Rahel . Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde . — — still und bewegt. Hyperion . Dritter Theil . Berlin , 1834 . Bei Duncker und Humblot . Aus einem Tagebuch . Sonnabend, den 1. Januar 1820. Fr. von S —: gelebt, gelesen, geschliffen, klug, gehemmt, krank erfahren, und artig. Die Tochter: artig angelebt, be- redt. Mich dünkt aber, nicht aus ihrer Natur heraus gebil- det. Der Grund dieser Natur gefällt meiner nicht. Sie ist zu loben, und angenehm; und nicht affektirt, oder unnatürlich in ihrer Äußerung. Nur kommt es mir vor, ihre eigenste Natur ausgebildet, wär’s ein ganz anderes Mädchen: so sehen die Grundzüge ihres Gesichts aus, und ihre ganze Komplexion, die auch schon gelitten zu haben scheint. Nicht allein die größ- ten Glücksumstände gehören dazu, der Menschen eigenste An- lagen hervorzubilden, und in Harmonie zu bilden: sondern, den meisten Menschen werden ganz faktice angebildet, und sie haben nicht so kräftige Eigenschaften, auch nicht Einmal ein paar in Harmonie thätige, um der Erziehung der Eltern oder der Umstände zu widerstehen; sondern sie bleiben embryonisch monsterhaft mit den verkrüppelten, verwesten, sparsam gestreu- ten schwächlichen Naturanlagen verwickelt zum Stoffe der III. 1 traurigsten widrigsten Betrachtung in der Welt. Mir eine häufige Erscheinung, und höchst tragisch, vielfältig tragisch. Sonntag, den 2. Januar 1820. — Um 2 Uhr in die Kirche. Schleiermacher die magerste, nüchternste, gezwungenste Predigt: er selbst ergeben, sie auf Bibeltexte à la fortune du pot zu machen. Vorher Gesinge. Der Klingelbeutel. Hinter mir ein Mensch umgefallen. Ich erschrocken: krank davon den ganzen Tag. — Machiavelli’s florentinische Geschichten erquicken mich etwas, weil sie mich stärken: es sind lauter faits, wie er’s erzählt. Das hab’ ich jetzt nöthig. — Viele beurtheilen die G., die gar nicht fähig sind, zu wissen, daß es Personen giebt mit Gedanken wie sie, und im Zusammenhang mit ihren Gedanken wie sie. Sie sind stolz, daß sie nie närrisch sind. Das glaub’ ich wohl! dazu gehören auch Mittel. — Montag, den 3. Januar 1820. Zu Hause bis Abends halb 9. Dann zu M. Dort Lud- wig Liman, und Andre. Das Gespräch über Thierseelen. Ohme sich sehr übernommen: in der Verwechslung unserer ethischen, und aller übrigen Anlagen. Weil ihm noch nie eingefallen, daß diese, wenn auch mit dem höchsten Bezug ausgestattete Fakultät doch kein Zweck an sich ist, nur eine Beziehung darstellt, und wie alle andere Stufen eine Anstalt bezeichnet; einfach scheint, und komplizirt ist, wie alle unsere Fähigkeiten; die insgesammt wieder nur zu einer werden können, und wie ich glaube, werden werden . Es ist sonder- bar, daß die Menschen beinah alle so stolz auf das bischen moralisches Urtheil sind, welches ein Urtheil wie ein anderes ist; und nur reichere Beziehungen trifft, andere Verhältnisse: warum fällt es so Wenigen ein, daß wir durch einen einzigen Ruck, in noch viel reichere Beziehungen gesetzt werden können: und daß diese, in welchen wir uns überhaupt befinden, so gut zu unserer Organisation gehören, als unser Körper. Der große Stolz läßt es gar bei Vielen nicht zu, zu denken und sich zu besinnen. Ich nenne unser tiefstes Gewissen doch nur ein Ur- theil. Es ist die Beurtheilung unseres eigentlichsten Willens. Denken ist so Vielen unangenehm wegen der Resultate; sie haben sie in der größten Bequemlichkeit zu beliebigem Ge- brauche schon in Vorrath. Es ist gerad, als wäre der Denk- stoff der ungeheuerste Marmorfels, der unsere Welt begränzte; so ein wenig kriecht ein jeder daran umher; und viele von den guten Arbeitern bekommen ganze Stücke ab; doch diese Stücke lassen sie unverarbeitet gelten, als brauchten sie nicht aufgelöst zu werden; das sind die rohen Axiome, die ange- nommen werden; davon läßt sich dann machen was man will. Die ganze Materie soll aber weg; sonst geht solcher Stein durch die Kräfte seiner eigenen Natur doch wieder zum großen Fels, als Weltgränze, zurück. Der Geist muß fleißig sein; und die Rechenschaft ehrlich. Es will keiner mit Re- sultaten zufrieden sein, die der Menschen Fähigkeiten konzentri- ren; und sie glauben sie dann kleiner, weil sie sich beinah vereinfachen; und uns zur einzig wahrhaften Demuth brin- gen: uns zum Warten zwingen; und wicklich zu der Voraus- setzung eines andern höheren Geistes, als der des Menschen; 1 * eines sich selbst und alles verstehenden. Die Religionen, die sie sich erfunden haben, schmeicheln den Menschen: daher lieben sie sie. Wir sind noch in dem Paradiese, wo man auf Erkenntniß, durch Denken Verzicht thun muß. Aber sie drücken noch gern Schlängelchen an die Brust! selbstfabrizirte. Wie es mit dem Menschen ist : soll eine höhere Lehre ihm unwidersprechlich darthun; nicht ihm mit einer allegorischen Fabel schmeichlen . Dann den Abend in dem größten Schnee zu Hause; mir verging dreimal die Luft gänzlich, ich glaubte zu sterben, und rang wie im Wasser. Varnh. glaubte, es sei der Wind, und hielt mir immer den Mantel vor: da wär’ ich fast gestorben. Meine Gesundheit ist sehr erschüttert. Keiner sieht’s, und will’s glauben. Ich war den andern Tag zittrig und krank davon. — Dienstag, den 4. Januar 1820. Aßen Dr. Erhard und Koreff hier; blieben bis gegen 7. K. erzählte sehr viel Interessantes: vom Staatskanzler, von Bonn, von vielem. Den Vormittag war ich bei Frau von Humboldt, die ich in mehreren Wochen nicht gesehen hatte. Dort traf ich Sch. und Koreff. Und merkte gar nicht, weil ich es nicht ahndete, daß Sch. böse auf K. ist. Sch. hat lau- ter vorgefaßte Meinungen bei all dem Scharfsinn, den er in sich ansprechen kann. Er hat sich in Wirkungen, die er in Kotterien haben kann, verliebt; und ist von sich selbst abge- kommen. So fand ich auch daß er gegen Frau von H. wohl aufmerksam unzerstreut eine Art von Kour machte; welches Betragen ich nicht so nennen würde, wenn er es sonst nicht versäumte. Alles dies bildet keinen stillen ehrwürdigen Karak- ter, ist kein ehrwürdiges Betragen. Wenn es mir nur so scheint, so soll es mir lieb sein: weil ich ihn innerlich liebe: aber ich glaube, die Andern irren sich über ihn. Frau von H. lieb’ ich, wenn ich sie sehe. Sie ist, wie sie aussieht: und mir ist unverständlich, was mich an ihr verdrießt. Ich blieb allein mit ihr, und diese Zeit war angenehm. Ich beneide fast allen Menschen, auch ganz untergeordneten sonst, ihr haltungsvol- les, leidenschaftloses Betragen. Fr. von H. besitzt das vorzüg- lich. Es kleidet so gut! Ich komme darin immer mehr aus dem Gleichgewicht, wenn ich auch noch so ruhig werde; und mißfalle mir äußerst; obgleich ich genau weiß, woher es kommt. Ich bemühe mich die Wege zu zeigen, wie ich zu meinen Re- sultaten gekommen bin: und darauf hört man noch weniger, als auf diese, oder Behauptungen. In einer bessern Lage, mit einer bessern oder härtern Persönlichkeit fällt einem das nicht ein. So hat es viele Gründe, die ich kenne. Vielleicht werde ich Einmal plötzlich über diese abscheuliche Art zu sein Herr. Den Abend las ich in Mad. Necker-Saussure. Wir blieben zu Hause. — Sonnabend, den 8. Januar 1820. — Ich affektire nichts . Verberge mein Bestes; und meine Krankheit. Dore sieht es nur; unsichtbare Geister; Gott, mein ewiger Zeuge. Kolossal zwinge ich mich, und kann ich mich zwingen. Das Körperchen aber geht doch nun in sein Älterchen dahin, und immer dahin. Ich ließe es ge- hen, wenn es nicht schmerzte; und schweige, wenn’s nur mög- lich ist. Bin leicht vergnügt, und sehr ruhig; aber — laßt mich nur ruhig , oder gebt mir Arbeit: natürliche. Nur keine Verlegenheit! Entbehrung gerne! — Als V. wiederkam, war er mild und freundlich: ich gleich glücklich. Nettchen war da, wir sprachen, tranken Thee, und er las uns einiges aus Ma- dame d’Orleans. Eine brave Frau: deutsch, vorj etzig- alt - deutsch, tüchtig, derb. Aber bei ihr und ihren Erzählungen wurde mir klarer, und ich sagte es auch V., wie Ein Mensch in einer Zeit nichts ist: wie er gleich einzelnen Tropfen oder Wellen bei einem Sturme sich verhält: keine einzelne macht den Aufruhr, nur alle machen den Zustand, der ein Gränzzu- stand, eine Bedingung anderer Zustände ist. Madame d’Or- leans war sittlich, was sollte sie aber allein gegen den Strom von Unsittlichkeit machen? weggehen? dann lebt sie nicht, dann wartet sie auf Abholen, den Tod, — wie Mad. Guion. Gegen den Strom? der bringt sie unter. Sie war mitbefleckt, indem sie’s duldete, und trug zu dem Unwesen bei, indem sie in diesem Elemente lebte und handeln mußte. Nichts ist zu retten, als das Urtheil und die Intention: nämlich, durch Selbstthätigkeit allein, rein zu erhalten. — Als Nettchen weg war, fielen wir uns zärtlich in die Arme: mit Blicken, worin jeder sah, das innerste Verhältniß ist unberührbar, bleibt wahr, weil es wahr ist. V. sagte: „Wenn du dich mit mir brouil- lirst, fehlt mir der Boden, worauf ich lebe!“ Wie ist es denn möglich, den für unvernünftig zu halten, und daran zu rüt- teln! Ich war aber ganz glücklich und ruhig. Nur keine Verlegenheit. Sonst, wie Gott will! In der kann man nicht bleiben, das weiß Gott: er kennt ja unser Wesen . Mad. Saussure beschreibt die Frau von Sta ë l in ihrem Umgang so, daß ich große Ähnlichkeit zwischen ihr und mir finde: ganze Äußerungen, Wort vor Wort. Sie war gutmüthig, und haßte Affektation, oder vielmehr die ennuyirte sie zu Tod, und En- nui war ihr Ärgstes: dies ist auch mein Ärgstes, sonst verge- ben wir viel. Die armen Menschen, sag’ ich immer — pau- vre nature humaine, sagt sie. Aber wir sind sehr verschieden; sie hat daher Talent, und ich nicht: aber wenn ich auch Bü- cher machte, so schrieb’ ich nicht. Ich sah aber gleich Anno 1804, daß sie eine gutmüthige natürliche Frau war: und sagte es auch. Sie vergriff sich sonst in Schätzung der sentiments; und das sah aus wie Affektation in ihren Büchern; so et- was that ich auch in der frühsten Jugend nicht. — Sonntag, den 9. Januar 1820. Wie irrt sich Frau von Sta ë l über sich selbst, in ihren Briefen über Rousseau! Welche Anstrengung von verkehrter Vertheidigung, gegen ganz unwesentliche Angriffe einer ganz verirrten Ansicht, der Leidenschaft, der Pflicht, der Moral, des ganzen Lebens! Nicht ihre Ansicht, sondern der Abweg, die Lügenpfade der ganzen Franzosenwelt, das heißt der ganzen neuern. Frau von Sta ë l liebt Rousseau’n, er ergreift sie, sagt ihr zu; aber sie fürchtet sich, ihre guten Freunde werden sie für unmoralisch halten, sie beschuldigen, dem Laster, der Leidenschaft das Wort zu reden. Sie hat weder Rousseau’s Aussprüche in seinen Schriften, und durch sein Werk die neue Heloise, eine durch Gründe vorbereitete Denkungsart erfassen können; noch war sie so ungründlich und fade, und viel zu vollherzig, als daß es ihr möglich war, seinen gemeinen Tad- lern und deren Ausstellungen beizupflichten. Frau von Sta ë l war von einer andern Art von Furien, als denen, die das Gewissen peitschen, verfolgt; aber diese garstigen Teufel waren eben so fleißig, als jene zu sein pflegen. Unaufhörlich verfolg- ten sie sie aus den Sälen und Gemächern von Paris; und diese Fratzen allein sind es, meines Bedünkens, die ihr ganzes Talent verwinzigt, getödtet und in Konvulsion gebracht haben. Weil nur die Summe, die unsere sittliche Ansicht von uns selbst und der Welt zusammenzieht, unsere Gaben zu Talent beleben kann. Wer nur für sittlich hält, was Andere loben, ist nicht mehr keusch; und ohne Unschuld, immer neu wieder- kehrende Unschuld, die im reinen Willen besteht, verwirrt sich jedes Talent, und gebärt Geschöpfe ohne Proportion in ihren Lebenselementen, d. h. der Tod, ein fremder Wille schleicht sich mit hinein. (Thut das die Natur, so schafft sie monstres, oder Krankheiten, die jeder erkennt, oder wenigstens Gelehrte. Bei Kunstwerken, Romanen, Gedichten, ist das schwerer zu belegen.) Das das unvermuthet Harte, widerspenstig Herbe, Fremde, aus der Bahn Gleitende in den Werken der Frau von Sta ë l, daher das ganz Inkohärente in ihren Kritiken und Behauptungen; das Abwechsten der wahrhaftigsten Ausbrüche von wirklichen Gedanken, und des ganz eitlen Nichtigen ne- benan. Sie horchte nicht auf sich selbst: und dies, weil sie nach jedem Einfall und Gedanken gleich hinhörte, wie ihn das geehrte, geistvolle Paris, ihr Publikum, ihre Welt, beurtheilen würde: oder vielmehr mißverstehen könnte. Es war nicht bloß Eitelkeit von ihr, und sie mochte nicht um jeden Preis gelobt sein: aber sie war zu empfindlich gegen Paris — dies hielt sie hoch! — sie mochte um keinen Preis getadelt sein. Ihre Moralität, ihre Religiosität, ihre Tugend, ja zuletzt gar, ihre amour d’une monarchie constitutionnelle, sollte in nichts dem Tadel ausgesetzt sein. Arme Philosophie! solche reicht nicht weit. Ich glaube doch, hätte sie sich mehr spekulative Kräfte gefühlt, sie wäre von solcher Nachgiebigkeit zurückgekommen. Wer Gründen widerspricht, muß es mit Gründen thun; und jeder, der denken kann, wird für seine Gedanken doch nicht ungedachte Aussprüche der Gesellschaft fürchten! Im Gegen- theil; diese ändert sich allmählig nach den Urtheilsaussprüchen, welche die zuletzt ausgesprochenen Gründe für sich hatten, und daher siegten. Fast radotirt Frau von Sta ë l über Rousseau und man wundert sich dieses Herumfahrens, der Aussprüche, Behauptungen, und was sie als fest annimmt, nicht sowohl: als daß da drunter mit von dem Besten zum Vorschein kommt, und sie öfters auf den reinen Grund untertaucht. Dies allein machte mich so aufmerksam, so bös, und so gut auf sie. So beurtheilt sie Rousseau’s discours sur l’inégalité des conditions, sur les dangers des spectacles, und andre Schriften solcher Art, immer nur aus dem Standpunkt, was man darüber sa- gen wird, nie was man mit Gründen dagegen sagen könnte; kann also Rousseau’n auf gar keinem reinen oder abstrakten Wege folgen. Sie quält ihren armen schönen Verstand: er muß ihr immer unwürdige Dienste leisten. Wie sie aber gar auf die neue Heloise kommt, plumpt sie sich beugend in alle alte dünkelhafte geheiligte Rohheiten. Ließe sie doch Rous- seau’n lieber klagen, als ihn so zu vertheidigen! — Ihr in allen ihren verwickelten Läufen zu folgen, ist mir zu schwer; wenn das Buch mir gehörte, schriebe ich alles am Rande. Sie bleibt immer in derselben Furcht für sich, und auch für Rous- seau, man möchte ihre Tugend, ihre Moral nicht für die äch- ten halten; fürchtet sich, der Leidenschaft das Wort zu reden — die sie auch in ihrem Buch sur les passions mit Sucht verwechselt. — Was ist Leidenschaft? Erstlich! Dann verläßt sie die Angst nicht, daß Weiber von schriftstellerischem Talent nicht könnten weiblich gefunden werden: oder ihre Werke doch nicht so hoch zu stellen seien, als die der Männer. Arme Furcht! ein Buch muß gut sein, und wenn es eine Maus ge- schrieben hat, und wird dadurch nicht besser, wenn sein Autor Engelsflügel an den Schultern trägt. So viel für’s Buch selbst! Ob eine Frau schreiben soll? ist eine andere Frage: und so possierlich als ernsthaft zu beantworten. Wenn sie Zeit hat; wenn sie Talent hat; wenn’s ihr Mann bef iehlt — wird’s ehliche Pflicht sogar, — wenn er’s leidet, gerne sicht; wenn es sie von Schlechterem abhält, wenn sie Gutes thut für den Sold, u. s. w. und sie muß es, wenn sie ein großer Autor ist. Wenn Fichte’s Werke Frau Fichte geschrieben hätte, wären sie schlechter? Oder ist es aus der Organisation bewie- sen, daß eine Frau nicht denken und ihre Gedanken nicht aus- drücken kann? Wäre dies, so blieb es doch noch Pflicht, oder erlaubt, den Versuch immer von neuem zu machen. In Rousseau’s Heloise wäre ganz etwas anderes zu be- urtheilen, als was Frau von Sta ë l anzugreifen scheint: aber das Werk in seiner Gesammtheit drückt diesen Tadel selbst aus, wenn auch durch kein Räsonnement; durch Juliens Unglück, das sie uns im Tod bestätigt. Und so soll jedes Gedicht, jeder Roman verfahren, keine einzelne Lehre der Tugend dramatisi- ren, keine Maxime der Klugheit; was gewöhnlich so begierig und selbstzufrieden aufgenommen wird. Mich dünkt ganz an- ders. Solche Werke sollen ein Stück Welt vortragen; was da mit vor kommt, wird schön sein: jedes Genie wird ein an- der Theil ausheben, und es nach seiner Gemüthslage darstellen und färben, wie jedes Tages Licht uns die alte Erde neu zeigt, ja jedes Tages Stunde. So sind auch die großen Werke der großen Meister; alles findet man darin, was man in der Welt zu finden vermag; alle großen Betrachtungen: aber ich glaube nicht, daß diese Meister ein Gedankengerüst beklei- det haben. — Mittwoch, den 19. Januar 1820. Den letzten Sonntag vor acht Tagen wurd’ ich krank; mußte Koreff holen lassen, und zu Bette bleiben; und leiden. So viel als wohl sonst litt ich nicht; aber das Übel war ganz mit allem Fieber nach dem Kopf getreten. — Koreff behan- delte mich sehr gut, und mit großer Liebe; doch fühl’ ich mich zerstörter als je noch, von solcher kleinen, oder vielmehr kur- zen Krankheit. Ärger beförderte sie, die große Kälte kam da- zu, und fand äußerst gestörte Nerven. — Vorgestern erfuhr ich Oppenheims Tod: der mich wegen seiner Familie sehr schmerzt und beschäftigt. Gestern wieder eine unangenehme Nachricht, eine abschlägige Antwort. Und dann — Goethen habe der Schlag getroffen. Darüber muß ich ganz schweigen. Es ist sonderbar, aber ich bin summarisch erniedrigt, beleidigt dadurch. — O! Gott. Wäre nicht in mir selbst so vieles her- untergelebt, ich überlebte es nicht. Wie das sonst war!??? — — — Ich las auch in den Tagen Florence Maccarthy von Lady Morgan. Reich an talentvollen Zügen, tüchtig in ge- meinen Karakteren, voller Verstand; eine große Kraft in dem Plane der Geschichte, eingegeben von der liebe- und ehrenvollsten Gesinnung, von der ehrwürdigsten Empörung, vom edelsten Fleiß; für Spannung und Interesse gesorgt; ein bleibendes Gemählde der Londner und aller großen Welt in unserm mo- dernen Sinn; (nach der Abtheilung der Länder auf der Erde, wovon jede Gegenwart am Ende abhängt,) — das Ganze aber mir nicht, wie sonst Lady Morgan’s Werke, genügend: die beiden edelsten Karaktere, der eine zu leidend von dem Augenblick an, wo wir seine Bekanntschaft machen, der andre gradzu zu thätig, zu liebhaberisch am Staunen und Wun- dern der Andern, und der Leser. Nur mit einem Karakter streift sie an das wahre Gehäge der Kunst: mit Oleary; da schafft reine Eingebung, oder, was ihr allein gehören könnte, ein Bild, ein Gebiet, welches in jedem Augenblick auch von der wirklichsten Begebenheit in Anspruch genommen werden könnte: und künstlerische Seelen müßten sich dann von dieser einen Kunstgegenstand vorführen lassen, den andere Seelen nur für noch einen von ihren Kammeraden, oder sonst Be- kannten hielten. Dieser Roman hatte einen zu großen Zweck, also war er eine Absicht; dies, Lady! ist seine ehrwürdige Recht- fertigung gegen die Anklage der höchsten Poesie. Ende Januars 1820. K é ratry, Deputirter von Finisterre, in der Sitzung vom 15. Januar 1820: — car il est rare que les mêmes illusious fassent deux fois le tour du globe. Erschöpfend; wortsparend. Äußerst glücklich! Eine Essenz vieler Gedanken. Februar 1820. — Nachher lobte er Undine, und mehrere kleine Gedichte von Fouqu é: ich den Schlangentödter, besonders das Vor- spiel. Es ist doch ganz unbegreiflich, daß grade Undine so viel Aufsehen gemacht hat, und nun wieder Mlle. de Scud é ry von Hoffmann so viel erregt. Beide Piecen tragen ihren Wurm von Haus aus in sich: ihren eigenen Tod. Der Plan ist den Autoren nicht klar geworden. Undine werde ich über- lesen: soviel weiß ich, daß ich, als ich’s las, drei verschiedene Pläne in dem Mährchen fand, die nicht in einander, sondern widersprechend auf einander wirken. Wie kann Liebe mit- sprechen, und eine Rolle spielen wollen, wenn erst von Seele die Rede ist; von diesem wichtigsten, furchtbaren, metaphysi- schen Stück, vor welchem Gedanken alle Liebe zertrümmert! Nach welchem Aufbau, Annahme oder Vorfinden sie erst mög- lich wird. Das ist wie Kinderzeugen, wenn der menschliche Körper noch in der chemischen Kammer der Natur producirt werden sollte. Das dritte Element dieses Mährchens habe ich vergessen: ich glaube, es war Vatersorge, oder Kindesliebe. Jedes von denen hätte allein Stoff zu einer berühmten Fiktion werden müssen; auch vergriff sich Fouqu é nur. — Hoffmanns Scud é ry ist nun gar der Gerichtsstube — um das Edlere vom Gericht zu nennen — nahe geblieben, und „soviel Worte, so- viel Lügen!“ Da blühen die Unwahrscheinlichkeiten und Wi- dersprüche nur so, auf einem eignen Felde, das wenigstens voller Diktion stehen sollte: die man aber ganz vermißt. Ludwigs XIV. Zeit ist ganz willkürlich gewählt, da nichts als zwei Namen, die der Damen Maintenon und Scud é ry, beibehalten sind; und die einiger Straßen. Die Leute spre- chen bei St. Denys, und nicht bei dem König der Schicklich- keit, dessen Gesetze darüber noch gelten. Seine Polizei ist, in den wichtigsten Fällen von Raub und Mord, wovon der erste sogar Henriette von England betrifft, die schlechteste von der Welt. Sie findet, trotz persönlichem Schreck, und Keu- chen bei der Untersuchung des Hauses und der Nachbarmauer des Goldschmidts, nichts; abgleich uns Hoffmann nachher sehr Handgreifliches finden läßt. Mlle. Scud é ry behält geduldig den reichsten Schmuck Frankreichs von einem toll sich gebär- denden Goldschmidt: und dies, im Zimmer der Mad. Main- tenon vorgegangen, bleibt auch in Paris ohne alle Nachrede und Folgen, bei den größten Nachspürungen über Gift und Mord, und bei einem eigenen Tribunal zur Untersuchung die- ser Gräuel. Der Pflegesohn der Mlle. meldet sich nie bei ihr, als wenn es Hoffmann nöthig hat! — Bei Ludwig XIV. geht man nur so in sein Konseil, wie an die Theaterkasse. Der gepanzerte Offizier spielt sein Stückchen allein; und mel- det nur seinen gewonnenen Krieg der Dame , wenn es Zeit ist: keiner Polizei, keiner chambre ardente. Der Goldschmidt ist der größte Künstler , weil er ein Juwelenfresser schon im Mutterleib werden mußte. Wie hideux, krankhaft, unnütz, und ohne allen sittlichen Grund und Kampf eigentlich! wie ein Wasserscheuer, dem man das Beißen verzeihen muß. Wie die Mutter zu der fausse couche gekommen, ist wieder ein anderes Plaisir. Tel est le bon plaisir — von Hoffmann. Und vive l’auteur! schreit das deutsche Publikum. Nicht zum Verstehen. — Sonnabend, den 19. Februar 1820. Schneeliches Thauwetter. Vormittag. Anstatt des Tagebuchs stehe lieber Folgendes hier: nur dies noch! Vorgestern hatte ich einen Thee: der alle meine Gedanken über Gesellschaften, und Ausgaben und Einrichtun- gen, und übelgebaute Häuser, Lügen, Langeweile ꝛc. wieder an- regte, und sie mir immer ausführlicher macht. Gestern wieder mit Körte’s bei Stägemann. Auch sah ich Alceste; auch nur stär- kere Bestätigung alles Alten über unser Berliner Theater. Schlechte Plätze. Kreischendes Orchester. Fürchterliche Tanz- kunst, wo die Tänze nicht einmal zu der Musik gehen wol- len; ohne Sinn, ohne Verstand, ohne Grazie, mit Seiltänzer- Mühe, ohne sie wie diese Tänzer unschuldig uns anzurechnen. Sänger vom Berliner Publikum gebildet. Das Publikum sich eine Art Beifall für Gluck auswendig gelernt, welchen zu wie- derholen es keineswegs unterläßt, aber doch endlich nur sehr lässig bezeigen kann: auch die Einzelnen in den Logen, Einer gegen den Andern. Stümer sehr gut gespielt; wird sich aber die Brust angreifen. Weber läßt die Blasinstrumente mit den Sängern in die Wette forciren. Töne in Fresko darzu- stellen, muß man von den großen italiänischen Sängern ge- hört, und es bemerkt haben. Man kann den Ton weit aus- schicken, ohne zu schreien: wie die Farben klumpenweise für die Ferne auftragen. Wenn Gluck nur Einmal solche Oper aufführen könnte! schon in Paris, durch Tradition im Orche- ster, hört man wie es Gluck gemeint hat. Es ist noch viel zu sagen. Neulich sagte ich zu Koreff, alle Kunst müsse einer Nation natürlich sein: d. h. in den untern Volksklassen ent- stehen: sonst vagirt sie, hat keinen Boden, wird Krittelei, wenn sie vorher noch glücklich Nachahmung war. Erst gestern, als Goethische Lieder ohne Begleitung gesungen wurden, drang sich mir von neuem auf, daß es nur verbesserter Wachtstuben- und Handwerksburschen-Gesang im Wandern war. Hier ha- ben wir keinen andern Volksgesang. Nun giebt’s noch Sol- datenlieder aus dem Krieg. Alles andere Singen, auf den Theatern, ist bald italiänisch, bald halb dieser Gesang, halb jener bezeichnete, auf Gluck, Mozart u. s. w. angewandt: und meistens schon damit angefangen, die Singorgane ganz miß- zuverstehen. Dabei ein unendlicher Dünkel; auf dünkel- haften sogenannten Patriotismus gepflanzt. Man findet hier mehr schöne Stimmen, als man nur irgend vermuthen sollte; aber gleich werden sie verdorben: in die Kehle hineingezwun- gen, die Brusttöne bis zur Vernichtung forcirt, gequetscht, gekälbert. Leidenschaft besteht nur in Forte und Piano; Piano, in Dehnen, etc etera! — Freitag, den 26. Februar 1820. War ich unpaß zu Hause; erst im Frühabend von G. gestört; dann kam Franz Ml.: und war so stumm, so uner- reg- regsam, daß ich hinaus ging und weinte, und außer mir war. Ich mußte ihn annehmen: er ging nicht; und als ich V. hatte rufen lassen, waren solche abgedroschene Gespräche, die mich krank, und Alleinseins oder Erfrischung benöthigt dem Wahn- sinn nahe brachten. Erst schwieg ich; dann ging ich hinaus, da hört’ ich sie doch: dann kam ich wieder hinein; wieder hinaus: da weinte ich. Dann, als er gar nicht ging, sprach ich gewaltthätig und brachte zum Theil meine augenblickliche Lage als Klage im Allgemeinen vor. Marter. Schrecklichster Abend. Ich litt unendlich . — Nun etwas ganz anders! Ein in unserm ganzen Dasein gegründeter Mangel, und also sich immer wiederholendes Grundunglück, besteht darin, daß wir nur gleichsam die einzelnen Gaben des Zustandes der Unschuld zu genießen bekommen, den Zustand selbst aber und das köstliche Glück, welches in Reinheit, in Ungestörtheit, be- steht, nicht eher zu fassen vermögen, als bis wir in diesem Zustande nicht mehr sind, und er nur noch für unsere Betrach- tung, aber nicht für unser Wirken vorhanden ist. Daher auch unser Geist immer unschuldig bleibt; da wir aber hier nicht nur als Betrachtung existiren, und jeden Tag auf’s neue von allen Lebenselementen berührt und ergriffen werden, und sie wieder behandlen müssen, so erneuert sich das Unbehagen, und die Sehnsucht nach einem angemessenen, reinen Zustand für unsere Seele, auch unaufhörlich wieder. Für dieses eigentlich unerträgliche Verhältniß ist mir ein Trost eingefallen; nämlich ein Mittel, den Zustand der Unschuld wirklich mit Bewußt- sein zu genießen. Mir ist es ausgemacht, daß, wenn wir III. 2 nicht vergehen, und nach unserm Tode noch uns persönlich fühlen, so werden wir verhältnißmäßig doch wieder in einem großen Mangel sein, und wenn auch geistreicher und im gan- zen Dasein beziehungsreicher, so werden wir Größeres im gu- ten und schlimmen Sinne für uns erfahren; dieses unvermeid- lich Schlimme noch gar nicht zu wissen, ist ein Stand der Unschuld: sich mit dieser Unwissenheit begnügen, sich ihrer freuen, heißt diese Unschuld mit Bewußtsein genießen. Diesen Genuß verschafft die Thätigkeit des innren reinen Geistes. Sollte unser Zustand nach dem Tode bloß schlimmer sein, als hier, so gilt dieselbe Betrachtung. — Dies als einen guten Fund zum Trost, theilte ich vor ein paar Wochen der Frau von B. mit: sie verstand es total nicht: und ich stand als neues Thor verlegen gegen ihr über; sie stellte auch keine weitere Frage an, um sich den Gedanken erklären zu lassen. Ihr tiefer Irrthum bestand darin: daß sie den künftigen Zustand, von welchem die Rede hier ist, nicht als etwas nothwendig zu Erfolgendes anzusehen ver- mochte, und der Voraussetzung eines solchen nicht einmal zu folgen vermochte, sondern sich ihn nur wie jedes andere Un- glück, welches kommen, aber auch wegbleiben kann, zu denken vermochte. Gräfin Walsh, der ich dasselbe in Baden sagte, faßte es gleich, und lachte ganz erhellt wie in neue Ge- gend hinein: und die W. ist fromm katholisch. Die B. ver- steht sehr wenig. Gar keinen generellen Gedanken; oder seine Anwendung. Ich habe ihr noch mehr über dergleichen vorge- tragen, über Ehen, Völkervorurtheile ganzer Jahrhunderte, sie weiß nichts. Sie kann keinen Irrthum über die Dinge von der stillen Natur der Dinge unterscheiden; der sittliche Antrieb fehlt ihr: sie kommt gleich auf Approbation, oder Abstimmung der Menschen: und das Scheidende in ihrem Geist ist auch nicht scharf. Mittwoch, den 17. Mai 1820. Natürliche Kinder werden die genannt, welche keine Staatskinder sind; wie Naturrecht, und Staatsrecht. Kinder sollten nur Mütter haben; und deren Namen haben; und die Mutter das Vermögen und die Macht der Familien: so be- stellt es die Natur; man muß diese nur sittlicher machen; ihr zuwider zu handeln gelingt bis zur Lösung der Aufgabe doch nie; fürchterlich ist die Natur darin, daß eine Frau gemiß- braucht werden kann, und wider Lust und Willen einen Men- schen erzeugen kann. Diese große Kränkung muß durch mensch- liche Anstalten und Einrichtungen wieder gut gemacht werden: und zeigt an, wie sehr das Kind der Frau gehört. Jesus hat nur eine Mutter. Allen Kindern sollte ein ideeller Vater kon- stituirt werden, und alle Mütter so unschuldig und in Ehren gehalten werden, wie Marie. — Oelsner, in Paris. Berlin, den 20. Mai 1820. — Von hier aus sehe ich die Welt. Der Ort in seinem geistigen und andern Zustande bedingt mir die Welt. Also bin ich ganz eitel, sie doch so anzusehn, wie Sie: es läßt sich meines 2 * Bedänkens nichts mehr über sie sagen, als was Sie schon im Herbste schrieben: „Beide Parthien — aus zweien besteht sie einmal — sagen nicht, was sie eigentlich wollen.“ Sie nann- ten auch dabei, was sie wollen; ich setze hinzu: und sie be- trügen sich nicht mehr einer den andern: und diesen Punkt Zeit halte ich für eine Reife, die uns jeden Augenblick eine unbekannte Frucht aus der Schalendecke kann hervorbrechen lassen, welche die eine Hälfte der Leute als süß, die andere wird als bitter verzehren müssen. Es muß eine neue Erfin- dung gemacht werden! Die alten sind verbraucht. Priester, Regierungen, waren sonst ihrer Zeit vor; brachten Gesetze von Bergen, aus Wolken, von nicht bekannten Ländern; diese Gesetze sind durchdemonstrirt; jeder Miethwohner des Erden- rundes weiß ihren Grund, oder wenigstens, er ist ihm zu Ohren gekommen: nun will keiner sie mehr als einseitiges Gebot halten, sondern sie machen helfen: und eine gesetzliche Weise in diesen Zustand zu bringen, wird allein noch gar nicht helfen. — Es ist noch Phantasie im Menschen übrig für idealische Zustände, und die will Stoff, Nahrung. Alle gemeinscheinende Ansprüche gründen sich darauf; weil sie auch von denen, die sie machen, nicht verstanden werden; und diese sich in Mittel und Stoff vergreifen. Darum denk’ ich mir einen Gesetzgeber, einen Regenten jetzt als einen solchen, der eine hohe, allgemeingültige Ansicht des Lebens zu erfinden wüßte. Etwa ein neues religiöses Element, welches die Sitt- lichkeit schärfer zu verstehen gäbe, allen gebotenen Handlungen eine andere Richtung, einen neuen Ehrgeiz. — Aber aller Menschen Geist, der Zufall, die Zeit, Gott wird so etwas schicken, das bin ich gewiß. Alles andere — wird schon etwas clabaudage; und ging sie nicht an Leib und Leben, so beküm- merte man sich nicht mehr drum, und sie ennuyirte weniger. Eines wundert mich aber immer ganz von neuem: wieso grade die faiseurs in der Welt, das Ganze so wenig aus dem Ganzen ansehen. Bringt das die Verlegenheit des Handelns mit sich? — Von mir weiß ich Ihnen nichts zu sagen. — Berlin ken- nen Sie: es steht nicht still: es läuft aber immer in derselben Richtung. — An Frau von R., in Rom. Berlin, den 9. Juni 1820. Wo ich seit dem 11. Oktober bin, und warte . Tausend Grüße! Unzählige bringt Ihnen, verehrte, liebe , theure Freundin, dieser Brief!! Möge er Ihnen all die Sehn- sucht nach Ihrem Umgang, nach dem stillen, sichern, muntern Zusammensein mit Ihnen , ausdrücken können; dem einzigen, welches man ertragen kann, das einzige, welches man sich wünschen muß. Wo Geist, Güte, Witz, Nachsicht, gute Laune, Wahrhaftigkeit und prahllose Treue regieren, und beleben. Das fand ich in Ihrer Familie: niemand kann dies leiden- schaftlicher im Herzen tragen; niemand stäter , herber vermis- sen, als ich. Das muß ich Ihnen sagen : wie ein Liebender nicht ruht, bis er seine süße Wunde vertraute. Bald nach dem harten Schlag, Ihrer Abreise, den 22. Juli erfuhr ich, daß auch ich nicht in Karlsruhe bleiben dürfte, Sie dort wie- der zu erwarten. Getroffen von diesem Gewitterschlag, fand sich der gräuliche Schmerz erst nach und nach, mit jedem Tage stärker, mit allem was er vermissen ließ, und von Thätigkeit forderte, die sich auf keine erwünschte Gegen- und Zustände bezog, herber und zerstörender ein. Ein liebes Leben hatte ich verloren; und konnte mir das alte hiesige nicht wieder aneig- nen, weil es nicht mehr da war, ich dem neuen fremd, das Klima, die Kälte widersprach mir, ich ward leidend. Weil ich doch nicht zu bleiben hatte, fand ich mich auch nicht heimisch: kurz, unbehaglich: voller regrets und souvenirs. So wollte ich durchaus nicht schreiben, bis ich etwas besseres zu melden hätte; wenigstens eine neue Bestimmung. Vergeblich: der Kongreß hielt alles in beschlußloser Ungewißheit, und noch heute — —, bloß damit ich auch mitten im Sommer noch nicht wissen soll wohin ! und ihn hier verprassen muß. Je- doch ist er schön hier bis jetzt. Unendlich viel Grün, und na- menlose Blumen in der Stadt: bis jetzt wegen passendem Re- gen kein Staub. Auch muß ich der Stadt im Winter ihre Gerechtigkeit widerfahren lassen: es ist gewiß die reichste, viel- fältigste und vielhaltigste deutsche Stadt, in Rücksicht des ge- selligen Umgangs. Mehr Frauen, die häuslich empfangen, findet man wohl außer in Paris nirgend; mehr Streben zum Wissen und Sein wohl auch schwerlich, trotz der allgemeinen Zerstörung, und neuen Aufbauung der Gesellschaft, die allent- halben zu verspüren, und auch hier nicht ohne Wirkung ist, Es war vieles hier sehr schön. Ich aber mit meinem Sinn auf’s Badener Land , auf Karlsruhe, auf meine Dortigen, und die ganze Lage und Umgegend gestellt! Und nur denn sproßt Glück in der Seele, wenn wir sie nicht umzustellen ge- nöthigt sind, und sie grade für die Witterung, die uns um- giebt, bestellt ist. Drum sagt auch Goethens Tasso so schön: „O! Witterung des Glücks, begünstige diese Pflanze!“ Den Trost hatte ich hier: und wahrlich es war ein heilendes, stär- kendes Bewußtsein, daß Sie sich insgesammt in Rom wohl fühlten, gut befanden: daß Ihnen, theure Frau von R., das Klima bekam, daß Sie die herrliche Wohnung, den Garten mit den Blumen hatten, zusammen sind!!! und Italien obenein, Rom, für die Ewigkeit — mit Bequemlichkeit in Ih- rer Seele aufnehmen können. Glück zu! Ist es möglich — welches ich immer glaube — daß wohlwollende Wünsche, tiefherzliches Gönnen, Glück noch mehr anfachen kann, so helfe ich Ihrem lodern! Jetzt, theure Freunde, sind die Tage, wo wir voriges Jahr anfingen im Schloßgarten zu hausen. Präch- tiges, theures, liebes Bild! In Italien freut es Sie noch! Mich beseligt es hier; und putzt mir die Mark auf! Wir se- hen uns wieder! — für mich ist das gewiß — wenn es der Tod erlaubt: denn, dem Leben fahr’ ich vor — wie Kutscher — zwanzig, vierzig Meilen, Sie zu besuchen! — Ich habe mir vom 20. dieses an mein Quartierchen in Baden-Baden gemiethet: und gedenke für meine Person hin zu reisen, und zu ruhen . Dann wird sich wohl ausweisen, ob ich meine Effekten in Karlsruhe verkaufen, oder sie in der Nähe wo hinschicken soll. Zu beiden Geschäften muß ich dort sein, weil ich alles dort zu Miethe stehen habe. Frau von Humboldt ist seit vierzehn Tagen in Dresden. Geht nach Tö- plitz und ihrem Gute Burgörner: die liebt Sie sehr, und von der hab’ ich meine Nachrichten von Ihnen: und durch die Hofräthin Herz, die immer Briefe von Frau von Schlegel hatte; welche meine R’s fand, wie ich es sagte; ihre Schutz- engel. Triumph! für mich. Meine Komplimente sind alle wahr . Das ist der Unters chied: Sie kennen mich: kann ich schmeichlen? Frau von Tr. sah ich auf einem Ball schöner, jünger, heiterer als je! und tanzend wie das kleinste Fräulein. Sie scheint beruhigt, gesund, und sehr vergnügt. Ich redete sie als eine Henrietten-Freundin an; und sprach ihr von Ih- nen, es war mir Bedürfniß; sie klagte sich in Hinsicht der Korrespondenz mit Ihnen, liebste, freundlichste, harmonischte Henriette! an. Sie schien im Ganzen zerstreut. Ein Ball ! thut dergleichen. Sie sprechen Alle wie die Professoren und die Lazzaroni italiänisch! Fräulein E. singt wie Caffarelli: Papa hat den ganzen Vatikan ausgelesen, durchsucht und auswendig gelernt; kurz, Italien ist Ihnen Allen nur wie gemaust; und doch ist alle Abend Deutschland bei Ihnen! ich sehe es . Auch stehen Nähzeuge, Körbchen, Stickzeuge und Zeichnungen in der Fräu- lein Zimmer, wie in Karlsruhe: Blumen, alles! Bei Herrn von R. sind Haufen von neuen und alten Büchern gethürmt, mit ganz dunklem Einband, und pergamentnem, und mit sol- chen italiänischen Karakteren gedruckt, daß sie kein andrer als er im Hause lesen kann; wenn sie sie auch angucken. Wenn es zu heiß ist zur Terrasse, hat er doch Abends eine Parthie, und giebt dem Abend auch seinen deutschen Kniff! Ach! ich möchte mir gerne alles denken. Wir kommen wieder in Einer Stadt zusammen. Ist es heftiger Wunsch? ist es Ahndung? Mir kommt es immer so vor. Herzlich umarme ich Sie sehr, verehrte, liebe Freundinnen! Sie, liebste Frau von R., Sie Fräulein Henriette und Fräulein Elise! Dem Herrn von R. meine treusten Grüße! Nie vergesse ich wie schön aus seinem lieben Herzen er bei der Kirche auf dem Markt von mir Ab- schied nahm! Mögen wir uns dort wieders ehn! Varnhagen empfiehlt sich Ihrer Gnade; legt sich den Damen zu Füßen, und ist mein Vertrauter und Zustimmer über R’s! Wünscht nie andre, nur solche Diplomaten zu finden: diese, diese , sage ich! Tausend schöne Grüße an Fräulein Th.! Noch gra- tulire ich ihr, mitgereist zu sein. Es thut ihr gewiß wohl: und bleibt für’s Leben, das reichste, und durch Sie Alle, weichste Andenken. Gott lasse Ihnen Ihr Glück! dann gönnt er auch mir viel Freude, großen Trost. Ihre treu ergebene wahre Freundin Fr. Varnhagen. Darf ich mich unterstehen Ihre Gouvernante zu grüßen, deren Namen mir eben jetzt entgleitet? Unsre Uranie war in Paris bei den Ihren. Wie gönnt’ ich’s ihr! Adieu! adieu! Meine Nichte, die schon die Ehre hat von Ihnen gekannt zu sein, wird so glücklich sein, Ihnen diesen Brief zu über- reichen. Sie reist jung vermählt mit ihrem Mann. Ich em- pfehle sie beide Ihnen. Besseres kann ich nicht für sie thun; da sie mein Kind ist! An Auguste Brede, in Stuttgart. Berlin, den 20. Juni 1820. Kaltes, ungesundes Wetter, wie überall, nach den Zeitungen. — Sehen Sie Mad. Huber, die das Morgenblatt her- ausgiebt? Sahen Sie bei ihr eine Frau von Pobeheim, eine Freundin von mir aus Berlin, auf die ich unendlich halte? Sehen Sie Lindner? Sagen Sie ihm, erst jetzt hätte ich mit unendlichem Vergnügen seine Antwort auf A. W. Schlegels Attake in der Allgemeinen Zeitung gelesen. Der Zorn stieg mir bis an den Hals über A. W. S.’s Benehmen, daß er die — sonst von mir so geschätzten — französischen Phrasen bis in sein innerstes Blut dringen, und sie im Deutschen bis zur Niedrigkeit werden ließ, und die Sta ë l „Beschützerin“ nennt! Ein Freund ist er ihr: ist sie reich, und theilte mit ihm, so ist das, weil er es nicht mehr als sie war und nicht mit ihr theilen konnte. Geschützt muß er sie auf Reisen und im Le- ben haben: genutzt hat er ihr mit seiner Nationalität hun- derttausendmal mehr, als sie ihm: ihre ist unser altes Eigen- thum, von unserer Litteratur hätte sie nie ohne diesen Freund faseln können! Es mußte ihm endlich, und dieser Sta ë l An- betung so aufgetrumpft werden. Ich danke Lindner innigst dafür; auch geschickt machte er’s. Mir war das Balsam. Ich kann ordentlich litterarisch leiden . Es gilt in allen Fächern , Handlungs- und Gedankenkreisen, um dieselbe Sitt- lichkeit. Wahrheit oder nicht Wahrheit; die lieben, ist sitt- lich sein; sie zu finden wissen, Verstand haben, der Vernunft folgen! Und niemals darin ermüden: ist der höchste Bund. — An Auguste Brede, in Stuttgart. Berlin, Montag den 26. Juni 1820. Liebe Auguste. Ich grüße und umarme Sie noch von hier. „Maria Stuart heißt all mein Unglück“ heißt das! Diese Zeilen überreicht Ihnen Mad. * Sein Sie gütig gegen sie: es ist eine sehr gute liebe Frau, die durch ihren Mann viel Leid erlebt hat: der es ihr durch seine Geschäfte zuge- zogen hat. Jetzt folgt sie ihm nach Stuttgart. Koreff hat ihr Empfehlungen an die Minister Wintzingerode und Zepelin mitgegeben, an Hrn. von Cotta und Uhland! an keine Frau. Sie sind die beste. Sie sind die wahre Ver- süßerin; Sie sind süß . Ich weiß noch, wie Sie mir in Prag auf der Treppe entgegen kamen. Im grauen Überrock; ein Häubchen, mit Puffen drauf; und Ihre Schönheit im Ge- sichte. Adieu! Theures Herz! Ehe es Winter wird, schließe ich Sie in meine Arme, in Stuttgart oder gar in Dresden! — Ich schreibe sehr zerstreut in Mad. * ihrem leeren Reisezim- mer voller Menschen. Sie ist eine vortreffliche Seele, aber von ihrem Vortrag, z. B. über mich, rechnen Sie ab. Adieu! Adieu! An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Dresden. Berlin, Sonnabend den 22. Juli 1820. Theure Gräfin! Sichere Freundin. Die Lebenswellen schlei- chen, laufen, stürmen, wallen vorüber, und sitzen die Freunde nicht in einem und demselben Schiffe, nicht an demselben Ufer, so bleibt es vergeblich, jene für einander auffangen zu wollen; erhascht sind sie todt, einzeln, ohne Strom, ohne Be- deutung, Leben oder Beziehung. Darum ist Trennung so hart: weil für die am meisten Gewitzigten dann auch, wie für andere, die Mittheilung starrt: nur dieser große Gewinn bleibt ihnen, daß der Lebensstrom in einem jeden von ihnen dieselben Tiefen durcharbeitet hat, wenn sie sich wiedersehen; und noch einen Vortheil müssen wir uns nicht entschlüpfen lassen! Diesen nämlich, wenn uns ein wirklich geistiger Fund entgegenschwimmt, daß wir ihn nicht in Stumm- heit für uns allein fischen, sondern unvergessen und gleich ihn den Geistesverwandten zuschiffen. In dieser ununterbrochenen Gesinnung schicke ich Ihnen, geehrte Freundin, beikommendes Büchlein: Angelus Silesius. Ein Schatz von Gedanken, Klei- node erhabenen Stolzes, der mich, bis zum Lächlen erfreut; gedachte, und daher einzig wahre Demuth; einzig wahre Re- ligion, da es Fragen an Gott sind; getrostes Verzweifeln; Unschuld in höchster Kraft bewahrt! Dies alles in bereiter, gebildeter, glücklicher Sprache, die ihr Bestes und alles dem Gedanken verdankt, und nicht wie ein Kleid des Gedankens, sondern wie dessen lebendige aus ihm erwachsene Behautung lebt. Kurz, das Gegentheil der Zeitavortons; in Religiosität, Denken, Gesinnung, und Ausdruck von allem diesen! Darum, theure Gräfin, schicke ich es Ihnen! Mir stärken diese Sprüche den ganzen Geist und Kopf, wie Bergmorgenluft die zu we- nig beachtete Natur des Körpers. Möge es Sie eben so er- freuen, und Sie mich es wissen lassen! Ich dachte diesen Som- mer gewiß nach dem Rhein zurückzugehen. Mein Bestes , meine Vernunft , muß einwilligen, hier zu bleiben. „Nur Geister können gezwungen werden,“ sagt Novalis. Machen Sie von diesen wenigen Worten Ihr Facit! Fast fürcht’ ich mich, noch etwas Höheres zu werden im Verlauf der Zeiten. Welcher Zwang mag da erst eintreten! Doch bin ich seit heute getroster: weil ich ein paar Zimmer im George’schen Gar- ten, der an der Spree liegt, als Absteigequartier habe. Und Luft, Grünes, Wasser, Leben, — welches auf dem Schiffbauer- damm ist, — mich gleich heilend berührt, und mir wirklich so nöthig als Athemluft ist. — Sonntag, Berlin, den 10. December 1820. Julchen S. sagt: „Man kommt so stückweise um sich.“ Ich sage: „Man trägt sein Leben zu Grabe.“ Vielleicht lebt es Keiner. — Es giebt eine oberflächliche, und eine tiefe Jugend! Wir verlieren alles, was wir lieben: am Ende das was wir kennen, das Leben. Allmächtiger Gott sei uns gnädig! Lehr’ uns, wie wir zu dir stehen! An Adam von Müller, in Leipzig. Den 15. December 1820. — Angelus tiefste, erhabenste, schönste, kühnste Sprüche sind und bleiben nur unschuldige Fragen, und demüthiges Verzichten. Die ersten bis zur kühnsten Keckheit eines geist- vollen Kindes. Ich muß hier noch sagen: es findet sich schon in Kindern diese Sitte, wie ich es nicht anders zu nennen weiß: die ganze Anlage, der ganze Keim zur Moralität. Wie sollt’ ihnen auch sonst verständlich werden, was sich darauf bezieht? Aber verschieden sind die Kinder; grad nur darin. — Und ich möchte sagen, was ist am Ende der Mensch an- ders, als eine Frage! Zum Fragen, nur zum Fragen, zum ehrlich kühnen Fragen, und zum demüthigen Warten auf Antwort, ist er hier. Nicht kühn fragen, und sich schmeichel- hafte Antworten geben, ist der tiefe Grund zu allem Irrthum: und ist man in diesem auch ehrlich, und irrt nur, so ist es doch Verzärtelung und Mangel an Klarheit; und bei beiden können wir nicht immer verweilen: Die große allgütige Ein- richtung Gottes, das wirkliche Verhalten der Dinge unter- einander, und der Gedanken zu den Dingen, wird uns doch zum schwereren, demüthigern Werke mit fortreißen. Auf solche Weise, glaub’ ich, sind wir zum ganzen hiesigen Dasein ge- kommen. Wir mußten es durchmachen. Wie überhaupt Menschengeister lernen. Mit eigener Mühe; dabei fängt die große Mitgift, Persönlichkeit an. Dies ist für mich „der Gedanke aller Gedanken, die Menschwerdung Gottes;“ die Gnade, uns eine Person werden zu lassen, und in dieser Gnade find’ ich auch gleich ihren eigenen Grund; sie enthält ihre Bedingung in sich selbst. — Den Urgeist beurtheile ich nur nach meiner Mitgift von ihm, im Verhältniß von mir zu ihm: nicht ungemessen, ungebührlich, was er sein kann. Der Gedanke Sein schwindet mir sogar bei solchen Möglich- keiten. Wie ein Adjektiv komme ich mir vor. — — Sie glauben gar nicht, was ich alles untereinander lese. Kennen Sie Madame Guion? Deren Leben las ich vorigen Winter, und noch vieles von ihr. Die hat den me- taphysischesten Kopf. Mit welcher Kraftmacht — vigueur — spekulirt, mahlt die in’s Leere. Von dem großen Karakter noch gar nicht zu sprechen. Sie werden gewiß laut lachen: aber für mich ist sie ein Gegenstück zu Fichte’n. Beide lassen Welt und Natur ganz ausfallen, und senden den starken Geist in die Weite. Fichte verfolgt die Thätigkeit desselben bis an die Gränze des Seins: die Guion schwingt sich neben ihren Vater in die Werkstätte der Welt, wie die Bibel sie erzählt. Mit einer Gemüthskraft, und einer Ergebung voll Zutrauen, die mich sie mit Verwandschafts-Zärtlichkeit lieben macht. Mir äußerst merkwürdig. Nur krankhaft; unsäglich großartig aber. Darnach las ich Fenelon’s und Bossuet’s Leben von Beausset. Fenelon lieb’ ich: den muß jeder nach seiner Art lieben. Bossuet zwingt sich selbst: warum sollte er nicht Andere zwingen wollen? Das ist seine Ehrlichkeit. In seinen Briefen an Freunde find’ ich ihn liebenswürdig. Ich glaube, kein gebildeter Franzose damaliger Zeit konnte in näherem vertraulichen Umgang der Liebenswürdigkeit ent- gehen: sonst wäre er mit niemand dazu gekommen. Soviel Ächtes enthielt ihre damalige Gesammtbildung, und das, was in der Gesellschaft herrschte. Den 6. Januar 1821. Gestern lernte ich zum erstenmale, daß man doch einen Andern mehr liebt, als sich; wir können die Eigenschaften, die wir für die wesentlich menschlichsten halten, für die lie- benswürdigsten, rührendsten, wenn wir sie uns selbst zugeste- hen müssen, nicht in uns lieben, uns nicht selbst dafür lieben. Wohl aber in Andern. Mit einer Art leidenschaftlicher An- erkennung, mit der zärtlichsten Verehrung. So wie wir un- sere Physionomie nicht sehen können; und doch unser Gesicht fühlen, wie kein anderes. Diese Entdeckung macht mir viel Vergnügen: nicht, weil ich mich und uns nun nicht mehr für so selbstisch halte, und für besser; aus Ehrgeiz möchte ich nicht über die Menschennatur hinaus, sie darum nicht erhö- hen: aber, daß wir dadurch reicher sind, vielfältiger, das freut mich; und auch darum, weil ich Wahres gefunden habe. Nur der Tag ist mir versüßt, wo ich durch oder für meine Gedan- ken etwas Neues erfahre. Dieses Neue verdank’ ich der B.’schen Jugendkorrespondenz; die mich ganz belebt hat. Ich möchte ihm wieder ein Vergnügen machen! Man Januar 1821. Man wundert sich so sehr, und beweist so stark, daß dem Adel die alten Vorzüge und Ehrerbietung nicht mehr wollen gestattet werden. Warum bemerkt niemand, daß es den Ge- lehrten ( les doctes ), den Doktoren eben so geht? Sonst war ein solcher ein vornehmer, verehrter Herr; ihm schrieb man Gelehrsamkeit wie Tausendkünste zu: man war überzeugt, es sei ein anderer Mann, als die, welche den Ehrentitel nicht erhalten hatten, und es war eine Beglaubigung. Jetzt ist es zu bekannt, daß eine Menge Leute gelehrter sind, als viele Doktoren. Die Welt schreitet wirklich fort, und der Punkt, worin dies Fortschreiten besteht, ist auch gleich das Zeichen davon. Kenntnisse, Vermögen aller Art, Bildung, wird, ist allgemein. Breitet sich aus: sagt man so oft, ohne an den buchstäblichen Sinn dieses Ausdrucks zu denken: der Ertrag der Völker breitet sich über die Erde. Das ist der Zeit Kör- per, möchte ich sagen; anstatt des schon mißlichen Wortes Zeit- geist. Die Folgerungen mag man nun ferner machen. Es glauben ja Viele und ich auch, die Geister machen sich Körper. Die Zeit ist ein Geist, und schafft sich ihren Körper. An Oelsner, in Paris. Berlin, den 9. März 1821. — Ich weiß, es giebt keinen Trost, keinen in Worte zu fassenden. Lear sagt zu einem, der ihm Unglück klagt: „O! du würdest alles vergessen, wenn du meines hörtest!“ Dies III. 3 ist wenigstens der Sinn seiner Schmerzensworte. So ging es mir mit Ihnen! Wie Schatten, ohne Farbe noch feste Ge- stalt, entschwand mir das eben kürzlich Erlebte. Uns hier war eben eine Freundin und Nachbarin an einem unendlichen Leiden von Krankheit gestorben; und noch nicht begraben. Meiner ältesten Freundin einziger Sohn und Hoffnung, ein junger Architekt, der mit General Menu reiste, in Alexandrien gestorben, und die Nachricht eben frisch angekommen. — Alles schwand mir gegen Ihre Schilderung, armer Freund! Wie haben Sie unvermuthet die tüchtige, edle, thätig gesunde Freundin mitgeschildert! Die liebe, treue, kluge, starke Mut- ter! Ich sehe sie, obgleich ich sie nie sah; und weine mit Ihnen. Da ist nichts zu sagen; als Gott anzusehen, ob er uns nichts sagen wird. Der spricht aber nur ein- für alle- mal, wenn er uns in’s Leben ruft. Und richtig citiren Sie den, der da sagt: il y a des moments, où l’on ne peut rien faire que de vivre. Leben; ist die große Uressenz, der tiefe Urstoff, woraus alles entquillt, mit und ohne unser Zuthun. Solchen Gemüthern, wie Sie eins sind, kann man am wenig- sten arbeiten helfen, weil sie alle Arbeit selbst übernehmen: denen mag ich nur zeigen, daß ich ihnen nachfühlte, und nachdenken konnte; das ist ihr einziger Trost, weil dieser Trost eine Art Umgang ist. Am erschütterndsten, lieber Freund, in ihrem Schreiben war mir das, daß Sie für alle übrigen Le- bensverhältnisse so klar blieben, so voller Haltung und erfor- derliche Thätigkeit. Diese Stärke und Macht über sich selbst ist mir der sicherste Bürge über durchgefühltes Leid, ich kenne schon die, die sich nicht fassen können: die können sich bloß nicht fassen; und auch nicht allen Schmerz und Verlust in allen seinen Beziehungen. — Freitag, den 6. April 1821. Wenn man behauptet, physischer Schmerz sei der unleid- lichste, so widersprechen einem beinah alle gebildete Leute, und fühlen sich wohl recht behaglich, und ihre Denkungsart groß- artig. Man mag ihnen was auch immer für Gründe anfüh- ren. Wie kommt es aber doch nun wohl, daß kein Mitleid, ja, kein Gericht, für einen erwürgten Zustand einer ganzen Seele vorhanden ist; daß in den geselligen, und noch engern Verhältnissen der Familie, gewöhnlich die eine Hälfte, oder Einer, ganz erdrosselt in allen seinen Regungen des Geistes, des Herzens und allen Thätigkeiten seiner Anlagen umherlau- fen muß, ohne irgend Klage anbringen zu können; oder, ohne diese, Hülfe und Recht zu bekommen, während bei einem viel leiseren körperlichen Angriff alle Herzen auf offener Straße, und alle Gerichte ohne Kläger zu Hülfe eilen würden? Weil es da evident ist, daß der Gefährdete nicht würde weiter leben können, und die Natur schon da diese gütige Einrichtung ge- troffen hat: bei der Seele Übel, und was der widerspricht, war sie nicht so nah: und aus diesem einzigen Grunde, möchte ich diese Übel herber nennen; von der Seite be- trachtet. — 3 * An Mad. Domeier, in London. Berlin, den 9. April 1821. Wärmliches Wetter, grauer Himmel mit augenblicklichem Sonnenschein, beinah abgetrocknetes — schlechtes — Pflaster, einige Bäume wollen schon aufbrechen, mit glänzenden dicken Knospen. So ist der 9. April hier . Sind wir noch dieselben?! Kann noch ein Zweifel ob- walten, über unsere Vorexistenz? Daß man ganz aus- und abgerieben wird, das ist doch ausgemacht: daß wir keinen An- fang, und kein Aufhören denken können, auch: wir haben also unser voriges Dasein rein vergessen. Es ist eine ausgemachte partie de plaisir, daß wir in vorgerückten Jahren uns unsere Jugend noch zu erinnren vermögen; und zu dieser, liebe Freun- din, lade ich Sie ein! Es ist auch nur einer von den opti- schen Betrügen, woraus unser hiesiges Leben zusammengewitzt ist, daß wir meinen müssen, wir verändern uns. Die alte, nämlich ewig junge Seele muß nur durch so alte Kanäle; die Witzkombination ist doch nicht groß genug, und wiederholt sich zu sehr: Sie sollten sonst sehen, wie jünglingsrege unsere liebe Seele wäre, wenn sie nur alle Tage etwas Neues er- führe; durch eigne neue Gymnastik oder andere Organe, als da sind das Weltall! Eines der größten Witzereignisse ist nun, daß Sie nach Deutschland kommen wollen. Nur bege- hen Sie den großen Fehler nicht, nur sieben Wochen dazu anzuwenden, wie der Scholar, Ihr Sohn. Lassen Sie diesen jungen Menschen allein zurückreisen; und übereilen Sie sich nicht! Eine ganz nützliche Reise über das deutsche Land kön- nen Sie gewiß in dieser Zeit ganz zu Stande bringen; Sie können unsern technischen, künstlerischen, geselligen, und gesetz- lichen Zustand gleich überschauen: und gleich besser, als nach und nach; und frisch aus dem altrevolutionirten England besser, als lange von demselben weg. Aber Ihre Freunde, und Deutschlands Gutes, werden Sie in sieben Wochen nicht finden; dies muß man suchen: kann es auch finden, auch häu- fig, aber in keiner bestimmten kurzen Zeit, noch einer solchen Richtung. Kommen Sie nicht umsonst über’s Meer! Nehmen Sie nicht nur den ersten schlechten Eindruck mit zurück! Brin- gen Sie Lord Byron und Sir Walter Scott bessere Nachrich- ten von uns mit. Ich sehe alle unsere Fehler ein, ich mache sie ja mit, aber ich möchte doch gerne mit Wahrheiten gegen Lady Morgan und die beiden Herrn prahlen. Lassen Sie keine deutsche Sta ë l umsonst zu uns herüber kommen! denn ich sehe ja Ihr Werk über Deutschland schon! Was sagen Sie dazu, daß ich mich zum Publikum schlage? da alles sich adelt? daß ich fest Volk bleibe; immer nur Leser, und nie schreibe? An Verstand fehlt es mir nicht: aber der sieht ein, daß ich kein Talent habe, wofür ihn doch alle meine Freunde in Ehren halten sollten; denn die armen Leute sind es doch, denen man die Manuskripte vorliest: Gedrucktes warnt vor sich selbst. Was wollen Sie aber mit einem solchen Brief anfangen; Sie lesen ihn aus, wie man ihn anfängt: aus zehn, bis zwanzig Geduld-Eigenschaften; Freundschaft ge- nannt, damit wir sie auf eine honette Weise in Anspruch nehmen können. Diese Missive soll Ihnen aber nur kurz den Vorschlag machen: bleiben Sie etwas länger in Deutschland! Reisen Sie wenigstens nicht noch nach Schlesien: sondern las- sen Sie Ihren Bruder zu sich nach Dresden, Berlin, Töplitz, oder nach dem Rhein kommen. Lassen Sie es sich nicht neh- men, über Calais und Paris zu kommen. Sehen Sie dort geschwind viel, und Mad. Genlis: grüßen Sie sie, herzen Sie sie, küssen Sie sie! und sagen Sie ihr, ihre brutalsten Vor- urtheile sind mir lieber als ihrer Rivalin — der Welt nach — freisinnigste Papagai-Reden. Sie wäre so konsequent von der Natur begabt, daß sie von den Straßenlaternen zur Mor- genröthe und Sonne gelangte; und jene, von der strahlendsten Sonne zu den Laternen, Lampen und Lüstres der Salons. Ich liebe die Genlis unendlich. Ihr Stil riecht gut; er verbreitet eine Atmosphäre; von wie tief kommt eine so genannte Äußerlichkeit her! Lassen Sie uns genau wissen, wann Sie nach Deutschland kommen, wann hierher: kurz, eine genaue Marschroute; damit Sie zu erhaschen sind. Wir wollen recht sprechen! Über alles, Viele sind todt. Von denen wollen wir sprechen, da wir noch leben. Varnh, freut sich sehr, Sie kennen zu lernen: weil ich unendlich viel von Ihnen spreche. Fragen Sie Doktor Boll- mann — No. 139. Sloanesstrect — ob er uns nichts mitzu- schicken hat. Tausend Grüße an ihn! Reden Sie ihm zu, mit seinen zwei Töchtern mitzukommen. Lebt Doktor Young noch? Hat er sich beibehalten? Ist er kein Pedant gewor- den? Dieser Brief muß Ihnen sehr lang dünken, da Sie Mad. Herz schreiben, daß der an sie Ihr längster seit Jahren ist: ich im Gegentheil schreibe nur Briefe, diese äußerst selten, aber sehr lang. Dieser ist ein Morgenbillet. Ich richtete mich nach Ihnen, sonst hätte ich Ihnen alles von hier, von mir, von Todten und Lebendigen geschrieben: doch alles dies nun mündlich! In London kenne ich nur noch, außer denen, die ich Ihnen nannte, Lady Caledon — Schwester der Lady Stuart — mit ihrem Mann, Mrs. Caulfield mit ihren zwei Töch- tern, und Mad. Goldschmidt aus Hamburg: können Sie diese Damen grüßen lassen: etwas von ihnen für mich erfahren, so wird es mich sehr freuen. Die jüngste Caulf. ist begabt, die älteste schön, die Mutter gut und brav. Lady Cale- don eine heitere gereiste Engländrin mit allen Vorzügen ih- rer Nation. Mad. Goldschmidt eine ächte Deutsche. Unend- lich vielseitig, also von der besten Sorte. Adieu, Liebe! à revoir. Ihre Friederike Varnhagen von Ense. Künftig R. Freitag, den 20. April 1821. Mein Bruder Louis schien mich gar nicht zu verstehen, als ich ihm in Karlsruhe Einmal unter den Kastanienbäumen beim Zeughause im Verlauf mehrerer Gedankenäußerungen sagte: der Mensch kann sich eigentlich gar nicht besser machen; und schien gar zu glauben, ich wollte Schlechtem das Wort reden. Ich wollte aber ein altes tiefes Bewußtsein, welches mir damals klarer erschien, ausdrücken; nämlich, daß wir ein Wille, ein bestimmtes Streben sind, an welchem wir nicht ändern können; welches uns nur klarer, und verworrner wer- den kann: durch Glück oder Arbeit. Nur Arbeit ist Redlich- keit, und eigenste Sitte. Lüge ist Faulheit-Aufschieben. Von der teuflischen Lüge, die lügen will, hab’ ich keinen Begriff, das ist Unsinn, Phrenesie; Kopfschüttlen, bis das Denken ver- geht. Ich kenne auch den Teufel nicht: aber ekle faule Lüge auf jedem Wege. — Wir sind gar nicht frei: wie unsinnig wäre dies auch, und völlig unmöglich, da wir keinen Zweck kennen: Zweck und Grund ist Eins: und der ist im Erschaffer; weil wir aus solchem Grunde kommen, fühlen wir uns frei: der Zwang ist süß: aber so wie wir einen eignen Zweck erfin- den und die Freiheit nachahmen wollen, fühlen wir die eigent- liche als Hemmung: unser innerstes Wollen nämlich; unsere eigentlichsten Wünsche sind richtig und frei: dies, Eltern und Regierungen überhaupt, spähet nach! „Erlaubt ist, was ge- fällt.“ Goethe’s Tasso. Unser innerster Wille ist wie eine Pflanze: einfach, be- stimmt: aber ohne Wurzel in der Erde; unser Geist das Be- wußtsein drüber, wie eine in uns mitgegebene Sonne. Stiller Freitag, den 20. April 1821. In Adams Geschichte wird gesagt, daß seine Ursprache verloren ging. — Nur sehr schattenartige, oberflächliche, schwin- dende Eigenschaften der Dinge wissen wir mit unserer Sprache anzugeben; und haben doch in unsrer Seele kein ander Mit- tel uns zu fragen, noch uns zu antworten. Es ist kein leerer Ausdruck wenn wir sagen, „es will regnen, es will blitzen“ u. s. w. Es ist, eigentlich gedacht, keine Regung möglich, als durch Willen. Wenn wir auch nicht einmal von uns selbst wissen, wie wir zum Willen kommen, zum Grundwillen alles unsern Wollens. Ein noch größeres Indiz, daß ein Urwille existirt, aus dem unser Grundwille, wie alle Willen hervor- gehen. Eine einige große Musik. So verstand ich auch Friedrich Schlegel, als er in Frankfurt ganz ernst sagte, das Feuer sei ein Geist. Das Feuer will etwas Bestimmtes: es hat gleichsam, oder es ist ein Auftrag, des höchsten Willens: und so alle Geister; und alles bis zur Geistigkeit Verfolgtes. Unsres innersten Strebens sind wir uns bewußter, als dessen Beschränkung, Bedingung und Beziehung: und es ist einer der irremachendsten und verbreitetsten Irrthümer, daß wir ge- wöhnlich glauben, wir wüßten mehr vom Körper, als vom Geist: wir leiden mehr vom Körper, weil wir in dem Verhält- nisse zu ihm noch weniger thätig zu sein vermögen, und noch weniger von seinen Eigenschaften kennen, diese Unkenntniß allein macht ihn illusorisch für uns zum Körper. So ist’s auch schon im menschlichen Umgang. Je weniger wir Eines Geist kennen, je mehr ist er Sache, Unkenntliches, Zwingendes für uns. Er- kenntniß ist Fortschreiten, Leben, höherer Auftrag, Willens- verständniß, Anneigung, erhöhte Existenz. — Sonnabend, den 21. April 1821. Seit Kindheit an hatte ich eine Art von Furcht vor Uh- ren und vor Wasser in Teichen und Gefäßen, als Tonnen, oder Fässer; kurz, vor gefangenem Wasser. Heute fällt mir erst ein, daß dies nur zwei verschiedene Richtungen derselben Scheu sind, die auch nur einen und denselben Gedanken zum Grunde hat. — Ist es nicht sonderbar, daß man tiefer in sich, ohne Boleuchtung des Bewußtseins, klüger sein kann, als im Hellen? — In den Teichen und Gefäßen ist eine Willenskraft des Elements gefangen und eine Thätigkeit gehemmt; bei der Uhr eine Thätigkeit gebraucht. Bei der ist noch der weitere Gedanke, daß die Federkraft ein Keimchen zu einer Organi- sation ist, fürchterlich: wäre die Wechselwirkung von Feder zu Rad vielseitiger, so ging’ es schon weiter. Das fiel mir heute ein, daß eine Uhr der erste Anfang von Organisation ist. Witziger Gebrauch von Kräften. Die wir so nennen, weil wir sie nicht kennen. Sonntag, den 22. April 1821. Schon sehr oft hab’ ich gar nicht ergründen können, woher dem Menschen seine Eitelkeit stammt. Was ist das, daß er sich nicht allein schöner, besser, klüger, reicher, begabter machen, sondern auch für alles dies ausgeben mag, und nicht allein für Andere, sondern auch wohl für sich selbst? Der Grund dieses Bestrebens ist mir noch nicht klar. Es ist viel- leicht die Sehnsucht nach einem angemesseneren Zustande für seine Fakultäten: er will sich wenigstens zur Erleichterung vorspiegeln — oder vorspielen — daß er nicht in dem klem- menden provisorischen mehr ist, oder zu bleiben braucht: alles dies ist nicht klar und hinreichend für die unvertilgbare An- lage zur Prahlerei. Dies alles fällt mir immer von neuem wieder bei Angelus Spruch ein: „Des Weisen Ahnen sind Gott Vater, Sohn und Geist; Von diesen schreibt er sich, wenn er sein’ Abkunft preist.“ Der Grund der Eitelkeit kam mir nie so sehr unedel vor; aber die Lüge so dumm; und je dümmer, je richtiger ihr Grund. Wie ist mit Lüge ein Defizit auszugleichen! Des erreurs et de la vérité . T. 1. p. 98. Im Ab- schnitt de la végétation spricht Saint-Martin von den Prin- zipien der Dinge: nämlich der materiellen. Tiefsinnig, geheim- nißvoll, willkürlich, und sehr schön; wie immer. Mir wird dabei immer klarer, daß in allem zu Ergründenden wir nur zweierlei — wie in uns selbst — zu finden vermögen: den Willen und das Wissen. Der innerste Trieb der materiellen Dinge ist ein Wollen: und alles, was wir auch nicht dafür erkennen, organisch, für sich und für anderes zugleich bestimmt, und hinlänglich; das heißt immer reicher in Thätigkeit, Da- sein und Entwickelung. Je mehr Bewußtsein, je heller, je rei- cher, je mehr Dasein: und es giebt gewiß Geister, die alles schon wissen, was wir fragen müssen: die den ganzen Orga- nismus dieser Welt überschauen. Organisches, Lebendiges, ist eher zu verstehen, als Todtes, Todtes ist nur Unverstandenes; wir leben selbst nur, insofern wir Absolutes in uns erkennen, Hinlängliches. Nur mit unsrem bischen Leben suchen wir alles zu erfassen. Wollen, Wissen; in Millionen Weisen aus- gedrückt. — Dienstag, den 8. Mai 1821. Den 15. Juni 1821. Eine Gerechtigkeit waltet schon hier auf Erden; Daß die Gesichter all wie ihre Seelen werden. Des erreurs et de la vérité . T. 2. p. 104. J’ai dit en général que le mouvement n’était autre chose que l’effet de l’action: ou plutôt l’action même, puisqu’ils sont insépara- bles. — Zeit entsteht nur, wenn vor ihr nichts war. Für et- was, das immer da war, giebt’s keine Zeit. Sie ist also ent- weder eine Illusion, oder wir müssen erfahren, wie wir nichts waren: wodurch wir zum Bewußtsein kamen. Raum ist Satz der Zeit: ist die für’s Geschehene: ist die zu Stamm gewor- dene Illusion. Zeit, werdende Blätter und Zweige davon. Handlen, beider Prinzip. Handlen aber, ist Existenz bekom- men: hiesige. Alles in den Bedingungen unserer Konzeption. — Mittwoch, den 20. Juni 1821. (Mündlich.) „Ich mache zwar keine Prätensionen, aber ich habe darum nicht wenigere.“ Bei einem Streit über eine ganz unbedeutende Sache, wo aber die auffallendste Verkehrtheit sich geltend machen wollte: „Gott! rief Rahel leidenschaftlich aus, hast du denn keinen Donner mehr? und wenn es auch nur um einer Klei- nigkeit willen ist, schick’ einen, zum Zeichen!“ 1821. Freitag, den 22. Juni 1821. Sehr kalt. Viele Leute heizen ein; starker Regen. Labruyere sagt: Il n’y a rien qui rafraîchisse le sang comme d’avoir su éviter une sottise. Buchstäblich wahr; in- dem man eine Thorheit begeht, weiß man es schon; erhitzt führt man sie schon aus, und das Bewußtsein, es ist eine Thorheit, erhitzt noch mehr: und nachher die glückliche Erho- lung, ich bin ihr entgangen: „Eine auffallende Wahrheit“, sollte man denken. Sie ist doch nur erst Labruyere auf- gefallen. Sonntag, den 15. Juli 1821. Wir machen keine neuen Erfahrungen. Aber es sind im- mer neue Menschen, die alte Erfahrungen machen. Noch nie hab’ ich bereut, was ich gerne that: nur immer das, was ich schon mit Reue that. Weißt du, warum wir hoffen? Wir können nicht ohne Bild leben. Ohne Hoffen haben wir kein Bild in der Seele; da ist nichts. Er muß es ja leiden; was willst du ihn trösten! ( Mündlich .) Vom Shakspeare : „Er ist Leben im Leben; er kann fast nicht zur Betrach- tung kommen, denn jede Betrachtung wird Leben; und doch ist er lauter Betrachtung. den 21. Juli 1821. An Auguste Brede, in Stuttgart. Berlin, den 29. Juli 1821. Recht befriedigt, liebe Freundin, hat mich Ihr Brief! Weil er mir sagte, was ich gerne weiß. Daß es Ihnen gut geht, daß Sie anerkannt sind. Herr von Lehr hat mir das wahr- und glaubhaft bestätigt; und Ihr Leben etwas detaillirt: ich freue mich dessen, und der Achtung und Behaglichkeit, die Sie genießen. Und bin Ihrer Genesung froh! Das Beste, was ich Ihnen nun endlich jetzt von mir zu sagen weiß, ist, daß kein Jahr vergehen wird, ohne daß ich Sie entweder hier , oder in den Ländern Ihrer Nachbarschaft werde gesehen haben. Wenn bis dahin meine Augen noch sehen! Diese Hy- pochondrie entfährt mir, weil gestern vor acht Tagen meine intimste, treuste Freundin, die alles von mir kannte, und er- lebt hatte, Krankheiten, Leid, Geschichten, Inneres und Äu- ßeres, der ich treu war und beistand, fünfundvierzig Jahr alt begraben wurde. Von allen Lebenden dacht’ ich mir deren Tod am wenigsten. Sieben Wochen lag sie in einem Nerven- und Schleimfieber; drei Wochen pflegte ich: dann fiel ich ein, die ich schon zwei Jahr kranke, und litt das Unendliche, und war, wie man sagt, gefährlich. Koreff machte ein Meisterstück von Fleiß, Umsicht, Glück und Weisheit. Den Tag, wo Nett- chen Markuse begraben wurde, fuhr ich schwankend und wan- kend zum erstenmal aus. Jede Blume erschrak mich. Ich wollte mich meiner Genesung freuen; und konnte nicht, ich mußte an der Freude, die mir die Vorstellungen im Bette da- von machten, genug haben! Ich beuge mich unter Gottes Beschlüsse: und bin seelenruhig jetzt. — Unsere eigentliche Seele sind die Wünsche, das Sehnen. Gebannt ist sie nur, in Widerspruch. — Haben Sie Goethens Wanderjahre gelesen? dies apropos von allem! von Seele, Leben, Dasein; sich fassen, es betrachten u. s. w. Mit der Geselligkeit geht es dabei seinen Gang. Ich habe mir in meiner Angegriffenheit nur die Menschen abzuhalten. Sie haben es gut bei mir. Sie finden sich, erstlich. Werden geschmeichelt, bewirthet, ge- pflegt, nicht persönlich widersprochen, umgangen, können nach dem Theater kommen, finden Gespräch, auch wenn sie uns allein treffen, die neusten Bücher, immer willige Erfrischung. Und da ist’s — wie bei Ihnen: nachdem, was mir Herr von Lehr erzählt. — Dieser gefällt mir sehr gut: er ist Ihnen sehr gewogen; ehrt und kennt Sie. Mich freute das sehr: herzensgeliebte, alte, immer theure Auguste! Es bleibt ganz bei Prag! Wie dort, so immer. Varnhagen will absolut von Töplitz einen Augenblick nach Prag. Da werde ich denn auf unsern Gräbern wandern, wo unser dortiges schönes, wenn auch schreckenvolles Leben hingelegt ist. Wir können daran denken: es hat ein ferneres erzeugt, aber wir können es nicht wiederleben; konnten es nicht halten! — Adieu Freundin! Schöne, Liebe! Meine Augen werden Sie noch sehen! Dann wollen wir wieder lachen. Sie inspiriren mich wie Keiner! Immer dieselbe und Ihre R. Den 7. September 1821. war bei Fürst Clary in Töplitz die Rede von Büchern und Lesen; da fragte Baron E. die Frau von Lubienska, ob sie Goethens Wanderjahre schon ge- lesen habe? Nein, sagte sie, ich habe sie aber, und werde sie alsbald anfangen. Pourquoi lire de choses pareilles? sprach Fürst S —, der General, drein; l’on voit tout de suite que cet homme n’a jamais fréquenté la bonne société; et quel monde il a vu. E. erzählte mir es gleich nachher; und wollte aus der Haut fahren; und ich schreibe es auf, weil so etwas nicht verloren gehen muß. E. gab mir sein Ehrenwort, daß es buchstäblich so übereinanderging, weil ich zweiflen wollte. Auch hatte jener schon, als E. den Herzog von Weimar zu kennen wünschte, und hinzusetzte, schon deßwegen, weil er so große Talente um sich gesammelt, und Goethen zum Freund habe, — gesagt, der Herzog habe mauvais ton, et que l’on voyait tout de suite qu’il fréquente, etc. — Donnerstag, den 13. September 1821. Der Leute Gespräche sind gefährlich, die nur erzählen, nie ergründen, beurtheilen, erwägen und bemerken. Sie spre- chen gleichsam ohne Linienblatt; gerathen in’s Klatschen, da sie sich und Andere unterhalten wollen; sie haben weder Ziel noch Damm, nur einen kleinen Zweck, und zu diesem kleinen Zweck noch kleinere Mittel. Güte Dichter haben ein Bild in der Seele, und sind ge- trieben es darzustellen: andere treiben sich, Bilder zu machen. An An Fanny Tarnow, in Dresden. Berlin, Montag den 29. Oktober 1821. Schönes, helles, frisches Wetter. Man schreit hier Erd- beeren in Töpfen, diese in große Körbe gesetzt, aus, wie im Sommer. — Vorigen Dienstag Mittag speisten wir hier, wohlbe- halten, um 3 Uhr. Um 11 waren wir hier. Man wird jetzt an der preußischen Gränze ein Patriot: so schön ist Chaussee, Postbedienung, Einrichtung, und Betragen der Beamten. Man fährt wie ein Kourier; aber bequem und sicher auf den breiten gutbesorgten Wegen. Ich habe auch schon ein Volksstück gestern hier gesehen: „der Stralauer Fischzug;“ das Volk aber hatte mehr Geschmack, als Julius von Voß, und schrie jede Platitüde en masse an, die ihm gröblich schmeichlen sollte; trommelte gemeine Stellen mit lachender Wuth aus, pfiff bei winzigen und etschte bei gedehnten; das Haus war der schönste Anblick, so voll war es, von allen Klassen; der Lärm so voll- ständig und anhaltend, daß ich meinen Kopf dem nicht zum gänzlichen Opfer bringen mochte; und ein Drittel des Stücks im Stich ließ; nach des Kastellans Zimmer ging, wo ich meinen Wagen abwartete. König, Prinzen, alles war drin. Wäre der raus gegangen, so hätte es zu viel Aufsehen ge- macht, drum blieb er wohl. Dies theilen Sie gütigst Tieck mit. Wie ich dazu kam in’s Theater zu gehen? Ich, die bergauf, bergab, sich gratulirte, es nicht nöthig zu haben; sich einprägte, es nicht zu thun! Aus niedrer Feigheit — lâcheté — weil meine Familie einen Logenplatz los sein wollte. III. 4 Alles mißfiel mir: außer gestern das Publikum. Plötzlich ganz klug! Voller Urtheil und Takt. Mad. Esperstedt spielte in Vollkommenheit eine Berliner Schlächterin: und abgewo- gen in fresco gehalten; besser und anders als die hiesige Landschaftsdekorationen, die mich verzweifeln machen, weil sie eine längst erfundene Kunst aufgeben. Und Akademie und Stadt es leidet !!! — November. — Seit ich hier bin, war ich etwa viermal Abends aus. Rheumatische Schmerzen, Unbehagen, völlige Niederlage bei Feuchtigkeit u. s. w. also ich bleibe zu Hause, und es finden sich Abendgäste ein: bleibt ein Abend leer, so gebrauch’ ich ihn zur Einsamkeit, Ruhe, Erholung, Sammlung; Erinn- rung !!! — Ich habe also nicht Frau von Knorring (gebor- nen Tieck) ihr Stück gesehen: kein Konzert, keine Canzi ge- hört; habe mein Billet zum Requiem und Oratorium heute bei Zelter zurückgesandt, weil Menschenluft für mich nicht zum Ertragen ist, und Straßenfeuchtigkeit gar nicht. So sitze ich denn und lebe; lese, warte. Es geht auch recht gut. Wenn ich nur Einmal ein Gesundheitsgefühl haben könnte! Aber auch ohne dies bin ich positiv zufrieden; mit gefühlter Ein- sicht; wenn ich nur nicht Schmerzen habe und so krank bin, wie ich schon oft war. Mein Herz — mein persönliches — ist begraben; das ist die Hauptsache. Das kann nicht mehr zum Narren gehabt werden. Es muß kuschen — stoßen Sie sich nicht an diesen vulgaren Ausdruck! — Es hat keine Per- son mehr zu versorgen: wenn es angestoßen wird, ist es für Recht und Unrecht, für Mitleid; für seine Brüder: und für erlebte Mißhandlung sehr rege: daher ist es, und meine Augen, so sehr empfindlich. — Da haben Sie mein und meines Le- bens Bild in großem Umriß skizzirt! Nachträglich noch, er- warte ich Sie, und laß mir das nicht nehmen, daß Sie kom- men! — Sein Sie so gut, Fräulein von Winkel recht herz- lich von mir zu grüßen! Sagen Sie ihr, sie selbst wäre mir ein tröstlich Bild; in ihren Zimmern, mit ihren Bildern, ihrer Harfe, ihrer Ruhe, ihrem Fleiß, ihrer Heiterkeit, und dem Sonnenschein von schöner Sonne, und Gesundheit. Gott soll’s ihr lassen, wie ich’s ihr gönne! — Den 7. November 1821. „Einwilligen“ das sublimste Wort! die größte Bewilli- gung für Menschen. Durch Einsicht mit-wollen zu können, begreift die Persönlichkeit in sich, die größte Gnadenverleihung. Den 12. November 1821. Beim Lesen der Fichte’schen Staatslehre. Philosophie; Erkenntniß der Erkenntniß der Anschauung; wie wir Gott in der Welt nicht anschauen, sondren erkennen. Es wird immer umgekehrt bewiesen; was wir nicht anschauen, als Anschau- ung festzusetzen. Weder fromm noch philosophisch; aber er- schrecklich eingebildet auf Frommheit und Philosophie. Resul- tate kann man nicht kaufen: noch durch Güte abgelassen be- kommen: die muß man machen. 4 * Mittwoch, den 14. November 1821. Handlen ist an und für sich sittlich: da hebt es an. Man kann gar nicht unsittlich handlen. Im Zustand der größten Leidenschaftlichkeit schieben wir uns Rechtsmotive un- ter — alles andre ist Leiden. — Bei Handlen ist, im Hand- len, Wählen, Richten, Wollen. Wollen ist geistiges Handlen. Klar sein, oder es nicht sein, ist ein Zustand, ist die unver- standene Welt. Wir verstehen nichts, auch gar nichts, als unsern Willen. Wir wollen es gut machen; richtig; konse- quent; uns selbst verständlich. Boshafte Gemüther, wie es denn wirklich welche giebt, sind unklar; in einem unrichtigen Zustand; durch die Saiten auf ihrem Herzen; die natürliche Bewegung desselben haben sie schwer; es bewegt sich schwerer; eine stärkere erst macht sie ihr Leben fühlen: sie müssen auf Andere agiren wie wir, und müssen sehen, daß sie Bewegung hervorbringen; das zeigt ihnen der Andern Ärger, Scham, Zorn leichter; dann glauben die Boshaften, sie haben etwas bewirkt: wie sie anderes Zusammenhängenderes, Sanftes be- wirken konnten, ist ihnen nicht klar, und nicht leicht; und ih- rem schwerbesaiteten Herzen nicht leicht vernehmlich: so sagt es ihnen wieder nichts. Aber jede Bosheit, jeder Boshafte, kann klar gemacht werden: ist die Bosheit erhellt, dargethan, daß sie eine Schiefheit ist, einen Mangel zum Grunde hat, so wählt kein Mensch — heißt kein vernunftbegabtes Wesen, kein sich fortentwicklendes Vernunftprinzip — sie aus ganz unzubegründender Liebhaberei. Und Fichte beweist es; und mir ist es lange bewiesen, man kann jedes verständige Ge- schöpf zur Verständigkeit zwingen. Größtes Konzert! Zwang, zum Recht des Rechthabens! — An Oelsner, in Paris. Berlin, den 30. November 1821. Schlagsregen: schwimmende Straßen, grauer, agitirter Himmel. Ich ärger als alles dies! mir zittern die Beine; erfuhr ich, im auf und ab gehen; womit ich mich von Nervenreiz, und glühendem Gesicht, in meiner Schwäche erholen wollte! C’est fini! Ich will kein Leser sein, ich will auch ein Schrei- ber werden. In diesem Zeitpunkt geht’s nicht anders! Ich soll alles lesen: die Andern wollen alle schreiben. Ich er- liege. Hab’ ich nicht so eben mit dem besten Vorsatz, Ihnen ein paar Worte zu schreiben, ein ellenlanges, weitläufiges, unnützes, schöngeschriebenes Memoire lesen müssen, auf hohen langen Bogen; Manuskript! — langt mir nicht eben Varn- hagen — mit dem Ermahnen Ihnen zu schreiben, mit der Frage ob es fertig ist, — wieder ein geschriebnes Gedicht: „Klagelied der Mutter Gottes“, von Friedrich Schlegel, sechs- unddreißig Seiten lang! Alles soll man lesen: alles Einer ! Ich bin der nicht: will, kann es nicht mehr sein. Ihre Briefe mag ich lesen! Ihnen für den letzten zu danken, Ihnen zu applaudiren, darum wollte ich Ihnen schreiben. Respektirt’ ich Goethen doch nicht zu sehr: so könnt’ ich ihm diesen Brief schicken: wie würd’ es ihn freuen, und erheitern, die Gewiß- heit, solche Leser zu haben. Begehen Sie ja den Irrthum nicht, und glauben, weil Goethe gelobt wird, bin ich nur zu- frieden: ich würde nie diesen Meister vergöttern können, hätte ich kein unschuldig Herz, kein immer neues Urtheil bereit; und auch als Geschenk der Natur erhalten. Was Sie wider sein Buch sagen, gefällt mir eben so, als was Sie dafür sagen. So munter ( alerte, mein’ ich) aufgefaßt, angeschaut, mit so großem Vorrath kombinirt; und so hell überdacht dazugelegt; so glücklich, natürlich, und kunstgeübt, und kunstvoll, und nur wie im Fluge, sich darüber auszudrücken: kann nur Ihnen, dem im Lesen — bester Art — und Leben ganz durcharbeite- ten, und gereiften, gallisch-deutschen Menschen möglich sein. Ich goutire solch reifes, ironisches, lächlend-traurig-ruhiges Wesen, als hätte ich es selbst in meiner Gewalt : denn be- sitzen thue ich wahrlich davon. Kurz, Ihr Brief — wie viele Ihrer Briefe — gefiel mir unendlich: und Sie lassen sich mein Applaudissement gefallen; weil es meine Italiäner-Natur mit sich bringt: wie ich zu dieser neben dem großen Kurfürsten komme, frag’ ich die ganze. (Wissen Sie nicht mehr, welche? die ganze Natur.) Gerne schrieb’ ich Ihnen Schönes, Pikan- tes, Geistvolles von hier: ich weiß aber nichts von hier: ich sehe hier nichts: ich bleibe auf meiner Domaine; einem brei- ten Kanap é . Es geht schwach vor sich hin, was man erfah- ren darf: vom andern weiß natürlich die Polizei, ich gar nichts. Vom Theater, von meinen Lektüren, meinen Bekann- ten, müßt’ ich erst etwas spinnen; aber es ist nichts zurecht gelegt. Vielleicht wenn Sie uns wieder einmal so einen schö- nen Brief schicken! Haben Sie angenehme Bekannte? Wen haben Sie bei Ihrem Kindchen: auch so etwas will ich wissen. Künftigen Sommer können Sie mich mit ihm im südlichen Deutschland besuchen. Adieu bis dahin! Ihre Fr. V. An Oelsner, in Paris. Berlin, Donnerstag Abend 10 Uhr, den 27. December 1821. Es ist hier noch immer Thauwetter, ohne gefroren zu ha- ben; Einmal den 8. dieses fiel Schnee, der nicht liegen blieb; alle Mittag giebt sich die Sonne Mühe; die Sterne des Abends; man sieht sie. „Italien!“ schreien die Leute: sie meinen das Wetter. Sie haben mir gesagt, wie Sie meine Wetternotizen fin- den: ich will Ihnen sagen, warum ich sie mache. Grad aus dem entgegengesetzten Grund, aus welchem die Chemiker es thun, von denen Sie mir sprechen. Diese wollen die Methode mit daraus bilden, nach der sie zu verfahren gedenken: ich aber will, daß es mir helfe meine unmethodische Verfahrungs- art zu entschuldigen. Das Wetter hilft die ganze Situation des Tages machen, ja sie besteht zum Theil daraus; und hat nun mein Leser die Physionomie — ich bilde mir ein, es phy- sionomisch zu schildern — des Wetters in sich aufgenommen, so faßt er die ganze Unregelmäßigkeit meiner Reden leichter, und sie erscheint ihm wenigstens mit etwas im Zusammenhang. Ich schreibe nicht ganz ohne Wahl, in der Art wie ich es thue. Ich will nämlich, ein Brief soll ein Portrait von dem Augenblick sein, in welchem er geschrieben ist; und getroffen soll es hauptsächlich sein, so hoch auch Kunstanforderungen an ideelle Veredlung lauten mögen: von denen man allerdings wissen soll, aber nach denen sich zu gebärden affektirt, und leer ausfällt. Glücklich die schönen Gebilde eines lächlenden Naturmoments, die aller Menschenerfindung weit entrückt der kunstreichsten zum Vorbilde dienen können! Aber ersieht man sich nicht als ein solches, so ziehe ich es vor, Einer zu sein, als Keiner. Es giebt methodische, gemessene Geister, denen es an Fülle nicht gebricht, die sich auch nur gehen zu lassen brauchen, und sich doch nur immer im schönsten Maße zeigen. Das sind die beglückten Gebilde; die haben keine Laune, kein Wetter! oder vielmehr: ihre Launen sind eine Musik der schön- sten Stimmung; und ihr Wetter ist Sonne, die durch die reinste, mildeste Luft scheint. Sie sollen sehen; das plät- schernde Kind — Sie verglichen mich mit einem solchen — an den Wogen der Zeit, hascht mit Bedacht, in diesen Wogen, und unterscheidet seinen Fund selbst. Da es der Arbeit — der mit Plan und Zweck — unfähig ist, so wäre das Arbeiten vergeblich: ja, das Kind bemerkt sogar, daß dieser Strom den Fleißigsten und Geschicktesten mit forthelfen muß, oder sie hemmt. Denn was gehörte nicht zu diesem Strom, selbst die Philosophieen über ihn, die ihn erklären sollen! — Herr von Brinckmann behauptete immer, Liebe mit einem Adjektiv sei schon nichts werth. Das möchte ich hier von der Weisheit sagen! Der Schul weisheit begiebt sich das Kind; die kann nur Weltweisheit lehren; ob es Weisheit an sich giebt, fragt es. Daß Ihr Knabe Boten spielen will, gefällt mir ungemein! Da macht er Ihnen ja die halbe Erziehung selbst; es ist durch- aus für Kinder nichts Bessers als Geschäfte : sie wollen sie auch durchaus. Mit lauter Aufträgen kann man sie zu gro- ßen Leuten machen: dies beschäftigt sie, stärkt sie in allen Thei- len ihres Wesens: und lehrt sie am besten kennen, was sie zu lernen haben: und sehen sie das ein, so thun sie’s auch wil- lig: willig heißt frei, und thätig. Für Sie weiß ich keinen bessern Rath, als geben Sie sich zum Sommer Rendezvous mit mir: bringen Sie Ihren Knaben mit. Für heute nichts mehr. Künftig von der Stadt und Leuten. Ihre F. V. Zu einem ausgeschnittenen Bildchen . In milder Nacht, bei hellem Mond, und sanfter Sterne Licht, in Blumenmitten, die freier athmen, und zu einander flüstern, was sie bei Tag verschweigen, oder was verhört nur werden mußte; wenn noch verspätet Schmetterlinge jagen, die Schnecke ihren Weg verfolgt; still eine Biene einholt, was sie Tags im Kelche lassen mußte; der Schlaf die Welt ge- fangen hält, und befreit: Weste nur leise sich, und schmei- chelnd, zu den Ästen wagen, Vögelchen nicht zu wecken; Grä- ser und Halme Abendthau auf ihren Häuptern wiegen; das ganze Thal ein Fest der Sehnsucht und der Ruh; ein Tag für Elfen und für ihre Spiele: — fehlt nichts, als eines lie- ben Mädchens Gegenwart, ihr Aug’ und ihre Brust, dies Fest zu überschauen und zu empfinden! Und was dem schönen Kinde nun noch mangelt, wird sie in Liedeston uns nun berichten. — December 1821. Den 23. Januar 1822. Man beachtet immer noch nicht genug, wie viel die Nei- gungen der Menschen untereinander in den größten und ge- heimsten Welthändeln bewirken, stören und erzeugen; noch weniger aber beachtet man, wie Liebesverhältnisse durch Ehr- geiz, Staatsverhältniß, Stellung der Gesellschaft überhaupt, modifizirt, sogar öfters nur allein begründet werden. Zu stolz auf unsre Gemüthsstimmungen, halten wir jede davon sich unmittelbar auf das Beste in uns beziehend; auch denken wir, die Welt und ihren Verkehr willentlich zu regie- ren; und sie regiert uns Alle: und die, welche am meisten von ihr verstehen, am gewissesten. Ungeschickte, Blinde, die nur zwei Augen haben, und nicht besäet damit sind, gehen hren Weg seitwärts ab; und glauben, sie sind im Strom, weil sie ihn nie erkannten, und nicht wissen, wo er ist. Un- geheuer Fromme müssen wohl kein Bild der Welt gebrauchen; oder eins haben, welches ich nicht kenne; sie sehen grad nach oben, wo ich nichts als Sterne sehe, wenn’s hell ist. Wis- senschaftliche Menschen bearbeiten Einen Geistesstrahl; hin- geführt bis zur allgemeinen Sonne des Wissens. Die, welche Natur, Leben, Welt, den Geist mit Gewalt verstehen wollen, und darin gar nicht nachgeben und sich ergeben, oder Einem Gegenstande der Natur oder Welt nur leben wollen, sind die Tollen. — Ja, die ihrer Überzeugung, und wäre es auch der edelsten, trotz des Stromes leben wollen, sind schon von den Andern für toll gehalten: J. J. Rousseau. Nicht umsonst ist es so schwer, die Natur des Menschengeistes, sein noth- gezwungenes Wollen, unsere leibliche und seelische Persön- lichkeit, ihre Stellung zur ganzen Natur und zu der Men- schenwelt, zu unterscheiden, und darin wieder der Andern Per- sönlichkeit in beiden Weisen und massenweise zu erkennen; davon affizirt, und nicht verwirrt, sondern ergeben zu werden, und thätig zu bleiben; dies Vermögen ist nicht umsonst, sehe ich ein, so unendlich selten: ja, gar nicht einmal verstanden, wo es sich findet; und obgleich alle Menschen wenigstens sich diese Klarheit geben könnten, so scheint es als sollte sie, gleich einem Edelstein der Natur, ihnen schwer werden, und selten sein: da sie uns ja noch so viele Gaben vorenthal- ten kann, die durch kein ethisches Bemühen erreicht werden können; und herrliche Geschenke bleiben. Zum Unterscheiden kann sich jedes vernunftbegabte Ge- schöpf selbst erziehen: Eingebungen, schnelle Kombinationen, Witz u. s. w. sind Gaben: wenigstens erinnern wir uns des Prozesses, der Bemühung, der Thätigkeit dazu nicht; und ge- nießen sie rein; wie Erbeutetes, in dessen Besitz der Krieg auch am Ende vergessen wird. Berlin, den 29. Januar 1822. Ich habe jetzt Wilhelm Meisters Lehrjahre wieder gelesen. Wie ist es möglich, einen zweiten Don Quixote zu fassen, zu erfinden und darzustellen! Küßt euch, Cervantes und Goethe! Beide sahen mit ihren reinen Augen: vertheidigten das Men- schengeschlecht; sahen den Ritter durch, durch seine Thorheiten und Irrsale, konnten ihrer Augen edlen Blick bis in seine tiefste Seele tauchen, und dort seine eigentliche Gestalt sehen. Wie jenem Don Quixote geht es Meistern; einen Narren nen- nen ihn die Leute „ohne Tadel,“ einen Herumtreiber, der sich mit nichts Wirklichem beschäftigt, der sich mit Bettlervolk ab- giebt, nichts zuwege bringt; nicht einmal weiß, was er den- ken soll; der für einen Helden in einem Roman nicht einmal gut genug ist; von welcher Sorte man schon tausendmal bes- sere, bei den Fieldings aller Länder, gehabt hat, die doch noch ein Resultat geben! Während unser Weiser die edelste, reinste, ehrlichste Seele in ununterbrochenem Bemühen und Kampfe geschildert hat mit der Welt, wie sie leibt und lebt; ohne je einen Moment in ihre unreine Verwirrung zu gerathen; immer im Bemühen, sich zu tadeln und zu bessern; immer in der Unschuld, die Andern besser zu sehen, als sie sind, und meist sie sich vorzuziehen; immer aufgelegt zu lernen und nachzu- geben, außer dem evident Unedlen: rührenderes, verehrungs- würdigeres Benehmen, vortrefflichere Gesinnung, kann man nicht erfinden; und je mehr man ihn sich deutlich macht, je mehr ehrt und liebt man ihn, und Goethe’n. Don Quixote mußte mit eben solcher Seele eine — also eine einseitige — Eigenschaft, die des Ritters, wählen, und mußte sie in Aus- übung bringen wollen. Meister mußte den ganzen Menschen ausbilden wollen; und mir ist’s, als ob Goethe dem Cervantes nur die Feder abgenommen hätte, weil die Menschen sich in der Zeit folgen. Was die beiden Meister sonst noch in den Werken gelehrt und gezeigt haben, ist ihre Zeit: und das so rein und wahr, daß sich die künftigen gleich daran anschlie- ßen, für den Geschichtsblick, für wahre Augen überhaupt. — Freitag, den 8. Februar 1822. Das Herz ist ganz im Dunklen, ganz allein, möchte man sagen, und weiß ganz allein alles besser. Nur wenn man da hin sieht, findet man Erkenntniß; weil die verwirren- den Lichter der ganzen Welt nicht hingelangen; und es wie ein Maß einer andern Welt in uns lebt; als ein Ja, oder Nein: sonst nichts. — Vernunft weiß nur, daß sie Vernunft ist, wenn sie bis zum Herzenswunsch, zum letzten Wollen hinführen kann: und so ist Zusammenhang da für ein Meer von Dasein, vor und hinter uns; und nicht kommt es auf unser schwankendes, un- glückseliges Schiff an, in welches wir gebannt sind, welches uns vor den guten und schlechten Ufern vorbeiführt, über wel- ches wir keine Leitung üben. So sind auch die Ufer nur alles für die, die das Element nicht kennen und sehen, welches sie führt: nur die Orte, wo sie vorbei geführt werden. Für die Besten ist das Element nur Trost und Leitung, in der har- ten, schmeichelnden, unbesiegten Fahrt. Die sich umbringen, stürzen sich in das Element. Dies enthält aber für uns keine Bilder: und bildergierig, bilderschaffend, nachbildend, sind wir gemacht. Alles ist Zwang; Zwang zur höchsten Freiheit und Zusammenstimmung. — An Ludwig Robert, in Karlsruhe. Sonnabend, den 9. Februar 1822. Vormittag 12 Uhr. Duschig, nach dem göttlichsten Frühling, den ich genoß. Heute nur ein Wort! und das ist: „Nun hab’ ich mein Sach nicht mehr auf nichts gestellt!“ (Lies das neueste Heft Kunst und Alterthum: „Geneigte Theilnahme an den Wan- derjahren.“) Ich habe Friedrichs des Zweiten schwarzen Adler- orden: er bedeckt mein belohntes Herz. Er ist gemacht: aus allen Thränen, die ich weinte und verschluckte, aus allem was ich litt; liebte; lebte; genoß im Bösen und Guten. Mein Leben ist an seine Adresse gelangt. Daß dieser Mann er- lebe von seinen Zeitgenossen, daß er vergöttert, anerkannt, studirt, begriffen, mit dem einsichtigsten Herzen geliebt würde, war der Gipfel all meiner Erdenwünsche und Kommission! Dieser vollständigste Mensch ; dieser Repräsentant, der alle andern in sich trägt; und so mächtig ist, sie uns zu zeigen. Dieser Priester, dieser wahrhafte Gesandte! dieser sagt nun befriedigt selbst, er sei verstanden; das heißt : geliebt; geliebt mit einer Liebe, die Er nur erschaffen konnte. Dies hab’ ich ihm verschafft. Ich Ball in den Händen der Vorsehung, — Mad. Guion will das sein — und auf dies Glück, als Ball, bin ich stolz; nämlich freudig: und das freut den lieben Gott. Und der Triumph geht von Berlin aus: und das freut mich noch besonders, weil Er von Berlin häßlich berührt wurde, weil ich ewig Friedrich dem Zweiten dankbar bleibe; und weil es die beste deutsche Stadt ist. (So wird sie auch mit Recht am besten gehaßt). Also wir drei, du, Rike und ich, umar- men uns hier. Im Brief. Und du bist so gut, und schickst mir mit der fahrenden Post den Brief, den ich dir über den jungen Sta ë l schrieb. Varnhagen, grüßt. Wie überrascht’ ich ihn mit dem Heft. Adieu. Sonnabend, den 16. März 1822. — Eifersucht ist Beschämung; darum ist es eine einsame Leidenschaft — wie Sie sagen; — Beschämung, die Rech- nung ohne den Wirth gemacht zu haben; das fühlt jeder. Unsre Wünsche, unsre Neigung brachten wir in Anschlag, nicht die des Andern. Uns lieben wir, den Andern wünschen wir; darum fühlen wir uns allein. Dies ist sie rein, die Ei- fersucht. Nun kann noch Neid, und hundertfältige Lebens- und Geselligkeits-Elemente sich hinein schleichen und mischen; bei jedem Fall anders. Aber der unselige Mann fühlt sie wie das unselige Weib: nämlich, den eigentlichen Inbegriff davon; der Edelste fühlt diese Scham am heftigsten, aber er allein nur vermag sie in sich auszumerzen, wenn er sich seinen Irrthum ganz eingesteht. Sollten hier Männer und Weiber verschieden sein können? Verschiedene Denkfähigkeiten, Kräfte, Herzen, Schmerzen haben? — Freitag Abend, den 5. April 1822. Ich glaube, es giebt nur sehr wenig Menschen, die, wenn sie empfinden, die große und elegante Welt nur für das an- zusehen wissen, was sie ist. Gewöhnlich streiten sie sich die- selbe ab, daß sie nur irgend etwas sei oder schaffe; sind aber sehr von ihrer mindesten Gunst affizirt, und glauben von ihr zu empfangen, was sie nie leistet und giebt; erkennen und würdigen die Leute darin durchaus nicht; und lassen sich, wenn nicht jedesmal komplet, doch jedesmal von neuem, durch deren Aussprüche leiten und regieren, erschrecken, ängstigen, bestimmen, wider ihres Herzens Überzeugung. Unter all mei- nen Bekannten war nur Prinz Louis Ferdinand, und L. R., welche die große Welt geliebt hatten, und wirklich von ihr unabhängig waren, denen sie nicht mehr schmeichelte, sondern sie ennuyirte. — Louis Ferdinand, weil er sie als ein Erster darin kannte: L. R., weil er klar wußte, was sie einem ihrer Letzten bietet. Gründonnerstag 1822. Es ist ein Glück, daß die rechtschaffensten Leute oft im Umgang unausstehlich sind; sonst müßte man sich die größten Vorwürfe machen, minder bewährte Menschen so sehr liebens- würdig zu finden. Eigenthum? eigenthümlich? Unser Eigenthum ist nur das, was uns keiner nachmachen kann. Dazu gehört noch unser Sein. Alles andere Wissen, außer das, was in unserm innersten Wesen konstruirt ist, sind Materialien. Alle Wissenschaften eben so: sie sind ja nur eine zusammengefaßte Lehre, noch un- bezogener Wissensfähigkeiten im Menschen. Es Es ist ausgemacht, daß wenn wir keine Anlage — oder wie man’s nennen will — von Sittlichkeit in uns hätten, wir mit der größten Anstrengung von Nachdenken nie auf ihre Anforderungen gefallen wären. Könnte ein persönliches We- sen je darauf kommen, daß es seine Persönlichkeit aufgeben, und die eines Andern höher stellen sollte, als seine eigene? Mich dünkt sogar, es ist schon eine hohe Stufe der Entwicke- lung, Person und persönlich zu sein. Nun kommt mir vor, wir können in einem andern Zustand von Dasein noch eine schwerere Aufgabe in uns fühlen, die wir uns jetzt auch nicht vorzustellen vermögen. Und nur, daß wir dergleichen zu er- rathen vermögen, ist ein Schimmer vom Absoluten, allgemei- nen, sich selbst begründenden Dasein; wovon die Stufen sich verlieren müssen für einen Geist; einen absoluten, der alles zugleich erschaut. — Den 26. April 1822. Im Artikel 5. von Pascal, véritable religion prouvée par les contrariétés qui sont dans l’homme et par le péché origi- nel betitelt, hofft’ ich irgend einen Aufschluß über die Erbsünde zu bekommen: aber keinen! Er sagt sehr gute Sachen über den Zustand, worin wir Menschen uns befinden, indem er nämlich diesen Zustand in seiner größten Tiefe klar darstellt; auch gesteht er ein für uns großes Geheimniß zu: aber er er- giebt sich diesem Geheimniß nicht: sondern erfindet eine Anek- dote; wie er selbst sagt, der Vernunft widersprechend, womit er es nun erklärt. Mir von einem solchen Mann une rklär- lich! Und eigentlich gar nicht ergeben. III. 5 Er sagt, die Größe und die Nichtigkeit im Menschen seien so sichtbar, daß nothwendig die wahre Religion ihn unterrich- ten müsse, daß ein großes Prinzip von Größe — ein unver- tilgbares meint er — und zu gleicher Zeit ein großes Prinzip von Nichtigkeit in ihm sein müsse. Die wahre Religion müsse unsre ganze Natur kennen; und sie müsse Rechenschaft geben, über die erstaunlichen Widersprüche, die wir in ihr antref- fen. „Wenn es Ein Prinzip für alles giebt, und nur Einen Zweck, so muß die wahre Religion uns zeigen, daß wir nur dieses anbeten und lieben, da wir uns aber in der Un- fähigkeit befinden, anzubeten was wir nicht ken- nen , und etwas anderes als uns zu lieben, so muß die Re- ligion, die diese Pflichten lehrt, uns in dieser Unfähigkeit un- terrichten, und uns die Heilmittel dagegen lehren.“ Einmal ! Nun spricht er noch viel dazwischen, was nichts sagen will; dann fährt er fort; und Gott spricht: „Erwarte also nicht Wahrheit noch Trost von Menschen. Ich bin sie, die euch gebildet hat, und der allein euch lehren kann, wer ihr seid. Aber ihr seid nicht mehr in dem Zustand, in dem ich euch bil- dete. Ich schuf den Menschen heilig, unschuldig, vollkommen. Ich erfüllte ihn mit Licht und Erkenntniß. Ich theilte ihm meine Herrlichkeit und Wunder mit. Das Auge des Menschen sah damals die Majestät Gottes. Er war nicht in den ihn verblindenden Finsternissen; nicht in Sterblichkeit und dem Elend, welches ihn betrübt. Aber er konnte die Herrlichkeit nicht ertragen, ohne in Vorwitz zu verfallen. Er wollte sich zum Centrum seiner selbst machen, und von meiner Hülfe un- abhängig. Er entzog sich meiner Herrschaft, sich mir gleich- stellend, in dem Begehren seine Glückseligkeit in sich selbst zu finden. Ich hab’ ihn sich selbst überlassen.“ Dann sagt Gott noch weiter, „wie er alle Kreaturen gegen ihn empört hat und feindlich gemacht, die ihm sonst unterthänig waren, dergestalt, daß der Mensch den Thieren gleich, und in solcher Entfer- nung von ihm, daß ihm kaum eine dunkle Erinnrung seines Urhebers geblieben sei,“ u. s. w. u. s. w. Eine schöne Geschichte! Dies Stück könnte ja in alle Ewigkeit fortspielen: wie kann der Mensch besser werden, als Gott selbst sagt, daß er aus seinen Händen ging? „heilig, unschuldig, vollkommen:“ und doch wurde er vorwitzig, rebel- lisch? Er ist noch vorwitzig über das, was er nicht weiß; rebellisch gegen das, was er nicht kennt. Er soll es aber sein: denn er ist so geschaffen. Aus Gnade und Güte, nicht aus Sündenfall. Er soll eine Persönlichkeit haben, und hat sie: Gnade, Güte, ist Existenz. In dieser uns bekannten Persön- lichkeit ist uns nichts, was wir imaginiren oder wahrnehmen, gewiß, noch bleibend — also keine Garantie, die wir brau- chen, — so gehen wir Stufe vor Stufe nach dieser Gewißheit in uns selbst hinab, bis wir einen kleinen Punkt der wahren Unabhängigkeit entdecken, und der Gewißheit: Gewissen , das innerste Wissen , das Wollen und Thun, was wir für recht, für richtig — übereinstimmend mit dem Meisten — hal- ten. Und unsre höchste Sittlichkeit ist wieder ein sich frei, ein sich unabhängig machen wollen. Nichts hängt von uns ab, als dies. Und es ist grad umgekehrt, wie man sagt. Gott können wir uns nur mit — durch — unsre Fähigkeiten den- ken; was der beabsichtigte, nur mit der Intelligenz erdenken, 5 * die die größte Güte in uns legte; und unsere ahndende Ver- nunft kann nur vermuthen, daß noch eine höhere erleuchten- dere Aufgabe in uns aufgehen könne, als jetzt die unserer größten Sittlichkeit. Dies ist kein Fall : sondern ein Stei- gen; und nicht wir stimmen mit Gott, das können wir nicht; er stimmt mit uns ein; er regiert uns, und wir müssen uns darum frei und unabhängig glauben, — mühen, und irren: aber ohne weitere Mährchen ergeben sein. — Sonnabend, den 18. Mai 1822. Wissen ist eine Vorrathskammer, ein Vorrath; Wissen ist ein geistiges Haben. Durch Wissen ist man überzeugt: Liebe ist Überzeugung. — Richtig Eingesehenes und Ausgedrücktes in der Gegen- wart, paßt zur Vergangenheit und Zukunft: und ist an die- sem Zeichen sogar zu erkennen. In das Stammbuch zu Graupen in Böhmen, 1822. Was hier ich seh, getreu berichten, Das hieße wahrlich dichten. Gestern den 22. September 1822. einen Sonnabend Abend in Töplitz erzählte uns Herzogin von Cumberland von Goe- the’s Haus in Frankfurt und von seiner Mutter, wie sie und die Königin als junge Prinzessinnen dort gewohnt haben, sehr einnehmend und mit einer ihr so gefälligen Erinnerung, als die Frau Rath Goethe nur immer thun mochte, wenn sie ih- rerseits von den englischen Kindern erzählte. Unsre Königin und die Herzogin waren gleich den vielen andern während der Kaiserkrönung zu beherbergenden Fürst- lichkeiten von Seiten der Stadt Frankfurt auf bestimmte Wohnungen angewiesen, beide mecklenburgische Prinzeßchen, als Nichten der Königin von England, im sogenannten han- növerschen Viertel, bei der Frau Rath Goethe; und das glück- liche Haus hatte auch dies Glück. Frau Goethe empfand dieses Glück ganz, wie aus der Herzogin Erzählung zu sehen war; sie that den Kindern so alles zu Liebe, zu Gefallen und zur Unterhaltung, daß die Herzogin noch mit dem größten Wohlgefallen, ja mit kindlicher Nachfreude erzählte, wie diese prächtige Frau ganz jugendlich mit ihnen spielte und schaffte, und sie immer in ihre eignen Zimmer kommen ließ , worauf die Herzogin noch einen nachträglichen Werth legte. Wie ziert und ehrt dies Gast und Wirth! Auch blieben die Damen mit Frau Goethe, so lange sie lebte, in Verbindung, und sahen sie jedesmal, wenn sie späterhin nach Frankfurt oder in dessen Nähe kamen. Wie die beiden schönsten Fürstinnen Deutschlands, — holde, blonde, liebe Engel, — als preußische Bräute mit un- sern Prinzen und dem hochseligen König zu Frankfurt waren, so hatte dieser seine Loge im Theater dicht neben der, worin die Frau Rath Goethe zeitlebens ihren Platz nahm. Das leb- hafte Herz der vortrefflichen Frau triumphirte, daß ihre Prin- zeßchen so schönen und vornehmen Prinzen vermählt werden sollten, und sie konnte es nicht unterlassen, ihrem Logennach- bar, unserm Könige, zu zeigen, wie wohl sie den hohen Bräu- ten befreundet sei. Sie besaß nämlich eine schöne Dose mit der Brillant-Chiffre des Herzogs von Mecklenburg zum An- denken für die so sehr freundliche Aufnahme seiner Kinder. Und so gab die Herzogin die Worte wieder, mit denen Frau Goethe ihr die Sache nachher selbst erzählt hat: „Ich nehme meine Dose, geh’ in’s Theater, stelle sie mit draufdrückender Hand — fest auf den Logenrand; der König sieht nichts. Ich nehme eine Prise, setze die Dose näher an den König, und sehe ihn an; er sieht nicht auf die Dose hin, er hat mehr dergleichen gesehen! Ich nehme sie abermals, setze sie noch näher, und sehe wieder den König an: endlich blickt er auf die Dose, und wie er sie gesehen hat, sagt er ganz gütig: „Ei! Madame Goethe, was haben Sie da für eine schöne Dose!“ Ja, Ihro Majestät, antworte ich, die hab’ ich auch von meinen Prinzessinnen von Mecklenburg!“ Und so mußte der König ihre Freude wissen, und die Sache war gelungen. Herz hilft zu allem. — Aber eine viel komischere Geschichte fiel vor mit Frau von Guttenhofen, gebornen Gräfin Hatzfeldt, berühmten Schön- heit am Mainzer Hofe, wobei Frau Goethe auch wieder kräftig auftritt. Als unsre Königin fünfzehn Jahr alt war, so wurde wohl sie, aber noch nicht die Herzogin, manchmal von der Großmutter in Gesellschaft mitgenommen: „Und so geschah es einmal, erzählte die Herzogin, daß meine Schwester einen Besuch beim damaligen Kurfürsten von Mainz mitmachte; kaum ist sie aber mit meiner Großmutter hinein getreten, so stürzt Frau von Guttenhofen auf sie zu, und sagt: Wissen Sie wohl, Prinzeß, daß man hier nicht mit langen Ärmeln herkommen kann? Die junge Fürstin fußt sich aber, und sagt gleich: Ich thue alles nach den Befehlen meiner Großmutter, und so hab’ ich auch angezogen, was sie mir befohlen. — Ich sehe meine Schwester noch, — fuhr die Herzogin erzäh- lend fort, — sie hatte ein blauseiden Kleid mit spitzen Är- meln an, wie man sie damals nannte“ — (Ich wußte dieses auch, und bejahte es mit einem Blick) — „mit schwar- zen Perlen, wahrscheinlich Schmelz — gestickt. Aber es machte doch einen Eindruck auf meine Schwester, so jung sie war! Sie ist auch nicht wieder dort gewesen.“ Frau Goethe ver- nahm den Vorfall mit großem Unmuth, und sprach lebhaft für ihr Prinzeßchen. Frau von Guttenhofen war auch gar nicht Oberhofmeisterin, sie fühlte sich nur als solche. Ich habe eine Dame, die am Hofe des Königs von Westphalen eben so geschaltet hatte, aber schon längst aus diesen Verhält- nissen geschieden war, an ganz fremdem Orte sich ähnliches herausnehmen sehen, und der obige Zug befremdete mich da- her weniger, als ihn die Herzogin erzählte. Späterhin, so fuhr die Erzählung fort, war unsre Königin mit der Herzogin zusammen in Wilhelmsbad, wohin auch Frau Rath Goethe aus Frankfurt eingeladen wurde; die dann mit der Königin in den Brunnensaal hinabging, und dort neben ihr saß, wäh- rend aller Welt Menschen sich einfanden, und ihre Huldigun- gen darbrachten. Frau Goethe hörte nicht auf, nach den ihr unbekannten Personen zu fragen: „Wer ist die? Wer ist das?“ und wie sie wieder nach dem Namen einer Dame fragt, die eben gesprochen hatte, antwortet die Königin: Frau von Guttenhofen! — „Die Frau von Guttenhofen? fährt Frau Goethe lebhaft auf, die so grob war? Lassen Ihro Majestät ihr nun gleich befehlen, sie soll sich ihre Ärmel abschneiden!“ In der größten Wuth sagte sie das. Die Herzogin freute sich dieses Ausfalls noch. Jetzt tragen alle Menschen lange weite Ärmel; alles ist verändert: mit dieser Bemerkung fing auch die Herzogin ihre Erzählung an: „Wie man noch so auf Kostüme hielt.“ Jetzt ist es besser. Jetzt halten viele Fürsten auf Besseres. — Den 2. November 1822. Das Wort „Geist der Zeit“ möchte ich außer Umlauf setzen können; es verwirrt entsetzlich. „Die allgemeine Über- zeugung,“ möchte ich es nennen, was man im Guten damit zu bezeichnen denkt. Als man die vermeintlichen Hexen ver- brannte; das war der Geist der Zeit: die allgemeine Über- zeugung machte aber, daß dieser alberne Gräuel aufhörte. — Und so herrschen diese beiden sehr verschiedenen Zustände oft noch neben einander, wenn auch die allgemeine Überzeugung den Geist der Zeit immer verdrängen muß. Sonntag, den 3. November 1822. Präsumption ist schon, wenn man in der Meinung oder Überzeugung, daß es einem gelingen würde, etwas unternimmt, welches Andern mißlungen ist. Demüthigkeit, wenn man trotz einer solchen Überzeugung, und wenn sie die evidenteste ist, solches unterläßt. Ich bin präsumptuös in Menschenumgang gewesen. Montag, den 5. November 1822. Franzosen, Engländer, sonst die Spanier und Italiäner — und natürlich auch die alten Nationen — haben National- meinungen, solche Gefühle, Ehre, Ehrgeiz, und Strebungen, die sich auf theils bleibende, theils eine große Zeit lang sich wiederholende gesellige Zustände beziehen; ihre Kunst, ihre Künstler und Dichter müssen sich auch darauf beziehen, wenn sie verstanden werden wollen, wie sie auch selbst darin befan- gen sind. Wir Deutschen klagen schon lange, und immer öf- ter darüber, daß unter uns die Dichter nicht auf Autorität verehrt werden. Diesen Übelstand können wir aber ertragen, wenn wir betrachten wollen, was wir eigentlich sind. Ein Volk nicht zu einer Nation abgeformt und geschliffen: der Menschheit, und also allen Nationen noch nahe; unser Dich- ter sieht sich in der ganzen menschlichen Welt nach Zuständen um; erhöht sie, denkt sie sich wie sie sein könnten, müßten, nicht nur wie sie sind, und sein können in einem engen vor- gefundenen Zustand, den er noch ändern will, gemein mit al- len Gesetzgebern, und Erfindern; je größer solches Menschen Geist, je erhabener seine Seele, je belebter sein Herz, je reich- haltiger, vielfältiger, muß er wählen und darstellen, und Zu- stände kombiniren, und in dem Alten Neues sehen und zeigen: aber desto weniger auch wird er begriffen, oder desto häufiger ihm nicht gefolgt werden können, er unverstanden bleiben; und also oft nicht anerkannt werden, und von Dreisteren, die sich vieles angelernt haben, ohne das zu ahnden, was nicht angelernt werden kann, getadelt; grad’zu. Dies ist eben der Zustand, in dem sich unser Publikum mit seinen Autoren be- findet. Bei weitem vorzuziehen einer nur in einer Zeit, und auch da nur von den Verständnißreichen, wahr gewesenen, jetzt zu einem Patentbeifall gewordenen, unverdauten Aner- kennung; die eine gänzlich äußere wird; aber auch Ansehen, Einkünfte und Orden giebt: bei uns ist alles dies im Werden und Wachsen; ganz lebendig mit allem andern Aufstreben und Gedeihen; in einer Art von Kriegszustand unter einander, der dem Selbst- und Doppelgespräch des Gewissens zu vergleichen ist; welches uns reinigt, fördert, immer beruhigen will, und eigentlich allein nur belebt. Welchem einzelnen Menschen wäre es wohl erlaubt, sich solche Komplimente zu schneiden, wie es jede Nation gegen sich selbst gelassen und blind aus- führen darf; und wovon wir unfassionirten Deutschen bis vor einiger Zeit frei waren. Wir können ja eine ganz andere Nation werden; wenn wir nur wahr bleiben; und das Gute nehmen, wo es nur zu finden sein mag; andre nicht mit Na- tionalhaß verunglimpfen, und uns nicht aus Nationalliebe verhätschlen. — Wir hatten noch keinen Nationalkönig, dem wir Siege zuschoben, die seine Diener erfochten; mit dem wir galant waren, und dann mit ihm und allen lebenden Sünden in Reue verfielen, dessen Verschwendung wir wie uns von Gott verliehene Gaben anstaunten, zu erhaschen suchten, und raub- ten, wie es kam; dessen Pedanterei und Hoffährtigkeit und Selbstverehrung uns nach langem Bürgerkrieg zu erretten schien; dem wir alle Künste seines Jahrhunderts zuschrieben, weil er in’s Schauspiel ging, und sich seine Vergötterung ge- fallen ließ, der auf den Thron kam, als eine Menge regie- render Vasallen gebändigt, und ihr Land seinem Reiche ein- verleibt war, der, weil er nie allein sein konnte, und alles gesprächsweise abmachte, die Nationalgeselligkeit auf den höch- sten Punkt trieb, wohin der Letzte im Volk mit hinan gezo- gen, und geschickt dazu ward; einen Mann, bei dessen Re- gierung die Welt gleichsam nach Luft schnappte, weil die kul- tivirten Gräuel bis auf den äußersten Gipfel gekommen wa- ren; aber doch noch oft von neuem wütheten; der sie ganz gottselig selbst befahl: und sie von Geistlichen und weltlichen Gelehrten sanktioniren, und rein waschen ließ. Wir brauch- ten auch keinen Helden, der sein eigen Land besiegen mußte, wie Heinrich der Vierte: wir haben eine ganz andere Ge- schichte; und streben doch nach den Fehlern, die jene Geschichte der Nation aufprägen muß: könnten wir ihre Tugenden ohne ihr Unglück uns eigen machen! — Montag den 5. Novem- ber 1822, nachdem Mad. Boucher gesagt hatte, Goethens Tasso „c’est un hypochondre!