F. C. Laukhards , Magisters der Philosophie und Sprachmeisters zu Halle, Leben und Schicksale, von ihm selbst beschrieben . Fuͤnfter Theil , welcher dessen Begebenheiten und Erfahrungen bis gegen das Ende des Jahres 1802 enthaͤlt. Leipzig , in Commission bey Gerhard Fleischer dem Juͤngern . 1802. Seinen wuͤrdigen und biedern Freunden zu Nordhausen , dem Herrn Commercienrath Neunhahn, dem Herrn Justitzcommissar Lange, und dem Herrn Candidat Ramsdahl , widmet diesen Band seiner Lebensgeschichte als ein Zeichen seiner Hochachtung der Verfasser. Vorbericht . H ier ist nun der fuͤnfte Band meiner Biogra- phie, welcher aber eigentlich der sechste seyn sollte: denn durch einen seltsamen Irrthum ist der fuͤnfte Band zur zweyten Abtheilung des vierten gemacht worden. Dieser Band erzaͤhlt meine Geschichte vom Jahr 1797 bis 1802, soll aber, wenn ich leben bleibe, das ganze Werk noch nicht schließen. Ich werde bald eine Reise nach jenen Provinzen ma- chen, welche durch den lezten fuͤr unser Deutsch- land so aͤußerst nachtheiligen Frieden an Frank- reich gekommen sind, von da aus werde ich den Elsaß, die Franche Comte und Bourgogne — ich bediene mich noch immer der alten Namen dieser Laͤnder — mit aufmerksamen Auge zu Fuße durchwandern, und meinen Ruͤckweg durch einen Theil der Schweitz, durch Schwaben und Franken nehmen: alles was mir notabel scheinen wird, werde ich fleißig notiren, und es unter dem Titel: Laukhards Reisen durch ei - nen Theil von Deutschland und Frank - reich : aber auch als den sechsten Band meiner Biographie herausgeben. Dieß ist alles, was ich fuͤr jetzt meinen Le- sern, welchen ich beßere Tage, als die meinigen sind, von ganzem Herzen anwuͤnsche. Geschrie- ben zu Halle, den 26ten August 1802. Fr. C. Laukhard. Erstes Kapitel. Ist statt einer Vorrede . A ls ich einigen meiner Freunde die Eroͤffnung machte, daß ich zur Ostermesse des Jahres 1802 den fuͤnften Theil meiner Biographie ans Ta- geslicht foͤrdern wuͤrde, schuͤttelten sie mit den Koͤpfen und meynten, ich haͤtte dem Publicum in vier ziemlich dicken Baͤnden genug von mir gesagt, und koͤnnte nun endlich wohl schweigen, zumal da meine Ichheit und meine Verhaͤltnisse von solcher Wichtigkeit nicht waͤren, daß die Quasi- Lesewelt dabey interessirt scheinen duͤrfte. Laukh. Leben 5ter Theil. A Die Freunde, welche so dachten und sagten, hatten allerdings Recht: aber ihre Gruͤnde sind nicht vermoͤgend mich zu bestimmen, meinen Vor- satz aufzugeben. Ich will mich erklaͤren: nicht um der Recensenten willen: denn diese moͤgen meine Arbeit aufnehmen wie sie wollen, daran liegt mir und meinem Publikum gar nichts, und ich wuͤrde mich auch vergebens bemuͤhen, vor den Augen der Recensirmaͤnner, besonders derer zu Jena, Erlangen und Berlin Gnade zu finden, da ich selbst schon mehrmals mein Glaubensbe- kenntniß von Recensisten und Recensisterey oͤffent- lich abgelegt, und dadurch mich den Herren schlecht genug empfohlen habe. — Also nicht we- gen der Recensenten, sondern um meine Leser von dem zu unterrichten, was sie in diesem Ban- de zu erwarten haben, soll hier meine Erklaͤrung uͤber die Herausgabe desselben das erste Kapitel ausfuͤllen. Ich weiß selbst, so gut und besser als sonst einer auf der ganzen Erde, wie wenig ich bedeu- te, und zu allen Zeiten meines Lebens bedeutet habe. Dieses Nichtvielbedeuten meiner Person haͤngt theils vom Schicksal, theils von meinem eig- nen Betragen ab: denn haͤtte jenes wollen Etwas aus mir machen, so haͤtte ich eben so gut Assessor eines Consistoriums, Hofrath, Regierungsrath, Pastor-Primarius in einer Reichsstadt, Leibarzt, oder wohl gar General und Minister werden koͤnnen, als andre es konnten: denn meine we- nigen Kenntnisse sollten mir bey der allmaͤchti- gen Leitung des Schicksals, welches die Griechen Ειμαϱμενη Diese Goͤttin soll nach dem Zeugniß des Jamblichus im Leben des Pythagoras sehr partheyisch seyn, und doch will der weise Kaiser Marcus Aurelius im 4ten Buche seiner Selbstphilosophie, daß der Mensch ihr, dieser Partheylichkeit ungeachtet, willig gehorchen und folgen muͤsse. Freylich wenn die Ειμαϱμενη unwiderstehlich ist, so waͤre es Thorheit ihr entgegen zu streben. nennen, eben so wenig im Wege gewesen seyn, als sie es andern waren und noch sind. Aber auch vom leidigen Schicksal abge- sehen, haͤtte ich mir vielleicht durch Schmiegen und Biegen eine Bedeutung verschaffen koͤnnen, die so manche auf diesen Wegen erlangt haben. Doch es sollte einmal nicht seyn, und jetzt, da ich dieses schreibe, ists zu spaͤt, mir eine Lage zu suchen, in welcher mich die Leute von unten auf anschauen und sagen duͤrften: hic est, Persius Sat. I. das heißt: seht einmal an, aus dem Laukhard ist doch auch noch ein Mann geworden. Ob ich nun gleich als ein unbedeutender Mensch, das ist, ohne Amt, ohne Reichthum, A2 ohne Glanz in der Welt lebe, so lebe ich doch nicht in obscuro, wie man sagt, das ist, als ein solcher, der kaum bis an die dritte Thuͤre von seiner Wohnung bekannt ist. Ich habe viele, recht sehr viele Bekannte, worunter auch große angesehene Maͤnner sind, und worunter ich einige meine Freunde, wenigstens so von Haus aus, nennen kann. Diese haben stets einigen Antheil an meiner Lage und an meinem Schicksal genom- men, und gerne gelesen, was ich von mir ge- schrieben, und gedruckt in die Welt geschickt ha- be. Diesen meinen Bekannten wird es denn auch nicht unangenehm seyn, wenn ich sie von dem unterrichte, was mir seit fuͤnf Jahren be- gegnet ist. Ueberdieß hat auch mancher, der mich nicht kennt, von Person naͤmlich, meine bisherige Geschichten gelesen, und wenn diese kei- ne lange Weile gemacht haben, so wird die Fortsetzung derselben gewiß auch keine machen. Ich erzaͤhle also meinen lieben Lesern was mir seitdem ich von ihnen im Jahr 1797 Abschied nahm, begegnet ist: sie finden zwar keine Groß- thaten, und keine Merkwuͤrdigkeiten, welche man den Annalen einverleiben muͤßte, um sie fuͤr die Nachwelt aufzubewahren, aber doch lesen sie hier manchen Vorfall, wobey sie theils lachen, theils den Kopf schuͤtteln werden, und mitunter auch solche, wobey sie nachdenken und nicht sel- ten in ihren eignen Busen greifen koͤnnen. Jede Lebensgeschichte ist ein Gewebe von Begebenhei- ten, wovon immer eine Ursache und Folge mit der andern verbunden ist, und wie die Anlage war, so ist jedesmal das Resultat: wenn dieß in manchen Selbst-Biographien nicht sichtbar ist, so kommt das bloß daher, weil der Herr Biograph entwe- der sich durch Verdrehung und Verstellung der Begebenheiten vor dem Publikum weißbrennen, oder Dinge ganz uͤbergehen wollte, deren Publi- citaͤt ihm unangenehm war. Dieß aber ist mein Fall nicht: denn ich suche keines Menschen Gunst und fuͤrchte keines Menschen Abneigung. Wer nichts mit mir zu thun haben will, mag mich immerhin gehen lassen, und ich kann mit voller Ueberzeugung sagen, daß mir nie jemand auf der Welt wirklich und in der Realitaͤt eben viel ge- nuͤtzt habe, so gut und brav es auch meine Freun- de mit ihrer Freundschaft moͤgen gemeynt haben. Daher habe ich auch nicht Ursache, mich irgend jemanden durch Ausstaffirung meines mir eignen Charakters zu recommandiren, sondern werde in Ruͤcksicht meiner selbst in diesem Theile meiner Historie noch aufrichtiger zu Werke gehen, als in den vorigen, wo ich zwar nichts verdrehte, aber doch Einiges verschwiegen habe, das ich vielleicht haͤtte erzaͤhlen sollen. Da ich aber auch gezwungen bin von mei- nem lieben Hannchen, welche seit beynahe fuͤnf Jahren meine Frau ist, mehr als einmal zu spre- chen, so wird vielleicht mancher die Nase ruͤm- pfen, und urtheilen, daß so ein Verfahren aͤußerst anstoͤßig und unwuͤrdig sey, und daß ein Mann die Fehler und Schnitzer seiner Frau fein huͤbsch mit dem Mantel der Liebe zudecken, wenigstens nicht der ganzen Welt aufdecken muͤsse. Wenn es mir drum zu thun waͤre, mich mit Exempeln zu vertheidigen, so koͤnnte ich die Le- bensbeschreibung des beruͤhmten und beruͤchtigten Doctor Bahrdts anfuͤhren, welcher seiner theuren Ehehaͤlfte nicht schlecht und viel aͤrger mitgespielt hat, als ich es je oͤffentlich in Schriften thun werde, gesetzt auch ich wuͤrde nichts wider die Wahr- heit sagen. Aber ich mag mich weder mit dem Beyspiel des Doctor Bahrdts, des großen Mil- tons, welcher das verlohrne Paradies schrieb, nachdem er sein eignes Paradies, naͤmlich das Gluͤck der Ehe, verlohren hatte, oder anderer Maͤn- ner rechtfertigen, wenn ich nicht auf die vor- theilhafteste Weise von meinem Hannchen spreche, sondern sage nur, daß ich so von ihr sprechen — mußte, wenn ich meiner Geschichte die noͤthige Vollstaͤndigkeit geben wollte. Außer meinen eignen Historien werden meine lieben Leser eine Menge fremde Personen be- treffende Anekdoten antreffen, welche ihnen, wie man sagt, nicht wenig Spaß machen sollen. Ich will zwar niemanden beleidigen, und mein Buch nicht zum Repertorium der skandaloͤsen Chronik ma- chen, wie einige Recensenten faͤlschlich von den ersten Theilen geurtheilt haben: aber ich bin auf alles aufmerksam was in meiner Nachbarschaft vorgeht, und da kann es mir niemand verdenken, wenn ich auch von andern das erzaͤhle, war mir Auffallen- des und Interessantes von ihnen in bonam et ma- lam partem will sagen zu ihrem Vortheil und Nach- theil, bekannt geworden ist. Daß ich meistens selbst die Personen nenne, geschieht deßwegen, daß mich niemand fuͤr einen kriechenden Panegyristen oder gar fuͤr einen furchtsamen Verlaͤumder halte. Dann sollen hier und da auch einige Retrac- tionen vorkommen. Ich muß bekennen, daß in den vorigen Theilen einige, obgleich nur wenige Unrichtigkeiten untergelaufen sind, woran sich bald dieser bald jener gestoßen hat. Diese Unrichtig- keiten werde ich bey Gelegenheit zu verbessern und zu berichtigen suchen, und um gleich eine Probe zu geben, so gestehe ich, daß die Th. 3. S. 126 von dem verstorbenen Kurfuͤrsten Maximilian von Coͤlln aufgetischte Anekdote, welche ein Gespraͤch dieses Fuͤrsten mit einer Schildwache zu Leipzig betrifft, voͤllig falsch ist. Man hatte diese Sage nach Halle gebracht, und sie da fuͤr gegruͤndet ausgegeben; selbst Leute von Ansehen, welche in guten, das ist solchen Cirkeln Zutritt haben, wo es vornehm nach kleinstaͤdtischer Mode hergeht, erzaͤhlten sich dieselbe: ich ließ mich durch das putative Ansehen der Erzaͤhler blenden, und war schwach genug nachzuplaudern, was mir vor- geplaudert worden war. So wie ich aber alles zuruͤcknehmen werde, was ich nun, als unrichtig habe kennen lernen, so soll auch alles, was mich betrifft, und noch nicht erzaͤhlt ist, aber doch den Leser interessiren koͤnn- te, nachgeholt werden, wohin unter andern eine gewisse Intrigue mit einem Goͤttingischen Frauen- zimmer gehoͤrt, welche ein gewisser Freund, der mich in Goͤttingen genau kannte, im ersten Theile vermißt hat. Sogar aus meinen fruͤhern Jahren werde ich einiges nachholen. Ich bin mehrmals oͤffentlich in allerhand Zeitungen, vorzuͤglich in dem Intelligenzblatt der Jenaischen faͤlschlich sogenannten allgemeinen Literaturzeitung — eine allgemeine Literaturzei- tung muͤßte doch wohl ein anderes Ding seyn, als das Recensirding von Jena — derb angegriffen worden von gewissen Herren, welchen meine Nach- richten aufgefallen waren. Auf diese theils grobe und impertinente, theils feinere und hoͤflichere Angriffe werde ich antworten, und zwar gebuͤh- rend, aber nur bey Gelegenheit: dem Herrn Hofrath Meyer zu Kuͤnzelsau im Hohenlohischen aber werde ich auch nicht einmal bey Gelegenheit Rede stehen. Dieser Mann fuhr im Jahr 1796 uͤber eine ihn bereffende Stelle aus dem ersten Theil dieser Biographie recht bitter her, und stellte mich als einen argen Laͤsterer an den Pran- ger. Ich schwieg, und behielt mir die Ant- wort auf eine andre Zeit vor: denn ich glaubte, da Herr Meyer fuͤnf Jahre lang geschwiegen hatte, meine Antwort pressire auch nicht. Zwey Jahre hernach schrieb er einen Privatbrief an mich, da er mich doch durch ein Publiclibell herunter gemacht hatte, und bat mich, das im Jahr 1781 zu Darmstadt vorgefallne Scandal zu un- tersuchen: da kam es mir denn vor, als maͤße man in Franken meinen Aussagen mehr Glau- ben bey, als dem Herren Hofrath Meyer, und ich haͤtte im Kopf vernagelt seyn muͤssen, wenn ich, wie Herr Meyer forderte, das Zeugniß des Traubenwirths zu Darmstadt haͤtte einholen und bekannt machen wollen. Will es aber Herr Hof- rath Meyer noch selbst thun, à la bonne heu- re; nihil impedio. Meine Schreibart mag ich nicht entschuldigen, sie ist etwas derb, und die Feinheiten des deut- schen Stils kenne ich so wenig, als die Moden und die Lavendelflaschen. Calamistris apud nos non est locus, sagte einst Merula in einem Brief an den Politianus, und so sage auch ich. Doch versichre ich, daß keine grobe, unanstaͤn- dige und noch weniger zotologische Ausdruͤcke vor- kommen sollen, wenn mir schon der Recensent in der auch faͤlschlich so benahmten allgemeinen deut- schen Bibliothek zur Ungebuͤhr vorgeschmissen hat, daß ich die Zotologie liebte. Zweytes Kapitel. Der Himmel haͤngt nicht lange voll Geigen . E in Griechischer Weltweiser — ich weiß nicht mehr welcher, und habe die Apophthegmata des Erasmus nicht bey der Hand, um nachzuschla- gen, wem die schoͤne Antwort eigentlich zugehoͤ- re, aber das thut auch nichts zur Sache — also ein alter Philosoph antwortete einem Freunde, der ihn gefragt hatte, ob er heirathen sollte oder nicht: nimm, Freund, nimm eine Frau, oder nimm keine, es wird dich gereuen auf je- den Fall. Der Mann hatte Recht, aber Unrecht war es doch von ihm, daß er als ein großer Kenner die Folgen des Heirathens und der Hagestolzerey nicht genauer bestimmte, in welchem Falle die Reue am staͤrksten sey, im ersten oder im andern naͤmlich so im Allgemeinen: denn gleich wie es keine durchaus anwendbare Regeln fuͤr das menschliche Betragen giebt, so giebt es auch keine fuͤr die Heirathen, doch daͤchte ich, daß das Coͤlibat lange nicht so viel verdrußvolle Stunden nach sich zoͤge, als der heilige Ehestand. Meine Leser sehen ohne mein Erinnern, daß diese Aeußerung bloß meine Privatgedanken ausdruͤckt, die ich durchaus nicht als richtig verkaufen mag, vorzuͤg- lich denen nicht, welche sich in ihrem lieben Binde- stande wohl befinden; von diesen uͤbergluͤcklichen Menschen gilt der Spruch des Dichters: Si quis amat, quod amare juvat, feliciter ardet, Gaudeat et vento naviget usque suo. Ovid. de Rem. Amor. L. I. Und ledigen Personen uͤber diesen Punkt predigen, heißt tauben Ohren predigen: ich hatte ja auch die sechste Satire des Juvenalis gelesen, wußte alles, was der Graf Passerani gegen den Ehestand gewitzelt, und der Graf von Rochester dawider raͤsonnirt hatte, die Meynungen des Tertullianus, Macarius, Hieronymus, Mar- tinus und vieler andrer Kirchenvaͤter, so wie die Moͤnchsgrillen von der Ehe, und von dem hohen Werth der Keuschheit, das ist, des Nichtheirathens waren mir recht gut bekannt — und doch nahm ich eine Frau. Am Ende des vorigen Theils versicherte ich meinen Lesern, daß ich in dem Besitz meines Hann- chens mein ganzes Gluͤck zu finden hoffte; aber wen hat die Hoffnung nicht schon oft haͤßlich be- trogen? „Ueber Jahr und Tag, sagt Herr Wums- haͤter in Lessings Misogyn, zu einem Paar Braut- leuten, werdet Ihr schon anders exclamiren.“ Das traf bey mir buchstaͤblich ein, nur daß nicht Jahr und Tag vergingen, bis ich anders excla- mirte. Doch naͤher zur Sache. Ich gelangte im September 1797 zum Besitz meines Hannchens, und nun hing mir der Him- mel voll Geigen, wie man zu sagen pflegt, wenn jemand am Ziel seiner Wuͤnsche, naͤmlich so nach seiner Meynung: denn andre Leute sehen meistens besser ein, wo uns der Schuh druͤckt, als wir selbst. Die ersten Tage gingen mir hin, wie sie einst den Auferstandenen im Himmel hingehen werden, nur daß mir in der Hochzeitnacht ein komischer Streich begegnete, den ich hier erzaͤh- len wuͤrde, wenn ich mich nicht vor den schiefen Urtheilen gewisser Leute fuͤrchtete, welche noch an Hexen und Bezauberungen glauben. Einige Tage nach der Hochzeit fand ich schon, daß ich die Rechnung ohne den Wirth gemacht hatte, Und daß man immer moͤge sagen, Wer liebt, sey lauter Herz; man hab' auch einen Magen. Meine Leser verstehn mich: der Mangel stell- te sich bald in meiner Wirthschaft ein, und mein Hannchen forderte einmal acht Groschen von mir, als ich gerade noch zwey Groschen vier Pfennige im Vermoͤgen hatte. Ich gab dieß wenige Geld hin; Hannchen lachte; „Schaͤcker,“ sagte sie, „ruͤcke doch heraus!“ „Ich hab nicht mehr, liebes Kind.“ „Ach, gackele nicht; gieb her, immer her!“ Große Noth hatte ich, das gute Kind zu uͤberzeugen, daß ich nichts mehr hatte, und zu dieser Ueberzeugung war eine Ocularinspection noͤthig. Hannchen wurde uͤberfuͤhrt, und weg war mit dieser traurigen Ueberzeugung ihre freundliche Miene. Ich fuͤhlte diesen Uebel- stand gleich, und fing an, Bemerkungen deßwe- gen zu machen. Ein mir durch die Seele gehendes Ach ! war die ganze vielbedeutende Beantwor- tung meiner ganzen philosophischen Dissertation uͤber die Genuͤgsamkeit. Verdrießlich und ohne zu wissen, wohin ich ge- hen sollte, verließ ich meine Wohnung und ging auf die Mail. An diesem Orte, einer Schenke einen Buͤchsenschuß vor der Stadt, findet man beynahe immer muntere Gesellschaft, aber keine aus- schweifende und renommistische, daher schaͤmen sich auch angesehene Maͤnner und Frauenzimmer nicht, die Mail zu besuchen. Hier traf ich ein juristisches Animal disputax an, das heißt, ein Menschenkind, welches von nichts redet, als von Pandekten, Codex, Novellen und Feudalbuͤchern. Dieser Hochgelehrte Herr nahm mich aufs Korn, und kaum hatte ich eine Kanone vor mir, die ich von Jungfer Dorchen auf Credit nahm, so packte er mich fest, und raͤsonnirte mir da ein Langes und ein Breites uͤber die beruͤhmte Constitution Omnem des Kaisers Justinianus vor: besonders beschaͤftigte ihn die wichtige Frage, warum in der Ueberschrift der Constitution der Antecessor Salaminius nicht vir illustris wie die uͤbrigen sieben, sondern bloß vir disertissimus genannt werde. Zum guten Gluͤck hatte ich einst die Constitutio Omnem auch gelesen und zwar mit Wielings gelehrten Anmerkungen, und war daher im Stande dem Großsprecher zu antworten. Der Mensch aͤrgerte sich, und gerieth vollends in den Harnisch, als der Schumachermeister Rehnius ihm gerade heraus sagte, Laukhard verstaͤnde vielleicht mehr von der Juristerey, als er. „Hole mich der Teufel, sagte er nun, ich verwette einen Tha er, Hr. Laukhard weiß nicht, was ein suus haeres ist.“ Rehnius . Nun, Magister, lassen Sie das auf sich sitzen? Ich . Der Herr B... spaßet nur. Hr . B. Nein, bey meiner Seele, es ist mein Ernst: ich setze einen Thaler, Sie wissen nicht was ein suus haeres ist. Ich . Eh bien, es bleibt dabey. Hr . B. (legt einen Thaler auf den Tisch). Hier: jetzt setzen Sie einen dagegen. Ich . Gleich: will erst wechseln. Es waͤre mir unmoͤglich gewesen, einen Gro- schen zu setzen, geschweige denn einen Thaler; allein ein guter Freund, der Hallor Eckhard, sonst Bauer genannt, riß mich aus der Verlegenheit, und streckte mir einen harten Thaler vor; ich setzte ihn, betete die Definition von suus haeres her, Ein suus haeres ist ein Erbe, welcher zur Zeit des Todes des Erblassers in dessen vaͤterlicher Gewalt, und und ge- wann meinen Thaler. Der gelehrte Herr aͤrgerte sich gar maͤchtig, wurde derb ausgelacht, und zog nach einigen Fluͤchen, und Tiraden uͤber halbgelehrte Juristen, zu welchen er aber selbst gehoͤrte, zum Tempel hinaus. Kaum war er fort, so erschien ein andrer wel- cher der Gesellschaft viel Spaß machte. Er hatte einst in Jena studiert, und sein Gespraͤch betraf bloß die Universitaͤt zu Jena und die Freyheiten der dasi- gen Studenten, welche er den auf der Mail versam- melten Buͤrgern vordemonstrirte. „Straf mich Gott, meine Herren, schrie er unter andern, Sie koͤnnen mirs glauben, und ich will ein in- famer Esel seyn, wenns nicht wahr ist, in Jena kann ich einen durchhauen fuͤr einen Laubthaler. Wenn ich mit einem Haͤndel habe, und will ihn hauen, so greife ich ihn auf der Straße oder sonst wo an, mir nichts, dir nichts, haue ihm das Fell durch, daß er den Priester begehren moͤgte, dann gehe ich hin zum Prorektor: „Diener, Ihr Magni- ficenz, hier ist ein Laubthaler, hab den Lumpen- kerl, wie nun der Kerl heißt, ausgegerbt, und das honorig.“ „Gut, gut, sagt dann der Pro- rektor, kommen Sie bald wieder, wir wollen auch zwar im naͤchsten Grade war §. 2. I. de haered. qual. et diff. also bloß Kinder und Kindeskinder, deren Va- ter todt ist. auch leben.“ Blox ist die ganze Sache rein abge- than. Ich hab einen gekannt, der schickte alle Monate, allemal auf den ersten, zwoͤlf Laubtha- ler an den Prorektor praenumerando: denn jeden Sonntag, Mittwoch und Freytag mußte er ei- nen durchhauen, das war so sein Gesetz. Der Mensch brachte seine Abgeschmaktheiten mit einer so zuversichtlichen Miene vor, daß die ganze Gesellschaft herzlich uͤber den Gecken lachen mußte, aber niemand glaubte dem Gewaͤsche: denn unsre Hallenser lassen sich nicht gerne etwas aufluͤ- gen. Gegen Abend kam mein Hannchen, sahe daß ich bezahlte, was ich geben ließ, visitirte mir also die Taschen, und da sie fand, daß ich Geld hatte, fing sie ordentlich an, mit mir zu expostuliren, daß ich ihr dasselbe verhehlt haͤtte. Ich erklaͤrte ihr die Art, wie ich zu einem Thaler gekommen war, aber ich hatte große Muͤhe, sie voͤllig zu uͤberzeu- gen. Ich wohnte in der Maͤrkerstraße bey dem Schnei- der Baum, welcher mir fuͤr zwanzig Thaler alte zerbrechliche Moͤbel uͤberlassen hatte. Ich haͤtte freylich weit bessere fuͤr so viel Geld haben koͤnnen, wenn ich im Stande gewesen waͤre, baar zu bezah- len: aber da ich auf Credit nehmen mußte, und Herr Baum mir versprach, vor Ostern kein Geld Laukh. Leben 5ter Theil. B zu fordern, so ließ ich alles gut seyn, und nahm das alte Geruͤmpel, als waͤre es taugbar und neu gewesen, gerne an. Ich dachte in diesem Stuͤck noch immer studentisch: wenn naͤmlich die Herren Academiker etwas auf Credit, oder nach ihrem Ausdruck, auf Pump haben koͤnnen, so ists schon gut, und sie sehen die gepumpte Sache als geschenkt an. Indessen schien es nicht, als wenn Meister Baum der Schneider lang borgen wollte. Schon am sechsten Tage nach meiner Hochzeit forderte er drey Thaler von mir. Ich wunderte mich uͤber den Menschen, da ich ihm doch seine Miethe auf ein halbes Jahr vorausbezahlt hatte, und sagte ihm, daß ich jezt kein Geld haͤtte. Baum, welcher sei- nen Kopf bey Hr. Adolph auf dem Steinweg he- roisch getrunken hatte, schwur bey allen himm- lischen und allen hoͤllischen Geistern, daß er voͤllig auf dem Hund sey und auf jeden Fall ausgepluͤn- dert werden wuͤrde, wenn ich ihm nicht aushuͤlfe. Er wolle aber in einigen Tagen alles zuruͤckgeben. Ich hatte Mitleiden mit dem fluchenden und schwoͤ- renden Schneidermeister, wendete mich an einen Freund, und dieser schickte mir zwey Thaler, die ich sofort dem Herrn Baum einhaͤndigte. Es vergiengen acht Tage, auch vierzehn Tage, und Baum redete gar nichts mehr von den zwey Thalern. Die Noth druͤckte mich, und ich erinner- te meinen Herrn Wirth so von weitem: aber Herr Baum stellte sich, wie die Hallenser sagen, eine halbe Stunde dumm, und that, als verstuͤnde er mich nicht. Ich mußte mich also naͤher und deutlicher erklaͤren. „Lieber Baum, sagte ich zu ihm, Sie ver- sprachen mir doch die zwey Thaler — Baum . Ich weiß alles, kuͤmmern Sie sich um nichts. Ich . Jetzt bin ich sehr gedraͤngt: wenn Sie doch Ihr Versprechen erfuͤllen koͤnnten — Baum . Alles will ich thun, lieber Magister: Hole mich der Teufel, wenn ich nicht mit dem an- dern warten will, bis zu Michaelis. Nun wußte ich, woran ich war: ich ließ den Baum stehen, und suchte einiges Geld aufzutrei- ben, welches mir damals auch nicht schwer fiel, da meine Scholaren fast alle ihre Wechsel bekamen. Das Jahr vorher hatte Baum die untersten Stuben nach der Gaße an einen gewissen Gebhard vermiethet, und dieser legte sich einen Bier- und Schnappshandel an. Er wuͤrde wenig Zulauf ge- habt haben, weil er nur hallisches Stadtbier und Stadtbreyhan schenken durfte, indeß die großen Keller allerley auswaͤrtige Getraͤnke verkaufen, wenn er es nicht fuͤr gut gefunden haͤtte, seine Schenke in ein Spielhaus zu verwandeln, und B2 alle Hasardspiele zu erlauben. Nun liefen alle spielsuͤchtigen Leute, deren Zahl in Halle Legion heißt, in Gebhards Schenke, und die Karten und die Wuͤrfel regierten Tag und Nacht, vor fruͤh vier oder fuͤnf Uhr ward es da nie Feyerabend, auch fielen mehrere grobe Exzeße in diesem Spielhause vor, und der Jaͤger des Generals Salomon wur- de einst dermaßen ausgepluͤndert, oder nach Spie- lerdialekt, ausgemistet, daß er im Hemde und ohne Hut in alten Schuhen, die ihm Gebhard noch aus Mitleid gab, abziehen mußte. Alle lustigen Bruͤder der Stadt besuchten diese Kneipe fleißig, und da es in Halle Mode ist, sol- chen Oertern Beynamen zu geben, so bekam auch Gebhards Niederlage einen dergleichen, naͤmlich den Zunamen Geige , dessen wahrer Ursprung mir aber unbekannt ist. Der Schneider Baum, welcher es sehr ungerne sah, daß seine Residenz einen Beynamen erhielt, und mit Recht schließen konnte, dieser Beyname wuͤrde bis auf spaͤte Zeiten hin fort- waͤhren, zankte sich deßwegen mit dem Schenkwirth Gebhard, und bot ihm in der Hitze aus. Geb- hard setzte an einem andern Orte seine patriotische Anstalt fort. Baum, der schon seit langer Zeit die Schere, Elle und Nadel fuͤr gar muͤhselige Instrumente an- sah, gab nun auf einmal die ganze Schneiderey auf, und fing an Kneipenwirthschaft zu treiben. Anfangs ging alles vortreflich; denn auch er er- laubte die Hasardspiele, und wer diese beguͤnstigt in seinem Hause, darf wegen Kundschaft nicht in Sorgen stehen. Da aber seine Kneipe den Namen Geige fortbehielt, und er oft damit geneckt wur- de, so gerieth er, besonders wenn ihm der Spiri- tus in die Krone gestiegen war, gar sehr in den Harnisch, und behandelte seine Gaͤste selbst mit der aͤrgsten Impertinenz. Daruͤber wurden dann die Gaͤste auch verdrießlich, und verlegten ihre Spiel- baͤnke sonst wohin. Meister Baum haͤtte leicht den Namen Geige dulten koͤnnen, da gewißen Haͤusern in Halle ganz andre Beynamen gegeben sind, z. B. Diebshoͤhle, blinde Herberge, Scheppenstaͤtt, Spa- dille-Manille, Rußloch, Studentenherberge, u. s. w. Die Besitzer dieser Haͤuser wissen diese Zu- namen, formalisiren sich aber nicht daruͤber, und thun wohl daran: denn kaͤme es unter die Leute, daß sie sich formalisirten, so waͤre des Spektakelns kein Ende, und der Schaden bliebe auf jeden Fall auf Seiten des Formalisanten, wie es sich mit dem Herrn Schneider Baum zutrug, welcher durch seine Grobheit alle Gaͤste verlohr. Drittes Kapitel. Ein Sprichwort ist nicht immer ein wahres Wort. D as Gegentheil von dem in der Ueberschrift die- ses Kapitels angegebnen Grundsatz ist selbst ein Sprichwort: aber so sehr ich auch selbst hin und wieder in meinen Buͤchern den Gebrauch der Sprich- woͤrter empfohlen habe, und noch empfehle, so muß ich doch bemerken, daß sie durch die Erfah- rung oft widerlegt werden, und daß sie folglich nicht immer wahr sind. Das bekannte Weid- spruͤchlein „ wie man 's treibt , so gehts “ hab' ich zwar hundertmal durch meine eigne Erfah- rung bestaͤtigt gefunden, allein im Winter 1797 — 98 wollte das gute Spruͤchlein nicht bey mir ein- treffen. Ich hatte mir vorgenommen, so zu hausen, daß ich ruhig und ohne weitere Sorgen leben koͤnn- te; allein ich hatte die Rechnung ohne den Wirth gemacht, und so sehr ich auch alles aufbot, und alle meine Kraͤfte anstrengte, um soviel zu erwer- ben, als noͤthig war, meine kleine Wirthschaft zu fuͤhren, so war ich doch keinen Tag ohne Kum- mer, und wenn auch alles noch so gut ging, so fing mein Hannchen an, uͤber ihre Lage zu noͤrgeln, und diese Noͤrgeleien verursachten dann natuͤrlicher Weise, daß ich nirgends in einer penibelern Lage war, als wenn ich mich zu Haus aufhalten mußte. Ich gab mehrere Stuuden und repetirte diesen Winter uͤber die christ-lutherische Dogmatik und die Kirchengeschichte. Beyde Disciplineu haben mir stets viel Vergnuͤgen gemacht; nicht als wenn es an und fuͤr sich angeuehm waͤre, eine Menge unbeweisbarer hyperphysischer Lehrsaͤtze zu lernen, oder sich mit dem Gang des kirchlichen Despotis- mus aus der Geschichte der Kirche bekannt zu ma- chen, sondern weil beyde jeden denkenden Kopf so sehr beruhigen uͤber alles, was man ihm als offen- bart aufdringen will: denn die Dogmatik und die Kirchenhistorie sind die beste Widerlegung aller moͤg- lichen Offenbarung, man muͤßte dann annehmen, daß das ganze Menschengeschlecht etwan achtzehn- hundert Jahre lang im Kopf verruͤckt gewesen sey. Doch das gehoͤrt hier nicht her. Außer diesen theolo- gisch-historischen Stunden unterrichtete ich auch noch im Lateinischen, Franzoͤsischen und Italienischen. So lang ich außer meiner Wohnung war, hatte ich heitere Sinnen, kam ich aber dahin zuruͤck, so machte mein sanftes Hannchen eine dermaßen finstere Stirne, daß ich mich in dem Augenblick weit weg wuͤnschte. Daß es gleich von Anfang unsres Ehejochs oftmals zum Wortwechsel kam, versteht sich von selbst. Ich bin zwar von Natur nicht finster und rauh, noch weniger ist Grobheit uud Im- pertinenz mein Laster; allein der Teufel bleibe gleich- guͤltig, wenn einem unverdiente Vorwuͤrfe gemacht werden, oder wenn man Dinge von uns, und zwar mit Poltern fordert, welche wir unmoͤglich leisten koͤnnen. So ging mirs: meine Frau fand alles nicht recht, was in unsrer Wirthschaft war, und ich fand ganz natuͤrlich auch vieles von dem nicht recht, was sie vornahm, besonders gefiel mir ihr Umgang mit einer gewissen Madam Unruhe nicht, welche auch in unserm Hause wohnte, und deren Mann mit einem andern hallischen Frauenzimmer in Leip- zig wirthschaftete. Ein Ehemann hat meistens Un- recht, wenn er sein Weib sitzen laͤßt, aber wer so ein Fegefeuer am Halse hat, wie die gedachte Ma- dam Unruhe war, dem verdenke ichs warlich nicht, wenn er das Freye zu gewinnen sucht: denn Si- rach sagt mit Recht, er wolle lieber bey Loͤwen und Drachen wohuen, als bey einem boͤsen Weibe. Meine Vorstellungen, mein Zanken und mein Poltern half alle nichts: meine Frau verstand es aus dem Fundament, auf Vorstellungen zu repliciren, und ist eine Meisterin im Zanken und im Poltern. Meine Lage war gewiß nichts weniger, als benei- denswerth. Im Herbst 1797 war der Koͤnig Friedrich Wil- helm von Preußen gestorben, und das Verhaͤltniß, worin ich ehedem mit seinem Nachfolger gestanden hatte, ließ mich eine schwache Hoffnung schoͤpfen, daß durch ihn meine Umstaͤnde koͤnnten verbeßert werden. Ich nenne die Hoffnung, die ich damals hatte, eine schwache Hoffnung: denn ich dachte nicht, wie die meisten Preußischen Unterthanen, daß nun es wahr wuͤrde, was Virgilius sagt: sam redit et virgo, redeunt Saturnia regna queis ferrea primum Desinet et toto surget gens aurea mundo. Virg. Ecl. IV.v. 5. seqq. Ich hoͤrte die Nachricht von dem Tode des vo- rigen Koͤniges auf der Breyhanschenke, eine Stun- de von Halle, wohin ich gegangen war. Das gan- ze Zimmer war voll Bauern, Jaͤgern und politi- schen Kanngießern: alles jubelte, und freute sich der im vollen Galopp herbeyziehenden bessern Zei- ten: nun wuͤrde alles, meynten die Politiker, so hergehen, wie es ein jeder wuͤnschte, und in diesen suͤßen Erwartungen uͤberließen sie sich ganz dem freudigsten Herumtrinken, und wurden nun noch lauter. Ein aͤltlicher Mann von Teutschenthal saß neben mir, und sprach zu allen Kanngießereyen auch nicht eine Sylbe. Ich wunderte mich uͤber sein Stillschweigen, und fragte ihn, was er von den neuen Vorfaͤllen daͤchte? „Mer muß halig wahrten, wies noch kuͤmmt: mer waͤß wuhl, wie mer ausfaͤhrt, aber wie mer hame kuͤmmt, das waͤß mer niche.“ Der Bauer raͤsonnirte nicht un- recht, nicht als ob der Ausgang seine Spruͤchwoͤr- ter bestaͤtiget haͤtte, soudern deswegen, weil es unklug ist, zu fruͤhe ins Horn zu blasen. Der jetzige Koͤnig von Preußen hat die Hoff- nungen und Erwartungen aller derer erfuͤllt, wel- che im Stande sind, zu uͤberlegen, und die große Wahrheit einsehen, daß ein Monarch, waͤre er auch der maͤchtigste und einsichtsvollste aller Men- schen, und gutgesinnt, wie ein heiliger Engel, es doch nicht allen Menschen recht machen koͤnne. Neque Jupiter omnibus placet, sive pluat, sive sit serenus ist schon vor Alters gesagt worden, ich weiß aber nicht von wem, und so lange noch so viel Koͤ- pfe seyn werden, als Sinne sind, so waͤre es eine wahre Tollheit, zn fordern, ein Regent solle so re- gieren, wie es jeder Kopf fuͤr gut und wohlge- macht haͤlt. Dieß sieht nun wohl jeder ein, aber da jeder glaubt, seine Vernunft koͤnne der Ver- nunft aller Menschen zum Richtmaaß dienen, so raͤsonnirt auch jeder uͤber die Regierung, wenn diese es anders macht, als er glaubt, daß sie es ma- chen muͤsse. Bey jedem Regentenwechsel findet noch ein Grund uͤberspannter Erwartungen bey den Unter- thanen statt, welcher meistens hoͤchst falsch ist. Die vorige Regierung wird durchaus als fehlerhaft be- trachtet, und alle unter derselben getroffnen An- stalten fuͤrchterlich heruntergemacht. Als Friedrich der zweyte von Preußen starb, mußte seine lange gluͤckliche, mit so vieler Weisheit gefuͤhrte Staats- administration die schrofste aber auch zugleich die unbilligste Critik paßiren: man tadelte sogar die Einrichtungen seines Militairs, Einrichtungen, die noch kein Monarch vor ihm getroffen hatte, und worin ihm nur seine Nachfolger nachahmen koͤnnen. Aber bald kamen die guten Preußen von ihrem Irrthum zuruͤck. Friedrich Wilhelm II. ein Fuͤrst, dessen Feh- ler bekannt sind, dessen vortrefliche Eigenschaften aber alle seine Flecken bey weitem uͤberwogen. Dieß bedachte aber der große Haufe nicht, und sahe bloß die Fehler seines guten Koͤniges, und die Schrift- steller haben nie ihre Federn mehr entwuͤrdiget, und sich aͤrger unter den Troß der Laͤsterer und Calum- nianten gemischt, als in Ruͤcksicht auf diesen Fuͤr- sten — hat man doch sogar einen Saul den dicken , Koͤnig im Kanonenlande , erschei- nen sehen!! Aber Friedrich Wilhelms II. Anstal- ten waren fast alle meisterhaft, und sein Nachfol- ger der jetzige Koͤnig, haͤtte die Kunst zu regieren gar nicht verstehen muͤssen, wenn er eine allgemei- ne Reform haͤt t e anfangen wollen, wie man doch damals erwartete und wuͤnschte. Diese allgemei- ne Reform wuͤrde eine allgemeine Verwirrung nach sich gezogen haben: es blieb daher auch in Preu- ßen nach dem Tod des Koͤnigs Friedrich Wilhelm so ziemlich beym Alten, obgleich manche heilsame Veraͤnderungen vorgenommen wurden, wohin die Abstellung der Tabaksfe r me vorzuͤglich gehoͤrt. Ich hatte, w e gesagt, einige Hoffnung, daß der neue Koͤnig sich meiner erinnern, und fuͤr mich sorgen wuͤrde. Meine Freunde zu Halle riethen mir, selbst nach Berlin zu reisen, und mich dem Monarchen vorzustellen: ich fand diesen Rath ver- nuͤnftig, und begab mich im Februar 1798 nach Berlin. Meine Kasse war schwach, wie sie zu allen Zeiten zu seyn pflegt. Ich war also gezwun- gen, mich entweder um Freypost zu bemuͤhen, oder gar zu Fusse zu gehen. Unser Postmeister Hr. Kriegs- rath von Madeweis gestattete mir freye Post bis nach Dessau, und von da kam ich durch bis nach Briezen. Ich hatte eine sehr schnurrig componir- te Reisegesellschaft: zwey Preußische Offiziere, ei- nen Juden, und ein hallisches Freudenmaͤdchen. Die Offiziere waren von der Cavallerie, und ka- men von einer Reise ins R e ich zuruͤck, wo sie zu Hause waren; es waren sehr solide brave Maͤnner von gesundem Urtheil und feinem Geschmack, mit welchen ich mich vortreflich unterhalten konnte. Der Jude war ein Schacherer, der sich aber neben seinem Schacherhandel auch aufs Spielen legte, und in dieser Kunst nicht geringe Fertigkeit schien erlangt zu haben. Die Offiziere machten sich viel mit ihm zu thun, als ich ihm aber beweisen wollte, daß die Juden zu allen Zeiten veraͤchtliche und hoͤchst schaͤdliche Creaturen gewesen waͤren, ward der Israelit boͤse, und gab uns ferner keine Antwort mehr. Der Kerl hatte Recht, ich aber hoͤchst Unrecht, einen ganz unnuͤtzen Beweis zu fuͤhren: denn die Offiziere kuͤmmerten sich um die ganze Judenschaft nicht, und der Jude ließ sich doch nicht bekehren. Das Freudennymphchen von Halle war die be- ruͤchtigte Manschesterchristel, eines ehedem der huͤbschsten Maͤdchen unsrer Stadt; nachdem sie aber sich auf die liederliche Seite gelegt hatte, und generis omnis geworden war, fand sich in ganz Halle keine schaamlosere Hure, als eben Manschesterchristel. Der gar zu haͤufige Genuß der Wollust schwaͤchte ihren Koͤrper dergestalt, daß hernach, als die lei- dige Luftseuche sie befiel, keine Arzney mehr anschla- gen wollte. Damals als sie nach Berlin reiste, war die aͤsthetische Krankheit schon sehr sichtbar an ihr, und doch ließ sie sich einfallen, einen jungen Me- diciner da zu besuchen, welcher ehedem in Halle mit ihr geliebelt, und ihr im Taumel der Leiden- schaft die Ehe versprochen hatte. Der Mensch haͤtte alles Gefuͤhl muͤssen verlohren haben, wenn er nun noch den Liebhaber eines Frauenzimmers haͤtte ma- chen wollen, das so zu ihm kam: doch unterstuͤtzte er die Unverschaͤmte mit Geld und ließ sie wieder nach Halle reisen. In Halle fiel sie taͤglich mehr ins Elend, und krepirte endlich in den abscheulich- sten Umstaͤnden. Ihr Andenken hat sich indessen noch in einem famoͤsen Knittelliedchen erhalten, welches unsre Straßenjungen noch singen, und wel- ches ein lustiger Bruder einem gewissen Schwarz- rock zu Ehren scheint gemacht zu haben. Von Briezen bis nach Berlin ging ich zu Fuß: es war sehr schoͤnes Wetter, und die Gesellschaft eines Schulmeisters aus der Altmark, der auch dahin ging, aber von Wittenberg kam, machte mir die Fußreise sehr angenehm. Der Schulmeister war sehr redselig, und wenn alles wahr ist, was er mir von seinem Pastor erzaͤhlte, so muß die geistliche Einrichtung in dem altmarkschen Dorfe, wo der Cantor her war, besser seyn, als in mancher Stadt, sogar in mancher Universitaͤtsstadt. „Unser Pastor, sagte der Schulmeister, kann es nicht leiden, daß aller Schulunterricht sich bloß aufs geistliche We- sen, und auf ein bißchen Rechnen und Schreiben einschraͤnke. Er hat daher auch oͤkonomischen Un- terricht eingefuͤhrt, und ertheilt diesen selbst; er lehrte sogar die Jungens Baͤume pfropfen und oku- liren. Das Preußische Landrecht traͤgt er in der Schule und in der Kirche vor, naͤmlich des Nach- mittags, weil er noch nicht das Herz hat, die Pre- digten uͤber die Evangelien einzuschraͤnken, und erzaͤhlt unsrer Jugend eine Menge huͤbscher Histo- rien. Die Landkarten muͤssen sie auch treiben, und Raffs Naturgeschichte, so wie Eberts Naturlehre koͤnnen die jungen Leute auswendig: eine ganze Hetze huͤbscher Lieder und Spruͤche wissen sie auch, und doch verstehen sie ihren Catechismus so gut, als wenn sie sonst gar nichts trieben als den.“ Ich konnte wohl merken, daß der Herr Cantor etwas uͤber die Schnur hieb, und zu viel von den Vorzuͤgen seines Schulwesens, und den Verdien- sten des Pastors um dasselbe schwadronnirte, aber wenn ich dann auch nicht die Haͤlfte glauben konnte, so mußte ich mir doch einen sehr vortheilhaften Be- griff von jener Schule in der Altmark machen. Ich habe den Namen des Dorfes vergessen, aber dieß thut nichts zur Sache, da es jedem, welchem daran gelegen ist, leicht seyn muß, eine so trefliche Schulanstalt in einem kleinen Lande zu entdecken, wo, wie der Herr Cantor bemerkte, dergleichen eben nicht haͤufig seyn sollen. In Berlin, wo ich gegen Abend ankam, lo- girte ich in einem mir schon bekannten Gasthofe, und besuchte den folgenden Tag einige alte Freunde. Da meine Absicht war, den Koͤnig zu sprechen, begab ich mich zu den Major Hn. von Kaͤbriz, und erhielt von diesem Anweisung, wie ich es anzu- fangen hatte, um zum Koͤnige zu gelangen, doch rieth er mir, eine Bittschrift aufzusetzen, und die- selbe dem Monarchen zu uͤberreichen; der Herr ha- be viel zu thun, und so was moͤgte vergessen werden. Ich folgte dem Rath des Hn. Majors, und kam am folgenden Tag wirklich ins koͤnigliche Ka- binet. Der Koͤnig, welcher mich noch kannte, war aͤußerst herablassend und gnaͤdig; er fragte mich nach meiner Lage, und da ich ihm sagte, daß diese eben nicht die beste sey, und einer starken Emenda- tion beduͤrfe, wenn ich zufrieden leben wollte, ver- sprach er mir, fuͤr mich und fuͤr die Emendation meiner Lage zu sorgen, las meinen Aufsatz fluͤchtig durch, und befahl in meiner Gegenwart einem Sekretair, denselben ans Oberschulcollegium zu schi- cken mit der Weisung, dahin zu sorgen, daß dem guten Laukhard ein Plaͤtzchen geschafft wuͤrde, wobey er ohne Sorgen leben koͤnnte; dieß waren die eignen Worte des guͤtigen Monarchen, und dann erfolgte eine Anweisung an einen Herrn, wel- cher cher mir die Reisekosten ersezte. Ich verließ den Koͤnig mit dem tiefsten Dankgefuͤhl, als ich aber ins Vorzimmer kam, trat mich ein wohlgekleideter Mann sehr aͤngstlich an. Aber, mein Gott, sagte dieser, was machen Sie? Ich . Ich komme vom Koͤnige, und glaube nichts Boͤses gethan zu haben. Er . Nichts? Bedenken Sie doch selbst! Ich . Was soll ich dann bedenken? Ich weiß vom hellen Tage nichts: erklaͤren Sie sich naͤher. Er . Mein Himmel, Sie sind mit einem Stock im Kabinet gewesen. Ich . So ist es: aber ists dann verboten, mit dem Stock ins Kabinet zu gehn? Er . Mein Gott, freylich! Das ist gegen alle Etikette. Ich . Der Koͤnig hat mir nichts daruͤber gesagt, und niemand wird sich einbilden, daß ich ins koͤnig- liche Kabinet mit dem Stock gehe, um mich da herum zu pruͤgeln. Ich gieng weiter, ehe ich aber das Palais ver- ließ — der Koͤnig wohnte damals noch in dem Palais des Kronprinzen — ging ich nach der Kuͤ- che, und fand da weniger Apparat, als in man- cher adelichen Kuͤche, selbst in Berlin gefunden wird. Nun hatte ich weiter in Berlin keine Ge- Laukh. Leben 5ter Theil. C schaͤfte mehr, und schickte mich an, den folgenden Tag zuruͤck zu reisen. Ich suchte deshalben noch die Herren Ideler und Rambach auf, fand aber kei- nen von beyden zu Hause, auch den Herrn Predi- ger Stahn fand ich nicht, aber den wuͤrdigen Herrn Major von La Roche traf ich an, und traf ihn unveraͤndert in seinen Gesinnungen gegen mich. Wir stimmten zusammen Klagelieder an uͤber das Ungluͤck, welches unser gemeinschaftliches Vater- land jenseits des Rheins betroffen hatte. Der Herr Major unterhielt starken Briefwechsel nach den Rheingegenden, und konnte mir von gar manchen Dingen Nachricht geben, welche ich noch nicht wuß- te. Den Herrn Kammerherrn von Wuͤlcknitz habe ich auch gesprochen, und von ihm ungeheuchelte Versicherungen seiner Freundschaft gegen mich er- halten. Als ich mich eben anschickte, Berlin zu verlas- sen, fand ich von ohngefaͤhr den Commissar Hrn. Jungken und dessen Bruder, welche noch einige Ta- ge in Berlin bleiben, und dann nach Halle zuruͤck- kehren wollten. Sie baten mich, auf sie zu war- ten, und mit ihnen zu reisen. Ich lasse mich uͤber- haupt leicht zu etwas bestimmen, und that herzlich gerne, was beyde Herren haben wollten, welche in Halle meine Freunde gewesen sind, und wovon der Juͤngere meinen Unterricht noch immer genoß. Um aber doch indeßen im Gasthofe etwas zu thun zu haben, holte ich mir ein Buch in einer Lesebi- bliothek, und fand auch da meine Schriften. Der Bibliothekar kannte mich nicht, daher fragte ich ihn, ob dann das Zeug da auch gelesen wuͤrde? „Was Zeug, erwiederte er! die Laukhardschen Produkte sind ganz vorzuͤglich gut, und werden mehr gesucht, als selbst die Werke unsrer besten Schriftsteller.“ Ich . Das Publikum muß also einen schlechten Geschmack haben. Lesebibliothekar . Daran liegt mir nichts, und keinem meines Gleichen liegt was daran. Ge- nug wenn die Sachen gelesen werden. Aber wo- her schließen Sie dann, das Publikum muͤße ei- nen schlechten Geschmack haben? Ich . Das schließe ich daher, weil die Laukhard- schen Dinger nicht viel besonders sind. Lesebib . (lacht) Gewiß hat Laukhard Ihnen selbst die gute Wahrheit gesagt: ich habe gefunden, daß mancher auf diesen Mann gescholten hat: aber wenn mans recht beym Licht untersuchte, so kam das Schelten daher, weil Laukhard etwas unsanft mit dem Knaben Absalom umgefahren war — Aber sehe ich recht, so sind Sie selbst Laukhard, ich ken- ne Sie aus Ihrem Bildniß. Ich konnte und mogte nicht leugnen, und der C2 Herr Lesebibliothekar war so artig, daß er mir den Gebrauch seiner Bibliothek unentgeldlich anbot, so lange ich in Berlin bleiben wuͤrde. Ich konnte von seiner Guͤte nur fuͤr einen Groschen Gebrauch ma- chen. Auf der Ruͤckreise begegnete mir nichts merk- wuͤrdiges: ich kam wieder nach Halle, und fand alles, wie ich es verlassen hatte. Meine Frau hatte in meiner Abwesenheit mit dem Schneider Baum, unserm Wirth, einigen Zank gehabt: er hatte nicht leiden wollen, daß sie Wasser in den Hof goß, und deßwegen abscheulich spektakelt. Sie wollte nun haben, daß ich den Meister Baum deßwegen kora- miren sollte, aber ich fand nicht fuͤr gut, den Mann zur Rede zu stellen, mit dem uͤberhaupt nichts auszurichten war: denn wer laͤßt sich uͤber- haupt gern mit einem Menschen ein, der keiner vernuͤnftigen Vorstellung Gehoͤr giebt, und nur allemal Recht behalten will? Viertes Kapitel. Erfolg meiner Berliner Reise . Erscheinung eines neuen Weltbuͤrgers . O hngefaͤhr vierzehn Tage nach meiner Ruͤckkehr von Berlin erhielt ich ein Schreiben vom Oberschul- collegium, worin mir gemeldet wurde, daß wegen meiner Versorgung an die hallische Universitaͤt sey geschrieben worden. Auf den Bericht der Universitaͤt wuͤrde es nun ankommen, was mit mir zu machen sey. „Oh weh geschrien!