Schnellpressendruck der Buchruckerei von J. C. Mäcken Sohn in Reutlingen. Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen . Zum Gebrauche für Vorlesungen von Dr. Friederich Theodor Vischer, ordentlichem Professor der Aesthetik und deutschen Literatur an der Universität zu Tübingen. Dritter Theil: Die Kunstlehre . Stuttgart . Carl Mäcken, Verlagsbuchhandlung . 1854 . Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen von Dr. Friederich Theodor Vischer, ordentlichem Professor der Aesthetik und deutschen Literatur an der Universität zu Tübingen. Dritter Theil. Zweiter Abschnitt. Die Künste . Drittes Heft: Die Malerei . Stuttgart . Carl Mäcken, Verlagsbuchhandlung . 1854 . Schnellpressendruck der Buchdruckerei von J. C. Mäcken Sohn in Reutlingen. Inhaltsverzeichniß. Dritter Theil. Die subjectiv-objective Wirklichkeit des Schönen oder die Kunst. Zweiter Abschnitt . Die Künste. Erste Gattung. Die objective Kunstform oder die bildenden Künste . §§. Seite. C. Die Malerei . a. Das Wesen der Malerei. α . Ueberhaupt 648—659 505 — 538 β . Die einzelnen Momente . Die äußere Bestimmtheit. Das Material 660 538 — 543 Verhältniß zur Landschaft, zur Architektur. Größe- Maaßstab 661 543 — 546 Das künstlerische Verfahren. Die Zeichnung. Prinzip der directen Idealisirung 662—664 546 — 553 Die Licht- und Schattengebung 665—668 553 — 561 Die Farbengebung. Prinzip der indirecten Idealisirung 669—674 561 — 577 Das Stylgesetz 675 577 Naturalismus und Individualismus. Die zwei Styl- prinzipien 676 577 — 581 Anwendung auf das Landschaftliche 677—678 581 — 584 Anwendung auf thierische und menschliche Gestalt 679—680 584 — 590 Aeußere Bewegung 681 591 Ausdruck, Affect, Moment, Charakter 682—685 592 — 609 Die Composition. Licht- und Farben-Einheit, Linien-Einheit 686 609 — 614 Form der äußern Umgrenzung, Rahmen 687 614 — 616 Innerer Rhythmus 688—692 616 — 632 Cyklische Compositionen . In Wandmalerei 693 632 — 634 In Staffeleibildern und Skizzen 694 634 — 636 b. Die Zweige der Malerei. Das Mythenbild 695 637 — 644 Der wahre Eintheilungsgrund 696 645 — 646 Verhältniß zu andern Momenten der Eintheilung 697 646 — 647 α . Die Landschaft . Grundbegriff; Staffage 698 648 — 651 §§. Seite Stylbild und Stimmungsbild 699 651 — 653 Eintheilung nach Stoff, Seite, Moment der Auf- fassung, Unterschied des Lyrischen, Epischen, Dramatischen, des einfach Schönen und Erhabenen 700 653 — 656 β . Das Sittenbild . Uebergang: Das Thierstück , die Architektur- malerei , das Blumen- und Fruchtstück und das sogenannte Still-Leben 701 657 — 661 Grundbegriff 702 661 — 664 Reines, geschichtliches und mythisches Sitten- bild 703 665 — 666 Eintheilung des reinen Sittenbilds nach Stoff und Seite der Auffassung 704 666 — 669 Nach Moment der Auffassung, Grad des Umfangs, Unterschied des Lyrischen, Epischen, Dramatischen, des Schönen, Erhabenen und Komischen 705 669 — 671 Nach dem Gegensatz der Style, Unterschied der Technik 706 672 — 673 Verbindung mit Landschaft, Thierstück, Geschichtlichem 707 673 — 674 γ . Das geschichtliche Bild . Uebergang: Das Bildniß 708 674 — 679 Grundbegriff. Eintheilung nach Stoffen. Heldensage 709 679 — 683 Epische Form: sittenbildliches Geschichtsbild 710 683 — 685 Lyrische Form. — Situationsbild 711 685 — 688 Dramatische Form 712 688 — 689 Grad des Umfangs 713 689 — 690 Schön, erhaben, komisch; Gegensatz der Style, Unter- schied der Technik 714 690 — 691 c. Die Geschichte der Malerei. Die treibenden Gegensätze 715 692 — 694 α . Die Malerei des Alterthums . Orient, Griechen- land (Rom) 716—717 694 — 700 β . Die Malerei des Mittelalters, ihre Blüthe und Nachblüthe . Allgemeiner Charakter, Vorstufen 718—719 700 — 704 1. Der italienische Styl 720—725 704 — 723 2. Der deutsche Styl 726—732 723 — 739 γ . Die moderne Malerei . Italienischer Eklekticismus, Naturalismus, französische Landschaftmaler 733 739 — 741 Belgien, Spanien, Holland 734—736 741 — 747 Eintritt des eigentlich Modernen: französischer Classi- cismus 737 747 — 749 Deutscher Classicismus 738 749 — 750 Die romantische Schule 739 750 — 751 Die neusten Bewegungen 740—741 751 — 755 Anhang. Die Caricatur 742 756 — 762 Die vervielfältigende Technik 743 762 — 768 Die Decorationsmalerei 744 768 — 771 Die schöne Gartenkunst 745 772—773 C. Die Malerei . a. Das Wesen der Malerei . α . Ueberhaupt. §. 648. I ndem die Bildnerkunst nur die Seite der Erscheinung, nach welcher die- 1. selbe Gegenstand des tastenden Sehens ist, erfaßt und darstellt, ist in aller Ge- diegenheit ihres Werks doch zugleich ein tiefer Mangel und ein Drang, ihn zu überwinden, zum Vorschein gekommen. Die Aeußerungen dieses Dranges weisen bereits auf eine andere Art der Phantasie hin, welche auch im verschö- nernden Spieltrieb (§. 515, 2. ) ihren ersten Ausdruck findet, nun aber in Wir- kung treten muß: es ist diejenige, welche auf das eigentliche Sehen gestellt 2 ist (§. 404). Das verhüllte Tasten ist auch in diesem noch enthalten, aber nicht mehr als das Bestimmende, indem es die feste Form nur in und unter einem Ganzen von Licht- und Farbenwirkung erfaßt und im Rahmen der einzelnen Anschauung zugleich wesentlich mehr begreift, als die geschlossene or- ganische Gestalt. Auch diese Art des Sehens schließt ein Messen in sich, aber im Sinne freierer Auffassung allgemeiner Verhältnisse des Lichts und der Farbe, so wie der Entfernungen. 1. Es versteht sich von selbst, daß die Lehre von jeder einzelnen Kunst eine Darstellung sowohl ihrer Mängel als Vollkommenheiten ist, bei der Bildnerkunst aber mußte die erstere Seite, welche uns nun zur Malerei herüberführt, mit besonderem Nachdruck hervortreten, weil nicht zwei Künste in so eigenthümlichem Zusammenhange stehen, sich so eigenthümlich in die untheilbaren Momente der Erscheinung theilen, wie die Bildnerkunst und die Malerei. Wir mußten ja in der Erläuterung von §. 597 fragen, warum denn nicht bei dem ersten Schritte zur Nachbildung des persön- Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 34 lichen Lebens sogleich das Ganze seiner Erscheinung von der Kunst darge- stellt werde? Es mußte der Eintritt der Malerei noch abgehalten und gezeigt werden, warum jener erste Schritt nothwendig noch auf architek- turartige Isolirung einer Seite der Erscheinung des nun ergriffenen Stoffes sich beschränken müsse. Es war eine freie Beschränkung; die Bildnerkunst steht als reine, ganze, selbständige Kunst im vollsten Sinn auf eigenen Füßen, und doch wies sie durchaus vorwärts nach ihrer farbenreichen Schwester, der sie die Früchte einer erfüllten Vorbedingung entgegenträgt, überall war ein Drang sichtbar, ihre Mängel zu überwinden: in ganz be- rechtigter Weise trat er hervor in der bloßen Andeutung der Farbe, in gewissen malerischen Hülfen der Licht- und Schattenwirkung (§. 608), im richtig behandelten Relief; verfrüht und unberechtigt in der vollen Poly- chromie, im malerisch gehaltenen Relief, in einem plastisch unzulässigen Maaße des Naturalismus und Individualismus, in allzu affectvoller Be- wegtheit. Ihre ursprüngliche Vorübung aber hat die Malerei wie alle Kunst im Spiele, und zwar natürlich in demselben Gebiete verschönern- den Schmucks wie die Sculptur, nur einem andern Zweige. Zwei For- men sind es ohne Zweifel gewesen, worin diese Kunst im Keime auftrat: die eine bestehend in einem Flechten, Abnähen, Weben, Wirken, das von solchen unorganisch, geometrisch verfahrenden, arabeskenartigen Motiven, wie sie dann als Ornament auch an die Baukunst übergiengen (vergl. zu §. 573 S. 247), allmählich zu schüchternen Versuchen der Nachbildung des Or- ganischen fortschritt. Es ist dieß überhaupt eine der frühesten Aeußerun- gen des menschlichen Kunsttriebs, die wir noch heute bei allen wilden Völ- kern finden; die Muster sind bunt, vereinigen das Chromische und Gra- phische. Dagegen begann nun das graphische Element für sich mit einer andern Form: dem spielenden Einritzen von Zeichnungen auf weiche Stoffe (Blätter, Wachs, Holz,) das sich nach gewonnener Uebung auch an harte Flächen wagte, wie wir dieß in jenem Verfahren finden, das den eigent- lichen Koilanaglyphen ( reliefs en creux ) in Aegypten vorausgieng (vergl. §. 611 Anm.), eine Technik, die aber auch in Griechenland sicher ursprüng- lich bestand und bekanntlich bis in die späteste Zeit als Skizzenzeichnung, in Marmorplättchen eingegraben (Monogrammen), sich erhalten hat. Die Farbe trat sodann wieder hinzu: man füllte die Umrisse zunächst mit ein- fachen Farben aus und hatte so Monochrome auf Stein; in Aegypten gieng man von da wieder zur Sculptur zurück, indem man die Formen innerhalb der Umrisse plastisch heraushob. Von diesen Anfängen der Malerei als selbständiger Kunst ist das Anmalen der gegebenen Architektur und Sculptur zu unterscheiden, aber auch ausdrücklich noch einmal anzu- führen als Vorübung in der Farbe, die mit der graphischen Vorübung erst sich vereinigen sollte. 2 Der Gesichtssinn spaltet sich in zwei Weisen der Auffassung, das tastende und das eigentliche Sehen. Es ist auch in dieser zweiten noch ein verhülltes Tasten (vergl. §. 71 Anm.), aber es bestimmt nicht mehr den Charakter der ganzen Auffassung, wie in der ersten, vielmehr wird die feste und dichte Form zwar wesentlich miterfaßt, aber nur als Träger der Licht- und Farbenwirkungen. Wir würden keine Formverhältnisse des Körpers mit dem Auge aufnehmen, wenn nicht der Tastsinn als ein ver- geistigter im Gesichtsinne mitgesetzt wäre; es ist aber etwas Anderes, ob der letztere sich auf dieß Tasten ohne wirkliches Tasten isolirt, oder ob er dasselbe nur als flüssiges Moment in dem Ganzen seiner Auffassung wir- ken läßt. Im letzteren Falle entkleidet die Art der Anschauung den festen Körper in gewissem Sinn seiner Schwere, Dichtheit, überhaupt seiner strengen Körperlichkeit, fühlt diese so zu sagen nur leise, nur entfernt, der Körper wird ihr zum Organe, das eine Licht- und Farbenwelt auffängt und wieder von sich ausstrahlen läßt. Dieß Verflüchtigen, Verschweben- lassen liegt also schon im subjectiven Acte, darf nicht, wie gewöhnlich ge- schieht, erst in dem Werke des Malers aufgezeigt werden. Hiemit ist nun bereits auch der weitere Auffassungskreis des eigentlich sehenden Auges ausgesprochen: es nimmt nicht die geschlossen-organische Gestalt aus dem unbestimmten Gebildeten, weit Ausgedehnten, elementarisch Ergossenen, wozwischen sie sich bewegt und worin sie athmet, heraus, schneidet nicht wie mit scharfem Messer durch, sondern greift über das dargebotene Ganze der allgemeinen Medien, der ausgedehnteren und zerflosseneren Erschei- nungen, und der compacten, organisch gerundeten über, faßt dieß Alles in Eine Anschauung zusammen. Diese breitet sich zunächst natürlich immer so weit aus, als der jeweilig gegebene Gesichtskreis, sie kann sich jedoch be- schränken und ausschneidend nur auf einen Theil desselben fixiren, aber auch der Ausschnitt umfaßt ein Ganzes der genannten Art. Wir haben zum tastenden Sehen, als der Quelle der Bildnerkunst, in §. 599 sogleich die Strenge des Messens gestellt, wodurch dort die Nähe der Baukunst sich geltend macht. Das eigentliche Sehen mißt auch noch in demselben Sinn, wie jenes, nämlich die Proportionen der organischen Gestalt; von dieser Form des Messens gilt jedoch dasselbe, was oben vom mitgesetzten Tasten gesagt ist: es wird zum bloßen, flüchtigen Momente, zur Grund- lage im Sinn eines Grundes, über den sich das Wesentliche, Eigentliche erst hinziehen, überbreiten soll. Dagegen tritt eine andere Art des Mes- sens hinzu, die allerdings im subjectiven Acte der Anschauung noch unbe- stimmter ist, als die ebengenannte, und auch in der Arbeit der objectiven Darstellung nicht bis zu der Exactheit der Proportionen-Messung fortgeht: sie bezieht sich auf die allgemeinen Medien und Raumverhältnisse. Die Auffassung der ersteren ist natürlich am weitesten vom strengeren Messen 34* entfernt: ein feines Durchfühlen, Abwägen der Verhältnisse des Lichts und Schattens, der Farben; bestimmter, dem Exacten näher ist die Auf- fassung der räumlichen Erstreckungen und Entfernungen der festen Körper, wie denn dieß auf einen Zweig der Wissenschaft führt, nämlich die Lehre von der Perspective. Die letztere Seite im malerischen Sehen ist es eigent- lich, die der Strenge der Proportionen-Messung in der Bildhauerei ent- spricht; aber nicht völlig, denn im Acte der Anschauung jedenfalls, den wir zunächst im Auge haben und genauer, als dieß in §. 404 geschehen ist, untersuchen, ist dieses Messen noch kein wissenschaftliches, sondern ein unbewußtes, mehr obenhin an Hauptverhältnisse sich haltendes, mehr nur ungefähr abschätzendes Verfahren des Gefühls, und was die Ausführung und ihre Vorarbeit betrifft, so werden wir finden, daß auch hier die Be- ziehung auf die Wissenschaft weniger streng ist, als in der Proportionen- Messung, wie sie zur Schule des Bildhauers gehört. §. 649. 1. Soll nun diese Art der Phantasie eine ihrem Wesen entsprechende Kunst- form begründen, so muß sie auf ein Darstellen durch wirkliche Raumerfüllung verzichten, den Umriß, die negative Grenze der festen Form, wie ein Positives auf eine Fläche werfen und mit einem Scheine von Licht und Schatten und Farbe seine Selbständigkeit wieder aufheben, ihn ausfüllen und überziehen. Wie 2. der Körper der Fläche zu diesem ihm aufgelegten Scheine sich indifferent ver- hält, so ist das wirkliche Licht nur Mittel der Aufzeigung des Scheinlichts im Bilde; die dargestellte Schwere hat nichts mit wirklicher Schwere zu thun, die Dimensionen sind blos scheinbar und relativ, die freie Ausdehnung in die Tiefe ist gewonnen, die Größe und Menge der Gegenstände beliebig, der Standpunct rein vom Künstler bestimmt und dem Zuschauer vorgeschrieben, der Raum, worin sie auftrcten, wird den Gestalten mitgegeben, und dadurch ist, wie im Umriß, in der Licht- und Schattengebung die Bildnerkunst, so in gewissem Sinn die Baukunst als Moment in dieser Darstellungsweise miteinbegriffen. Die Kluft zwischen Erfindung und Ausführung ist verschwunden. 2. Ein Ganzes der Anschauung, die Farbe und Umgebung der Gestal- ten miteingeschlossen, kann nicht in Raumerfüllender Weise nachgeahmt werden: die gefärbten Figuren wären, wie wir schon gesehen haben (vergl. §. 608), Gespenster, für die allgemeinen Medien aber fände sich gar kein Material. Das Aufgeben einer buchstäblichen Nachahmung liegt auch schon im subjectiven Acte, der ja das feste Körperliche nur als Träger von Licht und Farbe anschaut. Dieß „Verzichten auf Darstellen durch wirkliche Raumerfüllung“ kann natürlich nicht den Sinn haben, als brauche der Maler keine Materie, an die er seine Darstellung fixirt und durch die er sie ausführt, aber das Material, das er für beide Zwecke anwendet, hat mit dem dargestellten Gegenstande nichts zu schaffen. Mittelbar ist wohl ein Zusammenhang, aber nicht einmal ein solcher, wie zwischen der Beschaffenheit und Textur des Stoffs, dem der Bildhauer den Mantel der reinen plastischen Form überwirft, und dem Gegenstande, dessen Form er nachahmt, denn zwischen dem Gefühle des Festen und Gediegenen in diesem und dem Gefühle des Steins oder Erzes ist doch eine innere Beziehung und die Oberfläche des letztern soll eben in ihrer Körperlich- keit doch einen Anflug von Aehnlichkeit mit den obersten Bedeckungen der nachgeahmten Gestalt zeigen, zwischen den flüssigen, vertrocknenden Mitteln dagegen, mit denen der Maler die Oberflächen der Dinge allein nachah- men kann, und zwischen der körperlichen Natur dieser Dinge selbst besteht eine solche Beziehung nicht, da handelt es sich nur um Schein, und blos für die größere Vollkommenheit dieses völligen Scheins ist das eine Mit- tel zweckmäßiger, als das andere. Das Mitwiegen des Materials ist also um einen großen wesentlichen Schritt ein entfernteres, als in der Sculp- tur. — Der §. stellt nun zuerst nur das Allgemeinste auf, die Haupt- momente werden weder in das Technische näher verfolgt, noch aus ihnen die Schlüsse für den innern Geist dieser neuen Kunstform gezogen. Daher wird sogleich der erste Act, das Bilden des Umrisses, noch nicht unter sei- nem eigentlichen Namen Zeichnung spezieller erörtert. Es ist dieß nun aber ein Act von ganz eigenthümlicher, nicht so leicht zu begreifender Art. Schon in der Lehre von der Bildnerkunst sahen wir, wie das, was hier der Künstler darstellt, eine reine Grenze, für sich eigentlich ein Nichts ist: das formfüllend Körperliche wird vom Gegenstande weggelassen und der reine Umriß, die Linie, bis zu welcher die Materie den Raum erfüllt hat, an einem andern formfüllend Körperlichen hervorgebracht, das unmittelbar mit dieser Schönheit der reinen Grenze noch viel weniger zu thun hat, als im Gegenstande Bein, Fleisch, Blut u. s. w. nach den Atomen ihres Stoffbestandes. Die Malerei nun nimmt in ihrem ersten Acte dieß reine Nichts, als wäre es ein Etwas, für sich und wirft es als sichtbare Linie, die ein Leeres umschreibt, auf eine Fläche. Dieß Verfahren ist ja das einzig mögliche, wenn sich die Kunst der materiellen Darstellung entschla- gen will: was in der Plastik die reine Grenze des Steins, Erzes war, das muß nun, weil nichts mehr da ist, dessen Grenze es sein könnte, hin- geschrieben werden, als bestünde es für sich; damit muß ich anfangen, muß scheinbar so zu einer neuen grobsinnlichen Verdichtung greifen, wenn ich nun Ernst machen will aus dem, was die Bildnerkunst auch schon im Sinne hatte, daß nämlich nicht die ausfüllende Masse, ihr Durchschnitt, sondern rein nur ihr Aufriß, ihr Ende auf allen Puncten als Linien- Ganzes das ist, wovon es sich handelt; da ich nicht Stein, nicht Erz mehr habe, als dessen Grenze ich die Linie, dieß nur ideale Formwesen, ent- stehen lassen kann, so muß ich diese mit dem Griffel zeichnen. Die Linie ist nun für sich da, sichtbar für sich allein, sie will aber dem Anschauen- den nur sagen, er müsse sich einen Körper vorstellen, der auf allen den Puncten, welche der Strich angibt, aufhört. Durch diese Bedeutung des bloßen Umrisses ist es also Ernst geworden mit dem reinen Schein, es ist förmlich gestanden , was die Plastik eigentlich wollte, man kann keinen Augenblick mehr meinen, es gelte ästhetisch die Masse, nicht viel- mehr nur ihre Grenze als reinster Ausdruck der Kräfte, die, in ihr wirk- sam, den Körper auf allen Seiten eben bis zu dieser Grenze gebildet ha- ben, denn diesen Ausdruck erzeuge ich am reinsten dann, wenn ich das Bild dieser Kräfte von aller wirklichen Masse befreie und nur einen Anhalt gebe, damit der Zuschauer sie sich vorstelle. Der Umriß ist daher gerade der idealste Theil der Malerei, eben nämlich, weil er die Vorstellung der Gestalt, deren Grenze er bezeichnet, ganz in das Innere, die Phantasie des Anschauenden wirft: nur noch ein Schritt weiter, die Nachhülfe des Umrisses, den der Künstler an eine Fläche heftet, weggelassen, statt dessen blos das Wort als Anhalt gegeben: und der Künstler malt unmittelbar in den Geist des — nicht mehr Anschauenden, sondern Hörenden, — wir sind in der Poesie. Wir werden bei der bestimmteren Erörterung der ein- zelnen Momente darauf zurückkommen. Allein die Malerei besinnt sich, daß sie eine selbständige, ganze Form der bildenden Kunst sein will, nicht ein schattenhafter Ansatz, der rasch in eine andere Kunstweise einlenkt. Ihrem Wege gegenüber ist die Erscheinung des Umrisses als eines für sich Sichtbaren noch eine Unvollkommenheit, ein Schritt zum reinen Schein, aber zunächst noch falscher Schein, der Schein, als wäre das schöne Nichts der reinen Grenze ein Etwas. Wenn die Malerei in ihrer Kindheit bei dicken Umrissen beharrt, die sie nur dürftig mit Farbe ausfüllt, so ist dieß halb grobsinnlich, halb übergeistig: jenes, weil das rein Negative der Ge- staltumschwebenden Grenze als ein so grell Augenfälliges sich behauptet; dieses, weil das Grelle des Umrisses und das Dürftige seiner Ausfüllung doch um so ausdrücklicher nur eine Nothhülfe ist für eine sehr frische Phantasie, welche äußerst rasch, verglichen mit der ganzen Aufgabe der Malerei allzurasch vom Sichtbaren befriedigt in der Weise der Poesie sich innerlich das vom Künstler beabsichtigte Bild erzeugt. Die Malerei will ja das Sichtbare im vollen Umfange seiner Erscheinung selbst nach- bilden. Auf ihrem wahren und eigenen Weg muß sie also den falschen Schein, als wäre der Umriß Etwas, wieder aufheben, ihn zu einer Vor- arbeit herabsetzen, die verschwindet, wenn sie das Ihrige geleistet hat. Zu- nächst gilt es, dem Lichte den Act seiner Aufzeigung der wirklichen Form, noch abgesehen von der Farbe, abzunehmen, den Schein von Licht und Schatten durch künstlich nachahmende Mittel hervorzubringen. Der Umriß verliert bereits von seiner Selbständigkeit, bleibt aber als solcher noch sicht- bar. Es kann dieser Theil des Verfahrens allerdings zugleich mit der Farbengebung vorgenommen werden, aber wir halten die in der Vorschule des künftigen Malers ohnedieß jedenfalls nothwendige Trennung dieser beiden Momente in ihrer Schärfe ein, um deutlich hervortreten zu lassen, was weiterhin noch aufzunehmen ist: daß bis zu diesem Puncte die Ma- lerei noch eine auf die Fläche übersetzte Plastik ist, wie denn der §. ge- gen den Schluß es bereits ausspricht, daß diese Kunst in jener als Mo- ment enthalten sei. Nun erst folgt die Farbengebung und vertilgt vollends den Umriß: dieser hat das Seinige gethan, dem Maler die Grenze an- gegeben, bis an welche er die Farbe mit Licht und Schatten herauszuführen habe, er kann nun gehen. Im Orient gieng er nicht; die Umrisse wurden mit einfachen Farben ausgefüllt. Hiemit blieb auch der Träger des Ge- mäldes, die Fläche, in Geltung; man vergaß sie nicht, wie man soll, über einem vollständigen Scheine des Daseins, der ja erst erreicht wird, wenn die Farbe mit allen Mitteln der Kunst wirkt. Es geht nun aber, wo die Malerei ihr ganzes Wesen zur Ausbildung gebracht, die Farbe, und mit ihr selbst Licht und Schatten, viel weiter, als nur bis zur tota- len Füllung der durch Umrisse bestimmbaren organisch geschlossenen Ge- stalt: die malerische Anschauung hat ja (vergl. §. 648) Vieles mitauf- genommen, was nicht individualisirte Gestalt hat, die Nachahmung der allgemeinen Medien hebt also den Umriß nicht nur dadurch auf, daß sie ausfüllt, was er umschreibt, sondern schwebt über ihn hinaus in’s Weite und Unbestimmte, was durch gar keinen Umriß vorher bestimmt werden konnte. Es wird weiterhin in volles Licht treten, daß die Farbe noch mehr durch dieß Uebergießen, „Ueberziehen“, wie der §. es zunächst nennt, als durch jenes Ausfüllen den Theil der Malerei hinter sich läßt, welcher noch mit der Bildnerkunst verwandt ist. Der An- schauende hat nun ein volles Bild vor sich, seine Phantasie nimmt es auf, erzeugt es nach, aber das Kunstwerk gibt ihm dazu mehr, als den bloßen Anhalt, den der Umriß darbot, es ist ein ganzer, ein erschöpfender Schein, der Gegenstand ist im Scheine vollständig da. 2. Der weitere Inhalt des §. zeigt nun ebenfalls rein äußerlich die Freiheit und Weite auf, worin sich durch diese Art ihrer Darstellung die Malerei gegenüber der Plastik bewegt; diesen Gewinn in seiner inhalts- volleren Bedeutung zu fassen ist dem Folgenden vorbehalten. Daß, un- beschadet untergeordneter technischer Wichtigkeit derselben, die Materie der Fläche, auf welche das Kunstwerk aufgetragen ist, mit diesem nichts zu schaffen hat, ist in der Bemerkung über die orientalische Umrißfärbung schon ausgesprochen; das Kunstwerk ist daran geheftet und schwebt doch davon weg, daran gefesselt und doch nur ein Hauch, ein Ueberzug, dessen eigene, äußerst dünne Masse ebenfalls für sich Null ist, ein Anflug, der, ohne doch diese Bindung entbehren zu können, hinüberfliegt in den Zu- schauer in jedem Moment, wo ein solcher da ist. Das Bild braucht Licht von außen, aber nicht so wie das plastische Werk: dieses bedarf seiner noch im Mittelpuncte des Aesthetischen selbst, denn es soll seine Formen aufzeigen, jenes rein äußerlich, denn es hat das Licht, wie es ästhetisch im Bilde wirken, Formen aufzeigen, sich zudem in Farben brechen soll, sich selbst gegeben, und nur damit man dieß Licht mit all seinen Wirkun- gen sehe, bedarf es des äußern Lichtes; es ist also auch damit, daß dieses nur Mittel ist (vergl. §. 599, 2. ), jetzt erst wahrer Ernst geworden. Natürlich ist nun auch die Schwere verschwunden und die tiefgreifen- den Folgen, die sich insbesondere aus diesem Versprung für Inhalt und Geist der Darstellung ergeben, werden sich zeigen. Da mit der Schwere auch die Ausdehnung nur eine scheinbare geworden ist, so kann man eigentlich nicht, wie Hegel (Aesth. Th. 3, S. 19.) sagen, die Malerei tilge nur eine der Dimensionen, nämlich die Tiefe. Die Erstreckung in Höhe und Breite ist ebensosehr bloßer Schein wie die Erstreckung in die Tiefe; der Unterschied ist freilich der, daß jene noch auf der wirklichen Fläche mit Linien angegeben werden, welche den Ausdehnungen des nach- geahmten Stoffs in ihren wahren Maaßen entsprechen, diese aber nur durch eine optische Scheinveränderung derselben Linien und durch die flüssigen Mittel der Farbe angegeben wird; allein auch jener Theil ist ja nicht Grenzbestimmung eines wirklich Ausgedehnten, die Ausdehnung des Körpers der Fläche, auf welche gemalt wird, ist ja nur ein außerhalb des Aesthetischen der Technik liegendes Mittel, den Schein der Ausdehnung daran zu heften. Es sind also genauer zwei Arten des Scheins, die Nachahmung der Tiefe ist nur in noch engerem Sinne Schein, als die der Höhe und Breite. Der große Gewinn ist nun aber, daß das Kunst- werk, indem es die Tiefe in dieser besondern Art des Scheins behandelt, den Zuschauer in beliebige Tiefe fortführen kann, während das Relief fast keine, das volle Sculpturwerk nur sehr mäßige Tiefe haben darf. Die wahre Bedeutung auch dieses Vortheils wird erst im Weitern sich ergeben. Wie nun aber alle Art der Ausdehnung zu einer nur scheinbaren gewor- den ist, so hat jetzt die Kunst die weitere wesentliche Freiheit gewonnen, daß auch alle Größenverhältnisse rein relativ werden. Eine spannenlange Menschengestalt erscheint als Riese, wenn die Figur daneben in der Zahl von Maaßen, um welche ein gewöhnlicher Mensch kleiner ist, als ein Riese von bestimmter Größe, unter dessen Maaßstab steht: nur in der Zahl von Maaßen, ohne die Größe dieser Maaße in Wirklichkeit, dieß ist eben die bloße Relativität. Unwichtiger ist, daß der Maler umge- kehrt auch die in der Natur winzige Gestalt groß erscheinen lassen kann, denn alle Kunst hat wenig Interesse, das sehr Kleine nachzuahmen (vergl. §. 36, 1. ). Nun vermag also die bildende Kunst so Großes darzustellen, als sie will, denn sie muß es nicht so groß darstellen, als es an sich sein müßte. Sie vermag aber auch so Vieles darzustellen, als sie will, denn sie selbst bestimmt den Maaßstab, der die für Einführung einer be- liebigen Menge von Gegenständen und Figuren nöthige Verkleinerung mit sich bringt, und zudem kann der unbestimmtere Umriß im Bunde mit der Farbe noch ganze Massen aufführen, indem er die Gegenstände, wor- aus sie bestehen, nur andeutet; die Vorstellung führt das Angedeutete vervielfältigend fort und ergänzt sich die Formen. Allerdings kann ich die Gestalten nicht in jeder Art von Gruppe verwickeln wie ich will, denn durchsichtig sind sie nicht; aber ich habe es in der Hand, sie einander nicht so decken zu lassen, wie es künstlerisch unerwünscht wäre und wie es dem Bildner zustieße, wenn er zu viele Figuren in einer Gruppe ver- einigte, sondern nur so, wie es ästhetisch recht und gut ist. Damit sind wir zu dem weiteren, besonders wichtigen Momente gelangt, aus welchem erhellt, wie nun Alles geistig frei, geistig gesetzt ist: der freien Bestimmung des einzigen Standorts durch den Künstler. Das Werk des Bildners, zum Umwandeln bestimmt (vom Relief sehen wir jetzt ab, das ja doch im Gewinne wieder verliert), ist freilich auch auf Einen Sehpunct vorzüglich berechnet, aber nur vorzüglich, es kann und will ihn nicht erzwingen, es macht sich durchaus davon abhängig, daß der Standort gewechselt wird; der Maler dagegen schreibt ihn vor und läßt keine Wahl, weil er nur den einen gibt. Dieß ist jedoch kein Geisteszwang für den Zuschauer; der Gegenstand läßt allerdings, wie derselbe wohl weiß, eine Vielheit ästhetisch günstiger Standpuncte zu, doch nicht so, wie die nur auf die feste Form angesehene Gestalt des Menschen oder Thiers, denn eine Gesammtheit von Gegenständen, wie sie sich vor dem eigentlich sehenden Auge ausbreitet, bietet nicht jedem Standorte diese geschlossene Welt allseitig schwungvoller Linien, sondern zwischen glücklichen Augenpuncten auch entschieden ungünstige. Der Zuschauer weiß freilich so gut wie der Künstler, daß es außer dem im je vor- liegenden Kunstwerke gewählten Standpuncte und den ungünstigen Stand- puncten noch unbestimmt viele, ebenfalls günstige, und zwar gleichzeitig selbst bei dem ruhenden Gegenstande, nicht nur successiv bei dem bewegten, geben muß, aber die Auswahl ist ihm abgenommen, für dießmal die Auswahl dieses günstigen Sehpuncts, anderen Kunstwerken bleibt die Auswahl anderer vorbehalten. Es ist ein Blitz des Geistes, der dießmal diese Erscheinung so beleuchtet, er entzündet augenblicklich im Zuschauer die Ueberzeugung, daß dießmal diese Mannigfaltigkeit unter dieser Einheit gesehen sein will, ein andermal mag es anders sein. Der Zuschauer bleibt also frei, aber er denkt jetzt nicht an diese Freiheit; er weiß um sie, aber dieß Wissen bleibt schlummernd liegen und zwanglos läßt er sich zwingen, so zu schauen, als sei dieß der einzig richtige Standort. — Endlich muß nun auch im Kunstwerke sich realisiren, was schon in der zu Grund liegenden Art des Sehens an sich liegt, was wir bei der Farbengebung bereits wieder aufgefaßt haben, und was insbesondere bei dieser letzten Erwägung schon mitberücksichtigt ist: das unbestimmt Gebildete, das elementarisch Ausge- dehnte und Ergossene war mit den geschlossenen Gestalten gleichzeitig in Einem Blick angeschaut, so wird es auch mitdargestellt. Von objectiver Seite ist es die Nachbildung auf der Fläche, welche dieß mit sich bringt, aber die Fläche ist selbst nur der Niederschlag des Sehkreises oder eines Ausschnitts desselben. Es ist denn eine weitere grundwesentliche Eigen- schaft der Malerei, daß sie den sogenannten Grund, nämlich alle elemen- tarische, botanische, auch alle durch Menschenhand gebildete Umgebung den höheren, geschloßneren organischen Gestalten mitgibt. Hiedurch schließt sie (vergl. Hegel a. a. O. Th. 3. S. 11.) mit der Plastik auch die Baukunst in dem Sinn in sich, daß sie vereinigt, was jede dieser Künste gab, und damit ausfüllt, was jeder fehlt: die letztere hatte einen Raum und kein Subject für denselben, die erstere umgekehrt (vergl. §. 599, 2. ), die Malerei faßt Beides zusammen. — Diese Feststellung der allgemeinsten unterscheidenden Eigenschaften der Malerei führt nun auch sogleich auf eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Erfindung und Ausführung: in der Baukunst und Plastik fielen beide an verschiedene Organe ausein- ander, weil die Ausführung oder wenigstens ein Theil derselben eine mas- senhaft grobe Arbeit forderte; in jener war die Spaltung natürlich völli- ger, als in dieser. Die Darstellung auf der Fläche aber ist des gröberen Kampfes mit der Materie ledig, flüssiger geht das innere Bild durch die Hand in die Außenwelt über; es entsteht eine neue Welt von Schwierig- keiten, aber sie sind anderer Art und fordern von Anfang bis zu Ende die eigene Hand des Erfinders. Die Copie des vollendeten Kunstwerks wird dagegen nothwendig schwerer, eben weil es nicht in wirklicher Räum- lichkeit völlig nachmeßbar dasteht und der Nachbildende in eine Technik ein- dringen muß, die als Ganzes, von Anfang bis zu Ende eine vom Geiste des Erfinders beseelte ist. §. 650. Dieser Fortgang zur Uebersetzung des räumlichen Daseins in einen bloßen Schein auf der Fläche ist nothwendig mit wesentlichem Verluste verbunden: verloren ist die naturvolle Gediegenheit, die Ruhe im vollen und ungetheilten Dasein, die Oewichtigkeit, die dem Bildwerke den Ausdruck des Monumentalen im vollsten Sinne gibt, ebenso die Vielheit von Kunstwerken, die es in sich schließt; und doch ist das Gebiet der wirklichen Bewegung nicht gewonnen: auch die Malerei fesselt noch einen Moment im Raum und behält dadurch den allgemeinen Charakter aller bildenden Kunst, den der Objectivität . Der Verlust muß aber in tieferem Sinne, als dem einer Reihe von äußeren Vortheilen (vergl. §. 649), zugleich unendlicher Gewinn sein: dieß folgt aus dem Satze §. 54, daß im Schönen das körperliche Dasein in reinen Schein umgewandelt wird; je näher eine Kunstform der gänzlichen Vollziehung dieses Acts steht, desto reicher und tiefer ist ihr Wesen. Es ist hinreichend auf den Satz zurückgewiesen, daß die einzelnen Kunstgebiete, indem sie gewisse Seiten der Erscheinung mit Abstraction von den andern isoliren, in der Entbehrung gewisser Vollkommenheiten andere um so vollständiger erschöpfen (§. 533, 2. ). Es bedarf auch keiner wiederholten Darstellung, welches die Vollkommenheiten sind, die der Bildnerkunst durch ihr Verzichten auf das Ganze der Gesichts-Wahrneh- mung zufallen; nur mit einem Worte sei noch einmal gesagt, daß das naive, ganze, vollwichtige, herzhafte, reale Dastehen und sich Hinpflanzen im Raume, woran eben die Fülle der einzelnen Züge plastischer Vollkom- menheit sich schließt, die Grundvollkommenheit ist, wodurch die Plastik in einer nur ihr eigenen Herrlichkeit neben den andern Künsten thront. Diese Art von Schönheit ist nun aufgegeben; mit der Bestimmung und ausschließenden Annahme Eines Sehpuncts durch den Künstler ist zugleich jene Vielheit von Kunstwerken verloren, die das einzelne plastische Kunst- werk in sich enthält. Die Malerei schreitet aber nicht über das Raum- gesetz hinaus, nicht das gewinnt sie durch das Opfer der plastischen Fülle und Ruhe, daß sie eine Reihe von Momenten successiv in Einem Werke darstellen kann, sie ist noch ohne wirkliche Bewegung, stumm wie alle bildenden Künste, objectiv in dem mehrfach erklärten Sinne (vergl. §. 551). Nach dieser Seite also ist nichts gewonnen und es bleibt dabei, daß alle die Erleichterungen, die der vorh. §. aufgeführt hat, um einen schweren Preis erkauft sind, nämlich auf Kosten der Solidität. Wir be- finden uns nun auf einem Puncte des Schwankens, die Wagschalen des Gewinns und Verlusts bewegen sich unstet hin und wieder. Hier bedarf es eines entscheidenden Gewichts und dieses gibt der aus §. 54 angeführte Satz nebst dem, was in §. 533, 1. für seine Anwendung auf das System der Künste bereits auseinander gesetzt ist. Die Malerei hat einen so wesentlichen Schritt vorwärts zum reinen Scheine gethan, daß ihr Gewinn ungleich größer sein muß, als ihre Opfer. Dieß ist noch nicht begründet durch die erste, allgemeine, erst äußerliche Aufweisung der Vortheile, die sie durch ihr Verfahren erreicht; es muß erst entwickelt werden, was diese Vortheile bedeuten wollen, was Alles sich für das innere Wesen der Kunst aus ihnen ergibt. Aus dieser Entwicklung wird sich schließlich erst die besondere Modification ergeben, welche die Bestimmung der Ob- jectivität in der Malerei erfährt. §. 651. Dieser Gewinn ist zunächst ein Gewinn an Weite des Umfangs . Den veränderten Darstellungsmitteln öffnet sich das Reich der landschaftlichen Schönheit, der Thierwelt und Menschenwelt in neuer Ausdehnung, in den verschiedensten Formen äußerer Bewegung und Handlung. Die Weite, die nun gewonnen ist, kann natürlich von dem Gewinn an Tiefe, zu dem wir nachher übergehen, nur relativ getrennt werden; wir sind in diesem Uebergang bereits begriffen, denn im rein äußerlichen Sinn ist ja der große Fortschritt in der Weite bereits ausgesprochen, und wenn es sich jetzt darum handelt, den Inhalt dieser Erweiterung, die neu zuwachsenden Sphären bestimmter anzugeben, so führt dieß unmittelbar zu dem Geiste dieser veränderten Kunstweise. Vor Allem holt denn nun die Malerei nach, was die Bildnerkunst übersprungen hat: die Landschaft (vergl. §. 599, 2. ); architektonische Umgebungen, mögen sie mehr oder minder geschlossen sein, können wir vorläufig zu ihr zählen. Die Malerei ist dieses Gebietes theilweise schon vermittelst der Zeichnung mächtig, denn in der That kann selbst diese ungleich weiter greifen, als die Plastik, ob- wohl sie das plastische Moment in der Malerei darstellt; darüber mehr bei der speziellen Erörterung; natürlich aber ist es im Wesentlichen erst die Farbe, durch welche das eigentliche Sehen sein Erfassen der allgemei- nen Medien, Licht, Luft, der ausgedehnten Massen des Wassers und der Erde, der aus unzählbar kleinen Organen aufgebauten Pflanze im Kunstwerke wiederzugeben fähig ist. Wie nun für die Mittel der Malerei die unbestimmbare Vielheit der Pflanzen-Organe darstellbar wird, so er- schließt sich ihr in einer der Plastik verschlossenen Weite die Thier- und Menschenwelt. Der allgemeinere Ausdruck: „in neuer Ausdehnung“ gilt zunächst von der Erweiterung über die Klassen der Thierwelt. Das Kleine, was dem Auge keine größeren Bahnen darbietet, das Dünne, das viel- fach Zerschnittene, unbestimmt und verschwommen Gebildete und hiemit das Reich der wirbellosen Thiere (vergl. §. 292—294) kann Stoff der Darstellung werden. Die Einschränkung, die allerdings aus jenem Ge- setze der Vermeidung des allzu Kleinen fließt, wird in der Lehre vom Style zur Sprache kommen. Dieser Seite der Erweiterung entspricht, wenn man vom Begriffe der neu zuwachsenden Art ausgeht, in der Menschen- welt die nun eröffnete Möglichkeit die vom reineren Typus entfernteren Racen, Völker, Stämme, die dürftigeren und unregelmäßigeren Formen überhaupt darzustellen; dieß stellen wir nur schlechtweg auf, ohne es noch weiter zu verfolgen, weil es andere, erst zu entwickelnde Momente sind, welche nach dieser Seite hin als tieferer Grund der weiteren Ausdehnung zur Sprache kommen, während bei der Thierwelt schon aus den verän- derten technischen Mitteln die Möglichkeit derselben hervorgeht. Uebrigens auch was diese betrifft, so wird die Erweiterung des Stoffs noch von anderer Seite zu beleuchten sein. Das Wesentliche des Gewinns, in Beziehung auf Darstellung der Thier- und Menschenwelt liegt nun aber vor allem in der völlig freigegebenen Bewegung . Hier tritt das Er- gebniß davon in Kraft, daß der Maler es mit gar keiner wirklichen Schwere mehr zu thun hat. Flug, Sprung, Taumeln, jede Kühnheit der Stellung: hindert den Künstler nur sonst keine ästhetische Rücksicht, ein Nachwirken der Schwere des Materials in das Gefühl des Zuschauers von den Schwere-Verhältnissen der nachgebildeten Figur hindert ihn nicht an der freiesten Entfaltung in dieser Sphäre. Hiezu ist nun weiter die Freigebung der Figuren- Menge , die geöffnete Tiefe, die freie Bestim- mung des Künstlers über den Sehpunct, also über Art und Grad des sich Deckens der Gestalten aus §. 648 zu nehmen: so erkennt man, daß jede Art des Zusammenseins, Zusammenwirkens, Handelns durch die ge- fallenen Schranken aufgethan ist. Kitten, Rudel, Heerden, reiche Men- schengruppen, große Massen mögen auftreten in jedem Zustand, jeder Form der Thätigkeit. Die Kunst hat sich in Besitz des ganzen Reichs des Naturschönen gesetzt, die Welt ist offen, nur der Ton ist ausgenom- men. Bei näherer Betrachtung werden wir freilich im Einzelnen wieder Grenzen auftauchen sehen auch in Darstellung der sichtbaren Welt; hier, wo es sich von ihren Gebieten erst im Großen handelt, mögen jene noch verdeckt bleiben, denn diese im Ganzen und Allgemeinen sind geöffnet. Es ist aber Zeit, daß wir von der weiten Aussicht zur Einsicht in die veränderte innere Auffassung fortgehen. §. 652. Der Gewinn an Weite ist zugleich ein unendlicher Gewinn an Tiefe . Durch die Uebersetzung des räumlichen Daseins in bloßen Schein überhaupt, namentlich durch die Nachbildung des Lichts und Dunkels und am meisten durch die Farbengebung , die als höchste Zusammenfassung aller Mittel dieser Kunst ihr den Namen Malerei zutheilt, ist nun ein Uebergewicht des Ausdrucks über die Form begründet. Der Geist scheint als eine in sich gesammelte Einheit und Unendlichkeit aus seinem Körper wie aus einer durch- sichtigen Hülle; der Körper drückt wesentlich den Geist als sein Inneres aus, aber als sein über ihn, der nun im offenbaren Gegensatz als nur endliches Organ gesetzt ist, unendlich hinausgehendes Inneres. Die sinnliche Wärme , die in der Farbe liegt, steht an sich mit diesem Charakter der Geistigkeit nicht im Widerspruch, kann aber allerdings zum falschen Reize führen. Die Malerei ist zwar noch in uneigentlichem, aber in ungleich nachdrücklicherem Sinn, als die andern Formen der bildenden Kunst, sprechend. Die Uebertragung des Ausgedehnten und Schweren als bloßen Scheins auf die Fläche ist schon an sich ein geistig-Setzen; die Art der Auffassung selbst, welche diesem Verfahren vorausgeht, bestimmt sich nun näher dadurch, daß dieses Verfahren dabei schon in Rechnung genommen werden muß: das Auge blitzt über die Oberflächen hin und er- hascht geistreich die Spitzen der Dinge, worin das Geheimniß ihrer innersten Qualitäten aufleuchtet. Dieß schließt natürlich ein ruhiges Eindringen nicht aus; es ist nur der Gegensatz gegen die Bildnerkunst, der den Nachdruck auf das Hingleitende der Auffassungsweise wirft. Es handelt sich aber hier vor Allem von Licht und Dunkel und von Farbe. Hier müssen wir nun auf das zurückverweisen, was in der Lehre vom Naturschönen über diese großen Erscheinungs-Medien bereits gesagt ist, s. §. 241—253. Die künstlerische Verklärung, welche nätürlich auch dieses neugeöffnete Reich des Schönen erst erfahren muß, bleibt vorausgesetzt, die nähere Erörterung der einzel- nen Momente wird auf sie eingehen; das Wesentliche ist uns hier, daß der Künstler die Lichtwelt nicht nur sich gegeben sein läßt, um sein Werk in sie hineinzustellen, sondern ihre Nachahmung sich zur Aufgabe macht, ihren Reizen, Geheimnissen als dem wichtigsten Theile seines Stoffes nach- geht. Insbesondere vergleiche man nun, was über die ahnungsvolle geistige Symbolik des Helldunkels in §. 245 und über die Farbe §. 247 gesagt ist. Von letzterer heißt es: „die Gestalt zeigt das Innere, wie es ganz zum Aeußern geworden, die Farbe zeigt das Aeußere als Wider- schein des Innern, sie spricht die Seele aus,“ und in der Anmerkung: „sie zeigt die innerste Werkstätte des Lebens auf der Oberfläche, — sie ist ein über das Ganze verbreiteter Schein, der für sich nicht zu fassen und zu halten ist wie die Form, sondern nur die im Innern geheimniß- voll arbeitende, auf die Oberfläche hinausstrahlende Mischung, Gährung, Stimmung des ganzen Wesens verräth. Die Form zeigt wohl auch die innere Bestimmtheit, aber nicht in dieser Tiefe, denn in ihr ist das innerlich Wirkende beruhigt und fertig mit seiner Raumerfüllung, durch die Farbe zeigt es sich in seiner thätig mit sich fortbeschäftigten subjectiven Einheit, es läßt nicht eine vollendete Gestalt von außen beleuchten, son- dern macht sich sein eigenes, spezifisches, sprechendes Licht: ein seelenhaft ergossener Schein, der sich nicht greifen läßt.“ Es genüge hier, zur näheren Beleuchtung auf den bedeutendsten Sammelplatz alles Lichts und aller Farbe, auf das Auge hinzuweisen. Dieses Organ, das der Bild- ner nur mangelhaft und auch dieß nicht ohne gewisse malerische Hülfen (von denen jedoch farbige Behandlung ausgeschlossen ist, vergl. §. 608) wiederzugeben vermag, ist die höchste Läuterung der Materie, die es gibt: ein glänzender Spiegel auf seiner Oberfläche, farbig durchsichtig, ein Blitze werfender farbiger Krystall läßt es auf den innersten Grund der Seele hineinblicken. Diese wunderbare Erscheinung ist uns aber nicht nur Beispiel, sondern wirklich die höchste, concentrirteste Vereinigung der über den ganzen Körper und alle Körper ergossenen, nur in ihrer Aus- breitung nicht so unmittelbar die Tiefe ihres Sinns offenbarenden Far- benwirkung. Mit dem Auge hat die Kunst die ganze Welt in einem neuen Sinn ergriffen, die ganze Welt wird ihr nun zum Auge. In der Form hat das Innere, die bauende Seele sich zwar auch wesentlichen Ausdruck gegeben, aber in dem fertigen Niederschlage zugleich ebensosehr wieder verdunkelt; die Form verhüllt, verdeckt im Offenbaren, was sie offen- bart; die Farbe fährt fort, durch die Form hindurch die innerlich thätige Seele zu offenbaren, sie macht das Aeußere als Durchscheins-Medium des Innern selbst zum Innern; „es ist das Innere des Geistes, das sich im Widerscheine der Aeußerlichkeit als Inneres auszudrücken unternimmt“ (Hegel, Aesth. B. 3. S. 15.). Hiemit sind wir bereits bei dem Hauptsatze angekommen, der das Wesen der Malerei im Gegensatze gegen das der Bildnerkunst bestimmt: der Ausdruck überwiegt die Form. Man darf dabei natürlich an keinerlei die absolute ästhetische Einheit zwischen Idee und Bild lockenden Ueberschuß der ersteren über das letztere denken, beide bleiben schlechthin ungetrennt, aber das Bild hat eine Qualification seiner Erscheinung in sich aufge- nommen, wodurch es die inwohnende Idee nicht als einfach in der Er- scheinung beruhigt, sondern als einen unerschöpflichen Grund offenbart, der aus ihm hervorleuchtet, durch es in seine Tiefen zurück- und hinunter- weist. Es ist hiemit ein Gegensatz, Gegenschlag zwischen Geist und Materie gesetzt, wie in der Sculptur noch nicht. Man behalte, um sich dieß ganz klar zu machen, zunächst physikalisch das Wesen der Farbe im Auge und frage sich dann, welcher Sinn dem Acte zu Grund liege, durch welchen die Kunst nun das ganze Geheimniß derselben erfaßt und dar- stellt. Die Farbe entsteht durch eine Brechung des Lichtes an den Kör- pern; diese wehren es als dichte Materie ab und müssen es zugleich ein- lassen. Auch bei nicht durchsichtigen Körpern muß theilweise dieses Einlassen an den feinsten, mit unsern Werkzeugen nicht mehr faßbaren Bildungen der Oberfläche Statt finden. Unerkennbar kleine prismatische Flächen, in bestimmter Weise zu einander gestellt, durchschoben und sich verdunkelnd, müssen die Atome sein, durch welche ein Körper eine bestimmte Farbe erhält, denn ein durchsichtig Dichtes von bestimmten Flächen, das Prisma, stellt die Farben und bei theilweiser Verdunklung eine der Farben hervor. Wie nun die Farbe bedingt ist durch eine Brechung des Lichts an dem kantig Festen, Dichten, Dunkeln der Materie, die doch zugleich von ihm durchdrungen wird, so ist mit ih- rer Aufnahme in die Kunst eine innere Entgegenstellung von Geist und Materie und ein Hinübergreifen des Geistes über diesen Bruch gesetzt. Wir legen nicht durch bloße Symbolik diesen Sinn in Licht und Farbe; die Natur zeigt uns dessen Wahrheit, wenn sie dem Wesen, in welchem durch den innern Gegenschlag des Bewußtseins die Materie sich zum Geiste befreit, das farbig helle, durchsichtig leuchtende, klare Auge gibt, und die Kunst, wenn sie dahin gelangt ist, diese Spitze der Erscheinungs- welt zu ihrem Stoff zu machen, hat jenen höchsten Gegensatz und die Einheit seiner Glieder erfaßt. Der Geist kommt also nun zur Darstellung, wie er sich bricht am Dunkel seines Leibes, aber ebensosehr es durchdringt; die Materie ist als sein Anderes gesetzt, das er wieder zu dem Seinigen, zu seiner durchsichtigen Hülle macht. Alle begrenzte Gestalt ist durch ihre Begrenzung endlich, aber indem sie den Geist durchscheinen läßt, gesteht sie ihre Endlichkeit und zeigt hinein auf das Unendliche, dessen Organ sie ist, zu dessen Unendlichkeit sie ebendadurch selbst wieder erhoben ist, daß sie derselben sich ergibt, sie aus sich leuchten läßt. Die Bildnerkunst ist ein herrliches Gefäß, von einem undurchsichtigen Metalle der kostbarsten Art gebildet, wir wissen, daß es die edelste Flüssigkeit enthält, die es ruhig bis zum Rande füllt; die Malerei ist ein krystallener Pokal, der den feu- rigen Inhalt durchscheinen läßt. Die Vergleichung hinkt aber, denn gründ- licher betrachtet ist der Inhalt bei der Plastik ganz in das fest Gestaltete, das also nicht eigentlich als Gefäß angesehen werden darf, versenkt; bei der Malerei erst löst sich der Inhalt von der Schaale, die nun erst eigentlich Gefäß ist, und scheint doch durch dieses Gefäß, das ein Andres und doch nichts für sich ist, hindurch. Daß nun mit dieser veränderten Stellung, dieser Negativität der Gestalt, die doch wieder Affirmation ist, eine Geisteswelt mit einem ganz neuen Inhalt aufgeht, leuchtet unmittelbar ein. Die Entwicklung des neuen, großen Prinzips ist dem Weiteren vorbehalten. Wir haben aber noch eine Seite aufzunehmen, welche mit dem, was hier entwickelt ist, auf den ersten Blick unvereinbar scheint: die Farbe wirkt, indem aus ihr das Säfte- und Blutleben, der zuckende Nerv hervorglüht, ungleich sinnlicher, als, trotz der Greifbarkeit der Form, Marmor und Erz. Es ist herkömmlich, von plastischer Kälte, malerischer Wärme zu sprechen, und wenn dieses Urtheil eine Vorliebe für die Ma- lerei ausdrückt, so kann der Freund der ersteren hinzusetzen, daß diese Wärme sehr leicht in pathologischen Reiz übergehe. Eine Titianische Venus mit dem warmen Blut-Tone, dem rosigen Anfluge des Fleisches, dem wollüstig leuchtenden Auge scheint, verglichen mit einer medizeischen, die, obwohl eben nicht im keuschen, hohen Style gehalten, doch gewiß ungleich ruhiger wirkt, als jene, eben kein Beweis für den Satz, daß der Charakter der Malerei ein geistigerer sei. Um diesen scheinbaren Wider- spruch zurechtzurücken, muß man zuerst zwei Gebiete unterscheiden. Wo es gilt, ernstes inneres Leben, Charakter, tief innerliche Empfindungen darzustellen, kann kein Zweifel sein, daß in den Mitteln und der Dar- stellungsweise der Malerei Alles das liegt, was wir ausgesprochen haben. Bewegt sich ein dargestellter Moment aus diesem Gebiete durch Gefühle des Leidens, so wird das Bild derselben allerdings sympathetisch stärker wirken, als in der Sculptur, aber auch die geistige Kraft der Ueberwin- dung des Leidens wird tiefer zum Ausdruck kommen und das Gleichge- wicht herstellen, den Anreiz zu pathologischem Verhalten niederschlagen. Allerdings wird nun die Malerei auch ihr Gebiet naturvoller, unverhüllter Grazie haben und wir werden die Stylrichtung, welche dazu vorzüglich hinneigt, im Gegensatz gegen eine andere kennen lernen. Diese Dar- stellungen müssen nun allerdings durch die Gewalt der Farbe heißer wir- ken, Blut und Nerv im Bilde müssen Blut und Nerv im Zuschauer un- mittelbarer fassen, als ein Sculpturwerk derselben Gattung; es scheint also unrichtig, der Malerei im Allgemeinen den Charakter tieferer Geistigkeit beizulegen. Allein es ist hier eine doppelte Art der Sinnlichkeit zu unter- scheiden: eine unmittelbare und eine geistig reflectirte. Die erstere, welche der Bildnerkunst zukommt, eröffnet dem Zuschauer wohl den Blick in ein einfach heiteres, gesundes Dasein, aber nicht in die Tiefe eines besondern Temperaments, einer phantasievoll entzündeten innern Welt; die zweite zeigt mit der äußern Fülle der Schönheit uns die innere Werkstätte des individuellen Zustands und des geistigen Lebens, wie eine fröhliche, lau- tere Sinnenfreude in sein Inneres hinein und aus ihm hervorscheint, das Sinnliche selbst ist innerlicher. Der Anschauende wird tiefer erfaßt, leb- hafter, inniger hineingezogen, aber dieses innerlicher entzündete Gefühl des Lieblichen und Reizenden bleibt bei allem Unterschied ein unschuldiges so gut als die, dem verharrenden, blutlosen Bildwerk gegenüber ruhiger verharrende Empfindung. Daß jedoch die Gefahr des Uebergangs zum falschen, verführerischen, durch Reflectirheit nur doppelt übeln Reiz der Malerei noch näher liegt, als der Plastik, ist natürlich nicht zu läugnen. — Schließlich ist noch ein Wort über den Begriff des Sprechenden zu sagen, den wir aus gutem Grunde bei jeder Kunstform wieder auffassen. Auch der Malerei ist die Zunge noch nicht gelöst, aber wenn wir jenes Hervor- leuchtenlassen des Geistes uneigentlich ein Sprechen nennen, so ist diese Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 35 Sprache doch tiefer, umfassender, Geist-offenbarender, als die ihrer ernsten, kälteren, in ruhiger Würde der Zuschauer gegenüber in sich verharrenden Schwester. §. 653. Nun erst erhellt die wahre Bedeutung des Gewinns in der Weite (§. 650). Dem zu seiner Einheit und Unendlichkeit gesammelten Geiste steht die Vielheit der endlichen Welt in der Breite und Fülle ihrer Erscheinungen selbständig ge- genüber; die ausschließende Zusammenziehung der Natur und Menschheit in ab- solut ideale Wesen ist zu Ende. Der Geist hat aber die Welt zu dieser Selb- ständigkeit nur entlassen, weil er sie seiner innern Unendlichkeit gegenüber als Endliches gesetzt hat: ebendarum greift er wieder in sie über, umspannt sie, hebt sie in seine Unendlichkeit. So ist die Malerei ebensosehr ausgegossener, als gesammelter Geist, Ausdruck des in seiner Sammlung ausgegos- senen und in seiner Ausgießung gesammelten Geistes . Die „Vielheit der endlichen Welt“: so ist das dem Geiste Gegen- übertretende bezeichnet, um auszudrücken, daß es sich nicht blos von so- genannt Aeußerem, Sinnlichem handelt. Das verhüllte geistige Prinzip in der außermenschlichen unorganischen und organischen Natur, das offen- bare im Menschen nennen wir in seiner Allgemeinheit den Geist und ha- ben, indem wir ihn so herausziehen aus dem Einzelnen, worin er doch allein lebt und wirkt, durch diese nothwendige Abstraction all das Viele, worin er eben wirkt, außer ihn hingestellt. Dieß Viele ist nun nicht blos die Natur, in welcher das geistige Prinzip noch unbewußt schlummert; es sind auch die Menschen als die Vielen darunter befaßt: der zum Be- wußtsein seiner Unendlichkeit gekommene Geist in einem Menschen weiß sich als Einen mit demselben Geist in den andern trotz dem Trennenden, was die Individuen scheidet; neben dieses Einheitsbewußtsein fällt uns nun auch die Vielheit der menschlichen Individuen zunächst äußerlich so hin, als ob das Individuenbildende nur eine sinnliche Kraft der Natur wäre, nicht auch aus dem Geiste hervorgienge, welcher in der verhüllten Form blinder Nothwendigkeit der Natur Gesetze gebend innewohnt, wel- cher die Gattung in Individuen zerlegt, um eben in der Vielheit die Ein- heit dazustellen und ihre höheren Zwecke thätig zu erwirken, und welcher in der höchsten Gattung zu sich kommt, bewußter Geist wird. Zu dem Vielen der endlichen Welt gehört ferner dem Geist im Menschen gegen- über auch seine eigene sinnliche Gestalt, welche zwar die realisirte Form des Geistes selbst ist, aber als Erscheinendes in die Vielheit der Sinne, Organe sich auseinanderlegt. Aber noch mehr: auch das Viele, das als eine Welt von Trieben, Kräften, Thätigkeiten im Innern des Menschen selbst lebt, fällt uns in dieser gegenwärtigen Trennung neben und außer den Geist hin, der die Einheit dieses Vielen ist. Wir haben das reine Licht, das einfache Weiß des Geistes, wie er in seiner Unendlichkeit für sich ist; das farbige Leuchten aus der Hülle, wovon der vorh. §. han- delte, ist vorerst wieder bei Seite gelassen. Jene Welt des Vielen nun ist in der Bildnerkunst dem Geiste so nicht gegenübergetreten, und weil sie nicht gegenübergetreten ist, ist sie zusammengeschmolzen. Der Geist webte noch in schöner Einheit mit der Natur als der Mutter des Vielen (das sie in Wahrheit freilich selbst nur als Stätte des Geistes, damit er aus dem Vielen sich entzünden könne, gebiert). War nun die Natur dem Geiste so in ruhiger Einheit einverleibt, so ergab sich für die entsprechende Kunstform auf Wegen, die wir nicht noch einmal nachzeigen, eine wohl- gesichtete Auswahl solcher Erscheinungen, worin das Ganze der Natur und Menschheit in schöner Einheit der Kräfte sich darstellte; daneben gab es auf diesem Standpunct eigentlich nicht noch eine Natur, eine Vielheit der Menschenwelt und Particularisation ihrer Triebe, Empfindungen u. s. w.; es war sogar ein, zwar nothwendiger, Widerspruch der Phantasie, daß es nur mehrere Götter-Ideale gab, denn genau genommen ließ sich nur Ein Wesen denken, in welchem Natur und Geist zur absoluten, reinen, ruhigen Einheit zusammengegangen war. Nun aber, auf dem wesentlich veränderten Standpuncte, steht also dem Geiste, der zu dem Bewußtsein seiner Einheit, seines unendlichen Beisichseins in allem Unterschiede, ge- kommen ist, das Viele als solches gegenüber, es ist als sein Gegentheil mit Bewußtsein gesetzt. Freilich als die Welt des Endlichen, also des nicht Wahren, aber doch hingesetzt, hingestellt; es wäre ja nicht ein Ge- gensatz, wenn nicht das Viele, wie gewiß auch zum zweiten Momente, der Auflösung des Gegensatzes übergegangen werden muß, zunächst für sich im Nachdruck des Gegenüber bestünde. Es ist also in seiner Selbstän- digkeit gesetzt; es verschwindet nicht mehr in der Aufsaugung, durch die es in der Idealgestalt in eine reine, ruhige Einheit mit dem Geiste ein- geflossen, es ist da, man sieht es, es breitet sich in frei entlassener Fülle aus. Dieß ist der tiefere Grund des Gewinns an Weite (§. 650): die technischen Bedingungen zeigen auch hier, nachdem sie erst äußerlich auf- gestellt sind, ihre positive, geistige Begründung und Wirkung. Allein jener Gott des Alterthums, in welchen das Viele aufgegangen, ist nicht schlecht- hin todt, er soll in neuer, anderer Lebensform auferstehen. Nur einen Augenblick ist die Abstraction des Geistes in seinem reinen Fürsichsein fest- zuhalten; stellt sich der Geist das Viele gegenüber als Endliches, so muß er im nächsten Moment auch dieß setzen, daß dieß Endliche, weil es end- lich ist, ihm, dem Unendlichen, gegenüber nichts Bestehendes für sich sein kann, 35* sondern vielmehr die Form ist, aus der er selbst hervorgeht, die er, nach- dem er aus ihr hervorgegangen, zwar unendlich hinter sich zurückläßt, aber nun wieder zu sich heraufnimmt, durchdringt, füllt, durchstrahlt und so erst wahrhaft, im realen, concreten Sinne setzt. Nun ist all das Viele un- endlich bedeutend und werthvoll, nun erst ist es wahrhaft frei, selbständig, denn der Blitz des Geistes strahlt aus ihm und in es. Der Verschluß, der den Gott gefangen hielt, ist aufgegangen; der Gott strömt als Geist über in alle Welt. Schon zu §. 632, bei der Vergleichung von Statue und Gruppe, haben wir die Bezeichnung eines Ausgießens gebraucht und auf die Kunstform hinübergewiesen, von welcher diese Bezeichnung im volleren Sinne gilt. Die Malerei ist das Pfingstfest der bildenden Kunst. Ihre Weite und Tiefe ist jetzt als Eines erkannt. Die Tiefe hat das Band gelockert, ja scheinbar gelöst, das zwischen dem Geist als dem Ei- nigenden und der Natur als Mutter der Vielheit bestand, und die Weite ist aufgegangen, aber die Tiefe stellt das Band um so inniger wieder her, der Geist hat es nur gelöst, weil er diese tiefere Herstellung wollte; er hat die Natur fallen lassen, um sie desto inniger und wärmer zu verklä- ren, sie breitet sich nun frei aus in in ihrer Wesenfülle und wird doch vom Wehen des unsichtbar sichtbaren Geheimnisses wieder eingeholt und in die Feier der Innerlichkeit getaucht. — Der wesentliche Inhalt dieses §. ist schon von Hegel ausgesprochen (Aesth. Th. 2. S. 256. Th. 3. S. 5. 6. 15. 17 u. a.); die Erläuterung unseres §. sucht die Sache in eingänglicheres Licht zu stellen und der Schlußsatz desselben faßt Alles in die möglichst schlagende Formel zusammen. §. 654. Die landschaftliche Natur, der umgebende Raum überhaupt erscheint nun als stimmungsvoller Widerhall des persönlichen Lebens. Tiefer tritt dasselbe Verhältniß innerhalb der Persönlichkeit selbst auf. Vom Bande der unmittel- baren Einheit mit dem Geist entlassen spielt die Gestalt und die Welt der man- nigfaltigen innern Neigungen, Zustände, Kräfte in freierer Willkühr, die zu- gleich zu jeder Einseitigkeit sich verhärten kann, öffnet sich in bewegter Beziehung zur Außenwelt ihren wechselvollen Erregungen und läßt dieselben bis zur tief- sten Aufwühlung und Zerreißung der Seele eindringen; aber das Licht des Geistes scheint in diese bis zur Entzweiung losgelassene Außenseite und erhebt ihre mannigfaltigen Brechungen zum bedeutungsvollen Ausdruck seiner Tiefe. Das Gute hat jetzt nicht mehr die Form einfacher Substantialität des Charakters, das Böse ist als Stoff für die Kunst erschlossen. Das neue Licht, in welchem die Welt aufgefaßt wird, ist zunächst in Anwendung auf die äußere Natur bestimmter in’s Auge zu fassen. Seine feurigen Zungen schweben nicht blos über den Häuptern der Menschen, der Gott ist nicht blos, wie Hegel (Aesth. Th. 2. S. 258. 3. S. 10 u. a.) geistvoll sagt, in die Gemeinde hereingetreten; Luft, Erde, Wasser, Baum, der letzte Schilfhalm am Teich zittert und webt im ahnungsvollen Glanze und scheint ein bedeutungsvolles Etwas sagen zu wollen. Durch die Ge- genüberstellung von Geist und Natur ist jene Spannung, die uns auf dem Standpuncte der Bildnerkunst (vergl. §. 631, Anm. 1) noch fehlte, nun eingetreten, die sentimentale Beziehung zur Landschaft ist möglich gewor- den, das Gemüth zieht sich aus ihr zurück und sehnt sich wieder nach ihr, spiegelt sich in ihr, es leiht ihr seine Tiefe, und ihre Zustände, Formen, Beleuchtungen, Morgen, Mittag, Abend und Nacht, Frühling, Sommer und Winter, Stille und Sturm erscheinen ihm als Bilder seiner Stim- mungen. Es ist ein Leihen, aber mit einem wahren Grunde; denn der Geist erinnert sich, daß er aus der Natur kommt und wie hoch er sich über sie geschwungen, er senkt sich mit freier Liebe wieder in diesen seinen Schooß zurück. Zu §. 599, welcher heraushob, daß die Bildnerkunst die Land- schaft überspringt, ist der für das System hieraus erwachsende scheinbare Widerspruch, daß die Lehre vom Naturschönen die landschaftliche Schön- heit vor der (thierischen und) menschlichen aufführt und doch in der Reihe der Künste erst die später folgende, reifere sie nachholt, bereits be- sprochen; wir setzen hinzu: erst muß die Kunst das menschliche Wesen in seiner ganzen Kraft und Vollkommenheit erfaßt haben, ehe sie dahin ge- langen kann, wo die noch tiefer erwärmte Brust reich genug ist, der är- meren Form des Daseins aus dem Ihrigen zu leihen. Uebrigens han- delt es sich nicht blos von der Landschaft, sondern auch von umgebendem künstlichem Raum mit seinen Geräthen u. s. w. Das von Menschenhand Gemachte ist zunächst todt und scheint nicht wie die lebendige Natur zur Seelensprache gelangen zu können; aber es ist ein Werk zu menschlichem Gebrauch, eingewohnt, eingewöhnt, die Wände haben viel „gesehen“, scheinen „erzählen zu können“ und aus dem alten Großvaterstuhl steigen vor Faust’s Gemüth tiefrührende Familienbilder auf. Dazu kommt die eigenthümliche Wirkung der geschlosseneren Luft und des im Helldunkel der von Wänden eingefangenen Räume bedeutungsvoller gespannten Lichts. Das Thierleben führen wir auch hier nebenher. Die Liebe leiht in die- ser veränderten Auffassung mitleidig auch der gebundenen Thierseele von ihrem Reichthum, sucht in ihr die tiefere Verwandtschaft mit dem Men- schen auf, zieht es in den magischen Kreis ihrer erwärmenden Kraft. Gehen wir nun zum Menschen über, so sehen wir dasselbe Verhältniß innerhalb der Persönlichkeit eintreten, das wir bei dem Blick auf die Natur zwischen dieser und der Persönlichkeit vor uns haben. Die Per- sönlichkeit zerfällt nun selbst in ein Innerstes, rein Geistiges und ein Aeu- ßeres, eine Natur. Unter diesem Aeußeren, dieser Natur ist, wie wir be- reits gesehen, nicht blos die Gestalt, auch nicht blos die Sinnlichkeit zu verstehen, sondern die ganze innere Welt selbst als Vielheit von Formen des Aufnehmens, sich Verhaltens und Thuns. Es handelt sich auch hier um eine bestimmtere Anwendung der Sätze des vorh. §. Die Gestalt, dem Geiste gegenüber als Naturexistenz gesetzt, ist der Zufälligkeit unend- licher Brechungen der gattungsmäßig reinen Form hingegeben, es emanzi- piren sich ihre Einzelformen aus der harmonischen Einheit. Sie ist aber hierin nur Ausdruck der für die Kunst nun entfesselten Vieltönigkeit, Vielseitigkeit des Innern. Der Mensch, wie er Stoff der Malerei ist, erscheint wie ein In- strument, das mit einer neuen Menge von Saiten bespannt ist, deren Tonmenge die Bildnerkunst wie ein Chaos fürchten müßte; denn vom Bande der Einheit zunächst entlassen wird auch erst die ganze Welt von Anlagen, Kräften, die in der menschlichen Organisation liegen, flüssig. In dieser Entfesslung werden sich aber nothwendig auch falsche Einheiten bilden, stehende Gewöhnungen einer bestimmten Richtung, Einseitigkeiten, die sich, wie das Moment der geistigen Vielseitigkeit, das hiemit gar nicht in Widerspruch steht, in der Gestalt und ihren Bewegungen ausdrücken müssen. Was die Vielseitigkeit entbindet und aufregt, ist zugleich wesent- lich ein unendlich erweiterter Rapport mit der Außenwelt, der natürlichen und der menschlichen. Es ist ja der Persönlichkeit ein Hintergrund mitgegeben, sie ist nicht herausgeschnitten aus Luft, Erde, Wohnung, Getümmel des Verkehrs, sie ist dahinaus bezogen, unzählbare sympathetische Fäden lau- fen von ihr fort in die weite Welt und leiten den elektrischen Strom un- endlicher Beziehungen in sie zurück. Das sich-Einlassen erscheint zunächst als völlige Zulassung jener Zerstreuung, die wir in der Sculptur so streng abweisen mußten (§. 606). Das Malerische hat durchaus den Wurf des Bezogenen, Beziehungsreichen, des sich-Umsehens. Durch diese geöffnete Schleuse brechen nun die Motive der Leidenschaft in einem Umfang ein, wie ihn ebenfalls die Sculptur nicht kennt, welche, wie wir sahen, dem Affecte mitten in seiner Entfesslung einen Damm entgegenwirft, wodurch der Ausdruck bewirkt wird, als wäre der Sturm, während er braust, zu- gleich auch schon beschwichtigt. Das ist nur bei geringerem Umfang und einfacher Natur der Affecte möglich. Die Malerei hat ein weit verwickel- teres Seelenleben und einen ungleich reicheren Umfang von Erregungen und Leidenschaften vor sich; braust der Sturm in dieß Meer, so muß es wie eine zerwühlte Wellenwüste erscheinen und der Ausdruck der Geistes- macht muß in anderer Weise gerettet werden. Die Aufwühlung kann bis zum tiefsten Zerfalle des ganzen Wesens mit sich selber gehen; dabei ist die ganze Seite des Menschen, die wir jetzt seiner geistigen Einheit ge- genübergestellt vor uns haben, wie eine zweite widerstrebende Seele mit dieser zerfallen und zugleich, als Quelle unendlichen Schmerzes, das volle Bewußtsein dieses Zerfalles mehr oder minder entwickelt. Hiemit haben wir nun freilich die geistige Einheit als Band der Vielheit aus dem Hin- tergrunde, worin wir sie vorerst halten mußten, gerade auf der Spitze ihrer scheinbaren Zurückstellung wieder hervorgezogen. Die Einheit muß nun das Band in der ganzen Ausdehnung der Vielheit wieder herstellen, der Hintergrund seinen Vordergrund an sich nehmen. In dieser Durch- dringung wird nun eben das Einzelne, das Viele, das Verwickelte erst bedeutungsvoll. Die reich partikularisirte Welt der Persönlichkeit ist nun die Landschaft, deren viele Einzelheiten in der Beleuchtung der Geistes- sonne zur idealen, ästhetischen Geltung erhoben werden, und wie in jener ein Kuß der Abendröthe oder des Mondes auch den rohen, moosigen Felsblock verklärt, wie selbst der Schilfhalm am Teich eine Sprache ge- winnt, so leistet hier der Geist das Wunder, selbst den herben, schroffen, seltsam zwischeneingeschobenen, zunächst alle Harmonie störenden Zug des menschlichen Wesens, eine stehende Einseitigkeit, eine flüchtige, zusammen- hangslose Erregung in sein Band zu ziehen; ein rasches Licht streift über die sonderbaren Falten und Hügel hin und gibt ihnen Bedeutung und Weihe; ein geistiger Phosphor entzündet sich selbst aus dem Zerworfenen, Verstreuten, Abnormen der so vor uns erschlossenen Welt. Gerade dieß bezaubert uns, daß das ganz Entlegene, scheinbar für die Kunst Verlo- rene, das Willkührliche hervorgehoben und doch in die ideale Beleuchtung gezogen wird. Entfesselt aber diese Kunst den Sturm in seiner ganzen Gewalt und geht sie bis zum Bilde der Zerrissenheit fort, so gilt es nur um so mehr, statt jenes unverlorenen Restes von Ruhe, den die Sculp- tur bewahrt, die Einheitbildende Kraft als eine bewegte, wie aus Geister- tiefen auftauchende in das Dunkel und Grauen ihren versöhnenden Strahl werfen zu lassen, und bleiben wir bei dem Bilde Winkelmann’s, so können wir sagen, wenn der Bildner mitten im Sturme den unbewegten Meeres- grund zeigen soll, so werde dagegen in der Malerei der Geist unsichtbar sichtbar über den Wassern schweben. — Es folgt aus dem Allem, daß jene ge- diegene Substantialität des Charakters, die sich dem Allgemeinen gegen- über subjectiv nicht isolirt, sondern ihre innere Einheit gar nicht anders hat, als in der Einheit mit dem Guten, wie es als öffentliche Macht in gesundem Volksleben waltet, nicht der Standpunct sein kann, unter wel- chem die ächt malerische Anschauung die Persönlichkeit auffaßt. Die durch- gearbeiteteren, gefurchteren Züge des tüchtigen, der Gemeinschaft dienenden Charakters werden uns gestehen, daß diese Hingebung erst dem Eigenwil- len einer subjectiven Willkühr abgerungen werden mußte, wie die Plastik sie nicht kennt. Auf dem malerischen Standpunct ist ja durch die Freilassung des Vielen der Einzelne für sich eine Welt geworden, das Allgemeine verknüpft sich ihm so mit dem individuell Seinigen, daß darin die tiefste Versuchung liegt, für sich ein Ganzes, das Ganze sein zu wollen; daher sagt und gesteht uns der Ausdruck der Hingebung an das wahrhaft All- gemeine, daß das Opfer nicht leicht war. Nun tritt aber nothwendig auch die wirkliche Empörung als Kunststoff ein, das Böse steigt aus seinem Abgrund hervor. Ja es wird darstellbar auch ohne den Fortgang zur Versöhnung. Eben weil das Einzelne unendlich bedeutend geworden ist, kann auch den empörten Einzelwillen eine Geistigkeit, Genialität umwit- tern, die als eine dämonische Tiefe mit Geisterschauern auf uns wirkt; dabei darf allerdings der Ausdruck der Selbstzerstörung nicht fehlen, der auch ohne den Fortgang zur positiven Versöhnung in negativer Form dem Wahren und Guten die Ehre gibt. — Bei der Landschaft haben wir ein Wort vom Thierleben gesagt, wie ihm nämlich in der neuen Kunst- form ein gemüthliches Interesse zugewendet wird. Es muß aber auch der veränderte Standpunct, unter welchem die Persönlichkeit dargestellt wird, eine gewisse Anwendung auf dasselbe finden. Wie nämlich in dieser nun eine reichere, vielgetheilte Welt aufgeht, so wird auch die Lebensform des Thiers als eine gefülltere, mit Trieben und Beziehungen, die den mensch- lichen in’s Einzelne analog sind, reicher ausgestattete in wärmerem, be- wegterem Ton aufgefaßt und im wilden, zerstörenden Thiere gemahnt der Ausdruck des Grimmen an jene dämonischen Tiefen des menschlich Bösen. §. 655. Wie nun innerhalb der so aufgefaßten Persönlichkeit die Vielheit der ein- zelnen Züge in Geltung eingesetzt ist, so erhält die ganze Persönlichkeit als Individuum unter den vielen Individuen unendlichen Werth. Ihre Eigenheit, wie sie sich in der Erscheinung ausdrückt, mag diese nach Form und äußerer Bewegung noch so unscheinbar oder unregelmäßig sein, wenn nur geistige Tiefe sich in ihr offenbart, ist zur ästhetischen Berechtigung erhoben, und dieß findet auch auf die nicht begeistete Natur analoge Anwendung. Hiemit erst hat die zunächst äußerlich begründete Zulassung einer unbestimmten Vielheit von Gestal- ten ihre innere, positive Begründung und Bedeutung erhalten. Die Aristokratie der Gestalt ist gefallen und die Demokratie der Gleichberechtigung unter Vor- aussetzung des Ausdrucks inneren Werths ist eingetreten. Wir haben in §. 654 die Persönlichkeit vor uns gehabt, wie sie in- nerhalb ihrer selbst in zwei Seiten, die Vielheit und Einheit, zerfällt; jetzt halten wir das Ganze der so beschaffenen Persönlichkeit als Indivi- duum mit der unbestimmten, durch die Mittel der Malerei weit erschlosse- nen Vielheit von Individuen zusammen. Dieser Punct unter unendlich vielen Puncten, der Einzelne, ist nun, weil die Unendlichkeit des Geistes in ihm gezündet, weil sich in ihm das Ganze des Menschengeistes zu je- nem aus dem Innern in’s Aeußere scheinenden Strahl zusammenfaßt, zu einer, der plastischen Anschauung in diesem Umfang völlig fremden Be- rechtigung in der Kunst emporgehoben. Schon bei der vorhergehenden Betrachtung ergab sich uns, daß Gestalt, Bewegung, innere Welt von Neigungen und Kräften, Leidenschaft bis in das Unförmliche, Einseitige, Zerrissene gehen mag; dabei ist die Vergleichung mit Andern eigentlich bereits vorausgesetzt, aber erst, wenn wir diese nun ausdrücklich vorneh- men, tritt die Sache in ihr volles Licht und erhellen die Resultate. Man stelle nun einen Menschen von dürftiger oder unregelmäßiger Er- scheinung, worin sich eine mehr oder minder harte Einseitigkeit des Vor- wiegens gewisser Neigungen, Kräfte, eine schwere Hemmung, Verwicklung ausspricht, die jedoch von einer tiefen, originellen Natur zeugt, neben eine Gestalt von der Art, die man racemäßig nennt, rein in Formen, im Aus- druck nicht geistlos, aber ohne das Salz einer besondern, nur dieser Per- son eigenen Mischung der Kräfte, so wird man nicht anstehen, die erstere mehr malerisch zu nennen. Versteht sich übrigens, daß die Unregelmäßig- keit nicht bis zur auffallenden Störung der normalen Grundmaaße fort- gehen muß, daß die Malerei den grelleren Absprung von diesem nicht ohne besondern Anlaß sucht, sondern nur, wenn er sich ihr darbietet, zu einem ästhetischen Motiv verarbeiten kann ; im Gegensatze gegen das plastische Ideal genügt zur malerischen Würze ein Absprung, der in dem Reiche der möglichen Unregelmäßigkeiten selbst noch fein, anziehend er- scheinen kann; wir reden immer von einer unbestimmbaren Scala, ohne ihre Anfänge und ihre härteren Stufen zu unterscheiden. Eine unendliche Mannigfaltigkeit der Brechungen des reinen Menschentypus ist nun also mit der Geltung der persönlichen Monade in das ästhetische Recht einge- setzt. Die Sonne der Malerei scheinet über Gerechte und Ungerechte, d. h. Schöne und Unschöne, und wie der Stifter der christlichen Religion ausrief: selig sind, die arm an Geist sind, denn ihrer ist das Himmel- reich, so sind nun auch die Armen an Gestalt zur himmlischen Weihe der Kunst eingelassen. — Dieß neue Gesetz gilt nun auch der übrigen Natur. Das Thier braucht, um malerisch zu erscheinen, nicht nur nicht zu einer formenschönen Gattung zu gehören, sondern es muß nicht einmal noth- wendig ein formenschönes Exemplar seiner eigenen Gattung sein, wenn es nur in bestimmtem Zusammenhang einen schlagenden Ausdruck hat; der Maler kann z. B. recht wohl den trägen, etwas herabgekommenen Kar- rengaul zur Darstellung nehmen, vor dem der Bildner das Kreuz machen müßte. Aber auch mit der Landschaft verhält es sich so; sie braucht nicht in Linien von schönem Zuge, nicht in Farbe und Licht von jener reinen Klarheit, nicht in Vegetation von jenem beruhigend deutlichen und doch schwungvollen Umriß zu sein wie die südliche Natur, die man um dieser Eigenschaften willen an sich schon (direct) ideal nennen kann, wenn nur Stimmung, wenn nur jenes Etwas in ihr ist, was an den tiefen Zug eines Menschenantlitzes, den bedeutungsvollen Blick eines Menschen- auges erinnert, der mit rauhen, unharmonischen Zügen ästhetisch versöhnt. Ein Blick auf die nordische Natur und auf einen Ruysdael als ihren Nachbildner überzeugt, wie auch hier dieser Bruch zwischen Form und Aus- druck, worin die erstere durch ein gewisses Mißverhältniß um so stärkeren Accent auf den letzteren wirft, der Malerei das Willkommenere sein kann, ja, wenn sie ihr spezifisches Wesen recht zur Reife bringen will, sein muß. Es entwickeln sich gerade hieraus wichtige nähere Bestimmungen über das Malerische, die wir in der spezielleren Ausführung ableiten. Klar ist nun, wie auch in Beziehung auf die unbeseelte Natur der äußere, technische Vortheil, daß auch das Unbestimmte, unklar Gebildete nachahmbar wird, sich zu einer inneren Bedeutung, zum positiven Hebel einer bestimm- ten Art von Kunstschönheit umwendet. — Dieses neue Prinzip kann man im Gegensatze gegen das plastische ein demokratisches nennen. Man muß nicht mehr schön sein im Sinne der reinsten Formen-Entwicklung, um des Eintritts in die Pforte des Kunststoffs würdig befunden zu werden; die Aristokratie der Gestalt hat aber darum keineswegs einer Aristokratie des ascetischen Ausdrucks Platz gemacht: dieß gilt nur von einem besondern Ideal, dem romantischen (s. §. 446), mit dessen historischer Bestimmtheit und spezifischen Mängeln das Wesen der Malerei an sich nichts zu schaf- fen hat, wiewohl es allerdings mit dessen allgemeiner Weltanschauung im Uebrigen so sichtbar zusammenfällt, daß wir hier ebenso schwer eine Ver- mischung der systematischen mit der geschichtlichen Darstellung abhalten, wie in der Lehre von der Bildnerkunst, die ebenso bestimmt auf ein an- deres geschichtliches Ideal, das classische, hinwies. Die Malerei hat das Thor geöffnet, durch das die Menschheit in Schaaren hereinwallt; freilich nicht schlechthin der Einzelne, wie immer seine Erscheinung beschaffen sein möge, ist eingelassen, das Leere und Nichtige fällt wie aus aller Kunst, so natürlich auch hier weg, die Malerei hat auch ihren Adel, aber er ver- hält sich zum Adel der Sculptur wie die Aristokratie der Bildung zur Geburts-Aristokratie; geadelt ist auch der niedrig, d. h. unschön Geborne, wenn der ungünstigen Form der Charakter sich aufgeprägt hat, geadelt ist, wer den Stempel des Geistes, sei es auch auf unebener und hügelicher Stirne trägt. Die malerische Erscheinung hat dadurch gerade einen ge- wissen vornehmen Wurf, der freilich ganz anderer Art ist, als jener von ihr aufgegebene Racetypus eines auserlesenen Geschlechts; fein und edel ist die Linie der griechischen Schönheit, aber fein und edel auch das gei- stige Fluidum, das über die gebrochnere Linie seinen Zauber gießt. §. 656. Durch alle diese Momente (§. 651—655) ist in weitem Umfang das Häßliche eingedrungen. Dasselbe ist in solcher Ausdehnung zunächst durch die veränderte Darstellungsweise zugelassen: das flüssige Mittel der Farbe hat überhaupt einen weiter leitenden Charakter, zudem wird das Auge von dem in Form und Bewegung Häßlichen der einzelnen Gestalt theils in das Ver- breitete der äußern Umgebung, theils zu andern Gestalten, welche ergänzen, was an der einen mißfällt, theils zu dem Interesse einer reicheren Handlung, wie sie eben durch die erschlossene Vielheit und Bewegtheit der Gestalten dar- stellbar geworden ist, fortgeführt. Diese Darstellungsweise ist aber eben das Mittel der zu Grunde liegenden Auffassung, welche vom Aeußern auf das Innere weist, und diese Auffassung läßt das Häßliche nicht nur zu, sondern führt es ausdrücklich ein, um es in das Erhabene oder Komische aufzulösen, welches nun den Standpunct des einfach Schönen aus seiner bestimmenden Geltung verdrängt. Die Frage über den Spielraum des Häßlichen hätte früher aufge- nommen, zum Ausgangspuncte gezogen werden können, wie in der Lehre von der Bildnerkunst; allein die ungleich größere Freiheit der Bewegung, welche dieser Kunst gegenüber in der Malerei sich zuerst aufdrängt, führte rascher in den positiven Mittelpunct ihres innern Geistes und aus der Darstellung desselben wird hier gefolgert, was ihr dort als ursächliche Schranke vorangestellt wurde. In der That haben wir das Häßliche längst vor uns: das Dürftige, in Linien minder Schöne, Unregelmäßige der Gestalt und Bewegung, was wir in mehrfachem Zusammenhang als berechtigt in der moralischen Auffassung gesetzt haben, führt in einer un- aufhaltsamen Linie zum eigentlich Häßlichen, wo die Verkehrung der in- neren Ordnung eines Organismus direct in die Augen springt, und mit dem Satze, daß die äußerste Leidenschaft, die Zerreißung des Gemüths, daß das Böse nun unter die Kunst-Stoffe eintritt, ist das Häßliche bereits positiv eingeführt, denn diese Störungen und Verkehrungen müssen ja in ihrer Erscheinung häßlich sein. Nun aber bedarf es dieser Zusam- menfassung des schon Eingeräumten, um einen so wichtigen Begriff in sei- ner Ausdrücklichkeit hervorzustellen und das Wesen der Malerei in Be- ziehung auf die großen Gegensätze im Schönen zu bestimmen. Der §. holt nun aus der erst äußerlichen Betrachtung nach, wie das Häßliche zunächst zugelassen ist. Die Farbe hat, noch abgesehen vor ihrer innern Bedeutung (§. 652), den Charakter des Fortleitenden; ein vertrocknetes Flüssiges, bestimmt sie das Auge, von den Härten der Form fortzufließen. Der zugegebene Raum, das allgemeine Medium der Luft mildert alle Umrisse, die einzelne geschlossene Bildung schwimmt im allgemeinen Flusse. Die Mängel und Verkehrungen der Gestalt und Bewegung finden ferner, so oft die Malerei ihre Freiheit in Vereinigung vieler Gestalten und viel- fältiger Bewegungen benützt, ihre Auflösung in deren Wechsel-Ergänzung; die Figuren helfen sozusagen einander aus. Da Vielheit und Bewegtheit um Darstellung einer Handlung willen entfaltet werden, so ist es nament- lich die Aufmerksamkeit auf diese, was das Auge vom Formlosen oder Formwidrigen der einzelnen Bildung ablenkt. Dieser letzte bedeutendste Grund führt aber auch bereits aus der äußerlichen, nur negativen Be- trachtung heraus. Alle diese Mittel und Erweiterungen schafft sich ja die Malerei, um ihre Art der Auffassung im Kunstwerk niederzulegen, das technisch Bedingte fließt auch hier aus dem geistigen Prinzip. Ihr Prinzip ist die Auffassung im Lichte der Innerlichkeit, welche durch ein Mißverhältniß des Aeußern zum Innern, das von unbedeutenderen Män- geln bis zur Verkehrung fortgeht, gerade die Kraft des Accents doppelt stark auf das letztere wirft. Wo nun das Mißverhältniß zum vollen Aus- druck kommt, muß der Sieg des Innern in der Form des Erhabenen oder Komischen auftreten, und somit erhellt, daß die Malerei diese Formen (und mit ihnen natürlich ihre Voraussetzung, das Häßliche) nicht blos zuläßt, sondern will . Es ist namentlich das Komische, worin die Malerei sich ungleich weiter und freier bewegt, als die Bildnerkunst (vergl. §. 634), denn dieses ist ja die subjectivere unter den widerstreitenden Gestaltungen des Schönen; durch das Vorwiegen des Ausdrucks im Kunstwerke sind dem Zuschauer die Mittel zu jener Leihung, welche der komische Prozeß voraussetzt, in vollem Maaße an die Hand gegeben; dadurch wird der nöthige Anhalt an Subjectivität selbst dem Thiere zugelegt und die häß- lich komische Thierwelt, den Affen an der Spitze, springt in den Rahmen der Kunst herein. Erhaben ist die Bildnerkunst durch ihre Substantialität und Charakterwucht recht ausdrücklich, wir sahen, wie sie das Furcht- bare, das Tragische ergreift; aber das Erhabene selbst wird hier vom Standpuncte des einfach Schönen behandelt, wogegen die über den scharf ausgesprochenen Bruch herüberstrahlende geistige Erhabenheit oder Furcht- barkeit im Malerischen die Negativität im Wesen des Erhabenen zur vollen Entscheidung führt und daher die freieren, geistigeren Formen des Erhabenen des Subjects, die tieferen Kämpfe des Tragischen in erweiter- tem Umfang anbaut. Der harmlosen Grazie des einfach Schönen ist der Maler darum, weil sie nicht das Bestimmende seines Standpuncts bildet, natürlich nicht abhold, aber man kann sagen, er stellte sie in einem gewissen zarten Sinn unter den Standpunct des Erhabenen oder Komischen, so daß das Verhältniß wirklich ganz das umgekehrte vom plastischen ist, wo der Standpunct des einfach Schönen auch auf das Erhabene und Komische bestimmend wirkt. Der Zug der Trauer, den Mehrere im plastischen Kunstwerke gefunden, liegt mehr im Zuschauer und hat gegenständlich nur darin seinen Grund, daß die Sculptur durch ihre innern Schranken geschichtlich auf eine vor dem aufgegangenen Geisteslicht verblaßte, hinabgesunkene Götterwelt angewiesen ist und deren Entschlafen in der steinernen Erstarrung unwillkührlich darstellt; in dem Hauche der Weh- muth dagegen, der um die malerische Schönheit spielt, dem Zuge eines fernher dämmernden tragischen Gefühls, den sie in den Blick und die Lippen der jugendlichen Grazie legt, drückt der Künstler bestimmt das Ge- fühl aus, daß jederzeit und abgesehen von einem bestimmten Kunst-Ideal die Blüthe der reinen Form schnell hinwelkt, und er kündigt gleichsam an, daß er eine beständigere Form des Schönen zu geben vermag in der durchfurchten Gestalt, welche keine Jugendschönheit mehr einzubüßen, aber aus ihrem Leibe das feste Haus des Charakters geschaffen hat. Er kann aber der Blüthe der Schönheit auch ein Lächeln geben, als wisse sie um ihre Naivetät, stehe mit halbem Bewußtsein helldunkel darüber, sage sich selbst, daß das so zwar nicht dauern könne, gebe sich aber doch in heiterem Widerspruch dem süßen Traume hin. §. 657. Dieß Alles faßt sich in dem Sätze zusammen, daß nunmehr das Gesetz der directen Idealisirung, wonach die einzelne Gestalt schön sein muß, dem der indirecten Idealisirung , gewichen ist, wonach das Schöne aus der Ge- sammtwirkung einer Vielheit von Gestalten hervorgeht, die im Einzelnen nicht schön sein müssen, deren Ausdruck vielmehr durch irgend einen Grad von Miß- verhältniß der Form zu steigern im künstlerischen Interesse liegt. Das Gesetz der directen Idealisirung ist aber nicht schlechthin unterdrückt, sondern besteht in seiner Unterordnung noch fort. Das Wesentliche dieser prinzipiell zusammenfassenden Bestimmung bedarf keiner Erläuterung; es erhellt Alles aus der Vergleichung mit §. 603. Durch den Zusatz: „deren Ausdruck vielmehr“ u. s. w. ist in diese Bestimmung auch das Moment aufgenommen, daß außer dem Zu- sammenwirken und wechselseitigen sich-Ergänzen mehrerer Gestalten auch in der einzelnen Gestalt die Gesammtwirkung des Ausdrucks mit dem minder Schönen oder Unschönen auf der Seite der Vielheit, nämlich jetzt der Formen dieser einzelnen Gestalt, versöhnt; Letzteres tritt vorzüglich dann in Geltung, wenn die Composition nicht mehrere Gestalten verbindet; überdieß ist durch diesen Satztheil dafür gesorgt, daß das „nicht schön sein Müssen“ nicht als ein Zufall, sondern als ein künstlerisches Wollen verstanden werde. Das Verhältniß ist also jetzt umgekehrt; von der Bild- nerkunst hieß es (§. 603 Anm.): „schlechtweg allerdings kann das diesem Prinzip der directen Idealisirung entgegenstehende von der Plastik nicht ausgeschlossen sein, sonst hätte sie keine Bewegung und Geschichte“; jetzt gilt ebendieß von dem dort herrschenden Prinzip: es hat die Oberhand verloren, denn das entgegegesetzte herrscht, aber es kann nicht völlig ausge- schlossen sein. An welche Seite der Technik sich das relative Fortbestehen des überwundenen Prinzips knüpft, warum dieß Fortbestehen eine Lebens- bedingung unserer Kunst, in welche nähere Schranken es gewiesen ist, welche furchtbaren Wirkungen es für die Geschichte der Malerei hat, Alles dieß wird der Verlauf zeigen. Daß es aber noch fortbesteht, haben wir schon in der Anm. zu §. 655 durch den Satz ausgesprochen, daß die Malerei darum, weil sie in gewissem Sinn ein Mißverhältniß zwischen Form und Ausdruck liebt, keineswegs jeden reineren Adel der Form ohne bestimmtes Motiv abweisen darf, daß zur malerischen Würze auch ein feiner Absprung von der Durchschnittslinie genügen kann. Dieser Absprung wird immer nicht so fein sein, wie jene zarte Modification in der Plastik, aber was im Marmor schon hart erscheinen würde, stört in der Farbe den Eindruck glücklicher und vorzugsweise reiner Form-Entwicklung noch nicht. Dieß ist jedoch nur erst unbestimmt, nur eine ungefähre Vorbereitung auf die bestimmteren Sätze, die sich aus der weiteren Auseinandersetzung er- geben sollen. §. 658. Wenn dieses Prinzip verbietet, auf den Boden der plastischen Schönheit überzutreten, so kann auf der andern Seite die Verfolgung desselben zur Ver- kennung gewisser Schranken führen, welche durch die noch nicht aufgegebene Feßlung des zeitlich Bewegten im Raume (vergl. §. 650) gesetzt sind, woraus Uebergriffe in die Auffassungsweise solcher Künste entstehen, die in der Form der wirklichen Bewegung darstellen. Jede Kunst hat ihre Versuchungen, ihre Stellung unter den andern Künsten reizt sie zum Wetteifer, das Bewußtsein der Einheit aller Künste (§. 542 ff.) verschwemmt leicht die Erinnerung der Gesetze, welche im Gemeinschaftlichen die Selbständigkeit jeder Kunst hüten sollen. Es ent- stehen so theils Rückgriffe, theils Vorgriffe. Die Baukunst kann sich nur durch Vorgriffe verirren; wir sahen sie ihren Boden verlieren und in das Gebiet der Plastik, Malerei, selbst in das Gebiet der musikalischen und dichterischen Wirkungen hinüberschwanken. Die Plastik hat schon eine Kunst hinter sich: sie kann durch zu strenge Herrschaft der Messung in die Baukunst zurückgreifen, sie kann aber auch unberechtigter Weise in die Mittel und den Styl der Malerei, ja in die Bewegtheit der Musik und Poesie vorgreifen. Was nun die Malerei betrifft, so erhellt aus allem Bis- herigen sowohl die Möglichkeit, als die Rechtlosigkeit eines Rückgriffs auf den Boden des plastischen Gesetzes. Nun kann aber der Maler das spezifi- sche Gesetz seiner Kunst richtig erkannt haben, aber im Gefühle seiner Freiheit die Segel zu hoch schwellen und nicht nur über die Schranken der Plastik, sondern auch über die seiner eigenen Kunst wegsetzend in Musik und Poesie sich verlieren, indem er vergißt, daß ihn noch strenge das Gesetz der räum- lichen Darstellung bindet. Diese Vorgriffe werden in der Erörterung der Stylgesetze näher beleuchtet und die einzelnen Schranken, die jene Be- grenzung in sich schließt, aufgezeigt werden. §. 659. Dennoch steht die Malerei an der Grenze der bildenden Kunst. In die Objectivität, welche allerdings noch die bestimmende Grundlage bleibt (§. 650), ist die subjective Bewegtheit in dem Maaße eingedrungen, daß zum Durchbruch ihres Uebergewichts nur noch ein Schritt fehlt: im Künstler macht sie sich als tiefere geistige Lockerung und Durcharbeitung, sowie als frei- gelassene Vielseitigkeit und wechselnde Verschiedenheit in der Auffassung dessel- ben Gegenstands geltend; im Kunstwerke durch sämmtliche §. 649—658 ent- wickelte Grundeigenschaften desselben; im Zuschauer durch unmittelbare und in- nigere Betheiligung seiner eigenen Subjectivität im Genusse. Jetzt, nachdem alle wesentlichen Grundzüge dargestellt sind, ergänzt sich der Satz des §. 650, daß die Malerei noch an das Gesetz der Ob- jectivität wie alle bildende Kunst gebunden ist, durch den andern, daß sie als die subjectivste unter den bildenden Künsten an der Grenze dieser Gruppe steht. Dieß ist schon in §. 538 ausgesprochen, nun aber an den Eigenschaften des malerischen Kunstwerks, insbesondere durch das, was in und zu §. 652 über die Wärme der Farbengebung gesagt ist, nachge- wiesen und nur nach zwei Seiten hin noch weiter zu verfolgen, der des Künstlers und des Zuschauers. Der Maler nimmt die Welt zu einem tiefer verarbeitenden Durchdringungsprozesse in sein Inneres herein, löst ihre Objectivität in der subjectiven Stimmung verzehrender auf, um sie als eine geistig durchbildete, durchkochte wieder zu objectiviren; die Inner- nerlichkeit seiner Kunst wird in ihm selbst das Geistige, das Empfindungs- leben und die Gedankentiefe merkbarer von der naiven Verwachsung mit dem Sinneleben gelockert, die Elemente seiner Persönlichkeit eindringlicher geschüttelt haben; weniger streng an das Gesetz der Schwere, der Spar- samkeit, an die exacte Messung gebunden, als der Bildhauer, wird er leichter, gelöster erscheinen, als dieser. Es ist mehr Bewegung in seinem ganzen Thun, sein Wesen wird den bewegten Wurf haben wie sein Werk, der rasche Blick, womit er im Stoffe selbst den Silberblick erhascht, wird ihn bezeichnen. Er darf und muß auch das Individuelle seiner Persön- lichkeit als ein berechtigteres entwickeln und behaupten. Die Bildnerkunst hat weniger Gegenstände und ist weit mehr nur auf die Wahl zwischen dem Vorher und Nachher der Momente, als auf eine Mannigfaltigkeit ver- schiedener Auffassungen desselben Moments angewiesen, als die Malerei, für welche nicht nur je die Auffassung von einer andern räumlichen Seite ein besonderes Kunstwerk begründen kann, sondern welche auch mehr Mittel, nämlich zum plastischen Momente der Zeichnung noch die Farbe hat und daher dem Ausdruck von mehrerlei Seiten beikommt, und in welche die Unendlichkeit individueller Formen eingelassen ist. Erscheint der Maler schon dadurch individueller, so ist er auch freier in der Wahl des Stoffgebiets, weil es deren mehr gibt; die stärkere Berechtigung der Eigenheit mag oft zum Eigensinn, zur Manier werden, da ihm aber auch frei steht, die Seiten der Auffassung und die Stoffgebiete beweglicher zu wechseln, so wird er, wenn er dem Geiste seiner Kunst treu bleibt, dennoch vielseitiger, wendsamer sein, als der Bildner. Seine Arbeit ist noch handwerksmäßig und seine Werkstätte dampft von den mancherlei Gerüchen seines Materials; aber der Kampf mit diesem ist, wie wir gesehen, feiner, weniger faustmäßig geworden. Das Werk selbst haben wir nach allen wesentlichen Eigenschaften genugsam kennen gelernt, um das Uebergewicht des Subjectiven im Objectiven als begründet zu erkennen; der zu §. 649 gebrauchte Ausdruck, der auf die Fläche geworfene Anflug schwebe, als wolle er sich von der Fläche lösen, in den Zuschauer hinüber, führt uns zurück zu dem in §. 550 Anm. gebrauchten Bilde von der Kugel: in die- ser Vergleichung traf der Umstand nicht zu, daß diese nur einen Augen- blick aufschlägt, während das Werk der bildenden Kunst ruhig im Raume verweilt; die Malerei steht nun aber genau vor der Grenze, wo dieß Verweilen aufhört und der Schuß geradaus vom Künstler in den Zu- schauer fliegt. Wenden wir uns nun zu diesem, so ist er dem Gemälde gegenüber, da es selbst den Stoff als subjectiv empfundenen, empfindenden, bewegtes Inneres ausstrahlenden ihm entgegenbringt, bei seiner eigenen Subjectivität unmittelbar gerufen; das Gemälde weist nicht strenge zu- rück, wie das Sculpturwerk, das zuerst seine ganze Objectivität behauptet, verstanden sein will, ehe es Liebe annimmt (vergl. §. 602 Anm.), sondern rasch entzündet sich das Subjective in ihm mit dem Subjectiven im Zu- schauer zu Einer Flamme. Das Allgemeine, der Inhalt im Werke, hat ferner nicht nur die Form der Persönlichkeit, die das Individuelle bis zu zarter Grenze ausscheidet, sondern der ganzen individuellen Persönlichkeit angenommen, die mich vertraut anschaut als Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein und mit dem Blicke des Herzens, der da sagt: wir verstehen uns; ich „muß nicht mich selbst vergessen“ (Hegel Aesth. 