“ — November 1822. Es kommt mir sehr gelegen, an Rossini’s tanti palpiti und Karl Maria Webers Jungfernkranz eine alte Behauptung bewähren zu können; daß nämlich nicht alle Melodieen, die vom Volke leicht aufgefaßt und gesungen werden, dadurch allein für schön erklärt werden können. Es giebt Melodieen mit einem bequemen Rhythmus, die zu keiner besondern, und zu keiner höheren, ja nicht einmal zu einer betrachtenden Stimmung auffordern, wobei man im Hause, im Quickmarsch- tritt umhergehen, Thüren schließen, spinnen, Taback rauchen, nähen, einen Gang machen kann; zu denen gehört offenbar die des Jungfernkranzes; wenn man sich, ohne den Text zu beachten, Rechenschaft von ihr giebt, so ist sie eine vergnüg- liche Melodie, durch einen kleinen Trotz erhöht: solche werden dann aus imitativer Schwäche allgemein gesungen; eine Art musikalischer Strafe für höhere Musiker, wie auch jeder, wel- cher ein solches Lied, fast unwillkürlich, singen muß, an sich selbst erfahren kann. Ganz anderer Art ist gleich das tanti palpiti. Es unterbricht schon jedes häusliche Geschäft; es ist eine Empfindung, die in Betrachtung ausartet, die ihre Pau- sen macht, sich in sich selbst variiren will, und sich gezwun- gen wiederholt, von stärkerem Schmerz unterbrochen, als sie sich zugestehen will, in offenbare Musik ausartend, die immer allgemeiner in ihren Beziehungen wird. Ein solches Lied wird in Deutschland nicht so leicht allgemein werden, wo das Volk Jungfernkränze haben will, und die Gebildetern tiefe Rechen- exempel für den Geist verlangen, dem das Ohr erst nachzu- kommen lernen muß, — von denen, die sich nur wollen im- poniren lassen, gar nicht zu reden! — während der Italiäner z. B. schon lange die schönen Gondolierlieder hat, die Stim- mungen fordern und hervorbringen, und zu Lande und zu Wasser vom ganzen Volke gesungen werden. — November 1822. Man mag das Wort Vaterland noch so oft, in die Ge- wehre der Blätter, Zeitungen. Rezensionen und Bücher gela- den, abschießen: kein Land wird dadurch eine National-Musik oder Mahlerei erhalten: noch irgend eine der Künste! Kunst erfordert das gesündeste, vollständigste Naturgefühl, unge- schwächte Sinne; einen unschuldigen, von Einflüsterungen der höheren Verbildung noch ungeschwächten Sinn; ein reges, bewegliches Gemüth: sie ist ein Behelf der höchsten Bedürf- nisse des Menschen; sie ist eigentlich — am allgemeinsten ge- sehen — die Gabe, ich möchte sagen die Kunst, die Natur und all unsre Zustände unserm innersten Bedürfniß am ange- messensten sehen zu lassen, und in Ermanglung, in der wir leben, darzustellen, wie wir Menschen sie eigentlich alle wün- schen müssen, vermöge unserer Beschaffenheit; wenn uns nicht Noth und Bedürfniß verkehrt haben. Nur die gesammten Bemühungen der ganzen Erde in dieser Rücksicht, und seit allen Zeiten, können die Resultate dieser Aufgabe liefern, sie aber wohl nicht ganz lösen. National werden alle Kunsterzeugnisse der verschiedenen Völker sein müssen: von ihrem Aufenthalt und Zustand wie von einem Element bedingt, in welchem sie sich befinden. Dies aber eben kann nicht vorgeschrieben werden, nicht erbe- ten, nicht durch Beweise hervorgerufen werden. Uferleute werden mit Schifferliedern anfangen, wo sie ihre kleinen oder großen Mühen und Freuden ausdrücken, die Elemente beschrei- ben und ihre Wirkungen werden angeben wollen; wo sie sich die Orte ihrer Sehnsucht, von denen sie sich entfernen, und zu denen sie hin wollen, vorstellen und mahlen werden; und so progressio nach Umständen alle menschlichen Lagen und Vorstellungen da anknüpfen können. So auch ein Jagdvolk, ein Hirtenvolk, ein kriegerisches, ein landbauendes, ein Ge- birgsvolk: jedes aus seinem Zustand heraus; und eben so mit allen Künsten. Werden die Verhältnisse komplizirter, gegen andere Völker zu, und nach innen, so wird Stolz, Eitelkeit, Muth, Konventionelles, sich hinzumischen, zu dem, was sie ausdrücken wollen. Religion und ihren Gottesdienst müssen wir auch dahin zählen, weil auch sie unter allen Völkern nicht ohne Zusatz bleibt. Wenn man also Nationalkünste verlangt, so können sie nur in Nationalzuständen ihre Quelle finden; und weil nicht jede Kunst bei jeder Nation diese Nahrung findet, so hat von jeher eine von der andern geborgt, und sie haben sich einan- der nachgeahmt. Es kann mit als eine kriegfolgende Neuerungs- lust angesehen werden, wenn possirlich und gewaltthätig von einer Nation gefordert wird, was eine andere nur ihrem Zu- stande angemessen längst geliefert hat. La chasse de Henri IV, von Schweden etwa, auf einen ihrer Monarchen angebracht und modifizirt; große Heiligenbilder in Mecklenburg, die nur unter Päpsten entstehen konnten; eben so mit Gebäuden: jetzt in Hamburg, was einst Venedig hervorbringen konnte; Schwei- zer Gebirgslieder in Holland. Wenn man auch antwortete: Das wird nicht verlangt; jedes Volk soll nur seine Zustände sublimiren; das wollen wir! Dies möchte ich auch; aber alle Zustände lassen sich nicht künstlerisch sublimiren: es giebt auch Völker, die in Zuständen leben, die nur einer rechtlichen, sitt- lichen Verbesserung fähig sind; auch sprungweise zu viel von der Gesammtbildung der Erde bekommen haben, und die Pe- riode ihrer Kunst — die ich jedem Volke von der Natur zu- gestehe — überschritten haben. Wie ich denn glaube, daß sie überhaupt für jetzt überschritten ist. Die Untersuchung, welche diese Behauptung voraussetzt, kann jeder Einzelne in seinem eignen Leben anstellen: ob spätere Verhältnisse, kombinirteres Wissen, später sich entwicklende Interessen, ausgedehuteres Ordnunghalten, in all diesen Dingen tieferes, vielfältigeres Studiren, der Kampf mit der Welt in reifern Jahren, eine traurigere und auch höhere Klarheit, ihn nicht von Kunst- erzeugnissen und Kunstvorsätzen abhalten! Die Welt bewegt sich aber immer; erzeugt immer neue Menschen und frische Verhältnisse; nichts ursprünglich Mensch- liches wird vertilgt werden; so wenig wir Wild des Waldes werden, oder als ein Mann in Amt zur Welt kommen wird; und so braucht uns weder um unsre Liebe zur Kunst oder deren Werke bange zu sein. Getrieben nur können sie nicht werden: nicht einmal vom besten Willen; von Eitelkeit und Liebhaberei an Nationalität gar nicht. Freien Lauf lasse man ihnen; gute Zustände aller Art bereite man; und das ein je- der auf seiner Stelle; das ist das herrlichste Beförderungs- mittel; und die Wahrheitsliebe pflege man zehnfach doppelt bedacht in sich! Alle Werke der Kunst zeigen sich gleich als Karikatur ohne sie. Das zeugt, wenn es noch nöthig wäre, von ihrem hohen Ursprung, und ihrer hohen herrlichen Ver- wandtschaft: und so wären wir wieder zu dem Anfang, wo wir sie als höchstes Bedürfniß des Menschen ansahen, als das Bild, welches wir von unserm hiesigen Leben uns vorhal- ten; zum Ersatz, zur Lust, zur Erhebung. ( Mündlich .) Von einer musikalischen Studie des jungen Felix Men- delssohn-Bartholdy: „Sie ist wie eine Maxime eines französischen heitern be- jahrten Landmanns, immer wiederholt und sich steigernd, bis zur abstraktesten Spekulation.“ Den 10. November 1822. Es giebt Zauberei aber keine Zauberer. Diese wenigen Worte enthalten mehr, als man denken sollte. — R. ist ein sehr ignoranter Mensch, er weiß nur, was er gelernt hat: und das ist wenig, weil man nur lernen kann, was man schon weiß. Alt will keiner werden: jung soll keiner sterben. Daran kann man’s sehen! — Freitag, den 15. November 1822. November 1822. Saint-Martin sagt: Les hommes qui ne vivent qu’à la surface, n’ont que de petites peines et de petits plaisirs; ils sont aussitôt consolés qu’affligés, aussitôt affligés que consolés. Ce ne sont que des figures d’hommes. Aussi faudra-t-il que la vie de ces hommes-là recommence, lors- qu’ils qu’ils auront quitté cette région visible et apparente, puis- qu’ils n’auront pas vécu pendant le temps qu’ils l’auront traversée, et c’est ce prolongement de temps qui fera leur supplice, — wie jetzt, — parceque la combinaison de leurs substances ne sera pas dans une mesure si douce et si harmonieuse que dans ce monde, où tout est dans des proportions de miséricorde et de salut. — Das denk’ ich auch immer; und das ist meine einzige Art von Todesfurcht; daß Unverhältnisse sich einfinden, die schwerer zu durchbrechen sind mit dem tief-ordnenden Geist; sowohl in dem — Haupt- — Begriff der Zeit, als fonst; und allerdings kann das ent- stehen, wenn man nicht fleißig genug war; wie auch schon hier: man muß nachholen. Der wahre Glaube, die wahre Hoffnung, bestehen aber darin, daß es noch ganz anders kom- men und sein kann, als wir es uns vorzustellen vermögen: und dies ist mein festlichster Gedanke. Da ist Religion. Kein Bild; die leere Tafel; wo Bilder sind, schuf Gott unsre Welt; die für uns. — Den 24. November 1822. Aus Saint-Martin’s oeuvres posthumes Vol. I. No. 635. „Il y a pour la prière un degré encore plus élevé que celui du No. 626. C’est de sentir que la seule prière que nous aurions à faire, ce serait de travailler continuellement à ne pas empê- cher de prier en nous celui qui ne peut cesser de prier pour nous: car c’est en nous qu’il aime le mieux prier: puisque nous sommes son oratoire; mais quand nous ne lui laissons pas l’ac- cès libre, il va prier hors de nous, et il emporte sa paix avec III. 6 lui.“ — Welch schöner Gedanke, sich als bewußter Altar, wor- auf gebetet wird, vorzustellen! Eine schöne Vorstellung! So sagt man von einem schönen theatralischen Gedicht. So nennt man es gradezu. Ein Gedicht ist eine halbe Schöpfung: und darum ein Fest, ein Spiel, keine Arbeit; halbe Freiheit: mehr als man gewöhnlich denkt. So sehe ich diesen ganzen Gedan- ken von Saint-Martin an. Nr. 648. „Avant de nous livrer à des actes importans, nous aurons trois conseils à consulter: 1) si nous pouvons; 2) si nous voulons; 3) si nous devons. Malheureusement presque toujours ce sont les circonstances qui nous tiennent lieu de volonté on de désir, et ce sont nos volontés et nos désirs qui nous tiennent lieu de devoirs. Voilà pourquoi il y a tant de déceptions et d’infortunes parmi les hommes.“ Man hält dies für sehr einfach; aber es ist stark und außer- ordentlich gesehen. Mir fällt aber dabei ein: „Erlaubt ist, was gefällt.“ Sollen und Wollen ist Eins; und sollte nicht gestört sein. — Montag, den 25. November 1822. (1825. „Si nous voulons“, ist so scharfsinnig und kundig!) Nr. 674. „Une de mes plus utiles voies a été de viser constamment et opiniâtrement au tout à l’heure , au tout entier , au partout , et au perpétuellement . Dahin zu zielen ist die Beschaffenheit der menschlichen Seele. Leider vergehen uns die Kräfte im Weltverkehr so oft dazu; (mir, trotz der klarsten Überzeugung: das ist, weil man nicht nur sich, son- dern auch Andere zu zwingen hätte): für den Plan, den wir nicht machten und machen — ist gesorgt, wir müssen unwill- kürlich nach dieser Regel verfahren. Dienstag Vormittag, den 26. November 1822. Wunderschönes Wetter. Saint-Martin, Nr. 684. „Parmi les douleurs spirituel- les que j’ai si fréquemment éprouvées et qui semblent être ma destination dans ce monde, il y a une qui est journalière pour moi, c’est de voir les hommes si peu curieux de s’ex- pliquer les choses. Cela me prouve ou qu’ils n’ont point en eux le moindre désir au-dessus de ceux qui sont de la classe de la bête, ou que s’ils ont déjà quelques apperçus des vé- rités supérieures, ils faut qu’ils les jugent bien mal de croire qu’elles s’arrêtent au point où ils sont parvenus, et qu’elles ne procèdent pas à tous instants, et n’engendrent pas sans cesse d’elles-mêmes des vérités nouvelles.“ — Die gefun- denen Wahrheiten antworten aber nicht immer, und höchst selten; man mag fragen wie man will. Doch ist ewiges Fragen recht und nützlich; „der Mensch ist eine Frage — sagte ich schon lange — wenn er unschuldig ist.“ Nr. 685. „On me dit toute la journée dans le monde: telle opinion telle idée sont reçues. On ne sait pas qu’en fait d’opinion et d’idées philosophiques j’aime beaucoup mieux les choses qui sont rejettées, que celles, qui sont reçues.“ — Alle Meinungen und alle Ideen sind philosophisch: es giebt gar keine andere: wenn man auch annimmt, sie könnten sich manchmal auf Gegenstände beziehen, die nicht philosophisch wären. Grade den Umgang und das tägliche Leben betreffende 6 * Meinungen sind verderbt, verderben sich leicht; weil sie nicht philosophisch genug behandelt werden, und müssen immer wie- der an’s Sonnenlicht gezogen, und verworfen werden; eben wie untauglich gewordene Nahrung: Speise und Trank. An Oelsner, in Paris. Berlin, den 28. November 1822. Donnerstag, 11 Uhr, in meinem Bette. Dunstiges, feucht- liches, graues Wetter: noch kein Frost, noch kein Schnee. Dies Letzte, damit Sie nicht denken, daß Sie auch dies in Paris voraus hätten; das Erste, um Ihnen gleich zu zeigen, daß ich Rheumatism zu pflegen habe, und Sie mir sowohl mein Nichtschreiben als mein Schreiben zu Gute halten! „Ich wünschte meine Schuld in Person abzutragen, schreiben Sie mir in Ihrem letzten Briefe, denn die Empfindung bedarf der Gebärde und der Stimme.“ Sie bedarf — und sie allein — der ganzen Welt, und vermißt am meisten Gebärde und Stimme. Wie soll es mir nun aber gehen, da ich ohne weiteres stupid bin, wenn mich das Herz nicht aufrührt, was soll ich nun mit tonloser Feder und stiller schwarzer Dinte anfangen, wenn ich einen Brief seit Juli habe liegen lassen; in welchem Monat ich schon leidend und gestört auf manche Weise war. Grau in grau kommt mir die Welt vor: hab’ ich recht, oder stecken sie mir meine Haare bloß an? Mich dünkt, die politischen Fragen und die den geselligen Umgang betreffenden, sind abgesprochen, abgewitzt und abgelebt. Die Führer und Verwalter der erstgenannten suchen sich zu sichern und zu schanzen, weil die heiligen Haine, hinter denen sie thronten, durchschritten und gekannt sind. Die Arbeit geht nun an ein paar andere große Institutionen — die man für Religion ausgab, und hielt, und von ihr borgte — dünkt mich. Es wird nichts helfen; man wird in allen Winkeln des Geistes und des Herzens wahr sein müssen, und sich das große, allgemein herrschende Defizit, des Nicht wissens, ein- gestehen müssen. (Dies ahndet die größte Menge gar nicht; Viele von den Andern wollen es nicht gestehn; noch Wenigere denken sogar dagegen noch handeln und wirken zu können. Unnützes Versuchen! Erstlich ist man immer selbst in der wah- ren Schöpfung — Entwicklung — man drehe sich Kopf vorne Kopf hinten, mit einbegriffen; und Jeder mittendrin; und Zweitens, wo sollte es hinführen? Rückwärts? Wir müßten wieder vorwärts.) Man wird aufhören müssen, da für die menschliche Gesellschaft bauen zu wollen, wo kein Grund, als selbstgemachte Fabeln, zu finden sind, und sich das Herbe ein- gestehen, daß man Mangel, für’s Erste kennen muß, und ihm nicht mit Verläugnen abhilft. Seinen Hinunel wird sich jeder Einzelne ausdenken müssen zur Unterhaltung — wahre Poesie — schaffen wird er ihn sich müssen, in seinem Gewissen: und daß er das muß, wird er wissen müssen : Gesetze für den Lebensverkehr werden klarer, intensiver — mit dem innersten des menschlichen Geistes, und seiner ganzen Natur — treffen- der und wirkender ausgedacht werden; und das, daß niemand einem Gesetze entgehen kann, ganz allgemein und herrschend werden. Dahin, dünkt mich, will die Welt, und die häus- liche Gesellschaft: und vor diesem großen Werke — groß nur weil es endlich erkannt wird — steht sie jetzt stockend still: und darum ennuyiren wir uns! Das nenn’ ich ausgeholt: weit ausgeholt! Aber so ist’s: will man nahe kommen, muß man weit ausholen, mir geht’s immer so. Ich hoffe, Sie ennuyiren sich auch. Nämlich, man wird weder erschüttert, noch angenehm hingehalten; und muß auch dies für sich al- lein übernehmen. Sie thun es gewiß: ich auch. Ich lese: es fällt mir dabei etwas ein; das amüsirt mich. Ich gehe, ist’s möglich — nur irgend einträglich — in’s Theater; sehe wo möglich noch passable Menschen; und liebe Gedanken, Denken und Einfälle immer mehr: ich glaube, je weniger ich habe; sie ergötzen und stärken mich ungemein. Sie heilen und flicken mich aus. Schreiben Sie uns also! Ohne alle Hoffnung — weil das überhaupt am meisten beruhigt — vielleicht sehen wir uns doch in dem ersten oder zweiten Jahr; lieber in Paris, als in Berlin. Für die Fürstin von Salm- Kyrburg hab’ ich wahrlich gar nichts thun können, worüber ich noch in Reue bin! Der schwülste Sommer; Staubstra- ßen, leere, ganz leere Stadt; fast keine Gegend; ich ohne Pferde, ohne Muth; sehr unwohl! hat die Fürstin durch alles dieses meinen guten Willen durchgesehen, und mich in diesem ungünstigsten Zustand nicht ganz übersehen, so ist sie noch klüger und besser, als ich sie hier schon fand. Sie ist artig, klug, angenehm, voll Welt, die ihr nicht schadete: kurz, sehr gut. — Sein Sie gut gegen diesen Unbrief! — Mittwoch, den 4. December 1822. Es ist nicht allein sehr schwer, die Wahrheit hier in der Welt zu finden ; sondern man muß sie auch noch ver- läugnen ! Nur nicht denken, nur nicht denken! Nur den Tag so ziemlich lenken! Sonntag, den 8. December 1822. Vormittag, nach großer Störung; graues Wetter, welches Lust hat schön zu werden. Saint-Martin Nr. 29. „Renferme-toi dans ton cercle atmosphérique spirituel, et demande sans cesse que l’on te remette tes péchés, c’est-à-dire, que l’on te rende ce qui te manque: car un péché n’est qu’un déficit ou un défaut!“ Dies schreib’ ich des Wortes Defizit willen ab; weil ich in diesem Sinne immer von einem großen Defizit spreche; in dem wir uns befinden. Da muß man hungern, oder lügen, oder man macht immer noch schlechtere Geschäfte. Alle drei Fälle werden angewandt. Er sagt Nr. 30. nach vielem andern, vom Menschen: „Il n’avait été émancipé que par la miséricorde. Il est de- venu l’objet de la grâce, ayant cessé d’en être l’instrument. L’univers matériel avoit été formé par la justice: il en con- serve encore le caractère!“ Er ahndet Nothwendigkeit: und will sie mit Gewalt benennen. Nicht er, sondern beinah Alle. Aber diese Ausdrücke sind vortrefflich-schön! Nr. 66. Es ist merkwürdig, was er da sagt: „Toute la vie de l’homme devrait se diviser en deux parties, et ne s’em- ployer qu’à deux choses: la première de manger son pain quotidien spirituel: la seconde de dormir. Hors ces deux occupations, je ne vois pour l’homme que misère, péril et iniquité.“ — Le pain quotidien spirituel n’arrive pas en es- prit, mais sous l’enveloppe du pain ordinaire. Montag, den 9. December 1822. Saint-Martin Nr. 205. Vortrefflich! „Ne croyons pas que les joies de l’âme ne soient qu’une chimère, et que ces biens que nous lui acquérons dès cette vie, soient en pure perte. L’âme ne change point de nature en quittant ce corps mortel. Si elle s’est livrée au mal, elle en reçoit la punition en s’y plongeant davantage. Si elle a aimé le bien, et qu’elle ait éprouvé quelquefois les délices secrètes que donne la vertu, elles les goûtera avec encore plus de sensibilité, elle sent ici ‒ bas des ravissemens causés par la contemplation des choses qui sont au-dessus d’elle . Il lui semble, que rien sur la terre ne peut lui causer le même plaisir: il lui semble même que les plaisirs terrestres n’existent pas. etc.“ Die Seele ändert ihre Na- tur nicht, das bin ich überzeugt, das widerspräche ihrem Ur- sprung, aber wenn sie andere Geschäfte hat, ist das eben so gut; die sucht sie auch unaufhörlich; und, wie Saint-Martin sagt, immer in Dingen über den Bedingungen, worin sie ge- halten ist: die kleinste Unterhaltung, die wir suchen, suchen wir eben auf die Weise, und aus demselben Grunde: darum vertheidige ich die Unbeständigkeit; sie hat den beständigsten Grund. Nur wer nicht erkennen kann, was er hat, und nicht weiß, was er will, hat den Grund der Unbeständigkeit verloren. Nr. 206. „Quelque sublime que soit un génie, même dans les choses de l’esprit, il ne pourra se soutenir qu’autant qu’il se fondra sur la piété.“ — Die Spekulation muß bis dahin gekommen sein; sie darf davon nicht ausgehen. Freitag, den 13. December 1822. Mittags, helles schönes Wetter. Mittwoch, den 26. December 1822. Bei Gelegenheit der Tieck’schen Novelle gegen die Heuchler: H. Vernunft ist doch nicht despotisch! R. „Allerdings. Der einzige wahrhafte Despot!“ Und mir fiel nachher ein: daß sie auch der größte Sklave ist; sie kann nur verneinen und bejahen. Freitag, den 30. Januar 1823. „Und in allen Stücken billig sein, heißt sein eigen Selbst zerstören.“ Genau unsre Lage und Eigenschaften kennen, ge- hört dazu: nichts ist hemmender. — Donnerstag, den 20. März 1823. Thiers Buch über die Pyrenäen und das mittägliche Frankreich. Ganz vortrefflich! Gar nicht wie ein Franzose: es ist unglaublich, daß dies ein so junger Mensch und ein Franzose geschrieben haben soll! Es ist ein ordentliches Puls- fühlen, wie weit diese Nation fortgeschritten ist. — Wenn das Rousseau von seinen Landsleuten erlebt hätte! — Man sollte sich wirklich alles von seinen Landsleuten ge- fallen lassen! denn je mehr sie uns tadlen und verfolgen, je mehr man in Disharmonie mit ihnen ist, je gewisser ist es, daß man auf sie gewirkt hat. Das Buch ist voller Thatsachen, voller gesunder Ansich- ten; über das spanische Gränzland erhält man die größten Aufschlüsse; der Artikel Marseille ist vortrefflich. Thiers hat Anlage zu einem Staatsmann. Er sieht, was da ist, und mit der Sache ihren Grund zugleich: und Dichter ist er nur im Ausdruck; das heißt, er weiß, was er gesehen hat, nach- zubilden in unendlichem Gebrauch seiner Sprache. — Sonntag, den 23. März 1823. Im Gespräch über das Buch: Des hommes célèbres de France au dix-huitième siècle etc. par M. Goethe, sagte R. Franzosen und Deutsche gehören doch eigentlich zu- sammen, wie zwei Hälften: Engländer kommen mir schon nicht so vor: sie sind doch wie eine Abart Deutscher. A. Schweden und Dänen auch. Wie anders und eigen sind dagegen Spanier; eine herrliche Nation! so mäßig: ein Volk, das mäßig ist, ist zu bewundern. R. Ja, ihr großer Witz und ihre Sensibilität entzückt mich: ich meine nicht, was man gewöhnlich Witz nennt: son- dern den Witz in ihrer Poesie. Ihre Litteratur. Man kann doch ein Volk nur nach seiner Litteratur beurtheilen. Wie gebildet müssen sie gewesen sein und ihre Geselligkeit! Und die größte Litteratur haben doch Franzosen und Deutsche; darum passen sie zusammen und halten sich das Gegengewicht. A. Nach Litteratur kann man die Völker nicht allein beurtheilen; was haben sie für einen Karakter? darauf kommt’s auch an. Zum Beispiel: die Russen. Welchen Karakter! und die haben gar keine Litteratur. R. Die sind auch wie außereuropäisch. Und sie und alle Völker wollen doch unsre Bildung, und streben danach —; ja, ich kann mir gebildete Völker ohne Litteratur denken; aber die müssen ganz anders sein, da muß die Bildung in’s Leben übergegangen sein; Bewegung wie Tanz; und ganz andere Institute und Zwecke, und Lebenseinrichtungen: — aber die Dänen, Schweden, Russen, wollen doch alle nur was wir wollen; und neuere Völker können nur nach ihrer Litteratur beurtheilt werden. A. Ja, wo sich der Einzelne ganz in seine Nation verliert! R. Nein, wo die Nation in jedem Einzelnen lebt! A. Auch gut! wie der Flohdoktor. — R. Auch gut? Was ist denn eine Nation? Eine An- stalt — für den Einzelnen :/ eine Reise: wie Schwalben über einen Sumpf ziehen, wenn sie einzeln hinüber könnten, wär’s nicht nöthig. An Oelsner, in Paris. Sonnabend, den 12. April 1823. Was können Sie von mir dem Schwefel eben Entstiege- nen verlangen! Auch ich sollte nicht glauben, jetzt einen Brief schreiben zu können; und ich will Sie nur vorbereiten, daß so viel Zeilen Sie auch zu Gesichte bekommen mögen, es keiner ist, und auch keinen vorstellen soll. Wie mit einem Stärkungs- und Heilungsmittel lief ich vor einer Stunde zu Varnhagen mit Ihrem Paket, weil ihn wenig so freut, vor sein Bette; wo er seinem Krampfhusten Ruhe und Stille, als einzige Strei- ter entgegenstellt; ich selbst war noch ganz irritirt von meinem Schwefelbade; habe auch Ihren Brief noch nicht gelesen, nur gesehen was Sie uns alles senden. Nun hätte ich sehr gerne mit einem Scherz begonnen, um Ihnen den Glauben an ein ernsteres Unwohlsein Varnhagens zu benehmen; ich hatte auch einen recht hübschen schon fertig, aber sie haben ihn mir weg- gestört. Billette, Boten, ein Besuch; zwei zum Abweisen, ein paarmal V., noch einigemale meine Jungfer! Endlich zwi- schen dem allen ein Ausgang; aus Karakterschwäche! — Un- ser König nämlich läßt auf einem Bilde unsere zwei ersten und schönsten Tänzerinnen, die Damen Lemi è re und Hoguet, und Hrn. Rebenstein in ihren Kostümen des Ballets Aline mahlen: der junge, schön sehende, talentvolle Mahler, Herr Hensel, besteht gewissermaßen darauf, daß ich das Bild, ehe er es ganz vollendet, sehe, ob ich nicht mit meinen Augen eine Unähnlichkeit entdecke, oder ihm eine Ähnlichkeit mehr angeben kann. Eine angenehme, ehrenvolle Kommission. Nur bin ich zu oft leidend, das Wetter zu nord östlich, und ich zu sehr mit Heilung grade jetzt beschäftigt, und daher veranlaßt ge- wesen, ihm schon einige Rendezvous abzuschlagen. — Es ist gut, wenn einmal ein Freund uns ganz persönlich schaut, und auch unterhaltend für ihn: darum scheue ich mich gar nicht, Ihnen mein Bild von einer Stunde zu schicken, und diese Stunde als Rahmen. Dabei haben Sie ein Stück- chen von unserer Kunst, Theater und anderem erfahren, und wie ein Schnipfelchen des geselligen Verkehrs dazwischen fliegt! — Adieu denn! V. war wieder hier, und sagt, es wird spät. Eilender kann ich nicht. Er wollte erst gar nicht schreiben, darum bot ich mich an. Nur noch dies Wort über Thiers, den Sie erwähnen. Ich vergaß Ihnen noch zu schreiben, daß bestimmt ein Finanzminister in ihm sitzt. Mir bürgt sein Ar- tikel Marseille dafür. Er sieht die reinen faits: oder vielmehr sucht die nur: keine Parthei und Klasse hat Einfluß; nur das was eigentlich sein soll. Adieu für heute! Nächstens mehr! Fr. V. Wenn Eltern oder Kinderpfleger etwa bis zum dritten Jahre ihren Zöglingen so gerne Züge von Verstand, Auf- fassungsvermögen, einer Art von Witz, kleiner List oder auch nur des Gedächtnisses, nacherzählen, so ist das nicht nur aus Eitelkeit, oder Vorliebe für ein bestimmtes Kind. Es ist weit mehr das mit Recht wiederkehrende Erstaunen, der unergründliche Zauber, das Wunder eines erwachenden Er- kenntnisses! Wo beginnt es, wo kommt es her? Das möchten wir immer von neuem wissen, von neuem belauschen; und nie kann das aufhören, unsre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, und uns in Kindergestalt, als Unschuld, zu rühren, zu erfreuen und zu gefallen; und in diesem Fall scheint sich ein reineres Interesse in Eitelkeit zu kleiden, wie diese so oft sich das Ansehen höherer Motive giebt. Freitag, den 18. April 1823. Montag, den 21. April 1823. Felix spielte uns gestern Abend vortrefflich vor; Études von Kramer, und oft kamen mir die Thränen in die Augen: als er mit einer Art Meisterstück von Spielen aufhörte, sagte ich leise zu Robert: Er ist doch so glücklich, und ich möchte ihm doch noch so gerne etwas anthun! — „ Gar nicht!“ erwiedert Robert. — Wie so? sage ich. — „Er müßte uns noch um Verzeihung bitten!“ — Warum? frag’ ich wie- der. — „Weil wir das nicht können, was er kann.“ Mittwoch, den 23. April 1823. Schubarth über Goethe . S. XIII. Über Lessing ganz falsch; ganz falsch und ohne Gründe behauptet, daß man nicht in entgegengesetzten Gebieten etwas hervorzubringen im Stande sei: und nichts damit gesagt. — S. XIV. Was er von Friedrich Schlegel und dessen Vergleich Goethens mit Voltaire sagt, nicht einmal zu verstehen! — S. 5. Verweilt er unendlich lang zu zeigen, bei was man nicht verweilen sollte. Und sagt Falsches. Nämlich wie nichts Tüchtiges könne hervorgebracht werden, wenn man falsche Talente auseinandersetze! Verwirrt. — S. 7. Freilich ist das eine allgemeine, konzentrirte Menschenseele, ein solcher Menschengeist, der das in sich aufnehmen kann, was das schwache Geschlecht nur in Einzelnen davon verschlendert hat: dies nennt man Genie: und kann ein solcher es Andern in Bildern aufdrängen, so ist’s ein Künstler. Von außer - menschlichen Zuständen kann aber bei keinem Menschen die Rede sein: selbst wenn er faselt, kann er nur Zusammenge- hörendes verwirren: Künstler thun das oft scheinbar, sind aber Herren ihrer Ausflüge. S. 118, Über Natur. So? Alles Liebliche vergißt er? Alle Regelmäßigkeit? In der Natur ist vielmehr alles, was wir zu fassen vermögen: gesehen in dem Spiegel unsers In- nern. Eins nur ist anders dort, und anders hier. Recht braucht die Natur nicht zu haben. Und darum ist sie immer erquickend; der Betrachtung nach gewiß. Paßt sie schön zu uns, so ist sie sittlich in ihrer Art, lieblich. Sie ist nur eine große Persönlichkeit in ihrer Art; wir kennen aber uns ähn- liche; das ist der Knoten! — Nehmen wir alle Menschen — wie wir müssen — für Eine Person, und die Natur auch für Eine: gleich ist der Kampf, die Mühe da; sie weiß nichts davon: ich glaube als Menschen erkennt sie uns nicht an. Zum Glück haben wir auch keine Pflichten gegen sie; sie zwingt uns bloß. — S. 191. Unter anderm falsch über Tasso, und was er über den Dichter sagt, und dessen Reichthum und Mangel darstellt. Tasso’s Unglück ist das Unglück eines gutbesaiteten Menschen, ob er Lieder gespielt hat, oder nicht; Gesetze, die nicht für ihn gemacht sind, tödten ihn. — S. 222. Ich bin ganz betäubt und verwirrt, daß Goethe, Kant, Fichte, so besponnen werden können: mir ist, als müsse man ihre Werke wieder reinigen für die Welt. S. 225. Falsch über Gottes Geheimnisse. Sie gehen uns allerdings an, da wir eines davon sind. — S. 269. Bravo ! Nun bin ich froh, nun tadelt er Goethen. Nun wird’s richtig: er zieht Shakespeare vor, er tadelt Raisonniren, Klassifiziren, alle Handlungen in iren bei Goethen, und thut nichts andres selbst; nur thut er’s schlecht. Nun ist er bis in’s Klarste in der Verwirrung ge- kommen. — Freitag, den 2. Mai 1823. Madam Guion konnte nicht ohne Bild leben — im glei- chen Fall mit allen Menschen — und wollte doch nichts mit der Welt zu thun haben; hatte ein erregbares Gemüth und philosophischen Geist. Sie dachte mit großer Kraft in’s Leere hinein, und bildete, weil ihr Herz Nahrung bedurfte, die ganz bestimmte, erzählte Geschichte von Christus noch einmal nach. Sie führte gleichsam sein Leben in sich auf: lebte es noch Einmal, wurde zum Christuskinde; weil sie sich nicht erlaubte ein anderes Leben zu führen. Französische Musik zwingt die Empfindung, sich nach der Wortbedeutung zu richten: italiänische bequemt ihren Wort- vorrath nach den Empfindungen. Gluck litt beim französi- schen Text. Der Sonntag, den 4. Mai 1823. Der meisten Leute ihr Reden ist nichtsnutziges Geschwätz: es ist ihnen auch selbst nichts daran gelegen; sie hoffen nur, es soll nur, es soll den Andern etwas daran gelegen sein; und dies ist der wahre Probierstein wesentlicher und unwe- sentlicher Behauptung und Erzählung. Nebenher, ein reicher verbreiteter Quell der Langeweile, die da Menschen auszustehen haben, nämlich die, welche jeden Augenblick als einen ur- sprünglichen leben. Montag, den 12. Mai 1823. Ich finde den ganzen Unterschied in der Menschen Geister nur bei’m Fragen: antworten können sie alle nur auf die- selbe Weise. Wer sich mit dummen Antworten begnügt, und keine Fragen anzuknüpfen weiß, ist dumm. Wer wissentlich, ver- wickelte, verfängliche Antworten giebt, listig. Listigkeit ist aber verkleideter Bettel; auch gesteht man sie nicht, und schämt sich: und immer bleibt dies ein Verdruß. Verdammt sein, sich zu verdammen. Die Welt ist so ordinair, als man will: man kann sie ansehn, wie man will. Sich wundern, gar nicht wundern: wie man’s stellt. Donnerstag, den 15. Mai 1823. Es war noch kalt, aber alles ganz grün. III. 7 Wenn wir in Lebenskonstellationen kommen, in denen die uns gegebenen Aufträge unserm Karakter nicht entsprechen, so haben wir schon Unglück, wenn wir auch dadurch noch nicht unglücklich sind. Dann können wir nicht thätig nach Wahl und Einsicht wirken; und fast immer fühlt man dann Moment auf Moment als Leiden; wenn auch der erste Fall selten bedacht wird. Des Menschen Karakter ist das Resultat der einmaligen Mischung, und des daher bestimmten Verhältnisses seiner Ga- ben und Beschaffenheit. Franzosen nennen nur die Wahl eines bestimmten Wol- lens Karakter; wir thun gewöhnlich darin wie sie. Schleiermachers Reden über die Religion. Ausgabe 1821. S. 58. Das Dialektische. — S. 60. sagt er: Religion habe mit dem Wissen der Wissenschaft nichts zu thun. Gut! Aber dieses mit der Religion: und dies wird auch nur behauptet. — S. 61. Was ist hier — auf dieser Seite — Unendliches? heraus mit der Sprache! Wenn es kein zu erkennendes Gesetz und kein Wahrnehmen eines er- höhten Zustandes ist. — S. 62. Also der Fromme weiß nicht recht: das sag’ ich auch; und solche Zustände hat jeder von uns, und das Bedürfniß, in dem wir dann sind, die Voraus- setzung, die wir machen, ist Religion. Wozu da so viel Re- den? — S. 64. Wie Sittlichkeit, Wissenschaft und Religion, eine nicht ohne die andere bestehen kann. Nun?! — S. 65. Eine unverständliche Stelle. — S. 66. Endlich Definition. — S. 66. Geschimpft ohne Grund. — S. 67. Schöne Defini- tionsfrage! — S. 67. Sehr schön über die Gränzen des End- lichen und Unendlichen. — S. 70. Schöne Lehre über das Bewußtsein: wie man da suchen soll. — S. 73. Nach schö- nen Vergleichen, die mir nicht gefallen, die Thätigkeit der Seele schön definirt: wie sie durch ihre Thätigkeit die Welt durch einen Theil derselben fühlt. — S. 75. Gottlob! Über das Wissen endlich! — S. 79. Klar über Wissen und Reli- gion. — S. 80. Sehr richtig und deutlich über das Werk der Begriffe, und welches ihr Besitz ist. — S. 81. Sehr schön falsche Religion beschrieben. „Trägen Herzens“ genannt. — S. 82. 83. Vortrefflich gesagt, was Religion ist. Eigentlich je besser beschaffen, je mehr Religion: sie ist allerwärts zu kriegen, sag’ ich. — S. 82. Was das Universum thut. — S. 83. 84. Wunderschön über die Religion der Alten, und beiläufig erschöpfend bewiesen, was Mystizismus ist; wenn die Gränzen der Wissenschaft nicht rein gehalten werden, sag’ ich. Vortrefflich! so einfach, klar, erschöpfend. Unterschied von Religion und leerer Mythologie. — S. 100. Herrlich definirt, was religiöses Leben ist! — Das allein ist Leben, sage ich. — S. 136. Sehr schön ge- sagt: und schön, wenn man schon selbst viel gedacht hat. Aber dennoch hoff’ ich, weiß ich sogar, in einer Zeit wird dies wie Geschwätz sein. Ganz platt. Wer wird’s nicht wissen? und wer wird nicht die Fragen gemacht und beant- wortet haben, die sich eben da anknüpfen lassen? — Viel gesagt. — S. 140. Ist er trotz der Schönheit des Gesagten 7 * in ein anderes Gebiet gekommen; er scheint nicht mehr die Religion in uns zu betrachten, sondern die Weisheit des Weltgeistes. Doch agirt der unter großen Hemmungen, von deren Grund, oder unserer Uneinsicht in denselben, nicht ge- redet wird. Herrlich sagt er da, was das Geschäft des Jahr- hunderts und des Augenblicks ist. — S. 146. Von Reue spricht er. Darüber ist viel zu sagen. Er sagt: Sittlichkeit bereut nur die verlorne Zeit. Nicht doch! das Unwiederbring- liche der That, die in ihren Folgen nicht mehr einzuholen ist. Reue, häßlich gehandelt zu haben, wenn ich die Möglichkeit davon zugebe, reiniget gleich die Seele. Hier ist viel zu sagen. — — S. 154. sagt er selbst, Gnadenwirkung sei der gemein- schaftliche Ausdruck für Offenbarung und Eingebung. Über- haupt, weiter kann die Philosophie nicht gehen in Erklärung der künstlichen Ausdrücke! — S. 155. Spricht er über Glau- ben endlich, wie von allen Kanzeln sollte gesprochen werden. Er zeigt, welcher verachtet werden sollte, und welchen ich ver- achte. — — S. 163. Er beweist, das Bedürfniß für Religion sei welche: er sagt dies aber nicht: sondern nur, sich Gott als Person denken, sei unzulänglich: ihn sich als starre Nothwen- digkeit denken, wieder. Also wie ich: als höhern Geist, von welchem ich nur das mir Zugetheilte fasse. — Anmerkung Nr. 19. Wie ganz vortrefflich gesagt: wie tief, und wie in den verschiedenen Menschen geschaut, wann sie sich Gott per- sönlich, wann anders denken müssen. Wie wenige Lehrer wissen dergleichen! wie wenige Leser verstehen es! Wie kann man sich mit seinem Innern nicht abgeben!? — S. 252. Sehr richtig, und lange nicht bekannt genug, daß es krankhaft ist, sich nicht mitzutheilen. Wo man ein- sieht, daß Mittheilung nicht hilft, ist Krankheit in den An- dern, und steckt uns an; und Unvermögen doch in jedem Fall in uns. Wer uns nicht Wahrheit erlaubt, ist daher im Unrecht; und der, welchem man Unwahrheit sagt, immer et- was gehaßt, wenigstens während dem. — Wir sind ja in einem schwachen gehemmten Zustand wenn wir lügen müssen. S. 256. bin ich nicht seiner Meinung über religiöse Ge- spräche. Ferner will er „Pracht“ und „Fülle,“ wenn über Religion gesprochen wird. Man muß über alles, wovon die Rede ist, so gut als möglich sprechen: und eine wahrhaft gute Rede soll kein Schmuck sein irgend einer Sache; eine Rede ist eine Folge von Gedanken; eine Darstellung unserer selbst in einem gegebenen Fall; und sind wir frei in diesem, in die- ser Zeit, so wird sie schön sein und wahr. Was sind das für Umschweife, für Ausnahmen für die Religion, die er doch nur als einen Inbegriff und Ende aller Meditation und Rechen- schaft definirte! Es ist mehr, als wollte er die Redner kon- struiren, als sie; und denen ihre Themata anweisen. — Mai, 1823. An Oelsner, in Paris. Berlin, Freitag Vormittag 12 Uhr, den 13. Juni 1823. Heißes, helles Wetter, mit dezidirtem Ostwind. Ist dies unwahrscheinlich, so ist’s hingegen wahr. Ein solch Datum setz’ ich gern vor den Briefen, als ihren Wetter- stand, als Atmosphäre, in welcher sie wachsen; und dadurch für den Verständigen, als Kommentar. Als Nachschrift die- ses Datums sei nur noch gesagt, daß mir heute mein Schwe- felbad sehr gelungen ist; ich mich nicht erhitzt, nicht geschwächt fühle: und nun bin ich richtig bis an den Punkt, von dem mein ganzer Brief sich herschreibt, welches Schreiben ich ohne dieses gelungene Schwefelexperiment gar nicht hätte unterneh- men können. — Wie ist es möglich, in zwei Sprachen so vollkommen zu schreiben, wie Sie in der Pariser und Berliner! Sie kön- nen wieder fragen: wie ist das möglich zu beurtheilen, wenn man in keiner es so weit gebracht hat, wie das mittelmäßigst geschriebene Buch? Das ist möglich, muß ich behaupten, und will Ihnen den Beweis nicht aufdringen, bis Sie ihn durch- aus wollen: demonstriren kann ich ihn. Außerordentlich schön ist das Buch über Mahomet geschrieben; der graziöseste Stil: gereinigt und sanft, wie ein angenehmer Bach. Jeder Fran- zose läßt ihn auch gewiß ungehindert durch sein Haus. Für mich ein großes prestige — ich weiß es nicht auf Deutsch geschwind — und eine große Schmeichelei, daß wir ihnen solche Landsleute liefern. Ganz darin eingegangen, wie man zu der Nation zu sprechen hat, damit sie einen verstehe, und wie man anredend zu Einzelnen zu sprechen habe; im Ganzen ihnen aber das sage, was auf deutscher Seelen Bo- den gewachsen ist, und in den Tauschhandel — eigentlich nur Tausch — kommen soll. Daß Sie den Preis bekommen ha- ben, schmeichelt meinem Berlinizism — so nenn’ ich Deutschsinn — so, als ob es heute geschehen wäre. Das sind friedlich gewonnene Bataillen: das Exercitium dazu, Lesen, Denken, Beobachten; schönstes Leben: Lohn vorauf! Der Ausspruch der Akademie, Friedensschluß, wo für beide Partheien Gewinn, durch einen wahrlich neu entstandenen Besitz, hervorgeht! Sagen Sie, wie ist’s möglich, daß bei so viel Bildung, wie schon auf der Erde da ist, sich so große Reste der größten Rohheit nebenan, dicht nebenan erhalten? Manchmal schein’ ich’s zu wissen, wie es zugeht, manchmal entschlüpft’s mir wieder. Krieg, und die größten Schriftsteller. Christenprahle- rei, und Christe ntugend , und Sklaven. Die feinsten Werke der Mechanik, und verwahrloste Städte. Der tiefsinnigste Kalkül, und die wichtigsten Dinge und Angelegenheiten dem Ungefähr überlassen. Luxus, Akademien, Galerien, und krasse, schmutzige Armuth. Und das bis in’s Privateste; z. B. schlech- tes Hauswesen, und große Gastereien. Es scheint beinahe leichter, hohe Gedanken und Gesinnungen zu haben, die schön- sten Erfindungen zu machen; als alte Übelstände und Ruinen loszuwerden; und die Liebhaber dieses Schutts davon abzu- bringen, und zu reinigen. Ich weiß gar nicht wie es ist; heute. Ihr Buch bringt mich wieder auf diese Gedanken. Ich habe darin so viel Extrakte aus den wohlgerathensten, reifsten, edelsten Früchten der Beobachtung und des Nachdenkens ge- funden, die mir meinen ganzen Vorrath von Gedanken und Betrachtung in Bewegung brachten. In einer gelassenen Zeile, einer halben, geben Sie oft unwidersprechlich an, wie es mit den Welthändeln stand, stehen kann, und wie sie sich zur Na- tur, und zur Menschennatur verhalten: mir ist dies nicht ent- gangen. Und gefallen hat mir diese Art besonders — die ich nur, als die einzige, Geschichtliches zu verfassen, gestatte — weil ich gar kein Raisonnement für dumme Leute mehr ertra- gen kann; das heißt, ein langes, breites, weitläufiges; ich habe zu irritirte Nerven dazu, und zu viel gedacht! Dabei bin ich ganz gehörig ignorant, und erfahre nun von Ihnen so viel faits, die mich ungemein unterhalten. Ich bin Ihnen also sehr dankbar; und weiß meine Erkenntlichkeit nur dadurch an den Tag zu legen, daß ich es sage. Ich habe auch dieser Tage Hrn. Villers Buch über Uni- versitäten an den König von Westphalen gelesen: welches wirklich eine stärkende Bekanntschaft ist: trostreich. Das Buch ist durchaus ehrlich, und also edel: es macht uns viel Ehre, und wir — Deutsche — können Villers nicht genug anthun. Einfach, unterrichtet, anspruchslos ist dies Buch; voller edlen Muth, wenn man die Zeit, und die Attitüde der Kronen in ihr bedenkt. Ein edler Europäer war Villers; was wir Alle werden sollen! das wollen wir ihm nachschreien. — Hal- ten Sie Hrn. Thiers zum Deutschen an!!! — Nur noch dies Wort über Thiers! Ich vergaß Ihnen noch zu schreiben, daß bestimmt ein Finanzminister in ihm sitzt. Mir bürgt sein Artikel Marseille dafür. Er sieht die reinen faits: oder vielmehr sucht die nur: keine Parthei und Klasse hat Einfluß; nur das was eigentlich sein soll. Adieu für heute. Nächstens mehr! — An Frau von Goethe, in Weimar. Sommer 1823. „Und in allen Stücken billig sein, heißt sein eigen Selbst zerstören.“ Dieser Spruch wird von Wenigen zitirt, so sehr gerecht sind doch mitunter die Vielen! Bitterer Reue voll wend’ ich ihn hier auf mich selbst an; da sie mir nicht helfen wird, mich künftig weniger bescheiden zu machen: man trägt die Bescheidenheit, ist sie ein Fehler, wie sein Gesicht, ohne es je vertauschen zu können, mit sich herum, für’s Leben. Nur allzu heilig hielt ich Ihre Morgenstunden in Berlin, von de- nen Sie mir Einmal sagten, daß Sie sie zu Sprachstunden und Ihrer Korrespondenz nach Hause gebrauchten; da andre Damen diese Ordnung brachen, und den Lohn Sie zu sehen dafür hatten! und wohl sonst es noch anzustellen wußten, daß sie Sie öfter sahen. Ich blieb mit dem tiefen Wunsch, still, und sitzen. Erlauben Sie mir wenigstens jetzt Ihnen mein leb- haftes Bedauren nachzurufen! da ein stummes Papier es Ih- nen bringt, mit dem Sie nach Gefallen schalten können. Auch dies würde nicht bis zu Ihnen gelangen, wenn sogar auch schon beschrieben: wollt’ ich nicht, daß das beifolgende Blatt von Ihnen und den Ihrigen durchgesehen würde. Unsre ganze Nation zeichnet zu wenig dergleichen auf, woraus sich am Ende Memoiren bilden, oder wenigstens daraus beurtheilen und berichtigen lassen. Was Ihr Haus betrifft, ist zu wich- tig: und der Geringste kann, wenn davon die Rede ist, sol- ches liefern. Was Sie hier erhalten, schrieb ich gleich, nach- dem ich’s erfuhr, nieder. Es hatte das größte Interesse für mich; und es muß überhaupt welches haben. Bei Ihnen wird wohl unterschieden werden, was dem Vorfall gehört, und was meinem Bericht davon zu Gute gehalten werden muß: und so schicke ich’s getrost mit bestem Willen. Ich bitte nur um Eine Güte von Ihnen; mich nämlich den Empfang dieser Sen- dung wissen lassen zu wollen: ein Wort an Hrn. Geheimr. N. ist dazu hinlänglich. Sommer 1823. — Ja, ja. Hier ist die Schrift. „Über Divinations- und Glaubenskraft, von Franz von Baader.“ Jetzt ist sie glück- licherweise dem Fürsten Gallizin, russischem Kultusminister, de- dizirt. Anfangs sollte sie es mir sein; ich konnt’ es aber noch verhindern. Du weißt, ich suche nicht genannt zu werden; ich scheue es, wo es nicht ganz von selbst kommt, oder durch- aus nöthig ist. Aber denk dir das Geschrei, wenn bei diesem Inhalt mein Name mitgestanden hätte! Die Hauptsache aber ist, daß des Verfassers Artigkeit und Dank für mein Aufmer- ken hier zu stark ausgedrückt worden wäre, so stark wie nur die Befriedigung des vollkommnen Übereinstimmens ausgedrückt sein darf, welche auch der Leser voraussetzen würde; voreilig und unrecht, denn ich kann mich zu diesen Sachen nicht eigent- lich bekennen, von denen auch vieles, ich will nicht sagen über mich hinaus, aber mir abseits liegt. Baader hatte mir, als ich ihn eben persönlich kennen lernte, ein großes Interesse eingeflößt: und ich hörte ihn wirk- lich erhellende Blitzworte sagen; es nahm mich ungemein für ihn ein, daß er sich gedrungen fühlte, mit allen Menschen zu sprechen: ich fand es schön, daß ihm jedes Menschengebilde ein Mensch war, und daß er mit den etwas Bessern sich zu erörtern gedrungen fühlte, es zu lieben schien. — (Mündlich.) „Varnhagen! du mußt in den Garten! Nein, du glaubst es nicht, welche Rosen! Alle sind sie da, eilig und zugleich hervorgetreten, wie wenn die Schildwacht heraus ruft!“ Den 14. Juni 1823. An Varnhagen, in Hamburg. Dienstag Vormittag, den 15. Juli 1823. halb 11. Regnerisches, graues, schwüles, dunstiges Wetter. Ich schreibe auf dem Bogen, den du gefaltet hast, und mit deiner Feder und deinem Tintfaß in der Mittelstube. Theurer lieber Freund! Es ist gut, sich einmal zu trennen. Da erfährt man, wie lieb man hat: und wer man ist . Alle deine Gedanken, deine Sensationen, dein Sitzen, deinen Schlaf, das Wetter, alles rechnete ich nach! Es ist besser kein Son- nenschein. Hast du wohl etwas geschlafen? den gestrigen Abend genoß ich mit dir. Wie du es wolltest fuhr ich aus. Nach Schöneberg, bis über’s Dorf weg: ich wollte wahre Reisechauff é e riechen: und dann umgekehrt. Göttlich grün, vielfach in Baum und Feld. Wunder-Prachthimmel von Bi- zarrerie, Lichter- und Wolkenwirthschaft; — jetzt regnet es Platz ! — das hattest du auch! — Nun mach’ ich Rechnun- gen, und dann lese ich: esse nur Suppe und Huhn. Habe recht viel Vergnügen! regrettire mich in dem schlechten Ge- sundheitsmoment nicht zu sehr, und genieße Baum und Strauch und Luft äußerst, dann ist’s für mich mit . Gestern hatten wir ja einen Sonnenuntergang, und auch dieselben Gedanken. — Sonnabend, den 19. Juli. — Ich habe ihn! deinen Brief. Armer lieber August! alle Pulse schlugen dir! Hättest du nur ganz wenig und nicht so schön geschrieben, dich ein wenig in der Stube nach dem Garten niedergelegt. Genieße, was vor dir ist; Düfte, Kinder, Laub, Blumen, Anblick des Wohlstands, alles, jedes: ich ge- nieße es gewiß mit. Theuerster lieber Freund! Dein Gärt- chen freut mich. Es beruhigt Seele und Sinne. Ich gratu- lire deiner Schwester dazu. Täglich muß ich mehr einsehen, daß ich auf eine gute Weise wohl nicht hätte reisen können. In meiner Lebensgeschichte soll Wetter und meine Gesundheit vorkommen. — Gestern Morgen machte ich Geschäftchen, Rech- nungen, Billetchen, und fuhr dann mit den Andern nach Kö- nigs Palais. Das gefiel mir unendlich in seinem Bau; auch ist’s, erfuhr ich des Abends, vom alten Schinkel, — von Schlüter nämlich: das war noch ein Schinkel! So müssen Menschen wohnen. „Menschen“ kann man mit zehn Li- nien unterstreichen, und auf jede schreiben, worin es besteht, ein Mensch zu sein. Hensels Bild hat unendlich gewonnen; mehr, als ich je glauben könnte; es war heilsam, daß man ihm das viele Blaue tadelte, er hat das Gelb eines Abend- himmels ganz am letzten Rande in dem Himmel seines Bildes angebracht, welches das Ganze rettet; hält, und sichtbar macht, und den Köpfen, Haaren, und der Oberstirn unberechenbar gut that. Die Dimension der Figuren bleibt die unglücklichste; und sieht kleinlicher aus, als wären sie kleiner. Angezogen sind sie vortrefflich: sogar die Fußbekleidung witzigst erfunden. Schuhe ohne Strümpfe; vortrefflich! — Aus Bescheidenheit war ich die Rampe nicht hinaufgefahren — reine Dummheit; du kennst meine Königs-Ehrfurcht — das Palais war warm, und kalter Wind beim Einsteigen. Ich Schal über den Kopf, Wattenrock. — Ich schrieb nach drittehalb Jahren Frau von Reden nach Rom einen sechsseitigen Brief, wie diese. Doch war er kurz, und gar nicht ausführlich. Er gerieth mir trotz einiger Irritation gut; besonders das Datum; und die Beschreibung mehr als Kritik des Schleiermacherschen Buchs, welches ich doch sende. Morgen um 4 reist Hensel. Der Brief und das Buch ist an die ganze Familie. — Mad. K. hatte mich zu einer Lektüre einladen lassen, und ihre Nichte wollte mich abholen; ich mußte es aber abschlagen. Nicht nur weil ich unwohl war, sondern weil mich Mad. K. noch nicht besucht hat; nicht geschrieben hat, und der junge auteur nicht selbst gekommen war. Haben einen Leute — Freunde sind Gleichgesinnte — wohlfeil, so denken sie auch gewiß, man ist nichts werth; und dies mit Mühe und Komplaisance zu erkaufen, wäre zu unkundig. Eine S é vign é , eine du Deffand, eine Sta ë l, muß man kajoliren; auch wenn sie nichts geschrie- ben hat. Non seulement ma tête, mais mon caractère aussi est une puissance; je ne m’ennuie pas moi — facilement —, ce sont d’ordinaire les autres qui m’ennuient. — Das Gärt- chen und die Kinder deiner Schwester, das wär’ was für mich! Gott segne ihr den Frieden, die Ruhe, die Muße! Dir die Reise! und mir die Krisis! — Du fühlst wie Flügel meine Liebe, meine Wünsche! Kannst dich drin einwicklen! Deine alte R. Nun lege ich mich hin und lese Lascases. Adieu, lieber alter August. — Übereil dich nur aus Liebe nicht mit Kommen; und laß dich von meiner nicht verführen; ich genire mich ordentlich in Ausdrücken darum; denn eben wollt’ ich schreiben: wie werd’ ich dich empfangen, da deine liebe Bo- ten mir schon so lieb sind! Deine Beschreibung Hamburgs leuchtet mir ein. Ich freue mich, daß du lebendig neues in dir aufzunehmen hast. Heine’n viele schöne Grüße. Ernst hat der nöthig, aber keinen Mund ihn zu verschlucken. Sonntag, den 27. Juli 1823. Seit vier Tagen kann ich erst in einem gestalteten Ge- danken sagen, worin der Unterschied des A’s der Italiäner in der Singelehre, und dem der Deutschen besteht, obgleich mir die Verschiedenheit seit dreißig Jahren gewiß war, aber nur wie eine Wolke, die nicht zu fassen ist in der Sphäre des Wissens, vorwandelte. Der selige Musikdirektor Lehmann, und seine gelungenen Schüler und schaffenden Jünger, kön- nen als Repräsentanten derjenigen Deutschen gelten, die die Regel der italiänischen Schule ganz mißverstanden, und die- sen Mißverstand auf’s höchste ausgebildet haben: und mögen hier für die, welche sie kannten, als lebendiges Exempel die- nen; sie haben unverschuldet in hiesiger Stadt — Berlin — einen großen Irrthum gestiftet, der in den unerträglichst alber- nen Dünkel ausgeartet ist, und starke Wurzel gefaßt hat. Ein größerer Theil des Publikums läßt sich nur aus Man- gel an gesundem Hören, an Unterscheiden, mit fortschleppen; ohne weiter impertinent zu sein. Die falschen Kenner aber tödten Einen fast mit ihrem Gänse-A, und ihrem stupiden Stolz auf dies Gekrächze. „Auf den Vokal A soll gesungen werden,“ heißt’s in der Schule. Das thut der Italiäner, und meint der Deutsche zu thun. Der Erste singt ein ne- gatives A, der zweite ein positives. Dreißig Jahre wenig- stens wollten mir diese zwei kleine Worte nicht hier dienen; so lange konnte ich den ewig gehörten Unterschied nicht zwischen die Scheere, die hier aus den beiden Worten besteht, treiben. Man denke nicht, sie seien gesagt als ein Witz zum Behelf, weil ich noch nicht klar wisse, was ich zu zeigen habe; und bedenke lieber, daß man es ohnerachtet des Witzes, doch noch nicht weiß; man wird es aber gleich wissen! (Diese Wendung nehme ich hier, weil R. und C. zu anmaßend über Musik heute gegen mich sprachen; ohne im mindesten etwas sagen zu können: und nun schreib’ ich meinen guten Gedan- ken, als sagte ich ihn ihnen. Schade!) Italiäner — und alle guten Sänger — sperren die Kehle auf, als ob sie A sagen wollten , und lassen so ihren Ton gemach hinaus: deutsche schlechte Sänger — nicht italiänische schlechte — schicken mit dem Ton, den sie zu singen haben, ein wirkliches A mit aus der Kehle; und nun muß der Quetschton kommen. Dieses ist das positive , jenes das negative A. Die Marchetti war vom letzten (wie Hr. Eunike vom ersten) die größte Repräsentantin, die ich je hörte; bei ihren unendlich vielen andern Eigenschaften, aus denen ihre Gesangkunst be- stand. Impertinente Leute wollen nicht einmal lernen, was unschuldigen Seelen eingegeben wird, und denken, was als Einfall erscheint , ist nicht in vielen Jahren durch ehrliche strenge Beobachtung und Denken vorbereitet: auch geschieht solchen Gröblingen recht; bei ihnen geht’s nicht so zu; und darum glauben sie, auch Andre sprechen um zu frappiren, und ihrer Seele seien ihre Behauptungen doch auch ganz gleich- gültig, wie sie es selbst treiben. Mit solchen Leuten sollte man nur Scherz treiben, worin sie sich wie in große Netze verwickeln müssen, zum Spektakel des Auditoriums. Hab’ ich heute gelernt. — 1823. Wissen um unser Wissen ist Philosophie. Ergebenheit und Voraussetzung, wo wir zu wissen aufhören, Religion. Dies begreift in sich, was alles nicht Religion ist, und des Wissens Gränze auf allen seinen Punkten; und erspart viel Reden. Beim Lesen der Schleiermacher’schen Reden über Re- ligion S. 136. Hemsterhuis sagt: Religion ist die freie Be- ziehung jedes Individuums auf’s höchste Wesen. Sommer 1823. Bitter und Süß ist: als ob sie auf den Gemüthszustand wirkten: Salzig und Sauer, als den Geist berührend. Ein zu zu bittrer Geschmack ist eine wahre Kränkung; lange und zu süß, ein beinah geistloser nicht zu ertragender Affekt, eine Art gedankenloses Wohlbefinden durch die Zunge. Sauer bringt zu Nachdenken; schreckt es auf. Salz hat man schon lange zu Geist vergleichen; und es belebt auch, macht umsich- tig, plötzlich. Die Mischung dieser viere bringt alle Ge- schmäcke hervor; sie ist purer Witz. Mir kommt es vor, jeder Geschmack, das zu Schmeckende, ist bedingt durch die Gestalt und Proportion der Theilchen überhaupt, welche die Mate- rien von sich lassen: und man wird Geschmäcke und Töne auszählen und mahlen können, und immer mehr nachspüren können, wie Gemüth und Geist in letzter Thätigkeit nur eine und dieselbe That ausüben kann und ausübt; und daß Men- schen überhaupt nur auf zwei Weisen affizirt werden können. Wir werden finden, daß der ganze Witz, wie im Kleinen, so auch auf’s Größte angesehen, nur ein Behelf ist. Dumme Leute sollen aber doch wissen, daß er die größte Erdenmitgift ist; und daß, wenn sie keinen haben, ihnen ein unendlich Gro- ßes fehlt: nämlich die Handhabe zu dem Unendlichen; die er in unserer Beschränktheit darstellt. — Den 10. August 1823. Kunst ist: das mit Talent darstellen, was sein könnte, unserer besseren Einsicht nach. Also eigentlich gutes Natur- gefühl; und Sinn für Wahrheit, in der Ausübung. Dies wird, wie geheime Kraft in Pflanzen ꝛc., immer walten, hervorbre- chen, und auch herrschen; heißt, verwandten Sinn finden, und erregen. Dieser ist in der Masse der Leute zu sehr verbreitet, III. 8 und hat wohl, als für Theater, jetzt scheinbar großen Schutz von oben: braucht ihn aber um fortzuleben nicht mehr. August 1823. Wenn Saint-Martin sagt, die Seligkeit werde darin bestehen, daß wir jeden Augenblick etwas Neues erfahren wer- den: so glaube ich nicht, daß ihn viele Leute verstehn. Denn nicht Viele wissen, daß wir nichts Absolutes kennen, und unsre ganze Thätigkeit nur Variazionen auf ein und dasselbe Thema sind. Wenn wir also in jedem Augenblick Urs achen erfahren könnten, wäre unser Glück wirklich unendlich, weil es sich immer neu steigerte; und in Erneuung unsers Selbst. Der brillanteste Gedanke in unserm Dunkel. Dienstag, den 19. August 1823. Man darf den Menschen wie den Fürsten vorschmeichlen, wie sie sein sollten; aber nicht wie sie zu sein wähnen, noch ihrem Wahn von dem, was sein soll. Wer diesen Unterschied einmal kennt, wird schon wissen, welches Schmeichlen niedrig und falsch ist, und den Namen als Ekelnamen zu tragen hat: da Schmeichlen an sich eine liebliche Sache ist. Es muß ein jeder überschätzt werden, sonst wird er gar nicht geschätzt: da das Schätzenswerthe von Menschen und Natur geheim gehalten wird; wie auch die größten Opfer nur von dem gewußt werden, der sie bringt: und sonst auch keine sind. Ich glaube, ein großer Bestandtheil des Kinderglückes ist der, daß sie sich kein Lebensbild, auch nur Eines Tag’s, ent- werfen können: und eine große Hülfe wäre es für Alte, die Jahres-, Monats- und Tagesbilder fahren zu lassen, und nicht zu glauben, wir könnten Lebensstoff aufsuchen und ihn uns zum Gebrauche vorlegen. Mir hilft es jetzt gleich zur Besinnung, wenn ich jeden Tag, jede Stunde denke: diese Bedingungen sind dir als Stoff gegeben; sieh, was du daraus arbeiten kannst: und frisch, fleißig, thätig, arbeit slustig ! Und reißt man dir halbes Werk aus den Händen; der verliehene Tag, die Stunde will es so; Besitz giebt es nicht; das Wirken, das Werk, das ist uns zugetheilt. Man ist sehr verwöhnt, und falsch erzogen; ich muß mir’s spät anders einlernen; aber es hilft sehr. — Mittwoch, den 20. August 1823. Diese vorangegangenen drei Betrachtungen schrieb ich ge- stern, Dienstag den 19. August 1823. Heute las ich im Kunst- blatte Frau von Helvig’s Beurtheilung der Wach’schen Bilder: und fand gleich die volle Anwendung von dem, was ich über Schmeichelei aufgezeichnet hatte. — Aus diesem Punkt her, und nach dieser Richtung hin, darf man nicht streichlen. Und nicht nur, leider! daß derlei Schmeichelei nur allein wirkt, und dies, wieder leider! nicht nur allgemein, sondern auch gemein ist; sondern auch, zum drittenmal leider! daß die Schmeichler, die doch die Chorführer dieser ganzen Heerde sind, und klüger sein müßten, als die Geschmeichelten und die zu Schmeichlenden, noch immer nicht besser zu führen verstehen! 8 * Ganz in der Art dieser zu verwerfenden Schmeichelei scheint es mir, wenn eine Frau, î ndem sie schreibt, für den Druck schreibt — also dann gewiß etwas Gedachtes aufzu- zeichnen meint — sich noch immer als ganz untergeordnet ge- gen einen Mann oder gegen Männer stellt und verstellt; und bei ihrem Schreiben zu erwähnen sucht, als halte sie sich für einen liebenswürdigen, wegen doch nun Einmal unzufürchten- der Schwäche zu duldenden, Usurpator! Nicht ihre furchtsa- men Reverenzen, das Fach, worin sie schreibt, wird sie schon in die weiblichen Reihen stellen: es wird die allermeiste Zeit keines sein, wo Universität und Studium dazu gehört. Hätte aber Einmal ein Weib das Glück, bei allem andern, was ihr vorbehalten ist, von diesen genährt und gepflegt worden zu sein, und den Geist und die Gaben, mit denen das Studium allein Früchte trägt; und sie brächte sie wirklich auf den Markt der Wissenschaften: was sollen wohl die langen seichten Ent- schuldigungen, bei dem geistigsten, unpartheiischten Verkehr und Austausch, und altfränkische Koketterie? Oder soll eine Frau läppisch bleiben? Unter allen Bedingungen? So sag’ ich mit Friedrich Schlegel, die Männer sind eben so lange roh . „So lange die Männer roh bleiben, sagt er, müssen die Weiber kokett sein.“ — An Friedrich August Wolf. Berlin, den 21. August 1823. Die unschuldige, sich in den Winter fügende Deutschwalds- beere, von uns Preißel genannt, die sich Ihres Beifalls rüh- men kann, erlaub’ ich mir Ihnen zu Füßen zu legen, mit der Bitte, sie auch da, nämlich im Keller — oder sonst einem küh- len Ort — bis Sie sie an Ihren Tisch nöthigen, lassen zu wollen! Sie ist sehr schön eingemacht; und gerne rühme ich mich dessen, seit unserm gestrigen Gespräch: weil ich diesen Prozeß von einer Dame lernte, die in Musik, in Englisch und Italiänisch, Unterricht giebt; Deutsch und Französisch wie wir und Franzosen spricht und schreibt; die schönsten weiblichen Arbeiten macht; eine vollkommene Köchin und Einmacherin ist; lustig und verständig obenein. So wünschen Sie ja die Mäd- chen. Ich suche ihr also abzulernen. Nehmen Sie meine Drei- stigkeit wegen ihrem Grund, des besten Willens, daß Sie ein wenig Sommer im Winter haben mögen, gütig auf! Ihre ergebene Fr. V. Berlin, Dienstag den 25. August 1823. Mittag, bei großer heller Hitze. Es ist ein krankhafter, schwächlicher Geistes- und Karakter- zustand, auf Lob, und nicht auf Inhalt des Lobes zu hal- ten. Das thun die Menschen, die auch von dem Lobe ge- schmeichelt sind, das ihnen von solchen Leuten, die sie ver- achten, gezollt wird; von Lob über Eigenschaften, die sie über- zeugt sind nicht zu besitzen, oder die sie selbst verachten. — Dienstag, den 25. August 1823. „Geist haben“ kann doch nur bedeuten: unsern Verstand nicht nur auf nöthige und nächste Dinge richten, sondern den Trieb, ihn diese immer von neuem auf entferntere wirken, und immer neue Vergleiche und Kombinationen machen zu lassen. Unser Gemüthszustand giebt auch unserm Verständniß neue Aufträge; und es ist nicht unrichtig Geist zu lieben, unab- hängig von der Unterhaltung — im höchsten Sinne — die er uns gewährt. „Leidenschaft macht witzig,“ ist eine alte Bemerkung; daß aber Leidenschaften durchaus mit Vernunft versetzt sind, und nur in Vernunftbegabten entstehen können, ist nicht so bekannt. Beweislich angeführt — ist Frau von Sta ë l darüber, in ihrem Buche sur les passions, gar nicht klar, und eben dies von Vielen bewundert. Verstand haben die allermeisten Menschen, sie gebrauchen ihn nur so verschie- den; Unschuld und guter Wille machen ausgezeichnete gute Menschen; alle Tage muß ich mich darin mehr bestärken: rechts und links drängt es sich auf. Auch muß man gleich verstummen, wo der fehlt: da die letzte raison, die Kanonen, nur zum größten Umgang vorhanden sind: der gesellige ist durchaus den Unwürdigen, und dem Unwürdigsten überlassen. Mit Unrecht bin ich verstutzt, und wundert man sich im- mer von neuem darüber, daß in Gaben untergeordnete Men- schen Begabte hassen und denigriren: dies geschieht aus dem gerechtesten, aber unverständigen Neid. Weil sie gar nicht zu begreifen vermögen, warum denen Auszeichnung, Lob, Be- achtung, und manches Wünschenswerthe begegnet, und nicht ihnen: sie müssen es für offenbare Willkür, Eigensinn, blin- des Glück halten, welches die Begünstigten nur immer kühner, seltsamer, ausgelassener, selbstzufriedener macht; da sie un- fähig sind, sich einen geistvollen Zustand zu denken, noch Geistbegabten zu den Gegenständen je folgen können, die der Geist sich auswählt, für wichtig erachtet, liebt oder haßt. Dies Gebiet ist den Unbegabten rein verschlossen; und sie mei- nen zu thun wie die Andern, aber ohne Dank. Tugend muß Unschuld sein: sonst sind wir ein Schlacht- feld. Viele Leute wollen nur auf einem Schlachtfeld ruhen. Dabei fällt mir ein, was Goethe (vor fünf und zwanzig Jah- ren) in Karlsbad sagte: „Besser das schlechteste Theater, als die schönste Langeweile!“ So die Tugendprätendenten: Ge- tümmel für’s erste! Und schlechter Stolz! „Illusion ist Gnade.“ — Wie paradox! — „Nur was ist , ist Gott; alles was geschieht , Illusion; und Illusion ist Gnade. Verliehenes.“ Sonntag, den 31. August 1823. Sonntag, den 31. August 1823. Bei Lesung des Buchs: „Goethe in den Zeugnissen der Mitlebenden.“ Wie schön ist es, daß sich in den Tagen um Goethe’s Geburtstag her eine ganze lesende Welt mit ihm be- schäftigt; über seine Werke zu denken angeregt wird; sie wohl nachliest; über ihn denkt und grübelt; von neuem erfährt, oder erinnert wird, was alles über ihn gesagt ist: und wir so zu einer Gemüths- und Geistesschau über uns selbst veran- laßt sind: eine Art vielfältiger Beichte, und Untersuchung da- zu: und gewiß Antrieb neuer Liebe und verstärkter Verehrung. Ich bin recht dankbar für das Buch; mich freut’s und unter- richtet’s. Nur nachzulesen, was Fichte geschrieben hat, ist höchster Gewinn; ein Quell neuer Verehrung der höchsten Bil- dung, der vollendetsten Kritik, die wie beiläufig ihre Sprache bis zu Sternenglanz erleuchtet und verschönt, der wiederum die billigste, gerechteste Seele hell bescheint; in hellem Lichte zeigt. Ein kleiner Abschatten des Elysiums, wo Menschen- söhne sich verehren, verstehen, verehrungswürdig sind, sich freuen, Andere so zu finden, und es herrlich ausdrücken. — An Auguste Brede, in Stuttgart. Berlin, Mittwoch Vormittag den 10. September 1823. Kältester Nordwestwind, bezogner Himmel; manchmal Son- nenblicke. Nach unendlicher Hitze; zum Schaden der Menschen. Hier, mein theures Augustchen, der verlangte Taufschein! Lange hat die Besorgung gedauert! Mündlich könnte ich mich entschuldigen. Auch hätte ich ihn gewiß früher besorgt, hätte ich irgend gedacht, Sie brauchten ihn wirklich. Verhei- rathen werden Sie sich wohl nicht — weil ich es nicht leide — und sollten Sie eine Erbschaft heben, so hätten Sie mir befohlen ich soll ihn schicken. Bei jedem Wagen dacht’ ich, Sie müßten es sein: bis Ihr Brief aus Leipzig ankam. Oft ist mir schon unendlich Angenehmes begegnet — wissen Sie noch, wie wir uns im goldnen Kreuz zu Karlsruhe trafen? — aber erwarten muß man nichts: weil wir noch immer nicht Einsicht genug haben, um zu sehen, wie die Dinge kommen müssen. Voltaire’s: „le vraisemblable n’arrive jamais.” Aber ich sage es falsch; er hat es unendlich geistreicher ausgedrückt. Dennoch denk’ ich wieder, Sie könnten noch ankommen: und bis Sie mir abschreiben, hoffe ich’s von Zeit zu Zeit. Meine Schwester ist seit dem 29. Juli hier, und reist den 26. dieses. Ich war sehr beglückt sie hier zu sehen: und erzähle Ihnen den Rest wohl mündlich. Ein Rest bleibt immer. Was geht wohl grad’ auf. Sagen ja Priester und Philosophen, man sei aus Irrthum und Fehltritt hier. Daß wir nur wenig und Schattenhaftes wissen, haben, thun, sehen, erfahren, muß je- der wahrnehmen, der sich nur im geringsten mit den Dingen mehr als zum gewöhnlichsten Gebrauch abgiebt. Alles was Sie mir von Ihrem Ort schreiben, sehe ich, wie die Herzogin von Parma in Brüssel König Philipps Hof und Kabinet so deutlich wie auf ihren Tapeten sah. „Kunst ist, das mit Ta- lent darstellen, was sein könnte, unserer besseren Einsicht nach. Also eigentlich gutes Naturgefühl; und Sinn für Wahrheit in der Ausübung. Dies wird wie geheime Kraft in Pflan- zen ꝛc. immer walten, hervorbrechen, und auch herrschen: heißt, verwandten Sinn finden, und anregen. Dieser ist in der Masse der Leute zu sehr verbreitet, und hat wohl, als Theater, jetzt scheinbar großen Schutz von oben; braucht ihn aber um fort- zuleben nicht mehr.“ Horchen Sie also nach Ihrem eigenen Talent, und Ihrem Sinn für Ihre Kunst hin; arbeiten Sie nach dem: und Sie werden außen gefallen: nöthig und ge- sucht sein. Hätte ich ein Talent und wäre auf der Bühne, ich würde der entgegengesetzten Richtung und Regel der jetzi- gen Schule folgen. Ich würde mich bemühen, in verschieden- sten Fächern zu spielen: was mit Talent, Einsicht, Grazie, Geschicklichkeit und Geübtheit dargestellt wird, ist schön. Es ist ein Irrthum, wenn wir uns einbilden, wir hätten klassische Stücke wie die Franzosen; und könnten die ein halbes oder ganzes Jahrhundert hintereinander spielen sehen. Uns fehlt ein Nationalhof und König; das daher sich schreibende Vor- urtheil, und feststehende Sitte und Meinung; und wir können auch keine Schauspieler gebrauchen, und ertragen, die nur zehn, acht Rollen bis zu ihrem siebzigsten Jahre spielen. Es ist also gerathener, und schöner, wir folgen darin unserer wirk- lichen Nationalität: die im Suchen, Finden, Versuchen, und schreitender Ausbildung besteht; und lassen auch unsern Schau- spielern die Freiheit sich in mehreren Fächern zu bewegen, und zu zeigen. Die Schröder ist gewiß eine Große. Und auch der würd’ ich dasselbe rathen. Was würde es ihr scha- den, Alte, ja Komische zu spielen, wenn sie wie ein Gott nach- her Medea, Merope, Chawansky u. s. w. spielt! That es nicht Fleck? die Bethmann? das müßte ein sauberes Publi- kum sein, welches sich andere Rollen bei diesen denken wollte: solches muß endlich als Ausschuß behandelt werden: und wird sich bald schämen lernen. Oder tadelt man nicht jetzt auch die Schröder und alle Großen und Guten auf andere Weise? Man will sie ja nicht immer in den paar Rollen sehen, wie sie’s nennen. Und doch sich dabei einbilden, man habe ein Hoftheater wie bei Racine unter Ludwig XIV. nöthig, und wünsche es; mit großen nichten: man hielte es nicht aus. Also müssen unsre Talente zuerst den Irrthum brechen, und gemeinen Tadel überwinden . Spielen Sie alles unter- einander; Alt, Jung, Großes, Komisches: und Sie werden sehen, daß der Deutsche das eigentlich braucht und will: und das Anno 1823. Wenn er sich auch noch so geleckt stellt und vermeint. Dann werden Sie sich kräftig und lebendig füh- len; und Schutz erzwingen: auf den und Gunst und Aner- kennung muß man ohnehin nie warten: die kommen immer zu spät. Bei ihnen ist selten der Geist. Der geht von Phi- losophen und Künstlern aus; die immer litten: es ist meist Maske, und Selbstbetrug, wenn man sie schützt und pronirt: und beinah nie schätzt man das Rechte, Ächte an ihnen, bis sie todt, oder ihre Talente es schon sind. Kurz, bis es vorbei ist, was sie leisteten, und nur als Vorurtheil noch lebt. Er- mannen Sie sich; und sein Sie lustig mit Ihren Gaben bis an’s Ende! Sonst bekümmerte sich niemand um’s Theater, als die, welche eben zuhörten, und es ging um so besser. Hö- ren Sie nach oben, und nach den Kritiken auf Papier und am Theetisch gar nicht hin. — Am liebsten, theure Auguste, sähe ich Sie ohne Rollen frei in Berlin! Aber in jedem Fall mit erfreutem Herzen. Vielleicht kommen Sie noch! Ich um- arme Sie von ganzer treuer Seele! Juni, Juli war ich sehr krank; August ging es besser, jetzt will es der plötzlichen Kälte gemuthen mich zu schüttlen; noch stehe ich aber gut. Ich war diesen Sommer nicht weg. Reisen müssen accurat sein wie ich sie will, wenn ich sie nicht gemacht zu haben regretti- ren soll. Doch bin ich noch mobil. Fürchten Sie nichts. Le- ben Sie wohl und antworten Sie mit Hrn. von Wagner! — ein artiger kluger Mensch, den wir viel sehen! Empfehlen Sie mich der Mad. Huber bestens! und Mama! Ihre R. An Varnhagen, in Berlin. Frankfurt a. d. Oder, den 14. Oktober 1823. Halb 12. Regenwetter, aber nicht unangenehm. In einem sehr stillen aufgeräumten Zimmer. — Nie noch wohl that ich von ungefähr etwas Zweckmäßigeres auch in seiner Wirkung, als hieher gekommen zu sein. Eine richtigere Ahndung hatte ich wohl noch nie. Nichts konnte so gene- sen machen, als meine Ankunft: weil die Kranke hier wohl keinen kennt, der sie so liebt, den sie so leiden mag, und der mit so vieler Autorität und derselben Nachsicht, Zärtlichkeit und Einsicht sie zu behandlen versteht. Sie sagt es öfters ganz von selbst. — Equilibre durch Ruhe, Ordnung, Stille, und Vermeidung der Anstrengung und Reize, thut das Beste. Und das sehr bald; mit Siebenmeilenstieflen; wenn man nur nicht gleich damit rennt! Denselben Tag, als ich ankam, hatte sie eben — erzählte sie mir frei vor Allen — zur Kin- derfrau konfidirt: „Ach! wenn man gar keine Verwandte in einem Ort hat, kann man nicht besser werden: wenn Fr. von Varnhagen hier wäre! die nähme mir den Knaben ab, und alles!“ Und ein paar Stunden drauf komme ich wirklich! Solcher Zauber gelingt selten ! — Ich ging an der Oder, dem Löwen vorbei, den Weg nach Kunersdorf — der Weg nach Breslau —, alle Menschen gin- gen hin nach Kunersdorf, da Kirmeß; welches ich alles nicht wußte, ich lief nur der Oder nach: und alle Menschen kamen mir entgegen vom Schießhause; lauter Knaben von eilf bis fünfzehn, sechszehn Jahren, mit Stolz und Befriedigung der Väter Flinten tragend, und halbe Stunden vorausschreitend. Erst fürchtete ich mich vor den Flinten — Losgehen — und begriff es nicht. Aber redender erfuhr ich alles: Damen, Kna- ben, Frauen, junge Mädels, alles wurde angeredet; sehr gerne antworten sie hier, mit einer Art freudigem Stolz höflich ge- fragt zu werden. Große Spazirgänger sind sie hier. Mir gefiel die Brücke, die Aussicht, der Abend: ein grauer, mit rothdurchschossenen Wolken. Um 4 Uhr ging ich; dachte an dich; und immerweg, wie du da mitgingest, — und was du wohl thust. — Alles in deinen Briefen goutirte ich: nichts, kein Scherz, keine Liebe, keine Mühe ist verloren, alles einge- pflanzt im Herzen, zur ersten Frühlingssonne! — Eine vor- treffliche Promenade habe ich durch die Stadt gemacht, die wahrlich eine der hübschesten Provinzstädte ist; reinlich, tüch- tig; sicher, frei; herrliche Häuser: und ein Spazirgang, wie ihn wenige größere Orte aufzuweisen haben: einen Park und eine Linden in der Stadt. So heißen die Orte: ich verstarrte ganz. Ich war mit Doren allein. Mein Vergnügen. Alle gute Bürger fahren spaziren, wie in Berlin. Die Stadt würde dich sehr freuen und erstaunen, wie mich. — — Ich lese also Walter Scott. Bin im zweiten Theil, und es geht mir in diesem Buche, wie in seinen andern. Große Ungeduld; wenn auch etwas Neugierde, von einer Art Interesse erregt, so viel zuwege bringt, daß ich das Buch in die Hand nehme. Welch ein Unterschied! Pestalozzi schildert auch in Lienhard und Gertrud niedrige Zustände, Umstände, und niedrige Menschen; und überhaupt Geringes, wenn man will. Aber aus welchem Herzenspunkt, aus welcher Veranlas- sung geht der aus! Nach welcher großen Menschenangelegen- heit strebt und zielt der auf reinem Wege unaufhaltsam hin! Auch er führt uns durch accentuirte, scharf gezeichnete Details, ohne unnütz zu werden und sich daher in’s Langweilige zu verlieren: im genauesten Sinne des Worts, verlieren. Nicht als Meister, überläßt es Walter Scott dem Leser , noch seine bessere Beabsichtigung fest zu halten. Er schildert Winkel, anstatt die Welt. Es ist wahr: daß wer einen Winkel ab- solut kennte, begriffe und schildern könnte, der würde der sein, der die Natur verstände wie sie lebt und ist; aber den Zusam- menhang dieses Winkels mit ihr, darf er nicht aus den Augen verlieren und ihn verbauen: mit je mehr Talent diese Verein- zelung ausgeführt wird, je peinlicher wird sie: und Walter Scott peinigt mich. Er wird es mir verzeihen; da er so sehr, so Vielen gefällt, die Einen Geschmack mit ihm haben, und ihm daher lieber sein müssen. — An Rose, im Haag. Berlin, den 15. November 1823. Sonnabend Vormittag 11 Uhr. Windig- ko- thig Wetter, welches manchmal hell werden will: auch die Sonne zeigte sich Einmal. — — Es freut mich nicht wenig, daß du wohl bist, und die Reise gut überstanden hast! Mich schlug ein einziger Vor- mittag-Nebel zu Grunde. Ach! du kennst meine Gesundheit nicht! Grad zwei Monat im ganzen Jahr war ich ziemlich. Nun! auch ein Glück. Die Stadt erwartet Feste und Auf- züge mit unserer neuen Prinzeß. Davon werden dir wohl die Andern berichten: ich werde das alles zu Hause abwarten. Die schöne liebe Prinzeß kenne ich schon, und werde sie schon noch ohne Zug und Wind sehn. Einzüge sah ich bei der Kö- nigin, Prinzeß Louis und Prinzeß Wilhelm. Man muß An- dern den Platz lassen! — Ich bin sehr betrübt, theure Rose, daß du Freunde durch den Tod verloren hast; und durch den halben Tod, durch Entfernung. Man bekommt sie nicht so schnell wieder; d. h. so leicht, wenn man über fünfzehn Jahr hinaus ist; oder vielmehr nur zu leicht, weil man nicht mehr glaubt, einen Schatz für’s Leben zu finden. — Auch ich habe eine Freundin verloren, und du wirst vielleicht verwundert sein, wenn ich dir sage, daß es die Prinzessin Am é lie von Baden ist, von der ich dir vielleicht niemals geredet habe! — Eine in vielem Betracht sehr ausgezeichnete Person; ein tiefes Ge- müth; eine Bescheidenheit, die ihr Schaden that; sehr unter- richtet; ein frommes Herz; ein heller Geist; und ein unerschöpf- liches Verlangen zu wissen; sehr wenige und nur liebenswürdige Vorurtheile; immer bereit, sich durch neue Untersuchung zu läutern; der Freundschaft fähig; sie habend und aufsuchend in jedem Stande; gütig gegen ihre Dienerschaft; ein Schatz und ein Trost für ihre Familie, besonders ihrer Mutter und ihrer Schwester der Kaiserin Elisabeth innig ergeben. Ich sah sie viel in Karlsruhe; und jetzt, da ich sie unwiderruflich ver- loren habe, fühl’ ich doppelt, was sie gewesen ist! — An M. Th. Robert. Den 19. December 1823. Am liebsten läse ich mit dem Verfasser — wie bei jedem Buche — die bewußten Briefe. Weil kleine Einwürfe oft ein großer Damm sind; und, hat man die nicht gemacht, der Strom des Autors hinführt wo er eben will. Selbst aber vom Strom richtig nach des Verfassers Schlußmeinung geführt, muß ich über die Gegenstände, die er erörtert, das sehen, vor- finden, und wieder denken, welches mir Einer abnöthigen würde, wenn er auch, und auch mit Gründen, das Gegentheil behauptet hätte. Daß nämlich die zu machenden Einrichtun- gen eines Staatswirthschafters tiefer zu suchen sind, als in seinen ökonomischen Zuständen: zu welcher Tiefe der Verfasser der Briefe auch richtig gelangt. Er spricht von der Perfekti- bilität des menschlichen Geistes; und von der seines Wohlle- bens; welches sich alle Wirthschafter und Regierer müssen ge- fallen lassen, wenn sie nicht einsichtig genug sind, von Hause aus grad danach zu handlen. Man ist nicht fromm, wenn man diese Perfektibilität nicht einsieht; und weiß nicht, was fromm ist, wenn man diese Einsicht nicht für Frommheit hält. Der Grund aller Wirthschaft ist: bedürfen, und haben. Geld: ein Zeichen des Besitzes, den wir nicht unmittelbar ver- zehren müssen. Haben wir nun zu viel Geld, so ist das nur scheinbar, und augenblicklich; da kein Land alles hat, was es verbraucht, und es sich also für Geld solches kann kommen lassen. Hat es zu viel Produkte, so kann es sie verführen; wollen wollen sie die andern nicht, sie nicht produziren, oder verder- ben lassen. Immer aber werden sich diese ökonomischen Klem- mungen bis zur fremden Gränze des Landes und zu des Nach- barlandes Einrichtungen und Zuständen hinführen lassen. Es wird ein ewiges Laviren bleiben, und nichts Bestimmtes im Wirthschaften festgesetzt werden können. Will man aber etwas fest bestimmen, so wird man zu Fichte’s verschrienem „ge- schlossenen Handelsstaat“ anlangen. Da solcher Staat nun meines Bedünkens nur der Erdball ist; und dieser nur , weil keine Schiffe und keine Straße zu andern Erdbällen führen; so wird man nur nach den Bewegungen und Maßreglen der andern Staaten wirthschaften können, ohne nach den festzu- setzenden Grundsätzen handlen zu können. Diese Grundsätze aber, die auf Beschaffenheiten beruhen, wie der Briefsteller bemerkt, werden sich trotz alles nicht gründlichen Verfahrens Platz machen: und Friede wird, und muß eines ihrer Ergeb- nisse sein, wie Vervollkommnung des Lebens, und größere Klarheit der Sittlichkeit. Hierin bin ich ganz eins mit dem Briefsteller. — Berlin, 1823. Es ist dumm und ehrwürdig von mir, daß ich mit allen Menschen gründlich spreche. Ich sehe es ein. Die arbeitende Klasse ist größer, als man denkt. Pflicht- mäßig wollen sie handeln (aber es muß ihnen sehr sauer wer- den: und eine Art Feiertags-Akt sein — das kann man nicht täglich! —), pflichtmäßig, aber nicht schön. III. 9 Vom körperlichen Tanz weiß man schon etwas: so ar- beitslos nach schönster Musik will die Seele sich bewegen; von ihr lernen wir den Tanz. Musik ist Geistes- und Em- pfindungsfreiheit. Melodie, unsre Empfindungsfähigkeit ohne zwingende Beziehung nach eigner Lust und Wahl bewegt. Harmonie, fertige Rechnungsresultate, unserm Geist durch’s Ohr zur genießenden Schau geliefert. — Welche Geistes- und Seelenzustände der Vergangenheit, dem jetzigen Gedächtniß entschwunden, setzt dies voraus! Darum liebt der Mensch Musik. Je höher und reiner sie ist, je weniger liegen unsere Zustände auf ihr: — oft muß sie unsere mittragen; alle Lei- den und Leidenschaften — je weniger Publikum hat sie dann: und noch Einmal sei es gesagt, „une pipe de tabac” und jedes Lied, was zu gemeinern Zuständen paßt, wird Volkslied. Vor der Hand. Berlin, den 4. Januar 1824. Es kann nichts helfen ein großes Schicksal zu haben; wenn man nicht weiß, das man eines hat. Es hat ein jeder ein großes Schicksal, der da weiß, was er für eines hat. An Friedrich August Wolf. Sonntag, den 4. Januar 1824. Die geflügelten Boten, die Sie so gütig waren mir zu senden, können Sie zu wahren Liebestäubchen umwandlen, wenn sie uns die Freude machen wollen, guter Herr Geheime- rath, diesen Abend bei uns zuzubringen! Punkto 7 soll Thee kommen, und alles was folgt will ich so beschleunigen, daß Sie um halb 11 Uhr schon mit allen Sorten von Geist, und stillen Geistern bei sich sollen konversiren können. Führen Sie den Zauberstreich aus, aus Fasanen Tauben zu machen: zum Lohn soll Ihnen der umgekehrte Schlag zu Gebote stehn! Ergebenst Fr. V. (Mündlich.) „Der junge Graf X. ist ganz unzufrieden gegen die Welt gestellt. Er fühlt überall höchst unbequem das Bornirte, und daß es in ihm liegt, weiß er noch nicht.“ Januar 1824. 9. Januar 1824. Die Seele ersetzt gleich wieder, wie an Wurzeln; sobald sie aus ihren Tiefen das Geheimste an’s Tageslicht gesagt hat, so bilden sich gleich wieder in ihrem Grund neue Geheim- nisse. Der Vergleich ist ganz richtig, und läßt sich weiter führen. Daher hat man wohl mit Unrecht die Scheu Lang- verschwiegenes, erst spät und heimlich Fertiggewordenes mit- zutheilen; fühlt man nur Boden und Sonne; behalten wir nur Herz und Geist! Berlin, den 16. Januar 1824. Sehr schwer ist es über einen Irrthum zu sprechen; bei- nah gar nicht! Jeder Irrthum setzt viele andere voraus, und hat Nachkommenschaft; und allermeist geräth man auch im 9 * Verfolg eines einzigen auf immer neue, man müßte denn mit einem gerechten Gegner bis zu einer von den Grundwahr- heiten kommen können, die eine ganze Legion solcher Irr- thumsanschößlinge mit ihrem Erdreich aufhöben, und so die schwachen Wurzeln der Dörre übergeben. Mit wie wenigen Menschen dies möglich ist, wissen diese wenigen. Also muß man schweigen, grade wo recht viel zu reden wäre; weil man in Gegenwart der Meisten allein ist; je plumper aber Einer ist, jemehr er Abgetragenes, Hergebrachtes, rein Verbrauchtes, nicht mehr Passendes zu Markte bringt, je breiter legt er’s aus, und je reicher hält er sich. Es gehört noch ein beson- ders Genie dazu, das Geniale an Mann zu bringen; dieses hatte Mirabeau. Solche Leute müssen sich aber zuerst mit ihren Nächsten brouilliren; auch das geschah Mirabeau’n. Es wäre Moliere’n, es wäre Lafontaine’n geschehen, hätten sie nicht Komödien und Fabeln geschrieben, hätten sie ihre Werke leben wollen. Große Litteratoren brouilliren sich immer mit ihren Zeitgenossen. Die Menge ist geneigter, Bilder in sich aufzunehmen, als Gedanken; die oft insofern Zerstörendes in sich tragen, als sie so vieles Falschgestellte umstoßen; das ist unbequem, weil es mühsam ist, und wir für’s erste dabei etwas einbüßen. So lassen sie sich lieber die ungereimtesten Geschichten gefallen, als sich den besten Beweis demonstriren. Also stellt sich die Menge gleich feindlich gegen neue Beweise, und der Beweiser muß ein Krieger werden, und sehr verschie- dene Talente in sich vereinigen, z. B. die tiefste Ruhe des Denkens, und dann wieder die immer rege Laune des An- greifens, die Geduld und Wachsamkeit des Vertheidigens, die Standhaftigkeit gegen Überdruß, Langeweile, und Ekel vor List, Stupidität, Dünkel, und Fliegen-Beharrlichkeit. Wieder Mirabeau’s Gabe! Den 17. Januar 1824. Wir hassen eigentlich alles in einem Karakter, was wir nicht verstehn; und das Unsittliche ist auch eigentlich unver- ständlich. Es ist nicht zu verstehn, warum ein Mensch dem andern unangenehme Empfindungen machen will: da er durch- aus für sich angenehme verlangen muß. Will Einer dem An- dern Gutes zufügen, so ist das immer ganz verständlich: er will das für den Andern, was er für sich will. Bosheit, die nicht Rache ist — diese stammt von Gerechtigkeit — ist kom- plet unverständlich. Montog, den 19. Januar 1824. Durch Rousseau’s Emile erfährt man, wie eine ganze Welt dazu eingerichtet sein müßte, um ein Kind zu einem — in allem Sinn — gesunden Menschen zu erziehn; wie weit wir aber von dieser Bedingung sind, und also nur sehr stück- weise und wenig in Erziehung auszurichten vermögen. Fichte zeigt uns in seinem geschlossenen Handelsstaat, eben so, durch eine nicht zu erfüllende Bedingung, was für einen Staat zu thun wäre, könnte man alle andere mit einrichten oder abschließen. Großer Beweis von Konsequenz in den beiden Büchern! sie sind beide bis zu dem erst zu be- seitigenden Punkt gekommen. Und es wird geirrt, wenn man den Autoren nicht dankt, und sie durch die Darlegung des Unmöglichen, das sie klar gemacht haben, zu widerlegen meint. Berlin, den 7. Februar 1824. Ich habe mich heut recht geschämt, als ich es mit einem- male einsah, daß die meisten Menschen, wie „all die andern Thiere der Erde, wandeln und weiden im dunklen Genuß.“ Ohne einen Gedanken an höhere Möglichkeit; ohne Ehrfurcht vor Erschaffenem, und ohne wahre Ergebung in Unverständ- liches, wahrhaft Unendliches. Ohne Herz für Geschöpfe; ohne Freud’ und Leid eigentlich; weder verabscheuend, noch ent- zückt. Wahrhaft nur den Schritt vor sich wandelnd, und weidegierig, und weideberuhigt; und beglückt, je nachdem Kü- chenweide und Zimmerweide. Dürftig, ostentativ; kalt, kalt! dünkelvoll. Zum Todtschämen, wenn man sich ein wenig bes- ser finden muß. Wenn wir nur wissen, wie eingeschränkt wir auf der Erde sind! Dessen müssen wir uns in allen Stücken im- mer wieder erinnern . Ein Stein kann eine Geschichte haben, aber nur eine Krea- tur mit Bewußtsein ein Schicksal. Die meisten Menschen ha- ben nur eine Geschichte. Was uns geschieht, im Gegensatz betrachtet von dem, was wir thun können, ist wieder nur geistige Thätigkeit; und den Theil, den wir als nicht unserer That anheimfallend in un- serm Erlebten ansehen, nennen wir Schicksal. In einem hö- hern Sinn müssen wir uns dem ganz entziehen können. Für die Betrachtung ist es beinah schon so. Und da tritt wieder Goethens: „Ist es nicht sonderbar, daß uns nicht allein das Unmögliche, sondern auch so manches Mögliche versagt ist!“ ein. Dieser Knoten bedingt all unser Leben: folglich, das be- liebige Bild davon, den Roman. Wollen wir diesen Knoten auflösen, so wird ein Leitfaden zum göttlichen Willen; wir leben nicht weiter, und beugen uns im Herzen. Dies sind Gebete; diese sind aber nur Aufflüge — élans —, die Erde grünt, wir stehen darauf, die Sonne scheint: wir haben sie und nichts gemacht: und sie genießen und betrachten ist ein anderes Beten. Alles ist recht, wenn man nur ehrlich ist; und sich Verwirrung abwehrt. Diese Stelle aus Jean Pauls Titan hat mich sehr betroffen: „Solche Unähnlichkeiten“ — er hatte sie benannt, sie waren tiefer als groß — „schlagen unter ge- bildeten Menschen nie zu offenen Fehden aus: aber sie legen heimlich dem inneren Menschen ein Waffenstück nach dem an- dern an, bis er hartgepanzert dasteht und losschlägt.“ Daß er hartgepanzert mit einemmale dasteht, traf mich so sehr. Mild, und gepanzert, fand ich mich seit ganz kurzem. Ein- sehend, warum man nicht so viel fordern muß; und sehr ge- neigt zu leisten, was nur gebraucht werden kann: das andere aber nicht. Wenn ich milde sage, so meine ich das wie von einem Wetter; mir wird dabei gut zu Muthe: ich stimme mich nicht milde gegen Menschen; ich finde bloß gutes Wetter in mir: zur Erquickung und endlichem Ausruhen. Heilsame Ge- danken bereiten ein solches Gemüthswetter, sie kommen wie belebende Lüfte aus unbekannten Welten; und finden bearbei- teten Boden. Ich sehe grade jetzt meine ganzen Lebensschick- sale als eine Bereitung zu andern an; und zur Ruhe. Wenn auch nur zur Ausruhe. Je mehr ich sage, je mehr sehe ich ein, daß ich das nicht sage, was ich eigentlich mittheilen möchte. Vielleicht ein andermal! In zwei Worten. Berlin, den 9. Februar 1824. Was uns unsere Irrthümer bringen — was wir in ihnen befangen wählen und thun, was sich daraus entwickelt — schickt uns Gott ohne uns; was wir mit Sinn, Verstand wäh- len, schaffen und behalten, schickt er uns durch uns. Beides muß der Mensch mit Sinn annehmen; davon kommt ruhigste Ergebung, und Heiterkeit im Sehen. Ancillon sagt (Vom Glauben und Wissen in der Philo- sophie S. 82.): „Wenn man sagt, daß die Seele für uns ein bloßes Phänomen ist“ u. s. w. Das könnte sehr gut sein, daß sie ein Auftrag für einen Geist wäre! Geben wir unserm Geist hier keine Aufträge? Wir wissen darum nur nicht, wer wir sind, weil wir ein parzielles Geschäft haben, und von der Sendung nichts mehr wissen: ich glaube, das ganze Geschäft ist nur unter dieser Bedingung des Vergessens möglich; und also die große Frage über die Person aufgelöst: wir sollen uns für eine halten. Die Gränze, die uns zu einer macht, ist darum undurchdringlich: und es wird richtig, daß die Per- sönlichkeit nur ein Phänomen für den Geist ist. Durch den Geist theilen wir uns unsre gegenseitigen Persönlichkeiten ein- ander mit, und uns unsre eigne. Ich bin überzeugt, wir sol- len hier eine Fertigkeit gewinnen, eine Einsicht; die der Per- sönlichkeit wird wohl schwer sein. Der Geist mag sie sich selbst, oder mitgewählt haben. Ist man nicht schon jetzt mehr, mehr Person, umfassenderen Geistes, je mehr Persönlichkeiten man umfaßt und einsieht? Geist ist nicht Seele, ist nicht Person; mit dem sehen wir nur unsere Person. Es ist mir ganz unbegreiflich, wie Novalis über Wil- helm Meister spricht. Hingegen erklärt mir dies mein ganzes Mißfallen an seinem Ofterdingen. „Die Musen im Meister werden,“ nach Novalis, „zu Komödiantinnen gemacht;“ — „Es läßt sich fragen, wer am meisten verliert, ob der Adel, daß er zur Poesie gerechnet, oder die Poesie, daß sie vom Adel repräsentirt wird;“ — „Wilhelm Meister ist eigentlich ein Kandide, gegen die Poesie gerichtet; das Buch ist undich- terisch in einem hohen Grade, was den Geist betrifft, so poe- tisch auch die Darstellung ist.“ Es entschlüpft ihm, unter dem Guß von Reden, zu sagen: „Die Ökonomie ist merkwürdig, wodurch es mit prosaischem wohlfeilen Stoff einen poetischen Effekt erreicht.“ Im Ofterdingen und ähnlichen Unternehmungen herrscht das Bemühen zu zeigen, was Poesie ist: und daher werden diese Anfertigungen grade höchst unpoetisch. Poesie ist in der Natur: das will sagen: da, wo unser Geist ein Freies, Bedeutungsvolles wahrzunehmen vermag; also auch in der Natur der Begebenheiten und den Vorfällen des menschlichen Lebens, und folglich in der Schilderung derselben. Diese täg- lich zu schauenden Weltereignisse, in einem beliebigen Raum, wie in Email, zwar klein und fein gemahlt, doch faßlichst, farbeglänzend, deutlichst und klar dargestellt, in Weitblick er- faßt, aus langer, vielfältiger Beurtheilung ergriffen und er- wählt, aus den tiefsten Betrachtungen hervorgegangen, und mit ihnen geschmückt, obgleich nur damit bekleidet, in gebil- detster, noch lange nachzuahmender — denn noch lange wird die Nachahmung neu bleiben — Sprache vorgetragen: das ist ganz gewiß Dichterwerk und Poesie; und mit dieser Skizze von Erörterung ist es hier schon unwiderleglich, daß Wilhelm Meister etwas anderes ist, als wofür der größte Geist, No- valis, ihn hält. Er, Novalis, konnte das gesellige Leben seiner Zeit nicht erfassen; und mochte es nicht, hauptsächlich. Ihre Denkmas- sen, ihre Wissenschaft, ihr Naturzeitpunkt, ihre Historie, wie sie zu den andern stimmt und zu stellen ist, alles dies war ihm mehr als klar: er bewegte dies alles, und mehr, und sei- nen und aller Zeiten Geister, möchte man fast sagen, nach Willkür beflügelt, als Hellseher; ehrlich und in Unschuld. Aber sein Geist war zu mächtig: er zu sehr in seiner Jugend, und von diesem Geiste getrieben und bewegt, um den geselli- gen Zustand anders als sehr en gros zu erwägen: da schien er ihm freilich klein, oder vielmehr, erschien er ihm kleinlich bis zum Ekel, zum Wegwerfen: und das wollt’ er denn auch thun, in der poetischen Arbeit wenigstens; und dies that er im Ofterdingen: war aber doch vom Unternehmen selbst be- zwungen, und wählte, mußte eine andere, vergangene Zeit wählen, die er sich nach Willkür hochstellen zu können glaubte. Aber diese Zeit war in dem Falle, in der unsre ist: mit un- endlichem Unedlen, anscheinend Unwesentlichem, zersetzt; das konnte er großherrisch, edel, jung, kühn, übersehn; als den Vorwurf eines Dichters aber, und wenn er selbst dichten wollte, es sich nur zum Schaden anders zurechtstellen. Er wollte über- haupt nicht allein dichten, sondern neue Gegenstände für die Poesie erfinden, aus großem Geist! Gar zu oft zeigen uns edle, hochfahrende dichterische Ge- müther den Prozeß ihres ganzen Kopfs und Gemüths, wie sie zum Dichten kommen, anstatt der Gegenstände, die sie darzu- stellen meinten. Daß auch so etwas Novalis begegnen konnte, bleibt mir unbegreiflich: so sehr stell’ ich ihn hoch, sehe ich ihn hoch in allen Stücken. Eins nur tröstet mich dabei, daß sein Urtheil über Meister und seine Ausführung des Ofterdingen ganz aus Einem Stück sind: nämlich aus eben und demsel- ben Irrthum. Das Wort steht hier! von meinem verehrten, unsäglich geliebten Hardenberg. Schade, daß er so Viele darin noch verführen wird! Donnerstag Abend, den 11. März 1824. Lange hatte ich das auf dem Herzen. Um Novalis Aphorismen zu verstehen, muß man außer- ordentlich viel Einfälle gehabt haben: und sie sehr gehand- habt haben. Sonst ist’s nicht möglich. Ich mag aber jetzt lesen, was ich will; es mag mir noch so viel einfallen, wenn es mir einleuchtend ist und gefällt, so kommt es mir vor, als würden nur ein paar Wahrheiten dargethan, und immer das- selbe gesagt: das tritt besonders bei dem Vielfältigen und Geistreichen von Novalis ein. Variazionen auf nur wenig Eingesehenes, und auch gezwungen Vorausgesetztes. Durchaus Anweisung auf Anderes, Unbekanntes, und doch — durch und mit großem Witz — hier in Armuth Erkanntes; wie gering- stes Almosen auf höchsten Reichthum kann schließen lassen. Novalis sagt: „Wir sind auf ein unbekanntes Kapital an- gewiesen.“ Ich spreche von einem Defizit, welches wir hier finden. Alle Geister haben nur Ein Thema bekommen. Fichte, Goethe, Rousseau, Saint-Martin, Jean Paul, Alle, Alle, die etwas Gutes sagen, sagen dasselbe: lauter Variazionen auf das einfache, im höchsten Witz ersonnene Thema. Ich fühle mich und uns arm, wenn mir dies deutlich wird: es ist wie ein Spiel, von Karten, oder Schach: wenig feste Bedingungen, und die größten, unendlichsten Kombinationen. Nur wenn wir uns irren: das heißt, eine gemachte oder uns von der Natur vorgelegte Kombination für etwas Absolutes, Unver- änderliches halten, und uns darüber zufrieden geben, es näm- lich lieben, dann fühlen wir uns reich; das ist nichts, als uns in einen Zustand finden und setzen, in dem wir hier nicht blei- ben können: ein simulacre von Liebwerthheit vor uns zu ha- ben meinen. Liebe, Zufriedenheit, Approbation, Wohlgefallen, Zustimmung, muß frei aus uns ausstrahlen können, nicht gebrochen von Widerspruch; diese Liebe in uns ist ein Besitz, den wir gar nicht kennen, und eine Fertigkeit, die wir nicht, wie die des verständigen Geistes, erst hier machen: sie ist ge- macht, und auch die Vollständigkeit ihres Beziehungsgegen- standes haben wir verloren. Diese müßte können ergründet werden, die Liebe in uns; was sie eigentlich sucht. Verstand in allen Ableitungen sucht auch nur Liebenswerthes, Ver- nunft- Ordnung- Zusammenhang-Gemäßes; kurz, Gegen- stände der Liebe. Also lauter Anstalt, Hinhalten. Noch hat unsre Philosophie nicht in diesen Körper hinein operirt. Da- rum wird auch jede von der neusten hart angegriffen. Was der Geist vermag, und nicht vermag, kann sie zeigen: vom Andern wissen wir nichts, und kennen doch seine Existenz; heißt, sein Wirken. So angesehn, ist Liebe der Inbegriff von allem; aber nicht das bischen auf Nebenmenschen aus Barm- herzigkeit angewandte: sondern jene vielstimmigste Zustimmung, von der wir ein bewußtvoller, gefühlvoller Ton sind; der sich selbst nicht kennt. Sonnabend, den 13. März 1824. Zu Novalis Aphorismen. „Man versteht das Künstliche gewöhnlich besser als das Natürliche. Es gehört mehr Geist zum Einfachen, als zum Komplizirten, aber weniger Talent.“ (S. 395.) Es ist nicht ganz verständlich, von welchem Natürlichen hier die Rede ist. — „Jede Wissenschaft hat ihren Gott“ ꝛc. Dann sagt er am Ende: „Jede immer getäuschte und immer erneuerte Er- wartung deutet auf ein Kapital in der Zukunftslehre hin. — Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge.“ (S. 396.) Ich finde auch nur überall, und am Ende, ein Defizit — verlornes, zu suchendes Kapital: daher sind mir willkürliche Lügen und Fablen — wenn man sie, wie in der Poesie, nicht dafür ausgiebt, und dadurch zu Wahrheit erhebt, weil man dann zeigt, daß man dieses Verfahrens be- nöthigt ist — womit man dies decken und beschönigen will, als albern, und kindisches Benehmen so sehr zuwider: und noch mehr zuwider, weil dies ein Frevelanspruch an der Er- denkinder Vernunft ist, doch ja unvernünftig sein zu wollen; und zugleich muthlos, und zugleich begränzt und gepanzert gegen wahrhaft göttliche, nicht zu erdenkende Möglichkeiten; die in der Veränderung unseres eigenen Verständnisses bestehen können; und womit, soll davon die Rede sein, wahre Offen- barungen beginnen. — S. 397. spricht er sehr glücklich vom Wissen: und sagt: „Vollkommenes Wissen ist Überzeugung, und sie ist es, die uns glücklich macht und befriedigt, sie verwandelt das todte Wissen in ein lebendiges .“ Da kann man lange warten, eh einem solcher Unterschied einfällt; wie lange denkt man da umher, vor solchem tiefen Griff! So lange die Wissen nicht zu uns selbst werden, zu Überzeugung, wie die unserer Existenz zum Beispiel; so sind die Materialien zum Wissen, Leitern, auf denen man zu sich hinab steigt, und unten dann nicht mehr gebraucht. Wie viel solche Leitern mögen wir schon weggeworfen haben, ehe wir zu der jetzigen — jetzigen — Voll- ständigkeit unseres Ich’s kamen! „Ich bin ein Berg in Gott, und muß mich selber steigen, Daferne Gott mir soll sein liebes Antlitz zeigen.“ Sagt Angelus. Immer dasselbe! Wenn wir wahr sein wol- len, und bis zur Gränze kommen. Immer bietet sich uns dann der große Witz dar, in dem wir hier gefangen sind: das bischen, was uns bewilligt ist, und womit wir die un- endliche Ökonomie treiben müssen; bis zu den größten Voraus- setzungen hin. Das verlorne — oder zu gewinnende — Ka- pital. Das Stück „lebendiges Wissen“ ist unser Unterpfand. — Das Ich muß immer vollständiger werden. Daß alle Ver- gleiche hinken — wie man’s nennt — ist auch voller Bedeu- tung, und voll von Gründen; einer davon ist, daß das zu Vergleichende auch hinkt. Das „Kapital“ und der zu erstei- gende „Berg,“ so schön gefunden sie sind, stellen ein Gebre- chen dar. Es gebricht uns ein großes Hauptstück. — „Die ganze Repräsentation beruht auf einem Gegenwär- tigmachen des Nichtgegenwärtigen und so fort. (Wunderkraft der Fiktion.) ( Glauben und Liebe beruht auf repräsen- tativen Glauben.) So die Annahme: der ewige Friede ist schon da, Gott ist unter uns, hier ist Amerika oder nirgend,“ u. s. w. (S. 401.) Glauben und Liebe sind durchaus nicht willkürlich, wir können nur Bilder fixiren, und auch das Bild eines Zustandes, aber nicht die Gründe zu einem intellektuellen Zustand. Ich verstehe Novalis hier wohl nicht: ich werde fragen. — „Sittlichkeit und Philosophie sind Künste. Erstere ist die Kunst, unter den Motiven zu Handlungen einer sittlichen Idee, einer Kunstidee a priori, gemäß zu wählen“ u. s. w. (S. 406.) Sittlichkeit ist ein Zustand, aus dem heraus wir ein Motiv zu Handlungen wählen; dieser Zustand entsteht, wenn wir in Beziehung mit der Idee von Sittlichkeit sind; und allemal diese Beziehung herausfinden zu können, das allein kann eine Kunst genannt werden. Philosophie, Phi- losophiren: den Gebrauch unseres Verstandes bis zu unse- rer Vernunft zu führen; bis zum Unwiderleglichen, Absoluten, Vorgefundenen; und wieder eine Kunst ist es, den Weg dazu immer zu finden. Den Inbegriff aller Sittlichkeit aber hab’ ich nie anders verstanden, als aus unserer Persönlichkeit hinaus andere Persönlichkeiten anzuerkennen, und sie eben so zu be- handlen als uns selbst; das Beste, Angemessenste, Vernünf- tigste, was sich auf unser bestes Dasein, auf das Fortschrei- tendste in uns bezieht, für uns zu wollen; und in Freiheit zu all diesem zu lassen und zu setzen. — S. 442. spricht er vom Staate: „Der Staat ist immer ein Makroanthropos gewesen: die Zünfte die Glieder und einzelnen Kräfte, die Stände das Vermögen. Der Adel war das sittliche Vermögen“ ꝛc. „Der König der Wille.“ Große Konsequenz! Erstlich, sollen wir Alle zu einem sittlichen Ver- mögen werden; dann, zu einem einigen reinen sittlichen Wil- len! Aber Novalis geht’s wie allen Biblen, man explizirt das aus ihm heraus, was man gebrauchen will. Er sagt selbst vorher: „Der Weg zur Ruhe geht nur durch das Gebiet der allumfassenden Thätigkeit.“ Also wird es noch viel geben! Streit, ruhige Entwickelung; Absterben, Drängen, große Er- findungen, plötzliche Entdeckungen: die Partheien werden lange todt sein, wenn ihre Wünsche erfüllt werden. Auch sehr na- türlich: dann braucht’s keine. — „Die Lehre vom Mittler leidet Anwendung auf die Po- litik. Auch hier sind der Monarch, oder die Regierungsbeam- ten, Staatsrepräsentanten, Staatsmittler.“ (S. 443.) Leuch- tendes Bild! Schöner Punkt im Kontrakt! Eine wahre Er- mahnung: ein gesprochenes Urtheil, in letzter Instanz: wenn Zustände angeklagt werden, die sich als krankhafte Thätigkeit zeigten. „So ist für das große Ich das gewöhnliche Ich nur Supple- Supplement; jedes Du ist ein Supplement zum großen Ich; wir sind gar nicht Ich, wir können und sollen aber Ich wer- den, wir sind Keime zum Ich-Werden.“ „Wir sollen uns zum großen Ich erheben,“ sagt er ferner. Längst einmal dacht’ ich: wir sind nur Adjektive, noch kein völliges Substantiv. Auch kennen wir nur Eigenschaften. Nichts durchaus: davon fiel’s mir ein. — Auch sagt er gleich weiter, ganz lustig: „Aus Ökonomie giebt es nur Einen König. Müßten wir nicht haushälterisch zu Werke gehen, so wären wir Alle Kö- nige.“ Wir wären nur der eine ungetheilte Wille: jetzt, hier, lauter gespaltene. Unser Witz besteht bis jetzt darin, uns den großen Witz entbehrlich zu machen. Der Menschen Witz; und Menschen-Witz. — S. 448. Ende eines Satzes: — „Der Mann ist gewisser- maßen auch Weib, so wie das Weib Mann; entsteht etwa hieraus die verschiedene Schamhaftigkeit?“ Das könnte keine Schamhaftigkeit zu Wege bringen. Das wäre nur ein dop- peltes Naturfaktum; und würde dadurch nichts Neues hervor- bringen. Die Besinnung verliert aber der Mensch nicht ohne Scham, d. h. er wird nicht ohne Scham unmenschlich, wenn er sich nicht mit den edelsten Motiven rechtfertigen kann. Er schämt sich einen Menschen ganz als Sache anzusehen in Be- sinnungslosigkeit. Diese Beziehung mit ihren Beziehungen erregt hier Scham. — Was an Gedanken interessirt: (S. 449.) — „So läßt sich ein an sich trivialer Gedanke sehr interessant bearbeiten; ein weitläuftiges Unternehmen der Art kann sehr interessant sein, ungeachtet das Resultat eine Armseligkeit ist“ ꝛc. Hier III. 10 kommt das wieder zum Vorschein, was er über Wilhelm Mei- ster sagt. Das ganze Resultat ist ihm zu trivial: er möchte in einer neuen Natur arbeiten. Es würde aber immer wieder dahin kommen, wenn wir nicht die Dinge, sondern nur Ei- genschaften von ihnen erkennten. Novalis will, daß darin die neue Natur bestände: ich glaube aber, in der neuen Tiefe würden sich wieder tiefere Verhältnisse zu ergründen aufthun. Höheres Glück, und vollständigeres Unglück — wenn diese Ausdrücke gelten sollen — und doch vollständigere Zustimmung. Jedoch! alles hiesige Vermuthungen! Die großartigste freu- digste Hoffnung besteht darin, daß wir’s nicht ahnden können. Man kann auch so verzweiflen. Ich nicht. Mein Unterpfand ist zu unwiderleglich. Der kleinste Strahl von Verständniß erbaut das Universum. Neigung und Abneigung gar; Kern des absolutesten Seins; der Unentbehrlichkeit des Verstehns schon entrückt. — „Durch das Eigenthum wird der Besitz veredelt, wie durch die Ehe der körperliche Genuß.“ (S. 451.) Veredelt. Ist Eigenthum etwas Edles? Nothbehelf. Novalis führt ja selbst die vielfältigsten Verhältnisse vor, wo das Eigenthum Gemein- gut werden sollte. Im Geistesverkehr ist es schon so. — S. 452. beschreibt er, wie Eheleute sein müssen. Unver- sehns aber lehrt er da, wie Menschen zum Umgang überhaupt sein müssen: aber das ist sehr witzig: denn die Ehe ist ein konzentrirter Umgang; in Nähe, Beständigkeit der Zeit: eine Essenz des Umgangs. — S. 453. Über Liebe und Eifersucht. Eifersucht ist Besitz- sucht, Besitzirrthum. Kurzweg. — „Die Fröhlichkeit löst allmählig alle Bande.“ (S. 454.) Weil sie ein Verhältniß, ein augenblickliches, angenehmes, aus allen Lebensverhältnissen gewählt, und für ein allein gül- tiges angenommen hat, und sich zur Zeit von ihm beherrschen läßt. Richtig. „Daher schickt sie sich nicht für die Jahre und Stände, wo die Erhaltung und Befestigung jener Bande eine heilige höhere Pflicht wird. Eheleute dürfen nicht mehr jenen jugendlichen Festen beiwohnen. Ein milder Ernst ist die ihnen nöthige Stimmung, und eine klare Besonnenheit, eine Hütung ewiger Verhältnisse ihr Beruf.“ — Pflicht ist das, wozu unsre Einsicht uns zwingt. Kein nächster Vortheil. Wer wird den Eheleuten weiß machen, daß eine Hütung ewiger Verhältnisse ihr Beruf ist! „Hütung“! Schrecklich! Was heißt hier ewig? Doch nicht die Extension der Zeit? Also das Einmal Wahre, Wahrgewesene, durch keine Zukunft zu Vertilgende. Dies ist grade, was nicht gehütet zu werden braucht. Worte muß man immer von neuem sichten. — „Grade wegen der Einfachheit ihrer Verhältnisse ist die Moral so schwierig in der Praxis.“ (S. 454.) Praxis ist ih- rem Wesen nach komplizirt: Anwendung; also Hinderung: nichts als Hinderung, des einfachen Daseins. Die alte Auf- gabe: die eine in hunderttausend Gestalten. — „Aller unbestimmte Reiz“ ꝛc. (S. 454.) Es giebt keinen unbestimmten Reiz. — „Ein Karakter ist ein vollkommen gebildeter Wille.“ (S. 455.) Nur der vollkommen menschlichste ist so. — S. 455. Vom Gewöhnlichen: sehr gut! Aller Fehler be- steht darin, sich nicht auf sich selbst besinnen zu können. 10 * S. 456. Vom Handlen wider Überzeugung. Wesen des Zwangs! traurigstes! Es kann höchst moralisch sein: weit- verkrochene Moral. — „Wenn der Mensch nicht weiter kann, so hilft er sich mit einem Machtspruche, oder einer Machthandlung: einem raschen Entschluß.“ (S. 456.) Auch langsamer Entschluß — wenn es welchen giebt — ist empirisch: Machthandlung, Eingriff; da wir nur Theile kennen, und keinen entfernten Einfluß noch Zusammenhang. — „Die Erhebung ist das vortrefflichste Mittel, das ich kenne, um auf Einmal aus fatalen Kollisionen zu kommen.“ (S. 456.) „Fatale Kollision“ ist hier ein tiefsinniges, schwe- res Wort; in welchem Gebrauch es gewöhnlich nicht ist: folg- lich sehr witzig, und daher weitfassend und brauchbar. — „Neigungen sind materiellen Ursprungs“ ꝛc. (S. 457.) Neigungen sind nicht materiellen Ursprungs, sogar die nicht, die sich von den Sinnen herschreiben: materielle Wirkungen mögen sie haben. Man verwechsle nur nicht abgeleitete Nei- gungen aus Ehrgeiz, Prahlerei u. s. w. — und auch die, aus dem Irrthum zurückgeführt, gehen bis zum Tiefsten, nicht wei- ter zu Erklärenden zurück. Will er dies materiell nennen? — „Das Ideal der Sittlichkeit hat keinen gefährlicheren Ne- benbuhler, als das Ideal der höchsten Stärke, des kräftigsten Lebens, was man auch das Ideal der ästhetischen Größe (im Grunde sehr richtig, der Meinung nach aber sehr falsch) be- nannt hat. Es ist das Maximum des Barbaren“ ꝛc. (S. 458.) Könnte man nicht sagen: Das Leben des Barbaren ist das Maximum des Erdlebens? Wir wissen, was sich auf nicht leben bezieht! — Es ist barbarisch, leben zu wollen: — Fried- rich Schlegel sagt: „Es ist die größte Anmaßung, eine Person sein zu wollen;“ — und auch darum ein Streit gegen alles andere; nicht leben wollen: gleich Friede! das Höchste aus einem Standpunkt! in dem wir im Leben nie bleiben können. — S. 458. Herrlich über Gewissen! Im weitesten Sinn. Mir meine Meinung sehr bestätigt: „Ein Zustand außer der gemeinen Individualität.“ Also die Geschichte mit der Persön- lichkeit! Dies auf Physik angewandt, höchster Witzschlag! Und Rückschlag des Witzes auf hiesige Moral. — „Ist unsre Unwissenheit etwa Bedingung unsrer Morali- tät? Wollen wir unwissend sein, weil wir es, bewandten Umständen nach, wollen müssen? Wir sind nur unwissend, weil wir es wollen.“ (S. 468.) Dies ist sehr schön zu ver- stehn! und gewiß fast Allen zu kühn. Ich glaube, er denkt an freien Willen. Wir sollen annehmen müssen, daß wir ihn haben. Wir fühlen dies Gelenk, und können es gebrauchen. Denken wir aber an Weltordnung; an die Illusion der Zeit; an Gottes Geistigkeit, an aller Geister Göttlichkeit: so schwin- det uns die vermeinte Wahl. Illusion aber, ist uns hier ganz hinlänglich; es ist Pflicht hier — heißt, in ihr — nach ihr zu handlen. Sie ist hier für uns veranstaltet. So hoch, und so klein denk’ ich von unsern Pflichten. — Montag, den 15. März 1824. Wir haben eine Freiheit, die hier nicht anwendbar ist: daraus entstehen die Täuschung und die Frage; Täuschung über Freiheit; Frage nach Freiheit. — Wenn man lieben könnte, was man wollte, so könnte man sich ja immer glücklich machen! Die verkehrtesten Forde- rungen werden gemacht: bloß weil sie nicht gestehen wollen, daß sich die Freiheit in den höchsten Zwang gerettet hat. Der gefesselte Wille allein ist frei: da ist man frei: das ist die Fe- stung vom lieben Gott gebaut. — Es giebt einen freien Weg, bis nach dem gefesselten Wil- len — Wollen — zu gelangen; den der Vernunft, wo man wahr sein muß: und anstatt den anzutreten, nennen sie den Willen frei. Sonntag, den 4. April 1824. Heute den 7. April 1824. freute ich mich ungeheuer, in Jacobi von Spinoza zu finden: „Ich bin fern, alle Freiheit zu läugnen, und weiß, daß der Mensch sein Theil davon hat. Aber diese Freiheit besteht nicht in einem erträumten Vermö- gen, wollen zu können: weil das Wollen nur in dem wirklich vorhandenen bestimmten Willen dasein kann. Einem Wesen ein Vermögen, wollen zu können, zuschreiben, ist eben so, als wenn man ihm ein Vermögen, dasein zu können, zuschriebe, kraft dessen es von ihm abhinge, sich das wirkliche Dasein zu verschaffen.