, als ich zu ihm schickte. Sie sehen, Gnaͤdiger Herr, mit wie viel Vorsorge ich mir an- gelegen seyn lasse, Jhnen zu zeigen, daß ich mit un- terthaͤnigem Respecte sey Ew. Gnaden, ꝛc. Antwort. Hochgeehrtester Herr, H at Jhnen denn mein Sekretair das Geld noch nicht ausgezahlt? Das ist ganz unverant- wortlich! Jch habe es ihm schon am Montage be- fohlen. Er mußte am Dienstage fruͤh wegen einer dringenden Angelegenheit verreisen, und hat in der Eil aus Unvorsichtigkeit meine Casse und alles in seinem Beschlusse behalten. Laͤngstens kuͤnfti- gen Sonnabend koͤmmt er gewiß wieder. Ha- ben Sie so lange Geduld. Jch will ihm seine Un- vorsichtigkeit verweisen, daß er es empfinden soll. Man ist doch gar zu ungluͤcklich, wenn man sich auf andre Leute verlassen muß. Es verdrießt mich doppelt, daß er so einen ehrlichen Mann, wie Sie sind, so lange warten laͤßt. Sie sollen Jhr Geld haben. Es ist schon abgezaͤhlt, ich weiß es. Einen tollern Streich haͤtte mir mein Sekretair nicht ma- chen koͤnnen! Sie sollen Jhr Geld richtig haben. C c 5 Jhr Satyrische Briefe. Jhr Advocat ist noch nicht bey mir gewesen. Aber wozu brauchen denn zween so gute und alte Freun- de, als wir sind, einen Advocaten? Das haͤtten Sie nicht thun sollen, gewiß nicht, mein Herr. Ein Wort, ein Wort; ein Mann, ein Mann! Jch be- zahle meine rechtschaffnen Freunde ehrlich, und wenn weder Advocaten noch Richter in der Welt waͤren. Diese Messe werde ich nichts brauchen. Jch habe mich vom Gelde entbloͤßt, und Sie wis- sen wohl, ich kaufe ohne Noth nicht gern, wenn ich nicht gleich, oder doch bald bezahlen kann. Den Augenblick faͤllt mir etwas ein. Die Prin- zessinn von ‒ ‒ ‒ will eine Haarnadel kaufen; sie muß aber schoͤn seyn. Dabey waͤre ein Thaler zu verdienen. Soll ich Sie vorschlagen? Kommen Sie uͤber morgen fruͤh in die Antichambre, da wer- den Sie mich finden. Oder, wissen Sie was: lie- ber auf den Markt; da wird die Prinzessinn um eilf Uhr selbst seyn. Sehn Sie, wie freundschaftlich ich fuͤr Sie sorge. Aber bringen Sie Jhren Advo- caten nicht mit; Jhre Durchlauchten moͤchten sich vor seiner Peruͤke entsetzen. Gewiß, das Compli- ment von Jhrem Advocaten kann ich Jhnen noch nicht recht vergeben. Was geschehn ist, ist geschehn. Wir wollen gute Freunde bleiben. Leben Sie wohl, bis auf Wiedersehn. u. s. w. Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr, D as Absterben meines seligen Mannes hat mich in kuͤmmerliche Umstaͤnde gesetzt. Die Gnade, die Ew. Satyrische Briefe. Ew. Hochwohlgeb. gegen ihn ehedem bezeigt, werde ich nunmehr fuͤr mich, und meine armen unerzognen Kinder unterthaͤnig ausbitten. Die erste Probe von Dero gnaͤdigen Vorsorge wird diese seyn, wenn Sie die Veranstaltung treffen, daß der itzige Messe verfall- ne Wechsel an 550 Thlr. ausgezahlt werde. Er ist meinem aͤltesten Sohne auf sein Antheil im Erbe zuge- fallen, und weil er im Begriffe steht, auf die Universi- taͤt zu gehen: so muß er diese Post zu seinem nothduͤrf- tigen Unterhalte aufnehmen. Es beruht sein ganzes Gluͤck darauf, da er sonst nichts zu leben hat, und von mir auf keine Art unterstuͤtzt