3. S. 18), wie dem Sculpturbild gegenüber, das, selbst ein feinster Auszug der Vielheit, die empirisch Vielen als Stoff hinter sich läßt und ebendaher als Zuschauer zuerst abweist, um sie erst, nachdem sie sich über sich selbst erhoben, zu vertrauter Annäherung zuzulassen. Alles Schöne ist anmuthig im Sinn einer harmoniebildenden Bewegung nach dem Zu- schauer hin (vergl. §. 72); alles wahrhaft Schöne weist die Aftergestalt dieser Bewegung, die in einem liebäugelnden Reize besteht, streng von sich; das Werk der Bildnerkunst behauptet diese Strenge in dem Grade, daß auch die wahre Anmuth sich dem ersten Blick hinter eine spröde Schaale ver- schließt; das Gemälde läßt die Anmuth rascher aus weicher Schaale nach dem Zuschauer hinüberwallen. Die innigere Betheiligung des Zuschauers hat aber wie die freiere Subjectivität im Künstler noch die andere Seite, daß er sich in der Besonderheit individueller Vorliebe mehr gehen lassen darf. Er mag freier wählen zwischen verschiedenen Auffassungen desselben Gegenstands oder Moments, aus der größeren Menge des Gegebenen vor- ziehen, was ihm überhaupt oder in der Stimmung des Augenblicks mehr zusagt. Die Wahrheit, daß das Interesse vom ästhetischen Eindruck aus- geschlossen ist, daß alles ästhetische Urtheil auf Allgemeinheit Anspruch macht (vergl. §. 75 u. 79), bleibt dabei völlig unangetastet, denn ich kann mehr theoretisch ein anerkanntes Kunstwerk völlig anerkennen und gleich- zeitig gestehen, daß es mich als diesen Einzelnen weniger erfreut, als ein anderes; nur muß dieß Andere auch ein wahres Kunstwerk sein, darf in der Form-Vollendung nicht zurückstehen. Ist das Letztere der Fall, so muß meine Vorliebe wenigstens mit dem Zusatze sich aussprechen: der Auffassung nach gefiele mir dieß besser, ich bedaure nur, daß es nicht mehr reinen Kunstwerth in der Ausführung hat, ich bedaure es aber allerdings mehr, als ich es bei jenem anerkannten Kunstwerk anderer Auffassung bedauern würde, wenn ihm die Vollendung fehlte. Also auch nach dieser Seite ist die Malerei mehr demokratisch, den Einzelnen berech- tigend und vermag nach ihrer erklärlich größeren Fruchtbarkeit Kostgänger der verschiedensten Art zu speisen. Im Begriffe des Bewegten, den dieser §., nachdem er schon bisher öfters hervorgetreten, mit Nachdruck ausspricht, können wir wirklich Alles zusammenfassen: das geistigere Scheinen im Kunstwerk, das Verhalten des Künstlers und Zuschauers. Die Bezeich- Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 36 nung scheint weniger tief, aber gerade das Sinnliche, was sie hat, empfiehlt sie uns für die weitere Aufgabe, den Grundcharakter der Malerei in der Bestimmtheit der Formen, die er mit sich bringt, d. h. im Style aufzu- zeigen. β . Die einzelnen Momente. §. 660. 1. In der besondern Erörterung der einzelnen Momente des Wesens der Malerei kann über die äußere Bestimmtheit im engeren Sinn gerade da- rum wenig festgestellt werden, weil sie vermöge der gewonnenen Freiheit der 2. Bewegung sich in bunte Vielfältigkeit zerstreut. Das Material zerfällt in zwei Seiten: die Fläche, auf welcher, und die Mittel, mit welchen dargestellt wird. Die Fläche ist entweder die von der Architektur gegebene Wand oder selbständig und ausdrücklich für den malerischen Zweck, namentlich aus Holz oder Leinwand, bereitet; die erstere Art führt einen mehr monumentalen Charakter mit sich, welcher übrigens im Ganzen der Malerei nicht ebenso wie den zwei andern bildenden Künsten eigen ist, die zweite einen mehr häuslichen und fami- 3. liären, doch auch in das Großartige dehnbaren. Die Mittel , mit welchen dargestellt wird, bestehen wesentlich in zerriebenen, aufgelösten, flüssigen Kör- pern, deren verschiedene Qualität mit dem inneren Wesen des Styls in ebenso tiefer Beziehung steht, als der Unterschied der Fläche. 1. In der Lehre von der Bildnerkunst war für die Erörterung der einzelnen Momente einfach und deutlich der Gang von außen nach innen gegeben. Obwohl die äußern Bedingungen einer Kunst immer gewollte, durch ihre innere Auffassungsweise gesetzte sind, so stellen sie sich doch in dieser Kunst durch ihre greifbar feste, körperlich beschränkende Natur gleich- sam als ein Wall hin, der ausdrücklich untersucht, überstiegen werden muß, um dann in das Innere zu blicken. Dieser Wall ist nun gefallen und wir haben es mit einer Kunst zu thun, deren äußere Bedingungen ver- möge der geschilderten Erleichterung und Befreiung viel unmittelbarer als eine Ausstrahlung von innen nach außen erscheinen, die daher hierin ungleich mehr Belieben und freie Wahl hat. Die Malerei steht nicht mehr der schweren Masse gegenüber, um ihrer Oberfläche durch Schlag und Gluth in hartem Kampf die schöne Form aufzunöthigen, sie greift leicht und frei umher nach den tauglichsten Mitteln und Formen, womit und in welchen sie das innere Bild auf die empfängliche Fläche werfe. Ebendaher bildet sie sich eine so reiche, mannigfaltige Welt von Kunstweisen, daß die Aesthetik als System des gesammten Schönen sich hier nur wenig in das Einzelne einlassen kann. Das Wenige aber, was sie aus dieser vielverzweigten Menge von Verfahrungsarten herausgreifen kann, führt, da das Band zwischen dem Innern und Aeußern zwar beweglicher, vielgestaltiger, aber darum nur um so geistiger ist, so unmittelbar zur innern Bestimmtheit, zu Auffassung und Styl, daß sich auch in dieser Beschränkung, getrennt von dem weiterhin wieder aufzufassenden tieferen Zusammenhang, nur wenige allgemeine Sätze aufstellen lassen. Wir werden daher auch anders eintheilen; in der Lehre von der Bildnerkunst ordneten wir Alles unter die Eintheilung: äußere und innere Bestimmtheit; hier dagegen werden wir von der äußern Bestimmtheit als zweites, mittleres Moment das Verfahren unterscheiden und von diesem zur Erörterung des Styls als drittem Moment übergehen. Die Lehre von der Sculptur enthielt eigent- lich nichts dem zweiten dieser Momente Entsprechendes; das Nöthige vom Technischen wurde bei dem Materiale vorgebracht; die Lehre vom Ver- fahren ist aber etwas Anderes, als was dort in den Bemerkungen über das Technische gegeben ist, sie entsteht als ein Neues, was nicht ebenso an die Lehre vom Material angeknüpft werden kann, weil nun durch meh- rere, verschiedene Acte ein bloßer Schein des Sichtbaren hervorgebracht werden soll, und sie handelt von der Bedeutung dieser Acte, ebenfalls ohne tief in das eigentlich Technische einzugehen. Auch dieß bezeichnet deutlich den Unterschied der Malerei und Bildnerkunst, daß in jener die Lehre vom Materiale sich bedeutend abkürzt, die Lehre von der Technik sich von ihr ablöst und zu etwas Anderem, Besonderem, zu einer Aufzei- gung des innern Sinns der Verfahrungsweise wird. 2. Soweit wir nun auf das Material eingehen können, drängt sich sogleich ein Zerfallen in zwei Seiten auf; die Bildnerkunst kennt diese Spaltung nicht: Stein, Erz u. s. w. ist einfach ihr Material, die Malerei hat ihr Material auf zwei Seiten, und zwar ebendarum, weil sie in jenem Sinne solider Nachbildung eigentlich kein Material hat. Die Mittel, wodurch sie den Schein der sichtbaren Körper erzeugt, können so, wie Stein und Erz, nicht Material heißen, sie verschwinden ungleich entschie- dener in der Wirkung, welche durch sie hervorgerufen wird, obwohl eben für diesen Zweck ihre Qualität nicht gleichgültig ist. Gerade, weil sie für sich ein so Unselbständiges sind, bedürfen sie der Anlehnung an ein Zwei- tes, das aber für sich zu dem hervorzubringenden schönen Scheine sich noch indifferenter verhält, nämlich der Fläche. Es ist einleuchtend, daß die Be- schaffenheit der letztern in der ästhetischen Wirkung so nicht mitwie- gen kann, wie die Textur des Steins, Erzes in der Oberfläche des Bildwerks (vrgl. §. 649, 2. ) Es sind rein äußerlich technische Bedingun- 36* gen, um die es sich hier handelt: zum Staffeleibilde wird in neuerer Zeit die Leinwand dem Holze vorgezogen, weil die mancherlei Zufälligkeiten, von denen die Zubereitung, Größe und Dauer der Holztafel ab hängt, die Schwierigkeit des Transports u. s. w. bei diesem Materiale wegfallen; dagegen bietet das Holz allerdings den Vortheil, daß sich hier die Farbe auf einem Kreidegrund auftragen läßt, der das überflüssige Oel nach hin- ten absorbirt, so daß die Bilder hell bleiben, wogegen auf dem fetten Grunde, den man der Leinwand geben muß, die Farbe leicht nachdunkelt, weil derselbe ihr Oel nicht durchläßt. In Holz und Leinwand fühlt sich nun der weichere, botanische Ursprung der Fläche durch und dieß wird auf Darstellungs-Stoff und Styl, die sich an dieses Material knüpfen, von Einfluß sein. Dagegen gibt sich in der Mauerwand mit ihrem Kalk- überwurf, mit dem sich die Farbe ohne Fett bindet, die mineralische Qua- lität mit einer gewissen Kälte, Härte zu fühlen, woraus sich bereits schlie- ßen läßt, daß diese Art der Fläche einer andern, weniger in die Fülle des Lebens eindringenden Auffassung und Darstellungsweise dienen werde, als Holz und Leinwand. Doch hat das Material noch eine weitere Seite, nach welcher es ästhetisch bedeutender mitwiegt. Die Mauerfläche drängt sich dem Auge und Gefühl als ein dauernd Festes, massenhaft Ausgedehntes auf; wird das Gemälde ihr anvertraut, so ist damit aus- gesprochen, daß es dauernd sein soll; die meist bedeutende Ausdehnung bringt größeren Maaßstab und umfangreichere Composition mit sich; es kommt noch dazu, daß die großen Flächen der Mauerwand vorzüglich nach Außen gewendet sind, durch welche das ihr übergebreitete Bild sich dem Volke öffnet, den Charakter der Oeffentlichkeit gewinnt. Hiedurch erhält das Wandgemälde die Bedeutung des Monumentalen . Die Malerei kann im Ganzen ihres Wesens nicht mehr so ausdrücklich monumental heißen, wie die Bildnerkunst (§. 605, 1. ); eine Kunstform, welche in der dargestellten Weise die Körper zum durchsichtigen Schleier des Innern macht, wendet sich beweglich an die Gemüther und scheint daher, wie sie uneigentlich eine Einkehr in’s Innere ist, so auch eigentlich zur stillen Be- trachtung im Innern der Gemächer aufzufordern, ihr Werk wird zwar zu oft erneuter Vertiefung einladen, aber nicht so bestimmt den Anspruch auf eine über die Generationen großartig hinausgreifenden Dauer machen. Dennoch spaltet sie sich innerhalb dieses ihres allgemeinen Charakters durch diesen Unterschied des Fläche-Materials in einen Zweig, der sich unmittel- bar an die Architektur lehnt, um den im vollsten Sinn monumentalen Charakter dieser Kunst mitzugenießen, und in einen heimlicheren, gemüth- licheren, eingeschlosseneren, der sich an die leichtere, bescheidenere, dem Kunstzwecke der Malerei ausschließlich zubereitete Fläche des Holzes, der Leinwand heftet. Allein dieß findet seine wahre Beleuchtung erst, wenn auch der Unterschied des Farb-Materials, des Verfahrens bei beiderlei Fläche und in der Lehre vom Style der hiermit gegebene Unterschied der Auffassungs- und Darstellungsweise zur Sprache kommt, was dann eine der Grundlagen für die Eintheilung der Zweige abgibt; es zeigt sich also schon hier, daß über die äußere Bestimmtheit an sich in der Lehre von der Malerei sich ungleich weniger sagen läßt, als in der Lehre von der Sculptur. Der Gegensatz des Monumentalen, wie solches im Wandge- mälde auftritt, und des Häuslichen, wie es sich an das Staffeleibild knüpft, ist übrigens kein absoluter. Das Staffeleibild kann in großem Maaßstabe große Stoffe behandeln und sie im Festsaale öffentlicher Ge- bäude dem Volke, den wechselnden Geschlechtern im monumentalen Sinne vor Augen stellen; hat ja doch der christliche Gottesdienst für den öffent- lichsten aller Zwecke einen Innenbau hergestellt, der in seinem geschützten Raum, nachdem die großen Mauerflächen, die sich dem Wandgemälde und der Mosaik darboten, weggefallen waren, der reichsten Entfaltung der Tafelmalerei, vorzüglich am Altare, die Stätte öffnete. Umgekehrt mag auch die Freske die Wände der Privatwohnung schmücken, wie in Pom- peji und Herkulanum. — Hiemit sind hier nur die wichtigsten Arten des Materials berührt worden; sogleich an dieser Stelle bewährt sich, was zu 1. von der Mannigfaltigkeit der Darstellungsweisen gesagt ist, in welche diese freier schaltende Kunst auseinandergeht. Auf Metall (namentlich Kupfer), Thon (in neuerer Zeit namentlich Porzellain), Elfenbein, Leder, Pergament, Papier, Sammt u. s. w., kann gemalt, das Gemälde kann als Stickerei und Weberei in weichen Stoffen dargestellt werden. In diese Vielheit einzugehen muß nun aber offenbar einer spezielleren, auf das einzelne Gebiet sich beschränkenden Kunstlehre anheimgegeben werden; nur allgemein ist aufzustellen, daß, je kleinere Flächen das Material mit sich bringt, je mehr es seiner Natur nach in einem Stoffe besteht, der üb- rigens ein Geräthe, den Ausschmückungstheil eines Raums bildet oder zu einem solchen gehört, je vergänglicher ferner der Stoff ist, desto bestimm- ter die freie Kunst in das blos anhängende Gebiet der Zierkunst übergeht; was sich auf die genannten verschiedenen Materiale leicht von selbst an- wendet. Es kommt dabei allerdings auch der Grad in Betracht, in wel- chem der Stoff eine rein künstlerische Durchführung zuläßt; Uebertragung in Weberei z. B. ist entschieden dem Kunstwerke schädlich, was trotz aller Geschicklichkeit der Wirker von Arras an den Tapeten Raphael’s so fühl- bar sich aufdrängt, daß man die herrlichen Compositionen um diese Be- stimmung bedauert. 2. Es ist bezeichnend für das innere Wesen der Malerei, daß sie den Körper, mit welchem sie darstellt, in verschiedenen Weisen auflöst ; wie sie im höheren Sinn die Körperwelt sozusagen verdünnt, daß sie den Geist durchscheinen lasse, so läßt sie auch ihr Darstellungsmittel nicht in seiner ungebrochenen Materialität. Die Kohle, das Blei, die Kreide gibt mir den Strich nur, indem ihr Korn durch den leichten Druck meiner Hand kleine Theile an die Fläche absetzt, die Farben sind meist ein zerriebe- ner und flüssig aufgelöster Körper. Der Unterschied des Bindemittels der Farbe ist nun in hohem Grade wichtig; in entfernterem Sinn allerdings wiegt auch diese Seite des Materials in der Malerei mit, als das plastische Material, aber nothwendig verändert sich doch der Charakter des Scheins, der sich auf der Fläche ausbreitet, je nachdem das Bindemittel durch seine Fettigkeit einen volleren Eindruck von Lebenswärme mit sich bringt, oder durch mehr wässerigen Charakter kälter wirkt und das Auge daher mehr nach der Form als solcher hinleitet. Man sieht nun, wie dieß mit der Art der Fläche zusammenhängt: die Mauerfläche wirkt eben- falls kälter und zugleich kann sie nicht das Bindemittel des Oels in sich aufnehmen, Leinwand und Holz wirkt an sich wärmer und nimmt zugleich dieß Mittel auf. Damit hängt die verschiedene Art des äußern Verfahrens, das wir soweit hier anführen, auf’s Engste zusammen; wird um der dau- erhafteren Bindung willen auf nassen Kalk ( al fresco ) gemalt, so fordert dieß eine Raschheit der Ausführung, welche schon an sich nicht erlaubt, in die Fülle und feinere Einzelheit des erscheinenden Lebens so hineinzu- treten, wie es der Oelmaler kann, weil er sich Zeit lassen darf. Nur unvollkommen kann sich das Wandgemälde durch das Bindemittel des ein- geglühten Wachses (Enkaustik) dem wärmeren Glanze nähern, den das Staffeleibild durch das des Oels erreicht; die Bindung durch andere klebrige Stoffe, Leim, Gummi, Eigelb, Feigensaft (Tempera) konnte schon rein technisch nicht leisten, was die Bindung mit Oel, weil die Farben zu schnell trockneten u. s. w., aber auch in der ästhetischen Wirkung nicht, weil ihr nicht nur die tiefere Wärme der Oelfarbe abgeht, sondern weil sie auch das Verschmelzen und sanfte Ueberleiten der Töne und Schat- tirungen, das ganze Gebiet der gebrochenen Farbe, das Durchschimmern einer Farbe durch die andere vermittelst der Lasur entfernt nicht in der Vollkommenheit zuläßt, wie diese. Aber auch hier können diese ersten, allge- meinen Bemerkungen nicht weiter fortgeführt werden, theils weil diejenigen Momente, welche mit dem innern Geiste der höheren Kunst in sichtbarerem Zusammenhang stehen, an den Stellen wieder aufzunehmen sind, wo von diesem Geist, insofern er Styl-, Zweig- und Schul-Unterschiede begründet, die Rede sein wird, theils aber, weil die Art der Farbenbindung und Technik des Auftrags ebenso wie die Wahl des Flächenmaterials in eine Vielheit und Mannigfaltigkeit zerläuft, welche uns über die Grenzen führen würde. Mehreres davon ist noch im Anhange von der Ziermalerei zu berühren. Nur flüchtig erwähnen wir noch zwei Formen, denen das wahre Wesen der Farbe als eines flüssigen, nach dem Auftrage trocknenden Mittels ab- geht; die eine höchst vergänglich und im Ausdrucke trocken: die Pastell- malerei, die andere dauernder, als jedes eigentliche Gemälde, weil die Farbe als eine Vielheit besonderer harter Körper fest in die Fläche ein- gelassen wird, weniger trocken, weil bunte Steine und gefärbte Glasstifte einen satteren Ton haben, aber der verschmelzenden Uebergänge weniger fähig, als jede andere Weise der malerischen Ausführung: die Mosaik. Sie ist eigentlich eine Uebertragung der Darstellungsart der Stickerei, die auf gegittertem Grunde würfelförmig einnäht, in festes und hartes Ma- terial, versteinerter Teppich, und sie sollte ebensowenig, als dieser, mit den Feinheiten der eigentlichen Malerei wetteifern wollen, wie es die ausgezeichnete Mosaikschule des Vaticans in jenen großen Gemälde-Nach- bildungen gethan, welche man in der Peters-Kirche sieht. Sie verdient hohe Anerkennung, wenn der Mosaicist es versteht, mit wenigen Mitteln die Hauptstellen des Ausdrucks, die wesentlichsten Lagen des Schattens und der Hauptfarbe so zu bestimmen, daß sie in entsprechender Entfernung eine große Gesammtwirkung machen: sie muß sich bewußt bleiben, daß sie ungefähr so zu Werke gehen muß, wie die Papierausschnitte, die vor das Licht gehalten ein Bild an die Wand werfen, oder, damit wir die Farbe nicht übersehen, wie die Decorationsmalerei für die Schaubühne. Was sie leisten kann, beweist vor Allem die große Pompejanische Mosaik der Alexander- und Dariusschlacht, der Orpheus auf dem Fußboden des römischen Hauses bei Rotweil. §. 661. Die Abhängigkeit von der landschaftlichen Umgebung hört auf, das Ver- 1. hältniß zur Baukunst wird zur freien Verbindung, die aber, sei sie bleibend oder veränderlich, nicht in Beziehungslosigkeit sich verlieren soll. Die Größe 2. des Maaßstabs ist nach §. 649 zwar relativ, doch nicht schlechthin: das Auge fordert seine Bahn, der Unterschied der Stoffe, der Bestimmung, der damit wesentlich zusammenhängenden Verknüpfung mit der Architektur bringt auch ver- schiedene Größe-Verhältnisse mit sich; das Tolossale ist beschränkter, das Kleine berechtigter, als in der Bildnerkunst. 1. Nur mittelbar, sofern ein Werk der Baukunst mit seinen Umge- bungen zusammenwirken soll, wird die Malerei, wie sie sich an ihren Flächen ausbreitet, in das Verhältniß zur umgebenden Natur und Archi- tektur hineingezogen; an sich ist das enge Band, welches diese und die Bildnerkunst an die weitere Umgebung bindet, abgeworfen. Zum Bau- werke selbst aber soll das Wandbild natürlich in einem innern Verhältniß stehen; die Reihe der Gegenstände soll eine organische Beziehung auf das Ganze des Gebäudes, die einzelnen Gegenstände auf den Theil desselben haben, den sie schmücken, auch in der Weise der Behandlung soll diese Beziehung berücksichtigt werden. Das Staffelei-Bild dagegen ist trans- portabel, von der bleibenden Verbindung mit der Architektur gelöst und diese Lösung entspricht ganz dem Wesen der Malerei als einer innerlichen, aus dem Innern den fliegenden Schein da oder dorthin frei werfenden Kunst, die denn, auch in diesem äußerlichen Sinne beweglich, es gestattet, daß ihr Werk nach Bequemlichkeit und Stimmung in diesen oder jenen Raum versetzt und zur bequemeren Betrachtung aufgestellt werde. Doch hat auch diese Willkühr natürlich ihre Grenze: das Werk soll zum Raume stimmen, der Raum auf das Werk hinweisen; Sammlungen, Galerien, obwohl, wie die Verhältnisse einmal liegen, gut und unentbehrlich, sind an sich Unnatur (vergl. §. 507 Anm. 2. ). Die strengere Beziehung ist natürlich für das größere Werk gefordert, das in bedeutungsvollem öffent- lichem Raume aufgehängt wird und sich dem monumentalen Charakter des Wandbildes nähert; ungleich mehr Willkühr steht der Aufstellung im Pri- vathause zu, doch ist es auch hier eine Geschmacklosigkeit, wenn Großes und groß Behandeltes, Tragisches, dem Raume des täglichen Wohnbe- dürfnisses angeheftet wird; übrigens tritt auch ein gegensätzliches Motiv in’s Spiel und gerade z. B. die Wände, zwischen denen der Nordländer seine Winter verlebt, mag er gern mit Bildern südlicher Landschaft schmücken. 2. Die Willkühr in den Größenverhältnissen, wie sie im Wesen der Malerei liegt, ist doch keine unbeschränkte. Es bleibt eine absolute For- derung des Auges übrig, die von jenem allgemeinen Gesetze, daß ein Werk der Kunst nicht zu groß und nicht zu klein sein soll (§. 36, 1. ), noch zu unterscheiden ist. Es ist vornämlich das Extrem des Kleinen, wovon es sich hier handelt, denn es versteht sich, daß durch die Relativität der Größen eine Versuchung für die Malerei zunächst von dieser Seite her nahe liegt. Das Auge will nicht nur, daß der Gegenstand ohne beson- dere Anstrengung sichtbar, in seinen Theilen unterscheidbar sei, es will auch eine Größe, die ihm die zureichende Bahn gibt, auszulaufen, mit dem nöthigen tenor sich zu bewegen, es will nicht zu bald fertig sein, es will eine Zeit, sonst schlüpft ihm der Gegenstand, wie zu kleine Geldmünze zwischen den Fingern durchfällt, zwischen den Sehnerven und der innern Anschauung hinweg. Kleinheit in dem Maaße, dessen Grenze hiemit bezeichnet ist, entspricht nun vermöge eines natürlichen symbolischen Verhältnisses zwischen Maaßstab und Nachdruck, Behandlung, sowie localer Bestimmung des Ge- genstands, vorzüglich genre-artigen oder genreartig, etwa auch hu- moristisch, satyrisch behandelten Stoffen; solche in heroisch großen Formen auszuführen und in Wandgemälden etwa gar an großen nach außen ge- wendeten Flächen eines Gebäudes zum Anspruche des Oeffentlichen und Monumentalen hinaufzuschrauben ist unnatürlich. Es mag allerdings auch Genrebilder geben, welche eine besonders glückliche und schwungvolle Natur mit einer gewissen Größe des Styls behandeln, die sich dann zu Fresken und zu großem Maaßstab in Staffeleibildern sowie zur Aufstellung in bedeutenderen Räumen eignen (z. B. Carl Müller’s Carnevalsbilder in Stuttgart); im Uebrigen ist das Genre eine Darstellung der kleineren Seite des Lebens und es bleibt daher in Ganzen und Großen bei dem Gesagten; die locale Bestimmung ist die engere häusliche. Das Porträt wird bald ebendieselbe, bald eine öffentliche Bestimmung haben und dieß begründet natürlich ebenfalls verschiedenen Maaßstab. Bei der Landschaft kommt es auf Stoff und Auffassung an: große und heroisch aufgefaßte Natur eignet sich für Fresken und fordert bedeutenden Maaßstab auch im Staffelleibilde; der gemüthlich belauschte Moment einer bescheidenen, einer mehr physiognomisch aufgefaßten Natur wird diese Ansprüche nicht machen; man will das in der Nähe sehen, sich als Einzelner einsam darein ver- tiefen. Dagegen wird nun bei den großen, mythischen, heroischen, ge- schichtlichen Stoffen das Auge jene allgemeine Forderung einer sattsamen Bahn, geleitet von derselben Symbolik wie dort bei den kleineren Stoffen, mit besonderem Nachdruck geltend machen; zugleich liegt es in der Natur dieser Stoffe selbst, da der große Gegenstand dem Allgemeinen angehört, daß das Bild einen öffentlichen Charakter hat, also von Vielen gesehen sein will. Beide Momente fallen zusammen und begründen die Bestim- mung, daß das Großartige auch groß sein soll. Dieß führt uns nun aber auf das dem allzu Kleinen entgegengesetzte Extrem: die Größe kann in der Malerei nie so in’s Colossale gehen, wie in der Sculptur; bei einem gewissen Grade derselben muß der Klarheit der Sinneswahr- nehmung Abbruch geschehen, weil im Gemälde die Gestalt nicht mit dem scharfen Umrisse des wirklichen Körpers sich von einer wirkli- chen äußeren Umgebung abhebt, sondern eine mitdargestellte scheinbare Umgebung die ersteren mehr oder minder abschwächt, daher jene Deut- lichkeit der äußersten Grenzen wegfällt, welche dem Auge möglich macht, auch ein sehr Ausgedehntes noch als ein geschlossenes Ganzes aufzufassen. Es hat aber eine Colossalität, welche das natürliche Maaß sehr bedeutend überschreitet, in der Malerei überhaupt keinen Sinn. Es handelt sich nämlich hier doch im Wesentlichen nur von der menschlichen Gestalt; wird nun diese sehr colossal dargestellt, so muß ja Haus, Wand, Baum u. s. w. ebenso colossal gegeben werden und doch geht einer solchen Vergrößerung des Umgebenden aller Zweck ab, da bei diesem nicht so wie bei jener die Rede davon sein kann, eine geistige Größe symbolisch in einer äußern auszudrücken. Freilich kann die Umgebung wegfallen und z. B. Gold- grund an ihre Stelle treten wie bei jenen colossalen Christusbildern in den Tribunen der Basiliken; allein auch da ist nicht an Größenverhältnisse zu denken, wie die der Colossalbilder aus Phidias Hand. Riesen-Ge- mälde wie jenes 120 Fuß hohe Bildniß des Nero in Rom sind keine Kunstwerke mehr, sondern prahlerische Kunststücke wie die Extreme des Kleinen, ja sie sind werthloser, als diese; ein Miniaturmaler ist immer noch weit mehr eigentlicher Künstler, als ein faustfertiger Großmaler, und da das Kleine der Malerei natürlich ist, so steht er umgekehrt, wenn wir wieder nach der Plastik zurücksehen, auch über dem Bildner, der blos sehr Kleines hervorbringt; geht es aber bis zu einem äußerst Kleinen herunter, so hört die Selbständigkeit des Werkes auf, es kann nur an Sachen der kleinen Tektonik angebracht werden und wir befinden uns im Gebiete der Zierkunst. §. 662. 1. Das hünstlerische Verfahren der Malerei zerfällt in eine bedeuten- dere Reihe von Momenten, als das der andern bildenden Künste. Das erste der- selben, die Zeichnung , hat es nur mit der festen Form zu thun, deren Schein sie durch den Umriß auf die Fläche zieht (§. 649). Sie ist das plastische Moment in dieser Kunst und die Bildung des Malers als Zeichners hat von denselben Uebungen und Kenntnissen auszugehen wie die des Bildners. Ohne den festen Halt ihres Bandes verliert sich die Malerei in das Musikalische . Sie entwickelt in der Bestimmtheit und Reinheit ihrer Ausbildung ihre eigene 2. Schönheit und an sie schließt sich das Prinzip der directen Idealisirung , wie solches gegenüber dem entgegengesetzten, das in der Malerei die Herrschaft erlangt hat, sich noch immer geltend machen berechtigt ist (vergl. §. 657). 1. Auch das Verfahren der Bildnerkunst zerfällt in mehrere Momente: sie stellt zuerst das Modell her und spaltet dann die Ausführung in einen gröberen, dem bloßen Techniker anheimfallenden, und einen feineren, vom Künstler selbst zu übernehmenden Theil; die Malerei aber erweist sich als eine geistig vermitteltere Kunst, die Reihe von Acten, die ihr Ver- fahren durchläuft, ist reicher, denn sie enthält Solches, was vorher das Prinzip einer ganzen Kunst bildete, als bloßes Moment in sich: sie setzt die Plastik voraus und nimmt ihre Seele, des Körpers entkleidet, in sich auf, um ihr im weiteren Fortgang ein neues Kleid in anderem Sinne zu geben; daher behält hier, wie schon hervorgehoben ist, der Künstler Alles in der Hand und verschmelzt zwei vorausgehende Momente im dritten zum vollen Kunstganzen. Das erste dieser Momente, die Zeich- nung ist es nun, wodurch die Plastik in veränderter Form innerhalb der Malerei wieder auftritt, denn sie stellt jene Uebersetzung der Gestalt auf die Fläche her, von welcher im Allgemeinen schon §. 649 gehandelt hat. Was wir so eben Entkleidung vom Körper genannt haben, besteht zugleich nothwendig im Wegfall von Licht und Schatten, welche das Bildwerk von außen empfängt; die Zeichnung ist bloße Umschreibung der Ge- stalt nach ihren äußersten Grenzen und nach einem Theile der inneren, soweit nämlich die Einzelformen innerhalb jener in solcher Bestimmtheit sich abheben, daß sie in einem Umriß zu fassen sind. Dennoch gibt schon diese bloße Umschreibung (Contur) einen Begriff von der wirklich Raum- erfüllenden Bildung: das schaffende Auge versetzt sich in ihre Mitte und erzeugt wie aus einem innern Kern herausbauend sich das Bild des vollen Ganzen. Die gute, die gefühlte Zeichnung nöthigt das Auge dazu, indem sie durch Fluß und wechselnden Druck und Dünne der Umriß- Linie den Schwung der gefüllten, runden, in die Dimensionen des Raums ausschwellenden organischen Formen andeutet. Auch der Bildhauer muß zuerst zeichnen lernen und der ausführende Meister zeichnet sein Werk, ehe er es modellirt; dieß ist hier bloße Vorübung und Vorarbeit, aber doch entwickelt sich in ihr und legt sich in sie das Gefühl des Ganzen der Gestalt, wie es dann im Modell und in der Ausführung gegeben wird. Der Maler nun hat natürlich noch andere Gegenstände zu zeich- nen, als die (thierisch und) menschlich organische Gestalt, diese aber ist doch und bleibt auch für ihn die höchste Aufgabe und erst nachdem er in ihrer Nachbildung geübt ist, mag er sich auch auf Zweige werfen, worin sie nur eine Nebenrolle spielt. Er ist daher in diesem Stadium auf die- selben wissenschaftlichen Kenntnisse gewiesen wie der Bildner, auf Pro- portionen und Anatomie. Wesentlich verlangt hiebei seine Ausbildung eine Methode, die ihn so rasch als möglich an die Nachbildung der vollen Gestalt führt, denn von dem Abzeichnen des Gezeichneten lernt man nicht Uebertragung auf die Fläche. Die Zeichnung soll nun, zunächst besonders im Anatomischen und den Verhältnissen, vor Allem richtig sein; auf die Verzeichnungen, die man großen Meistern verzeiht, darf sich kein Schüler berufen, gewisser Unrichtigkeiten, die diese sich um ästhetischer Motive willen erlaubt haben, nicht zu gedenken. Obwohl nun die Zeichnung dem Gan- zen der Malerei gegenüber nur ein Moment darstellt, ist sie doch auch im Reich des Schönen für sich, wie wir dieß eben schon damit ausge- sprochen haben, daß wir das Ganze der Gestalt in ihr wie in einem Keim sahen, welchen die Phantasie des Beschauenden aufschließt und zur vollen Blume entfaltet. Die sichere, kräftige, schwungvolle Faust des Meisters führt Griffel, Kohle, Feder in einem Schwunge, der die reinste Gestalten- freude hervorruft, man glaubt sich durch sie in die geheime Werkstätte versetzt, worin der Meisterin Natur das höchste Product ihrer organisch bauenden Kraft in einem ersten Bilde vorschwebte. Ja schon ein hinge- worfener Theil, ein Rumpf, ein gewaltiger Arm, Fuß kann die Meister- hand verkündigen und den Kenner entzücken. Die schön geführte Linie wird durchaus im lebendig schauenden Auge wieder flüssig, sie lebt, man sieht sie werden, wie in Wirklichkeit das volle Gebilde wird und sich ent- wirkt. Ja schon der reine Zug der Linie an sich, das klare und doch leichte Durchschneiden durch das Leere, wenn es auch noch keine bestimmte Gestalt zusammensetzt, hat bedeutungsvollen Reiz und läßt auf den Künstler schließen; die Anekdote von der Linie, die Apelles auf der Tafel des ab- wesenden Protogenes zieht, beweist, was die Alten von diesem Puncte hielten. Wird der Maler kein fertiger Zeichner, ehe er zum Pinsel schrei- tet, so schwebt er Zeitlebens im Bodenlosen, im Lyrischen, im Subjectiven, im Musikalischen. Es ist die Scheue vor der Sache, vor dem Bestimmten und Gründlichen, was den Dilettanten abhält, erst ein tüchtiger Zeichner zu werden, und ihm vor der Zeit die Palette in die Hand schiebt. Die Vorliebe der englischen Malerei für das Nebelhafte, Unbestimmte, Verschwommene, Verfaserte hängt, wie mit der nationalen Neigung zum Sentimentalen, so mit dem in England sehr verbreiteten Dilettantismus zusammen. Die Zeichnung ist das Grundgerüste, die feste Knochenbildung im Körper der Malerei, sie muß, nachdem sie von den Weichtheilen (der Farbe) umhüllt ist, als die tragende, Maaßbestimmende Kraft durch die Umhüllung sichtbar sein. 2. Es leuchtet nun ein, wo der directe Idealismus in der Malerei seinen Boden hat: er lebt in der Zeichnung, er läßt diese über die Farbe vorherrschen, denn sein Prinzip ist das der Plastik und die Zeichnung, wie wir gesehen, das plastische Moment in der Malerei. Es kann allerdings ein Maler ganz besonders Meister der Zeichnung, im Colorit schwächer oder wenigstens ungleich, doch aber kein directer Idealist sein; dann ist er nicht nach allen Seiten in entsprechendem Verhältniß zur Reife gediehen, er hat aber nicht die Grund-Intention seiner Auffassung in das Moment der Zeichnung gelegt, denn dieß ist verstanden unter dem Vorherrschen- lassen der letzteren. Der Idealist (soweit wir ihn bis jetzt kennen, so lange wir sein Verhalten zum Unterschied der Stoffe nicht besprochen) ver- langt, daß die einzelne Gestalt normal schön sei, wie in der Sculptur, und da die Zeichnung eben vor Allem es ist, welche die Gestalt herstellt, so legt er das Gewicht auf diese, gibt sich ganz der Welt der Linie, des Con- turs hin. Da aber die Zeichnung nur ein Moment im Verfahren der Malerei ist und bestimmt, in gewissem Sinne zu verschwinden, so ist mit ihr auch das Prinzip, das sich auf sie stützt, zur Unterordnung bestimmt. An diesem Puncte wird die Sache in der Erörterung der Stylfrage wie- der aufgefaßt werden. §. 663. Dennoch beginnt schon im Gebiete der Zeichnung der Austritt aus den Grenzen der Plastik. Sie zieht mehr in ihr Bereich, als diese, indem sie auch Körper von unbestimmtem Umriß andeutend wiedergibt, und da sie mit eigenen Mitteln den Schein der Erstreckung in die Tiefe erzeugen soll, so hat sie Körper der verschiedensten Art in der Veränderung und Verkleinerung darzu- stellen, welche ihre Gestalt und Größe nach den Graden des Zurückweichens von einem bestimmten Sehpunct anzunehmen scheint: Verkürzung im Einzelnen, Linear-Perspective im Ganzen. Die Malerei ist hiedurch an ein beson- deres Gebiet wissenschaftlicher Kenntnisse gewiesen. Die leichte Linie kann, wie auch schon zu §. 651 berührt ist, bereits mehr geben, als die Mittel der Bildnerkunst; schon Griffel, Blei, Kohle, Kreide, Feder vermag das Kleine, Dünne, unbestimmt Gebildete, conti- nuirlich Ausgebreitete theilweise nachzubilden, das Brüchige, Verwitternde, Rauhere oder Glattere der Oberfläche von Erdformen und Gebäuden, Wolken, Wellen, Blätter und Gräser, Fältchen, Haare u. s. w. anzudeu- ten. Dieses Reich des Unbestimmten spielt eigentlich bereits in die Per- spective hinüber, denn es besteht zum Theil in Einzelnheiten, die gegen- über dem Maaßstab unserer Sehkraft so in’s Kleine sich verlieren, daß wir sie nur zerflossen, nur in Massen sehen, und eben dieß Unbestimmte kann der Zeichner auch unbestimmt wiedergeben. Es ist nicht der leichteste Theil seiner Aufgabe und erst einer reifen Kunst gelingt ein geniales Hinwerfen dieser Zufälligkeiten. Die plastische Richtung wird sich inzwi- schen auch hier geltend machen, indem sie nach dieser Seite hin theils strenger ausscheiden, theils zu genau und deutlich nachbilden wird (z. B. den Baumschlag in der heroischen Landschaft). An sich aber ist das pla- stische Gebiet, sofern es sich durch die Zeichnung in der Malerei wieder- holt, hiemit um so mehr schon überschritten, da die meisten dieser unbe- stimmten Andeutungen sich bereits auf die mitdargestellte, in die Tiefe sich hineinverlaufende Umgebung beziehen. — Die eigentliche Perspective nun aber hat es mit allen Körpern, sowohl den fest, als den unbestimmt ge- bildeten und massenhaft ausgebreiteten, sowohl den großen, als den klei- nen zu thun. Es entsteht hier ein neues Gebiet künstlerischer Aufgabe dadurch, daß der optische Schein, nach dessen Gesetzen das Auge die wirk- lichen Dinge im Raume sieht, auf der Fläche künstlich wiederzugeben, daß ein Schein dieses Scheins herzustellen ist. Die Gegenstände, wie sie vom Sehpunct aus in die Tiefe zurücktreten, verändern je nach ihrer Stellung scheinbar ihre Form: das Runde scheint oval, die in gleicher Breite fortlaufende Straße scheint pyramidalisch u. s. w.; zugleich verklei- nern sie sich scheinbar nach dem Grad ihrer Entfernung. Die scheinbare Veränderung der Form bestimmt sich verschieden, je nachdem der Sehpunct höher, als die Gegenstände (sog. Vogelperspective), oder tiefer (Froschper- spective) oder in gleicher Bodenhöhe genommen ist; dazu kommt der Un- terschied, ob das Auge sich der Mitte eines Gegenstands gegenüber befin- det, oder ob es ihn seitlich faßt. Die Verkürzung ist nichts Anderes, als diese scheinbare Form-Veränderung in Anwendung auf einen einzelnen Gegenstand oder den einzelnen Theil eines Gegenstands, der so gestellt ist, daß die wirkliche Länge vom Auge des Zuschauers ab in die Tiefe zurückweicht, diesem in einem zusammengezogenen Bilde erscheint. Ohne Licht und Schatten würde sich das Auge in diesem Falle über die Form des Gegenstands nothwendig täuschen, dennoch hat der Maler, ehe er diese wesentliche Ergänzung hinzugibt, das Gesetz der Zusammenziehung der Linie an sich als Zeichner darzustellen. Es versteht sich, daß die Ver- kürzung vorzüglich an Gegenständen, welche im Vordergrund als Haupt- gegenstände oder doch mit einiger Bedeutung hervortreten, das Interesse des künstlerischen Studiums in Anspruch nimmt, und was den Unterschied der Stoffe betrifft, daß es namentlich der höher organisirte Leib, vor allem der menschliche, ist, dessen wunderbarer Bau die unendlichen Motive seiner Schönheit in bewegter Fülle enthüllt, wenn Wendungen, Stellungen aller Art seine Glieder theils unmittelbar richtig, theils in solchen Verschiebun- gen darstellen, aus denen das Auge das richtige Bild erst wieder erschließt; ein verstärkter Accent scheint auf den Reiz der organischen Schönheit zu fallen, wenn er im verschobenen Bilde sich aufsuchen läßt. Die Gesetze der Perspective im Ganzen nun sind Gegenstand eines Zweigs der Ma- thematik und der Maler muß sich mit demselben vertraut machen; ein neuer Umkreis von wissenschaftlichen Kenntnissen, welche der Bildner nicht bedarf, ist also durch die Uebertragung auf die Fläche nöthig geworden. Doch wird es sich ähnlich verhalten wie mit der Anatomie: der Künstler muß sich das Wesentliche der Lehre aneignen, doch nur, um das Gelernte in eine freie, zum Instinkt gewordene Fertigkeit umzusetzen, worin der Geschmack der exacten Gelehrsamkeit völlig getilgt ist; die Perspective soll als Augenmaaß in sein Auge einkehren oder richtiger: vorher darin sitzen und durch die Wissenschaft nur verschärft werden. Ueberdieß vermag aber die Wissenschaft dieses Gebiet des optischen Scheins nicht in seinem ganzen Umfang zu fassen und zu durchdringen; es ist namentlich das Gebiet der runden Formen in der Mannigfaltigkeit ihrer Curvenverbindungen, wo ihr eine Grenze in der Auffindung des Gesetzes der optischen Scheinver- änderung gesteckt ist; gerade hier, in diesem wichtigen Gebiete der Ver- kürzung, ist das Gefühl und die Naturbeobachtung des Künstlers an sich selbst gewiesen. — Es geht nun in allen hier aufgeführten Puncten die Zeichnung als erstes Moment der Malerei allerdings über die Bildner- kunst wesentlich hinaus. Dennoch bleibt es auch Angesichts dieser neu eingetretenen Kunstbedingungen dabei, daß sie das plastische Moment in der Malerei ist, was übrigens natürlich mehr von dem engeren Gebiete der Verkürzung, als von der Perspective im Ganzen und Großen gilt. Das Prinzip der directen Idealisirung wird sich daher nicht auf die ein- fache Erscheinung der Gestalt beschränken, sondern auch auf ihre optischen Verschiebungen werfen; ja der Meister der schönen Einzelgestalt, der styl- vollen Zeichnung wird mit besonderer Vorliebe seine sichere und energische Faust darin zeigen, daß er den Körper in allen kühnsten Wendungen und der dadurch gegebenen Scheinveränderung der Formen vorführt; er wird sogar in nicht geringer Versuchung sein, zu vergessen, daß das reflectirtere Interesse, das die Formen durch die Verkürzung gewinnen, ohne bestimmte Motivirung nicht aufzusuchen ist, daß hier eine Versuchung zur Manier liegt, er wird mit seiner Macht über die Form prahlen, in das Gewalt- same, Verdrehte gerathen und so mitten in seiner ursprünglich plastischen Richtung gerade das plastische Schönheitsgesetz verletzen. Nur weil er auch in seinen Verirrungen immer groß ist, verzeiht man diese Ausartung des Styls in die Manier dem Mich. Angelo; die verderblichen Wirkungen mußten sich einstellen, sobald die Genialität des Meisters diese Abwege nicht mehr am Bande ihres erhabenen geistigen Feuers hielt. — Die Andeutung des Unbestimmten und die Perspective im Großen führt nun bestimmter, als die Verkürzung, in das Spezifische der Malerei hinein, denn hier handelt es sich vornämlich vom mitgegebenen Raum mit den mancherlei unorganischen oder nur vegetabilisch organischen Körpern, aus denen er sich zusammenbaut. Das Zurückweichen im Ganzen hat selbst in der bloßen Zeichnung schon eine gewisse stimmende Wirkung, die drei Gründe: Vorder-, Mittel-, Hintergrund unterscheiden sich bereits und zeigen ihre mehr, als bloß äußerliche Bedeutung. Doch solange nicht das Weitere des malerischen Verfahrens hinzutritt, bleibt diese Seite ein bloßer Ansatz. §. 664. Da aber die Malerei den vollen Schein des Sichtbaren geben soll, so bleibt die Zeichnung nur das erste Moment in dem Ganzen dieser Kunst. Sie verhält sich zu diesem wie der Begriff zu seiner Wirklichkeit und entspricht der Phantasie vor der Kunst im Systeme der Aesthetik. Sie kann sich trotzdem von den weiteren Momenten abtrennen und als Umriß oder Skizze für sich auftreten (vergl. §. 493, 2. ). Diese Form ist geeignet für Kunsttalente, die in der Erfindung stärker sind, als in der Ausführung, und für Stoffe, in de- nen die Idee über den Körper der Darstellung oder die Schönheit der Form über die Innerlichkeit des Ausdrucks vorschlägt. Die Zeichnung verhält sich zum Ganzen der Malerei wie der Be- griff zu dem Körper, in welchem er realisirt ist; sie ist das Männliche, Zeugende in der malerischen Hervorbringung; der Künstler legt seine Er- findung zuerst in ihr nieder, sie liegt unmittelbar, als erstes Festland, an der Quelle der inneren Schöpfung, gehört mit ihr noch auf’s Engste zu- sammen und entspricht so, gegenüber der Schattirung und Farbe, dem noch körperlosen innern Bilde der Phantasie überhaupt gegenüber der Ausfüh- rung, der Kunst überhaupt. Daher sind, wie schon zu §. 493, 2. erwähnt ist, die Handzeichnungen der großen Meister von so hohem Werthe; man sieht noch unmittelbar in die Werkstätte des Schaffens, schöpft das Quell- wasser am Ursprung, sieht den ersten genialen, noch nicht eigentlich kör- perhaften und doch in sich schon so sicheren, festen Wurf. Dem wider- spricht nicht, daß man zugleich an den Spuren des Zweifels, den Ver- besserungen erkennt, wie doch schon auf diesem ersten Schritte die Phan- tasie zu erfahren bekommt, daß das erst innere Bild noch blaß und un- bestimmt war (vergl. §. 492). In fortgeschrittener Weise zeigen die Cartone zu Fresken den Künstlergedanken in seiner ursprünglichen geistigen Bestimmtheit. — Der Umriß bleibt nun zwar bloßer Anfang, soll aufge- hobenes Moment werden, aber er kann sich als besonderer Zweig fixiren. Das Recht zu dieser Isolirung ist in §. 662, 1. mit dem Satz ausgespro- chen, daß die Zeichnung relativ eine Welt der Schönheit für sich entwickle, wozu die Anmerkung sagt, daß die Phantasie aus dem schwungvollen Um- risse sich das ganze der Gestalt herausbaut. Subjectiv entspricht die Skizze jenen Künstler-Naturen, von denen zu §. 493, 2. die Rede gewe- sen ist als solchen, die ein inneres Hemmniß ihrer Organisation abhält, von der Erfindung und dem ersten, noch auf ihrer Seite liegenden Schritte der Ausführung zur vollen Ausführung fortzugehen; objectiv solchen Stof- fen, worin die Idee den festen Körper gewissermaßen durchbricht und die vorwiegende Geistigkeit des Ganzen es nicht verträgt, in den vollen Schein der Realität, wie ihn die Farbe gibt, hereinversetzt zu werden. Dazu eig- net sich die Skizze, weil sie den erfindenden Gedanken, die Seele gleich- sam blos legt und der von Scene zu Scene vorwärts drängenden Fülle der Phantasie Genüge thut. Es ist klar, daß es sich hier hauptsächlich vom Anschluß an Dichtwerke handelt: das Allegorische und Geisterhafte in Dante, das von innen heraus unruhig genial Bewegte in Göthe’s Faust fordert mehr zur Skizze, als zum Gemälde auf. Doch können natürlich auch sattere, körperhaftere Stoffe in dieser Form behandelt werden; vorzüg- lich lädt die schöne Einfachheit des alten Epos dazu ein. Hier kommt ein weiterer Grund dazu: die plastische Natur der Zeichnung macht sich wieder geltend und wird von den idealen Gestalten eines Homer angezogen, de- ren Sculpturartige, reine Formen mehr für die Linie, als für die volle Realität der Farbe sich eignen. §. 665. Das, von dem Ganzen des malerischen Verfahrens ebenfalls trennbare, zweite 1. Moment ist die Herstellung des Scheins der vollen räumlichen Ausdehnung durch Licht- und Schattengebung . Sie hat das in §. 241—245 dargestellte Erscheinungsgebiet nachzubilden. Dabei bringt schon die Bestimmtheit der tech- 2. nischen Mittel eine gewisse Abweichung vom Vorbilde mit sich; überdieß tritt aber die allgemeine Aufgabe der idealen Umbildung jedes Naturschönen hier mit neuen Forderungen auf, insbesondere mit der, daß die Beleuchtungs-Ver- hältnisse mit der Bedeutung der Gegenstände in Zusammenstimmung gebracht werden. 1. Obwohl der Umriß bereits den Keim der ganzen Gestalt enthält, den die Phantasie des Zuschauers sich selbst entwickeln kann, so muß nun doch die Malerei natürlich mit eigenen Mitteln das thun, was am Bild- werke das gegebene äußere Licht vollzieht: sie muß durch Licht und Schat- ten, die sie auf die Fläche legt, den bloßen Umriß ausfüllen und die Formen und Entfernungen der Gestalten aufzeigen. Da im Allgemeinen heller Grund der Fläche vorausgesetzt ist, so ist dieß Verfahren natürlich vorherrschend Schattiren, doch wird auch Aufsetzung von Lichtern nöthig. Auch dieser Schritt der Malerei kann sich von der Ergänzung durch die Farbe trennen als ausgeführte Zeichnung, als Darstellung mit flüssigen Mitteln (Touche u. s. w., auch Oelfarbe, wo denn das sogenannte Grau in Grau einen Anklang von Farbenton erhalten kann), dann in der ver- vielfältigenden Technik des Metallstichs, Holzschnitts, Steindrucks. Es können dabei verschiedene Stufen, von der blos leichten Andeutung bis zur vollen Ausführung des Schattens, eingehalten werden; jene liegt in der unmittelbaren Nähe der bloßen Zeichnung, diese nähert sich schon der Malerei mit Farbe. In der That ist in der ausführlichen Licht- und Schattengebung die Farbe als ein fühlbarer Anklang mitgesetzt, denn die Unterschiede der letzteren sind in ihrer spezifischen Qualification wesentlich zugleich Unterschiede des Dunkels und auch der schattirende Zeichner hat im Dunkel einen hellfarbigen Stoff, im Licht einen dunkelfarbigen wohl vom Gegentheil zu unterscheiden, zudem läßt Art und Strich der Lichter mit der Beschaffenheit der Stoffe zugleich auf ihre Farbe schließen. Durch die Fülle, welche demnach schon in den Licht- und Schattenverhältnissen Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 37 gegeben ist, entsteht die Schwierigkeit, daß schon bei diesem Gebiet eine Reihe von Begriffen zur Sprache kommt, welche doch erst bei der Verbin- dung mit der Farbe ihre erschöpfende Darstellung finden. 2. Das Licht- und Schattenleben ist schon als naturschöne Erschei- nung aufgeführt, seine Reize sind in ihren Hauptzügen dargestellt in den angegebenen §§., und es scheint, als wäre nun zu jener Darstellung nichts hinzuzufügen, als daß, wie alles Naturschöne in der Kunst zu idealisiren ist, so auch diese Seite seiner Erscheinung. Allein das Idealisiren hat in jeder besonderen Kunstweise seine eigenen Wege und die Gebiete, die wir nun betreten, fordern einen so speziellen Rückblick auf das Naturschöne (vergl. §. 510), daß auch die Umbildung der erlauschten Geheimnisse in künstlerische Feinheiten sich mit einer Bestimmtheit gestaltet, die eine ei- gene kleine Welt von Kunstbegriffen mit sich bringt. Wir bleiben zunächst im Allgemeinen und bemerken zu dem ersten Satze dieses Theils unseres §., daß nun auf den Unterschied des Nachahmungsmittels vom lebendigen Gegenstand ein Nachdruck fällt, wie bei der Bildnerkunst noch nicht; denn freilich ist Stein und Erz ein Anderes, als Fleisch u. s. w., und liegt in diesem Unterschiede die eine Ursache der Kunstbedingungen, aber noch viel weiter ist der Abstand zwischen dem unerreichbaren Glanz und Leben des Lichts und den todten Stoffen, die seinen Schein wiedergeben sollen. Da muß nun im Dunkel nachgeholfen werden, der Abstand zwischen dem Glanze des Lichts und zwischen dem todten Stoffe des Weiß, der ihn wie- dergeben soll, muß sich in einen Abstand der übrigen Theile des Bilds von diesem Weiß verändern, dieselben müssen in dem Verhältniß dunkleren Ton haben, in welchem dieß hinter seinem Vorbilde zurückbleibt. Es liegt aber etwas Tieferes hinter dieser äußeren Nöthigung, was jedoch erst bei der Betrachtung der Farbe in seinem ganzen Gewichte zur Sprache kommen kann; hier ist nur erst so viel zu sagen, daß die Abdämpfung, die aller Glanz des Unmittelbaren in dieser Behandlung erfahren muß, bereits selbst eine Art von Idealisirung, ein Ausdruck davon ist, daß das Natur- schöne in gewissem Sinne sterben mußte, um in der Phantasie und Kunst zum Leben zurückzukehren. In seiner eigentlichen Bestimmtheit aber ent- hält nun der Begriff des Idealisirens vor Allem die Aufgabe, die der §. besonders hervorhebt. Die Lichtverhältnisse werden mit der Bedeutung der beleuchteten Gegenstände in der Natur selten so zusammentreffen, wie es die Kunst verlangt. Eine nähere Feststellung hierüber ist allerdings nicht möglich; so kann namentlich nicht als strenge Regel behauptet wer- den, daß der bedeutendste Gegenstand auch die vollste Beleuchtung haben müsse; in den meisten Fällen wird dieß natürlich sein, aber die Bedeutung verschiebt sich ja auf das Mannigfaltigste, so daß es z. B. ästhetisch ge- fordert sein kann, eine bedeutende Figur, von welcher eine starke Wirkung ausgeht, in Schatten oder Helldunkel zurück, die Figuren aber, auf welche sie wirkt, in volles Licht zu stellen, weil es natürlich erscheint, daß die Energie durch Kraft des Schattens in das Auge falle, dagegen die Züge eines Leidenden im Hellen deutlich gesehen werden u. s. w., wie es ja in der Landschaft sich darbieten kann, das erhabene Gebirge in Schatten, ein freundliches Thal in’s Licht zu stellen. Eine natürliche Symbolik verbin- det auch die Begriffe des Dunkeln und des Bösen (Judas in Leonardo’s hl. Abendmahl), nach Umständen kann aber ein grelles Licht angemessener sein. Ueberdieß fällt das ganze Gewicht bald mehr auf die Beleuchtungs- verhältnisse an sich, bald mehr auf das, was beleuchtet oder beschattet wird; das Erstere ist namentlich bei Landschaften der Fall, es kann sich aber in diesem und den andern Gebieten auch ein Mittleres darstellen, wo sich das Interesse an die feineren Wege des Lichts und Dunkels und an die Gegenstände gleichmäßig vertheilt. Kurz es lassen sich keine Gesetze aufstellen, das Allgemeine aber, daß die Kunst der Natur, deren Sonne auf Gerechte und Ungerechte ohne Wahl scheint, zu Hülfe kommen muß, bleibt fest. Die Lichtverhältnisse werden aber in der Na- tur nicht blos mit der Bedeutung der Gegenstände selten so zusammen- stimmen, wie Sinn und Auge es verlangen, sie werden auch an sich trotz dem Glanz und der Kraft des Lebens niemals die Reinheit der Harmonie zeigen, wie der Künstler sie bedarf; störende Lichter, Schatten, Unklares, Schmutziges, Grelles, Stumpfes: Mängel aller Art werden, wäre es auch nur in untergeordneten Theilen, die das nicht fein gebildete Auge über- sieht, auch hier das Naturschöne trüben. Gerade weil der Laie, bestochen von der unnachahmlichen Frische des Ganzen, die Mängel an dieser Seite des Naturlebens gewöhnlich unbeachtet läßt, ist auf diesen Theil der idea- lisirenden Thätigkeit des Künstlers noch besonders aufmerksam zu machen; Näheres gibt die weitere Entwicklung. §. 666. Sofern sie die einzelne organisch geschlossene Gestalt zum Gegenstand hat, gehört die Licht- und Schattengebung noch wesentlich zum plastischen Moment in der Malerei und ruft durch vollendete Modellirung die Formfreude, die der Bildner unmittelbar weckt, in vermittelter Weise hervor. Wenn dagegen ein Ganzes von bestimmten und unbestimmten Bildungen, Erscheinungen der or- ganischen und unorganischen Natur in seinen Lichtverhältnissen darzustellen ist, so tritt das Malerische bestimmter in seine Geltung. Die Zeichnung haben wir als das Plastische in der Malerei erkannt; diese Bedeutung hat sie unzweifelhaft, sofern sie die thierische und mensch- 37* liche Gestalt in ihrer organischen Bestimmtheit darstellt, wobei von der Perspective nur die einzelne Verkürzung mitzuwirken hat. Die Licht- und Schattengebung nun in Beschränkung auf diesen Stoff ist nur Vollendung der Zeichnung in diesem ihrem plastischen Charakter, indem sie die Stelle dessen übernimmt, was an der Statue das natürliche Licht thut; nament- lich bei der Verkürzung ist dieß nöthig, da die optische Veränderung der Form ohne Licht und Schatten schwer verstanden wird. Da nun die Auf- zeigung der Form dem natürlichen Lichte durch Kunstmittel abgewonnen wird, so bewirkt in der Anschauung das meisterhaft Geleistete zwar dieselbe Art ästhetischer Freude, wie die plastische Schönheit, aber in einer reflec- tirten Weise, indem zugleich der Kampf mit den Schwierigkeiten zum Be- wußtsein kommt; denn es ist kein Kleines, die Gestalt als Ganzes in vollem Scheine von der Fläche zu lösen und ebenso die Figuration der einzelnen Glieder als ein wirklich Rundes, sich Abhebendes, Zurück- und Vortretendes auszuwickeln. Die Modellirung hat ihren eigenen Reiz und ihr Mangel, wenn die Gestalt nicht „losgeht“, ihr Ganzes zu flach, ihr Einzelnes nicht ausgerundet, kräftig abgestoßen und doch wieder weich ver- bunden erscheint, sein eigenes tiefes Mißbehagen. Zur Ablösung von der Fläche gehört namentlich der Schlagschatten; damit ist zugleich der umge- bende Raum gesetzt und dieser führt in das Weite, in die Vielheit unbe- stimmt gebildeter organischer und continuirlich ergossener unorganischer Er- scheinungen. Wenn nun die Malerei aus ihrer wesentlichen Aufgabe, dieß Weite und Viele in ihren Bereich zu ziehen, Ernst macht, so beginnt hiemit der entschiedene malerische Theil der Licht- und Schattengebung. §. 667. Es entsteht nun die Aufgabe, die Bahn des Lichts in klarer Einheit durchzuführen, die Licht- und Schattenmassen entschieden auseinanderzuhalten, ebensosehr jedoch diese Gegensätze zunächst durch Schattenstellen im Licht, durch Lichtstellen im Schatten, sodann durch zarte Abstufungen, Widerscheine, Durch- sichtigkeit, Helldunkel zu versöhnen, endlich aber, durch das feinste aller Mittel, den Ton, jedes Grelle abzudämpfen und sowohl über einzelne Theile, als auch über das Ganze eine entschiedene Stimmung zu verbreiten. Man sieht, wie sich hier die Lehre von der Composition vorbereitet; es ist Einheit im starken und schwachen Contrast, Entschiedenheit der Ge- gensätze und gleichzeitige Ueberleitung und Versöhnung derselben, wovon es sich handelt. In der Natur wird, wie schon zu §. 666 angedeutet ist, die Harmonie der Beleuchtung hier durch Unentschiedenheit, dort durch zu grelle Entschiedenheit gestört, der Künstler hat gleichzeitig auf beiden Puncten den trübenden Zufall auszuscheiden. — Die herrschende Einheit ist das Licht; mag sein Ausgangspunct im Bilde oder außer dem Bilde, tiefer oder höher, als die bedeutendsten dargestellten Körper, in der Mitte oder auf der Seite liegen, sein Weg soll in ausgesprochener Bestimmtheit über das Ganze lanfen und dessen Theile mit der idealen Kraft dieses großen Mediums zusammenfassen. Das Licht ist aber nicht blos zusam- menfassend, sondern auch „auseinandertreibend“ (vergl. §. 241 Anm. 2); dieses durch den Schatten und vorzüglich durch den Schlagschatten, der den Körper in der Kraft seiner Einzelheit abhebt. Würde nun die Licht- bahn durch eine ungeordnete Vielheit von einzelnen Schatten unterbrochen, so hätte die Licht-Einheit nicht einen klaren, sondern einen zersplitterten, beunruhigenden Gegensatz am Dunkeln. Daher wird, wo es die Na- tur nicht thut, der Künstler dafür zu sorgen haben, daß eine Masse von Körpern in der Art zusammentritt, daß der vereinigten Lichtwirkung ge- genüber eine Schattenmasse entsteht (handelt es sich nur von Einer be- deutenden Gestalt, so bewirkt dieß der Gegensatz der beschienenen und be- schatteten Seite oder bei gleich verbreiteter Beleuchtung ein dunkler Grund). Es kann sich natürlich nicht von einer ungefähr gleichen Ausdehnung bei- der contrastirender Massen wie von zwei Hälften handeln: es genügt, wenn nur dem Lichte nicht blos getrennte Einzelschatten gegenüberstehen, sondern umfassendere Schattenstellen oder reiche Gruppen solcher Gestal- ten, deren Schattenseiten das Auge zu einem Ganzen zusammenzuhalten vermag. Das Licht wirkt im Allgemeinen anregend, nach Beschaffenheit und Umständen aufregend; im übeln Sinne aufregend wirkt ein zu viel- fach unterbrochenes Licht, das über Einzelschatten gleichsam unruhig fort- springt; größere Schattenstellen, die man wohl auch Ruhestellen nennt, müssen daher auch abgesehen von den vorher geforderten Hauptmassen bei starkem oder heftigem Lichte über ganze Partieen sich herlegen, denn der Schatten beruhigt und kühlt im eigentlichen und uneigentlichen Sinn, ehe er in die drohende Finsterniß übergeht. Dieß führt uns denn von den großen Hauptgegensätzen bereits zu der Versöhnung derselben, wie sie zunächst durch entschiedenere, dann durch feinere Mittel zu bewerkstelligen ist. Die Lichtmasse und die weniger ausgedehnten, doch bedeutenden Lichtstellen dürfen an sich dem Dunkeln nicht als greller Contrast gegenüberstehen; abgesehen von den größeren Schattenmassen werden daher allerdings ein- zelne kräftige, nur nicht zu unruhig zersprengte, sondern vermittelte, na- mentlich eben durch jene Ruhestellen zusammengehaltene Schatten die Licht- masse theilen müssen. Es wirken in dieser Richtung auch die flüchtigen Spiele, die man sonst gern „Zufälle“ nannte; die Schatten von vorüber- schwebenden Wolken, Baumzweigen u. s. w., in lichte Stellen sich eintra- gend. Umgekehrt darf es kein ungebrochenes Dunkel geben, ausgenommen die wenigen Körper, welche theilweise rein schwarz erscheinen müssen; die reine Negation des Lichts ist das Ende einer Kunst, welche überall auf- zeigenden Charakter hat und im Aufzeigen zugleich wie alles Schöne har- monisch wirken soll; die schweren, breiten Schattenklötze, dem grellen Lichte gegenübergeworfen, sind rohe Renommage der Manieristen. Im Schat- ten ist also Einzelnes zu beleuchten, sei es durch Streiflichter, welche mit scharfer Punctualität die Bahn des Lichts im Dunkel festhalten, durch spielende Lichter, die sich zwischen Fenstern und Gezweigen hereinstehlen und die Form ihres Einfallspuncts in den Schatten einzeichnen, Durch- sichten aus dem Dunkel in das Lichte u. s. w., sei es durch bedeutendere Theile, welche in die Beleuchtung hereinragen. Zu den verschiedenen For- men der Brechung des Dunkels gehört namentlich auch das doppelte Licht, worüber in §. 244, 2. das Wesentliche gesagt ist. Alle hier erwähnten Mittel des Uebergangs sind nun, obwohl an sich zum Theil von zarter und feiner Art, noch als die stärkeren anzusehen und können relativ selbst wieder starke Contraste bilden. Sie lassen sich allerdings von der andern Art der Vermittlung nicht abstract getrennt denken, mit welcher erst das Zarteste beginnt und worin erst jene Verarbeitung der noch rohen Naturfrische des Gegenstands durch den künstlerischen Geist sich in ihrer ganzen Feinheit zeigen soll; es ist dieß das ganze Reich der unbestimm- baren Abstufungen des Schattens, von denen die Ausdrücke: Halb- und Mittelschatten nur auf Gerathewohl einen ungefähren Theil zu unbestimmter Bezeichnung herausfangen, der Reflexe, des Durchsichtigen, des Helldunkels. Die Bedeutung dieses ahnungsvoll spielenden Zwi- schenreichs ist in §. 243 und 245 ausgesprochen und dann bei einzelnen bestimmten Erscheinungen des Naturschönen, so namentlich bei dem Was- ser das Durchsichtige und der Reflex, wieder berührt; ohnedieß sind alle diese Erscheinungen bei der Farbe erst in ihrer ganzen Wirkung wieder aufzunehmen. Von diesem Gebiete ist nun aber noch die letzte, zarteste Form der Verschmelzung aller Gegensätze zu unterscheiden, jene bestimmte Art von Abdämpfung nämlich, die man Ton nennt: Einzelnes ist noch zu licht, schreit aus seiner Umgebung hervor, Anderes sticht in zu starkem Dunkel ab, der Ton, der sich darüber legt, stellt erst die einheitliche Stim- mung zunächst in den Theilen des Bildes, dann als Hauptton im ganzen Bilde her. Er ist das Geistigste in dieser Sphäre des künstlerischen Verfahrens, die Stimmung ist die Spitze der Behandlung der allge- meinen Medien, die alles Gestaltete umfassen und umfluthen. Die Licht- und Schattengebung hat auch hier das Ihrige noch ohne die Farbe zu thun: heiße, kühle, kalte, heitere, matte, trübe, finstere Stimmung legt sie mit ihren, die Farbe wie eine noch verhüllte Kraft andeutenden Mitteln über eine Scene oder Landschaft. §. 668. Diese sämmtlichen Momente der Licht- und Schattengebung treten nun 1. zusammen mit der Linearperspective und es erzeugt sich aus dieser Verbindung die Luftperspective (vergl. §. 254, 2. ). Es unterscheiden sich im Wesentlichen drei Entfernungsgrade, Vorder-, Mittel- und Hintergrund: ein besonderes, neben den ästhetischen Werth der dargestellten Gegenstände sich legendes Stufen- Verhältniß der malerischen Idealität. Die Wohlordnung eines Bildes, wie sie 2. durch diese Vereinigung von Mitteln dem Raumgefühle die Genugthnung klarer Auseinandersetzung und Zusammenfassung gibt, heißt Haltung. 1. Es ist von der Abdämpfung, den Tönen und dem Gesammtione überhaupt die Rede gewesen, aber noch nicht von dem besonderen Gesetze, wornach in dem Grade, in welchem die Gegenstände sich vom Auge des Zuschauers in die Tiefe hinein entfernen, vermöge der zunehmenden Dich- tigkeit der Luftschichte Alles sich abdämpft. Wir kommen hiermit auf die Linearperspective zurück, die mit diesen Trübungsstufen des Luftschleiers verbunden erst ihre Erfüllung und Ergänzung findet. Es liegt nun in diesen Verflüchtigungsgraden des Körperlichen mit dem schon zu §. 663 berührten Tempo ihrer drei Hauptstufen, den drei Gründen oder Plänen, eine eigenthümliche Form ästhetischer Wirkung. Die Raumferne idealisirt wie die Zeitferne (vergl. §. 380, 1. ); das Zurückweichen nimmt den Kör- pern, den Individuen ihre Erdenschwere, der duftige Schleier führt die Seele sehnsüchtig in’s Weite, in’s Unendliche. Die Deutlichkeit und Schärfe des Nahen dagegen gibt das kräftige Gefühl der geschlossenen Existenz, der Individualität, der Energie des Daseins, der Wirklichkeit. Im Mit- telgrunde liegen beide Empfindungen im Gleichgewicht. Was nun die darzustellenden Gegenstände betrifft, so kommt es auf ihre ästhetische Gel- tung je nach verschiedenen Zweigen der Malerei an. Liegt, wie in der Historie und im Genre, der Nachdruck auf den Individuen, so werden naturgemäß die bedeutenden in das volle Licht und die scharfen Schatten des Vordergrunds und des näheren Mittelgrunds treten, die unbedeutenderen sich in den Hintergrund verlieren. Dadurch entsteht kein Widerspruch mit dem Satze von der idealisirenden Kraft der vereinigten Linien- und Luft- Perspective. Es handelt sich um zweierlei Formen der Idealität, welche, obwohl sie sich in entgegengesetzter Linie bewegen, sich wohl miteinander vertragen. Die Entschiedenheit der Existenz im hellen Strahle des Lichts, der Schärfe des Umrisses und der Kraft des abhebenden Schattens ist zugleich Lostrennung vom allgemeinen, individualitätslosen Grunde des Lebens; dieser muß auch sein Recht haben, wir müssen gemahnt werden, daß die Existenz mit ihrer Kraft auch die Last und Qual der Endlichkeit auf sich nimmt; wir werden von ihrer stark umrissenen Gestalt leise fort- gezogen in die Ferne, wo Alles sich im leichten Aether des Allgemeinen verflüchtigt, Mensch und Thier und Berg und Thal nur noch leicht hin- gehaucht erscheint, aber die befriedigte Sehnsucht nach Auflösung kehrt auch zum Rechte der Existenz, zur Lust am Gesättigten und herb Entschie- denen des Daseins zurück. Es ist ähnlich wie im Drama: der Hinter- tergrund im Bild verhält sich zum Vordergrunde wie das Schicksal zum Heiden; die drei Gründe entsprechen den Acten, denen immer eine Drei- zahl zu Grunde liegt, die sich ebenso natürlich zu einer Fünfzahl erwei- tert, wie sich auch die drei Gründe nicht in abstracter Bestimmtheit unter- scheiden. Anders und einfacher stellt sich die Sache allerdings, wenn der ästhetische Nachdruck mehr auf dem allgemeinen Naturleben, als auf dem individuellen Dasein liegt, wie in der Landschaft. Es sind zwar auch hier verschiedene Verhältnisse der ästhetischen Geltung beider Seiten mög- lich und danach wird sich die Anordnung bestimmen, aber es ist nicht nothwendig, daß der Vordergrund oder nähere Mittelgrund von großer Bedeutung sei, alle Wirkung kann sich in der Ferne concentriren und das Nahe, obwohl natürlich nicht werthlos, doch mehr nur bestimmt sein, durch energischen Gegenschlag die Idealität im Hintergrund in’s Licht zu setzen. 2. Haltung erkennt man einem Bilde zu, wenn Alles auf ihm Dar- gestellte seinen Plan oder Grund deutlich einnimmt, nicht in einen andern sich hinüberdrängt, mit dem, was auf demselben Grund steht, sich über- zeugend für das Auge zusammenräumt, wenn das Ganze der verschiedenen Pläne klar und entschieden vor und zurücktritt, sich abhebt und so ein Werk vor uns steht, das in Beziehung auf die Abstufungen der Tiefe uns die Genugthuung innerer Harmonie gibt. Der Begriff wird deut- lich durch sein Entgegengesetztes, worauf das Wort Haltung weist: ein Durch- und Uebereinanderfallen. Es wirken zu dieser Art der Wohl- ordnung alle bis hieher dargestellten Mittel vereinigt zusammen, die Zeichnung, die Linearperspective, die Lichter und Schatten, vorzüglich aber die Luftperspective. Die letzteren Gebiete haben wir noch nicht erschöpft und doch scheint der Begriff der Haltung dieß vorauszusetzen, ja er be- rührt sich innig mit einer noch viel tieferen Seite, nämlich der inneren Wohlordnung der Composition, deren Erörterung wir erst ganz von Wei- tem vorbereitet haben. Die Sache verhält sich aber so, daß die Haltung auf diese tieferen Eigenschaften zwar hinweist, aber selbst nur den äußern Niederschlag derselben darstellt: die innere Genugthuung, wie sie aus der tieferen Harmonie des ganzen Baus und der Stimmung fließt, verläuft sich in eine Genugthuung für das Raumgefühl, geschöpft aus der An- schauung eines festen Rhythmus in den Taktschlägen der örtlichen Ver- theilung; beides ist nicht zu trennen, wohl aber zu unterscheiden, und da wir von außen nach innen gehen, so fassen wir das Ganze vorher an dieser, nachher erst an der tieferen Seite. §. 669. Das dritte, die beiden vorhergehenden in sich aufhebende Moment, wo- 1. mit erst das wahre und ganze Wesen der Malerei in Kraft tritt, ist die Farbengebung . Alles, was die Licht- und Schattengebung §. 665—668 in sich befaßt, erhält jetzt erst seine Erfüllung. Auch hier treten die technischen 2. Bedingungen, die aus dem Unterschiede des Kunst-Materials vom Natur- vorbild erwachsen, mit der allgemeinen Aufgabe, das Leben der Farbe, wie es in §. 246—253 als Naturerscheinung dargestellt ist, sowohl in Bezug auf die Bedeutung der Gegenstände, als auch an sich zu idealistren, in innern Zu- sammenhang. 1. Zeichnung und Schattirung können sich vom Ganzen der Malerei lostrennen, sind aber doch von diesem, dem Ganzen, aus betrachtet nur Momente, deren Bestimmung ist, in der Farbe aufzugehen; sie sind keine eigentliche Plastik mehr und doch noch keine Malerei; die Farbe soll in sie hineingefühlt werden, ihre wirkliche Erscheinung ist in Aussicht gestellt, aber gerade damit die Abstraction als solche gestanden. Die Farbenge- bung dagegen bedarf allerdings der Zeichnung und Schattirung als ihrer vorausgesetzten Momente, sie hebt dieselben aber ganz in sich auf, so daß sie nicht mehr für sich bestehen, nicht mehr als solche wahrgenommen werden, sie kann aber so wenig ohne sie sein, als Fleisch ohne Knochen, sie kann sich daher nicht isoliren, wie diese beiden, es gibt keine Farben- gebung ohne Zeichnung (mag diese auch nur andeutend mit dem Griffel, mehr mit dem Pinsel im Malen selbst ausgeführt werden) und ohne Licht- und Schattengebung (mag diese auch nur sogleich mit der Farbe, ja zum Theil durch Farbenbrechung allein gegeben werden); darin gerade aber beruht die Bedeutung des Colorits, die Spitze des concreten Ganzen zu sein, denn eine solche kann sich natürlich nicht isolirt neben ihren Unterbau stellen. Uebrigens kann sich dasselbe, worauf wir uns hier nicht weiter einlassen, in verschiedenen Stufen, vom blos andeutenden Tone bis zur vollen Wirkung aller Mittel, bewegen; je unvollständiger die Farbe an- gewandt wird, desto weniger kann sie natürlich die Zeichnung und Schat- tirung resorbiren, sondern zieht ihre dünnen Lagen nur über sie hin und läßt sie durchblicken. — Daß alle die Momente, die schon in der Licht- und Schattenseite zu unterscheiden sind, noch einmal auftreten werden, ist schon zu §. 665, Anm. 1 gesagt; bei jedem aber derselben wird sich zei- gen, daß es nun zugleich ein wesentliches Neues, Anderes ist. 2. Bedeutung und Leben der Farbe ist in der Lehre vom Natur- schönen dargestellt, die wichtigsten Seiten dieses ganzen Erscheinungs- gebiets, die Grundforderungen der Harmonie sind im allgemeinen Umrisse gegeben und überall ist darauf verwiesen, wie auch dieses Schöne ein Zufälliges ist, das auf den Geist wartet, der mit Bewußtsein und Wollen die Reinheit und innere Einheit einführt. Indem wir aber auch hier die Aufgabe der idealisirenden Thätigkeit erst näher und, wie gesagt, ganz parallel mit der Lehre von der Licht- und Schattengebung (§. 665, 2. ) zu bestimmen haben, so schieben wir das, was sich aus dem Unterschiede der technischen Mittel von der wirklichen Farbe ergibt, zunächst auf und heben von den Mängeln dieser Seite des Naturschönen an sich das Wesentliche genauer hervor. Wie es in der Natur zufällig ist, ob mit der innern Bedeutung eines Gegenstands seine Beleuchtung zusammenstimmt, so wird der Zufall auch dessen Farbe oft in Widerspruch mit seiner Natur setzen. Handelt es sich von der Naturfarbe eines Körpers, so kann sie wenigstens durch krankhaften Zustand, augenblickliche Trübung, Grellheit u. s. w. ihre wahre, ursprüngliche Stimmung unvollkommen ausdrücken, aber die äußerlich angelegte und umgelegte Farbe (Kleider, Hintergrund von Zim- mern u. s. w.) ist ja ebenfalls von großer Wichtigkeit und hier kommt zum Zufall noch störende, widersinnige Menschenlaune. Zu der äußerlich hinzutretenden Farbe können wir auch das ganze Gebiet der durch die allgemeinen Medien des Lichts, der Luft, durch Feuer und andere farbige Beleuchtung über ein Ganzes oder größere Theile desselben sich ergießen- den Farben nehmen, die selbst noch wichtiger sind, als die den Körpern selbst eigenen Farben, indem sie ebenso die innere Stimmung einer Mehr- heit von Gegenständen im gewählten Momente ausdrücken, wie die an- geborene, mitgewachsene Farbe die des einzelnen Gegenstands. Dabei ist noch vorausgesetzt, daß der Künstler seinen Stoff in der Natur vor- gefunden und dessen Farbenerscheinung so wie seine anderen Seiten nur künstlerisch umzubilden habe; allein er kann ihn auch aus der Ueberlieferung aufnehmen, kann aus einem Mindesten von gegebenem Stoff ein inneres Bild erzeugen und dabei kann es an speziellerem Anhalte zur Farben- gebung im Vorbild fehlen: es ist ihm überlassen, welche Haut- und Haar- farben, welche Farben für Gewänder, umgebenden Raum u. s. w. er wählen will. Die Frage, ob die Hauptperson oder die Hauptpersonen durch Farbe hervorstechen sollen, führt zum Theil auf die frühere zurück, ob sie durch starke Beleuchtung auszuzeichnen seien; sie ist schon in §. 252, 2. besprochen und im Allgemeinen bejaht, natürlich unterliegt aber auch die- ser allgemeine Satz den Modificationen, die sich theils aus gegensätzlichen ironischen Wirkungen (z. B. Größe im Elend gegenüber glänzender Nichts- würdigkeit), theils aus den Kreuzungen von Farbe und Licht, von Local- farbe und Ton, die wir erst näher zu betrachten haben, ergeben werden. — Die andere Hauptaufgabe nun ist die Läuterung der Farbenwelt an sich. Alle Naturfarbe zeigt in ihrer unmittelbaren Naturfrische eine Grellheit und daneben wieder eine Unreinheit, Stumpfheit, Unentschiedenheit, welche von der Kunst, selbst wenn sie es vermöchte, nicht einfach nachgeahmt werden darf, denn allem Kunstwerke soll man ansehen, daß der rohe Naturstoff im Geist untergegangen und neu erstanden ist. Die unend- lichen Störungen und Trübungen des Moments kommen hinzu; es ver- hält sich mit der Farbenwelt nicht anders, als mit der Formenwelt: die reinen Intentionen der Natur müssen zwischen den Linien ihrer getrübten Verwirklichung gelesen werden. Allerdings zeigt sich in der Einheit der Farbe und Beleuchtung mehr, als in irgend einem Gebiete, der Vorzug der unmittelbaren Lebendigkeit des Naturschönen (vergl. §. 379); Glanz, Gluth, Blitz und strahlenreiches Wechselwirken der Naturfarbe ist uner- reichbar, aber die Natur erkauft sich diese Herrlichkeit eben nur mit jenen Mängeln. Dieß führt uns nun auf die Bedingungen, welche aus dem rein Technischen, aus dem Unterschiede der Nachahmungsmittel vom Vor- bild in ähnlicher Weise wie bei Licht und Schatten sich ergeben. Die Farbe des Naturschönen muß mit einem andern Materiale nachgeahmt werden. Dieses Material hat immer etwas „Grelles und doch dabei Stumpfes“ (vergl. M. Unger. D. Wesen d. Malerei S. 103), freilich in anderer Weise, als dieß oben vom Object ausgesagt ist; es ist die Härte des mechanisch abgesonderten rohen Farb- Stoffes , wovon es sich hier handelt. Die Aufgabe, diese Naturrohheit im Materiale zu tilgen, lauft nun neben der andern, das Grelle und doch wieder Unentschiedene und mannigfach Getrübte im Naturvorbilde zu überwinden, in gleicher Linie, natürlich nicht ohne wesentlichen gegenseitigen Einfluß, fort. Einfach und entschieden aber bleibt, wie das Material der Licht- und Schatten- gebung, so das Farbenmaterial hinter der Lichtkraft der Natur zurück; in seiner Art grell, erscheint es in diesem Puncte doch durchaus matt und todt. Dieß Alles hat denn zur Folge, daß in der Kunst, selbst abgesehen von jener allgemeinen Läuterung des Farbenvorbilds, Manches nothwendig anders erscheinen muß, als in der Natur, Manches gar nicht nachgeahmt werden kann und soll, Alles eine gewisse Umwandlung erfährt, deren inneres Wesen aus dem Ganzen der folgenden Betrachtung sich ergeben wird. §. 670. Die Kunst hat nun für’s Erste dafür zu sorgen, daß (vergl. §. 253, 1. ) die Farbe als einzelne wahr, entschieden, warm sei, daß die Grundfarben ver- treten seien und das Ganze irgendwie eine harmonische Zusammenstellung der- selben enthalte. Ferner sollen die Localfarben nicht zersplittert sein, sondern in klaren Massen zu untergeordneten harmonischen Einheiten zusammentreten. Ab- gesehen von den weitern Vermittlungen soll die einfache Kraft der Farbe sich zum Schmelze läutern. Der erste Satz muß mit ganzem Nachdruck aus der Lehre vom Na- turschönen in die Kunstlehre um so mehr herübergenommen werden, weil streng zu verhüten ist, daß nicht alle die Wege der Mischung, Abdämpfung u. s. w., welche nachher zur Sprache kommen, so verstanden werden, als rede man einer unwahren, verschwommenen, verblasenen Farbe das Wort. Die tiefste, feinste Durcharbeitung unendlicher Uebergänge ist mit der Entschiedenheit vollkommen verträglich. Der falsche Idealismus der Manieristen, und zwar insbesondere in der sogenannten maniera dolce, hat den Farben mit ihrer Wahrheit ihre Entschiedenheit und Wärme ge- nommen, um leichten Kaufs eine Harmonie zu bewirken, welche nur eine scheinbare ist, denn wo die Gegensätze nicht kräftig sind, ist ja gar nichts da, was harmoniren soll. Das Incarnat z. B. ist bei aller Mischung seiner Farben als Ganzes doch ein warmes Roth, die feinste aller Auf- gaben des Malers ist daher nicht erfüllt, wenn er jene Mischung so versteht, daß er uns „grüne Seife“ bietet. Das schwächliche Verdün- nen, Verschwemmen, Verblasen ist zugleich ein Beschmutzen, der matte Farbensinn ein unreiner. Die Dinge sollen in Kraft und Fülle der Be- stimmtheit existiren und aus ihrer geheimen Lebenswerkstätte feurig an das Licht herausglühen; wer das nicht fühlt, trägt aus seinen trägen Sinnen das Bleierne, Verschleimte, Wässerige auf sie über. — Es will nun aber, wie wir schon in der Lehre vom Naturschönen gesehen, das Auge die Farben auch abgesehen von den Gegenständen in ihrer Totalität vertreten sehen. Natürlich kann dieß als Kunstgesetz nicht ausgesprochen werden, ohne daß vorausgenommen wird, was erst nachher ausdrücklich einzufüh- ren ist, nämlich die unendliche Modification des Colorits; so kann also z. B. eine und die andere Grundfarbe als entschiedene Localfarbe auf- treten, die andere aber, welche zu ihrer Ergänzung gefordert ist, nur in feiner Brechung, dagegen in ausgedehnterer Verbreitung als Ton vor- handen sein und so das Auge befriedigen; auch hiefür hat, wenn nicht die Natur es gethan (vergl. §. 253, 1. ) der Künstler zu sorgen. Die Herr- schaft einer Hauptfarbe, wie sie durch Gegenstand und Ton bedingt ist, schließt diese Totalität ebenfalls nicht aus. Mängel individueller Organisation, die sich als Manier verhärten, zeigen im Einzelnen recht deutlich, was Farben- Totalität ist; so gibt es Maler, denen der Sinn für die lichtgesättigte Lebensfarbe des Gelben fehlt: da wird Alles kreidenhaft und spielt sich von dem todten Weiß in’s Graue oder Blaue; bei Andern herrscht ohne Motiv das Ziegelrothe u. s. w. — Die Farben sollen ferner im Ganzen des Bildes so zusammengeordnet sein, daß harmonische Accorde nach dem Farbengesetz entstehen. Der §. sagt: irgendwie, denn hier namentlich ist im Abstracten außer diesem allgemeinen Satze gar nichts zu bestimmen. Am leichtesten begreift sich das Gesetz im Kleinen, wenn sich z. B. der Porträtmaler zu fragen hat, wie er eine blasse oder blühende Blondine oder Brünette zu kleiden, welchen Grund er dem Bild zu geben hat: dort sucht das Auge Blau, sei es für sich oder im Grünen gegeben; ist die Blondine blaß, so wird allerdings in ihrem Teint selbst schon das Grünliche fühlbar sein, dann aber kann es durch ein kräftigeres Grün in Kleid oder Hindergrund bezwungen und das Roth, die Ergänzungsfarbe des Grünen hervorgerufen werden; lebhaftes Braunroth einer Brünette wird durch lebhafte, lichtreiche Farben, gelb, scharlachroth wohlthuend in’s Bläuliche, Gräuliche abgedämpft u. s. w. Solche einzelne Erwägungen sind jedoch nur dürftige Winke. Es durchkreuzen sich unzähliche Beding- ungen, durch welche selbst feindliche Farben sich gegenseitig fördern und heben können. Einzelnes hierüber ist schon im Abschnitt von der Farbe in der Lehre vom Naturschönen angedeutet, wie z. B. der höchst wirksame Gegensatz des dunkeln Baumgrüns und lichtvollen Blaus des Himmels. Die unendliche Möglichkeit von Vermittlungen in der Zusammenstellung schneidet hier jede nähere Bestimmung ab. Von Fr. W. Unger sind Un- tersuchungen in Aussicht gestellt, die das Gesetz der Farbenharmonie in den bedeutendsten Werken der Malerei auf bestimmte Formeln zurückführen, welche sich auf die Analogie der Farben mit den Zahlverhältnissen der Töne gründen. Solche Forschungen können nur lehrreich sein, haben aber die schwere Aufgabe, sich mit der unberechenbaren Freiheit der künst- lerischen Schöpfung über die Grenze des durch Formeln Bestimmbaren auseinanderzusetzen. Sie ziehen einige Linien in ein unerschöpfliches Ge- biet. Sie zeigen eine Reihe von Accorden auf und müssen zugestehen, daß unendlich viele andere möglich sind. Daß der Künstler unmittelbar für die Erfindung daraus lernen könne, kann nicht die Meinung sein und ist es auch nicht. Als Zeichner ist er noch an wissenschaftliche Grund- lagen gewiesen, dieser Führer verläßt ihn im Colorit; die Grundsätze der Farbenlehre bleiben unumstößlich, aber man kann daraus nichts für das Individuelle lernen, weil es unendlich eigene Mischungen hat, vergl. §. 252, 1. Zusammenstellungen wie die von Chevreuil können nur für das Decorative leitend sein und jene tieferen Untersuchungen können nur Rechenschaft über die Farbengeheimnisse einer Reihe von ausgeführten Kunstwerken geben. — Der nächste weitere Punct betrifft das Zusammen- halten der entschiedenen Farben. Die Farbe soll sich nicht in isolirte Klexe zersplittern, sondern wie Licht und Schatten, ihre vollere Local- wirkung in wohlgeordneten Massen zusammenhalten, zwischen welchen dann die unbestimmteren Töne sich in der Breite ergehen. Wie das Ganze eine, nicht mechanische, sondern lebendige Farbenharmonie darstellen soll, so relativ auch die untergeordneten Farbenmassen; mag also z. B. in einem Theil einer Landschaft, einer Waldpartie das Grüne herrschen und die übrigen Hauptfarben in andern Theilen der Composition vertreten sein, so verlangt doch das Auge, der Sinn, die Stimmung, daß in der Baumgruppe das Grüne durch Uebergänge in das Gelb-Grüne, das Blau-Grüne, selbst das Röthliche sich schattire und so der Farbenharmonie genüge. — In diesen Bemerkungen konnte von dem Gebiet der feineren Kreuzungen, Uebergänge, Vermittlungen nicht ganz abgesehen werden, wie- wohl die ausdrückliche Betrachtung desselben noch außerhalb dieser allge- meinen Grundforderungen liegt; es hat jedoch die Malerei selbst in der Zeit der Unreife, wo ihr das Geheimniß der hier zum Voraus berührten verwickeltern Farbenwelt noch verborgen war, den lebendigsten Farbensinn sowohl in der Zusammenstellung, als in der gefühlten technischen Durch- arbeitung der in ihrer noch ungebrochenen Entschiedenheit angewandten Einzelfarben gezeigt: sie hat die Farbe zum Schmelze verklärt. Der Schmelz besteht in einer Durchbildung der Farbe, der ihr das Erdige be- nimmt und ihr ein Leuchten der Oberfläche wie von dem zarten Glanz unendlicher kleiner metallischer Pünctchen verleiht; „der Schmelz ist nicht anders zu gewinnen, als durch eine innigere Verbindung der Farbentheile mit Rücksicht auf den Grad der Leuchtbarkeit der nachzubildenden Erschei- nung, worin ein wesentlicher Theil ihrer Lebensäußerung beruht. — Aus ihm erklärt sich, warum die alterthümlichen Bilder bei aller Ueberschweng- lichkeit der Farbenpracht, zu der sich noch der helle Schein des Goldes gesellt, nicht grell erscheinen“ (M. Unger a. a. O. S. 103). Die reife Kunst verzichtet nicht auf dieses Mittel, sondern bildet es in Verbindung mit der ganzen tieferen und reiferen Durcharbeitung der Farbenwelt, zu deren ausdrücklicher Betrachtung wir nun übergehen, zu noch höherer Voll- kommenheit aus, wie insbesondere die Venetianer gethan haben. §. 671. Ebensosehr aber gilt es für’s Andere, das feinere Leben der Farbe in der Unendlichkeit der Vermittlungen zwischen Farbe und Farbe nachzubilden und in der Belauschung des Naturvorbilds doch zugleich das Grelle sowohl in diesem, als im Farbenmateriale abzudämpfen. Die Intensität des wirklichen Lichts und die Frische der unmittelbaren Lebendigkeit, welche mit dem Grellen in der Natur versöhnt, ersetzt sich in der Kunst durch die Relativität der Wech- selwirkung bei nothwendiger Umsetzung des Ganzen in tieferen Ton. Es ist nun die Welt der Schattirungen und Töne in der Flüssigkeit ihrer unberechen- baren Uebergänge ineinander, das ganze Reich der gebrochenen Farbe zu ent- wickeln und die gesammte Farben-Erscheinung so zu verarbeiten, daß alle Farbe als Kochungsproduct der innern Stimmung des Gegenstands erscheint. Nunmehr tritt der dem vorhergehenden entgegengesetzte Grundsatz auf, ohne daß darum ein Widerspruch entstünde. Die Brechung der Farbe ist mit der Entschiedenheit vollkommen verträglich. Auch dieß erhellt aus keinem Beispiele deutlicher, als dem des menschlichen Incarnats, das wir schon zum vorh. §. für die entgegengesetzte Forderung benützt haben. Das Incarnat (vergl. §. 318, 2. ) ist als „ideelles Ineinander aller Haupt- farben“ (Hegel Aesth. B. 3. S. 71) das berühmte Kreuz des Malers; vermeidet er das Verschwommene und sucht Entschiedenheit der Farbe, wie wir zuerst verlangten, so geräth er von der „grünen Seife“ leicht in das Ziegelroth der „Krebssuppe“ und sündigt so gegen das, was wir jetzt verlangen. Aber die großen Meister haben die Scylla und Charybdis vermieden: in welch’ kraftvoller Gold-Gluth leuchtet das Fleisch bei einem Giorgione und Titian und wie durchdringen sich doch darin wunderbar alle Farben! Zunächst bleibt nun die Natur das nicht genug zu studirende Vorbild des unendlichen Reichs von Nüancen in der Farbe, aber sie stellt neben das Feinste auch das Grelle. Die Aufgabe ist also, diese Grellheit sowie gleichzeitig die rohe Stoff-Härte des Farbenmaterials zu bewältigen. Es wird aus beiden Gründen die Farbe im Kunstwerk immer durchgängig gedämpfter, zurückgehaltener erscheinen, als in der Natur. Wenn diese große Meisterin im Ueberleiten, Vermitteln, Abdämpfen der Farben nicht dafür sorgt, daß nicht aus dem harmonisch Gedämpften da und dort ein greller Ton herausschreie, so stört dieß in ihrem intensiv lebhaften Licht- reiche nicht, im Kunstwerk aber würde es nothwendig stören; wie denn z. B. das erste Grün der Wiesen im Frühling in der wirklichen Landschaft dem Auge höchst erfreulich ist, im Gemälde aber, wo es irgend in einiger Breite sich hervorthun würde, abgedämpft werden muß. Es führt dieß auf einen weiteren Punct, wodurch nun die betref- fende Anmerkung zu §. 669, 2. wieder aufgenommen wird. Wie nämlich die Unerreichbarkeit des wirklichen Lichts schon in der Licht- und Schatten- gebung einen tieferen Ton für das Ganze verlangt (vergl. §. 465, 2. ), so auch bei der Vereinigung von Licht und Farbe; dieselbe Aufgabe kehrt auch hier wieder, aber nun erst tritt sie in ihre ganze Bedeutung ein. So gilt denn auch hier das Gesetz: was an sich nicht zu erreichen ist, das muß durch dasselbe Verhältniß bei anderer Scala erreicht werden: ein Lichtstrahl, ein glänzendes Auge, Wasser im Strahl der Sonne, schimmern- des Metall und Gestein kann nicht in der Intensität wie in der Natur gegeben werden, aber die tiefere Abtonung des Umgebenden, schließlich des Ganzen, stellt die Wirkung in der Relativität der Verhältnisse her. Es ist dieser Punct mit den vorhergehenden nicht zu verwechseln: dort verlangte das wirklich Grelle in der Natur und in den Farbenmitteln eine wirkliche Läuterung, eine Idealisirung im Sinne der Milderung, hier ist es die Unerreichbarkeit der Natur, die zu demselben Grundsatze führt; in der Wirkung treffen diese verschiedenen Motive zusammen. — Auch abgesehen von dieser Seite der malerischen Aufgabe haben wir nun aber als das Vermittelnde im Colorit überhaupt das ganze weite, unbe- stimmbare Reich der Uebergänge zwischen den Hauptfarben, der Schatti- rungen, Töne und ihrer Verbindungen vor uns, das in §. 250, 1. in den allgemeinsten Zügen aufgeführt ist. Dazu ist nur zu bemerken, daß der Ausdruck: Ton in diesem Zusammenhang nicht die tiefere Bedeutung hat, in welcher er sonst aufgetreten ist und wieder auftreten wird, sondern, wie in jenem §., nur die Abstufung eine Farbe gegen Hell und Dunkel be- zeichnet, während unter Schattirung die Uebergänge einer Farbe in die andere verstanden sind. Diese Uebergänge und Töne sind unendlich und verbinden sich gegenseitig in das Unendliche. Zunächst nun wirken diese Mittel überhaupt als allgemein mildernd und finden ihre Anwendung auch auf das Ganze einer Localfarbe, so daß z. B. ein schreiendes Grün mit Gelbroth abzudämpfen ist u. s. w.; sie treffen aber insbesondere zusammen mit der Modellirung, mit den Veränderungen, die der Schatten, motivirt durch die Gestaltung, herbeiführt, und dieß ist hier schon hereinzuziehen, obwohl die Beziehungen zwischen Farbe und Lichtverhältnissen erst in der Folge ausdrücklich zu besprechen sind. Eine Uebergangsfarbe, wie sie da- durch entsteht, daß die allgemeine Farbe eines Körpers, wo seine Bildung vom Hauptlichte sich abwendet und in Beschattung übergeht, nennt man im engeren Sinne des Worts gebrochene Farbe; diese Brechung nimmt im Halbschatten zu, bis der vollere Schatten die Farbe bestimmter verdunkelt, doch nicht, ohne bei runden Körpern gegen den Umriß hin wieder in eine lichtere gebrochene Farbe überzugehen, welche dann dem Auge die Ueberzeugung gibt, daß der Körper plastisch sich in die Tiefe fortsetze: „das Auge wird über die Grenzen des Umrisses hinausgelockt; getäuscht folgt oder glaubt es, der gemalten Figur in ihrer Wendung mit eben der Freiheit, als den gerundeten Werken des Bildhauers, zu folgen“ (Hagedorn Betracht. über die Malerei S. 687). Auch hierin ist beson- ders das Incarnat belehrend. Große Coloristen, wie Titian und van Dyk, haben sogar mit dem bloßen Mittel der gebrochenen Farbe ohne ei- gentliche Benützung dunkleren, Schattenhervorbringenden Materials das Fleisch modellirt. In diesen Uebergängen zum Schatten namentlich liegt denn das vielbesprochene Gebiet der Mittelfarben, Mezzo-Tinten. Das unendlich Schwierige und Feine besteht in den fließenden Grenzen, wo der Punct nicht zu bestimmen ist, auf dem die eine Farbe aufhört, die andere beginnt. Hier vorzüglich wohnt das Geheimniß des Concre- ten, des Individuellen, des Lebens. Die schließliche Aufgabe dieser allge- meinen abtonenden, dämpfenden Behandlung spricht der Schluß des §. aus. Daß die Farbe ihrem Wesen nach ein Kochungsproduct der inner- sten Stimmung des Individuums sei, leuchtet am klarsten an den organi- schen Körpern ein; bei allen andern Erscheinungen müssen wir entschiede- ner das Subjective hinzunehmen, die dunkle Farbensymbolik im menschli- chen Gefühle, vermöge welcher selbst einem solchen Ganzen, das objectiv von keiner eigentlichen Stimmung weiß, eine solche untergeschoben wird. Diese subjective Leihung aber hinzugenommen werden uns selbst Pflanzen, Erde, Luft, Wasser, Licht in ihren Verbindungen als so oder so gestimmte Individuen erscheinen, auf die wir nun ebenfalls den Satz anzuwenden haben, daß ihre Farbe als ein reifes, durcharbeitetes Kochungsproduct ih- rer innern Stimmung erscheinen soll. Nun verschmelzt freilich die Natur selbst ihr Farbenreich in unendlich concreter Weise, aber diese Kochung soll so zu sagen in der Kunst noch einmal gekocht werden, so daß sich das Ganze der künstlerischen Färbung zur Naturfärbung verhält wie die or- ganisch verkochte Farbe der Bedeckungen höherer Thiere und des Men- schenleibs zu dem abstract einfachen Farbenschimmer des Papagais oder Schmetterlings. Und ebendahin führt ja die Aufgabe, das Farbenmate- rial zu bezwingen, daß es nicht wie bei dem bloßen Illuminiren, als „eine an der Oberfläche der Erscheinung selbständig haftende Materie“ (M. Unger a. a. O. S. 125) sich geltend mache. — Haben falsche Idea- listen gegen unser erstes Gesetz (§. 669) durch Abschwächung aller Farbe in’s Matte gesündigt, so spottet umgekehrt nicht nur eine rauhe Härte, von der wir das ziegelrothe Fleisch als Beispiel angeführt haben, sondern auch, freilich in anderer Weise, eine, namentlich in der neueren Zeit ver- breitete, Effectmalerei dieses zweiten Gesetzes; die letztere, indem sie durch eine üppig kitzelnde Pracht der ungetilgten Unmittelbarkeit der Farbe reizt. Lindert und läutert ächte Kunst die Natur, so verachten dagegen diese Schönfärber selbst die Milde und Bescheidenheit, welche sie trotz und neben dem Grellen wirklich hat, und sofern auch sie die Härten im Vorbilde zu mildern sich das Ansehen geben, thun sie es in der Form einer Süßig- keit, die an buntgefärbte Liqueurs und an die Werke des Zuckerbäckers erinnert. §. 672. Ein unendliches Gebiet neuer Uebergänge und Mischungen der Farbe ent- steht nun durch ihre Verbindung mit Licht und Dunkel. In eigenthümlichen Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 38 Weisen bricht sich die Localfarbe im Zusammentreffen mit dem einen oder an- dern derselben, insbesondere, wenn sie an sich schon farbig sind; hieher gehört na- mentlich die Luftperspective, die nun erst als farbiges Medium in volle Wir- kung tritt. Auch die Haltung des Ganzen erhält nur durch diese Mittel der Farbe ihre Vollendung. Verwickelter wird das Wechselverhältniß von Farbe und Licht und Schatten im farbig Durchsichtigen und zugleich Glänzenden; die feinsten Geheimnisse aber liegen in der Durchkreuzung des farbig Hellen und farbig Dunkeln: den Reflexwirkungen im Großen und Kleinen, dem Hell- dunkel. Endlich gelangt erst durch die Farbe und diese ihre Verhältnisse der Ton mit den ihm untergeordneten Localtönen zu seiner wahren, in §. 