“ u. s. w. — Ich verstehe es. Einmal sagt Spinoza: „Kurz, wir wissen was wir thun; und weiter nichts.“ Spinoza sagt: „Wir irren uns über den Willen. Wir sehen auch, daß sich die Sonne um die Erde dreht. Lassen wir die Erscheinung, und bestreben uns, die Dinge zu erken- nen, wie sie sind.“ Die Wahrheit kann nicht von außen kommen; sie ist in uns. Aber wenige Köpfe sind für voll- kommene Abstraktion gemacht; das heißt: für eine Aufmerk- samkeit, die nur auf das innere Sein gerichtet ist. — Sonntag, den 18. April 1824. Im Morgenblatt vom Montag den 13. Oktober 1823. steht von Doktor Börne ein Aufsatz: „ Altes Wissen, neues Leben .“ Jean-Paul’scher Anfang; ohne Nachahmung, sehr schön! Aus einer viel traurigern Seele, als Richters. Weil er viel getroffener ist, von den wirklichen Vorfällen; berührter, von den herrschenden Einrichtungen; und schwingt er sich ab von diesem Zustand zur Natur, so weiß er, daß die allein nicht aushilft, verliert sich nicht an ihrer Größe; nicht in ih- ren Einzelheiten; bald ist sie schlagender Stahl bei ihm; bald der Stein, aus welchem die Witzfunken, und Witzflammen, hervorleuchten müssen; die Fälle miteingerechnet, wo sie der Gesang wird, der die wehmüthigsten Töne aus den Saiten des Busens reißt; nicht so, als ob dann noch der Geist witzige Manieren hinein akkompagnirte; sondern die Wendung selbst, sich dann an Natur zu verlieren, ist da witzig. Dieser Aufsatz ist voller Gedanken, und Gedankenanlässe. Mit ungestörtem Blick sieht er nach Jetzt, und Sonst. Mie zwanzig ihm zuströmenden Vergleichen und Witzworten schil- dert er unvermekt den Kern des Lebens, und den Zustand der Alten, giebt Definitionen, die allein schon einen Band zum Buche machen könnten. „Um einer Wahrheit Dasein wird selten gestritten, auch nicht zwischen den feindlichsten Gesin- nungen; gekämpft wird nur um die Gränzen einer Wahr- heit.“ Abschluß der meisten Verwirrung: Bezeichnung fast aller Diskussionen. — Herrlich spricht er von Sittenlehre; kurz, einleuchtend: wie klar vom Christenthum; nur zur Sache gehörig. (Man ruht bei solchem Vortrag, von den jetzt gang- baren; wo die Verfasser wie in Wolken kämpfend, zu ihren Wahrheiten gelangen wollen; oft deren Gebilde selbst dafür annehmen, und ausgeben wollen; und theils, hinter den Wol- ken nicht unterscheiden, was sie greifen, und anderntheils nichts zu gebrauchen wissen, was sie hervorbringen; und eben daher, so verworren als weitläufig sind.) „Wir leben ohne Sitten- lehre,“ sagt er, „wenn auch nicht ohne Sittlichkeit;“ welches er der Güte und Kraft der menschlichen Natur durchdrungen dankt! Vortrefflich schildert er unsern Christenzustand. Mit wenigen, großen Strichen. Unter andern: „Dort oben giebt es keine Fiskale und Verräther, und keine andere Klage hört der gnädige Richter an, als die der Kläger gegen sich selbst gewendet. Sie haben einen Gott des Himmels und einen Gott der Erde geschaffen, die sie als Partheihäupter betrach- ten, und mit deren einem man es verderben müsse, wolle man mit dem andern es halten! Man müsse unglücklich sein, um selig zu werden! Als wäre die Erde nicht auch ein Stück des Himmels, als wäre die Zeit nicht auch ein Theil der Ewig- keit, und Gott überall!“ So fährt er eindringlich fort, mit den wenigsten Worten. Ich kann es bestimmt wissen, wie schwer das ist, und wie leicht dies ihm werden muß; weil ich eben so denke, und zu oft erfahren habe, daß ich es doch nicht sagen kann. „Jetzt ist auch künftig,“ sage ich oft. „Auf den Vater warten wir, der den Sohn mit dem heiligen Geist versöhne.“ Fichte und Lichtenberg zusammen im Ausdruck. Nur tief wahr: den kürzesten Ausdruck gewählt; und der An- schein entsteht, als habe Einer nur witzig sein wollen, wenn auch nur scherzhaft sein können. „Beim dritten Testament wird der Mensch zugleich Christ und Heide sein, Früchte und Blüthen tragen;“ und noch wunderschön! Wie viele Gedan- ken und Betrachtungen setzt solcher kurzer Ausspruch voraus! Welch unpartheiisches Schauen. Das ist Sinn für Geschichte! Wie schön spricht er weiterhin vom Schreiben derselben. Wie kurz und hinlänglich. Man kann beinah in einem so klei- nen Aufsatz nicht mehr sagen! hervorgegangen aus ernster, wohlmeinender, etwas verletzt- und geheilter Seele, und ehr- lichstem Untersuchen. Keine schwerfälligen Stiefel angeschnallt, zur schweren Reise: jeder kleine Gang wird mit demselben Ernst, in derselben Gesinnung unternommen, und gewährt auch reiche Ausbeute! Aus welchen guten, fast neu gewordenen Gründen empfiehlt er Lehrern für Schüler das Lesen der Al- ten! Wie ganz anders die Aufgeregten beschwichtigend, als durch dumme Lügen; — dumm, da das Lügen der Klügsten auch den Dümmsten nie verborgen bleibt. Schön sagt er: „Weil wir den Umlauf der Menschheit nicht kennen, ver- wechslen wir die Witterung mit den Jahreszeiten,“ und wei- ter ausgeführt. Von den Alten redend, zeigt er uns unsere Zeit wie sie ist: und Einsicht in das Nothwendige versöhnt einzig. Im Vorbeigehen karakterisirt er mit einem Federstrich Jahrhunderte, und ihre Rädelsführer. So Richelieu, Alberoni: und empfiehlt Großartigere; und empfiehlt Autoren. Der Unterschied des deutschen und französischen Wissens, und der verschiedene Gebrauch, den die Nationen davon machen, ist hier wieder einmal unpartheiisch und im klaren Umriß gege- ben: „Der Franzose weiß freilich nicht mehr, als was er ge- sagt hat und geschrieben; aber alles, was er weiß, sagt und schreibt er, und wiederholt es jeden Tag.“ Dies wird wohl noch lange wahr bleiben: obgleich es schon lange wahr ist. Sehr schön fordert uns Börne zur Verbeugung gegen deutsche und französische Lehrer auf; und ihre Schriften nachzulesen; von zu langjährigen Anfällen, und Hintanstellung, reinigt er, so zu sagen, ihre Bilder mit wenigen Worten vor unsern Au- gen, und wir sehen was sie waren, und thaten. Herrlich spricht er mit zwei Worten von Lessing: größte Kunst, nach Goethen es zu können; von Voltaire, Mendelssohn; von den Engländern; Montaigne, und den Originalen der Franzosen. Mit Dankbarkeit; wie sich’s gebührt. Von Jean Paul: von noch Vielen. So wollen wir ihm wieder danken: und uns freuen, ihn zu erkennen. Bücher in kleinen Heften zu geben, ist vortrefflich! und mir besonders dankenswerth. — An Gustav von Brinckmann, in Stockholm. Berlin, Freitag den 24. April 1824. Sonnenhelles, seit drei Tagen, warmes Wetter; nur noch leichtes Knospengrün: die Straßen immer breiter, immer heller. Jedoch heute erfrischender, und viel Morgenthau auf der Erde. Ich lebe noch. Nun wissen Sie alles. Da Sie doch auch wissen, daß man sich, umgekehrt wie gesagt wird, nicht än- dert — garstig werden u. dgl. abgerechnet —. Was aber schlimmer ist, unser Schicksal ändert sich auch nicht: denn, woraus besteht es, als aus uns selbst! Und nun wissen Sie noch Einmal alles: und noch obenein, daß sich unser Stil auch nicht ändert; dies zeigt uns das still- und tiefere Stu- dium Goethens, und aller andern Menschen; und dann noch Einmal, ich. Hab’ ich Ihnen wohl je andere Morgenbillets geschrieben, als das hier über Meer und über Zeit? Es wird uns nach ihr (nach der Zeit) weiter gar nichts fehlen — zu hier — als, daß wir wissen, daß Sie Brinckmann heißen, und ich Rahel. Eines sollen Sie nur noch wissen, weil Sie es, glaube ich, sonst nicht genau wußten. Meine größte Kränkung besteht darin, daß ich in keinem Garten lebe; in keiner Gegend; mit Einem Wort, auf keinem Ort, wo ich aus der Thür’ in’s Grüne trete: aus dem Fenster dahin sehe. Es liegt nicht in meinem Schicksal, mir das zu schaffen, was mir das Wichtigste ist; nur das liegt drin; daß ich das bin, was mir das Wichtigste ist. Verstandum? (kein Witz auf dumm, nur eine lateinische Frage, aus Spott und Verzweif- lung:) diese Kränkung aber greift in alle Stunden ein; und darum halte ich sie für eine. Große Herzensschläge, die man nur mit sich abmacht, existiren für mich nicht mehr. Nur Un- gemach; und Privationen — der „fünf nöthigen Dinge.“ Nie wird etwas gesprochen oder gelesen, was Sie hätten hö- ren, oder sagen müssen, wo ich Sie nicht laut nenne: und Varnhagen kennt sie, und spricht von Ihnen, wie wir Andern. (Ich bin Einmal treu gemacht: mir treu; und so auch allem. Daran können Sie nun wissen, daß, geschieht ein Loslassen, es kam immer von den Andern; ihr Katholischwerden allein macht es bei mir nicht einmal: sie müssen noch aparte aus- spannen *). So lieb’ ich Gentz als größten Publizisten; — ich würd’ ihn Privaten nennen — noch immer. Er trägt das Kind noch in sich, das liebe: und er mag sagen was er will: er liebt Wahrheit: und er — ist nie eine Lüge. So ist’s mit vielen Andern, die sich öffentlich über ihn stellen, bei weitem nicht. Ich wohne von Humboldts nur sechs Häuser weit, und meine Augen sehen sie nicht. Die Herz öfter: und alle Alten, die nicht todt und weg sind. Pauline ist in Paris, und die alte, nur älter: ich vermisse sie täglich, und oft im Tag. Sie liebt das Freie — die Natur nennen sie’s — wie ich. Ich habe Mad. Benedix bei Abraham Mendelssohn gesehn; ich beneide sie; so gefällt sie mir: so jung; so selbstständig, so frei im Ausdruck, und so sanft und graziös dabei. Ich — ewig lâche; oder ein Ausbruch wie Erdsturz; Gewitter ist mir zu gut. Ich gönne sie Ihnen in Stockholm; aber ihr : air natal: und anderes! — Welches sie nicht in Gedanken gefaßt hat, also nicht wünscht. Ich sehe auch oft Frau von Helvig, sie ist eine Nachbarin von uns (wir wohnen Friedrichs- und Französische Straßen-Ecke, sehr nah wo die Bethmann wohnte; Humboldts, wo O’Faril’s wohnten; Frau von Helvig vorne in der Behrenstraße), nur die andere Ecke. Und wir stehen gut. Eine wesentliche Frau; ohne ihre bekannten Eigen- schaften zu rechnen! Ist Ihnen diese Parenthese nicht zu la- byrinthisch: ich verlasse mich auf Ihren Faden!) Er, Varn- hagen, grüßt Sie schön, und schickt Ihnen hier ein Buch, wel- ches vorigen August erschien, und wozu er erst jetzt Gelegen- heit findet, es Ihnen zukommen zu lassen, mit der Bitte, Sie möchten ihn doch zum zweiten Band so bald als möglich mit Beiträgen erfreuen: hauptsächlich in Ihren eigenen Papieren stöbren, wo sich gewiß noch Unendliches zu diesem Behuf vor- finden muß; von Ihnen und tausend Andern. Schicken Sie von Schweden, Deutschen; von was Sie nur können: haupt- sächlich von sich. In dem Band, der hierbei liegt, sind die Seiten von 207 bis 222 („Ungenannt.“ überschrieben) von mir. Aus meinen Briefen und Papieren genommen; die nie anderes Tageslicht, als das, wo sie geschrieben waren, ver- mutheten. Varnhagen stöbert aber alles durch: und ich bin nicht heikel: ich finde Andern ihr Bereitetes nicht so sehr viel besser; und oft viel schlechter. Niemanden hat Goethe so durchströmt, wie Herzensblut selbst, als mich. Das finde ich interessant dabei. Il n’existe point de plus franchement, que ce franchement-ci! Das Buch ist amüsanter, als ich mir vor- stellte, daß es werden würde. Wieland, Fichte: vortrefflich. Und alles unterhaltend. Nun schicke ich Ihnen noch einen kleinen Angelus, den ich vergöttre. Eine Kinderseele voll Muth. Der Mensch eine reine Frage; voll Witz, Menschen- witz, den er nicht los werden kann; die höchste Art von Er- gebung. Nun muß ich ausgehn. Zu Ihrer Ergötzlichkeit sollen Sie hören, wohin. Zu meiner Nichte Fanny; das Kind, was Sie kennen. Die ist seit gestern acht Tagen im Kindbett mit einer hübschen Tochter. Ihre Mutter, „die junge Madame,“ seit einem Jahr todt. Ich war viel und bis die letzte Minute bei ihr. Nettchen ist todt; im Juli wird’s drei Jahr. — Ja! man wird einsam, trotz der neuen Kinder. „Und der Rest ist Schweigen.“ Shakespear wußte es; Hamlet mußt’ es sagen. (Melancholisch gesagt!) Also weiter! Adieu lieber Freund. Wenn ich treu bin, sind Sie’s auch. Antworten Sie ja. Ge- neralkonsul Dehn schickt mir gern den Brief. (Rahel, damit Sie mich kennen;) Friederike Varnhagen. Meine Namen sind: Rahel, Antonie, Friederike; mit dem letzen unterschreibe ich alles Offizielle. Der Zug R bleibt meine Wappen. Mein Bruder Ludwig Robert hat eine sehr schöne Frau geheirathet, auf die Sie hundert Gedichte machen wür- den: sie ist auch liebenswürdig, und dichtet auch: Lieder. Mein jüngster Bruder hat eine hübsche talentvolle Polin, und zwei Knaben; der älteste eilf Jahr. Als riss’ ich Grä- ber auf und mein Herz, und bestürmte mit zwanzig neuen Leben meinen Kopf, so ist es mir, muß ich einem Alten schreiben! Man muß bei einander bleiben: man ist zu dumm, man sucht Fortüne, und verläßt Glück. Wir sind getrieben. Ich werde je klüger, immer dümmer. Ruhe, Garten! Garten! Vieles ist nicht von hier: darunter gehören Blumen, Düfte, Stille. Wenn das Leben aufplatzen wird, was ist dann? Neue Jugend: Wunder. Gewiß. Adieu! Das Wort Ausspannen drückt einzig den frustrirten Zustand aus; die Pferde, der Knecht, die langsam, unwieder- bringlich weiter gehn! das stehende Fuhrwerk, was zu nichts mehr nützt, sondern hindert; der Embarras; das Todte darin; das Nachsehn; die Unbehülflichkeit. Wahrlich! Goethe hat das herrlichst benutzt in der Schilderung im Meister, wie die armen Akteurs, so ausgespannt, im alten Theil des Schlosses bleiben: eindrücklicher giebt es nichts! Ein herrlicher Ausdruck: ausspannen. Das Triviale verliert sich ganz bei näherer Be- trachtung. Sonnabend, den 19. Juni 1824. Schleiermachers Dogmatik . S. 242. „Denn es müßte sonst mit der Vollendung unserer Erkenntniß der Welt die Aufforderung zur Entwickelung des frommen Bewußtseins aufhören, und also auch schon vorher jeder Weiseste am we- nigsten fromm sein, ganz gegen die Voraussetzung, daß die Frömmigkeit der menschlichen Natur wesentlich ist.“ Was ist Frömmigkeit? Der Trieb, ein reiner Wille, alles gut finden zu mögen; entweder wir entdecken neue Gründe für dieses Resultat, oder wir wünschen sie noch; gleich fromm. Die höchste Einsicht und Zustimmung kann also diesen Fromm- heitstrieb nicht aufheben. Im Gegentheil ist er befriedigt und wird er gesteigert durch Einsicht in Weisheit. Das Tiefste in uns ist aber dieser Trieb oder Wille. Dieser Wille selbst aber ist eine große Begränzung: obgleich jetzt unser Höchstes. Ein Thier, unter seinen Masken wie wir unter den unsrigen, will dasselbe. Nur wissen wir schon von Wollen: und gene- ralisiren die verschiedenen maskirten Willen unter Einen: das kann das Thier nicht. Und es kann absolut nicht zu diesem Akt kommen: wir auch wissen vom Zweck unsres Willens nichts, oder besser: von seiner ferneren Beziehung. Könnte nicht unser bester Willen in einem andern Zustand etwas Un- tergeordnetes werden, der sich selbst noch auf Absoluteres, Ge- nerelleres und von uns Empfundenes und Gewußtes bezieht? Dies nehm’ ich gewiß an: so kommt Leben und Vernünftig- keit in unsre starre Gränze, aus der und meiner Voraussetzung wir bestehen. Warum der abgesteckte Stolz, der uns verfin- stert, im Finstern läßt? — Freitag, den 13. August 1824. Am Ende kann man gar kein Gespräch mehr erdulden, was sich nur auf der Peripherie herum treibt; man muß aus dem Centrum sprechen. Sie sind nicht mehr zu erdulden, die nicht selbstständig und ursprünglich sind; die ihre Bildung nicht selbst produzi- ren. Wenn es auch nur auf Einem Punkt in einem Men- schen auf diese richtige Weise hergeht, so ist er liebenswürdig, erträglich und einträglich; kommt ihm aber die vielseitigste Bildung schon ausgemünzt zu, welches auch eigentlich ergrün- det nie geschehen kann, so ist er seicht, spielt mit Zahlpfenni- gen, kann sich nie als Wohlhabender fühlen, und muß sich als Eiteler und Leerer aufdringen; mehr und weniger, nach zufälliger Mischung seiner zerstreuten Eigenschaften und des Erlebten. Gar nicht mehr zu ertragen! Sonntag, den 15. August 1824. Wir sprechen nur so viel, weil wir uns nicht ausdrücken können; könnten wir das, so würden wir nur Eins sagen. Viele Dienstag, den 17. August 1824. Viele Menschen können einen recht ärgern, wenn sie ei- nem den Verstand bewilligen, den man uns etwa vorzugs- weise zugestehen muß. Sie machen, als wäre das so eine Art von Narrheit und Extravaganz, der man nun einmal freien Lauf lassen müsse; die man nicht stören kann! Aber wie schön paßten sie zur ganzen Welt; zu allem, was nun einmal wimmelt, und benamt ist; wie werden sie gelobt, und wie schön loben sie ?! und haben die wahre Vernunft, wie sie in die Welt gehört! — Mit welchem Geist sollten sie auch höheren fassen, als mit hohem? — Den 19. August 1824. Es wird nicht Gerechtigkeit geübt, wenn einer bestraft wird, der sein Unrecht nicht einsieht: das wußt’ ich immer, wenn auch nur dunkel, wenn ich Strafe in solchem Fall nicht liebte, und mir es dann jedesmal schien, als seien der Ver- brecher und der zu Bestrafende verschiedene Personen. Heute dachte ich an einen besondern Fall, mußte ihn sogar befürch- ten; ich stellte mir eine bestimmte Person in Noth und Ge- fahr vor; wollte ihr gerne beistehn und helfen: und hatte die tiefste Konviktion, daß, wenn es geschehn sei und auch vorher, dieselbe Person mich in ähnlichem Fall, — ich wußte sogar einen bestimmten — würde untergehen lassen. Aus den allerschwächsten, kleinlichsten Gründen. Und diese tiefe klare Überzeugung stimmte mich wieder nicht um. Ich dachte mich in Streit darüber mit Varnhagen, weil wir schon oft über dieses Kapitel stritten. Aber mir ward endlich deutlich: daß III. 11 es wirklich zwei Personen sind, und nicht dieselbe: die zu ret- tende, und die feige, nicht helfende. — Nur Bewußtsein über- haupt konstituirt Persönlichkeit, — da wo der Feige nicht hilft, weiß er nicht, daß er Hülfe bedarf; wo ihm geholfen wird und er nur Noth fühlt, nicht, daß er nicht helfen würde. Es sind wirklich zwei verschiedene Wesen. Solcher ist in der That nicht so weit wie eine Person: es ist nur eine Kreatur. Und nun u. s. w.! — Zu einem Talent gehört Karakter; Gemüths- und Gei- stesfertigkeiten, in Naturanlagen begründet, machen es nicht. Was hilft die reinste, klingendste Stimme, die beweglichste Kehle, das schnellfassendste Ohr, das beste Gedächtniß, die größte Nachahmungsgabe, wenn nicht eine einmalige tiefe persönliche Ansicht der Natur, eine solche Gemüthsstimmung mit ihren Varianten, ein helles, geistiges Auffassen hoher und tiefer Zustände der menschlichen Natur, die Seele und der Diktator dieser physisch materiellen Gaben wird? Diese eben genannten Gaben, noch so geübt und gut zusammengeübt, würden z. B. einen imitativen Sänger bilden, der bald in Eines, bald in eines Andern Manier vorzutragen suchen wird, bald wie eine Milder die Töne ziehen, bald wie die Catalani wirbeln und schreien wird, Italiänern ihr parlando, furioso, affannoso und ihre Komik nachmachen, und sogar den Fran- zosen etwas von dem gestörten Tonwesen ihrer Deklamation absehn wird. Ist dies ein Talent zu nennen? ein ausgebilde- tes? Dies sind ein paar Gaben, die, wie geschäftige Tischge- räthe, den Fremden oberflächlichen Beifall abschöpfen! Dies ist nicht ein Talent, wie es soll, welches an alle Kunst erin- nert und heran führt, die höchsten menschlichen Zustände of- fenbart und betrachten lehrt, uns wieder vor das Gemüth führt, was uns nur je in Naturerscheinung anregend und ver- ständlich werden konnte, uns über elende Bedingungen und noch elendere Prahlsucht und Eitelkeiten hinwegführt, uns er- innert an Dinge, die wir nie sahen und hörten, und von de- nen wir doch Erinnerungen in uns tragen, mit Einem Wort: uns zu dem Unaussprechlichen versetzen; worunter alles Hohe, alles was Ehrfurcht gebietet und Freude schafft, verstanden werden kann. Ein Komponist, der nur aus Eitelkeit und Imitationstrieb arbeitet, beleidigt noch vollständiger und dauer- hafter, wirkt noch verderblicher, da seine abgedruckten Mach- werke alle unkundigen Nachredner und Nachahmende leicht und schnell als Verderbnißförderndes immer weiter ab von aller wahrhaft belebenden Kunstausübung und Beurtheilung führen. Ein abscheuliches, prahlerisches, dünkelvolles Schein- treiben setzt sich in die Stelle der ächten Kunstübung und Liebe; welches, wie wirkliches Unkraut, den reichen genußspen- denden Pflanzen Ort, Kraft und Leben raubt; es ist erst ein Krieg zu führen gegen diese Geschlechter; ein Beweis, daß sie ausgerottet werden müssen, so gesetzlich und alles Schutzes sich erfreuend, wie in einem Gehege, stehen sie da; so wußte ein Kunstjargon sie Fürsten, Regierungen, Vornehmen, Eleganten und Geldbesitzern unermüdlich vorzuschreien! Das beste Bild für diesen Zustand, der in den Künsten jetzt herrscht, möchte gar eine Galerie von den Werken der neuern Mahler liefern. 11 * Diese besehen! und dann stumm! Welche unbefangene Lessings- natur wird wohl zuerst sprechen? Und wo? — Dies ist noch den 19. August 1824. geschrieben. An Karl Grüneisen, in Dresden. (Durch Ludwig Tieck.) Berlin, den 19. August 1824. Abends. So eben erfahre ich, lieber Herr Doktor, daß Ihnen Varn- hagen zugeredet hat, in Weimar zu Goethen zu gehen. Thun Sie’s ja! Bedenken Sie, was das heißt, daß Sie das Glück haben, mit Goethen zugleich zu leben. Bedenken Sie’s ganz. Sie kommen ja nicht mit leeren Händen. Sie können ihm ja so schön deutsch vorsingen, wie es kein anderer Mensch ver- mag; lassen Sie den Mann dies nicht versäumen aus einer Bescheidenheit, die nur eine falsche sein kann. Folgen Sie Einmal einer Freundin, die Sie nicht kennen, der Sie aber gewiß in dieser Angelegenheit trauten, wenn Sie sie kennten. Ich verstehe sehr viel Musik und Theater. Sie singen und sprechen die Worte vortrefflich; wie kein Anderer. Was wol- len Sie dazu thun, noch sagen? Es ist eine Gabe. Möge Ihnen alles in der Welt eben so glücken; Ihre Reisen, Pläne und was Sie wünschen. Ihre ergebene Friederike Varnhagen von Ense. August 1824. Bei Louvet’s Memoiren fiel es mir auf, wie mitten im Zusammensturz der bisherigen Welt, wo fast jeder als Ein- zelner zu handeln hatte, und Gutes und Böses aus den dun- keln Busen der Menschen eben so hervorgelassen war, dieser Mann, gleich unzähligen andern Franzosen, so vielen Schutz erhielt, so große Wohlthaten, so vielfältige Opfer; oft von Unbekannten, und am öftersten mit Gefahr ihres Lebens und der eines gräuelhaften, schmachvollen Todes. Bei dem bessern Theil dieser Nation überhaupt, kann man bemerken, welch ein Gesetz Freundschaft bei ihnen ist; wie gesetzlich sie sie behan- deln. Wie Aufopferung und Hingebung in mehreren Verhält- nissen bei ihnen festgestellt erscheinen: wie ausgebildet sie auch die ernstern Lebensformen besitzen und behandeln. In dem Ausbruch ihrer großen politischen Krankheit war das beson- ders zu bemerken; und für ihre Anerkenner, in ihrer Ruhe, wie in ihrem Kampf. Wir andern aber stehen ihnen in Güte, und der Überzeugung dessen, was wir sollen, nicht nach: und doch finde ich uns so verschieden von ihnen; auch in der Ausübung, die man die moralische nennt. Fast möchte ich sagen, der Deutsche versteht seine Gedanken, der Franzose seine Worte besser . Dévoûment, sacrifice, les sentimens de la nature, das sind Sturmglocken für ein französisches Ohr; darauf kommt sein Herz zu Hülfe. Alle Franzosen verstehen alle ihre Worte — wie oft hatte ich dies in der Revolutionsgeschichte zu bemerken, und zu bewundern! — Wie könnte man wohl eine deutsche Volksmasse anreden, um sich verständlich zu machen, wie ihr einen Begriff, von nur städtischen Verhältnissen zum Beispiel, geben, wie ihr eine zu zerstörende Intrigue klar machen? Wie geschwind wußten jene all dies, wenn auch oft verkehrt; es war ihnen doch eingänglich, bekannt. Sie sind die durchlebtesten, abge- lebtesten Europäer — was die sind, ist ein Zweites! — ein Vorvolk; und haben unser Aller Leben durchsprochen: daher auch ihre Sprache solch geübtes Werkzeug. Dies ist wahr; wenn auch noch Unendliches anzuknüpfen. — August, 1824. Der Unterschied der antiken und der modernen Welt be- steht bei mir in dem Einen Punkt, aus dem alle andern her- vorgehn. In der antiken waren die Regierungen den Völkern vor. Gesetzgeber, Propheten-Könige, halbe Zaubrer. Schutzhel- den, Erfinder der ersten Elemente der Lebensgenüsse. Ministres des dieux, — Himmelsvermittler. Religionsstifter. In der modernen, nicht geoffenbarten, sondern offenbaren Welt, wol- len die Regierungen mit den Ruinen der alten Mittel wirken; die jeder aus dem ganzen Volke handhabt; und wovon jedes, von einer andern Klasse aus dem Volke, zu seiner Kunst und Wissenschaft gemacht ist; und so gebraucht wird. Nun müs- sen Regierer neue große Erfindungen machen. Der Geist muß regiert werden: und exploitirt von größerm: „die Erde ist genommen.“! — Das gesellige Dasein und Leben muß nun in Europa eine andre Gestalt annehmen; und sei es noch so langsam: es wird aber schnell genug gehn. Wie so das Wundern? obgleich sich nicht genug gewundert wird. Was hilft das Wundren! kann man eben so gut sagen! Kann ein Hofleben, mit seinen einzigen, allseitigen Wir- kungen auf alles Leben unter ihm, bestehn ohne unbedingte Ausgaben? Ein Budget, oder — was eben so viel — eine willkürlich gütige Einschränkung eines Monarchen ist ein Schuß mitten in das Herz dieses Lebens. Ein Hofleben war ja nur eine Kunstdarstellung, eines bessern unbedingtern Lebens; aber die alten Erdbedingungen stellen sich früh oder spät ein. Viele lebten: die Übrigen alle leisteten; sie sollen jetzt Alle leben, wird bewilligt; und dies Einmal gesagt, ist kein Halt mehr. — Mittwoch, den 15. September 1824. Schönes Sonnenwetter. Im ganzen Leben, wie in Kunst, deren Übung und An- sicht, müssen sich immer mehr Beziehungen darthun (dies allein heißt weiterleben), und dies nicht, weil dadurch mehr gelebt würde: das könnte keine Wiederholung schaffen. Aber in je- der besondern Beziehung wird etwas Neues erschaffen; und deßwegen ist deren Vermehrung allein wünschenswerth, bele- bend, freudebringend, würdig, reel. Saint-Martin sagt, die Seligkeit würde darin bestehen, daß wir in jedem Moment etwas Neues erfahren werden. Wer in musikalischem Vortrag keine neuen Beziehungen hört und zeigt, ist nur ein Instrument. — An Frau von Goethe, in Weimar. September 1824. Kann man ganz abkommen von dem, was man eigent- lich ist; ab, weit ab: wie ein schwaches kleines Schiff getrie- ben auf großem Meer weit hin von Wind und Sturm! Das Einzige, was mich wahrhaft noch persönlich angeht, was mir tief in’s Herz gesunken ist, unten granitschwer und dunkel liegt: da seh’ ich nicht hin, das lasse ich liegen; wie ein armer Arbeiter, der die ganze Woche sich in Mitteln verliert, viel- leicht den Sonntag seinen Lebenslichtern nahe kommen zu können! Der arme Arbeiter strebt doch einem bestimmten Zwecke nach, ist noch von sich selbst getrieben; für sich. Ich nicht so. Ein Rechtschaffenheitsgedanke im Ganzen, dann die tausendfach zerreißende und rein daniederschlagende Erfahrung, wie jeder den andern in Mißgeschick verläßt; ja, nicht an- hört; wie die menschliche Natur dahin neigen muß; — machen mich zum geneigten Vertrauten eines jeden; und Alle miß- brauchen mich, und alle meine Stunden. Dieser Raub ent- wendet mich meinem eigenen Leben. Lokal; Stellung; alte disappointments, Wurzelschäden, mein eigner hochfahrender, und darum biegsamer Karakter thun das Ihrige. Man ver- gesse nicht, daß ein biegsamer Baum im Boden fest sein kann. Gleich als ich Ihren theuern Brief las, hatte ich eine Antwort fertig. — Aber — ich mußte das Wichtigste verschieben, und erst alles obenaufliegende Leben ableben. — — Ich Arme hatte Ihnen diesen Sommer, ehe Sie in Embs waren, ein Vergnügen zugedacht; und mit heimlichen Wünschen und Stolz dem Vater. Uns war ein junger, für den ersten Abord schüchterner, fremder Mann, Dr. Grüneisen von Stuttgart, aus Bremen empfohlen. Dieser hübsche junge Mann sang so schön deutsch , wie ich es auf allen unsern Theatern — nur das Ihrige sah ich nie, doch kenne ich Ihre Sänger — nie hörte, und überhaupt nie. Ich selbst wagte nicht, Ihnen deßhalb — eine von den abgetragenen Dummheiten — zu schreiben, weil ich noch keine Antwort von Ihnen erhalten hatte; bat aber Frau von B. stürmend, es zu thun; die eben so eingenommen von diesem neuen Gesang in unsrer Sprache war, und die es mir fest und heilig für den andern Tag ver- sprach: und viele Wochen hinterher sagte, es sei nicht ge- schehn! Ein Strom von Zorn entfuhr mir; in dem Fall hätte ich geschrieben, das sagte ich ganz hart. Genießen wol- len sie Alle. Verschaffen muß man’s doch auch, wo man alles Gute hinhaben möchte! — Solche Art auszusprechen erahn- dete ich nicht einmal. Der junge Mann war schüchtern; und ganz unbefangen wenn man ihn zu singen bat, und wenn er sang: und doch zurückhaltend. Dabei sah er einem Bilde aus Lessings Jugend ähnlich, das die Hofräthin Herz hat. Das Bild hat eine blaue Rechts- und Feuerseele. Nämlich, präch- tige blaue Augen. — Berlin, den 11. September 1824. — Ganz technisch will er schon seine Stücke Philosophie gebrauchen — Philosophie schlechtweg mag ich nicht sagen. — Er hat es vergessen, was er ursprünglich wollte: was einen Geist anregen kann und soll, zu spähen und zu ergründen; er ist in einem Auswuchs Eitelkeit begriffen, gefangen, einge- gewachsen, der ihn nichts mehr vernehmen läßt. — Das Uni- versum, und Gottes Geheimniß, sind ihm eine große Apotheke, und er , und noch ein paar schon Todte, die Famulusse: und das in einer Konfusion! — Nein! der ist kein Lehrer für mich, in dem ich Gott verehre; den ich lieben muß, weil ihn Gott begabte, und ihm in Klarheit überließ, was uns Alle aufklä- ren soll; und der mit reinem, regen, starken Willen bewußt- voll ausführt, wozu er erschaffen! das ist kein Fichte, kein Goethe, kein Lessing, kein Saint-Martin! Solche vergöttre ich. Und beuge mich freudig in Stolz : sie sind ja mein Geist ! Sie haben Recht in Ihrem Brief; es kommt am Ende nicht drauf an, wie sehr es zu gebrauchen ist, was die gei- stigen Entdecker und Erobrer erbeuten. Mehr, wie sie das thun; in welcher Übereinstimmung alles Besitzes von Wahr- heit, und aller ihrer Seelen-, Geistes- und Herzenskräfte; und ob sie nie ihren Zweck in den Wegen der Mittel hinstellen. Das thun die großen Seelen nie; so wie wir noch Alle be- schaffen sind, kann ein Geist auf seine eigne Hand hier nicht schaffen und hausen. Wir müssen uns betragen, wie uns Gott erschaffen hat; und alle unsre Fakultäten müssen wir einträchtlich machen, und so bearbeiten! Und hiermit ist auch ein anderer großer schöner Artikel Ihres Briefes beantwortet. Wir sind das „Centrum:“ ein uns gegebenes. Und nach welchem Strahl aus diesem hin wir Gott konzepiren, so ist es gleich; wenn es heimlich, still, und ursprünglich vollbracht ist. Die stärksten Konzeptionen sind wohl die, wo die meisten Strahlen dieser Art zusammentreffen. Von besser aber kann hier die Rede nicht sein. Hier ist wieder nur das Bestreben unsre intimste, wichtigste, befriedigendste, beglückendste Auf- gabe, und unser Nöthigstes. Wenn wir uns nun erst Gott nach allen unsern Kräften vorstellen, so ist es doch nur nach kleinem Muster und Konzeption. Drum sind alle redliche Vorstellungen gleich: und auch eine „persönliche“ nicht uner- läßlich; eine Person wie Gott, das Bewußtsein des Alls, welches wir nicht sind, kann doch nicht Statt haben. Was wollen Sie also? daß die Vorstellung zu einer gegebenen Zeit passe? zu einer ? zu Zeit? Uns vor unserm eignen Un- vermögen beugen, an jeder Gränze von uns Gott finden, ihm unbegriffen vertrauen; wegen der Pfänder, die wir in Recht, Vernunft, und Mitgefühl in uns finden: solch Gutes ! von ihm erwarten, daß wir’s uns gar nicht vorstellen können, dar um, weil wir uns etwas Gutes vorstellen können; und alle Tage von neuem fleißig untersuchen: — das ist Gottes- furcht und Gottesliebe; auf Wahrhaftigkeit dringen: — Reli- gion verbreiten. Aber Bildervorstellungen dahingestellt sein lassen! Wie Einer kann: aber nicht wie er will! — Künftig mehr, jetzt bin ich müde: ich bin mit noch nicht fertig. ( Mündlich .) J. Was siehst du so grimmig aus? Sanft mußt du sein; ganz sanft! R. Ich bin nicht sanft gemacht. J. Nun, das läßt sich verbessern. Du mußt umgeschmolzen werden. Ich lasse dich schmelzen, in ganz neue Form gießen. R. (Nach kleiner Pause, rasch:) Und wenn ich geschmolzen werde, weißt du, was ich dann thue? J. Nun? R. (Mit komischer Keckheit des Trotzbietens:) Dann — spritz’ ich aus der Pfanne! Den 22. September 1824. Wenn nicht das Armselige durchaus lächerlich und lustig dargestellt werden kann, so verlangen wir von einem Theater- stück, daß es tragisch endige, und sind unbefriedigt, wenn wir gegen Ende desselben vorhersehn, es werden die uns bekannt gewordenen Personen das Werkeltagsrad weiter drehen helfen. Was ist aber tragisch? Nichts Trauriges; sondern, Erhabenes. Der Tod. Der unendlich ist; den wir einem andern Geist, als unserm, überlassen müssen. Lies Goethe’s Verse zur neuen Ausgabe Werthers. Wie große Schatten des ganzen beleuchteten Lebens, die rück- und vorwärts reichen, von reiner hoher Sonne erzeugt: traurig, wenn’s nicht zu erhaben wäre! Großer Mann! Großes Na- turerzeugniß bist du Goethe. — Den 16. Oktober 1824. An Ludwig Robert, in Karlsruhe. Berlin, Freitag den 26. November 1824. Schon vorigen Winter hörte ich mehrere Musiken von Händel , und jedesmal war ich gleich erhoben und begriff nicht, wie auch nur drei Töne, für den Gesang von diesem Manne gesetzt, unausbleiblich diese Wirkung hervorbringen! Buchstäblich drei Töne. Er weiß sie anfangen zu lassen, in eine Folge zu bringen, daß sie uns jedesmal entheben und auf ein Feld der Wehmuth, der Erhabenheit und Ergebung versetzen. Lagrime; möchte man aussprechen! Was ist das? frag’ ich mich seit einem Jahre, wodurch bewirkt er dies; mit so kärglichen Mitteln! Welche ungeheure Eingebung, welcher tiefe, reife Witz läßt ihn immer neue einzige Kombinationen für die wenigen Töne, für die sparsame Abweichung finden! Ich begriff und begriff es nicht! besonders nicht, daß kein Komponist, nicht einmal der metaphysische, gottesfürchtige, mit höchstem Witz begabte Sebastian Bach mir diese ge- waltsam-sanfte Versetzung und Erhebung unmittelbar bewirke Ich hörte vor wenigen Wochen wieder die Makkabäer von ihm und empfand das alles wieder durch, ohne Aufschluß. Gestern Abend sang bei Fr. v. Redtel Fräulein Reichardt eine Arie von ihm, (die du auch gehört hast und die man mir durch deinen Beifall empfehlen wollte,) vortrefflich. Die- ses Stück, ein Meisterstück von gehaltener, gelungener Vollen- dung brachte mich auf die Spur, wie es mit Händel ist, und ich danke es Fräulein Reichardt unendlich. Nämlich, es ist diesmal wie mit uns Kreaturen immer, und wir irren über uns selbst immer von neuem, weil wir uns nicht recht , in allem Sinne recht — betrachten. Witz: der Geist, den wir haben, der wird nicht mehr, nicht minder, nicht stärker, nicht schwächer. Nur ob wir ihn freilassen oder nicht; das ist die Frage. Freilassen ist hier: in das Gebiet stellen, wo er wir- ken soll: denn er wirkt stets. Händels Musik stellt uns in das Gebiet höherer Wehmuth: sie weint, seine Musik, aber les larmes de la charité. Nicht Leidenschaftsthränen über Zu- stände hiesiger Lebensverhältnisse, sondern die großen Thrä- nen der Kreatur überhaupt; die der unmittelbaren Sehnsucht nach einem Urzustand; er führt uns in die Gefilde der Erge- bung, des stillen Nachspürens, der höheren Hoffnung und einer andern Ruhe, als die des Ausruhens: in eine Vorselig- keit, deren Atmosphäre, — Lebensbedingung, — Unschuld, reinstes Wollen und Streben, und dayer schon Ruhe ist. Er ist mit seinem Talente auf das Gebiet des eigentlichen Witzes hingeschwungen, wo wenig viel ist, alles immer mehr Eins wird; er, Händel, braucht keinen Witz mehr; er ist erhaben . Mag dies, was ich über Händel nun erdacht, ausgeführt werden, oder nicht! So muß es angesehen sein: das ist mir gewiß. Glaube nicht, daß ich das Wort: „der metaphysische“ Sebastian Bach, nur à tout hazard gebraucht habe; es scheint so und darum will ich mich deßhalb rechtfertigen. Manchmal gebraucht man bei einer Gelegenheit einen exagerirten Aus- druck aus einem heterogenen Gebiete mit Bedacht, um so- wohl für sich selbst, als Andre verständlich zu werden; dies- mal ist das nicht der Fall. Metaphysik ist doch: Überphysik; wenn wir die handhaben, so ist das doch nichts andres, als die Natur unsrer Gedanken erwägen, ermessen, mit Gedan- ken; und die Gesetze, die wir da entdecken, sind reine Har- monie und am Ende Beziehung auf ein Unbekanntes, Ge- setzgebendes, — welches nicht nur allein Gesetzgebendes in die- ser Beschränkung sein wird. — So ist es, wenn ein Meister, ohne Gemüthsbeziehung in den Tönen untereinander selbst, wirkt und dichtet; so thut Sebastian Bach oft, und darum nenn’ ich ihn den metaphysischen. So ohne Gedanken geschah es nicht. Punktum! Sonnabend, den 11. December 1824. Nichts in der Welt fatiguirt so, als nachlassen und im- mer nachlassen: und unaufhörlich unsre Nachsicht ausüben zu sollen! Wir wollen in Erregung, in Erstaunen gesetzt sein, im Guten oder Schlimmen. Ein Vorurtheil stolz und breit aussprechen zu hören, wird unerträglich, wenn nicht wenig- stens die Person, die damit aufzutreten wagt, es selbst erfun- den hat. Aber wenn unaktive Köpfe, einer nach dem andern, nichts andres thun, als bloß das Überkommene wiederholen, dann fühlt man sich auf’s äußerste und bis zur Rachelust gebracht! — Donnerstag, den 16. December 1824. Ich war irre, mit Vielen, bis jetzt über Freundschaft, oder vielmehr über Freunde. Nicht muß ein Freund dem andern so viel leisten, als dieser ihm. Solches handelsmäßige Verfahren mag in allen übrigen Verhältnissen Statt finden! Unsre Freunde sind die Gleichgesinnten, die wir, wie uns selbst, müssen ehren können; Freunde sind Menschen, die von einander überzeugt sind; aber bald muß der eine, bald der andere alles leisten, ohne Kalkül anzustellen, und je etwas dafür zu erhalten, noch zu erwarten, noch in sich zu fordern. Und so ist es auch in der Welt; wir haben Freunde, denen wir leisten, und Freunde, die uns leisten; und dies nach den verschiedenen Naturen der Menschen und ihrer Lage gewähren zu lassen, grade darin besteht die Freundschaft. In allen andern Verhältnissen herrscht ja ein offenbarer Handel Ein Freund kann nur ein verehrtes Wesen sein, von dem wir, der Natur der Verehrung nach, nichts verlangen. Was wäre er sonst? Den 17. December 1824. Es wird fast unglaublich, wenn man Belmonte und Kon- stanze hört, daß es nicht an einem südlichen Meeresufer und üppigen Aufenthalt komponirt sein sollte! So durchaus herrscht nur ein und dieselbe Eingebung und Stimmung darin, die auf solche Lokalität bezogen sein wollen. Diese haben so mächtig gewirkt, und gleichsam eine organische Geburt zur Welt gefördert, daß auch Mozart die wenigsten Mittel zur Ausführung dieses Werks vor allen seinen andern gebraucht hat. Vollsaftig, möchte man sagen, fließt ihm eine gleichsam von Sonne gereifte üppige Sprache der Musik zu! Hitze, Liebe, das Wälzen in Pracht und Müssigkeit, Luxus, Zorn, Sklavenwohlsein, Wasserfahrt, orientalische Hofunterwerfung, Wetter, Freude, Liebesstandhaftigkeit, die Ironie darüber, ein ganzes Wühlen von Leben auf einen gewöhnlichen Text, er- schuf sich in dem Dichter, und ohne seine, ohne unsere An- strengung theilt er uns dies freudige Werk mit, sein einge- bungsvollstes; Muster von Heiterkeit, weil sie voller Leben ohne Suchen danach ist. Nach den vielen durch Mozart hergekommenen Nachahmungen eine wahre Erholung noch obenein! — An An Frau von Grotthuß, in Oranienburg. Berlin, Mittwoch Vormittag 12 Uhr. December 1824. Trübes, graues, nasses Herbstw etter; wärmliche, unbe- stimmte Temperatur. Sehr schwarze Straßen. Seit vorgestern, oder vielmehr vorvorgestern Abend, als ich deinen Brief erhielt, theure Grotta, will ich dir antworten, und — ist’s glaublich — bin ich daran verhindert! Ein gro- ßer Bestandtheil aller Verhinderung ist meine possirliche Ge- sundheit. Mit kürzesten Worten: nicht zweimal die Woche mehr — so wechslen bizarre Übel, Krisen, Nerven- und Rheuma- Tollh eit in mir ab — hab’ ich drei- bis vier- minutenweise ein Erinnerungsgefühl — und gleich, und mir alsdann nicht gleich erklärliche Munterkeit — von Ge- sundheitsgefühl! Auf Ehre und Gewissen, leider! buchstäblich wahr! Das Abgeschmackteste ist aber, daß ich die Feder ohne höchstes Echauffement nicht führen kann. Welches mich in meinem ganzen geistigen Wirken und Treiben stört, meine Korrespondenzen so gut wie aufhebt; alles, was ich sonst zu Papier brächte, so gut wie getödtet hat; und schlimmstens, das, was ich dennoch schreibe, komplet entstellt. Da ich nur zu schreiben vermag, wenn eine gewisse Entzündung in mir Statt hat, die Geist, Erinnerung, Kombination und Einfälle hervorbringt, in Licht und Bewegung setzt; so stört ein kör- perliches Hinderniß vollkommen diese ganze Operation; ich habe keine fertige Gedankenpläne zur Ausarbeitung in mir vorliegen: sondern Einfall, Anregung, Gedanke, Ausdruck, ist alles eine und dieselbe Explosion und ein Fluß. Hab’ ich III. 12 nun eine schlechte Feder — die mich noch mehr irritirt — oder bin nervenzitternd bis zur Bläue — welches nach der ersten Seite Statt hat — erhitzt, so wird Phrase, Wort, Ausdruck, Form und Reihe der Gedanken, Periode, Ton des Ganzen, davon affizirt; kurz, holprig, fließend, gelinde, streng, scherz- haft, ruhig: je nachdem! Und beinah immer brech’ ich mitten im Erguß, ihn selbst, oder seinen Ausdruck ab. Dieses für mich große Übel hat auch dir oft die schönsten Briefe vorent- halten: und einm al, Freundin! wollte ich dir es doch vor- skizziren. — So hätte ich dir vorgestern gewiß sehr gut ge- schrieben, denn ich war ganz voll von deinem Brief. Freund- schaft ist kein leeres Wort! Goethe definirt sie in der Elegie so: „Freunde, Gleichgesinnte, nur herein!“ und ewig frap- pirte mich dies Wort; und gleich, für ewig. Was sind Freunde? Gleichgesinnte. Und wo kann der Mensch, die Kreatur, am Ende aller Dinge hin, als zum Geist der Geister. Über diese Gegenstände müssen Freunde — wie wir selbst — sich besprechen; der Tod, als das Aufhören alles Seins, welches aufhören kann, muß uns an das Absolute mahnen, und dies an unsre höchsten Gedanken: und in und bei diesen müssen wir Gleichgesinnte haben; dies ist der höchste Punkt der Ge- selligkeit, und der tiefste: und daher der Quell und das Mobil aller, noch so geringfähig scheinender. Also, Liebe, ist es na- türlich, und mit Recht, daß du an mich dachtest, als du dein Übel für ernst halten mußtest; und das ist mir ein großer Trost. Dazu ist Sprache, Mittheilung, und ihr Werkzeug Vernunft — ohne sie kein Verständigen, keine Bürgschaft — und das Herz, die große Uhr, die auf Wohl und Weh zeigt. Kurz, das höchst-Menschliche und das Höchste für den Men- schen. Pauvre humanité! sagt Mad. Sta ë l. Laß diese Män- nerworte, wie sie mir gerathen sind, dir als Zärtlichkeiten die- nen! Es geht ! da du weißt, daß ich auch zärtlich bin. Gewiß, liebe Sara, wäre ich gekommen; so wie du’s ernstlich wünschest, und es dir wahrhaft Trost ist. Nur damals, als du schreiben wolltest, war ich selbst sehr übel. Doch ist es auch mir genug, daß du mich wolltest . — Wir haben einen sehr originellen, verstandvollen Fremden hier; Fürst Kosloffsky, Russe, gewesener Gesandter in Turin, Stuttgart, Karlsruhe; in Frankreich, England, Italien zu Hause; voller Leben und Geist. Er ist weit über die sogenannte große Welt hinaus; bedarf ihrer aber, so wie großer Konversationen, und eines großen Interesse’s. Seine Geburt öffnet ihm alle Salons, da hat er die große Welt, die große Konversation macht er dort selbst, und für sich allein; und bei seinem ungeheuern gesell- schaftlichen Ehrgeiz schafft er sich, ebenso für sich allein, auch ein großes Interesse, mit kleinen Mitteln. — An Alfred Graffunder. Donnerstag, den 20. Januar 1825. Morgen Abend kann ich Ihnen sehr etwas Hübsches zei- gen, wenn Sie zu mir kommen können. Ich rathe es Ihnen. (Auch meinetwegen; denn es that mir vorgestern sehr leid, Sie verwaist bei mir gewußt zu haben; ich bin die Mutter in meinem Hause: wenn ich nicht da bin, sind die Kinder in 12 * den müßigen Stunden ganz irre.) Das Hübsche ist ein Mensch; und der Mensch ein Mädchen; und das Mädchen, Mlle. Bauer. Wenn Sie morgen kommen, so hält Sie das nicht ab, auch übermorgen zu kommen; ich muß Sie vielleicht auch auf übermorgen bitten: doch das entscheidet sich erst morgen, wenn Sie da sind. Ist das Freundschaft? Kann nun nicht ohne alle fernere Versicherung mein Namen plumps dastehen? Friederike Varnhagen. Dienstag, den 25. Januar 1825. Beinah werden nur die Leute alt, die nichts als jung waren. Donnerstag, den 27. Januar 1825. Wahres Unglück ist nicht das, welches einem Menschen als Unglücksfall überkommen muß, und welchem wir als solche stets ausgesetzt sind. Unglück ist das Unangenehme, in allen Lebensmomenten Drückende und Hemmende, welches nothwen- dig aus einer gegebenen Lage sich entwicklen muß: aus Ge- burtsstellung, aus der Karaktermitgift — Konstellation unsrer Eigenschaften in jedem Sinn, — Körperschönheit und Gesund- heit; oder deren Mangel u. s. w. Dagegen kann der Mensch nicht selbst an; sondern ein Höherer; wir können nur diese Fälle erkennen lernen, als Fakta, die uns als diesen besondren Menschen begegnen müssen: und uns darein ergeben, als in ein Unvermeidliches, und ein doch Trost enthaltendes, als eben so nothwendig auf Neues, Hohes und Unbekanntes sich Be- ziehendes und darauf Begründetes. Und weil wir die Gründe zu diesen Fakta nicht kennen können, so muß da dann immer das Gemüth eintreten; heißt: sich aus Bedürfniß — welches eigentlich wir selbst sind — einen Grund, eine Voraussetzung in einem andern Gebiete schaffen — fast erschaffen, — und das mit Recht. Wo wir herstammen, und wo wir hinströ- men, das sind so gut Glieder von uns, als die, welche wir im zeitigen Gebrauch haben. „Wer nicht verzweiflen kann, der muß nicht leben!“ sagt auch der Mann, der — und auch aus diesem Gesichtspunkt mein’ ich — am vielfachsten, was uns Menschen betrifft, gehandhabt, erwogen, und ergründet hat, mit Herzens- und Geisteskräften, und der ein gesundes Menschenkind geblieben ist, wie er anfing, mit allen derben natürlichen Ansprüchen. Goethe sagt’s. — Sonnabend, den 29. Januar 1825. Es war mir schon lange zuwider, verheirathete Priester zu sehn; und ich konnte mir auch manchen Grund davon an- geben, aber keinen vollständigen. Nun sind mir aber die Gründe dieses Eindrucks plötzlich erhellt, durch einen Blick auf die jüdischen Priester, deren Ehen mir nicht störlich vorkommen. Ein Priester Israels, Moses vorauf, war ein prophetischer; ein Gesandter, Auserwählter, ein Verkündiger; ohne sein Zu- thun, ohne seine Wahl. In einem Stamm pflanzten sie sich fort. Moses empfing und verkündete Gesetze: strenge, scharfe, bei Strafe: ohne Raisonnement; von Gott aus, eine Religion also, für Kindermenschen. Der Christen Lehre ist eine Phi- losophie denkender Menschen, (wenn auch Viele sie nur vom Herzen aus, ohne helle Gedanken befolgen, und in ihr leben können), sich gegen die Bilder und Interessen dieses Lebens wehrend, sie nur immer zum Genuß für den Andren; und zum ethischen Gebrauch seiner selbst anwendend: deren Priester sind Lehrer und Prediger, und auslegende Bekenner: und müssen rein und einsam, wie ein abgesondertes klares Bild gegen blauen Himmel gesehn werden! nicht in Lust und Leid, in Lebensplage, Verwirrung, unter leidenschaftlichem Einfluß von einem Weibe und Kindern, und nothwendigen Rücksichten auf diese. Solcher Priester ist nicht auch Kämpfer, Gesetzgeber, listbedürfender Führer kämpfenden, kindischen, unartigen, Gott fürchtenden Volkes; er ist ein weiser Philosoph, dem alle Möglichkeiten erschlossen sind, und der sie erschließt; ein Rei- ner besonders, der im vollen Wissen durch reines Wollen unschuldig bleibt. Solcher kann nur das eine Verhältniß des Lehrers, Ermahners, und des Exempels erfüllen. Nur wenn man in die christlichen Lehren, und in ein christliches Dasein, die alten Lehren, die nur Religion waren, an die Christus sich noch schloß, noch mischen will, entstehn all die Widersprüche, mit denen wir noch kämpfen müssen: und die die allverbreitetste Philosophie erst vertilgen wird; die, welche durch und seit Christus in die Stelle unverstandener Religion gestellt wurde. „Un homme croit avoir tout fait quand il a épousé une femme; et cela n’est que le commencement de l’oeuvre; il“ doit lui faire oublier qu’il l’a épousée!” Hört’ ich einmal im Streit sagen; wer’s gesagt hat, sag’ ich nicht. Mittwoch, den 2. Februar 1825. ( Mündlich .) „Die Resultate der Weltweisheit stehen bei mir immer aufgeschirrt, die müssen sich vorspannen, und mich fortziehen; ich sitze bequem im Wagen. Sie haben mich wahrhaftig ge- nug anzuschaffen gekostet, jetzt müssen sie dafür auch Dienst thun.“ Den 4. Februar 1825. Freitag, den 4. Februar 1825. Unsre Handlungen sind die Kinder unsres Geistes. Ein- mal empfangen, gezeugt, wissen wir nicht mehr, was aus ihnen wird; und wie sie auch werden, müssen wir sie uns ge- fallen lassen: sie haben ein so selbstständiges Leben, daß sie uns auch umbringen können. Unselig machen sie oft unser ganzes Leben. Sie haben wieder Kinder, und werden zu gan- zen Geschlechtern. Ob ich weiß, was Naturwissenschaft ist. Februar 1825. Naturwissenschaft ist derjenige Erkenntnißweg unseres Geistes, wo wir das Weltall im Großen betrachtet und der Natur unsrer Gedanken gemäß entwickelt, als Ausgangspunkt ansehn und annehmen. Die ganze, große, für uns vorhan- dene Welt muß sich für unsere Gedanken beleben und leben- dig werden; nicht hier und da nur, und ohne unser Zuthun auf uns wirken. Eben so wie wir den Begriff von Organi- sation einmal auf irgend einen Gegenstand in der Natur bezo- gen, aufgefaßt haben (als ein sowohl sich selbst, als eines Zwei- ten benöthigtes und ihm genügendes — gleichsam ein erkenn- bares reservoir von niedergelegter Intelligenz, welches auch wieder intelligent wirkt — Organisation:) eben so muß sich Erde, Himmel, Atmosphäre, Sterndecke, die ganze vernehm- bare Natur für uns zu Einer großen aus Organisationen be- stehenden Organisation hervorthun; die höchste Blüthe dieses großen Werkes sich als Bewußtsein ergeben; deren höchste Blüthe wieder die Voraussetzung über ihnen selbst stehender Organisation ist (und sie selbst bedingt). Also: göttliche Ge- danken und Hoffnung. Also: mehr als das Weltall, weiter- getrieben Analogieen. Der Geist findet sein eignes Verfahren wieder in den Spuren des Verfahrens der Natur, der er nach- spürt; dieselbe Zwangsregel, die bei ihm durch Einsicht und Zustimmung zur Freiheit wird, welche bei uns Menschen sich nur als Zustimmung äußern, ja gestalten kann. Es ist nicht Unrecht, wenn der Mensch diesen Weg des Erkenntnisses wählt, weil er sich gleich von Gott selbst auf den Punkt gestellt findet. Der Mensch überhaupt, wie wir ihn von je kennen, hat es auch immer gethan: Einzelne aber können gar bald von der äußerlich vernehmbaren Welt mit ihren Gedanken abkommen, und mit einem kleinen Vorrath davon bald nach innen unmittelbarere Fragen aufstellen; weil sie bald sehen, daß sie dahin doch kommen müssen. Mit un- serem eigenen Geist erkennen wir ja doch nur den, der in der Natur niedergelegt ist, und nur nach Maß dieses unseres Geistes. Erfreulich und tröstend ist es alles übereinstimmend, und dies immer mehr so zu finden: die Details davon kurios und lebensnützlich; die Entdeckungen darin aufschlußreich; halbe Offenbarungen; aber nie noch eine ganze. Weil unser Höch- stes, eigentlich Lebendiges, Einziges, wo auch wir eine Schöp- ferstimme, wo wir eine Wahl haben, wo wir richten; noch nicht in der Natur gefunden worden ist: Recht und Unrecht nämlich. Das einzige Gebiet, wo von Traum nicht mehr die Rede sein kann; weil wir auch in solchem Traum dennoch leben würden. Hier nur sind wir gewiß: und das ist jene Welt in uns: mitgebracht, konservirt, erhalten. Pfand für Dasein. Ein Ewiges, ohne alle Zeit. Dies ist unser Weg. Auf diesem werden wir Neues , immer Göttlicheres, Herrli- cheres, Glänzenderes, Unterhaltenderes finden. Dieser große Schatz für jetzt; vielleicht für ferner, ein geringer Anfang! aber reel. Will uns Steffens zeigen genau und durchgängig, wie und wozu Gott die Natur in uns gebraucht. Was die Erde vorstellt? Schöne Lehre, aber keine absolute. Den 1. März 1825. Es giebt ganz gewiß eine Kombination, in welcher man auch hier als Mensch noch ganz glücklich sein kann. Auch nach dieser schmachten wir; und mit Recht. Ich laß es mir nicht ausreden. Glückseligkeit ist in, außer, neben uns, durch uns und ohne uns zu finden. Wer dagegen streitet, vergißt bloß die Bedingungen dazu: und denkt, ich habe sie auch ver- gessen. Die Bedingungen sind ethische, und auch andere. Berlin, Mittwoch Vormittag den 2. März 1825. Also Nordostwind. Im Winter war wärmliches Wetter. — Sie kennen mein Leben durch früheres Mitleben. Es kostet mich, de ne vivre — d’une certaine manière — que de privations; wenn auch die Andern meinen , ich hätte nur nicht solchen erhabenen gusto! zum elegant und vor- nehm leben, wie sie, die sich armselig aufspreizen für gewisse Tage, um an den übrigen hinter dem doch nur elenden Schein sich noch armseliger zu verkriechen! — Wem soll ich es ab- sparen? Nur mir. Almosen, Geschenke, Generositäten, gehen ihren Gang, mit den obliquen Ausgaben! — les imprévues, les incalculables nenne ich so. — Aber, all dies ist mir lieber als falsche Aufspannung, und Schulden. Ich habe keine . Also Privation, und Ruhe. Und daf ür noch große Dankbar- keit. Für Hoffnungen bin ich schon stumm im Innren. Aus- saat in meinem Alter? (mit meinem Schicksal?) da muß man ärnten! Aber auch ich ärnte. Goethe sagt ; und ich weiß lange: „Wer nicht verzweiflen kann, der muß nicht leben!“ Ich bin ein Meister im Verzweiflen, und nun leb’ ich erst ruhig. Wenn man mir den Tag, die Stunden , die Muße nicht vergiftet, mich, ohne Vergnügen, ohne erfüllte Ei- telkeit, ohne Herzensnahrung, ohne Augenweide, ohne Genuß irgend einer Art zufrieden läßt, so bin ich vergnügt. Mein jetziges Leben ist ein Ausruhen, wenn man mir Ruhe läßt . Verstehen Sie? Auch braucht mein geschwächter lieber Körper viel Ruhe. Der arme treue, hat alles ausstehen müssen. Er ist sehr hin. Und doch noch brav: er will noch immer ge- sund sein. Auch er war vortrefflich. Ich bin mit meinen eigenen Gedanken, Einfällen, Ansichten vergnügt — wenn man mich nur zufrieden läßt; aber — und kann keine Re- chenschaft darüber geben. Ein wogendes großes Meer, mit schlechtem und gutem Wetter; mit, ohne Sonne, mit tiefen Farben, Spiegelungen, Geheimnissen, Produktionen, Dünsten, Gewölk; Empörung, Himmelsruhe! — Mit keinem Menschen denk’ ich über gewisse Dinge gleich: bespreche mich mit Vielen über vieles. Viel mit Varnhagen, und doch wie verschieden. Daß ich mit dem Wetter in unserm Klima nicht mehr zusam- men sein kann, keinen Garten habe, ist ein sich über alle Stunden erstreckender Verlust. Doch freue ich mich alte Übel los zu sein, als unsinnige Liebe; die wir Unseligen in Andern suchen, anstatt uns an der, die wir für Andre ha- ben, zu ergötzen. Nur um dies recht zu machen, möcht’ ich noch Einmal jung sein. Jung möcht’ ich schweigen wie jetzt: das muß herrlich sein. Auch dumm. Ich könnte noch eine Stunde dafür und dagegen sprechen. — Lebten wir im Grünen diesen Sommer zusammen, ehe wir nach dem stum- men finstern Tod kommen! Ein anderes Leben, ist für dies hier: der stumme finstre Tod. — Alle Tage lese ich zwei Pa- riser Zeitungen; das unterhält mich sehr. Im Ganzen ge- nommen, geht es überall ziemlich gleich. In Amerika nur gestaltet sich in etwas eine neue Art Leben. Es kann auf den alten Mauern kein anderes, als das alte Gebäude entste- hen, ohne immer wieder umzufallen. Eitelkeit, Prahlerei, mehr Ausgeben als man hat, Lügen: was soll sich daraus ergeben, als der alte vergoldete Quark . „Entweder auf einem Bal- dachin getragen, oder ein Sklav! alles andre, ein bischen rauf, ein bischen runter, ein bischen gedrängt, das ist nichts.“ Entweder das: oder die höchste Poesie, d. h. Philosophie: oder wenn man will die freundliche Religion in wahrer Ausübung. Die Welt heilt sich, so nach und nach! Aber zu heilen ist sie nicht! — Lundi, le 7 mars 1825. „Avoir de l’esprit! l’esprit, c’est peu de chose!” disait hier M. Cousin. C’est vrai, c’est peu de chose: mais ce qui constitue l’esprit n’est pas peu de chose: l’harmonie des dons de l’âme, l’accord et la proportion de ces dons, qui permet d’agir à l’esprit que vous avez; voilà ce qui donne de l’esprit ou qui en prive. Donnerstag, den 17. März 1825. Schnee und Kälte. Steffens Anthropologie . Zweiter Band, S. 310. Von Sprache: „Hier ist es, wo wir dem Räthsel der enthüll- ten Freiheit näher treten.“ — „Allerdings war die Sprache schon da, eh sie laut ward.“ Alle Dinge reden, thun sich dar. Menschen aber sprechen andere Dinge aus, als hier zu finden sind; daher allein sprechen sie. Sie beziehen das hier Vorgefundene auf etwas Unsichtbares, nicht zu Fassendes, auf eine dunkle, aber zwingende Erinnerung; und da diese abso- lut-wirkender, als alles hier Anzutreffende ist, so regiert sie uns: und wir fehlen jedesmal, wenn wir dies verkennen, oder nicht beachten. Daher ist es, daß wir den Ursprung der Sprache nicht ergründen können. Wir erheben alles hier Wahrgenom- mene zu ihr; aber nicht sie entsteht daher. Daher ist sie ar- tikulirt: heißt, mit Wil lkür (Wahl, zu einem Zweck) versetzt. Ein Spiel ist sie; eine Kunst, an und für sich: etwas, was ein anderes vorstellen soll; zu welcher sich wiederholenden That wir ein Zwingendes in uns haben, einen Wiederhersteller ei- nes Zustandes, der in den Bedingungen, unter welchen wir da sind, nur als eine Idee sich darthun kann, die wir immer von neuem wieder ausdrücken wollen. (Diesen auszudrücken- den Zustand haben wir durch keinen Sündenfall verscherzt. Da liegt ein anderes Mysterium, als was wir erfinden kön- nen. Dem sich unerklärt unterworfen, ist Demuth, und Glau- ben an den höchsten Geist.) Thiere drücken nur ihre Zustände aus: artikuliren auch nicht. Menschen drücken das Verhält- niß der Verhältnisse aus. Erste neue große Stufe. Ganz neues Gebiet. So macht auch der Mensch Musik, er läßt sie nicht bloß hören. Er stellt in ihr durch Töne und Folge derselben hiesige und andere Zustände dar: und zeigt auch das Tonverhältniß an sich: und gebraucht die Töne durch allerlei Nachahmung zur Musik: aber bei allem, was er geistig leistet, kommt das große Unhiesige immer wieder vor. Der Mensch hat das bischen „Wahl“ (Goethe): was ist sie aber? Der kleine Raum, in welchem er Mitgebrachtes und hier Vorge- fundenes vergleichen kann. Sein ganzes menschliches Gebiet ist nur dies: und ein klein bischen Witz macht es zur unend- lichen Beschäftigung! Wie wäre ein wirklich schaffender Witz erst anzusehen! Warten. Unterwerfung. — Ist wohl je ein schöneres Wort gegen die Lüge ausge- sprochen worden, ein gründlicheres, naiveres zur Natur stimmen- deres Wort für die Wahrheit — immer gefunden von der Wahr- haftigkeit — als das: „Die Lüge befreit nicht die Brust, wie jedes andre wahrgesprochene Wort!“ von Goethe’s Iphigenia. Ehre also der deutschen groben Redensart, die dasselbe aus- drückt: „Das lügst du in deinen Hals hinein!“ Freitag, den 18. März 1825. An Ludwig Robert, in Karlsruhe. Mittwoch, den 13. April 1825. halb 12. Regenwetter, mit Aprilschauer von Wind und Hagel, mit öfterm Trocknen des Pflasters; nach bedeutender, hellen Staubhitze. Wetter wie bei euch; und allerwärts. Fieber hab’ ich, aus Sorge dir noch immer nicht ge- schrieben zu haben! Du glaubst es. Immer mehr häuft sich auf, was mitzutheilen, zu sagen ist: ein Brief von euch sogar liegt schon mehr als vierzehn Tage vor mir, und doch konnte ich vor Schwefelbäder-Echauffement, Menschen, Ereignissen, Besuchen, Fremden, kurz, vor Lebenswellen, die zum Strom wurden, nicht; durch alle aber wär’ ich siegreich durchgeschwom- men, einen Brief an dich hoch in der Hand haltend! Aber meine Unfähigkeit, grade zum Schreiben , ist zu bedeutend, war es in der letzten Zeit zu bestimmt: und grade wenn ich vollgepfropft von Antheil, Liebe und Mittheilung bin, wie zu einem Schreiben an dich, so wird aus einem rethen Echauf- fement ein blaues . Um „die Macht der Verhältnisse“ sehn zu können, blieb ich sieben Tage vorher komplet zu Hause: damit mich keine Erkältung attrapire, die stündlich , und von jeder Luft provozirt wurde. Es ist mir gelungen, und ich bin völligst belohnt worden. Ein solches schönes Stück ist mir lange nicht vorgekommen . (Ich weiß grade zu schätzen, was ich nie vermöchte.) Es ist nämlich so vor- trefflich gemacht; (gedrechselt und kombinirt in Überlegung.) Ein unüberspannter und doch spannender Ton des Gesprächs, der die Ereignisse herbei führt und auf die richtigste Art von ihnen herbeigeführt wird, wäre hier schon ganz kunstvoll, wenn er auch nicht so selten wäre, daß er beinah nie anzutreffen, und es daher eine Kunst ist, ihn irgendwo zu finden! Die Scenen sind vortrefflichst gestellt in ihrer Folge und Symme- trie: und manches dah er hat auf mich eine Wirkung gemacht, wie noch nie etwas auf der Bühne — so überl obend wir seit Jahrereihen auch manches zu setzen belieben: wo mein Rest, immer Schweigen war. — Nur zwei Züge — coups — zum Beispiel. Wie Weiß den Abend allein im Zimmer den Major erwartet, und die Sterne anredet, und den Major ansichtig wird, der ihn unterbricht. Von größerm Effekt hab’ ich nie etwas erlebt. Das ist Illusion. Es war so, daß ich dachte, Devrient sieht Rebenstein ; den Menschen Rebenstein. So vortrefflich ist es; und so vortrefflich machte es der arme kranke, zittrende Devrient! Wie richtig, wie glücklich, den Weiß hier unterbrechen zu lassen: das ist ein coup de théâtre, parce que c’est un coup de vérité; in Handlung mit Wor- ten bewerkstelligt und ausgeführt. Der zweite trait ist der: wie die Gemahlin in das Gräuelunglück mit der Begnadigung herein tritt, und ihr Glück nicht in die Vernichteten Eingang finden kann; und sie erstaunt, gehorsam, sittig, artig, weib- lich — hier weiblich — fragt: „Hab’ ich Unrecht gehabt, ohne Ihre Erlaubniß nach dem Schlosse zu fahren!“ ꝛc. Wenn die Nichtigkeit bis in’s tiefste Elend, in die Auflösung hineinreicht, der Zwang, das Äußere, die hohle Form, die schlechte, immer gewährte Anforderung, das Bequemen des Bessern; und wenn gezeigt wird, — und nicht gesagt —, daß dies alles den Gräuel selbst bereitete! das ist wundertra- gisch! Nicht Betrachtungen vom „Schönen auf der Erde.“ Gott verzeih mir meine Sünde! Es lebe Schiller! den mein Herz ehrt. Ich meine seine Nachbeller; und stupiden Logisten und Parterristen. Die Schröck sagte dies göttlich. Wie wirklich. Dieser Zug ist als würde eine Decke aufgehoben, wo die ganze Vergangenheit dieser Leute gezeigt würde; und der ganze nichtige Ursprung der großen Tragik! Das ist Tra- gik. Unsre Nichtigkeit; wenn wir nicht aus dem Grund leben. Die Devrient-Komitsch spielte nicht, war das Mäd- chen: es ist nicht möglich, den Brief über den Prediger besser zu lesen: die Freude, daß er lebt, konnte in dem erschrockenen Körper nicht hervorbrechen; die Seele nur nahm sie auf, mei- sterhaft! Die ganze Scene vollkommen, von beiden. Nach- her hätte ich Kleinigkeiten von ihr noch anders gemacht. Mlle. Bauer die Comtesse sehr gut. Völliger Adel: komplet edel und jung. Und — Wunder! Lemm, der mich auf dem Zettel Zettel erschrak: äußerst gut?!? Welchen pour le mérite soll ich aber Beschort geben?! — nicht, daß er die großen Haupt- koups wie ein Erster spielte, ein ganz Erster. Aber welche Kunst, welche Gewalt in den unscheinendsten Momenten ganz zu zeigen, welcher Mann der Minister, seine Zeit, seine Ver- hältnisse, seine Denkungsart über alle Dinge ist! mir ein Räthsel. Er war es. Wirklich! Nichts empört mich so, wie ein Akteur, nichts bewundre, verehr’ ich so, als einen guten. Die ganze Aufführung ein Gelungenes. Devrient frappirte mich unangenehm beim Auftreten; Holzstimme, Person, alles. Aber wie benahm er mir das. Ich war ganz zufrieden. Aber seit der Sitzung der zweiten badischen Kammer (1819.), wo man (Winter) dem Adel alles in’s Gesicht sagte; habe ich solche Emotion, solches Herzpuffen, solches konvulsivisches Schlucksen nicht erlebt. Und nur die zweimal im Leben. Schul- ter an Schulter saß ich mit einem Offizier: das erhöhte alles. Dies einmal mündlich, oder künftig: heute bin ich schon zu blau. Das Publikum war ganz erschüttert: es war voll; und das beste drin. Daß das Stück selbst aus unserm geprügelten Herzen erwachsen ist, muß mich tief berühren: besticht mich aber beim großen Gott nicht. Schlechter würd’ ich’s nur empfinden, wäre es nicht vortrefflichst gemacht. Bravo donc! du plus profond du coeur! — Varnhagen setzt zu allem hier Stehen- den seinen Namen. Euer Glück entzückt und tröstet mich über alles an- dere! Gott geleite Mama sanft! innigster Wunsch. In acht Tagen reist Dr. Gans nach Paris über euch. Der bringt große Briefschaften über alles mit: woran ich nach und nach III. 13 schreiben will. All Ihre Briefe, theure Rike, sind an Ort und Stelle. Sonnabend tranken wir bei Edelings mit Prof. Witte aus Breslau, Maliszewski’s, einer Menge Offiziere, Müllers aus Dessau — Dichter, Griechenlieder, und sehr schöne Frau, en profil so schön als Sie — Ihre Gesundheit. Aus Fülle des Gefühls trank ich Roberts leise: Gott lasse ihn glück- lich. Emil war vier Tage über Ostern bei mir . Ich bin zu echauffirt! Gestern wurden „die Überbildeten“ mit großem Beifall im Poetenklub gelesen. Von Holtei; Varnhagen war da; und grüßt. Alles ist gesund. Alles künftig; ich umarme euch. Alle Welt grüßt. Ich kann nicht genug antworten auf Fragen nach euch. Ich küsse jetzt noch Einmal euren Brief, in dem ihr mir schreibt, daß ihr glücklich seid! und küsse Gott mit Thränenaugen die Vaterhand; und weine. Adieu! — Gestern erhielten wir einen langen, geschwätzigen, göttli- chen Brief von Goethen. Gans bringt die Abschrift mit. Ein Horn wüchse mir vor der Stirn, hätte ich’s nicht we ggeweint . Er schickte nämlich Varnhagen einen Kupferstich von der Bild- säule des General Schulenburg in Corfu; und hat mich ge- adelt, durch eine Anrede. ( Mündlich .) Im kleinen Garten, am Sonntag Vormittag, bei wärm- ster Frühlingsluft, als eben die Sträucher im Begriff waren zu ergrünen; wir hatten davon gesprochen, wie einem das Leben vorkommt, daß einem das eigne fremd erscheint, daß man es in seiner Vergangenheit nicht faßt, nur weiß: von größerer Erinnerung, die noch als verhüllte Vergangenheit vor dem Anfange dieses Lebens zurückliegt; da rief Rahel in schwermüthiger Trauer schmerzlich: „Ach, wir sind nur ein Tropfen Bewußtsein! Ich will auch ja so gern wieder zurück in’s Meer, will gar nichts besonders sein!“ Den 24. April 1825. „Freilich bin ich ein Egoist! Ich bin ja ein ego zu ei- nem Ich geschaffen!“ Abscheuliches Bekenntniß! und darauf sind Sie noch stolz? „Es kommt auf die Auslegung an: darauf, heißt das, was wir verstehn. Je enger Sie Ihr Ich einschließen, je plumper Sie es beschränken, je ungelenker im groben direkten Genuß Sie es lassen, je unausstehlicher wird es den andern Ich’s werden, und sich selbst am meisten zur Last (im tiefsten Sinne des Worts): aber allen Ich’s mehr einräumen, als dem eignen, ist Verdrehung oder Lüge, wenigstens gegen uns selbst. Haben Sie meine Abscheulichkeit nun besser verstanden?“ Freitag, den 28. April 1825. Wenn man auf der Straße nach der Vorübergehenden Gesprächen horcht: so wird man sehr selten etwas andres hö- ren, als Klagen; oder Prahlereien. Alle Menschen streben überhaupt nach einem würdigern, angemessenern Dasein: in Wahrheit; dann klagen sie: oder unterdessen in Lüge; dann prahlen sie. Vieles Prahlen entsteht auch aus Mangel an Gerechtigkeit: widerführe uns Gerechtigkeit in Anerkennung aller Art; niemand prahlte; so aber füllt jeder Lücken mit 13 * Prahlerei aus; und schiebt einen wahren Anspruch von einem Ort, wo er nicht gelten soll, auf einen andern. Den 7. Mai 1825. An Ludwig Robert, in Karlsruhe. Donnerstag, 12 Uhr, den 12. Mai 1825. Ein Wort vom Wetter und dann dein Brief. Kälte seit gestern Nachmittag. Heute kalt mit Fenster zu. Der Him- mel grau verschlossen. Himmelfahrtstag auf den Straßen, gestern die Zauberflöte als Konzert bei Schleiermachers: wun- derschön. Der Meister! dieser Zauber in dem Kopf! Tausendmal angenehmer, als mit Tuten und Kostümen auf den Theatern! Schade! wie oft spreche ich dreiviertel Stunden lang über Spontini: und nun du mich danach fragst, weiß ich grade nichts; oder äußerst wenig. Lichtenberg hat Recht: man sollte unaufhörlich aufschreiben (ein Sonnenkuk), so rückt man, sagt er, die Lücken zusammen, in denen einem nichts einfällt: u. s. w. sehr schön. Lies einmal wieder seine Apho- rismen. Sie lagen in der Gartenstube; ich habe einen Theil durch. — Zwei Akte von Alridvr hörte ich. Große Schön- heiten. Die Instrumente vortrefflich behandelt. Nebeneinan- der gebraucht er sie wie keiner; immerweg klingt es wie Ein großes Orgelinstrument: wenn er es nicht durchaus anders haben will : daß sich eines los reißt oder windet, wie ein klagender, tobender, suchender Geist, oder daß er ganze Musik- sätze übereinander stürzen läßt; wo der alte den neuen, oder mehrere neue mit fortreißt; aber sie dann mit einander ein neues Ganzes bilden, welches bestätigend, und vollständiger fortwühlt; wie ein großer Strom, der zum immensen allge- meinen Musikmeer führt. Mit eben solcher Meisterschaft sind auch seine Sätze, bis auf die kleinsten Phrasen und Aus- drücke, behandelt: er wiederholt auch den kleinsten nicht: wie alle Musiker bisher nicht ganz unterließen; und die schlechten und schlechtesten nie — aus Müssigkeit, Verlegenheit oder Verführung des Ohrs, im leeren Moment: sondern, wenn er etwas wiederholt, so geschieht’s durch neue Eingebung, die man oft nicht von seinen kunstreichen und kunstgehörigen Überlegungen unterscheiden kann: er gebraucht solche Tongeuppe zum Weiterschreiten, in einem neuen Rapport, und sie muß ihm andere Gefühls- und Gedankengefilde erschließen und Neues bedeuten; — wie alle schöpferische Autoren; in Rede, und Musik: wie auch Mozart Andre und sich gebrauchte; im höchsten Witz und reinster Eingebung. Sieben Töne giebt es ja nur: auch nur eine gezählte Wortanzahl; der wahre Gedanke, der Seelenzustand geht vorher; und Töne und Worte dienen dem Schöpfer zum Ausdruck seiner Konzeption. — Daher kommt’s, daß Spontini nie ennuyirt; wenn wir nur aufmerksam sind: daß wir das aber immer nur mit Vorsatz bleiben können, ist sein Fehler. Aber ein Fehler, den er ver- meiden kann, wenn er will; weil er darin liegt, daß er sich nur zu sehr selbst zwingt: und ich möchte wohl sagen, seine wahren Eingebungen bezwingt. Dies, glaub’ ich, hat er lei- der in Frankreich mit großer Mühe gelernt, wo Sujet, Text, Gluck, den sie sich dort sowohl, als er sie erzog, eine so große Rolle spielen; und wo sie — und wir jetzt mit! — grade in der Musik das dramatisch nennen, was es nicht ist: nämlich, Worten ihren Redewerth zu lassen, und nicht viel- mehr nur die Empfindung, welche die Worte eben gebrauchen will, zu bedenken; oder vielmehr walten zu lassen. Man höre nur mit Aufmerksamkeit, wie viele Lieblichkeiten in sei- nen Musiken wider seinen Willen hervorsprossen: ganz italiä- nische, freie, üppige, liebliche, reiche, graziöse Gewächse. Alle Tanzmusik: Einzelnes nicht zu rechnen; und nur Olympia’s Wunderouverture! Er überlegt zu viel; und das will doch nur sagen, da wo er nicht sollte: er sollte überlegen, daß er sich gehen lassen, und nicht so sehr influenziren lassen muß! Alle zu häufige militärische Musik ist nun wieder von hier u. m. dgl. Sein eigener tiefer Irrthum — von Frankreich geboren; und von Eitelkeit erzogen — der, daß er’s mit Lärm und Instrumentenzahl zwingen muß: und was? Beifall von Leuten, die sein wahres Wesen nicht faßten! Überließ er sich je seinem eigenen Genius: könnte er ihn noch finden, so wäre er gewiß im Stande, Liebliches, Tiefes, Neues und Abstraktes, und immer Meisterhaftes, zu liefern. Er besitzt eine Melan- cholie, er ist melancholisch; die müßte er einmal frei dar- stellen. Seine komischen Opern sollen vortrefflich sein. Er zwingt seinen eigenen Genius in allerlei Wahn, das ist wahr: aber welchen von all den sich zwingenden Komponisten, die jetzt notiren, und oben an „Oper“ setzen, bleibt so viel Reichthum und Schönheit in ihrem Zwang! Er nimmt uns ganz in Anspruch, wenn wir ihn hören: wenn wir ihn unter- suchen, wozu er auch zwingt — durch Bedächtigkeiten und Vorsätze aller Art, die er nicht genug verbirgt — stellt sich Tadel ein; wenn wir darin fortfahren in größerer Dimension und größerem Detail, große Bewunderung. Hier wird er ganz verkannt — von den prôneurs; und von der Heerde, die den Tadlern nachspringt — und das ist fast gerecht: da Righini wenig erkannt war, und vergessen ist; obgleich ich bei jeder Schönheit in Spontini’s Musik gleich Righini an- rufe, und mir sage: wie würde der das schön finden! Spon- tini ist ihm sehr unähnlich; und oft höre ich doch Righini in ihm. „Es winken sich die Weisen aller Zeiten!“ über die weg, von denen sie nicht erkannt werden. Liebe, wie sie Righini dichtete, hat er noch nie geschildert. Auch den Olymp in seiner Sonnenklarheit und wähligen reinen Höhe nicht: auch gli infernali nicht mit poetischer Ahndung des Schreckens und wühlenden Grausens. Auch daß er Liebe schildern kann, glaub’ ich; hätte sie ihm nur nicht zu oft in Frankreich ge- sessen! wo sie, wie auf der ganzen Erde, empfunden wird; wo aber die Nation sie sich erzogen hat, daß sie soll in Ge- sellschaft gehen können, und noch wohlerzogner auf den Thea- tern zu erscheinen hat. Aber eine Artigkeit tragisch und leiden- schaftlich darstellen, muß monströs oder lächerlich ausfallen. Also große réparation de talent an maitre Spontini. Heute bin ich nun zu echauffirt, Also Adieu! V. findet das hier über Spontini sehr gut. Sonnabend, den 13. Mai 1825. Heute Nacht träumte mir, ich sei auf einem ganz ge- wöhnlichen Ort mit vielen nahen Bekannten zusammen; von Ludwig Robert aber nur weiß ich deutlich, daß er dabei war. Plötzlich wird ein Unwetter mit Blitz und Sturm; doch gar bald blitzt es nicht mehr, sogar erinnre ich mich nicht deutlich eines Blitzes. Aber eine Röthe entstand am Himmel, und bald umfloß die den ganzen Raum, dick war er davon er- füllt; kein Gegenstand mehr zu sehn; meine Freunde waren in diesem herrlichen Abendroth — mit Staub oder vielmehr Dunst untermischt — verschwunden, obgleich mir ganz nah, eine Stubenweite nur entfernt. Die Erde schwankt, das Roth immer schöner, allgemeiner. „Wo seid Ihr?“ schrei ich; „das ist ein Untergang,“ denk’ ich; „oder Tod!“ Ich will aufpas- sen, wie er kommt, wo meine Seele bleibt! „Robert, wo bist du?“ schrei ich; greife mit der Hand nach ihm: vergeblich. „Wir wollen Alle zusammen bleiben; kommt zu mir; wir wollen zusammen sterben.“ Die Erde schwankt noch mehr. „ Robert , komm her! denk’ an Gott . Denk’ nur an Gott; ich denke an Gott .“ Und so passe ich auf meine Seele, und schreie das immer, weil ich weiß, Robert ist ganz nah. Vom Geschrei erwache ich. — Ist das nicht ein trostvoller göttlicher Traum? Ich hatte mir gestern Abend einen bedeu- tungsvollen erbeten, — — weil ich sehr am Rande war. Solcher Traum ist mir so lieb als Leben, und solche Gnade nach dem Gebet, daß ich mich schäme und scheue. Gott weiß es. — Mai, 1825. Wir lesen und hören von jeher: „Der Mensch kennt sich nicht selbst, der Dümmste kennt ihn besser, als er sich; will er wissen wie er ist, so muß er Andere über sich hören, die sehen ihn wie er eigentlich ist.“ Mir kommt es ganz anders vor. Was wir für einen Eindruck machen; das können wir nur von Andern erfahren: und das auch von dem Dümmsten und Närrischten; aber wie wir sind, weiß kein Mensch besser, als wir selbst: und sei dieses Wissen auch noch so dunkel durch Verwirrung. Wir sehen uns konkav; und die Andern sehen uns konvex: wiederhole ich hier. Es heißt auch: in ei- nen Menschen hinein gehn, um ihn zu beurtheilen. Aber jeder sitzt in sich selbst. Wir sind zwar Alle gleich: aber nur an unsern Gränzen: innen ist eine Unendlichkeit von Schöp- fungen auf das Eine Exempel angewandt erfunden, ersonnen ( conçu ). Hier ist der größte Witz; sogar sein Ursprung, für unser Bewußtsein, zu finden ; die Persönlichkeiten; nämlich, die verschiedenen Personen. — Im Frühling 1825. Doktor Erhard hatte uns von afrikanischen Völkern und Königen erzählt, deren Grausamkeiten ich gar nicht vergessen konnte; von Kinderschlachten, aufgehäuften Menschenköpfen zum Staat bei Audienzen u. s. w. Den andern Tag fing ich immer wieder davon an; und sagte noch: vieles, was wir noch thun, wird in künftigen Zeiten den dann Lebenden eben so vorkommen; unglaublich! So sprachen wir hin und her; endlich sagt Varnh. von deutschen Soldaten, die bei jedem Strafhieb um sich zu bedanken mit der Hand an den Helm gegriffen hätten. Ich bekam Thränen in die Augen. V. Du weinst?! Worüber? R. Über die Soldaten: ich kann keine Beleidigun- gen ertragen . Sie lachen Beide; denn dies war ein schon alter Ausruf von mir. Ich sah mit Frau von Br. zu Töplitz im Jahr 1822 den Prinzen von Hessen-Homburg aufführen. Und als der Prinz dem alten Kottwitz Muthlosigkeit vorwirft, wie der des Kurfürsten Ordre nicht übertreten will, giebt der alte Brave nach, sich zornig vertheidigend. Kottwitz spielte sehr gut. Ich fing heftig an zu weinen: meine Nachbarin sieht mich lang und verwundert an: ich wußte wohl, daß kein Mensch da weinte: und will mich vertheidigen. Vor Weinen konnte ich nicht zur Stimme kommen. „Ich will Ihnen sagen, bring’ ich endlich hervor, warum ich weine;“ ich denke, ich werde eine lange Rede halten, stoße aber nur die Worte mit zerbor- stenem Herzen in vollen Thränen heraus: „Ich kann keine Beleidigungen ertragen!“ In demselben Augenblick lachen wir beide laut auf: ich konnte vor Lachen und Weinen gar nicht aufhören. Und noch hab’ ich mir die Scene nie wieder- gedacht ohne zu lachen. So lachten wir denn auch diesmal. Ich sage dann: „Meine hübschte Geschichte ist doch die! Die gefällt mir am besten von mir.“ V. Und das jemand, der nicht grade zum erstenmal in seinem Leben im Theater ist! Ein alter Komödiengänger, und läßt sich affiziren wie ein Neuling! R. Ja! — das ist die Illusion; (mit der Hand auf’s Herz klopfend) die muß ich in mir tragen; — aber nicht von außen bekommen, daß ich mich als Ochse betrügen lassen soll! V. (Nach einer Pause, lachend) „Daß ich mich als Ochse betrügen lassen soll!“ Auch gut! R. (Einstimmend) Sehr gut, was ich da gesagt! Das hatt’ ich erst ganz überhört! — Dienstag, den 18. Mai 1825. Wir sind eigentlich, wie wir sein möchten, und nicht so, wie wir sind. Widersprechen ist nicht widerlegen! Möcht’ ich oft erwie- dern; aber ich schweige dann ganz, weil das Widersprechen kein Ende nähme. Ich habe schon manchmal eine Vorstellung von Heilig gehabt; schon Augenblicke, in denen ich wußte, was das ist: Heilig. Erhaben über allen Wandel, rein absolut, uner- reichbar. Unterpfand . Da mir durch den dunklen Mutterleib geholfen ward, so habe ich alle Hoffnung. Unser ganzes Lebenselement ist verwirrt . Wir machen die Jugend klug, das heißt alt. Wir rau- ben ihr den Genuß; vertilgen die Hoffnungen; was schadet es, wenn sie falsch sind? die man gar nicht hat, sind gewiß todt! und eigentlich wollen wir sie ihr nur geringer lassen. Hoffen soll sie, aber Elendes, was sie nie wünschen kann. — Mittwoch, den 24. Mai 1825. Wer sich ganz aufgiebt, der wird gelobt: so wollen sie uns. So wird es J. gehn. Wenn sie nur wird ahnden las- sen, daß es doch noch eine J. giebt, so ist die Herrlichkeit vorbei. — „II a vraiment de l’esprit à lui,” heißt auf Deutsch: Er hat eigne Wege, Gedanken zu finden: wenn sie auch schon alle längst von den vielen Vorfahren ausgesprochen sind. Die Hauptsache ist Selbstthätigkeit; Leben. — Es sagte jemand: „Ich will gar nichts im Himmel, als mich von der Erde ausruhen.“ Ein Wort, welches aus einer Tiefe kommt, wo Menschen nicht hinkommen; und wo er es auch nicht hergeholt hat; es ist eins von denen, die von selbst aus der Tiefe kommen, und ihren Witz mitführen. (Mündlich.) Den 26. Mai 1825. wurde Rahel plötzlich sehr krank; die heftigsten Zufälle traten ein, sie konnte glauben, es ginge zu einer großen Entscheidung. In diesem Gedanken erhob sich ihr Gemüth inmitten aller Schmerzen und angstvollen Spannungen des Körpers zu begeisterten Ausbrüchen. Sie bat Gott um einen nicht allzu schweren Kampf; sie versicherte, ganz ruhig und gefaßt zu sein, wie immer. Dann sagte sie: „O, ich liebe alle Menschen; sie sind alle wie von meinem Fleisch und Blut; so zuckt es mir, wenn einem von ihnen was ist.“ Über ihre Schmerzen: „Ich verstehe sie nicht; aber ein Andrer. Schmerz ist Gottes Geheimniß; der versteht ihn.“ Ferner: „Könnte man sich nur recht zu Gott wenden, so wär’ einem gleich geholfen. Mit seiner Hand hebt der einen heraus; ich habe sie schon an mir gefühlt, seine Hand. Aber so recht , wie man kann und soll, sich so ganz mit dem Auge an ihn ansaugen, das gelingt nicht immer, man will und kann nicht immer stark genug.“ Und dann: „Höhere Geister sehen und hören jetzt meinen Jammer. Gott selbst hört und sieht mich, er weiß um mich, und um jeden Schmerz in mir; er ist nicht zu groß dazu.“ Später äußerte sie: „Solche Krankheit, ich fühl’ es, ist jedesmal eine Gnade. Es wird einem ein Ruck gegeben, ich fühl’ es, zum Bessern, zur Entwicklung. Man muß dafür danken, und gute Gelübde thun.“ Ich wollte noch vieles der Art festhalten und bewahren, aber das Gedächtniß konnte in der vielfachen Bewegung des Gemüths der einzelnen Gegenstände nicht Meister bleiben. Der innig süße und zugleich schauerlich kräftige Ton der Stimme ergriff mehr noch als die Worte selbst, ihr ganzer Inhalt lag schon in ihm. — Montag, den 30. Mai 1825. Beten ist ein sich Fassen, ein Zusammensammlen mit anderm Willen; mit vereinfachtem allgemeinen soll geschehn, gedacht, empfunden, eingesehn werden. Wir fliehen in’s Cen- trum. — An Auguste Brandt von Lindau, in Schmerwitz. Berlin, Juni 1825. Eben hatten wir vorgestern Abend von Fräulein von Brandt gesprochen, und noch Einmal die gediegenste Liebens- würdigkeit auseinandergesetzt; als auch gestern Mittag die liebe Botschaft von Ihnen kommt! — Genug, unsre Bekannt- schaft soll gepflegt werden (wir schätzen und lieben Sie ganz besonders; ich sage es doppelt gerne, weil es unserm Sinn Ehre macht): eine solche edle schöne Pflanze soll gedeihen auf der Erde, wo man doch so viel Unkraut zu bekämpfen hat! Ihr lieber, theurer, bescheidener Brief freute mich unendlich, obgleich ich nicht nach Ihrem und meinem innigsten Wunsch antworten kann! — Den Winter war ich unwohl, wie das Wetter; und mein Nervensystem fast so toll, als das Wetter im Herbste war: im Sommer nun war ich vor vierzehn Ta- gen ernstlicher krank. Ich bin genesen; und wir werden künf- tigen Monat eine Reise über Wittenberg, Weimar u. s. w. machen. Reiste ich allein, käme ich grade zu Ihnen. Ich reise mit Mann, Bruder und Mädchen. — Gott gesegne Ihnen Ihre schöne Reise! Mit den theuren Schwestern und den edlen Aufsprößlingen! Den 6. Juli in Wittenberg in der Traube schrei’ ich Ihnen glückliche Reise nach. — Glücklich würde mich eine mit Ihnen, theure Auguste, machen. Ihr leises, redliches, feines Wesen sagt mir ganz zu. Wir wollen diese Sache für unser ferneres Leben nicht verloren sein lassen. — Weit öfter halten sich die Leute untereinander für das, was sie sein möchten und vorstellen wollen, als für das, was sie wirklich sind. Mir ist das mit einemmale ganz klar ge- worden, als mir einfiel, wie sehr ich Kinder liebe; wie ich mich mit ihnen abgeben kann; zeitlebens welche zu besorgen hatte, und sie mir schaffte. In allen Häusern, in allen Städ- ten: Geschwister, Nichten, Fremde, Nachbarn; alle Sorten. Nie ist es Einem eingefallen, mir den Titel Kinderfreundin zu geben, oder mich dafür anzusehen; mir selbst ist es nicht eingefallen. Sommer 1825. Sonntag, den 19. Juni 1825. Es kann uns nie in Verlegenheit setzen, wenn wir nur wir sein sollen; aber wohl, wenn wir unsre Maske vorstellen müssen! Mit andern umfassendern Worten: wir müßten im- mer wahr sein dürfen. Das fiel mir von neuem bei der Vor- stellung ein, wie ich mich in einem Orte, z. B. in einem frem- den Bade ganz getrost befinden könnte, mit dem geringsten Anzuge, ausgeschlossen aus der Gesellschaft; nur auf den Um- gang der Leute beschränkt, mit denen man wahrhaft zu thun hat, oder Bauersleute, u. dgl. Man müßte aber nicht wissen, wer ich bin; oder vielmehr, es müßte kein Bekannter dort sein. Der wollte doch schon, daß ich ferner nach meiner vo- rigen ihm bekannten Maske leben soll; was ich war, wie ich war, wie ich nicht mehr bin, ist nicht mein lebendiges Wesen, ist eine Maske. Unbedeutende Persönchen, solche mit geringen Gemüths- anlagen, bilden sich — wenn es geschieht — zu Härte und kleinen Bosheiten aus; bedeutende Menschen, zu Milde, Güte, Nachsicht. Nichts macht so nachdenkend, so einsichtig, als stäte Bewegung im Gemüth, großer Verkehr darin. Freitag, den 1. Juli 1825. Baden, den 30. Juli 1825. Nur wenn wir nicht entwandlen, wandelt alles um uns her. 1825. Da die Masse ein Hinderniß ist, sich nicht von selbst zer- stört, sondern wuchernd anwächst, so kann der Geist nicht ge- nug davon verbrennen, gleichsam. Eine Überzeugung gewinnt Raum unter den Menschen: was heißt das? In Einem ist sie aufgegangen, er spricht sie aus: Andere verstehen sie, müssen sie in sich aufnehmen: bei Manchen darf sie sogar in Hand- lung übergehn; die Masse aber der Menschen, kann diese Überzeugung nicht auffassen, sie kann ihr nur nicht widerspre- chen, läßt sie sich gefallen, prahlt auch wohl mit ihr, und bringt sie so herum, weiter in Umlauf; und nach und nach wird sie Bewegungsgrund des Handlens. So ist die elende Masse der Körper und Träger einer edlen Überzeugung, und macht macht sie unedel so viel an ihr ist. So mit dem Schönsten bis jetzt. Drum weiter ! Sommer 1825. Freiheit haben, ist nur das, was wir nothwendig gebrau- chen, um das sein zu können, was wir eigentlich sein sollten; und zu haben, was wir eigentlich haben sollten. Dies ist daran genau zu wissen, wenn wir uns besinnen, was wir uns ganz im Grunde wünschen; und bedenken, woran, und wo- durch wir verhindert sind. An diese Betrachtung schließt sich gleich die über den Grund aller Lüge an. Der erste Mangel an Freiheit besteht darin, daß wir nicht sagen dürfen, was wir wünschen, und was uns fehlt. Im heimlichen Gebet sa- gen wir es unserm Gott: oder er weiß es ohnedies; in der Welt aber lügen, oder wenigstens verheimlichen wir. Daran schließt sich wieder der Gedanke: daß nur der unser Freund sein kann, dem wir uns ganz zeigen dürfen: und, daß, wenn einer belogen wird, er selbst daran schuld ist: verdient einer auch jedes Zutrauen, so muß er auch noch die Gabe haben, es einzuflößen, es hervorzulocken. Lieben können wir nur den, der dies vermag. Er verbirgt, er verdoppelt unsre Exi- stenz. Tiefstes Bedürfniß aller Geselligkeit. Zweck und Grund der Sprache. — III. 14 An Eduard Gans, in Paris. Mittwoch den 10. August 1825 in Baden, 10 Uhr Mor- gens — fertig angezogen, meine ich, und gesetzt zum Schreiben, alle häuslichen, könnte auch schrei- ben: häßlichen Geschäfte auf die Seite gearbeitet, um Ihnen mit Seelenruhe Gutenmorgen schreiben zu können. Regenwetter; Wolkenspiel, große Regenschauer, minder beträchtliche, aber der Anblick immer schön und ununterbrochen unterhaltend. Ich bin ein Liebhaber der Natur! Ich sehe hier , daß ich beinah nichts , als ihren freien Anblick brauche. Sollte solch ein Durchdrungener nicht die Gabe obenein haben, „zu sagen, wie er fühlt?“ (Tasso) — und der Dichter wäre da ! Sehen Sie aber ganz in mein halbes Dichterherz! dies beklag’ und bedaure ich nur für Andre; gar nicht für mich; ich fühle, und habe darin genug. — Meine Handschrift ist besonders heute noch schlecht, weil ich mir Sonntag, im Zer- brechen einer Schüssel, den rechten Zeigefinger auf den beiden obern Gliedern weit aufgeschnitten habe; er ist ganz gut in der Heilung; aber da hartgewordener Schwamm drauf ist, will er nicht schreiben. Seit ich aus Berlin bin, seit dem 6. Juli, sind Sie der Zweite, dem ich schreibe. Fürst Kos- loffsky hatte einige Grußzeilen vor meinem Schnitt. Auch ist unsre Universität Schuld an meinem griffonnage — Klauerei wollte mir nicht gleich einfallen, und Gekritzel paßte mir hier nicht — Dore hat diese meine Feder, mit zwölf oder vierzehn andren, für sechs Dreier Münze im Universitätshof gekauft! — und was könnte ich hinzufügen, für was eine Universität alles sorgen sollte, wenn sie eine rechtschaffene, und universal wäre. Machen Sie den Witz, bester G.! Sie sollen all dergleichen Aufträge haben: solch einen allerliebsten, ich könnte auch sa- gen vortrefflichen Brief haben Sie uns geschickt. Sie verste- hen mich, wenn ich das Wort „Kleinigkeiten“ ausspreche. Sie haben mir in leichter Form die ernstesten, scharfgesehensten Dinge berichtet: und mit dem natürlichsten abandon; in völlig- ster Unschuld; die schöne Aussaat wuchert bei mir im gesün- desten Boden, und mein Geist soll deren Sonne, die Seele deren Atmosphäre sein. Unter Ludwig XIV. war es unter den Geistreichen Mode, Karakteristiken zu machen von Freun- den und Bekannten, des portraits écrits; auch später haben sich welche versucht. Die gedruckten hab’ ich wohl meist gele- sen: ich ziehe ihnen allen weit vor einige, welche Mirabeau in seinen Briefen gab; und Ihre, die Sie uns schenkten. Erst gestern lasen wir Ihren Brief, lieber Doktor. Zehn Tage lag er bei meinem Bruder Louis, der mit seiner Frau und meinem ältesten Bruder eine Spazirreise nach Konstanz, dem Rhein- fall u. s. w. gemacht hat, die zwölf Tage währte: und eine größere Dankbarkeit, größere Anerkennung kann ich Ihnen nicht beweisen, als mich gleich hinsetzen, um zu antworten. Gleich nach Ankunft der Reisenden lasen wir zweimal Ihren Brief. Den lieben nenn’ ich ihn. Und wissen Sie warum? wissen Sie warum! weil er voll der schärfsten, genausten, treffendsten, flüchtigsten, erschöpfendsten Zeichnungen; die aber ihre Richtigkeit und Schärfe nur aus Talent und Gründlich- keit haben, ohne ein Gräuchen jener Ungerechtigkeit, Aufge- brachtheit, aigreur — nicht Bitterkeit — der sonstigen scharfen 14 * Urtheile! Ihr ganzes vergebungsvolles Gemüth beseelt und durchdringt diese Bildsäulchen von Urtheilen; und das ist Wasser, was meine Herzensmühle brauchen kann! Diesen schönen Zustand einer Seele find’ ich so selten, ob er gleich der natürlichste in ihrem Gesundheitszustande ist, und immer vorhanden sein sollte, daß er mich entzückt, wo ich ihn Ein- mal sehe, und befreit , von ewiger und — wehe! — bei- nah schon bewußtloser Pein. Eben so selten wird diese Ge- sundheit einer lieben Seele anerkannt; und darum thue ich es hiermit laut; und, bei besserer Überlegung, nicht zu laut . Vortrefflich ist Ihrer Feder Humboldt entfahren! und Eins hab’ ich doch zu erinnren: „er ist gutmüthig,“ sagen Sie: er beträgt sich dabei gutmüthig, sag’ ich. Ein Räthsel ist es mir, daß Benjamin Constant soll Wolf ähnlich sein; Wolf mit seiner Königsnase: und Benjamin erinnre ich mich mit einer kurzen Art von Stumpfnase? Können Nasen wach- sen nach dreißig Jahren? — Grüßen Sie Hrn. Cousin freund- lichst von mir: sagen Sie ihm, daß es mich in die Seele freut, daß ihm Berlin wohlgefiel; dies für Berlin und mich: aber für ihn und von ihm freut es mich, seinen reinen Sinn — bon esprit — noch Einmal bewährt zu finden; der da sieht, was da ist: und nicht sich ein gepacktes Urtheil von Paris, nach dem Herzen Deutschlands zum Beispiel, mitbringt, und es unausgepackt und wohlverwahrt den Freunden nach Paris zurückbringt, wie sie’s wünschen. Solcher Sinn und Geist voll Unbefangenheit, wie er hier zeigt, ist der, den alle Wissen- schaft braucht: und ich wünsche also seinen Freunden sowohl, als allen seinen Landsleuten Glück zu ihm. Die Wissenschaft ist’s, die ein Kommen, Sehen und Siegen bedarf. Es weiche der rohe Kampf der armen Völker! Professoren seien ihre Sieger! Wir waren einen langen Abend bei Goethe, der freundlichst war, weil er wohl war. Wir sprachen ihm aus- führlichst über Cousins wissenschaftliche Anliegen an ihn: er bedauerte, ihn nicht mehr gesehen zu haben. Herr Cousin muß noch hin, so lange der lebt! Mir hat Goethe eine Feder schenken müssen, und gerne geschenkt, womit er den Morgen des 8. Juli geschrieben hatte. „Ich kann drauf schwören, daß ich noch diesen Morgen damit schrieb,“ waren seine Worte. Nun muß ich noch ein Halstuch von ihm haben! Übrigens fließt er wahr und wahrhaftig in mein Blut. Sonntag gehen wir nach Straßburg, Mlle. Mars spielen zu sehn. Dann ein paar Besuch- und geschäftliche Tage in Karlsruhe — Wagen, Geräthe — und so fort über Frankfurt und Kassel nach un- serm großen, alten, weiten, vielfältig guten Neste Berlin! wo Sie im November schönstens willkommen sein sollen. Ge- hen Sie in London zu meiner Freundin Adelheid Goldschmidt. Zeigen Sie ihr diese Zeilen, und sie wird Sie, schon eh sie Sie kennt, vortrefflich aufnehmen. Die beste , originalste, wahrhaft liebenswürdige Frau. Der Verstand, der spontan é e, ist hier wie obenein. Herrliche Töchter! die ganze Familie zusammengehörig. Mad. Goldschmidt wird Ihnen sagen kön- nen, wo Mad. Domeier wohnt. Meine Jugendfreundin; viele Bekanntschaften; voller Güte; versäumen Sie sie nicht! Sie war diesen Sommer in Berlin. Millionen schöne Grüße beiden Damen. — Kein Heil ohne Zähne! Sie werden schon noch eitel werden. — Ihr schöner Fleiß entzückt mich. Wenn er nur wahr ist ; wahr bleibt ! Il n’y a rien tel; croyez le, si vous ne le savez pas encore! Halten Sie sich grade; und unserer elterlichen, brüderlichen Freundschaft gewiß! Schrei- ben Sie! Ende des Monats sind wir zu Hause. Mille bonnes et belles choses à M. Oelsner! — An Henrich Steffens, in Breslau. Berlin, den 6. September 1825. Kühles Regenwetter nach schmachvoller Verdor- rung. Vormittag 12 Uhr. Liebes Kind! So sollte man Sie nennen, wenn Sie Ex- rellenz werden, und Ihren wahren Titel bekommen. Wie schön, wie frei, wie aus dem wahrsten Steffens haben Sie über das Thema „Briefschreiben“ phantasirt! In welche lieb- liche Seele ließen Sie schauen! Welche ehrliche Wanderung nahmen Sie in sich vor! Auf solcher würde jeder Gesell Mei- ster. Bei ehrlichen Menschen bringt ein bischen Qual immer etwas Gutes zu Tage; ich kenne die Leiden, die mir den Brief erschufen: Sie hatten welche, bevor Sie ihn beginnen konn- ten. Da er geboren ist, vergöttre ich ihn, wie jedes Geschaffene: und bilde mir noch obenein ein, ich würdige ihn: denn, da ich aus allen meinen Kräften liebe, so kann ich mir über diese Liebe, und diese Kräfte nur nichts denken: und dennoch bitte ich Sie, schreiben Sie mir nie nur deßwegen, weil Sie glau- ben, Sie hätten mir schreiben müssen. Ich weiß, es kommt, da Sie mich kennen, ein Moment, wo Sie mich wirklich zu sehen verlangen, und da werden Sie schon sprechen; machen Sie mir keinen Besuch, weil Sie mir lange einen schuldig sind. Sie schreiben mir ja auch, wenn sie Bücher schreiben. Verstorbenen großen Männern danke ich ihre Bücher, ihre Aussprüche, ihre hinterlassenen Schätze und ihren Anbau mit thränendem Dank, als Briefe an mich! „Es winken sich die Weisen aller Zeiten;“ und daß ich sie erkenne, und über- schwänglich liebe, ist der Segen, die Mitgift, die ich genieße. Ich vergesse es nie; eben so wenig, als wenn ich schön wäre. Aber auch ich bin in dem Fall, Ihnen heute nur schreiben zu können, wie so ich nicht kann. Sonst hätten Sie sich vor dem Rauschquell meiner Geschwätzigkeit in Acht zu nehmen. Ich war in Weimar, Frankfurt, Baden, Heidelberg, Straß- burg. Habe Goethe, Voß, Mlle. Mars, die Französin, spie- len sehn; den gut gewordenen Sänger Wild gehört: Berg und Thal, Busch, Gras, Wald, Wolken, Schein; Sonne in aller Art Thätigkeit gesehen; Luftarten gerochen, Pflanzen aller Art, das liebe Korn, den stärkenden Hanf; den Rhein erboßt gesehn; Quellen, Waldflüßchen, Wasserfälle, Fußstege, Wälder, Kastanien, alles. Und wie würde Steffens das alles finden; dacht’ ich täglich. Ist das ein Brief? Von dem allen könnte ich mit der Zunge Wunder erzählen; auch mit der Feder. Aber ich habe nach einer Augenblendung, die ich den Sonntag hatte, und die drei Viertelstunden aus silber- nen, zuckenden Blitzrändern bestand, und während dessen ich nur den obersten Theil der Gegenstände sah, und nur deren Farbe, nicht Form, — Kopfweh übrig, und kann weder schrei- ben noch lesen, ohne es zu vermehren. Gehe aber aus, Heute Mlle. Sontag in einem Konzert zu hören; aber wie die Jungfrau dies: „es ist nicht meine Wahl.“ Ich hütete lieber Schafe. Mad. Beer ist in Mlle. Sontag, und etwas in mich verliebt; und nimmt mich mit. — Von unserm Willisen hatte ich in Baden die letzte Spur, wo er meinen Bruder Ludwig und seine schöne Frau viel sah: sie fuhren mit ihm und dem Grafen Yorck spaziren, loben den sehr, und auch Willisens Munterkeit und mittheilungsvolles Wesen. Der Mensch muß reisen; „da wird es ihm angestrichen,“ sagen sie bei uns; heißt: nichts nachgegeben! „Der Mensch“ hat aber doch Recht; nur in der Fremde ist er er ; zu Hause muß er seine Ver- gangenheit repräsentiren: und die wird in der Gegenwart eine Maske; schwer zu tragen und das Gesicht verdeckend. — Be- schämen Sie mich nicht, werthe Frau von Steffens. Nehmen Sie mich, wie ich bin; und nennen Sie mich nicht geistreich. Erlauben Sie mir lebendig und beweglich zu sein; und Klär- chen und Sie herzlich zu umarmen, und Ihnen meine treue Anhänglichkeit beweisen zu dürfen: dann muß ich Ihnen danken. — An Ludwig Robert, in Paris. Berlin, den 19. September 1825. Die vorige Woche sah’ ich, wie alle hiesigen Einwohner, die Italiänerin in Algier; du weißt es, ich ging mit der gün- stigsten Meinung hin: für Rossini, für die Mimen, und Sän- ger; ganz unbefangen wenigstens. Solche reine Langeweile, bloß mit höchster Ungeduld bis zum Aufspringen — (wenn dies in den stuhllosen Hühnerbehältnissen ginge), habe ich meines Erinnerns beinahe noch nicht erduldet. Dies, bei oft mir laute Bewunderung entlockenden, vollkommenen Gesang- theilen. Fangen wir bei Dem. Sontag der Italiänerin un- ter den Barbaren an: Engländer erfinden gewiß nächstens eine Maschine, die so vortrefflich singt. Kein Fehlerchen! Überlegung des Effekts, wie nur bei Moscheles gefunden wer- den kann! Höchste Leistung des Kehlchens! Aber („die Aber kosten Überlegung, ich sage: sie sind auch deren Ertrag“) — auch nicht die leiseste Überraschung, nicht das sanfteste Fort- reißen, oder auch nur Mitziehen des geringsten — auch nur von der Kunstausübung selbst hervorgebrachten Affekts. Glück- lichstes Intoniren, immer fertig bereiter Ton der Kehle, ta- delloseste Ausübung, glücklichste Reminiscenz der Lehrer und Vorbilder, mit Intelligenz aufgefaßt, mit künstlerischer Ruhe bewundernswerth wiedergegeben! Leises Gehör! richtiges Hor- chen eigner Leistung. Aber, die Seele, die Leidenschaft, die wechselnde Gemüthsstimmung nicht mit aufgenommen, nicht mit angebracht. Also, der tiefbelebende Herzpuls fehlt: und so das, was leicht angebende bewegliche Kehle, lobenswerthe Überlegung, richtiger Unterricht, im Nothfall, ersetzt; oder vielmehr dies alles erst recht werth und wünschenswerth macht. Aber welcher Held wäre wohl der, der in unsrer gro- ßen Stadt, auf unsern großen Plätzen, bei unsern großen Thees, dies, unserm großen Publikum sagte! „Schweigen ist der Rest“ und schreiben: drum ich’s dir mein Freund — nach Frankreich. Es drängt die Brust das auszusprechen, was wir für wahr halten müssen, und worüber prachtvoller Wahn herrscht . Auch bin ich nicht ganz einsam in meinem Urtheil: drei Herren und eine Dame hab’ ich sogar auf meiner Seite. Es ist aber genug für mich, wenn sie nicht wie ich so gequält sind, bis sie in Worte gebracht, was sie meinen, um daß ich es thue, welches ich eigentlich gerne — je mehr je besser — Andern überließe. Auch mit dem Spiel der jungen Schönen war es nicht so, wie ich aus den paar Bewegungen und Mie- nen, die sie sehr schön im komischen Duett eines früheren Kon- zerts anbrachte, schließen mußte. Es blieb in der Rolle der Italiänerin in Algier bei diesen paar Bewegungen und Mie- nen, und das war durchaus gar zu wenig. Hätte sich das Körperchen ein Exempel an den Augen genommen, so wär’ es schon besser gegangen; die waren allen seinen Theilen und dem Ganzen im Spiel weit voraus; die ganze Person aber durchaus angenehm, und hätte sie noch weniger, das heißt; gar nicht, gespielt. Angezogen war unsre Schöne allerliebst: ganz exakt wie Französinnen, als sie noch in dieser Tracht gingen, welches nun unser Publikum wieder nicht goutiren wollte: es wäre nicht reisemäßig; so stiege kein Mensch aus dem Schiff — sie sind zu weit vom Meere! — Warum nicht? kann man fragen, und ich frage es mit. Ein blauer, von starkem Seidenzeug schön gemachter Überrock, ein weißer, voll- kommen modischer Hut, mit wohlangebrachten Maraboux; Schuhe von der Farbe des Kleides auf dem wohlgebautesten Fuß: welches Lob man den Schuhen selbst auch geben kann; die weißen Hände in weißem Handschuh hielten das schnee- farbige Batisttuch. Das Ganze vollkommen Dame. Nicht vortheilhaft war ihre Kleidung als Türkin. Zu viel Silber darauf verstreut, welches kein Ganzes bilden wollte: dies noch dazu auf roth und weiß, welches sich zu oft abschnitt und unterbrach: von der Fußspitze bis zum zweifarbigen Turban, immerweg so; keine Fresko-Masse für’s Auge kam zum Vor- schein, der Kaftan von einem steifen Zeuge kurz geschnitten und dabei nach jetziger Mode, mit vielen Falten auf dem Kreuze, anstatt graziös flach, wie ein türkischer Schnitt exi- stirt, den man zur Abwechselung lieber hätte beibehalten kön- nen. Nichts weiter Asiatisches, ein wenig nur von uns Weg- versetzendes beibehalten! Das Ganze ein kleiner verwirrender Anblick. Das Letzte empfand ich selbst; die auseinandergesetz- ten Details, die du hier findest, gab mir eine Frau, die vor drei Wochen aus Italien hier ankam und Theater studirte, möchte man sagen. Dies nun, was hier steht, hätte mich nicht in die Ungeduld versetzen können, die ich dir äußerte; wohl aber das Ganze der verfehlten Aufführung. Man läßt es Italiäner-Opern nach, daß sie ein lockeres Gerüst für Scherz und Musik sind, welches Musiker und Schauspieler mit Lust und Liebe und ununterbrochener Beflissenheit ausfüllen. Wo soll man aber das Gleichgewicht finden, welches zum Anhören und Sitzenbleiben gehört, wenn ein solch losestes Machwerk von Deutschen in ihrem Idiom so aufgeführt wird, daß man jedesmal, wenn ein Musikstück anhebt, sich verwundert, wo das jetzt herkommt! So wenig wußten sie Alle — außer Spitzeder — einen Einfall des Komponisten vorzubereiten. Weder Ironie der Musik noch Munterkeit, noch eine der Per- son angemessene Schwerfälligkeit oder Leichtigkeit, Leichtfer- tigkeit; kurz nichts, nichts! Als ob sie’s gar nicht merkten, als ob dergleichen gar nicht existirte, als ob sie sich dessen schämten! als ob es nicht schon genug wäre, daß die Rezi- tative wegbleiben, und nur gesprochen wird; worauf Rossini gewiß doch keinen Anfang eingerichtet hat. Es ging so weit, daß sich viele Zuschauer wunderten, als gegen das Ende ein sonst ernster Dei eine mitgespielte komische Personage wird. Von einer Dame, die aus übler Laune, oder Nichtbeachtung gar nicht spielte, mag ich eben so wenig reden, als sie sich bemühte. Jedoch war dies in seiner Art komplett, wie wir Berliner sagen; und wenn man wieder zu Hause ist, werth, es gesehen zu haben. Die Herren Wächter und Jäger sangen gut. Der arme Spitzeder spielte ganz allein (und erinnerte sehr an Elleviou im Irato). Eine so völlig auseinander gehende Vorstellung, bei meist so gutem Gesange, kann man wohl selten zu sehen bekommen. Was die Ungeduld darüber steigern mußte, war der, ich möchte sagen Wiener Beifall des Publikums, welches mit der Schönheit, die der Gesang be- stimmt enthielt, alles mit hinunter schluckte und, in unver- dautem Beifalle sich selbst betäubend, wiedergab. Dem. Son- tag, wird behauptet, und sehr gerne glaub’ ich es, soll noch in ganz anderem Genre vortrefflich singen. Ich freue mich darauf. Den 25. September 1825. Wieso grade seit einer kurzen Zeit ertrag’ ich’s gar nicht mehr, in Gesellschaft zu sitzen, und das Nichts zu hören und zu behandlen? Wieso dies plötzlich? Aber wie alle Entwicke- lung: nur scheinbar plötzlich. Zu lange legte ich mein eigent- liches Interesse, mein wahres Ich beiseite: nun gebrechen mir die Kräfte dazu: und die Gründe, es zu thun: der Ertrag ist keiner; und da will man endlich die ungeheure Anstrengung sparen. Freundlich kann ich noch immer sein, wenn ich in der Lage des Zuhörens bin; aber da hinein zu gehen, wird mir zu sauer. Wieder, noch Einmal, aufhören ich zu sein: und belästigt zu sein, wird mir unendlich schwer. Alles schlecht ausgedrückt. Dienstag, den 30 September 1825. Mémoires de Madame de Genlis . Vol. VI. — S. 344. vertheidigt sie die Autorschaft der Frauen sehr gut: und macht auch dabei die Bemerkung, wie viel Talent über- haupt in der Welt verloren geht, und nur im tiefsten Keim bleibt. — Weiterhin fragt sie endlich: „Und die Frauen, so verschieden bei uns von denen der Wilden: sind sie wirklich das, was die Natur wollte, daß sie sein sollen?“ Ja, sagt sie: „parceque les sauvages ne sont que dans un état de dé- gradation et d’anarchie”, vortrefflich das Wort hier — „Dieu qui n’a rien fait en vain, n’a pas donné à l’homme tant de facultés intellectuelles pour que ces facultés admirables res- tassent enfouies; les développer; les étendre, c’est remplir le voeu de la nature: l’homme est évidemment fait pour vivre en société, pour avoir un culte, des lois, et pour cultiver les sciences et les arts. Chez les sauvages toutes les lois de la nature sont outragées, tous les droits usurpés au hazard, parcequ’ils y sont méconnus: ” wie einfach, pro- fund, glücklich gesehen und glücklich ausgedrückt. Sage man nicht, es sei oft gesagt! Welch ein großer Streitpunkt war das zu J. J. Rousseau’s Zeit und lange nachher: und wie oft noch jetzt alle Tage in allen Blättern wird dies noch im- mer besprochen, bloß weil es nicht so deutlich, kurz und faß- lich gesagt wird. „De profondes réflexions, l’expérience des siècles, l’accord unanime de tous les peuples civilisés, ont fixé les idées sur la véritable destination des femmes, et par conséquent leur état dans la société.” Wenn man für die Autorschaft behaupten könnte: man solle eine gute Schrift ehren und sich ihrer freuen, und käme sie aus einem Thiere oder einem Felsen; so könnte dagegen geantwortet werden: eine Frau aber, hätte die Welt noch so großen Gewinn von ihren Schriften, verfehlte nichtsdestoweniger ihre weibliche Bestimmung, und die Zeit, sie zu erfüllen. Zugegeben! und nicht einmal gestritten über diese Bestimmung: es verfehlen so viele Weiber ihre Bestimmung, daß es wohl wird mit ein- gerechnet werden können, wenn einige sie durch Schreiben verfehlen: und es wird noch Vortheil herauskommen, und viel von dem sonst nicht vergendeten Mitleid mit ihnen er- spart werden.“ — An Ludwig Robert, in Karlsruhe. Mittwoch, den 5. Oktober 1825. Lieb Röberchen! Hotho’s Ramiro kommt mir, wie ich dir schon Einmal schrieb, darum talentvoll vor, weil er, auf dem schlechtgewählten breitgetretenen Wege, doch immer, in Sprache, Gedanken und Wendung der Ansicht so aufduckt, daß er immer noch wieder unterhaltend und neu in dem ar- gen Genre wird; und dazu, glaube ich, gehört Talent. Da- gegen gefällt mir „Dichterleben“ von Tieck, in dem Almanach Urania, gar nicht, (und par hasard nannte ich sie hier neben- einander — weil es mit dieser Novelle gerade die umgekehrte Bewandtniß hat. Nichts von Religion, nichts von Jetztleben: also die Wahl höchst vortheilhaft; und gemacht, höchst schlecht). Wie kann ein so alter Kritiker und Würdiger so leichthin ar- beiten? In solchem Grade, daß ich das auf der ersten Seite merke. Der unschuldig sein sollende Page spricht in ungeschickt gewählten Ausdrücken des Dichters, riecht Genies wie Fouqu é ’s Pferde Heiden, in dem Zauberring. Der Wirth nennt den ar- men — hier armen — Shakespear eine stille Seele ?! („Liebe Seele.“) Dirnen betragen sich polizeiwidrig, was die am er- sten vermeiden, und dadurch denkt er sie zu karakterisiren. Wie würde man ohne ihren Namen, den er ewig wiederholen läßt, ahnden, daß das Stück unter Königin Elisabeth spielt, denn bis auf Burgsdorfs Zeiten herab haben die Dichter wohl nie so gesprochen als hier. Auch nicht ein Zug ist so, daß er Shakespear’n angehören müßte; nur die, welche Tieck gut kennen, erkennen sein Bemühen, ihn schildern zu wollen. Vor- züglich Eine Art schwebt mir vor, wie ich mir Shakespear oft denken mußte, und müßte. Er müßte ihn in kurzen sehr leb- haften Hin- und Herreden schildern, und die Andern müßten wider Shakespear’s Willen sich so stellen, daß er endlich aus purer Lust und Richtigkeit sie zum Narren haben müßte. Hast du das nicht oft bei geistreichen, und geistvollen, gütigen, aber alles sehenden Menschen bemerkt? und dergleichen hätte er anbringen müssen. Ein tiefes, endlich hervorbrechendes Gefühl und Einsicht für Recht, bei einem Vorfall , wo Andere lange matt schwatzten, und Hergebrachtes vertheidigen woll- ten; wo es aus alter Sitte unsittlich herging! He? Muß man sich einen Geschichtsbetrachter wie Shakespear nicht in seiner Jugend unter Bekannten so denken? Die Milde, die Ruhe, das Offne, und gewiß das Bescheidne, das von Un- schuld kommt, hätte er ihm lassen, und ihn ausdrücken lassen sollen. So ist die Novelle bis jetzt noch nichts; aber es sind so vortreffliche Stellen darin, besonders gegen das Ende, daß sie ganz von selbst rednerisch werden, was sonst bei mir ein schlechtes Lob ist, da ich keine Dialektik ohne Inhalt zugebe; weil jene keinen schaffen kann; was gewöhnlich angenommen wird, wogegen ich ein gewaffneter Feind bin! Die Dichter sprechen das, was ich meine: wenn auch unzeitig, so ist es doch an sich tief und vortrefflich. Das Ganze ist Tiecks alte Krankhaftigkeit; daß er die Welt nicht frisch in sich aufneh- men kann, und da er nun darstellen will, nur grübelt, wie Dichter und Litteratoren sie wohl gesehen haben; daher auch sein Ganz-sich-verlieren in Shakespear; und grübelt er wei- ter — daß ihm so leicht das Wirkliche auch zu einer Vor- stellung wird, die er überspringen könnte, und so sich alsbald unter Gespenstern findet; die aber auch nicht die Gespenster- Realität haben, weil auch deren Dasein nur von ihm ab- hängt. Mir ist er deutlich. — Börne ist mir auch, im besten Sinne, kein „Hoffmann;“ sondern einer unserer vornehmsten Geister, Geister, weil er eine unserer vornehmsten Seelen ist, und daher sein schöner Geist frei. — Morgens 5 Uhr, den 8. Oktober 1825. Alter ist immer ungerecht gegen Jugend; weil Alter wohl wissen kann, wie Jugend zu Muthe ist, aber Jugend nicht, wie dem Alter; und dies verlangt immer, sie soll das scharfe Tröpfchen Wahrheitsessenz schon destillirt besitzen, ohne je den Baum des Lebens, weder in Laub, noch in Blüthe, oder in Frucht erlebt zu haben. Dümmer und jünger kann kein Wik- kelkind sein! Glauben soll ihm die Jugend: eben das kann sie nicht: seine Falten sind ihr an und für sich keine Be- glaubigung. Das Alter thut sich auch dadurch kund, daß wir nicht mehr glauben, daß wir etwas bewirken, oder in der Welt ändern können. Diese Einsicht macht unthätig; und wir sind eigentlich viel länger fähig, als wir unsre Fähigkeiten ge- brauchen: es fehlt im Leben durchaus an neuen Einsichten und Entdeckungen: wir machen sie meist alle auf eine unverhält- nißmäßige Weise bis zum dritten Lebensjahre. Die Jugend hat auch darin einen Vorzug, daß sie umgekehrt meint, viel bewirken, und besonders, verändern zu können; und es ist so wahr, daß That nur wirkt, daß auch Jugend wirklich nur die Welt modifizirt; in ihr sind die erworbenen Einsichten der vorigen Generationen niedergelegt und angebaut; die ge- braucht sie frisch, und macht neue Umkehrungen darin. Bis vierzig allenfalls wirkt der Mensch selbst: nachher, wenn’s III. 15 Glück gut ist, seine Einsichten: d. h. Andre mit seinen Ein- sichten. — Montag, den 17. Oktober 1825. Saint-Martin bessert mich immer: er macht mich nicht besser, als ich bin, aber so gut, als ich sein kann. Ja, wenn ich nur an ihn denke. — Leute mit noch so geringem Grade von Witz und Einsicht wären sehr gut zu leiden, wenn sie nur nie etwas Uneinge- sehenes nachsagten: dies aber ist Prätension, Narrheit, Lüge; und die sind nicht zu ertragen. Angelus sagt: Die Einfalt schätz’ ich hoch, der Gott hat Witz beschcert; Die aber den nicht hat, ist nicht des Namens werth. Ich möchte gerne sagen: Die Dummheit schätz’ ich noch, die rein für sich besteht; Die aber Narrheit hegt, mit Recht zu Grunde geht. Sonntag, den 23. Oktober 1825. Abends 11 Uhr. A. Ich weiß gar nicht, warum X. sich vor einigen Jah- ren so zeigte, wie er that: eine Übereilung! Bei der besten Denkungsart, die er hat, hätte er diese Dummheit nicht nö- thig gehabt. R. „So ist es immer. Darin bestehen alle Dummheiten, die wir begehen; sie sind immer dümmer als wir.