werden kann. Ew. Hoch- wohlgeb. Gnad. sind als ein großmuͤthiger Beschuͤtzer armer Waisen bekannt, und ich zweifle an gnaͤdiger Gestattung meiner Bitte im geringsten nicht, da es Jhnen so leicht fallen muß, mit dieser Kleinigkeit ein armes Kind gluͤcklich zu machen, welches die Gnade gehabt hat, sein ganzes Vermoͤgen Jhren Haͤnden zeit- her zu uͤberlassen. Gott, der Gott der Wittwen und Waisen, wird ein reicher Vergelter feyn, und Jhr ho- hes Haus seegnen. Jch bin mit der tiefsten Devotion Ew. Hochwohlgeb. Gnaden demuͤthigste Dienerinn. N. Antwort. Liebe Frau Magisterinn, S ie verlangen das Jhrige auf eine so bescheidne, und verpflichtende Art zuruͤck, daß ich mich schaͤmen muß, so lange Jhr Schuldner gewesen zu seyn. Es koͤmmt mir freylich die Aufkuͤndigung des Wechsels itzt ein wenig unvermuthet; aber ich will Rath schaffen. Kann es nicht gleich in der Messe seyn: so soll es doch geschehen, so bald ich nach Hauso komme. Jch thue nichts Satyrische Briefe. nichts, als was meine Schuldigkeit ist; und wenn Jhr lieber Sohn fromm und fleißig ist, so will ich weiter fuͤr ihn sorgen. Jch will noch heute versuchen, ob es moͤglich ist, ein Procuraturstipendium fuͤr ihn auszu- wirken. Er kann sich, wenn er herkoͤmmt, bey dem Herrn Professor N. melden, der mir versprochen hat, ihm einen Freytisch zu geben. Die Collegia soll er auch bey ihm umsonst hoͤren. Der ehrliche Mann thut mir alles zu Gefallen, was ich verlange. Mit einem Worte, ich will fuͤr ihn sorgen, und wenn er nach Leip- zig geht, kann er erst auf mein Gut zu mir kommen, und das Geld gegen den Wechsel heben. Jch bin diese kleine Bemuͤhung der Freundschaft schuldig, die mir Jhr seliger Mann erwiesen hat. Seyn Sie von meiner Aufrichtigkeit uͤberzeugt, und leben Sie allemal wohl. Nota! Der Herr Sekretair wird sorgen, daß diese ehr- „liche Frau vor allen andern bezahlt wird. Da- „vor behuͤte mich Gott, daß ich auch die Thraͤnen „der Wittwen und Waisen auf mich laden sollte. „Diese Schuldpost nagt mich am Herzen. Jch „habe noch vor meiner Abreise mit dem Professor „geredet, er hat mir es versprochen. Sorgen Sie „ja fuͤr die arme Frau. Jhr Mann war ein recht- „schaffner Mann. Sie muß ihr Geld nach der „Messe haben, es komme her, wo es wolle.„ Hochwohlgebohrner Herr, Hochgeehrtester Herr Bruder, J ch habe diese Messe verschiedne Baͤre los zu binden, um deßwillen ich den Herrn Bruder ersuche, das kleine Wechselchen an 400 Thlr. meinem Agenten zu bezahlen. Da ich es Jhnen drey Jahre ohne Jnter- essen creditirt habe: so versehe ich mich gewisser Zah- lung. Es steht ohnedem in meiner Gewalt nicht, laͤn- ge Satyrische Briefe. ger nachzusehn, da ich den Wechsel an Herr N. und Compagnie gegen eine Schuldfoderung cedirt habe. Der Herr Bruder wissen, wie diese Juden sind, und daß sie mit ihren Schuldnern so saͤuberlich nicht verfah- ren, als wir von Adel mit einander umzugehn pflegen. Es sollte mir sehr leid seyn, wenn der Herr Bruder es zur Weitlaͤuftigkeit kommen ließen. Jch wenigstens waͤre ganz außer Schuld, denn der Wechsel ist nicht mehr in meiner Hand. Eben itzt erfahre ich von mei- nem