667 ihm zuerkannten Bedeutung und wird unter allen genannten Momenten das wichtigste zur Bewirkung der Harmonie . Wo von den unendlichen Uebergängen der Farbe die Rede war, mußte die nunmehr ausdrücklich eingeführte Verbindung der Farbe mit den Lichtverhältnissen nothwendig theilweise vorausgenommen werden: wir sahen die Farbe im Uebergang zum Schatten sich brechen. Dieß ist das We- sentliche im Zusammentritt der Farbe mit den Lichtverhältnissen, sofern noch von ungefärbtem Licht und von den einfacheren Fällen die Rede ist. Das Licht, abgesehen vom Schatten, kommt hier nur nach seiner größeren oder geringeren Intensität, wie dadurch Localfarben gesteigert oder herab- gestimmt werden, zur Sprache. Eine neue Welt von Brechungen erfährt nun die Localfarbe durch farbiges Licht mit dem entsprechenden Schatten; anders erscheinen alle Farben im bläulich kühlen Morgenlicht, anders im warmgelben Abendlicht, im Mondlicht, in Feuerbeleuchtung u. s. w. Wir sehen aber auch bei dieser gemischteren Erscheinung noch von dem ab, was nachher unter dem Begriffe der Kreuzung eingeführt wird. Farbig wird das Licht durch seine Verbindung mit der Luft und dieß führt uns wieder auf die Luftperspective, die natürlich nun erst in ihrem ganzen Wesen zur Darstellung kommt: jener nach dem Entfernungsgrade sich ver- dichtende Schleier ist nun als ein farbiger wiederzugeben, der über alle Localfarben sein, je nach der Reinheit oder Unreinheit, Freiheit oder Ge- schlossenheit der Luft in’s Blaue, Graue, Bräunliche wachsendes Netz zieht; das Feine und Schwierige liegt namentlich in jener wolligen Auflockerung, welche in dieser zarten Hülle die Umrisse erfahren; die Zeichnung wird dadurch erst vollends in das Ganze der malerischen Mittel als ein Mo- ment aufgehoben. Mit der Luftperspective wird denn auch die Haltung überhaupt erst durch die Farbe vollendet; die Farbe erst gibt dem in Licht und Schatten derb gegenwärtigen Vordergrunde die letzten „Drucker“, daß er energisch die andern Gründe zurücktreibt, sie erst dem zweiten Plane seine mittlere Kraft, dem Hintergrunde sein zartes Verhauchen und weist jedem Einzelnen mit Bestimmtheit seinen Ort an. Es bricht sich aber durch ihre Verbindungen mit Licht und Dunkel die Farbe nicht nur in der noch einfacheren Weise, daß sie eine Mischung von zwei Farben dar- stellt; es treten auch zwei Farben so in Verbindung, daß sie in der Mi- schung doch zugleich relativ ihre Selbständigkeit behaupten, durcheinander- schimmern. Dieß, das Gebiet des farbig Durchsichtigen, ist bereits eine verwickeltere Erscheinung. Eine Annäherung an das Durchsichtige liegt überall in den Gebieten der feinsten organisch verkochten Farbe, insbeson- dere der menschlichen Haut, die nach den Schwierigkeiten ihrer Behand- lung schon besprochen ist. In gedämpfter Weise zeigt sich das Durchsich- tige auch an todten, künstlichen Stoffen wie Sammt u. drgl.; davon ist ebenfalls schon die Rede gewesen. Es kann nun allerdings zum farbig Durch- sichtigen auch der nicht geschlossene, über Alles ergossene Körper der Luft gezogen werden, dann gehört die Luftperspective auch in diesen Zusam- menhang. Man hat aber bei dem Durchsichtigen namentlich die Körper im Auge, die zugleich glänzen und spiegeln, und obwohl die Stoffe, an denen diese Erscheinung haftet, abgesehen vom menschlichen Auge, das in diesen Zusammenhang der verbreiteten Wirkungen nicht gehört, an sich nur unorganisch sind, so wird doch die künstlerisch läuternde Nachbildung dieses Gebiets geheimnißvoller Reize (vergl. §. 243 und 250, 2. ) von der tiefsten Wichtigkeit, weil namentlich das farbig Durchsichtige und Glänzende es ist, von dem die Widerscheine und die Zauber des Hell- dunkels ausgehen, hiemit aber der feinste Theil der in Rede stehenden Verhältnisse, nämlich ein Herüber und Hinüber, eine Kreuzung, nicht mehr nur des Lichts und Schattens, sondern des farbigen Lichts und farbigen Schattens, beginnt. Es ist hier nicht blos an einzelne, locale Wirkungen dieser Kräfte zu denken, nicht blos einige besonders glänzende Körper werfen das Licht weiter, in jedem lebendigen Bilde webt dieses Geheim- niß durch das Ganze; selbst das verbreitete allgemeine Licht einer Land- schaft ist nicht blos Wirkung der Strahlen an sich, sondern auch der Rück- wirkung der bestrahlten Luftschichte des Himmels. Zugleich bewegen sich aber allerdings farbige Strahlennetze von einzelnen Körpern der genann- ten Art mit gesammelterer Wirkung aus, und nicht nur von diesen, auch das gedämpfter Durchsichtige, ja alles lichtvoll Farbige wirft einen Stich. Gehen so Reflexe und Stiche von unendlich vielen Puncten aus, so drin- gen sie auch nach allen Seiten hin, denn nicht nur den spiegelnden Ober- flächen, sondern allen Körpern theilt der Widerschein in irgend einem Grade etwas von der Farbe des beleuchteten Körpers mit, wie denn z. B. von der blauen, beleuchteten Luftschichte des Himmels ein zartes Spiel bläulicher Reflexe ausströmt und das Incarnat seine röthlichen, gelblichen, grünlichen Lichter wirft. Nun aber mag von solchem reflectirtem Licht 38* ein Wenigstes in eine sehr dunkle Stelle fallen, befindet sich da eine licht- reiche Farbe, so faßt sie es auf und bringt relatives Licht in das Dunkel und umgekehrt verdunkelt sich volles Licht durch lichtarme Farbe, die sich in der beleuchteten Stelle findet: dieß erst ist der Gipfel der magischen Kreuzung der Verhältnisse, hier erst öffnet sich der zarteste Theil jenes Verschwebens von Licht in Dunkel, d. h. des Helldunkels. Es begreift sich nun, wie große Meister von den einfacheren Verhältnissen absehen und vorzüglich auf dieses Geheimniß ihre Kräfte wenden mochten, warum sie es liebten, die einzelne Gestalt oder Gruppe aus einem breiten Dun- kel in das Licht herausragen zu lassen, das nun vom beleuchteten Körper ahnungsvoll in die weiten Gründe verzittert, so daß das Auge in den Massen des Dunkels zuerst nichts zu sehen glaubt, dann die Localfarben erkennt, wie sie mitten im scheinbar dunkelsten Raum relatives Licht be- wirken. Correggio und Rembrandt haben, jeder in seiner Weise, der Eine freundlicher, süßer, der Andere düsterer, geisterhafter diese Zauber entfal- tet. Um dieses farbige Leuchten im Dunkel durchzuführen, wird in solchen Stellen eine relativ dünne Behandlung der Farbe nöthig sein, wogegen bei den Lichtstellen in den höchsten Lichtern der pastose Auftrag immer da- durch begründet ist, daß hier ein Höchstes eintritt, das keiner Durchdrin- gung, keinem Durchscheinen mehr weichen kann. Für die Darstellung des einzelnen Durchsichtigen dient namentlich die Lasur, d. h. die Ueberziehung einer Farbe mit einer andern, welche die erste durchscheinen läßt. — Der Ton endlich bleibt ohne Farbe natürlich nur eine entfernte Andeutung; erst mit ihr vereinigt vollendet er wahrhaft als letzte feinste Spitze die Summe der Momente, aus denen sich das Ganze des malerischen Ver- fahrens aufbaut. Die Brechungen der Farbe durch farbiges Licht, von denen die Rede gewesen ist, rühren im Wesentlichen von ihm her, aber es konnte sich dort ebensogut von vereinzelten Strahlungen handeln; der Ton ist für sich zu betrachten. Die Luftperspective wird durch ihn für das einzelne Bild erst spezifizirt, er hebt die Härten aller Distanzen auf, indem er sich über Alles herbreitet und zwar sammt den Entfernungsgra- den sich steigert oder schwächt, aber doch in allen seinen Unterschieden den gleichen Charakter bewahrt, er vollendet jene Lockerung der Umrisse, er hebt und mildert zugleich die Modellirung, er lindert insbesondere auch die Farbencontraste. Die Localfarben sollen in ihren Contrasten, wie wir gesehen, zugleich eine Harmonie bilden; allein es soll über dieser Harmo- nie, welche durch Wechsel-Ergänzung des Besondern als dessen Summe hervorgeht, eine höhere Harmonie stehen, die vom Allgemeinen, von den Alles umfassenden Medien herrührt. Jede Localfarbe hat ihre Stimmung; diese Einzelstimmungen der einzelnen Erscheinungen und ihrer untergeord- neten Gruppen sollen nun unter eine Gesammtstimmung befaßt werden. Heiter und warm, trüb und kühl, dumpf, heiß, brütend und schwer, kalt und herb, wehmüthig, bang, düster, traurig: das Alles liegt im Tone der bloßen Licht- und Schattengebung nur wie ein ferner Anklang, jetzt legen sich diese Stimmungen mit der sanfteren oder feurigeren Kraft des Bräunlichen, Röthlichen, Gelblichen, Bläulichen über das Ganze. Der Ton kann sich zu starken Farben steigern, aber wenn Feuer oder Sonne ein glühendes Gelb oder Roth über eine Scene oder Landschaft verbrei- ten, so sind es doch nicht blos die brennenden Hauptlichter, sondern es ist noch mehr das unbestimmtere Verschweben dieser Gluth in den nicht unmittelbar beleuchteten Theilen, was den Ton bildet und dieselbe Zart- heit des Gefühls und Pinsels fordert, wie feiner Silberflor einer milden Mondbeleuchtung. Wäre ein auffallend farbiges Hauptlicht schon an sich der ganze Ton, so hätten jene bestechenden Modebilder in Tragantbeleuch- tung, worin besonders das beunruhigende, unkünstlerische Violett nicht ge- spart ist, freilich das Geheimniß des Tons erschöpft. Zu diesem Geheim- nisse gehört nun, daß der Hauptton unbeschadet der Einheit seiner Herr- schaft sich in die untergeordneten Localtöne zerlege, deren Ursache darin liegt, daß die Luft an den einzelnen Stellen theils an sich da geschlossener, gedrängter, dumpfer, dort freier, reiner, heiterer ist u. s. w., theils mit den Localfarben der Gegenstände sich zu eigenthümlichen Farben mischt. Hier ist denn eine Quelle unendlicher neuer Brechungen der Farben. Es ist bekannt, wie das Auge des Kenners an dem dämmernden Tone, den die Meister des Helldunkels in dem Schatten einer Waldstelle, selbst unter einem Tisch, einer Bank einzufangen gewußt haben, sich erfreut. Wir haben eine reiche, verwickelte Kreuzung: der Hauptton soll sich mit den Localtönen, beide sollen sich mit den Localfarben mischen; Localton und Localfarbe sollen durch den ersteren nicht ausgelöscht, sondern zur allge- meinen Weihe gerufen werden. — Es leuchtet schließlich ein, daß vorzüg- lich im Gebiete des Tones die Subjectivität der Auffassung, deren freiere Herrschaft nach §. 659 das Uebergewicht des Subjectiven in der Malerei begründet, zu Hause sein wird; denn der Ton ist ja der Ausdruck der Stimmung, die Stimmung aber ist die des Künstlers, wie sie in das Ob- ject, obwohl nicht ohne Anhalt in diesem selbst, hineingelegt ist. Dieses Auffassen des Objects nach der subjectiven Stimmung des Künstlers kann freilich zur stereotypen Gewaltsamkeit gegen die Wahrheit desselben, also zur Manier im übeln Sinne des Worts führen; allein wenn nur der Künstler, falls er auf wenige Stimmungen beschränkt ist, sich bescheidet, die entsprechend betonten Objecte zu wählen, oder, falls er reicher ist, überall das aus seiner subjectiven Stimmung Mitgebrachte mit der Na- turwahrheit in Guß und Fluß zu bringen vermag, so ist die Objectivität gewahrt; es führen viele Wege in’s Centrum, man kann von verschiede- nen Puncten dieselbe Erscheinung verschieden und doch richtig auffassen; „die Anschauung und die daraus fließenden Consequenzen drehen sich bei der wahren Erkenntniß der Idee der darzustellenden Erscheinung con- centrisch um den Kern der Realität, wobei es gleichgültig ist, ob dem einen Meister gewisse fragliche Stellen bläulich, dem andern bräunlich erschei- nen“ u. s. w. (M. Unger a. a. O. S. 107). §. 673. Dieser Fortgang von der einfachen Farbe zu immer gesättigterer Vermitt- lung ist ein Prozeß, in welchem von der einen Seite die Farbengebung mehr und mehr den Werth ihrer Magie über den Werth der Gegenstände stellt, von der andern Seite die Farbe selbst mehr und mehr bis dahin bezwungen wird, daß sie als solche sich dem Auge kaum mehr zu fühlen gibt. Diese Herrschaft der Farbenschönheit und diese Consumtion der Farbe ist aber auch eine gefährliche Spitze der Ausbildung des Malerischen. Die erste Seite der feinsten Steigerung ist, unter Voraussetzung des glücklichsten Zufalls im Naturschönen, in §. 253, 2. schon zur Sprache gekommen, ihrer ganzen Bedeutung nach aber natürlich an die Kunstlehre verwiesen worden. Es gibt in der Natur allerdings Augenblicke, wo im Stimmungs-Elemente der Farbe und Beleuchtung die Gegenstände fast verschwinden, und zwar nicht nur in der Landschaft, sondern auch in menschlichen Scenen: es kann z. B. über einem tragischen Momente eine brütende Dämmerung liegen, welche bewirkt, daß die Auffassung der betheiligten Personen in einem allgemeinen tiefen Gefühle der Stimmung des Augenblicks nur dunkel mit hinschwimmt. Wenn nun aber die Kunst nicht nur solchen seltenen Momenten vorherrschend nachgeht, sondern auch ohne ein im Object gegebenes Motiv ihren Stoff immer oder doch mit sicht- barer Vorliebe unter diesen Standpunct rückt, so wird die höchste Ausbildung des ächt Malerischen zum Unrecht gegen die Bestimmtheit und Wahrheit des Inhalts, gegen die Würde der Form, welche, obwohl der Ausdruck über sie vorwiegen soll, doch keineswegs verachtet werden darf, gegen die Rein- heit, Richtigkeit, Genauigkeit, den Ernst der Zeichnung. Die Geschichte unserer Kunst wird dieß belegen, sie wird die verschiedenen Wendungen, in welchen durch die Herrschaft des Farbenprinzips auf seiner äußersten Höhe die andern wesentlichen Seiten der Kunst benachtheiligt werden, in ihrem naturgemäßen Verlauf aufzeigen. Hier erinnern wir vorläufig nur an Rembrandt, vor dessen Werken der Zuschauer zwischen Bewunderung der Genialität in Colorit und Stimmung und zwischen Vorwurf gegen eine zur Manier gewordene Auflösung der Würde und Deutlichkeit der Form sich im Schwanken befindet. Allerdings lag solcher Steigerung der einen Seite meist ausdrückliche Opposition gegen die Steigerung der an- dern, gegen unmalerische Geltung des plastischen Prinzips zu Grunde. Der folg. §. wird darauf eingehen, wie die entgegengesetzten Prinzipien sich zu den Momenten des Verfahrens der Malerei verhalten, und die Styl-Lehre dieß weiter durchführen. — Die andere Seite solcher äußersten Verfeinerung des Colorits ist die Consumtion der Farbe. Die Farbe soll, wie wir gesehen, nicht Stoff, nicht selbständige Materie bleiben; der höchste Sieg über diese Stoffartigkeit zehrt in einem zauberischen Ineinander der Farben ihre Besonderheit am Ende so auf, daß sie dem Auge in dem Momente, wo es sie zu fühlen glaubt, wieder entschwindet. Als schlagendstes Beispiel ist auch hier Rembrandt, der Geisterbeschwörer des Helldunkels, zu nennen, der die volle Farbe fast zur bloßen Licht- und Schattengebung verarbeitet, ohne doch ihre Kraft und Saftigkeit zu tilgen. Dieß kann aber auch so nicht wiederkehren; was durch den geheimnißvoll eigenthümlichen Geist eines großen Meisters möglich und gerechtfertigt ist, kann nicht allgemein werden und der nothwendige tiefe Mangel, der damit zusammenhängt, wäre bei Jedem, der nicht jenes Zaubers mächtig ist, welcher mit dem Mangel versöhnt, unentschuldbar. Die herbe Unmittelbarkeit der Farbe kann künstlerisch bezwungen werden, ohne daß doch ihre locale Entschiedenheit in lauter schwebende Ueberleitun- gen und Vermittlungen aufgelöst wird. Was den Inhalt betrifft, so hängt solche Magie mit der Neigung zu einem phantastischen Hexen-Elemente innerlich nothwendig zusammen; überhaupt ist ja diese Behandlung der Farbe nur eine Seite der Uebersteigerung, von welcher vorhin im Allgemei- nen die Rede gewesen ist, sie wird daher auch auf Kosten des Adels der Gestalt gehen, und so dämmert denn bei Rembrandt eine bäurisch wilde Form aus dem Zauberscheine seines Helldunkels, worin die äußerst consumirte Farbe schwül verzittert, wie ein Traumbild phantasmagorisch hervor. Alle diese Erwägungen führen uns nun auf den Hauptsatz, der sie zugleich erläutert und ergänzt. §. 674. Das Wahre in dem Zurücktreten des Gegenstands gegen die Bedeutung der Farbe ist dieß, daß, wie an die Zeichnung das Prinzip der directen Idea- lisirung (vergl. §. 662), so an die Farbengebung das Prinzip der indirecten Idealisirung sich anschließt. Wir haben die Steigerung des Colorits auf jener gefährlichen Spitze, wo sie zur Einseitigkeit wird, aus einer Opposition erklärt und das Prinzip, wogegen der Kampf geht, das plastische genannt. Es ist dieß nichts An- deres, als das Prinzip der directen Idealisirung, das wir mit dem Mo- mente der Zeichnung in innerer Verbindung gesehen haben. Dieses Prinzip muß, wenn die Unterordnung verkannt wird, die ihm der Geist der Ma- lerei auferlegt, zum äußersten Froste führen, und gegen diesen Frost, diese leblose Kälte abstracter Schönheit stützen sich diejenigen, die jenem belei- digten Geiste Recht verschaffen wollen, zunächst auf die Farbe. An diese aber knüpft sich das entgegengesetzte Prinzip. Dieser Satz bedarf nach Allem, was in der Darstellung des allgemeinen Wesens der Malerei entwickelt ist, keiner weiteren Erläuterung. Die Farbe ist es ja, worin das Vorherrschen des Ausdrucks über die Form begründet ist, der Aus- druck aber geht erst dann in die Tiefe, wenn sich in ihm ein relativer Bruch zwischen dem Aeußern und Innern darstellt; die Farbe löst die Brechungen der Form in ihrem flüssig überführenden Medium auf; die Farbe ist die Spitze des Verfahrens, das einen bloßen Schein der Dinge auf die Fläche wirft, wodurch figurenreichere, bewegtere Handlung gegeben ist, in welcher die Figuren die Mängel ihrer Form-Schönheit wechselseitig ergänzen u. s. w. Daher sind denn die Coloristen in der Oppositions- stellung zugleich indirecte Idealisten. Wie aber die geschichtliche Bewegung durch Extreme geht, so verkennen auch sie im Kampfe wieder die Gren- zen. Mit dem Prinzip, das sich mit dem Leben der Farbe verbindet, ist, wie wir gesehen, ein gewisses Maaß des Formen-Adels sehr wohl ver- einbar, und es soll damit vereinigt werden, wo nicht ein bestimmtes Motiv die Einführung des härteren Bruchs in der Gestaltenbildung zu Zwecken des Furchtbaren oder Komischen mit sich bringt. Ebenso wird in der Uebersteigerung der Werth der Gegenstände überhaupt verkannt und hiedurch eine andere Seite des Wahren und Richtigen zum Mißbrauch gewendet. Die höhere Ausbildung des Colorits wird nämlich vorherrschend einer Stimmung dienen, welche die zweite Stoffwelt aufgibt und die ursprüngliche ergreift; denn wenn das ächt malerische Auge die Dinge in allen den Brechungen der Form anschaut, welche sie durch den Complex der Bedingtheit alles Lebens erfahren, wenn zugleich aus der Mitdarstel- lung des Umgebenden, wodurch wir ebenfalls in diese Bedingtheit mitten hinein versetzt werden, voller Ernst gemacht wird, so kann sich diese An- schauung folgerecht nicht mehr im Mythus niederlegen, welcher seine Ge- stalten als absolute Wesen von dieser Bedingtheit losschneidet und sie in reiner Schönheit in eine Art von idealem Raum hineinstellt. Der in- directe Idealismus des Coloristen kann nun im Gegentheil dahin über- trieben werden, daß er, um diesen absoluten Gestalten zu entgehen, statt daß er ihnen real bedingte Gestalten entgegenstellt, lieber gar keine Gestalt mehr gibt, d. h. alle Gestalt, wie wir gesehen, im Nebel des Helldunkels bis zum fast Unerkennbaren auflöst. Das ist aber auch wieder in ge- wissem Sinn mythisch, indem darin der eben gewonnene Boden der Wirk- lichkeit sich verflüchtigt. §. 675. Zusammengefaßt mit diesen Momenten und Consequenzen des Verfahrens, in denen er sich niederlegt, gestaltet sich nun der innere Geist der Malerei zum Stylgesetze mit den in ihm enthaltenen besondern Bestimmungen für die Hauptgebiete des nun in so großem Umfang erweiterten Stoffs. Zugleich aber treten jetzt auch die Grenzen dieser Erweiterung, wie sie aus dem Mangel der wirklichen Bewegung und ihres wesentlichen Ausdrucks, des Tons und Wortes, fließen (vergl. §. 658), deutlich an das Licht. Wir sind also jetzt an dem Punct angekommen, wo das Stylgesetz und die Stylgesetze für die einzelnen Sphären, die es in sich begreift, zur Darstellung gelangen; erst jetzt, denn das Stylgesetz ist das Ergebniß des im ganzen Umfang seines innern Wesens und der äußern Bedingungen seiner Darstellung begriffenen Geistes einer Kunst. Was die nähere Be- grenzung des Umfangs des Darstellbaren betrifft, so wurde diese in der Lehre von der Bildnerkunst früher, nämlich im Abschnitte von der äußern Bestimmtheit, vorgenommen. Diese Anordnung verlangte die Natur einer Kunst, an welcher zuerst ihre große Beschränkung gegenüber dem Umfange des Naturschönen in’s Auge fällt: hier mußte zuerst der Boden des Dar- stellbaren scharf abgegrenzt werden, ehe die Qualität der Darstellung näher erörtert wurde. Die Malerei aber hat das Gebiet des Sichtbaren in allen seinen Hauptgebieten gewonnen, und die einzelnen Beschränkungen, denen ihre Darstellungsfähigkeit dennoch unterliegt, erscheinen nur als die Grenzen dieser Umfangs-Erweiterung, welche zuerst in’s Auge fällt. Da- her bedarf es hier keiner gesonderten vorangehenden Aufzeigung dieser Grenzen, sondern nachdem auf das Bestehen der Grenze überhaupt schon in der allgemeinen Erörterung hingewiesen ist, kann sich das Speziellere den Stylgesetzen anschließen. §. 676. Das Prinzip der indirecten Idealisirung bestimmt sich nun näher zu dem 1. Stylgesetze der Erzielung vorherrschender Tiefe des Ausdrucks durch natura- listische und individualisirende Behandlung der Formen. Die Einheit 2. von zwei Prinzipien, die das Wesen der Malerei in sich schließt, muß sich aber, obwohl das eine zu blos relativer Gültigkeit herabgesetzt ist (§. 657), als Keim zweier selbständiger gegensätzlicher Stylrichtungen erweisen, einer ächt malerischen und einer mehr plastischen. Beide verirren sich jedoch, wenn sie ihr gegenseitiges Recht nicht anerkennen und nichts von einander aufnehmen: diese fällt in Härte, Frost oder körperlose Gedankenhaftigkeit, jene in form- lose Unbestimmtheit, ja Objectlosigkeit oder in das Gegentheil, sei es allzu- scharfe, herbe und unflüssige Wahrheit des Einzelnen bei tiefem Ausdruck, sei es gehaltlose Nachahmung des Wirklichen, die sich weiterhin in das Gebiet der falschen Reize verliert. Die Wechselseitigkeit beider Style ist die Lebensbe- dingung der Malerei; das Ziel, das sie sich immer auf’s Neue setzt, ihre Vereinigung. 1. Der Styl ist der Niederschlag des innern Geistes einer Kunst in einer bestimmten Art der Formengebung. Für die Malerei läßt sich eine andere allgemeine Definition ihres obersten Form-Gesetzes nicht aufstellen, als die, welche der §. gibt, indem er den Begriff des Naturalismus und Individualismus als derjenigen Mittel aufnimmt, durch welche die vor- herrschende Tiefe des Ausdrucks zu erzielen ist. Dieser Begriff ist in der Lehre von der Plastik als Gegentheil des in dieser Kunst herrschenden Formengesetzes bei der Behandlung der menschlichen Gestalt aufgeführt (§. 616). Dieses selbst wurde als das Gesetz völliger und zugleich scharf bestimmter Formen, einfacher, wenig gebrochener, schwungvoller Umrisse bestimmt (§. 614) und daraus die Forderung gattungsgemäß normal ent- wickelter Naturvorbilder und streng idealer Behandlung derselben erst ab- geleitet. In der Lehre von der Malerei aber läßt sich dem so gefaßten plastischen Stylgesetze nichts gegenüberstellen, was ebenso bereits die Qua- lität der Formen näher bezeichnen würde, sondern nur der allgemeinere Begriff des Naturalistischen und Individualisirenden kann mit der Be- stimmung, daß es eben die Erhöhung des Ausdrucks sei, worauf diese Behandlung eben hinzuarbeiten hat, zur Grundformel erhoben werden. Der bewegliche, farbenglühende, die Dinge in der Wärme ihres Natur- hauchs, ihres individuellen Geheimnisses und damit in ihrer innersten Seele erfassende Geist dieser Kunst kennt ja gerade eine strenge Reduction der Formen nicht; wie diese beschaffen seien, läßt sich erst an den Sphären des Stoffs im Einzelnen nachweisen und an die Spitze dieser Nachwei- sung nur ein Begriff setzen, der wenigstens insofern bereits bestimmter ist, als er unmittelbar in Aussicht stellt, daß sich nun in Aufführung der einzelnen Gebiete des Stoffs der nähere Charakter der Formengebung aus ihm ergeben werde, und ebendieß leistet nur der Begriff des Naturalismus und Individualismus, in welchen der noch allgemeinere des indirecten Idealismus hier verwandelt ist. Wenn übrigens in der Lehre von der Plastik diese Bestimmung nur auf die geschlossene menschliche (und thie- rische) Gestalt Anwendung fand, so gilt sie in der Malerei auch für ihren ungleich erweiterten Stoffkreis, wie dieß schon aus unserer allgemeinen Beleuchtung hervorgeht und sogleich bei der Sphäre des Landschaftlichen sich bestimmter zeigen wird. 2. Daß die Malerei die reinere Schönheit der Form darum nicht ausschließt, noch vermeidet, weil sie in irgend einem Maaße durch die Reibung des Mißverhältnisses den Funken des Geistes entlockt, mußte schon mehrfach ausgesprochen werden. Es geht daraus hervor, daß auch im rein malerischen Style noch das Plastische sein eingeschränktes Recht hat; allein damit ist noch nicht in’s Klare gesetzt, daß die reinere, pla- stisch aufgefaßte Schönheit auch für sich zum selbständigen Styl sich aus- bilden werde, es ist das Verhältniß der zwei Prinzipien, um die es sich handelt, noch nicht in seiner vollen Bestimmtheit dargestellt. Ein deutli- cheres Licht fiel auf diesen wesentlichen Punct durch §. 662 und 674; im ersten sahen wir die plastische Auffassungsweise mit der Zeichnung sich verbinden und es entsprang uns bereits die natürliche Folge, daß es in der Malerei eine Richtung geben werde, die sich als directer Idealismus prinzipiell auf diese Seite wirft; der Satz, daß diese Richtung nur rela- tiv berechtigt sei, enthielt auch die Möglichkeit, daß sie diese Stellung ein- geschränkter Berechtigung vergesse; im zweiten §. kamen wir eben her von der Betrachtung einer über seine Grenze hinaus gesteigerten Farben- gebung (§. 673), wir sahen nun, wie an die Farbe das Prinzip des in- directen Idealismus sich anschließt, gaben ihm sein Recht, stellten ihm seine Schranken und fanden den Grund jener Uebersteigerung in einem Kampfe gegen den directen Idealismus der plastischen Auffassung und den Frost, den er in seiner Einseitigkeit mit sich führt. Dieß Alles ist jetzt zusammenzufassen und dahin zu bestimmen: wie die Malerei ihrem Be- griffe nach zwei Prinzipien enthält, das eine herrschend, das andere nur relativ gültig, so bewegt sie sich als lebendige Kunst nothwendig in einem Gegensatze von zwei Stylrichtungen, die wir nun als die naturalistische und individualisirende oder ächt malerische und als die mehr plastische bezeichnen. Ein wahrer lebensfähiger und lebenzeugender Gegensatz ist aber nur da, wo in jedem Glied auch das entgegengesetzte enthalten ist; also muß jede der beiden Richtungen in einem gewissen Maaße die andere in sich aufnehmen; die zweite ist hierin natürlich zu größerer Entäußerung verpflichtet, weil sie die nur relativ berechtigte, die andere die vollberech- tigte ist. Dieses Verhältniß der Gegenseitigkeit ist nothwendig ein beweg- tes: jeder von beiden Stylen ist in beständiger Versuchung, das Recht des andern zu verkennen, jeder von beiden wird durch die Lebenskraft des andern wieder in seine Grenzen gewiesen. Der ächt malerische treibt zur Bewegung, zur Lebenswärme, Realität, zu der Tiefe des Inner- lichen. Der plastische Styl dagegen reagirt, kühlt, mahnt an die Strenge und Gesetzlichkeit. Verkennt dieser seine Schranke, eignet er sich nichts von dem bewegteren Bruche der ächt malerischen Formgebung an, so ge- geräth er, wenn er sich mehr zu starken Formen neigt, in Härte und Schwulst, wenn er dem runderen Fluß der Linie nachgeht, in jenen Frost, von dem schon die Rede gewesen ist. Da die Wärme und Bewegtheit, wohin der andere Styl drängt, nach den Grenzen der Musik und Poesie hin- führt, so scheint es widersprechend, wenn man sagt, der plastische Styl verfalle, wenn er einseitig wird, leicht auch in ein körperloses Dichten. Allein wir haben gesehen, daß die Zeichnung, wie sie das Plastische in der Malerei ist, so auch das Moment der Erfindung, den Begriff darstellt. Da nun in der Musik und Poesie sich die innere Erfindung frei im Elemente der Zeit entfaltet, so ist klar, daß der Styl der Malerei, der die Erschei- nungen weniger in die volle Körperlichkeit herausführt, nach dieser Seite sich leicht muß verirren können. Wir werden an anderer Stelle noch von der Ideen-Malerei reden. Faßt man dagegen an der Musik und Poesie die Leichtigkeit der Bewegung, das Ungebundenere, weniger scharf Umrissene, Schwebende des Tons und der nur innerlich ange- schauten Gestalt in’s Auge, so ist ebenso wahr, daß die entgegengesetzte, ächt malerische Richtung, wenn sie das Wahre der plastischen verschmäht und das Maaß verliert, nach dieser Seite hin in das Musikalische und Poetische sich verlieren muß: sie wird knochenlos, vernachläßigt entweder das Technische der Zeichnung überhaupt oder prinzipiell deren Aufgabe, die Bestimmtheit der Form, geräth daher in das Schweben und Nebeln, endlich in das Objectlose, Leere, wie wir in §. 673 gesehen. Dieß ist die eine Art der ihr nahe liegenden Verirrungen; die andere führt in das entgegengesetzte Extrem, nämlich eine falsche Art der Bestimmtheit. Auch hier scheint ein Widerspruch zu entstehen, wenn wir diese Klippe neben der eben genannten aufführen; allein die Farbe hat, wie wir gefunden, zweierlei Wirkungen: eine auflösende und eine andere, wodurch sie die Schärfen des Naturalistischen und Individualisirenden mit sich bringt. Die Ge- schichte wird zeigen, wie sich eine Schule mehr auf diese, eine andere mehr auf jene Seite wirft. Der Naturalismus und Individualismus in seiner Einseitigkeit kann aber selbst wieder auf zweierlei Abwege gerathen. Er kann sich, wie er soll, mit dem tiefen Seelen-Ausdruck vermählen, aber die Kanten und Ecken der Besonderheit zugleich in einer Härte und Trockenheit ausladen, die aller jener Rundung und Welle entbehrt, welche nur die wohlgeübte Zeichnung und das schöne Formgefühl entwickelt. Er kann aber auch vergessen, daß die Schärfe der Hervorhebung des Be- sonderen in der Malerei nur zum Zweck hat, den geistigen Ausdruck um so wärmer herauszuarbeiten, kann sich mit der Hälfte dieser Aufgabe begnügen und nicht das tiefere, sondern nur das gewöhnliche, triviale Seelenleben darstellen; das Bestreben, die Fülle des realen Scheins der Dinge zu geben, kann ihn in der Einzelheit geistlos festhalten, er läßt den Spiritus weg und klebt phlegmatisch am Boden der empirischen Wirk- lichkeit. Von da bieten sich wieder besondere Abwege: den Mangel tiefen Gehalts, wahrhaft erhebender Wirkung kann er durch die pikanten Reize des Grassen (wovon später) oder des Lüsternen (§. 652 Schluß d. Anm.) zu ersetzen suchen. — Aus diesen Verirrungen erhellt also, daß beide Style sich gegenseitig mitzutheilen, von einander zu lernen haben. Aber nicht nur dieß. Die innere Einheit des Wesens der Malerei, im Ver- fahren dargestellt als Einheit der Zeichnung und Farbe, setzt begriffsge- mäß die wirkliche Aufhebung des Gegensatzes zum Ziel. Jedoch auch das Streben nach diesem Ziel kann die Bewegung nie abschließen: das Erreichte muß selbst wieder als ein nur Relatives erscheinen, selbst wieder auf eine Seite des Gegensatzes fallen und das Streben beginnt wieder von vornen. Dieß Alles wird die Geschichte unserer Kunst in voller Wirklichkeit zeigen; in der That haben wir dieselbe mit dieser Betrachtung vorbereitet, aber ihr nicht vorgegriffen; das Bild dieser gegensätzlichen, das erreichte Ziel der Versöhnung immer wieder in neuen Weisen neu aufstellenden Bewegung ist an sich und abgesehen von den empirischen Fac- toren der Kunstgeschichte die Erscheinung des innern Wesens unserer, im Grunde jeder Kunst, und der richtige Begriff davon ist schon für die Styl-Lehre und die Lehre von den Zweigen eine unentbehrliche Voraus- setzung. — Schließlich noch eine Bemerkung im Rückblick auf §. 532 und 614. Zum ersteren §. ist gesagt: „man drückt durch das Wort Stylisiren eine Idealität der Formenbehandlung aus, von der es fraglich ist, ob sie dieser Kunst, diesem Kunstzweig zusage , ob sie nicht vielleicht in einem gewissen Sinn zu schön , auf Kosten der Individualität schön sei u. s. w.; im andern §. ist gesagt, daß der Styl der Plastik mit dem Begriffe des Styls in seiner intensiven Bedeutung besonders innig und unmittelbar zusammenfalle. Dieß bestätigt sich und findet lehrreiche Beleuchtung in der Malerei. Redet man hier von Stylisiren, so hat man eine Formen- gebung im Auge, die an das strengere Gesetz der Plastik gemahnt, und es kann dieß ein Lob sein, aber der Tadel liegt nahe, weil, wenn man Styl im emphatischen Sinne nimmt, die Malerei eben nicht stylisirt oder doch dem Stylisiren nur eine eingeschränkte Berechtigung einräumt. §. 677. In seiner Anwendung auf die landschaftliche Schönheit fordert dieses oberste Stylgesetz örtliche Physiognomie, öffnet das Reich der Zufälligkeiten, schließt vom Menschenwerke den Charakter des Neuen aus und bindet alle zugelassenen Härten und Formlosigkeiten durch den Geist der Bewegtheit und Stimmung. Der plastische Styl geräth in ermüdende Einförmigkeit, wenn er diese Merkmale von sich ausschließt. Im landschaftlichen Gebiete wird denn das Stylgesetz bereits kla- rer und nimmt Besonderung an. Der ächt malerische Styl wird im Geiste des Naturalismus und Individualismus den localen Charakter in seiner Eigenheit auffassen, das Spiel des Zufälligen aufnehmen, die For- men und Farben lieber in das Härtere, Unruhigere brechen, um nur desto mehr das Stimmungsreiche, Bewegte und Bewegende herauszuarbeiten; er wird daher in einer trüberen, zerissneren Natur heimischer sein, als in einer solchen, die an sich schon eine gewisse Idealität der Formen, Be- leuchtung, Farben darbietet. Der plastische Styl dagegen wird diese Natur vorziehen, die klare Luft, das reine Licht, die edeln Linien der Erdbildung, den classischen Pflanzentypus (§. 279), und er wird den gefundenen Stoff noch weiter im Geiste seines Prinzips umbilden, auf die Regel der normaleren Schönheit reduziren. Die erste Richtung wird wild, formlos, öd, nebelhaft, wenn sie nichts von dieser, die zweite langweilig wie eine Pappelallee, wenn sie nichts von jener lernt oder in sich hat. Unter den Neueren hat Keiner mehr, als Rottmann gezeigt, wie die pla- stische Auffassung sich bis zu einem bestimmten Maaße mit der localen, physiognomischen zu vermählen hat. Der §. hebt ausdrücklich die Aus- schließung des Neuen hervor, denn dieß ist ein besonders instructiver Punct für die Natur des malerischen Styls. Es handelt sich hauptsächlich von Bauwerken. Solche müssen, wenn sie malerisch sein sollen, durch den Einfluß der Elemente und des Gebrauchs Formen und Farben angenom- men haben, wodurch sie wie ein Naturwerk erscheinen. Die nagelneuen Tempel und Paläste in der heroischen Landschaft sind das belehrende Ge- gentheil des malerisch Richtigen. Zerbröckelte, theilweise verwitterte Ober- fläche, altergraue Farbe, feuchter Schimmel-Ansatz, grünmoderiger, roth- bräunlicher, zerriebener Ton geben den geforderten Wurf und Strich der Naturzufälligkeit und ein altes, bemoostes, Binsen- und Schilfbewachsenes, halbzerbrochen triefendes Mühlrad ist gewiß in der Landschaft willkomme- ner, als ein gutes, wohlerhaltenes, ja die Ruine eines Schlosses ist in den meisten Fällen eine größere Zierde für sie, als ein Schloß. Diese Stylregel trägt sich dann auch auf Zimmer und Geräthe über: die male- rische Behandlung muß ihnen den Ton und Charakter des Gebrauchten und Eingewohnten geben, so daß sie die Wirkung machen, daß die Seele des Menschen sich in sie gelegt, ihre Stimmung in sie übertragen habe, wodurch sie zugleich relativ selbständig werden und zu einem stimmungs- vollen Ganzen wie ein Naturwesen mitwirken. Die Lehre von den Zwei- gen wird den Gegensatz der Stylrichtungen ausführlicher darstellen; er beruht auch in der Art der Composition und in der Staffage, worauf wir hier noch nicht eingehen können. §. 678. Allein nicht das ganze Reich des Landschaftlichen ist gewonnen. In vie- len Erscheinungen kann die Malerei mit der Natur überhaupt nicht wetteisern, andere zertheilen und verhüllen mit augenblicklicher Pracht ein Ganzes, dessen bleibende Schönheit der bildenden Kunst wichtiger ist, oder widersprechen dem Gesetze der künstlerischen Durcharbeitung des Colorits, andere tragen überhaupt zu sehr den Charakter des Seltsamen, Vereinzelten, Flüchtigen, um sich im Raume fesseln zu lassen: drei Arten, die sich mannigfach verbinden. Nunmehr treten sogleich in diesem Gebiet auch die Grenzen der Ma- lerei zu Tage, welche freilich ihr ganzes und volles Licht erst erhalten, wenn sich zeigen wird, was Alles die Dichtung umfaßt. Zu der ersten Art unzugänglicher Erscheinungen gehören verzüglich die höchsten Licht- wirkungen, vor Allem der lichtbringende Körper selbst, die Sonne im vol- len Tagesglanze. Zur zweiten Baumblüthe, gestirnter Himmel, erstes Wiesengrün im Frühling. Warum ist denn ein blühender Baum (er träte denn nur halbversteckt zwischen vollem Grün hervor) unmalerisch? Weil die höhere malerische Schönheit der Baumkrone in der Gruppirung ihrer Hauptmassen, im Hauch, Wurf, in der bleibenden Farbe des Grüns liegt, wogegen die Blüthe nur als ein augenblicklicher, diese Grundschönheit verhüllender, in der wirklichen Natur heiterer, in der bildenden Kunst kindischer Aufputz erscheint. Ebenso zertheilen die Sterne das herrliche Ganze des tiefblauen krystallenen Himmelsgewölbes durch unzähliche un- ruhige Glanzpuncte. Man meine nicht, wir thun der herrlichen Erschei- nung unrecht, es handelt sich nur von dem malerisch Darstellbaren; in der Poesie werden wir es anders finden. Das erste Wiesengrün ist ein Hauptbeispiel für solche Erscheinungen, auf welche die Worte des §. sich beziehen: oder widersprechen u. s. w.; wir haben es schon bei dem Colorit erwähnt (§. 671 Anm.): es stört den Charakter des durch den reif ko- chenden Künstlergeist Hindurchgegangenen, Zeitigen, Durchbrüteten, schreit aus der abdämpfenden Harmonie heraus, ist „giftig“. Und so noch viele andere Farbenerscheinungen. Zur dritten Art gehören seltsame Beleuch- tungs-Effecte, frappante Reflex-Wirkungen, worin die Natur fast theatra- lisch erscheint, sowohl vorübergehende, als auch bleibende, wie z. B. die blaue Grotte in Capri und dergl. Die neuere Landschaftmalerei liebt es mit solchem Luft- und Licht-Spectakel zu prunken, selbst ein Rottmann hat oft vergessen, wie ganz seine wahre Stärke im Bleibenden, Großen, Ewigen lag. Wenn einmal die untergehende Sonne in wunderlich zer- fetzten Regenwolken eine phantastische Farbenwelt von glänzendem Roth neben Grau, Grünlich, Blau, Schwefelgelb hervorruft und dieser Brand sich im Meere spiegelt, den Wald in Purpur entzündet, so ist das in der Natur, als Moment in einer Reihe bewegter Momenten, herrlich, aber die bildende Kunst soll es nicht im Raume fesseln. Wir haben in der Bildnerkunst zugegeben, daß Flüchtigkeit des Moments an sich kein Hinderniß der Dar- stellbarkeit wäre, dann aber ein Flüchtiges gewisser Art ausgeschlossen, nämlich Solches, das durch Verzerrung im Uebermaaß des Affects häß- lich wird, und Solches, was nicht eine große, gediegene, weite, naive Seele darstellt, wodurch denn das Gebiet des kleinen Mienenspiels als unplastisch abgewiesen wurde. Dem letzteren entspricht bei allem Unter- schiede das Seltsame und Frappante in der landschaftlichen Schönheit, es erscheint wie ein momentaner Einfall, der nicht das Wahre der großen, weiten Seele der Natur ausdrückt. Mag ein solches Naturspiel auch bleibend sein, so wird uns doch der Begriff des Ausnahmsweisen unver- merkt zu dem des im genannten Sinn Allzuflüchtigen; zum gegebenen Beispiel führen wir nur noch Felsen an, die durch sonderbaren Zufall Menschengesichten gleichen. — Uebrigens leuchtet ein, wie die verschiedenen Ursachen der Beschränkung des Umfangs der Malerei auch zusammentre- ten: frappante Beleuchtungs-Effecte sind zugleich darum nicht nachzubilden, weil die Kunst vergeblich mit der Natur in ihren stärksten Lichtwirkungen wetteifert und die höchste Leistung nur die Kluft des Unerreichten um so fühlbarer macht; ebendieß kommt hinzu bei einem Theile der Erscheinun- gen, die bei der zweiten Art genannt sind, den Sternen nämlich; umge- kehrt trifft der Grund, unter welchen diese zweite Art gestellt ist, daß nämlich Blüthen, Sterne und dergleichen eine bedeutendere Grundlage bleibender Schönheit zudecken und zertheilen, auch zusammen mit dem Grunde, der bei der dritten Art geltend gemacht ist, indem das Sonder- bare die Wirkungsweise der Naturkräfte, die es momentan oder verein- zelt hervorbringen, nicht in ihrer wahren Schönheit ausdrückt. §. 679. Neben den Grundsätzen, welche sich nun für die künstlerische Behandlung der Thierwelt ergeben, entwickelt sich die ganze Bedeutung des malerischen Stylgesetzes im Gebiete der menschlichen Schönheit. Dasselbe fordert, was zuerst die Gestalt überhaupt und ihre nächsten Beigaben betrifft, nicht normal schöne Natur- und Culturformen, die Auffassung und Behandlung wird physiognomisch . Die schärfere Eigenheit und den härteren Bruch der Form, den dieser ächt malerische Standpunct voraussetzt, hat auch der plastische Styl, nur in gelinderer Weise, sich anzueignen. Das Bildniß und die Ge- schichte sind nun in weiter Ausdehnung eröffnet. Es ist insbesondere der Inhalt dieses §., der, abgesehen von der speziel- leren Beziehung auf die Einzelheiten der Form, die er nun erhält, in der nothwendig ausführlicheren allgemeinen Darstellung des vielseitigen Wesens der Malerei mehrfach schon zur Sprache kommen mußte. Was zunächst die Thier welt betrifft, so haben wir schon in und zu §. 654. 655 von der veränderten Behandlung gesprochen, welche sie durch den veränderten Standpunct erfahren muß. Es gilt, die Lebendigkeit des Ausdrucks der Thierseele durch eine Auffassung, die man eigentlich schon hier physiogno- misch nennen könnte, inniger und wärmer herauszuarbeiten. Die Form soll um so viel sprechender werden, als sie ungeregelter, zufälliger, eigen- sinniger sein mag. Hiemit erweitert sich, wie wir gesehen, der Umfang der darstellbaren Klassen, indem der Maler nicht mehr auf wenige schwung- voll compacte Formen der Thierwelt beschränkt ist, aber weder die in Linie und Form schöneren Bildungen, noch die dürftigeren, formlosen hat er zu stylisiren, wie der Bildhauer, ja er soll es nicht. Er wird also z. B. nicht das Fell, nicht die Federn in gewisse regelmäßige Gruppen ordnen, sondern das Freiere, Ungeordnetere, Struppige, Gesträubte u. s. w. mit leichter Hand wiedergeben; die Farbe kommt ja darüber und der dumpfe oder helle, freundliche oder grimmige Blick, die Bewegung, wie sie den augenblicklichen Affect ausdrückt, wird gerade durch dieses freier aufgedeckte Spiel der Aeußerlichkeiten um so wirkungsvoller. Auch das Individualisiren wird stärker, als in der Plastik; man mag einem einzel- nen Hund, Pferd ihr besonderes Temperament ansehen, aus ihrer Er- scheinung herauslesen, was sie Alles als treue Begleiter und Diener eines Herrn wohl miterlebt haben u. s. w.; doch tritt dieß erst bei den höhern Thiertypen ein vergl. §. 295, 1 . — Für das Gebiet der menschlichen Schönheit fällt uns nun nach dem, was insbesondere in und zu §. 654—657 entwickelt ist, das Wesentliche der stylistischen Behandlungsgrundsätze eben- falls reif in die Hand. Die Malerei ist demnach nicht mehr wählerisch in Beziehung auf den Stoff und nicht mehr streng in Rückführung em- pirischer auf reine Formen wie die Bildnerkunst. Gerade der normalste Typus, der altgriechische, wird ihrem Style Schwierigkeiten bereiten; schon in der allgemeinen Darstellung des Wesens unserer Kunst mußten wir hervorheben, daß sehr regelmäßiger Kopf und Gestalt ihrem salzigen, durch Gegensätzlichkeit des Aeußern und Innern gewürzten Wesen als fade und uninteressant widerstreben würde; gerade die bewegtere, sprin- Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 39 gendere Gesichtslinie, die stärkeren individuellen Abweichungen der Gestalt bei den Völkern, die der Grieche insgesammt Barbaren genannt hätte, werden ihm zusagen. Im Profil z. B. haben wir die Bedeutung der graden Linie erkannt, die von der Stirn zur Nase führt. Dagegen zeigt nun eine abspringende Linie an, daß Geist und sinnliches Leben zur Tren- nung neigen, daß die Persönlichkeit also einen Bruch in sich trägt, daß sie also einen verwickelteren, tieferen Prozeß zu vollziehen hat, um zu leben, um harmonisch zu leben, und diesen Ausdruck eben will die Malerei. So ar- beitet denn, mag der Stoff so oder so beschaffen sein, auch die Stylgebung überall nicht auf die verallgemeinernde Durchschnitts-Linie, sondern darauf, daß das Allgemeine in die besondern Formen der Lebensalter, Geschlechter, Zustände, Stände und in die Individualität scharf zusammengefaßt erscheine und aus dem Bruche der Eigenheit um so concentrirter der Blitz des in- nern Lebens herausspringe. Die Runzel des Alters, die Erdfahlheit des Siechthums, die Verkrümmung und Verwitterung durch einseitige Arbeit mag frei zur Darstellung kommen wie die Grille der Naturbildung im Einzel- nen: Stirne, Blick, Handlung prägt ihr den Accent des Geistes auf. Wir nennen diese Auffassung und Behandlung im Allgemeinen die phy- siognomische, d. h. die auf die kennzeichnende, bedeutungsvolle Schärfe der Einzelzüge gerichtete (vergl. §. 338, wo das Physiognomische zuerst noch abgesehen von den Zügen eingeführt ist, welche die Arbeit des Wil- lens der Gestalt aufdrückt). Wie nun mit der Gestalt, so verhält es sich auch mit den Cultur-Formen. Was zunächst den Theil derselben betrifft, welcher die menschliche Gestalt günstig oder ungünstig entwickelt und auf- zeigt, so wird freilich auch die Malerei ohne besonderes Motiv, d. h. wo sie nicht furchtbar und mitleiderregend oder komisch wirken will, auf glückliche und gesunde Zustände in diesem Gebiete nicht verzichten; doch wird sie schon darum weniger strenge sein, als die Sculptur, weil sie ihrem Wesen nach nicht die Vorliebe für das Nackte hat, wie die Plastik. Wir werden hierauf zurückkommen; vorerst ist, was die Behand- lung des Körpers im Allgemeinen betrifft, einleuchtend, daß die Malerei gemäß ihrem naturalistischen Styl-Prinzip Muskel, Sehnen, Adern weit bestimmter in das Einzelne ausdrückt, als die Plastik; scheint es, als ob dadurch die empirischen Bedingungen des Lebens sich zu scharf ausprägen, so ist es wieder der Strom und Lebenshauch, den die Farbe über alles Einzelne hinzieht, wodurch alle Härten sich in den idealen Rhythmus des Ganzen auflösen. Natürlich wirft nun der malerische Zweck das Haupt- gewicht der ästhetischen Geltung auf die vorzüglich sprechenden Theile, Angesicht und Hände ; und an diesen vorzüglich macht das Naturali- siren und Individualisiren, die physiognomische Auffassung sich geltend. Die Haare werden in freierem Spiele der Zufälligkeit behandelt; die Hügel und Senkungen, die Falten und Fältchen dürfen ihr feineres Netz über das Feld des Angesichts ziehen; ein durchfurchter, durcharbeiteter Kopf ist mehr malerisch, als ein glatter, jugendlich blühender. Damit ist natürlich die mikroskopische Behandlung eines Ignaz Denner nicht gerechtfertigt, denn auch in der Malerei hat der Naturalismus seine Grenzen, auch das Hervorheben des Einzelnen unterscheidet wieder zwischen Wesentlichem, Sprechendem und Unwesentlichem, nicht Sprechendem. Daß das Indivi- duelle namentlich im Kopfe seinen Sitz hat, bedarf keiner weiteren Ausführung. Die Hände werden nun in demselben Sinne behandelt und tritt in Anwendung, was zu §. 338 über ihre Formen gesagt ist. Eine solche Contrastwirkung, wie sie in Titian’s Zinsgroschen bis in den Gegensatz der Hände, der gemeinen, rohen, braunen des Pharisäers und der reinen, seelischen Hand Christi sich herunter erstreckt, könnte die Sculp- tur nimmermehr geben. Im Nackten tritt nun aber die Zurückziehung des ästhetischen Nachdrucks auf diese vorzüglich sprechenden Theile noch nicht völlig in Kraft; die Malerei muß, wenn es damit Ernst werden soll, im Wesentlichen die bekleidete Gestalt vorziehen. Mit der geistigeren Behandlung muß auch die Schaam des Geistes an seinem Körper, eine nothwendige Folge seines tieferen Bewußtseins, in der Kunst geltend wer- den und es entspringt ihr daraus unmittelbar das Motiv, eben durch den Gegensatz des Verhüllten die unverhüllten edelsten Theile zu heben. Wir haben von der sinnlichen Wirkung der Farbe in und zu §. 652 gesprochen; es ist natürlich, daß sie in der Darstellung menschlicher Nacktheit besonders leicht in pathologischen Reiz übergeht. Keineswegs kann es darum der Malerei versagt sein, das Wundergewächse des Körpers auch in der Zu- sammenwirkung seines warmen Farbenlebens mit dem Reize der Formen zu enthüllen, ohne darum den Ausdruck höher, als zu einer Stimmung unschuldiger Sinnlichkeit zu steigern; allein das Schwere ist eben, die volle Sinnlichkeit selbst unschuldig darzustellen und durch die Höhe der Kunst jeden Anreiz zur Begierde im Zuschauer vor der Bewunderung des Meisterwerks der Natur niederzuhalten; was ein Titian vermag, das kann nicht Jeder. Es bleibt aber dabei, daß die bekleidete Gestalt der malerischen Auffassung mehr entspricht, und das veränderte Stylgesetz be- dingt nun auch eine andere Art von Gewandung , als das der Plastik: wenn die Formschönheit an sich nicht mehr das Bestimmende in der Auf- fassung ist, so muß die Forderung fallen, daß das Gewand als ein Echo, ein fortgesetzter, vervielfältigter Rhythmus der organischen Bildung er- scheine. Es mag da den Körper härter, schärfer umschnüren, dort will- kührlicher von ihm abschweifen; der Menschengeist, der jenes schöne Gleichgewicht verlassen hat, darf und soll sich auch dadurch ausdrücken, daß er freier mit seinen Umhüllungen spielt; Farbe, Schmuck edler Metalle, 39* Verbrämtes, Gesticktes u. s. w. leiten auch hier das Auge von der Form ab auf Reize anderer Art. Die Faltengebung wird von dem plastischen sich in einer Weise unterscheiden, welche dem entspricht, was im vorh. §. über das malerische Vermeiden des Neuen in Bauwerken und Geräthen gesagt ist; getragener, gebrauchter wird das Kleid sich in ein Faltenwerk legen, das mehr ein bequemes Einwohnen des Menschen in dieß sein nächstes Haus ausdrückt. Allerdings darf dieß nicht zu weit gehen; auch die Malerei muß sich bedeutende Faltenmassen vorbehalten, deren Lauf und Form nicht blos vom Schneider, sondern von der organischen Bildung bedingt ist, nicht durch Zufälle kleinlich zerknittert, sondern kräftig fließend erscheint, und das Anliegende, was im malerischen Styl neben dem frei Fließenden zum Rechte kommt, muß in den Haupttheilen ganz anliegend sein und nicht in verkehrter Weise vom Glied wieder abweichen. Der Maler meine nur nicht, unter der Kleidung Unverständniß der organischen Form und schlechte Zeichnung verstecken zu dürfen; der rechte Zeichner zeichnet auch die bekleidete Figur in seiner Skizze nackt und bestimmt da- nach die Falten. Die freiere Behandlung der Tracht, die trotzdem male- risches Gesetz bleibt, kann im Allgemeinen auch als physiognomisch be- zeichnet werden; noch mehr der bestimmtere Ausdruck, den auch hier noch das Individuelle hinzubringt: wie Einer den Hut aufsetzt, zerknüllt, ver- biegt, wie er den Mantel umschlägt u. s. w. Auch in den Waffen dür- fen sich nun härtere und phantastischere Formen zeigen. — Diese ganze Auffassungsweise gilt nun zunächst dem im engeren Sinne malerischen Styl. Natürlich ist es aber gerade das menschliche Gebiet, worin auch der plastische Styl das ganze Recht seines Bestands neben jenem geltend macht. Wir haben die bloße Relativität seiner Berechtigung, seine Pflicht, ein ungleich stärkeres Maaß des Naturtreuen und Individuellen, als Marmor und Erz es zuläßt, in sich aufzunehmen, erkannt; auch die Styl- lehre kann hier in das Einzelne nicht tiefer gehen, wenn sie nicht zu sehr der Geschichte vorgreifen will. Wir werden sehen, wie sich selbst die antike Malerei, die im strengsten Sinne plastisch ist, doch von der eigent- lichen Plastik unterscheidet; wir werden in reicher Ausbildung den plasti- schen Styl in Italien gegenüber dem ächt malerischen in Deutschland und den Niederlanden sich voller und voller mit seinem Gegensatze schwängern sehen, bis Correggio und die Venetianer an die Schwelle des Uebergangs in den letzteren treten. Bis dahin bleibt jedoch der Gegensatz trotzdem, daß er ein Gegensatz innerhalb des vom Mittelalter überhaupt betretenen ma- lerischen Standpuncts ist, und trotz seiner weiteren Milderung klar und bestimmt. Die Madonnen, die würdevollen Männergestalten der großen italienischen Meister, insbesondere des Raphael, sind in gewissem Sinn plastische Naturen, aber darum keine Götter und Göttinnen; es waltet der reinste Reiz, die streng gemessene Kraft der Linie in den Formen und doch ist Alles malerisch individuell und bewegt; neben den Idealgestalten breitet sich zudem eine Welt von markirten, porträtartigen Charakteren aus, die dem ächt malerischen Style noch viel näher steht, und doch zeigt der erste Blick auf die Deutschen und Niederländer den tiefen Unterschied der Stylprinzipien. — Es leuchtet nun ein, wie ganz anders die Malerei durch ihr Stylgesetz zum Bildniß und zum geschichtlichen Stoffe gestellt ist, als die Sculptur. Kann ja doch ihre ganze Auffassung Bildniß-artig genannt und gesagt werden, sie müsse auch die in direct idealen oder sonst allgemeineren Zusammenhang gestellte Persönlichkeit dem Porträt nähern; zum geschichtlichen Stoffe aber verhält sich das Porträt wie der Baustein zum Gebäude. Wo das Feld der Bildnerkunst sich zu Ende neigt, da beginnt erst in ganzer Breite das Feld der Malerei. §. 680. Doch ist nicht die ganze Thierwelt für die Malerei darstellbar und nicht jede Abweichung vom reinen Typus, Entstellung, Zerstörung der menschlichen Gestalt läßt sich durch die Mittel der Malerei ästhetisch auflösen; auch ein hoher Grad von Mechanistrung der Culturformen bereitet ihr schwere Hin- dernisse. Es ist der Mangel an wirklicher Bewegung und die Unmöglichkeit, von der Gestalt auf den Ton abzulenken, was auch die hier bezeichneten Grenzen steckt. Zu §. 295, 1 . ist berührt, wie der Maler sehr kleine, un- reif gebildete Thiere noch einzeln anbringen kann; eigentlich aber zählt die untergeordnete Thierwelt nur in Massen und hier hat auch die Malerei ein Ende, denn es ist klar, daß sie z. B. mit Insectenschwärmen nichts anzufangen weiß. Bei Wasserthieren kommt hinzu, daß dem Auge das Ele- ment nicht in dem Grade durchsichtig ist, um seine Bewohner darzustellen, wenn auch ihre Gestalt und seelisches Leben so viel Bedeutung hätte, um es zu thun; sie müssen daher, um sie zur Darstellung zu bringen, aus ihrem Elemente gerissen und in anderweitigen Zusammenhang gebracht werden. — Daß Häßlichkeit der Bildung auch in der Thierwelt ein He- bel des Furchtbaren und Komischen werden kann, versteht sich; das Häß- liche der Zerstörung, Auflösung führt der §. der Kürze wegen erst bei der menschlichen Welt auf. Was nun dieß höchste Gebiet des Schönen be- trifft, so gilt trotz dem erweiterten Umfang auch für die Malerei die äu- ßerste Grenze in Aufnahme der Racen, wie sie in §. 324, 2 . bestimmt ist: die stark gegen das Thierische hin abweichenden Formen werden an- ders, als in Contrastwirkungen, nicht zu verwenden sein. Aber auch in der Aufnahme von häßlichen Abnormitäten, Verkrüpplungen, Entstellungen durch Krankheit, gräßlichen Wunden, Tod, Verwesung ist der Malerei eine Grenze gesteckt, wo furchtbare oder komische Wirkung nicht mehr hin- reicht, zu einer Fesslung dessen, was der Dichter rasch an der innern Vor- stellung vorüberführt, auf der ruhenden Leinwand zu berechtigen. Mit dem Krüppel auf einer von Raphael’s Tapeten versöhnt sich das Auge trotzdem nicht, daß er nur der Stoff ist, an welchem die Wunderkraft des Apostels sich geltend machen soll; die Pestkranken in dem Bilde von Gros (Napoleon im Pesthause von Jaffa) gehen weit über das zulässige Maaß des Naturalismus; die Stadien der Verwesung malte nur die Naivetät unreifer Kunst (z. B. Orcagna im Campo Santo zu Pisa) und das Zu- halten der Nase, wie es oft bei Darstellungen der Auferweckung des La- zarus vorkommt, fixirt im Bilde des Eckels den Gestank, der in einem ästhetischen Ganzen nur momentan und nur in der innern Vorstellung auszuhalten ist, es erregt durch Vormachen des Eckels gerade unsern Eckel. Nicht ebenso ein Fehler der Naivetät ist es, wenn ein moderner Maler zwei Leichen Enthaupteter mit einer zwar sparsamen, doch durch furchtbare Wahrheit schneidenden Bloslegung des Grassen im Mittelpuncte eines historischen Bildes vor uns hinlegt. Man darf solche Darstellung des Todes nicht an sich angreifen, sondern nur den Grad des Anspruchs, den sie im Ganzen des Bildes macht; es mag da an solchen Theilen, welche uns durch erhebenden Ausdruck mit dem Grassen versöhnen, nicht fehlen, wenn sie aber nicht in der Stärke vortreten, daß sie es in den Hintergrund drücken, so ist das ästhetische Gesetz verletzt, zumal da man nicht einen Nachschimmer des hohen Friedens in solche Leichname legen kann, wie in den Leichnam Christi. — In der Tracht haben wir die Ma- lerei ungleich weniger wählerisch gefunden, als die Sculptur, doch auch bereits Forderungen gestellt, aus denen hervorgeht, daß die Bekleidung, die unter dem Scheine, dem Körper zu folgen, ein falsches Bild seiner Glieder gibt, d. h. die moderne, auch für sie ein Kreuz sein muß. In einem ernsten Bilde ist sie kaum, in einem ernsten, das zugleich monumen- tal ist, gar nicht zu brauchen. Aehnlich verhält es sich mit den phantasie- losen Formen der Geräthe u. s. w. und im höhern Gebiete der Cultur- formen mit der Abtödtung der geselligen Lebendigkeit in der Erscheinung des Menschen selbst. Freilich stellt sich dieß anders in der komischen Gattung überhaupt und speziell in der Caricatur; aber der Spott auf das Unästhetische ist eben gerade die Verurtheilung desselben vor dem Fo- rum der höheren Kunstaufgabe. §. 681. Wie die Malerei überhaupt von einem Geiste der Bewegtheit durchdrun- gen ist, so wird sie im ächt malerischen Styl auch die wirkliche Bewegung mit Vorliebe entfalten, wogegen der plastisch malerische neben dem Bilde statua- rischer Ruhe, das ihm zwar vorzüglich zusagen muß, wohl auch reiche Bewe- gung darstellen wird, doch so, daß sie von jener als einer in sie herüberwirken- den Kraft gehalten ist. Beide aber haben die Behandlung zu vermeiden, welche sich für die Bildnerkunst aus dem einzuhaltenden Gleichgewicht ergibt. Der malerische Styl ist bewegt auch ohne eigentlich dargestellte Bewe- gung, wie der plastische ruhig ist mitten in der Bewegung. Im Ueberschusse des Ausdrucks über die Form liegt an sich eine gewisse Unruhe des Ver- hältnisses, die sich der ganzen Haltung des Dargestellten auch in der Ruhe mittheilen muß. Es ist ein Zittern, Strahlen, Wallen von innen heraus, ein Fluthen des Lebens über die Ufer der festen Form, wie ja hier die ganze Natur ein wogender, bebender Schleier ist, aus welchem eine Geister- welt hervordämmert, hervorblitzt. Man betrachte nur die ganz ruhig ge- haltenen Porträts eines Rubens, van Dyk, Rembrandt: sie haben alle den geistreichen Wurf der Bewegtheit, als haben sie sich eben hergewen- det, als schwebe eben ein Wort auf ihren Lippen; aber die Landschaft selbst in ächt malerischer Behandlung sieht aus, als wollte sie eben etwas sagen, oder als gebe sie ein Räthsel auf und halte seine Lösung noch zu- rück. Aus diesem allgemeinen Charakter der Bewegtheit folgt denn auch, daß die Malerei die wirkliche Bewegung (die sie ja in jeder Ausdehnung wiederzugeben durch ihre Mittel befähigt ist, vergl. §. 651) ebenso prinzi- piell darzustellen liebt, als die Bildnerkunst die Ruhe. M. Angelo ist malerisch in der Bildhauerei, weil er allen Figuren den bewegten Wurf gibt, er ist sculptorisch in der Malerei, weil er die Form, insbesondere den Muskel, über das stellt, was die Farbe ausdrückt, allein die tiefe Be- wegtheit und der Sturm der wirklichen Bewegung, der durch seine Ge- mälde braust, weist ihnen dennoch ihre Stelle wieder entschieden im ma- lerischen Gebiet an. Er kennt aber auch eine großartige Ruhe, wie seine Sibyllen, Propheten, Vorfahren der Maria bewiesen: jene Stärke des Formprinzips und diese statuarische Ruhe lassen trotz der übrigen Bewegt- heit keinen Zweifel, daß er zur plastisch malerischen Richtung gehört. Dieß Beispiel hat uns denn auf den Gegensatz des ächt malerischen und des mehr plastischen Styls geführt, wie er auch in diesem Gebiete sich aussprechen muß. Allerdings liegt es tief im Wesen des letzteren, daß er die statuarische Ruhe edler und charaktervoller Gestalten liebt, aber es fließt auch streng aus dem Wesen der Malerei, daß man nicht ebenso wie im Gebiete der Gestaltenschönheit an sich einen geschichtlichen Styl nennen kann, der so sehr sein Höchstes in der plastischen Ruhe geleistet hätte, daß er sich mit dem eines Phidias vergleichen ließe, welcher zwar auch in rei- cher Bewegung sich ausgebreitet, aber seinen Triumph in majestätisch ruhi- gen Göttergestalten gefeiert hat; Raphael, der zwar die florentinische Zeich- nung, die umbrische Innigkeit des Ausdrucks und der Farbe in sich ver- einigt, aber doch den Nordländern gegenüber auf der plastischen Seite steht, ist in gleicher Ausdehnung Meister der feurig bewegten Handlung wie er im seinen heiligen Familien und im oberen Theile seiner Disputa als der reinste Maler der idealen Ruhe verklärter Gestalten erscheint. Vergleicht man jedoch die Bewegtheit, die auch der plastische Styl entfal- tet, mit dem brausenden, sausenden Geiste eines Meisters im streng male- rischen Style, wie Rubens, so erkennt man, daß dort mitten in der stärk- sten Bewegung selbst ein dämpfender Regulator wirkt, eine Haltung in- nerer Gewichtigkeit, die aus dem Bilde der wirklichen Ruhe herüberge- nommen ist, ähnlich wie in der Bildnerkunst, ein gemessnerer, breiterer tenor, während umgekehrt, wie wir gesehen, jener andere Styl mitten in der Ruhe einen bewegten Wurf hat. Gerade aber im sculpturähnlichen Bilde der wirklichen plastischen Ruhe zeigt sich nur um so bestimmter der Un- terschied von der Bildnerkunst. Jetzt nämlich leuchtet auf concrete Weise ein, daß in der Malerei nicht mehr die Rede sein kann von jenem feinen Herüberwirken der Rücksicht auf das empirische, materielle Gleichgewicht in die Darstellung (vergl. §. 649, 2 .). Gemalte Figuren, welche so behan- delt sind, drohen gerade zu fallen, weil sie das, was sich hier von selbst versteht, ausdrücklich hüten zu müssen scheinen. §. 682. Der malerische Ausdruck hat nun die ganze reiche Welt von Erregun- gen, Eigenschaften und Zuständen, welche auf dem Boden der in sich gegange- nen, aus der naiven Einheit mit ihrem Sinnenleben und der umgebenden Welt gelösten Subjectivität (vergl. §. 652—655) sich erzeugt, spezieller zu entfalten. Das Gebiet der Phystognomik kommt jetzt in dem vollen Sinne von §. 340 zur Darstellung. Diese Auffassung des Seelenlebens spricht sich in den feineren Mitteln der durchgeführteren Gebärdensprache, des kleinen Mienenspiels, der Behandlung des Auges und der Gesichtsfarbe aus; durch dieselben verdoppelt sich die Wirkung der über den ganzen Körper ergossenen Bewegung des hefti- gen Affects, der auch in seinem stärksten Grade nicht ausgeschlossen ist. Doch ist die Malerei mehr auf die Darstellung gemischter, als einfacher Affecte ge- wiesen. An dieser Vertiefung und bunteren Brechung muß auch der Ausdruch schlichter Einheit mit sich und naiver Sinnenheiterkeit, wie solche dem mehr bildnerischen Style zusagt, sich betheiligen. Die Lehre vom Styl hat, nachdem in der allgemeinen Darstellung die wesentlichen Grundlagen entwickelt sind, auch hier nur die concreteren Ergebnisse zu ziehen und so den Gegensatz gegen die Styl-Aufgabe der Bildnerkunst (vergl. §. 605, 1 . 624) in volles Licht zu stellen. Wir ha- ben gesehen, daß die Malerei es mit der in sich concentrirten Subjectivi- tät zu thun hat, die sowohl innerlich aus ihrem eigenen Sinnenleben, wie auch als ganze Persönlichkeit aus der substantiellen Einheit mit der sitt- lichen Welt des Volkes, Staates sich zurückgenommen hat und diesen Bruch wieder in Versöhnung aufhebt oder zum Bösen steigert oder in un- endlichen Formen halbgelöst in sich trägt. Es ergibt sich hieraus nun im Bestimmteren zunächst überhaupt eine ganze Welt von Stimmungen, Affecten, Eigenschaften als Aufgabe für die malerische Behandlung des Ausdrucks, die wir als unzugänglich für die Plastik erkannten. In treff- licher Weise, nur zum Theil schon mit zu bestimmter Beiziehung des ro- mantisch religiösen Ideals hat Hegel diese Welt dargestellt (Aesth. Th. 3 S. 31 ff.) Die Plastik kann nicht darstellen die Schaam im tieferen Sinne, wie sie auf dem Bewußtsein ruht, das der zu sich gekommene Geist von den thierischen Bedingungen seines Leibes und deren Fortsetzung in den Trieben der Seele hat; sie kann nicht darstellen ein tief, mystisch versenktes Träumen und Brüten in sich oder das Gegentheil, eine augen- blickliche, leicht spielende Zerstreutheit; nicht die Welt der Liebe, wie sie dem innerlich gewordenen Menschen aufgegangen ist, sei es Geschlechter- liebe, Menschenliebe, Versenkung in das Meer der ewigen Liebe, Andacht; auch nicht die unendliche Welt der Schmerzen, durch welche ein Gemüth kann hindurchgehen müssen, bis es den Kampf zwischen dem Trotze seiner Subjectivität, die ein Unendliches für sich sein will, und der Sehnsucht, sich an ein Anderes, sei es Geliebte, Freund, Menschheit, Gottheit, auf- zugeben, durchgekämpft hat; nicht die Hölle der Reue, Zerknirschung, die tiefe Wehmuth, das unendliche Seelenweinen; nicht einen Sturm des Lei- dens von außen, das seine ganze Bedeutung erst erreicht, indem es zum innern, unendlichen Leiden wird, gegen das nun der Geist seine reine Willenskraft, seinen geheimen Schatz von Liebe, von Glauben an die Idee aufbietet, aber auch nicht die Seligkeit in der Hingebung, im Sieg, in der Versöhnung; sie kann das beharrende Sträuben des Eigenwillens, die Formenwelt des tief innerlichen Trotzes, Hasses, die hämische List, die Wildheit und die geheime oder offene Verzweiflung des Bösen nicht in den Marmor graben; sie kann etwas von dem Allem, aber immer ohne die aus der vertieften Form des Bewußtseins erst entspringende Resonanz der innern Unendlichkeit. Für diese neue Welt des Ausdrucks bietet nun der malerische Styl das ganze feinere System der Mimik und Physiognomik auf, das die breiter ausholende Bildnerkunst kaum an den Grenzen berühren kann: der Physiognomik, welche jetzt nicht nur die an- gebornen Züge, sondern auch das ganze Feld ihrer Veränderungen zum Gegenstand hat, die aus dem Innern fließen und sich mit dem Angebo- renen durchdringen, — wobei wir nur vom Gesammtbilde der Züge, wie sie sich zum Charakter zusammenschließen, vorerst noch absehen. Jetzt, da die Farbe mitwirkt, kann ein Ruck, die Spannung oder Schlaffheit eines Häutchens, ein Fältchen die tiefsten Veränderungen im Ausdruck hervor- bringen. Insbesondere tritt nun der Mundwinkel, die Parthie um das Auge, das Auge selbst in seine volle Bedeutung; das Spiel der Hände wird im feineren Detail geltend. Man bedenke u. A., wie der böse Wille im Ganzen und Großen seiner mimischen Erscheinung, eben dem Gebiete, das der Plastik allein offen ist, sich beherrscht, dagegen nun in diesem fei- neren Theile die lauernde Bosheit und Gemeinheit sich verräth; wie spre- chend ist z. B. das niederträchtige, feine Falten-Netz am äußern Augen- winkel des Pharisäers auf Titian’s Bild vom Zinsgroschen! In Leonar- do’s da Vinci Abendmahl treten uns auf den ersten Anblick lauter glän- zende Augen, gesticulirende Hände entgegen. Bei dem Auge wirkt nun namentlich auch die Art, wie seine Höhle heller gehalten oder in Schat- ten gestellt wird; durch die Schattenstellung haben namentlich Pietro Pe- rugino, Fra Bartolomeo den ihnen eigenthümlichen Ausdruck, jener die tief verschleierte, wehmüthig selige Dämmerung des Gefühlslebens, dieser die prophetische Verzückung erzielt; Raphael hat in der sixt. Madonna durch grünlich dunkelnde Schattenringe um das Auge und überhaupt durch eine unsagbare und doch mit den wenigsten Mitteln ausgeführte Behand- lung dieser Parthie den doch so menschlich gesunden, in unbefangen vollem Dasein athmenden Köpfen ein süßes, wunderbares, himmlisches Kranksein gegeben: aus dem innersten Himmel so eben herschwebend zu den Heili- gen, die für ihre Gemeinde auf Erden Schutz erflehen, scheinen sie sagen zu wollen: kein irdischer Name nennt, keine Lippe kann stammeln, was Herrliches wir schauen; verzehrt ist unser Irdisches und doch lebt und schwebt es in Wundern der Verklärung! — Die Wirkung des Auges selbst, des Weißen, des Sterns, des Lichtpuncts wird eben durch diese Behandlung des Umgebenden erst vollendet; die unendliche Welt von Un- terschieden des Ausdrucks, wie sie in diesem Focus der Ausstrahlung des innern Lebens liegt, entzieht sich nun aber jedem Versuch einer auch nur ungefähren Verfolgung des Einzelnen. Man bedenke die zahllosen Arten und Abstufungen der Färbung, Reinheit, Durchsichtigkeit der weißen Haut und der Iris, der Lichtheit, Schärfe oder Trübe des Lichtpuncts, des gramvollen Erlöschens, des kraftvollen Aufleuchtens, der Drehungen des Apfels nach den Seiten, seines Herausquellens, Einsinkens, man be- denke, wie sogar eine mäßig ungleiche Stellung der Augäpfel dienen kann, den Ausdruck eines tiefen Insichseins hervorzubringen, das sieht, ohne zu sehen, (der altdeutschen Schule ist dieses absichtlich gegebene feine Schielen durchaus gemeinsam); oder wie eine unbestimmte, zerflossene Art, den Rand der Iris zu behandeln, in den visionär aufgefaßten Gestalten des Fra Bartolomeo wesentlich den Eindruck eines verzückten Rotirens der Augen unterstützt. Auch über die Haare ist hier noch zu bemerken, wie ihre nähere Textur, Gerolltheit oder Straffheit, Fülle oder Dünne bis zur Kahlheit bei dem Ausdruck der Stimmung und Zustände mitwirkt; äußere Motive können hinzugezogen werden, wie z. B. bei Pietro Perugino öfters ein sanfter Wind, der von den verklärten, goldenen Höhen, aus denen himmlische Gestalten niederschauen, herweht, die obersten Löckchen sehn- suchtsvoll aufblickender Menschen oder der herschwebenden Engel leicht aufwühlt: ein Motiv von eigenthümlich stimmungsvoller Wirkung; auch Raphael hat es öfters, namentlich bei dem Christuskinde auf dem Arm der sixt. Madonna. Endlich ist nun der malerische Styl auch an Tönen des Colorits, wie es sich über den ganzen Körper, vorzüglich aber über das Angesicht verbreitet, unendlich reicher, als es dem gröberen Auge scheinen mag. Erblassen und Erbleichen sind gegenüber dieser Welt von Unterschieden noch einfache Gegensätze. Das äußerste Leiden der Seele und des Leibs z. B. zieht unbeschreibliche Schauer von grauen Tönen um Auge und Schläfe zusammen, verbreitet sie über die ganze Haut; die Gemeinheit hat ein fahles Erdcolorit, der Seelenadel eine klare Durch- sichtigkeit, frohe Sinnenlust eine Blutwärme, die wieder in zahllose Nüan- cen sich theilen kann. — Wenn nun die Malerei mit diesen feinen Waf- fen ihre tiefen Wirkungen hervorbringt, so hat sie darum nicht das schwere Geschütz der durch die ganze Erscheinung heftig ergossenen Bewegung des Affects zu meiden, vielmehr fallen ja auch hier, nachdem schon gezeigt ist, wie sie die gewaltsamste sinnliche Bewegung abgesehen vom Ausdruck ent- falten darf, die Schranken, welche der Sculptur gesetzt sind: sie hat nicht mit so strenger Form, wie diese, in der Excentricität der Leidenschaft den Schwerpunct des Charakters zu hüten, sie kann ihn retten durch einen bloßen Blick, ja durch den beruhigend ruhigen Ausdruck einer zweiten, dritten Gestalt. Doch liegt der Unterschied vom Style der Bildnerkunst nicht sowohl im Maaße der Bewegung im Ganzen und Großen; wir haben an einem Laokoon gesehen, was diese wagen darf; er liegt viel- mehr in der Verbindung der kleinen Bewegungen mit den großen, in der Spezialisirung der letzteren. Der Krampf der Wuth oder des Leidens erreicht seine Furchtbarkeit erst, wenn er jeden Nerv durchbebt, das An- gesicht in einen Schlangenknäuel von Einzelfalten zusammenzieht, aus dem Auge wie ein Bündel von Pfeilspitzen oder ein gebrochner, dünner Strahl unendlichen Flehens blickt. Im Besitze dieser vielfältigen Mittel wird die Malerei jedem Affecte, so stark er sein mag, die Gestalt der Einfachheit nehmen und ihn in ein volles Concert von Tönen verwandeln, sie wird aber auch wirklich die Erscheinung jener Affecte aufsuchen, in welcher sich nicht nur Verschiedenes, sondern selbst Entgegengesetztes durchdringt: sie wird die Widersprüche der psychischen Verwicklung suchen, die Momente, wo Bescheidenheit und Stolz, Angst und Zorn, Zweifel und Entschlossen- heit, kurz jedes scheinbar unvereinbare Paar, begleitet von einer Welt ver- wandter Empfindungen sich im Gemüthe begegnet. Die Kreuzungen sind hier im Ausdruck ebenso zu Hause, wie im Colorit. — Der Gegensatz der Style spielt nun seine Rolle natürlich in voller Stärke auch auf diesem Gebiete. In dem Bilde einer naiveren, ungetheilteren, harmloseren Menschheit, wie es uns aus der Behandlung des Ausdrucks im plastisch malerischen Styl entgegentritt, wird jene Kleinwelt der Mimik und Phy- siognomik, die der streng malerische so wirksam anwendet, gegen die we- sentlichen Grundzüge zurückstehen, in engerem Maaße ausgebildet sein. Er wird eine Stelle einnehmen nicht ganz in der Mitte zwischen der an- tiken Schauspielkunst in der Maske und der modernen, die jeden Zug der wirklichen Persönlichkeit mit allen seinen Einzelheiten in Bewegung setzt, sondern um ein Weniges der ersteren näher. Man wird den Eindruck von seinen Gestalten und Köpfen empfangen, daß, verglichen mit dem Werke der Plastik, doch der Ausdruck der augenblicklichen Möglichkeit eines Bruchs der ruhigen, auch in der Leidenschaft unverlorenen Harmonie da sei, den aber die natürliche Anmuth und die einfach gediegene Würde auf der Schwelle stetig zurückhalte. Diese Anmuth und Würde wird sculptur- ähnlich und doch verglichen mit der wirklichen Sculptur ungleich inner- licher sein. Die Anmuth wird auf ein tieferes, innigeres Wohlwollen, auf eine universalere Menschenliebe hinweisen, denn der Blitz des Geistes kommt in der malerischen Darstellung immer aus Tiefen, die weit über die Besonderheit vereinzelter Kreise des Weltganzen hinausreichen; selbst im Gebiete des harmlosen Lebens, im Glück der Natur wird aus den Augen einer sinnenfrohen Menschheit eine Erwärmung des tiefsten See- lenlebens, eine Seelenfreude leuchten, die uns doch ankündigt, daß es hier auch eine Sehnsucht und einen Schmerz gebe, die einer Aphrodite, einer Bacchantin fremd sind; die männliche Würde aber wird uns durch ihr Sinnen und ihre Falten von andern Kämpfen erzählen, als die Feldherrn, Staatsmänner, Redner der plastischen Welt; und entfesselt der plastisch auffassende Maler den Sturm der Leidenschaft, so wird er wohl einfacher sein, die gemischten, scheinbar widersprechenden Affecte lieber meiden, aber doch wird auch aus den weniger in’s Einzelne durchgeführten Zügen ein inneres Unglück, eine Empörung der Tiefe blitzen, die der Meisel nicht kennt. §. 683. Die Malerei hat aber auch in diesen Gebieten ihre Grenze. Sie soll heftige sinnliche Bewegung nicht mit Absichtlichkeit aufsuchen, die Leidenschaft nicht zu Formen des Ausbruchs steigern, welche nur durch Mitwirken des furchtbaren Tones und der wirklichen Bewegung erträglich sind. Sie kann durch die Mittel des Ausdrucks überhaupt keine Seelenthätigkeit darstellen, die nur durch Worte verständlich ist, sonst verirrt sie sich in die Dichtung oder sogar über das Aesthetische hinaus in das Gebiet des Wahren. Auch Empfin- dungsmomente, welche sich in die Innerlichkeit des Tons und Worts zurück- ziehen, kann sie nicht fesseln, ohne sich in den Bereich der empfindenden Phan- tasie zu verlieren. Die Verirrungen, welche der Malerei nahe liegen, sind zu §. 658 im Allgemeinen angedeutet; nach einer Seite haben wir dieselben im weiteren Verlaufe näher kennen gelernt: der Rückgriff in die Plastik hat seine Erläuterung gefunden und, sofern er in der Uebersteigerung des Colorits liegt, der Vorgriff in das Musikalische. Der wichtigste Theil der Fehltritte liegt nun aber auf dem Gebiete der Bewegung und des Ausdruckes. Die Reihe derselben beginnt mit der zu großen Vorliebe für heftige oder überhaupt durch Verwicklung, Verkürzungen schwierige Bewegung und Stellung. Man kann zunächst nicht sagen, daß eine solche Neigung in eine bestimmte andere Kunst übergreife, sie erscheint einfach als einer der Puncte, wo eine an sich berechtigte Auffassung und starkes Selbstgefühl des künstlerischen Könnens sich unvermerkt in Prahlerei und Manier verrennt, wie bei M. Angelo, dessen späteres Uebermaaß im Aufsuchen solcher Zeichnungs-Schwierigkeiten von der ursprünglich wahrhaft erhabenen Gewaltigkeit und furchtbaren Bewegtheit seiner inner- sten Anschauung ausging. Doch macht sich in dieser Behandlungsweise allerdings auch ein Auflockern der Grenzen der ganzen Kunstform nach verschiedenen Seiten hin sichtbar. In gewissem Sinne nach der Seite der Bildnerkunst, denn obwohl derselben Ruhe mehr entspricht, als heftige Be- wegung, so liegt doch in solcher Bravour, da es sich hauptsächlich um ein Formen-Aufzeigen handelt, etwas Plastisches, ein Uebermaaß plastischer Auffassungsweise; mehr musikalisch gemahnt durch die Weichheit der For- men, die Art der Gegenstände, des Ausdrucks, das Spiel der Verkürzun- gen bei einem Correggio und das Meiden bestimmter, fester Stellungen bei manchen Neueren, z. B. den Engländern. Man kann nun überhaupt von der Seite absehen, wonach es bei solcher Behandlung dem Künstler hauptsächlich darum zu thun ist, die Formen in allen Wendungen zu zei- gen; dann erscheint eine über die Bedingungen des Gegenstands hinaus- greifende Vorliebe für das Bewegte im Ganzen als ein Uebertritt in das innere Leben der Phantasie, wo alle Gestalten schwanken und schweben, und da dieß Leben ohne eigentlichen materiellen Niederschlag sich in Musik und Poesie darstellt, so stehen wir unmittelbar vor den bestimmteren Ueber- griffen in diese Gebiete. Ein negativer Uebergriff in die Dichtkunst ist es, wenn der äußerste Krampf leidender oder handelnder Bewegung dar- gestellt wird, wie er einen Grad der Häßlichkeit bedingt, welcher nur einer Kunst erlaubt sein kann, die uns das Bild blos innerlich vor- überführt, die Vorstellung des furchtbaren Tons dazu gibt, in welchem das häßlich Furchtbare, was dem Gesichte geboten wird, eine auflösende Ableitung findet, und welche endlich das Bild überhaupt in einer Succes- sion fortführt. Wie der Laokoon des Bildners nicht mit weitgeöffnetem Munde schreien dürfte, auch wenn ihm sein Leiden mehr, als ein gepreß- tes Stöhnen, erlaubte, so dürfte es auch ein gemalter nicht und der vor Schmerz brüllende Petrus von Rubens in Köln ist eine künstlerische Sünde, welche durch die rein äußerlich in den Trostbringenden Engel- kindern hinzugegebene Versöhnung so wenig gemildert wird, als in so manchen andern Werken, wo für den fehlenden Seelen-Ausdruck der Er- hebung über das Leiden dieses grobsinnlichere Surragot dienen soll. Die Märtyrer-Schindereien, die sich im Mittelalter und später die Kunst von dem stoffartigen Interesse der Religion dictiren ließ, sind ein grasses Beispiel der Verirrung in eine auch der Malerei verwehrte Steigerung des Häßlichen; hier fehlt nicht nur zum Körperschmerz der Ausdruck der geistigen Erhebung, sondern zwischen beiden auch der Ausdruck des See- lenleidens, in welchem, wie wir gesehen, die Malerei ganz besonders ihre Tiefe zu entfalten vermag. Positiv aber verirrt sich die Malerei in die Poesie, wenn sie malt, was zwar an sich anschaulich, aber ohne Worte nicht verständlich ist: Momente, wo ein Innerliches dargestellt werden soll, was in Figuren zwar ungefähr, aber nicht in der Bestimmtheit zum Aus- druck kommen kann, um welche es sich bei dem gewählten Stoff eben handelt. Man kann einen tiefbrütenden Menschen malen, aber nicht Hamlet, wie er den Monolog: Sein oder Nichtsein spricht, einen studi- renden Forscher, aber nicht Newton, wie er das Gesetz des Falls entdeckt, zwei Frauen in gefühlvollem Gespräch, aber nicht Maria, wie sie mit Porcia, der Gemahlin des Pilatus, sich von der Glückseligkeit des ewigen Lebens unterhält (ein Gemälde von Hetsch, vergl. Göthe W. B. 43 S. 87), ein scherzendes Pärchen, aber nicht Uhland’s Gedicht Hans und Grete, wo ein Witzwort die Spitze des Ganzen ist, gerührte Zuschauer eines Dra- ma, aber nicht ein Parterre, dem man ansehen soll, daß eben da Don Carlos aufgeführt wird u. s. w. Es wäre hier ein ganzes Klagelied über die namentlich jetzt so häufige Verirrung in der Stoffwahl zu schrei- ben. — Der Fehlgriff kann aber weiter gehen bis zu solchen Stoffen, welche zwar auch in einer Dichtung vorkommen können, aber nur als einzelnes Mittel, weil sie das Bild bereits in einem blos dienenden Ver- hältniß zum Gedanken anwenden, wozu eine ungefähre Vorstellung ge- nügt, die sich der äußern Darstellung auch ganz entziehen kann. Hier fällt auch dieß weg, was die vorhergehende Art von Stoffen noch hatte, daß nämlich eine allgemeine Seite am Bild haftet, die noch darstellbar wäre, hier kann durchaus der Stoff als Ganzes nur durch das Wort ausgedrückt werden. Dieß ist das Gebiet der Vergleichung (§. 405). Die Parabel ist meist noch darstellbar, aber als Gemälde ist sie eigentlich keine Parabel mehr. Es kann nämlich das Bild, womit die Parabel ihre Lehre veranschaulicht, für sich eine gewisse selbständige Schönheit über das Lehrbedürfniß hinaus entfalten, wie z. B. das Bild vom Hirten, der ein verlorenes Schaaf aus dem Dornbusch rettet. Die Erklärung aber, die man bedarf, um zu wissen, daß es sich hier eigentlich nicht von einem Hirten u. s. w. handelt, geht weit über die bloße Notiz hinaus, wie ein Werk der bildenden Kunst sie erlaubter Weise zu seinem Verständniß voraussetzt. Es ist nur die Geläufigkeit der Bekanntschaft mit einer Parabel, die diesen Mangel ver- decken kann. Man kann nicht oft genug sagen, daß das Kunstwerk sich selbst erklären soll. Die Darstellbarkeit hört aber ganz auf bei dem bloßen Gleichniß, das zudem nach Belieben auch ein Bild wählen mag, welches in der wirklichen Anschauung gar nicht vollzogen werden kann, wie das biblische vom Balken und Splitter; aber auch dieß hat man gemalt. Wir stehen hiemit wieder bei der allgemeinen Frage über die Darstellung abstracter Begriffe und abstract aufgefaßter concreter Begriffe. Hierauf antwortet in der Metaphysik des Schönen §. 16 und in der Lehre von der Phantasie §. 444 (von der Allegorie). In der That ist es nur die geistige Leichtigkeit, Beweglichkeit, der durchsichtigere Schein in der Darstellungsweise der Malerei, was für diese Kunst die Versuchung mit sich führt, Wahrheiten zu vergessen, welche aller Kunst gelten, sich recht grundsatzmäßig auf die Allegorie zu werfen und jene Gedanken- Malerei auszubilden, welche mit dem Verfall der Künste begonnen und in der modernen Wiederbelebung neuen Raum gewonnen hat. Sieht man das Wesen dieser Kunst genauer an, so zeigt es zwei Seiten, welche sich zu der Frage über eigentliche oder uneigentliche Darstellung grund- verschieden verhalten. Die Kunstweise der Malerei ist wohl in gewissem Sinne mehr reiner Schein, als die der Sculptur (vergl. §. 650), aber sie ist gerade durch das Aufgeben der schweren Materialität ebensosehr vollerer Schein, führt zur streng realen Bedingtheit des Daseins und weist daher jene mythische Abbreviatur ab, welche im Alterthum und Mittelalter als eine geglaubte noch concret war, in der neuern Zeit durch die auflösende Kraft der Kritik zur Abstraction der Allegorie sich erkältet hat. Dieß mußte beim Colorit schon berührt werden (§. 674 Anm.). Die Geschichte unserer Kunst wird erst in voller Klarheit zeigen, wie ihr inneres Gesetz sie trieb, das Mythische immer inniger in das menschlich Vetrauliche, ganz real Bedingte hereinzuführen, bis die Einsicht sich auf- drängte, daß dieses Gesetz andere Stoffe, d. h. die ursprüngliche Stoff- welt verlange. Gerade die Sculptur ist es vielmehr, die wir durchaus als Götterbildende Kunst kennen gelernt haben. Was nun die eigentli- lichen Allegorien betrifft, d. h. (um von unbeseelten Objecten hier abzu- sehen) sinnbildliche Personen und Handlungen solcher Personen, welche niemals streng zu den mythischen Wesen gehörten, sondern schon in der mythischen Zeit zwischen geglaubter Existenz und bewußter bloßer Gedan- kenhaftigkeit schwebten, oder welche sogar vom Einzelnen neu erfunden werden ohne weiteren Anspruch auf Wärme der Illusion, so mag es auch hier im Einzelnen geschehen, daß der Künstler durch innige Versetzung in die verklungene Form der Phantasie, welche mehr, als Allegorien, welche Götter und Geister schuf, ihnen einen mystischen Anflug, traumhaften Le- benshauch zu geben vermag, im Ganzen aber bleiben solche Bildungen doch in der Malerei viel unwahrer, als in der Bildnerkunst. Dagegen die Skizze, wie sie überhaupt das plastische Moment in der Malerei für sich fixirt, bewegt sich hierin freier, willkührlicher. Ebenso in der Farben- Ausführung die Freske gegenüber der Oelmalerei, denn sie führt die Erscheinungen nicht so innig in die volle Wärme des Lebensscheins herein, der die Wolkengebilde einer zweiten Stoffwelt durch die Kraft seiner Realität tödtet. Es ist die Ausführung mit allen Farbenmitteln in der Fülle des Scheins, was gegen Kaulbach’s Zerstörung Jerusalems (das Staffelei-Bild) die Kritik herausgefordert hat, vorzüglich an diesem Werke zu zeigen, wie das Nebeneinander des geschichtlich Wirklichen und des theils Mythischen, theils Allegorischen sich gegenseitig todtschlägt und die Einheit zerreißt. So viel über die eine der oben unterschiedenen zwei Seiten. Die Freske ist es nun, welche uns zugleich auf die andere Seite der malerischen Darstellung führt. Sie benützt das Moment der Feßlung des Scheins an eine Fläche zur Ueberkleidung großer Räume. Dieß Moment ist es, was naturgemäßer zur gedankenhaften Darstellung führt, denn die umfassenden cyklischen Entfaltungen einer Idee, welche sich hier darbieten, können mindestens zur Verknüpfung und Zusammenfassung den Mythus und die Allegorie kaum entbehren. Hier mag denn die Wand- malerei ihr größeres Recht an diese Stoffe, wie es an sich schon in ihrer Darstellungsweise liegt, unbefangen, doch bescheiden und ohne anmaßende Doctrin benützen. — Es geht aus allem Gesagten hervor, daß die pla- stische Stylrichtung es ist, welche vorzüglich versucht sein wird, in das Gebiet des Gedankenhaften zu gerathen, das keine wahre Verkörperung zuläßt. Die Skizze, die Freske gehört ja wesentlich zu diesem Style, der auf die Zeichnung sich stützt, und wir haben hiemit einen Beleg für den Satz in §. 676, 2 ., daß derselbe, wenn er einseitig werde, sich in das körperlos Gedankenhafte verliere. — Der Schlußsatz des §. spricht noch von Uebergriffen in das Musikalische. Solche sind, wie gesagt, schon bei dem Colorit (auch bei der äußern Bewegung) erwähnt, nun aber handelt es sich vom Ausdruck im Zusammenhang mit der Stoffwahl: nur zu häufig hat man einen lyrischen Ton, Empfindungsklang, den der Text eines Lieds mit kurzen Worten in eine blos angedeutete Situation legt, mit der Ausführlichkeit der malerischen Mittel zu ver- körpern versucht. Als Beispiel ist schon zu §. 543, als dieser Punct berührt wurde, Lessings trauerndes Königspaar angeführt; lyrische Mo- mente aus Göthes Faust sind von Ary Scheffer dargestellt worden: so steht z. B. Mignon einfach da und man soll ihr ansehen, daß sie eben von dem Gefühl erfüllt ist, das in dem Liede: Kennst du das Land, oder: So laßt mich scheinen, sich ausspricht. Hier ist allerdings der Mißstand ein anderer, als in jenem Bilde Lessings: in diesem haben wir gegenüber dem zu Grund liegenden lyrischen Stoffe zu viel, in jenem gegenüber der malerischen Aufgabe zu wenig, es fehlt an der Ausführlichkeit der Situa- tion, welche die Malerei fordert, weil sie den Menschen in die Beziehung auf eine Umgebung setzt. Auch ein episches Gedicht, wenn es, wie Klopstocks Messias, an sich mehr Musik als Poesie ist, gibt keinen Stoff für die Malerei. Allerdings gibt es durchaus lyrische Producte, die doch zugleich für den Maler ein ganz anschauliches Bild abwerfen, wie z. B. Schäfers Klagelied von Göthe; doch mehr nur für den Illustrator, Zeichner, Holz- schneider. Uebrigens handelt es sich nicht blos von der Benützung gegebener Poesie oder Musik; der Maler kann überhaupt in den Fehler verfallen, blos musikalische Stimmungs-Momente darstellen zu wollen, oder einen Stoff, dem an sich die bildliche Objectivität nicht fehlt, vorher in die zer- fließende Unbestimmtheit musikalischer Empfindungsweise zu tauchen und in entsprechender Styllosigkeit darzustellen. §. 684. Der eine Zeitmoment, an welchen die Malerei wie die Bildnerkunst 1. und mit derselben Ausnahme (vergl. §. 650 und 613) gefesselt ist, soll auch Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 40 2. für sie der fruchtbare sein. Ihr entspricht vorzüglich der Augenblick der höch- sten Spannung und sie ist dadurch der wirksamsten, gegenwärtige Handlung dar- stellenden Form der dichtenden Phantasie verwandt. Schon die mitdargestellte Umgebung fordert sie auf, von der einfachen zur bewegteren Situation und zur vollen Handlung fortzugehen, und erleichtert zugleich die Verständlichkeit derselben ohne die Hülfen, deren die Plastik bedarf. Doch hat sie sich hierin zu mäßigen, denn ihre Ausführlichkeit in der Ausbreitung des Sichtbaren ge- bietet ihr, den Gegenstand, mag er auch durch Straffheit der Wirkung seine Gegenwärtigkeit höchst fühlbar machen, unter den Standpunct der ruhigen Ob- jectivität zu stellen, welchen die ihren Stoff als ein Vergangenes erzählende 3. Form der Dichtung einnimmt. Die Vortheile dieser Behandlung belohnen reichlich für diese und alle andern, durch die Schranken der Kunstgattung auf- gelegten, Verzichtleistungen. 1. Daß die Malerei trotz der größeren Freiheit und Leichtigkeit ihrer sämmtlichen Darstellungsbedingungen doch unter demselben Gesetze der Bindung eines einzigen Zeitmoments an den Raum steht, wie die Bild- nerkunst, ist schon in der allgemeinen Erörterung aufgestellt; was zu sa- gen übrig bleibt, findet seine Stelle im gegenwärtigen Zusammenhang, wo wir uns mit der Weite der Bewegung und des Ausdrucks, die der Malerei geöffnet ist, aber auch mit deren Schranken beschäftigen. Die Malerei hat nun zwar eine stärkere Versuchung, als die Sculptur, dieselbe Person in einer Reihenfolge von Momenten auf Einem Bilde darzustellen; diese Versuchung liegt in den Abstufungen der räumlichen Ferne, welche durch einen naheliegenden Umtausch der Begriffe als Zeitfernen sich dar- zubieten scheinen; doch ist dieß nur für naive Zeiten eine Entschuldigung und was man einem Hans Memling nachsieht, darf sich der Künstler nicht erlauben, den die Bildung seiner Zeit über die Grundgesetze der Kunst- gattungen belehrt hat. Dagegen hat die Malerei ihre ideale Abbreviatur der Zeit, wie die Sculptur: sie kann verschiedene Momente einer Hand- lung in Einen zusammenziehen, sie kann Personen aus verschiedenen Zei- ten in Einer Composition zusammenstellen, und zwar nicht nur im mythi- schen Gebiete, wo sie natürlich mit der Sculptur in dieser Beziehung gleich geht (vergl. den Schluß der Anm. des §. 613), sondern auch im rein menschlichen: denn die Phantasie hat das Recht, auch ohne alle Anlehnung an einen positiven Glauben eine Art von idealem Raum und Zeit aus- zusondern, wo Ein Moment mehrere Stadien einer Handlung vereinigt und wo längst Geschiedene mit kürzlich Geschiedenen, ja mit Lebenden in Einem verklärten Kreis zusammentreten und die ihrem Wirken gemein- schaftliche Idee darstellen; Raphaels Schule von Athen ist ein solcher himmlischer Kreis ohne Mythus. 2. Die Malerei ist wie die Sculptur auf den fruchtbaren Moment gewiesen. Wir haben zu §. 613 drei Stadien unterschieden: Anlauf, vollen Ausbruch, Ablauf, und gefunden, daß der Bildnerkunst vorzüglich die dritte dieser Stufen zusagen muß. Die Malerei aber als eine Kunst des bewegten Wurfes, nicht der vorherrschenden Ruhe, als eine Kunst des zündenden Ausdrucks, des Affects, der leichteren Auflösung des Häß- lichen wird ein anderes Gesetz haben, als die Sculptur. Natürlich wird sie den Moment des vollen Ausbruchs weniger scheuen, als diese; der Bethlehemitische Kindermord, die Ermordung der Kinder Eduards mag in vollem Laufe des Schrecklichen zur Darstellung kommen. Allein nicht nur hat das Häßliche auch für sie ein Maaß, nicht nur fühlt man auch bei ihr stark genug den Mangel des mitwirkenden Tons und der wirklichen Fortbewegung, sondern sie theilt mit aller bildenden Kunst das Gebot, auf die Phantasie so zu wirken, daß ein noch Stärkeres, als das Dargestellte, mit der ganzen Kraft der Unendlichkeit innerlich vorzu- stellen übrig bleibt. Daher ist es ächt malerisch, wenn ein bekanntes französisches Bild den Bethl. Kindermord in einer einzigen Mutter dar- stellt, die in namenloser Bangigkeit in einer Ecke zusammengekauert ihr Kind krampfhaft umfaßt, während man im Hintergrunde die Mörder nahen sieht, oder wenn Delaroche den Moment der Ermordung der Knaben im Tower wählte, wo sie aufgeschreckt von einem Geräusch, das durch ein bellendes Hündchen angezeigt ist, in Todesangst von ihrem Lager nach der Stelle sehen, woher man die Tritte des Mörders ver- nimmt; doch hat auch Hildebrand zwar den ersten Schritt der Ausführung des Mords, aber nicht das Ersticken selbst dargestellt. Solche straffe Spannung, solche Stellung auf die haarscharfe Schneide des Messers ist durch und durch dramatisch und die Malerei erweist sich als tief ver- wandt diesem Zweige der Dichtkunst, während die Sculptur von epischem Geiste getragen ist. Das Drama wirkt als gegenwärtige Darstellung ganz auf den Moment, faßt eine Summe von Hebeln in eine Spitze zu- sammen, die es mit der ganzen Kraft der Gegenwart scharf und straff in die Seele des Zuschauers treibt; das Epos kühlt allen Stoff in den ruhigen, klaren Wassern der Vergangenheit ab. Gegenwärtig in vollem Sinne des Worts ist alles Werk der bildenden Kunst und wir werden das Drama als eine Wiederherstellung dieser Form innerhalb der Poesie erken- nen; aber die Sculptur senkt trotz der handgreiflicheren Form, welche das Gegenwärtige in ihrem Werk annimmt, durch ihre Versteinerung die Gestalt wieder in die krystallene Grotte, den kühlen Meeresgrund des Vergangenen, die Malerei führt sie trotz der geringeren Körperhaftigkeit durch das Feuer des farbigen Scheins unmittelbarer in die Luft des heißen Tages der Gegenwart. Neben dem Charakter der Farbe ist es vorzüglich das 40* Mitdarstellen der Umgebung, was die Malerei in die bewegte, volle Si- tuation und in die Mitte der Handlung herausführt. Es ist dieß schon zu §. 683 ausgesprochen, um Darstellungen lyrischer Innerlichkeit abzu- weisen (vergl. über ein dem dort erwähnten ähnliches Bild der Mignon von Schadow Hegel a. a. O. Th. 3 S. 186). Die Umgebung ist ein wesentlich Beziehungsreiches, mit Lebensreizen, Antrieben Geschwängertes, sie treibt den Menschen aus sich heraus, sollicitirt ihn von allen Seiten. Die Sculptur ist wie durch ihren innersten Geist, so insbesondere durch den Mangel an Umgebung im Entfalten von Handlungen gehemmt; sie bedarf schon zum Verständnisse der symbolischen Hülfen (vergl. §. 