“ Washington Irwing sagt in einer Erzählung: „Mit mei- nem Vater war sehr schlecht streiten: er wußte nie, wenn er widerlegt war.“ Das ist wie mein: „Er hält eine Ausrede für einen Grund.“ Als ich eine Schönsprecherei des spanischen Ministers las: „Das ist accurat, als ob ich Graf Tilly hörte! Die schönsten Redensarten auf dem schwärzesten Abgrund: der kann damit nicht ausgefüllt werden!“ Alle Ausdrücke, die ihre Gegner gebrauchen könnten, wenden sie an, wie Waffen, die in ver- brecherischen Händen geschwungen werden; der Rechtmäßige muß sie doch erst niederschlagen, und ihnen ausweichen. Der beste Wille, die höchste Pflicht, die größte Kreatu- renliebe, wird in Anspruch genommen, wenn ein Armer das Wort sagt: „um Gotteswillen!“ Das soll uns immer er- schüttern. Oktober, 1825. Le Constitutionnel . Jeudi 27. Octobre 1825. „ Paris , 26. Octobre . Il est maintenant bien décidé que la société est en poussière: on nous le répète sous toutes les formes dans les journaux de l’aristocratie, dans les feuilles du clergé et du ministère. La vile poussière, c’est aussi le nom que l’on donne en Orient à la tourbe des esclaves. Les congréganistes de la trésorerie, les mains pleines de notre argent , nous disent avec un fier dédain, que nous ne te- nons plus qu’ à des intérêts matériels : que nous produisons trop. Il leur faut une France plus pauvre et plus aristocratique. La fortune ne va bien qu’ à eux , et, 15 * dans leur amour des richesses, il n’y a que du spiritua- lisme pur .” Dieser kleine Absatz ist wirklich die reine Wie- derholung dessen, was oft im Ernst gesagt zu werden pflegt. Die Einen sollen sich als gute Christen bezeigen; auf die Gü- ter dieser Welt verzichten: nichts wollen, als was die höchste sittliche Anforderung selbst will; Gottes Welt in Ehrfurcht da- hin nehmen; und die ist die, welche durch Gewalt und Gier den Andern zu Theil ward. Erfindungen, Studium, Fleiß aller Art, Arbeit und Bemühung, sollen ohne Emporstreben dienend verbleiben. Und das Menschengeschlecht soll sein wie Gartengewächse. Spargel bleibt ewig Spargel: und so wei- ter mit Rüben, Kohl und aller Art von Wurzel und Kraut. Dahin bringt es aber kein Krieg, kein Friede! Alle Menschen streben zu sein, wie es den Besten möglich ist: geistig und ma- teriell. Auch gelingt es dem Geschlecht, wenn es nicht ver- brennt oder verschwemmt, ganz gewiß, und die großen Fort- schritte darin sind bei jedesmaliger Civilisation zu sehen; bis ein Unglück kommt: dieses Unglück aber, käme es in aller Ewigkeit wieder, muß nie als ein Beweis angenommen wer- den, als müßten wir nun beitragen, daß nur ein Tausends- tel der Menschen leben, sein, und genießen solle; sondern umgekehrt! Wir müssen der unverstandenen Natur, die wider die menschliche agirt, entgegenarbeiten: diese unverstandene, weit entfernt, einen Beweis wider unsre Bemühungen abzu- geben, ist vielmehr ein Beweis, daß, wenn sie bis jetzt noch nicht beherrscht werden kann, unser innerstes, absolutestes Streben eben so wenig ausgetilgt werden kann. — Dies muß man denen antworten, die damit beginnen (weil sie in die Enge getrieben sind), daß die Geburt die erste That des Menschen ist. Aber auch diesen mystischen Satz zugegeben: ist sie eine That, so soll sie wie viele andere bekämpft werden, wenn dabei Unrecht und Nachtheil für die Andern ist. — Den 4. November 1825. Sonnabend, den 5. November 1825. Religion kann nur sein: Bedürfniß, Frage; Bedürfniß uns zu rel iiren; Antwort giebt Vernunft; die immer nur ent- scheidet, was Thatsache ist; sie ist Eins mit Thatsache: sie nur sieht sie ein. Welche Verwechslung! Nach so vielen Jahr- hunderten Sprachstudiums! An Wilhelm von Willisen, in Paris. Freitag Vormittag halb 12. Sonnenschein, aufge- trockneter Boden, Frühlingswetter, dem ein herbstliches Süd-Ost-Nord-West-Wehen doch nicht ganz fehlt; den 11. November 1825. alles dies in Berlin. Eben weil ich Ihnen gar keine Antwort schuldig bin, ist es möglich, daß ich Ihnen einen Gruß schreibe, — andre Briefe lass’ ich unbeantwortet; mein Bedürfniß nach freiem Handlen, aus wahrhaft mir angehörigen Motiven, nimmt zu: wie soll das werden? da mit jedem Tag Älterwerden die fatalen Bedingungen des geselligen Lebens zunehmen! — Seit einigen Tagen besitz’ ich Ihre beiden Briefe aus Nürn- berg und aus der Schweiz. Sie haben mir überaus wohl- gefallen. Voller Wahrheit: unschuldig gesehen. Die haben Sie für mich geschrieben. O! lieber Freund, so fahren Sie fort, so bestreiten Sie Ihre ganze Reise! Nur so ist sie werth, daß Sie sie machen. Streifen Sie alle angewöhnte, vorgefaßte Luxusm einungen — der in der ganzen Welt jetzt ohne wahre Wohlhabenheit wuchert, wie schlechte verderbliche Pflanzen — Landesgesellschafts- Kunstz unftmeinung, Reli- gionsmeinung — vom Blasebalg des Dünkels und der Unsi- cherheit aufgeschwollen — ab; werfen Sie sie weit weg. O! dann werden Sie alles so richtig sehen, so vortrefflich beschrei- ben können, wie den lieben verkannten Esel. Ohne allen Scherz, Von jeher hatte ich nur noch bei unsern ordinairen Vögeln ein solch Vergnügen, als ich eins empfand, wenn ich einen Esel sah: aber den Esel liebt’ ich mehr, er rührte mich: Vögel ergötzten mich nur, und ich wollt’ ihnen wohlthun, wie allen Thieren: sie gerne freilassen; gerne beobachten. Der aber emotionirte mich. Diesen Sommer hab’ ich in Baden-Baden seine persönliche Bekanntschaft gemacht, und bin viel mit ihm im Gebirge umhergeritten. Tausendmal besser als fahren. Er verstand mich gleich; ich ihn auch, Sie müssen wissen, ich bin der größte und ungeschickteste Poltron — und darum froh eine Frau zu sein —, als ich zuerst mich auf das Thier setzen sollte, und nun drauf war, mußte ich fragen, was ich nun thun müßte, um rechts oder links zu kommen?! Bald aber waren wir einig: er merkte mir alles, ich ihm alles ab: ja mir kam’s vor, er liebe mich. Wenn ich im waldigen duf- tenden Gebirge so etwas voraus ritt, war ich ganz tief in- nen überzeugt, so hätte ich sonst in Spanien unter schönen Umständen, schöner Begleitung, in guter Lage, geritten, und erinnerte mich jetzt nur daran! Sind Sie wohl solchem un- abweisbaren Wahnsinn unterworfen? Bei dieser Gelegenheit muß ich Ihnen auch noch sagen, daß ich überhaupt als Re- sultat, und letzten Punkt aller Anweisung meiner Untersuchung, endlich und immer nur gefunden, daß all unser — meines gewiß — Suchen nur ein Wiederfinden ist von dem, was wir schon wußten, waren, hatten. (Hier sind zwei Kinder gekommen mich zu stören: ich liebe sie zu sehr: sie sind herr- lich.) Ich nehme mit Saint-Martin an, oder vielmehr, mir ist einleuchtend: „daß wir einen entsetzlichen Fall thaten bis auf die Erde, die uns aufnahm; von dem wir uns aber gar nicht erholen, von dessen Zertrümmerung und Zerschmetterung wir uns nicht wieder zusammenfinden können: aber es sollen.“ Ein Sündenfall ist es bei mir aber doch nicht: ein Emanci- pirungsfall vielmehr: wie auch das Kosten vom Baume der Erkenntniß. Schrecklich! und alle Tage zu wiederholen. Ist ein Kind nicht unschuldig , wenn es etwas wissen will? Nur Unschuld darf gefordert werden: Heiligkeit ist glücklicher. Aber heilig ist nur Gott: darum unerreichbar; enthoben. Manchm al weiß ich einen Augenblick , was heilig ist: dann wieder nicht. Das, was gar nicht unheilig werden kann; ich habe schon ein paarmal ein Wissen, ein momenta- nes, ein Gefühl darüber gehabt, als wär’ ich für eine Sekunde dahin geschwungen worden. So viel von dem Esel: möchte ich sagen, wenn es nicht zu Jean-Paulisch wäre: und doch weiß ich — wie er — keine andre Wendung hier zu finden in der Geschwindigkeit. Wir beiden, er und ich, pfleg’ ich zu behaupten, können nicht schreiben. Von Peter Vischer bin ich auch so eingenommen; ich sah sein Werk in Magdeburg und das in Wittenberg: aber diese großen haben mich nicht so in die Seele gefreut, als ein Basrelief hinter dem Altar, in einem schmalen doch hellen Gang der Hauptkirche im letz- tern Ort. Gott und Christus krönen die Muttergottes. Die Wahrhaftigkeit, die Reinheit, das Menschliche da hineinge- bracht! Man möchte sagen, in Mensch übersetzt. Andere Übernatürlichkeit erkenne ich auch gar nicht an: denn sie ist gelogen. Gelogen bis zur neuen Existenz. Wenn die Künst- ler etwa mit dem hier zu leistenden Menschlichen nicht be- gnügt sein wollen, so müssen sie bis zu einer neuen Zeit lü- gen. Entweder: das eleganteste Menschendasein ausgedrückt, wie der Grieche: oder, ergebene, verständige Unschuld, wie diese Deutschen! Alles andere sind Nüancen, Stufen, Mittel- bildungen, Irrthümerchen, kleine Nationalkostüme der Seelen- regimenter ( des âmes enrégimentées, daß Sie mich verstehen!) Adieu bis morgen! — Nun ist morgen , Sonnabend. Trüb- lich graues, feuchtlich wärmliches Wetter, 10 Uhr morgens. Aber wie habe ich geweint! Dienstag wurde Goethens An- kunfts-Jubiläum in Weimar, von Hof, Land und Stadt — wahrhaft gefeiert. Das las ich heute ausführlich in der Spe- ner’schen — thun Sie das ja auch — und alle Schleusen meines gelebten Lebens öffneten sich, sprangen auf; alle Ehr- furcht in mir stand unterm Gewehr, alles was Dank in mir sein kann: gegen Gott, Fürsten, Erkenner, Menschenfortschritt, Gutes auf Erden, Freude seines Gedeihens, Freude über Ein- sicht in mir alles dessen, und über meine Nationalität, — die nur so mir ersetzt werden kann, — über mein Ure migran- tenthum, welches nur so irdische Verständlichkeit in mir er- langt. Aber auch brüllende — ich weinte mit Tönen, wie Wasser bei Schleusen lärmt — Thränen des Neides weint’ ich, und der Zerknirschung; und bat Gott, dies große Opfer mir ja anzurechnen. Ich war fern, die Goethen am meisten liebt: ihn seit dreißig Jahren vergöttert; deren Hofmeister, Freund, Vertrauter, Vermittler er ist: mein Hochbild: an dem ich meine Verkrüpplung messe; und durch den ich sie doch stolz ertragen gelernt habe. Welch’ elende, irreführende Worte sprech’ ich hier aus! Sie wissen es auch. Aber wie weiß ich es! Diesen Sommer wechselte ich Pferde in Weimar , als ich mit Geschichte dort erleben konnte, den Tag vor des Großherzogs Jubelfest, den ich persönlich kenne, welches Goethe feierte . Weiter sage ich nichts. Ich mußte. Ich reiste mit Varnh. und meinem Bruder. Ich äußerte meinen Wunsch gar nicht. So habe ich auch — ich hatte damals nichts mehr anzubieten — Gott in schwerer Krankheit Anno 10, die ich nicht mehr ertragen konnte, an- gelobt: „ich wolle auch Italien nicht sehn! Er soll mich los- lassen!“ Ich genas alsbald; natürlich. Und die Lust , Ita- lien zu sehn, war weg. Den Verlust aber ermesse ich so gut, als es einer kann, der Italien nicht gesehn hat. Hätten Sie so etwas von mir geglaubt? Ich wollte, Sie hätten eine Stelle gelesen, die ich einmal dem Grafen Custine über Gebet schrieb, — da würden Sie sehen, daß ich doch nicht vernagelt bin. Diesen ganzen Thränen-Vorfall schrieb ich Ihnen aber nur, weil ich sie noch in den Augen hatte, und auf der Seele: und Sie hätten Sie doch, in dem was ich geschrieben, gemerkt, und unerkannt als Störung bemerkt; und ob ich dies oder etwas anderes aus mir portofrei herausschreibe, ist ja gleich! Diesen ganzen Brief schreibe ich auf letzte Veranlassung, näm- lich weil ich vorgestern bei dem hannöverschen Gesandten Ba- ron Reden den Hrn. von Wildermeth sah; der mir sagte, er sei an mich gewiesen wegen Ihrer zwei Briefe: ich sagte ihm ein wenig , wie ich sie fand. Da sagte er mir, neumodisch und ganz fertig: ja, er schreibt sehr gut: er sieht alles mit dem Verstand ꝛc. Meiner stand still; weil er kein Instrument bei der Hand hatte, einen Irrthum, so breit auf so verschiede- nen Fußgestellen ausgelegt, zu ergreifen; und sein (Wilder- meths) Menschenleben dazu gehört hätte, diesen Irrthum da- von abzulösen, und in alle vier Winde zu schicken. Vorher hatte ich Ihre Wahrhaftigkeit gepriesen: und mich dagegen präkavirt, daß es nicht, wie man es nennt, schöne Briefe seien; nachher konnte ich nichts mehr sagen, als: der Verstand schadet nicht; und thut dem nicht Schaden, was sonst schon vorhanden ist. Aber sie haben eigenst den T — im Leibe jetzt. Das haben die Neuphilosophen eingebrockt mit ihrer „sogenannten Vernunft,“ die sie belächlen, und mit einem neuen Organ, der Nasenspitze, weit über Vernunft, ihre Re- ligion riechen anstatt wählen. (Das Bedürfniß dazu ist ganz etwas anderes.) Hat Einer keinen Verstand, und sie müssens gestehen: so sagen sie gleich: er hat Phantasie. Mit- nichten! Es ist mit der Phantasie nicht wie mit Luft. Wo das Wasser weicht, dringt sie hin. Schreiben sie nur ferner: ist es für niemand; ist’s für mich. Und meinesgleichen: wir sind ihrer noch viele. Dann schreibe ich Ihnen noch, um Sie zu schelten. Ein Bösewicht sind Sie! Alle Menschen erzäh- len mir, und nun wieder Wildermeth, von Ihrer Munterkeit, Ihrem Lachen: und ich sehe immer nichts. Ich, die nur lebt von Lachen. Sie sollten sehen, wie wir bei Redens lachen. Hier ? still, still, still steht alles, wie Sie’s kennen. Eins fürcht’ ich nur: Ihre Zurückkunft. Sie werden denken, es müsse fortgeschritten sein; werden Meeresländer, Nationen vor den Augen haben; hoff’ ich wenigstens; und werden al- les Gewöhnliche, albernste Frauen, gewisseste Herren, und lauter Binnen-Ideen, und Stolz auf all dies wiederfinden. Reisen Sie! reisen Sie! Sein Sie ein glücklicher Fremder, den das Gute freut, den das Schlechte nichts angeht! Sein Sie ein freier Genießer, ein Gast, ein Unbekannter, ein Un- tersucher, ein Vogel in der Luft! In Baden-Baden hat man mir Sie, Ihre Munterkeit, Leutseligk eit, Geselligkeit , und den Grafen Yorck sehr gelobt. Meinem Bruder glaub’ ich. Adieu, lieber Freund! V. grüßt schönstens. Gehen Sie ja zu all meinen Freunden in und außer London: Mad. D. soll Sie mit Doktor Young bekannt machen. — Ich habe in Straßburg Mlle. Mars ihre beste Stücke gesehen: im Esprit Stube an Stube mit ihr gewohnt; und reizend ihre persön- liche Bekanntschaft gemacht; grüßen, loben, vergöttren Sie sie, wenn Sie sie sprechen. Ich sollte doch mit Ihnen reisen. In gewisser Art. — Steffens sind wohl: reisten in Schlesien, waren munter. Er hat die Vorlesungen nicht herausgegeben. Was nicht geschieht! und die Schätze im Meer! — Sonntag, den 13. November 1825. Der ist dumm in der Moral! Der rühmt sich Schlech- tigkeiten nach. Er hat einige große Grundsätze aufgeschnappt, die er dafür hält, und die er nie anzuwenden das Herz hat; man möchte sagen, nicht den Verstand. Den 18. November 1825. Es ist ein Wissen, und ein Sein, und ein Fühlen, und ein Haben, — welches ich manchmal ganz zugleich wie einen Aufflug fühle. Morgens 5 Uhr, den 1. December 1825. Einsicht ist frei: aber nicht der Wille. Das wird ver- wechselt. Was wir begehren müssen, ist ganz bestimmt in uns, das sind wir gleichsam selbst, davon sind wir gemacht: unser Wollen ist nur wie ein Gelenk, welches hierhin, oder dorthin gedreht werden kann; Einsicht kann nur freie Zustim- mung werden; Einstimmung zum Zwang: und so ist nur in Einsicht Freiheit für uns. An Fanny Tarnow, in Dresden. Dienstag, den 6. December 1825. Hier, liebe Fanny, haben Sie einen Brief, der Sie in Frankfurt am Main bei der vortrefflichsten Familie einführt. Die Familie Louis G. ist tüchtig, gütig, unterrichtet, unaffek- tirt, heiter, gesellig, freisinnig; antheilnehmend an allem Wür- digen und Lebendigen; behaglich, wohlhabend; kurz, eine solche müßte man suchen! Die Mutter eine edle Matrone. Was ich mir unter einer Bürgerdame denken kann. Ordent- lich weise; in ihrer einsichtsvollen Ruhe, in dem freiheitge- währenden Regieren! Voller Weltkenntniß, wovon nie ge- sprochen, und wonach immer ohne Unterbrechung gehandelt wird. Liebenswürdig in gediegenster Selbstständigkeit, weil sie auch alle andere Selbstständigkeit neben sich gedeihen läßt, das beweisen die lieben und doch sehr verschiedenen vier Töch- ter. Hr. G. ist in seinem reifen Alter ein guter junger Mensch von einem gesetzten Mann. Eine liebe, gesellige, wohlthuende Natur; ein englischer Mann, dem man es abmerken muß, was er alles weiß, gesehen, erlebt, gelernt hat, weil er es selbst nicht achtet, und nur Schritt vor Schritt alles, was ihn umgiebt, und sich selbst durch thätiges, aber stilles Wohl- wollen und Wohlthun erheiternd beglückt. Empfehlen Sie mich ja auch der ältern verheiratheten Tochter — auch eine Frau von G. — die drei unverheiratheten Töchter heißen Sophie, Rosalie, Klotilde. Eben werde ich gestört. In allen Fällen muß der Brief besorgt werden. Gehen Sie aber hin. — ( Mündlich .) Man sprach von der Begier des Menschen nach Erkennt- niß, und daß er von den verbotenen Früchten des Baumes der Erkenntniß durchaus habe fressen wollen. Rahel fuhr mit Eifer fort: „Der Mensch ist ein Geist; der soll nicht vom Baum der Erkenntniß fressen wollen! Wovon soll er denn fressen? Das wäre noch schöner!“ Ein Anwesender erinnerte zustimmend an den alten Spruch: felix culpa! Den 28. Januar 1826. Anfangs März 1826. Der Unterschied von Religion und positiver Religion be- steht darin, daß die letztere ihr Prinzip in einer bestimmten Geschichte hat, und sich auf diese bezieht; und daß die erstere ihr Prinzip und ihre Beziehung aus aller Geschichte, und al- lem, was für Menschen von Geschehenem zur Erkenntniß kommt, findet. Die erste begränzt sich sogar in aller Zukunft. März, 1826. Komisch war er mir neulich in Mad. de Genlis Memoi- ren zu lesen, daß sie die Griechen tadelt, ihr Paradies bestände nur in einer abgeschmackten Promenade in Elysium. Sie könn- ten ihr schön antworten! noch außerdem, daß eine Promenade so gut, als jedes, alle Seligkeit enthalten kann. Charfreitag, 1826. Jede Wissenschaft ist ein abgerissener Strahl von der Sonne alles Wissens und Seins: ein Behelf, bis zu ihr zu gelangen, und unhinlänglich, nach seinem Ende zur Sonne, und nach seinem Ende zur Welt, wo Wissenschaft sich mit Wissenschaft verwirrt; und gearbeitet wird: wie denn wissen- schaftliches Arbeiten auf Ruhe abzielt, zu seiner Sonne, wo- hin wir auch nicht gelangen. Dies ist alles nicht zu läugnen. Alle Wissenschaften sind Eine, und durch jeder gründlichste Bearbeitung werden sie zu Einer werden. Das Wissen fromm- spekulativer Menschen ist, das alles in der Sonne, in Gott finden. Das Finden ist schon recht; aber das Erklären geht nur, ich möchte sagen, durch den Weg der Strahlen. Trost und Verlaß giebt die Sonne, wo wir an’s Unerklärliche kommen. An Ludwig Robert, in Karlsruhe. Berlin, Anfang Aprils 1826. — Ich schicke dir einen Brief Adem Müllers über seinen Freund Wiesel, dessen Tod ich ihm gemeldet hatte. Ich finde sehr gut, was er über ihn sagt, und wie er das Ereigniß ansieht. Ich hatte ihm nämlich geschrieben, daß ich dem un- heilbar Kranken täglich labende und erwünschte Speisen aus meiner Küche zuschickte, vier Treppen hinauf, die ich leider nicht steigen konnte, und wie er dafür sich dankbar und ge- rührt erwiesen. Auch daß seine dicke Haut mich schon längst nicht irre machte, ein doch gutes und gewöhnliches Menschen- kind in ihm zu sehen. Sein sogenannter Atheismus erschien mir von jeher eine Kinderei, erfunden, um andren Kindereien Trotz zu bieten. Wenn er seine Gottheit ganz in wüste All- gemeinheit des Gedankens hinaus- oder in die Fülle der Na- tur hinein-demonstriren wollte, machte ich ihn gleich lachen, wenn ich ihm nach meiner Art unbefangen einwandte: „Nun, lieber Wiesel, zu dem Gedanken und zu den Gliedern wird doch ein Kopf sein müssen!“ Hingegen zwang auch er mir noch in seinen letzten Tagen ein Lächeln ab, als er mir Dank- worte auf einen Zettel schrieb, und darin sagte: „Das Schick- sal vergelte es Ihnen!“ — weil er „das Schicksal“ sagte; als ob der liebe Gott nicht klüger wäre, und nicht auch un- ter diesem Namen seine Gebühr annähme! — Ich rechne Müllern seine einsichtsvolle Milde und sein hoffendes Ver- trauen hoch an. — Anmerkung . Dieser sehr mittheilenswerthe Brief lautet vollstän- dig also: Leipzig, den 31. März 1826. „Hochverehrtesie Freundin! Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für Ihr freundliches Andenken an mich, bei dem Tode des Unglücklichen. Diese Rechenexempel sind also abgeschlossen, diese Weissagungen verstum- men; sonderbarerweise wurde der, der nach Wiesels Kalküls schon zur Zeit des Kongresses zuerst zu Grunde gehen mußte, der Kaiser, grade am Tage vor Wiesels Tode von einer wirklichen Todesgefahr gerettet. Dennoch rührt mich dieser Fall sehr. Sie nennen sein Unglück seine dicke Haut , und es ist wahr, innerlich war viel Schönes und äußerlich hat ihn viel Ausgezeichnetes berührt; doch hat beides nie zusammenkom- men können. Dazu waren auch seine Augen zu scharf, kein geringes Unglück für den, der sie hat. Farbe und Lichtton verschwanden; er sah nur die Unterschiede und Umrisse der Dinge, und da war dann Rechnung und Zahl bald zur Hand. — Ich verliere viel an ihm; er ersetzte und repräsentirte mir nicht nur die ganze liberale und demokratische Welt, und überhob mich nicht nur der Mühe die Journäle und Bücher meines Gegenpart zu lesen, sondern er trieb das alles auf die rechte deutsche Höhe, bis zur Läugnung des persönlichen Gottes, zur Behauptung, daß alles Unglück in der ganzen Weltgeschichte aus dem Glauben an eine persönliche Offenbarung herrühre. Drei Stunden hindurch habe ich ihn einmal über letztern Punkt auf meinem Zimmer mit wirklich teuflischer Grazie und Sachkenntniß rasen hören. Und doch war in allem und un- ter allem wieder lauter Selbstüberredung, schwaches Liebesbedürfniß, Advokatie der Armen, Entbehrungs- und Aufopferungsfähigkeit, sieben- monatliches Leben mit 80 Thalern und von bloßen selbstgefangenen Hech- ten und Kartoffeln, und die Unfähigkeit nicht bloß zum Verrath seiner Freunde, sondern selbst der verhaßtesten unter den Aristokraten, wenn nicht nicht etwa die Geldnoth allzu groß geworden wäre! Ich glaube, daß die göttliche Barmherzigkeit ihre größten Wunder für die letzten Augen- blicke des Menschen vorbehält. Vielleicht ist ein Strahl des ewigen Lich- tes besser durch die halbgeschlossenen, als durch die noch offnen Augen gedrungen. Wie die absurden Räsonnements eins nach dem andern aus- löschten, mußte doch etwas übrig bleiben; vielleicht war es der Trost dessen, den er sich sein ganzes Leben hindurch ein dummes point d’honneur gemacht hatte nicht anzuerkennen, und der am besten wußte, wie er zu dieser Albernheit gekommen war. Doch zu den Lebenden. Sehn wir uns diesen Sommer? Ich kann noch nicht nach Berlin kommen, und fühle, wie sehr mich erfreuen würde, Sie und Varnhagen irgendwo zu begegnen. Nicht bloß weil Sie Beide einen so schönen Nachruhm bei den Meinigen zurückgelassen, was freilich eine wesentliche Mitbedingung aller Wünsche eines so eingewachsenen Hausvaters ist, wie ich bin; sondern weil ich glaube, daß Varnhagen einer der berufensten Menschen unsrer Zeit ist, und der Sache nicht ent- gehen wird, die seiner bedarf. Glauben Sie nicht, daß die Biographieen und der vortreffliche Aussatz über den Tod Alexanders mir viel Neues über ihn beigebracht. Ich habe es längst anerkannt, und nicht gesagt, weil er mir persönlich unangenehm d. h. zu schroff und zu steil war. Nun, da es anders ist, möchte ich ihn ganz leiden können. Darum wäre es gut, sich bei schöner Sommerszeit irgendwo im Grünen auf ei- nige Tage zu treffen. Lesen Sie doch einstweilen die trefflichen Aufsätze von Görres in ei- nem Journal, das der Katholik heißt und in Straßburg herauskommt; in den letzten 13 Heften steht vieles glänzend und gründlich Schöne; nicht Sie zu bekehren, aber um inne zu werden, wie mir zu Muth ist. Ihr sensitives und sibyllinisches Wesen wird sich in Görres leichter zu finden wissen. Auch dient Ihnen zum Antrieb dieser Lektüre, daß Gentz davon bezaubert ist. Mit der Ihnen bekannten, langjährigen Verehrung Ihr gehorsamster Adam Müller. Ich möchte wissen, was Ihr Herr Gemahl zu dem außerordentlichen Phänomen von Lingards Geschichte von England meinte. Den 29. April 1826. Es ist nicht nur das eine Idee zu nennen, wenn wir mit unserm Geiste bis an die letzte Gränze unseres Erschauens ge- langen; sondern jedesmal das, was wir in einer verständniß- III. 16 vollen Gesammtheit erfassen; und dann erst erschaffen wir, gleichsam durch unsre eigne Thätigkeit gott-ähnlich, Ideen; die wir, wenn wir nur bis zu unserm Ideen-Schema hinge- langt, nach dem auffassen. Jedesmal wenn wir einer Gruppe von Gedanken Zusammenhang abgewinnen, haben wir eine genialische — heißt schöpferische — Handlung verrichtet; und je richtiger, und genauer diese war, je mehr wird ihr Ergeb- niß zu allem, was wir schon wissen, passen; und dies ist die Probe von dem, was wir Wahrheit nennen. Sonnabend, den 13. Mai 1826. Als Frau von Arnim bei uns war, und über vieles viel und schön sprach, sagte sie auch: Beim Einschlafen könne man dem Geist eine Art von Weg vorschreiben und gleichsam Re- gionen anweisen; hätte sie lange versucht, und auch in Plato bestätigt gefunden: da erinnerte ich Varnhagen, was ich immer sagte: Im wahren festen Schlaf ginge die Seele zu Hause; sich stärken; sonst hielte sie’s nicht aus: das sei ihr verspro- chen. Sie badete sich in Gottes See. Frau von Arnim hatte auch geklagt, daß so viel Talente und Thätigkeiten im Menschen wären, die nicht in Anspruch genommen würden, und nie zur That würden; man fühle das deutlich; und oft schmerzhaft — freilich schwieg ich. — Als sie weg war, wiederholte V. das, und setzte hinzu: Das ist aber bei allen talentvollen Menschen, ja auch bei den anschei- nend Unbegabtesten; was schlummert nicht alles in jedem! — „Ja, sagte ich, es muß so sein; es ist wie Öl auf der Lampe, so wie es weg wäre, ginge das Licht aus; aber es muß mehr Öl da sein, als die Flamme braucht; der letzte Tropfen am Licht muß von den andern getragen sein.“ Und nach einer nachdenklichen, fast Schmerzenspause: „A—ch! es ist alles richtig, wir verstehn’s nur nicht!“ V. wollte das aufgeschrie- ben haben. Er hat Recht. Selten wohl ist eine solch innige Mischung von intellektuellen, allgemein-tiefen Gedanken, und tiefster Trauer, mit ihrem wahren Grunde, zugleich ausge- sprochen worden. — ( Mündlich .) Ein Musikstück, von Felix Mendelssohn-Bartholdy groß- artig gesetzt und meisterhaft gespielt, gefiel Rahel außerordent- lich; sie ergoß sich in Lobsprüchen: „Ein gebildeter Sturm- wind,“ sagte sie unter anderm. Den 13. August 1826. An Leopold Ranke, in Berlin. Dienstag, den 15. August 1826. Sie haben mir ein großes Vergnügen verschafft. Dies möge Ihnen der beste Dank sein, den ich Ihnen geben kann. Welch schönes Gedicht! Es bewegt sich aber auch schon in einem Gedichte, und kann nur Stoff ergreifen aus Dichtung überhaupt. Ist verliebte Liebe nicht schon ein Gedicht und nur darum ewig wiederholt, weil wir ohne Dichtung nicht leben können, mit dem Leben nicht auskämen? So sind mir auch die vielen Blumen und Edelsteine nicht zuwider, die 16 * schon in der hiesigen Natur wie aus einer andern Welt nie- dergelegt sind, und das richtigste Spielwerk — dies Wort im buchstäblichsten und edelsten Sinn — für uns sind und bleiben: Werkeltagsnaturen geht der Sinn dafür ab: ja, er ist das Maß, wonach sie auf- und abwärts geschätzt werden können. Mich entzücken, und beschäftigen sie ewig. Dieses indische Gedicht hat im genauesten Sinn einen Gedanken in mir erweckt, über dem nur noch ein Schlummer waltete; es ist einer über Geschichte — und was wäre nicht Geschichte am Ende, — ich denke nämlich, es giebt zwei Arten Natio- nen, vornehme und andere. Vornehm sind alle die, deren Entwickelung auf einem Wahn beruht; einem mythologischen, religiösen, selbsterfundenen, dichterischen. Seien auch solche Nationen in noch so befestigten Kasten abgetheilt; die letzte, niedrigste, schaut doch durch alle über ihr hindurch nach der höchsten, und partizipirt davon in ihrem Unglück, in der nie- drigsten geboren zu sein. Das Leben solcher Nation bezieht sich nicht mehr auf die Nothdurft, deren vernünftiges Produkt Nützlichkeit ist; und auf Vernünftigkeit, die uns ergeben macht, die Schranken anzuerkennen. Ist es nicht besser, in Spiel und Wahn hier zu leben, da wir keins und keinen zu erfin- den vermögen, der ganz vernunftlos wäre, und so der Ver- nunft näher zu kommen; als in lauter Nutzen und Zweck uns zu bergen, und dadurch zum Wahn und Spiel zu ge- langen? Das darf man natürlich keinem Narren weiß machen: aber die Nationen sehe ich so an: die nie als solche über sich klar wissen, und sich ihren Platz anweisen können. Welch herrlich Spiel in dem Gedicht! unter Blumen, Steinen, Liebe, Sternen. Was wollen wir denn am Ende? Erleuch- tung: weil wir nicht erleuchtet sind; und Fragen zu thun haben: ist nicht der Zustand, wo sie beantwortet sind, der schönste? und wo wir spielten und schafften: und, in Erman- gelung dessen, solchen voraussetzen, ist dichten. Sehen Sie, so schrieb’ ich, wenn ich mich gehen ließe: darum schreibe ich nicht . Ich denke ganz umgekehrt von allen Leuten: und alle Tage umgekehrter. Aber so selten Sie mir ein solches Gedicht mittheilen können, so oft darf ich Ihnen auch so schreiben, und meine innersten Gedanken zeigen. Sie sollen nächstens indische Bilder sehen; ganze Gestalt, aber nur wie dieser Bogen groß; die werden Ihnen dies Ge- dicht völlig ergänzen: ich verstand es besser daher. Frau von Helvig ihr Vater hat sie aus Indien mitgebracht. Adieu. Sie kommen bald, baldigst . V. will das Gedicht nun auch erst lesen; ich gedachte es Ihnen jetzt mitzuschicken. Ich hätte noch lauter Erläuterungen für meine Meinung, aus des Besten, Goethens Gedichte geben können. In seinem erhabensten, Iphigenia, mußte er in die Fabel gehen: sein nationalstes, Hermann und Dorothea, können nur edle biedre Gesinnungen sein; und nur, als Schmuck, der drauf sitzt: schöne Naturbilder; und die sind? Blumen, Pflanzen, Liebe, Witterung. Und so könnte ich alle unsre Dichtungen durch- gehn. Erzeigen Sie mir die Ehre, mit mir zu streiten. Sommer, 1826. Eine Sache wissen, ist mehr als sie sein. Darum können wir Gott nicht wissen: und nur insofern für uns sein, als wir von uns wissen. An Rosa Maria Assing, in Hamburg. Berlin, den 17. August 1826. Meine theure liebe Schwägerin! Liebe arme Rosa! Was hilft es Ihnen, daß mein Herz, mein wirkliches auf der lin- ken Seite, wie von einem Dolch getroffen ist! Könnte ich Ihren gerechten, herben, bittern Schmerz dadurch lindern! August seinen! Und doch, liebe Frau, arme liebe Tochter, waren Sie mein erstes Wort. Nichts hat Ähnlichkeit mit dem Verlust von Eltern. Ohne alle Empfindsamkeit, ohne allen Pakt noch Versprechung, sind sie unsre ersten, gewissesten Freunde. Wir setzen voraus, daß sie uns rathen, helfen, lie- ben müssen, und an ihrem Todestag nehmen wir diese große stumme Voraussetzung erst zurück, und erfahren dadurch, daß wir auf sie gelebt hatten. Keiner kann dies Herbste für den Andern abmachen! Ich habe es ganz empfunden, als ich meine theure Mutter verlor. Im Oktober 1809 war’s, und täglich spreche ich mit ihr! — ich habe ihr aufgewartet bis im letzten Augenblick. Was haben Sie jetzt ausgehalten, liebe Rosa! Manchmal ist dies ein Trost: wissen Sie also, Eine lebt, die all Ihren Schmerz, und ihn ganz kennt. Zu sagen ist nichts über dies große allgemeine Geheimniß. Nur an Weiterleben trotz ihm ist zu erinnren. Leben Sie gleich weiter mit Ihren Kindern und Ihren Blumen und Ihrem großen Freund. Das ist Ihnen Assing: und auch mir war er Trost, daß Mama ihn zum Freund und Arzt hatte. Leben Sie! das ist Mama’ens bestes Mausoleum und Anden- ken: und ihr bester Wunsch! Und Ihrer, für Ihre Kinder. Mein armer, tief betrübter, mehr als glaublich zerrissener August ist bei dem wohlthuendsten Sommerwetter, nach Regen, in’s Freie gegangen: ich konnte aus Anstrengung nicht mit: ich werde ihn und mich gesund erhalten. Thut das auch, liebe Kinder! Ach! wie leid, wie weh thut einem jedes, was man einem Gestorbenen nicht anthat!! Wir wollen uns alles zu Gefallen thun, alles verzeihen, so lange wir leben; und nicht allein gut, sondern auch mit Anstrengung noch besser sein! Heute mußt’ ich einen Gang ausgehen; und da hab’ ich auf der Straße alle alte Frauen beschenkt, die mir begegneten: in Mama’s Namen; und ich will es ferner thun. Das wird Sie freuen, liebe Rosa; auch darum schreib’ ich es Ihnen. Ich habe Varnhagens Brief noch nicht gelesen; nun will ich’s thun, er sieht diesen meinen nicht mehr: er geht zur Post, ehe er zurück ist. Ach! ich hoffe gar nicht mehr, daß Mama lebt! Gott segne sie; und euch! Wir wollen immer besser werden: sei dieses Unglück diese gute Veranlassung! Nicht wahr, liebe Schwester? Adieu. Ich weiß nichts Besseres. Ihre treue Fr. V. Ach! wie traurig ist meines Augusts Brief: so ist er. Liebe Freundin Rosa, gehn Sie, fahren Sie nur gleich in’s Freie. Ich lief auch auf’s Feld, wie meine Mutter todt war, und noch auf ihrem Bette lag. Gott wird Sie stärken: mit seiner ganzen Welt: mit der Welt in Ihnen. Ich umarme Sie mit weinenden Augen. 1826. Niemand ist gnädig gegen uns, als Gott und unser Ge- wissen. Weil kein Anderer uns und die Weise, wie etwas in uns vorgeht, kennt. Auch wir lieben nur die, welche wir ken- nen; und müssen Alle lieben, die wir kennen. Gehässiges bleibt uns immer fremd; und Tadel und Haß sind nur eine gehässige Bemühung und Probe zur Liebe; die dem leidenden sowohl, als dem thätigen Gegenstand derselben wehe thun; darum können wir nicht zart und behutsam genug damit umgehen: und wir lügen nicht, wenn wir sie verbergen, und diese Versuche so zart anstellen, als der weise Arzt die Werkzeuge seiner Kunst gebraucht. Überhaupt thäten wir gut, einander als erst Ge- nesende zu behandeln, da wir ja Alle erst die völlige Gesund- heit des geistigen Lebens zu erstreben haben. Welches wir immer vergessen. — Es giebt nur Verwunderung, aber keine Wunder. Alles, was endlich geschieht, muß geschehen können; also hört das Wunder auf mit dem Faktum selbst. — Wer sich recht besinnt; still und ehrlich in sich; muß ge- wahr werden: Es sei mit dem Ursprung und dem Auftrag der Seele wie es immer will, ihr sind Gränzen zugemessen, in denen sie jetzt lebt. Es fehlen ihr mittenin Stücke heraus, aus ihren Fähigkeiten; wie herausgebrochen. Beschränkte Farben; beschränkte Töne; beschränktere Antworten auf schon beschränkte Fragen, die sie sich selbst vorlegt, — und doch ein schwaches Wissen eines klareren Seins, welches uns wie gleich- sam wieder aus dem Gehirn entfällt, — daher Wunder; Wun- derbares; Voraussetzung aller Art; und die höchste: die eines absoluten Geistes, der Grund seines eigenen Daseins und Wirkens ist; welches wir selbst sind. — Das ist keine Kleinigkeit, die wir erfahren werden! Probe davon ist: Bewußtsein, unabläugbares Bewußtsein haben; wie schon jetzt. Logau: „Alten Freund für neuen wandeln, Heißt für Früchte Blumen handeln.“ Antwort: Kein Andrer kann mein Thun ermessen; Ich liebe Riechen mehr als Essen. Herbst, 1826. 1826. Ich sag’ es ja schon längst, daß mich bei weitem die mei- sten Geschichtschreiber rein ennuyiren; zu lesen sind fast nur kurze, ächte Chroniken, und schwatzhafte Memoiren. Solcher Mann in seinem Bücherzimmer hat sich nur mit dem bekannt gemacht, was diese enthalten: und was enthält denn am Ende ein Buch für den, der den Hergang des Geschehenen sich nur zusammen liest, und nicht sieht und hört, und das Drängen im Gedränge fühlen und sich abwehren mußte! Im Leben kommt wohl das vor, es ist wahr, was in den guten Bü- chern der Geschichte steht; aber in den besten Büchern steht nicht alles, was im Leben sich ereignen muß. Und gleich fehlt auch ein Mann, sobald er nur deßwegen handelt, um in den Geschichtsbüchern vorzukommen; und so ist auch das herrlichste Geschichtsbuch komplet leer für den, der sich nicht in der Welt selbst ersehn hat, was darin aufgezeichnet worden, und besprochen ist. Die Wahrheit dieser Behauptung wird ein jeder an sich selbst erprobt haben, der ein solches Buch zwei- mal liest; in der Jugend, und dann in vorgeschrittenen Jah- ren. Auch ist als Thatsache nachzuweisen, daß alle wahrhaft große, weiterlebende, auf die Nachwelt gekommene Historiker und Dichter mitwirkende Männer im Staate, und im Leben mit Andern vielverflochtene Menschen waren. Bloße Bücher- leute werden immer nur wieder zum Büchermachen gebraucht werden können; und am Ende ist ihr bestes Glück, einmal die Nahrung lebendiger, lebenverbreitender Menschen zu werden. Ich glaube nicht , daß Einer das Dasein der Griechen, Rö- mer, Indier, der Menschen des alten Testaments, versteht — kennt er auch die Zahl der Kapitel, Namen, Jahreszahlen, geographische Lage, Psalmen, Lieder und Sprüche ohne zu stocken auswendig — wenn er sich nicht ihr Leben aus un- serm übersetzt; und jene Schätze ganz in dem Schatz und Reich- thum des unsern gefunden hat, zu finden weiß; wie er fremde Sprachen auch nur durch seine jetzige lernt. Sprache und Le- ben ist nur Entwickelung der Mitgift; die alle Erdenkinder bis jetzt gleich zuertheilt bekommen. Wir können nicht Fra- gen genug an uns selbst stellen; das Beantwortete immer wie- der von neuem erwägen! Nur so schwinden alle vorgefaßten Meinungen, die sich polypartig immer wieder von neuem an- setzen; unverarbeitete Denkmaterie, unorganisirt wie die andere, aus Fleisch und Blut; wildes Organisiren, dem entgegenge- arbeitet sein muß. Nur gedruckte Geschichte studiren, ist ein solches wildes Gewächs! — An Ludwig Robert, in Karlsruhe. Freitag 10 Uhr Morgens, den 27. Oktober 1826. Frühlingswetter mit noch etwas Morgendunst. Levkoien, Stiefmütterchen, alles wächst im Freien, Wein- trauben stehn in Fässern auf allen Ladenstufen zu verkaufen, die schönsten ! die Erde wie im Sommer grün: Bäume blü- hen wieder; aber seit fünf, sechs Tagen fiel das Laub plötzli- cher; der Wind aber kommt nicht zwei Stunden von derselben Seite; ist oft von Süden kalt: Menschen, die krank waren, erholen sich schwer; ich an der Spitze. Gichtkranke Fäuste und Daumengelenke, beide Hände. Nervenirritation à outrance. Dies soll mich, und mein Schreiben; und was ich nicht schreibe, und meine Handschrift entschuldigen. Vorgestern, theurer lieber Freund, als ich deinen Brief erhielt, wollte ich auch eben schreiben: denn ich war den Tag eigends auf der Ausstellung gewesen — zum drittenmal; das erstemal sehr krank geworden, acht Tage zu Bette, drei Wo- chen zu Hause; das zweitemal einen empfindlichen Rückfall; jetzt, das drittemal, einen kleinen unangenehmen; der wieder geheilt ist, durch Klugheit und Diät: meine Ärzte — um Ri- kens Bild zu sehen, wovon die ganze Stadt, jeder nach seiner Weise sprach; höre nun die meinige. Es ist in vieler Hinsicht ein gelungenes, wünschenswerthes Bild. Ein Mahler, der eine so vollkommen schöne Person so ähnlich machen kann, reißt sich selber die Lorbeerzweige vom Baum, die man ihm flechten muß. Augen, Stirn, Haare, vortrefflich; Haltung, Miene! bei dieser bleib’ ich stehn. Wer solch vollkommenen Zügen die Miene abgewinnen kann, ist ein halber Künstler, wer sie wiedergeben kann, ein ganzer. Weil vollkommen schöne Gesichter beinah keine Miene machen können, heißt, die Züge bewegen, ohne der großen Harmonie zu schaden — erin- nerst du dich, wie Perregaux lächerlich aussah, wenn er lachte? bei seiner Antinous- und Medusenschönheit; ne riez jamais! sagte ich ihm; — daher auch nur Büsten in ihrer Schönheit ertragen werden können, und in der Natur hübsche Menschen vorgezogen werden. Rike aber hat eine Miene, die das Glück hat, ihr bestes Innere auszudrücken, es ist die Fest- haltung mannigfacher Bewegung ihrer Gedanken, und ihres Zumutheseins. Es ist der Moment, wenn sie etwa einer gu- ten, hübschen, geehrten Frau vorgestellt wird, wo sie auf- merksam, klug und unschuldig ihren Gegner — der gegen- über steht — betrachtet, zugleich weiß, daß sie betrachtet wird, und in kindischer Bescheidenheit ihr Bestes aus der Seele reicht, und doch fürchtet zu mißfallen, welches eine leichte, menschen- freundliche Scham auf das schöne Gesichte führt: dann ist sie schön, und äußerst hübsch; und diese schöne Miene, diesen herrlichen Ausdruck hat der glückliche Magnus mit seinen Au- gen abgeschöpft, mit den Kunsthänden auf die Leinewand ge- bannt. Heil ihm! das spricht für künftig. Sie hat noch ei- nen Moment zu Mahlen: den, wenn sie sibyllenartig aus- sieht, und mit keinem Menschen, keinem „Gegner“ zu thun hat, ganz allein steht mit ihrem angeborenen Muth — von der besten Sorte — zor nfertig , nur fertig, er könnte kommen, wenn er sollte — und allein mit der Natur, die sie wohl zu schauen, und ihrem Wesen nach, zu fassen weiß! Diesem Ausdruck strebte der Mahler nach, der sie hier früher mahlte; und war nicht schlecht: nur konnte er den Thiermen- schen, Haut, Haar, Knochen, Schatten, Licht, nicht so zu- sammenhalten, als schon Magnus. Mit der Nase aber hätte Magnus glücklicher verfahren können: ich weiß, auf die rich- tigsten, schönsten, fallen oft Schatten und Lichter, die ihr ihre Regelmäßigkeit rauben; das ist wahr; und schadet solcher Nase in der Natur nicht; den Augenblick nachher wendet sich der Kopf, und sie wird wieder vollkommen schön: weil aber ein Bild gefesselt ist, soll der Mahler auch lügen, um wahr zu sein: das ist seine Sorge, wie; zu Gunsten der Wahrheit im Nachbilden; er muß sie schaffen die Wahrheit, und ließ er einen, drei, vier wahre Schatten weg! auf die Gefahr, Schattenmesser tadelten ihn; kurz, die schöne Nase muß er mir zeigen, mit dem Pinsel keck lügen; oder eine andre Stellung wählen. Dies nur, obgleich hier mein Gegenstand, zum Exempel der Fälle überhaupt, wo gelogen werden muß, wie es — mein altes Exempel! — in Fresko so offenbar ge- schieht. So auch hat er Rikens Mund nicht ganz dargestellt, und der dadurch sehr an Feinheit verloren im Bilde: nicht aus Unfähigkeit; bin ich für mein Theil überzeugt, sondern aus Verführung; aus dem Irrthum, aus dem das Ideal ge- mißbraucht wird: das Ideal ist ein Maß, weiter nichts; jedes Produkt aber ein Wesen, mehr oder weniger sichtbar schön, und nach dem Ideale beweislich abzumessen; das Maß selbst aber bleibt wissenschaftlich-Lebendiges, hier aber als Todtes aus dem Spiele. Vielleicht sind Rikens Lippen nach dem Maße zu dünn: gut! der Geist ihres Gesichts braucht sie aber so, und hat glücklich auch sie sich so bereitet: das schien Mag- nus zu übersehn, und gab diesen Lippen nach einem Ideal etwas zu viel Fülle; und weg sind unserer Schönen ihre wahren Lippen, und deren Feinheit; dies von der Unterlippe hauptsächlich. Einem jungen Künstler, von seinen Meistern entzückt, kann das geschehn. Wie vortrefflich hat er die Haare gemacht; den Kopfputz behandelt! Wir sind nicht ge- wöhnt, die Person mit gescheiteltem Haar zu sehn: er hat es so wundervoll schön gescheitelt, und gelegt, und verziert, daß er alles, was dieses Haar leisten kann, zugleich geleistet hat; und wir sind Alle befriedigt: auch die Verwöhnten: die ver- gangene, jetzige, und künftige Mode. Die Miene aber dieses Bildes ist so vortrefflich, daß ich’s besitzen möchte — welches so selten bei mir zum Wunsche wird —, weil ich dadurch unsre Rike zehnmal des Tages lieben würde. Wenn sie diese Miene macht, berührt sie gradzu mein Herz: diese Miene spricht um einen Beifall an, den der innerste Mensch nie versagt; weil der beste innre ihn fordert. Bravo! Magnus! Schön gesehn. Stirne, Augen, Augenbraunen, vortrefflich. Es hängt auch Tizian’s Geliebte oben: die sieht Rieken sehr ähnlich: die hat mehr Fülle , mehr Weiches, aber weniger Geisterartiges. Der Geliebte, glaub’ ich, ganz im Dunklen, hält ihr den Spiegel. Ich werde suchen das Bild außer dem Akademiesaal zu beschauen: dort erkälte, und erhitze ich mich: und gestehe ich’s nur, noch habe ich’s aus Angst der Erkältung nur oberfläch- lich gesehn. Ich wünsche, daß du dieses mein Urtheil — aber wie es da ist, Magnus zukommen läßt. Es ist gut: weil alle andre so sehr schlecht, so gar nichts enthaltend sind. Wenn du es etwa anderweitig zum Druck verwenden willst, ist es mir auch recht lieb: nur bedinge ich, daß es Wort vor Wort so gedruckt wird, wie es hier steht . Ent- schuldige lieber seine Rohheit hintennach, oder vorher; als an einem dir zugekommenen kuriosen Produkte: nur lass’ es wie es gewachsen ist. Ich habe, lieb Brüderchen, heute deinen Brief noch Ein- mal gelesen, das zu Beantwortende angestrichen und numme- rirt: nur das Bild wollt’ ich erst zu Papier haben: leider aber, bin ich schon so erhitzt, und so zittrig, daß ich wohl ohne nachhaltigern Nachtheil nicht mehr lange werde schreiben kön- nen, und Varnh., der eben wegging, euch schönstens grüßt. und auch schreiben wird, — mich schon um Gottes willen ge- beten hat, nachzulassen. Noch etwas will ich schreiben, und dann wahrscheinlich dies mit noch einigen Artiklen morgen schon abschicken, und die andern je nachdem sie in ein paar Tagen fertig werden. — 1826. Das kommt davon, wenn die Aussprüche der Religions- vorsteher in Vernünftigkeit der allgemeinen Überzeugung so weit nachstehn! Daß jeder Schritt des besten Priesters im Sinn seiner Kaste ein falscher sein muß! So hat der Erzbi- schof von Paris bei Talma Besuche abgestattet, dem er doch den Ausdruck der seiner Überzeugung nach höchsten Nothwen- digkeit und gottbedürftigen Unterwerfung zu verweigern ein- stimmte, und hat erfahren müssen, wie der Sterbende und seine Freunde laut darthaten, daß sie das Verweigerte nicht bedürfen, wie das Angebotene nicht mögen und brauchen kön- nen. — Wenn nur ein Punkt Freiheit auf der Erde ist, wo Vernunft eingestanden wird, werden darf, so wird sie sich von da aus schon Platz machen, wenn es auch langsam ginge, und lange dauern sollte. — 1826. Dramaturgische Blätter, von Ludwig Tieck . Vorrede S. 14. „Wo Natur und Wahrheit in der Dichtung völlig mangeln, da kann der Schauspieler zwar überkleiden und verhüllen, um die Karikatur wieder zu einem Gemählde zurecht zu rücken“ u. s. w. — Nur der Bethmann schadete der ungezähmte Beifall, den sie in der Gurly z. B. erwarb, nicht. Die Rolle ist ein Unsinn, weil solch Mädchen unmög- lich ist, und doch gelang es ihr; „es“ als ein Unbestimmtes bezeichnend, ist ihrem Leisten besonders angemessen. — Und obgleich man sagen könnte, eben diese Rolle sei der wahre Beweis ihrer vielfältigen Talente für die Bühne, die zusam- men genialische Eingebung bildeten, so hat Tieck doch ganz Recht; solche Mißgeburten verführen die Darsteller, und sind sehr verderblich für ein Publikum. S. 15. S. 15. Die großen Schauspieler ahndeten nicht allein, daß durch den neugebrauchten Vers die Freiheit, in der sie sich bewegten, gehemmt werden würde, sondern sie fühlten, daß es selten der richtige Vers war, den man ihnen bot. Es kann bestimmt ein ganz zur Situation erforderlicher, in ihr gegrün- deter Vers nicht hindern. Allein zu leicht sind wir Alle mit einem dramatischen Vers aus Vorurtheil zufrieden. Das Vorurtheil besteht darin, daß eine Kunstform da sein soll, un- ter jeder Bedingung; da doch einen Karakter darzustellen in einer bestimmten Lage die erste vernünftige Bedingung zu ei- ner Zusammenstellung von Karakteren, und deren Handlungen zu Einer verschlungen ein Theaterstück ausmacht. Dies ist so wahr, daß die Bürleske auch darin mitbesteht, daß die Rede und der Vers öfters gezwungen erscheinen, und so der Autor willigend mitspielt: welche Thatsache umgekehrt dies eben bei ernsten Werken als ganz unstatthaft darthut. Wohl hat Schiller unsern Schauspielern unendlich ge- schadet; wenn er ihnen auch empor geholfen hat. Sage es Tieck nur dreist! Aber man kann so etwas nicht dreist sagen; nicht weil man als Ketzer verschrieen und angeschrieen würde: das wäre zu ertragen; nicht aber die Mißverständnisse und üblen Folgen, in den Heeren von ungehobelten Machwerken, die der Erste der Beste, nicht nur ein anerkannter Tieck, durch solch Wort hervorriefe. Schiller, wie gesagt, hat unsre Schau- spieler erhoben, aber nicht immer auf rechter Bahn: und dies eben gefiel dem Publikum und ihnen. Hätte doch Tieck dies Wort vor fünfzehn, achtzehn Jahren gesagt. Möglich war’s, denn ich dachte es; und vielfältig habe ich dies sogar geäu- III. 17 ßert. Es wäre sehr heilsam gewesen: wenn man auch sagen kann, es war ein Weg, den die Nation gehen mußte; sie wäre auch einen andern gegangen; und von dem hätte man eben so gesagt; und mir scheint, er wäre ein richtigerer gewe- sen, und warum sollte der nicht auch ein ergiebiger sein? — Ich las in einem aufgeschlagenen Werke: Gründe, aus welchen der Untergang der Römer hergeleitet werden sollte. Da fiel mir auf, was mir immer bei Ergründungen auffällt, die nicht bis auf den Urgrund alles menschlichen Strebens gehn: und mein Autor kam mir vor, als Einer, der Bewe- gung erklären wollte, und nun sagte: „Der Herr schickt die Bedienten; dadurch gehen sie.“ Winter, 1826. Montag, den 1. Januar 1827. Sprache ist die Mitte und Höhe alles Wunderbaren. He- gel sagt: „Willst du leben, mußt du dienen; willst du frei sein, mußt du sterben.“ Solche Worte lieb’ ich, die ein In- begriff sind: die ganze Gedankenfamilien enthalten; woraus sich, was noch gesagt werden möchte, von selbst versteht; wo- zu man alles gedacht und gelebt haben muß, was noch nach- her gesagt werden kann. Und dabei ist mir eingefallen, daß der, dem die wahre Kraft des Denkens oder Besinnens gege- ben wäre, auf ein Wort zurückkommen müßte, welches alles Wissen enthält, und alles erklären könnte. Dies ist gewiß „das Wort“ aus der Bibel, wovon so viel gesprochen wird! — Überhaupt — kann auch jeder an sich selbst sehn — wird nur viel gesprochen, wenn man das nicht sagen kann, was man sagen möchte. Deßhalb gefallen mir rednerische sich wie- derholende Bücher nicht, wenn sie beweisen sollen. Über Ludwig Roberts Macht der Verhältnisse . — Wir haben in unserer Sprache, in dieser ganzen Art, kein besseres Stück: und die Art ist ächt deutsch, und dienlich und richtig auf der Stufe, wo wir noch stehn — mit Europa zu- sammen; könnte man auch noch behaupten, — und es reicht mit den Verhältnissen, die es behandelt, bis an die äußersten hin, die die Gesellschaft der Menschen und sie überhaupt zu behandeln haben; und so ist es wohl wichtig und erhaben genug. Dabei hat es im Einzelnen sogar große dramatische Schönheiten. Als wo die Mutter zurückkommt; und end- lich , aus ihrer Verschüchterung vor dem festen Gemahl, und aus ihrer tugendhaft gemauerten Sitte heraus, gehandelt hat; und beim Fürsten war, zu spät das Herz gefaßt hatte! — höchst richtig und tief tragisch, eben weil es Werkeltag vor Werkeltag so geschieht, und doch in der Tiefe des Mu- thes, der alle Tugend ist, seinen Sitz hat. Ebenso, die Scene, wo Weiß am Fenster steht, den Obersten zum Schuß und zur Entscheidung erwartet, und die Sterne fest und lyrisch, und höchst natürlich , nur glücklich vom Dichter getroffen, anredet. Und so ist eigentlich der ganze Gang des Stücks gestellt: wie Räder greift’s auf die natürlichste Weise inein- ander: organisch richtig, lebendig und fortwachsend in seiner Geschichte. Irrthum gebiert Irrthum, Gräuel Gräuel; und 17 * reißt die besten Keime mit hin: muß sie verderben. Eine herrliche, sittengebildete, gelobte Familie; gelungen in der Weltlüge! würde nicht ein Zipfel verrückt von der geordne- ten Lüge, und entdeckte und erhöbe sich dadurch nicht die ge- mordete Wahrheit, die gestreckt als vermeinte Leiche schon lange zum Schweigen gebracht dalag: aber nun ihrerseits mordet, um sich Platz zu schaffen! Höchste Tragödie! Wenn auch „Schicksal,“ „Vergeltung,“ „Nemesis“ u. s. w. nicht ge- nannt werden, und kein Kostüm noch Alterthum herhalten und Respekt einflößen muß! Nicht zu gedenken, was der Dich- ter Negatives leistete: welche Leiden er uns ersparte; durch einfache, derbe, gute, geläuterte, fassende, wirkliche Prosa. Nichts Unnützes wird gesagt, nicht ellenlange Sentenzen; kein lyrisches Zuckerwasser von leerer Luft zu hohen Wellen ge- peitscht: kein Goethe, kein Schiller zum hundert- und tau- sendstenmal verkappt, und entstellt hin- und hergeschleppt, von einem treulosen Gedächtniß, welches der Dichter Werke nicht einen Augenblick vergessen kann; aber in keinem Au- genblick sich dieses Verfahrens erinnert ! — Donnerstag, den 8. Januar 1827. Freitag, den 9. Januar 1827. — Lies die Calderon’sche Tochter der Luft! Ein duften- des, regelmäßiges Phantasiegebäude, von farbigen Edelsteinen in unendlicher Himmelsbläue von Goldsonnenstrahlen durch- woben: von wo aus die dunkle Erde, mit Kampf, Krieg, Mord, List, Schwäche, Höhlen, Priester, Regierung, Ehrgeiz, Untergang — doch geschaut wird; von denen der Blick aber sich wenden kann; in Kunst und Göttersphäre. — An Rose, im Haag. Berlin, Freitag den 12. Januar 1827. 6 Uhr Abends. Eben die Lampe angezündet. Nasses, schneriges Kothwetter. Bücklings-Jungen schreien. Sehr windig. Vor Tische, 3 Uhr, schickte mir Moritz deinen Brief: es war höchste Zeit: denn grad heute fing ich an zu denken, ob du wohl krank seist, und dir wohl deßhalb Moritz Brief vor- enthalten wird! — Gott gedankt! du bist wohl: und auch ge- faßt. Das bin ich auch. Aber mein Herz-Schmerz, und mein Gram, und das Wiederholen aller Scenen, Mienen, Leiden, Worte, bleibt dasselbe. Mein einziger Trost ist, daß ich ihm alles , ohne Ausnahme alles, that und opferte, was nur in meinen Kräften stand: das Opfer bestand, in dem Rest meiner wenigen Gesundheit: meine Satisfaktion, nicht in einer Pflichterfüllung , sondern in der sichtbaren Sicherheit, ihn wirklich soulagirt, und ihm beigestanden zu haben. Mit Pflege aller Art, und Trost ; und muthigem sowohl, als zärtlich- stem Betragen. Er, der nie demonstrativ war, und immer weniger es wurde; und immer wortkarger: nannte mich oft: „treue Schwester; treue Seele!“ das Äußerste ! Ewig werde ich von seinen Leiden beleidigt bleiben; jedoch hatte er einen edlen Tod am Ende: er war nur Einen Tag mit Ohnmachten befallen: sprach mich noch um halb 4, war um halb 9 ent- schlafen. Alles, den ganzen Rest, mündlich! Physisch habe ich die Empfindung: als wäre ich eine Blume, eine Rose, und aus meiner Mitte ein Blatt gebrochen, und ein Stück des Mittelstücks: sie riecht, die Rose, sie ist roth; aber sie fühlt den Riß! So ist’s wenn einem Geschwister vorangehen. Das wußt’ ich nicht. Ich nenne es jetzt: Faserliebe. Es ist ein Geheimniß, welches wir von der Natur noch nicht wissen. Auch war er mein Spiel-Bruder: mit dem ich die Kindheit theilte; wirklich theilte . Damals war das so: wir mußten sie theilen; damit wir — in gewisser Art untheilbar würden; und bei mir ist es gelungen. Du hast vielleicht überhaupt keine Vorstellung davon — ich wußte es auch nicht — wie ich seit mehreren Jahren für ihn sorgte; Vor- und Nachmit- tag; und meinen Tag zum Theil auf ihn bezog. Mir selbst unbewußt. Ihm gewiß. Er nahm beinah nichts freundlich auf: man wußte nie, merkt er’s, hört er’s, will er’s, weiß er’s. Aber ich liebt’ ihn mehr, als ich’s noch wußte! — wenn ich ihn auch nicht immer approuvirte. Er betrug sich in der Krankheit herrlich! Muthvoll, anständig, duldungsvoll! was du willst ! Ich küßte ihm oft die Hände, die Backen: ich rieb ihn. Alles! Ich schämte mich keiner Liebe. Ich war bei allen Bädern: zwölf; oder vierzehn; ich weiß nicht; noch den letzten Tag vor seinem Tod. Beneide mich doch nicht, lieb Röschen! Vielleicht hättest du’s nicht ausgestanden; und Eine ist genug. Ich war grad hier. Gott wollte dies. Wie oft hatte ich mich sonst weggewünscht ‒ ‒ ‒. X. hat sich wie ein Gott betragen; und ihn beweint, und bejammert wie ich. Er schrieb auch hinter meinem Rücken Moritz. Kurz, sein Herz hat eine Umschaffung erlitten. Die Betrachtungen über jene Versöhnung sind unendlich: so hat’s kommen müssen? Nicht meine Schuld. Ich selbst, kann seit dem Juni fast gar nicht schreiben. Rheuma in den Händen, Igel u. s. w. Zweimal war ich in fünf Wochen, Ende Juli und im Sep- tember, zu Bette: in der ersten Zeit Markus noch einen flie- genden Besuch bei mir : das zweitemal, ich aus dem Bette zu ihm zurück; und sodann nur sparsam zu Hause. Nun war ich auch ganz weg, nach seinem Tod. Jetzt fahr’ ich aus, und lebe wie immer: heißt sehr still. Ich hörte vorgestern eine Händel’sche Musik. Josua. Sehr schön von der Milder. Ich weinte auch da. Was thut’s! Ich bin in Weinen alt ge- worden. Es wird schon recht sein. Gott ist klüger, als wir! — — Den Schmerz des Andern kann man einsehen; fühlen kann immer nur jeder auf seiner Stelle. Und so soll’s ja sein, bei der Personeneinrichtung! Ich bin aber ganz der Welt, der Erde, dem Nachdenken, dem Lesen ꝛc. wiedergegeben: mit dem neuen Riß in Herz und Geist. So soll es sein! Meine geringe Gesundheit hatte sehr gelitten: und die wird auch mit ihren Rissen, so weiter taumeln. Mir scheint endlich das Re- sultat des ganzen hiesigen Lebens für den Geist nur dies: — ich soll lernen, eine ganz andere Voraussetzung für die Exi- stenz überhaupt machen, als hier nur irgend eine zu ergrün- den ist. Und da ich sie gar nicht zu machen im Stande bin, so kann sie das Hertlichste, Göttlichste sein! Das ist mein Paradies, mein Himmel, meine Hoffnung, meine Zuversicht auf den Geist, der meinen schaffen konnte und wollte! Lauter irdische Worte indessen: bis wir das allerklärende gesunden haben! Bis dahin wundre ich mich über meine eignen Fähig- keiten, Wünsche und Bedürfnisse: das Bedürfniß zum Glücke — ist uns doch der höchste Bürge für dessen Existenz: und so auch mit unserm Schimmerchen von Vernunft. Den 23. Januar 1827. Spanisch . Wollte klüger sein, als Träume; Ach wie dumm war Rahlchen da, Nur die Träume waren klug! Außen ist man nur verwirret, Innen ist man klar und deutlich, O wie hatten Träume Recht! Könnten wir nur recht erwachen, Uns besinnen, Trug verscheuchen; Zu dem wahren Traum hinab! Alle Geister sind nur Träume, Träume Eines Geistes nur. Uns zurück in diesen finden, Ist Erwachen nur zu nennen; Oder auch: der schönste Traum. 1827. An Ludwig Robert, in Karlsruhe. Berlin, Freitag den 23. Februar 1827. Wenn es hülfe, möchte ich dir gar zu gern empfehlen: ärgre dich nicht. Es ist ja auch gar nichts. Nur das Ganze: daß Einer die Andern durch vorgeschobene Namen im Bocks- horn hat; was nun die vorgeschobenen Namen hält?! — und was für Glaubensmeinung, für Recht? — noch von Moses her, also von Ägypten her herrscht: die Episode, die einge- beizte, der Römer nicht mit eingerechnet. Die Jahrhunderte sind eine bittre harte Schale, in der das süße Thautröpfchen Einsicht in das Recht, welches allein der Rückweg zur Un- schuld ist, reift: zur sanften süßen Unschuld! nämlich zum Glück; zur Ruhe. Nicht weil die Unschuld verloren ist, ist das Glück verloren; sondern umgekehrt. Die Hindernisse sez- zen in den Fall von Recht und Unrecht: der ganze Fall ist die Erde; das Hier; und muß sich auf ganz unbekannte Dinge beziehn! Es fehlt durchaus ein Stück in allen Stücken . Daher Religion. Die Voraussetzung aus Noth, ohne Gedan- kenform: ein Wunsch! — im fertigen, für uns formlosen, nicht mit unserm Geiste zu behandlendem Herzen; welches den Geistes horizont belebt; daher ohne Geist und Herz kein Gemüth, und nur mit beiden zusammen eins. Nun noch ein Wort über Duvals Tasso. Du hast zwei Wesentlichkeiten von mir ausgelassen. Als du vom Goethe’- schen Duell sprichst, hast du nicht gesagt, daß es Antonio selbst ist, der da sagt: der Edelmann ist nicht beleidigt, der Mensch nur gekränkt. Welche Besonnenheit bis zur Hämisch- keit zeigt das in dem bildungsvollen, edelmännischen, reifen, nie ausgleitenden Benehmen; und wie das Gegenspiel eines Tasso! Dann, als du Athalie nennst, hast du nicht dabei ge- sagt, warum grad’ die aus des Meisters Werken genannt wird zum Gegenstück des genannten Werkes von Goethe. Weil beide die weisesten Stücke der beiden Meister sind. Mit Wohlbedacht gebrauchte ich dieses Wort, welches du noch etwas hättest erklären, aber nicht vergessen sollen. Wie es nun dasteht, weiß man nicht, warum man nicht eben so gut die herrliche Phädra nannte. Darum hast du wohl mein Epi- thet „Friedensfürst“ beibehalten: aber die vorhergehende Stei- gerung weggelassen, die allein diesen Gipfel nothwendig, also nur vollkommen vollständig macht. Du warst zu keusch, woll- test zu sobre sein, und wärst es nur erst geworden, hättest du den Muth gehabt weniger dezent zu sein. Jemehr überhaupt man sich über Dinge, über die Sache einläßt und ereifert, je weniger greift man seinen Gegner persönlich an: was man, von dem zu Sagenden über den Fehl in der Sache irgend wegläßt, klettet sich an die Personen. Jemehr Inhalt, und mehr Grund zur Diskussion, je besser. Daß es Personen sind, die doch einmal diskutiren müssen, tritt immer mehr hervor; die Personen immer mehr zurück: und alsdann wird per- sönlichen Anreden z. B. ihr herbster Stachel genommen; näm- lich alles Stumpfe; und er wird immer feiner, immer spitzer, und schmerzloser. Dies überhaupt und vorläufig. — Montag, den 26. Februar 1827. Viele Menschen, wenn sie ein für sie entsetzlich unglück- bringendes Ereigniß erfahren, sind nach dem ersten Schreck, und den ersten Schmerzäußerungen, ganz gesaßt und zusam- mengenommen: und andere sind sehr verwundert, wenn sie dieselben Personen später in Leidwesen, Traurigkeit, und Nach- spürung ihres Elends finden. Aber es kann gar nicht anders hergehn. Der Schreck und erste Schmerz ist nur Folge des Bewußtseins, daß wir nun eine ganze Masse sich folgender Schmerzen und Entbehrungen, zu tragen, zu leiden haben werden: wir können bei dem ersten Erfahren, daß dies jetzt unvermeidlich sein wird, nicht Einmal auffassen, was dies nun im Einzelnen enthalten wird; nach und nach, in Tag und Stunde stellt sich jedes Übel, jedes Entbehren, Vermissen, jede Lücke, Leere, jeder Verlust, als eben so viele persönliche Feinde ein, die uns martern, verspotten, unserer nicht achten, — das thut das Unglück, — uns aushungern, vernichten, zerstören, und wahrlich tödten; Leben abnehmen. Wer kann dies alles zu Anfang eines Unglücks ermessen! Den Schlag des Donner- steins fühlt man; nicht aber alle sichere Folgen der Zerstörung. Berlin, 1827. Es existirt ein großes Defizit. Wir sind abgeschnitten, und leiden Mangel. Und dieser Mangel drückt sich im irdi- schen Bedarf und Besitz noch Einmal aus. Es ist nicht ge- nug vorhanden für unsre Bedürfnisse: langsam schaffen wir es erst uns selbst, durch Anwendung des Gegebenen. Wir handeln sogar — möchte man sagen — mit Raum und Zeit: die Aufgabe eines Staats, sagt Fichte daher, ist die, den Bür- gern Muße zu verschaffen. — Im Denken nur sind wir schon von einander unabhängig; es kann Einer so viel denken, als nur immer möglich, ohne den Andern dadurch daran zu hindern. In allem übrigen aber muß Einer für den Andern leiden; Einer so viel als der Andere. Darein willigen, ist in’s Ganze willigen und einstimmen; das Leiden mindern; welches aus Mangel besteht. So können wir uns physische, und andere Schmerzen, deuten. Elemente und ihre Modifikationen kön- nen nicht in’s Organische kommen: physische Schmerzen; die Leiden, der Mangel, nicht richtig vertheilt werden: Seelen- schmerzen. Sie mit dieser Einsicht einwilligend tragen, mil- dert sie. Ich übernehme etwas in Gottes Natur, wenn ich leide: es wird wohl richtig sein; am besten, mildesten so: lin- dert sehr. An Henrich Steffens, in Breslau. Mittwoch, den 7. März 1827. 11 Uhr Morgens. Sonnenschein; ja, aber melancholisch ist er, so hell er auch macht: er erregt Vorstellungen, Erinnerungen, die er nicht erfüllt: durch die Scheiben die angedunkelten Dächer ge- gen erhelltes Blau zu sehen, ist schön; und das Ganze der Luft, der Helligkeit, zieht wie Lichter und Lüfte des erlösten Frühlings durchs Herz; denn, jede Jahr- Monat- und Ta- geszeit hat ihre eigene Proportion von Licht und Luft. Aber dies alles geht in unorganisirtem, formlosen, krampfvollen Wetter vor sich, wo eine Art Wind, wie ein toller böser Hund, bis tief unten gekommen ist, und die Erde mit seiner Schnauze gepackt hat und zaust. So ist er — hat man so etwas er- lebt ! — seit längerer Zeit, jetzt heftig kalt, wenn er aus Süden kommt. Seit mehreren Jahren giebt es nur noch er- löste Augenblicke , wo eine Jahrszeit herrscht, und frei ist, ohne bis in Minuten hinein mit — beinah allen — an- dern gemischt da zu sein, zu wirken und zu kämpfen. Ich bin der Kampfplatz, und meine ganze Lebenssaat ist endlich davon fast aufgezehrt, zerstört, und hin. Dies fühle ich viele viele Jahre nun schon mit gesteigertem Bewußtsein! Und nun, herrlicher „Arzt des Leibs und der Seele!“ werden Sie dies lange Datum verstehn und verzeihen. Auch wird es Ihnen erklären, warum ich nicht gleich nach Empfang Ihrer Ant- wort an uns schrieb, so nöthig ich dies auch hielt; so vorge- setzt ich es mir auch zum nächsten Tage hatte! Ich leide, und kämpfe mit allgestaltigem Rheuma, der in einem sehr rich- tig und fein organisirten Körper tobt und haust; wo er das all- und anstimmigste Instrument für seine Phantasieen fin- det: die nicht er, aber ich begreife. Nichts ist mir daher so wichtig, so gegenwärtig, als Wetter: ja, ich habe die Über- zeugung, daß diese Kunde bis zur Wissenschaft steigen wird: d. h. man wird ihren Zusammenhang mit allem übrigen Wissen rein darthun können: und ganz gewiß einst Wetter machen können, wie jetzt schon etwas Medizinen. Nun will ich, wie ich es immer mache, lieber junger Steffens, Ihren Brief Punkt vor Punkt beantworten, indem ich ihn wieder dazu nach und nach lese. Jung, ist ein Lie- bestitel hier. Wenn ich mir Sie im Ganzen, in Eins vor- stellen will: so habe ich eigentlich ein Herz zu lieben; eines, was jung, offen, lebendig da liegt; von keinem Gerümple der Jahre, oder Klug- und Weisheitseinbildungen verschüttet ist! — denn meines Bedünkens ist das Herz und die Sphäre, welche es belebt, bei Ihnen immer da, — frei ist der Weg von diesem gesunden Herzen nach dem Gebiete der Gedanken! keine Absicht, kein Plan ist gruft- und thurmartig dazwischen; und so muß ich Sie als einen jungen Freund lieben; da ich Sie so sehe. Dies ist schon die Antwort, auf das Wort, welches Sie aussprachen, daß Sie nie auf äußern Antrieb schrieben, daß Sie alles innerlich erlebt haben. Ich bin ganz beleidigt — verletzt, meine ich — daß irgend eine falsche Berührung Ihnen eine solche Äußerung über Ihr Wesen auspressen mußte, das nicht nur die freundlichen Seher von ewig her von Ihnen kennen müßten; sondern was gar nicht mehr in Frage gestellt sein müßte. Varnhagen — und auch ich — kann es gar nicht verschmerzen, daß er Ihre Rede am Grabe Blüchers nicht hatte, und nicht in seinem Buche hat. Welche Glorie, mit so bewährten Männern wahre Geschichtserzählung verbürgen und verschönen zu lassen! Welch Vergnügen, wahrheitslieben- den Nachkommen Zweifel zu ersparen, indem man ihnen ver- wahrt, was wissenswerth ist, und zur Klarheit beiträgt; und ihnen in Einem noch mehrere geschichtliche Geschenke zu ma- chen! (Ich habe Blüchers Leben noch nicht gelesen. Nur eini- ges davon während dem Druck.) Welche ganz herrliche Stelle steht von Ihnen da, in Ihrem Briefe, über Biogra- phieen, über Helden und Männer, und deren Geschichtsbehand- lung! Sie ist grundwahr: aber nicht wie mit Dinte, nicht nur mit Worten ausgedrückt; sondern wie Türken mit Blu- men schreiben, ist sie auch in lebendigen Naturgegenständen ausgedrückt. Sehr flüchtig, sehr schön, sehr gründlich! Ver- zeihen Sie, daß ich Sie so loben will. Loben ist mein drin- gendstes, innerstes Bedürfniß: mein Lob ist immer ein Beleg des Verstehns, und das halte ich für sehr nöthig. Nöthig überhaupt: und noch nöthiger, da ihn so wenige gern geben: da es fast so ganz unterbleibt; und ein guter Autor — es sei welchen Wirkens und Schaffens es sei — fast ganz einsam bleibt: und, wird er gelobt, nur von schuftiger Parthei; ohne Grund, ohne von ihm erregte Liebe, oder Verständniß. — Lieber, ehrlicher Steffens! Lassen Sie sich doch von keiner Kritik anfechten! — Bei Ihnen, der Sie aus innrem Grund schreiben, wie Sie selbst so klar und wahr zu sagen wissen, einem solchen kann man nur eine unwesentliche Kritik machen, eine, die nie dem innren Zusammenhang, Grund und Kern seiner Werke zu nahe kommen, nahe kommen kann; alles was man solchen Produktionen, wie Ihren, zu- und abwün- schen mag, ist Ihnen und Ihrem Werke unbeschadet, ab- und zuzunehmen, je nachdem man Sie überführt haben wird. Mö- gen die, die aus Plan und Absicht, aus Eitelkeit, Ehrgeiz, innrer Müssigkeit schreiben, sich ängstigen, was Akademieen, Gelehrten-Gruppen, Partheischwätzer von ihnen in den Blät- tern für Volk abdrucken! Hat man denn in mancher Leute Lobe nicht schon angefühlt, daß es gleichbedeutend mit Ta- del ist? Alles beides ohne Herzensblut, welches durch den gan- zen Körper muß und will und soll; ihn bedingt, und von ihm bedingt wird. — Sie haben nicht ein zu großes Thema, wie Sie sagen, in eine zu enge Form geschnürt. Laß sie brechen! Auch ein schönes Schauspiel! Sie können auch andre erfin- den, andre Formen: aber kein „leider“ soll Ihnen entschlü- pfen! — Lassen Sie ums Himmelswillen keinen Einfluß da- durch auf die Vorhaben Ihrer Arbeiten einschleichen! Auch in jedem Freunde stoßen wir auf Massen, die sich nie mit ihm, mit uns einigen wollen; die sind schon die Glücklichen, die Begünstigten, die solche Masse nur erkennen: machen Sie sich diesen Vortheil ganz zu Nutze! Umgehn, umfliegen Sie sie; gehn Sie nie heran, als an ein schon verarbeitetes belebtes Glied, welches mit dem Herzenskern in lebendiger Verbindung steht, sie umarmen zu wollen; wobei nur das harte Anstoßen die richtige Strafe des Irrthums, des Selbst- schmeichelns, zu gewinnen steht. Verzeihen, verzeihen Sie verehrter Freund, daß ich Sie belehren will! — — Sonntag, den 8. März 1827. Alle andere Bewunderte sagen freilich auch Wahrheiten; aber Goethe giebt Wahrheit; ein Ganzes, einen Grund ha- bendes Zusammenhängendes durch die Wahrheiten, die er sagt. Bei Jean Pauls Titan. Bei Jakobi’s und Wielands Briefen. 1827. Vernunft ist das Vermögen — oder besser ausgedrückt — die Regel in unserm Geiste, nach welcher wir jedesmal von neuem die Regel zum Verstehen erfinden können. — Das ist nun so zu verstehen: Vernunft ist eine Regel in uns, nicht die wir machen, wir besitzen sie nur leidend, wir finden sie in uns vor; wir gebrauchen sie nur thätig, als Maß. Sie ist außerpersönlich, sie ist ein Mitgift in uns, die uns antwortet. Die Vernunft antwortet uns z. B. auf die Frage: Was sollen wir auf unverständliche Dinge, als etwa zu einem Wunder, sagen? Da antwortet die Vernunft: Es muß eine mir unbekannte Regel geben, nach der auch die- ses ses zu verstehen ist, oder nach welcher das Verstehen unnöthig wird; also der Sinn jener noch zu erfindenden Regel ist schon erfunden; nur die Materialien dazu fehlen noch. Daraus folgt nun Demuth, Spekulation u. s. w. — (Mündlich.) Es war von Frau von Sta ë l die Rede; Fürst Kosloffsky meinte, sie sei im Grunde auch eine recht gute Frau gewesen, von ächter Herzensgüte; „Oh certainement, sagte Rahel, c’est là tout son esprit!“ Von Talleyrand wurde gesagt, auch er sei eigentlich gut- müthig; seine Eigenheiten abgerechnet, wie die Wechselwir- kung seines Wesens und der Welt sie ihm auferlege, sei er gar nicht böse; „Je le crois bien, sagte Rahel, il n’a pas besoin d’être méchant, la nature l’a été pour lui.” Mai 1827. Ostersonntag, den 14. Mai 1827. Vetter sagte einmal: Wen wir kennen, den lieben wir. Dies ist auch der Weg, wo das schwere Recht und Unrecht aufhört. Auch was wir kennen, verstehen wir; wir werden auch dies, gleichsam, selbst: und kennen seine Bedingungen des Seins. Das was wir recht kennen, sind wir selbst: Geist ist Wissen; was der durchdringt, ist er. Wir sind nur unvollständig, weil wir nicht alles von uns wissen. Durch Organisation weiß man; darum fürchte ich so sehr den unerganisirten Zustand. III. 18 Alles ist zu verstehn, und zu verzeihen, nur Bosheit nicht; sie ist das Gift in dem Gebiete der Moral; sich selbst aufhe- bend und zerstörend; nicht zum Erkennen. Gehört auch ge- wiß einer Welt an, von der wir gar nichts wissen, mit der wir in gar keiner Gemeinschaft sein können. Es bestehn ge- wiß Organisationen ganz im Großen, die noch nicht zusam- men-organisirt sind. Allmählige, richtige Übergänge in or- ganisirte — bereitete — Zustände, ist Glück; das Gegentheil Leid für den Geist, für die Seele. Sonntag, den 24. Mai 1827. Man spricht nur so viel, weil Reden nicht hilft! — Sprechen wirkt langsam, wie ein Geist in dem Chaos; bis er auf einen andern Geist wirken kann. Novalis sagt: „Nur Geister können gezwungen werden.“ Einer der tiefgegriffen- sten Aussprüche, weitumfassendsten, kinderreichsten. Den 30. Juni 1827. — Keine Schechner, keine Heinefetter hab’ ich gehört: wohl aber einen Halbgott von neapolitanischem Tänzer ge- sehen; Samengo. Der wie ein Merkur herab zu fliegen scheint, wie der sich etwa in Öde und Stille eine Nymphe hascht. Er flattert mit den Beinen und Füßen; bei ihm lernt man verstehen, was das Drehen bedeutet . Ein Erden- fliegen aus Freude der Überkräfte, des Wohlseins. Welch Biegen bei dem Drehen! Welcher Wuchs aus den Schul- tern! Wie verliebt, wie rücksichtvoll gegen seine Partnerin; wie stolz auf sie, wie neckend! Verhältnisse, Zustände werden ausgedrückt, nicht schwere Pas hergesagt und mit Füßen buchstabirt! — Hegels Encyclopädie. Ausgabe 1827. S. XXIX. „Daß die philosophische Wahrheit nicht etwas nur Einsames, sondern die Wirksamkeit derselben in allen Gestaltungen (rei- nern und trübern der Wahrheit) wenigstens als Gährung vorhanden gewesen.“ Die wird der Dümmste nicht los; ja, in den Dingen steckt sie. Geister erobern sie. — Ebendas. Anmerk. letzte Zeilen: Hier auf diesem Punkt paßt nur ein Geständniß: keine Sorte Erklärung. S. 13. „Theils sind die Anfänge allenthalben Unmittel- barkeiten, Gefundenes, Voraussetzungen.“ Die Leiter des Ge- dächtnisses weggezogen. — S. 14. Da aber hier „das In- strument untersuchen“ nichts anderes bedeutet, als erkennen, wie wir zu erkennen vermögen; so wird doch nichts anderes übrig bleiben, als das Erkenntnißvermögen untersuchen. Frisch drauf los zu denken, bevor wir diesen Prozeß unternehmen, dazu brauchen wir keinen zu ermahnen: das kann sogar nie- mand unterlassen. So bleibt doch nichts, als mit Fichte’n anzufangen; nämlich mit der Frage: Wie find’ ich mein Ich vor? — S. 31. „Ich ist in sofern das ganze Abstrakte, das abstrake Freie.“ Reiht sich hinauf, an das Gewiß-Freie, sich selbst und seines Daseins Grund Fassende. — 18 * Sprüche . 1. Du sollst nicht rechten und richten; Du wirst es doch nicht schlichten. 2. Die Welt ist reizend, viel zu lieben drin. Sich damit begnügen, ihr innerster Sinn. 3. Mit Liebe willst du die Welt umfassen? Du kannst es nicht: sie will sich gar nicht lieben lassen. 4. Mögst du dies nie verstehn! Dir heil’ger Jugend Irren nie vergehn! 5. Vergeblich ist der Wunsch, der Gegen! Lebst du, mußt du durch alle Welten dich bewegen. 6. Von hohem fremden Geist sind wir bewegt. Und unser ganzes Dasein so erregt. 7. Wir können uns nicht selber fassen: Ergeben müssen wir uns gehen lassen. 8. Wenn auch das Ganze wir nicht verstehn; Desto mehr wollen wir auf nächste Schritte sehn. 1827. An Fräulein von R., in Dresden. Sonntag, den 12. August 1827. Wolkiges Wetter; bald Sonne, bald nicht: nach vor- gestrigem heftigen Gewitter, mit größtem Regen, nach elektrischer Glühhitze. Stark-thauige Herbst- abende: streng-kühle Nächte. Alle Menschen müssen sich sehr in Acht nehmen. Wie könnte ich anders für Ihren treuen Brief, wahrhaft verehrte Freundin, danken, als mit allem was ich von Ih- nen weiß, halte, und in mein Herz geschlossen habe! Ich hatte Ihnen schon gedankt: für alles was von Ihnen kom- men kann, ja, kommen muß. Es ist keine Kleinigkeit! Nur die besten Menschen sind exakt. Nur die Besten wissen, daß das höchste gereinigte Erdendasein bedingt ist; nicht bestehn kann, ohne höchste Ordnung des Einrichtens der gewöhnlichsten Dinge, und Umgebungen; und daß nur dadurch die uns ewig unbe- greifliche wie unwiederbringliche Zeit ökonomisirt wird: nur die besten Menschen unterwerfen sich diesen Bedingungen: die einz ige Art, diese — Erdfeinde — zu umgehn; noch mehr! wir können schon die, welche sich dem unterwerfen, und sonst nichts aufzuweisen haben, zu den Guten rechnen. Schauen Sie nur, wie selten Vernünftig-Praktisches anzutreffen ist! Hiermit hört alles Schwerfällige dieses Briefes auf: ver- spreche ich wenigstens. Nur ganz in Ihrer Nähe wohnen zu können, kränklich wie ich bin, kann mir Dresden versüßen und anlockend machen. Ich müßte in Ihrem Salon, in Ihrem Garten, oder auf Ihrem grünen Hof still und stumm wie ein Hausgenoß sitzen können, und meine Seele — der Rest geht oben ein — auf Ihren Lorbeern ruhen können. Da nur wür- den meine erblüht sein. Allein kann ich mir jetzt diesmal nicht helfen. Es muß mir nach langem Krankheits- (von mir und Andern) Ungemach, Hülfe von außen kommen, als Glück gedeihen; daß ich gedeihe! Es ist mir sehr zu lange kein Glücksfall begegnet, der einige grüne Lebensblätter ent- faltete: dies allein bedingt am Ende Krankheit. Diesmal, meine edle Vertraute! kann ich nicht einsam in fremdem Hause, in fremder Stadt isolirt bleiben, oder die Aufgabe, die An- strengung haben, mir eine Gesellschaft zu bilden, zu unterhal- ten, zu bewirthen. — Krank — Abendthau-Erkältung — wir ich heute bin, lasse ich mich doch von Dresden nicht abschrek- ken. Wenn Varnh. reist: d. h. den Tag: den werd’ ich wohl auch abreisen: und dann gradezu nach dem Ihnen am näch- sten Wirthshause, in Dresden. Soll ich schon nicht dicht ne- ben Ihnen wohnen, so ist mir ein Wirthshaus das Schick- lichste was ich gebrauche. Illimitirte Zeit; wie ein Vogel aus dem Neste flieg’ ich davon! Komme ich so spät, daß Sie nur noch einige Wochen bleiben, flieg’ ich noch etwas mit Ihnen; so, daß ich mit einem Umweg quelconque, nach Hause komme. Sehe ich, daß sich dergleichen nicht für Alle gut gestaltet; lass’ ich es: und fahre etwas nach Weimar; nach Töplitz, die Clary’sche Familie besuchen; oder was es sei. Ich habe Ihren Beifall, ich weiß es. Und Sie können sich auf meine Diskretion verlassen, was sich nicht für Alle schickt, das unternehme ich nicht: Sie kennen mich ja schon lange; unbe- merkt Flügel einziehn, das verstehe ich. Ihnen dies deutlich sagen, ist nicht unnöthig: die liebsten Freunde und Menschen können einem durch Stellung und Verhältnisse zur Plage wer- den, wenn sie diese nicht einsehn; oder nicht geschickt berück- sichtigen: ich gelobe Ihnen dies hier mit Bedacht ausführlich, zu thun. Der Himmel gesegne Ihnen Dresden! besonders mit Ihrer Aller Gesundheit. Die Freunde sind ja dort: die Er- kenner und Bewunderer finden sich nach dem Maße ihres eige- nen Werthes und ihrer ganzen Brauchbarkeit unwidersprechlich ein. Mama aber bedaure ich äußerst, daß sie nicht dicht am Hause Grünes haben soll! Und gewiß noch eine große Treppe! Auf vier Wochen müßte nur Einmal eine vornehme Fee alle Hindernisse wegräumen! daß man sich erholte, und erführe, ob wir ein vollständiges — nur hiesiges — Leben anständig ertrügen. Je vous laisse! sagen die höflichen Franzosen: ein- sehend wie nöthig das öfters ist. Ich empfehle mich dem ver- ehrten Vater und der glorreichen Schwester. Weßwegen sie mir glorreich erscheint, mündlich! Rein, und unangetastet: und so geliebt. Im Element der Liebe lebend. — Ihre ge- treue Friederike Varnhagen. Es stürmt heftig. An Ludwig Robert, in Baden. (In der Urschrift mit jüdischen Lettern.) Es ist ein sehr guter Brief. Berlin, den 13. August 1827. Montag. Sturmwetter. Lies alles allein . Nun will ich sehn, ob du wirklich mein Freund bist. Ob alles wahr ist, was wir gelebt haben. Es war ein Todes- schlag für mich, als du diesen Frühling schriebst, du würdest diesen Winter nicht kommen. Jetzt aber wirst du kommen. Mein theures Röberken! Ich habe zweihundert Thaler in ei- nem Sack zu liegen, auf welchem steht, daß das Geld dir gehört. Von dieser Summe weißt nur du und ich. Ich habe sie von kleinen Privatinteressen zurückgelegt, um mir einmal ! ein persönliches Vergnügen zu machen. Diese Zeit ist nun gekommen. Du mußt zu diesem Winter kommen. Zweihun- dert Thaler machen für zehn Monat jeden zwanzig Thaler. Da ist also dein Quartiergeld. Vierunddreißig Thaler liegen, wie du weißt, noch bereit, die P. oder F. dir bringen sollten. Mit denen kannst du kleine Einrichtungen für’s Haus machen. Antworte mir auf der Stelle. — Dieser Tage schreibe ich dir über deine Oper. Für diese Lettern ist mir das zu schwer. Sogar mein Stil, wirst du sehn, leidet darunter. Auch Rike soll von dem Gelde nichts wissen. Sehr gut könnt’ ich’s Au- gust sagen. Ich will nur nicht, daß er erfahre, daß ich eine Summe allein hatte. Sonst denkt er, ich bin ein Millionair, und habe ewig und immer Geld; und verlernt Ökonomie. Daß ich’s dir gebe, würde ihn entzücken . Ich soll mir ja Schals und Ketten dafür kaufen. Ich gebe aber immer so viel weg. Und sammle mir zum Glück, anstatt zum Plaisir. Du schreibst ostensibel, dir wäre unvermuthet eine Schuld ein- gegangen; und nun kämst du diesen Winter. Du steigst wenige Häuser von mir ab, in einem guten Wirthshaus, wo ich dir Quartier mache: und ihr miethet euch hernach selber eins. Zieht ihr es vor, miethe ich eines. Ihr esset bei mir, natürlich. Mach mich glücklich! Wie lange lebt man denn, was begegnet denn Brillantes? Ist Markus nicht gestorben? Wolltest du — aus Wahnsinn — das Geld nicht annehmen; so gieb es mir im neuen Jahr wieder . Ich nehme es. Nun werd’ ich sehn, ob es wahr ist, daß du mir gäbest, wenn du hättest! ob du wirklich Louis bist. Antworte nur gleich! Im Frühling reise ich gleich mit dir hin, wo du willst. Lebe wohl und mache mich glücklich. Der Brief ist von Bunim . Es ist ein sehr guter. Sage Rike nicht von wem. Nicht daß er von mir, von Rahel ist. Mehr kann ich mit diesen Lettern nicht zuwege bringen. Au- gust verreist etwas zum Vergnügen; gegen Weimar hin, vor- erst. Adieu. An Ludwig Robert, in Baden. Donnerstag, den 16. August 1827. Warmes, dunstiges, ja heißes, weiches Gewitterwetter, mit Sonne, kleine Wölkchen. Halb 2 Uhr. Bis jetzt gehindert , gestört! Alle Tage so; ich kann nicht Rechnungen machen. Alle Sorten Durchreisende, Fremde. Gräfin Henckel und Tochter und Schwester. Barnekow’s. Graf Yorck. Will isens . Hegel, Humboldt, Ranke. Wozu die vierzig Namen noch! Eins widerspricht dem andern. Varnhagen will eine Schnellpostreise nach München machen: ich zu Hause bleiben: und meiner Ruhe und meinen Gästen leben. Und vielleicht — V. will’s heftig — noch ein Aus- flügchen machen; etwa mit Schleiermacher, seine Frau aus Schlesien abholen: oder zu Redens nach Dresden: oder, zur Fürstin nach Carolath, oder nach Goethen. Oder — gewiß nichts. Ich nehme mir noch mit Gewalt die Zeit — heute Abends hab’ ich Henckels, Yorck, Willisen, und was noch anschifft — um dir zu sagen, daß wir die ganze vorige Woche bis vorgestern Hrn. Pirault des Chaumes bewirthet und ge- leitet haben; mit seinem großen Siegersdorfer Kalckreuth, dem Sohn. Würdig. Hr. P. ein alter Franzose, der sehr schön seine Fabeln rezitirt. Mir fehlen Franzosen, nämlich solche , wie Montigny. Bei euch sind alle interessante. Man liest’s in unsern Zeitungen. Canning weg. Castlereagh weg. Alexander, die Kaiserin weg! — Es gehn mehr, andre Wel- ten, wie eben so viel Schiffe, auf dem Strom des Daseins zugleich , unbekümmert um einander. Nur Ein Geist, der Geist — unserer auch — bringt sie zusammen; durch Begrei- fen! — Ein befreiter Geist, ein unbedingt waltender, was bekäme der wohl zu sehn? Dies merkt man ja an jedem neuen Einfall: wahrhaft neuen, eine Welt ; eine andere. Du weißt, wie wenig ich Hegel’sche Bücher, gegen Fichte, — komparativ heißt hier gegen , — goutirte: wie wenig seine Schreibart! Jetzt aber habe ich angefangen — man läßt mich nicht lesen: die vielen Relationen: nicht das Zweiund- dreißigtel nannt’ ich dir — seine „Encyklopädie der philoso- phischen Wissenschaften im Grundriß,“ die er Varnhagen ver- ehrt hat, zu lesen. Parlez-moi de ça! Vortrefflich. Beinah jede Zeile eine unwiderlegliche Definition. Ich streiche an und schreibe nebenbei. Ich finde Fichte. Was sonst? Wer die Silhouette des Geistes gemacht, wer ihn wie der Silhouetteur festgeschraubt hat, um die Dimensionen zu nehmen, die er selbst nimmt; der muß bei jeder neuen Ausmahlung wiederge- funden werden. Alles Denken und Ergründen ist ein Wieder- finden eines Verfahrens; es sei nun das unsres eignen Geistes: einer Leistung seiner, oder eine der Natur, die wir in unserer Geistesart aufzufassen, zu nehmen, und zu behandeln im Stande sind. Ich finde immer nur Eins wieder; und uns so zu sagen in einer Figur beschränkt. Als Unendliches ist dem Geist bloß armer Witz gelassen, um sich reich in dieser Armuth zu geriren. Auch praktisch, angewandt, ist es so mit dem Witze; wie Lessing und Viele schon anders ausdrückten: er wird rege bei Leidenschaft: wo erzeugt sich diese? bei Mangel irgend einer Art. Nicht wo Befriedigung, Fülle, Harmonie, Ordnung, Elysium, — welches wir nicht einmal zu fassen verstehen: daher die allée de peupliers, von der Tilly sprach —, da ist. Etwas sehr Schönes, alle Tage zu Gebrauchendes sagt Hegel. Er sagt: eine Philosophie müsse alle bisherigen in sich einschließen; auf ihren Standpunkt stellen und lassen, und mit ihnen Eine ausmachen. Mit andern Worten und Beweisen. Weil ich nie eine anders verstand — wofern sie nur redlich durchgeführt war —, so ist mir das sehr einleuch- tend, und erfreuend. Ein vortreffliches Buch, welches wir Einmal mit einander lesen müssen. Ich hatte neulich nicht den Muth, als Hegel bei uns war, ihm zu sagen, daß ich sein Buch lese: obgleich mir die Überzeugung nicht fehlt, daß ich einer der Studenten bin, der es mit am besten liebt und versteht: oder vielmehr versteht und liebt. — Zwanzigmal Nachts und bei Tage sorgte ich für Rike , und möchte sie warnen. Um Gottes willen keinen Abendthau! Nachher wie- der; wenn die Sterne da sind. Montag erhältst du Onkel Bunims Brief: antworte ihm gleich; und gütig. Ich kann es nicht erwarten! Theures: einziges Röbertchen! wenn ich euch doch diesen Winter schon sehn könnte. Gott thut mir gewiß diesen Spezial-Gefallen. O! wie würde dir das fruch- ten in dem immer regern Treiben hier und der ganzen Welt. Wie würde dich Varnh. mit seinen vielen Büchern und litte- rarischem zunehmenden Verkehr enkouragiren und ermuthigen; alle Tage spricht er mir von dir, und deinem Treiben; was du solltest, könntest; was dies, was jenes für dich wäre. Du hieltst dich ganz an unsern Kreis. Alles thät’ ich dir zu Liebe: alles besorgte ich dir, schaffte ich dir. Theuer Brüderken! Im Frühling reisten wir in zwei Wagen aus, wo du hin willst. — Kannst du Lindner vorausgrüßen lassen, so thue es, eh ich zu schreiben vermag. Er hat mir einen vortrefflichen Brief, so einen aus unserer alten Gualtieri- und Prinz Louis-Zeit, geschrieben. Alte, begründete, breitgewurzelte, nur mit dem eignen Leben zu zerstörende Freundschaft. „Gleichgesinnte“ über die besten Dinge. Liebe, Ehrfurcht, Wahrheitsliebe. Weißt du, ich habe einen neuen Titel oder Namen erfunden: „Die, welche sich Überzeugungen wählen ,“ der, die — hat sich eine Überzeugung gewählt; und dann weiß man! — Adieu, lieben Freunde; nehmt nicht übel, wenn ich nicht mehr schreibe: der Sommer war zu heiß, ich zu angegriffen. Nachmittag fahr’ ich mit den Damen Henckel nach dem Blumengarten, Potsdammer Thor. Sehr schön. Dann sind sie bei mir den Abend. Thee, Kaltes; Braten, Kompotte. Adieu. Eure F. V. Brava! Rikchen! Sein Sie fleißig! und ermüden Sie, weil ich schwach bin, nicht mir zu schreiben. Varnh. grüßt euch als herzlicher Freund und Bruder: äußerst anhänglich: das erwirbt ihm neue Liebe von mir. — An Fräulein von R., in Dresden. Berlin, Mittwoch Vormittag 11 Uhr, den 22. August 1827. Wieder sehr stürmisch, kühl, und schwül, nach vielem Regen, der noch droht. Gestern in Charlottenburg, welches ich einer Gräfin Henckel mit Schwester und Tochter zeigte, große Strecken im Garten versumpft: so soll es dort vorgestern zweimal ge- sündfluthet haben, wovon hierher — wenigstens zu mir — keine Kunde kam. Jedoch war es prächtig, und ein phanta- stischer Abendhimmel; die Damen, welche Berlin nie im Som- mer gesehen hatten, und denen es, wie bekannt, sehr ver- schrieen war, fanden Thiergarten, Weg, Charlottenburg sehr schön: und das schmeichelte mein märkisches Herz, welches sich hier bei Ihnen — der Ein- und Nachsichtigen Luft macht, und das Datum in eine Chronik verwandelt. So soll sie denn auch noch enthalten, daß die H.’sche Familie eine allerliebste ist. Geborne von Br., Schwägerin des Generals H. von D.: und Nichte der Oberhofmeisterin. Vortreffliche Frauen: das Töchterchen blumenhübsch, und sechszehn Jahr; ganz beschei- den, und doch unbefangen, wann sie spricht. Den heitersten besten Dank für das Geburtstagschreiben! wenn guter Segen hilft — ich denke es — so hilft auch meiner, dem braven lieben Bruder, den ich wohl kenne. Ich hätte gewiß noch einige Tage mit meiner Antwort gewar- tet, wenn ich nicht Ihren treuen Antworten mich gezwungen fühlte zu entsprechen ( d’y répondre ); weil ich erst den Sonn- abend einen Brief erhalten kann. Das wissen nur Sie: auch Varnh, habe ich vorgestern nur mit dem Versprechen abreisen lassen, daß ich wahrscheinlich Ihrer theuren Einladung folgen würde. Sie glauben es gewiß nicht, können es auch nie mer- ken, welchen Werth, welchen wichtigen, ja gerührten Werth er darauf setzt. Alles müßt’ ich, nach seinem ewigen Zureden und Ermahnen, stehen und liegen lassen, und diesem er- wünschten Leben und theuren Rufe gleich folgen: da mir Besse- res nicht zukommen kann. Richtigst! Sage auch ich. Ich hatte aber vorher meinem Bruder Ludwig einen Vorschlag gemacht; worauf ich Antwort haben muß; dessen Grund und Umstände ich Ihnen mündlich vertrauen werde. Sie selbst, theure verehrte Freundin, wissen ob ich Ihnen dankbar bin: und ob ich einzusehen weiß, welchen Werth das Wohlwollen der Ihrigen für mich haben soll! „Freunde! Gleichgesinnte!“ ruft Goethe die seinigen in einer Elegie an. Tiefer hat mich nie ein Ausruf durchdrungen. Er ist eine Definition: und sie war schon ganz fertig in meiner Seele. Wohlwollen — charité, Liebe — haben wir und sollen wir haben für jede Art von Menschen, und Kreaturen. Freundschaft, Hochhaltung, Über- einkunft, können wir nur haben für „Gleichgesinnte.“ Von denen wir wissen, daß sie die großen Hauptpunkte unwandel- bar mit uns wollen, daß nie eine Eitelkeit oder eine Gewinn- lust, auch keinen Augenblick, diese großen Punkte stört, gefährdet, oder unterbricht . Dann ist alles richtig. Geist. Talent, Witz, Laune, Kenntnisse, Liebenswürdigkeiten, das alles sind Zugaben; sehr liebenswürdige, wünschenswerthe, von mir leidenschaftlich anerkannte, und applaudirte. Ich sagte: Liebenswürdig keiten : weil Liebenswürdig keit schon ganz allein in der Unwandelbarkeit in den nicht benannten, und von Ihnen so wohlgekannten großen Punkten enthalten ist. Die erfordern ein immer gegenwärtiges Herz, und einen festen ungetrübten Sinn, der bei Vernunft aufrägt. Selten genug; weßwegen, weiß ich nicht; da dies grad das Natürlichste ist. Ich bitte wegen meiner Hamletsneigung — der, nun seh’ ich’s, unüberwindlichen — des ewigen Grüblens, und Raisonirens, nicht mehr um Vergebung: ich will nur anzeigen, daß ich wohl fühle, ich sollte es thun. Auch amüsirt Hamlet öfters; wenn man grade nichts Pressantes vorhat; und wenn er nur schreibt — wo man seine Briefe bei Seite legen kann — geht es an. Ich habe bestimmt noch das Glück, Sie in Dresden zu sehen! Nur den Moment vermag ich noch nicht zu bestim- men — stimmt, und stimmen, dürft’ ich Varnh. nicht gut se- hen lassen —, Wenn ich wieder Nachricht von Ihnen haben soll, bitte ich um Nachricht, wie lange Sie dort bleiben: darn ach richte ich mich ganz . Wenn ich auch nicht selbst den Wunsch, dort ein Stückchen mit Ihnen zu leben, lebendig in mir trüge, so thät’ ich es doch; um einen guten Winter zu haben: den mir Varnh. im Unterlassungsfall nicht ließe. Er ist beglückt, und stolz auf Ihre gütigen Vorschläge! und hat mir in diesem Sinne die ergebensten Grüße an die ganze Familie, jeden einzeln, aufgetragen. Möge Ihnen ferner Gutes und Freundliches zukommen, Sie umgeben, Ihre er- hellte Seele faßt es würdig auf. Gott gesegne es Ihnen und den Ihrigen! Und gesegne Ihnen Ihre B.s! Gewiß Ihre Sie ehrende treue Friederike Varnhagen. Ich muß Ihnen auch noch sagen, wie Varnh. Ihren Brief bewundert hat! Weil Sie ihn so nicht kennen. Ihr Stil, Sie, Ihre Handschrift, alles was sie ausdrücken: ist mir nur Eins. Glimpf, edel; rein, heiter, glücklich; richtig, harmonisch. Natürlich, wohlthuend! An Varnhagen, in München. Berlin, Donnerstag den 23. August 1827. Nach bedeutender Nachtkühle so eben ein Regen; vor- her Sonne, wolkig, halb hell. Wie du’s verlassen hast. Es ist bald halb 11. Ich schlief wegen genossenem Kaffee — glaub’ ich — nur sehr spät ein; untersuchte, weil ich wußte, daß du fuhrst, oft das Wetter: gegen 2 war es wahrlich winterkalt. Ich konnte nicht berechnen, theurer August, wo du bist, weil ich von Leip- zig nach Nürnberg nicht kenne. Um 9 Uhr als ich aufgestan- den war, nahm ich meine alte Kriegeskarte, die von Anno 13, und sah da nach, wo Nürnberg ist; — daß du des Nachts die schönsten Gegenden nicht siehst, hatte man mir erst gestern wieder in Erinnrung gebracht; das war mir fatal. Vielleicht kommt heute ein Brief von dir. Vorgestern war ich mit meinen Damen, die es noch nicht gesehn hatten, in Charlottenburg, anstatt in Friedrichsfelde; auch mir war es des Steinpflasters halber ganz recht. Wie freuten freuten sich die drei Frauen: wie schön fanden sie Weg, Thier- garten, Charlottenburg, Schloß, Garten, alles! Auch ist es sehr schön. Vor der Wache und dem Schloß war ein See . Von Regen, den wir hier nicht so sehr gehabt hatten; dort soll er zweimal gesündfluthet haben. Ganz satisfaisirt kamen sie bei mir an, und sprachen es immer aus. Nachdem wir uns etwas erholt hatten, und schon Thee tranken, kamen Wil- lisen und Graf Yorck: beide berauscht von Mlle. Schechner; berauscht . Langes Gespräch über Gesang, Spiel, Singe- kunst, ihre Technik, ihre Bedeutung. Keine Übereinkunft, als die, daß wir jeder ganz etwas anders verlangten. Ich: die Behandlungsweise des Instruments — in Brust, und Hals, und Mund — der Italiäner, die ihre Beobachtungen als Re- geln festgehalten haben; und dann, Eingebungen eines tief und leicht bewegten Herzens, und den Witz und Geist, der unendliche Rapports auf’s schnellste zu errathen und aus- zudrücken versteht; und die hohe Seele, die das Erhabenste erfaßt, auf Einfaches und Großes immer zurückk ommt, nach- dem aller Übermuth, und indem aller Übermuth des glück- lichsten Vermögens versucht worden. Wovon meine Deutsch- thümler in der Musik nichts wußten. Mir ist dabei klar ge- worden, daß bei den Meisten auch ihre höheren Berührungen und Anklänge, die ihnen Musik — eigentlich nur erst Gesang — gewährt, nur vermittelst eines ganz sinnlichen Behagens Eingang haben. Der Ton der Stimme an sich muß ihnen schmeichlen. Sie können davon gar nicht abstrahiren. Die Natur selbst, gestehe ich am ersten zu, muß eigentlich mit ei- nem einzelnen Ton, mit jedem aus der Skala, Musik machen: III. 19 das ist schön, vortrefflich, glücklich, angenehm; aber auch dazu muß schon die Seele mitwirken — sonst ist der Ton nur bild - schön: wie manche Gesichter, — die wahre Musik aber macht der Mensch selbst. Es kann die Natur einen ganz fertigen Sän- ger hervorbringen, — wäre das nicht, so wäre nicht einmal ei- ner zu bilden : und nie wird solcher, wozu nur sie Mittel hat, gebildet werden können: Natur ist hier Universum, mit allen seinen Fällen — durch Stimme, Seele, und alle Requisite. Aber mehr als selten! fallen die Fälle zusammen; und auch hier, wie in allen Künsten, ist der menschliche Geist ein er- setzender, spielender, defizit-deckender, der Vernunft, Nachden- ken, Mühe, Ernst, und wer weiß was alles zu seinem Spiele braucht: bedarf und gebraucht. Mit wie viel Menschen kann man auf die Weise über Kunst sprechen?! Mit Einem Men- schen alle Jahrhundert, in jeder Nation: und mit den Freun- den. „Gleichgesinnte.“ Wir waren recht vergnügt: du kamst oft vor: bei mir heimlich durchweg: um 11 gingen sie. (Das göttlichste Sonnen- und Wolkenspiel ist jetzt in unserer Straße, und herrlichster Friede in meinem Zimmer, in unserm Hause. Angenehm windig.) — Gestern Vormittag war ich bei unserm Kind. Schön im Thiergarten! Sie göttlich! Ich gab ihr Chokoladenplätzchen von dir , und eine halbe Feige. „Bleib doch hier! warum gehst du weg, Tante!“ Göttlich! Ich ex- plizirte ihr, du seist in München. Wo Baiern sind; mit ih- rem König. Es kam so. Heute lasse ich sie holen. — Ehe ich zu Elisen fuhr, schrieb ich Redens, machte Rechnungen: las Berliner Zeitung. Nachher blieb ich lesend bei mir: glück- lich. Nicht lange. X. kam, bis 10 Gespräch über Ehe. Ge- schichte. Was sie ist. Alles gedankenvoll. Er liebt sie aber nur als Einfall, die Gedanken; und zu kurzem Gebrauch; nicht zu anhaltendem noch schärfsten Gebrauch; ward mir gestern ganz klar. — An Varnhagen, in München. Berlin, Dienstag Abend 11 Uhr den 4. September 1827. Mondschein hinter grauem Himmel. Bäckerrauch zum Er- sticken. Nach gestrigem Himmelswetter. — Ich gratuliere zu Benda’s; zu Schelling ! zu dem taxischen Haushofmeister! Freilich ist das etwas für mich. — Gestern stand des Königs von Baiern Besuch sehr schön in der Zeitung, der Geburtstagsbesuch bei Goethen. Die ganze Stadt spricht von nichts anderm. Lange zündete nichts so. Ich , bin stolz drauf: gegen England und Frankreich: daß sie sehen, was bei uns vorgeht! Bald wird man das von einem König verlangen ; ohne daß es ein Artikel der Charte sei. Parlez-moi des Allemands! ils galopent aussi ! Hier ist ein solcher Zug — Ziehen — nach dem Lager, daß wirklich die Stadt sichtbar leer ist. Die Leipziger Straße hingegen, summt wie die Amsterdammer Börse, wie es von den Linden her summte, als die Kosacken einzogen: es muß stauben, wi- der Willen. Mittwoch, 9 Uhr Morgens. — Drei Sachen muß ich dir vor dem Bade noch sagen! Einen Gutenmorgen-Nick! und daß Elise bei jedem Bissen — es war so geschnitten von mir — Butterbrot, welches sie 19 * stibitzte oder erflehte und nach dem Munde brachte, ganz ängstlich sagte: „Werd’ ich auch nicht träumen!“ und im- mer wieder; und auch: „Laß mich aber nicht träumen!“ und so immerfort, bis sie alles auf hatte, was ich nur irgend nicht geschwinder aß. Das liebe Unschuldskind ! glaubt wirklich, wir, Große, ich, die treue Liebestante, können das machen. So rührend; und es war so komisch; grad in seinem ängstlichen Ernst. Sie träumt ängstlich, und das be- nutzte die Mutter: auch kommt es von zu vielem Essen. (In Friedrich Schlegels Philosophie des Lebens ist das eine sehr schöne Stelle, wo er vom Gewissen spricht, und von dem, was wir von Gott wissen können, welches wir eigent- lich in Zusammenhang mit der Sprachfähigkeit erfahren; und er sagt: ein Kind verstehe zuerst seine Mutter nicht : und verstehe sie doch; etwas davon. Wunderschön. Saint-Mar- tin’sch: heiter-fromm; klar eing esehen.) Drittens muß ich dir sagen, daß Willisen ganz eingenommen von deinem Blü- cher ist. Spricht oft und lange davon. — Ich habe Friedrich Schlegel mit Ranke’n über seine Philosophie des Lebens lang geschrieben; alles was er wissen mußte: freudigstes Lob: und offenen Tadel. Nichts Verletzliches: das nicht Zustimmende mit größter Liebe, und auf das größte Geistergebiet hingestellt. Siehst du ihn, so grüße ihn. Auch mit Willisen sprach ich viel im höchsten also im besten Sinn von ihm. — An D. Assing, in Hamburg. Berlin, Montag 10 Uhr Morgens, den 11. September 1827. Wunderschönes Wetter, nach solchem rauhen Wetter, wie es in den Zeitungen von allen Orten steht. Ein angenehmes Ereigniß habe ich Ihnen zu melden: Varnh. ist auf einer sehr angenehmen Spazirreise begriffen: und ich habe schon den vierten sehr vergnügten Brief aus München von ihm; einen von Leipzig, Nürnberg, Regensburg: so nahm er seinen Weg. Wir beschlossen diese Reise mit einer Art von Gewalt, für ihn allein: die Gewalt lag darin, liebe Rosa! daß ich durchaus nicht mit wollte. Sonst wäre es wie- der eine Verweichlichungsreise geworden. Ich bin rheumatisch nervös, und muß mich, fast unbewußt, durch den Tag durch- laviren: das thut denn August mit: oder , wird einmal är- gerlich, oder kann es nicht beachten: er sollte durchaus Ein- mal ohne Beziehung auf mich existiren; sich durchstuckren lassen: und schnell, viel äußere Berührungen haben. Es war ihm äußerst nöthig, sah er sehr gut ein. Liebe Rosa! ich wünschte Ihnen die theuren Briefe zeigen zu können, die mir mein einziger Freund, mein Geliebter schreibt: zu erfahren was solche Trennung ist , was sie fruchtet, ist allein schon werth, sich ihr auszusetzen; sie über sich zu nehmen. Auch ohne diese einzige Liebe und Freundschaft sind sie so vortreff- lich, daß sich jedes Journal, wenn man sie ihm gäbe, daran erholen könnte. Er hat eine Menge alter und ganz neuer bedeutenden Menschen gefunden und gesehen: und herrlichste Kunstsachen. Bleibt wohl noch vierzehn Tage aus. Es war ihm nöthig nach der Krankheit von vor zwei Jahren: — Sie werden’s einsehen, lieber Assing! — nachdem er unaufhörlich Arzneien nimmt: und seit diesem Winter russische Bäder, mein Gräuel! wie alles was den Körper auf ein Äußerstes bringt; wenn er nicht wirklich schon agonisirt, und man ihn dadurch in’s Leben zurückschleudern will ( c’est ma confession médicinale entière ). Auch hat es in den Jahren all — wie in allen Menschenjahren, — manches zu verschlucken gegeben; und je besser August von Tag zu Tag, und je grimassenloser er alles, was das Leben von harter bittrer Schale reicht, nimmt, je mehr muß der Körper des Leibes, und der der Seele, Zu- schuß und Erfrischung haben. Zu dem allen rechnete ich noch die stagnirende Ruhe des herrlichen Friedens nach den Jahren 9, 12, 13, 14, 15 und den nächstfolgenden, wo man sich noch, auf den Eindrücken und Gedanken über diese Jahre, schauklen ließ. Nach und nach stellten sich diese fest; und wir Alle mit ihnen. Langsam ist die wirkende Entwickelung solcher losge- knallten Explosionen; und nur mit den Gedanken ist solche schöne Wirkung zu erfassen — die Gesundheit aber, muß von wirklichen Berührungen unterhalten werden. Nicht wahr, Doktor! „Nikias! trefflicher Mann, du Arzt des Leibs und der Seele!“ und so reiste denn mein geliebter, einzig vor- trefflicher August getrost, und wehmüthig! so ließ ich ihn gerne reisen; und fürchte nur seine zu eilige Rückkunft. Ich blieb, weil ich es wahrlich, nach vieler Anstrengung, in lauter Konvaleszenzen nöthig hatte. Krankheit und Tod meines äl- testen Bruders, den ich pflegte, und leiden sah : Ausziehen, mich Einrichten: bei schmachvoller Hitze, die ich seit mehreren Jahren am schlechtesten ertrage, weil es nie fast reine, nur immer Gewitterhitze ist. Selbst unser ganz inniges Leben fa- tiguirt mich: weil ich nie ganz ohne Rücksicht krank bin, noch konvaleszent. Ein Kranker muß Einmal ganz ohne Rechen- schaft, ohne Gutenachtsagen, Besorgungen u. s. w. zu Bette, wenn auch nur zur stillen sichern Ruhe gehen können, und ganz nach Körperbedürfniß, sich allein fühlend, wissend , aufstehen können. Assing wird das fühlen, wissen. Sie , liebe Rosa! schieben Sie hier keine Frage ein: ob es denn neben August nicht so sein könnte. Daran bin ich schuld: nein. Und neben keinem der Namen im ganzen Kalender. Auch ist mir dies von anderer Seite wieder nöthig und heilsam: denn ich fühle mein Glück! und Besorgen ( avoir des soins ) ist Leidenschaft bei mir: Leidenschaft aber verzehrt viel; und muß Gegenwirkung erfahren — Hierauf, lieben Freunde, keine Antwort: August könnte sich sonst Gedanken machen über diese meine Äußerung. Könnten Sie nur seine Briefe an mich lesen, so wüßten Sie, welch Fest uns bevorsteht, wenn er ankommt. Gott segne jeden Herzschlag von ihm! dann seg- net er das treueste, großmüthigste Menschenherz. — Die Veranlassung dieses Briefs ist ein Herr, den ich nicht sah, er kam vorgestern 9 Uhr Morgens und wollte auch nicht herein, hinterließ einen Brief von Ihnen, liebe Rosa! ungeheuer verschmutzt, und in einem reinen Papier eingeschla- gen. Ich erbrach ihn, weil August es geheißen hatte. Potz tausend, wie kam der Empfohlene zu solchem Schmutz? Er sagte selbst — zum Mädchen — er sei schon acht Tage in Berlin, und reise morgen . Neues Räthsel! Machen Sie sich nichts draus, liebe Rosa, daß Ihr guter Wille nichts fruch- tete: ich geben alle Monate unnütze Empfehlungsbriefe, die mir schwer sauer werden: ich thue es aber immer wieder; es ist Pflicht, und eine Frucht, eine schöne, des neuern Lebens. — Ich nehme großen Antheil an Ihrem kurzen Landleben mit den lieben Kinderchen: es war aber bei weitem zu kurz. Konnten Sie da nicht länger bleiben? da sie doch Assing alle Tage sahen. Ein wenig inkommodirt hätte er immer noch bleiben können: sonst wird man zu früh alt : wenn einem das nicht manchmal geboten wird. Haben Sie noch so viele Blumentöpfe? ich habe einen artigen schönen Garten, in dem ich spaziren gehen kann, hinter meinem Hause, aber nicht die Erlaubniß mich mit Gästen zu etabliren; und habe une pe- tite nièce, Nichtenkind, welches wir vergöttern ! und wel- ches ich viel bei mir habe, Elischen; drei Jahr und ein Vier- tel. Varnh. schreibt ihr ganze Seiten lang. Ich führe ihr die Hand, und lasse sie auf das Siegel drücken. Kindern ihre Freude. Adieu lieben Freunde! Treu und anhänglich. Fr. Varnhagen. Auch Rahel . An Varnhagen, in München. Abends 11 Uhr, nachdem Willisen und Gr. Yorck weg sind, den 12. September 1827. Mittwoch. Ganz warmes Wetter, eben tritt der Mond hervor. Im Beisein der Gesellschaft erhielt ich deinen fünften Brief aus München. — Welch eine Bibliothek von lieben Gedanken und Anreden hättest du, wären sie in Briefe ge- faßt; die ich dir auf all deine lieben Briefe und Anreden zu- rufe, und sage, und denke. Theurer Freund, wo soll ich auf diese Fülle antworten! — Bartholdy, Willisen, denen ich nur mittheile, sind ganz hingerissen. Sie, die Mutter — ich kenne Menschen besser, finde Herzen immer — lachte und weinte darüber, und wie sprach sie! Willisen solltest du hören! die Bartholdy’schen Mädchen schreiben Felix davon! Treuer, theu- rer August. Du würdest meine Liebe erobren , und eroberst sie auch immer von neuem, wie es sein muß. Komm nur nicht zu früh! ich freue mich so ! der vielen Berührungen, die du erlebst, der vielen Gegenstände, Menschen. Wie dank’ ich dem Hrn. von Baader! für die herrliche Fahrt, für die Un- terweisung. Ich , theurer Herzensaugust, werde nun nicht mehr ausreisen. Ich bin wahrlich hier sehr gut; z. B. jetzt riecht’s komplet vom Garten her nach Wald in allen Zim- mern. Bei Tage waren die Fenster der Hitze wegen zu . Ich bin so ruhig, kann mich wegen der vielen Damen, die noch weg sind, der vielen Herren, die fehlen, so schön ruhig unge- stört halten; die mich, genau genommen, bald hie bald da stören, unterbrechen; ein bischen dem, ein wenig dem- und weg ist die Zeit, in der ich leben möchte. Es geht alles sehr gut , während es in Freundlichkeit von beiden Seiten ge - schieht. Unterbleibt’s aber, so ruht’s aus; dies merke ich eben wieder bei *, die sich bei mir vortrefflichst amüsirten; aber es pesirt mich doch , ihrer immer gewärtig zu sein, und sie zu behandlen. Höre meinen Tag. Rechnungen: Elise um halb 11, vorher schon Gustav mit dem Boten, den ich nach Erne- stinens Kopfweh fragen ließ; Line auch krank! Das Kind bei mir; auf den Hängeboden; dann in den Garten, mit Ka- stanien und Bausteinen; ich die französischen Zeitungen um- sonst mit hinunter genommen: sie ließen mich nicht, ich mußte bauen, befehlen, ordnen. Hinauf; sie wieder auf den Hänge- boden. Gegessen. Ernestine wollte mich um 5 mit den Kin- dern zum Ausfahren abholen: ja! wir fuhren: sehr schön, kein Abendth a u, es war bewölkt. Um 7 bei Kranzler präch- tiges Nußeis mit Johannesbeeren melirt. Professor W. mit Schwester, und noch acht Damen, Kinder, und gewiß zehn bis zwölf Offiziere. P. und W. schrieen immer: „ Wie in Ita- lien: und auch so gutes Eis!“ Braucht man auszureisen? Wie mich das freut, daß du des Baierkönigs Besuch grade so ansiehst wie ich, ist wirklich nicht zu sagen. Eben, ich die das nie thut, als Deutsche freute es mich so: nicht nur, oder wenig für Goethe: qui regorge d’honneur et d’ Anerken- nung. Aber da England und Frankreich auf vielen Bahnen so viel Nationalschritte vor uns voraus haben, so müssen Deutschlands Könige vors chreiten. Heil dir König Ludwig von Baiern! „Bleib gesund!“ sagen die Juden. Grüß mir nur ja all die Herren, die so schön meiner gedenken. Ich bin ja ordentlich Eine. — Gute Nacht, einziger August: ich wün- sche dich, wie du mich! Komme aber nicht zu früh. Sieh Friedrich Schlegel, Goethe, alles, alles! Erfrische, stärke, sehne dich! Das ist auch gut. Wir lieben uns. Adieu. Ehe ich ausfuhr, war Gen. Pfuel hier; er bleibt nach allen Manö- vers noch vierzehn Tage hier, und besucht mich noch nach der Wiederkunft vor den vierzehn Vakant-Tagen; grüßt, wie alle Freunde! und ich . — Den 13. September. Guten Morgen, Augustchen ! Halb 8. Sonnenschein. Gut geschlafen; oft gewacht; Gassenhunde, Wärme; schöne Mondnacht, übrigens ist Donnerstag. Ich vergaß dir noch von der Kinder-Gartenscene zu sagen, daß ich mir ein But- terbrot geben ließ: sie hatten dies eben oben gehabt, Feigen, Birne, und sollten nun endlich durchaus nichts mehr. „ Ein Stückchen!