“ dachte ich, und verlohr auf einmal alle Hoffnung einer Versorgung. Der Professor Kluͤgel, welcher damals gerade Prorektor der Universitaͤt war, ließ mich rufen, und trug mir auf, einen schriftlichen Aufsatz einzu- chen, und anzugeben, wie ich etwan in Zukunft zu existiren gedaͤchte, um mich einer Unterstuͤtzung von Seiten der Regierung erfreuen zu koͤnnen. Ich hielt zwar die Zeit, welche ich auf einen Auf- satz dieser Art verwenden wuͤrde, fuͤr voͤllig verloh- ren, doch aber reichte ich einen beym Prorektor ein, und Herr Kluͤgel versprach mir, die Sache aufs vor- theilhafteste vorzutragen. Ich ging zu Herrn Wolf, und dieser aufrichti- ge Mann ließ mich merken, daß ich durch die Uni- versitaͤt nichts zu hoffen haͤtte: ich sey, sagte er, einigen, vorzuͤglich Theologen und Philosophen, unvortheilhaft beschrieben, und daher zweifle er gar sehr, daß ich reussiren wuͤrde. Im Grunde konnte ich auch weiter nichts erwar- ten, als einen uͤbeln Bericht nach Berlin. Ich hatte bisher nicht eines einzigen Professors Freund- schaft vorzuͤglich gesucht, und war nur dann und wann zu einigen gekommen, die mich ihres Umgangs nicht unwuͤrdig fanden. So ging ich oft zum Hrn. Professor Koͤnig: so oft naͤmlich ich etwas zu fra- gen hatte, woruͤber dieser aͤußerst humane Mann mir Auskunft geben konnte. Er that es auch jeder- zeit mit der groͤßesten und unverstelltesten Bereit- willigkeit, und ich kann wohl versichern, daß ich meine Kenntnisse durch den Rath dieses Gelehrten nicht wenig vermehrt habe. Herr Koͤnig ist der Mann nicht, welcher einen gewißen abschreckenden Nimbus um sich her verbreitet, und durch ein zu- ruͤckstoßendes Betragen sich den Ruhm eines tiefge- lehrten Helden erwerben will. Wer ihn kennt, weiß doch, daß er nicht nur in seinem Fache der Rechtskunde trefflich erfahren ist, und sich in den uͤbrigen Wissenschaften, auch in solchen, welche mit der Juristerey in weiter keinem naͤhern Zusam- menhang stehen, ruͤhmlichst umgesehen hat. Daß er, wie jeder Gelehrte, von unachtsamen jungen Leuten nicht selten mißverstanden werde, ist sehr begreiflich: aber der muß die Studenten schlecht kennen, wel- cher nach ihrem Urtheil den Werth eines gelehrten Mannes bestimmen wollte. So wollte mir vor ei- niger Zeit ein juristischer Student aufbinden, Herr Koͤnig habe im Collegium behauptet, ein Jurist habe gar nicht noͤthig die Institutionen, die Pan- dekten und den Coder zu lesen, und doch hatte Koͤ- nig nichts weiter gesagt, als das Studium der Rechte nach jenen Compendien, welche nach der Ordnung der Pandekten u. s. w. eingerichtet sind, sey unbequem und luͤckenvoll, man muͤsse die Wis- senschaft nach einem beßer eingerichteten System lernen, dabey hatte er aber das Lesen der Pandek- ten u. s. w. ganz und gar nicht widerrathen, son- dern es vielmehr als hoͤchst noͤthig dem kuͤnftigen Juristen anempfohlen. Ein gewißer Herr, welcher die Lage der Uni- versitaͤt, und die Gesinnungen der Professoren naͤ- her als ich kannte, versicherte mich, daß der Direk- tor Klein mein Goͤnner nicht sey, und daß dieser vielgeltende Mann alles aufbieten werde, um mein Fortkommen in jeder Hinsicht zu hintertreiben. Ich erstaunte: denn ich war mir bewußt, Herrn Ge- heimderath Klein in keinem Stuͤck jemals beleidigt zu haben, und begrif daher nicht, wie ein Mann, der selbst zu lehren vorgab, was Recht und was Unrecht ist, doch einem Menschen schaden wollte, der sich nicht gegen ihn vergangen hatte: ich hatte zwar schon manche Beyspiele dieser Art gesehen und erlebt, aber daß grade Hr. Klein so anomalisch handeln koͤnnte, wollte mir nicht so recht in den Kopf: denn ich halte sehr viel auf die rechtlichen Gesinnungen eines gelehrten Juristen, und erwarte von einem solchen weit mehr, als von einem gelehr- ten Theologen und Philosophen. Daß unsre Theologen nichts auf mich halten konn- ten, beschied ich mich sehr leicht. Ich hatte in mei- ner Biographie solche Grundsaͤtze aufgestellt, welche mit jedem theologischen System, also auch mit dem Hallisch-Theologischen, incompatibel sind. Da nun jeder Theologe, qua talis, wie man in den Schulen findet, alles als ketzerisch und dem Heil der Seelen schaͤdlich ansehen und verwerfen muß, was seinem System entgegen ist, so mußten unsre Herren nicht nur mich, als einen Ketzer verdam- men, sondern mich auch von aller Activitaͤt zu ent- fernen suchen, damit ich nicht andere verfuͤhren moͤgte. So ist es immer in der heiligen christli- chen Kirche gewesen, vom ersten Jahrhunderte an bis aufs neunzehnte hat der Geist der Intoleranz und der Verfolgung geherrschet, und wenn ich sa- gen soll, was ich denke, so muß ich bekennen, daß diese Intoleranz in dem Wesen der Religion, das ist, in ihren Grundsaͤtzen und den Lehren ihrer ersten Ver- breiter selbst gegruͤndet ist. Peter Bayle und Voltaire, und Teller, und viel andre brave Maͤnner haben ganz vortreflich uͤber Religionsduldung geschrieben, aber keiner von diesen wackern Maͤnnern scheint mir den Satz bewiesen zu haben, daß der Christ jeden Menschen wie seinen Bruder behandeln muͤße, und zwar nach den Grundlehren des Evangeliums, ohne alle Ruͤcksicht auf das, was er glaubt. — Also ist es ausgemacht, daß ich unsern Theologen nicht ge- fallen konnte, und daß sie mich ihrer Empfehlung unwuͤrdig fanden. Einige unsrer Philosophen konnten gleichfalls nicht fuͤr meinen Nutzen stimmen. Herr Eberhard hatte schon 1795 sich nicht allzufreundschaftlich gegen mich benommen, wie ich am Ende des vori- gen Theils dieses Werkes hinlaͤnglich gezeigt und bewiesen habe. Sollte er jetzt freundlichere Gesin- nungen annehmen, so muͤßte er inconsequent han- deln, und niemand haßet die Inconsequenzen mehr, als Eberhard, wie man aus seinen Briefen sehen kann, welche er gegen das System des Prof. Fichte herausgegeben, und wahrscheinlich selbst geschrie- ben hat. Des verstorbenen Prof. Forsters Urtheil uͤber mich habe ich auch schon an gedachtem Orte angefuͤhrt. Es ist uͤberhaupt eine ganz eigne Sa- che um die liebe Philosophie, und Claudius hat Unrecht, wenn er sie beschreibt, sie sey die Wissen- schaft, „ Daß Hinz nicht Kunz , und Kunz nicht Hinze sey “ denn sie geht gewoͤhnlich weiter, obgeich etwas unphilosophisch. Doch das geht mich hier weiter nichts an: vielleicht erklaͤre ich mich anderswo naͤher. Unter den Medicinern hatte ich keinen Feind, aber unsre Mediciner bekuͤmmern sich auch um die Angelegenheiten der Universitaͤt unter den Profes- soren am wenigsten. Herr Gren, der verdienstvol- le, mir ewig unvergeßliche Gren, deßen rechtschaff- ner Charakter mit seiner tiefen Wissenschaft pari passu ambulirte, war mein Freund, aber seine schon laͤngst erschoͤpfte Gesundheit und andre Umstaͤnde machten es ihm unmoͤglich, sich meiner thaͤtig an- zunehmen. Die Herren Mekel und Reil kannten mich nur wenig, und schienen uͤberhaupt in dieser Hinsicht sehr gleichguͤltig zu seyn. Auf diese Art wurde nun der Bericht nach Ber- lin in Absicht meiner, bloß von solchen concipirt, welche mir abhold waren, und siehe da, er that die Wirkung, welche sie davon erwarteten, und wie ich selbst nicht anders vermuthete. Das Oberschul- collegium schrieb mir, daß jezt fuͤr mich nichts zu machen sey, und daß ich mich gedulten muͤße, bis sich sonst was fuͤr mich faͤnde. Im Jahr 1795 hatte mich ein solches Rescript voͤllig niedergeschlagen, aber im Jahr 1798 war die Wirkung davon verschieden. Ich war ganz gleich- guͤltig dabey, und legte mein Papier hin, ohne mich zu kraͤnken oder zu aͤrgern. Ich hatte gelernt, uͤber die Umstaͤnde beßer und richtiger zu urtheilen. Meine Frau gebahr mir um Johannis dieses Jahres einen Jungen, welcher noch lebt, und mir durch sein munteres Wesen manche vergnuͤgte Stun- de macht. Bey der Geburt, welche etwas schwer hergieng, rief die Kindermutter den Herrn Geheim- derath Mekel: der wuͤrdige Mann ließ nicht lange auf sich warten, und machte solche Anstalten, daß meine Frau gar bald ihrer Buͤrde entlastet wurde. Unter den Gevattern oder Pathen, welche ich fuͤr meinen Jungen gebeten hatte, war auch der nunmehr verstorbene Obrist Schmid von Wegewitz, ein Mann von etwas seltsamen Charakter. Ich war diesem Mann durch meine Lebensbeschreibung bekannt geworden, und im Fruͤhling 1798 ließ er mich durch seinen damaligen Sekretaͤr oder Schrei- ber Hoͤpfner zu sich bitten. Ich besuchte ihn, und fand einen durchaus originellen Mann. Herr Schmid bildete sich naͤmlich ein, daß er nie Un- recht haben koͤnnte, und dieser Opinion zufolge han- delte er auch in allen Stuͤcken. Damals, als ich ihn kennen lernte, hatte er nicht weniger, als 27 Prozeße, welche er alle mit der groͤßten Heftigkeit betrieb, und die meisten selbst betrieb, ob er gleich nicht die geringste Kenntniß von positivem Recht be- faß. Er las mir eine Menge Acten vor, und klag- te unaufhoͤrlich uͤber die Chicanen der Advokaten, und uͤber die Langsamkeit und Partheylichkeit seiner Richter. Ich suchte ihm begreiflich zu machen, daß er Unrecht habe, grade das nur fuͤr Recht zu halten, was ihm so vorkomme, aber nun spruͤhte er Feuer und Flammen, und schimpfte sogar auf die Gesetze selbst, welche nach seiner Meynung aͤußerst schief und unvollkommen abgefaßet waͤren. „Gebt uns nur richtige Gesetze, fuhr er fort, und die Ad- vokaten werden bald mit ihrem Links- und Rechts- machen auf dem Mist seyn: aber bey solchen Ge- setzen, wie wir haben, finden die Kerle vollkom- menen Spielraum fuͤr alle ihre Streiche. Den Gesetzgebern mußte es darum zu thun seyn, den Gerichtshoͤfen etwas zu verdienen zu ge- ben; daher haben sie auch alles so auf Schrauben gestellt, daß jeder Advokat und jeder Richter leicht ein X fuͤr ein U machen kann.“ Ich mogte dem raͤsonnirenden Obrist nicht in allen Stuͤcken Recht geben, aber durchaus mogte ich ihm auch nicht widersprechen, und legte mich daher aufs Distinguiren; aber Herr von Schmid war kein Freund vom Distinguiren, und daher ge- riethen wir nicht selten heftig an einander. Auf die Franzosen war er vollends nicht gut zu sprechen, und schimpfte bey jeder Gelegenheit auf sie: wenn er ein Commando im Kriege wider diese Freyheitsracker gehabt haͤtte, so wuͤrde er, wie er bey allen Teufeln oft genug versicherte, die Bursche schon kurranzt haben, weder Bonaparte noch Piche- gruͤ, noch Moreau, noch Massena sollten etwas ausgerichtet haben. Ich mußte bey diesen Bra- marbasereyen des fuͤr sich und seinen Heldenmuth so sehr eingenommenen Mannes nur laͤcheln. Einst kam ich zu ihm, und da ließ er seine ganze Galle gegen den damaligen Feldprediger beym Hallischen Regimente, Herrn Lafontaͤne, fuͤrchterlich aus. Er hatte einige Tage vorher in Halle bey einem Offizier Gevatter gestanden, und bey dem Kindtaufsschmaus, wozu auch Hr. Lafon- taͤne gebeten wurde, war das Gespraͤch auf die Franzosen gefallen. Der Obrist Schmid schimpfte nach seiner Art, der Feldprediger nahm sich aber derselben an, und so kams dann von Seiten des Obristen zu groben nichtsbedeutenden Machtspruͤ- chen, auf welche Lafontaͤne nach seiner Art witzig und bitter antwortete, bis endlich Schmid gar in Invektiven ausbrach, und dadurch seinen Gegner zum Stillschweigen brachte. Mit einem solchen Charakter konnte nun Herr von Schmid sich nur Feinde machen: die Regie- rung zu Dresden, und besonders die Stiftsregie- rung zu Merseburg, unter welcher er zunaͤchst stand, waren ihm aufsetzig, und mit dem Land- jaͤgermeister von Nostitz zu Merseburg fuͤhrte er unaufhoͤrliche Fehden. Ich habe eine in Halle ge- druckte Schrift gelesen, welche den Obrist Schmid zum Verfasser haben soll, wenigstens seinen Namen fuͤhrt, und von ihm dem Landtag zu Merseburg vorgelegt worden ist; in dieser Schrift kommen Ausfaͤlle vor, welche man gar leicht fuͤr sehr derbe Injurien erklaͤren koͤnnte. Sonst machte der Obrist gerne den Maͤcen der Gelehrten und den Unterstuͤtzer der Unterdruͤckten: beydes waͤre sehr loͤblich, wenn es nicht bey Herrn von Schmid eine Wirkung der augenblicklichen Laune gewesen waͤre. Der von Leipzig, ich weiß nicht weßwegen, fluͤchtig gewordene Aventurier Hilscher fand Zuflucht in Wegewitz, mußte aber endlich fort, weil ihm der Obrist gedrohet hatte, ihn durch seine Hunde forthetzen zu lassen. Hilscher zog ab, und schrieb von Naumburg aus einen im- pertinenten Brief an den Obrist, und so bewies er dann, daß er eben so unwuͤrdig war, Wohlthaten zu empfangen, als der Obrist es war, einem duͤrf- tigen Gelehrten dergleichen zu erweisen. Einen gewissen Leutnant von Scheidt hatte Schmid auch damals in sein Haus aufgenommen, dieser Scheidt hatte ehedem unter einem Preußischen Garnisonsregimente gedient, hernach aber seinen Abschied genommen, um einen bodenlosen Prozeß wider den Stadtrath zu Erfurt zu betreiben. Da alle seine Gruͤnde, wodurch er eine uͤber drey Mil- lionen betreffende Erbschaft erobern wollte, nicht Stich hielten, und er selbst kein Geld hatte, eine so kostspielige Rechtssache fortzusetzen, so suchte er Leute, welche Geld hergeben konnten, und ver- sprach diesen, wer weiß wie viel Antheil an der Erbschaft aus dem Monde. Auf diese Art hatte er schon mehrere dran gekriegt, bis er endlich auch an den Obrist Schmid gerieth, welcher anfaͤnglich auch Geld genug dran wendete, und sogar die Sache in Wetzlar anhaͤngig machte. Aber bald sahe doch der Obrist die Bodenlosigkeit des Pro- zesses und die Schwindeleyen mit der vorgespiegel- ten Erbschaft ein; er sagte daher dem Leutnant den gemachten Contrakt auf, dieser aber verklagte den Obrist, und lezterer mußte viel Unkosten tragen. Ich koͤnnte noch viele Blaͤtter mit Histoͤrchen anfuͤllen, welche den Obrist Schmid von Wegewitz angehen; aber ich mag keine Beytraͤge zur skanda- loͤsen Geschichte des Saͤchsischen Adels liefern. Fuͤnftes Kapitel . Studentenkriege im Jahr 1797 und 98 . M eine Lebensgeschichte hat von ihrem Anfange an manche Nachrichten geliefert, welche allerdings zur Chronik der deutschen Universitaͤten gehoͤren, ob sie gleich nicht oͤffentlich pflegen bekannt gemacht zu werden: daher halte ich es auch noch immer fuͤr meine Schuldigkeit, meine Leser mit Nachrichten zu unterhalten, welche die Universitaͤten angehen, und mir speziell bekannt geworden sind. Ich weiß zwar recht gut, daß die Herren auf den Universitaͤten es gar nicht gerne sehen, wenn Historien oͤffentlich bekannt werden, welche ihren gelehrten Innungen eben nicht zum Ruhme gerei- chen; indessen mag dieß immer seyn, was kuͤm- mern mich die Herren, genug wenn ich nur keine Unwahrheiten schreibe, und meinen Lesern keine lange Weile mache. Auf der Mail, jener Bierschenke, welche schon mehrmals in diesem Werke vorgekommen ist, fan- den sich von Zeit zu Zeit Studenten ein, welche gerne Breyhan tranken, und mit den Buͤrgern, die sich daselbst versammelten, freundschaftlich umgin- gen. Nicht selten geschah es, daß die Studenten uͤber die Maaßen lustig wurden, aber man vergab ihnen das gerne, und ließ sie machen. Dem Wirth Brand waren Studentengesellschaften immer will- kommen, theils weil sie brav verzehrten, theils aber auch, weil er ehedem selbst Student gewesen war, obgleich seine Studien selbst, wie er sich selbst ausdruͤckte, nicht weiter gingen, als bis an den Hosenknopf. Ohn- Ohngefaͤhr um Martini 1797 kam ein Haufe Studenten von Reideburg, einem saͤchsischen Dor- fe, wo sie kommerschirt hatten, auf die Mail, gra- de an einem Tage, als da getanzt wurde; sie wa- ren alle etwas betrunken, oder nach studentischem Ausdruck, bespitzt, und betrugen sich so, daß meh- rere Buͤrger sich deßwegen stark formalisirten. Es wuͤrde gewiß zum Handgemenge gekommen seyn, wenn nicht einige, die sowohl der Studenten als deren Antagonisten Freunde waren, den Frieden wieder hergestellt haͤtten. Fuͤr diesen Tag war al- so alles wieder ruhig, aber schon am folgenden Mor- gen, als ich zu meinen Scholaren kam, hoͤrte ich, daß sich manche fuͤr beleidigt hielten, und daß die Philister deßhalben sollten ceram genommen wer- den. Ich ging damals fast taͤglich Abends auf die Mail, also traf es sich auch, daß ich zugegen war, als abermals ein Haufen Studenten sehr bespitzt von Reideburg dahin kam. Diese Herren hatten sich vorgenommen, den ihnen von den Philistern und Gnoten, ihrer Meynung nach, angethanen Schimpf zu raͤchen, und Satisfaction an ihren Beleidigern zu nehmen, aber zum Gluͤcke oder zum Ungluͤcke war auch nicht einer von denen da, welche einige Tage vorher mit den Studenten Haͤndel gehabt hatten. Laukh. Leben 5ter Theil. D Die Studenten haͤtten nun, selbst nach studenti- schen Begriffen, ruhig seyn sollen, aber der Brey- han wirkte in ihren Koͤpfen, und beleidigende Re- den von Philistergrob, Philistermenschern, Gno- tenzeug u. s. w. wurden von ihnen ausgestoßen. Endlich beleidigten sie die Frau eines Branntewein- brenners thaͤtlich, und nun gings an ein Katzbal- gen, wobey aber die Musensoͤhne den Kuͤrzern zo- gen, und zum Tanzsaal hinausgedraͤngt wurden. Alles war nun wieder ruhig, und ich sezte mich in eine aparte Stube, um da mit einigen mir be- kannten Buͤrgern eine Butelle Breyhan auszuspie- len: niemand dachte daran, daß die Studenten wieder kommen wuͤrden, und schon waren viele Gaͤste nach der Stadt zuruͤckgegangen, als auf einmal eine ganze Caravane Studenten auf der Mail erschien. Die beleidigten Herren waren nach Halle zuruͤckgegangen, und hatten da den angetha- nen Schimpf ihren Bekannten mitgetheilt, worauf einige lustigen Bruͤder durch alle Straßen liefen, und durch das fuͤrchterliche Geschrey: Bursch raus , Bursch raus ! alles alarmirten. Die Meisten liefen mit, ohne zu wissen, wohin, und ohne die Ursache einzusehen, warum sie zu einem Burschen- kriege aufgefordert wurden. So pflegt es aber uͤberhaupt bey Studentenkriegen zu gehen: sie han- deln ohne zu wissen warum ? Genug die Caravane kam auf die Mail, verse- hen mit derben Ziegenhaynern und großen Knuͤtteln, auch schienen sie Steine mitgebracht zu haben, we- nigstens wurde mit Steinen in die Fenster canonnirt. Der Tanzsaal wurde zuerst uͤberfallen, und nun entstand eine derbe Pruͤgeley, wobey einige Buͤr- ger uͤbel zugerichtet wurden, und zwar lauter sol- che, welche vorher die Studenten gar nicht beleidi- get hatten: denn die Beleidiger hatten sich, aus Furcht, die Studenten moͤgten ihnen unterwegs auf- paßen, ganz kluͤglich abgezogen. Einige Frauen- zimmer wurden gleichfalls mißhandelt. Nachdem die Studenten sich nach ihrer Art Genugthuung verschafft, und alles, was ihnen vorkam, rein zer- schmissen hatten, so zogen sie ab, zwar nicht ganz ohne Kopfnuͤsse: denn die Buͤrger hatten sich gleich- falls ritterlich gehalten, und sich mit Stecken, Bier- butellen und Glaͤsern, mit Stuhlbeinen und Baͤn- ken, sogar mit Ofenkacheln gegen den uͤberfallenden Feind gewehrt. Der Ruͤckzug der Studenten nach der Stadt ge- schah in aller Stille; sie gingen durch entfernte Thore nach ihren Wohnungen, und mogten wohl glauben, daß nun alles geendiget sey. Aber schon denselben Abend wurde das abscheuliche Scandal dem Prorektor der Universitaͤt angezeigt: dieser schickte sofort den Pedell nach der Mail, und fruͤh D2 erschien eine Untersuchungscommission daselbst, wel- che allen verursachten Schaden genau aufzeichnete. Nun war die Frage, wer das Scandal verur- sacht, und wer Theil daran genommen habe? Auf die Aussage einiger Aufwaͤrterinnen, und andrer Leute, welche einige von den Studenten gekannt haben wollten, wurde eine ganze Menge geschleppt, und aufs Carcer gesezt. Einige von diesen mog- ten wohl schuldig gewesen seyn, aber einige hat- ten ganz und gar keinen Antheil an dem ganzen Handel, und dennoch hielt man sie auf dem Carcer. Einer davon namens A....d aus Pommern be- wies seine Unschuld aufs deutlichste, er kam zwar los, mußte aber doch obendrein — die Unkosten bezahlen . Er war ein Mensch von ganz unbeschol- tenen Sitten, und von allgemein anerkanntem Flei- ße. Wenn der Student sich ein Verfahren dieser Art muß gefallen laßen, so sehe ich gar nicht ein, was der Ausdruck: akademische Privilegien , noch bedeuten soll; und wenn die Gerichten solche Proceduren einschlagen koͤnnen, so muͤssen sie wahr- lich ihre Gerichtsordnung aus dem Codex der spa- nischen Inquisition hergenommen haben. Ein voͤl- lig Unschuldiger, den ein lichtscheuer Bube ange- klagt hat, erlangt auch da weiter nichts, als seine Freyheit: an Schadenersatz ist gar nicht zu denken. Doch genug hievon: ich uͤberlasse das Urtheil dar- uͤber meinen Lesern. Die Untersuchung waͤhrte sehr lange, so nach Art akademischer Untersuchungen: endlich erschien das Urtheil, welches freylich von Berlin kam, aber natuͤrlich nach den Berichten der Universitaͤt ver- faßt war. Nach diesem Urtheil wurden ohngefaͤhr sieben Studenten als Stoͤhrer der oͤffentlichen Ruhe relegirt! Unter diesen Studenten befand sich ein gewißer Z....n, welcher zwar aus andern Gruͤnden von der Universitaͤt haͤtte entfernt werden sollen, der aber an dem Spektakel auf der Mail nicht den aller- geringsten Antheil genommen hatte. Es warfen sich einige auf, welche tuͤchtige und unverdaͤchtige Zeugen fuͤr Z....n's Unschuld aufstellen, und dadurch allen Verdacht einer Theilnahme an dem Mailkrieg von ihm entfernen wollten, aber die wurden nicht an- gehoͤrt, so wenig, als die, welche zur Zeit des Ter- rorismus in Frankreich die Unschuld vertheidigen, und Zeugniße dafuͤr aufstellen wollten!! Ich weiß, daß ich hier manches hinschreibe, wor- uͤber dieser oder jener ein boͤses Gesicht machen wird, aber das boͤse Gesicht dieses oder jenes Herrn soll mich gar nicht hindern, die Wahrheit laut und nach meiner ganzen Ueberzeugung zu sagen. Anomalien taugen uͤberhaupt nicht viel, man hat sie nicht ein- mal gerne in der Grammatik; aber gerichtliche Ano- malien sind unter allen nur denkbaren Anomalien die boͤsartigsten: denn sie beleidigen nicht nur am tief- sten, sondern geben auch das schaͤdlichste Beyspiel. Der Ueberfall auf der Mail war uͤbrigens eine hoͤchst aͤrgerliche Sache gewesen, eine grobe Stoͤh- rung der oͤffentlichen Ruhe und Sicherheit, und eben daher fand der Koͤnig fuͤr nothwendig, ein Edict zu geben, wie es in Zukunft bey Auftritten dieser Art gehalten werden sollte. Die Substanz des Edicts lief dahin aus, daß bey groben Excessen, wohin natuͤrlicher Weise der oͤffentliche Tumult auch gehoͤrt, auch derbere Stra- fen, als bisher gebraͤuchlich waren, eingefuͤhrt wer- den sollten. Der hoͤchste Grad dieser derbern Stra- fen sollte in einem, freylich im Edict nicht genau ge- nug beschriebenen Durchpruͤgeln des schuldigen Stu- denten bestehen u. s. w. Ich kann wirklich nicht sagen, ob der Koͤnig selbst die Idee zu diesem Edict gegeben habe: sollte es aber ja seyn, so ist es geschehen, weil man ihm das Leben der Studenten und ihr Betragen mit gar zu grassen Farben geschildert hat, und da konnte er dann beschlossen haben, militaͤrische Strafen auf seinen Universitaͤten einzufuͤhren. Meine Sache ists uͤberhaupt nicht, uͤber Landesherrliche Verord- nungen zu kritisiren, und Bemerkungen zu machen, aber das kann ich doch historisch sagen, daß eine Verordnung dieser Art alle Privilegien aufhebt, welche ehemals den Universitaͤten von den Paͤbsten, Kaisern und andern Fuͤrsten verliehen worden sind, und daß eben eine solche Verordnung mit dem Be- griff eines freyen deutschen Mannes — wie doch jeder Student ist — nicht bestehen kann. Ein hiesiger junger Gelehrter schrieb damals eine kleine Schrift „ akademische Nuditaͤten “ welche ich im Manuscript gelesen habe. Ich bedaure, daß sie nicht ist gedruckt worden, sie wuͤrde bey manchem Nasenruͤmpfen, bey manchem recht Gallvollen Aer- ger, aber bey den Meisten ein gefaͤlliges Achselzu- cken und Laͤcheln rege gemacht haben. Man kann sich leicht vorstellen, daß die Be- kanntmachung eines Edicts von solchem Inhalt bey den Studenten gewaltige Sensation erregte: sie dachten schon auf einem Strohbosen zu liegen, und einige zwanzig Hiebe vom akademischen Profos auf den Hintern zu erhalten. Es wurden Fragen bey den Zusammenkuͤnften der Studenten aufgeworfen, und so nach studentischer Art aufgeloͤßt, z. B. wer dann eigentlich die Hiebe austheilen, und den Pro- fos oder den Steckenknecht machen sollte? Wo man diese Knuterey vornehmen wuͤrde? u. s. w. Es war leicht zu entscheiden, daß weder der Prorektor noch sonst ein Professor sich zu einer solchen Execution verstehen wuͤrde: aber jemand mußte es doch seyn, und wer war dieser Jemand ? Sollte es ein Pe- dell verrichten, oder — das waren Fragen, die niemand zu loͤsen vermogte. In allen Gesellschaften, wohin ich kam, suchte ich den Studenten begreiflich zu machen, daß eine Strafe dieser Art nie Statt haben koͤnnte, gesetzt auch sie sey durch ein Koͤnigliches Edict festgesetzt: Friedrich Wilhelm der Dritte pflege sich nicht an sei- ne Worte so genau zu halten und zu binden, son- dern aͤndere seine Resolution, sobald er einsaͤhe, daß er etwas unthuliches oder schaͤdliches beschlos- sen habe. Es war mir gar nicht schwer, diese Be- hauptung recht anschaulich zu beweisen. Gegen den Winter 1797 hatte der Schauspieldirektor Doͤ- blin die specielle Erlaubniß vom Koͤnige erhalten, in Halle den Winter uͤber zu spielen: er miethete daher hier ein altes Brauhaus, und ließ durch den Zimmermeister Haak ein Theater erbauen. Anfaͤng- lich blieb alles ruhig, das Theater ward fertig, und unsre Hallenser, besonders die Studenten, sahen dem lieblichen Winterzeitvertreib mit heisser Sehn- sucht entgegen: aber die Universitaͤt machte einen Bericht an den Koͤnig, stellte dem Monarchen die Gefahr vor, welche der so gut gesitteten Uni- versitaͤt aus einem Schauspiel entspringen koͤnnte, und der Monarch verbot dem Doͤblin, Komoͤdien in Halle zu spielen; weil aber doch dieser ohnehin nicht reiche Mann viel Unkosten mit seinen Anstal- ten, und mit dem Transport seiner Bande, oder wies die Herren lieber hoͤren, seiner Truppe gehabt hatte, so reichte ihm der Koͤnig tausend Thaler zur Entschaͤdigung. Niemand kam bey dieser Gelegen- heit schlimmer weg, als der Zimmermeister Haak: denn dieser ist bis jezt noch nicht bezahlt, ob er gleich den Doͤblin aller Orten gerichtlich verfolgt, und stets seinen Prozeß gewonnen hat. Manche Leute fanden es nicht nach ihrem Schna- bel, daß der Koͤnig eine einmal gegebne Erlaubniß zuruͤck nahm; ein Fuͤrst muͤsse, meynten sie, sein Wort in allen Stuͤcken halten. Andre Leute, die kluͤger waren, raͤumten zwar sehr gerne ein, daß ein Fuͤrst sein Wort halten muͤsse, aber nur in so- ferne es niemand anders schaͤdlich werden koͤnne: denn in diesem Fall muͤsse auch der Fuͤrst sein Ver- sprechen kassiren; der Fuͤrst, auch der allerweiseste, sey und bleibe immer ein Mensch, und koͤnne als solcher, Dinge zusagen, die dem Wohl des Staa- tes, und folglich der Pflicht des Fuͤrsten selbst zuwider waͤren, und Zusagen dieser Art koͤnne der Fuͤrst zuruͤcknehmen, und muͤsse es thun, sobald er eines Bessern belehrt wuͤrde. So waren die Ur- theile beschaffen, welche man uͤber diesen Vorfall faͤllte, zu welchen ich nichts von meinen eignen Gedanken setzen mag. In wiefern aber die Hallischen Professoren ein Recht hatten, gegen ein Theater in Halle selbst zu remonstriren und dasselbe, als der Akademie hoͤchst nachtheilig zu verschreien, ist eine andre Frage? In Halle muß es nicht wenig auffallen, daß Professoren sich uͤber ein Theater formalisiren, das in der Stadt errichtet werden soll, und das immer unter der Hallischen Polizey stehen wuͤrde, da doch eben die- se Professoren noch nicht das Geringste gethan ha- ben, um dem Unwesen und dem Schaden zu steu- ren, welchen die Akademie jaͤhrlich in der soge- nannten Badezeit durch die Lauchstaͤdter Komoͤdie leidet. Sobald das Lauchstaͤdter Theater eroͤffnet wird, scheint die ganze Hallische Studenten- und Buͤrgerschaft wie von einem elektrischen Schlag getroffen zu seyn; alles strampelt und jubelt, und aus den Fenstern ruft man sich einander zu: Wis- sen Sie nicht, was heute gegeben wird? Koͤnnen Sie mir nicht sagen, wenn Maria Stuart, wenn Abaͤllino, wenn Don Juan u. s. w. gegeben wird? Ja, ruft der Student, Gott strafe mich, heute muß ich nach Lauchstaͤdt: Die Raͤuber werden ge- geben, und das ist kein Hund. Ich muß hinuͤber, und sollt es Karbatschenstiele regnen. — Der Vor- satz des Buͤrgers, und des Studenten wird auch auf alle Faͤlle ausgefuͤhrt, Lauchstaͤdt wird besucht, und sollten die Stiefel versetzt, oder verkauft werden, um Geld zu dieser Expedition zu bekommen. Das Rennen nach Lauchstaͤdt ist nun mit einem zwiefachen unersetzlichen Schaden fuͤr unsre Stu- denten — denn die Buͤrger gehn mich hier nichts an, — allemal verbunden. Einmal faͤllt die Bade- oder vielmehr die Komoͤ- dienzeit zu Lauchstaͤdt mitten im Sommer, also grade dann, wenn die Collegien laͤngst angefangen, aber noch lange nicht beendiget sind. Fuͤr diejenigen Stu- denten, welche Lauchstaͤdt frequentiren, geht also der ganze Sommer fuͤr das Studieren verlohren. Mir haben nicht zehen, sondern hundert Studen- ten selbst aufrichtig gestanden, daß ihnen die Lauch- staͤdter Komoͤdie alle ihre Sommerhalbejahre ver- dorben habe. Wenn nun ein junger Mensch in der ohnehin so kurzen Zeit von zwey Jahren seinen gan- zen akademischen Cursus endigen soll, und doch noch zwey Sommer durch die Lauchstaͤdter Komoͤdie ver- liert, wie viel Zeit bleibt ihm noch uͤbrig? Es ist wahr, daß sich es manche mit ihrem Studieren sehr kommod machen, und hoͤchstens noch dasjeni- ge lernen, was zu ihren Brodstudien gehoͤrt, aber auch dies wenige kann nur von vorzuͤglichen Koͤpfen in so kurzer Zeit gelernt werden, und sind wohl alle Studenten vorzuͤgliche Koͤpfe? Fuͤrs zweyte ist dem Burschenbeutel nichts schaͤd- licher in Halle, als die Lauchstaͤdter Badezeit. Ich kenne Studenten, welche hoͤchstens 250 Thaler Wechsel haben koͤnnen, und doch in einem Som- mer 80 Thaler in Lauchstaͤdt verbringen: sonach bleibt also dem Herrn noch ein Suͤmmchen von 170 Thalern uͤbrig, womit er alle seine andern Beduͤrf- nisse bestreiten soll. Das kann er nun nicht, er muß also borgen, und am Ende seine Glaͤubiger prellen. Noch heute, da ich dieses niederschreibe, fand ich einen mir bekannten Studenten hinter dem Rathhaus auf der Straße „Lieber Laukhard, sagte er, besuchen Sie mich noch diese Woche; naͤchsten Sonntag gehe ich ab.“ Ich . Das thut mir leid; ich glaubte, Sie wuͤr- den noch bis auf Michaelis hier bleiben. Er . Der Alte will nicht mehr spucken (Geld schicken) Mein S...ß (Schulden) sind so groß, daß ich die Manichaͤer nicht bezahlen kann. Ich muß mich druͤcken mit der Malice (heimlich fortma- chen.) Ich . Sie haben doch einen schoͤnen Wechsel ge- habt. Er . O ja, dreyhundert Thaler; aber man hat auch Ausgaben; das verfluchte Lauchstaͤdt allein kostet mich uͤber vierhundert Thaler, seitdem ich hier bin. Waͤhrend der Badezeit zu Lauchstaͤdt wird der Hallische Student auf alle Weise geprellt: die Pfer- dephilister, eine wahre Pestilenz der Akademien, schlagen mit ihren Roßen so sehr auf, daß ihnen manche Maͤhre in vierzehn Tagen so viel eintraͤgt, als das elende Thier selbst werth ist; und in Lauch- staͤdt selbst ist alles so abscheulich theuer, und da- bey noch so schlecht, daß es wirklich Suͤnde ist, auch dem Allerreichsten, das geforderte Geld dafuͤr zu geben. Man bedenke nur, daß ein Platz auf dem Parterre in dem uͤber allen Glauben traurigen schlechten Komoͤdienhause, wo man eher ein von Joseph Wieland Joseph Wieland, der Marionettenspieler, grassirte vor etwan 25 Jahren in ganz Deutschland herum, und erwarb sich ein Vermoͤgen von 60000 Thalern. Er war wirklich besser dran, als mancher Schauspieldirektor, den die Manichaͤer aus einem Land ins andre jagen. Exempla sunt odiosa. dirigirtes Marionettenspiel, als eine Fuͤrstliche Truppe Schauspieler erwarten sollte, doch zwoͤlf Groschen bezahlen muß. Dieß sind so die Hauptschaͤden, welche unsre Universitaͤt durch die Komoͤdie zu Lauchstaͤdt leidet, und doch hat bisher, so viel ich weiß, noch kein Prorektor in Halle dran gedacht, diesem Unwesen auf irgend eine Art zu steuern, und man giebt recht gerne zu, daß unsre Studenten drey, vier, fuͤnf Wochen hinter einander in Lauchstaͤdt bleiben, und da ihre Residenz aufschlagen. Ausser dem Zeit- und Geldverlust aber leiden die Studenten noch andern Schaden, der zwar we- niger sichtbar, aber nicht minder betraͤchtlich ist. Die verderblichen Hazardspiele sind von Lauchstaͤdt nach Halle gekommen, und manches obscure Bre- lau wuͤrde nicht so haͤufig besucht worden seyn, wenn die Herren nicht zu Lauchstaͤdt das edle Pha- rao und das noch edelere Knoͤcheln gelernt haͤtten. Ich habe Studenten gekannt, welche sich in der Spielkunst so sehr vervollkommnet haben, daß sie die Studien an den Nagel henkten, und nun als Spieler in der Welt herumziehen. Doch genug von Lauchstaͤdt: es wird, troz meines Predigens, doch bleiben wie es ist, und vielleicht nur noch schlimmer werden. Wenn man aber so alles zusammen nimmt, sollte man denken, es sey mehr Eigensinn von Seiten derer gewesen, welche im Jahr 1797 wider die Er- richtung eines Theaters in Halle protestirt haben, als wirklicher Patriotismus und Sorgsamkeit fuͤr die Universitaͤt. Ein Theater haͤtte hier wenig, oder gar nichts geschadet, und wenn auch zwanzig Mal waͤre gespielt worden, und ein Student haͤtte allen zwanzig Vorstellungen beygewohnt, so haͤtte er doch nicht mehr, als 6 thlr. 8 gl. hingegeben, da ihn jezt eine einzige Lauchstaͤdter Geniereise so viel kostet. Sechstes Kapitel. Kriegsgeschichten im Jahr 1798 . N achdem der bisherige Haͤscherhauptmann Baͤr, der Erzantagonist aller Studenten, das Zeitliche gesegnet hatte, succedirte ihm Mosjeh Muͤller, und ersezte ihn in allen Stuͤcken. Baͤr war, wie jeder weiß, der ihn kannte, ein grober impertinen- ter Kerl, Muͤller war um kein Haar artiger: Baͤr prellte, wo er konnte, und Muͤller versaͤumte keine Gelegenheit, etwas zu acquiriren, ohne sich grade zu bekuͤmmern, ob der modus acquirendi ein legitimer oder illegitimer war. Endlich hatten beyde, Baͤr und Muͤller eine hohe Idee von ihrem Amt, und besonders Letzterer bildete sich auf seine erhabene Haͤscherdignitaͤt mehr ein, als der Stadt- gerichtspraͤsident auf die Seinige. Unsre Hallenser lieben uͤberhaupt die Haͤscher nicht, und wo Buͤrger hinkommen, da darf sich keiner von der nobeln Haͤschergesellschaft blicken las- sen; daher haben auch diese Mosjehs ihre eignen Kneipen, ja sogar ihre eignen Bordelle, wo sie hingehen, und sich lustig machen: denn auch sie haben Kehlen, und Fleisch und Blut. Muͤller aber, der da glaubte, er koͤnne auch in honettere Gesellschaf- ten gehen, wagte es einige Mal, an Oerter zu kom- men, wo Branntwein geschenkt wurde, und wo Sol- daten sich aufhielten; diesen ließ er tapfer einschen- ken, und erhielt soviel, daß die Soͤhne des Mars ihn ihrer Bruͤderschaft wuͤrdigten, und ihm ihren Schutz wider jeden versprachen, der ihn angreifen wuͤrde. Muͤller ward nun dreister, und erschien im Keller- stuͤbchen, welches ich im vorigen Bande beschrieben habe. Hier waren lauter gesezte Maͤnner, welche zwar den Haͤscher nicht gern in ihrer Mitte sahen, jedoch keinen Spektakel machten, und ihn sein Glas Breyhan in Ruhe austrinken ließen. Als er aber doch sahe, daß niemand mit ihm sprach, und kei- ner von den Anwesenden auf sein Schwadronniren zu merken schien, stand er auf und ging weg, aber noch an selbigem Abend kam er an einen Ort, wo man nicht so tolerant war, als im Kellerstuͤbchen. Dieß war in einer Branntweinschenke in der Maͤrker- straße, wo er einen ruͤstigen Muͤhlknappen antraf, der den Herrn Oberhaͤscher Muͤller, mir nichts dir nichts, zur Thuͤre hinausschmiß. Der Haͤscher schwur den Philistern den Tod, und suchte sich Freunde unter den Studenten. Zu diesem Ende fand er sich auf der Egge ein, wo Studenten sich oft versammelten, plauderte diesen ein Langes und ein Breites von den vertrakten groben Philistern vor, und schwadron- nirte nirte so trefflich, daß die Musensoͤhne uͤberlaut lach- ten, und den Oberhaͤscher sitzen ließen. Jezt dach- te Mosjeh Muͤller schon der Freund der Studenten zu seyn, frequentirte noch einige andere Oerter, wo Studenten hingehen, und hatte endlich gar die Freyheit, einem Studenten Schmollis anzubieten. „Was, sagte der Student, Er will Schmollis mit mir machen? Er verfluchter Haͤscherbuͤttel, Ihn soll ja das heilige Kreuz erwuͤrgen.“ Mit diesen Worten warf der Student den luͤmmlichen Haͤscher- kapitaͤn zu Boden, und trischakte ihn dermaßen durch, daß ihm das Blut zu Maul und Nase her- aus lief. Die andern Studenten erfuhren die Ur- sache des Skandals, und transportirten den unver- schaͤmten Bengel zur Thuͤre hinaus, die Treppe hinunter, und warfen ihn dann in eine Mistpfuͤtze. Nun war Muͤller auch der Feind und zwar der aͤrgste schlimmste Feind der Studenten, und schwur auch ihnen den Tod. Nicht lange nach dieser Begebenheit trug es sich zu, daß ein Student mit einer brennenden, oder auch nicht brennenden Tabakspfeiffe auf der Stra- ße von einem Haͤscher angetroffen wurde. Der Haͤscher confiscirte ihm die Pfeiffe, aber der Stu- dent widersezte sich, und nachdem mehrere Haͤscher dazu kamen — die Sache ging grade vor der Haͤ- scherhauptwache vor — so wurde der Student arre- Laukh. Leben 5ter Theil. E tirt. Seine Landsleute gingen hin zum Prorektor, und behaupteten, er sey zur Ungebuͤhr eingezogen worden, indem seine Pfeiffe nicht gebrannt habe. Indeßen sollte das Zeugniß der Haͤscher doch mehr gelten, als das der Studenten, und daruͤber kams dann zum foͤrmlichen Krieg. Die Studenten zogen naͤmlich vor die Haupt- wache der Haͤscher, schrieen ihnen ein pereat! und provocirten sie foͤrmlich: diese Herren, welche sich zu Kriegszeiten, und uͤberhaupt, wenn sie auf ernst- hafte Ebentheuer ausziehen, auf die laͤcherlichste und abgeschmackteste Weise beharnischen, daß man glauben sollte, es waͤren Sancho Pansas Unter- schildknappen, fuhren wie die Furien aus ihrem Wachthause, aber die Studenten zerschlugen ihnen ihre Bleystifte — so nennt man in Halle die lan- gen Haͤscherstangen — trieben die Stangenritter zu- ruͤck in ihr Castell, und provocirten sie von neuem. Die Haͤscher ermangelten nicht, abermals sich ins Feld zu wagen, nachdem sie aber nochmals zuruͤck- geschlagen worden waren, blieben sie ruhig, verram- melten sich in ihrer Festung, und antworteten auf das unaufhoͤrliche Bruͤllen und Pereiren der Stu- denten nicht weiter mehr. Den folgenden Tag wurde der Krieg fortgesezt, und als die Haͤscher wieder einen Ausfall wagten, wurde ein Student mit einem Bleystift uͤbel zugerichtet. Die Stu- denten wuͤrden den Krieg noch lange fortgesezt ha- ben, wenn man ihnen nicht, ich weiß nicht recht, durch welchen Canal, zu verstehen gegeben haͤtte, daß sie Satisfaction haben sollten. Muͤller der Haͤscher wurde wirklich entfernt, weil ihm wenigstens von den Studenten die Haupt- schuld am ganzen Skandal zugeschrieben wurde. Muͤller vermuthete nichts weniger, als dieß: denn er glaubte, man duͤrfe ihm nicht allein nichts zu Leide thun, sondern muͤße ihn noch dazu belohnen, weil er so ritterlich wider Studenten, Philister und Gnoten gestritten hatte. „Ja, sagte er in der Knei- pe, wo sonst die Antiquariusbutike des seligen Spechts war, ich muͤßte den Geheimenrath Klein nicht zum Freunde haben, wenn ich mich fuͤrchten wollte. Ja Ihr koͤnnt mir glauben, Leute, ich und Klein verlassen einander nicht; er hat mirs in die Hand zugesagt, daß ich nichts zu fuͤrchten haben sollte, und wenn sich die halbe Stadt auf den Kopf stellt, und Klein ist ein Mann von Wort, vorzuͤglich gegen mich. Je nun, eine Hand waͤscht die andre.“ Ich kann nicht sagen, wie weit die Freundschaft des Herrn Klein gegen den Oberhaͤscher sich erstreckt hat; vielleicht war die ganze hochgeruͤhmte Gunst eine leere Erdichtung, wie viele Rodomontaden des eiteln Menschenkindes: aber das weiß ich, daß E 2 Muͤller fortmußte, und daß sich ganz Halle freute, als dieser gestrenge Haͤscherkapitaͤn seinen Abschied nahm. Einige Zeit uͤber war es ruhig in Halle, und schon glaubten die Studenten, es sey alles verges- sen. Ich demonstrirte meinen Freunden, daß die- ser Ruhe nicht zu trauen sey, anguem latere in her- ba, stille Waͤsser gruͤndeten tief, und den Herren von der Universitaͤt sey vollends nicht zu trauen, wenn sie stille schwiegen, und freundlich laͤchelten; das Hauptstudium der Gelehrten sey Klugheit, und Klugheit erfordere, daß man seinen Feind, ehe er sichs versieht, uͤberfalle, und ihm die Kehle zu- schnuͤre, ehe er um Succurs rufen kann. Meine Freunde hielten mich fuͤr einen falschen Propheten, aber ich hatte doch wahr prophezeyhet. Ich blieb eine Nacht uͤber bey meinem Freund und Gevatter Leffler, welcher Hofmeister bey ei- nem gewissen studierenden Adelichen von Spiegel war: Hr. Leffler war krank, und ich wachte bey ihm. Ich saß am Tisch, und las in Mosheims Servetus, als auf einmal — es mogte etwan zwey Uhr nach Mitternacht seyn — das ganze Haus in Alarm gerieth. Die Haͤscher waren naͤm- lich unter dem Commando des Universitaͤtspedel- len eingedrungen, und holten einige Studenten aus den Betten aufs Carcer, unter welchen auch Hr. von Spiegel war. Kaum erlaubten die gestrengen Herren, daß die Leute sich anziehen durften, und schrieen unaufhoͤrlich: „machen Sie, machen Sie, wir muͤssen fort!“ gleich als wenn sie sich gefuͤrch- tet haͤtten, der Feind moͤgte ihnen auf den Hals ruͤcken, und ihnen die gemachte Beute entreissen. Ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich eine Bemer- kung anbringen, die sich zwar jedem Nachdenken- den von selbst aufdringt, und dies ist, daß nichts die Schwaͤche der akademischen Regierung mehr be- weist, als die Proceduren, welche eben diese Re- gierung unternimmt, um sich derer zu versichern, welche sie strafen will. Warum wurden die jungen Leute aus ihren Betten geholt? Sie wuͤrden sich entfernt haben, wird man antworten, wenn sie or- dentlich waͤren gefordert worden. Gut; gesetzt sie haͤtten sich entfernt: so konnte man gegen sie doch verfahren, wie andre Gerichte auch in solchen Faͤl- len thun. Die Leutchen hatten ja doch keine Capi- talverbrechen begangen. Aber die Herren fuͤrchte- ten nicht sowohl die Entfernung der Angeklagten, als vielmehr die Nothwendigkeit, die angeschuldig- ten Verbrechen zu beweisen: und bey einer akade- mischen Inquisition kann so ein Beweis sehr leicht ausgefuͤhrt werden, der oft ganz unmoͤglich waͤre, wenn man mit seinen Proben oͤffentlich herausruͤ- cken muͤßte. Der Student wird aufs Carcer gesetzt, und nun ist nichts leichter, als ihn schuldig zu fin- den, wenn man sonst will: man kann ja instruiren und das Urtheil nach Wohlgefallen faͤllen. Aber wenn die Klagepunkte bey unbefangnen sollten un- tersucht und gewuͤrdiget werden, moͤgte wohl man- ches in Senatu academica gefaͤllte Urtheil gar gewal- tig reformirt werden muͤssen. Die Ursache alles Unheils auf Universitaͤten ist ein radikal Unheil, naͤmlich die Geringschaͤtzung der Gesetze. Und wo- her kommt diese schaͤdliche Verachtung? Antwort, aus dem Wesen der Gesetzgebung selbst. Alle Au- genblick werden Gesetze und Verordnungen gedruckt und angeschlagen, aber dabey bleibt es dann mei- stens auch, und fuͤr die Ausfuͤhrung des Gebote- nen, oder die Verhinderung des Verbotenen sorgt weiter kein Mensch mehr. Es ist mir wahrlich leid, daß ich es sagen muß, aber es ist Wahrheit, und die muß heraus, sollten auch noch so viele Her- ren ihre Nasen daruͤber ruͤmpfen. Dadurch, daß die Herren auf der Universitaͤt — ich rede nicht von Halle allein, sondern von allen deutschen Universi- taͤten, in soferne diese mir sind bekannt geworden — nicht auf die Erfuͤllung aller ihrer Verordnungen halten, machen sie selbst, daß niemand viel dar- nach fragt, und so bleibt es immer beym Alten. Ein ganz neues Beyspiel mag hier zur Erlaͤuterung dienen. Vor etwan 8 Wochen wurde am schwar- zen Bret zu Halle angeschlagen, daß kein Student mehr auf den Doͤrfern kommerschiren sollte, und na- mentlich wurden die Gelage in Reideburg verboten, und in dem Anschlag hieß es, die Saͤchsischen Ge- richte seyen deßhalben requirirt, und wuͤrden ge- wiß recht ernsthafte Maaßregeln ergreifen, wenn je jemand eine Laͤrmsauferey veranstalten wollte. Was geschah? Den folgenden Tag, nachdem das Quasigesetz angeschlagen worden war, zogen viele Studenten nach Reideburg, und erkundigten sich bey Zacharias Schmid, dem Schenkwirth, ob er wohl einen honetten Kommersch verstatten wollte? „Warum dann nicht, antwortete Schmid? Wer will mir das verbieten? Kommerschirt Ihr nur derb, macht einen Pabst, und thut was Ihr wollt: ich will den sehen, der Euch etwas in den Weg legen soll.“ So Herr Zacharias Schmid. Die Stu- denten, neugierig zu erfahren, welche Wirkung die Requisition des Prorektors durch die Saͤchsischen Gerichten thun wuͤrde, fingen ihren Landesva - ter an und sangen munter herum. Indem sie so laͤrmten, kam endlich der Richter, und gebot Ruhe, ließ sich aber bald besaͤnftigen, da ihm vorgestellt wurde, daß man bloß da sey, um ein Liedchen zu singen, und dabey zu trinken, keinesweges aber, um sich zu schlagen oder sonst Unordnungen anzu- fangen. In Halle ward es gleichsam wie durch ein Lauffeuer bekannt, daß in Reideburg war kom- merschirt worden, aber davon wurde weiter keine Notiz genommen. Ich will hier gar nicht unter- suchen, ob ein Vergnuͤgen, wie Kommersche zu unsrer Zeit sind, tolerirt werden koͤnnen oder nicht, aber wenn man sie toleriren will, oder gar toleriren muß , so sollte man sie auch nicht verbie- ten. Ich werde weiterhin Gelegenheit haben, uͤber diesen Gegenstand noch mehr zu sagen, uͤbri- gens bekenne ich, daß mir, so oft ich von einem akademischen Gesetz hoͤrte, allemal der so sehr wah- re Ausspruch des Dichters beygefallen ist: Quid leges sine moribus Vanae proficiunt? Was nuͤtzen die leeren Gesetze, wenn niemand zu gehorchen gewohnt ist. Doch ich will nur weiter erzaͤhlen. Die Unter- suchung ging, wie die meisten Untersuchungen auf Akademieen, sehr langsam vor sich, und da eben der nun verstorbene Professor Krause Prorektor wer- den sollte, so ließ dieser sich schon vorher, ehe er, wie man sagt, die Fasces academicos capessirte, in dieser Sache initiiren, und war dabey so emsig, daß er den ganzen Tag auf der Wage Ein dem Stadtmagistrat gehoͤriges Gebaͤude, welches die Universitaͤt gemiethet hat, um da ihre Gerichte, Disputatio- u. d. gl. zu halten. blieb, und sich sogar Essen und Coffee dahin bringen ließ, gleichsam als waͤre ein solcher Prozeß mit der Wohlfahrt des heiligen Roͤmischen Reichs deutscher Nation aufs innigste verbunden. Das Ende vom Liede war, daß mehrere fortgeschickt wurden, und daß die Aeltern der Inculpaten nach laͤngst herge- brachter Sitte, große Summen Unkosten und Straf- gelder bezahlen mußten. Die Studenten kamen dießmal, wie allemal, am schlimmsten weg, und Herr Klappenbach, der Stockmeister, wuͤnscht sich alle Jahre einen Studentenkrieg, weil er davon nicht geringen Nutzen hat. Siebentes Kapitel. Literarische Arbeiten . I m Winter 1797 schrieb ich meinen Carl Mag- nus, eine Lebensgeschichte eines winzigen Despo- ten in den Rheingegenden, dessen Begebenheiten mir laͤngst genau bekannt waren. Ich habe von diesem Carl Magnus, Rheingrafen zu Grehweiler, schon einiges in meiner Lebensbeschreibung Band 1. Seite 37 ff. ange- fuͤhrt, aber das Buch, welches ich nun herausgab, war eine vollstaͤndige Biographie dieses unwuͤrdi- gen Reichsstandes. Mein Zweck war nicht sowohl das Andenken eines Grafen an den Pranger zu stellen, welcher noch sehr vornehme Verwandte in- nerhalb und außerhalb Deutschlands hat, als viel- mehr einen Zuchtspiegel fuͤr diejenigen zu stellen, welche gern mit aller Ehrbarkeit als Regenten durch die Welt kommen wollen. Daß ich meinen Zweck nicht ganz verfehlt habe, beweist folgender Vor- fall: Im Fruͤhling 1798 ließ mich der Fuͤrst von Neuß zu sich auf den Loͤwen kommen, war sehr artig gegen mich, und gestand mir, daß er gerne den Verfasser des Carl Magnus habe wollen ken- nen lernen; Carl Magnus sey zwar sein Vetter ge- wesen, aber darauf nehme er gar keine Ruͤcksicht, und billige mein Unternehmen, einen winzigen Ty- rannen zum abschreckenden Beyspiel aufzustellen. „Ich wuͤnschte, fuhr er fort, daß manche Herren — hier nannte er verschiedene — Ihren Carl Magnus lesen moͤgten. Denn viele stehn schon auf der Schaukel, und werden bald umkippen, andre ei- len ihrem Verderben schnurstraks entgegen. Ihr Buch koͤnnte sie belehren, was aus Donkischotspos- sen herauskommt.“ So urtheilte ein helldenkender, aufgeklaͤrter Fuͤrst; ganz anders aber sprach der Goͤttinger Recensent, welcher, wie man versichert hat, Hr. von Berg seyn soll. Dieser Recensent fiel besonders uͤber das Urtheil her, welches ich uͤber das Reichskammergericht zu Wetzlar gefaͤllt hatte; ohne das Urtheil selbst zu widerlegen, be- schuldigt er mich geradezu der Partheylichkeit und der Verdrehung des Gegenstandes, und versichert, daß es bey keinem Gericht in ganz Europa ordent- licher und redlicher zugehe, oder auch nur zugehen koͤnne, als bey dem Reichsgericht zu Wetzlar!! Credat ludaeus Apella, wird hier mancher sagen, der die Lage der Dinge besser kennt, und wenn es wahr ist, daß Herr von Berg jene Recension ge- macht hat, so bin ich vollkommen uͤberzeugt, daß er anders dachte, als seine Feder schrieb. Indessen machte doch meine Schrift auch in Wetzlar selbst Aufsehen: der Prorektor Krause sagte zu einem seiner Hausstudenten, den ich noch, im Fall es verlangt werden sollte, namhaft machen kann, ich sey verklagt worden von der Kammer zu Wetzlar, und nach seiner Meynung muͤßte es mir hart an den Kragen gehen; es sey aber auch schon recht: denn einem Menschen, der sich nicht scheute, das hohe Reichsgericht selbst anzugreifen, muͤste man das Maul stopfen, und zwar derb. Ich will hier gar nicht fragen, in wie weit es sich schickt, daß ein Prorektor mit einem Studenten uͤber solche Sachen spreche, sondern nur anmerken, daß ich das Reichskammergericht ganz und gar nicht ange- griffen habe, wenigstens das nicht, welches im Jahr 1797 zu Wetzlar war: denn sollte ja etwas Nachtheiliges fuͤr das Kammergericht aus meinem Buche zu ziehen seyn, so betraͤfe es doch bloß die Herren, welche ohngefaͤhr 1766 oder 1768 das Personale der Kammer ausmachten, und es wird doch wohl niemand behaupten wollen, daß es zu keiner Zeit Anomalien in Wetzlar gesetzt habe. Haec in parenthesi. Der Student, mit welchem der Prorektor Krause uͤber mein Verbrechen gegen das hohe Reichsgericht gesprochen hatte, kam zu mir, und erzaͤhlte mir alles, in der Absicht, mich zu warnen, und etwa mich durch die Flucht zu retten. Hr. Krause muß demnach meine Sache, als sehr gefaͤhrlich vorge- stellt haben. Ich ging nun selbst hin zum Prorek- tor, und erkundigte mich, allein dieser gab mir zur Antwort, es waͤre zwar an dem, daß ich verklagt sey, allein noch sey Er nicht befugt worden, eine Untersuchung uͤber die von mir gegen ein hoͤchstes Reichsgericht — er sprach diese Worte mit einer ihm ganz allein eignen Emphase aus — hingeworfe- ne Calumnien zu inquiriren, sollte aber dieser Fall eintreten, so wuͤrde er thun, was seine Pflicht for- derte. Ich merkte, daß Hr. Krause in diesem Stuͤck seiner Pflicht nur gar zu gerne ein Genuͤge geleistet haͤtte, allein diese Freude ward ihm nicht: denn da die Klage uͤberhaupt so eingerichtet war, wie mir sich- re Leute erzaͤhlt haben, daß sie nicht konnte von Preußischen Obergerichten angenommen werden, so wurde sie uͤberhaupt bey Seite gelegt, und kam nicht zur Untersuchung. Da uͤbrigens meinem Carl Magnus von niemand oͤffentlich widersprochen wird, welches doch sehr leicht geschehen koͤnn- te, wenn er Luͤgen enthielte, indem noch viele hohe und niedere Augenzeugen aller in dem Werkchen erzaͤhlten Begebenheiten noch jezt am Leben sind, so verdient er allerdings historischen Glauben, und kann dem kuͤnftigen Historienschreiber dienen, den Geist der Duodezmonarchien in Deutschland mehr kennen zu lernen. Den Sommer 1798 uͤber schrieb ich den ersten Theil meiner Annalen der Universitaͤt zu Schilda, auf welchen zu Ostern 1799 der zweyte und dritte Band folgte. Ich hatte seit dem Jahr 1775 das Universitaͤtswesen angesehen — — quaeque ipse miserrima vidi, Et quorum pars magna sui. Virg. Aen. L. II. und war daher sehr wohl im Stande, das Karrikaturmaͤßige der ge- lehrten Innungen in Deutschland darzustellen. Ich wagte es, und so entstanden die Annalen von Schil- da. Ich habe aber dabey keine Universitaͤt insbe- sondere, keinen individuellen Professor u. s. w. vor Augen gehabt, sondern unter erdichteten Namen diejenigen Boksspruͤnge beschrieben, welche ich kennen gelernt, und zum Theil — warum sollte ichs nicht gestehen? — selbst mitgemacht hatte. Dieß moͤgen diejenigen sich merken, die so unge- buͤhrliche und abgeschmackte Auslegungen uͤber mein im Grunde ganz unschuldiges Werk gemacht haben. Mein Freund, Herr Leffler, schrieb mir aus Fran- ken, daß man in Jena, Erlangen und Altorf mein Schilda und die von mir vorgestellte Personen alle gefunden, und mit Fingern auf sie gewiesen habe. Der Professor Fuͤnfkaͤs sey in Jena Herr X, in Er- langen Herr Y und in Altorf Herr Z. Das Ding kam mir wunderlich vor, da Fuͤnfkaͤs auch in Halle gesucht und gefunden wurde. Ich erschrack uͤber diese Auslegungen, welche meinen Worten einen Sinn gaben, den ich weder gedacht hatte noch den- ken konnte, da ich wirklich die Maͤnner verehre, welche ich in den Annalen an den Pranger gestellt haben soll. Ich hatte gewiß bey der Verfassung der Schil- daischen Annalen eine ganz andre Absicht, als mei- ne meisten Leser vermutheten: ich wollte die Radi- calfehler aller deutschen Universitaͤten schildern, und einige Mittel angeben, wie denselben abzuhel- fen sey. Ich dachte, vielleicht liest jemand dein Buch, dem es dran liegt, daß diese Fehler gebes- sert werden, und der auch Kraft genug hat, so ein Werk ganz oder zum Theil auszufuͤhren, da kann das Buch nuͤtzlich werden. Damit es aber auch nicht sollte liegen bleiben, und sich auch von sol- chen lesen lassen, welche sich um die Verbesserung des Universitaͤtswesen nicht bekuͤmmern, kleidete ich das ganze Ding in Schnurren ein, welche um so verzeihlicher sind, da es auf allen deutschen Uni- versitaͤten so sehr schnurrig zugeht, wie die taͤg- liche leidige Erfahrung hinlaͤnglich beweist. Eines Tages kam ich zu Herrn Bispink. „Wissen, Sie daß ein hiesiger Student gegen Sie ein Buch schreiben wird, welches Laukhard der Obermeister der gelehrten Innung zu Schilda heißen soll?