Gerichtsverwalter, daß Jhr Herr Schwiegerva- ter diesen Abend sehr unbaß nach Hause gekommen sey. Wie Gott will! Der Alte verlaͤßt Pfennige; Sie werden Sich wohl troͤsten lassen. Die Hasenjagd ist heuer sehr schlecht. Das macht das liebe Hagelwet- ter. Der Teufel hat doch immer sein Spiel. Ge- stern Abends ist mir mein bester Fuchs im Stalle um- gefallen; ich glaube nicht, daß mir mein bester Freund so nahe gehen kann. Es war ein Fuchs, Trotz einem Fuchse! Der Donner hole mich, mein bestes Pferd war es! Und hiermit Gott befohlen. Auf die Be- zahlung des Wechsels verlasse ich mich also gewiß, und bin u. s. w. Antwort. Hochwohlgebohrner Herr, Hochgeehrtester Herr Bruder, E s ist mir nicht lieb, daß Sie meinen Wechsel von Sich gegeben haben. Jch werde ihn bezahlen, darauf koͤnnen Sie Sich verlassen, aber diese Messe ist es unmoͤglich, das sage ich Jhnen, es komme auch zu was es wolle. Daß Sie ihn drey Jahre ohne Jnteressen gehabt haben, ist mir bekannt; aber der Herr Bruder wissen auch, daß wir Spielschulden nicht zu verinteressiren pflegen. Sollte mich Herr N. aufs ausserste treiben, so werde ich gerichtlich sagen muͤssen, was Satyrische Briefe. was dieser Wechsel eigentlich ist; und es sollte mir na- he gehen, wenn ich, wider meine Gewohnheit, der- gleichen Ausflucht brauchen muͤßte, da ich wirklich Wil- lens bin, den Wechsel zu bezahlen, und wenn er noch un- guͤltiger waͤre. Jch haͤtte mich zu Jhrer Freundschaft wohl versehen, daß Sie mich den Zunoͤthigungen des Herrn N. und Compagnie nicht auf diese Art Preis geben wuͤrden. Jch habe ihnen sagen lassen, daß sie von mir anf diesen Wechsel nicht einen Dreyer bekom- men wuͤrden, und sie moͤchten ihren Regreß nehmen, an wen sie wollten, oder sonst thun, was ihnen gefiele. Der Herr Bruder werden also andre Anstallt machen, Jhre Schulden zu bezahlen. Jn kuͤnftiger Messe tra- ge ich diese Post ab; aber an niemanden, als an Sie, und auch nicht eher. Das habe ich bey mir beschlossen, und Sie kennen mich. Von der Krankheit meines Schwiegervaters weiß ich nichts. Die Nachricht wird wohl keinen Grund haben. Der rechtschaffne Mann sollte mich dauern, so hart er auch gegen mich und mei- ne Frau iederzeit gewesen ist. Jch bin unveraͤndert Ew. Hochwohlgeb. u. s. w. Gnaͤdiger Herr, W undern Sie Sich etwan, was ich will? Mein Geld will ich haben. Ja ja, im ganzen Ernste, mein Geld, das ich Jhnen so lange geliehen habe, und wenn ich das nicht kriege, so will ich Sie haben, oder es muͤßte keine Gerechtigkeit im Lande seyn. Tausend Thaler ist kein Pappenstiel, und ich habe Jhren Wech- sel daruͤber, wissen Sie das wohl, Gnaͤdiger Herr? Das ist keine Kunst, daß vornehme Leute in den Tag hinein borgen, und uns arme Leute hernach betruͤgen wollen. Sie haben mich nun seit zwo Messen bey der Nase herum gefuͤhrt. Jch bin der Complimente satt. Geld Satyrische Briefe. Geld, mein Herr, und kein Compliment, das will ich haben, oder Sie sitzen in vier und zwanzig Stun- den zwischen vier Mauern. Und sollte ich Sie zu To- de fuͤttern, so lasse ich Sie nicht aus dem Arreste, bis Sie zu Heller und Pfennigen bezahlt