“ Ich gebe es jedem; geschwind auf. „Noch ein Stückchen!“ Ich schlag’ es ab: „Aber ich hab’s so gerne!“ Ich geb’s: der Junge immer auch. „Ta nte , liebes Tan tche , aber es schmeckt so gut!“ sie lassen mir in der That beinah nichts; so bekamen sie an sechs kleine Portionen: das letzte Stückchen nahm ich geschwind in den Mund, Elise sah dies nicht. „Noch was!“ Ganz schnell. Es ist nicht mehr da, zeige ich ihr, kauend; „Ja! in deinem Mund !“ sagt sie, „gieb mir!“ und will es dah er. War aber ganz zufrieden, als sie nichts bekam, und mich lachen hörte. — Was ich lese, August? Schande! Nichts , als deine Briefe und die Zeitung. Lesen und schreiben geht bei mir nicht mehr. Alle Tage will ich Hegel weiter lesen, und komme nicht dazu. Von Schiller hab’ ich einen Theil, den ich von Ferdinand geliehen, eine Lebensskizze dieses lieben Mannes von Körners Vater entwor- sen, mit Auszügen von Schillers Briefen verherrlicht, und am Ende desselben mit sechszehn Zeilen von Goethen. Heiliger Gott! Welche bronzene Worte! „Es glühte seine Wange roth und röther von jener Jugend, die uns nie verfliegt.“ Sie sind aus dem Gedicht, mit dem er die Glocke aufführen ließ. Ich vergötterte Schiller aus diesem Theile, weil er eine lehrsame Seele war, und all seinen Geist dazu gebrauchte; vortrefflichen Treffer hatte, — darin bestand für mich sein Talent: dies vergötterte ich z. B. in einem Gedicht: die Schlacht. Fest antik in modernster Form, und Stoff: tief ergreifend, weil die Sache in ihrer Einfachheit erfaßt, eben dadurch ihren Graus, die Unabänderlichkeit zeigt. Undenklich schön! So liebt’ ich „Melancholie an Laura,“ alle an Laura; eines, wo er den Frühling „Lieber Jüngling“ anredete. Ich liebte ihn ganz : war voller Freude, ihn so liebe swerth und wür- dig zu finden. Aber da kommt Goethe mit seiner Macht, seinen Zeilen, seiner Vollendung und Vorstellung, Denken, Reife, Vollendung und Gewalt des Ausdrucks, kampfgekämpf- ter Weisheit, beschauender überschauender Melancholie, weiser ausgerungener Heiterkeit, mit seiner vue d’oiseau, mit seinem Sternenblick, auf deutsch — von einem Stern herab —, mit der Götterbrust, an der man nicht allein ruht, sondern Ruhe findet, — und allen andern Dichtern fehlt etwas; — Großes. Kein Wunder, daß man noch täglich ihn expliziren muß: nach Maß der Gaben jedes seiner Zeitgenossen wird er nur gefaßt; wie die Welt selbst: und doch kränkt, echauffirt’s je- desmal. — Bartholdy setzte Shakespear’s Weiber, gegen mich und seine tapfre tieffühlende Frau, über Goethens. Er sprach Hymnen über Shakespear: Gutes. Ich konnte Goethen nicht loben: es gingen mir meine eignen Gedanken in das Herz. Weil ein von allem Wissender (Professor aus —), und dem doch das Letzte und Erste nicht in sich Gefundenes war, da saß, und doch den redlichsten, bequemsten, alt aufgespeicherten, schon fabrizirten Antheil nahm. Nichts war bei dem wieder in die erste Materie zurückzuführen: und da verstummte ich bald. Immer unrecht: immer falsch. Was habe ich nur schon zu Tage gesprochen, zurecht geredet. Eigentlich mensch- lichste Pflicht . Geister haben kein Eigenthum: und ihr Mensch gehört ihnen nicht mehr an, als alle andre Menschen, sie müssen immer arbeiten. Nun will ich Kaffee trinken. „Der Onkel soll leben, hoch !“ Gestern wurde sie sehr verdrießlich, daß du noch nicht kommst. Eile dich nur nicht, Augüstle! — Nach dem Kaffee. Ich freue mich, daß Lindner und Cotta so schön wohnen. Das hübsche Fräulein Nichte kenne ich. Grüße die Damen gütigst: grüße den lieben Oken. Mit Freu- den denke ich noch an das von mir glücklich erfundene Glas Bier für ihn. Den sähe ich gerne in äußerst guter Lage. Er ist, im besten Sinn, leidensfähig. Große Eloge bei mir. Mittelpunktsanlage. Je me flatte moi-même, comme vous voyez. Was kann ich dafür?! Denk dir! Gans war bei Goethen im Zimmer, als der König von Baiern mit vier Pferden vorfuhr extra; hinein trat, und sagen mußte: „Ich bin der K. v. B.“ dann auf und ab gehend zu Goethen sagte: „Haben Sie noch ein Plätz- chen an Ihrer Brust zu einem Orden?“ Ich gab Gans den Brief an Frau von Goethe. In der größten Migraine gab ich ihm den Glücksbrief! Mittags beim Essen; er wollte halb 6 reisen. Er schrieb mir nicht einmal! ich weiß dies von An- dern. — An Varnhagen, in München. Berlin, den 14. September 1827. — Von da zu Frau von Kalb; den geistvollsten Abend voller Heiterkeit und Vorhersagen; nämlich: elle répétait mot pour mot ce que j’allais dire; ich konnte nicht aufkommen, und brauchte es auch nicht: über Frau von Humboldt hat sie mit einer Milde, Nachlässigkeit und Schärfe gesprochen, wie ein seliger Geist ꝛc. ꝛc. Dich läßt sie nachdrücklich grüßen: sie würde dir immer „güter,“ läßt sie dir sagen. Natürlich hat- ten wir vorher von dir gesprochen; und ich ihr von Baader und mehr dgl. gelesen was ihr frommte. Mit der Neunuhr- Trommel ging ich nach Hause — das Gas brannte schlecht — kaufte mir zwei Mandelherze und ein Stück Baumkuchen bei Conradi für vier Silbergroschen ! — Kuchen muß man in Hungersnoth essen, — und fand deinen theuren lieben Brief, den, wo du Macbeth gesehen hattest. — — Ich denke mir dich nun in Augsburg mit Schlegels. Eile nur nicht, Herzens- freund, und gehe um Gotteswillen zu Goethen. Es freut ihn, du überläufst ihn ja nicht. Grüße den Gott. Er wird mir zum Gott, so wie einer ihn nicht verstehen kann oder will (das fließt mir zusammen), nicht aus Widerspruch. Irrig nennt man dies Widerspruchsgeist. Mein Himmel! den hat man ja gar nicht; geprügelt muß ja ein jeder nur dazu wer- den! Aber wenn sie mir ihn bezweiflen, streitig machen wol- len, einen andern Dichter vorziehn wollen; dann muß ich das hochstehende Bild ! herabnehmen, antasten, hie und da mit meinem Geist, meinem Verständniß, dann wird mir das im Einzelnen, wozu ich das ganze Leben brauchte, zu schwer; dann sehe ich, daß er ein Gott ist: von Gaben, Größe, Be- herrschung, Harmonie, Fülle, Weisheit, und ewigem Wachs- thum . Du siehst, daß das noch das Ende meines letzten Ge- sprächs bei Bartholdy’s ist, wo er die Shakespear’schen Frauen höher als die Goethe’schen stellen wollte. Er sprach übrigens wie von einem Einzigen von ihm. Aber weil sie sein Menschliches, Menschlic hstes , dies sein Größtes nicht fassen; machen sie lieber ein monstre der Vortrefflichkeit aus ihm: und er hat grad’ die wahre Menscheng röße. Grad’ das Zeichen für mich, daß Goethe so groß als irgend ein alter Dichter, aber der neue, moderne par excellence ist. Ver- stehst du? Die alten hatten das Weib: die Mutter, die Toch- ter, die Schwester. Wir haben diese Urgestalten im Lichte der Frauen (Frauenlicht; sollte es eigentlich heißen): wir ha- ben Frauen ; und die hat Goethe beim Schopf gehalten, und ihnen tief durch die Augen in’s Herz geschaut, jedes kleinste Winkelchen im „Labyrinth der Brust.“ Erkundige dich doch, ob Gans wirklich dort war, als der König von Baiern ein- trat. Tausend Segen auf dich! Ich küsse dich. Morgen mehr. — — X. Besuche sind nicht so sympathetisch, als ich sie wohl durch falschen Ausdruck habe erscheinen lassen. Er kam, wenn er etwas wollte und brauchte: immer als ob er gar keine Zeit habe: und immer bei Mad. * sein müßte. Ganz richtig . In dem Maße, wie er mich eigentlich nicht vertra- gen kann, in demselben ist, und muß sie ihm die Nahrung sein, die er grade bedarf. Und aus demselben intellektuellen Urgrund, um den, und aus dem sich sein ganzer Karakter ge- staltet. Er liebt Geist, und bedarf Geist: er findet Gedanken, und nimmt sie auf: aber „zu kurzem, nicht strengen Gebrauch.“ Dann , bedarf er, und ist er gewöhnt von Einigen , und von sich , für einen Kourmacher — schlechtestes Wort hier! — angesehen zu werden: und so auffahrend zimperlich auch Mad. *, wenn wer, durch Wort oder That, ihr Hin- und Herzerren, Minaudiren, so bezeichnen wollte, sich gebärden würde, so giebt sie ihm doch zu dergleichen Veranlassung; dieses Üben hat er nöthig, seine Feierstunden zu bewegen. So sehe ich das Ganze ein: mit allem Guten, Menschlichen, wirk- lichen Geistreichen, was es hat, und hervorbringt. Das Ver- hältniß geht aber nicht aus solcher Wahrheit hervor, die nicht einmal für sie Beide eine bessere, und also andre Einsicht über ihre Verbindung, und ihren Umgang zuließe. Dies ist der Fehler daran; aber keiner für ihre jetzige Zeit: weil er nur für den existirt, der ihn einsieht. Nicht der Rede werth! Nur für dich und mich, die wir gerne einander unsre Einsichten — über welchen Gegenstand es sei — begründen. Hilf ihm nur in allen Stücken! lieb Augüstchen! Das Diner mit den El- tern und beiden Töchtern in freier Luft, bei Bartholdy’s vor- gestern, nach Mittheilungen aus deinen Briefen und des höch- sten Beifalls, war sehr angenehm: wobei ich auch die schön- gewordene Marie vorstellte mit größtem Erfolg. — Höre, was gestern geschah. Als ich noch im Bette liege, vor dem Kaffee, kommen beide Mädchen schreiend und mit Jubel, jede eine von meinen großen Glasvasen in den Händen, die überf üllt mit mit Blumen sind. „Geburtstag!“ schrieen sie. Was ist das? was für ein Geburtstag? „Karolinens; Mine hat sie be- schenkt.“ Ist das nicht rührend? Ein großes Kaffeebrett hat sie noch erhalten: ich schenke ihr Strümpfe, schöne; und be- zahle einen Ankauf Blumen, den sie heute machte. Heliotrop- töpfe, alles! ihre Leidenschaft: sie kauft sie immer erst für ihr Geld; und das ist immer mein Geld; die Freiheit hat sie obenein. Prof. Lichtenstein und Zelter sind nach München, seit Montag. Ich habe mir notirt, was ich dir schreiben will, drum kommts bunt aber ohne Zusammenhang heute, jetzt. Henckels reisen heute: nahmen gestern zärtlich durchdrungenen Abschied, grüßen dich eben so; und Bartholdy Vater noch ausführlicher; nun soll er erst den gestern erhaltenen Brief von dir sehen; wo so viel für ihn steht. Willisen ist nun fort, vier Meilen mit den Truppen. Lobte wieder deinen Blücher so sehr! und nur deßhalb unterstände er sich, die neuen deutschen Ausdrücke nicht gut zu heißen. Ich dachte eben so, weißt du; aber jetzt denke ich: Einer muß doch anfangen: der wird erst getadelt; und dann rühmlich zitirt, und befolgt. — September, 1827. — Hier war und ist man berauscht von Mlle. Schechner: ich gar nicht: ihr fehlt in allen Stücken Grazie; in die sie auch eine starke, aber sehr einseitige, nicht viel Rapports auf- fassende Empfindungsweise einzukleiden hätte! welcher Man- gel hier für tiefste Empfindung genommen wird, und so in den Zeitungen — als Glaubensartikel für einen Klumpen Menschen — steht. Ihre Scala ist schöner, als ihre Stimme: III. 20 damit meine ich: der Ton jeder Note ist nicht so ausdrücklich süß, oder wohllautsvoll, als vielmehr, daß alle Noten ihrer Scala — der seltenste Fall! — ohne Exercitium, von Natur gleich gut, gleich stark sind. Keine Stimme, weder die Sprech- noch Singestimme darf anders, als al fresco gebraucht werden: wie bei dem Mahler das nachdrücklichste, noch so mühevollste Detail-Nüanziren nicht — von weitem gesehen — ausdrücken würde, was ein gut applizirter Farbenklecks thut. Spricht, singt, mahlt man für die Ferne nicht al fresco, so verschwendet man Stimme und Farben durchaus umsonst. Farben kauft man: Stimme muß blumenartig geschont und erhalten werden; sie geht sonst häßlich werdend verloren. Dies ist einer der Sätze, die in den Pepini è ren der Bühnen als Re- gel feststehen sollten. Das junge Mädchen kann nicht stehn; nicht gehn; keinen Mantel, keinen Schleier; weiß nichts von Vornehm — im besten Sinn. — Schaden Sie ihr, und allen Publikums, nicht durch dies mein Urtheil: es geht mehr die Direktionen und die Publikums unserer Nation an, als die junge gute Schechner: sie bilden solche begabte Anfängerin nicht, weil sie all ihre Mängel gar nicht als solche empfinden, sondern meist einem Vorschreier nachschreien; der selbst wieder mit einigem Geschrei , in jedem Sinn, zufrieden gestellt ist; wenn’s nicht gar durch eine Art von Wimmern, welches Ge- fühlvollheit vorstellt, bewirkt wird. Leben Sie wohl! Lassen Sie sich durch nichts in Ihrer Kunst, in der Kunst — par ex- cellence; jede faßt alle in sich — stören: so denk’ ich auch, daß Riga, Memel, Mannheim, München, Berlin, jeder Ort, wo Sie deutsch, und unsre besten Stücke spielen können, für die Entwickelung Ihrer Leistungen, Ihres Talents, gleich ist. — Montag, den 17. September 1827. Wenn wir einen all unsern besten Anforderungen entspre- chenden Gegenstand fänden, würde nur Liebe, nie Leidenschaft entstehn: die Anstrengung, die uns übrige Liebe anzubringen, ist Leidenschaft. Zergliedere man nur das Wort: so ergiebt sich’s schon. Montag, den 17. September 1827. Neulich sah ich am Münzplatz den Kupferstich von Mlle. Mars aushängen. Für jemand, der die Person kennt, hat er etwas Merkwürdiges. Das, was in ihrem merkwürdig jung- gebliebenen Gesichte nur hie und da überreift erscheint, und ihr ihre ganze Ähnlichkeit mit ihrer Jugend läßt, wollte der Künstler nicht wiedergeben: konnte sich aber dessen Eindruck nicht erwehren; diesen hat er hingestellt, oder vielmehr das was ihn bewirkte: aber als ein Ganzes: nämlich summarisch, alles Alternde in der Mlle. Mars Gesicht zusammengenom- men: und dem nun, gab er ein gezwungenes Jugendlächlen, und machte sie ganz unähnlich: indem er nur das Alte, den Eindruck davon in Summa, abschrieb: sehr komisch! — 20 * An Varnhagen, in Nürnberg. Berlin, den 18. September 1827. — Die Damen gingen: und ich fand an Mad. M. eine recht natürliche, gutgesinnte, zu allem was sie soll gefaßte Frau: die ihr ganzes Schicksal, und die Aufgabe, die sie von ihm erhalten, versteht. Es giebt immer mehr Menschen, als wir nur irgend vermuthen; und bei dem Besten, was wir ge- wöhnlich voraussetzen: es ist gewiß; wir sind Alle göttlich- adlichen Ursprungs, und haben viel vom Vater. Das sollen wir uns bei guten, und schlechten Gelegenheiten immer von neuem einschärfen. Das thu’ ich hier, in deiner Gegenwart. — Den ganzen Morgen war Elischen bei mir, oder vielmehr in der Küche: ihr Belvedere. „Kommt Onkel heute ?“ Nein. „Warum nicht? Morgen?“ Den andern Montag — tout par hasard — „Wann ist anderer Montag?“ Ich rechnete ihr die Tage vor. „Ach!“ traurig und verdrießlich. Das sagt sie seit acht Tagen jedesmal, wenn du noch nicht da bist. Sie wollte beständig essen. Dann holte die Amme sie ab. Als ich vorgestern zu Hause kam, saß Willisen todtmüde bei mir — zur großen Freud! — und trank schon Thee, — wir waren harmlos, vertrauensvoll; still wie Freunde. Gestern Morgen ritt er wieder zum Lager. — Wie herrlich ist die Ge- schichte des Augsburger Setzers. Wie vollgültig. Und unser Präsentmensch (Gottesgabe, Dieudonné ) in Weimar. Er ist ein Fürst. Er hat Orden zu vergeben; und in Klassen. Recht so! Bravo! Was du aber alles erspähst, berichtest! Herzens- freund! Geh nur nach Weimar; und versäume das nicht, wie Friedrich Schlegeln. Es krepirt mich. Kostet mich viel- leicht eine halbe Reise nach Wien: halb mache ich sie wegen der italiänischen Oper, wenn eine gute Truppe dort ist. Nous verrons: je ne m’engage à rien; rien ist mein Wahlspruch. Du siehst, wie viel ich dabei thue und hanthiere: nur kein Treiben! — Willisen sagte vorgestern — es entzückte mich — „Sie sind aber jetzt sehr wohl; unbeschrieen!“ Unbeschrieen. Das ist als wenn meine Freunde beim Datum das Wetter setzen. Ist das Herrschsucht? Gar nicht; ein Bedürfniß nach Liebesbeweisen; die aus mir immer heraus strömen . — Nun werd’ ich wohl keinen Brief mehr auf die Post schicken; aber doch vielleicht ein kleines Lebenszeichen, sonst eilst du ohne Weimar nach Hause. Ich freue mich wie du : aber du sollst alles sehn, und in dir haben; ich genieße es mit, in jedem Sinn. — Sollst alles schön finden. Adieu! Grüße in Weimar. September, 1827. Durch Liebe erfährt man nur, daß man selbst existirt, sonst wüßten wir nur von Dingen und Gedanken. Denn: wir machen unser Ich kontinuirlich, und können es nur in der Ver- gangenheit betrachten, wenn auch in der nächsten; als Ganzes se- hen wir nur den Andern. Wir lieben nur Andere, nicht uns. Der größte Philosoph kann nicht anders antworten, als der geringste nicht tolle Mensch: die Fragen richtig zu stellen, auf die es ankommt; und den Weg zu bahnen, ihn aufzu- räumen, keine falsche Frage beantworten lassen zu wollen, ist das Geschäft der Philosophie. Daß sie grad und unbefangen bis zu den letzten nicht zu beantwortenden kommt, das hassen die meisten Leute. An Fräulein von R., in Dresden. Berlin, Mittwoch 11 Uhr den 19. September 1827, Nach hesperidischen Tagen ein Sonnenducken, umzogener Him- mel, der nur wie durch Fenster das Blaue sehn läßt. All mein Glück von der Dresdener Reise war darin ent- halten, daß Sie, geehrte theure Freundin, sie wünschten und wollten. Wahr, wahrlich! das Beste davon hab’ ich also hier genossen; und es bleibt mir zum stäten Genuß und tiefer Freude! Fast schäme ich mich, ausgeblieben zu sein; und doch konnte ich nicht kommen. Wenn mir die Umstände so recht expreß etwas versagen, wozu sie ordentlich wie Anstalt treffen müssen, so halte ich es jedesmal für einen himmlischen Avis! — wie, wenn wir unterwürfige Aufmerksamkeit darauf richten, es sich uns auch nachher immer zeigt. Diesmal führte, wel- ches nie noch bei mir eintraf , der Himmel mir ein peku- niäres Ereigniß, ein Erbschaftsgeschäft von meinem Väter- lichen (!!! dreißig Jahr alt) herbei, wo ich natürlich nicht gewann, nur nicht verlieren durfte: und das in V.s Abwesen- heit, die ich auch noch fast nicht erlebt habe, als jetzt. Es sollte also nicht geschehn. Alle uninteressante Details münd- lich, nur mündlich; weil es doch interessant bleibt, wie sich auch niedere Geschichten, allem Urtheil ausweichend gestalten können; und uns das lehren kann, Geschichte zu beurtheilen: aufgeschriebene, und erlebte, da sie doch aus Geschichten be- steht: und wiederum doch nur durch Urtheil zu Historie wer- den kann. — Ich bin doch froh, da ich die erheiterndsten Nachrichten fast täglich von Varnh. über seine Reise erhalte; Briefe, die ich mir ein Fest mache Ihnen mitzutheilen: und wie gedruckt in der Handschrift zu lesen. — Haben Sie nur die Gnade für mich! mich (wenn auch nur durch Ihres Herrn Vaters Kanzellisten) wissen zu lassen, wann Sie eintreffen, hier; den Tag. Ich bitte! Den 25. dieses erwarte ich Varnh. Eins muß mich auch noch für jetzt — es wird sich auch wohl zu Besserem auflösen! — krän- ken. Das ist, die Familie B. nicht unter Ihrem Schutz gese- hen zu haben. Das empfinde ich vollständig. Ich verfolgte alle Tagesstunden in meinen Gedanken, wie Sie Alle sie dort in den goldenen Herbsttagen verleben könnten; und sah wie sich die zwölf Stunden für Henriette zu zwanzig und noch mehr vermehren, in Vergnügensmomenten, Arbeiten aller Art, und geselligen Leistungen! Das kenne ich. Meine Nichte hatte die Ehre Sie auf der Galerie zu sehen; ich sah Sie allent- halben. Nun geht’s in vier Tagen nach H.; da geht’s über Jena? Weimar? da könnte Varnh. das Glück haben, Ihnen zu begegnen! Glückliche Reise! Schönstes Wetter: prächtige Gesundheit für die verehrten Eltern und Sie Alle! Genießen Sie Luft, Lichter, Sonne, Wolken, Grünes, Berg, Thal, Dorfschaften; alles, ich nehme Theil daran; so, daß ich’s habe . Kommen Sie Alle gekräftigt, erfrischt wieder! Das glückliche Ereigniß in H. errath’ ich auch: und gratulire herz- lich. Hier ist es, wie Sie’s kennen, nur daß Militair und Civil in den reisenden Lagern lebt, von Staub lebt, ohn- erachtet des Staubs; nur ein Komödien-Publikum ist doch noch zurückgeblieben; findet sich vor, um alle Tage eine auf- tretende Sängerin zu hören. Mlls. Tibaldi und Bamberger; heute, — ich mit, — Mad. Kraus-Wranitzky, Schwester der Mad. Seidler, aus Wien. Gestern — sehn Sie meine Aus- schweifungen! — habe ich wahrlich „nach der Kunst gelebt;“ wie A. W. Schlegel sich Schakespeare’s Julie ausdrücken läßt, über einen Kuß. Goethe sagt, man sollte alle Tage etwas von ihr, der Kunst, Bereitetes ansehen, hören, oder lesen. Ich setze hinzu: um vom Himmel zu kosten, nicht nur da- für zu arbeiten. So habe ich gestern Königin Elisabeth, in Kenilworth, von Mad. Wolff auf die Bewunderung verdie- nendste Weise gesehn! Eine Person sich so vorzustellen, als diese Elisabeth, ist schon vom Dichter, und vom vollkommen- sten Künstler: sie dann darnach so vorzustellen, stupend! und weit über meine Fassung. Durchaus wahr, ganz, erhaben, pittoresk; so gelungen, daß es natürlich ward, nicht blieb . Vortrefflich: das müssen Sie sehn: ich bereite dann Mad. Wolff vor. Sie spielte, sie strengte sich meinetwegen ! gestern an. Gott befohlen! Ihre ergebene F. V. Die treuesten, ergebensten Grüße Ihren liebenswürdigen Eltern ! der theuren Schwester! — Mittwoch, den 26. September 1827. Alle Menschen waren dereinst Ein Mensch. Die ärgste Folge des begangenen Irrthums ist, dies vergessen zu ha- ben; und glauben zu müssen, wir leiden ungerecht willkürlich. Den tiefern Ursprung aber, den der Möglichkeit des Irrens, müssen wir einer höheren Einsicht anheim stellen. — — Mitt- woch, den 26. September 1827. Längst schon erdacht. — Alle begabten Geister und denkende Menschen haben von je an nur immer dasselbe ausdrücken können, so verschiedener Bilder sie sich bedient; von so verschiedener Weise sie die Welt, oder was sich in ihr bewegen kann, durch Einfälle darzustellen vermochten; und so lange nicht anders organisirte Geister er- scheinen, wird das so bleiben müssen. Ein System erfinden, kann doch nun nichts anders heißen, als die Fähigkeiten des mensch- lichen Geistes selbst ergründen, benennen, klassifiziren, und ihm die Ordnungen anweisen, nach denen er handeln muß, und worunter auch alle Einfälle (oder Eingebungen), die er haben kann, zu stellen sind. Dies thut Fichte. Wie der Mensch aber sich das vorstellen mag, worin er gar keine Thätigkeit ausüben kann, nämlich das Vorgefundene; seine Fähigkeiten, die Natur, sein unwillkürliches Handeln: gehört nicht mehr zu seiner Philosophie und Thätigkeit, zu dem, was sein Kopf sich zu seinem eigenen Genügen auseinandersetzen, zum Ver- stehn darlegen kann. Das sind lauter parties de plaisir im höhern Sinn: generöse Voraussetzungen; Dichtungen. Alles im höchsten Sinn: wie denn in dem überhaupt nur gelebt sein soll. — Donnerstag, den 27. September 1827. Bei Franz von Baaders religiöser Philosophie. Sonntag, den 4. November 1827. Auf der Erde kann einem nichts schrecklicher genommen werden, als die Erde, oder diese stückweise; und das ist auch genug. An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Dresden. Freitag, Berlin den 23. November 1827. Vormittag halb 12. Leichter Schnee auf den Dachern: endlich ohne Wind; nicht zu kalt; ich, seit gestern nur, aus einem erleichternden Fluß- fieber erstanden. Sonst wären Sie mir nicht zuvorgekommen. Theure Gräfin! Also glauben Sie mir danken zu müssen, wenn ich Virginia einsehe, und erkenne? meine strenge Schul- digkeit thue; wenn mir auch das Fräulein nicht einleuchtete? Und doch weiß ich, wie ein solcher Dank entstehn kann; wir schieben ihn nur vom eigentlichen Orte. Dem Schicksal dan- ken wir in solchem Fall; daß es uns endlich Einmal einen erleben läßt, wo ein Mensch menschlich, nicht wider- und stumpfsinnig, leer und hohl, handelte. So selten ist dem zu begegnen! und darüber, daß es so ist, kein Wort! — weil alles, was gesagt werden kann, nur dies begründete; denn es hat den tiefsten, und alle Gründe. Ich will Ihnen, treue verehrte Frau, etwas Angenehmes sagen, woraus Sie auch zugleich den Punkt entnehmen können, auf dem wir in Bil- dung, Lebens-, Welt- und Menschenkenntniß stehn. Virginia gefiel uns gleich so, daß wir uns sogar gleiches Alters mit ihr dünkten, und uns gleich so mitten Verkehrs mit ihr fühl- ten, und erkannten, als hätten wir von den vielen Jahren her ohne Trennung mit einander fortgelebt. Sie ist wahrhaft gewandt; im Verstehn, Auffassen, richtig Handhaben, und Be- kanntsein mit allem, was edel ist, verständig und geistvoll. Alle edle Voraussetzungen findet man mit ihr fertig vor; und so ist es leicht, ein feines tieferes Leben weiter leben. Sie hat ein komplet, gebildetes Betragen, welches nicht auf modischen Manieren, oder solchen Putz ankommt; bei welchen ein Vier- teljahr in Einsamkeit zurück, eine Dame oder einen Menschen arrierirt, veraltet, altfränkisch, unbeholfen, und unbeholfener aus Verlegenheit, macht. Sie hat in sich wirklich gelebt; und daher mit ihren Gedanken begleitet, was in der Welt vorge- hen kann; also, das was vorgeht. Noch einen unumstößli- chern Beweis wahren Fortschreitens giebt sie aber durch ihre zur wahren Güte ausgebildete Nachsichtigkeit, und leichtes Nehmen, freundliches, der Vorfallenheiten, und Dinge. Sie hat davon eine ganz feine Physionomie; und was ihr diese ungestört erhält, ist eine vollkommene Eitelkeitlosigkeit, auf gesellschaftlichen Stufen, irgend nur etwas ringen zu mögen! Das allein — wie die Treppe nun Einmal gebaut ist! — giebt Adel. So erschien sie mir: und ich gratulirte ihr laut im Gespräch mit Varnhagen; der besonders viel — seltenster Fall! — mit ihr sprach, und ganz und gar ihr applaudirte; wie ich. Wir gratuliren auch Ihnen, theure Gräfin; weil solch gelungene Tochter von innrem Glück zeugt; und dafür bürgt; es ist zu ächt, um noch Stolz Raum zu lassen, sonst könnten Sie auch stolz sein, so etwas neben sich wachsen zu lassen. Bedeutende Mütter hindern oft. Sie wollten nun doch gewiß, gute großmüthige Gräfin, diesem Kinde freundliches Leben; Freundesberührung aller Art; was Künste, Litteratur, und gesellige Bewegung mit sich bringt, durch die Seele rinnen lassen! Hier sind Sie von all dem er- wartet. — Sie sind alt, und würdig, und — auch mate- riell — frei genug, um sich zu zeigen, wie Sie eben grad sind, eben grad sein wollen. Leben Sie doch — was fast Schuldigkeit ist — in Ihnen angemessener Mittheilung und Bewegung Ihr Leben ab! Wir sind die Geschöpfe mit Sprache geschaffen; zur Erörterung, zur Vernunftdarlegung bis in die kleinsten Dinge hinab: Mittheilung ist unser Wesen: daher unsre Pflicht. Durch sie nur werden wir urbar. Kommen Sie, liebe gute Freundin. Ihr Neffe Kalckreuth denkt dar- über wie ich: wir haben schon alles erörtert. Er wünscht es; er bittet wie ich ; doch zweifelt er mehr als ich. Er war gestern Abend mit ein paar Leuten, erst allein bei mir, alles zufällig. Die große Welt kann Sie gar nicht stören: die lebt sehr eingeschränkt. Fragen Sie Einmal Graf Kalckreuth, Ihren Neffen von Siegersdorf — ich spreche immer nur von dem. — Und für die sind Sie nur die Gräfin Schlabren- dorf. Schicken Sie also keine Karten mit dem Worte drauf, so existiren Sie nicht für sie. Sie existirt doch nun auch nicht für Sie. Zu Hofe wollen Sie nicht; Ämter auch nicht: Amüsement ist nicht da. Also; sie kommen an, schicken Kar- ten zu denen, die Sie wollen , mögen, sie seien aus wel- chem Kreise Sie wollen. Es macht sich in dem großen Orte alles. Sie kommen Ihrer Gesundheit wegen: einiger Freunde, heißt es, wegen Vorlesungen; was Sie wollen. — Zeigen sich unerschütterlich über caquet, verbieten es, verbitten sich es- und leben hier etwas heiter, und Virginien zur Freude! Ich will Ihnen für Ihr Geld gutes gesundes Essen auf meinem Heerd preiswürdig kochen lassen; Sie lassen es holen: Sie wohnen mir nah. Das alles ist zu haben. Ich lebe in einem Ihnen angemessenen Kreise. Ich habe eine gute, billige, nahe Waschfrau; weiß die besten, billigsten denrées. Bin vollkom- menste Hausfrau. Werde Sie pflegen, und pflegen lassen. Kommen Sie. — Es bleibt uns unbenommen, im Sommer eine Reise mit einander zu machen. Denn ich will ausreisen, wir verabreden wohin . Varnhagen legt sich Ihnen ehr- furchtsvoll zu Füßen, geehrte Freundin! Er und ich haben nie an Ihrer Billigkeit, und Einsicht über uns gezweifelt: kleine neckende Äußerungen, oder Mißverstehn; oder was es sonst in diesem Fache sei, worüber man sich von weitem nicht aus- verständigen kann, sollen den Freunden auch für künftig zu Gebote bleiben: wer ächt ist, weiß sich doch in Ihrer Seele sicher und fest: und so war es mit uns; wahr und wahrhaf- tig. Meine theure Gräfin! wie haben Sie nur noch geglaubt, ein Wort darüber verlieren zu müssen! Wie reif, und gut, und sanft bin ich geprügelt! Ein kleines Engelchen. Ein sol- ches, wie aus einem Thierchen wie ich, werden kann. Ganz artig, und still. Es ist zu matt dazu, und sieht: Schreien hilft nichts. Muße, Muße! innre Muße schafft sich das alte Menschthier, das neue Engelchen, soviel als möglich: und ach! wie kärglich die, wegen Zeit. Aber ruhig ist der ausgebrü- tete Engel. Nun wissen Sie alles. Und kommen, und sehn! Ihre Sie erkennende, also treu ergebene Fr. v. Varnhagen. Den 25. December 1827. Die Gewißheit, daß andre intensiv reichere Geister existi- ren müssen; aus dem unläugbaren Bewußtsein einer Zerstücke- lung in uns, eines Abgeschnittenen — nicht nur Begränzten — welches aus dem Beziehen in uns ohne auf ein Bezogenes kommen zu können, hervorgeht, diese Gewißheit begnügt uns durchaus nicht: und wir sind rein isolict, Mir aber zum Be- weis und Trost ist die Betrachtung unseres Verhältnisses zu den Thieren: auch sie sind absolut durch ihre Beschaffenheit von unserm Geist geschieden — nicht in Raum und Zeit. Wohlthun aber können wir ihnen: nicht allein wir haben das Vermögen dazu, sondern dem Vollführen stellt sich nichts ent- gegen, wenn sie nur vernunft- und gutartig genug dazu sind. Auch, finde ich, haben sie einen Vortheil vor uns voraus. Wenn sie auch ihren Gott, den Menschen, nicht verstehn, so sehn sie ihn doch; ihr gröberer Geist muß mehr unterstützt werden; kann man sagen. Ein mich sehr aufklärender Ge- danke ist der für mich: daß es unmöglich für uns wäre, die Idee von Recht und Unrecht irgend zu imaginiren, wenn wir sie nicht in uns vorfänden — und die der eben so kunstvollen Beschaffenheit der Thiere doch fehlt —, dies bürgt mir für wieder nicht zu imaginirende höhere Zustände, und Beschaf- fenheiten: und gelangte ich nie dazu. Hiebei fällt mir das Wort Bürgen, Bürgschaft, Bürge auf! — Einer bürgt für den Andern; die Bürgschaft dazu ist ganz gleich in jeden gelegt. Sinn für Gerechtigkeit; Ver- nunft; und das sinnlose, nur Einen Sinn besitzende, alles be- lebende Organ, das Herz. Das Herz weiß nur Eins : „Es ist wie es sein soll; oder wie es nicht sein soll.“ Es nimmt nur blind die Summe auf und giebt die an. Es bestimmt, was wir sollen ertragen können. Immer Gerechtigkeit für Andre: Muth für uns selbst. Das sind die zwei Tugenden, worin alle andern bestehn. Den 11. Januar 1828. An Friederike Robert. Freitag Abends 12 Uhr, den 16. Januar 1828. Ich danke Ihnen recht sehr, liebe Rika, für Ihren klugen, guten, beruhigenden Bericht von heute Morgen! — Ich wäre gewiß zu einem gesellschaftleistenden Besuch zu Robert gekom- men, wenn ich nicht noch zu ausgesprochene Luftscheu empfun- den hätte: welche ich immer sehr zu beachten habe. Auch fürchtete ich ein für mich zu heißes Zimmer, welches ich kurz nach Brustbeschwerden nicht hätte überwinden können. Wohl aber hatte ich zu überwinden: die größte Lust, Robert zu se- hen; weil mein Hauptleid, bei einer Trennung von Robert, für mich in dem Gedanken besteht, daß er ohne mich krank sein könnte! Der Mensch ist ein Narr; und ich bin ein Mensch. Ich habe meinen Abend mit Lesen, und Varnhagen, zuge- bracht; und von halb 8 bis etwa 9 war Professor Hegel bei uns: nachher las ich erst. Ich wollte eben seine vortreffliche merkwürdige Rezension Hamanns lesen. Friedrich Schlegel haben wir nicht mehr. Wie schätzte ich nun den großen Mann doppelt, der da saß! — Lernt’ ich nur gleich wieder einen großen Deutschen an Schlegels Stelle kennen! Es klingt wie Platitüden, was ich von diesem vornehmen Geist sage, dessen Freundin ich war: und dem ich unendlich viel sagen durfte. Frau von Humboldt ist sterbend: lebt. Und Friedrich müssen wir erst missen. Was sagen Bartholdy’s zu der unseligen Schwester? Nichts. Hamlets Rest: Schweigen. Ophelia’s tiefstes metaphysisches Wort: „Es wird schon alles gut wer- den: wir müssen nur Geduld haben.“ Platitüde; wenn nicht Shakespeare’s Gedanken es hervorbringen: Platitüde, wie alles Positive, flach genommen, von Flachen. Ich freue mich, Louis, daß dein Kopf so klar von den Iglen geworden ist: höchstes Genießen! Wundre dich nur nicht, wenn du dich schwach da- von fühlst: ich war es lange, von zwei Stück. Es ist nicht die Masse Blut, die es macht; sondern der Igel Art. Darf Robert alles essen? Morgen hoff’ ich ihn zu sehn. Gute Nacht! F. V. Varnh. will auch morgen aus; ich weiß noch nicht, ob ich’s leide. Unser Willen ist der Gang , Nach dem Zwang. Immerhin, es sei! Einsicht macht uns frei. Montag, den 16. Februar 1828. Montag, den 25. Februar 1828. Als mich die gewaltsamen und schamlosen Wahlen zu der französischen Kammer sehr ärgerten, und gänzlich unbegreiflich schienen; schienen; dacht’ ich: es muß zu einem Äußersten kommen. Kompakte Irrthümer, die gar nicht aus den Köpfen hinaus- kommen wollen; fallen am Ende mit den Köpfen. Das ist nicht nur so gesagt: sondren, einfach, so geschieht’s. Wahr- heit siegt, wenn auch noch so spät: dacht’ ich. Aber was ist Wahrheit? — fragen übelgesinnte, unphilosophische Menschen. — Wahrheit ist, die immer genauere Einsicht, in die wahre Beschaffenheit der Dinge. Daher: je genauer, je zusammen- gezogener, je kleiner, je weniger davon zu sagen: je einiger, und zu allem, was der menschliche Geist zu behandlen hat, passender. Daher die, welche Geist haben, Verstand, Urtheil, ungestörte Einsicht, diese geschwind in allen Fächern der mensch- lichen Beschäftigungen zu gebrauchen vermögen. So ist es auch in der geordneten menschlichen Gesellschaft; dem Staat. Welche drückende, kampfbringende Versuche wurden erst gemacht, ehe die Völker gelehrt wurde, daß Gleichheit die einzig möglich zu erlangende Freiheit sei; d. h. daß Allen nur dieselbe Por- tion Freiheit zu Theil werden kann und soll. Diese einfache, vereinfachte Wahrheit — die wahre Be- schaffenheit des Verhältnisses der Menschen zu einander — bekämpfen — man kann nicht sagen bestreiten — sie in den französischen Kammern noch zur Stunde. Sie ist aber von so vielen Einzelnen schon gewußt und begriffen, in so vielfa- cher Weise angewandt, und in’s Leben gegangen, daß die Wi- derkämpfer nun bald als Einzelne dastehen werden, sobald sich nur die Einzelnen einen Gesammtnamen werden gegeben haben: und dann wird jenen der Irrthum gewaltsam entris- sen. Das nennt man Geschichte. Vielleicht — wenn die Erde III. 21 hält — wird sie Einmal in etwas anderm bestehn. Pöbel selbst wird geläuterte Ansprüche haben; weil keine so unmenschliche pöbelhafte Einsprüche von Rechts wegen mehr werden ge- macht werden. 1828. Gestern den 25. Februar dachte ich morgens in meinem Bette an Frau von *, weil ich sie nur approbiren kann, und ich doch so sonderbare Eindrücke von ihr erhalten hatte; so, daß ich nicht einschlafen konnte, nachdem ich sie gesehen hatte. Immer stand mir ihr Gesicht vor meinen geschlossenen Augen; ja, ich versuchte mir anderer Menschen Gesicht vorzustellen, und es ging nicht: immer kam ihres wieder. ( Par parenthèse! ist mir dies nie mit einem Geliebten geschehn: was doch so häufig erzählt und als so bekannt angenommen wird. Äuße- rungen, Arten, Unarten, die konnten mich wohl halbe Nächte und Tage beschäftigen.) Ich will mir den Eindruck hier auf- schreiben, um ihn in Zukunft an meiner Kenntniß ihrer zu prüfen. Jetzt gefällt mir alles, was sie sagt und äußert, sehr wohl: sie hat durchaus einen bearbeiteten Kopf — seltenstes Begegniß! — ist geübt in Dialogen mit sich selbst; und noch obenein sehr gebildet und gewandt im Ausdruck, ohne im mindesten affektirt dadurch zu sein, oder an Nachdruck verloren zu haben; zeigt im Gespräch sich reich in Beziehungen, und Wendung von einem Gegenstand des Denkens auf den an- dern. Ist gerne wahr; denn sie ist es leicht, wo sie sieht, daß es angebracht ist; belebt und belebend, und gewiß noch fähiger, als schon ausgebildet. Mit Einem Wort! ich weiß in mir selbst nur Lobendes von ihr; und fand sie weit, weit besser, als ich sie mir nur irgend, nach allen Erzählungen von ihr, denken konnte. Ihr Gesicht aber ist sonderbar: und noch find’ ich in ihr nichts von dem: und deßwegen will ich es hier festhalten. Im Profil kann sie fast wie garstig sein: fixirt man sie en face von dem Haar herab — engelhaft schön! Das aber ist das Sonderbare nicht: es liegt in der Formation der Gesichtsknochen, die sich eben im Profil nicht schön zeigen; an den an sich schönen Augen, die den süßesten, vortrefflichsten, freudigsten, unschuldigsten Ausdruck von ihr annehmen; und an den zu schönen Farben für den Bau des Gesichts — welches jedesmal eine grelle Beleidigung zuwege bringt. — Was mir aber sonderbar vorkommt, weil es mir noch unerklärt ist, und sogleich wahrnehmlich war, ist der wechselnde Ausdruck ihres Gesichts von drei, vier, verschiede- nen Personen, die ungemischt hintereinander erscheinen; (das hab’ ich in ihrem Wesen nicht finden können, obgleich schon gesucht, eben nach dem Gesichte;) bald ganz hart, leiden- schaftlich, unharmonisch, nicht von Bildung — innrer — ge- mildert, zerzerrt fast; bald himmelkundig, kinderhaft, sanft, freudig, vollkommen gebildet. Sollte das doch von den schö- nen Farben, und den minder schönen Formen, von face und Profil, von Kopfwendung, und der Richtung unserer eigenen Augen auf all dieses kommen? Eins ist ausgemacht: ihr Mund ist nicht gebildet — was oft ein fast unförmlicher doch sein kann, — aber in ihr habe ich noch nichts gesehn, was dem entspräche. Es ist eine ungemeine Frau: und kann auch 21 * eine liebliche Kreatur sein. Es soll ihr wohlgehn! sie verdient es gewiß noch besonders. — An Adelheid Fürstin von Carolath. Berlin, den 3. März 1828. Ihr Geburtstag! Geliebte Freundin! Unter allen Segen, Wünschen und Gebeten, sind Sie auch von den meinigen überzeugt; sie er- strecken sich auf das ganze Jahr und auf Alle, die Sie lie- ben! Das wissen Sie. Kostbare Eigenschaften, die Sie vor mir voraus haben, und die den lebendigsten Liebespunkt in meinem Herzen eben deßwegen in entschiedenen Anspruch neh- men, möchte ich hegen, und mit Einer, die ich voraus habe, bewachen; hüten, beschützen. Mit bändigender Wachsamkeit, — la force de la prudence, auf Deutsch — mit der leidigen prudence; sie macht leiden , wenn wir noch etwas Besseres besitzen und sind, als sie. Sie tödtet: und vieles in uns ab- tödten, ist unsre leidige Aufgabe: ist die Bedingung, wenig- stens die Hälfte davon zu genießen. Wer aber kann dies Grausame anrathen! ich nicht ! Darum wünsche ich: meine Eigenschaft möge Ihre Gaben, Ihr Sein bewachen können: wie denn menschliches Wohlwollen, Freundschaft, nichts ande- res, als Vertrauen , und Ergänzen sein kann. So viel ist gewiß: das Schöne, das Gute in Ihnen hat seine Ruhe- stätte in meinen Augen, in meinem Herzen: und wie Sie sich äußern mögen; ich weiß es daher zu leiten, und muß es als von daher fließend ansehn: und nicht ich allein ; Sie haben noch andre Freunde; wenn auch jeder das Schöne nach seiner Herzensweise sieht. Ich gebe meiner den Vorzug, weil ich sie eben fühle; das thun die Andern wohl auch. Sehn Sie, theure Fürstin, diese gewichtigen, süßen Worte als mein Angebinde an! Sie enthalten Frühlingsblumen; und Früchte — durch innigste, entschiedene Wahrhaftigkeit. — Geben Sie sich in dem gewühl- und gefühlvollen Tag keine Mühe mir zu antworten! Wenn es angeht, komme ich noch einen Moment: sehe Ihnen in die guten Augen; und küsse Ihnen, wie ich Kindern thue, die Hand. An Frau Generalin von Zielinski, in Frankfurt an der Oder. Freitag, den 14. März 1828. Graues, Südwestwindwetter, seuchtlich, und doch nach dem Frühling hinneigend, ohne für Wetterempfind- liche zum Spazirengehn zu sein. Tauben fliegen, blaue Fenster brechen in den Himmel, und lassen hie und da, wie jetzt, Helle durch. Sie werden nicht bei mir wohnen wollen. Das hab’ ich mir zugezogen mit der Pause ehe ich Ihnen antwortete. „Wird der Kluge klug genug sein, nicht klug zu sein,“ sagt Oranien (Alba) — glaub ich — in Egmont. Wer- den Sie wissen, daß alle meine Äußerungen gegen Sie wahr, und dauernd waren, trotz des unpassenden Schweigens? Ja: und das dacht’ ich alle Tage heimlich, wenn ich immer ant- worten wollte, und doch nicht antwortete; denn das Schreck- bild, die lähmende Wirkung meiner Versäumniß hielt ich mir gleich in den ersten Tagen derselben vor den Augen. Ich bin eine Frau ohne Kinder; die nicht mahlt, nicht singt, nicht stickt, nichts verfertigt: und alle meine Stunden werden mir geraubt — mit Gewalt — gestohlen, zerrissen, entwandt, ver- stümmelt, verdorben. Dies ist ganz mein Fehler ; ich ver- hehle es mir nicht, und keinem. Aber dieser Fehler ist so gründlich, so aus meinen besten Kräften, und Säften, und aus meinen schlechtesten gewurzelt, daß ich nichts dran ändern kann; nur daran rütteln, und schütteln; und alles noch mehr verderben kann. Der Tagesanfang ist Krankheit: die sich je- desmal nach dem Schlaf äußert. Mehr, als oft, müssen die Morgenstunden erst, den Schlaf liefern; und, dann ihn ver- dauen, so zu sagen. Ist das geschehen; ist bei Jung und Alt schon Ausruhestunde. Kinder, Große, Nichten, Neffen, Herren, Damen, Rechnungen, Briefe, Bitten, Billets, Einladungen — sich widersprechende — Wirthschaft; alles tobt und wogt — wulgt, sagt das Volk hier ausdrucksvoll — unter einander, und macht mich krank für den folgenden Tag! — Dies wäre etwas für Frau von Wißmann!!!! — deren Sinn und Gemüth bildet eine andere ! eine entgegengesetzte Ordnung um sich her! Die Erzählung davon muß ihr schon hassens- werth, und verwirrend sein; denk’ ich mir. — Jeder will nur einen kleinen Moment, eine Viertelstunde, einen Abend: und ich?! enkouragire Alle dazu. Wie, und wieso: das einmal in einer lustigen Viertelstunde mündlich . Liebe Ver- nunft! was habe ich gemacht! Sie werden in mein so geschil- dertes Hauswesen nicht eintreten wollen! aber Sie haben es gesehn; und ich versichere Ihnen, es ist still, und ruhig darin: ich bin es eben, die allen Trouble übernimmt; und die die ewige Ordnung darin macht; und daher nicht hat. Lassen Sie sich nicht abschrecken! Meine Nichte freut sich noch , zehn Tage in einem kleinen Häuschen in Baden bei mir gewohnt zu ha- ben; bloß, weil es so ruhig, und behaglich war, so bequem, und amüsant. Ich rühme mich, als ob ich ein Gastwirth wäre: ich will es gerne sein. „Sie sind wirklich klug genug“ ꝛc. Zum Exempel! Varnhagen sitzt jetzt in einer Ruhe, und ar- beitet, wie Friedrich der Zweite auf Sanssouci. Und so wer- den Sie sitzen. In einem geräumigen Zimmer, wo keine Klin- gel zu hören ist. (Bei mir war während diesem Brief: Herr Passalacqua, dann ein Schneider, dem ich Kinderkleider be- zahlte: ein Billet um Bücher von der Gener. von Hünerbein: verschiedentlich meine Jungfer, ich soll ausgehn; will sie:) Mittwoch, den 19. März, Mittags 12 Uhr. Graues Windwetter. Ist es glaublich, daß dieser Brief liegen blieb! Ich mag Ihnen nicht erzählen, — es wären nur Variazionen auf das Thema, welches schon nicht hier stehn sollte: Sie sollen nur wissen, daß eben jetzt mein Nichtchen bei mir steht und spricht: aber mit Gewalt will ich diesen Brief, von dem Varnhagen nichts weiß — er ist im russischen Bad — endigen, damit er Ihnen zukomme, roh wie er ist. Ja, roh. Ich selbst könnte ihn tausendmal besser machen. Auch soll Varnh. ihn nicht zu Gesichte bekommen. Gestern erhielten wir einen Brief von Ranke aus Wien; ziemlich geschäftlich — er will nach Italien, vielleicht ist es noch ein Geheimniß, und könnte nur zu sei- nem Schaden aufhören eines zu sein. Warnung!!! — nur so viel Anderes, daß das Erste nicht zu behaupten wäre: aber so vortrefflich, so rein vornehm geschrieben, wie alles von ihm. Und als ich jetzt wieder Ihren Brief durchsah, und den reinen gebildet fließenden Stil fand, dacht ich: daß Sie eine würdige Schülerin Rankens sind. Gelernt können Sie das von ihm nicht haben: aber dies Talent hängt mit den andern Gaben zusammen, wegen derer Sie seine applaudirte Schü- lerin werden konnten: und es auch schon wollten. Ich denke an das, was Sie mir sagten daß Sie unternehmen müssen, um unordentliche — dies Wort ganz verstanden wie Sie es sagten: kein andres kann’s ersetzen, darum gebrauch’ auch ich es — Thränen, Gedanken, Empfindsamkeiten, Wünsche gleich- weg zu tödten. Sein Sie also nicht bescheiden, lassen Sie sich einsehen wo Sie zu loben sind: ich finde vielleicht ande- res zu tadeln, wenngleich nicht das, was Sie nannten. Adieu, liebe neue Freundin! Eine ganz alte sitzt und wartet, die ich seit dem fünften Jahre kenne. Lächerlich! „Es soll anders werden!“ Sag’ ich wie Lilli’s Bär. Aber es soll doch. Ihre ergebene F. V. Darf ich Frau von Redtel hier freundlichst grüßen? und Fräulein Anna. Es ist schon wieder der 21. geworden. Abends 7 Uhr. Aber morgen soll dieser unförmliche Brief, an Leib und Seele, auf die Post. Was er für eine Fa ç on hat! Es regnet, und riecht etwas nach Mai. Ich bin disgustirt: ich wollte ins Königsstädter gehen und eine Freundin — schöne Freundin! — lies mich sitzen. Ein Freund muß mit seiner Mutter Boston spielen; Varnh. ist in einer Donnerstagsgesellschaft, die heute Statt hat! — Es wird ein sehr hübsches Stück von meinem Bruder gegeben — ich sah es schon. Kommen Sie zum Mon- tag , da wird das Stück wiederholt; wenn auch nur auf zwei Tage. Steigen Sie bei mir ab. Adieu, der Brief ist ein Rondeau, er hört auf, wie er anfängt. Das geschieht mir oft mit Briefen. Während ich schrieb, bekam ich wieder ein Billet, wegen eines blinden Schneiderburschen; von einer wohlthätigen Freun- din. Ich mische mich aber auch in alles: (ich mische mich just nicht: ich lasse mich gebrauchen: bin willfährig. Aber zur Un- zeit.) in Arme, Litteratur, Theaterbillete, Bälle, Toiletten, Narrheiten, Geschäfte, Spielsachen. Das ist des Räthsels Auflösung: da steht’s leibhaftig. Adieu! Kommen Sie zum Montag!!! Dienstag, den 18. März 1828. Frau von Kalb ist von allen Frauen, die ich je gekannt habe, die geistvollste; ihr Geist hat wirklich wie Flügel, mit denen sie sich in jedem beliebigen Augenblick, unter allen Umstän- den, in alle Höhen schwingen kann; dies ist ein absolutes Glück, und sie fühlt sich dadurch so frei, daß sie nach dem erhabensten oder tiefsten Geistesblick öfters lacht, wo es gar nicht hinzu- gehören scheint: gleichsam, in dem Gedanken, daß es etwas Komisches hätte, nur in der eben erblickten Sphäre verweilen, oder gar bleiben zu wollen: flugs nimmt ihr Geist eine andre, öfters entgegengesetzte Richtung, und thut da wieder Wunder. Auf diese Weise giebt sie sich auch getrost, und eben so frei, hergebrachten Meinungen. Vorurtheilen, beliebten, herrschen- den Formen des Seins und Denkens hin: sie kann doch lachen und vergnügt sein. Ein wenig lüftet sie die Flügel: und die leere Last sinkt zu ihren Füßen, an den Boden: und die edlen Gedanken nehmen ihren Flug. Frau von Arnim ist von allen, die ich kannte, die geistreichste Frau. Man möchte sagen: ihr Geist hat die meisten Wen- dungen. Ihr Geist hat sie, nicht sie ihn. Was wir Ich nennen können, ist nur der Zusammenhang unsrer Gaben, und die Regierung derselben, die Direktion darüber. So wie Frau von K. jeden Gesichtskreis als solchen verlassen und in der Gewißheit, einen neuen zu finden, freudig sein kann; so leuchtet, oder blitzt wenigstens, bei Frau von A. Mißvergnügen gegen das eben Gefundene hervor, und dieses spornt sie an, um jeden Preis Neues hervorzufinden; — dies Verfahren aber kann nicht immer ohne Störung vorgehen. Den größten weiblichen Karakter, den ich je gekannt, hat Gräfin Josephine Pachta. Nichts hat sie abgehalten, nach ihrer Überzeugung zu handeln; und nie war sie darin gestört. Auch die ist freudig: und durchaus ehrwürdig. Der einzige metaphysische Kopf, den ich je unter Wei- bern kennen lernte, ist die Großherzogin Stephanie von Ba- den. Unter allen Umständen zum Denken aufgelegt, und fähig. Unwillkürlich in jedem Gespräch darauf hinarbeitend. Und auch, wie die andern Hoheu , nur störungsweise nicht immer in den höchsten, heitersten Geistesregionen; in jedem Augen- blick aber dahin zu versetzen. Alle diese Frauen haben noch tausend angenehme, liebe Eigenschaften: jede nach ihrer Art modifizirt; Talent, Ver- stand, alles. — An Ludwig Robert. 1828. Unsern Willen frei machen, ist unser Geschäft. Können wir wohl einen willkürlichen Willen voraussetzen? Was sollte uns in dieser Kur bestimmen? Unsern Willen befreien von Hindernissen, kann hier nur freimachen heißen. Wir sind ja nur ein Gesetz; begeistigt durch Einsicht und Übereinstimmung. Schachspieler wollen, nach von ihnen selbst bestimmten Gesetzen einen auch von ihnen bestimmten Zweck ausführen; und kombiniren sich so nach diesem durch allerlei ihm fremde Kombinationen durch. Sie treffen, und irren; wollen aber immer dasselbe. Wir bewegen uns nach einem vorgefundenen, und endlich auch erkannten Gesetz. Dies ist unser nicht mehr zu trennender einfacher Wille; oder besser, Wollen. Je viel- stimmiger, harmonischer wir den machen, je geschickter, je ge- schwinder wir zu dem herabkommen in uns, desto fertiger. Spielen aber sollen wir, nämlich leben. Wir finden das Spiel vollkommen aufgestellt. „ Das ist ein Faktum .“ Nicht der Sündenfall. Es ist eine Sünde, ein tiefster belei- digender Irrthum, Sünde anzunehmen im Aufbau der Welt!!! in des höchsten Geistes Spiel. Darin liegt Wohlthat, Fest — fête —. Und nicht elender Sündenfall. Solche Voraus- setzung müssen Geister , edle Wesen, machen. Und wie Schach Gesetze hat, so hat das Leben unbedingte. Mit denen sich nicht handlen läßt. Aber das Dasein spielt aus einem an- dern Ton. Die Spekulation : nämlich, das Ergründen höheren Zusammenhangs, als den wir kennen können. Dies glaub’ ich. R. ( Mündlich .) Ein geistreiches Fräulein, in ihrem Kreise seit langen Jah- ren wegen ihrer unerschöpflichen Witzworte und scharfen Wort- spiele berühmt, heirathete endlich einen sehr wackeren jungen Mann, den ihre Lebhaftigkeit sehr angezogen hatte. Nach einiger Zeit sprach man gelegentlich von diesem Paare man- ches Günstige. „Aber sie ist gar nicht witzig mehr!“ bemerkte jemand. — „Was hat sie noch nöthig, witzig zu sein, fiel Rahel lebhaft ein, sie ist ja glücklich!“ Den 25. März 1828. An Adelheid Fürstin von Carolath. Dienstag Vormittag, den 26. März 1828. 12 Uhr. Dichter, großflockiger Schnee, von Nordost getrieben. Theures, liebes, herzvolles, hier geliebtes Adelheidchen! Sehen Sie, liebe Fürstin, an dieser überströmenden Anrede, wie es bei uns steht. Gleich gestern hätte ich Ihnen geschrie- ben: ich konnte die Gewißheit, Ihnen nichts mehr sagen zu können, nicht ertragen, und hätte das leidige Ersetzungsmittel gleich gebraucht; aber bis 9 Uhr glaubt’ ich, jeder Wagen sei der Ihrige. — Bald kam V. zu mir, dann ich zu ihm: immer Adelheid und Adelheid. Wie Sie sind, was Sie werth sind; was wir verlieren, wie einsam wir sein werden, wie be- seelt sie war, ist . Diese große Freude hatt’ ich in meiner Wehmuth ( ja , Wehmuth erfind’ ich hier, das ist der Zustand; Wehmuth des Verlustes), daß V. seine noch weniger verber- gen konnte als ich. — Wir bestärken uns also in der reinen Liebe für die lebendige, zarte, liebe, menschenfreundliche, gott- gesinnte Adelheid. Das freut mich für Sie und mich! Blei- ben Sie so, geliebte Fürstin: bilden Sie das Bessere immer stärker, reiner in sich aus: pflegen Sie es halsstarrig, möchte ich sagen: die Welt überhaupt, die vornehmere besonders, hin- dert uns daran, stört uns darin. Generalisiren Sie Ihre Zeit, möchte ich wieder sagen: sehen Sie nicht auf einen Abend, eine Stunde, ein Erscheinen, ein Rechtbehalten, eine Zustimmung, einen Sieg. Fragen Sie besonders sich : in uns ist die wahre, die einzige Antwort, auf die wir hören sollen. Nie hab’ ich eigentlich einen Andern beleidigt, oder ihm Wort gebrochen, (antworten Sie mir auf diesen Punkt nicht!), aber mir selbst: und mit harter, langer Strafe; d. h. mit nothwendiger, unausbleiblicher Folge. Sei Ihr Leben ein Ganzes, wo Ein Augenblick dem andern in richtigster Folge entspricht! das wünscht die Freundin, das möchte sie Ihnen schaffen helfen! und dies allein verführt sie zu dieser Ermah- nung. Sie sind so vielbegabt; ich möchte diese so herrlich- köstlichen Geschenke pflegen helfen! und Ihnen ersparen, was ich durchmachen mußte, und wohl versäumte. Pardon! — An Adelheid Fürstin von Carolath. Dienstag, den 8. April 1828. Heute, theure Fürstin, nur zwei Worte! Nur einen Dank für Ihren zweiten Brief! den lieben. Stillen Freitag bekam ich ihn; noch denselben Tag schickte ich nach dem Tüll, um ihn Ihnen baldmöglichst zu senden. Aber in meinem Leben schicke ich nicht wieder nach diesem Laden! — Können Sie den Tüll, so wie er ist, gebrauchen? Macht Ihnen eine Naht mehr im Rock nichts? sie sagen, es seien englische Ellen — die Lüge , er wird hier gemacht, glaub’ ich, — und die seien ein Viertel kürzer. — Hätten Sie nur schönern stäteren Frühling! Sie können ihn ganz gebrauchen; im kleinen Paradiese. Hier ringt Früh- ling mit Winter; auch war ich seit zehn Tagen nur in Ri- chard dem Dritten (wegen einem rheumatischen Knie, von einem Fehltritt gereizt.) — Welch Meisterstück, und wie ge- spielt, von der Mad. Krickeberg — alte Herzogin von York, des Bösewichts Mutter — und Mad. Schröck — verbannte Margaretha. Über meine Vorstellung. Wie weh that es mir, daß Sie so Großes nicht sahen! Weh . Den ganzen Winter kam dergleichen nicht vor. Die Krickeberg wie eine symbolische Person: das Alter. Das hat immer Gram; und größern als alle Jüngern. Die drei Königinnen — Töchter und Mütter von Königen, — saßen wie drei Parzen, und be- sprachen der Welt Unheil im eignen Gefühl, der eignen Lei- den. Lesen Sie das Stück in Schlegels Übersetzung nach. Ich that’s. Nächstens mehr davon, heute nur alles Skizze. Ich habe übermorgen zweiunddreißig Personen zum Thee; und heute schon Domestiken möchte ich sagen. Weßhalb, fragen Sie: weßhalb, frag’ ich ; ich muß. Dabei bin ich wegen des Knie’s nervig. Voyez mon griffonnage! von griffe kommt es her. Mlle. Ebers wird singen. Rusts und Redens muß ich haben, die sind die Elektrizität, die das Gewitter zusam- menziehn. Nächstens referire ich. — Elischen will nach Caro- lath, wenn wie ihr sagen müssen, die Prinzeßchen sind nicht hier : die denkt noch Carolath ist eine Straße! — Segne Sie Gott! und die lieben Kinder! Nächstens Antwort, or- dentliche, von Ihrer treuen Fr. V. An Friederike Robert. Freitag, den 9. Mai 1828. Alle Gründe, meine Liebe, die Sie anführen, eine Abhal- tung des zu mir Kommens begründend, sind grade die, welche es hätten bewirken sollen. Bis drei Viertel auf 10 Uhr saß ich krank und erwartungsvoll !!! — mit einem Souper , und wartete . Der Augenblick nachher war noch unange- nehmer. Ich hätte grade die Kranke, Eingesperrte, nicht sitzen lassen. Wie oft hab’ ich das Herz voll, oder zerrissen , und erfülle dann grade gesellige Pflichten. — Gestern erst! — Aber in meiner Familie herrscht das Axiom: Rahel kann man dergleichen bieten: die versteht unsre Leidenschaften; und verzeiht Formen. Mit nichten; umgekehrt: mit derselben Zärt- lichkeit meines Leistens, verlange ich, und mein Herz, Erwie- derung, und Respektiren meines Wesens. — So war es mir gestern unmöglich , Sie gleich zu empfangen! jedoch Sie können mein Boudiren nicht wohl ertragen, und so sei es mit Ihrem Billet aufgehoben! Ich werde Ihnen einige ähnliche Stückchen aus der Fa- milie erzählen, die mir seit kurzem, und dieser Tage begegnet; und Sie werden sich wundern. Wie immer Ihre F. V. Frühjahr, 1828. — Varnhagen liest in seiner Krankheit mit wahrer Be- gier und zu genußreichem Trost in Humboldts Reise; viele Bände! Er ist ganz entzückt und gestärkt davon, und sagt zu mir: „Weißt du, was Humboldt eigentlich ist? Man lernt ihn hier ganz kennen: ein Held, — ein Menschenfreund, — und dazu noch ein Wisser; was man zuerst und zuletzt nen- nen kann, da er durch diese Eigenschaft überall voransteht, ohne daß man sie in ihm voranzustellen braucht.“ — Wie mich das freut! — 1828. Es ist löblich, daß Lob dir gefalle; Doch sei es der Inhalt des Lobes, Und nicht sein Gelalle! 1828. Laß es! dein liebes Herz, laß es gesunden! Der erkennende Freund, er ist gefunden. Von ( Mündlich .) Von einer gezierten Dame: „Sie sieht aus, wie ein in Weingeist aufbewahrtes Riesen einer schöner Frau.“ E. Was sagen Sie dazu? R. heirathet die junge B! R. Es geschieht Beiden Recht! Man sagte von einem Fräulein, sie sei gemüthskrank, und zwar aus Liebe zu einem alten General: „Da ist sie ja nicht toll aus Liebe, sondern liebt schon aus Tollheit.“ 1828. Frei sein kann gar nichts anders heißen, als seiner in- nersten Natur sklavisch folgen zu dürfen. Absolute Freiheit, absoluter Wille ist etwas Unmenschliches. Eine Wahl ohne Bewegungsgrund ist Unsinn. — Montag, den 9. Juni 1828. Aber alt erfunden. Heute Mittwoch den 18. Juni 1828 fragte Elischen ganz unschuldig und naiv, mitten unter Spiel und anderer Beschäf- tigung, nachdem sie schon Vormittag zum erstenmal de but en blanc aufgesagt hatte: Thiere haben Schnauzen, Poten, Mäuler; Menschen haben einen Mund, Hände, Füße; Vögel Schnäbel; und so untereinander — die Mutter hatte es sie gelehrt — und nachdem sie es Nachmittag im kurzen wieder- holt hatte: „Bin ich auch ein Mensch?“ Rührend, sublime. III. 22 Paradieses Unschuld. Den Tag fühlt’ ich großes Leid. Es war ein Mittwoch. Ich ging in Gesellschaft. Immer zu! In einem Stammbuch . Möcht’ ich doch schier verkehrten Rath dir geben, Der paßt für das verdrehte Leben; fand ich vor langer Zeit in einem Buche: es fiel mir auf, weil ich es nicht ganz verstehen konnte. Aber: wird dem Eit- len nicht willfahren? Werden große leere Ansprüche nicht meist erfüllt? Gelingen nicht die dümmsten Pläne? wird Be- scheidenheit nicht vergessen; bleibt sie nicht unbeachtet? Ist ir- gend ein Ereigniß zu berechnen? Herrscht nicht der Hartherzige, der Strenge? Rechnet Einer in der ganzen Natur unsre Leiden, unsre Opfer? Behalten wir sie nur selbst im Gedächtniß? Scheint nicht alles verdreht, bis wir es umgekehrt ? Jetzt las ich wieder in einem Buche: Es ist nichts zu verändern hier auf Erden, Wir selber nur, wir müssen anders werden. Dieser Spruch half mir den ersten verstehn: und vielfältigen Gewinn erlangt’ ich dadurch in mir: an diesem wünsch’ ich Ihnen Antheil, darum erhalten Sie diese Zeilen von mir. — 1828. An Ludwig Robert. Herbst, 1828. — Ich muß dir doch sagen, daß Varnhagen von Graf B. ein Exemplar kleiner Gedichte geschenkt bekommen hat, die zwar gedruckt, aber nicht für’s Publikum bestimmt sind. Ich schreibe dir einige ab. Sinnige, zarte Überschriften für Gräber, sowohl der Heiden als der Christen; im schönsten menschlichen Gefühl gedacht; in reiner Klarheit anspruchslos ausgedrückt. Der edle Geist spricht überall daraus an, wenn auch der Dichter es damit nicht auf Uberschwängliches ange- legt hat. Soviel weiß ich, auch als Dichter möcht’ ich diese schmucklosen, aber gediegenen Sprüche noch immer lieber ge- macht haben, als die meisten der künstlichen, in der Treib- haushitze gezogenen Gedichte, die man mir jetzt zu bewundern geben will. — Oktober 1828. — Haben Sie die vollendete Rede Humboldts gelesen, zur Eröffnung der Gesellschaft der Naturforscher? Ein gelun- genes Meisterwerk; eine Ehre; erstlich für unsre Sprache; dann für unsre Nation, dann für uns Preußen. Vive le Roi! Vive notre constitution! wo solche Früchte wachsen. O! wie stolz, wie glücklich könnte man durch und für Andre sein, wenn das Ganze immer ein Ganzes wäre: berechnet wie eine Organisation, für alle Theile; weise, gütig, glücklich. Nun, es rückt ja! Machen Sie ja, daß Mama, und auch Fürst P., die gehaltene, elegante, gediegene, abgepaßte Rede liest! — 22 * An Ludwig Robert. Sonnabend, den 11. Oktober 1828. Ich warte auf deinen Boten, der einen Topf zu Pfeffer- gurken bringen soll, die nun schon etwas besser sein werden; und immer besser werden. Der Bote wird dir vier Flaschen Wein bringen. Du wirst mir gelegentlich sagen, ob er dir schmeckt: und dich dann, bis alles blühet, um keinen Wein kümmern; und dich auch dann mit mir besprechen. Als ich laut werden ließ, daß mir die Übersetzungen alle, jede auf eine Art, von Manzoni’s Gedicht, nicht gefielen antwortete man mir, daß es auch schwer wäre, in demselben Silbenmaß, und anderer Sprache, auszudrücken, was in einer ursprünglich gedichtet sei. Dies Verfahren nehm’ ich nun schon von je nicht als Bedingung an, der ich irgend etwas auf- opfern ließ; — obgleich ich unter ihr schon Meisterstücke ge- sehn habe: — das ist mir ganz gleichgeltend mit solchem Ver- fahren, als wollte Einer aus irgend einer beliebigen Sprache etwas in unsere übersetzen, und verlangte, ich soll zufrieden sein, und die Übersetzung für richtig halten, wenn etwa so viel R vorkämen, als im Original; oder die Zeilen für’s Aug’ eben so lang, kurz, oder kräuselig aussehn. Ich will, daß mein Geist gezwungen sei, sich in denselben Richtungen zu bewegen, wie im Original; daß mein Gemüth auf eben die Weise affizirt wird, wie dort. Die Mittel hiezu nehme der Dichterübersetzer aus dem Vermögen unserer Sprache: keine andre Ähnlichkeit darf ich, und kann ich fordern. Aller Rest ist ein Kunstluxus, und darf nur, und erst eintreten, wenn das Nothwendige befriedigt ist. Akademie, und schlechtes Pfla- ster. Finstre Straßen, und Illumination. Schmutz, und gol- dene, bemahlte Gitter u. s. w. Steffens hat sehr schön über Unreinlichkeit gesprochen in seinen vier Norwegern. Ich sag’s ja immer: es wird schon Einer ein Buch schreiben über das, wovon ich oft früh spreche. Adieu. F. V. An Friederike Robert. Sonntag, den 12. Oktober 1828. Ich bin durchaus mißverstanden. Ein Gekräusele für’s Ohr — oder sogar auch könnten sie’s für’s Aug ’ hinläng- lich finden — macht mir nichts . Und ich habe deutlich die Bedingung gesetzt, „daß eine Übersetzung meinen Geist zwin- gen muß, sich zu bewegen wie beim Original, und mein Ge- müth auf dieselbe Weise affizirt zu sein, wie bei diesem.“ Verstanden? Das andere alles versteht sich von selbst; wäre es auch trübe ausgedrückt. — Ich glaube, es ist unnatürlich ein Domestik zu sein; und wir alle wären und thäten wie sie, wenn wir dienten. Seit 7 Uhr hat meiner die vier Flaschen, um sie zu Ihnen zu bringen. — Was ist das für ein Vor- schlag, daß Rob. den Wein allein trinken soll, wenn ich wi- derrufe? Ich wiederhole sogar, daß man so viel Werth auf äußere Ähnlichkeit beim Übersetzen setzt, daß sie schon zufrieden sind, wenn die Zeilen für ’s Aug aussehen, wie beim Original. Lassen Sie gütigst Robert dies alles lesen. F. V. Ich „beneide“ Sie nicht wegen der Besuche. Ich liege im Bette nach einem gelungenen Bad mit Kamillen und Kleie. Ihr Diner war gut. Gesegnete Mahlzeit. An Adelheid Fürstin von Carolath. Montag, den 13. Oktober 1828. halb 11 Uhr Morgens. Regenwetter; grau stöberig. Noch mehr geliebte Freundin! Weil ich vorgestern den liebenswürdigsten, einen vortreff- lichen Brief von Ihnen sah; völlig urban; durchaus gebildet. Vornehm, im wahren Sinn: gottesfürchtig; denn, voller Men- schenliebe. Glauben Sie nicht, liebe Fürstin, daß ich ein We- sen daraus machen will, und Sie nun herausloben will. Nicht, nicht; ich will Ihnen zeigen was es in Ihnen, und in allen Menschen ist, was ich ehre und liebe. Das ist: die ge- rechte , fromme, reinseelige, wahrhaft- und ächt innre Gleich- stellung der Menschen: der Kreaturen, die allein, und Alle einen Begriff von Gott haben können, und von Gerechtigkeit. Diese Gleichstellung, schöne Freundin, zeigte sich auf das liebenswürdigste in unbewußter Unschuld, in einem Briefe, an eine — arme! — Karoline Fischer (so, glaub’ ich, ist ihr Name: ich habe den großen Fehler begangen, mir die Addresse nicht abzuschreiben: weil ich noch im Bette, eilig und etwas verle- gen war), der Sie eine Geldsumme vorläufige Hülfe mit der Post hieherschicken; und in welchem Sie mich so ehrend und herzerhebend erwähnen: für welches und solches der Mensch nur mit seinem ganzen Wesen, aber nicht mit Worten dan- ken kann; wenn er auch, wie ich, es noch so sehr möchte! Mit diesem Briefe und dessen Inhalt, verkehrt vorgetra- gen, wurde ein Postbote bei mir angemeldet; ich ließ ihn vor mein Bette kommen. Der Brief war erbrochen: weil diese Mad. Fischer richtig in der angegebenen Straße und Haus- nummer gesucht wurde, aber ausgezogen war, in ihrem neuen Quartier gefunden ward; aber, als sie den Brief erbrochen hatte, erklärte, sie sei die Person nicht , an die der Brief und das Geld gerichtet wäre; der Brief war nun offen; die rechte Person noch vergeblich gesucht; und darauf schickte der Herr Postmeister den Boten zu mir, ob ich keine Auskunft wüßte. Ich wußte keine, als das Versprechen, Ihnen um welche zu schreiben; und die Bitte, er möchte Brief und Geld bis zu Ihrer Antwort verwahren. Haben Sie nun die Gnade, mir schleunigst ein ostensibles Wort zu antworten. Ich will — und wo soll ich — die Person suchen lassen? Können Sie mir das Gewerb ihres Mannes nennen? Soll ich das Geld in Empfang nehmen? Ich bitte um schnelle Antwort. Die ganze Urbanität Ihres Briefes bestand in der abso- luten Gleichstellung dieser Person mit Ihren vornehmsten Freunden: in dem Auseinandersetzen, weßhalb Sie nicht mehr für sie thun könnten; in der Empfehlung an Ihre beste Freun- din; in dem Trost auf das Höchste — beinah ohne Worte — angewiesen: auf die Hoffnung, sie zu sehn und zu sprechen; in dem ganzen Ton und Art: und daß Sie für eine Unterge- ordnete in Bildung, und leider auch in Anspruch, keine andre Sprache besitzen, als für Ihre höchsten Freunde, und Ihre höchsten Stimmungen. Sie sind auch recht geliebt, liebe Adelheid. Von Allen, die Ächtes und Herzlebendes zu sehn vermögen. Und vermö- gen nicht Viele viel von solchem zu sehn, so vermag doch je- der einiges wahrzunehmen; und so müssen sich Alle, die Ihnen nur näher waren, nach und nach günstig und anerkennend über Sie äußern. Das Vergnügen hab’ ich jetzt oft ; be- sonders von Frauen. Aber dies, theure Freundin, liebe Für- stin, mache Sie nur noch aufmerksamer, kleine Übereilungen zu vermeiden, die Anlaß zu großem Gerede geben! Ich ver- sichere Ihnen auf Ehre , daß ich in diesem Augenblicke nichts Bestimmtes, oder Neues weiß, was mir Veranlassung zu die- ser innigsten Bitte geben kann. Ich will, daß auch Dumme verstummten Respekt vor Ihnen haben sollen! Sie wissen, daß ich mich nicht nach Gemeinem leicht richte, und Vorurtheilen mich beuge; aber einen festen Grund müssen wir in der Welt gefaßt haben: unsre besten Eigenschaften sich kompakten Ruf gewonnen haben, wir müssen lange, Andre als uns, ver- theidigt, und für die frondirt haben; ehe uns erlaubt wird, frei nach bester Überzeugung für uns selbst zu agiren. Sie haben nicht allein das weichste Herz; sondern ich möchte sa- gen, auch nach mancher Richtung hin, das weichste Betra- gen; das verträgt die abgefeimte Welt nicht ! und in diesem müssen Ihnen Freunde, Mutter, und die , die Sie wie solche lieben, als Hülfe aller Art zur Seite treten. Dies, edle Adelheid, werden Sie verzeihen, ja erlauben! Alle Stägemann’sche Damen, — alles freut sich, daß Sie kommen, wie man sagt —, Frau von Crayen, meine Schwägerinnen, Ernst und Albert Schlippenbach, alles will empfohlen sein, die letztern noch gestern Abend. Kein Lob freute mich so, als Graf Ernst seines. Ganz unschuldig, ganz wahrhaft, ganz unaccentuirt. Ein solcher Springinsfeld, von dem ich mir’s nicht vermuthete, am meisten. Varnh. schickt Grüße voll zärtlichstem Respekt, und wahrhafter Bruderliebe, Anhänglichkeit und Eingenommenheit. Antworten Sie gleich, theure Fürstin! Ihre wohlgefundene treue Fr. v. V. An Antonie von Horn. Montag, den 13. Oktober 1828. Den besten Dank, liebste Frau von Horn, für die Mühe, die Sie so gütig sind, sich für mich und Frau von Z. zu ge- ben! Wenn sie nur eine Zeile schreiben wollte, der es doch so leicht ankommt! sie ist mir wahrlich eine Antwort schuldig, auf einen sehr guten Brief, den ich ihr etwa vor fünf oder mehreren Wochen schickte. Welche Hypochondrie ist ihr über- fallen; wie so glaubt sie nur, krank zu werden? Ich fange an, stark zu glauben, daß sie gewiß nicht kommt. Ich sehe schon den Brief, der es abschreibt. Jedoch soll zu ihrem Em- pfang alles bereit sein, und sie es so bequem haben, als sie mir angenehm ist, wenn sie ja noch bei mir eintreffen sollte. Ich habe ihr auch anheim gestellt, getrost irgend wo anders zu wohnen, wenn es sie bei mir zu sein geniren könnte. Ich bin also kein Hinderniß . Sie haben Recht, ungeduldig zu werden; wenn man angesagte Freunde gewiß erwartet, und ihre Ankunft verschiebt und verschiebt sich, so vergeht einem, wie Sie sagen, der Hunger; und die Schmerzen stellen sich ein, sage ich. Mir aber war die Ankunft der Frau von Z. noch nie ganz gewiß: also ist mein Hunger noch da, und die Schmerzen noch nicht. Ich habe ein Überschüßchen von Gesundheit gehabt, und brachte es auch heute gleich auf der Kunstausstellung an. Jetzt bin ich erhitzt, und habe Schmerzen: auch ist das Wet- ter zu sehr feuchte Wolke. Und fast habe ich den Muth nicht, Sie zu fragen, ob Sie mich morgen Abend mit Ihrem Be- such erfreuen wollen. Ich werde einige Menschen zitiren. Auch ändert sich die Wolke vielleicht bis dahin! Mir ist es doch unbegreiflich, warum Frau von Z. nicht ein Wort schreibt! mir fällt es nur wieder ein; weil ich Sie eben bitten wollte, daß, wenn Sie etwas hörten, Sie es mich möchten wissen lassen. Pardon! So wie Einer nicht thut, was er müßte, so müssen Zwei, Drei, Vier dies für ihn thun; und nie so gut, als er es könnte. Mille, mille pardons! Ergebenst Fr. V. An Leopold Ranke, in Venedig. Berlin, den 7. November 1828. Guten Morgen, in Italien! In Venedig ist es in den Zimmern unleidlich kalt, weiß ich von einer Freundin; wegen Ofen- und Kaminlosigkeit. Hier, jetzt, Sonnabend, Dreivier- tel auf 12, haben wir, nach unleidlichem Nord oft Wind, Schnee, Trübe, Glätte. Mich zerwühlt dies, wie schlappe Gewitterhitze; unser täglich Sommer- und Winterbrot. Nichts war gut als Muskau. De plain pied aus einer Glasthüre in für mich gebraute Luft: erquickende: liebe Freunde, keine gêne; meine Kind Elischen mit mir: viel Fahren: genug allein: hinlänglich Zerstreuung. Viel für’s Aug; und, da das Ganze von Fleiß und Gedanken herrührt, Nahrung für die. Also Erholung, von der mein Körper, den ich dort erst wieder als solchen kennen lernte, noch lebt. — Ich freue mich, daß Sie so vergnügt sind: genießen Sie ja die Luftsorten recht! Ich weiß nichts Besseres. Lernen Sie recht schön Italiänisch spre- chen! Daß Sie Menschen und Dinge gehörig sehn, das weiß ich. Ich konnte bei all meinem Geiz Ihnen doch vom Mini- ster von Reden keine dünneren Briefe schaffen: ich sagte es, und schrieb’s den andern Tag: vergeblich. Schleiermacher war schon gewitzigter, also auch weichöhriger. Nicht wahr, ich bin expeditiv? Ritsch ratsch; in zwei Tagen hatte ich meine Briefe: eine Migraine dazwischen von einem in Rosenöl ge- tränkten Brief von Frau von Zielinski; die mir definitiv ab- schreiben mußte. Ein Fest war es für mich, sie wie in Abra- hams Schooß Einmal ohne Wirthshaus, Lärm, Kosten, mit Bequemlichkeit bei mir ruhen zu lassen. Alles stand drei Wochen eingerichtet: heute wird es demolirt. Ich habe die reiche Gabe vom Himmel zur Mitgift: daß ich Menschen durchschaue; und da liebe ich vor Vielen, auch Viele. Die Z. hat an mir ihren Mann gefunden. Ein versatiler, vege- tation- und kombinationsreicher Kopf. Wahrhaft in Selbst- untersuchung; noch zu viel Meinung von Andern. Sie ist besser und eben so gut: das müßte sie wissen; und im sich Gleichstellen, würde sie mit Eins fester, und fest stehn. Sie ist eine intellektuelle Büßerin; ganz ohne Sünde: d. h. nur mit unser Aller. — Bettine verführt mich, so wie ich sie sehe: ich sehe sie jetzt nicht. — Viel Glück! und meinen be- sten Segen! — An die Fürstin von Pückler-Muskau. Berlin, den 6. December 1828. Wie Recht haben Ihro Durchlaucht, den Zufall „den Ge- bieter menschlicher Schicksale“ zu nennen! Wenn wir nämlich das um uns bewegte All so nennen, auf dessen Strom wir getrieben, von dessen Wellen wir verschlungen, und gereckt, die nur durch seltene, große Geschicklichkeit, oder einen solchen Karakter, durchschifft, und bezwungen werden. Mich bezwin- gen sie ganz. Jeden Tag mehr: meine Einsicht steigt; mein Karakter sinkt: die Kräfte, die Detail-Muth beleben, aus de- nen er besteht. Und so ist es möglich geworden, so viele Tage Ihren mich überraschenden, lieben, geehrten, mich beschämen- den Brief nicht zu beantworten. Ich hätte Ihnen schon längst schreiben sollen, verehrte Frau Fürstin! wenn Recht vor Unrecht ginge: das heißt, wenn wir unserm Innern folgten, anstatt auf jenem Meere uns treiben zu lassen. Ich mag Ihnen nicht Welle vor Welle nennen; es waren auch nicht immer sonnenbeschienene reizende, die mich aus meinem Meere führten! Meine drei Domestiken waren einer nach dem an- dern krank; fast zugleich; Gäste, und Fremde häuften sich zu der Zeit: mein Kind, Elischen, hatte den Keichhusten, und war öfters in Pension bei mir. Musiken — obligées — bei mir; drei Stück, wo Fürst Radziwill Dilettantinnen hören mochte, und auch sie mit Kompositionen und Gesang belohnen wollte. Zwei neue Stücke von meinem Bruder Ludwig, der viel dar- auf giebt, wenn sie mir gefallen, oder nicht: viele Damen, die scheel von mir denken, weil ich sie nicht mit Besuchen ab- warten kann, andere, denen ich das doch leistete. Und ich — todtkrank an Nerven; an du rhumatisme délayé sur les nerfs . Ein leidender Barometer! Sonnabend eine Migraine, nach der ich bis heute nicht schreiben konnte. Dies die nur zu nennenden Hindernisse! Mit diesen allen hinter mir, wage ich um Vergebung zu bitten! Aber auch zugleich darum, daß mir Ihro Durchlaucht nun nicht — aus dem bescheidenen Ge- müthe, wie ich es gesehen habe — sagen: ich soll künftig nicht schreiben, mich nicht geniren. Ich bitte im Gegentheil, schrei- ben zu dürfen: auch Einmal zur Unzeit; wenn ich etwas für Sie weiß, was ich gelesen, gesehn, gedacht habe; und dieser Bitte schließt sich die an, daß Sie mir das grobe Papier, worauf ich zu schreiben gezwungen bin, einer Nervenverstim- mung wegen zu Gnaden halten mögen; die kein feineres mir erlaubt. Gewiß kann ein solches Zusammentreffen, wie dies in Muskau diesen Sommer; ein solcher Blick in solches Gemüth, wie Sie mich eines erschauen ließen, nicht ohne fruchtreiche Fol- gen bleiben, und hätten Sie mich nie, mit keinem Worte be- ehrt. Aber Ihro Durchlaucht haben Recht; solch schöner Fund muß auch willentlich zum Fortleben unterhalten werden; und in Folge dieses belebenden Willens erlauben Sie mir auch wohl, hier meinen wohlgefühlten Dank für Ihre wohlthätige Aufnahme in Muskau keck auszusprechen. Nicht ein Wort, nicht ein Blick, keine Nüance ist zerstäubt davon; alle liegen, als Samen in meinem Herzen aufgefangen! Das sag’ ich in höchster Wahrheit, also mit etwas Dreistigkeit. Sie haben Ihr schönes edles Vertrauen einem Virtuosen in Herz- und Menschenerkenntniß geschenkt: und das fühlten Sie auch ge- wiß; darum waren nur feine unmerkliche Äußerungen nöthig; ohne welche das namhafte Vertrauen, des edlen Freundes Briefe zu lesen, wohl nicht hätte erfolgen können. Hier möchte ich ausrufen: Genießen Sie Ihr eignes Herz! Das einzige wahre Geschenk des Himmels; und auch das Einzige, was wir eigentlich hier finden können; zu suchen haben: denn wahr- lich, auch gesucht muß dies werden. Aller Weltbeifall ist ei- tel; wenn er auch manchmal nöthig sein kann. Nehmen Sie meinen Glückwunsch gnädig auf! und verzeihen Sie mir meinen Muthzuspruch! Varnhagen legt sich Ihro Durchlaucht zu Füßen, und fragt ergebenst an, ob Sie die folgenden Theile der Contem- poraine befehlen? und schickt vorläufig die mémoires des duc de Rovigo. Ich werde mich eilen, Fürsten und Völker von Südeuropa im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert von Ranke auszulesen — wunderschön — um es Ihnen zu schik- ken. V. ist Ihr größter Verehrer, liebe Frau Fürstin; er wird so frei sein Ihnen zu schreiben, und ihm kann es besser ge- lingen, Ihnen zu sagen, welche Freunde Sie an uns haben, und wie die von Ihnen denken. Er hat einen himmlischen Brief vom Fürsten Pückler aus Dublin. Seit acht Tagen haben wir das Glück, die Fürstin Ca- rolath hier zu besitzen; nach Umständen wohl, sehr ruhig, und beruhigt; von allen Freunden erwünscht, geliebt, geehrt; und durchaus nach meinem besten Wunsch. Nur die edle Mutter fehlt: wir hofften Alle, Sie gewiß hier zu sehn: ich hatte so ein bequemes Quartier ermittelt: gleichererde . Alles, al- les! Dürfen wir nicht mehr hoffen? Gestern sprach ich Frau von Hünerbein auf einer großen Musikf ê te bei Mad. Beer, wo die Frau Fürstin und die halbe Welt war; aber auch die konnte mir keinen erwünschten Bescheid geben. Lassen Sie mich ihr einen solchen bringen! Fast möchte ich mich sehr dieses langen Schreibens wegen entschuldigen. Aber ich konnte nicht finden, was darin weg- zulassen sei. — An Gentz, in Wien. Montag, den 22 Dezember 1828. Abends 7 Uhr. Seit zu langer Zeit, Sonne auf unserer Erde: seit der, und noch länger her, ich zum erstenmale nicht erdrückt, und fähig eine Feder kritzen zu lassen. Auch war gestern der kür- zeste Tag; und dann geht Leben und Jahr aufwärts; — bis man in die Todesgrube fällt. — Und zum seltensten Fall ge- hörig, ich allein: d. h: sicher, es eine Stunde zu bleiben : Varnh. ist in einer litterarischen Gesellschaft. (Dies alles ist noch als Datum dieses Briefes: aber fürchten Sie nichts; ich weiß noch nicht einmal, ob ich ihn abschicke.) Als Varnhagen diesen Mittag nach Hause kommt, reicht er mir einen Brief mit den Worten: von Gentz! Still nehm’ ich ihn, und lese; er will etwas; dacht’ ich gleich: es kommt etwas nach; dacht’ ich noch, als ich schon in der Mitte war. Nichts! dacht’ ich; als der Brief sich seinem Ende nahte. Aber was dachte ich bei seinem wirklichen Ende, als Sie die „Frau Gemahlin“ grüßten; und hinzufügen: sie werde Sie, ohnerachtet Sie sich mit ihr nicht mehr in Briefen verständi- gen — so war ja wohl das Wort — können, nicht aufgege- ben haben. Ich verstummte tief in mich hinein. Mein gan- zes inneres Leben wehte, wie mit abertausend großen Flügeln, grau an mir vorüber: alles was ich je gedacht haben mochte: jedes Resultat, was ich gefunden, flog namenlos an mir vor- bei. Alles wollte ich antworten; nichts kann ich antworten. Der ganze Triumphbrief, an dem ich gewiß Theil nehme, den Sie Varnh. geschrieben, ist mir zu nichts geworden: ich sehe nur mich. Und habe, wie bei jedem schlagenden événement, gelernt. In mir, heißt das: eine neue Möglichkeit entdeckt. Ich wundre mich nämlich, daß noch irgend ein Mensch — außer mich zu stören , durch Ennui, Ärger, Ungeduld, in die er mich versetzen kann — noch auf mich im Bösen wirken kann. Menschen können mir gefallen, als Eindruck im Gan- zen; durch einzelne Eigenschaften und Züge; ich kann sie be- mitleiden, sie können mich empören. Aber mein Herz in gra- der Beziehung nicht mehr unglücklich machen; noch es für mich beschäftigen. Liebt mich: liebt mich nicht. Findet das, weßwegen ich mich lieben könnte; oder findet es nicht. So auch standen Sie mir. Sie hatten mir ja selbst geschrieben, was ich heute in Varnhagens Brief las. Woher frappirte es mich so? frage ich. Sie frage ich nicht: mich frage ich. Weil ich in meiner tiefsten Seele dachte: er hat dich doch verstan- den; wenn er nur je deinen Brief noch Einmal liest; er muß jeden einzelnen Ausruf, jeden Satz, jeden Ausdruck verstehn; und und so ihren Zusammenhang, ihren Sinn, ihre Melodie, die sie im Ganzen bilden, verstehn, empfinden. Verstand doch ich Ihren Aufkündigungsbrief; der sich auf Nichtverstehn berief. Weiß ich doch; Sie wollen, Sie verlangen, auf die höchsten Fragen, die der Menschengeist anstellen kann, welche die be- drückte Seele machen muß, eine blanke baare Antwort; stem- pelbedrückt, gültig, und deutlich in jedem Reich: und wollen nichts annehmen, was diese blanke baare Auszahlung nicht ist; weil Sie Gold, Edelstein, Schein, Licht, Schimmer, Glanz, und alles was sie nicht ist, in reichster, längst verworfener Fülle selbst haben. Und ich , wiederhole nochmals; hier beim großen Defizit, in welchem wir uns finden, und haben: Unsre Existenz ist noch keine absolute; aber der Schimmer, das Flimmerchen, das wir davon haben, daß wir sind , ist mir Bürge für undenkbar Hohes, Großes. Wie meine Frage, Bürge für Antwort; wie meine Qual, Bürge für die Existenz der Wonne. Und sind Menschen bis zu allen Fragen, bis zu diesen Antworten gekommen: so sind sie Freunde in der Noth. Noth gebe ich Ihnen zu: vielleicht müssen Sie mei- ner Ansicht noch welche zu geben: und ich bin trauriger, als Ihr Dichter. Ernster. Pauvre humanité! ist das Beste, was Madame de Sta ë l sagte. Ich liebe die Kreaturen: d. h. die leidenfähigen Wesen. Das wünsche ich Ihnen auch. Ich habe auch in meinem letzten Brief nicht geprahlt ; und nicht anderes, als hier, gesagt; gesagt, daß ich in der Seele eine Art von physischem Wohlgefühl hätte; und zu schwach bin, mir immer die schrecklichen Möglichkeiten zu denken. Ich schwimme auf weich- und hartem Element des Tages; das III. 23 Gefühl des Daseins trägt mich meist: und linde, wie ein An- drer, wie jeder Andre! Gern sähe ich sie. Aber auch das ist ein Bild, welches hinter mir im Tageslicht meiner Jugend steht. Nach hinten erreicht man nichts. Selten sieht man sich nur um; und es gehört Fähigkeit dazu, es zu können, die ei- nem vergeht. Eins weiß ich: vorwärts brauche ich die Augen nicht aufzuschlagen: es begegnet mir kein Zweiter; und flöge ich als Hebe durch die Welt. Sie tragen eine in sich: die keine Maske des Alters verstecken kann: die ungetrübte blu- menreine Wahrhaftigkeit; die ewig Naivetät gebiert; zum Lächlen, und zum Lieben. So auch ist eigentlich Ihr letzter Brief an mich; so sehe ich ihn eigentlich, so sieht ihn mein Geisteslicht, wenn der Dunst fällt, wonach das Herz immer schmachtet. Sie würden erstaunen, wenn Sie zwei Tage mit mir lebten: bloß, wie weit, und reif ich in allen Kleinigkeiten bin; und sich sehr behaglich fühlen. Wenn es nicht ganz thö- richt wäre, schriebe ich Ihnen schon jetzt, was ich den Som- mer zu thun gedenke. Sie reisen aber keinen Schritt meint- wegen. — Sein Sie gesund! Das ist das Nöthigste hier. Ich fühle es; weil ich es selten bin. Wetter, Nerven. Das In- strument litt zu viel. Heute geht’s mir wieder menschlich. Ihr Brief an Varnh. war ein schöner élan. Dessen freute ich mich für Sie mit. Also Sie speisen noch manchmal bei Frau von Eskeles? und der arme Adam Müller wohnt da, drei Treppen hoch! nach dem Götterquartier in Leipzig. Könnten Sie ihn wohl grüßen? Ich will ihm schon längst schreiben; und werde es auch thun. Friedrich Schlegel gefällt der Ge- sellschaft in Dresden; erzählten mir Gesandtschaftsdamen hier, die die lebendigsten Verbindungen dort haben; erst wollten ihn les dames bégueules, noch wegen Lucinde strafend, meiden; aber — ja ja, ja ja! sie sind beehrt! Er soll besonders vor- trefflich sprechen; finden alle Salonisten. Adieu, adieu! Friedrike Varnhagen. Anmerk . Gentz hatte nach vielem andern Überschwänglichen noch dieses zum Schluß geschrieben: „Und gleichwohl kann ich mich des geheimen Wunsches nicht erweh- ren, daß Ihnen möglichst viel Zeit zu freien Ausarbeitungen bleibe, weil ich in Deutschland Wenige, sehr Wenige kenne, die gediegnere Werke zu liefern vermöchten, und weil mir selbst Ihre kleinsten Aufsatze lieber sind, als die meisten Depeschen, die ich zu lesen verdammt sind. Haben Sie die Güte, mich Ihrer liebenswürdigen Gemahlin zu em- pfehlen. Ich weiß gewiß, daß sie mich nie aufgegeben hat, wenn wir uns gleich durch Briefe nicht mehr mit einander verständigen können. Sagen Sie ihr, daß ich mich ziemlich wohl befinde, daß mir aber häufig (welches sie ohne Zweifel sehr mißbilligen wird) gewisse Verse des alten Haller vor der Seele schweben, die ich, um diesen Brief nicht so melan- cholisch zu schließen, auf ein abgesondertes Blatt schreiben will. — Wien, den 7. December 1828.“ „Jetzt fühlet schon mein Leib die Näherung des Nichts; Des Lebens lange Last erdrückt die müden Glieder; Die Freude flieht von mir mit flatterndem Gefieder Der sorgenfreien Jugend zu. Mein Ekel, der sich mehrt, verstellt den Reiz des Lichs, Und streuet auf die Welt den hoffnungslosen Schattent; Ich fühle meinen Geist in jeder Zeil’ ermatten, Und keinen Trieb, als nach der Ruhr Hallers Gedicht über die Ewigkeit .“ 23 * Januar, 1829. Der Kunst Bestreben ist, alle Bedingungen, unter welchen die Forderungen der menschlich-geistigen Natur befriedigt werden, zu erfüllen; vornämlich durch Vorstellungen eines bessern Zustandes, als der ist, in welchem wir uns befinden können, — wenn auch nur durch solche Bilder gezeigt, die uns an dem Zustand, den wir ewig erstreben müssen, verhin- dern. Dies geschehe nun durch Bilder — jeder Art — oder durch die Rede — jeder Art, — durch Vorstellungen, die sich auf leibliches Dasein, oder auf das von unsern Gedanken hervorgebrachte beziehen. Kunst ist nichts als das Kinderspiel der Erwachsenen. Sie sind bemüht, sich ein Dasein vorzu- spielen, welches sie nicht erreichen können, über welches sie keine Herrschaft haben. Dieser große Trieb, dies unabweis- bare Bestreben, dieses Suchen nach einem Surrogat, dies Neu- bilden — ist auch schon in Kindern höchst ehrwürdig, gar nicht scherzhaft, sondern tiefer Ernst. An Varnhagen, in Kassel. Sonntag 11 Uhr, den 1. Februar 1829. Dicker Schnee, Nordwind. Hast du ihn rechts, fast im Rücken. Gestern Abend um 8 mit den beiden Kindern auf’m So- pha, kam dein lieber unerwarteter Brief. Wie ein Frühlings- regen mit großen Tropfen erweichte und beruhigte und er- quickte er mich. Nun bin ich über dich ganz ruhig; ja ver- gnügt. Höre von mir. Die vorige Nacht war nicht so schön, doch mit zweistündigem Schlaf als mehrmalige Unterbrechung. — Nachmittag legte ich mich dann in meinem Zimmer ein wenig, und entschlief einen Moment. Dann kam Bettine: ich nahm sie gerne an; und hatte Recht. Liebender, vernünf- tiger habe ich sie nie gesehen. Aufwartend, leise, voller Ein- sicht. Jeden Augenblick wollte sie gehen: ich wollte nicht. Sie freute sich z. B. so innig, natürlich, deiner ehrenvollen Sendung; und fügte hinzu: es freut mich nur, daß man mal wieder sieht, daß sie an einen vernünftigen Menschen denken; u. dgl. Nach drei Viertelstunden kamen die Kinder. Da war sie erst göttlich. Sie hielt mich wahrhaft für eine Glückliche, und verehrte mich ordentlich, daß dies mein Glück war; be- trug sich wie eine mythologische Bonne mit ihnen. Kurz, wir waren darin ganz eins . So müssen Menschen sein: so ist Freundschaft; Menschenliebe; Einsicht; geöffneter Sinn. Sie sagte auch sehr schöne Dinge: besonders aber einverstan- den über Kinderbehandlung. Unser Kind war mux-still: aber biblisch-raphaelisch schön: und Frau von Arnim rief es immer aus; du warst nicht da, es ging alles still zu, die fremde Dame; ihre verstimmte Nervchen! Karpfen hatte sie eben ge- gessen, welches ich auch an ihren Händchen roch ! — bin ich nur erst wieder auf! — Endlich aber kam die Zinnschachtel; woraus sie Frau von Arnim alles wies, und die im Ernst wie ein Kind, die Sachen komplet ergötzlich fand, und wie ein anderes Kind ernst mitspielte; ich gab ihnen Schwarzbee- ren-Kompotte mit warmem Wasser und viel Zucker, anstatt Kaffee. Als ich aber nach 7 Thee trank, wollte sie Kaf- see: mitnichten, und leicht ausgeredet. Mit dem letzten Tages- schimmer ging Frau von Arnim, es war nicht so früh. Sie ging nur , weil sie keinen Bedienten hatte. Mir ließ man die Kinder bis gegen halb 9. Ich habe sie hin und her fah- ren lassen. Ich machte ihnen Torte aus Apfel, Mandelherz und Zucker: als noch drei Löffel voll in der Tasse lagen, sagte sie: was soll ich daran essen! Es wurde erzählt. Gelegen, gewälzt, gefragt: nach dir, nach Kassel u. s. w. Mit einem- male kommt dein Brief! Ich denke es ist ein anderer. Das Glück! Nun Schreibzeug. Sie schrieb dein ganzes Kouvert voll, siegelte es ein, schrieb eine Adresse neben deiner an mich. Und doch stand in dem großen Brief nichts, als du sollst kommen. Der Engelskerl. Eine Geschichte amüsirte sie sehr; wo ein Hund den Namen Mensch bekam, weil er so klug und gut war, dem Herrn, einem Bauer, die Leiter an den Baum zu schleppen, die sein unvorsichtiges Töchterchen umgeworfen, und diese nun acht Tage Hund heißen mußte. Mit tausend Grüßen, Versprechungen, Händeküssen gingen die Lumperle’s. Ich war schon sehr leidend: dann kam Ludwig. — Freitag Morgen schickte Willisen. Es wäre schlecht von mir krank zu sein, ich soll befehlen, wann er kommen soll, oder was er irgend sonst thun soll, da du nun weg bist. Er schickt täglich. Alle Leute, alle Damen, schreiben, alle, alle, bieten alles an, Dienste, Gesellschaft, Hülfe. Bettine hat mir heute ein Rebhuhn geschickt. Ludwig kann mir gar nicht zu erzählen aufhören, welchen Antheil Bartholdy an deiner Reise nimmt. „Das wäre ein Freund!“ wenn Louis spricht ! und von selbst! — Pflege dich, dann pflegst du mich. Ich thue beim Himmel auch alles deinetwegen. Ich muß und werde mich sehr schonen, und die Harmonie wird sich wieder her- stellen. Ich fühle es schon. Gott segne dein redliches Unter- nehmen! Ist es nicht komisch, daß ich in ganz Kassel keinen Menschen persönlich, als den Kurfürsten kenne? — Ach ja! auch Gräfin Hessenstein. — An Varnhagen, in Kassel. Dienstag, den 3. Februar 1829. 9 Uhr Morgens. Dicker Schnee. Nordwind; oft 9 Uhr Abends 11 Grad, und um 11 Uhr 9! Ich will mir den Moment vor dem Bade mit Schreiben zu Nutze machen. Nachher will ich mich nicht erhitzen. Gebe der Himmel, daß du so zwei glückliche Tage verlebtest, wie ich! Vorgestern kam wieder Bettine von 5 bis 8 zu mir. Vortrefflichst ! wie es sich nicht beschreiben läßt. Voller Antheil. Freute sich unschuldig innig deiner Reise. Las dei- nen lieben unschuldigen Kinderbrief. Sagte mir: „Sie sind glücklich. Ich danke Ihnen. Ich habe keinen Brief gelesen, der mir so Freud gemacht hätte. Aber so Liebe und Zärtlich- keit ist auch nur Anerkennung, das kommt nit von selbst.“ Dann sprach sie übrigens die herrlichsten Dinge. Und dann meinte sie wieder; deine Biographieen ꝛc. — die Gesellschaft, die so strohern, so nichts würde, so verginge (die große). — — Gestern Vormittag im himmlischten Februarwetter um 11 Uhr mein Kind. Funklend von Gesundheit, und funklend von Grazie, Freude , Singen, guter Laune. Alles aus Ge- sundheit. Wir waren in Dorens Stube; helle Sonne. Alle Blumentöpfe, an dreißig, begoß sie, bis hoch am Hängeboden; nicht ohne Bärenschauer: ich lachte, Dore mußte in blitzender Sonne mit hinauf. Dann in die blaue Stube, dann mit dem Schlafrock in die Küche. Nur etwas. Dann mit Bausteinen, mußte ich ihr bauen, wo und wie Löwen und Bären zu sehen sind: ich that’s. Die kleinen Carolaths, stellte es vor, sahen aus Logen zu. Dann aßen wir Reissuppe mit Taube, u. s. w. Bei Tische kam Fürstin Carolath, und aß mit. Nach drei ließ ich das Kind äußerst glücklich nach Hause tragen. — — Vorgestern war Kour. Fräulein von S. ward vor- gestellt. Aber nicht dem Könige, der war klüger: er war Gott- lob! nicht da. Er will sich nicht erkälten, oben erhitzt er sich mit Sprechen, und dann muß er durch den Zug. Vorgestern sorgte ich, als selbst krank, doppelt für ihn: gestern freut’ ich mich unendlich, daß er weggeblieben war. Sein theures Leben ist besser als alle Kour. Nachträglich vom Kinde. Wir haben sechs blühende Hyazinthen-Töpfe: einen ganz kleinen: den wollte sie ganz für sich haben: bekam ihn gleich . Und nun strahlte sie vor unvermuthetem Glück. Dann: „Was ist alles in Kas- sel?“ — „was noch?“ — „Wie macht man Gold, Silber, alles?“ — Wie von deinem Zimmer die Rede war: „Ach da muß ich hin! Wie sieht’s da aus!“ Mit einem Ac- cent ! — An Rosa Maria Assing, in Hamburg. Sonntag Mittag, den 15. Februar 1829. Thauwetter nach größlicher Kälte auf unschmelzbarem Schnee. Ich habe Ihnen etwas sehr Angenehmes zu melden, sehr werthgeschätzte Rosa! Varnhagen ist sehr ehrenvoll und un- verhofft, und unter den günstigsten Äußerungen, in Königli- chen Aufträgen versendet. Den letzten Donnerstag sind es vierzehn Tage, daß er beim König speiste, und zwei Stunden drauf nach Kassel abreiste. Alles was ein Mensch nur zur Wärme und Bequemlichkeit mit haben kann, besorgte ich ihm aus meinem Krankenbette. Er wußte nicht, wie krank ich war, — wie nie, — und ich verbarg ihm, was zu wissen un- nütz war. Acht Tage nach seiner Abreise, als ich vierzehn ge- litten hatte, fing ich zu genesen an; und so geht’s gut und langsam fort. Ich habe ihm schon zehn Briefe geschrieben, und eben so viele erhalten; es geht ihm vortrefflichst. Gestern schrieb ich von Ihrem Packet und Brief, von den prächtigen Kindern; und daß ich Ihnen antworten würde. Er kann es nicht; denn ich darf ihm auf dieser Reise nichts schicken; besonders dürfte nicht „Rosa Maria“ unterzeichnet werden; da ich mich Einmal der List, als ich von ihm, zu ihm in ei- nem Briefe reden wollte, bediente, zu sagen, „Rosa Maria’s Bruder.“ Wie findet eine geborne Varnhagen diese ungeborne Phrase! Zeigen Sie sie wohl dem Gemahl, den ich darin gar nicht scheue: aber keiner Ottilie und Ludmilla. August kann sechs, acht, zehn Wochen wegbleiben. Niemand kann dies be- stimmen, außer die Geschäfte selbst. Wollen Sie etwas wissen, so fragen Sie mich. Schreiben wird mir sauer: darum dieses skizzenhafte Monstrum von Brief. Doktor Assing könnte ich Unterricht geben, über meine Krankheit. Alte sciatique, die nach den Rippen gegangen ist. Katarrhalisches Hals-, Schnu- pfen- und Brustübel. Milzkrampf von einem großen Schreck , den ich vierzehn Tage vor dem Ausbruch der Krank- heit hatte; welcher Schreck mir das Herz so klein wie eine Bohne zusammenzog; es wollte gar nicht wieder auseinander, und war wie in die Rippen verkrochen; nie so stark; aber Ähnliches kenne ich an mir. In der Krankheit kam der Krampf von selbst wieder. Also aus drei Gründen luftlos. — Ich litt das Unendliche. Fünf Nächte waren hart. So viele ich auch solcher habe kennen lernen. Meine Seele war aber gut bestellt: und alles war gut. Ich kenne auch das Gegentheil von andern Krankheiten her. Nun wißt ihr alles von mir. Ich habe jetzt viele, und gute Gesellschaft. Augusts Freude: auch melde ich’s ihm täglich. Sie, geehrte Rosa, möchte ich haben: Sie, die ich in Ottilien und Ludmilla ehre, und liebe. Solche Frucht wächst auf solchem Baum. Ich kenne die glücklichen Kinder ganz durch Ihre, und ihre Briefe. Gott segne euch ferner. Was doch der Assing und der Au- gust für vortreffliche Frauen haben! Ich bin nur zu alt. Aber um Gottes willen, daß das August nicht hört. Unsre Ehe ist sonst verdorben. Auch bin ich’s in moralischem Sinne nicht, gegen ihn grade, sondern ehr noch jünger. Aber die Erden- schwere besiegt kein Sterblicher. „Der Rest ist schweigen!“ sagt Hamlet; und ich: „Genießen, empfinden, durchschätzen, was wir — wie jeder, wenn er’s weiß, — Besonderes besitzen.“ Und bei uns beiden, theure Rosa, ist das viel, und auch vie- les. Heute schickte ich Elischen ihre Briefe und Buchstaben: mit dem Bescheid, ich müßte sie dem Onkel schicken: sonst muß ich’s ewig zeigen: er kann das besser. Wie recht in allem, was Sie über Kinder sagen! Adieu, ich kann nicht mehr! Sie sehen’s. Küssen Sie meine lieben Kinder und sprechen Sie von mir. Ihre, und Assings, treue Fr. Varnhagen. An Varnhagen in Kassel. Sonnabend, den 21. Februar 1829. 11 Uhr. Straßen schwemmen, Nachtregen, Thauwetter trüblich. Glück auf! mein geliebter August! Alle heilbringende Mächte und Kräfte bringen dir, guten Tag, gute Tage, Jahre, bis jene Zukunft hinauf, die ohne Zeit ist! — Der Bediente ist mit Droschke hin, das Kind, und Marie und Emil abho- len; Paulinchen ist unpaß (unbedeutend); — mit denen werde ich den Geburtstag feiern. Reissuppe von Huhn. Höchstdas- selbe mit Murchlen; Milchnudeln mit Zucker und Zimmt für sie — Karbonaden mit Kompott; Baisees, mit Champagner — jeder einen Tropfen. — Hochhhch! werden sie schreien. Gott segne uns. Gesundheit meine ich. Freilich sagt der Tageskü- chenzettel mehr, als Akademiker von ihm meinen. Ohhh! Es kommt eine Zeit ! wo meine Thorheiten Kours haben wer- den; man muß sie als Staatspapiere aufheben: und da wird man sehr gewinnen! Ich weiß nur ihren Vertrieb nicht zu för- dern: bei dem Mangel ist kein Kredit; wie immer. Ich weiß gar nicht, warum ich mich jetzt lobe: da du es so über- schwänglich thust. Sonst sag’ ich immer: Es thut’s kein An- derer. Theurer Freund! Du beschämst mich; und bürdest mir zu viel auf ! Ich werde nun wahrlich die sein wollen, die du schilderst und liebst: und ich weiß schon gar nicht, wie mich drehen, was zu erst , so recht Schönes machen, leisten, sein? Aber sei ruhig! Natürlich werd’ ich nur zu geschwind wieder. Gestern Abend kam unser Freund noch: liebenswürdig, gesprä- chig. Er hat eine neue Wendung genommen: er spricht vor Allen, und zu Allen grade das, was ihn beschäftigt. Nun liest er jetzt die englischen Blätter — und ich weiß nicht, mit wem er sich auch darüber unterhalten muß, muß sage ich — und ist durchaus von der Schwierigkeit der Emanzipation der Katholiken erfüllt. Sieht aber jetzt , alle Probleme des Le- bens , und des Staatsmanns, nur als solche: also, als un- zulösende, mit einer Art Vergnügen zweiflend an; angebend, man könne ja doch nie wissen, welche Folgen eine Beschlie- ßung haben würde; und diese Unberechenborkeit verstutzt, und vergnügt ihn, als ein neuer Gedanke! — Das dauert schon eine Zeit her: bis jetzt replizirte ich leise und abgebrochen: ge- stern aber nahm ich sein Gesagtes vor . Er mußte Stich hal- ten. Und die einfache redliche Behauptung siegte; daß eben, weil plumpe unzuregierende Folgen unberechenbar schienen, so müssen die ganz außer dem Spiel bleiben, wo von Recht die Rede ist: und eine Gesammtheit sowohl, als ein einzelner Mensch, müsse Schaden leiden lernen. Wirft nicht die halbe Welt schon den Engländern das Gegentheil vor? Verloren sagte er später, wieder problemspielend, wie es nicht ausge- macht wäre, daß wir fortschritten: die Masse des Unglücks bleibe sich gleich u. s. w. Solches , Bekanntes, Durchge- sprochenes! Da schrie ich: Wir wären nicht besser dran, als unter Kardinal Richelieu? Stehlen auf dem Pontneuf als gen- tillesse; Duelle an den Ecken zu fünfzehn, sechszehn Paaren; Vergiftung bei Bällen; Morde aller Art; Auflehnung gegen König und Obrigkeit als Adelsbenehmen; Bartholomäusnacht vorher, Dragonaden nachher; Unrecht, Gewalt in Blüthe; Judenaustilgung, wenn ihr Vermögen Appetit machte; kör- perliche Schmachbehandlung für ganze Klassen; jeter par la fenêtre, nicht allein als Drohung, sondern als That. — Jetzt , geliebtes, geehrtes Jetzt ; Europa im Aufruhr, wenn in ir- gend einem Winkel Unrecht oder gar Mord vorkommt; Alle müssen besser werden, besser leben: Monarchen, die die größte Gewalt haben, tugendhaft ! Nein, par exemple, so dumm bin ich nicht, daß ich das nicht täglich sähe, und einsähe, und einläse. Die Wege, die Erfindungen, die Sanitätsanstalten, Pflaster, Beleuchtung, Kanäle ꝛc. ꝛc. Das Haupt wort un- gesprochen! „Unser Freund gab auch hierauf nicht eine Ant- wort. Du kennst seine Milde, Wahrhaftigkeit, Uneigennützig- keit. Er liebt, will, thut nur Gutes. Hat aber eine Fähig- keit, frappirt zu sein, die ihn hindert; denn sie fördert ihn nicht; weil er’s zu lange bleibt, anstatt von solchem Ans chlag nur zu frischer Untersuchung getrieben zu werden. Und da will ich nun künftig ihn auch frappiren; aber weiter fort Sich wie geschwätzig! Du verführst mich durch Lob dazu; und durch dein Gespräch in den Briefen. Warum sollten wir dies Postgeld nicht anstatt Komödiengeld ausgeben? Das ist es auch nicht allein. — An Antonie von Horn. Mittwoch, den 25. Februar 1829. Ich bitte Sie, liebe Frau von Horn, meinen verbindlich- sten Dank für Ihre graziöse Gefälligkeit noch heute annehmen zu wollen! Gestern traf mich Ihr Bote erschöpft, erhitzt; zwei Kinder und einen Bruder auf dem Hals, die amüsirt, der un- terhalten sein wollte, ohne Rücksicht, daß mir ein Leinewand- händler vier verschiedene Leinewande zu einer Art von Haus- aussteuer abmaß, die man endlich selbst besorgen muß, wenn man nie eine erhalten hat. Eine der Anomalien meines darin genialen Lebens! So wälzen sich frühe Versäumnisse bis in unser spätes Leben hinein; und zerreißen strafend die Tage, welche wir zu genießen, und meist nachzuholen, dann erst fähig, und am bedürftigsten werden. Eine von den stren- gen Folgen; Vergeltung, Strafe genannt: und auch hier, büßen die Kinder die Fehler der Eltern. Hätte ich nicht sonst gestern gleich gebührend geantwortet, anstatt Linnen, nöthiges Linnenzeug, besorgen zu müssen! Heute ist wieder heiliger Mitt- woch: morgen Prinzenball; aber auch das bloße Wetter würde mir den Muth Sie einzuladen rauben; vielleicht erhellt es sich in ein paar Tagen; und Sie können mich erfreuen. Ergebenst Fr. V. An Varnhagen, in Bonn. Montag, halb 11 Uhr, den 3. März 1829. Windloses, duschiges Wetter; an den Thürmen Nebel. Kein Wetter möchte ich das nennen. Unendlich habe ich mich gefreut, mein theurer August, als ich gestern Morgen deinen Brief aus Düsseldorf, den munteren erhielt. Singe du nur! dann tanze ich. Der Frühling muß ja auch kommen; und trifft dich in den schönen Gefilden. Ich kenne Schwelm, Elberfeld, die Spiegelscheiben, alles. Und wie muß das in achtundzwanzig industriellen Jahren zuge- nommen haben. Spanien sogar (wie unter einem tollen Gärt- ner Gottes Vegetation) prosperirt ja mit uns Übrigen, und seine Kaufleute stiften allerlei Vereine, Anstalten; Barcelona will prosperiren u. s. w. — Wie haben wir unserm König zu danken! du hast Recht: aber ich versäume dies bei keiner Gelegenheit ! naßäugig. Du weißt es: ich küsse ja Frie- drich dem Großen, unserm großen Kurfürsten, noch mit auf- schlagendem Herzen den Saum des Mantels. Schönes, herr- liches Gefühl: Verdanken! Respekt! — Ich sage nicht: wo bin ich hingerathen; sondern fahre fort. — Den 4. März. — Was man jetzt von unsrem König für himmlische Geschichten hat! Und keine kommt — für die Fremden ; wir Alle wissen sie; und wissen sie auch im voraus — in ein Blatt! Will es der König nicht? Höre die englischste! Des berühmten Sanssouci-Müller jetziger Nachkommbesitzer dieser Mühle ist in der größten Detresse, und hat mehrere tausend Thaler Schulden. Er redet den König an: und stottert und fleht, Majestät möchte ihn von Verzweiflung retten, seinen Kindern aus der Noth helfen, und die Gnade haben, die Mühle zu kaufen! Der König sagt, das geht nicht. Der Müller kommt schriftlich ein, und giebt noch nähere Details über seine Lage. Er bekommt den schriftlichen Bescheid ab- seiten des Königs: Diese Mühle hätte Friedrich II. , sein ho- her Ahnherr, schon nicht haben können, und er selbst könne sie auch nicht kaufen, weil sie der Geschichte gehöre; aus sei- ner Noth wolle er ihm aber helfen, damit er in seiner Mühle bleiben könne; und schickte ihm dazu die nöthige Geldsumme. He!? Gestern, als bei meiner Abendgesellschaft die Rede da- von war, sagte ich, was du auch wissen sollst. Als unser großer Friedrich so schön die Mühle aufgab, mußte man glau- ben, Schöneres könne nun mit dieser Mühle nicht vorgehn: nun aber müssen wir glauben, jeder künftige König könne eben so etwas Unerwartetes, wieder Neues, aus dem Herzen erfin- den. Ich weine. Höre noch eine liebenswürdige Anekdote! Nach Beendigung der Königlichen Tafel ertappt ein Tafel- aufseher — den Titel weiß ich nicht: Fourier? — einen La- kaien, der eine Flasche Burgunder vor dem Kopf hat, und sie einklucken läßt, und sich aus Schreck ganz begießt; der Mann will sich etwas zeigen, und beginnt einen zu starken, und über- lauten, schimpfenden Lärm; „gleich wegjagen,“ „unerhört“ u. s. w. Längere Zeit hört der König den Lärm, als es aber gar nicht aufhören will und nur immer stärker wird, tritt er in’s Tafelzimmer, der Lakai will zu Füßen fallen, der Uner- bittliche bittliche erzählt alles, und: — „Livree zu Grunde richten.“ „Nicht unglücklich machen!“ sagt der König; und lächelt noch hinzu: „Ein andermal weißen Wein trinken.“ Händeküssen! Ein Fähnrich aus fremder Garnison, den der König, in Por- tici, glaub’ ich, mit einem Offizierrock und wider Anbefehl aufgeknöpft sah, veranlaßte ihn hinüber zu schicken, und nach seinem Namen fragen zu lassen. Der arme Knabe ließ sich das nicht zweimal sagen: und reißt aus. Unser König be- merkt, daß er fehlt; und erfährt, daß er auch nicht nach hin- ten getreten ist. Aus der Kommandantenliste erfährt der Kö- nig Garnison, und Regiment, und Wohnung: läßt ihm sagen, bis zur nächsten Vorstellung der Oper zu bleiben, wozu er ein Billet erhält; der Fähnrich antwortet, den Urlaub habe er nicht: Majestät giebt ihm einen; nun hat er auch kein Geld zu bleiben: der gute liebe König läßt ihm so viel verabreichen. Und das Kind sieht die Oper. Und wir: br avo ! br avo ! den Accent auf der letzten Silbe wie in Paris, damit man’s bis dort hin hört! Das war das Apropos! Nun von gestern Abend. Arnim’s, Cotta’s, Ludwig’s, Moritzens, Willisen, Heine. Sich Alle sehr, sehr amüsirt. Alle öfters dafür gedankt. Bet- tine dreimal mit Phrasen wie Reden. Frau von Cotta vor- trefflich zu allem und in allem; Achim viel mit Cotta und Ludwig und Heine. Bettine dann expreß zu Moritz und Er- nestine, welche drei sehr eingenommen von einander sind. Baron Cotta so liebenswürdig, redselig, erzählend und herz- lich lachend, daß Mann, und Frau, als er weg war, jeder sein Lob ver- und bewundernd aussprach. Mich schmeichelte sein Lachen, und Aller Behagen. Jedes war zufrieden; und III. 24 dankte dafür: ja! Moritz dankte; aber nicht nur aus Ce- remonie; ganz satisfaisirt, aus Ernst. Willisen übertraf sich mit Sprechen, Heiterkeit und Biegsamkeit. Ernestinens Schwei- gen ängstigt nicht: man sieht Theilnahme und Bescheidenheit; und zum Sinn gewordenen bon goût möchte man fast fälsch- lich sagen; da es doch eigentlich nur umgekehrt hergehn kann. Rika führte sich sehr gut auf; und war schön. (Jetzt steht das Kind auf einer Hütsche, und schreibt an dich: „Ich schreibe ihm seinen selben Brief.“ — Was denn? — Lächelnd: „Er soll Bombom mitbringen. Kann er’s auch lesen?“ — Ich werd’s dabeischreiben. — „Nein, nein, ich will’s dabeischrei- ben. Du sollst mir Äpfel schrapen mit Dore.“ — Ich muß schreiben. — Lächelnd: „Dore soll schreiben.“ — Ich habe doch den Apfel geschrapt! Elise tobend und lachend auf meinem Schrank, spielt Ball mit Doren; so vergnügt! „Er soll bald wieder kommen!“ schreit sie mir zu.) Ich ordnete alle Sitze. — Denk dir, daß Bettine beim Weggehen zu uns sagte, an mich gerichtet: „Bei Ihnen muß es so schön gewesen sein in Ih- rem Haus; mit den witzigen, gescheidten Brüdern, Sie müs- sen sich da sehr gut unterhalten haben;“ „Sie sind recht glücklich,“ fing es an. Und das im benignesten, unschuldig- sten Ton. — Du weißt, daß ich , in fast umgekehrtem Sinn, Clemens nach ihrer Kinderstube fragte. Bettine (der Merk- würdigkeit wegen!) behandelt mich komplet mit der Zartheit, und Zuthunlichkeit, als hätte sie Respekt vor mir; nicht weil ich dergleichen heische, noch gewohnt bin, sondern umgekehrt, bemerke ich es dir; und mir, weil es sich mir aufdringt. — Du weißt, wie ich sie liebe; und überheben thue ich mich in nichts. — Verzeihe, daß ich das Papier falsch nahm! contra natura Varnhagi! Lebe wohl! Adieu! Deine F. V. Elise grüßt. An Varnhagen, in Bonn. Sonnabend, den 7. März 1829. 11 Uhr Morgens. Duschiges Wetter: alles grau; Wind zu hören. Auch der März wird nichts. Aber in Finnland und Italien ist es auch so. — — Deine Briefe aus Bonn erquicken mich; da du es darin zu sein scheinst — eine Phrase, die dir nicht aus der Feder gefahren wäre: erquicken, und erquickt, unter Einer Kappe: siehst du, ich lerne was; „ haben mich erquickt,“ hätte ich setzen sollen. Habe Vergnügen, freue dich, lebe: Sonnenschein komme dir zu, und frisches Leben! Dann habe ich Vergnügen; und wir werden das alles zusammen haben! Ich habe Mittwoch Paganini gehört. Lies womöglich was gestern in der Spener’schen Zeitung darüber steht. Ich kann gar nicht errathen von wem: und das ist ein Trost . In nichts könnte ich dieser Beurtheilung widersprechen: manches noch hinzufügen; alles anders ausdrücken (ich werde es auch aufsetzen). Ein Wesentliches hat der Verfasser, wie noch alle Beurtheiler, nicht bemerkt, und ein sehr auffallendes, befrem- dendes! Paganini spielt durchaus auf einer einzigen Saite besser, als auf allen. Richtiger, sicherer, reiner, heimathlicher, kühner: und daher mit der meisten Laune, mit dem dra- matischesten Ausdruck. Seine Geschichte mag sein, welche 24 * sie wolle, so ist mir gewiß: er befand sich längere Zeit nur im Besitz einer einsaitigen Geige. Er spielt auf diesem In- strument eigentlich nicht Geige. Er hat nicht Rode’s, nicht Durand’s, nicht Haake’s, nicht Gionorvich’s Ton, noch Töne. Aber er spricht , gradezu; er wimmert; er ahmt Meereswet- ter nach; Nachtstille; Vögel, die vom Himmel kommen, nicht die zum Himmel fliegen; kurz, Poesie. Er spielt die Preghiera aus Moses von Rossini; alle Stimmen, wie sie nach und nach einfallen, und dann zusammen. In Himmelssphären. Und ich schwöre dir! daß ich gezwungen war, immer des Harfenspielers Lied: „Wer nie sein Brot“ dabei zu wieder- holen, zu schaudern, zu weinen. Es war es ganz . Und nun genug. Das Parterre im Saal war nicht geneigt zu applaudiren. Aber mußte . Ich habe die , die ich, als er empfangen wurde, vor mir zischen sah und hörte, in Applaus ausbrechen sehn: der Hof, alles hieb in die Hände, der in „les autres aussi,“ wie l’avare von Moli è re. — Er liefert jedem Bewunderung: und sollte es auch nur Verwunderung sein. Er sieht alt aus, betrübt, verhungert, und lustig. Eine Mischung vom seligen B., Oken und Wiesel, und meinem Leinewandsjuden, dem alten Mann; das Ganze neigt mehr zu dem letzten. Dieners wie aus der Urwelt: alles lachte; er auch. Pantomime dabei; im Ganzen bescheiden. — — Wie schön beschreibst du die Herren Gelehrten und alles aus Bonn! Wenn Hr. von Schlegel denkt, daß er mir nicht zu antworten nöthig hat, irrt er: ich nehme dergleichen übel, und nehme meine Rache. Exempel R. — Das arme liebe Kind! Gestern, als sie kam, sagte Dore, du seist da: hat sie sich ordentlich erschrocken. Ich leide den häßlichen Spaß nicht mehr. Adieu, mein lieber einziger Freund! Weißt du, ich komme mir ordentlich wichtig vor, seit du mich so lobst, so missest, mich deinem Glück so nöthig preisest. Ich will auch recht artig sein; und immer besser wer- den. Gestern Morgen war erst Heine, dann Gans bei mir. Ersterer, wie er war. G. komplet liebenswürdig. Bloß um mich Lügen zu strafen: nun wird er wieder unleidlich sein. Er grüßt schönstens. — An Varnhagen, in Bonn. Freitag, den 13. März 1829. halb 11. Duschiges Wetter, trockne Straße. — X. ist in französischen Blättern wegen seines Gedichts gelobt, das übersetzt ist: da sagte Heine: „So lange er lebt, wird der unsterblich sein.