“ Ich betheuerte Hn. Bis- pink, daß ich nichts von so einer Schrift wisse. „Ja, ja, fuhr er fort, es ist ganz gewiß; der jun- ge Mann hat sich nach allen Ihren Histoͤrchen er- kundigt, und wird ein nettes Bild von einem Schil- daischen Obermeister darstellen.“ Ich erkundigte mich unter den Studenten — denn Herr Bispink wollte mir den Verfasser der imaginairen Broschuͤre nicht sagen — wer doch so etwas zu schreiben im Sinn haͤtte; aber keiner wußte mir daruͤber Aus- kunft zu geben. Indessen suchte ich im Epilog zum dritten Band der Annalen mich gegen die etwai- gen Vorwuͤrfe meines Antagonisten zu verwahren, allein das war sehr uͤberfluͤßig: denn es erschien auch kein Buchstabe weder gegen meine Annalen, noch gegen meine Person. Die ganze Historie war eine Erfindung eines leeren muͤßigen Kopfes, oder einer Fraubase; vielleicht waren die guten Leutchen scharfsinnig genug, sich in Schilda anzu- treffen, und da wollten sie mir wenigstens Angst ma- chen, da sie mir weiter nicht schaden konnten. Es geht so in der Welt, und man wuͤrde sehr uͤbel thun; wollte man den Leuten den Spaß versalzen, wie ich leicht koͤnnte, wenn es mir jezt einfiele, Skan- dale zu erzaͤhlen; aber das will ich nicht, obgleich damals die Herren sich bemuͤhet haben, meine Suiten, sogar meinen Zank mit einem Schacher- juden auf dem Rathskeller zu erforschen, und zu verbreiten. Unter den Recensenten der Annalen, hat Herr Borhoͤk meinen Sinn am besten getroffen: wie aber die Annalen von Schilda in den theolo- gischen Annalen konnten recensirt werden, ist nicht leicht zu begreifen, es muͤßte dann seyn, daß das Schildaische Wesen mit dem Theologischen einige Aehnlichkeit haͤtte. Daß aber ein so orthodox luthe- rischer Mann, wie Herr Scheibel zu Breslau ist, meine Annalen nicht billigte, ist gar kein Wunder: aber Herr Scheibel hatte doch gar nicht Ursache, in seinen Glossen, wo er immer etwas Kluͤgeres haͤtte vorbringen koͤnnen, auf die armen Produkte und ihren Verfasser so fuͤrchterlich loszuziehen, und mich, wie mir selbst einige von seinen Schuͤ- lern lern gesagt haben, einen Kerl, einen Scribax, ei- nen Blasphemanten und Profananten uͤber den an- dern zu heißen. Es thut mir leid, daß ich dieß von einem Manne sagen muß, dessen Verdienste ich hochschaͤtze, und von dem ich selbst manches Gute gelernt habe. Doch es mag seyn; vielleicht thut es Herr Scheibel in Zukunft nicht mehr, und sieht vielleicht ein, daß Schulsaͤle keine Klatschbu- den sind, wo man andre Leute herumholt, und ih- nen das bischen Ehre abschneidet, das sie vielleicht noch haben moͤgen. Achtes Kapitel. Magister Dornensteeg . Stemmert . Schulz . I m Fruͤhling 1798 besuchte mich ein Fremder, welcher sich Dornensteeg nannte. Dieser Mann fiel mir auf, es war mir, als haͤtte ich ihn schon einmal irgendwo gesehen, aber da er sich Dornen- steeg nannte, ich mich aber nicht besinnen konnte, diesen Namen irgendwo gehoͤrt zu haben, so stellte ich auch weiter keine Untersuchungen an, zumal da Herr Dornensteeg nicht im Geringsten that, als habe er mich schon ehemals gekannt. Einige Tage hernach besuchte er mich wieder, und entdeckte sich, Laukh. Leben 5ter Theil. F und siehe da, es war Herr Eichhorn von Pyrmont, mit welchem ich ehedem in Gießen und in Goͤttin- gen studiert, und an diesen Orten manches Eben- theuer bestanden hatte. Eine groͤßere Freude haͤtte ich damals nicht haben koͤnnen: denn es ist so sehr angenehm, alte Bekannte wieder zu treffen, und diese Bekannte sind uns um so theurer und angeneh- mer, wenn wir mit ihnen an Oertern waren, die uns unvergeßlich sind, wie mir Gießen und Goͤttingen ewig bleiben werden. In der ersten Stadt hatte ich den Anfang meines akademischen Lebens ge- macht, und hatte mich gleich so in den damaligen Burschenton eingeschustert, daß man noch in Gießen meiner gedenkt, und wohl noch lange gedenken wird. Nun hatte ich wieder einen Mann, mit dem ich mich uͤber die alten Geschichten unterhalten konnte, und so oft wir zusammen kamen — wir kamen aber, da Hr. Dornensteeg auch beym Schnei- der Baum wohnte, taͤglich zusammen — ließen wir die Gießer und Goͤttinger die Revuͤe passiren, und erzaͤhlten uns die alten Stuͤckchen, welche wir erlebt hatten. Die Eulerkappereyen, die Wami- chiaden, die Auftritte mit dem groben Muͤller im Einhorn, die Kreuzzuͤge und die uͤbrigen Gießer Possen: dann kamen wir auf Goͤttingen, muster- ten die Kellermenscher und den Schnappskonradi u. s. w. Dieß thun wir noch bis auf den heutigen Tag; wir treffen uns noch sehr oft im Hirsch bey Hn. Kypke, auf dem Universitaͤtskeller, in Karls Garten und auf der Mail, wo unser Gespraͤch meistens alte Suiten beruͤhrt. Unser gemeinschaft- licher Freund, Herr Buͤchling, nimmt gerne Theil an unsern muntern Unterhaltungen, und da giebts immer was zu lachen, besonders wenn wir uns mit der Mamsell Eulerkapper und mit dem Gießer Ober- haͤscher Neeb aufziehen. Herr Dornensteeg heißt Eichhorn, hat aber sei- nen Namen wegen gewissen Ursachen umgeschaffen; diese Ursachen hat er mir nie entdeckt, weil ich ihn nie drum fragte: aber wichtig genug muͤssen sie ge- wesen seyn, weil man doch nicht ohne Noth seinen Namen veraͤndert. In Frankreich fand ich auch einmal fuͤr gut, mein Laukhard in Lamarets umzu- setzen, und fuhr sehr wohl dabey, ich zweifle aber doch, daß Herr Dornensteeg so trifftige Gruͤnde zur Veraͤnderung seines Namens sollte gehabt haben, als ich. Alle Hallenser, welche mit dem braven Magi- ster — denn unter diesem Namen ist er hier bekannt — Umgang haben, bedauern nur, daß er schwer hoͤrt, und daß dadurch seine Gesellschaft etwas laͤ- stig wird; doch vergißt man auch bald diesen Miß- stand bey der ihm ganz eignen und unveraͤnderlichen jovialischen Laune. F2 Unter diejenigen, mit welchen ich genauer umging, seitdem ich verheyrathet war, gehoͤrt vorzuͤglich Herr Stemmert. Dieser Mann war ehedem Fran- ziskanermoͤnch gewesen, hatte aber, theils aus bes- serer Ueberzeugung, theils aber auch deswegen, weil ihm sein eignes Fleisch und Blut sagte, es sey besser, ein Hemd zu tragen, als einen wollenen Lap- pen auf dem Leibe, besser im Bette zu schlafen, als auf dem Strohsak zu lunzen, und des Nachts, wenn andre ruhen, im Chor zu plaͤrren, besser endlich, mit einem huͤbschen Maͤdchen spazieren zu gehen, als auf dem Termin herumzulatschen, und Butter, Kaͤse, Eier u. d. gl. zu betteln. Das alles uͤber- legte Herr Stemmert und verließ sein Kloster, und that, me quidem judice, ganz recht daran, obgleich ihn alle gute katholische Christen deßhalb tadeln muͤssen. Mit seiner Apostasie vom Franziskaner- orden verband er auch die Apostasie vom Roͤmischen Glauben, und handelte hierin wahrlich consequen- ter, als jene Exmoͤnche, welche zwar das Kloster verlassen, und doch aͤchte katholische Christen blei- ben wollen. In der roͤmischen Religion ist alles System, und alles haͤngt da, wie in einer Kette zusammen, wer ein Gelenk dieser Kette aufloͤset, trennt alles, und das ganze Gebaͤude faͤllt uͤbern Haufen. Die Kirche aber belegt den, der seinen Orden verlaͤßt, mit dem Anathema; wie kann abe ein solcher von der Kirche, also auch von Gott Ver- fluchter, noch ein guter katholischer Christ seyn? Und doch bilden sich manche Exmoͤnche, sogar solche, die doch nicht scheinen vernagelt zu seyn, in ihrem Gehirne ein, sie koͤnnten den guten Catholiken und den anathematisirten Kuttendeserteur in einer Per- son vereinigen. Aber die Herren, welche so den- ken, scheinen sich mit der Zeit wieder bekehren zu wollen: sie wollen nur eine Zeitlang das Vergnuͤ- gen der Freyheit und des lustigen Lebens genießen, alsdann beichten, Buße thun, und im Schoos der alleinseligmachenden Kirche, in der gnadeertheilen- den Kutte des heiligen Franz, oder des heiligen Dominicus sterben. So war zum Beyspiel seit 1792 ein gewisser Exmoͤnch Succard hier in Halle, welcher im Lateinischen Stunden gab, ohne das Latein zu verstehen: denn Succard war nicht im Stande, eine Zeile in einem Schriftsteller zu er- klaͤren. Das Dutzen im Lateinischen, meynte er, sey Grobheit, ehedem in den groben Zeiten eines Cicero und Virgilius moͤgte das so hingegangen seyn; aber wir muͤßten die Sache besser verstehn', und statt des ungeschliffenen Ciceronianischen: si vales, bene est, sagen: si vestra dominatio se bene portat; waͤre es ein Geistlicher, muͤsse man vestra Reverentia sagen, zu einem Fuͤrsten spraͤche der je- tzige Lateiner vestra Serenitas, und zu einem Koͤni- ge vestra Majestas u. s. w. Dieser Mensch lebte zwar gar nicht monachalisch, er soff, hielt sich ein Maͤdchen von der verworfensten Classe, fluchte und riß Zoten, wie ein Oberhaͤscher; aber Fleisch haͤtte er um alles in der Welt am Fasttage nicht ge- gessen, und in seiner Stube sahe es aus, wie in einer Kapelle; alle Waͤnde waren mit Heiligenbil- dern tapissirt, und das Weyhkesselchen hing neben der Stubenthuͤr. Endlich druͤckte den guten Suc- card das schwere Gewissen; er schrieb an sein Klo- ster, bekannte seine Suͤnden, erhielt natuͤrlicher Weise einen Gnadenruf von der heiligen Klike, und kehrte zuruͤck. Ohne allen Zweifel paradirt Mei- ster Succard dereinst im Himmel wie ein glaͤnzen- der Stern. So wie aber Succard dachte und handelte, so handeln mehrere, welche das Kloster verlassen. Im Sommer 1798 kam ein Westphaͤlischer Moͤnch nach Halle, und suchte Beystand bey Hn. Bispink. Dieser Mann, welcher niemand seine Huͤlfe ver- sagt, wenn er helfen kann, nahm sich des Men- schen nach allen Kraͤften an, kleidete ihn, und schaffte ihm eine Wohnung; aber der Ehrenmann, er hieß Schulz Mehr Nachricht von diesem Nichtswuͤrdigen giebt das Staa- tenjournal. B. V. , fuͤhrte sich auf, wie ein pecus campi, besoff sich alle Tage in Schnapps, — der Kerl konnte fuͤr sechs Groschen Fusel ausziehen, ohne trunken zu werden, und nun denke man, wie viel er saufen mußte, bis er hinstuͤrzte! — und machte außerdem noch allerley Excesse, daß seine Hausleute, aus Furcht, er moͤgte ihnen das Haus anstecken, ihn nicht mehr leiden wollten. Er muß- te deßhalb, selbst auf Hrn. Bispinks Betrieb, von Halle weg, und das Sonderbare bey der Sache war, daß ihm der damalige Prorektor die ihm ge- gebne Matrikel wieder abnahm. Der Prorektor war aber kein Jurist, sonst haͤtte ers schwerlich gethan. I. A. Spohn de privatione privilegiorum infami ac famosa. Goettingae in fallos 1775. Der Pro- rektor kann wohl eine Matrikel ertheilen, aber den, der sie hat, derselben nicht berauben, auch dann nicht, wenn dieser rele- girt wird. Bey Schulz gings indessen: denn der dumme Teu- fel ließ mit sich machen, was man wollte. Dieser Schulz bey alle seinem Luderleben, war doch ein guter Katholik, betete taͤglich seinen Ro- senkranz, und lief in alle Messen. Von Halle aus ging er nach Westphalen zuruͤck, wurde aufgefischt, und in ein Kloster gesteckt; er wird aber jezt wie- der los seyn, und gewiß auch noch ein Heiliger werden, wie Maria Magdalena eine Heilige ist. Nun wieder zu Herrn Stemmert. Er verließ also sein Kloster, ging nach Jena, und fing an, die lutherische Theologie zu studieren. Das theo- logische Studium sezte er auch in Halle fort: al- lein aus guten Gruͤnden verließ er es, und diese wa- ren, wie er mir selbst gestand, folgende. Er hatte bey dem sehr bornirten Unterricht auf der Schule zu Fulda keine Gelegenheit gehabt, die morgenlaͤndi- schen Sprachen zu lernen, und war selbst im Grie- chischen eben kein Hexenmeister geworden. Nun haͤtte ihn zwar der Mangel an diesen Kenntnissen nicht hindern koͤnnen, Theologie zu studieren, wenn er den gewoͤhnlichen Gang haͤtte mitmachen wollen: denn viele unsrer Herren werden ja auch Theolo- gen, ohne Hebraͤisch lesen oder Time dekliniren zu koͤnnen. Aber Herr Stemmert dachte anders, und war uͤberzeugt, daß ohne eine gruͤndliche Kennt- niß der Bibelsprachen das ganze theologische Stu- dium ein bodenloses Ding sey: er hatte nicht Lust, sich mit dem Kametz Chatubh abzugeben, und ließ daher auch die Theologie. Dann bewog ihn hier- zu auch noch die eigentliche Beschaffenheit die- ses Studiums. Er meynte, die ganze Theologie sey eine bloß menschliche Erfindung, welche bloß ihres erdichteten hoͤhern Ursprungs wegen ehrwuͤr- dig aussaͤhe, aber bey jeder naͤhern Untersuchung und Beleuchtung dahin stuͤrzte. Dieß sey die Na- tur jeder Theologie, der heidnischen, juͤdischen und christlichen, und in der christlichen sey die prote- stantische der katholischen so aͤhnlich wie ein Ey dem andern, naͤmlich in Ruͤcksicht auf Ursprung und Wuͤrde: der Katholik baue das Ansehen seiner Theologie auf das Ansehen seiner Kirche, die er faͤlschlich fuͤr die allgemeine Kirche ausgaͤbe, und der Protestant gruͤnde sein System auf die sehr zwey- deutige Autoritaͤt einiger Juden, welche den Stif- ter der Religion theils selbst gehoͤrt, theils von an- dern dessen Lehre erfahren hatten. Eine goͤttliche Inspiration oder unmittelbare goͤttliche Direction kaͤme hier allerdings ins Spiel: denn die Verthei- diger der Religionen haͤtten wohl eingesehen, daß sie ihren Beweis, ohne den naͤhern Beystand Gottes zu Huͤlfe zu nehmen, nicht suchen koͤnnten; im Grunde aber sey so eine Inspiration oder Dire- ction entweder bey einzelnen Menschen, bey Apo- steln, oder bey kirchlichen Versammlungen, bey sogenannten allgemeinen Concilien unerweislich, und eben daher sey das Fundament der ganzen The- ologie gleichfalls unhaltbar, und schwankend. Die- jenigen Theologen, welche das Kirchensystem mo- dernisiren wollten, und es, so gut es sich thun lie- ße, mit dem jedesmaligen philosophischen System harmonisch zu machen sich bemuͤheten, seyen in diesem Fall nicht Theologen, und zerstoͤrten dadurch, daß sie die Lehren des Glaubens der Vernunft, oder genauer zu reden, dem herrschenden philosophischen System unterwuͤrfen, die ganze Theologie. Aus allen diesen Ursachen sey das Studium der Kirchen- lehre die Sache eines denkenden Kopfes nicht: denn dieser faͤnde nie Nahrung fuͤr seinen Geist, und nie Gewißheit in derselben. Gern haͤtte Stemmert Medecin studiert, aber die res angusta domi verbot ihm, das kostbare medicinische Studium zu verfolgen, und daher legte er sich auf die Juristerey, worin er sich auch treffliche Kenntnisse gesammelt hat, so daß er bald im Stande war, die verschiedenen Theile dieser Wissenschaft mit Studenten zu wiederholen, ohne ihnen solche Juristische Fratzen aufzuheften, wie weiland Meister Stantke, seliges Andenkens, und ein gewisser Mosjeh — welcher jus Austraegarum Oesterreichisches Landrecht uͤbersezt, und doch sich kluͤger zu seyn einbildet, als Cujacius und Vitri- arius. Da Stemmert sehr jovialisch ist, so war er bald mein Mann und ich der Seinige: wir haben manche vergnuͤgte Stunden mit einander an oͤffentlichen Oer- tern, besonders auf der Mail und auf unsern Kellern und in den an der Stadt gelegenen Gaͤrten hinge- bracht, und da wir stets das utile duci miscirten, oder deutlicher, da wir immer uͤber Gegenstaͤnde aus dem Fache der Gelehrsamkeit raisonnirten, so war un- ser Umgang fuͤr uns nie ohne Nutzen. Mein laͤngst erprobter Freund, der gelehrte und rechtschaffene Herr Buͤchling, fuhr fort gegen mich so zu seyn, wie er immer war, und noch jetzo fin- de ich so wenig, als vor achtzehn Jahren unter denen, die ich kenne, keinen, den ich diesem Edlen vorziehen moͤgte. Oft, wenn ich das gluͤckliche und ruhige Leben, welches Hr. Buͤchling fuͤhrt, uͤberdachte, fielen mir die Verse des Horatius an den Dichter Albius Tibullus ein: Ep. L. I. IV. Nor tu corpus eras sine pectore Di tibi divitias dederant, artemque fruendi. Quid foveat dulci nutricula majus alumna Quam sapere et fari possit quae sentiat, et ari Gratia, fama, valetudo contingat abunde, Et mundus victus non deficiente crumena. Es wird unter den, wer weiß wie vielen deut- schen Gelehrten sehr wenige geben, welche so, wie Herr Buͤchling, in Ruhe und von allen Sorgen weit entfernt leben, und den Wissenschaften obliegen koͤnnen. Er arbeitet viel, aber bloß, weil er die Arbeit liebt, und die Wissenschaften um ihrer selbst willen schaͤtzt, worauf er sie verwendet, da hinge- gen andre Gelehrte Felder bearbeiten muͤssen, de- ren Unfruchtbarkeit sie hinlaͤnglich einsehen: aber sie muͤssen schon in einen sauren Apfel beißen, um nur das liebe Brodt zu erwerben. Magister artis ingeniique turgitor Venter, negatas artifex sequi voces. Vers. Prolog. in Sat. Von meinen alten Bekannten kam im J. 1797 auch ein gewisser Herr von Briesen. Diesen Men- schen hatte ich in Goͤttingen gekannt, und schon damals hielt man ihn fuͤr schwach im Hirne. Er legte sich unter Michaelis sehr stark auf die Orien- talische Literatur, und lernte das alte hebraͤische Te- stament fast auswendig, dann fiel er uͤber die rab- binischen Commentare der heiligen Schrift her, studierte sie fleißig, las das herrliche Buch, den Talmud, und wurde vor lauter juͤdischer Gelehr- samkeit fast ganz verruͤckt. Ohne alles Geld kam er nach Halle und wendete sich an den Direktor des Waisenhauses, erhielt auch daselbst die gewoͤhnli- chen Beneficien. Nun wollte er auch seine hebraͤi- schen Kenntnisse den Studenten nuͤtzlich machen, und fing daher an von Stube zu Stube zu laufen, jedesmal eine Lobrede auf den Hebraismus zu hal- ten, und sich dann als Praͤceptor dieser Sprache ergebenst-gehorsamst zu empfehlen. Der Mann hatte auch eigne Entdeckungen in der Erklaͤrung des alten Testaments gemacht, von welchen ich doch eine pour la rareté du fait meinen gelehrten Lesern mittheilen will. Die Aufschrift des hohen Lieds heißt: Schir haschschirim ascher lischlomo. Dieß uͤber- sezt man faͤlschlich: Lied der Lieder Salomos. Das Buch ist eine Sammlung von Liedern, das erste Wort Schir heißt nicht Lied; es ist das praeteritum Hiphil ריש statt רישח, vid. Danz. Gram. de Aphaer: es heißt also: er hat gesungen d. h. eingegeben: denn diese Bedeutung hat das Heb. ריש das griechische ἀδειν und das lateinische canere. Aber wer hat eingegeben? wer sonst, als der Adonai? — Das Wort Jehovah sprach Herr von Briesen, so wie die aͤchten Juden, um alles in der Welt nicht aus — Wem hat er eingegeben? Lischlomo dem Salo- mon. Was hat er ihm eingegeben? Haschschirim, diese Lieder, diese Liedersammlung: also heißt es nun: Adonai hat dem Salomon diese folgende Lie- dersammlung vorgesungen, das ist: eingegeben, und nun folgt eine weilaͤufige Dissertation uͤber das Eingeben durch Vorsingen. Man kann sich nach dieser Probe schon vorstellen, wie seine uͤbri- gen Exegesen beschaffen waren. Die Studenten hatten immer ihren Spaß mit dem guten Briesen und er verdiente auch so viel, daß er wuͤrde haben auskommen koͤnnen; aber oft hinderten ihn seine Grillen monatlang Stunden zu geben, und so mußte er nicht selten darben, zumal da er endlich auch vom Waisenhause geschaßt wurde: denn vom Waisenhaus schaßt man, wahrscheinlich wegen der großen Schnelligkeit, womit der Ver- wiesene sich entfernen muß. Nun gings ihm truͤb- selig in seiner Oekonomie, und er war oft gezwun- gen, Gesellschaften zu suchen, welche ihn frey hiel- ten. Die Studenten hatten endlich ihren vollkom- menen Spott mit ihm, und wo er sich blicken ließ, schallte es aus allen Fenstern und das in den laͤ- cherlichsten Tonarten: Herr von Briesen, Herr von Briesen! Kam er mit Studenten zusammen, so wurde er unbarmherzig geneckt, allerley Ver- brechen beschuldigt und nach einer komischen Un- tersuchung zu den laͤcherlichsten Strafen verdammt, die dann auch oftmals exequirt worden. Einst wurde er im Hirsch zu einer Strafe condemnirt, wel- che doch nicht wohl hatte ausgeuͤbt werden koͤnnen. Er sollte naͤmlich kombabusirt werden. Ein lustiger Bruder machte auf diese Posse folgendes Distichon: Pendent de furca Brisi genitalia: namque Fecerat, infandum! stupra nefanda Brisus. Ich tadelte diese Verse, weil die erste Sylbe in Brisus lang und kurz gebraucht sey; aber Herr von Brisen nahm sich der Verse selbst an und vertheidigte sie. Nach- dem er sich nicht mehr fortzubringen wußte, ver- ließ er Halle, und bald hernach kam das Geruͤcht, Briesen sey, ich weiß nicht, wo, ins Wasser ge- sprungen und habe sich ersaͤuft. Doch haben an- dre dieser an sich gar nicht unglaublichen Sage widersprochen. Neuntes Kapitel. Alte Geschichten von Gießen und Goͤttingen . D u hast deine Lebensgeschichte nicht so er- zaͤhlt, wie sie deine Freunde eigentlich erwartet haben, und wie sie dieselbe zu erwarten das Recht hatten, sagte einst der Magister Dornensteeg auf einem Spaziergange nach der Mail zu mir. Ich . Wie dann so? Finden sich etwa Luͤgen oder verdrehte Nachrichten in meinem Werke? Dornensteeg . Das eben nicht: wenigstens habe ich nicht gefunden, daß du vom Eulerkapper oder vom Schnappsconradi zu Goͤttingen gelogen haͤttest. Aber es fehlt so viel in dem Buche, das man gern wuͤrde gelesen haben, wenn du es erzaͤhlt haͤttest. Nun begann Herr Dornensteeg eine ganze Menge alter Geschichten zu gedenken, welche da- mals sich zutrugen, als wir beysammen waren, und woran ich mit unter besondern Antheil gehabt hatte. Dornensteeg und mehrere, die es hoͤrten, daß noch historische Reliquien da waren, ersuchten mich, dieselben bey Gelegenheit nach zu holen, und ich trage kein Bedenken, es zu thun, da ich gewiß weiß, diese Schnurren werden den meisten meiner Leser nicht unwillkommen seyn. Der Anfang des neuen Jahres wurde in Gies- sen auf eine hoͤchst seltsame Art gefeiert. Abends ging jeder Student, wie gewoͤhnlich, in eine Knei- pe zum Eberhard Busch, in die Kraußkopferey, Reiberey oder wo sonst hin: Schnapps und Bier wurde getrunken, und das lustige Leben waͤhrte bis um halb Zwoͤlf. Wenns so hoch an der Zeit war, lief jeder Student nach Hause: schon vorher war der Nachttopf ins Fenster gesezt worden, nachdem man ihn mit Unflath aller Art angefuͤllt hatte: manche patriotische Studenten versahen sich mit mehrern Nachttoͤpfen zu diesem nobeln Geschaͤfte. Auf den Glockenschlag zwoͤlf ertoͤnte ein helles: „ pe- reat das alte Jahr!“ aus allen Fenstern, wo Studen- ten wohnten, und die Nachttoͤpfe, Brunzkacheln zu Gießen genannt, flogen mit ihrem garstigen Inhalt auf die Straße. Dann ertoͤnte ein munte- res: „ vivat das neue Jahr!“ worauf die meisten ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zu Gießen Gießen sahen also fruͤh am Neujahrstag gar haͤß- lich aus, und allerwegen hoͤrte man Verwuͤnschun- gen uͤber die Garstigmacher. Dieser loͤblichen Ge- wohnheit wegen waren zu Gießen nur irdene Nacht- geschirre: denn zinnerne zum pereat des alten Jah- res auf die Straße zu werfen, waͤre doch zu kost- bar gewesen. Zwischen dem Gießer Militaͤr und den Stu- denten herrschte die innigste Einigkeit, und die mei- sten oder vielmehr alle Subaltern-Offiziere waren Duzbruͤder der Bursche, und kommerschirten so- gar mit denselben. Ich erinnere mich, einst einem solchen Hospiz unter dem Praͤsidium des Hn. Leut- nants, jezt laͤngst Hauptmanns P... im Hirsch bey Magnus beygewohnt zu haben. In Halle wuͤrde so etwas gewaltig auffallen, und wohl gar auf Seiten der Offiziere Verdruß und Strafen nach sich ziehen, aber in Gießen war das eine Kleinigkeit, worauf niemand Ruͤcksicht nahm. Ich weiß aber auch nicht, welches besser ist, oder wel- ches weniger schadet, mit den Studenten kommer- schiren, oder mit ihnen die Bordelle oder Buff- keller besuchen. Bey der innigen Einigkeit der Studenten und der Offiziere entstanden keine Haͤn- del und Schlaͤgereyen unter ihnen; ich erinnere mich nur eines einzigen Duells, welches zwischen einem Leutnant und einem Studenten wegen Jung- Laukh. Leben 5ter Theil. G fer Gretchen Kraußkopf vorgefallen ist. Der Stu- dent machte diesem Maͤdchen aus einer Schnapps- kneipe den Hof, und der Offizier, welchen dieses aͤrgern mogte, raͤsonnirte auf das Maͤdchen, und bes rieb es, als gar nicht sproͤde und unbarmher- zig im Gießer Offizierton, der grade so gebildet war, wie der Burschenton. Den Studenten ver- droß dieses, und als er einst den Leutnant auf dem Schießhaus antraf, constituirte er ihn, und die Folge war eine Schlaͤgerey, wobey der Leutnant einen Hieb uͤber die Nase bekam, und waͤhrend drey Wochen nicht ausgehen konnte. Die Herren hatten sich gegen die gewoͤhnliche Methode zu Gießen auf den Hieb geschlagen. Die Ursache, warum die Gießer Studenten, welche doch auf ihre studentischen Rechte eben so sehr und wohl noch aͤr- ger versessen waren, als die Hallenser, Frankfur- ter und Goͤttinger, mit dem Militaͤr im beßten Vernehmen standen, lag vorzuͤglich darin, daß die meisten Offiziere nicht von Adel waren, und ehedem selbst studiert hatten. Ueberdieß gab es auch keine ganz junge Offiziere bey dem Gießer Regiment, eben so wenig, als es Bomsdorffe da- selbst gab, oder — —, welche durch ihr grobes, impertinentes Wesen jederman empoͤren, und ins- besondere den brausenden Studenten zur Rache rei- zen. Ich werde an einem andern Orte, und viel- leicht noch in dieser Schrift einige Stuͤckchen er- zaͤhlen, welche gar erbaulich zu lesen seyn werden. Im Jahr 1777 hatte ich eine komische Lieb- schaft zu Frankfurt am Mayn, welche schon im ersten Bande meiner Biographie haͤtte erzaͤhlt werden sollen, aber an jenem Orte aus guten Gruͤnden, die aber nun wegfallen, uͤbergangen worden ist. Das Jahr 1777 war das traurigste fuͤr die Universitaͤt zu Gießen, wo ich damals stu- dierte, die antiquissima Gissensis ging damals ganz schiebes, wie man von einer sich ihrer Aufloͤsung neigenden gelehrten Innung nicht unfein sagen wuͤrde. Ich selbst kam in große Verlegenheit, aber nachdem alles Ungemach uͤberstanden und der Universitaͤtsspektakel, der fruͤh im Fruͤhling ange- fangen hatte, zu Ende war, welches jedoch erst im spaͤten Herbst geschah, wie auf den deutschen Uni- versitaͤten ex caussis praequantibus et lucrativis D. t. weil die Herren vom Prorektor an, bis zum Karzer- knecht Etwas haben verdienen wollen. Mode ist, machte ich in Gesellschaft einiger Freun- de, welche selbst Frankfurter waren, eine Reise nach dieser Reichsstadt. Ich logirte im Thiergar- ten, aber ich logirte auch nur da: denn verzehrt habe ich damals in diesem Gasthofe fast gar nichts, da ich immer Freunde besuchte, oder sonst herum G 2 lag. Unter andern Kneipen, welche ich in Ge- sellschaft meiner Kumpanen besuchte, war auch eine, welcher man einen gar schnurrigen Namen gegeben hatte. Es war kein Bordel, und deß- wegen duͤrfen meine in Frankfurt bekannte Leser ja nicht an die schwarze Katze, an den haarigen Ran- zen, oder an sonst ein beruͤchtiges, mit einem Ekelnamen versehenes Haus denken. Indessen hatte die Kneipe, oder das Bierhaus doch ei- nen schnurrigen Namen, der mir damals, weil er eine Aehnlichkeit mit dem Namen einer Kneipe in Gießen hatte, sehr gefiel, und um dieses Na- mens willen, besuchte ich die Bierschenke fast taͤg- lich. Ich wuͤrde diese Benennung hier mittheilen: aber ich mag in Frankfurt kein Stadtgeschwaͤtz rege machen, und zudem ist der jetzige Besitzer der Schenke mein guter Freund, welcher mir in den Jah- ren 1793 und 95 einige Gefaͤlligkeiten erwiesen hat. Der Wirth des Hauses war damals seit einem halben Jahre verstorben, und die Wirthin noch eine junge Frau, von ohngefaͤhr 28 oder 30 Jahren. Daß es ihr an Freiern nicht fehlte, versteht sich von selbst: denn sie hatte gute Nahrung, und nur ein Kind von etwan sechs Jahren; aber von meh- rern Freiern schien keiner vorzuͤglich beguͤnstigt zu seyn. Sie war jedesmal ausserordentlich freund- lich, wenn ich kam, und ich schrieb die gute Auf- nahme, die sie mir machte, und ihr zuvorkommen- des Wesen dem Gießer Ton zu, den ich an mir hatte: denn diesen Gießer Ton und den Gießer Comment hielt ich damals fuͤr das Nichtweiter der feinen Lebensart. Allein meine Freunde sahen weiter als ich, und Hr. R...d sagte eines Tags zu mir: „Hoͤre Bruder, merkst du nicht an der Frau L....wirthin?“ Ich . Nichts! die Frau ist, so wahr ich lebe und des Eulerkappers Seele lebt, eine honorige Frau. R...d. Das ist sie auch: aber merkst du denn gar nichts? Ich . Was sollte ich merken? Macht sie viel- leicht mit? R...d. Was weiß ich? Zu solchen Schosen nimmt man hier zu Lande keine Zeugen. Aber das muß doch ein Blinder sehen, daß die Frau dich gerne sieht. Ich . Kann seyn; das macht, weil wir Gies- ser Bursche sind, sieht sie uns alle drey gerne. Die Frau hat gerne mit Leuten zu thun, welche den Comment verstehen. R...d. Die versteht so viel vom Comment, wie der grobe Muͤller im Einhorn. Wenn sie das Burschenwesen verstuͤnde und Gefallen dran faͤnde, wuͤrde sie nicht zuͤrnen, und aus der Stube laufen, wenn wir das Ecce quam bonum intoniren; und doch gehoͤrt ein honettes Ecce quam bonum zum Commersch, und folglich so wesentlich zum Bur- schencomment, wie das Feuer auf die Tabaks- pfeiffe. Wohl zu merken, daß ich vom Jahr 1777 rede, und nicht von 1802: denn, Dank sey's der bessern Lebensart der Stu- denten, nicht aber den Akademischen Polizeyanstalten, das Ecce quam bonum und dessen Schweinereyen, werden bloß noch bey Gnotenkommerschen gehoͤret. Diese aber sin- gen wie folget: Ex tam bonam Bonam acund am Han mer kane fratres Haburum. Nun, mein Freund, sie ist in dich ver- schossen. Ich . Verschossen, lieber Kerl, bist du naͤrrisch? R...d. So gewiß, als ich vor dir stehe, sie ist es. Und hoͤre, Bruder, hier waͤr Etwas zu machen. Ich . Und was? R...d. Wie, wenn du die Frau naͤhmst und L...wirth wuͤrdest. Das waͤr ein gefundnes Fres- sen fuͤr dich. Du schikst dich gar nicht uͤbel zu ei- nem Kneipier. — Ich lachte, und doch hatten R...ds Reden in mir gewisse Ideen rege gemacht, denen ich nicht ohne Wohlbehagen nachhing. Sobald ich konnte, besuchte ich das Bierhaus, und entdekte Reize an der Wirthin, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Ich fing an, so nach meiner Art, schoͤn zu thun, und siehe da, Madam kam mir auf dem halben Weg entgegen: R...d legte sich hinein und wir sprachen ganz im Ernste von einer Heirath. Ich dachte nun Wunder, was ich meinem Vater fuͤr eine Freude machen wuͤrde, wenn ich ihm von meinem nahen Gluͤcke Nachricht gaͤbe. Ich schrieb an ihn: aber seine Antwort, die ich gleich sechs Tage nachher erhielt, war voll Verweise uͤber mein thoͤrigtes Vorhaben. Ich erschrak, konnte doch meinem ehrlichen Vater nicht Unrecht geben, und da selbst meine Verwandten in Frankfurt mir hef- tig zusezten, so eine naͤrrische Idee fahren zu las- sen, sah ich selbst ein, daß ich im Begriff war, einen dummen Streich zu machen, und beschloß, nach Gießen zuruͤck zu kehren. Ich wandte bey meiner Madam vor, eine in Gießen vorgefallne Schlaͤgerey, wovon ich als Zeuge sey aufgefuͤhrt worden, machte meine Gegenwart daselbst noth- wendig, ich wuͤrde aber in kurzer Zeit wieder kom- men. Madam glaubte mir, und ich zog ab: sie begleitete mich noch bis Vibel, und wir nahmen zaͤrtlich Abschied von einander. Ich kam nicht wieder, wie sich von selbst versteht, und schon im Anfange des Jahr 1778 heurathete die gute Fran, welche auch zu Verstande gekommen seyn mogte, einen Bierbrauer, der sich freylich fuͤr sie besser schickte, als ein neunzehnjaͤhriger Stu- dent, mit aller seiner Commentkenntniß. Der Sohn, welcher damals ein Kind von sechs Jah- ren war, ist seit 1792 Wirth, da der zweyte Herr Gemal, der Bierbrauer abgefahren ist, und die Frau Wirthin entweder keinen andern mehr finden konnte, oder finden wollte. Ich bin bey den gu- ten Leuten noch 1795 gewesen, und von ihnen hu- man genug behandelt worden. „Siehst du, Cle- mens, der Mann da waͤre vorzeiten beynahe einmal dein Vater geworden“ sagte sie zu ihrem Sohne. „Das waͤre ja recht huͤbsch gewesen, er- wiederte Clemens: denn so haͤtte ich doch noch ei- nen Vater; aber der, den sie mir gaben, starb mir viel zu fruͤh.“ Wenn ich hernach die Sache mit der Bierschen- kerey zu Frankfut am Mayn so bey einer Pfeiffe Tabak und bey heiterer Seele uͤberlegte, kraͤnkte ich mich zwar nicht, daß sie zuruͤckgegangen war, aber ich uͤberzeugte mich doch auch, daß ich nicht ungluͤcklich geworden seyn wuͤrde, wenn ich Bier- chenke geworden waͤre. Ich kenne wirklich Bier- schenken, die mehr Credit und eo ipso auch mehr Ehre haben, als mancher Professor Ordinarius und mancher Hofrath, welcher mit groͤßter Sehnsucht auf die heiligen Abende wartet, um seinen Antheil an den Amtssporteln zu ziehen. Zehntes Kapitel. Allerhand Histoͤrchen . I m Winter 1798 erhielt ich einen Brief von dem Kellerwirth Boos in Goͤttingen, worin ich um 11 Thlr. 16 Gr. 7 Pf. manichaͤert wurde. Ich war zwar einige Mal auf dem Keller zu Goͤttingen ge- wesen, aber nie hatte ich einen Heller Schulden da- selbst gemacht, und dieß wuͤrde auch nicht einmal angegangen seyn, weil der Wirth — ich weiß wirklich nicht, ob Signor Boos damals (1778-79) schon Kellerkneipier gewesen ist, oder nicht — sich mit mir gezankt hatte, und dieß wegen seiner Magd, mit welcher er scharmirte, und die ich ein Keller - mensch genannt hatte. Denn der Goͤttinger Kel- lerwirth im Jahr 1778 war, wie die meisten Herren dieses Handwerks zu Goͤttingen, ein grober Mos- jeh, beynahe so grob, wie der grobe Muͤller zu Gießen, oder der Wirth in der Karthaune zu Frank- furt am Mayn. Der Brief des Kneipier Boos befremdete mich nicht wenig, aber ich fand gar bald, daß ein Irr- thum vorgefallen seyn muͤßte, denn da sich die Schuld von den Jahren 1783 und 84 herschrieb, so konnte ich sie nicht gemacht haben, weil ich da- mals in Halle Kollegia las, und nicht einmal mein Bruder konnte jenes Laus Deo contrahirt ha- ben. Ich fand fuͤr gut, gar nicht zu antworten, und nun verklagte mich Meister Boos der Kneipen- wirth beym Prorektor der Universitaͤt, welcher damals Hr. Pr. Kluͤgel war. Ich wurde citirt, versaͤumte aber den Termin, und siehe da, ich wur- de contumacirt. Allein ob ich gleich mich vor dieser Contumazsentenz gar nicht zu fuͤrchten hatte, und zwar wegen den zu Goͤttingen wenigstens auf dem Papier, geltenden Gesetzen, so schrieb ich doch an den Prorector, und bat mir einen neuen Termin aus, und nun konnte ich hinlaͤnglich beweisen, daß ich an dem Tage meiner Promotion in Halle nicht 8 gr. 6 pf. in Goͤttingen auf einer Kneipe verzeh- ren konnte. Diese Vertheidigung wurde dem Knei- pier zugesendet, und da er seinen Irrthum einsah, wurden die Akten reponirt. Sonst muß ich doch dem Mosjeh Boos wohlmeinend rathen, daß er, wenn er wieder einmal klagen will, sich einen an- dern Advokaten annehme, als der war, durch dessen Griffel er mich verklaget hat; denn das Kla- geding, welches nach Halle gekommen ist, war gar ein klaͤgliches Klageding, welches Boos wohl selbst koͤnnte fabricirt haben, wenn nicht die vie- len lateinisch seyn sollenden Brocken und der abge- schmakte Styl, die Fabrik eines Advokaten hin- laͤnglich anzeigten. Weil ich aber doch von Goͤttingen rede, will ich einen Irrthum widerlegen, den man in Ruͤck- sicht der dasigen Professoren und Studenten schon seit der Errichtung der Universitaͤt hegt. Man bil- det sich naͤmlich ein, die Herren Goͤttinger seyen Muster der feinen Lebensart, und uͤbertrieben es hierin wohl mehr, als daß sie es woran mangeln ließen. Dieß ist, selbst mit Erlaubniß der Goͤttin- ger Herren nicht wahr, durchaus naͤmlich nicht: denn daß es in Goͤttingen Professoren und Stu- denten von sehr feinen Sitten gab, hab ich selbst erfahren, und zweifle nicht, daß es in diesem Stuͤck seit meiner Zeit noch besser geworden ist. Jedoch gab es einige Professoren daselbst, welche auf dem Katheder fleißig die große Glocke lau- teten und ohngefaͤhr eine Sprache fuͤhrten, wie die Musketiere auf der Hauptwache. Besonders war ein gewisser Herr Jurist da, welchem es Arms- dick aus dem Maule ging, wenn er Beyspiele zur Erlaͤuterung seines Vortrags herbey suchte. Ich weiß, daß er einst in der Lehre de emtione venditione die Frage aufwarf, ob, wenn ein Stu- dent auf dem Weg nach Bosten sich mit einem Maͤdchen im Korn fuͤr Geld lustig mache, das Geschaͤft ein contractus emtionis venditionis sey? Es ist uͤbrigens anzumerken, daß die Juristen sich auf mehrern Universitaͤten stark aufs Zotenreißen legen: doch war damals auch ein Herr Mediciner als ein aͤchter Cyniker bekannt, und das Beneh- men der sonst großen und hochverdienten Maͤnner, Michaelis, Kaͤstners und Lichtenbergs gehoͤrte doch wohl nicht durchgaͤngig zur feinen Lebensart. Bey den Studenten war die feine Lebensart auch nicht durch die Bank zu Hause. Ich sah noch vor zwey Jahren an einem gewissen Orte einige Goͤttinger, welche renommirten trotz dem wildesten Jenenser vor zwanzig Jahren, nur mit dem Un- terschiede, daß die Herren Goͤttinger, sobald je- mand anfing, ihnen aufs Leder zu reden, gleich stille wurden, welches der Jenenser aber so leicht nicht that. Die Herren bilden sich auf ihre Uni- versitaͤt etwas ein, und Einbildung dieser Art, welche sich auf keine eignen Realitaͤten gruͤnden, er- zeugen Stolz, Impertinenz und Grobheit, lauter Dinge, welche mit der feinen Lebensart gar nicht bestehen koͤnnen. Wie weit es die Herren — ich rede immer nicht von allen — in der Real-Zoto- logie, welche doch große Wissenschaft der Verbal- Zotologie voraussezt, gebracht haben, mag fol- gendes Geschichtchen beweisen. Im Jahr 1778 verließ ein gewisser von H... die Universitaͤt Goͤttingen, wo er nichts ge- lernt, aber doch zum Ersatz fuͤr Professoren und Philister, große Summen verzehrt hatte. Dieser H.... gab den Tag vor seinem Abzug einen Schmauß, wozu auch ich eingeladen wurde. Ohn- gefaͤhr dreißig Personen wurden herrlich tractirt, nachdem aber alle beysammen waren, trat Hr. H... auf, und erklaͤrte, daß jeder, welcher vor dem allgemeinen Aufbruch auch nur aus der Stube gehen wuͤrde, fuͤr einen Hunzfott gehalten werden sollte. Auf jeder andern Universitaͤt wuͤrde ein solches Hunzfottsetzen Unwillen und vielleicht gar Ausbruch des Unwillens in der ganzen Gesell- schaft verursacht haben, aber die Herren Goͤttinger applaudirten den witzigen Einfall; damit aber das strenge Gebot, nicht zur Thuͤre hinaus zu gehen, desto besser moͤchte gehalten werden, mußte Con- rad, der Bediente, die Thuͤre verschließen, welche er nur dann oͤffnete, wenn Chocolade, Wein, Punsch, Essen und d. gl. hineingebracht werden mußte. Weder Nachtstuhl noch Nachttopf war zu sehen, alle Necessitaͤten mußten entweder zum Fenster hinaus, oder in die Stube gemacht werden. Das Gelag dauerte bis fruͤh sechs Uhr, und nun denke man sich die Gestalt der beyden Zimmer des Hn. v. H... und den lieblichen Geruch, welcher daselbst herrschte! Hr. v. H... welcher noch lebt, aber von der Gelehrsamkeit weiter kei- nen Gebrauch machte, wird gewiß lachen, wenn er diese Nachricht lesen sollte. Freylich war das Spaͤßchen doch noch etwas feiner, als die Art, womit die Gießenser den Frauenzimmern den Spaziergang auf dem Wall verleideten. Auf dem Wall ist ein schoͤner Spa- ziergang rund um die Stadt, aber wer einmal drauf ist, muß entweder vorwaͤrts oder ruͤckwaͤrts gehen, da man bloß an den drey Thoren herunter kommen kann: fast stets sahe man Studenten und Frauenzimmer drauf herum spazieren, bis endlich die Studenten die Schoͤnen vertrieben. Dieß ge- schah auf folgende von Hn. Hill, dem Oberzoto- logen, angegebene Art. Zehn oder zwoͤlf Stu- denten zogen auf den Wall: da gingen sechs, acht Maͤdchen oder Madamen mit einander; nun theil- ten sich die Studenten, sechs liefen den Damen vor, und sechs blieben zuruͤck; die Damen kamen also in die Mitte, aber die vordern Burschen sezten ihr Ge- spraͤch mit den hinten Gebliebenen fort, und nun wurde ein derbes Kapitel aus der Zotologie vor- genommen, welches die armen Damen bis ans naͤchste Thor mit anhoͤren mußten. Man stelle sich die Qual der Schoͤnen vor! Doch sagte man, einige haͤtten Gefallen an dem galanten Vortrag der Bursche gefunden. Nachdem diese zotologi- sche Schnurre etwan sechs Mal wiederholt worden war, vermieden alle Frauenzimmer den Wall! Das war eine Großthat der damaligen Gießer Burschen wuͤrdig. Indessen duͤrfen unsre heutigen Universitaͤter eben nicht so gar stolz thun, wenn sie die zotolo- gischen Geniestreiche der ehemaligen lesen, und ihre, freylich in gar vieler Hinsicht bessere, we- nigstens feinere Lebensart, dagegen halten. Die aͤltern Studenten hatten Tugenden, welche zu un- serer Zeit anfangen, gewaltig rar und selten zu wer- den, und dahin gehoͤrt vorzuͤglich die Ehrlichkeit im Bezahlen. Ich weiß noch die Zeit, wo es eine Schande war, zu prellen, oder per Schwanz, wie man sagt, von der Universitaͤt abzufahren. Das Wuchten , oder das geheime Abziehen aus einem Wirthshause, ohne die Zeche zu bezahlen, war vollends schimpflich. Ein gewisser Mayer zu Giessen ließ sich einst Spek und Eyer in Heuchel- heim machen, und wuchtete sich. Die Wirthin klagte es andern Studenten, und Mayer mußte nicht nur die Zeche bezahlen, sondern bey jeder Ge- legenheit sang man ihm folgendes Epigramm vor: Eps tenienfis Dominus Mayer Prellte die Wirthin um Speck und Eyer: Der Spaß war hübsch, doch wahrlich rar Für den Verstand des Musjeh Maar. In und um Halle geschehen dergleichen Wuch- tereyen mehrmals, so wie zu Jena, Goͤttingen, Erlangen u. s. w. Aber unsre jetzigen Wirthe und Kneipenhalter sind auch viel aufmerksamer, als sonst. Neulich erzaͤhlte mir der Schenkwirth zu Stichelsdorf, Herr Runge, folgende Raupe, welche ihm vor zwey Jahren die Studenten spiel- ten. Etwan vierzehn bis achtzehn Hallenser ka- men nach Stichelsdorf, und ließen sich den dasi- gen herrlichen Breyhan trefflich schmecken, forder- ten Abendbrod, und machten eine Zeche von ohn- gefaͤhr acht Thaler. Da sie in der obern Stube allein waren, so warfen sie nach und nach ihre Huͤte herunter, und schlichen sich mit bloßen Koͤ- pfen, gleichsam als wollten sie ihre Necessitaͤten ver- richten, zum Hause hinaus, und marschierten nach Reideburg zu. Aber Hr. Runge, welcher nun inne ward, daß er geprellt war, verfolgte sie, und war so gluͤcklich, einige einzuholen, welche sich zwar zur Wehre sezten, endlich aber doch dem Wirth und seinen Helfern sich als Gefangene uͤber- lassen mußten. Sie hatten kein Geld, und Runge war zufrieden, daß sie ihm ihre Namen sagten: er er ist auch bezahlt worden, haͤtten aber die Herren sich wuchten koͤnnen, er haͤtte nie einen Heller erhalten. Eben deßwegen, daß der Student so gerne prellt, sich mit der Malice druͤckt , sich wuchtet und skissirt , ist auch der Credit so selten, und die Prellereyen von Seiten der Phili- ster gehn ins Wilde. Es ist was abscheuliches, ein Pumpbuch fuͤr Studenten nachzusehen, wie da alles uͤbersezt ist, wodurch auch der ordentlichste Mensch bey einem sonst ganz artigen Wechsel, mit Gewalt gezwungen wird, sich in Schulden zu ste- cken. Die Philister ruͤhmen sich oͤffentlich, daß sie die Studenten prellten, und rechtfertigen ihre Prellereyen damit, daß sie ja auch geprellt wuͤrden, daß man es ihnen also nicht uͤbel nehmen duͤrfe, wenn auch sie die Studenten wieder prellten. Der Student betrachtet den Philister, und der Philister den Studenten als abgesagten Feind, und Feinde, wie man weiß, pluͤndern sich wechselsweise, ohne sich deßhalben Vorwuͤrfe zu machen. Man hat, beson- ders seit einiger Zeit her, so viel uͤber die Verbesserung des Studentenwesens geschrieben, aber den wichti- gen Punkt, die Pumpprellereyen betreffend, fast gar nicht beruͤhrt. Uebrigens denke man ja nicht, daß bloß in den Haͤusern einiger habsuͤchtigen Buͤrger solche Betruͤgereyen — denn das sind solche Spaͤße Laukh. Leben 5ter Theil H doch immer — Mode waͤren; auch in Professoren- Haͤusern wird der Student so gut geprellt, wie in dem Hause des aͤrmsten Buͤrgers, und in vorneh- men Quartieren wohl noch am aͤrgsten. Eilftes Kapitel. Fortsetzung der Geschichte meiner eignen Lage. I m Sommer 1798 wurde es mir in meinem Quar- tier bey dem Schneider Baum unertraͤglich: denn meine Frau zankte sich oft mit demselben, und ich such- te mir ein ander Qnartier . Ich haͤtte recht gute finden koͤnnen, aber meine Frau waͤhlte ein Suterraͤn, worin zwey ziemlich artige Stuben waren: alles war recht gut, wenn nicht die Fenster à rez de chaussée oder dem Pflaster gleich gewesen, und also jedem Neu- gierigen zur Beschauung all unsers Thun und Lassens frey gestanden haͤtten. Der Winter war sehr strenge, und doch empfand ich in meinem Su- terraͤn wenig von der Strenge desselben: ich hatte aber auch gutes Feuerwerk. Um diese Zeit fing ich auch an, mich auf die Rechtswissenschaft zu legen, wozu mir ein Ver- druß Gelegenheit gab, welchen ich mir unvorsich- tiger Weise zugezogen hatte. Ich hatte fuͤr einen gewissen Soldaten Urban, und fuͤr den Zimmermei- ster Hn. Haak einige juristische Aufsaͤtze besorgt, wohl gemerkt, nicht selbst gemacht, sondern nur besorgt. Da man nun im Preußischen durchaus nicht zugiebt, daß ein Nichtzuͤnftler, d. i. ein sol- cher, welcher nicht in die Innung der sogenann- ten Justizcommissarien, an andern Orten heißen diese Herren Advocaten, so wie sie schon vor Olims Zeiten hießen: der Name Advocat hat aber einen etwas schiefen Nebenbegriff, weil man sich dabey immer einen Menschen zu denken ge- wohnt ist, welcher das Recht verdreht, und nicht sowohl fuͤr seine Clienten, als fuͤr seinen Beutel sorgt; deswegen schaffte auch Friedrich II. diesen Titel Advocat ab, und gab den Herrn Sach- waltern den Titel Assistenzrath, hernach aber Ju- stizcommissarius. Im Grunde ist nichts geschlech- tert, aber leider! auch nichts gebessert worden durch die Veraͤnderung der Titulaturen. Wo das In- teresse obwaltet, da bessert man selten was, und wie sollte es einem Gericht, einer Regierung, Amt u. s. w. einfallen, die Advocaten in der Ordnung zu halten, da eben durch die Unordnungen, wel- che die Advocaten machen, die Sporteln der Her- ren selbst vermehrt werden? Ich gebe uͤbrigens H 2 gerne zu, daß an den Preußischen Gerichtshoͤfen weit weniger Irregularitaͤten gefunden werden, als sonst wo. Man denke an die herrliche Gerech- tigkeitspflege in den Reichsstaͤdten, und wers nicht weis, lasse sichs erzaͤhlen, er wird erstaunen! In- dessen will ich doch zu seiner Zeit ein Baͤndchen merkwuͤrdiger Rechstfaͤlle ins Publikum schi- cken, woruͤber auch mancher Herr zu — und zu — und an andern Orten mehr, die juristische Nase garstig ruͤmpfen soll. Aber ich muß wieder fort- fahren. Da nun keinem Nonjustizcommissarius erlaubt ist, und das von Rechts wegen, eine Rechtssache vor Gericht zu bea s vociren, so wurden natuͤrlich der Sol- dat Urban und der Zimmermeister Haak, nach den Verfassern ihrer eingegebenen Schriften befragt, und beyde — ob sie mir gleich aufs heiligste versprochen hatten, meinen Namen zu verschweigen — be- kannten auf mich. Im Vorbeygehen muß ich an- merken, daß man Unrecht thut, sich auf Leute zu verlassen, welche durch einen Eid getrieben wer- den koͤnnen, ihr Wort zu brechen. Ich fuͤr mei- nen Theil halte den Eid fuͤr ein sehr elendes Mit- tel, die Wahrheit heraus zubringen, und wenn ich hoͤre, daß eine Sache durch einen Eid sey berich- tiget worden, so zweifle ich desto staͤrker an ihrer Richtigkeit, besonders wenn das Interesse des Schwoͤrenden mit im Spiel war. Es giebt groͤ- bere Vergehungen, als ein falscher Eid, und zu diesen groͤbern Vergehungen gehoͤrt die Brechung des einem Freunde gegebenen Wortes. Seine Seele zum Teufel schwoͤren , ist ein Aus- druck ohne Sinn; denn nicht der Schwur, son- dern die Handlung ist Suͤnde. Wenn ich z. B. falsch geschworen haͤtte, um den tugendhaften Ver- gniaud, den Camille Desmoulins, oder den Bailli von dem moͤrderischen Eisen zu retten, so wuͤrde ich mir nicht allein kein Gewissen daraus machen, die Terroristen durch einen falschen Eid betrogen zu haben, sondern wuͤrde eben den fal- schen zur Rettung der Tugend geleisteten Eid fuͤr meine schoͤnste That halten, und mich derselben oͤf- fentlich ruͤhmen, und jeder rechtdenkende Mann wuͤrde mir applaudiren. Meine Moral wird man- chem zu lux und manchem verdammlich vorkommen: aber was kuͤmmern mich die Urtheile anderer? Eben die, welche die sogenannte Heiligkeit des Ei- des so vertheidigen, als wenn damit das Wohl und das Wehe des ganzen Staats im engsten Zusam- menhang stuͤnde, sind meistens die ersten, die falsch schwoͤren, wenn es auf ihrem Nutzen ankommt. Experto crede Roberto. Selbst die hoͤchste Obrig- keit, ich meyne die Fuͤrsten, nimmt es nicht so genau mit dem Meyneid. Ein Deserteur hat ge- wiß seinen Eid gebrochen, und ist daher meynei- dig, folglich nach den Gesetzen infam : doch nimmt jeder Fuͤrst die Ausreißer andrer Fuͤrsten gerne an, und ich will den sehen, der so einem ehe- maligen Deserteur vorwerfen sollte, er sey kein ehr- licher Mann. Daß man hierin recht thue, geste- he ich gerne: denn die meisten vom Soldaten ge- leisteten eidliche Verpflichtungen sind erzwungen worden; aber so viel erhellet doch aus diesem Bey- spiel, daß die hoͤchste Obrigkeit Faͤlle annehme, wo ein Meyneid keine Schande bringt. Die Fol- ter hat man zur Ehre der Menschheit abgeschafft, weil man einsah, daß sie ein sehr unsicheres Mit- tel sey, die Wahrheit zu erforschen: eben so sollte man es mit dem Eid machen; aber freylich, wo blieben alsdann die Sporteln? Doch wieder zu meiner Geschichte. Urban und Haak wurden zum Eide getrieben, und gaben mich nota bene als den Verfasser der von ihnen eingegebenen Rechtsschriften an. Die Re- gierung zu Magdeburg sowohl, als die Hallischen Gerichte requirirten an die Universitaͤt, und ich wurde gefordert. Ich sagte die Wahrheit, und der Hofrath Dryander, oder Triander — ich weiß wirk- lich nicht, wie sich dieser Herr eigentlich schreibt — erhielt den Auftrag, mir einen Verweis zu geben. Wer den Herrn Hofrath kennt, wird sich leicht vorstellen koͤnnen, wie dieser Verweis beschaffen gewesen ist: mir fiel er indessen nicht auf; denn in den Paar Augenblicken, da er mir die vorgeschrie- bene Nase gab, dachte ich mir den Onkel Toby und den Korporal Trim so lebhaft, daß ich bey- nahe in lautes Auflachen ausgebrochen waͤre; und geschah das, so haͤtte es der Herr Hofrath als Mangel des Respects gegen das ernste Gericht Sie folgen dir nach, Juͤngling, ins ernste Gericht. Klopstock. vielleicht ausgelegt, und doch waͤre es nichts ge- wesen, als eine ganz unschuldige Ruͤckerinnerung an den Onkel Toby und an den Korporal Trim! Es giebt aber dergleichen schiefe Auslegungen mehr, doch die gehn mich hier noch nichts an; vielleicht untersuche ich sie bey einer andern schick- lichern Gelegenheit. Von Unkosten ist mir damals nichts abgefor- dert worden, aber im J. 1801, also drey Jahre hernach sollte mir der Universitaͤtsactuar Hr. Bu- sten einiges Geld auszahlen, und da zeigte er mir eine Rechnung, welche von Hn. Klein unterschrie- ben war, und zog mir 4 Thlr. 11 Gr. 6 Pf. ab. Habeant sibi: in drey Jahren fordern sie nichts, und erschweren — oder erleichtern sich dadurch ihre Rechnungen. Ich weiß es nicht: die Herren werden es am besten wissen. Aber doch ists son- derbar, daß ein Preußisches Gericht, besonders ein unversitaͤtisches drey volle Jahre warten konnte, ehe es Unkosten forderte, und dann erst forderte, als der Prorector, unter welchem die Sache vor- gefallen war, laͤngst verstorben, der Director aber weit weg versezt war. Ich mache hier keine Anmer- kungen, vielleicht machen diese einige sachkundige Leser, und das ist mir genug. Indessen lebte ich ziemlich ruhig, und hatte gegen den Herbst 1798 das Vergnuͤgen, mei- nen Vetter Jacob Laukhard bey mir in Halle zu sehen. Dieser rechtschaffne Mann hatte mit mir einen Theil seiner ersten Jugend in Dolgesheim bey Maynz zugebracht, wo damals der Inspector Kratz eine Art lateinischer Schule errichtet hatte. Kratz war ein Mann von Kenntnissen, das heißt, er schrieb und sprach lateinisch ohne Schnitzer, las die Griechischen Autoren ohne Version und ohne Lexicon, wußte viel Geschichte, Geographie und rechnete gut: dabey verstand er auch Franzoͤsisch und Englisch, und so war er dann allerdings der gelehrteste Mann weit und breit herum, aber seine Lehrmethode war abscheulich, und die Behandlung der Schuͤler schrecklich: immer wurde zugeschla- gen, und wer mit etwan sechs oder acht Lungen- hiebe durchkam, fuͤr eine Schullection naͤmlich, nicht fuͤr den ganzen Tag, der konnte sich gluͤck- lich preißen. Mein Vetter Jacob hat sehr oft die schwere Hand des fuͤrchterlichen Orbilius Kratz fuͤh- len muͤssen. Ich erinnere mich noch, oft mit Un- willen, oft mit Wohlbehagen, je nachdem ich ge- stimmt bin, an die Schimpfwoͤrter, womit Kratz seine Scholaren zu compelliren pflegte. Ausser den auch sonst gewoͤhnlichen, Esel , Flegel , Schlingel , Roͤckel , Toͤlpel , Ochse , Narr , Teufelskind u. d. gl. hatte er auch noch seine vielleicht ihm ganz eigne: garstiger Wuhl , Ofenlochsgabel , Kappesdorsche , Ruͤ - benhengst , Dullullul , Federduͤftchen , Herr Schuzker , Kalidokes Schimpa - hes , Ennerst und noch viele andre, die ich ver- gessen habe. Nie rief er uns mit unsern eignen Namen: wenn er einen fragen wollte, guckte er ihn stier an, und schrie: „Na, hast'd keine Ohren, du Wuhl, du Ruͤbenhengst?