612); die Malerei kann diese entbehren: dasselbe, was die Reize zur Handlung, die Motive enthält, erklärt sie zugleich. Allein die Gegenwärtigkeit der Darstellung wird doch nicht nur in der Sculptur durch ihr Material und Stylgesetz abgedämpft; auch in der feurigeren Malerei ist und bleibt ja die Fesslung im Raum das Grundbestimmende und diese Fesslung gebietet mitten im Sturm auch dem Maler eine Ruhe, eine Objectivität, welche zu der edlen Kühle des Erzählers zurückführt, vor dessen Auge der Stoff als ein vergangener sich wie eine Landschaft ausbreitet. Auch diese Kunst soll daher nicht zu sehr auf spannende Wirkung losgehen. Hiezu kommt, daß jene Mitaufnahme der Umgebung, obwohl sie es hauptsächlich ist, was ihre Darstellung beflügelt, ihr dennoch zugleich ebenfalls Ruhe gebietet. Sie ist eine ausführliche Kunst, geht in die Breite, hat viel und vielerlei zu geben, sie braucht dazu Zeit; ungleich weniger, als die Plastik, aber un- gleich mehr, als die Dichtkunst. Diese Ausführlichkeit, Langsamkeit be- stimmt nothwendig des Malers Sinn und Stimmung auch in die Tiefe, theilt ihm ein gewisses Phlegma, Scheue vor dem Fahrigen, allzu Hefti- gen, allzu Momentanen mit, führt ihn mehr auf das Zuständliche, als auf die Handlung. Die trefflichsten Schulen und Meister aller Zeit ha- ben daher die stark erschütternden Momente doch weit mehr gemieden, als man dieß von der freien Beweglichkeit der Malerei eigentlich erwar- ten zu müssen meint, und auch im Komischen findet man diese Mäßigung: die Holländer, nachdem sie dieß Gebiet erobert, haben im Grund wenig gemalt, was unmittelbar starkes Lachen erregt, sondern mehr das Lächeln des feinen Belauschers menschlicher Natur, Sitte, Schwäche, wie sie sich unbelauscht glaubt und gehen läßt, zu gewinnen gesucht. Der Begriff des Dramatischen ist also nur mit Vorsicht auf die Malerei anzuwenden, und wenn man zugeben muß, daß die neuere Malerei vorzüglich dahin ge- wiesen ist, so darf dabei nicht vergessen werden, daß dieses Gesetz der Dämpfung und Bescheidenheit für immer der ganzen Kunstform aufgelegt ist. Sonst wird der Maler noch leichter, als der Dichter selbst, vom Dramatischen in die nervös pathologischen Spannungen und in das Theatralische statt des Poetischen gerathen. Das Letztere besonders haben wir zu fürchten und uns zu hüten, daß wir mehr, als gut ist, von den Franzosen lernen. Niemand versteht es besser, als sie, den schlagenden Moment herauszugreifen, aber sie sind es auch, von denen das Ueber- maaß, die Absichtlichkeit, der galvanische, zuckende Schlag und der eitle Ausdruck des Wissens um den Zuschauer ausgegangen ist. 3. Wir haben nun einen Ueberblick über die Schranken unserer Kunst; wir haben früher gesehen, daß der Maler nicht dem Musiker und Dichter überhaupt oder gar dem Lehrer, wir haben jetzt gesehen, daß er auch dem dramatischen, für die Bühne wirkenden Dichter nicht in sein Gebiet greifen, nicht in dem mit ihm wetteifern soll, was nur er allein vermag. Dafür vermag der Maler etwas, worin es ihm keine Kunst oder geistige Thätigkeit gleich thut, die nur für das Ohr und Gefühl, nur für das Ohr oder das blos lesende Auge und die innere Vorstellung darstellt: die ruhige Ausbreitung der Erscheinungen als ein Nebeneinander, das vor dem Zuschauer stehen bleibt, daß sein Auge verweile, nach dem ersten Ueberblick Einzelnes um Einzelnes durchwandle und dann wieder zum Ganzen zusammenfasse. Wir werden sehen, wie nahe der Musik und Poesie die Verführung liegt, dem Maler in sein Land zu fallen, zu han- deln, als könnten sie ein Bild geben, das dem Auge stille hält; da ver- gessen sie, daß sie für Verzichtleistung auf diese Wirkungsart den unend- lichen Vortheil der wirklichen Bewegung eintauschen; umgekehrt vergißt der Maler, welcher malt, als tönten, sprächen, bewegten sich seine Bilder wirklich, daß er für das Opfer des Versuchs, also zu wirken, den unend- lichen Vortheil dieser stillehaltenden räumlichen Entfaltung eintauscht: „daß doch der gute bildende Künstler mit dem Poeten wetteifern will, da er doch eigentlich durch das, was er allein machen kann und zu machen hätte, den Dichter zur Verzweiflung bringen könnte“! (Göthe W. B. 43 S. 87.) §. 685. Die reiche Welt von Formen, Bewegungen, Affecten faßt sich nur durch die feste Einheit des Charakters im Sinne des mit einem bestimmten Inhalt stetig erfüllten Willens zum Bilde der Handlung zusammen. Die Malerei ist unerachtet ihres viel weiteren Gebiets und des Unterschieds ihrer Auffassung ebensosehr, ja in gewissem Sinne noch mehr, als die Plastik, Kunst der Cha- rakterdarstellung. Wie aber der einzelne Charakter im malerischen Styl als eine Willens-Einheit erscheint, die einen mannigfaltigeren und verwickelteren Stoff beherrscht, so ist auch die Mannigfaltigkeit der Charakterbilder überhaupt, verglichen mit der sparsamen Typen-Bildung der Plastik, in der Malerei eine unendliche. Auch das gemessene Pathos des mehr plastischen Styls entfernt sich weit von jener Einfachheit und Sparsamkeit. Wir haben gesehen, daß die Kunst der Malerei durch ihr innerstes Wesen zur Handlung, zum Dramatischen geführt wird; damit ist bereits vorausgesetzt, daß die Welt des Ausdrucks, der Affecte zu ihrem Kern und Mittelpunct den Charakter habe, denn nur dieser handelt. Es ist nun, wie alle andern, so auch dieses Moment aus der allgemeinen Er- örterung (§. 654) noch einmal ausdrücklich aufzunehmen und als fester Schlußpunct um so mehr an die Spitze zu stellen, weil uns die ethische Einheit in dem unendlichen Reichthum von Formen, Arten der Bewegung und des innern Ausdrucks scheinen kann verloren gegangen zu sein. In der That gibt es für die Malerei eine Versuchung, charakterlos zu werden, Eigenschaften, Kräfte, Neigungen, Stimmungen, Leidenschaften darzustellen, aber keinen Charakter. Man warnt sonst die Malerei vor dem Uebermaaße des Charakteristischen . Dieß hat im vorliegenden Zu- sammenhang dieselbe Bedeutung mit dem Begriffe des Charakterlosen; denn wenn Charakter das Stetige intensiver persönlicher Willens-Einheit bedeutet, so steht dem Ausdrucke derselben gegenüber die Uebertreibung oder Alleinherrschaft aller der Züge, welche wir bisher unter dem Natu- ralistischen und Individualisirenden befaßt haben. Der Begriff des Cha- rakteristischen wickelt sich jetzt bis zur völligen Klarheit ab. In §. 625 Anm. 2 hieß es: wer sich gegen dasselbe erklärt, fühlt plastisch; jetzt: wer sich dafür erklärt, fühlt malerisch. Allein nur die ungleich bunter gebrochene Peripherie, noch nicht den Kern dieser Peripherie hat man erfaßt, wenn man das Charakteristische im gewöhnlichen Sinne als Grundzug der Malerei geltend macht. Das Charakteristische umfaßt die Charakterzüge im untergeordneten, nicht im intensiv ethischen Sinne des Worts. Es sind die Naturbedingungen: das Gepräge des Volks, Stamms, Alters, Geschlechts, Zustands; die Bedingungen der ein- gewöhnten Thätigkeit: der Stempel des Standes, der Culturformen u. s. w.; es sind die Züge der besonderen Kraft, Empfindung, Neigung, Leiden- schaft, momentan oder eingewurzelt; es ist die unendlich eigene Mischung der Kräfte im Individuum, wie sie angeboren ist und wie sie sich vor der Zeit der eigentlichen Charakterbildung zu jenen irrationalen Ein- heiten bis zur Grille und Absonderlichkeit ausbildet, die wir in §. 625, Anm. 2 vom plastischen Charakter fern gehalten haben. Das Alles ist, wie wir uns hinreichend überzeugt haben, in der Malerei zur ästhetischen Geltung erhoben; aber es ist, wie sich also nunmehr ergibt, nicht der Charakter, sondern nur das Polygon, dessen Axe er sein soll, das Farben- prisma, zu dem er sich als die Einheit des bedingenden Lichtes verhält. Die Versuchung, dieß Alles auszubilden und den Kernpunct wegzulassen, das Charakteristische ohne Charakter zu geben, diesem durch jenes den Weg zu versperren, ist der Malerei dadurch nahe gelegt, daß sie die einzige bildende Kunst ist, die sich in den Besitz der Mittel gesetzt hat, die ganze Welt des Besondern und Einzelnen in diesem Umfang darzustellen; eine Eroberung verführt leicht zum Uebermuth, ein Vorrecht zum Miß- brauch. Es ist jedoch dieß nicht die einzige Versuchung; von anderer Seite kommt eine andere, die aber ebenfalls der Art ist, daß sie zum Charakterlosen zu verleiten droht. Ist der Maler von jener Seite ver- sucht, lauter Ecken und Schärfen ohne Centrum zu geben, so lockt ihn von dieser das Landschaftliche, das Stimmungsvolle zum Zerflossenen, zur Auflösung aller Bestimmtheit in hinschmelzender Empfindung, so daß nun nicht bestimmte Farben und Formen, sondern schwankende Nebel den Lichtkern, die Sonne des Charakters erdrücken. Allein diese ganze Welt des Unbestimmten, Ahnungsvollen, wie jene Welt des scharf Bestimmten soll ja nur der Stoff sein, durch dessen Beherrschung der Charakter im engern Sinne des Worts desto völliger seine Kraft zeigt. Die plastisch aufgefaßte Persönlichkeit erscheint nur unmittelbarer als Charakter; sie gibt sich directer als solcher zu fühlen, weil der Wille eine einfachere, ungebro- chenere Welt von Kräften und Eigenschaften beherrscht, der plastische Cha- rakter ist runder, planer; der malerische gleicht dem gothischen Bau, der eine fast unübersehliche Fülle von Einzelnem, von scharfen Spitzen und stimmungsvollen Wölbungen in der gemeinsamen Richtung nach dem Gipfel zusammenzufassen hat, er ist wesentlich verwickelt, scheinbar, ja wirklich widerspruchsvoll, aber nur um so einheitlicher, denn die stärkere Einheit ist eben die, welche mehr Gegensätze und Einseitigkeiten, centri- fugale Kräfte, Widersprüche beherrscht. Der Einheitspunct wird um so mehr markirt, je mehr Stoff seiner durchdringenden Kraft entgegengewor- fen wird. Der plastische Charakter fällt stärker in’s Gewicht, der male- rische faßt sich aus scheinbarer Zersplitterung zu schneidigerer Spitze zu- sammen. — Zu allen andern Quellen der Mannigfaltigkeit und prisma- tischen Kanten, durch die das einfache Licht des Charakters in das Bunte getheilt wird, kommt nun noch von subjectiver Seite die losgegebene Freiheit der Auffassung. Wie die Welt, die er darstellt, so ist ja auch der Geist des Künstlers ein vielseitigerer, vieltönigerer geworden. Hiemit erst haben wir den Inbegriff der Ursachen beisammen, wodurch in der Malerei nicht nur der einzelne Charakter für sich mannigfaltiger wird, sondern nun auch eine Unendlichkeit verschiedener Charakterbilder sich er- zeugt, von denen jede eine Welt für sich ist. Im classischen Ideal war die Vielheit der Charakterwelt durch einen geschlossenen Kreis von Göt- tern und Heroen mit jener „zarten Linie der bloßen Modification des Allgemeinen“ beschränkt und gebunden. Ein solcher kann sich in der Malerei nicht bilden wie in der jenem Ideal innig angehörigen Sculptur. Wohl zeigt sich auf dem Standpuncte der mythischen Anschauung auch bei ihr ein Ansatz zu einem Gestaltenkreise stehender Typen, für deren Behandlung plastische Gleichmäßigkeit des Styls gefordert wurde; allein wie wenige sind deren gewesen: Christus, Paulus, Petrus, etwa noch Johannes, das ist im Grund Alles; und wie bald dringt auch in diese wenigen Typen die Individualität, die unendliche Verschiedenheit der Auffassung ein, bis sie endlich den transcendenten Gestalten-Auszug sprengt und in die ungemessene Vielheit der geschichtlichen Charakterwelt auflöst! Es geht dann die rein malerische und die mehr plastische Stylrichtung auseinander. Wir haben gesehen, daß auch die letztere zwar ein spar- sameres Maaß des Besonderen und Individuellen, als die erstere, aber doch ein volleres, als die Bildnerkunst, ihren Gestalten zuwiegt; nun, da von der diese Züge beherrschenden Willens-Einheit die Rede ist, haben wir den Unterschied der zwei Style nach dieser Seite noch einmal in’s Auge zu fassen. Wie die mehr bildnerische Richtung die empirischen Formen strenger reduzirt, so wird sie auch die sie beherrschende Kraft, den inneren ethischen Kernpunct einfacher auffassen. Das negativ Pathetische liegt ihr ferner, der ungetheilte Guß und Fluß, womit ein reines Gemüth oder ein starker Wille als stetige positive Wärme die ganze persönliche Erscheinung ausfüllt, ist ihr Gebiet, der großartige Ernst einer einfachen männlichen Würde eine ihrer mächtigsten Wirkungen. Die ernsten Männergestalten der großen italieni- schen Meister, eines Leonardo da Vinci (vorzüglich im Abendmahl), eines Raphael (vorzüglich in den Stanzen und Tapeten) haben wir schon in anderem Zusammenhang (zu §. 679 und 681) angeführt und in ge- wissem Sinne plastische Naturen genannt. Und doch wie tief ist dieser Unterschied, wenn man insbesondere bedenkt, daß diese würdevolle Männerwelt aus der immer fließenden Quelle des realen Stoffgebiets geschöpft in’s Unendliche fortsetzbar ist, während dort der Kreis geschlossen war! Vom streng malerischen Styl dagegen unterscheidet sich dieser mehr plastische nothwendig durch eine sehr bestimmte Grenze, wenn man den Begriff des Charakters im allgemeinen, nur formellen Sinne nimmt. Dann kann er ebensogut, als die Herrschaft des Willens über das Na- türliche und angeborne Individuelle, auch eine Verhärtung oder zerstreute Entfesslung des letzteren, also ein blos Charakteristisches, das sich statt des Charakters ausgebildet hat, er kann sogar völlige Charakterlosigkeit bezeichnen. Wir haben auch diesen Stoff von der Sculptur abgewehrt (§. 625 Anm. 2); der plastische Styl in der Malerei wehrt ihn ebenfalls ab, der entgegengesetzte nicht. Der Jähzornige, Eitle, Geschwätzige, der Säufer, Spieler, Geizhals, Lump, Windbeutel hat hier freien Eintritt; Sopholles kann uns keinen Falstaff geben, wohl aber Shakespeare. Nur bei dem großartig Bösen beginnt wieder Gemeinschaft des Stoffes für beide Stylrichtungen. — Schließlich noch ein Wort über die Frage, wie sich denn die Forderung, daß der Charakter Mittelpunct und Spitze der malerischen Aufgabe sei, zu der Verschiedenheit der Zweige verhalte, da der Maler doch nicht immer und überall Charakter darstellen kann. Die Antwort ist: wir werden vorerst nur überhaupt verlangen, daß es der Malerei in keiner Epoche an der Ausbildung der Zweige fehle, wo der intensive Charakter-Ausdruck seine Stelle findet: an kräftigem Anbau der Historienmaleri, des höheren, ernsten Genre, einer tüchtigen, gediegenen Porträtmalerei; das leichte, komische Genre, die verschiedenen Uebergänge zwischen diesem und der Historie mögen dann die kleinere, gemeinere, ungebundenere, grillenhaftere Charakterwelt mit freiem Humor ausbeuten. Ob derselbe Künstler sowohl des einen, als auch des andern Gebiets mächtig ist, davon kann ganz abgesehen werden, wenn nur die Kunst überhaupt außer einem Zeuxis, dem Aristoteles das Ethos abspricht, auch ihren Polygnot aufzuweisen hat, den er Ethographos nennt. Der Verfall ist da, wenn der plastische Styl, zum Formalismus herabgekom- men, jede Härte und Ecke zur süßen Welle abrundet und von einem Colo- rit unterstützt wird, das jedes Mark der lebensvollen Mischung im lauen Reize sanfter Mitteltöne oder im abstracten Effecte ungebrochener Haupt- farben auslöscht. Daß freilich auch die leichteren Gebiete, welchen nicht direct die intensive Charakterdarstellung zuzumuthen ist, in einem gewissen Sinne Charakter haben müssen, dieß bedarf nach Allem, was vom Styl überhaupt und insbesondere von der Wechselwirkung der zwei Stylrich- tungen gesagt ist, keiner weiteren Ausführung. Das Charakterlose soll nicht charakterlos, das Windige soll nicht windig dargestellt werden. Auch die Landschaft soll charaktervoll sein; der Unterschied der Style in diesem Gebiete verhält sich zum Begriffe des Charakters nur ebenso wie in der eigentlichen Darstellung desselben Plastik und Malerei. §. 686. In der malerischen Composition wird dem Prinzip der linearen Glie- derung die Einfachheit der Geltung entzogen durch die Wirkungen der mitdar- gestellten Umgebung, der Perspective, namentlich aber des Lichts und der Farbe: das Gemälde ist ebensowohl eine Licht- und Farben-Einheit , als eine Linien-Einheit. Das ästhetische Gewicht kann mehr auf der ersten oder zweiten liegen, aber auch im letzteren Falle, wo entweder auf die Gegenstände über- haupt oder auf die Schönheit ihrer Formen verglichen mit dem Werthe der all- gemeinen Medien der höhere Werth gelegt ist, sind allgemeine Feststellungen von solcher Bestimmtheit, wie in der Plastik, nicht möglich. In der Herrschaft der Linien-Verhältnisse bei der bildnerischen Com- position haben wir einen Ausdruck ihrer innern Verwandtschaft mit der Baukunst gefunden (§. 626, 1 .). Man sagt nun wohl auch von einem Gemälde: es baut sich schön, aber es muß sich nicht nothwendig schön bauen; wenn Anderes, was neben der Linienbildung die Harmonie des Ganzen zu begründen hat, auf eine befriedigende Weise wirkt, so mögen die Linien an sich immerhin weniger schön, im Einzelnen selbst nicht schön, ja unschön sein, man sagt dennoch nicht: es baut sich nicht schön, weil man von dem sich Bauen jetzt absieht; tritt aber dieß Andere nicht als Ersatz ein, dann sagt man es. Als das erste Moment, das die Aesthetik der Linie beschränkt, führt der §. die mitdargestellte räumliche Umgebung auf. In Raphaels Schule von Athen treten Plato und Aristoteles als die Hauptfiguren hervor; sie stehen auch oben auf der Treppe, über welche die ganze Composition sich ausbreitet, aber nicht allein, sondern umgeben von Schülern und weiteren zur Seite aufgestellten Gruppen. Nach plastischem Gesetz müßte ihre Bedeutung viel entschiedener durch die Wirkung der Höhe ausgedrückt sein, sie müßten weit bestimmter die Spitze einer ungefähren Pyra- mide darstellen. Nun aber wölbt sich über dieser obersten Gruppe die pracht- volle Halle und das Auge fühlt die herrliche Wölbung wie eine Art von räumlich dargestellter Erweiterung der geistigen Größe der zwei Haupt- figuren. Natürlich wird diese Art von Zuwachs noch eine besondere Be- deutung durch die Beleuchtung und Farbe erhalten können, von welcher vorerst noch nicht die Rede ist. Das zweite Moment ist die Perspective. Wir haben gesehen, wie sie mit ihren drei Gründen zu den Abstufungen und Arten der Idealität sich verhält: in gewisser Weise idealisirt die Ferne, in gewisser die Nähe, diese im Sinn der kräftigen Behauptung des in sich geschlossenen Daseins, jene im Sinn der Auflösung in das Unendliche. In der Sculptur wird die höhere Bedeutung einer Person äußerlich in den Raumverhältnissen durch die Höhe und durch die Stel- lung in der Mitte, im Relief auch durch Stellung an den Enden einer Reihe ausgedrückt; in der Malerei aber muß dieses plastische Gesetz eben durch die hinzugetretene Richtung in die Tiefe auf’s Mannigfaltigste modi- ficirt werden. Freilich ist dieß nach Zweigen verschieden; in der Land- schaft wird in der Regel die höchste Wirkung in der Ferne sich sammeln, in der thierischen und menschlichen Darstellung wird es dabei bleiben, was wir schon aufgestellt haben, daß die bedeutenderen Individuen den Vordergrund oder näheren Mittelgrund einnehmen; die Ferne wird uns also hier die Aufsuchung einer ungefähren Bestimmung des Compositions- gesetzes in der Beziehung der Höhe und Breite weniger erschweren. Die Bedeutung der Ferne ist es nun aber, die uns unmittelbar auf die Farbe führt, denn sie vollendet sich ja erst durch die Luftperspective, durch Licht und Farbe überhaupt: soll sie ideal wirken, dem auf den Hintergrund verwiesenen Gegenstand das höchste Interesse leihen, so muß Beleuchtung und Ton ihn heben, wie z. B. die in der Abendsonne glühenden Berges- gipfel am äußersten Horizont. In Licht- und Farbengebung hebt sich die Zeichnung beziehungsweise auf: so hebt sich denn auch die Composition als räumliche Anordnung beziehungsweise in die Composition als Far- ben-Ordnung auf, vollendet sich erst in ihr. Wir sagen: beziehungsweise, und auch der §. stellt nichts Absolutes auf, sondern beschränkt sich auf ein „sowohl, als auch“. Schleiermacher urtheilt anders; er setzt das Ganze der Malerei in die Licht- und Farbengebung, er sagt, die ganze Erfindung werde nur bestimmt durch die Darstellung der Gestalten in den Verhältnissen des Lichts (Vorles. über d. Aesth. S. 527. 528). Er setzt also Gestalten voraus; aber wenn er gerade an dieser Stelle besonders betont, was er übrigens als für alle Kunst geltend behauptet, daß es nämlich nicht auf den Gegenstand und seine Wirkung („das Ethos“) ankomme, so kann solche ausdrückliche Hervorhebung eines allgemeinen Satzes an dieser Stelle nur den Sinn haben, daß mit dem Interesse der Gegenstände auch das Interesse der Li- near-Schönheit in der malerischen Composition rein aufgehen soll. Dieß ist nicht richtig, sondern heißt der Partei der einseitigen Coloristen bei- treten, von der wir in §. 676 gesehen haben, wie sie sich durch ihr Prinzip bis zum Nihilismus, zur Romantik der gegenstandslosen Stimmung treiben läßt. Es sind mehrere Fälle möglich: in jedem derselben wird die lineare Composition relativ unselbständig, in keinem so ganz gleichgül- tig, wie es bei solcher extremen Auffassung scheint. Wir heben, indem wir diese Fälle unterscheiden, den im §. zuletzt aufgeführten hier als den ersten hervor, weil er in vollem Gegensatze zum einseitig coloristischen Standpuncte steht: es ist der, wo auf den Gegenständen, d. h. den ge- stalteten Körpern, nicht nur überhaupt noch positives Gewicht liegt, sondern auch gefordert wird, daß sie schön in der Form seien. Daß nach Maaß- gabe des Stoffes und gemäß der Berechtigung, die dem plastischen Style zukommt, dieß so sein kann, ohne daß darum im Geringsten ein patho- logisches Interesse auf den Stoff an sich fällt, bedarf gewiß keines Be- weises. Wie sehr nun auch hier das Gesetz des linearen Aufbaus durch die Geltung der Licht- und Farbenverhältnisse alterirt wird, erhellt z. B. daraus, daß selbst in einer Landschaft plastischen Styls alle bedeutenderen Körper sich in den einen oder andern Winkel der viereckigen Fläche zu einem ungefähren Dreieck zusammendrängen können, während die andere Seite relativ leer, flach bleibt; dadurch ist alle Schönheit der Architektonik, alles Gleichgewicht auf’s Tiefste verletzt, allein diese Verletzung wird da- durch aufgehoben, daß auf die andere Seite, in die von Gegenständen fast leere Wagschaale das ganze Gewicht der Lichtwirkung fällt, wie z. B. in der herrlichen Landschaft Claude Lorrains in Dresden: hohe, gewaltige Fels- und Gebirgs-Gruppe, mit einem Vulcan im Hintergrund, rechts, links nur die Meeresfläche, aber herrliche, kühlend frische Morgenbeleuch- tung. Trotz dieser Durchkreuzung des räumlichen Rhythmus durch einen Rhythmus ganz anderer Art wird aber für die Seite, auf welcher die Fülle der Gegenstände sich gruppirt, in diesem Styl eine Wohlordnung gefordert, ein harmonischer Aufbau der Linien durchgeführt, von andern Compositionen nicht zu reden, wo das Ganze nach allen Seiten sich so schön baut, daß es selbst ohne Farbe durch den Rhythmus der Formen Auge und Sinn erfreuen müßte. Von diesem Fall unterscheiden wir einen zweiten, wo die Gegenstände überhaupt noch positive Geltung behaupten, aber das ästhetische Interesse sich aus der Schönheit der Formen heraus- zieht und dem Ausdrucke zuwendet, wie er sich durch individuelles Ge- präge vertieft und steigert. Es wird noch darauf gesehen, wie die Massen im Ganzen und Großen sich bauen, aber nicht mehr der edle Fluß der Linie gefordert; das Colorit thut sich bereits als die bedeutendere Macht hervor, die Stimmung beginnt in den Vordergrund des Interesses zu tre- ten: wir befinden uns im ächt malerischen Style, der jedoch dem plasti- schen noch gewisse positive Zugeständnisse macht. Endlich aber erhält das rein malerische Element entschieden das Uebergewicht, die ästhetische Gel- tung der allgemeinen Medien in ihrer Durchdringung mit der Localfarbe überflügelt die der Gegenstände. In einer kleinen Landschaft der Leuch- tenbergischen Galerie von Ruysdael sah man von Gegenständen fast nichts: eine grasbewachsene Ebene mit einem Wege, ein paar ferne Wind- mühlen, im Hintergrunde etwas von der Stadt Harlem; es war die Luft, der Himmel, der matte Sonnenstrahl, der sich zur Erde schleicht, der Ton, die wunderbar anziehende Melancholie der gedrückt nebligen Stimmung, worin der ganze Accent des Bildes lag. Wiegt nun das Colorit in die- sem Grade vor, so fragt man allerdings nach der linearen Anordnung als solcher nicht mehr, sie ist von vornherein ganz nur in Rücksicht auf die in den allgemeinen Medien liegende Wirkung componirt; doch nicht so ganz verschwindet sie hinter dieser, daß sie und mit ihr die Be- deutung der gestalteten Körper gleichgültig würde, wie denn in dem an- geführten Beispiel der Künstler recht mit tiefem Sinn die Linien seiner öden Fläche, des brüchigen Wegs u. s. w. angeordnet hat, um uns Lust zu erregen, hinzuziehen durch den Nebel nach der fernen Stadt und zu sehen, wie es sich doch auch in der umflorten Luft des feuchten Flachlandes behaglich leben läßt. Aus dem Allem folgt, daß lineare und coloristische Composition in verschiedene Verhältnisse zu einander treten können, daß jene in verschiedenen Graden, irgendwie immer, wiewohl niemals bis zur ab- soluten Unterdrückung die Selbständigkeit ihrer Geltung an diese verliert. Daher vertheilt sich denn in der Lehre von der Malerei, was über die Composition zu sagen ist, an zwei Stellen: ein Haupttheil davon ist schon in dem Abschnitt über Schattengebung und Farbe enthalten, indem dort gezeigt werden mußte, durch welche Mittel die Harmonie in dieser Be- ziehung zu bewerkstelligen ist; der andere Theil aber, der hier folgt, ist mehr negativ, als positiv, und hat vor Allem darzuthun, daß und warum über die lineare Seite der Composition nur Weniges festzustellen übrig bleibt. Gewisse ungefähre Bestimmungen müssen jedoch möglich sein und wir werden dieselben aufsuchen, nachdem erst ein Punct beleuchtet ist, aus welchem sich noch weitere Einschränkungen ergeben. Zum Schluß ist hier noch ein Wort über Schleiermachers Behaup- tung zu sagen, daß es überall auf den Gegenstand nicht ankomme. Er hat den Werth des Stoffs im Verhältniß zum Werthe der Form überhaupt im Auge; diese Frage ist eigentlich eine andere, als die, wovon es sich hier handelt: man mag von jenem Verhältniß im Allgemeinen denken wie man will, so kann man doch anerkennen, daß im Gemälde die Ge- genstände mehr Bedeutung haben, als Schleiermacher ihnen zuschreibt, denn dabei handelt es sich, wie schon gesagt, von gar keinem stoffartigen Interesse, das diesen Gegenständen beigelegt würde, als ob der Anschauende nun mit Liebe oder Haß dem Inhalte des Dargestellten sich zuwenden und darüber die Kunstform vergessen sollte, sondern es handelt sich von mehr oder weniger Geltung der Gegenstände als gestalteter Körper ganz innerhalb der Kunstform und des reinen Kunst-Interesses gegenüber der Geltung der allgemeinen Medien. Man könnte ja Schleiermacher vor- werfen, er wende nun dieser Seite, da er alles Gewicht auf sie allein legt, ein pathologisches Interesse zu, allein dieß wäre eine Erschleichung, denn er hat sich nur darin geirrt, daß er durch Verschleppung einer all- gemeinen Frage gegen die eine der zwei Seiten eines rein ästhetischen Verhältnisses ungerecht geworden ist. Weil aber allerdings in der Farbe ein Anreiz zu pathologischer Wirkung überhaupt nahe liegt, so mag über diese allgemeine Frage, obwohl wir sie längst hinter uns haben, hier noch einmal ausdrücklich auf §. 15, Anm. 1, §. 19 Schluß d. Anm., §. 55, Anm. 2, auf die zweimal aufgenommene Darstellung des Verhältnisses des Schönen zum Guten und Wahren, ferner auf §. 236, Anm. 3, §. 381, Anm. 2, §. 393, Anm. 1 verwiesen werden, um in Erinnerung zu bringen, in welchem Sinne das Object, d. h. der Gehaltwerth des Stoffs im Schönen nie- mals gleichgültig sein kann. Dieser Gehaltwerth geht in die reine Form auf, es ist aber nicht gleichgültig, was aufgegangen ist. Der Maler kann sowohl durch Farbenreiz, als durch Form und Bewegung unser Gefühl verkehrter Weise zu dem hinlenken, was sinnlich oder sittlich am Gegen- stande unserer Vorliebe entgegenkommt oder unsere Abneigung weckt, aber wenn er dieß unterläßt, wenn er vielmehr jeden Gegenstand so be- handelt, daß wir im Einzelnen ein Ewiges dargestellt sehen, so darf darum innerhalb dieser allgemeinen Durchläuterung doch keineswegs übersehen werden, wie die Gegenstände in spezifisch verschiedener Art, Tiefe und Fülle das Ewige ausdrücken. Und so ist es denn auch nicht einerlei, ob das malerische Licht auf Wasser oder Land oder Bäume oder Menschen fällt, und darum auch nicht einerlei, in welchen Linien-Ver- hältnissen diese Gestalten sich darstellen. Nur soviel sehen wir zunächst, daß über diese Verhältnisse sich noch weniger Festes bestimmen läßt, als in der Plastik. §. 687. 1. Die Aufzeigung innerer Gesetze in der Composition wird auch dadurch erschwert, daß die Form der Umgrenzung eines Gemäldes keinesmegs immer durch rein künstlerische Gründe, sondern ebenso häufig durch die Gestalt der 2. Wandfläche bestimmt wird, welche es zieren soll. Im innern Wesen der Ma- lerei ist es begründet, daß die äußerste Grenze ihres Werks durch eine be- sondere Einfassung bezeichnet wird. 1. In der Lehre von der Bildnerkunst trat uns deutlich und einfach der Unterschied einer Länge-Composition und einer Pyramiden-ähnlichen Höhe-Composition entgegen; das quadratische Feld bei einer Gattung des Reliefs (nebst Medaillon-Form) stand in der Mitte. Da die Malerei auf der Fläche darstellt wie das Relief, aber durch die Tiefe, die sie vor- aus hat, ihre Gruppen mehr verflechten, Gegenstände aller Art enger verbunden darstellen kann, als dieses, so wird im Allgemeinen das regel- mäßige Viereck, auf welchem, namentlich in der Metope, auch das Relief zu geschlosseneren Gruppen sich zusammenzieht, zur herrschenden Durch- schnitts-Form werden; und damit scheint wenigstens eine Anknüpfung gegeben für den Versuch, ein Gesetz der Anordnung der darzustellenden Gegenstände aufzufinden. Wären nun die unendlichen Abweichungen von dieser mittleren Form nur durch innere Gründe bedingt, so wären diese zunächst in ihren Hauptmomenten zu suchen und so scheint der Weg zur Aufstellung fester Bestimmungen über die Composition ohne weitere Un- terbrechung eröffnet: in der Landschaft z. B. entsteht Ueberhöhung des Vierecks, wenn die Darstellung des Luftlebens zur Hauptsache wird, im Genre und in der Historie dann, wenn Gruppe oder Gruppen sich so zusammenschließen, daß ihre Vereinigung auf den Gliederbau Einer Gestalt hinweist, wie ihn das Porträt gibt, nur daß nothwendig die Basis sich mehr ausdehnt; andere künstlerische Bedingungen ziehen umgekehrt das Viereck in die Länge bis zum Relief-artigen Streifen, man würde auch hier ein Ungefähres über die damit zugleich gegebene Art der An- ordnung im Bilde zu bestimmen suchen u. s. w. Allein die Motive sind ja ebenso häufig zunächst rein äußerlich gegeben, als frei vom Künstler bestimmt, damit dringt eine Mannigfaltigkeit von Formen ein, welche gar nicht weiter verfolgt werden kann. Bei der Freske ist die architektonische Fläche in unendlich verschiedenen Figuren, selbst Dreiecken, Kreis-Aus- schnitten jeder Art und Abschließungen derselben mit der geraden Linie gegeben; für das Oelbild ist es nicht nur eine besondere Construction wie der Hochaltar, sondern in monumentalen oder Privatgebäuden ebenfalls die Dehnung der Wand, was oft genug die Grundgestalt bestimmt; die Venetianer z. B. haben ganz besonders die Längen-Composition geliebt und demgemäß die Figuren mehr auseinandergezogen, als streng verbun- den, eine starke Neigung, gebückt Anbetende aufzureihen, hängt damit zusammen und bei einem Bassano läuft diese Neigung zuletzt dahin aus, daß er durchaus seine Figuren zur Erde bückt und drückt: diese Neigung der Schule scheint durch die häufige Aufgabe, die langen Wände der Palastsäle mit großen Gemälden zu schmücken, veranlaßt zu sein. So mögen sich stehende Gewohnheiten bilden, im Allgemeinen jedoch wird frei nach Maaßgabe der einzelnen Aufgabe die äußere Bedingung dem Künst- ler zu einem innern ästhetischen Motive werden, wofür es wohl kein höheres Beispiel gibt, als die Composition der sixt. Madonna Raphaels, wo mit der überhöhten Form der Prozessionsfahne einer der erhabensten Kunstgedanken aller Zeit im Geiste des Künstlers zusammenwuchs; allein die Umbildung eines äußern Motivs zu einem innern verändert nichts an der unberechenbaren Natur des erstern, wie sie in der Mannigfaltig- keit der Zufälle liegt, und somit mischt sich hier eine neue Beziehung ein, wodurch die Seite der Composition, die etwa durch allgemeine Sätze be- stimmbar ist, mit einer breiten Schichte von Unbestimmbarem umlagert wird. 2. Das Bildwerk nimmt sich wie alle Kunst ein Stück Welt und er- höht es zum Ausdruck des Weltganzen, aber da es nur mit der geschlos- senen organischen Gestalt zu thun hat, so schließt sich diese, zufrieden, durch ein Postament vom gemeinen Boden getrennt zu sein, durch sich selbst, durch ihre Kunstform von der Welt ab. Die Malerei aber, da sie zu den Gestalten ihren Raum gibt, stellt im engeren Sinn einen Ausschnitt aus der Welt vor uns hin; gerade, weil sie die organische Gestalt nicht aus ihren Umgebungen herausschneidet, muß sie da durchschneiden, wo doch das Object (Erde, Wasser, Luft u. s. w.) continuirlich weiter läuft. Welche besondere Schwierigkeit hiedurch für die Composition entsteht, darüber vergl. §. 501, wo die richtige äußere Begrenzung als letzte Pflicht derselben aufgestellt und gerade auch am Beispiel der Malerei erläutert ist. Daß es nun gerade an dieser Grenze, wo die Fläche des Gemäldes endigt, genug sei, um einen Ausschnitt des Lebens zu geben, der künst- lerisch so beschaffen ist, daß man die gemein empirische Unendlichkeit des Vorbilds darüber vergessen kann, das bezeichnet der Rahmen , der mit der Frage über Grundformen der Composition, von der es sich hier eigent- lich handelt, natürlich nichts weiter zu thun hat, weil er nur die schon fertige Grundform noch weiter bezeichnet, von dem wir aber hier Einiges sagen, weil er doch keineswegs bedeutungslos ist. Er gibt zunächst der Grenze Nachdruck für das Auge, er unterstützt durch ihre Hervorhebung die Phantasie, sich loszusagen von den empirischen Objecten des Auges, er gleicht einer Fenster-Einfassung, die uns mit deutlichem Rande unsern gewöhnlichen Wohnraum von der Oeffnung unterscheidet, durch die wir in eine schöne Landschaft hinausschauen, nur daß es sich hier von dem Blick in eine andere, eine ideale Welt handelt. Man kann es auch um- kehren und mit Hegel (Aesthetik Th. 3 S. 79) sagen, er stelle die Thüre der Welt dar, durch welche die ideale Erscheinung zu uns in die gemeine Welt hereinschreitet. Es ist dadurch begründet, daß er eine kräf- tige, nachdrückliche Form haben soll, damit er die Grenze zweier Welten hinlänglich markire; aber auch schön soll er sein, er soll ausdrücken, daß die empirische Welt den Saum, an welchem sie den Ausblick in die ideale öffnet, festlich schmückt oder daß die hereinstrahlende Idealwelt diesen Saum mit ihrem Lichte streift. Der Goldglanz eignet sich ganz beson- ders für diesen Ausdruck. Natürlich aber darf die Pracht nicht soweit gehen, daß das Verhältniß sich umdreht, indem der Saum der empiri- schen Welt so eitel sich aufputzt, daß der empfangende Theil den hohen Gast überglänzt. Nähere Erörterung der Frage, wo dunkler Rahmen besser angebracht sei u. s. w., ist gar nicht außer Zusammenhang mit dem ächten Kunst-Interesse, würde aber hier zu weit führen. §. 688. Aus diesen Gründen läßt sich die Art der Anwendung, welche die all- gemeinen Compositionsgesetze in der Malerei finden, nur in folgender Hervor- hebung einzelner Puncte ausdrücken. In der Darstellung einer einzelnen Ge- stalt ist der Formen-Rhythmus, wie er im Rhythmus des Lichts und der Farbe noch seine ästhetische Geltung behauptet, durch den Organismus gegeben. Für die Zusammenstellung mehrerer ergibt sich auf dem Standpunct unentwickelter, bei der zweiten Stoffwelt einfach verharrender Kunst, der zwar auch in die Zeit der Reife sich fortsetzt, ein Gesetz architektonischer Symmeterie, welches naturgemäß die, auch in mancherlei Veränderungen doch sichtbar zu Grund liegende, Pyrami- dalform begründet. Es lassen sich also nur in einem unendlichen Gebiet einzelne Linien ziehen, Anhaltspuncte geben, wir können über den einfachen Satz, daß die einzelnen Gesetze, welche in der Aufgabe der Composition enthalten sind und die wir im betreffenden Abschnitte (§. 494 ff.) entwickelt haben, nun auch auf die Malerei Anwendung finden, und über die Aussage, daß die lineare Seite der Composition durch die Harmonie der Licht- und Farbengebung, so wie durch die andern genannten Momente wesentlich modificirt und aus der ersten Rolle verdrängt wird, nur um wenige Schritte hinausgehen und nur unter beständigen Vorbe- halten uns näher orientiren. Auch dieses beschränkte Maaß näherer Be- stimmung ist nicht möglich, ohne die Geschichte, die Zweige, die Stylrich- tungen unserer Kunst sogleich zu berücksichtigen. Da begegnet uns denn zuerst eine Form, die zwar bleibend ist, aber uns hier insbesondere in einer bestimmten geschichtlichen Gestaltung interessirt: das Aufstellen einer einzelnen menschlichen Figur. Zunächst gilt von ihr dasselbe, was von der einzelnen Statue (vergl. §. 626, 2 .), aber in dem Grade modificirt, in welchem die Malerei sich zur Entfaltung ihrer spezifischen Mittel aus- bildet: der Rhythmus der Linie, insbesondere in der Bewegung als Con- trastwirkung der Glieder ausgebildet, wird durch den hinzugegebenen Grund, Farbe und Ausdruck einer läßigeren, blos relativen Berücksichtigung an- heimgegeben. Man gestattet nichts Verletzendes, wie z. B. ein unmoti- virtes Vernachläßigen des Gegensatzes von Standfuß und Spielfuß, aber man fordert keine gemessene plastische Stellung. Eigentlich han- delt es sich, sofern von einer bleibenden Form die Rede ist, fast allein vom Bildniß, denn wir werden sehen, daß das einfache Hinstellen einer einzelnen Gestalt außerhalb des Porträtzwecks streng genommen un- malerisch ist, und hier eben sind kleine zufällige Bewegungen erlaubt, die sich der strengeren plastischen Bindung entziehen, und große, die zu imposanten Parallelen der Glieder führen, ausgeschlossen. Dagegen hat nun die alterthümliche Malerei auch höhere historische und mythische Gestalten einfach statuarisch hingestellt, ihnen eine plastische Ruhe gegeben und mit richtigem Instinct auch die entsprechende Art eines gebundneren, gehalt- neren Rhythmus durchgeführt. Solche Figuren stehen sich allerdings ge- wöhnlich bei cyklischen Anordnungen entsprechend gegenüber, bilden relief- artige Reihen, natürlich nicht in Profilstellung, wie im Relief. Die- selbe mythische Anschauung, welcher dieß Verfahren im Allgemeinen an- gehört, hat sich aber eine Reihe von Aufgaben gebildet, worin ein der Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 41 Plastik verwandtes, mit dieser auf das architektonisch Symmetrische zurück- führendes Gesetz sich ganz natürlich ergab. Es war namentlich die Vor- stellung, als sei der Lufthimmel die Wohnung eines Reiches transcenden- ter Gestalten, welche das Motiv hiezu darbot: aus den geöffneten Wol- ken erscheint Maria, Christus, Gott Vater, unten auf der Erde gruppiren sich in einer natürlichen. Gegenüberstellung andächtige Menschen: eine Symmetrie, die auf dem einfachsten Wege zur Pyramidalform führt, in- dem die trennende Mitte des Gegenüberstehenden als göttliche Erscheinung über diesem in der Höhe schwebt. Auch das Thronen mythischer Gestal- ten gehört hieher, das ebenso einfach durch die seitliche tiefere Stellung anbetender Menschen oder Heiligen eine pyramidale Anordnung motivirt. Die mythische Vorstellungsweise fällt mit der unreifen Kunst zusammen, welche die eröffnete Richtung der Tiefe und die Art der Idealität, die hiedurch vermittelt wird, noch nicht zu benützen weiß; keine Entwicklung nach dieser Seite durchkreuzt daher den Zug der Composition in die Höhe von der Erde in die Luft. Durch stärkere Bevölkerung der letzteren kann das pyramidale Schema mehrfach in weitere, mannigfache Figuren bil- dende Gegenüberstellungen auseinandergehen, ohne dadurch als herrschende Grundform zu verschwinden. Uebrigens gibt die reife Kunst die mythische Anschauung noch nicht auf. In Raphaels Disputa erhalten wir dadurch das Beispiel einer besonders merkwürdigen architektonischen Composition: auf der Erde zu den zwei Seiten des Altars ein symmetrisches Gegen- über von Kirchenlehrern nebst Laien, im Ganzen einen nach oben gebo- genen Kreisausschnitt darstellend, da sich die Enden etwas abwärts ziehen; in der Luft der feierliche Kreis sitzender Erzväter, Apostel, Heiliger, an den Enden etwas aufwärts gezogen, das symmetrische Gegenbild des untern. Auch dieser Kreisausschnitt besteht übrigens aus zwei symmetri- schen Hälften, denn in der Mitte ist er durch einige Wolken getrennt, in welchen, selbst wieder symmetrisch, vier Engelknaben schweben. Dar- über erscheint nun Christus mit Maria und Johannes zur Seite, über diesen Gott Vater auf dem Glorienbogen: der pyramidale Abschluß, dessen Basis die zwei untern Gestaltenkreise bilden. Dieser Abschluß bildet eben- falls wieder eine symmetrische Gruppe und überdieß schweben zur Seite Gottes des Vaters, in Umriß und Farbe leicht gehalten, daher die Pyra- midalform des Gipfels nicht aufhebend, wieder je drei Engel. Die zwei großen Figurengruppen, Erde und Himmel, sind symbolisch vermittelt durch die Strahlen, welche von der Gestalt des heil. Geistes, der Taube, die unter der Figur Christi schwebt, auf die Hostie niederschießen, die auf dem Altare sich befindet. Man sieht nicht leicht eine mehr geometrische Anordnung, aber auch nicht leicht innerhalb derselben einen solchen Triumph über das starre architektonische Gesetz durch wunderbare Großheit in den Gestalten, Individualität, natürliche Leichtigkeit und Abwechslung in den Bewegungen. Ein einfacheres, besonders klares Beispiel symmetrisch pyra- midaler, mythischer Anordnung ist die sixt. Madonna. Die Composition des jüngsten Gerichts, wie sie durch Oreagna im Campo santo zu Pisa als Mu- ster festgestellt und von M. Angelo zur furchtbarsten Handlung belebt ist, zieht das Pyramidale in der Grundform, das sich hier ebenfalls aus dem mythisch geöffneten Himmel über der Erde, aus den aufschwebenden Seligen links, abstürzenden Verdammter rechts vom Zuschauer ergibt, durch Kreise von Ver- klärten und Engeln, die sich oben seitlich neben der Gruppe Christi, Mariä und Johannis ausbreiten, durch darüber schwebende Engel vielgestaltiger, doch im Wesentlichen durchaus symmetrisch auseinander. In neuerer Zeit sehen wir aus der mythischen Auffassung ebenfalls eine gebundenere, geome- trische Art von Anordnung und Pyramidalform sich ergeben. So z. B. in Kaulbachs „Zerstörung von Jerusalem“: im Tempel symmetrisch durch den Altar getrennt, welcher die Mitte bildet, vor welchem der Hohepriester sich ermordet, um welchen Gruppen der Hungernden, Verzweifelnden sich gebildet, links die nach dem brennenden Allerheiligsten zurückgedrängten Zeloten, rechts die eindringenden Römer, Titus an der Spitze; diese Symmetrie der menschlich natürlichen Handlung wird nun nach oben in stumpf pyramidalem Gipfel abgeschlossen durch die Propheten in Wolken, nach unten wird sie verdoppelt durch den von Furien fortgepeitschten ewigen Juden links, die abziehenden, von Engeln geleiteten Christen rechts. Die phantastische, doch großartige Composition der Hunnenschlacht zeigt ebenfalls, wie sich, wenn der Zug der Handlung in die Luft geht, immer eine pyramidenähnlich abgeschlossene Symmetrie von selbst ergibt. §. 689. Die ausgebildete Malerei ist in Gefahr, die aus §. 686 sich ergebende Freiheit der räumlichen Anordnung zu mißbrauchen und durch Verwirrung der Gegenstände, insbesondere durch solche, die aus einem Uebermaaß im Umfange des Dargestellten entsteht, in den Fehler der unruhigen Composition zu verfallen. Ein Gesetz der Vertheilung und Bindung, wodurch diesem Uebel be- gegnet wird, muß bestehen, obwohl nun die Style und Zweige sich spalten. Die ausgebildete Malerei ist diejenige, welche erkannt hat, daß in der ganzen Natur des malerischen Verfahrens die Forderung liegt, alle Stoffe in die Bedingungen der realen Wirklichkeit hereinzuversetzen, also das Naturgesetz anzuerkennen und z. B. nicht eine Handlung in der Luft vor sich gehen, menschlich gebildete Gestalten auf Wolken stehen und sitzen zu lassen u. s. w. Sie kann , wie wir gesehen, noch diese mythischen 41* Motive walten lassen und dann genießt sie den Vortheil jener sich von selbst darbietenden architektonischen Anordnung, aber sie steht nicht auf dem wahrhaft malerischen Boden. Je stärker das Gefühl dieses Bodens ist, desto gewisser wird sie, wie wir im andern Zusammenhange schon be- rührt haben, selbst noch in der Epoche der Herrschaft der zweiten Stoff- welt die Scenen aus derselben ganz in die menschlich vertraute Wirklich- keit, Umgebung und ganze Bedingtheit hereinrücken, endlich aber sie ganz aufgeben und bei der ursprünglichen Stoffwelt verweilen. In dieser ist nirgends der Zusammenhang zerrissen, sondern steht Alles in Beziehung; es ist nichts Leeres zwischen Gegenstand und Gegenstand, kein „Loch in der Natur“; der Maler kann also nicht, um eine einfach klare symmetrische Anordnung durchzuführen, beliebige Puncte auf seine Fläche setzen, die ohne Rücksicht auf das Gesetz der Schwere sich in die Höhe übereinander aufpflanzen. Wie er denn nun erkannt, daß er ein Ganzes von festen Ge- stalten, Umgebung, allgemeinen Medien in unzerrissen beziehungsreichem Zusammenhang darzustellen hat, so kann er sich leicht von jedem Gesetze strengerer Anordnung entbunden glauben: er kann meinen, weil die Art der Bindung der Vielheit zur Einheit durch die Verschlingung mannig- facher Fäden sich einer bestimmteren Nachweisung entzieht, es bestehe eine solche Pflicht gar nicht. Daher stellen wir den wenigen Linien, durch die wir diese Pflicht, so weit es möglich ist, zu formuliren suchen, die War- nung vor der Unruhe in der Composition voran; denn in diese Scylla geräth der Maler, wenn er die Charybdis der Einförmigkeit, zu welcher freilich eine sculptur-artige Bindung ihn führen würde, in steuerloser Fahrt ver- meidet. Wir hätten auch bei der Bildnerkunst diesen organischen Fehler besprechen können; er fällt aber vorzüglich da in’s Auge, wo die größere Freiheit der ganzen Kunstweise durch die lebhaftere Wirkung der Dar- stellungsmittel sich breiter und kecker ausspricht. Da der bewegte Charakter der Malerei sich in der Farbe concentrirt, so wird allerdings der Eindruck der Unruhe namentlich dann entstehen, wenn den Forderungen nicht ent- sprochen wird, die wir an die Farbengebung gestellt haben, wenn die Localfarben keine Accorde bilden, wenn sie in unverarbeiteter Grellheit herausschreien, wenn kein über das Ganze ergossener Ton sie dämpft und zusammenhält oder statt des Tons eine neue grelle Farbenwirkung in Licht und Luft hereinbricht. Doch hat man, wenn von Unruhe die Rede ist, ebensosehr, ja noch häufiger die Unruhe in der Anordnung der Gegenstände im Auge, denn daß die Farbe harmonisch sein soll, ver- steht sich weit mehr von selbst, als daß die Seite, die ihr mehr oder min- der untergeordnet ist, nämlich die Welt der Formen und Linien, zur be- ruhigenden Ordnung gebunden sein soll, jene Harmonie scheint diese zu ersetzen, eben aber, daß die ferner liegende Verpflichtung doch auch Ver- pflichtung ist und ihre Vernachläßigung sich peinlich zu fühlen gibt, das betont man dadurch, daß man einen Namen, der zwar auch der Dishar- monie der Farbe gilt, mit besonderem Nachdruck auf sie anwendet. Beide Seiten hängen aber ja innerlich auch zusammen: die Farbe soll ja mit der Bedeutung, also auch der Ordnung der Gegenstände im Einklang sein und schwerlich wird, wer in der Linear-Composition unruhig wirkt, in der Farbe ruhig wirken. Der Ausdruck ist übrigens so treffend, daß er verständlich ist, noch ehe wir die Gesetze deutlicher zu bestimmen suchen, deren Verletzung er bezeichnet: Auge und Geist muß beunruhigt werden, wenn die Gegenstände in loser Zerstreuung herumtaumeln oder in allzu- engem Knäuel sich verwickeln, wenn man das Einzelne zu Gruppen zu- sammenlesen, wenn man in der Gruppe Theile, Gestalten, Arme und Füße auseinanderlesen muß, wenn die Linien der Haupt-Umrisse sich fliehen und nicht wiederfinden, oder in chaotischem Wirrsal, in zerrissenem Zickzack zusammenstoßen. Die speziellere Ursache solcher Verwirrung muß nicht, aber kann liegen in einer Verletzung derjenigen Aufgabe, die wir unter den Compositions-Gesetzen zuerst aufgeführt haben (§. 495. 496): der Einhaltung des Maaßes im Umfang. Der Maler ist so frei in der Vereinigung vieler Gegenstände zu Einem Bilde, daß er im Uebermuth leicht allzuviele hereinnimmt, müßige Figuren, allzu locker verbundene, störende Episoden einführt, und wie dieß den idealen Eindruck nicht zur Einheit gelangen läßt, so muß es sich auch dem Auge als ein in Linien Unvereinigtes aufdrängen. Die Oekonomie in diesem Sinne setzt ein klares und volles Gefühl des geistigen Einheitspunctes der Aufgabe vor- aus, das mit einem Gefühle räumlicher Wohlordnung im Künstler innerlich zusammenfallen muß; dieß führt aber unmittelbar zur Oekonomie über- haupt, auch abgesehen von dem Zuwenig oder Zuviel im Maaße des Umfangs, das völlig eingehalten sein kann, ohne daß doch das Ganze harmonisch componirt ist. Indem wir nun zu dieser übergehen, wird sich zeigen, daß in der reicheren und verschlungeneren Summe künstlerischer Mittel, die sich in der ausgebildeten Malerei darstellt, doch die einfachen Anhaltspuncte, die uns eine auf dem Boden mythischer Anschauung ihre Stoffe schlicht anordnende Kunst an die Hand gegeben hat, nicht schlecht- hin verloren sind. §. 690. Das Gesetz der Vertheilung fordert, daß sich die Vielheit in der ein- zelnen Gruppe nicht unklar verschlinge und ebenso im Ganzen das mehr Ver- einzelte und das Gruppirte deutlich auseinandertrete, damit die verschiedenen Formen des Contrasts wirken können. Im Wesentlichen wird dadurch auch für die Malerei irgendwie immer ein symmetrisches Gegenüber bei Ungleichheit der Seiten begründet, entweder für das Ganze oder für die einzelne Gruppe oder für beide zugleich. Dieß gilt zunächst von der Richtung in die Breite und Höhe; die Richtung in die Tiefe erweitert mannigfach dieses Gesetz nach einer neuen Seite, bereitet Verwicklungen, dient aber auch zur erschöpfenden Entfaltung aller, nun in doppelter Art des Abstoßes sich darstellenden Verhält- nisse der Vielheit. Es ist sogleich von Vielheit und von Gruppen die Rede, denn erst im reiferen Stoffe offenbart sich die Kraft eines Gesetzes, das sich aller- dings auch bei nur zwei Figuren irgendwie geltend machen muß. Die Dreizahl wird bei einfacheren Aufgaben in der Malerei wie in der Plastik sich als besonders willkommene Form zur Entwicklung eines einleuchtenden Rhythmus darbieten; diese Kunst eilt aber ihrer Natur gemäß zu um- fassenderen Compositionen. Wir reden zuerst von der Vertheilung, Schei- dung, Disposition; das Verhältniß der Ueberordnung, Unter- und Neben- Ordnung, das in der allgemeinen Compositions-Lehre vorher aufgeführt ist (§. 497), fassen wir hier besser erst im Folgenden, bei dem Momente der Einheit, auf. Die bindende Kunst der Einheit setzt die Vielheit vor- aus, die Einheit soll nicht wirken, ehe die Vielheit zu ihrem Rechte ge- kommen ist. Es sollen also die Gegenstände auseinandertreten, ausein- andergehalten sein. Die einzelne Gruppe bunt zu verschlingen, wie es ihm gutdünkt, hindert den Maler keine Schwierigkeit des gegenseitigen sich- Deckens der Theile, er stellt ja nur eine Seite dar und bestimmt den Gesichtspunct; aber durchsichtig sind ja doch seine Gestalten nicht (vergl. 649 Anm. 2), er muß dafür sorgen, daß der Theil oder das Glied eines Körpers, der theilweise von einem andern verdeckt ist, leicht erkannt werde als Fortsetzung einer hinter dem verdeckenden Körper fortlaufenden Form, damit das Einzelne auch in der Verbindung vieler Einzelner zu einem Ganzen doch zugleich als Ganzes für sich erkannt werde; er darf die Vielheit nicht in einen Brei zusammenkneten. Auch Körper, die mehr vereinzelt stehen, sollen nicht mit Umgebendem haltungslos verwachsen erscheinen: dem soll nicht nur die Technik der Modellirung und Farbe vorbeugen, sondern eben die Composition, indem sie berechnet, was einer Gestalt zum Hintergrund zu geben oder in der Nachbarschaft beizugesellen ist. Ebenso wie die einzelnen Körper in der Gruppe voneinander, soll sich ferner Gruppe von Gruppe einleuchtend trennen und abheben. Grup- penknäuel z. B. wie in Rubens jüngstem Gerichte zu München, sind zu wild, sind unruhig. Selbst im Getümmel der Schlacht müssen sich deutliche Gruppen sondern, Rubens hat in der Amazonenschlacht, Raphael in der Constantinsschlacht meisterhaft dafür gesorgt. Gehen wir nun tiefer, so liegt die scheidende Kraft im Inhalte des Kunstwerks selbst: es ist milder oder starker Contrast (vergl. §. 498). Massen, welche ihrer Natur nach einförmig behandelt sein wollen, dürfen allerdings relativ wie Ein Indi- viduum erscheinen, müssen sich aber als solches von Anderem entschieden abheben. Was sich dagegen unterscheiden und entgegentreten soll, wird zwar im Einzelnen unmittelbar nebeneinander stehen und nur durch Farbe und Ausdruck seinen Contrast markiren, im Großen und Ganzen aber liegt hier offenbar in dem flüssigen Gebiete des Malerischen ein fester Punct vor: das Auge fordert, daß sich der Contrast in einer Gegenüber- stellung ausdrücke, und das Gesetz der Symmetrie, das uns bei der einfach architektonischen Anordnung sich ergab, bleibt unläugbar auch bei der ächt malerischen in Kraft. Die Mitte lassen wir zunächst außer Betracht, man kann sich ein relativ Gleichgültiges als das Trennende denken. Der alterthümlich architektonischen Composition nähert sich am meisten die mehr plastische Stylrichtung und zwar vorzüglich in großen, monumentalen Aufgaben: hier wird man dieß einfache Gesetz überall in Kraft finden, die Gegensätze von Mann und Weib, Jugend und Alter, Schwach und Stark, Freund und Feind, Handeln und Leiden, Handeln und Zuschauen, Geben und Empfangen u. s. w. werden sich naturgemäß ein einem Gegenüber darstellen. In Raphels Bestrafung des Ananias z. B., einer durch Klarheit und Entschiedenheit besonders lehrreichen Composition, haben wir auf dem ersten Plane links und rechts sich gegenüber verschiedene Formen der Aufregung bei dem Anblick des hingeschmetterten Ananias, der übrigens nicht ganz in der Mitte liegt, sondern mehr zur linken Gruppe gezogen ist, weiter hinten treten links die Gemeinde-Mitglieder zu einer Tribüne, um ihre Habe darzubringen, rechts empfangen andere die Gaben: die räumliche Disposition macht auf den ersten Blick die Motive verständ- lich und zwar auch den speziellen Act, da in der linken Gruppe das Weib des Ananias Geld in die Hand zählt, woraus wir den vorgefallenen Betrug erkennen. Soviel zunächst über die Richtung nach der Breite; wir gehen nun auch nach der Höhe, doch ohne vorerst ihre ganze Bedeu- tung in’s Auge zu fassen. Der Contrast kann sich auch oder zugleich in dieser Richtung darstellen; z. B. bei Handeln und Leiden ist dieß ganz natürlich: der stärkere Feind überragt etwa an Größe den schwächeren Gegner, hat den Vortheil höheren Standorts, sitzt zu Pferde, oder sonst ein natürliches Motiv stellt die im Contrast wirkende Kraft höher. So steht auf der berühmten Tapete, von der wir sprechen, Petrus, neben ihm Ja- kobus und sieben andere Apostel auf der genannten Tribüne; Petrus spricht das Wort, das den Ananias wie ein Blitz hinschmettert, von der Höhe. Die obere Gruppe theilt sich auch wieder, wiewohl nicht durch Zwischenraum getrennt, in Handelnde (Jakobus unterstützt in mildem Contraste die Handlung des Petrus, indem er durch den Fingerzeig nach oben das eben Eingetretene als göttliches Strafgericht bezeichnet,) und Zuschauende (die übrigen Jünger sehen mit Entsetzen den furcht- baren Auftritt). Es versteht sich nun, daß die Symmetrie selbst bei sol- chen normal einfachen Compositionen keine geometrisch einförmige sein darf, sonst wäre es wohl numerische, aber nicht qualitative Vielheit, was durch sie in beziehungreicher Sonderung auseinandergehalten wird. Der Künstler muß außer den stärkeren Abweichungen von der starren Regelmäßigkeit hiefür dadurch sorgen, daß er das ganze ungesuchte Wal- ten der Zufälligkeiten neben den festen Hauptmomenten hindurchspielen läßt, und zwar dieß auch dann, wenn das ästhetische Motiv selbst es, wie oben erwähnt ist, mit sich bringt, daß eine gewisse Einförmigkeit eine ganze Seite beherrscht, wie z. B. eine Flucht, eine gleichmäßige stürmische Bewegung einer Leidenschaft u. s. w. So zeigen die entsetzten Zuschauer aus dem Volke auf der linken. Seite von Raphaels Bild: die Vertreibung des Heliodorus aus dem Tempel von Jerusalem einen gemeinsamen Wurf wie vom Winde nach einer Seite hingewehte Bäume, aber mit der größten Genialität sind sie in Formen, Bewegungen, Ausdruck wieder verschieden behandelt; auf der oben dargestellten Composition hat der Künstler, damit die Symmetrie nicht zu fühlbar werde, neben allen Unterschieden der Indivi- duen, ihres Affects, ihrer Bewegung schließlich noch im Hintergrunde da- durch für den nöthigen Wechsel gesorgt, daß er sich rechts durch Architektur abschließt, während links sich eine Landschaft öffnet. — Was nun die Richtung in die Tiefe betrifft, so haben wir seines Orts bereits von der Bedeutung der Hauptabstufungen, von der Haltung, die durch die Be- stimmtheit ihrer Unterscheidung in das Ganze kommt, das Wesentliche ausgesprochen. Im gegenwärtigen Zusammenhang ist zunächst abgesehen von der Beziehung zu der Composition nach Breite und Höhe noch zu bemerken, daß dem anordnenden Künstler nach dieser Seite in der Aus- führung immer noch gewisse spezielle Aufgaben begegnen werden. So wird er insbesondere auch bei dem günstigsten Naturvorbilde selten den Vordergrund wirksam genug finden; derbe Massen und Gestalten in ver- stärkter Kraft des Lichts und noch mehr des Schattens werden hier an- gebracht werden müssen, um das Uebrige energisch zurückzutreiben; Rott- mann liebt z. B. im Vordergrund eine schattige Quelle, einen Teich mit stark modellirten Erdformen, energischer Vegetation, um der Sonnengluth der südlichen, ausgetrockneten Landschaft das Gefühl der Kühle adstringirend gegenüberzustellen; die Malerei der Verfallszeiten mit ihrer akademischen Schablone hat freilich auch hier in den stehenden groben Klötzen der sog. repoussoirs die Absichtlichkeit und den Mechanismus schreiend zu Markte gebracht. Es ist nun aber mit der Richtung in die Tiefe ein neuer räumlich ausgedrückter Contrast in die Composition eingetreten, das Prinzip der Auseinanderhaltung des Vielen erweitert sich nach einer andern Seite. Es entsteht daraus eine Durchkreuzung der Richtungen, die aber darum jenes Gesetz der Gegenüberstellung nicht aufhebt, sondern neben ihm be- stehend dem Künstler nur auflegt, in seinem räumlich vertheilenden Denken eine größere Summe von Fäden gleichzeitig zu regieren. So kann nun eine Figur ihren Gegensatz ebenso gut hinter sich, als sich gegenüber haben, der Contrast als nächster oder entfernterer Hintergrund wirken, aber auch zugleich in einem Gegenüber sich entfalten. Z. B. Delaroche’s Marie Antoinette hat unmittelbar hinter sich die Wache der Nationalgarde, ihr Kopf hebt sich in scharfem Contrast von den stumpfen Zügen eines dieser Soldaten ab; die eigentlichen Feinde, die Richter, sind im ferneren Hinter- grund, aber durch düstere Beleuchtung gehoben; daneben aber wirkt die Symmetrie der Breite nach, denn rechts der Königin gegenüber, unter sich selbst wieder contrastirend, theils fanatisch, theils mitleidig, befindet sich das zuschauende Volk, neben einem fanatischen Nationalgardisten und Offizier jener apathisch gleichgültige. Man sieht an diesem Beispiel zugleich, wie Licht und Farbe vermittelnd eintritt, so daß, wenn eine von zwei gegen- überstehenden oder der Höhe nach in Gegensatz gestellten Seiten entfernter steht, als die andern, oder der Gegensatz überhaupt mehr nur in der Richtung der Tiefe sich ausspricht, das Gleichgewicht durch kräftigeren Beleuchtungs-Gegensatz sich herstellen kann; auch wird ein Theil der entfernteren Gruppe doch zugleich mehr auf den Vordergrund sich herein- ziehen und hier wieder ein Gegenüber bewirken. Die Tiefe hat zugleich eine bestimmte Beziehung auf die Zeit, genauer auf das Verhältniß der Ursache und Wirkung. Geht die Handlung im Vordergrunde vor sich, so wird das nächste Object mit wenig Unterschied der Entfernung in die Tiefe sich dem Handelnden gegenüber befinden, die unbestimmteren Nach- wirkungen aber, z. B. die Flucht von Massen in einem Schlachtbilde, werden sich nach dem Hintergrunde ziehen; in diesem kann aber, wie das eben erwähnte Bild zeigt, auch das Vergangene, was sich zu dem Vor- dergrund als Ursache und Voraussetzung verhält, ohne Verletzung des Grundgesetzes der bildenden Kunst in deutlicher Sprache ausgedrückt sein. — Das Ganze bewirkt so im gleichzeitigen Gegenschlag nach der Breite und Höhe und nach der Tiefe das befriedigende Gefühl einer gründlichen Erschöpfung und Ausathmung des dargestellten Lebens-Acts. Diese Bemerkungen haben vorzüglich die historische Composition im Auge gehabt und zwar vor Allem den mehr plastischen Styl, denn dahin gehört Raphael. Je weniger nun der Charakter in seiner heroischen Größe und der Einfachheit seiner idealen Motive den Inhalt eines Ge- mäldes bildet, je mehr der Accent auf das Zufällige, Einzelne, Anhängende der Individualität fällt, desto weniger sichtbar und kräftig wird das Ge- setz jener einfachen Gegenüberstellungen wirken; es wird nicht ganz ver- schwinden, aber es wird ihm leichter und häufiger dadurch genügt werden, daß Körpern aus irgend einer Sphäre Körper aus einer andern, niedri- geren, aber jetzt zur Geltung gelangten, oder daß Körpern überhaupt die Intensität von Lichtwirkungen als Gegengewicht symmetrisch gegenübertritt. Haus, Geräthe, Baum, glühender Himmel, glänzende Wolken u. s. w. stellt das Gleichgewicht her. Man sieht hier, daß Solches, was wir in §. 686 im negativen Sinne, als Grund der Erschwerung fester Bestim- mungen über die lineare Composition geltend gemacht haben, nämlich Licht und Farbe, nun doch auch in die positive Beziehung zu jener tritt, daß es mit ihr in Eine Berechnung gezogen gemeinschaftlich dem nur freier sich wendenden Gesetze dient. Es ist natürlich insbesondere die Landschaft, von welcher das Letztere gilt: die Wirkung der allgemeinen Medien tritt mit der Wirkung der durch sie beleuchteten Körper in diesen Compromiß der gegenseitigen Ergänzung. Doch ist auch im Genre und in der Landschaft der Unterschied der Style wieder wichtig. Das höhere, plastisch behandelte Genre componirt mit strengerer Symmetrie, als das niedrige; man sehe zu, wie rein und klar sich die Gruppen auf L. Roberts Bildern: die pontinischen Schnitter und die Fischer von Chioggia bauen, und vergleiche damit einen Teniers; von Claude Lorrain haben wir zu §. 686 eine Landschaft angeführt, wo das Gegenüber rechts Gebirge, links Meeresfläche mit intensivem Licht ist, aber wie architektonisch klar pflegt er sonst den festen, körperlichen Theil seiner Landschaft an sich schon zu bauen, verglichen mit einem Ruysdael! §. 691. Die Einheit ist es, von welcher bereits auch die Klarheit in der Auseinanderhaltung des Vielen ausgeht, welche zugleich positiv als Bindung wirkt und die Scheidung nicht bis zur Zerreißung fortgehen läßt. Dieselbe tritt aber auch leibhaft entweder als bedeutendster Gegenstand überhaupt oder als bedeutenderer in der einzelnen Gruppe auf und dieß Werthverhältniß der Ueberordnung kann zwar auch durch Stellung in der Mitte oder an einer der Seiten, wird aber doch irgendwie, wo nicht in der Anordnung des Ganzen, doch der Theile seinen Ausdruck zugleich wesentlich in der überragenden Höhe sinden , so daß ein Anklang an die Pyramide auch durch die Werke der ausgebildeten Malerei sich hindurchzieht. Einheit in der Vielheit, Vielheit in der Einheit: beides läßt sich nicht trennen, Vertheilung ist Bindung, Disposition Composition und um- gekehrt. Das symmetrische Gegenüber, das wir im vorh. §. gefunden, ist ja nur der Ausdruck des innern Gegenstoßes, den sich die Einheit gibt; durch zu dichte Knäuel und durch Zerstreutheit des Einzelnen leidet, weil die Vielheit sich in’s Unklare verliert, eben auch die Einheit. Zu §. 498, 1. ist die Theilung der zwölf Apostel in Gruppen von je drei Männern angeführt, wodurch Leonardo da Vinci die Monotonie der an einer Tafel sitzenden dreizehn Figuren gebrochen hat: diese sind dadurch verbunden, aber auch getrennt, denn zwischen den Gruppen ist schärfere Scheidung, als zwischen den mehr isolirten Einzelnen wäre. Was aber in dieser Composition sowohl trennt, als vereinigt, das ist das eben ge- sprochene Wort Christi: Einer unter euch wird mich heute verrathen; dieses Wort hat wie ein Blitz eingeschlagen, Alle sind nur mit ihm beschäftigt, Jeder auf andere Weise, und da sich Jeder äußern muß, so führt ihn das Bedürfniß der Mittheilung zu dem Nachbar; es kann aber nicht Jeder mit Jedem sich besprechen, so bilden sich ganz natürliche Gruppen von je drei Männern, worin jedoch wieder für den Unterschied gesorgt ist, indem Einzelne nur der Linie nach mit ihrer Gruppe zusammenge- hören und in Wirklichkeit doch mehr für sich sind oder sich hinauswenden nach der Hauptperson. Trotz diesem Ineinander der zugleich trennenden und bindenden Wirkung müssen wir aber die Einheit dennoch für sich be- trachten; dieß ergibt sich vor Allem daraus, daß der Contrast, obwohl selbst in der Einheit gegründet, doch bis zur Zerreißung fortgehen kann, wenn die Einheit zwar in der Idee liegt, aber nicht in’s Auge tritt. So reichen z. B. die Nachweisungen einer innern, ethischen Einheit nicht aus, um die Zweiheit, in welche Raphaels Transfiguration in der Richtung des Oben und Unten zerfällt, zu rechtfertigen; weit eher findet man hier die Rechtfertigung in dem mehr architektonischen Gesetze der mythischen Ma- lerei; die Theile verhalten sich in diesem Bilde wirklich wie Wand und Giebel. In der gesperrten Landschaft schneidet Everdingen öfters die mittlere Höhe mit einer zu scharfen, unangenehm trennenden Horizontale durch; in der geöffneten muß es jedem Künstler sein Gefühl sagen, ob die zwischen einem Gegenüber von Bergen oder dergl. aufgeschlossene Ferne noch den einheitlichen Abschluß eines Berges am äußersten Horizonte bedarf; nach Umständen fällt ohne diese zusammenfassende Form das Ganze der Breite nach wie in zwei Stücke auseinander, nach Umständen wirkt umgekehrt die Zuthat zerreißend. — Es muß nun aber die Einheit auch ihren eigenen, besondern Ausdruck finden, muß sich als ausdrückliche Erscheinung neben die von ihr beherrschte Vielheit stellen. Hier tritt die Höhe in einer neuen Bedeutung auf. Wir haben dieselbe schon im vorh. §. zur Sprache gebracht, doch nur erst nach der Seite der Scheidung, der sich gegenübertretenden Vielheit; freilich, wenn dort gesagt ist, der Handelnde, der Siegreiche u. s. w. werde dem Leidenden gegenüber häufig auch in räumlicher Erhöhung auftreten, so war damit bereits zugleich ein Werthverhältniß ausgesprochen. Dieß ist nun aber für sich zu beleuchten. Die eigentliche Einheit ist immer der Geist des Ganzen; dieser wird sich aber in Einem Gegenstand oder in einigen positiver concentriren, als in den andern, der Begriff der Einheit bestimmt sich daher innerhalb des Einzelnen zu dem der Ueberordnung. Diese drückt sich in der Malerei keineswegs nur durch die Höhe aus; zur Seite Christi in Leonardo’s Abendmahl z. B. steigen die Gruppen der Apostel zu den Seiten höher an, die Hauptperson ist räumlich nur durch einen stärkeren Zwischenraum, als der zwischen den einzelnen Gruppen, abgehoben, an sich aber durch die Stellung in der Mitte ausgezeichnet. Man sieht an diesem entschei- denden Beispiele, daß, wie im Relief, auch die Stellung in der Mitte allein die Bedeutung der Hauptfigur ausdrücken kann; selbst die Stellung an einem Ende kann, ebenfalls wie im Relief, diesen Zweck erfüllen, was man in so manchen Länge-Compositionen der Venetianer sieht. Doch ist die Symbolik der Höhe und Tiefe eine so einleuchtende, daß die Malerei als bildende Kunst nothwendig sich von ihr bestimmen lassen muß, auch wo sie die mythisch-architektonische Composition längst verlassen hat. Es ist z. B. dem Auge peinlich, daß Constantin auf Raphaels Schlachtbild eine gedrückte Figur ist und zu tief im Pferde sitzt (ein Fehler, der auch bei andern Reiterfiguren Raphaels vorkommt). In zahllosen Werken großer Meister, auch wo nicht ein äußeres Motiv, wie Hängen am Kreuz, Kreuzabnahme, die Höhen-Composition mit sich bringt, herrscht sie und befriedigt unser innerstes Gefühl. Die Emporragung stellt nicht noth- wendig einen pyramidalen Gipfel dar, die höher gestellte Gruppe ist z. B. breit in Raphaels Ananias, noch breiter in der Schule von Athen, in der Amazonenschlacht von Rubens, wo sich aber doch so klar und wohl- thuend das sausende Gewühl in die zwei Seitengruppen der wild in den Strom abstürzenden Amazonen und den Hauptkampf oben auf der Brücke disponirt. Allerdings aber ist das steilere Ansteigen zur Pyramide in den verschiedensten Variationen zu natürlich, als daß es nicht in unendlichen Werken der Malerei sich aufdrängen sollte; wir greifen aus der Fülle der Beispiele drei der edeln Compositionen von L. Robert heraus, die wir zum Theil schon flüchtig angeführt haben. Auf den Fischern von Chioggia bauen sich drei Hauptgruppen: in den zwei untern stehen sich rechts Männer, links Frauen in freier Symmetrie gegenüber; den letzteren näher ist ein Jüngling, fast noch Knabe, mit den Netzen beschäftigt, ein schöner Linien- zug führt von ihm hinauf zur mittleren höheren Gruppe, deren höchsten Punct der befehlende Alte, das vielerfahrene Familienhaupt, einem home- rischen Manne gleich, darstellt; wobei wir nachholen, wie auch in der Malerei das System der einzelnen Bewegungen noch einen plastischen Rhythmus bilden soll: man bemerke den edeln Antagonismus der Linien zwischen dem linken Arm jenes Jünglings und dem ausgestreckten des Alten. Die zwei andern Bilder führen zu einer interessanten näheren Bestimmung. Drei Hauptgruppen treten auch hier auseinander, die mittlere steigt pyramidalisch, aber die Spitze wird nicht oder nicht un- zweifelhaft durch die Hauptperson gebildet. In den pontinischen Schnit- tern mag der herrliche, ernste Bursche, der vorn in der Mitte zwischen den Arbeiterinnen links und den tanzenden, pfeifenden Schnittern rechts an sein Büffelgespann gelehnt steht, als die Hauptperson erscheinen, allein die Männer auf dem Wagen und die höchste Figur, die Madonnen-artig schöne Frau mit dem Kinde, sind durch die Wirkung der Höhe idealisirt: da unterscheiden sich denn zwei Formen der höheren Bedeutung, die auf verschiedene Weise durch die Symbolik des Raumes ausgezeichnet sind: die Jugendkraft durch Stellung in der Mitte (wiewohl mit den Büffeln wie- der einen herrlichen pyramidalen Gegensatz gegen die thierische Kraft bildend), das reife Mannessalter und dann noch mehr weibliche Idealität durch Stellung in der Höhe: ein belehrendes Beispiel des Zusammen- laufens verschiedener Beziehungen; der Bursche gehört aber zur Basis der Pyramide und drückt so aus, wie auf thätige Jugendkraft das Fami- lienleben sich stützt und baut. In der Madonna dell’ Arco ist das schöne Mädchen mit dem Thyrsus-artigen, von Obstpflanzen umwundenen Stab auf dem Karren als Hauptperson zu bezeichnen, aber ein junger Bursche hebt sich noch über sie, wiewohl er entschieden unbedeutender ist. Dieß Beispiel beweist allerdings, daß, wie die höchste Wichtigkeit nicht noth- wendig die höchste Raumstellung mit sich bringt, so diese nicht nothwendig als Ausdruck für jene anzusehen ist. Oft ist es einfach ein Bedürfniß des Auges, was den Maler bestimmt, noch höher zu gehen, irgendwie durch weiteren Linien-Aufbau befriedigender abzuschließen; ganz ohne Zu- sammenhang mit innerer Bedeutung kann dieß zwar nicht sein, aber die- selbe kann sich mit so zarten Fäden in Anderes, Weiteres verlieren, daß wir diese Seite hier nicht weiter verfolgen, sondern nur soviel sagen können: umgestoßen wird die Wahrheit des innern Zusammenhangs zwischen Dig- nität und Höhe dadurch nicht, daß ein solcher Bautrieb zugleich auch mehr nur formell wirkt, und wenn derselbe ohne fühlbare Beziehung auf den Werth der Gegenstände allzu sichtbar auftritt, so geräth die Malerei in frostigen, auf unerfreuliche Weise an plastische Herrschaft des Conturs erinnernden Formalismus. Von gesuchter Pyramidal-Composition ist z. B. Raphaels größeres Bild der heil. Familie in München nicht ganz frei- zusprechen. — Wir haben bisher nur von der Hauptperson oder Haupt- gruppe gesprochen; der pyramidale Bautrieb wird sich aber bei mehreren Gruppen ebenso auch auf die untergeordneten werfen und man wird daher bei zahllosen trefflichen Compositionen eine größere mittlere Pyramide von kleineren, die etwa selbst wieder in Größen-Unterschiede sich theilen, mit mehr oder weniger Unterbrechung durch gerade Linien, sich umgeben sehen. Nun aber kann dieß Verhältniß in verschiedener Weise sich ver- ändern. Hauptperson oder Hauptgruppe fällt an das eine Ende einer Länge-Composition und ragt durch Höhe hervor: dann wird die Symmetrie verlangen, daß das am andern Ende Gegenüberstehende in ungefähr ent- sprechendem Maaß ebenfalls steige, wie man dieß z. B. in Paolo Vero- nese’s Bildern: die bekehrte Familie Coneina und die Anbetung der Kö- nige (in Dresden) sieht. Der natürliche Zug zu der Anordnung einer Basis von niedriger Gegenüberstehendem und einem Gipfel darüber wird sich dann, da er sich nicht als Pyramidalform im Ganzen darstellt, doch auf diese zwei Endgruppen werfen und man erhält eine tiefere Mitte von zwei pyramiden-ähnlichen Formen flankirt. Diese oder eine ähnliche Anordnung kann nun überhaupt eintreten, wenn Hauptperson oder Haupt- gruppe nur durch die Stellung in der Mitte sich auszeichnet oder eine solche im engeren Sinne überhaupt nicht da ist, sondern die Einheit mehr im Geiste des Ganzen bei nur relativem Dignitäts-Unterschiede der Grup- pen liegt: man wird irgendwie einen pyramidalen Höhetrieb wenigstens in der einzelnen Gruppe mit dem Prinzip der Gegenüberstellung derselben sich vereinigen sehen. Nun haben wir aber nicht vergessen, daß das Gegenüber gar nicht blos in den Figuren, sondern ebensosehr in einer Zusammenstellung dieser mit andern festen Körpern oder bald der einen, bald der andern, bald beider mit Licht- und Farbenwirkungen sich aus- drücken kann und daß dieß im Genre und Landschaft und im rein male- rischen Style vorzüglich der Fall sein wird. Dennoch wird dieser Zug der Raum-Symbolik auch hier nicht völlig schweigen; ohne denselben Parallelismus im Großen, wie bei der strengeren historischen Composition oder dem höheren Genre, aber doch innerhalb einzelner Gruppen wird ein inneres Gesetz den Maler immer dazu führen, den Dreischlag von zwei oder mehreren Gegenüberstehenden und einem Uebergeordneten in der Annähr- rung an die Pyramidalform darzustellen. Man wird z. B. keine schöne Baumgruppe finden, in der sie nicht mit freier Zufälligkeit anklingt, sei es, daß eine Hauptpyramide in der Mitte steigt, oder um eine niedrigere Mitte sich solche erheben; ja die einzelne Baumkrone selbst läßt sie ja anklingen wie die Menschengestalt mit ihrem symmetrischen Glieder- paare und dem Gipfel des Hauptes darüber. Man unterscheidet also in einem Gebiet unendlicher Mannigfaltigkeit doch einige Linien, einige Anhaltspuncte und Fr. W. Unger wird nicht ganz im Grundlosen sich be- wegen, wenn er in dem oben angeführten Werk es unternimmt, eine Reihe der berühmtesten Compositionen auf ein ungefähres räumliches Schema zu reduziren. §. 692. Die Schroffheit, welche durch dieß Wechselverhältniß des Einen und Vie- len noch nicht aufgehoben ist, tilgt sich schließlich durch den Ausdruck, welchen die überleitenden Momente des Vorbereitens, Motivirens, Auflösens selbst im rein malerischen Styl irgendwie in der Form und Linie studen müssen, um im Verein mit der Farbe die rhythmische , vorherrschend dreigliedrige, Bewe- gung des Ganzen herzustellen. Der Rhythmus liegt in der Gesammtheit der entwickelten Momente der Composition, in der Farbenharmonie, der linearen Anordnung und dem Zusammenwirken beider. Ein Accord von Accorden, ein aus zwei für sich einstimmigen Haupt-Klängen sich erzeugender dritter liegt eigentlich schon in diesem Bunde der zwei wesentlichen Elemente. Durch das lineare Element für sich haben wir den Dreiklang der Vereinigung von Gegen- übergestellten in einem Dritten sich ziehen sehen; im Stimmungs-Elemente der Farbe klingt Licht und Schatten mit Helldunkel, Localfarbe und Local- ton mit dem Haupt-Tone, klingt die Drei der Hauptfarben mit ihren un- endlichen Uebergängen zu einer Welt von Accorden zusammen. Die Dreiklänge schreiten in der Mehrung der Gruppen in Zahlengruppen fort, die irgendwie als eine Verzweigung der Drei erscheinen; eine Drei- zahl von Haupt-Gruppen wird sich aber bei allen reicheren Compositionen, worin die Gegenstände nicht entschieden gegen das Gewicht der in den allgemeinen Medien liegenden Stimmung zurücktreten, ganz absichtslos als die naturgemäßeste ergeben. Der Rhythmus hat nun aber auch hier sein inneres Wesen als fließende Bewegung durch eine Reihe überleitender Mittel, ein System der Divergenzen und Convergenzen zu äußern, welche die Momente der Vorbereitung, Motivirung, Lösung, wie sie innerlich im Gehalte des Kunstwerks liegen, dem Auge herausstellen. Die Zufällig- keit, die unbefangene Nachläßigkeit der Natur, die Mannigfaltigkeit, die Individualität, welche noch weit eingreifender, als in der Sculptur, jede Herrschaft eines abstracten Schema in der Malerei durchschneidet und die- selbe zum bloßen Anklang heruntersetzt, ist schon in der Grundauffassung des Malers als die lebendige Macht und Opposition gegen geometrische Starrheit und Gleichheit gesetzt; die Composition entwickelt diese Macht noch bestimmter durch einen Act ausdrücklicher Intention, prägt die leben- digen Unterschiede und ihre Wechsel-Ergänzung in den Linien aus, läßt diese sich fliehen, sich wieder finden, die Gruppen sich ungleich bauen und doch entsprechen, trennt das zu eng Verbundene und leitet durch sanfte Linien das zu hart Getrennte ineinander über, vermittelt ebenso das Farbenleben und schafft hiedurch den einheitlichen Fluß und Guß des Ganzen. §. 693. 1. Zur Ausführung umfassender Ideen in großen cyklischen Tompositionen entfaltet sich auch die Malerei vorzüglich durch den Anschluß an die Baukunst, wodurch sie sich zugleich von der Beschränkung auf einen Zeitmoment relativ befreit. Der unbestimmtere Anklang gewisser Gesetze der räumlichen Anordnung, wie er im einzelnen Bild hervortritt, wird zur festen Bindung einer Vielheit 2. von Bildern. Die engste Form dieses Anschlusses ist die Wandmalerei; die plastische Stylrichtung fällt mit ihr naturgemäß zusammen; die monumentale Großartigkeit der Aufgabe fördert mächtig die Kunst, führt aber auch leicht zu den in §. 676 bezeichneten Abwegen. 1. Der §. holt nach, was bei der Erörterung cyklischer Darstellungen in der Sculptur noch nicht ausgesprochen ist: daß in diesen die bildende Kunst ihre räumliche Feßlung an Einen Zeitmoment in gewissem Sinn überwindet, indem sie vorhergehende und folgende Momente in aufein- anderfolgenden, zusammengestellten Bildern darstellt. Im Anschluß an die Architektur wird nun das Compositionsgesetz wieder einfacher, archi- tektonischer: das symmetrische Gegenüber, Oben und Unten mit den man- cherlei ärmeren oder reicheren Gruppirungen, die nach Anzahl und Be- ziehung der Bilder aus diesem Verhältniß hervorgehen können, ist durch die streng gemessene Form der Baukunst gegeben. Es entsprechen sich nicht nur einzelne Bilder, sondern auch fortlaufende Bilderreihen; das Gegenübergestellte und Mittlere ist sich an Größe gleich oder verschieden, z. B. ein größeres Mittelbild von kleineren umgeben u. s. w. Umfassende Ideen finden nun den genügenden Raum, sich auszuleben, der denkende Künstler hat ein großartiges Feld für Gliederung ihrer Momente und sinnreiche Wechselbeziehung derselben. In der altchristlichen Basilika boten sich die Mauer-Flächen über den Säulen des Mittelschiffs als der an- gemessenste Raum, um hier, in dieser Bahn zum Allerheiligsten, die großen alttestamentlichen Vorbilder, Kämpfe und Schicksale darzustellen, auf denen die christliche Kirche sich auferbaute, der Triumphbogen deutete in großen Symbolen und Allegorien auf das Allerheiligste, die Tribuna, wo nun der Erlöser selbst in persönlicher Majestät den Blicken entgegen- trat. Die Nebenschiffe, auch die Außenseiten der Kirche, konnten diese rhythmische Folge in reicher Weise weiter ausbilden. Monumentale Bau- werke jeder Art, die Kreuzgänge der Klöster, die Hallen der Begräbniß- plätze, Loggien, Arkaden in den Städten, wie schon die antiken Stoen und Leschen, Baptisterien, Kapellen, Kirchen des romanischen, in beschränk- terem Umfange des gothischen Styls, politische, Kunst-Gebäude, Privat- paläste und Villen öffnen sich dieser großen cyklischen Entfaltung einer Kunst, die noch ungleich leichter und rascher sich an die architektonische Fläche schmiegt, als die Plastik. Die Decke des Innern, wie dieß na- mentlich in den Kuppel-Malereien geschah, zu benützen ist und bleibt wegen der mechanischen Schwierigkeit der Anschauung nicht räthlich. Wenigstens wird es passend sein, hier nur Kleineres, leicht Uebersichtliches anzu- bringen. Diese Rücksicht äußerer Zweckdienlichkeit trifft auf das Natür- lichste mit der inneren Genialität der Erfindung und Anordnung zusammen in Raphaels Stanzen: an den Wänden die Darstellung der Idee in großen historischen Bildern, in wahrer und wirklicher Verkörperung, an der Decke in allegorischer Andeutung und daneben noch in typischen Sce- nen, wie die Theologie im Sündenfall, das Recht im Urtheil Salomon’s versinnlicht; die Deckenbilder sind kleine, leicht faßliche Devisen, in die Gewölbefelder passend vertheilt. 2. Die große Wichtigkeit, welche die unmittelbarste Form des An- schlusses an die Architektur, die Freske, für Hebung und Tragung des Lebens der Malerei überhaupt hat, ergibt sich von selbst und ist schon durch die Andeutungen des §. 660 ausgesprochen. Die Fresko-Malerei ist der natürliche feste Punct, um den sich das Leben dieser Kunst bewegt; ihr Aufschwung bringt Großartigkeit, Kühnheit, Fülle der Erfindung in die andern Zweige; die technische Nothwendigkeit, in dieser Kunstweise nur die wesentlichen, gewaltigen Grundzüge des Inhalts und der Formen zu geben, wird der Hebel, wodurch der monumentale Styl ersteht, ohne dessen starke Stütze auch die Tafelmalerei Halt und Kraft entbehrt. Allein die Sache hat auch ihre Schattenseite: Es ist klar, daß die Freske mit der plastischen Stylrichtung zusammenfällt: die Farbe tritt zurück, das Gewicht fällt auf die Zeichnung und den Linienbau der Composition, hiemit auf den Begriff, die Erfindung und auf das Prinzip des directen Idealismus. Damit sind die Verirrungen und Einseitigkeiten des plastischen Styls nahe gelegt. Es bildet sich leicht jene Gedankenkunst aus, welche zu viel Werth auf das Aussinnen des Cyklus legt. Man hüte sich, jene beziehungs- reichen Anordnungen einer Vielheit von Bildern gar zu hoch anzuschlagen; am Ende könnte jeder begabtere Kopf ohne allen besondern Künstlerberuf aus einer gegebenen Idee solche Combinationen entwickeln. Das einzelne Bild in seiner rein ästhetischen Composition und in der vollendeten Durch- führung des Scheins der Dinge zeigt qualitativ mehr den Künstler, als das Auffinden eines Fadens, der eine Vielheit von Bildern zusammen- hält. Man widerstehe der Versuchung, die Mängel der künstlerischen Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 42 Durchführung eines Bildes durch seine Beziehung zu andern zu ergän- zen; es handelt sich um das Bild selbst, nicht um das, was zwischen den Bildern ist. Die Ueberfruchtung des einzelnen Bildes durch Zuthaten, welche die höheren Beziehungen darstellen sollen, ist eine weitere natür- liche Folge der Uebersteigerung des einfach Aesthetischen in das Gedanken- hafte; dahin sind nicht die freien Spiele zu zählen, mit denen eine frucht- bare Erfindung gerne die Haupt- und Nebenbilder noch in Arabeskenform, in Friesen, Sockeln u. s. w. umgibt, um, was jene mit großen Zügen aussprechen, noch überdieß in sprudelnder Fülle von Andeutungen sich ausathmen zu lassen, wie schon Raphael in den Stanzen und Tapeten gethan hat; vielmehr schlägt sich die einmal ausgebildete Neigung zum Beziehungsreichen, Andeutungsvollen auch auf die Hauptbilder und steckt in jede Ecke derselben verborgenen Tiefsinn. Wir haben ferner bereits darauf hingewiesen, daß der plastische Styl sich vorzüglich an die Auf- fassung der Kunststoffe unter dem Standpuncte der zweiten Stoffwelt halten werde. Wir wollen Mythus und Allegorie nicht schlechthin ver- bannen und haben schon in der Anm. zu §. 683 gesagt, daß die Freske in ihrer natürlichen Bestimmung zum Cyklischen sie nicht wohl ganz ent- behren kann, aber die Meinung, der Inhalt des Schönen sei in diesen Zurückführungen des Lebens und der Geschichte auf transcendente, einst geglaubte, noch geglaubte oder subjectiv ersonnene Gestalten vollkommener dargestellt, als wenn er dem wirklichen Lebensstoff immanent bleibt, liegt bei der ganzen Richtung nahe und kann bis zu tiefer Verblendung gegen das wahre Verhältniß von Idee und Bild führen. Was aber die For- menbehandlung betrifft, so führt das Prinzip des directen Idealismus in einseitiger Verfolgung entweder zu einer flachen und abstracten Schönheit oder einer gewaltsamen Erhabenheit und Ueberkraft, welche alsgemach in das Gegentheil des reformatorischen Anfangs, in das Conventionelle ausläuft. Man sieht aus dem Allem, daß auch die Zeit wieder kommt, wo der monumentale Freskenstyl von der Oelmalerei und der ächt malerischen Richtung einfaches Verharren bei dem Objecte, richtiger: Idealisirung des Objects innerhalb seiner selbst, erschöpfende Ausführung, Wärme der Na- turwahrheit, überhaupt den Geist der Wirklichkeit, wie er sich mit dem zu seinem Recht gelangten Prinzip des Colorits verbindet, zu lernen hat: einer der Belege für den Inhalt des §. 676. §. 694. 1. Verbindung mit kleineren architektonischen Werken und Ausschmückung bedeutender Räume begründet auch für die selbständige Malerei cyklische Zu- 2. sammenstellungen, große monumentale, von einer Idee getragene Reihen. End- lich schließt sich die cyklische Composition als Skizze an die Poesie oder bewegt sich in frei dichtender Erfindung: mit der Herrschaft des Moments der Zeich- nung ergibt sich hier entweder die plastische Stylrichtung oder bei Vorwiegen des Malerischen eine Neigung zu scharf charakteristischem Contur. 1. Die Malerei auf Tafel und Leinwand hat ihre cyklischen Zusam- menstellungen in kleineren Diptychen, Triptychen, in großen Altarwerken (man denke z. B. an die Fülle der Gedanken-Entwicklung im van Eycki- schen Hochaltare zu Gent); auch in nicht kirchlichen Bildern wird hie und da eine Feldertheilung auf Einer Fläche angeordnet. Hier herrscht denn eine geometrische Disposition im einfachen oder mehrfachen Gegenüberstellen und Ueberordnen; das Einzelne kann trotz der Trennung der Felder in innigerem Zusammenhang stehen, als in Fresken-Cyklen, die über weite Räume sich ausbreiten. Eine freiere Art der Verbindung ergibt sich, wenn fortlaufende architektonische Räume mit Bilder-Reihen geschmückt werden, die von einer gemeinsamen Idee getragen sind; das Symmetrische macht dem Successiven Platz, das der Succession der Geschichte entspricht, aus welcher hier naturgemäß die Idee genommen wird, wie im Museum von Versailles, diesem großen Gedanken Louis Philipps. Dabei hat sich die Oelmalerei allerdings zu hüten, daß sie nicht ihrerseits durch den Drang der umfassenden Aufgabe gejagt in das Freskenartige und Faustmäßige gerathe. 2. Am leichtesten entfaltet sich natürlich die Skizze zu einem Ganzen in einer Reihe von Bildern oder in Zusammenstellungen auf Blättern, die in Felder getheilt, etwa durch Arabesken zusammengehalten sind. Hier ergießt sich denn die Erfindung weit hinaus über das ursprüngliche ein- fache Verhältniß zu einem in der Anschauung oder Ueberlieferung gege- benen Stoffe; auch wenn sie den Text einer Dichtung oder eines prosai- schen Werks begleitet, ist ihr das Wort häufig nur ein erster Anstoß, ein dünner Stab, den sie mit quellenden Erfindungen umrankt; sie kann sich auch an eine beliebte Zeit-Idee wie an einen poetischen Text halten und sie in immer neuen Wendungen ausführen; ein beliebter Stoff dieser Art waren seiner Zeit die Todtentänze; sie kann aber endlich der Dich- tung und Schrift überhaupt ihr Geschäft abnehmen und selber ein Ganzes dichten wie z. B. Genelli in dem geistreichen „Leben einer Hexe“. Es stehen hier eigentlich Erscheinungen vor uns, worin die Kunst, für die vervielfältigende Technik thätig, in das Gebiet des blos Anhängenden hin- übergeht, allein sehr selbstthätige Kräfte äußern sich auf demselben, selbst ein Cornelius hat auf ihm vornehmlich zuerst seine Kraft erprobt. Wir haben gesehen, daß es vornehmlich die mehr auf das Moment der Erfin- dung beschränkten Talente sind, die auf ihm verweilen, aber es kann sich 42* auch ein großer Theil der ganzen künstlerischen Kraft einer Zeit aus einem Ueberschuß des Subjectiven in der Phantasie, einem poetischen Bildungs- triebe, der in der eigentlichen Dichtung kein Bett zu finden vermag und sich mit wuchernder Gedankenfülle auf die bildende Kunst wirft, mit Vor- liebe in ihm bewegen, wie dieß im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts in Deutschland der Fall war. Wenn an sich die Skizze in innerem Zu- sammenhang mit dem plastischen Style steht, wie er bald mehr den Fluß der rein schönen Linie, bald die Schwellung der kräftigen und überkräfti- gen Form liebt, so kann sich doch auch die ächt malerische Richtung auf die Herrschaft des Conturs isoliren, der dann freilich einen ganz andern Charakter tragen wird. In und zu §. 676 ist dieser Charakter schon angedeutet; im geschichtlichen Theile wird er sich in volleres Licht stellen, wie innerhalb des rein malerischen Styls noch einmal der Gegensatz des herrschenden Umrisses und der ganzen Entwicklung der Farbe auftritt; hier ist nur so viel zu sagen, daß die erstere Richtung von der verwandten Totalrichtung des plastischen Styls sich durch harten Individualismus und Naturalismus unterscheiden wird, was sich mit dem poetisirenden Geiste, in welchem die Pflege der Skizze ihren Grund hat, so verbindet, daß der üppige Bildungstrieb gerne bis zur Ueberladung und Ueberschnörk- lung des Charakteristischen fortgehen wird; daher hier auch die Caricatur nahe liegt. Wir weisen übrigens der Erläuterung wegen schon hier auf die Holzschnitte und Kupferstiche der großen deutschen Meister des sech- zehnten Jahrhunderts, eines Albrecht Dürer, eines Hans Holbein (des Jüngsten) hin: hier benützt die cyklische Skizze ihre freie Bewegung ohne Farbe zu der äußersten Verschärfung aller treffenden Physiognomik, aber auch aller derben Naturwahrheit, eckigen Härte, aller Neigung zu abson- derlichem Linienspiel, die dem deutschen Styl eigen war. b. Die Zweige der Malerei . §. 695. Der Eintheilung des Gebiets der Malerei in Zweige ist das Mythen- 1. bild gesondert voranzustellen, denn es vertritt sie, ehe sie entwickelt sind, alle, die Keime von allen und theilweise auch die näheren Unterschiede, in welche jeder selbständige Zweig sich spaltet, treten in ihm hervor. Nachdem die Zweige erwachsen sind, besteht es nur durch eine Tautologie neben ihnen fort und er- scheint vermöge einer Verkennung des logischen Verhältnisses (vergl. §. 25) als eine zweite, höhere Art der sogenannten Historienmalerei. Seine bedeutendste 2. Stütze hat das Fortleben der zweiten Stoffwelt in einem bleibenden Bedürfnisse der auf das allgemein Menschliche gerichteten Phantasie, sich an Mythisches anzulehnen. 1. Der §. wiederholt im Wesentlichen nur, was schon mehr, als ein- mal, auseinandergesetzt und worüber §. 24. 25. 62. 417. 418. 541. noth- wendig zu vergleichen ist; insbesondere zeigt bereits §. 25 die hier wieder zur Sprache gebrachte logische Verwirrung auf. Diese Wiederholung ist da- durch gefordert, daß die Malerei die erste Kunstform ist, in welcher Alles bisher nur im Allgemeinen Aufgestellte zum erstenmal in volle Anschau- lichkeit und Anwendung tritt, eigentlich praktisch wird. In der Sculptur sahen wir das Mythische so durchaus berechtigt, daß durch dasselbe die ganze Zweige-Eintheilung durchbrochen wurde (vergl. 630. 631); die Malerei dagegen ist, wie dieß zu §. 