“ Von der Bach’schen Musik, die er vorgestern auch hörte, sagte er — sagte er, ist hier zu viel, — er hätte acht Groschen Profit dabei; einen Gulden kostete sie, und für einen Thaler hätte er sich ennuyirt. Sehr gut: das Erste auch. Voilà ce que vous me demandez; de ses bonmots! — Auch ich hatte Langeweile in dieser Musik. Chöre gehn in Berlin — wo sie so stolz drauf sind — immer beleidigend schlecht; kompletes Blaffen: sie ist voller Chöre. Erstlich. Dann der bizarrste ergiebigste Text. Christus letzte Tage und Tod, rein aus der Bibel. Aber wie hätte der behandelt werden müssen! Da hätte der große Mann nicht längsterfundenes — auch von ihm nicht — Gesangswesen gebrauchen müssen, und was nun jetzt schon als ganz abgegriffene Münzstücke längst eingeschmolzen, und anders gebraucht und abg ebraucht, und von schlechtern Künstlern , aber schöner geprägt in Um- lauf ist. — Mad. Liman hat Recht, die mir gestern sagte: „Es ist wichtig es zu hören , wie man die Nibelungen und dergleichen liest, und den Übersetzern danken muß: aber die Poesie ist mit unserm ganzen Leben weitergeschritten; wir müssen weder Einhalt thun, noch rückwärts verweilen, nur das Rück- wärts kennen : Gluck und Mozart haben Sebastian studirt; das Beste von ihm benutzt, und sind weiter.“ — Sebastian, sage ich lange, ist durchaus Kant: mit großer Dichtungsgabe, Phantasie; ein Stück Saint-Martin in sich; ein großer Archi- tekt in Urproportionen; eine reine, sich zu Gottesgedanken schwingende Seele . Immer sublim, und unterhaltend, wenn er dem Impuls seiner Eingebungen, und sogar Meinungen und Vorsätze, folgt. Nicht aber, wenn er Texte, Worte be- musikt. Da ist es ihm noch nicht eingefallen, alles Herge- brachte mit Eins zurückzulassen; bloß nicht eingefallen; und ich glaube , aus großer Musikfülle. Er hat so viel Großes, Reiches, Üppiges, Erhabenes, Richtiges, Neues gemacht, daß er ein Feld ganz vergaß zu überarbeiten; weil es auch nicht sein eigentliches war. Denn, mir ist es ausgemacht, daß Vo- kalmusik nicht so rein, so himmelverwandt, so erhaben ist, und sein kann, als Instrumentalmusik. (Ich weiß; jetzt , contra Welt: aber es wird schon ein Mann kommen, der es beweist in einem breiten sich Platz machenden Buche.) Und auch da- her muß erst komponirt werden, und dann der Text gemacht: erst ist die Empfindung, die Meinung, der Eindruck aller Dinge vague da; und alsdann erst kommt Grammatik, Logik; und alles das Gerüste, und die willk ürlichen Zeichen; wovon die Sprachen noch nicht frei sind. So haben dem Gluck, der re- volutionairer mit den Texten umging, die Franzosen so sehr geschadet und eingeengt; so groß, so keusch, so weise, so er- findungsreich er war. Die, mit ihrer Sprechsprache! die de- rentwegen in weltlichen Dingen so voraus sind, und auf deren Sprache wieder die Welt so eingewirkt hat; wie weit ab dies von Gesang, hat ihnen ihr Rousseau auf ewig gesagt. Cet original; heißt auf Deutsch: der Tolle. Richtig, daß er ihnen toll erscheint. Er geht in allen Dingen auf’s Singen zurück; und sie sprechen so schön! Singen ist bei ihnen ein Scherz: und soll es Ernst sein, ein Spaß, für uns, für mich, für Rousseau: und ein Leid, weil es nicht dafür angesehen wird. Und wir Deutschen nun gar auch deklamirende Opern hören, sehn, und schreiben! Das heißt Empfindungen auf Gramma- tik und Silbenzahlen spannen; und je weniger das geht, und Musik ausbleibt , je gelungener, richtig-deklamirter es hal- ten! — Mozart, der neuste Revolutionair, zertrat das alles wieder; zwang aber den Gesang zu sehr unter die Instru- mente; war aber so musiktrunken, so von Fluth der Eingebung gehoben, daß er immer ein Ganzes bildete; und in einem solchen muß, und kann manches unterliegen; um so größer! Da er Bach, und Gluck studirt, und benutzt hat, mit dem größten Witz, und sich unabhängig von ihnen gehalten. Dann kommt Spontini, den auch die Franzosen erdrückt; der aber in Nebeneinanderstellung der Instrumente neu, und im Besin- nen neu ist : nämlich, er besinnt sich nicht etwa, wie Maria Weber, was er machen soll: sondern, auf alles was er weg- lassen muß. Alle Andern können die Reminiszenzen nicht los werden; und haben nicht so viel Ursprüngliches um es nicht verschwemmen zu lassen. Mein Musikunterricht bestand in lauter Musik von Sebastian, und allen Bächen, und der gan- zen Schule, also wir, von der Zeit, kennen das alles genau. Wie das Publikum, das frömmlende, war, mündlich. — Sie lasen das Stück Bibel als Text, nicht etwa gerührt! nein, sie studirten es mit Lügenmienen, als wäre es schwer: und Kants Kritik der reinen Vernunft etwa. — An Varnhagen, in Bonn. Freitag, den 13. März 1829. Ich war zu erhitzt, um im Briefe heute alles ordentlicher zu sagen. Also nachträglich: Mozart ist mir Shakespear; Gluck: Ähnlichkeit mit Klopstock; das nur oberflächlich: schon weil Gluck mehr von Leidenschaftlichkeit und Leiden weiß. Righini allein weiß von Liebe , verliebter Liebe; versteht den Olymp, — was der sagen will — den Tartarus; welchem Dichter vergleich ich den? Heiteres lichtes Wetter auf Bergen weiß er auszusprechen, herzuzaubern; olympisches; Zauber, Nymphen, Liebesgötter, Liebesrausch. Zerrissenes Herz. Mei- nes Wissens im letzten einzig dastehend. Für den Sänger der Größte; noch so Bizarres für Ohr und Gewohnheit, in bequemen, einfach zu findenden Tönen, so wie man’s versucht. Händel weißt du schon. Alle diese Meister haben, wie alle Großen, schreckliche Nachahmer zu hundertjähriger Plage, für den der’s versteht. — Frau von Cotta ist ein rechtes Publikum von mir: über alles lacht sie, was ich sage. Solche hätte sie nie gesehen. Eine Aktrize war in Alcidor eine Sylphide. Trikot, Flügel am Rücken, Flügel am Haupt. Aber wie ! Sie stand kerze -auswärts. „Hat man je im Olymp Einen auswärts stehen sehen!“ lispele ich empört Frau von Cotta zu. Sie lacht befremdet, und einverstanden. „Ich meine: im Museé Napoléon; “ korrigire ich beinah. Sie konnte es gar nicht vergessen! Und so alles was ich sage. Sonntag Vormittag, 10 Uhr vorbei, der 15. Schnee auf den Dächern und Straßen. Er verdunstet aber schon; die dicken Wolken spalten sich: Hellig- keit, wenn auch nicht Sonne, dringt hervor. Ich erwarte halb einen Brief von dir diesen Morgen, und weiß nicht recht, ob, wenn er nicht kommt, ich diesen wegschicke: da ist er! Es ist wieder Liebesbalsam auf mich wie ein Mairegen geträufelt; gegossen. Ich nicke dir! — Elise sitzt ganz sicher auf dem Schrank; ist auch furchtsam und vorsichtig, ich und Dore stehen unten: sie wirft uns die Bälle in Schürzen, wir sie ihr auf den Schrank. Auch wenn wir entfernt sind, bleibt sie behutsam sitzen; er ist ganz breit. Mit mehr Furcht , als ich!!! läßt sie sich hinauf und herab heben. — Von Heine’n — wollte ich dir eben schreiben. Das Resum é , was ich heraus habe, ist und bleibt sein großes Talent: welches aber auch in ihm reisen muß, sonst wird’s inhaltleer, und höhlt zur Manier aus; — er denkt überhaupt, was ihm ent- schlüpft, was er sagen mag, ist für die Menschen gut genug. — — Wir sprachen Alle viel. Einer oft à tout hasard: wel- ches er aber doch noch anders meinen muß; ich nur, wenn es mit mir durchlief, wegen damaligem Hustenkrampf. Die Rede kam auf Auswärtsstehen. Rike erwähnte die ägyptischen Bild- werke. Ich nahm ihre steifen Haltungen in größten Schutz: ein Strom ergoß sich aus mir — ein längst zurückgedämm- ter — ich erwies, die Natur im Vaguen, und alles, was die versucht und zu thun gezwungen ist, aus lauter nur für sie geltenden Gründen, nachahmen zu wollen, sei durchaus falsch, und daher unthunlich; in eine menschliche Schranke müssen Künste sich engen; in einen solchen, für den höchsten gehalte- nen Menschenzustand, in Beschränkung, in Gränze ihre Ein- willigung geben, das allein sei ihre Freiheit; und so seien der Ägyptier Stellungen eine Art Bild ihres geselligen Daseins; nicht arbeitend, nicht strebend, nicht noch bewegt. Der Ge- gensatz dav on sei der Wiener Walzer; der oft so unsinnig angebracht schiene, nach jedem ernsten Kampf oft; mir aber immer guten Eindruck mache und gefalle — ohne daß ich lange den Grund deutlich gewußt — so wie ein Leid, ein Kampf, eine Verwirrung, ein Vollbrachtes geschehen sei: gewalzt! Was will der Mensch mehr. Schweben, Leben, Sein, Fertigsein! Heine schlug über die Fauteuil-Lehne, blutroth, ganz weg vor Lachen; er brach wider Willen aus. „Tollheit! schrie er, toll, ganz toll; o wie toll! Tollheit, nein, das ist rasend: solcher Unsinn ward noch nicht gesagt:“ und so blieb er lachend. So wie er wieder zu sich war, war es reinster, lichter Neid. Ich sagte ihm auch: „ Den Unsinn möchten Sie gemacht haben.“ Ich lachte auch. Die letzte Hälfte, die vom Walzer, mußte ich ihm erklären: er frug ganz ernsthaft; und fand es dann sehr gut. Aber dies Lachen! So natürlich sah ich ihn nie. Das wollte ich dir erzählen, ehe dein Liebesbrief kam. Um 9 Uhr ging Heine. Moritzens kamen: wir aßen Sardellenfische, und waren beredt und vergnügt. — — Frau von Cotta läßt dich grüßen, und dir sagen, es ginge alles gut. Mir sagte sie: „Nun können Sie mir das schönste Seidenzeug frei und frank nach München schicken, und ich Ihnen auch was ich will.“ Es ist mir lieb, daß Deutschland le bas-ventre libre hat. So kommt es mir vor. Ich war vorgestern krank, und doch noch bei Stägemanns. Die Nacht war arg. Husten, Brust; aber gleich gestern Mor- gen nahm ich ein herrliches Mittel; das sprach mit dem Übel; und hemmte es. Jetzt schwitze ich nur, und erhalte mir Zollfreiheit durch Embser. Gestern unterhielt ich mich sehr gut. Vormittag das Kind: brillant gesund: und dann auch singend nähend, in die Küche; sich so versteckt, daß wir Alle sie nicht fanden und unten glaubten; dreht sich, wie ein Luft- springer, daß ich immer schreie; es hilft nichts! Sie tröstete mich ordentlich, wie ein Großer. Auf den Abend Ludwig’s und Andre. Sehr gute Gespräche. Millionen schöne Grüße; ich las deine Stelle von Goethe: doch deine , wegen des Vortrags. — An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder. Montag, den 23. März 1829. 11 Uhr, helle Sonne, die durchgebrochen; eiskalter, luftleerer, dezidirte- ster Nordost wind! der Thiergarten zum ernste- sten Vermeiden, kellernaß, und nicht völlig seines Eises entledigt. Ich habe seit acht oder sechs Tagen all unsre Umgegend in und außer der Stadt hindurch mit Ausfahren im geschlos- senen Wagen durchprobirt. Nur im Bouch é ’schen Garten ist Mittags bei West- oder Südwind Weile. Ich war wieder krank , beste Minna, und bin noch auf grausame Weise leidend. Oft weine ich Gott etwas vor; es bricht mir aus; und rede laut zu ihm. Sie wissen es, in dieser Rubrik exagerire ich nicht: ich bin leicht wieder wohlauf, und vergesse das Leid; aber das geht über meine gewesenen Kräfte. Jetzt wie ich hier sitze; habe ich mich nur zurecht gewaschen und frottirt; und doch Unbehagen; und Schmerz auf allen Muskeln. Aber ich bin voller Hoffnung: ich hoffe auf einen gern geathmeten Frühling: auf leidlichere Gesundheit; auf unser Beisammen- sein! Sie kommen, so wie das Wetter sich nur ein wenig gesetzt hat; daß man nur des Einheizens entledigt ist! Ich weiß es nur einen Tag voraus; das ist genug. — Wir leben sehr schön in Frühlingsluft miteinander, und ohne einander! — So lange ich noch für meine Schmerzen geheizte Zimmer haben muß, die meine Nerven, und mein Athmen nicht ver- tragen können, bin ich mir, und Andern unleidlich. Fragen Sie Dore aus, wenn Sie kommen. Ich weine täglich bitterlich , wenn ich an Varnhagens Ankunft denke, der mich so finden soll! Nun ich Ihnen so beschwerlich, und beschwerend, und so aufrichtig geschrieben habe; antworten Sie mir nun nicht so kränkend, daß Sie gar nicht kommen wollen!!! Sie werden sehen, Sie werden in einer gewissen Art einen köstlichen, ein- zigen Aufenthalt bei mir machen! wenn wir meine geräumi- gen Sonnen- und Schattenzimmer alle werden zu Nutz und Vergnügen haben. Luft, Raum, Ruhe, Frieden, Stille, ohne Einsamkeit, sorgen- und besorgungsfrei, frei, vergnüglich, und das im Frühling, im dann rein schönen Berlin; darin Freundschaft, Wohlwollen, Einsicht in Ihr Wesen und Be- dürfniß. — Paganini reist nun früher: er ist einzig. Aber ich habe ihn doch nur Einmal gehört, und das tröste Sie. Mündlich ganz genau darüber. — Bringen Sie ja Ihr run- des Kissen mit, Fürstin Carolath hat mir meines für Sie, frauduleusement mitgenommen. Sie haben mir ein so gründ- liches kindliches Vergnügen mit den Flakons gemacht, daß Ebers, und mehrere, die dabei waren, über mich lachten; und meinten, mich könne man leicht erfreuen. Gar nicht. Man muß mir grade etwas Hübsches, Nützliches schenken; was ich mir wünsche, mir nicht gebe, und ich nicht kriegen kann. Mit einem kleinen Wort: Herz und Intelligenz, nicht Prahlerei und Gedankenlosigkeit, muß wählen. Danke, Liebe! Kaufen Sie sich keinen neuen Hut, und schleppen ihn her: ich weiß hier sehr gute. Ich umarme Sie herzlich: und sehe Sie gewiß bald, meine liebe Minna. Und freue mich für uns beide. Gott wird Frühling und Gesundheit herunterlassen! sage ich mit thränenden Augen. Ihre Fr. V. Mama und Frau von Wißmann schöne Grüße; den größten Antheil an der letztern Genesen! An Varnhagen, in Kassel. Dienstag, den 24. März 1829. Bald 11 Uhr. Helles Wetter, welches eben bei diesem Worte dunkelt. Wieder hell. Südostwind. — Pauvre humanité. Niemanden wird etwas gereicht, der nicht herzhaft den bittern Kelch vor die feine Zunge nimmt; und herunter, herunter; alles hinein! Unverhofft wird’s veil- chenartig, aromisch, süß genug; und hell um uns her, und ruhig: und das nur , weil mir das Bittere abgetrunken, was wir selbst hinaufgehäuft; Ungesehenes, Unwahres, Falsches so- gar; nach dem herben, muthverlangenden Abtrinken ist reiner Grund und Wahrheit da; und in uns; und diese ist Him- melselement: weil ihr Wesen darin besteht und zu erkennen ist, daß sie zu den nächsten Gliedern passen muß; und da- durch bis zum Himmel hinauf passen kann. Alles was wir thun können, besteht in einem richtigen Erschauen, nach innen und außen hin; daß wir uns wiederfinden in neuem berei- chernden Erfassen! Der Faule muß alles nachholen, noch Ein- mal beginnen, bei harter Strafe und Schmerz; bei hartem Befinden. Wir versuchen Alle, und oft, faul zu sein; aber wir müssen es nicht bleiben: Clemens ruht sich wieder zu sehr beim Katholizism aus; vorwärts, armer Clemens! je eher je lieber. So viel Klügere auch wollen das große Defizit nicht ertragen: und mit Goethe’n nicht „verzweiflen, wenn sie leben wollen.“ Beugt euch, Menschen, tief: dann könnt ihr euch erheben. August, ich prahle hier nicht: ich sträube mich alle Tage unartigst im Einzelnen. Was heißt das aber? Ich sträube mich in den Momenten des Lebens, wo aus Zorn oder Einzelwunsch mein Auge, erhitzt, oder verblindert, das Ganze nicht erfaßt; aber — wenn wir an’s Ganze denken, das vor unsern Sinn gebracht haben, und dann uns nicht beugen, nicht rein werden, nicht verzweiflen wollen, nicht unterwürfig sind; in der eigenen Brust, und in dem Drang nach Vernunft, Recht, und Richtigkeit, keine Bürgen finden, dann müssen wir erst noch recht leiden — und werden. (Jetzt war Frau von Cotta eine sehr intime, interessante Stunde bei mir. —) Nun bin ich au pied de la lettre aus meinem Konzept. — Frau von Humboldt war Sonntag schon sterbend; schlug die Augen auf, sagte zum Mann: „Es ist ein Mensch fertig!“ selbst den Tod erwartend. Vergebens; sie lebt wieder; nimmt Antheil. Alexander erzählte dies. Schönes Wort. Gott sei bei ihr! Sie soll viel gebetet haben. Ganz recht. Das heißt mit Gott sprechen. Anderes haben wir ihm nicht zu sagen. Wie die Kinder uns, müssen wir ihn ennuyiren. — Unser König begegnet vor ein paar Tagen einem Mann im Thiergarten, steht vor ihm still: „Ich kenne Sie! wie hei- ßen Sie?“ — Ja, Ew. Majestät! ich heiße S. aus Königs- berg. — „Ganz recht, da wohnt’ ich bei Ihnen.“ Kurz, es war grade den Abend französisch Theater, Ballet und Ball im kleinen Palais; der König lud den Mann mit Frau, Toch- ter und einer Verwandtin ein. „Sie werden abgeholt werden.“ Er wurde es. Frau von Cotta, der ich die Geschichte erzählte, wußte endlich wer die Leute mit der sehr hübschen, anständig einfach gekleideten Tochter waren: sie hatte sie dort gesehen. Größte Distinktion. Bravo, König! Auch der Griechen Gast- freundschaft bringst du wieder in’s Leben. Herrlich, König! — Ludwig ist gekommen, liest das über Schlegel, und grüßt schön. Als ich von Koblenz las, sah ich, ich schwöre es, alles; ja ich roch es. Glück zu: sei froh. Lieber Gott! Laß es sein ; erlaube es! — März, 1829. Nur durch Liebe und wahre Gottesfurcht können die Men- schen in das Herzenselement zurückgeführt werden. Gottes- furcht besteht in der Einsicht, daß wir Alle von ihm herkom- men und gleich sind, und gleich gut und schlecht behandelt werden sollen! Täglich bekomme ich mehr und mehr Belege daf ür; ein empfindlich Herz ist eine Gottesgabe: das öffnet die Pforten dieser Einsicht; das brachte ich mit. Dies ist aber auch mein ganzes Talent; für alle andre, die ich nicht habe. O welch Surrogat! April, 1829. Rosen wurden Brücken, sie führten mich in’s Leben, Rosen waren Wunder, Heine hat sie mir gegeben. (In großer Krankheit, wo die unaufhörliche Erfrischung des Gesichts und der Hände mit befeuchteten Rosen, welche der Genannte in schönster Pracht und Fülle ge- sendet hatte, die ersten Empfindungen eines heilvollen übergangs bewirkte.) Un Un des grands dangers de l’homme est de se croire aban- donné, quand il souffre. N’oublions jamais qu’on veut ici notre purification, et non pas notre perte. Nos fautes mêmes doivent n’opérer en nous que le remords et le sentiment de notre profond abaissement, mais jamais le désespoir. La pitié suprême s’intéresse à nous dans nos douleurs; la miséricorde dans nos fautes et dans nos égaremens. C’est ne pas connaître Dieu que de croire qu’il ne puisse nous régénérer, quand nous retournons à lui avec un coeur sincèrement contrit et humilié. (Saint-Martin.) „ N’oublions jamais qu’on veut ici notre purification, et non pas notre perte .“ Amen! Den 28. April 1829. An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder. Freitag, den 1. Mai 1829. 7 Uhr Morgens, in meinem Bette. Ich war vor Gericht, liebe Minna; ich ward frei ge- sprochen. Das große Leiden; meine innren Zustände; münd- lich. Ich grüße Sie aus bestem Herzen! Ich dachte an Sie. Aus dem Frühling ist nichts geworden: aus unserm gar nichts. Gott will es so: und somit ich auch. Ganz still und ergeben. Für Sie mit ; Menschentochter! Ich habe wahrlich gelernt ergeben sein, und alles Gewünschte Gott — mehr vertrauender, als meinen Herzensströmen — zu Füßen zu legen. Grünes sehen (!!!) — auch . Mehr hab’ ich nicht; mehr kann ich nicht. Aber Athem holen, das muß ich. Der war weg. Sagen Sie ja niemanden , daß ich dies III. 25 schrieb! Vor einigen Tagen konnte ich Redtels noch nicht ant- worten. Adieu. Im Laufe des Sommers führt uns Gott wohl zusammen. Von mir kein Plan mehr! Adieu Minna! Ich denke Ihrer, wie Sie sind. — Grüßen Sie Mama und Frau von Wißmann. Ihre Fr. V. Der Professor Witte, Wittwer meiner petite-petite-cou- sine, den ich sehr gut finde; bringt Ihnen diesen Brief. Ich bestand darauf, daß Sie sich einander kennen lernen. Spre- chen Sie nicht nur von mir mit ihm, sondern von allem. Und ganz natürlich; als kennten Sie ihn zehn Jahr. Er entrirt. Lassen Sie ihn wieder kommen: er bleibt auf mein Geheiß wegen Ihrer in Frankfurt. Lassen Sie ihn dies alles lesen. 1829. Wilhelm Meisters Wanderjahre . Zweites Buch. Neuntes Kapitel, gegen Ende. (S. 170. der kleinen Ausgabe). „Solche Gaukeleien fanden wir durchaus gefährlich, und konnten sie mit unserm ernsten Zweck nicht vereinen.“ Dar um sag’ ich immer: Ein Europäer kann nur zur Erholung in’s Theater gehn. Weil Europa noch nicht eingerichtet, wie diese Provinzen, sonst, wirklich, fiele Theater aus. Und, dennoch nicht : hätten die Provinzen auf’s gewünschteste gewirkt, so bliebe doch noch Raum für Wünschenswerthes, und Drang zu Bewegung der Seele: und wo dieses besser finden, als in Dar- stellung, im lebendigsten Stoff — des Menschen selbst — in Anschauung der bewegten Menschenseele selbst; welches An- schauen zu bewirken alle Künste und Handwerke Unterstützung bieten müssen. Theater kann sehr schön sein, wenn es sich auch jetzt so verkehrt zeigt. — S. 172. „Denn so wunderlich ist der Mensch gesinnt, daß er von dem Unwerth irgend eines geliebten Gegenstandes zwar überzeugt sein, — aber ihn doch nicht von Andern auf gleiche Weise behandelt wissen will; und vielleicht regt sich der Geist des Widerspruchs, der in allen Menschen wohnt, nie lebendiger und wirksamer, als in solchem Falle.“ Nicht aus Widerspruch möchten wir in solchem Fall widersprechen, son- dern weil wir einen — oder viele — nicht leicht auszuspre- chenden, oder leicht angehörten Grund haben, die gründlich verworfene Sache, wovon die Rede ist, auch zu lieben, zu wünschen, zu schätzen. Oder kann leicht ein Zustand gefunden werden, in welchem unsre Gerechtigkeit, Neigung und Über- zeugung mehr in’s Herz zurückgescheucht wird, als in solchem Fall? Daher der falsche Schein des „Widerspruchs-Geistes,“ der „in uns Menschen wohnen“ soll. Wir thun uns oft Un- recht. Wie lange schon möchte ich solche anscheinende Fehler der Menschen wie ein französischer Advokat die Verbrecher vertheidigen; aber nichts verkehren, wie die oft müssen. An Rose, im Haag. Berlin, Mittwoch Morgens halb 11. den 13. Mai 1829. Alle Blätter und Blüthen heraus: aber kein Gefühl von Frühling. Nordostwind, oder reiner Nord; Starrkälte. Mir nicht unlieb, da ich doch noch — achtundfünfzig — kei- 25 * nen Garten habe: nicht leben kann, wo ich es mag. Will- kommen! auf der alten Erde, die mich wieder aufgefangen hat. Mehr gelitten hat man wohl nicht: dies ist ein Ge- heimniß zwischen mir und Gott. Kein Arzt, keine Umgebung kann dies rathen, sehn oder glauben: ich nun selbst, fasse es nicht mehr: nur wiedermachen will ich es nicht mehr. Wohl dem, der eine höchste Überzeugung im bittern Leben gewonnen, errungen, erdacht, geschenkt bekommen hat! auf diese führten mich Martern zurück — für Gefahr habe ich keinen Sinn: in der , aufzuhören, sind wir immer, und stets. — „Gott hat Recht: und es ist am besten so; ich bin ja seine Kreatur : und, da ich, ich, ich , einen Begriff von einer Anforderung an Vernunft und Recht habe; so existirt’s; und noch vollkom- mener, als ich mir’s denken kann.“ Dann frug ich mich, was ich von den Martern lernen soll?! besser sein: mehr Mitleid haben; nicht zerstreut sein über Leidende, und Arme u. s. w. Nun ring’ ich sacht wieder gegen das Leben an: oder das Le- ben vielmehr gegen mich: seine Kontradiktionen!! „Gott! es ist ja nur eine Kleinigkeit!“ sagt Dore. Ja, seufzt Goethens Adler, in der Fabel Adler und Taube. Ja ! seufze ich. Aber vierhundert Kleinigkeiten bilden meinen Tag : einen ne- benan habe ich nicht zu leben; wie Keiner. Sechs Monat vor der Erkenntniß meiner Krankheit hatte ich Fieber und Be- klemmung. Zwölf Jahre harte Beschwerden; und alles dabei geleistet, anstatt mich zu heilen. Mündlich könnte ich’s erzählen. Nun das Gute. Alle Bequemlichkeit und Hülfe, und Ausgabe, ohne die geringste pekuniaire Sorge oder gêne !!!! Alles was Kunst, und Liebe , in dieser Zeit , in unserer, hervorzubringen vermag, erfahren und genossen. Von Arzt, Mann, und Geschwister, und Domestiken. Das balsamte mein Herz : und half mich ganz gewiß retten. Von der Ach- tung, die ich von der Stadt genoß, wäre fast lächerlich zu sprechen: ich höchst befremdet: denn wahrlich, und du wirst es glauben; ich hielt mich zeitlebens für Rahel; und sonst nichts. Ohne alle Gestalt und Physionomie für mich. Die Andern aber empfanden, daß sie die Gute, Neidlose, Theil- nehmende, verlieren sollten; und reiche Interessen , Inter- esse’s, strömten mir zu! Und nun du meine theure Rosenschwe- ster! Sei ganz ruhig: so gut es einem Menschen gehen kann, geht es mir. Könnten wir uns nur sehen! da wir doch in verschiedenen Ländern leben. Eine Sommerwohnung — ich wollte sie — kann ich für un argent fou, welches ich gern ge- ben wollte, wie ich sie für meine Bedürfnisse, und Varnh. Verhältnisse brauche, nicht erlangen: ich sitze also in schloß- artigen Zimmern in einem bequemen Quartier, — die Hinter- fenster auf Nachbargärten, wie in einem Forsthaus Luft und Geruch; — und konvaleszire. Später will ich irgend wohin reisen: könntest du mir irgendwo Rendezvous geben, in Ba- den-Baden? Frankfurt am Main? oder nenne einen Ort. Nicht Aachen; ennuyant; theuer. Doch lasse dich den Vor- schlag nicht ängstigen: er ist nur so in’s Blaue hinein gemacht: d. g. geht nicht. Ohne die größten Revenüen: und ich wundre mich todt, daß ich meine habe. Dein schönes Haus, theures Kind, freut mich! hast du eine Idee von Garten dabei? Fährst du oft? ich jetzt täglich: und schon sehr viel vor dem letzten Ausbruch. Je ne vis point du tout pour la montre. Alles inwendig, bequem, behaglich, zweckmäßig. Die „Dachstube“ (wie die armen litterarischen Französinnen unter Louis XIV. und XV, die doch die Gesellschaft sahen) im Größern fortge- sponnen. Das Andre gelänge doch nicht: und gelänge es, hätte ich eine Klasse Gesellschaft: und schrecklicher giebt’s nichts. Ich habe es aus den Zeitungen schon gewußt, daß Karl Verdruß haben muß; schon wie du hier warst, und mir sagtest, wie er über Volksunterricht denkt — du mit — wußt’ ich das Resultat: und bliebe es noch Jahrzehnte aus. Grüße Karl herzlich! ne fera-t-il point de voyage; ne voudra-t-il me donner un rendez-vous? que j’aimerais le voir! Adieu, mon amie. Portez-vous bien, c’est l’essentiel! Deine alte treue R. Mille belles choses à Louis. Varnh. vous embrasse dans la joie de ma guérison. 1829. Zu Börne’s Schriften, Theil 2. S. 198. Bei Hamlet hat sich Börne am meisten geirrt. Den hat er nicht gefaßt. Deß- halb redete er so viel, und sagte so wenig: fast nichts. Da, wo er endigt , hätte er anfangen sollen. Von dem Zu- stand eines deutschen Menschen von Geist hätte er sprechen sollen; von der modernen Abtheilung der Welt. Es scheint noch gar nicht bekannt, daß zum Verliebtsein ein immerwährendes Verlieben erfordert ist; so wie dies nicht mehr Statt finden kann, geht der Zustand ein. Liebesleute — verehlicht oder nicht — verlangen meist eine unbedingte Liebe; sie mögen sein und machen was sie wollen; der Andre soll vor Empfindung krepiren. Angelus Silesius sagt: „Gott schafft die Welt annoch,“ und so thut Amor der Bube. 1829. An Fouqu é , in Nennhausen. Berlin, Mittwoch den 17. Juni 1829. Gott grüße Sie, lieber Baron Fouqu é . Haben Sie ja rechten Muth, nämlich rechte Geduld in Ihrem Unwohlsein! meines ist mir noch so frisch gegenwärtig, daß ich noch sehr wohl weiß, wie das allein durchhilft. Und wie krank, wie mit Erd’ und Atmosphäre uneins war ich : und wie leidend! Zwei wußten das nur; der große Gott, und ich: jetzt weiß es nur Einer; Er. Leiden kann man dies; aber nicht in der Seele behalten. Meine Geduld bestand dar in, nie mein Übel summarisch zu fassen; sondern, Leid vor Leid; Weh vor Weh; Minute nach Minute. Eine Art thierisch-kindischer Unschuld befiel mich hierin: und die wird Ihnen nicht fehlen! Das wollte ich Ihnen sagen: und darum grüße ich Sie hier mit herzlichstem Antheil. Sie sind ja wohlauf in Herz, Seele und Sinn: und mitten im Sommer, auf dem schönen eigenen Land- sitz; umgeben von den Ihrigen: beschäftigt: gewiß sind Sie schon besser. Ich leide noch an zu beweglichen Nerven, und Rheuma; sonst muß ich mich loben. Und Ihnen wird es noch besser, und schneller besser gehn: bei Soldaten bleibt derglei- chen nicht gern. Nennen Sie ja meinen Namen nicht! Nicht, daß ich nicht willig, ja gerne, eine Schriftstellerin wäre. Ich schämte mich nicht, ein Neutonisches Werk über Sternkunde, oder Ma- thematik zu schreiben: aber kein Werk hervorbringen zu können, und doch drucken zu lassen, da wandelt mich Scheu an. Leben Sie wohl, guter Baron! Aber künftigen Winter sein Sie doch besser; und haben Sie auch eine kleine Zeit für uns. Mich Frau von Fouqu é bestens empfehlend wünsche ich Ihnen den besten fleißigsten Sommer. Ihre ergebene Fr. V. An Adelheid Fürstin von Carolath. Berlin, den 18. Juni 1829. Schönes, dunkles und helles Wetter, nach einem gestrigen Gewitter erkühlt. Theuerste Fürstin! Liebe Freundin! Ich finde es frevel- haft, auf einen so lieben Brief, als der Ihrige, nicht eher geantwortet zu haben; nicht grade von mir frevelhaft, aber daß es geschehen mußte. Wie in eine schöne Landschaft, in ein gerettetes Still-Leben darin, mitten in Frühlingsarbeit der Atmosphäre, ließ mich Ihr erwünschter Brief hineinschauen, und mitleben — fast mein ganzer Frühling — dankens- werthes und erkanntes Gemählde: doppelt müssen wir dem Himmel danken, der Ihnen diese Insel von Glück verleiht, und auch das Anerkennen dieses großen Looses in die Brust gepflanzt, und Ihnen die Einsicht dazu geschenkt! Möge dies so bleiben! Gerne hätte ich das mitgenossen! Aber ich war noch zu hülfbedürftig nach meiner großen Krankheit. — — Amüsant ist’s jetzt nicht bei mir: bloß sehr gute, gut gepflegte Luft, offene Zimmer, Blumen. Menschen sehe ich wenig: sie haben sich’s während meiner Krankheit und Konvaleszenz ab- gewöhnen müssen; und leicht geschieht solches. Doch hatte ich acht Tage eine Freundin vom Lande, Fräulein von Brandt, aus unserm Sachsen, aus Schmerwitz bei Kroppstädt, bei mir. Sie blieb acht Tage — zu Pfingsten — und es war mir ganz bange, als sie weg war; komplet gebildet — nicht nachspre- chend, eingelernt, verständig, vernünftig, lesend, urtheilend, praktisch auf dem Lande bei dem begüterten Bruder thätig; die Güte, Ein- und Nachsicht selbst ; zu schweigsam für den innern Vorrath. Sanft, nicht ganz jung; war sehr hübsch. Generalin Zielinski ist auch zur Brunnenkur hier: ich sehe sie viel: sie fährt öfters mit uns aus: ich alle Tage, da ich nicht weit gehen kann, aus muß, soll, und will. Auch werde ich wohl noch eine Reise machen müssen nach einem Bade. Nicht Muskau ist mir verordnet! — So lenkt Gott alles nach seinem Willen, und gewiß am besten. So denken Sie ja fest, und fromm. Ich habe sehr dem Himmel zu danken, nicht nur für mein Genesen, sondern für die guten Gedanken, die mir Gott erlaubte in meiner höchsten Noth: in unleid- lichen Zuständen; sechszehn Tage und Nächte ohne Luft. V. und Dore stehend mich gehalten. Jetzt weiß nur Gott, was ich litt: in der Krankheit nur zwei; Er, und ich, die einzige Kreatur; kein Arzt, kein Pfleger, trotz daß sie vergehen wollten! meine Seele ist zu klein und schwach, dergleichen zu behalten. Auch ist es unnatürlich: unser Organismus ist für einen bestimmten Zustand; sinnvoll, zum Sinnvollen ein- gerichtet; der auseinandergerissen — ist Unsinn; den zu fühlen, Schmerz. Genug! — Ich bin etwas im Innern verändert nach dieser Krankheit, benennen und bezeichnen kann ich die Veränderung noch nicht. Ich fühle mich wie beleidigt ; und bedarf einer Satisfaktion durch ein événement: und doch bin ich bis zum Tod resignirt und gefaßt: mitteninne sehr munter, also schwankend, und unausstehlich. So etwas wie ein Geist, der sich noch seinen Rest leben sieht. Kurz, nicht zum beschreiben: noch nicht wenigstens. — Gerne möchte ich Ihnen würdig für Ihr Schreiben, Ihren Antheil danken: und doch kann ich’s nicht: es preßt sich im Herzen und will nicht heraus, glimpf und schön, wie bei Ihnen. Dafür will ich Ihnen unterdeß ein Vergnügen schaffen: lesen Sie die Gedichte des Königs von Baiern, die haben in der Konvaleszenz meine Seele erfreut. Nicht Eine Flause, nichts Nachgesagtes. Alles selbst gefunden, erfunden, durchaus edel, voller Herz und Le- ben. Liebe ist eine wichtige, die wichtigste Angelegenheit für dies Herz: Menschenliebe steht ihr nicht nach. In den Jahr- büchern der Litteratur ist er würdig rezensirt (von Wilhelm Neumann), wie jeder andere Litterator; diese Ehre verdient er ganz. Ich nahm die Gedichte mit dem größten Vorurtheil zur Hand; ich dachte: neueres Geschwätz, wie alle: aber das ist an ihm herabgeflossen, wie Regen und Wetter an einem hohen, festen Fels. Ihr Landsmann wird Sie freuen. — — An Wilhelm Hensel. Zum 3. Oktober 1829 . Die Sterne die begehrt est du ; Du freust dich ihrer Pracht! Zwei Sterne scheinen Liebe dir, Aus ihrer schwarzen Nacht; Sie scheinen meist hinweg die Ruh’, Dir geben sie die wahre Ruh’; Die Ruh’ durch Liebesnacht. Von Treue ich nicht sprechen mag, Sie liegt in Liebe an dem Tag. Am heutigen Tage darf sie’s zeigen; Die ganze Gunst, der Herzen Neigen. Wie glücklich ist das Glück, darf es sich zeigen! Trifft es auf allen seinen Wegen Geschwisterfreud’ und Elternsegen! Genießt dies alles mit Bedenken: Und mein sollt ihr dabei gedenken. — Ich, Mahler, zeigte dir der schwarzen Sterne Pracht! Und darum mir, wie dir, die schönste Gutenacht! Mit einer Lampe . Holde Lampe, liebe Vertraute! Wie du Lichter sanfter wiedergiebst, So verstumme nicht; so spend’ auch Laute! Witzig-Passendes — hier so leicht! — bescheiden sage: Aber hell, und doch verhüllt, wie du es liebst! — Wenn’s aber fragt: „Wer schickt dich denn?“ Antworte nicht auf diese Frage. Sonnabend, den 3. Oktober 1829. An Antonie von Horn. Sonntag, den 11. Oktober 1829. Meine wohlgeneigte und wohlbegabte Freundin! Sie sol- len selbst ermessen, wie lieb mir Ihr Schreiben sein mußte, wenn ich Ihnen eine kurze Rechenschaft gegeben habe, wie das, was Sie lasen, entstanden ist. Obgleich ich seit einer Anzahl Jahre beinah nicht mehr schreibe, so hat wohl Vol- taire und seines Gleichen nicht mehr Briefe und Billete ausgehn lassen, als ich in früherer Zeit. In dieser Zeit aber wußte ich nicht, was ich that: und hätte ich darüber etwas gemeint, so wär’ es wohl dies gewesen, zu glauben: so schrie- ben alle Menschen, so viel, und was ihnen ein fiele. In die- sem, vom Himmel verliehenen Unschuldswetter lebt’ ich bis auf den kleinsten Rest meine Jugend durch; obgleich ganz im Anfang derselben, zum zwölften und dreizehnten Jahr, meine Handbilletchen und Geschwisterbriefe Lachen und Redens genug erregten: ich glaubte firm — welch Glück! — dies läge nur an den andern Leuten : die wären so sonderbar; und ver- ständen nicht recht was ich sagen wollte; auch weil ich’s nicht sehr gut sagen könnte; übrigens wären sie und dächten sie wie ich. Dabei blieb ich — bis zur Schande lange —, nur jeden Fall sah ich einzeln ein, wo das anders war. Mein Glück! einziges, größtes. Von Jugend an, ging es reich, und der Wahrheit gemäß in mir her; Natur wirkte scharf und richtig auf scharfe Organe; ein felsenfestes, empfindliches Herz hatte sie mir mitgegeben, das alle andre Organe immerzu, und redlich belebte; — der Kopf war für tieferes Bedenken und Auffassen gut; — beinah keine Grazie nach außen. Da konnte es denn nicht fehlen, daß ich alle Kelchchen und Kelche, bitter und scharf gefüllt, austrinken mußte; kein Keulenschlag, kein Nadelstich, kein Nagel, kein Haken, wurde mir erspart; nichts Verkehrtes versäumt mir zu reichen; doppelt verkehrt, weil ich’s nicht immer dafür nahm; und erkannt’ ich es, nicht immer abwies. Kurz, ich machte die Universität durch; und diese Sprüche, aus einer Unzahl Briefen genommen, und aus wenig Merkbüchern — von Varnh. gesammelt — sind der Ertrag von stummen, langjährigen, ignorirten Schmerzen, Thränen, Leiden, Denken; Freuden der Einsamkeit, und Lange- weile der Störung. Perlen, die ein halbes Jahrhundert aus einer sturmbewegten Menschenseele warf, Schätze, die sie wie das große Meer enthält: wenn sie sich nicht zum affektirten Gartenteich einsperrt, wo ihr Schicksal Stagniren wird: unfehlbar : wenn auch nicht bald bemerkt, und von Unkun- digen bewundert, (wie so viele Figura zeigen!) Das Meer ist oft stürmisch, graulich, häßlich; besonders fügt sich’s nicht. — Und lang wurde ich gescholten, und getadelt: ich meint’ es müßt’ so sein. Konnt’s nicht beachten; nur gestreichelt fühlt’ ich mich nicht: obgleich viele auf mir herumfuhren; zur Lust, und Bequemlichkeit, wie auf einem wirklichen Meere; auch ohne Dank. — Als die Sprüche und Auszüge nun gesammelt waren, freute es mich, daß doch etwas Sichtbares, Faßbares, zur Mittheilung Taugliches, außer ich selbst, von so reicher, ein- träglicher Zeit übrig geblieben sei; ich ermaß die Freude, den Genuß, den es schaffen kann, an dem, den mir Ähnliches gewährt, wenn ich’s finde. Das sind die Brüder, die wir auf der Erde haben, und hatten; diese Brüder, diese „Gleich- gesinnten“ (Freunde, ruft Goethe in der Elegie „Gleichgesinnte, herein!“) sind einer dem andern der Magnetkompaß, der Bürge, daß er recht segelt: der Trost, in Leiden ohne Trost; und der ist so erhabenen Ursprungs, und Wirkung, daß er schon über die Zeit hinaus wirkt! „Es winken sich die Weisen aller Zei- ten“ sagt wieder Goethe. Und Sie geben mir nun auch das Glück, bei meinem Leben, zu erkennen, und zu sagen : „Hier hat ein Mensch gesprochen, und gelebt: ich Mensch erkenne das, und sage dir es gern und freudig.“ Das freut meine Seele: und ich sage es Ihnen gerne; dar um dankbar. Wohl, meine Liebe, ist es, wie sie sagen, „Eitelkeit und Beschränkheit, wenn Leute sich in eines Menschen Gesell- schaft gedrückt fühlen.“ Aber noch eigentlicher: Lüge . Sie wollen nicht sein, wie sie sind: und davon werden sie Leute; gemachte Fabrikwesen. Jeder Mensch ist ein Original; sonst wär’ er nicht geschaffen: ist es noch immer in der Tiefe, wo der Wahrheitsquell wogt; er verschütte sie noch so sehr mit Lug und Trug, und Fälschlichkeit, die gegen ihn selbst ge- kehrt Irrthum wird. Am Ende ist’s eine Tugend, eine Ge- müthseigenschaft, der Muth, der uns erschafft: uns selbst ist es überlassen, Menschen aus uns zu machen; oder vielmehr, uns gegen die immer vernichtend-anstrebende ganze Welt — nicht nur Leute — dazu zu lassen. Dies erfordert Muth; unendlichen Muth; Vernunftmuth (nicht den, gegen Unver- nunft zu handeln; der wird abkommen): denn die Unvernünf- tigsten geben vor , in Vernunft zu handeln. So lautet mein Dank! Auch schweres Geschütz: in Ihrem Zeughaus paßt es: drum lasse ich mich gehn. Nichts kajolirt mich mehr, liebe Frau von Horn, als daß Sie sich behaglich bei mir fühlen; und mich gutmüthig finden. Dazu gehört Vorurtheilslosigkeit — das so Seltene! — Auf guten Glau- ben halten mich die Bessern für ein Wunderthier von ich weiß nicht welch unbegreiflichem Zeuge! Ich aber bin zufrieden, wenn die Andern zufrieden sind! Hätten Sie gehört, was ich V. von Ihnen sagte, als wir allein waren: „So unbefangen! so bequemend! so theil- nahmvoll. So empfänglich! der schönste Umgang!“ Und das war gewiß vor Ihrem Brief: es war gestern Abend. Vor dem Dienstag kann ich nicht die Freude haben Sie zu sprechen. Dienstag schicke ich zu Ihnen. Ihrer Frau Mutter will ich mich gerne mit Gegenwart und Vergangen- heit empfohlen wissen! Ich umarme Sie herzlich, liebe Frau von Horn! — Vorgestern war die Rede vom Gewissen bei uns. Frau von Arnim fing so an: „Neulich sagte Einer, das Gewissen sei wie ein Vorposten auf einer hohen Zinne, der umherschaue, ob Recht geschähe;“ so, glaube ich, erzählte sie. Varnhagen, Hr. Bartholdy, Robert, alle sagten etwas: ich konnte gar nichts sagen. Denn mir däucht, des Gewissens Thätigkeit wird bis jetzt zu sehr beschränkt, und mit seiner Tiefe und Einfachheit verwechselt. Das Gewissen sagt uns nicht allein, ob wir recht oder unrecht thun, sondern auch, ob uns unrecht oder recht geschieht; ob wir eine Behauptung, ein Ereigniß, einen Zustand, der Wahrheit gemäß finden, oder nicht. Es ist das letzte, einfache Wollen in uns; welches wir eingepflanzt in uns vorfinden, von einem höheren, uns unbekannten Prin- zip; es ist eine von den Vernunftswurzeln der Intelligenz über- haupt. So schien mir; es ist wie Vernunft, ein letztes Ja oder Nein: man kann ihm vorschwatzen, was man will; es antwortet auch auf einen Lügenvortrag, aber von seiner Seite immer ehrlich. Nur auf Einem Punkt ist es in unserm — überhaupt künstlichem — Dasein mit unserer leiblichen, indi- viduellen Person zum höchsten Organismus, zu Eins erschaf- fen, verwachsen. Wir können über alles betrügerisch sein, oder über alles uns irren, und dem innersten Wollen, dem Gewis- sen, einen falschen Bericht erstatten: nur nicht über Leiden des Körpers; für dessen Wohl ist noch eine andere, schon in un- sern Körper übergegangene Wache gestellt: das Zucken unse- rer Nerven, das Zusammenziehen unseres Herzens bei Lei- den, die wir einer Kreatur anthun, oder anzuthun suchen. — Strafen müssen, ist hier Vernunft; also gewissengemäß, und tilgt dieses Zucken und Beklemmen — hier kann kein „so oder anders denken wollen“ mehr wirken; und hier wird unsre ganze Person Gewissen, Bewußtsein: hier auch tritt das un- mittelbare Recht weltlicher Strafe ein. Weil keine Frage mehr obwaltet; und, wer Mensch ist, richten kann: der Pro- zeß von hin und her, und für und wider, ist aus. Und Milde im weltlichen Richteramt, ist die That klar, muß da ganz aufhören; das einmalige Gesetz vollzogen sein. Der Thäter trat trat selbst aus der Menschheit. — Dies alles ist lange noch nichts Klares und Bestimmtes: aber auf diesem Wege wird es gewiß gefunden werden, was das Gewissen ist. Eigentlich, wir selbst: unsre Nabelschnur an einer hohen Mutter, von der das Kind nichts weiß. Da allein fängt Persönlichkeit an. Mite insicht. — Donnerstag, den 15. Oktober 1829. An Frau von ☉ ☉ ☉. Sonntag Abend, den 17. Oktober 1829. Mit einer kleinen Variation könnte ich Ihnen schreiben, womit Sie Ihren Brief anfangen: „Ich habe so lange ge- schwiegen, daß ich mir fast das Recht aus den Händen gege- ben, endlich sprechen zu dürfen.“ Ich möchte schweigen. Weil ich zu viel, und besonders zu gründlich zu sprechen hätte; und doch würd’ ich die Schwierigkeit des Federhaltens überwinden, und dann bald in die Tiefe mich konzentrirt fin- den, die mir, die Feder in der Hand, eigentlich natürlich ist; könnt’ ich nur irgend glauben, daß dies Sie mit in diese Tiefe führte, oder vielmehr, darin erhielte. Aber nur zu bald läch- len und sprechen Sie sich dar aus wieder empor; wo verführ- liche Liebenswürdigkeit gilt, wie eine Münze; und verschmähen es nicht, sich selbst damit auszuzahlen. Diese Worte, Liebe, stehen nun Einmal hier: stünden aber nicht, ohne die Veran- lassungen, die Sie selbst in Ihrem Briefe, wie willentlich da- zu ausspielten (wie im Kartenspiel). Ich hätte sonst meine III. 26 Freundlichkeit im Glanz der Ihrigen gegen Sie in schönen Springbrunnenbögen steigen, und herabfallen lassen können; den innern Born unberührt; den Wahrheitsquell, wo alles her kommt, und alles hin muß; in dem sich alles spiegelt, grad wie es ist; nicht wie es scheinen, und sein möchte. Aber Sie selbst diesmal neigen sich zur Tiefe; und beinah grob er- schiene es mir, sie zu umgehn, sie zu bedecken; unfreundlich, nicht menschenliebig; ganz außer meiner Art. Sie sagen sich „beschäftigt; das Herz fast noch voller, als die Hände.“ Und, „weder heiter noch froh?“ Sie sind ja nun bei Ihrer Mut- ter, die Sie mit so viel Thränen vermißten; so laut bei dem kleinsten Unfall anriefen? beziehen, in größter Freiheit, und Studirruhe, das selbstgewählte, und eingerichtete, und wirklich schöne Haus! Warum „fürchten Sie eine trübe Zukunft?“ Das können wir Alle: ohne bestimmte Aussicht dazu. Hierauf antworte ich eigentlich. Es muß etwas anderes sein, was Sie drückt, und beunruhigt. Sie wünschten sich das Haus, das zu führende Leben darin, nicht . Willigten nur ein, daß man dies von Ihnen glaubte: aus Güte, altem Schweigen, al- tem Vorgeben. Schlimm. Aber sagen Sie wenigstens, dies sich selbst; und es wird Ihnen schon besser werden. Sie be- schreiben mir selbst die Lage Ihres Hauses, als so schön — auch kenne ich sie so — genießen Sie die! Studiren, den- ken, leben, lesen Sie da! Es giebt nicht viel Besseres. Und, vermissen, unser Schicksal betrachten, und einsehn, ist ein Ge- nuß; Gemüthsnahrung möcht’ ich’s nennen. Es giebt nicht viel mehr! oder — eine große Exaltation — deckt uns Ab- gründe auf, und Widerspruch, Wider stand ; wie alles, wozu wir noch Andre gebrauchen wollen: wir haben nur uns; und können nur Andre lieben. Wollen wir aber Andre haben , und uns lieben — dafür haben Sie sich am meisten zu hüten . Und dies muß nicht ein bloßes Diktum, artig ausgesprochen, werden: Sie müssen das Diktum verschweigen; und müssen es leben : wenn Sie können. Dann wird Ihnen Ihr schönes Haus nicht drückend, und als erfüllter Wunsch drückend dastehn. Das Haus ist hier nur ein Exempel, gro- ßer, langjähriger, vielfältiger Lebensfiguren. Wenn Sie nicht Acht geben, wird immer wieder eine solche dastehn. Erstlich, müssen Sie sich dreist sagen, was Sie wollen; und dann, das nicht oder verkehrt Erhaltene in’s Auge fassen; und sich ganz, völlig bedauren; und klar sagen, was da fehlt, und weßwegen. Auch ein Genuß! im Wahrheitsdasein. „Mensch! werde we- sentlich!“ fängt ein Distichon von Angelus Silesius an. O! hülfe so ein wesentliches Wort; wäre uns da nicht Allen ge- holfen? Wenn dann nur ein Mensch es spräche! — Gegen- seitiger Unterricht! — Darum sagte ich zu Anfang: „ich möchte schweigen.“ Aber ich werde weiter sprechen. Wenn ich nicht ganz schweigen will, reizt mich Ihr Brief dazu. Es ist durch- aus verboten, daß „uns unser Naturell unbequem sein darf;“ und gar noch „Andern.“ Welches doch nur heißt: ich mag’s nicht bessern; welches wieder auch gar nicht nöthig ist: nur gezwungen muß ein jedes werden — und das ist die ganze ethische Aufgabe unseres Lebens, lebendigsten Lebens, — treu, wahr, redlich zu sein; und das bei der größten Kleinig- keit, und in jedem Augenblick ; immer auf Sein , und nicht nur auf Schein auszugehn . Ein Naturell, so ge- 26 * halten, ist nie „unbequem;“ nicht uns, nicht Andern. Wie kommen Sie darauf, daß Sie es mir waren? Wenn Sie ge- nossen haben, was ich sein, und leisten konnte, so haben Sie mir vollkommen, überschwänglich gedankt. Ich habe Ihnen eben so zu danken! Ich habe es mir sogar vermuthet, daß Sie an die Reise mit Genuß denken werden. Alles tritt aus der Vergangenheit gereinigt empor, wie in höhere Räume; die edle Seele will nur Gutes bewahren, und ist gequält, wenn sie anderes aufnehmen muß. Auch mir geht es mit dieser Reise wieder so. „Fördern wird sie Sie“ gewiß in dem Maße, als Sie es nur mögen! — so streng und wahr Sie mit sich selbst sein wollen. (Diese Anmahnungen beziehen sich beson- ders auf solche Momente, wo Sie durch Anderer Worte auf Besseres zurückgeführt sind: es fühlen, und wissen: und doch noch eine kleine , scheinbare liebenswürdige — kokette — Re- plike nicht verschmähn ! anstatt etwas ganz anderes.) O! wären wir immer wahr: wäre eine durchsichtige Scheibe vor unserm Herzen: schwiegen wir kein erstesmal, wenn uns et- was mißfällt! entweder, der Andre kann sich rechtfertigen, oder, er muß erliegen: so sollte es sein. Vorgeben aber, wir finden etwas gut, was wir nicht so finden, engagirt uns zu künftiger Lüge: und sie bricht . Ich bin Ihres Antheils gewiß! Varnhagen grüßt schön! Auch Dore. Lesen Sie, wo möglich, oeuvres de Victor Hugo. Unglaublich. Im größten Ernst! Setzen Sie sich nicht so weit hinter mich: ich kann das nicht vertragen: weil es nicht mit der Wahrheit bestehen kann. Hab’ ich viel gedacht: so können Sie auch viel denken. Ein Kopf wie der andre! Was geht mir nicht alles sonst ab! und das Einzige, wo ich etwas vor- aus haben möchte vor Vielen, können mir all die Vielen nach- machen. Ich finde es ganz allein in der Redlichkeit des Den- kens, und Seins in allen Augenblicken. Und im nicht Ver- weichlichen, und mir Vorschmeichlen. Untersuchen wir meine bestscheinenden Vorzüge, und sie bestehen alle darin. Und das hängt doch nur von uns ab. Mir ist dies Verfahren Vergnügen. Und das ist es auch. Grüßen Sie gütigst Mama! Ist sie wohl? vergnügt? freut sie sich? Frau von — liebe ich gar sehr, und bitte sie zu grüßen. Ich liebte sie a prima vista, das ist das Beste. — Oktober, 1829. Wo zwei oder drei im Namen des Herrn versammelt sind — verheißt er — er wolle mitten unter ihnen sein. Der gute Geist ist da schon mit ihnen. Da kann schon Liebe und Gerechtigkeit wirken. Menschen gehören zusammen; um das Maß, Vernunft, anzulegen; um lieben zu können, Ge- rechtigkeit empfinden zu können. Das Herz ist die Zunge, womit wir die Nahrung unseres Geistes gleichsam schmecken. Welche große, geistreiche Anstalt! Aus diesem Punkt her ist zu hoffen. — Den 23. Oktober 1829. Er ist nicht zu finden: ich kann eigentlich nichts über ihn sagen. Es geht nichts Rechtschaffenes und nichts rechtschaffen in ihm her. Er ist unbeschämbar. Und sollte er auch nur lachen, wo die Augen herabsehen, das Blut die Wangen be- suchen sollte. Besserung seiner selbst ist bei ihm eine neue Koketterie, ein Stickarbeiten auf dem Rahmen einer dummen Dame, zum Prahlen; der Begriff ist seiner Seele fremd, wie dem Thier das Gewissen. Dumpfe Ahndung hetzt ihn in fast beständige Verlegenheit, die er mit dummer gelogener Hei- terkeit sich abläugnet: nicht mir. — An Frau von Cotta, in München. Donnerstag Abend 8 Uhr, den 29. Oktober 1829. Das ist eine schöne Erholung, die der Herr von Cotta da vorgenommen hat! Nach Lüttich zu reisen. Nach dem schwar- zen Lüttich, wo hineinzufahren schon die größte Fatigue ist. Dieses Bergauf in einen Thorweg, wo die größte Gefahr mit entgegenkommenden Frachtwagen herrscht. (Hier an dieser Stelle trat mein Bruder Ludwig Robert in mein Zimmer und ich mußte gestern Abend zu schreiben aufhören. Heute ist Frei- tag: käm’ ich nur wieder auf denselben Punkt! ich erlebe wahr- lich zu viel Störungen: ein Herr, der alles, was er nur thut, zu Geschäften stempeln kann, hat es beim Himmel besser, als wir Alle.) Der glatte gepflasterte Boden, meist modrig, un- ten, bleibt in meiner Erfahrung, mit der — oder ohne mit — ärgste Reisepunkt, den ich kenne! Ce n’est qu’un mauvais pas! sagen die französischen Postillione; mauvais genug. Alles, das Unwohlsein und die Reise, dagegen hab’ ich sehr glücklich, erst nachdem es ausgestanden war, durch des Hrn. von Cotta’s Schreiben selbst erfahren: und so, möchte ich sagen, ärgert es mich nur, Sie mir in einem solchen Leidensgang vorstellen zu müssen! — wie tief kränkend nach einer Erholungskur einen geliebten Angehörigen wieder einfallen zu sehen! In einer Art, leiden da die Pfleger mehr noch, als die Kranken! Alles das macht’ ich schnell mit Ihnen durch, in wehen Gedanken; nicht einmal einen Rath kann man da vorzubringen glauben von besserem Ausruhen, längerem Badeaufenthalt: ꝛc. — Es ist ja nicht eine Sache allein zu ändern: sondern ihre Eltern, Verwandte, und die schon hervorgewachsene Nachkommenschaft dieser Sache müßte mitgezwungen werden; und die bezwingen uns: ja, wir werden es schon, durch die Thaten, und Einrich- tungen unserer Vorältern. Schon lange sage ich: jeder stirbt an seinem Karakter. Der ist das Einzige, was eigentlich wir sind: und nachdem wir das Bischen Selbstthat, was uns noch gelassen ist, (oft uns selbst) heimlich einrichten. „Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen,“ ist das eigentlich. Und wird unserem Gespinnst Einhalt gethan, so thut man’s unserem Leben ; und eigentlich daran sterben noch mehr, — der Kultivirten. Wie sehr pedantisch dehn’ ich mich hier aus: ohne auf das zu kommen, was ich eigentlich sagen will: aber bei allem, was heilig ist; nicht aus Pedantism. Nicht aus Prahlerei; sondern aus Drang meine wenigen Resultate aus- zustoßen; das bischen Ärnte; nach dem langen Ackern mit Händen ; ohne erfundenen Pflug, der großen Arbeit in der Hitze der Ärnte, deni großen Wetter, und Krieges schaden; und allen Schäden! und dies Bischen auf Ihren Schooß zu legen: die Sie, auch das Ärgste der Erde kennend, aber das, wie alles Übrige, so freundlich, und trostgewährend handhaben. Immer wollte ich Ihnen Einmal schreiben: besonders noch in Baden; einen herzlichen Nachruf wegen unseres zu plötzli- chen Scheidens. Dann wollte ich wieder hier schreiben: aber wie die Tageswellen alle , mich verschwemmen, so geschah es mir auch mit meinem Vorsatz für Sie: und noch jetzt würde ich nicht genug Energie zusammen haben, diese Wellen zu be- seitigen — piperig wie ich doch die meisten Stunden mich fühle — beträf’ es nicht oder fast einen Dritten, was ich vor- zutragen habe. Im Frühsommer, während meiner schweren Konvaleszenz erschienen des Königs von Baiern Gedichte. Mißtrauisch, wie aller Neueren Gedichte, nahm ich sie aus gro- ßen mir hingelegten Bücherpäcken von meinem Tisch. Und ein König erfrischte mir Sinn, und Herz: versetzte mich, wohin er wollte: vergewisserte mir einen denkenden Geist, ein menschen- liebend Herz, und gute, liebe, hörende und sehende Sinne . Weit entfernt von aller neueren, fas’ligen Nachahmung, über Religion und Kunst, und Natur, und Italien, redet er diese Gegenstände alle selbst ergriffen an: und ergreift jeden gesund Gebliebenen mit ! Voller Güte, und der bestmenschlichen Ge- sinnung. Im glücklichen Talent, dies alles auszudrücken! Keine Spur nur irgend einer Affektazion. Unterhaltend durch Vielfältigkeit. Freilich , freue ich mich doppelt , daß dies von einem König kommt. Von einem so vielvermögenden Sterblichen. Die dummen Leute denken; man wird dies läugnen, oder nicht mit in Rechnung bringen wollen. Welch ein Wogen von Lob, Streit, Diskussion, hoher Anerkennung, und niedrer, war hier. Nehmen Sie die Kritik in den Jahr- büchern, als eine Art von Resultat davon an. Ich war mit- ten in der Bataille; und blieb leben, mit meiner weißen Fahne in der Hand. Ich möchte einen blauen Stern darin sticken! wie immer dem Schöpfer eines Kunstwerks persönlich dan- ken: oft habe ich Kleine es schon gethan. Ich könnte zum König sagen: Bravo König: Sie sind ein lieber Mensch: in hundert Gedichten steht’s. Bravo! daß Sie König sind. Wir haben hier eine Lieder-Kompositrice, die ich allen jetzigen Liedermusikern vorziehe, Mad. Bürde; Frau des Mahler Bürde, und Schwester der Milder; die für ihre Schwester die origi- nalsten, schönsten Gesänge nach Goethe, und anderen Besse- ren, komponirt hat. Unter den vielen der gesangfähigen Lie- der, die ich in des Königs Sammlung traf, fiel mir dies dazu am meisten auf. Es fordert gleichsam Melodie. Ich ließ es ihr schon durch die Schwester vor meiner Badener Reise geben: und vor mehreren Wochen sang sie’s endlich bei mir in ge- wählter Gesellschaft mit großem Beifall. Ich bat es mir aus; und sende es Ihnen; ob Sie’s nicht Ihrem König können zu- kommen lassen. Von keinem Menschen ; ganz nur von Ihnen , die Sie es bekommen haben. Bloß, als échantillon; ob ihm die Art gefällt. Warum soll er nicht wie andre Dich- ter das Vergnügen haben, zu sehen, wie seine Gedichte kom- ponirt werden? Es kann ihm nicht fehlen, es sich singen zu lassen. Mad. Bürde wird noch viel mehr davon in Arbeit nehmen: ich suche sie ihr aus. Jedoch, wissen Sie nur, ist dies Übersandte nicht von ihren allerschönsten: vielleicht war sie befangen. Von mir !!! und dem König; ohne Scherz: und doch voller Scherz. Diese ganze Bitte ist kein Auftrag, sondern ein Vorschlag. Aber um eine Antwort bitte ich! Auch darum, mir sie unter der Adresse von Ludwig Robert zu sen- den: weil Varnh. von diesem Brief nichts weiß; den ich kei- nem etwanigen Tadel auszusetzen Lust empfand. Leben Sie gesund! Mein bester Wunsch. Für innre Gesundheit müssen wir selbst sorgen, und davon kann nur in uns die Rede sein. Die schönsten Grüße meinem lieben Hrn. von Cotta. Ihnen empfehle ich mich treulichst. Fr. Varnhagen. Fräulein von Reden besorgt mir diesen Brief: Sie sind dort sehr geliebt; natürlich! prächtige Leute! pardon du gros papier! mes nerfs ne souffrent point de plus fin. An Astolf Grafen von Custine, in Paris. Berlin, den 30. Oktober 1829. Freitag Abend 8 Uhr. Diesen Morgen, mein bester Freund, hab’ ich Ihren Brief erhalten: ich hatte viel zu thun; Kinder, Ankäufe, Gesell- schaftspflichten, Rechnungen durchzusehen; Besuche zu machen; alles das gestickt auf einem Grunde von sehr schlechter Ge- sundheit; einer so kleinen, daß eine der Sachen, die ich nannte, und denen ich erliege, mich auf mehrere Tage so sehr schwächt, (und deßhalb grade geschieht es:) daß ich sie alle zugleich ab- mache, an Einem Tage, so sehr schieb’ ich sie auf. Wohlan denn! und nun hab’ ich Ihnen in diesem Augenblick eine ge- naue Liste gemacht von allem, was mir in Aloys aufgefallen ist, und ich mit einem Nagelstrich angemerkt habe. Welche Schwierigkeit für una povretta wie ich, einen solchen Strich bei Licht zu suchen, zu sehen; die Seite und Zeile jedesmal davon zu bemerken, und da ist nun das Vollbrachte. Ich sage Ihnen das alles, weil ich mir selbst sage, daß nichts auf der Welt — außer ein Unglück etwa — mir diese Kraft geben könnte, als ein Brief von Astolf. Und dies wieder sag’ ich Ihnen, weil Sie mich gefragt haben: ob unser Wiedersehen auch Epoche in meinem Leben gemacht hat? So sehr : daß ich, meinerseits, Ihnen diese Frage gar nicht gemacht haben würde: weil ich die Antwort, die ich Ihnen aus Grund mei- nes Herzens gebe, nicht erwartet hätte; und Ihre Frage, diese schöne Frage, vollendet nur das Glück dieses Wiedersehens. Glück macht gewiß Epoche; man findet es nicht; und es such uns so selten! Alle Wunder sind noch da; die der Bibel, und die der Mythologie. Das Glück kommt noch unter Men- schen- oder Engelgestalt vom Himmel; und so ist es mir zu Frankfurt erschienen, in einem prosaischen Wirthshause; im Weidenbusch. In höheren Stimmungen erleben wir heute, wie den ersten Tag der Schöpfung, noch immer Wunder. O! was hätte ich Ihnen zu erzählen; wären wir länger zusam- men. Sie sprechen mir von einem in Berlin zuzubringenden Winter. Guter Gott! wenn das doch geschehen könnte vor dem, wo Ihr Haus frei sein wird! Drei Jahre warten, ist zu lange: das geht nicht: ich habe warten gelernt, auf alles was ich nöthig habe, bis in eine andere Welt hinein: aber ich bin zu alt für drei Jahre warten, hier unten. Wenn Sie es doch abkürzen könnten durch einen Winter zu Berlin! Nicht daß ich wünschte grade hier Sie zu sehen; (in dieser merkwürdigen Stadt Deutschlands ; ich bin hier in ei- ner Art falschen Stellung, und jemehr ich mit einem Freunde zu leben wünschte, desto weniger möchte ich es hier an meiner Seite. Ich bin hier geboren, ich habe Freunde, eine abstrakte Konsideration u. s. w. u. s. w. aber nicht das, was ich grade bedarf, und was ich nur Ihnen benennen könnte; weil Sie es alsbald wissen würden, ohne daß ich ein Wort sagte!) aber auch in Berlin würde ich Sie äußerst gern sehen, nach- dem ich Ihnen gesagt hätte, was mir hier für mich mißfällt: und ich lebe viel zu Hause; und viel allein: im Grunde , soviel ich will. Aber in Baden, da möcht’ ich Sie gerne se- hen, vor den drei Jahren! Sorgen Sie wenigstens, daß ich immer weiß, wo Sie sind. Zwingen Sie sich, mir es zu schreiben. Sie sind mein einziger Freund: von allen, die ich lieben könnte: der einzige, der mich wiederliebt: der mich er- kennt; und der weiß, wer vor ihm steht. Die Apostaten ! machen mich nicht mehr unglücklich; — „on ne peut pas par- venir à me rendre malheureux?!“ ich umarme Sie aufs neue! — aber ein Wunder kann mich noch das Glück empfinden lassen. Wissen Sie was unter uns Beiden so schön ist? daß wir gar kein Verhältniß zu einander haben: keine Forderung einer an den andern; daß ich alt bin; und Sie jung; Sie doch ein Mann; und ich eine Frau; Sie ein Franzose; ich eine Deutsche. Unsre Trennung, in Einer Art — die gewesene — alles ist gut. Alles ein Bürge, daß wir es selbst sind, die sich einan- der konveniren: nicht unser Alter, unser Geschlecht, unser Land. — Ich hatte viel hin und her gedacht, für Ihr Buch einen Übersetzer zu schaffen; und Varnhagen auch; als er vor- gestern im Meßkatalog es als übersetzt angekündigt findet: er läßt Sie verbindlichst grüßen; und wird in einem Journal von La Motte-Fouqu é , welches wöchentlich erscheint, eine ange- messene Anzeige von diesem Buche machen. Ich werde Ihnen morgen hier sagen, wie ich es selbst fand. Heute muß ich ruhen, ich bin zu erhitzt; mein Übel . Varnh. und ich haben Fouqu é ’n auch von uns etwas gegeben. Ich Aphorismen, Resultate à la Chamfort : aber ich dachte an ihn nicht. Ich werde Ihnen dieses Heft durch Gelegenheit schicken; vielleicht vor Ihrer Reise. Adieu! bis morgen! Apropos! ich bin ent- zückt von den „Orientales“ von Victor Hugo; ich kenne nur das von diesem Autor. Ich fall’ in Ohnmacht, wenn Sie ihn nicht lieben. Sonnabend, den 31. Oktober. Mittags. Nun von Ihrem Buche! Es ist voll von dem, was ich am meisten an einem Werke schätze; voller Innerlichkeit; voll von innen Erschautem; von Gedanken und ungemeinen Em- pfindungen, und Anschauungswesen: und die alle, diese Zu- stände sind äußerst geschickt dargestellt. — Talent, und große Kunst! — und dadurch zu einem nach des Autors Willen wir- kenden Ganzen gemacht; welchem ein großer Reiz durch ori- ginale, selbsterfundene Sprache, im anscheinend größten Ge- henlassen, verliehen ist; wie auch öfters durch feinste Beobach- tung der Welt; und ich möchte sagen, durch deren Ertappen auf der That. Er ist auf der That ertappt, dieser Regent, so mächtig und so klein! Welche Personen grade gemeint sind, muß uns Ausländern wohl verborgen bleiben; aber, daß es Portraits sind, kann keinem mittelmäßig Gescheidten entgehn; und, wie alle vortrefflich gemachten, nicht nur einen Einzel- nen darstellend, sondern mit ihm auch das Allgemeine seiner Klasse bezeichnend: denn in welchem Einzelnen müßte ein Kunstblick die nicht finden; und ein Griff der Kunst die nicht fassen? Mad. de M. ist vortrefflich; man sieht sie: ich kenne sie: den jungen Mann, kenne ich wirklich. Der Mann, der Graf; sie leben . Und somit haben wir einen bedeutenden Roman — unser Leben recht gesehn, ist immer der beste, und gewiß reichste — fast versteckt unter neuem, leichten, angeneh- men Vortrag. Und dennoch wünsche ich zu diesem Roman noch etwas hinzu: nämlich bewegteren, reicheren Welthintergrund. Der junge Mann selbst kann wohl geschildert werden, durch Ka- rakteranlagen, und Familienleben, in dem er sich Einmal be- findet, als von der Welt getrennt, und zurückgehalten; er ist ein Produkt seines Autors: der Autor selbst aber, kann ihr nicht ausweichen; und muß in einem Roman sie immer als große, größte Bedingung — derjenigen, die er schildert — groß und voller Bewegung darlegen; als den Stoff, und Raum, in welchem seine Gebilde nun Einmal zu leben haben: und nur um so hervortretender, pikanter werden seine Bilder, wenn etwa Ein Wesen geschildert ist, oder mehrere, die von dieser Welt keine Notiz nehmen können, oder noch nicht ge- nug genommen haben. Die Exempel dieses großen nöthigen Verfahrens findet man auch jedesmal bei den Großen. Bei Schakespeare, Cervantes, Goethe; bei Moliere, Lafontaine — lachen Sie nicht! — ihre Staffage ist immer die ganze Welt: freilich nur in gezählten, und zählbaren Künstlerzügen hervor- gerufen. Ich will also mehr Darstellung, woraus wir den wissentlichen, geselligen, politischen Zustand ersehn, worin unsre Personen zu leben haben. Und hiemit habe ich auch meine ganze Kritik erschöpft. Und erwarte die Ihre, hierüber . Mir ist während dem Schreiben klar geworden, daß ein Aufenthalt in Berlin Ihnen von unendlichem Nutzen werden könnte: eine reiche doch neue Litteratur auf die leichteste ge- sellige Weise mitgetheilt — und versteht sich auch ein neues Leben — grad in meinem Hause. Ganz in ihrer Mitte steht Varnh. durch sein Leben und Wirken: alles kommt ihm da- von zu: er giebt mir mehr Bücher und Hefte in die Hände, als der Fleißigste nur verbrauchen kann: erfahren schon Ein- mal thue ich von allem; und ewige Diskussionen, und Unter- suchungen, veranlasse ich schon selbst. Ein einziges Haus darin: Sie wären mitten in Deutschland; sauf le pédantisme, que je tue à trente lieues à la ronde; durch bloßes Existiren, solcher Feind, solcher Giftbaum bin ich für ihn. Lesen Sie wo möglich — in Paris hat man alles — des Königs von Baiern Gedichte. Mir gefallen sie, daß sei Ihnen genug: ich, die gegen alle Gedichte das größte Vorurtheil hat, mit wel- chem ich sie auch zur Hand nahm. Schöne Gesinnung; gu- tes Naturgefühl: keine Affektation; keine neuere Nachahmung von Gefühl, Kunst, Religion. Sehr gut! Und der König — der Vielvermögende — obenein! — Alles was Sie von Paris schreiben, haben wir bewun- dert; so wahr ist’s. Tausend schönste Sachen an Hrn. Bär- stecher und an Sie, den ich im Grund Ihrer Seele sehe, wie man in einen kleinen Bach sieht; und so lieb’ ich Sie denn. Schreiben Sie mir schnell! Fr. Varnhagen. Meine Nerven erlauben kein feineres Papier. Pardon. Bei dem Vorfall in Wilhelm Meister, wo Lothario die Pächterstochter wiedersieht, und der Stelle, wo es heißt: „Ich gab dem ehemals geliebten Geschöpfe die Hand, und sagte zu ihr: Ich habe eine rechte Freude, Sie wieder zu sehen. — Sie sind sehr gut, mir das zu sagen, versetzte sie: aber auch ich kann Ihnen versichern, daß ich mir gewünscht, Sie nur noch Einmal im Leben wiederzusehen: ich habe es in Augen- blicken gewünscht, die ich für meine letzten hielt.“ Welch ein Vorfall, wenn unsre ganze erste Natur zerrissen wird: und mit einer zweiten fortgelebt wird! Die wenigen Worte dieser Pächterstochter enthalten Rousseau’s ganzen Brief, den St. Preux nach Julie’s Tod erhält. — Freitag, den 13. November 1829. Wenn wir irgend ein Ding benennen, so bezeichnen wir mit seinem Namen irgend eine oder mehrere Eigenschaften desselben, oder wohl gar keine davon: wir besinnen uns aber vermittelst des kategorischen Gedächtnisses des ganzen Dinges durch seinen Namen. Was heißt aber hier: des ganzen Din- ges? Auch nur: das Bild einiger Eigenschaften dieses Din- ges. Wir haben keine Sprache, die das wirkliche Wesen eines Dinges besagen könnte: und wenn wir uns bedenken, so haben haben wir selbst keine Vorstellung von irgend einer Central- eigenschaft: ja, wir müssen Centra leigenschaft sagen, um ein Annäherndes eines Absoluten, Eigenschaft gebenden zu denken. Und deßhalb wird so viel um den Begriff Leben herum gesprochen, weil er der einzige ist, in dem wir uns als uns selbst fühlen, aber in Thätigkeit zersplittert, und o Zeit- augenblicken begriffen. Zersplittert sind wir: in einer Arbeit begriffen: in eine Arbeit, in eine Zersplitterung gegangen — aus dem Paradies ; zum Verständniß; — in eine Arbeit vertieft, in einen Theil unseres Vermögens: wie hier, wenn wir uns in einer Wissenschaft augenblicklich verlieren. Dessen bin ich gewiß: bis Zauberschlag — des Denkens, zum Bei- spiel — uns nicht rettet, hilft nichts als Ergebung, — oder Spiel, im weitesten Sinne dieses Wortes, — die Gewiß- heit aber, daß wir nur mit einem Theil des Verständnisses hier hausen, die habe ich: und dies ist Trost und Religion. Umsonst sind wir auch so nicht abgegangen, so zersplittert. Es ist schlimm: aber hat gewiß einen guten Grund; wie all unsre Thorheiten noch immer. — Dieser Gedanke war vor- gestern Nacht der Anfang meiner vielen mir wie zuströmen- den; erleuchteten, hätte ich sie ihrer Hellheit und Umrisse we- gen nennen können, — inmitten welcher mich ein Krampf und eine Unfähigkeit überfiel. Freitag Abend halb 8 Uhr, den 14. December 1829. III. 27 An Adelheid Fürstin von Carolath. Mittwoch Vormittag 12 Uhr, den 23. December 1829. Heftiger Nordostwind auf dicken hellen Schnee. Sie selbst, liebe Freundin, theure Adelheid, holde Fürstin! mü ss mir es sagen, daß Sie nicht kommen, sonst glaub’ ich es nicht. Keinem Wasserschaden, keinem Froste; dem Für- sten nicht! Sollte wirklich, in der That, wahrhaft, der Winter ver- gehn ohne Sie, wie es der Sommer mußte? Sie leben unter uns: nur hereintreten thun Sie nicht — Leben verbreitend, das Zimmer erfüllend, — nur der Wagen rollt nicht vor; und endet die Gespräche über Sie, von Ihnen; alle Abend, ich sei mit Varnh. allein, oder mit dem kleinen Freundeskreis: immer Fürstin Carolath! Wie sie ist; was sie kann; ob sie kommt, ob sie schreibt, was ich geschrieben habe. Noch macht man mir Hoffnung. Nicht der Fürst; den sah ich nur Ein- mal; (dann war ich unwohl; dazu konnt’ ich den Fürsten nicht einladen. Nun die heiligen Feiertage. Aber während denen, oder gleich nachher; und diesesmal machte er mir keine Hoffnung; aber ich behielt sie: nur Sie, und das völlige Ende des Winters kann sie mir ganz ausrotten. Meine gewöhnli- chere Gesellschaft sind meine Nichten, Mad. Wilhelm Beer, Frau von Arnim, Henriette Solmar — meine Schwägerinnen jetzt wegen Masern, die bei der einen herrschen, und Weite des Wegs bei der andern, seltener, — Frau von Bardeleben. Herren, fremde: ein junger nicht hübscher, aber gescheidter Amerikaner Brisbane, Graf Mocenigo, Graf Raczynski; die letztern oft. Mit Mocenigo ist leicht und heiter leben; und wir haben viel gesellige Rapports, aus Österreich, und hier: auch ist es angenehm einen österreichischen Venetianer, mit drei ihm natürlichen Sprachen, und Musikliebe, zu haben, der da liest, und an den meisten Dingen guten natürlichen Antheil nimmt. Willisen hat eine allerliebste Frau; mit der, und Grä- fin Yorck, ich auch einen sehr guten Anfang gemacht habe. Vortreffliche Frauenzimmer. Gescheidt, natürlich, frei, un- terrichtet, singen z. B. beide wie die Engel . Willisen, wie Sie ihn kennen: Graf Yorck, auch unveränderlich: oder viel- mehr unverändert. Mit Graf Naczynski fühlt’ ich gleich, als ich ihn das erstemal sah vorigen Winter, einen innren Rap- port; auch er besuchte mich bald nachher, und ich wüßte doch nichts, was ihn dazu bestimmen konnte, als auch eben der- gleichen. Nicht, daß wir nicht sehr verschieden dächten, über sehr viele und wichtige Dinge! — für mich ist das aber nur anscheinend. Seine Position, Nationalität, und die Weise, wie er zu seinem Meinen gekommen ist, sind gewiß sehr ver- schieden von denen, wodurch ich zu dem meinigen gebracht bin; wie das Meinen selbst: aber er hat eine Zartheit in sich, ja ich möchte es ein Wundes nennen, welches meine Zartheit, meine Feinheit, mein Wundes auf der Stelle heraus fühlte: und so auch mag’s ihm ergangen sein; denn ich bin gewiß, so wie mir seine gentleman’sche, leise Urbanität gefällt, und er meinen originalisme, der gar keine Erziehung anneh- men will, und ihn öfters zu derb ( wenn auch mit meinem Bewußtsein) berührt, nicht kann unbemerkt gelassen haben, so fand er doch einen innen feinen Anklang verborgen, der ihn 27 * versöhnte, und anreizte. Wir können beide abwerfen, was uns trennt — wie Schuppen, — und wissen das beide, aus dem Punkt her, wo alle Gewißheit kommt. (Wir haben aber beide noch nie dies Betreffendes gesprochen.) Gestern Abend wollte er mich mit seiner liebenswürdigen Frau besuchen: lei- der kam ich erst eine halbe Stunde später mit Mad. Beer, Mlle. Solmar und Graf Mocenigo aus dem Theater, wo ich wohl zehn oder eilf Wochen nicht hinkonnte; wegen Treppen- steigen. — Ich werde sehn. — Wir sprachen von Ihnen, theure Fürstin, und man drängte mich wieder, Ihnen zu schreiben. Ich kann nicht oft schreiben, ich bin es nicht oft fähig. Seit vorgestern athme ich erst wieder: au pied de la lettre, dies konnte ich nicht. Und sechs Zeilen schreiben bringt mich für Wochen zurück. Heute, wo ich mich nicht echauffirt fühle, wird das nicht eintreten. Den Sommer konnte ich zu keiner Freundin in’s Haus kommen. Ich war zu schwer konvaleszent, und nur eben die Freundin allein hätte diese Anstalten alle ertragen können, die ich nöthig hatte; aber keine mehrgliedrige Familie. Ich konnte nicht steigen ꝛc. ꝛc. Die Reise bekam mir gut: einige Verdrüsse äußerst schlecht und schädlich , wodurch ich noch leide. Mes dragons, dit madame de Sévigné; mes dragons, dis-je moi. Und nun sollten Sie auch nicht kommen? Beruhigen, be- richten Sie mich darüber. Sprechen Sie überhaupt zu mir. Was machen die süßen, lieben, herrlichen Kinder? Sagen Sie’s mir. Wir reden täglich mit meinen von ihnen; und mit Doren und Varnhagen. — An Rose, im Haag. Sonnabend, den 30. Januar 1830. Ich will doch nicht deinen ganzen Geburtstags-Monat dahin gehn lassen, liebe Schwester, ohne dir herzlichst zu gru- tuliren! und das mit vollem Recht. Das vollste dazu haben wir ja wohl, da ich erfahre, daß du dich komplet verjüngt hast; im Aussehen, humeur, und Gesundheit. Fahre so fort, liebe Rose! und laß mich dann und wann erfahren, daß du vergnügt bist und dich amüsirst. Dies soll mir ein Ergötzen sein; welches mir öfters mangelt. Eben jetzt, war ich in sechs dicken Wochen nicht aus, und gewiß über vierzehn Tage zu Bette, mit wenigen Stunden Ausnahme auf dem Sopha. Solchen Ausschnaube Schnupfen hatte ich zu leiden; mit Ner- venleiden aller Art. Ohne lesen zu können: ohne Gesellschaft ertragen zu können, die dann auch nicht kam; und zum er- stenmal empfand ich gemeine Langeweile: und hatte mit den gemeinsten Gedanken zu kämpfen. Ein mir fremder, er- stickender Zustand, da mich Krankheit, in Herz und Geist bis jetzt steigerte. — Varnh. liegt noch seit dem 1. Januar, ein Zimmer zwischen uns, an einem zur Furcht anzuhörenden Husten eben so darnieder. Mahle dir das aus: und wo ich fehle, alles fehlt. Eigentlich dauert meine Konvaleszenz vom vorigen Jahr noch — gestört, aus tausend Winklen (!) — fort. Jedoch bin ich seit acht Tagen wieder heiterer: meine Nervenstimmung ist reiner , obgleich ich sehr an Dröhnen leide. Von Natur bin ich aber lebendig, und gewöhnlich un- terhalte ich mich mit mir: aber auch lesen kann ich leider nicht hintereinander, und nicht ohne Nachtheil. Den 26. De- cember war Mendelssohn-Bartholdy’s silberne Hochzeit, wo ich und Varnh. schon krank hinfuhren; wo hundertundfünfzig Personen waren; und da wollte der Tod Hand an uns legen; und hat uns beschädigt. Es war in der großen Kälte. Am schönsten war die Gutmüthigkeit, die Gesinnung der Gäste und Wirthe; und ein himmlisches Gedicht, welches ihnen Ludwig Robert gemacht hatte. Von allen Theatern und Wintergesel- ligkeiten weiß ich nichts: Zerstreuung möchte ich; aber kaum regrettire ich Einzelnes versäumt zu haben, was ich auch da- von höre; und wie ich es mir auch vorzustellen habe. Das Alter thut sich bei mir vorzüglich dadurch kund, daß ich im- mer delikater, exigeanter werde. Meine Kritik steigert sich; nämlich, ich dulde noch alles ! — aber nicht als Vergnügen. Bücher, Gedichte, Musik, Darstellungen, Betragen; ist mir al- les bei weitem nicht schön genug. Ich selbst leiste weit, weit, weit weniger, als sonst; und finde mich isolirt: also alt. Auch die Krankheiten, und die schlechten Sommer, und Winter, und die zunehmend große Stadt unterstützen mich nicht in Genuß und Bequemlichkeit, die ein altes Weib immer mehr bedarf. Nun weißt du das Schlechteste: und zugleich weßwegen ich nicht schreibe. Mein Haus ist noch immer wie ein Zollhaus, wo sich mitten in Krankheiten ununterbrochen Männer und Frauen einführen lassen; und Verkehr und Verbindungen ge- hen ihren Gang: aber eine mir liebe genügende Kotterie wüßte ich nicht. — — Du glaubst es nicht! Wie unsre Mutter mich immer mehr und mehr beschäftigt: und wenn ich sehr leide, ist es mein stillender Trost, zu denken, daß ich Mama nicht mehr geleistet, ihrem Zustand nicht einsah, und nun Strafe leide. Kein Gewissenleiden empfinde ich dabei: aber regrets! daß ich’s nicht ändern kann. „Ach wer ruft nicht so gern Unwiederbring- liches an!“ sagt Goethe in der Elegie Euphrosyne. Die Un- sern sind wohl. Varnhagen grüßt euch! Und ich sage tausend Liebes an Karl. Was lest ihr? Ich, viel; und die Blätter alle Tage. Leset poésies détachées de Victor Hugo, les Orientales. Wer- den wir uns nicht sehen? Rahel. Einsicht macht uns Menschen zum Sklaven der Pflicht; wie zum Statthalter auf der Erde. Wir dürfen uns nicht da mit trösten: „Wollte es der liebe Gott anders haben, würde er’s anders machen;“ wir sollen es anders machen. Wir ha- ben Mite insicht. Mittwoch, den 17. Februar 1830. Sonntag, den 28. Februar 1830. Welch ein Wort sprechen die schamvergessenen Damen aus, wenn sie sagen: „ Mich wundert nur, daß man davon so viel spricht ! Wie kann von einer Aktrice ewig die Rede sein; ob sie ein Kind habe, ob sie keines habe!“ Also ihre hochgepriesene Weibertugend, im Zielpunkt aller Sittlichkeit als Adler zum Treffen aufgestellt, gehört ihnen auch nur zu einem Vorrecht adlicher Damen? soll eine andre Art eleganter Aus- staffirung ihrer vornehmen Empfangszimmer sein; die ein arm, bürgerliches Mädchen gar nicht braucht; bei der sie sie gar nicht voraussetzen wollen? Nach ihnen giebt es Stände, wo Tugend nicht nöthig ist; und folglich die ihrige nur die, die von ihrem Stande abhängt! Sie kennen so wenig das Wesen von dem, was sie zu lieben vorgeben, daß sie noch nie gewußt haben, daß grade der Tugend Wesen in der Un- abhängigkeit von gegebenen Umständen besteht. Den Vor- zug, sittlich sein zu müssen, wollen sie auch an sich reißen; und Pöbel, roher, in der höchsten Sphäre sein! — Eine solche Behauptung in Betreff einer Aktrice erfrechte sich vorigen Winter eine fremde Dame (Gott habe sie selig, sie ist nun todt) gegen mich, meiner Zustimmung gewiß, also fast in Prahlerei; daß sie in ihrem selbstangefachten Eifer vergaß, daß ihre eigne Mutter Schauspielerin war, was niemand hier weiß, aber ich grade wußte. Die Arme ; ehre-, schande- und liebe- und tugendvergessene Dame . — Verstocktes Lumpen - volk, welches sich untersteht Christus Namen zu lästern: in- dem es ihn ausspricht! Möge Gott sie erleuchten! und mir verzeihen ! fällt mir ein. Schönes Wetter, nimm mich auf, Bring mich in die Heimath! Mach’ ein Ende meiner Qual, Führe zu dem Tod mich hin; In Verändrung leise! Du bist Heimath, fühl’ ich wohl, Laß mich hier nicht schmachten. Athem, Seele machst du frei; Frei von Schlechtem, Lasten. Was ich hier erlernen soll, Weiß ich ja schon längstens. Schönes Wetter nimm mich auf, Oder bleibe bei uns! Mittwoch, den 10. März 1830. bei olysischem, reinen, sonnerleuchteten Welter, 11 Uhr Morgens. An Adelheid Fürstin von Carolath. Berlin, den 18. März 1830. 12 Uhr. Warmes Regenwetter. Warum ist es möglich, einen solchen Frevel zu begehn! (Sechsmal hab’ ich nun schon eine nicht schreibende Feder!!! das begründet bei meinen Nerven die Möglichkeit; sonst hätte ich ihn gar nicht begehn können :) auf einen Brief wie der Ihrige nicht zu antworten: auf solch Geschenk nicht! Wel- ches mir mein Haus beliebt macht, verschönt. Unzähligemal, zwanzig-dreißigmal sehe ich es des Tages an, und betrachte es; und liebe es. Alle Menschen bewundern es. Gestern Abend Gräfin Yorck, Mlle. Solmar, die schöne Robert, General Pfuel, Willisen. Alle Abend Andere. All Ihr Liebes, all Ihre Grazie, all Ihr Gutes, alle weibliche und menschliche Empfindungen, finde ich darin; die Frau, das Mädchen, die Dame, welche ihre große Welt kennt, und von ihr erzogen ist, finde ich darin; Taille, Anzug, alles. Und endlich vermisse ich, durch das lange und viele Betrachten — à force de le regarder — doch etwas. Einen großen hervorstechenden Bestandtheil der ganzen Adelheid; einen , der allem andern Reiz — für mich —, aller Weichheit, des ganzen Karakters erst seinen be- sonderen eigenthümlichsten Werth giebt: die helle Klugheit , und das militairische , ich möchte es vornehmes Wollen nennen, welches bei dem für das Beste Gehaltenen bleibt, und nie verzweifelt, Mittel zu seiner Ausführung zu finden; sie deßhalb immer erhält; und sie, unerachtet der größten Weich- heit und kinderartigen Nachgiebigkeit, richtig und beharr- lich anwendet: mit Einemmale, das Kind, und das Weib weit bei Seite gelassen! Diese Eigenschaften drücken sich mit- ten im sanftesten Auge aus; öffnen es mehr, als im Bilde, und machen es zu einem sehendern. Es ist mehr als möglich, wahrscheinlich sogar, daß Sie während der Sitzung den Mah- ler nur so ansahn, wie er sie dargestellt: aber er muß auch andre Momente in ein Konterfei hineindrängen, als nur die der Sitzung. Dies abgerechnet, hat er ein Meisterwerk ge- liefert. Weil er wirklich das Vielfältigste, wie es in Ihrem Gesicht und Wesen vereinigt ist, hineinpreßte, und mit Lieb- lichkeit und größter Wahrheit zu beleben wußte. Dieses liebe Bild der lieben, theuren, tief erkannten Freundin ist seit vier- zehn Tagen gefaßt, und steht auf einer Kommode, die nun im Wohnzimmer da steht, wo sonst der Sopha gestanden. So hat es herrliches Licht. Auch ist es gut umgeben; mit Gläsern, Vasen und Blumen. Dort, wo Sie es hin wollten, — und auch ich —, hatte es kein Licht. Als ich Ihren Brief, und dies Geschenk erhielt, war ich sehr krank zu Bette; zwei- mal sah ich den Fürsten: ich konnte ihn nicht einladen! — V. lag noch zwei Wochen länger , als ich. Seit vierzehn Tagen fahre ich wieder aus. Meine erste Fahrt nach einem Rahmen; den ich von keinem Andern besorgen ließ. Eher das Bild unter Fach war, wollte ich nicht dafür danken; und dann war es vierzehn Tage schon im Rahmen, und ich dankte doch noch nicht! Die Tageswogen; viele sehr leidende Stun- den auch in meinen besten Tagen: aufgehäufte Lektüren, Rech- nungen, Geldgeschäfte, Geselligkeitspflichten, die Kinder: meine Nervenreizung beim Schreiben — und doch Briefe in Ge- schäften — Anderer —, und Tagesbillette, und Besuche, und Anforderungen ohne Zahl , und ohne allen Zusammenhang: denn zu welcher Klasse gehöre ich nicht ? wenigstens so lange sie etwas von mir wollen . Und wer giebt sich, mit der hellsten Einsicht darüber, mehr dafür her, als eben ich: und in der Schwäche der Konvaleszenz nur noch unwiderstreben- der. Wie müßte mein Bild aussehen, wo alles dies ausge- drückt wäre! — Theure Fürstin! Sie zweifelten nicht an mir?! Nein. Nein. Alle Tage suchte ich in den Zeitungen nach der Auf- führung der Oder: immer Carolaths wegen: heute wieder, und da finde ich das Elend von Muskau. Eine Betrübniß für mich und Varnh. als träf es uns selbst. Und noch an- ders! Der Verdruß der theuren Freunde: die Zerstörung des menschengeschaffenen Paradieses; die Armen dort. Ihr An- theil, noch zu dem Leid von Ihren Besitzungen! Die Hülf- unfähigkeit wird zur Angst. Auch dies ein Grund, der mich oft hinderte, einen Brief anzufangen. Was ich nur irgend missen konnte, war weggegeben. — Ich hatte keinen Winter- hut; noch Mantel: alles weggegeben, was ich gebraucht hätte; Noth von allen Seiten. Alte Ammen meiner Familie; Stu- denten ohne Feuerung. Kurz, alles war weg. Mündlich könnte ich es Ihnen sagen, und zeigen . — An Astolf Grafen von Custine, in Saarburg. Sonnabend den 17. April 1830. Mittags, nach Regen ein Frühlingswetter, und die Bäume grünlich; aber noch nicht grün. Mein bester Augenblick im Jahr, ohne Fliegen noch Mücken, ohne Hitze; der Früh- ling nahend, der uns tausend Erinnerungen und Hoffnungen zuweht, die sich nie erfüllen: auf die wir aber Anspruch haben. Ich bin nur in Berlin, und doch zersplittert sich meine Zeit; die Gesellschaft, und was daraus folgt, und was jedem Abend vorangeht, reißt mich wie ein Strom fort; ich konnte seit acht Tagen nicht den Augenblick finden, um Ihnen, wie ich es wollte, gleich zu antworten: und damit Sie eine Art von Bild des Lebens haben, das ich führe, so sag’ ich Ih- nen — mit Bedauern: weil es häßlich ist, und ich über alles Häßliche, für mich und für meine Freunde, blasirt bin — daß ich viele Stunden im Morgen brauche, um meiner Gesundheit zu schmeicheln, oder vielmehr, meiner Krankheit: die in Rheu- matismus besteht — geerbtem —, der sich über die Nerven verbreitet, und von dem tollen Wetter, das sich auf unsrem Erdball festgesetzt hat, unterstützt wird. Die moralischen Wi- derwärtigkeiten waren so groß während meines ganzen Lebens, daß ich lächle , wenn ich versucht bin, davon zu reden. Wenn ich Sie mit Muße sehen werde, so könnt’ ich Ihnen den groß- artigst erfundenen, den reichsten Roman erzählen; der einen größern Meister, als Cervantes, Goethe und Shakespeare, zum Verfasser hat, und den ich Ihnen nach Maßgabe, daß seine Ereignisse meinem geschwächten Gedächtnisse gegenwärtig würden, vertrauen könnte; — Gott weiß es; ich weiß es nicht mehr: pflege ich zu sagen; — da ich Ihnen alles vertrauen kann: weil Sie alles begreifen. Heute hab’ ich mit Gewalt alles entfernt, selbst meine Nichtenkinder, um Ihnen schreiben zu können. Und ich beginne mit Viktor Hugo. Derselbe Grund, der Sie bestimmt, über diesen Gegenstand schweigen zu wollen, der grade zwingt mich, über meinen Beifall mich näher auszulassen. Zuerst, setz’ ich es als eine Unmöglich- keit , daß wir über einen Autor, über einen Dichter, über ein Werk der Kunst verschiedener Meinung sein können. Ich habe nur die „Orientales“ gelobt; und die sind vortrefflich! Lesen Sie sie wieder. Die Sultanin, das feste Schloß, der Derwisch und Ali-Pascha, die Schwester und die Brüder — der Schleier heißt es, Sie sehn, ich weiß die Titel nicht recht — die Badende u. s. w. u. s. w. Er glaubt nicht „que le na- turel est rebattu,“ er hat so sehr „le sentiment du vrai,“ daß er die Wahrheit in Situationen, die unsren Sitten fremd sind, zu ersehen weiß, er sieht, er übersetzt sie sich; er glaubt nicht „que le faux est du neuf,“ weil er zu reich in der Wahr- heit ist; nicht falsch faßt er die Natur auf, aber er sucht sie für seine Schilderung außerhalb der europäischen Gesellschaft, von der bis jetzt noch Paris der Mittelpunkt ist; er schickt seine Empfindung in andres Klima, in einen andern Kreis von Vorurtheilen und Sitten aus. Er ist voller Einsamkeit, und Empfänglichkeit für das, was er hat sehen können, und sich ausgedacht, und in der Einbildungskraft gesehen hat; er trägt es vor mit dem Kalkül des Künstlers, mit dem geheimen Kalkül, der dem Dichter angehörig ist, und dem Künstler je- der Art. Mein „entourage“ hat nichts mit meinem Urtheil zu thun; unser „point de vue“ über eine so wesentliche Sache soll nicht, darf nicht verschieden, noch entgegengesetzt sein; aber die Verschiedenheit unsrer Länder, das heißt unsre beiden Sprachen und Lektüren, kann uns über die Orientales von einander abweichen machen: und grade aus diesem Grunde, aus diesem einzigen Grunde , der dieses Wunder zwischen uns bewirken kann, schweige ich nicht , sondern fordere Sie auf, das Buch, als wäre es eines von Goethe, oder ein von mir geschriebenes, nochmal zu lesen. Es ist unmöglich, daß Sie, mit sich selbst allein, nicht alle Schönheiten und Seuf- zer, die es enthält, empfinden sollten. Was Cromwell betrifft, den muß er umdichten. Hier ist er in denselben tiefen Irr- thum gefallen, worin sich alle neueren französischen Schrift- steller befinden, die jetzt nach Shakespeare dialogisiren, und alle gemeinen Leute schildern, ohne die Mitte, das Prinzip zu erfassen, woraus diese handeln und reden: anstatt daß Shakespeare nur das Prinzip ihres Wesens, unter einer leich- ten und geistreich gewählten Maske darstellt, und sie alle für die Ewigkeit mahlt; ich z. B. begegne alle Tage solchen, die nach seiner Erfindung sprechen, nicht mehr, nicht minder! Die „États de Blois“ und die „Barricades“ sündigen durch denselben Irrthum; als ob die Geschichte in den Schenken und bei den Schilderhäusern sich machte: und nur da. Dies Volk spricht ein wenig von den bedeutenden Personen; das ist alles: anstatt daß es nur der massenhafte Hintergrund sein darf, auf dem wir die wirklich Handlenden sehen müssen, und von Zeit zu Zeit einige Figuren, die sich von dem dunklen und oft unreinen Grunde ablösen. Soviel über Herrn Hugo. Ich bin entzückt , daß Sie die Reise gemacht haben, um Ihre alte Bonne zu sehen. Wenn man nicht Venus in Person sieht, das heißt eine Frau, die man liebt, und von der man wiedergeliebt ist, so kann man nichts sehn, was grö- ßere Befriedigung gäbe! und es scheint fast, daß ein so häß- liches Dorf zu einer solchen Liebeshandlung erforderlich ist. Auch bin ich auf dem Punkt angelangt, mir solche Vergnü- gungen zu machen, und zu den andern nur mitfortgezogen zu werden. Doch sehe ich genug Leute und Fremde; bei mir meistens. Mlle. Sontag habe ich dreimal gehört: und ich finde sie sehr Pasta und sehr gut in Othello; und freue mich, sie morgen in einer geputzten Gesellschaft, auf einem Ball zu sehen. Sie ist hier sehr f ê tirt, bei Hof, von den Diplomaten, und von der Stadt; sie hat alle Damen für sich; sie verdient es wegen ihrer Gutmüthigkeit und Bescheidenheit, die ihrem großen und geschmeidigen Talent noch erhöhten Glanz geben. „Détestable Paris“ sagen Sie. Richtig. Jede ville-monstre ist es. Berlin schon. (Ganz Berlin ist bedeckt mit den schönsten Blumen; Fenster, Straßen, Plätze, die Keller; alles ist voll damit besetzt. V. giebt mir eben ein ungeheures Bou- quet von einem neuen Blumenmarkt: alles grünt; durch die ganze Stadt hin giebt es hier Grünes; Überbleibsel der preis- würdigen Barbarei, von kleiner Stadt her!) Aber ich vergöttre Sie! aus Entzücken darüber, daß Sie das Geld , so jung Sie auch sind an Jahren und gan- zem Wesen, richtig ansehn, wie es anzusehn ist! „L’ima- gination“ ist es, wie Sie sagen: also das Wesentliche; und darüber richtig zu denken, rettet uns, und stellt uns in Si- cherheit über alles . Das Geld ist das Erzeugniß alles ver- gangenen Mouvements, — selbst das der Sonne — und die Anregung des zukünftigen; wohl muß dies das physische Res- sort des wirklichen Lebens sein, und dieses Ressort erkannt zu sehen in dem erforderlichen Alter, in dem Alter, wo man noch fähig ist zu leben, heißt wahrlich ein Fund, der alle möglichen Beglückwünschungen verdient; und doppelt, wenn man erwägt, welche Richtigkeit des Urtheils diese Überzeugung in einer feinen und von den gemeinen weltlichen und irdischen Interessen befreiten Seele voraussetzen muß! Was ich machen werde? das frag’ ich mich selbst: Ihre Einladung ist wenigstens die vierte, die ich nach Schlesien habe. — Fünf Meilen von Breslau hab’ ich einen Engel , die Gräfin von Yorck, Schwiegertochter des Feldmarschalls, ganz jung, die mich liebt, und mich zu sich eingeladen hat; dann Adelheid Carolath, der ich seit vier Sommern einen versprochenen Besuch schuldig bin. — Aber wie das alles einrichten! — Und dann hab’ ich ein Kind hier , von dem ich mich nur mit einem an tausend Stellen blutenden Herzen losreiße. Kombiniren Sie mir das. Kommen Sie wenigstens hierher mich abzuholen; ich habe meinen Wagen, und wir fahren zusammen. Wenigstens schreiben Sie mir genau, und schnell; und immer wenn es noch Zeit ist. Glauben Sie, daß ich immer leben werde? wo werden Sie eine Zweite finden wie mich mich! Sie sind reich und frei, lassen Sie diesen Theil des Le- bens nicht entschlüpfen. Ich bin eine Art Mutter, und ein Gefährte, und nichts von dem allen, und mehr. — Sieht Ihr Freund die Bäume, wie ich: schreit er Astolf, wie ich, wenn er einen schönen, reichen, einen bizarren, einen sehr grünen sieht? Findet er es gut, wenn Sie ihm nicht schrei- ben, wie ich? — Varnh. nimmt den größten Antheil an unsrer Freund- schaft, und grüßt Sie. Und ich verlange eine Antwort. Fr. V. Als ich vor eilf oder zwölf Jahren Tancredi in Karlsruhe hörte, fiel es mir gleich auf, daß das Recitativ von tanti pal- piti nicht zu der Kavatine paßte; und ich sagte es. Mehrere Jahre nachher hörte ich, daß Rossini dieses Recitativ zu einem andern Musikstück gemacht habe, und daß eine Sängerin dies nicht singen mochte, oder konnte, und er ihr dieses tanti palpiti setzte. — Karl Finkenstein sah ich zuerst in der italiänischen Oper, wo die Marchetti in einer Righini’schen Oper sang: ich war in der Loge der Gesandtschaftssekretaire, er neben mir in der Gesandtenloge. Weil die Logen ziemlich leer waren, fiel er mir auf, wegen seiner Blondheit; noch mehr wegen der Art, wie er zuhörte. Ich sah ihm an, daß er ein Mensch sei, der sich einbilde, all dergleichen viel besser gehört zu haben: der Musikdirektor Anselm Weber war auch neben mir; dem machte ich die Bemerkung, und fragte, ob er den Menschen kenne. Da erfuhr ich seinen Namen; aber nicht, daß alle seine Ge- schwister und auch er das Singen so ernst und nachhaltig III. 28 trieben, und er wirklich meinte, in der Welt würde nicht besser gesungen, als in Madlitz. — Als der Musikdirektor Anselm Weber hier angestellt wurde, — nach Wessely, der zuerst hier die Mozart’schen Opern mit sparsamen Orchestermitteln auf die Berliner Bühne brachte, und sehr gut aufführen ließ, — und ich mehrere der von ihm dirigirten Opern hörte, fand ich, daß er alles in dem Sinne der Ouvertüre der Zauberflöte, — die damals eine Revolution zu nennen war, und die Weber vortrefflichst geben ließ, — vortragen ließ; und ich sagte es, erstaunten Leuten, die nur höflich genug waren, mir nicht zu antworten: warum nicht gar! — Bedeutend lange nachher lernte ich Weber persönlich kennen, und er kam sehr gerne, und also viel zu mir, spielte mir vor, — er war nächst Kalkbrenner der Feinste im Vor- trag des Pianospiels, — und ich war in Musikangelegenhei- ten sein Konfident. So erzählte er mir einen Tag seine ganze Entwicklnug in musikalischer Hinsicht: und schüttete mir sein Herz aus, wie er die Komponisten liebe, was er an ihnen liebe, wie er zu seinen Erkenntnissen gekommen sei; er endigte so: „Ich kam zu Vogler (dem Abt, ich glaube es war in Köln), unter dem mußt’ ich streng studiren,“ und er lobte ihn als verehrten Meister viel; auch konnte man sehr deutlich hören, daß dessen Manier in Vortrag und Komposition un- verkennbar und und unvertilgbar in ihn eingedrungen war: „dann reiste ich aber nach München; und ging unbefangen in die Zauberflöte; und wie ich die Ouvertüre hörte, glaubte ich umzusinken, zu schweben; ich war nicht mehr im Schau- spielhaus, nicht auf der Erde mehr: das ist die Musik! schrie ich, nun weiß ich, was Musik ist, was Musik will: und ich fand mich völlig umgewandelt!“ — Diese Erzählung von Weber schmeichelte mir sehr. — M. war in seiner Jugend sehr verliebt in eine Demoi- selle aus Köthen; junge, hübsche Tochter eines Pferdehändlers, die er in Leipzig zur Messe hatte kennen lernen, wo er mir sie immer zeigen wollte, welches nicht gelang; ich konnte ihr nie begegnen. Zwei Jahre später kam sie hierher nach Ber- lin; er war noch ziemlich verliebt, und sehr beflissen, mich die Schöne sehen zu lassen, von der er eine Menge guter Mei- nungen hatte. Hier gelang dies Vorhaben besser; wir begeg- neten ihr in einem schönen Wetter Vormittag auf dem Opern- platz. „Da ist sie! da geht sie! da drüben mit dem Rosa- hut!“ — Ich sehe hin. — „Nun? wie finden Sie sie?“ — — Recht hübsch ; aber wissen Sie, wie sie aussieht? — „Nun?“ — Als ob sie eine Liebschaft mit ihrem Friseur ha- ben könnte. „St!“ schnalzte er mit der Zunge; „Einfälle!“ sollte das heißen. — Die Woche drauf echappirte sie mit ihrem Friseur. So gut ich auch gesehen hatte, so schmeichelte mir doch das Ereigniß zu sehr, en détail; und ich wäre eben so stolz mit weniger Pünktlichkeit von ihr gewesen. Wir müssen aber zu sehr geschmeichelt werden, um es genug zu sein. — Diese Geschichten wollte ich doch nicht untergehen lassen. Berlin, den 19. April 1830. 28 * An Frau Hofräthin Herz. Den 13. Mai 1830. Einen Fehler haben Sie, und hatten Sie von je, liebste Freundin: Ihre zu große Bescheidenheit, die Ihnen nicht alle Selbstthätigkeit erlaubt, deren Sie durchaus fähig sind. Aber Ihnen schadet das weniger bei Ihren hohen Tugenden, denen Sie mit dem größten Talente Folge leisten. Haben Sie die Gnade, sich die Blätter von unsrer Lotte geben zu lassen. Dann kommen sie mir ohnehin näher. — Verwahren Sie diese Karakteristik. An Ludwig Robert, in Berlin. Sonntag, den 16. Mai 1830. Geht denn das kindische und nun bereits auch schon ganz veraltete Vorurtheil, oder vielmehr Irrurtheil über die Rich- tigkeit der Theaterkostüme immer noch seinen verdumpften Gang; ohne auch der neuen Direktion hier aufzufallen, ohne auch nur Eine laute Stimme im Publikum zu finden, die für die gesündere Einsicht zu ihr spräche, es sei direkt oder ver- mittelst eines gedruckten Blattes! Kannst auch du nichts an die Direktion gelangen lassen, was nicht eine banale Billi- gung, Beschönigung, Beschmeichlung — um Freibillets oder sonst eine Belohnung — wäre! Kann sich eine gescheidte Theaterverwaltung von solchem Lob beruhigt, und befriedigt finden wollen? Wie sah die arme Dlle. Hoffmann gestern aus! Ein hübsches, nicht großes, eher korpulentes, blondes Mädchen, mit lieblichen, nicht stark geprägten Gesichtszügen; der das Loos zufällt, einen jungen Königlichen Helden zu spielen: was beginnt man mit der, um sie diesem am ähnlichsten zu machen? — Sie ziehen sie im Ganzen an, daß sie einer Kar- tenfigur — von sonst, noch obenein — oder einer Konditor- figur — auch von sonst — am ähnlichsten wird. Dunkelroth und weiß geschichtet: so dick als möglich. Was gebrauchen sie für Einzelnheiten dazu? Eine Pudelperücke, nicht von dunklen, — von blonden Haaren, wie die Aktrice sie selbst hat, — fängt das Haupt an; der dickste Stoff, der um kei- nen Preis fallen will, bildet das Gewand; Tressen, wie sie Kirchen und Altäre schmücken, sind der starke Besatz auf die- sem zu starken Kleide, welches sich, halb als Kleid, halb als Gewand, aufbauschen muß; der Mantel, worin es nach vielen Windungen und Biegungen nach hinten fällt, ja nicht zu lang! — daß er das Ganze der Gestalt ja nicht verlängre! — Die breiten blanken Tressen ja nicht in die Länge herab gesetzt; sondern so in die Quer: horizontal, damit sie die Gestalt durchschneidend verkleineren, und verdicken; und das vorne, vom Hals herab, siebenmal ; ehrlich gezählt; in schmäleren und breiteren Streifen. Ein Feind der Dlle. Hoff- mann hat ihr das gethan, wie in Almaviva’s Pagen; von welchem nachher. — Die Kostümeurs werden antworten, das sei das Kostüm von Anno so und so. Gelehrte, mit denen ich noch gestern nach der Vorstellung der Semiramis zusammenkam, bewiesen, daß ihre Zeit durchaus eine fabelhafte, unzuermittlende sei, und Kostüme erst sechshundert Jahre nach dieser vorgeblichen Zeit erwähnt gefunden werden könnten. Gesetzt aber auch, wir hätten sogar Portraite aus dieser Zeit: bliebe es nicht immer ein kindischer Grund, unsern Sinn, Auge, und unser Urtheil deßhalb peinigen zu wollen? Uns Dlle. Hoffmann z. B., so wie man sie gestern erscheinen ließ, als einen jungen Helden aufdringen zu wollen, der eine Semiramis, die nicht allein seine Mutter sein könnte, sondern es zum Beweis auch ist, zur Liebe reizen kann. Eine minder pudelartige Perücke — wie man sie vollkommen schön in jeder Art verfertigt — von dunklerem Haar, als das der jungen Aktrice; den Fall des Haars veranstaltet, daß es eine Art von Backenbart zu bilden scheint, wenn man einen ausdrücklichen glaubt vermeiden zu müssen; einen Schnurrbart, einen kleinen Jünglingsbart so- gar — die andern Männer in dem Stücke tragen ja welche, — eine kleidendere, dunkle Mütze, und nicht einen drapd’or’nen Blumentopf auf dem Kopf, wenn auch zu irgend einer Zeit, irgend ein Volk dergleichen trug! — oder steht die Kunst, solche Epoche, wo solcherlei vorging, herauszufinden, über al- ler schönen Kunst, Geschicklichkeit in ihr, und Wohlgefälligkeit von ihr; stehn über alles dies Wissenschaft und Studium? Kann dieser kindische und abgetragene Irrthum noch immer vorhalten? Und wollen die Theater darin noch immer wett- eifern? Warum hat Dlle. Hoffmann nicht die Fuß- und Beinbekleidung, die so schlank und groß macht, welche die Männer, Hr. Stümer und Alle, in der Belagerung von Ko- rinth tragen? Soll ich noch von den feuerfarbenen oder zie- gelfarbenen Kosacken mit den schwarzen Mützen sprechen, die diesmal die Priester vorstellten, — alles andere weglassend, — oder gleich von Dlle. Hoffmanns Pagenkleid in Figaro reden? Wo man sogar das sonst so vielbesprochene Unanständige nicht achtete, und Trikot gebrauchte, bei einem Pagen, der ganz nach des Grafen Almaviva Geschmack gekleidet sein kann; und wo man hätte beflissen sein müssen, die junge Schöne zu so einem schlanken Pagen als möglich zu machen; ihr nicht die ganze Gestalt, auch mit einem dicken, sich drängenden Lockenschmuck, woraus drei richtige zu machen wären, auch von obenher herabzudrücken; und sie nicht noch mehr als eine Viertel-Elle überm Knie noch so gut als nackt zu zeigen, wie die Heldenfischer in der Stummen von Portici zu ihrem Nach- theil schon viel zu korpulent umhergehn. Wird immer nur leere Eitelkeit dergleichen anordnen; und werden wir nicht auch hierin ein Vorbild von Solidität, Sitte, wahrer Gründlichkeit, und also Bescheidenheit sein wol- len? Das kann nicht ausbleiben. Es muß bald kommen. So viele richtige Überzeugungen müssen diese eine herbeifüh- ren; scheue man nur kein gutes Wort; welches manchmal in einem derben bestehen muß. — An Rose, im Haag. Sonntag, den 18. Juli 1830. Vormittag halb 12. Sonnenschein nach Regen; Wind, Wolken; prächti- ges Grün; Blumen, Früchte, alles in Fülle. Das Wetter ist nach Zeitungen und Briefen allenthalben ganz gleich. So gratulire ich dir denn aus vollem Herzen zu der prächtigen Anna. Welch Glück, immer jemanden vor Augen zu haben, dessen Inneres und Äußeres einem gefällt! Eigent- lich brauchte ich nur das letztere zu sagen. Weil wir uns, wenn wir richtig zuhorchen, nie irren, wenn uns ein Äußeres wirklich gefällt. Anna gefällt mir durchaus . Augen, Au- genbraunen, Haare, Zähne, Hals, Wuchs, alles dies schön ; die etwas großen Hände — kleine hasse ich — schön , Teint, schön und reizend. Nymphenartig, fein, elegant, tüchtig, in- nig, empfindungsvoll und gescheidt: so sieht sie aus; und so ist sie. Spricht deutsch und französisch so reizend wie ein En- gel; voller feiner Lebensart, und die Natürlichkeit selbst! (Auch zieht sie sich gut an; und du weißt, was das bei mir gilt! Ich kenne solch Mädchen jetzt nur durchaus in ihr . Hier ist kein’s ohne eine Beilage von Dünkel, Narrheit, Fadheit, und Begränztheit; weil, sich all diese bösen Dinge, auf Religiosität, Sittlichkeit, und Bildung des Innren, und der hergebrachten Talente, und genossenen Unterricht beziehen wollen: und ich daher nur stolze, steife, brummige, leere, un- taugliche Gänse sehe. Ich nehme in meiner Bekannt- schaft, in Norddeutschland , nur aus: ............ — Anna glaubt gewiß nicht, daß ich so von ihr denke, noch daß ich sie so durchschaut habe — das verstehe ich , — sagte ein Hamburger Jude, — in dem Fach bin ich ein Ignorant —, sogar geht eine leise Wolke, der Unzufriedenheit mit mir, durch das Gemüth unserer geliebten Anna: und sie hat Recht, liebe Rose. Ihr mußte es erscheinen, als hätte ich mich fast gar nicht um die Familie bekümmert. Und diese Unzufrieden- heit erschien mir , so innig, so schön-stolz, so leise, so wohl- erzogen, so fein, und doch tief, daß ich das Mädchen erst da- durch, recht in Tiefe und Stärke ihrer Affekte kennen lernte! Der alte Ignorant. — Meine Entschuldigung. Als die Damen schon weit über acht Tage hier waren, erfuhr ich es erst; dann besuchten sie mich; ich bat sie acht Tage voraus, und es wurde mir wegen eines Onkels Abreise abgeschlagen. Nun war Varnh. darüber, den ich in nichts zwingen kann, un- gehalten. Ich hatte ihm die Damen sehr gelobt, wir wollten sie möglichst viel sehn; das knapste ab: nun hatte Ernestine einen Wagen, und ich wollte mit ihr zu ihnen hinaus nach Charlottenburg: da fuhr sie dreim al! ohne es mich wissen zu lassen. Inzwischen sah ich die Damen allein bei mir, leider ohne weitre Gesellschaft für sie. Ich, immer krank: ein Be- kannter, Dönhofsplatz; einer , Leipziger Thor; einer , am Ephraimschen Garten. Viele weg, verreist: auf dem Lande: ich zwinge es weder mit Kräften, Geld, noch Domestiken! Sonst konnte ich selbst laufen; jetzt nichts mehr. Keiner, kein Arzt, keiner als Dore weiß, was ich leide: die sieht’s: und weiß es aber auch nicht. (Schreiben kann ich auch nur mit größter Noth, und Nachtheil. Zittern, Echauffement.) — Die Damen immer par chemin et par voie; alles besehn, f ê - tirt von allen Seiten. Dann erfuhr ich, daß sie plötzlich rei- sen, anstatt August auszubleiben, wie mich Ernestine vertrö- stete. Gestern kamen sie Abschied nehmen, weil sie Dienstag reisen. — Nun ist’s aus. Sage, erkläre dies Anna’n. Alles, Umstände, Kränklichkeit, standen zwischen uns: ich kann nicht mehr alles bezwingen, Rose! Ich bezwang mein Leben durch, zu viel: ohne Resultate, als daß ich mich zwang. — Auch Mad. A. gefiel mir sehr wohl. Recht gut aussehend, schön angezogen; redselig, freundlich, unbefangen, nachsichtig, voller Empfindung — ohne alle Affektation — für Vaterland, alte Stätten, Freunde, Verwandte, empfänglich, vernünftig. Man möchte sagen: sehr zum Vortheil ausgebildet. Diesen Sommer bin ich sehr besetzt. Den ganzen Juni war Varnhagens Schwester, Frau Doktorin Assing aus Ham- burg hier mit zwei allerliebsten Kindern- von eilf und zwölf Jahren. Eine liebe, gute, tief gebildete Frau und Mutter. Ich hatte sie nie gesehen; und dann ganz vertraut den Tag durchbringen, strengte mich an. Sie hatte, voller Einsicht, keine Prätension: aber ich hatte sie. Mittwoch nehme ich die drei Kinder meiner Nichte zu mir, da die Eltern auf zwei Monat verreisen; und ich die älteste verabgöttre; und alle drei niemanden vertrauen würde. Also kann ich vor Oktober nichts, als die Pflege der Kinder und keine Sorte Reise un- ternehmen. Mein Körper bedürfte eine außerhäusliche Reise, wo ich ein unbesorgender Fremder wäre; ohne alle Rücksicht für jede andre Gesundheit, und jedes andre Wohl, als mei- nes. Das Gegentheil minirt. Doch: jeder stirbt an seinem Karakter . Sag’ ich immer. Ich freue mich die Kinder zu bekommen, und Tag und Nacht unbestritten für ihre Gesund- heit und Freude zu sorgen. Ich fahre schon den ganzen Som- mer täglich mit ihnen aus. Das stärkt sie; und erhält mich, so so. Es sind genaturte Engel ! Und meine Älteste!! Gott soll mich nur noch für sie leben lassen! Ich traue sie nieman- den an, als ihm und mir. Wenn ich eine Reise mache, müssen die Eltern sie mir mitgeben. Ich muß auch leben, Einmal . Besuchst du uns nicht? Komme zum Winter! Wo nicht : nur zum Frühling, Mai. Ein Rendezvous! Gott segne dir dein schönes Haus, Promenade, Theater, Gesundheit, Mann und Kinder, und fixen Aufenthalt! Ludwig und Frau, wohl. Ernestine und Kinder auch. Moritz kömmt heute von War- schau. — An Heinrich Heine, in Hamburg. Dienstag, den 21. September 1830. 