“ Folgte dann auf vorgelegte Frage eine befriedigende Antwort, so brummte er statt aller Approbation ein dumpfes Hm, Hm, her; war er aber mit der gegebenen Antwort nicht zufrieden, so kamen Schimpfwoͤr- ter und endlich derbe Ohrfeigen oder Stockhiebe. Mein Onkel, Jacobs Vater, zog etwan 1767 oder 69 nach der Oberlausitz, und Jacob kam auf die Schu- le nach Goͤrlitz, dann auf die Universitaͤt nach Wit- tenberg, Leipzig und Strasburg: da aber das Schick- sal seine Leute wunderlich fuͤhrt, so gerieth mein guter Vetter unter die franzoͤsischen Soldaten, segelte nach Amerika, und ward endlich Hofmeister in Schlesien. Die Leser koͤnnen leicht denken, daß von einem Manne, welcher so wunderliche Umzuͤge gemacht hat, gar viel Interessantes erzaͤhlt werden koͤnnte, aber ich schreibe ja meine und nicht mei- nes Vetters Geschichte, und kann daher damit nicht dienen. Vielleicht beschreibt er einst seine Historie, und dann waͤre es sehr unartig, wenn ich ihm vorgreifen wollte. Einige Wochen nach meines Vetters Abreise kam ein Maͤnnchen nach Halle, dessen Logis ich aber trotz meiner Untersuchungen nicht ausfindig machen konnte. Das Maͤnnchen besuchte mich fruͤh Morgens, und beschied mich auf den Nachmit- tag zu sich auf die sogenannte Loge, er habe mir ein Project mitzutheilen, durch dessen Ausfuͤhrung wir beyde koͤnnten auf immer gluͤcklich werden. Ich halte zwar blutwenig auf Projecte, weil mir bis- her alle die, welche ich formirt hatte, oder welche andre fuͤr mich formirten, gescheitert oder wenig- stens mislungen waren, doch wollte ich dießmal sehen, was das Maͤnnchen eigentlich haben wolle, und ging auf die Loge, wo damals Mosjeh Diet- ler seine corrupte Wirthschaft fuͤhrte. Geheimniß- voll blinkte mir das Maͤnnchen, und nahm mich mit in die große Wirthsstube, die er ausdruͤcklich hatte heizen lassen, und wo wir allein seyn konn- ten. Hier entdeckte er mir bey einem Glas Brey- han sein Anliegen. „Ich bin ein Adeptus, sagte er, und habe durch lange Erfahrungen, große Rei- sen, tiefe Untersuchungen endlich die Geheimnisse der Natur entdeckt, welche vor den Augen der Men- schen, auch der allerkluͤgsten und allergelehrtesten verborgen sind. Ich mache zwar weder Gold noch Silber, denn das ist vielleicht unmoͤglich, wel- ches ich jedoch nicht behaupten will, da ich die Sache nicht genau genug untersucht habe; aber wenigstens ist das Goldmachen unnuͤtz und uͤber- fluͤssig: denn Gold und Silber giebt es genug in der Welt, um Handel und Wandel zu unterhal- ten, und dieß ist hinreichend. Aber ich habe weit koͤstlichere Arcanen, ich besitze die Kunst, das Le- ben der Menschen zu verlaͤngern und die Gesund- heit unverletzt zu erhalten. Ich mache es nicht wie Hufeland in Jena, welcher Diaͤt und Ord- nung befiehlt: nein! wer mir folgen will, kann nach Herzenslust ausschweifen, kann sich alle Ta- ge zehnmal besaufen, kann sich mit Frauenzim- mern uͤbermaͤßig begehen, kurz er kann treiben, was ihm geluͤstet zu treiben, und seine Gesund- heit muß nicht im geringsten dadurch geschwaͤcht werden.“ „Das waͤre ja, fiel ich ein, ein herrliches Ar- canum fuͤr große Herren, fuͤr Praͤlaten, Dom- herren, Kammerherren, Hofbediente und reiche Taugenichtse.“ „Ja wohl, fuhr er fort: aber nicht nur fuͤr reiche und vornehme Herren und Damen ist mein Arcanum: denn auch in den niedern und niedrig- sten Staͤnden sind die Ausschweifungen große Mode. Sogar bey Kammerkaͤtzchen und Domestiken wer- de ich Beyfall finden. — Aber, liebster Freund, ich habe einen Mann noͤthig, der mit mir zieht, und mich unterstuͤzt, und diesen Mann glaube ich in Ihnen gefunden zu haben.“ Ich . Wie meynen Sie das? Das Maͤnnchen . Sie ziehen mit mir: Sie haben viele Bekanntschaften in- und außerhalb Deutschland. Wo wir hinkommen, empfehlen Sie mich Ihren Bekannten, und es soll uns nicht fehlen, wir wollen unsern Schnitt schon machen. Alles Geld, welches wir verdienen, theilen wir. Ich . Warum ziehen sie nicht lieber allein, und behalten den Ertrag Ihrer Industrie fuͤr sich? Das Maͤnnchen . Das geht nicht an: ich darf mich nicht selbst produciren; so was macht erstlich verdammt verdaͤchtig, und die Leute sehen einen fuͤr einen Charlatan an, und dann kommt auch hier und da die Obrigkeit dahinter. — Ich . (einfallend) Besonders im Preußischen, nicht wahr? Das Maͤnnchen . Bitte recht sehr um Ver- gebung, im Preußischen ists gar nicht schlimm fuͤr unser Einen. Etwas Geld kostets zwar, aber die Erlaubniß zu practiciren ist leicht zu erhalten. — Um aber allen Ungelegenheiten vorzubeugen, zie- hen Sie als Freund mit mir, machen mich so unter der Hand in Staͤdten und andern Orten bekannt, und wir wollen schon unser Schaͤfchen scheeren. Ich . Ja ja, denn nach dem Sprichwort, mundus vult depici, das heißt: die Herren wollen bedient seyn. Das Maͤnnchen . Ganz recht, liebster Freund; Sie sind mein Mann, und wir koͤnnen einander dienen. Manus manum lavat, sagt man im Sprichwort, Sie gehn doch mit? Nun wurde ich im Ernst uͤber den zudringli- chen Unverschaͤmten aufgebracht, und erklaͤrte ihm gradezu, daß ich nie der Bediente oder der Freund eines Quaksalbers, Charlatans und Gift- mischers werden wuͤrde. Das Maͤnnchen sagte weiter nichts, als: wem nicht zu rathen ist, dem ist auch nicht zu helfen, und ging fort. Als er weg war, aͤrgerte ich mich, dem Mosjeh nicht derber die Wahrheit gesagt zu haben, aber nach und nach besann ich mich und bedauerte, den Kerl auf seinen ebentheuerlichen Zuͤgen nicht begleitet zu haben; ich haͤtte, glaub ich, recht sehr viel lernen koͤnnen in solcher Gesellschaft. Es ist al- lerdings nicht sehr loͤblich, mit einem medicini- schen Charlatan und einem alchymistischen Betruͤ- ger — und dieß war mein Maͤnnchen ganz ge- wiß — herum zu ziehen, aber ich konnte es im- mer einmal probiren, um doch auch die Erfahrung zu lernen, wie weit Leichtglaͤubigkeit und Betrug gehen kann. Ich habe nachher weiter nichts mehr von meinem Maͤnnchen gehoͤrt: denn er verließ Halle noch am naͤmlichen Tag. Zwoͤlftes Kapitel. Haͤusliche Auftritte . Die Frau Hammern . S eit der Geburt meines Fritzemann Acke gings so ziemlich in meiner Wirthschaft: denn ich verdiente so viel, als wir brauchten, und so leb- ten wir ruhig, so ruhig, als man unter meinen Umstaͤnden leben kann. Freylich fielen sehr oft kleine Zaͤnkereyen zwischen mir und meiner Frau vor, welche von beyden Seiten nicht ganz ohne Grund waren, jedoch das ging bald voruͤber, und wenn wir uns gezankt hatten, so waren wir eine halbe viertel Stunde hernach wieder die besten Freunde. Ein Umstand war indessen doch Ursa- che, daß der Unwille meiner Frau gegen mich laͤnger dauerte, so lange naͤmlich, bis sie von dem Ungrund ihres Verdachts uͤberzeugt war. Eine gewisse weggeworfene Creatur, die man Frau Hammern nannte, sprach mich einst auf der Straße an, mit ihr zu gehen, und ihr einen Brief zu schreiben, oder vielmehr einen Menschen, wel- cher ihr noch 19 thlr. schuldig war, bey den Gerich- ten zu Bernburg zu verklagen. Ich hatte gerade nicht Zeit, ihr Verlangen zu erfuͤllen, versprach ihr aber, naͤchstens zu ihr zu kommen. Sie de- signirte mir ihr Haus: ich ging fort und vergaß, was ich versprochen hatte. Ohngefaͤhr acht Tage hernach ging mich die Hammern wieder an, aber auch damals konnt ich ihr nicht folgen, als sie mich aber zum dritten Mal anredete, ging ich gleich mit ihr. Eine dienstfertige Frau, naͤmlich die Frau des Musicus Spazier, hatte mich schon mehrmals mit der Hammern reden sehen, und als sie nun gar sahe, daß ich mit dieser Makerelle ging, lief sie schnell zu meiner Frau und berichtete ihr, so eben sey ich in ein Hurenhaus gegangen. Ich muß hier bemerken, daß ich durchaus von den Verhaͤltnissen der Hammern nichts wußte, und daß es mir gaͤnzlich unbekannt war, daß sie lie- derliche Wirthschaft betrieb: denn sonst wuͤrde ich doch wenigstens nicht am hellen Tage hingegan- gen seyn. Meine Frau warf schnell ihren Mantel hin und eilte mir nach, fand mich aber ganz al- lein in der Stube der Hammern, weil diese weg- gegangen war, Papier zu holen. Wie sie mich apostrophirt habe, moͤgen sich meine Leser selbst denken. Ich hatte alle Muͤhe, sie nur in soferne zu besaͤnftigen, daß sie nur keinen Skandal auf der Straße machte, und das Grobzeug zusammen zog. Nun erfuhr ich also, in welchem Hause ich gewesen war, und aͤrgerte mich selbst, dahin gegan- gen zu seyn. Nachdem aber meine Frau wieder ruhig geworden war, konnte ich sie von meiner Unschuld wohl uͤberzeugen, aber noch jezt macht sie mir, wenn sie boͤse ist, uͤber diesen Vorfall die bittersten Vorwuͤrfe, und ich muß oft folgende schoͤ- ne Frage hoͤren: Sag mir'n mal, Menschenkind, obs nicht wahr ist, daß ich dich aus'm Hurenhaus geholt habe? das ist nun freilich wahr, aber ich war doch unschuldig, und verdiene daher keine Vorwuͤrfe dieser Art. Da Da ich aber doch einmal von der Frau Ham- mern gesprochen habe, so will ich ihre heillose Wirthschaft vorher beschreiben: vielleicht kommen diese Blaͤtter den Herren der hiesigen Polizey zu Gesichte, und vielleicht nimmt diese einige Ruͤck- sicht auf meine Nachrichten, und zerstoͤrt vielleicht die Infamien, welche bey der Hammern getrie- ben werden. Ich habe meine Nachrichten zwar nicht aus eigner Erfahrung, aber doch von solchen Leuten, welche als die guͤltigsten Zeugen gelten koͤnnen, weil sie diese Huͤtte der niedrigsten Wol- lust selbst und oͤfters besucht haben. Die Hammern haͤlt kein eigentliches Bordel, das heißt, es ist bey ihr keine regelmaͤßige Auflage feiler Menscher, welche jedem zu Gebote stehen, der den geringen Preiß bezahlt, auf welchen sie sich taxirt haben: aber wer Etwas von der Art sucht, kann sich dennoch an die Frau Hammern wenden, welche gewiß dafuͤr sorgt, daß ihm aus der Noth geholfen werde. Feile Maͤdchen finden sich ungerufen des Abends bey ihr ein: denn am Tage leidet sie dergleichen nicht, es muͤßte denn ein ausserordentlicher Fall seyn mir periculum in mora verbunden. Wenn aber keine Maͤdchen da sind, so hat die gute Frau doch Bekanntschaft und weiß gleich, wo ein Dirnchen steckt, das gern Et- was verdienen moͤgte: diejenigen Maͤdchen, wel- Laukh. Leben 5ter Theil. I che oft bey der Madam Hammern sich einfinden, haben den Namen Hammermamsellen von unsern Studenten bekommen. So eine Hammer- mamsell ist aber gehalten, jedesmal eine Abgabe von dem zu zollen, was der gierige Herr Galan fuͤr die genossene oder vielmehr fuͤr die noch zu ge- nießende Freuden hingiebt; und diese Abgabe ist sehr billig: denn wer laͤßt gerne umsonst, fuͤr nichts und wieder nichts in seiner Werkstaͤtte ar- beiten? Bis auf diesen Punkt hatte nun die Ham- mern vor den uͤbrigen Bordellisten nichts zum voraus: aber was nun kommt, ist ihr ganz eigen. Frau Hammern versteht die Kunst, ledige und verehlichte Frauenzimmer zu verfuͤhren, und sie zu verkuppeln. Wer ein Maͤdchen oder ein Weib gern haben moͤgte, darf sich nur an Madam Ham- mern wenden, und wenn diese das Maͤdchen oder die Frau nicht schaffen kann, so kann es niemand. Mir sind Faͤlle bekannt, wo Frau Hammern wirk- liche ernsthafte Liebesgeschichten angesponnen hat, und oft bin ich erstaunt, wenn meine Freunde mir Frauenzimmer zeigten, welche bey der Hammern gewesen waren, um da mit ihren Liebhabern eine Zusammenkunft zu halten, die doch sonst in aller Augen fuͤr tugendhaft, wenigstens fuͤr ehrbar pas- siren. Fuͤrchten Sie sich aber nicht, meine Schoͤ- nen, ich werde keine von ihnen nennen: Sie sind mehr zu bedauern, als zu beschimpfen. Dieses Gewerbe treibt Frau Hammern schon seit vielen Jahren, und doch erinnere ich mich nicht, daß die Polizey auch nur ein einziges Mal nach dieser heillosen Wirthschaft gefragt haͤtte. Es kann seyn, daß die Herren von der Sache, die jedoch ganz stadtkuͤndig ist, und wovon in hoͤhern und niedrigern Cirkeln gesprochen wird, nichts vernommen haben, und daher die Kupplerin nicht controlliren konnten: eben deßwegen wuͤnschte ich aber, daß diese Blaͤtter den Herren zu Gesicht kaͤmen, und dann waͤre ich gleich bereit, auf Re- quisition naͤmlich, ihnen naͤhere Beweise der ab- scheulichen Kuppeley vorzulegen. Bey uns hat zwar der Unterschied zwischen delicta privata und publica aufgehoͤrt, indessen glaube ich doch, daß jeder, welcher von solcher heillosen Wirthschaft Kenntniß hat, auch das Recht habe, den Skan- dal der Obrigkeit bekannt zu machen, und daß alsdann auch diese verbunden sey, der heillosen Wirthschaft Einhalt zu thun. Ich weiß, daß man hin und wieder die Frage aufgeworfen hat, ob auf Universitaͤten privilegirte Bordelle angelegt werden koͤnnten, wodurch der Schade, welcher aus den Winkelbordellen und aus dem Umgang mit liederlichen, auf ihre eigne Hand I 2 wohnenden Menschern, den Studenten erwaͤchst, verhindert wuͤrde? Es muß wirklich weit mit dem Verderbniß der Sitten gekommen seyn, wenn man solche Fragen aufwerfen kann! Es sollte noͤthig seyn, fuͤr junge Maͤnner, welche sich den hoͤhern Wissenschaften widmen, und einst Volkslehrer, Richter und Aerzte werden wollen, und sich oben auf den Universitaͤten zu diesen erhabenen Zweckell vor- bereiten, fuͤr solche Leute, sage ich, sollte es noͤthig seyn, Bordelle zu errichten, und diese Bordelle zu privilegiren, und der Obrigkeit — doch wohl der akademischen Obrigkeit selbst? — die Ober- aufsicht und das Direktorium davon zu uͤberlassen!!! Ich zweifle, ob jemals eine deutsche Universitaͤt ein Bordel privilegiren wird; vielleicht sollten die Vorgesezten der Universitaͤten dafuͤr sorgen, daß alle Gelegenheiten, die niedre Wollust zu trei- ben, sorgfaͤltig abgeschnitten wuͤrden, welches auch so gar schwer nicht ist, wenn mans nur or- dentlich anfaͤngt. Die meisten jungen Leute, dieß muß ich zur Ehre unsrer Studenten sagen, hassen die feile Wollust, und verachten die elenden Creaturen, welche solche Dienste leisten. Wie leicht waͤre es aber, alle Juͤnglinge von guter Erziehung von dem Besuch feiler Menscher und von der Gemein- schaft mit denselben abzuhalten, da eben diese Juͤnglinge sich groͤßtentheils ein hohes Ideal von Liebe und Minnegluͤck gebildet haben, womit die Bordellerey und Menscherey ganz und gar incom- patibel ist? Alte Suͤndenboͤcke, und rohe Kerle ohne Erziehung werden zwar der niedern Lust nach- rennen: denn diese kennen und verlangen weiter nichts als Genugthuung fuͤr ihren Kitzel, aber der Juͤngling hat Anspruͤche, welche ihm keine Bor- delnymphe und kein Thuͤrmer gewaͤhren kann. Fast immer ist die Verfuͤhrung andrer Schuld, wenn junge Leute sich der Ausschweifung ergeben, und dadurch ungluͤcklich werden. Wenn die Neu- linge oder Fuͤchse ankommen, werden sie sofort von den Veteranen angefuͤhrt, und mit allem bekannt gemacht, was diese betreiben: die Buffe oder Bor- delle werden bey diesen Instructionen nicht vergessen, und kaum ist der Fuchs drey Tage auf der Akade- mie, so kennt er schon alle Loͤcher, und die in den- selben commandirenden Buffpatronen, und die ser- virenden Buffmenscher. Dieß ist beynahe auf al- len deutschen Universitaͤten so. Die Polizey ist zwar dann und wann aufmerksam auf diese Unstaͤ- tereyen, aber sie verfehlt fast allemal ihren Zweck: denn das Visitiren der Bordelle, welches das Ein- zige ist, das man bisher zur Stoͤhrung dieser Un- ordnungen vorgenommen hat, wird groͤßtentheils schon vorher bekannt, und dann finden die suchen- den Haͤscherpatronisten selten einen Studenten in einem solchen Loche. Aber wenn sie auch welche finden, so kostet es einiges Geld, und das Uebri- ge bleibt, wie es war. Der jetzige Prorektor in Halle hat einiges zur Stoͤrung der Bordellerey und der Hurenwirthschaft gethan, und selbst alle gutdenkende Studenten wuͤnschen, daß er seinen Zweck vollkommen erreichen moͤge — aber sie wuͤn- schen es mehr, als sie es hoffen: denn das Uebel hat zu tiefe Wurzeln gefaßt, als daß es leicht aus- zurotten seyn sollte. Doch es ist gut, die Mate- rie von den Bordellen, Buffen und Thuͤrmern, das ist Gassennymphen, abzubrechen, ob sie gleich sehr reichhaltig ist, und es mancher geru sehen wuͤrde, wenn ich noch einige Kapitel damit aufuͤllte. Im Herbst 1798 wurde ich durch einen sehr freundschaftlichen Brief des rechtschaffnen und ge- lehrten Herrn Berghauptmanns von Murr zu Nuͤrnberg, sehr angenehm uͤberrascht. Dieser vor- treffliche Literator versicherte mich, daß er mei- ne Siebensachen mit Vergnuͤgen gelesen habe, und mit meinen freyern Aeusserungen und Urtheilen durchaus zufrieden sey: zugleich schickte er mir ei- nen Katalogus derjenigen Buͤcher seiner sehr zahl- reichen Sammlung, welche er verkaufen wollte, und forderte mich auf, mir nach Gefallen einiges zu waͤhlen. Ich antwortete dem edelmuͤthigen Manne, und uͤberließ ihm selbst die Wahl de Buͤcher, welche er fuͤr mich nuͤtzlich und brauch- bar hielte. Gegen Weihnachten schickte mir Herr von Murr einen Pack, worin ich unter andern folgende Werke fand: Euripidis Opera ex Editio- ne Canteri; Lyrici et Bucolici graeci; Serveti Lbb. de Christ. restit; La Vie de Lucillo Vanini; Aminta di Tasso; Statii Opera; Apollonii Rhodii Aggonantica und mehr andre Werke dieser Art. Herr von Murr muß sich eine sehr gute Vorstel- lung von meinen geriugen Kenntnissen und Faͤhig- keiten machen, da er mir solche Buͤcher zum Ge- schenk gemacht hat. Nie wird meine Hochach- tung und meine Dankbarkeit gegen den rechtschaff- nen Mann bey mir lau werden, und der Bey- fall eines solchen Mannes wird gewiß mehr bey mir gelten, als das Lob oder der Tadel der licht- scheuen Recensenten in den sogenannten Bibliothe- ken, Literaturzeitungen, Annalen, und wie die gelehrten Troͤdelbuden in Deutschland sonst noch heißen moͤgen. Die Herren, welche an den ge- lehrten Journalen arbeiten, moͤgen mir es nicht uͤbel nehmen, daß ich vielleicht mit weniger Respect von ihren Instituten spreche, als sie vielleicht erwar- teten: es ist zu unsrer Zeit große Mode, besonders unter den Schriftstellen, alles bey seinem rechten Namen zu nennen, und Dank sey es der Preß- freyheit, seine Meynung grade heraus zu sagen. Die Herren Recensenten gehn uns in diesem Stuͤck mit dem besten Beyspiel vor, und einige machens ihnen auch treulich nach. Herr Mehmel, Pro- fessor in Erlaugen, schalt noch erst neulich die all- gemeine deutsche Bibliothek eine Kneipe wor- in liederliches Gesindel ( intellige die Re- censenten, alle oder nur einige, ist gleichviel) be- herbergt wuͤrden. Dieses herrliche Elogium ha- ben die Herren der deutschen Bibliothek sogar in ihrem Recensirbuche wiederholt, aber dabey wird es auch wohl bleiben: denn sie werden sich wohl huͤten, den Herrn Mehmel gerichtlich zu belan- gen, welches auch wahrscheinlicher Weise wenig helfen moͤgte. Wie artig Herr Danz seine Recen- senten abzufertigen wisse, kann man sehen in der Vorrede zum sechsten Bande seines Commentars uͤber Hrn. Runde's Privatrecht: Herr P. Dabelon hat auch gar artig deutsch gesprochen mit seinem Recensenten. Nun frage ich: quis dubitet, nomina tanta sequi? — Doch mit den Recensenten werde ich bald bey einer schicklichern Gelegenheit — aber auch zum lez- ten Male — sprechen: hier merke ich nur noch an, daß mir ein Recensirklub grade so vorkommt, wie etwan ein Criminalgericht, oder eine Municipa- litaͤt in Frankreich zur Zeit des Terrorismus. Die Mitglieder kannten einander selten, so gehts auch bey den Recensenten: unter den Mitgliedern gabs einige der wichtigen Untersuchungen und Entschei- dungen gewachsene Maͤnner, aber da saßen auch nberbes pueruli, jaͤmmerliche Wichte, die weder Giks noch Gaks wußten, und doch uͤber die schwer- sten Rechtshaͤndel absprachen; eben dieß ist auch der Fall mit den Recenseuten, unter welchen es manche sachkundige einsichtige Maͤnner, aber auch gar traurige Kunstjuͤngerlein giebt, wie ihr Mach- werk hinlaͤnglich beweiset. Endlich konnte ein zur Zeit des Terrorismus in Frankreich gefaͤlltes Ur- theil nicht reformirt werden; wie einmal gespro- chen war, so blieb es; eben so koͤnnen auch die Recensirspruͤche nicht geaͤndert werden: denn sonst muͤßte man ja die gedruckte Bogen umdrucken, und das geht nicht. Der Terrorismus in Frankreich hat laͤngst aufgehoͤrt, der Terrorismus der Recen- senten aber auch: Es war einmal eine Zeit, wo man sich vor den Urtheilen der Recensenten zwar nicht fuͤrchtete, aber doch dieselben als Urtheile von competenten Richtern gefaͤllt, ansahe, und ihre Zurechtweisungen gern annahm, aber seitdem Grobheit, Stolz, Impertinenz und brutales We- sen mit großer Ignoranz verbunden, das Signale- ment der Recensisten geworden ist, kuͤmmert sich nie- mand mehr um Recensoren als solche; man liest die gelehrten Zeitungen, um zu erfahren, wie die Titel der neuen Buͤcher heißen, wie stark sie seyen an der Bogenzahl, und was sie kosten, auch wohl um die Zeit zu vertreiben, oder des Spases we- gen: denn wehe dem, welcher die Recensirbuͤcher lieset, um sich zu unterrichten, und, um uͤber die Fortschritte der Litteratur zu urtheilen! Dreyzehntes Kapitel. Herr Dreyßig . Die Eudaͤmonisten . I m Sommer 1799 kam der Koͤnig von Preußen nach Halle, und die Hallenser waren alle, wie billig, sehr froh, ihren erhabenen Monarchen in ihren Ringmauern zu sehen. Ich fuͤr meine Per- son habe damals den Koͤnig nicht gesehen: denn ich mogte mich da nicht hinzu draͤngen, wo sich jederman draͤngte, blieb daher zu Hause, und besorgte mein Blumenbret. Ich erfuhr aber doch zu meiner nicht geringen Freude, daß der Koͤnig nach mir ge- fragt habe. Im botanischen Garten, wo dem Koͤnige und der Koͤnigin ein Fruͤhstuͤck war bereitet worden, erblickte die Koͤnigin einen Haufen Studenten, und fragte, was das fuͤr gutgekleidete, artige, junge Leute waͤren? Es wurde ihr geantwortet, es seyen Studenten, und da wunderte sie sich, daß Stu- denten so artig und wohlgezogen seyn koͤnnten. Es ist sichtbar, daß der Monarchin ein boͤsartiger Be- griff von Studenten und ihrem Wesen beygebracht seyn mußte: freylich konnte ein Auftritt, welcher den Tag zuvor im Garten zu Dieskau vorgefal- len war, der Dame keine guͤnstige Idee von Stu- denten beybringen. Ein Student war daselbst, als der Koͤnig ankam, und trug einen Helm, wel- cher mit einem Riemen uuter dem Kinn so befe- stigt war, daß er ihn nicht abnehmen konnte. Je- derman zog vor dem Konige den Hut ab, bis auf den Studenten mit dem Helm. Der Koͤnig, welchen dieses verdriessen, oder wenigstens befrem- den mogte, fragte ihn, wer er waͤre? „Ich bin ein Student,“ erwiederte der Gefragte in einem eben nicht feinen Tone. „Das sieht man wohl,“ sagte der Koͤnig, und wendete sich weg. Der Student bekam hernach auf einige Tage Stadtar- rest??? Ein Herr von dem Koͤnigl. Gefolge, wel- cher mir in der Maͤrkerstraße begegnete, und mich noch von Alters her kannte, rieth mir, dem Koͤ- nige mich zu naͤhern, und ihn an sein Versprechen zu erinnern. Ich uͤberlegte, was zu thun sey, und fand, daß ich es nicht thun muͤsse: denn ich traute der Empfehlung gewisser Hallischer Herren nicht; welche um den Koͤnig waren, vorzuͤglich fuͤrchtete ich, ein gewisser Theologe, dessen Per- sonnage dem Monarchen wichtig scheinen mußte, moͤgte mir einen uͤblen Gefallen thun, aus reiner Menschenliebe naͤmlich, wie sichs von selbst ver- steht. Es ist eine gar herrliche Sache um die Gesetze und die Moral: wer klug ist, kann immer seinen Leidenschaften Gehoͤr geben, und findet doch immer gute Gruͤnde zur Entschuldigung, und zur Beschoͤnigung der unbilligsten Dinge findet man Gesetze. Sollte man wohl folgenden Vorfall glau- ben? Und doch hat sich die Sache gerade so zuge- tragen, wie ich sie erzaͤhle. Ein gewisser Student der Rechte, aus Schle- sien gebuͤrtig, suchte vor einiger Zeit, etwan vor sechs Monaten, um den Freytisch nach: man machte ihm Hoffnung dazu, und er stellte sich zum Examen. Weder gegen seine Kenntnisse, welche gar nicht gemein sind, noch gegen seine Lebensart, welche sehr regelmaͤßig und gesittet ist, konnte das Geringste eingewendet werden, und doch erhielt er den ihm zugesagten Freytisch nicht, weil er — katholisch war. Wenn etwan ein Pastor Goͤtz zu Hamburg, ein Professor Seiler in Erlan- gen, oder ein Bechtold in Gießen so einen Grund das Beneficium zu versagen, angefuͤhrt haͤtten, wollte ich kein Wort sagen: denn bey diesen Leuten ist es Grnndsatz, daß man die Feinde des Herrn d. i. die Nichtlutheraner auch fuͤr seine Feinde hal- ten, und folglich ihnen nichts gutes thun muͤsse. Aber ein Noͤsselt , ein Eberhard — solche Maͤnner koͤnnen sagen: weil dieser sonst fleißige, gutgesittete Mann einen andern Kirchennamen hat, als wir, so soll er nicht umsonst mit uns essen; lieber sollen andre, welche Mittel genug habeu, sich den Mittagstisch zu kaufen, dieß Beneficium genießen. Sogar einige unter unsern Professoren haben ziemlich laut uͤber das erzaͤhlte Verfahren geklagt, aber es ist dabey geblieben, und ich ent- halte mich aller weitern Anmerkungen, doch wird jeder graddenkende Mann mir Recht geben, wenn ich behaupte, daß wenn ja ein altes Gesetz existirte, welches die Katholiken von den koͤnigl. Freytischen ausschloͤsse, dieses Gesetz entweder ab- geschafft oder uͤbergangen werden muͤßte, zumal wenn von der Unterstuͤtzung eines aͤusserst armen, aber fleißigen und geschickten Mannes die Rede ist. Mir ist die Litaney des großen Erasmus bey die- sem Umstand eingefallen. Die Reise des Koͤnigs nutzte Herr Dreyßig, der Kunst- und Buchhaͤndler, sonst gruͤner Mann ge- nannt, um einige Bogen gedruckt ins Publikum zu werfen, und einige Groschen damit zu verdie- nen. Es wurden daher einige Sudelwische, wor- in die Reise des Koͤnigs nach Halle, und dessen kurzer Aufenthalt in dieser Stadt erzaͤhlt wurde, zusammen gescriebelt, und Gott weiß, quo censore, herausgegeben. Einige wollten behaupten, Hr. Dreyßig sey nicht der Verfasser dieser Dinger, aber wenn ich meine Meynung sagen soll, so finde ich das Geschreibsel des gruͤnen Mannes vollkommen wuͤrdig: bis auf den Ausdruck ist alles gruͤnmaͤn- nisch. Der Koͤnig hatte sich ohnweit Halle an ei- ner Anhoͤhe auf den Rasen gelegt, um von da aus den Halloren, welche auf der Saale ein Schiffer- stechen hielten, zuzusehen: diesen Umstand druͤckt Herr Dreyßig mit diesen Worten aus: „ Der Koͤ - nig habe vollends da gelegen , wie ein Schaafknecht !“ Heißt das nicht sehr edel und ganz à la gruͤner Mann, von einem Monarchen sprechen? Andre Nachrichten, die Koͤnigin betref- fend, werden in der hallischen Poͤbelsprache er- theilt! z. B. die Koͤnigin sey ein gar grausam schoͤ- nes Madamchen u. s. w. Am Ende des zweyten Stuͤcks dieses Machwerks kommt etwas sehr wi- tziges vor: Herr Dreyßig fuͤhrt naͤmlich einen von dem Gefolge des Koͤnigs redend ein, welcher seine Betrachtungen uͤber Halle anstellte, worin Leute von so verschiedenem Charakter lebten. Er stellt mehrere zusammen, welche einander auffallend unaͤhnlich sind, oder wenigstens nach Meister Drey- ßigs Einbildung seyn sollen. So wird z. B. der Stadtmusicus Hr. Wansleben, ein wohlgewach- sener großer Mann, mit einer gewissen Mamsell Steinhaͤuser, einem winzigen Geschoͤpfchen, zusam- mengestellt. Auch meiner Wenigkeit thut Herr Dreyßig die Ehre der Collation an, und bringt mich mit dem Hn. Prof. Bathe zusammen. Ich weiß zwar recht gut, daß ich mit Hn. Bathe nichts Aehn- liches habe; aber worin die auffallende Unaͤhn- lichkeit bestehen soll, sahe ich nicht ein, und konn- te, als ich das Geschmiere auf der Mail las, gar nicht begreifen, wie ich dazu kaͤme, mit dem Prof. Bathe verglichen zu werden. Ich ging da- her zu Herr Dreyßig in seine Kunstkammer, oder wie die Studenten sagen, Kunstloch , und bat mir eine Erklaͤrung von dem Herrn Kunstmeister aus, aber dieser antwortete mir so komisch unbestimmt, daß ich einsahe, er wolle mich zum besten haben, und nun auch nach meiner Art derbe zu reden an- fing. Unser Debattiren wurde so laut, daß die Jungen auf der Straße sich vor Hn. Dreyßigs Ca- binet de merveilles versammelten, und selbst die Voruͤbergehenden stehn blieben. Ich entfernte mich, und Herr Dreyßig rief mir nach, daß er mich beym Prorektor sprechen wuͤrde, aber er hat mich nicht fordern lassen, sondern mir dadurch eins zu versetzen geglaubt, daß er in der Fortsetzung der Wische die Bemerkung einfließen ließ, ich verstuͤnde mich auf den Schnapps, und wisse, wo der Beste in Halle zu haben sey. Ich glaubte nicht, daß es der Muͤhe werth sey, mich weiter mit Mstr. Drey- ßig in eine oͤffentliche Fehde einzulassen, und lachte uͤber die Ausfaͤlle eines Mannes, der ohnehin un- faͤhig ist, jemand zu injuriiren. Mit den Eudaͤmonisten haͤtte ich auch Haͤndel bekommen, wenn mich die Verfasser des Obscu- ranten-Almanachs der Muͤhe nicht uͤberhoben haͤt- ten, mit den jaͤmmerlichen Kerlen Krieg zu fuͤh- ren. Ich hatte das Geschreibsel, Eudaͤmonia ge- nannt, noch nie gesehen, wohl hatte ich davon gehoͤrt und gelesen, und wußte aus den Nachrich- ten einsichtiger braver Maͤnner, daß die Eudaͤmonia unter den infamen Sudeleyen , welche zu un- srer Zeit Deutschland uͤberschwemmen, einen vor- zuͤglichen Platz verdient, und eben so wie andre gro- be Pasquillen z. B. einige Skarteken von Goͤchhau- sen, Doctor Bahrdt mit der eisernen Stirne u. d. gl. den guten Namen braver Maͤnner begeifert. Daß aber die fatalen Eudaͤmoniashanswursten auch meiner gedenken, und mich an ihren Pranger stellen wuͤrden, war mir nie eingefallen, bis ich endlich einen Brief ohne Anzeige des Ortes, wo er herkam und ohne Unterschrift erhielt, worin mir berichtet wurde, daß ich im zwoͤlften Stuͤck des Kloaks Kloaks Eudaͤmonia derb angegriffen und herunter ge- macht sey. Ich wollte doch das Ding selbst nachsehen, hatte aber große Muͤhe, es zu erhalten, da das Gesudel im Preußischen und Saͤchsischen ganz und gar keinen Abgang findet. Ich las und erstaunte, da mich die elenden Buben fuͤr einen Verbrecher erklaͤren, den man in Effigie aufhaͤngen muͤsse: die andern Titulaturen, welche sie mir gaben, z. B. den Preußischen Spion, Laukhardsseele, Propa- gandentrompeter, sanscuͤlottischer Großschreier u. d. gl. wollte ich ihnen gerne vergeben, aber wegen des Haͤngens in Effigie gedachte ich doch, ein Wort deutsch mit ihnen zu sprechen, aber der Obscuranten- almanach uͤberhob mich dieser Muͤhe, und ich danke den Verfassern dieses Werks, daß sie den Eudaͤ- monisten statt meiner, geantwortet haben. Der obgedachte Brief enthielt die Namen meh- rerer Maͤnner, welche zu den Eudaͤmonisten sollen gehoͤrt haben, naͤmlich v. Grolmann in Gießen, Prof. Jung in Marburg, Hofprediger Stark in Darmstadt, Aoloys Hoffmann in Wien, Hoschka, v. Goͤchhausen in Eisenach, und endlich den ad in- star eines Zahnbrechers schreienden Journalsmann Schirach in Altona. Ich will nicht behaupten, daß alle die genannten Herren Eudaͤmonisten sind, d. i. daß sie alle an dem Journal, Eudaͤmonia ge- nannt, den Staupbesen verdient haben, ich mag Laukh. Leben 5ter Theil. K sogar keinen Einzigen als wirklichen Eudaͤmonisten angeben: denn das hieße gerade so viel, als so einen Herrn fuͤr einen Gesellschafter und Waffen- traͤger der ersten Schurken Deutschlands erklaͤren; indessen zeugen doch die Handlungen mehrerer der genannten Herren von Dero Eudaͤmonistischen Gesinnungen. Die That des Herrn von Grol- mann zu Gießen an dem D. G — — — wurde durch einen gewissen Exulanten in Ober- und Nie- dersachsen so verschrieen, daß gewiß die Kinder auf einen Mann weisen wuͤrden, der sich Grolmann nennt und diese Gegenden bereisen sollte. Schade ist es doch, daß der liberale und rechtschaffne Cri- minalist Grolmann in Gießen wohnt, und mit dem eudaͤmonisch gesinnten Menschen einerley Na- men fuͤhrt! Den Prof. Jung in Marburg mag ich kaum nennen: er hat zu viel aͤhnliches mit einem gewissen Kerl, Rosenfeld glaub ich, hieß er. Man ziehe nur Froͤmmlingen von Profession die heilige Maske von der Fratze, und dann wird wenig uͤbrig bleiben, weßwegen man sie fuͤr Muster hal- ten muͤsse. Loripedem rectus derideat, Aethiopem albus. Quis tulerit Gracchos de seditione querentes? Quis coelum terris non misceat, et mare coelo, Si fur displiceat Verri, Homicida Miloni, Clodius accuset moechos, Catilina Cethegum? Qualis erat tragico nuper pollutus adulter Concubitu, qui tone leges revocabat amaras Omnibus atque ipsi Veneri Martique timendas; Cum tot abortivis foecundam Iulia vulvam Solveret, ac patruo similes effunderet offas. Sollte man nicht denken, Juvenalis sey ein Prophet gewesen, und die angefuͤhrte Stelle sey ein weißagendes Gesichte? Daß ein Mann, wie Stark in Darmstadt sich zu dem Eudaͤmonistengesindel gesellt hat, oder ge- sellt haben soll, ist wirklich sehr zu bedauern. Der Verfasser des Haͤpheistio ein Eudaͤmonist!! Herr von Goͤchhausen in Eisenach verdient oͤf- fentlich geruͤhmt zu werden, und ich wuͤrde es thun, wenn ich meine Stimme fuͤr wuͤrdig hielte, den Rechtschaffnen zu loben. Er hat sich oͤffent- lich erklaͤrt, warum er freyere Gesinnungen mit Sanscuͤlotterey in eine Bruͤhe geworfen, und je- den fuͤr einen Ohnehosen angesehen habe, der nicht dachte, wie ohngefaͤhr Hr. Rehberg oder einer desgleichen. Ich habe mich unendlich uͤber das freye eines gelehrten und durch Verdienste angese- henen so wuͤrdige Gestaͤndniß gefreuet, und bedaure nur, daß mir einige Ausdruͤcke entfahren sind in meinen Schriften, welche auf Herrn von Goͤch- hausen nicht den besten Bezug haben; aber diese Ausdruͤcke concerniren bloß den Schreiber der Wan- K 2 derungen in die Rhein- und Mayngegenden, kei- neswegs aber den schaͤtzbaren Verfasser des Maͤhr- chens aus der andern Welt. Der Journalist Schirach, oder Herr von Schi- rach in Altona scheint mir durchaus keinen unmit- telbaren Antheil an der Eudaͤmonia genommen zu haben, da sein politisches Journal die Eu- daͤmonia beynahe aͤquirt, ich meyne an Luͤgen, Laͤ- sterungen und Verlaͤumdungen. Doctor Bahrdt sagt im Ketzeralmanach, das deutsche Publikum sey ein altes Weib, weil es die Schriften eines gewissen Herrn gleichsam verschlungen habe. Den Beweis, daß unser Publikum ein altes Weib ist, koͤnnte man am besten daher fuͤhren, daß das po- litische Journal des Herrn von Schirach noch Kaͤu- fer und Absatz findet. Der große Schirach hat den Schleier der Politik vom Gesicht gerissen, und immer vorher aus unumstoͤßlichen Gruͤnden geweißaget, wie es noch in der Welt gehen muͤßte, und folglich auch gewiß gehen wuͤrde. Daß es so, wie der große Politiker geweißagt hat, gehen mußte, daran ist wohl kein Zweifel, nur war es sehr Schade, daß fast keine einzige Schirachsche Weißagung eintraf. Doch die Weißagungen moͤg- ten immer hingehen, die machen das politische Journal bloß zu einem elenden Sudel, woruͤber der Kluge die Achsel zuckt, und die Verdrehungen der Begebenheiten, welche sich Schirach oder seine unbekannte Correspondenten erlauben, waͤren auch noch zu verzeihen; denn so Etwas hat er mit vielen inlaͤndischen und auslaͤndischen Zeitungsschreibern, sogar mit gelehrten Zeitungsschreibern, gemein: und wenn mehrere einerley Bocksstreiche machen, so fallen diese weniger auf: aber seine Invectiven auf brave Maͤnner sind unverzeihlich und verdienen oͤffentlich geprangert zu werden, wenn jenen ver- unglimpften Maͤnnern daher ein Schaden entstan- den waͤre, daß sie im politischen Journal mishan- delt wurden. Die Eudaͤmonia hat nicht so viel Gluͤck ge- macht, als das politische Journal: das Ding war gar zu arg, und gar zu elend; da dachten dann die Herren, welchen zu Gefallen die Eudaͤmoni- sten ihre Federn in Uebung sezten: Wollt ihr nicht besser streiten fuͤr uns, dann I — — — und verboten die fernere Erscheinung der Monatswische. Einen Hauptspaß habe ich auch vor einigen Jahren erlebt, den ich doch hier so ς ἐν παϱ ;δῳ er- zaͤhlen will. Ein Prediger zu Acken an der Elbe, Na- mens Sabel, aͤrgerte sich gar maͤchtig, daß der Ver- fasser einer Broschuͤre, Charakteristik einiger Brandenburgischen Geistlichen , ihn etwas unsanft mitgenommen und herumgeschleppt hatte. Er rieth hin und her, wer doch der nicht genannter Schreiber des kleinen Buches seyn moͤgte, und fiel auf einen hiesigen Gelehrten, welcher ihn einst in Acken besucht hatte. Dieser Mann ist nichts weniger als ein Satyriker, und haßt alle gelehrte und ungelehrte Fehden; haͤtte daher Herr Sabel Personen gefragt, welche den ihm verdaͤchtigen Gelehrten naͤher und besser kannten, als er, so wuͤrde ihm sein Irrthum leicht seyn benommen worden: aber das war ihm zu weitlaͤuftig, er wollte einen naͤhern Weg ein- schlagen, und schrieb daher einen Wisch von eini- gen Bogen wider seinen putativen Angreifer. Das Ding ist ein non plus ultra von fadem Geschwaͤz, und hoͤkerweiberischen Witzeleyen: aller Orten leuchtet Herrn Sabels Armseligkeit am Geiste hervor, wenn er schon einen Brief einruͤckt, der ihm vom Phoͤbus Apollo selbst soll geschrieben seyn. Dieser Brief des Apollo gehoͤrt zuverlaͤßig zu den apokryphischen Schriften, oder man muͤßte anneh- men, Phoͤbus Apollo habe Herrn Sabel so behan- deln wollen, wie ehedem Friedrich Wilhelm der Erste den bekannten Gundlich, sonst naͤrrische Ex- cellenz genannt, behandelt hat. Herr Sabel laͤßt seinen vermeynten Gegner in einen Schoͤps ver- wandeln, aufhaͤngen u. s. w. Der Gelehrte, welchen Herr Sabel so skandaloͤs beschrieben und behandelt hatte, lachte uͤber die Armseligkeiten und die Gaͤnsegalle des Kanzelmanns, und antwortete ihm, wie billig — gar nicht. Bald hernach wußte das ganze Publikum, wer der wahre Ver- fasser der obgedachten Charakteristik sey: Herr Sabel weiß es wahrscheinlich auch, hat aber stille geschwiegen, und wohl dran gethan. Vierzehntes Kapitel. Engelmann von Schochwitz . I m Herbst des Jahres 1799 lernte ich einen Landmann naͤher kennen, welcher mir in mehr als einer Hinsicht merkwuͤrdig geworden ist. Die- ser Mann heißt Engelmann und besizt ein Bauern- gut zu Schochwitz im Mansfeldischen. Der naͤ- here Umgang, welchen er mit einem armen Bauern- maͤdchen gehabt haben soll, brachte die Leute auf die Vermuthung, er sey der Vater ihres unehligen Kindes, ob es gleich nicht an andern Mannsper- sonen fehlt, die sich der Gunst dieser sonst ziem- lich publiken Dirne ruͤhmen koͤnnen. Indessen wur- de das Maͤdchen wieder schwanger, und Engel- mann passirte abermals fuͤr den Urheber dieser Schwangerschaft. Er leugnete es zwar gegen je- derman, aber ein Verdacht dieser Art und ein sol- ches Geschwaͤtz ist schwer zu widerlegen und zu stil- len; daher konnte es auch nicht fehlen, daß die Gattin des Engelmann ihm manche truͤbe Stunde machte, und sich fast taͤglich mit ihm zankte. Auf einmal verschwand das Maͤdchen, und wurde ei- nige Tage hernach in der Saale todt gefunden. Einige liederliche Buben, welche grade um diese Zeit wegen allerhand Hallunkenstreichen eingezogen wurden, sagten ganz von freyen Stuͤcken vor Ge- richt aus, Engelmann habe sie bestellt, das Maͤd- chen in ihrer Wohnung zu ermorden, und hernach in die Saale zu werfen. Daß auf diese Aussage Engelmann sofort eingezogen wurde, versteht sich von selbst, aber bey der Untersuchung fanden sich so viele Widerspruͤche zwischen den Aussagen der Buben, und der Sache selbst, daß jeder Unbe- fangne sehr leicht schließen mußte, die Schurken haben falsch ausgesagt: indessen konnte doch En- gelmann nicht eher losgelassen werden, bis seine Unschuld vollkommen erwiesen war. Dieß bewirkte ein hiesiger Rechtsgelehrter, Herr Justizcommis- sar Rupprich, welchem ich den Ruhm eines habi- len Sachwalters sehr gerne zugestehe, ob er gleich mein Freund nicht ist, wie ich weiterhin dociren werde. Die Unschuld des Engelmann wurde voll- kommen anerkannt, und er kam los: aber er wur- de doch in alle Kosten verdammt, die der ganze weitlaͤuftige Proceß verursacht hatte, und durfte an keinen Ersatz des großen Schadens denken, wel- chen sein Hauswesen durch seine Verhaftung und sein langes Gefaͤngniß gelitten hatte. Ich kann nicht bestimmen, in wie fern jemand Proceßkosten tragen muͤsse, der fuͤr unschnldig erklaͤrt worden ist, indessen scheint es mir doch, daß in Faͤllen, wie der des Anspaͤnners Engelmann war, der Staat selbst die Kosten leisten muͤßte. Ich habe viel Ehr- furcht gegen die Ausspruͤche der Regierung zu Magdeburg, indessen kommt es mir doch vor, als sey Engelmann zu hart und folglich unbillig behandelt worden. Freylich konnten jene Buben, welche den Mann bloß aus Bosheit — denn Vor- theile konnten sie durch diesen Streich nicht erwar- ten — angegeben und eines Menschenmordes be- schuldiget hatten, die Proceßunkosten nicht leisten, die ihnen allerdings haͤtten zufallen muͤssen: aber ich sehe auch gar nicht ein, wie eine Verbindlichkeit auf mich fallen koͤnne, bloß deßwegen, weil der, wel- cher dieselbe zu leisten hat, sie nicht leisten kann? Engelmann schrieb auf seinem Gefaͤngniß ein dickes Buch, worin er die Geschichte seines Pro- cesses, seines Arrestes und derjenigen erzaͤhlt, welche zugleich auf dem Rathhause saßen, und mit welchen er sich unterreden konnte: denn da man gleich von Anfang einsahe, daß er unschuldig seyn muͤsse, hielt man ihn eben nicht sehr strenge, und fuͤr Geld und gute Worte thun die Herren Carcer- majoren auch Etwas. Diese Schrift ist wirklich lesenswerth, und hat mitunter sehr gute naive Ein- faͤlle, aber ich zweifle, daß sie in Halle oder Mag- deburg das Imprimatur erlangen wuͤrde. Engel- mann ist nach seiner Entlassung mein Gevatter ge- worden. Meine Lage war im Jahr 1799 nichts weni- ger, als ruhig und gluͤcklich. Schon im Herbst des vorigen Jahres war die Mutter meiner Frau zu ihrem Mann, der als Unteroffizier bey dem Fuͤ- selierbataillon Carlowitz steht, abgegangen, und hatte mir ihre juͤngste Tochter zuruͤckgelassen. Wir konnten das Maͤdchen recht gut brauchen, da sie weiter nichts kostete, als das bischen Essen, und etwan das Schuhwerk. Im Fruͤhling 1799 hoffte ich bey dem Schneider Hubert weiter logiren zu koͤnnen, aber der religioͤse Mann hatte von meiner Irreligion gehoͤrt, und befuͤrchtete, ich moͤgte Un- segen auf sein Haus bringen, daher bat er mich in einem hoͤflichen Zettelchen, auszuziehen. Ich that dieß gerne, und zog in die sogenannte Kutsche: der Besitzer dieses Hauses war ein kreuzbraver Mann, welcher ehedem Soldat gewesen war, und den ich schon seit vielen Jahren kannte. Meine Frau war anfaͤnglich mit der Wirthin aufs beste einver- standen, und beyde stacken immer beysammen: aber Weiber, besonders Weiber ohne Grundsaͤtze, koͤnnen nicht lange Freundschaft halten, jede Klei- nigkeit veruneinigt sie, dann kommen Klatsche- reyen, und zulezt die unversoͤhnlichsten Fehden. So gings bey uns: ich kann zwar nicht sagen, wer zuerst Schuld war an dem Scandal, meine Frau oder die Frau Harrin; genug, sie wurden Feinde, und zwar die unversoͤhnlichsten Feinde. So gerne ich im Hause geblieben waͤre, mußte ich Anstalt zum Ausziehen machen. Meine Frau hatte indes- sen bey einem Schuhmacher Schaͤfer eingemiethet, und ich war nachgiebig genug, zu thun, was sie haben wollte. Im Sommer dieses Jahres schrieb ich meinen Franz Wolfstein, oder Begebenheiten eines dum- men Teufels in zwey Baͤnden. Das Buch oder dieser Roman sollte beweisen, daß ohne Weltkennt- niß und ohne die Kunst, sich in andre Leute zu schi- cken, und sich nach ihren Launen zu richten, alle Rechtschaffenheit und alle Kenntnisse nicht im Stande sind, uns vor Unfaͤllen zu bewahren. Ei- nige Recensenten haben das Werk so halbwege durchgehen lassen, andre aber sind derb druͤ- ber hergefallen. Doch das thut zur Sache nichts: infra rede ich noch ein Woͤrtchen mit meinen Re- censenten, oder vielmehr mit meinen Lesern: denn Recensenten lesen selten mehr von den Buͤchern, als den Titel und die Vorrede; den Rest durch- blaͤttern sie nur. Meine Frau brachte bald nach unserm Einzuge in Schaͤfers Residenz einen zweyten derben Jun- gen. Nach christlicher Gewohnheit und nach den Landesgesetzen, oder vielmehr nach geistlichen Verordnungen, welche der Landesherr bestaͤtigt hat, mußte ich den Jungen taufen lassen, und Herr Prof. Guͤte taufte ihn. Als dieser sonst gelehrte und rechtschaffne Mann meinen ersten taufte, hatte er das alte Formular, nach welchem das arme acht- oder zehntaͤgige Kind gefragt wird: ob es dem Teufel, und allen seinen Werken und Wesen entsage? Ob es an Gott Vater, an Jesum Chri- stum, der empfangen ist vom heiligen Geiste, ge- boren aus Maria der Jungfrauen, der niederge- fahren ist zur Hoͤllen, an eine Auferstehung des Fleisches u. s. w. glaube? Ob es wolle getauft seyn? u. s. w. Lauter Fragen, die sich einem kleinen Kinde nicht vorlegen lassen, und die mit der sonst ehrwuͤrdigen Handlung der Taufe ei- nen seltsamen Contrast machen. Denn wenn man auch zugeben muß, daß die Kindertaufe nicht ab- gestellt werden kann, so muß doch auch zugegeben werden, daß das gewoͤhnliche Taufformular ab- geschmackt und zweckwidrig, folglich allerdings ab- zustellen sey. Erst noch kuͤrzlich sagte ein gewisser Hallischer Geistlicher auf der Kanzel, Christus selbst (!) und die Apostel haͤtten Kinder getauft: der Herr muß nicht viel in der Kirchengeschichte studiert haben. Tertull. de baptismo Cap. 18. Walchli Hist. Paedobapt. IV. prior. secul. Ich hatte lange Zeit keiner Taufhandlung zugesehen, und haͤtte beynahe uͤber das allerliebste Formular laut aufgelacht, doch hielt ich an mich, und mein Fritzemann wurde ohne Scandal hingetauft. Ich konnte nichts anders er- warten, als Hr. Pr. Guͤte wuͤrde das alte Formu- lar wieder herbringen, als er meinen zweyten Jungen der heil. Kirche durchs Wasserbad im Wort einverleibte: aber ich wurde sehr angenehm uͤberrascht, als Herr Guͤte ein neues sehr vernuͤnf- tiges Formular gebrauchte, welches ihm, als Con- cipienten, wahre Ehre macht, und hinlaͤnglich be- weist, daß er wisse, wofuͤr man die Taufe uͤber- haupt, und die der kleinen Kinder insbesondere zu halten habe. Diesen Winter uͤber habe ich fuͤrchterlich aus- gestanden: ich hatte mir nur wenig Holz ange- geschafft, und mußte hernach bloß Torfsteine bren- nen, und das dazu noͤthige Holz bey den Hoͤcken kaufen. Jede Woche brauchte ich mehr als fuͤr 1 ½ Thaler Brennwerk, und doch ward die ohne- hin abscheulich kalte, dem Ost- und Nordwind ausgesezte Stube selten recht warm: die Fenster waren fast immer gefroren, und wenn ich an meinem Schreibtische saß, hatte ich selten warme Fuͤsse oder warme Haͤnde. Doch trug ich alles ziemlich geduldig, weil ich damals noch bes- sere Zeiten hoffte. Ich arbeitete den ersten Theil meiner Novellen aus, und fing auch an ein Woͤr- terbuch der alten Erdbeschreibung zu verfertigen, welches aber aus verschiedenen Ursachen bis jezt noch nicht fertig