674 und 683 und sonst mehrfach schon ausgesprochen wurde, ihrem ganzen Wesen nach darauf gerichtet, das Mythische vielmehr auszuscheiden, denn sie gibt ein ganzes und volles Bild des Lebens im Umfange seiner realen Bedingungen, sie spricht die Idee als die innere Seele dieses festen Zusammenhangs selbst aus und muß daher, wo sie zum Bewußtsein ihrer Aufgabe gelangt ist, auch begreifen, daß sie dieselbe nicht außer diesen Zusammenhang transcendent hinstellen darf, um sie in denselben von außen wieder hereinbrechen zu lassen. Ihr innerster Geist ist der der Immanenz. Besteht nun trotzdem die Transcendenz, der Anbau der zweiten Stoffwelt auch in dieser Kunst fort, nachdem dieselbe doch ihr spezifisches Wesen genügend zur Reife ausgebildet hat, um zu jenem Bewußtsein zu gelangen, so müssen wir diese Form aus einem ganz andern Grund an die Spitze der Zweig-Eintheilung stellen, als dort in der Lehre von der Bildnerkunst: nämlich nicht, um ihr die erste Stelle einzuräumen, sondern um sie abzusondern, damit sie uns diese Eintheilung nicht verwirre. Dazu kommt jedoch noch ein anderer Grund: wir haben eine relative Berechtigung des Fortbestands einzuräumen und müssen gleich zu Anfang darüber in’s Klare kommen, weil uns sonst für ein gewisses Gebiet, das der Schlußsatz des §. andeutet, die Prämisse fehlt. — Unsere Ansicht über das Mythische ist inzwischen von E. Guhl (D. neuere geschichtl. Malerei u. d. Akad. S. 123 ff.) angegriffen worden. Gegen die Be- hauptung, daß göttliche Wesen, wenn sie nicht mehr geglaubt werden, in Allegorien versinken, wird gesagt: sie bleiben vielmehr Charaktere oder künstlerische, plastische, malerische Individualitäten, und wenn man im Allgemeinen der Kunst das Recht und den Beruf zur Darstellung poeti- scher Erzeugnisse des menschlichen Geistes nicht abspreche, warum gerade hier der grobmaterielle Maaßstab der wirklichen Existenz angelegt werde; es erscheine kleinlich, von der Kunst zu verlangen, sie solle nur darstellen, was in der That dagewesen sei und woran man mit gutem Gewissen als an ein wirklich existirendes oder doch existirt habendes Factum glauben könne. Hier ist vor Allem eine nothwendige Unterscheidung übersehen: näm- lich die zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen. Wesen, welche zwar nicht wirklich, nicht als wirkliche geglaubt, nur von der Phantasie erzeugt, aber so beschaffen sind, daß sie unter den von uns schlechthin anerkannten Gesetzen der Erfahrung leben könnten , zählen wir nicht zum Mythischen. Die Helden der Sage, die Charaktere der Dichter, wenn auch reine Er- findung, sind solche Wesen und es wäre völlig grundlos, sie aus der Stoffwelt des Schönen ausschließen zu wollen. Anders verhält es sich aber mit den Gebilden, die der mythische Glaube schlechthin über und außer das Naturgesetz stellt, mit jenen Individuen, die in ganz anderem Sinn absolut sein sollen, als das ästhetische Individuum es immer ist, nämlich im Sinne der von ihnen wesentlich ausgesagten Zerreißung des Causalnexus: diese Gattung von Wesen ist nicht nur nicht wirklich, sondern auch nicht möglich und die Kunst, wenn sie dieselben anders, als in der Einschränkung, die wir nachher in’s Licht setzen werden, zu ihrem Stoffe wählt, geräth mit dem Grundprinzip der modernen Bildung, wie es in sie selbst eingedrungen, in Widerspruch. Wir verwechseln nicht eine säch- liche Frage mit einer ästhetischen. Möglich oder unmöglich: das wäre gleichgültig, wenn der Künstler außer seiner Zeit stünde und sich gegen ihre herrschende Stimmung abschließen könnte. Woher nun soll er die Wärme bringen, ein Wesen der Phantasie zu dem Lebensbild eines exi- stenzfähigen Charakters auszuprägen, das die Geistesluft der Zeit so zer- fetzt hat, daß es recht ausdrücklich als unmöglich erkannt ist und jeder denkende Mensch kritisch begreift, wie sein scheinbarer Leib nur Bild ist für eine allgemeine Wahrheit, die einst die glaubenden Völker dunkel ahnten? Und ist dieß nicht auch aus der Erfahrung nachzuweisen, die doch, wenn man die modernen Producte dieses Gebiets mit dem Maaß- stabe des wahren Stylbegriffs mißt, uns wahrlich unter zehn Gestalten neun „Waschlappen“ aufweist, neben denen die lebendige zehnte, wenn man genauer hinsieht, ihre Lebenskraft entweder der Nachahmung jener Meister verdankt, die solche Stoffe malten, als sie zeitgemäß waren, oder dem glücklichen Zufall einer Stimmung, die in unseren Tagen nur aus- nahmsweise eintreten kann, oder dem Umstande, daß in mythischen Grup- pen immer auch solche vorkommen, welche nicht dem Gebiete des ent- wurzelten Glaubens, sondern jener freien Phantasie angehören, deren Gestalten zwar nicht Objecte wirklicher, aber doch möglicher Erfahrung sind? Das eben aber nennen wir Allegorie im weitern Sinne des Worts, wenn eine Idee in absoluten Gestalten ausgedrückt wird, welche einst zwar den Inhalt eines unbezweifelten Glaubens bildeten und von dem Künstler, der diesen Glauben theilte, mit Lebenswärme behandelt wurden, nun aber von einem verbreiteten Denken, dem sich der Künstler nicht entziehen kann, in ihre Bestandtheile aufgelöst sind. Guhl selbst zeigt weiterhin, wie sich die mythische Malerei in Genre- und Geschichts-Malerei durch einen Pro- zeß aufgelöst hat, der jene neben diesen realen Formen doch wahrlich zur reinen Tautologie macht, er nennt die geschichtliche Malerei die letzte Vollendung der heiligen Malerei selbst (S. 134), ja er stellt ein Anweisen der Kunst auf Wesen, die außer Raum und Zeit leben, dem Rathe gleich, Chimären statt Menschen zu malen. Uebrigens muß auch zwischen diesen selbst ein Unterschied gemacht werden: es wird sich anders verhalten mit den Wesen des classischen, als des christlichen My- thus; darüber wird die zweite Anm., wo wir zu den Einschränkungen unseres Hauptsatzes übergehen, das Wesentliche sagen. Das Mythenbild wird, wie schon zu §. 541 bemerkt ist, gewöhnlich zur sog. Historienmalerei geschlagen; allein wenn man das, was einander eigentlich überflüssig macht, einander vielmehr beiordnen will, so wäre es ebensogut ein Zweig der Landschaft und des Genre, denn es vicarirt auch für diese. Die alten Götter sind die Mächte der Natur, der Sitte, der Geschichte; wer sie darstellt, hat diese dargestellt. Ich brauche das Meer nicht zu malen, wenn ich den Neptun, keine Liebes-Scene, wenn ich den Amor, keine Arbeit des Landmanns, wenn ich Ceres, Mercur, Minerva, keinen Sieg eines Volks in der Schlacht, wenn ich die Götter, die dessen vorkämpfende Genien sind, hinstelle; und umgekehrt, wenn ich jenes gethan, sind diese überflüssig. Die göttlichen Gestalten des christli- chen Mythus sind nicht ebenso Naturmächte, wie sie sittliche Mächte sind, und sie sind sittliche Mächte in beschränkterem Umfang, als die alten Göt- ter. Die Natur ist durch den Willen der obersten Person in diesem Kreise gesetzt, übrigens aber bethätigt sie selbst und die andern Personen des transcendentalen Kreises ihre geistige Macht mehr durch Aufhebung, als Erhaltung ihrer Ordnung. Eigentlich wird die Natur als ein neben ihnen Selbständiges gesetzt und doch als ein Nichtiges wieder übersehen; dennoch ist sie in ihnen mitdargestellt, weil, was Positives an ihr ist, nur durch ihren Willen besteht. Was sie aber unmittelbar in sich darstellen, ist die Welt des Guten im innersten Leben des Gemüths, abgesehen sowohl davon, wie es die Sitte, die Gesellschaft durchdringen, als auch davon, wie es im Oeffentlichen, im Staat und seiner Geschichte sich verwirklichen soll. Nur in gewissem Sinne vicarirt daher zunächst die Darstellung des christlichen Mythus für das Genre, sofern dieses nämlich auch das Gemüths- leben in seiner edelsten Sphäre zum Stoff hat (vergl. was zu §. 631, 3. über die Maria gesagt ist); in ebenso beschränktem Sinne für die Welt- geschichte, sofern dem Bewußtsein, dem aller Inhalt in diesen transcendenten Formen sich verdichtet, das keinen wahren Staat, kein Interesse für densel- ben kennt, die ganze Geschichte in der höchsten Angelegenheit des Subjects, seiner Versöhnung mit dem Unendlichen aufgeht (vergl. §. 62 Anm. und §. 451). Dennoch liegt auch die wirkliche Welt der Sitte und die wirkliche Geschichte in dem concentrirten Gemüthskerne der romantischen Anschauung als ein nur noch unentwickelter Keim eingeschlossen, und so ist die heilige Malerei Stellvertreterin des Genre überhaupt und der Geschichtsmalerei überhaupt, absolutes Genre, absolute Geschichte, worin dargestellt ist, was von beiden Gebieten allein würdig ist, dargestellt zu werden. Es bleibt nun aber nicht bei dieser einfachen Vertretung; die Sache ist genauer zu betrachten und bietet mehrere Verhältnisse dar. Das erste ist dieß, daß die Keime der Zweige, die sich einfach auf die ursprüngliche Stoffwelt gründen, schon in der Zeit der unangefochtenen Gültigkeit der transcendenten Stoffe sich wirklich an das Tageslicht herausarbeiten. Die Tautologie, die aber zugleich ein Widerspruch, der Widerspruch der zwei nebeneinander bestehenden Stoffwelten ist (§. 417. 418), beginnt nicht erst, wenn das Mythische sich überlebt hat, nur wird sie dann immer fühlbarer, ja sie geht bis zu der Ironie fort, daß das Mythische zum bloßen Vehikel wird (§. 465). Dieß Alles wird nun die Geschichte einer Kunst, welche durch das Prinzip ihrer Auffassung durchaus nach dem Realen hindrängt, mit schlagender Kraft bewähren. — Ein anderes Verhältniß liegt in der Aufschließung dieser Stoffe selbst gegen die Welt. Die Geschichten des A. Testaments als das Vorbereitende, die Scenen des Lebens Jesu, worin die Durchbrechung der Naturgesetze gegen menschliches Thun, Em- pfinden, Leiden mehr oder weniger zurücktritt, endlich der Uebergang des vorher in Einer Person verkörperten Geistes in die gewaltigen Organe, die Apostel, und in die Gemeinde: hier hat die mythische Malerei ihren lebenstüchtigsten Stoff und arbeitet wahrhaft der rein geschichtlichen vor, stellt ihr ein mächtiges Prototyp hin. Ein solcher Stoff ist insbesondere die Apostelgeschichte und man darf sagen, daß, wie diese an sich die Ent- faltung der neuen Religion zur Weltdurchdringenden Macht in der Großheit des Anfangs zeigt, so in Raphaels Behandlung dieser Stoffe mit Urkraft das geschichtliche Gemälde beginnt. Uebrigens versteht sich, daß dieß Verhältniß von dem ersten nicht schlechthin verschieden ist, denn hier öffnet sich zwar der mythische Kern vermöge eines in ihm selbst liegenden Motivs zu einer naturgemäßen, menschlichen Handlung, aber in dem so gebildeten Ganzen stellt er doch immer sich selbst und seine Wunder neben das natürlich Reale hin und der Widerspruch, der dadurch entsteht, ist gerade in künstlerischer Beziehung ein sehr fühlbarer, weil er sich in der Composition offenbart. In Raphaels Leo und Attila ist entweder jener oder sind die zwei Apostel in der Luft überflüßig; weicht Attila diesen, so braucht es Leo’s Beredtsamkeit nicht, und umgekehrt. In der Constantinsschlacht ist die Idee des Kampfs nicht in den Streitern selbst, — was ganz wohl möglich war, — ausgedrückt, weil die Engel in der Luft für diesen Ausdruck Stellvertretend angebracht sind, und so manchem Märtyrer auf andern Bildern sieht man keine Spur von innerer Erholung an, weil sie ihm von Engeln mit Palmzweigen von außen zugefächelt wird. Von der Aufschließung der Welt innerhalb der mythischen Stoffe selbst ist wiederum wohl zu unterscheiden eine rationelle Auffassung der- selben. Das Alttestamentliche, Jesus und sein Leben, die Apostel und ihre Thaten können rein menschlich als wunderlose, gewaltige Erscheinungen und Organe ewiger Wahrheit aufgefaßt und dargestellt werden: das ist dann einfach ein Zweig der rein geschichtlichen Malerei und gehört gar nicht hieher. So wie Titian seinen Christus im „Zinsgroschen“ dargestellt hat, als einen durchaus klaren, in seiner reinen Klarheit schlechtin unbe- fangenen Menschen, vor dem die ausforschende Gemeinheit in Schmach abfährt, oder so wie in Raphaels Predigt Pauli in Athen das göttliche Feuer der Beredtsamkeit flammt und eine Welt ergreift: hätten wir nur mehr solche Bilder, würden nur deren recht viele gemalt! Der große Lehrer an den idyllischen Seen Palästina’s, der große Leidende, ohne Nimbus und Mirakel: wer bestreitet solche Stoffe? Ein weiterer Punct betrifft das Verhältniß zu den näheren Unter- schieden der Zweige. Das Mythenbild in seiner strengen Selbständigkeit stellt sich nämlich als ein Keim, worin die Formen der ausgebildeten Malerei eingewickelt liegen, auch nach der Seite dar, daß die Momente, aus welchen die weitere Eintheilung der Zweige hervorgeht, sichtbar und bestimmt in ihm hervortreten: die Unterschiede des Styls an sich und in Verbindung mit Material und Technik, die Unterschiede, die im gewählten Moment und in dem Grade des Umfangs liegen, in welchem der Stoff ergriffen ist, also die Unterschiede der Situation, Handlung, endlich in unmittelbarem Zusammenhang hiemit die Unterschiede der epischen, lyrischen, dramatischen Auffassung. Allein es wäre verkehrt, diese Unterscheidungen hier vorzunehmen, da sie entwickelter und vollständiger in den Zweigen auftreten, wie sich dieselben einfach auf das Reale gründen. Weder hiemit, noch durch irgend eine dieser Anmerkungen soll dem Mythenbilde da, wo es in der Weltanschauung einer Zeit-Epoche organisch lebt, ein Jota von seinem Werth entzogen werden; wir stehen hier in der Eintheilung der Zweige, nicht in der Geschichte; Alles gilt der Frage, ob es logisch den andern Zweigen coordinirt werden und in Wirklichkeit, nachdem sie sich ausgebildet, neben ihnen ein volles Leben führen könne. Wo der Mythus noch das Ganze ist, da wirft sich das Ganze der künst- lerischen Kräfte auf ihn; was einer solchen Kunst an Mannigfaltigkeit, an Vollständigkeit in Erschöpfung des erscheinenden Lebens abgeht, ersetzt die Innigkeit, die Naivetät, die zusammengehaltene Kraft; der unendliche Vortheil, den die Kunst in dem idealen Auszuge des Lebens besitzt, welchen ihr die Religion in die Hand gibt (vergl. §. 418), besteht insbesondere darin, daß die Unsicherheit in der Stoffwahl abgeschnitten ist und daß die Kräfte nicht nach allen Seiten auseinanderfahren, sondern sich concentrisch um den Einen, großen Planeten bewegen. Eine ganze, große Haupt- periode der Malerei ist mythisch gewesen und die nicht mythische ist in ihrer Bahn noch lange nicht das geworden, was jene in der ihrigen gewesen ist. 2. Es soll nun aber auch die Einschränkung unseres Satzes in Kraft treten und anerkannt werden, daß in gewissem Sinne das Bürger- recht, das dem Mythischen neben dem Wirklichen durch Verjährung zu Theil geworden, fortbesteht und „wie das ursprünglich Naturschöne Stoff einer freien Thätigkeit für die besondere Phantasie werden kann“ (§. 417). Hier setzen wir denn nicht noch einmal auseinander, was schon in und zu §. 466 ausgesprochen ist: daß wir nur gegen eine prinzipielle Behauptung des mythischen Stoffes als des höchsten oder überhaupt eines noch wahr- haft lebensfähigen, nur gegen die tiefe Denkverwirrung auftreten, die da meint, der höchste Inhalt komme nur zur Erscheinung, wenn er in einer Welt neben oder über der Welt in besondern Gestalten ausgehoben werde; daß es lächerlich wäre, dem Künstler seine Stoffe vorschreiben zu wollen; daß man wohl sagen kann: wenn du das oder das thust, wirst du nichts wahrhaft Lebendiges erzeugen, aber nicht ihm verbieten, das oder das zu thun; daß es ihm unter Anderem gelingen mag, sich in eine Welt, die einst lebendig war, lebendig zurückzuversetzen und sie glücklich zu reproduziren; daß überhaupt der ideale Auszug aus der ursprünglichen Stoffwelt dem Künstler den ungemeinen Vortheil einer höchst concen- trirten Abbreviatur der breiten Wirklichkeit der Dinge gewährt. Alles Genre und jedes geschichtliche Bild zeigt uns die Menschenwelt immer nur in einer Beziehung, stellt das Allgemeine nur durch die Mitte einer be- sondern, zunächst immer mehr oder weniger eingeschränkten Seite, nur in den ruhelosen Kämpfen dar, welche zeitlich niemals ihr Ziel erreichen; in der mythischen Gestalt und Handlung dagegen kommt zwar die höchste Idee auch nicht schlechthin in ihrer Allgemeinheit, sondern zunächst eben- falls in einer besondern Bestimmtheit zur Darstellung, aber durch die Vermittlung dieser Bestimmtheit offenbart sie doch, ohne gleichsam einen Rest zu setzen, ihre absolute Natur. Die Idee der reinen Weiblichkeit z. B. stellt die religiöse Malerei in Einer Person, in der jungfräulichen Mutter des Gottessohns dar, während wir dieselbe in der profanen aus einer Vielheit von Frauengestalten zusammenlesen müssen; den Triumph des Geistes über die Materie mag die letztere in unzählichen Scenen aus- drücken, deren keine einzelne den Inhalt dieser Idee erschöpft, während jene in der Erhebung des Heilands über sein Leiden sie Ein für allemal und schlechthin ausdrückt. Aber auch die zugestandne Wahrheit dieses Vortheils kann einer Sphäre, aus welcher das Bewußtsein im Ganzen und Großen herausgewachsen ist, ihre Stelle im Mittelpuncte der Kunst nicht mehr zurückgeben, sie ist an den Rand gedrängt, ist Aushilfe, Neben- werk geworden, und wenn Raphael in den Stanzen das innere Leben der darzustellenden Kreise in den Hauptbildern historisch dargestellt und die speziell mythische und allegorische Abbreviatur Vignetten-artig an die Decke verwiesen hat (vergl. §. 693, 1. ), so ist dieß der rechte Ausdruck für das Verhältniß der Sache selbst. Was jedoch der zweite Theil des §. aufstellt, ist nicht dieser allgemeine Satz, den wir hier zu abermaliger Verhütung von Mißverständnissen wiederholt haben. Wir müssen nun zuerst einen Unterschied ziehen: der Hauptkreis des christlichen Glaubens, der noch dogmatisch gehalten wird und Gegenstand jener Controversen ist, welche seiner Darstellung die un- befangene Lebenswärme absperren, muß ausgeschieden werden; es handelt sich von der classischen Mythologie und den mancherlei Vorstellungen, die das Mittelalter aus germanischem, celtischem Heidenthum herübergebracht und in bunter Weise fortgeführt hat: Feen, Elfen u. s. f. Dieses Gebiet ist der Controverse, der Kritik in dem Sinne rein entnommen, daß keinem Menschen mehr ein historischer Glaube daran zugemuthet wird und also keiner mehr eine solche Zumuthung zu widerlegen hat. Die Gestalten dieser Kreise haben daher die Bedeutung bekommen, als wären sie reine, nur zu ästhetischem Zweck erfundene Dichtung. Von den dichterischen Erzeugnissen, welche der Maler zum Stoffe wählt, haben wir in Anm. 1 verlangt, daß sie Solches enthalten, was wenigstens Object möglicher Erfahrung ist. Jetzt aber müssen wir noch eine andere Form einführen: es gibt ein Verhalten des Geistes, das halb ironisch, halb Täuschung, eine Art freier, spielender Selbsttäuschung ist. So lassen sich die classischen und romantischen Fabelgeburten auffassen; dann ist der richtige Standpunct gefunden, um ohne Verwicklung mit dem, was uns Grundgesetz des Bewußtseins geworden ist, den großen Vortheil eines geläufigen , keiner Erklärung bedürftigen Typus zu benützen. Man meine nicht, wir treten nun in Widerspruch gegen unsre eigene obige Behauptung, daß wahre ästhetische Lebensfähigkeit einen Glauben, wenigstens eine Möglichkeit des Glaubens nach den Gesetzen der Erfahrung voraussetze. Die Sache wendet sich hier anders: das eigentliche Object der Darstellung ist ein rein Menschliches, Lebensfähiges, das die Wärme der Wirklichkeit hat, dem aber, um ihm eine gewisse Erhöhung zu geben, eine höhere Stylisirung zu motiviren, ein mythischer Name geliehen wird, wie z. B. Titian die höchste Schönheit weiblicher Gestalt in einer nackten Gestalt enthüllt, die nun zu viel Realität hat, um ungetauft zu bleiben, und zu viel Allgemein- heit im besten Sinne der Idealität, um einen historischen Namen zu bekommen: so tauft er sie eben Venus. Es ist also der Inhalt ein ganz Lebenswarmes, Menschenmögliches, Glaubwürdiges und ihn umspielt nur erhöhend der mythische Begriff. Die freie Benützung des Mythischen wird jedoch weiter gehen, sie wird Eigenschaften, Gestaltung, Handlung ganz in der Region des Wunders, des aufgehobenen Naturgesetzes halten. Das sind dann anmuthige Spiele der Kunst, die aber doch durch die ganze Behandlung zeigen müssen, daß ihnen das Wunder nur ein Motiv ist. um menschlich Wahres auszusprechen. Das Fabelhafte ist also dabei humoristisch in einen bloßen Hebel des naturgemäß Schönen verwandelt. Zu gegebenen Fabeln, die einst geglaubt waren, mag nun die Phantasie des Künstlers in freiem Erguß neue ersinnen, wenn nur die Romantik den Boden der innern Wahrheit nicht verläßt. — Man sieht, daß durch diese Unterscheidungen der Lehre von der Genre-Malerei vorgearbeitet ist, denn ein höheres Genre werden solche Gemälde bilden, nicht aber eine höhere Historie. §. 696. Die Eintheilung, wie sie sich rein aus der Natur der Sache ergibt, grün- det sich auch hier auf die Stoff-Unterschiede der Phantasie (vergl. §. 403). Diese ordnen sich nun so, daß einfach drei Gebiete sich gegenübertreten: das der Landschaft , der Sitte und der Geschichte . Die Einheit der drei Hauptzweige, die hienach entstehen, liegt darin, daß das Sittenbild den Men- schen unter dem Standpunct auffaßt, welcher der Landschaftmalerei zu Grunde liegt. Diese drei Zweige verbinden sich mannigfach, sollen sich aber nicht unklar vermischen. Das durchgreifende Prinzip für die Eintheilung liegt hier wie bei der Sculptur im Stoffe, also nach Abzug der zweiten, mythischen, in der ursprünglichen Stoffwelt nach ihren Hauptgebieten, oder vielmehr in den Unterschieden der Phantasie, wie solche auf das eine oder andere dieser Gebiete gewiesen und bezogen ist. Es ist der trennende, ausschließende Charakter des Räumlichen, das die Grundform aller bildenden Kunst ist, welcher diese Eintheilung begründet: da kann nicht die Auff assung, son- dern muß die Erf assung (des einen oder andern Stoffes) das Entschei- dende für den Unterschied der Zweige sein. Daß die Genre- und die Historien-Malerei gemeinschaftlich den Menschen zum Gegenstand haben, dieß verändert nichts an der Sache, denn es ist in beiden eine ganz andere Seite des menschlichen Lebens, die den Inhalt bildet, und daher auch die Ausdehnung, in welcher eine gewisse Sphäre von Stoffen (Geräthe und dergl., überhaupt Gegenstände aus dem Gebiete der äußeren Culturformen) in die Darstellung aufgenommen werden, eine sehr verschiedene. Man kann sogar sagen, in allen Hauptzweigen sei es doch auch in der Ma- lerei nur der Mensch , der zur Darstellung komme, denn die Landschaft- malerei zeigt uns in der äußern Natur einen Widerschein menschlicher Stimmung und das Thierstück schließt sich an das Genre wie eine Art analoger Vorbildung menschlicher Zustände. Alles Schöne ist ja in ge- wissem Sinn Erscheinung der Persönlichkeit (vergl. §. 19, 2. ). Allein auch diese Wahrheit stößt jenen Eintheilungsgrund nicht um, denn man würde alle Begriffe verwirren, wenn man den tiefsten Beziehungen aller Dinge, welche zuletzt überall zur höchsten Einheit führen, die Folge gäbe, daß dadurch die Strenge der Unterscheidung zerworfen würde. Erst in der Poesie, wo in jedem Gebiete wirklich und eigentlich vom Menschen ausgegangen wird, hört die Unterscheidung, die auf dem Stoffe ruht, auf die maaßgebende zu sein und macht sich dafür eine andere geltend. Wir nehmen nur drei Hauptzweige an: Landschaftbild, Sittenbild (diesen Namen für Genre behalten wir bei und rechtfertigen ihn an seinem Orte), geschichtliches Bild. So gruppiren sich hier klarer und einfacher die in §. 403 aufgeführten Unterschiede; in der Dichtkunst wird sich die Sache wieder anders stellen. Diese Eintheilung zeigt sich aber als eine ganz organische, wenn man bedenkt, daß im Sittenbilde der Mensch unter dem Standpuncte des Seins, der Zuständlichkeit aufgefaßt wird, welcher in seiner Reinheit der Standpunct des landschaftlichen Gebiets ist; nun haben wir zwei Extreme: Natur gleich Sein, Zustand, Mensch gleich Geist, That, und eine Mitte zwischen beiden: der Mensch als Naturwesen, Kind der Gewohnheit, des Zustands. Daß das Thierstück sich dieser Mitte von vornen anschließt, bedarf keiner weiteren Erläuterung; man kann es auch als eine weitere, untergeordnete Mitte auffassen, nämlich zwischen Landschaft und Sittenbild, doch ist es besser, als logisch entscheidend das durchzuführen, was die Anordnung vereinfacht. Wie das Portrait an der andern Seite dieser Mitte steht und bald mehr nach dem Sittenbilde, bald mehr nach dem geschichtlichen hinweist, wird seines Orts genauer nachge- wiesen werden. — Nun sind von der innern Einheit in dieser Theilung noch zu unterscheiden die mannigfachen Verbindungen zwischen den Zwei- gen, welche darin bestehen, daß ein Stück von dem einen sich dem andern zugesellt; da sind natürlich verschiedene Grade der Geltung und Ausdeh- nung des Zugesellten möglich, aber ein jedes Gemälde muß doch unzwei- felhaft dem einen oder andern Zweig angehören; daher darf sich das Zugesellte nicht so weit ausdehnen, daß es in gleiche Höhe der Geltung mit der Hauptaufgabe tritt, sonst wird das erste Gesetz der Composition, die Einheit, zerrissen, das Interesse zertheilt. Bedeutung und Gewicht dieses Satzes wird in der folgenden Darstellung der Zweige sich erweisen. §. 697. 1. Bestimmter, als in der Bildnerkunst, tritt in diesen Unterschieden aller- dings auch das Theilungsprinzip zu Tage, das sich auf die Verbindung der bildenden Phantasie mit der empfindenden und dichtenden gründet 2. (vergl. §. 404). In der Unter-Eintheilung der Zweige kommt zu den übrigen Bedingungen (vergl. §. 540) der Gegensatz der Style. 1. Wir haben gesehen, wie die Malerei an der Grenze der bildenden Kunst steht, indem in die Grundbestimmung des Objectiven hier das Subjective bis nahe zur Auflösung desselben eindringt (§. 659). Es läßt sich dieß bereits als ein relativer Uebertritt der bildenden Phantasie auf den Boden der empfindenden und dichtenden auffassen (vgl. §. 539): die Malerei als ganze Kunst nähert sich dem Musikalischen, dem Lyrischen und neigt (vergl. §. 684) schon stark zum Dramatischen. Nun haben wir gesehen, wie diese Uebertritte der Phantasie von dem Boden der einen Art auf den der andern nicht nur die große Theilung der bildenden Kunst in ihre drei selbständigen Gebiete begründen, sondern zugleich eines der Hauptmomente bilden, wodurch sich die einzelne Kunst in ihre Zweige spaltet. Diese Spaltung ist in der Poesie so stark, daß die Formen, die daraus entstehen, ebenso selbständig sich unterscheiden würden, wie Bau- kunst, Plastik und Malerei, wenn nicht die geistige Natur dieser Kunst als einigendes Band ihr Vorrecht behaupten würde. Innerhalb der Ge- biete der bildenden Kunst kann sie als Motiv für die Unter-Eintheilung nur erst schwach hervortreten; denn wo die Lippen noch geschlossen sind und die wirkliche Bewegung fehlt, wird begreiflich der Unterschied des Epischen, Lyrischen, Dramatischen noch keine Kraft haben. Ganz entfernt klingt derselbe in den Zweigen der Baukunst an (vergl. §. 574, 3. ), etwas deutlicher, unmittelbarer in der Sculptur (vergl. §. 635, 1. ), ungleich voller und stärker nun aber, wiewohl immer noch nur erst secundär, in der subjectiv bewegtesten unter den bildenden Künsten, der Malerei. Die Landschaft ist lyrisch oder musikalisch, das Sittenbild episch, das geschicht- liche Bild dramatisch. Diese Unterscheidung zieht sich ohne logischen Wi- derspruch neben dem Satze des vorh. §. hin, wonach der Landschaftmalerei der Standpunct des Seins zu Grunde liegt u. s. w.; denn es ist ja gesagt, daß das subjective Moment der Auffassung hier noch nicht als entscheidendes Theilungsprinzip auftritt, sondern die Erfassung des Stoffs, und auf die Natur dieses Stoffs ist dort die durchgreifende Eintheilung ge- gründet; nun aber, in zweiter Linie, tritt dieß Subjective hinzu, wonach, um die unbeseelte, an sich objectiv bestimmte Natur zum Kunststoffe zu erheben, die ganze Innigkeit der musikalischen, lyrischen Empfindung nöthig ist; im Sittenbilde verfestigt sich diese, obwohl nun das menschliche Sub- ject der Gegenstand ist, wieder zum sächlichen Charakter der epischen Stimmung, und im geschichtlichen Bilde färbt sich das Epische mit dem dramatischen Feuer. 2. Welche Momente die weitere Theilung der also getheilten Zweige selbst begründen, ist in §. 540 gesagt. Es wird sich nun zeigen, wie namentlich dasjenige, von welchem so eben die Rede gewesen, in dieser Richtung noch einmal und hier allerdings als das entscheidende auftritt, und wie sich daneben die übrigen Momente geltend machen. Neu aber ist die Stärke, welche der Unterschied der Style erlangt hat; hiedurch tritt ein weiteres Moment hinzu, das sich mit dem Unterschiede des Lyrischen, Epischen, Dramatischen und mit dem des Materials und der Technik in Verbindung setzen wird. α. Die Landschaft. §. 698. 1. Die Landschaftmalerei idealisirt eine gegebene Einheit von Erscheinungen der unorganischen und vegetabilischen Natur zum Ausdruck einer geahnten See- lenstimmung. Ihr allgemeiner Charakter ist daher ein musikalischer oder lyri- 2. scher. Thierisches und menschliches Leben nebst Wohnungen des Menschen, das diesem Ganzen als sog. Staffage beigegeben wird, darf für sich kein selb- ständiges Interesse in Anspruch nehmen, wenn nicht eine unklare Vermischung (vergl. §. 696) entstehen soll. 1. „Eine gegebene Einheit“: dieß schließt eine künstlerische Umstellung des vorgefundenen Naturschönen nicht aus, besagt aber allerdings, daß das völlig freie Componiren, das nur einzelne Motive aus der Natur entlehnt, nur einzelne Studien benützt, nicht eigentlich das Wahre sei. Das rechte Verhältniß ist auch hier, wenn die künstlerische Schöpfung damit beginnt, daß von einem mit oder ohne Suchen gefundenen Stand- orte in der Weise der Zufälligkeit das Bild eines schönen Ganzen sich der Anschauung darbietet. Das Kunstwerk des Landschaftmalers bleibt darum noch immer schlechthin verschieden von der Natur-Copie des bloßen Veduten -Malers, wiewohl es übrigens auch im letzteren Gebiete noch einen tiefen Unterschied des Geistreicheren und des Sklavischen in der Behandlung gibt. Was aber jenes unterscheidet, ist die Zusammenwirkung des Ganzen zum Ausdruck einer Seelenstimmung; der §. sagt: einer ge- ahnten und weist damit zunächst negativ jede Art falscher Deutlichkeit ab. Die Empfindung, die wir in eine Landschaft legen, scheint wohl in den entschiedensten Fällen eine ganz bestimmte und in Worte übersetzbare: der reine Frühlingstag mit den klaren Lüften und der Frische aller Kräfte, die so eben aus einem Verjüngungs-Bade gestiegen scheinen, lacht uns entgegen wie ein heiteres jugendliches Antlitz, die Verwüstungen des Sturms, des Regens gemahnen uns wie ein tiefes Weinen der Natur, wie schmerzvolle, gramdurchfurchte Menschenzüge; der Morgen spannt an, der Abend spannt erleichternd ab, die Mondscheinlandschaft löst in schwe- bende, schmelzende Empfindungen auf. Allein nicht nur verliert sich auch bei solcher Bestimmtheit doch der Hauptton in eine Vielheit von unterge- ordneten Tönen, worin das Gefühl in Melodien verschwebt, von denen sich keine bestimmte Rechenschaft mehr geben läßt, sondern unendliche land- schaftliche Erscheinungen sind voll Stimmung und wir haben dafür doch kein Wort; wir sagen etwa: das fühlt sich so öde, so hart, so schwül, so dämmernd, so feucht, aber wir sind uns bewußt, wie ungenügend wir den Zustand bezeichnen. Nur so viel ist gewiß: der Maler, dessen Landschaft nicht so auf uns wirkt, daß uns irgendwie zu Muthe wird , hat nichts geleistet. Dieß ist nun ganz wie in der Musik, wo unser Herz voll ist und doch das Wort keinen Ausdruck dafür hat, oder wie in der Lyrik, wenn man von dem bestimmteren Inhalt absieht und nur das Tönen und Weben der Empfindung in’s Auge faßt, das durch ein Gedicht geht. Es ist ein ästhetischer Fehler, wenn der Künstler, damit nicht zu- frieden, bestimmte Gedanken mit sichtbarer Ausdrücklichkeit in der Land- schaft andeutet, wie z. B. Lessing in seinem winterlichen Kirchhofe, ja selbst Rottmann, wo er die Stätten großer Erinnerungen so behandelt, daß man durch Gewitter und dergl. mit merklichem, symbolischem Finger- zeig auf die Geschichte hingewiesen wird: man fühlt die Absicht und wird dadurch aus jener Dämmerung des Leihens, wodurch wir der Natur Empfin- dungen unterlegen, gerade herausgeworfen, man fühlt, daß zu viel geliehen und daher das Unwillkührliche des Leihens aufgehoben ist. Dieß führt auf das Positive, was mit jenem Ausdrucke: geahnte Seelenstimmung gesagt sein soll. Hierüber ist jedoch bereits zu §. 240 das Nöthige bemerkt; dazu vergl. §. 270 von der Pflanze: das erste lebendige Individuum in der Natur, scheint sie dem ahnenden Menschen, welcher seine Empfindungen der unbeseelten Welt leihend unterlegt, vorzuempfinden, gibt bestimmteren Anhalt für dieses Leihen. In §. 654 ist gezeigt, wie diese psychische Be- dingung in der Auffassungsweise der Malerei nun eintritt. Auch in den Krit. Gängen des Verf. B. 1, S. 222 ist der innere Vorgang dargestellt: wir fühlen wohl in dunkler Weise, daß das Leihen ein bloßes Leihen ist, aber darum geben wir es nicht auf, sondern vollziehen nun die Vorstellung, als ob die Natur zu gleicher Zeit eine die Stimmungen des menschlichen Gemüths vorbildende und wiederholende Seele in sich bärge und dennoch in ungetrübter Objectivität und Gesetzmäßigkeit nicht um die Schmerzen des subjectiven Lebens wüßte, als ob sie eine Seele ohne Seele hätte, ein Gemüth ohne die Spannungen und Conflicte des Gemüths oder ein solches, das, wo es sie zu theilen, in Sturm und Zerstörung vor- zubilden scheint, trotz denselben einig mit sich bleibt. Das ist der Grund unserer sentimentalen Beziehung auf die Natur: wir suchen in ihr den noch ungetheilten Menschen. Das Seelenleben, wie es sich hier ge- spiegelt sieht, bleibt reines, naturnothwendiges Sein; dieß haben wir episch genannt und man sieht nun deutlicher, wie beide Bestimmungen, die des Lyrischen und des Epischen, sich vertragen. — Uebrigens leuchtet nun ein, wie in diesem Gebiete mit ganz besonderer Kraft in Geltung tritt, was von der Bedeutung der allgemeinen Medien, vom Tone, von der Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 43 Luftperspective, vom Unterschied der drei Pläne gesagt ist; die Wir- kung der Ferne hat hier vor Allem die Idealität zu vollenden, die Seele hinauszuführen in die Ahnung des Unendlichen. 2. Von der Staffage ist schon bei der Frage vom Beiwerk §. 497, 2. die Rede gewesen. Ausführlicher hat sich der Verf. über die Zerreißung der ästhetischen Einheit durch zu anspruchvolle Staffage ausgesprochen in der unter 1. angeführten Stelle s. Krit. Gänge. Es sind natürlich mensch- liche Figuren, bei denen die Frage ihre Wichtigkeit erhält; das thierische Leben wird nicht ebenso leicht eine den landschaftlichen Eindruck störende Art von Interesse erregen, auch wenn es in bewegter, gespannter Situation erscheint, denn als ein gebundenes und unfreies führt es den Betrachter nicht aus der Naturstimmung heraus; doch begreift sich, daß z. B. ein gewaltiger Thierkampf nicht in jede Landschaft paßt und daß eine gewisse Breite des Umfangs in Aufnahme des Thierischen das Gemälde in ein Schwanken zwischen Thierstück und Landschaft versetzt; hierüber ist an anderer Stelle noch ausdrücklich zu sprechen. Was menschliche Wohnung betrifft, so haben wir gesehen, daß das Alter ihr den Ton eines Natur- werks aufgedrückt haben soll; doch auch Ruinen können zu anspruchsvoll auftreten und zu sichtbar eine Doctrin vortragen, wie dieß in der con- ventionellen Manier, die von der historischen Landschaft ausgieng, der Fall war. Von der eigentlichen Architektur-Malerei ist hier noch nicht die Rede. Es gibt Landschaften, die, so zu sagen, im vollsten Sinne des Worts nur Landschaften sind: die Natur ist in ihrem Geheimniß belauscht, wie sie ganz einsam, ganz allein mit sich ist; da bleibt am besten alle lebendige Staffage weg oder beschränkt sich auf ein die Wildniß liebendes Thier. Wie sehr nun aber der Charakter der Landschaft in eine Art der Bewegtheit, Gemüthlichkeit u. s. w. hereinrücken mag, welche zu mensch- licher Belebung einlädt, so soll der Mensch in ihr doch nie anders auf- treten, als in der Bestimmtheit, in welcher er selbst als ein Kind des Bedürfnisses, der Gewohnheit, des harmlosen Genusses, kurz als ein Kind der Natur erscheint, so daß seine Erscheinung mit der umgebenden Natur in Einem Eindruck aufgeht. Alles und Jedes, was im spezifisch mensch- lichen Sinne spannt, in die Seelen-Kämpfe des Menschen hineinführt, reißt den Zuschauer in ein schlechthin anderes Gebiet des Schönen hinüber und hebt jenes Leihen auf, durch welches wir der Natur einen verhüllten Menschen unterschieben, indem es uns für den enthüllten, den eigentlichen Menschen interessirt: wir erinnern uns plötzlich, daß Geist und Seele in Wahrheit nur im wirklichen Menschen ist, seine Schicksale sind es, die nun unsere ganze Theilnahme haben, und die Landschaft mag als ein Echo derselben erscheinen, das Gemälde aber ist kein Landschaftgemälde mehr und indem es sich dennoch durch die Verhältnisse des Umfangs im Dargestellten als ein solches hinstellt, beunruhigt es durch das Schwanken zwischen zwei Gattungen. Die angeführte Stelle der Krit. Gänge gibt Bei- spiele und zeigt zugleich, daß es nichts hilft, wenn die in solch unstatthaftem Sinn spannende Staffage mit der Landschaft zusammencomponirt ist. Daß beide Seiten aufeinander componirt sein sollen, versteht sich übrigens auch für den Fall von selbst, wo die Staffage an sich nicht über das in der Gattung begründete Maaß der Bescheidenheit hinausgeht. Jagd z. B. ist eine zur Landschaft ganz passende Art menschlicher Beschäftigung, aber wenn sich J. Ruysdael in eine Waldpartie voll stiller abendlicher Feier durch van de Velde die Rohheit einer Hetzjagd hineinmalen ließ, so haben wir ein schlagendes Beispiel von falscher Staffage und von falschem Be- griffe des Beiwerks. — Uebrigens handelt es sich auch bei der menschlichen Staffage nicht blos von der Qualität, sondern ebenso sehr von der Quan- tität: ein gewisser Grad von Umfang, den dieselbe in Anspruch nimmt, führt zum Sittenbilde oder zum geschichtlichen; von den richtigen und un- richtigen Verbindungen derselben mit der Landschaft wird ebenfalls seines Orts die Rede sein. §. 699. Die eingreifendste Theilung der Landschaftmalerei gründet sich auf den Gegensatz der Styl-Prinzipien und so tritt dem, in der sogenannten historischen oder heroischen Landschaft vorbereiteten, Stylbilde das Stimmungs-Bild im engeren Sinne gegenüber. Das erstere ist innerhalb des Lyrischen mehr episch, und was den Unterschied des Materials und der Technik betrifft, so neigt es naturgemäß zur Freske. Uebrigens gehen die Glieder des Gegensatzes in mannigfaltiger Verbindung in einander über. Das Stylbild ist die Landschaft des direct idealisirenden, plastischen Styls; es verlangt, wie schon zu §. 686 in beispielsweiser Anführung dieses Zweigs gesagt ist, schöne Formen in Erdbildung und Vegetation, schöne Linie der Gruppirung, klare Wasser, reine Lüfte, und führt uns so in eine Welt, die für edle, große, harmonische Menschen bestimmt scheint, ein Elysium. Es ist klar, daß es sich vorzüglich an die südliche Natur hält. Die historische oder heroische Landschaft gehört, da sie als bleibender Zweig nicht fortdauern konnte, eigentlich in die Geschichte der Malerei, mag aber wegen des unmittelbar Belehrenden, was sie gewährt, hier betrachtet werden. Wesentlich war ihr eine zu bedeutende Staffage mythischen oder heroischen Inhalts, aus der classischen, alt- und neutesta- mentlichen Welt. Dieß war die Nabelschnur, mit welcher die Landschaft noch am historischen Gemälde hieng: eben erst ausgeschlüpft glaubte sie noch dieses Ausweises für ihre Existenz als Gattung zu bedürfen, glaubte 43* sie den Sinn ihrer Auffassung, daß hier ein Wohnsitz für große Menschen sich entfalte, das Pathos, das in dieser Auffassung die Natur durchströmte, ausdrücklich auch in Menschen- oder Götter-Form und Thaten niederlegen zu müssen. Durch Tempel und Paläste in der Pracht der Neuheit sprach sie denselben Gedanken aus und wenn sie Ruinen vorzog, so wies sie doch in der Staffage um so deutlicher auf ein idyllisches Glück, das sich neben verfallener Herrlichkeit niedergelassen. In der Composition war sie rein idealistisch: sie erdichtete und ordnete das Ganze frei mit Hülfe weniger Localstudien; örtliche Physiognomie erschien ihr, genau wie der Plastik die Bestimmtheit des Natürlichen und Individuellen, als Trübung eines Na- tur-Ideals, worin jede Form und Lebenskraft zur Vollkommenheit ent- wickelt, worin auch das Einzelne ohne Mangel sein sollte, einer Welt von Götterbergen, Götterbäumen, Götterlüften, eines Mythus der Natur. Was die besondern Formen, Erdbildung, Vegetation betrifft, so grenzte die Behandlung derselben nahe an eine Regelmäßigkeit, die bei den Nach- ahmern sammt jener Freiheit der Composition unaufhaltsam in eine con- ventionell generalisirende Manier und von da in das Decorations-artige, Tapetenmäßige überging, wo denn die Wärme der Naturwahrheit dadurch nicht gerettet wurde, daß man als Staffage im Verlauf zerfetztes, zer- schlissenes Lazzaroni-Volk in seltsamem Fehlgriff einer richtigen Ahnung des Romantischen der Nationaltracht anfieng vorzuziehen. Wie neben dem großen Anfänger Titian und den berühmten Vollendern dieser Gattung, den beiden Poussin und Claude Lorrain, schon die Schule der Caracci und die Naturalisten Neapels, vor Allem Salvator Rosa, ein stärkeres Maaß der Naturzufälligkeit in diese Auffassung einführten, so haben in neue- rer Zeit Koch und Reinhard dem großartig Idealen auch den bestimmteren Local-Charakter italienischer Gegenden eingeschmolzen, ohne jedoch die übrigen Eigenschaften der heroischen Landschaft aufzugeben und daher auch ohne diese Gattung bleibend neu beleben zu können. Denn in Wahrheit fehlt ihr jenes Maaß des Naturalistischen und Individuellen, der Phy- siognomik, welches die Malerei trotz der Berechtigung des plastischen Styls fordert. Der Gegensatz gegen den rein malerischen Styl, der aus här- terer Form, localerem Gepräge, verhüllterer, gebrochnerer Farbe nnd stärkerem Walten des Helldunkels ohne die Mithülfe einer zu pathetischen oder überhaupt zu bedeutenden Staffage die Idealität als Stimmung, als Seele resultiren läßt und nach dem Vorgang eines Rubens zuerst in J. Ruysdael sich in seiner ganzen Macht zusammenfaßt, ist immer noch stark genug, wenn man, wie Rottmann, ein ideal erfaßtes, plastisch durch- gebildetes Porträt einer bestimmten Gegend von großartig reinen Formen und Farben gibt, die Zufälligkeit in feiner Linie walten läßt, Götter, Heroen, Patriarchen, Prunk der Tempel, Paläste, pathetischer Ruinen entfernt. Das Stylbild, das so in seiner Reinheit dem Stimmungsbild entgegentritt, ist natürlich als Landschaftgemälde selbst ein Stimmungsbild; schon in der spezifischen Form der historischen Landschaft hat es nicht das bewegungsreiche Leben der Luft, nicht die Zauberwelt der Farbe verschmäht, Caspar Poussin geht zu stürmischer, dramatischer Erregung fort, bei Claude Lorrain wiegt sich eine himmlische Formenwelt im zarten Silberdufte des reinsten Aethers, Alles ist in die Stimmung eines hohen, heitern Selbst- genusses im Wechseltausche vollkommenen Daseins getaucht. Allein der Gegensatz des Epischen und Lyrischen tritt im Lyrischen noch einmal ein: das Stylbild ist durch seine plastische Natur objectiv und durch diese Ob- jectivität episch. Daß dieser Anschauung die Wandmalerei zusagen muß, bedarf keiner Erklärung; wir haben hiemit das erste Beispiel, wie sich das Moment der Auffassung mit den andern Momenten der Unter-Ein- theilung in der Malerei verbindet. — Es ist nun aber der Gegensatz zwischen Stimmungsbild und Stylbild überhaupt nicht abstract zu fassen. Wenn schon die historische Landschaft bald mehr die Form, bald mehr die allgemeinen Medien Licht und Luft in Bewegung oder Ruhe betont hat, so wird dieß ein bleibender Unterschied in der Auffassung des Stylbilds sein und also, da Licht und Luft die eigentlichen Träger der Stimmung sind, eine bleibende Richtung herüber nach dem Stimmungsbild auf dieser Seite hervortreten; der Grad der Einführung des örtlichen Gepräges und der Zufälligkeiten überhaupt wird bis zu einer zarten Grenze sich verschie- den bestimmen; das Naturbild wird, wie gesagt, im Allgemeinen die pla- stische Natur des europäischen Südens bleiben, doch ist der Orient und selbst der Westen und Norden, sofern sie einzelne rein entwickelte und glückliche Formenverbindungen und Momente darbieten, nicht ausgeschlossen. Umgekehrt ist das Stimmungsbild im Stoffe noch viel weniger beschränkt; denn obwohl die Betonung des Ausdrucks durch ein gewisses Mißver- hältniß der Form ihm wesentlich und daher eine rauhere Zone zusagender ist, so bietet doch auch die südliche Natur im Reize der Form und Farbe des Zufälligen genug, um jene Art der Accentuirung zu unterstützen; kann ferner das Stylbild auch bewegungsreich sein, so erreicht umgekehrt das Stimmungsbild seine Absichten auch in der Darstellung einer träumerischen Ruhe und neigt es in feiner Belauschung des Einzelnen zum Bindemittel des Oels und kleinem Maaßstabe, so ist ihm doch, da das Großartige in keiner Weise ausgeschlossen ist, auch die Freske nicht unbedingt entgegen. §. 700. Die Beziehung der Phantasie auf verschiedene Arten des Stoffes , auf 1. die Unterschiede der Weltgegenden und Landstriche, berührt sich mit dieser Ein- theilung und zieht sich neben ihr hin, ohne für sich eine solche zu begründen. 2. Dagegen enthält die Hervorhebung oder ausschließende Behandlung einer Seite des Landschaftlichen einen Ansatz zur Zweigebildung, der wenigstens in 3. der See-Malerei zu ausdrücklicher Dezeichnung gelangt. In innigem Wechsel- verhältniß mit diesem Unterschiede und dem des Lyrischen, Epischen, Dramatischen steht derjenige, welcher aus der Auffassung des einen oder andern Moments im Sinne der Jahrszeit, Tageszeit oder des augenblicklichen Zustands entsteht; die Winter- und Mondschein-Landschaft tritt als kleiner 4. Theil dieses Gebietes in besonderer Benennung hervor. Das einfach Schöne und Erhabene vermählt sich in unendlicher Mannigfaltigkeit mit allen andern Unterschieden. 1. Südliche und nördliche Natur sahen wir, jene mit dem Stylbilde, diese mit dem Stimmungsbilde zusammentreten, doch nicht in nothwendiger Bindung; der Unterschied der Zone u. s. w. läuft also neben jener ersten Eintheilung ebensosehr auch selbständig hin. Das gewöhnliche Herkommen hat in der Landschaftmalerei besondere Namen eigentlich nur da fixirt, wo sich die Subjectivität der Künstler stehend auf gewisse Spezialitäten geworfen hat; gerade die tieferen Unterscheidungen geben doch nicht den greiflich festen Rahmen, den man eigentlich unter Zweig versteht, daher denn auch die stärkste und entscheidendste derselben, die der vorh. §. aufstellt, nicht als geläufige Eintheilungsformel im Gebrauche sein kann. Eine solche erwächst auch nicht aus den Unterschieden des Stoffs: Natur des Ostens, Südens, Westens, Nordens, engere und engste landschaftliche Bestimmtheit der Länder, Landstriche u. s. w. Die Aufgabe der Wissenschaft aber ist es, in jedem Gebiete alle wesentlichen Unterscheidungs-Linien aufzuzeigen, um den vollständigen Schlüssel zur Analyse des einzelnen Künstler-Genius und Kunstwerks zu geben. Hier nun ist es besonders wichtig, wie sich, ganz dem modernen Geist entsprechend, das Landschaftsgebiet durch immer weitere Oeffnung des Erdkreises für das Auge der Bildung und der Kunst erweitert. Lange bewegte sich die Landschaftmalerei in den Grenzen Italiens und des Niederrheins, Belgiens, Hollands, jetzt wandert der Landschaftmaler mit Feldstuhl und Mappe nicht nur die nahen Länder des gebildeten Europa aus, nicht nur Spanien, Griechenland hat seine Schätze erschlossen: Amerika, Afrika, Asien und das nördliche Europa bis zur Grenze des Bewohnbaren erschließen ihre Wunder. 2. Die Theile der Landschaft sind Luft und Licht, Wasser, Erde, Pflanze. Ein Künstler kann sich im Ganzen seiner Auffassung mehr auf den einen oder andern oder mehrere dieser Seiten werfen oder nach Stimmung und Stoff zwischen der Betonung der einen und andern wechseln. Rottmanns Größe z. B. ist vor Allem das tiefste Gefühl für die Erd- bildung, die schwungvollen Formen des Gebirgs, die duftig sich verlierenden Spalten und Falten, Brüche, Senkungen, Wände, Sättel, die mächtig und breit hingezogenen Ebenen; in Pflanzen ist er schwächer, Griechen- lands heißtrockene Natur sagt ihm besonders zu, ruhig klare Luft ist sein Element, doch auch im Wasser ist er großartig und geistvoll; Hochgebirge und Wald ist die Heimath eines Everdingen, eines Calame, Schirmer ist besonders bedeutend im letzteren u. s. w., die Holländer lieben natur- gemäß das Flachland, doch haben alle diese Künstler auch andere Seiten der Landschaft ergriffen. Die Bedeutung dieser verschiedenen Seiten sind im ersten Abschnitte des zweiten Theils dargestellt, was uns hier eine weitere ästhetische Würdigung derselben erspart. Dort ist insbesondere auch gezeigt, wie wichtig das Wasser für die Landschaft ist; der See, Teich, Bach, Fluß, namentlich der größere oder kleinere Wasserfall bildet die belebende, blitzende Seele in der Mehrzahl der Landschaften. Nun aber isolirt sich die Malerei auf das Wasser mit seiner noch zarteren, bewegungsreicheren Schwester, der Luft, im Marine-Bilde, und während die Ausdrücke: Gebirgs-Landschaft, Küstenlandschaft ohne bestimmten Fort- schritt dieses Eintheilens nur ungefähr einen Ansatz zur Bestimmung von Zweigen enthalten, so steht hier sachgemäß ein scharf begrenzter Zweig vor uns. Die Aufzeigung der Schönheiten des Meers in der Lehre vom Naturschönen enthebt uns auch hier eines weitern Eingehens; ein solches wäre allerdings nöthig, um die Schwierigkeiten und Aufgaben des künst- lerischen Studiums und der Technik auseinanderzusetzen, wie sie bei diesem Gegenstande besonders sich aufdrängen; dieß würde jedoch tiefer in das Einzelne führen, als der Umfang des Systems gestattet. Wir verweisen statt dessen auf die großen Meister: einen Salvator Rosa, van de Velde, Backhuysen, Claude Lorrain, Gudin, Achenbach und Andere. 3. Nun ist auch jenes wichtige Theilungsmoment einzuführen, das wir in §. 540 Moment und Grad des Umfangs genannt haben. Von letzteren sehen wir hier ab; es wäre wohl interessant, die Stufen der Landschaft von der großen Composition eines ausführlichen Ganzen bis zu der kleinen Partie, welche blos den Namen der Studie verdient, herunterzuwandeln, aber erst in den anderen Gebieten wird dieser Punct wichtig genug, um hier verfolgt zu werden. In einem so tief subjectiven Gebiete wie die Landschaftmalerei, wo der Blitz der Auffassung recht die Seele des Ganzen ist, muß nun aber der Moment, der augenblickliche Zustand, in welchem der Stoff ergriffen wird, von der größten Bedeutung sein. Indem die Natur als Widerschein menschlicher Stimmung erfaßt wird, trägt das unwillkührliche Leihen auf ihre Zustände den Begriff der harmlosen oder gespannten Situation und der Handlung aus dem Gebiete des Charakters (§. 336) über: Ruhe wird zur Seelenruhe, zum Frieden der Selbstbetrachtung, spannendes Grollen zu einem ahnungs- vollen Bilde der zur Entladung gerüsteten Leidenschaft, Schlag und Gegenschlag im ausgebrochenen Gewitter, See-Sturm gemahnt wie Zorn und Aufruhr der Geister, wie tragische Katastrophen, Ruhe nach Sturm wie das versöhnende Schlußgefühl des Tragischen. Zu den vorh. Ein- theilungen verhält sich dieß so, daß das Stylbild im Allgemeinen mehr die großartige Ruhe, das Stimmungsbild die gespannte Situation und Handlung suchen wird, daß im Stoffgebiete die rauhere Natur mehr der Belebung durch diese Bewegtheit bedarf, als die plastische, südliche, und daß, wie schon oben berührt ist, Luft und Wasser, erstere vorzüglich an den Pflanzen ihre Bewegung offenbarend, die Elemente sind, worin diese Unterschiede ihren Ausdruck finden. — Man sieht nun, wie hier aufs Neue der Unterschied des Epischen, Lyrischen, Dramatischen zu Tage tritt: das Erdleben mit seinem Charakter fester Nothwendigkeit erscheint als der vorzüglich epische, Luft und Wasser als der lyrische und dramatische Theil der Landschaft und es leuchtet ein, wie diese verschiedenen Formen an die ruhigere, die gespannte Situation, den stürmischen Ausbruch sich knüpfen. — Es ist zunächst ein mehr andauernder Zustand, dem der Landschaftmaler einen Moment ablauscht: es sind die Jahreszeiten, unter denen namentlich der Herbst als stimmungsvoll erscheint, und die Tages- zeiten, die Nacht. Begreiflicher Weise hat jedoch auch hier, da die landschaftlichen Zustände so unendlich ineinander übergehen, bestimmte Be- nennung mit dem Charakter des Stehenden sich nur an die Spezialitäten des Winters und des Mondscheins geknüpft, die ein Studium so beson- derer Art erfordern, daß Künstler-Individualitäten sich bisweilen vorzüglich darauf concentriren. Ein van der Neer insbesondere ist mit dem feinsten Gefühle den Dämmerungen der Nacht, dem ungewissen Lichte des Mondes nachgegangen. 4. Das Komische fällt aus der Landschaft natürlich weg. Das Styl- bild durchläuft die reichsten Modificationen des einfach Schönen und Erhabenen innerhalb des Letzteren, das jedoch als maaßvolle, schön begrenzte Kraft in seinem Gebiete herrscht, wogegen das Stimmungsbild die wilde, abspringende, schroffer bewegte Form des Erhabenen und im einfach Schönen die freieren Spiele der Anmuth entfaltet. Welche Stoffe und Momente der übrigen Eintheilungen vorherrschend unter die eine oder andere dieser Grundformen treten werden, mag sich der näheren Betrachtung von selbst ergeben. Es handelt sich hier weniger darum, dieses Eintheilungsprinzip zu entwickeln, als darum, es nicht fallen zu lassen, sondern mit fortzuführen bis dahin, wo es die Kunstform findet, in welcher es durchschlägt und eine Gattung begründet. β. Das Sittenbild. §. 701. Den Uebergang von der Landschaft zu dieser Sphäre bildet das Thier- 1. stück , das mit dem einen und andern seiner Nachbargebiete in verschiedener Ausdehnung sich verbindet, aber als selbständiger Zweig keinen Zweifel über den wahren Hauptgegenstand des ästhetischen Ganzen lassen soll. Als Einthei- lunggsgrund ist insbesondere der Unterschied des Moments von Bedeutung. Die Nähe des Menschen kündigt im Großen die Architektur-Malerei 2. (vergl. §. 543), im Kleinen das Blumen- und Fruchtstück und das soge- nannte Still-Leben an. 1. Die Stellung des Thierstücks zwischen der Landschaft und dem Sittenbilde (vergl. §. 696 Anm.) ist äußerlich schon daran erkennbar, daß eine Aufnahme des Thierlebens bis zu bedeutendem Umfang sich mit einem Gemälde der einen oder andern Gattung verbinden kann; umge- kehrt kann zu einem Thierstücke das Landschaftliche und menschliches Leben in ansehnlicher Ausdehnung sich gesellen. Diese äußerliche Verbindung ist der natürliche Ausdruck der innern Zusammengehörigkeit, denn das Thier ist die sich vernehmende und genießende Natur und der Grenz- nachbar des Menschen, sein Begleiter, sein Diener, aber auch sein Feind und Gegenstand seiner Kampflust; die landschaftliche Stimmung von der einen, die menschliche von der andern Seite läuft wie von selbst in das Thier aus. Aber auch hier muß die unklare Mischung (§. 696) abge- wiesen werden. Entweder, oder! bleibt festes Gesetz; ein Gemälde duldet nur Ein Hauptsubject, durch das der Zweig bestimmt wird, in dem es gehört. Es ist nicht sowohl die äußere Ausdehnung, welche entscheidet: es mag ein großes Stück Landschaft mit Thiergruppen sich verbinden, viele Thiere mögen mit einer Landschaft, mögen mit Menschen, viele Menschen mit Thieren zusammengestellt sein und das Ganze ist doch Thier- stück, Landschaft, menschliches Genre oder wieder Thierstück, wenn nur die Composition mit dem gesammten Ausdrucke klar sagt, was die Hauptsache ist. Man darf nicht zweifeln, welcher Theil auf den andern componirt ist, welcher dagegen die Composition bedingt, die Seele des Ganzen ist. Dieß unterscheidet sich nicht schwer, man erkennt leicht, ob Landschaftliches so viel Einheit und Mannigfaltigkeit hat, um für sich ein ästhetisches Ganzes zu bilden, dem das Thierische nur als Staffage anhängt oder umgekehrt, und ebenso verhält es sich in der Zusammenstellung von Thieren und Menschen, wo denn überdieß ein bedeutendes Stück Landschaft wieder hinzutreten kann. Uebrigens hindert dieß nicht, auch hier Nebenzweige gelten zu lassen, sofern dabei nur immer ein Hauptsubject den entscheiden- den Mittelpunct bildet: es wird also ein landschaftliches Thierstück, eine Landschaft mit stark vertretender thierischer Staffage, ein Sittenbild mit bedeutender Einmischung von Thierischem (namentlich Hirtenleben), ein Thierstück mit bedeutender Einmischung des Menschlichen geben und die beiden letzten Formen werden im angegebenen Falle auch wieder das Prädicat des Landschaftlichen mit sich vereinigen. Die niederländische Malerei ist reich an Beispielen solcher Uebergänge; man denke u. A. nur an Phil. Wouvermann. Wir werden auf diese Verbindungen zu- rückkommen. Blicken wir nun auf die Reihe von Unterscheidungen, in die wir die Sphäre der Landschaft getheilt, so erhellt sogleich, daß die erste im Thierstück schwächer auftreten muß, nämlich die, welche sich auf den Gegen- satz der Style gründet. Wir haben gesehen, wie die Malerei das Thier auffaßt (§. 654. 679); der plastische Styl wird neben dieser naturwarmen, in das Seelenleben eindringenden Behandlung durch seine Art, in großen Zügen das Wesentliche der Form auszusprechen, nicht ebenso einen tiefen Unterschied begründen können, wie in der Landschaft, die so reichen Spiel- raum für Hervorhebung oder Unterdrückung des Zufälligen bietet. Ehe der eigentlich malerische Styl im Norden sich ausbildete, gab es auch wirklich keine Thiermalerei. Es ist schon in anderem Zusammenhang, §. 451 Anm, darauf hingewiesen, daß selbst Raphael in der Zeichnung von Thieren, namentlich demjenigen Thiere, das dem plastischen Gefühle doch besonders entgegenkommt, dem Pferde, noch schwach ist: ein höchst merkwürdiger Gegensatz der neuen Welt und der Malerei gegen das Alterthum und die eigentliche Bildnerkunst, die sich von Anfang an durch feines Verständniß der thierischen Form auszeichnen (den Grund s. §. 437, Anm. 1). Am ehesten wird man die gewaltige Behandlung der Thier- welt in ihren Kämpfen unter sich und mit dem Menschen, die in großem Maaßstabe und großen Zügen, worin das Einzelne, was Gegenstand speziellerer Belauschung ist, doch stark zurücktritt, die Formen und den Ausdruck des Affects darstellt, die Werke eines Rubens und Snyders, Stylbilder nennen können. Wie warm lebendig und beseelt aber auch hier die Auffassung ist, das mag allein schon der herrliche, furchtbar wahr behandelte Kopf des verröchelnden Tigers auf Rubens Löwenjagd zu Dresden beweisen. Die stylistische Richtung, wie sie denn in diesem beschränkteren Sinne nach dem Eintritt des ächt Malerischen auch weiter- hin sich geltend machen muß, wird eine natürliche Beziehung zu einem gewissen Theile des Stoffs, dem Hirsch, Eber, Stier, Hund, den großen Katzen-Arten, vor Allem, wie bemerkt ist, zu dem Pferd haben, weil hier die schwungvoll geschlossenen Formen zu finden sind, die dem plastischen Gefühle zusagen. Hiemit ist denn der zweite Theilungsgrund, der Unterschied des Stoffs , zur Sprache gebracht. Der ächt malerische Styl wird sich gerne, wiewohl keineswegs allein, dem Culturthiere zuwenden, denn er sucht weniger Form-Schönheit, als Gemüthlichkeit. Pferd und Wiederkäuer wird ihm mehr im eingewöhnten, dem Menschen vertrauten, als in dem freien und wilden Zustande ein beliebter Stoff sein; ihm sagt namentlich das Geschlecht der Schafe, Ziegen, weidenden Rinder zu; er mag sich behaglich in das „Dumpfe, Beschränkte, Träumende, Gähnende ihres Zustands versetzen und uns in das Mitgefühl desselben hineinziehen“ (Göthe von H. Roos s. Eckerm. Th. 1 S. 125). Hund und Katze er- scheint als freundliches Hausthier, und ein Hondekoeter sorgt dafür, daß der Hühnerhof nicht vergessen werde. Verschlossen ist jedoch dem ächt malerischen Styl auch die wilde Naturkraft natürlich nicht; Potters brüllen- der Stier und Landseers Hirsch sehen nicht demnach aus, als möchten sie dem Menschen seine Furchen ziehen und an seiner Krippe stehen; die mehr spezialisirende Behandlung begründet hier allein den Unterschied und mit ihr tritt denn auch die Individualität des einzelnen Thiers mehr hervor. — Das Wichtigste ist nun aber der Unterschied des Moments , der Situation. Zugleich mit diesem wird jetzt auch der Grad des Um- fangs, auf den wir uns bei der Landschaft nicht einließen, bedeutender. Niemals zwar kann die Malerei ein einzelnes Thier statuen-artig wie ein Portrait hinstellen, dieser Unterschied von der Bildnerkunst bleibt. Tritt ein einzelnes Thier in einem Gemälde auf, so muß Landschaft oder mensch- liche Wohnung mit Geräthe Stimmung und Motiv dazu geben. So gefaßt, zeigt sich dann eine natürliche Reihe vom einzelnen Thiere zur kleineren, größeren und vielfacheren Gruppe, und dieser Unterschied steht im lebendigsten Wechselzusammenhang mit dem des Moments. Hier ist denn der große Schauplatz für die warme und feine Belauschung des Thiers in seinem dem menschlichen analogen Seelenleben aufgethan. Alle die Zustände, Affecte, Tugenden, Unsitten, worin die schon reich aus- gestattete Thierseele auf die menschliche hinüberweist, breiten sich aus wie ein buntes Feld, worin unser Gemüth im dumpfen Spiegelbilde, doch nur mit um so mehr Interesse der Verwandtschaft nachgehend, sich reflectirt findet. Ruhe und Aufregung, Bedürfniß und Sättigung, Freude und Leid, Angst, Schrecken, Liebe und Haß bis zur äußersten Wuth, — eine Fülle von Formen und Tönen eröffnet sich, sei es im Leben der Thiere unter sich in Gesellung, Befreundung, Mutterliebe, Feindschaft und Kampf, sei es im Umgang mit dem Menschen, im Kampfe mit ihm, im blutigen Spiele der Jagd. Es liegt ein volles Seitenstück des menschlichen Sitten- bilds vor uns, und wie dieses an die Novelle erinnert, so mag der Thier- maler gern in sinnig motivirten Scenen der Thierwelt eine Art von Thier- novelle anklingen lassen; durch gespannteren Zustand, wie in Hondekoe- ters Hühnerhof oder in jenen furchtbaren Jagdbildern eines Rubens und Snyders, wo die Entscheidung, ob Löwe, Tiger, Wildschwein, Bär oder Hund und Mensch gewinnt, auf der Spitze und das bluttriefende Thier wie ein bedrängter Heros dasteht, steigert sich das Novellistische in das Dramatische. Dagegen ist das einfache Sein und sich Gehaben, Saufen, Fressen, Wandern, hingestreckt Ruhen immer mehr episch im allgemeinen Sinne, Gemüthszustände, wie zärtliches Lecken der Jungen oder Aufblicken zum Herrn und dergl. mehr lyrisch, und so sehen wir auch diese Form des Unterschieds, die sich auf die Mischungen der bildenden Phantasie mit der empfindenden und dichtenden gründet, in Wirkung. Es ist nun auch klar, wie zu reicher Entfaltung des einfach Schönen, des Furchtbaren in Form, Leidenschaft und Bewegung, das Komische hinzutritt, denn dieses beginnt (vergl. §. 158, 4. ) mit dem Thiere. Das Spielen so mancher Thiere, die Kraftanstrengung bei kleinen Verhältnissen, die drolligen Bewegungen, Kämpfe, tragikomischen Schicksale, die Charakter- typen, die als natürliche Caricatur menschlicher Eigenschaften erscheinen, das volle Zerrbild des Menschen im Affen: da ist komische Novelle und Lustspiel aufgethan. Die Poesie gibt reichen Anhalt in der Thiersage und ein Kaulbach hat diese Quelle mit tiefem Beobachtungsgeist und Hu- mor benützt. Dieß führt jedoch schon in phantastische Formenmischung und somit in das Gebiet der eigentlichen Caricatur hinüber. 2. Keine Kunst liefert der andern in dem Sinne Stoff, wie die Bau- kunst der Malerei, dieß ist in dem angeführten §. schon gezeigt. In der Architektur-Malerei , zunächst derjenigen, welche die Außenseiten be- handelt, wird ein Menschenwerk wie ein Naturwerk, wie der Theil einer Landschaft aufgefaßt; doch bleibt es Menschenwerk und die geschichtliche Physiognomie, die es haben soll, erzählt uns von Sitten und Schicksalen der Erbauer und Bewohner, es kündigt die Menschennähe an wie ein getragenes Kleid. Die Architektur-Malerei mag dem Stoffe nach öffent- liche oder Privatgebäude, dem Zustande nach Trümmer oder erhaltene (nur nicht nagelneue vergl. §. 677), dem Umfange nach einzelne oder viele Bauwerke bis zu reichen Straßenprospecten darstellen und verändert, verengt oder erweitert danach Geist und Stimmung des Ganzen. Die Dar- stellungen des Innern der Architektur (die sog. Interieurs) treten natürlich dem Menschlichen näher, aber auch hier wird das Bauwerk eigentlich unter dem Standpuncte des Landschaftlichen behandelt: die Linear- und Luft- perspective, die Dämmerung des Helldunkels, worin Kerzen- oder Fackel- Licht oder eindringendes Naturlicht an den Massen und Wölbungen hin- laufend sich ahnungsvoll verliert, dieß sind die Wirkungen, worauf es abgesehen ist. — Was nun endlich die zierlichen Kleinigkeiten der Blu- men - und Fruchtstücke und der Zusammenstellungen von Geräthen und dergl., namentlich aber Erfrischungen, worunter das todte Thier eine Hauptrolle spielt: die sog. Still-Leben , auch Frühstücks-Bilder be- trifft, so gilt es hier zunächst allerdings feine Belauschung und Nachah- mung des Objects, die Kunst trägt ihr Licht in das Kleine und Enge, schleicht den zarten Reizen der Form, Farbe, des Lichts, insbesondere des Durchsichtigen nach, weidet sich an ihrer Macht und List, die in den Stoffen eingefangene Naturseele zu ertappen und zum Leuchten zu brin- gen, und sie ist auch darin nicht zu verachten, denn ein Schimmer von Idealität ist selbst in den anspruchslosesten Gattungen des Daseins; doch für sich würde derselbe wenigstens bei den unorganischen oder todten Kör- pern des sog. Still-Lebens nicht ausreichen, das Ganze einer künstlerischen Darstellung zu bilden, die Zusammenstellung erst gibt diesen Dingen ihre Stütze und zwar in dem Sinn, daß sie auf den Geist des abwesenden Besitzers hinweist (Schnaase Niederl. Briefe S. 153): Wohlstand und Behagen des Menschen ist das mittelbare, aber doch das Grund-Motiv in diesen Bildern, sie sind culturhistorisch zu verstehen, man muß die Neigungen und Sitten des Volkes, wo solche Darstellungen beliebt sind, im Auge haben. Mehr Schönheitsgehalt an sich schon hat die organische Gestalt der Blumen und Früchte, doch auch sie können für sich allein nicht Kunst-Objecte sein (vergl. §. 276, 2. ); im Strauße, in schönen Gefäßen gruppirt, wiewohl noch duftig und thauig, breitet ein David de Heem, ein Huysum sie hin, als warteten sie des eintretenden Menschen, der sich ihrer Farbe, ihres Geruchs und Geschmacks erlaben möge. §. 702. Im Sittenbild ergreift die auf das allgemein Menschliche gerich- tete Art der Phantasie das weite Gebiet des menschlichen Lebens, sofern die gattungsmäßigen Kräfte desselben nicht zu den großen Entscheidungen sich zu- sammenfassen, welche sich mit Namen und Zahl in die Geschichte einzeichnen. So bedeutend der Inhalt und so stark die innere Bewegung sein mag, erscheint daher der Mensch doch als Naturwesen im engern und weitern Sinne des Worts, gehalten am Bande des Allgemeinen in der Bedeutung des Bedürfnisses, der Arbeit, des natürlichen und geselligen Zustands, der Culturformen, kurz der Gewohnheit, der Sitte überhaupt. Die Belauschung und vorherrschende Be- tonung des Einzelnen, Augenblicklichen, Kleinen fließt eben aus diesem Be- griffe des Allgemeinen. Der bestimmende Standpunct ist der epische . Der Name Sittenbild scheint uns werth, statt des französischen Genre und des früheren deutschen (zuerst von Hagedorn in den Betrachtungen üb. d. Malerei gebrauchten, von Schnaase aufgenommenen): Gesellschafts- bild eingeführt zu werden. Der letztere erinnert zu wenig an die Beziehung des Menschen zu der Natur und zu leicht an die moderne Gesellschaft, wie denn Hagedorn sogleich an einen Watteau denkt; der erstere bezeich- net ganz richtig das Gattungsmäßige, was sich aus der Substanz des Allgemeinen nicht zur Spitze der in das Licht der Geschichte hereinbrechen- den Entscheidung zusammenfaßt, aber zu wenig das Gewohnheitsmäßige, das, ursprünglich ein Erzeugniß der Freiheit, durch die Gesammtzuflüsse des Beitrags der unendlich vielen Einzelnen und durch Verjährung zu einer Art zweiter Naturnothwendigkeit wird. „Sitte“ wird nicht nur im moralischen Sinne gebraucht, sondern bezeichnet das Gewohnheitsmäßige im weitesten Umfang, insbesondere auch die äußern Culturformen, und es darf wohl an die altdeutsche Bedeutuug erinnert werden, wonach das Wort auch Gebahren, habitus, Art der Bewegung des Individuums be- zeichnet: Sigfried z. B. hat im Kampfe gegen die Sachsen „einen freis- lichen Sit“. — Es handelt sich nun, wenn der Begriff des Sittenbilds richtig bestimmt werden soll, vor Allem um die richtige Anwendung der Begriffe des Allgemeinen und Einzelnen. Hotho (Gesch. d. deutsch. u. niederl. Malerei B. 1 S. 130) setzt das Wesen des Genre in die Auf- fassung des Einzelnen, Particulären, Augenblicklichen und das Wesen des historischen Bildes in die Darstellung des Allgemeinen, Wesentlichen, Ewi- gen. Will man sich nicht verwirren, so muß man die Begriffe zunächst ganz anders nehmen und das Verhältniß geradezu umkehren: das Ein- zelne ist der große Moment, wo die Kräfte der Menschheit sich zu ge- waltigen Entscheidungen zusammenfassen, welche die Geschichte mit Angabe der Zeit und des Namens in ihre Annalen einschreibt, das Allgemeine ist das gewöhnliche Walten und Treiben derselben Kräfte, das unbenannt bleibt, weil es zu solcher Entscheidung sich nicht zusammengerafft hat, daher Guhl (a. a. O. S. 141) treffend das Genre eine Malerei mit unbenanten Größen nennt. Neben dieser Bestimmung des Begriffs der Einzelheit, wonach er die Concentrirung des Allgemeinen und Wesentlichen zur Spitze des sich verewigenden Moments bedeutet, behält nun aber allerdings auch die andere Recht, wonach unter dem Einzelnen die par- ticulären Züge der Persönlichkeit und aller Erscheinung zu verstehen sind, und dann bleibt es dabei, daß diese Seite im Sittenbilde vor- und im Geschichtlichen zurücktritt, weil sie hier ganz von dem Ausdruck des All- gemeinen durchzogen und durchdrungen ist. Ebenso, wie der Begriff des Einzelnen, muß nun auch der des Allgemeinen in einer zweiten Bedeutung genommen werden. Hotho gebraucht „Allgemein“ gleichbe- deutend mit Wesentlich, Groß, Substantiell und so verstanden wiegt es im historischen Bilde vor, wogegen es im Sittenbilde nur „Grundlage“ , nur „die verdeckte Wurzel“ bleibt, welche das Particuläre, das frei spie- lende Individuelle in die Tiefe senkt. Hier wird die Sache deutlich: das Allgemeine, d. h. die gattungsmäßigen Kräfte der Menschheit, wenn sie sich zu geschichtlichen Entscheidungen concentriren, worin eine bestimmte Idee durchbricht, herrscht im historischen Bilde und da wird das Einzelne (im Sinn des Particulären) zurückgedrängt, strenge gebunden; was Hotho Grundlage, verdeckte Wurzel nennt, ist dagegen das Allgemeine, das sich zu solchen Entscheidungen nicht concentrirt, so verstanden, aber herrscht es im Sittenbilde, denn nun ist es gleichbedeutend mit dem Täglichen, Continuirlichen, Gewöhnlichen, welches den Menschen frei läßt, so daß alle Züge des Besondern und Einzelnen ungebunden spielen und sich aus- breiten dürfen. Es walten also in beiden Zweigen dieselben gattungs- mäßigen Kräfte der Menschheit, dort zur Entscheidung gesammelt, hier nicht. Es ist dieß aber keineswegs ein Unterschied, der nur in der Con- ception, in der Auffassung liegt, außer sofern natürlich auch die Wahl des Gegenstands selbst ursprünglich eben ein Act derselben ist; der Gegen- stand selbst ist verschieden; freilich jedesmal dasselbe Wesen, der Mensch, aber jedesmal eine andere Hemisphäre seines Daseins. Der Inhalt wird in Wirklichkeit ein anderer, wenn er aus der unbelauschten Richthöhe des Gewöhnlichen herauftaucht an den Tag der Geschichte. Der Sitten-Maler zeigt uns irgend ein buhlerisches Weib, der Geschichts-Maler eine Cleopatra, jener einen namenlosen Krieger, Staatsmann, dieser einen Alexander den Gr., einen Perikles, Cromwell, jener einen Unbekannten mit dem Ausdruck religiöser Begeisterung, dieser einen Huß, einen Luther: es ist beidemal dasselbe Pathos, aber dasselbe Pathos wird ein anderes, wenn es die Geschicke concreter Staaten, ganzer Epochen bewegt oder diese sich doch irgendwie mit ihm verwickeln, als wenn es sich in der Dunkelheit des Namenlosen verborgen weiß; die Seele wird tiefer, umfassender aufge- rüttelt und die äußere Erscheinung im Bewußtsein des erschütternden, in die Annalen der Geschichte sich eingrabenden Moments größer, mächtiger, sie wird monumental. Das Sittenbild hat keineswegs blos sogenannten niedrigen Inhalt, alles Bedeutende, was die Geschichte bewegt, ist in ihm auch da, jede höchste Empfindung, jedes tiefste Leiden kann neben dem geringsten und anspruchlosesten Thun zur Darstellung kommen, und doch ist es eine andere Welt, doch fehlt ein letzter Punct auf das i, ein Hauptton, der Grundbaß. Mag nun der Mensch auch von Bedeutendem ergriffen sein, so läßt er sich doch, sofern dieses Bedeutende nicht zur Spitze ge- schichtlicher Entscheidung gelangt, sofern er sich vom Auge der Geschichte nicht beobachtet weiß, gehen und gibt sich nachläßiger allen den Bedin- gungen hin, die ihn im gewöhnlichen Leben beherrschen; noch mehr aller- dings in den Augenblicken, wo nicht Bedeutendes ihn aufrüttelt, und das Sittenbild wird sich immerhin vorzüglich mit solchen beschäftigen. Die Bedingungen des Geschlechts, Alters, anthropologischen Zustands, Stan- des und Geschäfts, Genusses, der geltenden Formen in Kostüm, Umgangs- sitte, Genuß, Trauer, Arbeit treten nun in ihrer ganzen Breite an seiner Erscheinung hervor und in diesem Elemente läßt denn auch die In- dividualität des Einzelnen ihre ganze Eigenheit spielen; er glaubt sich ganz unbelauscht, er weiß nicht, daß der Maler ihn belauscht und eben- dieß drückt der belauschende Maler aus. Wie nun dieß Alles in Geltung gesetzt ist, so tritt hiemit auch das Umgebende, der ganze Anhang und Apparat, durch den der Mensch sein tägliches Leben fristet, schmückt, er- heitert, in umfassende Berechtigung ein; die äußern Culturformen spielen im Sittenbild eine Haupt-Rolle. Hiemit ist begründet, was schon zu §. 697, 1. im Allgemeinen aufgestellt worden: die Auffassung im Sitten- bild ist die epische . Daß das eigentliche Epos mit benannten Größen darstellt, verändert, wie sich seines Orts zeigen wird, nichts an der Rich- tigkeit dieses Satzes. Der Mensch des Sittenbilds ist der zuständliche Mensch; handelt er, so bewegt er doch nicht die Welt, schöpft nicht aus der reinen Freiheit der Selbstbestimmung eine That, welche den Knoten des Complexes, in welchem er als Kind der Natur und der Sitte einge- flochten lebt, mit straffer Hand, mit scharfem Schwerte zerhaut und einen neuen schürzt; selbst wenn er den Faden des Gegebenen abbricht und z. B. revolutionirt, so wendet sich die Kunst dem Gebahren der Massen, dem Bilde der allgemeinen Leidenschaften, den Formen der Aeußerung, nicht der großen, freien, aus einem Willen, den die Geschichte sich merkt, her- vorgestiegenen Thatsache zu. Also auch die Freiheit tritt unter dem Stand- puncte des Instinctlebens auf. Der §. sagt, der Mensch erscheine im Sittenbild als Naturwesen im engeren und weiteren Sinne des Worts; was oben von den Bedingungen bemerkt ist, die ihn in dieser Sphäre beherrschen, gibt den Anhalt für diese Unterscheidung. Bald ist es mehr das Anthropologische als solches, Gestalt, sinnlicher Zustand, irgend eine Beziehung auf die äußere Natur ohne tiefere Einkehr in sich, bald der künstliche und der moralische Mensch, der zur Darstellung kommt; aber, wie gesagt, auch im letztern Falle wird die Freiheit zu einer Art von Nothwendigkeit, einem beherrschenden Element, einer zweiten Natur. Dieß war die Meinung, wenn zu §. 696 gesagt wurde, im Sittenbild werde das menschliche Leben wie ein landschaftliches Sein aufgefaßt. §. 703. Das Sittenbild kann jedoch auch die Geschichte in sein Bereich ziehen, indem sie die nicht geschichtlich gewordene Seite derselben als ihren Stoff er- greift. Ein anderes Gebiet öffnet sich durch die mythischen Stoffe, die zum Zwecke freierer Darstellung des allgemein Menschlichen benützt werden (vergl. §. 695, 2. ). So zerfällt die Sitten-Malerei dem Stoffe nach in drei Haupt- sphären: reines, d. h. außergeschichtliches (§. 702), geschichtliches und mythisches (meist aus der Quelle der Dichtung geschöpftes) Sittenbild. Die erste Eintheilung des ganzen Gebiets gründet sich auf den Stoff. Das eigentliche und reine Sittenbild heißt außergeschichtlich nur im Sinne von §. 702, denn in der That wird das Sittenbild seinen Stoff, so sehr es die ursprüngliche Einfachheit der Culturformen (vergl. §. 327) lieben mag, doch mit einer Ausnahme, die nachher zur Sprache kommt, immer spezifiziren, localisiren, nicht Fischer, Jäger, Hirten über- haupt, sondern italienische, arabische, norwegische u. s. w. malen. Die nicht geschichtliche Seite des Geschichtlichen ist sein Boden; doch nicht dieß allgemeine Verhältniß hat der erste Satz des §. im Auge: das Hinein- greifen in das Geschichtliche kann vielmehr so weit gehen, daß Personen dargestellt werden, deren Namen und Bedeutung allerdings die Geschichte aufbewahrt hat; aber nicht in einem der Momente, wo sie das historisch gewordene Entscheidende gethan haben, sondern in einem Momente der Gewohnheit, des Continuirlichen, wovon keine Geschichte als einem Ein- zelnen redet, kommen sie hier zur Darstellung: ein bekannter Feldherr, Künstler, Staatsmann, Fürst u. s. w. in irgend einer Situation, worin die Culturformen der Zeit, Soldatenleben, Familienleben, Fest, Genuß, Freud und Leid des täglichen Lebens nur dadurch bedeutender werden, daß sie an bedeutenden Namen als ihren Trägern zum Ausdrucke kommen; ein Napoleon, die Runde im Bivouac machend, ein Wallenstein mit Astro- logie beschäftigt, ein Rubens im Atelier, ein Kant im Studirzimmer, ein Richelieu unter Hofleuten, die sich in der Weise damaliger Gesellschaft unterhalten, ein Friederich der Große, als Kronprinz die Flöte vor dem Hofe spielend und Aehnliches: das sind geschichtliche Sittenbil- der. — Nun aber muß allerdings der Sittenmaler auch das Bedürfniß haben, sich ein- und das anderemal ganz von allem Localisiren frei zu halten, damit er das allgemein Menschliche, die gemeinsamen Gattungs- kräfte, innere und äußere, in reinerer Idealität zum Ausdruck bringe; da wird er sich denn gern an das Mythische lehnen, wie dieß in §. 695, 2. vorbereitet ist. Das mythische Genre theilt sich nach der Anmerkung zu jenem §. in ein classisches und romantisches (sofern man unter dem letz- Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 44 tern nicht blos mittelalterliche Culturformen ohne jede Beziehung auf das Mythische versteht). Nun mag denn die Schönheit menschlicher Gestalt, mögen menschliche Empfindungen, Motive, Genüsse als Götter, Genien, Geister in mancherlei einfacherer Situation oder phantastisch erfundener Handlung gleichsam durchsichtiger, unbedingter zur Darstellung gelangen, die Liebe in Amor und Venus oder Feen und Elfen, die Jagdlust als Diana und ihr Gefolge, der Wein nicht in menschlichem Zechgelage, son- dern im bacchischen Kreise oder in einer Gruppe romantisch erfundener Geister des Weins, die dunkle, ahnungvolle Beziehung des Menschen zu der Natur in Nymphen, Nereiden, Nixen, Elfen u. s. w.: es sind die reinen Geister der Sache in zärteren Leibern. Nebenher legt sich an die- ses Gebiet die toll gespenstische Welt, wie sie in den Versuchungen des h. Antonius u. s. w. mit traumhaftem Humor dargestellt ist. Diese Gestaltenwelt schöpft der Maler großentheils nicht unmittelbar aus altem Völkerglauben, sondern aus dem Munde der Dichter. Die Poesie ist als weitere Quelle für das Sittenbild gerade hier angeführt, weil es namentlich die mythischen Stoffe sind, welche der Maler zunächst aus ihrer Hand empfängt; er kann aber ebenso gut auch jede andere Art von Stoff durch ihre Vermittlung sich geben lassen, sei es irgend ein na- menloses außergeschichtliches, aber rein reales Motiv, das er z. B. aus Romanen schöpft, die sich nicht an die Geschichte lehnen, wie denn eine auf das allgemein Menschliche in besonderer Reinheit gerichtete Dichter- Phantasie ihre Stoffe nicht gern genau localisirt, sei es auch dichterisch verarbeitete Geschichte. Es ist also logische Verwirrung, wenn man meint, die Poesie sei eine neue Quelle in dem Sinn, daß sie eine neue Art von Stoffen bringe; es werden dieselben Stoffe nur aus einem weiteren Me- dium entlehnt, durch das sie vorher gegangen sind. §. 704. 1. Nur die erste dieser Sphären stellt das Sittenbild in seiner Reinheit dar. Die nähere Eintheilung derselben gründet sich zunächst ebenfalls auf die Unter- schiede des Stoffs, doch nicht sowohl nach anthropologischen Differenzen und nach Völkern, über welche allerdings die Malerei in wachsender Aufschließung der Ferne und Erweiterung des Interesses für alles Menschliche sich ausdehnt, 2. als vielmehr nach dem verschiedenen Charakter der Stände . Dieser Unterschied führt unmittelbar zu einer andern Theilung, nämlich derjenigen, welche durch die Auffassung verschiedener Seiten des Stoffs bedingt ist, denn je nach der gesellschaftlichen Schichte wendet sich die künstlerische Auffassung mehr dem innern Seelenleben oder mehr den äußern Culturformen zu; doch bringt gerade die Feinheit der psychologischen Belauschung zugleich die gemüth- liche Vertiefung in das Umgebende, eine umständliche Auffassung nach dieser Seite mit sich. 1. Daß das Sittenbild in seinem wahren und ganzen Wesen nur da gegeben ist, wo es seinen Stoff im genannten Sinn außergeschichtlich und zugleich nicht übermenschlich behandelt, dieß bedarf keines Beweises. Die andern Sphären bringen ein die reinen Eintheilungs-Linien durch- kreuzendes, logisch schwieriges Element herein. Uebersehen wir nun das Gebiet des reinen Sittenbildes, so liegt vor uns der ganze Stoff, der im ersten Abschnitte des zweiten Theils unseres Systems unter C , a : „die menschliche Schönheit überhaupt“ aufgeführt ist: die allgemeinen For- men (die Gestalt, Zustände und Altersstufen, die Geschlechter, die Liebe, die Ehe, die Familie). Die besondern Formen (die Nacen und Völker, die Culturformen, das Staatsleben), die individuellen Formen (die natür- liche, die sittliche Bestimmtheit des Individuums, der Charakter, Physiog- nomik, Pathognomik). Die Kunst nun mischt die verschiedenen Theile dieses Feldes so, daß sie den letzten, nämlich das physiognomisch und pathogno- misch belauschte Individuum, getaucht in das Element der beiden ersten (der allgemeinen und besondern Formen) zur Darstellung bringt. Daß insbesondere nun auch der Charakter im untergeordneten Sinne habitueller kleiner Leidenschaft u. s. w. die Stelle findet, die ihm §. 685 Anm. in der Malerei eingeräumt hat, ergibt sich aus der Natur des Sittenbilds. Diesem ganzen Gebiete gibt die Sittenmalerei allerdings die concrete Färbung der geschichtlichen Schönheit, trägt also den gesammten Stoff in das Gebiet hinein, das jener Abschnitt unter C , b. entfaltet, aber, wie gesagt, nur so, daß das mit ausdrücklichen Datum bezeichnete Diese vom Geschichtlichen wegbleibt. Die selbständige Eintheilung dieser so beschaffe- nen Sphäre als eines Zweigs der Malerei ist nun aber erst zu suchen. Da bildet denn der Stoff, wie er sich auf die anthropologischen Unter- schiede: Geschlechter, Lebensalter u. s. w., dann auf die Unterschiede der Völker gründet, ebenso wenig eine einschneidende Theilung, als der Unterschied der Zonen, Länder in der Landschaft. Merkwürdig bezeichnend aber ist es für die moderne Zeit, wie die Kreise wachsen: italienisches Gesindel, Soldaten, dann holländische Bauern, Bürger und Vornehme waren bei der Entstehung des Zweigs fast der einzige Stoff; der natur- wissenschaftliche, entdeckende, Fernenöffnende, kosmopolitische, jede Form des Menschlichen in sein tiefes und weites Interesse ziehende Geist der Zeit hat nun aber in raschem Fortschritt alle Länder Europa’s, Asien, Afrika, die malerischen Stoffe Amerika’s erschlossen und sammelt in immer wei- terem Wandertriebe, wie Herder die Stimmen der Völker, den malerischen Honig aus der fernsten Blume. Dabei ist es ein Hauptzug, daß das 44* Menschliche nicht nur in den der modernen Bildung nahen oder angehörigen, sondern besonders auch in denjenigen Zuständen Interesse und Würdigung findet, welche den Charakter vorgeschichtlicher Natur-Einfalt tragen oder in Naturzustand zurückgetretene Reste alter Cultur darstellen. Dieß Interesse ist dasselbe, wie das am Volksliede; die Cultur entwickelt, aber sie bricht und theilt auch, wir suchen den Waldesduft, das reine Quell- wasser im Ursprünglichen und Ungetheilten. Doch ist das Naturwüchsige selbst schon eine Cultur, Cultur vor der Cultur, so tritt es in Eine Reihe mit den Formen der Cultur im engern Sinn und diese Neihe ist es, welche das erste Motiv für die nähere Eintheilung des Sittenbilds ab- gibt. Die Cultur-Unterschiede fallen freilich auch mit denen der Na- tionalität und umgebenden Natur zusammen, aber sie bestehen auch in demselben Land und Volk, sind überall sich wiederholende, aus der Urzeit in die Zeit der Bildung hereinragende oder in dieser selbst bleibend begründete Formen, und so genommen bilden sie die Handhabe für die Eintheilung. Schnaase hat das Verdienst, dieses Prinzip zuerst, und zwar am Prototyp des ganzen Zweigs, der holländischen Sittenmalerei, zur Anwendung gebracht zu haben: die derb komische Bauernwelt mit den groben Ausbrüchen der sinnlichen Natur auf der einen, den Kreis der mittleren, wohlhabendern Stände mit gebildeter Sitte, versteckten, no- vellen-artigen Andeutungen auf der andern Seite (Niederl. Briefe S. 81. 82). Allerdings haben sich nun aber beide Seiten mit dem Fortschritt unendlich erweitert: zur ersten Gruppe oder vor dieselbe tritt das so eben besprochene Gebiet, es handelt sich nicht mehr blos von plumpen Holländern, sondern von Zuständen überhaupt, wo der Mensch in freiem, unmittel- barem Umgange mit der Natur, sei es in edel einfacher, sei es in rauherer, wilderer Weise, sich selbst Naturton, Naturhauch bewahrt: die Sitte herrscht im engern Sinne der Naturnothwendigkeit (§. 702); man könnte es in weiterer Bedeutung des Worts das patriarchalische oder, sofern das Glück der Beschränkung im Gegensatze gegen die Uebel eingedrungener Ueberbildung betont wird, das idyllische Genre nennen. Die betreffen- den Formen sind in §. 327—330 besprochen. Der standlose Stand, der Mensch außer der Gesellschaft: Räuber, Zigeuner, Landstreicher reiht sich natürlich an diese Gruppe. Die andere erweitert sich vom wohlhabenden Bürgerthum nach den Kreisen des intellectuellen, geistlichen, adeligen, fürstlichen Stands. Den gröberen Handwerker stellen wir zur ersteren Gruppe, in die Mitte zwischen beide mag sich das feinere Handwerk, die vermitteltere, reflectirtere, doch noch körperliche Arbeit stellen. Hiezu vergl. §. 330. 2. Dieser Unterschied wird nun alsbald zu einem innern. Wie wir im Gebiete der Landschaft die Betonung der verschiedenen Seiten, nament- lich der Luft und der Erde, unterschieden haben, so wird nun in der zweiten Gruppe das Seelenleben, das Innere, in der ersten das Außere, die Culturform zum Hauptgegenstande der Darstellung: dort die geistige Luft, hier die Erde der äußern Bedingungen. Der Gegensatz ist natürlich nicht abstract zu nehmen: es fehlt weder dort das Interesse für die äußern Formen, noch hier für das Seelenleben, aber jene Formen erscheinen selbst reflectirter, verfeinerter, geistig durchdrungener und dieß Seelenleben ist das einfache, gediegene, naturbefriedigte, instinctmäßige des Sohnes der Natur. Es leuchtet ferner ein, daß bei der ersten Gruppe die Schön- heit der Gestalt an sich, die anthropologischen Unterschiede des Geschlechts, Alters, die unmittelbar sinnlichen Zustände (§. 317—321) eine größere Rolle spielen, das Kunst-Interesse mehr für sich, auch ohne speziellere Beziehung in Anspruch nehmen. In der zweiten ist es gerade die feinere Gründlichkeit der psychologischen Beobachtung, welche zugleich alles An- hängende, worin solche Sitte, solches Seelenleben der gebildeten Stände sich erzeugt, mit besonderer Aufmerksamkeit erfaßt. §. 705. Hiemit eröffnet sich denn auch in ihrem ganzen Gewichte die Unterschei- 1. dung des Moments und des damit verbundenen Grads des Umfangs . Der Fortgang von der ruhigen zu der innerlich bewegten, leidenschaftlich gespannten, stürmisch ausgebrochenen Situation verbindet sich in mannigfaltiger Weise mit dem von der einzelnen Figur zu der kleineren, der größeren Gruppe und der Massen- darstellung. Das Schlachtbild vereinigt massenhafte Composition und stürmi- schen Ausbruch. Dieser Unterschied steht in der innigsten Beziehung mit dem 2. des Lyrischen, Epischen, Dramatischen , wie er innerhalb des epischen Standpuncts sich geltend macht. Ferner tritt in klarer Scheidung nun auch das 3. einfach Schöne, Erhabene und Komische auseinander. 1. Nun erst belebt sich vor unsern Augen das Psychologische, wie es, obwohl mit verschiedenem Accent, in beiden Gruppen zur Darstellung kommt, indem der Grundzug aller Sittenmalerei, die Erhaschung des Moments und damit die Unterschiede der Situation zur Betrachtung kom- men. Wie der Blitz eine dunkle Landschaft beleuchtet, wie wir im Fluge der Eisenbahn einen Blick in eine Dachkammer werfen und das mit Win- deseile aufgegriffene Bild im Innern bewahren, erfaßt der Sittenmaler im Nu das menschliche Leben in seiner Naivetät, in der es sich unbelauscht gehen läßt. Was Einer für ein Gesicht macht, wenn er eine Feder schnei- det, den Puls greift, eine Prise nimmt, als Pfannenflicker eine Pfanne studirt u. s. w.: Alles das wollen wir auch einmal sehen, soll und muß die Kunst auch fixiren. Wir haben nun folgende Stufenleiter vor uns: ruhiges, einfaches Sein und Weben des Gemüths bei harmloser Beschäf- tigung: Fischen, auf dem Anstand Stehen, Pflügen, Aerndten, Spitzenklöp- peln, sich Kleiden, Lesen Schreiben u. s. f., oder im reinen, träumerischen Nichtsthun, Hinausblicken in’s Weite u. s. w.; subjectiv bewegterer Zu- stand, und zwar entweder mehr naiv, nach Außen geöffnet in geselliger Freude, Schmauß, Tanz, Festvergnügen u. dgl., oder innerlich concentrirt und gespannt, wie in einem liebenden, harrenden, träumenden Mädchen oder in Familienscenen, die etwas bedenklich aussehen, wie der Verweis des Vaters von Terburg; zum Drohenden gespannt, wo Gefahr bereitet oder ihr entgegengesehen wird, wo der Räuber lauert, der falsche Spieler betrügt, der Verführer lockt, wilde Thiere, Wasser und Feuer Zerstörung drohen; endlich der Ausbruch der Leidenschaften in Schlägerei, Mord, verderblichem Kampfe mit den Naturkräften, blutiger Jagd, Schlacht, Leiden durch Armuth, Pfändung, Scenen der Justiz, Krankheit, Tod in allen Formen; doch es ist nicht blos von Zorn und Leiden die Rede, auch Freude und Aufregung, die zwischen Freude und Leid schwankt oder sich nach verschiedenen Seiten in sie theilt, wie bei Testaments-Oeffnungen, Liebes-Werbung neben Rivalen, und unendliche andere Formen des reich gemischten menschlichen Schicksals gehören hieher. Neben dieser Reihe von Unterschieden läuft nun in den verschiedensten Durchkreuzungen die andere hin, die der §. nennt, wobei zugleich die Wechselbeziehung mit dem Unterschiede der in §. 704 aufgestellten Sphären wichtig ist. Die dem Naturleben enger verbundene, patriarchalische Form nämlich wird natur- gemäß meist, wiewohl nicht immer, in massenhaften Gruppen vor uns auftreten, denn das Instinctleben ist ein Leben in großer Gemeinschaft; die feinere Schichte dagegen wird, wiewohl ebenfalls keineswegs noth- wendig und immer, in vereinzelten Figuren und kleineren Gruppen sich darstellen, denn das mehr innerliche Leben zieht sich gern in die Einsam- keit oder die Gesellschaft Weniger, den gemüthlichen Kreis der Freunde, der Familie zurück. Scenen der Aufregung bedingen in beiderlei Formen des Sittenbilds Vielheit der Figuren, größere Composition. Der §. nennt aus dieser Sphäre das Schlachtbild ausdrücklich, weil es das einzige ist, das mit stehendem Namen sich hervorhebt. Wir werden ihm noch einmal begegnen, im geschichtlichen Gebiete; hier handelt es sich um Bil- der des Kriegs, wo es auf den Ausdruck der Leidenschaft, Bewaffnung, Kampfesweise überhaupt, nicht auf eine bestimmte geschichtliche Entschei- dung ankommt. 2. Alles Sittenbild ist episch, aber auf dem epischen Boden wieder- holen sich noch einmal die Unterschiede des Epischen, Lyrischen, Dramati- schen. Das Epische im Epischen tritt da zu Tage, wo vorzüglich das Instinctive und Zuständliche herrscht, dem Stoffe nach in den sinnlicheren Ständen, der aufgefaßten Seite nach, wo die äußern Culturformen in den Vordergrund treten; dem Moment und Grade des Umfangs nach in der harmlosen Situation einfacher Arbeit oder behaglicher Müßigkeit, im massen- haft Gemeinschaftlichen, sei es ein Thun, ein Genuß, auch ein Kampf, wenn nur die Lage nicht zu spannend erscheint, oder ein Leiden, sofern nur der geistige Schmerz nicht zu subjectiv im Ausdruck vorwiegt. Das Lyrische ist mehr, wiewohl natürlich keineswegs allein, in den feineren Ständen zu Hause, weil es mit der innerlich vertiefteren Empfindung eintritt, in der psychologischen Auffassung, in derjenigen Situation, welche die ver- borgenen Saiten des Seelenlebens anschlägt, in der einzelnen Figur und kleineren Gruppe. Das Dramatische liegt dem Sittenbilde darum ferner, weil die tiefen Conflicte, die in straffer Erwartung spannen, indem sie da hervorbrechen, wo Einigkeit sein sollte (vergl. Hotho a. a. O. S. 69. 70), sich gewöhnlich in die wirkliche Geschichte eingraben und weil ihre Darstellung sich naturgemäß des weitschichtigen Anhangs von Cultur- formen entledigt, die den Menschen mit ihrer Wucht, wo nicht die ent- scheidende That aus dem heroisch freien Innern geschöpft wird, in das Zuständliche ziehen. Doch sind auch hier die Bilder furchtbarer Spannung, wie bei Raub, Mord, gefahrvollem Kampfe, zerreißendem Schrecken, der tief im Gemüthe zündet, wie bei tragischem Familien-Unglück, beziehungs- weise dramatisch zu nennen. Auch das scharf packende, in bewegter Hand- lung hervorbrechende Komische gehört in diese Form. 3. Hiemit sind wir zu dem Unterschiede des einfach Schönen, Erha- benen, Komischen gelangt. Es bleibt, da der Reichthum, womit die zwei ersten Formen bis zum Tragischen nunmehr auf ihrem wahren Boden, dem menschlichen, sich entwickeln, im Wesentlichen nur noch zu sagen, wie jetzt zum erstenmal in der Kunst das Komische in voller, selbständiger Kraft bis zur Nähe des deutlichen Gegensatzes eintritt, der in der Dicht- kunst zwischen Tragödie und Komödie besteht. Leicht unterscheidet sich eine dreifache Form: die Posse mit ihrem Cynismus in der groben Seite des patriarchalischen Gebiets, theils als ruhige Darstellung der bäurischen Natur in ihrem harmlos schwerfälligen Selbstgenuß, theils als Bild aus- gelassener Tollheit in Gelagen, Tanz, Prügelei, die gemäßigtere, doch noch starke Ironie in der Charakteristik jener mittleren Schichten, wo die Arbeit sich von der Natur entfernt (Schneider, Schuster, Krämer, Schulmeister u. dgl.), endlich die feine Ironie und der Humor in der Belauschung der verborgenen Gemüthlichkeiten, Intriguen, innern Widersprüche im Leben der gebildeten Stände. §. 