5 Uhr Nachmittag. Sonnentag, nach einer kleinen Ausfahrt, einem kleinen Diner, einem kleinen Nachmittagsschlaf. Vielleicht zerstreut es Sie, in dem jetzigen Leben, und bringt Sie zu sehr hohen allgemeinen Betrachtungen, indem es Ihnen die Befriedigung unseres kleinen Herzens, als das Wichtigste zeigt, wenn ich Ihnen sage, klage, erzähle, daß ich ein zerschlagenes Herz im Busen habe, weil ich heute meine Kinder den Eltern wieder abgeben mußte. Rein abgeben, als wenn es ihre wären; und ich liebe sie. Ich lebte endlich acht Wochen, von Morgens 7 bis 9 — und auch des Nachts mit zwei- drei- viermal nach ihnen sehen — Abends, mit, für, und nur durch sie. Ich machte ihnen Fleisch durch Pflege; und ließ ihre Seelen wachsen; ihren Geist sich heben und regen. Den ganzen Tag hatten die Drei, wovon Sie meine älteste. Elise, gewiß kennen, Prätensionen an mich; den halben war ich mit ihnen in Wald, und Feld, und Gärten. Nun ist’s aus. Alles aus; und ich in Eifersucht allein; daß Andre ha- ben , was ich besitzen sollte; — und daß kein Despot, keine Armee, kein Gericht existirt, welches mir dies Gut zuspräche: und der liebe Gott wohl weiß was mir gebührt; und ich leide. Sehr gut. Und ich soll wieder elend warten, bis ich denken muß: er hatte Recht; sonst wär’ es ärger gekommen. Es hilft mir nichts , aus der Zeit der verliebten Liebe zu sein; ich leide doch . Und Sie mit; denn ich mag nicht — so sehr kann ich nicht — schweigen; und Ihnen will ich grade heute schreiben. Auch scheint es mir verstockt, ein Ver- rath und freundlos Benehmen, einen schweren, schwarzen Klum- pen Leid im Herzen zu tragen, es in Schmerzen überschwemmt zu fühlen, und dies — schriftlich — zu verheimlichen, ganz zu übergehn; und vom Tag, oder anderm Ernst und Scherz zu sprechen. Wissen Sie, daß ich einen Tods chreck von den Schneidergesellen — wegen falscher Berichte eines erschrockenen Domestiken, der während des Tumults, wie Roller vom Galgen, zu mir stürzte, um mir die Stadt als saccagirt vorzu stottern — hatte, einen Tag, wo ich wegen Nervenaffekt und Rheuma ein Schwefelbad mit all den Üblen in dem Körper hatte; und nur aus ungefähr nicht davon todt blieb; gleich nachher be- kam ich den Brief, der mir die Ankunft, durch die ich die Kinder wieder missen sollte, zum surlendemain ankündigte! — gemelkt fühlt’ ich mein Herz. Unfähig meinen Körper. Seit- dem hab’ ich gelacht, geredet, gedacht, die Honneurs der Tage gemacht, wie immer. Und bin durch nichts in meinen Ansich- ten und Meinungen gestört. Hepp ist mir so wenig unver- muthet, als alle andre Unducht. Kein großer Trumeau, kein „Jungfernkranz,“ kein Elephant über Theaterbrücken; keine Wohlthätigkeitsliste, kein Vivat, keine Herablassung; keine gemischte Gesellschaft, kein neues Gesangbuch, kein bürgerlicher Stern, nichts, nichts konnte mich je beschwichtigen. Die Pok- kenmaterie muß raus; Schminke hilft nichts; und wäre sie mit Hausanstreichpinseln aufgeklext! Nur Despoten können uns helfen; die Einsicht haben: oder — so gesagt, so ge- schehn! Unversehens hab’ ich Sie hier gegrüßt, mit allem was ich jetzt, über jetzt zu sagen weiß. Sie werden dies herrlich, elegisch, fantastisch, einschneidend, äußerst scherzhaft, immer ge- sangvoll, anreizend, oft hinreißend sagen; nächstens sagen. Aber der Text aus meinem alten beleidigten Herzen wird doch dabei der Ihrige bleiben müssen. Und auch hier wiederhole ich: Gott weiß das alles; sieht was uns fehlt; und schickt ge- wiß den trefflichen Despoten mit Bedacht aus weisem Grunde nicht. Dieser Grund ist Geschichte; und das mindeste bischen Einsicht davon schon genug zu Geschichtserzählung. Unsre Krankengeschichte ist allein unsre Geschichte. Alle haben wir mit gefressen; und das muß wieder heraus. Kommen Sie bald; schreiben Sie noch früher! Ich leide schrecklich an Un- gewaschenem, was jetzt auch sonst Gescheidtere und Gewasch- nere hervorlassen. Wie wenig wird ächt gesehn und gedacht. Adieu. Gesundheit und heitre Tage. — An Gentz, in Wien. Sonntag Morgen 8 Uhr, den 3. Oktober 1830. Das schönste Sonn- und Mondwetter. Der Himmel hat Sie gesegnet, sah ich völlig ein, als Fluthen von Segen aus meinem Herzen für Sie strömten, nachdem ich Ihren paradiesischen Brief eben gelesen noch in Händen hielt. Ich fühle eine ewige Fortdauer, köstlicher rei- ner Freund , in dieser Übereinstimmung: die ist tiefer gegrün- det, bezieht sich auf Höheres, Unerschütterlicheres, als auf die- sen Weltwirrwarr — im höheren Sinne dieses Wort! — keine unserer Strebungen sind hier rein; das heißt, können unmit- telbar sein; als die freie, von uns selbst nicht zu bändigende Liebe, zu Gegenständen, die sie in’s Leben zu reizen vermö- gen. Dieses Leben des Herzens ist allein wahr, reell. Das wußt’ ich, als ich ein Kind war, ein wirkliches Kind dem Al- ter nach: und, Triumph! ich weiß es noch. Höchster Triumph! — Triumph ist nicht Sieg; Triumph ist Glück — mein bester Freund weiß das nun auch; bestätigt’s sich und mir, durch glückliches Erleben. Gutbestellte Herzen können immer verliebt sein, wollen es immer sein. Nur richtige Gegenstände dazu finden sie selten: dah er das Liebesunglück all. Auch ist das Herz aus einem andern Dasein, und für ein anderes: und schafft sich auch in seinem Dunkel immer ein anderes; wie ursprünglich ein jeder Mensch ein kompletes Original sein könnte, und, unverdorben, dies auch in Gestalt und Wesen zu zeigen vermöchte; und also gediehen, ein vollkommener Gegenstand der individuellsten Liebe zu sein fähig wäre. Aber alles ist unter dicker Rinde der höchsten Verwirrung, in einem Aufruhr von Gemengsel und Verfehlung: sonst müßten alle Menschen lieben können, nur lieben wollen; und auch in unserm Alter lieben. Glück auf, köstlicher Freund! und auch dazu dieser Zuruf; weil die- ser Lebensz ustand Ihre Tage erfüllt, erhellt; reich macht, ihnen Bedeutung, Grund giebt; alle Augenblicke darin Bezie- hung und Zweck erhalten: nicht allein also, des kostbaren Urgrunds dieses Zustandes wegen; der das reinste höchste Ge- schenk des Himmels ist; ja, ein Stück von ihm selbst, auf der Irr- und Probebahn mitgegangen. — Und welch ein Glück haben Sie mir noch verkündet! Wie fehlte mir dieses Glück. — Sie sagen mir: Sie haben nun meinen letzten Brief verstanden, der die Antwort auf die großen Urfragen enthielt; der eigentlich aussprach, daß wir nur so viel Gottheit erkennen könnten, als uns im Bu- sen mitg egeben ist; daß unsre Vernunft, oder vielmehr der Durst danach, der einzige Bürge für Urvernunft überhaupt sei. Das, geliebter Freund, wollten Sie mir zur Zeit etwas verübeln: und jetzt getraue ich mir Ihnen zu sagen, daß kein System der Philosophen — ich kenne sie — kein Urpunkt einer Religion zu einem andern Ergebniß hingelangen kann. Philosophie kann nur den Zustand und die Fähigkeit unseres Geistes klar darlegen (und, wie Goethe sagt: „den düstern Wegen unseres Geistes nachspüren,“ dies ist wenigstens der Sinn seiner Worte —): die Religion sich nur am Ende die- ser Untersuchung einfinden, und mit — aus uns selbst ge- schöpftem — Vertrauen gnädigst, gütigst, und durch inneres Gefühl zuversichtlich, weiter verweisen; sauf neuer Offenba- rungen, die ich nicht hier den alten entgegensetze, sondern — wünsche . Tief abgeschnitten hielt mich Ihre letzte Antwort an Varnhagen auf diesen meinen hier erwähnten Brief: was konnte ich sagen, weiter sagen, wenn Sie diese Worte, tief aus Herz und Geist geschöpft, nicht verstanden! Gelöst ist die Welt, die da zwischen uns lag; und auch von der Seite sind Sie mir gewonnen: wie nichts je mich von Ihnen tren- nen kann, und konnte; fehlten Sie auch (fehlen heißt hier nicht, einen Fehler begehen, sondern nicht da sein); ich über- sah uns; und wußte, daß in jeder Zukunft Sie zu mir mußten. Welche Ehre, daß Sie in dem Zustand, in dem Vorneh- men, besten, mir schreiben mußten! Keine Zweite existirt, ich weiß es selbst; und läugne es Würdigen nicht. Aber woher das? Jeder könnte so sein; einzig sein. Wenn er den Muth, den Sinn hätte, „original,“ er selbst zu sein: wenn ihm an fremder Zustimmung nicht mehr läge, als an seiner: wenn er sein tiefstes Wollen abfrüge. Wie einem aber dieser Muth, dieser Sinn abgehen kann, ist mir eigentlich durchaus unver- ständlich: gestehe ich’s nur! Menschen, denen diese bedeutend fehlen, sind mir eigentlich vortreffliche Marionetten; zur Ver- wunderung aus Fleisch und Blut. — Nochmal Glück auf, zu unserer Frische! Unsre Jugend war kein Blendwerk. Wir lieferten ihr Grüne und Leben: sie bestand nicht nur aus Un- kunde, und ungekränkter Haut; sondern aus Fülle, Tiefe, Leben, Leben, und Keimdrang; zum ewigen Weiterleben sind wir aufgelegt; vermögen zu lieben; und begründeter nur wird unsre alte Freundschaft, die nicht altern kann. Einen Tempel möchte ich in ewiggrünem Hain stiften, um für Ihre erneute Gesundheit zu danken; ja, mit Ruhe und Ungestörtheit (Grund- lage aller Pflege) kann man sie wieder erlangen; sogar die verlorne. Auch ich habe noch ein Liebeherz. Ich liebe mit neuer, niegekannter Zärtlichkeit einen reinen Thautropfen des Him- mels, ein sechsjähriges Nichten-Kind. Aber auch in dieser Liebe erfahre ich Störung, Kontradiktion. Und muß meinen Gegenstand oft leiden sehen!! Das Mädchen gehört mir nicht. — Aber das Kind gehört, höheren Ortes her, mir. Mein Blut, meine Nerven: meine Schnelligkeit: herzweich, und herzstark. Vernunftkind nenne ich es; fromme Tochter. Aber sie ist hübsch, graziös: reizend, leichtsinnig: und ganz anders, als ich, Vor Gott und Menschen angenehm. Sechs Jahre segne und pfleg’ ich sie mit allen meinen Kräften. Ich denke in meiner tiefen Überzeugung und Religion: daß das Kind und ich immer wieder zusammenkommen werden. Wie Schönes wußte ich Ihnen gestern darüber zu sagen; aber leider hatte ich keine Feder in der Hand. Nur sov iel in diesem Brief. Den Ihrigen erhielt ich gestern Abend. Von Heine, von allem andern künftig. Sie sollten nur geschwind Antwort haben. Wie ganz kindisch, lieblich Ihre Furcht, Ihre Zweifel! Von mir könnte ich Ihnen nur mündlich Rechenschaft geben: wie ich bin , hab’ ich Ihnen gesagt: wie es mir geht, könnte ich nur erzählen. Wissen III. 29 Sie soviel: noch sind’ ich mich immer wieder; und bin ich nur einigermaßen ungestört, sind’ ich auch einen stillen See in der Seele: Natur, Luft und Wetter fühl’ ich wie zu fünfzehn Jahren; und Menschenseelen auch; wenn ich sie finde. — Ich eile, daß Sie diesen Brief erhalten, und umarme Sie auf’s zärtlichste! Welche große schöne Ursach muß der Himmel haben, uns getrennt zu halten! Ich beuge mich. Nochmals Dank, daß Sie mir schrieben! Ewigen Dank, wie ewige Liebe. Fr. V. 1830. Erbrecht von Ed. Gans . Dritter Band. S. 17. Ei! das freut mich, daß es gesagt wird; nämlich gedruckt; was ich immer sage; nämlich stumm: „Daß es nicht wahr ist, daß das Reich Christi nicht von dieser Welt sei.“ Wohl! dieses lügenhafte, jetzt allgemein wiederholte Geständniß ist Folge lügenhafter Verschweigungen von den Meisten derer, die es ablegen. Die Forderungen der vorgeblichen Religion sind nicht rein, fromm und wahrheitsvoll; und darum ver- weist man sie lieber von unserer nach einer andern Welt. Aber, nur hier, und gleich, soll Religion herrschen. S. 153. Gemeinschaft der Güter ist ein Unsinn. Unsre Güter sind nichts anders, als eine Erweiterung unsrer Person überhaupt. So wenig nun unsre Person gänzlich weggeschenkt oder abgegeben werden kann, ohne Sklave zu werden, eben so wenig können wir unser Vermögen eines Andern Willkür überlassen, ohne sie verloren zu haben. Zwei können keine Summe besitzen, wenn sie nicht getheilt wird. Verschenken können wir jede. Dies eben wird beinah immer verwechselt mit Gemeinschaft der Güter. So, und eben so, kann von unsrer Person, wenn es ein- für allemal heißen soll, nur zwangweise, äußerlich Besitz genommen werden. Durch un- sern Willen und Neigung können wir nur in einzelnen Mo- menten und Gelegenheiten „sie verschwenden.“ An Gentz, in Wien. Sonnabend 11 Uhr, den 9. Oktober 1830. Trübes Regen-Nebelwetter. — Nun werd’ ich Ihnen ein dummes — hier nur dumm- klingendes Anerbieten machen. Mit dem ersten Kourier erhal- ten Sie zwei gedruckte Hefte von mir; worin alle die Apho- rismen von mir sind; genannt: aus Denkblättern einer Ber- linerin. Auf diesen Blättern steht nicht, bei weitem nicht das Meiste, von dem, was ich litt und dachte: aus vielen meiner Lebensjahre genommen: für mich destillirte Essenzen meist aus Lebensschmerzen. Interessant auch für einen, der mich nicht kennt; wenn es nur ein mit einem höhern Verständniß Be- gabter ist. Die erste Frage aber von Ihnen muß die sein: wie so ist das gedruckt? die zweite diese: wie so hier? Nach einer schweren, und gefährlichen, langen, leidenvollen Krankheit im Frühling 29, an der ich noch konvaleszent lag, kam F. desolirt zu Varnh. er möchte ihm irgend etwas zu seinem Journal geben; V. hatte nichts: und fragte mich, ob er das geben dürfe. Mir war es — wie noch — ganz gleich: ja, war die Antwort. Varnh. hat eine Unzahl Sprüche, 29 * Axiome, Stellen aus meinen Briefen all, die er habhaft wer- den kann und konnte, aus meinen Denkbüchern, fein abge- schrieben, und verabreichte F. diese . Sie können sie nicht ohne Interesse lesen; es geht mir selbst so. Jetzt haben Sie Zeit; (wie komisch, bezöge man das Wort auf die politische Zeit) ja Lücken; füllen Sie ein paar damit aus. Es sind innre Bilder von mir: zusammen, ein Bild. Und ohne alle Affektation: aus tiefem Herzensleben, aus stillem Denken ge- schöpft: und gewiß anregend. — Als ein unerwartetes, nie erhofftes Benefiz erschien mir Ihre Erwähnung Heine’s. Ich denke grade wie Sie über alle Punkte, deren Sie erwähnen; finde aber viele vor- trefflich; und ihm noch obenein eine große Gabe des Styls; mit Bedacht sage ich Gabe. Eine von dieser Art hatte Fried- rich Schlegel (ohne seine Kunst und Gedanken); ich nannte das immer: ein Sieb im Ohr haben, welches nichts Schlech- tes durchläßt. Außer diesem hat Heine noch viele Gaben. Auch Varnhagen will, ich soll Ihnen von ihm sagen, er fände seine Verse nicht schlecht, mit noch etwas, was mir jetzt nicht klar ist. V. wird’s Ihnen wohl selbst in bessern Zeiten schrei- ben. — Heine wurde uns vor mehreren Jahren zugeführt, wie so Viele, und immer zu Viele; da er fein und absonder- lich ist, verstand ich ihn oft, und er mich, wo ihn Andre nicht vernahmen, das gewann ihn mir; und er nahm mich als Patronin. Ich lobte ihn wie Alle, gern; und ließ ihm nichts durch, sah ich’s vor dem Druck: doch das geschah kaum; und ich tadelte dann scharf. Mit einemmale bekam ich sein ferti- ges, eingebundenes Buch von Hamburg, wo er war, die Zu- eignung an mich drin. Der Schlag war geschehn: und nur darin konnte ich mich fassen, daß ich schon damals wußte, daß alles Geistige vergeht (nicht so ein zerschlagenes Bein); und sogar bald von Neuem der Art verschlungen wird, ja, das Meiste fast unbeachtet bleibt; thun konnte ich nach voll- brachtem Attentat nichts, als ihm schreiben: nun sähe ich es völlig ein, weßhalb man bei Fürstinnen erst die Erlaubniß er- bittet, ihnen ein Buch zueignen zu dürfen ꝛc. Wir blieben uns aber hold nach wie vor: und Sie haben mir jetzt durch ihn ein großes Kompliment gemacht. Mir gefällt von ihm besonders das eine Seebild, wo er in den Wolken die alten Götter zu sehen glaubt; wunderschön. Leben Sie wohl! so gut Sie jetzt können. — Nun glaub’ ich unveränderlich, da ich noch so jung bin! F. V. Anmerk . Gentz hatte nämlich geschrieben: — „Wie weit ich es in dieser Lieblingsbeschäftigung, Dichter zu lesen, gebracht habe, werde ich Ihnen an einem Beispiel zeigen, welches na- mentlich für Sie nicht ohne Interesse sein kann. — Im vergangenen Jahre fielen mir die Reisebilder von Heine in die Hände. Sie können sich leicht vorstellen, daß ich in der politischen Gesinnung des Verfas- sers die meinige nicht wiederfand; und daß mir überdies manches Un- korrekte, Ultra-Originelle, in dieser Schrift zuwider sein mußte. Nichts- destoweniger las ich die drei Bände mit vielem Vergnügen, weil ein großer Theil der eingestreuten Gedichte (nicht alle!) mich im höchsten Grade anzogen. Erst vor einigen Tagen entdeckte ich sein bereits im Jahr 27. gedrucktes, mir aber bisher unbekannt gebliebenes Buch der Lieder , wovon ein Abschnitt Ihnen gewidmet ist; und früher schon hatte mir jemand — ich weiß wirklich nicht mehr wer? — gesagt oder geschrieben, daß Heine bei Ihnen in besonderer Gnade stehe. Ich ent- schloß mich daher auch sogleich, diese Lieder zu lesen. — Eine gewisse An- zahl wirkte auf mich mit einem unbeschreiblichen Zauber; und an diesen ergötze ich mich fortwährend, Morgens und Abends; sie sind mei- ner heutigen Gemüthsstimmung dergestalt homogen, daß ich mich ganz darein vertiefen und versenken kann. — Wenn ich erst wissen werde, wie Sie den gegenwärtigen Brief aufgenommen haben, und ob Sie mich nicht etwa zum Tollhause reif erklären, will ich Ihnen alle die Nummern bezeichnen, von denen das hier Ausgesprochene gilt. Vor der Hand be- gnüge ich mich, auf ein einziges zu deuten; es steht S. 136.“ Wien, den 22. September 1830. [Nachher schrieb er noch:] „Noch immer labe ich mich an dem Buch der Lieder . In Wien ist nur Ein Mensch, der mit mir über diese Gedichte völlig sympathisirt, der Major Pr., V. kennt ihn gewiß. Mit diesem bade ich mich Stun- den lang in diesen melancholischen süßen Gewässern. Das Gedicht, wel- ches Sie loben, ist mir sogar lieber, als das von Schiller über denselben Gegenstand, so sehr ich dies auch immer bewundert habe. Selbst die, welche an wirkliche Gotteslästerung streifen (wie Götter-Dammerung, Fragen u. s. w.) lese ich doch nicht ohne die tiefste Emotion, und klage mich manchmal selbst darüber an, daß ich sie so oft und so gern lese. Solche, wie in dem lyrischen Intermezzo: No. XXXII. und XXXVII. — möchte ich den ganzen Tag wiederholen hören. In meiner frischesten Jugend war ich nie so auf die Poesie versessen, als heute. Nie würden wir uns besser verstanden haben, und aus vollem Herzen rufe ich mit Ihnen aus: Welche große schöne Ursach muß der Himmel haben, Uns getrennt zu halten?“ — Preßburg, den 18. Oktober 1830. Donnerstag, den 21. Oktober 1830. Gestern ist mir klar geworden (Frau von * wollte das Ballet das Milchmädchen nicht sehen, wohl aber das Stück „Lokalposse“!!! bis 8 Uhr, und dann in eine Gesellschaft , wo sie nichts zu holen hatte, als daß vielleicht irgend Einer von ihr beschäftigt scheinen würde; welches um 9 Uhr auch noch Statt gefunden haben würde), daß nur ein generöses Gemüth Theil an Kunst nehmen und Sinn dafür haben kann. Beides entspringt aus einem Quell. Generös ist nur der, den allgemeine Gedanken zu rühren vermögen: wo nicht seine Per- son nur allein in ihm wirkt, und was sich nur nothdürftig auf die zu beziehen hat. Großmüthiger kann nur der sein, der Allgemeines ergreift, und Größeres; und dies ist auch das Wesen der Kunst selbst; wenn sie noch so sehr zu individua- lisiren scheinen darf; sie hört auf, sie selbst zu sein, sobald sie uns nicht mehr aus genereller Anregung, zuletzt zu genereller Betrachtung führen kann. Heute ist mir klar geworden, daß keine Stadt eigentlich groß zu nennen ist, und wäre ihr Umfang der von Neapel, Paris und London zusammen; Leben und Weben dieser Städte konzentrirt in der Einen; Kunst, Vergnügen und Nützlichkeits- Anstalten noch so reich! Wenn sie nicht Fremde zuläßt, und, als Vorbild, einladet, so muß sie mesquin bleiben, und thürm- ten sich ihre Häuser zu zwanzig Stockwerken, und stiege die Einwohnerzahl zu einer nie gehörten. Alle Bewegung muß auf ein Menschliches bezogen werden können; das heißt hier, auf Allgemeines, alle Menschen Betreffendes: sonst wird alles Bewegen am Ende pagodisch, kinderhaft, lächerlich, bedeu- tungslos. Das, woran nicht alle Menschen am Ende Theil haben können: ist nicht gut: das, woran sie nicht Theil ha- ben sollen : schlecht. Paris und Rom sind die größten Städte wegen ihrer Fremden, und des allgemeinen Interesse’s wegen, welches sie ihnen zuführt. Sie sind nicht vollkommen; fast in nichts: aber bis jetzt noch Vorbild. Eine, für Kunst, gewesene Macht, und Politik; die andere, für neueuropäisches Leben. Freitag, den 22. Oktober 1830. An Gentz, in Wien. Dienstag 10 Uhr Morgens, den 26. Oktober 1830. Feiner Regen in dunstigem Wetter. Gestern Vormittag, Sie Glücklicher, erhielt ich Ihren großen Brief aus Preßburg, — mir aber keineswegs groß ge- nug. Schnell las ich ihn; weil ich seine Einlage gern auf der Stelle abgeschickt hätte; behielt aber doch noch so viel Besinnung, meinen Brief erst zu endigen, da er doch Bedin- gungen hätte enthalten können, unter welchen ich ihn nur abzugeben gehabt hätte. Ich zog mich fertig an; und ging selbst; — und ich ging gestern triumphirend seit einigen Jah- ren wieder zum fünftenmal in der Stadt zu Fuß. — Ich ließ sie auf einen Augenblick zu mir herunter bitten; — sie war nicht da —, ich ließ sie das Nöthige wissen. — Da ich sie nun nicht gesehn habe, so will ich von Kleinigkeiten sprechen, das heißt, von andrem. Auch ich, theurer Schmeichelfähiger! habe Ihre Diktums nicht vergessen, und wiederhole sie wohl täglich — O! welch amüsanten Busen führ’ ich in mir. Das Lebenstheater darin wird immer reicher; nichts vergeht, weil es lange her ist! — Mein Schreiben gliche öfters frischen aromatischen Erdbeeren, an denen aber noch Sand und Wurzlen hingen: sagten Sie einmal; dem bin ich eingeständig. Und nichtsdestoweniger halte ich mich für einen der ersten Kritiker Deutschlands. — Schauen Sie doch auch in meinen tiefsten Busen; ich scheue mich nicht, die Eitelkeit zu zeigen, die ich hege; höchstens ist sie ein Irr- thum; und dem kann widersprochen werden. — Eins muß ich doch noch von meiner Art zu schreiben aussprechen: über das Allermeiste, was darin endlich ausgebildet sein sollte, kann ich — aus innren, und viel äußren Gründen — nicht Herr werden; über eines aber, was man gewiß auch dazu rechnet, mag ich nicht Herr werden. Nämlich, ich mag nie eine Rede schreiben, sondern will Gespräche schreiben, wie sie lebendig im Menschen vorgehn, und erst durch Willen, und Kunst — wenn Sie wollen — wie ein Herbarium, nach einer immer todten Ordnung hingelegt werden. Aber auch meine Gespräche sind nicht ohne Kunst; d. h. ohne Beurtheilung meiner selbst, ohne Anordnung. Ist ein Schreiben, es sei Buch, Memoire, oder Brief eines Andern nur vollständig gehaltene Rede, so hat es für mich immer einen Beischmack von Mißfallen. Die Ausnahmen, wo es Rede sein soll, gestatte ich, wie ein Anderer. Das „Sieb im Ohr“ lasse ich mir durch den edlen Aus- druck „klassischen Stil“ noch nicht nehmen. Solche Natur- gaben existirten vor dem klassischen Stil. (Ich sehe eben, Sie sagten: klassisches Ohr .) Ich glaube noch , das, was ich Sieb nenne, ist nur die Bedingung zum klassischen Ohr. Übri- gens muß ich mich verständigen — wie die größten Philoso- phen über die Bedeutung ihrer Ausdrücke —. Unter Stil ver- stehe ich niemals den Inhalt, sondern nur die minder oder mehr gebildete, geschickte, angenehme Weise, wie der zu Tage gefördert wird. Schon nicht den Plan, oder die Klarheit des zu Sagenden. Dah er lobte ich das fein, und schnell urthei- lende Ohr von Friedrich Schlegel und Heine. Odiöse, schlechte, falsche, grobe Dinge sagen sie beide. Theilen Sie gütigst diese Epithetons unter ihnen gebührend aus! Schön und gut schreiben, ist ganz etwas anders. Das hängt vom Inhalt; vom Bewiesenen oder Ausgesprochenen ab. Von der Seele; was sie will, und hat; vom Geist, und Verstand; was der findet, und jener kann. Vom Urtheil, und seiner Macht , dies alles zu einem Ganzen zu machen. Das ist Ihr Schrei- ben; welches ich wohl kenne; und oft nenne. Gentz, sagte ich vor langer Zeit, und wiederhole es genug, bedarf keines Bildes — welches wir Alle — Jean Paul, und ich an der Spitze — aus Mangel an Sprache gebrauchen; er arbeitet mit klarstem Verstand — Einsicht in seinen Vorwurf — mit größter Sprachmacht : denn, der Stoff, in dem er schreibt, ist nur Grammatik, und Wörterbuch. Nun verdammen Sie mich; aber belehrend; und ich danke passionnément. Adieu! Jetzt fahr’ ich aus. Es war später als 10. jetzt ist es 12. — Heute ist Donnerstag . Wie Sie daraus sehen werden, hab’ ich Ihnen gestern nicht geschrieben; ich dachte Vor-, ich dachte Nachmittag, Fanny sollte kommen. Nichts! — Mor- gen werde ich sie tanzen sehn. Dieser Brief aber wird wohl vorher fertig sein. Graf Mocenigo sagte mir gestern, bis 4 hätte er nur Zeit. Jetzt will ich Ihren Brief nachsehn, und Ihnen noch ein wenig antworten; und dann wahrscheinlich morgen oder übermorgen einen neuen Brief anfangen. Sie haben sie jetzt gerne; und Graf Mocenigo macht sich ein wahres Fest daraus, einen Brief für Sie zu erhalten; wie er denn die Freundlichkeit und Artigkeit selbst ist; und wahrlich, de l’ancien régime, welche Lebensart man so sehr, und immer mehr zu vermissen hat. Es ist ein boutonnement eingekehrt, welches durch nichts, was man auch auffinden mag, zu er- klären wäre, als durch die unendliche Tiefe der Leere, die dies nicht allein erlaubt, sondern erfordert. Ich spreche natür- lich nur von den Mitgliedern der großen Welt: die andern zählen gar nicht: und da hat ein jeder eine andre Original- Una rt; die hauptsächlich darin besteht, keine Art zu haben. Aus diesem Gesichtspunkt haben wir durch die Abberufung des jungen Grafen Rechberg einen wahren Verlust erlitten. In diesem Kreise fast ein Phänomen zu nennen: wir lernten ihn nur seine ganz letzte Zeit in Berlin kennen: ich fand ihn aber einen feinen, und keinen oberflächlichen Menschen; kräftig, und doch mit all der Zurückhaltung, die seine Stellung er- heischt; körperlichen Übungen gewachsen, und ihrer benöthigt, ohne im geringsten die sedentaire Bescheidenheit verletzend; Haltung mit jungem Blut; der Karakter eines Diplomaten, ohne den des Menschen zu beeinträchtigen; und, wie Moce- nigo sagt, ein starker fleißiger Arbeiter. Son chemin est fait: si tant est, qu’il y a un chemin. Mit dieser langen Parenthese, die ich heute schrieb, will ich suchen meinen Brief da, wo ich ihn ließ, wieder aufzu- nehmen. „Der Stoff, in dem er schreibt, ist nur Grammatik und Wörterbuch,“ sagte ich: und von da an will ich fort- fahren. Unter Stoff verstehe ich hier Marmor, oder Palette, Kanevas und Pinsel; dies ist der Stoff für jene Künstler, wie die abstraktesten Worte der zu Ihren Kunstwerken sind. Wohl habe ich Sie gelesen; und werde Sie noch lesen; und mit je- ner Vorrede, die Sie erwähnten, anfangen; und alles von neuem studiren. Sie scheinen keine Vorstellung davon zu ha- ben, was ich mir in meinem langen Leben alles zusammenge- lesen habe! Wenn auch ohne Studienplan; aber mit mehr, besonders anderm Kopf, als Sie mir nur irgend zutrauen können. Weil mein sogenanntes rohes Wesen grade Sie, zu sehr frappiren muß. Für miniatür-gesellige-Verhältnisse, für dunkle Leidenschaften, und Labyrinthe des Busens, hat sie Sinn, und Scharfsinn; denken Sie: sie hat ihn auch für noch viele andre, anscheinend ihr hetenogene Dinge. Und scheut sich nicht , das Ihnen zu sagen. Ich kann Ihnen hier in der Geschwindigkeit nicht mit einemmale ausdrücken, welche Be- wunderung Sie hier im Hause, als auteur genießen, wie wir solches ununterbrochen, überhaupt bewundern, und wie vielen Antheil ich an all solchem habe; so wenig Titel ich dazu habe, welches aber meinen großen Einfluß in meinem großen Kreise keineswegs ausschließt; wohl aber begünstigt. Wir sehen un- endlich verschiedene Klassen: aber die Glieder einer jeden be- quemen-sich gern, ja geflissentlich, Antheil an Geistigem und Litterarischem zu nehmen. (Denken Sie sich ja kein bureau d’esprit! oder ewige Kunstg espräche!!! oder irgend etwas Feststehendes; wohl aber Ausgeschlossenes.) Wenn ich Sie je sprechen könnte, würde es Sie ergötzen, wenn ich Ihnen das Bild meines äußern Lebens gäbe: dergleichen hat wohl noch nie existirt. Zum Schreiben ist es nicht: wenigstens heute nicht. Varnhagen empfiehlt sich Ihnen mit wahrer Ergebenheit, kann ich’s wohl nennen; wenn nur ein wenig Raum entstehen wird, so wird er es wohl in Person thun; mit seiner Feder. Auch er arbeitet unendlich gerne, und ich kann wohl sagen, von allem zu Thuenden dies am liebsten. — Er ist es nicht, den ein Kourier erschreckt; ich bin es: weil ich das viele Schreiben für schädlich halten muß; und das besonders, weil er sich bei seinen aufgetragenen Arbeiten so eilt, wie kein Anderer. — Cela me rapelle un grand travail que vous avez été obligé de faire à Prague, und von dem Sie mir sagten, nie hätte eine Arbeit Ihnen mehr Mühe gemacht. Welch Meisterstück fand ich’s! Keiner hätte dies so gesagt. Ein Krönchen ist Ih- nen Ihr Kaiser dafür schuldig: wenn auch nur von Lorbeer. Vorgestern mußte mir Varnh. die Nummern in Heine’s Buch aufschlagen, die Sie mir angezeigt hatten. Wie heiter muß- ten wir lachen! Ich mit tiefster Rührung und ernstestem Ernst. — Aber Sie wissen ja, wie ein Anatom, wie Sie mit Fanny stehn. Apropos! Sie wollen uns — ihr und mir — unsre große Diplomatie abstreiten. Gesetzt, mit Europa stände es anders, als Fanny und ich voraussetzten: mit der Ausübung von dem, was wir für nöthig hielten , ist es dasselbe: wir haben es ohne nur mögliche, Verabredung vortrefflich exeku- tirt. Aber, Sie schilderten mir Europa — wie ich es nennen mag — in Ihrem ersten Brief anders, als Sie es in Ihrem zweiten thaten. Aus dem ersten mußte ich das Verhältniß für ein Geheimniß halten, und bewahren; im zweiten weiß, und ehrt es die Welt, — in der Sie leben. In jedem Fall wußte ich nicht, ob ich mich instruirt zeigen sollte: Sie woll- ten sogar nur verlangen, daß ich sie nur sollte tanzen sehn. Genug, mein Stolz auf unser Betragen ist nicht gebrochen, und lebt fort in mir. Daß aber Fürst M. solchen edlen An- theil an dem Leben Ihres Herzens zu nehmen weiß, bestätigt mir nur, was ich von ihm dachte; und die herzliche Theil- nahme, die ich an seiner Heirath und an seinem Verlust nahm. Einen wahren Gram stand ich aus, als ich das boshafte Un- glück vernahm. Denn welchen freudigen Antheil nahm ich an seinem jungen Glücke! Dergleichen — was hölzerne Tho- ren lächerlich finden möchten! — sind die wahren Himmels- pflanzen auf der Erde. An was sollte ich sonst Antheil nehmen? — Ich möchte Ihnen zwei belletristische Bücher, die ich Pen- dants nennen möchte, empfehlen: Briefe eines Verstorbenen, heißt das eine kurzweg, oder ein fragementarisches Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich; und dann ein französisches vom Marquis de Custine, einem Freunde von mir: Mémoires et voyages, ou lettres à diverses époques pen- dant des courses en Suisse, au Calabre, en Angleterre et Écosse. Custine müssen Sie den Kongreß-Winter in Wien gesehen haben: er war bei Talleyrand. Der Duc de Sabran ist seiner Mutter Bruder: die herrliche Frau ist nun todt. Wir liebten uns sehr: ich habe den Sohn geerbt; war immer aparte mit ihm liirt. — — Nächstens schicke ich Ihnen ein Gedicht, von dem Sie denken werden, Sie haben es für sich und das Kind gemacht. Es ist von Ludwig Robert, der es für, und von sich, und seiner schönen Frau vor mehreren Jahren machte. Dies ist ein trockener, schlechter, prahlerischer Brief; der nur von mir selbst spricht. Aber Sie können daran, daß ich mich so etwas unterstehe, sehn, wie ernst ich das andre meine, was ich Ihnen sage. Mein künftiger, wenn ich F. werde ge- sehen haben, wird besser sein. ( Il pleut à verse; auch eine Abhaltung.) Sie aber haben mir nicht erzählt, wo Sie sie zuerst sahen, und wie Sie ihre Bekanntschaft machten: worum ich Sie so sehr bat. Adieu! Glücklicher Freund! Bleiben Sie gesund! enthält für dies Leben alle Bedingung für alles Gute. Sie denken wohl, weil ich davon schweige, die großen Ereignisse gehen wie an einer Krähe, oder Taube an mir vor- über? „Weh mir, daß ich geboren ward, sie wieder einzuren- ken!“ sagt Hamlet. Die débâcle zu sehn! sag’ ich. Adieu! à tantôt! Lassen Sie nur nicht nach! Freilich ! „Vor- wärts.“ Fr. V. An Gentz, in Wien. Donnerstag, den 18. November 1830. Mittags 12 Ubr. Sanftes, schlappes, straßennasses, himmelgraues Wetter. Wovon ich wohl abhange: Sie — ich möchte in Hai- nen opfren! — sind gesund: ich nur mit dem rein- sten unhiesigen Wetter befreundet. — Das Publikum lernt erst sie goutiren; ich konnte es gleich. Nicht weil sie Ihr Liebling ist; denn selbst meine Liebe machte mich nur clairvoyante; und die Binde des Amors soll heißen: auch ohne Augen, ganz ohne Augen sieht er; weiß er; und lehrt die Augen sehn. Il est des sympathies, il est des noeud secrets - - das ist das . Dann habe ich noch eine Ehre gehabt. Nämlich meine mit mir aufgewachsene Menschenkenntniß, die noch bei mir aushält. In meinem Billet an die Schöne lobte ich ihren Anzug, und nannte ihn einen „persönlichen.“ Und — wie ich hinkomme — sitzt sie noch, und bereitet der Schwester und sich mit höchsten Händen Ballaufsätze, von Blonden, Draht und Band; geschickt wie eine Fee, graziös als käme es eben aus Paris; und intelligent, wie nur der individuellste Karakter sie erfinden kann. Auch frisirt sie sich selbst, und richtig hatte ich ihren Anzug einen persönlichen genannt. Ich halte ent- setzlich viel auf Anzug: aber gehe schlecht einher; versteh’ es, wie niemand besser. Kann auch schön Rath geben, und wäh- len; im höchsten Sinn; mit genauster Kenntniß der Mode, die öfters losgelassen werden muß, — mise de côté, mais pas ignorée! — Es wird für mich ganz finster in Berlin sein, wenn die Schwestern weg sind; mir gefällt hier kein Mensch! und mit dem Theater ist’s dann für mich aus. Aber Sie, mein Herr, müssen mir nun bald schreiben; sonst schreib’ ich Ihnen auch nicht. Auch ich habe unendliche Geschäfte, und Sie sind gesund, und ich nicht. Bekomme ich einen Brief, so erfahren Sie, was ich über das beifolgende Gedicht denke: und noch viel über Fanny. Aber auch ich trage eine Person im Herzen, wie ihr Andern — mich, — und will wissen, wie Sie diese Person aufgenommen; durch Worte; nicht durch Ausrufungen. In meinen Heften stehn all in mir aufgegangene, und zerschmetterte Frühlinge: wenn auch auf- getrocknet zwischen Blättern; oder als ein Tropfen Essenz, von weitem Feld, und Thal erpreßt! Stimmen Sie ein; und wi- dersprechen Sie: doch in einiges, wenn auch nicht alles Äuße- rungen verdient. — Ich bin stolz, nämlich sehr freudig, daß Ihnen die Hefte gefallen: und ging’ es, wär’ ich noch stolzer auf Ihre Treulosigkeit, die dem Fürsten und der Gräfin von mei- meinem Schreiben mittheilte. — Ich freue mich ihrer fünfund- zwanzig Jahre; jung, zur Liebe; und alt genug, zu Entschluß und Einsicht; ich gönne es ihm, wie ein Gott es ihm gönnen mag! Diese Zeilen schreib’ ich in fortwährendem Gespräch mit meinen drei Kindern, die gefrühstückt haben, mit tausend Prätensionen. Wenigstens mußt’ ich achtmal aufstehn. — Götter! was hätte ich Ihnen zu sagen . Doch Neues. Es wogt in mir, von Gedanken, Meinungen, Ansichten, Ent- deckungen. Goethens Arzt hat mir geantwortet; als er ihm die Nachricht vom Sohn hinterbrachte, antwortete er nur: „Ich wußte, daß ich einen sterblichen Sohn gezeugt habe.“ Er ist wohl. Aber er unterdrückte seine Thränen. Adieu F. V. An Rose, im Haag. Berlin, Dienstag halb 12 Uhr den 22. November 1830. Halb-helles, nicht gefrornes Wetter. Es hat noch nicht gefroren. Was machst du? das möchte ich gerne fragen: und gleich Antwort darauf haben; die Unmöglichkeit davon ist auch eine Ursache, die mich vom Schreiben abhält. Da aber niemand schreibt, so muß am Ende doch ich es thun. Die, welche am wenigsten es kann. Liebe Rose! weßwegen schreibst du gar nicht. Bin ich in irgend einer Kalamität, die zur öffentlichen Kenntniß kommen kann; so schreib’ ich immer zuerst. Jedoch, das ist kein Vorwurf: manchmal kann man nicht schreiben. Mit welcher Anxietät verfolg’ ich Zeitungen und öffentliche Blätter! Frieden wird werden; bin ich seit mehreren Wochen III. 30 gewiß: aber wie hast du die bisherigen Kalamitäten ertragen? Gut in einer Art: denn wir sind auf alles gefaßt; auf je- den persönlichen Verlust: das weiß ich auch von dir. Und erfuhr es bestätigend in der Erzählung, die du machtest von deinem Verlassen Brüssels. — So ist’s auch mit mir — denn , ich habe schon ertragen, worauf ich nicht gefaßt war — nur Eins muß ich dir sagen: physische Gräuel zu sehn, darauf sind meine Nerven nicht gefaßt. Denke also, wie unaus- sprechlich glücklich ich es finde, daß ihr, daß du aus Brüssel warst. Schreib mir ein Wort, in wiefern du beruhigt oder ruhig lebst. Vom Ganzen weiß ich hinlänglich: von deinem persönlichen Leben mag ich wissen. — Mich kann niemand über nichts beruhigen, als meine eigne Einsicht. Leider find’ ich keine bessere: und ich war von Dingen nicht frappirt, die Herren in Erstaunen brachten; weil ich sie kommen sah, wie jemanden, den man an seinem Fenster die Straße herauf kom- men sieht. Liest du die französischen Blätter? Ich. Die Po- litik muß jetzt eine rechtliche werden; darf keine ambitiöse mehr sein; das, dünkt mich, ist der Barometer, nach dem das Wetter geht: umgekehrt: nach dem man es kennen kann. Wir leiden; aber klar und klarer wird der Menschheit Bedürfuiß — und auch öffentlich ausgesprochen. Sogar Nationalstolz soll aufhören: sagte Herr Brougham diesen Sommer, in der englischen Kammer. Ach! wollten doch alle Menschen sich das harte Erdenleben versüßen! wir sind ja Alle in der Klemme und dem Ärgsten ausgesetzt; und müßten uns helfen . Thä- ten’s nur die Einzelnen! und die Staaten wären geheilt. — Wir Alle sind wohl — ich, zu öfters unwohl! — obgleich von dem Zeitereigniß jeder auf seine Weise gestört war. Grüße die Deinigen und auch die Amsterdammer freundlichst von mir. Hättest du alle meine mit dir beschäftigte Gedanken: welche Briefsammlung. Kommst du nicht nach Berlin? Je eher je lieber, dächt’ ich. Hier bei mir könntest du dich aus- ruhen: und viel und vieles finden, was dich beruhigt und er- götzt. Sei meiner treuen regen Liebe gewiß! und nehme den Augenblick wahr, wo du wenn auch nur zwei Worte schreiben kannst. Ludwig Roberts sind auch wohl. Deine alte R. An die Fürstin von Pückler-Muskau. Freitag, den 9. December 1830. Soll ich Klagen führen, theure Frau Fürstin, als Dank für alle huldvolle Güte, die Sie mir zukommen lassen, um nur einigermaßen mein Betragen zu rechtfertigen! Zweimal schon war ich vor Ihrer Thüre; gestern und heute, ohne Ihro Durchlaucht nur wissen lassen zu wollen, daß ich unten sei, so völlig unmöglich war es mir hinaufzusteigen. In einem an Tollheit gleichenden Nervenreiz setzte ich mich in den Wa- gen, ohne nur abzusehen, wie ich meine Treppe wieder hin- aufkommen soll; so verbitterte dieser Gedanke meine Kranken- fahrt. In der Art wie jetzt, glaube ich noch nicht gelitten zu haben. Alle Stunde nehme ich ein Glas Champagner wie Medizin um nicht ohnmächtig zu sein, beim stillsten Still-lie- gen; zum zweitenmal steht mein Platz zum vielgeliebten Bal- let leer. Keiner Freundin kann ich dienen, helfen, ja gebüh- 30 * rend begegnen; die Kinder lasse ich bei Mlle. Wilhelmine, und sehe sie nur Viertelstunden lang. Lassen Ihro Durch- laucht Gnade für Recht ergehn; es ist so schon so arg, daß ich Sie auch nicht ein bischen pflegen, unterhalten, oder Ih- nen etwas Erquickliches erzeigen kann, wie Sie mir ; die Fremde der Hiesigen! Ich müßte Ihnen Fasanen und Ana- nas schicken; vorschneiden, reichen , bereiten lassen! Eine Gnade bitte ich mir aus!! Bestellen sich Ihro Durchlaucht etwas in meiner Bürgerküche! Suppe . Sie soll gut sein. Nennen Sie sie nur. Fische : die Dore sehr gut bereitet. Schüsselfische — zum Beispiel — mit Sardellen; vortreff- lich . Nennen Sie mir etwas ! oder ich erkundige mich nach Ihrer Speisestunde, und schicke ganz allein etwas. Bitte, bitte! Gewiß will, werde ich mich erholen; und klimme dann langsam Ihre Treppe hinauf. In einem großen, korridorrei- chen, schloßähnlichen, sinnigen Gebäude müßten Kolonieen fei- ner Leute zusammen wohnen: alles geheizt, und erleuchtet; jedes Appartement mit einem Portier, das Ganze voller Be- scheidenheit und Wohlwollen, präparirter Lust, und herrlich- ster Pflanzen. Bücher, Instrumente; kluge Freiheit; und höchstens unpaß; nie krank. Dann wäre die Erde eine Station; wo sich’s auf Beförderung warten ließe. Aber so — bekömmt man für schönste Sendungen, bestes Behandlen, feinstes Wohlwollen, — rosa Antworten, auf’s höchste ! Auch ich sehe das Elend ein; und damit will ich noch prahlen: wenigstens zeigen, daß ich’s besser möchte, wie hätte! Befehlen Ihro Durchlaucht über Mlle. Wilhelmine, über Dore, über mich, wenn Sie irgend etwas von uns brauchen können! Alle Menschen sind leidend. Der arme Fürst! Varn- hagen auch wieder zu Hause. Ihre Leute; meine Bekannten: alles, alles. Ich muß bald genesen! Gesund, oder krank, immer Ihre ergebne. Ich schmeichle mir: Sie wissen es! Fr. V. Anmerk . Auf rosa Papier geschrieben. In dem heute angekommenen Courrier français, vom Donnerstag den 9. December datirt, lese ich die Anzeige von Benjamin Constant’s Tod. Ich war nicht aufgelegt, und eingerichtet solches in mir aufzunehmen: am wenigsten, daß er nach heftigen Leiden — après de vives souffrances — starb. Er wird sehr gelobt; und richtig, nach seiner Thätigkeit und Wirkung. Eine seiner liebenswürdigen Eigenschaften ist sehr glücklich in dieser Anzeige benannt; schade, daß sie nicht als vollendeter Hochpunkt all seiner andern hier bezeichnet ward! „L’enjouement ironique qui donnait un grand charmo à sa con- versation,“ — welches ihn aber tiefere Gemüthsbewegungen, wie gerechten Zorn, nicht entbehren ließ u. s. w. Alles ge- recht und wahr. Wie oft hat er mich mit diesem enjoue- ment ironiquo erfreut, ergötzt und unterhalten; wie tausend kleine Rinnen floß es durch den ganzen Umgang, den man mit ihm haben konnte. Er brachte sich stets dem selbst zum Opfer: seinen Geschmack, seine Wahl der Abendbelustigung, all dergleichen kleinere Bestimmungen, und auch Meinungen, seine ganze Persönlichkeit und deren Angewöhnungen: und das auf die anscheinend trockenste Weise; aus Laune, Witz, und Komik, mit den kürzesten Worten. Sein Nachgeben war das Komischeste, was er hervorbrachte: er wußte mit dem klein- sten Worte immer mit Miene und Ton, darzuthun, und auf — sogar großer, Breite zu zeigen, wie das Gegentheil des Be- schlossenen, Beliebten, Gewählten, wohl leicht viel besser sein und besser vertheidigt werden könnte! — er zeigte sich durch- aus gut; gütig: gänzlich arglos, vollkommen liebenswürdig, — aber daß an allem nicht viel läge; und daß, bequemlich, geschliffen und einsichtig neben einander zu leben, die zu be- absichtigende und zu erreichende Hauptsache sei. Leider kamen ihm die wichtigsten Punkte der Untersuchung eben so vor! dies zeigte er immer: und sagte es mir oft: „les questions vitales de toute notre existence.“ Welch liebenswürdiges Gemüth! bei solchen Resultaten aller Untersuchung so gütig und wohlwollend zu sein, und zu bleiben. Er war dabei ste- hen geblieben, daß ihm sein guter Verstand aus allen seinen einzelnen Einsichten das Resultat und die Bürgschaft für die Richtigkeit und Güte des Ganzen schaffen müßte. Das thut kein Verstand, und keine Einsicht, in alles, was wir außer uns wahrzunehmen im Stande sind. Da ist Bruch auf Bruch, Elend, Leid, und Unrecht, und Unverständliches zu sehn: und dies ist allerdings zu ironisiren. Aber in uns tragen wir den Bürgen alles Vernünftigen, Guten, Gerechten, Glücklichen: das Bedürfniß zu allem diesen ist es, das ist der Bürge; der ist nicht zu ironisiren. Von diesem fand ich in dem liebens- werthen Benjamin keinen bewußten Anklang; von dem innern Gott sprach er nie; alles, jede Meinung, alles Mei- nen, stellte er in gleichsam urbar gewordenen Zweifel, dem die Verzweiflung schon wie abgeschliffen war. „Je n’en sais rien, absolument rien,“ sagte er von den wichtigsten metaphy- sischen Angelegenheiten, mit der ironischen Hilarität, mit der man in tollen Zeiten Tagesneuigkeiten aufnimmt; nicht mit der erhabenen Gewißheit, womit wir die „décrets du ciel“ zu erwarten haben. Ewig werde ich es bereuen, daß ich nicht in ein ernsteres, längeres Gespräch mit ihm kam; ich hätte ihm dies alles sagen sollen! Schade, daß sein enjouement ironique aus so tiefer Quelle kam; und daß er da nicht tiefer schöpfte. Wo ist er nun? — Donnerstag, den 16. December 1830. An die Fürstin von Pückler-Muskau. Sonnabend, den 1. Januar 1831. Ströme vom neuen Jahreshimmel heitere, stärkende, frische Gesundheit auf Sie herab, verehrte Frau Fürstin! Mit der genießt man alles; mit der ertragen wir alles, wie wir sollen: leicht, und gelenk, uns immer nach Frischem, Neuem wendend. Dieser gründliche Wunsch, den ich auf große, und neuste Kosten gelernt, enthält alle andre guten; und ist für Sie, und was Sie lieben! Ich habe keinen einzigen Menschen auf der Erde, dem ich gewöhnt wäre zum 1. Januar zu gratuliren; da ich aber Ihro Durchlaucht die Zeitungen zu schicken habe, so dachte ich, vielleicht ist die Fürstin auf Gütern lebend gewöhnt, daß alles ihr laute Wünsche darbringt, und könnte sie ver- missen: und da ließ ich meine laut werden: nehmen Sie al- les, liebe Frau Fürstin, wie es hier steht, dann ist es sehr gut. Den gestrigen Abend brachte ich mit einem Theil meiner Fa- milie sehr heiter zu — die Andern waren es; und dies war mein Theil davon, — lustiges Marionettenspiel, gute Zim- mer, gute Leute, die Kinder, bester Wille: ich aber war hé- bétée von Angegriffenheit; und die Nacht mußte ich heftig leiden: nun komme ich aus einem selbstverordneten Malzbad; und bin wieder in dem Salon, wo ich gewöhnlich die Leiden erwarte. Meine Gedanken sind ernst, aber hoch; meine Stim- mung gut, meine Einsicht über’s Leben nicht bestochen: so fang’ ich noch gut genug, das Jahr 31. an. Verstehn Ihro Durchlaucht nun meine kurzen Wünsche? Gestern Abend wünschte ich Ihnen auch immer, eine heitere, zerstreuende Un- terhaltung. Der gute Wille ist auch erfreulich von Freun- den: darum unterstehe ich mich hier diese Geschwätzigkeit, Ih- nen meine Ergebenheit hochachtungsvoll versichernd! Fr. V. An Frau von Constant, in Paris. Berlin, im Januar 1831. Wenn Sie, verehrte Traurende, in der Entfernung mein Schweigen nicht auch anders deuten könnten, als daß Scham mich abhält, unter den großen Reigen Ihrer Freunde zu Ih- nen zu treten, und Sie gewissermaßen zu zwingen, auch auf mich die Entfernte zu blicken, so hätte ich jetzt noch nicht zu Ihnen gesprochen. Aber, auch eben, daß ich nicht in Ihrem Lande lebe, bestimmt mich, Ihnen unser Beileid zeigen zu wollen. Schmerzlich getroffen waren wir auch hier von die- sem Schlag: da wir hier nicht einmal seine kurze Krankheit vermuthen konnten, weil er noch sechs Tage vorher gespro- chen hatte! Daß er viel litt, hat mich am meisten gekränkt. Den Tod überhaupt müssen wir ja mit dem Leben herunter schlucken. Der ist ein Stein in der Mauer der Unbegreiflich- keit, die uns umringt. Aber Leiden, und besonders Körper- schmerzen, fordern fast Rechenschaft! Nicht ein Wort, was Trost ähnlich sehen kann, theure Traurende, mag ich Ihnen sagen; Sie werden Ihren Schmerz an’s Herz drücken: er wird Ihnen Gesellschaft sein; und vertrautester Freund; mit demselben Recht, und derselben Tiefe, werden Sie empfinden, daß Ihrem Mann ein vollständiges Leben gelungen ist; nach Willen und Überzeugung; und daß dies die anerkennen, die ihm die Liebsten sein müssen; und deren sich in dieser Zeit eine Großzahl gesellt. Ein größeres Monument, als Mei- nung, kann niemanden gesetzt werden; schneller kann kein Rundschreiben in der civilisirten Welt umhergehen! Seinen Umgang, seinen aus lauter Gütigkeit reizenden, und alle Strenge des Geistes geschmeidigenden, werden Sie vermissen, sich ihn stündlich wiederholen; und ihn so fortsetzen. Könnte es helfen, Eingang finden, würde ich, verehrte Frau von Con- stant, sagen: Schonen Sie Ihre Gesundheit! wo möglich: man stirbt nicht : man muß krank leben , wenn man alles in sich famentirt. Ich habe es an mir selbst erlebt. — Ver- zeihen Sie mir, meiner Talentlosigkeit wegen, dies lange Schreiben: ich kann nicht kurze Briefe schreiben; deren Schön- heit Sie uns jetzt bewundern ließen, in denen an den Prési- dent de la Chambre und an den Préfet de la Seine. Nichts fehlte darin; die ganze Organisation Ihres Zustandes war darin: wie in einer Blume, klein und vollständig. Gestern Abend lasen wir sie, Ihre Kousine und ich; sie zeigte sich vol- ler Antheil, liebt sie sehr: und wird Ihnen schreiben. Wir sahen uns mehrere Tage nicht: Varnh. und dann ich waren krank; man hört jetzt zu viel Erschütterndes. Der Nebelwin- ter: und Kranke in meiner Familie; und dies alles bei meiner immer kleinen Gesundheit. Ihre Kousine, ich, meine schöne Schwägerin, wir Alle empfehlen uns Ihnen einstweilen herz- lich und antheilvoll! — Ich bitte Sie, dem ersten besten Freund ein Wort für mich aufzutragen; nur ob Sie wohl sind, und einigermaßen einen ruhigen Tag leben. — Keine neue Versicherung! erinnern Sie sich meiner alten, und der Anerkennung, die bleiben muß, so lange ich lebe. — An Sabina Heinefetter, in Wien. Donnerstag, den 15. Januar 1831. Nein, meine liebenswürdige Dlle. Heinefetter, ich wundre mich nicht , daß Sie noch in Wien sind: wohl aber möchte ich mich wundern, daß Sie nicht noch hier sind, ließe das Gesammtwunder über unser Singewesen irgend noch ein ein- zelnes zu! Ich gratulire dem Direktor und dem Publikum in Wien, daß Sie noch nicht in Italien sind; bin auch damit zufrieden, daß Sie noch nicht dort sind; da ich Sie doch noch fest entschlossen finde, dorthin zu gehn. Lassen Sie sich das nicht ausreden: weder durch Worte, noch durch das größte Applaudissement! Ich weiß, daß dies, je näher dem Lande der Singekunst, desto stärker, und inniger, und lärmender, und in Wien schon sehr bedeutend ausgedrückt wird. Sie sind schon eine erste Sängerin, das haben Sie in den größten Opern, und Hauptstädten, bewiesen, und genossen. Aber in Italien, unter lauter singverständigen Menschen, erschließt sich, in Ihnen selbst, noch ein anderes Singegebiet. Sie fin- den irgend einen großen, alten, fast unbekannten Meister, der Ihnen eine kurze Lehre, eine schnelle tiefe Einsicht über Aus- druck, Aussprache, Rezitativ und Deklamation giebt, auf die man in Deutschland schwerlich, in Frankreich nie käme; der Ihnen etwas untersagt, welches Sie in der Ausübung zwan- zig, dreißig Stufen erhebt; auf einen enormen Berg hebt, von welchem Sie dann als Sängerkönigin regieren. Große italiä- nische Sängerinnen erzählten mir naiv von ihrem genossenen Unterricht, in welchem ich dergleichen erkannte! In unserm Lande aber gänzlich vermisse! — Jedoch Sie wissen das alles: und Sie sind die, welche, eines großen Talents und eben sol- chen Rufs unerachtet, naiv geblieben ist, um alle Tage Neues zu erlernen, so lange es solche gäbe! Mit dem größten An- theil habe ich gelesen, daß es Ihnen in Wien gut geht; und danke Ihnen wahrhaft, daß Sie so gut waren an mich zu denken, und es mir zu schreiben! Alle unsre Freunde nehmen den lebhaftesten Antheil daran. Wir Alle, unser ganzer Kreis, gehn nicht mehr in’s Theater. Nur die Dlles. Elslers sahen wir mit Freuden. Nun mußt’ ich die Tochter meiner Freun- din sehn, Mad. Schröder-Devrient. Euryanthe sah ich von ihr. Gerne wäre ich von ihr eingenommen gewesen; ich konnte ihr aber nur Gerechtigkeit widerfahren lassen. Eine schöne, karnationsschöne Frau; mit schönen Augen: und besonders rei- zendem Profil; nicht schlecht angezogen: den Kopf sehr gut arrangirt; hatte aber zum Kleide Aprikosenfarbe, zu dem blondlichen Teint — das erstemal — an. Spielt innig und gut, für mich aber zu sehr im eigenen Spiel befangen, und mit zu wenig Herrschaft darüber: dies bedingt aber Vortheile, die man bei Andern gar vermißt; als innigen Blick, und gar keine Acht auf Logen, Parterre und Souffleur. Sie macht auch Koups, wie man’s nennt: aber sie kommen zu gehetzt, und doch wie mit zu vielem Bewußtsein; und dann das Ganze, mit dem gesteigerten, sturmgeborenen Nachdruck, den die Fran- zosen gern dulden; sonst forderten, und der das Nüchternste von der Welt ist. Diese Gründe zum Tadel zerrissen mir das Ganze ihres lobenswerthen Spiels, welches ihr Natur erlaubt, und fleißiges Studium einbrachte. Vor dem Urtheil ihres Ge- sangs schicke ich die Erklärung voraus, daß ich gar keine deutsche Gesangmethode anerkenne; sondern nur Eine: die italiänische, die den besten Gebrauch der Organe lehrt; und dann den besten Gebrauch des Gesanges; welcher wieder seine Gränzen in Schönheit, und in dem hat, was er auszudrücken vermag: welches von Franzosen nicht erahndet, von Deutschen dünkelhaft verdreht wird. Mad. Devrient singt nicht in ita- liänischer Art; etwas französirt im Geschrei; aber auch nicht brutal-deutsch: sondern — nun kommt ihr wahrer Ruhm — sie singt zuweilen beim höchsten Ausdruck in einer selbstge- schaffenen Manier; und diese grade möchte ich eine deutsche nennen. Die positive — was man gewöhnlich so nennt, ist eine Gruppe Fehler, und Verneinungen des wirklichen Ge- sangs — sie ist neu darin; sie drückt das Gefühl der De- vrient, ihr individuelles Empfinden aus; in langen, geschliffe- nen, ineinanderfließenden, in solchem Augenblick klarwer- denden Tönen aus. Sehr schöne Momente: die unapplaudirt vorübergingen, aber nicht ihr in Frankreich gelerntes Los- schreien! — Dieser schönen Momente wegen will ich sie mor- gen in Fidelio hören. Ihre Stimme hat Umfang, Tiefe, und Höhe, aber keinen Klang; ist aber lang hinlänglich: sie macht alles, was mit der Kehle gefordert wird, aber es ist nur ge- lungen, wenn es eben erreicht worden; vorher, bin ich nie froh: es gemahnte mich, wie eine Stahlkugel, die ein Künst- ler immer den Berg hinaufzurollen vermag; aber man sieht zu, ob es gelingt: er fehlt nie. Sie hat großen Beifall; und verdient ihn; singt aber zu hideuse Weber'sche, und der- gleichen Dinge bis jetzt. Ich würde an den Pranger gestellt, wenn dies meine deutschen Berliner läsen!!! Wir leben hier in meinem Haufe wie Sie’s kennen, lie- bes Fräulein! Viel zu Hause, viel mit unsren Freunden, die Sie alle grüßen wollen. F. will sich Ihnen besonders em- pfohlen wissen! oft sehe ich ihn viel, oft längere Zeit nicht: er bindet sich in nichts gerne! — Vielleicht schreibt er Ihnen einige Zeilen. Fräulein S. will, daß ich sie Ihnen besonders nenne. Wir lieben Sie Alle! Schreiben Sie mir auch ja wieder ! — Meine Kinder toben bei mir: und wollen auch die schöne Heinefetter grüßen: so nennt Sie Elischen. Ich empfehle mich Ihrer Frau Mutter ergebenst! und der Schwe- ster: und wünsche Ihnen tausend und tausend Glück! Sie gutes Mädchen, Sie Schöne! Daß Sie mir ja schreiben: und ich immer von Ihnen weiß. An Mad. Vallentin, in Paris. Berlin, den 28. Januar 1831. Dicker Schnee, dicker Nebel: nicht kalt. Meiner Handschrift erinnern Sie sich gewiß nicht mehr; aber noch meiner Person. Noch lebe ich, liebe Mad. Vallen- tin, und bin also nicht verändert — ich glaube nicht an Ver- änderung — außer für’s Aug. Von Ihnen hör’ ich oft; und daß Sie auch so sind wie sonst. Gesellig. Fest in sich; gut, klug, menschlich, geschickt, nachsichtig, angenehm. Das kann nur zunehmen. Erst gestern Abend erscholl mein Zimmer von Freundes Lob für Sie: der Präsident war ich; bei mir waren Verschiedene: die Sie kannten, waren Mendelssohn-Barthol- dy’s, Mann und Frau; Henriette Solmar, und Varnhagen. Bis in’s größte Detail wurde mir Ihr Haus, und dessen We- sen — Hauswesen — ausgemahlt; ich liebe Details, weiß alles aus Details, was ich weiß: von unten auf dienen, nenn’ ich das; und, Ihnen sei’s gestanden, ich finde keinen Einen großen Autor, der sie nicht kennt, und nicht davon zeigt; nur mit Urtheil; nicht wie Walter Scott; — bin ich nun vor Ihren Füßen in einen Abgrund geplumpst? — Wenn ich nach Paris komme, freue ich mich recht zu Ihnen zu kommen! und genau zu sehn, wie Sie in Frankreich leben. Erinnren Sie sich noch, Liebe! wie wir hier gesellig immer beisammen lebten? mit so geringem Aufwand, so angenehm, neidlos, und immer neuer Lust wieder zusammen zu sein?! alles zerstoben! — lau- ter neue Menschen: ich liebe die alten zu behalten: und neue zu besehn. Aber Eins liebt man, und das Andre hat man. Jedoch konservire ich mir fast mit Gewalt meine alten Be- kannten: durch Gedächtniß, Liebe, Zusammenhang im Innren, Behandlung, Freundschaft. Als Tugend sehe ich das nicht an, aber als Vergnügen. Und noch eine bizarre Behauptung schließt sich dieser Handlungsweise, diesem Geschmacke, dieser Behauptung an: nämlich die, daß nur treue Gemüthsarten des wahren Wankelmuths fähig sind: nur die, welche Men- schen und Gegenstände stark, beziehungs- und bewußtseinvoll aufzufassen vermögen, können auch leicht Neues aufnehmen, und begreifen. Die Andern leben zwischen Alten und Neuen, in dürrer Treue; oder in strohflammendem Wankelmuth. Wir wollen machen, als hätten wir uns gestern gesehn. Auch ist wenig dazwischen; was abgelebt ist, ist wie abge storben ; nur was wir wollten war sein Inhalt: und das wollen wir noch : also können wir gleich weiter leben; und schon ehe wir uns nur ansichtig werden; schon in einem Briefe. Und also bitte ich Sie hier um eine Gefälligkeit! Antworten Sie mir! Und auch recht kindisch: recht detaillirt. Und bald: und danu sagen Sie mir, was Mad. B. Constant macht: ich schrieb ihr bald nach des Mannes Tod; bat sie, mich durch Hrn. von Hum- boldt oder Sie etwas von sich erfahren zu lassen. Ich habe nichts erfahren. Auch ihrer Kousine, der Fürstin Pückler, hat sie nicht geantwortet. Gar zu gerne wüßte ich wie sie sich befindet: ob ihre Gesundheit nicht gelitten. Antworten soll sie mir gar nicht, bei ihren Geschäften, und ihrer Gemüthsstim- mung. Wenn sie nur nicht voreilig Frankreich verläßt: in Deutschland kann es ihr nicht gefallen: darü ber möchte ich nur gerne mit ihr sprechen. Nicht wahr? Sie sehn sie. Sa- gen Sie ihr das Freundschaftlichste von mir! Wissen Sie gar nichts von Mad. Lercaro? Ich bin ihr noch freundlich gewo- gen. Wenn Sie Hrn. von Humboldt fragen könnten, ob er meinen Brief an den Geschäftsmann des Grafen Astolf Custine abgegeben, leisteten Sie mir einen großen Dienst. Ich habe keine Sorte von Nachricht von Custine; und sollte längst sein Buch erhalten: Mémoires et voyages en Italie et en Angleterre. Schafften Sie mir von dem Nachricht!!!! (Nämlich vom Grafen: Marquis nennt er sich jetzt.) Sie denken wohl, ich thäte Ihnen nicht gerne etwas Liebes? Ohne allen Eigennutz! Ich weiß, wie deutsche Damen in Paris nach deutschen Bü- chern schmachten: hier, Liebe, haben Sie eines: „Die Sterner und die Psitticher,“ es gefällt mir sehr: und das ist sehr viel, weil ich im Deutschen dergleichen gar nicht vertragen kann. Haben Sie die Gnade, und theilen Sie es auch gü- tigst den Damen Goldschmidt und deren Tochter Mad. Fould mit! die ich tausendmal und erinnrungsvoll grüße! Ist Frau von Constant im Stande zu lesen, so geben Sie es auch ihr. Sind Sie gesund? Ich kränklich comme tout; und solchen Moment zum Schreiben habe ich alle drei, vier Monat Ein- mal. Je souffre beaucoup: et quand c’est passé, je l’oublie: reste de santé; mais c’est par trop fort. Nichts als Ge- sundheit erflehe ich für meine Freunde. Varnh. hat auch oft gelit- gelitten; jetzt wieder: alle mögliche schöne Grüße hab’ ich Ih- nen, und all den Damen, und Hrn. Vallentin, meinem Freund, zu bestellen. Ist er’s noch? Ich bin es überzeugt. Sehn Sie Hrn. Champy: est-il guéri de cette Allemagne, de ce Ber- lin? qu’il l’oublie, mais pas tous ses habitants. Herr Frank, der Ihnen gewiß von allen Seiten empfohlen ist, wird Ihnen diesen Brief bringen. Ich bin ihm auch gut. Vom ange- nehmsten Umgang. Unterrichtet, sanft, Diskuteur. Kurz, sehr gut. Schlesier, Gelehrter. Roberts, Bartholdy’s, Henriette Solmar’s Freund. Leben Sie wohl, gesund, vergnügt, ungestört! Ihre alte Freundin Friederike Varnhagen. An Gentz, in Wien. Berlin, Montag Abend 9 Uhr, den 7. Februar 1831. Feuchtes Thauwetter. Geküßt hab’ ich Ihren Brief; nach tiefer Verstummung, regungslos in meinem Bette aufrecht bleibend; aus Rührung, Liebe, Zärtlichkeit für Sie, Drang und Plan zum Helfen, Staunen, Betroffenheit. Liebes , theures — wie es sein muß — ewiges Kind! So wirft sich nur Goethens Tasso Andern hin in die Hände, an den Busen, nur Sie, und die Besten, und ich, wenn ich einen bessern Busen wüßte, als den meinen! ( Großes , hartes, ein noch nie ausgesprochenes Wort.) Sie sind nicht unglücklich; glauben Sie es mir, bis Sie diesen Brief ausgelesen haben. Lassen Sie mich mit dem Unabweislichsten, Wunderbarsten, Schwärzesten anfan- III. 31 gen, mit dem Tod. Sind wir es nicht schon? Ist er wun- derbarer, als das Leben? Dies Leben, mit den innern, gei- stigen Lücken? Dieses zerrissene Bruchstück? Wo er am Ende doch steht? Wer mir durch den dunklen Mutterleib half, bringt mich auch durch dunkle Erde ! Ich will leben; also muß ich auch leben. Mein Lebensgefühl, mein Glücks-, Ordnungs-, Vernunft bedürfniß , sind mir auch die Bürgen für dies alles; wie käm’ ich sonst darauf? diese sind mein Gott in mir und außer mir; mein letzter Win- kel, wo auch mein Tempel und meine Religion ist. Wenn ich jeden Augenblick sterben kann, so bin ich schon todt; d. h. ich lebe todt weiter. Und ich fühle ja mein Leben, und nicht den Tod; wie sträubt sich unser Innerstes bei jeder Probe , wo ihm nur Einhalt, Hemmung gethan werden soll; jeden Widerspruch eines gerechten Anspruchs von uns fühlen wir nur darum so empfindlich, ja eigentlich so unleidlich ! — Gewiß werden wir wieder jung. Herrliches physisches Gefühl: nämlich ganz fertiges, nicht erst zusammengedacht, gemacht, von uns selbst erst bereitet, sondern gleich passend, gehörend zu dem Ort, wo wir zu sein haben: das ist Jugend; darin besteht sie: einschlürfend das Dasein, ausströmend, er- regend wieder ausströmend: und eine neue viel gesteigertere Jugend müssen wir wiederkriegen: in ihr fortleben: und in einer , in einer innern, leben wir schon fort! Und nur viel- behäutete Köpfe können es lächerlich finden, wenn Alte noch wollen, wie Junge. Wollen sollten sie auch nicht? Ist es nicht Erde genug, daß sie nicht können? Soll im Leben ein Oberceremonienmeister wie an Höfen herrschen? Wahrhaftig, das Volk aller Klassen versiegelt sein Leben, und alle Pulse, und ergiebt sich darein; noch ganz voll Sittlichkeitsstolz. Wie stupid sehen Sie auch Alle aus! Über vierzig nicht mehr zu ertragen. Ich will sie auch nicht sehen, nicht kennen. — Sie sind jung, lieber Freund; lieben, sind glücklich, haben eine reizende Geliebte; einen Freund — mich , — das herr- lichste Kindergemüth: alle Ihre Jugendschwächen; wollen Rath und finden Rath; wie vor dreißig Jahren auf meinem Kana- pee, ehe Sie zu Ihrem Vater gingen, um aus Berlin zu ge- hen. Nichts ist verloren; Einkünfte kommen wieder; andre. Die Welt — die olle politische — schwingt sich um: und Sie stehen ihr wieder en face. Nur mißkennen Sie ihre Ent- wickelung nicht so, daß Sie selbst sagen, Sie kennten sie nicht mehr. „Dieser paradoxe Satz wird bald ein Gemeinplatz werden,“ muß man von Hamlet nie vergessen. Es sind jetzt andere Gemeinplätze in Umlauf; nie wird man die wieder für Paradoxe halten wollen. Der Geist der Zeit ist nichts als die jedesmal allgemein gewordene Überzeugung. Horchen Sie da - hin: agiren Sie mit der, durch die ! — Dienstag früh. Ich Ihnen Politik! — Sie, die allgemeine Überzeugung muß Ihnen dienen, sie sei Ihnen ein Instrument. Überwin- den Sie den Abscheu; kommen Sie ihr zuvor: Lenker bedarf eine jede. — Machen Sie face; lassen Sie das Heft nicht aus den Händen, senken Sie Kopf, Feder, — wie Krieger das Schwert — nicht als überwunden: sprechen Sie sich das besonders nicht selbst aus!! und sehen Sie nicht nur die 31 * Unordnung, sondern — eben nach „den vierzig Jahren Ar- beit“ — was die in der Zeit sich folgenden Menschen nun jetzt zu wollen haben. Denken Sie nicht an das, was Menschen ewig wollen sollten: sondern fassen Sie in’s Auge, was Weltwirrwar, alte Sünden, längst Verfehltes nun erlaubt , und wohin eben dies drängt . Im ganzen gewiß auch nach dem, was der Mensch soll : aber maskirt. Scheuen Sie diese Maske wie jede andere nicht! Behalten Sie das Heft in Händen! Sein Sie großartig . „Vous en parlez bien à votre aise!” werden Sie denken. Fanny lebt noch, fragen Sie die; sie war zugegen, als ich aus blauem Him- mel Warschau’s Revolution erfuhr, — Graf Mocenigo kam, und nach halbstündiger Tagesunterhaltung sagte er uns das, — ich glaubte zu sterben . Ein Brustkrampf befiel mich, auf- springen mußte ich, noch bin ich nächtlich krank davon. — — In der Welt fürchte ich nichts so, als Pöbel, Hornvieh, Unvernunft, bis zur Besinnungslosigkeit, und Krämpfen, — ich will nichts mehr als Ruhe. Ich habe längst meinen „Bankrutt“ gemacht; ich könnte nur noch gemartert und blut- arm werden; und hoffe doch . Und nun Sie ! — Ein Len- ker, wenn Sie wollen. Wem gehören denn die Länder, wer sind denn die Regierungen, als solche? O könnte ich mit dem Munde zu Ihnen reden! — Nur eine Frau ! Keine Main- tenon, und keine des Ursins, und doch nähmen Sie einen Rath von mir in Gebrauch. Wie viel sah ich früh ein! wie viel sagt’ ich vorher von den Dingen, mit denen Sie han- thieren. Aber verwesen mußte meine gute Einsicht. Erinnern Sie sich noch, wie Sie mir in Prag erzählten, Sie hätten solchen göttlichen Plan erfunden, solchen herrlichen Gedanken, und, wie Sie ihn dem Fürsten Metternich mitgetheilt, wäre er an sein Bureau getreten, und hätte aufgeschrieben heraus- gelangt, was Sie ihm gesagt? Sie wollten nie sagen, was es war. Es war der deutsche Bund, dachte ich nachher. Da- mals war der gut . Erfinden Sie wieder etwas. Ich zweifle nicht. Verzweifeln Sie nicht: und alles ist noch gut. Lieben Sie denn Ihre Blumen nicht mehr? Nicht Luft, Wetter? Das Gefühl Ihrer selbst, das Wetter in Ihnen? Wie krank bin ich ! Wie gestört! welche Deboires habe ich Dezennien lang verschlucken müssen, welche Leiden! Und Phö- nix nach Phönix stieg empor! Nicht, daß es mir so gefällt ; nicht, daß ich’s annehme : Nein! Nein! Nein! und ewig Nein! Aber ehrlich verarbeitet hab’ ich’s. Ich mag wohl in zwanzig Jahren keine persönliche Satisfaktion gehabt haben. Und weiß es wohl. Und schaffe mir menschliche: durch Theil- nahme, durch Meditation, Einsicht, Schwung, Fröhlichkeit, Güte, Unschuld — je ne parle pas à mon aise. — Und Sie sprechen von vierzig Jahr Arbeit. Genuß war die: und was brachte sie Ihnen ein! Allen Lebensgenuß und Wohlha- benheitsfülle, Geselligkeitsgenuß; Reisen, Garten, Pferde, Anre- gung, Leben jeder Art. ( Ich sollte Ihnen erzählen!!) Wie bescheiden gucke ich aus meinem Winkel hervor und hinauf! Wie tief- und frohsinnig: aber welche Abgaben bekam der Teufel durch meine nun für mich nicht mehr zu fassenden Leiden aller Art ! Me voilà. Ich tröste mich und Sie. Und bin überzeugt, daß es mit zum Erdenleben gehört, daß jeder in dem gekränkt werde, was ihm das Empfindlichste, das Unleidlichste ist: wie er da herauskomme, ist das Wesentliche. Das sind die neuen Eigenschaften, die er sich anarbieten, an- leben kann. Darin, geliebtes Kind und Freund, möchte ich Ihnen helfen. Dies ist diesmal mein Schmeicheln: tiefe Wahr- heit, wie ich sie mir selbst vorsetze. Daß Ihr Herz sie nur erkennt! als aus meinem liebevollsten fließend! Glauben Sie mir noch für’s erste; es wird gut für Sie. Shakespeare sagt sehr klar, klug und erfahren: „Oft ist ein Fall das Mit- tel, desto glücklicher wieder aufzustehn;“ dessen seien Sie ein- gedenk. Ich hab’s öfter gesehen, kürzlich erfahren. Glück auf, lieber Freund! Muth oben! Einsicht frei! Sie können alles zu allem überreden. Wagen Sie das Neuste, die neuste Behauptung. Sie sollen einmal sehen! — — An Friederike Robert. Den 21. Februar 1831. Etsch aus! — Das kommt von Geburtstagsfeiern: das ist die gerechte Strafe, wenn man sich um Geburtstagsda- tums bekümmert. Da haben Sie’s ! Dann wird man angeführt; und wird in einem Jahr zwei älter und wird zweimal angebunden. Es macht mir ein großes Vergnügen, Ihnen dieses Tisch- zeug zu Füßen zu legen; ich konnte seit unsrem letzten tête ‒ à ‒ tête nicht die Zeit erwarten, es Ihnen einzuhändigen, und doch wollte ich die Freude haben, dies grad’ an Varnhagens Geburtstag zu thun, weil Sie sich nach dessen Datum erkun- digt hatten. Aber es hat mich etwas gekostet: auch darum ist mir Weihnachten so zuwider — wie alle Geburtstage — weil man sich der Geschenke so lange enthalten muß; und der Beschenkte sich so dumm stellen muß. Es sind, damit Sie nicht messen und zählen, drei Tisch- tücher, jedes mit sechs Servietten. Ich schäme und freue mich zusammen; daß es nicht mehr ist; und dann wieder, daß ich doch das darreichen kann! Wer hat mir das versprochen ! Wenn Sie aber nur den geringsten Theil von dem Vergnü- gen es anzunehmen haben, mit welchem ich es Ihnen verehre, so kommt es Ihnen doch so schön vor, als ein Gespinnst von Pallas-Athene. Die Blumen darauf sind mir aber zu schnee- artig; darum sprach ich auch Flora an für das Doppelfest! Liebe Rika! ich umarme Sie! Aber lassen Sie sich nicht af- fiziren: ich kenne Sie. Und ist es nicht zu schlechtes Wetter, und Sie ganz gesund , so kommen Sie noch Vormittag. Ihre Fr. V. An Karl Schall. Mittwoch, den 9. März 1831. Glück auf! zum schönen Wetter und zur Genefung. Seit gestern weiß ich von unserm Arzt, daß Sie litten; aber zu- gleich; daß es im Abnehmen — bei mir geht’s ab und zu ! jedoch fahr ich’ diesen Mittag in einer Art verzweifelter Ver- wegenheit aus. — Daß Sie gern allein sind, weiß ich, und goutire ich: aber Blumen sind keine Menschen; unterhalten, und erfreuen ohne die Beilage von Ennui und Mühe, den uns jene, ohne weitre Schuld, immer geben müssen; und welches krank nicht gut zu ertragen. Ich schildre hier mich ganz, und krank: aber da wird wohl ein Nüancechen für alle übrige Leidenskinder mit dabei sein. Ich möchte Ihnen gern etwas Angenehmes erzeigen! Wählen Sie in meiner eingerichteten Küche, unter sehr guter Suppe , Kompott von Kirschen — wie frische — in Bou- teillen eingemacht, eben solche schwarze Beeren. Äpfel- kompott. Birren . Schönen Milchreis , den Sie lieben. Ein schön gekochtes Huhn mit Sauce. Oder was Sie sonst appetiten. Schreiben Sie das Wort auf: aber sonst nichts. Mündlich den Rest. Adieu, lieber Schall! Wenn Einer krank ist, lieb ich ihn gleich doppelt. Fr. Varnhagen. An G .... Den 10. März 1831. Wo nimmst du den Muth zu so viel Feigheit, Solch verbrecherischer Schlaffheit her? — Könnte eine Freundin fragen, Wäre Freundin dir sie noch. Dein zerronnen Herze liebte niemand als dich selbst; Und so hast du niemand denn geliebet. Wie ein Kind zum Munde alles führet, So bist du geblieben kindisch; Ganz im Anfang , dich erfühlend nur geblieben. Überrindet, ausgehöhlet von den Jahren, Die du hinter mit Genüssen schlürftest; Fürchtend immer mehr des Überganges Dunkel. Und mit Recht, möcht’ ich fast sagen; Weil du keine Beute machtest, Zu dem Einsatz neuen Lebens. — Hast das alte auch nur vor dir, Bis du fleißiger geworden. Böses altes Kind! — An Fräulein von R. Sontag, den 31. März 1831. Heute war der letzte Termin, und der Tag wo ich un- fehlbar versuchen wollte, ob Sie annehmen. Aber ein neuer Husten hält mich ab. Zwei Tage schien es besser werden zu wollen: vorgestern begleitete ich eine Dame bis an meine zweite, nicht letzte Thüre, und da schlich die böse Schlange mich von neuem an. So viel von mir; damit ich darauf nicht wieder zurückkommen muß. Hoffentlich haben B.’s und andre Freunde Ihnen bestellt, wie es mit mir war! Sie sind meines Antheils gewiß; wie Sie meine Verehrung und Liebe zu dem Seligen kannten; er war es schon hier: denn wahrlich, sein Element, das Ele- ment dieser Seele war hier schon Liebe und Güte. Lauter gute Empfindungen hat er Ihnen zurückgelassen, keine Art von Sorge; Gott verzeihe mir, wenn ich frevle! er war hier schon selig, und besorgt; wenn irgend jemand uns von dort zusprechen kann, so ist er’s: und heiter, und trostvoll. Was müssen Sie Alle nicht darüber empfinden, wenn ich es schon durchaus so und nicht anders fühle. Der ganz allgemeine Antheil, die große Anerkennung des lieben Vaters, ist für den hiesigen Verlust und Schmerz doch ein großer Balsam. Reich- licher wurde er wohl nie gespendet! Wenn wir uns in den Schmerz des trennenden Todes versenken wollen, betrachten wir lieber das ewige große Wunder des Lebens, welches beides Eins ausmacht; und uns zur tiefsten Unterwürfig- keit leitet, und auf die größte Liebe anweist! Jedes Wort, was ich Ihnen sage, ist zu viel! Auch will ich Ihnen auch nur mein Gemüth bei diesem großen Schmerzensereig- niß zeigen. Die halbe Stadt hat Ihnen ihre Dienste angeboten; ich weiß es. Aber doch könnte es so kommen, daß Sie grade in einem Falle uns brauchten; vergessen Sie nicht, mit welcher Ergebenheit wir Ihnen gern dienten! Gehn Sie schon aus? Ich halte in Noth und Schmerz bei mir immer mit Erfolg darauf, andre Wände zu sehn. Gerne empfange ich Sie bei mir: so still Sie wollen, mit wem Sie mögen. Andre Menschen bleiben lieber gerne zu Hause; ich weiß es. Sie lassen mich gelegentlich wissen, ob, und wann ich Sie sehn darf. Grüßen Sie gnädigst Ihre Frau Mutter, und Fräulein Schwester, denen ich hier Allen mit ge- schrieben. Zweiflen Sie nie an meiner überzeugungsvollen Er- gebenheit. Fr. Varnhagen. Haben Sie vom lieben Bruder schon Nachricht? Der Arme; dem es ein Brief lehren mußte! An Ernestine G., in Paris. Berlin, den 31. März 1831. Vormittag 11 Uhr. Sonne will aus leichtumzogenem Himmel hervorbrechen, und mich dünkt — ich weiß es nur aus dem Fen- ster — heute herrscht zum erstenmale nicht Ostnordwind. Dies haben Sie doch in Paris nicht; nicht wahr? Gestern, meine liebe Ernestine, überreichte man mir einen Brief von einem Herrn, der schon weggegangen war, und es war Ihrer. Dieser Brief hat kein Datum (ein Kapitalfehler). Glück auf, liebe Freundin! Glück auf, daß Ihnen noch etwas reell Positives zur Freude geschehn kann. — Wenn nur die liebe M. ein gutes Leben haben wird! Das Wort glücklich zieht ein Lächlen auf meine Lippen: so weit, sehe ich, bin ich gekommen, in Einsicht deß, was sein kann. Sonst hätte ich geschrieben: wenn sie nur glücklich sein wird ! Ich liebe sie, schon weil ich sie gekannt habe, weil es ein Kind ist, weil es Ihres ist. — Sie kennen mich freilich, meine liebe Freun- din. In meinem hohen Alter bin ich noch die Detail- Liebhaberin . Ich habe mich von unten hinaufgedacht: und arbeite noch immer so. Absoluteste Natur: denn, ich kann nicht anders: und diese Anlage in mir danke ich dem Schick- sal; da es eine Methode ist, der ich meine höchste Zustimmung gebe. Also haben mich die Details der beschriebenen Pariser Anzüge sehr interessirt. Ich sehr für’s erste daraus, in wel- cher Ökonomie wir hier verfallen bleiben; und wie ewig schöpfe- risch, exakt und neu sie dort sind — und wie dies jene ver- bietet; — und wie dies sogar ewig neue Benennungen er- zeugt, die auch schon unterhaltend zu lernen sind. Ich bin der größte Franzosenleben-Schätzer. Wir gehn, wir Deut- schen, in lauter Mitteln , in Zukunft , unter. Ich fühle es heftig; weil ich sehr deutsch darin bin; der gesellige, nur auf Geselligkeit angewiesene, und nach ihr und ihrer Ausbil- dung strebende Franzose will im Augenblick scheinen und sein: scheinen was er ist, und sein möchte. Dringendste Anforde- rung des nun auf Erden einmal gehemmten Menschenthums! Ich verstehe das hohe Prinzip, was in dieser Nation unun- terbrochen, unter allen Gestalten und in allen Augenblicken, fortwirkt: wie ein heftiger Strom, der aus einer Himmels- quelle erspringt, geht dies Prinzip — der dringendste, tiefste Geselligkeitstrieb; wenn man es bedenkt, höchste Menschenauf- gabe — heftig, betriebsam, und manchmal sogar anscheinend listig, seinen ewigen Weg; hell, breit, gemach, edel, klar, sonn- erhellt, über schöne Ebnen: aber auch durch Klüfte, Morast, Höhlen, Gestein, Ruinen, und durch jeden andern Fluß, dem es begegnet. Wer mag die Hemmungen tadeln, und das Anfärben davon, — außer die, die nichts zu sehn verstehen, und ihre Unfähigkeit Nationalität nennen, Patriotismus. — Es sind die der Menschheit . Wenn Sie diesen Inbegriff, den ich Ihnen hier ausgesprochen, bedenken mögen, so wissen Sie alles, was ich von Franzosen und all ihrem Beginnen halte und denke. Theilen Sie es Ihrem Sohn mit. Er weiß doch noch Deutsch? Er kann es seinen Freunden übersetzen. Den jungen Herrn Lascases kann er von mir grüßen: ich habe die Ehre von ihm gekannt zu sein: von Baden her. — Also auch Sie, meine Liebe, haben eine geschwächte Gesundheit !!! Höchstes Leid, höchstes Missen, höchste Gelegenheit zum Be- griff seiner selbst und zu dem Werth des ganzen Lebens zu kommen. Cruel apprentissage! cruel maître que le ciel nous permet! — Aber ich bin beruhigt (und nicht mehr cuisant -un- glücklich wie sonst), so lange ich noch etwas lerne. Nur et- was , nur nicht umsonst: wenn auch nur anscheinend um- sonst — nämlich es kann nur anscheinend umsonst sein: immer aber von oben richtig. Meine Gesundheit ist ganz zer- stört seit diesem Sommer: erschüttert war sie zuletzt von vor zwei Jahren, von einer Schreckenskrankheit; wo mein Helden- körper sichtliche Wunder that: mancher Schreck, und beson- ders Ärger hat mich ganz zerstört, diesen Herbst. Da ich es nicht vermied, war es unvermeidlich. Überhaupt, stirbt jeder an seinem Karakter. Ich ziehe noch immer einen Blitz, wie von Kindheit an, vor. — Ich lese, habe mes petites-nièces um mich, liebe was ich sonst liebte — finde es nur schwer — Luft, Blumen, Feld, Musik, Theater, Tanz, Diskussion, also Gesellschaft; Ordnung, Reinlichkeit, Eleganz, Moden, Witz; Konsequenz , in allem Denken . Sie sehn also, was da zu missen ist! Kurz, wie Sie mich kennen. Sehn Sie mich diesen Sommer, so werden Sie es finden. — Mir ist es auch sehr angenehm, daß Sie in artigen Verhältnissen der Gesellig- keit leben. Sind Sie aber auch dabei ökonomisch? Ich sehr. Aber kein Plöter, kein Hartherz. Ich bin im Winter äußerst selten aus: sehe nur Menschen bei mir: oft häufig, dann we- niger: immer etwas. — Leben Sie wohl; und in der Luft: und sehn Sie Veilchen, so grüßen Sie sie von mir. Wir haben auch jetzt welche im Winter. Adieu! Ihre alte Fr. V. A Victor Hugo, à Paris. Berlin, avril 1831. Sûrement, Monsieur, le sentiment de gratitude envers un beau génie, qui a élevé votre âme, touché votre coeur, étonné votre imagination, et satisfait ee sentiment moral, inné au fond de notre être, ne vous est pas inconnu; de beaux génies vous ont aussi ravi — vous les avez aimés — vous savez que dans cette disposition d’âme on voudrait voir ceux, qu’on admire, admirés et applaudis des autres comme ils le sont de nous- mêmes, ou voudrait surtout leur prouver, qu’ils ont été com- pris, goûtés, par une intelligence qui les a saisis ou devinés. C’est ce sentiment d’admiration presque tourmentant, qui ef- face en moi, dans ce moment, le sentiment de ma personna- lité inférieure et chétive. C’est une femme allemande, qui vous écrit, Monsieur, après avoir lu Notre-Dame de Paris. Quelle conception toute nouvelle! quel démon d’inspiration est allé loger dans votre âme! comme vous avez pris possession de ce chef-d’oeuvre d’architecture! car vous vous êtes fait l’âme de Notre-Dame de Paris; et c’est selon moi, le grand mérite de votre ouvrage, le point de conception tout-nouveau. Aussi ne comprenais-je rien dans le premier volume: je me fachais contre vous, ne voyant paraître aucun personnage! et c’est ce que j’admire le plus aujourd’hui. Votre ouvrage est lui-même comme un grand chef-d’oeuvre d’architecture go- thique, que notre petite imagination ne comprend pas tout de suite, — gâtée comme elle l’est, par toute une atmosphère de préjugés dans laquelle elle vit. — Aussi votre poème, comme ces poèmes architecturaux, est une véritable organisation, dans laquelle la plus grande partie suppose la plus petite, et la plus petite suppose la plus grande, ce n’est qu’une seule et même vie. Telle est l’impression, qui m’est restée à la fin du livre. C’est alors que j’ai pu voir le tout; admirer l’ensemble; le plus petit ornement nous devient alors nécessaire, lorsque nous poursuivons l’idée du tout; les choses les plus essentielles dans cette conception ne se présentent que comme des beautés; et tel est l’effet de tout ce qui est vrai, conçu dans l’innocence et l’intégrité de notre esprit. Tout ceux qui ont encore cette innocence, et qui sont seuls avec leur jugement vis - à - vis d’un livre, aimeront Notre-Dame, et son auteur. Il y a en Allemagne plus de ces heureux que vous ne soupçonnez peut- être, et il faut qu’un de nous sacrifie sa vanité et se donne l’air d’en avoir beaucoup pour vous faire connaître cette pos- térité qui vit à côté de vous: car les étrangers sont à peu près comme ceux qui viendront après nous. Les véritables grands hommes mettent sûrement peu de prix à cette posté- rité tant prônée: mais ils aiment à faire du bien à tout le genre humain. J’aime donc à vous dire que vous en faites beaucoup en Allemagne, qu’ici l’on vous révère et vous ap- précie. L’Allemagne est un pays qui n’a point de centre, point de Paris, qui timbre les gloires; mais sur tous les points de cette Allemagne il se trouve des âmes ouvertes aux beau- tés de tous les genres, qui épient ce qui mérite l’admiration; sans toutefois posséder la grâce qui rend un culte agréable aux dieux. — — Anmerk . Der Brief blieb unbeendigt, und unabgesendet. Weh dem, der mit seinen Einsichten und Gedanken dem Allgemeinen vor ist! Für den kann dies Allgemeine nichts thun: für den wird das nie ein gutes Schicksal. Wie wohl für den, welcher gleich mit ihm steht, oder gar nach! — Der Denkende, in Wahrheit Erwägende erhält ein anderes Glück, muß es wo anders her sich schaffen; nicht durch ein Allgemeines, Vorhandenes. Aber sein Glück selbst ist etwas Allgemeines; nämlich auf das Höchste sich Beziehendes, von diesem Gespendetes, und darum generell in der Anwendung. Hauptsächlich besteht dies Glück der Forscher und Erwäger darin, daß sie einer ganzen Art von Unglück enthoben wer- den: die Erde nicht als etwas Vereinzeltes anzusehn brauchen; und deren Leben und Empfinden mit — wenn auch unbe- kannter — Vergangenheit und Zukunft sich in Zusammenhang vorstellen können: heißt eigentlich, als ein Ganzes. Und die größten Momente des Lebens sind die, wo es auch so empfun- den wird. Solche Momente müssen sich gewiß bis zum hei- ligsten Dasein, dem unantastbaren, immer gleich hohen, stei- gern! — Stiller Freitag, 1831. Beschränkt zu sein, das ist nicht genug; wenn wir uns nicht beschränkt machen können. In Ermanglung deß aber, ist sich beschränkt wissen schon ein großer Besitz. Abends dank’ ich Gott, daß ich nicht mehr Arges, Verwirrtes weiß, und für jedes bischen Kinderunschuld; die kein Defizit einsehn, nach allem wie nach einem Ganzen greifen, und es glücklich so sehen und zum Genuß gebrauchen kann. — Höhere Ge- schöpfe, schöpfe, Wesen, leiden gewiß noch mehr, vermissen mehr; und müssen ihr Glück immer mehr selbst machen. Ja ich kann mir Regionen denken, wo die Wesen nur Andrer Glück be- reiten und Unglück abwenden. Ist es nicht hier schon so? Das reinste geht in etwas über, was für uns Nichts wird. Daher in allen Philosophieen der Punkt, den die unphiloso- phischen, nicht denkfähigen Menschen so leicht lächerlich finden. Leicht ist dies allerdings; aber nicht so, den Philosophen bis dahin zu folgen: und wieder nicht recht von denen, dies Nichts auch noch erklären zu wollen: dazu ist kein Instrument im Kopf vorhanden. Sonntag. Erster Ostertag, den 3. April 1831. ( Mündlich .) „Ich habe mir nun auch eine Grabschrift erdacht. Sie soll heißen: Gute Menschen, wenn etwas Gutes für die Mensch- heit geschieht, dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch meiner.“ — April, 1831. Eine groß-bedenkliche Geschichtsansicht habe ich heute Gelegenheit gehabt mir vorzustellen; — als ich in Familien- angelegenheiten, über manche Glieder der meinigen zu erwä- gen hatte. Als Christus für einen Ketzer, Frevler und Rebellen ge- halten wurde, waren seine Ankläger und Verfolger die Herr- schenden, Betitelten, Uniformirten, mit dem siegenden großen III. 32 Volke Alliirten. Deren Nachkommen aber, die Juden, sind bis heute, durch ihren bloßen Namen, noch aller Schmach Ausgesetzte; und die Nachkommen der Anhänger Christi sind die siegenden Verächter geworden. Der Rest gläubiger Juden hält sich aber noch für alte Aristokraten, und verachtet die ganze Christenheit: auf diese Weise gehen die Juden als warnendes Beispiel umher. Dienstag, den 7. Juni 1831. Den 12. Juli 1831. Gestern war Abends mit andrer Gesellschaft der Vicomte Montalivet bei mir. Ein schöner Jüngling; in dem noch ganz die Jugend herrscht, und vor Feinheit und Schüchtern- heit noch die Gewandtheit nicht heraustreten kann, zu der die Anlagen doch sichtbar sind. Seine Äußerungen, dem Inhalt nach ganz gewöhnlich und mitunter noch fast kindisch, haben etwas Edles, das mehr auf Tiefe des Herzens als des Geistes beruht. Mir fiel das sehr auf, und ich habe das so noch an keinem Franzosen bemerkt. Er wird viel zu leiden haben, wenn er mit dieser Eigenschaft in seiner Welt fortkommen soll; ob es nun darauf hinaus läuft, daß er sie, oder sie ihn zwingt: zu leiden immer. — Anmerk . Der junge Mann endete sein Leben das Jahr darauf zu Neapel durch einen Pistolenschuß, wegen einer Neigung, die während seiner Abwesenheit von Paris jeder Hoffnung beraubt worden war. An Auguste Brede, in Wien. Mauerstraße Nr. 36. Donnerstag, den 14. Juli 1831. Bezogener Himmel, träuflender Regenanfang. Drei Vier- tel auf Eins: Ich ziemlich besser. Nach einem zweiten Spritz- bad, wozu die Vorkehrung ein Schrank ist, der wie eine Schlafbanke aufgeschlagen wird, worauf man sich stellt anstatt legt, und mit dem feinsten Regen begossen wird. Ich nehme es mehr als lau; und werde es morgen sitzend nehmen. Eine Wonne, eine Stärkung! — Ich nehme es klug, nämlich be- hutsam. Nehmen Sie es nie, ohne mir vorher zu schreiben: dann werde ich Ihnen genau, trotz des Büchels darüber, die nöthigen Bedingungen schreiben: sonst hat man leichtlich Au- genentzündung davon; was hier sich häufig zutrug. Aber bloß von falschem Gebrauch. Mir aber können Sie glauben. Dies alles ist Datum des Briefes. Von mir, theuerste Auguste, spreche ich, weil ich mich krank, wie ich war, so sehr hinderte; hinderte zu leben: und zu wirken, wie ich mich gewöhnt habe, mich zu gebrauchen und anzusehen. Fragen Sie Mad. Liman; ich war lange, und längst sehr leidend; und im März bekam ich die Influ- enza dazu, die mich bis vor acht Tagen ganz und gar zum Gehen unfähig erhielt. Kurz, bei mir war sie schrecklich, Fieber, Erbrechen, Husten, Brustkrampf; Ärger, Schreck dabei. Erinnre ich’s mir: ein Wunder, daß ich lebe. Gewiß soll ich. Noch vor acht Tagen dacht’ ich nie wieder gehen zu können: nämlich auf der Gasse. Jetzt fühl’ ich mich wieder dem Sonst 32 * ähnlich . Vorgestern war ich auf der Potsdammer Chauss é e ausgestiegen: und V. schrie mir zu: Nicht so geschwind! Und ich antwortete in Eil: „Ich bin nicht mehr so alt !“ Alles lachte. Aber — das Unendliche habe ich gelitten: auch Lan- geweile. Alles !! Schreiben konnte ich gar nicht ; gewiß ein Jahr. Eben schrie mir V. zu: Nur wenig! ruhe dich! Und er wußte, es ist an Auguste. Gestern, theuerste Auguste, war das liebe Mädchen Mlle. Gley bei mir — den Morgen — Gott im Himmel! was soll ich mit ihr anfangen! Ich fahre alle Tage aus; empfange jetzt nie: wegen Hitze, Fati- gue, Menschenluft. Seit Elslers weg sind, war ich in keinem Theater; jetzt ging’ ich nur wegen dem seligen Fleck, glaub’ ich. Treppen kann ich nicht steigen, Menschenluft nicht ath- men. Nun will ich die Liebe nach einem Garten einladen mit dem Vater. Ich freue mich, daß Sie diesen weichen, erhei- ternden Umgang haben! O! hätten Sie meinen! Und ich denke nicht bei allem an Sie , wie Sie an mich?! Ich freue mich, jetzt zu leben; weil wirklich, reell , die Welt schreitet; weil Ideen, gute Träume in’s Leben treten. Technik, Gewerbe, Erfindungen, Associationen sie auszuführen, die Über- zeugung selbst der Gouvernements, daß das endlich so sein muß, — alles dies erlaubt nicht, so dumm zu sein; die Dumm- heit noch ferner in Spiritus zu erhalten: anders wollte sie schon längst nicht dauren. Allen Vorschub, den legitimen, hatte sie : vergeblich! Einsicht ist eine Pflanze , von hoch her eingesetzt, und eine Witterung muß kommen, sie gedeihen zu lassen; denn sie wartet Tausende von Jahren auf solche, sich — wenn auch nicht uns Menschen — unbeschadet. Wer das nicht mit einsieht , wird submergirt . Sei ihm Gott gnädig! Also — n ist wider die Polen. Gott sei ihm gnädig. Wunder schreiben Sie mir, Wunder aber ist jetzt die Tages- ordnung. — Auch ich, Guste, habe hin und her gefragt, ge- schrieben, wegen Ihrer. Und doch hoffe ich noch. Hier pen- sioniren sie die Menschen, und dann gebrauchen sie sie recht. Ich kann nicht mehr . Adieu! Ewig Ihre treue F. V. Der Brief ist ein bloßer Gruß. Varnh., Roberts, alles grüßt und liebt Sie. Elischen vergöttre ich noch . Von Alexander schrieben Sie mir in zwei Worten göttlich. Alles . Auch ihm sei Gott gnädig! und uns. — Sommer, 1831. Es ist mir von den verschiedensten Menschenarten begeg- net, daß unerwartet die schönste Liebesfreundlichkeit von ih- nen zu mir hervordrang, indem sie meine Herzenswärme er- kannten, und ihr gern eine Innigkeit erschlossen, der man diese Richtung vorher kaum zugetraut hätte. Mit am merk- würdigsten sind mir in dieser Art die Äußerungen des Fürsten Kosloffsky, der den meisten Menschen nur für einen genuß- frohen Weltmann gilt, aber ein ächtes Herz im Busen trägt, und mich aus innerster Seelentheilnahme katholisch machen wollte; und dann die einer frommen Herrnhuterin, gegen die ich wieder als zu weltlich gelten sollte. Ich schreibe mir die Worte von Beiden hier der Merkwürdigkeit wegen zusam- men. Der Fürst ließ mir bei seinem verfehlten Abschiedsbe- such folgenden flüchtig hingeschriebenen Zettel zurück: „Je suis bien aise de ne vous avoir pas trouvée. J’évite des sensations pénibles, et cela en aurait été une pour moi que de prendre congé de vous. Que les bénédictions du ciel reposent sur vous, qu’elles vous soutiennent, qu’elles vous éclairent, qu’elles vous donnent la force de traverser douce- ment le chemin qu’il y a à faire! — Quant à moi, si je n’a- vais pas des devoirs sur la terre, je vous jure, que je n’y tiendrai guère. — Faites que j’entende parler de vous. — Ne cherchez pas le bonheur, car il n’y en a pas; continuez à faire tout le bien que vous faites, continuez à pardonner, comme vous avez toujours fait, et les prières du pauvre comme celles de l’amitié penètrent droit au ciel. — Adien. — K.” Vendredi, 9. juin. Von der herrnhutischen Schwester, die mir bis an ihren Tod eine liebe Freundin blieb, bekam ich einst diese Zuschrift: — „Statt alles was ich Ihnen sagen möchte, erinnere ich Sie, meine Theure, an etwas in Ihren Zeilen im vorigen Herbst: „Warum wir nicht auch in der Ferne hören“ u. s. w. Ich erwiederte mancherlei darauf, — unter andern, daß, wenn Sie durch den Wirrwarr und das Gekreisch mancherlei ver- worrener Töne auch einige einfache vernehmen könnten, — so würden Sie bald wissen, woher diese kämen. Das bezog sich auf einige Verse, die ich damals auf eine leichte Melodie, welche ich sehr liebe, in Bezug auf Sie und im innigsten An- denken an Sie, innigst Geliebte, gemacht, und seitdem oft in meiner Einsamkeit in erträglichen Stunden gespielt und ge- sungen habe. Ich konnte mich immer noch nicht entschließen, etwas darüber klar zu Ihnen zu sprechen, noch viel weniger sie Ihnen zu geben, — aber jetzt ist es Drang meines In- nern. Lotte Schleiermacher. „Deiner Liebe, Freundin, deiner Güte, Deiner Huld und Freundlichkeit, Deinem Ernst, und redlichen Gemüthe, Sei das kurze Lied geweiht! Hör mein Flehen, bitte, lieber Vater. Bleib’ auf ihrem Pilgerpfad Stets ihr höchster Freund, und ihr Berather, Wo sie Hülfe nöthig hat. Deine Nähe stärk’ sie, wenn sie müde Sich der Lebensquelle naht, Dort umweh sie Trost und heil’ger Friede, Den die Liebe ihr erbat!“ Im Oktober 1823. Der Ernst und die Lieblichkeit der guten Meinung in beiden Blättern haben mich immer tief gerührt, und mir viel zu denken gegeben, und wenn irgendwo Menschenzeugnisse meines hiesigen Daseins verlangt werden sollten, möcht’ ich am liebsten solche Eindrücke vorzeigen. An Auguste Brede, in Wien. Mittwoch 11 Uhr Morgens, den 27. Juli 1831. Graues drückendes Wetter; meist mit kühlem Winde; nie nahrhaft, stärkend, wie es soll; wenn auch auf ein paar Stunden: gleich schlägt’s um. Ich höre von allen Orten her das Gleiche: dabei prospe- riren Blumen, Früchte, Gemüse, Bäume. Menschen sollen gelichtet werden; denen thut es nicht gut. Ich habe, und hatte viel zu leiden davon; ich fühlte es den Andern weit vor- aus. So habe ich auch die allerliebste Julie — so nenn’ ich Mlle. Gley — nicht bei mir gesehn, als auf flüchtige zwei Morgenbesuche; und vorgestern eine Soir é e bei Ludwig Ro- bert. Ein liebes natürliches Mädchen, mit edlem großartigen Antlitz. Ich, die ich seit Elslers hier nicht im Theater war, will sie heute im Stern von Sevilla sehn; wenn es mir ge- lingt, im Ifflands-Theater Plätze — bei größter Leerheit zu erlangen; — von dem Seligen und seinen eitlen Luxusein- richtungen leiden wir noch . Und, wie Goethens Tasso, „ver- lieh mir die Natur Worte, zu sagen was ich leide!“ und so sagte ich denn, wie dieser Mann noch uns elig war, und lebte; dieser ! — verdirbt uns die deutschen Theater auf fünfzig Jahre hinaus; der Geruch, den der nachließ, ist für Publikum, Fürsten, und Höfe, und Intendanten, beneblend, betäubend, todbringend; und nur die Künstler gedeihen dabei, die auch Histrionen, Pedanten, Lügner in der Kunst, und im Leben sind; wie der Schöpfer dieser Affektation, in Kunst, ihren Einrichtungen; und in Sitte! Diesen Nachruf erlauben Sie mir meiner Bühnenleidenschaft nachzusenden; was dem Bühnen geheimerath davon gebührt, nehme er hin . Theure Auguste: was soll man wohl jetzt anders sagen, als was wir immer denken müssen: daß der Tod ein Moment, ein Hauptmoment des Lebens ist: daß dies ein Räthselgeschenk ist; Gottes tiefstes Geheimniß; weil es auch den Grund un- serer Erschaffniß enthält; seiner Tiefe nach, auch die größte Beruhigung. Bin ich doch gut , und vernunftbedürftig: wie muß sich das bei höhern Geistern steigern: ich unterwerfe mich in Neugierde — im höchsten Sinne — und im Mangel des Vorstellungsvermögens. Welcher Mangel, bei unsern andern, eine schöne gnädige Gabe ist. Sonst wär’ ich lange vor Cho- lera-Furcht in Krämpfen todt. Dieser Tod , an sich, ist nur der Eine, und der selbe: aber die Anstalten, die Leiden, der Unglücks aufruhr ! — Fest war ich entschlossen hier zu blei- ben, gab jede Reise auf, und tauchte in Gedankenlosigkeit, und des Tags Gewöhnlichkeit — Wellen genug! — unter. Aber da sie rückt und rückt; und so auch die Vorkehrungen; und mein Arzt sie wird behandlen müssen: und alle Leidende abgesperrt werden sollen; nur die Ärzte nicht von ihren Fa- milien: so weiß ich doch nicht: ob ich nicht in wenigen Tagen mit meiner Nichte und den Kindern nach Baden gehe. Varnh. will nicht mit: er kann nicht. — Nun denken Sie sich mich. Ich hoffe auf Wunder; habe ich doch schon welche erlebt. Ja, theure Auguste! „Ruhe“ tritt im äußern Leben nicht ein: und wie kindisch von uns, dies nicht durch einen gründlichen Ge- danken einzusehn, und bis sechszig — ich — auf ein Aparte’chen für sich zu hoffen, arbeiten, denken! Ruhe können wir nur innen gewinnen. Leben und Tod ist dasselbe: hier ist nicht zu bleiben; sehen Sie nur die Deteriorirung an! Ambition muß man gar nicht haben: wie leicht reiset man dann! Durch- aus muß man nicht denken: ich bin der und der. Nichts bin ich. Ein Athem und Gewissensruhe bedürftiger Wurm . Hunger gestillt, und gesund! das hab’ ich in großen Krank- heiten gelernt ; wo mir Luft fehlte; und Essen und Trinken umsonst da war. Liebe für Andre, inkommodirt noch: und einen Punkt in der politischen Welt behaupten wollen. Dies weg: und wir sind rein Gott gegenüber: dies noch da : un- rein. Ich grüße Sie von Grund der Seele. Und bleibe ich dies Jahr leben, sehen wir uns künftiges. Wie kann ich jetzt noch nicht sagen. Schreiben Sie mir dann und wann. Schicken Sie Ihren Brief nur immer Hrn. von Gentz, der schickt ihn mir immer. Sie thun mir einen Gefallen, theures Kind! wenn Sie diesen, so wie er hier ist, einsieglen, und ihn Hrn. von Gentz zuschicken. — Dem Grafen Mocenigo habe ich alles klüglich bestellt: grüße meinen theuren, immer gelieb- ten Freund für’s erste hierdurch: und werde ihm mit erster Muße, und Stimmung antworten. Ich kann heute nicht dop- pelt schreiben, und er sieht wenigstens daraus wie es mit mir ist. Ihre treue Freundin R. — Mlle. Gley will durchaus ei- nen Brief. Ludwig Robert reist Sonnabend mit der Schönen, und auch Guten, nach Baden für’s erste Jahr. Betrübt mich. — An Frau von V., in Baden. Freitag, den 29. Juli 1831. Morgens 10 Uhr. Warmes ängstigendes Wetter mit Feuchtigkeit, und jetzt Sonne. Ich sage, die Krankheiten kommen rein da- her . Es ist seit Jahren , die ich fühle, und leide , die größte Wetterrevolution. Wer giebt Ihnen diesen Brief, theure Einzige? Ludwig, Rike. Ja, die kommen nach Baden: die bleiben dort. Ich gratulire euch Allen. Und — unmöglich ist es nicht, daß wir uns diesen Herbst noch sehen. Kommt die Cholera nicht her, so mache ich noch eine Reise. Fragen Sie Robert, Rike, aus, die werden Ihnen alles von der armen Rahel sagen. Unglück- lich ist sie nicht. Die Zeit ist vorbei. Sie glaubt und hofft nicht mehr auf Glück: kennt die Erde, und was sie beut, und bieten kann; sie ist aber glücklich, glückselig, wenn sie nicht grade gequält wird. Und flammend glücklich, sich in dem Zustand zu befinden, Sie alle Jahre besuchen zu können; wenn vom Himmel herabströmende Seuchen es nicht verhin- dern wollen. Denkt meiner; ich bin bei euch. So auch noch nach meinem Begräbniß. Ein Traum; ein Schwindel: keine Hand hält die Vergangenheit, sie rinnt durch; keine greift die Zukunft; sie ist nicht da. Aber die Ewigkeit ist da: in den wirklichen Lebensmomenten, in Leidenschaft, in Zorn, Liebe, in edler Überzeugung, und ihren Wirkungen, haben wir sie ganz; darum handeln und wollen wir auch in solchen Momenten ohne Rücksicht auf Zeit; darum Glück und Leid der Liebe un- endlich. Verstanden? Ja. Lesen Sie’s Robert. Meine Ein- verstandene! Naturfreundin. Wahrheitstochter, die auch mich dafür erkannt hat. Adieu. Bei allen Gelegenheiten denke ich an Sie: rufe Sie laut in Gärten, bei Blumen und Stau- den, Wipfeln, Himmel und Scheinen. Solche Gebete hört Gott; — sie kommen bis zu ihm. Die Wahrheit und Natur erkennen, sind seine anerkannten Kinder; sind Geschwister: und, ich denke, bleiben zusammen. Adieu! Adieu! An Ludwig Robert, in Baden. Königs-Geburtstag, 10 Morgens 1831. Eben Sonne durch Wolken und Rest von Dunst, nach unendlichem Regen; von 7 bis wieder 7; als sollte er das Pflaster aufreißen. Und dieser ist die letzte Veranlassung, daß ich heute schreibe. Nämlich; es kommt gewiß dies Jahr Wasser von den Bergen, und dies früh: miethet also ja hoch. Daß man die Angst nicht noch hat. Ihr habet in Fulda, oder wo ihr auch seid, gewiß denselben Regen, jetzt ist in unserm Welttheil allenthalben dasselbe Wetter. Was sagst du zu dem Auflauf in Königsberg? Wie ich vor acht Tagen sagte: sie lesen’s in der Zeitung und machen’s nach. Mir abgestritten. Richtig geschehen. Lies die Staats- und Spener’sche von gestern da- tirt. Kein Spaß! das geht nun weiter, wie Hepp, Hepp. Aber unsre Verbrecher sind es wirklich, und verdienen zur Besinnung bringende körperliche Strafe. Denn, ich behaupte in unserm Lande ist kein Einziger so zurück, daß er glaubt, man wolle ihn von einer Behörde aus vergiften, oder dgl. Also ist es Lug, Bosheit, Ausgelassenheit: und das nach diesen Warnun- gen, und gütigen Anstalten, bei Gefahr solcher Noth! — — Lasse dich nur nie wieder mit einem hiesigen Theater- direktor ein. Dieser Abschied beim Komödien-Chef sei der letzte, dann wird er mich ewig freuen. Ich werde versuchen, wegen meinem König , heute das Schwere zu vollbringen! in’s Gen- darmenmarkt-Theater zu gehen. Die Schwüle ist zum Er- sticken. — Die Stadt, la ville et la cour, ou plutôt la cour et (donc) la ville, ist in Bewegung über — — — Das ist das Schlimmste nicht: aber die Gräser, die Wasserpflanzen, alles schreit mit, und nach. Täglich wächst der alte Unfug in solchem Maße , daß ich mich doch noch wundern muß!!!! Und alles gelangt an meine Ohren. Alle spreche ich : alle reden zu mir. Alle Klassen ! Wenn ich sterben muß, denke: sie hat alles ge- wußt: weil sie alles kannte; nie etwas war, nichts beabsich- tigte, und alles durch Nachdenken siebte, und in Zusammen- hang brachte; sie verstand Fichte; liebte Grünes, Kinder; ver- stand Künste, der Menschen Behelf. Wollte Gott helfen in seinen Kreaturen . Immerdar; ununterbrochen; und dankte ihm für diese ihre Beschaffenheit. „Das war dem alten Dra- chen seine gute Seite.“ An Ludwig Robert, in Baden. Montag, den 8. August 1831. 12 Uhr Mittags. Windiges warmes Sonnenwetter nach einem Gewitter, von welchem ich gestern die Zeit unmittelbar nachher benutzte, und um halb 7 nach Schöneberg fuhr. Sehr schöne Fahrt; die Kinder waren nicht mit; sie fuh- ren mit den Eltern — so hieß es — oder auch nicht; denn, andre Leute fahren nicht im Regen ab, wie ich: obgleich ich den unendlichsten Spazirgängern und Fahrern begegnete: und eine Unzahl wunderschöner Mädchen rückwärts. Mit uns war Hr. Poley. Wir tranken den schönsten mitgenommenen Kaffee mit Pretzel im letzten Wirthshaus in Schöneberg; und fuhren, nach einer Fußpromenade gegen Steglitz, — göttlich ! — zu Henriette Solmar. — Auf dem Steglitzer Weg fuhr auch Mad. Spontini mit dem großen Meister ohne Bedienten klug spaziren: sie ließen halten; ich trat an den Wagen: sie be- dauerten unendlich, daß sie mir zu des Königs Geburtstag keinen Platz mehr in ihrer Loge zu geben hatten; sie hatte mir geschrieben, daß sie dem Grafen schriebe: aber es war vergeblich: nie — so hörte ich schon, soll es so voll gewesen sein. Ich aber hatte das Glück, Spontini’s Festmarsch und Chöre im Blumengarten den Tag nachher vollkommenst zu hören, so — daß applaudirt und bravo von achthundert Menschen geschrieen wurde, Viertelstunden applaudirt: bravo Spontini. Das erzähle ich ihm: zum Lohn, daß er mir von Roberts Rede erzählte, — was ich schon wußte, — daß sie mittendrin — nie geschehn — applaudirt ward, und einen Jubel hervorrief: auch soll sie der Redner vortrefflich gespro- chen haben. Spontini erzählte mir dies alles mit enthou- siasme dreimal. Ich ihm wieder seinen Triumph: auch nie gesehn: in einem Garten unter freiem Himmel. Winteropern- Applaus! Wie spielten aber die Menschen! Alle Geigen glaubte man zu hören, und doch waren es nur Blasinstru- mente, die Militairmusik. Wäre der Taback nicht: so hätte Paris nichts Schöneres aufzuweisen: ein Gedränge schöner Damen: olympisches Wetter: Meere von Blumen! Wir und Horns bis 10 Uhr dort: und ich dann zu Fuß nach meiner Mauerstraße. Bartholdy’s und Hensels waren auch dort: enchantirt : N. sah meinen Bedienten stehen, und da kamen sie herein: er, der zu Biere gehen wollte, wenn die Frau noch Einmal mit mir dahin wollte!!! brachte sie nur selber hin! Zum Glück war der englische Gesandte, und auch Da- men solches Schlags da; solche, die sie nicht kennen, nicht anreden dürfen, aber nennen , müssen ihnen den Ort erst legitimiren! Ich hörte den Triumph deiner Rede schon von allen andren Seiten erzählen. Euer Brief aus Weimar hat großes Ver- gnügen gemacht. Von der Bouillon schreiben Sie mir nichts: die hab’ ich Ihnen aus meinem Herzen geschnitten: habt ihr sie genossen? zum Verwahren gab ich sie nicht : nur zu un- terwegs mit einem Setzei. Die Traube in Wittenberg mit den ledernen Matratzen empfahl ich ; und nun sollte ich „das ge- sehen haben.“ Den Zander, den vollkommenen, kenne ich auch, und sehr vortreffliches Bier. Auch daß Sie um 5 Uhr ankämen, sagte ich Allen. Ihre Zahlungen werde ich leisten, und sie mir erstatten lassen. Nun gratulire ich nochmal zur Reise, zu Baden; und empfehle mich. Varnh. grüßt schön. Wir sprachen immer von euch — ich sehe so oft euer Haus — und ausgemacht blieb ihm, und durch ihn, daß du ja jeden Augenblick wiederkommen kannst, und sollst. Es sei kein Dementi; es sei ein Glück , Orte nach Belieben wechseln; ganz ohne Rechenschaft an An- dre. Scheue nur die Kosten nicht: es sind keine. Beim Jo- chid. Du weißt schon. — Ich schreibe im Salon, wo wir immer Thee trinken. Alle Meubel stehn ganz ruhig, und weinen nicht. — Wenn man mich nicht grade ärgert, bin ich ganz vergnügt. An Frau von ☉ ☉. Mittwoch, den 10. August 1831. Theure Frau von **! Ich brauche zu dem freudigen ge- nußreichen „Anerkenntniß Ihrer“ keine „selbstverlängnende Großmuth!“ Wenn ich Sie aber zur Entwickelung Ihrer Anlagen, und Ideen gereizt habe, so ist mir nur immer wenn dies ausbleibt verwunderlich, und der immer neu unerwartete Beweis, daß der, mit dem ich umgehe, keine Anlagen, keine Ideen zum Leben hat: bei Ihnen erwartete ich aber das, was Sie mir sagen: für welche Äußerung ich erfreut danke! — und war dessen gewiß. Im wirklichen Umgang ist dies ge- genseitig; und für diese Seltenheit, die es so leicht nicht sein könnte, hielt ich den unsren. Daß Sie mich aber nicht mehr sehn sehn wollen, bleibt mir ein Räthsel. Ich glaube fest, Sie könnten in meiner Gegenwart so unschuldig bleiben, und sein, als in Schl.s: höher wenigstens kann er die Unschuld nicht schätzen; verwandter ihr nicht sein; ich halte sie für die ein- zige Tugend: ja, noch mehr! Ein denkender, wahrhaft den- kender Mensch, kann sie gar nicht verlieren; Besinnen schafft sie immer wieder. Was wäre das auch für eine Unschuld, für eine Gabe, die sich verlöre ! Sie waren schon oft ein „Spatz,“ ein „Kind“ in meiner Gegenwart, warum sollten Sie es nicht noch sein können? Junge unbefangene Herzen, von Schl. erzogen, die Ihnen die Mittheilung nicht versa- gen, können Sie bei mir nicht finden: auch nicht Schl.s hohe, milde Gaben, Einwirkung und Mittheilung: das weiß ich, tief, hinlänglich, und bestimmt; und längst, längst. Alles dies aber müßte Sie nicht dispensiren, auch mich ferner zu sehn. Müssen Sie denn nur allein Vortheil von einem Umgang, wie der unsrige sein könnte, haben? Und gehen Sie wie Schmarotzer nach dem besten Din é , und versäumen gleich die Menschen, die Ihnen nur ein mindergutes bieten können? Warum wollen Sie mir nicht auch ein Gebündchen mitbrin- gen, und Freude an meinem Genuß, an meinem Gedeihen haben? Sie thaten es sonst, und gaben reichlich, reichlich! wie nur allein Sie zu geben vermögen: und gewiß, angenehme Freundin, es kann der Begabteste Ihre reichen, hohen Ei- genschaften nicht höher ansehn, und schätzen, als ich es stumm, und auch beredt, thue; Sie nicht so hoch aus aller vulgaren Beurtheilung hinaus stellen; größeres Ergötzen, im III. 33 höchsten Sinn, an den Thaten, an dem Strom Ihres Geistes haben. Muß auch bei Ihnen, dennoch ein allgemein gel- tender Titel die Güter stemplen, die Sie auf der Erde ge- funden haben? Muß ich berühmt sein? Geschrieben haben, zu einer Sekte gehören, gepredigt haben, einen geistlichen Ti- tel besitzen? Von der Welt genehmigt sein, um Ihre Freun- din, Ihr Umgang zu bleiben? Was hat Schl. — um den höchsten zum Exempel zu ziehn — sonst als Freund vor mir voraus! Er wird sagen: nichts. Außer Kleinigkeiten, Nüan- cen, die ich auch wieder voraus habe. Warum soll ich grade lügen, wenn ich mich selbst beurtheile? Ich fände dies un- würdig: und solches muß in der gesitteten Welt aufhören. Irren kann ich mich gröblich: und dann, fordre ich von mei- ner Freundin, mir Gutgesinnten, Berichtigung. „Was konnte also wohl dies plötzliche Auseinanderreißen unsres Verkehrs veranlassen?“ — Das fragen Sie ? Das ist, verschüchterte Freundin, was ich frage; und zu fragen habe. Ich bleibe überzeugt, Sie kommen wieder, und kehren sich ab von dem falschen Vorhaben, von falscher Scham erzeugt; und also von lauter falschen Gründen gestützt; die ich nie anerkenne! Was hätte wohl unserm Umgang die Unschuld geraubt, rau- ben können? Sie sind lange nicht gekommen: ich freue mich ja Ihrer Freiheit; die ich begehre, die Sie sich schaffen, die Ihnen — könnte dies sein! — mehr als jedem Menschen gebührt: kämpfen würd’ ich für dies Ihr Gut: aber ganz sein Opfer mag ich nicht werden; und noch dazu, zu Ihrem eige- nen Schaden. Sie verlieren so viel an mir, als ich an Ih- nen; wenn wir uns nie wieder sehn wie vormals. Einem Irrthum mag ich nicht mit dem Besten, was ich habe, die- nen: weder aus Trotz, noch heuchlender Scham; sei es meine eigene — wenn ich schweige — oder Ihre, wenn Sie weg- bleiben . Schl. kann mich nicht ersetzen: eben so toll wäre es, wenn ich ihn zu ersetzen vermeinte: Können Sie zwei solche Freunde nicht ertragen? Lassen Sie sich von ihm be- leben! anfachen, bezaubern, erhöhen, stärken, ergänzen! Glück auf! für beide: dazu hat der Mensch Sprache, Mittheilung: das ist der Musterumgang. Der, den wir Alle, unter den hideusesten Masken sogar, suchen; nach dem alle Kreaturen schmachten; mit dunklerem, oder hellerem Bewußtsein; der, den ich Allen bereiten möchte, und Freunden — in meiner Schwäche noch — am meisten gönne: schwelgen Sie in die- sem Glück, in diesem Fund: aber lassen Sie sich nicht über- wältigen; nicht vernichten; entäußern Sie sich Ihres Ur- theils nicht. Wenn Sie thun, wie Sie mir schreiben: so machen Sie sich gewissermaßen somnambül, und kennen nicht mehr Ihren Besitz; sind wie krankhaft auf einer Weide, die Ihnen schmeckte. Fragen Sie den Freund selbst, ob er nur so zu wirken wünscht; oder an höhere Aufnahmfähigkeit nicht auch höhere Ansprüche haben muß, und hat. Sommer, 1831. — So lieb’ ich von Staatsgeschäften reden zu hören, wie Hr. von Henning sprach, und ich es zufällig mit anhörte. Ich dachte gleich an den wackern Holländer, der mir vor vie- len Jahren einmal so gut gefiel, weil er, nach vielen Phrasen der Andern über damals beliebte Streitpunkte, so die Ver- 33 * sammlung anredete: „Meine Herren, ich überlasse Ihnen diese wichtigen Gegenstände ferner in’s Reine zu bringen; ich mei- nestheils muß ihre Aufmerksamkeit nach einer ganz andern Richtung erbitten; ich werde Ihnen nicht von der Verant- wortlichkeit der Minister, nicht von der Preßfreiheit, nicht von monarchischen oder republikanischen Prinzipien sprechen, aber ich muß Ihnen von Schiffen sprechen!“ So redete Hr. von Henning ohne weiteres von den Sachen , und ich verstand es gleich; sein Bericht war klar, bündig, nichts überflüssig, und ganz hinreichend. So zeigt sich der ächte Beruf immer, ganz unbefangen und ungesucht; und ich begreife nicht, wie man den oft so lange vor Augen haben, und nicht erkennen kann. Bei so großem Bedürfniß und eingestandenem Man- gel, grade in diesem Fach! An Rose, im Haag. Dienstag, den 22. August 1831. Bewölktes Wetter; bald Sonne, bald keine. Nordwestwind; contra choléra! Lasse dich grüßen, liebe Rosenschwester! Meine Angst wegen der Seuche geht noch an. Unser ganzes Dasein ist ein ununterbrochenes Wunder; wir sind immer, und Alle, à la dis- crétion du bon Dieu. Todesnöthe habe ich schon oft ausge- standen: erst diesen Frühling an der Influenza. Bis tief in den Sommer hatte ich keine Kräfte zu reisen: später näherte sich das asiatische Übel: all mein Reisegeld muß ich zu Vorberei- tung für mich, und meine bekannten Armen anwenden: die Hälfte habe ich hier schon für Miethswagen ausgegeben; und Gott muß man noch, sich freuend, danken, daß man das kann. Er hat uns durch den dunklen Mutterleib geholfen, auch durch dies Dunkel werden wir kommen: todt oder leben- dig. Sterben muß man ja doch. Leiden gebären sich auf der Erde immer von neuem. Gott gebe uns gute Gedanken!!! Meist habe ich sie. Heute schrieb ich Ernestinen, ob sie keine Nachricht von dir habe: und ob Louis im Krieg war; da kam Ferdinand Abschied zu nehmen, weil er morgen Abend zu dir reiset. Nimm diese Zeilen als tausend freundliche an! Viel Zeit habe ich nicht: Decken, Medizinen, Speisevorräthe, alles besorge ich; Holz, Kohlen ꝛc. Ich bin Mann und Frau in meinem Hause. Männer sind Prinze: wir die Haushofmei- ster, Kammerdiener, Tresoriers, und Mägde. Auch , à la bonne heure! je mehreres man sich annimmt, je weniger thun die Andern; so auch die Domestiken: habe man sie auch: man muß für sie sorgen, und statt ihrer selbst. Ich weiß, daß du in demselben Fall bist. Aber deine liebenswürdige Schwieger- tochter wird dich unterstützen. Ich wünsche dir Glück deßhalb aus ganzem Herzen: sie ist eine Grazie, eine Grazie mit den we- sentlichsten Eigenschaften. Ich bin verliebt in sie: und ich gönne dir dies Glück! Wenn Ferdinand schreibt, schreibe mir auf ein dünnes Zettelchen ein Wort. Theure Rose! Zu sechszig geht’s mir noch wie immer: was ich mir eigentlich wünsche, auch in Tagessachen, und häuslichem Besitz, habe ich nicht : immer Andre befriedigt — nicht aus Güte : ihre infame Gesichter nicht zu sehn! — Aber ich hoffe auch nicht mehr: also viel ruhiger, als sonst. Nur Ärger kann ich nicht ertragen: keine Bosheiten. Ludwig Robert ist Gott Lob! nach Baden abgereist: da- hin wollte ich auch: aber Varnhagen wollte nicht mit! — !!! Nun sitz’ ich hier im Elendsmuß. Gott ist klüger als wir. Vielleicht geht’s auch glimpf vorüber. Alles fährt, läuft, thea- tert, dinirt. musizirt hier wie immer: ich auch. Du sollst jetzt Nachrichten bekommen: sei auch unbesorgt! Grüße Charles, Louis, deine Tochter. Varnh. grüßt euch Alle herzlich! Und wenn wir uns sehn künftigen Sommer, wollen wir recht la- chen. Und noch mehr an die Armen geben. Gott befohlen. Theure Rose! Wisse, daß man zu sechszig auch noch wie zu dreißig und zwanzig ist: und so gewiß auch nach dem Tod. Adieu! adieu! Hast du mich gekannt, so kennst du mich. Deine alte Rahel. An Ludwig Robert, in Baden. Donnerstag, den 8. September 1831. Schönes Wetter. 11 Morgens. In meiner Wohnstube. Zehnter Tag der großen Krankheit. Besinnungskrankheit nenn’ ich’s. — Ich will mich wenig- stens besinnen — besinnen sollen wir uns: dazu will ich sie anwenden; die dummen Phrasen immer mehr auszurotten: „Ich muß doch nach meinem Stande leben,“ und solche unsinnige Sünde mehr: „Der hat mich so traktirt, nun muß ich ihm auch so und so viel Gerichte und den und den Wein geben.