geworden ist. Es giebt zwar mehrere und nicht unbrauchbare Woͤrterbuͤcher uͤber diese Wissenschaft, welche ich noch immer fuͤr sehr schwer halte: aber diese Woͤrterbuͤcher sind zu weit- laͤuftig und zu kostbar, als daß sie allen denen i n die Haͤnde kommen koͤnnten, die ihrer beduͤrfen. Da- her kommt es dann auch, daß nicht nur junge Leute, welche alte Schriftsteller lesen, sondern auch solche, welche dergleichen Autoren erklaͤren sollen, alle Augenblick stocken und nicht wissen, wo sie sind. Ich habe den Gedanken, ein Lexikon der alten Geographie, ohngefaͤhr 12 bis 14 Bogen stark, herauszugeben, noch nicht fahren lassen: vielleicht erscheint es bald. Gegen das Fruͤhjahr schrieb ich meinen Marki von Gebrian, worin ich die franzoͤsischen Emigranten, so wie ich sie habe kennen lernen, abschilderte. So lange unsre Deutschen noch dumm genug sind, sich von diesem Auswurf der franzoͤsischen Nation verachten und prellen zu lassen, ist es gut, daß man ihnen von Zeit zu Zeit diese Bursche abschildere. Freylich wird es immer weniger noͤthig, von den unwissenden, schal- koͤpfigen, duͤnkelreichen, dummstolzen, impertinen- ten Faselanten, welche unter dem Namen der Emi- gres herumstreichen, Beschreibungen zu machen. Man faͤngt an, sie aller Orten fuͤr das zu halten, was sie sind, naͤmlich fuͤr untaugliche Subjecte, welche das Ungluͤck, das sie druͤckt, an ihrer eig- nen und an fremden Nationen, vorzuͤglich an der Deutschen vollkommen verdient haben. Es sey ferne von mir, jemand aufzuhetzen, und zu be- wegen, daß er den franzoͤsischen Emigranten Schutz und Unterstuͤtzung versage, und noch viel weniger will ich alle Emigranten fuͤr elende Kerle ausgeben: ich kenne mehrere, welche ver- dienen, daß man sie schaͤtze und ehre, aber a po- tiori fit de nominatio, sagen die Logiker, und da ist dann Emigrant und Haselant fast immer syno- nym. Ich sprach noch vor kurzem mit einem Ju- den, der aus Frankreich kam, und mir von der gegenwaͤrtigen Lage dieses Reiches einige interes- sante Nachrichten mittheilte. Dieser Mann er- zaͤhlte mir, daß die Meisten von den neuerdings zuruͤckgekehrten Emigranten sich eben so in Frank- reich betruͤgen, wie sie sich in Deutschland betra- gen haben, und daher bey jedem rechtlichen Fran- zosen verhaßt und verachtet waͤren. Ich glaubs sehr gerne, denn ich kenne die sacrés bougres d'Emi- grés, und weiß, weß Geistes Kinder sie sind. Funfzehntes Kapitel. Mein Freund Premßler . M ein Freund Premßler war ein Mann, welcher nach dem einstimmigen Zeugniß aller derer, die ihn naͤher kannten, ein besseres Schicksal verdiente, als ihm zu Theil ward. Es gab freylich Firle- faͤnze, welche ihn bey seinem Leben taxirten, und nach seinem traurigen Tode blamirten und laͤ- sterten, sogar in gedruckten Wischen: aber auf das Urtheil der Firlefaͤnze kommt nichts an. Ich will ihn schildern, wie er war, und meinen Lesern uͤberlassen, von ihm und von seinem Tod zu ur- theilen, wie sie glauben, daß geurtheilt werden muͤsse. Premßler Premßler war aus Weimar gebuͤrtig, wo sein Vater, wenn ich nicht irre, Aufseher uͤber das da- sige Zuchthaus gewesen ist. Einer von seinen Bruͤ- dern hatte die Rechte studiert, und war in Eise- nach angestellt worden; dieser aber hatte die Wund- arzneykunst gelernt, und kam ohngefaͤhr 1790 zu dem Hallischen Regiment als Compagniefeldscheer, oder wie sie nachgehends heißen mußten, als Chi- rurgus. Ich habe es nie recht verstehen koͤnnen, warum das gute deutsche Wort Feldscheer , welches jeder versteht, einem griechischen Wort, Chirurgus , weichen mußte: denn Chirurgus, kommt her von χειϱ die Hand und ἐϱγον ein Werk, oder eine Arbeit, und heißt weiter nichts, als ein Kerl, der mit seinen Haͤnden etwas verrichtet: nach der ersten Bedeutung des Wortes ist also ein Dieb, ein falscher Spieler, ein Taschenspieler, ein Bierfiedler, ein Ausfeger der heimlichen Ge- maͤcher u. s. w. allemal ein Chirurgus: denn alle diese Kerle betreiben etwas mit ihren Haͤnden; aber das deutsche Feldscheer kommt solchen Burschen, und uͤberhaupt niemanden als einem Wundarzt zu. Doch dieses will ich nur so im Vorbeygehn ange- merkt haben. Premßler kam zum Hallischen Regiment als Chirurgus, und wurde nach der Entweichung des windigen Herrn Haupt bey der Compagnie an- Laukh. Leben 5ter Theil. L gestellt, wobey ich damals als Soldat stand. Ich ward sehr bald mit ihm bekannt, und von der er- sten Zeit unsrer Bekanntschaft waren wir unzer- trennliche Freunde. Wir liebten beyde muntere Gesellschaften, und muntere Unterhaltung, und so trafen wir uns fast taͤglich auf dem Rathskeller oder bey Sander in den neuen Haͤusern, oder sonst wo lustige Leute zusammen kamen, und sich die Zeit vertrieben. Ich will nicht sagen, daß Premß- ler ein Freund von der Voͤllerey und andern Aus- schweifungen gewesen sey: selten, sehr selten sahe ich ihn betrunken. Sein Umgang war angenehm, wenn er aber jemand, besonders ein Frauenzimmer, herumholen wollte, wußte er seinen Gegenstand so huͤbsch aufs Korn zu nehmen, daß ihm die Augen haͤtten uͤbergehen moͤgen. Meiner damali- gen Wirthin, der Frau Gruneberg, ward es im- mer Angst und bange, wenn Premßler in ihr Zim- mer trat, und ein frommes Gespraͤch mit ihr an- fing, welches sich immer auf Sarcasmen endigte. Als wir 1792 ins Feld zogen, blieb Premßler bis Coblenz bey der Compagnie, und vertheidigte mich in Gießen gegen den groben Muͤller, der mich bey meinem Hauptmann verklagt hatte: denn die groben Flegel, so grob und impertinent sie auch immer seyn moͤgen, wollen es doch nicht leiden, daß man ihnen den kompetenten Namen gebe, und sie grobe Flegel heiße. In Coblenz ward mein Premßler dem Generalchirurgus bekannt, und die- ser versezte ihn zum Feldlazareth, wo er auch bis an das Ende des Kriegs geblieben ist. Ich sah ihn diese Zeit uͤber nur selten, da ihm seine Ge- schaͤfte nicht erlaubten, weite Turen zu unter- nehmen. Als ich 1795 wieder nach Halle kam, fand ich meinen Freund Premßler daselbst, und nun wurde unser Umgang wie ehedem fortgesetzt. Wir waren fast taͤglich beysammen, vorzuͤglich auf der Mail und auf dem Keller, wo seit 1796 un- ser gemeinschaftlicher Freund, Herr Heynemann, Paͤchter war. Premßler war in der Stadt als ein geschickter Mann bekannt, und viele Leute bedienten sich sei- nes Raths und seiner Huͤlfe in Nothfaͤllen. Ein gewisser Herr von Adel, der damals hier studierte, hatte sich bey einem inficirten Maͤdchen so verdor- ben, daß er weder gehen noch stehen konnte. Premßler curirte ihn gluͤcklich. Der gnaͤdige Herr ließ sich die Rechnung machen, fand sie billig, und versprach nicht nur bald zu bezahlen, sondern noch obendrein ein gutes Praͤsent zu geben. Premß- ler erzaͤhlte mir dieß, und meynte, nun waͤre es schon so gut, als wenn er sein Honorar und das Praͤsent schon wirklich in Haͤnden haͤtte. Ich kannte aber die Studenten besser, und besonders jene, L 2 welche dicke thun, und mehr zu geben versprechen, als sie schuldig sind, und deßwegen rieth ich Premß- lern, auf die Bezahlung seiner Schuld zu dringen, da der Herr von Adel, den er curirt hatte, ohne- hin bald abgehen wuͤrde. Premßler lachte mich aus, und war ohne Sorgen. Endlich hieß es auf einmal, Herr von — sey abgefahren, wie die Katze vom Taubenschlag, und habe seinen ganzen Wechsel mitgenommen. Premßler war nun sehr uͤbel dran; denn er hatte die Arzney in der Apo- theke auf sein Conto genommen, und mußte den Apotheker bezahlen. Er schrieb drey Briefe an den saubern Kumpan, aber nie erhielt er eine Ant- wort. Endlich schrieb er einen derben Brief, und drohte, den schoͤnen Herrn zu verklagen. Nun kam Antwort, aber eine solche, wie sie von einem Niedertraͤchtigen nur erwartet werden kann. Herr Premßler habe ohne Erlaubniß der Obrigkeit an- dern angestellten Aerzten ins Handwerk gegriffen: er moͤge immerhin klagen, wenn er Geld fuͤr Pro- zeßkosten wegzuschmeißen habe u. s. w. Da stand nun mein guter Premßler, und krazte sich hinter den Ohren, ich aber rieth ihm zu schweigen: denn auf jeden Fall haͤtte er Unkosten gehabt, und waͤre am Ende doch durchgefallen. Fuͤr Fuhren nach Lauchstaͤdt, fuͤr Reisen auf die Messe zu Leipzig, fuͤr die Unterhaltung eines luͤderlichen Maͤdchens hatte der feine Herr Geld genug, so wie fuͤr das Spiel im Dostischen Keller, aber keins fuͤr den Arzt, der ihm die franzoͤsische Krankheit curirt hatte. Pfuy Teufel!! Um Premßlers naͤhere Umstaͤnde hatte ich mich nie bekuͤmmert: denn es ist uͤberhaupt meine Ge- wohnheit nicht, in die Geheimniße meiner Freunde einzudringen. Eines Tages gingen wir spazieren, und da entdeckte er mir, daß er schon laͤngst mit einem Maͤdchen aus dem Weimarschen bekannt sey, und daß er großen Lusten habe, das Maͤdchen zu seiner Frau zu machen, es sey gar ein liebes gutes Kind, heiße Julchen, habe blaue Augen, einen vollen Busen etc. etc. Ich billigte sein Vorhaben. „Ja, antwortete er, wenn das Ding nur so gleich gehn koͤnnte: der Alte, ihr Vater, ist ein komischer Kerl, der verlangt, ich solle Medicin studieren — Ich . Ih nun, die hast Du ja studiert. Premßler . Aber nicht handwerksmaͤßig, das heißt, ich habe keine Collegia als Student ge- hoͤrt, und da kann ich nicht Doctor werden. Der Alte will aber, daß sein Tochtermann ein Doc- tor sey. Ich . Der Alte ist ein Hasenfuß. Grade als wenn man kein geschickter Arzt seyn koͤnnte, ohne das elende Doctordiplom. Premßler . Hast Recht, aber was hilft das mir. Er ist der Vater meiner Braut, und wenn er nicht will, wird aus der ganzen Sache nichts. Doch habe ich noch einen Vorschlag; ich will mir eine Barbierstube in meinem Lande anschaffen, vielleicht, daß er alsdann seinen Consens giebt. Er schrieb an den Vater seines Maͤdchens, die- ser antwortete aber nicht so, wie er es wuͤnschte, und nun entschloß sich der arme Teufel, selbst hin- zureisen, und seine Sachen muͤndlich auszumachen. Er fand weder bey seinem kuͤnftigen Schwiegerva- ter noch bey seinen Anverwandten viel Trost, und kam mißmuthiger zuruͤck, als er weggereist war. Gegen seine vertrautesten Freunde war er verschlos- sen, und nur dann und wann ließ er ein Wort fal- len, woraus man schließen konnte, was in seinem Innern vorging. Einst saß ich neben ihm auf dem Rathskeller, und ein gewisser Buͤrger erzaͤhlte mir die Haͤndel, worin ihn sein eigner Bruder ge- bracht hatte, und schloß mit den Worten: daraus koͤnnen Sie sehen, das mein Bruder ein eingemach- ter Bengel ist. „Vielleicht, fiel Premßler ein, ist Ihr Bruder noch lange so kein Bengel als der Meinige.“ Hieraus schloß ich, daß er zu Hause sehr beleidigt worden seyn muͤße. Da wir gewohnt waren, bey unsern Zusam- menkuͤnften mitunter von ernsthaften Dingen zu reden, brachte Premßler so wie von ohngefaͤhr das Gespraͤch auf den Selbstmord, oder wie man rich- tiger sagen sollte, die Selbsttoͤdtung und bestritt mich immer, wenn ich meine Meynung vertheidigte, daß der Selbstmord in sehr vielen Faͤllen erlaubt sey, und in einigen sogar Pflicht werden koͤnne. Einst warf er mir ein, daß die Verbreitung einer solchen Lehre sehr vielen Schaden stiften koͤnne. Im ge- geringsten nicht, erwiederte ich: wer so weit kommt, daß er sein Leben hasset und sein Daseyn muthig verabscheut, der wird sich hinrichten, und allen theologischen und philosophischen So- phismen fuͤr das Gegentheil kein Gehoͤr geben: wer aus Melancholie sich ermorden will, hoͤrt oh- nehin auf keine Gruͤnde; und wer endlich sein Le- ben lieb hat, oder sonst den Tod fuͤrchtet, toͤdtet sich nicht, und wenn Du ihm noch so stark bewei- sest, daß es erlaubt sey, oder daß er sich in seinem jetzigen Fall hinrichten muͤsse. Ueber solche Mate- rien disputirt man bloß, damit die Zeit hingehe, obgleich das Pro und das Contra weder nutzen noch schaden kann. Spaͤt im Herbst 1799 blieb ich Abends bis um eilf Uhr auf dem Rathskeller: Premßler war auch zugegen, und als ich weggehen wollte, bat er mich, ihm noch Gesellschaft zu leisten. Ich ließ mir leicht zureden, und so saßen wir dann beysammen bis gegen ein Uhr. Auf dem Nachhausegang war Premßler sehr aufgeraͤumt, und da Gebhards La- den noch offen war, traten wir ein, und machten einen Schnapps. Das Gespraͤch kam auf sein Maͤdchen, und Premßler aͤusserte, daß er sie ganz vergessen habe, es sey einfaͤltig, sich an ein Maͤd- chen zu draͤngen, zu welchem man nicht mit Be- quemlichkeit kommen koͤnne. Wir gingen hierauf fort, und jeder begab sich nach Haus. Den fol- genden Tag — es war ein Montag — begegnete mir Premßler um eilf Uhr Vormittags, und fragte mich, ob ich mit auf den Keller gehn wolle? Ich schlug es aus, weil ich nothwendig sonstwohin ge- hen mußte. Gleich nach zwoͤlf Uhr kam das Geruͤcht, der Chirurgus Premßler habe sich selbst erschossen. Ich erschrack, und um mich von der Wahrheit der Sache zu uͤberzeugen, lief ich hin, und fand mei- nen Freund in seinem Blute liegen. Er hatte sich mit einer bloßen Ladung Pulver in den Mund ge- schossen. Daß er schon lange mit dem Gedanken, sich selbst zu toͤdten, muͤsse umgegangen seyn, erhellet daher, daß er sich schon vierzehn Tage vorher die Jagdflinte, womit er sich entleibte, von einem Studenten, Namens Ballo, geborgt hatte. Auf seinem Tische fand man einen Brief an Hn. Ein- kauf, und dann eine kurze Lebensbeschreibung, welche er bat, dem bekannten Herrn Dreyßig zu- zustellen, damit dieser sie moͤgte abdrucken lassen: denn Premßler wußte sehr wohl, daß Dreyßig diese Gelegenheit benutzen wuͤrde, um einen Bogen ins Publikum zu schicken, um nun zu verhuͤten, daß Dreyßig Unwahrheiten auftischte, wollte er lieber selbst einen Aufsatz machen, der ohne Gefahr der Luͤgen im Publikum erscheinen koͤnnte. Herr Dreyßig hat wirklich einen Bogen uͤber Premßlers Selbstmord herausgegeben, und das Andenken desselben, so viel an ihm war, geprangert. Desto edler aber handelten Premßlers Vorgesetzte: sie ließen ihn begraben, und zwar so auf den Gottes- acker, als wenn er sua morte gestorben waͤre. Alle gute Menschen, welche Premßlern naͤher gekannt hatten, bedauerten ihn, aber einige Firlefaͤnze, welche gern raͤsonnirten, und alles zum Schlimm- sten kehren, gaben vor, Premßler habe sich wegen seiner Schuldenlast entleibt. Ich habe mich sehr genau nach allen seinen Schulden erkundigt, und gefunden, daß nur etwan 34 Thaler hinreichend gewesen waͤren, alle seine Contos zu tilgen. Ossa quieta precor, Premslere, quiescere in urna, Et sit humus cineri non onerosa tuo! Sechszehntes Kapitel. Haͤndel mit den Juden. Gespenstergeschichten. I ch bin nie ein Freund der Juden gewesen, nicht als verachtete und haßte ich sie, weil sie nicht glauben, wie es die symbolischen Buͤcher der lu- therischen Kirchen vorschreiben, oder weil sie Je- sum nicht Herren heißen, sondern deßwegen weil ihre Religion so beschaffen ist, daß derjenige, wel- cher ihr von ganzer Seele anhaͤngt, ein ganz un- brauchbares Mitglied der Gesellschaft seyn und blei- ben muß. Eine abgeschmacktere und zugleich into- lerantere und stolzere Religion als die juͤdische ist, kann es gar nicht geben, daher koͤnnen auch die Juden niemals uͤber Intoleranz klagen, wenn sie verfolgt werden. Konnte wohl Calvin uͤber Into- leranz sich beschweren, wenn er den Catholiken in die Haͤnde gefallen und auf den Scheiterhaufen ge- setzt worden waͤre? Er hatte ja so ein Traktament dem braven und gelehrten Servet anthun lassen. Man nehme an, Juden waͤren die Eroberer von Amerika gewesen, und fragte sich, ob sie es wohl wuͤrden besser gemacht haben, als Pizarro und Cartez? Pizarro und Cartez, und wie jene Bar- baren noch sonst hießen, handelten aber gradezu als Schurken: denn sie wußten, daß das was sie thaten, unrecht war; aber setzen wir, daß Juden Amerika erobert haͤtten, und es noch aͤrger gemacht haͤtten als Pizarro und Cartez, so konnten diese Juden immer ehrliche und rechtschaffne Leute blei- ben: denn sie thaten weiter nichts, als was ihre Religion erlaubte, oder vielmehr von ihnen heischte. Schon in den Mosaischen Buͤchern kommen haͤufige Gesetze vor, daß alle Heyden, d. i. alle Nichtju- den, wozu auch die Christen gehoͤren, ausgerottet werden sollen, und zwar so, daß das Kind in sei- ner Mutter Leib nicht moͤge verschont werden. Daß die Juden diese unmenschlichen Befehle nur zu treu- lich ausgefuͤhrt haben, lehren die historischen Buͤ- cher des alten Testaments, und sogar die Psalmen selbst. Es ist daher auch kein Wunder, daß meh- rere gutgesinnte Menschen das Alte Testament von einem gewissen dem menschlichen Geschlecht auf- saͤtzigen und gehaͤssigen Daͤmon herkommen ließen, den sie den Judengott nannten. Als der be- kannte Schwaͤrmer Barchocab oder Barchoc - bas unter der Regierung des K. Hadrianus die Juden versammelte, und in Orient das jaͤmmer- liche Spectakel anfing, schlugen die sanften Kin- der Israels viele tausend Heyden und Christen todt, und dieß deßwegen, weil es Gott so haben wolle. Zu unsern Zeiten koͤnnen zwar die Leutchen Lehren dieser Art nicht mehr gelten machen, aber die Leh- ren selbst sind noch immer da, wie kein orthodoxer Hebraͤer in Abrede seyn wird. Daß uͤbrigens die Juden dem Staate stets schaͤdlich und niemals nuͤtzlich sind, im allgemeinen naͤmlich, haben schon viele Staatskundige Maͤnner hinlaͤnglich be- wiesen: da sie nichts treiben, als Wucher, so muͤs- sen sie auch immer schaden. Man hat zwar aller- hand Vorschlaͤge gethan, die unter den Christen wohnenden Juden zu verbessern, aber alle diese Vorschlaͤge muͤssen durchaus nnfruchtbar bleiben, weil die Religion diesen Leuten verbietet, sich ver- bessern zu lassen. Ich habe mich mehrmals in meinen Schriften uͤber Juden und Judenthum erklaͤrt, und diese eben nicht gar sanfte Erklaͤrungen waren unsern hiesigen Juden bekannt geworden, und diese hatten daher keinen geringen Haß auf mich geworfen, woruͤber ich mich aber sehr wenig bekuͤmmere: denn einem graddenkenden Menschen muß es einerley seyn, ob ihn so ein Mosjeh Schacher- oder Wechselhans an- freundet oder anfeindet. Eines Tags kam ich auf den goldnen Loͤwen, um daselbst einen Magdebur- gischen Handelsmann, Herrn, Raack aufzusuchen. Wir setzten uns zusammen, und, ich weiß nicht wie, das Gespraͤch kam auf die Juden. Hayman, der Judenvorsteher, Wolf und noch ein Israelit, des- sen Namen mir entfallen ist, waren gegenwaͤrtig: diese nahmen die Parthey ihrer Nation, aber auf die allerkomischte Weise. Sie meynten, da es unter den Christen selbst so viele falsche Wechsel- schmiede, Betruͤger und Spitzbuben gaͤbe, so muͤsse den Juden auch erlaubt seyn, falsche Wechsel zu machen, zu betruͤgen und zu spitzbuͤbern. Unter den Christen gaͤbe es viele Taugnichtse, die auch bloß verzehrten, ohne das Geringste fuͤr das Beste der Ge- sellschaft zu arbeiten, und daher koͤnne man es den Juden nicht verdenken, wenn sie alle Taugenichtse waͤren u. s. w. Der Disputat erhitzte sich, und es kam zu Invectiven, und zwar zu so kraͤftigen, daß die Juden hoch und theuer schwuren, mich zu ver- klagen. Sie haben aber nicht Wort gehalten, viel- leicht weil sie befuͤrchteten, es moͤgten in dem Pro- zesse gewisse Stuͤckchen durch mich an den Tag ge- bracht werden, deren Publicitaͤt ihnen unangenehm seyn koͤnnte. Seit jener Zeit gruͤßt mich kein Jude mehr auf der Straße, und der alte, unbeholfne Hayman weicht mir allemal sehr weit aus, wenn er mir begegnet. Ich gestehe indessen sehr gerne, daß es viel rechtschaffne und brave Maͤnner unter denen giebt, welche Juden heißen: daß diese aber keine wahren Juden sind, und folglich von mir nicht gemeynt werden, versteht sich von selbst. Ein Gespenstergeschichtchen, welches mir im Februar 1800 erzaͤhlt wurde, darf ich hier nicht unberuͤhrt lassen. Ich hatte einem beguͤterten Land- mann 4 ½ Stunde von hier einige Dienste geleistet: der Mann bat mich so oft, ihn einmal zu besuchen, daß ich endlich mich entschloß, ein Paar Tage auf dem Dorf, wo er wohnte, zuzubringen. Es war schon ein alter Mann von 72 Jahren; sein einzi- ger Sohn war laͤngst gestorben, wie auch seine Schwiegertochter, aber der Sohn seines Sohnes wohnte bey ihm im Hause, und diesen jungen Leutchen hatte er sein Gut uͤbergeben. Der Alte sowohl, als die Jungen, erwiesen mir alle Freund- schaft, und wollten mich laͤnger bey sich behalten, als ich mir vorgenommen hatte zu bleiben. Ueber dem letzten Fruͤhstuͤck, welches wir mit einander einnahmen, kam unser Gespraͤch auf die Gespen- ster, ich weiß selbst nicht wie, und da wurden ei- nige Histoͤrchen aufgetischt, welche jedesmal ei- nen laͤcherlichen Ausgang gehabt hatten. Ja, fing endlich der alte Mann an, da meine Schwiegertochter, die hat Kurasche, die fuͤrchtet sich vor keinem Geist, sonst haͤtte sie meinen Sohn nicht. „O schweigt doch, Vater,“ fiel die junge Frau ein. Ich ward begierig, was der Alte sa- gen wollte, und bat ihn, zu erzaͤhlen, aber die junge Frau hielt ihrem Schwiegervater den Mund zu, als er eben anfing, meine Neugierde zu be- friedigen. Endlich riß dem Alten die Gedult; er machte sich mit Gewalt los, und sagte halb aͤrger- lich: laß mich immer erzaͤhlen, dann sieht doch der Herr, daß du dich vor Geistern nicht fuͤrch- test, dumme Triene. Hierauf wendete er sich zu mir, und fuhr fort: Ja sehen Sie, da mein Toͤf- fel war kaum achtzehn Jahr alt, so machte er schon Liebschaft mit meines Nachbars Tochter, die da druͤben auf der andern Seite am Kirchhofe oder Gottesacker wohnt. Ich merkte den Handel gar bald: denn so ein junger Schlapps verstehts noch nicht, und kann unser einen auf keinen Fall betruͤgen. Mir gefiel das Ding nicht; ich hatte ein ander Maͤdel fuͤr meinen Jungen; die war aber noch zu jung, aber mein Toͤffel war auch noch nicht veraltert, und konnte noch warten. Aber Toͤffel lag alle Tage bey seiner Roͤse; das verbat ich ihm, und doch ließ ers nicht. Da ging ich zum Vater von Roͤsen: Gevatter, sagte ich, mein Junge laͤuft Eurer Tochter nach, das ist aber nichts, und daraus kann Spitakel werden; ich wills einmal nicht haben, und Ihr seyd ein gescheider Mann, als daß Ihr uns Eure Tochter aufdringen solltet. Was, sagte der alte Curt, mein Nachbar, ich Euch meine Tochter aufdrin- gen? Tausend Sakkerment, wenn ich nicht wuͤßte, daß Ihr aus guter Meynung spraͤcht, Gevatter, ich sagte Euch ins Angesicht hinein, Ihr waͤret ein Esel und ein Hunzfott, versteht Ihr mich, Ge- vatter. Aber so meynt Ihrs gut, und ich meyne es auch gut: ich verspreche Euch, den Umgang Eures Sohns mit meiner Tochter zu hindern, wie und wo ich kann, aber Ihr muͤßt Euern Toͤffel auch kurz halten. Dieser Abrede zufolge hielt ich meinen Toͤffel kurz, und als ich erfuhr, daß er dem Maͤdel im Feld nachgegangen war, kalaschte ich ihn tuͤchtig durch, und verbot ihm den Umgang mit dem Maͤ- del von neuem. Mein Nachbar Curt that dasselbe bey seiner Tochter, und nun glaubten wir, haͤtten wir das Unsrige gethan, und es wuͤrde weiter kein Spitakel werden. Ja, huͤte einer einen Sack voll Floͤhe! Alle Abende visitirte ich meinen Sohn, wie ein Corporal seine Soldaten visitirt, ob er auch huͤbsch zu Hause sey: ich fand ihn allemal. Nun gings Gespraͤch im Dorf herum, auf dem Gottesacker ginge ein Geist: die Nachbarn woll- ten ihn gesehen haben, aber keiner hatte das Herz, den den Geist naͤher zu pruͤfen: unser Pastor selbst, dem wir es vorstellten, sagte, es koͤnnte wohl seyn, daß auf dem Gottesacker ein Geist ginge, man muͤsse sich aber davor nicht fuͤrchten; gute Geister thaͤten einem nichts, und boͤse koͤnnten einem nichts thun, und doch traute sich der Pastor nicht hinzu- gehen, um dem Geist aufzupassen. Eines Abends war ich in der Schenke mit meinem Nachbar Curt, da wurde auch von dem Gespenst auf dem Gottesacker gesprochen, und die Leute machten allerhand Glossen daruͤber. „Donnerwetter, fing ein fremder Husar an, wel- cher bisher ganz still da gesessen, und zugehorcht hatte: das Spoͤkeding Spoͤkeding, Spukeding, Gloie, Gloinich, Kobold u. d. gl. sind synonym mit Gespenst. moͤgt ich doch auch sehen!“ Curt fragte ihn, ob er an Spoͤkedinger glau- be? „Warum nicht gar, erwiderte der Hu- sar! Hab mein Tag an solche Narrendinger nicht geglaubt, an so was glaubt nur ein Dummkopf, ein Bauer, eine alte Vettel, oder ein Esel, wie Euer Pastor ist.“ „Na dann, sagte Curt, wollt ich ihm nicht rathen, hinzugehen und das Spoͤke- ding aufzusuchen. Wer an Spoͤkedinger nicht glaubt, sieht entweder gar nichts, oder das Spoͤ- Laukh. Leben 5ter Theil. M keding spielt ihm einen Possen, daß er genug dar- an hat.“ „Kreuz Bataillon, schrie der Husar, kommt mir nicht so, Nachbar Curt? Das Ding will ich sehen, und wenns der Teufel selbst waͤre. Um wie viel Uhr kommts dann auf den Gottesacker?“ Man sagte ihm, daß es gleich nach Eilfen kaͤme, der ließ sich also noch eine Kanne Bier geben, und ging auf den Schlag Eilf fort, nachdem er uns versprochen hatte, wieder zu kommen. Wir warteten bis drey viertel auf zwoͤlf, aber es kam kein Husar: ha, sagte Nachbar Curt, dem hat gewiß das Spoͤkeding einen Streich versetzt; kommt laßt uns zusehen. Wir gingen, aber nicht ohne Herzklopfen, nach dem Kirchhof, und siehe da, der Husar stand dort und expostulirte mit dem Spoͤ- keding, welches er festhielt. Wir vernahmen deutlich, daß der Husar das Ding mitnehmen wollte, aber das Gespenst bat vor Gott, und nach Gott, er solle es gehen lassen. Nun kriegten wir alle Kurasche, und gingen darauf los, und als Gott den Schaden besah, war es — Nachbar Curts Tochter, die Roͤse. „Schwerenoth, schrie Curt, was machst Du hier? Du verfluchter Besen, Dich soll ja ein Gewitter regieren!“ Mit diesen Worten griff er das Maͤdel an, und kalaschte sie derb durch; ich glaube, er haͤtte sie zu Schanden geschlagen, wenn der Husar sich nicht drein gelegt haͤtte. Den andern Tag kam Curt zu mir. „Hoͤrt, Nachbar, sagte er, ich habe Euch was zu sagen, aber Ihr muͤßt ja nicht boͤse werden. Meine Toch- ter der verfluchte Nickel, hat mir alles gestanden. Nachdem der Umgang mit Euerm Toͤffel verbo- ten war, durften sie sich nicht mehr oͤffentlich bey einander sehen lassen, und da fiel ihnen ein, des Nachts zusammen zu kriechen. Euer Toͤffel sollte zu Roͤsen kommen, aber der fuͤrchtete sich vor den Todten auf dem Kirchhof; Roͤse hatte mehr Herz und kroch zu Toͤffeln: sie hing allemal einen Laken um, und da waren wir dumm genug, das Maͤdel fuͤr ein Spoͤkeding anzusehen. Heut hat das Thier alles gebeichtet, und siehe da, die Ca- naille ist schwanger. Was wollt Ihr nun thun, Nachbar? Wir waren doch immer gute Freunde. — Was wollt ich machen, fuhr mein Landmann fort? Der Spitakel war einmal gemacht: ich hunzte meinen Toͤffel tuͤchtig ab, doch gab ich mei- ne Einwilligung, und nun sind die Leutchen schon lange Mann und Weib. Uebrigens muß ich von unsern Landleuten nahe bey Halle anmerken, daß der Aberglaube unter ihnen wenig mehr herrscht, und daß sie bey weitem M 2 vernuͤnftiger denken, als jene Pfaffen in der Pfalz, welche vom Schlappohr, vom Muhkalb und von andern Ungethuͤmen, sogar auf der Canzel pre- digen. Im Mansfeldischen trift man hier und da noch den groͤbsten Aberglauben an; da giebts Kerle, welche im Lande herumziehen, und den Hoͤllenzwang des beruͤchtigten Doktor Fausts, die Clavicula Salomonis, und anderes dummes Zeug aufsuchen, um die Schaͤtze auf dem Mansfelder Schloß, wo niemals Schaͤtze waren, mit Huͤlfe der Geister aufzusuchen, und ein abgefeimter Kerl zu Eisenberg, welcher aber auch selbst in Halle sei- nes Gleichen hatte, versieht diese betrogenen Be- truͤger mit derley Raritaͤten. Ferner giebts im Mansfeldischen Hexen, Nixe u. d. gl. und wer den Fratzen widerspricht, den haͤlt der Poͤbel fuͤr einen Wahnsinnigen, oder fuͤr einen Freygeist. In Helfta, einem Dorfe bey Eisleben, lebt eine Frau, oder hat doch noch vor kurzem gelebt, welche einen Kobold, oder nach der dortigen Aussprache, einen Kowelt hatte, der ihr mit Spinnen und Stricken das Brodt verdienen mußte! Das muß ein miserabe- ler Kerl von Teufel seyn, der seinen Clienten mit sonst nichts helfen kann, als mit Spinnen und Stricken. Der Herr Pastor Baͤhrends zu Helfta ist zwar nichts weniger, als ein Freund des Beelzebubs und seines Anhangs, aber seine Predigten wider den Aberglauben haben doch die Kobolde, die Nixen, den Berggeist u. d. gl. bis jetzt nicht verscheuchen koͤnnen. Siebenzehntes Kapitel. Nordhausen . M eine Buͤcher, besonders meine Lebensbegeben- heiten, waren auch nach Nordhausen gekommen, und daselbst fleißig gelesen worden. Im Herbst 1800 kam Hr. Schulze, welcher hier in Halle die Rechte studierte, auf meine Stube, und lud mich im Namen seines Vetters, des Herrn Justizcom- missars Lange, nach Nordhausen ein, und ver- sicherte mich zugleich, daß ich viel Goͤnner daselbst habe, welche es gerne sehen wuͤrden, wenn ich da- hin kaͤme. Wer mich kennt, der denkt hierbey gleich, daß diese Einladung mir sehr willkommen war: denn ich bin nie lieber, als wo man mich gerne sieht, und hasse alle Oerter, wo ich Leute vermuthen kann, die Etwas an mir zu tadeln und auszusetzen finden. Nicht als wenn ich nicht das Herz haͤtte, solchen Recensenten unter die Augen zu treten: denn ich weiß allemal, daß auch sie, die Herren und Da- men, ihre recensionsfaͤhige Fehler und Maͤngel an sich haben, und auf allen Fall besser thun wuͤrden, sie kehrten vor ihrer Thuͤre, und zaͤhlten erst ihre Schulden, ehe sie die meinigen, welche sich doch de facto nicht uͤber dreyßig Thaler belaufen, bey jedem, der mir helfen koͤnnte, auseinander setzen, und die Leute vor mir warnen. Heute, da ich die- ses schreibe, sagte mir ein Buͤrger aus unserer Stadt, Hr. – — habe gesagt: ja, wenn Laukhard heute noch stirbt, so sind alle, die Etwas an ihn zu for- dern haben, rein betrogen. „Ja, hatte seine Frau, die Madame dazu gesetzt, wenn Laukhard krepirt, so sind alle seine Schuldner beschissen.“ Ich wie- derhole diese schoͤnen Reden, die troz ihrer zotolo- gischen Beschaffenheit, doch schoͤn seyn muͤssen, weil sie aus einem schoͤnen Munde kommen, und wuͤnsche, daß meine Leser sie auch schoͤn finden moͤgen. Aber wie, wenn der Herr — — heute stuͤrbe, oder nach seiner Madam Dialekt, krepirte, um wie vieles wuͤrden dann die Herren in Halle und ausserhalb Halle betrogen und beschissen wer- den? Doch was geht mich das weiter an? Kommt Zeit, kommt Rath; und sterbe, oder krepiere ich uͤber kurz oder uͤber lang, so wird die Noth der Welt wenigstens durch meine Schulden nicht ver- mehrt werden. In Nordhausen hoffte ich huͤbsche Bekannt- schaften zu machen, und nahm die Einladung mit Freuden an. Ich schrieb an den Herrn Justizcom- missar Lange, daß ich zu Weyhnachten erscheinen wuͤrde, und dieser Biedermann antwortete mir gleich mit umgehender Post, daß ich ihm ein will- kommener Gast seyn sollte. Einige Tage vor Weyhnachten kam Abends Hr. Schulze und sagte mir, daß ich mich fertig ma- chen muͤße: denn schon den folgenden Tag wuͤrde die Reise nach Nordhausen vor sich gehen. Ich war sehr uͤbel berathen: denn es fehlte mir am Be- sten, wie die Hallenser sagen, oder ich hatte Mo- sen und die Propheten nicht, wie es nach einem andern Dialekt heißt, oder ich war sans Spieß, und ganz niedertraͤchtig auf dem Hund, wie sich unsre Herren Studenten in ihrer kernigten erhabe- nen Sprache ausdruͤcken, welche niemand versteht, als sie selbst und die, welche mit ihnen umgehen, wohin Herr Zacharias Schmid in Reideburg vor- zuͤglich gehoͤrt. Aber es wurde Rath geschafft. Herr Wolf, der Vetter unsers Wolfs — man merkt wohl, daß ich von τω πανυ dem Philolo- gen Wolf rede, welcher seit seiner Existenz auf der hallischen Akademie dieser mehr Nutzen, und im Ausland ‚mehr Ehre verschafft hat, als alle‛ die, welche nach Christian Thomasius hier gelehrt haben. Große Maͤnner hat Halle zu allen Zeiten gehabt, und die unsterblichen Verdienste der Boͤhme, Guud- ling, Heineccius, Baumgarten, und einiger ande- rer waren mir schon bekannt, ehe ich nach Halle kam; aber da traf ich den großen Semler, den bessernden Noͤsselt, den in omni jure vel curatissi- mum Woltaͤr; einen Karsten, einen Knapp — Gei- ster meiner Lehrer, und Sie noch im Leben, Sie, großer Woltaͤr, und sie reinlehrender Noͤsselt, ver- zeihen Sie, daß ich Ihre Namen in diesem Bu- che hinschreibe! Sie vergeben mir gewiß aber die Recensenten? Je nun! die Bursche muͤssen sich gefallen lassen, was vor ihre Guckaͤuglein faͤllt, so wie sich das liebe Publicum muß gefallen lassen, was die Bursche demselben jede Woche vorrecensi- ren, id est, vorgakeln wollen. Habeant sibi, sagte ehemals mein Rektor, und er hatte Recht: Waͤrt Ihr nicht so dumm, dumme Jungensstreiche zu ma- chen, so wuͤrden andre dummen Jungen nicht ge- reizt, Euch auszugerben. Tantum de recensenti- bus, wenn ich werde angemerkt haben, daß der Name Recensent ein Crimen falsi in sich schließt. Dem Publicum bin ich aber Rechenschaft schul- dig: denn das Publicum liest mich. Also Sem- ler und Karsten sind lange todt, aber in meiner Seele leben sie, die großen Maͤnner, so lange meine Seele lebt! Woltaͤr lebt noch; dieser Redliche gab mir einst sein Auditorium, daß ich darin die alte Ge- schichte und die Begebenheiten der Roͤmer — Roͤ- mische Geschichte haben wir noch nicht, leider! — erklaͤren konnte. Karsten gab mir seine bisher noch nicht ersetzte Lehrstunden frey. Dank den Maͤnnern! Aber zuruͤck auf Wolf. — Seitdem Schulz Halle verließ, lag alles Studium der Literatur gleich- sam wie begraben. Freylich las Schulz noch uͤber die elende hebraͤische Uebersetzung der chaldaͤischen Fragmente Daniels: Herr Fabri, der Magister, erklaͤrte freylich die Gedichte des Homerus aus dem Homeromostix d. i. aus der elenden Version, welche Hager beydrucken ließ, und ohne welche Hr. Fabri seinen Text nicht hatte vertiren koͤnnen, und dann aus eines, nescio cujus, Clavis Home- rica; wenn ich nicht irre, war der Mosjeh ein Schweizer. Ueberdem erklaͤrte, oder exponirte, nach Waisenhaͤuser Art, Herr Gutz die Gedichte des Horatins, und machte sie moralischer — durchs Evangelium. Niemeyer harangirte uͤber einige Stuͤcke aus den griechischen Theaterdichtern, und der Vortrag gefiel so sehr, daß man nach ge- endeter Lection nicht wußte, was Herr Niemeyer gewollt hatte: vom Griechen war gar keine Frage. Nun kam Wolf, und auf einmal fielen die Lectionen eines Fabri und Niemeyer. Jener warf sich in die Geographie, und erklaͤrte die Trachten der Buͤrgerfrauen zu Nordhausen, dieser ( hic — ille Rhenii Gram. p. 97.) machte eine Anweisung zur Kinderzucht, genannt Paͤdagogik. Dieß Stu- dium muß ganz trefflich seyn: denn wer nichts lernen mag, studiert Paͤdagogik, und kommt mit Unwissenheit durch. Er war ja ein Schuͤler Nie- meyers, et quis ad tanti hominis nomen non ad- st upescat!!! Hab ich doch Bursche gekannt, die nicht mensa decliniren konnten, und doch Maece- natis patrocinio derbe Kerls geworden sind! Exem- pla sunt odiosa; glaubt aber jemand, hier sey zu viel geschrieben, der melde sich bey mir, und ich werde ihm Rede stehen. Nun kam Wolf! Die verwoͤhnte Magen der Studenten konnten freylich Wolfs Gerichte nicht verdauen; der Mann war weder ein eleganter Nie- meyer, noch ein Lexicologus Fabri: er forderte grammatische Kenntniß der Sprachen, damit die Herren einst auch das Zeug, d. i. den Inhalt des Gelesenen verstehen koͤnnten. So was war man nicht gewohnt, das Wortding zu verstehen, und zu aufmerksam auf das Sachding, oder vielmehr das Sachding erwartend, die Schofeley nachzukri- tzeln, vergaß man sogar, woruͤber gelesen wurde. Hr. Molwude aus Magdeburg hoͤrte ein ganzes Semester Hn. Niemeyers Vortrag uͤber den Ho- merus, und hatte — kein Exemplar des Home- rus: doch schrieb er fleißig nach, und fuͤllte taͤg- lich 1 ½ Bogen mit — Unsinn. Videantur Nie- meyeri Notae ad Homeri Carmina!!! Ich selbst las damals uͤber Theocritus Idyl- len: aber wie erschrack ich, als ich einer Lection Wolfs beywohnte! Heyne, den großen Heyne hatte ich gehoͤrt, aber was war Heyne gegen Wolf? Je- ner gruͤndlich gelehrt in allem Alten und in allem Schoͤnen, aber ohne kritischen Geist, dieser eben so gelehrt, oder noch gelehrter, und — mit kri- tischem Auge guckend, betrachtend, aufnehmend. Verzeiht, große Maͤnner, daß ich uͤber Euch ur- theile; ich urtheile bloß fuͤr mich, fuͤr die Welt urtheilt Euer Verdienst! Wolf aͤnderte das Studium der Hallenser auf die vortheilhafteste Art. Mit einer koͤniglichen Kleinigkeit that er Wunder; ihm und — zur — seys gesagt — ihm allein gebuͤhrt das Ansehen dieser Akademie. Welche Maͤnner sind nicht schon aus Wolfs Schule gegangen? Wer kennt nicht Fuͤlleborn, Ideler, Rambach — wer kennt sie nicht, die Edeln, die Gelehrten, die Verbreiter guter nuͤtzlicher Keuntnisse? Vielleicht denkt der Leser, ein naͤheres Interesse mache mich so sprechen. Vergieb Leser, daß ich Dich eines Irrthums zeuge. Hast'n Tacitus gele- sen Lib. I. Hist. C, I, Galba, Otho, Vitellius nec beneficio nec injuria mihi cogniti; dignitatem no- stram a Vespasiano inchoatum a Tito auctam, a Domitiano ulterius provectam non abnucrim; sed Incorroptam fidem professis et sine odio citraque in- vidiam dicendus quisque est. Ich citire diese Stelle aus dem Gedaͤchtniß, da ich das Buch nicht zur Hand habe. Aber wenn ich ohngefaͤhr ein und das andre Wort falsch setze, so hoffe ich, daß man mir verzeihen wird, wie den alten Kirchenvaͤtern, die auch viele Stellen der Bibel anfuͤhren, wo sie nicht stehen, z. B. der große Origines citirt den h. Paulus an die Galater, Πεϱι ἀϱχων L. III. C. 12. und doch steht die von dem gelehrten Alexandriener angezogne Stelle im Brief an die Roͤmer C. I. 17. Doch ich bin ein dummer Kerl, will ein Buch machen, das jeder lesen soll, und raͤsonnire von Kir- chenvaͤtern. Doch ist der Gedanke an Kirchenvaͤ- ter nicht ganz unfruchtbar. Jener Jenaische Stu- dent hielt die Kirchenvorsteher fuͤr Kirchenvaͤter, welche ihn verklagten, da er bey dem unsinnigen Vortrag des Hn. Superintendent Oemler Tabak geraucht hatte. Das war ja wohl so ein Stuͤck von Sacrilegium, woruͤber Hr. Schnaibert, der Ex- caplan, jetzt Professor zu Jena, so viel zu schwa- tzen weiß. Der Mann soll jetzt hoͤflicher seyn, als im Jahr Domini 1787. Wohl ihm! Vielleicht hat ihn das Maͤdchen ad numerum nescio quem, be- kehrt. Aber wo bin ich denn? — Ja, ob mir Herr Wolf beneficio oder injuria cognitus ist? Nein, meine Herren Leser! Hr. Wolf ist zwar mir dann freundlich, wenn ich ihn um Freundschaft bitte; aber so ist Herr Wolf gegen Jeden. — Buͤcher hat mir Wolf genug geborgt, und zwar solche, die nur Maͤnner von einander borgen, denn ich, da ich Bach kenne, brauche Dobelows Rechtsge- schichte nicht: so brauche ich auch den schulmei- stermaͤßigen Commentar des Mosjeh Thormeyers uͤber Ciceros LL. Offeiorum nicht, sobald ich nur meinen Heisinger habe. Es ist uͤberhaupt eine schnurrige Sache mit dem Becommentiren der alten Classiker. Wer z. B. den Virgilius lesen kann, oder den Homerus, bedankt sich vor allen Auslegungen des Custathius und des Hn. Heyne. Doch haben Ausleger wie die Genannten, immer ihre hohen Verdienste; aber was sagen wir denn zu Erklaͤrungen, wie die ei- nes Mosjeh Motz, eines A. B. C. – X. Y. Z. sind? Soll dann jeder Philologe der alten und neuen Zeit dieser Burschen ihr Esel seyn? Heh! Die alten Kerle kennen diese Menschenkinder nicht, wie ich dann Herrn Motz einmal betheuern hoͤrte, daß vor Dacier niemand den Horatius erklaͤrt habe. Zudem sind es meistens arme Teufel, welche zu guten Buͤchern keine Moneten haben: lebt nun so ein armer Teufel auf einer Universitaͤt, wie Halle ist, und will ein Buch haben: eh bien, non adest. Woͤrtlich ex ore. Er kommt nach vierzehn Tagen wieder: s'ist nischt dah; hab'sch g'sagt. Er geht zum Bibliothekar und beschwert sich: haͤtt den Teufel vom Suchen und Warten, hab mehr zu thun, ist die Antwort des humanen gelehrten Bibliothekars, und der Su- chende – bleibt weg, weil er sich an den Hund erin- nert, welcher das Heu huͤtete. Doch das gilt nicht allewege. Alle, die Gunst haben, Suo tempore absens in libro cui titulus — —. Nunc contentus dictis cetera linquo. koͤn- nen sich Buͤcher nehmen, welche sie wollen, und ich kenne einen, der jetzt angestellt ist, Meine Herren, wollen Sie das genauer wissen, lassen Sie mich ad Magnificum citiren und egregié respondebo. Dieß zur Nachricht fuͤr gewisse Herren. welcher sich alle Woche wenigstens einen Thaler mit Verleihen der Buͤcher aus der Universitaͤtsbibliothek verdient. In Leipzig ists uͤbrigens eben so, und daß es in Goͤttingen so war, wenigstens im Jahr 1778-79 kann ich durch sehr treffliche Testimonien beweisen. Was sagen Sie aber dazu, junge Maͤnner? — Nicht wahr, lieber einen Pabst gemacht, als solches Zeug? Achtzehntes Kapitel. Fortsetzung. H err Wolf, Schulze und noch zwey andre aus der Grafschaft Hohnstein gebuͤrtige Studenten waren meine Begleiter. Es war fruͤh, als wir ausgingen, herrliches Wetter, und wir konnten schon gegen eilf Uhr in Langenbagen seyn, ob wir gleich erst lange nach Sieben ausgingen. Es war Sonntag, und die Wirthin, bey welcher wir ein- kehrten, um ein Fruͤhstuͤckchen zu nehmen, schrie und schimpfte fuͤrchterlich auf ihren Pastor. Der Mann sey zu faul und zu nachlaͤßig, meynte sie, und hielt die Kirche nicht so oft, als er doch sollte: kaum hoͤrten sie in ihrem Dorfe alle vierzeh Tage eine Predigt: aber der liebe Gott sey auch ein star- ker eifriger Gott, und habe schon vor einigen Jah- ren die seinem Dienst widerfahrne Geringschaͤtzung geraͤcht, indem er die schreckliche Feuersbrunst ver- anstaltet habe, wodurch das ganze Dorf beynahe zu Grunde ging. „Meynt sie dann, Frau Wirthin, sagte ich, daß der liebe Gott ein Mordbrenner sey?“ Sie . Herr Jehmineses, lieber Herr, wie schwaͤtzen Sie doch? Der liebe Herr Gott ein Mord- brenner? Ich . Allerdings ist er ein Mordbrenner, wenn Sie Recht hat. Sie . Ich will doch nicht hoffen, daß Sie so gottlos denken! Ich . Bewahre! Ich weiß, daß das wohlthaͤ- tigste Wesen seinen Creaturen nichts Boͤses thut. Aber wie Sie spricht, Frau Wirthin, thut uns Gott Boͤses. Sie . Wie dann so, daß Gott erbarme. Ich . Sie sagt ja, der liebe Gott habe die Feuersbrunst hier veranstaltet, um seinen Schimpf zu raͤchen. Wenn das wahr ist, so muß er ja einen Gefallen an derselben gehabt haben; da aber doch der Brand sehr viele Leute ins Verderben stuͤrzte, so so muß Gott Vergnuͤgen am Verderben andrer Leute haben, und das ist haͤßlich. Die Frau ergrimmte, und sagte grade heraus, ich verstuͤnde die Sache nicht, und rieth mir, kuͤnf- tig nicht mehr so naseweis zu seyn. — Hr. Schulze zahlte unsere Zeche, und mußte zwanzig Groschen geben, ob wir gleich nun fuͤr 2 gl. 6 pf. Schnapps und ein wenig Butter und Brodt gehabt hatten. Die- se Prellerey war wahrscheinlich eine Strafe fuͤr un- sern Unglauben gegen die Effaten der Frau Wirthin. Als wir aus der Langenbagner Kneipe traten, fings an zu regnen: es hatte gefroren und nun ward der Weg so glatt, daß wir mehr hinten aus- rutschten, als vorwaͤrts kamen. Nach vielem Fal- len erreichten wir endlich Abends spaͤt Eisleben. Der Regen hielt noch immer an, und die Aussicht fuͤr den folgenden Tag war sehr traurig. Im Wirthshaus zum Sieb zu Eisleben fanden wir ei- nen Menschen, welcher mit einer Donna im Lan- de herum zog, und sich, ich weiß nicht wie, durch- schlich. Das Maͤdchen war ganz artig von For- mate, und schien gar nicht sproͤde zu seyn, wenig- stens nahm sie es gar nicht uͤbel, daß ein gewese- ner Preußischer Soldat den unter Soldaten her- koͤmmlichen Comment erklaͤrte, und brav Zoto- logien einmischte: zugleich versicherte sie, daß kei- ner, und sollte er auch der große Mogul seyn, ihr Laukh. Leben 5ter Theil. N ein Kind machen koͤnne. Die Donna muß also das Ding oft genug und zwar multifariam versucht haben. Den folgenden Tag hatte zwar der Regen aufgehoͤrt, aber der Weg war fuͤrchterlich schlecht. Gerne haͤtten wir eine Fuhre genommen, aber es war keine zu haben, und wir mußten zu Fuße fortbattern. Alle Augenblick gleiteten unsre Fuͤße aus, und Pardanz, da lag bald dieser, bald jener auf der Nase. Mich traf dieses Ungluͤck gar sehr oft. Mit Muͤhe kamen wir auf ein Dorf jenseits Wallhausen, wo Herr Schulze mit den beyden theologischen Studenten beym Pastor Loci ein- kehrte. Ich und Hr. Wolf blieben in der Schenke, und erst in Berg versammelten wir uns wieder. Die Herren, welche beym Pastor eingekehrt wa- ren, waͤren zwar sehr gerne fruͤh weggegangen, aber das ginge nicht, denn beym Pastor muͤßen fruͤh nach verlesenem ellenlangen Morgensegen drey bis vier Lieder gesungen werden, und so Etwas ko- stet Zeit. Wer sich nicht in diese Ordnung fuͤgt, wird vom Hn. Pastor fuͤr einen Freygeist und unflaͤtigen Kerl erklaͤrt, und darf nicht wiederkommen. Ich erinnerte mich bey der drolligen Erzaͤhlung von der Singerey und Beterey beym Pastor — — an die Singerey beym ehemaligen Pastor Thiels zu Udenheim in der Pfalz, wo man nicht eher Etwas zu essen bekam, als bis man das Lied: Gott lebet noch , mit hergeorgelt und neun und neunzig Tischgebeter mit hergeplerret hatte. An An- dacht war nicht zu denken, war aber auch nicht noͤthig, und der liebe Gott mußte mit dem Heror- geln und Herplerren schon zufrieden seyn. Erst gegen sechs Uhr kamen wir nach Nordhau- sen. Ich eilte nach dem Hause des Herrn Justiz- commissarius Lange, aber stehe da! der war nicht zu Hause. Was war zu thun? In ein Gasthaus wollte ich zwar gehen, aber Hr. Wolf nahm mich mit, und ich machte mich schon commode, als Hr. Fromm, der negotiorum gestar des Justizcommis- sars erschien, und mich mit Gewalt fortschleppte. Herr Fromm redete mich folgender Weise an: „Das verborgene Bewußtseyn hat uns electeriomatisch be- lehrt, daß Sie, mein werthester Magister, in dem Dunstkreis der des heiligen Reichs freyen Stadt Nordhausen seit einer Stunde den Punkt Ihrer Existenz genommen haben. Herr Justizcommissar Lange, mein verehrter und bis in das Nichtseyn meines sich selbst vergessenden Bewußtseyn verehr- ter Goͤnner, Protector und Patronus, ersucht Sie durch die Pusillanimitaͤt meines Zungenorgans und durch die Abjecticitaͤt meiner Suada, ihre freylich etwas muͤden Hoͤlzer des Spazierens, loco- motiv zu machen, und mir zu folgen.