706. Endlich tritt in diesem Gebiete der Gegensatz der Style mit entscheiden- der Bedeutung auf. Die plastische Richtung hält sich an Culturformen, die entweder den Charakter einfacher Ursprünglichkeit tragen oder einen edeln und schwungvollen Luxus entfalten; sie sättigt das Sittenbild mit historischem Geiste. Die mythischen Stoffe dienen vorzüglich ihr als Motiv für ihre erhöhte Auffassung. Der Unterschied der Style schafft sich auch verschiedene Technik . Die Venetianer und in der neueren Zeit Leop. Robert sind die Begründer des sogen. höheren Genre, das seinen Stoff in plastischem Geiste stylisirt. Bei jenen fällt der große Wurf dadurch in’s Unklare, daß der ganze Zweig noch nicht zur Selbständigkeit gelangen kann, daß daher ihr Bedürfniß hoher Stylisirung sich an mythische, namentlich christ- lich mythische Stoffe anklammert; Leopold Robert darf daher der wahre Schöpfer dieser Gattung genannt werden und er hat auch den entsprechend- sten Stoff ergriffen, die an sich schon stylvolle Natur des ächten italienischen Landvolks, seine Würde in der Naturnachläßigkeit, die racemäßig schöne Form und edle Bewegung, woraus ein Gefühl und Nachklang der al- ten Größe Roms spricht; diese Bauern, Fischer, Winzer gehaben sich so natürlich heldenmäßig, daß in jedem ein Cincinnatus zu schlummern scheint, den man nur vom Pfluge zur Herrschaft und Heeresleitung holen dürfte. Es ist Sittenbild mit historischem Geiste geschwängert. Diese Behandlung bleibt jedoch ganz in den Grenzen des Kunstzweigs: die Gestalten sind nicht dem Stoffe nach geschichtlich, ihr Thun ein anspruchloses, gewöhnliches Tagewerk, freilich ehrwürdig an sich wie alle Urbeschäftigung des Menschen, ihre Freude ein Jubel, der gemessen und würdig bleibt und mit geringer Zurüstung glücklich ist (die tiefe Poesie der ächten Kinder- freude und der „von geringem Trank begeisterten“ Cikade), ihr Dasein namenlos, das heldenhaft Geschichtliche bleibt bloße Fähigkeit, Möglichkeit, „Grundlage“ (§. 702 Anm.). Schwerer ist es, die formlosere Menschen- race so zu behandeln, doch ist unter der Hand des Rubens selbst eine niederländische Bauernkirchweih in das stylvoll Große gewachsen, und es schlummert auch im norddeutschen Bauern und Seemann, im Flözer des Schwarzwalds ein Nibelungen-Recke, der nur auf den rechten Pinsel wartet. Sollen die höheren Stände in dieser plastischen Großheit aufgefaßt werden, so ist eine Bildung vorausgesetzt, worin die Natur veredelt, nicht ab- gerieben wird, und ein Luxus, dessen Formen großartig, schwungvoll sind: die Venetianer, ein Paolo Veronese vor Allen, bleiben hierin Vorbild. — Dieser Styl wird sich nun aber in seiner plastischen Auffassung besonders gern auch auf die Schönheit der Gestalt an sich, natürlich nicht ohne Ausdruck, aber doch ohne spezifisch bedeutenden Ausdruck werfen, und daher mit Vorliebe das Nackte behandeln; indem er nun, je weniger es hier um bestimmten geistigen Inhalt, anziehende Besonderheit, Eigenheit der Individualität zu thun ist, desto mehr die Gestalt an sich ideal erhöhen muß, so ist er es besonders, der die mythischen Stoffe, vorzüglich die classischen, liebt, wie dieß zu §. 695, 2. an Titians Beispiel gezeigt ist. Als mit der neuen humanistischen Bildung dem gelichteten Geiste die Schönheit der Welt, des Sinnenlebens aufgieng, warf sich die Kunst mit der Wärme des innerlich gewordenen Lebens auf die Gestalten des Olymp und durchglühte mit neuem Feuer die kalten Marmorgebilde des Alterthums. Raphael malte die Galatea, den Mythus von Amor und Psyche, M. Angelo die Venus und Leda, Correggio seine üppige Leda, Danae, Jo, die Venetianer mit ihrem festlich sinnenfrohen Geiste folgten. Zauber der Farbe und des Helldunkels stehen nicht in Widerspruch mit der Natur des plasti- schen Styls, denn sie werden hier noch nicht in der streng malerischen Richtung verwendet, wo sie dienen, die Härten der Besonderheit und Individualität mit dem Accente des geistigen Lichts zu übergießen. Dieß thut dann der entgegengesetzte Styl, den wir nicht weiter zu schildern brauchen. — Hervorzuheben ist noch, wie sich diese Gegensätze mit dem Unterschiede des Materials in Beziehung setzen. Daß das plastisch be- handelte Sittenbild wie zur größeren Dimension, so zur Freske geeignet ist, haben wir schon zu §. 661, 2. ausgesprochen. Das ächt malerisch aufgefaßte ist durch die Natur der Sache auf kleineren Maaßstab angewiesen (s. ebenda) und so der eigentliche Hauptgegenstand der Kabinets-Malerei . Was aber die technische Behandlung betrifft, so ist im Unterschiede der Stoffe auch ein weiterer Unterschied in der Behandlung des in die Fülle des realen Scheins hineinführenden Materials der Oelfarbe begründet: für das rohere Treiben der gröberen Stände der kecke, leichte, geistreiche, für die Sphäre der feineren Sitte und des tieferen Seelenlebens der sorgfältige, zarte, feine in das Einzelne gehende Pinsel (vergl. Schnaase a. a. O. S. 82.) Die sinnige Art der Belauschung trägt sich in dieser zweiten Form vom Menschen auch auf das Umgebende über (vergl. §. 704, 2. ) Der künstlerische Diebstahl an den Geheimnissen der Naturstoffe, der Glanzlichter von Metall, Glas, Sammt, Atlas u. s. w. ist der natürliche Reflex des Diebstahls am Menschen, den Dingen wird wie der Menschenseele ihr Eigenstes entführt und im künstlerischen Scheine wieder herausgegeben. §. 707. Das Sittenbild verknüpft sich in mannigfachen Uebergängen mit der Land- schaft und dem Thierstück, aber auch hier soll die Verbindung eine solche sein, daß kein Zweifel über die eigentliche Gattung entsteht, sowie nach der andern Seite ein unklares Schwanken zwischen reinem und geschichtlichem Sittenbilde zu verwerfen ist. Was die Verbindung des Sittenbilds mit der Landschaft und der Thierdarstellung betrifft, so ist der Satz des §. schon erläutert durch die Bemerkungen über Staffage §. 698, 2. , über die Selbständigkeit des Thierstücks §. 701, 1. Ph. Wouvermann hat es vorzüglich geliebt, die drei Stoffe zu verbinden, allein wo er ein Sittenbild geben will, ist doch Landschaft und Thier, die erstere dadurch, daß sie für sich kein ganzes Bild gäbe, das letztere dadurch, daß sein Charakter ganz im Sinne der Eingewöhnung in menschlichen Dienst gehalten ist, so behandelt, daß wir über den wahren Mittelpunct nicht im Dunkel sein können. Sehen wir nun nach dem Geschichtlichen hinüber, so ist die berechtigte Form der Verbindung, das geschichtliche Sittenbild, schon beleuchtet; wir werden umgekehrt auch ein sittenbildlich behandeltes Geschichtsbild als ganz be- rechtigte Gattung finden. Es gibt aber eine unklare Mischung, die darin besteht, daß ein Vorgang in einer Weise behandelt ist, welche durchaus zu der Meinung veranlaßt, es müsse hier etwas Geschichtliches vorliegen, während dieß doch nicht der Fall ist: man fragt nach Namen und Datum und erhält keine Antwort. So befand sich auf der Kunstausstellung zu Berlin 1852 ein Sittenbild von Lessing: wehrhafte Gebirgsmänner in der Tracht am Ausgang des Mittelalters, von Felsen herab auf Ritter in einem Engpaß schießend, ein Gefangener in vornehmer Kleidung unter ihnen; alles so auffallend porträtartig, bei vortrefflicher Ausführung so local und speziell interessant behandelt, daß man durchaus meinte, im Katalog die Angabe einer bestimmten Begebenheit lesen zu müssen; das Bild wirkte bei allem Werth aus diesem Grunde beunruhigend. γ . Das geschichtliche Bild. §. 708. Auf dem Uebergang zu diesem Gebiete steht das Bildniß . Die Ab- hängigkeit dieses Zweigs von empirischen Bedingungen verhindert nicht, daß derselbe nach der einen Seite dem Sittenbilde reichen Stoff zuführe, nach der andern als bedeutungsvolle Vorarbeit und Grundlage der geschichtlichen Malerei vorausgehe und in gewissem Sinn an die Stelle der Götterstatue trete. Die Porträtmalerei ist ein zwischen ächter, freier Kunst und unfreiem Dienste schwankendes Gebiet. Der Zufall bringt neben der bedeutenden die unbedeutende Physiognomie, der Künstler, mag er sich auch nur neben- her mit diesem Zweige beschäftigen, ist selten in der Lage, frei zu wählen; in Kostüm und Situation ist er nicht unabhängig von Eitelkeit, Laune, Grille. In der modernen Zeit kommt hiezu die allgemeine Ungunst der herrschenden Verwaschenheit des Charakter-Ausdrucks, der flachen Kürze der Manieren, der höchst ungünstigen Tracht. Dennoch kann ein Zweig nicht unbedeutend sein, der aus der Grund-Tendenz der Malerei buchstäblich Ernst macht. Diese geht ja auf die Individualität, das Hereinstellen aller Erfindung in die volle Bedingtheit des räumlichen und zeitlichen Puncts. Es ist ein haarscharfes Fingerzeigen auf Diesen und Diese ; im Porträt geschieht dieß genau im wörtlichen Sinne. Freilich zu genau, denn in den andern Zweigen wird das Porträtartige ebensosehr wieder in das Allgemeine gezogen durch die Aufgabe, das Individuum in eine gegebene Situation oder Handlung und deren ideellen Gehalt als völlig entsprechendes Glied einzureihen, und das Geheimniß liegt gerade in der tiefen Mitte zwischen dieser Verallgemeinerung und der Schärfe der Einzelheit. Im Porträt aber will ein empirischer Mensch vor allen Dingen getroffen sein, dieß bleibt immer der ursprüngliche, der nächste Zweck. Zu diesem Zwecke sitzt die Person; das freie Künstlerische ist dadurch in besondere Bedingungen gebannt, das Maaß der freien Umbildung des Stoffs wird fraglich. Daher pflegt denn hier die Aufgabe der Idealisirung noch besonders zur Sprache zu kommen, als ob sie nicht in der allgemeinen Lehre von der Phantasie, der Kunst und dem Wesen der einzelnen Kunst schon erörtert sein müßte und die Anwendung auf den besondern Zweig sich von selbst verstünde. Und allerdings besteht sie in ganzer Kraft trotz jenen erschwerenden Bedingungen; nicht das In- dividuum wie es geht und steht, sondern nur sein geläutertes Bild, die reine Form seines wahren Selbst ist werth, durch die verewigende Kunst dem Ahnensaal übergeben zu werden. Der Künstler darf daher vom An- schauen des ihm sitzenden und in diesem Zustand halb schläfrigen, halb gespannten, oft affectirten Originals sich nicht zu einer mechanischen Natur- nachahmung verführen lassen, nicht vergessen, daß er in der Sitzung selbst sein Original durch Gespräch beleben und aus der Reihe der Momente dieser Belebung, wozu er überdieß eine hinreichende unbemerkte Beobachtung außer den Sitzstunden ziehen muß, den wahren, wesentlichen Ausdruck mit Ausscheidung der blos zufälligen, bedeutungslosen Züge und Formen durch jene dynamische Division der Phantasie (vergl. §. 396) herauslesen und so die Persönlichkeit im Vollgewichte ihres Charakter- Centrums, belauscht in ihrem unbewußten Weben, Sein und Wurzeln hinstellen soll. Zufälle, die doch bleibend sich festgesetzt, wie z. B. Schielen, bereiten freilich die gröbsten Schwierigkeiten und es braucht hier eine Art von künstlerischer List, den Ausweg zu finden. Die wahre Idealisirung, welche trifft und doch verewigt, hat zu ihren Seiten zwei Extreme: das eine ist jene geistlose Copie, das andere die verkehrte Art der Idealisirung, das Schmeicheln. Das erstere Extrem stellt sich rein mechanisch, höchst belehrend über den Unwerth der bloßen Nachahmung, im Daguerrotyp dar. Hier sieht man, daß die gemeine Wahrheit die volle Unwahrheit ist, denn das mit allen kleinsten Formen, zudem ohne die lösende, ver- schmelzende Farbe, im langweiligen, stieren Moment des Blickens in das volle Licht wahllos von der Maschine ausgeführte Gesicht ist gerade nicht das wahre. Das Schmeicheln dagegen rundet zu glatter Süßigkeit, zur flachen Schönheit der Gesichter eines Modejournals die Energie der eigenthümlichen Formen ab, die den individuellen Charakter zu dem machen, was er ist. Der Zufall wird nun allerdings dem Künstler eine Menge von In- dividuen vor die Staffelei stellen, in denen der Lichtpunct des Ewigen kaum wie ein matter Strahl aus dem Nebel der Leerheit oder Unschönheit hervorschimmert. Dieß sind denn freilich Nieten für die reine Kunst, ihre Bildnisse haben rein subjectiven Werth für die Besitzer. Geht Form und Ausdruck nur etwas über das Bedeutungslose hinaus, so nähern sie sich dagegen dem ersten der zwei Gebiete, die wir nun unterscheiden. Der edlere Stoff, der uns nach dieser Ausscheidung übrig bleibt, geht nämlich klar nach zwei Seiten auseinander und dieß begründet die Stellung der Porträt-Malerei auf dem Uebergange zwischen dem Sitten- und dem ge- schichtlichen Bilde. Die Darstellungen nämlich, welche uns Persönlichkeiten vorführen, in welchen Temperament, Begabung, Charakter, Stand zwar natürlich individuell, doch nicht bis zu der vollen Energie derjenigen Indi- vidualität sich ausprägt, welcher man ansieht, daß sie verdient hat, ge- schichtlich zu werden, oder von welcher man weiß, daß sie es geworden, fallen hinüber in das Gebiet des Sittenbilds. Hier ist es gleichgültig, ob man den Namen weiß: wir sehen einen tüchtigen Staatsmann, Sol- daten, Bürgermeister, Künstler, Kaufmann u. s. w., aber wir fragen nicht weiter nach dem Individuum, weil es mehr nach einem allgemeinen Typus, als danach aussieht, daß es durch entscheidende Leistungen sich in das Licht des Gedächtnisses der Menschen herausgehoben habe. Das Bildniß von geschichtlichem Charakter dagegen spricht in jedem Zuge aus, daß sich das Allgemeine in ihm zu jener Spitze der Einzelheit zusammenfaßt, die der Persönlichkeit monumentale Bedeutung gibt, es gemahnt an die ewige Bewegung der Idee, welche die großen Organe, durch die sie sich ver- wirklicht, zwar kommen und verschwinden läßt, aber im unendlichen Fort- gang die Summe ihrer Wirkungen treu bewahrt und ihr verklärtes Selbst im Strome der Zeit, in der Erinnerung der Menschen verewigt mit sich fortführt. Es steht vor uns wie eine geschlossene Welt, wir schließen diese Welt auf, wir beleben in der Phantasie die ruhende Form und festge- wordene Einzelheit, umgeben sie mit den Zeitgenossen, setzen sie in Hand- lung. Der Künstler wird ebendieß ein andermal in wirklicher Ausführung thun und so ist das Porträt der Baustein zur geschichtlichen Malerei. In doppeltem Sinne: es dient dem Künstler als Studie für das geschicht- liche Bild, gleichgültig, ob dieselbe Person darin auftrete, er lernt daran das Ewige des Menschen und doch zugleich die ganze Naturlebendigkeit, die scharfe Spitze der Individualität auffassen; er verwendet aber auch wirklich das einzelne Bildniß, sei es sein eigenes Werk oder das eines frühern Künstlers, als Glied einer historischen Composition. Vollzieht er aber den Fortgang zum geschichtlichen Bild auch nicht wirklich, so werden, wenn der historische Geist in ihm lebendig ist, seine Bilder uns doch zu jener Belebung nöthigen, sie werden erscheinen, als wollten sie so eben aus dem Rahmen treten und handeln; somit führt er jedenfalls den Zuschauer an die Schwelle des geschichtlichen Bildes. An keinem Künstler leuchtet diese tiefe Bedeutung der Porträtmalerei so schlagend ein, als an Hans Holbein dem Jüngsten. Dieser große Geist ergreift mit seinem Falkenauge das Sittenbild, aber es kann sich neben dem my- thischen noch nicht als selbständiger Zweig entfalten und es ist ihm auch zu klein für die Größe seiner Künstler-Organe; das rein geschichtliche Bild aber kann in der inconsequenten Geistes-Krise der Reformation ebenfalls noch nicht zur Selbständigkeit heraus, er faßt es gewaltig an, besonders in den Gemälden des Rathhauses in Basel, aber ihn stützt und trägt die Zeit nicht, die äußern Verhältnisse kommen hinzu, denn der Künstler will leben, sie drängen ihn nach England und hier, zur höchsten Reife gediehen, beschränkt er sich (ein Ceremonienbild ausgenommen) auf das Bildniß, tränkt und schwängert es aber so ganz mit dem Marke des historischen Geistes, der zugleich ganz Fleisch wird im Individuum, daß in diesen Werken die Geschichte selbst athmet und lebt, daß das einzelne Bildniß vor uns aufthaut, die sprechenden Lippen mit den fein beredten Mundwinkeln öffnet, mit den hingeschiedenen Zeitgenossen zusammentritt und gegenwärtig wie im Drama das Schauspiel erneuert, dessen Vorhang längst gefallen ist. Wir führen nur diesen Künstler ausdrücklich an, weil er für das hier besprochene Verhältniß der Bildnißmalerei so besonders belehrend ist, und verzichten ungern auf eine Charakeristik der verschiede- nen Weisen, in welchen die großen Maler Italiens, die Florentiner, Raphael, die Venetianer, die Deutschen des sechzehnten Jahrhunderts, die Belgier Rubens und van Dyk, Rembrandt und andere holländische Mei- ster, die Spanier jene Aufgabe erfaßt und erfüllt haben, das Bleibende, Allgemeine, Ewige und den naturwarmen Blick des gegenwärtigen, ath- menden Judividuums ineinander zu schmelzen. Auch das Gebiet des Bildnisses wird von einigen der Theilungs-Linien durchschnitten, die wir durch die andern Zweige gezogen haben. Wichtig ist vor Allem der Moment : unbewegte, statuarische Ruhe, bewegtere Si- tuation vom spannungslosen Geschäfte (z. B. Lesen, Schreiben) oder nai- ver Nachlässigkeit (wie Raphaels herrlicher blonder Jüngling in Paris, der den Kopf in die Hand stützt) ansteigend zur bewegteren, empfundneren, die nur nie bis zur dramatischen, wie zu einer entscheidenden Handlung gespannten fortgehen darf. Das beste Bildniß bleibt doch immer das einfach ruhige. Der prahlerische, Effekt haschende, auffahrende Wurf nach dem Zuschauer ist hier doppelt widerlich, weil er auch stoffartig gegen die Eitelkeit und Affectation einnimmt. Kleine, zufällige Bewegun- gen sollen nicht von der Art sein, daß man den Eindruck hat, es sei schwer, darin zu verweilen. — Mit dem Unterschiede der Situation hängt nun natürlich der Grad des Umfangs auch hier auf’s Engste zusammen. Zunächst ist zu bemerken, daß, wie die Statue (§. 632), so und noch viel mehr auch das Porträt, selbst das von mehreren Figuren, sich auf einen Theil der Gestalt beschränken kann: Brustbild, Kniestück u. s. w. Es wird dieß sogar gewöhnlich vorgezogen werden, ein natürliches Ergebniß davon, daß hier nur die vorzüglich sprechenden Theile wirken sollen; es bedarf einer etwas belebteren Situation mit ausführlicherer Darstellung des Umgebenden, überdieß gewisser Formen der Tracht, welche die Bildung des Beins für das Auge beleben, um die ganze Figur zu rechtfertigen. Wir führen hier gelegentlich an, daß auch das Sittenbild und die Ge- schichtsmalerei halbe Figur vorziehen kann, wenn Moment und Ausdruck die über den ganzen Köper ergossene Mimik nicht wesentlich fordert. — Es geht nun auch die Bildnißmalerei dem Grade des Umfangs nach von der einzelnen Figur zur Gruppe von zwei, drei Personen, ja zu größeren, insbesondere Familiengruppen, fort und ebenso gibt sie als Grund bald nur einen Farbenton, ein Helldunkel, bald Landschaft, Zimmer mit Geräthen, wohl auch mit einem Hausthiere. Wie das Alles mit dem Unterschiede des gewählten Moments sich verbindet, sich gegenseitig bedingt, wäre interessant zu verfolgen; hier aber ist die Betrachtung abzuschließen mit der Unterscheidung des Stylbilds und Stimmungsbilds. Es ist klar, daß dieser Gegensatz in dem Gebiete der Bildnißmalerei schwächer auf- treten wird, als in den andern Zweigen, weil der ächt malerische Styl mit seiner spezialisirenden, bewegteren, mehr lyrischen, mit vollen Mitteln der Farbe wirkenden Auffassung und Ausführung hier recht in seinem Element ist. Dennoch ist der Spielraum groß genug, dem höheren Sty- lisiren, der Herrschaft der Form und der Wirkung der wesentlichen Grund- züge des Charakters mit strengerer Ausscheidung des Zufälligen und Ein- zelnen eine Bahn zu öffnen. Das Stylbild stellt mit epischer Ruhe die einzelne Gestalt in gediegener Objectivität hin, monumental, der Statue verwandt. Sie erhält dadurch etwas Götter-artiges und es gilt auch hier, was zu §. 646 bemerkt ist: „Die Geschichte ersetzt, so weit sie kann, den Mythus, der geschichtliche Held den sagenhaften, die Fülle großer Menschen den Gott, der seinen Geist über sie ausgegossen.“ Die einfachen, strengen, unbewegten Bilder der älteren Italiener und Deutschen gemahnen wie erzgegossene Büsten. Die reife Kunst hat in der Blüthezeit am Schluß des fünfzehnten und Anfang des sechzehnten Jahrhunderts die ehernen Züge malerisch belebt, aber die monumentale Großheit bewahrt. — Daß der plastisch auffassende Styl auch hier vorzüglich mit der Wandmalerei sich verbindet, erhellt von selbst. §. 709. Die geschichtliche Malerei erfaßt als ihren Stoff das allgemein 1. Menschliche in der Concretion der entscheidenden, mit Namen, Ort und Zeit in das Gedächtniß der Nachwelt eingeschriebenen Handlung und ist daher im Wesentlichen dramatisch . Vor ihr liegt also das große Gebiet der ge- 2. schichtlichen Schönheit (§. 341—378) ausgebreitet und den ersten Eintheilungs- grund bildet auch hier, wiewohl nicht in gebräuchlicher Anwendung, der Stoff : zunächst der Unterschied der Zeiten, Völker, der geschichtlichen Idee. Das Mittelalter und die folgenden Jahrhunderte sind malerischer, als das Alter- thum, das aber dennoch einen reichen Schatz von Motiven enthält; die neuere Geschichte bietet große Schwierigkeit durch die Ungunst der Culturformen. Zum rein geschichtlichen Stoffe tritt die Heldensage , und daran schließt sich als weitere Quelle die Dichtkunst. 1. Das Wesentliche des Grundbegriffs ist zum Zwecke richtiger Un- terscheidung schon bei dem Sittenbilde zur Sprache gekommen. Die ge- schichtliche Malerei behandelt dieselben allgemeinen Gattungskräfte wie die Sitten-Malerei, aber in der bezeichneten Zusammenfassung und Anspan- nung zu der in die Ueberlieferung sich eingrabenden That. Das Wesen des Dramatischen ist in §. 684 noch nicht in seiner ganzen Schärfe be- stimmt, sondern nur so weit angedeutet, als es dort nöthig war. Doch ersieht man schon aus jenen ersten Strichen zur Bezeichnung desselben, wie aus dem äußerlichen Momente, daß sich hier eine Handlung vor unsern Augen gegenwärtig erzeugt, eine Darstellung hervorgeht, welche die Geschichte auffaßt als eine Bewegung, deren Grundhebel im Innern liegt; die Gegenwärtigkeit ist Erschließung des Innern vor unsern Augen, die Welt wird von innen bestimmt, der Wille spannt sich zur straffen, ent- scheidenden That; die That setzt aber immer einen Boden voraus, wo Andere anders wollen und anders handeln, also einen Zustand, worin weltbestimmende Prinzipien bereit sind, in Conflict zu treten, und sie eben ist es, die diesen Conflict hervorruft. Wir haben jedoch ebendort bereits gezeigt, daß die Malerei als eine zwar dem Ausdruck nach bewegte, der wirklichen Grundform nach aber an den Raum gefesselte, sprachlose Kunst, obwohl sie zu dem Dramatischen mehr, als die Sculptur, berufen sei, dennoch diesen feurigeren Geist in der beruhigenden Fluth des Epischen kühlen müsse (vergl. auch Hotho a. a. O. Vorl. 7). Spezieller sahen wir die dramatische Bewegung gehemmt durch das Gewicht der Mitauf- nahme der Umgebung, der hiedurch bedingten Ausführlichkeit in der Dar- stellung von Culturformen u. s. w., eines Gebiets, das der scharf durch- schneidenden Natur der aus innern Tiefen steigenden Handlung noth- wendig den Raum verengt. Diese Schwierigkeiten hindern jedoch nicht, daß in der Malerei ein Zweig sich bilde, der in Vergleichung mit den andern, also relativ, dramatisch ist; nur werden wir allerdings sogleich sehen, daß auch das durch die Natur der Kunstform also beschränkte Dra- matische sich nur auf einem Umwege, worin das Epische mit seiner Breite noch einmal, dann auch das Lyrische wieder hervortritt, zu Leben und Recht gelangt. 2. Daß der Hauptstoff aller geschichtlichen Darstellung die großen Momente, die Silberblicke sind, worin die Seele der Geschichte, die Frei- heit, die zur concreten Verwirklichung ringt, heller durchbricht, wo dieser ihr Nerv sich blos legt, ist schon zu §. 341 gesagt, der jene Darstellung der geschichtlichen Schönheit eröffnet, wodurch wir der Kunstlehre umfassend vorgearbeitet haben. Es sind demnach vorzüglich die Krisen der Geschichte, die Kämpfe nach innen und außen, insbesondere die Revolutionen, nach welchen der Geschichtsmaler greist . Natürlich steht ihm auch frei, die Seitenverzweigungen der Geschichte, ihre untergeordneteren, weniger be- rühmten Gruppen zu erfassen, die Privatschicksale sind nicht ausgeschlossen, wenn sie nur mit dem geschichtlich Bedeutenden in Zusammenhang stehen, und ein Ulrich Hutten bei Erasmus in Basel und von ihm abgewichen ist ein im besten Sinn historischer Stoff. Nur was dem von der Sonne der Ueberlieferung matter beschienenen, von der Cultur entfernten Boden angehört, daher auch nicht geläufig ist und zu viel belehrende Notiz voraussetzt, muß der Geschichtsmaler liegen lassen. Die verschiedenen Sphären des Stoffes an sich haben auch hier sich nicht zu einer stehend gewordenen Eintheilung fixirt, aber es muß, wie in den andern Zweigen, von der Wissenschaft ein unterscheidender Blick dar- über hingeworfen werden. Ueberschaut man nun jenen, im ersten Abschnitt des zweiten Theils in großen Strichen gezeichneten Schauplatz mit dem Maaßstab in der Hand, den die Lehre vom Wesen der Malerei gegeben hat, so erhellt, daß die Stoffe der alten Geschichte weniger malerisch sind, als die der mittleren und neueren Zeit bis zum Eintritte der ganz un- günstigen Culturformen. Wir mußten dieß auch schon mehrmals so be- stimmt aussprechen, daß gerade an dieser Stelle die Erörterung reif ist, um den Satz wieder zu beschränken. Der Orient ist despotisch, stabil, aber er hat seine Kämpfe, seine Revolutionen und Kriege, seine tragischen Einzelschicksale, dazu sind seine Culturformen mehr malerisch, als die clas- sischen. Schon diese Fundgrube ist lange nicht erschöpft, ein Herodot, die hebräische National-Literatur und andere Quellen sind noch unendlich reich an ungehobenen Schätzen. Da wir die Kenntniß der alten Culturformen des Orients jetzt aus reichlichen Anschauungsmitteln schöpfen und auch in den gegenwärtigen und zugänglichen noch Vieles von jenen sich erhal- ten hat, so ist die Thüre zu diesem glänzenden Stoffgebiete weit aufgethan. Aber auch die griechische und römische Geschichte läßt sich trotz dem pla- stischen Charakter der Formen recht wohl im bewegten malerischen Geist auffassen. Nachdem die David’sche Schule in akademisch correcter, theatra- lisch pathetischer, die deutschen Reformatoren, ein Karstens und Wächter, in schlicht großem, aber zu plastischem und allegorisirendem Styl diese Stoffe ergriffen haben, warf sich der Zug des ächt malerischen Sinns mit Recht auf die mittelalterlichen, dann die neueren Stoffe, aber gesichert durch die Frucht dieser Richtung dürfte die Kunst nunmehr einsehen, daß sie in der Oppositionsstellung jener classischen Welt auch Unrecht gethan und sich eine Fülle der großartigsten Motive verschüttet hat. Wächter mit seinem schlafenden Sokrates, seinem Julius Cäsar auf den Ruinen Troja’s, Hetsch mit seinem Papirius Cursor und Marius auf den Trüm- mern von Karthago hatten doch ganz würdig, dieser weniger groß, aber in malerisch wärmerer Behandlung begonnen; die Stoffnoth, in der so mancher tüchtige Künstler seufzt, ist lächerlich neben dieser frischen, grünen Weide ringsherum. Wir haben im genannten Abschnitt reiche Finger- zeige zu gewaltigen Stoffen gegeben. Derselbe erspart uns auch eine weitere Ausführung über die Epochen der Geschichte, die an sich mehr malerisch sind. Das sechzehnte Jahrhundert ist besonders günstig, weil es dem Geiste nach der Aufgang der modernen Zeit ist, seine Kämpfe den unsrigen so tief verwandt und seine Culturformen so phantasiereich sind. Der Inhalt jedes Kunstwerks soll die Herzen und Geister im Mit- telpuncte dessen ergreifen und erschüttern, was sie allgemein menschlich und zugleich mit besonderer Gewalt in der Gegenwart bewegt. Das Schöne aber, das Gesetz der reinen Form, der Tendenzlosigkeit, der unbefangenen Bewegung des Künstlergeistes fordert vergangenen Stoff. Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 45 Bei einer so tief verwandten Vergangenheit, wie jene Zeitepoche, treffen denn alle Bedingungen besonders günstig zusammen und die Schwierig- keit bleibt nur, daß die Ungunst der umgebenden Culturformen dem Künst- ler auch die lebendige Vorstellung der vergangenen günstigen erschwert; doch dieß ist zwar eine Schwierigkeit, aber kein völliges Hinderniß (Guhl a. a. O. S. 85 u. 182 hat eine Aeußerung desselben Inhalts in d. Krit. Gängen Theil 2 S. 29 mißverstanden). Auch die großen Stoffe der modernen Zeit, die Momente, wo die Idee mit so schneidender Gewalt ihre Furchen gezogen hat, kann sich der Künstler durch diesen Uebelstand nicht rauben lassen. Es ist insbesondere der Krieg, der die phantasielosen Formen immer lüftet. Nicht leicht befriedigt ein neueres Werk der Geschichtsmalerei alle Ansprüche, die wir an diesen Zweig stel- len, so vollständig, wie Leutze’s Ueberfahrt des Washington über den Delaware. Der kühne Waffenstreich ist nicht groß an sich, aber entscheidend genug, um ungesucht das Schicksal, die Zukunft, die Idee Amerika’s daran zu knüpfen, die angestrengte Fahrt der tapferen Männer durch das Treibeis ein voller Ausdruck der eisern entschlossenen amerikanischen Natur, die kalte, winterliche Lust wirkt mit dem Thun und dem unerbittlich wa- genden Ausdruck der Krieger und Bootsmänner, in deren Mitte der Feld- herr leicht, schlicht und doch lauter Geist und Unternehmung, aufgerichtet steht, harmonisch zusammen, uns ein Bild zu geben, das durch und durch straff, adstringirend, eisen- und stahl-haltig ist, wie der Charakter Ameri- ka’s, die Tracht ist malerisch nicht bestechend, aber natürlich und bewegt genug, um der prunklosen Größe und Kraft die würdige Hülle zu leihen. 3. Die Heldensage versetzt ihre Heroen, mögen es nun in Menschen umgewandelte Götter oder aus geschichtlichen Grundlagen entwickelte Ty- pen nationaler Charakterzüge sein, in den, zwar von der Phantasie ver- einfachten, Complex der natürlichen und historischen Bedingungen hinein und gibt ihnen die volle Lebensfähigkeit, die der Maler bedarf. Diese sagenhaft verklärte Geschichte bringt den Stoff in idealer Zusammenziehung dem Maler schon halb verarbeitet entgegen, wie dem Dichter. Mythus mischt sich ein, aber nur nebenher, die Motivirung ist im Wesentlichen naturgemäß menschlich. Cornelius hat sein Bedeutendstes, Reinstes in deutscher und griechischer Heldensage, dort nur in Skizzenform, hier in ausgeführter Freske geleistet; Schnorr hat die Stoffe der ersteren in großen Wandgemälden würdig entfaltet. Die Quelle fließt noch reich und ihre Motive haben den großen Vortheil, daß sie den besonderen Charakter der Unerschöpflichkeit in immer neuen Auffassungen tragen wie alles Urge- waltige. — Die Dichtung ist auch hier (vergl. §. 703 Anm.) nur der Kürze wegen wie eine Quelle neben den andern hingestellt; logisch ver- hält es sich so, daß sowohl die wirkliche Geschichte, als auch die Helden- sage erst durch den Mund der Dichter gegangen sein kann, die letztere meist wirklich gegangen ist, ehe sie der Künstler übernimmt; reine Erfin- dung des Dichters aber muß ihrem Stoff die Lebenskraft und den vollen Schein gegeben haben, als wäre er Geschichte, wenn er Inhalt der ge- schichtlichen Malerei soll werden können. Einige Winke über die Be- nützung der Poesie durch die Malerei gibt die Anm. zu §. 543; §. 683 bestimmt die Grenzen im Allgemeinen. §. 710. Eingreifender und entscheidender sind die Unterschiede, die sich auf die 1. Wahl des Moments gründen, und an sie schließt sich der Unterschied der Auffassungsweisen der Phantasie. Die erste der so sich bildenden For- men faßt die handelnde Menschheit in einem zwar geschichtlichen, aber doch einem solchen Moment auf, worin die Culturform, das Gewohnheitsmäßige, das Massenhafte vorwiegt. Hieher gehört nebst Anderem das Ceremonien- bild und eine Gattung des Schlachtbilds . Diese Sphäre ist im Ganzen als sittenbildliche Geschichtsmalerei zu bestimmen, der Standpunct innerhalb des Dramatischen der epische . Durch die Natur der Sache ist in vielen 2. Fällen auch ein bedeutender Antheil der Landschaft und des eigentlichen Bild- nisses motivirt, aber die Verbindung mit diesen Formen darf so wenig, als das stärkere Gewicht des Sittenbildlichen, zu falscher Mischung führen. 1. Es bestätigt sich nun, was zu §. 709, 1. gesagt ist: das Dramatische versenkt sich zunächst wieder in das Epische. Die genre-artige Historie, das Sitten-Geschichtsbild ist nicht mit dem geschichtlichen Sittenbild (§. 703) zu verwechseln: dieses gibt geschichtlich bekannte Menschen in einem nicht ge- schichtlichen Momente; das erstere gibt solche in einem geschichtlichen Momente, worin aber entweder nicht gehandelt, sondern nur repräsentirt, oder blos geduldet, oder zwar gehandelt wird, aber nicht so, daß das schlechthin Entscheidende, der aus der Tiefe entschließende Geist dabei zum Vorschein kommt: das Zuständliche, Formelle, Gewohnheitsmäßige, Instinctmäßige, darum auch meist das Massenhafte herrscht vor; das spezifische Interesse für die Cultur- formen wird nicht in dem Grade zurückgedrängt, wie im strengen Ge- schichtsbilde. Ein bedeutendes Talent hat neuerdings sowohl im geschicht- lichen Sittenbilde, als auch im sittenbildlichen Geschichtsbilde Adolf Menzel entwickelt und dabei gezeigt, was sich auch aus dem Rokoko machen läßt. — Der §. hebt das Ceremonienbild und eine Art des Schlacht- bilds heraus. Es wäre noch Manches anzuführen; wir nennen daraus die Darstellung politischer Versammlungen, sofern sie ohne Aufregung in ruhiger Repräsentation gefaßt sind, militärische Musterungen und Märsche, Wanderungen; der Rückzug aus Rußland z. B. ist historisch, aber kein 45* Handeln, das Menschenloos an schrecklichem Leiden großer Menschen- Massen dargestellt: dieß ist episches, sittenbildliches Geschichtsbild. Die zwei genannten Formen sind im Gebrauche geläufiger Unterscheidung; das Schlachtbild gehört aber hieher nur, wenn nicht im Mittelpuncte der Heros mit solchem Ausdruck hervortritt, daß die Idee, die innere Bedeu- tung, der nationale, politische Conflict, welcher die Seele des ganzen Kampfes ist, in entscheidender Weise aus dem instinctmäßigeren, dem in- nern Conflict fremderen Erweisen der Tapferkeit in den Massen sichtbar herausleuchtet. Die neuere Kriegsführung, worin die nationalen, politi- tischen Urheber entweder gar nicht, oder wenn sie, wie z. B Napoleon, zugleich die Feldherren sind, nicht physisch, sondern nur intellectuell aus der Ferne leitend am Kampfe Theil nehmen, gibt daher auch in der historischen Schlacht meist nur zu dieser sittenbildlichen Gattung den Stoff. Es ist schwer, in der neueren Geschichte einen Gegenstand zu finden, wie er in der herrlichen Mosaik von Pompeji, der Schlacht bei Issus, gegeben war: hier steht der Occident und der Orient, der Jünglings-Heros des griechischen Geists und die zusammenbrechende Herrlichkeit des persischen Despotismus im Schlage der vollen Katastrophe, im Augenblick der bluti- gen Krise sich gegenüber: das ist ächt geschichtliches Schlachtbild. Die Uniformität der Ordnung, Kleidung, Kampfesweise kommt in der neueren Zeit hinzu, den nur genreartigen Charakter zu vollenden. Der Krieg hat allerdings in der neuesten Zeit günstige Culturformen aufgeschlossen, na- mentlich in Algier, aber da fehlt es an der monumentalen Größe der Idee überhaupt und in der Erscheinung am eigentlichen Heros; will man einen Abdel Kader als solchen nehmen, so vermißt man ihn doch auf der andern Seite, denn der französische General, so geschickt und tapfer er sein mag, ist doch nicht das, was hier unter jenem Worte verstanden wird: positiver Träger und Vorfechter einer historischen Idee; die Bilder H. Vernets, so meisterhaft sie sind, sind doch nicht reine, sondern sitten- bildliche Geschichtsbilder. 2. Geht die Scene eines solchen Bilds im Freien vor sich, so hat eben wegen des sittenbildlichen Charakters die Landschaft große ästhetische Geltung neben dem Vorgang in der Menschenwelt; geht sie im geschlos- senen Raume vor sich, so interessirt der Maler auch für Geräthe, Archi- tektur u. s. w.; in beiden Fällen wird auf Tracht, Umgangsform, Kampfes- weise und dgl. ein Gewicht gelegt, das bei der strengeren Form verschwin- den wird. Dieß Gewicht der Culturformen ist schon zu 1. hervorgehoben; hier ist außer der Landschaft noch ein anderer Punct zu erwähnen: es liegt nämlich in der Natur der Sache, daß der Künstler in solchen ge- schichtlichen Actionen gern eine Zusammenstellung von wirklichen Porträts geben wird. Wir haben also jetzt ein Gebiet vor uns, wo das Geschichts- bild nicht nur in das Sittenbild, sondern auch in Landschaft und Porträt stark hinübergreift; das ist ganz in der Ordnung, aber es sollen diese beigezogenen Momente dennoch secundär bleiben, sie sollen nicht so über- wuchern, daß die Gattung, in welche das Bild gehört, zweifelhaft wird, denn das Gesetz der Reinhaltung der Sphären (§. 696) besteht natürlich auch hier. Vielfach, auch in der neuesten Zeit, hat man gemeint, eine höhere Einheit von Landschaft und Historie schaffen zu müssen; das ist verkehrt, die Landschaft soll stimmend mitwirken, aber nicht für sich spezi- fisch in die Aesthetik der landschaftlichen Schönheit abführen; die land- schaftliche Stimmung als Grund- und Haupt-Eindruck eines Kunstwerks und das Interesse am menschlichen Schicksal in seiner spezifischen Aus- drücklichkeit heben einander ein für allemal auf. Das Porträt haben wir (§. 708) den Baustein des Geschichtsbilds, dieses das in Bewegung und Verbindung gesetzte Porträt genannt. Allein es ist nun entschieden auszusprechen, daß dasselbe durch diese Einfügung in das bewegte Leben des geschichtlichen Bilds eine neue besondere Art der Idealisirung erfahren muß, noch verschieden von derjenigen, die es als Gattung an sich fordert, eine freie Umbildung im spezifisch historischen Sinne. Weniger scheint dieß nöthig im bloßen Repräsentationsbilde, denn da werden die Personen in Ruhe dargestellt; wo aber Bewegung und Handlung gefordert ist, da entsteht, wenn der Maler nur Bildnisse zusammenstellt, ein Repräsen- tationsbild am falschen Orte: er kann nicht wagen, die Köpfe und Figuren in volle Leidenschaft zu versetzen, weil er dann die Porträtzüge künstlerisch frei verändern müßte. Ist z. B. der Feldherr und sein Generalstab in einem Schlachtbild eigentliches Porträt, so verschwindet eben hier, im Mittelpuncte, das Leben der Schlacht, weil in dieser Gruppe kein Affect entwickelt werden kann. Der Geschichtsmaler muß anders stylisiren, als der Porträtmaler, er muß die gegebene Form als ein Feld behandeln, worin große Bewegungen ungehemmt sich ergießen können. Und das ist doch auch im ruhigen Repräsentationsbilde nöthig: auch hier dürfen die Porträts nicht ganz so behandelt sein, wie wenn sie für sich als bloße Bildnisse vor uns stünden; eine gewisse Stylisirung ist auch hier erfordert. Besonders reiche, belehrende Beispiele liefert zu dem ganzen Inhalte die- ses §. die Galerei von Versailles. Daß endlich der Stärke, welche diese Gattung den Culturformen gönnt, ein Maaß gesetzt ist, dessen Ueberschrei- tung in das Sittenbild abführt, bedarf keiner weitern Erklärung. §. 711. Den Standpunct des Lyrischen betritt die geschichtliche Malerei in der Darstellung subjectiv bewegter Momente, die nicht unmittelbar zur Handlung gespannt, vielmehr meist als Nachklang einer vorhergegangenen Handlung und tiefe Empsindung des Schicksals erscheinen. Das Situationsbild im engeren Sinne dagegen stellt sich zwar auf den Schauplatz der Handlung, ergreift aber Arten des Thuns oder Lagen aus einer Reihe von Thaten und Schicksalen, die ihrer Natur nach eine zur Beobachtung des Seelenlebens einladende Dauer zeigen, wozu figurenreiche Ausdehnung häufig noch eine Verwandtschaft mit dem Epischen bringt, während das rein Lyrische seiner Natur gemäß sich in beschränk- ter Figurenzahl darstellt. Es ist ein feiner und doch nicht zu übersehender Unterschied, der die zwei Formen trennt, welche der §. unterscheidet. Rein lyrisch ist, um auch Beispiele aus dem mythischen Kreise zu nehmen, soweit er, wunder- los aufgefaßt, bleibende, rein menschliche Stoffe darbietet, — ein Ecce homo, eine mater dolorosa, eine reuige Magdalena, trauernde Gestalten, wie z. B. jenes tief wehmüthige Bild: Johannes und Maria zum Grabe Christi in der Nacht wandelnd, von Zurbaran, Betende, Andächtige, welche die heilige Sage nennt. Als Zustand des Gemüthes, „psychologisch als Glaube, nicht als Geglaubtes“ (§. 466), gehört ja jedenfalls die Religion unter die ästhetischen Stoffe und zwar unter die geschichtlichen, wenn die Personen benannt sind. Es handelt sich aber von jedem Mo- ment überhaupt, wo das innerste Wesen des Menschen sich in einer Be- wegung des Gemüths zusammenfaßt, aus Blick und Geberde spricht, ohne in spannender Weise eine reale Veränderung, eine Handlung vorzube- reiten. Julie, die neben Romeo den Dolch zückt, ist nicht ein lyrischer, sondern ein dramatischer Stoff, aber Julie in unschuldvoll heißer Erwar- tung vor der Brautnacht, oder Romeo und Julie scheidend nach der Brautnacht: dieß ist lyrischer Stoff. Es leuchtet übrigens ein, daß, da Empfindungszustände, welche entscheidenden Thaten und Schicksalen un- mittelbar vorhergehen, meist schon auf dramatische Spannung führen, vor- züglich die Momente nach solchen Entscheidungen es sind, die in dieses rein psychologisch subjective Gebiet gehören: so Bendemanns trauernde Juden, Jeremias, Eberh. Wächters Jul. Cäsar am Grabe Hektors in Betrachtung über Heldengröße und Menschenloos verloren, oder ein Scipio bei dem Brande Karthago’s in die bekannten Worte ausbrechend. Die rein lyri- schen Stoffe sind übrigens im streng geschichtlichen Gebiete selten. Das Lyrische gehört weit mehr dem Sittenbilde an, das seine Figuren nicht in die heiße Atmosphäre der Geschichte hereinstellt. Diese zeigt immer zu fühlbar auf Thatsächliches hin, ihr Boden ist zu sehr mit Keimen oder Nachwirkungen realer Entscheidung geschwängert, als daß sie uns gestat- tete, lange bei Empfindungszuständen zu verweilen. Auch Empfindungsmo- mente nach bedeutenden Schicksalen weisen doch meist mit zwingender Stärke wieder auf künftige, wie jener Jul. Cäsar, jener Scipio; so ist ein Marius auf den Trümmern von Karthago nicht blos ein fühlender, sondern auch ein drohender Mann; ein Napoleon nach seiner Abdankung in Fontainebleau (Delaroche) hat zwar keine Thaten mehr vor sich, aber all sein Schicksal ruht auf Thaten, der Boden ist zu real, um ein solches Bild lyrisch zu nennen. Solchen realen, mit Factischem, das bevorsteht oder in die Gegenwart hereinwirkt, durchsättigten Boden nennt man nun im engeren Sinne Situation, und wo die Auffassung dieser Seite so entschieden her- austritt, daß Alles, was Ausdruck des Seelenlebens ist, unmittelbar als der innere Reflex der äußern, in solcher Lage gegebenen Bedingungen er- scheint, da entsteht das Situationsbild, das auf dem Uebergang zum eigentlich Dramatischen liegt. Von diesem unterscheidet es sich ungleich schärfer, als vom Lyrischen: es fehlt ihm der Ausdruck unmittelbarer Spannung zur That, die das Dramatische bildet, der Augenblick gestattet psychologisches Verweilen mit nur entferntem Anklang oder Nachklang von Spannung, aber das Seelenleben, bei dem wir verweilen, ist nicht so innerlich, nicht so subjectiv in sich versenkt, um lyrisch zu heißen, sondern real afficirt, mit Objecten beschäftigt. Fassen wir z. B. Lessings Huß vor dem Concile zu Constanz in’s Auge, so leuchtet zunächst deutlich der Unterschied vom dramatischen Bild ein. Man er- wartet nach diesem Namen den furchtbar stürmischen, drangvollen Entschei- dungsmoment der Verurtheilung im Dome und findet statt dessen eine Disputation des Reformators mit einer ausgewählten Gruppe von hohen katholischen Clerikern, wozu einige charakteristische Nebenfiguren treten. Da bereitet sich wohl das Schicksal des Märtyrers vor und droht deutlich genug aus den fanatischen Köpfen seiner Gegner, aber unmittelbar tritt die Spannung auf diesen Schicksalsmoment nicht ein, wir verweilen mit psychologischem Interesse bei einer Gruppe wenig bewegter, zunächst nur theoretisch thätiger Charakterfiguren, studiren die verschiedenen Formen und Typen des Fanatismus und der ihn unterstützenden Indifferenz gegenüber dem schlichten Wahrheitssinne des Huß. Der Unterschied vom Lyrischen besteht aber darin, daß diese Personen nicht blos empfindend in sich versenkt, daß sie vielmehr sichtbar mit Solchem beschäftigt sind, was eine furchtbare Hand- lung und ein furchtbares Leiden vorbereitet. Dieß Beispiel erklärt zugleich den Ausdruck des §.: „Arten des Thuns“. Hieher gehört namentlich auch die Form des erbauenden Lehrens: die Predigt des Paulus in Athen von Raphael ist, obgleich an sich voll Feuer, ein solches psychologisches Situationsbild, ein predigender Johannes, Christus unter gelagertem Volk, so manche ähnliche Stoffe sind Motive für Situationsbilder. Begeistertes Lehren bewegt die Welt, bedingt Schicksale, aber nicht zunächst, nicht un- mittelbar; wir verweilen mit spannungsloserem Interesse bei dem Seelen- Ausdruck. Die Summe des Realen, die sich dem erscheinenden Inner- lichen im Situationsbild anhängt, besteht sachgemäß häufig auch, wie diese Beispiele zeigen, im Massenhaften, in Figuren-Menge. Dieser ganze Complex kann episch heißen, und es scheint so, wir werden zu dem sitten- bildlichen Geschichtsbilde zurückgeführt, allein von diesem unterscheidet sich die jetzt vorliegende Form durch das vorherrschende psychische Interesse. Gallaits Abdankung Carls V. z. B. wäre Ceremonienbild, wenn ihm nicht die tiefe Empfindung der Hauptpersonen seine Stelle im psychischen Situationsbild anwiese. Die Scene hat aber zu viel Reales, um lyrisch heißen zu können. Leonardo da Vinci’s Abendmahl ist ein Situations- bild, eine Kreuzabnahme, eine Beklagung des Leichnams Jesu ist mehr lyrisch. §. 712. Am reinsten liegt der Charakter dieses Zweiges vor in der Darstellung der ächt dramatischen Momente der vollen Spannung zur entscheidenden That oder des wirklichen Ausbruchs oder der Nachwirkung von Thaten, die aber noch weiteres Erschütterndes im Schooße birgt oder bereits als gegenwärtig zeigt. Das Schlachtbild hat auch hier eine Stelle, wiewohl in ihm auch der schärfste Entscheidungsmoment stark mit dem Epischen sich mischt. Das Lyrische, die Fülle inneren Lebens wird zum Entschluß, bereitet drohend die That, führt sie im Sturme des Conflicts aus, leidet die Folgen des eigenen Thuns und der Thaten Anderer, doch nicht passiv empfindend, sondern auf neue Entscheidungen gefaßt. In §. 684 ist ge- sagt, daß die Malerei vorzüglich den spannenden Moment vor der That liebt, Delaroches Knaben Eduards sind angeführt, die Scene vor Straffords Gefängniß, Rembrandts Adolf von Geldern, Leutzes Washington greifen wir als weitere Beispiele aus der Fülle der Kunstwelt heraus. Zu Scenen des vollen Ausbruchs zählen wir, von Schlachtbildern noch abgesehen, Werke wie Raphaels Ananias, die Vertreibung des Heliodor aus dem Tempel zu Jerusalem, Bilder der Gefangennehmung Christi, Rubens Simson und Delila. Ein Cromwell, den Sarg Carls I. öffnend, eine Marie Antoinette von Delaroche zeigen Momente nach erschütternden Thaten, aber sie bergen weiteren tragischen Verlauf zu sichtbar und schlagend in sich, um sie Situationsbilder zu nennen; Gallaits Egmont im Gefängniß ist verurtheilt, am nächsten Morgen soll er sterben; das Blutige ist geschehen auf Gallaits neuestem Bilde, aber die Situation weist auf eine Zeit der Vergeltung hinaus, nur freilich so schwach, daß dieses Werk allerdings mehr zur Sphäre des bloßen Situationsbilds ge- hört. — Das Schlachtbild tritt hier noch einmal vor uns; es ist drama- tisch, wenn es die Spitze der Entscheidung in einer heroischen Hauptgruppe zeigt; allein es umgibt diesen Mittelpunct, mag er auch eine so schneidende Krisis darstellen wie jene Alexanderschlacht in Pompeji oder Steubens Ent- scheidungsmoment der Schlacht bei Waterloo, doch immer mit einer solchen Masse von Figuren, Fülle von physischen Kräften und Culturformen, einem so dichten Gerüste äußerer Mittel, daß auch hier das epische Ele- ment in größerer Stärke mitwirkt, als sonst in streng dramatischen Ge- schichtsbildern, wo das Anhängende, physisch Bedingte und Bedingende und mit ihm das Massenhafte zurückweichen muß, um ganz dem heraus- brechenden Innern des gewaltigen Willens Platz zu machen. Dieser Punct ist zwar schon öfters berührt, nun aber noch ausdrücklich herauszustellen. §. 713. Dem Grade des Umfangs nach kann sich das geschichtliche Bild nicht auf Hinstellung einer einzelnen historischen oder sagenhaften Person wie eines Porträts ohne cyklische Beziehung oder ohne das Motiv einer bestimmten Si- tuation beschränken. Im Wesentlichen gebietet die Straffheit des Entscheidungs- moments mäßige Gruppenbildung; dem dramatisch geschichtlichen Gemälde am reichsten dehnt sich, im Gegensatze gegen dieses und gegen das in Figurenzahl noch sparsamere lyrische Bild (vergl. §. 711), die epische Form aus. Der erste Satz ist schon zu §. 688 angedeutet. Das porträtartige, situationslose Hinstellen einer einzelnen Figur, das doch nicht Porträt- zweck hat und nicht auf dem Wege des Porträtirens zu Stande gekommen ist, sondern zur historischen Gattung gehören soll, gleicht einem vollen Hieb in das Leere. Aus jener in §. 708 ausgesprochenen Wahrheit, daß das Bildniß des bedeutenden Menschen einen Eindruck mache, als wolle es sich so eben zur Handlung erweitern, ist auf diese Weise nicht Ernst zu machen. Mit eigentlich mythischen Figuren ist es etwas Anderes, sie können als absolute Wesen in einfacher Majestät thronen, doch treibt die Malerei so stark zum Beziehungsvollen der Situation, daß auch dieß nur auf alterthümlichem Standpuncte geschieht. Menschen, deren Typus nur durch Ueberlieferung der Sage gegeben ist oder von denen sich ohne diese Grundlage der einzelnen Künstler eben nach seiner Weise ein Bild macht, können noch weniger, als solche, deren Züge man durch Porträts kennt, vereinzelt hingestellt werden; eine Situation soll begründen, warum die Tradition oder die freie Phantasie eines Künstlers die Züge so ge- bildet hat. Leicht entsteht auch der Verdacht, der Maler habe ein Modell gefunden, das er passend Medea, Sakontala u. dgl. taufen und so ge- tauft abstract hinpflanzen zu können meinte. In jenem Falle, wo man die Züge durch Porträt wirklich kennt, bleibt doch das erhaltene Bildniß bloßes Material, das der historische Maler in eine Situation ziehen und, wie schon früher gesagt, zu diesem Zwecke weiter umbilden muß. Daß cyklische Zusammenstellung die Sache verändert, ist zu §. 688 bereits bemerkt. — Der weitere Inhalt des §. bedarf kaum noch einer Erläuterung; er faßt zusammen, was da und dort schon ausgesprochen ist, und ergänzt es nach anderer Seite. Der Wille, der die Welt bezwingt und erschüttert, sammelt in wenigen, in den Flügelmännern der Menschheit, seine höchste Kraft; es muß Platz sein, Massen von Figuren und Culturformen dürfen der aus dem Innern frei hervorbrechenden Handlung nicht den Raum versperren. Daß diese zusammenziehende Straffheit erst in der ächt dra- matischen Form des Geschichtsbildes eintritt, ist schon früher gesagt; ein Spielraum, worin sich dieselbe den mehr epischen, naturgemäß massen- haften, Formen nähert, ist dadurch nicht ausgeschlossen; das Schlachtbild insbesondere hat uns im vorhergehenden §. daran gemahnt, es führt zu den größten Ausdehnungen, H. Vernets Ueberfall der Smalah hat 66 Fuß Länge. Daß dagegen die größte Sparsamkeit dem lyrisch historischen Bilde eigen sein muß, ist schon in §. 711 hervorgehoben; dasselbe wird sogar die einzelne, in Situation gesetzte Figur lieben; es geht dieß ein- leuchtend daraus hervor, daß es die subjectivste Form ist und den inner- lichen Zustand nicht zur Handlung entfaltet. §. 714. 1. Das Erhabene des Subjects und das Tragische entwickelt in diesem Gebiet erst den Reichthum seiner Formen und verbindet mit ihrer Wirkung die des objectiv Erhabenen und des einfach Schönen; das Komische hat be- schränktere Geltung, kann aber gerade seine höchste Form, den freieren, welt- 2. geschichtlichen Humor, in ihrer Tiefe entfalten. Der Gegensatz der Style offenbart sich, vereinigt mit dem Unterschiede des Materials und der Technik, auf diesem Boden ungleich voller und stärker, als auf dem des Sittenbilds. 1. Es bedarf nur einer Verweisung auf unsern ersten Theil, wo die Lehre vom Erhabenen von Fingerzeigen wimmelt, die bereits auf lauter malerische und insbesondere geschichtlich malerische Stoffe hinweisen. Das Tragische gehört vornämlich diesem höchsten Zweig an, der ja, wie wir gesehen, in seiner bedeutendsten Form auf dem Boden großer, realer Conflicte sich bewegt. Das Erhabene des Raums, der Zeit (natürlich an festen Erscheinungen sichtbar), der Kraft wirkt mit, wie große Natur- erscheinungen im eigentlichen Drama mitwirken können, das „den Sturm zu Leidenschaften wüthen läßt.“ Das einfach Schöne in Zusammen- stellung mit dem Tragischen ist Hebel der kräftigsten Contraste, dient als Folie wie die Blume am Abgrund oder wird in das Tragische hineinge- rissen — wie Margarete in Göthe’s Faust. Die Posse, der Witz, die milde Ironie, der naive Humor des Sittenbilds hat keinen Platz; das Drama der Geschichte läßt nur den großartigen Humor zu, der die innere Miß- gestalt des Bösen, wie M. Angelo nach Dante in den Teufeln, wie so viele alte Maler in den Pharisäern und Peinigern Christi, als äußere Fratze herauswendet, bei rein historischem Stoff aber in der Selbstzer- störung des menschlich Bösen, dem Fanatismus der Leidenschaft, dem Wahnsinn der Parteien, dem Falle menschlichen Uebermuths Oel in Fülle findet, seine Flamme zu nähren, seinem tiefen Gefühl der Widersprüche des Lebens ohne jene phantastische Ausschweifung Form zu geben. Eine tiefe Mäßigung ist immer nöthig, wenn nicht die Caricatur eintreten soll, von der wir seines Orts sprechen werden. 2. Im Sittenbilde ist der ächt malerische Styl naturgemäß im Vor- rechte der Herrschaft, der plastische hat sich daher auch erst spät entwickelt; im Geschichtsbilde verhält es sich umgekehrt: hier ist der Beruf des letzteren voller und unbezweifelter, als in irgend einem Zweige, denn wo es gilt, die großen geschichtlichen Momente in monumentalem Geiste zu verewigen, da ist auch ein Verfahren gefordert, das aus dem Umfange des Realen mit starker Zeichnerhand die wesentlichen Züge heraushebt und diejenigen ausscheidet, welche an die specielleren Lebensbedingungen erinnern. Allein der rein malerische Styl ist darum nichts weniger, als zu untergeordneter Rolle verwiesen, wie das Naturalisiren und Individualisiren in der Bildnerkunst; im Gegentheil hat er in der Geschichtsmalerei erst seinen ganzen Beruf zu erfüllen, indem er den plastisch auffassenden Gegner stets auf’s Neue reizen und mahnen soll, daß er sich mit der Naturwärme und Indivi- dualität sättige und seiner Neigung zum Mythischen und Allegorischen nicht die Zügel lasse. Es ist nun dieß natürlich zugleich ein Verhältniß zwischen Freske und Oelmalerei; diese zwei Formen der Technik sind uns überall als Begleiter jenes Gegensatzes begegnet, hier aber erreichen sie mit ihm ihre ganze Bedeutung, sie werden geradezu Losungswörter des Kampfes der Style. Der Kampf ist dann allerdings zugleich einseitige Blüthe der Historienmalerei und Reaction gegen dieselbe; allein diese Seite führt schließlich ebendahin, wie der Kampf innerhalb der geschicht- lichen Malerei selbst, denn auch vom Sittenbilde und beziehungsweise von der Landschaft soll die plastische Einseitigkeit in der Historie zur innigeren Durchbildung des realen Scheins sich leiten lassen. — Dieß Alles wird in der Geschichte der Malerei nun seinen Beleg, der Begriff den Körper finden, der ihn zugleich erläutert, und gerade der Schluß der letzteren wird auf diesen Schluß der Lehre von den Zweigen in gerader Linie zurückführen. c. Die Geschichte der Malerei . §. 715. Die Geschichte der Malerei ist ein ungleich mächtigerer, dauernderer, fruchtbarerer Kampf der zwei entgegengesetzten Stylprinzipien, als die Geschichte der Bildnerkunst. Der Gegensatz wiederholt sich in verschiedenen Wendungen mehr- fach auf beiden Seiten, jede Versöhnung fällt wieder auf eine derselben und treibt zu neuer Spaltung. Auch in dieser Kunst geht die Geschichte der Stoffe mit der Geschichte der Style Hand, und wie der Eintritt des natu- ralistrenden und individualistrenden Styls, so ist das Aufkommen der ursprüng- lichen Stoffwelt hier nicht Anfang der Auflösung, sondern neuen und volleren Lebens. Es ist zu vergleichen, was in §. 636 über die bewegende Kraft in der Geschichte der Sculptur gesagt ist. Das Prinzip des indirecten Idealisirens reicht in dieser Kunst zwar hin, bedeutende Schwankungen und geschichtliche Veränderungen hervorzubringen, weil das entgegengesetzte Prinzip, dem die Oberherrschaft gehört, ein so zartes Richtmaaß der Schönheitslinie feststellt, daß die feinste Verstärkung nach der Seite der schärferen und naturtreueren Charakteristik schon gefühlt wird, schon Be- wegungen, Gegensätze hervorruft; allein die Schwäche des Anspruchs an Geltung, welcher der letzteren Richtung zukommt, ist eben zugleich Ursache, daß wenn dieselbe auf Grund veränderter Weltanschauung über die ihr gesetzte Grenze vordringt, die ganze Kunst nur noch ein halbgelähmtes Leben fristet. In der Malerei dagegen ist das Prinzip des indirecten Idealismus, das wir im Stylverfahren Naturalismus und Individualismus nennen, nicht mit der unbedingten Stärke zur Oberherrschaft gelangt, wie in der Plastik das entgegengesetzte; dieses, das plastische, ist trotz seiner Unterordnung, wie wir gesehen haben, ungleich mehr in Kraft, als in der Plastik das andere, das malerische, das in ihr zu untergeordneter Stellung verwiesen ist, es hat noch volle Mittel, sich zu behaupten und zu wehren, zwei gewappnete Gegner stehen sich daher gegenüber, die gerade das gegen- seitige Recht, das Gefühl der Geltung des Gegners auf beiden Seiten, der Reiz des empfundenen Mangels, das Bewußtsein der geforderten Versöhnung und der Widerwille gegen die Opfer, die sie fordert, zu einem großen, vollen, langathmigen Kampfe treibt. In §. 676 ist dieß schon ausgesprochen und hiemit der innere Hebel, die Seele der Geschichte unserer Kunst aufgezeigt. Noch hat bis jetzt die Literatur derselben diesen rothen Faden nicht hinreichend in das Licht gestellt; treffende Gedanken und Ansätze hiezu enthält die sinnige Schrift von A. Teichlein : Louis Gallait und die Malerei in Deutschland u. s. w. Das Tiefe und Schwierige des Verhältnisses ist aber, wie sich nun zeigen wird, dieß, daß es sich nicht um abstracte Gegensätze handelt: der plastische Styl wiederholt den Kampf mit dem ächt malerischen, dieser den Kampf mit dem plastischen innerhalb seines Bodens, und auch dieß nicht einfach, sondern im Kreise sind wieder Kreise, in einer Beziehung ist das mehr Malerische wieder plastischer, das mehr Plastische wieder malerischer, als dort das Plastische, hier das Malerische, wie es eine andere Schule, Nationalität, ein anderer Meister vertritt. Hiemit ist schon gesagt, daß die Geschichte der Malerei ungleich reicher, in vielfacher Verästung fruchtbarer und dauernder sein muß, als die der Bildnerkunst. Das liegt nun zugleich wesentlich im engeren Anschluß an die unerschöpflich fließenden Schätze des Lebens, denn dem naturtreuen und individualisirenden Style, wie er nun zum Rechte gekommen ist, öffnet sich immer neu die unendliche Fundgrube der Wirk- lichkeit, weil er nicht wählerisch eine zweite, in reiner Schönheit der Einzelgestalt glänzende Welt in Anspruch nimmt. Durch diese Bemerkung sind wir zu der andern Seite herübergetreten: vom Style zum Stoff. Es ist die ursprüngliche Stoffwelt, an welche die Malerei, wie wir mehrfach gesehen haben, gewiesen ist, in deren Bedingungen sie selbst da, wo sie noch in der zweiten, mythischen verweilt, ihren Gegenstand hineinzieht, aus welcher sie denn auch, wie Antäus aus der Mutter Erde, die neue Kraft saugt, wenn ihr mythischer Lebenslauf im Welken ist. Die Geschichte des Styls steht in der tiefsten Beziehung zur Geschichte der Stoffwahl. In der Geschichte der Sculptur kommt gleichzeitig mit dem mehr natu- ralisirenden und individualisirenden Style immer mehr das Sittenbild und der rein geschichtliche Stoff in Aufnahme und beides ist hier ein Zeichen, nicht eben des Todes, aber eines Fortlebens, das die Blüthe überlebt In der Geschichte der Malerei wird uns zweimal diese Erscheinung be- gegnen: am Ausgange der antiken und am Ausgange der mittelalterlichen Kunst, aber wenn dort die wachsende Liebe zu den Stoffen der realen Welt ohne Mythus anzeigt, daß ein Ideal, das wesentlich Götterbildend war, und mit ihm freilich auch die besondere Kunstform, die eigentlich auf ein anderes Ideal führt, in der Auflösung begriffen ist, so ist sie hier ebensosehr Anfang einer neuen, als Ende einer alten Blüthe. Dieß ist bereits im Schluß d. Anm. zu §. 531 berührt. Es verhält sich also mit den Stoffen, wie mit den Stylen: wer das Aufkommen der sog. welt- lichen Stoffe beklagt, der muß auch den Sieg des ächt malerischen Styls als Ausdruck des Verfalls beurtheilen, wer dagegen dort naturgemäße Entwicklung sieht, der findet auch hier nichts Anderes, als eine Erhebung der Malerei zu der Form, die ihrem eigentsten Wesen entspricht. α . Die Malerei des Alterthums. §. 716. 1. Nachdem der Orient auf der unreifen Vorstufe der nur mit einfacher Farbe ausgefüllten, das Aeußerliche menschlicher Formen, Zustände und Thätig- keiten zwar scharf charakterisirenden, Umrisse-Zeichnung ohne Kenntniß der 2. Perspective stehen geblieben war, entwickelte sich bei den Griechen die Malerei zur höchsten Vollkommenheit, welche innerhalb eines Standpuncts mög- lich ist, auf welchem der plastische Geist in dem ausschließend engen Sinne als bestimmendes Prinzip herrscht, daß die Farbengebung nur der Schönheit der Form dient. In diese Grenze eingeschlossen tritt zwar auch hier zugleich mit dem Unterschiede der Entwicklungsstufen des Styls (§. 531) eine relativ mehr malerische nach einer großartig plastischen Richtung auf und mit ihr gelangen, insbesondere nach der Verpflanzung der griechischen Kunst in das römische Reich, in naturgemäßem Kreislauf mehr und mehr die rein auf die ursprüng- liche Stoffwelt gegründeten Zweige zum Anbau; aber diese Wendung ist hier Ausdruck des beginnenden Verfalls. 1. Das Wesentliche der orientalischen Malerei ist in Anm. 1 zu §. 649 bereits bezeichnet und bedarf für unseren Zweck nur noch weniger Erläuterung, wobei wir uns an die ägyptische Malerei halten, denn sie ist die ausgebildetste und bekannteste. Wir wiederholen nicht, wie der symbolische Standpunct mit seinen Fratzenbildungen und die strenge Herrschaft des Typus in sämmtlichen Künsten aller Entwicklung zur freieren Schönheit im Wege stehen mußte, sondern heben zunächst hervor, was diese Malerei trotz allen Mängeln wirklich leistete. Die Zeichnung zeigt denn dasselbe tiefe Verständniß der Formen und Grundverhältnisse des Körpers wie die Plastik (in Indien ist sie auch hier weicher und bewegter, in Aegypten strenger gemessen); aber auch Haltung, Gebärde, Bewegung ist fein und scharf der Natur abgelauscht und fließend wieder- gegeben; hier kommt die freie Ausdehnung über das sittenbildliche Gebiet, Landbau, Handwerk, Jagd, Schifffahrt, Spiel, Kampf u. s. w. dem übrigens gebundenen Geiste zu gute. Die Schärfe dieser Charakteristik geht weiter auch auf die Nationalphysiognomie, selbst auf die des Individuums. Allein es fehlt alle Verkürzung, alle Linearperspective, es gibt daher keine Composition, sondern nur Aufstellung der Figuren übereinander und reihen- förmig nebeneinander. Daraus folgt, daß die Figur nie von vorn, sondern nur im Profil, häufig mit dem Widerspruch einer von vorn gesehenen Brust, gezeigt wird. Ganz aber fehlt der geistige Ausdruck, es ist seelen- los chronikalische Abschrift des Lebens (vergl. §. 637 Anm.). Diese tiefen Mängel sind die nothwendige Folge davon, daß die Farbengebung und selbst die Modellirung der einzelnen Gestalt innerhalb der Umrisse ganz unentwickelt ist, daß der Umriß und mit ihm die Fläche, auf welcher er gezogen wird, positiv in Geltung bleibt und nur mit einfachen, durch das Feuer ihrer ungebrochenen Bestimmtheit das kindliche Auge erfreuenden Farben ausgefüllt wird. Es ist die reine Kinderstufe der Malerei. 2. Das griechische Ideal haben wir als ein so durch und durch plastisch auffassendes erkannt, daß jedes weitere Wort darüber, wie auf diesem Standpuncte die Malerei ihr spezifisches Wesen nicht entfalten kann, eitel Wiederholung wäre. Das Bestimmende ist vielmehr auch auf dem Boden der Malerei der plastische Geist und zwar „in dem aus- schließend engen Sinne“ u. s. w. Damit ist ausgedrückt, daß der plastische Styl der antiken Malerei mit dem plastischen Style, wie er im Mittel- alter und der neueren Zeit auf dem errungenen Boden des Malerischen selbst wieder auftritt, nichts zu schaffen hat. Es ist ein Anderes, wenn ein Stylprinzip innerhalb der Sphäre, in welcher das zur Herrschaft berufene entgegengesetzte in den wesentlichsten Grundbedingungen diese Herrschaft schon übt, mit relativer Geltung wieder auftritt, ein Anderes, wenn es vor dem Eintritte desselben dergestalt herrscht, daß jene Grund- bedingungen noch gar nicht zur Anerkennung und Ausübung gelangen. Die streng plastische Malerei der Alten steht daher ganz außerhalb des Entwicklungsgangs, der auf einem Kampfe jener beiden Style beruht, als eine Welt für sich da, die wir jedoch nachher zu diesem Entwicklungs- gang in ein tiefes, belebendes Verhältniß werden treten sehen, ohne daß hieraus ein Widerspruch mit dieser isolirten Stellung entstünde. Diese Stellung im Vorhofe der eigentlichen Geschichte der Malerei, dieses Sonderleben in einer Luft, die eigentlich dem spezifisch Malerischen fremd ist, hinderte nicht, daß die Pflanze auf solchem Boden zu einer hohen Ausbildung und Schönheit gelangte. Das Leben ist nicht so arm und abstract, daß es ein Gewächs nicht an fremde Bedingungen anschmiegen und zu einer eigenthümlichen Vollkommenheit entfalten könnte. — Die plastische Bestimmtheit der griechischen Malerei offenbart sich nun darin, daß die Zeichnung das Herrschende ist: natürlich nicht mehr in dem Sinne, wie bei den Orientalen, daß sie als technisches Moment die andern Momente des Verfahrens nicht zur Ausbildung gelangen läßt, sondern, daß einzig die Schönheit , wie die Zeichnung sie herstellt, d. h. die Schönheit der festen Form und der Welle der Bewegung gesucht wird und die Farbe sie nur unterstützt. Die einzelne Gestalt ist hier schön wie in der Bildnerkunst; Alles, was plastisch ist, wird mit staunenswerthem Schönheitssinn entwickelt: das reizend Hingegossene und doch Gemessene jeder Stellung und Lage, der edel nachläßige Schwung der Körper, der reine Fluß der Falten. Daß der Maler in der Kühnheit der Bewegungen, Tanz, Schweben, Flug über die eigentliche Sculptur weit hinausgeht, widerspricht natürlich diesem sculptorischen Geiste nicht. Die Modellirung bleibt daher nicht unausgebildet wie in Aegypten, sondern gedeiht zur größten Vollkommenheit; die Farbe aber, obwohl sie die Marmorkälte der Form mit dem fluthenden Geheimnisse ihres auf die Oberfläche wirkenden warmen Innenlebens übergießt, obwohl sie darüber sogar hinausgeht, die Reize der einfacheren physikalischen Accorde mit sicherem Gefühl erkennt und so ihren Zauber mit der Welt seiner zarten Berechnungen nach diesem allgemeinen Gesetze der Farbenharmonie auch für sich spielen läßt, ist doch keineswegs zu der Tiefe fortgebildet, daß sie die Form zum bloßen Moment herabsetzte. Die Form trägt die Farbe, nicht die Farbe die Form. Ferne von jener Verarbeitung, welche der vollen Vertiefung der Physiognomik und der unendlichen Mischung der Temperamente, Stimmun- gen ihren ganzen Ausdruck gibt, bleibt insbesondere das Incarnet, obwohl es über einen Umkreis von Unterschieden gebietet, einfach, kindlich blühend. Die weiteren Mängel des Colorits ergeben sich, wenn man den beschränkenden Einfluß des plastischen Prinzips auf die Composition in’s Auge faßt. Diese ist relief-artig: sie verwickelt die Figuren so wenig, als möglich, damit sie sich nicht störend decken, nicht einmal beschatten, sie stellt sie auf einen wenig vertieften Plan. Die Linerarperspective fehlt nicht, kühne Verkürzungen erwerben sich Ruhm, allein in größerer Anwendung kann sie sich bei der Herrschaft jenes Prinzips nicht ausbilden; Composi- tionen von reicherer Verwicklung und einiger Tiefe des Grundes, wie die Schlacht bei Issus, dürfen gewiß als selten auch in der späteren Zeit angesehen werden. Es fällt also die Poesie der Ferne, es fällt das Ahnungsvolle des Zugs in die Tiefe weg, hiemit der volle Zauber des Helldunkels und der Luftperspective. Ein gleichmäßig ergossenes Licht rückt Alles in vertraute, klare, sonnige Nähe, die Gestalten sind nicht umspielt von den tieferen und feineren Verhältnissen, Durchkreuzungen von Licht und Farbe, nicht getaucht in die geheimnißvolle Welt jener reichen Ver- mittlungen und Brechungen einer geistig verkochten Farbenwelt; das Dunkel überhaupt hat seine Rolle noch nicht angetreten als der unendliche Schooß, worein die Strahlen des farbigen Lichtes schießen und worin ihre erste Einfachheit in ein neues, reflectirteres Leben übergeht. Dieß führt denn auf die Behandlung des geistigen Ausdrucks der Figur zurück: an das blicklose Statuen-Auge gewöhnt, wird man hier durch ein glühendes Herausleuchten inneren Seelenlebens überrascht, das selbst bis zu so ge- gemischten Empfindungen wie der Kampf einer Medea fortschreitet, welche, die Hand am Schwert, zwischen Rachegeist und Mutterliebe noch getheilt erscheint: zugleich ein ächtes Beispiel dramatischer Spannung. Und doch fehlt der Ausdruck jener vertieften Resonanz im Innern, der im Wesen und Geiste der Malerei liegt; er muß fehlen, weil jene Welt der Inner- lichkeit nicht entwickelt ist, auf welcher er ruht (vergl. §. 682). Ebendarum kann auch die Eigenheit des Individuums nicht bis zu der Spitze geführt sein, welche das generelle Maaß der Plastik in eine unendliche Welt selbständiger Charakter-Monaden theilt. Demungeachtet legt die griechische Malerei einen Kreislauf zurück, welcher dieselben organischen Stufen nach Styl und Stoff darstellt, die wir in der ersten großen Periode der neueren Malerei bis zum Schlusse des Mittelalters finden. Zugleich begegnen wir im Wesentlichen den großen Hauptformen der Styl-Entwicklung, die in §. 531 aufgestellt und in der Geschichte der Plastik (§. 640 ff.) nachgewiesen sind. Auf den alterthümlich strengen und harten folgt auch hier der hohe oder erhaben schöne Styl, ihn vertritt die attische Schule, an ihrer Spitze Polygnot, der „Ethographos“, der nur die großen, würdigen Stoffe der ernsten Götterwelt und Heldensage behandelt. Der anmuthige, reizende, rührende Styl, wie ihn darauf die jonische Schule, Zeuxis, Parrhasius, Timanthes ausbildet, entspricht der Wendung der Plastik, die in Skopas und Praxi- teles sich darstellt. Dieser Styl ist aber zugleich ein wesentlicher Fort- schritt im spezifisch Malerischen und hier drängt sich denn die interessante Beobachtung auf, daß die alte Malerei, so streng plastisch sie auch ist, doch in ihrem Gange selbst auch den Gegensatz der zwei Style, freilich in schattenhafter Zartheit, kennt und ihn successiv ausbildet. Apollodorus hatte in der Schattengebung vorgearbeitet; die Modellirung versteht jetzt den Schein völliger Rundung zu geben, das Colorit erfüllt sich mit den Unterschieden der Töne und Uebergänge, der Gesichtsausdruck belebt sich, es wird Illusion erzielt. Die Stoffe sind noch Mythus und Heldensage, aber in jenem Gebiete wirft sich der Zug nach Anmuth auf das weibliche Ideal, in diesem die subjectiver bewegte, Erschütterung suchende Stimmung auf die tragischen Momente. Dieser Styl nun erreicht eine weitere Fortbil- dung durch die Sikyonische Schule, die dem entspricht, was in der Bildner- kunst die Lysippische war, aber mit dem Unterschiede, daß, wenn dort die Sculptur an einer zweideutigen Gränze angekommen ist (vergl. §. 641 Vischer ’s Aesthetik. 3. Band. 46 Anm.), hier ein letzter, voller Schritt in der Entwicklung des innersten Wesens der Malerei geschieht, der ein Anfang neuer Blüthe sein müßte, wenn die ganze Kunst in diesem Ideal einen Boden hätte, worin sie volle Wurzeln zu treiben vermöchte. Von Eupompos vorbereitet, von Apelles zu ihrer Höhe geführt, geht diese Schule noch weiter in der Ausbildung des Colorits und Ausdrucks, kühne Verkürzungen zeigen eine Verstärkung des Strebens zu Erweiterung der Tiefe, das schon in der jonischen Schule eingetreten, größere Gruppen haben nun Raum, sich auszubreiten, und eben mit dem erwachenden Zug in die Tiefe steht die Steigerung des Colorits bis zur Nachahmung von Blitz und Gewitter im innigsten Zu- sammenhang. Die Anwendung der Enkaustik liefert diesem Streben zum volleren, realen Scheine das entsprechende Mittel. Doch darf man nimmermehr an moderne Vertiefung der Pläne und Durchgeistigung der Farbe denken. Dieser neue Fortschritt ruht auf wissenschaftlichem Be- wußtsein; die Malerei gibt sich theoretische Rechenschaft von ihren Ge- setzen, wie später in Italien durch Leonardo da Vinci. Damit hängt nun eine wichtige neue Wendung in den Stoffen zusammen. Die mythischen und heroischen werden nicht aufgegeben, aber neben der ernsten Behand- lung derselben kommt die komische, travestirende auf — ein Ausdruck der Auflösung dieses Ideals wie die Komödie vergl. §. 441 — und zugleich wird die ursprüngliche Stoffwelt in Thierstück, Genre, Bildniß, Geschichte ergriffen. Jenes große Mosaik der Alexanderschlacht in Pompeji ist ohne Zweifel Wiederholung eines Originals aus dieser Zeit. Nach Alexander dem Großen wird das Komische und das Sittenbildliche immer beliebter, die Barbierstuben, Schusterbuden, die Stillleben, die Blumen-, Früchte- Stücke, die phantastischen Decorations-Motive und Arabesken. Nur ist Alles noch von mythischem Faden durchzogen, Genien verkaufen die Schuhe u. s. w., auch darf man nicht an eine intensiv ästhetische Behandlung denken, welche gemüthlichen Sinn und belauschte Lebenstiefe in diese Dinge legte. Nach Rom übergesiedelt findet die Malerei in dem Naturell des herrschenden Volks mehr Sinn und Talent, als die Plastik. Das Tragische wird nicht ohne Erfolg auf’s Neue angebaut, aber Scherz, Sittenbild, Porträt, kleine Thierstücke u. dgl. bleiben die Hauptsache; dieß entspricht auch dem stärkern Zuge des römischen Charakters zur Aufnahme der ur- sprünglichen Stoffwelt (vergl. §. 445). Ein spielender, von dem, was die neuere Zeit unter dieser Gattung versteht, weit entfernter Ansatz zur Landschaftmalerei tritt (namentlich durch Ludius) unter starkem Wider- spruche der Kunstrichter als neuer Zweig hinzu. Unaufhaltsam aber dringt der Verfall, der schon in Griechenland nach Alexander eingerissen, vor- wärts; rohe Styllosigkeit, Luxusdienst, überhand nehmende Pornographie, Schnellmalerei sind Symptome der nahen Auflösung. Es bestätigt sich nun, was wir schon zu §. 715 vorausgeschickt haben: was in einer Malerei, deren Leben und Dauer in dem Kunst-Ideale, dem sie angehört, ursprünglich und organisch begründet ist, als Anfang neuen Lebens er- scheint, das ist hier das Ende. Die alte Kunst kann das volle Maaß des mythenlosen Naturalismus und Individualismus nicht ertragen, das die Malerei ihrem Geiste nach fordert; was diesem entspricht, widerspricht dem Ganzen des Kunstlebens, worin hier die Malerei wie eine fremde Pflanze mit schönen und doch nur halb durchgohrenen Früchten dasteht. §. 717. Die Kunst des antiken Ideals als des elassischen (vergl. §. 438) hat aber auch in der Malerei die Bedeutung, eine bleibende Vorlage und Bil- dungsquelle für das Formgefühl der neueren Völker zu sein. Daß sie diesen zunächst im Zustande des Verfalls überliefert wurde, war jedoch günstig für die Lösung der Aufgabe, einen neuen Geist in ihre Formen zu gießen. Die antike Malerei steht der neueren, wie gezeigt, als eine Welt für sich, getrennt durch die Kluft der Zeiten, entnommen dem Zusammenhang ihrer Entwicklung gegenüber. Allein dieß ist nicht das einzige Verhältniß. Alle antike Kunst hat die bleibende Bedeutung des reinen Musters. Einer falschen Deutung dieses Begriffs ist in §. 438 durch die Bestimmung vorgebeugt: es müsse zwar auch ein Ideal geben können, worin das Verhältniß des Gehalts zur Gestalt ein ganz anderes sei, aber auch für die Vollendung eines solchen werde die völlige Lösung der zwar einfachern Aufgabe der griechischen Phantasie, worin es keinen Bruch des Geistes mit der Natur gab, musterhaft bleiben. Aus verklärter Ferne leuchtet die classische Kunst in dieser ewigen Bedeutung zu uns herüber. Für die gesammte neuere Malerei ist allerdings genauer betrachtet nicht die antike Malerei selbst, sondern die Plastik die Quelle, woraus sie in immer erneuten Zügen das reinere Formgefühl trinken soll, denn von den Schätzen der alten Malerei hat uns erst spät und nur annähernd die Aufgrabung der vom Vesuv verschütteten Städte ein Bild gegeben. Dieß macht jedoch für die mustergebende Einwirkung im Ganzen und Großen keinen Unterschied, weil ja die alte Malerei selbst eine von pla- stischem Geiste durchdrungene war. Es ist aber hievon eine unmittel- bare Einwirkung zu unterscheiden, nämlich die auf das christliche Alterthum. Diesem lag die alte Kunst auch speziell als Malerei noch in unmittelbarer Anschauung vor; das classisch Vollkommene aber, was noch bestand, konnte keinen mustergebenden Einfluß äußern, weil die wirkliche Kunst-Uebung der damaligen Gegenwart, mitten unter diesen Schätzen erblindet für ihre 46* Schönheit, im tiefen Verfall nur kümmerliche Reste des antiken Formsinns bewahrte. Dieser Zustand bildete den Faden, der von der alten Kunst direct zu der neueren herüberführte, und der §. sagt, daß das gut war, weil die antike Kunst in ihrer Vollkommenheit den zarten Keim des neuen Lebens, das in diese Formen eine andere Seele eingießen sollte, durch die zwingende Macht ihres idealen Glanzes erdrückt hätte. Dieß lautet noch ungenau: die Formen selbst mußten verändert werden und doch mußte etwas von ihnen bleiben. Nur der allgemeine Geist und Hauch ihres Adels sollte in freier Weise herüberfließen in eine anders ge- stimmte Phantasie, so daß diese, was dem neuen Systeme des Ausdrucks, der Haltung und Bewegung, das die christliche Geisteswelt forderte, nicht entsprach, ausstoßen und was ihm entsprach, selbständig wenden und um- bilden konnte. β . Die Malerei des Mittelalters, ihre Blüthe und Nachblüthe . §. 718. Die Vergleichung des Wesens der Malerei mit den Grundzügen der romantischen Phantasie (§. 447—458) ergibt, daß diese in der bildenden Kunst wesentlich malerisch war. Dennoch lassen zwei Hindernisse, die neue My- thenbildung und der Geist ascetisch weltloser Innerlichkeit, deren ersteres das letztere überdauert, nicht zu, daß dieses Ideal die ganze Tiefe und den ganzen Umfang einer ihm übrigens so homogenen Kunst erschöpfe. Wir müssen für die Geschichte der Malerei die Periode des Mittel- alters theilweise länger ziehen, als dieß in der Geschichte der Phantasie geschehen ist. Der Verlauf unserer Darstellung wird dieß begründen; die Ueberschrift zeigt es an durch den Zusatz: Nachblüthe, der §. durch den Satz, daß der Mythus den Stylmangel überdauert habe. — Wie wir in der Lehre von der Sculptur überall das Wesen dieser Kunst mit einem bestimmten geschichtlichen Ideale, dem classischen, zusammenfallen sahen, so ist es auch in der Lehre von der Malerei schwer zu vermeiden, daß nicht in der Erörterung ihres Wesens bereits die Schilderung eines bestimmten Ideals, mit welchem dasselbe ebenso innig zusammenfällt, des romantischen nämlich, hier aber zugleich auch des modernen, hervorbreche. Man vergleiche nur mit der Lehre vom Wesen der Malerei die Dar- stellung zunächst des mittelalterlichen Ideals in den angeführten §§.: es setzt dem nicht aufgegebenen Mythus ein neues Herz ein, die Gefühls- welt der innern Unendlichkeit, es schließt die Schätze des subjectiven Le- bens auf, es gibt der Individualität ihre Geltung, es bedingt den Ueber- schuß des Ausdrucks über die Form, es behandelt diese physiognomisch, es hebt das Gesetz, daß die einzelne Gestalt schön sein müsse, auf und führt das andere in’s Leben, wonach die Schönheit aus der bewegten Ge- sammtwirkung, welche die Härten der Erscheinung als berechtigt setzt, sich erzeugt, es entbindet das Häßliche und löst es erhaben oder komisch auf und endlich, was die Hauptsache ist: es legt sich in die empfindende Phantasie und taucht in ihr Element auch die bildende, woraus denn eben der besondere Beruf dieser Weltanschauung für die Malerei hervor- vorgeht. Allein ebensowahr ist es, daß der innere Widerspruch im Geiste des Mittelalters, durch den es den neuen Inhalt, die große Wahrheit der Immanenz, wieder in ein mythisches Jenseits hinauswirft (§. 447—450), daß die Beschränkung des Interesses auf die innerlichste Angelegenheit des einzelnen Menschen, die Welt- und Geschichtlosigkeit (§. 452), daß die Negativität des ascetischen Standpuncts, die einen ganz andern Bruch der schönen Form begründet, als den die Malerei in rein ästhetischem Sinne fordert (§. 456), die volle Ausbildung der Malerei nach ihrem spezifischen Wesen wieder zurückhält. Daher entsteht die Schwierigkeit, ob der Zeitmoment, wo diese Schranken sich lüften, als Ausgang des Mittelalters oder als Aufgang des modernen Ideals hinzustellen sei. Doch das Festhalten des Mythus trotz der Lösung aller übrigen Fesseln entscheidet für das Erstere. §. 719. Nachdem die letzten Reste jenes der altchristlichen Kunst überlieferten antiken Erbes (§. 717) durch die byzantinische Malerei in erstarrter Form gerettet worden und die neue Stoffwelt in ihren allgemeinen Linien entworfen ist, beginnt die Durchdringung dieses todtenhaft objectiven Styls mit dem neuen geistigen Leben, welche im Gegensatze gegen den entsprechenden Schritt in der antiken Kunst zuerst den Ausdruck der Gesichtszüge beseelt. Die Vorstufe umfaßt das Altchristliche , sonst auch das Spätrö- mische genannt, und das Byzantinische . Jenes bezeichnet der §. nach der Stylform mit dem Ausdruck: „die letzten Reste jenes antiken Erbes“. Der Umfang unserer Aufgabe beschränkt uns auf wenige kurze Bemer- kungen über beide Zeitabschnitte. Nach Ueberwindung des rigoristischen Abscheus vor aller Kunst als heidnischem Götzen- und Wollust-Dienste sehen wir bekanntlich die ersten schüchternen Darstellungen besonders in den Katakomben auftreten, sich vervielfältigen, dann, nachdem das Chri- stenthum zur Staatsreligion erhoben ist, steigt auch die Malerei an das Licht und schmückt Grab- und Tauf-Capellen, Basiliken, auch Paläste, namentlich mit Mosaiken. Im Style, welcher in Gestalt, Gewand, Be- wegung, auch räumlicher Anordnung und Ornament die künstlerischen Formen der antiken Malerei in jenem Zustande des Verfalls zeigt, treten allerdings Unterschiede hervor: neben dem schwungvolleren und lebendi- geren Zuge der von antikem Gefühle noch sichtbarer geleiteten Hand sieht man eine rohere, härtere Manier, die sich an die schlechtesten Formen der Verfallszeit anschließt und sie mehr und mehr, namentlich in den steifen, schweren Gewändern, zu bewegungsloser Starrheit zusammenzieht. Noch ist von der neuen Seele, die sich in diese Formen legen soll, nichts wahr- zunehmen, als ein ganz ferner Anklang von Gemüth und Innigkeit, dann eine Haltung feierlichen, großartigen, streng objectiven Ernstes, jener in der freundlichen Neigung Christi zum verlorenen Lamm, den Agapen u. A., dieser besonders in den großen Tribunenbildern der Basiliken. Vom sechsten Jahrhundert an, in der Zerrüttung Italiens, verwildert selbst der schwache Rest classischen Formgefühls noch mehr und sinkt endlich auf die Kinder- stufe des Orients, die dicken Umrisse mit greller Farben-Ausfüllung, ja noch tiefer herab, da in den plumpen Figuren selbst jedes Verständniß der Form verschwindet. Dem Stoffe nach beginnt diese altchristliche Kunst mit jenen Sinnbildern, die schon in §. 460, 2. erwähnt sind; Christus selbst, Scenen des A. u. N. Testaments treten nicht in der Absicht eigentlicher, sondern parabolischer, vorbildlicher Bedeutung auf. Doch später und vornämlich seit der öffentlichen Anerkennung des Christenthums dringt auch die eigentliche Darstellung ein, es werden die Motive der Gestal- tenbildung, Handlung, Composition, welche in der Geschichte Jesu und der ältesten Gemeinde liegen, benützt und angebaut: wir sehen den Er- löser lehrend, heilend, seine Taufe, seinen Einzug in Jerusalem, die Lie- besmahle der ersten Christen; auch Maria tritt bereits als wesentliche Gestalt in den Kreis des christlichen Ideals ein. Selbst der Drang der Malerei zum Individuellen und rein Geschichtlichen dringt vereinzelt schon zu Tage: in dem traditionell sich feststellenden porträtartigen Typus Christi, der Apostel Petrus und Paulus, in einzelnen profangeschichtlichen und kirchlich ceremoniellen Darstellungen, worin Personen in eigentlichem Bildniß auftreten. Der byzantinische Styl rettet die dürftigen Reste des classischen Formgefühls, die im oströmischen Reiche nie bis zu dem Grade verwil- dert waren, wie im weströmischen. Es ist eine Einpuppung auf lange Zeit, denn er dauert und herrscht vom siebenten Jahrhundert bis hinein in’s dreizehnte; ein Winterschlaf, eine Versteinerung, welche vom Athem eines neuen Lebens erst wieder erweicht werden, die Einbalsamirung eines Leich- nams, der wieder erweckt werden soll. Der Name des Mumienhaften für diese hageren, ascetischen Figuren mit den grämlich greisenhaften Ge- sichtszügen, den gespenstisch großen Augen und schmalen, dünnen Nasen, dem noch antik motivirten, aber spitz gebrochenen Gefälte, der starren Bewegungslosigkeit und steifen, mühsamen Bewegung ist der passendste und hat sich als stehende Bezeichnung eingebürgert. Neben den fühlbaren Reminiscenzen der Form ist auch die Farbengebung an dieser eingefror- nen Gestalt doch nie so tief gesunken, wie zuletzt in Italien, zwischen den sichtbaren Umrißlinien finden sich, wiewohl in den Uebergängen scharf abgeschnitten, doch noch Schatten und Mitteltöne. Die Ausbildung der Stoffwelt kommt nicht völlig in’s Stocken; zu dem Anbau, den die Gründungsgeschichte des Christenthums schon im althristlichen Style ge- funden, tritt ein neuer Kreis, den die jugendlich hoffnungsfreudige Kirche vermieden hat: das Leiden Christi, insbesondere das Bild des Gekreuzig- ten, auch das Leiden der Märtyrer, der Heiligen. Daneben ziehen sich profangeschichtliche Darstellungen, Ceremonienscenen, Schlachten, Jagden hin: ein fortdauernder Ausdruck jener ununterdrückbaren Tendenz der Malerei zum Realen. Die Composition geht häufig in’s Figurenreiche, doch in architektonisch symmetrischer Art; in einem Aufflackern lebendigerer Bewegung zeigt sich hier und da stärkeres Nachwirken antiken Gefühls. Mechanisch in unendlichen Copien vervielfältigten sich die einmal gefundenen, dann typisch festgesetzten Compositionen. Es ist die despotische Ruhe und Stabilität des Orients, die über dieser eingeschlummerten Gestaltenwelt brütet. Diese altchristliche und byzantinische Kunstweise bildet denn die große Thesis, den Vordersatz für alle weitere Entwicklung, oder richtiger, die ächt antike Kunst gewinnt durch sie jene Bedeutung einer Vorlage für die christliche, die schon in §. 717 ausgesprochen ist, freilich nur einer ersten Vorlage, welcher in später Zukunft eine ganz andere Art mustergebender Einwirkung folgen soll, weil es eben jene verhärtete Gestalt ist, in der sie sich in den Anfang der letzteren hereinschiebt. In Rücksicht auf diese Ver- härtung, zugleich aber insbesondere auf die Feierlichkeit der großen Haupt- bilder, die auch in der byzantischen Malerei beibehalten werden, können wir diese Epoche als die des strengen und harten , im engeren Sinn objectiven Styls bezeichnen. — Dem Entwicklungsgange der Erwär- mung und Beseelung dieser abgestorbenen Formenwelt schicken wir nun die Bemerkung voran, die schon W. Schlegel (Ueber d. Verh. d. schönen Kunst z. Natur. Werke B. 9 S. 306) gemacht hat: die antike Kunst belebt zuerst den Körper, gibt ihm Schönheit und Wahrheit der Form auf Grund einer freien Naturbeobachtung, das Angesicht bleibt noch lange typisch leblos; die neue Kunst geht von der Beobachtung der Seele aus und belebt zuerst die Gesichtszüge, während der Körper und die Gewandung noch unverstanden, steif, dürftig, roh bleibt: der schlagende geschichtliche Beweis für die Wahrheit, daß hier der Ausdruck über die Form herrscht. 1. Der italienische Styl . §. 720. Mit der ersten Beseelung jenes Typus tritt auch der Gegensatz der Stylrichtungen ein. Das italienische Volk, durch Abstammung und Wohnsitz in lebendigem Zusammenhang mit der classischen Kunst, bildet den plastisch malerischen Styl aus. Der byzantinische Styl verbreitete sich über die ganze christliche Welt, nach Italien, nach dem Norden, zu den Slaven, Walachen, Neugriechen. Wir theilen aber von hier an die Geschichte der Malerei im Mittelalter nach Nationalitäten in zwei Hälften, deren jede wir getrennt verfolgen. Dieser Nationalitäts-Unterschied ist zugleich ein Styl-Unterschied; Italien übernimmt die plastische, der germanische Norden die malerische Richtung: ein Gegensatz, der aber jetzt innerhalb des betretenen Bodens des Male- rischen auftritt. Die Italiener sind dasjenige romanische Volk, das in lebendigerem Zusammenhange mit dem antiken Kunstgefühle bleibt. Das Christenthum und das beigemischte deutsche Blut hat dem römischen Grund- stocke, der übrigens schon ursprünglich einen fernen Anklang von Roman- tischem zeigt (§. 442), den Geist der Innerlichkeit und Innigkeit geliehen, ohne den es keinen Beruf zur Ausbildung der Malerei nach ihrer wahren Bestimmung geben kann; das Blut der Ahnen, die umgebende Natur, der Adel der Gestalten, die unmittelbare Anschauung der noch erhaltenen Schätze der antiken Kunst sichert ihm aber einen unvertilgbar eigenen Schatz jenes objectiven Bildungsgeistes, jenes reinen und harmonischen Form- sinns, welcher nicht zuläßt, daß dieses Innerliche, die Quelle der über die Form hinausgreifenden Tiefe des Ausdrucks, sich bis zu dem härteren, im spezifisch malerischen Styl immer vorausgesetzten Bruch steigere, welcher vielmehr auch das vertiefte Gemüth in warmem und ebenem Fluß in die Gestalt herausführt, auch das einer neuen Welt der Unendlichkeit sich bewußte Innere mit dem Aeußern in ein unmittelbar schönes Gleichgewicht setzt. Dieß bleibt in allen den Mischungsverhältnissen der Momente, in welche wir nun diese Richtung selbst sich spalten sehen, die feste, gemein- schaftliche Grundlage. §. 