haben. Wie ge- sagt, das ist keine Kunst! Erst kommt ihr Herren, und strotzt von Gold und Silber, Gott weiß, ob ein Dreyer darauf bezahlt ist; und da sind wir armen Kaufleute eure gute Freunde, eure Herzens gute Freun- de, da herzt ihr und kuͤßt uns, bis ihr das Geld habt. Und wenn ihr es denn habt, so hole der Teufel den verfluchten Juden, der es wieder haben will, wenn der Wechsel verfallen ist. Halten Sie mirs zu Gna- den, daß ich so deutsch weg rede; aber es ist schlimm genug, daß es wahr ist. Wir armen Kaufleute muͤs- sen es uns lassen blutsauer werden, und wenn wir mit Angst und Noth ein paar Thaler Geld zusammen ge- raspelt haben, so koͤmmt so ein vornehmer Muͤssiggaͤn- ger, und betruͤgt uns drum. Jch meyne eben Sie nicht, Gnaͤdiger Herr; aber meine tausend Thaler muß ich auf den Donnerstag haben, oder es wird nicht gut. Kurz! Geld oder Arrest! Was Sie wollen. Jch bin Ew. Gnd. unterthaͤniger Diener Hanns Puff und Comp. Antwort. Mein lieber ehrlicher Hanns Puff, S ie bleiben doch der alte Deutsche, der Sie alle- mal gewesen sind. Sie sollen Jhr Geld haben, lassen Sie Sich nur nicht leid seyn. Wir wollen des- wegen allemal gute Freunde seyn. Kommen Sie auf den Freytag fruͤh zu mir, da sollen Sie es finden. Es gefaͤllt mir nur, daß Sie mit Jhren Freunden so we- nig Umstaͤnde machen. Wir verstehn einander schon. Mein Satyrische Briefe. Mein Sekretair soll Jhnen alles bezahlen. Er wird auf den Donnerstag Abend erst wieder kommen. Bis auf den Freytag warten Sie doch, mein guter Alter! Nicht wahr? Sie Sind doch nicht boͤse? Hchwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr, S ie sind gestern Abends kaum zur Stadt hinaus ge- wesen, als ich mit der Post hier ankam. Jch habe die Briefe, und Jhre Ordre gefunden. Die Ur- sachen meiner geschwinden Ruͤckkunft sind diese. Am Dienstage Abends kam Jhr Herr Schwiegervater ganz krank von der Fischererey zuruͤck. Jch fuhr zu ihm, so bald ich die Nachricht erhielt. Er war in Gefahr, und diese mehrte sich dergestallt, daß der Medicus schon an der Mittwoche fruͤh an seinem Aufkommen zwei- felte. Jch bin von seinem Bette nicht weggekommen, weil er zusehends schwaͤcher ward. Er bezeigte ein gro- ßes Verlangen, Sie und die Frau Gemahlinn zuspre- chen. Es war aber unmoͤglich, weil er gegen Mitter- nacht in meinen Armen verschied. Jch habe sogleich von den Guͤtern Besitz nehmen, und alles versiegeln lassen. Jch konnte nicht eher, als gestern spaͤt hier ankommen so sehr ich auch eilte, Jhnen Nachricht davon zu geben, und Jhnen mein unterthaͤniges Beyleid muͤndlich zu bezeigen. Von dem Herrn Oberstlieutenant habe ich auch nicht eher als diesen Mittag Jhren Aufenthalt erfah- ren koͤnnen. Diesen Vormittag habe ich angewendet, Jhre Glaͤubiger zu beruhigen. Die ansehnliche Ver- lassenschaft des sel. Herrn Schwiegervaters hat sie so gefaͤllig gemacht, daß sie Ew. Gnaden nicht allein nach- sehen, sondern mit ihrem ganzen Vermoͤgen unterthaͤ- nig aufwarten wollen, wenn Sie es verlangen. Hanns Puff und Compagnie haben mich beschworen, Sie ihrer unterthaͤnigsten Devolion zu versichern. Jch bin u. s. w.