“ Diese N 2 Rede des Herrn Fromm bestimmte mich mitzuge- hen, und Hr. Fromm fuͤhrte mich auf das Garten- haus des Herrn Senators Seydler, wo jede Wo- che eine Gesellschaft zusammen kommt, welche Assemblee genannt wird. Es sind mehrere Gesell- schafteu dieser Art in Nordhausen, und mehrere von den Honoratioren der Stadt nehmen an diesen verschiedenen Conventen Antheil: eine ist jedoch da, wozu niemand, als die Bestimmten, Zutritt hat: ich glaube, diese hieß Concordia, und ist so eine Art von Freymaͤurerloge, welche ich weiter nicht naͤher kennen lernte. Bey Hn. Seydler traf ich jetzt den Justizcom- missar Lange, und noch viele artige Nordhaͤuser von Extraction. Adel ist uͤberhaupt in dieser Stadt nicht: die Buͤrgerschaft besteht schon seit den großen hier vorgefallenen Mordgraͤueln nur aus Buͤrgerli- chen, ob sie gleich vor Olims Zeiten ihren Pa - tricieradel so gut hatte, als Frankfurt, Nuͤrn- berg und die meisten Reichsstaͤdte. Allein unter der Regierung K. Carls des vierten, fand die Buͤr- gerschaft fuͤr noͤthig, wider ihren Magistrat zu re- belliren, und alle Edelleute, welche nicht entwi- schen konnten, todtzuschlagen. Diese entsetzliche That wuͤrde zu jeder andern Zeit derb seyn bestraft worden, aber K. Carl IV. verzieh den Einwohnern, ließ sich Geld geben, und confirmirte eine Consti- tution, welche sie sich selbst gemacht hatten. Ich glaube, dieses Unheil geschahe 1368; Hr. Seyd- ler hat diese Revolution zu Nordhausen aus guten Quellen und archivarischen Nachrichten beschrieben, und seinen Aufsatz einem sogenannten Revolutions- Almanach einverleibt, in welchem neben so man- chem elenden schofeln Zeug doch dann und wann ein lesenswerther Aufsatz zu finden ist. Die Herren, welche ich bey Hn. Seydler antraf, waren aͤusserst artige Leute von viel jovialischer Munterkeit, und Feinde aller Jener. Ich hatte schon bey Hr. Wolf Abendbrodt gegessen; aber auf der Assemblee mußte ich nochmals essen, ob es gleich schon ziemlich spaͤt war. Sehr vergnuͤgt verlief die Zeit, und erst gegen ein Uhr des Nachts fuͤhrte Hr. Fromm den Justizcommissar und mich nach Haus. Daß mein Kopf nicht so beschaffen war, wie er zu seyn pflegt, wenn ich fruͤh auf- stehe, versteht sich von selbst, indessen war ich noch nicht voͤllig heroisch, das ward ich erst beym Justizcommissar. Dieser wußte, daß ich kommen wuͤrde, und hatte deßwegen sich einen recht guten Nordhaͤuser Schnapps zugelegt, womit er mich regalirte. Ich kannte die Kraͤfte des Getraͤnkes nicht, und Hr. Fromm brachte mich zu Bette. Ich aͤrgerte mich den andern Morgen, daß ich gleich am ersten Abend meiner Existenz in Norhau- sen begenirt gewesen war, und erklaͤrte mich dar- uͤber gegen Hr. Fromm. Dieser schlug eine helle Lache auf, und versicherte mich, daß das Haar- beutelhaben, oder wie man pro dialecto Frommia- na in Nordhausen sagt, das sich Beschettern stark Mode sey, daß niemand sich daruͤber formalisire. Daß Hr. Fromm sehr Recht hatte, habe ich in der Folge mehrmals gefuuden . Neunzehntes Kapitel. Herr Fromm. Herr Bock und andre Personagen. D er Justizcommissar haͤlt eine Lesebibliothek, welche vor andern ihre großen Vorzuͤge besitzt. Herr Lange scheint bloß aus Patriotismus sein Institut angelegt zu haben, da es ihm ganz und gar nichts eintraͤgt, als die Proprietaͤt der Buͤcher, welche dazu angeschafft werden: denn alles, was einkommt, wird wieder zum Ankauf neuer Buͤcher verwendet: die Interessenten zahlen daher auch nicht sehr viel, muͤssen sichs aber gefallen lassen, grade diejenigen Buͤcher zu lesen, welche ihnen zu- geschickt werden, wenn sie Buͤcher holen lassen, und haben nicht das Recht, in der Bibliothek her- umzukrabschen, und mitzunehmen, was ihnen etwan anstehen mag. Alle Interessenten erhalten zwar alle Buͤcher nach und nach — die neuern naͤmlich: denn die schon laͤngst in dem Vorrath befindlichen kann sich jeder holen lassen — aber dabey wird eine solche Ordnung beobachtet, daß derjenige, welcher eher als ein andrer Interessent war, auch vor diesem das Buch zum Lesen erhalte. Ich weiß nicht, ob an dieser Einrichtung Etwas zu tadeln sey, da eben dadurch gar mancher In- convenienz vorgebeugt wird. Z. B. manches Werk besteht aus mehrern Baͤnden: wer aus Hr. Lange's Bibliothek einen Band gelesen hat, erhaͤlt alle andre nach einander, dahingegen in andern Bi- bliotheken, welche doch auch gut eingerichtet sind, ein Leser zwanzigmal und wohl noch oͤfter schicken muß, bis er die verlangte Fortsetzung erhaͤlt, und indessen den Inhalt der vorigen Theile wieder ver- gißt. Die Leserey um einen Groschen faͤllt in der Langeschen Bibliothek ganz weg, und niemand, ausser den Interessenten, bekommt ein Buch: da- durch wird auch eine große Unordnung verhuͤtet. Aber Einrichtungen dieser Art sind auch nur an Oertern moͤglich, wo lauter ordentliche Leser zu haben sind, welche alle Woche hoͤchstens ein Buch zu ihrem Nutzen und Vergnuͤgen lesen, und alle Quartal richtig bezahlen, wie die Da- men und Herren in und um Nordhausen zu thun gewohnt sind. Auf Universitaͤten, und an solchen Orten, wo es eine große Menge Muͤßiggaͤnger giebt, z. B. in Berlin, Breslau, Magdeburg, Leipzig, wegen der großen Menge der Offiziere, der Scholaren, ist es gar nicht thunlich, Ordnung zu halten. Einer, so ein Herr Leutnant, Faͤhn- drich, Student u. s. w. liest bloß Romane, aber so schnell und so heißhungrig, daß er alle Tage ei- nen Band und wohl noch mehr hineinworgt; und fuͤr solche kann doch wohl keine monatliche Praͤ- numeration Statt finden, der muß schon à Gro- schen lesen. Die Buͤcher, welche Hr. Lange ausgiebt, sind alle gut gewaͤhlt, und Sachen, zotologischen In- halts findet man gar nicht bey ihm. Hr. Fromm ist sein Bibliothekar, und besorgt das Geschaͤft mit sehr vieler Genauheit, ob er gleich nur einige Stunden des Tages drauf verwendet. Sonst ist Hr. Fromm auch noch Leichen- und Hochzeitsbitter und Ceremonienmeister bey allen vornehmen Ge- lagen, welche zu Nordhausen vorfallen. Er hat zwar bey diesen wichtigen, und mit dem Wohl des Staats unmittelbar verbundnen Aemtern noch ei- nen Gehuͤlfen, aber dieser, ob er gleich laͤnger angestellt ist, kann es doch so weit in Ruͤcksicht der Gunst des Publikums nicht bringen, als Herr Fromm, denn Fromm reißt keine Zoten, aber der andre Herr ist ein Zotologe, dessen Gleichen mir selten vorgekommen ist, und nimmt kein Blatt vors Maul, es mag zugegen seyn, wer da will, lustige Bruͤder, oder Frauenzimmer von Stande und Erziehung, das ist ihm Eins; nebenher haͤngt er sich auch nicht selten einen Haarbeutel an, den Fromm selten hat, und nur in gutem Wein an- nimmt. Hr. Fromm hat viele Verdienste um den Nord- haͤuser Dialekt: welchen er mit vielen Woͤrtern und Redensarten verbraͤmt, so recht à la Bursch, und à la Musketier: denn Studenten und Soldaten pflegen auch ihre eigne Sprache zu reden, und wer die nicht versteht, denkt oft, arabische und chinesi- sche Woͤrter zu hoͤren, so seltsam klingen die Ra- ritaͤten. Unter andern ist Fromm der Erfinder des Wortes Schetter , welches so viel bedeutet, als Schnapps, und von diesem Stammwort kommen folgende Derivate, ein Schetterer (Schnapps- saͤufer) sich beschettern , Schetterey (Brannt- weinbrennerey, item eine Schnappskneipe) er spricht schetterlich (wie ein Betrunkner). Diese und andre Woͤrter dieses Schlags hat Hr. Fromm so oft in allen Cirkeln, wohin er kommt, angebracht, daß sie allgemein bekannt und gebraͤuchlich ge- worden sind. Außerdem ist Fromm ein Philosoph, und raͤsonnirt uͤber alle Gegenstaͤnde der Metaphy- sik, der Moral und der Politik sehr gelaͤufig, aber auch so grundgelehrt, daß ich bey aller Anstrengung meiner Aufmerksamkeit, doch nie so gluͤcklich seyn konnte, ihn zu verstehen. Es giebt jedoch Leute zu Nordhausen, welche den Mann eben deßwegen fuͤr einen großen Geist und gruͤndlichen Denker halten, weil er stets so spricht, daß man unmoͤg- lich absehen kann, wovon eigentlich die Rede ist, ob von der Revolution in Frankreich oder dem pomphaften Aufzug des Kaysers von Sina. Die- ses aber und aͤhnliche Kleinigkeiten, welche ins Sonderbare fallen, ausgenommen, ist Fromm ein kreuzbraver rechtschaffner Mann, welcher das Ver- trauen aller derer verdient, die mit ihm zu thun haben. Herr Bock, der Schuster, hat mir waͤhrend meines Aufenthalts in Nordhausen manche ver- gnuͤgte Stunde gemacht. Der Justizcommissar kann diesen Mann wohl leiden, wegen seiner Origi- nal i taͤt, und seine huͤbsche junge Frau wird ihm auch gewiß keine Feinde machen, da er, wahrscheinlich weil ers nicht noͤthig hat, durchaus nicht eifersuͤch- tig ist. Es ist auch uͤberhaupt eine ganz naͤrrische Sache um die Eifersucht, die auf jeden Fall uͤberfluͤs- sig und nachtheilig ist, da der Eifersuͤchtige stets aͤr- ger geprellt wird, als der Tolerante. Dieß will ich aber ohne allen Bezug auf Hn. Bock den Schuster zu Nordhausen gesagt haben. Ob ich gleich vor meiner Ankunft in Nordhausen keine Seele daselbst persoͤn- lich kannte, so hatten doch viele daselbst gehoͤrt, daß ich kommen wuͤrde, und hatten deßwegen pro und contra Wetten angestellt. Bock, welcher sich ge- nau erkundigt hatte, wettete mit einem Fleischer- meister um vier Butellen Wein, und gewann na- tuͤrlich seine Wette, als ich ankam. Die ganze Nacht ging hin, uͤber die Verzehrung der Wette: denn es blieb nicht bey vier Butellen — das ist Mode so zu Nordhausen. Neben dem Schuster Bock wohnt der Berg- commissar Rosenthal, dessen Buͤcher man im ge- lehrten Deutschland findet. Herr Rosenthal, sei- nes Handwerks ein Becker, legte sich nachher auf allerhand Wissenschaften, und schrieb uͤber alles, worauf er sich legte, uͤber Mathematik, Chemie, Naturgeschichte u. s. w. Da ich von allen die- sen Sachen wenig verstehe, und uͤberdieß Hn. Ro- senthals Buͤcher nie gesehen habe, so kann ich uͤber die Großheit oder Kleinheit seiner Verdienste nicht urtheilen. Freylich wenn die Aufnahme in gelehrte Gesellschaften ein sicherer Beweis des Verdien- stes waͤren, so muͤßte Hr. Rosenthal ein Mann von gewaltigem Verdienst seyn: denn er ist ja — und ich glaube gar, inter alios honores — Mit- glied der naturforschenden Gesellschaft zu Halle. Aber man weiß ja, daß solche honores nichts be- weisen, zumal —! Doch was geht das mich an? Ich wollte den Mann kennen lernen, aber da ich hoͤrte: er sey dann und wann ein wunder- licher Behandler der Fremden, die ihn besuchen, wollte ich mich keiner unsanften Begegnung aus- setzen, und blieb weg. Aber Bock drang darauf, daß ich den Bergcommissar sprechen mußte, und bestellte ihn in sein Haus, wohin er auch mich und Hr. Lange einlud. Herr Rosenthal kam nicht, und ließ sich mit seinem Podagra entschuldigen. Die wahre Ursache aber, warum der Commissar nicht kam, war Hr. Langens Gegenwart: denn diesen kann er aus mehr als einem Grunde nicht leiden. Rosenthal naͤmlich schreibt eine Wochenschrift, welche er den Hohensteinischen (Hohnsteinischen) Erzaͤhler nennt: im Grunde aber ists ein Nord- haͤuser Erzaͤhler und Spaßmacher, der gar oft ins Platte und Grobe faͤllt. Im Ausland kennt man das Ding gar nicht, und die sich aufs Wei- teste verlaufenden Blaͤtter kommen hoͤchstens nach Sondershausen und nach Rosla. Um aber seinen Schriften gehoͤrig Salz und Pfeffer beyzustreuen, sey es auch schwarzes Salz und Spanischer Pfef- fer, so greift er dann und wann bekannte Perso- nen an, und macht sie, wo nicht laͤcherlich, doch boͤse. Den obgedachten Hn. Fromm hatte er eben so einige Mal aufgefuͤhrt, unter dem Namen Pius . Fromm glaubte seine Ehre beleidigt, und zog brav auf den Bergcommissar los, und Hr. Lan- ge wurde in diesen Streit verwickelt, ich weiß nicht wie. Wie gern aber der Bergcommissar die Leute neckt, beweist folgendes Geschichtchen. Ein ge- wisser Jung war als Doctor der Medicin nach Nordhausen gekommen, und hatte angefangen zu practiciren. Man kann leicht denken, daß dieser neue Aeskulap mit Factionen zu kaͤmpfen hatte, welche nie ausbleiben, wenn ein neuer Arzt oder Advokat, oder Musikus, Tanzmeister, ja sogar wenn eine neue Freudennymphe auftritt, aber Hr. Jung schien sich um die Factionen wenig zu kuͤmmern, und schrieb deßwegen einen Brief an einen Bekannten in Nordhausen. Der Bekannte verrieth ihn, und brachte den Brief ins Publikum, und der Bergcom- missar ließ ihn in seinem Erzaͤhler abdrucken. Der Wisch war ratione des Stils und der Orthogra- phie abscheulich: ein Bauernjunge, dessen Schul- meister nicht ganz Rindvieh war, mußte besser schreiben, als der Doctor, aber die Absicht, war- um der Bergcommissar den Brief abdrucken ließ, war nichts weniger, als edel: er wollte dem Do- ctor schaden, und um seinen Credit bringen; in wie ferne ihm diese Absicht gelungen sey, muß hier nicht erzaͤhlt werden. Zwanzigstes Kapitel. Krankheit . D en Tag vor Weyhnachten fuͤhrte mich Herr Lange fruͤh in die Apotheke zum Bittern, dann gingen wir auf den Rathskeller zu Wein, von da zum Es- sen, wobey auch derb Wein aufgetischt wurde, und den Abend brachten wir auf einer Schenke außer- halb der Stadt zu. Daß mir aller Orten derb zu- getrunken wurde, versteht sich von selbst, so wie es sich von selbst versteht, daß ich richtig Bescheid that. Ich kam zwar ohne große Schnurre ins Quartier, aber hier wurde fortgefahren bis nach Mitternacht um drey Uhr, wo ich mit einigen Freunden die Kirchen besuchte, in welchen die so- genannte Christmette gehalten wurde. Hier wa- ren sehr huͤbsche Gesichter bey dem Schimmer der unendlich vielen Lichter zu sehen, und recht huͤb- sche Musik zu hoͤren, sonst ging aber alles sehr an- staͤndig zu, wenigstens weit anstaͤndiger, als sonst in der Christmette zu Halle, wo die Studenten Commerslieder sangen, Tabak rauchten, mit Stras- senmenschern schaͤkerten, und diejenigen bescha- bernakten, bey welchen sie einige Andacht bemer- ken wollten. Unsre Studenten sind zwar jetzt viel artiger, als damals, und doch ist es sehr gut, daß die Christmette in Halle abgeschafft ist. Vielleicht geschieht dieß auch bald in Nordhausen. Nach der Christmette gab Hr. Lange eine klei- ne Collation in seinem Hause, wobey sich unter andern auch Hr. Koch, der Domkuͤster, einfand. In Nordhausen ist ein (bisheriges) Immediatstift, welches man den Dom nennt. An keinem Ort ist so eine Anstalt uͤberfluͤßiger als in Nordhausen, wo beynahe gar keine Katholiken sind, und doch sind an diesem Stift fuͤnf Canonici, ein Domsyndicus, ein Cantor und eine Menge andrer Bedienten. Die Canonici stehen sich recht gut, haben das Recht, Bier und Schnapps zu schenken, aber nicht uͤber die Straße zu verkaufen: wer also das gute Dom- bier schlucken will, muß die Herren selbst besuchen, wo ihm dann aufgewartet wird. Die Territorial- gerechtigkeit des Stifts ist mit Pfaͤhlen abgesteckt, und der Domnepp oder Domgerichtsdiener darf sich nicht uͤber diese Pfaͤhle in seinen Amtsverrichtungen wagen, sonst krabscht ihn ein Stadtnepp auf, und schleppt ihn mir nichts, dir nichts aufs Raths- haus. Der Syndicus des Doms, Hr. Klaproth, Doctor der Rechte, ein feiner artiger Mann, wel- cher eine sehr schoͤne Frau hat, aber auch trefflichen Burgunder fuͤhrt, suchte von jeher alle Zaͤnkereyen mit dem Magistrat zu vermeiden, welcher, wie alle Magistraͤte, besonders die in den Reichsstaͤdten, keinen Spaß versteht. Hr. Koch wollte mir den Dom zeigen, und that es auch mit vieler Humanitaͤt: ich kostete das gute Dombier, und den Domschnapps, aß bey Hr. Advocat Lange, dem Bruder des Justizcom- missars zu Gast, verschwaͤrmte den Tag in lauter muntern Cirkeln, so wie den folgenden, und konnte schon den zweyten Feyertag Abends den Kopf nicht mehr in der Hoͤhe halten. Ein heftiger Schwin- del, mit einem nicht zu daͤmpfenden Husten verbun- den, ergriff mich, und siehe da, ich mußte die Gesellschaft verlassen und mich zu Bette legen. Ich hatte meine Natur zu sehr bestuͤrmt, und diese unterlag. Schon am folgenden Tag war das Entzuͤn- dungsfieber da, und wuͤrde mich vielleicht wegge- rafft haben, woran freylich nicht viel gelegen haͤtte, wie eine gewisse Madam in Halle, an de- ren ren Wegraffung aber auch gar nichts laͤge, wohl- weise angemerkt hat, wenn Hr. Physikus Philter nicht seine Kenntnisse zu meiner Herstellung ange- wendet haͤtte. Dieser edle Mann, dem ich nur im stillen danken darf, verbindet mit großen me- dicinischen Einsichten, den liebenswuͤrdigsten Cha- rakter und eine unermuͤdete Aufmerksamkeit auf alles, was seines Amtes ist. Diesem vortrefflichen Arzt verdanke ich, daß ich noch existire, und be- saͤße ich solche Guͤter, welche die menschliche Exi- stenz zu einem wahren Gut machen koͤnnen, gerne theilte ich sie mit ihm. Doch Hr. Physikus Phil- ter bedarf meines Geschenks nicht. — Ich wuͤrde eher wieder auf dem Zeug gewesen seyn, wenn ich mich streng nach der Vorschrift meines einsichtigen Arztes gerichtet haͤtte. Was die Speisen anbetrifft, welche er mir untersagt hatte, so folgte ich zwar: denn ich aß gar nichts, da ich gar keine Eßlust hatte, und einen unuͤber- windlichen Ekel vor allen Speisen empfand. Aber Hr. Philter hatte mir den Schetter (Branntewein) und den Wein verboten. Schetter trank ich zwar nicht, aber doch taͤglich einige Glaͤser Wein, wel- che mir Herr Fromm aus dem Keller des Justiz- commissars zustellte, und so verschlimmerte ich stets meinen Zustand. Laukh. Leben 5ter Theil. O Am Neujahrstage 1801 feyerten die Nordhaͤu- ser Es giebt auch Dichter zu Nordhausen, und einer derselben machte ein Epigramm auf das alte und neue Jahrhundert, welches verdient, aufbewahrt zu werden. Du scheidend Jahrhundert ich danke dir, Daß du's liebe Leben gegeben mir: Du angehend Jahrhundert, wie koͤnnt dich ich preißen: Du wirst ja dieß hoͤchst Gut gewiß mir entreißen. das Fest des angehenden Jahrhunderts, und ich stehe dafuͤr, daß von allen Einwohnern keine funfzig die heilige Nacht uͤber ins Bette gekommen sind. Um zwoͤlf Uhr des Nachts wurden alle Glo- cken gelaͤutet, und die nordhaͤuser Canonen auf dem Kirschberg abgebrannt. Die uͤbrige Nacht wurde gejubelt und gesoffen, bis man endlich in die Kirchen ging, und Gott dankte, daß man im neuen Jahre noch eben so gut Schlund und Kehle habe, als im alten. Die Honoratioren zu Nordhausen hatten mehre- re große Diners veranstaltet: unter andern war auch eins auf dem Grimmel veranstaltet, bey welchem auch der Justizcommissarius engagirt war. Er und mehrere Herren bedauerten sehr, daß ich an dieser Festlichkeit nicht Theil nehmen konnte, ich war selbst verdruͤßlich daruͤber, aber was wollte ich machen? Ich mußte zu Hause bleiben und das Bette huͤten. Herr Lange verließ mich, Herr Fromm konnte mir nicht Gesellschaft leisten, weil er bey der Festivitaͤt eine Quasioberinspection hatte. Hr. Bock der Schuster, hatte die Nacht uͤber dem Glase so stark zugesprochen, daß er nun da liegen, und den Rausch ausschlafen mußte: niemand blieb also bey mir, als das huͤbsche Weibchen des lez- tern, welche meiner recht treulich pflegte. Man denke ja an nichts Boͤses ἀισχϱα πϱαττειν τοτ ἀδυνατον. Die Herren, welche auf dem Grimmel bey Hr. Credo versammelt waren, dachten fleißig an mich, und schickten mir von jedem Gericht eine so derbe Portion, daß ein Scheundrescher sich an je- der bequem haͤtte saͤttigen koͤnnen. Ich konnte aber leider von allen diesen Herrlichkeiten keinen Ge- brauch machen; denn es fehlte mir an Appetit, und doch versuͤndigte ich mich an einem Gerichte, welches der Doctor mir verboten hatte, naͤmlich an einer Sagosuppe mit Wein. Sie war herrlich zubereitet, und schmeckte mir auch so gut, daß ich wenigstens zwoͤlf Suppenloͤffel voll davon aß. Den folgenden Tag war mein Zustand wieder schlimmer. Endlich siegte meine gute Natur durch Hn. Philter unterstuͤtzt, uͤber die Krankheit, und den Tag vor Dreykoͤnig ging ich wieder aus, und besuchte nicht nur gute Freunde, sondern auch vor- zuͤglich die Schenken. O 2 Ein und zwanzigstes Kapitel. Magistratswahl. Schenken. D er Stadtmagistrat zu Nordhausen besteht aus drey Abtheilungen, deren jede ihren Buͤrgermeister, Senatoren und Assessoren hat. Diese Abtheilun- gen wechseln so ab, daß alle drey Jahre jede an die wirkliche Regierung kommt. Die Stellen sind uͤbrigens immerwaͤhrend, und wenn ein Mitglied abgeht oder stirbt, so wird ein neues auf den Vor- schlag eines wirklichen Mitglieds aufgenommen. So einen Vorschlag thun, heißt man bringen , z. B. der und der hat den und den Buͤrgermeister, Senator u. s. w. gebracht: aber bey der jetzigen Verfassung wird wohl das anomalische Bringen und das damit verbundne Geldschneiden wegfallen, oder sich vielleicht noch gar vermehren. Viele Nordhaͤuser klagten uͤber das Bringen , und ver- sicherten, mancher Esel wuͤrde nicht im Senat sitzen, wenn er nicht einen guten Bringer ge- habt haͤtte. In Nordhausen hat jeder Buͤrger, welcher zu einer Rathsfaͤhigen Gilde gehoͤrt, auch das Recht, eine Stelle im Rath zu hoffen, wenn er anders sich nur stets so betragen hat, daß der hochweise Rath keine Schande von ihm befuͤrchten muß. Aber gar viele Familien kommen nie zu der Ehre, daß einer aus ihren Mitteln zum Regiment gelangt, weil es ihnen an Bringern fehlt. Daher sind nur einige Familien im Besitz der hoͤchsten Gewalt und deren Verwaltung, und diese Familien constituiren also den Patricierstand oder den Adel zu Nordhau- sen. Adel ist also doch auch da, ob sich gleich niemand von schreibt. Die Roͤmer schrieben sich auch nicht von , und hatten doch einen sehr derben Adel. Wahrscheinlich aͤndern die jetzigen Umstaͤn- de vieles in dieser Hinsicht. Ob aber gleich die Rathsglieder durch die Brin- gerey gewaͤhlt werden, so spielt man doch alle Jahre eine Komoͤdie, welche einer Wahl des gan- zen Magistrats aͤhnlich sieht. Den Tag vor drey Koͤnigen versammelt sich der vollstaͤndige Magi- strat, das heißt alle drey Regimenter, auf dem Rath- hause, in ihren schwarzen Galakleidern, und sehn einander an. Gegen Abend gehn sie auseinander. In der Nacht versammeln sie sich wieder, der Herr Pastor Primarius haͤlt eine Rede, worin er das abgehende Regiment ermahnt, bey der Wahl des neuen Regiments — welches schon laͤngst durchs Bringen gewaͤhlt ist — die Regeln der Gerech- tigkeit zu beobachten, und ja alles zur Ehre Got- tes zu thun. Die Zeit uͤber, als diese Ceremonie dauert, wird Wein und Kuchen gegeben, und ge- gen Tag zieht der Magistrat, der neue naͤmlich, nach der Hauptkirche, wo die Buͤrgerschaft ihm eine Quasihuldigung leistet. Daß die ganze Buͤr- gerschaft diese Zeit uͤber lustig im Sauß und Brauß lebe, laͤßt sich denken: aber auch der hoch- edle Magistrat lebt hoch auf, und jedes Mitglied erhaͤlt aus dem Stadtkeller eine Portion Wein, und dann ein gewisses Weißbrodt, welches zu die- sem Behuf besonders gebacken wird, und den Na- men Herrenbrodt fuͤhret. Ich habe selbst von die- sem schoͤnen Brodt gegessen. Ehemals, so sagte man mir, blieben alle drey Regimenter die Nacht zwischen den vigiliis Epiphaniae und dem Dreykoͤ- nigstag beysammen, und zechten, konnten aber hernach, wenn die Quasiwahl vor sich gehen sollte, nicht mehr stehen. Ein patriotischer Buͤrgermei- ster machte, um dieser Unordnung abzuhelfen, die Verordnung, daß in Zukunft jedem sein Quantum ins Haus sollte geschickt werden: daher dann jener Wein, und jenes Brodt fuͤr die Senatoren. Die Buͤrgermeister erhalten doppelte Portionen, und das ist auch sehr billig! Die Nordhaͤuser, besonders die von der hoͤhern und reichern Classe, sind große Liebhaber von Ver- gnuͤgungen, ob ich gleich mit Recht behaupten kann, daß sie ihre Arbeiten und Beschaͤftigungen nie den Vergnuͤgungen und Ausschweifungen auf- opfern, wie z. B. viele Hallenser, Goͤttinger, Je- nenser, Gießer u. d. gl. In Halle z. B. trift man stets in allen Kneipen fruͤh und Abends, und auf allen Doͤrfern um die Stadt Buͤrger an, und wenn zu Lauchstaͤdt die fuͤr Halle so schaͤdliche Co- moͤdie im Gange ist, so stroͤmen die Philister eben so unsinnig dahin, wie die Studenten, und si diis placet, wohl noch unsinniger. Ob zu Hause Ar- beit versaͤumt wird, darnach fragt der Philister so wenig, als der Herr Student, ob er einige Colle- gien — worin er doch ohnehin wenig lernt — schwaͤnzt, oder nicht. In allen Staͤdten, wo Uni- versitaͤten sind, welche den Ton gewisser Maaßen angeben, habe ich dieses Unwesen bemerkt. Aber so ists nicht zu Nordhausen: die dasigen Buͤrger lieben auch ihr Vergnuͤgen, aber erst dann, wenn sie ihre Arbeit gethan haben, und richten sich so ein, daß sie gegen Abend zusammen kommen koͤnnen. Die vornehmsten Versammlungsoͤrter sind ausserhalb der Stadt, und heißen der Grim - mel , das Schießhaus , der Lorbeerbaum , der Kirschberg und der Hammelr . Lezterer Ort wird doch nur selten besucht, aber ersterer desto mehr. An allen diesen Oertern sind schoͤne Zimmer, schoͤne Gaͤrten, gute Aufwartung ohne Prellerey, und was das beste ist, stets artige Gesellschaft, und munteres, nicht aber zotologisches Gespraͤch. Frau- enzimmer sind von solchen Gelagen durchaus aus- geschloßen; diese haben andere Zusammenkuͤnfte. Sonntags und Montags aber werden die gedachten Oerter von keinem Buͤrger von Distinction besucht, weil an diesen Tagen Creti und Plethi, das ist Gno- ten u. d. g. mit ihren Schaͤtzchen daselbst ihr We- sen haben, und sich bey Musik und Tanz lustig machen. In Halle schaͤmt sich schon Hr. A der Kraͤmer, H. B der Buchhaͤndler, Hr. C der Baumeister, Hr. D der Antiquar, Hr. E der Professor, Hr. F der Advocat, H. G der Schulhalter, Hr. H der Goldschmied und andre Herren, oͤffentliche Oerter des Vergnuͤgens zu besuchen, nicht deßwegen, weil sie sparsam waͤren, und nicht auch gerne mitmach- ten, sondern bloß deßwegen, weil sie sich fuͤr vor- nehmer und besser halten, als alle andere Men- schen, die nicht auch Kraͤmer, Buchhaͤndler, Bau- meister, Antiquare u. s. w. sind. So ists nicht in Nordhausen, und ich glaube, es ist schon sehr recht, daß es nicht so ist. Ich habe in Schenken z. B. auf dem Grimmel Senatoren, Pastoren, Buͤrger mit Titeln und andere gefunden, die sich kein Be- denken machten, bey einem Glas Breyhan, und einer Pfeiffe Tabak einige Stunden zu verschwaͤtzen, selbst der nur seit kurzem verstorbene Rector der la- teinischen Schule, Herr Pappe, glaubte nicht, daß es seinem Monarchismus zuwider sey, eine solche Gesellschaft zu besuchen. Indeßen muß ich anmerken, daß alle Arten von niedrigem Poͤbel aus diesen Cirkeln verbannt sind. Da uͤberhaupt keine Frauenzimmer dahin kommen, so kommt auch mancher Troß nicht hin, welche Da- men immer mitzuschleppen pflegen, z. B. ihre Maͤdchen und mit diesen einen Herrn Soldaten, Schuhputzer, Taugenichts u. s. w.: manche Faͤnt- chen, welche nur nach den Frauen und Jungfrauen laufen, bleiben auch weg, und suchen wo sonst ihr Unterkommen. Gespielt wird auch nicht, und so ziehen die Karten und Wuͤrfel niemand dahin. Der Trunk ist in Nordhausen sehr gut. Den Schnapps, welcher hier gebrauet wird, kennt man weit und breit. Bier, braunes naͤmlich, wird fast gar nicht getrunken, ob es gleich sehr gut ist, und nahrhaft, desto mehr trinkt man aber die Gose und den Breyhan. Wein hat jeder bemittelte Buͤrger im Keller, und manche mehrere Sorten. Die Wirthshaͤuser oder Gasthoͤfe in der Stadt sind nur fuͤr Fremde, und werden von Einheimi- schen selten oder gar nicht besucht, ja man wollte gar von Magistrats wegen den Wirthen in der Stadt, wahrscheinlich auf Betrieb derer ausserhalb der Stadt, das Recht streitig machen, Leuten aus der Stadt zu essen und zu trinken zu geben. Einige Sonderbarkeiten habe ich bemerkt, die mir damals auffielen, als ich sie zum erstenmal sahe. Einer meiner Freunde nahm mich eines Tages mit ins Concert, wohin auch fuͤr uns eine derbe Butelle Breyhan gebracht wurde. Als wir uns gesetzt hatten, ermahnte mich mein Beglei- ter, meine Pfeiffe anzuzuͤnden. Ich lachte, und sag- te, daß es doch nicht erlaubt sey, an einem oͤffentli- chen Orte Tabak zu rauchen, wo so viele Schoͤ- nen gegenwaͤrtig waͤren. Was, erwiederte mein Freund, kuͤmmern uns die Frauenzimmer? Unsre Weiber sind des Qualmens schon gewohnt, und unsre Maͤdchen? die sind froh, wenn sie Maͤnner kriegen, die Tabak rauchen. Ich fand das Argu- ment meines Freundes sehr richtig, und steckte mei- ne Pfeiffe an, so wie es alle Mannspersonen tha- ten, welche gegenwaͤrtig waren. Eben so raucht man auch auf Baͤllen und in andern Gesellschaften, wo Weiber hingehen. Zwey und zwanzigstes Kapitel. Frauenzimmer, und andere Merkwuͤrdigkeiten von Nordhausen. Mein Abzug von dannen. H err Fabri hat eine Abbildung von einer Nord- haͤuser Buͤrgersfrau stechen und illuminiren laßen, wie vielleicht die Buͤrgerinnen daselbst vor hundert Jahren gegangen sind: denn ich sahe solche Tracht nicht. Die Buͤrgerinn des Hn. Fabri traͤgt einen langen blauen Tuchmantel mit einer goldnen Tresse um den Kragen, und einen Huth, welcher dem Schabesdeckel der Juden so aͤhnlich sieht, wie ein Ey dem andern. Ich fand keine Weiber in Tuch- maͤnteln und noch weniger mit Schabesdeckeln: alle gingen gekleidet, wie an andern Orten auch. Un- ter den Buͤrgermaͤdchen giebt es sehr huͤbsche niedli- che Gesichtchen, und unter den Honoratioren habe ich auf einem Balle, dem ich beywohnte, ganz vor- zuͤgliche Schoͤnheiten beobachtet. Die Nordhaͤu- serinnen sind um so mehr liebenswuͤrdig, da sie gar nichts von dem steifen laͤppischen, praͤtensionsvollen, groben und impertinenten Wesen an sich haben, welches alibi das schoͤne Geschlecht so sehr uͤbel re- commandirt, ob gleich die Damen wunder glauben, wie huͤbsch ihnen die hohe Nase und die futile Im- pertinenz anstehe. Indeßen wißen die Nordhaͤuser Schoͤnen recht gut, was sie sich und ihrer Wuͤrde schuldig sind, und daher herrscht unter ihnen wahre Sittsamkeit, und kein Wort wird aus ihrem Munde gehoͤrt, woraus man auf verderbte Sitten, oder auf Luͤsternheit schließen koͤnnte. Unter dem Poͤbel giebts freylich weggeworfne Menscher, und wer des Nachts ausgeht, um solche Moͤbel auf der Straße aufzusuchen, geht nicht vergebens. Aber das ist ja aller Orten so. Reisende, welche dahin kommen, werden ge- wiß wieder zufrieden abgehen, wenn sie sich um die Bekanntschaft einiger braven Maͤnner bemuͤhen wol- len: denn durch einen und den andern lernen sie gewiß alles Sehenswerthe der Stadt kennen und wer- den in die besten Familien eingefuͤhrt. Sehens- wuͤrdig sind aber die sehr gut eingerichteten Hospitaͤ- ler, welche ein gewißer Flugapostel durch Deutsch- land so schief beschrieben hat, die Kunst, wodurch das Flußwasser der ganzen Stadt mitgetheilt wird, und andere Dinge, welche sich besser sehen, als beschreiben laßen. Der große Roland von Nord- hausen, lcher daselbst am Rathhause steht, und ein allmaͤchtiges Rachschwert in der Hand fuͤhrt, ist schon mehrmals der Gegenstand des Romanen- schreiberwitzes gewesen. Man wird den großen Ro- land herunterwerfen, wenn Nordhausen Preußisch wird, sagte neulich ein seynwollender Publicist zu mir. Man wird ihn stehen laßen, erwiederte ich; der große Roland ist von Stein, und niemand fuͤrchtet ihn: ob man aber die Privilegien der Nord- haͤuser auf immer unangetastet laßen wird, ist eine andre Frage. Als ich voͤllig hergestellt war, und mir alles wieder recht gut schmeckte, was ich aß und trank, reiste ich von Nordhausen ab, nachdem ich ohnge- faͤhr fuͤnf Wochen daselbst zugebracht hatte. Ewig werde ich mich mit Vergnuͤgen und Dankbarkeit an die Anfnahme und Behandlung erinnern, welche mir in dieser guten Stadt wiederfahren ist. Lange, Neuenhan, Ramsdahl, Seydler, Philter, Rothe, Heiker und viele andre sind meinem Herzen ewig theure Namen. Ich hoffe, in diesem Buche von Nordhausen nichts Unrechtes geschrieben zu haben, wenigstens wollte ichs nicht thun, und konnte auch nicht, da mir nichts bekannt worden ist, was der guten Stadt zum Nachtheil gereicht. Fehler und Maͤngel giebts aller Orten, aber in Nordhausen fin- det man doch davon verhaͤltnißmaͤßig weniger, als sonstwo. Moͤchte doch die gute Stadt unter Preußischer Hoheit so gluͤcklich, und noch gluͤcklicher seyn, als sie es, bey ihrer republicanischen Verfaßung war! Und warum sollte sie es nicht? Sind nicht andre Staͤdte, welche Preußens Scepter unterworfen sind, im bluͤhendsten Zustand? Und wenn hier und da eine Stadt in schlechten Umstaͤnden ist, so liegt es nicht sowohl an der Regierung, als vielmehr an andern Umstaͤnden z. B. an der Liederlichkeit der Buͤrger selbst. Ich war noch matt, als ich zuruͤckging, und kam den ersten Tag nicht weiter als nach Rosla, wo ein Graf von Stollberg wohnt. Im Wirths- hauß, wo ich uͤbernachtete, fand ich einen Preußi- schen Soldaten, welcher ins Weimarsche auf Ur- laub ging. Der Mensch gefiel mir, und ich rede- te viel mit ihm. Nicht lange hernach kam auch ein Kastenkraͤmer, der gleich ein Spiel vorschlug, um die Zeit zu vertreiben. Ich entschuldigte mich, und versicherte, wie's denn auch wahr ist, daß ich nie spielte. Nun machte sich der Kastentraͤger an den Soldaten, welcher sich eben einen großen Tha- ler hatte wechseln laßen. Der Soldat wollte an- faͤnglich nicht anbeißen, doch gab er endlich nach, und das Spiel begann. Es war das verderbliche infame Grobhaus , welches die Franzosen Lans- quenet nennen, und wie der Name Lansquenet Von Lanzknecht oder Landsknecht, d. i. Soldat. anzeigt, ein altes deutsches Soldatenspiel ist. Gar viele Spiele sind von Soldaten erfunden wor- den, z. B. das Piket, das l'Homber. — Der Soldat verlohr einige Thaler, war aber immer gleichguͤltig. Ich warnte ihn draußen vor dem Kastenkraͤmer, und rieth ihm aufzuhoͤren, aber er laͤchelte, und sagte: „laßen sie mich nur; der Kerl soll schon seinen Mann finden.“ Ich legte mich schlafen, und fand fruͤh Morgens den Kastenmann nicht mehr, aber wohl den Soldaten, welcher mir vierzehn blanke Kronenthaler wieß, die er dem Bur- schen abgenommen hatte. O, sagte er, lieber Herr, ich kann mogeln, wie der Teufel, das hab ich bey den Preußen gelernt. Also Mogeln, dachte ich, ist eine Kunst, die man bey den Preußen leicht lernen kann!! Die Gegend von Nordhausen bis Sanger- hausen ist himmlisch: man heißt sie die guͤldne Aue, und sie verdient diesen Namen auch vollkommen: auf der Seite ragt der hohe Kipphaͤuser hervor, von welchem der Poͤbel gar viel zu erzaͤhlen weiß. In diesem Berg ist naͤmlich der Sage nach eine be- zauberte Hoͤhle, worin Kayser Friedrich der Erste, oder der Rothbart mit seinem Hofstaat an einer stei- nernen Tafel sitzt, und nicht eher erloͤst werden kann, bis sein Bart neun Mal wird um die Ta- fel gewachsen seyn: schon vor hundert Jahren um- gaben die rothen Haare von Friedrichs Bart sechs Mal die mysterioͤse Tafel, also wird wohl Frie- drich bald frey werden. Die Fabel schreibt sich ohne Zweifel daher, daß damals, als Friedrich im Ori- ent umkam, lange Zeit niemand in Deutschland wußte, wo er hingekommen war. Die ganze Straße von Nordhansen bis nach Sangerhausen war damals mit Saͤchsischen Dra- gonern besetzt, welche verhindern sollten, daß kein Getreide aus dem Saͤchsischen nach Nordhausen verfuͤhrt wurde. Sachsen war gesperrt, aber die Herren Drogoner ließen mit sich handeln, und so wurde gewaltig viel Roggen, Weitzen, Gerste und Hafer durchgefahren. Die Kerle lebten einen gu- ten Tag in fraudem legis. In Sangerhausen sprach ich bey Hr. Kayser dem Kaufmann ein, welcher recht guten Wein hat, und zog dann weiter: aber schon zwey Stunden von dieser Stadt mußte ich wieder Halt machen, weil es regnete. Ich legte mich um neun Uhr auf die Streue, aber schon um elf kamen Gaͤste, welche auf dem naͤchsten Dorf Gevatter gestanden, und nun ein Scandal machten, daß ich unmoͤglich schlafen konnte. Was war zu thun? Ich stand auf, und nahm an der Gesellschaft Antheil, welche bis bis Tag beysammen blieb, und sich die Zeit mit Koffee- und Schnappstrinken und Zotenreißen ver- trieb. Hier konnte ein Sammler zotologischer Anekdoten seinen Vorrath um ein starkes vermehren. Weiter begegnete mir auf dieser Reise nichts Sonderbares: doch lernte ich noch die wahre Ur- sache kennen, warum die Weidenbaͤume, wenn sie aͤlter werden, pflegen aufzuplatzen, und diese muß ich meinen Lesern mittheilen. Zwischen Scherben und Passendorf kam ein huͤbscher Mensch zu mir, welcher aus dem Mansfeldischen gebuͤrtig war. Wir sprachen von allerhand, endlich kamen wir an eine Reihe Weidenbaͤume. „Sieh an, sagte ich, die Baͤume sind auch alle geborsten.“ Er . Ja, wissen Sie aber auch warum? Ich . O ja! Die Baͤume werden oft ihres Oberholzes beraubt: da muß also der Saft im Stamm bleiben, und macht, daß dieser aufspringt. Er . Larifari, das ist nicht wahr; ich weiß es wohl besser. Ich . Nun, und — Er . Kennen Sie Judas, den Verraͤther? Ich . Nein, den kenne ich nicht, aber gehoͤrt habe ich von ihm. Wie kommt aber Judas, der Verraͤther, und die Weidenbaͤume zusammen? Er . O, sehr stark. Laukh. Leben 5ter Theil. P Ich . Das verstehe ich nicht, und bin begierig, es zu vernehmen. Er . Ja, sehen Sie, Judas hat sich an ei- nen Baum gehenkt, nachdem es ihm leid gewor- den war, daß er den Herrn verrathen hatte. Der Baum, woran sich der Schuft aufhenkte, war ein Weidenbaum. Ich . Je nun, wenn es auch ein Weidenbaum war, so wars doch gewiß keiner von diesen da. Er . Nein, das wars nicht: aber es war doch ein Weidenbaum, und nun muͤßen alle Weiden- baͤume dafuͤr buͤßen: Gott hat sie alle verflucht, daß sie muͤßen aufbersten, wie Judas, der Verraͤ- ther, aufgeborsten ist. Hab ich nicht Recht, Herr? Gegen ein solches Argument hatte ich nun frey- lich nichts einzuwenden, aber aus dem angefuͤhrten Gespraͤch erhellet doch, wie stark die Macht des Aberglaubens noch ist, und wie kraß und finster die Begriffe der Leute vom lieben Gott seyn muͤßen, welcher alle Weidenbaͤume verfluchen kann, weil Judas, der Schuft, sich an einen Weidenbaum gehenkt hat. Unsre heiligen Buͤcher selbst scheinen diesen seltsamen, der goͤttlichen Gerechtigkeit so nach- theiligen Fratzenglauben, zu unterstuͤtzen. Denn da liest ja der Poͤbel auch, daß Jesus einen Feigen- baum ve flucht habe, weil er zu einer Zeit, da er keine Feigen haben konnte, auch wirklich keine hatte. Der arme Feigenbaum am Wege mußte verdorren, und hatte doch nichts verbrochen. Drey und zwanzigstes Kapitel. Meister Schaͤfer der Schuster zu Halle . I ch hatte im Sommer 1799 in einem Hause ge- wohnt, welches die Kutsche heißt, und war von da im Herbst zu einem Schuhmacher gezogen, wel- cher Schaͤfer hieß, unter den hiesigen Buͤrgern aber mehr unter dem Namen des Hn. Unteroffi - ziers , als unter seinem eignen bekannt war. Schaͤ- fer hatte naͤmlich bey einer gewissen Gelegenheit sich geruͤhmt, er sey Unteroffizier bey der Stadt, und habe das Recht, einen Degen zu tragen mit ei- nem Portdepe . Die Hallenser sind aber komische Leute, welche nichts weniger vertragen koͤnnen, als dummen Bauernstolz, und jeden sarkastisch verfolgen, der sich so was zu Schulden kommen laͤßt: Schaͤfer hieß daher der Herr Unteroffizier, so wie ein anderer Jemand der Leutnant genannt wurde, weil er zu seiner Frau beym Abschied ins P 2 Feld gesagt hatte: „als Corporal gehe ich weg, als Leutnant komme ich wieder.“ Ich kann nicht eigentlich sagen, was mich be- wog, zu dem Schuster Schaͤfer zu ziehen: meine Frau war auch hier an meiner Mißlage vorzuͤglich Schuld, diese miethete das Zimmer, und that so froh, als sie auf dem Katzenplan — so heißt das Plaͤtzchen, worauf Schaͤfer sein Haus hatte — wohnen konnte, als logierte sie im Lustgarten des Paradieses. Indessen waͤhrte die Freude nicht lange: meine Frau kam bald in die Wochen, und der fuͤrchterlich kalte Winter, welcher erfolgte, machte, daß wir in der sehr uͤbel verwahrten Stube mehr Feuerwerk brauchten, als zur Heitzung von zwey andern Zim- mern noͤthig gewesen waͤre. Meine Frau sprach deßwegen mit dem Wirth; dieser versprach den Ofen machen zu laßen: denn hieran mußte die Schuld lie- gen, daß die Stube sich so schwer heitzen ließ; aber statt den Ofen zu verbessern, nahm er die ei- serne Platten heraus, und setzte Ziegeln dafuͤr ein: die Platten verkaufte er, wie er dann hernach vor seinem loͤblichen Abschied von Halle sogar die Oefen verkauft hat. Ausserdem trillte uns Schaͤfer unaufhoͤrlich um Geld, daran aber hatte er noch nicht genug: er trug mich noch obendrein in allen Knei- pen herum, und gab bald da bald dort vor, ich sey ihm, wer weiß wie viel schuldig, zwanzig, dreyßig Thaler, und noch druͤber: wer mich kannte, und den Herrn Stadt-Stabs-Unteroffizier Schaͤ- fer, der wußte freylich, daß dieß gelogen war: denn Schaͤfer konnte mir keine dreyßig Thaler bor- gen, so viel hatte er noch niemand borgen koͤnnen. Mein Gevatter Engelmann von Schochwitz be- suchte mich oͤfters, und da Freund Schaͤferus merk- te, daß der Mann Geld hatte, lag er ihm an, wenigstens ihm drey Louisdor zu borgen, welche er binnen vier Wochen wieder zu geben versprach. Engelmann traute dem Menschen, weil er aber kein Geld bey sich hatte, versprach er es ihm zu schicken, Freund Schaͤfer aber, welcher befuͤrchtete, Engel- mann moͤgte auf andre Gedanken kommen, und ihm den Credit versagen, nahm ein Pferd, und begleitete den ehrlichen Engelmann nach Schoch- witz, wo er das Geld empfing, und dann eine Lust- reise ins Mansfeldische machte, von welcher er nicht eher zuruͤckkam, als bis das Geld alle war. Engelmann hat noch keinen Kreuzer von seinem Geld wieder gesehn, und wird, si diis placet, auch keinen wieder sehen. Einen andern ehrlichen Mann wollte Schaͤfer auch anprellen, aber ich verhinderte es. Dieser war Hr. Lederhaͤndler Zappe von Magdeburg, mit wel- chem ich hier in Halle Bekanntschaft und Freundschaft gemacht hatte. Hr. Zappe und ich saßen bey ein- ander auf dem Weinkeller, und waren vergnuͤgt, als Schaͤfer sich so nach seiner dummdreisten Art bey uns eindrang, und an unserm Wein Theil nahm, welchen Hr. Zappe auch gerne hergab, da er hoͤrte, der Zudringliche sey mein Hauswirth. Dieser, wel- cher bloß gekommen zu schmarntzen, hoͤrte nun, Hr. Zappe sey ein Lederhaͤndler, und machte seine Sachen so gut, daß Zappe ihm fuͤr hundert Thaler Leder zu schicken versprach, welche Schaͤfer auf die Ostermesse bezahlen sollte. Sie machten sogar eine Art von schriftlichem Contract. Den folgenden Tag sprach ich Hn. Zappe auf dem Loͤwen; er frag- te mich nach dem Credit des Großsprechers; als ich ihm aber die wahren Umstaͤnde desselben entdeck- te, dankte er mir und war froh, daß er sein Leder noch hatte. Haͤtte er es geschickt, so war er geprellt, wie so mancher andere. Mit allen Leuten im Hause zankte sich Mosjeh Schaͤfer alle Tage, und besonders heftig, wenn er kein Geld hatte, welches dann sehr oft der Fall war. Er haßte nichts so sehr, als die Arbeit; fruͤh, wenn er aufstand — fruͤh hieß aber bey Schaͤfer so viel als um neun oder zehn Uhr — zog er sich schnell an, und eilte in eine Kneipe, um da sein Fruͤhstuͤck einzunehmen: nach Tische, das heißt nach der Zeit, wo ordentliche Leute zu essen pflegen, stieg oder, wenn er Geld hatte, ritt er zu Dorfe. Stichelsdorf war sein Lieblingsort, theils weil es da herrlichen Breyhan giebt, theils aber auch, weil er daselbst einen Freund, den Hn. Amtsver- walter Bertram hatte, welchen er auch weidlich geschnellt hat. Der gutmuͤthige Mann dachte, sein Gevatter Schaͤfer wuͤrde ihn nicht anfuͤhren, und borgte ihm — zu seinem Schaden. Von Sti- chelsdorf kehrte er gegen Abend nach Halle zuruͤck, pflanzte seinen Leichnam auf den Rathskeller, auf die Mail, oder auf die Loge, und hielt daselbst aus bis auf den lezten Mann. So gings einen Tag und alle Tage: wie seine Wirthschaft bey dieser Lebensart gefahren sey, kann man leicht denken. Er hielt zwar Gesellen, aber die verließen ihn bald, so auch die Lehrbursche, welche bey so einem Meister nichts lernen konnten; mit der Frau lebte er wie Hunde und Katzen mit einander zu leben pflegen: dabey war er ein großer Verfechter der Innungsprivilegien, ein Erzfeind alles Herkommens, und wollte alles bloß durch Ge- setze entschieden wissen. Eben daher zankte er sich unaufhoͤrlich mit den andern Meistern, welche ihn aber nur auslachten, und schreien ließen. Da er unendlich viel uͤbelverstandnen Stolz besaß, so war ihm nichts empfindlicher, als wenn er wegen Schulden gemahnt wurde, am alleraͤrg- sten aber tobte und schalt er, als ihm von Ma- gistrats wegen einige Neppe zur Auspfaͤndung ins Haus geschickt wurden. Nie habe ich einen Men- schen gesehen, der sich komischer betragen haͤtte, als sich unser Hr. Unteroffizier damals betrug. Da wollte er alles zum Hause hinaus werfen: aber ein derber Soldat, welcher zu einer hinten im Ho- fe wohnenden Frau gehen wollte, und welchem der Schuster Grobheiten sagte, griff ihn bey der Gur- gel, und transportirte ihn sehr unsanft selbst zur Hausthuͤre hinaus. So zaͤnkisch aber sonst auch Schaͤfer, und so impertinent grob er gegen jederman war, der ihm in den Weg kam, kann ich doch nicht sagen, daß er mit mir gezankt, oder mir Grobheiten gesagt habe, bis ohngefaͤhr einige Wochen vor meinem Abzug aus seinem Hause, und auch damals war er gegen mich nicht eigentlich grob. Meinen Lesern muß dieß billig auffallen, und sie werden mir es ohne Zweifel uͤbel nehmen, daß ich den Ehrenmann hier so unvortheilhaft beschreibe, zumal da er nicht in Halle ist, und sich nicht ver- theidigen kann: sie finden in der Schilderung des militaͤrischen Schusters vielleicht eine gewiße de- mangeaison de médise, die keinem Menschen wohl ansteht, und die ich mir bey allen meinen uͤbrigen Fehlern, doch nicht gerne moͤgte vorruͤcken laßen. Aber das folgende Kapitel soll und wird mich gewiß entschuldigen. Ich weiß es recht gut das goldne Spruͤchlein de mortuis et absentibus non nisi bene, aber obgleich der Schuster Schaͤfer jetzt abwesend ist, so darf ich ihn nicht allein doch beschreiben, sondern ich glaube auch, daß es meine Pflicht ist, einen Menschen oͤffentlich bekannt zu machen, der sich an mir so wie Schaͤfer versuͤndigt hat. Vier und zwanzigstes Kapitel. Huͤbsche Raritaͤten . I ch habe immer von der Enthaltsamkeit und von der Keuschheit der Frauenzimmer so meine ganz eig- ne Gedanken gehabt, und niemals die Vorzuͤge einer Frau oder eines Maͤdchens bloß allein in der Jungferschaft oder in der ehelichen Treue gesucht. Es mag uͤbrigens eine ganz huͤbsche Sache seyn, wenn man ein lediges Maͤdchen als Jungfer zur Gattin erhaͤlt, oder wenn eine Ehefrau sichs nie nach fremder Kost geluͤsten laͤßt. Aber nur wenige sind so gluͤcklich, dieses Loos zu treffen, wie die leidige Erfahrung zeigt und beweiset. — Tarpejum limen adora Bonus et auratam Junoni caede juvencam, Si tibi contigerit capitis matrona pudici! Paucae adeo Cereris vittas contingere dignae Quarum non timeat pater oscula — sagt Juvenalis Sat. VI. v. 49. vielleicht etwas stark, aber sehr wahr fuͤr seine Zeit, und fuͤr die unsrige nicht ganz falsch wenigstens. Da nun die Hoͤrnertraͤgerey so ein gemeines, ja gar allgemeines Uebel ist, so darf man beynahe behaupten, es sey ein nothwendiges Uebel, und daher ist es recht, und billig, daß man es mit Gedult ertrage, und so viel als moͤglich ist, zu lindern und zu bessern suche, wenn es eintritt. Die Franzosen haben daher ganz Recht, daß sie wenig eifersuͤchtig sind, und es von jeher auch we- nig waren: Die sonst so eifersuͤchtigen Italiener und Spanier sind zu unsern Zeiten sehr nachsichtig, und in Italien hat jede Dame einen Cicisbeo, so wie in Spanien jede einen Corteja hat: geringere Frauenzimmer haben hier ihre amigos und in Ita- lien ihre vicini. Das ist schon recht so: die Leute sind tolerant geworden, und haben eingesehen, daß unter allen Bocksstreichen keine naͤrrischer heraus- kommen, als die, welche ein Eifersuͤchtiger ge- woͤhnlich macht. Ich denke, wenn die Frau das Scandal nicht gar zu arg macht, und ihren Mann nicht absicht- lich zu beschimpfen und zu kraͤnken sucht, hat die- ser keine Ursache, mit ihr zu brechen. Manche machen es freylich zu arg, und solche verdienen fortgejagt zu werden, aber grade solche Creaturen pflegen recht nachsichtige Maͤnner zu haben. Doch diese Kerle suchen ihren eigenen Nutzen zu befoͤr- dern, indem sie die Schleichgaͤnge der Frau Ge- mahlin nicht verhindern. Ich habe die Ehre, eine gewiße Madam zu kennen, welche mehr als einen angesehenen Mann in ihr Netz gezogen, und mehr als eine Familie in große Unordnung gebracht hat. Ihre Liebhaber waren bloß Ehemaͤnner: denn von solchen konnte die Kokette mehr ziehen, als von Unverheiratheten, aber es waren auch durchaus Schafskoͤpfe, welche sich prellen ließen nach No- ten; insbesondere wird gesagt, daß sich ein gewis- ser Herr Schwarzrock, vulgo Pfaff, habe von der Listigen ganz artig haͤnseln laßen, aber obgleich dieser Pfaffe fuͤnf oder sechs hundert Thaler fuͤr das Vergnuͤgen von einer halben Viertelstunde hingeben mußte, hat ihn doch jederman ausgelacht, und niemand bedauert, und das mit Recht: denn nichts ist abscheulicher als ein heuchlerischer Pfaffe. — Hunc ego fatis Imputo, qui vultu morbum incessuque satetur, Der Ehemann der Madam, von welcher ich rede, wuß- te um ihre ganze Wirthschaft, da Madame alles so frey oͤffentlich trieb, daß die ganze Stadt daruͤber skallirte, und daß in allen Kneipen, wohin Herr Gerber, der Ehemann, kam, so deutlich daruͤber raͤ- sonnirt wurde, daß er haͤtte muͤssen von Holz seyn, wenn ers nicht haͤtte verstehn wollen. Aber Herr Gerber hatte dazu keine Ohren: er ließ seine liebe Jule machen, was sie wollte, und lebte einen guten Tag. Geschaͤfte hatte Hr. Gerber nie geliebt, und da das von Madam verdiente Geld ihn der Muͤhe uͤberhob, selbst Geld zu verdienen, so freute er sich seiner Hahnreyschaft, die ihm so viele Vortheile brach- Horum simplicitas miserabilis, his suros ipse Dat veniam; sed pejores qui talia verbis Herculis invadunt, et de virtute locuti Clunem agitant. Ego te caventem, Sexte vereber? Infamis Varillus alt: quo deterior te? Loripedem rectus derideat, Aethiopem albus: Quis tulerit Gracchos de seditione querentes. Quis coelum terris non misceat, et mare coelo, Si sur displiceat Verri, homicida Miloni, Clodius accuset Moechos, Catilina Cethegum? In tabulam Sullae si dicant discipuli tres? Qualis erat tragico nuper pollutus adulter Concubitur, qui tunc leges revocabat amaras Omnibus atque ipsis Veneri Martique timendus, Cum tot abortivis foecundam Julia vulvam Solveret, et patruo simileis effunderet offas. Juvenalis Sat. II. te. Aber Julchens Reize nahmen nach gerade auch ab, und verschwanden, und mit ihnen verschwan- den auch die Liebhaber. Einige waren von ihr zu Grunde gerichtet worden, und die darbenden Fami- lien fluchten der Koketten, andre hatten die Ver- fuͤhrerin naͤher kennen lernen, und verachteten sie: neue Liebhaber, welche im Stande gewesen waͤren, Geld zu geben, und die ausschweifenden Beduͤrf- nisse der Madame zu befriedigen, kamen nicht; aber Madame mußte durchaus bedient seyn, und schaffte, welche freylich nicht klotzten, weil sie nicht konnten, welchen aber Madame klotzen mußte. Madame war gewohnt, stets auf hohen Fuß zu leben, und ein Haus zu machen: so lange ihre Anbeter noch huͤbsch reich waren, ging das Ding gut, aber als sie anfing nichts mehr einzunehmen fuͤr ihre Gunstbezeugungen, mußte Madame aus eignen Mitteln die schweren Ausgaben bestreiten, welche das Hausmachen zu kosten pflegt. Dar- uͤber gerieth sie in Schulden, und ihres Mannes Credit in gewaltige Unordnung. Nun erst fiel es Herrn Gerbern ein, daß seine Frau ihm untreu ge- wesen war, und er ließ sich scheiden, da sie nichts mehr verdienen konnte. So ein Mosjeh, wie Herr Gerber und seines Gleichen, verdient Verachtung: aber soll man dann auch ohne Unterschied jeden verachten, der seiner Frau einen Fehler vergiebt, und eine Gattin be- haͤlt, von deren Fall er uͤberzeugt ist? Ich denke, nein! Sie bessert sich, und dann mags ja gut seyn: wir sind ja alle sterbliche Menschen, pflegte meine Tante immer zu sagen, wenn ihr mein Vater ihre Ausschweifungen im Trunke vorhielt. Eine Frau kann sonst sehr schaͤtzbare Eigenschaften haben, welche den Ehemann mit Recht bewegen koͤnnen, ihr einen verliebten Fehltritt zu vergeben. Frauen- zimmer sind schwache Geschoͤpfe, und man weiß ja, daß luͤsterne Bursche huͤbschen Weibern mehr nachsteheu, als ledigen Maͤdchen, und das aus leicht zn errathenden Gruͤnden. Hier werden meine Leser fragen, was dann Meister Laukhard gethan haben wuͤrde, wenn ihm ein andrer ins Gehege gegangen waͤre? Ich weiß es warlich nicht, meine Herren, was ich grade ge- than haben wuͤrde: denn mich regieren die Leiden- schaften, wie der Wind das schwache Rohr: aber das weiß ich doch, daß ich wuͤrde klug gethan ha- ben, wenn ich geschwiegen, und mein Kreutz mit Gedult getragen haͤtte. Mein Hannchen hat mir zwar in diesem Stuͤck noch keine Gelegenheit oder Ursache zu klagen gegeben; aber wenn dem auch so waͤre, so wuͤrde ich mir wahrscheinlich haben zu- reden lassen. Herr Professor M.... zu F.... sperrte erst den Leuten die Maͤuler auf, und nachdem er sich und seine Frau weidlich beschimpft hatte, ließ ers auch gut seyn: er haͤtte den Spektakel nicht anfan- gen sollen. Herr M.... war ein Buͤcherwurm, lag den ganzen Tag und die halbe Nacht uͤber dem Corpus Juris : die Zeit, wenn er nicht studierte, oder schlief, brachte er bey der Weinflasche zu. In H...., wo er anfangs existirte, heyrathete er ein junges Ding, welches mit der Lebensart des Herrn Gemahls durchaus nicht zufrieden seyn konnte. Madame suchte sich also andern Zeitvertreib, und fand ihn mit Studenten und sogar mit gemeinen Soldaten. Der Herr Professor merkte nichts: seine Frau trieb das Leben so frech und so oͤffentlich, daß die ganze Stadt davon redete, und er merkte noch immer nichts. Endlich wurden seine eigne Collegen aufgebracht, und meynten, ein solches Betragen einer Frau Professorin blamire die ganze Innung. Prof. N.... ein Freund des Hn. M... uͤbernahm es, diesem das