721. Schon in der Epoche der ersten freien Regung des eigenen Geistes, der mit der byzantinischen Härte noch kämpft und sie allmählich überwindet, spaltet sich die plastische Gesammtrichtung der italienischen Malerei selbst in eine mehr plastische und eine mehr malerische und diese Spaltung verdoppelt sich, indem die floren- tinische Schule nach einer Seite zwar die erstere Richtung vertritt, nach der ander- aber wesentliche Momente des Malerischen ausbildet, wogegen die Schule von Siena die malerische Richtung vorherrschend nur im Sinne des tiefen Ausdrucks innerer Seelenschönheit verfolgt. Wir fassen zuerst die Bestrebungen des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts bis in den Anfang des fünfzehnten in Einer Epoche zu- sammen, in der sich die zwei Abschnitte unterscheiden, die man nach Kuglers Vorgang romanischen und germanischen Styl zu nennen pflegt. Schon in dieser Epoche entwickelt die italienische Malerei den geschilderten plastischen Formsinn, dieß zeigt der erste Blick selbst auf die Mei- ster des ersten Zeitabschnitts, des dreizehnten und beginnenden vier- zehnten Jahrhunderts, auf Cimabue und Duccio von Siena. In ihnen tritt schon ein Gefühl für den Adel der Form und Bewegung, ein schwunghaftes, gemessenes Pathos, ein Fluß in den Falten durch, der uns nicht im Zweifel läßt, daß wir es hier mit einem plastisch gestimmten südlichen Volke zu thun haben, und noch bestimmter liegt dieß nicht nur bei den Florentinern, sondern auch den sanften, innigen Sienesen vor, welche im zweiten Abschnitte dieser Epoche auftreten. Der erste Abschnitt ist der Durchbruch der aus der Knospe springenden innigen, glühenden, tiefbewegten Seele des Mittelalters durch den Panzer der todten Ob- jectivität des byzantinischen Styls, dessen Riemen und Schnallen aber noch nicht abgeschüttelt werden. Die innere Kraft wird unterstützt durch jene frühen Studien der Antike und der Natur, die Nicolaus von Pisa macht und in seiner Bildhauerschule zur Anwendung bringt. Auf den Schultern vereinzelter Vorgänger tritt dann Cimabue in Florenz, Duccio di Buoninsegna in Siena auf. Man darf jenen nicht allein nach seinen Madonnen, namentlich der berühmten in S. Maria Novella, beurtheilen, worin uns bei starren, von byzantinisch spitz gebrochenem und gestricheltem Gefälte umgebenen Formen der erste Blick der Mutterliebe, Kindeszärt- lichkeit, Engels-Andacht aus den Köpfen leuchtet; die reifere Beobachtung des Menschen, der Abstufungen des Affects, edle Zeichnung, Sinn der entsprechenden Gruppirung und Composition tritt in den Fresken der oberen Franziskus-Kirche in Assisi zu Tage. Man kann jene Wärme der Empfindung und jene erste Lebendigkeit in Auffassung des Affects malerisch nennen und so den Anfang einer doppelten Spaltung, wonach die mehr plastische Richtung nach einer Seite doch gewisse Momente des Malerischen auszubilden übernimmt, schon hier finden, doch wird dieß erst klar, nachdem der Gegensatz der sienesischen Schule bestimmter hervor- tritt; im Wesentlichen aber ist der plastische Charakter deutlich genug in Cimabue ausgesprochen namentlich in seinen ehrwürdigen, statuarisch auf- gefaßten Männergestalten, anmuthigen Genien und Arabesken. Die Schule von Siena zeigt in dem merkwürdigen Duccio während dieses Stadiums dieselbe Richtung in einer Kraft und Fülle, welche bei entsprechenden Fortschritten den Gegensatz gegen die florentinische, welchen der §. aus- spricht, nicht zugelassen hätte; denn auf der berühmten Tafel dieses Meisters sind die kleinen Compositionen aus der Leidensgeschichte durch Studium des Lebens, des Affects, der Form selbst im Nackten und der äußeren Bewegung, durch Fülle der Anordnung vielbedeutender, als die stille, liebe- volle Seele, die aus der Madonna der Vorderseite spricht, ja dedeutender, als Cimabue’s verwandte Leistungen. — Auf diese erste Stufe folgt dann die Entwicklung des Gegensatzes im zweiten Abschnitte der vorliegenden Epoche. Siena schreitet nicht auf der Bahn fort, die Duccio betreten hat; es beschränkt sich im Wesentlichen auf die Seelen-Anmuth und läßt der toscanischen Schule des Giotto die Entwicklung alles dessen, was sich vorzüglich an die Zeichnung knüpft. Hier nun aber ist sogleich einer der wichtigsten Puncte, wo es gilt, nicht abstract gegenüberzustellen, son- dern zu bedenken, daß nur das Uebergreifen der Gegensätze ineinander das wahre geschichtliche Leben ist. Giotto und seine Schule stellt sich allerdings auf den Boden der plastischen Richtung, ihr objectiver Sinn erfaßt den religiösen Stoff von der Seite der Thatsache und setzt ihn in Handlung, der verständigere, in gelöster Beweglichkeit doch kältere Geist der Florentiner legt sich vor Allem in das Formstudium und demgemäß, wie gesagt, in die Zeichnung; er geht auf den Begriff los und wird daher, wie aller plastische Styl, gedankenhaft, allegorisirt an Dante’s Hand, liebt eyklische Aufreihungen und Anordnungen, die von einer Idee be- herrscht sind. Daß dieser Styl die Naturtreue selbst auf Kosten der ästheti- schen Gesetze pflegt (wie z. B. in dem Bild Orcagna’s, das die Schauer der Vergänglichkeit an drei verwesenden Leichnamen zeigt,), können wir noch seinem denkenden, auf den Begriff der Sache streng losgehenden Wesen zuschreiben; aber ebensosehr ist solcher Naturalismus schon ein Beweis, daß das Malerische hier auch auf der Seite des plastischen Styls vertreten ist. Ungleich schlagender tritt dieß jedoch hervor in der reichen, bewegten Entfaltung der Seelenzustände, der Affecte, die sich in einer Ausbildung der Composition, deren durchdachter Linienbau freilich wieder zur plastischen Seite gehört, voll dramatischen Lebens ausbreitet, obwohl die noch sichtbare Mühe den Bewegungen etwas Hartes und Gewaltsames gibt. Malerisch sind aber auch die vielfach eingewobenen genreartigen, oft humoristischen Motive. Diese finden in der reichen Legende mit der Ironie des Naturgesetzes, die in ihren Wundern liegt, sattsame Anknüpfung, denn die mythische Stoffwelt erweitert jetzt mehr und mehr ihre Kreise. Ihre Erweiterung ist zugleich ein Herausdrängen nach der ursprünglichen Stoffwelt; dieß ist die tiefere Bedeutung solcher Einflechtungen, die sich denn auch keineswegs auf einzelne Züge be- schränken. Der Drang nach der Wirklichkeit setzt nicht nur die mythische Handlung an sich nach Kräften in lebendige Realität, sondern zieht als Zuschauer oder in näherer Betheiligung bei Ceremonienscenen Gruppen von Figuren herbei, in welchen neben dem Sittenbilde bereits auch die Ge- schichtsmalerei als schwacher Keim sichtbar ist. Wir haben diese wichtige Erscheinung von nun an im Auge zu behalten und wo sie stärker auftritt, ausdrücklich herauszustellen. Wenn nun so die plastische Richtung auch das Malerische, und zwar in reichem Maaß, in sich aufnimmt, so fehlt umgekehrt der malerischen das Plastische nicht, denn die Sienesen ziehen sich zwar jetzt meist auf die einfachen Gruppen zurück, worin das unend- liche Leben der Liebe zu seiner stillen Innigkeit sich sammelt, nicht zur bewegten Handlung sich erschließt, sie bleiben in der Zeichnung zurück, ohne die Farbe in reicherer Weise, als für den Zweck dieses Ausdrucks, zu verwenden; sie bleiben gebunden von einem Reste byzantinischer Hager- keit, während die Florentiner die typische Fessel allmählich sprengen und ihre Schranke nur da finden, wo ihr Können endet; allein in einem Ambruogio di Lorenzo bricht der Geist Duccio’s wieder durch, ja er breitet sich wie die Giottisten in handlungsreicher Freske aus und die allegorischen Figuren, die jene Darstellung des guten und schlechten Regiments im Rathhause zu Siena zusammenfassen, sind von antiker Schönheit. Doch auch die stille Seelen-Anmuth dieser Sienesen in den holden Madonnen- köpfen mit den griechischen Nasen kann man nicht im engsten malerischen Sinne eine hinter der Form tief in sich zusammengefaßte Innerlichkeit nennen; die Seele ergießt sich warm und liebevoll ohne Bruch in ihre Form. Und dieser Zug fehlt auch wieder auf florentinischer Seite einem Taddeo Gaddi und Andern nicht. §. 722. Es folgt die Stufe des Uebergangs zur höchsten Blüthe, die durch einen rührenden Rest von Gebundenheit noch von der Entfaltung der freien Schönheit zurückgehalten wird. Der Gegensatz der Style bleibt, jede der beiden Rich- tungen wächst und reift aber nicht nur an sich, sondern füllt sich auch reichlicher mit Inhalt und Form der entgegengesetzten. Die florentinische Schule, die Trägerinn des großen Fortschritts, der sich vor Allem auf die Erforschung der Natur und die eröffnete Kenntniß der Antike gründet, erfaßt insbesondere die bisher noch mangelnde Individualität. Die Zweige, die sich rein auf die Kreise der ursprünglichen Stoffwelt gründen, streben am mythischen Stoffe zum Dasein. Die Fortbildung des ächt Malerischen im Sinne der lyrischen Ge- müthstiefe hat die umbrische Schule übernommen, die nun dem innigen Ge- fühls-Ausdruck auch die volle Wärme der Farbe gibt. Das unendlich Anziehende, Liebenswürdige dieser Epoche, die das fünfzehnte Jahrhundert einnimmt und noch in das sechzehnte hineingeht, ist die Naivetät, der süße, rührende Rest von Dunkel und Unbewußtheit, der die aufschwellende Rose der Schönheit noch einhüllt, doppelt Herz- gewinnend, wenn man bedenkt, wie rasch die volle Reife überreif wird und die ganz entbundene Freiheit in Willkühr und falsche Bewußtheit übergeht. — Florenz wird nun die große Akademie, insbesondere die große Zeichenschule für die Maler Italiens. Hier, in der Stätte des Wohlstandes und der Bildung, blühen alle Künste auf, hier die Wissen- schaft, die erneute Kenntniß des Alterthums, hier lehren Griechen schon vor der Eroberung Constantinopels, gründen die Mediceer die platonische Akademie; hier ist es, wo vor das urverwandte Auge des Italieners nun in wieder erkannter Schönheit die classische Kunst tritt, wo zuerst mit vollem Bewußtsein die antike Sculptur wieder gewürdigt, studirt wird, und daher in diesem Kunstgebiet ein Ghiberti, Donatello, Luca della Robbia erstehen kann. Die Antike ist eine zweite, geläuterte Natur, sie kann irreführen, kann zum Conventionellen verleiten, wenn die Kunst nicht zugleich auf die erste, die wirkliche Natur zurückgeht, ihr ewiges, ur- sprüngliches Vorbild. Das war schon in der ersten Epoche neben den innern Schätzen der Phantasie der große Hebel der Befreiung vom Typus. Die Florentiner wenden sich nun mit unbefangenem Wahrheitsdurste zu diesem Born, insbesondere kommt das Studium der Perspective, der Anatomie auf, und was nicht in ausdrücklich wissenschaftlicher Weise geschieht, das zeigt dem Maler die aufmerksamere Praxis, wie denn der große Begründer der neuen Epoche, Masaccio , durch Auffindung der wahren Gesetze der modellirenden Wirkung des Lichts, der Verkürzung, des Faltenwurfs, der Rundung, die selbständige Ablösung der Gestalt von ihrem Grunde und dadurch er zuerst den vollen malerischen Schein erzielt. Der innere Geist aber, den dieser geniale Meister in die Anwendung der neu entdeckten Kunstgesetze legt, ist ein Geist der gehaltenen Würde, des Charakterge- wichts aus Einem Gusse, der sich doch in der ganzen Leichtigkeit und Zu- fälligkeit der Natur bewegt; er schon hat jene würdigen Männergestalten, von denen bei der Darstellung des plastisch malerischen Styls die Rede gewesen, er auch nackte Figuren in voller, reiner Welle der organischen Rundung. Von ihm an geht nun der plastische Zug, der Geist der vor- herrschenden Schönheit der Zeichnung in unverrücktem Ansteigen durch diese florentinische Schule; auch der fromme, beschauliche Fiesole lenkt nicht aus dieser Bahn, Benozzo Gozzoli legt sein ebenso mildes, doch weltlich freieres Gemüth so geöffnet und klar in dieses Medium, daß wahrhaft antik gefühlte Gestalten aus dem naiven Epos des Lebens, das er an den Schicksalen der Patriarchen entwickelt, sich wie erwärmte Statuen ablösen, der freundliche, schlicht warme Dom. Ghirlandajo ist voll reiner Gestaltenfreude, die in Figuren, Gruppen, Bewegungen, wehenden Gewändern mit classischem Hauche hervordringt, endlich aber schlägt das Bewußtsein, daß dieß Alles noch nicht genüge, in den strengen Detail- studien durch, die den Werken eines Andrea del Castagno , Ant. del Polajuolo, Verocchio jene unerquickliche Härte und Schärfe der Einzel- form ohne den harmonisch ausfüllenden und abrundenden Fluß des Lebens und der Seele geben, bis Luca Signorelli erscheint, in das schroffe Detail wieder die Welle der organischen Gesammtbewegung einführt, den Strom des Affects, der in Fra Filippo Lippi in unschöner, selbst gemeiner Form und zackiger Zeichnung unveredelt und vereinzelt durchgebrochen, in die reinere Form leitet, an Meisterschaft der Zeichnung und Verkürzung in großen Compositionen alle Früheren übertrifft und so als Vorläufer des M. Angelo dasteht. Das Studium in seiner plastischen Richtung ist und bleibt vor Allem auf das organische Gebilde der menschlichen Gestalt gerichtet. Nimmt man nun das Malerische im Sinne des Ausdrucks un- ergründlicher Gemüthstiefe, religiöser Innerlichkeit, so ist allerdings nur durch die herzliche Frömmigkeit, die Sabbathfeier und Himmelsfreude des Fiesole dafür gesorgt, daß auch dieses Moment auf der plastischen Seite vertreten sei; die bürgerliche Behaglichkeit, die offene, schalkhafte Welt- freude des Florentiners ist in dieser Zeit, da es den Menschen wohl und heimisch ward auf Erden, noch weniger, als in dem vorhergegangenen Jahrhundert, gestimmt, in den mystisch gedrängten Kern des christlichen Geistes sich zu versenken, sondern ganz darauf bedacht, den großen In- halt objectiv auszubreiten, in die Realität hinauszuführen. Faßt man aber andere Seiten des Malerischen in’s Auge, so sieht man diese heitere Kühle noch weit umfassender und voller, als zur Zeit der Schule des Giotto, mit der Wärme dieses Elements sich sättigen: Bewegtheit, Studium der Stimmungen, Affecte, Charakterformen, Handlung, das Alles ent- faltet sich nach Giotto’s Anfängen in herrlicher Fülle weiter und weiter. Der §. hebt aber Ein Moment ausdrücklich heraus: die vorhergehende Epoche hatte noch stereotype Köpfe, die Grundzüge des Affects, der allgemeineren Charaktertypen sind erkannt und wiedergegeben, aber es fehlt oder wagt sich nur in einzelnen eingemischten Porträtfiguren hervor das künstlerische Gefühl für die unendliche Eigenheit der Individualität; der Maler bildet sich für die bei allen Unterschieden gleiche Grundstimmung eine gewisse Gesichtsform, die er stehend wiederholt; nicht durchgängig gelangt die florentinische Schule jetzt dahin, die eigentliche Spitze des Malerischen im Individuellen zu erfassen, namentlich Fiesole hat noch die stereotype Physiognomie, aber die Andern führen mehr und mehr die einzelne Gestalt in die Form der porträtartigen Lebenswahrheit heraus. Das Alles setzt eine Entwicklung des Colorits voraus, welche weit über die einfache, sonnige Farbenhelle eines Giotto sich erheben mußte, und Dom. Ghirlandajo vornehmlich ist es, der bereits die feinen Wirkungen hastiger Streiflichter, einfallender Sonnenstrahlen und ahnungsvollen Hell- dunkels belauscht. Es ist nun insbesondere das Porträtartige, was uns zu einer weiteren Seite führt. Die Ausbildung desselben ist nämlich ein Hauptbeweis von der Stärke jenes Drangs, den transcendenten Stoff in die volle Realität hineinzubilden, den wir schon in der vorhergehenden Epoche gefunden haben und der sich nun in denselben merkwürdigen Erscheinun- gen, wie dort, aber in erweiterter Ausdehnung kund gibt. Das Malerische entwickelt sich denn vor Allem in dem Sinne fort, daß mit der Handlung das Umgebende zu seiner Geltung gelangt; da waren allerdings Ein- flüsse von Deutschland vorangegangen, wo das in ungetheilter Kraft wir- kende rein malerische Prinzip bereits diese Consequenz in Kraft gesetzt hatte. So wird nun die Handlung in eine Landschaft, architektonische Umgebung, inneren Wohnraum mit Geräthen gesetzt, die Thierwelt spielt umher, und das Alles ist mit einem Interesse, in einem weit über das Darstellungs-Object hinausgehenden Umfang behandelt, woraus deutlich erhellt, daß hier gewisse Zweige, die sich auf diese Seite des Stoffes gründen, an das Tageslicht ringen, aber sich nicht entbinden können, weil der mythische Stoff, der für den einzigen und absoluten gilt, ihnen nur unselbständige Anlehnung gestattet. Dieser Zug herrscht bei der Schule des Giotto mehr in Beziehung auf das menschliche Leben selbst, und auch darin bleibt die jetzige Epoche nicht zurück, sondern macht vielmehr die merkwürdigsten Fortschritte: die Haupthandlung wird so ganz in das Reale übersetzt, daß der Mythus eigentlich nur zu einem Motive wird, Anderes, rein Menschliches auszusprechen: Noa’s Erfin- dung des Weinbaues dient dazu, das Bild einer fröhlichen Weinlese, die Geburt Esau’s und Jakobs, der Maria, das Bild einer gemüthlichen Wochen- stube zu geben, u. A. Das ist Sittenbild, welches noch nicht zur selbstän- digen Geburt gelangen kann. Auch das Motiv, Zuschauer um die Hand- lung zu versammeln, kommt nun immer stärker auf und hier, in den vom Marke der Geschichte genährten Gestalten, den Kriegern, Staatsmännern, Gelehrten der Gegenwart, welche wir ohne eigentlichen Antheil beigezogen und mit der vollen Gediegenheit historischen Gefühls dargestellt sehen, ist denn noch ungleich entschiedener, als bei der Schule des Giotto, der Zug zu der rein geschichtlichen Malerei zu erkennen, der ebenfalls durch die Herrschaft des mythischen Stoffes zurückgedrängt sich nur als Anhang an diesen lagern kann. Auf der andern Seite steht denn die umbrische Schule, die in dem Wege fortgeht, auf welchem die sienesische stehen geblieben. Sie erst öffnet den ganzen Himmel trunkener Andacht, die Tiefen der Wehmuth, des unsagbaren Seelenweinens, des süßen, wundervollen Träumens, das sich in das Gnaden-Meer des Jenseits versenkt, der Entzückung verzeihen- der, ewiger Liebe; das weibliche, das Madonnen-Ideal ist ihr wahres Gebiet, ja sie hat es in seiner wahren Schöne und himmlischen Grazie erst geschaffen. In diesem Sinne des vorherrschenden Gemüths-Ausdrucks steht sie noch entschiedener im Mittelpuncte des ächt Malerischen, als die sienesische Schule, weil sie nun das Element, worin die Tiefe des Inner- lichen erst seinen vollen Ausdruck finden soll, die Farbe, zu jener Wärme fortbildet, aus welcher die mystische Gluth des Herzens hervorwallt. Allein gerade die Unendlichkeit des Innern selbst hätte sie in dieser Fülle nicht zum Ausdruck gebracht, wenn sie des Plastischen nicht mehr aufgenommen hätte, als die Sienesen. So lernt denn der große Meister des umbrischen Styls, Pietro Perugino , in Florenz Zeichnung und Composition; allein er fühlt, daß er sich nach dieser Seite wieder beschränken muß, wenn er das Ideal der Innigkeit zur Vollendung bringen will, er steht daher von den großen Compositionen so weit ab, daß er von nun an nur Scenen stiller Liebe oder stillen Schmerzes, und auch dieß nur ver- einzelt, in figurenreicheren Scenen behandelt; die einfacheren Gruppen, Madonna mit dem Kind und einigen Heiligen im Wechseltausch beseli- gender Liebe, sind sein wahres Feld; in der Zeichnung bleibt er wirklich zurück, gewisse Mängel kehren gleichmäßig wieder. Aber diese Zeichnung hat sich doch in der florentinischen Schulzeit Fluß und Adel genug an- geeignet, um, verbunden mit der mystischen Tiefe des Ausdrucks, ein Ideal zu erzeugen, das man nur mit der deutschen Malerei vergleichen darf, um zu begreifen, daß der Italiener mitten im ächt Romantischen immer noch plastisch bleibt. Denn hier wirkt die Grazie der Form auf den Ausdruck so zurück, daß das in sich concentrirte Herz als ein solches er- scheint, das doch gegen sein eigenes Sinnenleben und die Natur umher nicht in hartem Bruche zurücktritt, vielmehr als wahrhaft schöne Seele die Quelle der äußeren Grazie schon in sich, in der innern Grazie trägt. Das aber leuchtet ein, daß ein solcher Styl nicht ebenso die andern Seiten des Malerischen, insbesondere die Individualität, ausbilden kann, wie der florentinische: der einmal gefundene Typus für diese Art des Ausdrucks wiederholt sich wie ein Götter-Ideal mit geringer Mannigfaltigkeit. §. 723. 1. Am Ausgange des Mittelalters ersteht aus diesen Bedingungen eine Blüthe der Malerei, welche im freien Dienste der Religion die Stoffe der- selben zur reinen Schönheit erhebt und hiemit den Bund mit derselben, während sie ihn vollendet, im Grunde, wiewohl noch nicht in der That, löst (vergl. §. 63); nur vereinzelt wird die ursprüngliche Stoffwelt, mit erwachter Sinnenfreude der 2. classische Mythus aufgenommen. Diese Blüthe schafft einen Styl, der durch das höchste Maaß der Verschmelzung mit dem ächt Malerischen, welches inner- halb der plastischen Richtung möglich ist, in ähnlicher Weise absolut und musterhaft dasteht, wie die antike Kunst, deren innige Aneignung ihm selbst zu Grunde liegt. 1. Das dialektische Verhältniß der Geschichte der Kunst zur Geschichte der Religion ist nicht nur in §. 63, der hier als Hauptstelle angeführt ist, sondern so vielfach dargestellt, daß wir hier ganz kurz sein können. Der erste Theil behandelt es auch in §. 27, zu §. 63 wird insbesondere auf die Krit. Gänge des Verf. B. 1 S. 183—187 hingewiesen, im zweiten Theil s. §. 417. 418. 464. 466; im gegenwärtigen hat zuletzt §. 695 den Gegenstand wieder aufgenommen. Nirgends so wie in der herrlichen Erscheinung des reifen Ideals der italienischen Malerei sieht man bewährt, wie die höchste Blüthe jenes Bundes bereits seine Lockerung ist. Man kann daher auch die kirchlichen Werke der großen Meister frei bewundern, ohne irgend mit ihnen und ihrer Zeit Gemeinschaft des histori- schen Glaubens an den Stoff zu haben: dieser ist rein künstlerisches Motiv geworden. Raphaels Madonnen sind die ewig schöne reine Weiblichkeit, die keusche Mutterschaft, die Mutterliebe und alle Liebe, M. Angelo’s jüngstes Gericht ist die ewige Gerechtigkeit; von der Frage über die Existenz der Gegenstände, über die Möglichkeit der Thatsachen kann dabei völlig abstrahirt werden. Man meine aber ja nicht, wir wiederholen mit diesem Satze nur dasselbe, was in der Begriffslehre des Schönen von der ästhetischen Intresselosigkeit, der gegen die Existenz des Gegenstands gleich- gültigen reinen Formfreude gesagt ist, und wir widersprechen unserer Behauptung, daß die Stoffe der Kunst Gegenstände möglicher Erfahrung sein sollen. Man kann fordern, daß der Gegenstand nach Naturgesetzen möglich sei, ohne darum im Geringsten ein Interesse für seine wirkliche Existenz in Anspruch zu nehmen, man kann gegenüber einer gegebenen Kunst von dieser Forderung abstrahiren, ohne sie darum aufzugeben, ohne zu vergessen, daß eine Zeit, in deren Bewußtsein die transcendente, mythische Abbreviatur der Dinge nicht mehr lebt, nie dahin zurückkehren kann, den ewig wahren Inhalt, den diese Bilder bergen, wieder in sie zu legen; es ist in jener Abstraction ein unverkennbarer Vorbehalt, ein „obwohl“ ein „trotz“ (z. B. trotz der crassen Theologie im jüngsten Gerichte). Auch im Künstler kann ein Verhältniß des Gemüths, wie es einst in diesen Stoffen wurzelte und doch frei ästhetisch über ihnen schwebte, so nie wieder- kehren, es ist einzig. — Wie gewaltig nun allerdings die ursprüngliche Stoffwelt aus der Transcendenz bereits herausringt, erkennt man an jenen berühmten Schlacht-Compositionen des Leonardo da Vinci und des M. Angelo, an jenen Porträt-Gruppen in Raphaels Disputa und Vertreibung des Heliodor, wo wir die Erscheinung, die wir schon bei Giotto und den Florentinern des fünfzehnten Jahrhunderts gefunden, in der höchsten Potenz wieder auftreten sehen, noch mehr aber an der Schule von Athen, die ganz mythenlos ist. Raphael genießt nun aber auch jenen großen Vortheil, den geschlossenen Mythus der heiligen Geschichte in seine erste Oeffnung, in die Ausströmung des Geistes auf die Apostel und ersten Gemeinden verfolgen zu dürfen und somit den Boden der wirklichen Geschichte gleichsam auf seiner Schwelle, wo jener Geist schon Männerthat wird, zu betreten (vergl. §. 695, Anm. 1. ) Nach anderer Seite bewährt sich die freie Universalität und Gelöstheit des künstlerischen Geistes durch die anmuthvolle, in edlem Sinnenfeuer und in energischem Gefühl heroischer Mannesgröße erglühende Aufnahme des antiken Mythus. Wir haben diese Erscheinung in §. 703 bereits gewürdigt. 2. Entstanden ist dieser Styl neben der Fülle anderer vorbereitender Momente durch die lebendige Frucht, die nun das schon in der vorher- gehenden Epoche wieder erstandene Gefühl und Studium der Antike trägt. Er ist so eine relative Einheit des Classischen und Romantischen: eine relative, denn es bleibt noch eine schwerere Verschmelzung zu vollziehen, die nämlich, wo auch der in seine ganze Bestimmtheit verfolgte malerische Styl in diese große Schule der Form geht. So nun aber durchdrungen von der Antike hat der plastische Styl der Malerei doch zugleich des ächt Malerischen so viel, als immer in dieser Richtung möglich ist, in sich aufgenommen; wir werden dieß sogleich als Hauptmoment in Raphaels Bedeutung erkennen. Da kehrt denn in anderer Weise wieder, was von der Antike gilt: wie diese von ihrer Weltanschauung aus für die Plastik genau das mustergültig rechte, zarte Maaß des Naturtreuen und Individu- ellen in die reine Form des Schönen aufgenommen hat und daher als ewiges Muster, ewige Vorlage und Bildungsquelle dasteht, so dieser hohe Styl der italienischen Malerei, indem er die absolute Linie darstellt, bis zu welcher die plastische Richtung in dieser Kunst das ächt Malerische Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 47 in sich aufnehmen kann. Was die alte Kunst für alle Zeiten ist, das ist dieser Styl vom sechzehnten Jahrhundert an für die weitere Zukunft: ein anderer Styl, der spezifisch malerische, stets in Gefahr, das Maaß, den Adel, den festen Halt zu verlieren, hat für immer an diesem reinen und ewigen Muster hinaufzublicken und jene Stätten, wo seine reine, aus dem Herzen der Romantik getränkte Götterwelt thront, sind das Athen, wohin jeder Maler wallfahren sollte. Die neuere Zeit hat nun also zwei große Muster, die Antike und die großen Italiener. Tiefer genommen enthalten diese bereits jene in sich, stellen bereits eine angeeignete Antike dar. Der Rückgang auf die Antike selbst ist uns darum nicht erspart, wir sollen sie uns selbstthätig aneignen, aber zugleich ist es unendliche Förderung, daß wir bereits eine vollendete Form warmer und freier An- eignung vor uns haben, daß es nicht ein einfacher, sondern ein getheilter Takt ist, durch den wir auf das Alterthum zurück und von da wieder zur Gegenwart her blicken. Die weitere Geschichte wird dieß zeigen. §. 724. Diese ideale Stylbildung, auf Grundlage neuen, ernsten Naturstudiums und wissenschaftlicher Erkenntniß geschaffen von Leonardo da Vinci , theilt sich aber noch einmal, und zwar so, daß das Erhabene in der Energie der Form, der plastische Styl in gewaltig bewegter Erscheinung durch den Florentiner M. Angelo seine Höhe erreicht, wogegen Raphael vom Stadpuncte der reinen Schönheit das Ganze erfaßt, indem er mit der umbrischen Farbe und Grazie der gemüthvollen Innigkeit die florentinische Zeichnung, Composition, Fülle der Charaktere, Individualität, Handlung bis zur vollen Kraft des Erhabenen vereinigt. Alles Studium und Bewußtsein der Kunstgesetze, das in der floren- tinischen Schule sich bereits entwickelt hat, faßt sich in Leonardo da Vinci zusammen. Er ist der eigentliche Lehrmeister der Blüthezeit. Schon die vorhergehende Epoche schöpfte ihre Kraft neben der classischen Kunst aus der ewigen Quelle der Natur; Leonardo mit seinem Denkergeiste lehrt und zeigt erst gründlich, wie man schöpfen muß. Er ist aber ebensosehr schaffender Künstler, nur kein fruchtbarer; denn außer dem theoretischen Drange theilt auch die in mehr, als Einer, Kunst geniale Vielseitigkeit, die ihn wie die andern großen Meister dieser Zeit auszeichnet, seine Thätigkeit. Leonardo ist der Schöpfer des vollendeten Styls und darf als die Einheit dessen aufgefaßt werden, was sich auch auf dieser höchsten Stufe noch einmal spaltet. Denn zur florentinischen Klarheit bringt er zugleich das Gefühl der Innigkeit, das weiche Gemüth und die ent- sprechende Form der sanften Grazie; nach dieser Seite hat er in Mailand ein dem umbrischen verwandtes, nur weniger mystisches Element des Aus- drucks rührend milder, durch ein unsagbares Lächeln bezaubernder Schönheit der Seele vorgefunden, das in seiner reichen Brust den einstimmenden Klang traf und verstärkte; was die Farbe betrifft, so ist er freilich kälter, als die Umbrier, aber fein, sorgfältig und gründlicher Forscher des Hell- dunkels. Weiblich sanft in diesem Gebiete der Anmuth ist er zugleich ganz Mann. Die große Charaktergruppe, die Handlung als ein ent- brannter Kampf kriegerischer Kräfte, die tief tragische Situation ist ebensosehr sein Element, als die stille Gruppe aus dem Liebeleben der h. Familie, und zwischen den energischen Männergestalten des h. Abendmahls sehen wir das Ideal der Milde und Seelenschönheit in Christus und Johannes. Hier der Maler des intensiv geschlossenen Gemüthskerns ist er dort der Meister der reichsten Expansion. Er ist es nun aber vorzüglich, der jene Charakterschärfe in Zügen des Affects und der Individualität, welche schon seine Vorgänger in die reine Linie der Zeichnung einzuführen begannen, zu dem vollen Maaße forbildet, das der plastisch malerische Styl erträgt. Seine Caricaturen sind Zeugen davon, wie er das Charakteristische durch Ueberladung sich klar macht, um der flachen Allgemeinheit zu entgehen; das Porträt, das nun immer stärker in die Bedeutung einrückt, die wir ihm zugeschrieben, unterstützt ihn in dieser Richtung auf das Bestimmte und Individuelle. So erzeugt er eine Fülle von Charaktergestalten, die er, darin wieder ganz Florentiner, durch wunderbare Weisheit rhythmischer Composition zusammenhält. Seine Nachwirkungen in Mailand äußern sich darin, daß jener Zug süßen, weiblichen Seelenzaubers nun durch die Klarheit der reifen Zeichnung es vermag, die liebliche Dämmerung des Gemüths in den hellen Tag der Gegenwart zu stellen; wir nennen unter den Meistern dieses Styls nur den herrlichen Bernardino Luini . So sehen wir denn in diesem großen Lehrmeister der Blüthezeit vor Allem die Kraft ausgesprochen, Gegensätze zu verschmelzen. Und diese Macht der Concretion, die ein Hauptmerkmal des Genius ist, soll in noch höherer Potenz auftreten. Aber ehe dieß geschieht, wirft der Geist der Geschichte noch einmal eine einseitige Kraft wie einen mächtigen, gewal- tigen Ast aus seinem Stamme und diese Erscheinung bewirkt, daß die Krone des Baums, die folgende höchste Einheit, selbst wieder auf die eine Seite eines Gegensatzes zu fallen scheint, ja in gewissem Sinne wirklich fällt. Dieß ist das Schwierige, was die Vergleichung des M. Angelo und Raphael leicht verwirrt. In welchem Sinne M. Angelo plastischer Maler ist, haben wir zu §. 681 bereits zur Sprache gebracht. Er ist trotz der Zurückstellung des Farben-Elements, das er zwar für seinen Zweck tiefer durchbildet, als es scheint, malerisch durch seine 47* stürmische Bewegtheit, aber in besonders ausgesprochenem Sinne plastisch durch das volle Uebergewicht, das er auf die Form, recht auf die nackte Form legt. Er hat wenig Individualität, nur die allgemeineren Typen der Affecte und Charaktere nimmt er auf; er veredelt sie nicht durch plastisch schönes Profil, seine Köpfe sind bisweilen gemein. Dieß scheint wieder eine malerische Verirrung, allein was ihn vom schönen Ebenmaaß abführt, ist nicht Ueberschuß des Ausdrucks über die Form, sondern ein Ideal der Kraft , das ein Riesengeschlecht von übergewaltigen Muskeln und Knochen in den Titanenkampf mit einer göttlichen Macht führt, die nicht im linden Säuseln, sondern im Zorneseifer des auf Wetterwolken fahrenden Jehovah erscheint. Dieses Kraft-Ideal ist und bleibt aber mehr plastisch, als ächt malerisch; es ist das Erhabene im Sinne bildneri- scher Auffassung. Selten ergreift M. Angelo auch die Grazie, aber auch sie wird in seiner Hand erhaben und führt uns weibliche Gestalten vor Augen, die bei aller runderen Welle der Form doch demselben Riesen- geschlecht angehören wie seine schrecklichen Männer. Am meisten malerisch ist ein Ausdruck tiefer, divinatorischer Verzückung, den er besonders jenen Sibyllen, Propheten, Vorfahren der Maria geliehen. Dieser Zug vererbt sich vorzüglich auf einen Meister aus jener florentinischen, an die großen Vorbilder sich anschließenden Gruppe von Classikern im Sinne vollende- ter Virtuosität, denen in der durchgebildeten Beherrschung der Form öfters die Seele entschwindet, auf Fra Bartolomeo. Andrea del Sarto , bald würdig, bald bürgerlich gemüthlich, oft gewöhnlich im Aus- druck, hat doch auch häufig dieses mystische Blicken und Kreisen der in beschattete Höhle gestellten Augen. Neben diesem Maler der Erhabenheit, diesem gewaltsamen M. Angelo, steht nun die reinste Blume italienischer Malerei, Raphael , mit dem vollen Dufte der Anmuth. Diese Anmuth ist die der inneren Seelenschönheit; Raphael ist Umbrier und geht von der umbrischen Schule aus, von welcher er auch die Wärme der Farbe mitbringt. So scheint er zu stehen oder steht wirklich, was die Grundformen des Schönen an sich betrifft, auf der Seite des einfach Schönen gegenüber dem Erhabenen; was die geschicht- lichen Hauptstufen des Styls betrifft, die wir nun hier wieder aufnehmen, auf dem Boden des reizenden und rührenden Styls gegenüber dem hohen, und was die Richtungen der Malerei betrifft, auf der Linie der relativ malerischen im Gegensatze gegen die plastische. Allein Raphael ergreift von seinem Boden aus die gegenüberstehenden Formen in ganz anderer Tiefe, Fülle, Ausdehnung, als von umgekehrter Seite M. Angelo: er öffnet den geschlossenen Kern, worin der Eintritt des Göttlichen in die Welt als stilles Leben der Liebe sich zusammenhält, zur reichen Handlung, zur vollen Energie der Charaktere; starke Männerseelen in starken Körpern schreiten fort zu dem Sturm und Blitze der That, worin der Geist mit gehobenem Arme ganz als Macht wirkt, und vom Bilde des Kampfes erhebt er uns zur thronenden Majestät göttlicher Hoheit und in die reine Luft wunder- barer Begeisterung; Raphael ist nicht blos der Maler still rührender, lieblicher Madonnen, heiliger Familien, reizender Engelknaben, sondern ebensosehr mächtig bewegter Action und zugleich höchster Verherrlich- ung, visionärer Entrückung jenes in Maria und Christus persönlich beschlossenen Ideals, das er wie kein Anderer durch alle Stadien begleitet, über alles Irdische; so fällt er denn auch nicht einem hohen Style gegen- über auf die Seite des reizenden und rührenden Styls, sondern er vereinigt damit den hohen, nur daß dieser in seiner Trennung und Ausschließlich- keit durch M. Angelo allerdings eine Gewalt erreicht, die in jener Harmonie, worin das Erhabene selbst schön bleibt, nicht möglich war, die aber ein Raphael auch nicht wollen konnte. Die Einheit der Anmuth und Würde, die wir in Leonardo da Vinci fanden, ist in Raphael zu einer ganzen Welt ausgebreitet, aber die Anmuth ist in dieser Welt das Herrschende, beherrscht auch die Würde. Diese weltumfassende Weite wäre nun nicht denkbar, wenn Raphael nicht nach der spezifisch künstlerischen Seite vom umbrischen Standpunct aus die florentinische Zeichnung in ganz anderem Maaß, als sein Meister Pietro, und dazu die florentinische Composition sich angeeignet hätte. Nun aber enthielt diese Reinheit der florentinischen Formgebung bereits den angeeigneten Geist antiken Formgefühls in sich; wenn Raphael zugleich durch Anschauen der Antike selbst sich bildet, so schöpft er aus doppelter Quelle und zu diesem Schöpfen bringt er das griechische Auge bei romantischem Herzen mit. Er vorzüglich stellt also auch jene Einheit des Classischen und Romantischen (§. 723 Anm. 2 ) in sich dar und faßt den goldenen Inhalt des christlichen Geistes in die silbernen Schaalen des Alterthums; dieselbe Einheit bestimmt sich aber näher als die Einheit der florentinischen und umbrischen Schule. Raphael hat einen Zauber der Linie, eine Welle, ein Oval der Köpfe, ein Neigen, Beugen des Hauptes und Halses, eine Zeichnung der Figur, der Hand, des Beins und darin einen Ausdruck himmlischer Liebe, Reinheit des Daseins, die nur ihm eigen ist, so nicht wiederkehren kann. Mit diesem Steuer des Schönheitsgesetzes in der Hand ist er nun auch schlechthin sicher, die rechte Mittel-Linie in Einlassung der Individualität zu treffen, und wenn bisher diese Seite des Malerischen von den Florentinern kräftiger, als von den in anderer Beziehung mehr malerischen Umbriern, gepflegt war, so ist es jetzt der Eine Mann, der Umbrier, der auch hierin das Höchste erreicht und in weiterer Ausdehnung und Entwicklung dessen, was schon Leonardo da Vinci gethan, jenes in §. 723, 2. ausgesprochene absolute Maaß der Verbindung des normal Schönen mit dem Individuellen inner- halb des italienischen, plastisch-malerischen Styls hinstellt. Die wesentlich Charakterbezeichnenden, Porträt-artigen Züge des einzelnen Menschen können mit musterhafterer Aussonderung der unwesentlichen, zufälligen, die Großheit des Styles störenden Züge nicht in den Kreis des Schönen hereingezogen werden. Hierin unterstützt auch ihn das eigentliche Porträt, das er mit demselben Geiste stylisirt und doch, wie es der Zweig verlangt, in die nähere, empirische Aehnlichkeit hereinführt. Die Farbe hat er in jener Wärme der Seelengluth von seinem Meister übernommen und führt sie im Bildniß bis zur Vollendung venetianischen Colorits heraus; dieß jedoch nur im Einzelnen, denn auf diesem Punct öffnet sich ein neuer Weg, den er nach seiner Richtung nicht bleibend einschlagen konnte. §. 725. 1. Die italienische Malerei tritt mit einer bedeutenden Entwicklung noch über die Zeitgrenze des ausgehenden Mittelalters hinaus. Die Manier dringt ein, in der Nachahmung M. Angelo’s als Schwulst, mit Correggio als falsche 2. Grazie nervös erregter Empfindsamkeit. Aber neben dem Verfall entbindet sich eine neue Macht: die ächt malerische Schönheit des Helldunkels durch Cor- reggio , des zu seiner spezifischen Magie erhobenen Colorits durch die vene- tianische Schule. Doch die Consequenz des streng malerischen Prinzips des indirecten Idealismus wird hieraus nicht gezogen; auch die venetianische Schule bewahrt auf Grund der paduanischen Vorstudien den Adel der Form und bleibt bei den mythischen Stoffen, an welche sie trotz der erhöhten Gewalt, mit der es hervorbricht, auch jetzt, und zwar nur um so äußerlicher, das allgemein Menschliche und Geschichtliche knüpft. 1. Weit in das sechzehnte Jahrhundert müssen wir hier herein- rücken; wir treten auf die Brücke, die zum germanischen Stylprinzip und zu der modernen Zeit herüberführt, aber ihre Pfeiler sind, so weit wir gehen, noch vom Mittelalter und vom italienisch plastischen Geiste gebaut. Der Verfall in Manier, den wir zuerst in das Auge fassen, hat freilich in seinem innersten Wesen ächt moderne, subjective Bewußtheit, Prahlerei der Virtuosität zum Grunde, die eitel über dem ausgehöhlten Inhalte schwebt. In der Geschichte der Phantasie stellten wir diese Erscheinung in die Vorstufe des modernen Ideals (§. 473), indem wir die Rücksicht auf die darin liegende Stimmung zum Prinzip der Anordnung machten. Hier aber berücksichtigen wir zunächst mehr die Stoffe, dann eine gewisse Seite der Stylformen und ziehen daher diese geschichtliche Wendung der Kunst noch zum Mittelalter. Es besteht nämlich der Widerspruch, daß diese Bewußtheit noch in der Stoffwelt des Mittelalters sich bewegt und die veränderte, in Aufregung sentimental erzitternde und schwimmende Ge- fühlsweise eines Volkes in sie hineinlegt, das doch den ethischen, Illusion- zertrümmernden Bruch mit den Göttern der Romantik nicht zu vollziehen vermag. An M. Angelo knüpft sich die prahlerische Manier der Kraft, zugleich der kühneren Zeichnung, der Verkürzung; Correggio nimmt die letztere Seite auch in sich auf. Die wachsende Sucht der Verkürzung ist eigentlich ein Drang nach dem Malerischen, malerisch Bewegten, der in Italien auf falsche Wege geräth. Statt der Ueberkraft wirft nun aber Correggio in die unruhig umgestellten, aufgeworfenen Formen jene Auf- regung des Gefühls, die auf der sublimsten Spitze geistiger Ueberschweng- lichkeit fein und tief mit einer nervösen Wollust zusammentrifft; ein Faden, nicht gemein, zart, durchsichtig, aber fühlbar führt von dem himmlischen Jubel seiner selig lächelnden Gestalten hinüber zu seiner Leda, Jo, Danae, Darstellungen, in denen der Kitzel und die äußersten Schauer der Lust durch die vom antiken Mythus getragene reine Vollendung der Form im Grunde zu einem wahreren Ganzen werden, als die christlichen Stoffe in jener gereizten, übersinnlich sinnlichen Auffassung. 2. Das Neue, was zugleich Abschluß dieser italienischen Kunstblüthe ist und zugleich auf den Norden und auf die moderne Zeit hinüberweist, ist die besondere Ausbildung der Spitze und Summe des malerischen Verfahrens: des Colorits. Was an sich das Letzte und Höchste ist, wird auch zuletzt ausdrücklich zur Reife gebildet. Es ist die normale Natur des italienischen Kunstgeistes, daß das ganze Wesen der Malerei nach seinen Momenten sich hier organisch verläuft und abschließend hinaus- mündet nach einer anderen Stätte und Nationalität. Die Florentiner hatten Bedeutendes in der Farbe gethan, aber ihr Augenmerk war doch mehr die Zeichnung, bei den Umbriern gehört die Wärme des Colorits innerlich nothwendig zur ganzen Auffassung, doch führt sie mehr instinct- mäßig der Antrieb des Inhalts, als daß sie mit künstlerischem Willen und Bewußtsein dieß Element fortbildeten; auch genügte ihre Auffassung selbst nicht, um Alles zu entwickeln, was in der Farbe liegt, denn es ist ja nicht nur die Ausdruckstiefe, was zur Vollendung der Farbe führt und umgekehrt durch sie zu Tage tritt, sondern das Prinzip der Gegenwär- tigkeit überhaupt, der Welt als eines Ganzen, wie es in gesättigter Fülle des Inhalts aus sich und in sich leuchtet; daher ist denn die umbrische Farbe trotz ihrer Wärme doch gegenüber der feineren Aufgabe noch ein- fach und undurchgearbeitet. Correggio nun schwimmt wohl im dritten Himmel, aber das Lichtmeer von Entzückungen, in welchem hier jeder Nerv vibrirt, ergießt sich in das Erdendunkel und zaubert Helle in die äußersten Schatten, macht das scheinbar höchste Licht relativ selbst wieder zum Dunkel, indem es von einem noch höheren Licht überstrahlt wird. Aber es ist mehr Helldunkel, als Farbe; es fehlt die Sattheit, die Blutwärme, das kernhafte Fleisch, hiemit in diesem Wechselspiele des Diesseits und Jenseits die wahre Gegenwart. Die Venetianer dagegen vereinigen mit der magischen Welt der Brechungen zwischen Licht und Dunkel diese reale Fülle, geben ihr die feste Kraft der Local-Farbe mit ihren Accorden zum Gegenstand und Anhalt. Es ist wesentlich, daß die Technik der Oelmalerei hier erst in ausgedehnter, vorherrschender Weise geübt wird. Deutsche Einflüsse scheinen auch schon früher gewirkt zu haben. Erst diese volle und ganze Farbenwelt dient denn auch der vollen Lebens- stimmung, dem Geiste, dem das Leben Gegenwart ist, dem eine Welt voll Schönheit, Charakter, Lust, reichen und gebildeten Genusses zu einem Freudenfeste wird, dem die Erde in einer goldenen, aus ihrer innern Säftefülle selbst entzündeten Gluth lacht und leuchtet — „das Leben in seiner vollsten Potenz, die Verklärung des irdischen Daseins ohne Nimbus und ohne Opferblut“ (Kugler, Handb. d. Gesch. d. Malerei B. 2 S. 37). In der Farbe liegt jedoch — auch abgesehen von der Beziehung auf die Stoffwahl, auf die wir nachher näher eingehen — noch eine weitere Consequenz der Auffassung: es ist der indirecte Idealismus im Style. Diese Seite bleibt auch in Venedig noch unentwickelt. Die reiche, vor- nehme Lagunenstadt, im Vollgenusse der Schätze, der Aernte einer unter- nehmungsvollen und kämpfereichen Vergangenheit, konnte nicht in die Stimmung versetzen, das Häßliche, das Gebrochene, das Schlichte, selbst das Dürftige durch Ausdruck, Handlung, Farbe zu verklären, dem ästheti- schen Proletariate war in der Kunst der aristokratischen Republik die Thüre verschlossen. Der allgemein plastische Trieb des italienischen Geistes zeigt sich auch hier so stark, daß Adel und Schönheit der Form, der einzelnen Gestalt durchaus als Hauptgesetz waltet und die Farbe es verschmäht, an einen weniger würdigen Körper als ihren Träger sich zu heften. Die Zeichnung wird mitunter vernachläßigt, aber sie bleibt fest bei diesem Schönheitsgesetze. Die ungebrochene Schönheit der Form herrscht, obwohl in weichlicherer Weise, auch noch bei Correggio. Das ist eine Plastik, welche vor dem eigentlich modernen Eindringen des Malerischen und seiner späteren Läuterung zur reineren Form sich behauptet: dieser Classicismus gehört noch dem Abschluß des Mittelalters an und daher sind uns auch die Stylformen ein Grund, diese ganze Gruppe in der Geschichte der Malerei noch zum Mittelalter zu ziehen. Gesichert war der venetianischen Hand diese Grundlage durch jene von Squarcione in Padua gegründete Schule gründlicher Detailzeichner nach der Antike und Anatomie, die ähnlich, wie ein Castagno, Polajuolo, Verocchio in Florenz, über der Schärfe der Einzelform den harmonischen Fluß des Ganzen verloren und deren Arbeit daher ebenfalls von einer höhern Stufe zur bloßen Vorstudie herabgesetzt zu werden bestimmt war, dießmal aber nicht nur durch die harmonische Lebenswelle der vollendeten Zeichnung selbst, sondern auch durch die volle Wirkung der Farbe. Das Interessante aber ist dieß, daß die Venetianer zwar die Frucht dieser Zeichnungsstudien pflücken, dagegen eine andere Seite, nach welcher dieselben in Padua sich gelenkt hatten, nach kurzer Aufnahme völlig ausstoßen. Die Paduaner nämlich geriethen durch ihre Detailschärfe in die härteste Charakteristik, in unschönen Naturalismus, Nachahmung gemeiner, aus der Wirklichkeit wahllos aufgegriffener Charakterformen. Davon war selbst Mantegna nicht frei, der übrigens diese Verzweigung der italienischen Malerei zu einer gewissen selbständigen Blüthe, einer Art von spezifischer Seitenblüthe trieb, indem er durch vollendete Bestimmtheit der Modellirung, Perspective, Schärfe der Lichter ein bis zur völligen Illusion wahres Lebensbild hin- stellte, das zudem durch die zwar harte, aber treffende, genreartig fein be- lauschende Charakteristik merkwürdig nach dem Geiste nordischer Malerei hinüberweist. Die paduanische Herbe nun stößt, zwar nicht unmittelbar, sondern unter Rückfällen in unedlere Form, schon Giovanni Bellini aus und behält nur die Sicherheit der Hand, um sie zur harmonisch ausrun- denden, schönen Zeichnung zu verwenden. Er ist es auch, der bereits die Farbe, im Incarnat besonders, zu der Lebenswärme fortbildet, in der alle Härten sich auflösen. Uebrigens dient dieses Element auf der Ueber- gangsstufe, die der Meister des Titian einnimmt, vorherrschend noch der innigen reliösen Empfindung, nur daß diese den mystischen Dämmerungs- schleier des Pietro Perugino abgeworfen hat und taghell, klar aus den frei geöffneten Augen blickt. Diese Tageshelle hat auch der übrigens jenem umbrischen Meister so verwandte, unter Einflüssen von seiner Schule, von Pa- dua und Venedig ausgebildete Francesco Francia in sich aufgenommen. Bei dieser Verwendung des Farbenprinzips, welche übrigens schon die älteren Meister, wie namentlich Giov. Bellini selbst, auch zu classischen Stoffen, zu genre-artigen Darstellungen öffentlicher religiöser Auftritte leitet, konnten nun die großen Meister der reifen Zeit, eine Giorgione , ein Titian, Paolo Veronese nicht stehen bleiben, aber hier eben ist es, wo noch einmal und in seiner ganzen Schärfe der oft dargestellte Widerspruch zu Tage tritt: sie bewegen sich in dem größten Theil ihrer Werke noch in den christlichen Stoffen, in welchen doch ihre wahre Stärke nicht zu suchen ist, da die innere fromme Wunderwelt des roman- tischen Gemüths nicht ihr Element sein kann. Nur nach zwei Richtungen können sie ihre Größe auf diesem Gebiet entwickeln. Die eine besteht in jener rein menschlich rationellen Auffassung der mythischen Stoffe, von der wir zu §. 695 gesprochen haben. Dieß ist eine höchst interessante Seite der Venetianer, es liegt etwas vom Geiste der Reformation darin, Dürer scheint eingewirkt zu haben. Titian hat Christus mehrmals, am herrlichsten in jenem Bilde des Zinsgroschens, rein als einen Menschen hingestellt, der nur durch die höchste Wahrhaftigkeit und Lauterkeit ohne Heiligenschein ächt göttlich ist. Compositionen, wie jenes unsterbliche Werk der Grablegung, sind im Grund auch rein menschlich, die vielen Madon- nen der Schule aber nur liebende, edle Mütter, denen der Ausdruck des ahnungsvollen Gemüths fehlt, den wir bei diesem Stoffe fordern. Da- gegen wächst das christliche Ideal, und dieß ist die andere jener zwei Richtungen, insbesondere in seiner weiblichen Form unter gegebenen Be- dingungen zu der Großheit, dem hohen Pathos einer antiken Gottheit hinan, wie in Titians Himmelfahrt der Maria, in manchen Heiligen des Palma Vecchio. Nach der Antike weist nun überhaupt die festliche Sin- nenfreude, die üppige und doch geistig erhöhte, edel pathetische Weltstim- mung der Venetianer. Wir haben die Aufnahme dieses Gebiets zur Genüge besprochen und verweilen nicht weiter bei dem mit neuer Wärme durchströmten Olymp von Schönheit, der sich hier aufthut. Daß aber das eigentlich Mythische in ein willkührliches, oft dunkles Allegorisiren ausläuft, dieß ist, wo der classische Mythus doch eigentlich nicht mehr lebte, nur natürlich. Einen Theil ihrer weltlich freien Anschauung konnten die Venetianer nun wohl in diesen Rahmen stellen: die Bewun- derung der schönen Form, die Sinnenfreude überhaupt ohne bestimmteres, real bedingtes Motiv. Aber das genügte nicht. Die Wirklichkeit, worin sich wechselseitig Alles real motivirt, war durch die Vollendung der Farbe gefordert. In der ganzen Grundstimmung, woraus dieselbe hervorging, waren alle Bedingungen für die endliche Schöpfung der rein sächlichen Zweige gegeben. Landschaft, Sittenbild, Geschichte: Alles ringt noch mächtiger, als bisher, an’s Licht. Unter den drei Gattungen war aber das höhere, historische Sittenbild das eigentlich angemessene Feld. Für die Landschaft als selbständigen Zweig war es doch wirklich zu früh, die herrlichen An- fänge des Titian konnten daher nur Anfänge bleiben; für die Geschichte aber war der Geist des damaligen Venedigs immerhin zu sehr ein Geist des Genusses. Die rein geschichtlichen Bilder im Dogenpalast sind chro- nikalisch behandelt, es mangelt doch der Sinn für die wirkliche That, man zieht es vor, den Genius der Geschichte in Allegorien zu fassen, die keine Handlung fordern. Dagegen sehen wir die volle Macht des historischen Geistes im Porträt, und da doch die Stimmung nicht da ist, die unend- liche Möglichkeit der geschichtlichen That, die aus dem so behandelten Bildniß spricht, in wirklicher Gestaltung auszuwickeln, so bleibt nur übrig, diese bedeutenden Menschen im Zustand edeln Genusses unter Culturformen darzustellen, die an sich schon großen, schwungvollen, erhöhten Styl zeigen. Nun aber leidet der festgehaltene Mythus nicht, daß dieser Zweig zur reinen Existenz gelange, und so bleibt denn nur übrig, daß jener als Motiv, und zwar jetzt in einem viel loseren, dürftigeren Sinn, als früher, nämlich als bloßes Vehikel (§. 465), als Haken diene, um dieß höhere Sittenbild daran zu hängen. Zu dieser unwürdigen Stellung kommt es bei dem würdigsten Bestreben, wenn die zwei Stoffwelten den Widerspruch des gleichzeitigen Fortbestands behaupten. So muß denn eine Findung Mosis, eine Anwesenheit Christi bei dem Gastmahle des Levi, bei der Hochzeit zu Kana die Gelegenheit geben, die Pracht Venedigs, die Würde der Männer und die Schönheit der Frauen, die Pracht der Gewänder, Geräthe, Bedienung, Begleitung, Architektur in ihrem Glanz auszubreiten; nach Moses fragt man nicht, Christus selbst und sein Wunder werden kaum bemerkt. Uebrigens sind es auch die h. Familien und die sog. h. Conversationen, wo insbesondere jene herrlichen Männergestalten, die wir als Hauptstärke des italienischen Styls öfters hervorgehoben, ihre Stelle finden, und zwar schon bei den Bellini und den andern früheren Meistern. Auch diese Blüthe welkt. Von Giorgiones Goldgluth der Localfarbe ist Titian zu der feineren Welt der Uebergänge, Brechungen, Töne, Paolo Veronese zum höchsten Rhythmus eines Farbenganzen bei vollen- deter Nachbildung des Einzelnen, der Gewandstoffe u. s. w. fortgeschritten, Tintoretto zieht die Bravour M. Angelo’s in der Zeichnung zu einer durch Beleuchtungs- und Schatten-Effecte sich selbst verdunkelnden Farbenfertig- keit herbei und mit Bassano sinkt diese Kunstwelt an der Schwelle des ländlichen Sittenbildes schwunglos zu Boden. 2. Der deutsche Styl . §. 726. Die deutsche Nation übernimmt vermöge ihrer geistigen Anlage die Ausbildung des ächt malerischen Styls, löst jedoch ihre Aufgabe während dieser ganzen Periode in unvollkommener Weise, indem zwischen dem Ausdruck tiefer Innerlichkeit und der nationalen Schärfe in Auffassung der Individualität, der liebevollen Aufnahme der Umgebung eine Härte und Unbewegtheit der Form stehen bleibt, welche wesentlich als Mangel an Plastik, aber in gewissem Sinn auch als eine falsche Plastik erscheint, die der früh entwickelten Farben- schönheit nicht erlaubt, sich nach allen Beziehungen geltend zu machen. Da- her fehlt auch die Schutzwetzr gegen den Abfall aus malerisch begründetem in unästhetischen Naturalismus. Der Bildungstrieb, der sich nicht in jene Mitte zwischen Inhalt und Form zu legen vermag, wächst als phantastischer Humor und reiches Ornamentspiel aus. Wir nehmen die andern Völker diesseits der Alpen erst an den Puncten auf, wo sie für sich bedeutend werden; germanisch hätten wir zu sagen statt: deutsch, da wir in diesem Zeitraum die Niederlande mit dem eigent- lichen Deutschland zusammenfassen, aber wir vermeiden dieß, weil es in eine Verwirrung mit derselben Beziehung führen würde, wie sie für eine besondere, historische Entwicklungsstufe des Styls aufgenommen ist, und behalten dabei im Auge, daß die ursprünglich Einem Volke gehörenden Stämme früher nicht getrennt waren, wie jetzt. Wo dagegen der eine dieser Stämme wieder besondere Wege gehen wird, werden wir ihn auch durch seinen besondern Namen unterscheiden. Daß der deutsche Geist vorzüglich berufen war, das rein Malerische auszubilden, daß er aber große Lücken in der Lösung seiner Kunstaufgabe lassen mußte, ehe er das classische Formgefühl in einer Weise, wie dieß durch die Einflüsse aus dem Süden und Byzanz im früheren Mittelalter noch keineswegs möglich war, sich angeeignet hatte: dieß ist durch die §§. 354 und 463 hinreichend begründet. Der ästhetische Bruch zwischen Ausdruck und Form, der im Malerischen berechtigt, ja gefordert ist, mußte zuerst als ein Bruch auftreten, der überhaupt nicht ästhetisch ist. Der malerische Ueberschuß des Ausdrucks über die Form begründet eine gewisse Härte der letzteren, insbesondere im Sinn bedeutungsvoll unregelmäßiger Eigenheit der Individualität; aber nicht soll diese Härte das Maaß über- schreiten, das wir ihr deutlich und bestimmt gesetzt haben, und nicht soll die Härte hart dargestellt werden. Zu dieser Unterscheidung vergl. auch §. 456 und 718; der erstere spricht von der ascetischen Formhärte des Mittelalters überhaupt, der letztere von einer Ueberwindung derselben, die allerdings eintrat: das war eben bei den Italienern, aber nicht bei den Deutschen. Jene besondere Form, in welcher alle mittelalterliche Malerei als spezifisch religiöse das Gesetz des überwiegenden Ausdrucks erfüllt: die unendliche Innigkeit einer frommen Seele, mußte es vor Allem sein, was in der Auffassung, die von Hause aus streng malerisch war, sich noch mehr vertiefte, und zwar gerade durch die Wirkung eines Gegenwurfs, indem das Aeußere die schärfere Zusammenfassung der Natur und Eigen- willigkeit kund gab, welche, wenn sie überwunden werden soll, einen noch gesammelteren inneren Schatz der Liebe und Ehrfurcht voraussetzt. Dieß ist die bestimmte Art der Idealität, welche in diesem Styl als Gesetz herrscht, danach werden die Formen künstlerisch gewählt und es ist ganz unrichtig, als bezeichnendes Merkmal desselben den Naturalismus in dem tadelnden Sinne wahllosen Aufgreifens empirischer Formen hinzustellen. Hiemit haben wir bereits das andere Extrem ausgesprochen: der deutsche Styl als ächt malerischer ist unendlich individueller, als der italienische. Man bezeichnet ihn nach dieser Seite gewöhnlich als vorzugsweise national, d. h. als einen Styl, der nationale Physiognomie und Körperbildung be- sonders sichtbar und durchherrschend darstelle. Dieß ist richtig, wenn man nicht übersieht, daß auch die italienische Malerei nationale Formen gibt, aber daß diese an sich, schon als Stoff, normaler, einer allgemeinen Schönheitslinie gemäßer sind, als die deutschen, daß also das Nationale hier nur darum schärfer hervortritt, weil es individueller ist, weil die Einzelnen in dieser Nation einander weniger gleich sehen, daß hiemit ein malerischer Trieb von Seiten der Kunst mit einer gegebenen Bestimmtheit des ihr vorliegenden Menschenstoffs zusammentrifft. Wie nun die Malerei hier bis in die Spitze der Individualität heraustritt, so hat sie auch und zeigt viel früher, als in Italien, den ächt malerischen Drang, den zunächst in der Persönlichkeit zusammengefaßten Inhalt auch in die Wirklichkeit der Welt herauszuführen, die umgebende Natur, künstlichen Raum, Ge- räthe, Nebenfiguren, die eine sittenbildliche Stimmung hinzubringen, zu öffnen und zu zeigen. Sie geht hierin weit über das Maaß hinaus, die Hauptfiguren sind dadurch beengt, werden zu klein und das Zurückblei- ben im Verständniß des menschlichen Organismus hat in dieser Theilung des Interesses eine seiner Ursachen. Dieß erklärt sich aber auch hier zunächst daraus, daß jene Sphären, in welche die Figur gestellt ist, ihr Bett noch nicht in besonderen Zweigen finden können; wird in Deutsch- land das Verhältniß dieser Theile noch weit stärker verstellt, als in Ita- lien, so beweist dieß nur einen noch stärkeren Drang zur Landschaft und zum Sittenbilde; das letztere namentlich auch dadurch, daß dieser Styl nicht ruht, bis er die mythischen Stoffe ganz und gar in die Trachten und sämmtlichen Culturformen der Zeit hineingestellt hat. Noch mehr: es wird mit einer (allerdings nicht allen Schulen gemeinschaftlichen, doch keineswegs auf die flandrische beschränkten) Ausführlichkeit in das Einzelne gegangen, die auch für Landschaft und Sittenbild, gewisse Formen des letztern ausgenommen, viel zu mikroskopisch ist. Auch hier darf man nicht an bloße Abschrift des Wirklichen, an ein extremes Gegentheil von soge- nanntem Idealismus denken, vielmehr der staunenswerthe Fleiß dieses Eindringens ist Ausdruck derselben Innigkeit, welche die Wundertiefen des Gemüths aufdeckt: es ist jener ausgegossene Geist (§. 653), der auch das Müschelchen am Ufer und den Käfer und Grashalm mit der Sonne seiner Liebe bescheint und verklärt, aber das Verhältniß der Theile in einer Composition noch nicht abzuwägen weiß. Nun aber fehlt zwischen den beiden Extremen: jener Innerlichkeit und dieser Schärfe der Indivi- dualität und Ausbreitung des Umgebenden die Mitte; hier bleibt jene Kluft, die weit über den malerisch berechtigten Bruch hinausgeht. Auch die härtere Form des Aeußern mit der unflüssigeren und schrofferen Natur der Stimmungen und Triebe, in die sie blicken läßt, kann und soll doch dem Geiste, dessen Aeußeres sie einmal ist, als flüssiges und geschmeidiges Organ dienen. Da aber eben sitzt der Mangel, da geht jenes Maaß des Plastischen ab, ohne das der ächt malerische Styl selbst durchaus unreif bleiben muß. Es herrscht ein völliges Unverständniß des Gesammt-Or- ganismus der Gestalt; dürr, steif, hölzern, trocken scheint er zu knarren wie eine ungeölte Thür, wenn er sich im Dienste der Seele bewegen soll. Dieser tiefe Mangel weicht nicht, sondern setzt sich, wie wir sehen werden, in der Zeit der relativ höchsten Reife vollends als Manier fest und läßt nun das Eckige, Dornige nur in um so eigenwilligeren Ranken auswach- sen. Bleibt nun die äußere Form und Bewegung in dieser Weise ge- bunden, so kann sich auch die Welt der Affecte nicht zu ihrem Reichthum entfalten; die Seele, die nicht über ihre Schwelle kann, die sich am eige- nen Körper stößt, kann auch nicht als Leidenschaft herausströmen. Dort die Welle des Runden, hier die Welle der Leidenschaft: vor beiden scheint die winterlich eckige Natur des Deutschen eine wahre Scheue zu haben. Die Italiener sind nach der letztern Seite ungleich mehr malerisch. Doch wird dieser Mangel in der Zeit der großen Meister Deutschlands ungleich mehr überwunden, als der erstere. Trotz den großen Schwächen gibt nun aber jene Tiefe des Ausdrucks einer im innersten Mittelpuncte so abstoßend mangel- haften Kunstwelt dennoch die Großheit , die das Merkmal des Styls im intensiven Sinne des Worts begründet: ein feierliches „Stillesein vor dem Herrn“ beherrscht das Ganze und gibt auch der armen Form Würde; ein tiefer Seelenschatz von Ehrfurcht legt sich als hohe, ernste Festlichkeit in die Bewegungen. — Daß diese in ihren Grundzügen durchaus male- rische Auffassung zugleich ein ganz besonderer Beruf zur Farbe war, liegt in der Sache. Die Deutschen gehen hierin voran und erreichen mit raschem Schritte eine bewundernswerthe Höhe. Nur Eines kann unter den geschilderten Bedingungen nicht erreicht werden: die lösende, Umriß lockernde Wirkung der Farbe. Die Gestalten sind eigentlich so behandelt, als wagten sie keine schwungvolle, freie Bewegung, um ihren Umriß nicht zu zerbrechen, wie Einer wohl fürchten mag, die Beinkleider möchten ihm bersten, wenn er laufe oder springe. Hier tritt statt der fehlenden wahren eine falsche Art von Plastik ein: die Schärfe und Härte des pla- stischen Elements der Zeichnung ohne die Schönheit , welche aus dem Geiste der plastischen Auffassung fließt. In diesem Sinn ist auch die deutsche Malerei im Mittelalter noch zu plastisch. Schon zu §. 694, 2 . haben wir dieser Erscheinung bei Anlaß der Skizze gedacht; sie erstreckt sich aber in die volle Ausführung hinein. Nachdem wir nun vom Prinzip dieses Styls den Vorwurf des Na- turalismus, den Begriff im tadelnden Sinne genommen, abgewehrt haben, ist allerdings zu zeigen, daß derselbe zu einer Seitenthüre hereinbricht. Um die Terminologie genauer festzustellen, wiederholen wir, daß wir im Ganzen und Großen unter Naturalismus immer das schärfere Erfassen der besondern Zustände und Lebensbedingungen, ohne alle Beimischung von Lob oder Tadel, unter Individualismus ebenso das schärfere Erfassen der Züge des Einzelnen in ihrer Eigenheit verstehen. Naturalismus im ge- meinen und tadelnden Sinne bezieht sich auf beide Seiten und bezeichnet ein wahlloses Aufgreifen der Formenwelt und eine Unterlassung des Rück- führens der aufgegriffenen Formen auf solche, worin das Ideale mit jenem berechtigten Naturalismus und Individualismus sich in dem Maaße verbindet, das im Stylgesetz einer bestimmten Kunst liegt. Die Deutschen sind nun naturalistisch und individualistisch zunächst nur in dem Sinne, wie es der ächt malerische Styl verlangt. Allein wo das Steuer des organischen Formgefühls fehlt, da reicht jener Idealismus des tiefen, innerlichen Aus- drucks nicht hin, vor dem gemeinen Naturalismus zu schützen. So bricht denn, man weiß nie sicher, wann oder wo, der letztere herein. Neben würdigen, geistig sprechenden Formen und Köpfen die albernsten, gröbsten, geistlosesten roh aufgegriffen auf der Straße, ein deutscher Hausknecht als Apostel, ein Bauer als Heiliger; wo es absolute Personen, Gott Vater, Christus, Maria, Engel gilt, da geht denn dieß Fehlgreifen natür- lich vollends bis zur gröbsten Naivetät fort. Es ist hier gemäß dem oben Gesagten ebenso von dem Gepräge der Zustände, Lebensbedingungen u. s. w., wie von eigentlichen Porträtzügen die Rede: wird z. B. Maria zur Nürn- berger Bürgersfrau, so sieht man zugleich, daß eine bestimmte copirt ist. Die Deutschen sind nun also diesem Naturalismus nie ganz verfallen, aber in der vorliegenden Periode auch nie ganz entwachsen. Die Italiener dagegen verfielen zwar vorübergehend dieser Taktlosigkeit (namentlich die Paduaner, die früheren Venetianer), regelten aber rasch mit sicherem Gang ihr verirrtes Gefühl; was ihnen bei der weniger verwickelten Aufgabe ihrer Stylrichtung freilich auch leichter war. Ein Rückblick auf die Lehre vom Komischen zeigt, wie natürlich im Gefühle dieses Bruchs und Widerspruchs zwischen Inhalt und Form der Uebergang in dieses Gebiet sein mußte. Nur ist auch hier zwischen freier Erzeugung einer ästhetischen Form und einer Flucht in dieselbe zu unter- scheiden. J. Paul könnte ein viel größerer Komiker sein, als er ist, wenn er mehr Komisches und weniger komisch gedichtet hätte. Er absolvirt sich für eine tiefe Kluft in seiner Poesie durch wilde Schößlinge des Humors. Die deutsche Malerei schwankt, wie zwischen malerisch berechtigtem und unberechtigtem Naturalismus, so zwischen einem Humor, der motivirt ist (z. B. in der Charakteristik der Feinde Christi), und einem Humor, worin der Künstler das Mißverhältniß seiner Kräfte ironisirt: ein Bildungstrieb, der sein organisches Bette nicht findet und sich daher seitwärts in phan- tastisch traumhaften Erfindungen und in einer, freilich nun höchst geist- reichen, Welt von Arabesken abladet. Dieses wilde Ranken haben wir ähnlich in der späteren romanischen Architektur gefunden. In der Re- formationszeit werden wir allerdings den Humor sich tiefer in der ge- schichtlichen Stimmung begründen sehen; hier war er vorerst als allge- meine Eigenschaft zur Sprache zu bringen. §. 727. Der neue Geist legt sich auch hier zuerst in die aus dem Alterthum überlieferten Reste plastischer Form und weiß, indem er dieselben in raschem Fortschritte mit innerem Leben beseelt, eine harmlos liebevolle Gemüthswelt mit der Rundung und fließenden Weichheit der Form zu verschmelzen, die sich zum Theil noch auf jene Erbschaft gründet. Die höchste Stufe in dieser Richtung erreicht die Kölner -Schule. Von jenem zwiespältigen Charakter (§. 726) ist noch nichts sichtbar. Allein in diesem, trotz der Wärme, die bereits das Colorit entwickelt, und trotz den ersten Ansätzen bestimmteren Individualisirens fast körperlos idealen Style, der des fruchtbaren Gegensatzes einer andern, mit männlicherem Geist in die Wirklichkeit greifenden Schule entbehrt, ist das ächt Malerische so schwach ausgebildet, daß er von einem folgenden, statt ihm ein Gegengewicht zu geben, verdrängt wird. Wir eilen an dem Spätrömischen oder Altchristlichen, der Zeit der Geltung jener gesunkenen antiken Typen, welche nach Deutschland durch Carl den Großen verpflanzt wurden, so wie an dem Byzantinischen, das hier ebenfalls eindringt, mit der kurzen Bemerkung vorüber, daß ein Zug zum national Individuellen, Porträtartigen, so wie zur Arabeske schon in dieser frühen Zeit merklich hervortritt, und überblicken die Epoche des raschen Ansteigens bis in den Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts. Die Fort- schritte geschahen schneller, als in Italien; jene erste Strömung von Leben und Seele, von Affect, bewegter Gebärdensprache, Aufmerksamkeit auf Culturformen, welche in die erstarrten antiken Typen eindringt und den soge- nannten romanischen Styl gründet, beginnt schon im Anfange des zwölften Jahrhunderts, während Duccio und Cimabue erst am Ende des dreizehnten und Anfang des vierzehnten auftreten; die zweite Stufe, neuerdings die germanische genannt, auf welcher die erschlossene Gemüthswelt des Mittel- alters die Formen, worin zwar immer noch ein Rest antik plastischen Gefühls sich erhalten hat, tiefer, inniger beseelt, und welche in Italien durch die Schule des Giotto in Florenz und die Schule von Siena im vierzehnten Jahrhundert dargestellt wird, beginnt in Deutschland schon im dreizehnten, erreicht aber ihre Höhe allerdings erst im Anfang des fünf- zehnten. Verfolgt man nun diese Linie, deren zweiter Abschnitt am reinsten in der Kölner-Schule sich darstellt, bis zu dem Dombilde des Meisters Stephan , so glaubt man, es fehle nur ein Schritt, um eine Blüthe zu erzeugen, in welcher das Plastische und das Malerische ähnlich wie in Italien, nur mit mäßig erhöhterer Wärme des letzteren Elements, sich verbinden werde. Da ist noch nichts von dem Eckigen, das wir gewohnt sind als identisch mit der nordischen Malerei anzusehen; weiche Linie, Welle und Rundung der Form, fließendes Gewand ist aus der antiken Ueberlieferung mit zartem und harmonischem Gefühle bewahrt und für das neue Bedürfniß verwendet. Dieses geht auf den innigsten Ausdruck einer kindlich frommen Seele ohne jenen Bruch und Widerstand des Eigen- willens, von dem zu §. 726 die Rede gewesen; die reinste Holdseligkeit, Seelengrazie, nur naiver, deutsch herzlicher, als im entsprechenden ita- lienischen Style, legt sich mit lieblichem Neigen und Beugen in diese har- monischen Linien. Es ist das im besten Sinn sentimentale, „frauenhafte“ Ideal des Mittelalters; Hotho nennt treffend diese süße Bildung einen Styl der Seelenplastik. Die Farbe ist voll Licht und Schmelz, zur in- dividuellen Bestimmtheit nationaler Gesichtszüge ein noch leichter Ansatz und ebenso schon die Neigung zu liebevoller Aufnahme des Anhängenden und Umgebenden sichtbar. Nach der Innigkeit des Ausdrucks betrachtet, ist nun dieser Styl ächt malerisch, wie der sienesische, dem er entspricht; nach der Weichheit und Rundung der Form aber ist er zugleich plastisch und die letztere Seite kehrt sich, wenn man ihn als Glied in der deutschen Kunstgeschichte faßt, hervor, weil hier sofort das Malerische in der äußersten Schärfe eintritt. In diesem Sinne des Plastischen ist er denn auch idealistisch zu nennen, weil er den tieferen Griff in die Realität, die schärferen Sonderzüge der Lebensbedingungen scheut und seine Gestalten wie luftige, reine Wesen in eine ideale Atmosphäre hineinstellt. Hier liegt denn auch sein tiefer Mangel; die Schönheit der Farbe ist da, aber es fehlt ihre modellirende Kraft, die Tiefe des Schattens, das Verständniß der Formenaufzeigenden Bedeutung des Lichts. Es fehlt aber auch in der Zeichnung das Ver- ständniß der Form nach der Seite der Kraft und Bestimmtheit, es fehlt das Männliche, insbesondere ist das Bein nicht verstanden. Aller spe- zifisch fromme Styl kommt mit diesem Bewegungsorgane nicht zurecht, wie es noch heute bei allen spezifisch Frommen mit dem Setzen der Beine wunderlich bestellt ist. Stände nun diesem Styl in organischem Gegensatz eine Schule wie die des Giotto gegenüber, plastisch im Streben nach Be- stimmtheit der Zeichnung, malerisch in der Entfaltung des Affects, der Bewegung, so öffnete sich die Aussicht, daß die Gegensätze in befruchtender Wechselwirkung fortschreiten werden; vermöge jenes seelenvollen Ausdrucks Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 48 in der weichen und runden Zeichnung würde es aber dabei bleiben, daß im Unterschied von Italien der ächt malerische Styl die erste, größere Rolle spielte und von einem entgegengesetzten zum sanfteren Adel der Form nun auch die Kraft derselben, die Energie, zum Lyrischen das Dramatische lernte und in sich aufnähme. Allein so ist es nicht; es bilden nicht etwa die Nürnberger mit ihrem schärferen Formsinn einen gleichzeitigen, ergänzen- den, compacten Gegensatz, wie dort die Florentiner, sondern sie haben in dieser Epoche auch noch den milden, weichen Styl und nachher tritt, wie wir sehen werden, jene Eigenschaft nicht in der Weise hervor, daß sie mit diesem sich versöhnte. Und so, obwohl die bezeichneten Eigenschaften malerisch waren, wird dieser Styl, im Uebrigen plastisch ohne Kraft, von einem im engsten Sinne malerischen, der diesen Rest plastischer Schönheit, welcher sich da und dort noch regt, aber nicht zur rechten Zeit sich zu stärken gewußt hat, nothwendig verschlungen. Das Leibhafte dringt herein über die zarte, liebliche Geisterwelt, der es zu sehr an Fleisch und Knochen gebricht, um gegen die Herbe und Schärfe ihres Gegners zu kämpfen und ihm einen Theil ihrer Schönheit aufzunöthigen. §. 728. Der in §. 727 geschilderte Styl wird in Flandern durch den Erfinder der Oelmalerei, Hubert van Eyck und seinen Bruder Johann gegründet. Die Grundbedingungen des malerischen Verfahrens sind rasch zu großer Reife durchgebildet, die Sorgfalt der Ausführung ist miniaturartig. Die Schule schreitet auf der Grundlage treuen Naturstudiums fort in Richtigkeit der Zeichnung, Vollendung der Farbe, Vielfältigkeit des Ausdrucks, völligem Hereinrücken der mythischen Stoffe in die Wirklichkeit, aber der nothwendige Schritt zu neuer, tieferer Aneignung des antik plastischen Formsinus bleibt aus und so verstärken sich im Fortschritt auch alle Mängel dieses Styls; insbesondere dringt das Eckige in die Zeichnung ein. Die Entdeckung oder entscheidende Verbesserung des Oels als Binde- mittels ist das technische Motiv, wodurch die Malerei so rasch erstarkt und so früh (schon im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts) diese wunder- bare, farbenglühende, krystallisch gebildete Blume treibt. Der Drang zur Wirklichkeit, zum vollen Scheine ruft mit der Herrlichkeit und Intensität der Farbe schnell die Modellirung, die Linear- und Luftperspective, das Studium der Reflexe, Spieglungen, der Geheimnisse des Incarnats zur Reife. Wir haben den innern Geist, Auffassung, Styl nicht weiter zu schildern, sondern nur einzelne Züge zu dem gegebenen Bild hinzuzufügen. Hubert hat bekanntlich noch weichere, rundere, breitere Formenbildung, doch nur theilweise, in den mehr statuarisch behandelten Figuren, er selbst geht schon zu der Schärfe der naturalistischen und individualisirenden Be- handlung fort, die aber allerdings Johann noch weiter treibt. Dieser vorzüglich führt die Härte des Bruchs auch in die Faltengebung hinaus und begründet den eckigen, winklichen Faltenwurf, der, ein treuer Widerschein der Tendenz zur Ecken- und Spitzenbildung in der Baukunst, von nun an bleibt . Die Herbe der Charakterbildung geht aber noch nicht so weit, wie nachher in den deutschen Schulen und die Phantastik des Humors beschränkt sich bei den weiteren Meistern, wo sie eintritt, auf die Teufelsfratzen. Die Composition, bei Hubert noch mehr symmetrisch, architektonisch, durch symbolischen Mittelpunct bedingt, entfaltet sich natur- gemäßer, reicher, bleibt aber im Vergleiche mit den Florentinern des fünfzehnten Jahrhunderts immer gebunden. Kühnere Befreiung derselben erlaubte schon die unendliche Sorgfalt im Einzelnen nicht. Jetzt nämlich steigert sich dieß liebevolle Eingehen, das schon in der Kölner-Schule be- gann, bis zu jener mikroskopischen Behandlung, von welcher zu §. 726 die Rede gewesen ist. Man erkennt daran den Ursprung des ganzen Styls aus der Miniatur-Malerei. So konnte bei der Verbreitung desselben allerdings nicht fortgemalt werden, da würde man nicht fertig. — Die Fortschritte durch die Schüler, namentlich Roger von der Weyden, Hans Memling , bezeichnet in der nöthigen Kürze der §.; es sind Fort- schritte nach allen Seiten und die Schule leistet, da sie durch keine gegen- überstehende ergänzt wird, ungleich mehr, als die umbrische, in Mannig- faltigkeit der Charaktere, Bewegungen, Seelenzustände, figurenreicher mythischer Handlung, Durchbildung der Farbe zum reinsten Schmelz, Sättigung, Bewältigung ihrer Stoffartigkeit bis zum Verschwinden jeder Spur der Pinselführung. Das Alles führt jedoch immer nicht zur Lösung des Formensinns; er bleibt gebunden. Das Naturstudium fehlt nicht, aber das Studium der Antike, oder, wenn man will, das Naturstudium an der Hand der Antike. Hier bleibt ein Masaccio aus, der nicht nur richtig, sondern schön modellirt und das schön Modellirte in freie und schöne Bewegung setzt, indem er sowohl die Antike, als die Natur befragt, hier überhanpt eine florentinische Schule. Die flandrische hat wohl einen Theil dessen, wodurch diese sich hervorthat: die Sicherheit der Zeichnung, die Aus- bildung jener Grundmomente des technischen Verfahrens, die Charakteristik, Bereicherung des Ausdrucks, Ausdehnung der Handlung, und sie hat noch mehr, denn die Oeffnung der Landschaft, die Einführung des Sittenbildlichen, des Historischen verdanken die Florentiner zum Theil selbst den Flandrern; aber die Florentiner haben das Alles auf Grundlage des plastischen Sinnes und der fehlt diesen Niederdeutschen. Es bewährt sich, was wir schon zu §. 726 angedeutet haben: jene Nachwirkung des ersten Einflusses 48* antiker Form, wie sie in der Kölner-Schule noch sichtbar ist und wie sie selbst bei Hubert anfangs noch zu Tage tritt, hatte nicht hingereicht; ein neuer, tieferer Trunk aus der Quelle that Noth, der schwerfälligen deutschen Natur doppelt Noth, und er blieb aus. Wohl zu bedenken ist freilich, daß die Verschmelzung unendlich schwerer sein mußte, wo das Malerische in solcher Strenge Prinzip war. Die Gegensätze stehen hier auf ihrer Spitze; der Uebergang vom einen zum andern, das Amalgam, das ein Drittes aus beiden bilden soll, ist keine einfache Aufgabe, sondern eine weit- schichtige und von langer Hand; vorerst konnte jenen haarscharfen Indi- vidualisten das Prinzip des directen Idealismus nur etwas völlig Fremdes sein, für das sie kein Organ hatten. Nur auf gewissen Puncten gieng der rundere Fluß und die gelöstere Anmuth der Form auch ihnen nie ganz aus: das ist insbesondere die Darstellung weiblicher Seelenschönheit, vor Allem in den Madonnen. Hier blieben sie idealer und ein Memling bezaubert so tief und innig, als ein Pietro Perugino. §. 729. Der bestechenden Kraft, womit dieser Styl sich über Deutschland aus- breitet, kann die Erinnerung plastischer Formen und der offnere Sinn für die- selben, der sich namentlich im Süden in einer breiteren, runderen, fließenderen Darstellung kund gibt, nicht widerstehen; die miniaturartige Behandlung wird aufgegeben, aber nun die Schärfe der Charakteristik bis zur Ueberladung phan- tastischen Humors und die Härte des Umrisses noch mehr in das Eckige getrieben. In Köln, Westphalen, Franken, Schwaben sehen wir überall jenen Styl, der im Zuge schien, die altchristliche Reminiscenz der Antike, den weicheren Fluß der Form fortzubilden, plötzlich abgebrochen und nur, wie bei den Niederländern selbst, in das Gebiet des weiblichen Ideals gerettet, während die Männerwelt immer knorriger, zackiger, naturalistischer im gemeinen Sinne wird und die Verzerrung sich vorzüglich auf die Widersacher Christi wirft. Die Nürnberger hatten in ihrem nüchternen, heiteren, schlicht bürgerlichen Sinne, der mit scharfem Auge auf die Form gerichtet war, etwas von den Florentinern, aber H. Wohlgemuth übt nur eine schwankende Reaction vom Boden jenes runderen Formensinns und gerade in seiner Schule wird der knorpelige Absprung des Umrisses, die Caricatur des Bösen recht zur stehenden Gewohnheit. Am stärksten ist der Sinn für die Welle der Schönheit in den süddeutschen Malern und er verbindet sich mit einem ungleich blühenderen Farbensinn. Hans Holbein (der Vater), Martin Schön, Zeitblom bewahren eine milde Anmuth, eine edle Würde und feierliche Hoheit, die tiefe Empfindung legt sich offen und heiter in breitere vollere Form, während eine durchgefühlte Farbe, die öfters selbst der venetianischen morbidezza im Fleisch nahe kommt, den warmen Lebenssinn ausspricht; aber wie ein Dämon bricht doch auch bei ihnen überall wieder das Formlose mit seinen Ecken, Zacken und Grillen durch. Es geht dieß ganz in das Widerliche; Zeitblom z. B. hat würdige und schön angelegte Köpfe, aber ihn plagt der Kobold, eine höchst alberne Anschwellung der Nasenwurzel stehend anzubringen, ja es kann ihm ein- fallen, auf allen Feldern eines Hochaltars rothe Nasen mit Consequenz durchzuführen. Neben edlerer weiblicher Form spreizt sich, wo eine trotz dem eckigen Gefälte ernst und voll entwickelte Gewandung sie nicht deckt, die männliche Gestalt in den Schulen aller Orten wie ein hölzerner Sägebock. Große Physiognomiker sind sie Alle; dieser Zug ergibt sich zwar aus der allgemeinen Charakteristik des deutschen Styls, aber wir müssen ihn hervorheben, um ihn im Folgenden mit verstärktem Accent wieder aufzunehmen. Uebrigens gehen auch die süddeutschen Meister zur komischen Lösung des Widerspruchs fort und übertreiben das Komische in jenen Feinden und Peinigern Christi zur Verzerrung. §. 730. Am Ausgange des Mittelalters erwächst auch in Deutschland eine Blüthe, welche vollendet zu nennen wäre, wenn nicht der unästhetische Bruch zwischen Inhalt und Form auch jetzt ungetilgt bliebe, ja gerade vielmehr als Manier sich festsetzte, während jene Lösung durch das Komische (vergl. §. 726), nun genährt durch die Stimmung der Zeit, eine Fülle reicher, aber auch grillen- hafter Erdichtungen der Phantasie und des Humors erzeugt. Der eindringende Humanismus wirkt nicht nach der ästhetischen Seite, die Reformation entzieht der Kunst den größten Cheil des Mythenkreises und schließt doch die ursprüng- liche Stoffwelt, auf welche die deutsche Malerei durch ihren innersten Charakter, durch den nun in seiner ganzen Reinheit sich bewährenden Geist schlichter Treue und Wahrhaftigkeit besonders nachdrücklich berufen ist, nicht unmittelbar in ent- schiedener Weise auf. Der italienisch plastische Styl hat in dieser Periode, die zu den geistig fruchtbarsten Momenten der Menschheit gehört, ein Höchstes, ein Absolutes erreicht, der malerisch deutsche nicht; denn jener hat sich das Maaß des Malerischen angeeignet, dessen er fähig ist und bedarf, dieser hat sich das Maaß des Plastischen, das ihm noth thut und das er er- trägt, nicht angeeignet. Jener zeigt daher einen wirklichen Abschluß, dieser weist im beziehungsweisen Abschluß hinaus auf eine Zukunft, wo die tiefe, aber grobe deutsche Natur nach einem langen, schweren Durch- dringungsprozeß das classische Bildungsferment in sich aufnehmen wird. Der Humanismus wirkt mehr ethisch, als künstlerisch; die Fabeln des Alterthums erfreuen wohl, bilden aber das Schönheitsgefühl nicht und nähren die Liebe zur Allegorie, die jetzt recht aufkommt und die Erfindung befruchtet, ohne zum qualitativ Schönen zu führen. Wahrhaft naiv sind bekanntlich die mit classischen Namen getauften Studien Dürers und L. Kranachs nach dem Nackten. Die räumliche Ferne der Antike und der italienischen Kunst bringt auch äußerlich ein Hinderniß hinzu. Der Fall in den gemeinen Naturalismus findet auch jetzt keinen Damm; ein Albrecht Dürer ist darin so haltlos, als die Meister des fünfzehnten Jahr- hunderts, und stellt die gemeinsten, albernsten Köpfe neben die charakter- vollsten. Das Komische findet nun bestimmtere Nahrung durch den Humor der Zeit, der die Illusionen und Vorrechte des Mittelalters zersetzt und verlacht, zugleich aber allgemein sich zum erstenmal ein deutliches Bewußt- sein von den Widersprüchen des Lebens gibt. Wir befinden uns nicht mehr ferne von Fischart. Aber dieser Humor bedarf ebenfalls formelle Durchbildung und hat sie noch nicht. So schlägt er denn gerade jetzt recht in Phantastik aus, sei es in Erfindungen der eigentlichen Kunst, sei es im Zweige des Ornaments und der Arabeske. Er paart sich wie bei Dante mit dem Gespenstischen, traumhaft Schauerlichen. Wir erinnern an Dürers Holzschnitte zur Offenbarung Johannis, seine Composition: Ritter, Tod und Teufel und And., an seine von Erfindung sprudelnden Rand- zeichnungen, an die mährchenhaft wundersamen Compositionen L. Kranachs, an die Todtentänze, besonders H. Holbeins, an die immer noch beliebten Caricaturen der Widersacher Christi bei Allen. Es ist immer der deutsche Geist mit seinem tiefen Berufe zur Komik, mit seiner tiefsinnigen Traumwelt und mit seinem Eigensinn, die edelsten Kräfte da walten zu lassen, wo sie nicht hingehören, und eine Fülle von Leben in phantastische Ranken zu treiben, statt als organischen Bildungstrieb im Mittelpuncte der Kunst wirken zu lassen; es ist die Absonderlichkeit, die „Schrulle“, die wir so schwer los werden. Was nun aber früher nur ein ungeläutertes Fühlen war, das wird, da der Geist zu sich kommt und doch nicht in die Zucht der reinen Form genommen wird, nun erst eigentlich Manier. Dieß gilt vom Style ganz allgemein und abgesehen von besondern Einfällen und Erfindungen; die knorrigen Ausbiegungen der Linie in der Zeichnung menschlicher Gestalt, die unmotivirten Nester und Knäuel eckig geknitterter und fahrig aufge- rollter Falten werden bei vollkommenem Können, höchster Meisterschaft der Zeichnung jetzt aus Grille, aus Caprice beliebt. Die Reformation ist im zweiten Theile des Systems mehrfach be- sprochen. Wirft man die Schuld der Stockung, welche nun bald in der deutschen Kunst eintrat, auf sie, so ist, sofern der Vorwurf sich auf die Verstopfung einer reichen Stoffquelle beziehen soll, nur zu antworten, daß nicht zu viel, sondern zu wenig reformirt worden ist. Der Theil des Mythus, der stehen blieb, war zu arm für die Kunst. Rationale Auf- fassung desselben, wie wir solche bei den Venetianern erwähnt haben, dringt im Einzelnen gewaltig durch, wie in A. Dürers vier Aposteln, allein von keiner andern, reicheren Stoffquelle getragen, kann sie aus diesem Gebiete nur vereinzelte, geringe Nahrung ziehen. Und doch reicht der Rest von Mythus hin, noch immer die ursprüngliche Stoffwelt zu versperren. Es ist mehr, als einmal, ausgesprochen, daß die deutsche Malerei noch ungleich stärker, als die zur Reife gelangte italienische, zu dieser Welt hindrängte; wir heben nur noch ausdrücklich den Geist der schlichten Wahrheit heraus, der ihren innersten Kern, wie überhaupt den Kern des deutschen Geistes, bildet. Die deutsche Natur ließ sich nicht länger von dem ästhetischen Pathos der romanischen Kirche blenden, sondern zerriß mit gesund grober Täuschungslosigkeit den prachtvollen Schleier. Diese Täuschungslosigkeit, Scheinlosigkeit war an sich nichts weniger, als Feindschaft gegen den freien Schein der Kunst, wohl aber widerstrebte sie mit vollem Rechte der mythischen Kunst und mit halbem Rechte dem idea- len Pathos des plastischen Kunststyls. Sie spricht mit einer kerngesunden, tief lauteren Ehrlichkeit, einer rührenden Treue aus den Werken der großen Meister. Sie führte insbesondere zu einer Komik, die wohl von jenem phantastischen Schößling zu unterscheiden ist, zu einer Komik, wo sie hin- gehört, einer gemüthvollen, behaglichen Darstellung der lieben, derben Natur, die dem Schnürbande, der geistlichen und weltlichen Aristokratie des Mittelalters entwachsen ist und gelegentlich mit cynischem Bauern- Lärm sich’s wohl sein läßt, vergl. §. 369. 471. Da war denn namentlich das gröbere, das gemüthliche, das komische Sittenbild gegeben, und doch kann es noch immer nicht zum Dasein als selbständiger Zweig gelangen. Es tritt nur vereinzelt in Handzeichnung, Kupferstich, Holzschnitt als ungetheiltes Ganzes auf, im Allgemeinen schließt es sich auch jetzt noch an den mythischen Stoff und vernürnbergert die Studirstube des h. Hierony- mus, die Werkstätte Josephs. Auch die geschichtliche Malerei ringt ebenso vergeblich zum Dasein, alle Versuche bleiben vereinzelt. Ein L. Kranach mit seiner tiefwahren Charakter-Zeichnung findet keinen Stoff, sie zur dramatischen Handlung zu entfalten, und begnügt sich mit Gruppen- Zusammenstellungen der Reformatoren: das Historienbild tritt theologisch auf, wie die Reformation sich in das Theologische verengte. — Gilt aber jener Vorwurf der Reformation als einer Bewegung der Geister über- haupt, so enthält er ein richtiges Urtheil, das kein Vorwurf ist. Der Bruch mit dem Mittelalter forderte eine Energie des sittlichen Geistes, neben welcher das interesselose Form-Interesse des Schönen nicht blühen, nicht schwunghaft leben konnte. Aufgeschoben war allerdings nicht auf- gehoben. Aber die Kämpfe der Reformation mit dem Wahn und mit der Verstockung im Haupte des Reichs, das die Aufgabe der Zeit nicht begriff, kosteten Deutschland sein Glück und als es Zeit war, daß die ethische Krisis ästhetisch nachwirke, war die reale Grundbedingung aller Kunst, Wohlstand, Lebensfreude, Nationalgefühl dahin. Darum war aufgeschoben auf sehr ferne Zukunft aufgeschoben. Auf die speziellen Hindernisse, Mangel an wirklicher Kunst-Unterstützung, großen Aufträgen, namentlich zu Werken der Wandmalerei , deren Wichtigkeit für die plastische He- bung des malerischen Styls wir erkannt haben (§. 693), die Einwirkung der technischen Erfindungen, die eine Fülle von Geist in die Illustration und Skizze ableiteten: auf dieß und Anderes kann hier nicht näher ein- gegangen werden; die letztere Erscheinung ist zu §. 694, 2 . erwähnt. §. 731. Was auf der Grundlage meisterhafter Technik zur Höhe geführt wird, ist vor Allem die Physiognomik und Charakterzeichnung, was getilgt wird, der Mangel an Feuer und Bewegung. Während Albr. Dürer , ein Denker der Kunst, wie Leonardo da Vinci, voll Reichthum der Erfindung, Tiefe des Ge- dankens und Gefühls, Tüchtigkeit und Wärme des Gemüths, hierin Bahn bricht, Luc. Kranach mit schlichterer Naivetät folgt, tritt in Hans Holbein ein Künstler auf, der, noch feinerer Physiognomiker, wärmerer Colorist, als Dürer, sich durch eine in der deutschen Malerei bis dahin einzige Reinheit des Schönheitssinns auszeichnet und den ersten großen Schritt thut, den italienisch plastischen Styl mit dem deutschen zu vermählen, aber auf eine über die Natur beider Richtungen höchst belehrende Weise zwischen beiden schwankt. Der §. schickt voraus, was den großen Meistern gemeinsam ist. Wir verweilen nicht bei der Vollendung der Technik an sich, der nur die liebevolle, wahrhaft fromme Innigkeit des Fleißes gleichkommt. Die Physiognomik ist der tiefsten Bewunderung werth; sie übertrifft als Haupt- stärke des streng malerischen Styls die italienische; getragen ist auch sie von der Reife, Tiefe, Gründlichkeit des Blicks, die in der meisterhaften Aus- übung der blühenden Porträtmalerei großgewachsen. Die Affectlosigkeit und Bewegungslosigkeit der flandrischen Schule war zum Theil schon von den deutschen Meistern und Schulen der Uebergangszeit gebrochen, aber jetzt erst fährt das volle Feuer der aufgeregten Zeit in die schüch- ternen Glieder der Kunst und bewegt sie leidenschaftlich, doch ohne die Bewegung zu veredeln und ohne sie in rein menschlicher Handlung schwung- haft dramatisch zu verwenden. — Der Umfang unserer Aufgabe verbietet uns, die Charakteristik Dürers und L. Kranachs, die der §. gibt, weiter auszuführen; nur bei Hans Holbein (dem Jüngsten) müssen wir verweilen, weil seine Erscheinung für den ganzen Grundgedanken dieses Abrisses der Geschichte der Malerei von der tiefsten Wichtigkeit ist. In ihm war etwas von Raphaels, von Göthe’s Geist und in ihm zugleich die ganze Schärfe, täuschungslose Wahrheit, unbestechliche Belauschung des Wirklichen in den sprechenden Zügen seiner unerbittlichen Realität, in ihm warmer Farbensinn und harmonischer Formensinn; in ihm konnte der Nation ein Shakes- peare der Malerei, geläutert an Sophokles, erstehen. Er hat schon in seinen frühen Werken Figuren von einer Reinheit, einem gelösten, freien, entschlossenen Wurf, welche ganz modern gemahnen, als gehörten sie einer Zeit, wo die nordische Kunst durch die Alten und die Italiener sich von ihrer Gebundenheit befreit hat. Er kannte die Italiener, Mantegna, Leonardo da Vinci, Raphael. Nun aber erwäge man bestimmter, was wir schon zu §. 728 berührt haben: ein dem innersten Wesen nach entgegengesetzter Styl ist in Deutschland ohne alle Rücksicht auf den plastischen, italienischen vollkommen reif geworden, hat nicht in organischem Fortgange schrittweise von diesem sich angeeignet, was noth that; nun, ganz für sich erstarkt, öffnet er das Auge und findet den entgegengesetzten Styl, das Erzeug- niß eines grundverschiedenen Naturells, ebenfalls völlig erstarkt und reif. Da wird er sich im Gefühle der unendlichen Schwierigkeit einer Ver- schmelzung entweder spröde gegen ihn abschließen, und so that Dürer, oder er wird in eine Schwankung gerathen, worin er bald ein Stück des andern Styls äußerlich in ein Ganzes der eigenen Auffassung hineinstellt, bald mit vollen Händen und gänzlicher Selbstentäußerung in jenen hineingreift, bald ihn wieder wegstößt und ganz den eigenen, aller plastischen Schön- heit fremden Wegen nachgeht, kaum ein einzigesmal aber ihn organisch im Ganzen eines Kunstwerks mit den Formen des eigenen Styls verschmelzt. So verhält es sich mit Hans Holbein. Das eine Mal findet man bei ihm zwischen hart und scharf naturalisirten und individualisirten, ächt deutschen Figuren einzelne in der generalisirenden Schönheitsnorm der Italiener gehalten; man fühlt, daß diese neben jenen flach, abstract ideal erscheinen, man fühlt, wie schwer es war, abzuwägen, wie viel denn nun von dem einen, wie viel von dem andern Styl zur richtigen Mischung eines neuen, dritten sollte gezogen werden; das andre Mal erscheint er in allegorischer Composition ganz wie ein Giulio Romano; jetzt wirft er die plastisch geläuterte Form wieder ganz über Bord und tritt als haar- scharf eckiger deutscher Physiognomiker an uns; einmal aber weiß er ein Ganzes, und zudem aus lauter Bildnissen componirt, in der wunder- vollsten Verschmelzung der gegensätzlichen Style durchzuführen und erwärmt zugleich das innerste Herz, den Menschen im Menschen, durch die reine Menschlichkeit, in welche er einen kirchlich mythischen Stoff umsetzt: so in der herrlichen Gruppe der Madonna und der Bürgermeisterfamilie in Dresden. Aber er kann auf diesem Wege nicht fortgehen, die Nation, die Zeit trägt ihn nicht, die erforderlichen Zweige der Kunst sind noch nicht reif zum Ausschlüpfen und so wirft er sich mit seiner plastisch geläu- terten Physiognomik zuletzt ganz auf das Porträt; von dieser Seite haben wir die wunderbare Natur des Mannes schon zu §. 708 besprochen. — H. Holbein steht allerdings nicht ganz allein; in der fränkischen Gruppe der Schüler Dürers und verwandter Richtungen leuchtet M. Grünewald mit seinem tieferen Gefühl der Grazie hervor, in Ulm eignet sich der offene, milde M. Schaffner italienischen Zug der Zeichnung an, der Gmünder Hans Baldung Grien zeigt vollere Formen und Kenntniß des Correggio; allein auch diese Männer stehen vereinzelt und der Sinn für die gereinigte Form hat in ihnen weit nicht die Kraft und Fülle wie in H. Holbein. So bleibt es dabei, daß es für eine wahre innere Ver- schmelzung des nöthigen Maaßes plastischer Schönheit mit dem streng malerischen Style zu spät und zu früh war. Unter wachsender sittenbild- licher Behandlung der religiösen Stoffe sehen wir auch am Niederrhein seelenvolle Empfindung mitten in scharf individueller Umgebung sich in anmuthvollere Form kleiden; wir erinnern an den Kölner Meister vom Tode der Maria (sonst mit Schoreel verwechselt) und Andere; besonders interessant aber wendet sich die Sache in den Niederlanden, was zum Schluß noch ausdrücklich hervorzuheben ist. §. 732. Zwei bezeichnende Erscheinungen treten als Ausläufer dieses Zeitraums in den Niederlanden hervor: die ersten Uebergänge zum reinen Sittenbild und zur Landschaft, zugleich aber statt einer organischen Fortbildung jener Einflüsse des italienischen Styls eine völlig unfreie, des eigenen Geistes sich entäußernde, leere Nachahmung seiner Formen. Nicht eine letzte große Blüthe, die gewaltig auf ein neues Ideal hinüberweise, wie die venetianische Schule, bildet die in das sechzehnte Jahrhundert tiefer hineinlaufenden Schlußpuncte dieser Periode der deut- schen Malerei. Eine solche hätte ja nur in einer entschiedenen, schwung- haften Wendung zu dem sogenannten Profanen und in einer Läuterung des Styls zu reinen Formen bestehen können. Jene Wendung tritt noch nicht ein, aber vereinzelte merkwürdige Uebergänge, und zwar da, wo später die betreffenden Zweige zuerst aufblühen sollten: in Flandern und Holland. Merkwürdiger Weise wirft ein und derselbe Künstler, der im Kirchenbilde noch voll tiefen Gefühls ist, der zugleich anfängt, die Gestalt aus jenem falschen Verhältnisse, worin die malerische Umgebung einen zu großen Theil des Interesses ihr entzog, abzulösen und für sich als einen Gegenstand reinen Formstudiums zu behandeln, Qu. Messys , zu- erst das Sittenbildliche aus der Verbindung mit dem Mythischen heraus und stellt es nicht nur selbständig, sondern auch, wie dieß nach unserer früheren Bemerkung bei so manchem Andern, was die frühern deutschen Maler Aehnliches componirten, nicht der Fall war, in völliger Farben- Ausführung hin. In Holland nimmt Lucas von Leyden die entschie- dene Wendung nach dem Sittenbilde, doch ebenfalls mehr als Kupfer- stecher. Später ringt in kindlichem Gewande die Landschaft zur Selb- ständigkeit; ein Patenier, Herry de Bles überliefert diese Anfänge den Holländern des siebzehnten Jahrhunderts zur Fortbildung. — Höchst be- lehrend aber ist die andere Erscheinung: sie bewährt vollends, was wir von der tiefen Schwierigkeit der richtigen Aneignung des Italienischen gesagt haben. Man wollte daraus recht Ernst machen und statt einer Verschmelzung entstand eine Entäußerung dessen, was der deutsche Styl tief berechtigt Eigenes und Großes hatte, eine Aneignung des Fremden ohne dessen Seele und Größe, ein lebloser Idealismus der Form. Die Mabuse, die Bernhard van Orley, Coxcie, Schoreel, Hemskerk waren keine schlechten Talente im streng malerischen Style gewesen, aber in der Schule der Italiener werden sie leere Formalisten; sie werfen die scharfe Naturtreue und Physiognomik weg, weil ihr die Schönheit fehlt, und er- greifen die Schönheit ohne Lebenswärme. Diese Verirrung bezeichnet nach der einen Seite das Ende unserer Periode, nach der andern ist sie die negative Vorbedingung der großen Entwicklungen der folgenden. So werden wir sie wieder auffassen. γ . Die moderne Malerei . §. 