“ Das sag’ ich Ihnen, liebe Rike, die Sie diese Tendenz, theils aus Generosität, theils aus schlechter Ambition haben. Lassen Sie sich im Badischen nicht von der Wohlfeilheit verleiten zu traktiren, und die Sitte Berlins dorthin zu verpflanzen; ich weiß , es ist schön so aufzutreten; aber man muß es sich verbeißen; um nicht in Sorgen zu verfallen, — die wir nicht ertragen können, Roberts, — um ein Restchen zu großen Üblen zu haben. Ich darf mit dieser Lehre auftreten: ich habe sie geübt: ich lebe hinter meinen Bekannten gleichen Vermögens: und recht gern ! bin aber jetzt so glückselig beistehen zu kön- nen, wie die meines Vermögens, mit Weinkellern, Din é ’s, Vasen, Bronze, und Blonden, Livreen ꝛc. nicht können, und nicht thun; und bin für uns selbst auch in keiner pekuniä- ren Sorge. Plötzlich kann freilich jeder Vermögensverlust ein- treten: dann aber ist’s ein großer Schlag; der Hülfe oder Tod mit sich führt: oder langsames Erholen in gutem Beneh- men und richtiger Gesinnung. Vielleicht mache ich mich sehr verhaßt durch diese Worte; ich habe sie lange überlegt und erwogen: und sie doch hierher gesetzt: jetzt oder nie, muß Wahr- heit hervor; die immer vor sollte, wären wir Alle, und ich an der spitzesten Spitze, nicht strafbare Verzagte, Poltrons. Erst wollte ich das über Ökonomie in einem nur Ihnen zu- kommenden Brief allein schreiben: aber dadurch hätte es ein ernsteres Ansehn erhalten: Sie hätten nicht gewußt, zeigen Sie ihn, zeigen Sie ihn nicht: hätten sich agitirt, hätten viel- leicht Krämpfe bekommen, und Robert hätte mein Meinen erst dadurch erfahren. So werdet ihr meine Herzensmeinung wohl glimpf, und wohlgesehn aufnehmen, wie Gott mir durch hohe Übel die Erkenntniß, wie für mich, so für euch giebt. Mögen euch die Plagen erspart sein! die mich jetzt es von neuem, und tiefer lehrten: ja ihr möget sogar eine Alte be- lächlen, ihr grollen, wenn ihr nur verschont bleibt!!! Jetzt nun lauter Diätreglen! Die Oder ward von ihr übersprungen, und die große Krankheit senkte sich auf unsre Spreestadt. Mache sich also jeder gefaßt! Obgleich ich das Konversationshaus in Baden für göttlich halte, und zwan- zigmal Tags Gott danke, mich einzig freue, daß ihr weg seid. Diät ist die Haupts ache. Nur, daß man nicht hungert, essen — du lobst dies immer so — nur Fleisch. Suppe, stärkeren Kaffee, Ingwer eingemachten, und rohen gerieben an Brühe. Kein Obst. Da es nur in Luftschichten liegt: — sich Luft präparirt! Sonne in’s Zimmer scheinen lassen; dann zu! Wenn sie Abends noch ganz verführerisch scheint, die Fenstern zu! Will man später noch Luft, Sternenluft: — die mit Bernsteinrauch gemildert! Behutsam beim An- und Auszie- hen, keine Sorte Schweiß unterdrückt: sich verhalten, als wäre man krank: möglichst für seine Leute eben so sorgen, ihnen Essen zumessen; sich bei Gott alles von ihnen schwören lassen; ihnen Flanell auf den ganzen Vorderleib, Löschpapier auf Rücken und Fußsohlen geben. Ich allen Armen, die ich erreichen kann. Haben sie nichts anders, Schnäpse Wein mit gestoßenem Ingwer, eine Stunde nach dem Kaffee: nicht in Abend- und Morgenthau nüchtern ausgehen lassen. Tuch mit Essig vor Nase und Mund. Abends nur Suppe, sei sie von Brot, und etwas Ingwer. Kein frisches noch grobes Brot. Sauer Bier, Essig, Säuren — der Tod. Nicht Schäuern er- lauben; ein Mädchen starb eine Stunde drauf. Nicht früh Wasser holen, vom Abend verwahren. Nachts warmes ha- ben. Gleich reiben, reiben, reiben; ehe der Arzt kommt; ge- füllte Säcke mit Kleie, und Flanelle bereit liegen haben. Gott ergeben sein, hoffen: den Kopf behalten: sich nicht fürchten: sondern in Acht nehmen. Die Binden im Bette umbehal- ten; Hauptsache. Hierbei ein gedrucktes, sehr kluges Verhal- tungsedikt. Casper ist sehr gutes Muths. Die Menschen im Ganzen brav: wie immer bei großen Kalamitäten. Die dritte, vierte Volksklasse verständig, vorsichtig, folgsam: Kut- scher, Waschfrau, Ladenleute, Bediente, Schauerfrauen, — in allen Laden Räucheranstalten seit dem ersten Tag . Schütz’ uns Gott, und gebe uns erhellte Gedanken! jetzt weine ich. Seid ganz ruhig. — Apotheker Riedel giebt seit heute alle Mittel für Arme umsonst. Juden geben viel. Und dir, Bru- der, wiederhole ich das heilige Wort unter uns abgeredet, „beim Jochid!“ du läßt mich nicht sitzen, wenn du die ent- fernteste Sorge hast. Ich lese; die Kinder kommen zu mir, Fanny. Casper führt sich vortrefflich auf; war schon muthig und vergnügt zweimal am Finnowkanal zu Hülfe. — Ko- misch waren die Berliner wie immer; die ersten sechs Tage wollten sie’s nicht glauben: und wallfahrteten zu den Kran- ken nach Charlottenburg, wie nach dem Stralauer Fischzug. Wachen mußten sie von den Spreeschiffen abhalten. Schütze, Kreaturen-Vater, Schöpfer! Ich denke, auch das ist gut. Gewiß werde ich’s einsehn. Schreiben aber kann ich nicht mehr; zu präokkupirt. Komödie, Musiken, alles geht seinen Gang. Die Zeitungen sind der Erfindungen wegen merkwürdig , diese Anerbietungen! Gute drunter; als: Steinkohlentheer aus der Gasanstalt, aber in der Stadt zu Kaufe, ein Quart drei Silbergroschen. Ich will all mei- nen Bedürftigen welchen schicken. Alle haben sie Binden, Essig des quatre voleurs, Kaffee, Wein, Ingwer, Geld; B.’s Binden, Holzvorrath, Medizinen, alles wie ich; N. Geld und gute Nahrung. Gott, Gott! Gott dank’ ich in Staub ge- kehrt! — Alle Nachbarn gut gesinnt. Lebt wohl, lebt wohl! Gott erlaube dereinst die Erzählung. Und dann nie wieder! Barn- hagen grüßt noch Einmal; er ist spaziren. Der Vogel gäl- lert, Sonne scheint! Baumwipfel ihr entgegen, wie ich zum höchsten Geist, zur großen Einsicht mich zu schwingen suche! Mein Ehrenwort ! unsre ganze Familie gesund! Be- suchen mich alle. Ich gehe nicht aus, weil mir das Ausgehen bei dem ersten Anfall von Influenza so schlecht bekam. Gott besohlen! — An Ludwig Robert, in Baden. Montag, den 20. September 1831. Vormittag halb 11. Bis jetzt schönes Wetter; jetzt zuerst die Sonne hinter Wol- ken. Ich in der Wohnstube an meinem englischen Tisch. Alles gelüftet. Varnh. schon aus. Mehr als zwanzigmal Tages denk’ ich: wäre doch das Perspektiv schon erfunden, wodurch Louis hierhersehen könnte! und unsre guten, ruhigen, heitren Stunden mit ansähe! Vor- gestern sogar lachten wir bis zu Seitenschmerz: Varnh., der nicht besonders gerne applaudirt, noch schwerer lacht, schrie ordentlich. Ich lag krank seit fünf Tagen zu Bette — meine Übel: Nerven, Brechen u. s. w. Welchen Effekt dies jetzt macht: soll niemand erfahren! Doch ward mir Abends leid- lich: und die Kinder alle drei auf meinem Bette. Varnh. da- vor. Ich war ein böhmischer Mann, der Thiere zeigt: Elise war ein Schweinchen, — welches reden gelernt hatte — Pau- line ein Papagai, Bertha ein Hase. Ich excellirte so in Sprache, Witz, und Erfindung, Erzählung: vom König ꝛc. von Ablernen, Reisen, Leben, daß wir Alle vor Lachen schrieen . Und ich dich anrief! So ist der Mensch. Eingerichtet von Gott. Von den schlechten Augenblicken rede ich nicht: es sind meist gute. Mich unterhält, tröstet, und stärkt allein, Gutes thun, Sorgen, Besorgen. Täglich gebe ich: Kamisöler, Pa- kete Sachen; zwei, drei, vier, fünf, auch sechs Thaler, Kaffee allen Menschen; dem Zeitungsmann, Allen die kommen; mei- nen Domestiken ( Könige !), der Schauerfrau; allen Einsamm- lungen: allen ärmeren Bekannten: den Kindern, Nahrung, Binden, Ermel; meinen Leuten jede Bekleidung ꝛc. ꝛc. Alle Menschen sporne ich an. Gott weiß , ob ich prahlen will: ich bitte ihn um Erleuchtung, wie ich künftig sein soll. Verschweigen will ich aber mein Thun jetzt nicht: ich will sie anspornen: vielleicht hilft’s. Leider schämen sich Viele nicht; und schenken ihren armen Domestiken nicht Erquickung; — — aber ich bin übertrieben — und sie — vernünftig! Dies dereinst mündlich. O! könntest du nur alle Tage die Spener’sche lesen! Diese Industrie, dieser schnelle Fleiß: auch wird Gott erlauben, daß der Krankheit besser begegnet werden kann. Die Wohlthaten sind noch nicht allgemein genug; doch schon stark. Juden geben in jeder Liste mit größerm Muthe. Eines ist gewiß gut: daß nämlich jetzt von Seiten der Stadt, des Gouvernements, der Kommissionen, richtig und streng auf die Reinlichkeit , die Lüftung , und Bekleidung der armen Klasse gesehn wird: es kommen täglich Leute, und sehen nach. Die Wirthe sind auch dazu verpflichtet. Bliebe dies auch in gesunden Tagen so! Es ist nicht wahr, daß die Wohlhaben- dern dazu nicht Zeit haben, tausend und tausend Frauen, und Männer, haben nichts anderes zu thun: und nicht nur seit jetzt denk’ ich so. Aber sie sterben lieber vor langer Weile; und Unart aller Art, der Verschwendung, des Klatsches, und der Prahlerei. Überhaupt sollten Frauen das Armendirekto- rium sein; tausend Wittwen, und brave Frauen giebt’s dazu: männliche Sergeanten dazu, zu Zwang, und Hülfe. Könnte man nicht, theurer Louis, dazu beitragen, daß es so würde: wenn man z. B. in der Allgemeinen Zeitung einen Artikel aus Berlin schriebe, daß es beschlossen ist; daß es so werden soll ? Nicht das mit den Frauen vorerst: nur daß für der Ärmern Reinlichkeit, Beschäftigung und Kleidung auch in gesunden Tagen fortgesorgt werden würde, und dies der Ertrag, mensch- licherweise gesehen, von der schweren Prüfung sein soll! Mit Lob für die Berliner: einzige Weise, sie und andre anzufeu- ren. Du siehst, Gott ist uns gnädig, die Krankheit nimmt nicht sehr zu; mehrere, als bis jetzt, genesen. Gestern stand ein schöner Artikel in der Staatszeitung, aus Baden bei Wien, über das Übel. — Da das Miasma in der Lust umherschleicht, so muß man sich welche präpariren ; Fenster öffnen, wo man nicht ist: ist heiße Sonne, mit Essig sprengen von hoch her mit einem Gießkännchen; ist feuchte Luft, mit Bernstein räuchern, force! die Fenster zu; und das so fort. Oft. — — — —. Mein theurer Louis! ich war recht krank; aber auch recht glücklich: ich bekam grade deinen gescheidten, liebenden Brief: vorigen Mittwoch; und Gott öffnete Schleusen in meinem Herzen; Liebe strömte rein, und raus. Millionen hätte ich für dich gegeben, aber laute Lobgesänge sang ich, daß du nicht hier bist!!!! Denn, kommt auch das Übel hin, so seid ihr doch anders bereitet, als wir. In Gottes ewiger Hand sind wir immer. Komm es wie es wolle! so wisse, du bist mein gleichdenkender Freund; und daß ich weiß, daß wir eine Religion haben; dieselbe. Erinnre dich deiner Marternacht vor zwanzig Jahren: je ärger es war, je mehr hieltest du an Gott. Ewig theurer Bruder, Einziger, von dem ich dies wie in meiner eigenen Seele weiß, sei es so! Amen, Amen, Amen! Wie wollen wir uns drücken! Affizire dich nicht, wir sind ge- muthet. Künftig mehr! Du weißt, ewig kann ich nicht schrei- ben. Alles ist wohl. Varnh. grüßt. Moritz tobt, im Guten. Ferdinand ist in Amsterdam. Alle Tage kommen die Kinder. Sonst sehe ich niemand; als Dr. Becker. Ich lese viel. — An Fran von Zielinski, in Frankfurt an der Oder. Sonntag Vormittag, halb 11 Uhr, den 25. September 1831. Halbes Sonnenwetter; sie ist hinter einem grauwol- kigen Himmel; bald da, bald nicht; nach einer idea- lischen Mondnacht, die ordentlich nahrhaftes Wetter in sich hatte: aber dies bringt bei uns jedesmal Re- gen in den ersten zwölf Stunden. Wie muß diese Nacht erst bei Ihnen gewesen sein! — wenn die Oder etwa nicht zu stark dunstet, und man nicht schlechte Luftklumpen zu befürchten hätte, welche die Atmo- sphäre nicht verdauen kann, und wir Erdwürmer es für sie müssen, aber nicht können; ( meine Theorie dieser Krank- heit) —. Wie gönne ich Ihnen Ihr Zuhause! Ihre Muße , Stille, Aufgeräumtheit der Zimmer, Möglichkeit zum Fleiß, den Horizont, die Lichter, den Umriß der Bäume, den Him- mel, das Wolkenspiel, die freie Luft, den Geruch, die Farben, das Schwanken der Bäume und Gewächse, des Windes Töne, das Wasser, den Garten, alles, alles! Es ist eine Erholung, wenn ich mir Sie in diesem Rettungs-Asyl denke! Genie- ßen Sie es in Ermanglung von etwas andrem! und — glauben Sie, liebe Minna, es giebt nichts anderes; es giebt es wohl, aber man bekommt es nicht: oder vielmehr man kann es nicht haben ; heißt, nicht behalten, nicht anwenden. Ein Gefühl, ein Wohlgefallen, ein Augeng lück muß keine Situation, kein Verhältniß, kein Bedingniß werden: nicht in Ökonomie — in jedem Sinn Ökonomie — gemischt werden: der wir es im Tageslauf nicht vorenthalten, ihm nicht ab- wehren können. „Die Menschen kennen einander nicht,“ sagt Werther: ich setze hinzu, „und lieben sich zu verschiedenen Stunden.“ Und, und, und: es geht nicht . Schönes Lokal, und ungestandene Liebe, und uneigennützige Freundschaft, das geht; weil es steht: geht’s , so geht’s über seine Schranke : denn noch ist die Welt ein Chaos, und alles rinnt unterein- ander. Soll ich noch mehr sagen? Sie wissen es eben so gut; und es wäre doch nur Variationen auf das tiefe, große, alte Thema: unsern Erdenaufenthalt; den wir nur im Geiste rich- tig machen können; dadurch, daß wir sehen, daß er nicht richtig ist, und sich auf großes Richtiges beziehn muß: denn wie kämen wir zu diesem ewigen Bedürfniß dazu? Also, recht gründlich innig freute ich mich, als ich hörte, Sie seien ab- gefahren: und auch nicht einen einzigen Moment war es mir eingefallen, daß Sie hätten Abschied von mir nehmen sollen: ich dankte Gott, je geschwinder Sie wegkommen konn- ten!!! Denn, konnte ich Sie nicht während der ganzen Dauer des großen Übels — ich nenne nie den Krankheitsnamen — wie ich mich bei mir habe, aufnehmen, hüten, pflegen: so will ich Sie nur in Ihrem Hause, bei Mama wissen. Wie gerne ich Sie aber eine Zeit lang hintereinander gesehn hätte, werden Sie mir gewiß nicht glauben; weil ein Winkel in mir Ihnen unbekannt ist. Zwanzigmal wollt’ ich diesen Som- mer eine Zeit lang zu Ihnen: war es ganz gewiß zu thun; von Zehdenik aus. Aber nirgends kam ich hin: so hatte mich die Influenza darnieder gebracht: gleich nachher die große Furcht: und nun das Übel selbst. Ich wollte Sie bei Ihnen überreden, eine Reise mit mir zu machen: ich sollte allein rei- sen. Alles nichts! Aber sagen will ich’s Ihnen doch, damit Sie mir über mich, und keinen Andern glauben. Je länger Sie leben, je mehr werden Sie mir glauben. Sagen Sie, liebe Tochter, was sind das für Leute, die Sie irre über mein Übelnehmen oder Nichtübelnehmen wegen Abschied und Abreise machen konnten? Daß mich mein ganzer Kreis nicht kennt, ist eine alte, herbe, verhärtete Privation. Alle Tage sehe ich es mehr. O! und dürft’ ich’s sagen, so würde ich Ihnen sagen: es weiß keiner aus ihm, daß es eine solche Person giebt , wie ich eine bin. Nicht von Geist, oder Güte; oder Talenten, und Verstand: aber von solchem Zusammenhange in Gemüth und Überzeugung. Das entgeht ihnen Allen so, daß ich sie ennuyire; ennuyire ; (denn sie vernehmen mich nicht; und hören in meinen Äußerungen lose Worte, in denen nicht Einmal so viel sitzt, als in ihren; denn ihres sitzt wirk- lich nicht darin; also für sie nichts ;) sonst ließen sie mich — bei meiner Nachsicht, die ich übe, und nie übeln ehme! — nicht rein sitzen . Sie denken, meine Eitelkeit ist so kom- pakt geworden, daß sich ein Horn vor meiner Stirn gebildet haben muß — wie ich immer sage —; ich gebe mich preis ; untersuchen Sie, richten Sie; fragen Sie mich jede Frage; ich will antworten, berichten, erzählen, gestehn: und wir wol- len sehn, was herauskommt: wäre hier ein jüngster Tag nicht zu wichtig, besonders für einen Andern, als mich. Aber auch mein Herz ist ganz unverletzt ; nur indignirt bin ich noch, in gänzlicher Verachtung, Anerkennung dessen, was ich kenne. Könnten Sie mir glauben: oder, wäre eine durchsichtige Scheibe auf meiner Brust! Nehmen Sie sich auch recht in Acht? Abendthau ist die die Cholera — da steht das Wort: es muß hier stehn — wenn die Sonne noch ganz da ist, müssen die Fenster zu: und mit Bernstein alles geräuchert; Nachts die Binden umbehalten : keine Sorte Transpiration unterbrochen: nie, nicht Tag, nicht Nacht. Nie zu kalt getrunken: nur bei wirklichem Durst ; mehr Kaffee als sonst; kein kaltes Fleisch; nie; etwa beim Thee. Hat man leises Abweichen, ordinairen Thee; schon Vormittag. Kein Fenster geöffnet, bis die Sonne hell scheint, und aller Morgenthau weg ist; ist flaue Luft, mit Bernstein geräuchert, force! ist es sonnen- heiß — sie ist jetzt trügerisch, immerfort — mit Essig ge- sprengt. Nie ganz satt gegessen. Vormittag einen Schluck Bischof; nie bloßes Wasser; dies abgekocht . Privation! Ja, ja, ja: dies ist die Abwehr. Knoblauch auf den Magen, oder Kampher; absolut . Und Gottes Segen von mir an- gerufen immerdar! Meine Furcht, mein Schrecken wären grän- zenlos, sich infizirt zu wissen u. s. w. u. s. w. Ich litt das wiedervergessene Gränzenlose, war auch krank, lag fünf Tage an Nerven, Fieber, Erbrechen — wie immer — zu Bette, als Ihr Brief kam. Und doch: ich habe schöne Stunden gehabt: mir wird bei Leiden das Herz offen; und, wie eine Schleuse, strömt Liebe ein, Liebe aus: und viele, die besten Gedanken werden rege. Wär’s nicht Sünde, würde ich sagen: ich weiß dann mehr von Gott; dem ich knieendst danke. Auch thut mir die Einsamkeit, in der man mir keine falsche Vergnügungs- vorschläge machen und geben kann, wohl. Ich sehe niemand, als die Kinder, und dann und wann Morgens die Nichten; lese; sorge für alle meine Leute den ganzen Tag, für deren III. 34 Kinder; Nachbarn, Kutscher, Waschfrauen, arme Leute: das nur macht mich wohl. Dreimal bin ich nach meinem Unwohl- sein in Schöneberg gewesen; vorher nicht aus: göttlich ist’s dort, und dahin! Gestern auch: mit den Kindern. Rosen, alles, alles in Fülle. Dort ist keine Krankheit. Ich genieße, empfinde, bedenke alles; und bin nach meiner Art wieder wohl. Lese viel. Notre-Dame von Viktor Hugo: das Merkwürdigste als französischer Roman, was existirt . Das Erbe, von Frau von Woltmann, suchen Sie auch zu lesen: und lassen Sie sich den ersten Theil nicht verdrießen: eine schöne Religion ist in dem Buche. — Fichtens Leben, von seinem Sohn heraus- gegeben, müssen Sie ja lesen. — Adieu, Cherina! Schreiben Sie mir; aus Ihrem Ruhetempel! V. grüßt gewiß mehr als Sie denken: ich weiß es. Adieu. Zweifeln Sie nie an mir; und grüßen Sie Mama! An Rosa Maria Assing, in Hamburg. Berlin, den 30. September 1831. Meine theure Freundin, Ihre Briefe waren eine wahre Erquickung und Erheiterung hier bei uns! Das Bild eines gehörigen, vernünftigen, liebevollen Lebens; gehörig mit Geist besprengt; vor der Welt nicht verschlossen, die höhere als Un- tergrund und im Aug behalten. Mutter, Vater, Kinder, wie sie sein sollen; jedes als Ingredienz der wahren Familie. Ich will Ihnen nur beweisen, dies entgeht mir auch für die Ge- danken nicht: und als Dank, diesen Gruß! Seit ich Ihren Brief las, wollte ich Ihnen und Assing einen schreiben; dessen Ansicht, Meinung und Ausdruck mir überaus wohlgefällt. Ich werde ihm noch schreiben: und das über die große Krankheit: wie lange ich die roch , spürte, kommen fühlte. Immer sagte ich: könnte ich einem wissenschaftlichen Manne meine Empfin- dungen, mein Krankheitsgefühl eingeben! Siehe da; Assing ist der Mann. Nun, künftig. Schade , daß einer in Ham- burg, der andre in Berlin lebt. Alle Tage, liebe Rosa, lebe ich unter mehr, unter neuen Wundern. Jetzt erlebe ich unter mehr andren, daß man mitten in der großen Krankheit (ich hasse ihren Namen zu schreiben) vergnügt leben kann: so wird es gewiß mit dem Tod selbst sein. Wichtigste Hälfte hiesigen Lebens. Verstände man nur alles: nur das Unverstandene thut weh; jemehr Ergebung, durch Eindringen des Verständ- nisses: desto mehr Glimpf, desto mehr Erleuchtung, und neue Thätigkeit. So wird es sich steigren: faule Ruhe nie! Aber auch keine Verzweiflung, kein bodenloses Zweiflen. Be- dürfniß zu Vernünftigem, ist Bürge für Vernünftiges. Nicht wahr? — Wir sehn die üppigsten höchsten Rosenstämme, häu- fig ; Georginen, schönste Bäume und Laub: in und nach Schöne- berg: da nenne ich Sie und die Kinder laut . Adieu! Ihre R. An den Fürsten von Pückler-Muskau, in Muskau. Sonntag, den 9. Oktober 1831. halb 12 Uhr. Morgenwolkiges Wetter; bald mit Sonne beschienene Wolken, bald nicht. Frischer Südwest ?! Auf der Stelle will ich schreiben, nachsichtiger, vielerfahr- ner, in Freundschaft standhaftester Fürst; so trifft Ihr so 34 * eben angekommener Brief „die schadhafte Hälfte meines Her- zens,“ — wie Hamlet zur Mutter spricht, — ich werf sie weg; wie er anrathet; da sie mich gegen Sie in Sünde versetzte. Was verdarb aber dieses Herz! Elend. Influenza, harte, mit Nachwehen: Influenza auch von mancher andern, als Krank- heitsseite. Stockiges Berlinerleben: und dann die grauel- machende, dumpfe, unbekannte, verschrieene Annäherung des großen Übels — ich nenn sie nicht, die infamirende Krank- heit; sich angesteckt zu fühlen, zu meinen: nicht mehr fliehen wollen , könnte man es auch noch: dies ist mir, was mir ein neues, lähmendes , nie bedachtes, ganz verworfen frem- des Bewußtsein. Und was hab’ ich alles entdeckt! Daß ich der größte Aristokrat bin, der lebt. Ich verlange ein beson- deres, persönliches Schicksal. Ich kann an keiner Seuche sterben; wie ein Halm unter andern Ähren auf weitem Felde, von Sumpfluft versengt. Ich will allein , an meinen Übeln sterben; das bin ich; mein Karakter, meine Person, mein Physisches, mein Schicksal. — Nie bleibe ich mehr in solcher Pest, wenn ich fliehen kann . — Jetzt ist alles gut; bloß noch ennuyanter. Viele Wohlthaten — richtig: sogar klug, — also viele Ökonomie; sogar eingestandene. Stille Stagnation. Straßenleere. Theater geht: diese große Ma- schine. — Kommen Sie ja bald, lieber Fürst! Der Brief sollte noch groß werden: aber ich kann einen Krampf auf dem lin- ken Auge nicht bezwingen; er wird stärker, und zwingt mich . — Wir leben fast eingemauert in unserer Mauerstraße; außer Fahrten nach Schöneberg. Pardon der vielen Nebentinten: mein Auge erhitzte mich bis zur Unfähigkeit. Schade für den Brief, den ich schreiben wollte! (Diktirt.) Montag, den 10. Oktober. Eben solches Wetter wie gestern, nur noch leichter Nebel zu überwältigen, erfrischte Luft und baldige Sonne. Nach 10 Uhr Morgens. In mei- nem Leben bin ich noch nicht so verliebt in einen Brief ge- wesen, als in den, welchen ich Ihnen hätte schreiben können, wenn meine Augen nicht noch tückischer geworden wären: sie versagen mir alles, Billete und Zeitungen, und haben wirk- lich etwas Verrücktes an sich, denn im Winde bessern sie sich, und den sollen sie auch heute wie gestern genießen. Goethe ist nicht allein des Schreibens wegen zu beneiden, sondern auch um seine Diktirkunst, welche ich jetzt als solche kennen lerne: mein Geist wird stätisch vor einer fremden Feder: und bekömmt, nicht von der Seite, sondern grade vor den Au- gen Scheuklappen. Jedoch müssen Sie noch eines von mir wissen: ich bin unheilbar überzeugt, daß nur die Unart Stettins uns vor einem gräuelhaften Aufruhr schützte; dem eingefleischten Ab- scheu vor dieser allein verdanken wir die weisen Maßregeln, in denen wir athmen. Muth gegen Unvernünftiges hielt ich von jeher für Tollheit, und endlich geben mir hohe Regierun- gen Recht: und ich sehe, bald kommt die reife Zeit, wo man in großen Ehren ein Poltron sein darf. Ernster gemeint, als ein alterthümlicher Held nur irgend glauben kann. Apropos vom Fortschreiten! Sie dürfen Victor Hugo’s Notre-Dame nicht ungelesen lassen; ein Meisterwerk der Natur im Men- schen, wenn auch nicht des Menschen, der es schrieb, und auch dies Gesagte möchte ich gleich wieder zurücknehmen, weil man viel darüber sprechen kann und doch nicht ausdrücken, wie vortrefflich es ist; Ihnen muß es besonders gefallen mit Ihrem ausgebildeten Sinn für Gebäude. Mir Laien gefiel es im ersten Augenblick, wie sonst schon bedeutende gothische Ge- bäude, nur nach und nach wurde ich entzückt von dem klei- nen und großen Zusammenhang des Kunstwerkes. Jedenfalls ist es mir ein lauter Beweis, wie sehr die französische Nation umgemischt worden ist. (Wieder eigenhändig:) Adieu, adieu, lieber Fürst! Nicht eine Phrase wurde natürlich beim Dik- tiren. Auch soll hier der Brief aus sein. Aber Sie kommen gewiß bald. Alle Freunde warten darauf! An Frau Generalin von C. Donnerstag, den 13. Oktober 1831. Den größten, herzlichsten Antheil an solchem Glück, wel- ches solche Erhebung bewirkt. Heil für immer dem 13. Ok- tober! Ihren schönen Brief, wahrlich schönen Brief, vermag ich auch nicht materiell zu beantworten: ich muß meinem Auge schmeichlen. Morgen hoffe ich Sie zu sehen! Um 12 fahre ich nach Schöneberg: Schwefelb äder nehme ich, und das mit Erfolg. Sahen Sie denn gestern nicht die Franzosen spielen! Apropos! ich bin auf Thiers und Royer-Collard aufgebracht: nicht wegen changement de casaque; aber wegen ihrer schlechten Gründe. Gentz müssen diese Herren studiren, der hat vor drei Posttagen ein Meisterw erk! in die Allge- meine Zeitung einrücken lassen: Sie sollen es hier lesen, bei mir. Auch ich, liebe Freundin, viel älter als Sie, möchte für den Rest Lebens Ruhe: aber meine Einsicht zeigt mir das Ge- gentheil; jedoch nicht allein es kann, es wird sich über un- ser Leben hinaus hinziehn. Eins ist gewiß. Erobren will Europa nicht mehr Stücke Erde; aber ernster! Stücke Gleich- heit : Freiheit ist nur Ausrede, und Mißverstand. Die Rede ist vom Rechte, und nicht mehr vom Herkommen: ganz ein- fach. Mais nous deux nous voulons causer, et vivre douce- ment; et moi je voudrais savoir si vous voulez le bas com- mencé? mille belles choses au prince de la journée, et à son aimable fille, et à vous, aimable Marie! A demain donc! F. V. Freitag, den 4. November 1831. Das Herz — der Wille — begreift keine Zukunft: der Geist — das Urtheil — hebt sie auf, macht sie zur Gegen- wart. Nur er ist frei, selbstthätig, auf Unbekanntes gerichtet; jenes gebunden an ein fest schon Gegebenes. An P. Herbst, 1831. (Mit einem Schreibzeug.) Wenn du dieses Schreibzeug siehst, Warn’ es dich vor falsch Beginnen, Wo du eigentlich nichts wünschest; Nur den Anfang enden mußt! Das schon Strafe dieses Anfangs! Schreib besonders keine Worte, Die du ungesagt gern hättest. Denk’ an mich und meine Warnung, Wie du dies Geschenk nur siehst. Schreib’ aus keinem andern Tintfaß, Wenn zu Haus du dich befindest! Hast du aber mal gefehlt, So verzeih’ es dir, wie Andern; Nur verspende ein’ge Tinte; Merk’ es auf; vor diesem Kästchen! Dies gethan, bist du vor schneller Wiederkehr des Fehls gehütet: Glaub’ das altem Irrthumsdiener! Und sei frohen guten Muthes! Nur besinne dich recht oft; Frag’ dich, was du wirklich wollest: Und zum Zeugen nehme mich. An Frau von Zielinski, in Frankfurt a. d. Oder. (Diktirt.) Mittwoch, den 9. November 1831. 1 Uhr Mittags. Graues Wetter, feuchter Boden, die Sonne schiebt die Wolken ein bischen zurück; der Herr Poley will sous la dictée schreiben. Ich aber kann nicht diktiren, Sie gewiß auch nicht, das kann gewiß nur Goethe. Anstatt ein bewegtes, organisches, blutadriges Kind wird mein Brief eine lederne Puppe wer- den, der man nach und nach die Gedärme einstopft. Ich habe nie gewußt, daß mein Kopf eigentlich das Dintenfaß ist, worin ich meine Feder eintauchen muß, und daß keine fremde Hand dazwischen sein darf. Also nur das Wichtigste, theure Minna, liebe Tochter, wie Sie es gern hören. Auch ich leide an den Augen, und habe seit vierzehn Ta- gen, oder länger, Dr. Jüngken. Nervenverstimmung, Rheu- matismen, alte und neue Choleraluft, krankhafter Druck auf dem Auge, der durchaus kein Schreiben erlaubt; Lesen kann ich Abends, wenn ich mich zwinge; mouche volante obenein. Also verordne ich, was ich seit drei Tagen mit größtem Er- folg thue. — — Dann und wann, vielleicht die Woche zwei- mal, nehme ich ein Malzbad mit Schwefel, aber vor meinem Bette. Denn es ist Rheuma, Rheuma. Die Atmosphäre will keinen Menschen mehr dulden, und so viel möglich muß eine geschaffen werden. Nun kommt der zweite wichtige Punkt. Sie kommen, und müssen nach Berlin kommen. Soll ich Ihnen in meiner Nähe ein Quartier miethen. Gerne sorge ich für alles: was so überflüssig und nöthig ist. Auch ich komme gern, gern, zu Ihnen; und gewiß. Ich denke es mir so schön ! Auch V. ist von Ihrer Einladung geschmeichelt. Auf mich und Dore können Sie rechnen. Zuerst aber müssen Sie hierher kommen, und wir reden alles ab; auch für den Som- mer. — Glauben Sie niemals jemanden über mich, als mir und Ihnen, ja sogar hören Sie niemanden an, denn wie oft muß ich lügen, und wie oft, sehe ich, wird meine tiefste Wahrheit dafür angenommen; und das liebe Leutevolk sollte besser wissen, wie es ist, als Sie, die Sie mich kennen? In jedem Falle aber bin ich zu jeder vernünftigen Rechenschaft zeitlebens be- reit, welches ich hiermt als Wechsel gebe. Ihr Brief war vortrefflich, wie alles, was Sie schreiben, und besonders wenn Sie nur so sich und mir gegenüber schreiben. Er soll schon nach und nach durch Leben und Schreiben beantwortet wer- den. — Der Herr Poley ist von Ihrem Anblicke so vergnügt, erstaunt, verwundert, entzückt und erfreut gewesen, als wenn ein sechsundzwanzigjähriger Mensch zum erstenmale eine Rose sähe, und bis dahin alle andern Blumen gesehn und geliebt hätte. Mehr will ich ihm doch nicht diktiren. Er soll das Glück haben, selber die Rose zu pflegen. — Dore steht auch grüßend da, und ich werde diesen Brief eigenhändig endigen. Adieu, liebes Kind! Haben Sie klare Augen für mich! — und klar wird Ihnen meine Werthschätzung und Zuneigung zu Ihnen sein! Kommen Sie nur bald. Ihre treue Antheil- volle; für Haus, Garten, Ruhe und alle Gaben, die Sie selbst sind und haben. Gott lasse Ihnen Mama. Ranke sehe ich sehr selten. Einmal allein sehr gut. Schlippenbach dann und wann. Sein Sie ja vergnügt, und heilen Sie Ihr Auge. Adieu. Fr. V. — Noch hat mir keiner die Ähnlichkeit des Bildes abge- stritten; ich erwarte aber auch solche Geschöpfe, denn was ist leider evident, als Idealismus! Mit dieser Melancholie will ich enden, die für Plebejer nur ein Scherz ist, wovon alle My- stiker aber entstehen. Sur ça Dieu vous bénisse! — An Gentz, in Wien. Mittwoch, den 23. November 1831. Dunstiges, trübes, feuchtes, nebliges November- wetter; hinter welchem, wirklich wie hinter einem weiten Schleier, die Sonne kiekelt. Und so ist es mit allen uns bewußten Dingen: das Schöne will hervor, das Gute, das Reine, das Freie, Glück ( unver- letztes ), Heiligkeit! Alles ist gestört: Chaos lebt noch. So sehe ich endlich im Alter unsern Zustand, in intellektueller, naturhistorischer, ethischer, politischer Hinsicht an. Das Wort steht da: Alter. Aber nicht unglücklicher bin ich, als in der Jugend. Keinen heftigeren Herzenszustand giebt es in dieser Welt, als den, glücklich sein zu wollen; dies zu erhoffen; noch zu glauben, daß solche Zustände für irgend jemand exi- stiren: der ganz feinsinnig, tief, und blühend intelligent ist, und ein starkes, und zartes Herz hat; — darunter verstehe ich das ganze Faser- und Nervensystem, mit allen seinen Depen- denzen: findet kein Ganzes in irgend einer Kombination von Umständen, zu Einem Zustand gestaltet, der seinen gerechten Forderungen allen genügte: und nicht sogar, quälte; oder auch nur: mir war dies nicht beschieden: (wie denn jeder Mensch, der nur Besinnung hat, ein ganz einziges Schicksal hat: ein Moment des Ganzen ist, — Gottes, wenn Sie wol- len, — der nur Einmal existiren kann ). Einsamer ist man nicht, als ich nun in allen Stücken. Ich sehe noch hie und da Menschen; lese, höre. Aber lebe ohne Pairs. Und denke an Vergangenes wie ein Verstorbener. Aber wenn ich mich bedenke, war es zu sechszehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jah- ren nicht anders mit mir: auch wußte ich es in der Tiefe im- mer: nur überschrieen meine neuen Wahrnehmungen, Empfin- dungen, den Himmel, Natur und Welt belagernde Forderun- gen an all diese, die in der Tiefe immer zu findende Evidenz: und, Stück vor Stück mußte mir das Ganze genommen wer- den, ehe ich den Muth, die Kraft, die Möglichkeit faßte, daß ich nichts haben sollte. Nur mich selbst. Auch darauf bin ich nicht stolz: wie weiß ich, daß schon Krankheit uns uns selbst entreißt, zerstört! Es giebt nur Einen großen Lehnherrn: und wir alle Kreaturen sind Vasallen. Nur durch Miteinsicht erahnden wir Freiheit, — von der denke ich anders, als die Kämpfenden, als je ein Publicist! — Unser innerstes Wesen ist sogar gezwungen: unser Wunsch nach einem heiligen, freien, unverletzten Zustand. Müssen wir das nicht wünschen? Sind wir dieser Wunsch nicht selbst? Adieu! à demain! un mal d’yeux qu’il faut ménager, me fait quitter la plume. Bon jour! — Heute ist Freitag; und noch trübes Nebelwetter. Ich will fortzufahren suchen. Nun denn; ich bin verarmt; und vermisse den Reichthum nicht, wie ich wohl in meiner reicheren Zeit, und in damaligem Mangelgefühl hätte denken können. Auch an mein Alter würde ich nicht erinnert werden, wäre ich nicht leidend; auch das wäre ich erträglich, wäre ich geschont worden. Enfin es ist so geworden wie es ist. Ich habe alle meine Empfänglichkeit noch — für Gut- und Schlechtes, und freute mich auf Fanny’s und Theresens Kommen, wie zu sechs- zehn Jahren; nur verdoppelt, vielfach verdoppelt, und aus allen Sphären her begründet, und bestätigt, hat sich mein Haß und meine Liebe. — Aber faux-frais zu Vergnügen und Glück kann ich nun durchaus nicht mehr machen; überhaupt keine frais; da ich Glück und Vergnügen missen kann, so müssen die beiden mir die Kour machen, wenn sie etwas mit mir zu thun haben wollen — es sei unter welcher Men- schenmaske es wolle — Sie wollen aber nicht: und ich bin einsam!!! Aber nicht aus diesem Grund allein: in der höch- sten aktiven, und passiven Aktivität konnte mir das geschehn: meine Einsicht, meine Gedanken sind zu abwärts: und in den größten Details noch mehr. Wie drücke ich das nur Ihnen verständlich aus! Sie haben mich jung gekannt, und kennen meine Ignoranz: aber ich weiß alles: durch Selbstthätigkeit. Mit den größten Schriftstellern finde ich mich überein. Komme zu ihnen auf ihren hohen Sternen; aber auf meinem Weg: oder, durch Einen glücklichen Aufschwung. Und so ist es noch wie in der Kindheit: in der schlechtesten Komödie, in der geringsten Gesellschaft, oder bei solchen Behauptungen, wird mir die höchste Tragödie, das höchste Beisammensein mit all seinen Bedingungen klar; Polemik bis an ihren Ziel- und Zweckpunkt. Und das in einer Thätigkeit, in einer Schnellig- keit, die mir noch nie vorkam. Dabei den kühnsten Denk- muth, und jedes Resultat davon willig — wenn auch verzwei- felt — angenommen. Nun denken Sie sich eine solche unter Leuten. Unter reinen Menschen müßte ich wenigstens sein, Nur ein Punkt Mensch im Menschen, und ich hebe uns wie mit dem berühmten Hebel nach allen Welten . Spre- chen müßte ich Sie können: und in zwei Worten kennten Sie auch meine politisch-gesellige Lage. Ich rücke und rühre an nichts mehr: seit vielen Jahren; und ab fällt, was nicht hält: wie Blätter von einem gegendbeherrschenden Baum ; den ich immer, im Reisen, einen Fürsten nenne; oft mit Familie, Volk; oft allein. Der große Todesgedanke — das viele Sterben aller Bekannten, das man im Alter erlebt — ist das ganze vollständige Gegengewicht dieser Phantasmago- rie, dieser gezwungenen Anleihe von Illusion. Dieser, der Tod, ist Eins mit dem Leben; wir werden’s in diesem nicht los. Dieses Räthsel, diese Aufgabe des Denkens und des künf- tigen Seins, löscht mir alle Vorfallenheiten des Lebens, außer Blindheit, Kerker, Martern, überhaupt Schmerzen, ganz aus. Ich verachte nicht das Leben; das Gefühl von Dasein, die Denk- die Fühlfähigkeit, das große, heilige, amüsante Räthsel: diese Zerstückelung ist zu kolossal, zu augenscheinlich: auch für solche Augen, mit denen wir hier hausen und unsern Verkehr treiben. Ich habe Momente von wahrem Erschauen, wo mir blitzlang alles klar ist; wo ich weiß, was das ist, heilig. Eins ist gewiß, und das kann man hier mit den Jahren schon er- gründen und finden. Es steigert sich das Schlechte und Gute: und da das Schlechte doch nur eine Negation ist: so tritt es zurück: und selbst wählen würden wir so die Steigerung. Ganz gut kann nichts werden: warum — da es eigentlich keine Zeit giebt — wäre es nicht jetzt schon ganz gut? — Das alles humainement vu. Wir können ja ein neues Be- greifungsvermögen bekommen, oder werden! — Schon längst bin ich so durchdrungen, so übersättigt von Geduld und Ab- scheu: daß ich Abends dem Himmel danke für das, was ich nicht weiß: und so mich auf die einzig mögliche Weise der Unschuld freue. (All sich hierauf Beziehendes habe ich längst aufgeschrieben.) So steht’s mit mir: so hatte ich die Influ- enza, wie nur fünf in Berlin; acht Wochen schwach und elend davon: dann die Cholera- Furcht !!! Die Sperre, die Diät: dann ein Augenübel bei all meinen andern. Und doch nicht unglücklicher als sonst. Mein Augenübel ist nervös, und leidet wohl Lesen, aber nicht Schreiben. Deßhalb aber schwieg ich nicht . Sondern weil Sie nie antworten , wenn Sie auch Einmal so gnädig sind zu schreiben. Ich bedarf Ant- wort. Aber „Ich mache mir wohl noch was aus Ihnen!“ Liebe ist Überzeugung, wie Abscheu: unvertilgbar. Aber was thut’s! Ich kann Sie ja lieben; ohne daß Sie danach Nach- frage thun: noch ich selbst in mir. Was Menschen lernen können, habe ich gelernt: und Großes durch Sie. Ich habe auch Sie missen gelernt: seit Prag. Getrennt sind wir ohne- hin. Kindisch habe ich mich vorvorgestern mit Fanny gefreut; und mit dem Schwan. Armer Freund. Armer Glücklicher; dem noch solch Glück entzogen werden kann. Sehn Sie, daß Wunder möglich sind; noch in diesem Erdengefängniß. — Und was kann noch kommen . Waren Sie je in der Ju- gend so beg lückt: so glücklich in der Seele? — An Ludwig Robert, in Baden. Berlin, Montag den 28. November 1831. Wetter wie bei euch. (Mit jüdischen Lettern:) Mein einzigster Bruder! Mache mich glücklich! So sehr ich es sein kann, kannst du es machen. Nimm, wie ich sie schicke , die zweihundert rheinische Gulden zum Weih- nachten, die morgen für dich abgehen. Du sollst sie allein für dein Gutdünken haben . Ich küsse dich. Küsse du mich auch. Es ist wieder eine alte Schuld eingegangen, davon kriegst du noch mehr von mir ab! Laß mir während meinem Leben das Glück ! Und kein Wort weiter darüber, bis auf Wiedersehen! Banquier Haber wird dir das Geld schicken. (Mit deutschen Lettern:) Nun deutsch. Vorgestern als unserer an Hrn. Braun weg war, erhielt ich deinen Brief. Du bist nun längst besser. Ich leide oft; aber, die große Krankheit ist so gut als vorbei Künftig mehr. Rike, der Spinnerin meinen Gruß. Gestern war Braun bei mir. Vergnügt: er lernt Tanzen und Englisch. Adieu. (Wieder mit jüdischen Lettern:) Ich will nur, daß du Herr sein kannst von dem, was ich dir sende: und nur soviel verabreichst, als dir gut dünkt: und deiner deiner Person , nach meinem Wunsch etwas zu Gute thust! Übrigens: nach deinem Herzen, deiner Wahl! Dienstag, den 29. November. An Adolph von Willisen. Sonnabend, den 10. December 1831. Ich habe diese Blätter (deutsche Denkwürdigkeiten von Rumohr) sehr bewundert. Gespickt mit lauter Gedanken, und Gesehenes; äußerst geschickt gearbeitet; daher amüsant, im gebildeten Stil zu lesen. Es ist ja ein Trost für Deutschland, daß immer noch solche auftauchen können, die verborgen wa- ren. Mich hat es sehr unterhalten; nur die Arkadia fürcht’ ich etwas — ich bin so ennuyable — doch verlasse ich mich auf den Autor. Bleiben Sie nicht aus! An die Fürstin von Pückler-Muskau. Den zweiten Weihnachtsfeiertag 1831. Viersträhnige Leiden möchte ich nennen, was mich jetzt bannt, und plagt: fast bin ich in dem Fall mich noch ent- schuldigen zu müssen! In dem Sinne möchte ich auch hier zu Ihro Durchlaucht sprechen. Keine Stunde bin ich sicher, daß sie ohne Anfall vorüber gehe; keine Treppe kann ich ohne größte Nachwehen steigen: keinen Freund — à mes risques et dépens keine Freundin zu mir bitten: was sollen sie daran III. 35 sehn! Dabei empfinde ich doch Gewissen, daß ich alle gesellige Pflichten beleidige. Sie aber, sind mir gewiß gnädig: und überraschen mich auch Einmal! alsdann bin ich nicht verant- wortlich, und doch glücklich. Vielleicht überrascht der Him- mel mich; und ich kann Sie , verehrte Fürstin, überraschen. Noch halte ich alles für möglich; überhaupt kann ich bis jetzt, für gute Gedanken und Einfälle danken: ich thue es tief erken- nend, weil ich auch schon das verzweiflungsvolle Gegentheil in mir erlebt habe; und mich nie stolz dafür sicher glaube. Ich freue mich wahrhaftig Ihres Wohlseins: mögen auch harmonische Gedanken es begleiten! Die wahre Unterstützung. Einen Moment sah ich Fürst Pückler; er berichtete mir Gu- tes; sah auch gut aus: nur etwas schlafbedürftig; ich sagte es ihm; zu seiner Warnung. Hochachtungsvoll ergeben Fr. V. An Karl Schall. Zum Sylvester-Abend 1831. … Insomnisten Werden durch der langen Nächte Qual Artisten; Im Erfinden, im Besinnen, in der Wahl. Vermissen Schlafes Balsam, grades Ruhn der armen Glieder, Finden müder, als am Abend, so den andern Morgen wieder. Nun erdacht’ ich uns die kurze Schonung, Momentane Haupteswohnung, Dieses Kissen. An Ernestine Robert. Mit einem Strauß und einem Schleier , zum 1. Januar 1832. Auf der Höhe Januars Sehn wir schon nach Mai hinab; Sehen seiner Lüfte Klarheit, Sehen seine Blumenwiesen, Trinken nahrhaft-gute Lüfte, Fühlen die Bewegung lauer Winde; Aber auch der Sonne Blendung, Und das Nahen ihrer Hitze. Darum send’ ich dir den Schleier, Deßhalb kommen auch die Blumen; Daß du Maies Freuden wirklich sehest, Daß du Maies Schutz schon habest, In dem hochgelegenen Jänner, Dem du überliefert wurdest, Als die Mutter dich gebar. Mög’ das Leben alle Januare dir Auch als Mai erscheinen lassen! Von Kindheit an hab’ ich die Vision über die Monate, als läge abwechslend einer hoch, und der andere tiefer; mit Januar, der hoch liegt, fängt’s an. Ich bitte Sie, diesen Artikel nachträglicher Mythologie einen Augenblick mit mir anzunehmen: nachsichtig, wie alles Übrige! 35 * An Gentz, in Wien. Freitag, den 6. Januar 1832. Graues Wetter. Schon nicht einmal auf ein Billet können Sie antwor- ten , nicht einmal auf eines, welches mich krank meldet! N’importe; hier ist die Antwort, die Sie verlangen. — Frau von H. war lange Jahre leidend, und immer leidender, — weil die Lebensplagen — mes dragons nennt dies Madame de Sevign é — ihr nicht aufhalfen: und aufgeholfen muß man nach dreißig werden. Sie war auf falschen Boden ge- bracht; den alle ihre Kräfte nicht zum richtigen wandlen konnten: und ein ewiges Arbeiten daran; und an sich selbst, dies in Tugend recht und gut finden zu wollen; auch littera- risches Arbeiten; hiezu das Abfallen aller Freude und Schutz bringenden Blätter des Lebensbaumes, bei zunehmenden Ta- gen! — — noch immer Hoffnungsirritation, aber wenigster Trost. Sie war geehrt, und hatte viele Freunde. Acht Wo- chen vor ihrem Tode etwa, habe ich sie noch, unter den Lin- den, im Saldernschen Hause, in einer Prachtwohnung, die sie eben eingenommen hatte, besucht. Sie sprach viel und heftig, und ordnete viel an; wir hatten uns der Cholera wegen nicht gesehen; wir schrieben uns; dann wurden wir beide kränker; ich schickte ihr Spargel, Ananas, Blumen; und was sonst man sich nicht selbst kauft: hauptsächlich als Liebeszeichen; was sie nöthig hatte. Zehn Tage vor ihrem Tode erhielt ich ein Billet, von dem ich wußte, es sei das letzte. Dies Wort und Tod kam nicht darin vor. Ich hatte ihr Vertrauen über alles . Wen sie geliebt hatte, kam nie vor: überhaupt Ihr Name nicht. Aber seit vier Jahren weiß ich es: Frau von — sagte es mir damals, ihre Intimste, noch von Stockholm her: Generalsfrauen, deutsche, aus einem Kreise. So geht das Lotterierad der Welt! — Welche dumme Waisenkinder drehen uns scheinbar, wie die Papierrollen auch nur scheinbar gedreht werden! — Die ist glücklos todt. Sie , geliebt, und lie- bend , von einer zwanzigjährigen Tanzgrazie, zum erstenmal ganz glücklich; endlich hochstehend genug, um frei, ihr leben zu können! Dies sage ich Ihnen, damit Sie sich auch den äußern Glücksfall ganz auf’s Herz drücken! savourer . Haben Sie wohl solch Gedächtniß, daß Sie sich erinnern, wie vor vielen Jahren Sie mir Briefe von Fräulein J., die ich nicht kannte, zeigten? und die ich nicht so schön finden konnte, weil sie mir zu hergebracht und unwesentlich schienen? Es ist eine brave Frau geworden; die ich immer einen braven Mann nannte. Nicht, daß sie Männliches hatte, außer das Recht- schaffene, welches man von einem Mann fordert. Nun habe ich schon Brustschmerzen: thäten Sie das auch für mich ? Viele Seiten liegen für Sie seit Fannychens Ankunft fertig; wollen Sie sie etwa, so vollende ich sie. Eins möchte ich wissen! Sie werden erstaunen: warum wird Prinz W.’s Polier so bei Ihnen befördert? Man ist doch sonst krumm, wenn man sich bückt; wie der Brandenburger sagt. Diesen Punkt nicht zu beantworten, wird Ihnen besonderes Vergnügen machen! Viel zu sehr Ihre F. V. An Leopold Ranke. Mittwoch, den 18. Januar 1832. Nachträglich muß ich sagen: daß das ganze Wasser, Un- ter- und Ober-Wasser, auch krank ist: nicht die Luft allein: und viele wichtige Details habe ich Ihnen noch zu geben. Wenn Sie diesen Abend, wo — kein Einziger der Menschen, die gestern bei uns waren, kommen kann — ein paar artige Damen kommen, mich besuchen wollen: so belohne ich sie mit italiänischer Bewirthung; und morgen , mit le- bendiger Kunst. Ich bin der Einzige, außer den Saint-Simons, die Wort hält, und nicht lügt. Es ist nicht meine Schuld: es könnten’s Alle auch so machen. Fr. Varnhagen. Heute Freitag den 20. Januar 1832. kam A. mit dem Globe vom 12. zu mir herein: „Sie müssen den Artikel sur les femmes lesen; über die Ehe ganz neue Gedanken: aber zuletzt ganz mystisch.“ — Sagen Sie mir nur den Inhalt! — „Es soll eine Ehe Statt haben; und bei der auch Freiheit. Man soll in und außer der Ehe leben können. Eine Muster- ehe soll existiren, die das durch die That beweist.“ — Vorei- lig! schrie ich: ich verstehe das! Wie von einem kurzen Blitz war meine alte Gedankenmasse auf einen einzigen Augen- blick beleuchtet. — „Lesen Sie nur; es ist ganz mystisch; wer weiß, was noch für Gedanken zur Weiterbildung dieser Ideen entstehn: sie fordern Frauen auf, ihre Inspirationen mitzutheilen u. s. w.“ — Ich verstehe; sagte ich: es ist schon in den Ehen so, wie sie sagen, die Saint-Simonisten, in den schlechten schon: sie fügen sich, und wollen auch frei sein; der ganze menschliche Zustand ist so: unbedingt — von innen, — und bedingt — von außen. So ist auch, und kann nicht anders sein, die Ehe: aber mit Bewußtsein soll dies geschehn; und ich setze jetzt hinzu: daß dies überhaupt der Inbegriff höchster Bildung, religiöser, ist: Einwilligung, durch Einsicht und Herzensübung, in das Gegebene, Vorgefundene, Mög- liche. Anschließen an das, was wir Höchstes kennen. Nun will ich den Globe lesen. — Abends. Ich haben nichts hinzuzusetzen. — An Ernestine Robert. Berlin, Dienstag den 31. Januar 1832. Je suis très-sensible à la part que vous prenez à ma santé! So unverständig ich mich gerade gestern bei Ihnen befinden mußte, so war doch meine Nacht unverhältnißmäßig besser, als seit längerer Zeit. Das wird Sie freuen: und dar- um erzähle ich es gerne. Aber schreiben kann ich nicht; wie ich sehe! Sonst schrieb’ ich Ferdinand heute nach Bonn un- wiederruflich. Sagen Sie ihm dies gütigst. Und, daß ich mich höchst freue, daß er den „vaterländischen Rost“ abreibt: und sich durch neue Sprachkenntniß, neue Lebenspforten öff- net! Unsern Geist frei zu machen sind wir hier; der hier ein Gefangener ist: in Leib, Natur, Erde, und engerem Vater- land . Unserm Urtheil, unserm Ermessen neue Horizonte öff- nen; das heißt, ist künftiges Leben. Und die Geisteswege aufgeräumt ; geben allein Raum, und Möglichkeit zu wir- ken; dies aber will immer Gutes und Liebes für Alle ! So gut denke ich von unserm inneren Wollen. Und hiermit grüße ich Ferdinand; und auch Sie. F. Varnhagen. Wie sonderbar ist es: daß die Menschen im Einzelnen weiter sind, als ihre Gesammtheiten, die Staaten, die uns regiren sollten, und uns wirklich beherrschen! Wenn sich zwei schlagen, so werden sie schon ganz allgemein für roh, un- menschlich, sittenlos, und dem Gesetz verfallen, gehalten: und derselbe Staat, der Heere aussendet, bringt sie zur Ruhe und Haft. Und diesen Zustand lassen wir uns gefallen: und nur Wenigen fällt er auf! Dieser aber scheint mir der wahre Maßstab, an welchem wir, wie wir sind, gemessen werden müssen: dann haben wir, wie die Franzosen sagen, notre vraie mesure. Vor vieler Zeit schrieb ich schon: „Sie haben noch Sklaven und Krieg; und wundern sich noch.“ Wundern sich über Versuche! — Freitag, den 3. Februar 1832. Abends 11 Uhr. Man kann es gleich merken, ob Einer zu seinen Gedan- ken zuerst aus einem Buche — Schwarz auf Weiß — oder unmittelbar aus der Welt, in allen Farben und Formen der Natur, gekommen ist; nie korrigirt sich das. (Für nichts sollte ein Kind so gehütet werden, als viele Dinge zu lernen, wenn man ihm nicht die Fragen nach diesen Dingen einzu- geben weiß). Noch schlimmer ist es aber, wenn Einer ein ganzes Gedankengebäude in sich aufgenommen hat, wo viele hohe Fragen beantwortet werden, die er sich nicht selbst würde vorgelegt haben. Trauriges Exempel! welches ich oft vor mir habe. Kommen solche Fragen vor, so werden sie von solchem Schüler nicht erkannt; sie und ihre vielfältigen Beziehungen schneiden bei ihm nicht ein: als äußere Zeichen regen sie nur die langen — hier leeren — Antworten, Deduktionen des Lehrers auf; von dem man nur ein Wort brauchte, welches aber solche Schüler nicht auszuwählen wissen, weil sie’s nicht erkennen, und aus den großen Reden — die der Lehrer, ohne Gespräche halten mußte, — nicht auszuscheiden wissen. Trau- riges Spektakel erstickter Köpfe! Langweiliges Aushalten für ignorante Selbstdenker! Februar, 1832. ( Mündlich .) 1832. „Sagt mir nichts von diesen Leuten! Kann ich ihnen worin helfen, Gutes erweisen, Schaden abwenden; gern ! aber in Betreff ihrer Meinungen, ihrer Urtheile, ihres Lobes oder Tadels, sind sie mir eben so gleichgültig, und existiren für mich nicht mehr , als die Fliegen vom vorigen Jahr!“ An den Fürsten von Pückler-Muskau. Montag, den 6. Februar 1832. Sie sind jetzt, lieber Fürst, mein wahrer Trost (ein Freund, Gleichgesinnter, wie dies Goethe in der Elegie Hermann und Dorothea bezeichnet) in der gebildet-unverständigen Welt, der das gesunde, unschuldige Verständniß ganz abhänden ge- kommen ist! Erscheint ein großes neues, auf neue Beziehun- gen sich richtendes Kunstwerk, von welchem ich den Gram haben muß zu sehn, zu hören , daß es auf das Publikum wie Regen auf Marmor herabfällt, der den nährenden Tropfen widersteht, anstatt sich neues Leben aus ihnen zu saugen; und welches Publikum zu beurtheilen vorgiebt, was es erst zu be- greifen erlernen müßte; wenn ich diese Menschen fein und dummdreist schnattern höre, und verzweifelt in Schweigen ver- fallen muß: so kommt ein Brief aus Görlitz, der mich tröstet, erheitert: der Victor Hugo’n und mich rechtfertigt; mich aus der Einsiedelei errettet. So kam heute Ihr Billet an V., und Trost sprach es in meine Seele. Für welchen ich Ihnen hier danke. Danken möcht’ ich Ihnen für das, wofür Sie zu danken haben: für Unschuld. Es ist Verderbtheit, und nicht Mangel an Verstand, wenn der Mensch keine neue, ihm un- bequeme Gedanken in sich aufnehmen will: Stupidität, wenn sie vor ihn treten, und er nicht merkt, daß es neue sind, höchste Infamie, erkennt er sie, und läugnet sie doch. Erfreu- lich, der ganzen Seele wohlthuend sind Sie; der, mit wahrer Kinderart, Neues merkt, aufnimmt, anerkennt: — wo ich noch das herrliche Schauspiel habe, zu sehn, wie es sich all der vorbereiteten, großen Gedankenmasse willig und schnell nur anzuschließen hat! Wir vergessen immer: mich meine ich; daß diese schwere, mühsame, ehrliche Vorbereitung durchaus nöthig ist; und daß deßwegen das, wofür ich Ihnen danken möchte, so sehr selten gefunden werden kann. Kommen Sie nächstens: heute, wenn Sie können, daß wir über „Spandau“ ein wenig sprechen: mir ist es ein großes Bedürfniß; und mich dünkt immer, ich hätte viel darüber zu sagen: Sie wissen gewiß viel. Kommen Sie also wo möglich. Februar, 1832. Sein Geist, seine Seele und sein Herz haben keine Ge- spräche mit einander. Der einzig amüsante Umgang. Mein Körper ist vergnügt, wenn ich mich wohlbefinde; ich bin unterhalten, wenn man mich nicht ärgert. Ein Fest wird gestört, wenn man dies thut! — Mittwoch, den 8. Februar 1832. Vor mehr als acht Tagen behauptete ich, alles von den Saint-Simonisten möchte sein, wie es wollte, nur Religion könnten sie’s nicht nennen; das wurde mir hart abgestritten, und gesagt: dies habe man früher auch behauptet, und es wurde so viel dabei geredet, daß ich als Ignorant schweigen mußte: da ich sah, daß ich nicht verstanden ward. Gestern getraute ich mich zu sagen: sie nennten sich wohl nur Reli- gion, um unantastbar zu sein: das fand bessern Eingang, da es praktischer zu verstehen war. Aber meine eigne Meinung ward mich gelehrt: und wahrscheinlich überhört, daß ich sagte: eine Religion könne nicht deduzirt werden; (sie muß offenbart als Gebot werden: oder bewiesen durch Wunder, wozu sich Christus fremde große Lehre noch bequemen mußte;) sonst ist sie eine Lehre der vorhandenen Vernunft angereiht. Das ist aber das Schöne unseres jetzigen Zustandes, daß das Gute und Heilsame bewiesen werden kann, — und also bewiesen werden muß, — und daß das für Recht Anerkannte uns zum Höchsten in uns führt , und so von uns geehrt wird, wie die unerwartetste Offenbarung, von Chören von Engeln aus den Wolken gereicht! Diese unumstößliche Aner- kennung des Rechten, diese heilig gewordene Verehrung da- für, ist jetzt religiös, aber nicht mehr Religion. Das ist jetzt das heilige Antlitz Gottes, welches wir erkennen: eine Evi- denz, der nichts widerstehen kann, die alle Gesichte nach und nach ausschließt. Jeder muß seine bildlichen Privatvorstellun- gen seines Verhältnisses zum großen Gott aus den Mitteln seiner eignen Phantasie nehmen. An den Fürsten von Pückler-Muskau. Sonnabend, den 18. Februar 1832. Küßt man doch eine gelungene Pflanze — zartere in Gedanken — lobt, grüßt man sie! Wie selten ist mir in der Welt ein Kern des Menschen, sein Herz, so gelungen und rein erhalten vorgekommen, daß er, willig und freudig, ihm persönliche und momentane Vortheile fahren ließe, wenn seine Überzeugung eine andre werden muß. Ihnen, geehrter Herr, danke ich das tröstliche Schauspiel, und will mich des Danks der Erkenntlichkeit nicht schämen: ich muß und will sie Ihnen laut zurufen. Welche Stärkung — ja, ein groß- tropfiger Mairegen auf dorr-dürstigem Boden — waren mir gestern Ihre edlen, reinen, unschuldigen, milden, stillen und festen Vorsätze! Welcher Trost, welche Bürgschaft! Auf der verwirrten Erde solch edle Freunde zu hinterlassen! Bürgschaft, daß mehrere so sich finden werden; Ihnen wieder zum Trost und zur Nacheiferung. Auch ich bin hier unpersönlich: meiner Person kann nicht viel mehr durch die neu gewonnene Einsicht anheim fallen. Das weiß ich so gut, und besser, als ein Zwanzigjähriger, der mich ansieht. Aber Glück auf! Die alte Erde muß sich erhellen; und die kommenden Menschen besser und glücklicher sein. Dies Billet wird, wenn Sie’s aufheben, mit der Zeit Werth für Sie bekommen, in der ich nicht mehr werde schrei- ben können. Adieu lieber Fürst! Für Varnhagen ist’s ein Geheimniß!!! Frühjahr, 1832. Enseignement par le Père suprême. S. 8. Un- gründliche, nicht tiefgeschiedene Annahme: „Il y a des êtres à affections profondes etc. il y en a d’autres à affections vives, rapides, passagères etc.” Das sind keine Grundunterschiede, und besonders gar nicht so geschiedene Anlagen bei den Men- schen. Ich glaube vielmehr: daß für jeden Menschen ein an- derer existirt, in welchem er allen seinen Forderungen entspro- chen fände; und daß die, welche der Père als die tiefen Na- turen bezeichnet, im Laufe der jetzigen Welt, sich darin irren und obstiniren, daß sie eine, zwei, drei Eigenschaften im ge- liebten Gegenstand für alle annehmen, und, vorurtheilsvoll und entzündet, vor diesem Gegenstand wie vor einer zu neh- menden Festung, tapfer, standhaft, treu u. s. w. bleiben; und daß die Naturen, die der Père für die wankelmüthigen hält, nur noch ungebildeter sind, und bewußtlos gar nur eine oder zwei Eigenschaften vom Gegenstand ihrer Neigung fordern; sich aber auch anstellen, als hätten sie den Inbegriff ihres Lebens vor sich, und dessen vollständige lebendige Förderung. Diese Konfusion avancirt sich in’s Unendliche, und wird reich- lich genährt von alten, groben, verehrten Irrthümern. In- begriffe zu finden für Herz, Sinn, Förderung aller Art; für Haus, Leben, Ökonomie, Freiheit, woran europäische Liebe und Ehe Anspruch macht, ist ein so vielseitiges Glück, erfor- dert solche Glücksfälle, daß ich einen jeden frage, ob es ge- hofft werden kann, wie wir jetzt noch alle sind. Nicht so viel Werth auf Wahlen der Neigung muß gelegt werden; nicht so viel anderes ihr von Gewicht beigelegt: nicht so viel Ro- hes und Künftiges beigemischt werden. Dies öffentlich und rechtlich unterlassen zu dürfen, ist, dünkt mich, der erste Schritt, den alten Mißschritten Einhalt zu thun; an diesen leidet die Welt. Wem es gut geht, braucht gegen den Andern Gewalt — der Rest der Welt ist seine maréchaussée —. Wem es schlecht geht, der lügt; er muß. Denken thun nicht drei. — S. 16. Der Priester soll die zwei Naturen, von denen hier ausgegangen wird, leiten, berichtigen, bestimmen. Unnütz: und unthunlich: bloß weil nicht nach dem rechten Punkt des Irrthums hingekommen ist. Ist die große, alte, schadhafte Mauer des verjährten Vorurtheils umgerissen, gestürzt, so wird der geringste, nur nicht gestörte Verstand diese kompli- zirt scheinende, aber nur verwirrte Sache klar sehn. Kann eine Neigung ohne Anreiz existiren? Giebt es eine gerichtliche äußere Garantie für geschlossene oder bekannte Freundschaften? Ist nur ein Hausstand heilig? Ist es nur Kindererziehung, oder deren Behandlung? Haben diese irgend eine Garantie? Können nicht grade Eltern die bis zum Tod martern, phy- sisch oder moralisch? Ist intimes Zusammenleben, ohne Zauber und Entzücken, nicht unanständiger, als Extase irgend einer Art? Ist Aufrichtigkeit möglich, wo Unnatürliches gewaltsam gefordert werden kann? Ist ein Zustand, wo jene, also die Wahrheit, also die Grazie, also die Unschuld, nicht möglich ist, nicht dadurch allein verwerflich? Weg mit der Mauer! Weg mit ihrem Schutt! Der Erde gleich sei dies Unwesen gemacht! und alles wird auf ihr erblühn, was leben soll. Eine Vegetation! — An Karl Friedrich von Rumohr. Mittwoch, den 21. März 1832. Gleich den Tag nachher, als ich die Ehre gehabt hatte, Sie bei uns zu sehn, hätte ich Ihnen, geehrter Herr Baron, ein Wort schreiben sollen; ich dachte auch fest dazu entschlossen zu sein, und unterließ es doch. Der bessere Theil der Unter- lassungsgründe war eine Art von Scheu; die Sie gewiß zu deuten wissen werden. Ich mochte nicht so positiv auftreten, mich nicht so kompakt, als Person darstellen, oder aufdrängen; und wollte warten, bis ich die Ehre Sie wiederzusehn haben würde. Da aber Ihr Besuch sich verzögern muß, und Varn- hagen mir nun schon zweimal bestellte, daß es Ihnen leid ist, sich mir gleich zornig gezeigt zu haben; so finde ich mich ge- drungen Ihnen zu sagen, daß ich den Zorn überhaupt liebe, — tiefe Äußerung unserer Gerechtigkeitsliebe; Recht, welches wir nur mit dem Leben aufgeben können: und, dies Recht unterdrückt, wirklicher Tod, in allem Sinn —, und die Art ihn zu äußern der wahre tiefe Punkt ist, der mir den Menschen als solchen zeigt, oder als eine verirrte, verwirrte Abart. Ich bin so frei Ihnen zu sagen: Ihr Zorn gefiel mir — ich fühlte ihn gleich mit — und ich erkannte meine Art Zorn auf Ihren zuckenden Mienen; wie ein leuchtendes Blitzen, welches mich etwas in Ihr Inneres schauen ließ. Das war sogar besser — wie ich schon sagte — als eine Zeichnung von Ihnen! Sehn Sie den Zufall gefälligst auch so an: und ge- nehmigen Sie, daß unsre Bekanntschaft von einem Blitz er- leuchtet ward! Auch ich hätte mich zu entschuldigen; wären mir Ihre schmeichelhaften Äußerungen nicht zu Ohren gekommen. Ein in Kissen eingewickelter Leidender muß sich nicht allein maus- sade fühlen, er muß es auch sein! und doppelt, zehnfach Dank Dank wissen, wenn man ihm unter solcher Hülle nur noch nachforscht! Mögen Sie sich bald so fühlen, daß Sie mir noch eine Untersuchung gönnen möchten; ich will dann mein Bestes thun! Hochachtungsvoll und ergebenst Friederike Varnhagen. An den Fürsten von Pückler-Muskau. 1832. Kluger Fürst! der Notre-Dame würdigt; und im Gegen- theil derer, die auch für klug gehalten werden, alles Neue als solches erkennt, und in sich zurecht stellt. Versäumen Sie ja nicht ! diese neusten Hefte! Gründlicheres, Rechtschaffeneres, Klareres, Einfacheres, Unwidersprechlicheres ist wohl nicht ge- druckt. Sie geht, die Welt; wie die Erde. Wir Menschen merken’s nicht; nur die Denker, die Gelehrten erspähten es; wir lassen’s uns beweisen, und glauben’s. Ginge sie doch sichtbarer, schneller! Unser Leben ist mir nicht lang genug; ich zu alt schon: und möchte noch gerne mitschmausen. — Ich bin krank; wie der Frühling; Reminiszenzen von Blüthen, Blättern, sonstigen Frühlingen, rauher Wind, Flughitze, Schauer, Sonnenschein, Unbehagen. — Sie sind ein Schöpfer: ein Hirte im Thal, ein Autor da dort; und so ist auch Ihr Frühling sogar besser. Gesegne es Ihnen der Höchste! Ich thue es auch; V. hat Recht: ich denke es immer: Segen hilft. — III. 36 — Ein Erdbändiger sind Sie, und thun es in Muskau zur größten Evidenz dar. Welcher Geist der Einsicht, und Kraft der Ordnung und Ausführung webt und lebt da in den lieblichsten Bildern und Erschaffnissen! Reich gezeigt einem jeden — grade nach dem Maße was er aufzufassen fähig ist: ich fühle ein Bedürfniß, es dem Schöpfer zu bezeigen, daß ich es in großem Maße genieße und bewundre! An Ludwig Robert, in Baden. Freitag 1 Uhr Mittag, den 6. April 1832. Rauhes, graues, nordlandsches Frühlingswetter, mit Regenwillen, und weichere Luft darunter, welches Blumen, Blätter, und Blüthen nicht zurückhält. Biermal bin ich nun seit April ausgefahren. Vor- her krank zu Bette, zu Hause. Auf diesen Brief wünsche ich, wenn auch nur zwei Worte, geantwortet!!! den Tag nach dem Empfang: wie ich es, wirklich agonisirend bewerkstellige. Ich schreibe nun hier zum zweitenmal: daß ich sehr gerne die von euch angebotenen Zimmer bei euch nehme. In jedem Fall kann ich also bei euch dann abtreten; wann ich komme. — Du kannst auf die Miethe rechnen : und sie haben wann du willst. Schreibe mir, wie viel Thaler es macht, und ich schicke sie. Nur ant- worte schnell: zwei Worte, wie ich. Nun noch Eins. Heute steht’s bestimmt in der Spener’- schen Zeitung, daß die Cholera in Paris ist: und mit allen Umständen. Kommt sie in eure Nähe: wandelt dich die min- deste Furcht an: reise ab. Komme zu uns zurück; lasse Scham und Schande, und der Leute Wunder und Tadel! (Ich weiß, welche Krankheit ich ohne Cholera, von ihrer Luft, ein Jahr ausgestanden. Gott selbst kann das nicht verlangen.) Die Kosten habe ich für dich zu liegen : es erfährt es kein Mensch : mein einzig Glück! für alle meine Leiden , die nun wirkliche Beklemmungen !!!! geworden waren: laß mir das . Ich bin noch so hinfällig, daß aus eignen, meinen per- sönlichen Mittlen kein baldiger Entschluß zur Reise mit Tha- ten und selbstgemachten Anstalten von mir herkommen kann. Kommt die Cholera nicht, so komme ich. Elise nur macht, daß ich nicht gleich komme; den Schmerz erträgt mein Krampf links noch nicht. Die Barbaren alle. Keiner weiß was ich be- darf. Schelten können sie mich: und Gott leidet es. Korri- giren will man in meinem Hause einen Erstickenden! Amen! dies in einer andern Welt, unter andern Lebensbedingungen. Ich kann nichts berichten; ich sehe nur die paar Leute, die mich noch Abends besuchen wollen: und das auch erst seit drei Wochen: ich litt unendlich Aber das ist so unnatürlich, daß man’s vergißt. Adieu liebe Freunde! — Fürchtest du dich in Baden, so können wir uns auch außer hier Rendezvous geben: es soll zwischen Dresden und Meißen ein reizendes, unbesuchtes, wohlfeiles Bad mit gutem Essen geben. 36 * An Ludwig Robert, in Baden. Dienstag, den 17. April 1832. Morgens 10 Uhr. Helles, heißes Nordostwetter. Schönster Mondschein Abends: dann gutes Wetter. Um 6 größter, mir schädlicher Nebel. Alles grün. Mandelbäume blü- hen bei Bartholdy’s. Blau von Veilchen. Den 4. März bekam ich deinen Brief, worin du mir das Quartier bei dir zuerst anbotest. Ich war sehr krank damals, und anwortete den 6. März, daß ich es in jedem Fall, wenn auch nicht für mich, doch für dich nehme. Darauf erhielt ich keine Antwort: und schrieb also, den letzten Donnerstag vor acht Tagen, dringend um eine. Darauf erhielt ich auch sehr richtig, gestern die eurige. Es freut mich, daß du dich nicht ängstigst. Und wo man ist, ist gut bleiben, wenn solches Thier von Krankheit wüthet. Jedoch gedenk’ ich noch zu kom- men, zu reisen. Es sieht so aus: auch äußere ich oft, als ob’s so wäre: ich bin aber nicht mein eigener Herr: darf das nicht sagen; und muß in krümmendster Vernunft noch das Ansehn haben, und mir sagen lassen, daß ich verrückt in Plänen, Wünschen, und Leben bin. Amen! Gott schickt es mir: ich will es hinnehmen, in’s Herz schlucken. Also es bleibt dabei; wie ich neulich schrieb. Komme ich; ist es gut. Komme ich nicht: muß es auch gut sein. Jetzt bin ich sehr affizirt: ich habe mich müssen schelten lassen; à soixante ans, et malade. Ich gehe in mein Bad, und hätte euch nichts sollen merken lassen!! Aber ich kann es auch nicht immer verbergen. Je- doch ist es anders, wenn ihr diesen Brief leset: und schon bald . Gott schütze uns! Gestern Abend war Gesellschaft hier: ein ziemlich munterer Abend für Alle: ich , hatte dabei nichts zu holen: bin aber mit der Andern Zufriedenheit zufrieden. Jetzt habe ich geschrieben, weil nach dem Baden es nicht geht. Sonst wäre es auch anders ausgefallen. Braun ist sehr wohl und vergnügt, und besucht mich: erst ganz kürzlich: gestern aß er bei Moritz. — Also Börne in Straßburg! Gräß- lich behandelt er Goethe. Mir gleichgültig. Schelling sprach schön über ihn in der Allgemeinen Zeitung. Adieu. Eure F. V. An Adolph von Willisen. Sonnabend, den 21. April 1832. Lesen Sie ja — wie dumm ausgedrückt! — in der Revue encyclopédique Seite 17, 18 bis 20, 21 bis 31. Auf diesen Seiten stehn die gelungensten, derbsten, lebendigsten Wahrhei- ten. Wie gesunde Jungen, im besten Moment erzeugt: streite man ihnen ihr Leben ab. Schlagen muß man sich mit ihnen: getödtet wird man, wenn man sie tödtet. Welch Tableau! — der Zustände! Wie nur gesagt, was wahr ist: kein Raum, zu keiner Widerrede, als zur dümmsten: die auch der Frecheste nicht mehr bei der Hand haben wird. — Wie ein großer nai- ver Arzt: der da am Körper, am geöffneten, zeigt: „Hier, an der Leber z. B., ist das Übel, so theilt es sich den übrigen Theilen und Funktionen mit; bis zum Herzen. Dies muß dagegen geschehn: hier hilft kein Läugnen mehr, jeder Lebens- theil leidet, so und so, mit.“ So zeigt er auch ihnen die Dummheit, daß sie sagen: „Ja, leidet die Leber, so kommt’s auch an’s Herz zuletzt.“ — „Ja; sagt er, das ist nicht der große Witz: befreit die Leber; das ist euer Geschäft, Herren Esels!“ Wie vortrefflich alles Angeführte der Schriftsteller! Wie vortrefflich die Geschichte — die arme, stillhaltende Geschichte! — angesehn. Wie der den Cato und Cäsar stellt: und die alten Zustände. Wie klar, wie gelassen, wie ohne Geschrei. Wie bescheiden, wie dringend; unabweisbar. Es ist nicht möglich, daß alle Tage solches in die Welt hinausgeschickt wird, ohne allgemeine Überzeugung zu werden. Nur wiederholt, Men- schenfreunde! wiederholt! Wie sie, jene, ihr Elendes wieder- holen. China sind mir diese Schriften, diese Worte; dieses Behaupten; in der Wüste, in meiner Schwäche , die ich als positive Ohnmächtigkeit fühle. China: Riechessig! Adieu! F. V. An Adolph von Willisen. Mittwoch, den 25. April 1832. Sie sind mir nicht zugedacht; ich nehme auch das auf meinen Nacken; da ich mein Haupt ganz beuge; aber nur gegen den Allerstärksten, und Einzigen, der alles ist. Nicht gegen einzelne Armeekorps, oder gar Kapitaine — ich meine auf Ehre nicht Sie — noch gegen die größte schönste Fürstin, anders, als in nachgebender Liebe . Geben Sie gütigst die Tieck’sche Novelle unserer holden Gräfin mit meinem Dank zurück. Welche lose, bequeme Erfindung: wie gar die Ver- hältnisse darin nicht auf dem Piedestal, woraus die Bürger- welt besteht, die wir Alle kennen, die uns Alle hemmt; in der, und auf der alles, was Weltleben ist, vorgehen muß (wenn es nicht leer und willkürlich erscheinen soll), und uns einzig zu Betrachtungen anreizt, die alle große Autoren uns zu ma- chen zwingen, weil sie sich wahren Boden nehmen; auf dem genug zu phantasiren ist; er selbst aber muß nicht phantasirt werden; außer ab sichtlich, etwa um uns ernst ein Vorbild zu zeigen, wie es zugehn sollte; oder uns lächlen zu lassen, oder uns zu empören; wie es zugeht . Hier konfundiren sich On- kel und Neffe, die in der ersten und zweiten Generation nicht aus dem Reisen, dem Mondschein, der Verhältnißlosigkeit, und dem Geldüberfluß kommen; und aus dem Raisonniren über Goethe, und dem unerfüllten Bestreben die Natur zu empfinden, und dem Leser dies mit Bröckelchen darzuthun, wovon nicht Eines die Macht hat, uns solchen herrlichen Gegenständen einen Moment näher zu bringen: diese Ohn- macht erinnert ihn wohl an Goethen! Stumm hätte ihn das kleinste Lied von dem angeführt machen sollen. Packt und schüttelt ihn denn solches gar nicht? Nur abführen thut es ihn? (Abführen, ist hier glücklich! — in den schwachen Gedärmen.) — Von der Liebe, und ihren Gegenständen den Mädchen, gar nicht zu sprechen! Und der arme Mondschein, der da Monate lang eingefangen ist; und der gar keinen Süchtigen schafft ; nur Tieck einen Buchtitel gnädigst lie- fern muß. O! Lob’ er nur Goethe nicht nachträglich; und dann novellire er so viel man ihn nur immer lesen mag! Die kleinen Schönheiten mag ich ihm nicht besonders nach- und anrechnen. Die hat er mit allen jetzt gemein: Einer so, der Andre anders: und bei ihm liegt so etwas noch beim Tint- faß umher. Hier aber haben Sie Globes. Le pain quotidien, welches man haben muß. Sie werden durch meine Striche und Worte sehn, was ich für schön, schön gesagt, und wichtig finde; aber nicht, wie erschütternd, auch zerreißend, auch beglückend es auf mich wirkt: es trifft einen ganz lebendigen, geordneten Vor- rath in mir an. Ich litt nicht allein, aber mit allen Men- schen: und unendlich: vielleicht einzig. Jeden Menschen hat Gott zum Virtuosen bestimmt: ich habe — ganz gewiß — meine Kunst völlig geübt. Auch interessirt mich nichts ganz, als was die Erde für uns bessern kann: sie und unsre Hand- lungen darauf. Heute bin ich gewiß zu Hause: morgen auch. Freitag im Königsstädter. Vertreten Sie mich bei Gräfin Y., der die Novelle gefällt! Ich muß noch einen Globe endigen: bald sollen Sie ihn erhalten. Meine ganze Nahrung. Aber welchen Durst und Hunger hatte ich auch: und wußte genau, wer und was mir die Lebensmittel vorenthielt: aus bloßem Hunger; wie ich al- les erfahre. Aber Sie : strotzen von Undank, und bleiben weg. Nun will ich Einmal heute sehn! Emilie soll ich auch nicht sehn. Dabei lasse ich es nicht. F. V. An Ludwig Robert, in Baden. (Ludwig Robert verlangte sein in Berlin zurückgebliebenes Exemplar der Kämpfe der Zeit nach Baden nachgeschickt. Rahel sandte es, und schrieb unter die Zueignung an Fichte’s Geist vorher noch diese Grußworte ein:) Mit großer Erschütterung, und tiefster Zustimmung las ich eben jetzt — 10 Morgens — diese Zueignung: du weißt, welches Blatt ich dir neulich mit den Worten „es sei eine Amplifikation Fichtens“ empfahl. Täglich gedenke ich also dieses Helden von Gemüth, und Forschung. Er lebt ; in je- dem Fall doch schon in uns beiden. Ein wahrer Vermittler. Wie mir, auch St. Simon. In Noth wende ich mich an sie: und komme zu mir. Zu Ergebenheit: und dann ist’s, daß ich sage: „Gott ist klüger.“ Auch habe ich diese Nacht ausführ- lich von Goethen geträumt. Wofür ich sehr danke. Lange schon träumte mir auch nichts Schönes!!! Diesen Gruß schreib ich: Sonnabend den 28. April 1832. Ein erneuerter Bund. Rahel. An Karl Schall. Sonnabend, den 5. Mai 1832. „Riskiren“ Sie nur! Ich bin zu Hause: auch heute. Unverhofft liebe ich sehr. Übrigens konservirt uns ja Frühling und Sommer immer Winterabende; es hat sein Gutes; wenn die Freunde nämlich kommen wollen. Im schönsten Sommer können meine Zimmer durch Luft und Duft von Bäumen und Blumen — ganz gartenartig bereitet werden; Mond, alles scheint hinein. Auch ich schwöre bei den Göttern — nein! Gott — Abrahams, daß uns die Revue encyclopédique nicht gehört, und daß ich sie noch nicht beendigt habe: aber, daß ich gewiß dafür sorgen werde, daß Sie sie erhalten! Nichts ist mir so wichtig, als Einpflanzungen auf bereitetem Boden; das giebt neuen Samen! Ich bin die tiefste Saint-Simoni- stin. Nämlich; mein ganzer Glaube ist die Überzeugung des Fortschreitens, der Perfektibilität, der Ausbildung des Uni- versums, zu immer mehr Verständniß, und Wohlstand im höchsten Sinn; Glück, und Glückbereitung. Sein Sie also meiner Beflissenheit gewiß, Ihnen alle Lektüre, die ich für wesentlich halte, zu schaffen: und kommen Sie je nächstens je besser. Fr. Varnhagen. An Frau von Ephraim, in Wien. Berlin, den 22. Mai 1832. Sie werden sich freuen, herzliche, treue Freundin, meine Handschrift zu sehen, wie ich mich vorgestern freute, als mir Mariane schrieb, daß Sie ausgefahren waren. Wir können uns also noch sehn; noch sprechen, noch schreiben, noch von einander wissen. Ich triumphire. Wir waren Beide sehr krank; ich bin noch nicht wohl; und schreibe mit Nachtheil, aber jetzt mit Vergnügen. Thun Sie sich nur recht viel zu Gute! Leben Sie nahe den schönsten Bäumen. Seit mehre- ren Jahren fahre ich nur nach Schöneberg spaziren: und je- desmal begrüße ich laut Ihr Haus. Meine Klein-Nichtchen kennen es schon. „Frau von Ephraim ihr Haus“ sage ich, vielleicht zum Erstaunen der Andern. Es ist ein Gruß, ein Segen, ein Andenken! Nie sehe ich einen ausgezeichneten Baum allein; immer laut mit Ihnen. Welcher Verlust, von seinen eigenschaftsvollen Freunden getrennt zu sein! Wo ist Dienstfertigkeit, Kinder bescheidenheit, Einsicht, ewige sonnen- blickende, alles belebende, ermunternde Laune, die keines Witzes bedürfte, und ihn nur ewig bei Ihnen von sich zu werfen hat; wo ist Feinheit, altadlige Artigkeit, Betragen zu und für alle Menschengattungen, Wirthlichkeit in größter Eleganz? Wo ist eine Ephraim, seit Sie weg sind? und tausend Ge- spräche, die ich nur mit Ihnen haben konnte: dieser Blick- und Wortwechsel! Ach mit jedem entfernten Freund geht ein Stück Leben von uns selbst weg! Ich habe zu viele, zu herrliche , durch Tod und Trennung verloren! Fast stehe ich, rauhem, fremdem Wind ausgesetzt, entblättert da. Gott soll aber meine Klagen nicht heimsuchen; und mir den Rest lassen!!!! Ich hörte genau von Marianen, wie schön es in Wien bei Ihnen ist: und dies versüßte mir mein Leben hier. Es ist ein Glück , mit einer vortrefflichen Tochter als Mann und Frau zu leben! Mögen Sie’s Beide allseitig erwägen, und schätzen! Dabei, daß Sie es tief und glücklichst empfinden. Aber wie machen wir’s, daß wir uns sehn ? ein Stück zu- sammenleben? Haben die witzigen Dämonen nicht nun die Cholera erfunden; als Contrecoup gegen Chaussee, Dampf und Eisenbahn? Konnte man vorigen Sommer weg, kann man es diesen? Nicht aus Besorglichkeit: aus Schwäche und Krankheit muß ich bleiben, so hat mich die Einwirkung dieser Krankheit, ihre Luft , dahingenommen. Paix là-dessus! Ich käme nach Wien zu meinen Freunden; zu Ihnen. Das sind meine Vatikans, meine Bildergalerien, meine Schweizerberge, die ich besteigen will . Vielleicht lebe ich künftigen Som- mer noch. Vielleicht bringt auch dieser mich noch hin. Jetzt nur bin ich noch nicht recht reisefähig. Ich bin stolz darauf, daß wir Beide genesen sind: wenn ich mich freue, fühle ich mich immer stolz. Ist das unnatürlich? unrecht ? Ich weiß nicht recht. Wie lange hatte ich diesen Liebesbrief schon auf dem Herzen! Und doch wohl läge er ohne eine äußere Ver- anlassung noch wohl darauf. Mlle. F., eine angehende Sän- gerin, bringt ihn Ihnen. Beschützen Sie sie, à la Ephraim! Sie ist voller Talent, nur noch nicht das, sich geltend zu ma- chen. — Ihnen steht in Wien alles Gute zu Gebot, obenan Ihre Schwester, Ihre Nichten! Bitte, bitte! diese Damen alle!!! auch meine Freundin Fr., die ich hier tausendmal herz- lich umarme: auch sie kommt nicht hierher, ich muß hin! Auch Sie, liebe Henriette, nehmen Sie sich der jungen unschuldigen Fremden an: wie Sie es können, und sie ist für Wien und für weiter geborgen. — Nun, theure Freundin, erlauben Sie mir, Ihnen eine Anekdote zu erzählen. Vor mehr als zwanzig Jahren sollte ein Akteur in Nürnberg den Marinelli als Gastrolle spielen. Es schlägt sechs; das Publikum pocht, es soll angehen: ein Vier- tel, es geht noch nicht an: halb! der Mann tritt in habit habillé, den Degen an der Seite, heraus, ein Paar Schuhe in der Hand. Es wird still. „Sehen Sie, meine Herren, ich habe Schuh; aber jetzt hab’ ich sie erst bekommen, und nun kann ich sie nicht anziehen, sie sind zu eng!“ Applaudirt. Das Stück geht an. Nun komme ich. „Ich habe fein Pa- pier, aber ich kann nicht darauf schreiben.“ Applaudiren Sie mich: ich habe die Schuh in der Hand: ich schicke Ihnen das feine Papier; hier ist’s! Sur cela je vous dis le bon jour; je vous embrasse! Mit der alten Liebe! Ihre treue alte Fr. V. Milder als Mairegen sind Kinderküsse. Rosenduft, Nach- tigallton, Lerchenwirbel, — Goethe hört’s nicht mehr. Ein großer Zeuge fehlt. — Sommer 1832. An Karl Schall. Donnerstag, den 7. Juni 1832. Da unsre Urtheile über Kunstleistungen so oft übereinstim- men; und dem sittliche Motive und Einsichten immer zu Grunde liegen, so schicke ich Ihnen die zwei Hefte. Lesen Sie darin „aus den Denkblättern einer Berlinerin.“ Als Fouqu é dies Journälchen anfing, drang er sehr in V., ihm etwas dafür zu geben: der fragte mich, ob ich wohl diese Sprüche dazu benutzen lassen wollte: ich fand nichts dagegen; manches da- für. Sie werden sehn, in wie verschiedenen Zeiten sie aufge- zeichnet sind: dicke große Hefte existiren noch so, das Meiste aus wirklichen Briefen; manches gedruckt — steht zu Be- fehl. — Daß all diesem eine ununterbrochene, junge, und alt- gewordene Selbstthätigkeit zum Grunde liegt, kann Ihnen nicht entgehn; der Sie auch ein fleißiger Bauer — cultiva- teur — sind; nur ermessen Sie, wie es mir bei meinen Näch- sten vorkommen muß, die von je her, bei jeder einzelnen Äu- ßerung machen, als hätte ich rein nichts , oder Willkürliches, oder Unsinn, oder nur Mißwilliges gesagt: die gar nicht mer- ken, wenn ihnen etwas Neues entgegen kommt; sich in Er- ziehung, Sittlichkeit, Kunst, und Leben aller Art, lächelnd mir voraus glauben; und nur im leeren Ganzen nicht abläugnen , ich sei eine kluge Frau, oder geistvoll. Wäre das hier persönlich gemeint; nämlich, daß ich mehr geschätzt sein will; so werden Sie glauben, daß ich klug genug wäre, mich dessen Äußerung hier, schriftlich, und überlegt, enthalten zu können. Daß aber Gedanken, Behauptungen, Beweise keinen Eingang finden, wenn man sich doch Einmal auf die Bahn stellt, wo sie geführt werden, ist nicht zeitslebens auszuhalten : noch sich zu stellen, als ob abgedroschenste Trivialitäten uns unterrichteten. Dies diene zum Verständ- niß, und zur Entschuldigung manches Zorns, wo er nicht er- scheinen sollte! Antworten Sie mir ja nicht ! während Ih- rer Arbeitstunden! Und geben Sie diese Hefte nicht aus den Händen! Ich habe keine andre. Und sehen Sie die Taglioni wieder, so geben Sie Acht: comme elle fait main; et même doigts. — Sans rancune quelconque. Adieu. F. V. An die Fürstin von Pückler-Muskau. Freitag, den 8. Juni 1832. Voller Beschämung erhalte ich die huldvollen Zeilen, das aromatische Geschenk! In tiefster, sehe ich Ihre geduldige gnädige Einladung an, verehrte Frau Fürstin! Längst wäre ich in Muskau, wäre ich nur irgend apt und brauchbar! — abwarten muß ich mich, und meine verrückten Übel, die nicht Stunde nicht Regel halten! Auch Sie sind leidend, auch der Fürst. Unzählige Bekannte. Die Atmosphäre ist krank: dies bezeugen die Zeitungen über Wien, Madrid, Neapel, Rom, London, Paris. Allenthalben Schnee, Wind, Kälte, Abwechs- lung! Um die Erlaubniß werde ich bitten, Ihro Durchlaucht besuchen zu dürfen, und nicht Einladungen abwarten: es ist ja ein brillanter Wunsch von mir, im idealischen Muskau un- ter Ihrer Protektion zu athmen. Ich athme eben nicht: au pied de la lettre. Gestern war ich zum Spott bei Rust im Thiergarten: ich ganz allein in einem Salon, während Alle draußen waren; und als die Andren kamen, war ich dem Er- sticken nah; weil ich mit Spontini’s war, und nicht gleich al- lein weg konnte; weil er noch eine Arie hören mußte unver- muthet. Zu keiner Gesellschaft, zu keiner Fahrt bin ich brauch- bar: meinen Freunden zur Last . Bin ich nur wieder mensch- lich: so melde ich mich gleich bei meiner besten Gönnerin! Gestern hatte Varnhagen eben dem Fürsten geschrieben, als Ihre Sendungen ankamen. Freilich habe ich in der Beer’schen Loge Mlle. Taglioni gesehen, eine Sylphide. Sanft, weich, intelligent, liebend, liebend, liebend! die Mienen, dies An- schmeichlen aus Zärtlichkeit! vortrefflich! mais elle fait main; même doigts; wozu hat solche Künstlerin das nöthig! Französische Schule; Salons-Nähe: Entfernung der Antike, heißt: gereinigter Natur. Italiänische Schule verstößt dage- gen nicht. Aber eine Kleinigkeit! Wüßte sie es nur. Den- ken Sie sich, Frau Fürstin, ich sehe heute wieder die Sylphide: bloß um die Billets, wegen ein anderesmal, nicht zurückwei- sen zu wollen. Aber gleicher Erde, zweite Loge vom Theater. Sonst unmöglich! C’est jouer de malheur, daß Fürstin Adelheid herkommen soll, wenn Sie weg sind!!! Ich selbst mit allen meinen Wün- schen kann nicht zur Wiederherreise rathen. Aber wären Sie da! Göttlich. Mit einemmale da! Bei allem Mißlingen hofft meine ewig närrische Seele doch immer das Unglaub- lichste. Wir lassen nicht vom Glück! Es ist unser Element, und auch der Wechsel auf das selige Leben ausgestellt: ein Stück Religion: Zusammenhang mit dem Höchsten. Kröne uns Erfüllung für’s erste, mit schönen Tagen, noch diesen Sommer, in Muskau! Ihre wahrhaft ergebene, und vereh- rende Fr. Varnhagen. An Leopold Ranke, in Berlin. Sonnabend, den 15. Juni 1832. Ich kann, ich darf diesen Tag nicht vorbei lassen, ohne Ihnen zu schreiben. Wie Wie falsch, wie schief sagen wir alles, was wir aus- drücken wollen; nichts kann auch verstanden werden, wenn es der Andre nicht vorher weiß. So können Sie nicht wissen, daß ich meinen verschwundenen Freund nur dann, nur deß- halb liebte , wenn er recht etwas Kindisches sagte, oder that. Da liebt’ ich ihn; deßhalb wiederholte ich es, daß er sagte: er sei so glücklich in Prag der Erste zu sein, daß alle oberste Behörden, große Damen, und Herren zu ihm schicken müßten! etc. mit entzücktem Lächlen, und in die Augen Sehn! So klug, dies zu verschweigen, ist jedes erzogene, verlogne Vieh : aber wer hat die hingebungsvolle Seele, das liebe Kinderherz, es zu sagen? Seine Perfidien — er übte sie reichlich, gegen mich — sind anders, als der Andern ihre: er gleitete wie in einem Glücksschlitten fliegend auf einer Bahn, auf der er allein war; und niemand darf sich ihm vergleichen; auf die- sem Wege dann, sah er, nicht mehr wie auf der Erde, weder rechts, noch links: hatte er Schmerz, litt er Widerspruch, dann war er nicht mehr auf dieser Bahn; und dann verlangte er Hülfe und Trost; die er nie gab. Keiner aber darf dies wa- gen, und doch liebenswürdig, und liebenswerth sein. Unge- straft ließ ich’s so lange er lebte, nicht hingehn. Nun aber, beim Facit, bleibt mir nur reine, lebendige Liebe. Dies sei sein Epitaph! Er reizte mich immer zur Liebe: er war immer zu dem aufgelegt, was er als wahr fassen konnte. Er ergriff das Unwahre mit Wahrheitsleidenschaft. Viele Menschen muß man Stück vor Stück loben: und sie gehn nicht in unser Herz mit Liebe ein; andre, wenige , kann man viel tadlen, III. 37 aber sie öffnen immer unser Herz, bewegen es zur Liebe. Das that Gentz für mich: und nie wird er bei mir sterben. Übrigens glaube ich jetzt, wir werden nach dem Sterben von einander wissen: oder vielmehr, uns zusammen finden. Dies gesagt, grüße ich Sie, und bin überzeugt, mein Schrei- ben freut sie. Fr. Varnhagen. An Michael Beer, in Berlin. Freitag, den 29. Juni 1832. Sehr gerne, lieber Herr Beer, hätte ich Sie über „Hand und Schwert“ gesprochen! Ich habe, wie bei Varnhagen und Robert, wenn ich von ihnen etwas nachsehe, Kreuzchen ge- macht; bei allen schönen Stellen: + solches; bei zu ändern- den ≠ solches. Eine muß geändert werden: da steht solch ≢ Zeichen. Ich bin für das Stück: schon daß es innerlich, und un- ter Wenigen; und ohne Volk und Lärm — großes Bedürf- niß, dringendes jetzt — in Opern und Stücken! — Die Portici ist mir ein Gräuel : mit dem ambulanten Fisch- markt; und den legitimen Krämpfen zuletzt; und der willkür- lich-unnützen Stummen; und den inspirations préméditées! und mit seinem auf Effekt Arbeiten. — Und nicht, wie mir erzählt ward, nur zuletzt kommt Anno 15 in Ihrem Stück vor; sondern, es ist das Element, in dem das Stück sich be- wegt. Geweint habe ich ganz zuletzt, bitterlich: über das, was der General sagt. Und nicht überflüssig ist der fünfte Akt: höchst nothwendiges Haupt des Stücks: als edel- stes Organ zuletzt gemacht. Wie verkehrt sehen doch die Leute ein Kunstwerk an! — Mehr appüyirt, hätte ich gewünscht, wäre auf der Ehre Irrthümer, in der Liebe, geworden! für’s Volk . — Ich finde es ein edles reines Werk. Vielleicht spreche ich Sie noch im Theater: ich bin neben Heinrichs Loge. Er- gebenst und dankend Fr. Varnhagen. Glücklichste Reise! Ver- gessen Sie mein Schlößchen, meine Briefe nicht! Nächstens lesen Sie eine lautere Kritik! Gedruckt. An Ludwig Robert, in Baden. Berlin, 8 Uhr Morgens, Montag den 9. Juli 1832. Schlagsregen, nach anderm vielen und schlechten Wetter. Es ist meine Pflicht, theurer Religionsbruder, dir zu schrei- ben. Ihnen! Freundin Rike! Es schicken zu viel Menschen zu mir; ihr könntet eine falsche, eine halbe Nachricht hören. Von der Nacht des Freitags zum Sonnabend rettete mich ein Ader- laß. Was ich vorher litt, bleibt ein ewiges Geheimniß zwi- schen Gott und mir. Auch kann ich es jetzt schon lange nicht mehr im Kopf zusammenkriegen. Schlechtes ist scheinbar : unnatürlich. Gott war mir in Gedanken gnädig. Dank ihm: mit Einsehn. Arbeite immer an dir: so schaffen wir uns wei- ter; ers chaffen meine ich. (Es gießt nur so!) Es freut mich, daß ich leben geblieben bin: mit euch Allen. Ich habe schon seit der Zeit unendliches Vergnügen gehabt. Ich fühlte wahres Glück . Wenn Varnh. freundlich sein kann, bin ich 37 * völlig glücklich. Meine Freundin ist mir ein Segen ! „Der Gott und die Bajadere“ ist nur darum so schön, weil er lehrt, wie wir sehn sollten. Ich kenne die andern Damen: und sehe jetzt diese wieder. Seit vierzehn Tagen schlafen Elise und Pauline bei mir, weil das Wetter sie Alle aus dem Garten trieb, und sie nicht alle Betten herein nahmen, um wieder hinaus zu ziehen. — — Mich unterrichtete Gott durch fünfzehnmonatliche Lei- den: seit dem März vorigen Jahrs!!! Ich bin glücklich: und wir sehen uns wieder. Grüßt meine Nichte, und Henriette vielemale; und Marie und den Menschenfreund. L. ist sehr sehr freundlich gegen mich: unterstützte mich sehr mit den schön- sten Erdbeeren, (alles gedeihet: nur nicht der Mensch) — (Eben kommt Elise in mein Bette zu Füßen. Glück, Glück, Glück!) und schickt mir Emil Mittwochs und Sonnabends zum Din é und den schönsten Ausflügen. Blumengarten, ꝛc. Ein Prachtjunge! wie vier und wie achtzehn Jahr. Lebt wohl, seid vergnügt! Wenn ich nur nicht zu stolz werde! Fast hätte ich gesagt: ein guter Dämon ist mir beigegeben: bei meinen nie gelesenen Leiden in der Welt. Jetzt hatte ich einen Zeu- gen : meine Freundin. Höchstes Bedürfniß. Adieu, Kinder! Wir wollen gut sein; und immer besser werden. Eure Rahel. Grüßt alle Beers; Herren, und Damen. Und Wilhelms . Keiner weiß, daß ich schreibe: wegen Schelte. Elise will ab- solut, daß ich schreibe: die Kinder waren gestern bei Nernst’s. Moritzens und Fanny sind sehr wohl. Schreibe mir ein Wort: nicht Rike! — Von allen Autoren, die ich kenne, hat keiner einen grö- ßeren, reicheren, inhaltvolleren Gedanken ausgesprochen, als Saint-Martin; durch die Worte: „Unsere künftige Glückse- ligkeit wird darin bestehen, daß wir jeden Augenblick et- was Neues erfahren werden.“ Dann auch nur werden wir befreit sein, und am Erschaffen Theil haben. Jetzt müssen wir nur wiederholen, in Variationen auf derselben Beschränkung: gewiß Folge einer Wahl; und Bedingung; diese aber schließt Vollkommenheit, also wirkliches, nothwen- diges Glück aus. Sonntag, noch in meinem Krankenbett, den 29. Juli 1832. 10 Uhr Morgens, Saint-Martin ist mein größter révélateur. An Mariane Saaling. Sonnabend, den 21. Juli 1832. Fürchten Sie nichts, gute Freundin! Sie können mich sehn: aber niemand muß davon wissen; sonst kommen Prä- tensionen. Sie liebes Mädchen will ich wegen der Person spre- chen, die ich zu Michaelis nehmen wollte , aber nicht neh- men werde; ihr Schade wird es nicht sein. Auch habe ich Appetit Sie zu sehn. Liebe Religions- schwester! Ewig in Gottes Güte zusammen ! Rahel. Um 6 Uhr ist eine schöne Stunde. An Henriette Solmar, in Baden. Mittags halb 1, den 1. August 1832. Noch mit Pflaster und Verband auf dem Rücken, aber doch im Begriff auszufahren. Zweideutiges Wetter. Ich grüße dich, als Auferstandene, liebste Henriette! Dich und die mei- nigen: Roberts antworten mir weder auf Briefe durch B.’s noch auf einen mit der Post. Ich ängstige mich aber doch nicht: sie werden wohl Recht haben! Eine Gelegenheit ab- warten; oder dergleichen. Gerne hörte ich Spontini’s Fest- marsch übermorgen! oder machte sonst das mir wichtige liebe Fest mit. Ein König, unter dem wir leben, ist gradzu ein Blutsverwandter. Von je war sein Glück und Unglück unse- res: seine Ambition, unsre. Und ein braver König fühlt ge- wiß auch so für uns Landsleute alle. Man giebt ihm Vor- schub und Respekt wie einem Vater: und er uns Allen, Liebe, Sorge, Nachsicht, wie an Kindern. Wenn die einmalige Situation richtig wirkt. Sei so gütig, liebe Freundin, inliegenden Brief sicher schleunig zu besorgen. Die Deinigen sind wohl. Deine Rahel. An Auguste Brandt von Lindau, in Volkstädt. Sonnabend, den 10. August 1832. Endlich schönes Wetter. Dienstag den 6. überreichte man mir Ihren Brief, liebe Freundin, mit vielen andern: die man mir in vier Wochen nicht geben konnte. Ich war in Todesrachen; er käute mich schon, er hat mich zurückgespien. Jahrelange Beklemmung — ich kann sagen vernachlässigte, — ward den 7. Nachts so , daß ich von Bett auf Stuhl, von dem auf die Erde sank und in Agonie lag. Um 3 Uhr Nachts ein Aderlaß. Zu mir gekommen. Noch sehr krank. Und alsbald bildete sich ein andres Übel auf den Rückenwirbeln. Geschnitten; gefährlich: das erste wußte ich nicht vorher, das zweite erfuhr ich her- nach. — Große, lange Leiden: mit noch andern dazu. Seit acht Tagen fahr’ ich aus. Mein Bruder Ludwig Robert ant- wortete mir nicht, dem ich nach Baden-Baden, wo er wohnte, hingeschrieben hatte! Fragen; Zweifel: sie , wußte ich, war sehr kränklich; und Dienstag endlich sagt man mir, er sei todt. An einem Nervenfieber; den 5. Juli. Worte sind blaß. Schweigen heißt Reden. Mein Religionsbruder. Jede Über- zeugung theilten wir. Jeden Gegenstand der Intelligenz und des Lebens haben wir durchgemacht. Erzogen habe ich ihn, gepflegt; in allen Stücken . Ein besseres Stück Jugend- leben liegt auch von mir in Badener Erde. Gott wollte es: er ist klüger. Das war meine Konvaleszenz. Ich sage, Gott hat Recht; und weiß es. Ich bin sehr gefaßt, und denke über alles wie immer. Je ne suis pas gâtée. Wie schön sind die Worte von Goethe, die Sie schrieben: die einfachen. Wo sind all die Todten ? — Mehr, theure Freundin, kann ich nicht schreiben. Die besten Grüße Ihrer ganzen Familie. Gott schütze Sie für Krankheit; und lasse Sie bei einander! — An Rose, im Haag. Berlin, Freitag den 16. August 1832. Endlich, meine gute Schwester, kann ich dir schreiben. Der Tod, der mich schon käute — nach langem minder offen- barem und sichtbarem Kranksein für Andre — hat mich wie- der weggespien — schrecklichst ! — und beim Erwachen ist Robert weg. — Keine Worte sollen gebraucht werden: jeder mit seinen Gedanken kämpfen, und sich mit denen und durch sie versöh- nen. Ich habe ein großes Stück Leben, und von dem jüngern dadurch verloren. Viel dachte ich, viel lebte ich mit ihm in der Welt: hin ist es; mit Keinem kann ich dies sprechen, behandlen. Und ein Gegenstand meiner innigsten zärtlichsten Liebe ist mir entschwunden! nicht mehr weiß ich, wie es ihm geht. Kurz, es ist der Tod, den wir nicht verstehn, nächst dem Leben. Wenn es dir nur nicht schadet! Wenn du dich nur nicht vor der Cholera fürchtest! Ich hatte ein hartes Jahr davon: nicht grad aus Furcht: aber aus Besorgniß — der Anstalten, des Pöbels — und des Lufteinflusses. Laß uns leben bleiben: wir wollen suchen uns zu sehn; unsre Liebe zu pflegen; so lange wir noch oben sind; auf der Erde. Vier ganze Wochen verschwieg man mir den Verlust. Ich bin bes- ser in der Seele, als man, und ich denken sollte. Ich dachte meinen Tod nahe; und habe alles dies schon so lange be- dacht: heißt vergeblich! Ich halte mich am Wunder der Exi- stenz überhaupt: ist das möglich, wird das Unbegreifliche noch begriffen werden. Man muß besser werden, gut sein, das ist die Aufgabe. Du wohnst spazirartig, das ist mein Trost: hast die rei- zende Tochter vor Augen; und liebst dein Land: Gott lasse dir das mit unerschütterlicher Gesundheit für dich und alle Deinen! Gott wird mich schon weiter schieben. Ich bin in der tiefen Seele auch zufrieden. Robert fehlt. Ich fahre alle Tage aus; auch schön und viel; lieber säße ich spaziren; schätze aber unendlich, was ich dennoch habe. Ich sehe die Kin- der wenig. Aus schlechten Gründen; niemand pflegt sie besser, als ich. — Auch ein Tod für mich; man muß jeden hinnehmen. Jede Treulosigkeit der Freunde. Dies aber kann ich schon seit Anno 13. Da hauchte ich in Prag den letzten Schmerz über sol- ches aus. Zweim al kann mir nicht dieselbe Lehre gegeben werden; wenn ich sie Einmal faßte. Unsre hiesige Familie ist, dem Himmel sehr Dank, wohl. Varnhagen grüßt euch Alle herzlich! hat durch mich und Robert sehr gelitten; und muß arbeiten; sonst schrieb’ er auch: seine Stimmung dazu ist ganz hin. Ich bin elastischer. Grüße herzlich Karl, Louis und seine Frau. Und ihre Mutter. Gott segne euch mit Vergnügen und Gesundheit. Deine treue Rahel. Dore vous salue. An Rosa Maria Assing, in Hamburg. Berlin, den 20. September 1832. Meine theure Rosa! Sie werden es glauben, bloß schon weil ich es sage. Ich sehne mich oft nach Ihnen; und hielte es für ein großes Glück, wenn Sie in Berlin lebten. Ich bedarf der edlen frischen Freunde; die Ärnte, die Entblätterung, war zu stark. Eine ganze Ärnte der besten Freunde, der be- sten Menschen, habe ich in anderthalb Jahren verloren. Par- don ! daß ich dies schreibe: Verstellung ist jetzt am Ende, ich bin zu schwach. Doch hoffe ich wieder, und auch auf meine alten Kräfte. Ihr edles, stilles, konsequentes Wesen und Leben bewundre ich immer; und auch darum möchte ich Sie in der Nähe haben. Es erquickt und steckt an. Könnte mir nicht solch Glück zukommen, nach solch besonderm Unglück? Doch, liebe Rosa, glauben Sie nicht, daß ich vergesse, daß der Mensch nicht erkennen kann, was ihm frommt oder nicht: aber ich wünsche Sie doch. Adieu! Der Platz mangelt. Ich glaube Varnhagen hat mir mit Bedacht nur kleinen Raum gelassen: er hat Recht; Schreiben erhitzt mich. Er- freuen Sie uns, Liebe, mit Bildern Ihres Idyllenlebens! Ich grüße Assing herzlich, und die lieben Kinder. Ihre Rahel. Nach Beendigung unseres Schicksals haben wir gleiche Gefühle wie vor Anfang desselben. Eine Art von vaguem neugierigen Jugenddasein, ein zum All gehöriges Dasein. Wenn man sich nun einmal hat verlieren müssen, so ist es schön, diese kleine Seligkeit, diese zweite Jugend noch auf der Erde abzuleben, sie auch nur zu kosten. Welch ruhevolles, genuß- ergiebiges Daseinsgefühl ist es, gleichsam nur zur Atmosphäre gehörig, mit ihr und durch sie zu leben; mit einem Geist ge- krönt, der dies betrachtet; mit einem Herzen im Busen, wel- ches dies allen Mitgeschöpfen verschaffen möchte! Dann ist nur Gesundheit nöthig, die uns nicht trennt von der Atmosphäre! Ich erwarte mir in aller Ewigkeit, wie Saint-Martin, im- mer neue Offenbarungen. Wie schwer aber gelangt man zu ihnen! Wie lange bleiben sie aus! Welche Schmerzen müssen wir durchmachen! Aber ich danke für das Schimmer-Tag! Dienstag früh, halb 8. den 27. November 1832. Wieder nach einer, in einer harten Krankheit An Ernestine Robert. Montag, den 3. December 1832. Obgleich meine Nacht leidlich war, so wachte ich doch öfters und bekam die größten Skrupel über Moritz Gesund- heit. Ich bin so mißtrauisch geworden! — Zwei Jahr selbst nicht mehr kränklich, sondern ernstlich krank: und —!!!! Es kam mir mit einemmale unwahrscheinlich vor, daß Sie in’s Theater gingen, und ich glaubte Moritz krank, und Sie woll- ten mich nur schonen. Ich bitte Sie, sagen Sie mir auf Ehrenwort, daß alles gesund ist, und ich will es glauben. „Das Alter macht mich schwächlich , ich bin gar sehr ge- brechlich !“ Also pardon ! Vergessen Sie, liebe Ernestine, meine Leinwand nicht!!! Ich möchte gerne für 15 Rtl. haben. Der feindliche Weihnachten naht. — Wäre es nicht so dunstig und ma santé si chancelante, so besuchte ich Sie diesen Mor- gen. Ich habe Fanny noch nicht gesehen. — An die Fürstin von Pückler-Muskau. Sonnabend, den 8. December 1832. Als ich gestern vor dem Hause Ihrer Durchlaucht war, um meinen stäten ergebenen Willen zu zeigen, mußte ich einen schönen Schreck einnehmen! — Ich bin sehr über Fürst Caro- laths ernsteres Unwohlsein betreten! und bitte, mich wissen zu lassen, wie es ihm heute geht. — Ich — habe, ohne einen Fehler begangen zu haben, eine Höllennacht durchlebt. — Als ich gestern Mittag zu Hause kam, fand ich die gütigen Zei- len von Ihnen, liebe Fürstin; warum geht’s uns denn so! Varnh. liegt auch krank zu Bette. Aber wir sind verdammt — wir besonders, die wir nicht darin geboren waren — in einer Nebelwolke zu leben: und dazu sind wirklich unsre Or- gane nicht eingerichtet. Ich will doch ausfahren: meine Ne - ven bedürfen es: ich könnte überhaupt komplette Fabeln vo n meinen Zuständen erzählen. Fahren Sie auch aus, liebe Für- stin! und so bald es geht, zu mir. Abends sind doch jedes- mal bei mir einige anzuhörende Menschen zu finden. Vor- gestern sogar Mad. Milder sehr schön! Fein organisirte Menschen müssen Zerstreuung haben; andre Occupation als sich selbst, für ihre Nerven. — Ich bin nicht mehr allein. — Gott schütze Sie! — „Il est assez puni celui qui est coupable: souffrir, c’est être innocent.” So unendlich wichtig mir dieser Spruch ist, so vergaß ich ihn doch immer und Robert mußte mir ihn immer sagen und schreiben. Nun ist er todt; der Spruch ist mir zum Glück eingefallen, und da will ich ihn zum zehnten- male niederschreiben: nun gilt er für Robert und mich. — Tod. Fremder Tod. Noch fremder als das Leben. Lauter Wun- der; nicht ein paar Wunder. — Aber eine Zeile fehlt hier aus dem Spruch: ich werde ihn wohl in einem anderen Buch noch wieder finden. Sonntag Morgen, höchster Nebel, am 9. December 1832. [„Il est assez puni par le sort rigoureux, Et e’est être innocent que d’ètre malheureux.“] An Frau Stadträthin Mendelssohn-Bartholdy. Montag, den 24. December 1832. Erlauben Sie, liebe Freundin, daß ich den hohen Ge- b urtstag heute, auch als den Ihrigen feiere! und mit einem einen Angebinde Ihnen alle Erdenfreuden anwünschen darf! esund, wie diese Stämmchen, seien Sie immer, und nur freudig-Erblühendes begegne Ihrem Auge immerhin, den De- cember durch, bis zum künftigen! Ihren Datums-Geburts- tag habe ich versäumt: verzeihen Sie das einer Person, die keinen Geburtstag haben durfte; nämlich unter einem Vater lebte, der so streng dies nicht litt, daß wir nicht einmal das Datum von den unsern wußten. Ich weiß noch immer nicht das des meinigen, noch das meiner Geschwister, noch das mei- ner Eltern ihrem nicht; und nur im festgestampften Alter, habe ich mit der andern Jugend, Geburtstage kennen gelernt, aber nie ihre Datums zu behalten, — außer Goethens und unserm König seines. — Also Nachsicht und Verzeihung mit der Altfränkischen! Sie werden doch gestehen, daß selbst noch in Ihrer Jugend, weder Weihnachten noch andre Geburtstage herrschten, wie sie es jetzt thun. Luftballons, Telegraphen, Eisenbahnen, Gedanken-Perspektive werden noch kommen (mit denen man Gedanken durch die Köpfe sieht), Wetter- macher, und ganz neue, uns unbekannte Feste. Ich lade Sie und mich schon jetzt darauf ein: denn an Sterben wird nicht mehr zu denken sein: das ist eine inadvertance, und da- gegen wird zuerst gewirkt werden. Aber plötzlich Adieu! Heute ist ein Tag, wo Sie anderes und mehr zu thun haben, als sich von mir umherführen zu lassen. Heil und Segen zu dem Feste, und jeder Tag sei Ihnen und den Ihrigen eins! Die alte Freundin Friederike Varnhagen. Was man Leben nennt, und was es auch ist, heißt eigent- lich nicht an seinen Anfang noch an sein Ende denken; dar- über durch Sensationen und Geisteskombinationen zerstreut sein. Kinder leben wirklich: oder Andre, die eben so das Le- ben an sich vorbei gehen lassen können, — nicht Eitle und Prahler, die leben gar nicht, — oder Solche, die ein festes Bild für ein Leben nach dem Begraben haben; oder Solche, die aufrichtig das Wunder des Daseins betrachten, dies ohne vorgefaßte Meinung immer wieder von neuem studiren; und noch noch glücklicher, wenn denen ihre Kindersensationen bewahrt geblieben sind: denn sie haben ein schweres Theil! — Und doch jammert man so, wenn ein Kinderengel stirbt! — Ach ! wie glücklich muß man Kinder machen; lassen!!!!!! wie für ihre Gesundheit sorgen! Welche harte Sünden muß ich an Kindern ausüben sehn!!! — Gott allein kennt diese Leiden. Sie sind gradezu der zweite härtere Theil der Schmerzen der falschen Liebe: der falschgefaßten. Morgens 10 Uhr. Sonntag, den 30. December 1832. An Ernestine Robert. Montag, den 31. December 1832. Ich denke, wünschen hilft. Bewegen doch eben so zauberhaft Gedanken und Willen Hände, Maschinen; Welten möchte man sagen. Und so wünsche ich Ihnen denn dieses Jahr, als Chef vie- ler und all Ihrer Jahre, gute, feste Gesundheit; Erstes, Be- stes, Unentbehrliches! Harmonie mit der Atmosphäre, und allen Begegnissen. Und noch eine Menge allerlei unerwartete angenehme Begegnisse; außer dem Gelingen aller Wünsche! Zum Geburtstag angenehme, klugerdachte Geschenke; auch schöne Gedichte! Wem Hygea den Rücken kehret, der sieht Apoll auch nur abwärts gewendet: und so vermag ich nicht einmal so viel, als voriges Jahr; und bringe Ihnen meine Wünsche nur in Hausmannskost diesmal dar; und den Wunsch, daß mein kleines Angebinde Gnade vor Ihren Augen finde! III. 38 Ich erhielt zu meinem größten Beifall eine solche Tasse, und ruhte nicht, bis ich eine zweite fand. Unmöglich war es, eine Kanne und Topf dazu zu finden. Trinken Sie daraus; Sie sind elegant genug dazu, (von mir verlangte man dasselbe). Nehmen Sie mit meinem Willen vorlieb, Ihnen etwas Zier- liches anbieten zu wollen! Mir war es versagt, es in der Stadt zu suchen. Erlaubt es irgend mein Befinden, so gra- tulire ich Ihnen morgen selbst. Varnhagen, der in keinem Fall aus kann, beauftragt mich, Ihnen seine herzlichsten Glück- wünsche darzubringen! An Ernestine G., in Paris. Freitag, den 4. Januar 1833. Vorvorgestern grade erhielt ich Ihren Brief; ich kann aber nicht antworten, liebe Ernestine! Aus Krankheit. Seit drei Monaten habe ich einen Rückfall. Beklemmungen. Zu Bette; einsam. Empfindlich. Kurz, die ganz alte Frau ist fertig. Im Sommer war ich auf den Tod. Unter andern ein Karbunkel auf dem Rücken. Operirt. Alles! Während dieses Übels mußte ich den Tod meines Bruders Ludwig, und den seiner Frau erfahren. Wie bliebe mir da noch Lust zu Thor- heiten ?!! Es wäre eine, wenn ich frankirte Briefe übelneh- men wollte: im Gegentheil: unfrankirte. Koreff fehlt mir: und Gesundheit; sonst nichts. So mürbe hat mich langes Leiden gemacht. Ich bin zufrieden, ganz: wenn ich nur mit der Atmosphäre in Harmonie bin. Längst ehe man das Wort Cholera hörte, empfand ich sie: bezeichnete den Zustand der Luft, ohne den Namen; und litt, litt, litt davon! Adieu Liebe; schreiben kann ich nicht. Ich wünsche Ihnen alles mög- liche Gute. Und grüße Ihre Kinder. Ich erfahre viel Liebe und Theilnahme, und wäre jetzt geborgen, hätte ich Gesund- heit. — Leben Sie wohl! halten Sie sich gesund! wie immer bleib’ ich Ihnen wie Sie mich kennen. Fr. Varnhagen. Ich kann nicht mehr schreiben. An die Fürstin von Pückler-Muskau. Freitag, den 18. Januar 1833. Mit einer wahren Passion schicke ich Ihro Durchlaucht beikommende vortreffliche, von mir gekostete Birnen — zweier- lei Sorten — so überzeugt bin ich durch langjähriges Er- proben von ihrer efficacen Wirkung gegen den Husten. Das einzige Mittel, welches ich, bei den verschiedensten Ärzten, und Mittlen, efficace gefunden habe. In jedem Fall schmecken sie vortrefflich, und sind durchaus unschädlich. Jetzt nur am Kölnischen Wasser zu haben. Man muß sie aber sehr aus- probiren, und eine Probe mitschicken: sind sie nicht gleich ganz weich, so werden sie’s in zwei, drei Tagen; nur die Sorte muß es sein. Ich bin ganz stolz; daß ich Ihnen Einmal etwas schicken kann! das heißt, ich freue mich wahrhaft da- mit! Könnte ich Ihnen auch Abende so versüßen, wie Sie gestern den meinigen: mich dünkt, und gewiß war es schon öfter, nie hätte ich Sie so liebenswürdig, thätig und belebend 38 * gesehn. Erhellen Sie bald wieder mein jetzt sonnenloses Haus! Das haben Sie davon: wie die Sonne , die alle Menschen inkommodiren und haben wollen. Darf ich hier meine Fürstin Carolath grüßen! und sie bitten, mir morgen die herrlichen Kinder wieder zum Abend zu gönnen? Meine Augen bewachen sie; und nur Gesundes kommt ihnen, in jedem Sinne, zu. Die Fürstin selbst sicht mich gewiß wenn sie kann: ich bin in beides einverstanden, es halten sie Pflichten, oder Unterhaltungen ab: oft wird das zweite zur Pflicht, wenn das erste geflissend geübt wird. An allem nehm’ und hab’ ich meinen Antheil, was sie betrifft und thut. — An Gustav Robert. Sonnabend, den 19. Januar 1833. Guten Morgen, lieber Gustav! Dies Billet soll dich bit- ten, daß du mich heute Abend besuchest; aber nicht so spät kommest! — „Bist du auch nicht so gelehrt, bist du doch dop- pelt vergnügt!“ heißt es in einer von Goethens römischen Elegieen: dies lehr’ ich dich heute zum Ersatz: sag’ das Hrn. Werner; da wird er dich gleich früher freilassen. Mutter, hoff’ ich, ist ganz hergestellt; und ich sehe sie auch den Abend, oder ganz nächstens: ich muß meiner Genesung Raum lassen, der in Zeit besteht; sonst hätte ich sie längst besucht; ich bin aber zu lange krank, und versuche nichts mehr. Ferdinand verzeihe ich es, daß er nicht weiß wie alten Leuten zu Muthe ist; sonst hätte er mir über seinen Ball Rapport gebracht. Deine treue Tante F. V. An den Fürsten von Pückler-Muskau. Berlin, den 23. Januar 1833. Welchen vortrefflichen, freundschaftlichen, schmeichlenden, natürlichen Brief haben Sie — nicht umsonst, aber ohne sich auf Wirkliches begründende Veranlassung, schreiben müssen! Ein Glück, daß wir ihn zu lesen bekamen; so ist er doch in den Hafen der tiefsten, und freudigsten Würdigung eingelau- fen! Kann ich wenigstens verbürgen! Wie konnte die Frau Fürstin einen nicht zu verkennenden Scherz, da er obenein in Gesellschaft ausgesprochen wurde, nur so verkennen; eine Klage, vor der schon viele Briefe an Sie abgegangen, so auf- nehmen, als sollte ein schmollendes Schweigen ihr folgen! Und wie konnten Sie, bester Fürst, vergessen, daß wir Sie von ei- nem Tag zum andern zu erwarten hatten? Wie die Fürstin eine herbe sechswöchentliche Krankheit V.’s, die ihm Reden und Schreiben gleich schwer, ja fast unmöglich machte! Und doch danke ich fast dem Irrthum, wenn auch nicht der Fürstin. Denn einen liebenswürdigern Brief haben Sie wohl kaum je schreiben können, als dieses Kind des Irrthums ist. Ich könnte ihn küssen, so viel candeur und laisser-aller finde ich darin; und was ist küssenswürdiger, als diese Kindereigen- schaften; unter Glas und Rahm von Geist? Dies wollte ich Ihnen, mußte ich Ihnen sagen; mein Herz ist so eitel, daß es denkt, es ist dazu geschaffen, und versteht es allein, auf so ein Herzensprodukt zu antworten. Kommen Sie nur bald ! Sein sie liebenswürdig, kindisch, und aller Liebe, ja elterlicher gewiß; und ohne Argwohn, wie ein Kind. Fr. Varnhagen. An Alexander von Humboldt. Donnerstag, den 24. Januar 1833. Ew. Excellenz um eine kleine Audienz von einer Viertel- stunde zu bitten, wag’ ich hiermit, als, von Ihnen selbst, Ver- wöhnte. Es betrifft eine Kunstangelegenheit, bei der Ihr weiser Rath allein mir beistehn kann; daß Sie den eben so gut als gern ertheilen, weiß die Welt; und nicht allein die Jugend- genossen haben sich dessen, wie aller Wohlthätigkeit, mehr und mehr von Ihnen zu erfreuen. Noch immer leidend, muß ich die Stunden nennen, in welchen ich so glücklich sein kann, Sie zu empfangen. Morgens von 12 bis 3 Uhr. Abends von 7 bis 10. Auch Varnh. ist seit vier großen Wochen nur zu Bette und zu Hause gewesen. Noch geht er nicht aus. Er weiß von meinem Vorhaben nichts; und könnte er, würde er aus Bescheidenheit befehlen, daß ich mein Anliegen Ihnen nicht vortrüge; ich habe aber eine andre Ahndung, und ein von Jugend her genährtes Zutrauen: auch zu meinein Ge- lingen, wenn ich eine Sache stillschweigend allein vornehme! Mit alter und noch immer steigender Verehrung und Erge- benheit Fr. V. An Ernestine Robert. Montag, den 25. Februar 1833. Ihre Musik hat mich gestern in’s Leben zurückgerufen: und ich bin voller Sehnsucht danach! Nun hat mir Graf Blan- kensee sagen lassen, er käme heute Abend mit Noten und Lie- dern: seine Frau höchst wahrscheinlich, sie war krank von den F ê ten. Ich bitte Sie, Ernesta! kommen Sie! erfreuen Sie mich: machen Sie mir Ehre ! Singen Sie schön wie gestern. Ich habe Blut geleckt; ich muß mehr haben. Parole d’hon- neur ! ich wollte Sie ohne Blankensee’s schon bitten. — Ende Februars 1833. Wilhelm Meisters Wanderjahre . Zweites Buch. Neuntes Kapitel, gegen das Ende hin (S. 174.) Es ist nicht „der Geist des Widerspruchs“ — den ich absolut angesehen nie erkenne, außer als Tollheit, — „der sich hier regt.“ Daß aber Wilhelm hier mit halber Überzeugung hörte, das ist richtig. Oft dozirt man uns etwas vor, was so zusammengebaut ist, daß eben in diesem unorganischen Zusammenfügen das mit eingehämmert und eingekittet ist, was unsern ganzen Wider- spruch lebendig begründet: wir können es aber aus dem fest- gefügten, auch wohl wohlgefügten Gebäude nicht gleich her- vorkriegen, besonders nicht, ohne dies ganz umzureißen: und da bleibt uns denn sogar eine Art von Schmerz übrig, ein Lebendiges ganz mit uns Lebendes , zu uns Gehöriges, als Todtes, Getödtetes, ohne baldige Rettung mit eingekittet zu finden, und sehr ungern lassen wir es da ersticken: aber nicht aus Widerspruch sind wir unwillig, sondern bloß, den nicht auch als ein System hervortreten lassen zu können; je mehr Leben aber einer Überzeugung inwohnt, je tiefere und reichere Beziehungen sie hat, je mehr sie all unsern Anlagen zusagt und entspricht, je schwerer ist das grad als eine Maschine zusammenzufassen und so darzustellen: jedes System aber will zur Maschine werden: nur Ein groß und lebendig Organi- sirtes giebt es: die erschaffene, sich noch erschaffende Welt. Ende des dritten und letzten Bandes. Gedruckt bei Trowitzsch und Sohn in Berlin.