skandaloͤse Leben der Frau vorzustellen, und that es nach der ihm ganz eignen zotologischen Freymuͤthigkeit Die Professores Juris haben von jeher den wohlverdienten Ruhm als grosse Kenner der Zotologie gehabt. Ich rede nicht von allen! Doch sehe man Caricaturen von Anselmus Rabiosus 2ten Theil. Berlin 1802. so kraͤftig, daß M.... Fener fing, und beschloß, sich scheiden zu lassen. Waͤhrend der Verhandlung kamen die abscheulichsten Dinge zum Vorschein, und unter andern auch, daß Madame oͤffentliche Hurenhaͤu- ser besucht hatte. Es war nun ganz natuͤrlich, daß Hr. M.... seine liebe Frau loswerden mußte; aber die Mutter derselben, eine alte Politikussin, brachte ihn durch Geld und Champagner, wie auch durch einen Codex Theodosianus in 6 Folianten, den sie ihm sauber gebunden zuschickte, so herum, daß er den Scheidungsprozeß niederschlug, und seine Frau wieder zu sich nahm. Die Acten wur- den bey dem Universitaͤtsgericht niedergelegt, aber Hr. M.... aͤrgerte sich doch, daß in der Registra- tur der Universitaͤt Papiere lagen, welche seiner Ehre so sehr nachtheilig waren. Er sagte daher dem Actuar, er moͤgte ihm doch seine Acten auf ei- nige Tage geben, er habe wonach zu sehen. Der Actuar, welcher einfaͤltiglich glaubte, was der Hr. Professor sagte, gab die Acten hin, und Herr M.... ließ sogleich Feuer anzuͤnden im Ofen, und warf die Acten hinein. Freylich waren nun die Papiere dahin, aber M....s Schande und die seiner Frau waͤhrte noch immer, er machte daher, daß er fortkam, und ging nach F...., wo man seine Hahnreyschaft weniger kannte, als in H.... Man sagt, die Frau Professorin soll ihrem Ehe- mann mann nie wieder Gelegenheit gegeben haben, eine Ehescheidungsklage wider sie anzufangen, ob es gleich nicht an Leuten fehlte, welche aussprengten, in F.... sogar habe sie Stipendien an huͤbsche Studenten ausgetheilt. Fuͤnf und zwanzigstes Kapitel. Fortsetzung des drey und zwanzigsten Kapitels. A ls ich von Nordhausen zuruͤck kam, empfing mich meine Frau mit vieler Herzlichkeit, aber so- bald die ersten Bewillkommungen vorbey waren, floß ihr Mund von Invectiven wider den Schuster Schaͤfer uͤber. Der Bube hatte sie im Zank eine Hure geheissen, und ihr vorgeworfen, sie habe ei- nen guten Freund von mir mehr beguͤnstigt, als es einer Ehefrau zukomme. Ich kannte den Schuster, und wußte, daß er an alle Schlechtigkeiten und Eseleyen gewoͤhnt, jederman fuͤr einen schlechten Kerl und fuͤr einen Esel ansahe. Ich rieth meiner Frau, stille zu schweigen, diese aber bestand dar- auf, daß ich den Burschen koramiren sollte. Ich mußte gehorchen, denn eine Frau hat allemal das Recht, so Etwas zur Rettung ihrer Ehre von ih- rem Manne zu fordern. Des andern Tages fruͤh sprach ich mit dem Staabsunteroffizier Schaͤfer, Laukh. Leben 5ter Theil. Q und hielt ihm sein Vergehen vor; er aber schwur hoch und theuer, es sey nicht wahr; er koͤnne zwar einiges gesagt haben, aber dann seys gewiß nicht in uͤbler Absicht, und zwar in einem bey ihm sehr gewoͤhnlichen hohen Grad der Besoffenheit gesche- hen u. s. w. Was wollt ich machen? Zeugen hatte ich keine, und den Mosjeh auf einen Schwur zu treiben, hielt ich nicht fuͤr rathsam: denn es ist uͤberhaupt eine kuͤtzliche Sache, sein Recht auf ei- nen Eid ankommen zu laßen, besonders in Halle, und bey Schaͤfern war es gewiß am aller kuͤtzlich- sten: denn dieser hatte einst auf dem Rathskeller erklaͤrt, ein Schwur sey eine Lumperey; man koͤn- ne so ein Ding hinbrummen — seine eigene Aus- druͤcke — ohne sich das geringste Gewissen zu ma- cheu. Ich mußte also schweigen, und alles war wieder gut. Die Sache selbst, welche Schaͤfer meiner Frau vorwarf, ruͤhrte mich nicht im Mindesten: denn der- jenige Freund, mit welchem, nach der Laͤsterung des Buben meine Frau ein Verbrechen begangen haben sollte, war damals, als ich in Nordhausen war, zwar in Halle, aber in solchen Umstaͤnden be- fand er sich, welche nicht erlauben, daß man an naͤheren Umgang mit Frauenzimmern denke: ich konnte daher sehr ruhig seyn. Daß uͤbrigens mein bra- fer Freund meine Frau besucht, und ihr in meiner Abwesenheit Beystand geleistet hat, verdanke ich ihm herzlich. Man hatte naͤmlich ausgesprengt, ich sey in Nordhausen gestorben, und da zog sich jederman von meiner Frau zuruͤck, aber der ehr- liche S... und Hr. B. nahmen sich meiner Frau und meines Ackens an, und so konnten diese auch ohne mich subsistiren. Mit Schaͤfern blieb nun alles ruhig, und er selbst legte weder mir noch meiner Frau nicht das Gering- ste mehr in den Weg. Ohngefaͤhr vierzehn Tage vor Ostern sprach er mich um Geld an, welches ich ihm zwar erst bey der Raͤumung des Quartiers zu geben hatte: denn ich wollte ausziehen. Ich hatte eben eine Anweisung an einen hiesigen An- tiquar erhalten, und gab diese dem Schuster, um sie Hn. Weidlich — so heißt der Antiquar — zu bringen, und zu fragen, ob er sie annehmen wollte. Schaͤfer kam zuruͤck und meldete mir, daß Hr. Weidlich den andern Tag versprochen habe, die Anweisung zu bezahlen, nur sollte er eine Quittung von mir mitbringen. Diese schickte ich zwar an Hn. Weidlich, ließ ihn aber bitten, dem Schaͤfer nicht mehr als 6 Thlr. zu bezahlen: denn grade so viel war ich ihm schuldig: Schaͤfer, welcher gedacht hatte, die ganze Anweisung zu ziehen, und mich hernach warten zu laßen, und Q 2 am Ende zu prellen, gerieth hieruͤber aufs heftigste in Wuth, und da er vermuthete, meine Frau habe mich bewogen, ihm nicht mehr zu geben, als ihm zukomme, wie es denn auch wahr ist, fiel er diese an, und nannte sie in Beyseyn einiger Buͤrger eine Hure und Ehebrecherinn, welche einen fremden Herrn in meiner Abwesenheit bey sich habe schlafen laßen: als sich meine Frau etwas derb gegen den unsinni- gen Buben vertheidigte, stieß dieser sie an, daß sie uͤber die Wiege hinstuͤrzte. Ich ward wegen dieser infamen Behandlung meiner Frau bey den Stadtgerichten klagbar, und Hr. D. Scheuffelhuth, welcher die Klageschrift auf- setzte, wuͤrde dem elenden Wicht gewiß rechtschaf- fen eingeheizt haben, wenn der Bursche sich nicht fortgemacht, und alle die geprellt haͤtte, welche ei- nige Forderungen an ihn hatten. Kaum war Mosjeh Schaͤfer, der Schuster und Unteroffizier weg, so hoͤrte man sein Lob in der ganzen Stadt, und weit und breit auf dem Lande herum. Es war in der Stadt beynahe keine Knei- pe, wo er nicht Baͤren angebunden hatte, alle sei- ne Bekannte hatte er geprellt, und ich mußte meine Klage liegen laßen. Wie konnte ich auch gegen einen Hollunken agiren, welcher seine Frau und zwar in schwangern Umstaͤnden im aͤrgsten Elend sitzen laͤßt, und in die Welt laͤuft? Alle die, wel- che mit ihm zu thun gehabt hatten, krazten sich hinter den Ohren, und mußten nun durch Ehren- titel, Schurke Spitzbube , Betruͤger , u. d. gl. ihrem Aerger Luft machen. Ich hatte voll- kommne Satisfaction: denn einem Elenden, wel- cher durch Schulden, Fikfakkereyen und Buben- streiche, deren uͤble Folgen er fuͤrchtet, fluͤchtig wird, kann man wohl eine Injurie vergeßen. Aber warum thust du es denn nicht, Laukhard, werden meine Leser fragen? Warum beschreibst du denn den elenden Schuster Schaͤfer, so wie du gethan hast? Das war auch nicht recht. Antwort: Ich thue dieß nicht meinetwegen: denn mir liegt wenig daran, ob Schaͤfer der Staabs- unteroffizier und Schuster in Halle auf dem Raths- keller, in Stichelsdorf bey Hr. Runge, oder in ei- ner Branntweinskneipe sitzt, und da den großen Herrn macht, oder ob er unstaͤt und fluͤchtig in der Welt herumstreicht: aber meiner Frau war ich diese Genugthuung schuldig, und habe sie ihr auch gerne geleistet. Die Familie des Schaͤfers, welche in Halle existirt, habe ich weder beschimpfen noch be- leidigen wollen: was ich geschrieben habe, ist no- torisch, und jedem bekannt, so bekannt, daß sich von Schaͤfers Historien einige Spruͤchwoͤrter her- schreiben, welche wahrscheinlich, wie alle Spruͤch- woͤrter, noch lange im Gang bleiben werden. Von Halle aus zog Schaͤfer nach Erfurt, ließ sich daselbst von Kayserlichen Werbern unterhalten, und wurde nach Prag gebracht, wo er jetzt hal - ter die Ehre und das große Gluͤck hat, halter dem groͤß en Herrn in der ganzen Welt zu dienen, und halter den Stand eines Kostbeutels zu be- kleiden. Er hat schon einige Mal an seine Ver- wandte geschrieben, und sie gebeten, fuͤr seine Los- kaufung zu sorgen, aber die wollen nichts von ihm wißen. Seine Frau befindet sich jetzt beßer als vor- her, da der Wicht noch bey ihr war, aber seine Schuldner sind — geprellt. Eben war ein Freund bey mir, dem ich das, was ich vom Schuster Schaͤfer geschrieben hatte, vor- las. Er schuͤttelte den Kopf, und meynte, es wuͤrde beßer seyn, wenn ich die ganze Historie wegließe. Ich koͤnnte einen Injurienprozeß mir auf den Hals ziehen. „Und wer soll mir den an den Hals werfen,“ fragte ich? Er . Je nun seine Verwandten. — Ich . Seine Verwandten? Die kuͤmmern sich um den Burschen nicht. Er . Meynen Sie? Seine Schwester verthei- digt ihn πυξ ϰαι λαξ. Ich . Ha, ha, ha, das sollte mir doch eine wahre Freude seyn, wenn diese gegen mich auf- treten wollte. Aber Sie wißen ja, daß eine Schwester die Sache ihres Bruders nicht fuͤhr en darf. Dem Bruder stuͤnde es noch eher an; der ist ja ein Jurist, und koͤnnte an mir probiren quid valeant humeri Quid ferre recusent . Auf keinen Fall aber fuͤrchte ich mich: denn sind sie klug, so schweigen sie; schweigen sie aber nicht, und raͤsonniren brav, und spectakeln, was das Zeug haͤlt, so lache ich, und finde gewiß viele, die mit mir lachen. Uebrigens muß ich noch eini- ge Kunstgriffe erwaͤhnen, welche Schaͤfer anwen- dete, wenn er kein Geld hatte, und doch saufen wollte. Vielleicht koͤnnen diese Kunstgriffe andern Leuten nuͤtzlich seyn, welche ihm aͤhneln. Einst kam er auf die Loge zu Hr. Busse. Wer hat da Ihrer Frau die Schuhe gemacht, fragte er? Busse . Meister N. N. Schaͤfer . Ist schofele Waare, mein Seel! Gott soll mich strafen (besieht die Schuh) ja meiner Seele, mein Junge macht beßeres Zeug. Was kosten denn die Latschen? Frau Busse . Einen Thaler. Schaͤfer . Schwerenoth, so ein Paar Latschen einen Thaler! Da mache ich ein Paar derbe huͤb- sche Schuhe fuͤr 20 gl. Fr . Busse . Je nun, ich brauche wieder Schuhe. Schaͤfer . Blox, will's Maaß nehmen. Schaͤfer nahm das Maaß, soff einige Tage auf die zu machenden Schuhe los, und als er merk- te, daß die 20 gl. herunter seyn mogten, kam er nicht wieder. Hr. Busse mahnte ihn einige Mal, aber da er sahe, daß doch nichts werden wuͤrde, ließ ers gut seyn, und ist — geprellt. Ein ander Mal kam er auf den Universitaͤts- keller, ein Beckermeister saß da, und trank ein Glas Breyhan. Schaͤfer that, als saͤhe er den Becker nicht, wendete sich gegen einen seiner Mitmeister, und sagte: Es ist doch zum Rasendwerden, wenn man denkt, Geld zu kriegen, muß man noch suchen, wo man welches herkriegt, um es einzuloͤsen. Der Meister . Es wird wohl auf der Post liegen. Schaͤfer . Warum nicht gar auf der Post? In der Kugel vorm Steinthor steht es in Saͤcken. Stelle Dir vor, der Lausekerl da von — — der vertrackte — — ist mir schon seit Jahr und Tag Geld schuldig: ich drohte ihm mit der Klage, da schaͤmte er sich, und schickt mir heute neun Schef- fel Roggen herein. Sechs sollen meine, und drey soll ich ihm bezahlen. Sein Kerl hat die Saͤcke in der Kugel abgesetzt, und will nun Geld haben. Meister . Du mußt die drey Scheffel verkau- fen, so kriegst Du ja gleich Geld. Schaͤfer . Das will ich auch: weist Du nie- mand, der alles zusammen nehmen wollte. Der Beckermeister legte sich nun drein, und fragte nach dem Preiß: Schaͤfer setzte einen ci- pilen, versprach dem Becker alle neun Scheffel zu laßen, ließ sich aber gleich 4 Thlr. 12 gr. auf Abschlag geben, um den Kerl abzufertigen, wie er sagte, ging dann schnell fort, und — kam nicht wieder. Vor vierzehn Tagen sprach ich mit einem kayser- lichen Deserteur, welcher den Mosjeh Schaͤfer recht gut kannte. Er beschrieb mir ihn so, daß ich wohl merken konnte, er habe sich bey den Kostbeuteln nicht um ein Haar gebessert. Sein brutales Wesen hat ihm auch schon einige Mal derbe Regimentsstrafen, wie der Deserteur sagte, zugezogen, aber vielleicht hats der Kerl uͤbertrieben, und Schaͤfers Zuͤchti- gungen waren wohl nur Arschpruͤgel, welche bey den Halters nur gar zu gemein und leicht zu ha- ben sind. Sechs und zwanzigstes Kapitel. Oeffentliches Aergerniß und Apologie. N ach meiner Ruͤckkehr von Nordhausen unterhielt ich mit meinen dasigen Freunden, besonders mit dem Hn. Justitzcommissar Lange, einen ununterbro- chenen Briefwechsel: ich schrieb ellenlange Episteln, und erhielt dergleichen wieder zuruͤck, kurz ich lebte auch noch in der Ferne mit meinen lieben Freunden. Herr Justitzcommissar Lange meldete mir, daß er eine kleine Schrift herauszugeben gesonnen sey, worin auch meiner und meines Aufenthalts zu Nordhausen gedacht werden wuͤrde, und fragte mich, ob ich sein Unternehmen billige? Warum sollt' ich das nicht thun? Hatte ich doch selbst schon fuͤnf dicke Baͤnde von mir in die Welt geschickt: und zudem war nicht zu vermuthen, daß Hr. Lan- ge etwas skandaloͤses und ehrenruͤhriges von mir anbringen wuͤrde: dazu war er zu sehr mein Freund, und ein zu ehrlicher Mann. Ich schrieb ihm also, und bat ihn, mir bald Bogen zu schicken. Ich wartete lange vergebens, nun aber erhielt ich das Nordhaͤusische woͤchentliche Nachrichts - blatt , 17tes Stuͤck vom 27. April 1801 und er- staunte nicht wenig, als ich folgenden Artikel las, welcher gleich vorn, und zwar wie's scheint, absicht- lich voran gedruckt war. Oeffentliche Bekanntmachung . Allen Unsern gutdenkenden biedern Buͤrgern und Einwohnern, welche sich die Muͤhe genommen ha- ben, die von dem Herrn Justiz-Commissair Lange herausgegebenen Bogen uͤber den Aufenthalt des Herrn Magister Laukhard in Nord - hausen etc. nur zu durchblaͤttern, wird bey dem ersten Anblick derselben gewiß nicht entgangen seyn, wie aͤußerst platt und schmutzig die Ausdruͤcke sind, deren sich der Verfaßer zur offenbaren Beleidigung der Leser, der Sittlichkeit, und des guten Ge- schmacks bedient; wie schal der Witz ist, womit derselbe Gegenstaͤnde abgehandelt hat, die auch nicht das geringste Interesse haben, und wie straͤf- lich er sich sogar erdreustet hat, bey dem aufgestell- ten Begriff des Worts Genie eine hoͤchst skandaloͤse, die Wuͤrde der christlichen Religion schaͤndende Zu- sammenstellung und Vergleichung zu machen. Zwar soll der Herr Magister Laukhard bey einem Abend- Gespraͤche diese unerhoͤrte Vergleichung gemacht haben; allein dies kann dem Verfaßer auf keine Weise zur Entschuldigung dienen, denn wer berech- tiget ihn, ein Gespraͤch unter vier Augen oͤffentlich durch den Druck bekannt zu machen, und durch die Lobspruͤche der Laukhardschen Definition jene Mey- nung und Vergleichung zu billigen und oͤffentlich anzupreisen. Wer gab ihm das Recht, in der Note sub No 7 uͤber die Dogmen der christl. Kirche so hoͤchst unanstaͤndige Ausdruͤcke zu gebrauchen? Wir sind nun zwar weit entfernt, die Preßfrey- heit allhier nur im geringsten einschraͤnken zu wol- len; koͤnnen aber ohnmoͤglich gestatten, daß solche in Preßfrechheit ausarte, und daß allhier Piecen ge- druckt werden, die wie das angefuͤhrte Langische Produkt im hoͤchsten Grade anstoͤßig und dem Gan- zen nachtheilig sind. Ohngeachtet wir dahero ( un- de vero, si placet? ) uͤberzeugt sind, daß diejenigen gutgesinnten ( sed malevoli? ) Buͤrger und Einwohner, welche die bisher herausgekommenen wenigen Bo- gen der Langischen Piece gelesen haben, der wei- teren Fortsetzung derselben mit großem Verlangen eben nicht entgegen sehen, sondern vielmehr die fol- genden Bogen von selbst zuruͤcklegen werden, (nach dem Durchlesen doch erst?); so haben wir uns den- noch bewogen gefunden, den Druck und die Ver- breitung derselben aus wohlgemeynter Absicht all- hier zu untersagen, und solche (die noch zu drucken- den oder die schon gedruckten?) als confiscirt hier- mit zu erklaͤren. Nordhausen, den 20. April 1801. B. u. R. d. K. F. R. St. Nordhausen. Ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich einige Anmer- kungen machen uͤber diese oͤffentliche Bekanntma- chung. Hr. Lange schrieb eine Piece, und der Hoch- weise Magistrat zu Nordhausen will nicht erlauben, daß diese Piece in dieser Reichsstadt gedruckt, und verbreitet werde. Gut, so konnte und sollte viel- mehr bloß dem Censor — denn ich weiß doch, daß ein Censor in Nordhausen ist — anbefohlen wer- den, den folgenden Bogen das Imprimatur zu ver- weigern. Geschah dieß nicht, oder wußte vielleicht der Hochweise Magistrat zu Nordhausen, daß der Hr. Buchdrucker auch gar manches z. B. den Ho- hen (Hohn) steinischen Erzaͤhler ohne Censur, mir nichts dir nichts, drucke, so konnte ja dem Herrn Buchdrucker durch einen Rathsdiener, welche ohne- hin nicht viel zu thun haben, angezeigt werden, das Langesche Schriftchen duͤrfe bey Strafe nicht fortge- druckt werden, und that es dann doch der Buch- drucker nicht, so hatten ja die Hochweise Herren ihre Neppe, Haͤscher. welche als dienstbare Geister den Be- fehlen der hohen Obrigkeit schon Respect zu schaffen wißen. Wozu war es nun noͤthig, diesen Befehl ins Wochenblatt zu setzen? Man setzt Befehle und Verordnungen ins Wochenblatt und in die Zei- tungen, weil sie allgemein sind, und weil man sie nicht jedem Individuum insinuiren kann: hier aber faͤllt dieser Grund weg: denn sowohl dem Hn. Lan- ge als dem Buchdrucker war die Fortsetzung der Piece schon untersagt, und beyde hatten schon Pari- tion geleistet gegen die hohen Befehle, ehe dieselben im Wochenblatt oͤffentlich bekannt gemacht wurden. Aus welchen Ursachen hat also der Magistrat dieß ge- than? Ich kann keine andere auffinden, als die lie- be Schadenfreude, welche in den Seelen einiger Mit- glieder dieser gewiß ehrwuͤrdigen und helldenkenden Versammlung ein wenig ultra modum wirksam ge- wesen seyn mag. Doch ich muß weiter erzaͤhlen. Die Bekanntmachung, welche man so eben ge- lesen hat, fiel mir sehr auf: ich wollte sofort an den Herrn Justitzcommissar Lange schreiben, und mich nach den wahren Umstaͤnden und der Lage der gan- zen Sache erkundigen, als mir folgender Brief zuge- schickt wurde, welchen ich ohne Bedenken ganz ein- ruͤcke. Nordhausen, den 21. Mai 1801. Hochgeehrtester Herr, Ich habe waͤhrend Ihrem Aufenthalt in unse- rer Stadt die Ehre gehabt, Sie kennen zu lernen, und auch zu sprechen, und habe gefunden, daß Sie ein Mann sind, der es wenigstens nicht verdient, wenn (daß) man ihn oͤffentlich schimpfe und prosti- tuire. Das thut aber Lange, der Advocat, der sich hier fuͤr einen Justitzcommissarius ausschreit, und es doch nicht ist: denn unser Magistrat macht keine Justizcommissarios (commissare). Lange hat ein haͤßlich Pasquil (Pasquill) auf Sie drucken laßen, worinnen Sie als ein großer arger Religionsspoͤtter, als ein Erzfreygeist und als ein Verraͤchter aller Tu- gend und aller Keuschheit (???) an den Pranger gestellt und abgemahlt (gemalt) werden. Laßen Sie sich nur die gottlosen Bogen kommen, und Sie werden sehen, wie graͤßlich Sie abgebildet sind. Ich mags Ihnen nur nicht zu Leide thun, sonst schickte ich Sie (Ihnen) dieselbige gleich mit. Aber damit hat Lange noch nicht genug: er macht Sie auch in allen Gesellschaften herunter, und hat so- gar ihr schmutziges Hembd beschrieben, das Sie mit nach der Stadt sollen gebracht haben. Ist das ein Freund? Er sprach zwar immer, daß er Ihr wah- rer Freund ist (sey), und daß er Sie bald wieder bey sich erwartet (erwarte), aber Sie werden sich wohl in Acht nehmen, den Lange wieder zn besuchen, der an Sie (Ihnen) so freventlich gethan hat. Sie werden, wie ich hoͤre, bald Ihre Lebensbeschreibung fortsetzen, da muͤßen Sie dann auch den Lange recht mitnehmen: denn er verdient es. Faͤllt es Ihnen bald wieder ein, nach Nordhausen zu kommen, so werden Sie auch außer dem Lange Freunde finden, die es sich zur Freude machen werden, Ihnen Ver- gnuͤgen zu machen. Dieses Schreiben habe ich in guter Meynung geschrieben und hoffe, Sie werden mich verstehen. Ich bin mit aller Hochachtung Ew. ergebenster Diener Sincerus. Von wem war nun der Brief? Von Sincerus ; aber keine Familie Sincerus existirt in Nordhausen. Der Verfasser war also ein Pseudonymus, und auf pseudonymische Schriftsteller und Briefschreiber ha- be ich nie Etwas gehalten; die Herren sind allemal gar sehr verdaͤchtig. So viel sahe ich wohl ein, daß Factionen in Nordhausen seyn mußten, von welchen eine auf Hr. Langens Seite war, die andre aber ihn haßte, und mich gern zum Werkzeug ihres Un- willens machen wollte: aber ich sahe doch auch zu- gleich, daß mußte geplaudert worden seyn. Der Briefsteller erwaͤhnt meines schmutzigen Hemdes. Ich hatte wirklich ein schmutziges und — ich setze es hinzu — zerrissenes Hemd in Nordhausen auf dem Leibe. Woher wußte dieß der Briefsteller? Von Herrn Langen selbst? das folgt nicht: Herr Fromm und der Schuster Bock, und des Schusters huͤbsche junge Frau, und Hr. Langens alte Auf- waͤrterin, und vielleicht noch mehr andere Perso- nen kannten die Beschaffenheit meines Hemdes; konnte keiner von diesen geplaudert haben? Und gesetzt auch, Hr. Lange habe selbst von meinem Hem- de etwa der Gesellschaft auf dem Grimmel, auf dem dem Kirschberg oder sonstwo Notitz erhielt, so folgt noch nicht, daß er mich herunter gemacht, und be- schimpft habe: denn wenn ein zerrißnes oder schmu- tziges Hemd beschimpft Quis tunc conservet honorem? Ich erinnere mich noch eines alten jezt laͤngst aus der Mode gekommnen Studentenliedes, wor- in es unter andern heißt: Die Zeit macht alle Sachen stumpf, Utendum est dum durat, Ein dreckigt Hemd, ein Loch im Strumpf Philosophus non curat. Das alte Liedchen hat nicht sehr unrecht: ich wuͤrde es daher dem Justitzcommissar auch nicht sehr uͤbel nehmen, wenn er von meinem Hemd in seinen Cirkeln erzaͤhlt haͤtte. Den Vorwurf der Freygeisterey und der Reli- gionsspoͤtterey hat mir der Magistrat zu Nordhausen gewißer Maaßen schon vorher in seiner Bekannt - machung gemacht und Hr. Lange hatte bloß das gebilligt, was er mir wider die Religion in sei- nen Bogen in den Mund legte. Zu Nordhausen ist man so gut in der Welt, wie an andern Orten, das heißt, man glaubt auch da oft zu hoͤren und zu verstehen, was man weder gehoͤrt noch verstanden hat. Ich habe zwar nicht eigentlich erfahren koͤn- nen, welche Aeußerung gegen die christliche Reli- Laukh. Leben 5ter Theil. R gion mir eigentlich Schuld gegeben wird, aber er- klaͤren muß ich oͤffentlich, daß ich in Nordhausen wider die eigentliche christliche Religion nie das geringste geaͤußert habe. Es kann seyn, daß ich dieser oder jener Kirchenfratze, und sollte es auch eine Nordhaͤuser Fratze seyn, nicht im Besten ge- dacht habe: indeßen weiß ich nicht, ob es so ist: denn wer erinnert sich an alle Worte, die er beym Wein, Punsch, Breyhau oder Schetter geredet hat? Es mag aber immer seyn, daß ich so nach meiner Art von gewissen Lehren, z. B. von der Erb- suͤnde, von der Trinitaͤt, von der reellen Gegen- wart des Leibes u. s. w. welche ich nebst mehrern andern fuͤr Hirngespinnste halte, oder von Gebraͤu- chen z. B. vom Beichtpfennig, von der Kinder- taufe, von den Bustagen, von der Vereydung auf die Symbolischen Buͤcher, von der Kirchenbuße, u. d. gl. die ich als Mißbraͤuche ansehen muß, raͤ- sonnirt habe, aber dennoch bin ich uͤberzeugt, nie wider die eigentliche Lehre Jesu und seiner Apostel, mithin auch nicht gegen die christliche Religion los- gezogen zu haben: hat aber dennoch Herr Lange mir so etwas in den Mund gelegt, so hat er mich nchit verstanden, oder — welches auch seyn kann — die Herren vom Senat haben den Hn. Lange nicht verstanden. Dieses wuͤrde ihnen, den Her- ren naͤmlich, auch gar nicht zum Vorwurf gerei- chen: denn sie sind ja keine Theologen, aber dann haͤtten sie auch ihr Urtheil suspendiren und den Herrn Primarius erst zu Rathe ziehen muͤßen. Doch wer weiß auch, was geschehen ist! Herr Lange soll mich auch als einen Spoͤtter aller Tugend und aller Keuschheit beschrieben ha- ben, sagte der Episteliker. Ich erinnere mich nicht, uͤber die Tugend gespottet zu haben: dieß kann nur ein Narre thun, und selbst der Allerla- sterhafteste nimmt sich in Acht, oͤffentlich uͤber gesell- schaftliche Tugenden loszuziehen, und das Laster zu empfehlen. Doch gedenkt der Briefsteller der Keuschheit insbesondere, welche ich soll beleidiget haben. Practisch kann dieß nicht geschehen seyn: denn ich habe mir keinen unkeuschen Griff, ge- schweige denn sonst Etwas in Nordhausen zu Schul- den kommen laßen. Ich zweifle zwar nicht, daß es in dieser Stadt, so wie leider in allen Staͤdten, feile Nymphen und Gassenmenscher giebt, und das zwar in abundantia, wie mich einige Freunde ver- sichert haben, aber ich habe Menscher dieser Art daselbst nicht kennen lernen. Doch kann es seyn, daß ich bey einem und dem andern Zotologischen Diskurs mein Scherflein auch beygetragen habe. Daß aber ein zotologisches Gespraͤch die Tugend der Keuschheit gradezu beleidige, sehe ich nicht ein. Catullus hat Recht, wenn er sagt R 2 Castum decet esse pium poëtam Ipsum; versiculos nihil necesse est und Ausonius Lasciva nobis est pagina, vita proba d. i. curta. Ich kenne einen gewissen Hn. Professor, welcher in seinen Lehrstunden die aͤrgsten Zoten und Saͤue- reyen vorbringt, und doch sonst keusch und zuͤchtig lebt — in Werken. Die ehemaligen Zuhoͤrer des seeligen N....s zu H.... wißen noch recht gut, wie dieser große Gelehrte auf dem Catheder zu re- den gewohnt war, und wie er die Zoten mit Ge- walt in seinen Vortrag zwang, daß er sogar bey der Lehre de emtione venditione schmutzige aͤcht zo- tologische Beyspiele von den Menschern unter dem rothen Thurm anbrachte, und doch war N.... nichts weniger, als ausschweifend. Baldinger riß auch Zoten, und zwar recht saftige, und lebte doch keusch. Wenn ich also gleich einiges Zotologische angebracht habe in den Gesellschaften zu Nordhau- sen, so kann daraus doch gar nicht geschloßen wer- den, daß ich ein Feind der Keuschheit sey, und hat jemand so geschloßen, so hat er einen Fehlschluß gemacht. Was sonst noch in dem anonynen Briefe von Herrn Langen selbst vorkommt, geht mich nichts an z. B. daß er nicht Justitzcommissar sey. Da ihm aber doch der Magistrat selbst diesen Titel bey- legt, so muß ich allerdings denken, er sey es wirklich. So im Vorbeygehen moͤgte ich anmerken, daß das Wort Justitzcommissar seiner Etymologie nach einen komisch- haͤmischen Nebenbegriff mit sich fuͤhrt. Zur Erklaͤrung ist hier kein Raum. Anmerkung des Setzers. So viel und nicht mehr fuͤhre ich wegen des oͤffentlichen Schreibens und Redens zu meiner Rechtfertigung an; nicht als ob ich mich geaͤrgert haͤtte uͤber das unnuͤtze Gezaͤnke, sondern bloß um den Herren zu zeigen, daß ich antworten kann, wenn ich directe oder indirecte gefragt werde. Indessen fand ich fuͤr gut, meinen Briefwechsel mit Hn. Langen abzubrechen. Ich bin gewohnt, an gute Freunde grade von der Leber weg zu schreiben, und kuͤmmere mich wenig darum, was ich schreibe, und wie ich schreibe, daher kann es mir auch nicht gleichviel seyn, ob man mein Geschreibsel oͤffentlich bekannt macht, oder nicht. Hat aber, so dachte ich, Herr Lange sogar von deinem schmutzigen Hem- de gesprochen, so wird er wohl auch deine Briefe oͤffentlich vorlesen. Ich schwieg daher, und Hr. Lange auch. Im Februar dieses Jahres schrieb ich an einen Freund zu Nordhausen, und schickte ihm eine Ab- schrift des oben angefuͤhrten anonymen Briefes. Der Freund, an den ich schrieb, ist eben kein Freund des Hn. Lange, und daher glaubte ich, eine fuͤr diesen eben nicht vortheilhafte Antwort zu erhalten. Ich irrte mich: denn mein Freund schrieb mir, die Blaͤtter, welche der Justitzcommissar haͤtte drucken laßen, enthielten gar nichts nachtheiliges fuͤr mich, und seine oͤffentlichen Gespraͤche auf dem Grimmel und an andern Orten des Vergnuͤgens waͤren so be- schaffen, daß man seine Freundschaft gegen mich nicht verkennen koͤnne. Dieß beruhigte mich voͤl- lig, und ich verlange jezt nicht einmal mehr, die famoͤsen Bogen zu lesen, welche Hr. Lange im Reichsanzeiger zu vollenden versprochen hat. Wenns ihm uͤbrigens drum zu thun ist, daß die von ihm geschriebenen Lauchardiana im Druck er- scheinen, so mag er mir nur das fertige Manu- script schicken: fuͤr einen Verleger will ich schon sorgen. Sieben und zwanzigstes Kapitel. Meine Haͤndel mit der Regierung zu Magdeburg. D ie Preußischen Staaten wimmeln, wie alle Laͤnder, von einer großen Menge Winkeladvokaten, welche fuͤr Geld und gute Worte in Prozeßen ar- beiten, Klagen schreiben, und Suppliken machen. Diese Praxis ist zwar durch einige Verordnungen sehr eingeschraͤnkt, und was eigentliche Rechts- sachen anbelangt, gaͤnzlich verboten. Dafuͤr sind ordentliche Advokaten, welche man Justitzcommis- sarien gewoͤhnlich nennt, angestellt, und diese sol- len auch fuͤr Geld und gute Worte, wie sich dieß ohnhin versteht, die klagenden und bittenden Par- theyen bedienen oder deserviren. Hr. Justizcommissar Schneller schreibt desserviren, des- serviten. Nicht unrecht! Er desservirt so lange, als noch etwas da ist, wenns alle ist, hoͤrt er auf. Die Einrichtung ist im Ganzen nicht zu verwerfen, ob sie gleich viele Inconvenienzen mit sich fuͤhrt, die freylich nicht immer koͤnnen vermieden werden. Eine von den Hauptinconvenienzen ist wohl diese, daß die Gerechtigkeit leicht zur Hure und das Recht eine kaͤufliche Waare werden kann. Exempla sunt odi- osa, sonst waͤre ich wohl im Stande, einige und zwar recht auffallende zu liefern. Ich behalte mirs auf ein ander Mal vor. Ich habe mich nie mit gerichtlichen Dingen gern abge- geben: theils verstand ich das Ding nicht hinlaͤng- lich, theils haßte ich die Schikane, und fuͤrchtete mich vor der Arbeit, vor der unangenehmen Ar- beit, Acten durchzustaͤnkern: inzwischen machte ich doch dann und wann fuͤr einen Bekannten eine Vorstellung, und hatte einige Mal das Vergnuͤ- gen zu hoͤren, daß sie nach Wunsch gewirkt hatte. Im eigentlichen Sinn war ich jedoch kein Win- keladvokat, weil ich nicht jedem aufwartete, der mich drum ansprach, mich auch in eigentliche Rechtshaͤndel nicht einließ, und mich in nichts mischte, worin jemand anders arbeitete. Ohngefaͤhr im August 1800 erscholl auf ein- mal das Geruͤcht in der ganzen Stadt, der Assessor Rommann oder Kornmann habe eine schwangere Frau auf dem Rathhaus in der Gerichtsstube der- maßen gestoßen und getreten, daß sie abortirt ha- be, und auf der Stelle gestorben sey. Ich hoͤrte die schoͤne Geschichte auf dem Rathskeller, glaub- te aber eben deswegen wenig davon, weil sie gar zu graͤßlich erzaͤhlt wurde. Das Geruͤcht macht gleich alles groͤßer, besonders in Halle. Fama malum quo non velocius ullum Mobilitate viget, viresque adquirit eundo: Tam ficti pravique tenax quam nuntia veri Fama loquax, quae veris addere Virg. Aen. L. IV. falsa Gaudet et ex minimo sua per mendacia crescit. Ovid. Met. Lib. IX. Indessen mußte doch etwas an der Sache mit der Insultirung der schwangern Frau seyn, da je- derman so frey und oͤffentlich davon sprach. Wenn damals der Assessor Kornmann die Gesellschaf- ten auf der Mail, auf dem großen Keller, bey Herrn Bosse, in Stichelsdorf und Riedeburg haͤtte besuchen sollen, er wuͤrde Dinge gehoͤrt haben, woruͤber ihm die Ohren haͤtten gellen muͤssen, und waͤre er auch noch mehr taub gewesen, als die Gesetze selbst sind, welche er behandelt. Einige Wochen hernach ging ich durch die Clausstraße: ein mir bekannter, sehr rechtschaffner Buͤrger bat mich, bey ihm einzusprechen, weil er mir Etwas zu sagen habe. Ich that dieß gerne, und Herr Grundmann — so hieß der Buͤrger — fuͤhrte mich zu dem Becker Wendeburg, dessen Ehefrau der Asses- sor Kornmann so abscheulich behandelt haben sollte. Wendeburg erzaͤhlte mir den Vorfall, und seine gleichfalls gegenwaͤrtige Frau bestaͤtigte alles, was der Mann sagte. Nach diesem Bericht hatte ein Student Na- mens Ahlburg, bey Wendeburgen logirt. Als die- ser auszog, zahlte er alles, was er schuldig war, bis auf einen Thaler, den er nicht schuldig seyn wollte. Es kam daruͤber zu einem Gezaͤnke, und Hr. Ahlburg, um seinen Koffer, welchen Wende- burg nicht herausgeben wollte, zu erhalten, wen- dete sich an den Prorector. Dieser ließ den Koffer sofort holen, aber Herr Ahlburg mußte dennoch den Thaler bezahlen, und zwar an den Prorektor. Der Prorektor schickte, ich weiß nicht warum, den Thaler aufs Rathhaus, und die Herren auf dem Rathhaus ließen dem Becker sagen, er moͤge kom- men, und seinen Thaler holen. Der Becker war eben mit Arbeit uͤberladen, und schickte die Frau hin, weil er glaubte, diese koͤnne eben so gut, als er selbst, einen Thaler in Empfang nehmen. Als die Frau in die Gerichtsstube kam, war von den Herren noch niemand da — es war nach eilf Uhr — als der Assessor Kornmann. Dieser fuhr die Frau haͤßlich nnd mit den niedrigsten Schimpf- reden an: die Frau, welche auch das Maͤulchen bey sich hatte, blieb ihm seine Invectiven nicht schuldig, und so entstand ein foͤrmliches Gezaͤnke, welches fortzusetzen Hr. Kornmann unter seiner Wuͤrde hielt, worinn er dann auch vollkommen recht hatte: denn es ist nichts abgeschmackter, als ein Gezaͤnke mit dem Richter in der Gerichtsstube, und doch hoͤrt man dergleichen nicht selten. Die Frau schwieg aber noch nicht, da gab er ihr, vielleicht weil sie sich zu nahe machte, einen Stoß, und klingelte den Haͤschern. Diese kamen und schlepp- ten die Frau auf des Assessors Befehl in die Nep - perey oder aufs Capitel, wo die Herren Neppen ihr Standquartier haben. In der Nepperey blieb die Frau nicht lange, sondern wurde nun ins Loch geworfen, wo sie bis Abends um neun Uhr blei- ben sollte. Als die Wendeburgin von der Gerichts- stube nach der Nepperey, und von da aus ins Loch geschleppt wurde, widersetzte sie sich den Knechten oder Neppen aus allen Kraͤften und fiel ei- nige Mal auf den Treppen nieder; die Neppen aber, ihrer Schuldigkeit eingedenk, drohten ihr mit Schlaͤgen, mißhandelten sie, und schleppten sie fort: die Frau kam hiedurch in mißliche Umstaͤnde, und da sie sich alle Stunden der Niederkunft ver- muthend war, so konnte ihr Zustand allerdings be- denklich werden. Wendeburg der Beckermeister wartete auf seine Frau, aber sie kam nicht: er erkundigte sich nach ihr, und hoͤrte, sie sey durch die Haͤscher ins Loch ge- worfen worden. Er eilte aufs Rathhaus, und redete da so derb, daß der Assessor, welcher uͤble Folgen befuͤrchten mogte, seinen strengen Spruch zuruͤcknahm, und die Frau stante pene, wie die Hallenser sagen, wieder in Freyheit setzen ließ. Die Neppen aͤrgerten sich gewaltig; denn sie er- hielten nichts pro studio et labore. Die Frau konnte kaum nach Haus gehen, so matt und schwach war sie: zu Hause mußte sie gleich ins Bett gebracht werden: denn sie empfand Schmerzen und Wehe, wie eine Kreisende. Der Becker ließ eine Hebamme, die Frau Großin ru- fen, aber diese wollte das Geschaͤft nicht allein uͤbernehmen, und daher wurde nach dem Hn. Ge- heimenrath Meckel geschickt. Dieser große Mann, dessen Humanitaͤt eben so groß ist, als seine Wis- senschaft und Dexteritaͤt, erschien, und fand die Umstaͤnde allerdings mehr als bedenklich. Indes- sen war die Frau jung und stark, und so konnte durch Hn. Meckels geschickte Hand dasjenige leicht wieder gut gemacht werden, was die Neppen auf dem Rathhaus, oder selbst Hr. A. Kornmann ver- dorben hatte: die Hebamme versicherte, das Kind sey aus seiner Lage verruͤckt gewesen, und habe muͤßen reponirt werden. Der Beckermeister Wen- deburg, uͤber die unwuͤrdige Behandlung, welche seiner Frau in der Gerichtsstube wiederfahren war, mit Recht aufgebracht, suchte sich einen Advoca- ten, und wollte den Beleidiger bey der Magdebur- gischen Regierung verklagen, aber die Herren Ad- vocaten — Justizcommissare, Hoffiskaͤle, etc. etc. — waren eben nicht der Meynung, daß man um eines — mit Recht oder mit Unrecht — beleidigten Philisters sich eine Gerichtsperson — deren favor, zu deutsch, Beguͤnstigung — in andern Faͤllen nuͤtzlich seyn konnte, durch Verklagerey auf den Hals hetzen muͤsse, und versagten ihre Assistenz. Nun suchte sich der Becker einen andern, und kam so an mich. Soweit geht die Erzaͤhlung des Becker Wende- burgs und seiner Frau. Ich habe sie hinlaͤnglich untersucht, und vieles davon bestaͤtigt gefunden, daher trage ich auch kein Bedenken, das Ganze, naͤmlich fuͤr mein Individuum, fuͤr wahr zu hal- ten. Dem lesenden Publikum liegt wenig an der ganzen Geschichte: denn was kuͤmmert sich dieses um den hallischen Assessor Kornmann, um den hal- lischen Becker Wendeburg und seine Frau, und um ein Scandal auf dem hallischen Rathhaus und in der hallischen Nepperey? Aber ich mußte dennoch die Sache in extenso erzaͤhlen, damit meine Leser mich nicht fuͤr unbesonnen halten, daß ich mich in dergleichen Dinge mischte: ich dachte, etwas gu- tes zu stiften, wenn ich mich einer Sache annaͤh- me, die mich freylich nichts anging: nahm sich doch, Si licet exemplis in parva grandibus uti der große Voltaire der Familie des ungluͤcklichen Calas an, und rettete sie durch seinen Freund, den ehrwuͤrdigen Sachwalter Beaumont: aber so- gleich hatte Beaumont mit dem Parlament zu thun, wo ein Aulnoy und ein Chatignon saßen. Doch haec in transitu, so viel sich sonst noch druͤber sagen ließe: denn nie erschien das Parlament zu Paris in groͤßerm Glanze, nie wurde deßen Gerechtig- keit mehr geprießen, als damals, da es nicht ei- nen Individuellen armen Suͤnder in einem Colle- gium, sondern ein ganzes ansehnliches Collegium — das Parlament zu Toulouse bestrafte. — Wendeburg bat mich, eine Klage wider Herrn Kornmann aufzusetzen, und zwar im Namen seiner Frau. Ich hatte grade damals nicht wohl Zeit, so ein Ding zu machen, erzaͤhlte aber die ganze Histo- rie einem damals durch Halle reisenden nassauischen Beamten, welcher mich durch seine Vorstellung, daß ich ein gutes Werk thun koͤnnte, bewog, so ein Li- bell aufzusetzen und nach Magdeburg zu schicken. Ich habe in dieser Schrift mich keines einzigen Aus- drucks bedient, welchen der Assessor Kornmann als Injurie oder Calumnie ansehen konnte: freylich hatte ich nicht geschrieben „ Seine Wohlge - bohren , der Herr Assessor haben geru - het , mich allerguͤtigst durch Neppe , ins Loch werfen zu laßen “ aber so darf man ja, wie mich duͤnkt, nicht an die Regierung schreiben, unter welcher der Hr. Assessor steht, oder welcher er, nach einem richtigern Ausdruck, subordinirt ist. — Demohnerachtet hieß es doch nachher, die Klage sey voll Injurien und Calumnien gewesen: so waͤ- ren aber die meisten Klagschriften wahre Pasquil- len voll Injurien und Calumnien. Die Antwort blieb nicht lange aus: denn der Assessor Kornmann erhielt Befehl, auf die Anklage der Beckerin zu berichten, und zwar, quod probe notandum, gewißenhaft . Wie und was er be- richtet hat, oder ob er gar berichtet hat, habe we- der ich noch die Beckerinn erfahren: uͤbrigens war auch sein Bericht nicht noͤthig, und ist er ja ab- gegangen, so war es nur so pro forma. Ich ver- stand damals den Rummel noch nicht so, wie ich ihn jetzt verstehe, sonst wuͤrde ich mich mit der Sache gar nicht haben eingelaßen. Der Syndicus Streuber oder Streiber Ich verstehe die Orthographie der eignen Namen unserer Ge- richtsherren schlecht. Sie werden mir daher verzeihen, wenn ich falsche oder unrechte Buchstaben setze. erhielt den Auftrag, denjenigen herauszubringen, und deßen Namen der Regierung anzugeben, welcher das Pasquill — denn so nannte Hr. Streuber die Klage Er mag wohl Hn. P. Webers bekanntes vortreffliches Buch uͤber diesen Gegenstand damals noch nicht gelesen haben. — gemacht habe. Ich war grade von Halle abwesend, und in Nordhausen krank, als diese Untersuchung angestellt wurde. Die Wende- burgin verrieth mich nicht, aber nach meiner Ruͤck- kehr rieth ich ihr selbst, mich zu nennen. Hr. Streuber hatte indeßen sich die Untersuchung vom Hals gewaͤlzt, und jezt wurde sie dem Hn. Doc- tor Stisser aufgetragen, welcher mich citiren ließ. Wenn nicht Hr. Stisser die Commission gehabt haͤtte, so waͤre ich nicht erschienen, und sollte man neun und neunzig beschriebene Stempelbogen an mich geschickt haben: denn weder die Regierung zu Magdeburg noch ihre Mandatarien und Deputirten zu Halle, wie sie heißen moͤgen, Syndicusse, Hof- fiskaͤle etc. etc. etc. sind meine Vorgesetzten; aber ich kannte den Herrn Doctor, als einen sehr soliden, braven und einsichtigen Mann, und erschien. Um bald loszukommen, gestand ich alles gerne ein, doch hielt mich Hr. Stisser beynahe zwey Stunden auf, weil auch die Beckerinn und ihr Mann herbey mußten. Zum Ueberfluß hatte ich mich noch auf den Zinngießer Hn. Grundmann be- rufen, und einige Tage hernach wurde auch dieser verhoͤrt. Acht und zwanzigstes Kapitel. Lustiger Arrest. Der Registrator Abel. Hempel der Amtsknecht. N ach vielen Hin- und Herschreiben, Protocoll- machen, Citiren, Verhoͤren und d. gl. kam endlich nach Pfingsten meine Sentenz von Magdeburg, nach welcher ich 1 Thlr. 4 gl. 6 pf. bezahlen und 48 Stunden im Arrest sitzen sollte. Dieses Ur- theil theil war nun in der That nicht hart, und in der Sentenz hatten die Herren weder despotisch noch anzuͤglich gesprochen. Hr. D. Stisser fragte mich, ob ich mit dem Spruche zufrieden sey, oder ob ich dagegen einkommen wolle? Ich verneinte dieses, und erklaͤrte, daß ich einsitzen wolle, nur muͤsse es an einem Sonnabend und Sonntag geschehen, da ich an den andern Tagen Unterricht zu geben haͤtte. Meine Frau erschrack fuͤrchterlich, als sie hoͤrte, ich muͤsse aufs Karzer; aber ich erklaͤrte ihr alles, und fuͤhrte ihr Beyspiele an, und sie lachte, wie ich, obgleich aus verschiedenen Gruͤnden. Ich konnte mich sehr leicht troͤsten: denn wie oft habe ich und andere ehrliche Kerle in Gießen wegen des vertrakten Eulerkappers sitzen muͤssen, zwey, drey Tage und noch laͤnger? Rief ich Abends: pereat Eulerkaper, kapper, kapper! und wurde entdeckt, so waren mir wenigstens zwey Tage Kar- zerstrafe gewiß. Der Assessor Kornmann glaubte sich von mir beleidigt, und die Regierung glaubte es auch, also war es natuͤrlich, daß ich gestraft wer- den mußte. Und doch ist Hr. Kornmann eine ganz andere Person als der Gießer Eulerkapper: dieser war ein elender Maͤdchenschulmonarch, ein Jo - hann Heinrich Eulerkapper , Ritter von Fellaga , des heiligen Roͤmischen Reichs Großkroneselsohrtraͤger , Hunzfott , Laukh. Leben 5ter Theil S und Schwerdfeger , und doch mußte man ein- stecken, wenn man pereat Eulerkapper, kapper, kapper! gerufen hatte! Zwar hatte ich den Hn. Kornmann gar nicht beleidigt, Injuria enim dictum est vel factum significans (?) in contumeliam hominis honesti dolo malo commissum. Herm . Vultejus . Ueber diese Definition der Injurie werde ich bey Gelegenheit, wel- che sich mir, wie ich hoffe, bald darbieten soll, einen Com- mentar liefern. meiner Mey- nung nach naͤmlich, also im Grunde nicht, man muͤßte dann mit gewissen kuͤnstlichen Criminalisten eine injuria culposa annehmen; aber er hielt sich fuͤr beleidigt, und da war doch wohl eine Satisfaction nothwendig. Ob sich Hr. Kornmann auch druͤ- ber mag gefreuet haben? Sollte man ihn fragen, so wuͤrde er wahrscheinlich antworten, er kuͤmme- re sich wenig um mich; ob ich auf dem Bau oder in einem Bierhause sitze, sey ihm ganz einerley: ich sey unter aller Kritik, und daher denke er nicht an das, was mich betraͤfe; haͤtte er aber gewußt, daß ich sitzen sollte, so haͤtte er es nicht zugegeben(!!) etc. etc. etc. etc. Sunt haec ipsissima verba. Auch hieruͤber liefre ich suo tempore einen Commentar, aber erst suo tempore. Im Grunde aber mag er sich doch recht herzlich gaudirt haben: denn sonst wuͤrde er bey der Regierung zu Magdeburg, wo er so viele Freunde hat , nicht πυξ λαξ auf die Bestra- fung des Schriftstellers gedrungen haben. Ob er sich aber auch uͤber diese gedruckte Nachrichten gau- diren wird, ist eine andre Frage? Hier ist nicht die Magdeburgische Regierung, sondern das Deut- sche, und bald auch Weil diese Biographie uͤbersetzt wird. das Franzoͤsische und Engli- sche Publikum Richter, und da fragt es sich, ob die Plurima auf seiner Seite seyn werden. Vehe- menter dubito! Aber ich mußte einmal eingesteckt werden, und ward es auch. Ohne einen Spieß Sechser oder Sechspfennigstuͤck. Lat. hasta, daher hastatus d. i. ein Mensch, der Mosen und die Propheten hat, zu Deutsch, ein Bespiester. zu haben, zog ich zu Herrn Klappenbach und forderte Quartier. Herr Klappenbach — nicht aber, wie einige su- perkluge geplappert haben, Herr Schlappenbach, der Obernepp, von welchem in meinem Astolfo Mention geschieht — sagte mir, ich muͤßte noch einige Wochen warten, denn alle seine Quartiere waͤren besetzt. Er hatte nicht Unrecht: denn eine kurz vorher entdeckte Spitzbubenbande hatte Anhang in Halle Quo undique cuncta atrocia et pudenda confla- unt, celebranturque. Tacit. Aun. L. XV. C. 45. , und dieser Anhang war damals auf allen Karzern und Gefaͤngnissen einquartiert. Aber ich wollte einmal dem Herrn Assessor Korn - mann meine ἀπολυτϱωσις, zu Deutsch, meinen Loͤsepreiß leisten — nicht aber Buße thun: denn S2 warlich, es reuete mich nicht, des Hn. Assessors wegen an die Regierung geschrieben zu haben — und forderte also, daß Hr. Klappenbach mich ein- stecken moͤgte. Ich kam nun auf die Buͤrgerstube, ein Loch, bey dessen Anblick der Psychologe sowohl, als der Criminalist und der Satyriker reichlichen Stoff zu Expectorationen finden kann. Der Psy- chologe wuͤrde sich wundern, daß die Hallenser zu- geben, daß ein Pißfaß da steht, worin der Urin mehrere Monate conservirt wird, und wuͤrde vom dreymonatlichen Urin auf den Geschmack unserer Herren Hallenser schließen, welche die Antiquitaͤten auch in diesem Stuͤcke zu lieben scheinen. Der Cri- minalist wuͤrde sagen, das sey doch wohl kein Ge- faͤngniß, dessen Waͤnde ein kleiner Junge einstoßen kann: und der Satyriker vollends — doch suo tempore plura! Mein Hannchen brachte mir Kaffee, den ich frey- lich erst haͤtte zu Hause trinken koͤnnen, und mein Fritzemann Acke waͤlzte sich auf dem in der Came- ra obscura d. i. dem Schlafzimmer liegenden Stroh, und ward so voll Laͤuse, daß ihn meine Frau in einigen Tagen nicht reinbringen konnte. Haec phrasis notetur! Meinst du? Kaum war es bekannt worden, Laukhard sey auf dem Gute, das heißt, auf dem Arrest, so wur- de ich gleichsam bestuͤrmt mit Besuch: aber die Neugierigen wieß ich ab, weil ich mich nicht zum Object des Anguckens ad instar der Praͤdicanten, Professoren, Komoͤdianten, Seiltaͤnzer, Hans- wurste etc. machen wollte, ob ichs gleich selbst schon oft genug gewesen war. Nur einige kamen wirk- lich in meine Putzstube, aber keiner kam leer. Der Magister Dornensteeg hatte seine achtzehn- jaͤhrige Schnappspulle gefuͤllt, und wir leerten sie; als wir grade am Ende waren, kam Hr. Kiepke, der Hirschwirth mit einem derben Schnabes Schnapps. und einem Pack Taback. Unser Gespraͤch rollirte uͤber die Befugnisse der Accisbediente, die Contrebande, welche confiscirt wird, utiliter sich zuzueignen: doch wurde die schwere Frage geloͤset, warum ein Defrandant weniger und mehr gestraft werde, als ein anderer, und oftmals gar nicht. Mir kam die Frage immer schwer vor, aber einige Aufschluͤsse machten mir das Problem leicht. Auch Hr. Raack und Hr. Albrecht der Beutler bekanonirten mich, das ist, sie besetzten meinen Arresttisch mit großen Breyhanskruͤgen, Canonen genannt. Unter mir saß eine Theilnehmerin an der loͤb- lichen Gesellschaft, welche Klappenbachs Quartie- re occupirt hatte. Diese industrioͤse Communitas hatte weit und breit herum gestohlen und geraubt, und es scheint, als wenn einige Oberaufseher der lieben Polizey selbst Theil genommen haben, nicht an der Operation selbst, wohl aber an dem Ope- rirten; die Mail bey Halle, welche so oft in diesem Werke schon genannt ist, diente den Burschen zur Niederlage, und Herr Brand der Mailwirth hatte woͤchentlich einen fixirten Gehalt fuͤr seine Gefaͤllig- keit. Er und alle, welche man entdecken konnte, wurden eingesteckt. Hier muß ich eine impertinente Luͤge widerle- gen, welche zur Schaͤndung der Wahrheit in so vie- len Buͤchern aufgetischt wird, naͤmlich daß die Folter im Preußischen durchaus abgeschafft sey. Wider die Folter hat man schon gewaltig geschrie- ben, und dieselbe als unsinnig und grausam weit und breit verschrieen; besonders haben dieß unsre Philosophen gethan. Preußen hat die Ehre, als der aufgeklaͤrteste Staat in Europa angesehen zu wer- den, und das mit Recht, und doch hat die Folter noch nicht aufgehoͤrt in Preußen! Baum , ein Theil- nehmer an der genannten Spitzbubengesellschaft, hat auf Befehl und Verordnung des Auditoͤrs mehr als tausend Pruͤgel bekommen, weil er nicht geste- hen wollte, was man aus seinem Munde zu hoͤren verlangte. Ob er die Wahrheit immer gesagt, oder manches Factum zum Schaden andrer, falsch angegeben habe, ist ungewiß, und gar manche einsichtige Maͤnner finden in Baums Angaben, allerley Anomalien. Baum ist indessen ein Be- weis, daß die Folter noch nicht abgeschafft ist: denn Pruͤgel, welche man geben laͤßt, um jeman- den nachbeten zu machen, was man ihm in Causa criminali vorsagt, verdienen den Namen der Fol- ter so gut als Daumenschrauben und Spanische Stiefel. Freylich war Baum nichts als Soldat, und Soldaten werden in mancher Hinsicht angese- hen, wie die Sclaven auf Martinique: aber Baum war doch immer Mensch, und verdiente allemal als Mensch behandelt zu werden. Nach den Ge- setzen macht der Meyneyd infam, und das mit Recht: ein Musketier legte vor einigen zwanzig Jahren einen Meyneyd ab, und Rust der Soldat, welchen er als einen Dieb angegeben hatte, wurde beynahe todtgeschlagen, weil er einen nicht begang- nen Diebstahl nicht gestehen wollte. Der gewesene General des Hallischen Regiments, Adolph von Anhalt, erklaͤrte auf aͤcht Fuͤrstlich, die Canaille so lange zu pruͤgeln, bis sie bekennte oder verreckte, und der Auditoͤr Seyfert, cujus memoria est in ma- ledictione, befolgte den barbarischen Befehl des Ty- rannen so artig, als wenn er die Schinderknechts- kunst zu Gießen bey dem Kanzler Koch, dem Ante- signan der Schinderknechte Man sehe Kochs Institutiones juris Criminalis im An- hange, aber die aͤltern Ausgaben: denn Hr. Koch oder sein Verleger mag sich des Schinderknechtsunterrichts geschaͤmt ha- ben; und so blieb er in den neuern Editionen weg. gelernt haͤtte: Rust wurde zum Kruͤppel geschlagen, und wuͤrde endlich haben unterliegen muͤssen, wenn die wahren Diebe nicht waͤren entdeckt worden. Der Mensch, wel- cher durch einen falschen Eyd dem Rust die infame Behandlung zugezogen hatte, ward Unteroffizier. Auf den Bau haͤtte er sollen geschickt werden, aber er ward Unteroffizier, und endlich gar Offizier. Konnte man das Portdepee aͤrger brandmarken? Ich bin uͤberzeugt, wenn unser ehrliebender Koͤnig die Rustische Historie wuͤßte, er riße dem Unwuͤr- digen den Degen von der Seite. Doch weiter! Die Untersuchungen der Spizbuͤbereyen der Brandischen Bande waͤhrt schon uͤber ein Jahr; Brand und seine Frau sitzen noch, und niemand vermuthet einen baldigen Rechtsspruch. Montags fruͤh wurde ich meines Arrestes ent- ledigt. Einige Zeit nachher wurde ich auf die Waage gefordert, wo mir der Hofrath Dreyander einen Wisch vorlegte, der an die Regierung zu Magde- burg von einen Kerl aus Trotha war geschickt wor- den. „Haben Sie das Ding gemacht, fragte Hr. Dreyander?