733. Italien tritt an den Anfang der Geschichte der modernen Malerei mit einer neuen Lebensregung, welche ein Bild und Vorspiel der künftigen Ge- gensätze und Entwicklungen darstellt. In der Auflösung sucht der Eklekti- zismus den reinen Styl zu retten und begründet die akademisch correcte Kunst- bildung; ihm wirft sich der Naturalismus entgegen, führt das Malerische in der Form leidenschaftlich großartiger Wildheit ein und eröffnet das selbstän- dige Sittenbild und die Landschaft. Die letztere wird von bedeutenden fran- zösischen Talenten im Sinne des hohen Styls zur heroischen Form ausge- bildet. Die italienische Kunst hat eine solche Stärke normaler Lebenskraft, daß sie an der Schwelle des eigentlich Modernen, am Ende des sechzehn- ten und Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, noch einen bedeutenden Sprossen treibt und vorbildlich das Thema hinstellt, das von nun an auf höheren Stufen, in verschiedenen Formen durchgespielt wird. Der plastische Styl nämlich, an und für sich schon der Träger der Disciplin für den malerischen, muß sich jetzt mit einem neuen Momente verbinden: er muß sich aus dem Verfalle, der Willkühr, der Manier — die wir nicht weiter schildern — aufraffen und daher auf ein förmlich geregeltes Kunstbewußtsein, auf Methode im Unterricht gründen: er wird akademisch (vergl. §. 522). Das Akademische mit seinem Guten und seinem Uebeln (dem Formalismus und Mechanismus) ist bereits durch und durch mo- dern. Dem Inhalte nach sind die Begründer dieser neuen Form, die Caracci in Bologna, Eklektiker . Freilich ist dieß nicht abstract zu nehmen: ein Auszug der Vorzüge aus den verschiedensten Meistern und Schulen wird zwar als Ideal hingestellt und daraus muß eigentlich ein todtgebornes, schattenhaftes Product entstehen, aber das Leben läßt sich nicht zerschneiden: auch diese formalistischen Idealisten haben Theil an dem kräftigen Naturalismus, der gleichzeitig in Italien auflebt und sich ihnen entgegenwirft; es fehlt den Restauratoren, die nicht nur in Bologna, sondern in mehreren Städten Italiens auftreten, neben der marklosen Sentimentalität, die aus den correcten Formen spricht, doch in vielen ihrer Werke keineswegs an Fülle und Wärme des Lebens. Trotzdem müssen die Gegensätze für den Begriff klar geschieden werden. Dem Stoffe nach ist der Eklekticismus wesentlich noch mythisch und allegorisch, nur in der Landschaft zerfließt auch nach dieser Seite der Gegensatz der Richtungen: Annibale Caracci und Dominichino ergreifen diesen Zweig, auf den wir jedoch erst bei der entgegengesetzten Gruppe eingehen. Diese wirft denn gegen die Kälte und Abstraction der Eklektiker den Na- turalismus als Prinzip auf. Mit diesem Worte verbindet sich nun ein neuer Begriff. Bis jetzt haben wir unter demselben zunächst eine berechtigte Seite des ächt malerischen Styls, dann aber auch eine Verir- rung desselben, ein wahlloses Aufgreifen gemeiner empirischer Formen ver- standen. In diesen italienischen Naturalisten tritt nun allerdings das Malerische mit einer Gewalt und Ausdrücklichkeit auf, wie bis dahin in Italien noch nie; aber es tritt nicht rein auf, der Naturalismus greift nach gemeinen Formen. Das Neue jedoch besteht darin, daß dieses Aufgreifen nicht in naiver Weise geschieht, wie wir es bei den Deutschen fanden, sondern prinzipiell als Losungswort in der Oppositionsstellung gegen eine frostige Stylregel und ihren Schulzwang. Es ist ein grundsätzlich stylloses Verfahren, das die rohe, die wilde, gemeine Natur mit kecker Faust dem hohlen Ideal entgegenwirft. Eigenthümlich verwickelt sich nun der ener- gische Drang zum ächt Malerischen, der dieser zur Maxime erhobenen Verwilderung zu Grunde liegt. Er äußert sich namentlich in der lei- denschaftlich bewegten Stimmung und ihr entsprechend im Colorit. Die- ses hatte seit dem beginnenden Verfalle mit den Effecten der starken Schattenmassen im Gegensatze gegen grell einfallende Lichter geprahlt; das nehmen die Naturalisten von den früheren Manieristen auf und verwenden es, namentlich ein Caravaggio und Nibera lo Spagno- letto , für jene Stimmung, die besonders unheimliche nächtliche Scenen liebt; allein im Verlaufe erwirbt sich diese Gruppe, vor Allen Salvator Rosa , das Verdienst einer hohen Durchbildung des Colorits im besten künstlerischen Sinne des ächt Malerischen. Die Wildheit der Formengebung geht nun zunächst in demselben Zuge, sie ist ein Mißbrauch der Freiheit, die das Malerische von der strengen Linie der Schönheit entbindet; allein es ist darin doch gar nichts von jener Art der Formlosigkeit, die den Deut- schen anhieng; vielmehr zeigt sich darin ebensosehr ein verwilderter pla- stischer Sinn. Eigentlich ist es ein Rückgriff auf die sogenannte starke Manier, die als Ausartung dessen eingerissen war, was in M. Angelo noch Größe und Genialität war. Diese alten Weiber und Männer mit ihren runzlichten, aber massenhaften Gliedern, diese Zigeuner und Zigeu- nerinnen, Hexen, finsteren Kriegsknechte, falschen Spieler und Mörder in greller Beleuchtung sind doch Abkömmlinge, liederliche Nachkommen jenes im plastisch hohen Style gezeugten Riesengeschlechts. Also eine neue, noch ein- mal sich verwickelnde Wiederholung und Verästung der Stylgegensätze inner- halb der sich bekämpfenden Seiten. — Dagegen ist nun neu und ein unge- theilt ächt malerischer Schritt die Schöpfung des selbständigen Sittenbilds, insbesondere des Schlachtbilds — Alles freilich in der einen Richtung der leidenschaftlich aufgeregten Zeit — und der Landschaftmalerei. In der letztern jedoch tritt wieder der Umtausch der Prinzipien ein: der Naturalismus selbst geht von einer mehr romantisch wilden Form mit entsprechender Staffage zum hohen Style der sog. heroischen Landschaft über durch den genialen Salvator Rosa. Hier aber treten jene in Italien lebenden, vom Gefühle südlicher Natur und südlichen Styls durchdrungenen Franzosen ein: Nicol. Poussin, Caspar Poussin, Claude Lorrain , und führen den plastischen Styl der Landschaft auf die Höhe der Idealität, der reinsten Verklärung der Form im Zauber des Lichts. §. 734. Auf höherer Stufe und vom Boden des ächt Malerischen übernimmt ein Stamm der deutschen Nation, der niederländische , den Kampf gegen den Frost des direct idealen Styls und eröffnet in positiver Entscheidung den Ent- wicklungsgang der modernen Malerei. Das erste große Stadium dieser Be- wegung stellt sich in dem Belgier Rubens dar, dessen großartiger Naturalismus mit den mythischen Stoffen noch nicht völlig bricht, zugleich jedoch das Ge- biet der reinen Wirklichkeit in Besitz nimmt und unedle, aber im Geiste des M. Angelo gewaltige Formen durch dramatisches Feuer der Leidenschaft und Handlung, so wie durch die Lebensgluth eines Colorits verklärt, das er insbe- besondere am Muster der Venetianer ausgebildet hat und wodurch er jener im nordisch malerischen Style selbst bis dahin herrschenden falschen Plastik des Umrisses (§. 726) ein Ende macht. Was die Venetianer vorbereitet, aber nicht durchgeführt haben, wozu die Deutschen den höchsten Beruf zeigen, ohne es doch anders, als ver- einzelt, in’s Werk zu setzen, was auch jene italienischen Naturalisten nur mangelhaft beginnen, das übernimmt mit entscheidendem, wiewohl noch nicht nach allen Seiten gleich vordringendem Schritte jener Stamm, der sich jetzt von der Gemeinschaft der deutschen Nation abgesondert und die Kämpfe, welche die Reformation hervorrief, glücklich überstanden hat: die Niederländer. Das moderne Ideal der Malerei soll dem Stoffe nach die Transcendenz abwerfen und die reine Wirklichkeit in Besitz nehmen, der Form nach dem streng malerischen Style das richtige Maaß des pla- stischen beimischen. Der erste Theil dieser Aufgabe wird von den Nieder- ländern erfüllt: es siegt der Geist der Immanenz, der Realität; der zweite Theil wird noch nicht erfüllt, in der außerordentlichen Vervollkomm- nung aller Momente des Malerischen, insbesondere der Farbe, fehlt noch die Zumischung des reineren, höheren Formgefühls. Doch läßt sich das in gewisser Beziehung in Frage stellen; wir kommen auf diesen ver- wickelten Punct zurück. Es wiederholt sich nun hier dieselbe Gruppe, wie im vorh. §., zunächst so, daß die Belgier zusammen mit den Hol- ländern, die der §. noch nicht ausdrücklich nennt, den Kampf gegen den nach Norden verbreiteten kalten, conventionellen Idealismus ebenso übernehmen, wie jene italienischen Naturalisten. Den Gegner brauchen wir nicht noch einmal zu schildern: es ist jener geistlose Formalismus der Nachahmung des reifen italienischen Styls, der in §. 732 aufgeführt ist und in den Niederlanden immer weiter eingedrungen war (Franz Floris „der belgische Raphael“ u. And.). Der Zorn dagegen schlägt nun in hellen Flammen durch und wirft absichtlich mit dem steifen Zwang der todten Regel zuerst auch das wahre Maaß zu Boden. Vergleicht man aber Rubens und seine Stylgenossen nicht mit jenem ihrem Gegner, sondern unterscheidet sie von den Holländern , so haben sie in dieser Beziehung doch selbst noch einen Rest von Transcendenz und etwas von der Aristokratie des hohen Styls, gegen dessen kalte Epigonen der nordische Geist sich nun aufmacht. So betrachtet nun wiederholt sich die Opposition innerhalb dieser Gruppe, indem die Holländer gegen den Styl des Rubens in noch spezialisirterem Sinne das Malerische zum Prinzip erheben. — Ru- bens ist Belgier, hier ist romanisches Blut in germanisches geflossen und der Stamm ist katholisch geblieben, hat daher auch vom Stoff- und Styl- prinzip des Romanenthums und seiner Anschauung etwas behalten. Vom Marke der Erde genährt, von der Flamme des Lebens durchglüht, alles Geistes der ächt religiösen Kunst baar, gibt er doch ihren jenseitigen Ge- staltenkreis nicht auf und nimmt mit Vorliebe zugleich seinen Flug in die fremde Luftschichte der Allegorie. Dem Style nach ist er Naturalist ähn- lich wie jene Italiener, seine Formen sind unedel, eigen ist ihnen das schwellende Fett, dem man die Absichtlichkeit der Opposition gegen das kalte Ebenmaaß der plastischen Linie nur zu gut ansieht; ebenso nimmt er häßliche Leidenschaft, Eckelhaftes und Widriges von Wunden u. dergl. im Zorne des Stylkampfes recht mit Willen auf. Wie aber die italie- nischen Naturalisten doch auf das plastische Kraftbild des M. Angelo zu- rückweisen, so und noch viel mehr Rubens. Nicht Adel der Linie, aber Adel der hohen Energie ist in diesen Formen, cynisch styllos stylisirt er doch , und darin ist er selbst noch plastisch. Daher naturalisirt er zwar, aber er individualisirt nicht, außer in seinen markigen, gesättigten, ath- menden Bildnissen. Noch mehr, als die Großheit an sich, ist es nun aber das Brausen der Bewegung und Leidenschaft, was uns über das Unedle der Formen wegreißt, und hierin ist er nun durch und durch malerisch; nirgends herrscht mit solcher Kraft der malerische Wurf , wie in ihm, eine Windsbraut entfesselter Kräfte fegt durch seine Werke. Und dieser Geist hat ihn trotz der festgehaltenen Transcendenz auf den Boden der Wirklichkeit geführt und zwar ihn zuerst auf den Boden des rein geschicht- lichen Bilds in der vollen, der dramatischen Bedeutung des Worts. Hiemit kann auch nun erst eigentlich die freie Composition aufkommen; im Mythischen herrscht ja mehr oder minder stets eine architektonisch geo- metrische Anordnung. Raphael wurde der große Componist, weil er zur Handlung übergieng. Was Rubens als Anordner ist, wie er die meist figurenreichen Massen beherrscht, ist bekannt. Das Sittenbild sagt ihm nur zu in blutigen Jagden mit furchtbaren Thieren, in heißen Schlachten, und die classische Sage benützt er, um glühend üppigen Lebensgenuß, voll- säftige, strotzende Lust des Daseins auszuströmen. Er beschreitet auch das Gebiet der Landschaft; es ist nicht mehr die heroische, noch nicht die rein malerische, großer Styl und doch walten alle Mittel des Colorits und Helldunkels, um ein bewegtes Bild schaffender Urkräfte zu entrollen. Der Geist der Bewegung drückt sich nun überhaupt nicht blos in der Linie, sondern ebensosehr in der Farbengebung aus und sie ist es denn hauptsächlich, wodurch Rubens seine starken, aber unedlen Formen verklärt. Hier knüpft sich der Faden zwischen dem Süden und Norden (vergl. §. 725 Anm. 1. 2.): Rubens ist in der Farbe Schüler der Venetianer. Mit ihm erst verschwindet jene Art falscher Plastik, die dem, doch ächt maleri- schen, deutschen Styl eigen ist: die Härte der Grenzen (§. 726). Wie der Umriß durch die schwungvolle Auffassung der Form bei ihm zuerst prinzipiell und durchgängig das Eckige abstreift (und darin erkennt man bestimmt genug den Einfluß Italiens), so saugt nun auch technisch die Farbe den Umriß auf, gibt ihm jene Lockerung, die ihm bei den deutschen Meistern noch fehlte. So ist Rubens im Norden der erste eigentliche Maler. Seine Farbe ist nun überhaupt, selbst noch mehr, als bei den Venetianern, ein reif durchkochtes Ganzes; jene Consumtion (§. 673) tritt bei ihm ein, aber sie steht noch mit der Entschiedenheit der Local- farbe im Gleichgewicht, Alles leuchtet von innen heraus, das Fleisch heller mit röthlichen Reflexen, als bei den Venetianern, Alles fließt und schwimmt unbeschadet der Kraft der Selbständigkeit im gesättigten Elemente des Tons und der Töne. — In seiner Schule mildert sich der Styl zu größerer Zartheit durch Anton van Dyk , den empfindungsvollen Ma- ler heiliger Scenen, den genialen Porträteur. §. 735. An die Venetianer und Rubens schließt sich die spanische Schule, welche mit glühendem Mysticismus heiteren, realistischen Lebenssinn vereinigt (vergl. §. 475) und in beiden Richtungen, dort durch die Tiefe des subjectiven Aus- drucks, hier durch die Idealität des Humors im Sittenbilde das ächt Malerische ebensosehr, als durch eigenthümliche Fortbildung des Colorits erweitert. Der §. erinnert in Kürze an jenen Dualismus im spanischen Geiste, wovon bereits in der Geschichte der Phantasie die Rede gewesen, und deutet zugleich an, wie beide Seiten desselben nach dem ächt Malerischen hinwirkten. Die mystische Gluth wirft sich in der mythischen Sphäre vom Object auf die Anbetenden (vergl. Kugler, Handb. d. Gesch. d. Malerei S. 445) und arbeitet aus den innersten Seelentiefen eine neue Welt wunderbaren Ausdrucks zu Tage. Der derbe Lebenssinn, der Sancho Pansa, dagegen wirft sich auf das Sittenbild. Es vertheilt sich dieß allerdings auch an verschiedene Meister, denn Zurbaran ist der Maler der Andacht, Murillo der Genremaler, aber die Trennung hebt sich im Letzteren wieder auf, denn er ist ebensosehr auch der Maler der unendli- chen Schmerzen und seligen Verzückungen der Andachtglühenden Seele. Freilich vereinigt er auch beide Extreme in der Weise einer Zeit, welche das Sittenbildliche noch nicht in einen besonderen Zweig abzulagern wußte, wirft es zum Religiösen, setzt die Madonna an’s Spinnrad u. dgl., aber zugleich finden wir doch bei ihm in erster Lebensfülle das reine Sittenbild, und zwar in einem Sinne behandelt, wodurch es zwischen das höhere, plastisch stylisirte und das derbere, humoristische sich eigenthümlich in die Mitte stellt: die Situation, an sich niedrig, wird durch den Geist südlicher Schönheit, kummerloser Seligkeit der Armuth in einer freigebigen Natur (vergl. Hegels schöne Charakteristik seiner Bettelknaben Aesth. B. 1 S. 218. 219), in einen Aether reiner Idealität erhoben; eine Auffassung, welcher denn auch der größere Maaßstab entspricht. — Das Porträt blüht bei diesen Spaniern in der Fülle der Lebenswahrheit, der geistreiche Blick erhascht den reinsten Phosphor der Persönlichkeit. Wir nennen nur Velasquez . Der Nachdruck, womit sich diese Schule auf die Farbe wirft, zieht in lebendiger Individualisirung der Form seine richtige Consequenz, führt aber im Einzelnen, besonders in den Falten, zu nachläßiger Zeichnung. Diese Farbe ist in ihrer localen Wirkung nicht so blutwarm und von innen herausleuchtend, wie bei Rubens und den Venetianern, die Schwärze der italienischen Naturalisten hat hier Einfluß gehabt, aber um so ahnungs- voller drückt sich das mythisch tiefe Stimmungselement in dem dämmernden, silberduftigen Schleier aus, der sich wie ein dünner Flor um Alles legt. §. 736. Auf der zweiten Stufe stößt das protestantische Holland auch den letzten Rest von Transcendenz und höherem, plastischem Schwunge der Form aus. Doch spaltet sich die neue Richtung noch einmal: Rembrandt wendet einen Styl, der nur für Porträt und Sittenbild berufen ist, auch auf größere, selbst mythische Stoffe an, rechtfertigt jedoch in gewissem Sinne dieß Verfahren durch ein düsteres Pathos im Ausdruck und traumhaftes Helldunkel des Colorits. Die Kabi- netsmaler dagegen leiten den im engsten Sinne malerischen Styl in sein wahres Bett: Landschaft, Thierstück, Sittenbild, sie werden die eigentlichen Begründer dieser Zweige und retten vor dem allerwärts eindringenden falschen und forma- listischen Idealismus den ganzen Theil der wahren Stoffwelt, der ohne positiven Einfluß des plastischen Styls gedeihen kann. Die Opposition gegen allen directen Idealismus der Form wird von Rembrandt bis zur Consequenz des Cynismus vollendet, wovon sein Ganymed Zeugniß ablegt. Wir dürfen statt weiterer Ausführung auf die treffliche Charakteristik Kuglers verweisen und an das erinnern, was zu §. 673 über sein Colorit gesagt ist Faßt man Alles zusammen, so steht Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 49 doch Rembrandt der Gruppe der Kabinetsmaler wieder so gegenüber, wie Rubens den Holländern insgesammt. Jener „plebejische Trotz“, jene „verhaltene Leidenschaft“, die „der finstere Republikaner“ in die bäurisch rohen Formen legt, zusammenwirkend mit der geisterhaften Aufregung, die in seinem Colorit liegt, erscheint als ein Pathos, das bei vollendetem Gegensatz gegen alles Classische doch der hohen Erregung, die seine reinen Formen mit sich führen, indirect auf ähnliche Weise verwandt ist wie Shakespeare, der nichts von den Alten wußte und auf der Höhe der tragischen Bewegung doch so tief an sie erinnert. Die Leidenschaftlichkeit und Wildheit der Zeit, von der wir öfters gesprochen, hat in Rubens, seinen historischen Stücken und blutigen Jagden, und in Rembrandt den vollsten Ausdruck, dort in Form schwunghaften Ausbruchs, hier still und gespenstisch aufdämmernder Drohung, erhalten; es liegt aber in diesem wilden Wurfe noch immer etwas von der Großheit des Styls im emphatischen Sinne des Worts, der sich auch äußerlich im größeren Maaßstab ausspricht. Es wird nun endlich voller Ernst daraus, daß die Malerei demokratisch ist (vergl. §. 655), aber Rembrandt ist noch großartig drohender, die Kabi- netsmaler sind beruhigter Volksgeist, welcher der besiegten Grandezza des Romanismus das breite Gelächter nachschickt und zugleich schon wieder Zeit hat, feinere, behagliche, gebildete Sitte zu gründen. Zieht sich nun hier jene Größe zur zierlichen camera obscura der Welt zusammen, so ist dafür auch mit voller Folgerichtigkeit die malerische Richtung als ein in’s Schärfste und Feinste ausgebildeter Naturalismus und Individualismus in ihre wahre Sphäre eingetreten. Jetzt endlich hat der flandrische Styl seinen wahren Ort gefunden: er ist sittenbildlicher und Landschafts-Styl, er hängt sich nicht mehr an die großen Stoffe des Mythus und drängt die handeln- den Figuren aus dem Alleinbesitze des Interesses, das ihnen gehört, er zieht sie nicht mehr aus der Idealität, die ihnen als absoluten Gestalten gebührt, in die Bedingtheit des bürgerlichen Lebens herein, er verschont sie damit, indem er sie aufgibt. Jenes Ganze wird vertheilt : die Theile suchen den Zweig, wo sie als Ganzes sich ausbreiten dürfen und sollen. Aber Ein Stück findet keine Stelle, es geht leer aus: das ist eben der Inhalt, der jenen absoluten Gestalten zu Grunde liegt, der hohe Gegen- stand. Da der Mythus gefallen ist, so mußte freilich dieser Gegenstand ein anderer werden; an seine Stelle mußte dem Stoffe nach die geschicht- liche Malerei, dem Geiste der Behandlung nach der höhere Styl treten, der plastischen Schwung in sich aufzunehmen hatte, aber darum doch malerisch bleiben konnte, und dieser Styl hätte zugleich das grandiosere Sittenbild und die großartigere Landschaft hervorbringen müssen. Dazu hatten diese Holländer die Stimmung nicht und, weil ihnen diese fehlte, die Formen nicht. Sie konnten sie nicht haben, denn alles reine Pathos, aller höhere Stoff, aller edlere Schwung der Form war ihnen durch die Nach- ahmer der Italiener in so lügnerischer Gestalt entgegengetreten, hieng so innig mit der Welt des romanischen Geistes zusammen, mit der sie auch im bitteren Ernste so eben auf Leben und Tod gekämpft hatten, daß sie Alles, was dahin zeigte, schlechthin von sich ausstießen. Man nannte und nennt noch jetzt häufig diesen Rückzug auf das Stück Welt, dem der malerische Styl in seiner abgeschlossensten Eigenheit allein entsprach, ein Ausblühen, ein Ende. Das ist er auch nach der einen Seite so wie das ähnliche Herabsteigen zu dem Realen das Ende der antiken Kunst war. Allein als absteigende Linie stellt sich dieser Gang nur dar, wenn man ihn vom Gipfel des Olymp überblickt; bedenkt man dagegen, daß an die Stelle des Olymp jene höheren Zweige rein menschlich wunderlosen In- halts treten sollten, so ist diese Erscheinung Anfang, gewonnener fester Boden, Basis, Vorstudie und die Linie führt von ihr zu einem neuen Gipfel. Hier ist denn die Stelle, wo sich der Schlußsatz des §. 715 ge- schichtlich bewährt. Durch ihre Beschränkung haben die Holländer ein schmales, aber sicheres Stück Festland für die Zukunft gerettet aus den wachsen- den Wogen des nun immer stärker andringenden falschen, dem Stoff nach allegorischen, dem Styl nach theatralisch antikisirenden Idealismus. „Lediglich die Zerklüftung der Malerei in getrennte Fächer sicherte in jenen Zeiten der allgemeinen Zerrüttung dem Realismus in der Landschaft und im Genre ein Asyl“ (Teichlein a. a. O. S. 35). Wenn wir übrigens hier von einem im engsten Sinne malerischen Style reden, so darf doch nicht wieder an die Mängel des älteren deutschen gedacht werden. So viel, als sie für ihre Sphäre, für das gemüthliche Genre und die Stimmungs-Landschaft brauchen, haben sich die Holländer aus der Bildungssumme der Zeit, worin das plastisch Italienische doch ein gemeinschaftliches Haupt-Capital war, aller- dings längst angeeignet; die Formenwelt, die sie geben, verstehen sie voll- ständig wie die Brillantenwelt der entsprechenden Farbe. — Weiter gehen wir nicht ein; die Lehre von den Zweigen hat das Wichtigste besprochen, die einzelnen Meister zu charakterisiren würde uns hier doch der Raum nicht gestatten. §. 737. Das eigentlich Moderne tritt ein mit der grundsätzlichen Erhebung der antiken Form zur Mustergebenden Regel, d. h. dem Classicismus , und den hieraus erwachsenden Kämpfen. Trotz der völligen Verkennung des ächt Ma- lerischen ist dieser Durchgang den nordischen Völkern nothwendig. In erster, abstracter Weise übernimmt die französische Kunst die Einführung dieses Prinzips. Im Rückschlage gegen die Entartung eines früheren, schon an sich 49* weniger methodischen, Classicismus in ausschweifenden Prunk und Sinnenkitzel wird durch David das plastische Stylgesetz des Alterthums zur straffen Richt- schnur und zum mechanischen Schulzwang erhoben, zugleich aber durch die Stimmung eines theatralischen Pathos verfälscht. Wir haben folgende interessante Verschiebung der Ordnungen vor uns: es ist zunächst die dritte von drei parallelen Gruppen, vor der wir stehen; jede der beiden ersten Gruppen enthält Action und Reaction: die erste bilden die italienischen Eklektiker und ihre Gegner, die Naturalisten; die zweite die Belgier und Holländer, von denen die letzteren selbst gegen die Reminiscenz von plastischem Formenpathos reagiren, die noch in Rubens ist, ja sogar gegen die düstere Großheit Rembrandts; die dritte, bei der wir angelangt, zeigt zwar auch zwei Formen, aber Formen desselben Prinzips, das erst noch weiter ansteigen und dann seinen Gegner finden soll. Dieß ist die eine Linie der Betrachtung; nach der andern stehen dagegen die Belgier und Holländer als Ein Ganzes der gesammten ersten, italienischen Gruppe gegenüber, bilden das ächt malerische Gegenbild gegen ihre Anschauung. Jetzt ist die gegenwärtige dritte Gruppe nicht mehr eine von dreien, sondern sie eröffnet als erster Satz, als Thesis einen neuen Gang. Und diese Beziehung ist so einschneidend, daß wir nun die beiden ersten Gruppen in eine Vorstufe des modernen Ideals zu verweisen haben, das im strengsten Sinn erst jetzt eintritt. Denn in der That beginnt das ächt Moderne erst da, wo die nordischen Völker der neueren Zeit, um sich von der Härte jenes Bruchs zwischen Inhalt und Form zu befreien (§. 467), zum erstenmale bewußt, prinzipiell, straff und in vollem, ganzem Schritte das antike Formgesetz in sich aufnehmen. Das war bisher nie geschehen. Abstract, einseitig mußte dieser erste Schritt der volleren Aneignung sein, wenn er entschieden, radical sein sollte. In solcher schnurgeraden Weise konnte ihn aber nur dasjenige der nordischen Völker vollziehen, dessen germanische Elemente sich ganz in das herrschende ro- manische eingeschmolzen haben, denn romanisch ist eine solche generalisirende Disciplin. Inzwischen haben wir nicht einen einfachen Schritt vor uns; in der Geschichte der Phantasie hat §. 476, auf den wir zurückverweisen, vor Allem die Poesie im Auge, die ihre classische Dictatur zur Zeit Lud- wigs XIV in Einem Haupt-Tempo in’s Werk setzte; in der Malerei sind es zwei Momente: voran geht eine harmlosere, weniger straffe Form des Classicismus, die mit Nicol. Poussin beginnt, und erst in der Zeit der Nevolution folgt die zweite, radicale Form, begründet durch David . Zu diesem Begriffe des Radicalen gehört die weitere Bestimmung, daß nicht nur auf die den Alten verwandten Maler Italiens, sondern zur Quelle, zu den Alten selbst zurückgegangen wurde. Dieß that allerdings schon Nicol. Poussin, der an diesem Muster die kalte Strenge seiner antiken Formbildung und schulgerechten Composition ausbildete. Allein neben ihm her zog sich eine andere Linie: Vouet hatte sich an die italienischen Na- turalisten gelehnt, le Sueur gieng auf die Eklektiker, selbst auf Raphael zurück; das Malerische war in der plastischen Richtung noch stark genug, jene Blüthe der heroischen Landschaft zu erzeugen (§. 733); endlich aber bildeten sich aus den classischen Nachwirkungen des Nic. Poussin, dem daneben fortlaufenden Naturalismus und der im zweiten Theile unseres Systems geschilderten Stimmung der Rokoko-Zeit jene in aller Kälte der Regel doch wild manierirte, im Conventionellen willkührliche, im Will- kührlichen conventionelle, zugleich elegant frivole Malerei aus, in deren Mittelpunct noch mit verhältnißmäßiger Würde ein le Brun steht. Dieser Geschmack beherrschte despotisch die Zeit; die holländische Malerei selbst gab sich nun auf und neben edleren Einflüssen des Italienischen sieht man an der geleckten Porzellan-Glätte eines Adrian van der Werff, was daraus entstand. — Durch diese Verwilderung und Ausschweifung schneidet nun mit scharfem Messer David , wie die Revolution durch den faulen Körper des Staats. Der Auffassung und Stimmung nach fehlt es ihm und seiner Schule nicht an Größe; Eines hat er, was ächt malerisch ist: drama- tisches Feuer, und nach den Stoffen der alten Geschichte greift er mit richtigem Gefühl. Doch dieses Feuer ist theatralisch pathetisch wie die Redner der Revolution und wie der Franzose überhaupt (vergl. §. 476 Anm.) und die classische Form, so sehr ihr dieser Ton widerstrebt, herrscht doch als absolute Regel in der Zeichnung, die Farbe erkältend, die In- dividualität ertödtend, den Schüler im Copiren, Zeichnen nach Modell- Acten mechanisch dressirend: der akademische Formalismus ist nun erst in seiner militärischen Ordnung eingesetzt und legt zwar den Grund zu der ausgezeichneten technischen Tüchtigkeit der Franzosen, ist aber in dieser Einseitigkeit auch der Tod aller Originalität und Frische der Anschauung. — In Deutschland tritt mäßiger, reiner, ruhiger der eklektische Idealist der Form, Raph. Mengs auf; doch diese Erscheinung ist mehr vereinzelt. §. 738. Die Despotie dieses abstracten und verfälschten Classicismus durchbricht der deutsche Geist, der die alte Kunst als eine zweite, reine Natur begreift, ihr inneres Wesen sich lebendig aneignet und den Schulzwang umstößt. Hiemit ist der Moment eingetreten, wo die deutsche Kunst von dem ihr bis dahin eigenen unästhetischen Bruche sich befreit; doch ist auch dieser ächte Classicismus wieder einseitig, verliert sich in Mythus und Allegorie und geht auf Kosten des national deutschen Berufs zum ächt Malerischen. In der Geschichte des Ideals berücksichtigt §. 477 und 478 zunächst die Revolution in der Poesie, welche ungleich später zum ächten Classicis- mus fortschritt; für die Malerei ist daher, was in §. 479 gesagt ist, zurück- zudatiren: sie ergriff zuerst die reine antike Form, die tiefere Erwärmung derselben mit der Fülle des deutschen Geistes folgte, wie wir sehen werden, nach; die Poesie begann umgekehrt mit dem Sturm der Empfindung und lernte erst dann von den Alten die reine Form. Die genialen Männer, welche, von Winkelmann zum ächten Quellwasser geführt, mit dem conventionellen Afterbilde des Classischen brechen und seine hohe Einfalt, die bescheidene Grazie seiner wahren Schönheit, seine Formenbildende Seele selbst in sich aufnehmen, diese Männer, die jetzt erst endlich der deutschen Nation jenes wahre Mittel der Lösung von dem anhängenden Reste der Form-Barbarei bringen, das wir seit dem fünfzehnten Jahr- hundert suchen, die Karstens , Eberh. Wächter, Koch, Schick treten — den Letzteren ausgenommen, der sich mehr an Raphael anschließt und leider von seiner herrlichen Laufbahn früh abgerufen wird — selbst wieder auf die eine Seite des Gegensatzes, dessen Kampf das Triebrad der Kunst- geschichte ist. Von nun an, im Tageslichte der nahen Vergangenheit und Gegenwart, zeigt sich uns immer schärfer und deutlicher die Natur dieser und aller Geschichte: ihre Nadel oscillirt um das absolute, nie erreichte Endziel so, daß jede erreichte Einheit und Ver- söhnung der Gegensätze selbst wieder zu einem derselben hinüberfällt (vergl. §. 676 Anm. 2). Statt dem Prinzip des ächt malerischen Styls, zu dem die deutsche Kunst durch den innersten Geist der Nation berufen ist, das richtige Maaß des Plastischen beizumischen, werden sie, die allerdings den falsch sculptorischen Regel-Zwang der Franzosen niedergekämpft haben, nun selbst Plastiker der Malerei, lebendig und seelenvoll, aber ohne Individualität, stylvolle Zeichner, aber schwache Coloristen, edle Anordner geistreicher Erfindung, aber mangelhafte Execu- toren, Ausbeuter des alten Mythus und der alten Allegorie, Erdichter von neuen, Freunde der Stoffe aus der alten Geschichte und Mißkenner der unendlich mehr malerischen Natur der Stoffe des Mittelalters und der neueren Zeiten. §. 739. Im Kampfe gegen diese neue Einseitigkeit verkehrt die romantische Schule ein ästhetisches Prinzip zu einem dogmatischen, behauptet, statt für den Drang zum ächt Malerischen die geeigneteren Stoffe in der Geschichte des Mittelalters zu suchen, dessen Mythenkreis als allein wahren Stoff und demgemäß seinen unreifen Styl als Formgesetz. Die „neudeutsch-romantisch-religiöse“ Richtung worin Overbeck, Veit, Schadow und Andere stecken blieben, während ein Cornelius und Schnorr sich herausarbeiteten, liegt uns als eine überwundene Stufe klar genug vor, um das Wahre und Falsche in ihr zu unterscheiden. Das Wahre bestand in dem tiefen Drange zur Ausfüllung der Lücke, die jene classische Gruppe gelassen, zur Ergänzung ihrer Einseitigkeit, d. h. zum Malerischen ; das Falsche in der Verwechslung, die der §. ausspricht. Dieser Drang hätte, wie schon gesagt, auf die Stoffe führen müssen, welche dem Maler jenen Ausdruck tief innerlichen Seelenlebens, der den classischen Stoffen und Mythen fehlt, jene Charakterformen, wie wir sie in Lehre vom Wesen der Malerei gefordert, und die farbenreichen, beweg- ten Culturformen entgegenbringen, die das Mittelalter, obwohl freilich nicht allein, doch mehr, als das classische Alterthum, darbietet (vergl. §. 709, 2. ), und was die Stylfrage betrifft, so galt es, gegen jene Plastiker der Malerei sich nach der einen Seite an den deutschen Styl unserer großen Meister am Schlusse des Mittelalters anzuschließen, nach der andern von den großen Coloristen, den Venetianern, den Niederländern zu lernen. Es war keine Gefahr mehr, in die Fehler der Ersteren zu verfallen, denn jenen Reformatoren verdankte man ja bereits positiv das geläuterte Form- gefühl, die reine Zeichnung, man mußte aber zur weiteren Ergänzung der alt- deutschen Styl-Härten zugleich den Blick auf die reifen Italiener, einen Leonardo da Vinci, einen Raphael als ewige Muster des Schönen richten. Daß hiemit kein eklektischer Auszug, keine todte Nachahmung gemeint ist, sondern ein freies, selbständiges Umschauen und Hineinfühlen, brauchen wir nicht zu versichern. Statt dessen predigt man dogmatisch das Mittel- alter, wird katholisch, behauptet den christlichen Mythus als allein würdi- gen Stoff, ergeht sich abstract in neuen Allegorien, und um die Ansätze falscher Freiheit zu meiden, die freilich selbst bei Raphael schon sich zeigen, zieht man aus dieser Doctrin die natürliche Consequenz, daß der gebundene Styl der unreifen, aber desto frömmeren Meister das absolute Muster sei. Also wieder ein Extrem, doch eigentlich nicht das logisch genaue: nicht ein Extrem des streng Malerischen, sondern ein Heraustreten aus dem Aesthetischen überhaupt als einer Welt des freien Scheins, aber ein begreifliches Extrem, dem wir doch, insbesondere im Ausdruck tiefer Gemüthswelt, zum Theil auch in Belebung der Farbe unendlich viel danken. §. 740. Die neuesten Bestrebungen der Malerei stellen den noch gährenden Läu- terungskampf der entgegengesetzten Stylprinzipien dar, worin die deutsche Malerei, aus der Romantik sich losringend, in großartigem Aufschwung aber- mals zu einer mehr plastischen, als malerischen, und zugleich gedankenhaften Richtung fortgieng, hierauf deren Gegensatz zwar auch in ihrem eigenen Schooß erzeugte, vorzüglich aber durch die, ihrerseits zu neuem Leben erwachte, fran- zösische und belgische Kunst heilsam, doch auch nicht ohne Gefahr des Verlasts ihrer Schlichtheit und idealen Tiefe auf ihre uralte Bestimmung zum ächt Malerischen hingewiesen wird. Das erste Moment in der kurzen Uebersicht, die der §. gibt, bildet der Mittelpunct des mächtigen Aufschwungs, den die Kunst in Deutschland, vorzüglich in Baiern nahm, die Münchner -Schule. Hier trat in seiner Größe der deutsche Geistes-Verwandte des M. Angelo, Cornelius , auf. Dieser männliche Geist hat aus der romantischen Periode eine Kraft gerettet, welche ihr übrigens eben nicht eigen war: die Energie der Charakterdarstellung und die Bewegtheit, die Gluth der Handlung. Nach allen andern Seiten aber war er so angelegt, daß er aus der malerischen Richtung heraustreten und sich ganz auf die Form, die Zeichnung, nicht im Sinn der Grazie, sondern der Erhabenheit, richten mußte, und dieser Anlage kam die fruchtbare Idee des Königs Ludwig von Baiern, der bildenden Kunst durch große monumentale Aufgaben, der Malerei also durch die Freske Aufschwung zu geben, entgegen; mit der mächtig heben- den Wirkung dieses Motivs stellte sich auch das Nachtheilige ein, wie wir es zu §. 693 dargestellt haben, und dazu gehört der Ueberschuß des Gedankens, die Neigung, die Idee aus ihrem naturgemäß realen Körper herauszuziehen und in besonderen Körpern transcendent hinzustellen. Somit war eine neue plastische Einseitigkeit, Herrschaft des Conturs, Ver- nachläßigung der Farbe, Mythus, Allegorie begründet, obwohl Cornelius auch in dieser Thätigkeit, besonders in seiner höchsten Leistung, worin er lebenswahren heroischen Stoff ergriff, in den Darstellungen aus der griechi- schen Heldensage, jene Macht einer Charakterzeichnung, die so tief deutsch, Dürerisch, malerisch ist, zugleich mit der Großheit der Linie, dem dramati- schen Feuer, der tief tragischen Empfindung, der gewaltigen Composition in Fülle bewährt hat. In München selbst fehlte es nie an Künstlern, die nicht vergessen hatten, daß man hier doch auf dem besten Wege war, bei aller Größe des Styls das eigentliche Wesen der Malerei aus den Augen zu verlieren; besonders aber war durch das niederdeutsche Wesen für ein Gegengewicht gesorgt, daß der Farbensinn und der Sinn für den vollen Schein des Realen nicht ganz von diesem zeichnerischen directen Idealismus überflügelt werde. Doch dieser Zug der Düsseldorfer brauchte Zeit, sich aus den sentimental romantischen Anfängen herauszuarbeiten, und es blieb auch nachher dieser Schule trotz ihrer an sich malerischen Grund- tendenz eine gewisse Scheue vor der saftigen Fülle des Lebens und vor feurig dramatischer Bewegung, ein Ueberschuß an Reflexion, an Bewußt- heit, ein Mangel an Naivetät. Landschaft und Sittenbild entwickelten sich frei und geistreich, unbeirrt von dem religiösen Kunst-Dogma, in der geschichtlichen Sphäre ergriff die feine und starke Kraft Lessings mit frei protestantischem Sinn die Stoffe der Reformation, gieng auch vom bloßen Situationsbilde (vergl. §. 711 Anm.) zu bewegteren Scenen fort; doch daß geschichtliche Stoffe von Zöglingen dieser Schule mit solcher Frische und Schneide erfaßt werden, wie von Leutze in jenem Bilde Washingtons, ist sehr neu. — Hier mußte wieder romanisches Feuer einwirken. Die Franzosen hatten sich aus dem Classicismus heraus- gearbeitet, hatten sich an der Hand der großen Meister Italiens wieder zum Leben und zur Farbe gewendet, und der natürliche frische Griff, das geistreiche Packen der Dinge im schlagenden Momente, das dieser Nation eigen ist, entwickelte eine Verbindung von kühnem, wirkungs- vollem Naturalismus und energischer dramatischer Bewegtheit, in der Ausführung von jener Sicherheit der Zeichnung unterstützt, die eine Frucht der strengen akademischen Zucht war, jetzt aber von den geschilderten Ue- beln dieses Ursprungs sich befreite und in ein volles und kräftiges Farben- Element eintauchte. Alle Zweige wurden energisch erfaßt, Leopold Robert , der Schöpfer des höheren, plastisch malerischen Sittenbilds, machte seine erste Schule in Paris; das Bedeutendste aber war der feu- rige Geist, womit man die höchste moderne Aufgabe, das Geschichtliche, ergriff. Wir nennen nur Horace Vernet und Delaroche . — Von anderer Seite brachen auch die Belgier mit dem David’schen Classicismus und gedachten wieder ihres Rubens; als Führer gieng Wappers vor- an; der alte Farbensinn erwachte in seiner Tiefe und Wärme. Sie wandten sich aber zugleich zu den Franzosen und suchten sich nicht nur ihre Zeichnung, sondern auch ihre Art des Effectes zu eigen zu machen. Diese französisch belgische Kunst war es denn, welche vorzüglich durch Gallaits Bild „die Abdankung Carls V “ die Deutschen aus ihrer mythisch-allegorischen Gedankenhaftigkeit und der neu eingedrungenen plastischen Bevorzugung der Zeichnung, der linearen Composition auf- schüttelte. Ueber diesen Moment, seine Folgen und deren Gefahren vergl. namentlich die mehr angeführte Schrift von A. Teichlein. Es ist in dieser französisch belgischen Kunst ein Ertränken der Idee in der Sächlichkeit des Gegenstands, wogegen allerdings der deutsche Geist seine Gedanken- tiefe behaupten muß, gewiß nicht, um in allegorischer Form den Gedanken des Gegenstands neben den Gegenstand zu stellen, sondern um diesen so zu behandeln, daß er aus ihm selbst schlagend herausleuchte; es ist, während nach dieser Seite die Verzichtung nur zu weit getrieben wird, nach der andern eine Absichtlichkeit des Effects darin, die selbst grasse Mittel, ein andermal falsche Reize nicht immer scheut, wogegen die Deutschen ihre alte Schlichtheit und gesunde Wahrhaftigkeit behaupten sollen, und es ist nicht darin die Schärfe der Charakterzeichnung und individualisirenden Physiognomik, worin unsere Dürer und Holbein uns die wahren Muster bleiben, an die sich namentlich Rethel so tüchtig angeschlossen hat; aber eine Gesammtwirkung realer Auffassung und Farbenharmonie ist darin, von welcher wir ein für allemal die Umkehr zum ächt malerischen Style zu lernen hatten. Es war Zeit, daß wir von der Freske wieder mehr zur Oelmalerei uns wandten. Jene wird die Trägerinn des Styles bleiben, diese soll als Trägerinn der Lebenswahrheit ihr zur Seite gehen. Auf’s Neue stehen wir denn vor der Aufgabe wahrer Vereinigung der ent- gegengesetzten Stylprinzipien. Das Bedenkliche ist die Bewußtheit, die in unserer Zeit auch den Künstler beherrscht und ihm so sehr erschwert, ein- fach in der Sache zu sein, ihn verführt, sie mit Beziehungsreichem zu überfruchten, mit „Ideen“ zu übersättigen, wenn nicht gar in ironische Gegensätze aufzulösen. Nicht leicht sehen wir Reinheit des Styls und haarscharfe, bis zum Beißenden eindringliche Physiognomik so vereinigt wie in Kaulbach ; aber auch jener bedenkliche Zug der Zeit ist ihm eigen und hat ihn bis jetzt verhindert, seine bedeutenden Kräfte zu einer ungebrochnen organischen Einheit zu verschmelzen. Fast will es mitunter scheinen, als ob hier etwas von dem Auflösungsprozesse sich fühlbar machen wolle, der in unserer Poesie mit Heine eingetreten ist. Allein es gilt, gegen diesen Schein sich zu wehren und an das Tüchtige und Große zu halten, was uns nicht fehlt und was in einem Manne wie Kaulbach Stärke genug haben muß, das Positive und Negative in seinen Kräften reiner zu sondern und zu ordnen. §. 741. Die Lücke der höheren Stoffe , welche nach Auflösung des Mythischen bei der Besitznahme vom Boden der ursprünglichen Stoffwelt gelassen wurde, ist ausgefüllt durch die höheren Zweige der Landschaft, des Sittenbilds, vor- züglich aber der geschichtlichen Malerei. Zu einem schwunghaften Anbau ist aber die letztere nach nicht gelangt. Wir haben zuletzt mehr den Styl in’s Auge gefaßt und die Stoffe, die Zweige nur in einzelnen Bemerkungen berücksichtigt. Die Fülle wackerer Kräfte, welche sich rings um die bestimmenden Mittelpuncte aus- breitete und ausbreitet, konnten wir nicht nennen und schildern, da wir hier nur das Entscheidende herauszustellen haben. In Sittenbild und Landschaft ist das, was Epoche machte, die Schöpfung Rottmanns und Leopold Roberts, schon in der Darstellung der Zweige hervorgehoben. Die höhere, mit der Großheit historischen Geistes getränkte Form dieser zwei Gattungen ist es, die neben dem großen Style der Geschichtsmalerei die Stelle einnimmt, welche sonst der Mythus inne hatte. Warum nun aber die letztere, die nicht blos der Behandlung, sondern auch dem Gewichte des Gegenstandes nach die wahre Nachfolgerinn des Mythus sein sollte, in diese Rolle mit voller Lebenskraft einzutreten zaudert, das erklärt sich theilweise wohl aus dem, was zu §. 695 ausgeführt ist, aus allen den Schwierigkeiten, die aus der Erschütterung hervorgehen, welche §. 469 nachgewiesen hat. Es liegt aber noch ein besonderes Hinderniß in der Stimmung der Zeit . Das geschichtliche Bild will eine Anspannung des Gemüths, wie Sittenbild und Landschaft sie nicht fordert; da genügt nicht die stille Vertiefung, sondern da gilt es, furchtbaren Entscheidungen mit der Entscheidung der eigenen, ganzen Seelenkraft zu folgen. Dieß liegt nicht im Zug einer Generation, welche, als sie in ihrem Geschäfte immer gründlicherer und weiterer Durchdringung und Bewältigung des Objects in Wissenschaft, Technik, Organisation endlich auch an den Staat kam, durch furchtbare Erfahrungen so niedergeschlagen wurde, daß sie sich ganz auf den stillen und friedlichen Theil ihrer Arbeit zurückgezogen hat und darin durch große Katastrophen vorerst nicht gestört sein will, ja selbst im Bilde sie scheut. Daher die allgemeine Klage, daß der Tisch unserer Kunst mit Nebenspeisen reichlich besetzt ist, daß aber das große, kernhafte Hauptgericht auf sich warten läßt. Hier kehrt unsere Betrach- tung zu §. 484 Schluß der Anm. zurück. Anhang . Die Caricatur. — Die vervielfältigende Technik. — Die Decorationsmalerei. — Die schöne Gartenkunst. §. 742. 1. Die Malerei bewegt sich frei und wirkungsreich in dem Gebiete, worin die Tendenz unter der Satyre sich versteckt (vergl. §. 547). In dieser nimmt die Idee zu der Wirklichkeit entweder die Stellung ein, daß der strafende Ernst über den Scherz oder daß dieser über jenen vorwiegt, und das letztere, freiere Ver- hältniß erhebt sich bis an die Grenze des rein komischen Sittenbildes, das sich in dem flüchtigeren Theile seiner Erfindungen wirklich an dieses Gebiet knüpft. 2. Das allgemeine Hauptmittel der satyrischen Malerei ist die Uebertreibung des Charakteristischen: die Caricatur (vergl. §. 151), übrigens durchläuft sie auf diesem Boden die Formen der Posse, dient vorzüglich dem Witze und liebt mit dem Humor (vergl. §. 214 und 440) die grotteske Verschlingung der Ge- stalten. Der Anschluß an die Literatur, der vorzüglich diesem Uebenzweige der Kunst zusteht, ist sowohl ein Ausdruck seiner Unselbständigkeit, als auch ein Mittel seines fruchtbaren Eindringens in das Leben. 1. Wir heben unter den anhängenden Gebieten zuerst dasjenige her- aus, welches in dieser Kunst das bedeutendste ist. Will man es gerecht beurtheilen, so darf man nicht den Maaßstab des rein Aesthetischen, son- dern muß den gemischten des ästhetischen und des ethisch historischen Stand- puncts anlegen: was an eigentlicher, reiner Kunst verloren geht, wird an directem Einfluß auf das Leben, eindringlicher Durchsäuerung und Durch- salzung seiner trägen und schlechten Stoffe gewonnen. Man erinnere sich nur an die unendlichen Caricaturen der Reformationszeit, den äzenden Ausdruck ihrer kritischen Schärfe, ihres erwachten Bewußtseins. — Schon zu §. 547 ist gesagt, daß die Malerei auf dem Boden, der sich nun vor uns ausbreitet, unendlich freier und fruchtbarer sich bewegt, als die Plastik; dieß erklärt sich einfach aus ihrem Kunstverfahren und aus der Geltung, welche durch ihr Stylgesetz denjenigen Momenten gegeben ist, deren aus- drückliche Verschärfung eben das Hauptmittel satyrischer Darstellung be- gründet: der volleren Naturnachahmung und der Individualisirung. — Wir haben nun zuerst die Stellung, welche in diesem Gebiete Inhalt und Form zu einander annehmen, und dann die Unterschiede zu bestimmen, die innerhalb derselben hervortreten. Das Verhältniß ungetrennter Einheit, worin jene Elemente in aller reinen Kunst verschmolzen sind, ist gelöst; die Idee ist aus dem Naturstoffe, der dem Künstler als Vorbild im Ganzen und Großen vorliegt, herausgezogen, der Künstler denkt und weiß die Wirklichkeit als die ihrer Idee unangemessene und hat die Absicht, den Zweck , sie dieß durch sein Werk in der Form der Anschauung fühlen zu lassen. Man verwechsle dieß nicht mit dem Bewußtsein der Unange- messenheit, das dem rein Komischen (wie dem Erhabenen) zu Grunde liegt. Dieses Bewußtsein ist als künstlerisches Verhalten doch ganz naiv und ungetheilt in seinem Stoffe; jenes dagegen hat es nicht nur mit einer widerstreitenden Grundform des Schönen überhaupt zu thun, sondern widerstreitet im Acte des künstlerischen Schaffens selbst der Welt, wie sie ist, wie sie empirisch vorliegt; die reine Kunst scheidet in unbefangener Stimmung, ohne Haß die Mängel derselben aus und vergißt sie harmlos über ihrem idea- len, sei es auch komisch idealen Abbilde, diese anhängende Kunst hat und be- hält sie im Auge, bekriegt, verfolgt sie, packt und schüttelt sie. Die erste Form in diesem Verhalten ist die didaktische : der Gedanke wird in aus- gesprochener Absicht direct vorgetragen, die Einkleidung kann daher nur allegorisch oder bloßes Beispiel sein. Diese Form ist die kahlste, ärmste, der §. erwähnt sie daher gar nicht; sie wird uns erst in der Poesie wich- tiger. Freilich hat selbst ein Karstens Raum und Zeit nach Kant gemalt. Im Tendenz bilde versteckt sich die Lehre in eine Handlung, es trägt eine Idee vor, indem es die Uebel und Leiden aufzeigt, die da ausbrechen, wo die Wirklichkeit ihr unangemessen ist; die Handlung ist eigentlich auch nur Beispiel, aber sie faßt und erschüttert so stark, daß die Absicht in der schneidend ernsten und erschütternden Wirkung unvermerkt mitaufgeht. Bilder wie Hübners Weber und Wilderer sind doch etwas ganz Anderes, als z. B. Hogarths Weg des Liederlichen und Rechtschaffenen. Reine Kunst ist aber auch dieß nicht, denn solche Darstellung ruht ja ganz auf jenem gelösten, negativen Verhältnisse der ästhetischen Elemente; daher beunruhigt, ja peinigt sie und ihre Bedeutung liegt nur in dem Beitrage, welchen der von ihr geweckte Grimm zur Macht des öffentlichen Unwillens gegen Mißbräuche, Vorrechte u. s. w. gibt. Der §. nennt auch diese Form nur im Uebergange zu einer andern, weil sie wirklich doch ebenfalls zweifelhaft, wenig angebaut ist. Auch im gelösten ästhetischen Verhältniß wird doch ein innigeres Band der Elemente gefordert, und dieß tritt ein, wo das, was im Didaktischen nackt allegorisch oder mehr indirect, aber sehr merklich durch Beispiele, im Tendenziösen in unmerklicherem, aber peinlichem Ernst der indirecten Absichtlichkeit geschieht, auf komischem Wege vollzogen wird. Dabei bleibt der Unterschied von der Komik der reinen Kunst unverändert stehen: zwar entlehnt eben diese Gattung das Verfahren einer ästhetischen Grundform, behält aber den Standpunct der Züchtigung der empirischen Wirklichkeit, die Tendenz ist zum Fermente geworden, das die Formen verzerrend auftreibt, in ein chemisches Agens verwandelt, eigentlich aber doch nicht verschwunden. Dieß also ist das Satyrische : es wird „die wahre Idee der unwahren Gestalt als Folie untergelegt im Sinne der Komik“ (§. 547). Doch kehrt der Gegensatz des fühlbar Tendenziösen und des in komische Wirkung versenkten Ten- denziösen im Satyrischen selbst wieder, und zwar als Unterschied der bitter lachenden, scharf geiselnden und derjenigen Satyre, welche zwar auch die verkehrte Welt verfolgt und beißt, aber doch schon dem freieren Spiele der reinen, zweck- und tendenzlosen Komik sich nähert, welche ihr Auge vom Schädlichen und Verderblichen abwendet und mit hellem Lachen nur die Thorheit aufdeckt. An dieser Grenze entsteht denn ein großes Ge- dränge, eine Masse von Formen, Darstellungen bricht hervor, welche man eigentlich nicht mehr Satyre nennen kann und doch gemeinhin unter dem Namen „Caricatur“ mit dieser zusammenfaßt, von dessen geläufiger Gleich- bedeutung mit Satyre im Gebiete der Malerei der Grund bereits angedeutet ist. Es sind dem größeren Umfange nach humoristische Sittenbilder; sehr gerne wird bei diesen, wie im reinen Sittenbilde, mythisches Motiv benützt, das aber nun komisch mythisch, hiemit phantastisch auftritt. Diese Form ist aber, wie sich nachher ausdrücklich zeigen wird, nichts Anderes, als ein äußerstes Maaß der Ueberladung des Charakteristischen, und in dieser liegt denn eben die Linie, die solche humoristische Sittenbilder nebst der gutmüthigeren Satyre, an die sie sich in unmerklichem Uebergang schließen, von demjenigen Zweige der reinen Kunst scheidet, der ohne Rückhalt diesen Namen verdient: sie übertreiben insgesammt wie die harte Satyre das Charakteristische in einem Grade, den die reine Kunst auch im Komischen meidet; durch diese Steigerung verrathen sie eine Schärfe, die doch auch ihren Grund in jener Lösung und Lockerung des ästhetischen Bandes hat, sie zeigen, daß der Künstler doch außerhalb des Stoffes steht, der empi- rischen Welt gegenübertritt, sie als solche von außen faßt und rüttelt. Wer ästhetisch im Stoffe bleibt, übertreibt in solcher Weise auch im Komi- schen nicht, sondern hält sich mild und mäßig; das ist in §. 684, 2. ge- sagt. Nur die Poesie hat die Mittel, auf der Grundlage der Uebertreibung doch zugleich das Ganze eines Kunstwerks in die höhere, rein ästhetische Komik, in den zwecklosen Wahnsinn des vollen Humors hinaufzuführen (Aristophanes); die Malerei entfesselt die Schärfe und Kühnheit der Komik, den Ausbruch des lauten Gelächters nur in diesem anhängenden Zweig, in der Caricatur. Ueberdieß binden sich diese humoristischen Sit- tenbilder meist an einen Text und verrathen auch dadurch die Lockerung des ästhetischen Bands, den Charakter des Anhängenden. Sie stehen durch das freiere Spiel ihrer Komik an sich höher, als die Satyre; die fliegenden Blätter z. B. geben vorherrschend humoristisches Sittenbild und können darum über Caricaturblätter im satyrischen Sinne des Worts gestellt werden, allein die Schärfe der Ueberladung zeigt doch, daß man in einem Gebiete sich befindet, dessen Ausgangs- und Mittelpunct die eigentliche Satyre ist; bestreut man nun einmal die Wirklichkeit mit Salz, so soll es auch beißen, gilt einmal das Stoffartige, so wollen wir auch, daß dem gerechten Grimm und Haß gegen die faulen Stellen des Körpers der Zeit sein Ausdruck werde, wir wollen Schneide, wir wollen Bosheit; fortgesetztes komisches Sittenbild ohne dieses Hauptgewürze wird daher matt; es braucht zur Erhaltung dieses Fleisches wenigstens von Zeit zu Zeit ein recht scharfes, keckes, ächt satyrisches Pfefferkorn, wie es in jenen Blättern zu ihrem Nachtheil neuerdings ausbleibt; dasselbe gilt vom Charivari, seit ihm die Politik versperrt ist. 2. Wir haben als das gemeinschaftliche Verfahren der scharfen, das Verderbliche hervorkehrenden und der freieren, die Thorheit harmloser ver- lachenden Satyre, sowie jenes ganzen Gebiets, das sich dem rein humo- ristischen Sittenbilde nähert, die Ueberladung des Charakteristischen bezeich- net. Danach nennt man denn auch dieses ganze Gebiet mit seinen unbe- stimmten Grenzen Caricatur und wir haben diesen Namen in der Ueber- schrift vorgezogen, eben weil er weiter ist, als der Name Satyre, indem er unter einem gemeinsamen Stylkennzeichen diese weite Sphäre befaßt. Wenn wir diesen Begriff schon in §. 151 einführten, so verhütete dort bereits die Anm. den Gedanken an die grellere Schärfe der Ueberladung, von welcher nun die Rede ist, und weil derjenige Ueberfluß des Cha- rakteristischen, der allerdings an sich im Stoffe des Komischen überhaupt liegen und vom Künstler immer verstärkt werden muß, von diesem höhern Grade der Ueberladung wohl zu unterscheiden ist, wurde dort der Name Caricatur nicht weiter verwendet. In der muthwilligen Luft dieses an- hängenden Gebiets wird nämlich das Naturmaaß, das auch im Häßlichen besteht, nicht mehr geachtet; das unregelmäßige Glied, Nase, Mund, Hand, Auge, Kopf u. s. w. wächst über die Grenzen bis zur völligen Empörung gegen die Verhältnisse des Organismus und ebenso wird jede sinnliche Bewegung, Ausdruck, Affect übersteigert. Der Maler hat übrigens hierin großen Spielraum, ohne noch in das eigentlich Phantastische überzugehen, von dem wir vorerst wieder absehen; ein Druck, ein Strich kann genügen, den Grad des Ueberladens hervorzubringen, der den Unterschied von der Komik der reinen Kunst begründet. Die Ueberladung kann nun das ein- zige Mittel sein, das die Caricatur in Anwendung bringt; doch begnügt sie sich nicht leicht damit, sie setzt die Figur in Handlung. Die Handlung kann einfach sich selbst bedeuten und entspricht dann der Posse; allein die Schärfe der Caricatur beschränkt sich auch darauf nicht leicht, ihr Hauptgebiet ist das des Witzes, wo denn die Handlung nicht sich selbst, sondern Anderes bedeutet. So durchläuft sie nun von dem Boden der gemeinschaftlichen Hauptform, der Ueberladung, die verschiedenen Formen des Witzes in einer Weise, wie es die Malerei als reine Kunst nicht kann, weil sie das Wort nicht zu Hülfe nimmt und ebensowenig ohne Hülfe des Worts blos vergleichend, allegorisirend verfahren will: Klang-Wortspiel, Sinn-Wortspiel, reines logisches Spiel (vergl. §. 198), bildlicher oder vergleichender Witz, Ironie: in allen diesen Formen wirft sie sich umher. Ja die Caricatur benützt nicht blos den Witz, sondern der Witz die Cari- catur, da er gern durch bloße Zeichen spricht, vergl. §. 193, 1. Die herrschende Form ist natürlich der vergleichende Witz und da zeigt sie die Stärke der bildenden Kunst, indem sie das „Wie“ wegläßt und uns zwingt, das zur Vergleichung Beigezogene für die Sache selbst zu nehmen, wäh- rend wir doch gleichzeitig wissen, daß es nicht so ist, sondern der verlachte Gegenstand nur durch irgend einen Vergleichungspunct auf das sehr Ent- legene, was hier seine Stelle vertritt, bezogen werden kann. Wir ver- zichten ungerne darauf, die Hauptformen an der Hand schlagender Beispiele aus der reichen Welt dieses so äzend scharfen und doch so lustigen Ge- biets zu durchwandern, und beschränken uns auf einige Winke. Neben dem realen Stoffgebiete steht der Caricatur die ganze Welt der Kunst, Poesie, Fabel offen, um daraus das Bild zu entnehmen, woraus die Pointe hervorspringen soll. So gab Manuel , der beißende Possendichter und Caricaturenzeichner der Reformation, eine Auferstehung Christi nach herkömmlicher malerischer Behandlung des Gegenstands, worauf man statt der kriegerischen Hüter des Grabes Pfaffen sieht, die es sich mit ihren Dirnen wohl sein ließen und nun aufgeschreckt fliehen; so gab die „Cari- cature“ das Abendmahl nach Leonardo da Vinci: in der Mitte sitzt die allegorische Figur Frankreichs oder der Freiheit mit der Geberde Christi, welche die bekannten Worte ausdrückt, Judas Ischarioth ist L. Philipp, auf seinem Beutel steht liste civile, statt des Salzfasses stößt er einen Teller voll Birnen um, auch die andern Figuren tragen die Züge politi- scher Persönlichkeiten; die fliegenden Blätter gaben ein Bild „der Tanz nach Noten“: der russische Bär spielt als Orpheus auf, die deutschen Wappenthiere tanzen danach; hier sieht man in der Benützung classischen Sagen- und Kunststoffes zugleich das Wortspiel und in der Behandlung der Wappenthiere eine beliebte Form der Caricatur, wodurch sich dieselbe wieder deutlich von der reinen Kunst unterscheidet: ein Symbol wird be- nützt, aber zugleich wieder mit seinem Gegenstande verwechselt, indem seine Gestalt in die menschliche hinübergespielt wird, so daß z. B. der bairische Löwe die Züge eines bairischen Gebirgsbauern trägt; sehr lustig sind für die Wappen der freien Städte Geldsäcke genommen und anthro- pomorphisirt. So weiß der Punch mit dem feinsten physiognomischen Humor dem französischen Adler die Züge L. Napoleons zu geben. Dieß Verfahren erinnert uns nun an ein weiteres wesentliches Moment, das wir in Anm. 1 nur berührt haben: an die phantastische Uebertragung und Verbindung von Gestalten verschiedener Reiche. Dort ist sie erwähnt als eine Form, welche besonders im freieren humoristischen Sittenbilde beliebt ist; nun aber ist hinzuzufügen, daß sie aller Caricatur überhaupt nahe liegt, und zwar nicht nur, wie bei den gegebenen Beispielen, aus Anlaß eines bestimmten, einzelnen vergleichenden Witzes oder eines Wort- spiels, sondern ganz allgemein als von selbst sich ergebende Steigerung der überhaupt herrschenden Ueberladung des Charakteristischen: diese, an sich schon immer auf dem Sprung, das nach Naturgesetzen Mögliche zu über- hüpfen, setzt, wie und wann es ihr beliebt, über diese Schranke wirklich hin- über, macht aus der Wahrheit, daß der menschliche Organismus durch seine verschiedenen Unregelmäßigkeiten in die Aehnlichkeit mit Mechanischem, Vege- tabilischem, Thierischem versinkt, Ernst und treibt nun solchen vergleichenden Witz im Großen ohne den speziellen Zusammenhang einer einzelnen Pointe dieser Art. So liebt denn die Caricatur überhaupt die phantastische Travestie, die muthwillige Gestaltenverwechslung, die wir zuerst in §. 214 aus der Stimmung des Humors überhaupt abgeleitet und als geschichtliche Form des mythisch Komischen in §. 440, 3. mit dem Namen des Grottes- ken eingeführt haben; Mechanismen, Pflanzen, Thiere werden zu Menschen und umgekehrt, sei es durch deutliche Verbindung von Gliedern und Theilen dieser verschiedenen Reiche, sei es durch unbestimmteres Hinüber spielen. Grandville hatte bekanntlich große Stärke in dieser Form. Allerdings wird aber mit ihr der Humor so bodenlos, daß er über die satyrische Absicht hinausspielt, und so bleibt es dabei, daß das freiere, nahezu tendenzlose, humoristische Sittenbild diesen komischen Mythus be- sonders liebt. Das Naturgesetz wird übrigens nicht blos in der Gestalt, sondern auch in der Bewegung, im ganzen Umfange des Gesetzmäßigen übersprungen; Töpffers geistreiche Skizzen gehen großentheils im Reiche des Unmöglichen vor sich und handeln, als gäbe es keine Schwere, keinen Hunger u. s. w., setzen aber diese Nothwendigkeiten doch wieder voraus und das eben ist der Spaß (vergl. „Gavarni und Töpffer“ Jahrb. d. Gegenw. Juni 1846). Diese frei phantastische Komik wird denn auch, woran eben dieß Beispiel erinnert, zur Erdichtung ganzer cyklischer Reihen vorzüglich aufgelegt sein und in diesen ganze humoristische Per- sönlichkeiten, närrische Typen episch durch eine vollständige Handlung Vischer ’s Aesthetik. 3. Band. 50 führen oder wenigstens ein Thema nach allen Seiten, wie in den Todten- tänzen, durchspielen. Man sieht, wie hier die Malerei mehr und mehr frei dichtend auftritt, was auf §. 694 zurückführt. Die Anlehnung an einen gegebenen Text kann dabei auch wegfallen, im Ganzen aber bleibt sie ein Hauptmerkmal der Unselbständigkeit des, obwohl so großen und bedeutenden, Gebiets, das uns hier vorliegt. Es wäre sehr interessant, das Verhältniß zum Texte näher zu beleuchten, wie er bald den Witz erst vollendet, wie bald umgekehrt die Caricatur ganz an die Stelle des Wor- tes, eine komische Hieroglyphe, tritt, wie sie ein andermal nur ein Motiv aus ihm entnimmt; das Letztere liebt namentlich jenes von satyrischer Absicht freiere humoristische Sittenbild: der Text sagt, was die dargestell- ten Personen sprechen, der Künstler zeigt uns, wie Menschen bei solcher Unterhaltung, wo sie sich ganz gehen lassen, ganz naiv hinträumen u. s. w., eben gerade aussehen. Der Text kann dabei einen Witz enthalten (vergl. §. 193 Anm. 1) oder nicht. Hier fällt dann freilich mit der Satyre auch die Uebertreibung, also das Grundmerkmal, das der Caricatur den Namen gibt, häufig ganz weg und man befindet sich im reinen Sittenbilde; allein die Kunst hat eine Masse flüchtiger Gedanken, die sie nur rasch hinwerfen, in die Welt schleudern will, und so übergibt sie dieselben, leicht und geistreich ausgeführt, der vervielfältigenden Technik, durch deren Mittel nun dieses ganze Gebiet seine große praktische Bedeutung verwirklicht. — Eine Geschichte der Caricatur nach Styl und Stoffen wäre eine höchst lohnende Aufgabe; die Geschichte der Staaten, der Religion, der Gesell- schaft wäre dabei so tief betheiligt, als die Geschichte der Kunst, der na- tionalen Auffassungen und Formen. In neuerer Zeit hat sich neben dem geistreichen Wurfe und der leicht aufschäumenden, eleganten, freilich oft mehr frivolen, als komischen Bosheit der französischen, neben der markig groben Herbe, der schwer und tief einschneidenden, grasser überladenden Schärfe der englischen Caricatur entschieden ein eigener deutscher Carica- turstyl ausgebildet, der ganz den deutschen Charakter ausdrückt, indem bei aller Schärfe doch der Humor über den bittern Ernst vorwiegt und in gutmüthiger Laune hanswurstartig die Miene einer gewissen gemüth- lichen Dummlichkeit annimmt; das Hauptverdienst bleibt den fliegenden Blättern. §. 743. Durch die Nachbildung in Metall, Holz, Stein bietet die ver- vielfältigende Technik, die aber hier ein bedeutendes reproductives Kunst- talent in Anspruch nimmt, sowohl einen Ersatz für die Anschauung des ausge- führten Gemäldes, als auch eine Form leichter Mittheilung der augenblicklichen Erfindung und führt so die Kunst im weitesten Umkreis in das Leben ein. Im Wesentlichen auf Zeichnung und Schattengebung beschränkt (vergl. §. 664. 665), verbindet sie sich doch annähernd auch mit dem Colorit. Wir haben Formen vor uns, die zwar nur anhängend, weil nur nachbildelnd und vervielfältigend sind, aber das Wiedererzeugen und Uebertragen in eine andere Darstellungsform fordert ein Hinein-Em- pfinden in das Original, das unendlich viel mehr, als bloße Nach- ahmung, ist und diesen Formen den Namen der beseelten Technik (§. 518, 2. ) sichert, durch welche die Kunst vom Handwerk sich unterschei- det. Mit einem Theile derselben verhält es sich so, daß auch der erfin- dende Künstler selbst sein Werk auf ein leicht zu behandelndes Material übertragen kann, so daß die Technik, die das Weitere zu übernehmen hat, mit der Kunst nur in entfernterem Verhältniß sich berührt oder wirklich nur noch Handgriff ist; hier muß also er selbst in die besonderen Bedingungen des Materials sich einfühlen; wir behalten aber zunächst den Fall der sinnigen Nachbildung im Auge. Der unendliche praktische Werth dieser technischen Mittel liegt nun in der Verbreitung der Kunst- Anschauung in die Massen; allerdings wird die Zeichnung, die Licht- und Schattengebung, deren Trennbarkeit vom Ganzen der Malerei in den angeführten §§. schon zur Sprache gekommen ist, (mit einiger Ausnahme, wovon nachher) hier wirklich isolirt, der Maaßstab wird bedeutend verkleinert, aber trotzdem sind es Erfindungen von weltgeschichtlicher, völkerbildender Bedeutung wie die Buchdruckerkunst, mit der sie Hand in Hand gehen. Wir stellen den Metallstich , wiewohl der Holzschnitt älter ist, voran, weil nur in Vergleichung mit ihm gezeigt werden kann, was diesem und dem Steindruck fehlt, und sprechen zuerst von der vollkommensten Form, dem Kupferstich . Im Abdruck fühlt sich bei allen diesen Mitteln der Vervielfältigung das Material, sein Element, seine Stimmung durch. Die kräftige, klangvolle Härte des Metalls nun hat an sich einen Charakter, der monumental gemahnt, und das Eingraben des Stichels in seinen soliden Stoff erinnert uns durch eine natürliche Symbolik an die durch- schneidende Kraft, wodurch sich der historische Mensch in die Erinnerung dauernd eingräbt. Zugleich setzt nun aber das Kupfer dem Grabstichel nicht allzugroßen Widerstand entgegen; es ist hart genug, einen kräftigen, gesammelten Druck der Hand zu verlangen, aber auch weich genug, ihr zu gestatten, daß sich das feinste Gefühl in sie lege und in der Art ihrer Bahn, im Anschwellen, Nachlassen, in den Figurationen der Striche sein inneres Geheimniß ausdrücke. Je mehr die Kunst diese Empfänglichkeit des Materials benützen lernt, desto mehr schreitet sie, zwar im Elemente des Farblosen, von dem mehr sculptorischen Charakter der einfachen Zeich- 50* nung und Modellirung zu einem erfüllten, gesättigten Nachbilde des durch- geführten malerischen Scheines fort. Ueberdieß sind nun aber chemische Wege entdeckt worden, die ein Verfahren erlauben, welches die flüssigen Mittel nachahmt, die der Maler mit dem Pinsel aufträgt, damit kann und muß sich dann auch die Arbeit des Grabstichels (und der Nadel) wieder vereinigen, und hiedurch ist die Steigerung zum Malerischen um eine weitere Form bereichert. Indem wir diese Steigerung näher betrachten, kommt zugleich der Unterschied der Verfahrungsweisen bestimmter zur Sprache. Der Kupferstich beginnt mit dem bloßen Umrisse und geht über zur Angebung des Schattens durch nebeneinander gelegte Linien (Schraffiren). Wenn nun schon der Umriß durch den Unterschied der leichteren Führung und der stärkeren Drucke der Hand die vollen Formen der umschriebenen Gestalt dem Gefühle anzudeuten vermag, so bleibt auch die Schraffirung nicht bei einfachen Strichlagen, bei gleicher Stärke der Striche stehen, sie eignet sich jene zarten und doch kräftigen Unterschiede in Nachlaß und Schwellung der Linie an, sie führt geschwungene Linien, durchkreuzt die geraden und geschwungenen in vielfacher Weise, sie setzt Puncte und mancherlei kleine Striche in die Vergitterung. Wir führen hier beiläufig die Punctir-Manier an, die blos mit Puncten modellirt, aber nur, um zu sagen, daß ihr mit der Bahn der Hand auch Bahn und Schwung des energischen Gefühls völlig abgeht. Das Punctuelle muß sich mit der Linie verbinden. Durch dieses Verfahren hat nun der Kupferstecher alle Mittel in der Hand, sowohl die Form, als auch die Art und Textur der Stoffe und mittelbar dadurch die Farbe auszudrücken. Allein noch mehr: er vermag die allgemeinen Beleuchtungsverhältnisse, Local-Ton und allgemeinen Ton in allen feinsten Lichtblicken und Schatten- Abstufungen wiederzugeben. So haben wir denn jenen Gang vor uns, der von dem mehr Plastischen der bloßen Zeichnung, dann der sparsameren, dann der volleren Modellirung immer mehr zum ganz Malerischen fort- schreitet, worin der Umriß als solcher völlig getilgt ist, keine Stelle der Fläche übrig bleibt, in welche der Stichel nicht gedrungen wäre, um eine vollkommen ausgefüllte Wechselwirkung eines Ganzen von Körpern und Lichtverhältnissen herzustellen, ja woraus uns selbst ein Gefühl der Farbe entgegenquillt. Alles jedoch im Elemente jenes Grundcharakters des Metallischen, des Eingegrabenen. In einem andern Verfahren, dem Radiren , fällt dieser Charakter eines innigen Durchdringens und Ueber- arbeitens der Metallfläche weg, er wird einem Vortheil anderer Art ge- opfert: der Künstler zeichnet mit leichter Hand in den widerstandslosen Aezgrund und läßt die Eingrabung durch ein chemisches Mittel vollziehen. Damit gehen denn die Feinheiten verloren, welche in der zarteren oder breiteren, seichteren oder tieferen Taille der mit dem Grabstichel arbeiten- den Hand liegen, gewonnen aber ist der Ausdruck des geistreichen, leichten Wurfs in der flüssigeren Linie. Ein Unterschied des mehr Graphischen und des in vollerem malerischem Scheine Gehaltenen bildet sich allerdings auch hier aus, doch ist nicht die Welt von abgestuften Tönen erreichbar, wie im Stich, der Charakter des Ganzen bleibt doch mehr der graphische. Das Radiren stellt sich im Ganzen näher zu den Formen, die mehr den Charakter des raschen Uebertragens der Erfindung, den Charakter des Unmittelbaren tragen, wovon nachher. — Der eigentliche Kupferstich nun erreicht jene Fülle allerdings schon durch das Mittel des Eingrabens mit dem Stichel. Allein es tritt nun auch das erwähnte weitere Verfahren auf, welches die flüssigen Mittel der Malerei durch Einäzen der Ab- stufungen des Dunkels (getuschte Manier, aqua tinta ) oder durch Heraus- schaben des Hellen (Schab-Manier, schwarze Kunst) nachahmt. Es ist klar, daß nun ein großer Vortheil gewonnen ist in Nachahmung jener ganzen Welt von Wirkungen der allgemeinen Potenzen, welche an sich nicht durch Linien bestimmbar scheint, weil sie den Charakter des Er- gossenen hat. Allein ebenso klar ist es, daß die Nachahmung dieser Er- scheinungen durch die mit dem Grabstichel gezogene Linie gerade darum mehr künstlerisch ist, weil dieses Mittel den Meister nöthigt, die Natur des Gegenstandes erst in ein anderes, zunächst fremdartiges Medium zu übersetzen, wodurch er die Feinheit seines Gefühles erst in ihrem wahren Umfang erproben kann. Ueberdieß gewinnt er hier die ganze Schärfe der Zeichnung für das Gebiet, wo solche hingehört, nämlich die feste Form. Jene Manieren bedürfen zur Umschreibung der Form in ihrer Bestimmt- heit, wie gesagt, der Mithülfe des Stichels oder der Nadel; aber auch da, wo das Unbestimmte in der Sache liegt, im ganzen Gebiete der Schatten- gebung mit ihren Uebergängen, treibt sie ein Gefühl des Mangels an Halt und Mark zu den verschiedenen Methoden der Verbindung mit diesen graphischen Werkzeugen, wodurch denn allerdings ein hoher Grad von Vollkommenheit in Wiedergebung des Malerischen erreicht worden ist. — Vor dem Kupferstich hat nun der Stahlstich die noch größere Dauer- haftigkeit des Materials voraus, welche ungleich mehr Abdrücke erlaubt. Allein dieser industriöse Vorzug ist auch sein einziger und mit schweren künstlerischem Nachtheil erkauft. Der Stahl ist zu hart; er läßt die dünnste Linie zu, aber er widersteht der eingrabenden Hand zu sehr, er gestattet ihr nicht, ihr Gefühl im Anschwellen des Zugs geltend zu machen, ihm fehlt daher das Lebendige, das Anwachsen, der Saft, die Rundung, das Metall fühlt sich zu stoffartig durch, es ist Alles kratzig, spröd, man hat eine Empfindung, wie wenn man Tritte auf gefrornem Schnee knarren und pfeifen hört. Ganz wird dieser Charakter auch durch Anwendung des Punctirens, Radirens, der Tusch- und Schabmanier nicht getilgt, das Metallische klirrt und rasselt mit all seiner Härte auch durch diese Ver- feinerungen hindurch. Dem Metallstiche stehen die leichteren und beweglicheren Formen des Holzschnitts und Steindrucks zur Seite. Im Erzeugnisse des Holzschnitts fühlt sich nun zwar die lockrere Textur, aber auch trotz dem vertrockneten Zustande, worin das Holz verwendet wird, durchaus wohlthuend der saftig weiche Charakter des vegetabilischen Stoffes durch. Dieß widerspricht nicht dem gewöhnlichen Urtheile, daß er mehr Kraft, weniger Zartheit habe, als der Kupferstich. Der Holzschnitt ist bekanntlich eine aus dem Holz erhöht herausgeschnittene Zeichnung. In diesem Verfahren fallen nun eben- falls die Vortheile weg, welche wir bei jenem Eingraben gefunden haben: da ist nicht die fortrückende Hand, die durch Nachlassen und stärkeren Druck gegen mäßigen Widerstand das künstlerische Gefühl offenbart; die zarten Uebergänge, die Töne werden nur mühsam und annähernd nachgebildet; die Methode, die durch Aezen das Flüssige nachahmt, fällt als unmöglich ohnedieß weg. Allein jede Linie für sich hat doch jenen wohlthuend vegetabilisch saftigen, allgemein weichen Charakter, der zugleich in der Verstärkung der tieferen Schatten eine kräftige, ergiebige, fettigte Derbheit entwickelt. Da die zarteren Ton-Abstufungen nur mit Qual erreicht werden, ist diese saftige Derbheit gerade das, worauf der Holz- schnitt arbeiten muß. Er ist daher ungleich mehr auf sculptorische Haltung angewiesen, als der Metallstich; Umriß mit mäßiger Angabe der Modellirung und der Beleuchtungsverhältnisse des Ganzen ist seine Haupt- stärke. Er läßt eine Steigerung nach dem Malerischen allerdings zu, der Spielraum soll nicht zu enge gezogen werden, aber es ist moderne Ver- kehrtheit, ihn zum Wetteifer mit Kupfer- und Stahlstich hinaufzuschrauben. Es ist schon viel, wenn der Zeichner verfährt wie mit der Nadel im Radiren und dem Formschneider überläßt, dieser freien Bewegung zu folgen; ein Verfahren, als zeichnete er einem Kupferstecher vor, geht ent- schieden über die Grenze. Die Deutschen haben sich neuerdings ein bedeutendes Verdienst in der Rückführung des Holzschnitts auf seine ur- sprüngliche, tüchtige, naive und doch geistvolle Einfalt erworben, insbe- sondere ist ein Werk wie Rud. Weigels „Holzschnitte berühmter Meister“, worin wir mit so reinem Gefühl und Verständniß das Mark des alten Holzschnitts nachgebildet sehen, mit Freuden zu begrüßen. Es kann nun im Holzschnitte das künstlerische Gefühl allerdings nicht ebenso in die Fingerspitzen übergehen, wie im Kupferstich, doch ist das Band zwischen Seele und Technik nicht so zerschnitten, daß wir nur einen erfindenden, der Ausführung fremden Künstler als Vorzeichner auf der einen und den Formschneider auf der andern Seite hätten: ein Dürer und Holbein hat ohne Zweifel nicht nur auf Holz vorgezeichnet, sondern auch selbst geschnitten; ferner ist der Holzschnitt ja auch nachbildend, er copirt Gemälde, Tusch- zeichnungen u. s. w.: hier verlangt er ebenfalls das reproductive Talent für die schwierige Uebersetzung in ein fremdes Material, das eine andere Sprache, einen andern Vortrag fordert; allein die Trennung ist möglich, das Un- mittelbare, was warm aus dem Geiste kommt, wirft sich rasch, handmäßig im Zeichnungs-Charakter auf das Holz, überläßt das Weitere der Aus- führung, die nun zwar auch noch Sinn und Empfindung fordert, aber doch schon näher am bloßen Handwerk steht, und dann dient der Holzschnitt vorzüglich der augenblicklichen Erfindung, die ihren Gedanken weniger ausführen, als schnell mittheilen will, der geistreichen momentanen Wir- kung, der Caricatur, der Illustration; der Bund mit dem Buchdruck ist hier besonders naturgemäß und so die reichste Vermittlung mit dem Leben begründet. — Die andere dieser rascheren, leichteren Formen ist der Stein- druck . Sie strebt allerdings ungleich mehr zur malerischen Ausführung und zwar auch ganz abgesehen von den Nachahmungen der Methoden, die eigentlich anderes Material voraussetzen, des Stichs, des Radirens, der Tuschmanier durch das sogenannte Spritzen u. s. w.: Uebertragungen, von denen wir Umgang nehmen, um bei dem zu verbleiben, was der Lithographie einzig natürlich ist, der Manier der Kreidezeichnung. Hier fühlt sich nun die Natur des Steins durch: das Körnige, korn-artig Rauhe, woran die Kreide in wolligem Strich ihre Theile abläßt. Die flockigen Linien lassen jede Art von Schwäche und Kraft des Drucks zu, fließen unmerklich in einander, nähern sich so dem Flüssigen und gestatten alle die feinen Ueber- gänge und Töne, welche die Haltung des malerischen Styls mit sich bringt und worin die Textur der Stoffe, selbst die Farbe sich andeuten läßt. Dafür fällt nun aber die Schärfe des Schnitts und Stichs, die Präcision der Linie weg, nicht nur wie sie dem Metalle, sondern auch wie sie dem Holz abgewonnen wird. Es ist kein eigentliches Vermählen mit dem Material, nur ein Hauch, ein Schatten, der darüber geworfen ist; es gibt so, wie es einen Kupferstecher und Formschneider gibt, keinen Li- thographen, da der Künstler, sei er nun erfindender Meister oder bilde er nur die Erfindung eines Andern nach, leicht wie auf Papier zeichnet und dann nur noch die chemische Behandlung des leeren Theils der Fläche und hierauf der Abdruck folgt; es bildet sich also hier keine besondere Form beseelter Technik, sondern eben die künstlerische Technik, die auch außer diesen vervielfältigenden Künsten thätig ist, mag sie productiv oder nachbildend sein, die Kreidezeichnung nämlich, arbeitet hier für die Vervielfältigung. Dieses Wegfallen des Kampfes mit dem Materiale, diese Losheit gibt der Litho- graphie eine gewisse Leere, man hat ein Gefühl des mangelnden Bandes, worin zugleich das Kalte und Todte des Steins empfunden wird. So bedeutend die Mittel einer malerischen Darstellung sind, über die sie verfügt, so thut sie daher doch besser, nicht in so vollem Umfang wie der Kupferstich, wie- wohl in vollerem, als der Holzschnitt, mit der Oelmalerei zu wetteifern. Dem Zweige nach ist sie mehr auf Sittenbild und Landschaft, als auf Geschichte gewiesen, denn eben, weil sie ihre Züge nicht durch Eingraben in das Material hineinarbeitet, oder, sofern sie es in Stich und Schnitt versucht, doch die wahre Schärfe dieses Verfahrens nicht erreicht, kann sie keine wahre Empfindung des Monumentalen hervorbringen. Vorzüglich dient nun aber die Lithographie auch der augenblicklichen Mittheilung des raschen künstlerischen Gedankens, sie gleicht darin dem Holzschnitt, ja sie ist noch beweglicher, als dieser, weil zwischen das Zeichnen und den blos mechanischen Abdruck keine weitere Technik in die Mitte zu treten hat wie bei diesem. — Endlich lassen sich nun diese Formen der vervielfältigenden Technik, vor- züglich aber die Lithographie, auch mit der eigentlichen Farbe verbinden: ein Ton oder mehrere Töne mit hervorgehobenen Lichtstellen werden durch eine oder mehrere Tonplatten hervorgebracht und von da ist nur ein Schritt zu dem Druck mit mehreren Farben, der ein mehr oder weniger annäherndes Bild von der wirklichen und ganzen Farbenwirkung der Natur und Kunst gibt und so einen Ersatz für die selbständigen Werke der Ma- lerei in die Massen verbreitet, der zwar nicht die Tiefe des Kupferstichs hat, aber auch nicht die Abstraction verlangt wie dieser und die andern farblosen Nachbildungen. — Vom Daguerrotyp haben wir bei dem Porträt gesprochen; es gehört eigentlich nicht zu den Vervielfältigungs- mitteln, weil es blos eine vereinzelte mechanische Kopie liefert, welche nur durch wirkliche Beiziehung jener sich vermehren läßt. Seine positive Bedeutung liegt darin, daß es als Beihülfe für die künstlerische Nach- bildung eines Gegenstandes dienen kann; doch nur behutsam ist es zu verwenden, weil es, wie dort gezeigt, eine falsche Wahrheit gibt; unbe- denklich ist es nur für außerkünstlerische Zwecke und leblos unbewegliche Gegenstände zu brauchen. §. 744. Die verschönernde oder Decorations-Malerei wirkt theils in Her- stellung des Scheins einer wirklichen Umgebung für die Schaubühne, theils er- gänzt sie schmückend das Werk der Baukunst, insbesondere dessen Inneres. Hier ersindet sie ein architektonisch bemessenes phantastisches Formenspiel: die Arabeske , die zunächst dem Zwecke der Einfassung und Ueberleitung dient, aber durch tiefsinnige Beziehungen zu höherem Kunstwerthe sich erheben kann. Diese Form verbindet sich auch mit der Illustration und wird hier vorzüglich von der vervielfältigenden Kunst gepflegt. Endlich ist die Malerei in Ver- zierung der untergeordneten Tektonik thätig. Wir verändern die Ordnung der Momente, worauf in den §§. 545 ff. die anhängenden Formen begründet sind, nach dem Werthe, den sie in den einzelnen Künsten haben. So führt uns in der Malerei die absteigende Linie von der noch mit freiem Kunstgeist erfindenden, aber stoffartig be- stimmten Caricatur zu der sinnvoll reproductiven Nachbildung, von da zu der bloßen Verschönerung. Hier ist die bedeutendste Sphäre die Bühnen- malerei , wenigstens die moderne, die nicht nur das Nothwendigste von architektonischer Umgebung, Straßenprospecten mit einer Andeutung land- schaftlicher Natur, sondern entschieden malerisch wirkende architektonische Innenseiten und Landschaften herzustellen hat. Die beschränktere Skeno- graphie der Alten war übrigens doch ein wichtiges Moment für Aus- bildung der Perspective. Den Schein der Tiefe hervorzubringen ist ein wesentlicher Theil der Aufgabe dieses Nebenzweigs, die zunächst fordert, daß das Umgebende überhaupt bezeichnet und so die mimische Handlung erläutert werde, zugleich aber den tieferen Anspruch stellt, daß das Sce- nische die Handlung ästhetisch stimmend ergänze. Dabei kann die Bühnen- malerei Geist und höheren Kunstsinn zeigen, sie ist und bleibt aber nicht nur an sich eine blos anhängende, sondern auch in der Ausführung eine gröbere Kunst, weil die Art, wie sie Alles auf eine Fernwirkung anzu- legen hat, mehr Handwerksberechnung, als eigentliches Kunstgefühl in Anspruch nimmt, und weil sie neben der künstlerischen Täuschung der Einen Fläche im Hintergrund noch auf rein äußerliche des scheinbaren Zu- sammengehens der Seiten-Coulissen abzusehen hat. Beleuchtung hat ma- lerisch mitzuwirken. Die Uebersteigerung dieser Dinge, die hetzende Ueber- schüttung der Sinne ist moderne Blasirtheit und erdrückt den Mittelpunct, dem sie doch nur dienen sollten, die dramatische Kunst. — An diesen Zweig lehnt sich die zur Täuschung gesteigerte Vedute in Mauerprospecten, in Dioramen u. dgl. — Ein Anderes ist nun die Decoration als Ver- zierung der architektonischen Fläche, bei welcher im Unterschied von der Freske diese ganz in Geltung bleibt, die Malerei also sie nicht als bloßes Mittel zur Anheftung ihres selbständigen Scheins benützt, sondern sich ganz unterordnet und daher jede bestimmtere Form, die sie verzierend anbringt, architektonisch stylisiren muß. Als Verzierung des Aeußern ist diese Art der Decoration Polychromie und bei der Baukunst (§. 573) besprochen; nicht eben so zweifelhaft, wie hier, ist ihre volle Berechtigung in Aus- schmückung des Innern. Handelt es sich nun blos um den allgemeinen Farben-Ueberzug der Flächen, so ist auch dieß eine Mitwirkung der Ma- lerei zu der Baukunst, die eigentlich als Anhang zu dieser angesehen werden muß; auch die Erfindung bestimmterer Verzierungen aus der vege- vegetabilischen Welt und andern Gebieten, denen das Ornament überhaupt seine Motive entnimmt, ist immer noch mehr ein malerisches Ausblühen der Architektur, als ein Hinüberwirken der Malerei; diese Sphäre ist daher in §. 573 schon mitbesprochen. Die Bestimmung der Muster für die weichen Stoffe, womit Räume und Geräthe bekleidet werden, durch die Malerei, trägt, wo sie ihrer Aufgabe treu bleibt, ebenfalls den archi- tektonischen Ornamentscharakter, der ihre Erwähnung zu §. 596, 2. be- gründete. Wirklich Malerisches in Teppichform zu weben, zu sticken, mag im Kleineren anmuthiges Spiel sein, im Großen mußten wir die Ver- setzung in solches Material bedauern (§. 660 Anm. 2). Auch die in Glas übertragene Wand-Decoration ist bei der gothischen Baukunst (§. 592, 2. ) schon erwähnt. Die Glasmalerei soll sich ebenfalls nicht übersteigern, nicht selbständige Gemälde zu geben suchen, sondern das Prinzip kleinerer Gruppen in architektonischer Feldertheilung und zugleich Teppichartiger Behandlung des Ganzen walten lassen. — Die Decoration der Wand kann die Haupt- fläche einfärbig halten und nur die Grenzen der Architektur-Glieder mit figurirteren Stäben, Säumen einfassen, sie kann das Ganze mit einer freien Nachbildung der Skenographie schmücken, wie dieß in der bekannten Rokoko-artig phantastischen Weise von den Römern geschah, sie kann es mit wiederkehrenden Formen überkleiden, deren buntes, doch von geome- trischen Einheiten beherrschtes Spiel wir bei der maurischen Baukunst be- reits als Arabeske erwähnt haben (§. 588, 2. ) In schlichterer Weise sind gewöhnlich die Dessins unserer Papiertapeten gehalten, styllos, wie gegen- wärtig alle verschönernde Kunst. Es ist nun aber die Einfassung und Ein- säumung, welche zu einer bedeutenderen Form führt. Sie vermittelt durch jene Säume zunächst die architektonischen Haupttheile; sie kann aber zugleich Wandgemälde mit den Flächen und den Schlußgliedern derselben überleitend verbinden, und nun wächst sie aus Stäben, Bändern, Blumen- und Ranken- Formen immer in’s Vollere, bis sie dahin gereift ist, etwas vom Geiste des malerischen Kunstwerks in sich herüberzunehmen und hier phantastisch ausblühen zu lassen. So weit gediehen kann diese Form immerhin auch für sich allein, ohne die Mitwirkung eigentlicher Wandgemälde, sprechen und in breiten Säumen durch ihre bunten Verschlingungen die Bestimmung des Raums u. s. w. andeuten; doch bleibt ihre wahre Stellung die einer Einfassung, worin sich zugleich der Inhalt eines selbständigen Werkes der Malerei wie in einem Echo wiederholt. Dieß ist nun die Arabeske im reicheren, volleren Sinne des Worts. Von der einen Seite ist sie archi- tektonisch bestimmt und gerade darin liegt das Motiv zum Phantastischen, denn die architektonisch verwendete organische Bildung ist in ein fremdes Element versetzt, das sie aus ihren Fugen zieht: das in sie eingedrungene geometrische Gesetz bringt nothwendig die theilweise Aufhebung des or- ganischen Gesetzes mit sich. Diese Art von Gesetzlosigkeit bestimmt nun den Künstlergeist zur Entbindung des Traumartigen in der Phantasie: geometrisch und vegetabilisch, thierisch, menschlich organische Gestalten gehen phantastisch ineinander über. Diese Phantastik ist aber kein Chaos, auch nicht blos äußerlich von dem geometrischen Schema der Baukunst geordnet; das Gesetz der organischen Bildung dringt vielmehr, nachdem es in der Grundlage abgeschafft ist, in einer neuen Form wieder ein, nämlich als ein Gesetz der künstlerischen Entwicklung einer Form aus der andern. Es macht sich hier der Begriff des Motivs sowohl im Sinne von §. 493, 1. , wo in der Anm. auch wirklich das Ornament schon berührt ist, als auch im Sinne von §. 499, 2. geltend: jede Form soll begründend und jede soll begründet sein; wie Ranken und Blätter laufen, sich spalten, sich zurück- wenden, wie Pflanzenform in Thierform übergeht und umgekehrt, wie Genien aus Blumenkelchen lauschen u. s. w.: das Alles gestaltet sich durch einen in der Tiefe des Kunstgefühls treibenden Keim, der Eines aus dem Andern hervorwachsen läßt. Nun aber legt sich in diese Welt erst der tiefere Sinn, der Gedanke. Er webt und schwebt durch sie hin und her wie die tiefere Bedeutung durch das Mährchen, mit dem man die Arabeske oft genug verglichen hat. Hiedurch ist denn die Bahn eröffnet, wodurch die Arabeske in unendlichen geistreichen Andeutungen Sinn und Idee des Raums, der Kunstwerke, die sie umsäumt, wiederholen, ernst und hu- moristisch accompagniren, paraphrasiren wird, wie die Musik im Phanta- siren ein Thema umspielt. Zugleich ist es ihr unbenommen, in ihre Felder und Oeffnungen auch ganze kleine Scenen, organisch regelmäßige Gestalten in naturgemäßerer Handlung einzuflechten. — Die Arabeske wirft sich nun auch auf ein kleineres Feld, auf vergänglicheres Material, gesellt sich zur Caricatur, zur Illustration. Die Grundlage bleibt auch hier architektonisch: sie umrankt Einfassungen einer geregelten Composition, sie spielt an der architektonischen Form von Buchstaben (Initialen), Colonnen hin und her und läßt den Inhalt des Textes phantastisch ausathmen, aus- blühen. Hier ist der Ort für die Kunst der Miniatur-Malerei in Farben, hier für die künstlerische Genialität, welche, auf völlige Aus- führung mit den Mitteln der Farbe verzichtend, dem inneren Ueberfluß der Schöpfung sein Bett in der Zeichnung, in Holzschnitt, Stich, Lithographie anweist. Der deutsche Geist hat, wie wir in dem Abriß der Geschichte angeführt, frühe schon auf diese geistreichen Spiele nur zu viel Kraft verschwendet, aber er hat auch immer gezeigt, welche Fülle sie in sich aufnehmen könne. — Endlich wirft die Malerei, wie die Plastik, einen Abglanz ihres höheren Lebens selbst auf die kleine Welt des nächsten Be- dürfnisses, auf die Werke der Zierplastik bis hinunter auf Dosen und Tabakspfeifen, wir verfolgen diese im Kleinen verschwindenden Strahlen, nachdem wir sie schon zu §. 596, 2. angedeutet und namentlich die Vasen- malerei berührt haben, nicht weiter. §. 745. Lebendigen Naturstoff bearbeitet die schöne Gartenkunst . Sie erhöht ästhetisch ein Angenehmes, indem sie den Spaziergang idealisirt. Im Ganzen malerisch hat sie zugleich ihre architektonische Seite. Der Gegensatz der Style hat auch in ihr seinen Ausdruck gefunden. Das letzte Moment, das sich als Grundlage einer anhängenden Form geltend macht, führt uns hinaus in die wirkliche Natur. Der tiefe Mangel, der in aller Verwendung unmittelbar lebendigen Naturstoffs zur Kunstform liegt (vergl. §. 490), muß sich besonders da geltend machen, wo dieser Stoff nicht die Lenksamkeit der freien Bewegung hat, sondern in Massen- haftem und Unbeweglichem wie Erde, Wasser, Pflanze besteht. Das Prinzip einer ästhetischen Verarbeitung dieser Stoffe kann nur ein ma- lerisches sein; der schöne Garten, d. h. der Garten, der nicht mehr dem landwirthschaftlichen Nutzen, sondern dem freien Ueberschusse des Nütz- lichen, dem Angenehmen dient und zu diesem Zwecke das Schöne herbei- zieht, ist eine mit wirklicher Erde u. s. w. vorgetragene Landschaft. Da- mit verknüpft sich Architektonisches in der nöthigen Gestaltung des Bodens und der strengeren Vermessung einzelner Theile, im engeren Sinne ma- lerisch ist die Berechnung des Eindrucks, den Fassung und Bewegung des Wassers machen soll, und die Gruppirung der Bäume und anderer Pflanzen nach Form und Farbe. Die doppelte Verbindung mit Außerästhetischem — in Material und Zweck — hebt Werth und Reiz dieser anhängenden Form nicht auf, wenn nur der Gartenkünstler seiner gemischten Aufgabe sich bewußt ist und daher nicht mit der eigentlichen Malerei wettzueifern sucht. Es handelt sich ja in Wahrheit nicht um eine einheitliche Landschaft, sondern der Genießende bewegt sich fort und dabei sind ihm schöne Ueber- blicke zu eröffnen, Ruhepuncte und Aussichten herzustellen, die nur in sehr annäherndem Sinn ein Ganzes darstellen können, vielmehr an einzelne landschaftliche Studien erinnern. Das Absichtliche darf hier durchaus nicht verhehlt werden, sondern soll sich in jener bestimmteren Vermessung einzelner Theile unbefangen aussprechen. Der Spaziergänger entbehrt die freie Schönheit der zufällig gefundenen ästhetisch erfreuenden Landschaft im Großen und genießt dafür den Vortheil einer von Menschenhand gepflegten, gereinigten Natur, wo ihn nicht rohe Zufälligkeit, Schmutz, Verkrüpplung, Raupenfraß, wüster Lärm, Anblick von Thierquälerei, überhaupt die Qual des Lebens in der reinen Stimmung stört, die ihm aus dem bescheidenen Nachbilde dessen zufließt, was der künstlerische Blick in einer großen und freien Erscheinung des landschaftlich Schönen zusammenfaßt. — Es ist interessant, wie der Gegensatz der Stylrichtungen, der uns überall begleitet, auch hier sich geltend macht. Der plastische Styl hat die streng regel- mäßigen Gärten geschaffen; allerdings äußert sich hier, am massenhaften Stoffe, das Plastische eigentlich architektonisch, als durchgängige Gemessen- heit. So waren die Gärten der Alten, so hat in der Zeit des Classicis- mus der romanische Geschmack der Franzosen den Garten behandelt. Da im Rokoko neben der abstrakten Regel die Willkühr des Schnörkels herrschte (vergl. §. 373), so lief dieser Styl in jene bekannten Spielereien, die den Baum zur Form von Vögeln, Wappen u. s. w. beschnitten, und in ähnliche Grillen aus. Der malerische Styl wurde dagegen in dem ger- manischen England geschaffen. Er begann mit einem Ueberschuß, einem unnatürlichen Suchen des Natürlichen, (künstliche Felsen, Wasserfälle u. dgl.), einem affectirt chaotischen Häufen des Mannigfaltigen (Tempel, Moscheen, Einsiedeleien u. s. w.), einem Nachahmen der Landschaftmalerei in ihrer pathetischen, heroischen Form, zugleich einem Nachahmen bestimmter Natur (Schweiz, Arkadien u. s. w.), ja einem Uebertritt in die musikalische Wirkung und die Dichtung, indem er bestimmte Stimmungen und Ideen hervorrufen wollte. Eine Neigung dazu scheint übrigens schon in den spätrömischen Villen sich geregt zu haben (Villa des Hadrian). Endlich legte sich diese Uebersteigerung und kam das einfach Malerische im modernen englischen Park auf. Uebrigens stehen wir hier im Geschmacksgebiete, wo die individuelle Neigung gilt. Zieht Jemand den plastischen Styl vor, wie z. B. Hegel, so ist daher nicht mit ihm zu rechten. Man mag auch in passenden Uebergängen die beiden Style verbinden.