“ Ich . Nein. Er . Si fecisti nega, est prima regula juris. Ich . Die nur gar zu gut befolget wird. Er . Besonders vom Herrn Magister. Ich . Herr Hofrath, bin ich hierher gerufen worden, um Beleidigungen zu hoͤren? Er . Schon gut, schon gut! Haben Sie das Ding da gemacht? Ich . Nein. Er . Aber der Kerl hat's doch gesagt. Ich . Und wenn auch. Er . Dem Kerl muß geglaubt werden. Ich . Mein Wort gilt doch so viel wie das Wort des lumpigen Kerls von Trotha. Er . Das verstehen Sie nicht. Der Kerl hat fidem; er indicirt seine complices. Die Sache soll naͤher untersucht werden. Ich . Hab nichts dagegen. Er . Auf allen Fall kommen Sie garstig in die Tinte. Das war mein Bescheid. Acht Tage nachher ließ mich Hr. Dreyander nochmals citiren: ich er- schien, wartete uͤber eine Stunde, und konnte kaum erhalten, daß ich weggehen durfte, indem der lustige Kerl von Trotha, welcher aber doch mehr fidem als ich hatte, nicht kam. Kaum war ich zu Hause, so kam der Pedell Hr. Penke, und rief mich. Nun entdeckte sich die ganze Sache. Der Registrator Abel oder Apel von Gibichenstein hatte den Wisch fuͤr meine Arbeit ausgegeben, und da der dumme Kerl von Trotha selbst nicht wußte, wer den Dreck geschmiert hatte, so rieth ihm Abel, mich als den Verfaßer anzugeben. Dieß sagte der Pinsel aus, und Dreyander ließ es zu Protocoll nehmen. Ich beschwerte mich nun, uͤber die Impertinenz des Registrators, Hr. Hofrath Dreyander versprach mir Genugthuung, aber ich habe keine erhalten, und muß mir sie selbst nehmen, indem ich diese Historie dem Publikum erzaͤhle. Abel haͤtte, statt in der Gerichtsstube, den dummen Kerlen, Luͤgen und Falschheiten zu inspiriren, doch warlich an sich und seine Fallibilitaͤten denken sollen. Ich mag hier nichts von ihm hersetzen: denn Fremde kuͤm- mern sich wenig um den Registrator Abel, und Einheimische hoͤren in allen Kneipen genug von ihm, besonders in Delau und auf dem Neumarkt in Halle. Madam Abel erzaͤhlt ganz frank und frey die allerschoͤnsten Geschichtchen von verbrannten Acten, von gestohlnen Uhren u. d. gl. und die Leute tragen die Geschichtchen von Kneipe zu Kneipe. Abel scheint aber gut frisch zu denken, und sich um das Gerede der Leute nicht zu kuͤmmern. Er hat auch vollkommen Recht: denn je aͤrger man, mit Verlaub zu reden , den Dreck herumruͤhrt, desto aͤrger stinkt er. Neulich reichte seine Frau ein derbes Ding gegen ihn ein, aber das Ding bewirkte grade so viel als ein Mahnbrief an einen boͤsen Schuldner. Man braucht ja Fidibus. Da Herr Abel Amtsregistrator zu Gibichen- stein ist, so faͤllt mir durch die Association der Ide- en der Amtsknecht Hempel ein. Sein Vorfahr Scharlach nannte sich selbst den Schwanz von der Gerechtigkeit zu Gibichenstein, und dachte Wun- der, wie witzig er sich ausgedruͤckt habe. Ich rei- ste vor wenigen Jahren nach Schochwitz, und kehrte in Lieskau ein, um einen Schnapps zu machen. Als ich wegging, fragte ich die Wirthin, ob ich mei- ne Pfeiffe durchs Dorf fortrauchen duͤrfte? O ja, erwiederte die Wirthin, heute kommt Hempel nicht: er geht zu Gottes Tische. Ich . Also wenn Hempel nicht kommt, darf man rauchen. Wirthin . Freylich; was der nicht sieht, darf jeder thun. Ich . Aber kann mich denn keiner von den Her- ren sehen, die im Amt sitzen? Wirthin . Ey was die andern Herren! die sind – Wenns nur Hempel nicht sieht. Ein solches Ansehen hat Hempel, von welchem man im eigentlichen Sinn der Worte sagen kann, er habe die Gewalt zu zuͤchtigen und loszulaßen. Neun und zwanzigstes Kapitel. Madame Ilschnerin . Herr Doctor Thieß . W arum ich dieses Capitel hier einruͤcke, wird man verstehen, wenn man es durchgelesen haben wird: also bitte ich die Leser, nicht gleich beym Anklotzen der Ueberschrift ein Urtheil zu faͤllen. Um die oͤffentliche Meynung, oder vielmehr um das oͤffentliche Geschwaͤtz ist es eine gar seltsame Sache. Laudatur ab his, culpatur ab illis, sagte Horatius, und dieses Wort ist auf den Gegenstand dieses Kapitels sehr anwendbar. Ganz Halle, und die Gegend weit und breit um Halle kennt die Frau Ilschnerin, aber die Urtheile derer, welche sie kennen, sind gar sehr verschieden. Ich mache hier weder ihren Accusator, noch ihren Apologe- ten, und erzaͤhle bloß das, was mich in Ruͤcksicht auf sie angeht, das Uebrige moͤgen die Leser sich selbst suppliren . Vor ohngefaͤhr vier Jahren heyrathete ein ge- wißer Student Er laͤßt sich zwar Commissar nennen: in den Acten aber heißt er Student , und die Acten duͤrfen doch in der Regel nicht luͤgen. eine alte Wittwe, welche da- mals noch reich war, und Madam Ilschnerin war die Hayrathsstifterin. Der Herr Student hatte aber grade kein Geld: denn wenn er sich haͤtte hel- fen koͤnnen, wuͤrde er sich wohl schwerlich ent- schloßen haben, eine alte an der Kruͤcke schleichende Schachtel zu heyrathen: freylich de gustibus non est disputandum, aber in Hinsicht auf alte Schach- teln ist der Geschmack ziemlich allgemein. Noch vor der Hochzeit veruneinigtr sich der Student und seine Frau Braut mit Madam Ilschnerin, und nun war des Raͤsonnirens kein Ende von beyden Seiten. Nachdem der Student seine Ehe, wenig- stens vor dem Priester, vollzogen hatte, verklagte er die Frau Ilschnerin, und forderte einige Wech- sel, wodurch er ihr viertausend Thaler verschrieben hatte, zuruͤck. In dem Laufe der Klage ergab sichs, daß die Madam Ilschnerin dem Studenten kein baares Geld gegeben hatte, und daß dieser bloß um zu seinem Zweck zu gelangen, den Wechsel ge- schrieben hatte. Um diese Zeit wurde ich mit Madam Ilschne- rin bekannt, und fand ein sehr gebildetes Frauen- zimmer in ihrer Person. Da ich mit ihrem Gegner mehrere Geschaͤfte schon gehabt hatte, so unternahm ich es, einen Vergleich zu Stande zu bringen, und der Gegner war nicht abgeneigt, sich Vorschlaͤ- ge gefallen zu laßen, aber Madam Ilschnerin war mit den Anerbieten ihres Feindes nicht zufrieden, zumal da ihr Sachwalter, der Stiftsamtmann Buͤttner versicherte, der Prozeß koͤnne fuͤr Mada- me nicht verlohren gehen. Aber es heißt auch hier Fraudancur jure periti. Der Prozeß ging verlohren, und zwar in allen Instanzen: die Acten sind, wegen der vielen darin vorkommenden Allotria und alter und neuer Ge- schichten gar sehr erbaulich zu lesen. Gedruckt haben sie werden sollen, und es wuͤrde auch gesche- hen seyn, wenn der Buchdrucker haͤtte auf Pump drucken, und bis ad calendas graecas mit der Be- zahlung warten wollen. Meine Bemuͤhungen, ei- nen Vergleich zu bewirken, waren also vergebens; doch setzte ich meine Besuche bey Madam fort, weil ich wirklich viel Vergnuͤgen in ihrem Umgang fand. Indeßen hatte Frau Ilschnerin auch Scandal mit ihrem Manne, und beyde Theile trugen auf Ehe- scheidung an. Die Acten dieses Prozeßes sind auch gar erbaulich zu lesen, und den Winter von 1800 bis 1801 durfte man nur den Universitaͤtskeller be- suchen, um aus dem Munde eines Hn. Ausculta- tors einen fidelen Auszug aus den die Ilschnerische Ehescheidungssache betreffenden Acten zu hoͤren. Der Hr. Auscultator mogte nicht umsonst auscul- tirt haben. Ehe die Scheidung wirklich erfolgte, besuchte ich die Madam noch immer; der Mann aͤrgerte sich uͤber den Umgang seiner Frau, und Hr. Roͤpprich, sein Advocat, brachte es dahin, daß der Frau Ilschnerin aufgegeben wurde, von mir, dem Candidat Hn. Bernhard, und einem Landlaͤufer Namens Gebhard keine Besuche mehr anzuneh- men. Madame hatte sich auf mein Zeugniß in einer ganz unbedeutenden Sache berufen; Hr. Roͤp- prich, den die Sache nichts anging, weil sie weder fuͤr noch wider seinen Klienten war, mach- te allerley Glossen vor Gericht uͤber meine Person, und uͤber mein Betragen, wofuͤr ich ihm hiermit oͤffentlich danke, und ihn versichre, daß ich den weitern Dank suo tempore nicht schuldig bleiben werde. Aber freylich hatte ich mich an einem Freun- de des Hn. Roͤpprichs grob genug versuͤndigt, und daher mag es wohl kommen, daß er meiner so un- gnaͤdig gedachte. Ich muß doch die Sache er- zaͤhlen. Im Sommer 1800 schickte mir Hr. Magister Dornensteeg oder Eichhorn einige Bogen zur Durch- sicht, weil er selbst nicht Zeit hatte. Ich sahe das Ding an, und fand, daß es ein juristisches Woͤr- terbuch seyn sollte, aber von so erbaͤrmlicher Art, daß auch nicht ein einziger Artikel ohne einige Schock Schnitzer darin war. Hr. Boͤhme in Leipzig war der Verleger, und der verstorbne Buch- drucker Hr. Cramer druckte es. Wenn Hr. Boͤhme Ihr Freund ist, lieber Cra- mer, sagte ich zu diesem, so schreiben Sie ihm, er moͤge ja nicht den traurigen Sudel drucken laßen: der Dreck wird zuverlaͤßig Makulatur, und um Ihnen zu beweisen, daß ich Recht habe, wollen wir einen Mann fragen, der als competenter Be- urtheiler solcher Dinger kann und muß angesehen werden. Wir gingen zu dem Hn. Professor Koͤnig, und dieser gelehrte und humane Jurisconsult er- klaͤrte das Machwerk fuͤr das non plus ultra alles juristischen Unsinns. Cramer schrieb das Urtheil des Hn. P. Koͤnigs an Hn. Boͤhmen, und mit dem dritten Bogen wurde der Druck des jaͤmmerlichen Sudels beschlossen. Der Verfasser war mir unbe- kannt, aber hinterher erfuhr ich, daß es ein sehr naher Verwandter eines Freundes des Herrn Roͤp- prichs war. Nun konnte ich mir manches erklaͤren. Madam Ilschnerin wurde von ihrem Manne geschieden, zog in die Stadt, und bekam bald ei- nen Freywerber, der aber bald wieder abtrat, und ihr einen derben Prozeß an den Hals warf, wel- cher gleichfalls erbaulich ist. Bey der Gelegenheit meines Umgangs mit der Frau Ilschnerin ward ich naͤher mit einem gewissen Mann bekannt, welcher Knorre heißt, und sich durch seine Feder und durch die Industrie seiner Frau durchbringt. Knorre hat der Frau Ilschnerin viel, sehr viel zu danken, und daher daher war es mir auffallend, daß er endlich gar wider sie auftrat, und ein Zeugniß zu ihrem Nachtheil ablegte. Es kann seyn, daß er die Wahrheit bezeuget hat, aber zum Nachtheil seiner Freundin mußte er es nicht thun, zumal da er nicht aufgefordert war, noch aufgefordert werden konnte. Knorre schrieb in Ilschners Namen zwey Wechsel: Ilschner leugnet diese Wechsel bestellt, und Geld darauf empfangen zu haben. Die Sache ist noch nicht ausgemacht. Wie wenn die Wechsel, als untergeschoben, anerkannt werden? Hat nicht Knor- re alle Ursache, die Madam Ilschnerin zu schonen, um sich nicht die Gefahr zuzuziehen, fuͤr einen Fal- sarius angesehen zu werden? Hr. Knorre und seine Frau, welche ich nie beleidigt, haben doch die Guͤte gehabt, meiner so nach ihrer Art zu geden- ken, und sogar den Anzug meiner Frau ihrer Cri- tik zu wuͤrdigen. Danke dafuͤr recht schoͤne, und da einer meiner Freunde naͤchstens ein Werkchen uͤber das Jus Cambiale schreiben will — Doch wei- ter im Text. Im ersten Theil meines Astolfo kommt eine ge- wisse Madam Maschkupi vor, eine bloß fingirte Person, unter welcher ich mir die Madam Ilschne- rin wenigstens ganz und gar nicht dachte. Eben so wenig dachte ich mir unter dem daselbst beschrie- benen Magister ein Individuum aus der wirklichen Laukh. Leben 5ter Theil. T Welt, und die dort genannten Mamsellen Spa- dille und Manille sind bloß erdichtete Personen. Dieß ist meine Erklaͤrung, welche mehr gelten muß, als alle Auslegungen muͤßiger Koͤpfe, auf welche der Spruch des Terentius Terent. Andriae prolog. angewendet werden kaun: Faciunt nae intellegenda, ut nihil intellegant. Indessen hat mir doch diese fatale Auslegung, welche wer weiß von wem zuerst ist aufgebracht worden, gar viel Verdruß zugezogen. Erstlich machte mir die Madam Ilschnerin selbst Vorwuͤrfe druͤber, und ich hatte alle Muͤhe anzuwenden, um sie nur gewisser Maaßen zu beruhigen, und dann hielten sich andre gleichfalls fuͤr beleidiget, und gingen mir zu Leibe: einer davon drohte mir sogar mit einer Klage. Ein gewißer Herr will sogar in der Rathsstube gesagt haben, von Mad. I. koͤnne man skandoloͤse Nachrichten in Laukhards Buͤchern finden, und ein anderer wollte sich sogar drauf, als auf ein Document berufen. Man denkt leicht, daß mir so Etwas nicht gleichguͤltig seyn konnte: ich kuͤmmere mich zwar sehr wenig um die Urtheile andrer Leute, aber ich mag doch nicht haben, daß man mich als einen Diffamanten ausschreie — und das wuͤrde ich auf alle Faͤlle seyn, wenn ich wirk- lich auf jene Personen angespielt, oder sie gar naͤ- her beschrieben haͤtte, welche die kurioͤsen Muͤßig- gaͤnger zu Halle unter meinen Personen wollen ver- standen wißen. Wer einen Roman schreibt, kann ohnmoͤglich vermeiden, daß nicht seine Personen einigen wo nicht ganz, doch zum Theil aͤhnlich sehen, welche in der wirklichen Welt existiren: es waͤre aber doch ein gewaltiger Fehlschluß, daß der Schreiber eines solchen Buches auch grade jene Leute, welchen seine Fictionen aͤhneln, wirklich im Sinne gehabt, und Willens gewesen sey, sie zu beschreiben, und ihnen auf diese Art wehe zu thun. Ich habe mich hieruͤber schon hinlaͤnglich erklaͤrt, aber die kuͤnstlichen Leute ha- ben auf meine Erklaͤrungen nicht geachtet, und ihre Noten mit niemands Dank gemacht, blos um zu zeigen, daß sie eine feine Nase haben. Herr D. Thieß hat mir auch die Ehre angethan, meinen Namen in seinen Theologischen Almanach fuͤrs Jahr 1802 zu setzen, nur wuͤnschte ich, daß er es mit mehrerer Schonung gethan haͤtte. Er nennt mich den famoͤsen Laukhard. Das Wort famoͤs kommt aus dem Lateinischen her, wo fa- mosus im guten und boͤsen Sinn gebraucht wird: doch haͤufiger im lezten als im ersten. Im Deut- schen weiß ich nicht, ob es gute Schriftsteller von Menschen in guter Bedeutung gebraucht haben. T 2 Schiller hat zwar einmal famoͤse Niederlage gesagt, wo das Beywort bloß das Aufsehen und die großen Folgen anzeigt, welche jene Niederlage ge- habt hat. Doch ich will mich wegen dieses Adjec- tivs mit Hr. D. Thieß nicht zanken: will mich der Herr Doctor wegen der wenigen Bekanntschaft, die ich mir erworben habe, einen famoͤsen Mann nen- nen, so mag er es thun, und dann wird er es auch nicht uͤbel nehmen, wenn ihn jemand den famoͤsen Doctor Thieß nennt, auch Er ist bekannt genug, und hat sich durch seine, wie ich gern eingestehe, lesenswuͤrdige Lebensbeschreibung, noch bekannter gemacht. Aber daß Herr Thieß sagt, ich habe das Geheime Archiv der Zeit erbrochen, verstehe ich nicht ganz. Geheimniße habe ich nie entdeckt; da- zu hatte ich weder Gelegenheit noch Willen. Ich habe freylich manche Geschichte und manches Ge- schichtchen, auch manches skandaloͤse Anekdoͤtchen in meinen Buͤchern vorgebracht; aber alle diese Dinge waren keine Geheimniße. Zum Beyspiel, was ich von Carl Magnus dem Rheingrafen, von den Grafen von Leiningen geschrieben habe, auch alles was in meinen Schriften von dem traurigen franzoͤsischen Kriege, von der laͤcherlichen und elen- den Beschaffenheit der Reichsarmee und andern Dingen vorkommt, gehoͤrt nicht ins geheime Archiv der Zeit, sondern ist da, wo es geschehen ist, we- nigstens bekannt genug gewesen. Meine Buͤcher sind in den Haͤnden des Publikums, und werden in ganz Deutschland und auch außer Deutschland gelesen, und dennoch hat meinen Nachrichten noch niemand in Hauptsachen widersprochen, wenn ich gleich gern zugeben will, daß ich dann und wann in Kleinigkeiten geirrt und einen Namen Z. B. im zweyten Band dieses Werkes S. 329. kommt Krippenstavel statt Krippendorf vor. Deßwegen haͤtte aber ein gewisser Herr keinen großen Brief schreiben, und es mir zum Verbrechen machen muͤssen, daß ich des Branntweinbrenners und Schenkwirths zu Neustaͤtt im Weimarschen, Hn. Caspar Krippendorfs Namen unrecht geschrieben habe. Fehler dieser Art finden sich sogar beym Thuanus und beym Hugo Grotius. unrecht geschrieben habe. Meine Nachrichten sind daher notorisch wahr, und keineswegs aus dem gehei- men Archiv der Zeit gezogen, welches ich nicht er- brechen kann. Hr. Thieß erzaͤhlt ja selbst eine Menge Anekdoten, die gewiß manchem nicht schme- cken werden. Deßwegen hat aber Hr. Thieß noch lange kein Archiv erbrochen. Man nimmt es sehr uͤbel, und zwar mit Recht, wenn sich jemand un- tersteht, aus einem Archiv, wozu er Zugang hat, Documente zu entwenden, oder Nachrichten oͤffent- lich bekannt zu machen, deren Publicitaͤt dem Be- sitzer des Archives nachtheilig seyn kann: was wird man erst von einem Menschen denken, welcher ge- heime Archive erbricht, und den Inhalt derselben mit des Henkers Dank unter die Leute bringt? Uebrigens ist mir des Hn. Doctors Anzeige nicht schaͤdlich, und daher bin ich gar nicht unzufrieden mit ihm, vielmehr verehre ich seine großen Kennt- niße und Verdienste, und schaͤtze seine edle Frey- muͤthigkeit, und freue mich, einem solchen Mann bekannt zu seyn. Dreyßigstes Kapitel. Meine literarische Arbeiten seit 1799 . D er letzte Theil meiner Schildaischen Annalen kam auf Ostern 1799 heraus, im Sommer schrieb ich mein Werkchen uͤber den Amicistenorden, wes- halben ich einigen Verdruß mit dem seeligen Pro- fessor Krause und dem damaligen Universitaͤtsdirec- tor Hr. G. R. Klein hatte. Ich mußte einige Sei- ten umdrucken laßen. Außer diesem Buͤchlein, welches sogar von den Recensenten ist gut aufgenommen worden, und woruͤber der Verfaßer der Schrift Graf Gerido von Taufkirchen sehr bescheidene Anmerkungen gemacht hat, In der Vorrede zum zweyten Theil dieses im Grunde lesens- werthen Buches. schrieb ich noch einen Roman, Franz Wolfstein oder Be- gebenheiten eines dummen Teufels, in zwey ziemlich starken Baͤnden. Die Recensenten dieses Buchs haben unter andern es sehr uͤbel genommen, daß ich in einer Anmerkung geschrieben hatte, die Univer- sitaͤt, oder vielmehr die medicinische Fakultaͤt zu Erfurt habe einen jungen erzunwissenden Men- schen, welcher schon in Halle sey abgewiesen wor- den, ohne Examen und ohne Disputation fuͤr baar Geld zum Doctor der Arzneykunst gemacht, und haben deßwegen diese Fakultaͤt aufgefordert, sich zu vertheidigen; aber die Apologie ist ausgeblie- ben, wahrscheinlich, weil die Fakultaͤt sie nicht selber — wollte . Non possum, ich will nicht. Auf Ostern 1800 gab ich einen Band Novel- len heraus, welchem der zweyte auf Michaelis nach- folgte, und einen Roman in zwey Theilen Mar - ki von Gebrian . In der Novellensammlung kommen kleine Romane, und zum Theil auch wah- re Erzaͤhlungen vor; im Gebrian aber wollte ich die franzoͤsischen Emigranten von jener Seite schil- dern, von welcher sie mir bekannt worden waren. Ich kenne einige Emigranten, welche verdienen, geehrt und geschaͤtzt zu werden: aber die Meisten et tantum non omnes sind elende Wichte, welche von Unwissenheit, Stolz und Impertinenz strotzen, und bey all ihrer innerlichen und aͤußerlichen Trau- rigkeit die deutsche Nation, bey welcher diese Bett- ler Brodt und Schutz finden, verachten und has- sen. Die Emigranten-Canaille ist unserm Vater- lande schaͤdlicher gewesen, als die Pest zu Davids Zeiten dem juͤdischen Lande war. Alle diese Schrif- ten, den Amicistenorden ausgenommen, hat Hr. Fleischer in Leipzig verlegt. Hr. Guͤnther in Pe- gau verlegte meinen Grafen von Vitacon, einen Emigrantenroman in zwey Baͤnden, worin aber andre Personen aufgestellt sind, als im Gebrian. Auf Ostern 1801 kam meine Uebersetzung einer anonymischen Piece, Bonaparte und Cromwell mit meinen Anmerkungen heraus, welche mir deß- wegen wuͤrdig geschienen hat, auch in Deutschland bekannt zu werden, weil der franzoͤsische Verfas- ser sehr richtige Urtheile uͤber den Oberconsul seines Volkes vorbringt, welche manches falsche Urtheil, uͤber den sonst großen Mann rectificiren koͤnnen. Beynahe zwey Jahre arbeitete ich an einem Werke uͤber die Geschichte Europas von Carl dem Großen bis auf unsre Zeit. Dieses Werk ist unter dem Titel: Bild der Zeit mit Kupfern in zwey Baͤn- den erschienen, und soll, wenn ich einigen Re- censenten und einigen sachkundigen Lesern trauen darf, seinem Zweck entsprechen. Ich wollte das Studium der Geschichte durch eine richtige und lichtvolle Darstellung leichter und angenehmer ma- cher; ob ich aber dieß habe leisten koͤnnen, wage ich nicht zu entscheiden. Ich that wenigstens, was ich thun konnte. Ein Erfurter Recensent, er heißt glaube ich, Dominicus, hat verschiedne antipa- pistische Aeußerungen in meinem Werke getadelt, und das sehr consequent: denn wer nach moͤn- chischen Grundsaͤtzen erzogen ist, der muß auch nach moͤnchischen Principien recensiren: sind ja doch auch die Recensenten der A. L. Zeitung und der deutschen Bibliothek ihren philosophischen Grundsaͤtzen so ziemlich getreu, warum sollte es der Erfurter Recensent nicht auch den seinigen seyn? Aus guten Gruͤnden setzte ich meinen Na- men nicht auf den Titel des Bildes der Zeit: aber sieben schoͤne Kupfer dienen ihm zur vorzuͤglichen Zierde. Von meinem Astolfo erscheint jetzt der dritte und letzte Band, und auf Ostern dieses Jahres ist ein Theil meines Anekdotenbuches fertig geworden. Einiges habe ich anonymisch herausgegeben, und finde es noch nicht nothwendig, meine Anonymi- taͤt in dieser Hinsicht aufzugeben. Einiges hat man auch schon auf meine Rechnung geschrieben, wovon ich aber nicht Verfasser bin. In Hn. Meu- sels gelehrtem Deutschland findet sich eine gewalti- ge Menge von Fehlern dieser Art, welche aber beynahe nicht vermieden werden koͤnnen, bey ei- nem Werke von solchem Umfang. Meinen Unterricht bey den hiesigen Studie- renden habe ich nach meinen Kraͤften immer so be- trieben, daß ich hoffen konnte, meine Herren Zu- hoͤrer wuͤrden wahren Nutzen von meinen Lectionen haben. Mit einigen wiederholte ich die Kirchenge- schichte, mit andern die theologische Dogmatik, und da ich mir seit einigen Jahren einige Kennt- nisse in der Rechtswissenschaft, besonders im Ju- stinianischen-, Canonischen- und Staats-Recht er- worben habe, so fand ich schon einige Mal Gele- genheit, auch diese Disciplinen zu repetiren: die he- braͤische, griechische und lateinische, wie auch ei- nige neuere Sprachen, habe ich mitunter auch ge- lehrt, und lehre sie noch. Seitdem Hr. Wolf hier das philologische Studium wieder è tenebris zuruͤck gerufen hat, finden sich mehrere Liebhaber der Sprachkunde, als ehemals in Halle. Die schoͤne Spanische Sprache sogar, welche bisher ganz und gar vernachlaͤßigt wurde, weil man sie aus Un- kunde der wirklich schaͤtzbaren Spanischen Literatur fuͤr unnuͤtz hielt, findet ihre Schuͤler. Ob aber auch das Studium der Morgenlaͤndischen Sprachen einst in Halle in gebuͤhrenden Flor kommen wird, ist eine Frage, welche ich nach der jetzigen Lage der Dinge nicht bejahen kann. Wir haben zwar fuͤr die Sprachen des Orients recht gute Lehrer, die Herren Vater und Wahl, aber diese Herren koͤnnen wegen gewisser Radicalfehler, doch nur aͤusserst wenig bewirken. Diese Radicalfehler lie- gen theils in den Vorurtheilen, welche unsre Stu- dierenden beherrschen, theils in dem Mangel an Huͤlfsmitteln, die zur Orientalisterey nothwendig sind. Ich werde mich naͤher erklaͤren. Die mei- sten Studenten et tantum non omnes, glauben, die morgenlaͤndischen Sprachen seyen uͤbermaͤßig schwer, und koͤnnten nur durch die aͤußerste An- strengung erlernt werden. Dieses wirklich unge- gruͤndete Vorurtheil kommt aber daher, daß die jun- gen Leute einen pedantischen Unterricht auf Schu- len gehabt haben. Um eine Sprache zu lehren, und dem Anfaͤnger Geschmack daran beyzubringen, muß man auch die Sprache verstehen, und recht gruͤndlich verstehen, sonst wird der Unterricht con- fus und abgeschmackt. Nun aber sind viele von denen, welche auf Schulen das Hebraͤische lehren sollen, selbst traurige Suͤnder in dieser Sprache, und deren Grammatik, und fuͤhren eine Lehrart, die kein Mensch verstehen und nuͤtzen kann. Jun- ge Leute schreiben aber das der Sprache selbst zu, was doch der Unwissenheit des Docenten haͤtte sol- len zugeschrieben werden, und lassen sich ab- schrecken. Das andre Vorurtheil der Studenten in Hin- sicht auf die morgenlaͤndische Sprachen erklaͤrt die- selben fuͤr uͤberfluͤßig und unnuͤtz. Ich brauche, heißt es, das alte Testament ja nicht zu verste- hen; genug wenn ich das neue verstehen lerne. Aber die Herren bedenken nicht, daß sie ohne Kennt- niß des Hebraismus, und folglich auch der Arabi- schen Sprache, ohne welche die Hebraͤische unmoͤg- lich erlernt werden kann, das neue Testament noch viel weniger verstehen koͤnnen, als ohne Wissen- schaft der Griechischen Sprache. Da hoͤren sie zwar zwey Jahre hinter einander die sogenannte Exegese des neuen Testaments, und wenn sie fertig und recht fleißig gewesen sind, koͤnnen sie zwar nachbeten, aber nicht gruͤndlich erklaͤren. Dieses Vorurtheil verstaͤrken die Consistorien auf eine hoͤchst unanstaͤndige Weise, indem sie Leute durchlassen, wie man sagt, und als Candidaten approbiren, welche kaum hebraͤisch lesen koͤnnen. Dieß ist Unrecht, und vermehrt die Traͤgheit der Studierenden, welcher doch nach dem Willen des Koͤniges nicht vorgearbeitet werden soll. Da den- ken dann die jungen Herren, sie brauchten ja das juͤdische Zeug — so nennen sie die alte ehrwuͤrdige hebraͤische Sprache, — vor dem Consistorium nicht, weßhalben sie dann dieselbe nun noch lernen soll- ten? Es waͤre sehr zu wuͤnschen, daß die Exami- natoren in dieser Hinsicht etwas schaͤrfer, hingegen in Ruͤcksicht der kritischen Philosophey nachgiebiger waͤren. Endlich hindert auch der Mangel an Huͤlfs- mitteln das Studium der Orientalischen Literatur gar sehr. Fuͤr das Hebraͤische giebts nun wohl noch Huͤlfsmittel genug, Bibeln, Versionen, Le- xika, Januen, Claves, Eselsbruͤcken von allerley Art, u. s. w. aber fuͤr die arabische Sprache, oh- ne welche die hebraͤische nie gruͤndlich erlernt werden kann, sind die Huͤlfsmittel sehr selten, und bey der jetzigen Lage der Dinge, laͤßt sich kaum hoffen, daß dieser Mangel aufhoͤren werde. Wir haben ja nicht einmal ein ertraͤgliches Handlexi- kon, und an wohlfeilere Ausgaben der besten Schriftsteller ist gar nicht zu denken, da sogar man- che wichtige Werke dieser Literatur noch uͤberhaupt nicht gedruckt sind. Ein und dreyßigstes Kapitel. Annalen der Universitaͤt zu Halle von 1801 und 1802. H err G. R. und Prof. Meckel war Prorektor der Hallischen Universitaͤt, als im December 1800 der bisherige Direktor Klein abging, um in Berlin das Amt eines Tribunalraths zu uͤbernehmen. Herr Klein hatte nie das Zutrauen der Studenten gehabt — a potiori naͤmlich — ich mag aber nicht untersuchen, ob er selbst oder vielmehr die Studen- ten an diesem Mißverstaͤndniß Schuld waren. Hr. G. R. Meckel fuͤhrte aber sein Prorektorat so, daß jederman, die Studenten und die Buͤrger, voll- kommen damit zufrieden waren. Herr Meckel ist ein Mann, welcher stets mit Arbeiten zum Besten der Leidenden, gleichsam uͤberladen ist. Kleinig- keiten ließ er also sobald durch, als es nur immer moͤglich war, und befolgte bey der Untersuchung der Vergehungen gewisse Grundsaͤtze, welche den wahren Zweck des Prorektorats, naͤmlich die Erhal- tung der oͤffentlichen Ruhe und der guten Sitten, ungemein befoͤrderten. Das Meckelische Prorekto- tat ging voruͤber ohne ein einziges auffallendes Skandal, und Herr Klappenbach, der Oberauf- seher der Karzer, versicherte, daß er nie weniger, als waͤhrend dieser Zeit, verdient habe. Ich glaubs ihm gerne: denn Meckel besann sich erst, ehe er jemand aufs Karzer schickte, wo die Studenten so recht eigentlich gestraft, das heißt um ihr Geld, und um ihre Zeit gebracht werden. Professor Jakob ward Prorektor nach Meckel, und gleich anfangs trug man sich mit allerhand Ge- spraͤchen von Verbesserungen, welche der neue Ma- gistrat vornehmen wuͤrde. Es blieb jedoch alles ruhig, so ziemlich naͤmlich, bis gegen den Herbst 1801, wo die sogenannten Studentenkraͤnzchen aufgehoben werden sollten. Ehedem existirten in Halle eine große Menge Ordensbruͤder, welche unter dem Namen der Uni- tisten und Constantisten vorzuͤglich bekannt waren. Es gab zwar auch zu gewissen Zeiten Inviolabi- listen, Desperatisten und andre Klicken mit selt- samen Namen, aber diese kamen vor jenen nicht recht auf, und unter andern nahm der Orden der Herren Desperatisten ein gar desperates Ende. Die Universitaͤt war immer aufmerksam auf die Ordens- verbindungen, und stellte mehrmals scharfe Unter- suchungen darwider an: aber ganz vertilgt wurden sie doch nie, bis es der Mehrheit der Studenten selbst einfiel, gegen die Orden zu agiren, und ih- nen ein derbes Bollwerk entgegen zu setzen. Dieses Contra gegen die Orden sollten die Kraͤnzchen wer- den, welche die verschiedenen Landsmannschaften unter sich errichteten, und den Orden opponirten. Das Ding hatte den besten Erfolg; die Orden wur- den gewisser Maaßen infamisirt, und gingen so nach und nach ein, wenigstens wurden sie unsicht- bar, wie die unsichtbare christliche Kirche, und niemand bekannte sich mehr zu diesen geheimen Ge- sellschaften. Die Kraͤnzchen existirten ganz oͤffentlich, und sogar ein Verfasser einer Poetischen Blumenlese de- dicirte einem Kraͤnzchen seine Sammlung: Wenn die Kraͤnzchen oͤffentlich am Neujahrsabend oder am Tag der sogenannten Prorektorwahl commersirten, so hatten sie die Ehre, von Professoren, ja sogar vom Prorektor selbst besucht zu werden. Diese Herren commersirten zwar nicht selbst mit, aber sie approbirten doch durch ihre Gegenwart das Kraͤnz- chen und den kraͤnzianischen Commers. Die Kraͤnzchen sind, wie ich an einem andern Orte In meiner Schrift uͤber den Amicisten-Orden. Halle bey Cra- mer 1799. hinlaͤnglich bewiesen habe, von den eigent- lichen Orden im Grunde wenig unterschieden; ihr Zweck ist wie der Zweck der Orden, ein Streben nach einer freylich nur eingebildeten Herrschaft auf der Akademie: da sie jedoch nicht so viele Alfanze- reyen und mysterioͤse Fratzen haben, als die Orden, so koͤnnen sie nicht so schaͤdlich werden, als diese, und kosten auch bey weitem nicht so viel Geld. Ich fuͤr meinen Theil bin vollkommen uͤberzeugt, daß junge Leute ohne alle Verbindung auf Universitaͤten weder existi- existiren koͤnnen, noch existiren sollen: so lange der- gleichen Verbindungen, Kraͤnzchen, Landsmann- schaften etc. nicht in renommistische Klicken ausar- ten, und so den Zweck der Universitaͤterey selbst hin- dern, soll und muß man sie toleriren, damit nicht Etwas schlimmeres entstehe, wenn man sie zer- stoͤrt. Aber von Seiten der Universitaͤt, oder vielmehr von Seiten des Curatoriums zu Berlin dachte man anders, und verbot die Kraͤnzchen bey schweren Strafen. Herr Prof. Meckel stellte waͤhrend sei- nes Prorektorats keine Inquisition gegen die Kraͤnz- chen an, aber Herr Jakob that dieses, und die Studenten glaubten, er allein sey die Ursache der ihnen so unangenehmen Untersuchung, und warfen einen Vaturianischen Haß auf ihn, der sich durch allerley ziemlich derbe Explosionen aͤußerte. Der Prorektor ließ sich nicht irre machen, und verordnete am schwarzen Bret, daß alle Senioren und andre bey den Kraͤnzchen Chargirten sich bin- nen acht Tagen angeben, die Gesetze der Verbin- dungen nebst den Degen und Rappieren extradiren, und ein Verzeichniß aller Verbuͤndeten stellen soll- ten: widrigenfalls wuͤrde man wider sie streng nach den Gesetzen verfahren: die Klicken und alle Theil- nehmer an denselben seyen hinlaͤnglich bekannt etc. Laukh. Leben 5ter Theil. U Dieß war ein Donnerschlag fuͤr die Herren Kraͤnzianer! Diese hatten sich nichts weniger als so Etwas vermuthet, und hatten daher sich gar nicht in Acht genommen, um ihre Verbindungen geheim zu halten, wie sie doch der Klugheit gemaͤß haͤtten thun muͤssen, da schon einige Jahre vorher das Halten der Kraͤnzchen untersagt worden war. Aber jeder Schuster und Schneider, jeder Kraͤnzianischer Kneipenhalter, jeder Stiefelwichser und jeder Pferdephilister wußte ganz genau, wer zu diesem oder zu jenem Kraͤnzchen gehoͤrte, und da konnten die Herren leicht vermuthen, daß der Prorektor mit ihren Verbindungen bekannt sey. Ausserdem sollen auch, wie man sich nicht ins Ohr, sondern ganz laut auf der Straße sagte, Angeber und Maͤhr- chenstraͤger aus der Zahl der Hallischen Studenten selbst herumschleichen, und das, was sie erfahren koͤnnen, wieder ausplaudern, und sogar bey den Vorgesezten angeben. Ich bin zwar vollkommen uͤberzeugt, daß Herr Jakob sich keines Angebers und keines geheimen Spions bedient habe, um die Heimlichkeiten der Studenten zu erfahren: denn dergleichen thut kein rechtlicher Mann, und dann war es ja auch gar nicht noͤthig, da er andre Mit- tel genug in Haͤnden hatte, die Kraͤnzchen und de- ren ganzes Zubehoͤr hinlaͤnglich zu entdecken. In- dessen glaubten dieses doch die Kraͤnzianer, und um so vielmehr mußten sie glauben, der Prorek- tor wisse um alles, was sie anging. Gleich nach dem obgedachten Anschlag versam- melten sich die Kraͤnzchen, und nach einigen De- batten wurde beschlossen, der Aufforderung nicht zu gehorchen, sondern das Aeusserste zu erwarten. Waͤren die Senioren Leute gewesen, welche noch lange auf der Universitaͤt haͤtten bleiben wollen, oder haͤtte die Pluralitaͤt der Gesellschaften aus Auslaͤndern bestanden, so waͤre es vielleicht dabey geblieben, aber so waren beynahe alle Landeskinder, und die Senioren waren naͤchstens im Begriff, die Akademie zu verlassen. Unter solchen Umstaͤnden wurde das Conclusum weislich abgeaͤndert, und Degen, Rappiere und Gesetze wurden ausgeliefert. Bis jezt war alles stille — wie mans ohnge- faͤhr von Universitaͤten sagen kann — hergegan- gen; aber nun entstand eine gewaltige Gaͤhrung auf der ganzen Akademie; die Studenten glaubten in ihren Rechten gekraͤnkt zu seyn, und dem Pro- rektor wurden manche Pereat 's geschrieen. Ich ging eines Abends hinter dem Rathhaus herunter, um mich auf den Universitaͤtskeller zu begeben. Von ferne hoͤrte ich pereat tief ! tief ! rufen, kuͤmmerte mich aber nicht um dieses Geschrey, und ging weiter. Einige Menschen, vielleicht Studen- ten, vielleicht auch keine Studenten, liefen neben U 2 mir vorbey; als ich aber gegen das Rathhaus kam, hielten mich einige Neppe an, welche, wie es scheint, den Perificanten nachgerennt waren. „Was wollt Ihr, fragte ich?“ und die Neppe, welche mich kennen mogten, sagten: „ach, Sie haben gewiß nicht pereat geschrieen!“ und ließen mich gehen. Nach und nach legte sich der Unwillen der Stu- denten, und es scheint auch, daß die Obrigkeit von der Strenge der Gesetze nachgelassen habe. So wurden z. B. die Commerse nicht nur in der Stadt, sondern auch auf den Doͤrfern, und namentlich zu Riedeburg unter strengen Strafen untersagt. Das war zwar schon oͤfter geschehen, aber dießmal wurde sogar an die Saͤchsischen Gerichte deßwegen requirirt. Nicht lange nachher, als dieser Befehl angeschlagen worden war, hielten mehrere Stu- denten in Riedeburg einen flotten Commers, und der Herr Richter — sahe zu, und gaudirte sich ob der Fidelitaͤt. Nach dieser Zeit sind oͤfters Commerse bey Herrn Zacharias Schmid in Riedeburg gehal- ten worden, aber alle ohne Ahndung. Mit den Staͤndchen oder Abendmusiken ging es eben so. Diese waren streng verboten, aber die Observanz hat sie wieder erlaubt gemacht: Oft- mals fiel mir bey dergleichen Vorfaͤllen die Stelle aus dem Horatius bey: Quid leges sine moribus Vanae prot i ciunt? Lieber gar keine Gesetze, als solche, welche man nicht streng halten machen kann, oder nicht mag. Il vaut mieux de ne faire point de loix, que d'en faire des impuissantes, sagt Montesquieu, und er hat Recht. Un magistrat, qui menace toujours, mais qui n'y donnes pas de poids, se fait mépriser, sagt der Verfasser des Buchs: sur les moeurs, Duclos. und er hat auch sehr Recht, wie die leidige Erfah- rung taͤglich beweiset. Eins hat indessen der Prorektor, Herr Jakob, recht gut gemacht, und jederman, selbst die Stu- denten, danken ihm dafuͤr. Er hat die haͤßlichen Hallischen Bordelle, oder die Hurenloͤcher zerstoͤrt, wo die jungen Leute in den Grund verderbt wur- den. Die schaͤndlichen Halter solcher infamen Wirth- schaften zogen die Herren an sich, indem sie ihre feile Waare stets ankuͤndigten, und aufs Beste her- ausstrichen. Sie standen sich auch recht gut da- bey, konnten jubeln nach Herzenslust, konnten alles mitmachen, und achteten kein Geld, da sie dergleichen sehr leicht verdienen konnten. Aber seit- dem die Wirthschaften aufgehoͤrt haben, geht es diesen Priestern und Priesterinnen der niedrigen Wollust gar klaͤglich. Freylich wird es nie an fei- len Menschern fehlen, aber es giebt doch keine oͤffentliche Tempel der Wollust mehr, und das ist schon sehr viel. Wenn Herr Prof. Jakob, oder das Curatorium zu Berlin auch den Schaden hindern koͤnnte, oder wollte — denn warum sollte es unmoͤglich seyn? — welchen die Komoͤdie zu Lauchstaͤdt jaͤhrlich fuͤr die Hallischen Studenten stiftet, so wuͤrde das dadurch erworbene Verdienst warlich sehr bedeutend seyn. Diese Komoͤdie verfuͤhrt die Studenten nicht nur zu sehr betraͤchtlichen Ausgaben, welche das Vermoͤ- gen der Meisten uͤbersteigen, sondern haͤlt sie der- gestalt vom Studieren ab, daß Viele den ganzen Sommer uͤber gar nichts lernen. Wenn ich einem Vater rathen sollte, dessen Sohn in Halle studiert, so wuͤrde ich ihn zu bewegen suchen, den jungen Herrn nur den Winter uͤber daselbst zu lassen, und den Sommer zu Hause zu behalten. Ich rede aus vieljaͤhriger Erfahrung. Es waͤre besser, man er- laubte, waͤhrend der sogenannten Lauchstaͤdter Zeit ein Schauspielhaus in Halle selbst: dieses wuͤrde unendlich weniger uͤble Folgen haben, als das Theater in dem kostbaren und doch uͤber allen Glau- ben elenden Lauchstaͤdt. Sonst wird die Lebensart unsrer Studierenden von Tag zu Tag artiger und gesitteter. Die alte, in das Wesen der Studenten selbst verwebte Re- nommisterey hat beynahe voͤllig aufgehoͤrt, und selten sieht man noch auffallende Kleiderfratzen, Stuͤrmer, Huͤte, wie man sie im Jahr 1672 in Spanien getragen hat. Uniformen, Canonenstiefel u. d. gl. Aber der Fleiß, welcher den Wissenschaften gebuͤhrt, scheint auch taͤglich abzunehmen, und die Herren Examinatoren tragen dazu das Ihrige maͤchtig bey. Menschen passiren durch juristische Examina — ich wills beweisen, wenn man mich auffordert — die auch die ersten Linien der Rechtswissenschaft nicht gelernt haben. Ich habe noch vor einigen Wochen ein Testimonium gesehen, worin bestaͤtiget wurde, daß Hr. — — das Civil- Criminal- Kirchen- und Staatsrecht, wie auch die Rechtsgeschichte fleis - sig gehoͤrt habe; aber ganz Possendorf und Lauch- staͤdt kann bezeugen, daß er in alle diese Collegia wenig kommen konnte, weil er nicht in loco war. Was ihn sein Examinator mag gefragt haben, weiß ich freylich nicht, aber das weiß ich wohl, daß er auf die Frage, wie culpa und dolus in criminalibus differirten, antwortete, dolus sey alsdann, wenn der Delinquent seine Sachen listig gespielt habe, culpa aber sey gewaltsames Verbrechen, z. B. Stras- senraub: bey jenem, dem dolus faͤnde Entschuldi- gung Statt, bey dieser aber nicht. Ist so Etwas nicht erbaulich? Doch wuͤrde ich sehr suͤndigen, wenn ich nicht oͤffentlich gestehen wollte, daß es uns an jungen Maͤnnern nicht fehlt, welche den Wissen- schaften Ehre machen, und dereinst die Zierde der- selben seyn werden. Zu bedauern ist es aber doch, daß die Theolo- gie in Halle, wo sonst ein Semmler lehrte, nun nach gerade zur Concordienformel zuruͤck krebsgaͤn- gert. Das alte Ding, System mit Unrecht ge- nannt, welches die Nicaͤnischen und Chalcedonensi- schen Fratzen, nebst den Fratzen des h. Augustinus, Anselmus und Luthers Privatmeynungen und an- dre unverdaute Saͤtze aufstellt, wird unsern Stu- dierenden zur Schande des neunzehnten Jahrhun- derts noch immer vorgeleyert, und die jungen Maͤn- ner, welche in ihren Schuljahren gescheidere Sa- chen gehoͤrt haben, moͤgen kratzen, scharren und laͤrmen, wie sie wollen, der Herr Professor hoͤrt doch nicht auf, ihnen die Erbsuͤnde vorzudemon- striren, und die Zahl der Engel und der Teufel vorzurechnen. O quantum est in rebus inane! Zwey Zwey und dreyßigstes Kapitel. Meine jetzige Lage . D ie taugt nun freylich nicht viel: quaͤlende Sor- gen druͤcken mich zu Boden, und Aussichten zur Verbesserung meines Zustandes zeigen sich auch nicht. Ich habe bey jedem Project, das ich mach- te, immer gefehlt, und eben daher bin ich es muͤ- de, neue Projekte zur Besserung meines Zustandes zu machen, und lasse es gehen, wie es geht. Nichts ruͤhrt mich mehr, und wenn ich auf Etwas hoffte, und es mir dann, wie fast immer, fehl schlaͤgt, so kann ich recht herzlich druͤber lachen. Auf Freundschaften habe ich sonst viel gehalten: aber die Erfahrung hat mich gelehrt, daß Freund- schaften gerade nicht mehr und nicht weniger sind, als hoͤfliche Gesellschaften, z. B. in einem Gar- ten, Kneipe u. s. w. die man vergißt, sobald man heraus ist, und sie folglich nicht mehr noͤthig hat. Man thut Unrecht, wenn man mehr von Freun- den fordert, als sie nach der Natur der Freund- schaft leisten koͤnnen. Mutua utilitas ist das Fun- Laukh. Leben 5ter Theil. X dament solcher Verbindungen, hoͤrt das mutuum auf, gute Nacht Jungfer Freundschaft! Daher sind alle Theorien und Moralien, welche Cicero und Carraccioli, und alle zwischen jenem gros- sen und diesem kleinen Buͤchermacher stehende Schriftsteller bloß Hirngespinnste, denen die Er- fahrung widerspricht. Eben indem ich dieß schrei- be, laͤßt mir ein Freund, den ich aufforderte mir beyzustehen, freundschaftlichst sagen, er sey mir nichts schuldig ; ich moͤge ihm nicht mehr kommen . Er hat Recht! und ich waͤre ein Narre, wenn ich mich uͤber erkaltete Freundschaft beschwe- ren, oder gar aͤrgern wollte. Ob ich aber gleich keine Aussichten habe, und ein Feind aller Projecten bin, so habe ich doch noch nicht allen Muth verlohren, und vielleicht zeigt mir das Schicksal noch einen ungesuchten Weg, worauf es sich besser gehen laͤßt, als auf dem ge- genwaͤrtigen. Dieser Band meiner Lebensgeschichte ist aber grade nicht so beschaffen, daß ich hoffen koͤnnte, meine Lage dadurch besser zu machen, er kann mir unmoͤglich einen Goͤnner bringen, aber manche Feinde muß er mir machen. Aber mei- ne Theorie uͤber Feindschaft ist der uͤber Freund- schaft vollkommen gleich: ich achte weder eine noch die andre. Ich biete mich nie theurer aus, als ich werth bin, und habe die Kunst nicht studiert, folglich auch nicht gelernt, Aufsehen zu meinem Vortheil zu machen, daher bin ich auch immer zu- ruͤck geblieben, und komme wahrscheinlich erst daun in eine ruhige Lage, wenn man mich zu Grabe traͤgt. Ueber das fehlgeschlagene Gluͤck, welches ich mit meinem Hannchen zu genießen hoffte, troͤstet mich meine leidige Erfahrung. Ich sehe naͤmlich, daß tausend Ehen, wo nicht ungluͤcklicher, doch auch um kein Haar besser sind als die meinige. Wer hieß mich auch heyrathen? Ein Mensch, der nicht jaͤhrlich auf einige hundert Thaler gewiße Rech- nung machen kann, muß, wenn er klug ist, an kein Weib denken. Doch es ist einmal geschehen, und il faut faire bonne mine à mauvais jeu: ich werde die Launen meiner Frau tragen, poltern mitunter und doch am Ende gedultig thun, wenn sie auch bis in Ewigkeit fortfahren sollte, bey allem meinem Bitten und Schelten, den Kammerfensterladen zu- zumachen, und das Mittagsessen erst um ein Uhr auf den Tisch zu bringen. Gut ist uͤbrigens, daß mein Hannchen kein Buch schreiben kann: denn sonst schriebe sie vielleicht auch ihre Lebensgeschich- te, und da wuͤrde ich vielleicht noch schlimmer weg- kommen, als in der Literaturzeitung und in der deutschen Bibliothek. Meinen Fritzemann Acke habe ich beschloßen, auf eine ganz eigne Art zu erziehen. Latein und Franzoͤsisch, die Erdbeschreibung und die Geschichte, in soferne diese verdient, gelernt zu werden, werde ich ihn selbst lehren, auch die Rechenkunst und die Geometrie. Kann ichs bewerkstelligen, so soll er die Chirurgie lernen; denn diese Wissenschaft ist unter allen Wissenschaften wohl die, welche den meisten Nutzen leistet, und ich moͤgte nicht gerne, daß mein Fritzemann ein unnuͤtzer Kerl in der Welt wuͤrde. Geht es aber nicht mit der Chirurgie, welche ich sehr wohl von der Bartkratzerey zu unterscheiden weiß, so schicke ich ihn, wenn er die Staͤrke dazu hat, zu einem Canoniercorps. Den Katechis- mus soll er nicht lernen, und ich hoffe ihm durch meinen Vortrag der Geschichte so einen Eckel ge- gen die Pfafferey beyzubringen, daß er weder die Salbadereyen der Pfaffen anhoͤren, noch ihnen Beichtgeld geben soll. Die Polizey fordert zwar — mirabile dictu — daß jedes Kind entweder ge- tauft oder beschnitten sey, ausgenommen die Kinder der Anabaptisten, welche ein privilegium speciale haben, aber bisher kenne ich noch kein Preußisches Polizeygesetz, welches befiehlt, daß alle getaufte Kinder den Katechismus lernen und confirmirt wer- den muͤßen. Der Junge hat zwar schon so vom Zuhoͤren das Lied: „eine feste Burg ist unser Gott“ gelernt, hat aber so wenig Begriffe von dem In- halt desselben, daß er den darin genannten al - ten boͤsen Feind und seinen Schulmeister fuͤr ein Ding haͤlt. Kommt Zeit, kommt Rath. Ich fuͤr mein Theil lebe so ziemlich ruhig, und laße alle Steine liegen, die ich nicht wegschaffen kann. Mangel habe ich freylich an vielen Dingen, woran andre abundiren, aber das Nothwendige fehlt mir doch nur selten. Man sagt gewoͤhnlich, Credit sey so gut, als baar Geld; aber es ist doch auch zu etwas gut, wenig Credit zu haben: denn so kann man auch wenig Schulden machen, und dieß ist mein Fall. Mein Umgang sind meine Bekannten, worun- ter ich auch einige Freunde rechnen kann. Von leztern habe ich erst kuͤrzlich Herrn Dornensteeg oder Eichhorn verlohren, welcher ins Hannoͤverische verreiset ist, und wahrscheinlich nicht wieder kommt. Die oͤffentlichen Oerter besuche ich oft, aber nur ge- gen Abend, meistens aber nur solche Oerter, wo man bey einem Glas Breyhan einen unterhaltenden Discours fuͤhren kann. Meine Bekannten sehen mich immer gerne kommen. Meine Studien setze ich noch immer fort, und vorzuͤglich suche ich das Roͤmische und Deutsche ge- meine Recht zu erlernen, nicht als wollte ich einst großen nuͤtzlichen Gebrauch davon machen: denn wie schon gesagt ist, ich hasse alle Projecte fuͤr mich und meinen Zustand: sie haben bisher nichts ge- taugt, und werden in Zukunft eben so wenig tau- gen: also apage has nugas. Aber ich habe Gefal- len an der Rechtswissenschaft, und vielleicht kann sie mir noch nuͤtzen. Vor einigen Tagen erhielt ich einen Brief von meiner alten Mutter, welcher meine laͤngst pro- jectirte Reise nach dem Vaterlande nothwendig macht. Ich werde dieselbe noch dieses Jahr un- ternehmen, und da ich meine Tour etwas ausdeh- nen will, so werde ich Gelegenheit haben, man- ches zu sehen und zu hoͤren, welches eines oͤffent- lichen Rapports nicht unwuͤrdig seyn moͤgte. Kuͤnf- tige Ostermesse hoffe ich dem Publikum mit den Beobachtungen, welche ich auf dieser Reise machen werde, meine Aufwartung zu machen, und bis da- her wuͤnsche ich meinen lieben Lesern recht wohl zu leben. Ende des fuͤnften Theils. Vom Verfaßer dieses Buches ist noch er- schienen und in allen Buchhandlungen wie auch Leihbibliotheken zu haben. Laukhard, F. C. Anleitung zur Uebung in der fran- zoͤsischen Sprache, nach einem allgemeinen Um- fange alles Wissenswuͤrdigen bearbeitet, mit ei- nem Wortregister. gr. 8. 1797. 1 thl. — Begebenheiten, Erfahrungen und Bemerkungen waͤhrend des Feldzugs gegen Frankreich. I r Th. Nebst dem Bildnisse des Verfassers. 8. 2te Auf- lage. 1801. 1 thl. 12 gr. 2ten Theils 1ste Ab- theilung 1 thl. 12 gr. 2ten Theils 2te Abthei- lung 1 thl. 8 gr. 4 thl 8 gr. — Anekdotenbuch, oder Sammlung interessanter Begebenheiten aus der wirkl. Welt. I r Thl. 8. 1802. 1 thl. — Leben und Thaten des Rheingrafen Carl Ma- gnus, den Joseph der Zweyte auf zehn Jahre ins Gefaͤngniß nach Koͤnigstein schickte, um da die Rechte der Unterthanen und anderer Menschen respectiren zu lernen. Eine Warnung fuͤr alle winzige Despoten, Leichtglaͤubige und Geschaͤfts- maͤnner. 8. 1798. 1 thl. 8 gr. — Annalen der Universitaͤt zu Schilda, oder Bocks- streiche und Harlekinaden der gelehrten Hand- werksinnungen in Deutschland. Zur Aufloͤsung der Frage: Woher das viele Elend durch so man- che Herren Theologen, Aerzte, Juristen, Kame- ralisten und Minister? 3 Thle. 8. 1798-1799 3 thl. 4 gr. — Erzaͤhlungen und Novellen. 1s u. 2s Baͤnd- chen. 8. 1800. 2 thl. 12 gr. — Marki von Gebrian, oder Raͤnke und Schwaͤnke eines Franzoͤsischen Emigranten. 2 Theile. 8. 1800. 2 thl. — Franz Wolfstein, oder Begebenheiten eines dummen Teufels. 2 Bde. 8. 1799. 3 thl.